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Full text of "Handbuch für den exekutiven Polizei- und Kriminalbeamten"

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den exekutiven 
polizei- und 
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Erich Wulffen 


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HARVARD LAW LIBRARY 


Received JAN 6 1922 





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Handbuch 


für den 
exekutiven 
Polizei- und Kriminalbeamten. 


Bearbeitet 


von 


Dr. jur. Erich Mulffen, 


Staatsanwalt bei dem Königlichen Landgerichte Dresden. 


Zweite veränderte und verbesserte Auflage. 





Dresden, 
Lebmannshe Buchdrucerei und Verlagsbuchhandlung 
1905. 








1999 


JAN 6 





Eriter Band. 
Erfter Beil: 


I. Gerichtsverfafjungsaefeß. 
II. Strafprozefordnung. 
III. Strafgejegbuch für das Deutſche Reich. 
IV. Sujammenftellung 
der für das Derftändnis des Strafgejegbuchs 
wejentlichen Bejtimmungen des Bürgerlichen Gefegbuchs, 


der Zivilprozeßordnung, der Wechſelordnung 
und des Bandelsgejegbuchs. 


V. Die übrigen wichtigften Reichsgeſetze 
jtrafrechtlichen Inhalts. 


——————— 


Vorwort zur zweiten Auflage. 


Die Tatſache, daß die erſte Auflage dieſes handbuchs bereits ſechs 
Monate nah ihrem Erſcheinen völlig vergriffen iſt, hat mich zu meiner 
freude belehrt, daß ich bei der ganzen Anlage und Ausarbeitung meines 
Werkes von praftiich zutreffenden Gefichtspunften ausgegangen bin. Anderer: 
feits habe ich mich aber auch in meiner Annahme nicht getäufcht, daß der 
deutfche erefutive Polizei- und Kriminalbeamte von dem eifrigften Beftreben 
erfüllt ift, auf allen Gebieten feiner Tätigfeit tiefere Kenntniffe in wifjen- 
ſchaftlicher und technischer Hinficht zu: erwerben. Daß eine ſolche Ausbildung 
auch den Mitgliedern einer erefutiven Behörde die erforderliche Be: 
fähigung und £eiftungsfähigfeit verleiht, haben mich meine neueren Studien 
verjchiedener Polizetinftitute im Auslande von neuem belehrt. Ich will hier 
nur daran erinnern, daß der Erefutivdienft in den größeren Städten Dänemarfs 
und Schwedens zum Teil von Juriſten verfehen wird, welche nicht fofort 
eine Anftellung bei einer Behörde finden und fo den Strafprozeß gewiffer- 
maßen von der Straße aus, von der eignen Anfchauung des ftrafbaren 
Ereigniffes an, fennen lernen. 


In diefer zweiten Auflage ift mein Handbuh aucd zu dem Werke 
herausgewachſen, als weldyes es von allem Anfange an gedacht war. Es 
ift ein reines Spezialwer? für den erefutiven Polizei» und 
Kriminalbeamten geworden. 

Bei der Bearbeitung haben mich der Bedanfe und der Wunſch geleitet, 
dem erefutiven Polizei- und Kriminalbeamten eine reichhaltige 
Sammlung der wichtigften ftrafrechtlichen Reichs» und Kandesgefetze, ſowie 
eine größere Reihe gemeinverftändlicher Aufſätze zu bieten, welche das Wefent- 
Iichfte feiner Tätigfeiten in fnapper Darftellung beleuchten. 

Das Handbuh ift für alle erefutiven Polizeibeamten cin- 
ſchließlich der erefutiven Mitglieder der Kriminalabteilungen der 
Polizeibehörden bearbeitet und zufammengeftellt. Die Erörterungen ftrafbarer 


nah, — 


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Tatbeftände, und zwar auch der fchwierigeren, werden ja fowohl in großen 
und mittleren Städten, als audy in Pleineren Städten und auf dem Kande 
keineswegs nur von befonderen Kriminalbeamten, fondern im erften Anfange 
fehr oft audy von den erefutiven Polizeibeamten eingeleitet und geführt, fo 
3. B. in fällen von Diebftahl, Unterfhlagung, Betrug, Urkundenfälihung, 
Pfandentftridung, Sittlichfeitsverbrehen, Mord, Totſchlag, Kindestötung, 
Abtreibung der Keibesfruht, Brandftiftung ufm. Dazu fommen die vielen 
Derletungen der öffentlichen Ordnung ufw., deren Erörterung faft ausſchließlich 
der erefutiven Polizeimannfchaft obliegt. Jeder erefutive Polizei: 
beamte bedarf daher der umfafjenden und wichtigen Kenntniffe, welche ikm 
zur zweckmäßigen Erforfchung von Derbrechen und Dergehen befähigen, und 
zwar umfomehr, als der erfte Angriff befanntlidy oft über das Schicfal des 
ganzen Strafverfahrens und die Ueberführung des Täters enticheidet. 

Der erefutive Polizei» und Kriminalbeamte ift ein wichtiger 
Faktor im Strafprogeffe. Er ift es, der die Ermittelungen vielfach einleitet 
und zeitli) vor dem Staatsanwalt und Richter führt, er ift es faft immer, 
welcher die Dermittlung zwifchen dem Publifum und dem Staatsanwalt 
unterhält. Deshalb darf er nicht nur an der Oberfläche der zu erörternden 
Gefebestatbeftände haften, fondern muß in deren MWiffenfchaftlichkeit, Technik 
und Ethif einzubringen verſuchen. Er bedarf vor allem der elementaren 
Kenntniffe aus den Reichsjuftizgefegen — Gerichtsverfaffungsgefeg, Straf- 
prozegordnung, Strafgefeßbuch und Konfursordnung —, innerhalb deren fich 
feine Erörterungen am meijten bewegen werden; aber auch in den zahlreichen 
übrigen Strafgefegen des Reichs und feines Bundesftaates muß er bewandert 
fein. Endlich find ihm bei jedem Schritte feiner Tätigkeit praftifche und 
politiſche Priminaliftifche Kenntniffe nötig, mit Hilfe deren er feinen Blick für 
die polizeiliche und Priminelle Seite der Dorgänge in Derfehr und Keben zu 
fchärfen, fich bei deren Erforfchung mit Geſchicklichkeit auszurüften und endlich 
fih auf die Warte einer höheren Anfchauung zu ftellen vermag. Deshalb 
foll das vorliegende Handbuch für den erefutiven Polizei- und Kriminal- 
beamten ein Nachſchlagewerk fein, welches ihm bei allen feinen Erörterungen 
mit Rat an die Hand geht. Ich habe drei Jahre lang als Affeflor 
bei dem Polizeiamte zu Chemnig mit Polizei- und Kriminalbeamten 
eingehend praktiſch gearbeitet und dabei in fteter perfönlicher Fühlung mit 
ihnen ihre hohe Derantwortlichfeit und mühevolle Arbeitstätigfeit fowie ihre 
Bedürfniffe Fennen gelernt. 

Das Handbuch zerfällt in drei Teile. Der erfte Teil bringt die 
Strafgefeßgebung des Deutfhen Reichs, alfo die fogenannten 
Reihsjufti5gefege, vor allem das Reichsſtrafgeſetzbuch und die 
weientlihften Reihsgefese ftrafredhtlichen Jnhalts. Die einzelnen 
Paragraphen des Strafgeſetzbuchs find mit Purzen Erläuterungen verfehen 
worden, in welchen fich die wefentlichften Grundſätze, welche die Rechtiprechung 


ne ——— 


des Reichsgerichts ergeben hat, niedergelegt finden. Es iſt verſucht worden, 
auch die Kehren in ſchwierigen Fragen, z. B. über den ſogenannten dolus 
eventualis, über den Verſuch am untauglichen Objekte und mit untauglichen 
Mitteln, über deal» und Realfonfurrenz, in gemeinverftändlicher Weife 
darzuftellen. Schwierige Tatbeftände, wie die des Mordes, Totichlags, 
Betrugs ufw., find eingehend entwicdelt worden. Es erfchien aber weiter 
auch wünfchenswert, daß der erefutive Polizei- und Kriminalbeamte fi in 
denjenigen Beftimmungen des bürgerlichen Rechtes einigermaßen zurechtfindet, 
welche zum Derftändnifje der Strafgefege unentbehrlih find. Es ift deshalb 
der Derfuch gemacht worden, diefe wefentlichen Dorfchriften aus dem Bürger: 
lihen Geſetzbuche, der Sivilprozeßordnung, der Wechſel— 
ordnung und dem Handelsgejegbuche überfihtlih zufammenzuftellen. 

Weil es auch ein Haupterfordernis war, die einzelnen Paragraphen oder 
Gruppen von ſolchen in der umfangreichen Reichsftrafgefeßgebung leicht auf» 
findbar zu machen, fo find fie durchgängig mit in die Augen fallenden 
Inhaltsftihworten verfehen worden. 

Im zweiten Teile des Handbuhes finden fich die geläufigften 
Strafgefege der Königreihe Preußen, Bayern, Sadhfen und 
Württemberg, inı dritten Teile endlih — Polizeilihes Praftifum 
der erefutiven Kriminalbeamten und der erefutiven Polizei: 
beamten — eine Reihe gemeinverftändlicher Aufſätze, welche die Tätigkeit 
des erefutiven Polizei: und Kriminalbeamten bei feinen Er: 
örterungen im allgemeinen und bei einzelnen Derbrechen und Dergehen, welche 
ihn täglich befchäftigen, im befonderen beleuchten. Hier werden auch die 
Technik der Bertillonage und der Daftylosfopie, fowie die auch für 
den Polizeibeamten wichtigen fragen der gerichtlichen Pfydiatrie 
behandelt. In der vorliegenden zweiten Auflage find nun aud 
die Hauptgefichtspunfte der Tätigkeit des erefutiven Polizei— 
beamten in verfchiedenen Auffästen beleuchtet worden. Die 
allgemeinen Derhaltungsvorfchriften bei Ausübung des 
Erefutivdienftes, Strafbarfeit des Streifpoftenftehens, Wefen 
und Arten des groben Unfugs und rubeftörenden Lärms, ftraßen: 
polizeilihe Behandlung von Auflauf, Aufruhr und Kandfriedens- 
bruh, Befämpfung des Winfelfhanfes, polizeilihes Ein: 
jhreiten bei Mietsftreitigfeiten ufw. werden eingehend erörtert. 

Als Anhang zum dritten Teile findet der Polizeis und Kriminalbeamte 
ein formularbud, in welchen Formulare für Anzeigen über die haupt- 
fählihften Straftaten unter Berücdfichtigung der verfchiedenartigen Geftaltung 
der einzelnen fälle gegeben werden. In diefem Formularbuche find 
die im „Polizeilihen Praktikum“ gegebenen Fingerzeige praftijh ver: 
wertet worden. Dielleicht eignet fich der Polizei und Kriminalbeamte aus 
diefem Formularbuche die praftiichen Kenntniffe am leichteften und zuver— 





läffigften an. Die Beifpiele find feffelnd, vielgeftaltig und eingehend gewählt 
worden, 


Als Bebrauchsanweifung ift jedem Teile und einzelnen Unterabteilungen 
des erften Teils eine kurze Dorbemerfung vorangefegt worden. 


Die während der Drudlegung neu erfchienenen Befege find in einem 
Nachtrage am Schluffe des erften Bandes zufammengefaßt. 


Möchte ſich das Handbuch auch in feiner zweiten Auflage immer 
wachjender Brauchbarkeit erfreuen. 


Dresden, im Auguft 1905. 
Dr. Eric; Mulffen. 


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Inhalt des erſten Bandes. 


Erſter Teil. 
Strafgejetzgebung des Deutichen Reiches, 


1. Gerichtsverfaſſungsgeſetz (Auszug) 








12. ultellungs- und Vollitrefun — — 41 
Rechtshülfe 








4 — und Abftimmung . de en 45 





17. Gerichtöferien 





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Zeite 
Fünftes Buch: Beteiligung des Berlegten bei dem Verfahren 99 
1, Abſchnitt. Privatklage... lt 99 
2, “ EDEenBaue::.- 20 ee ee 
Sechſtes Buch: Bejondere Arten des Verfahren . . . . . 102 
1. Abjchnitt. Verfahren bei amtsrichterlichen Strajbefehlen . 102 

2. P Verfahren nach voramgegangener polizeilicher 
Strafverfügung . . > 2... j 104 

3. Verfahren bei Zuwiderhandlungen gegen — Yor- 

Ichriften über die Erhebung öffentlicher Ab- 
gaben und Gefälle. . . . . 105 

4. A Berfahren gegen Abwejende, welche ſich der Wehr. 
pflicht entzogen haben. . . . . . 106 

53. Verfahren bei Einziehungen und Bermögens- 
beihlagnahmen . » 2 2 2 2 10907 

Stebentes Bud: Strafvollitredung und Kojten des Ver— 
fahrenss. 10908 
1. Abſchnitt. Strafvollitrefung . » > > 2 10908 
B 6 Kojten des Verfahbrend . » » 2» 2... 0 11 

Anhang: 

l. Gebührenordnung für Zeugen und Sacdverjtändige. . . 113 

2. Geſetz, betreffend die Entjchädigung der im Wiederaufnahmes 
verfahren freigeiprochenen Berfonen . . . 116 

3. Geſetz, betreffend die Entjchädigung für REN — 
Unterſuchungshaft..118 
4. Militärſtrafgerichtsordnung (Auszugh. 2.20... 121 
III. Strafgeſetzbuch für das Deutſche Neil . ». » >. .2...125 
Vorbemerkunngggg. 2125 

58 

Einleitende Beitimmungen . . 2... } 1—12 126 


Erjter Teil: Von der Beitrafung der — 
Vergehen und Uebertretungen im all— 
ÜERWINEN: m. var an mare 130 


BE Se an 


1. Abſchnitt. 


" 


Strafen 

Verſuch 

Teilnahme . V 

Gründe, welche die — aus⸗ 
ſchließen oder mildern 


Zuſammentreffen mehrerer 
ſtrafbarer Handlungen 


Zweiter Teil: Von den einzelnen Verbrechen, Ver— 
gehen und Uebertretungen und 
deren Beſtrafung 


1. Abſchnitt. 


" 


Hochverrat und Landesverrat . 
Beleidigung des Landesherrn 
Beleidigung von Bundes» 
fürſten es 
Feindliche Handlungen gegen 
befreundete Staaten 
Verbrechen und Vergehen in 
Bezichung auf die Aus- 


übung jtaatsbürgerlicher 
Rechte. 

Widerſtand gegen die Siaats 
gewalt 


Verbrechen und Vergehen wi: 
der die Öffentliche Ordnung 

Münzverbreden und Münze 
vergeben . 

Memeid . 

Falſche Anjchuldigung 

Vergeben, welche jich auf die 
Religion bezichen . 

Verbrechen und Bergehen in 
Beziehung auf den Per— 
jonenitand . 


SS 
13 —42 
43—46 
47—50 
51—72 
73—79 
80—03 
94—97 
98—101 
102-104 
105—109 
110-122 
123—145 
146— 152 
153— 163 


164—165 


166— 168 


169—170 


Seite 


130 
140 
142 


13. Nbjchnitt. 


14. 


29. 


" 


— ** 


Verbrechen und Vergehen 
wider die Sittlichkeit . 

Beleidigung 

Bweifampf . — 

Verbrechen und Vergehen 
wider das Leben 

Körperverletzung 

Verbrechen und Vergehen weiber 
die perjönliche Freiheit . 

Diebitahl und Unterjchlagung . 

Raub und Erpreflung 

Begünftigung und Hehlerei 

Betrug und Untreue. 

Urkundenfälſchung 

Bankerutt F 

Strafbarer Eigennutz * Ver⸗ 
letzung fremder Geheimniſſe. 

Sachbeſchävigung . 

Gemeingefährliche Verbrechen 
und Vergehen . 

Verbrechen und Vergeben im 
Umte . 


Uebertretungen . 


ss 
171—184 
185— 200 
201-210 
211 — 222 
223—233 
234— 241 
242—248 
249— 256 


257 — 262 
263—266 
267—280 


284—302e 2 


303—305 


3065 —330 


331—359 
3050—370 


1V. J Zufammenftellung der für das Verftändnis des Strafgeieg- 
buchs weſentlichen Beſtimmungen des Bürgerlichen Gejeß: 

buchs, der Zivilprozehordnung, der Wechſelordnung und 

des Handelsgeichbuds . 
Vorbemerkung 

1. Bürgerliches Bere (Auszug) 
Erſtes Bud). 


Zweites Buch. 
Drittes Bud. 


Viertes Bud). 


Fünftes Bud). 


Allgemeiner Teil 
Recht der Schuldverhältnifie 
Sachenrecht 
Familienrecht 
Erbrecht 


Einführungsgeſetz zum Bürgerlichen Geſetouch 


— 


X 


CHE CB Cu CB CHE CHEN 
ZN BD — 
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255 


254 


280 
230 
281 
281 
290 
298 
318 
335 
337 


14 


2. 
3. 
4. 


Zivilprozeßordnung (Auszug) 
Allgemeine Deutſche Wechjelordnung (Auszug) 
Handelsgejegbuc (Auszug). 

Erites Buch. Handelsjtand 


Zweite® Buch. Handelegejellfchaften * still Geſellſchaft 
Drittes Buch. Handelsgefchäfte . 


V. Die übrigen wichtigſten Reihsgejege itrafrechtlihen Inhalts 
Vorbemerkung 


!: 
2. 


Konfursordnung Auszug). 


Geſetz, betreffend die Beitrafung der ——— efefteifiher 
Arbeit 


. Gejet, betreffend die Ermwerbs- und p Mirtfaftögenoffenfejaften 


(Auszug) 


. Gejeß, betreffend die Gejellichaften mit ——— — 


(Auszug) 


Geſetz, betreffend die nen: mit — (Auszug) 
.Münzgeſetz (Auszug) 
.Geſetz, betreffend den Schutz des zur Ar ice von In Reiche 


fafienscheinen verwendeten Papiers gegen unbefugte Nach- 
ahmung 


. Banfgejeg (Auszug) 

.Geſetz, betreffend Die Abänderung des Bantgefehes (uayug) 
. Börjengefeg (Uuszug) . 

. Sypothefenbanfgejek (Auszug) 

.Geſetz, betreffend die Abzahlungsgejchäfte Auszug) 

. Gejeh, betreffend die Pflichten der Kaufleute bei Aufbewahrung 


fremder Wertpapiere . 


. Geje, betreffend die gemeinfamen Rechte der Beliter von 


Schuldverjchreibungen (Auszug) 


. Gejeg, betreffend das Urheberrecht an Werfen der Literatur 


und der Tonfunft (Auszug) 


. Gejeg, betreffend das Urheberrecht an Werfen der bildenden 


Künfte (Muszug) 





— — 


30. 


Geſetz, betreffend den Schutz der Photographien gegen unbefugte 


Nachbildung (Auszug) 


Geſetz, betreffend das Urheberrecht an Muftern ER Modellen 


(Auszug) 


Patentgeſetz (Auszug) 

. Gejeg, betreffend den Schuß von — (Auszug) 
.Geſetz zum Schute der Warenbezeichnungen (Auszug) 

2. Geje zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs (Auszug) 
. Gewerbeordnung für das Deutjche Reich (Auszug) 

24. Gejeß, betreffend die Verwendung gejundheitsichädlicher Farben 


bei der Herftellung von Nahrungsmitteln, Genußmittteln 
und Gebrauchsgegenftänden . 


. Gejeg, betreffend den Verfehr mit Butter, aaſe FR und 


deren Erjagmitteln 


3. Geſetz, betreffend den Verkehr mit Rabrungsmitteln, Senui; 


mitteln, und Gebrauchägegenjtänden . 


Geſetz, betreffend den Verkehr mit Wein, —— * 


weinähnlichen Getränken. 


Süßſtoffgeſetz (Auszug) . 
9. Gejeg, betreffend den Verkehr mit bleie — —— 


Gegenſtänden — * 
Geſetz, betrefſend die —— des —— der 
Schankgefäße 


Geſetz, betreffend die Prüfung — Laufe * Berfchlüffe Pe 


Handfeuerwaffen (Muszug) . 


. Gejet; über den Feingehalt der Gold- und — 
. Gejeg über die Beurkundung des Perſonenſtandes und der 


Eheſchließung (Nuszug) . 


. Geje über die PBrefie . ; 

. Gejeb, betreffend die Stimmzettel für öffentliche Wahlen 
.Geſetz über das Auswanderungsweſen (Auszug) 

. Gejet; gegen den verbrecherifchen und gemeingefährlichen Ge- 


brauch von Sprengitoffen 


- Geje gegen den Verrat militärijcher Geheimniſſe 
9. Impfgeſetz (Auszug) 


. Gejet, betreffend die Bekämpfung gemeingefährlicher Krank— 
heiten (Auszug). 

. Gejeg, betrefiend Die Schlachtoieh⸗ er Fleiſchbeſchau 
.Geſetz, Maßregeln gegen die Rinderpeſt betreffend (Auszug) 


3. Geſetz, betreffend Zuwiderhandlungen gegen die zur Abwehr 


der Rinderpeſt erlaſſenen Vieh-Einfuhrverbote 

.Geſetz, betreffend die Abwehr und Unterdrückung der Vieh— 
ſeuchen (Auszug) 

Geſetz, betreffend die Befämpfung “ Reblans (Auszug) 

3. Geſetz über das Poſtweſen des Deutjchen Reichs (Auszug) . 
. Geje, betreffend einige Aenderungen von Beltimmungen über 
das Rojtwejen . F — 
.Geſetz zur Ausführung des —— Vertrages zum 
Schuge der unterſeeiſchen Telegraphenfabel 


9. Geſetz über das Telegraphenwejen des Deutjchen Reichs Auszug) 


. Befanntmachung, betreffend die Betriebsordnung für die 
Hanpteifenbahnen Deutichlands (Auszug) ’ i 
. Bekanntmachung, betreffend die Bahnordnung für die Neben 
eiſenbahnen Deutſchlands (Auszug) . 


52. Geſetz über die eingeſchriebenen Hütfsfaflen . 


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— 


Krankenverſicherungsgeſetz (Auszug) 
.Invalidenverſicherungsgeſetz (Auszug) 

. Gewerbe-Unfallverſicherungsgeſetz (Auszug). 

. Unfallverficherungsgejeß für Land- und Zorjtirtfchaft (Huszug) 
. Bauellnfallverficherungsgejet (Auszug) 

. Gejep, betreffend den Schuß von Vögeln 


Abkürzungen im Strafgejebbude: 


bedeutet Zultändigfeit des Amtsgerichts (Schöffengerichts). 


F J des Landgerichts (Strafkammer). 
(L. be. A.) „ e der Straffammer oder (im Ueberweiſungsfalle) 


des Schöffengerichts. 
" B des Schwurgerichts. 


— 








Eriter Teil. 


Strafgefehgebung des Deutfchen Reiches, 











J. 
Gerichtsverfaſſungsgeſetz 


vom 27. Januar 1877 


(NReihögejegblatt von 1877, Seite 41; neue vom 1. Januar 1900 ab 
geltende Faſſung: Reihsgefepblatt von 1898, Seite 371). 
Ferner Abänderung durd Gejeg vom 5. Juni 1905 (jiefe Nachtrag) 
Reichsgeſetzblatt von 1905, Zeite 533. 


Dorbemerfung. 


Dem Polizeibeanıten muß es wünfchenswert erfcheinen, das prozeffuale 
Derfahren Pennen zu lernen, welches eine ftrafbare Handlung vom Augen: 
blife ihrer Entdefung an bis in die Zeit der Strafvollftrefung hinein zu 
durchlaufen bat. Das Derftändnis des prozeſſualen Derfahrens fett aber die 
Kenntnis der Organifation und Perfonalbefesung der Berichte 
und Staatsanwaltfhaften voraus, welche im Gerichtsverfaffungsgefeße 
niedergelegt find. 

Der nachfolgende Auszug aus dem Gerichtsperfaffungsgefege über- 
gebt alle Beftimmungen, welche nur für die Sivilgerichtsbarkeit 
Bedeutung haben. Er bringt die Dorfchriften über die innere Organifation 
der ftrafrechtlichen jnftanzgerichte nur gedrängt. Im Wortlaut hingegen 
finden ſich alle Paragraphen des Gefeßes über die äußere Organifation 
der Inſtanzgerichte und Staatsanwaltihaften, fowie über deren einzelne 
HSuftändigfeiten in Straffahen. 


13 
* 


 VERETTRTERTI TITTEN 


Das Wünfcenswerte ift in dem Auszuge durh die nhaltsüber: 
fchriften der einzelnen Gefegestitel und ihnen beigefügte Unterabteilungen 
leicht zu finden. 

Erläuterungen find den einzelnen Paragraphen fo gut wie nicht bei: 
gefügt. Der Tert des Gerichtsperfaffungsgefetes ift faft durchgängig auch 
für den Nichtjuriften Par und verftändlich. 

Die Abänderungen des Gerichtsverfafjungsgefiges durdy das Geſetz 
vom 5. Juni 1905 befinden ſich im Nachtrage anı Schlufie des erfter Bandes. 


J. Gerichtsverfaſſungsgeſetz. — 1. und 2. Titel. 21 


1. Titel. 


Richteramt. 


ss 1—11. Auszug.) Die richterliche Gewalt im Deutſchen Reiche wird 
durch unabhängige, nur den Gejegen unterworfene Gerichte ausgeübt. Die Fähig- 
feit zum Nichteramte wird durch die Ablegung zweier Prüfungen erlangt. Die 
Ernennung, Verjegung, die zeitweile, vorläufige und dauernde Amtsenthebung 
und Auhejtandsverjegung der Richter iſt gefeglich geregelt. Für vermögens— 
rechtliche Anfprüche der Richter aus ihrem Dienftverhältniffe darf der Rechts— 
weg nicht ausgeſchloſſen werden. 


2. Titel. 
Gerichtsbarkeit. 


ss 12— 21. (Auszug) Die ordentliche jtreitige Gerichtsbarkeit wird durch 
Amtsgerichte und Yandgerichte, durch Dberlandesgerichte und durch das Reichs— 
gericht ausgeübt. Außerdem jind eine Anzahl bejondere Gerichte zugelafjen. 
Die Gerichte find Staatsgerichte. Die Privatgerichtsbarkeit ift aufgehoben. Aus: 
nahmegerichte find, abgefehen von den Kriegsgerichten und Standrechten, aufgehoben. 
Niemand darf jeinem gejeglichen Richter entzogen werden, d. h. dem Nichter, 
der jachlih und örtlich für ihn zuftändig iſt. Die inländifche Gerichtsbarkeit 
erjtrecft fih nicht auf die Chefs und Mitglieder der bei dem Deutjchen Reiche 
beglaubigten Gejandtichaften. Sind dieſe Perfonen Staatsangehörige eines 
der Bundesstaaten, jo find fie nur injofern von der inländifchen Gerichts: 
barfeit befreit, al8 der Staat, dem fie angehören, fich der Gerichtsbarkeit 
über fie begeben hat. Die Chefs und Mitglieder der bei einem Bundesitaate 
beglaubigten Gejandtichaften find der Gerichtsbarfeit diejes Staates nicht unter: 
worfen. Dasjelbe gilt von den Mitgliedern des Bundesrates, welche nicht von 
Preußen abgeordnet find. Auf die Familienglieder, das Geſchäftsperſonal der 
erwähnten PBerjonen und auf jolche Bedienstete derjelben, welche nicht Deutjche 
jind, finden diefelben Beitimmungen Anwendung. Die im Deutjchen Reiche 
angejtellten Konſuln find der inländifchen Gerichtsbarkeit unterworfen, fofern 
und foweit nicht in Verträgen des Deutjchen Reichs mit anderen Mächten Ver: 
einbarungen über die Befreiung der Konfuln von der inländijchen Gerichtsbarkeit 
getroffen jind. Alle diefe der inländischen Gerichtsbarkeit nicht unterworfene 


22 I. Gerichtsverfaſſungsgeſeß. — 2., 3. und 4. Titel. 


Perſonen nennt man Erterritoriale. Gin unmittelbarer Gejchäftsverfehr mit 
ihnen feiten der Gerichte und Staatsanwaltichaften iſt unzuläjfig. 

Es beitehen folgende SKonfularverträge: mit Italien v. 21./12. 68 (B. G. Bl. 
1869 ©. 113) und 7.]2. 72 (R.G.Bl 134); mit Spanien v. 22./2. 70 (B. G. Bl. 99) 
und 12./1. 72 (R. G Bl. 211); mit den Vereinigten Staaten von Nordamerifa v. 11./12. 71 
(R.:G.:Bl. 1872 ©. 95); mit den Niederlanden v. 16./6. 56 bezw. 11./1. 72 (R. 6.Bl. 67); 
mit Rußland v. 8./12. bezw. 26.11. 74 (R.G.Bl. 1875 ©. 145); mit den Hawaitjchen 
Infeln v. 25./8. TI R.G. Bl. 1880 © 121); mit Griechenland v. 26./11. 81 (R. G. Bl. 1882 
©. 101); mit Brafilien v. 10 /1.82 (R.G. Bl. 69); mit Serbien v. 6./1.83 (R. G. Bl.62); 
mit Japan v. 4/4. 96 (R. G. Bi. 732). — Entiprehende Beitimmungen enthalten auch 
die nachfolgenden Freundichaftss, Handels- und Schiffahrtöverträge; mit San Salvadore 
v. 13./6. 70 (R. G. Bl. 1872 ©. 377, 1899 ©. 191); mit Portugal v. 2./3. 72 R. G. Bl. 254); 
mit Perſien v. 11./6. 73 (R. G. Bl. 351); mit Samoa v. 24/1. 79 (R.G. Bl. 1881 S.29: 
mit China v. 31./3. 80 (R. G. Bl. 1881 ©. 261); mit Marofto v. 3./7. 80 (R. G. Bl. 1881 
©. 103); mit Oeſterreich-Ungarn v 23. 5. 81 (RG.Bl. 123); mit Merito v. 5./12. 82 
(R.G.Bl. 1883 ©. 247); mit Madagastar v. 15./5. 83 (R. G. Bl. 1885 S. 166); mit 
Korea v. 26.11. 83 (R. G. Bl. 1884 ©, 221); mit der Südafrilaniſchen Republi v 22.1. 85 
(RG.Bl. 1886 ©. 209); mit BZanzibar dv. 20.12. 85 (R. G. Bl. 1886 ©. 261); mit 
Gauador v. 28.73. 87 (R. G. Bl. 1888 ©. 136); mit Guatemala v. 20./9. 87 (R. G. Bl. 1388 
©. 238); mit Honduras d. 12 /12. 87 (R. G. Bl. 1888 ©. 262); mit Columbien v. 23./7. 92 
(R.G. Bl. 1894 ©. 471); mit Wifaragua v. 4./2. 96 (RG.Bl. 1897 S. 171); mit 
dem Drange-freiltaat v. 23./4. 97 (R.G.Bl. 1898 ©. 9). 


3. Titel. 


Amtsgerichte. 


ss 22—24. (Muszug) Den Amtsgerichten ſtehen Cinzelrichter vor. 
Die Zuftändigkeit der Amtsgerichte in bürgerlichen Rechtsitreitigfeiten. 


4. Titel. 
Schöffengeridte. 


$ 25. Für die Verhandlung und Entjcheidung von Straffadien x werden 
bei den Amtsgerichten Schöffengerichte gebildet. 


Beſetzung. 
Ss 26. Die Schöffengerichte beſtehen aus dem Amtsrichter als Vorſitzenden 
und zwei Schöffen. 
Für Helgoland vgl. Art. II der V. v. 22./3. 91 (R.G.Bl. 21), Urt. I des G. v. 
4./6. 93 (R. G Bi. 193). 
Zuftändigfeit. 
s 27. Die Schöffengerichte jind zuftändig: 
l. für alle Uebertretungen: 


I. Gerichtsverſaſſungsgeſetz. — 4. Titel. 23 


2. für Diejenigen Vergehen, welche nur mit Gefängnis von höchſtens 
drei Monaten oder Geldjtrafe von höchſtens jechshundert Marf, allein 
oder neben Haft oder in Verbindung mit einander oder in Verbindung 
mit Einziehung bedroht find, mit Ausnahme der im $ 320 des 
Strafgejeßbuch® und der im $ 74 diejes Gefetzes bezeichneten Vergeben ; 

3. für die nur auf Antrag zu verfolgenden Beleidigungen und Körper: 
verfegungen, wenn die Verfolgung im Wege der Brivatklage geſchieht; 

4. für das Vergehen des Diebitahls im Falle des S 242 des Straf- 
gejegbuchs, wenn der Wert des Seftohlenen fünfundzwanzıg Mark 
nicht überfteigt ; 

5. für das Vergehen der Unterfchlagung im Falle des $ 246 des Straf: 
gejegbuchs, wenn der Wert des Unterfchlagenen fünfundzwanzig Mark 
nicht überjteigt; - 

6. für das Vergehen des Betruges im Falle des $ 263 des Straf: 
gejegbuchs, wenn der Schaden fünfundzwanzig Mark nicht überjteigt; 

7. für das Vergehen der Sachbeſchädigung im Falle des $ 303 des 
Strafgejegbuchs, wenn der Schaden fünfundzwanzig Mark nicht 
überjteigt; 

8. für das Vergehen der Begünftigung und für das Vergehen der 
Hehlerei in den Fällen des $ 258 Nr. 1 und des $ 259 des Straf: 
gefegbuchs, wenn die Handlung, auf welche fich die Begünjtigung 
oder die Hehlerei bezieht, zur Zuständigkeit der Schöffengerichte gehört. 

5 28. Jit die Zuftändigfeit des Schöffengerichts durch den Wert einer 
Sacje oder den Betrag eines Schadens bedingt und ftellt jich in der Hauptver- 
handlung heraus, dat der Wert oder Schaden mehr als fünfundzwanzig Marf 
beträgt, jo Hat das Gericht feine Unzuitändigfeit nur dann auszujprechen, wenn 
aus anderen Gründen die Ausjegung der Verhandlung geboten erjcheint. 

829. Bor die Schöffengerichte gehören auc) diejenigen Straffachen, deren 
Verhandlung und Enticheidung ihnen nad) den Beftimmungen des fünften Titels 
von den Straffammern der Landgerichte überwiejen wird. 


Amt der Schöffen. 
$ 30. Inſoweit das Gejeß nicht Ausnahmen beftimmt, üben die Schöffen 
während der Hauptverhandlung das Richteramt im vollen Umfange und mit’ 
gleichem Stimmrechte wie die Amtsrichter aus und nehmen auch an denjenigen, 
im Laufe einer Hauptverhandlung zu erlafjenden Entjcheidungen teil, welche in 


24 


I. Gerichtsverfaſſungsgeſetz. — 4. Titel. 


feiner Beziehung zu der Urteilsfällung ſtehen, und welche auch ohne vorgängige 
mündliche Verhandlung erlafien werden fünnen. 

Die außerhalb der Hauptverhandlung erforderlichen Entjcheidungen werden 
von dem Amtsrichter erlafien. 


s 31. 


Das Amt eines Schöffen ift ein Ehrenamt. Dasjelbe fann nur 


von einem Deutjchen verjehen werden. 
Befähigung. 


$ 32, 


; 


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SR 
wo $ 


ae 


Unfähig zu dem Amte eines Schöffen find: 
Perſonen, welche die Befähigung infolge ftrafgerichtlicher Verurteilung 
verloren haben; 


. Verfonen, gegen welche das Hauptverfahren wegen eines Ber: 


brechens oder Vergehens eröffnet ift, das die Aberfennung der 
bürgerlichen Ehrenrechte oder der Fähigkeit zur Bekleidung öffent— 
licher Ämter zur Folge haben fann; 


. Berjonen, welche infolge gerichtlicher Anordnung in der Verfügung 


über ihr Vermögen bejchränft find. 


Zu dem Amte eines Schöffen follen nicht berufen werden: 


.Perſonen, welche zur Zeit der Aufjtellung der Urliſte das dreigigite 


Yebensjahr noch nicht vollendet haben; 


.Perſonen, welche zur Zeit der Aufftellung der Urlifte den Wohnfig 


in der Gemeinde noch nicht zwei volle Jahre haben; 


. Perſonen, welche für ich oder ihre Familie Armenunteritügung aus 


Öffentlichen Mitteln empfangen oder in den drei legten Jahren, von 
Aufitellung der Urlifte zurücgerechnet, empfangen haben; 


. Berjonen, welche wegen geijtiger oder förperlicher Gebrechen zu dem 


Amte nicht geeignet find; 


. Dienitboten. 


Zu dem Amte eines Schöffen jollen ferner nicht berufen werden: 


.Miniſter; 
.Mitglieder der Senate der freien Hanſeſtädte; 
3. Reichsbeamte, welche jederzeit einſtweilig in den Ruheſtand verſetzt 


werden können; 


. Staatsbeamte, welche auf Grund der Landesgeſetze jederzeit einſt— 


weilig in den Nuheitand verjegt werden können; 


. richterliche Beamte und Beamte der Staatsanmaltichaft ; 


I. Gerichtsverfaſſungsgeſetz. — 4. Titel. 


LO 
or 


6. gerichtliche und polizeiliche Vollftredungsbeamte ; 

7. Religionsdiener; 

8. Voltsjchullehrer; 

9. dem aftiven Heere oder der aftiven Marine angehörende Militär: 

perjonen. | 
Die Landesgejege fönnen außer den vorbezeichneten Beamten höhere Ver: 

waltungsbeamte bezeichnen, welche zu dem Amte eines Schöffen nicht berufen 
werden jollen. 


Ablehnungsrecht. 
$ 35. Die Berufung zum Amte eines Schöffen dürfen ablehnen: 

1. Mitglieder einer deutjchen gejehgebenden Verſammlung; 

2. Perjonen, welche im legten Gejchäftsjahre die Verpflichtung eines 
Geſchworenen, oder an wenigjtens fünf Sihungstagen die Verpflich- 
tung eines Echöffen erfüllt haben; 

3. Aerzte; 

4. Apothefer, welche feine Gehülfen haben; 

5. Perſonen, welche das fünfundjechzigite Lebensjahr zur Zeit der Auf— 
jtellung der Urliite vollendet haben oder dasſelbe bis zum Ablaufe 
des Gejchäftsjahres vollenden würden; 

6. Berjonen, welche glaubhaft machen, daß fie den mit der Ausübung 
des Amts verbundenen Aufwand zu tragen nicht vermögen. 


Urliſte. 
8 36. Der Vorſteher einer jeden Gemeinde oder eines landesgeſetzlich der 
Gemeinde gleichſtehenden Verbandes hat alljährlich ein Verzeichnis der in der 
Gemeinde wohnhaften Perſonen, welche zu dem Schöffenamte berufen werden 
fönnen, aufzuitellen (Urlijte). 
Die Urliſte ift in der Gemeinde eine Woche lang zu Jedermanns Einficht 
auszulegen. Der Zeitpunft der Auslegung ift vorher öffentlich befannt zu machen. 


8 37. Gegen die Richtigkeit oder Vollſtändigkeit der Urlifte kann innerhalb 
der einwöchigen Friſt fchriftlich oder zu Protofoll Einfprache erhoben werden. 

Bon Jedermann. 

$ 38. Der Gemeindevorsteher fendet die Urliſte nebſt den erhobenen 


Einjprachen und den ihm erforderlich erjcheinenden Bemerkungen an den Amts— 
richter des Bezirke. 


26 I. Serichtäverfafjungsgejeg. — 4. Titel. 


Wird nach Abjendung der Urliſte die Berichtigung derjelben erforderlich, 
jo hat der Gemeindevorjteher hiervon dem Amtsrichter Anzeige zu machen. 


$ 39. Der Amtsrichter ftellt die Urliften des Bezirks zufammen und 
bereitet den Beſchluß über die Einfprachen gegen diejelben vor. Er hat die 
Beachtung der Vorjchriften des $ 36 Abſ. 2 zu prüfen und die Abjtellung 
etwaiger Mängel zu veranlafjen. 

8 40. Bei dem Amtsgerichte tritt alljährlich ein Ausſchuß zuſammen. 

Der Ausschuß beiteht aus dem Amtsrichter als Vorfigenden und einem 
von der Landesregierung zu bejtimmenden Staatsverwaltungsbeamten, fowie 
fieben Vertrauengmännern als Beifigern. 

Die Vertrauensmänner werden aus den Einwohnern des Amtsgerichts— 
bezirf3 gewählt. 

Die Wahl erfolgt nach näherer Beitimmung der Landesgeſetze durch die 
Vertretungen der Kreife, Aemter, Gemeinden und dergleichen Verbände; wenn 
jolche Vertretungen nicht vorhanden find, durch den Amtsrichter. Lebterer hat 
die Vertrauensmänner vornehmlich aus den VBorjtehern der vorbezeichneten Ver: 
bände zu wählen. | 

Zur Beichlußfähigfeit des Nusschufjes genügt die Amvejenheit des Vor: 
fihenden, de3 Staatsverwaltungsbeamten und dreier Vertrauensmänner. Der 
Ausſchuß faßt feine Beichlüffe nach der abjoluten Mehrheit der Stimmen. Bei 
Stimmengfeichheit entjcheidet die Stimme des Worfigenden. 

s 41. Der Ausſchuß entjcheidet über die gegen die Urliſte erhobenen Ein— 
ſprachen. Die Entjcheidungen find zu Protofoll zu vermerten. Beſchwerde findet 
nicht ftatt. 


Jahresliſte. 
$ 42. Aus der berichtigten Urliſte wählt der Ausſchuß für das nächſte 
Geſchäftsjahr: 
1. die erforderliche Zahl von Schöffen; 
2. die erforderliche Zahl derjenigen Perſonen, welche in der von dem 
Ausſchuſſe feſtzuſetzenden Reihenfolge an die Stelle wegfallender 
Schöffen treten (Hülfsſchöffen). Die Wahl iſt auf Perſonen zu 
richten, welche am Sitze des Amtsgerichts oder in deſſen nächſter 
Umgebung wohnen. 


$ 43. Die für jedes Amtsgericht erforderliche Zahl von Hauptſchöffen 
und Hülfsschöffen wird durch die Landesjuftizverwaltung bejtimmt. 


I. Gerichtsverfaſſungsgeſetz. — 4, Titel. 27 


Die Beitimmung der Zahl der Hauptichöffen erfolgt in der Art, daß 
vorausfichtlich Jeder höchſtens zu fünf ordentlichen Sigungstagen im Jahre 
herangezogen wird. 

8 44. Die Namen der erwählten Hauptichöffen und Hülfsfchöffen werden 
bei jedem Amtsgerichte in gefonderte Berzeichnifje aufgenommen (Jahresliſten). 


Beflimmung der Reihenfolge der Schöffen. 
$S 4. Die Tage der ordentlichen Sigungen des Schöffengerichts werden 
für das ganze Jahr im voraus feitgeitellt. 

Die Neihenfolge, in welcher die Hauptichöffen an den einzelnen ordentlichen 
Sigungen des Jahres teilnehmen, wird durch Auslofung in öffentlicher 
Sigung des Amtsgerichts beitimmt. Das 2o3 zieht der Aıntsrichter. 

Ueber die Auslojung wird von dem Gerichtsjchreiber ein Protokoll aufs 
aenommen. 

$ 46. Der Amtsrichter ſetzt die Schöffen von ihrer Auslojung und von 
den Sitzungstagen, an welchen jie in Tätigfeit zu treten haben, unter Hin— 
weis auf die gejeglichen Folgen des Ausbleibens in Kenntnis. 

In gleicher Weife werden die im Laufe des Geichäftsjahres einzu— 
berufenden Schöffen benachrichtigt. 

5 47. Eine Aenderung in der beſtimmten Reihenfolge kann auf überein- 
Itimmenden Antrag der beteiligten Schöffen von dem Amtsrichter bewilligt werden, 
jofern die in den betreffenden Sitzungen zu verhandelnden Sachen noch nicht 
bejtimmt find. Der Antrag und die Bewilligung find aftenfundig zu machen. 

$ 48. Wenn die Gejchäfte die Anberaumung auferordentlicher Situngen 
erforderlich machen, jo werden die einzuberufenden Schöffen vor dem Situngs- 
tage in Gemäßheit des 8 45 ausgelojt. 

Erſcheint dies wegen Dringlichkeit untunlich, jo erfolgt die Ausloſung 
durch den Amtsrichter lediglich aus der Zahl der am Sitze des Gerichts 
wohnenden Hülfsſchöffen. Die Umſtände, welche den Amtsrichter hierzu ver 
anlaßt haben, find aftenfundig zu machen. 

$ 49. Wird zu einzelnen Sigungen die Zuzichung anderer als der zus 
nächjt berufenen Schöffen erforderlich, jo erfolgt diejelbe aus der Zahl der 
Hülfsichöffen nach der Neihenfolge der Jahresliſte. 

Würde durch die Berufung der lehteren eine VBertagung der Verhandlung 
oder eine erhebliche Verzögerung ihres Beginnes notwendig, jo find die nicht 
am Sitze des Gericht? wohnenden Hülfsfchöffen zu übergehen. 


ee N ee TE Er CE za Be Te bie Ik PB Durst, ab SE BE a Tara an Den Pen ee TE a Va STEEL Sen 


28 J. Gerichtsverſaſſungsgeſetz. — 4. Titel. 


$ 50. Grjtredt jich die Dauer einer Sitzung über die Zeit hinaus, für 
welche der Schöffe zumächit einberufen it, jo hat er bis zur Beendigung der 
Sitzung feine Amtstätigfeit fortzujegen. 


Beeidigung. 
$ 51. Die Beeidigung der Schöffen erfolgt bei ihrer erjten Dienftleijtung 
in öffentlicher Situng. Sie gilt für die Dauer des Gejchäftsjahres. 
Der Borjigende richtet an die zu Beeidigenden die Worte: 

„Sie ſchwören bei Gott dem Allmächtigen und Allwiiienden, die 
Pflichten eines Schöffen getreulich zu erfüllen und Ihre Stimmen nad 
beitem Wijjen und Gewiflen abzugeben.“ 

Die Schöffen leisten den Eid, indem Jeder einzeln die Worte jpricht: 

„ich ſchwöre es, jo wahr mir Gott helfe.“ 

Der Schwörende joll bei der Eidesleiftung die rechte Hand erheben. 

Iſt ein Schöffe Mitglied einer Neligionsgejellichaft, welcher das Geſetz 
den Gebrauch gewiſſer Beteuerungsformeln an Stelle des Eides gejtattet, jo 
wird die Abgabe einer Erklärung unter der Betenerungsformel diejer Reli— 
gionsgejellichaft der Eidesleiſtung gleich geachtet. 

Ueber die Beeidigung wird von dem Gerichtsjchreiber ein Protofoll auf: 
genommen. 


Enthebung vom Dienfte. 

s 52. Wenn die Unfähigkeit einer als Schöffe in die Jahreslifte auf: 
genommenen Perſon eintritt oder befannt wird, jo iſt der Name derjelben 
von der Liſte zu ftreichen. , 

Ein Schöffe, hinfichtlich dejien nach feiner Aufnahme in die Jahresliſte 
andere Umſtände eintreten oder befannt werden, bei deren Vorhandenſein eine 
Berufung zum Schöffenamte nicht erfolgen foll, iſt zur Dienjtleiftung ferner 
nicht heranzuziehen. 

Die Entjcheidung erfolgt durch den Amtsrichter nach Anhörung der 
Etnatdanwaltjchaft und des beteiligten Schöffen. 

Beichwerde findet nicht jtatt. 

5 53. Ablehnungsgründe find nur zu berüdjichtigen, wenn fie innerhalb 
einer Woche, nachdem der beteiligte Schöffe von feiner Einberufung in Kenntnis 
gejegt worden ijt, von demjelben geltend gemacht werden. Fällt ihre Entjtehung 
oder Bekanntwerdung im eine jpätere Zeit, fo tit die Friſt erjt von dieſem 
Zeitpunfte zu berechnen. 





I. Gerichtäverfafjungsgeieg. — 4. und 5. Titel. 29 


Der Amtsrichter entjcheidet über das Geſuch nach Anhörung der Staats» 
anmwaltichaft. Beſchwerde findet nicht jtatt. 

S 54. Der Amtsrichter fann einen Schöffen auf deifen Antrag wegen 
eingetretener Hinderungsgründe von der Dienjtletitung an bejtimmten Sitzungs— 
tagen entbinden. 

Die Entbindung de3 Schöffen von der Dienftleiftung kann davon abhängig 
gemacht werden, daß ein anderer für das Dienjtjahr beitimmter Schöffe für 
ihn eintritt. 

Der Antrag und die Bewilligung find aftenfundig zu machen. 

$ 55. Die Schöffen umd die Bertrauensmänner des Ausichuffes erhalten 
Vergütung der Reifefojten. 

Folgen des Ausbleibens. 

Ss 56. Schöffen und Vertrauensmänner des Ausſchuſſes, welche ohne 
genügende Entfchuldigung zu den Sigungen nicht rechtzeitig fich einfinden oder 
ihren Obliegenheiten im anderer Weije fich entziehen, find zu einer Ordnungs- 
itrafe von fünf bis zu eintaufend Marf, ſowie in die verurjachten Koſten 
zu verurteilen. 

Die Verurteilung wird durch den Amtsrichter nach Anhörung der Staats: 
anmaltjchaft ausgejprochen. Erfolgt nachträglich genügende Entſchuldigung, jo 
kann die Verurteilung ganz oder teilweije zurücdgenommen werden. Gegen die 
Entjcheidungen findet Bejchwerde von Zeiten des Verurteilten nad) den Vor— 
jchriften der Strafprozekordnung jtatt. 

Unwahre Entfhuldigung: ſ. St.6.B. $ 138 Abf. 1, 3. 
Umwandlung in Freiheitsitrafe unzuläffig- 

8 57. Bis zu welchem Tage die Urliften aufzuftellen und dem Amts: 
richter einzureichen find, der Ausschuß zu berufen und die Auslojung der 
Schöffen zu bewirfen it, wird durch die Yandesjuftizverwaltung bejtimmt. 


5. Titel. 
Landgeridhte. 

$ 58. Die Landgerichte werden mit einem PBräfidenten und der erforder: 

lichen Anzahl von Direktoren und Mitgliedern beſetzt. 
Geſchäftsverteilung. 

$ 59. Bei den Landgerichten werden Zivil- und Strafkammern gebildet. 

S 60. Bei den Landgerichten find Unterfuchungsrichter nach Bedürfnis 
zu bejtellen. 


30 I. Gerichtsverfajjungsgeieg. — 5. Titel. 





Die Beitellung erfolgt durch die Landesjuftizverwaltung auf die Dauer 
eines Gejchäftsjahres. 

88 61-69. (Auszug) Den Vorfig im Plenum führt der Präjident. 
Den Vorſitz in den Kammern führen der Präjident und die Direktoren. Ber: 
teilung des Vorfiges in den einzelnen Kammern und Verteilung der Gejchäfte 
unter die Kammern derjelben Art jowie Beitimmung der ftändigen Mitglieder 
der einzelnen Kammern und ihrer regelmäßigen Vertreter erfolgen vor Beginn 
des Gefchäftsjahres auf die Dauer desjelben. Dieje Anordnung fann im Laufe 
des Gejchäftsjahres nur unter den gejeglichen Borausjegungen geändert werden. 
Alle diefe Anordnungen erfolgen durch das Präfidium, d. h. den Präfidenten, 
die Direktoren und den dienjtälteften Richter. Im Falle der Verhinderung des 
ordentlichen Vorfigenden führt den Vorjig in der Kammer das dienjtältejte 
Mitglied. Beiordnung von Hilfgrichtern iſt zuläſſig. 


ss 70 und TI regeln die Zuftändigfeit der Zivilfammern. 


Zuftändigkeit der Straffammern. 

8 72. Die Straffammern find zujtändig für diejenigen die Borunterfuchung 
und deren Ergebnifje betreffenden Entjcheidungen, welche nach den VBorjchriften 
der Strafprozekordnung von dem Gerichte zu erlafjen find; fie entjcheiden über 
Beichwerden gegen Verfügungen des Unterfuchungsrichters und des Amtsrichters, 
jowie gegen Entjcheidungen der Schöffengerichte. Die Beltimmungen über bie 
Zujtändigfeit des Neichsgerichts werden hierducch nicht berührt. 

Die Straffammern erledigen außerdem die in der Strafprozehordnung 
den Landgerichten zugewiejenen Gejchäfte. 


7 


$ 73. Die Straffammern find als erfennende Gerichte zujtändig: 


1. für die Vergehen, welche nicht zur Juftändigfeit der Schöffengerichte 
gehören; 

2, für diejenigen Verbrechen, welche mit Zuchthaus von höchſtens fünf 
Jahren, allein oder in Berbindung mit anderen Strafen, bedroht 
find. Dieſe Beſtimmung findet nicht Anwendung in den Fällen 
der $$ 86, 100 und 106 des Strafgejegbuchs; 

3. für die Verbrechen der Perſonen, welche zur Zeit der Tat das 
achtzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet Hatten; 

4. für das Verbrechen der Unzucht im Falle des $ 176 Nr. 3 des 
Strafgefegbud)s; 

5. für die Verbrechen des Diebjtahls in den Fällen der SS 243 
und 244 des Strafgeſetzbuchs; 


-] 


s 1. 


jtändig: 


19 


1. Gerichtäverfafjungsgeieg. — 5. Titel. - 31 


für das Verbrechen der Hehlerei in den Fällen der $$ 260 und 261 
des Strafgefegbuchs; 
für das Verbrechen des Betruges im Falle des 8 264 des Straf: 
geſetzbuchs. 

Die Strafkammern ſind als erkennende Gerichte ausſchließlich zu— 


. für die nach $ 145a des Strafgeſetzbuchs ſtrafbaren Handlungen; 
. für Zuwiderhandlungen gegen das Gejeg vom 25. Dftober 1867, 


betreffend die Nationalität der Kauffahrteifchiffe ıc.; 


. für Zuwiderhandlungen gegen die Beitimmungen der 88 1, 2 und 


3 des Gejeges vom 8. Juni 1871, betreffend die Inhaberpapiere 
mit Prämien; 


. für die nad) $ 67 und 8 69 des Geſetzes vom 6. Februar 1875, 


betreffend die Beurkundung des Berfonenitandes ꝛc., ſitrafbaren 
Handlungen; 


. für die nach $ 59 des Banfgejeed vom 14. März 1875 jtrafbaren 


Handlungen. 


$ 75. Die Straffammer fann bei Eröffnung des Hauptverfahrens wegen 
der Vergehen: 


1. 


des Widerſtandes gegen die Staatsgewalt in den Füllen der SS 113, 
114, 117 Abſ. 1 und des 8 120 des Strafgejegbuchs; 


. wider die öffentliche Ordnung in den Fällen des $ 123 Abf. 3 und 


des $ 137 des Strafgeſetzbuchs; 


. wider die Sittlichfeit im Falle des S$ 183 des Strafgejegbuchs; 
. der Beleidigung und der Körperverlegung in den Fällen der nur 


auf Antrag eintretenden Verfolgung; 


. der Körperverlegung im Falle des $ 223a des Strafgejegbuchs; 
. des Diebſtahls im Falle des $ 242 des Strafgejegbuchs; 

. der Unterjchlagung im Falle des $ 246 des Strafgejegbuchs; 

. der Begünftigung; 

. der Hehlerei in den Fällen des $ 258 Nr. 1 umd des $ 259 des 


Strafgejegbuchs; 


. des Betruges im alle des 8 263 des Strafgeſetzbuchs; 


. des jtrafbaren Eigennußes in den Fällen der SS 288 und 298 des 


Strafgejegbuchs; 





93 l. Gerichtsverfaſſungsgeſetz. — 5. Titel. 


12. der Eachbejchädigung in den Fällen der $$ 303 und 304 des Straf— 
gefegbuchs und 
13. wegen der gemeingefährlichen Vergehen in den Fällen des $ 327 
Abi. 1 und des 8 328 Abi. 1 des Strafgejegbuchs; ferner 
14. wegen derjenigen Vergehen, welche nur mit Gefängnisftrafe von 
höchſtens ſechs Monaten oder Geldjtrafe von höchſtens eintaujend- 
fünfgundert Marf, allein oder in Verbindung mit einander oder 
in Verbindung mit Einziehung bedroht find, mit Ausnahme der 
in den $$ 128, 271, 296a, 301, 331 und 347 des Strafgeſetzbuchs 
und der im $ 74 dieſes Geſetzes bezeichneten Vergehen; ſowie 
15. wegen ſolcher Zumwiderhandlungen gegen die Vorfchriften über die 
Erhebung öffentlicher Abgaben und Gefälle, deren Etrafe in dem 
mehrfachen Betrage einer hinterzogenen Abgabe oder einer anderen 
Leiſtung beiteht; 
auf Antrag der Staatsanwaltſchaft die Verhandlung und Entjcheidung dem 
Schöffengerichte, joweit dieſes nicht ſchon zuftändig ift, überweiſen, wenn nach 
den Umſtänden des Falles anzunehmen ift, daß wegen des Vergehens auf 
feine andere und höhere Strafe, als auf die im $ 27 Nr. 2 bezeichnete und 
auf feine höhere Buße als jechshundert Marf zu erfennen fein werde. 
Beichwerde findet nicht Statt. 
Hat im Falle der Nr. 15 die Verwaltungsbehörde die öffentliche Klage 
erhoben, jo jteht ihr der Antrag auf Ueberweiſung an das Schöffengericht in 
gleicher Weiſe wie der Staatsanwaltichaft zu. 


Ss 76. Die Straffammern find als erfennende Gerichte ferner zuftändig 
für die Berhandlung und Entjcheidung über das Rechtsmittel der Berufung 
gegen die Urteile der Schöffengerichte. 


Befekung der Kammern. 

s 77. Die Kammern entjcheiden in der Belegung von drei Mitgliedern 
mit Einjchluß des Vorfigenden. Die Straffammern find in der Hauptverhandlung 
mit fünf Mitgliedem, in der Berufungsinitanz bei Llebertretungen und in den 
Fällen der Privatklage aber mit drei Mitgliedern einjchliehlich des Vorſitzenden 
zu bejegen. 

Auswärtige Straffammern. 


$ 78. Durch Anordnung der Yandesjujtizverwaltung kann wegen großer 
Entfernung des Landgerichtsjiges bei einem Amtsgerichte für den Bezirk eines 


I. Gerichtsverſaſſungsgeſetz. — 5. und 6. Titel. 33 


oder mehrerer Amtsgerichte eine Straffammer gebildet und derjelben für dieſen 
Bezirk die gejamte Tätigkeit der Straffammer des Landgerichts oder ein Teil 
diefer Tätigfeit zugewiejen werben. 

Die Befegung einer jolhen Straffammer erfolgt aus Mitgliedern des 
Landgericht oder Amtsrichtern des Bezirks, für welchen die Kammer gebildet 
wird. Der Vorfigende wird ftändig, die Amtsrichter werden auf die Dauer 
de3 Gejchäftsjahres durch die Landesjuftizverwaltung berufen, die übrigen 
Mitglieder werden nad) Maßgabe des 8 62 durch das Präfidium des Land— 
gerichts bezeichnet. 


6. Titel. 


Scmurgeridhte. 


s 79. Für die Verhandlung und Entjcheidung von Strafſachen treten 
bei den Yandgerichten periodisch Schwurgerichte zuſammen. 


Zuftändigfeit. 
$ 80. Die Schwurgerichte jind zujtändig für die Verbrechen, welche 
nicht zur ZJuitändigfeit der Straffammern oder des Reichsgerichts gehören. 


Beſetzung. 
z 81. Die Schwurgerichte beſtehen aus drei richterlichen Mitgliedern 
mit Einſchluß des Vorſitzenden und aus zwölf zur Entſcheidung der Schuld— 
frage berufenen Geſchworenen. 


s 82. Die Entſcheidungen, welche nach den Vorſchriften dieſes Geſetzes 
oder der Strafprozeßordnung von dem erkennenden Gerichte zu erlaſſen ſind, 
erfolgen in den bei den Schwurgerichten anhängigen Sachen durch die richter— 
lichen Mitglieder des Schwurgerichts. Werden dieſe Entſcheidungen außerhalb 
der Dauer der Sitzungsperiode erforderlich, ſo erfolgen ſie durch die Straf— 
kammern der Landgerichte. 


5 85. Der Vorſitzende des Schwurgerichts wird für jede Sitzungs— 
periode von dem Präfidenten des Oberlandesgericht3 ernannt. Die Ernennung 
erfolgt aus der Zahl der Mitglieder des Oberlandesgerichts oder der zu Dem 
Bezirke des Oberlandesgerichts gehörigen Landgerichte. 

Der Stellvertreter des VBorfigenden und die übrigen richterlichen Mit— 
glieder werden von dem Präfidenten des Landgerichts aus der Zahl der 
Mitglieder des Landgerichts beitimmt. 


34 I. Gerichtsverfaſſungsgeſetz. — 6. Titel. 


So lange die Ernennung des Vorfigenden nicht erfolgt it, erledigt der 
Borfigende der Straffammer des Landgerichts die in der Strafprogekordnung 
dem Worjitienden des Gerichts zugewieſenen Gejchäfte. 

Amt der Gefhworenen. 

$ 84. Das Amt eines Gefchworenen iſt ein Ehrenamt. Dasjelbe fann 

nur von einem Deutſchen verjehen werden. 
Urlifie. Befähigung. 

z 85. Die Urlifte für die Auswahl der Schöffen dient zugleich als 
Urliſte für die Auswahl der Gejchworenen. 

Die Vorfchriften der SS 32—35 über die Berufung zum Schöffenamte 
finden auch auf das Gefchworenenamt Anwendung. 

Vorſchlagoliſte. 

$ 86. Die Zahl der für jedes Schwurgericht erforderlichen Geſchworenen 
und die Verteilung diefer Zahl auf die einzelnen Amtsgerichtöbezirfe wird durch 
die Landesjujtizverwaltung bejtimmt. 

Ss 87. Der alljährlich bei dem Amtsgerichte für die Wahl der Schöffen 
jujammentretende Ausſchuß ($ 40) hat gleichzeitig diejenigen Perſonen aus 
der Urlifte auszumählen, welche er zu Gefchworenen für das nächite Gejchäfts- 
jahr vorjchlägt. Die Vorichläge jind nach dem dreifachen Betrage der auf 
den Plmtsgerichtsbezirf verteilten Zahl der Geichiworenen zu bemeſſen. 

$ 88. Die Namen der zu Gejchworenen vorgejchlagenen Perfonen werden 
in ein Verzeichnis aufgenommen (VBorfchlagstifte). 

Zahrestifte. 

$ 89. Die Vorſchlagsliſte wird mebjt den Einjprachen, welche ich auf 
die in diefelbe aufgenommenen Perſonen beziehen, dem Präfidenten des Land— 
gerichts überjendet. 

Der Präjident bejtimmt eine Sitzung des Landgerichts, an welcher fünf 
Mitglieder mit Einjchluß des Präfidenten und der Direktoren teilnehmen. 
Das Landgericht entjcheidet endgültig über die Einjprachen und wählt fodann 
aus der Vorfchlagslifte die für das Schwurgericht beftimmte Zahl von Haupt- 
geichtworenen und Hülfsgejchworenen. 

Als Hülfsgefhworene find ſolche Perjonen zu wählen, welche an dem 
Sitzungsorte des Schmwurgerichts oder in deſſen nächiter Umgebung wohnen. 

$ W. Die Namen der Haupt und Hülfsgefchworenen werden in 
gejonderte Jahresliiten aufgenommen. 


I. Gerichtsverſaſſungsgeſetz. — 6. Titel, 35 


Spruchliſte. 
$ 91. Späteſtens zwei Wochen vor Beginn der Sitzungen des Schwur— 
gericht3 werden im Öffentlicher Sigung des Landgerichts, an welcher der 
Präfident und zwei Mitglieder teilnehmen, in Gegenwart der Staatzanwaltjchaft 
dreißig Hauptgejchworene ausgeloft. Das Los wird von dem Präſidenten 
gezogen. 

Auf Gefchworene, welche in einer früheren Sitzungsperiode desjelben 
Geichäftsjahres ihre Verpflichtung erfüllt haben, erjtredt die Auslofung ſich 
nur dann, wenn dies von ihnen beantragt wird. 

Ueber die Auslojung wird von dem Gerichtsjchreiber ein Protofoll auf: 
genommen. 

$ 92. Das Landgericht überjendet das Verzeichnis der ausgeloften Haupt— 
geſchworenen (Sprudlifte) dem ernannten VBorfigenden des Schwurgerichts. 

$ 9. Die in der Spruchliſte verzeichneten Geſchworenen werden auf 
Anordnung des für das Schwurgericht ernannten VBorjigenden zur Eröffnungs- 
figung des Schwurgericht3 unter Hinweis auf die gejeglichen Folgen des Aus— 
bleibens geladen. 

Zwiſchen der Zuftellung der Ladung und der Eröffnungsfigung foll tun— 
fichft die Frift von einer Woche, jedoch mindeitens von drei Tagen liegen. 

$ 9%. Ueber die von Gejchworenen geltend gemadhten Ablehnungs- und 
Hinderungsgründe erfolgt die Entjcheidung nad) Anhörung der Staatsanwalt: 
Ihaft durch die richterlichen Mitglieder und, jo lange das Schwurgericht nicht 
zujammengetreten ift, durch den ernannten Vorſitzenden des Schwurgerichts. 
Beichwerde findet nicht ftatt. 

An Stelle der wegfallenden Gejchworenen hat der Vorfigende, wenn es 
noch geichehen kann, aus der Sahreslifte durch Ausloſung andere Gefchworene 
auf die Spruchlifte zu bringen und deren Ladung anzuordnen. Leber die Aus— 
lofung wird von dem Gerichtsjchreiber ein Protokoll aufgenommen. 

z 95. Erjtredt ſich eine Situngsperiode des Schwurgerichts über den 
Endtermin des Gefchäftsjahres hinaus, jo bleiben die Gefchworenen, welche zu 
derjelben einberufen find, bis zum Sclufje der Sigungen zur Mitwirkung 
verpflichtet. 

8%. Die Beftimmungen der 88 55, 56 finden auch auf Gejchworene 
Anwendung. 

Die im $ 56 bezeichneten Entjcheidungen werden in bezug auf Geſchworene 
von dem richterlichen Mitgliedern des Schwurgerichts erlajien. 

3* 


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36 1. Gerichtöverfafiungsgejep. — 6., 7. und 8. Titel. 


$ 97. Niemand ſoll für dasjelbe Gejfchäftsjahr als Gefchworener und 
als Echöffe bejtimmt werden. 

Iſt dies dennoch gejchehen oder iſt jemand für dasjelbe Gejchäftsjahr 
in mehreren Bezirfen zu dieſen Aemtern bejtimmt worden, fo hat der Eins 
berufene dasjenige Amt zu übernehmen, zu welchen er zuerjt einberufen wird. 


$ 98. Die Straffammer des Landgerichts fann beftimmen, da einzelne 
Sigungen des Schwurgerihts nicht am Sitze des Landgericht, jondern an 
einem anderen Orte innerhalb des Schwurgerichtsbezirfs abzuhalten jeien. 

In diefem Falle wird tür diefe Sigungen von dem Landgerichte eine 
bejondere Lifte von Hülfsgefchworenen gebildet. 


8 99. Die Landesjuftizverwaltung fann bejtimmen, daß die Bezirke 
mehrerer Yandgerichte zu einem Schwurgerichtsbezirfe zufammengelegt und die 
Sitzungen des Echwurgerichts bei einem der Landgerichte abgehalten werden. 

In diejem Falle hat das Landgericht, bei welchem die Situngen des 
Schwurgericht3 abgehalten werden, und der Präfident desjelben die ihnen in 
den SS 82—98 zugewiejenen Gefchäfte für den Umfang des Schwurgerichts- 
bezirts wahrzunehmen. 

Die Mitglieder des Echwurgerichts mit Einjchfuß des Stellvertreters Des 
Vorligenden fünnen aus der Zahl der Mitglieder der im Bezirke des Schwur— 
gericht3 belegenen Yandgerichte bejtimmt werden. 


71. Titel. 


Kammern für Handelsſachen. 
ss 100— 118. (Auszug.) Bildung und Zuftändigfeit der Handelsfammenn. 


8. Titel. 
Oberlandesgericte. 


$ 119. Die Oberlandesgerihte werden mit einem Präfidenten und der 

erforderlichen Anzahl von Eenatspräfidenten und Näten bejegt. 
Geihäftöverteilung. 

$ 120. Bei den Oberlandesgerichten werden Zivil und Strafjenate 
gebildet, 

8 121. Die Beltimmungen der SS 61—68 finden mit der Maßgabe 
Anwendung, daß zu dem Präfidium jtets die beiden ältejten Mitglieder des 
Gerichts zuzuzichen find. 





I. Gerichtöverfafjungsgefeg. — 8. und 9. Titel, 87 


8122. Zu Hülfsrichtern dürfen nur ftändig angeftellte Richter berufen werden. 
AZuftändigfeit. 
$ 123. Die Oberlandesgerichte find zujtändig für die Verhandlung und 
Enticheidung über die Rechtsmittel: 
1. —; 
2. der Revijion gegen Urteile der Straffammern in der Berufungsinftanz ; 
3. der Reviſion gegen Urteile der Straffammern in erfter Injtanz, 
jofern die Reviſion ausfchlieglich auf die Verlegung einer in den 
Landesgejegen enthaltenen Rechtenorm gejtügt wird; 
4. —; 
‚5. der Bejchwerde gegen Strafrichterliche Entſcheidungen eriter Injtanz, 
joweit nicht die Zujtändigfeit der Straffammer begründet ijt, und 
gegen Entjcheidungen der Straffammern in der Beichwerdeinitanz 


und Berufungsinitan;. Befehung der Senate 


s 124. Die Senate der Oberlandesgerichte entjcheiden in der Beſetzung 
von fünf Mitgliedern mit Einſchluß des Borjigenden. 


9. Titel. 


Reichsgericht. 
$ 125. Der Sitz des Reichsgerichts wird durch Geſetz beſtimmt. 
G. v. 11,4. 77 (R.G.BL. 415) Leipzig. 
$ 126. Das Reichsgericht wird mit einem Präſidenten und der er— 
forderlichen Anzahl von Senatspräjidenten und Näten bejett. 
ss 127—131. (Auszug) Anstellung und Dienftverhältniffe der Richter. 
Der Bräjident, die Senatspräfidenten und Näte werden auf Vorjchlag des 
Bundesrat3 von dem Kaiſer ernannt. Gejegliche Regelung des Verfahrens 
gegen ein Mitglied, welches wegen einer entehrenden Handlung zu einer Strafe 
oder überhaupt zu einer ?Freiheitsitrafe von längerer als einjähriger Dauer 
rechtsfräftig verurteilt oder gegen welches wegen eines VBerbrechens oder Ver— 
gehend das Hauptverfahren eröffnet oder welches in Unterſuchungshaft 
genommen worden ift. Gejegliche Negelung der Berjegung in den Ruheſtand 


und des Nuhegehaltes. Gefhäftsverteilung. 


$ 132. Bei dem Reichigerichte werden Zivil und Strafjenate gebildet. 
Die Zahl derjelben bejtimmt der Reichskanzler. 

$ 133. Die Beitimmungen der SS 61—68 finden mit der Maßgabe 
Anwendung, daß zu dem Präſidium die vier älteiten Mitglieder des Gerichts 
zuzuziehen find. 


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38 I. Gerichtöverfafiungsgeieg. — 9. und 10. Titel. 


Ss 134. Die Zuziehung von Hülfgrichtern iſt unzuläſſig. 
AZuftändigfeit: 
a) in bürgerlichen Rechtsſtreitigkeiten. 
s 135. — 
b) in Straffaden. . 

s 136. In Straffachen ijt das Reichdgericht zuftändig: 

1. für die Unterfuchung und Entjcheidung in erjter und legter Inſtanz 
in den Fällen des Hochverrats und des Landesverrats, injofern 
diefe Verbrechen gegen den Kaiſer oder das Weich gerichtet ſind; 

2. für die Verhandlung und Entjcheidung über die Rechtsmittel der 
Reviſion gegen Urteile der Straffammern in erjter Inſtanz, injoweit 
nicht die Zuftändigfeit der Oberlandesgerichte begründet ijt, und 
gegen Urteile der Schwurgerichte. 

In Strafjachen wegen Zuwiderhandlungen gegen die Vorjchriften über 
die Erhebung öffentlicher in die Reichskaſſe Fliegender Abgaben und Gefälle 
iſt das Neichsgericht auch für die Verhandlung und Entjcheidung über das 
Rechtsmittel der Nevifion gegen Urteile der Straffammern in der Berufungs- 
inftanz zuftändig, jofern die Entjcheidung des Reichsgerichts von der Staats- 
anwaltjchaft bei der Einjendung der Akten an das Nevifionsgericht be= 
antragt wird. 

$ 137 behandelt die Entſcheidung von Nechtsfragen durch die vereinigten 
Bivil- bezw. Strafjenate und durch das Plenum des Reichsgerichts. 

$ 138. Der erjte Straffenat des Reichögerichts hat bei den im $ 
Nr. 1 bezeichneten Berbrechen diejenigen Gejchäfte zu erledigen, welche im 
Abi. 1 der Straffammer des Landgerichts zugewiefen find. 

Das Hauptverfahren findet vor dem vereinigten zweiten und dritten 
Strafjenate jtatt. 

88 139—141. (Auszug.) Belegung. Die Senate des Reichögerichts 
entjcheiden in der Bejegung von jieben Mitgliedern mit Einjchluß des Präfidenten. 


10. Titel. 


Stantsanmaltfchaft. 


$ 142. Bei jedem Gerichte joll eine Staatsanwaltichaft bejtehen. 
Aeußere Organifation. 
s 143. Das Amt der Staatsanwaltjchaft wird ausgeübt: 
1. bei dem Neichsgerichte durch einen Ober-Reichdanwalt und durch 
einen oder mehrere Neichganwälte; 


36 
72 


1 
S 


I. Serichtöverfafiungsgefeg. — 10. Titel. 39 


2. bei den Oberlandesgerichten, den Landgerichten und den Schtwur: 
gerichten durch einen oder mehrere Staatsanwälte; 

3. bei den Amtsgerichten und den Schöffengerichten durch einen oder 
mehrere Amtsanwälte. 

Die Zuftändigfeit der Amtsanwälte erjtredt jich nicht auf das amtsrichter- 
liche Verfahren zur Vorbereitung der öffentlichen Klage in denjenigen Straf- 
jachen, welche zur Zuftändigfeit anderer Gerichte als der Schöffengerichte 
gehören. 

s 144. Die örtliche Zuftändigfeit der Beamten der Staatsanwaltſchaft 
wird durch die örtliche Auftändigfeit des Gerichts bejtimmt, für welches fie 
beitellt jind. 

Ein unzuftändiger Beamter der Staatsanwaltjchaft hat ſich denjenigen 
innerhalb jeines Bezirks vorzuncehmenden Amtshandlungen zu unterziehen, in 
Anſehung welcher Gefahr im Verzuge obwaltet. 

Können die Beamten der Staatsanwaltjchaft verjchiedener Bundesjtaaten 
fich nicht darüber einigen, wer von ihnen die Verfolgung zu übernehmen hat, 
jo entjcheidet der ihnen gemeinjam vorgejegte Beamte der Staatsanwaltjichaft und 
in Ermangelung eines jolchen der Ober-Reichsanwalt. 

Annere Organifation. 

z 145. Beiteht die Staatsanwaltjchaft eines Gericht3 aus mehreren 
Beamten, jo handeln die dem erjten Beamten beigeordneten Perjonen als 
deijen Vertreter; jie find, wenn fie für ihn auftreten, zu allen Amtsverrichtungen 
desjelben ohne den Nachweis eines bejonderen Auftrags berechtigt. 


$ 146. Die erften Beamten der Staatsanwaltjchaft bei den Oberlandes- 
gerichten und den Landgerichten find befugt, bei allen Gerichten ihres Bezirks 
die Amtöverrichtungen der Staatdanwaltjchaft felbjt zu übernehmen oder mit 
Wahrnehmung derjelben einen anderen als den zunächit zuftändigen Beamten 
zu beauftragen. 

Amtsanwälte fünnen das Amt der Staatsanwaltichaft nur bei den Amts- 
gerichten und den Schöffengerichten verjehen. 

$ 147. Die Beamten der Staatsanwaltichaft haben den dienstlichen 
Anweifungen ihres Borgejegten nachzufommen. 

In denjenigen Sachen, für welche das Reichsgericht in erjter und letter 
Inſtanz zuftändig ift, haben alle Beamte der Staatsanwaltichaft den An— 
weilungen des Ober-Reichsanwalts Folge zu leiſten. 


— 





40 I. Gerichtöverfajiungägeies. — 10. und 11. Titel. 


s 148. Das Recht der Aufitcht und Leitung jteht zu: 
1. dem Neichsfanzler Hinfichtlih des Ober-Reichsanwalts und der 
Reichsanwälte; 

. der Landesjuſtizverwaltung hinſichtlich aller ſtaatsanwaltlichen Be— 
amten des betreffenden Bundesſtaates; 

3. den erſten Beamten der Staatsanwaltſchaft bei den Oberlandes— 
gerichten und den Yandgerichten Hinjichtlich aller Beamten der 
Staatsanwaltjichaft ihres Bezirke. 


Le) 


Befähigung und Ernennung. 
$ 149. Der Ober-Neichsanwalt und die Reichsanwälte jind nicht richter- 
liche Beamte. 
Zu diefen Nemtern jorwie den Aemtern der Staatsanwaltjchaft bei den 
DOberlandesgerichten und den Landgerichten fünnen nur zum Richteramte be= 
fähigte Beamte ernannt werden. 


$ 150. Der Ober-Reichganwalt und die Reichsanwälte werden auf Vor: 
Ichlag des Bundesrats vom Kaiſer ernannt. 
Diejelben fünnen durch Kaiferliche Verfügung jederzeit mit Gewährung 
des gejeglichen Wartegeldes einjtweilig in den Nuheftand verſetzt werden. 
Verhältnis zu den Gerichten. | 
$s 151. Die Staatsanwaltjchaft iſt in ihren Amtsverrichtungen von den 
Gerichten unabhängig. 
152. Die Staatsanwälte dürfen richterliche Gejchäfte nicht wahrnehmen. 
Auch darf ihnen cine Dienjtaufjicht über bie Nichter nicht übertragen werden. 
Derhältnis zu den Beamten des Polizei: und Sicherheitödienftes. 
$s 153. Die Beamten des Polizei- und Sicherheitsdienftes find Hülfs— 
beamte der Staatsanwaltfchaft und find in diefer Eigenjchaft verpflichtet, den 
Anordnungen der Staatsanwälte bei dem Landgericjte ihres Bezirls und der 
diefen vorgejegten Beamten Folge zu leijten. 
Die nähere Bezeichnung derjenigen Beamtenklafjen, auf welche dieſe Be: 
jtimmung Anwendung findet, erfolgt durch die Yandesregierungen. 


11. Titel. 


Gericdtsfchreiber. 
s 154. (Auszug.) Ber jedem Gerichte befteht eine Gerichtsjchreiberei. 


I. Gerichtsverfaſſungsgeſetz. — 12., 13. und 14. Titel. 41 


12. Titel. 
Buftellungs- und Volltredkungsbeamte, 
$ 155. (Auszug) Dienſt- und Gejchäftsverhältniffe der Gerichts— 
vollzieber. 
8 156. (Huszug.) Beitimmungen darüber, wann in bürgerlichen Rechts: 


ftreitigfeiten und in Straffachen der Gerichtsvollzieher fraft Geſetzes von der 
Ausübung feines Amtes ausgeſchloſſen ift. 


13. Titel. 
Rechtshülfe. 


ss 157—162. (Auszug.) Die Gerichte haben ſich in bürgerlichen Rechts— 
jtreitigfeiten und in Strafjahen Rechtshülfe zu leiſten. Das Erjuchen iſt an 
das Amtsgericht zu richten, in dejjen Bezirke die Amtshandlung vorgenommen 
werden joll. Verfahren bei Ablchnung des Erfuchens. 

$ 163. Eine Freiheitsitrafe, welche die Dauer von ſechs Wochen nicht 
überjteigt, ift in demjenigen Bundesjtaate zu vollitreden, in welchem der Ver— 
urteilte ſich befindet. 

s 164. Soll eine SFreiheitsitrafe in dem Bezirfe eines anderen Gerichts 
volljtredt oder ein in dem Bezirke eines anderen Gerichts befindlicher Verurteilter 
zum Zwede der Strafverbüßung ergriffen und abgeliefert werden, jo tft die 
Staatsanwaltjchaft bei dem Yandgerichte des Bezirks um die Ausführung zu 
erjuchen. 

ss 165— 167. (Muszug.) Koſtenerſtattung bei geleifteter Nechishülfe. 

$ 168. Die Sicherheitsbeamten eines Bundesstaates find ermächtigt, die 
Verfolgung eines Flüchtigen auf das Gebiet eines anderen Bundesjtaates fort: 
zujegen und den Flüchtigen dajelbft zu ergreifen. 

Der Ergriffene ift unverzüglich an das nächjte Gericht oder die nächte 
Bolizeibehörde des Bundesſtaates, in welchem er ergriffen wurde, abzuführen. 

s 169. — 


14. Titel. 


Geffentlidkeit und Sihungspolizei. 
Deffentlichkeit. 
8 170. Die Verhandlung vor dem erfennenden Gerichte, einſchließlich 
der Verfündung der Urteile und Beſchlüſſe desjelben, erfolgt öffentlich. 


ss 171, 172. (Auszug) Ausschluß der Deffentlichkeit in Yiviljachen. 


— — —— 


42 1. Gerichtäverfaiiungsgejeg. — 14. Titel. 


$ 173. In allen Sachen fann durch das Gericht für die Verhandlung 
oder für einen Teil derjelben die Deffentlichkeit aufgejchlojjen werden, wenn 
fie eine Gefährdung der Öffentlichen Ordnung, insbejondere der Staatsficherheit, 
oder eine Gefährdung der Sittlichfeit beforgen läßt. 


$ 174. Die Verfündung des Urteils erfolgt in jedem alle öffentlich. 


Durch einen befonderen Beſchluß des Gerichts kann für die Verkündung 
der Urteilsgründe oder eines Teiles derjelben die Deffentlichkeit ausgeſchloſſen 
werden, wenn fie eine Gefährdung der Staatsjicherheit oder eine Gefährdung 
der Sittlihfeit bejorgen läßt. 


8 175. Die Berhandlung über die Ausſchließung der Deffentlichkeit findet 
in nicht Öffentlicher Sitzung ftatt, wenn ein Beteiligter es beantragt oder das 
Gericht es für angemefjen erachtet. Der Bejchluß, welcher die Deffentlichfeit 
ausschließt, muß Öffentlich verfündet werden. Bei der Verkündung ift anzugeben, 
ob die Ausjchliegung wegen Gefährdung der Öffentlichen Ordnung, insbejondere 
wegen Gefährdung der Staatsjicherheit, oder ob fie wegen Gefährdung der 
Sittlichfeit erfolgt. 

Fit die Deffentlichfeit wegen Gefährdung der Staatsficherheit aus— 
geichloffen, jo fan das Gericht den anwejenden Perſonen die Geheimhaltung 
von Tatfachen, welche durch die Berhandlung, durch die Anklagejchrift oder 
durch andere amtliche Schriftitüde des Prozeſſes zu ihrer Kenntnis gelangen, 
zur Pflicht machen. Der Beichluß ift in das Sigungsprotofoll aufzunehmen. 
Gegen denjelben findet Beſchwerde ſtatt. Die Befchwerde hat feine auf- 
ſchiebende Wirkung. 

Art. IE und III des ©. v. 5./4. 88 (R.G. Bl. 133) beſtimmen: 

Art. II Wer die nad 8 175 Abſatz 2 des Gerichtsverfaſſungsgeſetzes ihm auferlegte 
Pilicht der Geheimhaltung durch unbefugte Mitteilung verlegt, wird mit Gelditrafe bis zu 
eintaujend Mark oder mit Haft oder mit Befängnis bis zu ſechs Monaten bejtraft. 

Art. III. Soweit bei einer Gerichtäverhandlung die Deffentlichleit wegen Gefährdung 
der Staat3ficherheit ausgejchloffen war, dürfen Berichte über die Verhandlung durch die 
Preſſe nicht veröffentlicdt werden. Das Gleiche gilt auch nach der Beendigung des Vers 
fahrens in betreff der Veröfientlihung der Anklageichrift oder anderer amtliher Schriftſtücke 
des Prozeſſes. 

Zuwiderhandlungen unterliegen der im Artikel II beſtimmten Strafe. 


$ 176. Der Zutritt zu öffentlichen Verhandlungen kann unerwachſenen 
und ſolchen Perſonen verjagt werden, welche fich nicht im Beige der bürger- 
lichen Ehrenrechte befinden, oder welche in einer der Würde des Gerichts nicht 
entfprechenden Weije erjcheinen. 


I. Serichtöverfafiungsgefeß. — 14. Titel. 43 


Zu nicht öffentlichen Verhandlungen fann der Zutritt einzelnen Perſonen 
vom Gerichte gejtattet werden. Einer Anhörung der Beteiligten bedarf es nicht. 

Die Ausſchließung der Deffentlichfeit fteht der Anwejenheit der die 
Dienjtaufjicht führenden Beamten der Juſtizverwaltung bei den Verhandlungen 
vor dem erfennenden Gerichte nicht entgegen. 

Sitzungopolizei. 

s 177. Die Aufrechterhaltung der Ordnung in der Sitzung liegt dem 

Borfigenden ob. 


Ss 178. WBarteien, Bejchuldigte, Zeugen, Sachverſtändige oder bei der 
Verhandlung nicht beteiligte Perſonen, welche den zur Aufrechterhaltung der 
Ordnung erlaffenen Befehlen nicht gehorchen, künnen auf Beſchluß des Gerichts 
aus dem Situngszimmer entfernt, auch zur Haft abgeführt und während einer 
in dem Bejchlufje zu beftimmenden Zeit, welche vierundzwanzig Stunden nicht 
überjteigen darf, feitacehalten werden. 

Beſchwerde iſt ausgeſchloſſen. Vgl. $ 183. 

$ 179. Das Gericht kann gegen Parteien, Bejchuldigte, Zeugen, Sach— 
verjtändige oder bei der Verhandlung nicht beteiligte Berjonen, welche fich in 
der Sitzung einer Ungebühr jchuldig machen, vorbehaltlich der itrafgerichtlichen 
Verfolgung, eine Ordnungsitrafe bis zu einhundert Marf oder bis zu drei 
Tagen Haft feitjegen und jofort vollitreden lajjen. 

Beichwerde: $ 183, ohne aufichiebende Wirkung. 

$ 180. Das Gericht kann gegen einen bei der Verhandlung beteiligten 
Rechtsanwalt oder Verteidiger, der fich in der Situng einer Ungebühr jchuldig 
macht, vorbehaltlich der jtrafgerichtlichen oder disziplinaren Verfolgung, eine 
Ordnungsſtrafe bis zu einhundert Mark feſtſetzen. 

Beſchwerde: $ 183, mit aufjchiebender Wirkung. 

$ 181. Die Vollitredung der vorstehend bezeichneten Ordnungsitrafen 
hat der Borfigende unmittelbar zu veranlajfjeı. 


$ 182. Die in den S$ 177—181 bezeichneten Befugniſſe ftehen auch 
einem einzelnen Richter bei der Vornahme von Amtshandlungen außerhalb der 
Sitzung zu. 

s 183. Iſt in den Fällen der SS 179, 180, 182 eine Ordnungsitrafe 
feitgefegt, jo findet binnen der Friſt von einer Woche nach der Belfannt- 
machung der Entjcheidung Beichwerde ftatt, jofern die Entjcheidung nicht von 
dem Neichsgerichte oder einem Oberlandesgerichte getroffen ift. 


44 I. Gerichtsverfaſſungsgeſetz. — 14. und 15. Titel. 


Die Bejchwerde hat in dem Falle des $ 179 feine aufjchiebende Wirkung, 
in den Fällen des $ 180 und des $ 182 aufjchiebende Wirkung. 

Ueber die Beſchwerde entfcheidet das Oberlandesgericht. 

$ 184. Iſt eine Ordnungsfirafe wegen Ungebühr jejtgejegt, oder eine 
Perion zur Haft abgeführt, oder eine bei der Verhandlung beteiligte Perſon 
entfernt worden, jo iſt der Beſchluß des Gericht3 und dejjen Veranlaſſung 
in das Protokoll aufzunehmen. 

$ 185. Wird eine ftrafbare Handlung in der Sigung begangen, jo hat 
dad Gericht den Tatbeſtand feitzuftellen und der zujtändigen Behörde das 
darüber aufgenommene Protofoll mitzuteilen. In geeigneten Fällen ift Die 
vorläufige Feſtnahme des Täters zu verfügen. 


15. Titel. 


Gerichtsſprache. 

$ 186. Die Gerichtsſprache iſt die deutſche. 

s 187. Wird unter Beteiligung von Perſonen verhandelt, welche der 
deutichen Sprache nicht mächtig find, jo ijt ein Dolmeticher zuzuziehen. Die 
Führung eines Nebenprotofolls in der fremden Sprache findet nicht jtatt; jedoch 
jollen Ausfagen und Erklärungen in fremder Sprache, wenn und foweit der 
Nichter dies mit Rüdfiht auf die Wichtigkeit der Sache für erforderlich er— 
achtet, auch in der fremden Sprache in das Protofoll oder in eine Anlage 
niedergeschrieben werden. In dem dazu geeigneten Fällen foll dem Protokolle 
eine durch den Dolmetjcher zu beglaubigende Ueberfegung beigefügt werden. 

Die Zuziehung eines Dolmetjchers kann unterbleiben, wenn die beteiligten 
Perſonen ſämtlich der fremden Sprache mächtig find. 

$ 188. Zur Verhandlung mit tauben oder ftummen Perjonen ist, ſofern 
nicht eine schriftliche Berftändigung erfolgt, eine Berfon als Dolmetjcher zuzu— 
ziehen, mit deren Hülfe die Verständigung in anderer Weije erfolgen kann. 

8 189. Ob einer Bartei, welche taub ijt, bei der mündlichen Verband: 
lung der Vortrag zu gejtatten jei, bleibt dem Ermejjen des Gerichts überlajien. 

Dasselbe gilt in Anwaltsprozeſſen von einer Partei, die der deutſchen 
Sprache nicht mächtig ift. 

$ 1%. Berjonen, welche der deutſchen Sprache nicht mächtig find, leijten 
Eite in der ihnen geläufigen Sprache. 

$ 191. Der Dolmetjcher hat einen Eid dahin zu leijten: 

daß er treu und gewiſſenhaft übertragen werde. 


I. Serichtöverfafjungsgefeg. — 15, und 16. Titel. 45 


Sit der Dolmetjcher für lebertragungen der betreffenden Art im All- 
gemeinen beeidigt, jo genügt die Berufung auf den geleifteten Eid. 


s 192. Der Dienjt des Dolmetichers fann von dem Gerichtsjchreiber 
wahrgenommen werden. Ciner bejonderen Beeidigung bedarf es nicht. 


s 1%. Auf den Dolmetscher finden die Beitimmungen über Aus— 
ichliegung und Ablehnung der Sacverjtändigen entjprechende Anwendung. 
Die Enticheidung erfolgt durch das Gericht oder den Richter, von welchem 
der Dolmeticher zugezogen ilt. 


16. Titel. 


Beratung und Abflimmung. 

$ 194. Bei Entjcheidungen dürfen Richter nur in der geleglich bejtimmten 
Anzabl mitwirken. 

Bei Verhandlungen von längerer Dauer fann der VBorfigende die Zu— 
ziehung von Ergänzungsrichtern anordnen, welche der Verhandlung beizuwohnen 
und im Falle der Verhinderung eines Richters für denjelben einzutreten haben. 

Die vorjtehenden Beitimmungen finden auch auf Schöffen und Geſchworene 
Anwendung. 


Ss 195. Bei der Beratung und Abſtimmung dürfen außer den zur 
Entjcheidung berufenen Richtern nur die bei demſelben Gerichte zu ihrer 
juriſtiſchen Ausbildung bejchäftigten Perjonen zugegen fein, ſoweit der Vor— 
figende deren Anweſenheit gejtattet. 

$ 196. Der Borfigende leitet Die Beratung, Stellt die Fragen und jammelt 
die Stimmen. 

Meinungsverjchiedenheiten über den Gegenstand, die Faſſung und die 
Reihenfolge der Fragen oder über das Ergebnis der Abjtimmung enticheidet 
das Gericht. 


s 197. Kein Richter, Schöffe oder Gefchworener darf die Abjtimmung 
über eine Frage verweigern, weil er bei der Abjtimmung über eine vorher: 
gegangene Frage in der Minderheit geblieben ift. 

z 198. Die Entjcheidungen erfolgen, joweit das Gejeg nicht ein Anderes 
bejtimmt, nad) der abjoluten Mehrheit der Stimmen. 

Bilden fih in Beziehung auf Summen, über welche zu entjcheiden ift, 
mehr als zwei Meinungen, deren feine die Mehrheit für jich hat, jo werden 


46 I. Gerichtsverfaſſungsgeſetz. — 16. und 17. Titel. 


die für die größte Summe abgegebenen Stimmen den für die zunächſt geringere 
abgegebenen jo lange hinzugerechnet, bis jich eine Mehrheit ergibt. 

Bilden ſich in einer Strafjache, von der Schuldfrage abgejehen, mehr 
als zwei Meinungen, deren feine die Mehrheit für ſich hat, jo werden die 
dem Beſchuldigten nachteiligjten Stimmen den zunächjt minder nachteiligen jo 
lange hinzugerechnet, bis fich eine Mehrheit ergibt. 

8 199. Die Reihenfolge bei der Abftimmung richtet fich nach, dem Dienit- 
alter, bei den Schöffengerichten und den Kammern für Handelsjachen nad) dem 
Lebensalter; der Jüngste jtimmt zuerit, der Vorſitzende zulegt. Wenn ein 
Berichterftatter ernannt ijt, fo gibt diejer feine Stimme zuerjt ab. 

Bei der Abitimmung der Gejchworenen richtet fich die Neihenfolge nad) 
der Auslofung. Der Obmann jtimmt zulegt. 

$s 200. Schöffen und Gejchworene find verpflichtet, über den Hergang 
bei der Beratung und Abjtimmung Stillichweigen zu beobachten. 


17. Titel. 
Geridtsferien. 

z 201. Die Gerichtsferien beginnen am 15. Juli und endigen am 
15. September. 

z 202. Während der Ferien werden nur in Ferienſachen Termine 
abgehalten und Entjicheidungen erlajjeı. 

Ferienſachen find: 

1. Straflachen. 


— — — — 


Il. 
Strafprozeßordnung 


vom 1. Februar 1877 
(Reichsgeſetzblatt von 1877, Seite 253). 


Dorbemerfung. 


Auch die Strafprozeßordnung wird nur in einem Auszug gegeben; 
die wichtigeren Paragraphen finden ſich aber alle im Wortlaute vor. 

Der Inhalt der Strafprozegordnung ift, zufammengefaßt und 
furz gejagt, folgender: 

Nach den Beftimmungen über die örtlihe AZuftändigfeit der 
Gerihte folgen Dorfcdriften über die Ausfchliegung einzelner 
Richter, Schöffen und Gefhworenen von der Entfcheidung in be: 
ftimmten Fällen. Danady werden die einzelnen Beweismittel des 
gefamten Strafprozeffes, nämlid die Zeugen, die Sachver— 
ftändigen und die Augenfcheinseinnahme behandelt und die Dor: 
fhriften gegeben, nach weldyen jedes diefer Beweismittel zum Beweife 
heranzuziehen ift. Weiter folgen die befonders für den Polizeibeamten 
wichtigen Paragraphen über Befhlagnahme und Durhfuhung, mit 
deren Bilfe vielfach erft gewiſſe Beweismittel für den Strafprozeß entdeckt und 
gefihert werden, fowie über Derhaftung und vorläufige feftnahme. 

Nunmehr werden die einzelnen Teile des Prozeffes in ihrer zeitlichen 
Reihenfolge behandelt: Anzeigen ftrafbarer Handlungen, Dor: 
bereitungsverfahren, gerihtlihe Dorunterfuhung, Anklage: 
erhbebung und Antrag auf Eröffnung des Hauptverfahrens, 


Entfheidung über Eröffnung oder Ablehnung des Haupt- 
verfahrens, Dorbereitung der Hauptverhandlung und das 
Derfahren in diefer felbft, auch vor den Shwurgerichten ein: 
fchlieglich der Dorfchriften für die Bildung der Geſchworenenbank. 

Weiterhin folgt die Darftellung der Rehtsmittel, der Befchwerde, 
Berufung, Revifion und des Rechtsbehelfes der Wiederaufnahme 
eines rehtsfräftigen Derfahrens. 

Als befondere Derfahren ergeben fich die Privatflage, die Neben: 
Plage, Derfahren auf Strafbefehl, Strafverfügung, Strafbefcheid, 
Derfahren gegen abwefende Wehrpflidhtige. Den Schluß bilden die 
Strafvollftretung und die Regelung der Prozeßfoften. 

Sur Ergänzung der Strafprozeßordnung finden fih im Anhange an 
diefelbe die Gebührenordnung für Zeugen und Sadıverftändige, 
die Gefeße betreffend die Entfhädigung der im Wiederauf- 
nahmeverfahren freigefprodhenen Perfonen und für unfhuldig 
erlittene Unterfuhungshaft, ſowie die wichtigen Kompetenzbeftimmungen 
aus der Militärftrafgerihtsordnung. 


U. Strafprogeßordnung. — Erftes Bud. — 1. und 2. Abſchnitt. 49 


Erſtes Bud. 
Allgemeine Beltimmungen. 


1. Abſchnitt. 
Sachliche Zuftändigkeit der Geridte, 
$ 1. Die fachliche Zuftändigfeit der Gerichte wird durch das Geſetz 
über die Gerichtsverfafjung bejtimmt. 
88 2—6 behandeln den Gerichtsitand des Zuſammenhanges mehrerer 
Straflachen, welche einzeln zur Zuſtändigkeit von Gerichten verjchiedener 
Ordnung (3.B. vor Schöffengericht und Straffammer) gehören würden. 


2. Abſchnitt. 


Gerichtsftand. Der begangenen Tat. 

8 T. Der Gerichtsjtand ift bei demjenigen Gerichte begründet, in deſſen 
Bezirk die ftrafbare Handlung begangen ift. 

Wird der Tatbejtand der ftrafbaren Handlung durch den Inhalt einer 
im Inland erjchienenen Drucdjchrift begründet, jo iſt als das nah Abſatz 1 
zujtändige Gericht nur dasjenige Gericht anzujehen, in deſſen Bezirk die Drud- 
ſchrift erſchienen iſt. Jedoch iſt in den Fällen der Beleidigung, jofern die 
Verfolgung im Wege der Privatflage jtattfindet, auch das Gericht, in defjen 
Bezirk die Drudjchrift verbreitet worden ift, zuftändig, wenn in diefem Bezirk 
die beleidigte Berjon ihren Wohnfig oder gewöhnlichen Aufenthalt hat. 

Eine ftrafbare Handlung ift da begangen, wo ihre geſetzlichen Tat: 
beitandsmerfmale verwirklicht werden. Gehört zum ftrafbaren Tatbeftand der 
Eintritt einer vom Täter beabjichtigten Wirkung, 3. B. die Kenntnisnahme 
eines beleidigenden Briefes, jo ift Ort der Begehung da, wo diefe Wirkung 
mit des Täters Willen eintritt. Kommen die einzelnen Tatbeftandsafte an 
verschiedenen Orten zur Vollendung, fo ift die ftrafbare Handlung an jedem 
diefer Drte begangen. Abſatz 2 hebt den früher verwerteten jogenannten 
fliegenden Gerihtsjtand der Preffe auf. Zuftändig iſt nur nod) das 
Gericht, in deſſen Bezirke die Druchſchrift im Inlande erfchienen ift. Ausnahmen 
im Brivatflageverfahren. Wegen räumlicher Herrichaft der Strafgefege fiehe auch 


$ 3 des Strafgejegbuche. 
Des Wohnſitzes oder Aufenthaltsorted, 


$8. Der Gerichtsftand iſt auch bei demjenigen Gerichte begründet, in 
deſſen Bezirk der Angefchuldigte zur Zeit der Erhebung der Klage feinen 
Wohnſitz hat. 


50 U. Strafprogehordnung. — Erites Bud. — 2. und 3, Abſchnitt. 


Hat der Angejchuldigte einen Wohnjig im Deutjchen Reich nit, jo 
wird der Gerichtsitund auch durch den gewöhnlichen Aufenthaltsort und, wenn 
ein jolcher nicht befannt iit, durch den legten Wohnſitz bejtimmt. 

Die Gerichtsſtände SI 7 und 8 find gleichberedtigt. Vgl. $ 12. 

Der Ergreifung. 

8 9. Wenn die jtrafbare Handlung im Auslande begangen und ein 
Gerichtsjtand in Gemäßheit des $ 8 nicht begründet ijt, jo ift dasjenige Gericht 
zuftändig, in dejjen Bezirk die Ergreifung erfolgt. Hat eine Ergreifung nicht 
ftattgefunden, jo wird das zuftändige Gericht vom Reichsgerichte beitimmt. 

Gleiches gilt, wenn eine ftrajbare Handlung im Inlande begangen ijt, 
jedoch weder der Gerichtsitand der begangenen Tat noch der Gerichtsftand des 
Wohnſitzes ermittelt it. 

ss 10 und 11 enthalten Ergänzungsbeftimmungen für jtrafbare 
Handlungen, welche auf einem deutschen Schiffe im Ausland oder in offener 
See oder von Deutjchen, welche das Necht der Erterritorialität (Gerichts: 
verfafjungsgejeg 2. Titel) genießen, oder von den im Auslande angeitellten 
Beamten des Neichs oder eines Bundesjtaates begangen werden. 


AZufammentrefien mehrerer Gerihtöftände. 

$ 12. Unter mehreren nach den Vorschriften der SS 7—11 zuftändigen 
Gerichten gebührt demjenigen der Vorzug, welches die Unterfuchung zuerst 
eröffnet hat. 

Jedoch kann die Unterfuchung und Entjcheidung einem anderen der zu: 
jtändigen Gerichte durch das gemeinfchaftliche obere Gericht übertragen werden. 

$ 13 behandelt den Gerichtsjtand des Zuſammenhanges für 
Strafjachen, welche einzeln nad) den Vorjchriften von 88 7—11 zur Zus 
jtändigfeit verichiedener Gerichte gehören würden. 

ss 14 und 15 behandeln den Gerichtsjtand durch Auftrag, 
wenn zwijchen mehreren Gerichten Streit über die Zuftändigfeit befteht. 

88 16—21 handeln von der Unzuftändigfeit eines Gerichts und dem 
Beitpunfte, bis zu welchem fie vom Angejchuldigten geltend gemacht werden muß. 


3. Abſchnitt. 
Ausſchließzung und Ablehnung der Gerichtsperſonen. 
Ausſchließung. 
; 22. Ein Richter iſt von der Ausübung des Richteramts kraft Geſetzes 
ausgeſchloſſen: 
1. wenn er ſelbſt durch die ſtrafbare Handlung verlegt iſt; 


H. Strafprozegorbnung. — Erjtes Buch. — 3. Abſchnitt. 51 


2. wenn er Ehemann oder Vormund der beſchuldigten oder der ver— 
letzten Perſon ift oder gewejen ijt; 

3. wenn er mit dem Beichuldigten oder mit dem Berlegten in gerader 
Linie verwandt, verjchwägert oder durch Adoption verbunden, in 
der Seitenlinie bi8 zum dritten Grade verwandt oder bis zum 
zweiten Grade verfchwägert ift, auch wenn die Che, durch welche 
die Schwägerfchaft begründet ift, nicht mehr beiteht; 

4. wenn er in der Sache ald Beamter der Staatsanwaltichaft, als 
Polizeibeamter, als Anwalt des Verletzten oder als Verteidiger 
tätig geweſen iſt; 

5. wenn er in der Sache als Zeuge oder — ver⸗ 
nommen iſt. 

Ss 23. (Auszug.) Weitere Ausſchließungsgründe zufolge Mitwirkung als 
Richter in einem früheren Stadium des Berfahrens. 

Ablchnung. 

s 24. Ein Richter kann jowohl in den Fällen, in denen er von der 
Ausübung des Richteramts fraft Geſetzes ausgeſchloſſen ift, al® auch wegen 
Beſorgnis der Befangenheit abgelehnt werden. 

Wegen Bejorgnis der Befangenheit findet die Ablehnung ftatt, wenn 
ein Grund vorliegt, welcher geeignet ijt, Mißtrauen gegen die Umparteilichkeit 
eines Richters zu rechtfertigen. 

Das Ablehnungsrecht ſteht der Staatsanwaltjchaft, dem Privatfläger 
und dem Beichuldigten zu. Den zur Ablehnung Berechtigten find auf Ber: 
fangen die zur Mitwirkung bei der Entjcheidung berufenen Gerichtsperfonen 
namhaft zu machen. 

ss 25—30 enthalten die Beſtimmungen über das Verfahren bei an- 
gebrachtem Ablehnungsgeſuch. 
Ablehnung von Schöffen. 

831. Die Beſtimmungen dieſes Abſchnitts finden Schöffen und 
Gerichtsſchreiber entſprechende Anwendung. 

Die Entſcheidung über eine Ausſchließung oder Ablehnung von Schöffen 
erfolgt durch den Amtsrichter. Ueber die Ausſchließung oder Ablehnung eines 
Gerichtsſchreibers entſcheidet das Gericht oder der Richter, welchem derſelbe 
beigegeben iſt. 

$ 32. Die Beſtimmungen des $ 22 finden auf Gefchworene Anwendung. 

4* 


un ⏑ EG, VE 


52 II, Etrafprogehordnung. — Erjtes Bud. — 4. 5. und 6 Abſchnitt. 


4. Abichnitt. 


Gerichtliche Entfcheidungen und deren Bekanntmachung. 


SS 33—41. (Auszug) Entjcheidungen der Gerichte, ihre Form, Zus 
jtellung und deren Formen, Zujtellung an Beichuldigte im Ausland. 


5. Abjchnitt. 
Sriften und Miedereinfekung in den vorigen Stand. 
SS 4247. (Uuszug.) Berechnung der Friſten nad) Tagen, Wochen 


und Monaten. Borausfegungen und Form des Geſuchs um Wiedereinjegung 
in den vorigen Stand. Verfahren und Entjcheidung darüber. 


6. Abſchnitt. 
Zeugen. 
ss 48 und 49 behandeln die Form der Zeugenladung. 


Folgen des Ausbleibens. 

8 50. Ein ordnungsmäßig geladener Zeuge, welcher nicht erjcheint, 
ift in die durch) das Ausbleiben verurjachten Koſten, jowie zu einer Geld— 
itrafe bis zu dreihundert Mark, und für den Fall, daß dieje nicht beigetrieben 
werden fanır, zur Strafe der Haft bis zu jechd Wochen zu verurteilen. Auch 
ift die zwangsweife Vorführung des Zeugen zuläſſig. Im Falle wiederholten 
Ausbleiben kann die Strafe noch einmal erkannt werden. 

Die Verurteilung in Strafe und Koften unterbleibt, wenn dag Aus— 
bleiben de8 Zeugen genügend entjchuldigt iſt. Erfolgt nachträglich gemügende 
Entjchuldigung, jo werden die gegen dem Zeugen getroffenen Anordnungen 
wieder aufgehoben. 

Die Befugnis zu diefen Maßregeln ſteht auch dem Unterfuchungsrichter, dem 
Amtsrichter im WVorverfahren, jowie dem beauftragten und erjuchten Richter zu. 

Die Feſtſetzung und die Bolljtredung der Strafe gegen eine dem aftiven 
Heere oder der altiven Marine angehörende Militärperjon erfolgt auf Erſuchen 
durch das Militärgericht, die Vorführung einer ſolchen Berfon durch Erjuchen 
der Militärbehörde. 

Die Strafbefugniffe der SS 50 und 69 ftehen nur dem Richter, nicht aud) 
dem Staat3anwalt zu. Nur der Richter kann den Zeugen durch Auferlegung der 

Strafen zur Ausfage anhalten. Bor dem Staatsanwalt und der Polizei braucht 


fi) kein Zeuge vernehmen zu laflen; der Staatsanwalt hat, wenn ihm der Zeuge 
nicht ausfagen will, die Abhörung durch den Amtsrichter zu beantragen. Die 


II. Strafprogehordnung. — Erſtes Bud. — 6. Abjchnitt. 53 


Polizeibehörde kann landesrechtlich die Befugnis befigen, das Erſcheinen — 
nicht aber die Ausfage — de3 Zeugen durch Strafen oder Siftierung an Polizei- 
ftelle zu erzwingen (Preußen, Sachſen uſw.). Die Polizeibehörde hat die Be— 
fugnis, die Namen von Zeugen, welche für einen Vorgang Bedeutung haben, 
zwangsweife feitzuftellen. In Preußen haben polizeilich vernommene Zeugen auf 
Zeugengebühren in derfelben Höhe Anfpruch wie bei Vernehmung vor Gericht 
(Gebührenordnung vom 30. Juni 1878, R.G. Bl. ©. 173 und Minifterial- 
Erlaß vom 15. DOftober 1865, Min.Bl. ©. 282). 


Berweigerung des Zengniffes. 
1. Zur Verweigerung des Zeugniſſes find berechtigt: 
. der Verlobte des Bejchuldigten ; 


* 
der Ehegatte des Beſchuldigten, auch wenn die Ehe nicht mehr beſteht; 
diejenigen, welche mit dem Beſchuldigten in gerader Linie ver— 
wandt, verſchwägert oder durch Adoption verbunden, oder in der 
Seitenlinie bis zum dritten Grade verwandt oder bis zum zweiten 
Grade verſchwägert ſind, auch wenn die Ehe, durch welche die 
Schwägerſchaft begründet iſt, nicht mehr beſteht. 

Die bezeichneten Perſonen ſind vor jeder Vernehmung über ihr Recht 
zur Verweigerung des Zeugniſſes zu belehren. Sie können den Verzicht 
auf dieſes Recht auch während der Vernehmung widerrufen. 


Nur der Richter, nicht auch Staatsanwalt und Polizeibeamter müſſen 
die bezeichneten Perfonen in der angegebenen Richtung belehren, 


5 
l 
2 
3 


$ 52. Zur Verweigerung des Zeugniſſes find ferner berechtigt: 
1. Geijtlihe in Anjehung desjenigen, was ihnen bei Ausübung der 
Seeljorge anvertraut ift; | 
2. Verteidiger des Beichuldigten in Anjehung desjenigen, was ihnen 
in dieſer ihrer Eigenfchaft anvertraut iſt; 
3. Nechtsanwälte und Aerzte in Anfehung desjenigen, was ihnen bei 
Ausübung ihres Berufs anvertraut it. 


Die unter Nr. 2, 3 bezeichneten Perſonen dürfen das Zeugnis nicht ver- 
weigern, wenn fie von der Verpflichtung zur Berjchwiegenheit entbunden find. 


$ 53. Deffentliche Beamte, auch wenn fie nicht mehr im Dienfte find, 
dürfen über Umjtände, auf welche ſich ihre Pflicht zur Amtsverfchwiegenheit 
bezieht, al8 Zeugen nur mit Genehmigung ihrer vorgejegten Dienitbehörde oder 
der ihnen zufegt vorgejegt gewejenen Dienjtbehörde vernommen werden. Für 
den Reichskanzler bedarf es der Genehmigung des Kaiſers, für die Minijter 


54 II. Strafprogehordnung. — Erſtes Buch. — 6. Abſchnitt. 


der Genehmigung des Landesheren, für die Mitglieder der Senate ber freien 
Hanfeitädte der Genehmigung des Senats. 

Die Genehmigung darf nur verjagt werden, wenn die Ablegung des Zeug: 
nifjes den Wohle des Neichd oder eines Bundesjtaates Nachteil bereiten würde. 

8 54. Jeder Zeuge fann die Auskunft auf ſolche Fragen verweigern, 
deren Beantwortung ihm ſelbſt oder einem der im 8 51 Nr. 1—3 bezeich- 
neten Angehörigen die Gefahr jtrafgerichtlicher Verfolgung zuziehen würde. 

$ 55. Die Tatjache, auf melde der Zeuge die Verweigerung des Zeug: 
nifjes in dem Fällen der SS 51, 52, 54 ftügt, ift auf Verlangen glaubhaft 
zu machen. Es genügt die eidliche Verſicherung des Zeugen. 

Nur der Richter, nicht aud Staatsanwalt und Polizeibeamter können 
die Glaubhaftmachung verlangen. 
Vernehmung und Beeidigung. 

S 56. Unbeeidigt ſind zu vernehmen: 

1. Berfonen, welche zur Zeit der VBernehmung das jechzehnte Yebens- 
jahr noch nicht vollendet oder wegen mangelnder Berftandesrcife 
oder wegen Berjtandesjichwäche von dem Weſen umd der Bedeutung 
des Eides feine genügende Boritellung haben; 

. Berjonen, welche nach den Beitimmungen der Strafgejege uns 
fähig find, als Zeugen eidlich vernommen zu werden; 

3. Perſonen, welche Hinfichtlich der den Gegenstand der Unterfuchung 
bildenden Tat als Teilnehmer, Begünftiger oder Hehler verdächtig 
oder bereitö verurteilt Find, 

s 57. Stehen Berjonen zu dem Bejchuldigten in einem Verhältnifie, 
welches fie nach $ 51 zur Verweigerung des Zeugniffes berechtigt, jo hängt es von 
dem richterlichen Ermeſſen ab, ob fie unbeeidigt zu vernehmen oder zu beeidigen jind. 

Diejelben fünnen auch nach der Vernehmung die Beeidigung des Zeugs 
nifjes verweigern und find über dieſes Recht zu belchren. 

z 58. Jeder Zeuge iſt eimzeln und in Abwejenheit der jpäter abzu= 
hörenden Zeugen zu vernehmen. 

Eine Gegenüberitellung mit anderen Zeugen oder mit dem Beichuldigten 
findet im Worverfahren nur dann jtatt, wenn fie ohne Nachteil für die 
Sache nicht bis zur Hauptverhandlung ausgefegt bleiben fann. 

Der Polizeibeamte ift an diefe Beftimmungen nicht gebunden. 

$ 59. Vor der Leijtung des Eides hat der Nichter den Zeugen in 

angemejjener Weiſe auf die Bedeutung des Eides hinzumeijen. 


to 


U. Straiprozehorduung. — Erites Bud. — 6. Abichnitt. 55 


z 60. Jeder Zeuge iſt einzeln und vor feiner Vernehmung zu 
beeidigen. Die Beeidigung fann jedoch aus bejonderen Gründen, namentlich 
wenn Bedenken gegen ihre Zuläffigleit obwalten, bis nach Abſchluß der Ver: 
nehmung ausgejegt werden. 


$ 61. Der vor der Vernehmung zu leiftende Eid lautet: 
daß Zeuge nad) beftem Wiſſen die reine Wahrheit jagen, nichts ver: 
jchweigen und nichts hinzufegen werde; 
der nac) der Bernehmung zu leitende Eid lautet: 
dab Zeuge nach bejtem Wifjen die reine Wahrheit gejagt, nichts ver— 
jchwiegen und nichts hinzugeſetzt habe. 


8 62. Der Eid beginnt mit den Worten: 
„Ich ſchwöre bei Gott dem Allmächtigen und Allwifjenden“ 
und jchließt mit den Worten: 
„So wahr mir Gott helfe“. 


8 63. Der Eid wird mittel3 Nachſprechens oder Ableſens der die Eides- 
norm enthaltenden Eidesformel geleiftet. Der Schwörende ſoll bei der Eides— 
leiſtung die rechte Hand erheben. 

Stumme, welche jchreiben fünnen, leiten den Eid mittel3 Abjchreibeng 
und Unterſchreibens der die Eidesnorm enthaltenden Eidesformel. 


$ 64. Der Eidesleiftung wird gleichgeachtet, wenn ein Mitglied einer 
Religionsgefellichaft, welcher das Gejeg den Gebrauch gewiſſer Beteuerungs— 
formeln an Stelle des Eides gejtattet, eine Erklärung unter der Beteuerungs— 
formel diejer Religionsgejellichaft abgibt. 


$ 65. Die Beeidigung der Zeugen erfolgt, vorbehaftlic) der Bejtimmungen 
des $ 222, in der Hauptverhandlung. 

Sie fann Schon in der Vorunterfuchung erfolgen, wenn vorausfichtlic 
der Zeuge am Erjcheinen in der Hauptverhandlung verhindert oder fein 
Erjcheinen wegen großer Entfernung bejonders erjchwert jein wird, oder wenn 
die Beeidigung als Mittel zur Herbeiführung einer wahrheitsgemäßen Aus: 
jage errorderlich erjcheint. R 

In dem vorbereitenden Verfahren ift die Beeidigung nur zuläfjig, wenn 
Gefahr im Berzug obwaltet, oder wenn die Beeidigung als Mittel zur Herbei- 
führung einer wahrheitsgemäßen Ausſage über eine Tatſache, von der die 
Erhebung der öffentlichen Klage abhängig ift, erforderlich ericheint. 


ee ee 0 
* 


56 Il. Strafprozehordnung. — Erſtes Bud. — 6. Abichnitt. 


Erfolgt die Beeidigung im VBorverfahren, jo it der Grund in dem Brotofolle 
anzugeben. 

$ 66. Wird der Zeuge, nachdem er eidlich vernommen worden iſt, in Dem: 
jelben Borverfahren oder in demjelben Hauptverfahren nochmals vernommen, jo 
fann der Richter ftatt der nochmaligen Beeidigung den Zeugen die Richtigkeit feiner 
Ausfage unter Berufung auf den früher geleijteten Eid verfichern Laffen. 

$ 67. Die Vernehmung beginnt damit, daß der Zeuge über Vor: 
namen und Zunamen, Alter, Religionsbefenntnis, Stand oder Gewerbe und 
Wohnort befragt wird. rforderlichenfalls3 find dem Zeugen Fragen über 
jolche Umftände, welche jeine Glaubwürdigkeit in der vorliegenden Sache 
betreffen, insbefondere über jeine Beziehungen zu dem Bejchuldigten oder 
dem Berlegten, vorzulegen. 

8 68. Der Zeuge iſt zu veranlajjen, dasjenige, was ihm von dem 
Gegenitande jeiner Vernehmung befannt it, im Zuſammenhange anzugeben. 
Bor jeiner Vernehmung ift dem Zeugen der Gegenjtand der Interiuchung und 
die Perſon des Beichuldigten, jofern ein jolcher vorhanden ift, zu bezeichnen. 

An die legtere Beitimmung iſt der Polizeibeamte nicht gebunden. 

Zur Aufklärung und zur Bervollftändigung der Ausjage jowie zur 
Erforichung des Grundes, auf welchem die Wiflenichaft des Zeugen berudt, 
jind nötigenfalls weitere Fragen zu jtellen. 

Folgen der Zeugnisverweigerung . 

$ 69. Wird das Zeugnis oder die Eidesleiftung ohne gejeglichen Grund ver— 
weigert, jo it der Zeuge in die Durch die Weigerung verurjachten Koften ſowie zu 
einer Geldjtrafe bis zu dreifundert Mark, und für den Fall, daß dieje nicht bei- 
getrieben werden kann, zur Strafe der Haft bis zu ſechs Wochen zu verurteilen. 

Auch kann zur Erzwingung des Zeugniſſes die Haft angeordnet werden, 
jedocd) nicht über Die Zeit der Beendigung des Verfahrens in der Instanz, 
auch nicht über die Zeit von ſechs Monaten, und bei Uebertretungen nicht 
über die Zeit von ſechs Wochen hinaus, 

Die Befugnis zu diefen Maßregeln fteht auch dem Unterfuchungsrichter, 
dem Amtsrichter im VBorverfahren, ſowie dem beauftragten und erfuchten Richter zu. 

- Sind die Mafregeln erichöpft, jo können fie in demſelben oder in einem anderen 
Berfahren, welches diejelbe Tat zum Gegenjtande hat, nicht wiederholt werden. 

Die Feitfegung und die Wollftredung der Strafe gegen eine dem aftiven 
Heere oder der aktiven Marine angehörende Militärperjon erfolgt auf Erjuchen 
durch das Militärgericht. 


Me 


II. Strafprozehordnung. — Erſtes Bud. — 6. und 7. Abichnitt. 5 


— 


Gebühren. 

s 70. Jeder von dem Richter oder der Staatsanwaltſchaft geladene 
Zeuge hat nad) Mafgabe der Gebührenordnung Anjpruch auf Entjhädigung 
aus der Staatskaſſe für Zeitverfäumnis und, wenn fein Erjcheinen eine Reiſe 
erforderlich macht, auf Erftattung der Kojten, welche durch die Reife und den 
Aufenthalt am Orte der Vernehmung verurjacht werden. 

Degen Zeugengebühren bei Vernehmungen vor der Polizeibehörde fiche 
$ 50 Anmerkung. Gebührenordnung für Zeugen und Sadverfländige vom 

30. Juni 1878 fiehe Anhang, Seite 112. 

s 71. Die Landesherren und die Mitglieder der Tandesherrlichen 
Familien ſowie die Mitglieder der Fürſtlichen Familie Hohenzollern jind in 
ihrer Wohnung zu vernehmen. Das gleiche gilt in Anjehung der Mitglieder 
des vormaligen Hannoverſchen KHönigshaufes, des vormaligen Kurheſſiſchen 
und des vormaligen Herzoglich Naſſauiſchen Fürjtenhaufes. 

Den Eid leiſten dieſelben mittel Lnterjchreibens der die Eidesnorm 
enthaltenden Eidesformel. 


Zur Hauptverhandlung werden jie nicht geladen. Das Protofoll über 
ihre gerichtliche Bernehmung iſt in der Hauptverhandlung zu verlejen. 


7. Abſchnitt. 


Sachverſtändige und Augenſchein. 
Sachverſtändige. 
$ 72. Auf Sachverſtändige finden die Vorſchriften des 6. Abſchnitts 
über Zeugen entiprechende Anwendung, injfoweit nicht in den nachfolgenden 


Paragraphen abweichende Beltimmungen getroffen find. 
Auswahl. 


8 73. Die Auswahl der zuzuziehenden Sachverjtändigen und die Be- 
jtimmung ihrer Auswahl erfolgt durch den Wichter. 

Sind für gewifje Arten von Gutachten Sachverſtändige öffentlich bejtellt, 
fo follen andere Perjonen nur dann gewählt werden, wenn bejondere Um— 
jtände es erfordern. 

Auch der Polizeibeamte kann einen Sahverftändigen befragen, z. B. zur 

Feſtſtellung, ob ein Schmucdgegenftand echt oder unecht ift. An die Beitimmungen 


diefes Abjchnittes ift der Polizeibeamte nicht gebunden. 
Ablehnung. 


$ 74. Ein Sachverſtändiger kann aus denſelben Gründen, welche zur 
Ablehnung eines Richters berechtigen, abgelehnt werden. Ein Ablehnungsgrund 





58 H. Strafprozeforduung. — Erſtes Bud, — 7. Abſchnitt. 


fann jedoch nicht daraus entnommen werden, daß der Sachverſtändige als 
Zeuge vernommen worden ilt. 


Das Ablehnungsrecht fteht der Staatsanwaltfchaft, dem Privatkläger 
und dem Beichuldigten zu. Die ernannten Sacverftändigen find den zur 
Ablehnung Berechtigten namhaft zu machen, wenn nicht befondere Umjtände 
entgegenjtehen. 

Der Ablehnungsgrund ift glaubhaft zu machen; der Eid iſt als Mittel 
der Glaubhaftmachung ausgejchlojien. 


Pflicht zur Erftattung von Gutachten. 
$ 75. Der zum Sacverjtändigen Ernannte hat der Ernennung Folge 
zu leisten, wenn er zur Erjtattung von Öutachten der erforderten Art öffentlich 
bejtellt ift, oder wenn er die Willenjchaft, die Kunjt oder das Gewerbe, deren 
Kenntnis Vorausjegung der Begutachtung ijt, Öffentlich zum Ermwerbe ausübt, 
oder wenn er zur Ausübung derjelben öffentlich bejtellt oder ermächtigt it. 


Zur GErjtattung des Gutachtens ift auch derjenige verpflichtet, welcher 
jich zu derjelben vor Gericht bereit erflärt Hat. 


8 76. Diejelben Gründe, welche einen Zeugen berechtigen, das Zeugnis 
zu verweigern, berechtigen einen Sachverftändigen zur Verweigerung des Gut— 
achten. Auch aus anderen Gründen fann ein Sachverjtändiger von der 
Verpflichtung zur Eritattung des Gutachtens entbunden werden. 

Die Bernehmung eines Öffentlichen Beamten als Sachverftändigen findet 
nicht jtatt, wenn die vorgejegte Behörde des Beamten erflärt, daß die Ver— 
nehmung den dienftlichen Interefien Nachteil bereiten würde. 


Folgen des Nichterſcheinens oder der Weigerung. 

s 177. Im Falle des Nichterjcheinens oder der Weigerung eines zur 
Erjtattung des Gutachtens verpflichteten Eachverjtändigen wird Diefer zum 
Erjage der Koſten und zu einer Geldftrafe bis zu dreihundert Mark verurteilt. 
Im Falle wiederholten Ungehorſams fann noch einmal eine Geldjtrafe bis zu 
jehshundert Marf erfannt werden. 

Die Feitiegung und die Vollſtreckung der Strafe gegen eine dem aftiven 
Heere oder der aftiven Marine angehörende Militärperfon erfolgt auf Erjuchen 
durch das Militärgericht. 

Die Polizei hat gegenüber einem Sadverfiändigen feinerlei Zmwangs- 
befugniſſe. 





II. Strafprozehordnung. — Erſtes Bud. — 7. Abjchnitt. 59 


Abgabe des Gutahtens und Beeidigung. 
$ 78. Der Richter hat, joweit ihm dies erforderlich erjcheint, die 
Tätigfeit der Sachverſtändigen zu leiten. 
$s 79. Der Sadwerjtändige hat vor Erjtattung des Gutachtens einen 
Eid dahin zu leijten: 
daß er das von ihm erforderte Gutachten unparteiiſch und nad) 
beitem Wiſſen und Gewifjen erjtatten werde. 
It der Sachverjtändige für die Erjtattung von Gutachten der betreffenden 
Art im Allgemeinen beeidigt, jo genügt die Berufung auf den geleifteten Eid. 
8 80. Dem Sachverſtändigen fann auf jein Verlangen zur Bor: 
bereitung des Gutachtens durch Bernehmung von Zeugen oder des Beichufdigten 
weitere Aufklärung verjchafft werden. 
Zu demjelben Zwecke faun ihm gejtattet werden, die Aften einzujehen, 
der Vernehmung von Zeugen oder des Bejchuldigten beizumohnen und an die- 
jelben unmittelbar ragen zu jtellen. 


Gutachten über den Geifteszuftand des Angeſchuldigten. 
$ 81. Zur Vorbereitung eines Gutachtens über den Geifteszuftand des 
Angefchuldigten fann das Gericht auf Antrag eines Sachverjtändigen nad) 
Anhörung des Verteidigers anordnen, dab der Angejchuldigte in eine öffent: 
liche Irrenanitalt gebracht und dort beobachtet werde. 

Dem Angejchuldigten, welcher einen Verteidiger nicht Hat, it ein jolcher 
zu bejtellen. 

Gegen den Beſchluß findet jofortige Bejchwerde ſtatt. Diefelbe hat 
aufjchtebende Wirkung. 

Die Verwahrung in der Anjtalt darf die Dauer von ſechs Wochen nicht 
überjteigen. 

s 82. Im Vorverfahren hängt es von der Anordnung des Richters ab, ob 
die Sachverjtändigen ihr Gutachten jchriftlich oder mündlich zu eritatten haben, 

$s 83. Der Richter kann eine neue Begutachtung durch diejelben oder 
durch andere Eachveritändige anordnen, wenn er dad Gutachten für uns 
genügend erachtet. 

Der Richter kann die Begutachtung durd) einen anderen Sachverjtändigen 
anordnen, wenn ein Sacjverjtändiger nach Eritattung des Gutachtens mit 
Erfolg abgelehnt ift. 

In wichtigeren Fällen fann das Gutachten einer Fachbehörde eingeholt werden. 


60 U. Strafprozefordnung. — Erſtes Bud. — 7. Abjchnitt. 


Gebühren. 

$ 84. Der Sacverjtändige hat nach Maßgabe der Gebührenordnung 
Anspruch auf Entichädigung für Zeitverfäumnis, auf Erjtattung der ihm ver- 
urjachten Koften und außerdem auf angemefjene Vergütung für feine Mühemwaltung. 

Gebührenordnung vom 30. Juli 1878 fiehe Anhang, ©. 112. 

$ 85. Infoweit zum Beweife vergangener ZTatjachen oder Zuftände, 
zu deren Wahrnehmung eine befondere Sachkunde erforderlich war, fachkundige 
Perſonen zu vernehmen find, fommen die Vorjchriften über den Zeugenbeweis 
zur Anwendung. 


Nichterlihder Augenſchein. 

$ 86. Findet die Einnahme eines richterlichen Augenſcheins ftatt, To 
iſt im Protokolle der vorgefundene Sachbeſtand fellzujtellen und darüber 
Auskunft zu geben, welche Spuren oder Merkmale, deren VBorhandenjein nach 
der bejonderen Bejchaffenheit des Falles vermutet werden konnte, gefehlt haben. 

Zeichen ſchau und Leichenöffnung. 

$ 87. Die richterliche Leichenſchau wird unter Zuziehung eines Arztes, 
die Leichenöffnung im Beifein des Richters von zwei Werzten, unter welchen 
jich ein Gerichtsarzt befinden muß, vorgenommen. Demjenigen Arzte, welcher 
den Verftorbenen in der dem Tode unmittelbar vorausgegangenen Krankheit 
behandelt hat, iſt die Leichenöffnung nicht zu übertragen. Derjelbe kann jedoch 
aufgefordert werden, der Leichenöffnung anzuwohnen, um aus der Stranfheits- 
geichichte Aufichlüffe zu geben. 

Die Zuziehung eines Arztes kann bei der Leichenfchau unterbleiben, 
wenn fie nad) dem Ermeſſen des Nichters entbehrlich ift. 

Behufs der Befichtigung oder Deffnung einer ſchon beerdigten Leiche ijt 
ihre Ausgrabung jtatthaft. 

$ 88. Vor der Leichenöffnung ift, wenn nicht bejondere Hindernifie 
entgegenstehen, die Perjönlichfeit des Verſtorbenen, insbefondere durch Be— 
fragung von Perfonen, welche den Veritorbenen gefannt Haben, fejlzujtellen. 
Iſt ein Beichuldigter vorhanden, fo it ihm die Leiche zur Anerfennung 
vorzuzeigen. 

$ 89. Die Leichenöffnung muß ſich, ſoweit der Zuſtand der Leiche 
dies geſtattet, ſtets auf die Oeffnung der Kopf-, Bruſt- und Bauchhöhle 
erſtrecken. 

$ 90. Bei Oeffnung der Leiche eines neugeborenen Kindes iſt die 
Unterfuchung insbefondere auch darauf zu richten, ob dasſelbe nach oder 


II. Strafprogepordnung. — Erſtes Buch. — 7. und 8. Abichnitt. 61 


während der Geburt gelebt habe und ob es reif oder wenigitens fähig geweien 
jei, das Leben außerhalb des Miutterleibes fortzujegen. 

$ 91. Liegt der Verdacht einer Vergiftung vor, jo iſt die Unterfuchung 
der in der Leiche oder fonit gefundenen verbächtigen Stoffe durch einen 
Chemifer oder durch eine für ſolche Unterjuchungen . beitehende Fachbehörde 
vorzunehmen. 

Der Richter fann anordnen, daß diefe Umterfuhung unter Mitwirkung 
oder Yeitung eines Arztes ftattzufinden habe. 

Gutachten bei Muͤnzverbrechen. 

$ 92. Bei Münzverbrechen und Münzvergehen ſind die Münzen oder 
Bapiere erforderlichenjall® derjenigen Behörde vorzulegen, von welcher echte 
Münzen oder Papiere diejer Art in Umlauf gejeht werden. Das Gutachten 
diefer Behörde iſt über die Unechtheit oder Verfälichung fowie darüber ein- 
zuholen, in welcher Art die Fälſchung mutmaßlich begangen worden jei. 

Handelt es jih um ausländische Münzen oder Papiere, jo fann an 
Stelle des Gutachtens der ausländischen Behörde dasjenige einer deutjchen 


erfordert werden. 
Schhriftvergleihung. 


Ss 93. Zur Ermittelung der Gchtheit oder Unechtheit eines Schrift: 
ſtücks, ſowie zur Ermittelung des Urhebers desjelben kann eine Schrift- 
vergleihung unter Zuziehung von Sadjverftändigen vorgenommen werden. 

Auch ſchon feiten der Polizei, ohne daß das Verfahren verzögert 
werden darf. 


8. Abſchnitt. 
Beſchlagnahme und Durchſuchung. 


Beſchlagnaͤhme. 
Gegenftände, 
z 9. Gegenftände, welche ala Beweismittel für die Unterfuchung von 
Bedeutung fein fünnen oder der Einziehung unterliegen, find in Verwahrung 
zu nehmen oder in anderer Weife ficher zu jtellen. 
Befinden jich die Gegenjtände in dem Gewahrfam einer Perfon und 
werden diejelben nicht freiwillig herausgegeben, fo bedarf es der Bejchlagnahme. 
Pflicht zur Herausgabe (Ausnahmen). 
5%. Wer einen Gegenftand der vorbezeichneten Art in jeinem Ge— 
wahrjam hat, iſt verpflichtet, denjelben auf Erfordern vorzulegen und aus- 
zuliefern. 


62 II, Strafprogehordnung. — Erjted Bud, — 8. Abſchnitt. 


Er kann im Falle der Weigerung durch die im $ 69 bejtimmten Zwangs— 
mittel hierzu angehalten werden. Gegen Berjonen, welche zur Verweigerung 
des Zeugniſſes berechtigt find, finden diefe Zwangsmittel feine Anwendung. 

Die Zwangsmittel de8 8 95 hat nur der Richter, haben nicht Staats- 
anwaltichaft und Polizeibehörde. Der Staatsanwalt hat erforderlihen Falles 
bei dem Richter die Einleitung des Bmwangsverfahrens zu beantragen. Aus: 
nahmen bei Gefahr im Berzuge ($ 98). Die Zwangsmittel fünnen jelbft- 
verftändlich nicht gegen den Beſchuldigten, fondern nur gegen dritte an der 

Straftat unbeteiligte Perfonen angewendet werden und haben praftiiche Be— 

deutung nur, wenn die gefuchten Sachen bei den betreffenden Perfonen nicht 

gefunden werden, aber Verdacht befteht, daß fie gleichwohl in deren Gewahrfam 
feien. Vorher Durchſuchung nad) $ 103 zuläffig. Gegen den Beichuldigten 
nur Durchſuchung nad) 8 102 möglich. 

$S %. Die Vorlegung oder Auslieferung von Alten vder anderen in 
amtlicher Verwahrung befindlichen Schriftjtüden durch Behörden und öffent: 
liche Beamte darf nicht gefordert werden, wenn deren oberjte Dienjtbehörde 
erklärt, daß das Bekanntwerden des Inhalts diejer Akten oder Schriftjtüde 
dem Wohle des Reichs oder eines Bundesjtaates Nachteil bereiten würde. 


8 97. Schriftliche Mitteilungen zwifchen dem Beichuldigten und den— 
jenigen Perſonen, die wegen ihres Verhältniffes zu ihm nach SS 51, 52 zur 
Verweigerung des Zeugniſſes berechtigt find, unterliegen der Beſchlagnahme 
nicht, falls fie fich in den Händen der legteren Perjonen befinden und dieſe 
nicht einer Teilnahme, Begünftigung oder Hehlerei verdächtig ſind. 

Auch von der Polizeibehörde, wenn fie bei Gefahr im Berzuge 
jelbftändig tätig wird, zu beachten. 
Berechtigung zur Beſchlagnahme. 

$ 98. Die Anordnung von Beichlagnahmen fteht dem Nichter, bei 
Gefahr im Verzug auch der Staatsanwaltjchaft und denjenigen Polizei: und 
Sicherheitsbeamten zu, welche als Hülfsbeamte der Staatsanwaltichaft den 
Anordnungen derfelben Folge zu leijten haben. 

Iſt die Beichlagnahme ohne richterliche Anordnung erfolgt, jo fol der 
Beamte, welcher die Beichlagnahme angeordnet hat, binnen drei Tagen die 
richterliche Betätigung nachjuchen, wenn bei der Beichlagnahme weder der 
davon Betroffene noch ein erwachjener Angehöriger anmwejend war, oder wenn 
der Betroffene und im Falle jeiner Abwejenheit ein erwachjener Angehöriger 
desjelben gegen die Beichlagnahme ausdrüdlichen Widerfpruch erhoben hat. 
Der Betroffene fann jederzeit die richterliche Entjcheidung nachſuchen. So 


U. Strafprozehordnung. — Erſtes Buch. — 8. Abſchnitt. 63 


lange die öffentliche Klage noch nicht erhoben ijt, erfolgt die Entjcheidung 
durch den Amtsrichter, in deſſen Bezirk die Bejchlagnahme jtattgefunden hat. 


Sit nach erhobener öffentlicher Klage die Beſchlagnahme durch die 
Staatsanwaltichaft oder einen Polizei» oder Sicherheitsbeamten erfolgt, jo iſt 
binnen drei Tagen dem Nichter von der Beichlagnahme Anzeige zu machen 
und find demfelben die in Beichlag genommenen Gegenftände zur Verfügung 
zu ftellen. 

In den Fällen von Abfag 2 und 3 hat die Polizeibehörde rechtzeitig 

Beriht an die Staatsanwaltfchaft oder das Amtsgericht zu erſtatten. 


Beichlagnahmen in militärischen Dienjtgebäuden, zu welchen auch Kriegs— 
fahrzeuge gehören, erfolgen durch Erfuchen der Militärbehörde, und auf Ver— 
langen der Zivilbehörde (Nichter, Staatsanwaltichaft) unter deren Mitwirkung. 
Des Erjuchens der Militärbehörde bedarf es jedoch nicht, wenn die Beichlag- 
nahme in Räumen vorzunehmen it, weiche in militärischen Dienjtgebäuden 
ausschlieglich von Zivilperſonen bewohnt werden. 

Gefahr im Verzuge liegt vor, wenn die Befürchtung begründet iſt, eine 
Berzögerung Fönne den Zwed der Beichlagnahme vereiteln. Ob dies der Fall 
ift, entjcheiden Staatsanwaltichait und Polizeibehörde bezw. der einzelne mit 
der Sache befaßte Beamte felbft. Es handelt fih infoweit nur um Beichlag- 
nahme in einem Strafverfahren. Unberührt bleibt die Befugnis dev Polizei— 
beamten, aus ſicherheits- und wohlfahrtspolizeilihen Gründen unter den 
erforderlichen VBorausfegungen Gegenftände in Gewahrjan zu nehmen. 


Beihlagnahme von Poftfendungen und Zelegrammen. 

8 99. BZuläffig it die Beichlagnahme der an den Belchuldigten ge: 
richteten Briefe und Sendungen auf der Poſt jowie der an ihn gerichteten 
Telegramme auf den Telegraphenanitalten; desgleichen iſt zuläſſig an den 
bezeichneten Orten die Bejichlagnahme ſolcher Briefe, Sendungen und Tele: _ 
gramme, in betreff derer Tatjachen vorliegen, aus welchen zu jchließen ift, day 
fie von dem Beichuldigten herrühren oder für ihn bejtimmt find und daß ihr 
Inhalt für die Unterfuchung Bedeutung habe. 


$ 100. Zu der Beichlagnahme ($ 99) iſt nur der Richter, bei Gefahr 
im Verzug und, wenn die Unterfuchung nicht bloß eine Lebertretung betrifit, 
auch die Staatsanwaltichaft befugt. Die legtere muß jedoch den ihr aus: 
gelieferten Gegenjtand ſofort, und zwar Briefe und andere Poſtſendungen 
uneröffnet, dem Richter vorlegen. 





” * 


64 I. Strafprozeßordnung. — Erſtes Buch. — 8. Abſchnitt. 


Die von der Staatsanwaltſchaft verfügte Beſchlagnahme tritt, auch wenn 
ſie eine Auslieferung noch nicht zur Folge gehabt hat, außer Kraft, wenn ſie 
nicht binnen drei Tagen von dem Richter beſtätigt wird. 

Die Entſcheidung über eine von der Staatsanwaltſchaft verfügte Beichlag- 
nahme jowie über die Eröffnung eines ausgelieferten Briefe oder einer 
anderen Poſtſendung erfolgt durch den zujtändigen Richter ($ 98). 

Zur Beichlagnahme der Briefe, Poftiendingen und Telegramme auf 
der Poit und den Telegraphenanftalten iſt die Polizeibehörde und der Polizei— 
beamte niemals befugt. Erſcheint fie der Polizeibehörde dringend notwendig, 
jo hat fie der Staatsanwaltichaft oder dem Amtsgericht ſchleunigſt Mitteilung 
zu machen. 


8 101. Bon den getroffenen Maßregeln ($$ 99, 100) find die Be— 
teiligten zu benachrichtigen, jobald dies ohne Gefährdung des Unterjuchungs- 
zweckes geſchehen fann. 

Sendungen, deren Eröffnung nicht angeordnet worden, ſind den Be— 
teiligten ſofort auszuantworten. Dasſelbe gilt, ſoweit nach der Eröffnung 
die Zurückbehaltung nicht erforderlich iſt. 

Derjenige Teil eines zurückbehaltenen Briefes, deſſen Vorenthaltung nicht 
durch die Rückſicht auf die Unterſuchung geboten erſcheint, iſt dem Empfangs— 
berechtigten abſchriftlich mitzuteilen. 

Durchſuchung. 
Zulãſſigkeit. 

$ 102. Bei demjenigen, welcher als Täter oder Teilnehmer einer ſtraf— 
baren Handlung oder als Begünjtiger oder Hehler verdächtig ift, kann eine 
Durhjuhung der Wohnung und anderer Räume, jowie jeiner Berjon und 
der ihm gehörigen Sachen, jowohl zum Zwecke jeiner Ergreifung, als auch 
dann vorgenommen werden, wenn zu vermuten ijt, dab die Durchfuchung zur 
Auffindung von Beweismitteln führen werde. 


$ 105. Bei anderen Berjonen find Durchſuchungen nur behufs der 
Ergreiftung des Beichuldigten oder behufs der Verfolgung von Spuren einer 
itrafbaren Handlung oder behufs der Beichlagnahme beitimmter Gegenjtände | 
und nur dann zuläfjig, wenn Tatjachen vorliegen, aus denen zu jchließen tft, 
daß die gefuchte Perſon, Spur oder Sade jich in den zu durchjuchenden 
Näumen befinde. 

Diefe Beſchränkung findet feine Anwendung auf die Räume, in welchen 
der Beſchuldigte ergriffen worden iſt oder welche er während der Verfolgung 


Be | 





II. Strafprozeßordnung. — Erſtes Bad, — 8. Abſchnitt. 65 


betreten hat, oder in welchen eine unter Bolizeiaufficht ftehende Perſon wohnt 
oder ſich aufhält. 
Beihräntung hinſichtlich der Zeit. 

s 104. Zur Nachtzeit dürfen die Wohnung, die Gejchäftsräume und 
das befriedete Beſitztum nur bei Verfolgung auf frifcher Tat oder bei Gefahr 
im Verzug oder dann durchjucht werden, wenn es ſich um die Wiederergreifung 
eines entwichenen Gefangenen handelt. 

Diefe Beſchränkung findet feine Anwendung auf Wohnungen von Per: 
jonen, welche unter Bolizeiaufficht ftehen, jowie auf Räume, welche zur Nacht- 
zeit jedermann zugänglicd; oder welche der Polizei als Herbergen oder Ber: 
jammlungsorte bejtrafter Berfonen, als Niederlagen von Sachen, welche mittels 
jtrafbarer Handlungen erlangt find, oder als Schlupfmwinfel des Glückſpiels 
oder gewerbsmäßiger Unzucht befannt find. 

Die Nachtzeit umfaßt in dem Zeitraume vom 1. April bis 30. Sep- 
tember die Stunden von 9 Uhr abends bis 4 Uhr morgens und in dem 
Beitraume vom 1. Oftober bis 31. März die Stunden von Y Uhr abends bis 
6 Uhr morgens. 

Berfahren. 

s 105. Die Anordnung von Durchſuchungen jteht dem Richter, bei 
Gefahr im Verzug auch der Staatsanwaltjchaft und denjenigen Polizei» und 
Sicherheitsbeamten zu, welche als Hülfsbeamte der Staatsanwaltjchaft den 
Anordnungen derjelben Folge zu leijten haben. 

Wenn eine Durchſuchung der Wohnung, der Gejchäftsräume oder des 
befriedeten Bejigtums ohne Beijein des Richters oder des Staatsanwalts 
jtattfindet, jo jind, wenn dies möglich, ein Gemeindebeamter oder zwei Mit— 
glieder der Gemeinde, in deren Bezirk die Durchſuchung erfolgt, zuzuziehen. 
Die ald Gemeindemitglieder zugezogenen Perſonen dürfen nicht Polizei» oder 
Sicherheitsbeamte jein. 

Die in den vorjtehenden Abjägen angeordneten Beichränfungen der 
Durchſuchung finden feine Anwendung auf die im $ 104 Ab. 2 bezeichneten 
Wohnungen und Räume, 

Durchjuchungen in militärischen Dienjtgebäuden erfolgen durch Erjuchen 
der Militärbehörde, und auf Verlangen der Zivilbehörde (Michter, Staats— 
anmwaltichaft) unter deren Mitwirkung. Des Erfuchens der Militärbehörde 


bedarf e3 jedoch nicht, wenn die Durchjucjhung von Räumen vorzunehmen tft, 
5 


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66 II. Strafprozehordnung. — Erited Buch. — 8. Abjchnitt. 


welche in militärischen Dienftgebäuden ausjchlieglich von Zivilperfonen bewohnt 
werden. 
Gefahr im Verzuge |. $ 98. Die Polizeibehörde ift am die Beftimmungen 
diefes Abſchnitts gebunden. 

$ 106. Der Inhaber der zu durchjuchenden Räume oder Gegenftände 
darf der Durchfuchung beivohnen. Iſt er abwesend, jo ijt, wenn Dies mög— 
(ich, fein Vertreter oder ein erwachſener Angehöriger, Hausgenofje oder Nach— 
bar zuzuziehen. 

Dem Inhaber oder der in deſſen Abwejenheit zugezogenen Perſon it 
in den Fällen des 8 103 bj. 1 der Zwed der Durchſuchung vor deren 
Beginn befannt zu machen. Dieje Vorjchrift findet feine Anwendung auf die 
Inhaber der im S 104 Abſ. 2 bezeichneten Räume. 


$ 107. Dem von der Durchſuchung Betroffenen ijt nach deren Be— 
endigung auf Verlangen eine jchriftliche Mitteilung zu machen, welche den 
Grund der Durhjuchung ($$ 102, 103) ſowie im Falle des 8 102 die jtraf- 
bare Handlung bezeichnen muß. Auch it demjelben auf Verlangen ein Ver— 
zeichnis der in Verwahrung oder in Beichlag genommenen Gegenftände, falls 
aber nichts Verdächtiges gefunden wird, eine Bejcheinigung hierüber zu geben. 


Immer nur auf Verlangen. 


8 108. Werden bei Gelegenheit einer Durchjuchung Gegenjtände ge— 
funden, welche zwar in feiner Beziehung zu der Unterjuchung stehen, aber auf 
die erfolgte Berübung einer anderen jtrafbaren Handlung hindeuten, fo jind 
diefelben einjtweilen in Bejchlag zu nehmen. Der Staatsanwaltjchaft iſt hier- 
von Kenntnis zu geben. 


$ 109. Die in Verwahrung oder in Bejchlag genommenen Gegenjtände 
jind genau zu verzeichnen und zur Verhütung von Vermwechjelungen durch 
amtliche Siegel oder in jonjt geeigneter Weiſe kenntlich zu machen. 


Erforderlichenfalls ſchon bei der Polizeibehörde. 


Durdfidt der Papiere. 
s 110. Eine Durcchjicht der Papiere des von der Durchſuchung Be- 
— ſteht nur dem Richter zu. 
Andere Beamte ſind zur Durchſicht der aufgefundenen Pabiere nur dann 
befugt, wenn der Inhaber derſelben die Durchſicht genehmigt. Anderenfalls 
haben ſie die Papiere, deren Durchſicht ſie für geboten erachten, in einem 


I. Strafprogehordnung. — Erſtes Bud. — 8. und 9. Abſchnitt. 67 


Umjchlage, welcher in Gegenwart des Inhabers mit dem Amtsfiegel zu ver- 
jchließen ift, an den Richter abzuliefern. 

Dem Inhaber der Papiere oder deijen Vertreter ijt die Beidrüdung 
feines Siegels gejtattet; auch it er, falls demnächſt die Entjiegelung und 
Durchſicht der Papiere angeordnet wird, wenn dies möglich, aufzufordern, der: 
jelben beizumohnen. 


Der Richter hat die zu einer jtrafbaren Handlung in Beziehung ſtehenden 
Papiere der Staatsanwaltjchaft mitzuteilen. | 
Der Polizeibeamte ift zur Durchſicht der Schriftjtüde nur mit Ges 
nehmigung von deren Inhaber befugt. Dann Berfchluß in einem Umfchlage 

nicht nötig. 

ö Zurüdgabe der Gegenftände. 

s 111. Gegenftände, welche durch die ftrajbare Handlung dem Ver— 
festen entzogen wurden, find, falls nicht Anſprüche Dritter entgegenftehen, 
nach Beendigung der Unterfuchung und geeignetenfall$ jchon vorher von Amts» 
wegen dem Berlegten zurüdzugeben, ohne daß es eines Urteils hierüber bedarf. 

Den Beteiligten bleibt die Geltendmachung jeiner Rechte im Zivilverfahren 
vorbehalten. 

9. Abſchnitt. 
Derhaftung und vorläufige Feſtnahme. 

Verhaftung it Freiheitsentziehung zufolge vichterlicher Anordnung, vor: 
fäufige Feftnahme Freiheitsentziehung ohne folche, beide zum Zwede der Straf: 
verfolgung. Bon beiden find zu fcheiden die polizeiliche Eiftierung und Feſt— 
nahme auf Grund der den Polizeibehörden zuftehenden Erekutivgewalt. 

Verhaftung zufolge rihterliher Anordnung. 
Zulã ſſigkeit. 

s 112. Der Angeſchuldigte darf nur dann in Unterſuchungshaft ge— 
nommen werden, wenn dringende VBerdachtsgründe gegen ihn vorhanden find 
und entweder er der Flucht verdächtig ijt oder Tatjachen vorliegen, aus denen 
zu jchließen ift, daß er Spuren der Tat vernichten oder daß er Zeugen oder 
Mitjchuldige zu einer faljchen Ausſage oder Zeugen dazu verleiten werde, ſich 
der Zeugnispflicht zu entziehen. Dieje Tatjachen find aftenfundig zu machen. 

Der Verdacht der Flucht bedarf feiner weiteren Begründung: 

1. wenn ein Verbrechen den Gegenjtand der Unterfuchung bildet; 
2. wenn der Angefchuldigte ein Heimatlofer oder Landjtreicher oder 


nicht imftande ift, fich über jeine Perjon auszuweiſen; 
5* 


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68 II. Strafprozegordnung. — Erites Buch. — 9. Abjchnitt. 


3. wenn der Angefchuldigte ein Musländer it und gegründeter Zweifel 
beſteht, daß er ſich auf Ladung vor Gericht ftellen und dem 
Urteile Folge leiften werde. 

s 113. Iſt die Tat nur mit Haft oder mit Geldftrafe bedroht, jo 
darf die Unterjuchungshaft nur wegen Verdachts der Flucht und nur dann 
verhängt werden, wenn der Angejchuldigte zu den im $ 112 Nr. 2 oder 3 
bezeichneten Berfonen gehört, oder wenn derfelbe unter Bolizeiaufficht ſteht, oder 
wenn 83 jich um eine Ulebertretung handelt, wegen deren die Ucberweilung 
an die Landespolizeibehörde erkannt werden fann. 

Saftbefcht nad Erhebung der Öffentlihen Klage. 

8 114. Die Verhaftung erfolgt auf Grund eines jchriftlichen Haft: 
befehls des Richters. 

In dem Haftbefehl iſt der Angefchuldigte genau zu bezeichnen und Die 
ihm zur Laſt gelegte ftrafbare Handlung ſowie der Grund der Verhaftung 
anzugeben. 

Dem Angeichuldigten ijt der Haftbefehl bei der Verhaftung und, wenn 
dies nicht tunlich iſt, jpäteftens am Tage nach jeiner Einlieferung in das 
Gefängnis nach Vorſchrift des $ 35 befannt zu machen und zu eröffnen, 
daß ihm das Rechtsmittel der Beſchwerde zuitche. 

Verhör des Verhafteten. 

8 115. Der Verhaftete muß ſpäteſtens am Tage nach ſeiner Ein— 
lieferung in das Gefängnis durch einen Richter über den Gegenſtand der 
Beſchuldigung gehört werden. 

Vollſtrekung der Unterfuhungshaft. 

S 116. Der VBerhaftete joll, joweit möglich, von Anderen gejondert und 
nicht in demjelben Raume mit Strafgefangenen verwahrt werden. Mit jeiner 
Zuftimmung fann von diefer Vorſchrift abgejehen werden. 

Dem Berhafteten dürfen nur folche Beichränfungen auferlegt werden, 
welche zur Sicherung des Zwedes der Haft oder zur Aufrechthaltung der 
Drdnung im Gefängniffe nomvendig find. 

Bequemlichkeiten und Befchäftigungen, die dem Stande und den Ver: 
mögensverhältnijjen des Verhafteten entjprechen, darf er ſich auf feine Koften 
verjchaffen, joweit fie mit dem Zwecke der Haft vereinbar find und weder die 
Drdnung im Gefängnifje jtören, noch die Sicherheit gefährden. 

Teffeln dürfen im Gefängniffe dem Verhafteten nur dann angelegt 
werden, wenn es wegen bejonderer Gefährlichkeit feiner Perſon, namentlich 


II. Strafprogehordnung. — Erftes Bud. — 9. Abjchnitt. 69 


zur Sicherung Anderer erforderlich ericheint, oder wenn er einen Selbjt- 
entleibungd- oder Entweichungsverfuch gemacht oder vorbereitet hat. Bei der 
Hauptverhandlung foll er ungefefjelt jein. 

Die nah Maßgabe vorjtehender Beitimmungen erforderlichen Verfügungen 
hat der Richter zu treffen. Die in dringenden Fällen von anderen Beamten 
getroffenen Anordnungen unterliegen der Genehmigung des Nichters. 


Freilafiung gegen Sicherheitsleiftung. 
$ 117. Gin Angefchuldigter, dejien Berhaftung Tediglich wegen des 
Verdacht der Flucht angeordnet it, kann gegen Sicherheitsleiftung mit Der 
Unterjuchungshaft verjchont werden. 


s 118. Die Sicherheitsleiftung ift durch Hinterlegung in barem Gelde 
oder in Wertpapieren oder durch Pfandbeftellung oder mittel3 Bürgjchaft ge: 
eigneter Perſonen zu bewirken. 


Die Höhe und die Urt der zu leiftenden Sicherheit wird von dem 
Richter nach freiem Ermefjen feſtgeſetzt. 


$ 119. Der Angeſchuldigte, welcher ſeine Freilaſſung gegen Sicherheits— 
leiſtung beantragt, iſt, wenn er nicht im Deutſchen Reich wohnt, verpflichtet, 
eine im Bezirk des zuſtändigen Gerichts wohnhafte Perſon zur Empfangnahme 
von Zuſtellungen zu bevollmächtigen. 


Ss 120. Der Sicherheitsleiſtung ungeachtet iſt der Angeſchuldigte zur 
Haft zu bringen, wenn er Anstalten zur Flucht trifft, wenn er auf ergangene 
Ladung ohne genügende Entjchuldigung ausbleibt, oder wenn neu hervor: 
getretene Umjtände feine Verhaftung erforderlich machen. 

Nötigenfalls Beobachtung durch die Polizeibehörde zweckmäßig. 


8 121. Cine noch nicht verfallene Sicherheit wird frei, wenn der In: 
geichuldigte zur Haft gebracht, oder wenn der Haftbefehl aufgehoben worden 
it, oder wenn der Antritt der erfannten Freiheitsitrafe erfolgt. 

Diejenigen, welche für den Angejchuldigten Sicherheit geleitet haben, 
fünnen ihre Befreiung dadurch herbeiführen, daß jie entweder binnen einer 
vom Gerichte zu bejtimmenden Friſt die Gejtellung des Angejchuldigten be— 
wirfen, oder von den Tatjachen, welche den Verdacht einer vom Angejchuldigten 
beabfichtigten Flucht begründen, rechtzeitig dergeftalt Anzeige machen, daß die 
Verhaftung bewirkt werden fann. 


0 1, Strafprozekordnung. — Erfted Bud. — 9. Abſchnitt. 


s 122, Cine noch nicht frei gewordene Sicherheit verfällt der Stants- 
fafje, wenn der Angefchuldigte jich der Unterfuchung oder dem Antritt der 
erfannten Freiheitsſtrafe entzieht. 

Vor der Entjcheidung find der Angejchuldigte ſowie diejenigen, welche 
für den Angejchuldigten Sicherheit geleiftet haben, zu einer Erklärung aufzu- 
fordern. Gegen die Entjcheidung fteht ihnen nur die jofortige Beſchwerde 
zu. Bor der Entjcheidung über die Bejchwerde ijt den Beteiligten und der 
Staatsanwaltichaft Gelegenheit zur mündlichen Begründung ihrer Anträge, 
jowie zur Erörterung über ftattgehabte Ermittelungen zu geben. 

Die den Verfall ausiprechende Entjcheidung hat gegen diejenigen, welche 
für den Angejchuldigten Sicherheit geleistet haben, die Wirkungen eines von 
dem Zivilrichter erlaffenen, für vorläufig volljtredbar erklärten Endurteils, 
und nad) Ablauf der Beichwerdefrift die Wirkungen eines rechtöfräftigen Zivil— 
endurteils. 

— des Haftbefehls. 
$s 123. Der Haftbefehl it aufzuheben, wenn der in demſelben an— 
— Grund der Verhaftung weggefallen iſt, oder wenn der Angeſchuldigte 
freigeſprochen oder außer Verfolgung geſetzt wird. 

Durch Einlegung eines Rechtsmittels darf die Freilaſſung des An— 
geſchuldigten nicht verzögert werden. 

Zuſtändigkeit für die Entfheidungen. 
$ 124. Die auf die Unterſuchungshaft, einſchließlich der Sicherheits— 
leiſtung, bezüglichen Entſcheidungen werden von dem zuſtändigen Gericht 
erlaſſen. 

In der Vorunterſuchung iſt der Unterſuchungsrichter zur Erlaſſung des 
Haftbefehls und mit Zuſtimmung der Staatsanwaltſchaft auch zur Aufhebung 
eines ſolchen ſowie zur Freilaſſung des Angeſchuldigten gegen Sicherheits— 
leiſtung befugt. Verſagt die Staatsanwaltſchaft dieſe Zuſtimmung, jo hat der 
Unterſuchungsrichter, wenn er die beanſtandete Maßregel anordnen will, un— 
verzüglich, ſpäteſtens binnen vierundzwanzig Stunden, die Entſcheidung des 
Gerichts nachzuſuchen. 

Die gleiche Befugnis hat nach Eröffnung des Hauptverfahrens in 
dringenden Fällen der Vorſitzende des erkennenden Gerichts. 

Haftbefehl vor Erhebung der öffentlichen Klage. 

8 125. Much vor Erhebung der öffentlichen Klage fann, wenn ein zur 

Erlaffung eines Haftbefehls berechtigender Grund vorhanden ijt, vom Amts— 


II. Strafprogehordnung. — Erjted Bud. — 9. Abſchnitt. 7 


richter auf Antrag der Staatsanwaltjchaft oder, bei Gefahr im Werzuge, von 
Amtswegen ein Haftbefehl erlaffen werden. 

Zur Erlaffung diejes Haftbefehld und der auf die Unterfuchungshaft, 
einjchlieglich der Sicherheitsleiftung, bezüglichen Entjcheidungen ift jeder Amts— 
richter befugt, in deſſen Bezirk ein Gerichtsftand für die Sache begründet 
iſt oder der zu Verhaftende betroffen wird. 


Die Beitimmungen der 88 114—123 finden entjprechende Anwendung, 


$ 126. Der vor Erhebung der öffentlichen Klage erlafjene Haftbefehl 
ijt aufzuheben, wenn die Staatsanwaltjchaft es beantragt, oder wenn nicht 
binnen einer Woche nad) Vollſtreckung des Haftberehls die öffentliche Klage 
erhoben und die Fortdauer der Haft von dem zujtändigen Richter angeordnet, 
auch diefe Anordnung zur Kenntnis des Amtsrichters gelangt iſt. 

Wenn zur Vorbereitung und Erhebung der öffentlichen Klage die Friſt 
von einer Woche nicht genügt, jo kann dieſelbe auf Antrag der Staatsanwalt: 
Ichaft vom Amtsrichter um eine Woche und, wenn es jich um ein Verbrechen 
oder Vergehen handelt, auf erneuten Antrag der Staatsanwaltichaft um fernere 
zwei Wochen verlängert werden. 


Vorläufige Feſtnahme durch die Polizeibehörde. 

Zulaſſigteit. 
$s 127. Wird jemand auf friſcher Tat betroffen oder verfolgt, jo 
ijt, wenn er der Flucht verdächtig ijt oder feine Perfönlichkeit nicht jofort 
jejtgejtellt werden fann, jedermann befugt, ihn auch ohne richterlichen Befehl 

vorläufig feſtzunehmen. 

Jedermann: aud jeder Privatmann; natürlich erſt vecht der Polizei— 
beamte. Der Fluchtverdacht ift nad $ 112 Ab. 2 ohme weiteres begründet. 

Die Staatdanwaltichaft und die Polizei» und Sicherheitsbeamten find 
auch dann zur vorläufigen Feſtnahme befugt, wenn die Vorausfegungen eines 
Haftbefehls vorliegen und Gefahr im Verzuge obwaltet. 

Bei Itrafbaren Handlungen, deren Verfolgung nur auf Antrag eintritt, 
ift die vorläufige Feltnahme von der Stellung eines folchen Antrags nicht 
abhängig. 

Gefahr im Berzuge 1. $ 98. Die Borausfegungen des Haftbefehls 
enthält $ 112. Ob fie vorliegen, entjcheiden Staatsanwaltichaft und Polizei— 


behörde bezw. dev einzelne mit der Sache befaßte Beamte ſelbſt. Herbeiziehung 
von Strafantrag ſofort nad) Verhaftung. 


UL 2ucläulie, „se en 


72 Il. Strafprozeßordnung. — Erjtes Bud. — 9. Abjchmitt. 


Berfahren. 

Ss 128. Der Feſtgenommene ijt unverzüglich, jofern er nicht wieder in 
Freiheit gejegt wird, dem Amtsrichter des Bezirks, in welchem die Feſtnahme 
erfolgt ift, vorzuführen. Der Amtsrichter hat ihm jpäteftend am Tage nad) 
der Vorführung zu vernehmen. 

Die Zuführung feiten der Polizei hat unverzüglid zu erfolgen, d. h. 
ohne Verzug, nachdem die notwendigften Unterlagen für die Beurteilung des 

Tatverdachtes für den Richter beſchafft find. 


Hält der Amtsrichter die Feſtnahme nicht für gerechtfertigt oder Die 
Gründe derjelben für bejeitigt, jo verordnet er die Freilaſſung. Anderenfalls 
erläßt er einen Haftbefehl, auf welchen die Beitimmungen des $ 126 An— 
wendung finden. 


s 129. Iſt gegen den Feſtgenommenen bereits die öffentliche Klage 
erhoben, jo ift derjelbe entweder fofort, oder auf Verfügung des Amtsrichters, 
welchem derjelbe zunächjt vorgeführt worden, dem zuftändigen Gericht oder 
Unterjudjungsrichter vorzuführen, und haben dieje jpäteitens am Tage nad) 
der Vorführung über Freilaſſung oder Verhaftung des Feitgenommenen zu 
entjcheiden. 

$ 150. Wird wegen Verdachts einer jtrafbaren Handlung, deren Ber: 
folgung nur auf Antrag eintritt, ein Haftbefehl erlajien, bevor der Antrag 
geitellt ijt, fo ift der Antragsberechtigte, von mehreren wenigftens einer der— 
jelben, jofort von dem Erlaß des Haftbefehls in Stenntnis zu fegen. Auf den 
Haftbefehl finden die Beitimmungen des $ 126 gleichfalls Anwendung. 

Die Polizeibehörde jegt zwedmäßig den Antragsberedhtigten in Stenntnis 
und zieht den Strafantrag herbei, wenn fie die Verhaftung bewirkt hat. 
Stedbriefe. 

s 131. Auf Grund eines Haftbefehls fünnen von dem Richter jowie 
von ter Staatsanwaltichaft Stedbriefe erlafjen werden, wenn der zu Ver: 
haftende flüchtig ijt oder fich verborgen hält. 

Ohne vorgängigen Haftbefehl iſt eine jtedbriefliche Verfolgung nur dann 
jtatthaft, wenn ein Feſtgenommener aus dem Gefängnifje entweicht oder ſonſt 
fi) der Bewadhung entzieht. In diefem Falle find auch die Polizeibehörden 
zur Erlafjung des Stedbriefs befugt. 

Der Steckbrief ſoll, ſoweit dies möglich, eine Bejchreivdung des zu Ver— 
haftenden enthalten und die demjelben zur Laſt gelegte ftrafbare Handlung 
jowie das Gefängnis bezeichnen, in welches die Ablieferung zu erfolgen hat. 


U. Strafprozeßerdnung. — Erftes Buch. — 9. und 10. Abſchnitt. 3 


Borführung eines Ergriffenen. 
$ 132. It jemand auf Grund eines Haftbefehl oder eines Sted- 
brief3 ergriffen worden, und kann er nicht ſpäteſtens am Tage nach der Er- 
greifung vor dem zujtändigen Nichter geftellt werden, jo ijt er auf fein Ber- 
fangen jofort dem nächſten Amtsrichter vorzuführen. 

Seine Vernehmung it jpätefteng am Tage nach der Ergreifung zu 
bewirken. Weiſt er bei der Vernehmung nad, dab er nicht die verfolgte 
Perſon, oder daß die Verfolgung durch die zuftändige Behörde wieder auf- 
gehoben jei, jo hat der Amtsrichter feine Freilaffung zu verfügen. 


10. Abſchnitt. 
Dernehmung des Belchuldigten. 


2adung. 

8 133. Der Beichuldigte ift zur Vernehmung jchriftlich zu laden. 

Die Yadung kann unter der Androhung geichehen, daß im alle des 
Ausbleibens feine Vorführung erfolgen werde, 

Der Beichuldigte kann zur Ausſage überhaupt nicht gezwungen werden, 
weder vom Richter noch vom Staatsanwalt noch von der Polizei. Zur Feit- 
ftellung des Sachverhaltes kann die Polizei den Beihuldigten filtieren, ins- 
bejondere auch zur Feſtſtellung feiner Perjönlichkeit. 

Borführung. 

s 134. Die fofortige Vorführung des Bejchuldigten kann verfügt 
werden, wenn Gründe vorliegen, welche die Erlafjung eines Haftbejehls recht: 
fertigen würden. 

In dem Vorführungsbefehle ift der Bejchuldigte genau zu bezeichnen 
und die ihm zur Lajt gelegte jtrafbare Handlung jowie der Grund der Vor: 
führung anzugeben. 

Bernehmung. 
$s 135. Der Vorgeführte it jofort von dem Nichter zu vernehmen. 
Iſt dies nicht ausführbar, jo kann er bis zu jeiner Bernehmung, jedoch nicht 
über den nächitfolgenden Tag hinaus, feitgehalten werden. 


$ 136. Bei Beginn der erjten Vernehmung it dem Beichuldigten zu 
eröffnen, welche ftrafbare Handlung ihm zur Laſt gelegt wird. Der Be- 
ſchuldigte ift zu befragen, ob er etwas auf die Beichuldigung erwidern wolle. 





74 U. Strafprogefordnung. — Erites Buch. — 10., 11. Abſchnitt. — Zweites Buch. — 1. Abſchnitt. 


Die Bernehmung jol dem Beichuldigten Gelegenheit zur Bejeitigung 
der gegen ihn vorliegenden Verdachtsgründe und zur Geltendmachung der zu 
feinen Gunften jprechenden Tatjachen geben. 

Bei der erjten Vernehmung des Bejchuldigten ijt zugleich auf die Er- 
mittelung feiner perjönlichen Verhältnifje Bedacht zu nehmen. 

Der Polizeibeamte ift bei VBernehmung eines Beichuldigten an die Vor— 

Schrift in Abjag 1 nicht gebunden ; der Vorschrift in Abſatz 2 wird er zwechk— 

mäßigerweife nachgehen. 


11. Abſchnitt. 


Derteidigung. 


ss 137—150 behandeln die Zuläffigfeit und Notwendigkeit der Ber: 
teidigung, die Befugnis zur Führung der Verteidigung, die Befugnifje und 
Gebühren des VBerteidigers und die Folgen des Ausbleibens des Verteidigers 
jowie Bejtimmungen über die fogenannten Beiltandsperjonen. 


| Sweites Bud. 
Verfahren in eriter Inſtanz. 


1. Abſchuitt. 
Oeffentliche lage. 
ss 151—154. (Auszug) Vorausfegungen einer gerichtlichen Unter: 
juchung, Behörde für Erhebung der öffentlichen Klage. 
s 155 Im Sinne diejes Geſetzes iſt: 
Angeſchuldigter der Beſchuldigte, gegen welchen die öffentliche Klage 
erhoben iſt, 
Angeklagter der Beſchuldigte oder Angeſchuldigte, gegen welchen 
die Eröffnung des Hauptverfahrens beſchloſſen iſt. 


Bis zur Erhebung der öffentlichen Klage wird alſo der Täter „Be— 
ſchuldigter“ genannt. Es iſt wünſchenswert, daß auch der Polizeibeamte in 
ſeinen Anzeigen und Berichten dieſe 3 Bezeichnungen auseinander hält. 


Il. Strafprozeßordnung. — Zweites Bud. — 2. Abichnitt. 75 


2. Abſchnitt. 
Vorbereitung der öffentlichen Klage. 


Anzeige ftrafbarer Sandlungen. Straſantrag. 

z 156. Anzeigen ftrafbarer Handlungen oder Anträge auf Strafver- 
folgung fünnen bei der Staatsanwaltichaft, den Behörden und Beamten des 
Polizeis und Sicherheitsdienjtes und dem Amtsgerichten mündlich oder jchriftlich 
angebracht werden. Die mündliche Anzeige ijt zu beurfunden. 

Yei jtrafbaren Handlungen, deren Verfolgung nur auf Antrag eintritt, 
muß der Antrag bei einem Gericht oder der Staatsanwaltichaft jchriftlich oder 
zu Protofoll, bei einer anderen Behörde jchriftlich angebracht werden. 

Eine Forn, insbefondere die protofollarifche, ift für die Beurkundung 
der mündlichen Anzeige nicht vorgejchrieben ; es genügt Beridhtsform ohne 
Vorleſung und ohme Unterichrift des Anzeigeerftatters. Der bei der Polizei 
geftellte Strafantrag muß ftet3 vom Antragfteller unterſchrieben jein, während 
diefer den fonftigen Wortlaut des Strafantrags nicht felbft zu fchreiben braucht. 
Statt der Unterfchrift genügt event. Unterfreuzung, Stempelung. 
$ 157. Sind Anhaltspunkte dafür vorhanden, daß jemand cines nicht 

natürlichen Todes gejtorben it, oder wird der Leichnam eines Unbekannten 
gefunden, jo find die Polizei- und Gemeindebehörden zur jofortigen Anzeige 
an die Staatsanwaltjchaft oder an den Amtsrichter verpflichtet. 

Die Beerdigung darf nur auf Grund einer fchriftlichen Genehmigung 
der Staatsanwaltjchaft oder des Amtsrichters erfolgen. 


Borbereitungöverfahren. 
$ 158. Sobald die Staatsanwaltichaft durch eine Anzeige oder auf 
anderem Wege von dem Verdacht einer jtrafbaren Handlung Kenntnis erhält, 
bat jie behufs ihrer Entjchliegung darüber, ob die öffentliche Klage zu erheben 
jei, den Sachverhalt zu erforjchen. 

Die Staatsanwaltichaft hat nicht bloß die zur Belaſtung, jondern auch 
die zur Entlajtung dienenden Umftände zu ermitteln und für die Erhebung 
derjenigen Bemweije Sorge zu tragen, deren Verluſt zu bejorgen ſteht. 

Die Stantsanwaltfchaft ift durch das fogenannte Yegalitätsprinzip ver— 
pflichtet, alle ihr befannt gewordenen Straftaten zu verfolgen und deshalb 
auch jeden verdächtigen Sachverhalt zu erforichen. 

s 159. Zu dem im vorjtehenden Paragraphen bezeichneten Zwecke kann 
die Staatsanwaltſchaft von allen Öffentlichen Behörden Ausfunft verlangen und 


76 II. Strajprozehordnung. — Zweites Buch. — 2. und 3. Abjchnitt. 


Ermittelungen jeder Art, mit Ausschluß eidlicher Vernehmungen, entweber jelbjt 
vornehmen oder durch die Behörden und Beamten des Polizei» und Sicherheits- 
dienste vornehmen lafjen. Die Behörden und Beamten des Polizei» und 
Sicherheitsdienftes find verpflichtet, dem Erjuchen oder Auftrage der Staats— 
anmaltjchaft zu genügen. 


$ 160. Erachtet die Staatsanwaltichaft die Vornahme einer richterlichen 
Unterfuchungshandlung für erforderlich, jo jtellt jie ihre Anträge bei dem 
Amtsrichter des Bezirks, in welchem dieje Handlung vorzunehmen tft. 

Der Amtsrichter Hat zu prüfen, ob die beantragte Handlung nach den 
Umftänden des Falles geſetzlich zuläffig iſt. 


8 161. Die Behörden und Beamten des Polizeis und Sicherheitsdienjtes 
haben jtrafbare Handlungen zu erforjchen und alle feinen Aufſchub gejtattenden 
Anordnungen zu treffen, um die Verdunfelung der Sache zu verhüten. 


Sie überjenden ihre Verhandlungen ohne Verzug der Staatsanwaltjchaft. 
Erjcheint die fchleunige Vornahme richterlicher Unterjuchungshandlungen er— 
forderlich, jo fann die Ueberfendung unmittelbar an den Amtsrichter erfolgen. 

Siehe Zeugenvernehmung, Beichlagnahme, Durchſuchung, Bernehmung des 
Beichuldigten, vorläufige Feſtnahme, Ucberiendung dev Berhandlungen an die 
örtlich und fachlich zuftändige Staatsanwaltichaft oder das örtlich zuftändige 
Amtsgericht. 

Die Polizeibehörde ijt zur Weitergabe einer Anzeige und ihrer Er- 
örterungen an die Staatsanwaltichaft verpflichtet, wenn ein Verbrechen 
oder Vergehen beanzeigt ift. Ob dies der Fall fei, enticheidet fie zwar jelbft. 
Im Zweifel hat fie aber die Weitergabe zu verfügen. 
ss 162—167 betreffen Beſtimmungen über richterliche Unterſuchungs— 

handlungen. 


ss 168—175. (Auszug) Ergebnis des Vorbereitungsverfahrend. Gegen 
ablehnende Entjchliegungen der Staatsanwaltjchaft Bejchwerde bei dem vor- 
gejegten Staatsanwalt und Antrag auf Enticheidung des Oberlandesgerichts 
oder Reichsgerichts. 


3. Abſchnitt. 
Gerichtliche Vorunterſuchung. 
Notwendigkeit, Zuläſſigkeit, Unzuläſſigkeit. 


8 176. Die Vorunterſuchung findet in denjenigen Strafſachen ſtatt, 
welche zur Zuſtändigkeit des MNeichsgerichts oder der Schwurgerichte gehören. 


1. Strafprozehordnung. — Zweites Buch — 3. und 4. Abjchnitt. 27 


In denjenigen Straffachen, welche zur Zuftändigfeit der Landgerichte 
gehören, findet die Vorunterfuchung jtatt: 

1. wenn die Staatsanwaltjchaft diefelbe beantragt; 

2. wenn der Angejchuldigte diefelbe in Gemäßheit des $ 199 beantragt 
und erhebliche Gründe geltend macht, aus denen eine Borunter- 
juchung zur Vorbereitung jeiner Verteidigung erforderlich erjcheint. 

In den zur Zujtändigfeit der Schöffengerichte gehörigen Sachen ijt, 
außer dem alle der Verbindung infolge eines Zufammenhanges ($ 5), die 
Vorunterfuchung unzuläffig. 

ss 177— 181 behandeln den Antrag auf Eröffnung der VBorunterfuchung, 
die Gründe, aus welchen er abgelehnt werden fann, den Einwand des Ans 
gejchuldigten gegen die Eröffnung der Vorunterfuchung, das Bejchwerderecht 
der Staatsanmwaltichaft und des Angejchuldigten. 

ss 182—186. (Auszug) Beſtimmung der Perſon des Unterfuchungs- 
richters bei den Landgerichten und dem Neichsgerichte, Form der Beurfundung 
von Unterfuchungshandlungen des Unterjuchungsrichters. 


Mitwirfung der Pollzeis und Sicherheitöbeamten. 
ss 187. Die Behörden und Beamten des Polizei- und Sicherheits- 
dienjtes jind verpflichtet, Erjuchen oder Aufträgen des Unterfuchungsrichters 
um Ausführung einzelner Mafregeln oder um Vornahme von Ermittelungen 
zu genügen. 


ss 188—19. (Auszug) Grenzen der Erörterungen in der Vor: 
unterfuchung, Bernehmung des Angejchuldigten durch den Unterfuchungstichter, 
Nechte des Staatsanwalts und des Angejchuldigten auf Anmwejenheit bei be- 
jtimmten Unterfuchungshandlungen, Abſchluß der Vorunterfuchung auf Beſchluß 
des Unterfuhungsrichters, Antrag der Staatsanwaltichaft auf Ergänzung der 
Unterjuchung. 


4. Abſchnitt. 
Entfcheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens. 


ss 196-210. (MHuszug.) Anklageichrift der Staatsanwaltjchaft: deren 
Zuftellung an den Angejchuldigten mit Friſt zur Erflärung; danach Bejchluß 
des Gerichts entweder auf weitere Ermittlungen zur beijeren Aufklärung der 
Sache oder auf Eröffnung des Hauptverfahrens bei hinreichendem Berdacht 
einer ftrafbaren Handlung oder auf Nichteröfinung des Hauptverfahrens im 
Mangel hinreichenden Verdachts oder auf vorläufige Einjtellung des Ver— 
fahrens bei Abwejenheit oder Geijtesfranfheit des Angejchuldigten. Anfechtung 
von Eröffnungsbejchlüffen nur jeiten der Staatsanwaltichaft zuläſſig. 





78 II. Strafprozegordnung. — Zweites Bud. — 4., 5. und 6. Abjchnitt. 


Beſonderes Verfahren vor dem Schöffengericte. 

g 211. Bor dem Schöffengerichte fann ohne jchriftlich erhobene Anklage 
und ohne eine Entjcheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens zur 
Hauptverhandlung gefchritten werden, wenn der Befchuldigte entweder ſich 
freiwillig jtellt oder infolge einer vorläufigen Feitnahme dem Gerichte vor- 
geführt oder nur wegen Uebertretung verfolgt wird. Der wefentliche Inhalt der 
Anklage iſt in den Fällen der freiwilligen Stellung oder der Vorführung in das 
Sigungsprotofoll, anderenfalls in die Ladung des Bejchuldigten aufzunehmen, 

Auch kann der Amtsrichter in dem Falle der Vorführung des Beichuldigten 
mit Zuftimmung der Staatsanwaltichaft ohne Zuziehung von Schöffen zur 
Hauptverhandlung jchreiten, wenn der Bejchuldigte nur wegen Webertretung 
verfolgt wırd und die ihm zur Laſt gelegte Tat eingejteht. Gegen die im 
Laufe der Hauptverhandlung ergebenden Entfcheidungen und Urteile des Amts: 
richter8 finden diejelben Rechtsmittel ftatt, wie gegen die Enticheidungen und 
Urteile des Schöffengericht®. 


5. Abſchnitt. 


Borbereitung der Hauptverhandinne. 


ss 212— 217. (Auszug) Anberaumung des Termins zur Hauptver- 
bandlung durch den Gerichtsvorjigenden, Ladungen und Herbeiſchaffung der 
Beweismittel durch die Staatdanwaltjchaft. 

ss 218— 221. (Auszug) Antrag des Angeklagten auf Ladung von 
Zeugen oder Sachverftändigen oder Herbeijchaffung anderer Beweismittel; 
Recht des Angeklagten, Zeugen und Sacjverjtändigen unmittelbar zu laden; 
Rechte des Vorfigenden, von Amtswegen die Ladung von Zeugen und Sad): 
verjtändigen und die Herbeilchaffung anderer Beweismittel anzuordnen. 

ss 222—224. (Auszug.) Kommifjarijche Bernehmung von Zeugen und 
Sadjverjtändigen, die in der Hauptverhandlung nicht erjcheinen fünnen; 
fommifjarische Augenfcheinseinnahme. 


6. Abſchnitt. 
Hauptverhandlung. 
$ 225. Die Hauptverhandlung erfolgt in ununterbrochener Gegenwart 
der zur Urteilsfindung berufenen Berfonen jowie der Staatsanwaltichaft und 
eines Gerichtsjchreibers. 
Deffentlichteit der Hauptverhandlung: SS 170—176 G. V. G. Situngs- 
polizei: $$ 177—185 G. B. G. Ort der Hauptverhandlung bei Schtwurgericht : 
vgl. $ 98 8.8.6. 


II. Strafprozegorduung. — Zweites Bud). — Abſchnitt. 79 


ss 226-228. (Auszug.) Ausſetzung und Unterbrechung der Haupt— 
verhandlung. 
Ausbleiben des Augeklagten. 
z 229. Gegen einen ausgebliebenen Angeklagten findet eine Haupt— 
verhandlung nicht jtatt. 
Iſt das Ausbleiben des Angeklagten nicht genügend entjchuldigt, jo it 
die Vorführung anzuordnen oder ein Haftbefehl zu erlaffen. 


$ 230. Der erjchienene Angeklagte darf ſich aus der Verhandlung nicht 
entfernen. Der Vorfigende kann die geeigneten Maßregeln treffen, um die 
Entfernung desjelben zu verhindern; auch fann er ihn während einer Iinter- 
brehung der Verhandlung in Gewahrjam halten Lafjen. 

Entfernt der Angeklagte jich dennoch, oder bleibt er bei der Fortſetzung 
einer unterbrochenen Hauptverhandlung aus, jo fann dieje in feiner Abwejen- 
heit zu Ende geführt werden, wenn jeine Bernehmung über die Anklage jchon 
erfolgt war und das Gericht feine jernere Anweſenheit nicht für erforderlich 
erachtet. 


s 231. Beim Ausbleiben des Angeklagten kann zur Hauptverhandlung 
geichritten werden, wenn die den Gegenitand der Unterfuchung bildende Tat 
nur mit Geldjtrafe, Haft oder Einziehung, allein oder in Berbindung mit 
einander, bedroht ift. 

Sn folchen Füllen muß der Angeklagte in der Ladung auf die Zuläſſigkeit 
diefes Verfahrens ausdrüdlich hingewieſen werden. 


$ 232, Der Angeklagte fann auf feinen Antrag wegen großer Ent- 
fernung feines Aufenthaltsort3 von der Verpflichtung zum Erjcheinen in der 
Hauptverhandflung entbunden werden, wenn nach dem Ermeſſen des Gerichts 
voraussichtlich feine andere Strafe als reiheitsitrafe bis zu ſechs Wochen 
oder Gelditrafe oder Einziehung, allein oder in Verbindung mit einander, 
zu erwarten jteht. 

In diefem Falle muß der Angeklagte, wenn jeine richterliche Bernehmung 
nicht ſchon im Vorverfahren erfolgt ift, durch einen beauftragten oder erfuchten 
Richter über die Anklage vernommen werden. 

Bon dem zum Zwede der Vernehmung anberaumten Termine find die 
Staatsanmwaltichaft und der Verteidiger vorher zu benachrichtigen; ihrer An: 
wejenheit bei der Vernehmung bedarf es nicht. Das Protofoll über die Ver— 
nehmung ijt in der Hauptverhandlung zu verlejen. 


so II. Strafprozehjordnung. — Zweites Buch. — 6. Abichnitt. 


ss 233— 236. (Auszug) Verfahren bei Abwejenheit des Angeklagten; 

Urteilszuſtellung an ihn; Recht auf Wiedereinfegung in den vorigen Stand. 
Amtsverrihtungen des Borfikenden. 

$ 237. Die Leitung der Verhandlung, die VBernehmung des Angeklagten 
und die Aufnahme des Berweijes erfolgt durch den Vorſitzenden. 

Wird eine auf die Sacjleitung bezügliche Anordnung des Vorfigenden 
von einer bei der Verhandlung beteiligten Perſon als unzuläſſig beanjtandet, 
jo entjcheidet das Gericht. 


$ 238 behandelt das Kreuzverhör der von der Staatsanwaltichaft und 
dem Angeklagten benannten Zeugen und Sachverjtändigen. 


fragen der beifikenden Richter uſw. 

$ 239. Der Borfigende hat den beifißenden Richtern auf Verlangen 
zu gejtatten, Fragen an die Zeugen und Sachverftändigen zu jtellen. 

Dasjelbe hat der Vorſitzende der Staatsanwaltichaft, dem Angeklagten 
und dem Derteidiger jowie den Geſchworenen und den Schöffen zu gejtatten. 

s 240. Demjenigen, welcher im Falle des $ 238 Abſ. 1 die Befugnis 
der Vernehmung migbraucht, kann diefelbe von dem Vorjigenden entzogen werben. 

Sn den Fällen des $ 238 Abſ. 1 und des 8 239 Ubi. 2 kann der 
Vorſitzende ungeeignete oder nicht zur Sache gehörige Fragen zurüdweijen. 

$ 241. Zweifel über die Zuläffigfeit einer Frage entjcheidet in allen 
Fällen das Gericht. 

Beginn der Hauptverhandlung. 

s 242. Die Hauptverhandlung beginnt mit dem Aufrufe der Zeugen 
und Sachverjtändigen. 

Hieran jchlieht fich die Vernehmung des Angeklagten über feine perjün- 
lichen Berhältnifje und die Verlefung des Beſchluſſes über die Eröffnung des 
Hauptverjahrene. 

Sodann erfolgt die weitere Vernehmung des Angeklagten nach Map: 
gabe des $ 136. 

Die Verlefung des Beichluffes und die Wernehmung des Angeklagten 
geichteht in Abwejenheit der zu vernehmenden Zeugen. 

DBeweisaufnahme. 

$ 243. Nach der Bernehmung des Angeklagten folgt die Beweisaufnahme. 

E3 bedarf eines Gerichtsbefchluffes, wenn ein VBeweisantrag abgelehnt 
werden joll, oder wenn die Vornahme einer Beweishandlung eine Ausjegung 
der Hauptverhandlung erforderlich macht. 


II. Strafprozehordnung. — Zweites Bud, — 6. Abſchnitt. 81 


Das Gericht kann auf Antrag und von Amtswegen die Ladung von Zeugen 
und Sachverjtändigen jowie die Herbeifchaffung anderer Beweismittel anordnen. 


s 244. Die Beweisaufnahme ift auf die jämtlichen vorgeladenen Zeugen 
und Eadjverftändigen ſowie auf die anderen herbeigejchafften Beweismittel 
zu erjtreden. Bon der Erhebung einzelner Beweiſe fann jedoch abgejehen 
werden, wenn die Staatdanwaltjchaft und der Angeklagte hiermit einver- 
jtanden find. 

In den Verhandlungen vor den Schöffengerichten und vor den Land: 
gerichten in der Berufungsinjtanz, jofern die Verhandlung vor legteren eine 
llebertretung betrifft oder auf erhobene Privatllage erfolgt, bejtimmt das 
Gericht den Umfang der Beweisaufnahme, ohne Hierbei durch Anträge, Ver: 
zichte oder frühere Beichlüffe gebunden zu fein. 

s 245. (Auszug) Keine Ablehnung einer Beweiserhebung zuläjfig, 
weil das Beweismittel zu ſpät vorgebracht worden ei. 

8 246. Das Gericht kann den Angeklagten, wenn zu befürchten ift, 
daß ein Mitangeflagter oder ein Zeuge bei feiner Vernehmung in Gegenwart 
des Angellagten die Wahrheit nicht jagen werde, während diefer Vernehmung 
aus dem Situngszimmer abtreten laffen. Der Vorfigende hat jedoch den 
Angeklagten, jobald diejer wieder vorgelaffen worden, von dem wejentlichen 
Inhalt desjenigen zu unterrichten, was während feiner Abwejenheit ausgeſagt 
oder verhandelt worden ift. 

In gleicher Weife ift zu verfahren, wenn das Gericht wegen ordnungs- 
widrigen Benehmens des Angeklagten zeitweife dejjen Entfernung aus dem 
Sigungszimmer angeordnet hat. 

s 247. Die vernommenen Zeugen und Sachverftändigen dürfen jich 
nur mit Genehmigung oder auf Anweiſung des Vorfigenden von der Gerichts- 
jtelle entfernen. Die Staatsanwaltichaft und der Angeklagte find vorher 
zu hören. 

Derlefung von Schhriftftüden. 

$ 248. Urkunden und andere als Beweismittel dienende Schriftjtüde 
werden in der Hauptverhandlung verlejen. Dies gilt insbejondere von früher 
ergangenen Strafurteilen, von Strafliiten und von Auszügen aus Kirchen— 
büchern und Berfonenftandsregiftern und findet auch Anwendung auf Protofolle 

über die Einnahme des richterlichen Augenſcheins. 
$ 249. Beruht der Beweis einer Tatjache auf der Wahrnehmung einer 


Perſon, jo iſt die legtere in der Hauptverhandlung zu vernehmen. Die Ver: 
6 


82 II. Strafprozeßordnung. — Zweites Buch. — 6. Abſchnitt. 


nehmung darf nicht durch Verleſung des über eine frühere Vernehmung auf— 
genommenen Protokolls oder einer ſchriftlichen Erllärung erſetzt werden. 


z 250. Iſt ein Zeuge, Sachverſtändiger oder Mitbeſchuldigter verſtorben 
oder in Geiſteskrankheit verfallen, oder iſt ſein Aufenthalt nicht zu ermitteln 
geweſen, ſo kann das Protokoll über ſeine frühere richterliche Vernehmung 
verleſen werden. Dasjelbe gilt von dem bereits verurteilten Mitſchuldigen. 

In den im $ 222 bezeichneten Fällen iſt die Verleſung des Protokolls 
über die frühere Vernehmung jtatthaft, wenn leßtere nach Eröffnung des 
Hauptverfahrens, oder wenn fie in dem Vorverfahren unter Beobachtung der 
Vorſchriften des $ 191 erfolgt it. 

Die Verlefung fann nur durch Gerichtsbefchluß angeordnet, auch muß 
der Grund derjelben verfündet und bemerft werden, ob die Beeidigung der 
vernommenen Perjonen ftattgefunden hat. An den Beitimmungen über Die 
Notwendigkeit der Beeidigung wird hierdurch für diejenigen Fälle, in denen 
die nochmalige Vernehmung ausführbar ift, nichts geändert. 


$ 251. Die Ausjage eine® vor der Hauptverhandlung vernommenen 
Zeugen, welcher erjt in der Hauptverhaudlung von jeinem Nechte, das Zeugnis 
zu verweigern, Gebrauch macht, darf nicht verlefen werden. 


8 252, Grklärt ein Zeuge oder Sachverjtändiger, daß er fich einer 
Tatjache nicht mehr erinnert, jo fann der hierauf bezügliche Teil des Proto- 
foll3 über feine frühere Vernehmung zur Unterjtügung ſeines Gedächtnifjes 
verlejen werden. 

Dasjelbe fann gejchehen, wenn ein in der Vernehmung Hervortretender 
Widerſpruch mit der früheren Ausjage nicht auf andere Weife ohne Unter: 
brehung der Hauptverhandlung fejtgeitellt oder gehoben werden fann. 


s 253. Grflärungen des Angeklagten, welche in einem richterlichen 
Protokolle enthalten find, können zum Zwecke der Beweisaufnahme über ein 
Geſtändnis verlefen werden. 

Dasielbe kann gejchehen, wenn ein in der Vernehmung hervortretender 
Widerjpruch mit der früheren Ausfage nicht auf andere Weife ohne Unter: 
brechung der Hauptverhandlung feitgeitellt oder gehoben werden fann. 

$ 254. In den Fällen der SS 252, 253 ift die Verlefung und der 
Grund derfelben auf Antrag der Staatsanwaltichaft oder des Angeklagten im 
Brotofolle zu erwähnen. 





U. Strafprozehordnung. — Zweite! Bud. — 6. Abſchnitt. 83 


$S 255. Die ein Zeugnis oder ein Gutachten enthaltenden Erklärungen 
öffentlicher Behörden, mit Ausschluß von Leumundszeugniffen, desgleichen 
ärztliche Attefte über Körperverlegungen, welche nicht zu den jchweren gehören, 
können verlejen werden. 

Iſt das Gutachten einer follegialen Fachbehörde eingeholt worden, jo 
fann das Gericht die Behörde erfuchen, eines ihrer Mitglieder mit der Ber- 
tretung des Gutachtend in der Hauptverhandlung zu beauftragen und dem 
Gerichte zu bezeichnen. 


8 256. Nach der VBernehmung eines jeden Zeugen, Sachverjtändigen 
oder Mitangeklagten, ſowie nach der Verlefung eines jeden Schriftftüds ſoll 
der Angeklagte befragt werden, ob er etwas zu erflären habe. 

Schiuhvorträge der Parteien. 

z 257, Nach dem Schlujje der Beweisaufnahme erhalten die Staats: 
anwaliſchaft und fodann der Angeklagte zu ihren Ausführungen und An— 
trägen das Wort. 

Der Staatsanwaltjchaft jteht das Necht der Erwiderung zu; dem An 
geflagten gebührt das fette Wort. 

Der Angeklagte ift, auch wenn ein Verteidiger für ihn gefprochen hat, 
zu befragen, ob er jelbjt noch etwas zu jeiner Verteidigung anzuführen habe. 

Derdolmetihung der geftellten Anträge. 
8s 258. Einem der Gerichtsfprache nicht mächtigen Angeflagten müſſen 
aus den Schlukvorträgen mindejtens die Anträge der Staatsanwaltjchaft und 
des Verteidigers durch” den Dolmetjcher befannt gemacht werden. 


Dasjelbe gilt von einem tauben Angeklagten, jofern nicht eine jchriftliche 

Berjtändigung erfolgt. 
Urtellöfindung. 
$ 259. Die Hauptverhandlung jchließt mit der Erlaſſung des Urteile. 
Das Urteil fann nur auf Freifprechung, Verurteilung oder Einstellung des 
Verfahrens lauten. 

Die Einjtellung des Verfahrens iſt auszufprechen, wenn bei einer nur auf 
Antrag zu verfolgenden jtrafbaren Handlung jich ergibt, daß der erforderliche 
Antrag nicht vorliegt oder wenn der Antrag rechtzeitig zurüdgenommen tt. 

$ 260. Ueber das Ergebnis der Bemweisaufnahme entjcheidet das 
Gericht nach feiner freien, aus dem Inbegriffe der Verhandlung gejchöpften 


Ueberzeugung. 
6* 


84 II. Strafprozejordnung. — Zweites Buch. — 6. Abjchnitt. 


Zivilrechtliche VBorfragen. 
$ 261. Häugt die Strafbarfeit einer Handlung von der Beurteilung eines 
bürgerlichen Rechtsverhältnifjes ab, jo entjcheidet das Strafgericht aud) über dieſes 
nach den für das Verfahren und den Beweis in Straflachen geltenden Borjchriften. 
Das Gericht it jedoch befugt, die Unterſuchung auszujegen und einem 
der Beteiligten zur Erhebung der Zivilklage eine Friſt zu bejtimmen oder das 
Urteil des Zivilgerichts abzuwarten. 


Erfordernis der Zweidritteill-Mehrheit. 

$ 262. Zu emer jeden dem Angeklagten nachteiligen Entſcheidung, 
welche die Echuldfrage betrifft, ijt eine Mehrheit von zwei Dritteilen der 
Stimmen erforderlid). 

Die Schuldfrage begreift auch ſolche von dem Strafgejete bejonders 
vorgejehene Umstände, welche die Straibarfeit ausjchliegen, vermindern oder 
erhöhen. 

Die Schuldfrage begreift nicht die Vorausfegungen des Nüdfalles und 
der Berjährung. 

Gegenftand der Urteilöfindung. 

$ 263. Gegenitand der Urteilsfindung iſt die in der Anklage bezeichnete 
Tat, wie fich diefelbe nach dem Ergebnifje der Verhandlung darftellt. 

Tas Gericht iſt an diejenige Beurteilung der Tat, welche dem Beſchluſſe 
über die Eröffnung des Hauptverfahrens zugrunde liegt, nicht gebunden. 


Beränderung der Anflage. 


z 264. Cine Verurteilung des Angeklagten auf Grund eines anderen 
als des in dem Beichluffe über die Eröffmung des Hauptverfahrens angeführten 
Strafgefetes darf nicht erfolgen, ohne daß der Angeklagte zuvor auf die Ver- 
änderung des rechtlichen Gefichtspunftes bejonders hingewieſen und ihm 
Gelegenheit zur Berteidigung gegeben worden iſt. 

In gleicher Weife iſt zu verfahren, wenn erit in der Verhandlung 
jolhe vom Strafgejege beſonders vorgefehene Umstände behauptet werden, 
welche die Strafbarfeit erhöhen. 

Beitreitet der Angeflagte, unter der Behauptung auf die Verteidigung 
nicht genügend vorbereitet zu jein, neu hervorgetretene Umstände, weldje die 
Anwendung eines jchwereren Straigejeges gegen den Angeflagten zulaffen als 
de3 in dem Beichluffe über die Eröffnung des Hauptverfahrens angeführten, 


II. Strafprozehordnung. — Ziveite® Bud. — 6. Abſchnitt. 85 


oder welche zu den im zweiten Abſatze bezeichneten gehören, jo iſt auf feinen 
Antrag die Hauptverhandlung auszufegen. 

Auch jonjt hat das Gericht auf Antrag oder von Amtswegen die 
Hauptverhandlung auszufegen, falls dies infolge der veränderten Sachlage 
zur genügenden Vorbereitung der Anklage oder der Verteidigung angemejjen 
ericheint. 

Auf die in $ 244 Ab}. 2 bezeichneten Verhandlungen findet die Vor— 
fchrift des dritten Abjages nicht Anwendung. 


Ss 265. Wird der Angeklagte im Laufe der Hauptverhandlung noch 
einer anderen Tat bejchuldigt, ald wegen welcher das Hauptverfahren wider 
ihn eröffnet worden, jo kann diejelbe auf Antrag der Staatsanwaltjchaft und 
mit Zujtimmung des Angeklagten zum Gegenjtande derjelben Aburteilung 
gemacht werden. 

Diefe Beftimmung findet nicht Anwendung, wenn die Tat al3 ein Ver- 
brechen ſich darjtellt oder die Aburteilung derjelben die Zuftändigfeit des 


Gerichts überjchreitet. 
Urtellögründe. 


Ss 266. Wird der Angeklagte verurteilt, jo müſſen die Urteilögründe 
die für erwieſen erachteten Tatjachen angeben, im welchen die gejeglichen 
Merkmale der jtrafbaren Handlung gefunden werden. Injoweit der Beweis aus 
anderen Tatjachen gefolgert wird, jollen auch diefe Tatfachen angegeben werden. 

Waren in der Verhandlung jolche vom Strafgejeke befonders vorgejehene 
Umitände behauptet worden, welche die Strafbarfeit ausschließen, vermindern 
oder erhöhen, jo müſſen die Urteilsgründe fich darüber ausjprechen, ob dieje 
Umftände für feſtgeſtellt oder für nicht feitgeftellt erachtet werden. 

Die Gründe des StrafurteilS müſſen ferner das zur Anwendung 
gebrachte Strafgejeg bezeichnen und jullen die Umftände anführen, welche für 
die Zumefjung der Strafe beitimmend gewejen jind. Macht das Strafgejet 
die Anwendung einer geringeren Strafe von dem Borhandenjein mildernder 
Umjtände im allgemeinen abhängig, jo müſſen die Urteilsgründe die hierüber 
getroffene Entjcheidung ergeben, fofern das Vorhandenfein jolcher Umjtände 
angenommen oder einem in der Verhandlung gejtellten Antrage entgegen ver- 
neint wird. 

Wird der Angeklagte freigefprochen, jo müfjen die Urteilsgründe ergeben, 
ob der Angeklagte für nicht überführt, oder ob und aus welchen Gründen die 
für erwiejen angenommene Tat für nicht jtrafbar erachtet worden iſt. 


— nv vum 


86 II, Strafprogehordnung. — Zweites Buch. — 6. und 7. Abſchnitt. 


Derfündung des Urteils. 

$ 267. Die Verkündung des Urteils erfolgt durch Werlefung der 
Urteilsformel und Eröffnung der Urteilsgründe am Schluffe der Verhandlung 
oder fpätejtens mit Ablauf einer Woche nad) dem Schluſſe der Verhandlung. 
Die Eröffnung der Urteilsgründe gejchieht durd) Verleſung oder durch münd— 
liche Mitteilung ihres wejentlichen Inhalts. 

War die Verfündung des Urteils ausgejeßt, jo find die Urteilsgründe 
vor derjelben jchriftlich feitzuftellen. 

$ 268. Urteile, durch welche die Unterbringung des Angeffagten in 
eine Erziehungs: oder Befjerungsanftalt angeordnet wird, find aud) dejjen 
gejeglichem Vertreter zuzuftellen, jofern nicht der leßtere in der Haupt— 
verhandlung als Beijtand des Angeklagten aufgetreten und bei der Verkündung 
des Urteils gegenwärtig gewefen tft. 

Eniſcheidungen über die ſachliche Zuftändigkeit des Gerichts. 

8 269. Das Gericht darf jich nicht für unzuftändig erklären, weil die 
Sadje vor ein Gericht niederer Ordnung gehöre. 

s 270. Stellt fi) nad) dem Ergebnijje der Verhandlung die dem An— 
geflagten zur Laſt gelegte Tat als eine jolche dar, welche die Zuftändigfeit 
des Gerichts überjchreitet, fo jpricht es durch Beſchluß feine Unzuftändigfeit 
aus und verweilt die Sache an das zuftändige Gericht. 

Diejer Beichluß hat die Wirkung eines das Hauptverfahren eröffnenden 
Beichluffes und muß den Erfordernijfen eines ſolchen entfprechen. 

Die Anfechtbarfeit des Beſchluſſes beftimmt jich nach den Vorjchriften 


bes 5 209. 


Sit der Beichluß von einem Schöffengerichte ergangen, jo kann der An— 
geflagte innerhalb einer bei der Bekanntmachung des Beichluffes zu beitimmenden 
Frift die Vornahme einzelner Beweiserhebungen vor der Hauptverhandlung 
beantragen. Ueber den Antrag entjcheidet der Vorfigende des Gerichts, an 
welches die Sache verwiefen it. 

ss 271— 275. (Auszug) Protofollführung über die Hauptverhandlung, 
Schriftliche Abfafjung des Urteils. 


7. Abjchnitt. 
Hauptverhandlung vor den Schwurgerichten. 
Ss 276. Die Beitimmungen der beiden vorhergehenden Abjchnitte finden 
auf das Verfahren vor den Echwurgerichten infoweit Anwendung, als nicht 
in dieſem Abſchnitt ein Anderes bejtimmt iſt. 


I. Strafprozekordnung. — Zweites Bud. — 7. Abſchnitt. 87 


s 277 behandelt die Belanntmachung der Spruchliſte der Gejchworenen 


an den Angeklagten. 
Blldung der Gefhworenenbant. 


8278. Die Hauptverhandlung beginnt mit der Bildung der Gejchworenen- 
bank durch Ausloſung der Gejchworenen. 


8 279. Vor der Auslofung find, außer den zum Gejchworenenamte 
Unfähigen, jolche Gejchworene auszujcheiden, welche von der Ausübung des 
Amts in der zu verhandelnden Sache fraft Gejeges ausgeſchloſſen find. Die 
erichienenen Gejchworenen jind zur Anzeige etwaiger Ausjchließungsgründe aufs 
zufordern. 

Die Entjcheidung über das Ausjcheiden eines Geſchworenen erfolgt nach 
Anhörung desjelben durch das Gericht. Beſchwerde findet nicht jtatt. Ein 
für unfähig Erflärter ift in der Spruchlijte zu jtreichen. 


$ 2850. Zur Bildung der Gejchworenenbanf fann gejchritten werden, 
wenn die Zahl der Gejchworenen, welche erjchienen und nicht in Gemäßheit 
des vorhergehenden Paragraphen ausgejchieden worden find, mindejtens vier- 
undzwanzig beträgt. Anderenfalls it die Zahl aus der Liſte der Hülfs— 
geichworenen auf dreißig zu ergänzen. 

Die Ergänzung gejchieht mittels Losziehung durch den Vorjigenden in 
öffentlicher Sigung. Sie gilt für alle in der Sigungsperiode noch zu ver: 
handelnden Sachen. 

Die ausgelojten Hülfsgefchworenen werden unter Hinweis auf die gejeß- 
lichen Folgen des Ausbleibens geladen. Ihre Namen find in die Epruchlifte 
aufzunehmen. 

Es fann zur Bildung der Gejchworenenbanf jchon dann gejchritten 
werden, wenn im Folge des Erjcheinens von Hülfsgefchworenen die Zahl von 
vierundzwanzig Gejchiworenen erfüllt ift. 

Erjcheinen zu einer jpäteren Hauptverhandlung mehr als dreißig Ge- 
ichworene, jo treten die Üüberzähligen Hülfsgejchworenen in der umgefehrten 
Reihenfolge ihrer Ausloſung zurüd. 


5 281. Die Bildung der Gefchworenenbant erfolgt in öffentlicher 
Sitzung. Das Los wird von dem Vorjigenden gezogen. 


$ 282. Von den ausgelojten Gejchworenen fönnen jo viele abgelehnt 
werden, als Namen über zwölf in der Urne fich befinden. 


88 II. Strafprozejordnung. — Zweite® Bud. — 7. Abfchnitt. 


Die eine Hälfte der Ablehnungen steht der Staatsanwaltjchaft, Die 
andere dem Angeklagten zu. Dem Angeklagten gebührt eine Ablehnung mehr 
wenn die Gejamtzahl der Ablehnungen eine ungerade ift. 


8 283. Sobald ein Name gezogen und aufgerufen iſt, Hat die Staats- 
anwaltſchaft und jodann der Angeklagte durch die Worte „angenommen“ oder 
„abgelehnt“ die Annahme oder Ablehnung zu erflären. Die Angabe von 
Gründen it unzuläfjig. 

Wird eine Erklärung nicht abgegeben, jo gilt dies als Annahme. 

Die Erklärung fann nicht zurüdgenommen werden, jobald ein fernerer 
Name gezogen, oder die gejamte Ziehung für beendet erflärt ift. 


$ 284. Sind bei einer Hauptverhandlung mehrere Angeklagte beteiligt, 
jo haben fie das Ablehnungsrecht gemeinjchaftlich auszuüben. 

Injoweit eine Vereinigung nicht zu jtande fommt, werden die Ablehnungen 
gleichmäßig verteilt; über die Ausübung derjenigen Ablehnungen, welche jic) 
nicht gleichmäßig verteilen laſſen, ſowie über die Neihenfolge der Erklärungen 
entjcheidet das Los. 

8 285. Sit die Zuziehung von Ergänzungsgejchworenen neu angeordnet 
tworden, jo vermindert fich die Zahl der zuläjfigen Ablehnungen um die Zahl 
der Ergänzungsgejchworenen. 

Sind mehrere Ergänzungsgeichiworene zugezogen worden, jo treten fie 
in der Reihenfolge der Auslojung ein. 

8 286. Stehen an demjelben Tage mehrere Verhandlungen an, jo 
verbleibt die für eine derjelben gebildete Gejchworenenbanf für die folgende 
Verhandlung oder für mehrere folgende Berhandlungen, wenn die dabei be- 
teiligten Angeklagten und die Staatsanwaltjchaft ich damit vor der Beeidigung 
der Geſchworenen einverjtanden erflärt Haben. 


Ss 2857. Muh nad Unterbrechung einer Hauptverhandlung mit dem 
Verfahren von neuem begonnen werden, jo ilt auch die Gejchhworenenbanf 
von neuem zu bilden. 


8 288. Nach Bildung der Geichworenenbanf werden die Gejchworenen 
in Gegenwart der Angeklagten, über welche jie richten jollen, beeidigt. 
Die Beeidigung erfolgt in öffentlicher Situng. 
Der Borfigende richtet an die zu Beeidigenden die Worte: 
„Sie ſchwören bei Gott, dem Allmächtigen und Allwifjenden, in der 
Anklagefache (den Anklagefachen) wider N. N, die Pflichten eines Ge— 


II. Strafprozefordnung. — Zweites Buch. — 7. Abſchnitt. 80 


ſchworenen getreulich zu erfüllen und Ihre Stimme nach beitem Wiſſen 

und Gewijjen abzugeben“. 

Die Gefchworenen leijten den Eid, indem jeder einzeln die Worte fpricht: 

„ih ſchwöre es, jo wahr mir Gott helfe“. 

Der Schwörende joll bei der Eidesleiſtung die rechte Hand erheben. 

Iſt ein Geſchworener Mitglied einer Neligionsgefellichaft, welcher das 
Geſetz den Gebrauch gewiſſer Beteuerungsformeln an Stelle des Eides gejtattet, 
jo wird die Abgabe einer Erklärung unter der Beteuerungsformel dieſer 
Religionsgejellihaft der Eidesleiftung gleichgeachtet. 


$ 289. Nach der Beeidigung der Gefchworenen erfolgt die Verhandlung 
in der Sache jelbit. 
Feſtſtellung der Fragen. 
8 2%. Die den Gejchworenen zur Beantwortung vorzulegenden Fragen 
werden von dem Borfigenden entworfen. 


Nach dem Schluffe der Beweisaufnahme werden die entworfenen Fragen 
verlefen. Der Vorligende fann fie den Gejchtvorenen, der Staatsanwaltjchaft 
und dem Angeflagten in Abjchrift mitteilen und joll einem hierauf gerichteten 
Antrage entiprechen. 

Auf Verlangen der Staatsanwaltichaft oder des Angeklagten oder eines 
der Gejchworenen ijt behufs Prüfung der Fragen die Verhandlung auf furze 
Zeit zu unterbrechen. 


z 291. Die Staatdanwaltjichaft und der Angeklagte, ſowie jeder Ge- 
ichworene iſt befugt, auf Mängel in der Frageſtellung aufmerkfjam zu machen, 
jowie auf Abänderung und Ergänzung der Fragen anzutragen. 

Das Gericht ftellt, wenn Einwendungen erhoben oder Anträge angebracht 
werden," oder wenn einer der Richter es verlangt, die Fragen feit. Die feit- 
gejtellten ‚sragen find zu verlejen. 

8 292. Die Fragen jind jo zu ftellen, daß fie mit Ja oder mit Nein 
ſich beantworten lajjen. 

Wenn eine nachfolgende Frage nur für den all zu beantworten ift, 
dag eine vorausgehende in einem gewijien Sinne erledigt werde, jo ijt dies 
bemerklich zu machen. 

Bei einer Mehrzahl von Angeklagten oder von jtrafbaren Handlungen 
müſſen die fragen für jeden Angeklagten und für jede jtrafbare Handlung 
bejonders gejtellt werden. 


90 HI. Strafprozehordbnung. — Zweites Bud. — 7. Abſchnitt. 


Arten der Fragen. 
Sauptfragen. 

$ 293. Die Hauptfrage beginnt mit den Worten: „Sit der Angeklagte 
ſchuldig?“ Sie muß die dem Angeklagten zur Laft gelegte Tat nach ihren 
gejeglichen Merkmalen und unter Hervorhebung der zu ihrer Unterjcheidung 
erforderlichen Umstände bezeichnen. 

Sülfsfragen. 

Ss 29. Hat die Verhandlung Umjtände ergeben, nach welchen eine 
von dem Beſchluſſe über die Eröffnung des Hauptverfahrens abweichende Be— 
urteilung der dem Angeklagten zur Laſt gelegten Tat in Betracht kommt, jo 
ift eine hierauf gerichtete Frage zu ftellen (Hülfsfrage). 

Dieje ift der dem Beſchluß entjprechenden Frage voranzuftellen, wenn 
die abweichende Beurteilung eine erhöhte Strafbarfeit begründet. 


Nebenfragen. 

$ 295. Ueber jolche vom Strafgejege bejonders vorgejehene Umjtände, 
welche die Strafbarfeit vermindern oder erhöhen, find geeignetenfalls den 
Gejchworenen bejondere Fragen vorzulegen (Nebenfragen). 

Eine Nebenfrage kann auch auf ſolche vom Strafgejetie bejonders vor: 
gejehene Umſtände gerichtet werden, durch welche die Strafbarfeit wieder auf- 
gehoben wird. 

Ss 296. Wird die Vorlegung von Hilfs: oder Nebenfragen beantragt, 
jo fann ſie nur aus Nechtsgründen abgelehnt werden. 

s 297. Wenn das Gejek beim Vorhandenſein mildernder Umſtände 
eine geringere Strafe androht, jo iſt eine darauf gerichtete Nebenfrage zu 
itellen, wenn es von der Staatdanwaltjchaft oder dem Angeklagten beantragt 
oder von Amtswegen für angemeſſen erachtet wird. 

Zur Verneinung der Frage nadı dem Borhandenjein mildernder Um— 
ſtände bedarf es einer Mehrheit von mindeitens fieben Stimmen. 

$ 298. Hatte ein Angeflagter zur Zeit der Tat noch nicht das acht— 
zehnte Lebensjahr vollendet, jo muß die Nebenfrage gejtellt werden, ob er bei 
Begehung der Tat die zur Erfenntnis ihrer Strafbarfeit erforderliche Einficht 
bejefien habe. 

Dasjelbe gilt, wenn ein Angeklagter taubſtumm tit. 

Plaidoyer. 

8 299. An die Frageitellung Schließen fich die Ausführungen und Ans 

träge der Staatsanwaltichaft und des Angeklagten zur Schuldfrage. 


> nn nn nn 


II. Strafprozeßordnung. — Zweite Bud. — 7. Abjchnitt, 91 


Belchrung feiten des VBorfigenden, 
Ss 300. Der Vorfitende befchrt, ohne in eine Würdigung der Beweije 
einzugehen, die Geſchworenen über die rechtlichen Gejichtspunfte, welche jie 
bei Löſung der ihnen gejtellten Aufgabe in Betracht zu ziehen haben. 
Die Belehrung des Vorſitzenden darf von feiner Seite einer Erörterung 


unterzogen werden. 
Beratung der Geſchworenen. 


$ 301. Die Tragen werden vom Borjigenden unterzeichnet und den 
Gefchworenen übergeben. Die Gejchworenen ziehen jich in das Beratungs: 
zimmer zurüd. Der Angeklagte wird aus dem Situngszimmer entfernt. 


8 302. Gegenjtände, welche in der Verhandlung den Gefchworenen zur 
Belichtigung vorgelegt wurden, fünnen ihnen in das Beratungszimmer ver- 
abrolgt werden. 

$ 303. Zwiſchen den im Beratungszimmer verſammelten Gejchtworenen 
und anderen Perſonen darf keinerlei Verkehr jtattfinden. 

Der Borfigende forgt dafür, daß ohne jeine Erlaubnis fein Gefchworener 
das Beratungszinnmer verlajje und feine dritte Berfon in dasjelbe eintrete. 


8 304. Die Gejchivorenen wählen ihren Obmann mittels jchriftlicher 
Abjtimmung nad) Mehrheit der Stimmen. Bei Stimmengleichheit entjcheidet 
das höhere Lebensalter. 

Der Obmann leitet die Beratung und Abjtimmung. 


$ 305. Die Gefchworenen haben die ihnen vorgelegten Fragen mit Ja 
oder mit Nein zu beantworten. 

Sie find berechtigt, eine Frage teilweife zu bejahen und teilweile zu 
verneinen. 

$ 306. Glauben die Gejchworenen vor Abgabe ihres Epruchs einer 
weiteren Belehrung zu bedürfen, jo wird dieje auf ihren Antrag durch den 
Rorfigenden erteilt, nachdem fie zu dem Zwed in das Sitzungszimmer zurüd- 
gefehrt ſind. 

Ergibt ſich Anlaß zur Aenderung oder Ergänzung der Fragen, jo mu 
der Angeklagte zur Verhandlung zugezogen werden. 


Ss 307. Der Sprud ijt von dem Obmanır neben den Fragen nieder= 
zufchreiben und von ihm zu unterzeichnen. 

Bei jeder dem Angeklagten nachteiligen Entjcheidung it anzugeben, daß 
diejelbe mit mehr als jieben Stimmen, bei Verneinung der mildernden Um— 


92 HU. Strafprogekordnung. — Zweites Buch, — 7. Abſchnitt. 


jtände, daß Diefelbe mit mehr als ſechs Stimmen gefaht worden it. Im 
übrigen darf das Stimmenverhältnis nicht ausgedrüdt werden. 


Verfündung des Spruchs. 

8 308. Der Spruch iſt im Sitzungszimmer von dem Obmann fund 

zu geben. Der Obmann jpricht die Worte: 
„Auf Ehre und Gewiſſen bezeuge ich als den Spruch der Ge- 
Ichworenen“ 

und verlieft die geftellten Fragen mit den darauf abgegebenen Antworten. 

Der verlefene Spruch iſt von dem Vorfigenden und dem Gerichtsjchreiber 
zu unterzeichnen. 


Berihtigungsverfahren. 

$ 309. Grachtet das Gericht, day der Spruch in der Form nicht vor- 
ſchriftsmäßig oder in der Sache umndeutlich, unvolljtändig oder jich wider- 
fprechend fei, jo werden die Gejchworenen von dem Vorſitzenden aufgefordert, 
jih in das Beratungszimmer zurüdzubegeben, um dem gerügten Mangel 
abzuhelfen. 

Diefe Anordnung iſt zuläſſig, jo lange das Gericht noch nicht auf 
Grund des Spruchs das Urteil verkündet hat. 


s 310. Sind nur Mängel in der Form des Spruch® zu berichtigen, 
jo darf eine jachliche Menderung nicht vorgenommen werden. 


s 311. Sind fachliche Mängel des Spruch zu berichtigen, jo find die 
Sefchworenen bei ihrer erneuten Beratung an feinen Teil ihres früheren 
Spruchs gebunden. 

Ergibt ſich bei der Erörterung jolcher Mängel Anlaß zur Nenderung 
oder Ergänzung der Fragen, jo muß der Angeklagte zur Verhandlung zu: 
gezogen werden. 

s 312. Der berichtigte Spruch ift in der Weife niederzufchreiben, daß 
ber frühere erfennbar bleibt. 

$ 313. Der Spruc der Gefchworenen wird dem Angeklagten, nachdem 
er in das Sitzungszimmer twieder eingetreten it, durch Verleſung verkündet. 


Schluß der Berhandlung. 


8 314. Iſt der Angeklagte von den Gejchworenen für nicht jchuldig 
erklärt worden, jo ſpricht das Gericht ihn frei. 


Il. Strafprozehordnung. — Zweite® Bud. — 7. und 8. Abichnitt. 08 


Anderenjalld müjjen, bevor das Urteil erlajjen wird, die Staatsanwalt: 
ichaft und der Angeklagte mit ihren Ausführungen und Anträgen gehört 
werden. 

$ 315. Die Verkündung des Urteils erfolgt am Schlufje der Verhandlung. 

$ 316. In den Gründen des Urteils ift auf den Spruch der Ge- 
chworenen Bezug zu nehmen. Die Urjchrift des Spruch ijt dem nieber- 
gejchriebenen Urteil anzufügen. 

Verweiſung an ein neues Schwurgeridt. 

s 317. Sit das Gericht einitimmig der Anficht, daß die Gejchworenen 
ji in der Hauptjache zum Nachteile des Angeklagten geirrt haben, jo vermweiit 
es durch Beichluß ohne Begründung feiner Anficht die Sache zur neuen Ver: 
handlung vor das Schwurgericht der nächſten Sigungsperiode. Die Verweifung 
ijt nur von Amtswegen und bis zur Verkündung des Urteils zuläfjig. 

Betrifjt das Verfahren mehrere jelbjtändige jtrafbare Handlungen oder 
mehrere Angeklagte, jo erfolgt die VBerweifung nur in Anfehung derjenigen 
Handlung oder Perjon, in Bezug auf welche die Gejchworenen ſich nach An— 
jicht des Gerichts geirrt haben. 

An der neuen Berhandlung darf fein Gejchiworener teilnehmen, welcher 
bet dem früheren Spruche mitgewirkt hat. 

Auf Grund des neuen Spruchs ijt jtet das Urteil zu erlajien. 


8. Abſchnitt. 


Verfahren gegen Abweſende. 
Zuläffigkeit der Sauptverhandiung. 
$ 318. Ein Bejchuldigter gilt als abwejend, wenn fein Aufenthalt 
unbefannt ift, oder wenn er fich im Musland aufhält und feine Geitellung 
vor das zujtändige Gericht nicht ausführbar oder nicht angemejlen erjcheint. 
$ 319. Gegen einen Abwejenden fann eine Hauptverhandlung mur 
dann jtattfinden, wenn die den Gegenjtand der Unterfuchhung bildende Tat 
nur mit Geldſtrafe oder Einziehung, allein oder in Verbindung mit einander, 
bedroht iſt. 
Für das Berfahren fommen die Vorjchriften der SS 320—326 zur 
Anwendung. 
88 320-326. (Auszug) Yadung und Verteidigung des Abrvejenden ; 
Zuftelung des Urteils; Nechtsmittel jeiten des Verteidiger und der An— 
gehörigen; Beichlagnahme des Vermögens des Abwejenden. 


ve 7 DEE NER ZE u m AZ ⏑ ge u te see. - Zu Aue 


94 11. Strajprogehordnung. — Zweites Bud. — 8. Abſchnitt. — Dritte Buch. — 1. und 2. Abſchnitt. 


ss 327—331. (Auszug) Verfahren zur Sicherung der Beweije gegen 
einen Abwejenden ; Verteidigung und Benachrichtigung des Abwejenden; Beweis: 
aufnahme. 


ss 332—337. (Auszug) Maßregeln zum Zwecke der Gejtellung eines 
Abweſenden vor das zuftändige Gericht find Beichlagnahme des Vermögens 
und Erteilung ficheren Geleites. 


Drittes Bud. 
Rechtsmittel. 


1. Abſchnitt. 


Allgemeine ZBeſtimmungen. 
Befugnis zur Einlegung eines Rechtsmittels. 
$ 338. Die zuläſſigen Rechtsmittel gegen gerichtliche Entſcheidungen 
jtehen jowohl der Staatsanwaltichaft als dem Bejchuldigten zu. 
Die Staatsanwaltichaft kann von denfelben auch zu Guniten des Be- 
ichuldigten Gebrauch machen. 


ss 339345. (Auszug.) Rechtsmittel des Beſchuldigten; Zurüdnahme 
eines Nechtömittel3 und Verzicht auf deſſen Einfegung. 


2. Abſchnitt. 


Beſchwerde. Beſchwerde. 
Zulãſſigkeit. 

z 346. Die Beſchwerde iſt gegen alle von den Gerichten in erſter 
Instanz oder in der Berufungsinjtanz erlafjenen Beſchlüſſe und gegen die 
Verfügungen des Vorfigenden, des Unterfuchungsrichters, des Amtsrichters 
und eines beauftragten oder erfuchten Nichters zuläffig, ſoweit das Gejet die: 
jelben nicht ausdrüdlich einer Anfechtung entzieht. 

Auch Zeugen, Sacjverjtändige und andere Perjonen fünnen gegen Be- 
ſchlüſſe und Verfügungen, durch welche fie betroffen werden, Bejchwerde erheben. 

Gegen Beichlüfje und Verfügungen der Oberlandesgerichte und des 
Reichsgerichts findet eine Beſchwerde nicht jtatt. 





II. Strafprogekordnung. — Dritte® Buch. — 2., 3. und 4. Abſchnitt. 95 


s 347. Entjcheidungen der erfennenden Gerichte, welche der Urteils: 
fällung vorausgehen, unterliegen nicht der Beichwerde. Ausgenommen find 
Entjcheidungen über Berhaftungen, Beichlagnahmen oder Straffeftfegungen, 
jowie alle Entjcheidungen, durch welche dritte Perſonen betroffen werden. 


ss 348—351. (Auszug) Berfahren bei Einlegung von Bejchwerden. 


Weitere Befhwerde. 

8 352. Bejchlüfje, welche von dem Landgericht in der Befchwerdeinitang 
erlaſſen find, fönnen, injofern fie Verhaftungen betreffen, durch weitere Be— 
jchwerde angefochten werden. 

Im übrigen findet eine weitere Anfechtung der in der Bejchwerdeinitanz 
ergangenen Entjcheidungen nicht jtatt. 

$ 353. (Auszug) Beſondere Bejtimmungen für die jogenannte jo» 
fortige Bejchwerde. 


3. Abſchnitt. 


Berufung. 
AZutäffigfeit der Berufung. 
$ 354. Die Berufung findet ſtatt gegen die Urteile der Schöffengerichte. 
Auch gegen die Urteile des Amtsrichterd ohne Zuziehung von Schöffen, 
wie fie in $ 211 Abf. 2 zugelafjen find. 
ss 355—373 behandeln die Form und Friſt für die Einlegung und 
Rechtfertigung der Berufung jowie das Verfahren bei verjpätet oder recht: 
zeitig eingelegter Berufung, insbefondere die Hauptverhandlung vor dem 
Berufungsgerichte jelbit. 


4. Abjchnitt. 


Reviſion. 
Zuläffigfeit der Revifion. 
8 374. Die Revifion findet ftatt gegen die Urteile der Landgerichte 
und der Schwurgerichte. 
Gegen die Urteile der Landgerichte in erfter und zweiter Inſtanz. 


8 375, Der Beurteilung des Reviſionsgerichts unterliegen auch die: 
jenigen Entjcheidungen, welche dem Urteile vorausgegangen find, jofern das— 


jelbe auf ihnen beruht. 
Begründung der Revifion. 


8 376. Die Revifion kann nur darauf gejtügt werden, daß das Urteil 
auf einer Verlegung des Geſetzes beruhe. 





96 


1. Strafprozehordnung. — Dritted Buch. — 4. Abichnitt. 


Das Gejeg ift verlegt, wenn eine Nechtsnorm nicht oder nicht richtig 
angewendet worden ilt. 


Eine Beurteilung des Rechtsfalls in tatjächlicher Beziehung iſt alfo 


ausgeſchloſſen. 


Ob das verletzte Geſetz materielles Recht oder Prozeßrecht enthält, iſt 


gleichgültig; auch ob es ein inländiſches oder ausländiſches Geſetz iſt. 


ſtehen. 


Die Geſetzesverletzung muß mit der Entſcheidung im Zuſammenhang 


s 377. Ein Urteil iſt ſtets als auf einer Verlegung des Geſetzes be— 
ruhend anzufehen: 


J. 


en 


DD = 


wenn das erfennende Gericht oder die Gejchworenenbanf nicht vor- 
ſchriftsmäßig beſetzt war; 


. wenn bei dem Urteile ein Richter, Geſchworener oder Schöffe mit— 


gewirft hat, welcher von der Ausübung des Richteramts fraft des 
Geſetzes ausgejchlojjen war; 


. wenn bei dem Urteile ein Richter oder Schöffe mitgewirkt hat, 


nachdem derjelbe wegen Bejorgnis der Befangenheit abgelehnt war, 
und das Ablehnungsgefuch entweder für begründet erflärt war 
oder mit Unrecht verworfen worden ilt; 


. wenn das Gericht feine Zuftändigfeit mit Unrecht angenommen hat; 
. wenn die Hauptverhandlung in Abwejenheit der Staatsanwalt» 


jchaft oder einer Perjon, deren Anwefenheit das Gefek vorjchreibt, 
jtattgefunden hat; 


. wenn dag Urteil auf Grund einer mündlichen Verhandlung er: 


gangen iſt, bei welcher die Vorjchriften über die Deffentlichkeit 
des Verfahrens verlegt find; 


‚ wenn das Urteil feine Entiheidungsgründe enthält; 
. wenn die Verteidigung in einem für die Entjcheidung wejentlichen 


Punkte durch einen Beichluß des Gerichts unzuläſſig beichränft 
worden iſt. 


$ 378. Die Verlegung von Rechtsnormen, welche lediglich zu Gunften 
des Angeklagten gegeben find, fan von der Staatsanwaltjchaft nicht zu dem 
Zwede geltend gemacht werden, um eine Aufhebung des Urteils zum Nachteile 
de3 Angeklagten herbeizuführen. 


8 379. Wenn der Angeklagte von den Gejchworenen für nichtichuldig 
erklärt worden tft, jo jteht der Staatsanwaltjchaft die Reviſion nur in den 





Wiederaufnahme eines durch vechtöfräftiges Urteil geichloffenen Verfahrens. 07 


‚Fällen zu, in welchen diejelbe durch die Beitimmungen des $ 377 Nr. 1, 2, 
3, 5 oder durch die Stellung oder Nichtjtellung von Fragen begründet wird. 


$ 380. Gegen die in der Berufungsinftanz erlafjenen Urteile der Land— 
gerichte fann die Revifion wegen Verlegung einer Rechtsnorm über das Ver- 
fahren nur auf Verlegung des S 393 geftügt werden. 


ss 381-398 handeln von der Form und Friſt für die Einlegung und 
Begründung der Kevifion, von dem Verfahren bei verjpätet eingelegter oder 
nicht in der gejeßlich vorgejchriebenen Korm begründeter Reviſion und bei frift- 
gemäßer und formrichtiger Revijion, von dem Verfahren vor dem Nevilions- 
gerichte jelbit, von dem Inhalte und der bindenden Kraft des Revifionsurteils. 


Diertes Bud. 


Wiederaufnahme eines durch rechtskräftiges Urteil 


geſchloſſenen Verfahrens. 


Wiederaufnahme zu Gunften des Berurteilten. 


$ 399. Die Wiederaufnahme eines durch rechtsfräftiges Urteil gefchlofjenen 
Verfahrens zu Gunjten des Berurteilten findet ftatt: 


1. 


to 





wenn eine im der Hauptverhandlung zu jeinen Unguniten als echt 
vorgebrachte Urkunde fäljchlich angefertigt oder verfälicht war; 


. wenn durch Beeidigung eines zu jeinen Ungunſten abgelegten 


Zeugnifjes oder abgegebenen Gutachtens der Zeuge oder Sach— 
verjtändige fich einer vorjäglichen oder fahrläſſigen Verlegung der 
Eidespflicht jchuldig gemacht hat; 


. wenn bei dem Urteil cin Richter, Geichworener oder Schöffe mit- 


gewirkt hat, welcher fich in Beziehung auf die Sache einer Ber: 
letzung ſeiner Amtspflichten jchuldig gemacht hat, jorern dieſe Ver— 
letzung mit einer im Wege des gerichtlichen Strafverfahrens zu 
verhängenden öffentlichen Strafe bedroht und nicht vom Ver— 
urteilten ſelbſt veranlakt it; 


. wennein zivilgerichtliches Urteil, aufwelches das Strafurteil gegründet 


ift, Durch ein anderes rechtöfräftig gewordenes Urteil aufgehoben tit: 


‘ 


98 II. Strafprozcehordnung. — Viertes Buch. — Fünftes Bud. 


5. wenn neue Tatjachen oder Beweismittel beigebracht find, welche 
allein oder in Verbindung mit den früher erhobenen Beweifen die 
Freiſprechung des Angeklagten oder in Anwendung eines milderen 
Strafgeſetzes eine geringere Bejtrafung zu begründen geeignet find. 
In den vor den Schöffengerichten verhandelten Sachen fünnen nur 
joldye Tatjachen oder Beweismittel beigebracht werden, welche der 
Verurteilte in dem früheren Verfahren einjchlieglich der Berufungs: 
inftanz nicht gefannt hatte oder ohne Verfchulden nicht geltend 
machen fonnte. 


$ 400. Durch den Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens wird 
die Vollſtreckung des Urteils nicht gehemmt. 

Das Gericht kann jedoch einen Aufichub ſowie eine Unterbrecjung der 
Bollitrefung anordnen. 


$ 401. Der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens wird weder 
durch die erfolgte Strafvollitrefung noch durch den Tod des Verurteilten 
ausgeſchloſſen. 

Im Falle des Todes ſind der Ehegatte, die Verwandten auf- und ab— 
ſteigender Linie ſowie die Geſchwiſter des Verſtorbenen zu dem Antrage beſugt. 


Wiederaufnahme zu Ungunſten des Angeklagten. 
$ 402. Die Wiederaufnahme eines durch rechtskräftiges Urteil geſchloſſenen 
Verfahrens zu Ungunjten des Angeklagten findet ftatt: 


1. wenn eine in der Hauptverhandlung zu feinen Gunjten als echt 
vorgebrachte Urkunde fälſchlich angefertigt oder verfäljcht war; 

. wenn durch Beeidigung eines zu feinen Gunften abgelegten Zeug⸗ 
niſſes oder abgegebenen Gutachtens der Zeuge oder Sachverſtändige 
ſich einer vorſätzlichen oder fahrläſſigen Verletzung der Eidespflicht 
ſchuldig gemacht hat; 


IS 


3. wenn bei dem Urteil ein Richter, Gefchworener oder Shöffe mit- 
gewirkt Hat, welcher fich in Beziehung auf die Sache einer Ver: 
legung jeiner Amtspflichten jchuldig gemacht hat, jofern dieje Ver: 
legung mit einer im Wege des gerichtlichen Strafverfahrens zu 
verhängenden öffentlichen Strafe bedroht ijt; 


4. wenn von dem Freigeſprochenen vor Gericht oder aufergerichtlich 
ein glaubwürdiges Geftändnis der jtrafbaren Handlung abgelegt wird. 


Beteiligung des Verletzten bei dem Verfahren. 99 


Unzulaſſigkeit der Wiederaufnahme, 

$ 403. Eine Wiederaufnahme des Verfahrens zum Zwede der Aen— 
derung der Strafe innerhalb des durch dasſelbe Geſetz bejtimmten Strafmahes 
findet nicht ſtatt. 

$ 404. Ein Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens, welcher auf 
die Behauptung einer jtrafbaren Handlung gegründet werden joll, ijt nur dann 
zuläjlig, wen wegen dieſer Handlung eine vechtsfräftige Verurteilung ergangen 
ift, oder wenn die Einleitung oder Durchführung eines Strafverfahrens aus 
anderen Gründen als wegen Mangels an Beweis nicht erfolgen fann. 


ss 405—413 behandeln die Form des Antrags auf Wiederaufnahme 
des Verfahrens, die Entjcheidung des Gerichtes über den Antrag und die er- 
neute Dauptverhandlung. 


Sünftes Bud. 
Beteiligung des Verletzten bei dem Berjahren. 


1. Abſchnitt. 


Privatklage. 
Zuiläffigteit der Privatklage. 

s 414. Beleidigungen und Körperverlegungen fünnen, ſoweit die Ver- 
folgung nur auf Antrag eintritt, von dem Verfegten im Wege der Privat: 
flage verfolgt werden, ohne daß es einer vorgängigen Anrufung der Staate- 
anwaltjchaft bedari. | 

Die gleiche Befugnis jteht denjenigen zu, welchen in den Strafgeſetzen 
das Recht, jelbitändig auf Bejtrafung anzutragen, beigelegt ijt. 

Hat der Verlegte einen gejeglichen Vertreter, jo wird die Befugnis zur 
Erhebung der Privatklage durd) diefen und, wenn Korporationen, Gejellichaften 
und andere Perjonenvereine, welche als folche in bürgerlichen Rechtsitreitigfeiten 
flagen fünnen, die Verlegten find, durch diejelben Berlonen wahrgenommen, 
durch welche fie in bürgerlichen Nechtsftreitigfeiten vertreten werden. 

Ss 415 behandelt den all, wenn wegen derjelben firafbaren Handlung 
mehrere Perſonen Privatklage erheben fünnen. 

ss 416, 417 behandeln die Stellung der Staatsanwaltjchaft im Privat: 
flageverfahren. 


7% 


u. ll Lu 2 ů 


100 II. Strafprogekordnung. — Fünftes Bud). 


8 418. (Auszug) Vertretung des Privatflägers durch einen Rechtsanwalt. 

$ 419. (Auszug) Sicherheitsleiftung des Privatflägers in bejtimmten 
Fällen. 

$ 420. (Auszug) Erforderlichfeit des Sühneterming, falls die Parteien 
in demfelben Gemeindebezirfe wohnen. 

ss 421—425 regeln die Erhebung der Privatflage und das Verfahren 
in der Hauptverhandlung. 

$ 426. Der Vorfigende des Gerichts bejtimmt, welche Perjonen als 
Zeugen oder Sachverſtändige zur Hauptverhandlung geladen werden jollen. 

Dem Privatlläger wie dem Angeklagten ſteht das Necht der unmittel— 
baren Ladung zu. 


Vertretung des Angeklagten. 

$ 427. In der Hauptverhandlung fann auch der Angeklagte int Beiftand 
eines Nechtsanwalts ericheinen oder fi) auf Grund einer jchriftlichen Boll- 
macht durch jolchen vertreten lafjen. 

Die Beltimmung des $ 139 findet auf den Anwalt des Klägers wie 
auf den de3 Angeklagten Anwendung. 

Das Gericht iſt befugt, das perfünliche Erfcheinen des Klägers jowie des 
Angeklagten anzuordnen, auch den Angeklagten vorführen zu laſſen. 

Widerflage. 

$ 428. Bei wechjelfeitigen Beleidigungen oder Körperverlegungen kann 
der Bejchuldigte bis zur Beendigung der Schlußvorträge (S 257) in eriter 
Inftanz mittel3 einer Widerklage die Beitrafung des Klägers beantragen. 

Ueber Klage und Widerflage iſt gleichzeitig zu erfennen. 

Die Zurüdnahme der Stage ift auf das Verfahren über die Widerflage 
ohne EinfluR. 

Einftelung des Berfahrens. 

s 429. Findet das Gericht nach verhandelter Sache, daß die für feit- 
gejtellt zu erachtenden Tatſachen eine folche itrafbare Handlung darjtellen, auf 
welche das in diejem Abjchnitte vorgejchriebene Verfahren feine Anwendung 
erleidet, jo hat es durch Urteil, welches dieſe Tatjachen hervorheben muß, die 
Einjtellung des Verfahrens auszujprechen. 

Die Verhandlungen jind in dDiefem Falle der Staatsanwaltjchaft mitzuteilen. 


8 430 behandelt die Nechtsmittel (Berufung und Nevifion) ſowie den 
Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens jeiten des Privatklägers. 


Beteiligung des Berlepten bei dem Verfahren. 101 


Zurüdnahme der Privatfiage, 


8 431. Die Privatllage fann bis zur Verkündung des Urteils erfter 
Initanz und, ſoweit zuläffige Berufung eingelegt it, bis zur Verkündung des 
Urteil8 zweiter Inſtanz zurücdgenommen werden. 

Als Zurüdnahme gilt es im Verfahren erfter und, joweit der Angeflagte 
die Berufung eingelegt hat, im Verfahren zweiter Inftanz, wenn der Privat- 
fläger in der Hauptverhandfung weder erjcheint noh durch einen Rechtsanwalt 
vertreten wird, oder in der Hauptverhandlung oder einem anderen Termine 
ausbleibt, obwohl das Gericht fein perjönliches Erjcheinen angeordnet hatte, 
oder eine Friſt nicht einhält, welche ihm unter Androhung der Einstellung des 
Verfahrens gejegt war. 

‘Soweit der Privatfläger die Berufung eingelegt hat, iſt diefelbe im Falle 
der vorbezeichneten Berläumungen unbejchadet der Beitimmung des $ 343 
jofort zu verwerfen. 

Der Privatkläger fann binnen einer Woche nad) der Verſäumung die 
MWiedereinjegung in den vorigen Stand unter den in den SS 44, 45 bezeichneten 
Rorausjegungen beanjpruchen. 


$ 432. Die zurüdgenommene PBrivatflage kann nicht von neuem er— 
hoben werben. 
ss 433, 434. (Auszug.) Tod des Privatflägers hat die Einftellung des 


Verfahrens zur Folge. Ausnahme im Falle der Behauptung unwahrer be= 
leidigender Tatjachen wider bejjeres Willen jeiten des Angeklagten. 


2. Abſchnitt. 


Debenklage. 
AZuläffigfeit der Nebentlage. 

s 435. Wer nad) Maßgabe der Beitimmung des $ 414 als Privat- 
fläger aufzutreten berechtigt ift, kann fich der erhobenen öffentlichen Klage in 
jeder Lage des Verfahrens als Nebenkläger anfchliegen. Der Anjchluß kann 
behufs Einlegung von Rechtsmitteln auch nach ergangenem Urteile gejchehen. 

$ 436. Die gleiche Befugnis jteht demjenigen zu, welcher durch einen 
Antrag auf gerichtliche Entjcheidung ($ 170) die Erhebung der öffentlichen 
Klage herbeigeführt hat, wenn die jtrafbare Handlung gegen fein Leben, feine 
Gejundheit, feine Freiheit, feinen Perfonenitand oder feine Bermögensrechte 
gerichtet war. 


102 U. Strafprogehordnung. — Fünftes Buch. — Sechſtes Bud). 


ss 437—442 behandeln die Form der Anjchlußerflärung feiten des 
Nebenklägers, feine Stellung nad) dem vom Gerichte für zuläffig erklärten Ans 
ſchluſſe als folche eines Privatflägers, jeine Befugnis, ſich der Rechtsmittel 
unabhängig von der Staatdanwaltichaft zu bedienen. 

Anträge auf Zuerfennung einer Buße. 

8 443. Die Befugnis, fich einer öffentlichen lage nach den Beitimmungen 
der SS 435—442 ale Nebenkläger anzufchließen, fteht auch demjenigen zu, 
welcher berechtigt ift, die Zuerfennung einer Buße zu verlangen. 

Wer die Zuerfennung einer Buße in einem auf erhobene öffentliche 
Klage anhängigen Verfahren beantragen will, muß fich zu dieſem Zwede der 
Klage als Nebenkläger anjchließen. 

$ 444. Der Antrag auf Zuerfennung einer Buße kann bis zur Ver— 
fündung des Urteils erſter Inſtanz gejtellt werden. 

Der Antrag fann bis zur Verkündung des Urteils zurüdgenommen, ein 
zurüdgenommener Antrag nicht erneuert werden. 

Wird der Angeklagte freigejprochen oder das Verfahren eingejtellt, oder 
die Sache ohne Urteil erledigt, jo gilt auch der Antrag ohne weitere Ent- 
ſcheidung für erledigt. 

Der Anſpruch auf Buße kann von den Erben des Verletten nicht er— 
hoben oder fortgejegt werden. 

$ 445. Der Nebenkläger Hat den Betrag, welchen er ala Buhe ver: 
langt, anzugeben. 

Auf einen höheren Betrag der Buße als den beantragten darf nicht er- 
fanıt werden. 

$ 446. Die Beftimmungen der 88 444, 445 finden auf den Fall ent- 
Iprechende Anwendung, daß von dem die Buhe Beanfpruchenden die Brivat- 
flage erhoben wird. 


Sedhstes Bud. 
Bejondere Arten des Berfahrens. 


1. Abjichnitt. 
Derfahren bei amtsrichterlichen Strafbefehlen. 


s 447. In den zur Zujtändigfeit der Schöffengerichte gehörigen Sachen, 
mit Ausnahme der im $ 27 Nr. 3 bis 8 des Gerichtsverfaffungsgejehes be— 


— — — — 


Bejondere Arten des Berfahrens. 103 


zeichneten Vergehen, kann durch jchriftlichen Strafbefehl des Amtsrichters ohne 
vorgängige Verhandlung eine Strafe feitgeieht werden, wenn die Staats» 
anwaltichaft jchriftlich hierauf anträgt. 


Durch einen Strafbefehl darf jedoch feine andere Strafe als Gelditrafe 
von höchſtens einhundertfünfzig Mark oder FFreiheitsitrafe von höchſtens jechs 
Wochen, ſowie eine etwa verwirfte Einziehung feſtgeſetzt werden. 


Die Ueberweiſung des Bejchuldigten an die Landespolizeibehörde darf 
in einem Strafbefehle nicht ausgeſprochen werden. 


$ 48. Der Antrag ift auf eine bejtimmte Strafe zu richten. Der 
Amtsrichter Hat demjelben zu entjprechen, wenu der Erlafjung des Strafbefehls 
Bedenken nicht entgegenitehen. 


Findet der Amtsrichter Bedenken, die Strafe ohne Hauptverhandlung 
feftzufegen, jo ift die Sache zur Hauptverhandlung zu bringen. Dastelbe 
gilt, wenn der Amtsrichter eine andere als die beantragte Strafe feitjegen 
will und die Staatsanwaltjchaft bei ihrem Antrage beharrt. 


ss 449, 450 regeln die Erfordernifje eines Straibefehls ſowie die 
Wirkung feiner Rechtskraft. 


$ 451. Bei rechtzeitigem Einfpruche wird zur Hauptverhandlung vor 
dem Scöffengerichte gejchritten, foren nicht bis zum Beginn derjelben 
die Staatsanwaltichaft die Klage fallen läßt oder der Einſpruch zurück— 
genommen wird. 


Der Angeklagte kann jich in der Hauptverhandlung durch einen mit 
Ichriftlicher Vollmacht verjehenen Verteidiger vertreten lafjen. 


Bei der Urteilsfällung iſt das Schöffengericht an den in dem Straf- 
befehle enthaltenen Ausſpruch nicht gebunden. 


$ 452. Bleibt der Angeklagte ohne genügende Entjchuldigung im der 
Hauptverhandlung aus, und wird er auch nicht durch einen Verteidiger ver- 
treten, jo wird der Einfpruch ohne Beweisaufnahme durch Urteil verworfen. 


Ein Angeflagter, welchem gegen den Ablauf der Einjpruchsfriit Wieder: 
einjegung in den vorigen Stand gewährt worden war, fann die lehtere nicht 
mehr gegen das Urteil beanfpruchen. 


104 II. Stvafprozehordnung. — Sechſtes Buch, 


2. Abſchnitt. 
Derfahren nad vorangegangener polizeilicher 


Strafverfügung. 
Polizeiliches Berfahren. 

$ 455. Wo nad) den Beltimmungen der Landesgejege die Polizei- 
behörden befugt jind, eine in den Strafgelegen angedrohte Strafe durch Ver: 
fügung feſtzuſetzen, eritredt fich diefe Befugnis nur auf Uebertretungen. 

Auch kann die Polizeibehörde feine andere Strafe als Haft bis zu 
vierzehn Tagen oder Geldjtrafe und diejenige Haft, welche für den Fall, dat 
die Geldſtrafe nicht beigerrieben werden fann, an die Stelle der letzteren tritt, 
jowie eine etwa verwirfte Einziehung verhängen. 

Die Strafverfügung muß außer der Feſtſetzung der Strafe die jtrafbare 
Handlung, das angewendete Strafgejeg und die Beweismittel bezeichnen, auch 
die Eröffnung enthalten, daß der Befchuldigte, ſofern er nicht eine nach den 
Geſetzen zugelajjene Beſchwerde an die höhere Polizeibehörde ergreife, gegen 
die Strafverfügung binnen einer Woche nach der Belanntmachung bei ber 
Potlizeibehörde, welche dieje Verfügung erlaffen hat, oder bei dem zuftändigen 
Amtsgericht auf gerichtliche Entjcheidung antragen fünne. 

Die Strafverfügung wirft in betreff der Unterbrechung der Verjährung 
wie eine richterliche Handlung. 


Gerichtliches Berfahren. 

s 454. (Auszug) Form des Antrags auf gerichtliche Entfcheidung. 

$ 455. (Muszug.) Gegen die Verſäumung der Antragsfriit Wieder: 
einfegung in den vorigen Stand zuläfjig. 

$ 456. Sit der Antrag rechtzeitig angebradjt, jo wird zur Haupt— 
verhandlung vor dem Schöffengerichte gejchritten, ohne daß es der Einreihung 
einer Anklagefchrift oder einer Entjcheidung über die Eröffnung des Haupt- 
verfahrens bedarf. 

Bis zum Beginne der Hauptverhandlung kann der Antrag zurüd- 
genommen werden. 

$ 457. Das Verfahren vor dem Schöffengericht iſt dasjelbe wie im 
Falle einer von der Staatsanwaltichaft erhobenen und zur Hauptverhandlung 
verwiejenen Anklage. 

Der Angeklagte kann fich durch einen mit jchriftlicher Vollmacht ver: 
jehenen Verteidiger vertreten laſſen. 


Beiondere Arten des Verfahrens. 105 


Bei der Urteilsfällung iſt das Gericht an den Ausſpruch der Polizei« 
behörde nicht gebunden. 
$ 458. Stellt ſich nad) dem Ergebnijje der Hauptverhandlung die Tat 
des Angeflagten als eine folche dar, bei welcher die Polizeibehörde zum Erlaß 
einer Strafverfügung nicht befugt war, jo hat das Gericht die letztere durch 
Urteil aufzuheben, ohne in der Sache jelbjt zu entjcheiden. 
Selbft wenn die Zuftändigfeit des Schöffengerichts begründet fein jollte. 


3. Abſchnitt. 
Derfahren bei Zumiderhandlungen genen die Vorſchriften 
über die Erhebung öffentlider Abgaben und Gefälle. 


Derfahren der Derwaltungsbehörden. 

8 459. Strafbejcheidve der Berwaltungsbehörden wegen Zuwiderhand— 
lungen gegen die Vorichriften über die Erhebung Öffentlicher Abgaben und 
Gefälle dürfen nur Geldjtrafen jowie eine etwa verwirkte Einziehung feitjegen. 

Der Strafbeicheid muß außerdem die jtrafbare Handlung, das angewendete 
Strafgejeg und die Beweismittel bezeichnen, auch die Eröffnung enthalten, 
daß der Belchuldigte, fofern er nicht eine nach den Gejegen zugelajjene Be- 
jchwerde an die höhere Verwaltungsbehörde ergreife, gegen den Strafbeſcheid 
binnen einer Woche nach der Bekanntmachung bei der Berwaltungsbehörde, 
welche denjelben erlajjen, oder bei derjenigen, welche ihn befannt gemacht hat, 
auf gerichtliche Entjcheidung antragen fönne. 

Der Strafbefcheid wirft in betreff der Unterbrechung der Verjährung wie 
eine richterliche Handlung. 

Freiheitsftrafen auch nicht für den Fall der Umeinbringlichkeit der Gelditrafe. 

Bergl. $ 463. 

Formmängel des Bejcheides berechtigen das Gericht nicht, ohne Entfcheidung 
in der Sache ſelbſt den Beicheid aufzuheben oder das Verfahren einzuftellen. 
Gerichtliches Berfahren. 

s 460. Wird auf gerichtliche Enticheidung angetragen, jo überjendet 
die Verwaltungsbehörde, falls fie nicht den Strafbeicheid zurüdnimmt, die 
Akten an die zuftändige Staatsanwaltjchaft, welche fie dem Gerichte vorlegt. 

Die Staatsanwaltfchaft ift zur Zurüdnahme des Befcheides nicht befugt. 
$ 461. Im betreff der Wiedereinjegung in den vorigen Stand finden 
die Beitimmungen des $ 455 entiprechende Anwendung. 

$ 462. (Auszug) Bei rechtzeitigem Antrag Hauptverhandlung vor 
dem zuitändigen Gerichte ohne Anklagejchrift. 


——— gm — — — — 


106 11. Strafprozehordnung. — Schites Bud. 


$ 463. (Auszug) Umwandlung der in einem volljtredbaren Straf- 

befcheide feitgejegten, nicht beizutreibenden Gelditrafe durch das Gericht. 
Sclbftändige Anflage der VBerwaltungäbehörde. 

s 464. Hat die Verwaltungsbehörde einen Strafbejcheid nicht erlafien 
und lehnt die Staatsamwaltichaft den an fie gerichteten Antrag auf Ver— 
tolgung ab, jo iſt die Verwaltungsbehörde befugt, jelbit die Anklage zu erheben. 

In einem folchen Falle hat fie einen Beamten ihres Berwaltungszweiges 
oder einen Rechtsanwalt als ihren Vertreter zu bejtellen und in der Anklage 
namhaft zu machen. 

$ 465. Die Staatsanwaltichaft iſt zu einer Miwirkung in jeder Yage 
des Verfahrens berechtigt. 

Bei der Hauptverhandlung muß fie vertreten fein; auch hat fie die 
gerichtlich angeordneten Ladungen zu derjelben zu bewirfen. 

Ale im Laufe des Berfahrens ergebenden Enticheidungen find ihr 
befannt zu machen. 

s 466. Im übrigen regelt jich das Verfahren auf die von der Ver: 
waltungsbehörde erhobene Anklage nad) den für die Privatflage gegebenen 
Beitimmungen. 

S 467. (Huszug.) Anfchliegung der Benwvaltungsbehörde an das gericht» 
liche Verfahren. 

S 468. (Muszug.) Zuſtellung der gerichtlichen Entjcheidungen am die 
Verwaltungsbehörden. 

Ss 469. (Auszug) Friſten bei Rechtsmitteln der Berwaltungsbehörden. 


4. Abichnitt. 
Derfahren gegen Abmwefende, melde ſich der Wehrpflicht 
entzogen haben. 


8 470. Bei Unterjuchungen gegen 

Wehrprlichtige, welche in der Abficht, ſich dem Eintritt in den 
Dienjt des ftehenden Heeres oder der Flotte zu entziehen, ohne Er— 
laubnis das Bundesgebiet verlafjen haben oder nach erreichtem 
milttärpflichtigen Alter ich außerhalb des Bundesgebietes aufhalten 
F 140 Abi. 1 Nr. 1 des Strafgeſetzbuchs), 

Offiziere und im Offizierrange jtehende Aerzte des Benrlaubten- 
jtandes, jowie beurlaubte Neferviiten und Wehrmänner der Yand- 
oder Seewehr, welche ohne Erlaubnis ausgewandert find (S 140 


Beſondere Arten des Verfahrens. 107 


Abſ. 1 Nr. 2 und $ 360 Nr. 3 des Strafgeſetzbuchs), Erfagrejerviiten 
eriter Klafje, welche ausgewandert find, ohne der Militärbehörde 
vorher Anzeige gemacht zu haben ($ 360 Nr. 3 des Strafgefegbuche), und 
Wehrpflichtige, welche nach öffentlicher Bekanntmachung einer 
vom Kaiſer für die Zeit eines Krieges oder einer Kriegsgefahr er- 
laſſenen bejonderen Anordnung im Widerjpruch mit derjelben aus— 
gewandert find ($ 140 Abſ. 1 Nr. 3 des Strafgeſetzbuchs) 
findet in Abweſenheit des Angeklagten eine Hauptverhandlung nad) Maßgabe 
der folgenden Beitimmungen jtatt. 

s 471. Für das Verfahren ift dasjenige Gericht zuftändig, in deſſen 
Bezirf der Angeklagte feinen legten Wohnfig oder gewöhnlichen Aufenthalt im 
Deutſchen Reich gehabt hat. j 

Das Verfahren fann gleichzeitig gegen mehrere Berjonen gerichtet werden 
und die Verhandlung und Entjcheidung ungetrennt erfolgen. 

$ 472 regelt die Erhebung der Anklage und die Eröffnung des Haupt: 
verfahrens. 

s 473. (Auszug) Ladung des Angeklagten zur Hauptverhandlung. 

s 474. (Auszug) Für den Angeklagten können ein Verteidiger oder 
Angehörige auftreten. 

s 475. (Auszug) Inhalt des Urteils. 

Ss 476. (Auszug) Zuftellung des Urteils. 


5. Abſchnitt. 
Derfahren bei Eingiehungen und Vermögensbeſchlagnahmen. 


Ss 477. In den Fällen, in welchen nach $ 42 des Strafgejeßbuchs oder 
nach andermweiten gejeglichen Beftimmungen auf Einziehung, Vernichtung oder 
Unbraudbarmahjung von Gegenjtänden jelbitändig erfannt werden fann, it 
der Antrag, jofern die Entjcheidung nicht in Verbindung mit einem Urteil in 
der Hauptjache erfolgt, jeitens der Staatsanwaltjchaft oder des Privatflägers 
bei demjenigen Gericht zu jtellen, welches für den Fall der Verfolgung einer 
bejtimmten Perſon zujtändig jein würde. 

An die Stelle des Schwurgerichts tritt die an dejjen Sigungsorte bes 
jtehende Straffammer. 

Ss 478. Die Verhandlung und Entjcheidung erfolgt in einem Termine, 
auf welchen die Bejtimmungen über die Hauptverhandlung entiprechende An— 
wendung finden. 


108 U. Strafprozekordnung. — Sechſtes Buch. — Siebentes Bud). 


Berfonen, welche einen rechtlichen Anſpruch auf den Gegenjtand der 
Einziehung, Vernichtung oder Unbrauchbarmahung haben, jind, jomweit dies 
ausführbar erjcheint, zu dem Termine zu laden. 

Diefelben können alle Befugniffe ausüben, welche einem Angeklagten 
zujtehen, ſich auch durch einen mit jchriftlicher Bollmacht verfehenen Verteidiger 
vertreten laſſen. Durch ihr Nichterfcheinen wird das Verfahren und die 
UÜrteilsfällung nicht aufgehalten. 

Das Urteil lautet entweder auf Einziehung der Gegenfiände oder auf 

Zurückweiſung des Antrags, 

s 479, Die Rechtsmittel gegen das Urteil ſtehen der Staatsanwalt— 
ichaft, dem Privatfläger und den im $ 478 bezeichneten Perjonen zu. 

Ss 480. Auf die im $ 93 des Strafgeſetzbuchs vorgeſehene Beſchlag— 
nahme des Vermögens eines Angejchuldigten finden die Beltimmungen der 
88 333—335 und auf die im $ 140 des Strafgefegbuchs vorgejehene Be- 
ichlagnahme die Beitimmungen der 88 325, 326 entiprechende Anwendung. 


Siebentes Bud). 


Strafvolliirefung und Koſten des Verfahrens. 


1. Abſchnitt. 
Strafvolltredung. 


Vorausſetzung der Strafvolftredung. 

$ 481. Strafurteile find nicht vollitredbar, bevor fie rechtskräftig 
geworden ſind. 

Anrechnung der Unterfuhnungöhaft. 

s 482. Auf die zu vollitredende Freiheitsſtrafe iſt unverkürzt diejemige 
Unterfuchungshaft anzurechnen, welche der Angeklagte erlitten hat, jeit er auf 
Einlegung eines Nechtsmittels verzichtet oder das eingelegte Rechtsmittel zurück— 
genommen hat oder jeitdem die Einlegungsfrijt abgelaufen ift, ohne daß er 
eine Erklärung abgegeben hat. 


Oder Seitdem das Nevifionsurteil verkündet worden ift, welches die Ver: 
urteilung beftätigt. 


Strafvollftrefung umd Koſten des Verfahrens. 109 


Strafvolftredende Behörde. 
$ 483. Die Strafvollitrefung erfolgt durch die Staatsanwaltjchaft 
auf Grund einer von dem Gerichtsichreiber zu erteilenden, mit der Beſcheinigung 
der Vollſtreckbarkeit verſehenen, beglaubigten Abjchrift der Urteiläformel. 


Den Amtsanwälten jteht die Strafvollftredung nicht zu. 


Für die zur Zuftändigfeit der Schöffengerichte gehörigen Sachen kann 
durch Anordnung der Landesjuftizverwaltung die Strafvollitretung den Amts— 
tichtern übertragen werden. 

Begnadigungörcht des Kaiſers. 

s 484. In Sachen, in denen das Reichsgericht in erſter Inſtanz erkannt 
hat, ſteht das Begnadigungsrecht dem Kaiſer zu. 

Außerdem in Elſaß-Lothringen und im den Ronſulargerichts- und 

Schuggebieten. 

Vollſtreckung der Zodesurieile. 
$ 485. Todesurteile bedürfen zu ihrer Vollitredung feiner Beſtätigung. 
Die Vollſtreckung iſt jedoch erjt zuläjjig, wenn die Entichliegung des Staats: 
oberhauptes und in Sachen, in denen das Reichsgericht in erjter Inftanz er- 
fannt hat, die Entichliegung des Kaiſers ergangen it, von dem Begnadigungs- 
rechte feinen Gebraud) machen zu wollen, 

An jchwangeren oder geiftesfranfen Perſonen darf ein Todesurteil nicht 

vollitredt werden. 


$ 486. Die Volljtrefung der Todesstrafe erfolgt in einem umſchloſſenen 
Raume. 

Bei der Vollſtreckung müſſen zwei Mitglieder des Gerichts erſter Inſtanz, 
ein Beamter der Staatsanwaltſchaft, ein Gerichtsſchreiber und ein Gefängnis— 
beamter zugegen ſein. Der Gemeindevorſtand des Orts, wo die Hinrichtung 
ſtattfindet, iſt aufzufordern, zwölf Perſonen aus den Vertretern oder aus 
anderen achtbaren Mitgliedern der Gemeinde abzuordnen, um der Hinrichtung 
beizuwohnen. 

Außerdem iſt einem Geiſtlichen von dem Religionsbekenntniſſe des Ver— 
urteilten und dem Verteidiger und nach dem Ermeſſen des die Vollſtreckung 
leitenden Beamten auch anderen Perſonen der Zutritt zu geſtatten. 


Ueber den Hergang iſt ein Protofoll aufzunehmen, welches von dem 
Beamten der Staatsanwaltichaft und dem Gerichtsichreiber zu unterzeichnen it. 


110 U. Strafprogehordnung. — Siebentes Bud). 


Der Leichnam des Hingerichteten ift den Angehörigen desjelben auf ihr 
Berlangen zur einfachen, ohne FFeierlichkeit vorzunehmenden Beerdigung zu 
verabfolgen. 


Aufſchub der Bolftredung von Freiheitäftrafen. 


5 487. Die Vollftredung einer Freiheitsſtrafe it aufzujchieben, wenn 
der Berurteilte in Geiitesfranfheit verfällt. 

Dasjelbe gilt bei anderen Krankheiten, wenn von der Volljtredung eine 
nahe Lebensgefahr für den Verurteilten zu bejorgen fteht. 


Die Strafvollftredung fann auch dann aufgefchoben werden, wenn ic 
der Verurteilte in einem förperlichen Zujtande befindet, bei welchem eine jo- 
fortige Vollftrefung mit der Einrichtung der Strafanftalt unverträglich it. 


8 488. Auf Antrag des Berurteilten kann die Vollſtreckung auf: 
gejchoben werden, ſofern durch die jofortige Vollſtreckung dem Berurteilten 
oder der Familie desfelben erhebliche, außerhalb des Strafzweds liegende 
Nachteile erwachlen. 

Der Strafaufichub darf den Zeitraum von vier Monaten nicht überiteigen. 


Die Bewilligung desjelben kann am eine Sicherheitsfeiftung oder andere 
Bedingungen gefnüpft werben. 
In den Fällen diefes 8 488 iſt nur Beichwerde an die vorgelegten 
Inftanzen der Strafvollftretungsbehörde, nicht Herbeiführung gerichtlicher Ent: 
ſcheidung nad 8 490 zuläffig. 


$ 489. (Auszug) Vorführungs- oder Haftbefehl oder Stedbrief gegen 
den Verurteilten zum Zwecke der Strafverbüßung. 


Gerihtlihe Entihelvungen in bezug auf die Strafvollfiredung. 


s 4%. Wenn über die Auslegung eines Strafurteils ‚oder über die 
Berechnung der erfannten Strafe Zweifel entitehen oder wenn Einwendungen 
gegen die Zuläffigfeit der Straivolliiredung erhoben werden, fo iſt die Ent: 
Scheidung des Gerichts herbeizuführen. 

Dasjelbe gilt, wenn nach Mafgabe des $ 487 Einwendungen gegen die 
Ablehnung eines Antrags auf Aufichub der Strafollitredung erhoben werden. 

Der Fortgang der Vollſtreckung wird hierdurch nicht gehemmt; das 


Gericht kann jedoch einen Aufſchub oder eine Unterbrehung der Volljtredung. 


anordnen. 


s$ 491 und 492. (Huszug.) Sonstige gerichtliche Enticheidungen. 





Strafvollſtreckung und Kojten des Verfahrens. 111 


s 493. Iſt der Verurteilte nad) Beginn der Strafvollitrefung wegen 
Krankheit in eine von der Strafanftalt getrennte Krankenanſtalt gebracht 
worden, jo ift die Dauer des Aufenthalts in der Krankenanſtalt in die Straf: 
zeit einzurechnen, wenn nicht der Verurteilte mit der Abficht, die Strafvoll— 
ftredung zu unterbrechen, die Krankheit herbeigeführt hat. 

Die Staatsanwaltichaft hat im legteren Falle eine Entjcheidung des 
Gerichts herbeizuführen. 

Auch Geiſteskrankheit gilt als Krankheit. 

Damit ift nicht ausgeſchloſſen, daß wegen Krankheit die Vollſtreckung 
unterbrochen werden kann. 

Bloße Verſchuldung der Krankheit genügt nicht. 

s 494. (Auszug) Zuſtändiges Gericht für die bei der Strafvollitrefung 
notwendig werdenden gerichtlichen Entjcheidungen. 


s 49%. (Auszug). Vollſtreckung der Vermögenzftrafen und Bupen. 


2, Abſchnitt. 
Koften des Berfahrens. 


S 4%. Jedes Urteil, jeder Strafbefehl und jede eine Unterjuchung ein— 
jtellende Enticheidung muß darüber Beltimmung treffen, von wen die Koſten 
des Werfahrens zu tragen find. 

Wenn über die Höhe der Kojten oder über die Notwendigkeit der unter 
ihnen begriffenen Auslagen Streit entjteht, jo erfolgt hierüber bejondere Ent- 


ſcheidung. 
Pricht zur Koſtentragung. 


$S 497. Die Kojten, mit Einfchluß der durch die Vorbereitung der öffent: 
lichen Klage und die Strafvollitredung entjtandenen, hat der Angeklagte zu 
tragen, wenn er zu Strafe verurteilt wird. 

Stirbt ein Verurteilter vor eingetretener Nechtsfraft des Urteils, fo 
haftet jein Nachlaß nicht für die Koften. 

SKoftenteilung, Gefamthaftung. 

$ 498. Wenn ein Angeflagter in einer Unterfuchung, welche mehrere 
jtrafbare Handlungen umfaßt, nur in Anfehung eines Teils derjelben ver- 
urteilt wird, durch die Verhandlung der übrigen Straffälle aber bejondere 
Koiten entitanden find, jo ijt er von deren Tragung zu entbinden. 


— ——— —— — — - 


112 I. Ztraiprozehordnung. — Ziebentes Bud). 


Mitangeklagte, welche in bezug auf diejelbe Tat zu Strafe verurteilt 
find, haften für die Auslagen als Gejamtjchuldner. Dies gilt nicht von den 
durch die Strafvollftredung oder die Unterfuchungshaft entitandenen Kojten. 

Koften und notwendige Auslagen bei Frreifprehung uſw. 

$ 499. Einem freigefprochenen oder außer Verfolgung gejegten An— 
gejchuldigten find nur ſolche Koſten aufzuerlegen, welche er durch eine ſchuld— 
bare Verſäumnis veruriadht hat. 

Die dem Angejchuldigten erwachjenen notwendigen Auslagen fünnen der 
Staatskaſſe auferlegt werden. 


Weitere Einzelheiten der Koftenfrage. 


ss 500—506 enthalten Beitimmungen über Kojtenverteilung und Koſten— 
tragung bei wechjelfeitigen Beletdigungen oder Körperverlegungen, bei Anzeigen, 
wider bejjeres Wijjen oder auf Grund grober Fahrläſſigkeit eritattet, im 
Privarflageverfahren, bei Rüdnahme oder Griolglofigfeit von Nechtsmitteln, 
bei Wiedereinfegung in den vorigen Stand, bei Sachen, die in erjter Inſtanz 
zur Zuftändigfeit des Reichsgerichts gehören. 


Anhang. 
1. Gebührenordnung für Zeugen und Sachverſtändige. 


Rom 30. Juni 1878. R.G.Bl. S. 178.) 


Geltungsgebiet der Gebührenordnung. 

8 1. In den vor die ordentlihen Gerichte gehörigen Nechisfachen, 
auf welche die Zivilprogekordnung, die Strafprozekordnung oder die Konkurs— 
ordnung Anwendung findet, erhalten die Zeugen und Sacjverjtändigen Ge- 
bühren nad) Maßgabe der folgenden Bejtimmungen. 

Zeugen. 
$ 2. Der Zeuge erhält eine Entjchädigung für die erforderliche Zeit- 
verjäumnis im Betrage von 10 Pfennig bis zu 1 Mark auf jede an- 
gefangene Stunde. e 

Die Entjchädigung it unter Berücjichtigung des von dem Zeugen ver- 
jäumten Erwerbe3 zu bemejjen und für jeden Tag auf nicht mehr als 
10 Stunden zu gewähren. 

Perſonen, welche durch gemeine Handarbeit, Handwerksarbeit vder 
geringeren Gewerbebetrieb ihren Unterhalt juchen, oder ſich in gleichen Ver: 
hältniffen mit jolchen Perjonen befinden, erhalten die nach dem geringjten 
Sate zu bemefjende Entichädigung auch dann, wenn die Verfäumnis eines 


Erwerbes nicht ftattgefunden hat. 
Sachverſtändige. 


8 3. Der Sachverſtändige erhält für ſeine Leiſtungen eine Vergütung 
nach Maßgabe der erforderlichen Zeitverſäumnis im Betrage bis zu 2 Mark 
auf jede angefangene Stunde. 

Die Vergütung iſt unter Berückſichtigung der Erwerbsverhältniſſe des 
Sachverſtändigen zu bemeſſen und für jeden Tag auf nicht mehr als 10 Stunden 
zu gewähren. 

Außerdem ſind dem Sachverſtändigen die auf die Vorbereitung des Gut— 
achtens verwendeten Koſten, ſowie die für eine Unterſuchung verbrauchten Stoffe 
und Werkzeuge zu vergüten. 


114 II. Strafprozekordnung. — Auhang. 


8 4. Bei jchwierigen Unterfuchungen und Sahprüfungen ift dem Sach— 
verjtändigen auf Verlangen für die aufgetragene Leiſtung eine Vergütung nad) 
dem üblichen Preife derjelben und fir die außerdem ftattfindende Teilnahme 
an Terminen die im $ 3 bejtimmte Vergütung zu gewähren. 


Berfäumte Zeit. 

$5. Als verfäumt gilt für den Zeugen oder Sacdverjtändigen auch 
die Zeit, während welcher er feine gewöhnliche Beichäftigung nicht wieder auf: 
nehmen fanın. 

Neifeentihädigung. 

$ 6. Mufte der Zeuge oder Sachverſtändige außerhalb jeines Aufenthalts- 
ortes einen Weg bis zur Entfernung von mehr ald 2 Kilometer zurüclegen, 
jo it ihm außer den nach SS 2 und 5 zu beitimmenden Beträgen eine Ent- 
ſchädigung für die Neife und für den durch die Abwejenheit von dem Aufenthalts« 
orte verurfachten Aufwand nach Maßgabe der folgenden Beitimmungen zu 
gewähren. 

s 7. Soweit nach den perjönlichen Berhältnijien des Zeugen oder 
Sacjverjtändigen oder nach äußeren Umjtänden die Benugung von Transport= 
mitteln für angemejjen zu erachten iſt, Jind als Neijeentichädigung die nach 
billigem Ermefien in dem einzelnen Falle erforderlichen Koiten zu gewähren. 
In anderen Fällen beträgt die Neifeentjchädigung für jedes angefangene Kilo: 
meter des Hinweges und des Rückweges 5 Piennig. 

Ss 8 Die Entjchädigung für den durch Abwejenheit von dem Aufenthalts: 
orte verurjachten Aufwand ift nach den perjönlichen Verhältniſſen des Zeugen 
oder Sachverjtändigen zu bemejien, joll jedoch den Betrag von 5 Mark für 
jeden Tag, an weldyem der Zeuge oder Sachverjtändige abwejend geweſen ift, 
und von 3 Marf für jedes auferhalb genommene Nachtquartier nicht über- 
jchreiten. 

Kllometergebühr. 

59 Mußte der Zeuge oder Sadjverjtändige innerhalb jeines Aufenthalts- 
ortes einen Weg bis zu einer Entfernung von mehr als 2 Kilometer zurück— 
legen, jo ift ihm für den ganzen zurüdgelegten Weg eine Reiſeentſchädigung 
nach den Borichriften des S 7 zu gewähren. 

s 10. Konnte der Zeuge oder Sachverftändige den erforderlihen Weg 
ohne Benutzung von Transportmitteln nicht zurüdlegen, jo find die nach 
billigem Ermefjen erforderlichen Kojten auch außer den in den 88 6, 9 be— 
ſtimmten Fällen zu gewähren. 





—— 





Gebührenordnung für Zeugen und Sadjveritändige. 115 


s 11. Abgaben für die erforderliche Benugung eines Weges find in 


jedem Falle zu erftatten. 
Begleitung des Zeugen. 


$ 12. Bedarf der Zeuge wegen jugendlichen Alters oder wegen. Gebrechen 

eines Begleiters, jo find die beitimmten Entichädigungen für beide zu gewähren. 
Zarvorfhriiten für Sachverſtändige. 

8.13. Soweit für gewifje Arten von Sachverjtändigen befondere Tar- 
vorjchriften bejtehen, welche an dem Orte des Gerichts, vor welches die Yadung 
erfolgt, und an dem Aufenthaltsorte des Sadjverjtändigen gelten, kommen 
lediglich dieje Vorjchriften in Anwendung. Gelten ſolche Taxvorſchriſten nur 
an einem diejer Orte, oter gelten an demjelben verjchiedene Taxvorſchriften, jo 
kaun der Sacverjtändige die Anwendung der ihm günstigeren Beitimmungen 
verlangen. 

Dolmeticher erhalten Entjchädigung als Sachverftändige nad) den Vor— 
Schriften dieſes Gejeges, jofern nicht ihre Leiftungen zu den Pflichten eines 


von ihnen verjehenen Amtes gehören. 
Deffentlihe Beamte. 


s 14. Deffentliche Beamte erhalten Tagegelder und Erjtattung von 
Reiſekoſten nach Maßgabe der für Dienitreifen geltenden VBorichriften, falls 
fie zugezogen werden: 

1. als Zeugen über Umjtände, von denen fie in Ausübung ihres Amtes 

Kenninis erhalten haben; 

2, ald Sacdveritändige, wenn jie aus Beranlafjung ihres Amtes zu: 
gezogen werden und die Ausübung der Wijienjchaft, der Kunſt oder 
des Gewerbes, deren Kenntnis VBorausjegung der Begutachtung it, 
zu den Pflichten des von ihnen verjehenen Amtes gehört. 

Werden nach den Vorjchriften diejes Paragraphen Tagrgelder und Reiſe— 
fojten gewährt, jo findet eine weitere Vergütung an den Zeugen oder Sad), 
verjtändigen nicht jtaıt. 

$ 15. Iſt ein Sachverjtändiger jür die Erftattung von Gutachten im 
allgemeinen beeidigt, jo fünnen die Gebühren für die bei beitimmten Gerichten 
vorfommenden Gejchäjte durch Uebereinfommen bejtimmt werden. 

Zahlung nur auf Berlangen; Erlöihung des Anſpruchs. 
$ 16. Die Gebühren der Zeugen und Sachverſtändigen werden nur 
auf Verlangen derjelben gewährt. Der Anfpruch erliicht, wenn das Verlangen 
binnen 3 Monaten nach Beendigung der Yuziehung oder Abgabe dis Gut» 
achtens bei dem zujtändigen Gerichte nicht argebracht wird. 


3* 


116 11. Straſprozeßordnung. — Anhang. 


Feſtſetzung der Gebühren Durch dad Gericht; Beſchwerde. 


$ 17. Die einem Zeugen oder Sachverſtändigen zu gewährenden Beträge 
werden durch das Gericht oder den Nichter, vor welchem die Verhandlung 
itattfindet, feitgejegt. 

Sofern die Beträge aus der Staatsfafje gezahlt und diefer nicht erjtattet 
find, fann die FFeitfegung von dem Gerichte oder dem Richter, durch welche 
jie erfolgt ift, fowie von dem Gerichte der höheren Initanz von Amts wegen 
berichtigt werden. 

Gegen die Feitjegung findet Bejchwerde nach Maßgabe des 8 530 Abj. 2 
und der $$ 531 bis 538 der ZPO. ſowie des $ 4 Abi. 3 des Gerichtsfojten- 
gejeges, in Strafjachen nach Mafgabe der 88 346 bis 352 der Strafprozeh- 
ordnung ftatt. 


2. Geſetz, betreffend die Entihädigung der im Wicder- 
aufnahmeverfahren freigeiprocenen Perſonen. 


Bom 20. Mat 1898. (R.G. Bl. ©. 345.) 


Anfpruhöbereähtigte. 

$ 1. Perſonen, welche im Wiederaufnahmeverfahren freigeiprochen oder 
in Anwendung eines milderen Strafgejeges mit einer geringeren Strafe belegt 
werden, fünnen Entichädigung aus der Staatsfafje verlangen, wenn die früher 
erfannte Strafe ganz oder teilweile gegen fie volljtredt worden ift. Das 
Wiederaufnahmeverfahren muß die Unschuld des Verurteilten bezüglich der ihm 
zur Laſt gelegten Tat oder bezüglich eines die Anwendung eines jchmwereren 
Strafgejeges begründenden Umſtandes ergeben oder doc) dargetan haben, daß 
ein begründeter Verdacht gegen den Angeklagten nicht mehr vorliegt. 


Außer dem Berurteilten haben diejenigen, denen gegenüber er kraft Ge— 
ſetzes unterhaltspflichtig war, Anſpruch auf Entichädigung. 


Entihädigung der im Wiederaufnahmeverfahren freigeiprodenen Perjonen. 117 


Der Anspruch auf Entjchädigung it ausgeſchloſſen, wenn der Verurteilte 
die frühere Verurteilung vorjäglich herbeigeführt oder durch grobe Fahrläſſig— 
feit verjchuldet hat. 

Die Verſäumung der Einlegung eines Rechtsmittels ift nicht als Fahr: 
läſſigkeit zu erachten. 

Gegenftand des Grfakes. 

8 2. Gegenjtand des dem Verurteilten zu leijtenden Erjages iſt der 
für ihn durch die Strafvollitredung entitandene VBermögensjchaden. 

Unterhaltungsberechtigten ift injoweit Erjaß zu leiften, als ihnen durch 
die Strafvollitrefung der Unterhalt entzogen worden ilt. 


Zahlungspflitiger Staat. 
53 Die Entjchädigung wird aus der Kafje desjenigen Bundesjtaats 
gezahlt, bei dejfen Gerichte das Strafverfahren in erjter Inſtanz anhängig war. 
Bis zum Betrage der geleisteten Entichädigung tritt die Kaſſe in die 
Rechte ein, welche dem Entfchädigten gegen Dritte um deswillen zujtehen, weil 
durch deren rechtswidrige Handlungen feine Berurteilung herbeigeführt war. 


Gerihtöbeihlun über FJahlungspflicht. 

$ 4. Ueber die Verpflichtung der Staatskaffe zur Entjehädigung wird 
durch bejonderen Beſchluß des im Wiederaufnahmeverfahren erfennenden Ge- 
richts Beſtimmung getroffen. 

Der Beichluß it von dem Gerichte gleichzeitig mit dem Urteile zu fafjen, 
aber nicht zu verfünden, jondern durch Zuftellung befannt zm machen. Der 
Beichluß unterliegt nicht der Anfechtung durch Rechtsmittel. Er tritt außer 
Kraft, wenn das Urteil aufgehoben wird. 


Derfolgung des Anſpruchs. Berfahren. 

s5. Wer auf grund des die Verpflichtung der Staatsfafje zur Ent— 
ſchädigung ausjprechenden Bejchlufjes einen Anfpruch geltend macht, hat dieſen 
Anspruch bei Vermeidung des Verluftes binnen drei Monaten nach Zuftellung 
des Beichlufjes durch Antrag bei der Staatsanwaltichaft zu verfolgen. Der 
Antrag iſt bei der Staatsanwaltichaft desjenigen Landgerichts zu jtellen, in 
dejien Bezirk das Urteil ergangen tft. 

Ueber den Antrag entjcheidet die oberſte Behörde der Landesjuſtiz— 
verwaltung. Eine Ausfertigung der Entjcheidung it dem Antragiteller nach 
den Borjchriften der Zivilprozekordnung zuzuſtellen. 


118 Il. Strafprozehordnung. — Anhang. 


Gegen die Entjcheidung iſt die Berufung auf den Rechtsweg zuläffig. 
Die Klage ift binnen einer Ausfchlußfriit von drei Monaten nad) Zuftellung 
der Entjcheidung zu erheben. Für die Anſprüche auf Entfchädigung find Die 
Zivilkammern der Landgerichte ohne Rüdjicht auf den Wert des Streitgegen- 
jtandes ausschließlich zuitändig. 

Big zur endgültigen Entjcheidung über den Antrag iſt der Anipruch 
weder übertragbar, noch der Pfändung unterworfen. 

Erſatzpflicht der Reichstaſſe. 

86. Im den zur Zuſtändigkeit des Reichsgerichts in erſter Inſtanz 
gehörigen Sachen iſt jtatt der Staatefafje die Reichskaſſe erjagpflichtig. 

In diefen Fällen tritt an die Stelle der Staatsanwaltichaft des Yand- 
gerichts die Staatsanwaltſchaft bei dem Neichagericht, an die Stelle der oberiten 
Behörde der Pandesjuftizverwaltung der Reichskanzler. 


3. Geſttz, betreffend die Eutſchüdigung für unſchuldig 
erlittene Unterſuchungshaft. 


Bom 14. Juli 1904. (R.G.Bl. ©. 321.) 
Anipruchöberchtigte. 

$ 1. Perſonen, die im Strafverfahren freigeiprochen oder durch Beichluß 
des Gerichts außer Verfolgung gejegt find, können für erlittene Unterfuchungs- 
haft Entſchädigung aus der Staatsfafie verlangen, wenn das Verfahren ihre 
Unschuld ergeben oder dargetan hat, daß gegen fie ein begründeter Verdacht 
nicht vorliegt. 

Außer dem Verhafteten haben diejenigen, denen gegenüber er fraft 
Geſetzes unterhaltspflichtig war, Anſpruch auf Entichädigung. 

Ausſchluß des Auſpruchs. 

8 2. Der Anſpruch auf Entſchädigung it ausgeſchloſſen, wenn der 
Verhaftete die Unterſuchungshaft vorjäglich herbeigeführt oder durch grobe 
Fahrläfjigfeit verjchuldet hat. Die Verfäumung der Einlegung eines Rechts— 
mittels it micht als eine Fahrläſſigkeit zu erachten. 

Der Anspruch kann ausgeichlofien werden, wenn die zur Interfuchung ge— 
zogene Tat des Berhafteten eine grobe Unredlichkeit oder Unfittlichfeit in ſich ge- 
ſchloſſen Hat oder in einem die freie Willensbeftimmung ausichliegenden Trunfen« 
heit3zuitand begangen worden ijt oder wenn aus den Tatumjtänden erhellt, daß 
der Berhaftete die Berübung eines Verbrechens oder Vergehens vorbereitet hatte. 





— — — — — 


Entſchädigung für unfchuldig erlittene Unterſuchungshaft. 119 


Der Anjpruch kann aud dann ausgefchloifen werden, wenn der Ber: 
haftete zur Zeit der Verhaftung jich nicht im Beſitze der bürgerlichen Ehren» 
rechte befand oder unter Polizeiaufjicht ftand oder wenn gegen den Verhafteten 
auf grund des $ 181a oder des 8 362 des Strafgejegbuchd innerhalb der 
letzten zwei Jahre auf Ueberweiſung an die Yandes-Bolizeibehörde rechtsfräftig 
erfannt worden iſt. Das Gleiche gilt, wenn der Verhaftete mit Zuchthaus 
beitraft worden iſt und jeit der Verbüßung der Strafe drei Jahre noch nicht 


verflofjen jind. 
Gegenftand des Anſpruchs. 


$ 3. Gegenstand des dem Verhafteten zu leiltenden Erjaßes iſt der für 
ihn durch die Unterſuchungshaft entitandene Vermögensjchaden. Hat vor dem 
Erlafie des Haftbefchls eine Vorführung oder eine vorläufige Feitnahme 
jtattgefunden, jo erjtredt jich der Entjchädiqungsanfpruch auch auf die dem 
Haftbefehl vorausgegangene Zeit der Haft. 

Unterhaltsberechtigten iſt inſoweit Erjat zu leiften, als ihnen durch die 
Verhaftung der Unterhalt entzogen worden it. 


Gerihtöbefhluk über Zahlungspflicht. 

s 4. Ueber die Verpflichtung der Staatsfafje zur Entjchädigung wird 
von dem Gerichte gleichzeitig mit jeinem den Verhafteten freiprechenden Urteil 
durch bejonderen Beſchluß Beitimmung getroffen. 

Wird auf ein gegen das Urteil eingelegtes Rechtsmittel von nenem auf 
Freiſprechung erfannt, jo ift von dem erkennenden Gerichte nad) Maßgabe des 
Abi. 1 von neuem Beichlug zu fafjen. 

Der Beſchluß it nicht zu verfünden, jondern durch Zujtellung befannt 
zu machen, jobald das freijprechende Urteil vechtsfräftig geworden iſt. Gr 
unterliegt nicht der Anfechtung durch Rechtsmittel. Wird die Entſchädigungs— 
verpflihtung der Staatsfafje ausgeiprochen, jo ſoll der Beſchluß auch den 
Unterhaltsberechtigten, die nicht dem Hausjtande des Verhafteten angehören, 
mitgeteilt werden, fofern ihr Aufenthalt dem Gericht befannt iſt. 

Dieje Vorſchriften finden entjprechende Anwendung, wenn der Verhaftete 
durch Beichluß des Gerichts außer Verfolgung gejegt wird. 

$ 5. Der die Entjchädigungspflicht der Staatskaſſe aussprechende Beſchluß 
tritt außer Kraft, wenn zu ungunften des Freigeiprochenen die Wiederaufnahme 
des Verfahrend angeordnet oder wenn gegen den außer Verfolgung Geſetzten 
nah Wiederaufnahme der Klage das Hauptverfahren eröffnet wird. War die 
Entihädigung jchon gezahlt, jo kann das Gezahlte zurückgefordert werden. 


120 U. Strafprozehordnung. — Anhang. 


Berfolgung des Anfpruhsd. Berfahren., 

$6. Wer auf Grund des die Entjchädigungsverpflichtung der Staats= 
fafie ausjprechenden Bejchlufjes einen Anfpruch geltend macht, hat diejen 
Anspruch bei Bermeidung des Verluftes binnen jechs Monaten nad) Zustellung 
des Beichluffes durch Antrag bei der Staatsanwaltichaft des Landgerichts zu 
verfolgen, in deſſen Bezirke das Verfahren in erjter Inſtanz anhängig war. 

leber den Antrag enticheidet die oberite Behörde der Landes: Zuftiz- 
verwaltung. Eine Ausfertigung der Entjcheidung iſt dem Antragiteller nach 
den Vorjchriften der Zivilprozekordnung zuzuftellen. 

Gegen die Entjcheidung it die Berufung auf den Rechtsweg zuläſſig. 
Die Klage it binnen einer Ausſchlußfriſt von drei Monaten nach Zustellung der 
Entjcheidung zu erheben. Für die Anſprüche auf Entjchädigung find die Zivil: 
- fammern der Zandgerichte ohne Rüdjicht auf den Wert des Streitgegenitandes 
ausichließlich zuftändig. 

Bis zur rechtöfräftigen Entjcheidung über den Antrag iſt der Anſpruch 
nicht übertragbar. 

Sahlungspflihtiger Staat. 

Ss 7. Die Entjchädiqung wird aus der Kaſſe des Bundesitaats gezahlt, 
bei dejjen Gerichte das Strafverfahren in erjter Inſtanz anhängig war. 

Bis zum Betrage der geleifteten Entichädigung tritt die Kaffe im die 
Rechte ein, welche dem Eutfchädigten gegen Dritte um deswillen zuftchen, weil 
durch deren rechtswidrige Handlungen die Unterjuchungshaft herbeigeführt war. 

SS. Iſt zu Ungunften des }reigeiprochenen die Wiederaufnahme des 
Verfahrens beantragt oder gegen den außer Verfolgung Gefegten die Klage 
wieder aufgenommen worden, jo kann die Entjcheidung der oberiten Behörde 
der Landes-Juftizverwaltung ($ 6 Abf. 2) jorwie die Zahlung der Entfchädigung 
($ 7 Abi. 1) ausgeſetzt werden. 

Erſatzpflicht der Reichskaſſe. 

S9. Im den zur Zuſtändigkeit des Reichsgerichts in erſter Inſtanz 
gehörigen Sachen iſt ftatt der Staatsfajje die Reichskaſſe erfagpflichtig. 

In diefen Fällen tritt an die Stelle der Staatsanwaltichaft des Yand- 
gericht? die Staatsanmwaltichaft bei dem Neichsgericht, an die Etelle der 
oberſten Behörde der Landes - Juftizverwaltung der Reichsfanzler. 

Anwendung auf milltärgerihtliche Verfahren. 

$ 10. Diejes Geſetz findet auf die im militärgerichtlichen Verfahren 

freigefprochenen Perſonen entiprechende Anwendung. An die Stelle der 


Militärſtrafgerichtsordnung. 121 


Staatskaſſe tritt im Heere die Kaſſe desjenigen Kontingents, bei deſſen Gerichte 
das Strafverfahren in erſter Inſtanz anhängig war, in der Marine die 
Reichskaſſe. Statt der Staatsanwaltſchaft des Landgerichts iſt der Gerichtsherr 
erſter Inſtanz, ſtatt der oberſten Behörde der Landes-Juſtizverwaltung die 
oberſte Militär- oder Marine-Juſtizverwaltung zuſtändig. 
Konſulargerichtsbarkeit. 
s 11. In den zur Zuſtändigkeit der Konſulargerichte gehörigen Sachen 
findet diejes Gejeg mit folgenden Maßgaben Anwendung. 
An die Stelle der Staatsanwaltichaft des Landgerichts tritt der Konjul. 
Für die Anjprüce auf Entichädigung iſt das Neichsgericht in erjter und 
legter Inſtanz zuftändig. 
Ausländer. 
$ 12. Die Vorjchriften diejes Geſetzes finden auf Angehörige eines 
auswärtigen Staates nur injoweit Anwendung, als nach einer im Reichs— 
Geiegblatt enthaltenen Bekanntmachung durch die Gejeßgebung diejes Staates 
oder durch Staatevertrag die Gegenjeitigfeit verbürgt ilt. 


4. Militärſtrafgerichtsordnung. 


Vom 1. Dezember 1898. 
(R.G.Bl. ©. 1189.) 


Umfang der Militärftrafgerichtöbartfeit. 
$s 1. Der Militäritrafgerichtsbarfeit find, joweit nicht die folgenden 
Baragraphen ein Anderes beitimmen, wegen aller ftrafbaren Handlungen 
unterjtellt: 
1. die Militärperfonen des aktiven Heered und der aktiven Marine; 
2. die zur Dispofition gejtellten Offiziere, Sanitätsoffiziere und 
Ingenieure des Soldatenjtandes; 
3. die Studierenden der Kaiſer Wilhelms» Afademie für das militär: 
ärztliche Bildungswejen; 
4. die Schiffsjungen, jolange fie eingejchifft ſind: 
5. die in militärischen Anftalten verjorgten invaliden Offiziere umd 
Mannfchaften ; 
6. die nicht zum Soldatenjtande gehörigen Offiziere a la suite und 
Sanitätsoffiziere & la suite, wenn und jolange fie zu vorüber: 
gehender Dienſtleiſtung zugelaſſen jind; 


122 II. Strafprozehordnung. — Anhang. 


7. die verabjchiedeten Offiziere, Sanitätsoffiziere und Ingenieure des 
Soldatenstandes, wenn und jolange fie al3 jolche oder als Militär- 
beamte im afıiven Heere oder in der altiven Marine vorüber- 
gehend wieder Berwendung finden; 

8. die in den $$ 155, 157, 158, 166 des Militärftrafgefegbuchs bezeich- 
neten Berfonen, jolange fie den Militärfirafgefegen unterworfen find. 


Zuftändigfeit der bürgerlihen Behörden. 
$ 2. Den bürgerlichen Behörden bleibt die Unterfuchung und Ent— 


icheidung wegen Zuwiderhandlungen gegen Finanz- und Polizeigejege, Jagd» 
und sFiichereigejege, fowie gegen Verordnungen dieſes Inhalts überlajien, 
wenn die Handlung nur mit Geldjtrafe und Einziehung oder mit einer diejer 
Strafen bedroht ift. Der Vollzug der an die Stelle der Geldftrafen tretenden 
Freiheitsſtrafe ift mittel® Erjuchens der Militärbehörde zu bewirken. War die 
Gelditrafe wegen Zumwiderhandlung gegen die Vorjchriften über die Erhebung 
öffentlicher Abgaben und Gefälle durch Strafbejcheid der VBerwaltungsbehörde 
feitgejegt, jo erfolgt die Umwandlung in eine Freiheitsftrafe durch den zu— 
ftändigen Gerichtsherrn nad) Maßgabe des $ 463. 

Ss 3. Der bürgerlichen Strafgerichtsbarfeit unterliegen die Militär- 
perjonen des aftiven Heeres und der aktiven Marine, fofern fie nicht dem 
Dffizierftand angehören, wegen Amtsverbrechen oder Amtsvergehen, welche jie 
bei einjtweiliger Verwendung im Zivildienite des Reichs, eines Bundesitaats 
oder einer Kommune begangen haben. 

In diejen Fällen greift die Militärftrafgerichtsbarfeit Pla, wenn mit 
der Handlung eine Zuwiderhandlung gegen die Militärftrafgefege zufammentrifft. 


Ueberweiſung der Militärperfon an das bürgerliche Gericht. 
$ 4 Haben ſich bei einer Zuwiderhandlung gegen die allgemeinen 


Strafgefege mehrere Perfonen, von welchen die eine der militärifchen, die 
andere der bürgerlichen Gerichtsbarfeit umterjtellt ift, als Täter, Teilnehmer, 


Begünftiger oder Hehler beteiligt, oder jind zwiſchen ſolchen einer verfchiedenen | 


Gerichtsbarkeit unterjtellten Perſonen wechſelſeitige Beleidigungen oder Körper: 
verlegungen vorgefommen, jo fann die beteiligte Militärperfon dem bürger- 
lichen Gerichte zur Unterfuchung und Aburteilung des Falles übergeben werden. 


Weitere Zuftändigfeit der Militärgerichtöbarfeit. 
$ 5. Der Militärjtraigerichtsbarfeit find ferner unterftellt: 


l. die Perjonen des Beurlaubtenftandes und die denjelben gejeglich 
gleichjtehenden Perjonen wegen Zumiderhandlungen gegen die auf 
fie Anwendung findenden Borfchriften der Militärftrafgejeße; 


— 


Militärftrafgerichtsordnung. 123 


2. die dem Beurlaubtenitand angehörenden Offiziere, Sanitätsoffiziere 
und Ingenieure des Soldatenjtandes wegen Zweikampfs mit töd— 
lihen Waffen, wegen Herausforderung oder Annahme einer Heraus— 
forderung zu einem jolchen Zweifampf und wegen Sartelltragens; 

3. die in $ 1 Nr. 6 bezeichneten Perfonen, auch wenn fie nicht zur 
Dienftleiftung zugelafien find, wegen der in der Militärunitorm 
begangenen Zumiderhandlungen gegen die militärijche Unterordnung; 

4. Ausländer und Deutfche wegen der in SS 160, 161 des Militär: 
ſtrafgeſetzbuchs bezeichneten ftrafbaren Handlungen. 

Bor dem Dienfteintritt begangene firafbare Handlungen. 
$ 6. Die Militärperfonen des aktiven Heeres und der aftiven Marine 
ind, joweit nicht die folgenden Paragraphen ein anderes beitimmen, aud) 
wegen der vor dem Dienjteintritte begangenen jtrafbaren Handlungen der 
Militärjtrafgerichtsbarfeit unteritellt. 
1. Eingeitelte Militärperfonen. 

z 7. Die zur Erfüllung ihrer gejeglichen oder freiwillig übernommenen 
Dienjtpflicht in das Heer oder in die Marine eingejtellten Militärperjonen 
treten wegen einer vor dem Dienjteintritte begangenen Zuwiderhandlung gegen 
die allgemeinen Strafgejege nicht unter die Militärftrafgerichtsbarkeit : 

l. wenn vor dem Dienfteintritte wegen der Zuwiderhandlung ein vers 
urteilendes oder freijprechendes Urteil ergangen oder ein Straf: 
befehl zugejtellt war, j 

2. wenn die Entlajjung aus dem aftiven Dienjte erfolgt; die Ent- 
lafjung findet jtatt, wenn eine Verurteilung zu einer Freiheits— 
ſtrafe von mehr als jechs Wochen oder im falle der Verurteilung 
zu einer Geldjtrafe die Volljtredung einer an Stelle derjelben 
tretenden Freiheitsſtrafe von gleicher Dauer zu erwarten ilt. 

War vor dem Dienfteintritte die Eröffnung des Hauptverfahrens bes 
reits bejchlojjen, jo muß, fofern die Entlafjung nicht erfolgt, in der Sache 
militärgerichtlich erfannt werden. 

2. Zur Dispofition der Erſatzbehörde entlaflene Mannſchaften. 

58. Die Beitimmungen des $ 7 finden auf die bis zur Enticheidung 
über ihr ferneres Militärverhältnis zur Dispofition der Erjagbehörden ente 
lafjenen und jpäter von neuem für den aftiven Dienſt ausgehobenen Mann— 
jchaften wegen der vor der Wiedereinziehung begangenen Zumiderhandlungen 
gegen die allgemeinen Etrafgefege entjprechende Anwendung. 


124 II. Strafprogekordnung. — Auhang. 


3. Zum Dienft einberufene Perfonen des Beurlaubtenſtandes. 

$ 9 Die zum Dienjt einberufenen Berfonen des Beurlaubtenftandes 
und die denjelben gejeglich gleichitehenden Perfonen treten wegen der Zuwider— 
bandlungen, die jie vor dem Tage, zu welchem fie einberufen find, gegen die 
allgemeinen Strafgejege begangen haben, nicht umter Die Militärjtrafgerichts- 
barfeit. Während der Dauer der Dienjtleiftung darf jedoch ohne Zuftimmung 
der Militärbehörden die Unteriuchungshaft nicht verfügt, auch eine Haupt: 
verhandlung nur abgehalten werden, wenn der Angeklagte von der Verpflichtung, 
in derjelben zu ericheinen, enthunden ift. 

Wegen einer während der Dienjtleiftung begangenen jtrafbaren Handlung 
fönnen die im Abjak 1 bezeichneten Perſonen den bürgerlichen Gerichten über: 
geben werden, jofern Lediglid; eine Yuwiderhandlung gegen die allgemeinen 
Strafgejege in Frage jtcht. 

Straftaten nah Beendigung des Militärverhältniſſes. 

$ 10. Durch die Beendigung des die Militärjtrafgerichtsbarfeit be— 
gründenden Verhältniſſes wird hinfichtlich der vorher begangenen jtrafbaren 
Handlungen die Zuftändigfeit der Militärgerichte nicht aufgehoben. 

Sie hört jedoch auf in Anjehung folcher gegen die allgemeinen Straf: 
gejege begangenen Zuwiderhandlungen, weldye mit einem militärijichen Ber: 
brechen oder Vergehen nicht zujammentreffen, es jei denn, day bereits die Anz 
lage. erhoben (vergl. $ 258) oder eine Strafverfügung des Gerichtsheren 
(vergl. $ 349) zugeitellt war. 

s 11. Macht jich eine der im $ 1 Nr. 1 bezeichneten Perſonen inner: 
halb eines Jahres nad) Beendigung des die Militärjtrafgerichtsbarfeit be— 
gründenden Verhältnifjes wegen der ihr während der Dienstzeit widerfahrenen 
Behandlung einer Beleidigung, Körperverlegung oder Herausforderung zum 
Bweifampje gegenüber einem früheren militäriſchen, noch im aftiven Dienſte be- 
findlichen VBorgejegten jchuldig, jo it wegen diejer jtrafbaren Handlungen und, 
wenn der Zweifampf jtattgefunden hat, auch diejerhalb die Milttärjtraigerichts- 
barfeit begründet. 

Wegen Beleidigung ijt die Militärjtrafgerichtsbarfeit nur dann begründet, 
wenn jie im Berfehre mit dem früheren VBorgejegten oder mit einer Militär— 
behörde begangen worden it. 


GT og” 72 


— ur aa TEE su 9 1, Are — 
—— 


III. 


Strafgeſetzbuch 
für das Deutſche Reich 


vom 15. Mai 1871. 
(B. G. Bl. ©. 195 ff.) 


Dorbemerfung. 


Das Reichsſtrafgeſetzbuch bildet felbftverftändlich einen der wichtigften 
Teile diefes Werkes. Die einzelnen Paragraphen find deshalb auch durch: 
gängig mit Erläuterungen verfehen worden, in welchen fich die wefentlichften 
Grundfäße, welche die Rechtſprechung des Reichsgerichts ergeben hat, nieder— 
gelegt finden. Es ift verfucht worden, auch die Eehren in fchwierigen Fragen, 
3. B. über den fogenannten dolus eventualis, über den Verſuch am untaug- 
lichen Objekte und mit untauglihen Mitteln, über deal» und Realfonfurrenz 
in gemeinverftändlicher Weije darzuftellen. Schwierige Tatbeftände, 
wie der des Betrugs, find eingehend zergliedert und entwicelt worden. Andrer: 
feits war darauf zu fehen, daß der Stoff der Rechtiprechung innerhalb gewiſſer 
Grenzen blieb. Denn es Ponnte nicht beabfichtigt werden, Erläuterungen in 
den Umfange zu geben, wie ihrer der juriftifch gebildete Kriminalift bedarf. 

eben den rein juriftifchen Unmerfungen finden fich auch ſolche friminal: 
politifichen Inhalts; denn das Strafgeſetzbuch foll den Leſern diefes Werkes 
auch innerlich näher gebradht werden. 

Um die äußere Handhabung und das Auffinden der einzelnen Beftim: 
mungen zu erleichtern, find alle Paragraphen bezw. Gruppen von foldyen 
mit in die Augen fallenden nhaltsftihhworten verfehen worden. 


x J 


Ginleitende Beltimmungen. 


Einteilung in Berbredden, Vergehen und Uebertretungen. 
$ 1. Eine mit dem Tode, mit Zuchthaus, oder mit Feſtungshaft von 
mehr al3 fünf Jahren bedrohte Handlung ift ein Verbrechen. 
Eine mit Feſtungshaft bis zu fünf Jahren, mit Gefängnis oder mit Öelditrafe 
von mehr al3 einhundertfünfzig Mark bedrohte Handlung ijt ein Vergehen. 
Eine mit Haft oder mit Gelditrafe bis zu einhundertfünfzig Mark 
bedrohte Handlung iſt eine Uebertretung. 

AB ftrafbare „Handlung“ fommt auch ein vechtäwidriges, vom 
Strafgejege bedrohtes Unterlaffen in Betracht; z. B. die Mutter tötet ihr 
Kind, indem fie ihm nichts zu effen gibt. 

Ob eine ftrafbare Handlung als Verbrechen oder Bergehen oder Ueber: 
tretung zu bezeichnen ift, entjcheidet fich danach, welche fchwerfte Strafart 
(Zuchthaus, Gefängnis ufw.) oder — bei Feitungshaft und Geldftrafe — welches 
höchfte Strafmap auf die Handlung an fich geſetzt ift, ſodaß alfo hierbei 
außer Betracht bleibt, ob im einzelnen Falle etwa mildernde Umftände zus 
gebilligt werden oder der Täter wegen feiner Jugend milder beftraft werden muß. 

Zeitliche Serrihaft der Strafgefete. 
8 2. Eine Handlung fann nur dann mit einer Strafe belegt werden, 
wenn dieſe Strafe gejeglich bejtimmt war, bevor die Handlung begangen wurde. 
Bei DVerjchiedenheit der Gejege von der Zeit der begangenen Handlung 
bis zu deren Aburteilung iſt das mildefte Geje anzumenden. 
Strafgefege haben alfo grundfäglih keine rückwirkende Kraft. 
Nur die milderen Gefege kommen in Frage, welche nad ber 


begangenen, d. i. vollendeten Straftat bi zur Aburteilung etwa Geltung 
erlangen. 


Das mildefte Gefeg iſt dasjenige, nah welchem gerade der 
einzelne vorliegende Fall die mildefte Beurteilung erfährt. 
Räumliche Herrſchaft der Strafgeicke. 
$ 3. Die Strafgejege des Deutjchen Reichs finden Anwendung auf 
alle im Gebiete desjelben begangenen jtrafbaren Handlungen, auch wenn der 
Täter ein Ausländer tft. 


II. Strafgejegbudh. — Einleitende Bejtimmungen. 127 


Das Reichsgebiet umfaßt die Bundesitaaten, Eljaß = Lothringen, 
Helgoland, die deutichen Stonfulargerichtäbezivte und Scuggebiete. Staats: 
und Kriegsſchiffe ſowie Handelsichiffe auf See gelten al3 Inland, als Teil 
de3 Heimatlandes; anders Handelsſchiffe in fremdem Hoheitsgebiete (Hafen). 

Eine jtrafbare Handlung wird da begangen, wo der ihr zugrunde 
liegende Tätigfeitsaft (Wegnahme beim Diebitahle) vorgenommen wird. Beſteht 
die ftrafbare Handlung aus einem Vorgang, der ſich über verfchiedene 
Gerichtsbezirke erftredt (Zweifampf auf der Grenze, Schießen aus einem 
Bezirk in den anderen), jo ift die Tat in jedem der beiden Bezirke begangen. 
Bilden die ftrafbare Handlung mehrere Vorgänge, fo ift fie überall da 
begangen, wo der Täter die zum Geſetze gehörigen Tatbeſtandsmerkmale 
verwirklicht (von einem Bezirk über die Grenze in den anderen ohne Unter- 
brechung fortgefegte, deshalb als eine Tat anzufehene Beleidigung). Tritt 
nah Abſchluß aller Tätigfeitsakte feiten des Täters in einem Bezirke ein 
Erfolg erft in einem anderen Bezirke ein, jo liegt die Begangenfchaft nur in 
dem erſten Bezirke (ein Menſch wird in A törlich getroffen und ftirbt in B, 
die Tat ift nur im A begangen). Beiteht die Handlung aus mehreren 
Tätigfeitsaften (3. B. bei der Urkundenfälſchung das fälſchliche Anfertigen der 
Urkunde und das Gehrauchmachen von ihr zum Zmwede der Täuſchung), fo it 
die Straftat am jeden der Drte begangen, wenn die Cinzelafte an ver: 
idiedenen Orten vorgenommen worden find. Iſt das fälſchliche Anfertigen der 
Urkunde im Inlande und das Gebrauchmachen im Auslande oder umgefehrt 
vorgenommen worden, fo iſt die Urkundenfälichung immer auch im Inlande 
begangen. 

Derbredhen und Vergeben im Uuslande, 
s4 Wegen der im Auslande begangenen Verbrechen und Vergehen 


findet in der Negel feine Verfolgung ftatt. 


Jedoch kann mac den Strafgejeen des Deutjchen Reichs verfolgt werden: 


1. ein Deutjcher oder ein Ausländer, welcher im Auslande eine hoch: 
verräteriiche Handlung gegen das Deutiche Weich oder einen 
Bundesitaat, oder ein Münzverbrechen, oder als Beamter des 
Deutjchen Reichs oder eines Bundesjtaats eine Handlung begangen 
hat, die nach den Gejegen des Deutſchen Neichs als Verbrechen 
oder Vergehen im Amte anzujehen it; 


2. ein Deutjcher, welcher im Auslande eine landesverräterijche Hand» 
lung gegen das Deutjche Neich oder einen Bundesitaat, oder eine 
Beleidigung gegen einen Bundesfürjten begangen hat; 

3. ein Deutjcher, welcher im Auslande eine Handlung begangen hat, 
die nad) den Geſetzen des Deutſchen Reichs als Verbrechen oder 


128 II. Strafgejepbuch. — Einleitende Bejtimmungen. 


ergehen anzujehen und durch die Gejege des Orts, an welchem 
fie begangen wurde, mit Strafe bedroht ift. 

Tie Verfolgung iſt auch zuläſſig, wenn der Täter bei Be— 
gehung der Handlung noch nicht Deutjcher war. In diefem Falle 
bedarf es jedoch eined Antrages der zuftändigen Behörde des 
Landes, in welchem die ftrafbare Handlung begangen worden, und 
das ausländijche Strafgejeg it anzumenden, ſoweit diejes milder iſt 
Den Begriff des Auslandes gibt $ 8. 


Die im Auslande geleiftete Beihilfe oder verübte Anitiftung zu einer 
im Inlande begangenen Straftat gelten ebenfalls als im Inlande begangen. 


s 5. Im Falle des 84 Nr. 3 bleibt die Verfolgung ausgejchlofjen, wenn 
1. von den Gerichten des Auslandes über die Handlung rechtsfräftig 
erfannt und entweder eine Freiſprechung erfolgt oder die aus— 


geiprochene Strafe vollzogen, 
Eine Strafe ift vollzogen nur dann, wenn fie ganz volljtredt ift. 
Bei nur teilweifer Vollſtreckung wird die vollfiredte Strafe im Sinne von 
S 7 angerechnet. 
2. die Strafverfolgung oder die Strafvollftredung nad) den Gejegen 
des Auslandes verjährt oder die Strafe erlaſſen, oder 
3. der nach den Geſetzen des Auslandes zur Verfolgbarfeit der Hand» 
lung erforderliche Antrag des Verlegten nicht gejtellt worden ift. 


Vebertreiungen im Auslande, 


$ 6. Im Auslande begangene Lebertretungen find nur dann zu beftrafen, 
wenn dies durch bejondere Gejege oder durch Verträge angeordnet ijt. 
Ob eine Uebertretung vorliegt, beftimmt ſich nach inländifchem Gefege. 
Abweichende Beltimmungen in der Seemannsordnung. 


817. Eine im Auslande vollzogene Strafe ijt, wenn wegen derjelben 
Handlung im Gebiete des Deutjchen Reichs abermals eine Verurteilung er— 
folgt, auf die zu erfennende Strafe in Anrechnung zu bringen. 

Beilpiel: Ein öfterreihiicher Staatsumtertan begeht im Deutichen Neiche 
einen Diebitahl, entflieht nach Böhmen, wird dort feftgenommen und, weil er 
von feinem Heimatsſtaate nicht ausgeliefert wird, auf Erſuchen der deutfchen 
Behörde in Böhmen verurteilt. Nah verbüßter Strafe fommt ev in das 
Deutiche Reich zurüd, wird ermittelt, wegen derjelben Tat nochmals unter 
Anklage geitellt und wieder verurteilt. Auf die neue inländische Strafe muß 
die alte im Auslande verbüßte angerechnet werden. 


ET r ee u ET ra we A en Cl 
' . 
8 


I. Strafgeſetzbuch. — Einleitende Beſtimmungen. 129 


Ausland. 
$ 8. Ausland im Sinne diejes Strafgejeges ift jedes nicht zum Deutjchen 
Reiche gehörige Gebiet. 
Ueber deutihe Schiffe ſ. $ 3. 
Feine Auslieferung eined Deutfchen. 


AR 


$ 9. Ein Deutjcher darf einer ausländischen Regierung zur Verfolgung 
oder Beitrafung nicht überliefert werden. 
Ausfieferungsverträge ſeitens des Deutfchen Reichs beftehen mit: 
Amerifa v. 16./6. 52 bez. 22.2. 68 (B. G. Bl. 68 ©. 231); alien v. 
31./10. 71 (R.G.Bl. ©. 446), u. dazu: Abkommen zw. Deutſchl. u. Italien 
mit d. Schweiz v. 25.7. 73 (EB. ©. 271 u. Pr. EM BE. v. 15.1. 78); 
Großbritannien v. 14.15. 72 (RG.Bl. ©. 229), ergänzt 5./5. 94 (R. G. Bl. 
©. 535); Schweiz v. 24.1. 74 (R.G.Bl. ©. 113); Belgien v. 24.12. 74 
u. Bel. v. 29.12. 78 (R.G.Bl. v. 75 ©. 73 u. v. 79 ©. 2); Quremburg 
v. 9.3. 76 (R.G. Bl. S. 223); Brafilien v. 17.9. 77 (RB. v. 78 
©. 293); Schweden u. Norwegen v. 19.11. 78 (R.G.Bl. ©. 110); Spanien 
v. 2.55. 78 (R.G. Bl. ©. 213); Uruguay dv. 12.2. 80 (R. G. Bl. v. 83 ©. 287); 
Serbien v. 6.1. 83 Art. 25 (R.G.Bl. ©. 62); Rußland 13.1. 85 (R.Anz. 
v. 23.1. 85); füdafrifan. Republik 22.1. 85 (Art. 31), R.G.Bl. ©. 228; 
Columbien 23.77. 92 (Art. 23), R.G.Bl. ©. 486; Congoſtaat (f. Deutſch— 
Ditafrita) 2./5. 90 (R.G.Bl. ©. 91); Japan 4.4. 96 (R.G.Bl. ©. 742); 
Niederlande 31.112. 96 (R. G. Bl. v. 1897 ©. 731); niederländ. Kolonien 
(für d. deutichen Ecjußgebiete) v. 21./9. 97 (R.G.Bl. 747). — Für Elſaß— 
Lothr. mit Franke. v. 11.12. 71 (R.G. Bl. v. 72 ©. 7). Außerdem die 
fonft noch von einem Einzelftaate, 3. B. Sachſen mit Oefterreih, geſchloſſenen 
Auslieferungsverträge. 
Deutſche Militärperfonen. 
$ 10. Auf deutjche Militärperfonen finden die allgemeinen Strafgejege 
des Reichs injoweit Anwendung, als nicht die Militärgefege ein anderes 
bejtimmen. 
Für Militärperfonen gilt im ganzen Reich jegt das Militär: 
Strafgefegbud v. 20.6. 72 (R.G.B. ©. 173 ff.). — Ueber den Be: 
griff „ Militärperfonen" vgl. M.B. 8 4 u. das dem M.B. beigegebene 
Verzeihnis (R.G.Bl. 1872 ©. 204, jekt auch von 1880 ©. 169) u. 
M.G. 856, Gef. v. 11.2. 88 88 11, 20. Ueber den Umfang der Militär- 
itrafgerichtsbarkeit j. S 1 ff. d. Militärftrafgerichtsordnung v. 1. Dez. 1898 
(R.G.Bl. ©. 1189). 
Landtagsmitglieder. 
sg 11. Kein Mitglied eines Landtags oder einer Kammer eines zum 
Keih gehörigen Staats darf außerhalb der Verfammlung, zu welcher das 
9 


eo. 


130 III. Strafgejegbuch. — Einleitende Beitimmungen, — Erjter Zeil. 


Mitglied gehört, wegen feiner Abjtimmung oder wegen der in Ausübung feines 
Berufs getanen Aeußerung zur Verantwortung gezogen werden. 

Gegen die von cinem Abgeordneten in Ausübung des Berufes verübte 
Beleidigung fann nicht eine als Entgegnung verübte Beleidigung einer Privat- 
perfon aufgerechnet werden, wohl aber fann zu gunften der letzteren $ 193 
Anwendung finden. 

8 30 der deutſchen Reihsverfafiung: „Kein Mitglied des Reichs» 
tags darf zu irgend einer Zeit wegen feiner Abjtimmung oder wegen der in 
Ausübung feines Berufes getanen Aeußerungen gerichtlich oder disziplinariſch ver— 
folgt oder jonft auferhalb der VBerfammlung zur Berantwortung gezogen werden”. 

Wiederholung der im Parlamente von einem Abgeordneten getanen 
Aeußerung ſeitens desfelben außerhalb des Parlamentes fteht nicht unter 
diefem Schuge. 

Landtagsberichte. 

8 12. Wahrheitsgetreue Berichte über Verhandlungen eines Landtags 
oder einer Kammer eines zum Reich gehörigen Staats bleiben von jeder Ver— 
antwortlichkeit frei. 

Artikel 22 der Reichsverfaſſung: „Die Verhandlungen des Reichs— 
tags ſind öffentliche. Wahrheitsgetreue Berichte über Verhandlungen in den 
öffentlichen Sitzungen des Reichstags bleiben von jeder Verantwortung frei." 

Bericht ift eine erzählende Darftellung der Berhandlungen. Die 
Wiedergabe einer einzelnen Rede iſt Fein Bericht. Wahrheitsgetreu ift der 


Bericht, wenn er den wirklichen Hergang wiedergibt; wortgetreue Wiedergabe 
wird nicht verlangt. 


Eriter Teil. 
Bon der Beitrafung der Verbrechen, Vergehen und 
Vebertretungen im allgemeinen. 


1. Abichnitt. 
Strafen. 
Todeöftrafe. 
$ 13. Die Todesjtrafe ift durch Enthauptung zu vollitreden. 
Todesſtr. nur: SS 80, 211; Sprengftoff:G. $ 5 4. 3; 28.7. 95 
S 1. (Stlavenraub). — Bollitredung; StP.D. 88 485, 486 u. MB. 
3 14. — in den Schuggebieten (Samerum :c.): Erſchießen oder Erhängen. 
B. v. 2.7. u. 13/7. 88 $ 15 bez. $ 9; 1.1. 91 8 15. 


Beſtraſung der Verbrechen, Vergehen und Uebertretungen im allgemeinen. 131 


Zuchthaus. 
$ 14. Die Zuchthausſtrafe iſt eine lebenslängliche oder eine zeitige. 

Der Höcjftbetrag der zeitigen Zuchthausstrafe iſt fünfzehn Jahre, ihr 
Mindejtbetrag ein Jahr. 

Wo das Gejeg die Zuchthausſtrafe nicht ausdrüdlich als eine lebens- 
längliche androht, iſt diejelbe eine zeitige. 

Zudthausftrafe von mehr als 15jähriger Dauer möglih, wenn bei 
mehreren Straftaten die Erforderniffe der Gefamtftrafe ($ 74 ff.) nicht für 
alle vorliegen oder wenn Erfagzuchthausftrafe an Stelle von nicht beizu- 
treibender Gelditrafe tritt. — Lebenslänglich: $$ 81, 87, 88, 90, 94, 178, 
214, 215, 220, 229, 251, 307, 312, 315, 322—324; Nahrungs» 
mittel-&. $ 13; Sprengitoff:G. $ 5 U. 2; vgl. 88 44 A. 2, 57,2. 
$ 15. Die zur Zuchthausftrafe Verurteilten find in der Strafanitalt 

zu den eingeführten Arbeiten anzuhalten. 

Sie fünnen auch zu Arbeiten außerhalb der Anjtalt, insbejondere zu 
Öffentlichen oder von einer Staatöbehörde beauffichtigten Arbeiten verwendet 
werden. Dieſe Art der Beichäftigung iſt nur dann zuläjjig, wenn Die Ges 
fangenen Dabei von anderen freien Arbeitern getrennt gehalten werben. 

Weſen der Zuchthausftrafe it alfo Zwang zu den eingeführten Arbeiten, 
auch außerhalb der Anftalt und .ohne Rüdjiht auf die Fähigkeiten bes 
Einzelnen, die natürlid eine ökonomische Berwaltung gleihwohl berüdfichtigen 
wird. Der Strafvollzug ift reichsrechtlich nicht geregelt. 

Gefängnis. 
$ 16. Der Höchjjtbetrag der Gefängnisitrafe iſt fünf Jahre, ihr Mindeft- 
betrag ein Tag. 

Die zur Gefängnisſtrafe Verurteilten können in einer Gefangenanſtalt 
auf eine ihren Fähigfeiten und Verhältniſſen angemeſſene Weile bejchäftigt 
werden; auf ihr Verlangen find fie in dieſer Weije zu bejchäftigen. 

Eine Bejchäftigung außerhalb der Anstalt ($ 15) iſt nur mit ihrer Zu— 
jtimmung zuläjlig. 

Bruchteile eines Tages können alfo nicht erkannt werden; aud eine 
Bemeffung nad Bruchteilen, 3. B. bei nur teilweifer Zahlung einer Geld— 
ftrafe, ift unzuläſſig. Strafvollzug ebenfalls nad dem Yandesrechte der 
Einzelitaaten. Die fehlende Beichäftigung wird als eine Erjchwerung der 
Strafe angelehen und deshalb das Verlangen des Gefangenen nad) Arbeit 
berüdfichtigt. Innerhalb der in Ab}. 2 gezogenen Grenzen herricht ſelbſt— 
verftändlich Arbeitszwang. Gegen vermeintlich umrichtige Beichäftigung feine 
gerichtliche Enticheidung, nur Beichwerde an die Auffichtsbehörde. 

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.— er Mn 


132 III. Strafgejegbuh. — Erjter Zeil. 


Feſtungshaft. 

$ 17. Die Feſtungshaft iſt eine lebenslängliche oder eine zeitige. 

Der Höchſtbetrag der zeitigen Feſtungshaft ift fünfzehn Jahre, ihr 
Mindeitbetrag ein Tag. 

Wo das Geſetz die Feſtungshaft nicht ausdrüdlic als eine lebensläng- 
liche androht, ift diejelbe eine zeitige. 

Die Strafe der Feſtungshaft beiteht in Freiheitsentzichung mit Beauf- 
jichtigung der Beichäftigung und Lebensweife der Gefangenen; fie wird in 
Feſtungen oder in anderen dazu bejtimmten Räumen vollzogen. 

Die Feftungshaft ift nah den Motiven zum Strafgeſetzbuche die 
jenige Freiheitsſtrafe, welche „in bezug auf die durch die Strafe gebotenen 
Beichränkungen in der perfönlichen Freiheit des Verurteilten auf das geringite 
Maß zurüdgeht." Sie hat den Charakter einer eustodia honesta. Daß die 
Feſtungshaft nicht unbedingt in Feitungen zu verbüßen ift, beftimmt fich mit 
Rüdjiht darauf, daß die Strafe in ihrem Mindeftbetrag bis auf einen Tag 
hinuntergeht und auch gegen Frauensperfonen zu vollftreden jein Tann. Es 
fönnen alfo auch in einer Gefangenanftalt belegene Räume zur Vollitredung 
von Feitungshaft Verwendung finden. Die Einzelhaft erjcheint gegenüber 
Feftungsgefangenen, mit Ausnahme zeitweiliger Jfolierung z. B. bei Nadt, 
nah $ 22 ausgeſchloſſen. 

Saft. 

$ 18. Der Höcdjitbetrag der Haft ift ſechs Wochen, ihr Meindeftbetrag 
ein Tag. 

Die Strafe der Haft befteht in einfacher Freiheitsentziehung. 

Höchſtbetrag der Haft bei mehreren Uebertretungen nebeneinander drei 


Monate (SS 77, 78). Häftlinge dürfen zu Arbeiten außerhalb der Anitalt 
nicht verwendet werden. 


Berechnung der FFreiheitöftrafen. 

- $ 19. Bei Freiheitsſtrafen wird der Tag zu vierumdzwanzig Stunden, 
die Woche zu jieben Tagen, der Monat und das Jahr nad) der Kalenderzeit 
gerechnet. 

Die Dauer einer Zuchthausftrafe darf nur nach vollen Monaten, die 
Dauer einer anderen zFreiheitsitrafe nur nach vollen Tagen bemeifen werden. 


Zuchthaus von weniger als 1 Monat (Tage, Wochen) zuläffig bei 
Umwandlung von Gefängnis in Zuchthaus (SS 21, 28 U. 3, 74, 79). 
Bruchteile von Monaten find unzuläffig. 


Beitrafung der Verbrechen, Vergehen und Webertretungen im allgemeinen, 133 


Die Entlaffung des Gefangenen aus der Anjtalt hat aljo ftet3 um 
diefelbe Stunde zu erfolgen, zu welder feine Aufnahme geſchah. Da der 
Monat nah der Kalenderzeit zu berechnen ift, fann die Dauer einer ein— 
monatlichen Freiheitsſtrafe fich zwiichen 28 und 31 Tagen bewegen. 


Zuchthaus⸗ oder Feſtungshaft wahlweife. 
s 20. Wo das Gejeg die Wahl zwiſchen Zuchthaus und Feitungshaft 
geitattet, darf auf Zuchthaus nur dann erfannt werden, wenn fejtgejtellt wird, 
dab die jtrafbar bejundene Handlung aus einer chrlojen Gejinnung ent: 
ſprungen iſt. 
Bgl. 88 81, 83—86, 88, 89, 94, 96, 98, 100, 105, 106. Ehr— 
loſe Gefinnung, jtiaferhöhender Umftand: 88 262, 264, 266, 295 (Heft 
jtellung) Str. P.O. 


Berhältnis der Zudthausfirafe zur Gefängnisftrafe. 
s 21. Adtmonatliche Zuchthausftrafe it einer einjährigen Gefängnis: 
ftrafe, achtmonatliche Gejängnisitrafe einer einjährigen Feitungshaft gleich 
zu achten. 
Das Wertverhältnis ift bei Anrechnung von Unterfuchungshaft auf 
Zuchthausftrafe (oder Feitungshaft) nicht zu beobachten. 


@inzelhaft. 


$ 22. Die Zuchthaus und Gefängnisitrafe können ſowohl für die 
ganze Dauer, wie für einen Teil der erfannten Strafzeit in der Weiſe in 
Einzelhaft vollzogen werden, dab der Gefangene unausgejegt von anderen 
Gefangenen gejondert gehalten wird. 
Die Einzelhaft darf ohne Zuftimmung des Gefangenen die Dauer von 
drei Jahren nicht überjteigen. 
Einzelhaft ift unzuläffig bei Feſtungsſtrafe und Haftftrafe. Die 
Einzelhaft im Sinne des Strafgefegbuhs erfordert aud Trennung in der 
Schule, in der Kirche und beim Spazierengehen. Liegen dieje Beſchränkungen 
nicht vor, jo fteht Einzelhaft nicht in Frage. Eine derartige Strafverbüßung 
unterliegt dann auch nicht dem $ 22. Die Anordnung der Einzelhait erfolgt 
nah dem Ermefjen der Anftaltsdireltion; gegen fie nur Beſchwerde an die 
Auffichtsbehörde, nicht Anruf richterliher Entſcheidung. Cinzelhaft über drei 
Fahre hinaus zuläffig als Disziplinarmaßregel gegen Gemeingefährliche. Die 
Beitinnmungen des Strafgefegbuhs über den Strafvollzug find nicht Flar, 
find vor allem lückenhaft. Die einzelnen Yandesgejeggebungen haben die 
Lücken verjchieden ausgefüllt. 


Mh En En EU 


134 III. Strafgejegbud. — Erjter Teil. 


Borläufige Entlaffung. 

8 23. Die zu einer längeren Zuchthaus: oder Gefängnisjtrafe Ber: 
urteilten fönnen, wenn ſie drei Vierteile, mindeſtens aber ein Jahr der ihnen 
auferlegten Strafe verbüßt, fi auch während diefer Zeit gut geführt haben, 
mit ihrer Zuftimmung vorläufig entlafjen werden. 

88 23— 26 behandeln die „vorläufige Entlaffung” oder das fogenannte 
„Beurlaubungsinftem". Die „gute Führung“ beicheinigt die Anftalts- 
direftion. Es ift ftreitig, ob in die Dreivierteile oder in das eine Fahr eine 
auf die Strafzeit nah dem Urteile anzurechnende Unterfuhungshaft ein- 
zurechnen ift. 

Widerruf der Entlaffung. 

$ 24. Die vorläufige Entlafjung fann bei jchlechter Führung des Ent— 
laffenen oder, wenn derjelbe den ihm bei der Entlafjung auferlegten Ber: 
pflichtungen zumiderhandelt, jederzeit widerrufen werden. 

Der Widerruf hat die Wirfung, daß die feit der vorläufigen Entlafjung 
bis zur Wiedereinlieferung verflofiene Zeit auf die fejtgejegte Strafdauer nicht 
angerechnet wird. | 

Wie zu feiner Entlaffung überhaupt, jo hat der Verurteilte auch zu 
den ihm bei der Entlaffung auferlegten Verpflichtungen jeine Zuftimmung 
zu geben. 

Beſchluß über die Entlaffung. 

$ 25. Der Beichluß über die vorläufige Entlafjung, jowie über einen 
Wiederruf ergeht von der oberiten Juſtiz-Aufſichtsbehörde. Vor dem Beichluß 
über die Entlaffung ijt die Gefängnisverwaltung zu hören, 

Die einjtweilige Feitnahme vorläufig Entlaffener kann aus dringenden 
Gründen des öffentlichen Wohls von der Polizeibehörde des Orts, an welchem 
der Entlaffene fich aufhält, verfügt werden. Der Beichluß über den end» 
giltigen Widerruf ift jofort nachzufuchen. 

Führt die einftweilige Feitnahme zu einem Widerrufe, jo gilt diejer als 
am Tage der Feſtnahme erfolgt. 

Es muß angenommen werden, daß die Yandesjuftizverwaltung des— 
jenigen Bundesftaates den Beſchluß faßt, deflen Gericht das Urteil erlaffen 
hat, wenn aud) die Strafvollftredung in einem anderen Bundesitaate erfolgt. 
Die vorläufige Entlafjung behält ihre Gültigkeit, follte aud die Gefängnis— 
verwaltung vorher nicht gehört worden jein. 

Widerruf ausgefhlofien. 

$ 26. Iſt die feitgefegte Strafzeit abgelaufen, ohne daß ein Widerruf 

der vorläufigen Entlafjung erfolgt it, fo gilt die Freiheitsſtrafe als verbüßt. 


Beftrafung der Verbrechen, Bergehen und Uebertretungen im allgemeinen, 135 


Geldftrafe. 

s 27. Der Mindejtbetrag der Geldjtrafe ijt bei Verbrechen und Ver— 
gehen drei Mark, bei Uebertretungen eine Mark. 

Ein abjoluter Höchftbetr. fehlt im Str.©.B. Im einzelnen 15000 M. 
($ 3024). Bgl. aber R.G. v. 28.7. 95 $ 3 (Sklavenraub u. Sflaven- 
handel) 100000 M. Mehrere Gelditr. werden addiert, $ 78 (feine Gejamtitr.) 
— Mindeitbetrag 3 M. auch bei verfuchten: Vergehen. 

Richt beizutreibende Geidſtrafe. 
$ 28. Eine nicht beizutreibende Geldſtrafe ijt in Gefängnis und, wenn 
fie wegen einer llebertretung erfannt worden ift, in Haft umzumandeln. 

Sit bei einem Vergehen Geldjtrafe allein oder an eriter Stelle, oder 
wahlweije neben Haft angedroht, jo kann die Geldjtrafe in Haft umgewandelt 
werden, wenn die erfannte Strafe nicht den Betrag von jechshundert Mark 
und die an ihre Stelle tretende FFreiheitsjtrafe nicht die Dauer von ſechs 
Wochen überiteigt. 

War neben der Geldftrafe auf Zuchthaus erkannt, jo iſt die am deren 
Stelle tretende Gefängnisitrafe nach Maßgabe des S 21 in Zuchthausitrafe 
umzumandeln. 

Der Verurteilte fann fich durch Erlegung des Strafbetrages, ſoweit diejer 
durch die eritandene Freiheitsſtrafe noch nicht getilgt ift, von der legteren 
freimachen. 

Eine Geldftrafe ift mur dann und nur infoweit nicht beizutreiben, 
als die Zwangsvollftredung erfolglos geweſen if. Auch nad dem Antritte 
einer Erjagfreiheitsftrafe kann der Verurteilte jederzeit ftatt der weiteren Ver— 
büßung den entfprehenden Betrag erlegen. 

Berehnung bei Umwandlung. 
$ 29. Bei lImmwandlung einer wegen eines Verbrechens oder Vergehens 
erfannten Geldftrafe ijt der Betrag von drei bis zu fünfzehn Mark, bei Um— 
wandlung einer wegen einer Webertretung erkannten Gelditrafe der Betrag 
von einer bis zu fünfzehn Mark einer eintägigen Freiheitsitrafe gleich zu achten. 

Der Mindejtbetrag der an Stelle einer Geldjtrafe tretenden Freiheits— 
jtrafe ijt ein Tag, ihr Höchjtbetrag bei Haft ſechs Wochen, bei. Sefängnis 
ein Jahr. Wenn jedoch eine neben der Gelditrafe wahlweife angebrohte 
Tgreiheitsitrafe ihrer Dauer nach den vorgedachten Höchjtbetrag nicht erreicht, 
jo darf die an Stelle der Geldjtrafe tretende Freiheitsitrafe den angedrohten 
Höchſtbetrag jener Freiheitsſtrafe nicht überjteigen. 

Die Borfchriften über den Höchftbetrag der Erjagfreiheitsitrafe finden 
feine Anwendung, wenn Geldftrafe mittel3 Zufammenrehnung f. mehrere felbit- 


136 II. Strafgeſetzbuch. — Erjter Teil. 


ftändigen Handlungen feftgefegt it. Jedoch Hödjitbetrag im Fall der „Kon: 
kurrenz“ bei Gefängnisftrafe 2 Jahre, bei Haft 3 Monate. $ 78 4. 2. 
Iſt nur ein Teil der Geldftrafe beizutreiben, jo ift die noch zu voll: 
ſtreckende FFreiheitsitrafe nad dem Berhältnilfe des nicht gezahlten Teils zum 
Gejamtbetrage der Geldftrafe feitzufegen. 
Vollſtrekung in den Nachlaß. 
$ 30. In den Nachlaß kann eine Gelditrafe nur dann vollitredt 


werden, wenn das Urteil bei Lebzeiten des Verurteilten rechtsfräftig geworden war. 
Aehnlich wegen Koften Str.P.D. $ 497 U. 2. 


Notwendige Wirkungen der Zuchthausſtrafe. 

$ 31. Die Verurteilung zur Zuchthausftrafe hat die dauernde Unfähigkeit 
zum Dienfte in dem Deutjchen Heere und der Kaijerlichen Marine, jowie die 
dauernde Unfähigfeit zur Befleidung öffentlicher Aemter von Rechts wegen 
zur Folge. 

Unter öffentlichen Aemtern im Sinne dieſes Strafgejeges find die 
Advofatur, die Anwaltichaft und das Notariat, jowie der Gejchworenen- und 
Schöffendienſt mitbegriffen. 

Nebenftrafen. Verluſt der bürgerlihen Ehrenredte. 

s 32. Neben der Todesjtrafe und der Zuchthausftrafe kann auf den 
Verluft der bürgerlichen Ehrenrechte erfannt werden, neben der Gefängnids 
jtrafe nur, wenn die Dauer der erfannten Strafe drei Monate erreicht und 
entweder das Geſetz den Verluſt der bürgerlichen Chrenrechte ausdrüdlic 
zuläßt oder die Gefängnisitrafe wegen Annahme mildernder Umſtände an 
Stelle von Zuchthausjtrafe ausgejprochen wird. 

Die Dauer diejes Verluftes beträgt bei zeitiger Zuchthausjtrafe mindeſtens 
zwei und höchſtens zehn Jahre, bei Gefängnisftrafe mindejtens ein Jahr und 
höchſtens fünf Jahre. | 

Bei Todesitrafe oder lebenslänglihen Zuchthaus tritt dauernder Ehr- 
verluſt ein. 


Wirkungen des Ehrenrehtoveriuftes. 

s 33. Die Nberfennung der bürgerlichen Ghrenrechte bewirkt den 
dauernden Verluſt der aus öffentlichen Wahlen für den Verurteilten hervor: 
gegangenen Nechte, ingleichen den dauernden Verluſt der öffentlichen Aemter, 
Würden, Titel, Orden und Ehrenzeichen. 

8 34. Die Mberlennung der bürgerlichen Ehrenrechte bewirkt ferner die 
Unfähigfeit, während der im Urteile bejtimmten Zeit 


Beitrafung der Verbrechen, Vergeben und lebertretungen im allgemeinen. 137 


1. die Yandesfofarde zu tragen; 

2. in das Deutſche Heer oder in die Kaiſerliche Marine einzutreten ; 

3. Öffentliche Aemter, Würden, Titel, Orden und Ehrenzeichen zu 
erlangen; 

4. in Öffentlichen Angelegenheiten zu ftimmen, zu wählen oder gewählt, 

zu werden oder andere politifche Rechte auszuüben ; 

. Beuge bei Aufnahme von Urfunden zu jein; 

6. Vormund, Gegenvormund, Pfleger, Beiltand der Mutter, Mitglied 
eines Familienrats oder Kurator zu jein, es jei denn, daß es jich 
um Berwandte abjteigender Linie handele und die obervormund: 
Ichaftliche Behörde oder der Familienrat die Genehmigung erteile. 


en 


Unfähigkeit zur Belleivung Öffentliher Aemter. 


$ 35. Neben einer Gefängnisitrafe, mit welcher die Aberfennung der 
bürgerlichen Ehrenrechte überhaupt hätte verbunden werden fünnen, kann auf 
die Unfähigkeit zur Bellcidung Öffentlicher Nemter auf die Dauer von einem 
bis zu fünf Jahren erfannt werden. 

Die Aberfennung der Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Nemter hat 
den dauernden Berluft der bekleideten Aemter von Rechts wegen zur Folge. 


Eintritt der Wirfung uſw. 
$ 36. Die Wirkung der Aberfennung der bürgerlichen Ehrenrechte 
überhaupt, jowie der Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Aemter insbejondere, 
tritt mit der Rechtskraft des Urteils ein; die Zeitdauer wird von dem Tage 
berechnet, an dem die FFreiheitsftrafe, neben welcher jene Aberfennung aus: 
geiprochen wurde, verbüßt, verjährt oder erlafien it. 


8 37. Iſt ein Deutjcher im Auslande wegen eines Verbrechens oder 
Vergehens bejtraft worden, welches nach den Gejegen des Deutſchen Reiches 
den Verluſt der bürgerlichen Ehrenrechte überhaupt oder einzelner bürgerlicher 
Ehrenrechte zur Folge hat oder zur Folge haben fann, jo iſt ein neues Straf- 
verfahren zuläjjig, um gegen den in diefem Verfahren für jchuldig Erflärten 
auf jene Folge zu erfennen. 

Beftraft, d. h. verurteilt und Strafe vollzogen oder Strafvollitrefung 
verjährt, oder Strafe erlafien. 
Polizei⸗Aufſicht. 


8 38. Neben einer Freiheitsſtrafe kann in den durch das Geſetz vor— 


geſehenen Fällen auf die Zuläſſigkeit von Polizei-Aufſicht erkannt werden. 


138 II. Strafgeſetzbuch. — Erjter Teil, 


Die höhere Landespolizeibehörde erhält durch ein ſolches Erfenntnis die 
Befugnis, nach Anhörung der Gefängnisverwaltung den Berurteilten auf die 
Zeit von höchftens fünf Jahren unter Polizei-Aufjicht zu jtellen. 

Diefe Zeit wird von dem Tage berechnet, am welchem die ;reiheitsitrafe 
verbüßt, verjährt oder erlafjen ijt. 

Pol. A. zuläffig: neben Zuchthaus — 88 44, 115, 116, 122, 125, 

146, 147, 181, 248, 256, 325; neben Gefängnis — 88 49a, 180, 181a, 

184, 262, 294. — Seemannsordn. 8 91,2, 92, Nahrungsm.G. $ 13 X. 2, 

Sprengſt.G. $ 11; Sklavenraub 28.7. 95 $3. Verrat milit. Geheimnifle 

3.7. 93 $ 6. 

Zuftändig ift die Land.-Pol.-Beh. des Bezirls bez. Bundesſtaats, in 

dem der Verurteilte Aufenthalt nimmt. Bol. Beil. des Bundesrats dv. 

16./6. 72. 


$ 39. Die Polizei-Aufficht hat folgende Wirkungen: 


1. dem Berurteilten fann der Aufenthalt an einzelnen bejtimmten 
Orten von der höheren Landespolizeibehörde unterjagt werden; 


2. die höhere Landespolizeibehörbe ift befugt, den Ausländer aud dem 
Bundesgebiete zu verweijen; 


3. Hausfuchungen unterliegen feiner Beichränfung Hinfichtlid der 
Beit, zu welcher fie ftattfinden dürfen. 
Einziehung von Gegenſtänden. 


$ 40. Gegenstände, welche durch ein vorjägliches Verbrechen oder Ver— 
gehen hervorgebracht, oder welche zur Begehung eines vorjäglichen Verbrechens 
oder Vergehens gebraucht oder hejtimmt find, fönnen, ſofern fie dem Täter 
oder einem Teilnehmer gehören, eingezogen werden. Die Einziehung iſt im 
Urteile auszuſprechen. 


Das Strafgefegbuh fagt an feiner Stelle deutlih, was es unter 
Borfag im allgemeinen und bei den einzelnen Tatbeftänden im bejonderen 
versteht. Höchitens im $ 59 Abf. 1 findet fich eine Andeutung. Die Lüden 
hat die Rechtſprechung ausgefüllt. Im allgemeinen fann man jagen: wer 
alle einzelnen Merkmale einer ftrafbaren Handlung wifjentlih will, d. h. 
bewußt verwirklicht, handelt vorſätzlich. Bei einzelnen Zatbefländen verſteht 
das Strafgeſetzbuch aber unter Vorfag nocd etwas mehr; der Täter muß 
nicht mur die Handlung wollen und ihren Erfolg vorausfehen, jondern er 
muß den Erfolg felbit unmittelbar wollen. Dann ift alfo vorfäglich gleich— 
bedeutend mit „abſichtlich“. Bei den einzelnen Paragraphen wird der Vorſatz 
erläutert werden. 


Beitrafung der Verbrechen, Vergehen und Uebertretungen im allgemeinen. 139 


Zu den vorfäglichen Verbrechen oder Vergehen zählen auch ſolche, bei 
welchen der Täter mit dem fogenannten dolus eventualis gehandelt hat. 

Mit dem dolus eventualis, mit der niht unmittelbaren böfen Abſicht 

handelt derjenige, deilen Wille nicht direft auf den Erfolg einer Handlung 

gerichtet ift, der aber dieſen Erfolg als möglich erkannt und die Tat auch 
für den Fall will, daß fie den Erfolg haben werde. Dolus eventualis Liegt 
dagegen nicht vor, wenn der Täter bei Verübung der Tat darauf rechnet, 
daß der Erfolg nicht eintreten werde, wenn er den Erfolg alio innerlich ab- 
gelehnt hat. Beifpiele: Der Jäger ſchießt im Walde auf einen alten Mann, 
den er im Dämmerlichte für eim Wild anfieht; er fagt ſich aber zugleich, das 
vermeintliche Wild fünne ebenfo gut ein Menſch fein, es iſt ihm aber gleich— 
gültig, ob Wild oder Menſch, er will auf jeden Fall ſchießen und treffen 
und zielt und trifft. Der Jäger tötet vorfäglih mit dem dolus eventualis. 

Wenn aber der Jäger zwar fih fagt, das vermeintlihe Wild könne aud 

ein Menſch jein, er hofft e3 aber nicht und ſchießt nur, weil er es eben 

nicht hofft, dann liegt nicht Borfag, fondern höchſtens Fahrläfligkeit vor. — 

Die Gegenjtände müflen im Zeitpunfte der Urteilsfällung Eigentum des 

Täters oder Teilnehmers fein. Mit der Rechtskraft des Urteild geht das 

Eigentum an dem eingezogenen Gegenitande auf den Fiskus von jelbjt über. 

Die Einziehung muß erfolgen in den Fällen der 85 152, 295, 2968, 

335, 3692, ſowie nad den Neichsgefegen, betr. Salz: und Zollabgaben, 

Urheber-Rehte, Martenihug, Spieltarten, Nahrungsm., Sprengftoff, Küften- 

frachtfahrt, Fischerei in der Nordfee, Zündhölzer, Feingehalt, Papier zu Reichs» 

faffenfcheinen. — Wegen Einziehung bei Uebertretungen |. $$ 3602,3672,3692. 

Unbrauchbarmachung bei Schriften uſw 

88 41. Wenn der Inhalt einer Schrift, Abbildung oder Darjtellung 
jtrafbar ift, fo ift im lirteile augzufprechen, daß alle Eremplare, jowie die zu 
ihrer Herftellung bejtimmten Platten und formen unbrauchbar zu machen find. 

Diefe Vorſchrift bezieht fich jedoch nur auf die im Beſitze dee Verfaſſers, 
Druders, Herausgebers, Verlegerd oder Buchhändlers befindlichen und auf die 
Öffentlich ausgelegten oder Öffentlich angebotenen Eremplare. 

Sit nur ein Teil der Schrift, Abbildung oder Darjtellung jtrafbar, jo 
ist, infofern eine Ausscheidung möglich ist, auszusprechen, daß nur die jtrafbaren 
Stellen und derjenige Teil der Platten und Formen, auf welchem fich dieje 
Stellen befinden, unbrauchbar zu machen find. 


Selbftändiges Berfahren zwecks @inzichung und Unbrauhbarmahung. 
8 42. Iſt in den Fällen der SS 40 und 41 die Verfolgung oder die 
Verurteilung einer bejtimmten Perſon nicht ausführbar, jo fünnen die daſelbſt 
vorgejchriebenen Maßnahmen jelbjtändig erfannt werden. 


140 III. Strafgeſetzbuch. — Erfter Zeil. 


Die Verurteilung ift nicht ausführbar z. B. bei Tod, Ab- 
wejenheit, unbefannt. Aufenthalt, Berjährung, bei d. geiegl. Stra fausfchliegungs- 
gründen der SS 55—59. 


2. Abſchnitt. 


| Verſuch. 
Begriff des Verſuchs. 

$ 43. Wer den Entjchluß, ein Verbrechen oder Vergehen zu verüben, 
durch Handlungen, welche einen Anfang der Ausführung diejes Verbrechens 
oder Vergehens enthalten, betätigt hat, ijt, wenn das beabjichtigte Verbrechen 
oder Vergehen nicht zur Vollendung gefommen ift, wegen Berjuches zu bejtrafen. 

Der Verſuch eines Vergehens wird jedod; nur in den Fällen bejtraft, 
in welchen das Gejet dies ausdrüdlich beitimmt. 

Der Verſuch ift nur möglich bei vorfäglichen, nicht bei fahrläfligen 
Straftaten; e3 gibt nur einen vorfäglichen, keinen fahrläffigen Verſuch. Da 
die „Ausführung” einer Straftat in der Vornahme aller derjenigen 
Handlungen beftcht, welche ihren Tatbeſtand erfüllen, jo ıt mit der Aus— 
führung begonnen, jobald eine diefer Handlungen vorgenommen worden 
ft. 3. B. Jemand fpiegelt feine nicht vorhandene Zahlungsfähigfeit vor, 
um Kredit zu erlangen; im diefem Augenblicke fchon wird er entlarvt: ver- 
fuchter Betrug. Por dem „Anfang der Ausführung” liegen oft noch 
weitere Handlungen des Täters, jogenannte Borbereitungshandlungen, 
welche jtraflos find, wenn fie nicht felbftändige Straftaten bilden. Der 
Mörder kauft ſich einen Revolver und begibt ſich nad) dem erwählten Tatort ; 
hier liegt nur ev. verbotenes Waffentragen vor. 

Der Berfucd eines Verbrechens ift ftets, dev Verſuch eines Bergehens 
nur dam ftrafbar, wenn das Gefeg dies ausdrüdlic sagt. Strafbar iſt 
nach der Rechtiprehung des Reichsgerichts der Verſuch am untaugliden 
Dbjelt; der Täter erftiht einen Menfchen, der eine Minute vorher bereits 
am Herzichlag veritorben war; oder eine Frauensperfon, die ſich irrtümlich 
für Schwanger hält, nimmt ein Abtreibungsmittel cin. Ebenfo der Berjud 
mit untaugliden Mitteln: jemand will einen anderen erichießen, welcher 
aber einen fugelficheren Banzer trägt, oder die Schwangere nimmt ein Mittel 
ein, welches fie irrtümlich für ein Abortivmittel hält. Endlich) ebenſo der 
Berjuh mit untauglibem Mittel am untaugliden Objelt: 
Die Nihtihwangere nimmt im der irrtümlichen Annahme ihrer Schwanger: 
ſchaft ein Mittel ein, das fie ebenfalls für ein Abtreibungdmittel irrtümlich 
hält. Beitraft wird der böfe Wille des Täters. Die ganze Lehre ift jehr 
beftritten. 

Ein verfuchtes Verbrechen kann zugleih ein vollendetes Vergehen fein, 
3. B. der verfuchte Einfteigediebftahl ein vollendeter Hausfriedensbrud. 


Beitrafung der Verbrechen, Vergehen und Uebertretungen im allgemeinen. 141 


Strafen des Verſuchs. 
$ 44. Das verjuchte Verbrechen oder Vergehen ift milder zu bejtrafen, 
als das vollendete. 

Iſt das vollendete Verbrechen mit dem Tode oder mit lebenslänglichemn 
Zuchthaus bedroht, jo tritt Zuchthausitrafe nicht unter drei Jahren ein, 
neben welcher auf Zuläffigfeit von Polizei-Aufficht erfannt werden kann. 

Iſt das vollendete Verbrechen mit lebenslänglicher Feſtungshaft bedroht, 
jo tritt Feſtungshaft nicht unter drei Jahren ein. 

In den übrigen ‚Fällen fann die Strafe bis auf ein Pierteil , des 
Mindeftbetrages der auf das vollendete Verbrechen oder Vergehen angedrohten 
Freiheits- und Gelditrafe ermäßigt werden. Sit hiernach Zuchthausitrafe 
unter einem Jahre verwirft, jo ijt diejelbe nach Maßgabe des $ 21 in Ge: 
fängnis zu verwandeln. | 

Auf den Berfuh it die für die vollendete Tat maßgebende Straf: 
androhung anzuwenden, nur foll er milder beftraft werden, als jene beftraft 
fein würde. 

Die Geldfirafe darf im Falle des 8 44 nicht unter drei Mark ber 
mefjen werden. 

8 45. Wenn neben der Strafe des vollendeten Verbrechens oder Ber: 
gehens die Aberfennung der bürgerlichen Ehrenrechte zuläjfig oder geboten ift, 
oder auf Zuläfjigfeit von Bolizei-Aufjicht erfannt werden kann, jo gilt Gleiches 
bei der Berjuchsitrafe. 

Es müffen aber die jonftigen PVorausfegungen für diefe Nebenitrafen 
(f. 8 32) vorliegen, 3. B. die Dauer der cerfannten Nebenftrafe drei Monate 
erreichen. 

Auch Einziehung kann beim Verſuche ausgefprochen werden. 

Straflofer Verſuch. 
$ 46. Der Verſuch als jolcher bleibt ftraflos, wenn der Täter 
1. die Ausführung der beabfichtigten Handlung aufgegeben bat, ohne 
daß er an diejer Ausführung durch Umſtände gehindert worden 
iit, welche von jeinem Willen unabhängig waren, oder 
2. zu einer Zeit, zu welcher die Handlung noch nicht entdedt war, 
den Eintritt des zur Bollendung des Verbrechens oder Vergehens 
gehörigen Erfolges durch eigene Tätigfeit abgewendet hat. 

8 46 enthält Strafausichliegungsgründe Bei Ziffer 1 handelt es 
fih um einen freiwilligen Rüdtritt des Täters, obwohl ihm die 
MReiterführung der Tat möglidy erfchien; 3. B. der Dieb nimmt feine Sachen 
mit, weil ihm die vorgefundenen nicht zufagen. Dagegen ftraibarer Verſuch, 


142 II. Strafgejegbud. — Eriter Zeil. 


wenn der Dieb durch das Erfcheinen eines Dritten geftört wird und deshalb 
bon weiterem abfieht. Eine Handlung ijt entdedt, wenn ihre Wirkungen, 
3. B. das Erbrochenſein der KRellertüre beim Kohlendiebſtahle, zur Kenntnis 
eine® an der Tat unbeteiligten Dritten, 3. B. des Eigentümers, gefommen 
find. Der Eintritt des zur Vollendung des Verbrechens oder Vergehens ge: 
hörigen Erfolges ift z. B. beim Diebjtahle die Wegnahme der Sache. Durd) 
„eigene Tätigkeit“ wird der Erfolg auch abgewendet, wenn der Täter eine 
Naturkraft in Bewegung jeßt oder eine andere Perjon mit der Abwendung 
beauftragt. 


3. Abſchnitt. 


Teilnahme. 
Mittäterfchaft. 


$ 47. Wenn mehrere eine jtrafbare Handlung gemeinjchaftlich aus- 
führen, jo wird jeder als Täter beitraft. 

Täter ijt derjenige, welcher unmittelbar oder mittelbar die Straftat 
al3 feine eigene gewollte oder (fahrläffig) verfchuldete ausführt. Beteiligen 
fih an einer Straftat zwei oder mehrere dergeftalt, daß jeder die Tat als 
jeine eigene will und im ausdrüdlihen oder ftillfchweigenden Einverjtändnis 
mit dem anderen handelt, fo find fie Mittäter. Deshalb kann nur bei vor- 
fäglichen, nicht bei fahrläffigen Deliften Mittäterfhaft, nämlih be— 
wußtes und gewolltes Aufammenwirfen, vorliegen. Auf den größeren 
oder geringeren Anteil der verfchiedenen Mittäter an der Ausführungstätigfeit 
kommt nichts an; der eine macht auf der Straße den Aufpaffer, damit der 
andre im Haufe ftehlen kann: beide find Mittäter. Mittäterfchaft liegt aber 
nur infoweit vor, als unter den Mittätern Einverftändnis befteht. Der 
Dieb im Haufe wird betroffen und fchlägt dem ihn Ueberrafchenden ein Auge aus; 
hier würde Mittäterfichaft für die jchwere SKörperverlegung nicht vorliegen. 
Wer als Mittäter beftraft wird, fann nicht außerdem als Anitifter des andern 
Mittäters zu derielben Tat, deren Mittäter er ift, beitraft werden. 


Anſtifter. 

$ 48. Als Anſtifter wird beſtraft, wer einen anderen zu der von dem— 
jelben begangenen jtrafbaren Handlung duch Geſchenke oder Verfprechen, 
durch Drohung, durch Mißbrauch des Anjehens oder der Gewalt, durch ab- 
fichtliche Herbeiführung oder Beförderung eines Jrrtums oder durch andere 
Mittel vorjäglich bejtimmt hat. 

Die Strafe des Anftifters iſt nach demjenigen Gefege feitzujegen, welches 
auf die Handlung Anwendung findet, zu welcher er wiſſentlich angejtiftet hat. 


Die Anftiftung ift nur ftrafbar, wenn die Handlung, zu der an— 
geftiftet wurde, wirflih begangen worden iſt. Der Anftifter beftimmt den 


Beitrafung der Verbrechen, Vergehen und Uebertretungen im allgemeinen. 143 


Täter vorfäglid. Eine fahrläſſige Anftiftung ift denkbar, aber nicht 
mit Strafe bedroht. Jemand erzählt in einer Reftauration, bei einer Wit: 
frau, die viel bares Geld da habe, ſei augenblidlic; gute Gelegenheit zum 
Stehlen; ein unter den Gäften anmwejender Gewohnheitsdieb macht fidh die 
Mitteilung zu Nugen und beftiehlt die Witwe: feine jtrafbare Anftiftung, 
wenn nicht der Erzähler, vielleicht um fpäter als Hehler aufzutreten, ben ihm 
befannten Gewohnheit3dieb gerade zur Ausführung des Diebitahls beitimmen 
will. „Andere Mittel der Anftiftung find: Ueberredung, Aufforderung, 
Aufmunterung, Bitten, Zureden, Anleitung, Ratserteilung. Der Anftifter 
ift nur verantwortlich für die Tat, foweit fie feiner vorfäglichen Anſtiftungs— 
handlung entſpricht, nicht für eime Ueberſchreitung (Tötung jtatt Körper: 
verlegung) feiten® des Täters. Mehrere Anftifter können hinſichtlich der Ans 
stiftung Mittäter fein. Widerruf der Anſtiftung möglih und ftraflos. 
Anftiftung ftrafunmündiger Kinder oder Unzurehnungsfähiger iſt Selbſttäter— 
ſchaft. Verſuch der Anftiftung ftraflos, 
Gehilfe. 
8 49. Als Gehilfe wird beſtraft, wer dem Täter zur Begehung des 
Verbrechens oder Vergehens durch Rat oder Tat wiljentlich Hilfe geleitet hat. 
Die Strafe des Gehilfen ijt nach demjenigen Gejege feſtzuſetzen, welches 
auf die Handlung Anwendung findet, zu welcher er wiſſentlich Hilfe geleiitet 
bat, jedoch nach den über die Beitrafung des Werjuches aufgejtellten Grund» 
fägen zu ermäßigen. 

Beihilfe nur vorliegend, wenn eine Straftat oder deren Verſuch 
verübt worden if. Der Gehilfe unterfcheidet fih vom Meittäter dadurch, 
daß jener die fremde Tat eines anderen fördern will. Beihilfe zur An- 
ftiftung und Beihilfe zur Beihilfe ftrafbar. Die Verantwortlichkeit des Ge— 
bilfen reicht nur ſoweit als fein Wille vom Täter verwirklicht wird. Beihilfe 
zur Tat eines Strafunmündigen oder Unzurehnungsfähigen ausgeſchloſſen 
(Anftiftung). Hilfeleiftung ift jede Tätigkeit, welche die Haupttat fördern oder 
erleichtern joll, deshalb auch eine bloße Vorbereitungshandlung, 3. B. das 
Borgen einer Leiter zum Einfteigen. Beihilfe zu einer fahrläſſigen Straftat 
iſt denkbar, aber ſtraflos. 

Aufforderung zu einem Verbredhen (Dudhesne: Paragraph). 

$ 49a. (L). Wer einen anderen zur Begehung eines Verbrechens oder 
zur Teilnahme an einem Verbrechen auffordert, oder wer eine jolche Aufforderung 
annimmt, wird, jomeit nicht das Gejeg eine andere Strafe androht, wenn das 
Verbrechen mit dem Tode oder mit lebenslänglicher Zuchthausitrafe bedroht 
ift, mit Gefängnis nicht unter drei Monaten, wenn das Verbrechen mit einer 
geringeren Strafe bedroht it, mit Gefängnis bis zu zwei Jahren oder mit 

Feſtungshaft von gleicher Dauer beitrait. 


a al, 04 dust Sartrde 4199 SL FE RZ Zi DEZE Ze 4 — dA en Be Re A m ED en a Rn TA 


144 III. Strafgefepbucdh. — Eriter Teil. 


Die gleiche Strafe trifft demjenigen, welcher fich zur Begehung eines 
Verbrechens oder zur Teilnahme an einem Verbrechen erbietet, ſowie denjenigent, 
welcher ein jolches Erbieten annimmt. 

Es wird jedoch das lediglich mündlich ausgedrücte Auffordern oder Erbieten, 
jowie die Annahme eines jolchen nur dann beitraft, wenn die Aufforderung oder das 
Erbieten an die Gewährung von Vorteilen irgend welcher Art geknüpft worden ift. 

Neben der Gefängnisjtrafe fann auf Verlujt der bürgerlichen Ehren— 
rechte und auf Zuläfjigfeit von Polizei: Aufficht erfannt werden. 

Die Aufforderung, das Erbieten und die Annahme müflen 
ernftlih gemeint fein. „Vorteile irgend welder Art", alfo nicht 
bloß Vermögensvorteile. E3 handelt fi um die Beftrafung einer erfolglofen 
Anitiftung; wird die Handlung begangen, jo liegt ev. Anftiftung vor. Zus 
ftändig zur Aburteilung ift die Straflammer des Landgerichts (L.). 

Zurehnung perföntiher Eigenſchaften und Berhältniffe, 

$ 50. Wenn das Gefeg die Strafbarkeit einer Handlung nad den 
perfönlichen Eigenfchaften oder Verhältuiffen desjenigen, welcher diejelbe be- 
gangen hat, erhöht oder vermindert, jo find diefe befonderen Tatumftände 
dem Täter oder demjenigen Teilnehmer (Mittäter, Anftifter, Gehilfe) zuzurechnen, 
bei welchem jie vorliegen. 

Der Gehilfe oder Anſtifter oder Mittäter, bei welchem Rückfall (Dieb- 
ftahl, Betrug) oder Gewohnheitsmäßigfeit (Suppelei) oder Gewerbsmäßigfeit 
(Kuppelei, Hehlerei) nicht vorliegen, kann nur wegen einfachen oder jchweren 
Diebſtahls und Betrugs ufw. beftraft werden. 


4. Abjchnitt. 
Gründe, melde die Strafe ausſchließen oder mildern. 


Ausſchluß der freien Willensbefiimmung. 
$ 51. Eine ftrafbare Handlung ijt nicht vorhanden, wenn der Täter 
zur Zeit der Begehung der Handlung jich in einem Zujtande von Bewußt— 
fofigfeit oder franfhafter Störung der Geiftestätigfeit befand, durch welchen 
feine freie Willensbeitimmung ausgeſchloſſen war. 

Bei zweifelhafter Zurechnungsfähigkeit hat Freiſprechung einzutreten. 
Bewußtlofigkeit: bei Sinnestäufhungen, Delirien, Berauſchung, bei hoch— 
gradigen Affeften, Zuftänden des Schlaf: und Traumlebend. Die Störung 
der Geiftestätigfeit muß eine franthafte fein. Die angeborene oder 
erworbene Unfähigkeit, fich durch fittliche oder rechtliche Motive bejtimmen zu 
laſſen, ſchützt, ſoweit nicht Geiftesfranfheit vorliegt, nicht vor Strafe. Die 
moderne Wiſſenſchaft erflärt diefe gefchilderte Unfähigkeit, wenn fie angehoren 
ift, für eine Geiftesfrankheit. Beihilfe und Anftiftung zu folhen Taten aus— 


Beitrafung der Verbrechen, Vergehen und Webertretungen im allgemeinen. 145 


geſchloſſen (nur als Selbittäterichaft denkbar). Gegenüber der in $ 51 ans 

genommenen freien Willensbeftimmung behauptet befanntlidy wieder die 

neuere Philofophie mit Nahdrud, daß der menfchliche Wille überhaupt nicht 
frei, jondern lediglich das Ergebnis zuſammenwirkender Urfachen fei, der an— 
geborenen Veranlagung, der Erziehung und der Yebensichidjale des einzelnen. 

Das Strafgefeg müſſe freilich einen freien Willen annehmen. 

Unwiderfichlidde Gewalt. 
$ 52. Eine jtrafbare Handlung it nicht vorhanden, wenn der Täter 
durch umwiderjtehliche Gewalt oder durch eine Drohung, welche mit einer 
gegenwärtigen, auf andere Weiſe nicht abwendbaren Gefahr für Leib oder 
Leben feiner jelbit oder eines Angehörigen verbunden war, zu der Handlung 
genötigt worden ift. 

Als Angehörige im Sinne diejes Strafgejeges find anzufehen Verwandte 
und Verjchwägerte auf und abjteigender Linie, Adoptiv» und Pflege-Eltern 
und -Kinder, Ehegatten, Gejchwilter und deren Ehegatten, und Verlobte. 

Unwiderftehlihe Gewalt wohnt der Gehorſamspflicht eines Unter: 
gebenen gegenüber einem als ungefeglic erkannten Befehl des Borgefegten nicht 
inne. — Verwandte auf: und abfteigender Linie find eheliche und außereheliche. 

Berfhmwägerte aufs und abfteigender Linie find Schwiegereltern und »Finder und 

Stiefeltern und «Kinder, auch nad Yöfung der das Verhältnis begründenden Ehe 

durch den Tod; — nicht: Ehemänner zweier Schweftern. Pflegeeltern zc., ein 

tatjächliches Berhältnis, nady allgemeinem Sprachgebraud und der Auffaffung des 

Lebens zu beftimmen. — Berlöbnis, beiderfeitiges, formlojes, aber ernftgemeintes 

Eheverfprehen, darf nicht dem Geſetz oder den guten Sitten zumwiderlaufen. 

Alfo fein Verlöbnis feitens eines anderweit VBerheirateten. Beihilfe und Ans 


ftiftung find zu $ 52 ausgeichloffen. Rotwehr. 


$ 53. Eine ftrafbare Handlung it nicht vorhanden, wenn die Handlung 
durch Notwehr geboten war. 

Notwehr ift diejenige Verteidigung, welche erforderlich ijt, um einen gegen: 
mwärtigen, rechtswidrigen Angriff von jich oder einem anderen abzumenden. 

Die Ueberjchreitung der Notwehr ijt nicht ftrafbar, wenn der Täter in 
Beitürzung, Furcht oder Schreden über die Grenzen der Verteidigung hinaus— 
gegangen iſt. 

Die Verteidigung muß erfdrderlich jein, was nad) dem wirklichen 
Sachverhalte zu beurteilen ift. Aber der irrige gute Glaube, eine Handlung 
fei durch Notwehr geboten oder die gewählte Art der Verteidigung jei erforder: 
(ih, fhüst vor Strafe, weil er das Bewußtſein der Nechtswidrigkeit ausſchließt. 

Nur „Beſtürzung, Furht oder Schrecken“ ſchützen bei Ueber— 
Ichreitung der Notwehrgrenzen vor Strafe; nicht: gereizter Zorn. 

10 


146 III. Strafgeſetzbuch. — Erſter Teil. 


Der Angriff braucht nicht gegen die Perſon, er fann gegen das Eigen: 
tum oder die Ehre gerichtet fein. Es muß aber ein „Angriff” vorliegen. Ein 
„Angriff“ liegt nicht vor, wenn dieſe Tätigfeit jelbft eine Abwehrhandlung ilt. 

Niemand braucht, ftatt in Notwehr zu handeln, unehrenhaft zu flichen. 

NRotftand. 

8 54. Eine ftrafbare Handlung it nicht vorhanden, wenn die Handlung 
außer dem Falle der Notwehr in einem unverjchuldeten, auf andere Weiſe nicht 
zu befeitigenden Notjtande zur Rettung aus einer gegenwärtigen Gefahr für 
Leib oder Leben des Täter oder eines Angehörigen begangen worden ijt. 

„Rotitand“: umverfchuldete Gefahr, die auf Ereigniffen, nicht auf 
dem Angriff eines Menfchen ($ 53) beruht. 3.8. Umſchlagen eines Bootes. 


Kinder unter 12 Jahren. 

s 55. Wer bei Begehung der Handlung das zwölfte Lebensjahr nicht 
vollendet hat, kann wegen derjelben nicht jtrafrechtlich verfolgt werden. 

Gegen denjelben fünnen jedoch nad) Maßgabe der landesgejeglichen Vor— 
ichriften die zur Beſſerung und Beauffichtigung geeigneten Maßregeln getroffen 
werden. Die Unterbringung in eine Familie, Erziehungsanftalt oder Beſſerungs— 
anftalt kann nur erfolgen, nachdem durch Beſchluß des Bormundjchaftsgerichtes 
die Begehung der Handlung feitgejtellt und die Unterbringung für zuläffig 
erklärt iſt. 

Das 12. Lebensjahr ift mit dem 12. Geburtstag vollendet. Beihilfe, 

Anftiftung und Miträterfchaft zur Tat eines Strafunmündigen find jtrafbar. 

— Ein Erwadhjener fann als Teilnehmer” ftrafbar fein. 

Jugendliche. 

$ 56. Ein Angejchuldigter, welcher zu einer Zeit, als er das zwölfte, 
aber nicht das achtzehnte Lebensjahr vollendet hatte, eine jtrafbare Handlung 
begangen hat, ift freizufprechen, wenn er bei Begehung derfelben die zur Er- 
fenntnis ihrer Strafbarfeit erforderliche Einjicht nicht beſaß. 

In dem Urteile ift zu bejtimmen, ob der Angejchuldigte feiner Familie 
überwiejen oder in eine Erziehungs: oder Befjerungsanftalt gebracht werden 
joll. In der Anftalt ift er jo lange zu behalten, als die der Anftalt vor— 
gejegte Verwaltungsbehörde jolches für erforderlich erachtet, jedoch nicht über 
das vollendete zwanzigjte Lebensjahr. 

Die moderne kriminaliſtiſche Schule fordert mit Recht auf grund der 

Ergebniffe der neueren Wiffenichaften, daß Kinder erjt mit dem vollendeten 

14. Yebensjahre auf die Anklagebanf gefegt werden. Die Feitftelung der zur 

Erkenntnis der Strafbarkeit erforderlihen Einſicht erfolgt in der Praris nicht 


Beitrafung der Berbrehen, Vergehen und Uebertretungen im allgemeinen. 147 


mit der nötigen Peinlichkeit. Es kommt darauf an, ob das Kind intelleftwell 
und ethiſch jo weit gereift ijt, daß e3 feine Tat als einen Brud der all: 
gemeinen Rechtsordnung, der mit einer gerichtlichen Strafe zu be— 
legen ift, begreift. Das abgefchloffene 12. Lebensjahr ift weder von der Natur 
noch im unjerer Gejellichaftsordnung und Erziehung ein bedeutungspoller Ab: 
ſchnitt. Die Strafbarkeit3einfiht wird zuerft beim Diebitahl vorhanden fein, 
deöwegen aber nicht zugleich auch bei der Unterichlagung, beim Betrug, bei 
der Beleidigung, der Urkundenfälſchung, bei den SittlichfeitSverbrechen. Hin— 
ſichtlich des Meineides nimmt das Gejeg felbit an, daß erft mit dem voll- 
endeten 16. Lebensjahre das Berftändnis für die Bedeutung des Eides im 
Menſchen vorhanden ift. And doch wird dem Sinde fchon in den 10 Ge: 
boten (neben: Du jollft nicht ftehlen!) gelehrt: Dur follft nicht falfches Zeugnis 
reden wider Deinen Nächften und: Du ſollſt den Namen Deines Gottes nicht 
unnüßlich führen ! 
Strafen für Jugendliche. 


8 57. Wenn ein Angejchuldigter, welcher zu einer Zeit, als er das 
zwölfte, aber nicht das achtzehnte Lebensjahr vollendet hatte, eine jtrafbare 
Handlung begangen hat, bei Begehung derjelben die zur Erfenntnis ihrer 
Strafbarkeit erforderliche Einficht bejaß, fo fommen gegen ihn folgende Be: 
ftimmungen zur Anwendung: 

1. ift die Handlung mit dem Tode oder mit lebenslänglichem Zucht: 
haus bedroht, jo iſt auf Gefängnis von drei bis zu fünfzehn 
Jahren zu erfennen; 

Das Höchſtmaß der 15 jähr. Gefängnisftrafe darf auch bei Zu: 
fanmentreffen verichtedener Delikte nicht überfchritten werden. 

2. ift die Handlung mit lebenslänglicher Feitungshaft bedroht, jo tit 
auf Feitungshaft von drei bis zu fünfzehn Jahren zu erfennen; 

3. iſt die Handlung mit Zuchthaus oder mit einer anderen Strafart 
bedroht, jo ift die Strafe zwiſchen dem gejeglichen Meindejtbetrage 
der angedrohten Strafart und der Hälfte des Höchjtbetrages der 
angedrohten Strafe zu bejtimmen. 

Zit die jo bejtimmte Strafe Zuchthaus, jo tritt Gefängnis- 
itrafe von gleicher Dauer an ihre Stelle; 

4. ift die Handlung ein Vergehen oder eine lebertretung, jo fann in 
befonders leichten Fällen auf Verweis erkannt werden; 

5. auf Berlujt der bürgerlichen Ehrenrechte überhaupt oder einzelner 
bürgerlicher Ehrenrechte, jowie auf Zuläfjigfeit von Polizei-Aufſicht 
it nicht zu erfennen. 

10* 


u — — 


148 III. Strafgeſetzbuch. — Erſter Teil. 


Die Freiheitsjtrafe ijt in bejonderen, zur Verbüßung von Strafen 
jugendlicher Perſonen bejtimmten Anjtalten oder Räumen zu vollziehen. 

Die mildere Beftrafung der Jugendlichen erfolgt wegen ihrer intel- 
feftuell und ethijch verminderten Zurehnungsfähigfeit. 

Taubſtumme. 

8 58. Ein Taubſtummer, welcher die zur Erkenntnis der Strafbarkeit 
einer von ihm begangenen Handlung erforderliche Einſicht nicht beſaß, iſt frei— 
zujprechen. 

Zuzurechnende Tatumftände. 

8 59. Wenn jemand bei Begehung einer jtrafbaren Handlung das Vor: 
handenjein von Tatumftänden nicht fannte, welche zum gejeglichen Tatbejtande 
gehören oder die Strafbarfeit erhöhen, fo find ihm diefe Umſtände nicht zu— 
zurechnen. 

Bei der Beitrafung fahrläffig begangener Handlungen gilt dieje Bejtim- 
mung nur infoweit, als die Unfenntnis jelbit nicht durch Fahrläjjigfeit ver- 
ſchuldet ift. 

Dem Täter können nur diejenigen Tatlachen zugerechnet werden, die er 
wirklich fennt. 3.8. er weiß nicht und nimmt auch nicht an, daß das un— 
züchtig berührte und förperlich jehr entwidelte Mädchen noch unter 14 Jahre 
oder daß die Berführte noch unter 16 Jahre alt ift. Der Dieb, welcher den 
zur Eröffnung eines verfchlofjenen Behältniffes verwendeten falſchen Schüfjel 
irrtümlich für dem richtigen Schlüffel hält, kann nur wegen einfachen, nicht 
wegen jchweren Diebftahls bejtraft werden. Es kommt nicht darauf an, ob 
der Irrtum ein verfchuldeter oder unverfchuldeter ift. Diefen Irrtum über 
Tatfahen steht der Rehtsirrtum gleich, fofern er auf nichtſtrafrecht— 
lihem, 3. B. zivilvechtlihem oder verwaltungsredtlihem Gebiete liegt. Wer 
über die zivilrechtliche Befugnis, feinen Dienftboten einzufperren, irrt, fann 
nicht wegen Freiheitsberaubung beitraft werden, Jrrtum über das Strafrecht 
fhügt nit vor Strafe. 

Anrechnung von Unterfuhungähaft. 

$ 60. Eine erlittene Unterfuchungshaft fann bei Fällung des Urteils 
auf die anerfannte Strafe ganz oder teilweife angerechnet werden. 

Die Unterfuhungshaftfann, d.h. nach dem Ermeſſen des Richters, 
angerechnet werden. Der Ausſpruch über die Anrechnung hat im Urteile zu 
erfolgen; nad) der Urteilsverfündung ift dies nicht mehr möglich. 

Strafantrag. 

3 61. Eine Handlung, deren Verfolgung nur auf Antrag eintritt, iſt 
nicht zu verfolgen, wenn der zum Antrage Berechtigte es unterläßt, den Antrag 
binnen drei Monaten zu jtellen. Dieje Friſt beginnt mit dem Tage, jeit 


Beitrafung der Verbrechen, Vergehen und Vebertretungen im allgemeinen. 149 


welchem der zum Antrage Berechtigte von der Handlung und von der Perſon 
des Täters Kenntnis gehabt hat. 

Folgende ſtrafb. Handl. erfordern einen Antrag: $$ 102—104, 123, 
4.1, 170, 172, 179, 182, 185—187, 189, 194—196, 223, 230 (232), 
236, 237, 247, 263, 288, 289, 292, 299, 300— 303, 370 Nr. 5 u.6.— 
Vgl. auch die Neichögefege über Nahdrud, Seem.O., Preſſe, Martenfhug, 
Urheberrechte, Patentr., unlaut. Wettbew., Entziehung eleftrifcher Arbeit ($ 2) u. a. 

Das Recht zum Strajantrage ift ein perfönliches, aljo umvererb- 
liches. Der zur Stellung de3 Strafantrags Berechtigte ift der Träger des 
verlegten Rechtsgutes, 3. B. der MWohnungsinhaber beim Hausfriedensbruche. 
Für den oder neben dem Verletzten fann fraft Gejeges ein anderer den Antrag 
ftellen, 3. B. der gejegliche Vertreter ($ 651), der Ehemann ($ 195), der 
Borgefete ($ 196). Es findet audy eine andere Art Stellvertretung ftatt: 
Der Adminiftrator kann für den Hausbejiger Strafantrag ftellen wegen Haus: 
friedensbruchs, Pfandentitridung ujw. Ein im einzelnen alle Bevoll- 
mächtigter bedarf zur Stellung des Strafantrags nur einer formlofen Vollmacht. 
Berziht auf Stellung des Strafantrags hat feine Giltigkeit. 

Form des Strafantrags in $ 156 d. St P.O. Der Polizei: 
beamte hat den Strafantrag entweder vom Berechtigten jelbft fchreiben und 
unterfchreiben zu laſſen oder er ſchreibt ihm bezw. benugt ein etwa eingeführtes 
Formular und läßt es vom Berechtigten unterjchreiben. 

Ein telegraphifch geftellter Strafantrag ift als ein Schriftlicher anzufehen. 
Der Tag, an welchem der Berechtigte von der Tat und dem Täter Kenntnis 
erlangt, ift der erfte Tag der Antragsfriit. Kenntnis von der Perſon des 
Täterd liegt vor, wenn der Berechtigte fie der Behörde individuell erkennbar 
machen kann. Der Berechtigte braucht die NRechtzeitigleit feines Strafantrags 
nit zu bemweilen; aber ihm kann die Verfpätung des Antrags bewiefen 
werden, Im Antrage braucht der Berechtigte mit irgend welchen Worten nur 
zum Ausdrud zu bringen, daß die bezeichnete Handlung verfolgt oder beitraft 
werde. Fügt er die Bedingung bei, daß es vom intritte uder Nicht: 
eintritte eines Fünftigen Ereigniffes abhängen folle, ob er die Strafverfolgung 
wünjche, jo gilt der Antrag als nicht geflellt. Die Bedingung, daß mit dem 
Eintritte oder Nichteintritte eines fünftigen Creigniffes die Strafverfolgung 
wieder aufgegeben werden folle, ift unmwirffam und der Strafantrag ift giltig. 
Sonftige Vorbehalte und bloße Beichränfungen laſſen den Antrag ebenfalls 


beftehen. Mehrere Antragsberechtigte. 


8 62. Wenn von mehreren zum Antrage Berechtigten einer die drei— 
monatliche Friſt verſäumt, jo wird hierdurch das Necht der übrigen nicht aus- 
geſchloſſen. 

Mehrere zum Antrag Berechtigte ſind z. B. mehrere durch dieſelbe 

Aeußerung Beleidigte. 


150 III. Strafgeſetzbuch. — Erfter Teil. 


Wer die Hilfe des Gerichts wegen einer Straftat gegen eine Perjon, 
die ſich an ihre fchuldhaft beteiligt hat, anruft, muß fich gefallen laffen, daß 
gegen alle fchuldhafte Beteiligten eingefchritten werde. Eine Auswahl kann 
dad Geſetz dem Antragfteller nicht zugeftehen. 

Unteilbarkeit des Strafantrags. 

863. Der Antrag fann nicht geteilt werden. Das gerichtliche Verfahren 
findet gegen jämtliche an der Handlung Beteiligte (Täter und Teilnehmer), 
jowie gegen den Begünjtiger ftatt, auch wenn nur gegen eine dieſer Perjonen 
auf Beitrafung angetragen worden it. 

Rüdnahıme des Strafantragb. 

$ 64. Die Zurüdnahme des Antrags ift nur in dem gejeglich bejonders 
vorgejehenen Fällen und nur bi zur Verkündung eines auf Strafe lautenden 
Urteils zuläſſig. 

Die rechtzeitige Zurüdnahme des Antrags gegen eine der vorbezeichneten 
Berjonen hat die Einftellung des Verfahrens auch gegen die anderen zur ‚zolge. 

Zurücdnahme zuläffig: $$ 102, 103, 104, 194, 232, 247, 263, 292, 
303 u. 370. Die Zurüdnahme iſt nicht, wie die Stellung des Antrags, 
an eine beftimmte Form gebunden. Auc die Zurüdnahme ift unteilbar. Be: 
rechtigt zur Rücknahme ift regelmäßig der Antragfteller. Doch kann 3. B. der 
volljährig gewordene Mündel den Antrag des Vormundes zurüdnehmen. 

Minderjähriger Antragsbereätigter. 

8 65. Der Berlegte, welcher das achtzehnte Lebensjahr vollendet Hat, 
iſt felbftändig zu dem Antrage auf Beitrafung berechtigt. So lange er minder- 
jährig it, hat, unabhängig von jeiner eigenen Befugnis, auch fein gejeglicher 
Vertreter das Necht, den Antrag zu jtellen. 

Iſt der Verlegte geichäftsunfähig oder hat er das achtzehnte Lebensjahr 
noch nicht vollendet, jo ijt fein gejeglicher Vertreter der zur Stellung des 
Antrags Berechtigte. 

Fit der gejegliche Vertreter tatfächlih oder vechtlich verhindert, 3. B. 
weil er lange abwejend oder jelbit der Täter ift, fo ift den PVerlegten ein 
befonderer Vertreter (Pfleger, $ 1909 des B.G. Bs.) zu beitellen. Die drei— 
monatliche Friſt ($ 61) läuft dann bei rechtlicher Verhinderung des urfprünglichen 
Vertreters dom Tage der Kenntnis des Pflegers. 

Berjährung. 

z 66. Durch Verjährung wird die Strafverfolgung und die Straf: 
vollſtreckung ausgeſchloſſen. 

Der ſtaatliche Strafanſpruch ſoll erlöſchen, wenn die Sühne für die 
Straftat nicht innerhalb einer beſtimmten Reihe von Jahren oder Monaten 


Beitrafung der Verbrechen, Vergehen und Vebertretungen im allgemeinen. 151 


ausgeſprochen oder vollzogen werden kann. Der Staat hat an einer jo fpäten 

Ahndung Fein Intereffe mehr; die allheilende Wirkung der Zeit foll dem 

Täter zugute fommen. 

Berjährung der Strafverfolgung. 

Ss 67. Die Strafverfolgung von Verbrechen verjährt, wenn jie mit dem 
Tode oder mit lebenslänglichem Zuchthaus bedroht jind, in zwanzig Jahren; 

wenn jie im Höchjtbetrage mut einer Freiheitsfirafe von einer längeren 
als zehmjährigen Dauer bedroht find, in fünfzehn Jahren; 
wenn jie mit einer geringeren Freiheitsſtrafe bedroht find, in zehn 

Jahren. 

Die Strafverfolgung von Vergehen, die im Höchjtbetrage mit einer längeren 
als dreimonatlichen Gefängnisſtrafe bedroht jind, verjährt in fünf Jahren, von 
anderen Vergehen in drei Jahren. 

Die Strafverfolgung von Lebertretungen verjährt in drei Monaten. 

"Die Verjährung beginnt mit dem Tage, an welchem die Handlung 
begangen it, ohne Rüdjicht auf den Zeitpunkt des eingetretenen Erfolges. 

Die Verjährungsfrist beftimmt fih alfo nad dem KHöchitbetrage 
der vom Geſetze angedrohten Strafe, der bei Verſuchs- und Beihilfehandlungen 
nad den in SS 44, 49 beitimmten Borfchriften zu berechnen ift. 

Der Tag der begangenen Straftat ift der erfte Tag im der Ber 
jährungsfrift. 

Einzelne Geſetze haben befondere Beſtimmungen über die Verjährungs— 
friften (Preßgeſetz, Wechſelſtempelſteuer, Gewerbeordnung ufw.). 


Unterbrechung der Verjährung. 
$ 68. Jede Handlung des Richters, welche wegen der begangenen Tat 
gegen den Täter gerichtet ijt, unterbricht die Verjährung. 
Die Unterbrechung findet nur rücjichtlich desjenigen jtatt, auf welchen 
die Handlung fich bezieht. 
Nur vom Richter vorgenommene Handlungen unterbreden die Verjährung. 
Aber außerdem polizeiliche Strafverfügungen und Strafbeicheide der Verwaltungs- 
behörden. Die richterliche Handlung muß gegen den Täter, aber nicht gerade 
immer zu deffen Nachteil gerichtet jein; es genügt, daß fie zum Zwede der 
Fortführung des Verfahrens vorgenommen wird. Die richterliche Handlung 
muß gegen den Täter wegen der begangenen Tat, d. h. wegen des tatſäch— 
lichen Vorkommniſſes gerichtet fein, wobei die rechtliche Beurteilung, die ſich 
fpäter vielleicht Ändert, außer Betracht bleibt. 
Nuhen der Verjährung. 
8 69. Die Berjährung ruht während der Zeit, in welcher auf grund 
gejeglicher Vorichrift die Strafverfolgung nicht begonnen oder nicht fort: 


152 


II. Straſgeſetzbuch. — Eriter Teil. 


gejett werden fan. Iſt der Beginn oder die Fortjegung eines Strafverfahrens 
von einer Vorfrage abhängig, deren Entjcheidung in einem anderen Verfahren 
erfolgen muß, jo ruht die Verjährung bis zu defien Beendigung. 


Sit zur Strafverfolgung ein Antrag oder eine Ermächtigung nad) dem 
Strafgeje erforderlich, jo wird der Lauf der Verjährung durch den Mangel 
des Antrages oder der Ermächtigung nicht gehindert. 


Die Berjährung ruht 3. B., wenn der Neichstag die nad Art. 31 


der Reichsverfaſſung zur Strafverfolgung eines Reichstagsmitgliedes erforder: 
fihe Genehmigung nicht erteilt. Die Verjährung des Ehebruchs läuft erft 
von der Rechtskraft des Scheidungsurteil® an, weldes ja eine Borausfegung 
des Strafverfahrens bildet. 


Verjährung der Strafvollfiredung. 


z 70. Die Vollitredung rechtsfräftig anerfannter Strafen verjährt, wenn 


1. 


to 


auf Tod oder auf lebenslängliches Zuchthaus oder auf lebens— 
längliche Feſtungshaft erkannt tft, in dreißig Jahren; 


. auf Zuchthaus oder Feſtungshaft von mehr als zehn Jahren 


erfannt üt, in zwanzig Jahren; 


. auf Zuchthaus bis zu zchn Jahren oder auf FFeitungshaft von 


fünf bis zu zehn Jahren oder Gefängnis von mehr als fünf 
Jahren erkannt ift, im fünfzehn Jahren: 


. auf Feitungshaft oder Gefängnis von zwei bis zu fünf Jahren 


oder auf Geldjtrafe von mehr als jechstaujend Mark erfannt it, 
in zehn Jahren; 


. auf Feitungshaft oder Gefängnis bis zu zwei Jahren oder auf 


Gelditrafe von mehr als einhundertfünizig bis zu jechstaufend 
Mark erfannt ijt, in fünf Jahren; 


. auf Haft oder auf Gelditrafe bis zu einhundertfünfzig Mark 
erkannt ift, in zwei Sahren. 


Die Verjährung beginnt mit dem Tage, an welchem das Urteil rechts: 
kräftig geworden iſt. 


s 1. 


Auch der Verweis verjährt in 2 Jahren. 


Die Vollftredung einer wegen derjelben Handlung neben einer 


Sreiheitsitrafe erfannten Geldjtrafe verjährt nicht früher, al& die Boll 
ftredung der Freiheitsſtrafe. 





Beitrafung der Berbrechen, Vergeben und Uebertretungen im allgemeinen. 153 


Unterbrehung der Berjährung. 
s 72. Jede auf Bolljtredung der Strafe gerichtete Handlung derjenigen 
Behörde, welcher die Vollftredung obliegt, jowie die zum Zwede der Roll 
jtredung erfolgende Feſtnahme des Verurteilten unterbricht die Verjährung. 
Nach der Unterbrehung der VBollitredung der Strafe beginnt eine neue 
Verjährung. 
Es unterbrechen alſo aud die Handlungen der Staatsanwaltichaft und 
die Feſtnahme durch die Polizei die Verjährung. 


5. Abſchnitt. 


Iunfammentreffen mehrerer Arafbarer Handlungen. 


Einheit der Tat. 
s 73. Wenn eine und diejelbe Handlung mehrere Strafgejege verlegt, 
jo fommt nur dasjenige Gejet, welches die ſchwerſte Strafe, und bei ungleichen 
Strafarten dasjenige Geſetz, welches die jchwerite Strafart androbt, zur 
Anwendung. 
Eine und diejelbe Handlung verlegt mehrere Stvafgeiege, wenn 3. B. 
der Täter, welcher fi an einem Mädchen unter 14 Jahren vergreift ($ 1765), 
das in ſolcher Weiſe tut, daß er öffentlih ein Yergernis gibt ($ 183). 
Dann kommt die Strafandrohung des $ 1763 zur Anwendung. Man fpricht 
von einem begriffliden Zufammentreffen mehrerer Straftaten in 
einer natürlihen Handlungseinheit. Der tehnifhe Ausdrud iſt Ideal— 
konkurrenz. Die mehrfachen Gefegesverlegungen find in der Urteilsformel 
zu erwähnen. Bei Ausmeflung der Strafe nach dem ſchwereren Strafgeſetze 
fann das Gericht berüdfichtigen, daß die Handlung außerdem noch das 
feihtere Strafgefeg verlegt. Iſt über die jchmwerere Straftat vechtsfräftig 
durch Verurteilung oder Freifprechung entichieden, jo kann wegen der hierbei 
überfehenen Beurteilung der Tat aus dem leichteren Strafgejege fein neues 
Berfahren eingeleitet werden, weil über eine und biejelbe Tat nur einmal 
durch rechtsfräftiges Urteil entichieden werden fanıı. Wechtöfräftiger Straf: 
befehl und reditsfräftige polizeilide Strafverfügung aber jchließen 
Verurteilung wegen derielben Handlung nad ichwererem Strafgeiege nicht aus. 
Mehrere Straftaten. Gefamtftrafe. 
$ 74. Gegen denjenigen, welcher durch mehrere jelbjtändige Handlungen 
mehrere Verbrechen oder Vergehen, oder dasjelbe Verbrechen oder Vergehen 
mehrmals begangen und dadurch mehrere zeitige Freiheitsſtrafen verwirft hat, 
it auf eine Gefamtftrafe zu erfennen, welche in einer Erhöhung der verwirften 
ſchwerſten Strafe beiteht. 


154 IN. Straſgeſetzbuch. — Erfter Teil. 


Bei dem AZufammentreffen ungleichartiger Freiheitsjtrafen tritt Dieje 
Erhöhung bei der ihrer Art nach jchwerjten Strafe ein. 

Das Maß der Gejamtitrafe darf den Betrag der verwirften Einzel— 
jtrafen nicht erreichen und fünfzehnjähriges Zuchthaus, zehnjähriges Gefängnis 
oder fünfzehnjährige Feitungshaft nicht überjteigen. 

Mehrere jelbftändige Handlungen find der-Öegenfag zu „eins 
und derfelben Handlung“ in $ 73. Hier liegt nicht ein begriffliches, ſondern 
ein tatjächliches reales Zujammentreffen mehrerer Straftaten vor; man fpricht 
von Realfonfurrenz. Der Täter nimmt 3. B. an verfchiedenen Heinen 
Mädchen nadeinander unzüchtige Handlungen vor oder beftiehlt mehrere Eigen- 
tümer zu verjchiedenen Zeitpunkten. Die wiederholte Verlegung desfelben 
Strafgeleged, namentlich unter Berlegung des nämlichen Rechtsgutes oder 
des nämlichen Trägers eines foldhen, wird oft als eine und diefelbe Handlung 
zu gunften des Angeklagten angejehen werden können, wenn fie alle auf dem- 
jelben einheitlichen ftrafbaren Willen desfelben beruhen, 3. B. wiederholte 
Unzuchtshandlungen an demjelben Kinde. Bei der Strafausmeflung find für 
die mehreren Straftaten je Einzelitrafen auszumerfen, aus welden dann im 
Sinne des Abfages 3 die Geſamtſtrafe zu bilden ift. 

8 75. Trifft Feitungshaft nur mit Gefängnis zujammen, jo tit auf 
jede dieſer Strafarten gejondert zu erfennen. 

Iſt Feitungshaft oder Gefängnis mehrfach verwirft, jo ijt Hinfichtlich 
der mehreren Strafen gleicher Art jo zu verfahren, als wenn diefelben allein 
verwirft wären. 

Die Gejamtdauer der Strafen darf in diejen Fällen fünfzehn Jahre 
nicht überjteigen. 

Nebenftrafen bei der Geſamtſtrafe. 

$ 76. Die Verurteilung zu einer Gejamtjtrafe jchließt die Aberfennung 
der bürgerlichen Ehrenrechte nicht aus, wenn dieſe auch nur neben einer der 
verwirften Einzeljtrafen zuläſſig oder geboten iſt. 

Ingleichen kann neben der Gejamtjtrafe auf Zuläffigfeit von Polizei— 
Aufficht erfannt werden, wenn dieſes auch mur wegen einer der mehreren ſtraf— 
baren Dandlungen ftatthaft tft. 

Nur wenn eine der Einzelftrafen 3 Monate Gefängnis erreiht, fann 
neben der Gefamtitrafe die Aberfennung der Ehrenrechte ($ 32) ftattfinden. 
s 77. Trifft Haft mit einer anderen FFreiheitsitrafe zufammen, jo iſt 

auf die erjtere geſondert zu erkennen. 

Auf eine mehrfach verwirfte Haft ift ihrem Gejamtbetrage nad), jedod) 
nicht über die Dauer von drei Monaten zu erfennen. 


Einzelne Verbrechen, Bergehen und Webertretungen und deren Beitrafung. 155 


$ 78. Auf Gelditrafen, welche wegen mehrerer jtrafbarer Handlungen 
allein oder neben einer Freiheitsſtrafe verwirkt find, ift ihrem vollen Betrage 
nad) zu erkennen. 

Ber Umwandlung mehrerer Gelditrafen ift der Höchjtbetrag der an die 
Stelle derjelben tretenden Freiheitsitrafe zwei Jahre Gefängnis und, wenn die 
mehreren Geldftrafen nur wegen Lebertretungen erfannt worden find, drei 
Monate Haft. 

$ 79. Die Vorjchriften der 88 74 bis 78 finden auch Anwendung, 
wenn, bevor eine erfannte Strafe verbüßt, verjährt oder erlajien ijt, die Ver- 
urtetlung wegen einer jirafbaren Handlung erfolgt, welche vor der früheren 
Berurteilung begangen war. 

Str.P.O. 8 492: „Fit Jemand durd) -verfchiedene rechtskräftige Urteile 
zu Strafen verurteilt worden, und find dabei die Vorfchriften über die Zus 
erfennung einer Gefamtitvafe ($ 79 des Str.®.B.) außer Betracht geblieben, 
jo find die erfannten Strafen durch eine nachträgliche gerichtliche Enticheidung 
auf eine Gefamtftrafe zurüdzuführen". 

An und für fich fol aber die Feitfegung der Geſamtſtrafe tunlichlt 
gleich bei der legten Verurteilung erfolgen. Eine Gefamtitrafe ſoll zu gunften 
des Verurteilten in bderjelben Weife gebildet werden, al3 wenn alle feine in 
betracht zu ziehenden Straftaten gleichzeitig zur Aburteilung fümen. Wenn 
die früher erfannte Strafe bereits im der Berbüßung begriffen ift, jo hat das 
neuere Erfenntnis auszufprechen, daß die frühere Strafe in Wegfall kommt, 
und eine Geſamtſtrafe zu erfennen, auf welche aber der fchon verbüßte Teil 
der früheren Strafe anzurechnen if. Es fann aud eine Zufagitrafe zu der 
alten Strafe unter Berüdfichtigung der Höchſtmaße der Geſamtſtrafe erkannt 
werden. 


Zweiter Teil. 
Bon den einzelnen Berbreden, Vergehen und Ueber— 
fretungen und deren Beltrafung. 


1. Abſchnitt. 


Hochverrat und Landesverrat. 
Sodverrat. 


$ 80. (Reg. bez. Sw.) Der Mord und der Verfuch des Mordes, welche 
an dem Staifer, an dem eigenen Landesherrn, oder während des Aufenthalts 
in einem Bundesjtaate an dem Landesherrn diejes Staats verübt worden jind, 
werden als Hochverrat mit dem Tode beitraft. 


156 III. Strafgeſeßzbuch. — Zweiter Teil. 


Hochverrat ift, im Gegeniage zum Landesverrate im Sinne von 
$ 87 ff., ein Angriff auf den Staat, und zwar „auf jein Dafein als 
Einzelwejen“. (v. Liszt.) Zuftändig zur Aburteilung ift das Reichögericht 
(Rg.) oder das Schwurgericht (Sw.). 
$ 81. (Rg. bez. Sw.) Wer außer den Fällen des 8 80 es unternimmt, 


1. einen Bundesfüriten zu töten, gefangen zu nehmen, in Feindes 
Gewalt zu liefern oder zur Regierung unfähig zu machen, 

. die Verfafjung des Deutjchen Reichs oder eines Bundesjtaats oder 
die in demſelben beitehende Thronfolge gewaltiam zu ändern, 


to 


3. das Bundesgebiet gan, oder teilmweije einem fremden Staate 
gewaltjam einzuverleiben oder einen Teil desſelben vom Ganzen 
loszureißen, oder 

4. das Gebiet eines Bundesſtaats ganz oder teilweiſe einem anderen 
Yundesitaate gewaltſam einzuverleiben oder einen Teil desjelben 
vom Ganzen loszureigen, 

wird wegen SHochverrats mit lebenstänglichem Zuchthaus oder febenslänglicher 
Feſtungshaft beitraft. 

Sind mildernde Umftände vorhanden, jo tritt Feſtungshaft nicht unter 
fünf Jahren ein. 

Neben der Feſtungshaft fann auf Berluft der befleideten öffentlichen 
Aemter, jowie der aus Öffentlihen Wahlen hervorgegangenen Rechte erfannt 


werden. 

Die Berfaſſung ıft nit nur die Berfaffungsurfunde, ſondern das 
ganze Staatsfundament, z. B. die Monarchie. Hier werden zum erftenmal 
die mildernden Umftände erwähnt Das Strafgeſetzbuch erklärt diefen 
Begriff nit. Mildernde Umftände find alle folde vor, bei und nad Bers 
übung der Tat bis zur Aburteilung in Beziehung auf die Tat hervortretende 
Tatjahen, welche eine bejonder8 milde Beurteilung zulaffen (z. B. heftige 
Gemütsbewegung, Reizung, dringende Notlage, Unbeicholtenheit, Jugend, Ver— 
führung durch andere, Reue, Geftändnis, Schadloshaltung, geringfügiger 
Schaden, wenig jchädlicher Erfolg). 


Begriff des „Unternehmens“. 
s 82. Als ein Unternehmen, durch welches das Verbrechen des Hoch- 
verrats vollendet wird, it jede Handlung anzujehen, durch welche das Vorhaben 
unmittelbar zur Ausführung gebracht werden joll. 


S 82 erklärt das Wort „unternimmt“ in $S 81. ©. audı $ 83. 


Einzelne Verbrechen, Vergehen und Hebertretungen und deren Beſtrafung. 157 


Derabredung eined hHodverräterifhen Unternehmens. 

$ 83. (Rg. bezw. Sw.) Haben mehrere die Ausführung eines hoch: 
verräterifchen Unternehmens verabredet, ohme daß es zum Beginn einer nad 
$ 82 jtrafbaren Handlung gefommen ift, jo werden diefelben mit Zuchthaus 
nicht unter fünf Jahren oder mit Feitungshaft von gleicher Dauer beitraft. 

Sind mildernde Umſtände vorhanden, jo tritt Feitungshaft nicht unter 
zwei Jahren ein. 

Neben der Feitungshaft fann auf Verlujt der befleideten öffentlichen 
Aemter, jowie der aus Öffentlichen Wahlen hervorgegangenen Rechte erkannt 


werden. 
Mehrere find auch zwei. 
Der Begriff des Unternehmens im Sinne von $ 82 umfaßt die 
Vollendung, den Berjud und die an diefen nächſt angrenzenden Vorbereitungs— 


handlungen. 
Vorbereitung eines Hochverrats. 


$.84. (Rg. bez. Sw.) Die Strafvorſchriften des $ 83 finden auch 
gegen denjenigen Anwendung, welcher zur Vorbereitung eines Hochverrats ent- 
weder fi) mit einer ausmwärligen Negierung einläht oder die ihm von dem 
Reich oder einem Bundesftaate anvertraute Macht mißbraucht oder Mannschaften 
anmirbt oder in den Waffen einübt. 
Auswärtige Regierung fann im Gegenfag zur ausländifhen ($ 87) 
auch die Regierung eines Bundesjtaats fein (f. aber auswärtig in den 
88 102, 103, 234). 
Deffentlihe Aufforderung zu hochverräteriſchem Unternehmen. 
$ 85. (Rg. bez. Sw.) Wer öffentlich vor einer Menfchenmenge, oder 
wer durch Verbreitung oder öffentlichen Anschlag oder öffentliche Ausjtellung 
von Schriften oder anderen Darjtellungen zur Ausführung einer nad) $ 82 
jtrafbaren Handlung auffordert, wird mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren oder 
Feſtungshaft von gleicher Dauer befiraft. 
Sind mildernde Umftände vorhanden, jo tritt Feitungshaft von einem 


bis zu fünf Jahren ein. 
Entferntefte Borbereitungshandlung. 


$S 86. (Reg. bez. Sw.) Jede andere, ein hochverräterijches Unternehmen 
vorbereitende Handlung wird mit Zuchthaus bis zu drei Jahren oder Feſtungs— 
haft von gleicher Dauer beitraft. 

Sind mildernde Umjtände vorhanden, fo tritt Feitungshaft von ſechs 


Monaten bis zu drei Jahren ein. 
Borbereitend ift auch die entferntejte Vorbereitungshandlung. 


158 III. Strafgeſetzbuch. — Zweiter Teil. 


Landesverrat. 
1. Krieg gegen das Deutſche Reich. 

8 87. (Rg) Ein Deutſcher, welcher ſich mit einer ausländiſchen 
Negierung einläßt, um dieſelbe zu einem Kriege gegen das Deutjche Neich zu 
veranlafien, wird wegen Yandesverrats mit Zuchthaus nicht unter fünf Jahren 
und, wenn der Krieg ausgebrochen ift, mit lebenslänglichem Zuchthaus beitraft. 

Sind mildernde Umftände vorhanden, jo tritt Feſtungshaft von ſechs 
Monaten bis zu fünf Jahren und, wenn der Krieg ausgebrochen ift, Feſtungs— 
halt nicht unter fünf Jahren ein. 

Neben der Feſtungshaft kann auf Verlust der befleideten Öffentlichen Aemter, 
fowie der aus Öffentlichen Wahlen hervorgegangenen Rechte erkannt werden. 

Landesverrat ift, im Gegenfage zum SHochverrat im Sinne von 
$ 80 ff., ein „Angriff auf den Staat in feiner Stellung innerhalb der 
anderen Staaten” (v. Yiszt). 

Vergl. hierzu das Gefeg gegen den Verrat militäriicher Geheimniſſe 

vom 3. Juli 1893. 

2. Dienft in feindliher riegsmacht. 

$ 88. (Rg.) Ein Deutjcher, welcher während eines gegen das Deutjche 
Neich ausgebrochenen Krieges in der feindlichen Kriegsmacht Dienfte nimmt 
oder die Waffen gegen das Deutjche Reich oder dejjen Bundesgenofjen trägt, 
wird wegen Yandesverrats mit lebenslänglichem Zuchthaus oder lebenslänglicher 
Feſtungshaft bejtraft. 

Sind mildernde Umstände vorhanden, fo tritt Feitungshaft nicht unter 
fünf Jahren ein. 

Ein Teutjcher, welcher jchon früher in fremden Striegsdienften jtand, 
wird, wenn er nach Ausbruch des Krieges im der feindlichen Kriegsmacht ver: 
bleibt oder die Waffen gegen das Deutjche Reich oder defjen Bundesgenojjen 
trägt, wegen Landesverrat® mit Zuchthaus von zwei bis zu zehn Jahren oder 
mit Feſtungshaft von gleicher Dauer beitraft. Sind mildernde Umftände vor- 
handen, jo tritt Feſtungshaft bis zu zehn Jahren ein. 

Neben der Feitungshaft kann auf Verluſt der befleideten öffentlichen 
Aemter, ſowie der aus Öffentlichen Wahlen Hervorgegangenen Rechte erfannt werden. 

3. Borfhubleiftung feindlicher Rriegsmacht. 

$ 89. (Rg.) Gin Deutjcher, welcher vorjäglich während eines gegen 
das Deutjche Reich ausgebrochenen Krieges einer feindlichen Macht Vorſchub 
feiitet oder der Sriegsmacht des Deutichen Reichs oder der Bundesgenojjen 


Einzelne Berbrechen, Vergehen und Uebertretungen und deren Beitrafung. 159 


desjelben Nachteil zufügt, wird wegen Landesverrats mit Zuchthaus bis zu 
zehn Jahren oder mit Feltungshaft von gleicher Dauer beitraft. Sind 
mildernde Umjtände vorhanden, jo tritt Feitungshaft bis zu zehn Jahren ein. 
Neben der Feitungshaft kann auf Verluſt der befleideten öffentlichen Aemter, 
jowie der aus dffentlichen Wahlen hervorgegangenen Rechte erfannt werden. 
4. Erſchwerte Tatbeitände, 
SW. (Rg.) XLebenslänglihe Zuchthausſtrafe tritt im Falle des $ 89 
ein, wenn der Täter 

1. Fejtungen, Bälle, bejegte Pläte oder andere PVerteidigungspoiten, 
ingleichen Zeile oder Angehörige der Ddeutjchen oder einer ver- 
bündeten Kriegsmacht in feindliche Gewalt bringt; 

2. Feftungswerfe, Schiffe oder Fahrzeuge der Krieggmarine, öffent— 
liche Gelder, Vorräte von Waffen, Schiegbedarf oder anderen 
Kriegsbedürfnifien, fowie Brüden, Eifenbahnen, Telegraphen und 
Transportmittel in feindliche Gewalt bringt oder zum Vorteile 
des Feindes zerjtört oder unbrauchbar macht; 

3. dem Feinde Mannjchaften zuführt oder Angehörige der deutjchen 
oder einer verbündeten Kriegsmacht verleitet, zum Feinde über— 
zugehen; 

4. Cperationspläne oder Bläne von Feitungen oder fejten Stellungen 

dem Feinde mitteilt; 
. dem Feinde ald Spion dient oder feindliche Spione aufnimmt, 
verbirgt oder ihnen Beiltand leitet, oder 


an 


6. einen Aufftand unter Angehörigen der deutjchen oder einer ver- 
bündeten Kriegsmacht erregt. 

In minder jchweren Fällen fanı auf Zuchthaus nicht unter zehn Jahren 
erfannt werden. 

Sind mildernde Umjtände vorhanden, jo tritt Feitungshaft nicht unter 
fünf Jahren ein. 

Neben der Feſtungshaft kann auf Berluft der beffeideten öffentlichen Nemter, 
jowie der aus öffentlichen Wahlen hervorgegangenen Rechte erkannt werden. 

Zandeöverrat der Ausländer. 

z 9. Gegen Ausländer ijt wegen der in den SS 87, 89, 90 bezeich- 

neten Handlungen nach dem Kriegsgebrauche zu verfahren. 


160 Ill. Strafgeſetzbuch. — Zweiter Teil. 


(Rg.) Begehen fie aber jolche Handlungen, während fie unter dem Schuße 
des Deutjchen Reichs oder eines Bundesjtaats fich innerhalb des Bundes» 
gebieted aufhalten, jo fommen die in den 88 87, 89 und 90 bejtimmten 
Strafen zur Anwendung. 


Diplomatifher Verrat. 
$ 9. (Rg. bez. Sw.) Wer vorſätzlich 
1. Staatögeheimnifje oder Feitungspläne, oder jolche Urfunden, Aften- 
jtüde oder Nachrichten, von denen er weiß, dab ihre Geheim: 
haltung einer anderen Regierung gegenüber für das Wohl des 
Deutſchen Reichs oder eines Bundesſtaats erforderlich it, dieſer 
Regierung mitteilt oder öffentlich befannt macht; 

. zur Gefährdung der Nechte des Deutjchen Reichs oder eines Bundes- 
jtaats im Verhältnis zu einer anderen Regierung die über folche 
Rechte Sprechenden Urkunden oder Beweismittel vernichtet, ver: 
jälfcht oder unterdrüdt, oder 

3. ein ihm von jeiten des Deutfchen Reichs oder von einem Bundes: 
jtaate aufgetragenes Staatsgejchäft mit einer andern Regierung 
zum Nachteil defjen führt, der ihm den Auftrag erteilt hat, 

wird mit Zuchthaus nicht unter zwei Jahren bejtraft. 

Sind mildernde Umſtände vorhanden, jo tritt Feitungshaft nicht unter 
jchs Monaten ein. 


10 


Vermögensbeſchlagnahme. 

8 93. Wenn in den Fällen der 88 80, 81, 83, 84, 87 bis 92 die 
Unterfuchung eröffnet wird, jo fann bis zu deren rechtäfräftigen Beendigung 
das Vermögen, welches der Angejchuldigte befigt, oder welches ihm ſpäter an— 
fällt, mit Bejchlag belegt werden. 

Ueber das Verfahren vgl. Str. P.O. 88 480 bez. 333—335. 


2. Abſchnitt. 
Beleidigung des Landesherrn. 
Tätlichteit gegen Kaiſer oder Landesherrn. 
*8 9. (Sw) Wer einer Tätlicjfeit gegen den Kaiſer, gegen feinen 
Landesherrn oder während feines Aufenthalts in einem Bundesjtaate einer 
Tätlichkeit gegen den Landesherrn diejes Staats ſich ſchuldig macht, wird mit 


Einzelne Verbrechen, Vergehen und Uebertretungen und deren Beitrafung. 161 


lebenslänglichem Zuchthaus oder Lebenslänglicher Feitungshaft, in minder 
ichweren Fällen mit Zuchthaus nicht unter fünf Jahren oder mit Feitungs- 
haft von gleicher Dauer beitraft. Neben der Feitungshaft kann auf Verluſt 
der beffeideten öffentlichen Aemter, jowie der aus öffentlihen Wahlen hervor: 
gegangenen Rechte erfannt werden. 
Sind mildernde Umftände vorhanden, jo tritt Feitungshaft nicht unter 
fünf Jahren ein. 
Beleidigung gegen Ktaiſer oder Landesherru. 
s%. (L.) Wer den Staifer, feinen Landesherrn oder während jeincs 
Aufenthalts in einem Bundesjtaate deſſen Landesherrn beleidigt, wird mit 
Sefängnis nicht unter zwei Monaten oder mit Feſtungshaft von zwei Monaten 
bis zu fünf Jahren bejtraft. 
Neben der Gefängnisstrafe fann auf Verluſt der befleideten öffentlichen 
Aemter, Jowie der aus Öffentlichen Rahlen hervorgegangenen Rechte erfannt werden. 
Der Begriff der Beleidigung ift derjelbe wie im $ 185 (Kränkung 
der perfönlichen Ehre). Die 88 193, 194, 199 finden Feine Anwendung, 
doch ſchließt die Abficht, nur fein Recht zu verteidigen, den Borfag aud) 
hier aus. Beweis der Wahrheit ſchließt Strafbarfeit aus 88 95 (186) 
nicht aus. 
Tätlichteit gegen Mitglieder des landesherrlihen Saufes oder Regenten, 
Ss %. (Sw) Wer einer Tätlichfeit gegen ein Mitglied des landes- 
herrlichen Haujes jeines Staats oder gegen den Negenten feines Staats oder 
während jeines Aufentyalts in einem Bundesjtaate einer Tätlichkeit gegen 
ein Mitglied des landesherrlichen Haujes diefes Staats oder gegen den Negenten 
diejes Staats jich jchuldig macht, wird mit Zuchthaus nicht unter fünf Jahren 
oder mit Feſtungshaft von gleicher Dauer, in minder jchweren Fällen mit 
Zuchthaus bis zu fünf Jahren oder mit Feitungshaft von gleicher Dauer bejtraft. 
Sind mildernde Umstände vorhanden, jo tritt Feitungshaft von einem 
bis zu fünf Jahren ein. 
Beleidigung eines Mitgliedes des Iandeöherrliden Hauſes oder Negenten, 
s 97. (L)) Wer ein Mitglied des landesherrlichen Haujes feines Staats 
vder den Regenten feines Staats oder während feines Aufenthalts in einem 
Bundesjtaate ein Mitglied des landesherrlichen Haufes diejes Staats oder den 
Negenten dieſes Staats beleidigt, wird mit Gefängnis von einem Monat bis 
zu drei Jahren oder mit Feſtungshaft von gleicher Dauer bejtraft. 
Mitgliedfhait des landesherrlihen Haufes it nad den 
Hansgefegen zu beſtimmen. 
11 


162 III. Strafgeſetzbuch. — Zweiter Teil. 


3. Abſchnitt. 


Beleidigung von Bundesfürften. 
Zätlichfeit gegen Bundesfürften. 

SYS. (Sw) Wer außer dem Falle des S 94 jich einer Tätlichkeit 
gegen einen Bundesfürjten ſchuldig macht, wird mit Zuchthaus von zwei bis 
zehn Jahren oder mit Feltungshaft von gleicher Dauer bejtraft. 

Sind mildernde Umstände vorhanden, jo tritt Feitungshaft von jechs 
Monaten bis zu zehn Jahren ein. 

Beleidigung des Bundesfürften. 

s 9. (L) Wer außer dem Falle des $ 95 einen Bundesfürften 
beleidigt, wird mit Gefängnis von einem Monat bis zu drei Jahren oder 
mit Feitungshaft von gleicher Dauer bejtraft. 

Die Verfolgung tritt nur mit Ermächtigung des Beleidigten ein. 

Die Ermähtigung ift an feine Form oder Frift gebunden. Die 

Ermädtigung kann nicht zurüdgenommen werden. 

Tätlichfeit gegen Mitglieder eines bundcesfürfilihden Hauſes oder Regenten. 

s 100. (Sw.) Wer außer dem Falle des $ 96 fich einer Tätlichkeit 
gegen ein Mitglied eines bundesfürftlihen Haufes oder den Negenten cines 
Bundesſtaats jcyuldig macht, wird mit Zuchthaus bis zu fünf Sahren oder 
mit Feſtungshaft von gleicher Dauer bejtraft. 

Sind mildernde Umstände vorhanden, jo tritt Keftungshaft von einem 
Monat bis zu drei Jahren ein. 

Beleidigung des Regenten. 

s 101. (L) Wer außer dem Falle de3 8 97 den Regenten eines 
Bundesſtaates beleidigt, wird mit Gefängnis von einer Woche bis zu zwei 
Jahren oder mit Feſtungshaſt von gleicher Dauer bejtraft. 

Die Verfolgung tritt nur mit Ermächtigung des Beleidigten ein. 


4. Abſchnitt. 


Feindliche Handlungen gegen befreundete Staaten. 
Sodverräteriihe Sandlung. 
$ 102. (Sw.) Ein Deutjcher, welcher im Inlande oder Auslande, oder 
ein Ausländer, welcher während jeines Aufenthalis im Inlande gegen einen 
nicht zum Deutſchen Neich gehörenden Staat oder dejjen Landesherrn eine 
Handlung vornimmt, die, wenn er fie. gegen einen Bundesjtaat oder einen 
Bundesfürften begangen hätte, nach VBorjchrift der SS 81 bis 86 zu beftrafen 


Einzelne Berbreden, Bergehen und Webertretungen und deren Beitrafung. 163 


jein würde, wird in den Fällen der SS 81 bis 84 mit Feſtungshaft von einem 
bis zu zehn Jahren oder, wenn mildernde Umſtände vorhanden find, mit 
Feſtungshaft von ſechs Monaten bis zu zehn Jahren, in den fällen der SS 85 
und 86 (L.) mit Feſtungshaft von einem Monat bis zu drei Jahren bejtraft, 
jofern in dem anderen Staate dem Deutjchen Neich die Gegenfeitigfeit ver: 
bürgt iſt. 

Die Verfolgung tritt nur auf Antrag der auswärtigen Negierung ein. 
Die Zurüdnahme des Antrages ift zuläflig- 

Beleidigung des ansländifhen Landesheren oder Negenten. 

$ 103. (L.) Wer fich gegen den Landesheren oder den Negenten eines 
nicht zum Deutjchen Reich gehörenden Staats einer Beleidigung ſchuldig macht, 
wird mit Gefängnis von einer Woche bis zu zwei Jahren oder mit Feſtungshaft' 
von gleicher Dauer beftraft, jofern in diefem Staate dem Deutjchen Neich die 
Segenfeitigfeit verbürgt iſt. | 

Die Berfolgung tritt nur auf Antrag der auswärtigen Regierung cin. 
Die Zurücdnahme des Antrages ift zuläſſig. 

Antoritätöverlehung. 

$ 103a. (L.) Wer ein öffentliches Zeichen der Autorität eines wicht 
zum Deutjchen Weich gehörenden Staats oder ein Hoheitszeichen eines jolchen 
Staats böswillig wegnimmt, zerſtört oder bejchädigt oder beſchimpfenden Unfug 
daran verübt, wird mit Geldftrafe bis zu jechshundert Mark oder mit 


Gefängnis bis zu zwei Jahren bejtraft. 
Gefandtenbeleidiaung. 


s 104. (L.) Wer jich gegen einen bei dem Meich, einem bundesfürjt- 
lichen Hofe oder bei dem Senate einer der freien Hanjeftädte beglaubigten 
Gejandten oder Gejchäftsträger einer Beleidigung ſchuldig macht, wird mit 
Gefängnis bis zu einem Jahre oder mit Feſtungshaft von gleicher Dauer beitrafi. 

Die Verfolgung tritt nur auf Antrag des Beleidigten ein. Die Zurüd- 
nahme des Antrages tft zuläffig. 


3. Abſchnitt. 
Verbrechen und Vergehen in Besiehung anf die Ausübung 
ſtaatsbürgerlicher Rechte. 
Gegen gefchacbende Verſammlung. 
s 105. (Sw.) Wer es unternimmt, den Senat oder die Bürgerjchaft 
einer der freien Hanſeſtädte, eine gejeggebende VBerfammlung des Neichs oder 


eines Bundesſtaats auseinander zu ſprengen, zur Faſſung oder Unterlafjung 
11° 


164 II. Straigejeßbuch. — weiter Teil. 


von Beſchlüſſen zu nötigen oder Mitglieder aus ihnen gewaltfam zu entfernen, 
wird mit Zuchthaus nicht unter fünf Jahren oder mit Feſtungshaft von gleicher 
Dauer beitraft. 

Eind mildernde Umstände vorhanden, jo tritt Feſtungshaſt nicht unter 
einem Jahre ein. 

Gegen Mitglied gefchaebender Berfammlung. 

$ 106. (Sw.) Wer ein Mitglied einer der vorbezeichneten Verſamm— 
(ungen durch Gewalt oder durch Bedrohung mit einer Itrafbaren Handlung 
verhindert, fich an den Ort der Verſammlung zu begeben oder zu jtimmen, 
wird mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren oder mit Feitungshaft von gleicher 
Dauer beitraft. 

Sind mildernde Umftände vorhanden, jo tritt Feſtungshaſt bis zu zwei 
Jahren ein. 

Gegen Ausübung ftaatöbürgerlidher Rechte. 

$ 107. (L.) Wer einen Deutjchen durch Gewalt oder durc Bedrohung 
mit einer jtrafbaren Handlung verhindert, in Ausübung feiner jtaatsbürger- 
lichen Rechte zu wählen oder zu jtimmen, wird mit Gefängnis nicht unter jechs 
Monaten oder mit Feſtungshaft bis zu fünf Jahren bejtraft. 

Der Verfuch ift jtraibar. 

Wahlfälſchung. 

s$ 108. (T.) Wer im einer öffentlichen Angelegenheit mit der Samm— 
lung von Wahl: oder Stimm-Zetteln oder -Zeichen oder mit der Führung 
der Beurkundungsverhandlung beauftragt, ein umrichtiges Ergebnis der Wahl- 
handlung vorjäglich herbeiführt oder das Ergebnis verfälicht, wird mit Ge: 
füngnis von einer Woche bis zu drei Jahren beitraft. 

Wird die Handlung von Jemand begangen, welcher nicht mit der Samm- 
lung der Zettel oder Zeichen oder einer anderen Berrichtung bei dem Wahl— 
geichäfte beauftragt ift, jo tritt Gefängnisſtrafe Dis zu zwei Jahren ein. 

Auch kann aut Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden. 

Das Ergebnis der Wahlhandlung ift unrichtig, wenn bei der 

Wahlhandlung dem Geſetze zuwider verfahren und dadurch das Stimmenver: 

hältnis ein anderes geworden ift. Das Ergebnis der Wahlhandlung it ver: 

fälfcht, wenn es unrichtig dargeftellt oder verändert wird. Das Ergebnis 
einer Wahlhandlung ift nicht gleichbedentend mit dem Endergebnis der Wahl. 

Strafbar alfo die Abgabe eines Stimmzettels unter Mißbrauch des Namens 

eines anderen, ſelbſt wenn der andere denjelben Wahlfandidaten wie der Täter 

gewählt haben würde. 


Einzelne Verbrechen, Bergehen und Uecbertretungen und deren Beitrafung. 165 


Kauf und Berfauf der Wahlftimmen. 
s-109. (L.) Wer in ciner öffentlichen Angelegenheit eine Wahlſtimme 
fauft oder verfauft, wird mit Gefängnis von einem Monat bis zu zwei Jahren 
beitrait; auch kann auf Verluft der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden. 


Ein Kaufgefchäft nach den Beſtimmungen des bürgerlichen Rechtes wird 
nicht verlangt, nur ein Kauf nad dem Sprachgebrauche des Lebens. ALS 
Kaufpreis fann jeder materielle Borteil gelten. Ob der Käufer fo ſtimmen 
will wie der Verkäufer, ift gleichgültig. 


6. Abichnitt, 
Widerſtand gegen die Stantsgewalt. 
Oeffentlihe Aufforderung zum Ingehorfam gegen Gefche. 
$ 110. (L.) Wer öffentlich vor ciner Meenjchenmenge, oder wer durd) 

Verbreitung oder öffentlichen Anjchlag oder öffentliche Austellung von Schriften 
oder anderen Darftellungen zum Ungehorſam gegen Gejege oder rechtsgiltige 
Verordnungen oder gegen die von der Obrigkeit innerhalb ihrer Yuftändigfeit 
getroffenen Anordnungen auffordert, wird mit Geldjtrafe bis zu jechshundent 
Mark oder mit Gefängnis bis zu zwei Jahren beitraft. 

Es ift nicht nötig, daß der Aufgeforderte von der Aufforderung Kenntnis 
erlangt hat. Gefchügt werden fol die Autorität des Geſetzes an fid, aud) 
des Zivilgefeges. Die Aufforderung zu einer gefegwidrigen Handlung genügt 
deshalb nicht; der Täter muß wollen, dab die Aufgeforderten „die in den Ge: 
fegen ufw. ruhenden unperfönlihen Grundlagen der Rechtsordnung“ mißadhten 
ſollen. Menſchenmenge find mehr ald zwei Perfonen, 

Deffentliche Aufforderung zu ftrafbarer Sandlung. 

s ill. (Sw,L. bez A) Wer auf die vorbezeichnete Weife zur Be: 
gehung einer jtrafbaren Handlung auffordert, ift gleich dem Anftifter zu be— 
itrafen, wenn die Aufforderung die Itrafbare Handlung vder einen ſtrafbaren 
Verſuch derfelben zur Folge gehabt hat. 

(L) Iſt die Aufforderung ohne Erfolg geblieben, jo tritt Selditrafe bis 
zu jechshundert Mark oder Gefängnisstrafe bis zu einem Jahre ein, (L. oder A.) 
Die Strafe darf jedoch, der Art oder dem Maße nach), feine jchwerere jein, als 
die auf die Handlung ſelbſt angedrohte. 

Der $ 111 enthält einen jpezielleven Tatbeftand als $ 110, A. bedeutet 
Zuftändigfeit des bei dem Amtsgericht gebildeten Schöffengerichts. 
Aufforderung einer Perfon des Soldatenftandes zum Ungehorſam. 
s 112. (L) Wer eine Berfon des Soldatenftandes, es jei des deutichen 

Heeres oder der Kaiferlichen Marine, auffordert oder aufreizt, dem Befehle des 


166 III. Strafgeſetzbuch. — Zweiter Teil. 


Theren nicht Gehorfam zu leijten, wer insbejondere eine Perjon, welche zum 

Beurlaubtenjtande gehört, auffordert oder anreizt, der Einberufung zum Dienfte 

nicht zu folgen, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bejtraft. 
Widerftand. 

8 113. (L. bez. A.) Wer einem Beamten, welcher zur Vollſtreckung 
von Geſetzen, von Befehlen und Anordnungen der Berwaltungsbehörden oder 
von Urteilen und Berfügungen der Gerichte berufen it, in dev rechtmäßigen 
Ausübung feines Amtes durch Gewalt oder durch Bedrohung mit Gewalt 
Widerftand leiftet, oder wer einen jolhen Beamten während der rechtmäßigen 
Ausübung ſeines Amtes tätlicd) angreift, wird mit Gefängnis von vierzehn 
Tagen bis zu zwei Jahren beitraft. 

Eind mildernde Umjtände vorhanden, jo tritt Gefängnisftrafe bis zu 
einem Jahre oder Geldjtrafe bis zu eintaufend Mark ein. 

Diejelben Strafvorjchriften treten ein, wenn die Handlung gegen Berjonen, 
welche zur Unterftügung des Beamten zugezogen waren, oder gegen Mann: 
Ichaften der bewaffneten Macht, oder gegen Mannjchaften ciner Gemeinde:, 
Schutz- oder Bürgerwehr in Ausuübung des Dienjtes begangen wird. 

Geſchützt wird durch $ 113 die bereits begonnene Amtshandlung 

im Gegenfage zu $ 114, der eine bevorftchende, noch nicht begonnene im Auge 

hat. In rehtmäßiger Amtsausübung befindet ſich der Beamte, wenn 

er zur Vornahme der begonnenen Amtshandlung im allgemeinen zuftändig 
ift und die für die Amtshandlung erforderlichen wejentlihen Voraus— 
ſetzungen und Förmlichkeiten erfüllt. Ob die Amtshandlung gerade im einzelnen 

Falle dem Gefege im Übrigen entipricht oder ob der Beamte bei der 

pflihtgemäßen Erwägung, ob 3. B. Gefahr im Werzuge vorliegt, fi) irrt, iſt 

unerheblih und nur für Strafzumellung von Bedeutung. Die irrtüntliche 

Meinung des Täters, der Beamte befinde fich nicht in der rechtmäßigen Amts: 

ausübung, ſchützt nicht vor Strafe. Gewalt ift körperliche Einwirkung gegen 

die Perfon des Beamten in feindfeliger Abficht. Ausholen zu einem Schlage 
ift Bedrohung mit Gewalt und tätlicher Angriff. 
Beamtennötigung. 

s 114. (L bez A) Wer es unternimmt, durch Gewalt oder Drohung 
eine Behörde oder einen Beamten zur Vornahme oder Unterlaffung einer 
Amtshandlung zu nötigen, wird mit Gefängnis nicht unter drei Monaten beitraft. 

Sind mildernde Umſtände vorhanden, jo tritt Sefängnisjtrafe bis zu 
zwei Jahren ein, 

$ 114 erfordert alſo eine Amtshandlung, welde noch nicht begonnen 
hat, aber bevorfteht. Die Anıtshaudlung, zu deren Vornahme oder Unter: 
laffung genötigt wird, braucht feine rechtmäßige zu fein. 


Einzelne Berbrcchen, Vergeben und Lebertretungen und deren Beſtrafung. 167 


Aufruhr. 

s 115. (L.) Wer an einer öffentlichen Zufammenrottung, bet welcher 
eine der im den 88 113 und 114 bezeichneten Handlungen mit vereinten Kräften 
begangen wird, teilnimmt, wird wegen Aufruhrs mit Gefängnis nicht unter 
ſechs Monaten beitraft. 

(Sw.) Die Rädelsführer, jowie diejenigen Aufrührer, welche eine der in 
den 88 113 und 114 bezeichneten Handlungen begehen, werden mit Zuchthaus 
bis zu zehn Jahren bejtraft; auch kann auf Zuläffigfeit von Polizei-Aufſicht 
erfannt werden. Sind mildernde Umftände vorhanden, jo tritt Gefängnisitrafe 
nicht unter ſechs Monaten ein. 

Eine Zufammenrottung it eine öffentliche, wenn die Möglichkeit 
der Beteiligung unbeftimmt wie vieler Perſonen die Gefahr der Situation für 
Beamten und Behörden erhöht. Eine Zufammenrottung ift das räumliche 
Zufammenfommen und Zufammenwirfen von mehr als zwei Menfchen. Teil: 
nehmer der Zufammenrottung it, wer fi bewußt und gewollt 
(alfo nicht durch Einteilung in die Maſſe gezwungen) in der Menfchenmenge 
befindet, welche die nach SS 113, 114 ftrafbaren Handlungen begeht oder zu 
verüben im Begriffe if. Räpdelsführer find die Führer und Leiter der 
Zufammenrottung. 

Auflauf. 

s 116. (L. bez. A.) Wird eine auf Öffentlichen Wegen, Straßen oder 
Plätzen verfammelte Menjchenmenge von dem zuitändigen Beamten oder Be— 
fehlshaber der bewaffneten Macht aufgefordert, jich zu entfernen, jo wird jeder 
der Berjammelten, welcher nad) der dritten Aufforderung jich nicht entfernt, 
wegen Auflaufs mit Gefängnis bis zu drei Monaten oder mit Gelditrafe bis 
zu eintaufendfünfgundert Mark beitraft. 

(L. bez. Sw.) Iſt bei einem Auflaufe gegen die Beamten oder die be= 
waffnete Macht mit vereinten Kräften tätlicher Widerjtand geleistet oder Ge— 
walt verübt worden, jo treten gegen diejenigen, welche an diefen Handlungen 
teilgenommen haben, die Strafen des Aufruhrs ein. 

Wege, Straßen und Plätze find öffentliche im Sinne des Paragraphen, wenn 
fie zur Zeit tatfächlich dem allgemeinen Berkehre freigegeben waren. Menfchen: 
menge mehr als zwei Perfonen. Der Täter braucht die drei Aufforderungen 
nicht felbit gehört zu haben, es genügt, wenn er durch Mitteilung anderer 
Kenntnis erhält. Die Beamten pflegen deshalb auch bei der dritten Aufforderung 
an erflären, daß fie zum dritten und legten Male auffordern. Wer in der 
Menfchenmenge unfreiwillig feitgehalten wird, iſt nicht ftrafbar. Der Täter 
muß nad der dritten Aufforderung das Verweilen bewußt und gewollt fortjegen. 
Ob die Aufforderung, fi zu entfernen, rechtmäßig ift, unerheblid). 


168 III. Straſgeſetzbuch. — weiter Zeil. 


Biderftand gegen Forftbeamte uſw. 

s 117. (L. bez. A.) Wer einem Forſt- oder Jagdbeamten, einem Wald: 
eigentümer, Forſt- oder Jagdberechtigten, oder einem von diefen beitellten Auf: 
jeher in der rechtmäßigen Ausübung feines Amtes oder Rechtes durch Gewalt oder 
durch Bedrohung mit Gewalt Widerjtand leiftet, oder wer eine dieſer Berfonen 
während der Ausübung ihres Amtes oder Rechtes tätlich angreift, wird 
mit Gefängnis von vierzehn Tagen bis zu drei Jahren beitraft. 

(L.) Bit der Widerftand oder der Angriff unter Drohung mit Scich- 
gewehr, Werten oder anderen gefährlichen Werkzeugen erfolgt, oder mit Gewalt 
an der Berfon begangen worden, jo tritt Gefängnisſtrafe uicht unter drei 
Monaten ein. 


Sind mildernde Umſtände vorhanden, jo tritt in den Fällen des Abjat I 
Gefängnisſtrafe bis zu einem Jahre, in den Fällen des Abſatz 2 Gefängnis: 
jtrafe nicht unter einem Monat ein. 

Der Forft: oder Fagdbeante wird im erhöhten Maße diefes Parapraphen nicht 
nur im Forſt oder bei der fih aus diefen unmittelbar auf ein anderes Ge: 
biet eritredenden Tätigkeit, Sondern bei allen Fällen des Widerſtands uſw. 
gegen feine rechtmäßigen Autshandlungen gefhügt, z. B. bei Hausſuchung um 
mittelbar nad) dem Holzdiebitahl, bei Widerstand auf dem Transport. 

Ob das Edjießgewehr, mit welchen gedroht wird, geladen, iſt 
gleichgiltig. 

Erſchwerungen. 
1. Körperverletzung. 

8 118. (Sw) Iſt durch den Widerſtand vder den Angriff eine Körper: 
verlegung defien, gegen welchen die Handlung begangen tft, verurfacht worden, 
jo iſt auf Zuchthaus bis zu zehn Jahren zu erkennen. 

Sind mildernde Umstände vorhanden, jo tritt Befängnisitrafe nicht unter 
drei Monaten ein. 

S 118 bezieht fih nur auf S 117. Die Körperverlegung braucht feine 
vorfägliche zu fein, c3 muß nur urſächlicher Zufammenhang zwiſchen Wider: 
ftand und Körperverlegung vorliegen. 

2. Gemeinſchaftlichteit. 

s 119. «L. bez. Sw.) Wenn eine der in den SS 117 und 118 bezeich: 
neten Handlungen von mehreren gemeinschaftlich begangen worden ift, jo 
kaun die Strafe bis um die Hälfte des angedrohten Höchjtbetrages, die Ge— 
füngnieflrafe jedoch nicht über fünf Jahre erhöht werden. 


Einzelne Berbredien, Bergehen und lWebertretungen und deren Beftrafung. 160 


Gefangenenbrefreiung,. Borfat. 

s 120. (L. bez. A.) Wer cinen Gefangenen aus der Gefangenanftalt 
oder aus der Gewalt der bewaffneten Macht, des Beamten oder desjenigen, 
unter deſſen Beauffichtigung, Begleitung oder Bewachung er fich befindet, 
vorfäglich befreit oder ihm zur Selbjtbefreiung vorjäglich behilflich ift, wird 
mit Gefängnis bis zu drei Jahren bejtraft. 

Der Verſuch iſt jtrafbar. 

Gefangener ift jeder, der Fraft obrigfeitlicher Autorität feiner per: 
fönlichen Freiheit beraubt und in der tatfächlihen Gewalt einer Behörde ober 
eines Beamten ift. Wer von einer Brivatperfon feſtgenommen ift, wird erſt 
mit Uebergabe an einen Beamten ein efangener. Selbftbefreiung ilt 
nur nach $ 122 ftrafbar. Der Gefangene fann zum Vergehen nah S 120 
anftiften und Beihilfe leiſten. 

s 121. (L.) Wer vorfäglid; einen Gefangenen, mit dejjen Beauf- 
jichtigung oder Begleitung er beauftragt ift, entweichen läßt oder dejien Be— 
freiung befördert, wird mit Gefängnis bis zu drei Jahren beftraft. 

Fahrläifigfeit. 

(A.) Bit die Entweichung durch Fahrläfjigkeit befördert worden, fo tritt 
Sefängnisitrafe bis zu drei Monaten oder Geldjtrafe bis zu Ddreihundert 
Mark ein. | 

Beauftragt kann hier aud eine Privatperfon fein. 

Fahrläffigfeit ift die Vernachläffigung einer pflichtgemäß gebotenen 
Aufmerffamfeit, die der Täter nad feinen perfönliden Eigen: 
idhaften und den tatjählihen Umftänden des Falles vermeiden 
lonnte. Der fahrläffige Täter mußte den Erfolg feiner Handlung bei An- 
wendung der gebotenen Sorgfalt vorausjehen können Vermochte er 
dies nicht, weil ihm die dazu erforderliche geiftige Befähigung oder Ausbildung 
oder Geichidlichkeit fehlte, jo it ftrafbare Fahrläijigfeit ausgeichloffen. Der 
fahrläifige Täter braucht aber nicht gerade den ſpäter wirklich eingetretenen 
Entwidelungsgang der Dinge vorauszuichen, es genügt, wenn ev den Erfolg 
feines Tuns im allgemeinen vorausfchen mußte. 

Meuterei von Gefangenen, 
$ 122. (L.) Gefangene, welche ſich zufammenrotten und mit vereinten 
Kräften die Anftaltsbeanten oder die mit der Beauffichtiqung Beauftragten 
angreifen, denjelben Wideritand Leiten oder es unternehmen, fie zu Handlungen 
oder Unterlafjungen zu nötigen, werden wegen Meuterei mit Gefängnis nicht 
unter jechs Monaten bejtraft. 

Gleiche Strafe tritt ein, wenn Gefangene ſich zufammenrotten und mit 

vereinten Kräften einen gewaltſamen Ausbruch unternehmen, 


170 III. Strafgefegbuch. — Zweiter Teil, 


(Sw.) Diejenigen Meuterer, welche Gewalttätigfeiten gegen die Anjtaltss 
beamten oder die mit dev Beauffihtigung Beauftragten verüben, werden mit 
Zuchthaus bis zu zehn Jahren bejtraft; auch kann auf Zuläffigfeit von Polizei: 
Aufficht erkaunt werden. 

Begriff der BZufammenrottung j. $ 115. Angriff ufw. mit 
vereinten Kräften erfordert nicht die unmittelbare körperliche Beteiligung jedes 
Einzelnen, es genügt eine gewollte Teilnahme an der Zufammenrottung mit 
dem Bewußtfein von deren Zweck. 


7. Abſchnitt. 
Derbrechen und Bergehen wider die offentlidie Ordnung. 


Hausfriedenbbruch. 

$ 123. (A) Wer in die Wohnung, in die Geſchäftsräume oder in das 
befriedete Beſitztum eines anderen oder in abgeſchloſſene Räume, welche zum 
öffentlichen Dienst beftimmt find, widerrechtlich eindringt, oder wer, wenn er 
ohne Befugnis darin verweilt, auf die Aufforderung des Berechtigten ſich 
nicht entfernt, wird wegen Hausfriedensbruches mit Gefängnis bis zu Drei 
Monaten oder mit Gelditrare bis zu dreihundert Mark beitraft. 

Die Verfolgung tritt nur auf Antrag ein. 

Eogenannter qualifizierter Hausfriedensbruch. 

(L. be3. A.) Sit die Handlung von einer mit Waffen verjehenen 
Perſon oder von mehreren gemeinschaftlich begangen worden, jo tritt Gefängnis: 
jtrafe von einer Woche bis zu einem Jahre ein. 

Zur Wohnung find aud Treppen und Borpläge zu rechnen; auch 
der zu Wohn: und Schlafzweden eingerichtete Wagen herimmziehender Berfonen 
oder ein zum Wohnen eingerihhtetes Schiff. Als Geſchäftsraum kanu 
gelten Perron eines Eifenbahnhofs, Kajüte des Kapitäns. 

Eindringen braucht nit gewaltiam zu fein, es genügt das bloße 
Betreten gegen den vermuteten oder zu vermutenden Willen des Berechtigten. 
Eine einmalige Aufforderung, nicht, wie das Volk oft annimmt, eine zweis 
oder dreimalige, wird verlangt. Der Wirt öffentlicher Lokale räumt mit der 
Berabreihung von Speifen und Getränken die Befugnis ein, zu deren Ber: 
zehrung angemeſſene Zeit zu verweilen; diefes Recht verwirkt der Gaſt durd) 
ungehöriges Berhalten im Lokal. Der Bermieter hat fein Recht, die Wohnung 
des Mieters wider deffen Willen zu betreten. Der entlaffene Dienjtbote hat 
die Wohnung de3 Dienſtherrn zu verlaffen, ſelbſt wenn die Entlaffung un- 
geſetzlich wäre, 

Gemeinſchaftlichkeit erfordert die Borausfegungen der Mittäter: 
ſchaft im Sinne von & 47. 





Einzelne Verbrechen, Vergehen und Webertretungen und deren Beftrafung. 171 


Waffe iſt eim gefährliches Werkzeug im Sinne von $ 223a, 
Tatfächliches Beifichtragen genügt nicht, Täter muß ſich des die Gefahr er— 
höhenden Umftandes bewußt fein. Das Strafmindeſtmaß von einer Mode 
Gefängnis beim qualifizierten Hausfriedensbruh ift unzwedmäßig und zu 
hoch; Geldftrafe auch hier wünſchenswert. 

Schwerer Sausfricdensbhrud. 


s 124. (L) Wenn ficd) eine Menjchenmenge öffentlich zuſammenrottet 
und in der Abficht, Gemalttätigfeiten gegen Perfonen oder Sachen mit ver- 
einten Kräften zu begehen, in die Wohnung, in die Gejchäftsräume oder in 
das befriedete Bejigtum eines anderen oder in abgejchlofjene Räume, welche 
zum Öffentlichen Dienft beftinmt find, woiderrechtlich eindringt, jo wird jeder, 
welcher an diefen Handlungen teilnimmt, mit Gefängnis von einem Monat 
bis zu zwei Jahren beitraft. 

E3 genügt das gewollte Verweilen unter der öffentlich zufanımengerotteten 

Menfchenmenge mit dem Bewußtſein der widerrechtlichen Abfichten derſelben. 

Landfriedensbruch. 

s 125. (L) Wenn ſich eine Menſchenmenge öffentlich zuſammenrottet 
und mit vereinten Kräften gegen Perſonen oder Sachen Gewalttätigkeiten 
begeht, jo wird jeder, welcher an diefer Zufammenrottung teilnimmt, wegen 
Landfriedensbruches mit Gefängnis nicht unter drei Monaten bejiraft. 

(Sw.) Die Nädelsführer, jorwie diejenigen, welche Gewalttätigfeiten gegen . 
Perſonen begangen oder Sachen geplündert, vernichtet oder zerilört haben, 
werden mit Zuchthaus bis zu zehn Sahren beftrait; auch kann auf Zuläſſig— 
feit von Polizei-Aufficht erfannt werden. Sind mildernde Umſtände vorhanden, 
jo tritt Gefüngnisitrafe nicht unter jechs Monaten ein. 

Ebenjo wie bei $ 124. Auch hier braucht der einzelne Teilnehmer 
nicht ſelbſt Gewalttätigkeiten zu begehen. Gewalttätigkeit gegen Sachen braucht 

nicht deren Beichädigung zu fein. Rädelsführer ſ. S 115. 

Störung des äffentliden Friedens. 
$ 126. (L) Wer durch Androhung eines gemeingefährlichen Berbrechens 
den Öffentlichen Frieden ſtört, wird mit Gefängnis bis zu einem Jahre beitraft. 
Der Öffentliche Frieden ift geftört, wenn das Bewußtiein der 
durch die ftaatliche Einrichtung gewährleifteten Rechtsſicherheit bei einem Teile 
der Bevölferung, alfo nicht nur bei einem einzelnen Untertanen, erſchüttert ift. 
Gemeingefährliche Berbreden: SS 306, 307, 311; 312, 313, 315, 


321— 324. ©. auch Sprengftoffgefeg. 
Sanfenbildung. 


s 127. (L.) Wer unbefugterweije einen bewafineten Haufen bildet oder 
b:jehligt oder cine Mannjchaft, von der er weiß, da; jie ohne gejegliche Be: 


172 III. Straſgeſetzbuch. — Zweiter Teil. 


fugnis gefammelt ift, mit Waffen oder Kriegsbedürfniffen verfieht, wird mit 
Gefängnis bis zu zwei Jahren bejtraft. 

Wer fich einem jolchen bewaffneten Haufen anjchlieht, wird mit Gefängnis 
bis zu einem Jahre bejtraft. 


Geheime Verbindung. 

$ 128. (L) Die Teilnahme an einer Verbindung, deren Dajein, 
Berfafjung oder Zwed vor der Staatsregierung geheim gehalten werden ſoll, 
oder in welcher gegen unbefannte Obere Gehorfam oder gegen befannte Obere 
unbedingter Gehorfam verjprochen wird, ift an den Mitgliedern mit Gefängnis 
bis zu ſechs Monaten, an den Stiftern und Vorſtehern der Verbindung mit 
Gefängnis von einem Monat bis zu einem Jahre zu beitrafen. 

Gegen Beamte fann auf Berluft der Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher 
Aemter auf die Dauer von einem bis zu fünf Fahren erfannt werden. 

Berbindung ift eine organifierte Vereinigung auf gewiſſe Dauer, 
welche Unterordnung der Mitglieder unter den Gejamtwillen fordert- Die 

Abfiht der Geheimhaltung braucht nicht auf ausdrüdlichen, fie kann auch 

auf ftillichweigendem Einverftändnis der Mitglieder beruhen. Teilnahme 

ift irgendwelche Betätigung zu Zweden dev Verbindung, aljo it feine formale, 
jtatutengemäße Mitgliedfchaft erforderlih. Der Stifter braucht, um ftrafbar 
zu fein, nicht Mitglied zu fein. 

Berbindung. 

s 129. (L) Die Teilnahme an einer Berbindung, zu deren Zwecken 
oder Beichäftigungen gehört, Mafregeln der Verwaltung oder die Bollziehung 
von Gejegen durch ungefegliche Mittel zu verhindern oder zu entkräften, ift 
an den Mitgliedern mit Gefängnis bis zu einem Jahre, an den Stifter 
und Vorftchern der Verbindung mit Gefängnis von drei Monaten bis zu 
zwei Jahren zu beitrafen. 

Gegen Beamte kann auf Verluft der Fähigkeit zur Bekleidung öffent: 
licher Nemter auf die Dauer von einem bis zu fünf Jahren erfannt werden. 

Ungejeglihe Mittel find nicht bloß ſolche, welche gegen die Straf: 
geſetze verſtoßen. 
Anreizung zu Gewalttätigkeiten. 

s 130. (L.) Wer in einer den Öffentlichen Frieden gefährdenden Weiſe 
verſchiedene Klaſſen der Bevölkerung zu Gewalttätigfeiten gegen einander öffent- 
(ich) anreizt, wird mit Gelditrafe bis zu fechshundert Mark oder mit Gefängnis 
bis zu zwei Jahren beitraft. 





NA: V 


Einzelne Verbrechen, Vergehen und Uebertretungen und deren Bejtrafung. 173 


Bevölferungsflajfen find die befonders auf gejellichaftlichen 
Boden erwachſenen Gliederungen des Bolksorganismus nad) Beſitz, Beruf, 
Beihäftigung, Gewerbe, Bildung, aber auch nad) Religion und Abftanımung. 
3. B. Deutihe umd Polen, Arbeiter und Kapitaliften. Friedensgefährbung 
jiehe $ 126. 

Geiftlicher. 


$ 150a. (L.) Ein Geiftlicher oder anderer Neligionsdiener, welcher 
in Ausübung oder in Veranlaſſung der Ausübung feines Berufes öffentlich 
vor einer Menjchenmenge, oder welcher in einer Kirche oder an einem anderen 
zu religiöfen Verfammlungen bejtimmten Orte vor Mehreren Angelegenheiten 
des Staats in einer dem Öffentlichen Frieden gefährdenden Weife zum Gegen: 
itande einer Verkündigung oder Erörterung macht, wird mit Gefängnis oder 
Feſtungshaft bis zu zwei Jahren beitraft. 

Gleiche Strafe trifft denjenigen Geiftlichen oder anderen Nelinionsdiener, 
welcher in Ausübung oder in Weranlaffung der Ausübung feines Berufes 
EC chriftftücde ausgibt oder verbreitet, in welchen Angelegenheiten des Staats 
in einer den Öffentlichen ;zrieden gefährdenden Weile zum Gegenftande einer 
Berfündigung oder Erörterung gemacht find. 

Staatsangelegenheiten find auch Anordnungen von Behörden und Be 

anıten.  Friedensgefährdung 88 126, 130. 

Verähtliihmadhung von Staatöeinrihtungen. 

s 131. (1. Wer erdichtete oder entjtellte Tatjachen, wiſſend, daß fie 
erdichtet oder entſtellt find, öffentlich behauptet oder verbreitet, um dadurch 
Staatseinrichtungen oder Anordnungen der Obrigkeit verächtlich zu machen, 
wird mit Gelditrafe bis zu jechshundert Mark oder mit Gefängnis bis zu 
zwei Jahren beitraft. 

Tatſache ift ein gegenwärtiges oder vergangenes äußeres oder inneres 

Ereignis, 3. B. die Verurteilung polnifher Gymnaſiaſten wegen Teilnahme 

an geheimen Verbindungen oder die Behauptung blinden Haffes der preußiſchen 

Negierung gegen die polnischen Untertanen. Staatseinrichtungen find 

die bfeibenden, dauernden Beflandteile der Berfaffung (3. B. Monarchie, erblidyes 

Kaiſertum) und der Verwaltung (z.B. Minifterverantwortlichkeit), mit welchen 

der einzelne Staat ſich einrichtet. Verächtlichmachung liegt vor, wenn der 


Vorwurf der füttlihen Verwerflichkeit erhoben wird. 
Amtsanmaßung. 


s 132. (1) Wer unbefugt ſich mit Ausübung eines öffentlichen Amtes 
befaßt oder eine Handlung vornimmt, welche nur fraft eines öffentlichen Amtes 
vorgenommen werden darf, wird mit Gefängnis bis zu einem Jahre oder 
mit Gelditrafe bis zu dreihundert Mark beitraft. 


mu. 


FR Tu 


174 IIL Strafgeſetzbuch. — Zweiter Teil. 


Deffentlihes Amt ift nur ein unmittelbar oder mittelbar vom 
Staate verliehenes. Kirchliches Amt alfo fein öffentliches. Beijpiele: Jemand 
gibt fi einem mächtlichh auf einer Promenadenbanf betroffenen Liebespaar 
gegenüber als Schutzmann aus; der Dieb, der bereits einmal vergeblih in 
einen Laden einzubrechen verfucht hat, gibt ſich als Kriminalgendarm aus 
und nimmt eine Belichtigung des Ladens vor, um die Gelegenheit zum neuen 
Einbruch zu finden. 


Urfundenveraihtung. 

8 133. (L) Wer eine Urfunde, ein Regifter, Aften oder einen jonftigen 
Gegenstand, welche fich zur amtlichen Mufbewahrung an einem dazu bejtimmten 
Orte befinden, oder welche einem Beamten oder einem Dritten amtlich über: 
geben worden find, vorſätzlich vernichtet, beifeite jchafft oder bejchädigt, wird 
mit Gefängnis bejtraft. 

Iſt die Handlung in gewinnfüchtiger Abjicht begangen, jo tritt Gefängnis— 
jtrafe nicht unter drei Monaten ein; auch kann auf Verluſt der bürgerlichen 
Ehrenrechte erfannt werden. 

Begriff der Urkunde ſ. bei $ 267. Täter kann nicht nur ein 

Beamter, ſondern audı ein Dritter fein, 3. B. der Schreibjachverftändige, 

dem eine Urkunde in das Haus verabfolgt worden ift. Die Urfunde muß 

auf Grund amtlicher Anordnung entweder am beftimmten Drt oder im 

Gewahrjam des Täters fich befinden. Der Täter muß wiffen, daß ein amt- 

licher Gewahrjan am beftimmten Orte oder bei ihm jelbit jtattfindet. 


s 134. (L. be. A) Wer öffentlich angefchlagene Bekanntmachungen, 
Verordnungen, Befehle oder Anzeigen von Behörden oder Beamten böswillig 
abreißt, bejchädigt oder verunftaltet, wird mit Geldjtrafe bis zu dreihundert 
Markt oder mit Gefängnis bis zu ſechs Monaten bejtraft. 

Böswillig it nicht gleichbedeutend mit dem bloß mutwillig; bös 
willig („boshaft‘ in $ 360,13) ift das aus einer böfen oder ſchlechten Abjicht 
und Gejinnung entiprungene Handeln. 


Autoritaãtsverletzung. 
$ 135. (L) Wer ein öffentliches Zeichen der Autorität des Reichs 
oder eines Bundesfürſten oder ein Hoheitszeichen eines Bundesſtaats böswillia 
wegnimmt, zerjtört oder bejchädigt oder bejchimpfenden Unfug daran verübt, 
wird mit Geldftrafe bis zu jechshundert Mark oder mit Gefängnis bis zu 
zwei Sahren bejtraft. 
Böswillig $ 134. — Beihimpfenden Unfug ſ. S 166. 





Einzelne Verbrechen, Vergehen und Uebertretungen und deren Beitrafung. 175 


Erbrehung von Siegeln. 
$ 136. (L. bez. A.) Wer unbefugt ein amtlicyes Siegel, welches von 
einer Behörde vder einem Beamten angelegt ift, um Sachen zu verſchließen, 
zu bezeichnen oder in Beſchlag zu nehmen, vorfäglich erbricht, ablöjt oder 
bejchädigt oder den durch ein folches Siegel bewirkten amtlichen Verſchluß 
aufhebt, wird mit Gefängnis bis zu ſechs Monaten bejtrait. 
Siegel find auch Giegelmarfen. Das Siegel muß in Ausübung 
amtlicher Befugniffe, ohne Ueberichreitung derjelben, angelegt fein, 3. B. die 
Siegelmarten des Gericht3vollzicher8 bei ordnungsgemäßer Pfändung. 


Pfandentftridung. 
$ 137. (L. bez. A.) Wer Sachen, welche durc die zuftändigen Be— 
börden oder Beamten gepfändet oder in Bejchlag genommen worden jind, 
vorfäglich beifeite Schafft, zerftört oder in anderer Weije der Verſtrickung 
ganz oder teilweije entzieht, wird mit Gefängnis bis zu einem Jahre beitraft. 
Sachen find nur förperliche Sachen, nicht Forderungen, auc nicht 
Önpothetenforderungen, wohl aber Hypothekenurkunden. Es wird nur erfordert, 
daß die Behörde oder der Beamte zu Pfändungen oder Beſchlagnahmen der 
einichlagenden Art zuitändig find. Im übrigen müſſen die weſentlichen gejeg- 
lichen Borausiegungen und Förmlichkeiten erfüllt fein, z. B. muß bei der 
Pfändung ein vollſtreckbarer Echuldtitel vorliegen und die zu pfändende Sadıe 
vom Beamten ausdrüdlic in Bells genommen worden fein, wozu die Gench- 
migung einer dritten Perſon erforderlich ift, wenn dieſe fie im alleinigen 
Gewahriam oder im Mitgewahriam mit dem Schuldner hat. Zur Beichlag- 
nahme durch Polizeibeamte in Strafiaden genügt Erklärung der Beichlag- 
nahme unter Verbot an den Inhaber, über die beichlagnahmte Sache zu ver- 
fügen; Befigergreifung ift alſo hier nicht nötig. Die Sache wird der Ber: 
ſtrickung entzogen, wenn jie dauernd oder auch nur vorübergehend dem jo- 
fortigen Zugriffe der Behörde oder des Beamten nicht freiiteht, alio 3. B. 
durch bloße Veränderung des Aufbewahrungsortes, Wegichaffen aus einer 
Wohnung in eine andere ohme Anzeige an die Behörde. Der Täter muß 
aber wiffen, daß er durch feine Handlung die Sadıe dem Zugriffe der Be— 
hörde entzieht. Er ift nicht Ätrafbar, wenn er diefen Erfolg jeiner Handlung 
nicht vorausjah. 
Unwahre Entfhuldigungen von Zeugen uſw. 
$ 138. (A.) Wer als Zeuge, Geſchworener oder Schöffe berufen, eine 
unwahre Tatſache als Entichuldigung vorschügt, wird mit Gefängnis bis zu 
zwei Monaten bejtraft. 
Dasjelbe gilt von einem Sachverftändigen, welcher zum Erſcheinen geſetzlich 
verpflichtet iſt. 


176 III. Strafgeſetzbuch. — Zweiter Teil. 


Die auf das Nichterſcheinen geſetzten Ordnungsſtrafen werden durch 
vorſtehende Strafbeſtimmung nicht ausgeſchloſſen. 
Auch dann anwendbar, wenn ein Zeuge sc. nach dem Termin unwähre 
Tatfahen als Entſchuldigung vorihügt, um die Wiederaufhebung dev ver- 
hängten Ordnungsftrafe zu erwirfen. 
Nidhtanzeigen von Hochverrat ufw. 
$ 139. (L.) Wer von dem Vorhaben eines Hochverrats, Landesverrats, 
Münzverbrechens, Mordes, Raubes, Menjchenraubes oder eines gemeingefähr- 
lichen Verbrechens zu einer Zeit, in welcher die Verhütung des Verbrechens 
möglich ijt, glaubhafte Kenntnis erhält und es unterläßt, Hiervon der Behörde 


oder der durch das Verbrechen bedrohten Perjon zur rechten Zeit Anzeige zu 


machen, ift, wenn das Verbrechen oder cin jtrafbarer Verſuch desfelben be- 
gangen worden ift, mit Gefängnis zu beitrafen. 

Im allgemeinen legt das Geiles feiner Privatperſon eine Verpflichtung 
auf, ihr bekannte ftrafbare Handlungen unzuzeigen, weil es annimmt, die 
SIntereffen des BVerlegten und der menjchliche Charakter im allgemeinen werden 
die Anzeigeerftattung, wie auch geichieht, unter Zuhilfenahme der polizeilichen 
Organe im Fluffe halten. Anzeigepflichtig find natürlidy nicht die Teilnehmer 
an der Straftat jelbft, weil eine Selbftanzeigepflicht nicht feftgejegt werden 
fann. Wohl aber find anzeigepflichtig die VBerfonen, welche gegenüber den 
Täter oder einem Teilnehmer nad) der Strafprozefordnung zur Berweigerung 
des Zeugniſſes berechtigt find ($ 51 Stw-Pr.Dd.). Die Anzeigepflicht dauert 
jolange fort, als die durch das ſtrafbare Verhalten bereitete Gefahr andauert. 

VBerlekung der Wehrpflicht. | 
s 140. (L) Wegen Verlegung der Wehrpflicht wird beitraft: 

1. ein Wehrpflichtiger, welcher in der Abjicht, ſich dem Eintritte in 
den Dienst des stehenden Heeres oder der Flotte zu entziehen, 
ohne Erlaubnis entweder das Bundesgebiet verläßt oder nad) er: 
reichtem militärpflichtigen Alter fi auferhalb des Bundesgebietes 
aufhält: mit Gelditrafe von einhundertfünfzig bis zu dreitaufend 
Marf oder mit Gefängnis von einem Monat bis zu einem Sabre; 

. ein Offizier oder im Offizierrange ftehender Arzt des Beurlaubten- 
Itandes, welcher ohne Erlaubnis auswandert: mit Gelditrafe bis 
zu dreitaufend Mark oder mit Haft oder mit Gefängnis bis zu 
ſechs Monaten. 

. ein jeder Wehrpflichtige, welcher nach öffentlicher Belanntmachung 
einer vom Kaiſer für die Zeit eines Krieges oder einer Kriegs: 


[> 


=’ 


Einzelne Verbrechen, Vergehen und Uebertretungen und deren Beitrafung. 177 


gefahr erlajjenen bejonderen Anordnung in Widerſpruch mit der— 

jelben auswandert: mit Gefängnis bis zu zwei Jahren, neben 

welchem auf Geldjtrafe bis zu dreitaufend Mark erfannt werden ann. 

Der Verſuch iſt jtrafbar. 

Das Vermögen des Angejchuldigten fann, injoweit als es nach dem 
Ermeſſen des Richterd zur Dedung der den Angefchuldigten möglicherweife 
treffenden höchiten Geldjtrafe und der Koſten des Verfahrens erforderlich ift, 
mit Bejchlag belegt werden. 

Wehrpflihtig ift jeder Deutiche (RB. Art. 57 u. ©. v. 9.11. 67 
$ 1). Die Wehrpflicht beginnt mit dem vollendeten 17. und dauert bi zum 
vollendeten 45. Lebensjahre. j 

Militärpflihtig, d. h. der Aushebung unterworfen, ift jeder 
Wehrpflihtige vom 1. Januar des Stalenderjahres, in weldem er das 
20. Lebensjahr vollendet (M.G. $ 10; ©. v. 11.2. 88 8 245). 

Beurlaubtenftand WReferve, Land» und Seewehr. 

Ausgewanderte, in Nordamerifa naturalifierte Deutiche unterliegen 
bei der Nüdkehr der Strafe ($ 140 Nr. 1) nicht, und follen etwa erfannte 
Strafen unvolljtredt bfeiben. Bertrag zw. Norbd. Bund u. d. Verein. Staaten 
v. Amerifa v. 22/2. 68 Art. 1 u3 (BGB. ©. 228); zwiſchen d. 
Verein. Staaten u. Bayern 26.5. 68, Württemberg 27.7.68, Baden 
19.7. 68, Heſſen 1.8. 68. — Ununterbrodener 10 jähriger Aufenthalt 
im Ausland vor erreichten militärpflichtigen Alter jchließt, wegen Berluftes 
der Staatsangehörigkeit, die Anwendung des Geſetzes aus. 

Werbung für ausländiſche Macht. 
$141. (L) Wer einen Deutichen zum Militärdienjte einer ausländischen 
Macht anwirbt oder den Werbern der legteren zuführt, ingleichen wer einen 
deutichen Soldaten vorjäglich zum Dejertieren verleitet oder die Dejertion 
desjelben vorjätlich befördert, wird mit Gefängnis von drei Monaten bis zu 
drei Jahren beitraft. 


Der Verſuch ijt ſtrafbar. 
Eelbftverftünmelung ufw. 


$ 142. (L.) Wer fich vorjäglich durch Selbfiverftümmelung oder auf 
andere Weije zur Erfüllung der Wehrpflicht untauglicy macht oder durch einen 
anderen untauglich machen läht, wird mit Gefängnis nicht unter einem Jahre 
bejtraft; auch fann auf Verluft der bürgerlichen Chrenrechte erfannt werden. 
Diejelbe Strafe trifft denjenigen, welcher einen anderen auf defien Ber: 
langen zur Erfüllung der Wehrpflicht untauglich macht. 
Herbeiführung vollftändiger Dienftuntauglichkeit ift nicht erforderlich, es 
genügt, wenn ber Täter im geringeren Umfange als vorher tauglich iſt. 


12 


— 


178 III. Strafgeſetzbuch. — Zweiter Teil. 

8 143. (L) Wer in der Abſicht, ſich der Erfüllung der Wehrpflicht 
ganz oder teilweife zu entziehen, auf Täufchung berechnete Mittel anwendet, 
wird mit Gefängnis bejtraft; auch kann auf Verluſt der bürgerlichen Ehren- 
rechte erfannt werden. 

Diefelbe Strafvorfchrift findet auf den Teilnehmer Anwendung. 

Die auf Täufhung berehneten Mittel, alfo folde, welche 
zum Nachweife von gänzlichen oder teilweifen Befreiungsgründen dienen follen, 
brauchen nicht notwendig zur Täufhung geeignet zu fein und Erfolg zu 
haben. Die Anwendung der Mittel muß gegenüber der Behörde gefchehen, 
welche in irgend einer Inſtanz über die Militärpflicht zu entfcheiden hat. 

Derleitung zur Auswanderung. 

$ 144. (L) Wer es fich zum Geſchäfte macht, Deutiche unter Vor— 
jpiegelung falfcher Tatjachen oder wifientlic) mit unbegründeten Angaben 
oder durch andere auf Zäufchung berechnete Mittel zur Auswanderung zu 
verleiten, wird mit Gefängnis von einem Monat bis zu zwei Jahren beitraft. 

Die geihäftsmäßige Verleitung ift eine gewerbsmäßige, der nur die 
Abficht der Gewinnziehung nicht innezuwohnen braud)t. 

Sereverordnungen. 
$ 145. (L. bez. A.) Wer die vom Kaiſer 
zur Verhütung des Zufammenftoßens der Schiffe auf See, 
über das Verhalten der Schiffer nach einem Zufammenftoße von Schiffen 
auf See, oder 
in betreff der Not- und Lootjenfignale für Schiffe auf See und auf 
den Küſtengewäſſern 
erlafjenen Verordnungen übertritt, wird mit Gelditrafe bis zu eintaujend- 
fünfhundert Mark beitraft. 
E3 find ergangen: 
1. BD. z. Berhütg. des Zuſammenſtoßens der Schiffe auf See v. 
9.5. 97 (R.G.Bl. ©. 203). 

2. BD. über das Verhalten d. Schiffer nah einem Zufanmenftoß 
von Schiffen auf See v. 15./8. 76 (R.G. Bl. ©. 189). 

3. Not- u. Lootjen-Signalordnung für Schiffe auf See und auf den 
Küftengewäfjern v. 14.8. 76 (R.G.BL. ©. 187). 

4. BD. betr. Lichter: u. Signalführung der Fifcherfahrzeuge und der 
Rootjendampffahrzeuge v. 10./5. 97 (R.G. Bl. ©. 215). 

Schuldverfhreibungen auf den Inhaber. 

$ 145a. (L) Wer im Inlande Schuldverfchreibungen auf den Inhaber, 

in denen die Zahlung einer beftimmten Geldfumme verjprochen wird, ohne die 


Einzelne Verbrechen, Vergehen und Weberiretungen und deren Bejtrafung. 179 


‘erforderliche jtaatliche Genehmigung ausjtellt und in den Verkehr bringt, wird 
mit einer Geldftrafe beftraft, die dem fünften Teil de3 Nennwert3 der aus— 
gegebenen Schuldverjchreibungen gleichfommen kann, mindejtens aber brei- 
hundert Marf beträgt. 


8. Abſchnitt. 
Münzverbrechen und Müngvergehen. 


Muͤnzverbrechen. 

$ 146. (Sw.) Wer inländiſches oder ausländiſches Metallgeld oder 
Papiergeld nachmacht, um das nachgemachte Geld als echtes zu gebrauchen 
oder ſonſt in Verkehr zu bringen, oder wer in gleicher Abſicht echtem Gelde 
durch Veränderung an demſelben den Schein eines höheren Wertes oder ver— 
zufenem Gelde durch Veränderung an demſelben das Anſehen eines noch 
geltenden gibt, wird mit Zuchthaus nicht unter zwei Jahren beitraft; auch 
iſt PolizeisAufficht zuläffig. . 

Sind mildernde Umjtände vorhanden, jo tritt Gefängnigitrafe ein. 


Das nachgemachte oder veränderte Geld wird gebraucht, auch wenn es 
3. B. zur Erlangung von Kredit bloß vorgezeigt, alſo nicht verausgabt wird. 


s 147. (Sw.) Diejelben Strafbeftimmungen finden auf denjenigen 
Anwendung, welcher das von ihm auch ohne die vorbezeichnete Abjicht nad): 
gemachte oder verfälichte Geld als echtes in Verkehr bringt, jowie auf den- 
jenigen, welcher nachgemachtes oder verfäljchtes Geld fich verschafft und folches 
entweder in Verkehr bringt oder zum Zwecke der Verbreitung aus dem Aus: 


lande einführt. 
Münzvergehen. 


$S 148. (A) Wer nachgemacdhtes oder verfäljchtes Geld ala echtes 
empfängt und nach erfannter Umechtheit als echtes in Verfehr bringt, wird mit 
Gefängnis bis zu drei Monaten oder mit Gelditrafe bis zu dreihundert Marf 
bejtraft. 
Der Verſuch iſt Itrafbar. 
Das Vergehen des $ 148 wird vielfadh, auch don befjeren Leuten verübt. 
Schuldverfhreibungen auf den Inhaber uſw. 
$ 149. Dem Papiergelde werden gleich geachtet die auf den Inhaber 
fautenden Schuldverjchreibungen, Banknoten, Aktien oder deren Stelle ver: 
tretende Interimsſcheine oder Quittungen, ſowie die zu diejen Papieren ge 
börenden Zins, Gemwinnanteild: oder Erneuerungsicheine, welche von dem 


12* 


180 III. Strafgeſetzbuch. — Zweiter Teil. 


Reiche, dem Norddeutichen Bunde, einem Bundesftaate oder fremden Staate 
oder von einer zur Ausgabe folcher Papiere berechtigten Gemeinde, Korporation, 
Geſellſchaft oder Privatperfon ausgejtellt find. 
Beihnelden von Metaligeld. 
$ 150. (L.) Wer echte, zum Umlauf beſtimmte Metallgeldftüde durch 
Beichneiden, Abfeilen oder auf andere Art verringert und als vollgiltig in 
Verkehr bringt, oder wer folche verringerte Münzen gewohnheitsmäßig oder 
im Einverftändniffe mit dem, welcher fie verringert hat, als vollgiltig in 
Verkehr bringt, wird mit Gefängnis beftraft, neben welchem auf Geldftrafe 
bis zu dreitaufend Mark, ſowie auf Verlujt der bürgerlichen Ehrenrechte erfannt 
werden fann. 
Der Verſuch iſt ftrafbar. 
Berringern und in Verkehr bringen: fippen und wippen. 
Vorbereitung eines Münzverbredhens. 
$ 151. (L) Wer Stempel, Siegel, Stiche, Platten oder andere zur 
Anfertigung von Metallgeld, Papiergeld oder dem lehteren gleich geachteten 
Papieren dienliche Formen zum Zwecke eines Münzverbrechens angejfchafft oder 
angefertigt hat, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bejtraft. 
@inzichung. 
$ 152. Auf die Einziehung des nachgemachten oder verfäljchten Geldes, 
jowie der im $ 151 bezeichneten Gegenftände iſt zu erfennen, auch wenn bie 


Verfolgung oder Verurteilung einer bejtimmten Perjon nicht ftattfindet. 
Bol. 883 40, 42 und Etr.-Pr.:D. 88 477 — 479; — $ 152 bezieht 
ih auf den ganzen achten Abfchnitt. 


9. Abſchnitt. 
Meineid. 


Barteieid, auferlegter Eid, 

s 153. (Sw.) Wer einen ihm zugefchobenen, zurüdgejchobenen oder 
auferlegten Eid wifjentlich jaljch ſchwört, wird mit Zuchthaus bis zu zehn 
Jahren beitraft. 

Zugefhobene und zurüdgefhobene Eide gibt es bisher nur in 
unferen bürgerlichen Nechtöftreitverfahren, im Zivilprogeß. Der auferlegte 

Eid kann vom Gericht oder einer anderen Behörde kraft Gefeges zu ſchwören 

aufgegeben werden. Der bejchworene Inhalt des Eide8 muß ganz ober in 

einem wenn auch nebenfächlihen Punkte der Wahrheit nicht entiprechen. Der 

Täter muß bei der Eidesleiftung wiflen oder (dolus eventnalis ſ. $ 40) die 

Möglichkeit in Erwägung ziehen, daß der Inhalt des Eides ganz oder teil- 


— ef. 


Einzelne Verbrechen, Vergehen und llebertretungen und deren Bejtrafung. 181 


weife der Wahrheit nicht entiprehe. Er muß aber weiter auch willen, daß 
es bei feiner eidlichen Behauptung auf den Später als falſch gerügten Punkt 
anfam. Wer 3. B. bei Ableiftung des Offenbarungseides meinte, er brauche 
bereit3 gepfändete Sachen nicht mitanzugeben, kann ſich höchſtens eines fahr: 
läffigen Falfcheides jchuldig machen (dev die VBermögensftüde des Schuldners 
offenbarende Eid ift ein anferlegter Eid). Die Wiffentlichkeit kann weiter in 

Zweifel zu ziehen fein, wenn der Wortlaut der Eidesformel, wie mandnal 

geichieht, mißverftändlich und ungejchidt gefaßt if und der Schwörende ein 

Mißverftändnis behaupte. Manche Eide unferer Zivilrichter bedürfen aller: 

dings erft noch einer felbfländigen Auslegung durch einen Nechtsfundigen, um 

von dem Eidespflichtigen, befonder8 wenn er ein einfacherer Mann ift, vers 
ftanden zu werden. Wenn der Nichter nicht im Stande ift, den Wortlaut 
einfach, ar und unzweideutig zu formeln, ſoll er den Inhalt wenigftens felbit 
eingehend mit dem Schwurpflichtigen durchgehen. Ein Eidesunmündiger, dem 
verfehentlich ein Eid abgenommen worden, ift ftraflos. Verſuch des Meineides 
liegt nur vor, wenn ein Teil der Beteuerungsworte: „Ich ſchwöre uſw.“ ges 
ſprochen bez. gefchrieben worden ift; falſche Erklärungen ohne dieſe Worte 
find nur ftraflofe Vorbereitungshandlung. 
Zeugen: und Sachverſtändigeneid. 
$ 154. (Sw.) Gleiche Strafe trifit denjenigen, welcher vor einer zur 
Abnahme von Eiden zuftändigen Behörde wifjentlich ein faliches Zeugnis oder 
ein faljches Gutachten mit einem Eide befräftigt oder den vor jeiner Ver: 
nehmung geleisteten Eid wifjentlich durch ein faljches Zeugnis oder ein 
faljches Gutachten verleßt. 

Sit das faljche Zeugnis oder Gutachten in einer Strafjache zum Nach— 
teile eines Angejchuldigten abgegeben und diefer zum Tode, zu Zuchthaus oder 
zu einer anderen mehr als fünf Jahre betragenden Freiheitsſtrafe verurteilt 
worden, jo tritt Zuchthausitrafe nicht unter drei Jahren ein. 

Die Behörde muß zur Abnahme von Eiden nur überhaupt, im all: 
gemeinen, nicht gerade jür den im Frage ftehenden Fall zuftändig fein. 

Der Inhalt des Zeugnifjes oder Gutachtend muß ganz oder teilweife der 

Mahrheit nicht entfprechen, dev Täter muß dies bei der Eidesleiftung gewußt 

oder die Möglichkeit der Unmahrheit in Erwägung gezogen und weiter gewußt 

haben, daß es auf die richtige Darftellung ankam: Der vernehmende Beamte 
muß alfo auch Hier darauf hinwirken, daß er richtig veritanden wird und 
richtig verfteht. Die Kunſt, Zeugen und Sachverſtändige zu vernehmen, kit 
feine Meine. Ungebildete Zeugen verwechjeln oft, wenn fie nicht nachdrücklich 
darauf hingewielen werden, im ihren Angaben die eigenen Wahrnehmungen 
und die ihnen gewordenen Mitteilungen anderer. Es ift alſo falſch, den 
Zeugen nur über die Tatfachen zu befragen umd micht jederzeit die Quelle 


182 


II. Strafgeſetzbuch. — Zweiter Teil, 


feiner Wiffenfhaft zu fontrollieren. Der vernehmende Beamte fol auch an 
die Gedächtnisfraft der Zeugen nicht zu große Anforderungen ftellen. Das 
menſchliche Erinnerungsvermögen ift fein großes, befonders nicht in Kleinig— 
feiten, welche den Zeugen zur Zeit, als er fie wahrnahm, gar nicht intereffieren 
konnten. Das Auffaffungsvermögen des Menſchen ift, wie die verfchiedenflen 
Berfuche gezeigt haben, ein fehr verfchiedenes, je nad dem Grade jeiner 
Begabung und Bildung Sowie feiner Aufmerkfamfeit und feines Intereſſes 
am Vorgange. Das Beitreben des Menfchen oder Zeugen, fich einen 
dergangenen Vorgang wieder zu vergegenwärtigen, bringt je nah den 
geiftigen Fähigkeiten de3 Einzelnen Irrtümer unbewußt in die Erinnerung, 
Bor allem täuscht fih der Menſch fehr in Angaben über Zeitdauer und 
räumliche Entfernungen. Der Zeuge behauptet, ein Hausffandal habe 
1 Stunde gedauert, ftatt bdeffen waren e8 nur 20 Minuten; eine Stelle 
fei von einer anderen 10 Meter entfernt, ftatt deffen find es 100 Meter. 
Auch für Einzelheiten einer Dertlichkeit, einer Landichaft, einer Wohnung 
iſt das Gedächtnis verfchieden befähigt. Alle diefe Momente hat man fich 
zu bergegenwärtigen bei Beantwortung ber Frage, ob Jemand wiſſentlich 
falſch geſchworen hat. Auch das ift zu beachten, daß ungebilbete und einfache 
Leute, weil fie feine Ahnung von der Unzuverläfiigkeit des menichlichen Ge- 
dächtniffes haben, in ihren Behauptungen weniger vorjichtig find, als gebildete 
Zeugen, welche die Gefahr kennen. Vollendet ift der Meineid mit dem Ab- 
fchluffe der Vernehmung nad oder vor der Eidesleiſtung Ein Verfuh des 
Zeugenmeineides kann mur vorliegen, wenn der Zeuge vor feiner Bernehmung 
den Beugeneid leiftet und dann mit der falfchen Ausfage den Anfang madt 
oder wenn er erſt die falfche Ausfage tut und danach die Beteuerungsmworte 
nur zum Zeil jpricht. 


Der Eidesteiftung gleichgeachtet. 


s 155. Der Ableiſtung eines Eides wird gleich geachtet, wenn 

1. ein Mitglied einer Religionsgeſellſchaft, welcher das Gefet den Gebrauch 
gewifjer Beteuerungsformeln an Stelle des Eides gejtattet, eine Er- 
klärung unterder Beteuerungsformeljeiner Religionsgejellichaftabgibt ; 

2. derjenige, welcher ald Partei, Zeuge oder Sachverftändiger einen 
Eid geleiftet hat, in gleicher Eigenſchaft eine Verficherung unter 
Berufung auf den bereit3 früher in berfelben Angelegenheit 
geleifteten Eid abgibt, oder ein Sachverftändiger, welcher als jolcher 
ein: für allemal vereidet ift, eine Berjicherung auf den von ihm 
geleisteten Eid abgibt; h 

3. ein Beamter eine amtliche Verjicherung unter Berufung auf feinen 
Dienfteid abgibt. 





[7 7 * 


Einzelne Verbrechen, Vergehen und Uebertretungen und deren Beſtrafung. 183 


Verſicherung an Eidesſtatt. 


8 156. (L.) Wer vor einer zur Abnahme einer Verſicherung an Eides— 
ftatt zuftändigen Behörde eine jolche Verficherung wiljentlich faljch abgibt oder 
unter Berufung auf eine jolche Verjicherung wifjentlich falſch ausjagt, wird 
mit Gefängnis von einem Monat big zu drei Sahren beitraft. 

Die Berfiherung an Eidesftatt, mündlich und ſchriftlich möglich, 
muß zum Ausdrude bringen, daß fie an Eidesftatt ausgeftellt bez. abgegeben 
ift. Es genügt, wenn fie nah dem Verfahren oder dem Gegenftande von 
der hiernach zuftändigen Behörde ald Beweismittel nicht ausgeichloflen iſt. 
Eidesftattlihe Verſicherungen entgegenzunehmen ift befugt 3. B. der Standes: 
beamte; in Sachſen die Einkommenſteuer-Reklamationskommiſſion; die Gerichte 
in Zivile und Straffahen zur Glaubhaftmahung; die Llmiverfitätsbehörden 
bei Erteilung der Doftorwürde für die Berficherung, daß der Kandidat die 
Prüfungsarbeiten jelbftändig gefertigt hat. 

Strafermähigung. 
$ 157. Hat ein Zeuge oder Sachverjtändiger jich eines Meineides 
($$ 154, 155) oder einer faljchen Verficherung an Eidesjtatt jchuldig gemacht, 
jo ijt die an ich verwirfte Strafe auf die Hälfte bis ein Vierteil zu er: 
mäßigen, wenn 
1. die Angabe der Wahrheit gegen ihn ſelbſt eine Verfolgung wegen 
eines Verbrechens oder Vergehens nach fich ziehen konnte, oder 
2. der Ausjagende die falſche Ausſage zu gunjten einer Perſon, 
rüdfichtlich welcher er die Ausfage ablehnen durfte, eritattet hat, 
ohne über jein Recht, die Ausjage ablehnen zu dürfen, belehrt 
worden zu jein. 

Iſt hiernach Zuchthausstrafe unter einem Jahre verwirkt, jo iſt dieſelbe 
nach Mafgabe des $ 21 in Gefängnistrafe zu verwandeln. 

Das Strafmininmm ift 4! Monate Gefängnis. Diefe Strafermäßigung 
fommt nur dem Täter, nicht dem Anftifter zu gute. 


$ 158. Gleiche Strafermäßigung tritt ein, wenn derjenige, welcher jich 
eines Meineided oder einer faljchen VBerficherung an Eidesjtatt fchuldig gemacht 
hat, bevor eine Anzeige gegen ihn erfolgt oder eine Unterjuchung gegen ihn 
eingeleitet und bevor cin Rechtsnachteil für einen anderen aus der falfchen 
Ausjage entjtanden ift, dieje bei derjenigen Behörde, bei welcher er fie abgegeben 
hat, widerruft. 


184 III. Strafgefegbnch. — Zweiter Teil. 


Anzeige iſt die direfte Strafanzeige wegen Meineidd. Unter: 
ſuchung iſt auch das ftaatsanmaltichaftliche Ermittlungsverfahren. Rechts— 
nachteil iſt die üble Folge, welche aus der falſchen Ausſage bereits, z. B. 
im Zivilprozeß oder im Strafprozeß, erwachſen if. Widerruf iſt bie 
Burüdnahme einer früheren Ausfage, nicht die Abgabe einer der früheren 
bloß widerjprechenden Ausjagen. Staatsanwaltfchaft und Gericht find nicht 
diefelbe Behörde. 

Berleitung zum Meineid, 


$ 159. (L.) Wer es unternimmt, einen anderen zur Begehung eines 
Meineides zu verleiten, wird mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren, und wer es 
unternimmt, einen anderen zur wijlentlichen Abgabe einer falſchen Verficherung 
an Eidesitatt zu verleiten, mit Gefängnis bis zu einem Jahre bejtraft. 
Der Unternehmer muß alfo wollen, dab der andere bewußt wider die 
Wahrheit ausfagt und ſchwört. Auch ein Eidesunmündiger kann zum Meineid 
verleitet werben. Der Unternehmer iſt ftrafbar, aud wenn er irrtümlidy 
glaubt, was der andere beſchwören folle, fei unmwahr, während e3 wahr ift, 
oder wenn der andere gutgläubig die Ummahrheit beeidet. Daß der andere 
überhaupt zur Ausfage und zum Eide fommt, ift nicht nötig. Der Unter: 
nehmer muß aber wollen und damit rechnen, daß ber andere zum Eide kommt. 
Verleiten, d. i. den Willen eines anderen beftimmen. 
Berleitung zum Falſcheid. 


$ 160. (L) Wer einen anderen zur Ableiftung eines faljchen Eides 
verleitet, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bejtraft, neben welchen auf 
Verluſt der bürgerlichen Chrenrechte erfannt werden fan, und (L. be}. A.) 
wer einen anderen zur Ableitung einer faljchen Verficherung an Eidesitatt 
verleitet, wird mit Gefängnis bis zu ſechs Monaten beitraft. 

Der Verſuch iſt ftrafbar. 

Hier muß im Öegenfage zu $ 159 der andere den Eid wirklich Teiften 
und etwas Falſches entweder gegen feinen eigenen Willen, alfo gutgläubig, 
oder fahrläffig beeiden. Wer einen anderen verleitet, etwas Falſches wiſſent— 
ih zu beeiden, ift Anſtifter. Beim Verſuche ift die Verleitung ohne Erfolg 
geblieben, weil der andere aus eigenem Antrieb einen Meineid geleiftet hat 
oder von einem Dritten angeitiftet worden it. 


Rebenftrafen. 


$ 161. Bei jeder Verurteilung wegen Meineides, mit Ausnahme der 
Fälle in den 88 157 und 158, it auf Verluſt der bürgerlichen Ehrenrechte 
und außerdem auf die dauernde Unfähigkeit des Verurteilten als Zeuge oder 
Sachverſtändiger eidlich vernommen zu werden, zu erfennen. 


1 


Einzelne Verbrechen, Vergehen und Uebertretungen und deren Bejtrafung. 185 


In den Fällen der SS 156 bis 159 kann neben der Gefängnisitrafe auf 
Verlujt der bürgerlichen Chrenrechte erfannt werden. 

Nur den vollendeten Meineid und die Anftiftung dazu, nicht den Ber: 
fuh und Beihilfe treffen die Mebenftrafen. Die Nebenftrafen im Abſatz 1 
mäffen erfannt werben. 

Eidesbruch. 
s 162. (L) Wer vorſätzlich einer durch eidliches Angelöbnis vor 
Gericht beſtellten Sicherheit oder dem in einem Offenbarungseide gegebenen 
Berjprechen zumwiderhandelt, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren beftraft. 

Diefer Dffenbarungseid ifl ein anderer als der gewöhnliche, mit 
welhen der Schuldner feinem Gläubiger feine Vermögensbeftandteile anzu- 
geben hat. 

Fahrläffie falfher Eid. 
$ 163. (L.) Wenn eine der in den 88 153 bis 156 bezeichneten 
Handlungen aus Fahrläſſigkeit begangen worden ijt, jo tritt Gefängnisftrafe 
bis zu einem Sahre ein. 
Strafloſigkeit. 
Strafloſigkeit tritt ein, wenn der Täter, bevor eine Anzeige gegen ihn 
erfolgt oder eine Unterſuchung gegen ihn eingeleitet und bevor ein Rechts— 
nachteil für einen anderen aus der falſchen Ausſage entſtanden iſt, dieſe bei 
derjenigen Behörde, bei welcher er ſie abgegeben hat, widerruft. 

Wegen Fahrläſſigkeit ſ. $ 121. Weglaſſung völlig wertloſer 
Vermögensſtücke beim Offenbarungseide ſtraflos. Bei dem fahrläſſigen 
Zeugeneide iſt insbeſondere alles das zu berückſichtigen, was beim Meineide 
($ 154) ausgeführt worden iſt. Die Anforderungen find nicht zu hoch zu 
fpannen. Es kann aber verlangt werden, daß der Zeuge, der vom Beweis— 
thema Kenntnis hat, mit ſich zu Mate geht und jonjtige Hilfsmittel zur 
Auffrifhung feines Gedächtniffes verwendet. 

Ein Zeuge war bei dem zu befundenden Borgange angetrunfen gewejen, 
gab aber gleichwohl mit Beftimmtheit eine falſche Darftellung als die richtige. 
Er wurde wegen fahrläffigen Faljcheides verurteilt, weil er trotz Vorhaltes 
der von anderen Zeugen befundeten (vichtigen) Darftellung und des Zugeftänd- 
niſſes feiner damaligen Trunkenheit bei feiner Darftellung verblieb und fie 
nicht als möglicherweife falſch zugab. 


10. Abſchnitt. 
Falſche Anfchuldigung. 


$ 164. (L.) Wer bei einer Behörde eine Anzeige macht, durch welche 
er jemand wider befjeres Wiſſen der Begehung einer ftrafbaren Handlung 


186 II. Strafgeſetzbuch. — Zweiter Teil. 


oder der Verlegung einer Amtspflicht bejchuldigt, wird mit Gefängnis nicht 
unter einem Monat bejtraft; auch kann gegen bdenjelben auf Verluſt der 
bürgerlichen Ehrenrechte erfannt werden. 

So lange ein infolge der gemachten Anzeige eingeleitetes Verfahren 
anhängig iſt, Joll mit dem Verfahren und mit der Entjcheidung über bie 
falfche Anfchuldigung inne gehalten werden. 

Der Täter muß wiffen, daß der andere die ftrafbare Handlung nicht 
verübt oder die Amtspflicht nicht verlegt hat. „Er darf aber die Beſchuldi— 
gungen nicht aus der Quft greifen und fi, befonders bezüglich nichteinwands- 
freier Perfonen, nicht damit rechtfertigen, daß er fagt: „ich fann ja nicht 
wiffen, ob der andere dies nicht getan hat." Anzeige ift nur eine Mitteilung 
an die Behörde mit Abficht, eine Berfolgung herbeizuführen. Auch die 
Privatllage ift eine Anzeige. Anzeige bei Polizeibeamten zweds Weitergabe 
ift Anzeige bei einer Behörde. Anzeige wider befleres Wiſſen liegt auch vor, 
wenn der Anzeigende bei Angabe richtiger Tatiachen abfichtlich Umstände ver- 
ichweigt, welche, wie er weiß, die Strafbarkeit ausichließen. 

Veröffentlihung des Urteils. 

$ 165. Wird wegen faljcher Anjchuldigung auf Strafe erkannt, fo ift 
zugleich dem Verlegten die Befugnis zuzufprechen, die Verurteilung auf Koften 
des Schuldigen öffentlich bekannt zu machen. Die Art der Bekanntmachung 
jowie die Friſt zu derfelben, ijt in dem Urteile zu bejtimmen. 

Dem Berlegten iſt auf Koften des Schuldigen eine Ausfertigung des 
Urteile zu erteilen. 


11. Abſchnitt. 
Dergehen, welche ſich auf die Religion beziehen. 


Gottesläfterung und Kirchenbeſchimpfung. 


$ 166. (L) Wer dadurch, daß er öffentlich in bejchimpfenden 
Aeußerungen Gott läjtert, ein Aergernis gibt, oder wer Öffentlich eine der 
hrijtlichen Kirchen oder eine andere mit Korporationsrechten innerhalb bes 
Bundesgebietes bejtehende Religionsgejellichaft oder ihre Einrichtungen oder 
Gebräuche beichtmpft, ingleichen wer in einer Kirche oder in einem anderen 
zu religiöfen Berfammlungen bejtimmten Orte befchimpfenden Unfug verübt, 
wird mit Gefängnis bis zu drei Jahren beitraft. 
Beihimpfung ift mehr als bloße Herabwürdigung, ift Ausdrud ber 
Verachtung deflen, was Adtung und Verehrung fordert, in befonders roher, 
verlegender Form, nicht bloße Frivolität. Gott ift der Gottesbegriff der 


Einzelne Verbrechen, Vergehen und lebertretungen und deren Beftrafung. 187 


mit Storporationsrechten in Deutfchland beftehenden Religionsgefell: 
haften. Bu dieſen gehört auch das Judentum Einrihtungen und 
Gebräuche find nicht die firchlichen Lehren und Lehrfäge (3. B. Zehn Ge: 
bote, Unfehlbarfeit des PBapftes), ſondern die Beitandteile der Organijation 
und des Kultus, z. B. Reihung des Abendmahls, Predigtamt, apoftolifches 
Stlaubensbefenntnis, Kultus der Neliquienverehrung (Heiliger Rod in Trier). 
ChHriftliher Gebraud: Die Amtstraht der Geiftlihen. Zu religiöfen 
Berfammlungen bejtimmter Ort, d. h. wefentlih dazu beitimmter Ort 
EKirchhof). 
Verhinderung und Störung des Gotteödienftes. 
$ 167. (L.) Wer durch eine Tätlichfeit oder Drohung Jemand hindert, 
den Gottesdienjt einer im Staate bejtehenden Religionsgejellichaft auszuüben, 
ingleichen wer in einer Kirche oder in einem anderen zu religiöfen Verſamm— 
(ungen bejtimmten Orte durch Erregung von Lärm oder Unordnung den 
Gottesdienjt oder einzelne gottesdienjtliche VBerrichtungen einer im Staate be- 
jtehenden Neiigionsgejellichaft vorjäglich verhindert oder ſtört, wird mit Ge— 
fängnis bis zu drei Jahren bejtraft. 

Der ftörende Lärm braudt nicht in der Kirche felbft vorgenommen 
zu fein. Der Täter muß wiffen, daß feine Handlung Unordnung herbei- 
zuführen oder der von ihm verübte Yärm die Andacht einzelner zu ftören 
geeignet it. Gegen beleidigende Angriffe des Geiftlihen in der Predigt ift 
Notwehr zuläſſig. ©. auch $ 166. 

Grabbefhädigung. 
168. (L.) Wer unbefugt eine Leiche aus dem Gewahrfam der dazu 
berechtigten Perſon mwegnimmt, ingleichen wer unbefugt ein Grab zerjtört oder 
bejchädigt, oder wer an einem Grabe bejchimpfenden Unfug verübt, wird mit 
Gefängnis bis zu zwei Jahren bejtraft; auch kann auf Verluſt der bürgerlichen 
Ehrenrechte erfannt werden. 

Beifhimpfender Unfug am Grabe, z. B. Beihädigung oder Weg- 

werfen von Pflanzen des Grabes aus Haß gegen den Berftorbenen. 


12. Abſchnitt. 
Verbrechen und Vergehen in Beziehung auf den Perlonen- 
fand, 
Kindedunterfhiebung uſw. 
$ 169. (L.) Wer ein Kind unterjchiebt oder vorjäglich verwechlelt, oder 
wer auf andere Weiſe den Perfonenjtand eines anderen vorjäglich verändert 
oder unterdrüdt, wird mit Gefängnis bis zu drei Jahren und, (Sw.) wenn 


188 III. Etrafgeiegbuch. — Zweiter Teil. 


die Handlung in gewinnjüchtiger Abjicht begangen wurde, mit Zuchthaus bis 
zu zehn Sahren beitraft. 

Der Verſuch iſt ftrafbar. 

Perfonenftand ift das familienrechtliche Verhältnis einer Perfon zu 
einer anderen. Unterdrückung des Perfonenitandes liegt vor, wenn er der 
Kenntnis anderer entzogen wird. Veränderung des Perjonenftandes liegt 
vor, wenn das familienvechtliche Verhältnis einer Berfon fi anders darftellt, 
als es wirklich ift. Unterdbrüdung und Beränderumg werden oft zu> 
jammenfallen. Beiipiel: Ein unehelihes Kind wird beim Standesbeamten 
als cheliches angemeldet und eingetragen. 

Eheer ſchleichung. 

8 170. (L) Wer bei Eingehung einer Ehe dem anderen Teile ein 
geſetzliches Chehindernis argliftig verjchweigt, oder wer den anderen Teil 
zur Eheſchließung argliftig mittels einer jolchen Täuſchung verleitet, welche 
den Getäujchten berechtigt, die Giltigfeit der Che anzufechten, wird, wenn aus 
einem diejer Gründe die Ehe aufgelöjt worden ijt, mit Gefängnis nicht unter 
drei Monaten beitraft. 

Die Verfolgung tritt nur auf Antrag des getäujchten Teils ein. 

8 170 bezwedt die Beitrafung der fogenannten Eheerihleihung. 
Nicht das bloße Berfchweigen, fondern das Verfchweigen durch Ueberliten in 
der Abjicht, dem anderen Teile Arges anzutun, macht itraffällig. Es kommen 
nur Ehehinderniffe in betracht, derentwegen die Ehe nichtig oder anfechtbar 
ift ($S 1323 ff. d. Bürger, Geſetzbuchs). 


13. Abſchnitt. 


Derbredhen und Dergehen wider die Sittlichkeit. 


Doppeiche. 

$ 171. (L) Ein Ehegatte, welcher eine neue Ehe eingeht, bevor jeine 
Ehe aufgelöjt oder für nichtig erklärt worden iſt, ingleichen eine unverheiratete 
Perſon, welche mit einem Ehegatten, wiſſend, daß er verheiratet ijt, eine Ehe 
eingeht, wird mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren bejtraft. 

Sind mildernde Umstände vorhanden, jo tritt Gefängnisitrafe nicht 
unter ſechs Monaten ein. 

Die Verjährung der Strafverfolgung beginnt mit dem Tage, an welchem 
cine der beiden Ehen aufgelöjt oder für nichtig erklärt worden ift. 

Irrtum über vermeintlihe Auflöfung, Ungiltigkeits- oder Nichtigkeits— 
erklärung einer Ehe ſchützt vor Strafe. 


Einzelne Verbrechen, Vergehen und Webertretungen und deren Bejtrafung. 189 


Ehebrud. 
$ 172. (L. bez. A.) Der Ehebruch wird, wenn wegen desjelben die 
Ehe gejchieden ijt, am dem jchuldigen Ehegatten ſowie deſſen Mitjchuldigen mit 
Gefängnis bis zu jehs Monaten bejtraft. 
Die Verfolgung tritt nur auf Antrag ein. 

Lauf der Berjährung, vgl.$ 69, beginnt mit Rechtäfraft des Scheidungs- 
urteil8, Yauf der Antragsfrijt mit der Kenntnis von der Rechtskraft. Diefelbe 
ehebrecheriiche Handlung, deren Beftrafung beantragt wird, muß im Urteile 
allein oder neben anderen als Sceidungsgrund feftgeftelt fein. Ehebrud 
iſt nur Beifchlafsvollziehung, nicht ein andersartiger Gefchlechtsverkehr. Bei: 
ſchlaf erfordert nur Bereinigung der Gefchlechtsteile, nicht Verlegung des 
Hymens und Samenerguß. 

Blutſchande. 
$ 173. (L.) Der Beiſchlaf zwiſchen Verwandten auf» und abſteigender 
Linie wird an den erjteren mit Zuchthaus bis zu fünf Sahren, an den leßteren 
mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bejtraft. 
Der Beifchlaf zwiſchen Verfchwägerten auf- und abjteigender Linie, jowie 
zwiſchen Gejchwijtern wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren beitraft. 
Neben der Gefängnisftrafe kann auf Verluſt der bürgerlichen Chren- 
rechte erfannt werden. 
Straflofigfeit. 
Verwandte und Berfchwägerte abjteigender Linie bleiben jtraflos, wenn 


ſie das achtzehnte Lebensjahr nicht vollendet haben. 

Beifchlaf ſ. $ 172. Berwandte auf: u. abfteigender Linie 
nad) Blutsgemeinſchaft, alfo auch uneheliche Verwandtſchaft. Verſchwägerte 
find Schwieger- u. Stiefeltern u. Kinder, auch nad Auflöſung der betreffen: 
den Ehe und auf außereheliher Geburt beruhend. Auch Eheſchließung der 
Blutsverwandten fchließt Beitrafung nicht aus. 


Unzucht von Autoritätöperfonen. 
s 174. (L) Mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren werden beftraft: 

1. Bormünder, welche mit ihren Prlegebefohlenen, Adoptiv: und Pflege: 
eltern, welche mit ihren Kindern, Geijtliche, Lehrer und Erzieher, 
welche mit minderjährigen Schülern oder Zöglingen unzüchtige 
Handlungen vornehmen ; 

2. Beamte, die mit Perfonen, gegen welche fie eine Unterfuchung zu 
führen haben oder welcher ihrer Chhut anvertraut find, unzüchtige 
Handlungen vornehmen ; 


190 III. Strafgeſetzbuch. — Zweiter Teil. 


3. Beamte, Merzte oder andere Medizinalperjonen, welche in Gefäng— 
niſſen oder in Öffentlichen, zur Pflege von Kranken, Armen oder 
anderen Hilfloſen bejtimmten Anjtalten bejchäftigt oder angejtellt 
find, wenn fie mit den in das Gefängnis oder in die Anſtalt auf- 
genommenen Perjonen unzüchtige Handlungen vornehmen. 

Sind mildernde Umjtände vorhanden, jo tritt Gefängnisitrafe nicht 
unter ſechs Monaten ci. 

Unzüdhtige Handlungen find hier folche, welche daß allgemeine Scham: 
und Sittlichkeitsgefühl verlegen und Erregung ober Befriedigung eigener oder 
fremder Gefchlechtsluft bezweden. Als Bormünder kommen nur VBormünder 
für die Perfon des Mündels, nicht für eine beftimmte Rechtshandlung oder zur 
Bermögensaufficht beftellte in betrat. Pflegeeltern |. $S 52. Erzieher, 
berufsmäßiger mit Autoritätöverhältnis, auch der Lehrherr im Berhältnis zum 
Lehrling in der häuslihen Gemeinſchaft. Gegen eine Zeugin wird feine 
„Unterfuhung” geführt. Obhut ift Fürforgepfliht auf grund Abhängigkeits— 
verhältnifjes. 


Widernatärlihe Anzucht. 

s 175. (L.) Die widernatürliche Unzucht, welche zwiſchen Perſonen 
männlichen Gejchlechtd oder von Menfchen mit Tieren begangen wird, ijt mit 
Gefängnis zu beitrafen; auch kann auf Verluſt der bürgerlichen Chrenrechte 
erkannt werben. 

Widernatürliche Unzucht umfaßt nur beifchlafsähnliche Handlungen ; 
der Körper eined Mannes wird in irgend welcher Form von dem anderen 
Manne zur Bornahme beifchlafsähnlicher Handlungen (in den After, den 
Mund, zwiſchen die Schenkel, in die hohle Hand) benugt. Bloße wechſel— 
feitige Onanie ftraflo8, wenn fie nicht beifchlafsähnlich vollzogen wird. Bei 
Unzucht mit Tieren muß der Täter mit feinem Gefchlechtsteil mittels beifchlaf- 
ähnlicher Bewegungen den Körper des Tiere berühren; alfo nicht Lecken der 
Hunde oder Hagen am weiblichen Gefchlechtäteil. Vereinigung der Geſchlechts— 
teile nicht nötig. Belanntli wird die Befeitigung der Beftrafung widernatür- 
licher Unzucht zwifchen Männern erftrebt, mit der Begründung, daß die von 
folden Männern gewählte Art der Gefchlechtäbefriedigung ihrer von der Natur 
gewollten Veranlagung entſpreche. 


Unzuht mit Gewalt an Willenlofen, mit Kindern. 
8 176. Mit Zuchthaus bis zu zehn Sahren wird bejtraft, wer 
1. (Sw.) mit Gewalt unzüchtige Handlungen an einer Frauensperſon 
vornimmt oder diefelbe durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr 
für Leib oder Leben zur Duldung unzüchtiger Handlungen nötigt: 








ET u te — u Soli Ze Lei 


Einzelne Verbrechen, Vergeben und Uebertretungen und deren Beitrafung. 191 


2. (Sw.) eine in einem willenlofen oder bewußtlojen Zuſtande befind- 
liche oder eine geiftesfranfe Frauensperſon zum außerehelichen Bei- 
ichlafe mißbraucht, oder 

3. (L.) mit Perſonen unter vierzehn Jahren unzüchtige Handlungen 
vornimmt oder diefelben zur Verübung oder Duldung unzüchtiger 
Handlungen verleitet. 

Sind mildernde Umſtände vorhanden, jo tritt Gejängnisitrafe nicht unter 
ſechs Monaten ein. 

Täter von Ziffer 1 fann aud eine Frauensperfon, auch ein Ehemann 
(Einführen de3 Gliedes in den Mund der Ehefrau mit Gewalt wider deren 
Willen) fein. Die Ehefrau ift nur zum Bollzuge des normalen Beiichlafs 
verpflichtet. 

Ziffer 2. Einwilligung der Geiſteskranken ſchließt Mißbrauch nicht aus. 

Ziffer 3. Die unzüdhtigen Handlungen müffen am Körper (nicht gerade 
dem nadten Körper) des Kindes, nicht blos angeſichts oder in Gegenwart des— 
felben, vorgenommen fein. Sind von 12—14 Fahren kann Täter jein. Täter 
muß da3 Alter des Kindes al3 unter 14 Jahren fennen; es genügt, daß er 


mit der Möglichkeit diejes Alters rechnete. 
NRotzucht. 


$ 177. (Sw) Mit Zuchthaus wird bejtraft, wer durch Gewalt oder 
dur Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben eine Frauens: 
perjon zur Duldung des auferehelichen Beifchlafs nötigt, oder wer eine Frauens— 
perjon zum außerehelichen Beiichlafe mißbraucht, nachdem er fie zu Diejem 
Zwecke in einen willenlofen oder bewußtloſen Zuſtand verjeßt. 

Sind mildernde Umftände vorhanden, jo tritt Gefängnisftrafe nicht unter 
einem Sabre ein. 

$ 177 enthält den Tatbeſtand der Notzudt. Auch eine Frauens- 

perfon kann durch Gewalt oder Drohung eine andere Frauensperfon zur 

Duldung des Beifchlaf8 mit einem Manne nötigen. Zum Beifchlaf gehört 

nur Vereinigung der Gefchlehtsteile, nicht Samenerguß. Notzudt der Ehe: 

frau alfo begrifflich ausgefchloffen, weil fein außerehelicher Beifchlaf. 


Erfhwerte Unzucht und Rotzucht. 
$ 178. (Sw.) Sit durch eine der in den 88 176 und 177 bezeichneten 
Handlungen der Tod der verlegten Berjon verurfacht worden, jo tritt Zuchthaus: 
ſtrafe nicht unter zehn Jahren oder lebenslängliche Zuchthausitrafe ein. 


Borfpiegelung eines ehelichen Beiſchlafs. 
$ 179. (L.) Wer eine Frauensperſon zur Gejtattung des Beiſchlafs 
dadurd verleitet, daß er eine Trauung vorjpiegelt, oder einen anderen Irrtum 


192 III. Strafgeſetzbuch. — Zweiter Teil. 


in ihr erregt oder benußt, in welchem fie den Beifchlaf für einen ehelichen 
hielt, wird mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren beitraft. 
Sind mildernde Umstände vorhanden, fo tritt Gefängnisitrafe nicht unter 
ſechs Monaten ein. 
Die Verfolgung tritt nur auf Antrag ein. 
$ 179 ftelt die Erfchleihung des außerehelihen Beifhlafs 
unter Strafe. Berleitet werden kann auch eine Ehefrau. Täter fein fann 
ein Mann oder eine Frauensperſon, welde zu dem Beiſchlafe mit einem 
Manne verleitet. Beifpiel: ein Freund des Ehemannes benugt feine gemaufte 
Kenntnis dazu, in der Nacht als angebliher Ehemann heimzufehren und die 
Ehefrau geſchlechtlich zu gebrauchen. Auch Borfpiegelung der Eheſchließung 
vor einem Standesbeamten. Antrag3berehtigt iſt nur die getäuſchte 
Frauensperfon felbft, nicht deren Ehemann. 


ſtuppelei. 
$ 180. (L) Wer gewohnheitsmäßig oder aus Eigennutz durch ſeine 
Vermittelung oder durch Gewährung oder Berichaffung von Gelegenheit der 
Unzucht Vorſchub leijtet, wird wegen Kuppelei mit Gefängnis nicht unter einem 
Monate bejtraft ; auch kann zugleich auf Gelditrafe von einhundertfüntzig bis 
zu jechstaufend Marf, auf Verluft der bürgerlichen Ehrenrechte ſowie auf Zu- 
läjfigfeit von Bolizei-Aufficht erfannt werden. Sind mildernde Umſtände vor- 
handen, jo kann die Gefängnisftrafe bis auf einen Tag ermäßigt werden. 
Die $$ 180, 181a, 184, 184a, 184b, 362 im ihrer jegigen Faſſung 
enthalten die fog. lex Heinze, Neichsgefeg dv. 25. Juni 1900. Unzucht im 
Sinne von $ 180 ift nicht bloß Beilchlaf, fondern jedes gegen Zucht und 
Sitte im Gefchlechtsverkehr verftoßende Handeln, 3. B. Betaften, Ausgreifen 
in ungzüchtiger Weife. Das Halten von VBordellen und Vermieten an Pro- 
ftitwierte ſelbſt mit polizeiliche Genchmigung ftrafbar. Der Bermieter von 
Wohnungen hat an und für fich nicht die Pflicht zur fittlihen Beaufſichtigung 
feiner Mieterinnen; nad erlangter Kenntnis von deren Unzucht macht er ſich 
durch Fortjegung des Mlietverhältniffes nad Ablauf der Kündigungsfrift ftrafbar. 
Der Ehemann hat bezüglich der Ehefrau, Eltern haben gegenüber der Tochter ufw. 
die Pflicht, die Unzucht nad Kräften zu verhindern; Vernachläſſigung diefer 
Pfliht macht ftrafbar. Gewohnheitsmäßig handelt, wer eine Neigung zu 
fuppleriihem Tun befundet, eigennügig, wer Vorteile irgend welder Art, 
auch Genußſucht, Gefchlehtögenuß, erſtrebt. Vorſchub leiftet, wer für 
die Ausübung der Unzucht irgendwie günftigere Gelegenheit verfchafft, alſo auch 
ohne Gewährung eines Raumes oder einer Vertlichkeit. Teilnehmer an der 
Unzucht kann ſich nicht ftrafrechtlic an der Kuppelei zu diefer Unzucht beteiligen, 
weil e3 fi) immer um Suppelei zu fremder Unzucht handeln muß. 


Einzelne Verbrechen, Bergehen und lebertretungen und deren Beitrafung. 193 


Erſchwerte Kuppelei. 

$ 181. (,.) Die Kuppelei iſt, ſelbſt wenn fie weder gemwohnheits: 
mäßig noch aus Eigennuß betrieben wird, mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren 
zu bejtrafen, wenn 

1. um der Unzucht Vorſchub zu leiten, Hinterliftige Kunjtgriffe an— 
gewendet werden, oder 
2. der Schuldige zu der verfuppelten Berjon in dem Verhältniſſe des 

Ehemanns zur Ehefrau, von Eltern zu Kindern, von VBormündern 

zu Pflegebefohlenen, von Geiftlichen, Lehrern oder Erziehern zu 

den von ihnen zu unterrichtenden oder zu erziehenden Per— 
jonen jteht. 

Neben der Zuchthausftrafe iſt der Verlujt der bürgerlichen Ehrenrechte 
auszusprechen; auch fann zugleich auf Geldſtrafe von einhundertfünfzig bis zu 
jechstaufend Marf, ſowie auf Zuläjfigkeit von Polizei: Aufficht erfannt werden. 

Sind im Falle des Abi. 1 Nr. 2 mildernde Umjtände vorhanden, fo 
tritt Gefüngnißjtrafe ein, neben welcher auf Geldftrafe bis zu dreitaujend Mark 
erfannt werden fann. 

Hinterliftige Runftgriffe find planmäßige und heimliche, be= 
ſonders geſchickt ausgeführte Manipulationen oder auch ſchlaue Benugung 
gegebener Berhältniffee Eltern find auch die GStiefeltern und der Ehe: 
mann der außerehelihen Mlutter. Die verfuppelte Perfon muß zum Xäter 
in den bezeichneten Berhältniffen ftehen. Die verfuppelte Perſon fann auch 
der männliche Teil ſein, wenn z. B. eine Mutter ihrem großjährigen Sohne 


Gelegenheit zur Unzucht verſchafft. 
Zuhpälter, 
$ 18la. (L.) Eine männliche Perſon, welche von einer Frauensperjon, 


die gewerbsmäßig Unzucht treibt, unter Ausbeutung ihres unfittlichen Erwerbes 
ganz oder teilweile den Lebensunterhalt bezieht, oder welche einer jolchen 
Frauensperſon gewohnheitsmähig oder aus Eigennug in bezug auf die Aus: 
übung des unzüchtigen Gewerbes Schug gewährt oder jonit förderlich ijt 
(Zuhälter), wird mit Gefängnis nicht unter einem Monate bejtraft. | 
Sit der Zuhälter der Ehemann der Frauensperſon, oder hat der Zuhälter 
die Frauensperſon unter Anwendung von Gewalt oder Drohungen zur Aus— 
übung des unzüchtigen Gewerbes angehalten, jo tritt Gefängnisjtrafe nicht 
unter einem Jahre ein. 
Neben der Gefängnisjtrafe kann auf Verlujt der bürgerlichen Ehrenrechte, 
auf Zuläffigfeit von Bolizei-Aufjicht fowie auf Ueberweifung an die Landes— 
polizeibehörde mit den im $ 362 Abj. 3 und 4 vorgefehenen Folgen erfannt werden. 
13 


194 III. Straigefegbuch. — weiter Teil. 


$ 181a ift der fog. Zuhälterparagraph. Ausbeutung ift 
bewußte Ausnugung. Lebensunterhalt umfaßt die Mittel zu dem not- 
wendigen und nicht notwendigen Ausgaben für das tägliche Yeben, z.B. wenn 
die Dirne fortgefegt die Zehen für den Zuhälter beim Beſuche von Lokalen 
beftreitet. 


Berführung einer Unbefholtenen unter 16 Jahren. 
$ 182. (L) Wer ein unbejchoftenes Mädchen, welches das jechzehnte 
Lebensjahr nicht vollendet hat, zum Beiſchlafe verführt, wird mit Gefängnis 
bis zu einem Jahre bejtrait. 
Die Verfolgung tritt nur auf Antrag der Eltern oder des Vormundes 


der Verführten ein. 

Unbeſcholten ift das Mädchen, das fi im gefchlechtlicher Beziehung 
nichts hat zu jchulden kommen laſſen. Das Mädchen fann unfreiwillig ſchon 
den Beifchlaf erbuldet haben. Das Mädchen kann aud im Laufe der oft 
längere Zeit dauernden Berführung ſchon durch den PVerführer ſittlich ver: 
dorben worden fein; fie bleibt im Sinne des Gefeges für den Verführer nod) 
unbeſcholten. Verführer ift, wer den Willen des Mädchens fich zur ge- 
fchlechtlihen Befriedigung dienftbar gemacht hat. Der Beiſchlaf (mur Ver: 
einigung der Gefchlechtsteile ohne Entjungferung und Samenerguß) muß voll: 
zogen fein. Strafantrag kann Vater oder Mutter tellen. 


Oeffentlihes Aergernis durch unzüchtige Sandlung. 
$ 188. (L. bez. A.) Wer durch eine unzüchtige Handlung öffentlich 
ein Mergernis gibt, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren oder mit Geld: 
jtrafe bis zu fünfhundert Mark bejtraft. 
Neben der Gefängnisitrafe fann auf Verluft der bürgerlichen Ehrenrechte 


erfannt werden. 

Unzüdhtige Handlung iſt eine folde, welche gegen Scham 
und Sitte in gejchlechtlicher Beziehung verſtößt; auf Befriedigung der Ge— 
ſchlechtsluſt braucht fie nicht gerichtet zu fein. Entblößung der Gefchledts- 
teile Lediglich zum Urinieren ift unzüchtige Handlung nicht, wohl aber, wenn 
neben dem Urinieren die Entblößung gefondert — aus Lüfternheit oder Leber: 
mut — gewollt wird. Auch eine unzüchtige Yeußerung und Singen un— 
züchtiger Yieder find unzüchtige Handlung. Es muß durch die unzüchtige 
Handlung ein Aergernis gegeben worden fein, d. h. mindeſtens eine Perfon 
muß fittlihen Anftoß genommen haben, Das Aergerni® muß öffentlich 
gegeben, d. h. die umzüchtige Handlung fo vorgenommen werden, daß jeber 
hinzufommende Dritte fie wahrnehmen fann, 3. B. auf der Straße, am offenen 
Fenſter nad der Straße zu, in einem Hofe mit Fenftern anliegender Häujer, 
in einem öffentlichen Lokale. 


De 


Einzelne Verbrechen, Bergehen und Webertretungen und deren Beitrafung. 195 


Unzühtige Schriften ufw. 
8 184. (L) Mit Gefängnis bis zu einem Jahre und mit Geldſtrafe 


bis zu eintaufend Marf oder mit einer dieſer Strafen wird bejtraft, wer 


1. unzüchtige Schriften, Abbildungen oder Daritellungen feilhält, ver- 
fauft, verteilt, an Orten, welche dem Publikum zugänglich ſind, 
ausitellt oder anfchlägt, oder jonit verbreitet, fie zum Zwecke der 
Verbreitung heritellt oder zu demjelben Zwecke vorrätig hält, an- 
fündigt oder anpreift; 

2. unzüchtige Schriften, Abbildungen oder Darftellungen einer Perſon 
unter jechzehn Jahren gegen Entgelt überläßt oder anbietet; 

3. Gegenstände, die zu unzüchtigem Gebrauche beftimmt find, an 
Orten, welche dem Publikum zugänglicd) find, augjtellt oder jolche 
Gegenjtände dem Publikum anfündigt oder anpreift; 

4. Öffentliche Ankündigungen erläßt, welche dazu beſtimmt find, un— 
züchtigen Verkehr herbeizuführen. 

Neben der Gefängnisſtraſe kann auf Verluſt der bürgerlichen Ehrenrechte 


ſowie auf Zuläſſigkeit von Polizei-Aufſicht erkannt werden. 


Eine Schrift, Abbildung oder Darſtellung iſt unzüchtig, wenn ihr 
Gefaricharakter geeignet iſt, das Scham— und Sittlichkeitsgefühl in geſchlecht— 
licher Beziehung zu verletzen; gröbliche Verletzung wird nicht verlangt; es 
genügt Verletzung des normalen allgemeinen Gefühls für Scham und Sitte. 
Zwar nicht entfcheidend, vielfach aber ausfchlaggebend ift der Zwed der Schrift 
ufw., dem Sinnenfigel zu dienen. Art der Ausführung und der Verbreitung 
der Schrift ufw. jind zur Beurteilung mit heranzuziehen. Die Verfolgung 
rein fünftleriicher oder rein willenfchaftlicher bezw. erzieherifcher Zwede ſchließt 
die Unzüchtigfeit aus. Feilhalten iſt bereit halten zum Berfauf in einer 
dem PBublifum fichtbaren Weife. Anſchlagen iſt auch anfchreiben, anzeichnen, 
anmalen an eine Wand. Verbreiten heißt einem nicht geichloffenen Kreiſe 
des Publikums zugängig madıen Zu unzüdhtigem Gebraude be- 
ftimmte Gegenstände find z. B. Präfervativs, alfo ausſchließlich für 
den Geſchlechtsverkehr, aber auch zur Selbftbefriedigung oder Befriedigung 
unter Weibern beftimmte Gegenftände, nicht ſolche, welche auch zu Heilzweden 
oder Zweden der Gejundheit dienen, z. B. Sprigen zum Ausſpülen des weib- 
lichen Gefchlechtäteils. Deffentlihe Antündigungen zur Herbeiführung unzüd): 
tigen Verkehrs, 3. B. Inſerate zur Anbahnung außerehelichen Geſchlechtsverkehrs, 
Päderaftie und der ſog. lesbifchen Yiebe (Verkehr unter Weibern). 
$S 14a. (1. bez. A.) Wer Schriften, Abbildungen oder Darftellungen, 


welche, ohne unzüchtig zu fein, das Schamgefühl gröblich verlegen, einer Perſon 
unter jechzehn Jahren gegen Entgelt überläßt oder anbietet, wird mit Ge— 


13* 


* 


196 III. Strafgeſetzbuch. — Zweiter Teil. 


fängnis bis zu ſechs Monaten oder mit Geldſtrafe bis zu ſechshundert Mark 
beſtraft. | 
Schriften, Abbildungen oder Darftellungen find gemeint, die nicht gerade 
das Scham: und Sittlichfeitsgefühl im geichlechtlicher Beziehung verlegen, die 
aber doch bejonder8 voh und gemein oder unanftändig find. Gröbliche Ver: 
fegung ift eine befonders ſtarke Berlegung. 
unzũchtige Gerichtsverhandlungsberichte. 

8 184b. (L. bez. A.) Mit Geldſtrafe bis zu dreihundert Mark oder 
mit Gefängnis bis zu jech Monaten wird bejtraft, wer aus Gerichtäverhand- 
(ungen, für welche wegen Gefährdung der Eittlichfeit die Deffentlichfeit aus— 
geichloffen war, oder aus den diejen Verhandlungen zu grunde liegenden 
amtlichen Echriftitüden öffentlich Mitteilungen macht, welche geeignet find, 
Hergernis zu erregen. 

Hier genügt, daß die Mitteilung geeignet iſt, Anitoß zu erregen. Wirklich 

Anftoß braucht nicht genommen worden zu fein. 


14. Abſchnitt. 


Beleidigung. 
Beleidigung. 

8 185. (L. bez. A) Die Beleidigung wird mit Gelditrafe bis zu 
jechshundert Mark oder mit Haft oder mit Gefängnis bis zu einem Jahre 
und, wenn die Beleidigung mittel® einer Tätlichfeit begangen wird, mit Geld: 
jtrafe bis zu eintaufendfünfhundert Mark oder mit Gefängnis bis zu zwei 
Jahren beitraft. 

Beleidigung im Sinne von $ 185 ift die vorjägliche unberechtigte 
Kundgebung gegen die Ehre, d. i. die äußere Achtung, auf welche der lebende 
Menſch Anſpruch hat. Die Kundgebung kann in Worten, fchriftlich, mündlich 
und gefungen, in Geften und Geberden, z. B. durch Ausipuden, in Tönen, 
geſungen, gepfiffen, auf einem Inſtrument geipielt („Du bift verrüdt, mein 
Kind") und in Handlungen (Illumination beim Auszuge eines mißliebigen 
Mieters) beſtehen. Der Täter muß dieie Kundgebung wollen; fahrläflige 
Beleidigung (Ausipuden vor einer Perſon, der dasſelbe gar nicht gelten fol) 
ausgejchloffen. Der Täter muß willen oder die Möglichkeit erwägen, daß 
jeine Rundgebung die Ehre eines anderen verlegt. Die Abficht zu beleidigen 
wird zur Strafbarkeit nicht erfordert. Der Täter muß willen, daß er zu 
feiner Kundgebung fein Net hat. Im allgemeinen gibt es überhaupt fein 
Recht, die Ehre eines anderen zu verlegen; nur unter befonderen Umftänden 
räumt das Geſetz ſelbſt ein folches Recht ein. Die Beleidigung iſt vollendet, 
wenn ein andrer, der nicht notwendig der Beleidigte ſelbſt zu fein braucht, 


Einzelne Verbrechen, Vergehen und Webertretungen und deren Beitrafung. 197 


— —⸗— — 


Kenntnis erhalten hat. Der Täter muß eine ſolche Kenntnisnahme bezwecken 


oder als möglich vorausſehen. Der Beleidigte, z. B. ein Kind, ein Geiſtes— 
kranker, braucht fein Verſtändnis für die Ehrverletzung zu haben. Eine Ohr: 
feige ift Körperverlegung, wenn Schmerz, ifl Beleidigung, wenn Ehrverlegung 
zugefügt werden fol. Was ehrverlegend ift, ift im einzelnen Falle zu ent: 
ſcheiden. Hierüber enticheiden Sitten, Gebräude und Anſchauungen der Ge- 
ſellſchaftskreiſe. 
Ueble Nachrede. 
$ 186. (L.bez. A.) Wer in Beziehung auf einen anderen eine Tatſache 
behauptet oder verbreitet, welche denjelben verächtlich zu machen oder in der 
öffentlichen Meinung herabzumwürdigen geeignet ijt, wird, wenn nicht dieſe 
Tatjache erweislid; wahr ift, wegen Beleidigung mit Geldjirafe bis zu ſechs— 
Hundert Marf oder mit Haft oder mit Gefängnis bis zu einem Jahre und, 
wenn die Beleidigung öffentlih oder durch Verbreitung von Schriften, 
Abbildungen oder Darftellungen begangen ijt, mit Gelditrafe bis zu eintaufend- 
fünfhundert Mark oder mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bejtraft. 

Im Gegenfage zu $ 185 wird in $ 186 die Behauptung einer 
beftimmten Tatfade, wozu auch Urteile und Anfichten zu rechnen find, be: 
ftraft, welche gegenüber anderen Perfonen, vieleicht im Beifein aud des 
Berlegten, in ‚Beziehung auf diefen erfolge. Wer eine chrenrührige Tatfache 
behauptet, muß ſie nach dem Sinne des Geſetzgebers auch beweijen können. 
Berjagt aus irgend welchen von ihm auch nicht verfchuldeten Gründen, 3. B- 
durch den Tod von Zeugen, der Beweis, jo muß er Strafe leiden. Der 
geiunde Gedanke des Gefepgebers ift, vor übereilter und vor überhaupt jeder 
ehrenrührigen Behauptung zu warnen. Auch der gute Glaube an die Wahr: 
heit der Tatſache macht nicht ftraflos. Strafbar aud, wer chrenrührige Ge: 
rüchte al3 ſolche behauptet und verbreitet. Behauptung einer beſtimmten ehr 
(ofen Gelinnung ift Behauptung einer Tatſache. Der Täter behauptet eine 
Tatiache, wenn er fie als feine Anficht aufjtellt, er verbreitet fie, wenn cr 
fie als ihm gewordene Mitteilung andern weiter gibt. Im Übrigen die Vor: 
ausjegungen wie bei $ 185. Es muß irgend eine Perjon Kenntnis ge— 
nommen haben ujw. Was verähtlihd madıt und in der Öffentlichen 
Meinung herabwürdigt, it im Einzelfalle zu enticheiden. 


Berleumderiihe Beleidigung. 
s 187. (L. bez. A.) Wer wider beſſeres Wiſſen in Beziehung auf 
einen anderen eine unwahre Tatjache behauptet oder verbreitet, welche deu: 
jelben verächtlich zu machen oder in der Öffentlichen Meinung herabzumürdigen 
oder dejjen Kredit zu gefährden geeignet ijt, wird wegen verleumderischer 
Beleidigung mit Gefängnis bis zu zwei Jahren und, wenn die Verleumdung 


198 II. Strafgefegbud. — Zweiter Teil. 


öffentlich oder durch Verbreitung von Schriften, Abbildungen oder Darjtellungen 
begangen ijt, mit Gefängnis nicht unter einem Monat bejtraft. 

Sind mildernde Umjtände vorhanden, jo fann die Strafe bis auf einen 
Tag Gefängnis ermäßigt, oder auf Geldjtrafe bis zu neunhundert Mark 
erfannt werden. 


Hier muß der Täter beftimmt willen, daß die behauptete ober verbreitete 
Tatſache nicht wahr ift. Die bloße Erwägung, fie könne möglicherweife nicht 
wahr fein, genügt nit. Dem Täter muß bewiefen werden, daß die Tat- 
ſache nicht wahr ift und er dies gewußt hat. „Kredit ift das Vertrauen, 
welches eine Perfon Hinfihtlich der Erfüllung ihrer vermögensrechtlichen Ver— 
bindfichkeiten genießt". Kredit gefährdend ift die Tatfache, welche diejes 
Bertrauen beeinträchtigt. Während im übrigen eine Firma nicht, nur ihr 
Inhaber, beleidigt werden kann, können Aktien» und Handelsgefellichaft wegen 
verleumderifcher Kreditgefährdung Magen. 


Buße. 
$ 188. Im den Fällen der 88 186 und 187 kann auf Verlangen des 
Beleidigten, wenn die Beleidigung nachteilige Folgen für die Vermögens 
verhältnifje, den Erwerb oder das Fortkommen des Beleidigten mit fich bringt, 
neben der Strafe auf eine an den Beleidigten zur erlegende Buße bis zum 
Betrage von jechstaujend Mark erfannt werden. 
Eine erfannte Buße ſchließt die Geltendmachung eines weiteren Ent: 
jchädigungsanfpruches aus. 
Die Buße iſt feine Strafe, fondern eine privatrechtliche Entſchädigung. 


Andenfen des Berftorbenen. 
$ 189. (L. bez. A.) Wer das Andenken eines VBerjtorbenen dadurch 
bejchimpft, daß er wider beſſeres Wiſſen eine unmwahre Tatjache behauptet oder 
verbreitet, welche denſelben bei jeinen Lebzeiten verächtlic; zu machen oder in 
der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen geeignet geivejen wäre, wird mit 
Gefängnis bis zu ſechs Monaten bejtraft. 
Sind mildernde Umftände vorhanden, jo kann auf Gelditrafe bis zu 
neunhundert Mark erkannt werden. 
Die Verfolgung tritt nur auf Antrag der Eltern, der Kinder oder des 
Ehegatten des Verjtorbenen ein. 
Berftorbene können im übrigen ftrafrechtlich nicht beleidigt werden, weil 


die Ehre als äußere Achtung nur dem Lebenden zufommt. Das berechtigte 
religiöie Gefühl soll geichügt werden, mit welcdem der Weberlebende jeines 


—— ——— 


FIT TE 


Einzelne Verbrechen, Bergehen und Webertretungen und deren Beltrafung. 199 


veritorbenen Vaters, jeiner Mutter, ſeines Kindes oder jeined Ehegatten 

gedenft. Im übrigen ſ. $ 186. 

Wahrheitöbeweis bei Behauptung ftrafdarer Sandlung. 

s 190. Sit die behauptete oder verbreitete Tatjache eine ftrafbare 
Handlung, jo ijt der Beweis der Wahrheit als erbracht anzujehen, wenn der 
Beleidigte wegen diefer Handlung rechtskräftig verurteilt worden ijt. Der 
Beweis der Wahrheit ift dagegen ausgejchloffen, wenn der Beletdigte wegen 
diefer Handlung vor der Behauptung oder Verbreitung rechtäfräftig frei- 
gejprochen worden iſt. 

s 191. it wegen der jtrafbaren Handlung zum Pwede der Herbei- 
führung eines Strafverfahrens bei der Behörde Anzeige gemacht, jo ift bis 
zu dem Bejchluffe, daß die Eröfiming der Unterſuchung nicht ftattfinde, oder 
bis zur Beendigung der ceingeleiteten Unterfuchung mit dem Verfahren und 
der Entjcheidung über die Beleidigung inne zu halten. 

Inzwiichen ruht die Verjährung ($ 69). 
Strafbarfeit bei gelungenem Wahrheitöbeweis. 
$ 192. Der Beweis der Wahrheit der behaupteten oder verbreiteten 
Tatjache fchließt die Beftrafung nach Vorjchrift des $ 185 nicht aus, wen 
das Vorhandenjein einer Beleidigung aus der Form der Behauptung oder 
Verbreitung oder aus den Umftänden, unter welchen fie geichah, hervorgeht. 
Wer den Nachweis einer behaupteten oder verbreiteten ehrenrührigen 

Tatſache erbringt, kann zwar nicht aus $ 186, er joll aber gleichwohl aus 

$ 185 wegen Beleidigung beftraft werden, wenn er die direkte Abſicht, 

zu beleidigen, hatte. Dieſe Abficht wird geichloffen aus der Form, 3. B. den 

Wortlaute, dem Tonfall, der Gefte bei der Aeußerung, oder aus den Um— 

ftänden, welche die Behauptung begleiten, 3. B. aus der ganzen Situation, 

dem periönlichen Verhältniſſe dev Parteien uw. 
Wahrnehmung beredhtigter Intereffen uſw. 

s 193. Tadelnde Urteile über wijjenjchaftliche, fünjtlerifche oder gewerb: 
liche Leiftungen, ingleichen Aeußerungen, welche zur Ausführung oder Ver— 
teidigung von Rechten oder zur Wahrnehmung berechtigter Interejien gemacht 
werden, jowie Vorhaltungen und Rügen der Vorgeſetzten gegen ihre Unter: 
gebenen, dienjtliche Anzeigen oder Urteile von jeiten eine3 Beamten und 
ähnliche Fälle find nur injofern jtrafbar, als das Vorhandenfein einer 
Beleidigung aus der Form der Meuherung oder aus den Umſtänden, unter 
welchen jie geſchah, hervorgeht. 

Auch im Falle des $ 193 muß die direkte Abjicht, zw beleidigen, 
aus der Form oder den Umitänden bewieien werden. Das bloße Bewußtiein, 


200 III. Strafgejegbuch. — Zweiter Teil. 


eine Aeußerung jei ehrverlegend, genügt hier ebeniowenig wie in $ 192, 

Eine Heußerung zur Ausführung oder Berteidigung von Redten 

liegt 3. B. vor, wenn der im Wlimentenprozeile Bellagte behauptet, die 

Klägerin habe mit einem andern, einem Ehemann, geichlechtlich verkehrt. Be: 

rechtigte Intereffen find solche, deren Wahrnehmung das Recht erlaubt. Die 

Aeußerung muß gerade den Zweck haben, Rechte auszuführen und zu ver: 

teidigen oder berechtigte Intereſſen zu ichügen. Die berechtigten Intereſſen 

fünnen eigene und fremde fein; zur Wahrnehmung fremder Interefien muß 

aber der Aeußernde wieder ein eigenes berechtigtes Intereffe haben. Daher 

fein allgemeines Recht der Preffe, vermeintliche Uebelftände zu rügen. 
Strafantrag. 

$ 194. Die Verfolgung einer Beleidigung tritt nur auf Antrag ein. 
Die Zurüdnahme des Antrages (88 185 bis 193) iſt zuläffig. 

„Antrag”, regelmäßig nur des DVerlegten, Beleidigten oder des Ber: 
treterö (vergl. aber $$ 189, 195, 196, 197). 

Antrag des Ehemanns. 

$s 195. Sit eine Ehefrau beleidigt worden, jo hat jowohl fie als ihr 
Ehemann das Recht, auf Beftrafung anzutragen. 

Antragsberehtigt ift der Ehemann auch nad inzwischen erfolgtem Tode 
der Ehefrau. 

Antrag des Vorgeſetzten. 

$ 1%. Wenn die Beleidigung gegen eine Behörde, einen Beamten, 
einen Religionsdiener oder ein Mitglied der bewaffneten Macht, während fie 
in der Ausübung ihres Berufes begriffen jind, oder in Beziehung auf ihren 
Beruf begangen iſt, jo Haben außer den unmittelbar Beteiligten auch deren 
amtliche Vorgejegte das Recht, den Strafantrag zu ftellen. 

In Beziehung auf den Beruf, d.h. Gegenfiand oder Grundlage 
der Beleidigung muß eine amtliche Tätigkeit fein; auferamtliches Verhalten 
gehört nicht hierher, 

Ermädtigung beleidigter Körperſchaft. 

s 197. (L.) Eines Antrages bedarf es nicht, wenn die Beleidigung 
gegen eine gejeggebende Verfammlung des Reichs oder eines Bundesſtaats, 
oder gegen eine andere politijche Körperfchaft begangen worden ift. Diejelbe 
darf jedoch nur mit Ermächtigung der beleidigten Körperjchaft verfolgt werden. 

Wechſelſeitige Beleidigungen. 

$ 198. Sit bei wechjeljeitigen Beleidigungen von einem Zeile auf 
Beitrafung angetragen worden, jo iſt der andere Teil bei Verluft jeines 
Nechts verpflichtet, den Antrag auf Beitrafung ſpäteſtens vor Schluß der 


Einzelne Verbrechen, Vergehen und Uebertretungen und deren Beitrafung. 201 


Verhandlung in erjter Inſtanz zu ftellen, hierzu aber auch dann berechtigt, 
wenn zu jenem Zeitpunfte die dreimonatliche Friſt bereits abgelaufen ift. 
Wechſelſeitige Beleidigungen find micht bloß die auf der 
Stelle erwiderten oder jolche, welche einen tat: oder urjächlichen Zuſammen— 
hang haben, wechieljeitige jind alle Beleidigungen zwiſchen zwei Berjonen 
herüber und hinüber. 
Grwiderung auf der Stelle. 


8 199. Wenn eine Beleidigung auf der Stelle erwidert wird, jo kann 
der Nichter beide Beleidiger oder einen derjelben für ftraffrei erffären. 

Eine Beleidigung wird auf der Stelle erwidert, nit an Ort 
und Stelle, jondern jobald der zuerſt Beleidigte Kenntnis von der erlittenen 
Beleidigung erhält, alio noch unter der Gemütsbewegung der Beleidigung 
fteht. Deshalb ift auch Aufrechnung von Beleidigungen nur zwiichen den— 
jelben Berfonen möglich. 

Publitationsbefugnis. 
$ 200. Wird wegen einer öffentlich oder durch Verbreitung von 
Schriften, Darjtellungen oder Abbildungen begangenen Beleidigung auf Strafe 
erfannt, jo iſt zugleich dem Beleidigten die Befugnis zuzufprechen, die Ver: 
urteilung auf Kojten des Schuldigen öffentlich befannt zu machen. Die Art 
der Belanntmahung, fowie die Friſt zu Dderjelben ift in dem Urteile zu 
bejtimmen. 

Erfolgte die Beleidigung in einer Zeitung oder Zeitjchrift, jo it der 
verfügende Teil des Urteils auf Antrag de3 Beleidigten durch die öffentlichen 
Blätter befannt zu machen, und zwar wenn möglich durch diejelbe Zeitung 
oder Beitfchrift und in demfelben Teile und mit derjelben Schrift, wie der 
Abdrud der Beleidigung gejchehen. 

Dem Beleidigten ift auf Koſten des Schuldigen eine Ausfertigung des 
Urteil zu erteilen. 


15. Abſchnitt. 
Zweikampf. 
Serausforderung. 


$ 201. (L.) Die Herausforderung zum Zweifampf mit tödlichen 
Waffen, fowie die Annahme einer folchen Herausforderung wird mit Feſtungs— 
haft big zu ſechs Monaten beitraft. 

Zweikampf ift ein verabredeter ernitliher Kampf zweier Perjonen 
mit tödlichen Waffen nach beftimmten Regeln. Tödlihe Waffe ift aud 
der geichliffene Schläger der Studenten, ſelbſt bei Anwendung von Schuß- 
borrichtungen. - Die Herausforderung muß eine ernftliche fein. 


—— | |— — - 


202 Ill. Strafgeiegbuch. — Zweiter Teil. 


s 202. (L.) Feſtungshaft von zwei Monaten bis zu zwei Jahren 
tritt ein, wenn bei der Herausforderung die Abjicht, daß einer von beiden Teilen 
das Leben verlieren joll, entweder ausgefprochen ift oder aus der gewählten 
Art des Zweifampfs erhellt. 


Startellträger. 

$ 203. (L.) Diejenigen, welche den Auftrag zu einer Herausforderung 
übernehmen und ausrichten (Kartellträger), werden mit Feſtungshaft bis zu 
ſechs Monaten beitraft. 

Straflofigkeit. 

$ 204. Die Strafe der Herausforderung und der Annahme derjelben, 
jowie die Strafe der Startellträger fällt weg, wenn die Parteien den Zweikampf 
vor dejien Beginn freiwillig aufgegeben haben. 

Der Zweikampf hat begonnen, wenn ſich die Gegner gejtellt haben und 
einer derjelben eine kämpfende Tätigkeit entfaltet hat. Die Aufgabe muß, eine 
freiwillige jein, nicht alfo infolge von Störung durch Polizei. 

Zweitampf. 

S 205. (L.) Der Zweifampf wird mit Feſtungshaft von drei Monaten 
bis zu fünf Jahren beitraft. 

„Beihülfe“ ift möglich auch duch Mitwirfung bei einem Ehrengericht, 
welches lediglich über die Waffen zu beftimmen hat. Zweikampf liegt nicht 
vor, wenn beide Teile abſichtlich fehlichießen. 

Zötung im Zweifampf. 

$ 206. (Sw.) Wer jeinen Gegner im Zweikampf tötet, wird mit 
Feſtungshaft nicht unter zwei Jahren, und wenn der Zweifampf ein jolcher 
war, welcher den Tod des einen von beiden herbeiführen jollte, mit Zeitungs» 
haft nicht unter drei Jahren beitraft. 

Mebertretung der Rampfesregeln. 

Ss 207. Iſt eine Tötung oder Körperverlegung mittels vorjäglicher 
llebertretung der vereinbarten oder hergebrachten Regeln des Zweifampfes 
bewirkt worden, jo iſt der Uebertreter, ſofern nicht nach den vorhergehenden 
Beltimmungen eine härtere Strafe verwirkt ift, nach den allgemeinen Vor: 
ichriften über das Verbrechen der Tötung oder der örperverlegung zu beftrafen. 


Zweifampf ohne Sefundanten. 
$ 208. (Sw.) Sat der Zweikampf ohne Sefundanten ftattgefunden, 
jo fann die verwirfte Strafe bis um die Hälfte, jedoch nicht über fünfzehn 
Jahre erhöht werden. 





Einzelne Verbrechen, Vergehen und Lebertretungen und deren Beitrafung. 203 


Der Sekundant leiftet bei Austragung des Zweikampfes Beiftand 
und jichert beim Kampfe die Beobadhtung der verabredeten oder hergebrachten 
Kampfregeln. 

Straflofigteit. 
$ 209. SKartellträger, welche ernjtlich bemüht gemwejen find, den Zwei: 
fampf zu verhindern, Sefundanten, jowie zum Zweikampf zugezogene Zeugen. 
Aerzte und Wundärzte ſind ſtraflos. 

Kartellträger: $ 203. Die Strafloſigkeit der Sekundanten und 
Zeugen erfcheint nicht gerechtfertigt. 

YAnreizung zum Zweitampf. 

8 210. (L.) Wer einen anderen zum Zweikampf mit einem Dritten 
abjichtlich, infonderheit durch Bezeigung oder Androhung von Verachtung an: 
reizt, wird, fall3 der Zweikampf jtattgefunden hat, mit Gefängnis nicht unter 
drei Monaten beitraft. 


Täter fann alfo nicht der Gegner, fondern nur ein Dritter fein; der 
Gegner kann aber anitiften. 


16. Abſchnitt. 


Verbrechen und Bergehen wider das Leben. 
Mord. 

s 211. (Sw.) Wer vorfäglich einen Menjchen tötet, wird, wenn er 
die Tötung mit leberlegung ausgeführt hat, wegen Mordes mit dem Tode beitraft. 
Der Mörder muß wollen, daß der andere jein Leben verliere, und die 
tötende Handlung mit Ueberlegung ausführen. Die feelifche Erregung, welde 
den Täter in der Regel vor der Tat befällt und ſich oft während der Aus- 
führung der Tat jteigert, ift mit der vom Geſetze geforderten Ueberlegung 
vereinbar. Die Ueberlegung kann ausgefchlojfen fein, obwohl zwifchen Ent: 
ſchluß zur Tat und ihrer Ausführung ein längerer Zeitraum liegt; Ueber: 
legung kann vorhanden fein, obwohl die Ausführung der Tat dem Entjchluffe 
fchnell folgt. Die Ueberlegung wird vor alem ausgefchloffen dur Affelte, 
welche plötzlich und heftig auftreten: Haß, Liebe, Nahe, Zorn, Wut, 
Furcht, Scham, Beltürzung. Außer den plöglicen und heftigen Affelten 
fönnen auch die jogenannten deprimierenden Affelte die Ueberlegung aus: 
Schließen. „Insbefondere fommt es bei deprimierenden Affekten vor, daß fie 
nadı und nad den Täter in einen Zuſtand verfegen, welcher die Ueber— 
fegung ausfchließt und die anicheinend aus einen völlig ruhigen Entſchluſſe 
hervorgegangene Tat als ein Zeugnis tiefer Verzweiflung charalterifiert" 
(von Schwarze, Strafgefegbud). Man veriteht unter Weberlegung „diejenige 
ruhige Beritandestätigfeit, welche nicht nur auf das Verhältnis der für die 


204 III. Straigefepbud. — Zweiter Teil. 


Tötung anzumwendenden Mittel zum Erfolge, die Art ihres zwedmäßigen Ge— 
brauces und die Bejeitigung der entgegenftehenden Hinderniſſe, fondern 
namentlich auch über die Tat hinaus auf die Folgen und Zwede ber Aus: 
führung ſich richtet“. (Olshauſen, Kommentar). Dieje „Ueberlegung” muß 
bei der Ausführung der Tat vorhanden jein. Leidenfchaft und andere Affelte 
fönnen, aber müffen fie nicht ausschließen. Der Plan zu einem Morde kann 
niit Falter Ueberlegung gefaßt und für einen bejtimmten Zeitpunft fejtgeiegt 
jein; da tritt dem Täter das verhaßte Opfer vorher zufällig und unvermutet 
in den Weg. Der Täter vergißt feinen Plan und läßt fi im Affekt hin— 
reißen, den Gegner jofort zu töten: dieſe Tötung iſt nicht mir Weberlegung 
ausgeführt, weil jie völlig vom Affekte beherricht ift. Die Ueberlegung 
kann weiter ausgeſchloſſen fein durch moralifhe und geiftige Mlinderwertigfeit 
des Täters, welde ihn die Rechtswidrigkeit und Strafbarfeit feines Tuns 
nicht voll erfennen laffen. Bei ſolchen Minderwertigen erhöhen jchon geringere 
Affefte den angeborenen Mangel an Ueberlegung. 

Auf den vollendeten Mord fteht nur die Todesſtrafe. Es ijt befannt, 
daß die Todesftrafe viele Gegner hat. Dem Staate das Recht beftreiten zu 
wollen, feine Untertanen mit der Todesſtrafe zu belegen, erſcheint müßig. 
Auh vom ethiichen Standpunkte aus ift fie zu rechtfertigen. Es gibt Mord: 
taten, deren Urheber aus der Reihe der Lebenden zu tilgen if. Die Seelen: 
jtrafe bis zu ihrem Vollzuge ift oft geringer als die beim Antritte der im 
Gnadenwege gewährten lebenslänglihen Zucthausftrafe, ſelbſt wenn hierbei 
die Hoffnung beiteht, in SO Jahren die Freiheit wieder zu erlangen. Aber 
neben der Todesſtrafe müßte auf Mord mohlweife eine längere Zuchthaus: 
jtrafe angedroht fein. Es gibt Mordtaten, für welche die Todesftrafe zu 
hart erfcheint. Ueber dieſen Mangel fett der Umſtand nicht hinweg, daß der 
Landesherr ſich erft ſchlüſſig zu machen hat, ob ein Todesurteil vollſtreckt 
werden joll. 

Totſchlag uſw. 
$ 212. (Sw.) Wer vorſätzlich einen Menſchen tötet, wird, wenn er die 
Tötung nicht mit Ueberlegung ausgeführt hat, wegen Totjchlages mit Zucht: 
haus nicht unter fünf Jahren bejtraft. 

Derjelbe Tatbeftand wie bei S 211, nur daß die Ausführung ohne 
„Ueberlegung” erfolgt. Wegen der Ueberlegung ſ. $ 211. Es kommen alio 
vor allem Tötungen im Affelt, in der Aufwallung, in der Verzweiflung in 
betracht, wenn diefe Gemütszuftände die „Ueberlegung“ ausſchließen. 

Zotihlag auf der Stelle uſw. 
$ 213. (Sw.) War der Totjchläger ohne eigene Schuld durch eine ihm 
oder einem Angehörigen zugefügte Mißhandlung oder jchwere Beleidigung von 
dem Getöteten zum Zorne gereizt und hierdurch auf der Stelle zur Tat hin» 


Einzelne Verbrechen, Bergehen und Uebertretungen und deren Beitrafung. 205 


gerifjen worden, oder jind andere milderne Umſtände vorhanden, jo tritt Ge— 
fängnisjtrafe nicht unter ſechs Monaten ein. 

8 213 bezieht ſich mur auf 8 212 und jegt bejondere Fälle 
der nicht mit Ueberlegung ausgeführten vorjäglihen Tötung unter mildere 
Strafe. Ohne eigene Schuld ift der Täter gereizt worden, wenn er zu 
den Mifhandlungen oder fchweren Beleidigungen (ſchwere innere Kränkungen), 
die fich nicht notwendig gegen feine eigene Perſon zu richten brauchen, feinen 
hinreichenden Anlaß gegeben hat. Auf der Stelle ift aud hier nicht 
gleichbedeutend mit „an Ort und Stelle". Der Täter muß nur nod unter 
dem Einfluffe des durch die Mißhandlungen oder jchweren Beleidigungen 
hervorgerufenen hochgradigen Affektes ftehen. Im übrigen kommen ftrafmindernd 
mildernde Umſtände aller Art (j. 8 81) in Betradt. 

Tolſchlag bei anderer Straftat. 
s 214. (Sw.) Wer bei Unternehmung einer jtrafbaren Handlung, um 
ein der Ausführung derjelben entgegentretendes Hindernis zu bejeitigen oder 
um fich der Ergreifung auf frifcher Tat zu entziehen, vorfäglich einen Menjchen 
tötet, wird mit Zuchthaus nicht unter zehn Jahren oder mit lebenslänglichem 
Zuchthaus beitraft. 

Auch 8 214 nimmt nur einen befonderen Fall von $ 212, einer nicht 
mit Ueberlegung ausgeführten Tötung, an, der aber mit erhöhter Strafe be- 
droht wird. Unternehmung ift bier jede Handlung, durch welde die 
Abficht, eine Straftat zu begehen, offenbar wird. 

Aszendententotſchlag. 
$ 215. (Sw.) Der Totſchlag an cinem Verwandten aufſteigender Linie 
wird mit Zuchthaus nicht unter zehn Jahren oder mit febenslänglichem Zucht— 
haus beitraft. 

Der Teilnehmer an dem Verbrechen von $ 215 iſt nad $ 212 zu 

beitrajen, wenn für ihn der Getötete fein Verwandter auffteigender Yinie ift; 


dies folgt aus SS 50, 52. 
Zötung auf Berlangen. 


$ 216. (L.) Iſt Iemand durd) das ausdrüdliche und ernftliche Ver— 
langen des Getöteten zur Tötung bejtimmt worden, jo ijt auf Gefängnis nicht 
unter drei Jahren zu erfennen. 
Die Tötung muß ernftlih und ausdrüdlid, d. h. mit Worten oder un- 
zweideutigen Geberden, verlangt werden; bloße Einwilligung des Getöteten 


genügt nicht. 
Kindeömord. 


$ 217. (Sw.) Eine Mutter, welche ihr umeheliches Kind in oder gleich 
nach der Geburt vorfäglich tötet, wird mit Zuchthaus nicht unter drei Jahren 
beitraft. 


206 III. Strafgeſetzbuch. — Zweiter Teil. 


Sind mildernde Umftände vorhanden, jo tritt Gefängnisitrafe nicht unter 
zwei Jahren ein. 

Kind iſt die Leibesfruht aud nch im Mutterleibe, von den erjten 
Anfängen des Geburtsaftes an. Unter mildere Strafe ift die Tat geftellt, 
weil die Gemütserregung, in weldhe der Geburtäaft eine Gebärende, zumal 
wegen der ihr umd ihrem Kinde drohenden Schaude die außerehelich Gebärende, 
verjegt, berüdjichtigt werden fol. Welchen Zeitraum der Begriff „gleich nad) 
der Geburt” umfaßt, ift alfo Frage des einzelnen Falles; es kommt eben 
darauf an, ob die vorjägliche Tötung noch unter der Einwirkung der erwähnten 
Gemütsbewegung erfolgt ift. Die Tötung muß vorfäglich, d. h. bewußtermaßen 
gewollt fein. Die Teilnehmer zu $ 217 find nach $ 211 oder 212 zu beftrafen. 
Dies folgt aus $ 50. 

Abtreibung. 

$ 218. (L) Eine Schwangere, welche ihre Frucht vorjäglich abtreibt 
oder im Mutterleibe tötet, wird mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren beitrait. 

Sind mildernde Umstände vorhanden, jo tritt Gefängnisitrafe nicht unter 
jechs Monaten ein. 

Dieſelben Strafvorjchriften finden auf denjenigen Anwendung, welcher 
mit Eimvilligung der Schwangeren die Mittel zu der Abtreibung oder Tötung 
bei ihr angewendet oder ihr beigebracht hat. 

8 218 jegt die abſichtliche Tötung einer Leibesfrucht durch Bewirken 
vorzeitigen Abgangs oder im Mutterleibe unter Strafe. Verſuch diejes Ber: 
brechens liegt z.B. vor, wenn die Schwangere das Abtreibungsmittel bereits 
in den Mund genommen hat. Abjag 3 fegt voraus, daß der Erfolg ber 
Abtreibung oder Tötung wirklich eingetreten ift; ein Verſuch iſt alfo infoweit 
nicht denkbar. 

s 219. (Sw.) Dit Zuchthaus bis zu zehn Jahren wird bejtrait, wer 
einer Schwangeren, welche ihre Frucht abgetrieben oder getötet hat, gegen Ent- 
gelt die Mittel hierzu verschafft, bei ihr angewendet oder ihr beigebracht hat. 

S 219 jegt wie $ 218 A. 3 vollendete Abtreibung oder Tötung voraus, 
aber nicht notwendig, daß die Schwangere als Täterin oder Gehülfin dabei 
ftrafbar if. Entgelt ift nicht motwendig bares Geld, fjondern jeder Ber: 
mögensvorteil. 

s 220. (Sw.) Wer die Leibesfrucht einer Schwangeren ohne deren 
Wiſſen oder Willen vorjäglich abtreibt oder tötet, wird mit Zuchthaus nicht 
unter zwei Jahren bejtraft. 

Sit durch die Handlung der Tod der Schwangeren verurjacht worden 
jo tritt Zuchthausſtrafe nicht unter zehn Jahren oder lebenslängliche Zuchthaus 
jtrafe ein. 


Einzelne Verbrechen, Vergehen und Uebertretungen und deren Beitrafung. 207 


Ausſetzung uſw. 

8 221. (L) Wer eine wegen jugendlichen Alters, Gebrechlichkeit oder 
Krankheit hülflofe Perion ausjegt, oder wer eine ſolche Perſon, wenn diefelbe 
unter feiner Obhut fteht oder wenn er für die Unterbringung, Fortſchaffung 
oder Aufnahme derjelben zu ſorgen hat, in hülflofer Weiſe vorfäglich ver: 
läßt, wird mit Gefängnis nicht unter drei Monaten bejtraft. 

Wird die Handlung von leiblichen Eltern gegen ihr Kind begangen, jo 
tritt Gefängnisstrafe nicht unter ſechs Monaten ein. 

(Sw.) Iſt durd) die Handlung cine jchwere Körperverlegung der aus: 
gejegten oder verlafienen Perfon verurjacht worden, jo tritt Zuchthausitrafe 
bis zu zehn Jahren und, wenn durch die Handlung der Tod verurjacht 
worden ilt, Zuchthausitrafe nicht unter drei Jahren ein. 

Hülflos ift eine Perfon zufolge Jugend, Gebrechlichkeit oder Krank: 
heit (auch fchwere Trunkenheit), wenn fie im Zuſtande der Hülfsbedürftigfeit 
fi befindet. Bei der Ausſetzung wird eime ſolche Perfon durd eine 
pofitive Handlung in den Zuftand der Hülflofigkeit verfegt, in dem fie, wie 
der Täter erfennt, ohne vettenden Zufall an Leben oder Gefundheit Gefahr 
feidet. In hülflofer Rage wird eine Perfon verlaflen, wenn fie durd) 
räumliche Trennung einem Zufall überlaffen wird. Obhut it ein nicht nur 
rein moralifche3 over rein faktifches, fondern rein rechtliches Verhältnis, zu: 
folge deffen der Täter für den Schug des Hülflofen zu forgen hat; diefelben 
Borausfegungen werden für die Verpflichtung zur Sorge für Unterbringung, 
Fortihaffung oder Aufnahme erfordert; es iſt nicht notwendig, daß der Täter 
vertragsmäßig verpflichtet ift, er kann die Verpflichtung freiwillig bezw. aus 
MWohlwollen übernommen haben. Eine „ſchwere“ Körperverlegung it 
eine foldhe im Sinne von $ 224. 

Frahrläffige Tötung. 
$ 222. (L) Wer dur Fahrläfjigfeit den Tod eines Menſchen ver: 
urjacht, wird mit Gefängnis bis zu drei Jahren bejtraft. 

Wenn der Täter zu der Aufmerkjamfeit, welche er aus den Augen jekte, 
vermöge jeines Amtes, Berufes oder Gewerbes bejonders verpflichtet war, jo 
fann die Strafe bis auf fünf Jahre Gefängnis erhöht werden. 

Fahrläffigkeit ſ. $ 121. Menſch ift jchon das Kind mit 
dem Beginne der Geburt. Die Fahrläffigkeit des Täters braucht nicht die 
ausfchließliche Urfache der Tötung zu fein, fie muß aber diefen Erfolg mit 
verurfacht haben, aber nicht einmal notwendigerweife hauptſächlich mit ver- 
urfacht haben. Amt ift nit im Sinne von $ 359 gemeint; aud) 
Privatverhältnis, wenn die Gefchäfte im gewöhnlichen Leben als Amtsgefchäfte 
bezeichnet werden. Beruf ift felbftgewählte, dauernde und mit einer ge 


208 I. Straigejegbuch. — Zweiter Teil. 





wiffen Sachkenntnis verbundene Tätigkeit. Gewerbe jede fortgefegte, auf 
Erzielung eines Erwerbes gerichtete Tätigkeit, nicht aber die bloßen Alte ber 
eigenen Bermögensverwaltung, wie das Bermieten don Wohnungen im eignen 
Haufe. Gewerbe kann aud in Leiftung perfönlicher, ohne Sachkenntnis aus— 
geübter Dienfte beitehen (Portier durch unterlaffene Treppenbeleuchtung). 


17. Abſchnitt. 
Körperverlekung. 
Einfache Körperverlekung. 

$ 223. (L. bez. A.) Wer vorfägli einen anderen körperlich miß— 
handelt oder an der Geſundheit bejchädigt, wird wegen Nörperverleung mit 
Gefängnis bis zu drei Jahren oder mit Gelditrafe bis zu eintaujend Marf 
beitraft. 

Sit die Handlung gegen Verwandte aufiteigender Linie begangen, fo ift 
auf Gefängnis nicht unter einem Monat zu erfennen. 


Körperlihde Mißhandlung ift eine nicht umerhebliche Störung des 
körperlichen Befindens. Gefundheitsbeihädigung ift eine ſolche Störung 
des körperlichen Befindens, welche ſich als Krankheit oder bei ſchon vorhandener 
Krankheit als eine Steigerung derfjelben bezeichnen läßt. Die Mißhandlung 
oder Gefundheitsbefhädigung muß gewollt fein, d. h. der Täter muß erkennen, 
daß feine Handlung einen foldhen Erfolg haben werde. Die Handlung muß 
bewußtermaßen eine widerrechtliche fein. Der Arzt darf ohne Einwilligung 
des Patienten durch operativen Eingriff, ſelbſt im Intereſſe des Patienten, 
die körperliche Unverfehrtheit nicht verlegen. Die Grenzen des Züchtigungsrechtes 
der Eitern, des Lehrherrn, des Lehrers (nad) bürgerlichem Rechte, nad) der Gewerbe: 
ordnung, bezw. nach Landesrecht, Schulgefegen zu beftimmen) darf nicht über: 
ichritten werden. Der Ehemann hat gegenüber der Frau nad) dent Bürgerlichen 
Gejegbuche fein Züchtigungsreht. Irrtum über Züchtigungsrecht macht nicht 
Itraflos, wenn der Täter glaubt, er fei nach den außerhalb des Strafgejeges 
liegenden Beftimmungen zur Züchtigung berechtigt, dagegen ftraflos, wenn er 
über fein Verhältnis zum Gezüchtigten irrt. Die Ueberfchreitung des 
Züchtigungsreht3 kann eine vorfägliche oder fahrläffige fein. Glaube an ein 
fogenanntes abgeleitetes Züchtigungsrecht macht ſtraflos, wenn der Täter z. B. dem 
Snaben, der ihn im ungezogener Weife verhöhnt, mäßig züchtigt in der An— 
nahme, die Eltern des Kindes würden mit einer folhen Zurüdweifung ber 
Unart de3 Kindes einverftanden fein. ine Ohrfeige oder fonftiger Schlag 
ift Hörperverlegung, wenn der Täter Schmerz, ift Beleidigung, wenn er Ehr- 
verlegung hervorrufen wollte. — Strafantrag erforderlid ($ 232). 


Einzelne Verbrechen, Vergehen und Uebertretungen und deren Bejtrafung. 209 


Gefährlihe Körperverichung. 
$ 2232. (L. bez. A.) Sit Die Hörperverlegung mittels einer Waffe 
insbeſondere eines Meſſers oder eines anderen gefährlichen Werfzeuges, oder 
mittel3 eines Hinterlijtigen Ueberfalls, oder von mehreren gemeinschaftlich, oder 
mittel3 einer das Leben gefährdenden Behandlung begangen, jo tritt Gefängnis- 
ftrafe nicht unter zwei Monaten ein. 

Waffe ift nicht bloß die technifhe Waffe, jondern jedes Werkzeug, 
mittel3 deſſen Einwirfung auf den Körper erfolgen fann. Gefährliches 
Werkzeug ein ſolches, welches nah feiner eigenen Beichaffenheit und der 
Anwendung im einzelnen Falle geeignet ift, erheblichere Verlegungen zuzufügen. 
Hinterliftiger Ueberfall ift ein für den Berlegten beabfichtigtermaßen 
unvermuteter Angriff. Eine das Leben gefährbende Behandlung 
liegt vor, wenn fie im einzelnen Falle geeignet ift, das Leben zu gefährden. 
Gemeinfhaftlihkeit mehrerer liegt vor im Falle der Mittäterichaft 
im Sinne von $ 47, alfo wenn jeder Täter die Mißhandlung ufw. des 
anderen al3 feine eigene Tat will, wobei es auf das Maß der Beteiligung 
bes einzelnen nicht anfommt. — Strafantrag nicht erforberlih ($ 232). 


Schwere Körperverlchung. 
$ 224. (L.) Hat die Slörperverlegung zur Folge, dag der Verlegte ein 
wichtiges Glied des Körpers, das Sehvermögen auf einem oder beiden Augen, 
das Gehör, die Sprache oder die Zeugungsfähigfeit verliert, oder in erheblicher 
Weije dauernd entjtellt wird, oder in Siechtum, Lähmung oder Geiltesfrankheit 
verfällt, jo ift auf Zuchthaus bis zu fünf Jahren oder Gefängnis nicht unter 
einem Jahre zu erfennen. 

Die Folge darf mit eine beabjichtigte, muß eine vorſätzlich oder 
fahrläffig verfchuldete oder zufällige fein, fonft $ 225. Glied des Körpers 
ift ein befonderer Teil desjelben mit eigener Tätigfeitsbeftimmung im Geſamt— 
organismus. Das Glied, nicht bloß deffen Gebrauchsfähigfeit, muß verloren 
fein. Sehvermögen ift verloren, auch wenn nod Lidhtempfindlichfeit 
geblieben oder Beſſerung durch Operation möglich if. Das Gehör muß auf 
beiden Ohren verloren ſein. Entftellung liegt nur vor, wenn die Geſamt— 
ericheinung des Menfchen beeinträdhtigt wird. Siehtum ift langandauernde, 
den Gefamtorganismus ergreifende Krankheit. Yähmung liegt nur vor, 
wenn die Bewegungsfähigfeit im ganzen beeinträchtigt wird. Lähmung 
und Geiſteskrankheit brauchen nicht unheilbar zu fein. Verſuch begriff- 
lich ausgejchloffen, weil die Folge eingetreten fein muß. 

Erſchwerung. 
$ 225. (Sw.) War eine der vorbezeichneten Folgen beabſichtigt und ein— 
getreten, jo ilt auf Zuchthaus von zwei bis zu zehn Jahren zu erkennen. 
14 


210 II. Strafgeſetzbuch. — Zweiter Teil, 


Bloßer Vorſatz, alfo der Wille mit dem Bewußtſein, bie Folge werde 
eintreten, genügt nicht; der Wille muß auf Herbeiführung der Folge abzielen. 
Mildernde Umftände find ausgefchloflen ($ 228). 


Körperverlchung mit Todesfolge. 


g 226. (Sw.) Iſt durch die Körperverlegung der Tod des Verletzten 
verurfacht worden, jo ijt auf Zuchthaus nicht unter drei Jahren oder Gefängnis 
nicht unter drei Jahren zu erfennen. 

Die Körperverlegung muß eine vorfägliche. und der Tod deren Folge 
fein, ohne daß vorfäglihe Tötung, mit oder ohne Leberlegung ausgeführt, 
oder fahrläffige Tötung vorliegen. Der Tod muß alſo al8 weder beabjichtigte 
noch ſchuldhaft vorausfehbare Folge eintreten, alio ftrafregtlih als Zufall. 

Tötung oder fhwere KHörperverlekung im Raufhandcl. 

$ 227. (L.) Sit durch eine Schlägerei oder durch einen von mehreren 
gemachten Angriff der Tod eines Menjchen oder eine fchwere Körperverlegung 
($ 224) verurjacht worden, jo ijt jeder, welcher ji) an der Schlägerei oder 
dem Angriffe beteiligt hat, ſchon wegen diefer Beteiligung mit Gefängnis bis 
zu drei Jahren zu beitrafen, falls er nicht ohne fein Verſchulden Hineingezogen 
worden ilt. 

(L.) Iſt eine der vorbezeichneten Folgen mehreren Verlegungen zuzus 
jchreiben, welche diejelbe nicht einzeln, fondern nur durch ihr Zufammentreffen 
verurfacht haben, jo ijt jeder, welchem eine dieſer Verlegungen zur Laſt fällt, 
mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren zu bejtrafen. 

$ 227 behandelt die Tötung oder fchwere Körperverlegung im Raufhandel. 
Beteiligt an der Schlägerei oder dem Angriff ift jeder, der auf der einen 
oder anderen Seite der Parteien ſich feindfelig förperlich oder intelleftuell betätigt 
hat. Diefer Beteiligte muß an dem Beginne oder an dem Fortgange der Schlägerei 
oder des Angriffes irgend welche Schuld tragen. Der Tob oder die ſchwere 
Körperverlegung muß nun im irgend welchem urſächlichem Zujammenhange 
mit der Schlägerei oder dem Angriffe ftehen. Es ift gleichgiltig, ob der 
Getötete oder Verletzte zur Partei des einzelnen Täter8 gehört und ob er von 
einem Gegner ober verjehentlich von dem Angehörigen der eignen Partei ges 
tötet oder verlegt worden ift, ober gar ſich felber verfehentlich die entfcheidende 
Wunde zugefügt hat. Auch das ift unerheblich, ob die tötende oder verlegende 
Tätigkeit an und für ſich aus Notwehr erfolgte und ob fie überhaupt jemanden: 
als Borjag oder Fahrläffigfeit zugerechnet werden fann. 

Mildernde Umftände. 

8 228. Sind mildernde Umftände vorhanden, jo ift in den Fällen des 

$ 223 Abſatz 2 und des $ 223a auf Gefängnis bis zu drei Jahren oder 


Einzelne Verbrechen, Bergehen und Uebertretungen und deren Bejtrafung. 211 


Geldſtrafe bis zu eintauſend Mark, in den Fällen der SS 224 und 227 Ab— 
ja 2 auf Gefängnis nicht unter einem Monat, und im alle des $ 226 auf 


Gefängnis nicht unter drei Monaten zu erfennen. 
Mildernde Umftände ſ. $ 81. 


Beibringung von Gift. 
$ 229. (Sw.) Wer vorjäglicd einem anderen, um deſſen Gejundheit 
zu befchädigen, Gift oder andere Stoffe beibringt, welche die Gefundheit zu 
zeritören geeignet find, wird mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren beitraft. 

Sit durch die Handlung eine fchwere Körperverlegung verurjacht worden, 
jo ift auf Zuchthaus nicht unter fünf Jahren und, wenn durch die Handlung 
der Tod verurjacht worden, auf Zuchthaus nicht unter zehn Sahren oder auf 
(ebenslängliches Zuchthaus zu erfennen. 

Das Beibringen muß gegen den Willen des andern erfolgen. Gift 


ift an und für fich bereit ein Stoff, der auch in Heineren Mengen die Ges 
ſundheit zu zerftören vermag. Schwere Körperverlegung |. $ 224. 


Fahrläffige Körperverletzung. 
$ 230. (L. bez. A.) Wer durch Fahrläffigfeit die Körperverlegung 
eines anderen verurjacht, wird mit Geldjtrafe biß zu neunhundert Mark oder 
mit Gefängnis bis zu zwei Jahren beitraft. 

Fahrläfiigkeit j. $ 121. Zu Abfag 2 vergl. $ 222. Ob die 
verurſachte Sörperverlegung eine ſolche nach $ 223 oder $ 223a (mittels 
Waffe, Meffers, gefährlihen Werkzeugs, Tebensgefährdender Behandlung) oder 
$ 224 il, ift gleichgültig. Strafantrag erforderlih ($ 232). 


Außerachtlaſſung einer Berufopflicht. 
(L.) War der Täter zu der Aufmerkſamkeit, welche er aus den Augen 
jetste, vermöge feines Amtes, Berufes oder Gewerbes bejonders verpflichtet, jo 
fann die Strafe auf drei Jahre Gefängnis erhöht werden. 
Wegen Amt, Beruf und Gewerbe f. $ 222. Hier fein Straf— 
antrag erforderlih ($ 232). 
Buße. 
$ 231. In allen Fällen der Körperverlegung kann auf Verlangen des 
‚Verlegten neben der Strafe auf eine an denjelben zu erlegende Buße bis zum 
Detrage von fechdtaufend Mark erfannt werden. 


Eine erkannte Buße jchließt die Geltendmachung eines weiteren Ent: 
Ihädigungsanjpruches aus. 


Für diefe Buße haften die zu derjelben Berurteilten als Gefamtjchuldner. 
14* 


212 | III. Straſgeſetzbuch. — Bweiter Teil. 


Strafantrag. 

$ 232. (L. bez. A.) Die Verfolgung leichter vorfäglicher, fowie aller 
durch Fahrläſſigkeit verurfachter Körperverlegungen ($$ 223, 230) tritt nur 
auf Antrag ein, injofern nicht (L.) die Körperverlegung mit Uebertretung einer 
Amts, Berufs: oder Gewerbspflicht begangen worden ift. 

Iſt das Vergehen gegen einen Angehörigen verübt, jo iſt die Zurüdnahme 
des Antrags zuläjfig. 

Die in den $$ 195, 196 und 198 enthaltenen Vorfchriften finden auch 
hier Anwendung. 


Erwiderung auf der Stelle. 

8 233. Wenn leichte Körperverlegungen mit folchen, Beleidigungen mit 
feichten Körperverlegungen oder legtere mit eriteren auf der Stelle erwidert 
werden, jo fann der Richter für beide Angefchuldigte, oder für einen derjelben 
eine der Art oder dem Maße nach mildere oder überhaupt feine Strafe ein- 
treten lafjen. 

Auf der Stelle it nicht immer gleichbedeutend mit an Drt und 

Stelle. Die Erwiderung muß erfolgen nod unter der gemütlichen Einwirkung 

der erlittenen KHörperverlegung oder Beleidigung. 


18. Abſchnitt. 
Derbrechen oder Vergehen wider die perſönliche Zreiheit. 


Menſchenraub. 
$ 234. (8w.) Wer ſich eines Menſchen durch Lift, Drohung oder 
Gewalt bemächtigt, um ihn in hülfloſer Lage auszufegen oder in Sklaverei, Leib: 
eigenjchaft oder im auswärtige Kriegs: oder Schiffsdienjte zu bringen, wird 
wegen Menjchenraubes mit Zuchthaus bejtraft. 

Lift ift ein mit Schlauheit oder Klugheit verknüpftes heimliches Ver— 
halten. Ausiegung in hülflofer Lage, ſ. $ 221. Bergl. auch das 
Reichsgeſetz v. 28./7. 95 (Stlavenraub). 

Kinderraub. 
$ 235. (L.) Wer eine minderjährige Perfon durch Lijt, Drohung oder 
Gewalt ihren Eltern, ihrem Vormunde oder ihrem Pfleger entzieht, wird mit 
Gefängnis und, (Sw.) wenn die Handlung in der Abjicht gefchieht, die Perjon 
zum Betteln oder zu gewinnfüchtigen oder unfittlichen Zweden oder Beichäfti- 
gungen zu gebrauchen, mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren beitraft. 


Einzelne Verbrechen, Vergehen und Uebertretungen und deren Bejtrafung. 213 


Lift ſ. $ 234. Eltern find Pater oder Mutter, deshalb kann ein 
Elternteil die Tat gegen den andern, dem das Erziehungs- und Auffichts- 
recht zufteht, begehen. Die Straftat richtet fi gegen das Machtverhältnis 
der Eltern ujwm. Entziehung ift die Bejeitigung diefes Machtverhältnifies ; 
die Zuftimmung des Minderjährigen macht nicht ſtraflos. Die dem Minder- 
jährigen zur Selbftentziehung geleiftete Beihülfe aber ift nicht ftrafbar. 

Entführung. 

8 236. (Sw.) Wer eine Frauensperfon wider ihren Willen durch) 
Lift, Drohung oder Gewalt entführt, um fie zur Unzucht zu bringen, wird 
mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren und, (L.) wenn die Entführung begangen 
wurde, um die Entführte zur Ehe zu bringen, mit Gefängnis beftraft. 

Die Verfolgung tritt nur auf Antrag ein. 

Frauensperfon fann auch eine Ehefrau fein. Lift j. $ 234. 
Entführung ift Verbringung an einen andern Ort und Unterwerfung 
unter Willfür eines anderen. Täterin fann aucd eine Frauensperjon jein, 
die Unzucht oder Ehe brauchen nicht gerade mit dem Entführer, können 
aud mit einem Dritten bezwedt fein. Antragsberechtigt ift die Entführte oder 
ihr geieglicher Vertreter. 
$ 237. (L.) Wer eine minderjährige, unverehelichte Frauensperſon mit 

ihrem Willen, jedoch ohne Einwilligung ihrer Eltern, ihres Vormundes oder 
ihres Pflegers, entführt, um fie zur Unzucht oder zur Ehe zu bringen, wird 
mit Gefängnis beitraft. 

Die Verfolgung tritt nur auf Antrag ein. 

Antragsberehtigt find Eltern, Bormund, Pfleger. ©. $ 236. 

8 238. Hat der Entführer die Entführte geheiratet, jo findet die Ver- 
folgung nur ftatt, nachdem die Ehe für nichtig erflärt worden ijt. 

Freiheitöberanbung. 

8 239. (L.) Wer vorfäglicd;) und widerrechtlich einen Menfchen ein: 
jperrt oder auf andere Weiſe des Gebrauches der perjönlichen Freiheit beraubt, 
wird mit Gefängnis beftraft. 

(Sw.) Wenn die Freiheitsentziehung über eine Woche gedauert hat, oder 
wenn eine jchwere Körperverletzung des der Freiheit Beraubten durch die 
Freiheitentziehung oder die ihm während derjelben wiberfahrene Behandlung 
verurfacht worden ift, jo ift auf Zuchthaus bis zu zehn Jahren zu erfennen. 
Sind mildernde Umftände vorhanden, fo tritt Gefängnisftrafe nicht unter 
einem Monat ein. 

(Sw.) Iſt der Tod des der Freiheit Beraubten durch die Freiheits— 
entziehung oder die ihm während derjelben widerfahrene Behandlung verurfacht 


214 II. Strafgeſetzbuch. — Zweiter Teil. 


worden, jo iſt auf Zuchthaus nicht unter drei Jahren zu erfennen. Sind mildernde 
Umstände vorhanden, jo tritt Gefängnisftrafe nicht unter drei Monaten ein. 


Ein Menſch ift eingeiperrt, wenn er aus einem geiperrten Raume 
tatfächlid nicht oder nur mit Schwierigkeit entfommen fann. Hält er fid 
nur für eingeiperrt, während er entlommen kann, jo liegt ber Tatbeftand 
nit vor. Freiheitsberaubung liegt vor, wenn eine, wenn auch nur 
vorübergehende Aufhebung der perjönlichen Freiheit völlig eingetreten ift, jo 
daß aljo bloße Beſchränkung oder Erichwerung der freien Bewegung nicht 
genügen. Der Täter muß wiffen, daß feine Handlung die Einfperrung bezw. 
Aufhebung der perfönlichen Freiheit zur Folge hat und da er zum Ein- 
iperren uſw. fein Recht hat. Irrt er, wie 3. B. der Dienjtherr über jeine 
Befugnis, den Dienftboten, der aus dem Dienfte laufen will, einzuichließen, 
fo fehlt da8 Bewußtiein der Rechtswidrigkeit. 


Nötigung. 


$ 240. (L.) Ber einen anderen widerrechtlich darch Gewalt oder durch 
Bedrohung mit einem Verbrechen oder Vergehen zu einer Handlung, Duldung 
oder Unterlaffung nötigt, wird mit Gefängnis bis zu einem Sahre oder mit 
GSelditrafe bis zu jechshundert Mark beitraft. 


Der Verſuch iſt ftrafbar. 

Gewalt ift unmittelbare oder mittelbare förperliche Einwirkung gegen 
die Perfon; Drohung Ankündigung eines Uebels, deffen Verwirklichung vom 
Drohenden ausgehen oder angeregt werden jol. Gedroht werden muß mit 
der Berübung eines Berbrehens oder Vergehens im inne von 
$1, 3.8. mit einer Körperverlegung oder einer Beleidigung. Die Straftat, 
mit welcher gedroht wird, müßte zu einer Verurteilung des Drohenden, wenn 
er fie wirklich beginge, führen. Müßte er freigeiprochen werden, weil er z. B. 
die Beleidigung in Wahrnehmung berechtigter Intereſſen begehen durfte, jo 
läge auch keine Drohung mit dem Vergehen der Beleidigung vor. Die 
Nötigung mit diejen Mitteln, Gewalt und Drohung, muß wider das 
Recht fein, wenn aud die erftrebte Handlung, Duldung oder Unterlaffung an 
jid) vom Drohenden beaniprucht werden fönnen. („Wenn Sie die fällige 
Schuld nicht jofort zahlen, werde ich Sie durchprügeln”.) Der Nötigende 
muß ſich bewußt fein, daß er mit Gewalt und Drohung nicht vorgehen darf. 
Iſt er hierzu befugt, 3. B. bei erlaubter Selbftgilfe oder Notwehr, liegt feine 
Straftat vor. Straflos ift auch die Nötigung zur Unterlaſſung rechtswidriger 
Handlungen. ©. die Beftimmungen des Bürgerlichen Gefegbuches über erlaubte 
Selbſthülfe. Wer irrtümlich in erlaubter Selbſthülfe zu handeln glaubt, tat- 
fächlich aber unerlaubte Selbithülfe übt, dem fehlt das erforderliche Bewußt⸗ 
jein der Rechtswidrigkeit. 





* aa — ⏑————— ——&——— AL U 7 Tu u A A A A 2 we nu 
. an 


Einzelne Berbrechen, Bergehen und Uebertretungen und deren Beſtrafung. 215 


Bedrohung mit Verbrechen. 
s$ 241. (L. bez. A.) Wer einen anderen mit der Begehung eines 
Berbrechens bedroht, wird mit Gefängnis bis zu ſechs Monaten oder mit Geld» 
jtrafe bis zu dreihundert Mark bejtraft. 

Ein Berbrehen im Sinne von $ 1 muß angedroht, alfo in Ausficht 
geitellt werden. Die Drohung muß dem Bedrohten zur Kenntnis kommen 
und der Drohende muß diefe Kenntnis feiten des anderen jowie ferner wollen, 
daß in dem Bedrohten Furcht vor der Verwirklihung der Drohung erwache. 
Sogenannte vermeilene Redensarten, namentlih im Munde des derberen 
Mannes, jcheiden aus. („Ich baue Dich, daß Du in feinen Sarg paßt“.) 


19. Abſchnitt. 


Diebfiahl und Unterfchlagung. 
Einfacher Diebftahl. 

8 242. (L. bez. A.) Wer eine fremde bewegliche Sadye einem anderen 
in der Abficht wegnimmt, diefelbe ſich rechtswidrig zuzueignen, wird wegen 
Diebitahls mit Gefängnis beftraft. 

Der Verſuch ift ftrafbar. 

$ 242 behandelt den einfachen Diebitahl. Die beweglide Sade 
muß für den Dieb eine fremde fein, d. h. nicht in feinem alleinigen Eigen- 
tume ftehn. Eine Sade, die in feinem Miteigentume fteht, fann der Dieb 
ftehlen. Ob Eigentum oder Miteigentum vorliegt, enticheidet ſich nach den 
zivilrechtlichen Beftinmungen (bürgerl. Geſetzbuch, Handelögefegbuh, Wedhiel- 
ordnung). Sache ift ein förperliher Gegenitand im natürlichen Sinne, 

Auch Waffer aus Wafferleitungen und Leuchtgas find bewegliche Sachen; 

nicht aber Elektrizität. Siehe Reichsgefeg vom 9. April 1900, betreffend 

die Beitrafung der Entziehung elektrifcher Arbeit. Der Dieb muß die Sache 
einem anderen wegnehmen, d.h. dem Gewahrjfam eines anderen wider deffen 

Willen entziehen. Die Entziehung des Gewahrfams kann gegenüber dem 

Eigentümer jelbft, wenn diefer den Gewahrſam hatte, oder gegenüber dem 

dritten Gewahrjamsinhaber erfolgen. Wer den Gewahrfam einer Sache hat, 

entjcheidet fi) ebenfall3 nad) den Beitimmungen des bürgerlichen Rechts. Der 

Diebftahl ift vollendet, wenn der Gewahrfam des anderen aufgehoben ilt; 

3. B. der Dieb verftedt die im einem Keller geftohlene Weinflafche in einem 

finfteren Winkel desjelben, um fie jo zur Fortſchaffung aus dem Haufe bereit 

zu haben. Die Abjicht der Zueignung liegt vor, wenn der Täter den 

Willen hat, die Sache dem bisherigen Eigentümer dauernd zu entziehen und 

über fie jelbft wie ein Eigentümer zu verfügen, 3. B. fie für fi zu behalten, 

zu verfaufen, zu verichenfen; nicht aber bei der Abjicht, die Sache nur als 


216 


III Strafgeſetzbuch. — Zweiter Teil. 


Entleiher zu behalten und zurüdzugeben, oder fie zu feiner Sicherheit wegen 
einer Forderung zu behalten, oder fie mit dem Willen und ber Füglichkeit 
zur alsbaldigen Wiedereinlöfung zu verpfänden oder fie zu vernichten (im 
(egteren Falle nur Sahbefchädigung). Daß der Dieb fi bereichern will, 
ift nicht nötig (z. B. bei Verſchenken). Der Täter muß willen, daß er 
fein Recht hat, die Sache ſich zuzueignen. 

Daß auf milde Fälle des Diebftahls nicht Geldftrafe angedroht ift, 
entfpricht nicht mehr dem Rechtsbewußtfein unferes Volles. Es ift zu erwarten, 
daß die Meubearbeitung des Strafgefegbuches die Geldftrafe bringt. 


Schwerer Diebftahl. 


$ 243. (L.) Auf Zuchthaus bis zu zehn Jahren ift zu erfennen, wenn 
1. aus einem zum Gottesdienjte bejtimmten Gebäude Gegenjtände ges 

ftohlen werden, welche dem Gottesdienfte gewidmet find; 

. aus einem Gebäude oder umjfchloffenen Raume mittel3 Einbruchs, 

Einjteigens oder Erbrechen von Behältnifjen geftohlen wird; 

3. der Diebftahl dadurch bewirkt wird, dab zur Eröffnung eines Ge— 
bäudes oder der Zugänge eines umjchloffenen Raumes, oder zur 
Eröffnung der im Innern befindlichen Türen oder Behältniffe 
falſche Sclüfjel oder andere zur ordnungsmäßigen Eröffnung 
nicht bejtimmte Werkzeuge angewendet werden; 

4. auf einem Öffentlichen Wege, einer Straße, einem öffentlichen Plage, 
einer Wafferftraße oder einer Eifenbahn, oder in einem Poſtgebäude 
oder dem dazu gehörigen Hofraume, oder auf einem Eijenbahnhofe 
eine zum Neifegepäd oder zu anderen Gegenständen der Beförderung 
gehörende Sache mittel Abjchneidens oder Ablöſens der Befeitigungs- 
oder Verwahrungsmittel, oder durch Anwendung faljcher Schlüffel 
oder anderer zur ordnungsmäßigen Eröffnung nicht bejtimmter 
Werkzeuge geftohlen wird; 

5. der Dieb oder einer der Teilnehmer am Diebftahle bei Begehung 
der Tat Waffen bei fich führt; 

6. zu dem Diebjtahle mehrere mitwirken, welche jich zur fortgejegten 
Begehung von Raub oder Diebjtahl verbunden haben, oder 

7. der Diebjtahl zur Nachtzeit in einem bewohnten Gebäude, in welches 
ſich der Täter in diebijcher Abficht eingefchlichen, oder in welchem 
er ſich im gleicher Abficht verborgen Hatte, begangen wird, aud) 
wenn zur Zeit des Diebjtahls Bewohner in dem Gebäude nicht 
anmwejend find. Einem bewohnten Gebäude werden der zu einem 


to 


Einzelne Berbrechen, Vergehen und Uebertretungen und deren Beitrafung. 217 


bewohnten Gebäude gehörige umfchlofjene Raum und die in einem 
folhen befindfichen Gebäude jeder Art, ſowie Schiffe, welche be- 
wohnt werden, gleich geachtet. 


Sind mildernde Umstände vorhanden, jo tritt Gefängnisstrafe nicht unter 
drei Monaten ein. 


$ 243 behandelt den ſchweren Diebitahl. 


Ziffer 1. Dem Gottesdienfte gewidmet, d.h. der Vereinigung 
der Mitglieder einer im Staate beftehenden Religionsgejellfchaft zur Erbauung 
und Anbetung Gottes in beftimmten Räumen und nad) beftimmten Borfchriften 
und Gebräuden dienend. 


Ziffer 2 Gebäude ift ein unbewegliches mit Grund und Boden 
feit verbundenes Bauwerk (alfo auch ein Zirkusgebäude), Eine Hütte im 
Sinne von $$ 306, 308 ift fein Gebäude; Schiff und Wagen zum Wohnen 
und Uebernachten eingerichtet find feine Gebäude. Umſchloſſener Raum 
ift ein umgrenzter, nicht notwendig verichloffener Raum der Erdfläche (aud 
unter der Oberfläche); Marftbuden, Trinkhallen, umgrenzte Gärten, Berg- 
werfsfhädte find umfchloffene Räume. Aus dem Gebäude oder umfchloffenen 
Raume muß die Sache dem fremden Gewahrfam durch das Mittel des 
Einbruhs ufw. beabfihtigtermweije entzogen werden follen, d. h. der 
Täter muß in diebifher Abficht einbrechen, einfteigen ufw. Kommt dem 
Landftreiher, der im ein Grundftüd zwecks Nächtigens eingefliegen ift, exft 
nad dem Einfteigen der Gedanke zu ftehlen, fo liegt nicht Diebftahl mittels 
Einfteigens vor. Einbruc erfordert ein mit, wenn auch nicht erhöhter 
Gewalt und nicht gerade unter Bejchädigung, bewirktes Deffnen, 3. B. Aus- 
heben verfchloffener Türen, Eindrüden von Fenfterfceiben. Es genügt das 
Bereiten einer ſolchen Deffnung, daß der Dieb nur mit einem Körperteile, 
3. B. der Hand, dem Arme, hineinlangen und jtehlen kann. Einfteigen 
liegt vor, wenn der Dieb von außen Eingang durch eine zum ordnungs- 
gemäßen Eintritt nicht beſtimmte und den Eintritt beftimmungsgemäß wehrende 
Deffnung nimmt. Daß er dabei gerade fteigen muß, wird nicht verlangt, 
er fann ſich herablaffen, 3. B. von einem oberen von ihm bewohnten Stod: 
werke nad einem tieferliegenden, oder durchfrichen, 3. B. durd; eine Zaun- 
lücke direkt über der Erdoberflähe. Der Dieb muß aber mit ganzer Perfon 
eingeftiegen fein, ein SHereinlangen mit der Hand von außen in ein Gebäude, 
an dem der Dieb emporgellettert ift, genügt nicht. 


Ziffer 3. Auch Hier muß die Anwendung falfcher Schlüffel ufw. bereits in 
der Abficht, zu ftehlen, erfolgen. Diebftahlsentfchluß nach Eindringen mit falſchem 
Schlüffel, 3. B. aus Neugierde, genügt nit. Die Behältniffe müfjen im 
Innern des Gebäudes und umfchloffenen Raumes mit dem falfhen Sclüffel 
ufw. geöffnet werden; wenn auch nicht gerade in dem Teile des Gebäudes uſw., 


218 


II. Strafgefegbud. — Zweiter Teil. 


in dem fi der Dieb vorfindet. Nimmt der Dieb das Behältnis mit 
und Öffnet es außerhalb des Gebäudes, jo liegt nicht Diebftahl im Sinne 
der Ziffer 3 vor. Biffer 3 fegt einen Verſchluß des Gebäubes, der Zugänge, 
der Türen und Behältnifje voraus. Diefer Berichluß muß ein Schloß oder 
ichlogähnliher Mehanismus fein, der mit einem Schlüffel oder Werkzeug, 
nicht aber wie 3. B. ein einfacher vorzufchiebender Riegel auf der Innen— 
feite der Tür, mit der bloßen Hand in Bewegung gefegt wird. Ein falſcher 
Schlüſſel ift ein folder, der nicht zur Eröffnung des Schloffes verwendet 
wird und beftimmt ift; ein falfcher Schlüffel liegt nicht vor, wenn in derfelben 
Wohnung ein Schreibtifch und ein Bertifo gleiche Schlüffel haben und diefe 
Schlüffel nun je nad) Belieben zum Schließen verwendet werden. Ein ver: 
foren gegangener, durd) einen neuen erjegter Schlüffel ift ein falfcher, ebenjo 
der vom Mieter beim Auszug zurüdbehaltene Schlüſſel. Ob ein Schlüffel 
falich ift, emticheidet fich nach den Zuftande im Augenblide der Tat. Ein 
Generale oder Hauptichlüffel, zur Eröffnung beftimmter Schlöffer beftimmt, 
ift gegenüber den Einzeljchlüffeln kein falſcher Schlüfjel. 

Ein zur ordnungsmäßigen Eröffnung nicht beftimmtes 
Werkzeug ift 3. B. ein Sperrhafen, ein Stüd Draht, ein jog. Dietrich ufw. 


Ziffer 4. Deffentliher Weg ulw., wenn er dem Publikum freigegeben 
ift. Hohe und offene See ift feine Waſſerſtraße. Zum Reiſegepäck gehören 
alle bei der Reife zu befördernden Sahen, z. B. aud der Futterſack bes 
Fuhrmanns. Auch hier muß mittels Mbfchneidens ufw., auf dem 
öffentliche Wege ufw., in dem Poftgebäube, auf dem Eifenbahnhofe ge— 
jtohlen werden, wenn auch nicht gerade genau an Ort und Stelle. Schafft der 
Dieb den vom Wagen oder Bahnhofe geitohlenen Koffer in ein Wirts- 
haus ufw. und öffnet ihm mit Dietrich erft ba, jo liegt nicht Ziffer 4 vor. 
Verwahrungsmittel ift 3. B. auch der Getreidefad, den der Dieb auf: 
fchneidet, fo daß das Getreide bei der Wagenfahrt auf die Bahn füllt und 
aufgelefen werden fann. 


Biffer 5. Waffen, nicht nur im technifchen Sinne, jondern jedes zur 
Waffe geeignete Werkzeug. Der Dieb muß fi die Berfihführung und die 
Eigenfchaft des Werkzeugs ald Waffe zum Bewuhtjein gebracht haben. Ge— 
brauch der Waffe iſt nicht nötig, auch nicht die Abficht des Gebrauchs. 


Ziffer 6. Sog. Bandendiebfiahl. Mehrere find ſchon zwei Perſonen. 
Mitwirkung ift die Mittäterfchaft im Sinne von $ 47. Ein Täter und ein Gehülfe 
genügen alfo nicht, fondern mindejtens zwei Mittäter. Cie müſſen ſich ver- 
abredet haben, eine Reihe von Diebitählen oder Näubereien innerhalb einer 
abfehbaren Zeit zu verüben, zu welcher die Gelegenheiten noch nicht feftftehen. 
Berabreden fie fich, eine Anzahl ganz beftimmter (nach Art der Diebftahls- 
objefte und deren Eigentümer) feititehender Fäle zu verüben, jo liegt bie 
Erfchwerung von Ziffer 6 nicht vor. 


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* 


Einzelne Verbrechen, Vergehen und Uebertretungen und deren Beſtrafung. 219 


Ziffer 7. Die Nachtzeit dauert vom Eintritt ber Dunkelheit nach 
Sonnenuntergang bis zur Beendigung der Dunkelheit vor Sonnenaufgang. 
Das Einfhleihen, unter Vermeidung von Geräuſch bewirktes abjichtlich 
heimliches Eintreten, und Sichverborgenhalten (kann auch ein Mit- 
bewohner des Haufes vornehmen) müſſen bereit3 mit Diebſtahlsabſicht er: 
folgen. Beim Einjchleihen fann diefem die Wegnahme des Diebftahlsobjektes 
fofort folgen; beim Sichverborgenhalten wird begrifflih eine Zwifchenzeit 
vom Eintritt bezw. Poftennehmen bis zur Wegnahme erfordert. 

Die Beitimmung der bei Annahme mildernder Umftände zuläffigen 
Mindeftftrafe von 3 Monaten Gefängnis ift unzwedmäßig; diefe Mindeft- 
ftrafe it im vielen Fällen zu hoc). 

Rückfalldiebſtahl. 

$ 244. (L) Wer im Inlande als Dieb, Räuber oder gleich einem 
Räuber oder ala Hehler beftraft worden ift, darauf abermals eine diejer Hand— 
(ungen begangen hat, und wegen derjelben bejtraft worden ijt, wird, wenn er 
einen einfachen Diebſtahl ($ 242) begeht, mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren, 
wenn er einen ſchweren Diebjtahl ($ 243) begeht, mit Zuchthaus nicht unter 
zwei Jahren beitraft. 

Sind mildernde Umjtände vorhanden, jo tritt beim einfachen Diebjtahl 
Sefängnisjtrafe nicht unter drei Monaten, beim jchweren Diebitahl Gefängnis- 
jtrafe nicht unter einem Jahre ein. 

$ 244 behandelt die Borausfegungen des ftraffchärfenden Rückſalldieb— 
ſtahls. Inland f.$ 3. Dieb f. 88 242, 243. Näuber f. 88 245, 

' 249 und gleich einem Räuber ſ. 88 252, 255. Hehler ſ. 88 258, 
259, Beftrafung umfaßt die rechtskräftige Verurteilung und die gänz- 
(iche oder teilweife Verbüßung oder den Erlaß der Strafe (aud des Ber: 
weiſes). Alfo erft die zeitlich dritte Beſtrafung wegen Diebſtahls nad) 
zwei vorausgegangenen Beitrafungen wegen Diebſtahls oder der anderen genannten 
Straftaten begründen den Rückfall. Hierbei wird außerdem voransgefegt, dab 
die Verübung der 2. Straftat nad) gänzlicher oder teilweifer Verbüßung oder 
nad Erlaß der erjten Strafe liegt. Kein Rüdfall, wenn eine Strafe 
durch Anrechnung auf Unterfuchungshaft für verbüßt erflärt wird und die völlige 
Berbüßung vor der Rechtskraft des Urteils liegt. Die bei Annahme mildernder 
Umftände vorgefchriebenen Strafmindeftmaße von 3 Monaten oder 1 Jahr 
entfprechen nicht mchr unferen modernen Anjchauungen, wenn 3. B. ganz geringe 
fügige Gegenflände im Rückfall geftohlen werden. 


z 245. Die Beitimmungen de3 $ 244 finden Anwendung, auch wenn 


die früheren Straien nur teilweife verbüßt oder ganz oder teilweiſe erlafjen 
find, bleiben jedoch ausgejchlojien, wenn feit der Verbüßung oder dem Erlaſſe 


220 II. Strafgeſetzbuch. — Zweiter Teil. 


der festen Strafe bis zur Begehung des neuen Diebſtahls zehn Jahre ver: 
flojien find. 

Daß alfo feit Berbüßung oder Erlaß der zweiten Strafe bis zur Ber: 
übung des neuen Diebftahls (3. Tat) nicht 10 Jahre verfloffen fein — 
iſt eine weitere Vorausſetzung des Rückfalldiebſtahls. 

Unterfhlagung. 

8 246. (L. bez. A.) Wer eine fremde bewegliche Sache, die er in 
Befig oder Gewahrfam Hat, fich rechtswidrig zueignet, wird wegen Unter: 
ſchlagung mit Gefängnis bis zu drei Jahren und, wenn die Sache ihm an: 
vertraut ift, mit Gefängnis bis zu fünf Jahren beftraft. 

Sind mildernde Umftände vorhanden, jo fann auf Gelditrafe bis zu 
neunhundert Mark erfannt werden. 

Der Verſuch iſt ftrafbar. 

Fremde beweglide Sache und Zueignung f. $ 242. Ge 
wahrfam ift die tatfächliche Herrichaft über eine Sache, z. B. über eine 
aufgehobene und eingejtedte gefundene Sache. Der unmittelbare und mittel- 
bare Befiger im Sinne von $ 854 ff. d. B.G.BE. find Gewahrfamsinhaber. 
Wegen der Nehtswidrigfeit der Zueignung Siehe ebenfalls 5 242. 
Die Zueignung, durch welche der Gewahrfamsinhaber über die fremde Sache 
wie ein Eigentümer verfügt, muß äußerlich duch eine Betätigung der Ver— 
fügungsgewalt zu erfennen fein, 3. B. dur Berbrauh oder Berkauf der 
Sade, durch Verleugnen ihres Beſitzes uſp. Wegen Berpfändung ber 
fremden Sade ſ. $ 242. Der Täter braucht Befig und Gewahrjam nicht 
rehtmäßig erworben zu haben. Hat er jie kraft eines Rechtsgeſchäfts mit der 
Berpflihtung zur Nüdgabe oder Weitergabe erlangt, jo ift ihm die Sadıe 
anvertraut, 3.3. bei einer entliehenen oder vermieteten Sache. Der Täter 
fann aud eine Sache unterfcjlagen, an der er Miteigentum hat. 

Diebfiahl und Unterfhlagung gegen Ungehörige ufiw. 

Ss 247. Wer einen Diebftahl oder eine Unterjchlagung gegen Angehörige, 
Vormünder oder Erzieher begeht, oder wer einer Perſon, zu der er im Lehr— 
ling3verhältnifje fteht, oder in deren häuslicher Gemeinjchaft er als Gefinde 
fich befindet, Sachen von unbedeutendem Werte jtiehlt oder unterjchlägt, iſt 
nur auf Antrag zu verfolgen. Die Zurüdnahme des Antrages ift zuläffig. 

Ein Diebjtahl oder eine Unterfchlagung, welche von Verwandten auf: 
fteigender Linie gegen Verwandte abjteigender Linie oder von einem Ehegatten 
gegen den anderen begangen worden it, bleibt jtraflos. 

Dieje Beitimmungen finden auf Teilnehmer oder Begünftiger, welche 
nicht in einem der vorbezeichneten perfünlichen Verhältniffe ftehen, feine An- 
wendung. 


Einzelne Verbrechen, Vergehen und lebertretungen und deren Bejtrafung. 291 


Diebitahl (SS 242, 243, 244) und Unterfchlagung find gegen Angehörige 
(8 52) ufw. verübt, wenn diefe Perſonen alleinige Eigentümer der Sache 
find und fie, foweit Diebftahl in Frage fteht, in Befig und Gewahrfam haben. 
Fit beim Diebftahl eine andere Perfon, die nicht zu den aufgeführten gehört, 
Gewahrfamsinhaber, fo iſt auch diefe mitverlegt umd der Diebftahl aljo nicht 
ausschließlich gegen Angehörige ufw. verübt; dann iſt fein Strafantrag er- 
forderlih. Lehrling ijt auch der Handlungslehrling. Der Wert einer Sache 
ift ein unbedeutender, je unter Berüdjichtigung der Berhältniffe des Beftohlenen 
und des Diebes fowie der fonftigen Umftände des Falles. Der Strafantrag 
ift auch hier nicht teilbar. Ehegatten firaflos, folange die Ehe beiteht, auch bei 
getrennten Leben. Verwandte auffteigender Linie und Ehegatten find nicht 
nur als Täter und Mittäter, fondern auch als Gehülfen und Anftifter zum 
Diebftahle ftraflos. 
Nebenftrafen. 
Ss 248. Neben der wegen Diebitahls oder Unterſchlagung erfannteır 
Gefängnisitrafe fann auf Verluft der bürgerlichen Ehrenrechte, und neben der 
wegen Diebſtahls erfannten Zuchthausjtrafe auf Zuläffigkeit von Polizei- 
Aufficht erfannt werden. 
Die Gefängnisftrafe muß aber mindeftend 3 Monate betragen. 


20. Abſchnitt. 


Baub und Erpreflung. 
Raub, 

$ 249. (Sw.) Wer mit Gewalt gegen eine Perſon oder ımter Ans 
wendung von Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben eine 
fremde bewegliche Sache einem anderen in der Abficht wegnimmt, fich diejelbe 
rechtswidrig zuzueignen, wird wegen Naubes mit Zuchthaus bejtraft. 

Sind mildernde Umstände vorhanden, fo tritt Gefängnisftrafe nicht unter 
ſechs Monaten ein. 

Naub ift ein mit Gewalt gegen eine Perfon oder unter Anwendung 
von Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben verübter 
Diebftahl. Die Wegnahme der fremden beweglichen Sache muß aber nicht 
durd das Mittel der Gewalt oder der Drohungen urfählic erfolgen; Ge— 
walt und Prohungen find hier nur motwendige Begleiterfcheinungen des 
Raubes und darauf gerichtet, einen vorhandenen Widerftand zu brechen oder 
einen beabfichtigten zu verhindern. Der Täter muß die Sache jelbit weg: 
nehmen. Das Wegreißen einer Sache, 3. B. eines SKorbes, eines Geldtäſch— 
chens aus der Hand de3 anderen, der fich defien gar nicht verfieht und des— 
halb Widerftand gar nicht leiften oder vorbereiten konnte, ift nicht Raub. 


222 III. Strafgeſetzbuch. — Zweiter Teil. 


Hingegen, wenn Räuber und Beraubter gegenfeitig an dem Korbe oder der 
Geldtafche gewaltfam reißen, liegt Raub vor. Gibt der Vergewaltigte oder 
der Bedrohte die Sache heraus, 3. B. aus Furcht, jo liegt nicht Raub, fon: 
bern Erpreflung vor. Wegen der fremden beweglichen Sadıe und der Ab— 
fit der rechtswidrigen Zueignung ſ. 88 242, 246. 
Erſchwerter Raub, 
$ 250. (Sw.) Auf Zuchthaus nicht unter fünf Jahren iſt zu er- 
fennen, wenn 

1. der Räuber oder einer der Teilnehmer am Raube bei Begehung 
der Tat Waffen bei jich führt; 

2. zu dem Haube mehrere mitwirken, welche ſich zur fortgejegten Be— 
gehung von Raub oder Diebjtahl verbunden haben ; 

3. der Raub auf einem öffentlichen Wege, einer Straße, einer Eifen- 
bahn, einem öffentlichen Plage, auf offener See oder einer Waſſer— 
ſtraße begangen wird; 

4. der Raub zur Nachtzeit in einem bewohnten Gebäude ($ 243 Nr. 7) 
begangen wird, in welches jic) der Täter zur Begehung eines Raubes 
oder Diebſtahls eingejchlichen oder ji) gewaltiam Eingang verfchafft 
oder in welchem er ſich in gleicher Abficht verborgen hatte, oder 

5. der Räuber bereits einmal als Räuber oder gleich einem Räuber 
im Inlande bejtraft worden ift. Die im $ 245 enthaltenen Vor— 
Ichriften finden auch hier Anwendung. 

Sind mildernde Umjtände vorhanden, jo tritt Gefängnisitrafe nicht unter 
einem Jahre ein. 
Biffer 1. Waffen j. $ 2435. 
Ziffer 2. Bande ſ. $ 2436. 
Ziffer 3. Oeffentlichkeit des Weges j. $ 2434. 
Ziffer 5 Gleih einem Räuber ſ. $$ 252, 255. 
s$ 251. (Sw.) Mit Zuchthaus nicht unter zehn Jahren oder mit lebens» 
länglichem Zuchthaus wird der Näuber bejtraft, wenn bei dem Raube ein 
Menjch gemartert oder durch die gegen ihn verübte Gewalt eine jchwere 
Ktörperverlegung oder der Tod desfelben verurjacht worden ift. 
Marterm ift abfichtliche körperliche Peinigung. 
Beitrafung gleih einem Räuber. 
8 252. (Sw.) Wer, bei einem Diebjtahle auf frijcher Tat betroffen, 
gegen eine Perſon Gewalt verübt oder Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr 








>. —— Era, 


Einzelne Verbrechen, Vergehen und Lebertretungen und deren Beltrafung. 223 


für Leib oder Leben anwendet, um ich im Belize des gejtohlenen Gutes zu 
erhalten, iſt gleich einem Räuber zu bejtrafen. 
Diebitahl ift hier auch der jog. Mundraub im Sinne von $ 3705. 
Der Diebftahl muß vollendet fein. Die Beitrafung fann nad) $$ 250, 251 ein— 
treten, wenn die Erſchwerungen vorliegen. Gewalt und Drohung müllen 
zur Sicherung der Diebesleute angewendet werden, nicht bloß zur Sicherung 
der eigenen Perſon. Auf friiher Tat betroffen, d. h. an Ort und 
Stelle der Verübung des Diebftahls, nicht alfo beim Einholen des alsbald 
verfolgten Diebe. Iſt gleih einem Räuber zu beftrafen, d.h. 3.8. 
die Beflimmungen über einen jonft erforderlichen Strafantrag im Sinne von 
$ 247 haben Feine Giltigfeit, aud die Rüdfalsbeftimmung im Sinne von 
$ 244 nicht, ſelbſt wenn die Strafe hiernady härter wäre. 
Erprefiung. 
8 253. (L) Wer, um jich oder einem Dritten einen rechtäwidrigen 
Vermögensvorteil zu verfchaffen, einen anderen durch Gewalt oder Drohung 
zu einer Handlung, Duldung oder Unterlafjung nötigt, it wegen Erpreſſung 
mit Gefängnis nicht unter einem Monat zu bejtrafen. 
Der Verſuch iſt jtrafbar. 
©. auch $ 240. Hier genügt jede Ankündigung eincd Uebels, dort 
nur eines Verbrechens oder Bergehend. Bermögenspvorteil ift Ber: 
mehrung des Bermögens oder günftige Geftaltung der Vermögenslage. Der 
Täter muß wifjen, daß er auf folche Mehrung oder Veränderung fein Recht 
hat, 3. B. auf Gewährung eines Darlehns ohne vorausgegangene Verpflichtung des 
anderen. Wer die Bezahlung einer fälligen Schuld verlangt, erjtrebt zwar einen 
Bermögensvorteil, aber feinen rechtswidrigen. Auch wer glaubt, auf einen Ber: 
mögensvorteil Anſpruch zu haben, kann ſich der Erpreſſung nicht ſchuldig 
mahen. As Gewalt kommen körperliche Sraftanwendung und phnfiicher 
Zwang in betracht, die jih nicht ald Gewalt gegen die Perfon im Sinne von 
$ 255 darftellen, alio Gewalt an Sachen, allerdings mit mittelbarer Richtung 
gegen die Perfon. Der Hauswirt hebt dem mißliebigen Mieter, der in un— 
gefündigtem und auch fofort nicht lösbarem Mietverhältnis, wie der Hauswirt 
weiß, mit ihm lebt, Türen und Fenfter aus, um die Wohnung einem anderen, 
dem er fie meitervermietet hat und der auf fein Recht oder Schadenserfag 
befteht, einzuräumen. 
Grihwerte Erprefiung. 
Ss 254. (1) Wird die Erprefjung durch Bedrodung mit Mord, mit 
Brandftiftung oder mit Verurfachung einer Ueberſchwemmung begangen, jo 
ift auf Zuchthaus bis zu fünf Jahren zu erfennen. 
Erpreffung durch Bedrohung mit Mord nur im Sinne des $ 211 (nicht 
212); Brandftiftung 88 306 ff., 311; Ueberſchwemmung $ 312 ff. 


224 III. Strafgefegbudh. — Zweiter Teil. 


Beltrafung gleih einem Räuber. 

s 255. (Sw.) Wird die Erpreffung durch Gewalt gegen eine Perſon 
oder unter Anwendung von Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib 
oder Leben begangen, jo ift der Täter gleich einem Räuber zu betrafen. 

Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für den Leib ift nicht 
jede Androhung einer körperlichen Mißhandlung, fondern nur mit einer ſolchen, 
die geeignet ift, eine, wenn auch nur vorübergehende Beihädigung der leib- 
lichen Unverfehrtheit oder Gefundheit zu bewirken. 

Nebenſtrafen. 

$ 256. Neben der wegen Erpreſſung erkannten Gefängnisſtrafe kann 
auf Verluſt der bürgerlichen Ehrenrechte und neben der wegen Raubes oder 
Erprefjung erkannten Zuchthausftrafe auf Zuläffigteit von Polizei-Aufſicht 
erfannt werden. 


21. Abjchnitt. 
Begünftigung und Hehlerei. 


Begünftigung. 

$ 257. (L. be A.) Wer nad Begehung eines Verbrechens oder 
Vergehen dem Täter oder Teilnehmer wijjentlich Beiſtand leijtet, um den— 
jelben der Beitrafung zu entziehen, oder um ihm die Vorteile des Verbrechens 
oder Vergehen zu fichern, ijt wegen Begünftigung mit Geldjtrafe bis zu 
jechshundert Marf oder mit Gefängnis bis zu einem Jahre und, wenn er 
diefen Beistand feines Vorteiles wegen leiftet, mit Gefängnis zu bejtrafen. 
Die Strafe darf jedoch, der Art oder dem Maße nach, feine jchwerere fein, 

als die auf die Handlung jelbit angedrohte. 
Die Begünftigung ift ftraflos, wen dieſelbe dem Täter oder Teilnehmer 
von einem Angehörigen gewährt worden it, um ihn der Beitrafung zu entziehen. 
Die Begünjtigung ift als Beihülfe zu bejtrafen, wenn fie vor Begehung der 
Tat zugejagt worden ift. Dieje Beitimmung leidet auch auf Angehörige Anwendung. 
Begünftigung nach Begehung einer Uebertretung ift nit nad 
$ 257 ftrafbar. Der Begünftiger muß wiffen, daß der Begünftigte fich 
ftrafbar gemadıt hat. Der Begünftiger muß unmittelbar bezweden, den 
Degünftigten der Beftrafung zu entziehen oder ihm die Vorteile zu fihern. Der 
Beftrafung wird entzogen, wer der Verurteilung oder auch bloß der 
Strafvollitrefung dauernd oder vorübergehend entzogen wird. Beifpiele: Bes 
ftimmung des Polizeibeamten, Feine Anzeige zu erflatten; unmwahre Ausfagen 
im Ermittelungsverfahren vor Polizei, Richter und Staatsanwaltidaft; Ver: 


Einzelne Verbrechen, Vergehen und Uebertretungen und deren Beitrafung. 235 


leitung eines Zeugen, im Ermittelungsverfahren (uneidlih) falſch auszujagen; 
faliche Angaben, um für den Verurteilten einen Strafauffhub zu erwirken; 
falfjche Angaben über eigenen Erwerb der dem Begünftigten zu fichernden, 
dur die Straftat erlangten Gegenſtände. Die Begünftigung durch den An- 
gehörigen ift auch ftrafbar, wenn dieſer feines Vorteil3 wegen, aber um den 
Täter der Beitrafung zu entziehen handelt. 
Perfonenhehlerei. 
S 258. Wer jeines Vorteile wegen ſich einer Begünftigung ſchuldig 
macht, wird ala Hehler beitraft, wenn der Begünftigte 

1. (L. bez. A.) einen einfachen Diebjtahl oder eine Unterjchlagung 
begangen hat, mit Gefängnis, 

2. (L.) einen ſchweren Diebjtahl, einen Raub oder ein dem Raube 
gleich zu bejtrafendes Verbrechen begangen hat, mit Zuchthaus bis 
zu fünf Jahren. 

Sind mildernde Umſtände vorhanden, fo tritt Gefängnisitrafe nicht 
unter drei Monaten ein. 

Diefe Strafvorjchriften finden auch dann Anwendung, wenn der Hehler 
ein Angehöriger iſt. 

Im Falle des $ 258 muß der Hehler die tatfähliche Beſchaffen— 
heit der Straftat des Begünftigten (Diebftahl, Unterichlagung, Raub) fennen 
und Lediglich feines (nicht notwendig rechtswidrigen) VBermögensvorteils 
wegen handeln. Der Vorteil muß nur erftrebt, braucht nicht erreicht zu fein. 


Sahhehlerei, Bartiererei, 
$ 259. (L. bez. A.) Wer feines Vorteiles wegen Sachen, von denen 
er weiß oder den Umjtänden nach annehmen muß, daß jie mittel3 einer jtraf: 
baren Handlung erlangt find, verheimlicht, anfauft, zum Pfande nimmt oder 
ſonſt an fich bringt oder zu deren Abjage bei anderen mitwirft, wird als 
Hehler mit Gefängnis beitraft. 

Die Sache muß von einem anderen mittel3 einer wenigitens objektiv 
ftrafbaren Handlung erlangt, aljo diefe Straftat vollendet fein, che der 
Hehler tätig wird. Nur die unmittelbar durch die Straftat (aud) Uebertretung) 
erlangte Sache (nicht alfo gegen ein geftohlenes Geldſtück eingewechſelte andere 
Gelditüde oder der Erlös durch Berkauf der Sache) kann Gegenftand der 
Hehferei fein. Der Hehler muß nur wiffen, daß eine Straftat vorliegt, ihre 
rechtlihe Beichaftenheit braucht er nicht zu kennen. Er muß die Kenntnis 
zur Zeit des Anfihbringens haben, fpätere Kenntnisnahme mit bloßem Im— 
befigtehalten genügt nicht, wohl aber mit Berheimlichung bei Nachforfhung. 
Der Ankauf erfordert nicht nur Bertragsabfchluß, jondern auch Beſitzüber— 

15 


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III. Strafgeſetzbuch. — Yweiter Teil. 


gang. Anjihbringen liegt vor, wenn die Berfügungsgewalt erlangt iſt; 
bloßes Mitgenießen geftohlener Sachen genügt nit. Die gehehlte Sache 
braucht für den Haupttäter feine fremde zu fein; 3. B. Hehlerei von der 
durch Piandentitridung erlangten eigenen Sache des Haupttäters. Hehlerei 
nicht: an erbettelten, gejchmuggelten, durch ftrafbare Gewerbsunzucht erlangten 
Saden. Abfag it auch Verpfändung. Mitwirfung zum Abjag: d. b. 
alfo Zufanımenwirfen mit einem anderen, 3. B. dem Hanpttäter oder einent 
anderen Hehler. 


Gewerbös und Gewohnheit: Schlerei. 
8 260. (L.) Wer die Hehlerei gewerbs» oder gewohnheitsmäßig betreibt, 
wird mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren beitraft. 

Gewerbsmäfigkfeit fegt eine fortgefegte, auf Erwerb gerichtete 
Tätigkeit voraus. Gemwohnheitsmäßigfeit liegt vor, wenn eine, durch) 
Miederholung gleichartigen Handelns ausgebildete Neigung zu ſolchem Tun 
befundet wird. Deshalb müffen bei der Gemwohnheit3mäßigfeit immer mehrere 
Fälle, wenn auch zeitlich) auseinanderliegend, vorliegen, während die Gewerbs- 
mäßigkeit fchon aus einem Falle gefolgert werden fann, wenn bei diefem die 
Abficht, die Handlung wiederholen zu wollen, offenbar wird. Der Mittäter 
oder Gehülfe macht fich der gewerbs: und gewohnheitsmäßigen Hehlerei nur 
jchuldig, wenn er ſelbſt gewerbs- oder gewohnheitsmäßig handelt. 


Sehlerei im Rückfall. 

$ 261. (L) Wer im Inlande wegen Hehlerei einmal und wegen 
darauf begangener Hehlerei zum zweiten Male beftraft worden ift, wird, wenn 
ſich die abermals begangene Hehlerei auf einen ſchweren Diebitahl, einen Raub 
oder ein dem Haube gleich zu beitrafendes Verbrechen bezieht, mit Zuchthaus 
nicht unter zwei Jahren bejtraft. Sind mildernde Umftände vorhanden, jo 
tritt Gefängnisftrafe nicht unter einem Jahre ein. 

Bezieht fich die Hehlerei auf eine andere firafbare Handlung, fo ift auf 
Zuchthaus bis zu zehn Jahren zu erkennen. Sind mildernde Umſtände vor- 
handen, jo tritt Gefängnisftrafe nicht unter drei Monaten ein. 

Die in dem $ 245 enthaltenen Borfchriften finden auch hier Anwendung. 

Wegen der Borausfegungen des ftrafichärfenden Rückfalls vergl. die An— 

merfungen zu $$ 244 u. 245. 

Nebenftrafen. 

Ss 262. Meben der wegen Hehlerei erfannten Gefängnisitrafe fann auf 
Berluft der bürgerlichen Ehrenrechte und neben jeder Verurteilung wegen 
Hehlerei auf Zuläffigkeit von Polizei» Aufficht erfannt werden. 


Einzelne Berbreden, Vergehen und llebertretungen und deren Bejtrafung. 9 


19 
-] 


22, Abſchnitt. 
Betrug und Untreue. 


Betrug. 

$ 263. (L. bez. A.) Wer in der Mbficht, fich oder einem Dritten 
einen rechtswidrigen Bermögensvorteil zu verjchaffen, das Vermögen eines 
anderen dadurch bejchädigt, daß er durch Borfpiegelung falſcher oder durch 
Entjtellung oder Unterdrüdung wahrer Tatjachen einen Irrtum erregt oder 
unterhält, wird wegen Betruges mit Gefängnis bejtraft, neben welchem auf 
Geldjtrafe bis zu dreitaufend Mark, jowie auf Verluft der bürgerlichen Ehren: 
rechte erfannt werden fann. 

Sind mildernde Umstände vorhanden, jo fann ausſchließlich auf die 
Selditrafe erfannt werden. 

Der Verſuch iſt jtrafbar. 

Wer einen Betrug gegen Angehörige, Vormünder oder Erzieher begeht, 
iſt nur auf Antrag zu verfolgen. Die Zurüdnahme des Antrages ist zuläffig. 

Der Tatbeftand des Betrugs ift in feiner Form und feiner Piychologie 
ein Meifterftüd der deutſchen Gefegestehnit. Seine Konftruftion muß genau 
erfaßt werden, da fie nicht einfach if. Dann wird Mar werden, daß die oft 
gehörte Klage nicht berechtigt iſt, der deutjche Betrugstatbeftand erfaſſe nicht 
alle Fälle, welche das BVolfsbewußtjein als „Betrug“ anfehe. 

Die Abjicht des Täters muß die Erlangung des rechtswidrigen 
Vermögensvorteil® bezweden; es genügt nicht, daß der Täter das bloße Be- 
wußtfein hat, er werde fid) durd; die Irrtumserregung einen rechtswidrigen 
Vermögensvorteil verfchaffen. Nur die Abficht, nicht die Erreichung derjelben, 
nicht alfo die Erlangung des Vorteils felbft wird verlangt. Wegen des 
rehtswidrigen VBermögensvorteils gilt dasjelbe wie bei der Er— 
preffung (8 253). PVermögensvorteil iſt Vermehrung des Vermögens durd) 
ein neues Vermögensobjeft, 3. B. den Erwerb einer Forderung, einer Ware, 
von Geld, oder günftigere Gejtaltung der Vermögenslage, 3. B. an Stelle 
einer jtreitigen Forderung Erlangung ihrer baren Bezahlung. Der Täter 
muß willen, daß er fein Recht auf jolhe Mehrung oder Beränderung feines 
Vermögens hat. Glaubt er ein Recht darauf zu haben, fo entfällt fein Ver— 
ichulden. Der Betrüger muß den rechtswidrigen VBermögensvorteil fich felbit 
oder einen Dritten verichaffen wollen. 

In diefer auf Erlangung eines rechtswidrigen Vermögensvorteilß ge: 
richteten Abficht muß nun der Täter in einer anderen Perſon einen Irrtum 
dadurch erregen oder unterhalten, daß er diefer anderen Perſon faliche Tat: 
ſachen vorfpiegelt oder wahre Tatſachen entjtellt oder unterdrüdt. Tat— 
jaden find äußere oder innere Vorgänge, 3. B. die Abficht, eine beftellte 

15* 


228 


III. Strafgeſetzbuch. — Zweiter Teil, 


Zeche bezahlen zu wollen. Eine Tatſache ift falich, wenn der Täter ihre 
Unmwahrheit genau kennt. Aber auch hier genügt der dolus eventualis. Vor— 
fpiegelung verlangt ein poſitives Handeln, nidt ein bloß paflives Ver- 
halten des Täters. Die Unterdbrüdung der wahren Tatſache fann in 
deren Verſchweigen nur gefunden werden, wenn mit dem VBerfchweigen ein auf 
Täufhung abzielendes aktives Verhalten verbunden wird oder eine Rechts— 
pfliht zur Offenbarung der wahren Tatjache beteht. Hierzu iſt zu bemerfen, 
daß niemand verpflichtet ift, ungefragt feine mißliche VBermögenslage (Konkurs, 
Offenbarungseid) zu offenbaren. Durch die Vorfpiegelung oder Unterdrüdung 
muß ein Irrtum hervorgerufen oder ein fchon vorhandener Irrtum aufrecht 
erhalten, alfo nicht lediglich ohne pofitives Beftärfen benugt werben. 


BZufolge der Erregung oder Unterhaltung de3 Irrtums muß der fo 
Getäufchte in feinem Irrtum eine Handlung vornehmen oder unterlaffen, 
welche entweder ihm felbit oder — da Getäufchter und Beſchädigter nicht die- 
jelbe Perjon zu ſein brauden — eine andere Perjon in ihrem Vermögen 
befchädigt. Die Bermögensbeihädigung muß alfo durch die Täufchuug ver: 
urfacht fein. Würde der Getäufchte auch ohme die Täufchung die Handlung 
vorgenommen ober unterlaffen, 3. B. ein Darlchn aus Mitleid gegeben 
haben, jo läge nicht vollendeter, fondern höchſtens verfuchter Betrug vor. 
Vermögensbeichädigung ift gegemiäglich zum Bermögensvortel Minderung 
de3 Vermögens, 3. B. Hingabe von Geld oder Sachen, oder ungünftigere 
Geftaltung der Bermögenslage, 3. B. für Hingabe im baren Gelde Erwerb 
einer zweifelhaften Darlehnsforderung. 


Der nur auf Antrag zu verfolgende Betrug darf nur allein gegen 
Angehörige uſw., nicht auc) zugleich gegen andere, welche zu diejen Perfonen 
nicht gehören, begangen fein. Der Betrogene ift derjenige, welcher die Ver— 
mögensbejchädigung erleidet bezw. beim Verſuch erleiden joll, nicht alfo der 
Getäufchte, wenn diefer und der Beichädigte verichiedene Perfonen find. 


Beifpiele: Betrügeriſches Borgen ; Beftellen und Genießen von 
Speifen und Getränfen mit dem Bewußtfein, fie nicht alsbald bar bezahlen 
zu fönnen, oder mit der Abjicht, fie gar nicht bezahlen zu wollen (Bed 
prellerei) ; heimliches Einfteigen in einen Eifenbahnwagen, Mitfahren auf dem 
Trittbrett, Benugung eines nidyt übertragbaren Eifenbahnbillet8 durch den 
Nichtberechtigten. Einkaſſierung von Forderungen jeiten eines Nichtberechtigten. 
Kreditbetrug: Berfhaffung von Geld oder Waren ohne Zahlungsfähigkeit 
oder Zahlungswillen. Betrug durch Falichipiel. Erlangung von Geftundung 
einer Forderung durch Täufhung, wenn der Schuldner zur Zeit der Täuſchung 
noch zahlungsfähig war. Erlangung der Freigabe gepfändeter Gegenftände 
durch Täuſchung. Erlangung von Bargeld gegen unfichere Hypothef. Forderung 
zu hoher Zeugengebühren zufolge Täuſchung. Vorſpiegelung der Abficht, einen 
gegen Darlehn gegebenen Wechſel alsbald einlöjen zu wollen. Erlangung 


Einzelne Verbrechen, Vergehen und Hebertretungen und deren Bejtrafung. 229 


einer Bertragsunterichrift durdy die Täuſchung, der Vertrag laute im Sinne 

gewiffer miünbdlicher Abmachungen. Lieferung einer anderen Ware als ber 

beftellten (Kunſtwein ftatt Naturwein). Berfauf von Bier unter falicher 

Marke; von minderwertigem Bitterwafler al3 „Hunyadi Jänos*. Betrügerijches 

Betteln, 3. B. unter Vorjpiegelung don Gebrechen, wenn der Gebende gerade 

hierdurch zur Gabe beftimmt wird. Unmahre Behauptungen im Zivilprozeß 

unter Beibringung faljcher Beweismittel dafür. 
Rüdfalibeirug. 
$ 264. (L) Wer im Inlande wegen Betrug einmal und wegen 
darauf begangenen Betrugs zum zweiten Male bejtraft worden ift, wird wegen 
abermals begangenen Betrugs mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren und zugleich 
mit Geldftrafe von einhundertfünfzig bi8 zu jechstaufend Mark beitraft. 

Sind mildernde Umftände vorhanden, fo tritt Gefüngnisitrafe nicht unter 
drei Monaten ein, neben welcher zugleich auf Gelditrafe bis zu dreitaufend 
Mark erfannt werden fann. 

Die in $ 245 enthaltenen Vorjchriften finden auch hier Anwendung. 

Die bei Annahme mildernder Umftände zuläffige Mindeftitrafe ift ebenſo 
wie beim Rüdfallsdiebftahl vielfach zu hod. 

Bergl. über die Borausfegungen des Rüdjalls 88 244, 245. Nüdfall, 
auch wenn die Borbeitrafungen wegen Betrugs in begrifflihem Zuſammen— 
treffen mit einer fchwereren Straftat (Urkundenfälfhung) erfolgt find. 

Berfiherungöbetrug. 
$ 265. (Sw.) Wer in betrügerijcher Abjicht eine gegen Feuersgefahr 
verficherte Sache in Brand jegt, oder ein Schiff, welches als jolches oder in 
feiner Ladung oder in feinem Frachtlohn verfichert iſt, finfen oder jtranden 
macht, wird mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren und zugleich mit Gelditrafe 
von einhundertfünfzig bis zu fechstaufend Mark beitraft. 

Sind mildernde Umftände vorhanden, jo tritt Gefängnisſtrafe nicht unter 
ſechs Monaten ein, neben welcher auf Geldjtrafe bis zu dreitaufend Mark er- 
fannt werden fanı. 

Die betrügerifche Abficht liegt vor, wenn ein Verſicherer zum Vorteile 
des BVerfiherten durch Täuſchung um die Verſicherungsſumme gejchädigt werden 
jol. Täter kann der Verſicherte felbft oder aud ein Dritter fein. 

Untreue. 

8 266. (L) Wegen Untreue werden mit Gefängnis, neben welchem 
auf Berluft der bürgerlichen Ehrenrechte erfannt werden fann, bejtraft: 

1. Bormünder, Kuratoren, Güterpfleger, Sequejter, Mafjenvermalter, 

Vollſtrecker legtwilliger Verfügungen und Verwalter von Stiftungen, 


nn nn 


230 III. Strafgefepbuh. — Zweiter Teil. 


wenn ſie abjichtlih zum Nachteile der ihrer Aufficht anvertrauten 

Perjonen oder Sachen handeln; 

2. Bevollmächtigte, welche über Forderungen oder andere Vermögens- 
ſtücke des Auftraggebers abjichtlich zum Nachteil desfelben verfügen ; 
3. Feldmeſſer, Verfteigerer, Mäfler, Güterbejtätiger, Schaffner, Wäger, 

Meſſer, Brader, Schauer, Stauer und andere zur Betreibung ihres 

Gewerbes von der Obrigfeit verpflichtete Perſonen, wenn fie bei 

den ihnen übertragenen Gejchäften abſichtlich diejenigen benach— 

teiligen, deren Gefchäfte fie bejorgen. 

Wird die Untreue begangen, um fich oder einem anderen einen Ver— 
mögensvorteil zu verjchaffen, fo fann neben der Gefängnisjtrafe auf Geldftrafe 
bis zu dreitaufend Mark erkannt werden. 

1. Abfihtlih zum Nachteile handeln fegt voraus, daß ein Ber: 
mögensnadhteil vorfäglich, d. h. zum mindeften mit dem Bewußtjein, daß die 
Handlungsweife des Täter8 den andern im feinem Vermögen fchädige, wirklich 
herbeigeführt wird. 8. B. der Vormund borgt Geld des Miündels, welches 
er in einem Sparfaffenbucdhe anzulegen angehalten ift, einem zahlungsunfähigen 
Belannten. 

2. Bevollmädtigter iſt derjenige, dem ein Auftraggeber die Führung 
von Rechtsgeſchäften wirklich übertragen hat; z. B. Mitglieder des Vorftandes 
und des Auffichtsrates einer Aftiengefellichaft; der vom Gläubiger zur Zwangs— 
vollitrefung gegen den Schuldner beauftragte Gerichtsvollzieher. Der Konkurs— 
verwalter ift fein Bevollmächtigter des Gemeinichuldners oder der Konkurs— 
gläubiger, fondern ein Kurator im Sinne von Ziffer 1. Der Bevollmächtigte 
muß aljo berufen fein, Willenserklärungen jelbitändig für den Auftraggeber 
abzugeben. Wer die Willenserflärungen des Auftraggebers nur als deſſen 
Werkzeug und Bote vertritt, 3. B. der einfaufende Dienftbote und der verfaufende 
Handlungsgehüffe, ift nicht Bevollmächtigter. 


23. Abſchnitt. 
Urkundenfälfcung. 
Urkundenfälſchung. 


8 267. (L.) Wer in rechtswidriger Abſicht eine inländische oder ausländische 
öffentliche Urkunde oder eine jolche Privaturfunde, welche zum Beweiſe von 
Rechten oder Rechtsverhältniffen von Erheblichkeit ift, verfälicht oder fäljchlich 
anfertigt und von derjelben zum Zwecke einer Täufchung Gebrauch macht, wird 
wegen Urfundenfäljchung mit Gefängnis bejtraft. 

Urkunde ift ein leblofer förperlicher Gegenftand, der beftimmt und 
geeignet tft, irgend eine Tatſache zu erweifen, Nicht nur Schriftftüde, aud) 





Einzelne Verbrechen, Vergehen und Lebertretungen und deren Bejtrafung. >31 


andere Gegenftände, z. B. Biermarken, find Urkunden. Ber der fchriftlichen 
Urkunde ift die Unterfchrift des Aussteller nicht unbedingt erforderlich; es 
genügt, wenn die Perfon desjelben fonft aus der Urkunde erfichtlich wird. 
Deffentlide Urkunden find foldhe, welche von einer Öffentlichen Behörde 
innerhalb der Grenzen ihrer Amtsbefugniffe oder von einer mit öffentlichem 
Glauben verfehenen Perfon (z. B. Notar) imnerhalb des ihr zugewiefenen 
Gefchäftstreifes in der vorgefchriebenen Form aufgenommen find; 3. B. Fahr: 
farten der Eifenbahnen, BZuftelungsurfunden und Protokolle der Gerichts: 
vollzieher, ftandesamtliche Urkunden, an zollpflichtigen Waren angebrachte 
amtlihe Warenverfchlüffe (Bleiplomben). Eine Privaturkunde ift dann 
zum Beweife von Rechten oder Rechtsverhältniſſen von Erheb- 
lichkeit, wenn jie an und für fich geeignet ift, irgend ein Recht oder ein Rechts— 
verhältnis zu beweilen, z. B. den Abſchluß eines Kauf: oder Mietvertrags oder 
die Hingabe eines Darlehns, Anerkennung einer Schuld uſw. Es ift nicht nötig, 
daß die Privaturfunde aud dazu beftimmt ift, das fragliche Recht oder Rechts» 
verhältnis zu erweilen. Es iſt deshalb auch ganz gleichgiltig, ob der Täter 
den Zwed verfolgte, gerade für das fragliche Recht oder Rechtsverhältnis ein 
Beweismittel zu ſchaffen. Beifpiel: Eine Mannsperfon will ein Mädchen 
zum Beifchlaf verführen; er fpiegelt ihr vor, er wolle fich mit ihr verloben 
und gibt, um fie ficher zu machen, unter falſchem Namen eine VBerlobungs- 
anzeige an eine Zeitung auf. Hier fchafft er nicht nur ein Beweismittel für 
eine erfolgte Verlobung, worauf fein Wille gerichtet ift, jondern er fchafft 
weiter ein Beweismittel für einen Infertionsauftrag. Beweiserhebliche Privat: 
urkunden find z. B. Wedel, Blankoakzepte, Schuldbelenntniffe, Geſchäfts— 
empfehlungen, Frachtbriefe, faufmännifche Bücher, fogenannte Beibücher, Yohn- 
zettel, Strafanzeigen, PBfandfcheine der Yeihanitalten, Briefe, wenn im ihnen 
Rechte und Rechtsverhältnifie befprocden werden uſp. Der Täter muß bie 
Öffentliche oder private Urkunde entweder verfälfchen, d. h. die echte Ur- 
funde in einem wejentlihen Punkte abjichtlih verändern, oder fälſchlich 
anfertigen, d. h. eine meue umechte Urkunde abfichtlich herftellen. Beides 
muß in vehtswidriger Abjicht vorgenommen worden jein, d. h. der 
Täter muß dabei den Zwed verfolgen, mit der veränderten oder neu an: 
gefertigten Urkunde irgend welchen nicht erlaubten Erfolg herbeizuführen, 3. B. 
im Mechtsleben von der Urkunde Gebrauch zu machen. Der Täter muß das 
Bewußtſein haben, daß er rechtswidrig handelt. Wenn er glaubt, der Be: 
rechtigte werde die Veränderung oder Anfertigung der Urkunde nachträglich 
genehmigen, fehlt ihm das Bewußtiein der Rechtswidrigkeit. Endlich muß 
der Täter von der in rechtswidriger Abficht verfälichten oder fälfchlih an— 
gefertigten Urkunde zum Zmwede einer Täuſchung Gebraud machen. 
Die Täuſchung über die Echtheit der Urkunde braucht nur bezwedt, nicht 
alfo erreicht zu fein. Ein Gebrauchmachen liegt vor, wenn die Urkunde durch 
Vorzeigen, PVorlegen, Borlefen oder in anderer Weife, 3. B. Hinlegen an 


TIL Strafgeſetzbuch. — Zweiter Teil. 


— 
ee 
[867 


einen Ort, wo fie ber zu Täuſchende finden wird, zugängig gemacht wird. 
E8 braucht nicht der aus der falichen Urkunde Berpflichtete getäufcht zu werden. 
Mit der Urkundenfälfhung trifft oft Betrug begrifflic zufanmen. Bon der 
Urfundenfälfhung ift die fogenannte fchriftliche Lüge zu fcheiden; bei diefer 
wird nicht, wie bei jener, eine jchriftliche Beglaubigungsform nachgeahmt oder 
verändert. Wer dur Unterzeihnung eines falichen Namens den Irrtum 
erweden will, er ſei eine andere Perfon, macht ſich der Urfundenfälfchung 
ſchuldig. 
Gewinnfüdhtige Urkundenfälſchung. 
$ 268. Eine Urkundenfälſchung, welche in der Abſicht begangen wird, 
fih oder einem anderen einen Wermögensvorteil zu verjchaffen oder einem 
anderen Schaden zuzufügen, wird bejtraft, wenn 
1. (L.) die Urkunde eine Privaturfunde ift, mit Zuchthaus bis zu 
fünf Jahren, neben welchem auf Geldjtrafe big zu dreitaufend Marf 
erfannt werden fanın; 


2. (Sw.) die Urfunde eine öffentliche ift, mit Zuchthaus bis zu zehn 

Jahren, neben welchem auf Gelditrafe von einhundertfünfzig bis 

zu jechstaufend Mark erfannt werden fann. 

Sind mildernde Umstände vorhanden, jo tritt Gefängnisitrafe ein, welche 
bei der Fälſchung einer Privaturfunde nicht unter einer Woche, bei der Fälſchung 
einer Öffentlichen Urkunde nicht unter drei Monaten betragen joll. Neben der 
Gefängnisſtrafe fann zugleich auf Geldftrafe bis zu dreitaufend Mark erfannt 
werden. 

Der Täter muß bereit3 bei der Fälfchung beabfichtigen, fich einen — 
nicht notwendig rechtswidrigen — Bermögensporteil zu verichaffen. 
Schadenszufügung braucht nicht vermögensrechtlich zu fein, fie kann 3. B. durch 
Ehrenkränkung erfolgen. 

Der Urkundenfälſchung glei geadhtet. 


$ 269. Der fäljchlichen Anfertigung einer Urkunde wird es gleich ge- 


achtet, wenn Jemand einem mit der Unterjchrift eines anderen verjehenen 
Papiere ohne dejjen Willen oder dejjen Anordnungen zuwider durch Ausfüllung 
einen urkundlichen Inhalt gibt. 

Das Papier fann ſchon urfundlihen Inhalt gehabt haben, nur nicht 
denjenigen, welchen der Täter dann herftellt. Es find im übrigen alle Er: 
fordernifje von SS 267 bezw. 268 vorausfeglih. Die Unterfchrift braucht nicht 
gejchrieben, fie kann gedrudt oder ſonſt mechanisch hergeftellt fein. Belanntes 
Beiipiel: Ausfülung eines Blankoakzeptes mit einer höheren Summe als 
vereinbart iſt. 


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Einzelne Verbredien, Vergeben und Llebertretungen und deren Beitrafung. 233 


8 270. Der Urkundenfälfchung wird es gleich geachtet, wenn Jemand 
von einer falfchen oder verfäljchten Urkunde, wifjend, daß fie faljch oder ver- 
fälſcht ift, zum Zwecke einer Täufchung Gebrauch mad. 


Die falfche oder verfälichte Urkunde braucht nur einen falſchen Inhalt 
zu haben; dieſer braucht nicht in rechtswidriger Abficht hergeitellt zu fein. 
Das Gebrauhmacen muß aber in rechtswidriger Abficht erfolgen. 


Sogenannte intelleftuelle Urfundenfälfchung. 

s 271. (L.) Wer vorfäglich bewirkt, daß Erklärungen, Verhandlungen 
oder Zatjachen, welche für Rechte oder Rechtsverhältnifie von Erheblichkeit 
find, in öffentlichen Urkunden, Büchern oder Regijtern als abgegeben oder ge- 
gefchehen beurfundet werden, während fie überhaupt nicht oder in anderer Weije 
oder don einer Perſon in einer ihr micht zuftehenden Eigenfchaft oder von 
einer anderen Perjon abgegeben oder gejchehen find, wird mit Gefängnis bis 
zu jechs Monaten oder mit Gelditrafe bis zu dreihundert Mark beitraft. 

Die Öffentliche Urkunde, das Buch oder Regiſter muß zum Beweiſe 
der Erflärungen, Berhandlungen oder Tatſachen bejtimmt fein, 3. B. das 
Geburtregifter zum Beweife der Ehelichfeit oder Unehelichkeit der Geburt 
eines Kindes. Die Melderegifter der Polizeibehörden und Strafregijter der 
Staatsanwaltfchaften über den Strafvollzug find nicht dazu beftimmt, den 
Nachweis über die Beftimmtheit der eingetragenen Berfonen zu erbringen. 
Ob die Gefängnisliften in den Gefangenanftalten zu ſolchem Zwede beflimmt 
find, iſt im einzelnen Falle nah der Einrichtung der Yilte zu prüfen. Der 
Täter muß die unrichtige Beurkundung vorſätzlich veranlaffen und willen, daß 
jie von rechtlicher Bedeutung ift. 

Au gewinnfüchtiger Abficht. 

$ 272. (Sw.) Wer die vorbezeichnete Handlung in der Abjicht begeht, ſich 
oder einem anderen einen VBermögensvorteil zu verjchaffen oder einem anderen 
Schaden zuzufügen, wird mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren beitraft, neben 
welhem auf Gelditrafe von einhundertfünfzig bis zu jechstaujend Marf er- 
fannt werden fann. 

Sind mildernde Umſtände vorhanden, jo tritt Gefängnisitrafe ein, neben 
welcher auf Gelditrafe bis zu dreitaufend Mark erfannt werden fann. 

Abſicht, ſich oder einem andern einen VBermögensvorteil zu verfchaffen 
oder einem andern Schaden zugufügen, wie bei $ 268 
8 273. (L.) Wer wiffentlich von einer faljchen VBeurfundung der im 

$ 271 bezeichneten Art zum Zwecke einer Täufchung Gebrauch macht, wird 
nach Vorfchrift jenes Paragraphen und, (Sw.) wenn die Abficht dahin gerichtet 


234 III. Stvafgejegbud. — Zweiter Teil. 


war, ſich oder einem anderen einen Vermögensvorteil zu verjichaffen oder einem 
anderen Schaden zuzufügen, nach Vorjchrift des 8 272 bejtraft. 

Hier wird vorausgefegt, daß der zuftändige Beamte irrtümlich (ob auch 
vorfäglich, ift beftritten) eine unrichtige Beurkundung vorgenommen hat. 

Urfundenunterprüdung und Grenzverletzung. 
s 274. (L) Mit Gefängnis, neben welchem auf Geldjtrafe bis zu 
dreitaujend Marf erfannt werden fann, wird bejtraft, wer 
1. eine Urkunde, welche ihm entweder überhaupt nicht oder nicht aus» 
ichlieglich gehört, in der Abficht, einem anderen Nachteile zuzu— 
fügen, vernichtet, bejchädigt oder unterdrüdt, oder 
2. einen Grenzjtein oder ein anderes zur Bezeichnung einer Grenze 
oder eines Wafleritandes beftimntes Merfmal in der Abjicht, einem 
anderen Nachteil zuzufügen, wegnimmt, vernichtet, unfenntlic) 
macht, verrüdt oder fälſchlich ſetzt. 

Ziffer 1. Wem die Urkunde gehört, enticheidet fid nach den ein— 
ſchlagenden Bellimmungen des bürgerlihen Rechtes. ine beweiserheblidhe 
Urkunde im Sinne von $ 267 braucht nicht vorzuliegen, es genügt jede zum 
Beweife irgend einer Tatfache geeignete Urkunde. Nadteile find nicht 
nur vermögensrechtliche Nachteile aller Art, 3. B. Entziehung eines Beweis- 
mittel3 im Vermögensprozeß. Beſchädigung ift Beeinträchtigung der Sub- 
ftanz (Papier) der Urkunde oder auch nur ihrer Beweiskraft. Unter: 
drüdung ift gänzliche oder vorübergehende Entziehung des Gebrauchs. 


Ziffer 2. Der Grenzftein oder das Merkmal muß nah dem Willen 
der maßgebenden Parteien (alfo nicht nad der Willfür eines Einzelnen) zur 
Bezeichnung der Grenze oder des Waflerftandes beſtimmt fein. Zivilrechtlich 
braucht die Grenzbeſtimmung nicht giltig zu fein. 

Stempelfälfhungen. 
s 275. (L) Mit Gefängnis nicht unter drei Monaten wird bejtraft, wer 
1. wifjentlich von falfchem oder gefälfchtem Stempelpapier, von faljchen 
oder gefäljchten Stempelmarten, Stempelblanfetten, Stempel: 
abdrüden, Poſt- oder Telegraphen=Freimarfen oder geftempelten 

BrieffuvertsS Gebrauch macht, 


. unechtes Stempelpapier, unechte Stempelmarfen, Stempelblanfette 
oder Stempelabdrüde für Spielfarten, Päſſe oder jonftige Drud- 
ſachen oder Schriftitüde, ingleichen wer unechte Poſt- oder Tele: 
graphen-Freimarken oder geitempelte Brieffuvert3 in der Abficht 
anfertigt, jie als echt zu verwenden, oder 


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Einzelne Verbrechen, Bergehen und Uebertretungen und deren Beftrafung. 235 


3. echtes Stempelpapier, echte Stempelmarfen, Stempelblanfette, 
Stempelabdrüde, Poſt- oder Telegraphen=Freimarfen oder gejtempelte 
Briefkuverts in der Abficht verfäljcht, fie zu einem höheren Werte 
zu verwenden. 


Der 8 275 ſchützt imländifche und ausländifche Stempelmarken ufw. 
Gebrauhmadhen im Sinne von Ziffer 1 liegt nur dor, wenn die Marfe vom 
Inhaber in den äußeren, d. h. mit einem Dritten ftattfindenden Rechtsverkehr 
(Einlegen de3 mit der falfhen Marke beflebten Briefe in den Poftlaften, 
nicht ſchon Uebergabe an einen Boten zur Einlegung; Verlauf der Stempel) 
gebracht wird. 


g 276. (A.) Wer wifjentlich Schon einmal zu ftempelpflichtigen Urkunden, 
Schriftjtüden oder Formularen verwendetes Etempelpapier oder fchon einmal 
verwendete Stempelmarken oder Stempelblanfette, ingleichen Stempelabdrüde, 
welche zum Zeichen jtattgehabter Verfteuerung gedient haben, zu jtempelpflichtigen 
SC chriftftüden verwendet, wird, außer der Strafe, welche durch die Entziehung 
der Stempelſteuer begründet ijt, mit Gelditrafe bis zu jechshundert Mark beftraft. 

Gleiche Strafe trifft denjenigen, welcher wiſſentlich jchon einmal ver: 
wendete Pojt: oder Telegraphenwertzeichen nad) gänzlicher oder teilweijer Ent: 
fernung des Entwertungszeichens zur Franfierung benugt. Neben diefer Strafe 
iit die etwa wegen Entziehung der Poſt- oder Telegraphengebühren begründete 
Strafe verwirft. 

Vergl. $ 27 des Poſtgeſ. v. 28.10.71; R. ©. v. 16./5. 69 (Telegr.: 

Freim.) $ 2 (Bundes:G.B.©. 377); zu Abſatz 2 vergl. $ 364 Abf. 2 u. 


Poſtgeſ. $ 273. 
Medizinalperfonen. 


$ 277. (1) Wer unter der ihm nicht zujtehenden Bezeichnung als 
Arzt oder als eine andere approbierte Medizinalperfon oder unberechtigt unter 
dem Namen folcher Berjonen ein Zeugnis über jeinen oder eines Anderen 
Geſundheitszuſtand ausjtellt oder ein derartiges echtes Zeugnis verfäljcht, und 
davon zur Täufchung von Behörden oder Verjicherungsgefellichaften Gebraud) 
macht, wird mit Gefängnis bis zu einem Jahre bejtraft. 

Das Zeugnis braudt feinen unrichtigen Inhalt zu haben; bejtraft 
wird die Täufhung über die formale Befchaffenheit des Zeugniffes. Eine 
Medizinalperfon kann nad der MNeichsgewerbeordnung oder nach Yandesrecht 
(3. B. in Bayern die Bader) einer Approbation bedürfen. Die Heb— 
ammen bedürfen nad) $ 30 der Gew.-D. Feiner Approbation, fie fallen aljo 
nicht unter die approbierten Medizinalperfonen. Zur Täufhung Gebraud 
maden ſ. $ 267. 


236 IT. Strafgeſetzbuch. — Zweiter Teil. 


$ 278. (L) Aerzte und andere approbirte Medizinalperfonen, welche 
ein unrichtige8 Zeugnis über den Gejundheitszuftand eines Menfchen zum 
Gebrauche bei einer Behörde oder PVerficherungsgejellichaft wider beſſeres 
Wiffen augjtellen, werden. mit Gefängnis von einem Monat bis zu zwei 
Jahren beftraft. 

Bergl. $ 277. Zeugniſſe über den Gefundheit3zuitand 
eined Menjhen find aud Impfzeugniſſe. Hier muß das Zeugnis 
einen unrichtigen Inhalt haben. Der Täter muß wiffen, daß das Zeugnis 
einer Behörde uſw. zugängli gemacht werden fol. Wider beſſeres 
Wiſſen f. $ 164. 
$ 279. (L.) Wer, um eine Behörde oder eine Verficherungsgejellichaft 

über feinen oder eines Anderen Geſundheitszuſtand zu täufchen, von einem 
Zeugnifje der in den SS 277 und 278 bezeichneten Art Gebrauch macht, wird 
mit Gefängnis bis zu einem Jahre beitraft. 

Der Täter muß wiffen, daß das Zeugnis unberechtigt ausgeſtellt, ver: 
fälfcht oder unrichtig wider befjeres Wiffen ausgeftellt ift. 

Nebenftrafen. 
$ 280. Neben einer nach Vorfchrift der S$ 267, 274, 275, 277 bis 
279 erkannten Gefängnisftrafe fann auf Berluft der bürgerlichen Ehrenrechte 
erfannt werben. 


24. Abſchnitt. 
Bankerutt. 
Durh $ 3 Nr. 3 und $ 4 Abf. 2 des Einf.-G. zur Konk.“O. find die 
88 281—283 des Str.G.B. und die den Konkurs betreffenden Strafvor- 
Ihriften der Landesgeſetzgebg. ausdrüdlich aufgehoben. Die aufgehobenen Be: 
ftimmungen ſind erjegt durch die SS 239 ff. (feither SS 209 ff.) der Reichs: 
Konk.O. Siehe unter V. 


25. Abſchnitt. 
Strafbarer Eigennuk und Berlekung fremder Geheimniſſe. 
Gewerbömähiges Glüdsfpiel. 

S 284. (L) Wer aus dem Glücksſpiele ein Gewerbe macht, wird mit 
Gefängnis bis zu zwei Jahren bejtraft, neben welchem auf Gelditrafe von 
dreihundert bis zu jechstaufend Mark, jowie auf Verluft der bürgerlichen 
Ehrenrechte erfannt werden fanı. 

Sit der Verurteilte ein Ausländer, jo ift die Qandespolizeibehörde befugt, 
denjelben aus dem Bundesgebiete zu verweifen. 


Einzelne Verbrechen, Bergehen und Uebertretungen und deren Beitrafung. 237 


Glücksſpiel ift ein Spiel um VBermögenswert, bei welchem die Ent: 
fheidung über Gewinn oder Verluſt allein oder wejentlid vom Zufall, nicht 
von der Geſchicklichkeit der Spieler abhängt. Ob um einen Vermögenswert 
geipielt wird, richtet fich nad) den Vermögensverhältniffen der Spieler. Ein 
Spiel, welches im einzelnen Falle, zufolge der Hebung des Spielers Geſchick— 
lichfeitsfpiel ift, kann im übrigen für da8 große ungeübte Publitum Zufallsipiel 
fein (Ringwurffpiel ufw.). Die gewerbsmäßigen Buchmacher find Glüdsfpieler. 
Das Glüdsfpiel ift begonnen, fjobald ein Mitjpieler einen Einfag gemacht 
hat. Aus dem Glüdsfpiele maht ein Gewerbe, wer aus fortgefegten Spiele 
eine Duelle von Einnahmen macht. Schon aus einem einzelnen Falle fann 
die Gewerbsmäßigfeit gefolgert werden, wenn des Spielers Abſicht offenbar 
wird, das Spiel des Erwerbes halber fortzujegen. Der gemohnheitSmäßige 
Spieler ift nicht ohme weiteres gewerbsmäßiger Spieler. 

Geftattung von Glücksſpiel. 
8 285. (L. bez. A.) Der Inhaber eines öffentlichen Berfammlungs- 
ort3, welcher Glüdsfpiele dajelbit geftattet oder zur Verheimlichung jolcher 
Spiele mitwirft, wird mit Geldjtrafe bis zu eintaufendfünfhundert Mark beitraft. 

Inhaber des Berfammlungsortes it, wer die augenblidliche tat— 
fächliche Verfügungsgewalt hat, alfo auch der Stellvertreter des Wirtes, der Ober- 
fellner. Geftattung in öffentlichen Berfamntungsorten, Berheimlichung auch in nicht 
öffentlichen Räumen (3. B. in Privatzimmern) ftrafbar. Das Glüdsfpiel braucht 
hier fein gewerbsmäßiges zu fein, e8 braucht nicht einmal aus Gewinnſucht, fondern 
nur zur Unterhaltung geipielt zu werden. Glüdsfpiel ſ. $ 284. 

2otterie und Ausſpielung. 
$ 286. (L) Wer ohne obrigfeitliche Erlaubnis öffentliche Lotterien 
veranstaltet, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren oder mit Geldftrafe bis 
zu dreitaufend Mark beitraft. 
Den Lotterien jind öffentlich veranjtaltete Ausfpielungen beweglicher 
oder unbeweglicher Sachen gleich zu achten. 

Eine Yotterie bez. Ausſpielung veranjtaltet, wer mehreren anderen 
Perfonen je gegen einen Preis die Hoffnung auf Gewinn in Geld ober 
anderen Gegenjtänden verkauft. Eine Beranftaltung liegt vor, jobald 
der Ziehungsplan fundgegeben und Lofe zum Abfage angeboten worden find. 
Die Lotterie iſt öffentlich, wenn die Teilnahme an ihr nicht einem be— 
ftimmten begrenzten Perfonenfreije, jondern dem Bublifum als ſolchem ermög- 
licht ift. Beifpiele: Vertrieb von Anteilfcheinen auf Loſe, Abonnement einer 
Zeitung mit Anrecht auf Prämiengewinne oder auf Gewinn bei Löſung eines 
Preisrätjels; öffentliche Anzeige eines Kaffeehändlers, daß in je 100 Padeten 
Kaffee ein oder mehrere Scheine mit Anrecht auf Lieferung einer Kaffeelanne 
enthalten jeien. Der Zeitungsredafteur, welcher das Inſerat der Ankündigung 
einer verbotenen Lotterie abdrudt, als Gehülfe ftrafbar. 


238 III. Strafgejegbuch. — Zweiter Teil. 


Ss 287. — 

Aufgehoben, 5. R.G. zum Schug d. Warenbezeihnung dv. 12.5. 94. 
NG. Bl. ©. 441, 88 14—19, 24. 

Gläunbigerbenadteiligung. 

8 288. (L. bez. A.) Wer bei einer ihm drohenden Zwangsvollitredung 
in der Abficht, die Befriedigung des Gläubiger zu vereiteln, Bejtandteile 
feines Vermögens veräußert oder beifeite jchafft, wird mit Gefängnis bis 
zu zwei Sahren beitraft. 

Die Verfolgung tritt nur auf Antrag des Gläubigers ein. 

Die Zwangsvollftredung droht, wenn der Gläubiger durch feine 
verftändlihen Handlungen zu erkennen gegeben hat, daß er feine Forderung 
alsbald gerichtlich geltend machen und zwangsweiſe beitreiben wolle; 3. B. bei 
Slageerhebung, Erlangung von Urteil, Zuftellung desfelben an den Schuldner 
ufw. Die Abficht des Täter muß direkt bezweden, die Befriedigung 
de3 Gläubigers zu vereiteln. Die Befriedigung braucht nicht endgültig, vie 
fann auch nur vorübergehend vereitelt werden, fofern der Gläubiger z. B. 
gezwungen wird, eine neue Pfändung vorzunehmen. Bermögensbeftand- 
teile find hier der Pfändung unterworfene, nicht ihr nad) geieglicher Be: 
ftimmung entzogene Sachen oder Forderungen des Schuldners, z. B. feine 
entbehrlihen Möbel, feine Forderungen aus Kaufe oder Mietvertrag. Ver— 
äußerung liegt vor bei Verkauf, Verpachtung, Berpfändung, Forderungs— 
abtretung uſp. Beifeiteichaffen liegt vor, wenn die Sade bez. Forderung 
dauernd oder vorübergehend dem Zugriffe des Gerichtsvollziehers entzogen wird 
Daß der Gläubiger wirklih endgültig geichädigt werde, iſt nicht erforderlich. 
Antragsberechtigter Gläubiger ift, wer den Anſpruch auf Zwangsvollſtreckung 
im einzelnen Falle hat. Die Antragsfrift beginnt mit Kenntnisnahme der 
Veräußerung oder Beifeitefhaffung ſowie zugleih davon, daß der Schuldner 
damit die Bereitlung der Befriedigung bezwede. 

Piandentzichung. 

s 289. (L) Wer feine eigene bewegliche Sache, oder eine fremde 
bewegliche Sache zu gunjten des Eigentümers derjelben, dem Nutznießer, 
Piandgläubiger vder demjenigen, welchem an der Sache ein Gebrauchs- oder 
Aurüdbehaltungsrecht zuiteht, im rechtswidriger Abjicht wegnimmt, wird mit 
Gefängnis bis zu drei Jahren oder mit Gelditrafe bis zu neunhundert Marf 
beitrait. 

Neben der Gefängnisjtrafe kann auf Verluft der bürgerlichen Ehrenrechte 
erfannt werden. 

Der Verſuch ift jtrafbar. 

Die Verfolgung tritt nur auf Antrag ein. 


Einzelne Verbrechen, Vergehen und llebertretungen und deren Beitrafung. 230 


Die Beitimmungen des $ 247 Abjat 2 und 3 finden auch hier Anwendung. 

Den Gebrauchs: und Zurüdbehaltungsredhte zuitehen, fagt 
das bürgerliche Recht; ein Gebrauchsrecht hat der Entleiher, der Mieter ujw. 
Der Bermieter hat ein Pfandrecht an allen dem Mieter gehörigen, der 
Pfändung unterworfenen in die Mietsräume eingebrachten Sachen aus For: 
derungen aus dem Mietverhältnis für die Vergangenheit und für die Zukunft 
hinfichtlich des laufenden und des nädjitfolgenden Mietjahrs (näheres ſ. in den 
Beitimmungen des Bürgerlichen Geſetzbuchs unter IV dieſes Teiles). Die 
rechtswidrige Abjicht liegt nur vor, wenn der Täter bezwedt, dus Recht 
des Berechtigten bewußterweile unbefugt zu verlegen. Weguahme ift Ent: 
ziehung der Verfügungsgewalt oder beim Mietsverhältnis bloßes Fortichaften 
der eingebrachten Sachen. 

Gebrauh von Pfändern. 


8 2%. (L.) Oeffentliche Pfandleiher, welche die von ihnen in Pfand 
genommenen Gegenjtände unbefugt in Gebrauch nehmen, werden mit Gefängnis 
bis zu einem Jahre, neben welchem auf Gelditrafe big zu neunhundert Marf 
erfannt werden fann, beitraft. 

Deffentlihe Pfandleiher find diejenigen, welche dem Publikum ihre 

Dienfte bereitftellen. Ingebrauhnahme ift jede Art von Benukung, audı 

Weiterverpfändung, welche ſich nicht al8 Unterichlagung darjtellt, weil jeder: 

zeit Wiedereinlöfung möglich iſt. 

Berihofiene Munition. 
$ 291. (L.) Wer die bei den Uebungen der Artillerie verjchofjene 
Munition, oder wer Bleifugeln aus den Kugelfängen der Schiehjtände der 
Truppen fich widerrechtlich zueignet, wird mit Gefängnis bis zu einem Jahre 
oder mit Gelditrafe bis zu neunhundert Mark beitraft. 
Widerrehtlih, d. h. ohme beionderes Recht und ohne Erlaubnis. 


Nubefugteö Jagen, 
$ 292. (A.) Wer an Orten, an denen zu jagen er nicht berechtigt it, 
die Jagd ausübt, wird mit Gelditrafe bis zu dreihundert Marf oder mit 
Gefängnis bis zu drei Monaten beitrajt. 
Sit der Täter ein Angehöriger des Jagdberechtigten, fo tritt die Ver— 
folgung nur auf Antrag ein. Die Zurüdnahme des Antrages it zuläjlig. 
Jagdausübung ift jede auf Erlangung jagdbarer Tiere unmittelbar 
gerichtete Tätigfeit, z. B. auffuchen, verfolgen, nachftellen, aufftellen von Fallen, 
Negen, Schlingen ufw. Aneignung von Fallwild und abgeworfenen Geweihen 
gehört zur Fagdausübung. Wer zu jagen berechtigt fei, und welde Tiere 
dem Jagdrechte unterworfen find, fagen die landesrechtlihen Jagdgeſetze 
(ſ. Landesitrafreht).,. Unterfhied vom Diebftahl: das freie nicht 


240 Ill. Strafgeſetzbuch. — Zweiter Teil. 


offupierte Wild jteht in keines Menſchen Eigentum, an ihm kann Diebftahl 
nicht begangen werden; wohl aber an offupierten, in Wildgärten eingefchloffenen 
Wilde. Angehörige f. $ 52. . 


Erihwerungsgründe. 2 
5 295. (L. be. A.) Die Strafe fann auf Geldftraje bis zu ſechs— 
Hundert Marf oder auf Gefängnis bis zu ſechs Monaten erhöht werden, wenn 
dem Wilde nicht mit Schießgewehr oder Hunden, fondern mit Schlingen, 
Negen, Fallen oder anderen Vorrichtungen nachgeftellt oder, wenn das Ver: 
gehen während der gejeglichen Schonzeit, in Wäldern, zur Nachtzeit oder 
gemeinschaftlich von mehreren begangen wird, 


Die Shonzeit des Wildes beftimmen landesrechtliche Geſetze (f. Yandes- 
ſtrafrecht). Nachtzeit ift die Zeit der Dunkelheit wie in $ 243 Ziffer 7. 
Gemeinfhaftlih von mehreren, d. h. im Mittäterfchaft im Sinne 
von 8 47 begangen. Im Falle des 8 292 ift ein Strafantrag niemals 
erforderlich, auch wenn der Täter ein Angehöriger des Jagdberechtigten ift. 


Gewerbömähiges Jagen. 

$ 29. (L.) Wer umberechtigte® Jagen gewerbsmäßig betreibt, wird 
mit Gefängnis nicht unter drei Monaten beftraft; auch fann auf Verluſt der 
bürgerlichen Ehrenrechte, jowie auf Zuläffigfeit von Polizei» Aufficht erkannt 
werden. 

Gewerbsmäßigfeit f. $ 260: auf Gewinn gerichtete fortgefeßte 

Tätigkeit. Das Wild kann auch im eigenen Haushalte des Täterd verbraudt 

werden. Der Gehülfe des gewerbsmäßigen Jägers fann nur dann aus $ 294 

beftraft werden, wenn er ſelbſt gewerbsmäßig handelt: folgt aus $ 50. 

Einziehung. 

s 295. Neben der durch das Jagdvergehen verwirkten Strafe ift auf 
Einziehung des Gewehrs, des Jagdgeräts und der Hunde, welche der Täter 
bei dem unberechtigten Sagen bei fich geführt hat, ingleichen der Schlingen, 
Nepe, allen und anderen Vorrichtungen zu erfennen, ohne Unterjchied, ob 
fie dem Berurteilten gehören oder nicht. 

Die Einziehung muß ausgeiproden werden. 


Fiſchen bei Nadıtzeit ufw. 
$ 296. (L. bez. A.) Wer zur Nachtzeit, bei sadellicht oder unter 
Anwendung fchädlicher oder erplodierender Stoffe unberechtigt fiſcht oder krebſt, 
wird mit Gelditrafe bis zu jechshundert Mark oder mit Gefängnis bis zu 
ſechs Monaten beitraft. | 





Einzelne Verbrechen, Vergehen und Lebertretungen und deren Bejtrafung. 241 


Nachtzeit ſ. S 292. Fifhen: das Auffuhen, Verfolgen, Fangen 
aller dem Fifchercirechte unterworfenen Waſſertiere, auch Muſcheln. Wegnahme 
von Fiſchen aus gefchloffenen Gewäſſern ift Diebftahl, weil diefe Fiſche ala 
offupiert im Eigentume des Berechtigten ftehen. 

Fliſchende Ausländer, 
$ 296a. (L. bez. A.) Ausländer, welche in deutjchen Küftengemäfiern 
unbefugt fijchen, werden mit Geldjtrafe bis zu jechshundert Mark oder mit 
Gefängnis bis zu jech Monaten bejtraft. 

Neben der Geld- oder Gefängnisſtrafe ilt auf Einziehung der Fanggeräte, 
welche der Täter bei dem unbefugten Fiſchen bei jich geführt hat, ingleichen 
der in dem Fahrzeuge enthaltenen Fiiche zu erfennen, ohne Unterſchied, ob 
die Fanggeräte und Fiſche dem Verurteilten gehören oder nicht. 

Schiffsgefährdung. 

8 297. (L.) Ein Reifender oder Schiffämann, welcher ohne Vorwiſſen 
des Schiffers, ingleichen ein Schiffer, welcher ohne Vorwiſſen des Nheders 
Gegenftände an Bord nimmt, welche das Schiff oder die Ladung gefährden, 
indem ſie die Beichlagnahme oder Einziehung des Schiffes oder der Ladung 
veranlafjen fünnen, wird mit Geldjtrafe bis zu eintaujendfünfgundert Mark 
oder mit Gefängnis bis zu zwei Jahren beitraft. 

Schiffsmann vgl. Seemannsordnnung. 

Entlaufender Shiffömann., 

$ 298. (L. bez. A.) Ein Schiffsmann, welcher mit der Heuer ent- 
fäuft oder jich verborgen hält, um ſich dem übernommenen Dienfte zu ent- 
ziehen, wird, ohne Unterjchied, ob das Vergehen im Inlande oder im Auslande 
begangen worden ijt, mit Gefängnis bis zu einem Jahre beitraft. 


Bergl. Seemannsordnung. 
Bricischeimmis. 


S 299. (A) Wer einen verjchlojjenen Brief oder eine andere ver: 
ichloffene Urkunde, die nicht zu feiner Kenntnisnahme bejtimmt ift, vorjätlich 
und unbefugter Weije eröffnet, wird mit Geldjtrafe bis zu dreihundert Mark 
oder mit Gefängnis bis zu drei Monaten bejtraft. 

Die Verfolgung tritt nur auf Antrag ein. 

Der Täter muß aljo eine auf Eröffnung eines Urfundenverfchluffes 
gerichtete Tätigkeit entfalten. Für weſſen Kenntnisnahme der Brief ufw. 
beftimmt ift, ergeben die Adreſſe und die ſonſtigen Umftände des Falles. Der 
Täter muß willen, daß ihm hiernady fein Recht zur Eröffnung zufteht. Ver— 
jehentliche Verlegung des Briefverfchluffes nicht ſtrafbar. Schon die Ber: 
ichlußeröffnung ftraibar, Kenntnisnahme vom Inhalt nicht nötig. 

16 


242 III. Strafgejepbudy. — Zweiter Teil. 


Offenbarung von Privatgeheimniſſen. 

$ 300. (L. bez. A.) Rechtsanwälte, Advofaten, Notare, Verteidiger 
in Straffachen, Merzte, Wundärzte, Hebammen, Apothefer, jowie die Gehülfen 
diefer Perſonen werden, wenn fie unbefugt Privatgeheimniffe offenbaren, die 
ihnen Eraft ihres Amtes, Standes oder Gewerbes anvertraut find, mit Geld: 
itrafe bis zu eintaufendfünfhundert Mark oder mit Gefängnis bis zu Drei 
Monaten beitraft. 

Die Verfolgung tritt nur auf Antrag ein. 

Privatgeheimniffe find Geheimniſſe, deren Bekanntwerden nicht 
im Intereſſe der betroffenen Perſon liegt und dem Anfehen, der Ehre oder den 
Familienverhältniſſen derjelben Eintrag tun und Schaden zufügen fann. Das 
Geheimniß ift anvertraut, wenn die Verfchwiegenheit ausdrücklich bedungen 
worden ift oder fich aus den Umſtänden der Mitteilung ftillfchweigend ergibt. 
Ein Berteidiger darf das Geftändnis eines Angellagten ihm gegenüber nicht 
preisgeben, ein Arzt in der Regel nicht ihm befannt gewordene Geichlechts- 
franfheiten feines Patienten. Antragsberehtigt ijt der Perlegte, bei 
Verlegung der Familie der Ehemann oder Vater. 

Ausnutzung Minderjähriger. 
$ 301, (L.) Wer in gewinnfüchtiger Abficht und unter Benugung des 
Leichtfinns oder der Unerfahrenheit eines Minderjährigen ſich von demjelben 
Schuldfcheine, Wechjel, Empfangsbefenntnifje, Bürgjchaftsinftrumente oder eine 
andere, eine Verpflichtung enthaltende Urkunde ausstellen oder auch nur 
mündlich ein Zahlungsverfprechen erteilen läßt, wird mit Gefängnis bis zu 
jechs Monaten oder mit Geldjtrafe bis zu eintaufendfünfhundert Mark beitraft. 
Die Verfolgung tritt nur auf Antrag ein. 

Gewinnſüchtig ift jede Abſicht, welche auf günftigere Geftaltung der 
Bermögenslage des Täters abzielt, alfo auch die Abficht, für eine bereits 
beftehende begründete Forderung gegen den Minderjährigen von diefem eine 
Sicherſtellung durch Wechfel ufw. zu erlangen. Leichtſinn it die Sorg— 
lofigkeit oder der Mangel an Ueberlegung, welche die Folgen einer Handlung 
nicht ermeffen. Unerfahrenheit, d. h. in Gefchäften der vorliegenden Art. 
Die Volljährigkeit tritt mit dem vollendeten 21. Lebensjahre ein. Sich 
erteilen laſſen, d. h. auch entgegen und annehmen. Antrags: 
berechtigt ift der Minderjährige, für welden aber bie Beitimmungen in 
$ 65 Plaß greifen. Gleichzeitige Genehmigung des Vaters oder Vormundes 
bei der Verpflidhtungserflärung des Minderjährigen jchließt den Tatbeftand aus. 

Erſchwerungen. 
$ 302, (L) Wer in gewinnſüchtiger Abſicht und unter Benutzung 
des Leichtſinns oder der Unerfahrenheit eines Minderjährigen ſich von dem— 


Einzelne Verbrechen, Bergehen und Webertretungen und deren Beltrafung. 243 


jelben unter VBerpfändung der Ehre, auf Ehrenwort, eidlid oder unter ähn- 
lichen Verficherungen oder Beteuerungen die Zahlung einer Geldjumme oder 
die Erfüllung einer anderen, auf Gewährung geldwerter Sachen gerichteten 
Verpflichtung aus einem NRechtsgejchäfte verjprechen läßt, wird mit Gefängnis 
bis zu einem Jahre oder mit Gelditrafe bis zu dreitaufend Mark beitraft. 

Neben der Gefängnisitrafe kann auf Verluft der bürgerlichen Ehrenrechte 
erfannt werden. 


Dieſelbe Strafe trifft denjenigen, welcher jich eine Forderung, von der 
er weiß, daß deren Berichtigung ein Minderjähriger in der vorbezeichneten 
Weiſe verſprochen hat, abtreten läßt. 


Die Verfolgung tritt nur auf Antrag ein. 

Siehe die Anmerkungen zu $ 301. Sich verfpreden laffen, 

d. bh. auch entgegen: und annehmen. 
Wucher. 

g 302a. (L.) Wer unter Ausbeutung der Notlage, des Leichtſinns oder 
der Unerfahrenheit eine anderen mit bezug auf ein Darlehn oder auf die 
Stundung einer Geldforderung oder auf ein anderes zweijeitiges Nechtsgejchäft, 
welches denjelben wirtjchaftlichen Zwecken dienen fol, fich oder einem Dritten 
Bermögensvorteile veriprechen oder gewähren läßt, welche den üblichen Zinsfuß 
dergejtalt überjchreiten, daß nach den Umständen des Falles die Vermögens: 
vorteile in auffälligem Mißverhältnis zu der Leiftung ftehen, wird wegen 
Wuchers mit Gefängnis bis zu ſechs Monaten und zugleich mit Geldjtrafe 
bis zu dreitaufend Mark beſtraft. Auch kann auf Verluft der bürgerlichen 
Ehrenrechte erkannt werden. 

Ausbeutung ift die bewußte Ausnugung Notlage ift eine 
augenblidlih zur Aufwendung von Geldmitteln drängende Bermögenslage, 
aud wenn fie nur vorübergehend ift; der Wucherer muß diefe Notlage kennen. 
Wegen Leichtſinn und Unerfahrenheit 5.3301. Dpfer des Wucherers 
fi nicht nur eine mumderjährige, fondern jede andere Perfon. Mit bezug 
auf ein Darlehn ufw., d. h. im näheren Zufammenhange mit dem Darlehn 
ujw., jo daß Darlehn und vom Bewucherten gewährter VBermögensvorteil als 
gegenfeitige Leitungen erfceinen. Ein zweifeitiges Rechtsgeſchäft, 
welches denjelben wirtfhaftliden Zweden wie ein Darlehn 
dienen joll, liegt 3. B. vor, wenn dem Bewucherten eine Forderung weit 
unter dem Werte abgefauft wird, die er erft durch Verkauf von Mobilien ober 
Grundftüdsparzellen an einen Dritten ſich verfhaffen muß; auch Rückkaufs— 
geichäfte gehören hierher. Der üblihe Zinsfuß ift nicht der geſetzliche 
oder immer der Zinsfuß der Pfandleiher, jondern der am Drte nad den 

16 * 


sm er“ 
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05 Aue u 


244 111, Strafgeſetzbuch. — Zweiter Teil. 


Geldverhältniffen der Zeit unter Berüdfichtigung der Zwede des Geſchäftes 
gewöhnliche. Das Mißverhältnis zwifchen Leiſtung und Gegenleiftung 
muß ein auffälliges fein, d. h. die Borteile de8 Wucherers müſſen über- 
mäßige jein. Ob das der Fall fei, ift nad den Umftänden des Falles, 
d. h. unter Berüdfichtigung aller wejentlihen Umftände desjelben zu bes 
urteilen. 
Erfhwerungsgründe. 
$ 302b. (L) Wer jich oder einem Dritten die wucherlichen Vermögens 
vorteile ($ 3028) verjchleiert oder wechjelmäßig oder unter WVerpfändung der 
Ehre, auf Ehrenwort, eidlich oder unter ähnlichen Verjicherungen oder Be- 
teuerungen verfprechen läßt, wird mit Gefängnis bis zu einem Jahre und 
zugleich mit Geldftrafe bis zu jechstaujend Mark beſtraft. Auch kann auf 
Berluft der bürgerlichen Ehrenrechte erfannt werben. 

Verſchleierung liegt vor, wenn der wucherliche Inhalt des Geſchäftes 
durch die Form eines erlaubten Gejchäftes verbedt wird, 3. B. Darlehn gegen 
gleichzeitige Abnahme von Waren feiten des Bewucherten, wobei der Kaufpreis 
zugleich, eine Vergütung für die Gewährung des Darlehns bedeutet; oder Ein- 
rüdung einer höheren Summe in die Schuldirfunde als der Wucherer wirflid) 
gewährt. Verfchleierung erfordert nicht, daß der Schuldner getäufcht wird. 

Mitwucher. 
$ 302e. Dieſelben Strafen ($ 302a, $ 302 h) treffen denjenigen, welcher 
mit Kenntnis des Sachverhalts eine Forderung der vorbezeichneten Art erwirbt 
und entweder diefelbe weiter veräußert oder die wucherlichen VBermögensvorteile 
geltend macht. 

Wie der Mitiwucherer die Forderung erwirbt, ift gleichgiltig, aud bei 
Erbgang. Die Kenntnis vom wucerliden Charakter der Forderung muß 
ſchon bei dem Erwerbe derfelben vorliegen ; fpäter, auch vor Weiterveräußerung 
und Geltendmachung erlangte Stenntnis jchadet nicht. 

Gewerbös und Gewohnheitswucher. 
$ 302d. (L) Wer den Wucher ($$ 302a bis 302c) gewerbs- oder 
gewohnheitsmäßig betreibt, wird mit Gefängnis nicht unter drei Monaten und 
zugleich mit Geldftrafe von einhundertfünfzig bis zu fünfzehntaufend Mark 
beftraft. Auch ift auf Verluft der bürgerlichen Ehrenrechte zu erkennen, 

Gewerbs- und gewohnheitsmäßig ſ. 8 260. Berluft der 
bürgerlihen Ehrenrehte muß ausgefproden werden. 

Sogenannter Sahwuder. 
$ 302e. (L.) Dieſelbe Strafe ($ 302d) trifft denjenigen, welcher mit 
bezug auf ein Rechtsgeſchäft anderer als der im $ 302a bezeichneten Art 
gewerb3- oder gewohnheitsmäßig unter Ausbeutung der Notlage, des Leichtjinng 


Einzelne Verbreden, Vergehen und Webertretungen und deren Beitrafung. 245 


oder der Unerfahrenheit eines anderen ſich oder einem Dritten Vermögens— 
vorteile verjprechen oder gewähren läßt, welche den Wert der Leiftung dergejtalt 
überjchreiten, daß nach den Umitänden des alles die Vermögensvorteile in 
auffälligem Mifverhältnis zu der Leiftung ftehen. 

Hier wird ein Rechtsgeſchäft anderer Art als Darlehn und Geitundung 
einer Forderung und zweiſeitiges denjelben wirtfchaftlihen Zwecken dienendes 
Rechtsgeſchäft gefordert, 3. B. Verkauf gegen einen unverhältnismäßigen 
Preis, ebenfo Vermietung ufw. Auch hier muß Gewerbs- oder Gewohnheits- 
mäßigfeit vorliegen. 


26. Abſchnitt. 
Sachbeſchüdigung. 
Sachbeſchädigung. 


$ 303. (J. bez A) Wer vorſätzlich und rechtswidrig eine fremde 
Sache bejchädigt oder zerjtört, wird mit Geldftrafe bis zu eintaufend Mark 
oder mit Gefängnis bis zu zwei Jahren beitraft. 

Der Verſuch ijt itrafbar. 

Die Berfolgung tritt nur auf Antrag ein. 

Iſt das Vergehen gegen einen Angehörigen verübt, jo ijt die Zurücknahme 
des Antrages zuläflig. 

Die Sache (körperlicher Gegenſtand) kann eine bewegliche (hierzu ge— 
hören auch Tiere) oder eine unbewegliche, 3. B. eine bemalte, tapezierte Wand, 
fein. Die Sade darf nicht für den Eigentümer vollitändig wertloß fein; fie 
muß für den Täter eine fremde, nad den Beitimmungen des bürgerlichen 
Rechtes fein. Beihädigung it Aufhebung der Unverjehrrheit. Der Täter 
muß vorjüglich handeln und wiffen, daß er fein Recht zur Beichädigung und 
Berftörung hat, wie 3. B. bei der erlaubten Selbfthülfe. Beifpiele: Abhauen 
von Bäumen aus Bosheit oder Race, Werfen eines fremden Gegenftandes 
in ein Wafjer oder einen Abgrund uſw., Einfegen eines Hechtes in einen 
fremden Sarpfenteih, Einfhütten von Kot in einen Brunnen. Antrags- 
berechtigt ii der Eigentümer oder der in jeinen fonftigen Rechten Verletzte, 
3. B. der Mieter, der Entleiher. Angehöriger f. $ 52; nur er allein, 
nicht zugleih ein Nichtangehöriger, darf verlegt fein. Sachbeſchädigung kann 
mit anderen Straftaten, 3. B. Einbruchsdiebftahl, begrifflich zufammentreffen. 

Erihiwerungen. 
$ 304. (L. bez. A.) Wer vorjäglicd) und rechtswidrig Gegenftände der 
Verehrung einer im Staate bejtehenden Religionsgejellichaft, oder Sachen, die 
dem Gottesdienste gewidmet find, oder Grabmäler, öffentliche Denkmäler, Gegen: 
itände der Kunſt, der Wiſſenſchaft oder des Gewerbes, welche in öffentlichen 


246 II. Strafgeſetzbuch. — Zweiter Teil. 


Sammlungen aufbewahrt werden oder öffentlich aufgeftellt find, ober Gegen- 
jtände, welche zum öffentlichen Nugen oder zur Verfchönerung öffentlicher 
Wege, Pläge oder Anlagen dienen, bejchädigt oder zerftört, wird mit Gefängnis 
bis zu drei Jahren oder mit Gelditrafe bis zu eintaufendfünfhundert Marf 
beitraft. 

Neben der Gefängnisftrafe kann auf VBerluft der bürgerlichen Ehrenrechte 
erfannt werden. 

Der Verſuch it jtrafbar. 
Siehe 8 303. Religionsgeiellichaften f. $ 167. Dem 
Gottesdienjte gewidmet j. $ 243 Ziffer 1. Zum öffentliden 
Nutzen dienen Gegenftände, wenn fie in irgend einer Beziehung zum Nugen 
des Publikums oder zum allgemeinen Gebrauche gereichen. Ob eine Sache 
zur Verſchönerung dient, ift nach den einjchlagenden lokalen Berhältniffen 
zu enticheiden, 3. B. nicht Abpflüden einer einzelnen SZierpflanze, wohl aber 
einer ſolchen, wenn fie beionders koftbar ift und jelten blüht; es kommen 
fowohl bewegliche als unbewegliche Sachen in Betracht. 
$ 305. (L.) Wer vorfäglich und rechtswidrig ein Gebäude, ein Schiff, 
eine Brüde, einen Damm, eine gebaute Straße, eine Eifenbahn oder ein 
anderes Bauwerk, welche fremdes Eigentum find, ganz oder teilweife zerjtört, 
wird mit Gefängnis nicht unter einem Monat bejtraft. 

Der Verſuch iſt jtrafbar. 

Borjäglich und rehtswidrig i.$ 303. Gebäude, dauerhaftes 
und feites Bauwerk zum Schuge für Berionen, Tiere oder Sachen gegen 
äußere Einflüffe. Brüde ift nicht jeder Steg, jondern ein Bauwerk von 
Erheblichkeit, alfo Größe, Feftigkeit und Tragfähigkeit. Bauwerk: für dauernde 
Zwede errichtete, mit dem Grund und Boden dauernd verbundene Zuſammen— 
fügung von Baumaterialien. Teilweiie Zerftörung im Gegenſatze zur 
bloßen Beihädigung liegt vor, wenn die uriprüngliche Gebraudsbeftimmung 
beeinträchtigt wird, 3. B. eine Brüde wird durch Wegnahme einer Bohle 
ungangbar gemadht. 


27. Abſchnitt. 
Gemeingefährliche Berbrechen und Bergehen. 
Branpdftiftung, vorfätlice. 
$ 306. (Sw.) Wegen Branditiftung wird mit Zuchthaus bejtraft, wer 
vorfäglich in Brand jeßt: 
1. ein zu gottesdienjtlichen Berfammlungen bejtimmtes Gebäude, 
2. ein Gebäude, ein Schiff oder eine Hütte, welche zur Wohnung 
von Menfchen dienen, oder 


unter 


Einzelne Berbrechen, Vergehen und Webertretungen und deren Beitrafung. 247 


3. eine Räumlichfeit, welche zeitweie zum Aufenthalt von Menjchen 
dient, und zwar zu einer Zeit, während welcher Menjchen in der: 
jelben jich aufzuhalten pflegen. | 
Inbrandiegung liegt vor, wenn ber Zündſtoff dem Gebäude ujw. 

io mitgeteilt worden ift, daß fich ein felbftändiges Fortbrennen entwideln kann. 

Deshalb genügt nicht das bloße Antohlen eines Gebäubdeteild. Brennen mit 

heller Flamme ift aber nicht nötig, es genügt ein Fortglimmen oder ort: 

glühen. Gebäude, i.$ 305. Hütte, zum Schuge gegen äußere Einflüfle 
errichtete unbewegliche Baulichkeit von einiger Bodenfläche und Dauerhaftigkeit, 

3. B. Hütte der Objtpflüder. Räumlichkeit ift jeder bewegliche oder unbewegliche, 

irgendwie abgejchloffene Raum, z. B. ein Eiſenbahnwagen oder ein Bergmerf. 

Erſchwerungen. 

s 307. (8w.) Die Brandſtiftung ($ 306) wird mit Zuchthaus nicht 

zehn Jahren oder mit lebenslänglichem Zuchthaus bejtraft, wenn 

1. der Brand den Tod eines Menjchen dadurch verurjacht hat, daß 

diefer zur Zeit der Tat in einer der in Brand gejegten Räumlich— 
feiten jich befand, 

. die Branditiftung in der Abficht begangen worden iſt, um unter 
Begünitigung derjelben Mord oder Raub zu begehen oder einen 
Aufruhr zu erregen, oder 

3. der Branditifter, um das Löfchen des Feuers zu verhindern oder 
zu erjchweren, Löfchgerätichaften entfernt oder unbrauchbar 
gemacht hat. 

Ziffer 1. Der Tod des Menſchen muß eine Folge der Branditiftung 
fein (der Menfch braucht nicht in den Flammen umgekommen, er fann vor 
Schred oder bei der Rettung geftorben jein) und der Getötete muß zurzeit 
der Tat in einer im Brand gejegten Räumlichkeit fich befunden haben. Ob 
der Brandftifter den Tod des Menſchen beabſichtigte, ift gleichgiltig. 


Brandftiftung, vorfäßtiche. 
$ 308. (Sw.) Wegen Branditiftung wird mit Zuchthaus bis zu zehn 


LO 


Iahren bejtraft, wer vorjäglich Gebäude, Schiffe, Hütten, Bergwerfe, Magazine 
Warenvorräte, welche auf dazu bejtimmten öffentlichen Pläten lagern, Vorräte 
von landwirtſchaftlichen Erzeugniffen oder von Bau- oder Brennmaterialien, 
Früchte auf dem Felde, Waldungen oder Torfmoore in Brand jet, wenn 
dieſe Gegenstände entweder fremdes Eigentum jind, oder zwar dem Brandjtifter 
eigentümlich gehören, jedoch ihrer Beichaffenheit und Lage nad) geeignet find, 
das Feuer einer der im $ 306 Nr. 1 bis 3 bezeichneten Räumlichfeiten oder 
einem der vorfjtehend bezeichneten fremden Gegenitände mitzuteilen. 


en; 


III. Strafgeiepgebung. — Zweiter Teil. 


Sind mildernde Umftände vorhanden, jo tritt Gefängnisitrafe nicht 


unter ſechs Monaten ein. 


Gebäude ſ. $ 305. Hütte ſ. $ 306. Magazine find die Bor- 
räte oder die fie einichließende Räumlichkeit. Vorräte find zu künftiger 
Berwendung gelammelte Mengen. Yandwirtfhaftlide Erzeugnifie 
auch Streu und Heu. Früchte auf dem Felde, db. h. geerntete oder nod) 
anftehende. Waldung ift eine mit Bäumen oder fonftigen Walderzeugniffen 
bewachjene, in fih zufammenhängende Grundfläche. Alſo nicht nur Holz: 
beitand, fondern auch die Bodenbededung, Gras ufw. Gegenſtand der Branditiftung. 


Fahrläffige Branpdftiftung. 


$ 309. (L.) Wer dur Fahrläffigkeit einen Brand der in den $$ 306 


und 308 bezeichneten Art herbeiführt, wird mit Gefängnis bis zu einem 
Jahre oder mit Gelditrafe bis zu meunhundert Marf und, wenn durch den 


Brand der Tod eines Menjchen verurfacht worden ift, mit Gefängnis von 


einem Monat bis zu drei Jahren beftraft. 


Fahrläſſigkeit j. $ 121. Der Tod des Menfchen braudıt nicht 
durch die Fahrläjligkeit des Täters herbeigeführt zu fein, es genügt, wenn 
der aus dem Gebäude bereitS Entlommene, zweds Rettung jeiner Habe, in 
dasjelbe zurüdtehrt und hierbei jeinen Tod finde. Im übrigen vergl. die 
Anmerkungen zu 88 306, 308. 


Straflofer Brandſtifter. 


8 310. Hat der Täter den Brand, bevor derjelbe entdedt und ein weiterer 


als der durch die bloße Inbrandjegung bewirkte Schade entitanden war, wieder 
gelöjcht, jo tritt Straflofigfeit ein. 


8 310 findet nur bei vorfäglicher oder fahrläifiger vollendeter, nicht 
aber bei nur verfuchter Branditiftung Anwendung. Der Brand ift ent: 
det, wenn durch die Wahrnehmung eines Dritten wider des Täters Willen 
die Verhinderung der Tat oder ihre Strafverfolgung ermöglicht wird. Wenn 
der Täter felbjt dritte Perfonen zum Löichen herbeiruft, liegt eine Ent- 
dedung nicht vor. 


Serftörung durch Pulver. 


$ 311. Die gänzliche oder teilweije Zerjtörung einer Sache durch Ge— 


brauch von Pulver oder anderen erplodierenden Stoffen ift der Inbrandjegung 
der Sache gleich zu achten. 


Vergl. Gefeg gegen den verbrecheriichen und gemeingefährlichen Gebraud 
von Sprengitoffen vom 9. Juni 1884. Gebraud von Pulver uſw. ift 
Verwendung oder Umgehen mit joldhen Stoffen. Erplodierende Stoffe: 
Dynamit, Benzin, Schießbaummwolle, entzündliche Gaſe; nicht Wallerdampf. 
Gänzliche vder teilweife Zerftörung, d.h. gänzliche oder teilmweife 
Unbrauchbarmahung der Sache für ihre Zwecke. 


Einzelne Verbrechen, Vergeben und Webertretungen und deren Bejtrafung. 240 


Borfäkliche Ueberſchwemmung . 
s 312. (Sw.) Wer mit gemeiner Gefahr für Menſchenleben vorjäglic 
eine Ueberſchwemmung Herbeiführt, wird mit Zuchthaus nicht unter drei Jahren 
und, wenn durch die Ueberjchwemmung der Tod eines Menjchen verurjacht 
worden ift, mit Zuchthaus nicht unter zehn Jahren oder mit Tebenslänglichem 
Zuchthaus beitraft. 
Gemeine Gefahr ift —— in nicht zu ermeſſender und vom 
Täter nicht zu bewältigender Ausdehnung. Ueberſchwemmung iſt Ge— 
fährdung des überftrömten Gebietes durch das austretende Waller. Auch 
Vergrößerung einer vorhandenen Ueberichwemmung iſt Herbeiführung einer 
jolhen. Die BVBorfäglichkeit der Handlung braucht ſich nur auf die Herbei- 
führung der Ueberſchwemmung, nicht aud mit auf die gemeine Gefahr für 
Menschenleben mitzuerftreden. 


$ 313. (Sw.) Wer mit gemeiner Gefahr für das Eigentum vorſätzlich 
eine Ueberſchwemmung herbeiführt, wird mit Zuchthaus beitraft. 
(L.) Sit jedoch die Abficht des Täterd nur auf Schuß jeines Eigentums 
gerichtet geivefen, jo iſt auf Gefängnis nicht unter einem Jahre zu erfennen. 
Bergl. 8 312. 


Fahrläffige Serbeiführung einer Ueberſchwemmung. 

8 314. (L) Wer eine Ueberſchwemmung mit gemeiner Gefahr für 
Leben oder Eigentum durch Fahrläffigfeit herbeiführt, wird mit Gefängnis bis 
zu einem Jahre und, wenn durch die Leberjchwemmung der Tod eines Menjchen 
verurjacht worden it, mit Gefängnis von einem Monat bis zu drei Jahren 
beitraft. 

Berge. $ 312. Fahrläſſigkeit ſ. $ 121. Eine Fahrläffigfeit wird 
durch Ausübung der Stauberehtigung nicht ausgeſchloſſen. 
Gifenbahngefährdung, vorſätzliche. 

8 315. (Sw.) Wer vorfäglich Eifenbahnanlagen, Beförderungsmittel 
oder jonjtiges Zubehör derjelben dergeitalt befchädigt, oder auf der Fahrbahn 
durch faljche Zeichen oder Signale oder auf andere Weiſe ſolche Dindernijje 
bereitet, daß dadurch der Transport in Gefahr geſetzt wird, wird mit Zucht: 
haus bis zu zehn Jahren beitraft. 

Iſt durch die Handlung eine ſchwere örperverlegung verurjacht worden 
worden, jo tritt Zuchthaugjtrafe nicht unter fünf Jahren und, wenn der Tod 
eines Menjchen verurjacht worden it, Zuchthausjtrafe nicht unter zehn Jahren 
oder lebenslängliche Zuchthausftrafe ein. 


250 III. Straſgeſetzbuch. — Zweiter Zeil. 


Vorfäglich, d. h. handeln mit dem Bewußtſein der Gefährbung. 
Eijenbahnanlagen: auch Straßenbahnen mit Sraftbetrieb, nicht Pferde- 
eijenbahnen. Die Eijenbahn braucht feine Öffentliche, fie kann eine private, 
für Fabrifbetrieb beftimmte, fein. Fahrbahn it der Raum zwiichen ben 
Beleifen und der darüber hinaus von den Wagen und der Rofomotive über- 
ragte angrenzende Raum. Der Transport wird in Gefahr geiegt, 
wenn die Möglichkeit nahe liegt, daß entweder der Betrieb als folcher oder 
ein beftimmter Transport (Zug, Wagen, Lofomotiven, transportierte 
Perjonen oder Sachen, Zugsperjonal) befhädigt werden. Schwere Körper: 
verlegung ſ. $ 224. 


Fahrläffige Elfenbahngefährdung. 
$ 316. (L) Wer fahrläfjigerweife durch eine der vorbezeichneten 
Handlungen den Transport auf einer Eifenbahn in Gefahr fett, wird mit 
Gefängnis big zu einem Jahre oder mit Gelditrafe bis zu neunhundert Marf 
und, wenn durch die Handlung der Tod eine® Menjchen verurjacht worden 
ift, mit Gefängnis von einem Monat bis zu drei Jahren beitraft. 


Gleiche Strafe trifft die zur Leitung der Eifenbahnfahrten und zur Auf: 
jicht über die Bahn und den Berörderungsbetrieb angejtellten Berfonen, wenn 
jie durch Vernachläſſigung der ihnen obliegenden Pflichten einen Transport 
in Gefahr jegen. 


Fahrläjiigkeit j. $ 121. Unter den zur Leitung der Eijen- 
bahnfahrten angeftellten Berfonen find nicht mur die höheren An— 
geftellten zu verftehen, jondern alle, welche vermöge ihrer Anftellung darauf 
zu achten haben, daß feine Gefahr entfieht. Auch Rangierbewegungen find 
Eiienbahnfahrten. Unter den zur Aufſicht angeftellten Per: 
jonen ebenfalld alle höheren und niederen Beamten zu verftchen. Bernach— 
läffigung der obliegenden Pflichten ift enger begrenzt als Fahr— 
läffigfeit, aber jedenfalls ein ſchuldhaftes Berhalten. Transport— 
gefährdung ſ. $ 315. Die wahlmeife Geldftrafe ift erft durch 
Neichsgeieg vom 27. Dezember 1900 eingeführt worden. Die Mindejtitrafe 
von einen Tage Gefängnis ift mit Recht als für viele Fälle zu hart em— 
pfunden worden. Die Frage der Fahrläffigkeit bedarf hier überhaupt ciner 
lorgfältigen Erörterung. Wer ſich in Abſchätzung einer Entfernung oder 
in der Gejchwindigkeit eines herankommenden Gefährts irrt, handelt noch nicht 
fahrläſſig; bekanntlich erweiſt fich die menschliche Beurteilung gerade folder 
Wahrnehmungen oft als recht trügerifh. Man muß deshalb von einem ge— 
wöhnlichen Kutſcher, der eine ganze belebte Straße zu überichen und oft 
nicht berechenbare Tiere zu leiten hat, nicht die Ruhe und Ueberlegungsfähig: 
feit desjenigen verlangen, der hinterher am grünen Tiſch den Fall überfinnt. 





Einzelne Berbrechen, Bergehen und llebertretungen und deren Bejtrafung. 951 


Zelegraphenbeihädigung, vorfählide. 
$ 317. (L.) Wer vorfüglic) und rechtswidrig den Betrieb einer zu 
öffentlichen Zwecken dienenden Telegraphenanlage dadurch verhindert oder ge- 
fährdet, daß er Teile oder Zubehörungen derjelben bejchädigt oder Veränderungen 
daran vornimmt, wird mit Gefängnis von einem Monat bis zu drei Jahren 

beitraft. 

Borfäglid, d.h. der Täter muß die Befchädigung oder Veränderung 

der Anlage und die Verhinderung oder Gefährdung des Betriebes wollen. 


PFahrläffige Telegraphenbeihädigung. 

$ 318. (L.) Wer fahrläjjigerweije durch eine der vorbezeichneten Hand- 
[ungen den Betrieb einer zu öffentlichen Zweden dienenden Telegraphenanlage 
verhindert oder gefährdet, wird mit Gefängnis bis zu einem Jahre oder mit 
Geldftrafe bis zu neunhundert Mark beftraft. 

Gleiche Strafe trifft die zur Beauffichtigung und Bedienung der 
Telegraphenanlagen und ihrer Zubehörungen angeftellten Perjonen, wenn jie 
durch Vernachläſſigung der ihnen obliegenden Pflichten den Betrieb verhindern 


oder gefährden. 
Fahrläſſigkeit f. $ 121. Vergl. 88 317 u. 316. 


5 Rohrpoftanlagen, Feruſprechanlagen. 
$ 318a. (L.) Die Vorfchriften in den 88 317 und 318 finden gleich 
mäßig Anwendung auf die Verhinderung oder Gefährdung des Betriebes der 
zu Öffentlichen Zweden dienenden Rohrpoftanlagen. 
Unter Telegraphenanlagen im Sinne der 88 317 und 318 find Fern— 
iprechanlagen mitbegriffen. 
Nebenftrafe für Angeftelite. 
$ 319. Wird einer der in den 88 316 und 318 erwähnten Angejtellten 
wegen einer der in den $$ 315—318 bezeichneten Handlungen verurteilt, jo 
fann derjelbe zugleich für unfähig zu einer Beichäftigung im Eifenbahn- oder 
Telegraphendienfte oder in beftimmten Zweigen diejer Dienſte erflärt werden. 


Folgen der Rebenftrafe. 
$ 320. (L.) Die Vorſteher einer Eijenbahngejellichaft, ſowie die Vor— 
ſteher einer zu öffentlichen Zwecken dienenden Telegraphenanftalt, welche nicht 
jofort nad) Mitteilung des rechtsfräftigen Erkenntniſſes die Entfernung des 
Berurteilten bewirfen, werden mit Geldftrafe bis zu dreihundert Mark oder 
mit Gefängnis bis zu drei Monaten beitraft. 


252 III. Strafgejepbud. — Zweiter Zeil. 


Gleiche Strafe trifft demjenigen, welcher für unfähig zum Gifenbahn- 
oder Telegraphendienjt erklärt worden ift, wenn er fich nachher bei einer Eifen- 
bahn- oder Telegraphenanitalt wieder anftellen läßt, jowie diejenigen, welche 
ihn wieder angejtellt haben, obgleich ihmen die erfolgte Unfähigfeitserflärung 
befannt war. 

Serftörung von Waflerbauten uſw. 

8 321. (L.) Wer vorjäglich Wafjerleitungen, Schleufen, Wehre, Teiche, 
Dämme oder andere Waflerbauten, oder Brüden, ‚zähren, Wege oder Schutz— 
wehre, oder dem Bergwerfsbetrieb dienende Vorrichtungen zur Wajjerhaltung, 
zur Wetterführung oder zum Ein- und Ausfahren der Arbeiter zeritört oder 
beichädigt, oder in fchiffbaren Strömen, Flüffen oder Kanälen das Fahrwaſſer 
jtört und Durch eine Diejer Handlungen Gefahr für dag Leben oder die Ge— 
jundheit anderer herbeiführt, wird mit Gefängnis nicht unter drei Monaten 
beitraft. 

(L) Iſt durch eine diefer Handlungen eine ſchwere Körperverlegung 
verurjacht worden, jo tritt Zuchthausftrafe bis zu fünf Jahren und, (Sw.) 
wenn der Tod eines Menjchen verurjacht worden iſt, Zuchthausjtrafe nicht 
unter fünf Jahren ein. 

Schwere Körperverlegung ſ. $ 224. Zeritörung oder Be: 
fhädigung j. $S 303. Störung des Fahrwaifers (befahrbaren 
Waffers) ift Beeinträchtigung feiner Befahrbarkeit. 

Serftörung von Schiffahrtszeichen. 

s 322. (Sw.) Wer vorfäglich ein zur Sicherung der Schiffahrt be- 
itimmtes Feuerzeichen oder ein anderes zu dieſem Zwecke aufgeftelltes Zeichen 
zeritört, wegjchafft oder unbrauchbar macht, oder ein jolches Feuerzeichen aus— 
löjcht oder feiner Dienftpflicht zumider micht aufitellt, oder ein faliches Zeichen, 
welches geeignet iſt, die Schiffahrt unficher zu machen, aufitellt, insbefondere zur 
Nachtzeit auf der Strandhöhe Feuer anzündet, welches die Schiffahrt zu gefährden 
geeignet ift, wird mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren beitraft. 

Iſt durch die Handlung die Strandung eines Schiffes verurfacht worden, 
jo tritt Zuchthausftrafe nicht unter fünf Jahren und, wenn der Tod eines 
Menſchen verurfacht worden ift, Zuchthausitrafe nicht unter zehn Jahren oder 
(ebenslängliche Zuchthausſtrafe ein. 

Strandungs:D. v. 17/5. 74. — Nadtzeit vgl. 8 243:. 

Bewirfung von Schiffsftrandung. 

s 323. (Sw.) Wer vorjäglich die Strandung oder das Sinfen eines 

Schiffes bewirkt und dadurch Gefahr für das Leben eines anderen Herbeiführt, 





Einzelne Verbrechen, Vergehen und Vebertretungen und deren Bejtrafung. 253 


wird mit Zuchthaus nicht unter fünf Jahren und, wenn durch die Handlung 
der Tod eines Menjchen verurjacht worden ift, mit Zuchthaus nicht unter 
zehn Jahren oder mit lebenslänglichem Zuchthaus beitraft. 
| Sinken ift Verfhmwinden unter der Waſſerfläche. 
Brunnenvergiftung uſw. 
s 324. (Sw.) Wer vorfägli” Brunnen: oder Wafjerbehälter, welche 
zum Gebrauche anderer dienen, oder Gegenftände, welche zum öffentlichen Ber: 
faufe oder Verbrauche beftimmt find, vergiftet oder denjelben Stoffe beimiſcht, 
von denen ihm befannt ijt, daß fie die menfchliche Gefundheit zu zerjtören 
geeignet jind, ingleichen wer jolche vergiftete oder mit gefährlichen Stoffen ver: 
miſchte Sachen wiſſentlich und mit Verjchweigung diefer Eigenjchaft verfauft, 
feilhält oder jonft in Verkehr bringt, wird mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren 
und, wenn durch die Handlung der Tod eines Menschen verurjacht worden ijt, mit 
Zuchthaus nicht unter zehn Jahren oder mit lebenslänglichem Zuchthaus beitraft. 
Nebenſtrafe. 
$s 325. Neben der nach den Vorſchriften der SS 306—308, 311—313, 
315, 321—324 erfannten Zuchtbausjtrafe kann auf Zuläffigfeit von Polizei- 


Aufficht erfannt werden. 
Fahrläffigfeit bei $$ 321—324. 


$ 326 (L.) Iſt eine der in den 88 321—324 bezeichneten Handlungen 
aus Fahrläjfigkeit begangen worden, jo iſt, wenn durch die Handlung ein 
Schaden verurjacht worden ijt, auf Gefängnis bis zu einem Jahre und, wenn 
der Tod eines Menfchen verurjacht worden ift, auf Gefängnis von einem 
Monat bis zu drei Jahren zu erfennen. 

Zum Tatbejtand der fahrläjlig verurfachten Straftaten aus SS 321 
und 323 gehört, daß dadurch Gefahr für das Leben Jemandes herbeigeführt 
worden ift. Schaden: felbftändiger Schaden als Erfolg der Handlung. 

Anſteckende Krankheiten der Menſchen. 
8 327. (L. bez. A.) Wer die Abjperrungs- oder Auflichtsmaßregeln 
oder Einfuhrverbote, welche von der zuftändigen Behörde zur Verhütung des 
Einführend oder Verbreitens einer anſteckenden Krankheit angeordnet worden 
find, wifjentlich verlegt, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren beftraft. 
(L.) Sit infolge diefer Verlegung ein Menjch von der anitedenden Krankheit 
ergriffen worden, jo tritt Gefängnisitrafe von drei Monaten bis zu drei Jahren ein. 

E3 kommen bier nur Krankheiten der Menichen in Frage. Tier: 
frantheiten nur, wenn fie auf Menfchen übertragbar find. Die wifjentlide 
Verlegung erfordert die Kenntnis von dem Inhalte und dem Zwecke der 
ergangenen Maßregel ufw. 


254 II. Strafgeſetzbuch. — Zweiter Teil. 


Biehſeuchen. 

$ 328. (L. bez. A) Wer die Abſperrungs- oder Aufſichtsmaßregeln 
oder Einfuhrverbote, welche von der zujtändigen Behörde zur Verhütung des 
Einführens oder Verbreitens von Viehfeuchen angeordnet worden ind, wiljent- 
lich verlegt, wird mit Gefängnis bis zu einem Jahre beitraft. 

(L.) Iſt infolge diefer Verlegung Vieh von der Seuche ergriffen worden, 
jo tritt Gefängnisitrafe von einem Monat bis zu zwei Jahren ein. 

Berge. $ 327. Beiipiel: Zur Vermeidung der Verbreitung der Hunds- 
wut angeordnete Hundeſperre. Die Mindeftftrafe von einem Tage Gefängnis 
in den $$ 327, 828 ift, ebenjo wie früher in $ 316, für viele Fälle zu 
hart. Die Frau, welche ihrem ſchwer am Wagen ziehenden Hunde den Berg 
hinauf während der Hundefperre den Maultorb abnimmt, verdient 3. B. dieje 
entehrende Strafe nicht. 

R.G.v. 7./4. 69 (Ninderpeft) u. Nevid. Inftruftion v. 9./6. 73 (R. ©. Bl. 
S. 147); v. 25./2. 76 (Viehbeförderung auf Eifenb.); dv. 21.5. 78 (Einfuhr- 
verbote); v. 23./6. 80 (BVBiehfeuchen) u. dazu Gef. betr. Abänderung d. Gef. über 
d. Abwehr u. Unterdrüdung von Viehſeuchen v. 1.5. 94. nftruftionen vom 
9.16.73 (R. ©. Bl. ©. 147) u. v. 27.6. 95 (N. ©. Bl. ©. 357). 

Strafbarer Vertragsbruch, vorfählih und fahrläffig. 

$ 329. (L.) Wer die mit einer Behörde gejchloffenen Lieferungsverträge 
über Bebürfnifje des Heeres oder der Marine zur Zeit eines Krieges, oder 
über Lebensmittel zur Abwendung oder Befeitigung eines Notjtandes vorſätzlich 
entweder nicht zur bejtimmten Zeit oder nicht in der vorbedungenen Weife 
erfüllt, wird mit Gefängnis nicht unter ſechs Monaten bejtraft; auch kann auf 
Verluſt der bürgerlichen Ehrenrechte erfannt werden. 

Liegt der Nichterfüllung des Vertrags Fahrläjfigkeit zum grunde, jo tt, 
wenn durch die Handlung ein Schaden verurjacht worden ift, auf Gefängnis 
bis zu zwei Jahren zu erfennen. 

Diejelben Strafen finden auch gegen die Unterlieferanten, Vermittler und 
Bevollmächtigten des Lieferanten Anwendung, welche mit Kenntnis des Zweckes 
der Lieferung die Nichterfüllung derfelben vorjäglic; oder aus Fahrläffigfeit 
verurjachen. 

Bauvergehen. 

$ 330. (L.) Wer bei der Leitung oder Musführung eines Baues wider 
die allgemein anerkannten Regeln der Baukunst dergeitalt handelt, daß hieraus 
für andere Gefahr entjteht, wird mit Geldjtrafe bis zu neunhundert Mark oder 
mit Gefängnis bis zu einem Sahre beitraft. 


Einzelne Verbrechen, Vergehen und Uebertretungen und deren Beitrafung. 955 


Bau: Hochbau, Waller, Straßen: und Bergbau. Nicht nur Neubau, 
auch Reparaturbau und Abbruch. Zur Ausführung des Baues gehören 
alle Arbeiten, welche zur SHerftellung des Werkes dienen, aljo aud Aus» 
ihadtungen, Fundamentenbau, Steinfprengungen, Gerüſtaufrichtung. Die 
anerfannten Regeln ber Baukunst beziehen ſich auf die technifche 
Konftruftion und die gefundheitlichen Gefichtspunfte (Hausfhwamm). Der gegen- 
wärtige Zuftand muß andere, d. h. einzelne, im Gegenfage zum Leiter und Aus— 
führer de3 Baues, alſo auch die beim Baue bejchäftigten Perfonen (nicht nötig 
eine gemeine Gefahr) gefährden. 8 330 ftraft Vorſatz und Fahrläffigfeit. Fahr: 
läffigfeit j. $ 121. 


28. Abſchnitt. 
Derbrechen und Vergehen im Amte. 
Sogenannte paſſive Befichung. 

$ 331. (L.) Ein Beamter, welcher für eine in fein Amt einjchlagende, 
am ich nicht pflichtwidrige Handlung Gejchenfe oder andere Vorteile annimmt, 
fordert oder fich verjprechen läßt, wird mit Geldjtrafe bis zu dreihundert Mark 
oder mit Gefängnis bis zu ſechs Monaten beitraft. 

Den Begriff des Beamten auh im Sinne der folgenden Para— 
graphen gibt $ 359. Für eine in fein Amt einihlagende Hand- 
lung, d. h im erfennbaren Zujammenhange mit einer vergangenen, gegen- 
wärtigen oder fünftigen innerhalb der amtlichen Funktionen des Beamten 
liegenden Handlung (Unterlaffung). Werden die Geſchenke oder anderen 
Vorteile (auch Beiichlafsvollziehung) in Anerkennung perjönlicher Eigen: 
Ichaften, aus Dankbarkeit, perfönlichem Wohlwollen, Mitleid, Bietät uſw. ges 
geben oder vom Beamten in der Borausjegung eines ſolchen Beweggrundes 
angenommen, it der Tatbeftand nicht gegeben. Handlungen, welche nicht zu 
den amtlichen Funktionen gehören, fondern nur unter Einfegung des amt— 
lihen Einfluffes vorgenommen werden, gehören nicht hierher. Wer die Ge: 
ichenfe gewährt oder verjpricht, ift ftraflos, nicht Teilnehmer. 

s 332. (L.) Ein Beamter, welcher für eine Handlung, die eine Ver— 
fegung einer Amts- oder DVienftpflicht enthält, Gejchenfe oder andere Vorteile 
annimmt, fordert oder fich verjprechen läßt, wird wegen Beitechung mit Zucht: 
haus bis zu fünf Jahren bejtraft. 

Sind mildernde Umſtände vorhanden, jo tritt Gefängnisitrafe ein. 

Bergl. $ 331. Der Beamte muß willen, daß die Handlung feine 
Amts» oder Dienftpflicht verlegt. Der Geber muß willen, daß der Beanıte 


feinen Anipruc auf das Gejchent oder den Vorteil hat. Der Geſchenkgeber 
ift nach $ 333 ftrafbar. 


256 III. Strafgejegbud, — Zweiter Teil. 


Attive Beftehung. 

$ 333. (L.) Wer einem Beamten oder einem Mitgliede der bewaffneten 
Macht Gejchenfe oder andere Vorteile anbietet, verjpricht oder gewährt, um 
ihn zu einer Handlung, die eine Verlegung einer Amts: oder Dienjtpflicht 
enthält, zu bejtimmen, wird wegen Bejtechung mit Gefängnis beitraft; auch 
fann auf Berluft der bürgerlichen Ehrenrechte erfannt werben. 

Sind mildernde Umftände vorhanden, jo fann auf Geldftrafe bis zu ein- 
taufendfünfhundert Marf erfannt werden. 


Vergl. $ 331. Das Gefchent oder der Vorteil fann auch einem An: 
gehörigen des Beamten gewährt oder verſprochen werden; dann muß aber ber 
Beamte davon Kenntnis erlangt haben. Das Anbieten, Verſprechen oder 
Gewähren muß zeitlih der Vornahme der Handlung vorangehen. Diele 
braucht aber gar nicht vom Beamten vorgenommen zu werden. Wer das 
Geſchenk ufw. aus anderen Beweggründen, aus Mitleid ufw., gewährt, ift 
nicht ſtrafbar. 

NRichterliche Beſtechung. 

334. (Sw.) Ein Richter, Schiedsrichter, Geſchworener oder Schöffe, 
welcher Geſchenke oder andere Vorteile fordert, annimmt oder ſich verſprechen 
läßt, um eine Rechtsſache, deren Leitung oder Entſcheidung ihm obliegt, zu 
gunſten oder zum Nachteile eines Beteiligten zu leiten oder zu entſcheiden, wird 
mit Zuchthaus beſtraft. 

Derjenige, welcher einem Richter, Schiedsrichter, Geſchworenen oder 
Schöffen zu dem vorbezeichneten Zwecke Gejchenfe oder andere Vorteile an: 
bietet, verfpricht oder gewährt, wird mit Zuchthaus beitraft. Sind mildernde 
Umjtände vorhanden, jo tritt Gefängnisjtrafe ein. 


DBerfallerflärung bei $$ 331—354. 
$ 335. In den Fällen der 88 331— 334 ift im Urteile das Empfangene 
oder der Wert desjelben für dem Staate verfallen zu erflären. 
Das Empfangene, alſo das wirklich in die Verfügungsgewalt des 
Beitochenen gelangte Beſtechungsmittel oder im Falle von deffen Nichtbeitreib: 
lichkeit der Wert desfelben. Die Berfallerflärung muß ausgeiprochen werben. 


Rechtsbeugung. 
$ 336. (L) Ein Beamter oder Schiedsrichter, welcher ſich bei der 
Leitung oder Entjcheidung einer Nechtsjache vorfäglich zu gunften oder zum 
Nachteile einer Partei einer Beugung des Nechtes ſchuldig macht, wird mit 
Zuchthaus bis zu fünf Jahren bejtraft. 


II—— —————— 
Se ‚ 's 


Einzelne Verbrechen, Vergehen und Webertretungen und deren Bejtrafung. 957 


Rechtsſache ift auch eine Strafſache, gerichtliche, polizeiliche oder 
Verwaltungsitrafiahe.. Vorſätzlich, d. h. den Erfolg der Begünftigung 
oder Benachteiligung beabjichtigend. 

z 337 [ift eriegt durch $ 67 des Gef. über die Beurkundung des Perionen- 
jtandes und der Ehejchließung v. 6. Febr. 1875. (R.G. B. ©. 23.)] 

Schließung neuer Ehe. 
$ 338. (L.) Ein Religionsdiener oder Perſonenſtandsbeamter, welcher, 
wiſſend, daß eine Perſon verheiratet ift, eine neue Ehe derjelben fchließt, wird 
mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren bejtraft. (Vgl. $ 171). 
Mikbraud der Amtsgewalt. 
$ 339. (L.) Ein Beamter, welcher durch Mißbrauch feiner Amtsgewalt 
oder durch Androhung eines bejtimmten Mißbrauchs derjelben jemand zu 
einer Handlung, Duldung oder Unterlajjung widerrechtlich nötigt, wird mit 
Gefängnis beitraft. 

Der Verſuch iſt ſtrafbar. 

In den Fällen der SS 106, 107, 167 und 253 tritt die daſelbſt an— 
gedrohte Strafe ein, wenn die Handlung von einem Beamten, wenn auch ohne 
Gewalt oder Drohung, aber durch Mihbraucd feiner Amtsgewalt oder An- 
drohung eines bejtimmten Mißbrauchs derjelben begangen: ift. 

Wegen widerrehtliher Nötigung vergl. $ 240. Der erlaubte 
Endzwed (3. B. Herbeiführung eines Geftändnifjes eines Beichuldigten, den der 
Beamte für ichuldig hält) fchließt die MWiderrechtlichleit (des Mittels) micht 
aus. Nicht nur anmwendbar auf Erefutivbeamte, jondern auf alle Beamte, 
welche durch Mißbrauch der Amtögewalt mittelbar oder unmittelbar einen 


Erfolg herbeiführen können. 
Körperverlchung bei Amtsausübung. 


$ 340. (L.) Ein Beamter, welcher in Ausübung oder in Veranlaffung 
der Ausübung feines Amtes vorſätzlich eine Körperverlegung begeht oder be- 
gehen läßt, wird mit Gefängnis nicht unter drei Monaten bejtraft. Sind 
mildernde Umftände vorhanden, jo fann die Strafe bis auf einen Tag Ge— 
fängnis ermäßigt oder auf Gelditrafe bis zu neunhundert Mark erkannt 
werben. 

(Sw.) Iſt die Nörperlegung eine jehmwere, jo ift auf Zuchthaus nicht 
unter zwei Jahren zu erfennen. Sind mildernde Umſtände vorhanden, jo 
tritt Gefängnisstrafe nicht unter drei Monaten ein. - 

Körperverlegung vergl. 88 223, 223a; ſchwere Slörperverlegung 
$ 224. In Ausübung des Amtes, d. h. in amtlicher Eigenfchaft auf: 
tretend; in Veranlaiiung der Ausübung, d. h. durch eine Amts: 

17 


258 IM. Strafgeſetzbuch. — Zweiter Teil. 


handlung veruriacht oder veranlaßt. Der Lehrer, welcher Beamter ift, bei 

vorjäglicer Mifhandlung und bewußter Ueberichreitung des Züchtigungsredhtes 

nach $ 340 jtraffällig. Neben der Strafe kann gegen den Beamten auf 

Buße ($ 231) erfannt werden. 

Amtliche Freiheitsberaubung. 

Ss 341. (L. bez. Sw.) Ein Beamter, welcher vorfäglich, ohne Hierzu 
berechtigt zu fein, eine Verhaftung oder vorläufige Ergreifung und Feitnahme 
oder Zwangsgeſtellung vornimmt oder vornehmen läßt, oder die Dauer einer 
reiheitsentziehung verlängert, wird nach Vorjchrift des $ 239, jedoch mindeftens 
mit Gefängnis von drei Monaten bejtraft. 

Anwendbar auf alle Beamten, nicht nur auf ſolche, weldye zur Vor— 
nahme von Berhaftungen zuftändig find. Vergl. $ 112 ff. der Strafprozeh- 
ordnung; 88 890, 901—904 der Zivilprozeßordnung, $ 106 der Konkurs: 
ordnung. Irrt ſich der Beamte über jeine Berechtigung, ift er nicht ftraffällig. 

Sausdfriedensbrudh in Amtsausübung. 

$ 342. (L.) Ein Beamter, der in Ausübung oder in Beranlafjung 
der Ausübung feines Amtes einen Hausfriedensbruch ($ 123) begeht, wird 
mit Gefängnis bis zu einem Jahre oder mit Gelditrafe bis zu neunhundert 
Mark beitraft. 

In Ausübung oder Beranlaiiung der Ausübung des 
Amtes vergl. $ 340. Bergl. $ 102 ff. der Strafprozekordnung. 

Grprefiung von Geftändnifien. 

$ 343. (L.) Ein Beamter, welcher in einer Unterſuchung Zwangs— 
mittel anwendet oder anwenden läßt, um Geſtändniſſe oder Ausfagen zu er- 
prejjen, wird mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren beitraft. 

Unteriuhung, d. 5. gerichtliche oder bdisziplinarische, geführt vom 
Gericht, Staatsanwalt oder Polizeibehörde.e Zwangsmittel, förperliche 
und nichtkörperliche. 

Unterfuhung wider beſſeres Wiſſen. 

$ 344. (Sw.) Ein Beamter, welcher vorjäglich zum Nachteile einer 
Berjon, deren Unſchuld ihm befannt ift, die Eröffnung oder Fortſetzung einer 
Unterſuchung beantragt oder befchliegt, wird mit Zuchthaus beitraft. 

Unterfuchung fiehe $ 343. Fahrläſſigkeit fiehe $ 121. Der Beamte 
muß bei Anwendung der von ihm zu fordernden Sorgfalt haben erkennen 
fönnen, daß er die Strafe nicht vollftreden durfte. 

Strafvolftredung wider befieres Wiſſen oder fahrläffie. 

$ 345. (Sw.) Gleiche Strafe trifft den Beamten, welcher vorfäßlich 
eine Strafe volljtreden läßt, von der er weiß, dab jie überhaupt nicht oder 
nicht der Art oder dem Maße nach vollitredt werden darf. 


Einzelne Verbrechen, Vergehen und Uebertretungen und deren Bejtrafung. 259 


(L) Iſt die Handlung aus Fahrläffigfeit begangen, jo tritt Gefängnis⸗ 
ſtrafe oder Feſtungshaft bis zu einem Jahre oder Geldſtrafe bis zu neun— 
hundert Mark ein. 

Unterlaſſung der Berfolgung uſw. 

8 346. (L) Ein Beamter, welcher vermöge ſeines Amtes bei Aus— 
übung der Strafgewalt oder bei Volljtrefung der Strafe mitzuwirken hat, 
wird mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren bejtraft, wenn er im der Abficht, 
jemand der gejeglichen Strafe rechtswidrig zu entziehen, die Verfolgung einer 
jtrafbaren Handlung unterläßt, oder eine Handlung begeht, welche geeignet 
ift, eine Freiſprechung oder eine dem Gefege nicht entiprechende Beſtrafung 
zu bewirken, oder die Vollftredung der ausgejprochenen Strafe nicht betreibt, 
oder eine gelindere als die erfannte Strafe zur Vollſtreckung bringt. 

Sind mildernde Umftände vorhanden, fo tritt Gefängnisitrafe nicht unter 
einem Monat ein. 

Zur Bollftredung der Strafen gehört auch die Verhaftung und 
Borführung Strafbare Handlung ift nur eine friminell, nicht eime 
disziplinell zu ftrafende Handlung. Die Handlung muß im einzelnen Falle 
tatfächlich ftrafbar jein und der Beamte muß das willen; es genügt nicht, 
daß der Beamte die Handlung irrtümlich für ftrafbar Hält. Unterlajjung 
der Verfolgung liegt auch in der Nichtanzeige feiten eines Polizeibeamten, 
aber nicht aus Nachläjfigkeit oder Bequemlichkeit, fondern mit dem Endzwede, 
den Schuldigen nicht zur Beftrafung zu bringen. 


Entweidhenlafien eines Gefangenen. 
$ 347. (L) Ein Beamter, welcher einen Gefangenen, dejjen Beauf- 
fichtigung, Begleitung oder Bewachung ihm anvertraut ift, vorſätzlich entweichen 
läßt oder deſſen Befreiung vorfäßlich bewirkt oder befördert, wird mit Zucht— 
haus bis zu fünf Jahren bejtraft. Sind mildernde Umftände vorhanden, jo 
tritt Gefängnisitrafe nicht unter einem Monat ein. 

(L.) St die Entweichung durch Fahrläffigfeit befördert oder erleichtert 
worden, jo tritt Gefängnisftrafe bis zu ſechs Monaten oder Gelditrafe bis zu 
jehshundert Mark ein. 

Gefangener, ſ. $ 120. Anvertraut, d. h. amtlid. Wahr: 

fäffigfeit, j. $ 121. 

Der Beamte muß bei Anwendung der von ihm zu fordernden Sorgfalt 
und Ueberlegung haben erlennen können, daß der Gefangene entweichen könne, 


ohne daß der Beamte gerade die beftimmte Art der tatjächlichen Entweichung 
vorauszujehen braud)t. 


27° 


260 II. Strafgefepbudh. — Zweiter Teil, 


— 


Falſche amtliche Beurkundung und Urkundenunterdrückung. 

8 348. (L) Ein Beamter, welcher, zur Aufnahme öffentlicher Ur— 
funden befugt, innerhalb feiner Zuftändigfeit vorjäglich eine rechtlich erhebliche 
Tatjache falſch beurfundet oder im öffentliche Regiſter oder Bücher falſch 
einträgt, wird mit Gefängnis nicht unter einem Monat bejtraft. 


Diefelbe Strafe trifft einen Beamten, welcher eine ihm amtlich an: 
vertraute oder zugängliche Urkunde vorjäglich vernichtet, beijeite ſchafft, be— 
jchädigt oder verfälicht. 

Defjentlihe Urkunde vergl. $ 267. Welche Beamten zur Auf— 
nahme öffentlicher Urkunden befugt find, jagt das Reichsrecht oder Yand- 
recht, 3. B. Richter, Staatsanwalt, Notar, Standesbeamter, Gerichtsvollzieher, 
Gemeindevorftand. Innerhalb feiner Zuftändigkeit, d. h. im all 
gemeinen, nicht auch unbedingt mit rechtmäßiger Amtsausübung im Einzel 
fal. Aufnahme einer Urkunde ift die urkundliche Fefiftellung bes vor 
dem Beamten Erflärten oder von ihm Wahrgenommenen oder Gehanbelten ; 
Ausstellung einer Urkunde alfo von der Aufnahme in einzelnen Fällen 
(bei Erteilung von Abichriften, Zeugniffen ufw.) zu ſcheiden. 

Nehtlih erhebliche Tatſache eine ſolche, welde für den 
Beweis eines Nechtes oder Rechtsverhältniſſes von Erheblichkeit iſt. Recht— 
lich erheblich für eine Urkunde ift jedenfalls alles das, was als ihr Inhalt 
geleglich oder im Verordnungsweg oder inftruftionell vorgeichrieben ift. Ein 
Gebrauchmachen von der faljchen Beurkundung ift nicht erforderlich, auch nicht 
die Verfolgung rechtswidriger Abficht mit der falichen Beurfundung. Diele 
fegtere ganz allein und für jich wird unter Strafe geftellt. 

Urkunde im Sinne von Abſatz 2 ift jede Urkunde, auch ohme Rechts: 
erheblichteit. Beamter, d. h. jeder Beamter, nicht blos ein zur Aufnahme 
oder Ausitellung von Urkunden befugter. Amtlich zugängig, d.h. nicht 
notwendig in rechtmäßiger amtlicher Znftändigfeit. 


$ 349. (Sw.) Wird eine der im $ 348 bezeichneten Handlungen in 
der Abficht begangen, ſich oder einem amderen einen Bermögensvorteil zu 
verfchaffen oder einem anderen Schaden zuzufügen, jo it auf Zuchthaus bis 
zu zehn Jahren und zugleich auf Gelditrafe von einhundertfünfzig bis zu 
dreitaujend Mark zu erfennen. 
Der Bermögensvorteil kann auch ſchon vor den in $ 348 bezeichneten 
Handlungen in deren Erwartung gewährt worden jein. 
Amtöunterfchlagung. 
8 350. (L) Ein Beamter, welcher Gelder oder andere Sachen, Die 
er in amılicher Eigenfchaft empfangen oder in Gewahrjam hat, unterjchlägt, 


Einzelne Verbrechen, Vergehen und Uebertretungen und deren Beitrafung. 61 


wird mit Gefängnis nicht unter drei Monaten bejtraft; auch fann auf Verluſt 
ber bürgerlichen Ehrenrechte erfannt werden. 
Der Verſuch ijt ftrafbar. 

Der Beamte braucht zur Empfangnahme nicht zuftändig geweien zu 
jein, er muß fie aber in amtlicher Eigenschaft entgegengenommen haben. 
Begriff der Unterichlagung ſ. $ 246. 

Erſchwerung. 

$ 351. (8w.) Hat der Beamte in Beziehung auf die Unterſchlagung 
die zur Eintragung oder Kontrole der Einnahmen oder Ausgaben bejtimmten 
Nechnungen, Regiſter oder Bücher unrichtig geführt, verfälicht oder unterdrüdt, 
oder unrichtige Abichlüffe oder Auszüge aus diefen Rechnungen, Regijtern 
oder Büchern, oder unrichtige Beläge zu denjelben vorgelegt, oder ift in Be— 
ziehung auf die Unterichlagung auf Fäſſern, Beuteln oder Padeten der Geld- 
inhalt fälfchlich bezeichnet, jo ijt auf Zuchthaus bis zu zehn Jahren zu erfennen. 

Sind mildernde Umjtände vorhanden, jo tritt Gefängnisjtrafe nicht unter 
ſechs Monaten ein. 

In Beziehung auf die Unterichlagung, d. h. um dieſe vor— 
zubereiten, zu ermöglichen, zu erleichtern, zu verdeden. Unrichtig geführt, 
d. h. einen Eintrag unterlaffen. Verfälicht, d. h. die richtig geführten 
Bücher verändert; unterdrücdt, d. h. der Benugung dauernd ober vorüber: 
gehend entzogen. 

Gebührenäberhebung. 

$ 352. (L.) Ein Beamter, Mdvolat, Anwalt oder fonjtiger Rechts— 
beiftand, welcher Gebühren oder andere Vergütungen für amtliche Verrichtungen 
zu feinem Vorteile zu erheben hat, wird, wenn er Gebühren oder Vergütungen 
erhebt, von denen er weiß, daß der Yahlende fie überhaupt nicht oder nur 
in geringerem Betrage verjchuldet, mit Geldjtrafe bis zu dreihundert Mark 
oder mit Gefängnis bis zu einem Jahre beitraft. 

Der Verſuch ift jtrafbar. 

Vergütungen, 3. B. Schreibgebühren und Reiſekoſten der Gerichts— 
vollzicher. Bu feinem Vorteil, d. h. der Beamte uſw. muß die Forderung 
fraft eigenen Rechts haben, alio der Rechtsanwalt nur gegenüber feiner 
Partei, nicht gegenüber der zur SKoftenerftattung verpflichteten Gegenpartei. 
Verſuch, 3. B. durch erfolglofe Abforberung. 

Abgabenüberhebung. 
g 353. (L) Ein Beamter, welcher Steuern, Gebühren oder andere 
Abgaben für eine Öffentliche Kaffe zu erheben hat, wird, wenn er Abgaben, 
von denen er weiß, daß der Zahlende fie überhaupt nicht oder nur in geringerem 


262 III. Straigefepbuh — Zweiter Teil, 


Betrage verjchuldet, erhebt, und das rechtswidrig Erhobene gan; oder zum 
teil nicht zur Kaſſe bringt, mit Gefängnis nicht unter drei Monaten bejtraft. 


Gleiche Strafe trifft den Beamten, welcher bei amtlichen Ausgaben an 
Geld oder Naturalien dem Empfänger vorfäglich und rechtswidrig Abzüge 
macht und die Ausgaben als volljtändig geleiftet in Rechnung jtellt. 


Zur Kaſſe bringen, d. h. al3 erhobene Abgabe an die Kaffe ab- 
führen. Es liegt nicht vor, wenn mit dem angeführten Gelde Kaſſendefelte 
gededt werden jollen. 


Sogenaunter Arnim Paragraph, (Diplomatifher Ungehorfam.) 
$ 353a. (L.) Ein Beamter im Dienjte des Auswärtigen Amtes des 
Deutichen Reichs, welcher die Amtsverſchwiegenheit dadurch verlegt, daß er 
ihm amtlich anvertraute oder zugängliche Schriftjtüde oder eine ihm von 
feinem Vorgejegten erteilte Anweifung oder deren Inhalt anderen widerrechtlich 
mitteilt, wird, jofern nicht nach anderen Bejtimmungen eine jchwerere Strafe 
verwirft iſt, mit Gefängnis oder mit Geldjtrafe bis zu fünftaufend Mark 
beitraft. 
Gleiche Strafe trifft einen mit einer auswärtigen Miſſion betrauten 
oder bei einer ſolchen bejchäftigten Beamten, welcher den ihm durch feinen 
Vorgejegten amtlich erteilten Anmweifungen vorjäglich zumiderhandelt, oder 
welcher in der Abjicht, feinen Vorgeſetzten in deſſen amtlichen Handlungen 

irre zu leiten, demjelben erdichtete oder entjtellte Tatjachen berichtet. 


- Boftbeamtenvergehen, 

s 354. (L.) Ein Boitbeamter, welcher. die der Poſt anvertrauten 
Briefe oder Padete in anderen, als den im Gejege vorgejehenen Fällen er« 
öffnet oder unterdrüdt, oder einem anderen wifjentlich eine ſolche Handlung 
gejtattet, oder ihm dabei wijjentlich Hülfe leitet, wird mit Gefängnis nicht 
unter drei Monaten bejtraft. 

Der Poſt anvertraut ift ein Brief fchon mit Einlegen in den 

Brieffaften. Eröffnen iſt jede Tätigkeit, durch welche der Verſchluß befeitigt 

oder unwirkſam gemacht wird. Unterdrücken: dem Poftverfehr dauernd 

oder zeitweife entziehen, bejeitigen. Briefe, auch Boltfarten und Bot: 
anmweilungen. — Poſtg. v. 28.110. 71 $ 5: Das Briefgeheimnis ift un: 
verleglih. Die bei ftrafgerichtlichen Unterfuhungen und in Konkurs— und 
zivilprozefjualifchen Fällen notwendigen Ausnahmen find dur ein Reichs: 
gefeg feilzuftellen. Vergl. über Beichlagnahme von Briefen: Str.P.O. 
ss 99—101, 110. 


— A 


Einzelne Berbrechen, Vergehen und Uebertretungen und deren Beitrafung. 263 


Zelegraphenbeamienvergeben. 

$ 355. (L.) Telegraphenbeamte oder andere mit der Beauffichtigung 
und Bedienung einer zu Öffentlichen Zwecken dienenden Telegraphenanitalt 
betraute Perjonen, welche die einer Telegraphenanftalt anvertrauten Depeichen 
verfäljchen oder in anderen, als in den im Geſetze vorgejehenen Fällen eröffnen 
oder unterdrüden, oder von ihrem Inhalte Dritte rechtswidrig benachrichtigen, 
oder einem anderen wiljentlich eine folche Handlung gejtatten oder ihm dabei 
wiſſentlich Hülfe leiften, werden mit Gefängnis nicht unter drei Monaten 


beitraft. 
Ueber Beichlagnahme von Telegrammen Str. P.O. 88 99—101. 


Sogenannte PBrävarifation. 
$ 356. (L.) Ein Mdvotat, Anwalt oder ein anderer Nechtsbeijtand, 
welcher bei den ihm vermöge feiner amtlichen Eigenjchaft anvertrauten An— 
gelegenheiten in derjelben NRechtsjache beiden Parteien durch Rat oder Beiltand 
pflichtwidrig dient, wird mit Gefängnis nicht unter drei Monaten beftraft. 
(L.) Handelt derjelbe im Einverjtändniffe mit der Gegenpartei zum 
Nachteile jeiner Partei, jo tritt Zuchthausftrafe bis zu fünf Jahren ein. 

Der Anwalt fol in derfelben Rechtsſache (nicht formeller Rechts— 
ftreit oder Prozeß, jondern rechtliche Angelegenheit im fachlicher Beziehung) 
nicht einer Partei gegen die andere dienen: ein ſolches Dienen ift pflicht: 
widrig. Straflos die Beratung beider Parteien im beiderfeitigen Intereſſe. 

Amtliche Berleitung zur Straftat im Amte, 
$ 357. Ein Amtsvorgefegter, welcher jeine Iintergebenen zu einer 
jtrafbaren Handlung im Amte vorfäglich verleitet oder zu verleiten unternimmt, 
oder eine jolche jtrafbare Handlung feiner Untergebenen wiſſentlich gejchehen 
läßt, hat die auf diefe ftrafbare Handlung angedrohte Etrafe verwirft. 
Diejelbe Beitimmung findet auf einen Beamten Anwendung, welchem 
eine Aufjicht oder Kontrole über die Amtegejchäfte eines anderen Beamten 
übertragen ift, fofern die von dieſem letzteren Beamten begangene jtrafbare 
Handlung die zur Aufficht oder Kontrole gehörenden Gejchäfte betrifft. 
Nebenftrafe bei $$ 331 uſw. 
$ 358. Neben der nach Vorjchrift der 88 331, 339 bis 341, 352 bis 
355 und 357 erfannten Gefängnisitrafe kann auf Verluſt der Fähigkeit zur 
Bekleidung öffentlicher Memter auf die Dauer von einem bis zu fünf Jahren 


erfannt werden. 
Eine Gefängnisftrafe von 3 Monaten (88 32, 35) ift hier nicht Vor— 
ausjegung. 


264 UL Strafgejegbuch. -— Zweiter Teil. 


Begriff des Beamten. 
$ 359. Unter Beamten im Sinne diejed Strafgejeges find zu verftehen 
alle im Dienfte des Reichs oder in unmittelbarem oder mittelbarem Dienjte 
eined Bundesſtaats auf Lebenszeit, auf Zeit oder nur vorläufig angejtellte 
Perſonen, ohne Unterſchied, ob fie einen Dienſteid geleiftet haben oder nicht, 
ingleichen Notare, nicht aber Advokaten und Anwälte. 


Ueber. die Beamteneigenichaft enticheidet die Anftellung, d. . die 
Uebertragung des Amtes oder Dienftes feiten der zuftändigen Behörden oder 
Beamten und die Uebernahme des Amtes oder Dienstes feiten des Angeftellten. 
E3 müſſen übertragen werden öffentlich rechtliche Funktionen. Gemeinde: 
beamte ftehen im mittelbaren Staatsdienfte. Hofbedienftete ala ſolche find feine 
Beamte, wenn nidt ein Staatödienit mit ihrer Stelle verbunden iſt. Auch 
Notare find Beamte, nit aber Rechtsanwälte. 


29. Abſchnitt. 
UHebertretungen. 


Der Erfte Teil des Strafgefegbudis „Bon der Beltrafung, der Ber: 
brechen, Bergehen und Webertretungen im allgemeinen” findet auf Ueber— 
tretungen ebenjo Anwendung wie auf Berbrechen und Vergehen, jofern nicht eine 
Beſtimmung ausdrüdlih nur für Verbrechen und Vergehen gegeben ij. So 
find z. B. Verſuch (5 43) und Beihülfe (5 49) ſowie Begünftigung ($ 257) 
bei Lebertretungen ftraflos. Diefes gilt auch für die neben dem Reichsitraf- 
gefeßbuche geltenden geſetzlichen Beftimmungen, welche Webertretungen unter 
Strafe ftellen, 3. B. die Gewerbeordnung und andere Reichsgeiege, Yandes: 
gefege, Polizeiverordnungen. 

Zuftändig für die gerichtliche Aburteilung aller Uebertretungen find die 
Schöffengerichte ($ 27 Ziff. 1 d. G. B. G's.). Beſondere Borfchriften für 
Uebertretungen enthält die Strafprozeßordnung in $ 100 (Unzuläffigfeit der 
Beichlagnahme von Briefen und Telegrammen auf der Poſt- und den Tele 
graphenanftalten), in $ 113 (Beichränfung der Verhaftung), in $ 211 (Ber: 
handlung ohne Schöffen gegen den vorgeführten, geftändigen Beichuldigten), 
in $$ 231, 232 (Zuläſſigkeit der Hauptverhandlung gegen Ausgebliebene), in 
z8 447 ff., 453 ff. (Strafbefehl und Strafverfügung). 

Auf eine Haftitrafe ift nad S 77 neben anderen Freiheitsſtrafen 
gefondert zu erfennen; mehrere Haftftrafen werden bis zur Höhe von drei 
Monaten addiert. Die Strafverfolgung verjährt nadı $ 672 in drei Monaten. 

Unter den Uebertretungen finden fih viele Beftimmungen, jogen. Blanfett> 
geſetze, welche erit weitere Verordnungen voransfegen, für welche fie lediglich 
die Strafbeftimmung geben. 

Der Stoff der lebertretungen ift leider jehr wenig ſyſtematiſch geordnet. 


Einzelne Verbrechen, Vergehen und Uebertretungen und deren Beitrafung. 255 


8 360. Mit Geldjtrafe bis zu einhundertfünzig Marf oder mit Haft 
wird beitraft: 
Feſtungs riſſe. 
1. wer ohne beſondere Erlaubnis Riſſe von Feſtungen oder einzelnen 
Feſtungswerken aufnimmt oder veröffentlicht; 


Heimliche Waffenaufſammlung. 
2. wer außerhalb ſeines Gewerbebetriebes heimlich oder wider das Verbot 
der Behörde Vorräte von Waffen oder Schießbedarf aufſammelt; 


Auswanderung Der Reſerviſten. 
3. wer als beurlaubter Reſerviſt oder Wehrmann der Land- oder See: 
wehr ohne Erlaubnis auswandert, ebenjo wer als Erjagrejervift erfter 
Klaſſe auswandert, ohne von feiner bevoritehenden Auswanderung 
der Militärbehörde Anzeige eritattet zu haben; 

Ziffer 3. Jetzt gehören auch die Erfagreferviften zu den Mann: 
ſchaften des Beurlaubtenflandes, welche Auswanderungserlaubnis be: 
dürfen ($ 11d. R.G. v. 11./2. 88); dagegen haben Wehrmänner 2. Auf: 
gebot3 (5 43, 214 daf.) von der bevorjtchenden Auswanderung nur 


Anzeige zu erjtatten. 
Auftragloſe Stempelanfertigung für Metaligeld ufw. 
4. wer ohne jchriftlichen Auftrog einer Behörde Stempel, Siegel 
Stiche, Platten oder andere Formen, welche zur Anfertigung von 
Metall- oder Papiergeld, oder von folchen Papieren, welche nadı 
$ 149 dem Bapiergelde gleich geachtet werden, oder von Stempel: 
papier, Stempelmarfen, Stempelblanfetten, Stempelabdrüden, Poſt— 
oder Telegraphenwertzeichen, öffentlichen Bejcheinigungen oder 
Beglaubigungen dienen fünnen, anfertigt oder an einen anderen 
als die Behörde verabfolgt ; 


5. wer ohne jchriftlichen Auftrag einer Behörde den Abdrud der in 
Nr. 4 genannten Stempel, Siegel, Stiche, Platten oder Formen, oder 
einen Drud von Formularen zu den dajelbjt bezeichneten öffentlichen 
Papieren, Beglaubigungen oder Beicheinigungen unternimmt, oder 
Abdrüde an einen anderen als die Behörde verabfolgt ; 


Drudiahen in der Form von Papiergeld. 
6. wer Waren-Empfehlungstarten, Ankündigungen oder andere Drud- 
jachen oder Abbildungen, welche in der Form oder Verzierung dem 
Papiergelde oder den dem Papiergelde nach 8 149 gleich geachteten 


266 


III. Strafgefegbuch. — Zweiter Teil. 


Papieren ähnlich find, anfertigt oder verbreitet, oder wer Stempel, 
Stiche, Platten oder andere Formen, welche zur Anfertigung von 
jolhen Drudjachen oder Abbildungen dienen fünnen, anfertigt; 

Strafbar wegen der Gefährlichkeit de8 Mißbrauchs zu Zwecken 
der Täufchung Die Aehnlichkeit unterliegt der tatjädhlichen Be— 
urteilung im Einzelfalle. 


Abbildung des Kaiſerl. Adlers. 


7. wer unbefugt die Abbildung des Saijerlihen Wappens oder von 


Wappen eines Bundesfürften oder von Landeswappen gebraucht; 

Wappen eines Bundesfürften oder Randeswappen, 
d. h. nur deutſche. 

Der kaiferliche Adler fann von allen deutfchen Fabrifanten, jedod) 
nicht in der Form eines Wappenfchildes, zur Bezeihnung von Waren 
oder auf Etiketten gebraucht werden, vergl. Kaijerl. Erl. vom 16./3. 
u. Bel. des Reichsk. v. 11.4. 72 (R. G. Bl. ©. 90 u. 93). 


Unbefugtes Amtsfleid uſw. 


8. wer unbefugt eine Uniform, eine Amtskleidung, ein Amtszeichen, einen 


Orden oder ein Ehrenzeichen trägt, oder Titel, Würden oder Adels— 
prädifate annimmt, ingleichen wer fich eines ihm nicht zufommenden 
Namens einem zuftändigen Beamten gegenüber bedient; 

Titel ift eme duch höhere Verleihung erworbene Benennung 
mit Rangftelung. Annehmen, d. h. ſich beilegen. 

Zuftändiger Beamter, d. h., dem Recht auf Erforſchung des 
Namens zufteht. Zukommender Name, nur Bor- und Zunamen. 


Kaflen ohne Genehmigung. 


9. wer gejelichen Beitimmungen zuwider ohne Genehmigung der Staats— 


behörde Ausfteuer-, Sterbe= oder Witwenlaſſen, Berficherungsanftalten 
oder andere dergleichen Gefellichaften oder Anftalten errichtet, welche 
bejtimmt find, gegen Zahlung eines Einlaufsgeldes oder gegen Leiftung 
von Gelbbeiträgen beim Eintritte gewiſſer Bedingungen oder Friſten, 
Zahlungen an Kapital oder Rente zu leiften; 


Berweigerte Sülfe bei Unglüdsfällen uſw. 


10. wer bei Unglüdsfällen oder gemeiner Gefahr oder Not von 


der Bolizeibehörde oder deren Stellvertreter zur Hülfe aufgefordert, 
feine Folge feiftet, obgleich er der Aufforderung ohne erhebliche 


eigne Gefahr genügen Fonnte; 
Bergl. Poitg. $ 21; Strandungs:D. v. 17.5. 74 8 9. Gemeine 
Gefahr $ 312. 


Einzelne Verbrechen, Vergeben und Webertretungen und deren Beftrafung. 267 


Lärm und Unfug. 
11. wer ungebübrlicherweife ruheitörenden Lärm erregt oder wer groben 
Unfug verübt; 

Der Lärm muß geeignet fein, die Ruhe einer größeren 
oder Fleineren Deffentlichkeit (3. B.die Bewohner eines Hauſes) zu ftören, 
er braucht fie nicht wirklich geitört zu haben. Der Lärm muß in uns 
gebührlicherweije vorfäglich erregt worden fein, d. h. ohne Berechtigung, 
zur Ungebühr. Beifpiele: belender Hund, frähender Hahn, Klavierfpiel, 
Pfeifen, Hausglodeläuten. Berübung groben Unfugs liegt vor, wenn 
eine Handlung vorfäglic; vorgenommen wird, welche geeignet ift, eine 
größere oder Kleinere Deffentlichfeit ofne Befugnis unmittelbar zu 
verlegen oder zu gefährden. Beifpiele: Angriff auf offener Straße, 
Anfprehen einer ehrbaren Dame feiten eines Mannes auf offener Straße 
zu Bweden unlauterer Bekanntſchaft; Entblößen der Gejchlechtsteile auf 
offener Straße, beunruhigende Zeitungsartifel. In beiden Fällen muß der 
Täter das Geräufch oder die Unfugshandlung vorfäglih wollen und 
ermeflen fönnen, daß er hierdurch die Deffentlichkeit ſtören, beläftigen 
oder gefährden könne und hierzu fein Recht habe. Wer zum Ge: 
räufch oder der Unfugshandlung ein Recht zu haben glaubt, nicht 
jtrafbar. Verübung groben Unfugs bezeichnet Feine jubfidiäre Straf- 
vorjchrift allgemeiner Art und ift auf ungebührliche Weußerungen der 
Preffe nur, fofern fie unmittelbar die äußere Ordnung oder Ruhe ver- 
legen, anwendbar. Gozialdemofratifhe Kundgebung, insbefondere das 
demonftrative Tragen einer roten Fahne, fann grober Unfug fein. 


Pfandleiher. 
12. wer als Pfandleiher oder Rückkaufshändler bei Ausübung ſeines Ge— 
werbes den darüber erlaſſenen Anordnungen zuwiderhandelt, insbeſondere 
den durch Landesgeſetz oder Anordnung der zuſtändigen Behörde 
beſtimmten Zinsfuß überſchreitet; 

Gew.“O. 88 38, 35. 

Zierquälerei, 
13. wer öffentlich oder in Mergernis erregender Weile Tiere boshaft 
quält oder roh mißhandelt; 

Deffentlih, d. h. mit der Möglichkeit der Wahrnehmung 
feiten eimer unbegrenzten Anzahl Menſchen. In Wergernis 
erregender Weiſe, es muß eine Perſon Anftoß genommen haben. 
Boshaftes Quälen, nicht zu einem vernünftigen Zwede, fondern 
aus böfer Abfiht, um des Quälens ſelbſt willen. Rohe Mip- 
handlung, förperliche Mißhandlung in einer eine gemeine Gefinnung 
offenbarenden Weife; kann auch durch Unterlaffung (Nichtgewährung 
von Futter) gefchehen. 


nn — 


268 III. Sirafgeſetzbuch. — Zweiter Teil. 


Salten von Glüdöfpielen. 

14. wer unbefugt auf einem öffentlichen Wege, einer Straße, einem 
Öffentlichen Plage oder in einem Öffentlichen Berjammlungsorte 
Glücksſpiele hält. 

Glüdsspiel, ſ. $ 284 Glücksſpiele halten, d. h. als 
Unternehmer veranftalten (alfo nicht der ſogenannte Bankhalter bei um: 
gehender Bank). Es braucht noch nicht gefpielt worden zu fein; e8 
genügt, wenn die Möglichkeit zum Spiele geboten wird. Deffent- 
liher Weg, Straße, wenn fie der Benugung des Publitums freigegeben 
find, Gewerbsmäßigfeit nicht erforderlich. 
Nebenftrafe. 

In den Fällen der Nummern 1, 2, 4, 5, 6 und 14 fann neben der 
Geldjtrafe oder der Haft auf Einziehung der Riſſe von Feſtungen oder 
Feſtungswerken, der Vorräte von Waffen oder Schiebedarf, der Stempel, 
Siegel, Stiche, Platten oder anderen Formen, der Abdrüde oder Abbildungen 
oder der auf dem Spieltiiche oder in der Banf befindlichen Gelder erfannt 
werden, ohne Unterſchied, ob fie dem VBerurteilten gehören oder nicht. 

Bergl. 88 40, 42. 
$s 361. Mit Haft wird beitraft: 
Zuwiderhandiung bei Polizeilaufſicht. 

1. wer, nachdem er unter Bolizei-Aufficht geftellt worden iſt, den in- 

folge derfelben ihm auferlegten Beichränfungen zumiderhandelt: 
Vergl. SS 38, 39. 
Derbotöwidrige Rücktehr. 

2. wer, nachdem er des Bundesgebietes oder des Gebietes eines 

Bundesstaates verwieſen iſt, ohne Erlaubnis zurüdfehrt ; 
Vergl. 88 39 Nr. 2, 284 9. 2, 362 4. 3. 
Zandftreicherei. 

3. wer als Landſtreicher umberzieht; 

Landftreicher: mittel- und erwerbszwedlojes Umherziehen. 
Betteln. 

4. wer bettelt oder Kinder zum Betteln anleitet oder ausjchidt, oder 
Perſonen, welche feiner Gewalt und Aufficht untergeben find umd 
zu feiner Hausgenofjenichaft gehören, vom Betteln abzuhalten 
unterläßt ; 

Betteln, d. i. anjpredhen um milde Gaben. Beſtimmte Be: 
ziehungen zum Angeſprochenen (Berwandtichaft, Gleichheit des Erwerbes 
oder Berufs) können die Strafbarkeit ausjchliegen. 








Einzelne Verbrechen, Bergehen und Lebertretungen und deren Bejtrafung. 269 


10. 


Zrunf, Spiel des Unterhaltöpflidhtigen. 


. wer fich dem Spiel, Trunf oder Müßiggang dergeftalt hingibt, daß 


er in einen Zuftand gerät, in welchem zu jeinem Unterhalte oder 
zum Unterhalte derjenigen, zu deren Ernährung er verpflichtet ift, 
durch Bermittelung der Behörde fremde Hilfe in Anfpruc) genommen 


werden muß; 
Zuwiderhandlung bei Gewerbsunzucht. 


. eine Weibsperfon, welche wegen gewerbsmäßiger Unzucht einer poligei- 


lichen Aufficht unterftellt ft, wenn fie den in diefer Hinficht zur 
Sicherung der Gefundheit, der Öffentlichen Ordnung und des öffent: 
fichen Anſtandes erlajjenen polizeilichen Vorjchriften zumiderhandelt, 
oder welche, ohne einer folchen Aufjicht unterjtellt zu fein, gewerbs- 


mäßig Unzucht treibt; 
Arbeitsſchen des Almofenempfängers. 


. wer, wenn er aus öffentlichen Armenmitteln eine Unterjtügung 


empfängt, fich aus Arbeitsfcheu weigert, die ihm von der Behörde 
angewiejene, feinen Kräften angemefjene Arbeit zu verrichten; 
Nichtverſchaffung von Unterkommen. 


. wer nach Verluſt ſeines bisherigen Unterfommens binnen der ihm von 


der zujtändigen Behörde bejtimmten Friſt fich Fein anderweitiges 
Unterfommen verjchafft hat und auch nicht nachweisen fann, daß er 
jolches der von ihm angewandten Bemühungen ungeachtet nicht ver- 


mocht habe; Abhaltung von Diebftahl ufw. 


. wer Kinder oder andere unter jeiner Gewalt ſtehende Perjonen, 


welche jeiner Aufjicht untergeben find und zu feiner Hausgenofjen- 
Ichaft gehören, von der Begehung von Diebjtählen, fowie von der 
Begehung jtrafbarer Verlegungen der Zoll- oder Steuergeiege, oder 
der Geſetze zum Schuge der Forſten, der ;yeldfrüchte, der Jagd oder 
der Fiſcherei abzuhalten unterläht. Die VBorfchriften diejer Gejege 
über die Haftbarfeit für die den Täter treffenden Geldftrafen oder 
anderen Geldleiitungen werden hierdurch nicht berührt; 
Entzichung der Unterhaltöpflicdt. 

wer, objchon er in der Lage iſt, diejenigen, zu deren Ernährung 
er verpflichtet ift, zu unterhalten, ſich der Unterhaltspflicht troß 
der Aufforderung der zuitändigen Behörde derart entzieht, daß 
durch Bermittelung der Behörde fremde Hülfe in Anſpruch 
genommen werden muß. 


270 UI. Strafgejepbuch. — Zweiter Teil. 


Geldfirafe. 
In den Fällen der Nr. 9 und 10 fann ftatt der Haft auf Geld- 
jtrafe bi8 zu einhundertfünzig Mark erfannt werben. 
Geſchärfte Saft. 

$ 362. Die nad) Vorfchrift des $ 361 Nr. 3 bis 8 PVerurteilten fünnen 
zu Arbeiten, welche ihren Fähigkeiten und Verhältniſſen angemefjen find, 
innerhalb und, jofern fie von anderen freien Arbeitern getrennt gehalten 
werden, auch außerhalb der Strafanftalt angehalten werden. 

VHeberweifung an die Laudespolizeibehörde. 

Bei der Verurteilung zur Haft kann zugleich erfannt werden, daß die 
verurteilte Perſon nach verbüßter Strafe der Landespolizeibehörde zu über- 
weifen jei. Im Falle des $ 361 Nr. 4 iſt dieſes jedoch nur dann zuläffig, 
wenn der Verurteilte in den letzten drei Jahren wegen dieſer Uebertretung 
mehrmals rechtskräftig verurteilt worden ift, oder wenn derjelbe unter Drohungen 
oder mit Waffen gebettelt hat. 

E3 genügt eine zweimalige Verurteilung wegen Bettelns in den legten 

3 Jahren. 

Durch die Ueberweifung erhält die Zandespolizeibehörde die Befugnis, 
die verurteilte Berfon bis zu zwei Jahren entweder in ein Arbeitshaus unter- 
zubringen oder zu gemeinnüßigen Arbeiten zu verwenden. Im alle des 
$ 361 Nr. 6 kann die Landespolizeibehörde die verurteilte Perfon ſtatt in 
ein Arbeitshaus in eine Beſſerungs- oder Erziehungsanjtalt oder in ein Aſyl 
unterbringen; die Unterbringung in ein Arbeitshaus ift unzuläffig, falls die 
verurteilte Perjon zur Zeit der Verurteilung das achtzehnte Lebensjahr noch 
nicht vollendet hat. 


Berweifung des Ausländers. 
Iſt gegen einen Ausländer auf Ueberweifung an die Landespolizeibehörde 
erfannt, jo fann neben oder an Stelle der Unterbringung Verweiſung aus 
dem Bundesgebiet eintreten. 


Falſche Legitimationspapiere. 
$ 363. Wer, um Behörden oder Privatperfonen zum Zwecke feines 
beſſeren Fortlommens oder des befjeren Fortkommens eines anderen zu täufchen, 
Päſſe, Militärabfchiede, MWanderbüher oder fonjtige Legitimationspapiere, 
Dienſt- oder Arbeitsbücher oder ſonſtige auf grund bejonderer Vorfchriften 
auszujtellende Zeugniffe, jowie Führungs: oder Fähigfeitszeugnifie falſch 


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Einzelne Verbrechen, Vergehen und Webertretungen und deren Bejtrafung. 271 


anfertigt oder verfälſcht, oder wiſſentlich von einer ſolchen falſchen oder 
verfälſchten Urkunde Gebrauch macht, wird mit Haft oder mit Geldſtrafe bis 
zu einhundertfünfzig Mark beſtraft. 

Gleiche Strafe trifft denjenigen, welcher zu demſelben Zwecke von ſolchen 
für einen anderen ausgeſtellten echten Urkunden, als ob ſie für ihn ausgeſtellt 
ſeien, Gebrauch macht, oder welcher ſolche für ihn ausgeſtellte Urkunden einem 
anderen zu dem gedachten Zwecke überläßt. 

Zum Zwecke feines beſſeren Fortkommens, d. h. um ſich 
durch Ausweis über die perſönlichen Verhältniſſe Gelegenheit zu wirtſchaft— 
licher Berbefferung zu verfchaffen, z. B. Fälfchung zum Zwede des Bettelns, 
behuf3 Zulaffung zu einer Staatsprüfung, zweds Erlangung einer Schank— 
tonzeffion. In ſolchen Fällen fcheidet der Begriff der Urkundenfälihung 
($ 267 ff.) alfo aus. Soll aber mit dem gefälfchten Papier nicht ein Aus— 
weis über die Perjon hergeftellt, jondern ein beftimmtes Recht erlangt oder 
ein Dritter in einem Rechte gejchädigt werben, jo liegt Urkundenfälihung vor. 

Berwendeted Stempelpapier ufw. 

$ 364. Mit Gelditrafe bis zu einhundertfüntzig Mark wird beitraft, 
wer wifjentlich jchon einmal verwendetes Stempelpapier nach gänzlicher oder 
teilweijer Entfernung der darauf gejehten Schriftzeichen, oder ſchon einmal 
verwendete Stempelmarfen, Stempelblanfette oder ausgejchnittene oder ſonſt 
abgetrennte Stempelabdrüde der im $ 276 bezeichneten Art veräußert oder 
feilhält. 

Gleiche Strafe trifft denjenigen, welcher wijjentlich jchon- einmal ver: 
wendete Pojt- oder Telegraphenwertzeichen nach) gänzlicher oder teilweifer Ent- 
fernung des Entwertungszeichens veräußert oder feilhält. 


Berg. SS 275, 276. 
Mebertretene Polizeiftunde. 


8 365. Wer in einer Schanfjtube oder an einem öffentlichen Ver— 
gnügungsorte über die gebotene Polizeiltunde hinaus verweilt, ungeachtet der 
Wirt, fein Vertreter oder ein Polizeibeamter ihn zum Fortgehen aufgefordert 
hat, wird mit Geldjtrafe bis zu fünfzehn Mark beitraft. 

Gebotene Bolizeiftunde, d. h. ein für alle mal im Ber: 
ordnungswege feitgejegt oder auf grund einer ſolchen an einzelnen Wirt 
jpeziell erlaffen; Schanfftuben und öffentlihe Bergnügungsorte, 
alfo nicht: geichloffene Gejellichaften. 

Der Wirt, welcher das Verweilen feiner Gäjte über die gebotene Polizei: 
ftunde hinaus duldet, wird mit Geldftrafe bis zu ſechszig Marf oder mit Haft 
bis zu vierzehn Tagen bejtraft. 


—X 
—2 


IT. Strafgeſetzbuch. — Zweiter Zeil. 


$ 366. Mit Gelditrafe bis zu ſechszig Mark oder mit Haft bis zu 
vierzehn Tagen wird beitraft: 
Sonntagsftörung. 

1. wer den gegen die Störung der feier der Sonn: und Feſttage 

erlafienen Anordnungen zuwiderhandelt; 
Handlungen, welche bie äußere Ruhe und SHeilighaltung der 
Sonn= u. Feſttage verlegen. Ueber die VBorfchriften betr. die Gewerbe: 
Sonntagsruhe ſ. Gew.O. 88 4la, 55a, 105a ff. 
Schnelles Fahren ufw. 

2. wer in Städten oder Dörfern übermäßig jchnell. fährt oder reitet, 
oder auf Öffentlichen Straßen oder Plügen der Städte oder Dörfer 
mit gemeiner Gefahr Pferde einfährt oder zureitet; 

Verhindertes Borbeifahren. 

3. wer auf Öffentlichen Wegen, Straßen, Plägen oder Waſſerſtraßen 

das Vorbeifahren anderer mutwillig verhindert; 
Schlitten ohne Deichſel und Schelle. 

4. wer in Städten mit Schlitten ohne feite Deichjel oder ohne Ge- 

läute oder Schelle fährt; 
Gefährdendes Stehenlaffen von Tieren. 

5. wer Tiere in Städten oder Dörfern, auf öffentlichen Wegen, 
Straßen oder Plägen, oder an auderen Orten, wo jie durch Aus: 
reißen, Schlagen oder auf andere Weife Schaden anrichten fünnen, 
mit Bernachläffigung der erforderlichen Sicherheitsmahregeln ſtehen 
läßt oder fährt; 

Schen von Hunden. 
6. wer Hunde auf Menfchen hetzt; 
Werfen von Steinen. 

7. wer Steine oder andere harte Körper oder Unrat auf Menschen, 
auf Pferde oder andere Zug- oder Yajttiere, gegen fremde Häufer, 
Gebäude oder Einjchliegungen, oder in Gärten oder eingeichlojiene 
Räume wirft; 

Auf Menichen, d. h. aud ohne zu treffen. 
Serabfalleniafien von Sachen. 

8. wer nach einer Öffentlichen Straße oder Waſſerſtraße, oder nach 
Orten hinaus, wo Menjchen zu verkehren pflegen, Sachen, durch 
deren Umitürzen oder Herabfallen jemand bejchädigt werden fann, 


Einzelne Verbrechen, Vergehen und Webertretungen und deren Beitrafung. 273 


ohne gehörige Befeſtigung aufftellt oder aufhängt, oder Sachen 
auf eine Weiſe ausgießt oder auswirit, daß dadurch jemand be= 
Ichädigt oder verunreinigt werden kann; 


Vertchröhinderung auf Wegen uſw. 
9. wer auf Öffentlichen Wegen, Straßen, Plägen oder Wafjerjtragen 
Gegenjtände, durch welche der freie Verkehr gehindert wird, aufs 
jtellt, hinlegt oder liegen läßt; 


Polizeiverorpnung zur Sicherheit uſw. 
10. wer die zur Erhaltung der Sicherheit, Bequemlichkeit, Reinlichkeit 
und Ruhe auf den öffentlichen Wegen, Straßen, Plägen oder 
Waſſerſtraßen erlafjenen PBolizeiverordnungen übertritt. 


Schub der Dünen. 
$ 3660. Wer die zum Schuge der Dünen und der Fluß- und Meeres— 
ufer, ſowie der auf denjelben vorhandenen Anpflanzungen und Anlagen er: 
lafjenen Bolizeiverordnungen übertritt, wird mit Geldſtrafe bis zu einhundert- 
fünfzig Mark oder mit Haft beftraft. | 
$ 367. Mit Gelditrafe bis zu einhundertfünfzig Mark oder mit Haft 


ird - 
wird bejtraft Heimliche Beerdigung uſw. 


J. wer ohne Vorwiſſen der Behörde einen Leichnam beerdigt oder 
beijeite jchafft, oder wer unbefugt einen Teil einer Leiche aus 


dem Gewahrjam der dazu berechtigten Perfonen wegnimmt; 


Bergl. S 168. 
9. 8 Vorzeitiges Beerdigen. 


2. wer den polizeilichen Anordnungen über vorzeitige Beerdigung ent- 


gegenhandelt; 
Zubereitung von Gift und Arzneien. 


3. wer ohne polizeiliche Erlaubnis Gift oder Arzneien, ſoweit der 
Handel mit denjelben nicht freigegeben iſt, zubereitet, feilhält, ver- 
fauft oder fonjt an andere überläßt; 

Bergl. Gew. O. 88 6, 29, 34,147 Ne. 1 u. B. O. 27.j1. 90, 
betr. den Berfehr mit Arzneimitteln — (R. G. Bl. ©. 9.). 


Zubereitung von Schießpulver. 


4. wer ohne die vorgejchriebene Erlaubnis Schichpulver oder andere 


erplodierende Stoffe oder Feuerwerke zubereitet; 
Bergl. Gew.D. SS 16, 147 Nr. 2; Sprengitoff-G. 88 1, 9. 


18 


274 II. Strafgejegbudh. — Zweiter Teil. 


Aufbewahrung von Gift uſw. 

5. wer bei der Aufbewahrung vder bei der Beförderung von Gift: 
waren, Schieipulver oder Feuerwerken, oder bei der Aufbewahrung, 
Beförderung, Verausgabung oder Verwendung von Sprengitoffen 
oder anderen explodierenden Stoffen, oder bei Ausübung der Be: 
fugnis zur Zubereitung oder Feilhaltung diejer Gegenstände, ſowie 
der Arzneien die deshalb ergangenen Verordnungen nicht befolgt; 

Bergl. Sprengitoff:&. 88 1, 9; Eiſenbahn-Verkehrsordnung v. 
28.110. 1899 (R.G. Bl. ©. 557) 88 49 ff.; Boftordnung $ 10 ff. 
Derfendung von entzündlihen Gegenſtänden. 

5a. wer bei Berjendung oder Beförderung von leicht entzündlichen 
oder ätzenden Gegenjtänden durch die Bolt die deshalb ergangenen 
Verordnungen nicht befolgt; 

Bergl. 5 10 ff. d. Poftordnung. 
Aufbewahrung felbftentzündlicher Waren uſw. 

6. wer Waren, Materialien oder andere Vorräte, welche fich leicht 
von jelbjt entzünden oder leicht zeuer fangen, an Orten oder in 
Behältnijjen aufbewahrt, wo ihre Entzündung gefährlich werden 
fann, oder wer Stoffe, die nicht ohne Gefahr einer Entzündung 
bei einander liegen fönnen, ohne Abjonderung aufbewahrt; 

Aufbewahren, bis zur beftimmungsgemäßen Verwendung lagen 
laſſen. 
Verfälſchte Getränke und Eßwaren. 

7. wer verfälſchte oder verdorbene Getränke oder Eßwaren, insbeſondere 

trichinenhaltiges Fleiſch feilhält oder verkauft; 
Nr. 7 iſt durch SS 10 ff. Geſ. vom 14.5. 79 nicht aufgehoben, 
fondern findet Anwendung, foweit nicht der Tatbeftand d. 88 10, 11 
desjelben gegeben iſt. Feilhalten, d. h. zum Verkauf bereit halten. 
Selbftgefhofie, Schicken, Feuerwert ohne polizeilihe Genchmigung. 

8. wer ohne polizeiliche Erlaubnis an beivohnten oder von Menjchen 
befuchten Orten Selbſtgeſchoſſe, Schlageifen oder Fußangeln legt, 
oder an folchen Orten mit Feuergewehr oder anderem Schiehwerf- 
zeuge ſchießt, oder Feuerwerkskörper abbrennt; 

Waffen in Stöden. 

9. wer einem gefeglichen Verbot zuwider Stoß-, Hieb- oder Schuß— 
waffen, welche in Stöden oder Röhren oder in ähnlicher Weiſe 
verborgen jind, feilhält oder mit fich führt; 


Einzelne Berbreden, Vergehen und lebertretungen und deren Beftrafung. 975 


Waffe bei Schlägerei. 


10. wer bei einer Schlägerei, in welche er nicht ohne fein Verſchulden 


11. 


12. 


13. 


14. 


15. 


hineingezogen worden ift, oder bei einem Angriff ſich einer Waffe, 
insbejondere eines Meſſers oder eines anderen gefährlichen Werk— 
zeuges bedient; 

Bergl. 88 2238, 227. Der Täter muß bei der Schlägerei be- 
teiligt fein. Der Angriff braucht nicht von mehreren auszugehen. 

Gefährliche, wilde oder bösartige Tiere. 

wer ohne polizeiliche Erlaubnis gefährliche wilde Tiere hält, oder 
wilde oder bösartige Tiere frei umberlaufen läßt, oder in Anjehung 
ihrer die erforderlichen Vorſichtsmaßregeln zur Verhütung von 


Beichädigungen unterläßt; 
Inverdedte Brunnen ufiw. 


wer auf Öffentlichen Straßen, Wegen oder Plätzen, auf Höfen, in 
Häufern und überhaupt an Orten, an welchen Menjchen verkehren, 
Brunnen, Seller, Gruben, Deffnungen oder Abhänge dergeftalt 
unverdedt oder unverwahrt läßt, daß daraus Gefahr für andere 


entitehen fann; 
Nicht mur der Eigentümer des Brunnens ujw., fondern auch der 
Hausinhaber, Hausverwalter ftrafbar. Deffnung: Rüde im Treppen- 


geländer. 
Baufällige Gebäude. 


wer troß der polizeilichen Aufforderung es umnterläßt, Gebäude, 
welche dem Einjturz drohen, auszubefjern oder niederzureißen; 
Bauen ohne Sicherungsmahregel. 

wer Bauten oder Ausbejjerungen von Gebäuden, Brunnen, Brüden, 
Schleuien oder anderen Bauwerfen vornimmt, ohne die von der 
Polizei angeordneten oder font erforderlichen Sicherungsmaßregeln 
zu treffen; 

Bauunternehmer und Baumeiiter ftrafbar; bezieht ſich auf Bauten 
aller Art, Wegebauten uſw. 

Bauen ohne polizeilihe Genehmigung. 
wer als Bauherr, Baumeijter oder Bauhandwerfer einen Bau 
oder eine Ausbejjerung, wozu die polizeiliche Genehmigung erforder: 
ih iſt, ohne diefe Genehmigung oder mit eigenmächtiger Ab— 
weichung von dem durch die Behörde genehmigten Bauplane aus: 
führt oder ausführen läßt; 

Zu 13—15 vergl. $ 330. 


276 II. Strafgeſetzbuch. — Zweiter Teil. 


Abhalten von Berfteigerungen. 
16. wer den über das Abhalten von Öffentlichen VBerfteigerungen und 


über das Berabfolgen geiftiger Getränfe vor und bei Öffentlichen 
Verfteigerungen erlafjenen polizeilichen Anordnungen zumwiderhandelt. 


Einziehung. 
In den Fällen der Nr. 7 bis 9 fann neben der Gelditrafe oder der 


Haft auf die Einziehung der verfäljchten oder verborbenen Getränfe oder Eß— 

waren, ingleichen der Selbſtgeſchoſſe, Schlageifen oder Fußangeln, jowie der 

verbotenen Waffen erkannt werden, ohne Unterjchied, ob fie dem VBerurteilten 

gehören oder nicht. 

Vergl. SS 40, 42. 

$ 368. Mit Geldjtrafe bis zu ſechszig Mark oder mit Haft bis zu 
vierzehn Tagen wird beitraft: 
Schlichung der Weinberge, 

1. wer den polizeilichen Anordnungen über die Schliegung der Wein- 
berge zuwiderhandelt; 

Unterlafienes Raupen. 

2. wer das durch gejeliche oder polizeiliche Anordnungen gebotene 
Raupen unterlüßt; 

Frenerftätten ohne potizeilihe Erlaubnis, 

3. wer ohne polizeiliche Erlaubnis eine neue Feuerſtätte errichtet 
oder eine bereit3 vorhandene am einen anderen Ort verlegt; 

Mit der Errichtung oder Verlegung beginnt die Verjährung. 
(Hein Dauerbdelitt.) 
Unterhaltung der Feuerſtätten. 

4. wer e3 unterläßt, dafür zu jorgen, daß die Feuerſtätten in feinem 
Haufe in baulichem und brandficherem Zuſtande unterhalten, oder 
daß die Schorniteine zur rechten Zeit gereinigt werden; 

Betreten mit unverwahrtem Licht. 

5. wer Scheunen, Ställe, Böden oder andere Räume, welche zur Auf: 
bewahrung feuerfangender Sachen dienen, mit unverwahrtemn Feuer 
oder Licht betritt oder fich denjelben mit unverwahrtem Feuer oder 
Licht nähert; 

Brennende verichloffene Tabafspfeife, je nah den Umftänden 
des Falles, 
Feueranzünden in Wäldern, 

6. wer an gefährlichen Stellen in Wäldern oder Haiden, oder in 
gefährlicher Nähe von Gebäuden oder jeuerfangenden Sachen Feuer 
anzlindet ; 


Einzelne Verbrechen, Vergehen und Uebertretungen und deren Beitrafung. 277 


Schießen und Feuerwert in gefährlicher Nähe. 
7. wer in gefährlicher Nähe von Gebäuden oder feuerfangenden Sachen 
mit Feuergewehr jchießt oder Feuerwerke abbrennt; 
Feuerpolizeilihe Anordnungen. 
8. wer die polizeilich vorgefchriebenen Feuerlöſchgerätſchaften über: 
haupt nicht oder nicht in brauchbarem Zustande hält oder andere 
feuerpolizeiliche Anordnungen nicht befolgt; 
Unbefugted Gehen über Gärten ufw. 
9. wer unbefugt über Gärten oder Weinberge, oder vor beendeter 
Ernte über Wieſen oder bejtellte Aeder, oder über jolche Aeder, 
Wiefen, Weiden oder Schonungen, welche mit einer Einfriedigung 
verjehen find, oder deren Betreten durch Warnungszeichen unterjagt 
ift, oder auf einem durch Warnungszeichen gefchloffenen Privatwege 
geht, fährt, reitet oder Vieh treibt; 
Betreten fremden Jagdreviers. 
10. wer ohne Genehmigung des Jagdberechtigten oder ohne ſonſtige 
Befugnis auf einem fremden Jagdgebiete außerhalb des öffentlichen, 
zum gemeinen Gebrauche beitimmten Weges, wenn aud, nicht 
jagend, doc) zur Jagd ausgerüjtet, betroffen wird; 

Betroffen wird, d.h. nicht: unbedingt getroffen oder gejehen 
wird; fondern: wer auf einem fremden Jagdgebiete außerhalb des öffentl. 
uſw. ſich befindet. Die Böſchungen und Seitengräben de3 zum ge- 
meinen Gebrauche (zum Gehen, Reiten, Fahren, Biehtreiben) beftimmten 
Weges gehören nicht zu demjelben. 

Ausnehmen von Giern und Jungen. 
11. wer unbefugt Eier oder Junge von jagdbarem Federwild oder 
von Singvögeln ausnimmt. 

Bol. R.G., betr. den Schu von Vögeln vom 22. März 1888 
(R.G.Bl. ©. 111). 

$ 369. Mit Geldjtrafe bis zu einhundert Marf oder mit Haft bis zu 


vier Wochen werden bejtraft: 
Berbotene Anfertigung von Schlüffeln. 


1. Schlofjer, welche ohne obrigfeitliche Anweifung oder ohne Ge- 
nehmigung des Inhabers einer Wohnung Schlüffel zu Zimmern 
oder Behältniffen in der leßteren anfertigen oder Sclöffer an 
denjelben öffnen, ohne Genehmigung des Hausbefigers oder jeines 
Stellvertreters einen Hausjchlüfjel anfertigen, oder ohne Erlaubnis 
der Polizeibehörde Nachichlüffel oder Dietriche verabfolgen ; 


278 TU. Strafgefegbud. — Zweiter Teil. 


Ungeaidhte oder nurichtige Make ufw. 

2. Gewerbtreibende, bei denen zum Gebrauche in ihrem Gewerbe ge- 
eignete, mit dem gejeglichen Aichungsitempel nicht verfehene oder 
unrichtige Maße, Gewichte oder Wagen vorgefunden werden, oder 
welche fich einer anderen Verlegung der Vorfchriften über die Maß— 
und Gewichtspolizei jchuldig machen ; 

Pol. Maf- und Gewichtsordnung v. 17.8. 68 (B.6.Bl. 

©. 473—478); Gef., betr. Abänderung d. Maß: u. Gemwicdhtsordn. vd. 

26.4. 98, R.G.Bl. ©. 151; uw. Aichordnung v. 27.12. 84 (Bei- 

lage zu Nr. 5 d. R.G.Bl. 1885); Bekanntmach., betr. Abänderung u. 

Ergänzung d. Aichordnung v. 14./1. 93. R.G.Bl. ©. 6; Bekanntmach., 

betr. Aichung v. chemiſchen Meßgeräten v. 26.7. 93, R.G. Bl. ©. 237. 
Feuerftätten. Gewerbtreibender. 

3. Gewerbtreibende, welche in Feuer arbeiten, wenn fie die Vor— 
jchriften nicht befolgen, welche von der Polizeibehörde wegen An: 
fegung und Verwahrung ihrer Feuerſtätten, jowie wegen der Art 
und der Zeit, ich des Feuers zu bedienen, erlafien find. 

Ginzichung. 

Im Falle der Nr. 2 iſt neben der Geldjtrafe oder der Haft auf die 
Einziehung der vorjchriftswidrigen Maße, Gewichte, Wagen oder jonjtigen 
Meßwerkzeuge zu erfennen. 

8 370. Mit Gelditrafe bis zu einhundertfünfzig Mark oder mit Haft 
wird beitraft: 

Unbefugtes Abgraben. 

l. wer unbefugt ein fremdes Grundjtüd, einen öffentlichen oder 
Privatweg oder einen Grenzrain durch Abgraben oder Abpflügen 
verringert; 

Daß der Täter Eigentümer oder Miteigentümer des den Rain 
bildenden Grund und Bodens ift, ſchließt die Strafbarkeit nicht aus. 
Unbefugtes Graben von Erde, Steinen uſw. 

2, wer unbefugt von Öffentlichen oder Privalwegen Erde, Steine oder 
Najen, oder aus Grundjtüden, welche einem anderen gehören, 
Erde, Lehm, Sand, Grand oder Mergel gräbt, Plaggen oder 
Bülten Haut, Rafen, Steine, Mineralien, zu deren Gewinnung es 
einer Verleihung, einer Konzeſſion oder einer Erlaubnis der Be— 
hörde nicht bedarf, oder Ähnliche Gegenstände "wegnimmt; 

Auch ungeitochener Torf fällt hierunter. 


4. 


Einzelne Verbrechen, Vergehen und llebertretungen und deren Beitrafung. 279 


Kauf von Montierungsftüden uſw. 
3. wer von einem zum Dienjtjtande gehörenden Unteroffizier oder 
Gemeinen des Heeres oder der Marine ohne die jchriftliche Er- 
laubnis des vorgejegten Kommandeurs Montierungs- oder Armatur: 
jtüde kauft oder zum Pfande nimmt; 
Unberechtigtes Fiſchen. 
4. wer unberechtigt fiſcht oder krebſt; 
Vergl. 5 296; fiſcht, d. h. nicht bloß Fiſche, auch Muſcheln uſw. 
Mundraub. 
5. wer Nahrungs- oder Genußmittel von unbedeutendem Werte oder 
in geringer Menge zum alsbaldigen Verbrauche entwendet. 

Eine Entwendung, welche von Verwandten aufſteigender Linie 
gegen Verwandte abſteigender Linie oder von einem Ehegatten gegen 
den anderen begangen worden iſt, bleibt ſtraflos; 

Dieſe Beſtimmung enthält eine Ausnahme von $ 242 ff. 
(Diebftahl) ; fie ift miht auf Fälle von Unterſchlagung anwendbar. 
Nahrungsmittel, nur für Menichen. Ob ein unbedeutender 
Wert vorliegt, ift nach den Verhältniffen des Verlegten und des Täters 
zu beurteilen. Genußmittel, nit: Blumen, Feuerungsmittel, aber 
Tabaf und Zigarren. Zum alsbaldigen Berbraud, jeiten des 
Täter oder eines Dritten, wenn der Wille des Täters auf Befriedigung 
eines augenblidlihen Bebürfniffes oder Gelüftes gerichtet ift. Ent: 
wendung unter den Erichwerungen des S 243 bleibt Lebertretung. 


Wegnahme von Fütterungsgesenftänden. 
6. wer Getreide oder andere zur Fütterung des Viehes bejtimmte 
oder geeignete Gegenjtände wider Willen des Eigentümers weg» 
nimmt, um dejjen Vieh damit zu füttern. 
Strafantrag. 
In den Fällen der Nr. 5 und 6 tritt die Verfolgung nur auf Antrag 
ein. Die Zurüdnahme des Antrages ijt zuläjfig. 


IV, 


Bufammenftellung 


der für das Verfländnis des Strafgefeßbuds wefentliden 
Beftimmungen des Bürgerlichen Gefehbuds, der Bivilprozeß- 
ordnung, der Wedfelordnung und des Handelsgefekbuds. 


Dorbemerfung. 


Sum Derftändniffe des Strafgeſetzbuchs it die Kenntnis des Fivilrechtes 
unentbehrlich. Es ift dringend wünfchenswert, daß auch der nicht juriftifch 
gebildete Kriminalift und der Kaienftrafrichter fich in den Beftimmungen des 
Bürgerlihen Rechts emigermaßen zurecht finden. Es ift im folgenden der 
Verſuch gemacht worden, die für das Strafrecht wefentlichen Dorjchriften 
aus dem Bürgerlichen Gefegbuche, der Zivilprozeßordnung, der Wechſelordnung 
und dem Handelsgeſetzbuche überfichtlich zufammenzuftellen. Auf Dollftändig- 
feit kann natürlicdy fein Unfpruch erhoben werden, weil ja fchließlich jede 
zivilrechtliche Beftimmung einmal ftrafrechtli von Bedeutung werden kann. 

Die einzelnen Paragraphen find, um auch die zivilrechtliche Gefetestechnif 
anfchaulicdy zu machen, im Wortlaute gebradyt und mit in die Augen fallenden 
Inhaltsftihworten verjehen. Beigefügt find furze Hinweife, für welche Straf- 
beftimmung der Paragraph feine Bedeutung hat. Beim Handelsgeſetzbuche 
find felbjtverftändlich zugleich die zahlreichen Strafbeſtimmungen mit aufgeführt. 


TEENS 


1. Bürgerliches Geſetzbuch 
bom 18, Auguft 1896. 


(Reihsgejepblatt 1896, Seite 195.) 


(Auszug.) 


Erites Bud. 
Allgemeiner Teil. 


Bolljährigfeit. 
$ 2. Die Volljährigkeit tritt mit der Vollendung des einundzwanzigften 
Lebensjahres ein. 
Die Perfon des Minderjährigen fommt in den Strafgefegen mehrfach 
vor (SS 65, 235, 237, 301 fi. Str. G. B. ufw.). 
Wohnſitz. 
87T. Wer ſich an einem Orte ſtändig niederläßt, begründet am dieſem 
Drte feinen Wohnſitz. 
Der Wohnfig kann gleichzeitig an mehreren Orten bejtehen. 
Der Wohnfig wird aufgehoben, wenn die Niederlafjung mit dem Willen 
aufgehoben wird, fie aufzugeben. 
Gerichtsjtand des Wohnfiges f. $ 8 d. Str. Pr. O. 
8 8. Wer geichäftsunfähig oder in der Gefchäftsfähigfeit bejchränft iſt, 
fann ohne den Willen feines gejeglichen Vertreters einen Wohnjit weder be: 
gründen noch aufheben. 


$ 9 Eine Militärperfon hat ihren Wohnfig am Garnifonorte. Als 
Wohnſitz einer Militärperjon, deren Truppenteil im Inlande feinen Garnijon- 
ort hat, gilt der lette inländifche Garnifonort des Truppenteils. 

Dieje Vorfchriften finden feine Anwendung auf Militärperjonen, die nur 
zur Erfüllung der Wehrpflicht dienen oder die nicht jelbitändig einen Wohnfig 
begründen fünnen. 


2382 IV. 1. Bürgerliches Geſetzbuch. — Erites Bud). 


$ 10. Die Ehefrau teilt den MWohnfig des Ehemanns. Sie teilt den 
Wohnſitz nicht, wenn der Mann feinen Wohnfig im Ausland an einem Orte 
begründet, an den die frau ihm nicht folgt und zu folgen nicht verpflichtet ift. 

Solange der Mann feinen Wohnfig hat oder die Frau jeinen Wohnfig 
nicht teilt, fann die Frau felbitändig einen Wohnſitz haben. 


8 11. Ein eheliches Kind teilt den Wohnfig des Vaters, ein unehe- 
liches Kind den Wohnſitz der Mutter, ein an Kindesſtatt augenommenes Kind 
den MWohnfig des Annehmenden. Das Kind behält den Wohnfig, bis es ihn 
rechtsgiltig aufhebt. 

Eine erjt nad) dem Eintritte der Volljährigkeit des Kindes erfolgende 
Legitimation oder Annahme an Kindesitatt hat feinen Einfluß auf den Wohnfit 
des Kindes. 

Beftandteile. 

$ 93. Beſtandteile einer Sache, die von einander nicht getrennt werden 
fünnen, ohne daß der eine oder der andere zerftört oder in feinem Weſen ver- 
ändert wird (wefentliche Bejtandteile), fünnen nicht Gegenitand bejonderer 
Rechte ſein. i 

Bon Bedeutung für den Begriff der bemwegliden Sadhe in $$ 242, 

246 Str. G. B. uſw. 

Beftandteile eines Grundſtücks. 

$ 94. Zu den weſentlichen Beſtandteilen eines Grundſtücks gehören die 
mit dem Grund und Boden fejt verbundenen Sachen, insbejondere Gebäude, 
jowie die Erzeugnijje des Grundſtücks, folange fie mit dem Boden zujammen- 
hängen. Samen wird mit dem Ausjäen, eine Pflanze wird mit dem Ein: 
pflanzen wejentlicher Bejtandteil des Grundftüds. | 

Zu den wejentlichen Beitandteilen eines Gebäudes gehören die zur 
Herftellung des Gebäudes eingefügten Sachen. 

Für die auf dem Grundftücde Laftende Hypothek find alfo die Beſtand— 

teile mit verhaftet (j. 8$ 288, 289 Str. G. B.). 


$ 9. Zu den Bejtandteilen eines Grundjtüds gehören ſolche Sachen 
nicht, die nur zu einem vorübergehenden Zwede mit dem Grund und Boden 
verbunden find. Das gleiche gilt von einem Gebäude oder anderen Werke, 
das in Ausübung eines Mechtes an einem fremden Srundjtüde von dem Be— 
rechtigten mit dem Grunditücde verbunden worden iſt. 

Sachen, die nur zu einem vorübergehenden Zwede in ein Gebäude ein- 
fügt find, gehören nicht zu den Bejtandteilen des Gebäudes. 


Allgemeiner Teil. 283 


$ 96. Rechte, die mit dem Eigentum an einem Grundſtücke verbunden 
find, gelten als Bejtandteile des Grundjtüds. 


3. B. Grunddienftbarkeiten (ſ. $ 1018). 
Zubehör. 


s 97. Bubehör find bemegliche Sachen, die, ohne Beitandteile der Haupt- 
jache zu fein, dem wirtjchaftlichen Zwede der Hauptjache zu dienen beftimmt 
jind und zu ihr in einem diefer Beitimmung entfprechenden räumlichen Ver— 
hältniffe jtehen. Eine Sache ijt nicht Zubehör, wenn fie im Berfehr nicht 
al3 Zubehör angejehen wird. 

Die vorübergehende Benugung einer Sache für den wirtjchaftlichen 
Zweck einer anderen begründet nicht die Zubehöreigenjchaft. Die vorüber: 
gehende Trennung eines Zubehörjtüds von der Hauptjache hebt die Zubehör: 
eigenjchaft nicht auf. 

3.8. bei einem Grundftüde die Winterfenfter, nicht aber ohne weiteres 
die Grasmähmafhine und der Gartenfchlaud. Das Zubehör ift für bie 
Hypothek mitverhaftet ($ 1120). 

5 9. Dem wirtjchaftlichen Zwede der Hauptſache jind zu dienen be- 
ftimmt: 

1. bei einem Gebäude, das für einen gewerblichen Betrieb dauernd 
eingerichtet ijt, insbejondere bei einer Mühle, einer Schmiede, 
einem Brauhaus, einer Fabrik, die zu dem Betriebe beitimmten 
Maſchinen und jonjtigen Gerätjchaften; 

. bei einem Landgute das zum Wirtjchaftsbetriebe bejtimmte Gerät 
und Bieh, die landwirtjchaftlichen Erzeugniffe, joweit fie zur Fort— 
führung der Wirtfchaft bis zu der Zeit erforderlich find, zu welcher 
gleiche oder ähnliche Erzeugnifje vorausfichtlich gervonnen werben, 
jowie der vorhandene auf dem Gute gewonnene Dünger. 

Gelhäftöunfähigfeit. 


to 


8 104. Gejchäftsunfähig ift: 

1. wer nicht das jiebente Lebensjahr vollendet hat; 

2. wer fich in einem die freie Willensbeitimmung ausjchließenden 
Zuftande franfhafter Störung der Geiftestätigfeit befindet, ſofern 
nicht der Zujtand feiner Natur nach ein vorübergehender ift; 

3. wer wegen Geijtesfranfheit entmündigt iſt. 


Diefer und die folgenden Paragraphen find von Bedeutung fir die 
Giltigkeit einer Verpflichtung. 


284 IV. 1. Bürgerliches Geſetzbuch. — Erſtes Bud). 


$ 105. Die Willenserklärung eines Gefchäftsunfähigen iſt nichtig. 
Nichtig iſt auch eine Willenserflärung, die im AZuftande der Bewußt— 
(ojigfeit oder vorübergehender Störung der Geiftestätigfeit abgegeben wird. 
Beihränfte Geihäftsfähigfeit. 
$ 106. Ein Minderjähriger, der das fiebente Lebensjahr vollendet hat, 
ift nad) Maßgabe der SS 107 bis 113 in der Gejchäftsfähigfeit beſchränkt. 


$ 107. Der Minderjährige bedarf zu einer Willenserklärung, durch die 
er nicht lediglich einen rechtlichen Vorteil erlangt, der Einwilligung feines 
gejeglichen Vertreters. 

$ 108. Scließt der Minderjährige einen Vertrag ohne die erforderliche 
Einwilligung des gefeglichen Bertreters, fo hängt die Wirkfamfeit des Vertrags 
von der Genehmigung des Vertreters ab, 

Fordert der andere Teil den Bertreter zur Erklärung über die Ge- 
nehmigung auf, jo fann die Erflärung nur ihm gegemüber erfolgen; eine vor 
der Aufforderung dem Minderjährigen gegenüber erklärte Genehmigung oder 
Verweigerung der Genehmigung wird unwirkſam. Die Genehmigung fann 
nur bis zum Ablaufe von zwei Wochen nach dem Empfange der Aufforderung 
erflärt werden; wird jie nicht erflärt, jo gilt fie alö verweigert. 

Sit der Minderjährige unbeſchränkt geichäftsfähig geworden, jo tritt feine 
Genehmigung an die Stelle der Genehmigung des Vertreters. 

$ 109. Bis zur Genehmigung des Vertrags ift der andere Teil zum 
Widerrufe berechtigt. Der Widerruf fann auch dem Minderjährigen gegen: 
über erklärt werden. 

Hat der andere Teil die Minderjährigfeit gefannt, jo kann er nur 
widerrufen, wenn der Minderjährige der Wahrheit zumider die Einwilligung 
des Vertreters behauptet hat; er fann auch in diefem Falle nicht widerrufen, 
wenn ihm das Fehlen der Einwilligung bei dem Abjchluffe des Vertrags 
befannt war. 

8 110. Ein von dem Minderjährigen ohne Zuftimmung des gejeßlichen 
Vertreters gejchlojfener Vertrag gilt als von Anfang an wirkſam, wenn der 
Minderjährige die vertragsmäßige Leiſtung mit Mitteln bewirkt, die ihm zu 
diefem Zwede oder zu freier Verfügung von dem Bertreter oder mit deſſen 
Zuſtimmung von einem Dritten überlaffen worden find. 

$ 111. Ein einjeitiges Nechtsgefchäft, das der Minderjährige ohne die 
erforderliche Einwilligung des gejeglichen Vertreters vornimmt, ift unwirkſam. 


Allgemeiner Teil. 285 


Nimmt der Minderjährige mit diefer Einwilligung ein jolches Rechtsgeſchäft 
einem anderen gegenüber vor, fo ijt das Rechtsgeſchäft unmwirffam, wenn der 
Minderjährige die Einwilligung nicht im ſchriftlicher Form vorlegt und der 
andere das Rechtsgeſchäft aus diefem Grunde unverzüglich zurückweiſt. Die 
Zurüdweifung iſt ausgejchloffen, wenn der Bertreter den anderen von der 
Einwilligung in Kenntnis gefegt Hatte. 
Selbitändige Minderjährige. 

$ 112. Ermächtigt der geiegliche Vertreter mit Genehmigung des Bor» 
mundjchaftägericht3 den Minderjährigen zum jelbjtändigen Betrieb eines Erwerbs- 
geichäfts, jo ijt der Minderjährige für folche Nechtsgefchäfte unbeſchränkt 
geichäftsfähig, welche der Gejchäftsbetrieb mit fich bringt. Ausgenommen find 
Nechtsgefchäfte, zu denen der Vertreter der Genehmigung des Vormundfchafts: 
gerichts bedarf. 


Die Ermädtigung fann von dem Vertreter nur mit Genehmigung des 
Bormundjchaftsgericht3 zurüdgenommen werden. 


$ 113. Ermächtigt der gejegliche Vertreter den Minderjährigen, in 
Dienjt oder in Arbeit zu treten, jo iſt der Minderjährige für folche Rechts: 
geichäfte unbejchränft geichäftsfähig, welche die Eingehung oder Aufhebung 
eines Dienjt- oder Arbeitsverhältnifjes der gejtatteten Art oder die Erfüllung 
der ſich aus einem jolchen Verhältnis ergebenden Verpflichtungen betreffeı. 
Ausgenommen jind Verträge, zu denen der Vertreter der Genehmigung des 
Vormundichaftsgericht3 bedarf. 

Die Ermächtigung fann von dem Vertreter zurüdgenommen vder ein- 
geichränft werden. 

Sit der gejegliche Vertreter ein VBormund, jo fann die Ermächtigung, 
wenn fie von ihm verweigert wird, auf Antrag des Minderjährigen durch 
das Wormundjchaftsgericht erjegt werden. Das VBormundjchaftsgericht Hat 
die Ermächtigung zu erjegen, wenn fie im Intereſſe des Mündels liegt. 

Die für einen einzelnen Fall erteilte Ermächtigung gilt im Zweifel als 
allgemeine Ermächtigung zur Eingehung von Verhältnifjen derfelben Art. 

Entmündigte, 

8 114. Wer wegen Geifteswäche, wegen Berjchwendung oder wegen 
Trunkſucht entmündigt oder wer nad) $ 1906 unter vorläufige Vormundſchaft 
geftellt it, steht in Anfehung der Gefchäftstähigkeit einem Minderjährigen 
gleich, der das fiebente Jahr vollendet hat. 


een PETER Er re re USESnE einen. U | 


9865 IV. 1. Bürgerliches Geſetzbuch. — Erſtes Bud). 


Scheingeihäft. 

8 117. Wird eine Willenserflärung, die einem anderen gegemüber 
abzugeben ift, mit dejien Einverftändnifje nur zum Schein abgegeben, ſo üt 
jie nichtig. 

Wird durch ein Sceingejchäft ein anderes Rechtsgeſchäft verdedt, jo 
finden die für das verdedte Rechtsgeſchäft geltenden Vorſchriften Anwendung. 

Das Vorliegen eines Scheingefhäfts ift für den Tatbeftand von $ 288 
des Str. G. Bs. ohne Einfluß. 
Auslegung von Willenserflärungen. 

$ 133. Bet der Auslegung einer Willenserklärung iſt der wirfliche 
Wille zu erforfchen und nicht an dem buchjtäblichen Sinne des Ausdruds 
zu haften. 

Nichtige Rechtsgeſchäfte. 

8 134. Ein Rechtsgeſchäft, das gegen ein geſetzliches Verbot verſtößt, 
iſt nichtig, wenn ſich nicht aus dem Geſetz ein anderes ergibt. 

Wird jemand durch betrügeriſche Täuſchung (S 263 Str. G. B.) zur 

Eingehung eines nichtigen Rechtsgeſchäftes beſtinimt, jo iſt er in feinem Ber: 

mögen nicht befchädigt, folange er nicht erfüllt hat; vollendeter Betrug aljo 

ausgeichloffen. 

8 138. Ein Rechtsgejchäft, das gegen die guten Sitten verjtößt, ift nichtig. 
Nichtig ift ingbefondere ein Nechtsgejchäft, durch das jemand unter Ausbeutung 
der Notlage, des Leichtfinns oder der Umerfahrenheit eines anderen fich oder 
einem Dritten für eine Leiſtung WVermögensvorteile verjprechen oder gewähren 
läßt, welche den Wert der Leiſtung dergejtalt überjteigen, daß den Umſtänden 
nad) die Vermögensvorteile in auffälligem Mihverhältniffe zu der Leiftung jtehen. 

$ 139. Iſt ein Teil eines Rechtsgefchäfts nichtig, jo iſt das ganze 
Rechtsgeſchäft nichtig, wenn nicht anzunehmen iſt, daß es auch ohne den 
nichtigen Teil vorgenommen fein würde. 

$ 140. Entjpricht ein nichtiges Rechtsgeichäft den Erforderniffen eines 
anderen Rechtsgeſchäfts, jo gilt das legtere, wenn anzunehmen tft, daß dejien 
Geltung bei Kenntnis der Nichtigfeit gewollt jein würde. 

s 141. Wird ein nichtiges Nechtsgefchäft von demjenigen, welcher es vor: 
genommen bat, bejtätigt, jo ift die Beitätigung als erneute Vornahme zu beurteilen. 

Wird eim nichtiger Vertrag von den Parteien bejtätigt, jo find dieſe im 
Zweifel verpflichtet, einander zu gewähren, was jie haben würden, wenn der 
Vertrag von Anfang an giltig geweſen wäre. 


Algemeiner Teil. 287 


Auslegung von DBerträgen. 
$ 157. Verträge find jo auszulegen, wie Treu und Glauben mit Nüd- 
jiht auf die Verfehrsfitte e8 erfordern. 
Stellvertretung. 
$164. Eine Willenserflärung, die jemand innerhalb der ihm zuftehen- 
den Bertretungsmacht im Namen des Vertretenen abgibt, wirft unmittelbar 
für und gegen den Vertretenen. Es macht feinen Unterfchied, ob die Erklärung 
ausdrüdlich im Namen des Vertretenen erfolgt, oder ob die Umſtände ergeben, 
daß fie in deſſen Namen erfolgen fol. 

Zritt der Wille, in fremdem Namen zu handeln, nicht erfennbar hervor, 
jo fommt der Mangel des Willens, im eigenen Namen zu handeln, nicht 
in Betracht. 

Die Vorjchriften des Abſ. 1 finden entiprechende Anwendung, wenn eine 
gegenüber einem anderen abzugebende Willenserklärung defjen Vertreter gegen- 
über erfolgt. 

Die Beitimmungen über Stellvertretung find für die Unterfchlagung 


von Bedeutung. Wenn der Stellvertreter nicht für den Vertretenen Eigentum 
erwirbt, ijt Unterfchlagung ausgefchlofien. 


Ss 165. Die Wirfjamfeit einer von oder gegenüber einem Vertreter 
abgegebenen Willenserklärung wird nicht dadurch beeinträchtigt, da der Ver: 
treter in der Gefchäftsfähigfeit befchränft if. 


$ 166. Soweit die rechtlichen Folgen einer Willenserklärung durch 
Willensmängel oder durch die Kenntnis oder das Kennenmüſſen gewiſſer Um— 
ſtände beeinflußt werden, fommt nicht die Perſon des Vertretenen, jondern die 
des Vertreters in Betracht. 

Hat im Falle einer durch Nechtsgejchäft erteilten VBertretungsmacht 
(Vollmacht) der Vertreter nach bejtimmten Weifungen des Vollmachtgebers 
gehandelt, jo fann fich diefer in Anſehung ſolcher Umjtände, die er jelbit 
fannte, nicht auf die Unfenntnis des Vertreters berufen. Dasjelbe gilt von 
Umſtänden, die der VBollmachtgeber fennen mußte, fofern das Stennenmüfjen 
der Kenntnis gleichjteht. 

Vollmachtserteilung. 
$ 167. Die Erteilung der Vollmacht erfolgt durch Erklärung gegenüber 
dem zu Bevollmächtigenden oder dem Dritten, dem gegemüber die Vertretung 
ftattfinden joll. 

Die Erklärung bedarf nicht der Form, welche für das Rechtsgeſchäft 

beſtimmt ift, auf das ſich die Vollmacht bezieht. 


388 IV. 1. Bürgerliches Geſetzbuch. — Erites Buch. 


Der wirklich zum Inkaſſo Bevollmächtigte macht ji, wenn er bie 

Kaffe für fi behält, der Unterjchlagung ſchuldig. Wer nicht vorhandene 

Intaffovollmaht dem Schuldner ausdrüdlih oder ftillfchweigend durch Vor: 

fegung von Rechnung oder Quittung vorfpiegelt und ihn dadurch zur Bes 

zahlung beitimmt und die Zahlung beabfichtigterweife nicht abliefert, täufcht 
den Schuldner und fehädigt diefen oder den Gefchäftsheren, je nachdem leßterer 

die Zahlung gegen fich gelten laffen muß. ($ 263 Str. G. B.) 

$ 168. Das Erlöjchen der Vollmacht bejtimmt ſich nach dem ihrer 
Erteilung zu grunde liegenden Rechtsverhältniffe. Die Vollmacht ift auch bei 
dem Fortbeſtehen des Nechtsverhältnifjes widerruflich, fofern fich nicht aus 
diefem ein anderes ergibt. Auf die Erflärung des Widerrufs findet die 
Borjchrift des $ 167 Abf. 1 entjprechende Anwendung. 

& 169. Soweit nad) den 88 674, 729 die erlojchene Vollmacht eines 
Beauftragten oder eines gejchäftsführenden Gejellichafters als fortbeitehend 
gilt, wirft fie nicht zu gunsten eines Dritten, der bei der Vornahme eines 
Nechtsgeichäfts das Erlöfchen fennt oder fennen muß. 

s 170. Wird die Vollmacht durch Erklärung gegenüber einem Dritten 
erteilt, jo bleibt jie diefem gegenüber in Kraft, bis ihm das Erlöjchen von 
dem Bollmachtgeber angezeigt wird. 

$ 171. Hat jemand durch bejondere Mitteilung an einen Dritten oder 
durch öffentliche Bekanntmachung fundgegeben, daß er einen anderen bevollmächtigt 
babe, jo ijt diefer auf grund der Kundgebung im erfteren Falle dem Dritten 
gegenüber, im legteren Falle jedem Dritten gegenüber zur Vertretung befugt. 

Die Vertretungsmacht bleibt beftehen, bis die Kundgebung in derjelben 
Weiſe, wie jie erfolgt ift, widerrufen wird. 

s 172, Der bejonderen Mitteilimg einer Bevollmächtigung durch den 
Bollmachtgeber fteht es gleich, wenn diefer dem Vertreter eine Vollmachts— 
urfunde ausgehändigt hat und der Vertreter fie dem Dritten vorlegt. 

Die Vertretungsmacht bleibt bejtehen, bis die VBollmachtsurfunde dem 
Bollmachtgeber zurücgegeben oder für fraftlos erflärt wird. 

$ 175. Die Vorichriften des $ 170, des $ 171 Abf. 2 und des S 172 
Abf. 2 finden Feine Anwendung, wenn der Dritte das Erlöjchen der Ber- 
tretungsmacht bei der Vornahme des Nechtsgeichäfts fennt oder fennen muß. 

Ehifane. 

$ 226. Die Ausübung eines Nechtes iſt unzuläjlig, wenn fie nur den 

Zwed haben kann, einem anderen Schaden zuzufügen. 


Allgemeiner Teil. 289 


Notwehr. 
z 227. Eine durch Notwehr gebotene Handlung it nicht widerrechtlich. 
Notwehr ijt diejenige Verteidigung, welche erforderlich ift, um einen 
gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von jich oder einem anderen abzuwenden. 


Siche $ 53 ©tr.G.B. 
Selbſthülfe. 


Ss 228. Wer eine fremde Sache beſchädigt oder zerſtört, um eine durch fie 
drohende Gefahr von jich oder einem anderen abzuwenden, handelt nicht wider: 
rechtlich, wenn die Beichädigung oder die Zerftörung zur Abwendung der Gefahr 
erforderlich ift und der Schaden nicht außer Verhältnis zu der Gefahr jteht. Hat 
der Handelnde die Gefahr verjchuldet, jo ijt er zum Schadenserjage verpflichtet. 

Die Beitimmungen über Selbſthülfe haben Bedeutung bei Nötigung 

($ 240 Str.©.B.), Bedrohung ($ 241 Str. G.B.), Sachbeſchädigung ($ 303), 

Freiheitsberaubung ($ 239), Hausfriedensbrud ($ 123). Berechtigung zur 

Selbſthülfe ſchließt die Strafbarkeit aus, 

Ss 229. Wer zum Zwecke der Selbſthülfe eine Sache wegnimmt, zerſtört 
oder bejchädigt oder wer zum Zwede der Gelbjthülfe einen Berpflichteten, 
welcher der Flucht verdächtig iſt, feftnimmt oder den Widerjtand des Ver— 
pflichteten gegen eine Handlung, die dieſer zu dulden verpflichtet ift, befeitigt, 
handelt nicht widerrechtlich, wenn obrigkeitliche Hülfe nicht rechtzeitig zu er— 
langen ijt und ohne jofortiges Eingreifen die Gefahr beiteht, daß die Ver- 
wirflichung des Anspruchs vereitelt oder wejentlich erjchwert werde. 

$ 230. Die Selbjthülfe darf nicht weiter gehen, als zur Abwendung 
der Gefahr erforderlich ift. 

Im Falle der Wegnahme von Sachen ift, jofern nicht Zwangsvollitredung 
erwirft wird, der dingliche Arreft zu beantragen. 

Im Falle der Feſtnahme des Berpflichteten ijt, ſofern er nicht wieder 
in Freiheit gejegt wird, der perfönliche Sicherheitsarreit bei dem Amtsgerichte 
zu beantragen, in deſſen Bezirke die Feſtnahme erfolgt ift; der Berpflichtete 
it unverzüglich dem Gerichte vorzuführen. 

Wird der Arreftantrag verzögert oder abgelehnt, jo Hat die Rüdgabe 
der weggenommenen Sachen und die Freilafjung des Feitgenommenen unver: 
züglich zu erfolgen. 

8 231. Wer eine der im $ 229 bezeichneten Handlungen in der irrigen 
Annahme vornimmt, daß die-für den Ausschluß der Widerrechtlichkeit erforder: 
(ichen Vorausjegungen vorhanden jeien, ift dem anderen Teile zum Schadens- 
erjage verpflichtet, auch wenn der Irrtum nicht auf Fahrläffigfeit beruht. . 

19 


ER 


290 IV. 1. Bürgerliches Geſetzbuch. — 2. Bud. 


Sweites Bud. 
Recht der Schuldverhältnifie. 


Zinsfuh. 

Ss 246. Iſt eine Schuld nach Geſetz oder Rechtsgeſchäft zu verzinfen, 
jo find vier vom Hundert für das Jahr zu entrichten, ſofern nicht ein 
anderes bejtimmt iſt. 

Uebliher Zinsfuß bei Wucher $ 302a ff. Etr.G.B. 
Entgangener Gewinn. 

$ 252. Der zu erjegende Schaden umfaßt auch den entgangenen Ge— 
winn. Als entgangen gilt der Gewinn, welcher nach dem gewöhnlichen Laufe 
der Dinge oder nad) den bejonderen Umſtänden, insbejondere nad) den getroffenen 
Anftalten und Vorkehrungen, mit Wahrfcheinlichfeit erwartet werden fonnte. 

Entgangener Gewinn nur dann VBermögensbefhädigung im Sinne von 
$ 263 Str. G. B., wenn ein bereits rechtlich begründeter Anſpruch auf den 

Gewinn vorliegt. 

Offenbarungseid, 

$ 259. Wer verpflichtet ift, über eine mit Einnahmen oder Ausgaben 
verbundene Berwaltung Rechenjchaft abzulegen, hat dem Berechtigten eine die 
geordnete Zujammenjtellung der Einnahmen oder der Ausgaben enthaltende 
Rechnung mitzuteilen und, joweit Belege erteilt zu werden pflegen, Belege 
vorzulegen. 

Beiteht Grund zu der Annahme, daß die in der Rechnung enthaltenen 
Angaben über die Einnahmen nicht mit der erforderlichen Sorgfalt gemacht 
worden jind, jo hat der PVerpflichtete auf Verlangen den Offenbarungseid 
dahin zu leiten: 

dag er nach beitem Wiſſen die Einnahmen jo volljtändig angegeben 
habe, al3 er dazu im ftande jei. 

In Angelegenheiten von geringer Bedeutung beiteht eine Verpflichtung 
zur Leiſtung des Offenbarungseids nicht. 

Auferlegter Eid im Sinne von $ 153 Str. G. B. 

z 260. Wer verpflichtet ift, einen Inbegriff von Gegenständen heraus- 
zugeben oder über den Beſtand eines jochen Inbegrifis Auskunft zu erteilen, 
bat dem Berechtigten ein Verzeichnis des Bejtandes vorzulegen. 


Net der Schuldverhältniſſe. 291 


Beiteht Grund zu der Annahme, dat das Verzeichnis nicht mit der 
erforderlichen Sorgfalt aufgeftellt worden ijt, jo hat der Verpflichtete auf 
Verlangen den Offenbarungseid dahin zu leiten: 

daß er mach beitem Wiſſen den Beitand jo vollitändig angegeben 
habe, als er dazu im jtande jei. 

Die Vorjchrift des 5 259 Ab}. 3 findet Anwendung. 


s 261. Der Offenbarungseid ift, jofern er nicht vor dem Prozekgericht 
zu leiften ift, vor dem Amtögericht des Orts zu leiften, an welchem die Ver- 
pflichtung zur Rechnungslegung oder zur Vorlegung des Berzeichnifjes zu 
erfüllen ijt. Hat der Berpflichtete feinen Wohnfig oder feinen Aufenthalt im 
Inlande, jo kann er den Eid vor dem Amtsgericht des Wohnfiges oder des 
Aufenthaltsorts leiſten. 

Das Gericht kann eine den Umständen entjprechende Wenderung ber 
Eidesnorm beichließen. 

Die Koſten der Abnahme des Eides hat derjenige zu tragen, welcher die 


Leiltung des Eides verlangt. 
Zurüdbchaltungsredht. 


$ 273. Hat der Schuldner aus demjelben rechtlichen Verhältnis, auf 
dem feine Verpflichtung beruht, einen fälligen Anfpruch gegen den Gläubiger, 
jo fann er, ſofern nicht aus dem Schuldverhältnifje jich ein anderes ergibt, 
die gejchuldete Leiſtung verweigern, bis die ihm gebührende Leijtung bewirkt 
wird (Zurüdbehaltungsredt). 

Wer zur Herausgabe eines Gegenstandes verpflichtet iſt, hat das gleiche 
Recht, wenn ihm ein fälliger Anfpruch wegen Verwendungen auf den Gegenjtand 
oder wegen eines ihm durch diefen verurfachten Schadens zujteht, es jei denn, 
daß er den Gegenitand durch eine vorjäglich begangene unerlaubte Handlung 
erlangt hat. 

Der Gläubiger fann die Ausübung des Zurüdbehaltungsrechts durch 
Sicherheitsleiftung abwenden. Die Sicherheitsleiftung durch Bürgen ijt aus- 
geſchloſſen. 

Der das Zurüdbehaltungsreht ausübt oder auszuüben glaubt, macht 
ſich feiner Unterſchlagung ſchuldig. 
Keine Zinſen von Verzugszinſen. 

z 289. Von Zinſen find Verzugszinſen nicht zu entrichten. Das 
Recht des Gläubigers auf Erfag des durch den Verzug entitehenden Schadens 
bleibt unberührt. 

Uebliher Zinsfup bet Wucher f. $ 302a ff. Str. G. B. 
19* 


292 IV. 1. Bürgerliches Geſetzbuch. — 2. Bud). 


Berchtigter aus Lebensverſicherung. 

s 330. Wird in einem Lebensverficherungs- oder einem Leibrenten- 
vertrage die Zahlung der Verficherungsfumme oder der Leibrente an einen 
Dritten bedungen, jo ift im Zweifel anzunehmen, daß der Dritte unmittelbar 
das Necht erwerben ſoll, die Leiftung zu fordern. Das Gleiche gilt, wenn 
bei einer umentgeltlichen Yumwendung dem Bedachten eine Leistung an einen 
Dritten auferlegt oder bei einer Vermögend- oder Gutsübernahme von dem 
Uebernehmer eine Leiſtung an einen Dritten zum Zwece der Abfindung ver: 
ſprochen wird. 

Die Lebensverfiherung gehört alfo in folchen Falle nicht zur Erbfchaftämafle. 
Rüdtritt bei Firgeſchäften. 

$ 361. Iſt in einem gegenfeitigen Vertrage vereinbart, daß die Leiſtung 
de3 einen Teiled genau zu einer feitbejtimmten Zeit oder innerhalb einer fejt- 
beitimmten Frift bewirkt werben ſoll, fo ift im Zweifel anzunehmen, dab der 
andere Teil zum Rüdtritte berechtigt fein fol, wenn die Leiftung nicht zu der 
bejtimmten Zeit oder innerhalb der beitimmten Frijt erfolgt. 

Sogenannte Firgefhäfte: 3. B. Droſchlenkutſcher fol zu beftimmter 

Zeit zu Bahnhofsfahrt fommen, trifft aber zu ſpät am Abholungsorte ein. 

Er kann feine Bezahlung fordern. 

WHeberbringer einer Ouittung. 

$ 370. Der Ueberbringer einer Quittung gilt als ermächtigt, die Leiſtung 
zu empfangen, jofern nicht Die dem Leiftenden befannten Umſtände der Ans 
nahme einer ſolchen Ermächtigung entgegenjtehen. 

©. $ 167. 
Aufrechnung. 

$ 387. Schulden zwei Perfonen einander Leiftungen, die ihrem Gegen- 
ſtande nach gleichartig find, jo kann jeder Zeil jeine Forderung gegen die 
‚sorderung des anderen Teils aufrechnen, jobald er die ihm gebührende Leiftung 
fordern und die ihm obliegende Leiftung bewirken fann. 

Aufrechnung fließt event. Unterfchlagung aus. 


$ 388. Die Aufrechnung erfolgt durch Erklärung gegenüber dem anderen 
Teile. Die Erklärung ijt unwirkſam, wenn fie unter einer Bedingung oder 
einer Zeitbefiimmung abgegeben wird. 


$ 389, Die Aufrechnung bewirkt, dal die Forderungen, foweit fie fich 
deden, al3 in dem Zeitpunkt erlofchen gelten, in welchem fie zur Aufrechnung 
geeignet einander gegenübergetreten find. 


Recht der Schuldverhältniſſe. 293 


Ss 3%. Eine Forderung, der eine Einrede entgegenjteht, fann nicht 
aufgerechnet werden. Die Verjährung jchliegt die Aufrechnung nicht aus, wenn 
die verjährte Forderung zu der Zeit, zu welcher fie gegen die andere Forderung 
aufgerechnet werden fonnte, noch nicht verjährt war. 


Abtretung von Forderungen. 
$ 398. Eine Forderung fann von dem Gläubiger durch Vertrag mit 
einem anderen auf diejen übertragen werden (Abtretung). Mit dem Abfchluffe 
des Vertrags tritt der neue Gläubiger an die Stelle des bisherigen Gläubigers. 
Betrug durch Abtretung einer Forderung unter Berfchweigung, daß ſie 
bereit8 an einen anderen abgetreten worden ift. 
$ 399. Eine Forderung kann nicht abgetreten werden, wenn die Leiitung 
an einen anderen als den urjprünglichen Gläubiger nicht ohne Veränderung 
ihres Iuhalts erfolgen fann oder wenn die Abtretung durch Vereinbarung 
mit dem Schuldner ausgeſchloſſen ift. 


$ 401. Mit der abgetretenen Forderung gehen die Hypotheken oder 
Pfandrechte, die für fie beitehen, jowie die Rechte aus einer für fie bejtellten 
Bürgschaft auf den neuen Gläubiger über. 

Ein mit der Forderung für den Fall der Zwangsvollitrefung oder des 
Konkurſes verbundenes Vorzugsreht fann auch der neue Gläubiger geltend 


machen. 
Geſamtſchuldner. 


s 421. Schulden mehrere eine Leiſtung in der Weiſe, dab jeder Die 
ganze Leiftung zu bewirken verpflichtet, der Gläubiger aber die Leiftung nur 
einmal zu fordern berechtigt ift (Geſamtſchuldner), jo fann der Gläubiger die 
Leiſtung nach feinem Belieben von jedem der Schuldner ganz oder zu einem 
Teile fordern. Bis zur Bewirfung der ganzen Leiftung bleiben fümtliche 
Schuldner verpflichtet. 

Beifpiel $ 498 Str. P.O. 

8 426. Die Gefamtjchuldner find im Verhältuiſſe zu einander zu gleichen 
Anteilen verpflichtet, foweit nicht ein anderes bejtimmt ift. Kann von einem 
Geſamtſchuldner der auf ihn entfallende Beitrag nicht erlangt werden, jo ift der 
Ausfall von den übrigen zur Ausgleichung verpflichteten Schuldnern zu tragen. 

Someit ein Gejamtichuldner den Gläubiger befriedigt, umd von den 
übrigen Sculdnern Ausgleihung verlangen fann, geht die Forderung des 
Gläubigers gegen die übrigen Schuldner auf ihm über. Der Uebergang fann 
nicht zum Nachteile des Gläubigerd geltend gemacht werden. 


294 IV. 1. Bürgerliches Geſetzbuch. — 2. Bud). 


Kaufvertrag. 

$s 433. Durd den Kaufvertrag wird der Verkäufer einer Sache vers 
pflichtet, dem Käufer die Sache zu übergeben und das Eigentum an der Sache 
zu verjchaffen. Der Verkäufer eines Rechtes ift verpflichtet, dem Käufer das 
Recht zu verschaffen und, wenn das Necht zum Befig einer Sache berechtigt, 
die Sache zu übergeben, 

Der Käufer ift verpflichtet, dem VBerfäufer den vereinbarten Stauipreis 
zu zahlen und die gefaufte Sache abzunehmen. 

Mit Abſchluß des Kaufvertrages geht aljo das Eigentum an der ver- 
fauften Sache vom Berfäufer an den Käufer nicht ohne weiteres über, jondern 
erſt nah S 929 ff. 

Vorbehalt des Eigentums. 

8 455. Hat ſich der Verfäufer einer beweglichen Sadje das Eigentun bis 
zur Zahlung des Kaufpreiſes vorbehalten, jo ijt im Zweifel anzunehmen, daß 
die Uebertragung des Eigentums unter der auffchiebenden Bedingung vollitändiger 
Zahlung des Kaufpreiſes erfolgt und daß der Verkäufer zum Nüdtritte von dem 
Bertrage berechtigt ift, wenn der Käufer mit der Zahlung in Verzug fommt. 

Bekannter Fall der Unterfhlagung an unter Vorbehalt des Eigentums 
bi8 zur völligen Bezahlung verkauften oder vermieteten Saden. 

Pfandrecht des Vermieters. 

$ 559. Der Vermieter eines Grundſtücks hat für feine Forderungen 
aus dem Mietverhältnis ein Pfandrecht an den eingebrachten Sachen des 
Mieters. Für fünftige Entichädigungsforderungen und für den Mictzins für 
eine ſpätere Zeit al8 das laufende und das folgende Mietjahr fann das Piand- 
vecht nicht geltend gemacht werden. Es erjtredt fich nicht auf die der Prändung 
nicht unterworfenen Sachen. 

Das Pfandrecht beiteht von Gejeges wegen mit Einbringung der Sachen 
in die Mietswohnung; es braucht aljo nicht erjt geltend gemacht zu werden. 
Wegen der nicht pfändbaren Sachen ſ. Zivilprozeßordnung. Bon Bedeutung 
bei Pfandentftridung ($ 289 Str. G. B.). 

s 560. Das Pfandrecht des Vermieters erlifcht mit der Entfernung 
der Sachen von dem Grundjtüd, es jet denn, daß die Entfernung ohne Willen 
oder unter Wideripruch des Vermieters erfolgt. Der Vermieter kann der 
Entfernung nicht widerjprechen, wenn ſie ım regelmäßigen Betriebe des Ge- 
ichäfts des Mieters oder den gewöhnlichen Yebensverhältniffen entiprechend 
erfolgt oder wenn die zurücbleibenden Sachen zur Sicyerung des Vermieters 
offenbar ausreichen. 


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Recht der Schuldverhältnifie. 295 


$ 561. Der Vermieter darf die Entfernung der feinem Pfandrecht 
unterliegenden Sachen, joweit er ihr zu widerjprechen berechtigt ift, auch ohne 
Anrufen des Gerichtd verhindern und, wenn der Mieter auszieht, die Sachen 
in feinen Bejit nehmen. 

Sind die Sachen ohne Willen oder unter Widerjpruch des Vermieters 
entfernt worden, jo fann er die Herausgabe zum Zwecke der Zurüdichaffung 
in das Grundſtück und, wenn der Mieter ausgezogen iſt, die Ueberlafjung des 
Befiges verlangen. Das Prandrecht erlifcht mit dem Ablauf eine® Monats, 
nachdem der Vermieter von der Entfernung der Sachen Kenntnis erlangt hat, 
wenn nicht der Vermieter diefen Anſpruch vorher gerichtlich geltend gemacht hat. 

Pfandrecht des Verpächters. 

Ss 585. Das Pfandrecht des Verpächters eines landwirtſchaftlichen 
Grundftüds kann für den gejamten Pachtzind geltend gemacht werden und 
unterliegt nicht der im $ 563 beftimmten Beſchränkung. Es erſtreckt jich auf 
die Früchte des Grundſtücks ſowie auf die nach $ 715 Nr. 5 der Zivilprozeh- 
ordnung der Pfändung nicht unterworfenen Sachen. 

Bon Bedeutung bei Pfandentitridung ($ 289 Str. G. B.). 
Pfandrecht des Pädters. 

s 590. Den Pächter eines Grundſtücks ſteht für die Forderungen gegen 
den Verpächter, die jich auf das mitgepachtete Inventar beziehen, ein Pfand— 
recht an den in feinen Beſitz gelangten Inventarjtüden zu. Auf das Pfand- 
recht findet die Vorfchrift des S 562 Anwendung. 

Bon Bedeutung bei Piandentftridung ($ 289 Str.G.B.). 
Schub des Dienftverpflihteten gegen Gefahr für Lehen und Gefundheit. 

$ 618. Der Dienjtberechtigte hat Räume, Vorrichtungen oder Geräts 
ichaften, die er zur Verrichtung der Dienjte zu beichaffen hat, jo einzurichten 
und zu unterhalten und Zienitleiftungen, die unter feiner Anordnung oder 
jeiner Leitung vorzunehmen find, jo zu regeln, daß der Verpflichtete gegen 
Gefahr für Leben und Gejundheit ſoweit geſchützt ift, als die Natur der Dienit- 
leiftung es gejtattet. 

Sit der Verpflichtete in die häusliche Gemeinschaft aufgenemmen, jo hat 
der Dienjtberechtigte in Anjehung des Wohn: und Schlafraums, der Ber: 
pflegung jowie der Arbeits: und Erholungszeit diejenigen Einrichtungen und 
Anordnungen zu treffen, welche mit Rückſicht auf die Geſundheit, die Sittlic)- 
feit und die Religion des Verpflichteten erforderlich jind. 


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IV. 1. Bürgerliches Geſetzbuch. — 2. Bud). 


Erfüllt der Dienftberechtigte die ihm in Anjehung des Lebens und der 
Gejundheit des PVerpflichteten obliegenden Verpflichtungen nicht, jo finden auf 
jeine Verpflichtung zum Schadenserſatze die für unerlaubte Handlungen geltenden 
Borjchriften der SH 842 bis 846 entiprechende Anwendung. 

Bon Bedeutung bei fahrläffiger Tötung und Störperverlegung (SS 222, 

230 Str. G. B.). 

Schriftliches Zeugnis bei Dienftverhältnis. 

$ 630. Bei der Beendigung eines dauernden Dienftverhältnijies kann 
der Verpflichtete von dem anderen Teile ein fchriftliches Zeugnis über das 
Dienjtverhältnis und deſſen Dauer fordern. Das Zeugnis ift auf Verlangen 
auf die Leiltungen und die Führung im Dienjte zu eritreden. 

Zahlung der Vergütung bei Werkvertrag. 

$ 641. Die Vergütung iſt bei der Abnahme des Werfes zu entrichten. 
Iſt das Werf in Teilen abzunehmen und die Vergütung für die einzelnen 
Zeile bejtimmt, jo ijt die Vergütung für jeden Teil bei dejjen Abnahme zu 
entrichten. 

Eine in Geld fejtgejegte Vergütung hat der Beiteller von der Abnahme 
des Werkes an zu verzinjen, fofern nicht die Vergütung gejtundet it. 

Pfandrecht des Unternchmers eines Werkes. 

$ 647. Der Unternehmer hat für jeine Forderungen aus dem Vertrag 
ein Pfandrecht an den von ihm hergejtellten oder ausgebeſſerten beweglichen 
Sachen des Beitellerd, wenn fie bei der Herjtellung oder zum Zwede der 
Ausbejferung in feinen Bejig gelangt find. 

Spiel und Wetten. 

$ 762. Durch Spiel oder durch Wette wird eine Berbindlichfeit nicht 
begründet. Das auf Grund des Spieles oder der Wette Geleijtete fann nicht 
deshalb zurüdgefordert werden, weil eine Verbindlichkeit nicht bejtanden hat. 

Dieje Vorjchriften gelten auch für eine Vereinbarung, durch die der ver- 
fievende Teil zum Zwecke der Erfüllung einer Spiel- oder einer Wettſchuld 
dem gewinnenden Teile gegenüber eine Verbindlichkeit eingeht, inbefondere für 
ein Schuldanerfenntnis. 

Alfo feine Klagbarkeit. 
Sogenannte Differenzgeſchäfte. 

S 764. Wird ein auf Lieferung von Waren oder Wertpapieren fautender 
Vertrag in der Abjicht gefchloffen, daß der Unterfchied zwijchen dem verein- 
barten Preiſe und dem Börſen- oder Marftpreife der Lieferungszeit von dem 


Recht der Schuldverhältniſſe. 297 


verlierenden Teile an den gewinnenden gezahlt werden ſoll, jo iſt der Vertrag 
al3 Spiel anzujehen. Dies gilt auch dann, wenn nur die Abjicht des einen 
Teiles auf die Zahlung des Unterfchieds gerichtet ift, der andere Teil aber 


diefe Abficht fennt oder kennen muß. 


Ebenfalls feine Klagbarkeit. 
Bürgſchaft. 


z 765. Durch den Bürgſchaftsvertrag verpflichtet ſich der Bürge gegen— 
über dem Gläubiger eines Dritten, für die Erfüllung der Verbindlichkeit des 
Dritten einzuſtehen. 

Die Bürgſchaft kann auch für eine künftige oder eine bedingte Verbind— 


lichkeit übernommen werden. 
Schriftliche Form der Bürgſchaft. 


z5 766. Zur Giltigkeit des Bürgſchaftsvertrags iſt eine ſchriftliche Er— 

teilung der Bürgſchaftéerklärung erforderlich. Soweit der Bürge die Haupt— 
verbindlichkeit erfüllt, wird der Mangel der Form geheilt. 

Wer durch Täuſchung beſtimmt worden iſt, Bürgſchaft zu leiſten, die 

Bürgſchaft aber nicht in ſchriftlicher Form ausgeſtellt hat, iſt nicht in ſeinem 
Vermögen beſchädigt; alfo nur Betrugsverſuch möglich. 

Schuldverfprehen. Schuldanerfenntnis, 

s 780, Sur Giltigfeit eines Vertrags, durch, den eine Leiftung in der 

Weiſe — wird, daß das Verſprechen die Verpflichtung ſelbſtändig be— 

gründen ſoll (Schuldverſprechen), iſt, ſoweit nicht eine andere Form vor— 

geſchrieben iſt, ſchriftliche Erteilung des Verſprechens erforderlich. 


5 781. Zur Giltigkeit eines Vertrags, durch den das Beſtehen eines 
Schuldverhältnifjes amerfannt wird (Schuldanerfenntnis), it jchriftliche Er— 
teilung der Anerfennungserflärung erforderlich. Sit für die Begründung des 
Schuldverhältniffes, dejien Beſtehen anerkannt wird, eine andere Form vor- 
geichrieben, jo bedarf der Anerfennungsvertrag diefer Form. 

Berantwortlichkeit für Schaden. 
Kind unter 7 Jahren. 

5 828. Wer nicht das jiebente Lebensjahr vollendet hat, ijt für einen 
Schaden, den er einem anderen zufügt, nicht verantwortlich. 

Wer das jiebente, aber nicht das achtzehnte Lebensjahr vollendet hat, it 
für einen Schaden, den er einem anderen zufügt, nicht verantwortlich, wenn 
er bei der Begehung der fchädigenden Handlung nicht die zur Erfenntnis 
der WVerantwortlichfeit erforderliche Einficht hat. Das gleiche gilt von einem 
Taubſtummen. 


298 IV. 1. Bürgerlicdyes Geſeßzbuch. — 2. Bud. — 3. Bud). 


$ 832. Wer fraft Gejeges zur Führung der Aufficht über eine Perjon 
verpflichtet ijt, die wegen Minderjährigfeit oder wegen ihres geiltigen oder 
förperlichen Zujtandes der Beauffihtigung bedarf, ift zum Erjage des Schadens 
verpflichtet, den dieje Berfon einem Dritten widerrechtlich zufügt. Die Erſatz— 
pflicht tritt nicht ein, wenn er feiner Aufjichtspflicht genügt oder wenn der 
Schaden auch bei gehöriger Auffichtsführung entjtanden jein würde. 

Die gleiche Berantwortlichfeit trifft denjenigen, welcher die Führung der 
Aunfficht durch Vertrag übernimmt. 

Tier. 

Ss 833. Wird durch ein Tier ein Menſch getötet oder der Körper oder 
die Gefundheit eines Menjchen verlegt oder eine Sache bejchädigt, jo tit der— 
jenige, welcher das Tier hält, verpflichtet, dem Berlegten den daraus ent— 
jtehenden Schaden zu erjegen. 

s 834. Wer für denjenigen, welcher ein Tier hält, die Führung der 
Aufficht über das Tier durch Vertrag übernimmt, ijt für den Schaden verant- 
wortlicd), den das Tier einem Dritten in der im $ 8333 bezeichneten Weiſe zu— 
fügt. Die Verantwortlicfeit tritt nicht ein, wenn er bei der Führung der 
Auffiht die im Verfehr erforderliche Sorgfalt beobachtet oder wenn der 
Schaden auch bei Anwendung diejer Sorgfalt entitanden jein würde. 


Drittes Bud. 
Sachenrecht. 
Beſitz. J 


s 854. Der Beſitz einer Sache wird durch die Erlangung der tatſäch— 
lihen Gewalt über die Sache erworben. 
Die Einigung des bisherigen Befigers und des Erwerbers genügt zum Eriverbe, 
wenn der Erwerber in der Lage ijt, die Gewalt über die Sache auszuüben. 
Begriff des Befiges bei Unterfchlagung und Diebitahl von Bedeutung. 
$ 855. Uebt jemand die tatjächliche Gewalt über eine Sache für einen 
anderen in dejien Haushalt oder Erwerbsgejchäft oder in einem ähnlichen Ver: 
hältnis aus, vermöge deffen er den ſich auf die Sache bezichenden Weifungen 
des anderen Folge zu leisten hat, jo iſt nur der andere Beliger. 
Der Verkäufer im Laden des das Gefchäft leitenden Prinzipals hat 
feinen Befig an den Waren und dem Gelde in der Kaffe; alſo nicht inter: 
ſchlagung, jondern Diebftahl bei Wegnahme. 





Hecht der Schuldverhältniife. — Sachenrecht. 299 


Deriuft des Beſitzes. 
$ 856. Der Befig wird dadurch beendigt, daß der Beſitzer die tatjäch- 
liche Gewalt über die Sache aufgibt oder in anderer Weije verliert. 
Durch eine ihrer Natur nad) vorübergehende Verhinderung in der Aus: 
übung der Gewalt wird der Befig nicht beendigt. 
Von Bedeutung für Vollendung des Diebitahls. 


Uebergang auf Erben. 
s 857. Der Befig geht auf den Erben über. 
Mit dem Tode des Erblaſſers geht der Belig auf den oder die Erben 
über; fie können alfo betohlen werden. Mehrere Erben haben Mitbeiig ; der 
Erbe kann fich aljo an Erbſchaftsſachen vor der Teilung der Unterfchlagung 


ſchuldig machen. 
Befikftörung. 


$ 858. Wer dem Befiger ohne deſſen Willen den Beſitz entzieht oder 
ihn im Bejige jtört, handelt, jofern nicht das Geſetz die Entzichung oder die 
Störung gejtattet, widerrechtlich (verbotene Eigenmacht). 

Der durch verbotene Eigenmadht erlangte Befig iſt fehlerhait. Die 
‚sehlerhaftigkeit muß der Nachfolger im Beige gegen fich gelten laſſen, wenn 
er. Erbe des Beſitzers ijt oder Die Fehlerhaftigfeit des Bejiges jeines Vor: 
gängers bei dem Eiwerbe fennt. 

Selbſthülfe des Befigers bei Beſitzſtörung. 
$ 859. Der Beliger darf jich verbotener Eigenmacht mit Gewalt er 
wehren. 

Wird eine bewegliche Sache dem Bejiger mittels verbotener Eigenmacht 
weggenommen, jo darf er fie dem auf frijcher Tat betroffenen oder verfolgten 
Täter mit Gewalt wieder abnehmen. 

Wird dem Befiger eines Grundjtüds der Bejig durch verbotene Eigen: 
macht entzogen, jo darf er jofort nach der Entziehung jich des Beſitzes durch 
Entjegung des Täters wieder bemächtigen. 

Die gleichen Rechte jtehen dem Bejiger gegen denjenigen zu, welcher 
nad) $ 855 Abſ. 2 die Fehlerhaftigkeit des Beſitzes gegen fich gelten laſſen muß. 

Bon Bedeutung bei der Nötigung ($ 240 Str.G.B.), eventuell wie 

Hausfriedensbruh ($ 123 Str.G.B.). 

$ 860. Zur Ausübung der dem Befiger nach $ 359 zujtehenden Rechte 
iſt auch derjenige befugt, welcher die tatfächliche Gewalt nach $ 855 für den 
Beſitzer ausübt. 


300 IV. 1. Bürgerliches Geſetzbuch. — 3. Bud. 


$ 865. Die Borjchriften der SS 858 bis 864 gelten auch zu gunjten 
desjenigen, welcher nur einen Teil einer Sache, insbeſondere abgejonderte Wohn: 
räume oder andere Räume, beſitzt. 


Mittelbarer Befik. 
$ 868. Beſitzt jemand eine Sache als Nießbraucher, Pfandgläubiger, 
Pächter, Mieter, Verwahrer oder in einem ähnlichen Verhältnifje, vermöge 
defjen er einem anderen gegenüber auf Zeit zum Beſitze berechtigt oder ver- 
pflichtet it, jo ijt auch der andere Beſitzer (mittelbarer Beſitz). 
Beide Beliger haben die in $ 859 bezeichneten Rechte. 


Eigentumsübergang bei Grundftüden, Hypotheten ufw. 

$ 873. Zur Uebertragung des Eigentums an einem Grunditüde, zur 
Belajtung eines Grundjtüds mit einem Nechte jowie zur Uebertragung oder 
Belajtung emes folchen Rechtes ift die Einigung des Berechtigten und des 
anderen Teiles über den Eintritt der Nechtsänderung und die Eintragung der 
Nechtsänderung in das Grundbud) erforderlich, ſoweit nicht das Geſetz ein 
anderes vorjchreibt. 

Bor der Eintragung ſind die Beteiligten an die Einigung mur gebunden, 
wenn die Erklärungen gerichtlich oder notariell beurfundet oder vor dem 
Srundbuchamt abgegeben oder bei dieſem eingereicht find oder wenn der Be- 
rechtigte dem andern Teile eine den VBorjchriften der Grundbuchordnung ent- 
jprechende Eintragungsbewilligung ausgehändigt hat. 

Vollendeter Betrug bei Tänfchung alfo nur, wenn der Beichädigte ent- 
weder durch die Form des $ 873 gebunden ijt ober die Gegenleiſtung ent- 
richtet oder fonjt zufolge des Vertrags eine Aufwendung gemacht hat. Sonft 
nur Betrugsverfuc. 

Juhalt des Gigentums. 

8s 903. Der Eigentümer einer Sache fann, joweit nicht das Gejeg oder 
Nechte Dritter entgegenitehen, mit der Sache nad) Belieben verfahren und 
andere von jeder Einwirkung ausschließen. 


Wurzeln, herüberragende Zweige. 

s 910. Der Eigentümer eines Grundjtüds fann Wurzeln eined Baumes 
oder eines Strauches, die von einem Nachbargrundjtüd eingedrungen find, ab- 
jchneiden und behalten. Das gleiche gilt von herüberragenden Zweigen, wenn 
der Eigentümer dem Befiger des Nachbargrundjtüds eine angemefjene Friſt zur 
Bejeitigung beitimmt hat und die Belritigung nicht innerhalb der Friſt erfolgt. 


Sachenrecht. 301 


Dem Eigentümer ſteht dieſes Recht nicht zu, wenn die Wurzeln oder die 
Zweige die Benutzung des Grundſtücks nicht beeinträchtigen. 
Ueberfallende Früchte. 
s 911. Früchte, die von einem Baume oder einem Strauche auf ein 
Nachbargrundſtück hinüberfallen, gelten als Früchte diefes Grundftüds. Die 
Vorſchrift findet feine Anwendung, wenn das Nachbargrundſtück dem öffent: 


lichen Gebrauche dient. 
Notweg. 


s 917. Fehlt einem Grundſtücke die zur ordnungsmäßigen Benutzung 
notwendige Verbindung mit einem öffentlichen Wege, jo fann der Eigentümer 
von den Nachbarn verlangen, daß fie bi zur Hebung des Mangels die Be- 
nugung ihrer Grundjtüde zur Herjtellung der erforderlichen Verbindung dulden. 
Die Richtung des Notwegd und der Umfang des Benugungsrechts werden 
erforderlichen Falles durch Urteil beftimmt. 


Die Nahbarn, über deren Grundftüde der Notweg führt, find durch 
eine Geldrente zu entjchädigen. Die Vorjchriften des $ 912 Abſ. 2 Cap 2 
und der $S 913, 914, 916 finden entjprechende Anwendung. 

Guter Glaube an Notwegberehtigung kann die Strafbarfeit bei Nötigung, 
Hausfriedensbruh (Eindringen in fremdes Grundftüd), Sachbeſchädigung 
(Niederreißen eines Zaunes) ausſchließen. 
$ 918. Die Berpflichtung zur Duldung des Notwegs tritt nicht ein, 

wenn die bisherige Verbindung des Grundjtüds mit dem öffentlichen Wege 
durch eine willfürliche Handlung des Eigentümers aufgehoben wird. 

Wird infolge der Veräußerung eines Teiles des Grundftüds der ver- 
äußerte oder der zurüdbehaltene Teil von der Verbindung mit dem öffentlichen 
Wege abgejchnitten, jo hat der Eigentiimer desjenigen Teiles, über welchen die 
Verbindung bisher jtattgefunden hat, den Notweg zu dulden. Der Veräußerung 
eines Teiles fteht die Veräußerung eines von mehreren demjelben Eigentümer 
gehörenden Grundjtüden gleich. 

Baum auf der Grenze. 
$ 923. Steht auf der Grenze ein Baum, jo gebühren die Früchte und, 
wenn der Baum gefällt wird, auch der Baum den Nachbarn zu gleichen Zeilen. 

Seder der Nachbarn fann die Bejeitigung des Baumes verlangen. Die 
Koften der Bejeitigung fallen den Nachbarn zu gleichen Teilen zur Laſt. Der 
Nachbar, der die Befeitigung verlangt, hat jedoch die Koſten allein zu tragen, 
wenn der andere auf fein Recht an dem Baume verzichtet; er erwirbt in 


302 IV, 1. Bürgerliches Geſetzbuch. — 3. Bud). 


diefem Falle mit der Trennung das Alleineigentum. Der Anſpruch auf die 
Beieitigung iſt ausgejchloffen, wenn der Baum als Srenzzeichen dient und 
den Umſtänden nach nicht durch ein anderes zweckmäßiges Grenzzeichen erjett 
werden fann. 

Die Vorſchriften gelten auch für einen auf der Grenze jtehenden Straud). 

Erwerb und Berluft des Gigentums an Grundftüden. 

$ 925. Die zur Uebertragung des Eigentums an einem Grundjtüde 
nach $ 873 erforderliche Einigung des Veräußerers und des Erwerbers (Auf: 
laſſung) muß bei gleichzeitiger Anweſenheit beider Teile vor dem Grundbud)- 
amt erklärt werden. 

Eine Auflaffung, die unter einer Bedingung oder einer Zeitbeitimmung 
erfolgt, it unwirkſam. 


$ 926. Sind der Veräußerer und der Erwerber darüber einig, daß 
fi) die Veräußerung auf das Zubehör des Grundftüds erjtreden foll, fo 
erlangt der Erwerber mit dem Eigentum an dem Grundjtüd aud) dag Eigentum 
an den zur Zeit des Ermwerbes vorhandenen Zubehörftüden, foweit fie dem 
Veräußerer gehören. Im Zweifel ift anzunehmen, daß ſich die Veräußerung 
auf das Zubehör erjtrefen ſoll. 

Erlangt der Erwerber auf grund der Veräußerung den Belig von 
Zubehörjtüden, die dem Veräußerer nicht gehören oder mit Rechten Dritter belastet 
jind, jo finden die Vorjchriften der SS 032 bis 936 Anwendung, für den guten 
Glauben des Erwerbers iſt die Zeit der Erlangung des Beſitzes maßgebend. 

Verzicht auf Grundftüde. 

$ 928. Das Gigentum an einem Grundjtüde fann dadurd aufgegeben 
werden, daß der Eigentümer den Berziht dem Grumdbuchamte gegenüber er- 
flärt und der Verzicht in das Grundbuch eingetragen wird. 

Das Recht zur Aneignung des aufgegebenen Grunditüds ſteht dem 
Fiskus des Bundesſtaats zu, in defien Gebiete das Grundjtüd liegt. Der 
Fiskus erwirbt das Eigentum dadurd, das er ſich als Eigentümer in das 
Grundbuch eintragen läßt. 

@igentumserwerb an beweglichen Sachen. Durch Uebergabe. 

$ 929. Zur Uebertragung des Eigentums an einer beweglichen Sache 
it erforderlich, daß der Eigentümer die Sache dem Erwerber übergibt und 
beide darüber einig find, dat dag Eigentum übergehen joll. Iſt der Erwerber 
im Befige der Sache, jo genügt die Einigung über den Uebergang des Eigentums. 


BR — 


Sachenrecht. 303 


Die Fragen, wem das Eigentum an einer beweglichen bezw. unbeweglichen 
(ſ. 0.) Sache zuſtehen, find von Bedeutung bei Diebſtahl, Unterſchlagung, 
Sachbeſchädigung (SS 303, 304 Str. G. B.) ufw. Die Eigentumsfrage iſt 

nur nach den Grundſätzen des Bürgerlichen Rechtes zu entſcheiden. 
8 930. Iſt der Eigentümer im Beſitze der Sache, jo kann die Uebergabe 
dadurch erjettt werden, daß zwijchen ihm und dem Erwerber ein Rechtiverhältnis 
vereinbart wird, vermöge dejien der Erwerber den mittelbaren Befig erlangt. 


s 931. Iſt ein Dritter im Befite der Sache, jo fann die Uebergabe 
dadurch erjegt werden, dab der Eigentümer dem Erwerber den Anipruch auf 
Herausgabe der Sache abtritt. 


Ss 932. Durd eine nach $ 929 erfolgte Veräußerung wird der Erwerber 
auch dann Eigentümer, wenn die Sache nicht dem Veräußerer gehört, es jei 
denn, daß er zu der Zeit, zu der er mach dieſen Borfchriften das Eigentum 
erwerben würde, nicht in gutem Glauben ijt. Im dem alle des $ 929 
Sat 2 gilt dies jedoch nur dann, wenn der Erwerber den Befig von dem 
Veräußerer erlangt hatte. 

Der Erwerber ijt nicht in gutem Glauben, wenn ihm befannt oder infolge 
grober Fahrläſſigkeit unbefannt ift, daß die Sache nicht dem Veräußerer gehört. 


s 933. Gehört eine nad) $ 930 veräußerte Sache nicht dem Veräußerer, 
jo wird der Erwerber Eigentümer, wenn ihm die Sache von dem Veräußerer 
übergeben wird, e3 jei denn, daß er zu diefer Zeit nicht in gutem Glauben ift. 


z 934. Gehört eine nach z 931 veräußerte Sache nicht dem Beräußerer, 
jo wird der Erwerber, wenn der Veräußerer mittelbarer Bejiger der Sache 
ift, mit der Abtretung des Anjpruchs, anderenfalls dann Eigentümer, wenn 
er den Bei der Sache von dem Dritten erlangt, es fei denn, daß er zur 
Zeit der Abtretung oder des Beſitzerwerbes nicht in gutem Glauben ift. 


S 95. Der Erwerb des Eigentums auf grund der 88 932 bis 934 
tritt nicht ein, wenn die Sache dem Eigentümer gejtohlen worden, verloren 
gegangen oder jonjt abhanden gefommen war. Das gleiche gilt, falls der 
Eigentümer nur mittelbarer Bejiger war, dann, wenn die Sache dem Befiger 
abhanden gefommen war. 

Dieje Vorjchriften finden feine Anwendung auf Geld oder Jnhaberpapiere, 
jowie auf Sachen, die im Wege öffentlicher Verjteigerung veräußert werden. 


Der alfo gutgläubig eine geitohlene oder eine unterjchlagene Sache 
fauft, wird nicht ihr Eigentümer, abgefehen von den Fällen des Abjages 2. 


304 IV. 1. Bürgerliches Geſetzbuch. — 3. Bud). 


$ 936. Iſt eine veräußerte Sache mit dem Rechte eines Dritten be— 
(ajtet, jo erlifcht das Recht mit dem Erwerbe des Eigentums. In dem Falle 
des $ 929 Cap 2 gilt dies jedoch nur dann, wenn der Erwerber den Bejit 
von dem Veräußerer erlangt hatte. Erfolgt die Veräußerung nad) 8 930 
oder war die nad $ 931 veräußerte Sache nicht im mittelbaren Beſitze des 
Beräußerers, jo erliicht das Recht des Dritten erjt dann, wenn der ‚Erwerber 
auf grund der Veräußerung den Befis der Sadje erlangt. 

Das Recht des Dritten erlischt nicht, wenn der Erwerber zu der nad) 
Ab}. 1 maßgebenden Zeit in Anjehung des Rechtes nicht in gutem Glauben ift. 

Steht im Falle des $ 931 das Recht dem dritten Befiger zu, jo erlijcht 
e3 auch dem gutgläubigen Erwerber gegenüber nicht. 

Eigentumserwerb durch Grfikung. 

$ 7. Wer eine bewegliche Sache zehn Jahre im Eigenbeſitze hat, 
erwirbt das Eigentum (Erjigung). 

Die Erjigung iſt ausgejchloffen, wenn der Erwerber bei dem Grwerbe 
des Eigenbefiges nicht in gutem Glauben ift oder wenn er jpäter erfährt, daß ihm 
das Eigentum nicht zujteht. 

Eigentumserwerb durch Verbindung. 

$ 946. Wird eine bewegliche Sache mit einem Grundjtüde dergeftalt 
verbunden, daß jie wejentlicher Bejtandteil des Grundftüds wird, jo erjtredt 
ji) das Eigentum an dem Grundjtüd auf diefe Sache. 

3.8. ein geftohlener Balken wird in das Haus verbaut. 

S 947. Werden bewegliche Sachen mit einander dergeftalt verbunden, 
daß fie wejentliche Beitandteile einer einheitlichen Sache werden, jo werden die 
bisherigen Eigentümer Miteigentüner diefer Sache; die Anteile bejtimmen ſich 
nach dem Berhältnifje des Wertes, den die Sachen zur Zeit der Verbindung haben. 

Sit eine der Sachen als die Hauptjache anzufehen, jo erwirbt ihr Eigen- 
tümer das Alleineigentum. 

Der eine Miteigentümer kann fid zum Nachteile des andern des Dich: 
ſtahls, der Unterichlagung, der Sahbefhädigung ſchuldig maden. 
Gigentumserwerb Durh Bermifhung oder Bermengung. 

$ 48. Werden bewegliche Sachen mit einander untrennbar vermijcht 
oder vermengt, jo finden die VBorjchriften des $ 947 entiprechende Anwendung. 

Der Untrennbarfeit jteht es gleich, wenn die Trennung der vermijchten 
oder vermengten Sache mit unverhältnismäßigen Koften verbunden fein würde. 

Siehe Anmerkung zu $ 947. 


Sachenrecht. 305 


8 949. Erliſcht nach den 88 946 bis 948 das Eigentum an einer 
Sache, jo erlöfchen auch die jonftigen an der Sache bejtehenden Rechte. 
Erwirbt der Eigentümer der belajteten Sache Miteigentum, fo bejtehen die 
Rechte an dem Anteile fort, der an die Stelle der Sache tritt. Wird der 
Eigentümer der belafteten Sache Alleineigentümer, jo erftreden ſich die Nechte 
auf die hinzutretende Sache. 

Siehe Anmerkung zu $ 947. 


Eigentumserwerb durch Berarbeitung oder Umbildung. 

5 90. Wer durch Verarbeitung oder Umbildung eines oder mehrerer 
Stoffe eine neue bewegliche Sache heritellt, erwirbt das Eigentum an der 
neuen Sache, fofern nicht der Wert der Verarbeitung oder der Umbildung 
erheblich geringer ift als der Wert des Stoffes. Als Verarbeitung gilt auch 
das Schreiben, Zeichnen, Malen, Druden, Gravieren oder eine ähnliche Be— 
arbeitung der Oberfläche. 

Mit dem Erwerbe des Eigentums an der neuen Sache erlöfchen die an 
dem Stoffe bejtehenden Rechte. 


Eigentumserwerb an Erzenaniffen und fonftigen Beitandteilen einer Sache. 
a) dDurd den Eigentümer der Sadır. 
$ 93. Erzeugnijjfe und fonjtige Bejtandteile einer Sache gehören aud) 
nad) der Trennung dem Eigentümer der Sache, ſoweit jich nicht aus den 
88 954 bis 957 ein anderes ergibt. 
b) Durch den Inhaber eines Rechtes an der fremden Sache. 
$ 954. Wer vermöge eines Nechtes an einer fremden Sache befugt 
ift, ſich Erzeugnifje oder ſonſtige Bejtandteile der Sache anzueignen, erwirbt 
das Eigentum an ihnen, unbejchadet der Borichriften der 88 955 bis 957, 
mit der Trennung. 


3. B. der Fauftpfandgläubiger. 
e) Durd den Gigenbefiker. 


8 955. Wer eine Sade im Eigenbejige hat, erwirbt das Eigentum 
an den Erzeugniffen und jonjtigen zu den Früchten der Sache gehörenden 
Beitandteilen, unbejchadet der Vorfchriften der SS 956, 957, mit der Trennung. 
Der Erwerb ijt ausgejchloffen, wenn der Eigenbefiger nicht zum Eigenbefit 
oder ein anderer vermöge eines Nechtes an der Sache zum Fruchtbezuge be- 
rechtigt it und der Eigenbejiger bei dem Erwerbe des Eigenbefites nicht in 
gutem Glauben ift oder vor der Trennung den Nechtsmangel erfährt. 

20 


306 IV. 1. Bürgerliches Geſetzbuch. — 3. Bud. 


Dem Eigenbeliger jteht derjenige gleich, welcher die Sache zum Zwede 
der Ausübung eines Nutzungsrechts an ihr befigt. 

Auf den Eigenbejig und den ihm gleichgejtellten Beſitz findet die Vor— 
jchrift des $ 940 Abi. 2 entiprechende Anwendung. 

Eigenbefiger ift, wer eine Sache als ihm gehörend befigt ($ 802). 

d) durch Dritte, 

8 956. Gejtattet der Eigentümer einem anderen, ſich Erzeugnifje oder 
ſonſtige Beitandteile der Sache anzueignen, jo erwirbt dieſer das Eigentum 
an ihnen, wenn der Befig der Sache ihm überlafjen ift, mit der Trennung, 
anderenfall® mit der Beligergreifung. Iſt der Eigentümer zu der Geftattung 
verpflichtet, jo fann er fie nicht widerrufen, jolange ich der andere in dem 
ihm überlafjenen Befige der Sache befindet. 

Das gleiche gilt, wenn die Gejtattung nicht von dem Eigentümer, 
jondern von einem andern ausgeht, dem Erzeugniffe oder jonftige Beitandteile 
einer Sache nad) der Trennung gehören. 

Eigentumscriwerb durch Aneignung. Serrenlofe Sachen. 

8 958. Wer eine herrenloſe bewegliche Sache in Eigenbeſitz nimmt, 
erwirbt das Eigentum an der Sache. 

Das Eigentum wird nicht erworben, wenn die Aneignung gejehlich 
verboten ijt oder wenn durch die Befigergreifung das Aneignungsrecht eines 
anderen verlegt wird. 

Auf den Kohlenbahnhöfen beim Aufladen liegen gebliebene Kohlen find 
oft durch Bahnhofsverfügung dem Auflefen durd Dritte nicht freigegeben, alfo 
nicht herrenlos. 
$ %9. Eine bewegliche Sache wird herrenlos, wenn der Eigentümer 

in der Abjicht, auf das Eigentum zu verzichten, den Beſitz der Sache aufgibt. 

Ob der Eigentümer eine ſolche Abficht betätigt hat, ift Frage des 
einzelnen Falles. 


Wilde Tiere, 

$ %0. Wilde Tiere find herrenlos, fjolange fie fich in der Freiheit 
befinden. Wilde Tiere in Tiergärten und Fifche in Teichen oder anderen 
geichlofjenen Privatgewäſſern find nicht herrenlos. 

Erlangt ein gefangenes wildes Tier die Freiheit wieder, jo wird es 
herrenlos, wenn nicht der Eigentümer das Tier unverzüglich verfolgt oder 
wenn er die Verfolgung aufgibt. 

Ein gezähmtes Tier wird berrenlos, wenn es die Gewohnheit ablegt, 
an dem ihm bejtimmten Ort zurüdzufehren, 





Sachenrecht. 307 
{ 


Unbefugte Erlegung von Wild alfo nicht Diebftahl, ſondern befondere 
Straftat, unberechtigtes Jagen. Aber Ziebftahl an Tieren in Ziergärten, 
Fiſchen in Teihen uſp. Aus fremdem Schlage zugeflogene Taube nicht 


fofort herrenlos; ihre Zurüdhaltung Unterfchlagung. 
Bienenfhwarm. 


8 1. Zieht ein Bienenschwarm aus, jo wird er herrenlos, wenn nicht 
der Eigentümer ihn unverzüglich verfolgt oder wenn der Eigentümer die 
Gerfolgung aufgibt, Berfolgung desſelben. 

$S #2. Der Eigentümer des Bienenjchwarmes darf bei der Berfolgung 
fremde Grundftüde betreten Iſt der Schwarm in eine fremde nicht befeßte 
Bienenwohnung eingezogen, jo darf der Eigentümer des Schwarmes zum 
Zwecke des Einfangens die Wohnung öffnen und die Waben herausnehmen 


oder herausbrechen. Er hat den entjtehenden Schaden zu erjegen. 
Schließt Tatbeftand des Hausfriedensbruchs und der Sachbeſchädigung aus. 


Miteigentümer an Schwärmen. 
$ 963. Vereinigen jich ausgezogene Bienenjchwärme mehrerer Eigen» 


tümer, jo werden die Eigentümer, welche ihre Schwärme verfolgt haben, Mit: 
eigentümer des eingefangenen Gejamtjchwarmes; die Anteile bejtimmen jich 
nach der Zahl der verfolgten Schwärme. 
Gigentumserwerb am eingezogenen Shwarm. 

8%4. It ein Bienenjchwarm in eine fremde bejeßte Bienemvohnung 
eingezogen, jo erjtreden ich das Eigentum und die jonjtigen Nechte an den 
Bienen, mit denen die Wohnung bejegt war, auf den eingezogenen Schwarm. 
Das Eigentum und die jonjtigen Rechte an dem eingezogenen Schwarme erlöjchen. 


Eigentumserwerb Durh Fund. Anzeigepflicht. 
$S 965. Wer eine verlorene Sache findet und an fich nimmt, hat dem 


Verlierer oder dem Gigentümer oder einem jonftigen Empfangsberechtigten 
imverzüglich Anzeige zu machen. 

Kennt der Finder die Empfangsberechtigten nicht oder iſt ihm ihr 
Aufenthalt unbekannt, jo Hat er den und und die Umstände, welche für die 
Emnittelung der Empfangsberechtigten erheblich fein fünnen, unverzüglich der 
Polizeibehörde anzuzeigen. Iſt die Sache nicht mehr als drei Marf wert, jo 
bedarf es der Anzeige nicht. 

Unterlafjung der Anzeigepfliht allein noch feine Zueignung im Einne 
von $ 246 Str.G.B. Verheimlichung auf Nachfrage, je nad) Lage des Falles. 
Ablieferung an Polizeibehörde, 

5 967. Der Finder ift berechtigt und auf Anordnung der Bolizeibehörde ver- 

pflichtet, die Sache oder den Veriteigerungserlös an die Polizeibehörde abzuliefern. 


20* 





308 IV. 1. Bürgerliches Geſetzbuch. — 3. Bud). 


Finderlohn. 

s 971. Der Finder kann von dem Empfangsberechtigten einen Finder— 
lohn verlangen. Der Finderlohn beträgt von dem Werte der Sache bis zu 
dreihundert Mark fünf vom Hundert, von dem Mehrwert eins vom Hundert, 
bei Tieren eins vom Hundert. Hat die Sache nur für den Empfangsberechtigten 
einen Wert, fo ijt der Finderlohn nad) billigem Ermefjen zu bejtimmen. 

Der Anfpruch it ausgefchloffen, wenn der Finder die Anzeigepflicht 
verlegt oder den Fund auf Nachfrage verheimlicht. 

Gigentumsertverb. 

Ss 973. Mit dem Ablaufe eines Jahres nad) der Anzeige des Fundes 
bei der Polizeibehörde erwirbt der Finder das Eigentum an der Sadıe, es 
jei denn, daß vorher ein Empfangäberechtigter dem Finder befannt geworden 
ijt oder jein Necht bei der Polizeibehörde angemeldet hat. Mit dem Erwerbe 
des Eigentums erlöjchen die fonjtigen Rechte an der Sache. 

Iſt die Sache nicht mehr als drei Marf wert, fo beginnt die einjährige 
Friſt mit dem Funde. Der Finder erwirbt das Eigentum nicht, wenn er den 
Fund auf Nachfrage verheimlicht. Die Anmeldung eines echtes bei der 
Bolizeibehörde jteht dem Erwerbe de8 Eigentums nicht entgegen. 


8 974. Sind vor dem Ablaufe der einjährigen Friſt Empfangsberecdhtigte 
dem Finder befannt geworden oder haben fie bei einer Sache, die mehr als 
drei Marf wert it, ihre Rechte bei der Polizeibehörde rechtzeitig angemeldet, 
jo fann der Finder die Empfangsberedtigten nad) den Vorjchriften des 
$ 1003 zur Erklärung über die ihm nach den $ 970 bis 972 zuitehenden 
Anfprüche auffordern. Mit dem Ablaufe der für die Erklärung beitimmten 
Friſt erwirbt der Finder das Eigentum und erlöfchen die ſonſtigen Rechte 
an der Sache, wenn micht die Empfangsberechtigten fich rechtzeitig zu der 
Befriedigung der Ansprüche bereit erklären. 

Ss 975. Durch die Ablieferung der Sache oder des Verſteigerungserlöſes 
an die Polizeibehörde werden die Nechte des Finders nicht berührt. Läßt die 
Bolizeibehörde die Sache verjteigern, jo tritt der Erlös an die Stelle der 
Sache. Die Polizeibehörde darf Die Sache oder den Erlös nur mit Zuftimmung 
des Finders einem Empfangsberechtigten herausgeben. 

8 976. Verzichtet der Finder der Polizeibehörde gegenüber auf das 
Necht zum Erwerbe des Eigentums an der Sache, jo geht fein Necht auf die 
Gemeinde des Fundorts über. 


Sachenrecht. 309 


Hat der Finder nach der Ablieferung der Sache oder des Verſteigerungs— 
erlöſes an die Polizeibehörde auf grund der Vorſchriften der SS 973, 974 
das Eigentum erworben, jo geht es auf die Gemeinde des Fundorts über, 
wenn micht der Finder vor dem Ablauf einer ihm von der Bolizeibehörde 
bejtimmten Friſt die Herausgabe verlangt. 

Fund in Räumen öffentiiher Behörde oder Berfehröanftalt. 

8 978. Wer eine Sadje in den Gejchäftsräumen oder den Beförderungs- 
mitteln einer öffentlichen Behörde oder einer dem öffentlichen Verfehre dienenden 
Verfehrsanftalt findet und an ſich nimmt, hat die Sache unverzüglich an die 
Behörde oder die Verfehrsanjtalt oder an einen ihrer Angejtellten abzuliefern. 
Die Vorjchriften der S$ 965 bis 977 finden feine Anwendung. 

Nichtablieferung allein noch feine Zueignung im Sinne von $ 246 Str. G. B. 
Eigentumserwerb am Schaf. 

5 984. Wird eine Sache, die jo lange verborgen gelegen hat, daß der 
Eigentümer nicht mehr zu ermitteln iſt (Schag), entdedt und infolge der Ent: 
dedung in Befig genommen, fo wird das Eigentum zur Hälfte von dem Entdeder, 
zur Hälfte von dem Eigentümer der Sache erworben, im welcher der Schat 
verborgen war. 

Zurüdbchaltungörcht des vom Gigentümer auf Seraudgabe 
belangten Befibers. 

8 1000. Der Bejiter fann die Herausgabe der Sache verweigern, bis 
er wegen der ihm zu erjegenden Verwendungen befriedigt wird. Das Zurück— 
behaltungsrecht fteht ihm nicht zu, wenn er die Sache durch eine vorſätzlich 
begangene unerlaubte Handlung erlangt hat. 

Gegenüber der Aufforderung oder Klage des Eigentümers auf Herausgabe. 
Serausgabepflicht des Beligers an einen früheren Beſitzer. 

8 1007. Wer eine bewegliche Sache im Bejige gehabt hat, kann von 
dem Befiger die Herausgabe der Sache verlangen, wenn dieſer bei dem Er: 
werbe des Bejiges nicht in gutem Glauben war. 

Iſt die Sache dem früheren Beliger geitohlen worden, verloren gegangen 
oder jonjt abhanden gefommen, jo kann er die Herausgabe auch von einem 
gutgläubigen Befiger verlangen, es jei denn, daß dieſer Eigentümer der Sad)e 
it oder die Sache ihm vor der Beſitzzeit des früheren Beſitzers abhanden 
gefonımen war. Auf Geld und Inhaberpapiere findet diefe Vorſchrift feine 
Anwendung. 





310 IV. 1. Bürgerliches Geſetzbuch. — 3. Bud). 


Der Anjpruch iſt ausgejchlojjen, wenn der frühere Bejiker bei dem Er: 
werbe des Bejiges nicht in gutem Glauben war oder wenn er den Beſitz auf: 
gegeben hat. Im übrigen finden die VBorjchriften der 88 986 bis 1003 
entjprechende Anwendung. 


Begriff von Miteigentum. 
$ 1008. Steht das Eigentum an einer Sache mehreren nad) Bruch: 
teilen zu, jo gelten die Vorjchriften der 88 1009 bis 1011. 
Wegen Diebftahl, Unterfhlagung, Sahbefchädigung bei Miteigentum .$ 947. 
Begriff der Grunddienſtbarteit. 
$ 1018. Ein Grundſtück fann zu guniten des jeweiligen Gigentümers 
eines anderen Grundjtüds in der Weiſe belaftet werden, daß diejer das Grund: 
jtüdf in einzelnen Beziehungen benugen darf oder daß auf dem Grundſtücke 
gewwiffe Handlungen nicht vorgenommen werden dürfen oder daß die Ausübung 
eines Rechtes ausgeſchloſſen it, das fich aus dem Eigentum an dem belajteten 
Srundjtüde dem anderen Grundjtüde gegenüber ergibt (Örunddienftbarfeit). 


Selbfthülfe des Grunddienfibarfeitöberchtigten. 

8 1029. Wird der Beliger eines Grunditüds in der Ausübung einer 
für den Eigentümer im Grundbuch eingetragenen Grunddienjtbarfeit gejtört, 
jo finden die für den Bejisichug geltenden Vorſchriften entjprechende Ans 
wendung, joweit die Dienjtbarfeit innerhalb eines Jahres vor der Störung, 
jei e8 auch nur einmal, ausgeübt worden ift. 

Kann bei Hausfriedensbruh, Nötigung und Sahbefhädigung von Be- 
deutung fein. 
Begriff des Nießbrauchs. 

$ 1030. Eine Sache kann in der Weiſe belaſtet werden, daß derjenige, 
zu dejjen Gunſten die Belaftung erfolgt, berechtigt ist, die Nugungen der Sache 
zu ziehen (Niepbrauch). 

Der Niepbrauh kann durch den Ausjchluß einzelner Nupungen 
bejchränft werden. 

Niepbrauder — Nußnießer in $ 289 Str. G. B. 
Nichbrauder zum Beſitze berechtigt. 

8 1036. Der Nießbraucher ift zum Bejige der Sac)e berechtigt. 

Er hat bei der Ausübung des Nutungsrecht3 die bisherige wirtichaft- 
liche Beitimmung der Sache aufrechtzuerhalten und nach den Regeln einer 
ordnungsmäßigen Wirtichaft zu verfahren. 

S. $ 1030. 


TR 


Sachenrecht. 311 


Begriff der beſchränkten perſönlichen Dienſtbarkeit. 

s 10%. Ein Grundſtück kann in der Weiſe belaſtet werden, daß der: 

jenige, zu dejjen Gunjten die Belaſtung erfolgt, berechtigt ijt, das Grundſtück 

in einzelnen Beziehungen zu benugen, oder dab ihm eine fonjtige Befugnis 

zuiteht, die den Inhalt einer Grunddienjibarfeit bilden kann (befchräntte 
perjünliche Dienjtbarfeit). 

Die Borfchriften der $$ 1020 bis 1024, 1026 bis 1029, 1061 finden 
entjprechende Anwendung. 

Bei Hausfriedensbrud, Nötigung und Sahbefhädigung von Bedeutung. 


Begriff der Hypothet. 
s 1113. Ein Grundjtüd kann in der Weife belaftet werden, daß an 
denjenigen, zu deſſen Gunften die Belajtung erfolgt, eine beitimmte Geldjumme 
zur Befriedigung wegen einer ihm zuftehenden Forderung aus dem Grund» 
jtüde zu zahlen ift (Hypothek). 
Die Hypothek kann auch für eine fünftige oder eine bedingte Forderung 


beitellt werden. 
Was für die Hypothek haftet, 


$ 1120. Die Hypothek eritredt jich auf die von dem Grundſtücke ge— 
trennten Erzeugniffe und jonjtigen Bejtandteile, ſoweit fie nicht mit der 
Trennung nach den 88 954 bis 957 in das Eigentum eines anderen als des 
Eigentümers oder des Eigenbefigerd des Grundſtücks gelangt find, ſowie auf 
das Zubehör des Grundjtüds mit Ausnahme der Zubehörftüde, welche nicht 
in das Eigentum des Eigentümers des Grundjtüds gelangt find. 


Getrennte Erzeugniffe, Beitandteil ($ 93), Zubehör ($ 97). Bon Be- 
deutung bei $ 289 Str. G. B. 


8 1121. Erzeugniſſe und jonjtige Beitandteile des Grundſtücks ſowie 
Zubehörjtüde werden von der Haftung frei, wenn jie veräußert und von dem 
Grundſtück entfernt werden, bevor fie zu gunjten des Gläubigers in Bejchlag 
genommen worden find. 

Erfolgt die Veräußerung vor der Entfernung, jo kann fich der Erwerber 
dem Gläubiger gegenüber nicht darauf berufen, daß er in Anjehung der Hypothek 
in gutem Glauben gewejen jei. Entfernt der Erwerber die Sache von dem 
Grundſtücke, jo tit eine vor der Entfernung erfolgte Beichlagnahme ihm gegen 
über nur wirkſam, wenn er bei der Entfernung in Anfehung der Beichlag: 
nahme nicht in gutem Glauben it. 





312 IV. 1. Bürgerliches Geſetzbuch. — 3. Bud). 


$ 1122. Sind die Erzeugnifje oder Beftandteile innerhalb der Grenzen 
einer ordnungsmäßigen Wirtjchaft von dem Grundjtüde getrennt worden, fo 
erlischt ihre Haftung auch ohne Veräußerung, wenn fie vor der Befchlagnahme 
von dem Grundſtück entfernt werden, es jei denn, daß die Entfernung zu 
einem vorübergehenden Zwede erfolgt. 

Zubehörftüde werden ohne Veräußerung von der Haftung frei, wenn 
die Zubehöreigenjchaft innerhalb der Grenzen einer ordnungsmäßigen Wirt: 
ichaft vor der Beichlagnahme aufgehoben wird. 


8 1123. Sit das Grundſtück vermietet oder verpachtet, fo erjtredt fich 
die Hypothek auf die Miet- oder Pachtzinsforderung. 

Soweit die Forderung fällig ift, wird fie mit dem Ablauf eines Jahres 
nach dem Eintritte der Fälligfeit von der Haftung frei, wenn nicht vorher 
die Beichlagnahme zu gunften des Hypothekengläubigers erfolgt. Iſt der 
Miet- oder Pachtzind im voraus zu entrichten, jo erjtredt jich die Befreiung 
nicht auf den Miet- oder Pachtzins für eine fpätere Zeit als das zur Zeit 
der Beichlagnahme laufende und das folgende Stalendervierteljahr. 


$ 1126. Iſt mit dem Eigentum an dem Grundjtüd ein Recht auf 
wiederfehrende Leiftungen verbunden, jo erjtredt fich die Hypothek auf Die 
Ansprüche auf dieje Leitungen. Die Vorjchriften des S 1123 Abi. 2 Sat 1, 
des $ 1124 Abf. 1, 3 und des $ 1125 finden entjprechende Anwendung. 
Eine vor der Bechlagnahme erfolgte Verfügung über den Anſpruch auf eine 
Leiſtung, die erſt drei Monate nach der Beichlagnahme fällig wird, ift dem 
Hypothefengläubiger gegenüber unwirkſam. 


8 1127. Sind Gegenftände, die der Hypothek unterliegen, für den 
Eigentümer oder den Eigenbejiger des Grundftüds unter Verficherung gebracht, 
fo erftrect fich die Hypothek auf die Forderung gegen den Werficherer. 

Die Haftung der Forderung gegen den Verſicherer erlischt, wenn der 
verſicherte Gegenstand wiederhergeitellt oder Erjag für ihn bejchafft iſt. 

Gefamthnpothef. 

$ 1132. Beſteht für Die Forderung eine Hypothek an mehreren Grund- 
jtüden (Geſamthypothek), jo haftet jedes Grundjtüd für die ganze Forderung. 
Der Gläubiger kann die Befriedigung nach feinem Belieben aus jedem der 
Grundjtüde ganz oder zu einem Teile juchen. 

Der Gläubiger iſt berechtigt, den Betrag der Forderung auf die einzelnen 
Grundſtücke in der Weiſe zu verteilen, daß jedes Grundftüd nur für den zu« 








— di —— 


Sachenrecht. 313 


geteilten Betrag haftet. Auf die Verteilung finden die Vorſchriften der 
88 875, 876, 878 entſprechende Anwendung. 


Befriedigung des Hypothetengläubigers. 

s 1147. Die Befriedigung des Gläubigers aus dem Grundſtück und den 
Gegenftänden, auf die ſich die Hypothek erjtredt, erfolgt im Wege der Zwangs— 
vollftredung. 

Begriff der Grundſchuld. 
$ 1191. Ein Grundjtüd kann in der Weile belaftet werden, daß an 
denjenigen, zu deſſen Gunjten die Belaftung erfolgt, eine beitimmte Geldfumme 
aus dem Grundjtüde zu zahlen iſt (Grundfchuld). 

Die Belaftung fann auch in der Weife erfolgen, daß Zinfen von der 
Geldfumme jowie andere Nebenleiftungen aus dem Grundftüde zu ent- 
richten find. 

$ 1192. Auf die Grundſchuld finden die Vorfchriften über die Hypothef 
entjprechende Anwendung, joweit ſich nicht daraus ein anderes ergibt, daß die 
Grundſchuld nicht eine Forderung vorausjegt. 

Für Zinſen der Grundfchuld gelten die Vorſchriften über die Zinſen 
einer Hypothekenforderung. 

Begriff der Rentenfhuld. 


$ 1199. Eine Grundichuld fann in der Weiſe beftellt werden, dab in 
regelmäßig wiederkehrenden Terminen eine bejtimmte Geldfumme aus dem 
Grundjtüde zu zahlen ift (Rentenſchuld). 

Bei der Beitellung der Nentenschuld muß der Betrag bejtimmt werden, 
durch deſſen Zahlung die Rentenschuld abgelöjt werden fann. Die Ablöfungs- 
jumme muß im Grundbuch angegeben werden. 


$ 1200. Auf die einzelnen Leiftungen finden die für Hypothefenzinjen, 
auf die Ablöjungsfumme finden die für ein Grundfchuldfapital geltenden 
Vorſchriften entfprechende Anwendung. 

Die Zahlung der Ablöfungsjumme an den Gläubiger hat die gleiche 
Wirfung wie die Zahlung des Kapitald einer Grundſchuld. 


Pfandrecht an beweglihen Sachen. Begriff. 
$ 1204. Eine bewegliche Sache fann zur Sicherung einer Forderung 
in der Weiſe belajtet werden, daß der Gläubiger berechtigt ist, Befriedigung 
aus der Sache zu juchen (Pfandrecht). 
Das Pfandrecht kann auch für eine künftige oder eine bedingte Forderung 
beitellt werden. 





314 IV. 1. Bürgerliches Geſetzbuch. — 3. Bud. 


Beftelung und Entftchung des Pfandrechts. 

S 1205. Zur Beitellung des Pfandrechts iſt erforderlich, daß der 
Eigentümer die Sache dem Gläubiger übergibt und beide darüber einig find, 
daß dem Gläubiger das Pfandrecht zuftehen ſoll. Iſt der Gläubiger im Be- 
fige der Sache, ſo genügt die Einigung über die Entjtehung des Pfandrechts. 

Die Uebergabe einer im mittelbaren Befige des Eigentümers befindlichen 
Sache fann dadurch erjegt werden, daß der Eigentümer den mittelbaren Beſitz 
auf den Pfandgläubiger überträgt und die Verpfändung dem Beſitzer anzeigt. 

Ohne Uebergabe bezw. deren Erjag alfo feine Entitehung des Pfand: 
rechts. Die üblichen Berträge, mündlich oder fchriftlih, über Verpfändung 
beweglicher Sachen ohne Uebergabe der legteren alfo ungiltig. Ein Pfand- 

recht kann nicht verlegt werden. Schuß des Piandgläubigers in $ 289 Str. G. B. 


$ 1206. An Stelle der Uebergabe der Sache genügt die Einräumung 
des Mitbefiges, wenn fich die Sache unter dem Mitverjchluffe des Gläubigers 
befindet oder, falls fie im Beſitz eines Dritten ift, die Herausgabe nur an 
den Eigentümer und den Gläubiger gemeinschaftlich erfolgen fann. 


8 1207. Gehört die Sache nicht dem Berpfänder, jo finden auf die 
Berpfändung die für den Erwerb des Eigentums geltenden Borjchriften der 
s$ 932, 934, 935 entjprechende Anwendung. 


8 1208. Iſt die Sache mit dem Rechte eines Dritten belajtet, jo geht 
das Pfandrecht dem Rechte vor, es jei denn, daß der Pfandgläubiger zur 
Zeit des Erwerbes des Pfandrechts in Anfehung des Rechtes nicht in gutem 
Glauben ift. Die Vorfchriften des $ 932 Abſ. I Satz 2, des $ 935 und 
des 8 936 Abſ. 3 finden entjprechende Anwendung. 

Hana des Piandredts. 

$ 1209. Für den Rang des Pfandrechts iſt die Zeit der Bejtellung auch dann 

maßgebend, wenn es für eine fünftige oder eine bedingte Forderung bejtellt iſt. 
Wofür die verpfändete bewegliche Sadıe haftet. 

$ 1210. Das Pfand haftet für die Forderung im deren jeweiligen 
Beitand, insbefondere auch für Zinſen und Vertragsitrafen. Iſt der perfön- 
liche Schuldner nicht der Eigentümer des Pfandes, jo wird durd; ein Rechts— 
geichäft, das der Schuldner nach der VBerpfändung vornimmt, die Haftung 
nicht erweitert. 

Das Pfand haftet für die Anjprüche des Pfandgläubigerd auf Erjat 
von Verwendungen, für die dem Pfandgläubiger zu erjegenden Koſten der 
Kündigung und der Rechtsverfolgung jowie für die Koſten des Pfandverfaufs. 





Sachenrecht. 315 


Erſtreckung des Pfandrechts auf Die Erzeugniſſe der Sache. 
$ 1212. Das Pfandrecht erſtreckt ſich auf die Erzeugniſſe, die von dem 


Pfande getrennt werden. 
Pfandrecht an mehreren Sachen. 


$ 1222. Beſteht das Pfandrecht an mehreren Sachen, fo huftet jede 


für die ganze Forderung. 
Erlöſchen des Pfandrechtes. 


$ 1223. Der Pfandgläubiger iſt verpflichtet, das Pfand nach dem 
Erlöjchen des Pfandrechts dem Verpfänder zurücdzugeben. 

Der Verpfänder fann die Rüdgabe des Pfandes gegen Befriedigung des 
Prandgläubigers verlangen, jobald der Schuldner zur Leiftung berechtigt iſt. 


Berfauf des Pfandes zwecks Befriedigung. 
$ 1228. Die Befriedigung des Piandgläubigers aus dem Pfande erfolgt 
durch Verkauf. 

Der Piandgläubiger ift zum Verkaufe berechtigt, fobald die Forderung 
ganz oder zum Teil fällig iſt. Beſteht der geichuldete Gegenitand nicht in 
Geld, jo it der Berfauf erit zuläjlig, wenn die Forderung in eine Geld— 
forderung übergegangen: ift. 

Berkauf des Pfandes vor der gejeglichen Zeit aus Unkenntnis des 
bürgerlichen Rechtes ſchließt Strafbarkeit wegen Unterſchlagung aus. 


Ss 1233. Der Berfauf des Pfandes ift nach den Vorfchriften der $$ 1234 
bis 1240 zu bewirken. 

Hat der Pfandgläubiger für fein Necht zum Verkauf einen volljtredbaren 
Titel gegen den Eigentümer erlangt, jo kann er den Verfauf auch nach den 
für den Verkauf einer geptändeten Sache geltenden Vorſchriften bewirken lafjen. 


8 1234. Der Pfandgläubiger hat dem Eigentümer den Verkauf vorher 
anzudrohen und dabei den Geldbetrag zu bezeichnen, wegen deſſen der Verkauf 
ftattfinden joll. Die Androhung fann erjt nac) dem Eintritte der Verkaufs: 
berechtigung erfolgen; fie darf unterbleiben, wenn jie untunlich ist. 

Der Verkauf darf nicht vor dem Ablauf eines Monats nach der An: 
drodung erfolgen. Iſt die Androhung untunlich, jo wird der Monat von dem 
Eintritte der Verfaufsberechtigung an berechnet. 

Verfauf des Pfandes ohne Einhaltung der gefeglihen Förmlichfeiten aus 

Unfenntnis des bürgerlichen Rechtes fchließt Strafbarfeit wegen Unterfchlagung aus. 

$ 1235. Der Verkauf des Pfandes iſt im Wege öffentlicher Berjteigerung 
zu bewirfen. 

Siehe $ 1234. 


316 IV. 1. Bürgerliches Geſetzbuch. — 3. Bud. 


Erwerber durch rechtmäßigen Berfauf des Pfandrechtes. 

$ 1242. Durch die rechtmäßige Veräußerung des Pfandes erlangt der 
Erwerber die gleichen Nechte, wie wenn er die Sache von dem Eigentümer 
erworben Hätte. Dies gilt auch dann, wenn dem Piandgläubiger der Zujchlag 
erteilt wird. 

Pfandrechte an der Sache erlöjchen, auch wenn fie dem Erwerber befannt 
waren. Das gleiche gilt von einem Nießbrauch, es jei denn, daß er allen 
Bfandrechten im Range vorgeht. 

Nicht rchtmäßige Veräußerung, 

$ 1243. Die Veräußerung des Pfandes ift nicht rechtmäßig, wenn 
gegen die Borjchriften des $ 1228 Abſ. 2, des $ 1230 Sa 2, des $ 1235, 
des 8 1237 Sab 1 oder des $ 1240 verftoßen wird. 

Verlegt der Pfandgläubiger eine andere für den Verkauf geltende Vor— 
ichrift, jo ift er zum Schadenserfage verpflichtet, wenn ihm ein Berjchulden 
zur Laſt fällt. 

8 1244. Wird eine Sache als Pfand veräußert, ohne daß dem Ver: 
äußerer ein Prandrecht zufteht oder den Erfordernifjen genügt wird, von denen 
die Nechtmäßigfeit der Veräußerung abhängt, jo finden die Vorfchriften der 
88 932 bis 934, 936 entjprechende Anwendung, wenn die Veräußerung nach 
$ 1233 Abſ. 2 erfolgt iſt oder die Vorjchriften des $ 1235 oder des $ 1240 
Abſ. 2 beobachtet worden find. 

s 1245. Der Eigentümer und der Pfandgläubiger können eine von 
den Vorjchriften der SS 1234 bis 1240 abweichende Art des Pfandverkaufs 
vereinbaren. Steht einem Dritten an dem Pfande ein Recht zu, das durch Die 
Veräußerung erlischt, fo ift die Zuſtimmung des Dritten erforderlich, Die 
Zuftimmung ift demjenigen gegenüber zu erflären, zu deſſen Gunſten fie er- 
folgt; fie iſt ummiderruflich. 

Auf die Beobadjtung der Vorjchriiten des $ 1235, des $ 1237 Sap 1 
und des $ 1240 fann nicht vor dem Eintritte der Verfaufsberechtigung ver: 
zichtet werden. 

Uebergang des Pfandrechts bei UHebertragung der Forderung. 

8 1250. Mit der lebertragung der Forderung geht das Piandrecht 
auf den neuen Gläubiger über. Das Pfandrecht kann nicht ohne die Forderung 
übertragen werden. 

Wird bei der Iebertragung der Forderung der Uebergang des Pfandrechts 
ausgejchloffen, jo erliicht das Pfandrecht. 





— — 


Sachenrecht. 317 


Erlöſchen des Pfandrechts. 
$ 1252. Das Pfandrecht erliſcht mit der Forderung, für die es beſteht. 


$ 1253. Das Pfandrecht erlijcht, wenn der Pfandgläubiger das Pfand 
dem Verpfänder oder dem Eigentümer zurüdgibt. Der Vorbehalt der Fort- 
dauer des PBiandrechts ijt unwirkſam. 

Iſt das Pfand im Beſitz des PVerpfänders oder des Eigentümers, jo 
wird vermutet, daß das Pfand ihm von dem Pfandgläubiger zurüdgegeben 
worden jei. Dieje Vermutung gilt auch dann, wenn fic) das Pfand im Befig 
eines Dritten befindet, der den Beſitz nach der Entitehung des Pfandrechts 
von dem Verpfänder oder dem Eigentümer erlangt hat. 


$ 1255. Zur Aufhebung des Pfandrechts durch Rechtsgeſchäft genügt 


bie Erklärung des Pfandgläubiger3 gegenüber dem Berpfänder oder dem Eigen- 


tümer, daß er das Pfandrecht aufgebe. 

Iſt das Pfandrecht mit. dem Rechte eines Dritten belaftet, jo ift die 
Zuftimmung des Dritten erforderlich. Die Zuftimmung ift demjenigen gegen— 
über zu erklären, zu deſſen Gunſten fie erfolgt; fie it unwiderruflich. 


Kraft Geſetzes entftandench Pfandredt. 
$ 1257. Die Vorſchriften über das durch Nechtsgefchäft bejtellte Pfand: 
recht finden auf ein fraft Geſetzes entitandenes Piandrecht entiprechnde Ans 
wendung. 
3. B. auf das gefehlihe Pfandrecht des Vermieters. 
Verpfändung von Wechſeln uſw. 
$ 1292. Zur Verpfändung eines Wechſels oder eines anderen Papiers, 
das durch Indoſſament übertragen werden fann, genügt die Einigung des 
Gläubigers und des Pfandgläubigers und die Llebergabe des indofjierten Bapiers. 


Plandreht an Inhaberpapieren. 

8 129. Für das Pfandrecht an einem Imhaberpapiere gelten die 
Borschriften über das Piandrecht an beweglichen Sachen. 

Erfiredung des Pfandrechts an Wertpapieren. 

8 12%. Das Pfandrecht un einem Wertpapiere erjtredt ſich auf die 

zu dem Papiere gehörenden Zins-, Renten oder Gewinnanteilicheine nur dann, 

wenn jie dem Bfandgläubiger übergeben find. Der Berpfänder fann, jofern 

nicht ein anderes bejtimmt ift, die Herausgabe der Scheine verlangen, ſoweit 

jie vor dem Eintritte der VBorausjegungen des $ 1228 Abſ. 2 fällig werden. 





318 IV. 1. Bürgerliches Gejepbuh. — 4. Bud. 


Diertes Bud. 
Familienrecht. 
Nichtigkeit der Ehe. 2. 

$ 1325. Eine Ehe iſt nichtig, wenn einer der Ehegatten zur Zeit der 
Eheſchließung geichäftsunfähig war oder jich im Zuſtande der Bewußtloſigkeit 
oder vorübergehender Störung der Geijtestätigfeit befand. 

Die Ehe iſt als von Anfang an giltig anzufehen, wenn der Ehegatte 
fie nach dem Wegfalle der Gejchäftsunfähigfeit, der Bewußtlofigfeit oder der 
Störung der Geijtestätigfeit beitätigt, bevor fie für nichtig erflärt oder auf- 
gelöft worden iſt. Die Beltätigung bedarf nicht der für die Ehejchliegung 
vorgejchriebenen Form. 

Bergl. $ 170 des Str.®.Bs. (Eheerfchleihung). 

$ 1326. Eine Ehe iſt nichtig, wenn einer der Ehegatten zur Zeit der 

Eheſchließung mit einem Dritten in einer giltigen Ehe lebte. 
Unfehtung der Ehe. 

z 1332. Eine Ehe fann von dem Ehegatten angefochten werden, der 
bei der Eheſchließung nicht gewußt hat, daß es fih um eine Ehejchliegung 
handle, oder dies zwar gewußt hat, aber eine Erflärung, die Ehe eingehen zu 
wollen, nicht hat abgeben wollen. 

Bergl. 8 170 des Str. G. Bs. (Eheerſchleichung). 

s 1333. Eine Ehe fann von dem Ehegatten angefochten werden, der ſich 
bei der Eheichliegung in der Perjon des anderen Ehegatten oder über jolche 
perfönliche Eigenschaften des anderen Ehegatten geirrt hat, die ihn bei Keuntnis 
der Sachlage und bei verjtändiger Würdigung des Wejens der Che von der 
Eingehung der Ehe abgehalten haben würden. 

z 1334. Eine Ehe fann von dem Chegatten angefochten werden, der 
zur Emgehung der Ehe durch arglistige Täuſchung über jolche Umſtände be: 
jtimmt worden ift, die ihn bei Kenntnis der Sachlage und bei verjtändiger 
Würdigung des Wejens der Ehe von der Eingehung der Ehe abgehalten 
haben würden. Iſt die Täufchung nicht von dem anderen Ehegatten verübt 
worden, jo ift die Ehe nur dann anfechtbar, wenn diefer die Täujchung bei 
der Eheichliehung gefannt hat. 

Auf grund einer Täufchung über VBermögensverhältnifie findet die An— 
fechtung nicht jtatt. 





Familienrecht. 319 


$ 1335. Eine Ehe kann von dem Ehegatten angefochten werden, dev 
zur Eingehung der Ehe widerrechtlich durch Drohung beitimmt worden ijt. 
Berpflihtung zu cheliher Lebensgemeinſchaft. 
$ 1353. Die Ehegatten find einander zur ehelichen Lebensgemeinſchaft 
verpflichtet. 
Stellt fi) dad Verlangen eines Ehegatten nad) Herjtellung der Ge- 
meinjchaft als Mißbrauch jeines Nechtes dar, jo iſt der andere Ehegatte nicht 
verpflichtet, dem Verlangen Folge zu leilten. Das gleiche gilt, wenn der 


andere Ehegatte berechtigt ift, auf Scheidung zu Flagen. 
Ehefrau hat aljo Beifchlaf, fomweit er kein Mißbrauch gegenüber ihrer 
Geſundheit ift, zu dulden, micht aber unzüchtige Handlungen ($ 1761 
Str.G.B.), wie Einführung des Gliedes in ihren Mund, ihren After. Kein 
Züchtigungsrecht des Ehemannes. 
Entſcheidung des Ehemannes. 


$ 1354. Dem Manne ſteht die Entſcheidung in allen das gemeinſchaft— 
schaftliche eheliche Leben betreffenden Angelegenheiten zu; er bejtimmt ins- 
bejondere Wohnort und Wohnung 

Die Frau ift nicht verpflichtet, der Enticheidung des Mannes Folge zu 
feiften, wenn fich die Entſcheidung als Mifbrauch feines Rechtes daritellt. 

Sogenannte Schlüffelgewalt der Fran. 
$ 1357. Die Frau iſt berechtigt, innerhalb ihres häuslichen Wirfungs- 
freifes die Gefchäfte de8 Mannes für ihn zu bejorgen und ihn zu vertreten. 
Rechtsgeichäfte, die fie innerhalb dieſes Wirfungsfreifes vornimmt, gelten als 
im Namen des Mannes vorgenommen, wenn nicht aus den Umjtänden ſich 
ein anderes ergibt. 

Der Mann fann das Recht der Frau bejchränfen oder ausjchliehen. 
Stellt jich die Beſchränkung oder die Ausſchließung als Mißbrauch des Rechtes 
des Mannes dar, jo fann fie auf Antrag der Frau durch das Bormundjchaits: 
gericht aufgehoben werden. Dritten gegenüber ift die Beichränfung oder die 
Ausſchließung nur nach Maßgabe des 8 1435 wirkjam. 

Beweglihe Sachen im Beſitze der Eheleute, 
$ 1362. Zu gunften der Gläubiger des Mannes wird vermutet, day 
die im Beſitz eines der Ehegatten oder beider Ehegatten befindlichen beweglichen 
Sachen dem Manne gehören. Dies gilt insbefondere auch für Inhaberpapiere 
und für Orderpapiere, die mit Blankoindoſſament verfehen find. 

Für die ausjchließlich zum perfönlichen Gebrauche der Frau bejtimmten 

Sachen, insbefondere für Stleider, Schmudjachen und Arbeitsgeräte, gilt im 


320 IV. 1. Bürgerliches Geſetzbuch. — 4. Bud). 


Berhältnijje der Ehegatten zu einander umd zu den Gläubigern die Vermutung, 
daß die Sachen der Frau gehören. 
Bon Bedeutung bei dem Pfandrecht de3 Vermieters ($ 559 ff.) 


Nubnichung des Mannes bei gefehliher Gütertrennung. 
$ 1363. Das Vermögen der Frau wird durch die Ehefchliegung der 
Verwaltung und Nutznießung des Mannes unterworfen (eingebrachtes Gut). 
Zum eingebrachten Gute gehört aud) das Vermögen, das die Frau während 
der Ehe erwirbt. 
Nutznießer fiche 8 289 Str.SB. Das geſetzliche Güterrecht tritt 


ein, foweit feine Vereinbarungen zwifchen den Eheleuten bezw. ihren Angehörigen 
getroffen worden jind. 


Pfllicht zum chelihen Aufwand bei geſetzlichem Güterrecht. 

$ 1389. Der Mann hat den ehelichen Aufwand zu tragen. 

Die Frau kann verlangen, dat der Mann den Reinertrag des eingebrachten 
Gutes, joweit diefer zur Beftreitung des eigenen und des der rau und den 
gemeinjchaftlichen Abkömmlingen zu gewährenden Unterhalts erforderlich ift, 
ohne Rüdficht auf jeine ſonſtigen Verpflichtungen zu diefem Zwecke verwendet. 

Bon Bedeutung bei Feititelung einer Unterhaltspflicht. 


Gläubiger des Mannes bei gefehlihdem Güterredt. 
$ 1410. Die Gläubiger de Mannes können nicht Befriedigung aus 
dem eingebrachten Gute verlangen. 


Gütertrennung. 
$ 1426. Tritt nach 8 1364 die Verwaltung und Nutznießung des 
Mannes nicht ein oder endigt fie auf grund der 88 1418 bis 1420, jo tritt 

Gütertrennung ein. 
Für die Gütertrennung gelten die Vorjchriften der SS 1427 big 1431. 


Eheliher Aufwand und Beitrag der Frau bei Gütertrennung. 

8 1427. Der Mann hat den ehelichen Aufwand zu tragen. 

Zur Beitreitung des ehelichen Aufwandes Hat die frau dem Manne einen 
angemefjenen Beitrag aus den Einfünften ihres Vermögens und dem Ertrag 
ihrer Arbeit oder eines von ihr jelbitändig betriebenen Erwerbsgejchäfts zu 
leiften. Für die Vergangenheit fann der Mann die Leiftung nur injoweit 
verlangen, als die Frau ungeachtet jeiner Aufforderung mit der Xeiftung im 
Nüditande geblieben it. Der Anjpruch des Mannes ıjt nicht übertragbar. 





nu 


Familienrecht. 321 


Ehevertrag. 
$ 1432. Die Ehegatten können ihre güterrechtlichen Verhältnifje durch 
Vertrag (Ehevertrag) regeln, insbejondere auch nach der Eingehung der Che 


den Güterftand aufheben oder ändern. 
Allgemeine Gütergemeinichaft. 


$ 1438. Das Vermögen des Mannes und das Vermögen der rau 
werden durch die allgemeine Gütergemeinjchaft gemeinschaftliches Vermögen 
beider Ehegatten (Geſamtgut). Zu dem Gefamtgute gehört auch das Ver— 
mögen, das der Mann oder die Frau während der Gütergemeinfchaft erwirbt. 

Die einzelnen Gegenftände werden gemeinjchaftlich, ohne daß es einer 
llebertragung durch Rechtsgeſchäft bedarf, 

Wird ein Recht gemeinichaftlich, das im Grundbuch eingetragen ijt oder 
in dad Grundbuc) eingetragen werben fann, jo fann jeder Ehegatte von dem 
anderen die Mitwirfung zur Berichtigung des Grundbuchs verlangen. 

Verwaltung des Gefamtautes bei allgemeiner Gütergemeinſchaft. 
$ 1443. Das Geſamtgut unterliegt der Verwaltung des Mannes. Der 
Mann it insbejondere berechtigt, die zu dem Gejamtgute gehörenden Sachen 
in Bejig zu nehmen, über dag Gejamtgut zu verfügen jowie Rechtöitreitig- 
feiten, die fich auf das Geſamtgut beziehen, im eigenen Namen zu führen. 

Die Frau wird durch die Verwaltungshandlungen des Mannes weder 

Dritten noch dem Manne gegenüber perjönlich verpflichtet. 
Eheliher Aufwand Durd Das Gefamtgut bei allgemeiner Gütergemeinſchaft. 
$ 1458. Der eheliche Aufwand fällt dem Gejamtgute zur Laft. 
Von Bedeutung bei Feitftellung einer Unterhaltspflicht. 
Grrungenfhaftögemeinichaft. 
$1519. Was der Mann oder die Frau während der Errungenjchaftägemein- 
Ichaft erwirbt, wird gemeinschaftliches Vermögen beider Ehegatten (Gejamtgut). 


Auf das Gefamtgut finden die für die allgemeine Gütergemeinjchaft - 


geltenden Vorjchriften des S 1438 Ubi. 2, 3 und der SS 1442 bis 1453, 
1455 bis 1457 Anwendung. 
Eheliher Aufwand durch das Gefamtgut bei Errungenihaftögemeinichaft. 
$ 1529. Der cheliche Aufwand fällt dem Gejamtgute zur Laft. 
Das Gejamtgut trägt auch die Laften des eingebrachten Gutes beider 
Ehegatten; der Umfang der Lajten bejtimmt jich nach den bei dem Güter- 
itande der Verwaltung und Nußniegung für das eingebrachte Gut der Frau 


geltenden Vorſchriften der 88 1384 bis 1387. 
Wie in 88 1389, 1458. 


322 IV. 1. Bürgerliches Geſetzbuch, — Viertes Bud). 





Fahrnisgemeinihaft. 
$ 1549. Auf die Gemeinjchaft des beweglichen Vermögens und der Er- 
rungenschaft (Fahrnisgemeinſchaft) finden die für die allgemeine Gütergemein- 
ichaft geltenden Borfchriften Anwendung, joweit ich nicht aus den 88 1550 
bis 1557 ein anderes ergibt. 


Name der geſchiedenen Ehefrau. 

$ 1577. Die gejchiedene Frau behält den Fanuiliennamen des Mannes. 

Die Frau fann ihren Familiennamen wieder annehmen. War fie vor 
der Eingehung der gejchiedenen Ehe verheiratet, jo fann fie auch den Namen 
wiederannehmen, den fie zur Zeit der Eingehung diefer Ehe hatte, es jet denn, 
da fie allein für ſchuldig erfärt ift. Die Wiederannahme de3 Namens er: 
folgt durch Erklärung gegenüber der zujtändigen Behörde; die Erffärung ift in 
öffentlich beglaubigter Form abzugeben. 

Iſt die Frau allein für fchuldig erklärt, jo fanın der Mann ihr die 
Führung feines Namens unterfagen. Die Unterfagung erfolgt durd Erklärung 
gegenüber der zuitändigen Behörde; die Erklärung ijt im öffentlich beglaubigter 
Form abzugeben. Die Behörde ſoll der Frau die Erflärung mitteilen. Mit dem 
Verlufte des Namens des Mannes erhält die Frau ihren Familiennamen wieder. 

Von Bedeutung bei Urkundenfälfhung ($ 267 ff:), fog. intellektuellen 
Urkundenfälfchung (5 271 Str.©.B.) und Gebraud; falfhen Namens ($ 3603 
Str.G.B.). 

Unterhaltspflict bei gefchiedener Ehe. 

s 1578. Der allein für jchuldig erklärte Mann hat der gejchiedenen 
Frau den jtandesmäßigen Unterhalt injoweit zu gewähren, als fie ihm nicht 
aus den Einkünften ihres Vermögens und, jofern nad) den Verhältnifien, in 
denen die Ehegatten gelebt haben, Erwerb durd Arbeit der Frau üblich ift, 
aus dem Ertrag ihrer Arbeit bejtreiten fann. 

Die allein für jchuldig erklärte rau hat dem gejchiedenen Manne den 
Standesmäßigen Unterhalt infoweit zu gewähren, als er auferftande tft, ic) 
jelbjt zu unterhalten. 


s 1579. Soweit der allein für ſchuldig erflärte Ehegatte bei Berüd: 
jihtigung jeiner jonftigen Verpflichtungen außerjtande ift, ohne Gefährdung 
jeines ſtandesmäßigen Unterhalts dem anderen Ehegatten Unterhalt zu ge: 
währen, ijt er berechtigt, von den zu jeinem Unterhalte verfügbaren Einkünften 
zwei Dritteile oder, wenn dieſe zu jeinem notdürftigen Unterhalte nicht aus— 
reichen, joviel zurüdzubehalten, als zu deſſen Beitreitung erforderlich it. Hat 


Familienredt. 323 


er einem minderjährigen unverheirateten Sinde oder infolge jeiner Wicder- 
verheiratung dem neuen Ehegatten Unterhalt zu gewähren, jo bejchränft fich 
feine Verpflichtung dem gejchiedenen Ehegatten gegenüber auf dasjenige, was 
mit Rüdjicht auf die Bedürfnifje jotwie auf die Vermögens- und Erwerbs: 
verhältnifje der Beteiligten der Billigkeit entjpricht. 
Erlöſchen der Unterhaltspflicht bei geichicdener Ehe. 

$ 1581. Die Unterhaltspflicht erlifcht mit der Wiederverheiratung des 
Berechtigten. 

Im Falle der Wiederverheiratung des Verpflichteten finden die Vor— 
jchriften des $ 1604 entiprechende Anwendung. 

Unterhaltspfliht der Erben. 
$ 1582, Die Unterhaltspflicht erlifcht nicht mit dem Tode des Ver— 
pflichteten. 

Die Verpflichtung des Erben unterliegt nicht den Bejchränfungen des 
$ 1579. Der Berechtigte muß ſich jedoch die Herabjegung der Rente bis 
auf die Hälfte der Einkünfte gefallen laſſen, die der Verpflichtete zur Zeit des 
Todes aus feinem Vermögen bezogen hat. Einkünfte aus einem Rechte, das 
mit dem Eintritt eines bejtimmten ZeitpunftS oder Ereigniffes erlischt, bleiben 
von dem Eintritte des Zeitpunfts oder des Ereignijfes an außer Betracht. 

Sind mehrere Berechtigte vorhanden, jo fann der Erbe die Renten nad) 
dem Verhältnis ihrer Höhe joweit herabjegen, daß fie zufammen der Hälfte 
der Einkünfte gleichfommen. 

Unterhaltöpfliht bei Ehefheidung wegen Geifteöfrantheit. 
$ 1583. Iſt die Ehe wegen Geiſteskrankheit eines Ehegatten gejchieden, 
fo hat ihm der andere Ehegatte Unterhalt in gleicher Weije zu gewähren wie 


ein allein für jchuldig erflärter Ehegatte. Berwandtidaft. 


$ 1589. Perſonen, deren eine von der anderen abjtammt, find im ge- 
rader Linie verwandt. Perſonen, die nicht in gerader Linie verwandt find, 
aber von derjelben dritten Perfon abjtammen, find in der Seitenlinie verwandt. 
Der Grad der Berwandtjchaft bejtimmt fich nach der Zahl der jie vermitteln- 
den Geburten. 

Ein uneheliches Kind und deſſen Vater gelten nicht als verwandt. 

Bergl. „Angehörige in $ 52 Str.G.B. Schwägerfhaft. 

$ 15%. Die Verwandten eines Ehegatten find mit dem anderen Che: 
gatten verichwägert. Die Linie und der Grad der Schwägerjchaft bejtimmen 
fi) nach) der Linie und dem Grade der ſie vermittelmden VBerwandtichaft. 


21° 


so 
— 
im 


IV. 1. Bürgerliches Geſetzbuch. — Biertes Bud, 


Die Schwägerfchaft dauert fort, auch wenn die Ehe, durch die jie be— 
gründet wurde, aufgelöjt iſt. 

Aber keine Schwägerichaft zwifchen den Verwandten des einen Ehegatten und 
den Berwandten des andern; Ehemänner zweier Schweftern feine Schwäger. 
Ehelihe Abltammung. 

$ 1591. Ein Kind, das nad) der Eingehung der Ehe geboren wird, 
iſt ehelich, wenn die Frau es vor oder während der Ehe empfangen und der 
Mann innerhalb der Empfängniözeit der ‚srau beigewohnt hat. Das Kind 
ift nicht ehelich, wenn es den Umständen nach offenbar unmöglich ift, daß die 
Frau das Kind von dem Manne empfangen bat. 

E3 wird vermutet, daß der Mann innerhalb der Empfängniszeit der 
Frau beigewohnt habe. Soweit die Empfängniszeit in die Zeit vor der Ehe 
fällt, gilt die Vermutung nur, wenn der Mann geftorben ift, ohne die Ehe— 
lichfeit des Kindes angefochten zu haben. 

Ehelichkeit von Bedeutung für den Perſonenſtand (83 169, 271 Str. G. B.). 
Gegenfeitige Unterhaltspflicht gewiffer Berwandten, 

8 1601. Verwandte in gerader Linie find verpflichtet, einander Unter— 

halt zu gewähren. 
Elterlihe Gewalt. 
81626. Das Kind jteht, folange es minderjährig iſt, unter elterlicher Gewalt. 


Elterliche Gewalt des Vaters. 

$ 1627. Der Pater Hat kraft der elterlichen Gewalt das Recht und 

die Pflicht, für die Perfon und das Vermögen des Kindes zu forgen. 
Anhalt der elterlihen Gewalt, Zühtigungsrcht. 

$ 1631. Die Sorge für die Perfon des Kindes umfaht das Recht und 
die Pflicht, das Kind zu erziehen, zu beaufjichtigen und jeinen Aufenthalt 
zu bejtimmen. 

Der Vater fann fraft des Erziehungsrechts angemejjene Zuchtmittel 
gegen das Kind anwenden. Auf feinen Antrag hat das VBormundjchaftsgericht 
ihn durch Anwendung geeigneter HYuchtmittel zu unterjtügen. 

Nur angemeſſene Zuchtmittel find zuläſſig. Sonft vorfügliche oder 
fahrläffige Körperverlegung. 
Nuknichung am Vermögen Des Kindes. 

$ 1649. Dem Bater fteht fraft der elterlichen Gewalt die Nutznießung 

an dem Vermögen des Kindes zu. 
Nusnießer f. $ 289 Str.G.B. 





A Bi tee En Da a u en re en Az ae te u te 


Familienredt. 325 


Bon der Nutznießung ausgeſchloſſen. 
8 1650. Bon der Nutznießung ausgeſchloſſen (freies Vermögen) find 
die ausjchlieglich zum perfönlichen Gebrauche des Kindes bejtimmten Sachen, 
insbejondere Kleider, Schmudjachen und Arbeitsgeräte. 


j j Freies Vermögen des Mindes. 
$s 1651. Freies Vermögen ift: 


1. was das Sind durch feine Arbeit oder durch den ihm nad) $ 112 
geftatteten jelbitändigen Betrieb eines Erwerbsgejchäfts erwirbt; 
2, was das Kind von Todeswegen erwirbt oder was ihm unter Leben: 
den von einem Dritten unentgeltlich zugewendet wird, wenn ber 
Erblaſſer durch Tegtwillige Verfügung, der Dritte bei der Zu— 
wendung bejtimmt hat, daß das Vermögen der Nutznießung ent- 
zogen fein joll. 
Die VBorfchriften des $ 1638 Abf. 2 finden entjprechende Anwendung. 
Elterlihe Gewalt der Mutter. 
$ 1684. Der Mutter fteht die elterliche Gewalt zu: 
1. wenn der Bater gejtorben oder für tod erklärt iſt; 
2. wenn der Vater die elterliche Gewalt verwirft hat und die Ehe 
aufgelöft iſt. 
Im Falle der Todeserklärung beginnt die elterliche Gewalt der Mutter 
mit dem Zeitpunfte, der als Zeitpunkt des Todes des Vaters gilt. 


$ 1685. Iſt der Vater an der Ausübung der elterlichen Gewalt tat: 
jächlich verhindert oder ruht feine elterliche Gewalt, jo übt während der Dauer 
der Che die Mutter die efterliche Gewalt mit Ausnahme der Nugnießung aus. 

Iſt die Ehe aufgelöjt, jo hat das Bormundjchaftsgericht der Mutter auf 
ihren Antrag die Ausübung zu übertragen, wenn die elterliche Gewalt des 
Vaters ruht und feine Ausficht bejteht, dah der Grund des Ruhens wegfallen 
werde. Die Mutter erlangt in diefem Falle auch die Nutznießung an dem 


Vermögen des Kindes. 
Berwandtichaftsverhältnis unchelidher Kinder. 
s 1705. Das uneheliche Kind hat im VBerhältnifje zu der Mutter und 
zu den Verwandten der Mutter die rechtliche Stellung eines ehelichen indes. 
Bei der Blutfchande im Sinne von $ 173 Str. G. B. ift auch der 
Berfchlaf zwifchen auferehelihen Berwandten ftrafbar. 
Familienname unchelider Kinder. 
s 1706. Das unehelihe Kind erhält den Familiennamen der Mutter. 


Führt die Mutter infolge ihrer Berheiratung einen anderen Namen, jo erhält 


36, IV. 1. Bürgerliches Geſetzbuch. — Biertes Bud). 
“ 

das Kind den Familiennamen, den die Mutter vor der Verheiratung geführt 
hat. Der Ehemann der Mutter fann durch Erklärung gegenüber der zu: 
tändigen Behörde dem Kinde mit Einwilligung des Kindes und der Mutter 
jeinen Namen erteilen; die Erklärung des Ehemanns fowie die Einwilligungs- 
erflärungen des Kindes und der Mutter find in öffentlich beglaubigter Form 
abzugeben. 


Steine elterlihe Gewalt der unchelichen Mutter. 
$ 1707. Der Mutter jteht nicht die elterliche Gewalt über das un- 
eheliche Kind zu. Sie hat das Recht und die Pflicht, für die Perſon des 
Kindes zu forgen; zur Vertretung des Kindes ijt fie nicht berechtigt. Der 
Vormund des Kindes hat, jomweit der Mutter die Sorge zufteht, die rechtliche 
Stellung eines Beiftandes. 


Unterhaltspfliht des außerehelichen Baters. 

s 1708. Der Vater des unehelichen Kindes ift verpflichtet, dem Kinde 
bis zur Vollendung des jechzehnten Lebensjahre den der Lebensitellung der 
Mutter entjprechenden Unterhalt zu gewähren. 

Der Unterhalt umfaßt den gefamten Lebensbedarf jowie die Koſten der 
Erziehung und der VBorbildung zu einem Berufe. 

Sit das Kind zur Zeit der Vollendung des jechzehnten Lebensjahre 
infolge förperlicher oder geijtiger Gebrechen außerftande, ich jelbit zu unter- 
halten, jo hat ihm der Vater auch über diefe Zeit hinaus Unterhalt zu ge- 
währen; die Vorſchrift des $ 1603 Abf. 1 findet Anwendung. 


Erlangung der Ehelichfeit durch nachfolgende Ehe. 

s 1719. Ein umeheliches Kind erlangt dadurch, daß fich der Vater 
mit der Mutter verheiratet, mit der Eheſchließung die rechtliche Stellung eines 
ehelichen Kindes. 

Bon Bedeutung für den Perfonenftand (88 169, 271 Str. G. B.). 
Ehelichfeitöerflärung. 

s 1723. Ein uneheliches Kind kann auf Antrag feines Vaters durch 
eine Verfügung der Staatsgewalt für ehelich erklärt werden. 

Die Ehelichkeitzerflärung fteht dem WBundesitaate zu, dem der Water 
angehört; ijt der Vater ein Deuticher, der feinem Bundesſtaat angehört, fo 
iteht fie dem Reichsfanzler zu. 

Ueber die Erteilung der einem Bundesjtaate zuftehenden Ehelichkeits— 


erflärung hat die Landesregierung zu bejtimmen. 
Wie bei $ 1719. 





Familienredt. 327 


Wirfung derfelben. 
$ 1736. Durch die Ehelichfeitserflärung erlangt das Kind die rechtliche 
Stellung eines ehelichen Kindes. 
Annahme an Kindeöftatt. 

8 1757. Dur die Annahme an Stindesjtatt erlangt das Sind Die 
rechtliche Stellung eines ehelichen Kindes des Annehmenden. 

Wird von einem Ehepaare gemeinschaftlich ein Kind angenommen oder 
nimmt ein Ehegatte ein Kind des anderen Ehegatten an, jo erlangt das Kind 
die rechtliche Stellung eines gemeinjchaftlichen ehelichen Kindes der Ehegatten. 

Adoptiveltern ſ. $ 174 Ziff. 1 Str.G.B. Adoptiveltern und Kinder 

find nicht Verwandte im Sinne von $ 173 Str. G. B. 

Wirkung derſelben. 

8 1758. Das Kind erhält den Familiennamen des Annehmenden. Wird 
das Kind von einer rau angenommen, die infolge ihrer Verheiratung einen 
anderen Namen führt, jo erhält es den Familiennamen, den die Frau vor 
der Berheiratung geführt hat. In den Fällen des 8 1757 Abſ. 2 erhält das 
Kind den Familiennamen des Mannes. 

Das Kind darf dem neuen Namen feinen früheren Familiennamen hin: 
zufügen, jofern nicht in dem Annahmevertrag ein anderes beitimmt iſt. 


s 1762. Die Wirfungen der Annahme an Kindesitatt erftreden ſich 
auf die Abkfömmlinge des Kindes. Auf einen zur Zeit des Vertragsabjchlufies 
ſchon vorhandenen Abkömmling und deſſen jpäter geborene Ablümmlinge 
eritreden jich die Wirkungen nur, wenn der Vertrag auch mit dem fchon vor— 
handenen Abkömmlinge geichlofien wird. 


Schwägerſchaftsverhältnis bei Adoption. 
s 1763. Die Wirfungen der Annahme an SKindesjtatt erſtrecken ſich 
nicht auf die Verwandten des Annehmenden, Der Ehegatte des Annehmenden 
wird nicht mit dem Kinde, der Ehegatte des Kindes wird nicht mit dem Ans 


nehmenden verjchwägert. 
Bormund des Minderjährigen. 


5 1773. Ein Minderjähriger erhält einen Vormund, wenn er nicht 
unter elterlicher Gewalt jteht oder wenn die Eltern weder in den die Perſon 
noch in den das Vermögen betreffenden Angelegenheiten zur Vertretung des 
Minderjährigen berechtigt find. 

Ein Minderjähriger erhält einen Bormund auc dann, wern fein 
Familienstand nicht zu ermitteln it. 


398 IV. 1. Bürgerliches Geſetzbuch. — Viertes Bud). 


Bormund in $ 174 Str. G. B. ift nicht dei lediglich für Beauffichtigung 
und Berwaltung des Vermögens bejtimmte, jondern der zur Fürforge für die 
Perfon beſtimmte. Vormund bei Untreue ($ 2661 Str. G. B.). 

Führung der Vormundſchaft. 
8 179. Der Bormund hat das Recht und die Pflicht, für die Perjon 
und das Vermögen des Mündels zu forgen, insbefondere den Mündel zu vertreten. 


Ausnahme bei Beftelung von Pfleger. 

s 1794. Das Necht und die Pflicht des Wormundes, für die Perjon 
und das Vermögen des Mündels zu jorgen, eritredt ſich nicht auf Angelegen- 
heiten des Mündels, jür die ein Pfleger bejtellt ift. 

Beihränfung der Vormundſchaft. 

8 1796. Das Vormundichaftsgericht fann dem Vormunde die Vertretung 
für einzelne Angelegenheiten oder für einen bejtimmten Kreis von Angelegen- 
heiten entziehen. 

Die Entziehung joll nur erfolgen, wenn das Intereſſe des Mündels 
zu dem Intereſſe des Vormundes oder eines von dieſem vertretenen Dritten 
oder einer der im $ 1795 Nr. 1 bezeichneten Berjonen in erheblichem Gegen- 
ſatze fteht. 

Pflichten des Gegenvormunds. 

8 1799. Der Gegenvormund hat darauf zu achten, daß der Vormund 
die Bormundfchaft pflicytmäßig führt. Er hat dem Vormundfchaftsgerichte 
Pflichtwidrigfeiten des Bormundes ſowie jeden Fall unverzüglich) anzuzeigen, 
in welchem das Vormundichaftsgericht zum Einfchreiten berufen iſt, insbejondere 
den Tod des Wormundes oder den Eintritt eines anderes Umſtandes, in- 
folgedeifen das Amt des Vormundes endigt oder die Entlafjung des Vor— 
mundes erforderlich wird. 

Der VBormund bat dem Gegenvormund auf Verlangen über die Führung 
der Vormundſchaft Auskunft zu erteilen und die Einficht der fich auf die 
Bormumdfchaft beziehenden Papiere zu geitatten. 

Vergl. $ 1773. 
Fürforge für die Berfon. 

$ 1800. Das Recht und die Pflicht des Vormundes, für die Perfon 
des Mündels zu jorgen, bejtimmt fich nach den für die elterliche Gewalt 
geltenden Borjchriften der SS 1631 big 1633. 

Vergl. $ 1773. Der VBormund befigt alfo das Züchtigungsrecht. 








Familienrecht. 329 


Dermögensverwaltung des Bormunds. 
$ 1804. Der Vormund fann nit in Vertretung des Mündels 
Schenfungen machen. Ausgenommen find Schenkungen, durch die einer fitt- 
lichen Pflicht oder einer auf den Anjtand zu nehmenden Rüdjicht entjprochen wird. 
$ 1804 ff. von Bedeutung für das Bergehen der Untreue ($ 266,1 
Str. G. B.). 
z 1805. Der Vormund darf Vermögen des Mündels nicht für ſich 
verwenden. 


s 1806. Der Bormund hat das zum Vermögen des Mündels gehörende 

Geld verzinslich anzulegen, joweit es nicht zur Beftreitung von Ausgaben 

bereit zu halten ijt. 

s 1807. Die im $ 1806 vorgejchriebene Anlegung von Mündelgeld 
joU nur erfolgen: 

1. in Forderungen, für die eine fichere Hypothek an einem inländischen 
Grundſtücke bejteht, oder in jicheren Grundſchulden oder Renten: 
Ihulden an inländiichen Grundftüden ; 

2, in verbrieften Forderungen gegen das Reich oder einen Bundes- 
jtaat fowie in Forderungen, die in dag Neichsjchuldbuch oder in 
das Staatsſchuldbuch eines Bundesitaats eingetragen jind; 

3. in verbrieften Forderungen, deren Verzinfung von dem Reiche 
oder einem Bundesjtaate gewährleijtet tft; 

4. in Wertpapieren, insbejondere Pfandbriefen, ſowie in verbrieften 
Forderungen jeder Art gegen eine inländiiche fommunale Körper: 
ichaft oder die Kreditanjtalt einer jolchen Körperjchaft, jofern die 
Wertpapiere oder die Forderungen von dem Bundesrate zur An 
legung von Mündelgeld für geeignet erklärt find; 

. bei einer inländijchen öffentlichen Sparkaſſe, wenn fie von der zu: 
Itändigen Behörde des Bundesjtaats, in welchem fie ihren Sit 
hat, zur Anlegung von Mündelgeld für geeignet erklärt ift. 

Die Landesgejege können für die innerhalb ihres Geltungsbereich® be- 
legenen Grundſtücke die Grundfäge bejtimmen, nach denen die Sicherheit einer 

Hypothef, einer Grundjchuld oder einer Rentenſchuld feitzuftellen iſt. 


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$ 1808. Kann die Anlegung den Umjtänden nad) nicht in der im 
$ 1807 bezeichneten Weije erfolgen, jo iſt das Geld bei der Reichsbank, bei 
einer Staatsbanf oder bei einer anderen durch Landesgeje dazu für geeignet 
erklärten inländischen Bank oder bei einer Dinterlegungsitelle anzulegen. 





330 IV. 1. Bürgerliches Geſetzbuch. — Viertes Buch. 


$ 1809. Der Vormund foll Mündelgeld nach 8 1807 Abi. 1 Nr. 5 
oder nach $ 1808 nur mit der Beitimmung anlegen, daß zur Erhebung des 
Geldes die Genehmigung des Gegenvormundes oder des Vormundichaftägerichts 
erforderlich iſt. 


s 1810. Der PBormund foll die in den $$ 1806 bis 1808 vor- 
geichriebene Anlegung nur mit Genehmigung des Gegenvormundes bewirken; die 
Genehmigung des Gegenvornumdes wird durch die Genehmigung des Bormund- 
ſchaftsgerichts erjegt. It ein Gegenvormund nicht vorhanden, jo joll die An- 
(egung nur mit Genehmigung des VBormundjchaftsgerichts erfolgen, jofern 
nicht die Bormundjichaft von mehreren Vormündern gemeinschaftlich geführt wird, 


Ss 1811. Das VBormundjchaftsgericht fann aus befonderen Gründen 
dem VBormund eine andere Anlegung als die in den 88 1807, 1808 vor- 
geichriebene geftatten. 


$ 1812. Der VBormund faun über eine Forderung oder über ein 
anderes Recht, fraft dejjen der Miündel eine Leiftung verlangen kann, ſowie 
über ein Wertpapier des Mündels nur mit Genehmigung des Gegenvormundes 
verfügen, jofern nicht nach den SS 1819 bis 1822 die Genehmigung des Vor: 
mundjchaftsgerichts erforderlich ift. Das gleiche gilt von der Eingehung der 
Verpflichtung zu einer Jolchen Verfügung. 

Die Genehmigung des Gegenvormundes wird durch die Genehmigung 
des Vormundſchaftsgerichts erjegt. 

Iſt ein Gegenvormund nicht vorhanden, jo tritt an die Stelle der Ges 
nehmigung des Gegenvormundes die Genehmigung des Bormundjchaftsgerichts, 
jofern nicht die Vormundjchaft von mehreren VBormündern gemeinjchaftlich ge: 
führt wird. 


$ 1813. Der Vormund bedarf nicht der Genehmigung des Gegen— 
vormundes zur Annahme einer gejchuldeten Leiftung: 
1. wenn der Gegenstand der Yeiltung nicht in Geld oder Wertpapieren 
beſteht; 
2. wenn der Anſpruch nicht mehr als dreihundert Mark beträgt; 
3. wenn Geld zurückgezahlt wird, das der Vormund angelegt hat; 
4. wenn der Anſpruch zu den Nutzungen des Mündelvermögens gehört; 
. wenn der Anſpruch auf Erſtattung von Koſten der Kündigung 
oder der Rechtsverfolgung oder auf jonjtige Nebenleijtungen ges 
richtet iſt. 


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Familienrecht. 331 


Die Befreiung nach Abſ. 1 Nr. 2, 3 erſtreckt ſich nicht auf die Erhebung 
von Geld, bei deſſen Anlegung ein anderes beſtimmt worden iſt. Die Be— 
freiung nach Abſ. 1 Nr. 3 gilt auch nicht für die Erhebung von Geld, das 
nach $ 1807 Abj. 1 Nr. 1 bis 4 angelegt üt. 


$ 1814. Der VBormund Hat die zu dem Vermögen des Mündels ge: 
hörenden Inhaberpapiere nebſt den Erneuerungsjcheinen bei einer Hinter: 
(egungsftelle oder bei der Reichsbank mit der Beitimmung zu hinterlegen, daß 
die Herausgabe der Papiere nur mit Genehmigung des Vormundjchartögerichts 
verlangt werben fann. Die Hinterlegung von Inhaberpapieren, die nach 8 92 
zu den verbrauchbaren Sachen gehören, ſowie von Zins-, Renten- oder Gewinn- 
anteiljcheinen ift nicht erforderlich. Den Inhaberpapieren ſtehen Orderpapiere 
gleich, die mit Blanfoindojjament verfehen jind. 


$ 1815. Der VBormund fann die Inhaberpapiere, ftatt jie nach S 1814 
zu binterlegen, auf den Namen des Mündels mit der Bejtimmung umjchreiben 
faffen, daß er über fie nur mit Genehmigung des VBormundjchaftägerichts ver: 
fügen fann. Sind die Papiere von dem Weiche oder einem YBundesitaat 
ausgeftellt, jo fann er fie mit der gleichen Beitimmung in Buchforderungen 
gegen das Weich oder den Bundesjtaat umwandeln lajjen. 

Sind Inhaberpapiere zu hinterlegen, die in Buchforderungen gegen das 
Neich oder einen Bundesſtaat umgewandelt werden können, jo fann das Bormund- 
ichaftsgericht anordnen, daß fie nach Abſ. 1 in Buchforderungen umgewandelt 
werden. 

$ 1816. Gehören Buchforderungen gegen das Reich oder gegen einen 
Bundesſtaat bei der Anordnung der VBormundjchaft zu dem Vermögen des 
Mündels oder erwirbt der Miündel jpäter folche Forderungen, jo hat der 
Vormund in dag Schuldbuch den Vermerk eintragen zu laſſen, dab er über 
die Forderungen nur mit Genehmigung des Vormundjchaftsgerichts verfügen kann. 


$ 1817. Das Vormundjchaftsgericht fann aus bejonderen Gründen den 
Vormund von den ihm nach den 88 1814, 1816 obliegenden Verpflichtungen 
entbinden. 

$ 1818. Das Bormundjchaftsgericht fanıı aus befonderen Gründen ans 
ordnen, daß der VBormund auch jolche zu dem Vermögen des Miündels ges 
hörende Wertpapiere, zu deren Hinterlegung er nach $ 1814 nicht verpflichtet 
ift, jowie Koftbarfeiten des Mündels in der im $ 1814 bezeichneten Weiſe zu 
hinterlegen hat; auf Antrag des Vormundes fann die Hinterlegung von Jins-, 





332 IV. 1. Bürgerliches Geſetzbuch. — Bierted Bud). 


Renten= und Gemwinnanteilfcheinen angeordnet werden, auch wenn ein befonderer 
Grund nicht vorliegt. 


3 1819. Solange die nach $ 1814 oder nach $ 1818 Hinterlegten 
Wertpapiere oder Koftbarfeiten nicht zurüdgenommen find, bedarf der Vormund 
zu eimer Verfügung über jie und, wenn Hypothelen⸗, Grundſchuld- oder 
Rentenſchuldbriefe hinterlegt ſind, zu einer Verfügung über die Hypotheken— 
forderung, die Grundſchuld oder die Rentenſchuld der Genehmigung des Vor— 
mundſchaftsgerichts. Das gleiche gilt von der Eingehung der Verpflichtung 
zu einer ſolchen Verfügung. 


8 1820. Sind Inhaberpapiere nach $ 1815 auf den Namen des 
Mündels umgejchrieben oder in Buchforderungen umgewandelt, jo bedarf der 
Vormund auch zur Eingehung der Berpflichtung zu einer Verfügung über die 
jich aus der Umjchreibung oder die Umwandlung ergebenden Etammforderungen 
der Genehmigung des Vormundjchaftsgerichts. 

Das gleiche gilt, wenn bei einer Buchforderung des Mündels der im 
$ 1816 bezeichnete Vermerk eingetragen ift. 


$ 1821. Der VBormund bedarf der Genehmigung des Vormundſchafts— 


gerichts: 
1. zur Verfügung über ein Grundjtüd oder über ein Recht an einem 
Grundſtücke; 
2. zur Verfügung über eine Forderung, die auf Uebertragung des 


Eigentums an einem Grundſtück oder auf Begründung oder Ueber— 
tragung eines Rechtes an einem Grundſtück oder auf Befreiung 
eines Grundſtücks von einem ſolchen Rechte gerichtet iſt; 
3. zur Eingehung der Verpflichtung zu einer der in Mr. 1, 2 be— 
zeichneten Berfügungen ; 
4. zu einem Vertrage, der auf den entgeltlichen Erwerb eines Grund- 
ftüds oder eines Rechtes an einem Grundſtücke gerichtet it. 
Zu den Nechten an einem Grundſtück im Sinne diejer Vorjchriften ge— 
hören nicht Hypothefen, Grundjchulden und Rentenſchulden. 
$ 1822. Der Bormund bedarf der Genehmigung des Bormundjchafts- 
gerichts: 
1. zu einem Nechtsgejchäfte, durch das der Mündel zu einer Ver— 
fügung über jein Vermögen im ganzen oder über eine ihm ans 


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13. 


Familienrecht. 333 


gefallene Erbſchaft oder über feinen künftigen gejeglichen Erbteil 
oder jeinen fünftigen Bflichtteil verpflichtet wird, ſowie zu einer 
Verfügung über den Anteil des Mündels an einer Erbichaft; 


. zur Ausſchlagung einer Erbjchaft oder eines Vermächtniſſes, zum 


Verzicht auf einen Pflichtteil ſowie zu einem Erbteilungsvertrage ; 


. zu einem Bertrage, der auf den entgeltlichen Erwerb oder die 


Veräußerung eines Erwerbsgefchäfts gerichtet ift, fowie zur einem 
Gefelljchaftsvertrage, der zum Betrieb eines Erwerbsgeſchäſts ein: 
gegangen wird; 


. zu einem Pachtvertrag über ein Landgut oder einen gewerblichen Betrieb; 
. zu einem Miet» oder PBachtvertrag oder einem anderen Vertrage, 


durch den der Mündel zu wiederkehrenden Leiftungen verpflichtet 
wird, wenn das Vertragsverhältnis länger als ein Jahr nach der 
Vollendung des einundzwanzigiten Lebensjahrs des Mündels fort- 
dauern joll; 


. zu einem Lehrvertrage, der für längere Zeit als ein Jahr ge 


ſchloſſen wird; 


. zu einem auf die Eingehung eines Dienſt- oder Arbeitsverhältnifies 


gerichteten Bertrage, wenn der Mündel zu perfönlichen Leitungen 
für längere Zeit als ein Jahr verpflichtet werden joll; 


. zur Aufnahme von Geld auf den Kredit des Miündels; 
. zur Ausftellung einer Schuldverjchreibung auf den Inhaber oder 


zur Eingehung einer Verbindlichkeit aus einem Wechjel oder einem 
anderen Papiere, das durch Indofjament übertragen werden fann; 


. zur Uebernahme einer fremden Verbindlichkeit, insbejondere zur 


Eingehung einer Bürgichaft; 


. zur Erteilung einer Profura ; 
. zu einem Vergleich oder einem Schiedsvertrag, e3 jei denn, daß 


der Gegenjtand des Streited oder der Ungewißheit in Geld ſchätz— 
bar iſt und den Wert von dreihundert Mark nicht überfteigt: 

zu einem Nechtsgefchäfte, durch das die für eine Forderung des 
Mündels bejtehende Sicherheit aufgehoben oder gemindert oder die 
Verpflichtung dazu begründet wird. 


$ 1823. Der Vormund foll nicht ohne Genehmigung des Vormund— 
ichaftsgerichts ein neues Ermwerbögefchäft im Namen des Mündels beginnen 
oder ein bejtehendes Erwerbsgeſchäft des Mündels auflöfen. 


234 IV. 1. Bürgerliches Geſetzbuch. — Vierte Bud. — Fünftes Bud. 


Ss 1824. Der Bormund kann Gegenftände, zu deren Veräußerung die 
Genehmigung des Gegenvormundes oder ded VBormundjchaftsgerichts erforder: 
tich ıft, dem Mündel nicht ohne diefe Genehmigung zur Erfüllung eines von 
dieſem gejchloffenen Vertrags oder zu freier Verfügung überlafien. 

Bormundihait über Boljährige. 
8 1896. Ein Volljähriger erhält einen Bormund, wenn er entmündigt ift. 
Berg. 8 1773. 


3 1897. Auf die Vormundſchaft über einen Volljährigen finden die 
für die Vormundichaft über einen Minderjährigen geltenden Borfchriften An— 
wendung, joweit ſich nicht aus den 88 1898 bis 1908 ein anderes ergibt. 

Sorge für die Perfon, 

$ 11. Der Vormund hat für die Berjon des Mündels nur injoweit 
zu forgen, al3 der Zwed der Vormundichaft e8 erfordert. 

Steht eine Ehefrau unter Vormundſchaft, jo tritt die im $ 1633 be— 
jtimmte Befchränfung nicht ein. 

Berwaltungsbefhränfung. 

Ss 1902. Der Vormund fann eine Ausjtattung aus dem Vermögen de3 
Mündels nur mit Genehmigung des Wormundjchaftsgerichts verjprechen oder 
gewähren. 

Zu einem Miet- und Pactvertrage ſowie zu einem anderen Vertrage, 
durch den der Mündel zu wiederfehrenden Leijtungen verpflichtet wird, bedarf 
der Vormund der Genehmigung des VBormundjchaftsgerichts, wenn das Ver— 
tragsverhältnis länger als vier Jahre dauern joll. Die Vorjchrift des $ 1822 
Nr. 4 bleibt unberührt. 


Pfllegſchaft. 

S 1909. Wer unter elterlicher Gewalt oder unter Vormundſchaft ſteht, 
erhält für Angelegenheiten, an deren Bejorgung der Gewalthaber oder der 
Bormund verhindert ijt, einen Pfleger. Er erhält insbejondere einen Pfleger 
zur Verwaltung des Vermögens, das er von Todeswegen erwirbt oder das 
ihm unter Lebenden von einem Dritten unentgeltlich zugewendet wird, wenn 
der Erblafjer durch legtwillige Verfügung, der Dritte bei der Zuwendung be- 
jtimmt bat, dag dem Gemwalthaber oder dem VBormunde die Verwaltung nicht 
zustehen ſoll. i 

Tritt das Bedürfnis einer Pflegichaft ein, jo hat der Gewalthaber oder 
der Bormund dem Bormundjchaftsgericht unverzüglich Anzeige zu machen. 


Familienrecht. — Erbredit. 335 


Die Pflegſchaft it auch dann anzuordnen, wenn die Vorausjegungen 
für die Anordnung einer VBormundfchaft vorliegen, ein Vormund aber nod) 


nicht bejtellt ift. 
Pfleger für Bolljährige. 
$ 1910. Ein Volljähriger, der nicht unter Vormundſchaft jteht, kann 
einen Pfleger für feine Perjon und jein Vermögen erhalten, wenn er infolge 
förperficher Gebrechen, insbejondere weil er taub, blind oder jtumm ift, feine 
Angelegenheiten nicht zu bejorgen vermag. 

Vermag ein Volljähriger, der nicht unter Bormundjchaft jteht, infolge 
geiftiger oder förperlicher Gebrechen einzelne feiner Angelegenheiten oder einen 
bejtimmten Kreis feiner Angelegenheiten, insbejondere feine Bermögensangelegen- 
heiten, nicht zu beforgen, fo fann er für dieſe Angelegenheiten einen Pfleger erhalten. 

Die Pilegichaft darf nur mit Einwilligung des Gebrechlichen angeordnet 
werden, e3 jei denn, daß eine Verftändigung mit ihm nicht möglich it. 


$ünftes e uch. 
Erbrecht. 


Erbfall und Erbſchaft. 
8 1922. Mit dem Tode einer Perſon (Erbfall) geht deren Vermögen 
(Erbjchaft) als Ganzes auf eine oder mehrere andere Perfonen (Erben) über. 
Auf den Anteil eines Miterben (Erbteil) finden die ſich auf die Erb- 


ſchaft beziehenden Vorſchriften Anwendung. 
Mit dem Tode des Erblaffers werden der oder die Erben Eigentümer 
bezw. Miteigentümer der Erbſchaftsſachen. Bon Bedeutung bei Diebftahl und 


Unterſchlagung. 
Offenbarungseid des Erben, 


$ 2006. Der Erbe hat auf Verlangen eines Nachlahgläubigers vor dem 
Nachlakgerichte den Offenbarungseid dahin zu leiften, 
daß er nach beitem Wifjen die Nachlafgegenjtände jo vollitändig an- 
gegeben habe, als er dazu im jtande jei. 
Der Erbe kann vor der Leitung des Eides das Inventar vervolljtändigen. 
Bermweigert der Erbe die Leijtung des Eıdes, jo haftet er dem Gläubiger, 
der den Antrag geitellt hat, unbeſchränkt. Das gleiche gilt, wenn er weder 
in dem Termine noch in einem auf Antrag des Gläubigers bejtimmten neuen 
Termin erjcheint, e3 jei denn, dah ein Grund vorliegt, durch den das Nicht- 
erjcheinen in diefem Termine genügend entjchuldigt wird. 


336 IV. 1. Bürgerliches Geſetzbuch. — Trünftes Bud). 


Eine wiederholte Leiftung des Eides fann derjelbe Gläubiger oder ein 
anderer Gläubiger nur verlangen, wenn Grund zu der Annahme beiteht, daß 
dem Erben nach der Eidesleiftung weitere Nachlaßgegenitände befannt ge 
worden ind. 

Auferlegter Eid im Sinne von $ 153 Str.G.B. Offenbarungseid 
der Hausgenofjen des Erben $ 2028, der Miterben bei Berehnung des 
Erbteild durch Einwerfungspoften $ 2057 B.G.B. 

Zeftamentövoliftreder. 

$ 2197. Der Erblafjer kann durch Teftament einen oder mehrere 
Teftamentsvollitreder ernennen. 

Der Erblafjer kann für den Fall, daß der ernannte Tejtamentsvollitreder 
vor oder nach der Annahme des Amtes wegfällt, einen anderen Teſtaments— 
vollitrefer ernennen. 

©. $ 266ı Str.G.B. 

Pflichten desſelben. 

$ 2203. Der Teſtamentsvollſtrecher hat die letztwilligen Verfügungen 
des Erblaſſers zur Ausführung zu bringen. 

©. $ 2661 Str. G. B. 

8 2204. Der Teſtamentsvollſtrecker hat, wenn mehrere Erben vorhanden 
ind, die Auseinanderjegung unter ihnen nach Maßgabe der SS 2042 bis 2056 
zu bewirfen. 

Der Tejtamentsvollitreder hat die Erben über den Auseinanderjegungs- 
plan vor der Ausführung zu hören, 


$ 2205. Der Tejtamentsvollitreder hat den Nachlaß zu verwalten. 
Er ift ingbejondere berechtigt, den Nachlaß in Befig zu nehmen und über die 
Nachlapgegenjtände zu verfügen. Zu unentgeltlichen Verfügungen ift er nur 
berechtigt, joweit fie einer fittlichen Pflicht oder einer auf den Anftand zu 
nehmenden Rückſicht entjprechen. 

8 2206. Der Tejtamentsvolljireder ijt berechtigt, Verbindlichkeiten für 
den Nachlaß einzugehen, joweit die Eingehung zur ordnungsmäßigen Ver— 
waltung erforderlich ift. Die Verbindlichkeit zu einer Verfügung über einen 
Nachlaßgegenſtand kann der Tejtamentsvollitreder für den Nachlaß auch dann 
eingehen, wenn er zu der Verfügung berechtigt iſt. 

Der Erbe ift verpflichtet, zur Eingehung jolcher Verbindlichkeiten jeine 
Einwilligung zu erteilen, unbeſchadet des Rechtes, die Bejchränfung jeiner 
Haftung für die Nachlaßverbindlichkeiten geltend zu machen. 


Einführungsgejeb zum Bürgerlichen Geſctzbuch. 


Landesrechtliche Borfhriften über Pfändung bei Betreten von Grundftüden. 

Artifel 89, Unberührt bleiben die landesgejeglichen Vorſchriften über 
die zum Schuge der Grundjtüde und der Erzeugniſſe von Grundjtüden 
gejtattete Pfändung von Sachen, mit Einjchluß der VBorjchriften über die Ent- 
rihtung von Pfandgeld oder Erjaßgeld. 

Landesgejegliche Beitimmungen über Zuläfligfeit des Pfändungsrechtes 
befiehen in Preußen, Bayern, Sadjen, Württemberg, Eliaß - Lothringen, 
Helfen, Medlenburg: Schwerin und »Strelig, Braunfhweig, Sachſen-Koburg— 
Gotha, Anhalt, Schaumburg = Lippe und Walded. 

Opftbäume auf der Grenze. 
Artifel 122. Unberührt bleiben die landesgefeglichen Vorjchriften, welche 
die Nechte des Eigentümers eines Grunditüds in Anjehen der auf der Grenze 
oder auf dem Nachbargrundjtüce ftehenden Objtbäume abweichend von ben 
VBorichriften des $ 910 und des 8 923 Abſ. 2 des Bürgerlichen Gejegbuchs 


bejtimmen. 
Notweg. 


Artifel 123. Unberührt bleiben die landesgejeglichen Vorfchriften, welche 
das Recht des Notwegs zum Zwecke der Verbindung eines Grundftücds mit 
einer Waſſerſtraße oder einer Eifenbahn gewähren. 


Artikel 124. Unberührt bleiben die landesgejeglichen VBorjchriften, welche 
das Eigentum an Grunditüden zu gunſten der Nachbarn noch anderen als 
den im Bürgerlichen Gejegbuche bejtimmten Berchränfungen unterwerfen. Dies 
gilt insbefondere auch von den Vorjchriften, nad) welchen Anlagen ſowie 
Bäume und Sträucher nur in einem bejtimmten Abjtande von der Grenze 


gehalten werden dürfen. 
Aneignung von Tauben, 


Artikel 130. Unberührt bleiben die landesgefeglichen Borfchriften über 
das Recht zur Aneignung der einem anderen gehörenden, im Freien betroffenen 
Tauben. 


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>38 Einführungägejeg zum Bürgerliben Geſetzbuch. 





Bormundsftelle gewiſſer Berfonen. 
Artikel 136. Unberührt bleiben die landesgejeglichen Borjchriften, 
nad) welchen 

1. der Vorſtand einer unter jtaatlicher Verwaltung oder Aufficht 
jtehenden Erziehungs» oder Berpflegungsanftalt oder ein Beamter 
alle oder einzelne Rechte und Pflichten eines Vormundes für die: 
jenigen Minderjährigen hat, welche in der Anſtalt oder unter der 
Aufficht des Vorjtandes oder des Beamten in einer von ihm aus: 
gewählten Familie oder Anſtalt erzogen oder verpflegt werden, 
und der Borjtand der Anjtalt oder der Beamte auch nach der 
Beendigung der Erziehung oder der Verpflegung bis zur Voll— 
jährigfeit de8 Mündels diefe Nechte und Pflichten behält, un— 
bejchadet der Befugnis des VBormundjchaftsgerichts, einen anderen 
VBormund zu beitellen; 

2. die Vorjchriften der Nr. 1 bei unehelicden Minderjährigen aud) 
dann gelten, wenn dieſe unter der Aufficht des Borjtandes vder 
des Beamten in der mütterlichen Familie erzogen oder verpflegt 
werden; 

3. der Vorſtand einer unter jtaatlicher Verwaltung oder Auflicht 
ftehenden Erziehungs: oder Berpflegungsanftalt oder ein von ihm 
bezeichneter Angeftellter der Anftalt oder ein Beamter vor den 
nach $ 1776 des Bürgerlichen Gejegbuchs als Vormünder berufenen 
Perſonen zum Vormunde der in Nr. 1, 2 bezeichneten Minder— 
jährigen bejtellt werden fann; 

4. im Falle einer nach den Borjchriften der Nr. 1 bis 3 jtatt- 
findenden Bevormundung ein Gegenvormund nicht zu beitellen iſt 
und dem Vormunde die nach $ 1852 des Bürgerlichen Gejegbuchs 
zuläffigen Befreiungen zujtehen. 


* * 
2. Zivilprozeßordnung. 
In der Faſſung der auf grund des Geſetzes vom 17. Mai 1898 erfolgten 
Belanntmahung vom 20. Mai 1898. 
(Meihägeiepblatt 1898. Geite 410.) 


(Auszug.) 


Form des Zeugeneides. 
$ 392. Der vor der Vernehmung zu leiſtende Eid lautet: 
daß Zeuge nad) beitem Wiſſen die reine Wahrheit jagen, nichts ver— 
Ichweigen und nichts binzujegen werde; 
der nach der Vernehmung zu leiftende Eid lautet: 
dab Zeuge nach beſtem Wifjen die reine Wahrheit gejagt, nicht3 ver: 
ſchwiegen und nichts hinzugejegt habe. 
Alfo wie in der Strafprozeßordnung (S 61 dajfelbft). 
Beginn der Zeugenvernehmung. 
$ 39. Die Vernehmung beginnt damit, daß der Zeuge über Bor- 
namen und Zunamen, Alter, Neligionsbefenntnis, Stand oder Gewerbe und 
Wohnort befragt wird. Erforderlichenfalls find ihm Fragen über jolche 
Umjtände, welche jeine Glaubwürdigfeit in der vorliegenden Sache betreffen, 
insbejondere über jeine Beziehungen zu den Parteien vorzulegen. 
Wie $ 67 Str. P.O. Die PBerfonalfragen gehören alfo mit zur Ausfage. 
Sahpverftändigeneid. 
$ 410. Der Sachverjtändige hat, wenn nicht beide Parteien auf feine 
Beeidigung verzichten, vor Eritattung des Gutachtens einen Eid dahin zu 
leiſten: 
daß er das von ihm geforderte Gutachten unparteiiſch und nach 
beitem Wiſſen und Gewiljen eritatten werde. 
Sit der Sachverständige für die Eritattung von Öutachten der betreffen- 
den Art im allgemeinen beeidigt, jo genügt die Berufung auf den geleijteten Eid. 
Siehe $ 79 Str. P.O. 


27% 
— — 





340 IV. 2. Zivilprozekordnung. 


Oeffentliche Urfunde, , 

s 415. Urkunden, welche von einer öffentlichen Behörde innerhalb 
der Grenzen ihrer Amtsbefugnifje oder von einer mit öffentlichem Glauben 
verjehenen Berjon innerhalb des ihr zugewiefenen Gejchäftäfreifes in der 
vorgeschriebenen Form aufgenommen worden jind (Öffentliche Urkunden), 
begründen, wenn fie über eine vor der Behörde oder der Urkundsperſon 
abgegebene Erflärung errichtet find, vollen Beweis des durch die Vehörde oder 
die Urfundsperfon beurfundeten Vorganges. 

Der Beweis, daß der Vorgang unrichtig beurfundet jei, it zuläſſig. 

Der Paragraph gibt den Begriff der öffentlichen Urkunde für SS 267, 

268 ufw. Str. G. B. 

Eid bei Vorlegung von Urkunden. 

z 426. Beſtreitet der Gegner, daß die Urkunde ſich in feinem Beſitze 

befinde, jo hat er einen Eid dahin zu leisten: 
dat er nad) jorgfältiger Nachforfchung die Ueberzeugung erlangt habe, 
dag die Urfunde in jeinem Bejige ſich nicht befinde, daß er Die 
Urkunde nicht in der Abjicht abhanden gebracht habe, deren Benugung 
dem Beweisführer zu entziehen, daß er auch nicht wiſſe, wo Die 
Urfunde jich befinde. 

Das Gericht kann eine der Lage der Sache entipechende Menderung der 
vorstehenden Eidesnorm bejchliegen. 

Auferlegter Eid im Sinne von $ 153 Str. G. B. 
Eideszuſchiebung. 

$ 445. Die Eideszuſchiebung iſt nur über Tatſachen zuläſſig, welche 
in Handlungen des Gegners, ſeiner Rechtsvorgänger oder Vertreter beſtehen 
oder welche Gegenſtand der Wahrnehmung dieſer Perſonen geweſen ſind. 

Des Gegners, d. h. des Prozeßgegners der den Eid zuſchiebenden Partei. 

Zugeichobener Eid im Sinne von $ 153 Str.G.B. 

Zurüdihiebung des Eides. 

s 48 Die Zurüdichiebung des Eides iſt nur injofern zuläfjig, 
als nach den Beitimmungen des $ 445 die Zujchiebung desjelben zuläjjig 
jein würde. 

Sie findet nicht Statt, wenn die Partei, welcher der Eid zugejchoben iſt, 
nicht aber die Gegenpartei, ber ihre eigene Handlung oder Wahrnehmung zu 
Schwören haben würde, 

Zurüdgeichobener Eid im Sinne von $ 153 Str. G. B. 


IV. 2. Zivilprozeßordnung. 341 


$ 450. Das Gericht kann anordnen, daß die in 88 445, 448, 449 
enthaltenen Bejchränfungen für die Zufchiebung und Zurückſchiebung des 
Eides nicht zur Anwendung fommen jollen, wenn die Parteien in betreff des 
zu leiftenden Eides einig find und der Eid ſich auf Tatjachen bezieht. 

Wahrheitscid. Wcherzeugungseid. 
$ 459. Ueber eine Tatjache, welche in einer Handlung des Schwur— 
pflichtigen beiteht oder Gegenſtand feiner Wahrnehmung geweſen ijt, wird der 
Eid dahin geleiftet: 
daß die Tatfache wahr oder nicht wahr jei. 

Iſt eine ſolche Tatfache vom Gegner des Schwurpflichtigen behauptet 
und fann dem letteren nach den Umjtänden des Falles nicht zugemutet werden, 
daß er die Wahrheit oder Nichtwarheit derjelben beichwöre, jo fann das 
Gericht auf Antrag die Leistung des Eides dahin anordnen: 

dag der Schwurpflichtige nach forgfältiger Prüfung und Erfundigung 
die Ueberzeugung erlangt habe, daß die Tatjache wahr oder nicht 
wahr jei. 

Ueber andere Tatjachen wird der Eid dahin geleijtet: 

daß der Schwurpflichtige nad) jorgfältiger Prüfung und Erfundigung 
die Ueberzeugung erlangt oder nicht erlangt habe, daß die Tatjache 


wahr jei. 
Auferlegter Eid. 


Ss 475. It das Ergebnis der Verhandlungen und einer etwaigen 
Beweisaufnahme nicht ausreichend, um die Ueberzeugung des Gerichts von 
der Wahrheit oder Unmwahrheit der zu erweiſenden Tatjache zu begründen, 
jo fann das Gericht der einen oder der anderen Partei über eine jtreitige 
Tatſache einen Eid auferlegen. 

Auferlegter Eid im Sinne von $ 153 Str. G. B. 
Eidesleiſtung. 
$ 480. Bor der Leiſtung des Eides Hat der Richter den Schwur— 
pflichtigen in angemefjener Weife auf die Bedeutung des Eides hin- 
zuweiſen. 
$ 59 Str.P.O. 
$ 481. Der Eid beginnt mit den Worten: 
„Sch ſchwöre bei Gott dem Allmächtigen und Allwiſſenden“ 
und jchliegt mit den Worten: 
„So wahr mir Gott helfe“. 
$ 62 StPO. 


342 IV. 2. Zivilprozeßordnung. 


8 482. Der Eid wird mitteld Nachiprechene oder Ableſens der Die 
Eidesnorm enthaltenden Eidesformeln geleifte. Der Schwörende joll bei 
der Eidesleiftung die rechte Hand erheben. 

Iſt die Eidesnorm von großem Umfange, jo genügt die Vorlefung der 
Eidesnorm und die Verweiſung auf die lettere in der Eidesformel. 

Die Landesherren und die Mitglieder der landesherrlichen Familien jo- 
wie die Mitglieder der Fürſtlichen Familie Hohenzollern leiſten den Eid mittels 
Unterjchreibens der die Eidesnorm enthaltenden Eidesformeln. Das gleiche 
gilt in Anjehung der Mitglieder des vormaligen Hannoverjchen Königshaufes, 
des vormaligen Kurheifiichen und des vormaligen Herzoglich Naſſauiſchen 
Fürſtenhauſes. 


$ 483. Stumme, welche ſchreiben können, leiſten den Eid mittels Ab— 

ſchreibens und Unterſchreibens der die Eidesnorm enthaltenden Eidesformel. 

Stumme, welche nicht ſchreiben können, leiſten den Eid mit Hülfe eines 
Dolmetſchers durch Zeichen. 
5 63 Str.P.O. 


$ 484. Der Eidesleiſtung wird gleich geachtet, wenn ein Mitglied einer 
Neligionsgefellichaft, welcher das Gejeg den Gebrauch gewifjer Beteuerungs- 
formeln an Stelle des Eides geitattet, eine Erklärung unter der Beteuerungs- 
formel diejer Neligionsgejellichaft abgibt. 

$ 64 Str P.O. 
Getrenntichen der Ehegatten. 

Ss 627. Hat der Rechtsftreit die Scheidung, Nichtigkeit oder Anfechtung 
der Ehe zum Gegenftande, jo kann das Gericht auf Antrag eines der Ehe— 
gatten Durch einftweilige Verfügung für die Dauer des Rechtsſtreits dag Ge- 
trenntleben der Ehegatten gejtatten, die gegenjeitige Unterhaltspflicht der 
Ehegatten nad) Maßgabe des $ 1361 des Bürgerlichen Gejegbuchs ordnen, 
wegen der Sorge für die Perſon der gemeinjchaftlichen minderjährigen Slinder, 
joweit e8 jich nicht um die gejegliche Vertretung handelt, Anordnungen treffen 
und die Unterhaltspflicht der Ehegatten den Kindern gegenüber im Ver— 
hältnifje der Ehegatten zu einander regeln. 

Die einjtweilige Verfügung iſt zuläffig, fobald der Termin zur münd- 
lichen Verhandlung oder im Falle einer Scheidungsflage der Termin zum 
Sühneverjuche bejtimmt oder im Wege der Widerflage die Scheidung beantragt 
oder die Ehe angefochten it. 


IV. 2. Zivilprozeßordnung. 343 


Von der einftweiligen Verfügung hat das Prozeigericht, wenn ein gemein- 
Schaftliches minderjähriges Kind der Ehegatten vorhanden ijt, dem Bormund- 
Ichaftsgerichte Mitteilung zu machen. 

Im übrigen gelten für die einjtweilige Verfügung die Beitimmungen der 
$$ 936— 944. 

Bon Bedeutung bei Hausfriedensbruch des einen Ehegatten in ber 


Wohnung des anderen. 
Bollſtreckbarer Schuidtitel. 


8 704. Die Zwangsvollitredung findet jtatt aus Emdurteilen, welche 
rechtöfräftig oder für vorläufig vollſtreckbar erflärt ſind. 

Urteile in Ehejachen und in Rechtsitreitigfeiten, welche die Feſtſtellung des 
Nechtöverhältnifjeg zwiichen Eltern und Sindern zum Gegenjtande haben, 
dürfen nicht für vorläufig vollitrefbar erflärt werden. 

Die Beftimmungen über die Zwangsvollitrefung find für verſchiedene 

Delikte des Strafgefegbuches von Bedeutung, 3. B. Widerftand, Pfandent- 

ftridung. Das Vorliegen eines vollftredbaren Schuldtitel8 ift die erfie Voraus— 

fegung für eine rechtmäßige Tätigkeit des Gerichtsvollzieherd und Entftehung 
eines Pfandrechtes. 

Ss 706. Beugnifje über die Nechtskraft der Urteile find auf grund der 
Prozeßakten vom Gerichtsjchreiber der erjten Injtanz und, jolange der Rechts: 
jtreit in einer höhern Inſtanz anhängig ift, von dem Gerichtsjchreiber dieſer 
Injtanz zu erteilen. 

Injoweit die Erteilung des Zeugnifjes davon abhängt, day gegen das 
Urteil ein Rechtsmittel nicht eingelegt ift, genügt ein Zeugnis des Gerichts: 
ichreibers des für das Rechtsmittel zujtändigen Gerichtes, daß innerhalb der 
Notfriit ein Schriftjag zum Zwecke der Terminsbeitimmung nicht eingereicht jei. 

it von einer Partei ein Schriftjag behufs Einlegung eines Nechtsmittels 
oder des Einjpruchs zur Terminsbeitimmung eingereicht, jo fann nach Ablauf 
der Notirift und, jofern die Vornahme der Zujtellung unter Bermittelung des 
Gerichtsichreibers eingeleitet war, nad) Ablauf der im $ 207 Abj. 2 bejtimmten 
Friſt der Gegner beantragen, daß der Partei von dem Gerichtsjchreiber eine 
Friſt zum Nachweife der Zujtellung bejtimmt werde. Nach fruchtlofem Ablaufe 
diejer Friſt ift das Zeugnis über die Nechtsfraft zu erteilen. 

Ausländiſches Urteil, 

s 722. Aus dem Urteil eines ausländischen Gerichts findet die Zwangs— 
volljtrefung nur ſtatt, wenn ihre Zuläffigfeit durch ein Vollftredungsurteil 
ausgejprochen iſt. 


344 IV. 2. Zivilprozeßordnung. 


Bollitredbare Ausfertigung. 
s 724. Die Zwangsvollſtreckung erfolgt auf grund einer mit der Voll- 
ſtreckungsklauſel verfehenen Ausfertigung des Urteils (volljtredbare Ausfertigung). 
Die vollſtreckbare Ausfertigung wird von dem Gerichtöfchreiber des Ge— 
richts eriter Inſtanz und, wenn der Nechtöftreit bei einem höheren Gericht 
anhängig iſt, von dem ©erichtsjchreiber dieſes Gerichts erteilt. 


Befondere Vorausſehungen. 
8 725. Die Vollftredungsflaufel: 
„Borstehende Ausfertigung wird dem uſw. (Bezeichnung der Partei) 
zum Zwecke der Zwangsvollitrefung erteilt“ 
iſt der Ausfertigung des Urteils am Schlufje beizufügen, von dem erichtö- 
jchreiber zu unterjchreiben und mit dem Gerichtsfiegel zu verjehen. 


$ 726. Bon Urteilen, deren Vollftredung nach ihrem Inhalte von dem 
durch den Gläubiger zu beweifenden Eintritt einer anderen Tatfache als einer 
dem Gläubiger obliegenden Sicherheitsleiftung abhängt, darf eine vollitredbare 
Ausfertigung nur erteilt werden, wenn der Beweis durch öffentliche oder 
öffentlich beglaubigte Urkunden geführt wird. 

Hängt die Bolljtredung von einer Zug um Zug zu bewirfenden Leiſtung 
des Gläubiger an den Schuldner ab, jo ift der Beweis, dal der Schuldner 
befriedigt oder im Berzuge der Annahme ift, nur dann erforderlich, wenn die 
dem Schuldner obliegende Leitung in der Abgabe einer Willenserklärung beiteht. 


Zwangsvollfiredung gegen eine Ehefrau. 
$ 739. Bei dem Güterjtande der Verwaltung und Nutznießung, der 
Errimgenfchaftsgemeinjchaft oder der Fahrnisgemeinſchaft it die Zwangsvoll— 
jtredung in das eingebrachte Gut der Ehefrau nur zuläffia, wenn die Ehefrau 
zu der Leiftung und der Ehemann zur Duldung der Zwangsvollitredung in 
das eingebrachte Gut verurteilt ift. 


$ 740. Bei dem Güterjtande der allgemeinen Gütergemeinjchaft, der 
Errungenjchaftsgemeinschaft und der Fahrnisgemeinichaft ift zur Zwangsvoll- 
jtredung in das Gejamtgut ein gegen den Ehemann ergangenes Urteil erforder- 
lich und genügend. 


$ 741. Betreibt die Ehefrau jelbitändig ein Erwerbsgefchäft, jo iſt zur 
Bwangsvollitrefung in das eingebrachte Gut und in das Gefamtgut ein gegen 
die Ehefrau ergangenes Urteil genügend, es jei denn, daß zur Zeit des Ein- 


IV. 2. Zivilprogekordnung. 345 


tritt3 der Nechtshängigfeit der Einspruch des Ehemanns gegen den Betrieb 
des Erwerbögejchäfts oder der Widerruf feiner Einwilligung zu dem Betrieb 
im Güterrechtsregiiter eingetragen war. 
Weitere Borausickung der Zwangsvolitretung. 
$ 750. Die JZwangsvollitredung darf nur beginnen, wenn die Berjonen, 
für und gegen welche fie ftattfinden joll, in dem Urteil oder in der demjelben 
beigefügten Vollitredungsflaufel namentlich bezeichnet find und das Urteil 
bereit3 zugeftellt ift oder gleichzeitig zugejtellt wird. 
Befugniſſe des Gerichtsvollziehers. 
$ 758. Der Gerichtsvollzieher iſt befugt, die Wohnung und die Behältniſſe 
des Schuldners zu durchjuchen, ſoweit der Zwed der Zwangsvollſtreckung dies 
erfordert. 

Er iſt befugt, die verjchlofienen Haustüren, Zimmertüren und Behält: 
niffe öffnen zu laſſen. 

Er it, wenn er Widerftand findet, zur Anwendung von Gewalt befugt 
und fann zu dieſem Zwecke die Unterftügung der polizeilichen Bollzugsorgane 
nachjuchen. Iſt militärische Hülfe erforderlich, jo hat er fih an das Boll: 
jtredungsgericht zu wenden. 

$ 759. Wird bei einer Volljtrefungshandlung Widerftand geleijtet oder iſt 
bei einer in der Wohnung des Schuldners erfolgten Bolljtredungshandlung weder 
der Echuldner nod) eine zur Familie desjelben gehörige oder in diejer Familie 
dienende erwachjene Perſon gegenwärtig, jo hat der Gericht3vollzieher zwei grof- 
jährige Männer oder’einen Gemeinde oder Polizeibeamten als Zeugen zuzuziehen. 

Awangsvolliitredung zur Nachtzeit, fowie an Sonntagen, 

Ss 761. Zur Nachtzeit ($ 188, Abf. 1), ſowie an Sonntagen und all- 
gemeinen Feiertagen darf eine Vollitredungshandlung nur mit Erlaubnis des 
Amtsrichters erfolgen, in dejjen Bezirke die Handlung vorgenommen werden joll. 

Die Verfügung, durch welche die Erlaubnis erteilt wird, ijt bei der 
Zwangsvollitrefung vorzuzeigen. 

Einftelung oder Beihränfung der Zwangévollſtrecung. 

8 775. Die Zwangsvollitredung ift einzuftellen oder zu bejchränfen: 

1. wenn die Ausfertigung eimer volljtredbaren Entjcheidung vor— 
gelegt wird, aus welcher fich ergibt, daß das zu vollitredende 
Urteil oder defjen vorläufige Volljtredbarkeit aufgehoben, oder daß 
die Zwangsvollitredung für unzuläjfiig erklärt oder deren Ein: 
jtellung angeordnet iſt. 


346 IV. 2. Zivilprozeßordnung. 


2. wenn die Ausfertigung einer gerichtlichen Entjcheidung vorgelegt 
wird, aus welcher fich ergibt, daß die einjtweilige Einstellung der 
Vollitredung oder einer VBolljtrefungsmaßregel angeordnet üt; 

3. wenn eine öffentliche Urkunde vorgelegt wird, aus welcher fich 
ergibt, dab die zur Anwendung der Vollftrefung nachgelaffene 
Sicherheitsleiftung oder Hinterlegung erfolgt it; 

4. wenn eine öffentliche Urkunde oder eine von dem Gläubiger aus- 
gejtellte Privaturfunde vorgelegt wird, aus welcher fich ergibt, 
daß der Gläubiger nad) Erlafjung des zu volljtredenden Urteils 
befriedigt ift oder Stundung bewilligt hat; 

5. wenn ein Pojtfchein vorgelegt wird, aus welchem fich ergibt, daß 
nach Erlaffung des Urteil die zur Befriedigung des Gläubigers 
erforderliche Summe zur Auszahlung an den legteren bei der Poſt 
eingezahlt tft. 

Zwangsvollitredung in Das bewegliche Bermögen. 

8 803. Die Zwangsvollitredung in das bewegliche Vermögen erfolgt durch 
Pfändung. Sie darf nicht weiter ausgedehnt werden, als zur Befriedigung des 
Gläubiger und zur Dedung der Koſten der Zwangsvollſtreckung erforderlich iſt. 

Die Pfändung hat zu unterbleiben, wenn fich von der Bewertung der zu 
pfändenden Gegenstände ein Ueberſchuß über die Koften der Zwangsvollitredung 
nicht erwarten läßt. 

Das an den in Konkurs verfallenen Gemeinfhuldner erlaffene gerichtliche 

Veräußerungsverbot enthält Feine Beichlagnahme im Sinne des $ 137 Str. G. B. 

Pfandrcht. 

8 804. Durch die Prändung erwirbt der Gläubiger ein Pfandrecht an 
dem gepfändeten Gegenjtande. 

Das Pfandrecht gewährt dem Gläubiger im Verhältnis zu anderen 
Gläubigern diejelben Rechte wie ein durch Vertrag erworbenes Fauftpfandredht; 
es geht Pfand- und Vorzugsrechten vor, welche für den Fall eines Konkurſes 
den Fauftpfandrechten nicht gleichgeitellt find. 

Das durch eine frühere Pfändung begründete Pfandrecht geht demjenigen 
vor, welches durch eine jpätere Pfändung begründet wird. 

Offenbarungseid, 

s 807. Hat die Pfändung zu einer vollftändigen Befriedigung des 
Gläubigers nicht geführt oder macht diefer glaubhaft, daß er durch Pfändung 
jeine Befriedigung nicht volljtändig erlangen könne, jo iſt der Schuldner auf 


IV. 2. Zivilprozehordnnung. 347 


Antrag verpflichtet, ein Verzeichnis jeines Vermögens vorzulegen, in betreff 
jeiner Forderungen den Grund und die Beweismittel zu bezeichnen, ſowie den 
Offenbarungseid dahin zu leijten: 

dag er nad) beitem Wiſſen fein Vermögen jo vollitändig angegeben 

habe, als er dazu imjtande ei. 

Pfändung förperliher Sachen. 
$ 808. Die Piändung der im Gewahrfam des Schuldners befindlichen 
förperlichen Sachen wird dadurch bewirkt, daß der Gerichtsvollzieher diejelben 
in Bejit nimmt. 

Andere Sachen als Geld, Koftbarfeiten und Wertpapiere find im Gewahr- 
jam des Schuldners zu belafjen, jotern nicht hierdurch die Befriedigung des 
Släubigers gefährdet it. Werden die Sachen in Gewahrjam ded Schuldners 
belafien, jo it die Wirffamfeit der Pfändung dadurch bedingt, daß durch 
Anlegung von Siegeln oder auf fonjtige Weije die Pfändung erfichtlich 
gemacht ift. 

Der Gerichtsvollzieher hat den Schuldner von der gefchehenen Pfändung 
in Kenntnis zu jeßen. 

Ob im einzelnen Falle eine wirffame Pfändung vorliegt, iſt Tatfrage. 
$ 809. Die vorstehenden Bejtimmungen finden entjprechende Anwendung 
auf die Pfändung von Sachen, welche jich im Gewahrfam des Gläubigers 
oder eines zur Herausgabe bereiten Dritten befinden. 
Pfändung von ungetrennten Früchten. 

s 810. Früchte, die von dem Boden noch nicht getrennt find, fünnen 
gepfändet werden, jolange nicht ihre Beichlagnahme im Wege der Zwangs— 
volljtredung in das unbewegliche Vermögen erfolgt it. Die Pfändung darf 
nicht früher als einen Monat vor der gewöhnlichen Zeit der Reife erfolgen. 

Ein Gläubiger, der ein Recht auf Befriedigung aus dem Grundjtüde 
hat, fann der Pfändung nad Maßgabe des $ 771 widerjprechen, ſofern nicht 
die Pfändung für einen im Falle der Zwangsvollitredung in das Grunditüd 
vorgehenden Anjpruch erfolgt ift. 

Der Pfändung niht unterworfene Sachen. 

s 811. Folgende Sachen jind der Pfändung nicht unterworfen: 

1. die Kleidungsitüde, die Betten, die Wäſche, das Haus» und 
KKüchengerät, insbefondere die Heiz: und Kochöfen, joweit dieje 
Gegenjtände für den Bedarf des Schuldners oder zur Erhaltung 
eines angemeſſenen Hausſtandes unentbehrlich find; 


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348 IV. 2. Zivilprozeßordnung. 


2. die für den Schuldner, jeine Familie und fein Gefinde auf vier 
Wochen erforderlichen Nahrungs-, Feuerungs- und Beleuchtungs: 
mittel, oder, joweit jolche Vorräte auf zwei Wochen nicht vor- 
handen und ihre Beichaffung für diefen Zeitraum auf anderem 
Wege nicht gelichert ift, der zur Beichaffung erforderliche Geldbetrag; 

3. eine Milchfuh’ oder nach der Wahl des Schuldners jtatt einer 
jolhen zwei Ziegen oder zwei Schafe nebit den zum Unterhalt 
und zur Streu für diejelben auf vier Wochen erforderlichen Futter: 
und Etreuvorräten oder, joweit jolche Vorräte auf zwei Wochen 
nicht vorhanden, dem zur Beichaffung erforderlichen Geldbetrage, 
wenn die bezeichneten Tiere für die Ernährung des Schuldners, 
jeiner Familie und feines Gefindes unentbehrlich find; 

4. bei Berjonen, welche Landwirtichaft betreiben, das zum Wirtjchafts- 
betrieb erforderliche Gerät und Vieh nebſt dem nötigen Dünger, 
jowie die landwirtjchaftlichen Erzeugniſſe, ſoweit jie zur Fort— 
führung der Wirtjchaft bis zu der Zeit erforderlich find, zu welcher 
gleiche oder ähnliche Erzeugnijje vorausſichtlich gewonnen werden; 

5. bei Künftlern, Handwerfern, gewerblichen Arbeitern und anderen 
Perſonen, welche aus Handarbeit oder jonitigen perjönlichen 
Leiftungen ihren Erwerb ziehen, die zur perjönlichen Fortſetzung 
der Ermwerbstätigfeit unentbehrlichen Gegenstände; 

6. bei den Witwen und den minderjährigen Erben der unter Nr. 5 
bezeichneten Perfonen, wenn fie dag Erwerbsgejchäft für ihre 
Rechnung durch einen Stellvertreter fortführen, die zur perjönlichen 
Fortführung des Geſchäfts durch den Stellvertreter unentbehrlichen 
Gegenjtände; 

7. bei Offizieren, Dedoffizieren, Beamten, Geiftlichen, Lehrern an 
öffentlichen Unterrichtsanjtalten, Nechtsanmwälten, Notaren ſowie 
Herzten und Hebammen die zur Verwaltung des Dienjtes oder 
Ausübung des Berufs erforderlichen Gegenſtände, jowie anftändige 
Kleidung; 

8. bei Offizieren, Militärärzten, Deckoffizieren, Beamten, Geiſtlichen, 
bei Aerzten und Lehrern an öffentlichen Anſtalten ein Geldbetrag, 
welcher dem der Pfändung nicht unterworfenen Teile des Dienit- 
einfommens oder der Penfion für die Zeit von der Pfändung bis zum 
nächiten Termine der Gehalts: oder Benjionszahlung gleichfommt ; 


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IV. 2. Zivilprozehorbnung. 349 


9. die zum Betriebe einer Apothefe unentbehrlichen Geräte, Gefähe 
und Waren; 

10. die Bücher, welche zum Gebrauche des Schuldners und jeiner 
Familie in der Kirche oder Schule oder einer jonjtigen Unterrichts: 
anftalt oder bei der häuslichen Andacht bejtimmt find; 

11. die in Gebrauch genommenen Haushaltungs- und Gefchäftsbücher, 
die Familienpapiere, ſowie die Trauringe, Orden und Ehrenzeichen ; 

12. fünjtliche Gliedmaßen, Brillen und andere wegen förperlicher 
Gebrechen notwendigen Hülfsmittel, ſoweit dieſe Gegenftände zum 
Sebrauche des Schuldners und jeiner Familie beftimmt find; 

13. die zur unmittelbaren Verwendung für die Beſtattung beftimmten 
Gegenjtände. 

Wer dieſe Sachen beijeite Schafft oder fortbringt, kann fid) nicht nach 
$ 288 und $ 289, wohl aber, wenn fie gleihwohl gepfändet worden 
find, nah $S 137 Str. G. B. ftrafbar machen. 

s 812. Gegenjtände, welche zum gewöhnlichen Hausrat gehören und 
im Haushalte des Schuldners gebraucht werden, jollen nicht gepfändet werden, 
wenn ohne weiteres erjichtlich ift, daß durch deren Verwertung nur ein Erlös 
erzielt werden würde, welcher zu dem Werte außer allem Verhältniffe jteht. 

Nahpfändung bereits gepfändeter Sahıen. 

$ 826. Zur Pfändung bereits gepfändeter Sachen genügt die in das 
Protokoll aufzunehmende Erklärung des Gerichtsvollziehers, daß er die Sachen 
für jeinen Auftraggeber pfände. 

Iſt die erfte Pfändung durch einen anderen Gerichtsvollzieher bewirkt, 
jo iſt dieſem eine Abjchrift des Protokolls zuzuftellen. 

Der Schuldner iſt von den weiteren Pfändungen in Slenntnis zu jegen. 

Swangövollitredung in Forderungen. 

s 829. Soll eine Sefdforderung gepfändet werden, jo hat das Gericht 
dem Drittjchulduer zu verbieten, an den Schuldner zu zahlen. Zugleich hat 
das Gericht an den Schuldner das Gebot zu erlaffen, fich jeder Verfügung 
über die Forderung, insbefondere der Einziehung derjelben zu enthalten. 

Der Gläubiger hat den Bejchlu dem Drittfchuldner zustellen zu lafjen. 
Der Gerichtsvollzieber Hat den Beſchluß mit einer Abjchrift der Zuftellungs- 
urfunde dem Schuldner jofort zuzuftellen, ſofern nicht eine öffentliche Zuftellung 
erforderlich wird. It die Zuftellung an den Drittſchuldner auf unmittelbares 
Erjuchen des Gerichtsjchreibers durch die Pot erfolgt, jo hat der Gerichts- 


350 IV. 2. Zivilprogehordnung. 





jchreiber für die Zujtellung an den Schuldner in gleicher Weiſe Sorge zu 
tragen. An Stelle einer an den Schuldner im Auslande zu bewirfenden Zu: 
jtellung erfolgt die Zustellung durch Aufgabe zur Bolt. 

Mit der BZuftellung des Beichluffes an den Drittſchuldner iſt Die 
Prändung als bewirkt anzujehen. 

Forderungen find Beltandteile de3 Bermögens im Sinne von $ 288 

Str.G.B. (z. B. Abtretung von Forderungen, vorzeitige Einziehung und Ber: 

wendung des Geldes), nicht aber eine Sache (nur bewegliche) im Sinne von 

$ 289 Str. G. B. 

Ssnpothefenforderung. 

8 830. Zur Pfändung einer Forderung, für welche eine Hypothek 
beiteht, ift außer dem Pfändungsbejchluffe die Uebergabe des Hypothekenbriefs 
an den Gläubiger erforderlih. Wird die Uebergabe im Wege der Zwangs— 
vollitrefung erwirft, jo gilt fie als erfolgt, wenn der Gerichtsvollzicher den 
Brief zum Zwecke der Ablieferung an den Gläubiger wegnimmt. Iſt die Er» 
teilung des Hypothefenbriefs ausgejchloffen, jo it die Eintragung der Pfändung 
in das Grundbuch erforderlich; die Eintragung erfolgt auf grund des Pfän— 
dungsbeichluffes. 

Wird der Pfändungsbeichluß vor der Uebergabe des Hypothefenbriefs 
oder der Eintragung der Pfändung dem Drittichuldner zugejtellt, jo gilt die 
Pfändung diefem gegenüber mit der Zuitellung als bemirft. 

Dieje Vorschriften finden feine Anwendung, joweit es fi um die 
Pfändung der Anſprüche auf die im 8 1159 des Bürgerlichen Gejegbuchs 
bezeichneten Leiftungen handelt. Das gleiche gilt bei einer Sicherungshypothef 
im Falle des 8 1187 des Bürgerlichen Geſetzbuchs von der Pfändung der 
Hauptiorderung. 


Forderung indoflabler Papiere. 

8 831. Die Pfändung von Forderungen aus Wechjeln und anderen 
Papieren, welche durch Indoſſament übertragen werden fönnen, wird Dadurch) 
bewirkt, daß der Gerichtsvollzieher diefe Papiere in Beſitz nimmt. 

Indoffament fiehe Wechielordnung. 
Gchaltsforderung. 

s 832. Das Piandrecht, welches durch die Pfändung einer Gehalts: 
forderung oder einer ähnlichen im fortlaufenden Bezügen bejtehenden Forderung 
erworben wird, erjtredt jich auch auf die nad der Pfändung fällig werdenden 
Beträge. 


IV. 2. Zivilprozehordnung. 351 


Ankündigung der Forderungspfändung. 

$ 845. Schon vor der Pfändung kann der Gläubiger auf grund eines 
vollftredbaren Schuldtitel3 durch den Gerichtsvollzieher dem Drittjchuldner 
und dem Schuldner die Benachrichtigung, day die Pfändung bevorftehe, zu— 
jtellen lafjen mit der Aufforderung am den Prittfchuldner, nicht an den 
Schuldner zu zahlen, und mit der Aufforderung an den Schuldner, fich jeder 
Verfügung über die Forderung, insbeſondere der Cinziehung derfelben zu 
enthalten. Der vorherigen Erteilung einer volljtredbaren Ausfertigung und 
der Zuftellung des Schuldtitel3 bedarf es nicht. 

Die Benachrichtigung an den Drittjchuldner hat die Wirkung eines 
Arrejtes ($ 930), jofern die Pfändung der Forderung innerhalb drei Wochen 
bewirkt wird. Die Friſt beginnt mit dem Tage, an welchem die Benad)- 


ichti tellt iſt. 
richtigung zugeftellt ij Nicht pfändbare Forderungen. 


$ 850. Der Pfändung find nicht unterworfen: 

l. der Arbeits oder Dienjtlohn nach den Bejtimmungen des Neichs- 
gefeges vom 21. Zuli 1869 (Bundes-Geſetzbl. 1869 S. 242 und 
1871 ©. 63, Reichs-Geſetzbl. 1897 ©. 159); 

2. die auf gejeglicher Borjchrift beruhenden Alimentenforderungen 
und die nach) $ 844 des Bürgerlichen Gefegbuches wegen der 
Entziehung einer folchen Forderung zu entrichtende Geldrente; 

3. die fortlaufenden Einfünfte, welche ein Schuldner aus Stiftungen 
oder jonjt auf grund der Fürſorge und Freigebigkeit eines Dritten 
bezieht, injoweit der Schuldner zur Bejtreitung des notdürftigen 
Unterhalts für fich, jeinen Ehegatten und feine noch unverforgten 
Kinder diefer Einkünfte bedarf; 

4. die aus Stranfen-, Hülfs- oder Sterbefaffen, insbefondere aus 
Knappichaftsfafien und Kaſſen der Snappfchaftsvereine zu be 
ziehenden Hebungen; 

5. der Sold und die Invalidenpenfion der Unteroffiziere und der 
Soldaten; 

6. das Dienjteinfommen der Militärperjonen, welche zu einem mobilen 
Truppenteil oder zur Befagung eines in Dienſt gejtellten Kriegs— 
fahrzeuges gehören; 

7. die Penſionen der Witwen und Waiſen und die denjelben aus 
Witwen: und Waiſenkaſſen zufommenden Bezüge, die Erziehungs: 
gelder und die Studienjtipendien, ſowie die Penſionen invalider Arbeiter; 


352 IV. 2. Zivilprozeßordnung. 


8. das Dienjteinfommen der Offiziere, Militärärzte und Dedoffiziere, 
der Beamten, der Geijtlichen, jowie der Aerzte und Lehrer an 
Öffentlichen Anjtalten; die Penfion diejer Perjonen nad) deren 
Verſetzung in einstweiligen oder dauernden Nuheftand, fowie der 
nach ihrem Tode den Hinterbliebenen zu gewährende Sterbe- oder 
Gnadengehalt. 


Ueberjteigen in den „Fällen Nr. 7 und 8 das Pienjteinfommen, 
die Penfton oder die fonjtigen Bezüge die Summe von fünfzehnhundert 
Marf für das Jahr, jo ift der dritte Teil des Mehrbetrags der Pfändung 
unterworfen. 

Die nad) 8 343 des Bürgerlichen Geſetzbuchs wegen einer Verlegung 
des Körpers oder der Gejundheit zu entrichtende Geldrente ijt nur joweit der 
Pfändung unterworfen, als der Gefamtbetrag die Summe von fünfzehnhundert 
Mark für das Jahr überjteigt. 


In den Fällen der beiden vorhergehenden Abjäge iſt die Pfändung ohne 
Rückſicht auf den Betrag zuläfjig, wenn fie wegen der den Verwandten, dem 
Ehegatten und dem früheren Ehegatten zur Zeit nach Erhebung der Stlage 
und für das diefem Zeitpunfte voransgehende legte Vierteljahr fraft Geſetzes 
zu entrichtenden Unterhaltsbeiträge beantragt wird. Das gleiche gilt in An— 
jehung der zu guniten eines umehelichen Slindes von dem Water für den 
bezeichneten Zeitraum fraft Geſetzes zu entrichtenden Unterhaltsbeiträge:; dieſe 
Vorichrift findet jedoch infoweit feine Anwendung, als der Schuldner zur 
Beitreitung feines notdürftigen Unterhalts und zur Erfüllung der ihm jeinen 
Verwandten, feiner Ehefrau oder feiner früheren Ehefrau gegenüber gejeglich 
obliegenden Unterhaltspflicht der Bezüge bedarf. Hierbei werden ausschließlich 
die Leitungen berüdjichtigt, welche vermöge einer ſolchen Unterhaltspflicht für 
den nämlichen Zeitraum oder, falls die Klage zu gunjten des unehelichen 
Kindes nach der Klage eines Unterhaltsberechtigten erhoben iſt, für Die Zeit 
von dem Beginne des der Klage diejes Berechtigten vorausgehenden legten 
Vierteljahres ab zu entrichten ſind. 


Die Einkünfte, welche zur Bejtreitung eines Dienftaufwandes beitimmt 
iind, und der Servis der Offiziere, Mihttärärzte und Militärbeamten jind 
weder der Pfändung unterworfen noch bei der Ermittelung, ob und zu welchem 
Betrage ein Dieniteinfommen der Pfändung unterliege, zu berechnen. 

Ale diefe Forderungen fommen alfo für $ 288 Str. G. B. nicht in betradht. 








IV, 2. Bivilprozegordnung. 353 


$ 851. Eine Forderung ift in Ermangelung bejfonderer Vorfchriiten 
der Prändung nur injoweit unterworfen, als jie übertragbar ift. 

Eine nad) $ 399 des Bürgerlichen Geſetzbuchs nicht übertragbare Forderung 
fann injoweit gepfändet und zur Einziehung überwiejen werden, als der ge= 
ſchuldete Gegenftand der Pfändung unterworfen ijt. 


Bwangsvolitredung in das unbeweglidhe Bermögen. 
$ 865. Die Awangsvollitredung in das unbewegliche Vermögen umfaßt 
auch die Gegenftände, auf welche ſich bei Grundjtüden und Berechtigungen 
die Hypothef, bei Schiffen das eingetragene Pfandrecht erftredt. 
Dieje Gegenjtände fünnen, joweit fie Zubehör find, nicht gepfändet werden. 
Im übrigen unterliegen fie der Zwangsvolljtrefung in das bewegliche Ber: 
mögen, jolange nicht ihre Beichlagnahme im Wege der Zwangsvollitredung 
in das unbewegliche Vermögen erfolgt iſt. 
Fwangsverfteigerung. FWwangsverwaltung. 
$ 866. Die Zwangsvollitreung in ein Grundjtüc erfolgt durch Ein- 
tragung einer Sicherungshypothef für die Forderung, durch Zwangsverfteigerung 
und durch Zwangsverwaltung. 

Der Beichluß, durch welchen die Zwangsverſteigerung angeordnet 
wird, gilt zu guniten des Gläubiger als Beihlagnahme des Grund— 
ftüdes. Die Beihlagnahme umfaßt auch diejenigen Gegenftände, auf 
welche ſich bei einem Grundjtüde die Hypothek erftredt, nicht aber Miet: und 
Padhıtzinsforderungen und gewiffe Anſprüche auf wiederkehrende Leiftungen. 
Die Beihlagnahme wird wirffam mit dem Zeitpunkte, in welchem 
der die Zwangsverſteigerung anordnende Beſchluß dem Schuldner zugeftellt ift, 
oder in welchem das Erjuchen um Eintragung des Berfteigerungsvermerfes 
dem Grundbuchamte zugeht, jofern auf das Erſuchen demnächft die Eintragung 
erfolgt. Die Beichlaguahme bei Zwangsvermwaltung wird wirfjam 
in den entiprechenden Zeitpunkten oder mit der Beligergreifung des Grund: 
jtüdes durch den Zmwangsverwalter. Ber der Zmwangsverwaltung eritredt ſich 
die Beichlagnahme auc auf Miet: und Pachtzinsforderungen ufw. (Bergl. 
Geſetz über die Zmwangsverfteigerung und Zmwangsverwaltung vom 24. März 
1897, 8$ 20, 21, 22, 23, 148 ff.). Die Beichlagnahme eines Grundjtüdes 
fann von Bedeutung fein bei 88 137, 288 Str. G. B. Bezüglich des Konkurs: 
verfahrens ſiehe Anmerkung zu S 803 der Zivilprozekordnung. 

Serausgabe einer beweglichen Sache. 
$ 883. Hat der Schuldner eine bewegliche Sache oder von bejtimmten 
beweglichen Sachen eine Quantität herauszugeben, jo find diejelben von dem 
Gerihtsvollzieher ihm wegzunehmen und dem Gläubiger zu übergeben. 
23 


354 IV. 2. Zivilprozekordnnung. 


Wird die herauszugebende Sache nicht vorgefunden, jo iſt der Schuldner 
verpflichtet, auf Antrag des Gläubigers den Offenbarungseid dahin zu leiſten: 
daß er die Sache nicht befite, auch nicht wife, wo die Sache ſich 
befinde. 
Das Gericht kann eine der Lage der Sache entjprechende Aenderung der 
vorstehenden Eidesnorm bejchließen. 


$ 854. Hat der Schuldner eine bejtimmte Quantität vertretbarer 
Sachen oder Wertpapiere zu leiften, jo findet die Vorjchrift des 5 883 Ubi. 1 
entfprechende Anwendung. 

Räumung. 

$ 885. Hat der Schuldner eine unbewegliche Sache oder ein bewohntes 
Schiff herauszugeben, zu überlaffen oder zu räumen, jo hat der Gerichts- 
vollzieher den Schuldner aus dem Beſitze zu jegen und den Gläubiger in den 
Beſitz einzumeijen. 

Bewegliche Sachen, welche nicht Gegenitand der Zwangsvollſtreckung 
find, werden von dem Gerichtövollzieher tweggejchafft und dem Schuldner oder, 
wenn diefer abwejend ijt, einem Bevollmächtigten desfelben oder einer zur 
Familie des Schuldners gehörigen oder in diefer Familie dienenden erwachjenen 
Berfon übergeben oder zur Verfügung geftellt. 

Sit weder der Schuldner noch eine der bezeichneten Perſonen anweſend, 
jo Hat der Gerichtsvollzieher die Sachen auf Kojten des Schuldners in das 
Bfandlofal zu fchaffen oder anderweit in Verwahrung zu bringen. 

Verzögert der Schuldner die Abforderung, jo kann das Vollitredungs- 
gericht den Verkauf der Sachen und die Hinterlegung des Erlöſes anordnen. 








3. Allgemeine Deutſche Wedjfel- 
ordnung. 


Vom 5. Juni 1869. 
(Bundesgefepblatt 1869, Seite 382.) 


(Auszug.) 
Wechſelfähigkeit. 

Artikel 1. Wechſelfähig iſt jeder, welcher ſich durch Verträge ver— 
pflichten kann. 

©. 8 104 ff. des B.G.Bs. 

Artikel 3. Finden fich auf einem Wechfel Unterjchriften von Perſonen 
welche eine Wechjelverbindfichkeit überhaupt nicht, oder nicht mit vollem Er- 
folge eingehen fünnen, jo hat dies auf die Verbindlichkeit der übrigen Wechjel- 
verpflichteten feinen Einfluß. 

Gezogener Wechſel (Tratte). Erforderniffe. 

Artikel 4. Die weſentlichen Erforderniſſe eines gezogenen Wechſels ſind: 

1. die in den Wechſel ſelbſt aufzunehmende Bezeichnung als Wechſel, 
oder, wenn der Wechſel in einer fremden Sprache ausgeſtellt iſt, 
ein jener Bezeichnung entſprechender Ausdruck in der fremden Sprache; 

2. die Angabe der zu zahlenden Geldſumme; 

3. der Name der Perſon oder die Firma, an welche oder an deren 
Order gezahlt werden ſoll (des Remittenten); 

4. die Angabe der Zeit, zu welcher gezahlt werden ſoll; die Zahlungs— 
zeit kann für die geſamte Geldſumme nur eine und dieſelbe ſein 
und nur feſtgeſetzt werden 

auf einen beſtimmten Tag, 
auf Sicht (Vorzeigung, a vista ꝛc.) oder auf eine beſtimmte Zeit 
nach Sicht, 
auf eine bejtimmte Zeit nad) dem Tag der Austellung 
(nad) dato), 
auf eine Meſſe oder einen Markt (Meß- oder Marktwechſel): 
23* 


350 IV, 3. Allgemeine Deutſche Wechſelordnung. 


5. die Unterfchrift des Ausſtellers (Trajjanten) mit feinem Namen 
oder jeiner Firma: 

6. die Angabe des Ortes, Monatstages und Jahres der Ausſtellung; 

7. der Name der Perjon oder die Firma, welche die Zahlung leijten 
joll (de3 Bezogenen oder Trafjaten); 

8. die Angabe des Ortes, wo die Zahlung gejchehen joll; der bei 
dem Namen oder der Firma des VBezogenen angegebene Ort gilt 
für den Wechjel, infofern nicht ein eigener Zahlungsort angegeben 
it, al3 Zahlungsort und zugleich als Wohnort des Bezogenen. 
Beispiel eines gezogenen Wechſels: Beffer iſt Ausfteller (Traffant), 

Meyer ift Remittent, an melden gezahlt werden jol, Karl iſt Bezogener 
(Traffat). Beſſer richtet an Karl die Aufforderung, an Meyer zu zahlen. 
An Stelle des Datums (20. Juli d. J.) Können andere Yeitbeitimmungen 
jtehen (3. B. bei Vorzeigung; eine Woche nach Sicht oder Vorzeigung, 14 Tage 
nach dato oder den Tage der Austellung). 


Berlin, am 20. April 1904. Für Mk. 500.—. 


Am 20. Juli d. F. (bei Vorzeigung, eine Woche nach 
Sicht, 14 Tage nach dato) zahle(n) Sie (ich) für diesen Prima- 
Wechsel an die Ordre des Herrn A. Meyer in Frankfurt a. M. 
(meiner selbst) dıe Summe von 

— Mark Fünfhundert. — 
Herrn W. Karl (M. Besser) in Dresden. 
(Zahlbar bei A. Karl in Meissen.) 


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M. Besser. 





Wechſel an eigene Order. Zraffiert eigener Wechſel. 

Artikel 6. Der Aussteller kann fich ſelbſt als Remittenten (Art. 4 Nr. 3) 
bezeichnen (Wechjel an eigene Order). 

Desgleichen kann der Ausfteller jich jelbit als Bezogenen (Art. 4 Nr. 7) 
bezeichnen, jofern die Zahlung an einem anderen Orte als dem der Ausitellung 
geſchehen fol (traffiertseigene Wechſel). 

„An die Order meiner ſelbſt“ beim Wechſel an eigene Drder; Am 

20. Juli ufw. „zahle ih” beim traffiert eigenen Wechjel, ſ. obiges Beispiel. 

Fehlen eines weientlihen Erfordernifies im Wechſel. 

Artikel 7. Aus einer Schrift, welcher eines der wejentlichiten Erforder- 

niffe eines Wechjels (Art. 4) fehlt, entfteht feine wechjelmäßige Verbindlichkeit. 


IV. 3. Allgemeine Deutſche Wechſelordnung. 357 


Auch haben die auf eime ſolche Schrift gejegten Erklärungen (Indoſſament, 
Akzept, Aval) feine Wechielfraft. Das in einem Wechjel enthaltene Zins- 
versprechen gilt als nicht gejchrieben. 

Indoffament fiehe Artifel 9; Afzept fiehe Artikel 21; Aval ift Bürg- 
Ihaftserflärung. Andoffament. 
Artifel 9. Der Remittent kann den Wechjel an einen anderen durd) 

Indofjament (Giro) übertragen. 

Hat jedoch der Aussteller die Llebertragung im Wechjel durch die Worte 
„nicht an Order“ oder durch einen gleichbedeutenden Ausdrud unterjagt, To 
hat das Indofjament feine wechjelrechtliche Wirkung. 

Wirfung des Indoffamentes. 

Artikel 10. Durch das Indofjament gehen alle Rechte aus dem Wechjel 
auf den Indoſſatar über, insbefondere auch die Befugnis, den Wechjel weiter 
zu indoffieren. Auch an den Ausjteller, Bezogenen, Afzeptanten oder einen 
früheren Indofjanten kann der Wechfel giltig indojjiert und von denjelben 


weiter indojliert werden. Form des Indoffamentes. 


Artikel 11. Das Indojjament muß auf den Wechjel, eine Stopie des— 
jelben oder ein mit dem Wechiel oder der Kopie verbundenes Blatt (Alonge) 
gejchrieben werden. 

Beilpiel für Indoſſamente: Karl gibt den Wechiel an Merkel, dieier an 

Lubkol weiter. 

Reicht die Rückſeite des Mechiels für die Indoſſamente nicht aus, To 
wird an den Wechſel ein Streifen Papier (Alonge) angeflebt. 


Für mich an die Ördre 
W. Karl. 
A. Merkel. 


des Herrn A. Merkel. 
Für mich an die Ordre 


des Herrn R. Lubkol. 


Breslau, 
den 26. April 1904. 


© 
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den 24. April 1904. 





Blantoindoffament. 
Artikel 12. Ein Indofjament ijt giltig, wenn der Indoſſant auch nur 


jeinen Namen oder jeine Firma auf die Nüdjeite des Wechſels oder der Kopie, 
oder auf die Alonge jchreibt (Blanfo-Indojjament). 


358 IV. 3. Allgemeine Deutſche Wechſelordnung. 





In obigem Beispiel hat Lubkol durch feine Namensunterfchrift ein 
Blankoindoffament ausgeftellt. Das Indoffament überträgt vom Indoſſanten 
Eigentum am Wechſel auf den Indoſſatar. Der Indoſſatar wird Eigen» 
tümer der Wechſelſumme bei Zahlung; er kann fie nicht unterfchlagen. 
Artikel 13. Jeder Inhaber eines Wechjels iſt befugt, die auf demjelben 

befindlichen Blanto-Indoffamente auszufüllen; er fann den Wechjel aber auch 
ohne dieje Ausfüllung weiter indoffieren. 
Indoffament „ohne Gewährleiftung“. 

Artikel 14. Der Indoſſant haftet jedem fpäteren Inhaber des Wechjels 
für defjen Annahme und Zahlung wechjelmäßig. Hat er aber dem Indofjamente 
die Bemerkung „ohne Gewährleiftung“, ohne „Obligo“ oder einen gleich- 
bedeutenden Vorbehalt Hinzugefügt, jo ift er von der Verbindlichkeit aus jeinem 
Indofjamente befreit. 

Andoffament „nicht an Order“, 

Urtifel 15. Iſt in dem Indofjamente die Weiterbegebung durch Die 
Worte „nicht an Order” oder durch einen gleichbedeutenden Ausdrud ver- 
boten, fo haben diejenigen, an welche der Wechjel aus der Hand des Indofjatars 
gelangt, gegen den Indoffanten feinen Regreß. 

Andoffament „zur Einfaffierung“. 

Artikel 17. It dem Indofjamente die Bemerkung „zur Einkaſſierung“ 
„in Prokura“ oder eine andere, die Bevollmächtigung ausdrüdende Formel 
beigefügt worden, jo überträgt das Indofjament das Eigentum an dem Wechjel 
nicht, ermächtigt aber den Indofjatar zur Einziehung der Wechjelforderung, 
Protefterhebung und Benachrichtigung des Vormannes feines Indoffanten von 
der unterbliebenen Zahlung (Art. 45), fowie zur Einflagung der nicht bezahlten 
und zur Erhebung der deponierten Wechſelſchuld. Ein ſolcher Indoſſatar ist 
auch berechtigt, dieſe Befugnis durch ein weiteres Profura-Indofjament einem 
anderen zu übertragen. Dagegen iſt derjelbe zur weiteren Begebung durch 
eigentliches Indofjament ſelbſt dann nicht befugt, wenn dem Prokura— 
Indofjamente der Zujak „oder Order“ Hinzugefügt üt. 

Unterſchlagung an der empfangenen Wechſelſumme aljo möglid. 

Das Atzept. 

Artifel 21. Die Annahme des Wechjels muß auf dem Wechjel jchriftlich 
geſchehen. 

Jede auf den Wechſel geſchriebene und von dem Bezogenen unter— 
ſchriebene Erklärung gilt für eine unbeſchränkte Annahme, ſofern nicht in der— 


en SET ů— 


IV. 3, Allgemeine Deutſche Wechſelordnung. 359 


jelben ausdrüdlich ausgefprochen ift, daß der Bezugene entweder überhaupt 
nicht oder nur unter gewiſſen Einſchränkungen annehmen wolle. 

Gfeichergeftalt gilt e8 für eine unbefchränfte Annahme, wenn der Be— 
zogene ohne weiteren Beifag feinen Namen oder feine Firma auf die Vorder: 
jeite des Wechſels jchreibt. 

Die einmal erfolgte Annahme kann nicht wieder zurücdgenommen werden. 

Im Beispiel zu Artitel 4 hat der Bezogene Karl dur feine quer— 
gefchriebene Unterfchrift (Alzept) den Wechfel angenommen. Beim traſſiert 
eigenen Wechſel (Artikel 6) bedarf es feines Alzeptes, weil der Ausfteller 
felbft zahlen will. Blanko-Akzept liegt vor, wenn bei Afzeptunterfchrift die 

Wechſelſumme, der Ausfteller ujw. noch nicht auf den Wechſel geichrieben find. 

Vielfach Gegenftand von Urkundenfälſchung. Gefälligkeits-Akzept ift 

Alzept ohne Schuldverbindlichkeit des Alzeptanten. 

Atzept auf Zeilbetrag befhränft. 

Artikel 22. Der Bezogene kann die Annahme auf einen Teil der im 
Wechjel verjchriebenen Summe bejchränfen. 

Werden dem Afzepte andere Einjchränfungen beigefügt, jo wird ber 
Wechſel einem jolchen gleichgeachtet, dejjen Annahme gänzlich verweigert worden 
ift, der Afzeptant haftet aber nad) dem Inhalte jeines Akzeptes wechjelmäßig. 

Wirkung des Atzeptes. 

Urtifel 23. Der Bezogene wird durch die Annahme wechjelmäßig ver: 
pflichtet, die von ihm afzeptierte Summe zur Verfallzeit zu zahlen. 

Auch dem Ausjteller haftet der Bezogene aus dem Afzepte wechjelmäßig- 

Dagegen jteht dem Bezogenen fein Wechjelrecht gegen den Ausjteller zu. 

Kellerwedhjel, wenn die Perfon des Afzeptanten eine fingierte ift. 

Bon Wedhfelreiterei ſpricht man, wenn ein Schuldner feine Berbindlich- 

feiten durch Wechſel dedt und, ſtatt diefe einzulöfen, bei Fälligkeit neue 

Wechſel gibt. Bielfac helfen ſich auch zwei gleihgefinnte Schuldner gegen: 

feitig aus, indem der eine als Ausfteller und der andere als Afzeptant figuriert 

und umgefehrt. Kellerwechſel ift befanntes Täufhungsmittel beim Betrug; 
ebenfo ijt Wechfelreiterei der Zahlungsunfähigen Betrug. 
Domizilwechſel. 

Artikel 24. Iſt in dem Wechſel ein vom Wohnorte des Bezogenen ver— 
ſchiedener Zahlungsort (Art. 4 Nr. 8) angegeben (Domizilwechſel), ſo iſt, 
inſofern der Wechſel nicht ſchon ergibt, durch wen die Zahlung am Zahlungs— 
orte erfolgen foll, dies vom Bezogenen bei der Annahme auf dem Wechjel zu 
bemerfen. Iſt dies nicht gejchehen, jo wird angenommen, daß der Bezogene 
jelbit die Zahlung am BZahlungsorte leisten wolle. 


360 IV, 3. Allgemeine Deutiche Wechſelordnung. 


Der Ausjteller eines Domizilwechjel3 fann in demfelben die Präfentation 
zur Annahme vorjchreiben. Die Nichtbeobachtung diefer Vorjchrift hat den 
Verluſt des Negrejies gegen den Ausjteller und die Indoflanten zur ‚Folge. 

Im Beifpiel zu Artikel 4 ift der Wechſel „zahlbar bei A. Karl in 

Meißen“ domiziliert. 

Eigentümer des Wechſels. 

Artikel 36. Der Inhaber eines indoſſierten Wechjeld wird durch eine 
zufammenhängende, bis auf ihn hinuntergehende Reihe von Indofjamenten als 
Eigentümer des Wechjel3 legitimiert. Das erite Indofjament muß demnach 
mit dem Namen des Remittenten, jedes folgende Indofiament mit dem Namen 
desjenigen unterzeichnet jein, welchen das unmittelbar vorhergehende In— 
dofjament als Indofjatar benennt. Wenn auf ein Blanko-Indoſſament 
ein weiteres Indofjament folgt, jo wird angenommen, daß der Ausjteller 
des legteren den Wechſel durch das Dlanfo - Indofjament erworben hat. Aus: 
geitrichene Indojjamente werden bei Prüfung der Legitimation ald nicht 
geichrieben angejehen. Die Echtheit der Indoſſamente zu prüfen, it der 
Zahlende nicht verpflichtet. 

Bergl. Artikel 12. 
Zahlung nur gegen quitticrten Wechſel oder Teilquittung. 

Artifel 39. Der Wechjelichuldner ift nur gegen Aushändigung des quittierten 
Wechiels zu zahlen verpflichtet. Hat der Wechjelichuldner eine Teilzahlung 
geleitet, jo kann derjelbe nur verlangen, daß die Zahlung auf den Wechſel 
abgejchrieben und ihm Quittung auf einer Abjchrift des Wechſels erteilt werde. 

PBroteft gegen Ausſteller und Andoflant. 
Artikel 4. Zur Ausübung des bei nicht erlangter Zahlung jtatthaften 
Regreſſes gegen den Ausſteller und die Indoſſanten iſt erforderlid): 
1. daß der Wechjel zur Zahlung präjentiert worden ift, und 
2. daß ſowohl dieje Präfentation, als die Nichterlangung der Zahlung 
durch einen rechtzeitig darüber aufgenommenen Proteft dargetan wird. 

Die Erhebung des Proteftes iſt am Zahlungstage zuläffig, fie muß aber 
jpätejtens am zweiten Werktage nad) dem Zahlungstage geſchehen. 

Proteft, durch Notar oder Gerihtsbeamten aufzunehmen (Artikel 87, 

88, 89), ift öffentliche Urkunde. 

Kein Proteft gegenüber Afzeptanten. 

Artifel 44. Zur Erhaltung des Wechjelrechts gegen den Afzeptanten 
bedarf es, mit Ausnahme des im Artifel 43 erwähnten Falles, weder der 
Präfentation am Yahlungstage, noch der Erhebung eines Proteftes. 


IV, 3. Allgemeine Deutſche Wechſelordnung. 361 


Benachrichtigung der Vormänner und Regreßnahme. 
Artikel 45. Der Inhaber eines Mangels Zahlung proteſtierten Wechſels 
iſt verpflichtet, ſeinen unmittelbaren Vormann innerhalb zweier Tage nach 
dem Tage der Proteſterhebung von der Nichtzahlung des Wechſels ſchriftlich 
zu benachrichtigen, zu welchem Ende es genügt, wenn das Benachrichtigungs— 
ſchreiben innerhalb dieſer Friſt zur Poſt gegeben iſt. Jeder benachrichtigte 
Vormann muß binnen derſelben, vom Tage des empfangenen Berichts zu 
berechnenden Friſt ſeinen nächſten Vormann in gleicher Weiſe benachrichtigen. 
Der Inhaber oder Indoſſatar, welcher die Benachrichtigung unterläßt oder 
diejelbe nicht an den unmittelbaren Bormann ergehen läßt, wird hierdurch den 
jämtlichen oder den überjprungenen Bormännern zum Erjate des aus der 
unterlafjenen Benachrichtigung entftandenen Schadens verpflichtet. Auch ver- 
liert derjelbe gegen diefe Perfonen den Anfpruch auf Zinfen und Koſten, jo 
daß er nur die Wechjelfumme zu fordern berechtigt iſt. 
Zahlung durch den Regrehpflichtigen. 
Artikel 54. Der Negrehpflichtige ift nur gegen Auslieferung des Wechiels, 
des Protejtes und einer quittierten Retourrechnung Zahlung zu leijten verbunden. 
Ausgeſtrichene Indoſſamente. 
Artikel 55. Jeder Indoſſant, der einen ſeiner Nachmänner befriedigt 
hat, kann ſein eigenes und ſeiner Nachmänner Indoſſament ausſtreichen. 


Wechſelduplitate. 
Artikel 66. Der Ausſteller eines gezogenen Wechſels iſt verpflichtet, 
dem Remittenten auf Verlangen mehrere gleichlautende Exemplare des Wechſels 
zu überliefern. Diejelben müfjen im Kontexte als Brima, Sefunda, Tertia uw. 
bezeichnet fein, widrigenfalls jedes Exemplar als ein für fich beftehender 
Wechſel (Spla-Wechjel) erachtet wird. Auch ein Indofjatar fann ein Duplifat 
des Wechjels verlangen. Er muß fich diejerhalb an feinen unmittelbaren 
Bormann wenden, welcher wieder an ſeinen Bormann zurüdgehen muß, bıs 
die Anforderung an den Aussteller gelangt. Jeder Indojjatar kann von jeinem 
VBormanne verlangen, dab die früheren Indoflamente auf dem Dupflifate 
wiederholt werden. 
Daher im Beiſpiel zu Artifel 4 die Bezeihnung Prima Wechfel. 
Wechſelkopien. 
Artikel 70. Wechſelkopien müſſen eine Abſchrift des Wechſels und der 
darauf befindlichen Indoſſamente und Vermerke enthalten und mit der Erklärung: 
„bis hierher Abſchrift Kopie)“ oder mit einer ähnlichen Bezeichnung verjehen 


362 IV, 3. Allgemeine Deutſche Wechſelordnung. 


jein. In der Kopie ift zu bemerfen, bei wem das zur Annahme verjandte 
Original des Wechſels anzutreffen ift. Das Unterlafjen dieſes Bermerfes 
entzieht jedoch der indojfierten Kopie nicht ihre mwechjelmäßige Kraft. 

Artikel 71. Jedes auf einer Kopie befindliche Original» Indofjament 
verpflichtet den Indoſſanten ebenjo, als wenn es auf einem Originalwechjel ſtünde. 


Artikel 72. Der VBerwahrer des Originalwechſels iſt verpflichtet, denſelben 
dem Beſitzer einer mit einem oder mehreren Driginal-Indofjamenten verjehenen 
Kopie augzuliefern, jofern fich derſelbe als Indofjatar oder auf andere Weije 
zur Empfangnahme legitimiert. Wird der Driginalwechjel vom Bermwahrer 
nicht ausgeliefert, jo ijt der Inhaber der Wechjelfopie nur nad Aufnahme 
des im Artifel 69 Nr. 1 erwähnten Proteftes Regreß auf Sicherjtellung und 
nad Eintritt des in der Kopie angegebenen Verfalltages Regreß auf Zahlung 
gegen diejenigen Indofjanten zu nehmen berechtigt, deren Original-Jndojjamente 
auf der Kopie befindlich find. 

Wechſelerwerb im böfen Glauben ufw. 

Artikel 74. Der nach den Beitimmungen des Artikels 36 legitimierte 
Bejiger eines Wechjeld fann nur dann zur Herausgabe desjelben angehalten 
werden, wenn er den Wechjel in böjem Glauben erworben hat oder ihm bei 
der Erwerbung des Wechſels eine grobe Fahrläffigfeit zur Laſt fällt. 

Der Inhaber ift alfo nicht Eigentümer des Wechſels geworden. 
Falle Unterfhriften, 

Artikel 75. Auch wenn die Unterfchrift des Ausftellers eines Wechjels 
faljch oder verfäljcht ijt, behalten dennoch das echte Alzept und die echten 
Indofjamente die wechfelmäßige Wirkung. 


Artifel 76. Aus einem, mit einem faljchen oder verfäljchten Afzepte oder 
Indoſſamente verjehenen Wechiel bleiben jämtliche Indofjanten und der Aus: 
jteller, deren Unterjchriften echt find, wechjelmäßig verpflichtet. 

Wehhfelertlärung eines Bevollmächtigten. 

Artikel 95. Wer eine Wechfelerflärung als Bevollmächtigter eines anderen 
unterzeichnet, ohne dazu Vollmacht zu Haben, haftet perfünlich in gleicher 
Weiſe, wie der angebliche Machtgeber gehafter haben würde, wenn die Voll- 
macht erteilt gewejen wäre. Dasjelbe gilt von VBormündern und anderen 
Vertretern, welche mit Ueberjchreitung ihrer Befugnijie Wechjelerflärungen 
ausitellen. 

Bergl. $ 266ı Str. G. B. 





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IV, 3. Allgemeine Deutſche Wechſelordnung. 363 


Eigener (trodener) Wechſel. 


Artifel 96. Die weientlichen Erfordernijje eines eigenen (trodenen) 
Wechſels find: 


1: 


ur 


die in den Wechſel jelbjt aufzunehmende Bezeichnung als Wechjel, 
oder, wenn der Wechjel in einer fremden Sprache ausgeftellt ift, 
ein jener Bezeichnung entjprechender Ausdrud in der fremden 
Sprache; 


. die Angabe der zu zahlenden Geldjumme; 
. der Name der Perfon oder die Firma, an welche oder an deren 


Order der Ausjteller Zahlung leiten will; 


. die Beitimmung der Zeit, zu welcher gezahlt werden ſoll (Artikel 4 


Nr. 4); 


. die Unterfchrift des Ausiteller3 mit feinem Namen oder feiner firma; 
. die Angabe des Ortes, Monatstages und Jahres der Ausstellung. 


Form alfo wie beim traffiert= eigenen Wechjel (Artitel 4 und 6), nur 


daß ſich der Ausiteller Beffer nicht befonder8 als Traffaten bezeichnet. 


= 


4. Yandelsgefekbud 


vom 10. Mai 1897. 
(Reihsgeiepblatt 1897, Seite 219.) 


(Auszug.) 


Erſtes Bud. 
Handelsitand. 


Begriff des Kaufmannes. 
8 1. Kaufmann im Sinne dieſes Geſetzbuchs iſt, wer ein Handelsgewerbe 
betreibt. 
Als Handelsgewerbe gilt jeder Gewerbebetrieb, der eine der nachſtehend 
bezeichneten Arten von Geſchäften zum Gegenftande hat: 

1. die Anjhaffung und Weiterveräußerung von beweglichen Sachen 
(Waren) oder Wertpapieren, ohne Unterjchied, ob die Waren 
unverändert oder nach einer Bearbeitung oder Verarbeitung weiter 
veräußert werden; 


to 


. die Uebernahme der Bearbeitung oder Verarbeitung von Waren 
für andere, jofern der Betrieb über den Umfang des Handwerks 
hinausgeht; 

3. die Uebernahme von Berficherungen gegen Prämie; 

4. die Bankier- und Geldwechslergeichäfte: 

. die Uebernahme der Beförderung von Gütern oder Reiſenden zur 
See, die Gefchäfte der Frachtführer oder der zur Beförderung von 
Perſonen zu Lande oder auf Binnengewäflern beitimmten Anjtalten 
ſowie die Gejchäfte der Schleppichiftahrtsunternehmer; 


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6. die Gefchäfte der Kommiljionäre, der Spediteure oder der Yager- 
halter; 
. die Gefchäfte der Handlungsagenten oder der Handelsmäfler; 


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Handelsjtand. 365 


8. die Verlagsgeſchäfte jowie die fonjtigen Geſchäfte des Buch- oder 

Kunithandels; 

9. die Gejchäfte der Drudereien, ſofern ihr Betrieb über den Umfang 
des Handwerks hinausgeht. 

Der Begriff „Kaufmann“ fommt 3. B. im Depotgefeß vor. Er ifl 
auch wichtig für die Beurteilung, ob Handelsbücher ufw. zu führen find (fiehe 
Banferutt; Konfurdordnung). 

Gewerblides Unternehmen in faufmännifher Weife. 

z 2. Ein gemwerbliches Unternehmen, das nad) Art und Umfang einen 
in kaufmänniſcher Weiſe eingerichteten Gejchäftsbetrieb erfordert, gilt, auch 
wenn die Vorausfegungen des $1 Abſ. 2 nicht vorliegen, als Handelögewerbe 
im Sinne diejes Geſetzbuchs, jofern die Firma des Unternehmers in das 
Handelsregijter eingetragen worden iſt. Der Unternehmer ift verpflichtet, die 
Eintragung nach den für die Eintragung faufmännijcher Firmen geltenden 
Borjchriften herbeizuführen. 

Land⸗ oder forftwirtihaftlihe Betriebe. 
$ 3. Auf den Betrieb der Land» und Forjtwirtichaft finden die Vor- 
Ichriften der 88 1, 2 feine Anwendung. 

Iſt mit dem Betriebe der Land» oder Forſtwirtſchaft ein Unternehmen 
verbunden, das nur ein Nebengewerbe des fand» oder forjtwirtichaftlichen Be- 
triebs darjtellt, jo findet auf diejes der $ 2 mit der Mafgabe Anwendung, 
daß der Unternehmer berechtigt, aber nicht verpflichtet ift, die Eintragung in 
das Handelsregiiter herbeizuführen; werden in dem Nebengewerbe Gejchäfte 
der im $ 1 bezeichneten Art geſchloſſen, jo gilt der Betrieb deſſenungeachtet 
nur dann als Handelsgewerbe, wenn der Unternehmer von der Befugnis, 
jeine Firma gemäß $2 in das Handelsregijter eintragen zu lajjen, Gebrauch 
gemacht hat. Iſt die Eintragung erfolgt, jo findet eine Löfchung der Firma 
nur nach den allgemeinen VBorjchriften ftatt, welche für die Löſchung fauf- 


männifcher Firmen gelten. 
Minderfaufleute. 


S4 Die Vorſchriften über die Firmen, die Handelsbücher und Die 
PBrofura finden auf Handwerfer jowie auf Perſonen, deren Gewerbebetrieb 
nicht über den Umfang des Sleingewerbes hinausgeht, feine Anwendung. 

Durch eine Vereinigung zum Betrieb eines Gewerbes, auf welches die 
bezeichneten Vorjchriften feine Anwendung finden, kann eine offene Handels: 
gejellichaft oder eine Stommanditgejellfchaft nicht begründet werden. 


———— 


. | 





366 IV. 4. Handelsgeſetzbuch. — Erſtes Bud. 


Die Landesregierungen find befugt, Bejtimmungen zu erlaffen, durch 
welche die Grenze des Slleingewerbes auf der Grundlage der nach dem Gejchäfts- 
umfange bemejjenen Steuerpflicht oder in Ermangelung einer ſolchen Bejteuerung 
nach anderen Merkmalen näher fejtgejegt wird. 

Handelsgeſellſchaften. 

86. Die in betreff der Kaufleute gegebenen Vorſchriften finden auch 
auf die Handelsgeſellſchaften Anwendung. 

Die Rechte und Pflichten eines Vereins, dem das Geſetz ohne Rückſicht 
auf den Gegenftand des Unternehmens die Eigenfchaft eines Kaufmanns beilegt, 
werden durch die Vorfchrift des 54 Abſ. 1 nicht berührt. 

Sandeläfirma. 

$ 17. Die Firma eines Kaufmanns ijt der Name, unter dem er im 
Handel feine Gejchäfte betreibt und die Unterjchrift abgibt. 

Ein Kaufmann fann unter feiner Firma Klagen und verklagt werden. 

Begriff der Firma von Bedeutung 3. B. im Geſetze zum Schutze der 

Warenbezeichnungen. 

Unterfheidung von anderen Firmen. 

$ 30. Jede neue Firma muß ſich von allen an demfelben Orte oder 
in derjelben Gemeinde bereits bejtehenden und in das Handelsregifter ein: 
getragenen Firmen deutlich unterjcheiden. 

Hat ein Kaufmann mit einem bereit eingetragenen Kaufmanne Die 
gleichen Vornamen und den gleichen Familiennamen und will auch er jich diefer 
Namen als feiner Firma bedienen, jo muß er der Firma einen Zufat beifügen, 
durch den fie fich von der bereits eingetragenen Firma deutlich unterfcheibet. 

Beiteht am dem Orte oder in der Gemeinde, wo eine Zweigniederlaſſung 
errichtet wird, bereit$ eine gleiche eingetragene Firma, jo muß der Firma für 
die Bweigniederlafiung ein der Vorjchrift des Abſ. 2 entiprechender Zuſatz 
beigefügt werden. 

Durch die Landesregierungen kann bejtimmt werden, dab benachbarte 
Orte oder Gemeinden als ein Ort oder als eine Gemeinde im Sinne diejer 
Vorſchriften anzujehen find. 

Siehe $ 17. 
Handelsbücher. 

$ 38. Jeder Kaufmann iſt verpflichtet, Bücher zu führen und in dieſen 
jeine Handelsgejchäfte und die Lage feines Vermögens nach den Grundfäßen 
ordnungsmäßiger Buchführung erfichtlich zu machen. 


Handelsitand. 367 


Er iſt verpflichtet, eine Abjchrift (Kopie oder Abdrud) der abgejendeten 
Handelöbriefe zurüdzubehalten und dieſe Abjchriften ſowie die empfangenen 
Handelsbriefe geordnet aufzubewahren. 

Bergl. $ 4. Bon Bedeutung beim Banterutt. 


Bilanz und Inventar. 
$ 39. Jeder Kaufmann hat bei dem Beginne feines Handelögewerbes 
jeine Grundftüde, feine Forderungen und Schulden, den Betrag feines baren 
Geldes und feine jonftigen Vermögensgegenſtände genau zu verzeichnen, dabei 
den Wert der einzelnen Vermögensgegenftände anzugeben und einen das Ver— 
hältnis des Vermögens und der Schulden darjtellenden Abſchluß zu machen. 

Er hat demnächſt für den Schlup eines jeden Gejchäftsjahrs ein jolches 
Inventar und eine jolche Bilanz aufzuitellen; die Dauer des Gejchäftsjahrs 
darf zwölf Monate nicht überjchreiten. Die Aufftellung des Inventard und 
der Bilanz ift innerhalb der einem ordnungsmäßigen Gefchäftsgang entjprechenden 
Zeit zu bewirken. 

Hat der Kaufmann ein Warenlager, bei dem nach der Beichaffenheit 
des Gejchäfts die Aufnahme des Inventars nicht füglih in jedem Jahre 
gefchehen fann, jo genügt es, wenn fie alle zwei Jahre erfolgt. Die Ver: 
pflichtung zur jährlichen Aufitellung der Bilanz wird hierdurch nicht berührt. 


Bergl. 5 38. 
Formen derfelben. 


$ 40. Die Bilanz ijt in Reichswährung aufzuftellen. 

Bei der Aufjtellung des Inventars und der Bilanz find jämtliche Ver— 
mögensgegenftände und Schulden nach dem Werte anzufegen, der ihnen in 
dem Zeitpunkte beizulegen ift, für welchen die Aufjtellung ftattfindet. 

Zweifelhafte Forderungen find nach ihrem wahrjcheinlichen Werte an- 
zufegen, uneinbringliche Forderungen abzujchreiben. 

Lebende Spradıe. 

S 43. Bei der Führung der Handelsbücher und bei den fonft erforder: 
lichen Aufzeichnungen Hat jich der Kaufmann einer lebenden Sprache und der 
Schriftzeichen einer jolchen zu bedienen. 

Die Bücher jollen gebunden und Blatt für Blatt oder Seite für Seite 
mit fortlaufenden Zahlen verjehen fein. 

An Stellen, die der Negel nach zu befchreiben find, dürfen feine leeren 
Zwiſchenräume gelafjen werden. Der urfprüngliche Inhalt einer Eintragung 
darf nicht mittelft Durchitreichens oder auf andere Weife unleferlich gemacht, 


3683 IV. 4. Handelsgeſetzbuch — Erſtes Bud). 





es darf nichts vadiert, auch dürfen jolche Veränderungen nicht vorgenommen 
werden, deren Bejchaffenheit es ungewiß läßt, ob fie bei der urjprünglichen 
Eintragung oder erſt fpäter gemacht worden find. 

Aufbewahrung der Handelsbücher. 

8 44. Die Kaufleute find verpflichtet, ihre Handelsbücher bis zum Ab- 
laufe von zehn Jahren, von dem Tage der darin vorgenommenen lehten Ein: 
tragung an gerechnet, aufzubewahren. 

Dasfelbe gilt in Anjehung der empfangenen Handelsbriefe und der Ab— 
Ichriften der abgejendeten Handelsbriefe jorwie in Anfehung der Jnventare und 
Bilanzen. 

Profura. 

8 48. Die Profura fann nur von dem Inhaber des Handelsgeichäfts 
oder jeinem gejeglichen Vertreter und nur mittel® ausdrüdlicher Erklärung 
erteilt werden. 

Die Erteilung fann an mehrere Perſonen gemeinjchaftlich erfolgen (Ge— 
jamtprofura). 

Die Beitimmungen über Profura, Handlungsvollmaht, Handlungs- 
reifende, Ladenangeſtellte haben diefelbe Bedeutung für das Strafgefeg, wie bie 
entjprechenden des B.G. Bs. (8 167 ff.). Der Profurift, der unter Ueber— 
Ichreitung feiner Befugniffe abfichtlich zum Nachteile des Prinzipals handelt, 
ift ein Bevollmächtigter im Sinne von $ 2663 des Str. G. B. 

Inhalt der Profura. 

s 49, Die Prokura ermächtigt zu allen Arten von gerichtlichen und 
aufergerichtlichen Gefchäften und Nechtshandlungen, die der Betrieb eines 
Handelsgewerbes mit fich bringt. 

Zur Veräußerung und Belaftung von Grumdjtüden ijt der Prokurist 
nur ermächtigt, wen ihm dieje Befugnis befonders erteilt it. 

Beihränfung der Profura. 

$ 50. Eine Bejchränfung des Umfangs der Profura ijt Dritten gegen: 
über unwirkſam. 

Dies gilt insbefondere von der Beichränfung, dab die Profura nur für 
gewiffe Gefchäfte oder gewiſſe Arten von Gejchäften oder nur unter gewifjen 
Umständen oder für eine gewifje Zeit oder an einzelnen Orten ausgeübt 
werden joll. 

Eine Beichränfung der Profura auf den Betrieb einer von mehreren 
Niederlafjungen des Gejchäftsinhabers iſt Dritten gegenüber nur wirfjam, 
wenn die Niederlaffungen unter verjchiedenen Firmen betrieben werden. Eine 





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Handelsſtand. 369 


Verſchiedenheit der Firmen im Sinne dieſer Vorſchrift wird auch dadurch 
begründet, daß für eine Zweigniederlaſſung der Firma ein Zuſatz beigefügt 
wird, der ſie als Firma der Zweigniederlaſſung bezeichnet. 


Zeichnung der Brofura, 
$ 51. Der Profurift Hat in der Weife zu zeichnen, daß er der Firma 
jeinen Namen mit einem die Prokura andeutenden Zufage beifügt. 


Widerruf der Prokura. 
$ 52. Die Profura ift ohne Rüdficht auf das zur Erteilung zu grunde 
liegende Rechtsverhältnis jederzeit widerruflich, unbefchadet des Anſpruchs auf 
die vertragsmäßige Vergütung. 
Die Profura ijt nicht übertragbar. 
Die Profura erlischt nicht durch den Tod des Inhabers des Handels- 


geichäfts, 
Sandlungsvolimadt. 


Ss 54. Iſt jemand ohne Erteilung der Profura zum Betrieb eines 
Handelsgewerbes oder zur Vornahme einer beftimmten zu einem Handels: 
gewerbe gehörigen Art von Gejchäften oder zur Vornahme einzelner zu einem 
Handeldgewerbe gehöriger Gejchäfte ermächtigt, fo erjtredt fich die Vollmacht 
(Handlungsvollmadt) auf alle Geichäfte und Nechtshandlungen, die der Be— 
trieb eines derartigen Handelsgewerbes oder die Vornahme derartiger Gejchäfte 
gewöhnlich mit ſich bringt. 

Zur Veräußerung oder Belaflung von Grundjtüden, zur Eingehung von 
Vechjelverbindlichkeiten, zur Aufnahme von Darlehen und zur Prozeßführung 
iſt der Handlungsbevollmächtigte nur ermächtigt, wenn ihm eine folche Befugnis 
bejonders erteilt ijt. 

ES onftige Bejchränfungen der Handlungsvollmadjt braucht ein Dritter nur 
dann gegen jich gelten zu lajjen, wenn er fie fannte oder fennen mußte. 


Sandlungsreiiende. 
$ 55. Die Vorfchriften des $ 54 finden aud) auf Handlungsbevoll- 
mächtigte Anwendung, die ala Handlungsreifende zur Vornahme von Geſchäften 
an Orten verwendet werden, an denen jich eine Niederlafjung des Gejchäfts- 
inhabers nicht befindet. 

Die Neifenden gelten insbefondere für ermächtigt, den Kaufpreis aus 
den von ihmen abgejchlojjenen Verkäufen einzuziehen und dafür Zahlungs 
friſten zu bewilligen. 

24 


370 IV. 4. Handelsgeſetzbuch. — Erſtes Bud. 


Die Anzeige von Mängeln einer Ware, die Erklärung, daß eine Ware 
zur Verfügung gejtellt werde, fowie andere Erklärungen jolder Art fünnen 
dem anmejenden Keifenden gegenüber abgegeben werden. 

Dem Reifenden muß alio, fals er nicht Faifieren dürfen joll, diefe 

Befugnis entzogen worden fein. 

Ladenangefichte. 

$ 56. Wer in einem Laden oder in einem offenen Warenlager angeftellt 
ist, gilt al ermächtigt zu Berfäufen und Empfangnahmen, die in einem der— 
artigen Laden oder Warenlager gewöhnlich geichehen. 

Sandlungsgchülfe. 

859 Wer in einem SHandelögewerbe zur Leiftung faufmännifcher 
Dienste gegen Entgelt angeftellt ift (Handlungsgehülfe), hat, joweit nicht be— 
jondere Vereinbarungen über die Art und den Umfang jeiner Dienjtleiftungen 
oder über die ihm zufommende Vergütung getroffen find, die dem Ortsgebrauch 
entiprechenden Dienjte zu leiften fowie die dem Ortsgebrauch entiprechende 
Vergütung zu beanfpruchen. In Ermangelung eine® Ortsgebrauch3 gelten 
die den Umſtänden nach angemeſſenen Leiftungen als vereinbart. 


Saftung des Prinzipals für Leben und Gefundheit. 

8 62. Der Prinzipal iſt verpflichtet, die Gejchäftsräume und die für 
den Geichäftsbetrieb beftimmten Vorrichtungen und &erätjchaften jo einzu- 
richten und zu unterhalten, auch den Gejchäftsbetrieb und die Arbeitszeit jo 
zu regeln, daß der Handlungsgehülfe gegen eine Gefährdung feiner Gefundheit, 
foweit die Natur des Betriebs es gejtattet, gejhügt und die Aufrechterhaltung 
der quten Sitten und des Anftandes gefichert iſt. 

Iſt der Handlungsgebülfe in die häusliche Gemeinfchaft aufgenommen, 
jo hat der Prinzipal in Anjehung des Wohn- und Schlafraums, der Ber- 
pflegung jowie der Arbeits- und Erholungszeit diejenigen Einrichtungen und 
Anordnungen zu treffen, welche mit Rüdjicht auf die Gejundheit, die Sitt- 
lichkeit und die Religion des Handlungsgehülfen erforderlich find. 

Erfüllt der Prinzipal die ihm in Anfehung des Lebens und der Ge— 
jundheit des Handlungsgehülfen obliegenden Verpflichtungen nicht, jo finden 
auf jeine Verpflichtung zum Schadenerjage die für unerlaubte Handlungen 
geltenden Borjchriften der SS 842 bis 846 des Bürgerlichen Gefegbuchs ent- 
Iprechende Anwendung. 

Die dem Prinzipal hiernach obliegenden Verpflichtungen fönnen nicht 
im voraus durch Vertrag aufgehoben oder bejchränft werben. 





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1 


Handelsſtand. 371 


Von Bedeutung bei fahrläſſiger Tötung und Körperverletzung. Hier 
Berlegung einer Gewerbspflicht im Sinne von 88 222 Abf. 2, 230 Abi. 2 
de3 Str.G.B8. Strafbeftimmung fiche $ 82. 
Die fogenannte Konkurrenztlauſel. 
s 74. Eine Bereinbarung zwijchen dem Prinzipal und dem Handlungs- 
gehülfen, Durch welche diejer für die Zeit nach ber Beendigung des Dienſt— 
verhältnifjes in jeiner gewerblichen Tätigkeit befchränft wird, ift für den 
Handlungsgehülfen nur infoweit verbindlich, als die Beſchränkung nad) Zeit, 
Drt und Gegenitand nicht die Örenzen überjchreitet, durch welche eine unbillige 
Erjchwerung des Fortkommens des Handlungsgehülfen ausgejchlofjen wird. 
Die Beichränfung fann nicht auf einen Zeitraum von mehr als drei 
Jahren von der Beendigung des Dienitverhältniffes an erjtredt werben. 
Tie Vereinbarung iſt nichtig, wenn der Handlungsgehülfe zur Zeit des 


Abſchluſſes minderjährig ift. Sandiungsichrlinge. 


8 76. Die Borjchriften der 88 60 bis 63, 74, 75 finden aud auf 
Handlungslehrlinge Anwendung. 

Der Lehrherr ijt verpflichtet, dafür zu forgen, daß der Lehrling in den 
bei dem Betriebe des Gejchäfts vorfommenden kaufmännischen Arbeiten unter- 
wiejen wird; er hat die Ausbildung "des Lehrlings entweder jelbit oder durch 
einen geeigneten, ausdrüdlich dazu bejtimmten Vertreter zu leiten. Die Unter- 
weifung hat in der durch den Zweck der Ausbildung gebotenen Reihenfolge 
und Ausdehnung zu gejchehen. 

Der Lehrherr darf dem Lehrlinge die zu feiner Ausbildung erforderliche 
Zeit und Gelegenheit durch Verwendung zu anderen Dienjtleiftungen nicht 
entziehen; auch hat er ihm die zum Bejuche des Gottesdienftes an Sonntagen 
und Feſttagen erforderliche Zeit und Gelegenheit zu gewähren. Er hat den 
Lehrling zur Arbeitjamfeit und zu guten Sitten anzuhalten. 

In beireff der Verpflichtung des Lehrherrn, dem Lehrlinge die zum 
Beſuch einer Fortbildungsjchule erforderliche Zeit zu gewähren, bewendet es 
bei den Borjchriften des $ 120 der Gewerbeordnung. 

Kein. Züchtigungsreht des Prinzipals. Strafbeitimmung ſiehe 8 82. 
Berbot, Bandlungölehrlinge zu halten. 

s 81. Berjonen, die nicht im Beſitze der bürgerlichen Ehrenrechte find, 
dürfen Handlungslehrlinge weder halten, noch fich mit der Anleitung von 
Handlungslehrlingen befaffen. Der Lehrherr darf jolche Perjonen zur An- 
leitung von Handlungslehrlingen nicht verwenden. 


4° 





372 IV. 4. Handelsgeſetzbuch. — Erftes Bud. 


Die Entlafjung von Handlungsiehrlingen, welche diefem Verbote zumider 

bejchäftigt werden, faun von der Polizeibehörde erzwungen werden. 
Strafbeftimmung fiehe $ 82. 
Strafbeftimmung. 

$ 82. Wer die ihm nad) $ 62 Abſ. 1, 2 oder nad) $ 76 Abi. 2, 3 
dem Lehrlinge gegenüber obliegenden Pflichten im einer deſſen Gejundheit, 
Sittlichkeit oder Ausbildung gefährdenden Weiſe verlegt, wird mit Geldftrafe 
bis zu einhundertfünfzig Mark beftraft. 

Die gleiche Strafe trifft denjenigen, welcher entgegen der Vorfchrift des 
$ 81 Handlungslehrlinge Hält, ausbildet oder ausbilden läßt. 

Es handelt fi aljo um eine Uebertretung im Sinne von $ 1 bes 

Str. G. Bs. 

Handlungsagent. 

$ 84. Wer, ohne als Handlungsgehülfe angeſtellt zu fein, ſtändig 
damit betraut ift, für das Handelsgewerbe eines anderen Geſchäfte zu ver- 
mitteln oder im Namen des anderen abzufchliegen (Handlungsagent), hat bei 
feinen Verrichtungen das Interefje des Gejchäftsherrn mit der Sorgfalt eines 
ordentlichen Kaufmanns wahrzunehmen. 

Er ijt verpflichtet, dem Geſchäftsherrn die erforderlichen Nachrichten zu 
geben, namentlich ihm von jedem Geſchäftsabſchluß unverzüglich Anzeige 
zu machen. 

$ 87. Iſt der Handlungsagent al3 Handlungsreifender tätig, jo finden 
die Vorſchriften des $ 55 Anwendung. 

Sandelömäfler. 

$ 93. Wer gewerbsmähig für andere Perjonen, ohne von ihnen auf 
grund eine Wertragsverhältnifjes jtändig damit betraut zu jein, die Ver— 
mittelung von Verträgen über Anjchaffung und Veräußerung von Waren 
oder Wertpapieren, über Berficherungen, &üterbeförderungen, Bodmerei, 
Schiffsmiete oder ſonſtige Gegenjtände des Handelsverfehrs übernimmt, hat 
die Rechte und Pflichten eines Handelgmäflers. 

Auf die VBermittelung anderer als der bezeichneten Gefchäfte, insbefondere 
auf die Bermittelung von Gejchäften über unbewegliche Sachen, finden, auch 
wenn die Vermittelung durch einen Handelsmätler erfolgt, die Vorfchriften 
diefes Abjchnitts feine Anwendung. 

Defien Berpflihtung zur Führung eines Tagebuché. 

$ 100. Der Handelsmäfler ijt verpflichtet, ein Tagebuc) zu führen und 

in dieſes alle abgeſchloſſenen Geichäfte täglich einzutragen. Die Eintragungen 


Handelsſtand. — Handelsgeſellſchaften und ftille Bejellichaft. 373 


find nach der Zeitfolge zu bewirken; jie haben die im $ 94 Abf. 1 bezeichneten 
Angaben zu enthalten. Das Eingetragene ift von dem Handelsmäkler täglich 
zu unterzeichnen. 

Die VBorjchriften der SS 43, 44 über die Einrichtung und Aufbewahrung 
ber Handelsbicher finden auf das Tagebud) des Handelsmäflers Anwendung. 


Strafbeftimmung. 
$ 103. Handelsmäkler, die den Vorfchriften über die Führung und 
Aufbewahrung des Tagebuchs zumviderhandeln, werden mit Geldjtrafe bis zu 
eintaufend Mark beitrait. 
Ein Vergehen im Sinne von $ 1 des Str.G.B3, 
Ausnahme für Kleinverkehr. 
z 104. Auf Berfonen, welche die Bermittelung von Warengejchäften 
im $tleinverfehre bejorgen, finden die Vorjchriften über Schlußnoten und Tages 
bücher feine Anwendung. 


Hweites Bud. 
Handelsgeſellſchaften und stille Geſellſchaft. 


Offene Handelsgeſellſchaft. 
$ 105. Eine Gefellfchaft, deren Zwed auf den Betrieb eines Handels- 
gewerbes unter gemeinjchaftlicher Firma gerichtet ift, ift eine offene Handels— 
geſellſchaft, wenn bei feinem der Gejelljchafter die Haftung gegenüber den Ge- 
ſellſchaftsgläubigern beſchränkt it. 

Auf die offene Handelsgeſellſchaft finden, ſoweit nicht in dieſem Abſchnitt 
ein anderes vorgeſchrieben iſt, die Vorſchriſten des Bürgerlichen Geſetzbuchs 
über die Geſellſchaft Anwendung. 

Berechtigung zur Geſchäftsführung. 
$s 114. Zur Führung der Geſchäfte der Geſellſchaft ſind alle Geſell— 
ſchafter berechtigt und verpflichtet. 

Iſt im Gejellichajtsvertrage die Gejchäftsführung einem Gefellichafter 
oder mehreren Gejellfchaftern übertragen, jo find die übrigen Gejellichafter 
von der Gejchäftsführung ausgeſchloſſen. 

Sg 114—117 haben nur das Verhältnis der Gefellfchafter unter fich, 
nicht gegenüber Dritten (f. $ 125 ff.) im Auge. 


374 IV. 4. Handelsgeſetzbuch. — Zweites Bud. 


$ 115. Steht die Gefchäftsführung allen oder mehreren Geſellſchaftern 
zu, fo ift jeder von ihnen zu handeln berechtigt; widerjpricht jedoch ein anderer 
gefchäftsführender Gefellichafter der Vornahme einer Handlung, jo muß dieje 
unterbleiben. 

Iſt im Gefellichaftävertrage bejtimmt, daß die Gejelljchafter, denen die 
Geſchäftsführung zufteht, nur zufammen handeln fünnen, jo bedarf es für 
jedes Gejchäft der Zuftimmung aller gejchäftsführenden Gejellichafter, es jei 
denn, dab Gefahr im Verzug ift. 


8 116. Die Befugnis zur Gejchäftsführung erftredt ſich auf alle 
Handlungen, die der gewöhnliche Betrieb des Handelögewerbes der Geſellſchaft 
mit fich bringt. 

Zur Vornahme von Handlungen, die darüber hinausgehen, iſt ein Be— 
ſchluß ſämtlicher Gefellfchafter erforderlich. 

Zur Bejtellung eines Profurijten bedarf es der Zuftimmung aller ge- 
ſchäftsführenden Gefellfchafter, es fei denn, daß Gefahr im Verzug ift. Der 
Widerruf der Profura kann von jedem der zur Erteilung oder zur Mitwirkung 
bei der Erteilung befugten Gejellichafter erfolgen. 


$ 117. Die Befugnis zur Gefchäftsführung kann einem Gejelljchafter 
auf Antrag der übrigen Gejellichafter durch gerichtliche Entjcheidung entzogen 
werden, wenn ein wichtiger Grund vorliegt; ein folcher Grund ist insbeſondere 
grobe Pflichtverlegung oder Unfähigkeit zur ordnungsmäßigen Geſchäftsführung. 

Bertretungsmaht der Gefellfihafter gegenüber Dritten. 

$ 125. Zur Vertretung der Gefellichaft ift jeder Gejellichafter ermächtigt, 
wenn er nicht durch den Gejellfchaftävertrag von der Vertretung ausgeſchloſſen tft. 

Im Gejellichaftsvertrage kann bejtimmt werden, daß alle oder mehrere 
Gejellichafter nur in Gemeinjchaft zur Vertretung der Gefellichaft ermächtigt 
fein jollen (efamtvertretung). Die zur Gejfamtvertretung berechtigten Geſell— 
ſchafter fünnen einzelne von ihnen zur Vornahme beftimmter Gejchäfte oder 
bejtimmter Arten von Gejchäften ermächtigen. Iſt der Gefellfchaft gegenüber 
eine Willenserklärung abzugeben, fo genügt die Abgabe gegenüber einem der 
zur Mitwirkung bei der Vertretung befugten Gejelljchafter. 

Im Gefellfchaftsvertrage fann beitimmt werden, daß die Gejellichafter, 
wenn nicht mehrere zufammen handeln, nur in Gemeinjchaft mit einem Pro: 
furiften zur Vertretung der Gejellichaft ermächtigt jein follen. Die Vorjchriften 
des Abi. 2 Sag 2, 3 finden in dieſem Falle entiprechende Anwendung. 


Handelögejelichaften und jtille Gejelichaft. 375 


Der Ausschluß eines Gejellichafterd von der Vertretung, die Anordnung 
einer Gejamtvertretung oder eine gemäß Abi. 3 Satz 1 getroffene Beftimmung 
fowie jede Aenderung in der Vertretungsmacht eines Gejellfchafters iſt von 
fämtlichen Gejellfchaftern zur Eintragung in das Handelsregilter anzumelden. 


$ 126. Die Vertretungsmacht der Gejellfchafter eritredt ſich auf alle 
gerichtlichen und aufergerichtlichen Gefchäfte und Nechtshandlungen einjchließlich 
der Veräußerung und Belaftung von Grundftüden jowie der Erteilung und 
des Widerrufs einer Prokura. 

Eine Beſchränkung des Umfanges der Vertretungsmadht ift Dritten 
gegenüber unwirkſam; dies gilt insbefondere von der Beichränfung, daß ſich 
die Vertretung nur auf gewille Gejchäfte oder Arten von Gefchäften erjtreden 
oder daß fie nur unter gewiſſen Umftänden oder für eine gewifje Zeit ober 
an einzelnen Orten ftattfinden joll. 

In Betreff der Beichränfung auf den Betrieb einer von mehreren Nieder: 
lafjungen der Sejellichaft finden die Borichriften des 8 50 Abj. 3 entfprechende 
Anwendung. 


$ 127. Die Bertretungsmadht fann einem Gejellichafter auf Antrag 
der übrigen Gejellichafter durch gerichtliche Enticheidung entzogen werden, 
wenn ein wichtiger Grund vorliegt; ein folcher Grund ijt insbeſondere grobe 
Pflichtverletzung oder Unfähigkeit zur ordnungsmäßigen Vertretung der Ge— 
ſellſchaft. 
Liquidation der Geſellſchaft. 
$ 145. Nach der Auflöfung der Gejellfchaft findet die Liquidation jtatt, 
jofern nicht eine andere Art der Auseinanderfegung von den Gefellichaftern 
vereinbart oder über das Vermögen der Gejellichaft der Konkurs eröffnet ift. 
Iſt die Gefellfchaft durch Kündigung des Gläubigerd eines Gefellichafters 
oder durch die Eröffnung des Konkurfes über das Vermögen eines Gefell- 
ſchafters aufgelöit, jo fann die Liquidation nur mit Zuftimmung des Gläubigers 
oder des Konfursverwalterd unterbleiben. 
Liquidatoren. 
$ 146. Die Liquidation erfolgt, ſofern fie nicht durch Beſchluß der 
Gejellfchafter oder durch den Gefellfchaftövertrag einzelnen Gefellichaftern oder 
anderen Perſonen übertragen ift, durch jämtliche Gejellichafter als Liquidatoren. 
Mehrere Erben eines Gefellichafters haben einen gemeinjamen Vertreter zu 
beitellen. 


376 IV. 4. Handelsgeſetzbuch. — Zweites Bud. 


Auf Antrag eines Beteiligten fann aus wichtigen Gründen die Ernennung 
von Liquidatoren durch das Gericht erfolgen, in deſſen Bezirke die Gejellichaft 
ihren Sig hat; das Gericht kann in einem folchen Falle Verjonen zu Liqui- 
datoren ernennen, die nicht zu den Gejellichaftern gehören. Als Beteiligter 
gilt außer den Gejellichaftern im Falle des $ 135 auch der Gläubiger, durch 
den die Kündigung erfolgt iſt. 

Iſt über das Vermögen eines Gejellichafterd der Konfurs eröffnet, jo 
tritt der Konfursverwalter an die Stelle des Gejellichafters. 

Liquidatoren find eventuell Bevollmäctigte im Sinne von $ 2662 

Str. G. B. 

Deren Pflichten und Rechte. 

$ 149. Die Liquidatoren haben die laufenden Geſchäfte zu beendigen, 
die ‚Forderungen einzuzichen, das übrige Vermögen in Geld umzufegen und 
die Gläubiger zu befriedigen; zur Beendigung jchwebender Gejchäfte fünnen fie 
auch neue Gejchäfte eingehen. Die Liquidatoren vertreten innerhalb ihres 
Geſchäftskreiſes die Geſellſchaft gerichtlich und aufergerichtlich. 





$ 150. Sind mehrere Liquidatoren vorhanden, jo fünnen fie die zur 
Liquidation gehörenden Handlungen nur in Gemeinfchaft vornehmen, jofern 
nicht beftimmt it, dab fie einzeln handeln können; eine jolche Beitimmung 
iſt in das Handelsregiiter einzutragen. 

Durch die Vorichrift des Abf. 1 wird nicht ausgeſchloſſen, daß die Liqui— 
datoren einzelne von ihnen zur Vornahme beftimmter Gejchäfte oder beftimmter 
Arten von Gejchäften ermächtigen. Iſt der Gejelljchaft gegenüber eine Willens 
erklärung abzugeben, fo findet die Vorfchrift des $ 125 Abi. 2 Sak 3 ent- 
Iprechende Anwendung. 

Kommanditgeiehichaft. 

$ 161. Eine Gejellfchaft, deren Zwed auf den Betrieb eines Handels- 
gewerbes unter gemeinjchaftlicher Firma gerichtet ift, ift eine Kommandit— 
gejellichaft, wenn bei einem oder bei einigen von den Gejellichaftern die Haftung 
gegenüber den Gejellichaftsgläubigern auf den Betrag einer bejtimmten Ber- 
mögenseinlage bejchränft ift (Kommanditijten), während bei dem anderen Teile 
der Gejellichaiter eine Beichränfung der Haftung nicht ftattfindet (perjönlich 
haftende Gejellichafter). 

Soweit nicht in diefem Abfchnitt ein anderes vorgefchrieben it, finden 
auf die Kommanditgefellichaft die für die offene Handelsgejellichaft geltenden 
Vorſchriften Anwendung. 








al 


Handelsgeſellſchaften und ſtille Gefellichaft. 377 


$ 164. Die Kommanditiften find von der Führung der Gejchäfte der 
Geſellſchaft ausgejchlofien; jie können einer Handlung der perjönlich haftenden 
Gejellichafter nicht widerjprechen, es fei denn, daß die Handlung über den 
gewöhnlichen Betrieb des Handelsgewerbes der Gejellichaft hinausgeht. Die 
Vorschriften des $ 116 Ab. 3 bleiben unberührt. 


$ 170. Der Kommanditiſt ift zur Vertretung der Gefellfchaft nicht 


ermächtigt. 
Aktiengeſellſchaft. Begriff. 


5 178. Die fämtlichen Gefellichafter der Attiengefellichaft find mit Ein» 
lagen auf das in Aftien zerlegte Grundkapital der Gejellichaft beteiligt, ohne 
perjönlich für deren Verbindlichkeiten zu haften. 


Attien. Anterimöfcheine. 
$ 179. Die Aktien find unteilbar. 


Sie fünnen auf den Inhaber oder auf Namen lauten. 

Altien, die vor der vollen Leiſtung des Nennbetrags oder, fall der 
Ausgabepreis höher ift, vor der vollen Leijtung diejes Betrags ausgegeben 
werden, dürfen nicht auf den Inhaber lauten. Das gleiche gilt von Anteil» 
fcheinen, die den Aktionären vor der Ausgabe der Aktien ausgejtellt werden 
(Interimsfceine). 

Werden auf Namen lautende Aktien vor der vollen Leiſtung der Ein: 
zahlungen ausgegeben, jo ijt der Betrag der geleijteten Einzahlungen in den 
Urkunden anzugeben. 


8 180. Die Altien müſſen auf einen Betrag von mindeitens eintaujend 
Mark geitellt werden. 

Für ein gemeinnügiges Unternehmen kann im alle eines bejonderen 
örtlichen Bedürfnifies der Bundesrat die Ausgabe von Aktien, die auf Namen 
lauten, zu einem geringeren, jedoch mindeſtens zweihundert Mark erreichenden 
Betrage zulafien. Die gleiche Genehmigung fann erteilt werden, wenn für 
ein Unternehmen das Reich, ein Bundesſtaat oder ein Kommunalverband oder 
eine jonftige öffentliche Körperjchaft auf die Aktien einen beftimmten Ertrag 
bedingungslos und ohne Zeitbefchränfung gewährleijtet hat. 

Auf Namen lautende Aktien, deren Uebertragung an die Zuftimmung 
der Gefellichaft gebunden ift, dürfen auf einen Betrag von weniger als eins 
taufend, jedoch nicht von weniger als zweihundert Mark geftellt werden. 

Im Falle des Abſ. 2 joll die erteilte Genehmigung, im Falle des Abi. 3 
follen die Beſchränkungen, denen nad) $ 222 Abf. 4 die Aktionäre in An— 


378 IV. 4. Handelsgeſetzbuch. — Zweites Buch. 


fehung der Uebertragung ihrer Rechte unterliegen, in den Aktien erfichtlich 
gemacht werden. 

Diefe Vorſchriften gelten auch für Interimsscheine. 

Anhalt des Gefellfhaftövertrags. 

$ 182. Der Inhalt des Geſellſchaftsvertrags muß von mindeſtens fünf 
Berfonen, welche Aktien übernehmen, in gerichtlicher oder notarieller Ver— 
handlung feitgejtellt werden. In der Verhandlung ift der Betrag und, wenn 
verfchiedene Gattungen von Aftien ausgegeben werden, die Gattung der von 
jedem übernommenen Aktien anzugeben. 

Der Gejellichaftsvertrag muß beftimmen: 

1. die Firma und den Sit der Gejellichaft; 
. den Gegenftand des Unternehmens; 
. die Höhe des Grundfapitals und der einzelnen Aktien; 
. die Art der Bejtellung und AZufammenfegung des Vorjtandes; 
. die Form, in der die Berufung der Generalverfammlung der 
Altionäre gejchieht; 
6. die Form, in der die von der Gejellichaft ausgehenden Belannt- 
machungen erfolgen. 

Bekanntmachungen, die durch öffentliche Blätter erfolgen jollen, find in 
den Deutfchen Reichsanzeiger einzurüden. Andere Blätter außer diefem bejtimmt 
der Gefellichaftsvertrag. 

$ 184. Für einen geringeren al3 den Nennbetrag dürfen Aktien nicht 
ausgegeben werden. 

Die Ausgabe für einen höheren Betrag ijt jtatthaft, wenn fie im Ge- 
jellichaftsvertrage zugelafjen ift. 

Borteit zu gunſten einzelner Altionäre, 

$ 186. Jeder zu guniten einzelner Mftionäre bedungene befondere Vorteil 
muß im Gejelljchaftsvertrag unter Bezeichnung des Berechtigten feſtgeſetzt werden. 

Werden auf das Grundfapital von Aktionären Einlagen gemacht, die 
nicht durch Barzahlung zu leiten find, oder werden vorhandene oder her— 
zuftellende Anlagen oder jonjtige VBermögensgegenftände von der zu errichten: 
den Gejellichaft übernommen, jo müfjen der Gegenftand der Einlage oder der 
Uebernahme, die Perfon, von welcher die Gefellichaft den Gegenjtand erwirbt, 
und der Betrag der für die Einlage zu gewährenden Aktien oder die für den 
übernommenen Gegenjtand zu gewährende Vergütung im Gejellichaftsvertrage 
feitgefegt werben. 


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Handelägefellichaften und ſtille Gefellfchaft. 379 


Bon diejen Feitiegungen gejondert iit der Gejamtaufwand, welcher zu 
Laſten der Gefellichaft an Aktionäre oder andere als Entjchädigung oder 
Belohnung für die Gründung oder deren Worbereitung gewährt wird, im 
Geſellſchaftsvertrage feitzufegen. 

Jedes Abkommen über die vorbezeichneten Gegenſtände, welches nicht 
die vorgefchriebene Feſtſetzung im Gejellichaftsvertrag gefunden hat, ift der 


GSefellichaft gegenüber unwirkſam. 
Gründer. 


8 187. Die Aftionäre, welche den Gejellichaftsvertrag fejtgeftellt haben 
oder andere als durch Barzahlung zu leiftende Einlagen machen, gelten als 
die Gründer der Gefellichaft. 

Errichtung der Geſellſchaft durch die Gründer. 
$ 188. Uebernehmen die Gründer alle Aktien, jo gilt mit der Ueber— 
nahme der Aktien die Gefellichaft als errichtet. 

Soweit die Uebernahme nicht jchon bei der Feititellung des Gejellichafts- 
vertrags erfolgt, kann fie in einer befonderen gerichtlichen oder notariellen 
Verhandlung unter Angabe der Beträge, welche die einzelnen Gründer noch 


übernehmen, bewirkt werden. 
Altienzeihnung. Zeihnungsihein. 


$ 189. Uebernehmen die Gründer nicht alle Aktien, fo hat der Errichtung 
der Gejellichaft die Zeichnung der übrigen Aktien vorherzugehen. 

Die Zeichnung erfolgt Durch fchriftliche Erklärung, aus der die Beteiligung 
nah der Anzahl und, falls verjchiedene Aktien ausgegeben werden, nad) dem 
Betrag oder der Gattung der Aktien hervorgeyen muß. 

Die Erklärung (Zeichnungsichein) joll doppelt ausgejtellt werden; jie 
hat zu enthalten: 

1. den Tag der FFeitjtellung des Gefellfchaftsvertrags, die in $ 182 
Abf. 2 und im $ 186 vorgefehenen Feſtſetzungen und, wenn 
mehrere Gattungen von Altien mit verfchiedener Berechtigung 
ausgegeben werden, den Gejamtbetrag einer jeden; 

2. den Namen, Stand und Wohnort der Gründer; 

3. den Betrag, für welchen die Ausgabe der Aktie jtattfindet, und 
den Betrag der fejtgefegten Einzahlungen ; 

4. den Zeitpunkt, in welchem die Zeichnung unverbindlich wird, jofern 
nicht bi3 dahin die Errichtung der Gejellichaft beſchloſſen it. 

BZeichnungsjcheine, welche diefen Inhalt nicht volljtändig haben oder 
außer dem unter Nr. 4 bezeichneten Vorbehalte Beſchränkungen in der Ver— 


380 IV, 4. Handelsgeſetzbuch. — Zweites Bud. 


pflichtung des Zeichner enthalten, find nichtig. Erfolgt ungeachtet eines 
hiernach nichtigen oder wegen verfpäteter Errichtung der Gejellichaft unver- 
bindlichen Zeichnungsjcheins die Eintragung der Gejellfchaft in das Handels- 
regijter, jo ilt der Zeichner, wenn er auf grund einer dem Abjat 2 entfprechenden 
Erflärung in der Generalverfammlung, die zur Beſchlußfaſſung über die 
Errichtung der Gejelljchaft berufen wird, jtimmt oder fpäter als Aktionär 
Rechte oder Verpflichtungen erfüllt, der Geſellſchaft wie aus einem giltigen 
Zeichnungsſcheine verpflichtet. 

Dede nicht in dem Zeichnungsſchein enthaltene Bejchränfung ift der 
Gejellihaft gegenüber unwirkſam. 

Erſter Auffihtsrat. 

S 190. Uebernehmen die Gründer alle Aktien, jo haben fie gleichzeitig 
mit der Errichtung der Gejellichaft oder in einer befonderen gerichtlichen oder 
notariellen Verhandlung den eriten Auffichtsrat der Gejellichaft zu beitellen. 

Uebernehmen die Gründer nicht alle Aktien, fo haben fie nach der 
Zeichnung des Grundkapital eine Generalverjammlung zur Wahl des Auffichts- 
rat3 zu berufen. 

Dieje VBorichriften finden auc auf die Bejtellung des erjten Vorftandes 
Anwendung, fofern micht nad) dem Gejellichaftsvertrage die Beſtellung in 
anderer Weije als durch Wahl der Generalverfammlung zu geichehen hat. 

Darlegung des Gründungshergangs. 

$ 191. Die Gründer haben im Falle des $ 186 Abſ. 2 in einer 
Ichriftlichen Erklärung die weentlichen Umftände darzulegen, von welchen die 
Angemefjenheit der für die cingelegten oder übernommenen Gegenftände 
gewährten Beträge abhängt. 

Sie Haben hierbei die vorausgegangenen Rechtsgejchäfte, die auf den 
Erwerb durch die Geſellſchaft Hingezielt haben, ferner die Erwerbs: und 
Heritellungspreife aus den legten beiden Jahren und im Falle des Lebergangs 
eines Unternehmens auf die Gejellichaft die Betriebserträgniſſe aus den legten 
beiden Gejchäftsjahren anzugeben. 

Prüfung des Gründungähergangs. 

$ 192. Die Mitglieder des Vorſtandes und des Aufjichtsrats haben 
den Hergang der Gründung zu prüfen. 

Gehört ein Mitglied des Vorjtandes oder des Auffichtsrats zu ben 
Gründern oder hat ji ein Mitglied einen bejonderen Vorteil oder für die 
Gründung oder deren Vorbereitung eine Entjchädigung oder Belohnung aus: 


Handelögejellfchaften und ftille Geſellſchaft. 381 


bedungen oder liegt ein Fall des $ 186 Abi. 2 vor, jo hat außerdem eine 
Prüfung durch befondere Reviſoren ftattzufinden. 

Die Neviioren werden durch das für die Vertretung des Handelsitandes 
berufene Organ, in Ermangelung eines jolchen durch das Gericht beftellt, in 
deſſen Bezirke die Gejellichaft ihren Sig hat. 

Gegenftand der Prüfung Prüfungébericht. 
$ 193. Die Prüfung hat fich insbejondere auf die Richtigkeit und Voll- 
ftändigfeit der Angaben zu erjtreden, die in Anfehung der Zeichnung und Einzahlung 
de3 Grundkapitals ſowie in Anjehung der im $ 186 vorgefehenen Feſtſetzungen von 
den Gründern gemacht find. Der Anhalt der im $ 191 beftimmten Erklärung ift 
auch in der Richtung zu prüfen, ob bezüglich der Angemeſſenheit der für die ein- 
gelegten oder übernommenen Gegenftände gewährten Beträge Bedenfen obwalten. 

Ueber die Prüfung ift unter Darlegung der im Abſ. 1 bezeichneten 
Umstände fchriftlich Bericht zu erjtatten. 

Sind die Revijoren durch das für die Vertretung des Handelsftandes 
berufene Organ beitellt, jo haben jie diefem ein Exemplar des Berichts ein- 
zureichen. Die Einficht des eingereichten Berichts iſt jedem geitattet. 

Grrihtung der Geſellſchaft Durd die Genceralverfammilung. 
$ 196. Haben die Gründer nicht ulle Aktien übernommen, jo beruft 
das im $ 195 bezeichnete Gericht eine Generalverfammlung der in dem Ber: 
zeichnis aufgeführten Aktionäre zur Beichlußfaffung über die Errichtung der 
Geſellſchaft. Die Berfammlung findet unter der Leitung des Gerichts jtatt. 

Der Vorſtand und der Auffichtsrat haben ſich über die Ergebnifje der 
ihnen in Anjehung der Gründung obliegenden Prüfung auf grund der im 
8 193 Abj. 2 bezeichneten Berichte und ihrer urfundlichen Grundlagen zu er: 
flären. Jedes Mitglied des Vorftandes und des Aufjichtsrats kann bis zur 
Beſchlußfaſſung die Unterzeichnung der Anmeldung zurüdziehen. 

Die der Errichtung der Gejellichaft zuftimmende Mehrheit muB mindejtens 
ein Vierteil aller in dem Verzeichnis aufgeführten Aktionäre umfaſſen; der 
Betrag ihrer Anteile muß mindejtens ein Bierteil des gefamten Grundfapitals 
daritellen. Auch wenn diefe Mehrheit erreicht wird, gilt die Errichtung als 
abgelehnt, ſofern hinfichtlich eines Teiles der Aktionäre die Vorausſetzungen 
des $ 186 vorliegen und jich die Mehrheit der von anderen Aktionären ab» 
gegebenen Stimmen gegen die Errichtung erklärt. 

Die Zuftimmung aller erjchtenenen Aktionäre iſt erforderlich, wenn die 
im 5 182 Abi. 2 Nr. 1 bis 4, im $ 183, im $ 184 Abi. 2 ſowie die im 


882 IV. 4. Handelsgeſetzbuch. — Zweites Bud). 


$ 185 bezeichneten Bejtimmungen des Geſellſchaftsvertrags abgeändert oder 
die im $ 186 vorgejehenen Feitiegungen zu Laften der Gefellichaft erweitert 
werden follen. Dasjelbe gilt, wenn die Dauer der Gefellichaft über die im 
Gejellichaftsvertrage beftimmte Zeit verlängert oder die im Gejellfchaftsvertrage 
für Beichlüffe der Generalverfammlung vorgejehenen erfchwerenden Erforder- 
nifje bejeitigt werden follen. 
Die Beſchlußfaſſung ift zu vertagen, wenn es von den Altionären mit 
einfacher Stimmenmehrheit verlangt wird. 
Seffentlihe Antündigung von Attien. 
$ 203. Wer vor der Eintragung der Gefellfchaft in das Handelsregijter 
oder in den erjten zwei Jahren nach der Eintragung eine öffentliche An- 
fündigung der Aftien erläßt, um fie in den Verkehr einzuführen, iſt der Gejell- 
Schaft im Falle der Unrichtigfeit oder Unvollftändigfeit von Angaben, welche 
die Gründer in Anjehung der Zeichnung oder Einzahlung des Grundfapitals 
oder in Anjehung der im $ 186 vorgejehenen Feitiegungen zum Zwecke der 
Eintragung der Gejellichaft in das Handelöregifter machen, jowie im Falle 
einer böslichen Schädigung der Gefellihaft durch Einlagen oder Uebernahmen 
für den Erjat des ihr daraus entftehenden Schadens mit den im $ 202 
bezeichneten Perſonen als Gejamtichuldner verhaftet, wenn er die Unrichtigfeit 
oder Umvolljtändigfeit der Angaben oder die bösliche Echädigung fannte oder 
bei Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen Gejchäftsmanns fennen mußte. 
Weſen der Altiengefellichaft. 
$ 210. Die Aftiengejellichaft als folche hat jelbjtändig ihre Rechte und 
Pflichten; fie fann Eigentum und andere dingliche Rechte an Grunditüden 
erwerben, vor Gericht Hagen und verklagt werden. 
Die Aftiengefellichaft gilt als Handelsgejellichaft, auch wenn der Gegen- 
ftand des Unternehmens nicht in dem Betrieb eines Handelsgewerbes beiteht. 
Atienbudh. Auf Namen lautende Aftien, 
$ 222. Auf Namen lautende Aktien find mit genauer Bezeichnung des 
Inhabers nad) Namen, Wohnort und Stand in das Aftienbuch der Gejellichaft 
einzutragen. 
Sie fünnen, joweit nicht der Gejellichaftsvertrag ein anderes bejtimmt, 
ohne Zuſtimmung der Gejellichaft auf andere übertragen werden. 
Die Uebertragung kann durch Indoffament gefchehen. In betreff der 
Form des Indofjaments, in betreff der Legitimation des Inhabers und in 
betreff jeiner Verpflichtung zur Herausgabe finden die Vorjchriften der Artifel 


Handelögejellichaften und jtille Gejellichaft. 3833 


11 bis 13, des Artikels 36 Sat 1 bis 4 und des Artifels 74 der Wechjel- 
ordnung entiprechende Anwendung. | 

Zur Uebertragung von Aftien, die gemäß 8 180 Abſ. 3 auf einen Betrag 
von weniger als eintaujend Marf geitellt jind, ijt die Zuftimmung des Auf— 
fichtörats und der Generalverfammlung erforderlih. Die Uebertragung diejer 
Aktien kann nur mittel® einer die Perſon des Erwerbers bezeichnenden, 
gerichtlich oder notariell beglaubigten Erklärung erfolgen. 


Borftand der Attiengefchihaft. 
8 231. Die Aftiengefellfchaft wird durch den Vorſtand gerichtlich und 
außergerichtlich vertreten. 
Der Boritand kann aus einer oder mehreren Perjonen beitehen. 
Die Beitellung zum Mitgliede des Vorjtandes ijt jederzeit widerruflich, 
unbefchadet des Anſpruchs auf die vertragsmäßige Vergütung. 


Der Direktor einer Aftiengefelichaft ift Bevollmädtigter im Sinne von 


$ 2663 Str.G.B. 
Defien Obliegenheiten. 


$ 232. Zu Willenderflärungen, insbejondere zur Zeichnung des Vor: 
Itandes für die Gejellichaft, bedarf es der Mitwirkung fämtlicher Mitglieder 
des Vorjtandes, jofern nicht im Gefellichaftävertrag ein anderes bejtimmt ijt. 
Der Vorſtand kann jedoch einzelne Mitglieder zur Vornahme bejtimmter 
Gejchäfte oder beſtimmter Arten von Gejchäften ermäcdhtigen. it eine Willens- 
erklärung der Gejellichaft gegenüber abzugeben, jo genügt die Abgabe gegenüber 
einem Mitgliede des Worjtandes. 

Steht nicht jedem einzelnen Vorjtandsmitgliede die jelbjtändige Wer: 
tretung der Gejellichaft nach dem Gejellichaftsvertrage zu, ſo fann durch diejen 
bejtimmt werden, dat die Vorjtandsmitglieder, wenn nicht mehrere zujammen 
handeln, in Gemeinjchaft mit einem Profuriften zur Vertretung der Gejell- 
ichaft befugt fein follen. Auch kann durch den Gefellichaftsvertrag der Auf: 
ſichtsrat ermächtigt werden, einzelnen Mitgliedern des Vorſtandes die Befugnis 
zu erteilen, die Geſellſchaft allein oder in Gemeinjchaft mit einem Profuriften 
zu vertreten. Die Vorjchriften des Ab. 1 Sat 2, 3 finden im diejen Fällen 
entjprechende Anwendung. 

$ 235. Der Vorſtand ijt der Gejellichaft gegenüber verpflichtet, die 
Beſchränkungen einzuhalten, welche im Gejellichaftsvertrag oder durch Be— 
Ichlüffe der Generalverfammlung für den Umfang feiner Befugnis, die Gefell- 
ſchaft zu vertreten, feitgejett find. 


384 IV. 4. Handelsgeſetzbuch. — Zweites Bud). 


Dritten gegenüber ift eine Bejchränfung der Vertretungsbefugnis des 
Vorjtandes unwirkſam. Dies gilt insbefondere für den Fall, daß die Ver: 
tretung ich nur auf gewiſſe Gefchäfte oder Arten von Geſchäften erjtreden 
oder nur unter gewiljen Umftänden oder für eine gewiſſe Zeit oder an einzelnen 
Orten jtattfinden foll oder daß für einzelne Geſchäfte die Zuftimmung der 
Seneralverjammlung, des Aufſichtsrats oder eines anderen Organs der Gejell- 
Schaft erfordert wird. 

Berpflihtung zur Buchführung. 

$ 239. Der Borftand hat Sorge dafür zu tragen, daß die erforder- 
lichen Bücher der Gefellfchaft geführt werden. 

Jedes Vorftandsmitglied ift alfo für ordnungsmäßige Buchführung und 
Bilanzziehung ftrafrechtlich verantwortlich, gleichviel wen durch Geſellſchaftsvertrag 
oder Beichlüffe der Gefellfchaftsorgane die Buchführung übertragen worden ift. 

Antrag auf KRonturseröffnung. 

$ 240. Erreicht der Verluſt, der fich bei der Aufitellung der Jahres— 
bilanz oder einer Zwijchenbilanz ergibt, die Hälfte des Grundfapitals, jo hat 
der Vorſtand unverzüglich die Oeneralverfammlung zu berufen und diefer 
davon Anzeige zu machen. 

Sobald Zahlungsunfähigfeit der Geſellſchaft eintritt, hat der Vorſtand 
die Eröffnung des Konkurſes zu beantragen; dasjelbe gilt, wenn fich bei der 
Aufftellung der Jahresbilanz oder einer Zwifchenbilanz ergibt, daß das Ver— 
mögen nicht mehr die Schulden dedt. 

Für Verlegung von Abi. 2 gibt $ 315 Ziff. 2 die Strafbeitiimmung. 

YAuffichtörat. 

$ 243. Der Auffichtsrat befteht, jofern nicht der Gejellichaftävertrag 
eine höhere Zahl fejtjegt, aus drei von der Generalverfammlung zu wählenden 
Mitgliedern. 

Die Wahl des eriten Aufjichtsrats gilt für die Zeit bis zur Beendigung 
der erſten Generalverjammlung, welche nach dem Ablauf eines Jahres jeit der 
Eintragung der Gejellfchaft in das Handelsregiiter zur Beſchlußfaſſung über 
die Sahresbilanz abgehalten wird. 

Später kann der Aufjichtsrat nicht für eine längere Zeit als bis zur 
Beendigung derjenigen Generalverfammlung gewählt werden, welche über die 
Bilanz für das vierte Gefchäftsjahr nad) der Ernennung beichlieht; das Ge: 
Ichäftsjahr, in welchem die Ernennung erfolgt, wird hierbei nicht mitgerechnet. 

Die Bejtellung zum Mitgliede des Aufjichtsrats kann aud) vor dem 
Ablaufe des Zeitraums, für den das Mitglied gewählt ist, durch die General» 


Handelsgejellfchaften und jtille Geſellſchaft. 385 


verfammlung widerrufen werden. Sofern nicht der Gejellichaftsvertrag ein 
anderes bejtimmt, bedarf der Beſchluß einer Mehrheit, die mindejtens drei 
Vierteile des bei der Beſchlußfaſſung vertretenen Grundfapitals umfaßt. 


©. $ 315 Ziff. 1. Auffichtsratsmitglieder Bevollmächtigte im Sinne 
von $ 2662 Str. G. B. 
Ueberwachende Zätigfeit desſelben. 


$ 246. Der Aufſichtsrat hat die Geſchäftsführung der Geſellſchaft in 
allen Zweigen der Verwaltung zu überwachen und fich zu dieſem Zwecke von 
dem Gange der Angelegenheiten der Gefellichaft zu unterrichten. Er fann 
jederzeit über dieje Angelegenheiten Berichterjtattung von dem Vorſtande ver- 
fangen und felbjt oder durch einzelne von ihm zu bejtimmende Mitglieder die 
Bücher und Schriften der Gejellichaft einjehen ſowie den Beſtand der Gefell- 
ichaftsfafle und die Beſtände an Wertpapieren und Waren unterfuchen. Er 
hat die Jahresrechnungen, die Bilanzen und die Borjchläge zur Gewinnverteilung 
zu prüfen und darüber der Generalverjammlung Bericht zu eritatten. 

Er hat eine Generalverfammlung zu berufen, wenn dies im Interejje 
der Gejellichaft erforderlich iſt. 

Weitere Obliegenheiten des AufjichtsratS werden durch den Gefellichafts- 
vertrag bejtimmt. 

Die Mitglieder des Auffichtärats fünnen die Ausübung ihrer Obliegen- 


heiten nicht anderen übertragen. 
Generalverfammlung der Altionäre, 


z 250. Die Rechte, welche den Aktionären in den Nugelegenheiten der 
Gejellichaft, insbefondere in bezug auf die Führung der Gejchäfte, zuftehen, 
werden durch Beichlukfaflung in der Generalverjammlung ausgeübt. 


Stimmrecht. 

z 252. Jede Aktie gewährt das Stimmredt. Das Stimmrecht wird 
nach den Aftienbeträgen ausgeübt. Der Gefellfchaftsvertrag fann für den Fall, 
daß ein Aktionär mehrere Aftien bejigt, die Ausübung des Stimmrechts durd) 
Feſtſetzung eines Höchitbetrags oder von Abjtufungen bejchränfen. Werden 
mehrere Gattungen von Aktien ausgegeben, jo fann der Gejellichaftsvertrag 
den Aktien der einen Gattung ein höheres Stimmrecht beilegen als den Aktien 
einer anderen Gattung. 

Das Stimmreht kann durch einen Bevollmächtigten ausgeübt werden. 
Für die Vollmacht ift die fchriftliche Form erforderlich und genügend; Die 
Vollmacht bleibt in der Verwahrung der Gejelljchaft. 

2 


386 IV. 4. Handelsgejegbud. — Zweites Bud). 


Wer durch die Beſchlußfaſſung entlaftet oder von einer Verpflichtung 
befreit werden foll, hat hierbei fein Stimmrecht und darf ein ſolches auch 
nicht für andere ausüben. Dasjelbe gilt von einer Beichlußfafjung, welche 
die Vornahme eines Nechtsgejchäfts mit einem Aktionär oder die Einleitung 
oder Erledigung eines Nechtsftreits zwijchen ihm und der Gejelljchaft betrifft. 

Im übrigen richten ji die Bedingungen und die Form der Ausübung 
des Stimmrechts nad) dem Gejellichaftsvertrage. 


Berufung der Generalverfamminng. 

8 253. Die Generalverfammlung wird durch den Boritand berufen, 
ſoweit nicht nach dem Geſetz oder dem Gejellichaftsvertrag auch andere Perſonen 
dazu befugt find. 

Die Generalverfammlung ijt, außer den im Gejeß oder im Gejellichafts- 
vertrag ausdrüdlich beftimmten Fällen, zu berufen, wenn das Intereſſe der 
Geſellſchaft es erfordert. 


8 254. Die Generalverſammlung iſt zu berufen, wenn Aktionäre, deren 
Unteile zufammen den zwanzigiten Teil des Grundfapital® erreichen, die 
Berufung schriftlich unter Angabe des Zwedes und der Gründe verlangen. 
Sit in dem Gefellichaftsvertrage das echt, die Berufung der General- 
verfammlung zu verlangen, an den Befi eines geringeren Anteil® am Grund- 
fapitale geknüpft, jo hat es Hierbei jein Bewenden. 

In gleicher Weife haben die Aftionäre das Recht, zu verlangen, daß 
Gegenftände zur Beichlußfafjung einer Generalverfammlung angekündigt werden. 

Wird dem Verlangen weder durch den Borjtand noch durch den Auf- 
fichtörat entjprochen, jo kann das Gericht des Sitzes der Gejelljchaft die 
Aktionäre, welche das Verlangen gejtellt haben, zur Berufung der General» 
verfammfung oder zur Ankündigung des Gegenjtandes ermächtigen. Zugleich 
fann das Gericht über die Führung des Borjiges in der Verſammlung Be- 
jtimmung treffen. Auf die Ermächtigung muß bei der Berufung oder An- 
fündigung bezug genommen werden. 

Die Generalverfammlung befchließt Darüber, ob die entjtandenen Koften 
von der Gejellichaft getragen werden jollen. 


$ 255. Die Berufung der Generalverjammlung hat in der durch den 
Gejellichaftävertrag bejtimmten Weiſe mindeftens zwei Wochen vor dem Tage 
der Berjammlung zu erfolgen. Der Tag der Berufung und der Tag ber 
Generalverfammlung find hierbei nicht mitzurechnen. 


Handelögejellihaften und ſtille Gejellichait. 387 


Iſt im Gejellfchaftsvertrage die Ausübung des Stimmrecht? davon 
abhängig gemacht, daß die Aktien bis zu einem bejtimmten Zeitpunfte vor 
der Generalverſammlung hinterlegt werden, jo ift die Friſt derart zu bemefjen, 
daß für die Hinterlegung mindeſtens zwei Wochen frei bfeiben. In dieſem 
alle genügt aud) die Hinterlegung bei einem Notar. 

Iſt im Gejellfchaftsvertrag eine Beitimmung der im Abi. 2 bezeichneten 
Art nicht getroffen, jo müfjen die Anmeldungen zur Teilnahme an der General- 
verjammlung zugelafjen werden, wenn fie nicht jpäter als am dritten Tage 


vor der Berjammlung erfolgen. 
Genehmigung der Bilanz. 


$ 260. Die Generalverfammlung befchließt über die Genehmigung der 
Sahresbilanz und die Gemwinnverteilung jowie über die Entlaftung des Vor— 
ftandes und des Auffichtsrate. 

Der Borjtand hat in den eriten drei Monaten des Gefchäftzjahrs für 
das verfloffene Gejchäftsjahr eine Bilanz, eine Gewinn und Verlustrechnung 
jomwie einen den Vermögensſtand und die Verhältniffe der Gejellichaft ent- 
widelnden Bericht dem Auffichtsrat und mit defjen Bemerkungen der General: 
verjammlung vorzulegen. Im Gejellichaftsvertrage kann eine andere Friſt, 
jedoch nicht über die Dauer von ſechs Monaten hinaus, beftimmt werden. 

$ 264. Die Verhandlung über die Genehmigung der Bilanz ift zu ver- 
tagen, wenn dies in der Generalverfanmlung mit einfacher Stimmenmehrheit 
befchloffen oder von einer Minderheit, deren Anteile den zehnten Teil des 
Grundfapitals erreichen, verlangt wird, auf Berlangen der Minderheit jedoch 
nur, joweit von ihr beitimmte Anſätze der Bilanz bemängelt werden. 

Sit die Verhandlung auf Verlangen der Minderheit vertagt, jo fann 
von diejer eine erneute Vertagung nur gefordert werden, wenn über die in 
der früheren Verhandlung bemängelten Anfäge der Bilanz die erforderliche 
Aufklärung nicht erteilt worden iſt. 


Antrag auf Beitelung von Reviforen, 
$ 266. Die Generalverfammlung fann mit einfacher Stimmenmehrheit 
die Beitellung von Revijoren zur Prüfung der Bilanz oder zur Prüfung von 
Vorgängen bei der Gründung oder der Gejchäftsführung beſchließen. 

Iſt in der Generalverfammlung ein Antrag auf Bejtellung von Reviforen 
zur Prüfung eines Vorganges bei der Gründung oder eines nicht länger als 
zwei Jahre zurüdliegenden VBorganges bei der Gefchäftsführung abgelehnt 
worden, jo fünnen auf Antrag von Altionären, deren Anteile zufammen den 


25* 


Es 


M 


zehnten Teil des Grundlkapitals erreichen, Reviſoren durch das Gericht, in 
deſſen Bezirke die Gefellichaft ihren Sig hat, ernannt werden. 

Dem Antrag ift nur jtattzugeben, wenn glaubhaft gemacht wird, daß 
bei dem Vorgang Unredlichfeiten oder grobe Verlegungen des Gejeges oder 
des Gejellichaftövertrags jtattgefunden haben. Die Antragiteller Haben die 
Aktien bis zur Entfcheidung über den Antrag zu hinterlegen und glaubhaft zu 
machen, daß fie ſeit mindeftens jech® Monaten, von der Generalverfammlung 
zurüdgerechnet, Beſitzer der Aktien find. 

Bor der Ernennung find der Vorſtand und der Auflichtsrat zu hören. 
Die Ernennung fann auf Verlangen von einer nach freiem Ermeſſen zu 
beitimmenden Sicherheitsleiftung abhängig gemacht werden. 


388 IV. 4. Sandelögefegbuch. — Zweites Bud. 


Anſprüche der Geſellſchaft aus der Gründung. 

$ 268. Die Anſprüche der Gejellichaft aus der Gründung gegen die 
nach den 88 202 bis 204, 208 verpflichteten Perſonen oder aus der Gejchäfte- 
führung gegen die Mitglieder des Voritandes und des Aufjichtärats müſſen 
geltend gemacht werden, wenn es in der Generalverfammlung mit einfacher 
Stimmenmehrheit bejchlofjen oder von einer Minderheit, deren Anteile den 
zehnten Teil des Grumdfapitald erreichen, verlangt wird. 

Zur Führung des Rechtsitreits fann die Generalverjammiung bejondere 
Vertreter wählen. Iſt die Geltendmachung des Anſpruchs von der Minder- 
heit verlangt, jo fönnen die von diefer bezeichneten Perſonen durch das Gericht 
des Sites der Gejellichaft als deren Vertreter zur Führung des Nechtsftreits 
bejtellt werden. Im übrigen bewendet es bei den Vorjchriften des S 247; 
diefe fommen auch dann zur Anwendung, wenn die Geltendmachung des Ans 
ſpruchs von der Minderheit verlangt iſt. 


Anfechtung des Beſchluſſes der Generalverfammiung. 

s 271. Ein Beſchluß der Generalverſammlung kann wegen Verletzung 
des Geſetzes oder des Geſellſchaftsvertrags im Wege der Klage angefochten 
werden. 

Die Klage muß binnen einem Monat erhoben werben. 

Zur Anfechtung befugt it jeder in der Generalverfammlung erjchienene 
Aktionär, ſofern er gegen den Beſchluß Widerſpruch zum Protofoll erflärt 
hat, und jeder nicht erjchienene Aktionär, jofern er zu der Generalverjammlung 
unberechtigter Weife nicht zugelafjen worden ift oder ſofern er die Anfechtung 
darauf gründet, dab die Berufung der VBerfammlung oder die Ankündigung 





Handelägejellichaften und jtille Geſellſchaft. 389 


des Gegenjtandes der Beſchlußfaſſung nicht gehörig erfolgt jei. Eine Anfechtung, 
die darauf gegründet wird, daß durch den Beſchluß Abjchreibungen oder Rüd- 
lagen über das nach dem Geje oder nach dem Gejellichaftsvertrage ſtatt— 
bafte Maß hinaus angeordnet jeien, ift nur zuläjfig, wenn die Anteile des 
Aktionärs oder der Altionäre, welche die Anfechtungsflage erheben, den 
zwanzigjten Teil des Grundfapitals erreichen. 

Außerdem ift der VBorjtand und, jofern der Beichlu eine Maßregel zum 
Gegenjtande hat, durch deren Ausführung fich die Mitglieder des Vorſtandes 
und des Aufſichtsrats jtrafbar oder den Gläubigern der Gejellichaft haftbar 
machen würden, jedes Mitglied des Borjtandes und des Auffichtsrat3 zur 


Anfechtung befugt. Abänderung des Geſellſchaftsvertrags. 


s 274. Eine Abänderung des Gefellfchaftsvertrags fann nur durch die 
Generalverfammlung bejchloffen werden. Die Vornahme von Aenderungen, die 
nur die Faſſung betreffen, kann durch Beichluß der Generalverfammlung dem 
Auffichtsrat übertragen werden. 

In der nach $ 256 Abf. 1, 2 zu bewirfenden Ankündigung joll die 
beabfichtigte Aenderung des Gejelljchaftsvertrags nach ihrem wejentlichen Inhalt 


erfennbar gemacht werden. 
j Erhöhung des Grundfapitals. 


$ 278. Eine Erhöhung des Grundfapitals durch Ausgabe neuer Aktien 
joll nicht vor der vollen Einzahlung des bisherigen Kapitals erfolgen. Für 
Berficherungsgejellichaiten kann im Gejellichaftsvertrag ein anderes bejtimmt 
werden. Durch Rüdjtände, die auf einen verhältnismäßig unerheblichen Teil 
der eingeforderten Einzahlung verblieben find, wird die Erhöhung des Grund: 
fapitals nicht gehindert. 

Sind mehrere Gattungen von Aktien mit verjchiedener Berechtigung vor- 
handen, jo bedarf es neben dem Beſchluſſe der Generalverfammlung eines in 
gefonderter Abſtimmung gefaßten Beſchluſſes der Aktionäre jeder Gatrung; auf dieſe 
Beſchlußfaſſung finden die Vorfchriften des $ 275 Abj. 1, Abj.3 Sag 2 Anwendung. 

Sollen die auf die Stapitalserhöhung entfallenden neuen Aktien für 
einen höheren al3 den Nennbetrag ausgegeben werden, jo iſt der Mindejtbetrag, 
unter dem die Nusgabe nicht erfolgen fol, in dem Beſchluß über die Erhöhung 
des Grundfapitals feitzujegen. 

$ 279. Wird auf das erhöhte Grundkapital eine Einlage gemacht, die 
nicht durch Barzahlung zu leiften ift, oder wird auf eine Einlage eine Ver: 
gütung für Vermögensgegenftände angerechnet, welche die Geſellſchaft übernimmt, 


390 IV, 4. Handelsgeſetzbuch. — Zweite Bud). 


jo müffen der Gegenjtand der Einlage oder der Uebernahme, die Perjon, von 
welcher die Gefellichaft den Gegenjtand erwirbt, und der Betrag der für die 
Einlage zu gewährenden Aktien oder die für den übernommenen Gegenjtand 
zu gewährende Vergütung in dem Beſchluß über die Erhöhung des Grund- 
fapitals fejtgefegt werden. 

Jedes Ablommen diefer Art, welches nicht die vorgejchriebene Feſt— 
fegung in dem Bejchluffe der Generalverfammlung gefunden hat, ijt 
der Gejellihaft gegenüber unwirffam. Die VBorjchriften der 88 207, 208 
bleiben unberührt. 


$ 280. Der Beichluß über die Erhöhung des Grundfapitals ift von 
jämtlichen Mitgliedern des Vorſtandes und des Aufſichtsrats zur Eintragung 
in das Handelsregijter anzumelden. 

In der Anmeldung iſt die Verjicherung abzugeben, daß das bisherige 
Grundfapital eingezahlt ift oder, foweit die Einzahlung nicht ftattgefunden 
bat, daß darauf weitere als die in der Anmeldung bezeichneten Beiträge nicht 
rüdjtändig find. 
* Strafbeſtimmung f.$ 313 Ziff. 8. 


$ 287. Bevor die erfolgte Erhöhung des Grundfapitals in dag Handels— 
regifter eingetragen tt, fünnen Aktien und Interimsjcheine auf das zu er- 
höhende Kapital nicht ausgegeben werden. 

Die Anteildrechte an dem zu erhöhenden Kapitale fünnen vor diefem 
BZeitpunfte mit Wirkſamkeit gegenüber der Geſellſchaft nicht übertragen werben. 


Serabfchung des Grundfapitals. 

g 288. Eine Herabjegung des Grundfapitald® fann nur mit einer 
Mehrheit bejchlofjen werden, die mindejtens drei Vierteile des bei der Beſchluß— 
jaffung vertretenen Grundfapital3 umfaßt. Der Gejellichaftsvertrag kann nod) 
andere Erfordernifje aufitellen. 

Durch den Beichluß muß zugleich feitgefeßt werden, zu welchem Zwecke 
die Herabfegung ftattfindet, insbejondere, ob fie zur teilweifen Rüdzahlung 
des Grundfapital3 an die Aktionäre erfolgt, und in welcher Weile die Maß— 
regel auszuführen ift. 

Eind mehrere Gattungen von Altien mit verschiedener Berehtigung vor: 
handen, jo bedarf es neben dem Beichluffe der Generalverfammlung eines in 
gefonderter Abftimmung gefakten Bejchluffes der Aktionäre jeder Gattung; 





Sandelögejellichaften und jtille Geſellſchaft. 391 


auf dieje Beichlubfaffung finden die Vorjchriften des Abf. 1 und des 8 275 
Abi. 3 Sat 2 Anwendung. 
Liquidation der Aftiengefellfchaft. 

z 294. Nach der Auflöfung der Gejellichaft findet die Liquidation 
ftatt, jofern nicht über das Vermögen der Geſellſchaft der Konkurs eröffnet iſt. 

Bis zur Beendigung der Liquidation fommen die Vorjchriften der voraus— 
gehenden Titel zur Anwendung, joweit fich nicht aus dieſem Titel oder aus 
dem Zwecke der Liquidation ein anderes ergibt. 

2iquidatoren. 

S 2%. Die Liquidation gejchieht durch die Mitglieder des Vorſtandes 
als Liquidatoren, ſofern nicht durch den Gejellichaftsvertrag oder durch Be— 
jchluß der Generalverfammlung andere Perſonen dazu bejtimmt werden. 

Auf Antrag des Auffichtsrats oder von Aktionären, deren Anteile zu— 
jammen den zwanzigiten Teil des Grundfapitald erreichen, fann aus wichtigen 
Gründen die Ernennung von Liquidatoren durch das Gericht erfolgen, in 
dejjen Bezirfe die Gejellichaft ihren Sig hat. Die Aktionäre haben bei Stellung 
des Antrags glaubhaft zu machen, daß fie feit mindestens ſechs Monaten Be- 
jiger der Aktien find. 

Die Abberufung von Liquidatoren fann durch das Gericht unter den: 
jelben VBorausfegungen wie die Bejtellung jtattfinden. Liquidatoren, die nicht 
vom Gericht ernannt find, fünnen durch die Generalverfammlung auch vor 
dem Ablaufe des Zeitraums, für welchen fie bejtellt find, abberufen werden. 


Geihäftötreis der Liquidatoren. 
$ 298. Der Gejchäftstreis der Liquidatoren jowie die Form, in welcher 
fie die Firma zu zeichnen haben, bejtimmt fich nach den Vorjchriften der SS 149, 
151, 153. 

Im Uebrigen haben die Liquidatoren innerhalb ihres Geſchäftskreiſes 
die Rechte und Pflichten des Vorftandes; fie unterliegen gleich dieſem der 
Ueberwachung durch den Aufjichtsrat. 

In Anjehung der Mitwirkung ſämtlicher Liquidatoren bei Willens- 
erflärungen für die Gejellichaft findet die Vorjchrift des $ 232 Abſ. 1 Sap 1 
nur injfoweit Anwendung, als nicht für die Liquidatoren im Gejellichaftsvertrag 
oder bei ihrer Ernennung ein anderes bejtimmt iſt. 


Eine Beitellung von Profuriften findet nicht ftatt. Die Vorſchriften 
des 8 236 bleiben außer Anwendung. 


393 IV. 4. Handelsgeſetzbuch. — Zweites Bud, 


Klage auf Nidhtigfeitöerflärung der Gefelfchaft. 
$ 309. Enthält der Gejellichaftsvertrag nicht die nach $ 182 Abj. 2 
wejentlichen Beitimmungen oder ift eine dieſer Bejtimmungen nichtig, jo fann 
jeder Gejellichafter und jedes Mitglied des Vorſtandes und des Auffichtärates 
im Wege der Klage beantragen, daß die Gefellichaft für nichtig erklärt werde. 
Die Vorjchriften der 88 272, 273 finden entiprechende Anwendung. 
ss 272, 273 handeln vom gerichtlichen Verfahren. 


Strafbeitimmungen. Handeln abfihtlih zum Nachteile der Geſellſchaft. 
$ 312. Mitglieder des Vorſtandes oder des Auffichtsrates oder Liquidatoren 
werden, wenn fie abfichtlich zum Nachteile der Gejellichaft handeln, mit Ge- 
fängnis und zugleich mit Geldjtrafe bi8 zu zwanzigtaufend Mark beitraft. 
Zugleich kann auf Verluft der bürgerlichen Ehrenrechte erfannt werden. 
Sind mildernde Umstände vorhanden, jo kann ausjchlieglich auf Die 
Geldſtrafe erfannt werden. 

Ein Nachteil, d.h. eine Verminderung oder Gefährdung bes Geſell— 
ſchaftsvermögens, muß wirflich eingetreten fein. Der Tatbeftand ift umfallender 
alö in $ 2663 Str.G.B. 

Wiſſentlich falfhe Angaben. 
$ 313. Mit Gefängnis und zugleich mit Geldjtrafe bis zu zwanzig— 
taufend Markt werden beitraft: 

1. Gründer oder Mitglieder des Vorſtandes oder des Auffichtgrateg, 
die zum Zwecke der Eintragung der Gejellichaft in das Handels— 
regilter in Anjfehung der Zeichnung oder Einzahlung des Grund- 
fapitals, des Betrags, zu welchem die Aftien ausgegeben werden, 
oder der im $ 186 vorgejehenen Feſtſetzungen wifjentlich faljche 
Angaben machen; 

2. diejenigen, welche in Anfehung der vorerwähnten Tatjachen wifjentlich 
falfche Angaben in einer im $ 203 bezeichneten Ankündigung von 
Aktien machen; 

3. Mitglieder des Vorſtandes oder des Aufjichtsrats, die zum Zwecke 
der Eintragung einer Erhöhung der Grundfapital3 in das Handels- 
regijter in Anſehung der Einzahlung des bisherigen oder Der 
Zeichnung oder Einzahlung des erhöhten Kapital oder in An— 
jehung des Betrags, zu welchem die Aftien ausgegeben werden, 
oder in Anfehung der im $ 279 bezeichneten Feſtſetzungen wifjentlich 
falſche Angaben machen. 





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Sandelsgejellihaften und jtille Geſellſchaft. 393 


Zugleich kann auf Verluft der bürgerlichen Ehrenrechte erfannt werben. 


Sind 
ftrafe ein. 


mildernde Umſtände vorhanden, jo tritt ausfchließlich die Geld— 


Dem Täter muß die Unrichtigkeit feiner Angabe bekannt fein. 


Zuwiderhandlungen gegen einzelne Borichriften des Attienrechts. 
$ 314. Mitglieder des Borjtandes oder des Auffichtgrats oder Yiquidatoren 


werden mit 


Gefängnis bis zu einem Jahre und zugleich mit Gelditrafe bis 


zu zwanzigtaujend Mark beftraft, wenn fie wifjentlich 


1. 


— 


in ihren Darſtellungen, in ihren Ueberſichten über den Vermögens— 
ſtand der Geſellſchaft oder in den in der Generalverſammlung 
gehaltenen Vorträgen den Stand der Verhältniſſe der Geſellſchaft 
unwahr darſtellen oder verſchleiern; 


. auf Namen lautende Aktien, in denen die im $ 179 bj. 4 vor— 


gejchriebene Angabe nicht enthalten ift, oder auf den Inhaber 
lautende Aktien ausgeben, bevor darauf der Nennbetrag oder, falls 
der Ausgabepreis höher ijt, diefer Betrag voll geleistet ift; 


. Aktien oder Interimsfcheine ausgeben, bevor die Gejelljchaft oder 


im Falle einer Erhöhung des Grundfapital® die erfolgte Erhöhung 
in das Handelsregiiter eingetragen iſt; 


. außer den Füllen des 8 180 Abſ. 2, 3 Aktien oder Interimsjcheine 


ausgeben, die auf einen geringeren Betrag als eintaujend Mart 
gejtellt find; 


. in den Fällen des $ 180 Abi. 2, 3 Aktien oder Interimsſcheine 


ausgeben, in denen die im 8 180 Abſ. 4 vorgejchriebenen Angaben 
nicht enthalten find. 


Im Falle der Nr. 1 kann zugleich auf Verluſt der bürgerlichen Chren- 
rechte erfannt werden. 


Sind 
itrafe ein. 


mildernde Umftände vorhanden, jo tritt ausſchließlich die Geld- 


$ 315. Mit Gefängnis bis zu drei Monaten und zugleid) mit Gelditrafe 
bis zu fünftaufend Marf werben bejtraft: 


J. 


die Mitglieder des Vorſtandes oder die Liquidatoren ſowie die 
Mitglieder des Aufſichtsrats, wenn länger als drei Monate die Geſell— 
ſchaft ohne Aufſichtsrat geblieben iſt oder in dem letzteren die zur 
Beſchlußfähigeit erforderliche Zahl von Mitgliedern gefehlt Hat: 


394 IV. 4. Handelsgeſetzbuch. — Zweites Buch. — Drittes Bud). 


2. die Mitglieder des Vorſtandes oder Die Liquidatoren, wenn entgegen 
den Vorſchriften des $ 240 Abi. 2 und des 8 298 Abj.2 der 
Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens unterblieben ift. 

Sind mildernde Umftände vorhanden, fo tritt ausschließlich die Geld- 
itrafe ein. 

Straflos bleibt derjenige, bezüglich deſſen feftgejtellt wird, daß die Be- 
jtelung oder Ergänzung des Aufjichtsrats oder der Eröffnungsantrag ohne 
jein Verjchulden unterblieben: ift. 

Falfhe Beiheinigungen über Aftienhinterlegung. 

$ 316. Wer über die Hinterlegung von Aktien oder Interimsjcheinen 
Beicheinigungen, die zum Nachweiſe des Stimmrecht in einer Generalver- 
jammlung dienen follen, wifjentlich faljch ausgejtellt oder verfälicht oder von 
einer jolchen Bejcheinigung, wiſſend, daß fie faljch oder verfälicht ift, zur 
Ausübung des Stimmrecht3 Gebrauch macht, wird mit Gefängnis bis zu 
einem Jahre und zugleich mit Geldjtrafe bis zu zehntauſend Mark bejtraft. 
Daneben fann auf Verluft der bürgerlichen Ehrenrechte erfannt werden. Sind 
mildernde Umjtände vorhanden, fo tritt ausschließlich die Geldſtrafe ein. 

Stimmentfanf. 

$ 317. Wer fi) bejondere Borteile dafür gewähren oder verfprechen 
(äßt, daß er hei einer Abjtimmung in der Generalverfammlung in einem ge« 
wiſſen Sinne jtimme oder an der Abjtimmung in der Generalverjammlung 
nicht teilnehme, wird mit Gelditrafe bis zu dreitaujend Marf oder mit Ge- 
fängnis bis zu einem Jahre bejtraft. 

Die gleihe Strafe trifft denjenigen, welcher bejondere Vorteile dafür 
gewährt oder verspricht, dat Jemand bei einer Abjtimmung in der General» 
verfammlung in einem gewiffen Sinne ftimme oder an der Abjtimmung in 
der Generalverjammlung nicht teilnehme. 

Unbefugte Ausübung des Stimmredts. 

z 318. Wer die Aftien eines anderen, zu deſſen Bertretung er nicht 
hefugt ift, ohne dejjen Einwilligung zur Ausübung des Stimmrecht? in der 
Gencralverfammlung oder zur Ausübung eines der in den SS 254, 264, 266, 
268, 271, 295, 309 bezeichneten Rechte benußt, wird mit einer Geldftrafe von 
zehn bis dreißig Mark für jede der Aktien, jedoch nicht unter eintaujend Marf 
beitraft. Die gleiche Strafe trifft denjenigen, welcher Aftien eines anderen 
gegen Entgelt leiht und für diefe eines der vorbezeichneten Rechte ausübt, 
jowie denjenigen, welcher hierzu durch Verleihung der Aktien wijjentlich mitwirkt. 


mo — — 


Handelsgeſellſchaften und ftille Gejellfichaft. — Handelsgeſchäfte. 395 


Kommanditgefellihait auf Altien. 
$ 320. Mindeſtens ein Gejellfchafter der Kommanditgefellichaft auf Aktien 
haftet den Gejellichaftsgläubigern unbejchränft (perfönlich haftender Geſell— 
chafter), während die übrigen fich nur mit Einlagen auf das in Aftien zerlegte 
Grundfapital der Geſellſchaft beteiligen (Kommanditiſten). 


Das Rechtöverhältnis der perjönlich haftenden Gejellichafter unter einander 
und gegenüber der Gejamtheit der Kommanditiſten jowie gegenüber Dritten, 
insbejondere die Befugnis der perjönlich haftenden Gejellfchafter zur Geſchäfts— 
führung und zur Vertretung der Gejellichaft, beftimmt ſich nach den für die 
Kommanditgefellichaft geltenden Vorſchriften. 

Im Uebrigen gelten für die Kommanditgejellichaft auf Aktien, foweit 
fih nicht aus dem nachfolgenden Vorjchriften oder aus dem Fehlen eines 
Vorftandes ein amderes ergibt, die Vorjchriften des dritten Abjchnitts über 
die Aftiengejellichaft. 

Stille Geſellſchaft. 

$s 335. Wer fich als ftiller Gejellichafter an dem Handelögewerbe, das 
ein anderer betreibt, mit einer Vermögenseinlage beteiligt, hat die Einlage fo 
zu leiften, daß fie in das Vermögen des Inhabers des Handelsgeſchäfts übergeht. 

Der Inhaber wird aus den in dem Betriebe gejchlofjenen Gefchäften 
allein berechtigt und verpflichtet. 


Der Geichäftsinhaber wird alfo durch Uebergabe der Bermögenseinlage 
deren Eigentümer. Unterichlagung ausgeichloflen. 


Drittes Buch. 
Handelsgeſchüfte. 


Begriff der Handelsgeſchäfte. 
$ 343. Handelsgejchäfte find alle Gefchäfte eines Kaufmanns, die zum 
Betriebe ſeines Handelögewerbes gehören. 
Die im SI Abi. 2 bezeichneten Gefchäfte find auch dann Handelögejchäfte, 
wenn fie von einem Kaufmann im Betriebe feines gewöhnlich auf andere 
Geſchäfte gerichteten Handelsgewerbes gejchlojjen werben. 


396 IV. 4. Handelögejepbudh. — Britted Bud). 


Anwendung der Borichriften über Sandelögeihäfte. 

8 345. Auf ein Rechtögefchäft, das für einen der beiden Teile ein 
Handelögejchäft ift, fommen die Vorjchriften über Handelägefchäfte für beide 
Teile gleichmäßig zur Anwendung, ſoweit nicht aus dieſen Vorjchriften fich 
ein anderes ergibt. 


Ausnahmen von Formvorſchriften des bürgerlihen Rechtes. 
$ 350. Auf eine Bürgichaft, ein Schuldverjprechen oder ein Schuld- 
anerfenntnis finden, jofern die Bürgichaft auf der Seite des Bürgen, das 
Berjprechen oder das Anerfenntnis auf der Seite des Schuldners ein Handels— 
geichäft ift, die Formvorjchriften des $ 766 Sag 1, des $ 780 und des $ 781 
Satz 1 des Bürgerlichen Gejegbuchs feine Anwendung. 
Auf die Minderkaufleute ift der $ 4 nicht anwendbar. ($ 351). 
Höhe der Zinfen. 
$ 352. Die Höhe der gejeglichen Zinſen, mit Einjchluß der Verzugs- 
zinfen, ijt bei beiderjeitigen Handelsgefchäften fünf vom Hundert für das 
Jahr. Das gleiche gilt, wenn für eine Schuld aus einem folchen Handels- 
geichäfte Zinſen ohne Beſtimmung des Zinsfuhes verfprochen find. 
Iſt im dieſem Gefegbuche die Verpflichtung zur Zahlung von Zinſen 
ohne Beitimmung der Höhe ausgefprochen, jo jind darunter Zinfen zu fünf 
vom Hundert für das Jahr zu verjtehen. 


8 353. Kaufleute unter einander find berechtigt, für ihre Forderungen 
aus beiderfeitigen Handelsgefchäften vom Tage der FFälligfeit an Zinfen zu 
fordern. Zinſen von Zinfen fünnen auf grund diefer Vorjchrift nicht ge: 
fordert werden. 

Kontoforrentverfchr. 

$ 355. Steht jemand mit einem Kaufmann derart in Gejchäftsver- 
bindung, daß die aus der Verbindung entjpringenden beiderjeitigen Anjprüche 
und Zeitungen nebjt Zinfen in Rechnung gejtellt und im regelmäßigen Zeit- 
abjchnitten durch Verrechnung und Feitftellung des für den einen oder anderen 
Teil jich ergebenden Weberjchufjes ausgeglichen werden (laufende Rechnung, 
Kontoforrent), jo fann derjenige, welchem bei dem Nechnungsabjchluß ein 
Ueberſchuß gebührt, von dem Tage des Abichluffes an Zinfen von dem Ueber- 
Ichuffe verlangen, auch foweit in der Rechnung Zinjen enthalten find. 

Der Rechnungsabſchluß geichieht jährlich einmal, fofern nicht ein anderes 
bejtimmt: ift. 


Handelsgeſchäfte. 397 


Die laufende Rechnung kann im Zweifel auch während der Dauer einer 
Rechnungsperiode jederzeit mit der Wirkung gekündigt werden, daß derjenige, 
welchem nach der Rechnung ein Ueberſchuß gebührt, deſſen Zahlung be— 


anſpruchen kann. 
Auweiſungen an Order. 


$ 363. Anweiſungen, die auf einen Kaufmann über die Leiftung von 
Geld, Wertpapieren oder anderen vertretbaren Sachen ausgejtellt find, ohne 
dat darin die Leiftung von einer Gegenleiftung abhängig gemacht ift, fünnen 
durch Indoſſament übertragen werden, wenn fie an Order lauten. Basjelbe 
gilt von Verpflichtungsicheinen, die von einem Kaufmann über Gegenftände 
der bezeichneten Art an Order ausgejtellt find, ohme daß darin die Leiftung 
von einer Gegenleiftung abhängig gemadt it. 

‚Ferner fünnen Konnofjjemente der Seefchiffer, Ladeſcheine der Frachtführer, 
Lagerjcheine der jtaatlich zur Ausjtellung jolcher Urkunden ermächtigten An— 
italten ſowie Bodmereibriefe und Tiransportverjicherungspolizen dur In— 
dofjament übertragen werden, wenn jie an Order lauten. 


$ 364. Durd das Indofjament gehen alle Rechte aus dem indojfierten 
Papier auf den Indofjatar über. 

Dem legitimierten Befiger der Urkunde fann der Schuldner nur joldhe 
Einwendungen entgegenjegen, welche die Giltigfeit feiner Erklärung in der 
Urkunde betreffen oder fich aus dem Inhalte der Urkunde ergeben oder ihm 
unmittelbar gegen den Bejiger zuitehen. 

Der Schuldner it nur gegen Aushändigung der quittierten Urkunde 
zur Zeitung verpflichtet. 

Wegen Form des Andoffaments, ſiehe Wechlelordnung Artikel 11. 
Gigentumserwerb. 

$ 366. Veräußert oder verpfändet ein Kaufmann im Betriebe feines 
Handelögewerbes eine ihm nicht gehörige bewegliche Sache, fo finden die 
Vorſchriften des Bürgerlichen Geſetzbuchs zu gunften derjenigen, welche Rechte 
von einem Nichtberechtigten herleiten, auch dann Anwendung, wenn der gute 
Glaube des Ermwerbers die Befugnis des Veräußerers oder VBerpfänders, über 
die Sache für den Eigentümer zu verfügen, betrifft. 

Iſt die Sache mit dem Rechte eines Dritten belaftet, jo finden die 
Vorſchriften des Bürgerlichen Geſetzbuchs zu gunften derjenigen, welche Rechte 
von einem Nichtberechtigten herleiten, auch dann Anwendung, wenn der gute 





398 IV. 4. Handelsgeſetzbuch. — Drittes Buch. 


Glaube die Befugnis des Veräußerers oder Verpfänders, ohne Vorbehalt des 
Nechtes über die Sache zu verfügen, betrifft. 

Das gejegliche Prandredit des Kommiſſionärs, des Spediteurs, Des 
Lagerhalters und des Frachtführers steht hinſichtlich des Schuges des guten 
Glaubens einem gemäß Abj. 1 durch Vertrag erworbenen Pfandrechte gleich. 

Saufmännifhes Zurüdbehaltungsrcdt. 

$ 369. Ein Kaufmann hat wegen der fälligen Forderungen, welche 
ihm gegen einen anderen Kaufmann aus den zwiſchen ihmen gejchloffenen 
beiderfeitigen Handelsgeſchäften zuitehen, ein Zurüdbehaltungsreht an den 
beweglichen Sachen und Wertpapieren des Schuldners, welche mit deſſen 
Willen auf grund von Handelsgejchäften in feinen Befit gelangt find, jofern 
er jie noch im Belize hat, insbejondere mitteljt Konnoſſements, Ladejcheins 
oder Lagerjcheins darüber verfügen kann. Das Zurüdbehaltungsrecht ift auch 
dann begründet, wenn das Eigentum an dem Gegenjtande von dem Schuldner 
auf den Gläubiger übergegangen oder von einem Dritten für den Schuldner 
auf den Gläubiger übertragen, aber auf den Schuldner zurüdzuübertragen ift. 

Einem Dritten gegenüber bejteht das Zurüdbehaltungsrecht injomweit, 
al3 dem Dritten die Einwendungen gegen den Anjpruch des Schuldners auf 
Herausgabe des Gegenjtandes entgegengejegt werden fünnen. 

Das Zurüdbehaltungsrecht ift ausgejchloffen, wenn die Zurüdbehaltung 
des Gegenftandes der von dem Schuldner vor oder bei der Uebergabe erteilten 
Anweijung oder der von dem Gläubiger übernommenen Verpflichtung, in 
einer bejtimmten Weife mit dem Gegenſtande zu verfahren, widerjtreitet. 

Der Schuldner kann die Ausübung des Zurüdbehaltungsrechts durch 
Sicherheitsleiftung abwenden. Die Sicherheitsleiftung durch Bürgen iſt 
ausgefchlofjen. 

Zurüdbehaltungsrecht ſiehe $ 273 B. G. B. 

$ 370. Das Zurückbehaltungsrecht kann auch wegen nicht fälliger 
Forderungen geltend gemacht werden: 

1. wenn über das Vermögen des Schuldners der Konkurs eröffnet 
ift oder der Schuldner jeine Zahlungen eingejtellt hat; 

2. wenn eine Zwangsvollitredung in das Vermögen des Schuldners 
ohne Erfolg verſucht ift. 

Der Geltendmachung des Zurüdbehaltungsrechts fteht die Anweifung des 
Schuldners oder die Uebernahme der Verpflichtung, in einer beftimmten Weife 
mit dem Gegenjtande zu verfahren, nicht entgegen, jofern die im Abj. 1 





EBETE — 


Handelsgeſchäfte. 399 


Nr. 1, 2 bezeichneten Tatſachen erſt nach der Uebergabe des Gegenſtandes 
oder nach der Uebernahme der Verpflichtung dem Gläubiger befannt werden. 
Der Gläubiger fann ſich nad den für das Pfandreht geltenden 
Beftimmungen des B.G.B3. aus dem zurüdbehaltenen Gegenſtande für feine 

Forderung befriedigen. (8 371.) Firgefhäfte. 

s 376. Sit bedungen, dal die Leiſtung des einen Teile genau zu 
einer fejtbejtimmten Zeit oder innerhalb einer fejtbejtimmten Friſt bewirkt 
werden joll, jo fann der andere Teil, wenn die Leijtung nicht zu der be- 
ftimmten Zeit oder nicht innerhalb der bejtimmten Friſt erfolgt, von dem 
Vertrage zurüdtreten oder, falls der Schuldner im Verzug ift, ftatt der Er- 
füllung Schadenserfag wegen Nichterfüllung verlangen. Erfüllung fann er 
nur beanjpruchen, wenn er fofort nad) dem Nblaufe der Zeit oder Friſt dem 
Gegner anzeigt, daß er auf Erfüllung bejtehe. 

5 361 8.0.8. Kommiffionär. 
$ 383. Kommijfionär ift, wer es yewerbsmäßig übernimmt, Waren 
oder Wertpapiere für Rechnung eines anderen (des Kommittenten) in eigenem 
Namen zu faufen oder zu verkaufen. 
Einkaufs- und Verkaufskommiſſion. 
Pflichten des Kommiſſionärs. Eigentumsfrage. 
$ 384. Der Kommiſſionär iſt verpflichtet, das übernommene Geſchäft 
mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns auszuführen; er hat hierbei das 
Interefie des Kommittenten wahrzunehmen und defjen Weifungen zu befolgen. 

Er hat dem Kommittenten die erforderlichen Nachrichten zu geben, ind» 
bejondere von der Ausführung der Kommifjion unverzüglich Anzeige zu machen; 
er ift verpflichtet, dem Kommittenten über das Gejchäft Rechenichaft abzulegen 
und ihm dasjenige herauszugeben, was er aus der Gejchäftsbeforgung erlangt hat. 

Der Kommiffionär haftet dem Kommittenten für die Erfüllung des Ge— 
ihäfts, wenn er ihm nicht zugleich mit der Anzeige von der Ausführung der 
Kommiſſion den Dritten namhaft macht, mit dem er das Gefchäft abgeſchloſſen hat. 

Der Kommilfionär handelt im eignen Namen, er erwirbt aljo an 
gelauften Waren, Papieren, an empfangenem Gelde jelbit Eigentum und hat 
nur die Verpflichtung zur Herausgabe an den Kommittenten. Er kann aljo 
diefe Sachen nicht unterfchlagen, weil fie fein Eigentum find. Siehe da- 

e — Forderungen. 

8 392. Forderungen aus einem Geſchäfte, das der Kommiſſionär ab— 
geſchloſſen hat, kann der Kommittent dem Schuldner gegenüber erſt nach der 
Abtretung geltend machen. 


400 IV, 4. Handelsgeſetzbuch — Drittes Bud). 


Jedoch gelten jolche Forderungen, auch wenn fie nicht abgetreten find, 
im Verhältnijie zwifchen dem Klommittenten und dem Kommiſſionär oder deſſen 


Gläubigern al3 Forderungen des Kommittenten. 
Der Kommiffionär fann alfo über die für den Kommittenten erworbenen 
Forderungen abfichtlich zu deſſen Nachteil, 3. B. durch Abtretung ohne Be 
fugnis, verfügen. $ 2662 des Str.G.B8. 


Pfandrecht des Hommiffionärs. 
$ 397. Der Kommifjionär hat an dem Kommifjionsgute, jofern er es 


im Bejige hat, ingbejondere mittelft Konnofjements, Ladeſcheins oder Lager: 
Iheind darüber verfügen fann, ein Pfandrecht wegen der auf das Gut ver: 
wendeten Kojten, der Provifion, der auf das Gut gegebenen Vorſchüſſe und 
Darlehen, der mit Rüdjicht auf das Gut gezeichneten Wechjel oder in anderer 
Weiſe eingegangenen Verbindlichfeiten ſowie wegen aller Forderungen aus 
laufender Rechnung in Kommiſſionsgeſchäften. 


$ 398. Der Kommifjionär fann ji), auch wenn er Eigentümer des 
Kommiſſionsgutes ift, für die im $ 397 bezeichneten Anfprüche nad) Maßgabe 
der für das Pfandrecht geltenden VBorfchriften aus dem Gute befriedigen. 


Spediteur. 
5407. Spediteur ift, wer es gewerbsmäßig übernimmt, Güterverfendungen 


durch Frachtführer oder durch Verfrachter von Seeſchiffen für Rechnung eines 
anderen (des VBerjenders) in eigenem Namen zu bejorgen. 

Auf die Rechte und Pflichten des Spediteurs finden, foweit diefer Ab- 
ichnitt feine VBorjchriften enthält, die für den Kommiſſionär geltenden Vor— 
Ichriften, insbefondere die Vorfchriften der SS 388 big 390 über die Empfang» 
nahme, die Aufbewahrung und die Verjicherung des Gutes, Anwendung. 


Pfandrecht desſelben. 
$ 410. Der Spediteur hat wegen der Fracht, der Proviſion, der Aus— 


lagen und Verwendungen jowie wegen der auf das Gut gegebenen Vorfchüffe 
ein Pfandrecht an dem Gute, jofern er es noch im Belite Hat, insbejondere 
mittelit Konnoſſements, Ladeſcheins oder Lagerjcheins darüber verfügen fann. 
Zagerhalter. 
$ 416. Lagerhalter ijt, wer gewerbsmäßig die Lagerung und Auf: 
bewahrung von Gütern übermmmt. 


Pfandrecht Deöfelben. 
$ 421. Der Lagerhalter hat wegen der Lagerfojten ein Pfandredt an 
dem Gute, folange er es im Beige hat, insbejondere mitteljt Konnoſſements, 
Ladejcheins oder Lagerſcheins darüber verfügen fann. 





Handelsgeſchäfte. 401 


Frachtführer. 

8 425. Frachtführer iſt, wer es gewerbsmäßig übernimmt, die Be— 
förderung von Gütern zu Lande oder auf Flüſſen oder ſonſtigen Binnen— 
gewäfjern auszuführen. 

. Pfandrecht desſelben. 

8 440. Der Frachtführer hat wegen aller durch den Frachtvertrag 
begründeten Forderungen, insbefondere der Fracht und Xiegegelder, der Zoll» 
gelder und anderer Auslagen, jowie wegen der auf das Gut geleisteten Vor— 
jchüffe, ein Pfandrecht an dem Gute, 

Das Piandrecht beiteht, jolange der Frachtführer das Gut noch im 
Beſitze hat, insbejondere mitteljt Konnoſſements, Ladeſcheins oder Lagerjcheins 
darüber verfügen fann. 

Auch nach der Ablieferung dauert das Pfandrecht fort, jofern der Fracht— 
führer es binnen drei Tagen nad) der Ablieferung gerichtlich geltend macht 
und das Gut noch im Beige de3 Empfängers ift. 

Die im $ 1234 Abſ. 1 des Bürgerlichen Gefegbuch® bezeichnete Ans 
drohung des Pfandverfaufs ſowie die in den 88 1237, 1241 des Bürgerlichen 
Geſetzbuchs vorgejehenen Benadhrichtigungen find au den Empfänger zu richten. 
Iſt Diefer nicht zu ermitteln oder verweigert er die Annahme des Gutes, fo 
hat die Androhung und Benachrichtigung gegenüber dem Abjender zu erfolgen. 


— — 


V. 


Die übrigen wichtigſten Reichsgeſetze 
ſtrafrechtlichen Inhalts. 


Vorbemerkung. 


In dieſer Abteilung ſind die übrigen wichtigſten Reichsgeſetze zu finden, 
ſoweit ſie ſtrafrechtlichen Inhalt haben. Da der Abdruck aller dieſer Geſetze 
den Stoff dieſes Werkes in nicht zweckmäßiger Weiſe gehäuft hätte, hat eine 
Auswahl getroffen werden müſſen. Unberückſichtigt geblieben find die Finanz— 
und Steuergefee und die Seegeſetzgebung. Someit die abgedructen Gefeße 
einen umfangreicheren Tert haben, erfolgt deilen Wiedergabe unter Weglaffung 
der entbehrlichen Beftimmungen im Auszug. 

Innerhalb der gezogenen Grenzen erjcheint die Kenntnis der erwähnten 
Geſetze für alle, welche diefes Handbuch) benugen, von Wichtigkeit. Namentlich 
foll auch der crefutive Kriminalbeamte ein Nachſchlagewerk für die Reichs: 
geſetze ftrafrechtlichen Inhalts befigen. Hinfichtlich einer größeren Anzahl kann 
er täglich Gelegenheit zur Entgegennahme einer Anzeige und Aufnahme von 
Erörterungen haben. Er muß fich alfo fchnell über die einfchlagenden 
Beftimmungen unterrichten Fönnen. Soweit er bezüglich anderer Geſetze mit 
der Anzeige und der Einleitung der Erörterungen nichts zu tun haben wird, 
erhält er doch im Kaufe des Derfahrens vom Staatsanwalt und Unter: 
fuhungsrichter oft Aufträge zu Ermittelungen. Wenn er fich in folchen 
fällen über den Sinn des einfchlagenden Strafgefetes nicht Belehrung zu 
verfchaffen vermöchte, würde ihm oft der fichere Boden für die Führung 
der ihm aufgetragenen Erörterungen fehlen. 

Die abgedrudten Geſetze find nach verwandten fachlichen Gebieten 
geordnet und mumeriert worden. Welche Befete wiedergegeben find, weift 
das Inhalisverzeichnis hinter dem Dorwort aus. Ueberſichtliche Inhalts» 
ftihworte find den einzelnen Paragraphen ebenfalls beigefügt. 


— ——— — 





1. Konkursordnung. 


Vom 10. Februar 1877. 
(Reihsgejepblatt 1877, Seite 351.) 
Abgeändert durch das Gefep, betreffend Aenderungen der Konfursordnung vom 17. Mai 1898 
(R.G.Bl. 230), in Kraft getreten am 1, Januar 1900. 
(Auszug.) 


Drittes Bud. 


Strafbefimmungen. 
Betrügliher Banterutt. 
s 239. Schuldner, welche ihre Zahlungen eingejtellt haben, oder über 
deren Vermögen das Konfursverfahren eröffnet worden it, werden wegen 
betrüglichen Bankerutts mit Zuchthaus bejtraft, wenn fie in der Abficht, ihre 
Gläubiger zu benachteiligen, 
1. Vermögensſtücke verheimlicht oder beijeite geichafft haben; 
2. Schulden oder Rechtsgejchäfte anerfannt oder aufgejtellt haben, 
welche ganz oder teilweije erdichtet find; 
3. Handelsbücher zu führen unterlaffen haben, deren Führung ihnen 
gejeglich oblag, oder 
4. ihre Handelsbücher vernichtet oder verheimlicht oder jo geführt oder 
verändert haben, dal Ddiejelben feine Leberficht des Vermögens— 
zuftandes gewähren. 
Sind mildernde Umstände vorhanden, jo tritt Gefängnisitrafe nicht 
unter drei Monaten ein. 
Seine Zahlungen eingeſtellt hat der Schuldner, welcher nicht mehr 
zahlt und feine fälligen Geldverbindfichfeiten im allgemeinen nicht mehr erfüllt. 
Daß Zahlungsunfähigkeit, alfo Mangel an Zahlungsmitteln aus einem nicht 
nur vorübergehenden Grunde, vorliege, iſt nicht nötig. Es ift auch gleich— 


36” 


404 V. Die übrigen wichtigften Reichsgeſetze jtrafrechtlihen Inhalte, 


giltig, ob der Schuldner vereinzelte Zahlungen nad feiner Willfür leiftet, 
wenn er im übrigen allgemein nicht mehr zahlt. Auch wenn der Schuldner 
trog BZahlungsfähigteit aus irgend einem Grunde nicht mehr zahlen will ober 
auch bloß die Erklärung abgibt, nicht zahlen zu wollen, liegt Zahlungs» 
einftellung vor. Die Abfiht des Schuldners muß ummittelbar darauf 
gerichtet fein, die Gläubiger in ihren VBermögensrechten zu benadhteiligen. 
Das bloße Bewußtfein des Schuldners, feine Handlungsweife werde einen 
folhen Erfolg haben, genügt nit. VBermögensitüde find bewegliche und 
unbemweglihe Sachen, Forderungen und Rechte, foweit fie Geldwert haben. 
Verheimlichen, d. i. gefliffentlih verſchweigen; beijeite Schaffen, 
d. i. dauernd oder vorübergehend dem Zugriffe der Gläubiger entrüden. 
Handelsbücher fiehe $ 38 des H.G.B3. Ueberſicht de8 Vermögens 
zuftandes, d. i. Auffchluß über Aktiven und Paſſiven des Vermögens. 

Bei derjelben BZahlungseinjtellung oder Konfurseröffnung kann der 
Schuldner die Tatbeftände von 88 239, 240, 241 nidt nebeneinander 
verwirklichen; ebenfowenig fünnen verfchiedene Straftaten (Realkonkurrenz) 
angenommen werden, wenn bei bderfelben Zahlungseinftellung oder Konkurs 
eröffnung Berfehlungen gegen mehrere Ziffern von $ 239 oder $ 240 vor» 
liegen; es ift nur eime einheitliche Straftat vorhanden. Zahlungseinftellung 
bezw. Konkurseröffnung kann den übrigen Tatbeitandsmertmalen (verheimlichen, 
beifeite Schaffen, anerkennen ujw.) vorhergehen oder nachfolgen. Vollendung 
liegt erft vor bei SS 239, 240, wenn mit den in Ziffern 1 bis 4 je 
angeführten Handlungen oder Unterlafiungen die Zahlungseinflelung bezw. 
Konkurseröffnung zufammentrifft. Bon diefem Zufammentreffen an beginnt 
die Berjährungsfriit zu lanfen. Beim „Berfuh“ brauchen Zahlungseinitelung 
und Konfurseröffnung noch nicht eingetreten zu fein. Die Strafbeflimmungen 
anwendbar auch auf denjenigen, der zum Scheine, im Namen eines anderen 
(der Ehefrau, des minderjährigen Kindes), ein Geſchäft führt, welches tatfächlich 
fein eigenes it. Der Schuldner braucht den Betrieb des Geichäftes nicht 
bis zur Zahlungseinftellung oder Konkurseröffnung fortgefegt zu haben; dann 
muß aber ein Zufammenhang zwifchen dem früheren Gefchäftsbetriebe, in 
welchem die Handlungen oder Unterlaffungen begangen worden find, und der 
jpäteren Zahlungseinfiellung ufw. vorhanden fein. 


@infaher Bantferutt. 
$ 240. (1) Schuldner, welche ihre Zahlungen eingeitellt haben oder 
über deren Vermögen das Stonfursverfahren eröffnet worden iſt, werden wegen 
einfachen Banferutt3 mit Gefängnis bejtraft, wenn fie 
1. durch Aufwand, Spiel oder Wette oder durch Differenzhandel mit 
Waren oder Börjenpapieren übermäßige Summen verbraucht haben 
oder fchuldig geworden jind; 





Konkursordnung. 405 


2. in der Abjicht, die Eröffnung des Konfursverfahrens hinaus: 
zujchteben, Waren oder Wertpapiere auf Kredit entnommen umd 
dieje Gegenjtände erheblich unter dem Werte in einer den An 
forderungen einer ordnungsmäßigen Wirtjchaft widerfprechenden 
Weife veräußert oder ſonſt weggegeben haben; 

3. Handelsbücher zu führen unterlafjen haben, deren Führung ihnen 
geieglih oblag, oder diejelben verheimlicht, vernichtet oder fo 
unordentlih geführt haben, daß fie feine Ueberficht ihres 
Bermögenszuftandes gewähren, oder 

4. es gegen die Beitimmung des Handelägejegbuchs unterlafferr haben, 
die Bilanz ihres Vermögens in der vorgefchriebenen Zeit zu ziehen. 

Neben der Gefängnisitrafe fann in den Fällen der Nr. 1, 2 auf 
Verluſt der bürgerlichen Ehrenrechte erfannt werden. 

Sind mildernde Umftände vorhanden, fo kann auf Geldftrafe bis zu 
fechstaufend Marf erfannt werden. 

Bergl. $ 239. Aufwand, im gefchäftlichen oder privaten Intereſſe, 
das notwendige und übliche Maß überfteigend. Lurus und Berfchwendung 
brauchen nicht vorzuliegen; die Geſamtverhältniſſe det Schuldners find zu 
berüdjichtigen. Verfehlte Spekulation fein Aufwand. Spiel, auch Lotterie- 
jpiel. Differenzhandel fiche $ 764 des B.G.B3. Uebermäßige 
Summen, folde, welde zum Gejhäftsvermögen in feinem Verhältnis 
ftehen; der Verbrauch muß nit die Zahlungseinfiellung ufw. verurfacht 
haben; auch Berbrauch durd die Familie unter Duldung des Schuldners. 
Handelsbücher ſiehe $ 38 ff. des 9.6.88. Umnterlaffene Führung einzelner 
Bücher kann die VBermögensüberlicht verhindern. Der Geſchäftsinhaber bleibt 
für die Buchführung verantwortlich, aud wenn er fie einem anderen überträgt. 
Die Bermögensüberfiht ift vom Standpunkte eines Sadhverftändigen zu 
verftehen. Bilanzziehung fiehe $ 39 des H.G.Bs. 

Der Tatbejtand von $ 240 fordert Borfag oder Fahrläfligkeit bei den 
in Ziffer 1 bis 4 aufgeführten Handlungen oder Unterlaflungen. Beihülfe 


aber nur bei Borfäglichkeit derjelben jtrafbar, 
Glänbigerbegünftigung,. 
$ 241. (L.) Schuldner, welche ihre Zahlungen eingejtellt haben, oder 


über deren Vermögen das Konfursverfahren eröffnet worden ijt, werden mit 
Gefängnis bis zu zwei Jahren bejtraft, wenn fie, obwohl fie ihre Zahlungs: 
unfähigkeit kannten, einem Gläubiger in der Abjicht, ihn vor den übrigen 
Släubigern zu begünftigen, eine Sicherung oder Befriedigung gewährt haben, 
welche derjelbe nicht oder nicht in der Art oder nicht zu der Zeit zu bean- 
jpruchen Hatte. 


406 V. Die übrigen widtigiten Reichsgeſetze ſtrafrechtlichen Inhalte. 


Sind mildernde Umjtände vorhanden, jo lann auf Geldjtrafe bis zu 
fechstaujend Mark erfannt werben. 

Der Schuldner muß einem SKonkursgläubiger vor folden anderen Vor— 
teil gewähren wollen und damit zugleih willen und wollen, daß bie 
anderen Konkursgläubiger benachteiligt werden. Der begünftigte Gläubiger 
fann Anftifter und Gehülfe fein. Aber bloße Annahme der Sicherung oder 
Befriedigung macht nicht zum Gehülfen. Gewährung einer Sicherung, 
3. B. Öypothetenbejtelung. Befriedigung, aus dem der Zwangsvollſtreckung 
unterliegenden Vermögen. Befriedigung, nicht in der Art oder nicht zu der 
Zeit zu beanfpruchen, 3. B. Hingabe von Ware ftatt ſchuldiger barer Zahlung, 
Zahlung vor Fälligkeit. Zahlungsunfähigkeit ift die Nichterfüllung 
fälliger Geldverbindlichfeiten aus Mangel an Zahlungsmitteln. Zahlungs- 
einftellung ſ. $ 239. 

Begünftigung des Schuldners. 
8 242. (Sw.) Mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren wird bejtraft, wer 
1. im Interefje eines Schuldners, welcher feine Zahlungen eingeftellt 
hat, oder über deſſen Vermögen das Ktonfursverfahren eröffnet 
worden ijt, Vermögensjtüde desjelben verheimlicht oder beifeite 
geichafft hat, oder 
. im Sntereffe eines folchen Schuldners, oder, um ich oder einem 
anderen Vermögensvorteil zu verichaffen, in dem Berfahren er- 
dichtete Forderungen im eigenen Namen oder durd) vorgejchobene 
Perſonen geltend gemacht hat. 
Sind mildernde Umftände vorhanden, jo tritt Gefängnisjtrafe oder 
Gelditrafe bis zu jechstaujend Mark ein. 

Zahlungseinftellung, Bermögensftüde, verheimliden, 
beifeite fhaffen fiche 8239. Das Intereſſe des Schuldners und 
die Abficht des Täterd, fih oder einem anderen VBermögenspor- 
teile zu verſchaffen, können aud zufanmentreffend Hand in Hand gehen. 
In dem Berfahren, d. i. Konkursverfahren oder in den Berhandlungen 
zufolge der Zahlungseinftellung. 


iS 


Stimmenfauf. 
$ 243. (L.) Ein Gläubiger, welcher ſich von dem Gemeinjchuldner 


oder anderen Perjonen bejondere Vorteile dafür hat gewähren oder verjprechen 
lajien, daß er bei den Abjtimmungen der Konfursgläubiger in einem gewiſſen 
Sinne ftimme, wird mit Geldjtrafe bis zu dreitaufend Mark oder mit Gefängnis 
bis zu einem Jahre beitraft. 
Berfprechen der Stimmenthaltung ftraflos. (Daß die Stimme dann aud 
in dem gewiflfen Sinne abgegeben werde, ift nicht erforderlich. 


Konkursordnung. — Die Bejtrafung der Entzicehung eleftriicher Arbeit. 407 


8 244. Die Strafvorfchriften der SS 239—241 finden gegen die Mit« 
glieder des Vorſtandes einer Aftiengejellichaft oder eingetragenen Genofjenjchaft 
und gegen die Liquidatoren einer Handelsgefellichaft oder eingetragenen Genofjen- 
Schaft, welche ihre Zahlungen eingeftellt hat, oder über deren Vermögen das 
Konkursverfahren eröffnet worden ift, Anwendung, wenn jie in diejer Eigen- 


Ichaft die mit Strafe bedrohten Handlungen begangen haben. 
Strafbar diejenigen Mitglieder, welche tatjählih ohne Rüdjicht auf 
gültige Wahl den Borftand bilden. Berg. $ 315 Ziffer 2 9.6.8. 


2. Geſetz, 
betreffend die Bejtrafung der Entziehung elektriſcher Arbeit. 
Vom 9. April 1900. 


(Reichsgeſeßblatt Seite 228.) 


8 1. Wer einer eleftrijchen Anlage oder Einrichtung fremde eleftrijche 
Arbeit mitteld eines Leiters entzieht, der zur ordnungsmähigen Entnahme von 
Arbeit aus der Anlage oder Einrichtung nicht bejtimmt ift, wird, wenn er die 
Handlung in der Abficht begeht, die eleftrijche Arbeit ſich rechtswidrig zuzu— 
eignen, mit Gefängnis und mit Geldjtrafe bis zu fünfzehnhundert Mark oder 
mit einer diefer Strafen bejtraft. Neben der Gefängnisjtrafe kann auf Ver— 
fuft der bürgerlichen Ehrenrechte erfannt werden. 

Der Berfuch ijt jtrafbar. 

s 2 Wird die im $ 1 bezeichnete Handlung in der Abjicht begangen, 
einem anderen rechtswidrig Schaden zuzufügen, jo ijt auf Gelditrafe bis zu 
eintaujend Marf oder auf Gefängnis bis zu zwei Jahren zu erfennen. 

Die Verfolgung tritt nur auf Antrag ein. 

Eleftrifhe Arbeit, d.h. elektrifche Energie. Fremde Arbeit, d. h. nad 
den Grundſätzen des bürgerlichen Rechts. In der Anlage wird die Elektrizität 
hergeftelt, in der Einrihtung gejammel. Entziehen iſt entnehmen. 

Aber nur Entziehung mittel3 Reiters (ftromleitende Vorrichtung) ftrafbar, 

der zur ordnungsmäßigen Entnahme nicht beitimmt it. Sonſt eventuell Betrug 

($ 263 Str. G.B.). Ordnungsmäßig beftimmt, d. h. von dem über die 

Entnahme der eleftriichen Arbeit Berfügungsberehtigten. Abſicht rechts— 

widriger Zueignung mie in $ 242 Str.GB. Die Abjicht, einem 

anderen rehtswidrig Schaden zuzufügen, ähnlidy wie bei der 

Sahbeihädigung, Tiefe $ 303 Str. G. B. 


408 V. Die übrigen wichtigiten Reichögefepe ſtrafrechtlichen Inhalts. 


| 3. Geſetz, 
betreffend die Erwerbs: und Wirtihaftsgenofienihaften. 


Vom 1. Mai 1889. 


In der Faſſung des Einführungsgefeges zum Handelsgeſetzbuche vom 10. Mai 1897, 
(Im neuer Redaktion abgedrudt R.G.BL. 1898 ©. 810 ff.) 


(Auszjug.) 


Geſchäftokreis der Genoffenfhaften. 

8 1. Gejellichaften von nicht geichloffener Mitgliederzahl, welche Die 
Förderung des Erwerbes oder der Wirtichaft ihrer Mitglieder mittelft gemein- 
ichaftlichen Gejchäftsbetriebes bezweden (Genofjenjchaften), namentlich: 

1. Vorſchuß- und Kreditvereine, 

. Robjtoffvereine, 
. Vereine zum gemeinfchaftlichen Verkaufe landwirtichaftlicher oder 
gewerblicher Erzeugniſſe (Abſatzgenoſſenſchaften, Magazinvereine), 

4. Vereine zur Heritellung von Gegenjtänden und zum Werfaufe 
derjelben auf gemeinschaftliche Rechnung (Produftivgenofjenichaften), 

5. Vereine zum gemeinfchaftlichen Einfaufe von Lebens- oder Wirt- 
Ichaftsbebürfnifjen im großen und Abla im kleinen (Konfumvereine), 

6. Vereine zur Beihafjung von Gegenitänden des landwirtjchaftlichen 
oder gewerblichen Betriebes und zur Benutzung derſelben auf 
gemeinschaftliche Rechnung, 

7. Vereine zur Heritellung von Wohnungen, 

erwerben die Nechte einer „eingetragenen Genofjenschaft" nad Maßgabe 
diejes Geſetzes. 
Saftung der Genoffen. 

$ 2. Die Genofjenschaften können errichtet werden: 

1. dergeſtalt, daß die einzelnen Mitglieder (Genofjen) für die Ver- 
bindlichfeiten der Genoſſenſchaft dieſer ſowie ummittelbar den 
Gläubigern derſelben mit ihrem ganzen Vermögen haften (eins 
getragene Genofjenjchaft mit unbejchränfter Hapftpflicht); 

2, dergeitalt, daß die Genofjen zwar mit ihrem ganzen Vermögen, 
aber nicht unmittelbar den Gläubigern der Genoſſenſchaft verhaftet, 


ws 18 


— 


Die Erwerbd: und Wiriſchaftsgenoſſenſchaften. 409 


vielmehr nur verpflichtet find, der leßteren die zur Befriedigung 
der Gläubiger erforderlihen Nachſchüſſe zu leiften (eingetragene 
Genoſſenſchaft mit unbeſchränkter Nachſchußpflicht); 

3. dergeſtalt, daß die Haftpflicht der Genoſſen für die Verbindlichkeiten 
der Genoſſenſchaft ſowohl dieſer wie unmittelbar den Gläubigern 
gegenüber im voraus auf eine beſtimmte Summe beſchränkt iſt 
(eingetragene Genoſſenſchaft mit beſchränkter Haftpflicht). 

Firma der Genoſſenſchafi. 
$ 3. Die Firma der Genofjenjchaft muß vom Gegenitande des Unter— 
nehmens entlehnt fein und entjprechend der im 8 2 vorgejehenen Art der 
Genoſſenſchaft die dajelbit beftimmte zufägliche Bezeichnung enthalten. 
Der Name von Genofjen oder anderen Perfonen darf in die Firma 
nicht aufgenommen werden. Jede neue Firma muß ſich von allen an dem- 
felben Orte oder im derjelben Gemeinde bereit beitehenden Firmen ein- 


getragener Genojjenfchaften deutlich unterjcheiden. 
Zahl der Genofien. 


$ 4. Die Zahl der Genofjen muß mindeſtens fieben betragen. 
Beſchraͤnkung der Geihäfte auf Mitglieder, 
8 8 (Abi. 2). Genofjenfchaften, bei welchen die Gewährung von Dar— 
lehen Zwed des Unternehmens ift, dürfen ihren Gejchäftsbetrieb, joweit er in 
einer diefen Zweck verfolgenden Darlehnsgewährung befteht, nicht auf andere 
Perſonen außer den Mitgliedern ausdehnen. Darlehnsgewährungen, welche 
nur die Anlegung von Geldbejtänden bezweden, fallen nicht unter diejes Verbot. 
AB Ausdehnung des Gejchäftsbetriebes gilt nicht der Abjchluß von 
Geichäften mit Perjonen, welche bereit? die Erflärung des Beitritts zur 
Genofjenjchaft unterzeichnet haben und von derfelben zugelafjen Tind. 
Konjumvereine ($ 1 Nr. 5) dürfen im regelmäßigen Gejchäftsverfehr 
Waren nur an ihre Mitglieder oder deren Vertreter verfaufen. Dieje Be- 
Schränfung findet auf fandwirtichaftliche Sonfumvereine, welche ohne Haltung 
eines offenen Ladens die Vermittelung des Bezugs von ihrer Natur nad) 
ausfchlieglich für den landmwirtjchaftlichen Betrieb beitimmten Waren bejorgen, 


Binfichtlich diefer Waren feine Anwendung. 
Borftand und Auffihtörat. 


89 Die Genojjenichaft muß einen Vorſtand und einen Aufſichts— 
rat haben. 

Die Mitglieder des Vorftandes und des Aufjichtsrats müjjen Genoſſen 
fein. Gehören der Genofjenschaft einzelne eingetragene Genofjenjchaften als 


410 V. Die übrigen wichtigſten Reichsgeſetze ſtrafrechtlichen Inhalts. 


Mitglieder an, oder bejteht die Genvfjenjchaft ausſchließlich aus folchen, jo 
fünnen Mitglieder der legteren in den Borjtand und den Aufjichtsrat be= 
rufen werden. 

Eintragung bei Gericht. 

$ 10. Das Statut, jowie die Mitglieder des VBorjtandes find in das 
Genoffenjchaftsregiiter bei dem Gerichte einzutragen, in deſſen Bezirfe Die 
Genoſſenſchaft ihren Sit hat. 

Das Genojjenjchaftsregiiter wird bei dem zur Führung des Handeld- 
regifters zuftändigen Gerichte geführt. 

Bertretung Durd den Vorſtand. 

$ 24. Die Genojjenjchaft wird durch den Vorjtand gerichtlich und 
außergerichtlich vertreten. 

Der Borjtand beiteht aus zwei Mitgliedern und wird von der General: 
verjammlung gewählt. Durch das Statut fann eine höhere Mitgliederzahl 
jowie eine andere Art der Beſtellung feitgejegt werden. 

Die Mitglieder des Vorſtandes fünnen bejoldet oder unbejoldet jein. 

Ihre Beitellung ift zu jeder Zeit widerruflich, unbejchadet der Ent» 
Ihädigungsanjprüche aus bejtehenden Verträgen. 

Resitimation der Mitglieder. 

z 31. Für Konjumvereine, welche einen offenen Laden Haben, hat der 
Borjtand, um die Beobachtung der Beitimmung des $ 8 Abjag 4 zu fichern, 
Anmeifung darüber zu erlafjen, auf welche Weije fich die Wereinsmitglieder 
oder deren Vertreter den Warenverfäufern gegenüber zu legitimieren haben. 
Abjchrift der Anweilung hat er der Höheren Vermwaltungsbehörde, in deren 
Bezirk die Genoſſenſchaft ihren Sig hat, unverzüglich einzureichen. 

Die höhere Verwaltungsbehörde ift befugt, die Mitglieder des Vor— 
itandes zur Einreichung und nötigenfalls zur Abänderung oder Ergänzung 
der Anweifung durch Geldjtrafen bis zum Betrage von je dreihundert Marf 
anzubalten. 

Gegen die Anordnungen und Straffeitjegungen der höheren Ver: 
waltungsbehörde findet binnen zwei Wochen die Beichwerde an die Landes— 
zentralbehörde jtatt. 

YAlnsgabe niht auf Namen lautender Anweiſungen uſw. verboten, 

s 32. Von Stonjumvereinen oder von Gemerbetreibenden, welche mit 
jolden wegen Warenabgabe an die Ditglieder in Verbindung ftehen, dürfen 
Marken oder ſonſtige nicht auf den Namen lautende Anweifungen oder Wert« 





Die Erwerbs: und Wirtſchaftsgenoſſenſchaften. 411 


zeichen, welche anjtatt baren Geldes die Mitglieder zum Warenbezug bes 
rechtigen jollen, nicht ausgegeben werden. 


Pflicht zur Buchführung und Bilanzzicehung. 
$ 33. Der Vorſtand ift verpflichtet, Sorge zu tragen, daß die erforder» 
lichen Bücher der Genofjenjchaft geführt werden. 

Er muß binnen ſechs Monaten nad) Ablauf jedes Gefchäftsjahres die 
Bilanz desjelben, die Zahl der im Laufe des Jahres eingetretenen oder aus— 
geichiedenen, jowie die Zahl der am Sahresfchluffe der Genofjenjchaft an- 
gehörigen Genoſſen veröffentlichen. Die Bekanntmachung ift zu dem Genofjen- 
Ichaftsregijier einzureichen. 

Aufſichtorat. 

8 36. Der Aufſichtsrat beſteht, jofern nicht das Statut eine höhere 
Zahl feitjegt, aus drei von der Generalverfammlung zu wählenden Mitgliedern. 
Die zu einer Beichlußfafiung erforderliche Zahl iſt durch das Statut zu 
bejtimmen. 

Die Mitglieder dürfen feine nad) dem Gejchäftsergebnis bemefjene Ver: 
gütung (Tantieme) bezichen. 

Die Beitellung zum Mitglieve des Aufjichtsrats kann auch vor Ablauf 
des Zeitraums, für welchen dasjelbe gewählt ift, durch die Generalverfamms 
lung widerrufen werden. Der Beichluß bedarf einer Mehrheit von drei Vier: 
teilen der erjchienenen Genofjen. 

Generalverfammiung. 
$ 43. Die Rechte, weldye den Genofjen in den Angelegenheiten der 
Genoſſenſchaft, insbeſondere in bezug auf die Führung der Geſchäfte, die 
Prüfung der Bilanz und die Verteilung von Gewinn und Verluſt zuſtehen, 
werden in der Generalverſammlung durch Beſchlußfaſſung der erſchienenen 
Genoſſen ausgeübt. 
Jeder Genoſſe hat eine Stimme. 


Ein Genoſſe, welcher durch die Beſchlußfaſſung entlaſtet oder von einer 
Verpflichtung befreit werden ſoll, hat hierbei fein Stimmrecht. Dasſelbe gilt 
von einer Beichlußfafjung, welche den Abſchluß eines Rechtsgeſchäfts mit 
einem Genoſſen betrifft. 

Die Genofjen fünnen das Stimmrecht nicht durch Bevollmächtigte aus— 
üben. Dieje Bejtimmung findet auf Handlungsunfähige Perfonen, Korporationen, 
Handelsgefellichaften, Genoſſenſchaften oder andere Perjonenvereine und, wenn 


BE U DO [120 u 


412 V. Die übrigen wichtigſten Neichögefepe itrafrechtlihen Inhalts. 


da3 Statut die Teilnahme von Frauen an der Generalverjammlung ausjchließt, 
auf Frauen feine Anwendung. Gin Bevollmächtigter kann nicht mehr als 
einen Genofjen vertreten. 

Revifion, 

8 53. Die Einrichtungen der Genofjenfchaft und die Gejchäftsführung 
derjelben in allen Zweigen der Verwaltung find mindeftens in jedem zweiten 
Jahre der Prüfung durch einen der Genofjenfchaft nicht angehörigen, ſach— 
verständigen Revifor zu unterwerfen. 

Revifionsverband, 

8 54. Für Genofjenjchaften, welche einem den nachfolgenden An— 
forderungen genügenden Verbande angehören, ift diefem das Recht zu ver- 
feihen, den Nevifor zu beitellen. 

$ 55. Der Verband mu die Revijion der ihm angehörigen Genofjen- 
jhaften und kann auch jonit die gemeinfame Wahrnehmung ihrer im $ 1 
bezeichneten Intereſſen, insbefondere die Unterhaltung gegenjeitiger Geichäfts- 
beziehungen zum Zwed haben. Andere Zwede darf er nicht verfolgen. 

Generaliverfammiungen des Berbandes, 

$ 59. Generalverjammlungen de3 Verbandes dürfen nur innerhalb des 
Berbandsbezirfs abgehalten werden. 

Sie find der höheren Verwaltungsbehörde, in deren Bezirke der Borftand 
feinen Sitz hat, jowie der höheren Verwaltungsbehörde, in deren Bezirke die 
Verfammlung abgehalten werden joll, unter Einreihung der Tagesordnung 
mindeſtens eine Woche vorher anzuzeigen. 

Der letzteren Behörde jteht das Recht zu, in die Verfammlung einen 
Vertreter zu entjenden. 

Reviforen, 

$ 61. Für Genofjenjchaften, welche einem Reviftionsverbande (8$ 55 
bis 57) nicht angehören, wird der Revifor durd) das Gericht ($ 10) beftellt. 

Der Vorjtand der Genofjenichaft Hat die Beitellung zu beantragen. 

Die Bejtellung erfolgt, nach dem die höhere Verwaltungsbehörde über Die 
Perſon des Revifors gehört iſt. Erflärt die Behörde ſich mit einer von der Genofjen- 
Schaft vorgefchlagenen Perſon einverftanden, fo ift diefe zum Reviſor zu bejtellen. 

$ 63. Der Borjtand der Genofjenjchaft hat dem Reviſor die Einficht 
der Bücher und Schriften der Genofjenjchaft und die Unterfuchung des Be- 
jtandes der Genofjenichaftsfaffe, jowie der Beſtände an Effekten, Handels- 
papieren und Waren zu geftatten. Zu der Revifion ift der Aufſichtsrat zuzuziehen. 


Den a N 


Die Erwerbs- und Wirtſchaftsgenoſſenſchaften. 413 


Der Vorſtand hat eine Beicheinigung des Nevijors, daß die Nevifion 
jtattgefunden hat, zum Genofjenfchaftsregifter einzureichen und den Bericht 
über die Revijion bei der Berufung der nächjten Generalverſammlung als 
Gegenstand der Beſchlußfaſſung anzufündigen. In der Generalverfjammlung 
hat der Auffichtsrat jich über das Ergebnis der Reviſion zu erflären. 

Der von einem Verbande bejtellte Reviſor Hat eine Abjchrift des 
Revifiunsberichts dem Verbandsvorftande einzureichen. 


Auflöſung der Genofienfhaft. Liquidatoren. 
$ 82, Die Auflöfung der Genojienjchaft ijt von dem Gerichte ohne 
Verzug in das Genofjenjchaftsregijter einzutragen. 

Sie muß von den Liquidatoren zu drei verfchiedenen Malen durch die 
für die Bekanntmachungen der Genoſſenſchaft bejtimmten Blätter befannt 
gemacht werden. Durch die Bekanntmachung find zugleich die Gläubiger auf- 
zufordern, fich bei der Genoſſenſchaft zu melden. 


8 83. Die Liquidation erfolgt durch den Vorjtand, wenn nicht diejelbe 
dur) das Statut oder durch Beichluß der Gencralverjammlung anderen 
Perſonen übertragen wird. 

Es find wenigſtens zwei Yiquidatoren zu bejtellen. 

Auf Antrag des Aufjichttrat3 oder mindejtens des zehnten Teils der 
Genoſſen kann die Ernennung von Liquidatoren durch das Gericht ($ 10) erfolgen. 

Die Abberufung der Liquidatoren fann dur) das Gericht unter den— 
jelben Vorausſetzungen wie die Beitellung erfolgen. Liquidatoren, welche nicht 
vom Gerichte ernannt find, können auc durch die Generalverfammlung vor 
Ablauf des Zeitraums, für welchen fie bejtellt find, abberufen werden. 


Anmeldung der Liquidatoren zum Genofienfhaftöregiiter. 

$ 84. Die eriten Liguidatoren find durch den VBorjtand, jede Aenderung 
in den Perfonen der Piquidatoren, fowie eine Beendigung ihrer Bertretungs- 
befugnis ijt durch die Liquidatoren zur Eintragung in das Genoſſenſchafts— 
regijter anzumelden. ine Abjchrift der Urkunden über die Bejtellung der 
Liquidatoren oder über die Menderung in den Perſonen derjelben it der 
Anmeldung beizufügen und wird bei dem Gericht aufbewahrt. 

Die Eintragung der gerichtlichen Ernennung oder Abberufung von 
Liquidatoren gejchieht von Amts wegen. 

Die Liquidatoren haben ihre Unterfchrift perfönlich vor dem Gerichte zu 
zeichnen oder die Zeichnung in beglaubigter Form einzureichen. 


414 V. Die übrigen wichtigſten Reichögelege ftrairechtlihen Inhalts. 


Konfursverfahren. 
$ 98. Das Konkursverfahren findet im Falle der Zahlungsunfähigeit, 
nach Auflöfung der Genofjenschaft auch im Falle der Ueberſchuldung ſtatt. 
Nah Auflöfung der Genojjenichaft ift die Eröffnung des Verfahrens 
jo lange zuläffig, al3 die Verteilung des Vermögens nicht vollzogen iſt. 
Pflicht zum Antrag anf Konkurseröffnung. 
$ 9. Sobald die Zahlungsunfähigfeit der Genoſſenſchaft eintritt, hat 
der Vorſtand die Eröffnung des Konfursverfahrens zu beantragen; Ddasjelbe 
gilt, wenn bei oder nach Auflöfung der Genofjenjchaft aus der Jahresbilanz 
oder aus einer im Laufe des Jahres aufgeftellten Bilanz UWeberjchuldung 
fi ergibt. 
Die Mitglieder des Vorftandes find der Genoſſenſchaft zum Erfag einer 
nach diejem Zeitpunfte geleisteten Zahlung nach Maßgabe des $ 34 verpflichtet. 
Die Anjprüche auf grund der vorstehenden Bejtimmungen verjähren 
in fünf Sahren. 
8 118. Die in diefem Abjchnitte hinjichtlich des Vorftandes getroffenen 
Beitimmungen gelten auch binfichtlich der Liquidatoren. 
Genoffenihaft mit unbefhränfter Haftpflicht. 
8 119. Bei Genofjenichaften mit unbejchränfter Haftpflicht darf ein 
Genoſſe nicht auf mehr als einen Gefchäftsanteil beteiligt ſein. 


KWonkurs bei Genoſſenſchaft mit befhränfter Haftpflicht. 
8 140. Das Konfursverfahren findet bei bejtehender Genoſſenſchaft außer 


dem Falle der Zahlungsunfähigkeit in dem Falle der Ueberjchuldung jtatt, 
fofern dieſe ein Vierteil des Betrages der Haftjummen aller Genofjen überjfteigt. 
Der Borftand Hat, wenn eine jolche Ueberichuldung fich aus der Jahresbilanz 
oder aus einer im Laufe des Jahres aufgeitellten Bilanz ergibt, die Eröffnung 
des Konfursverfahrens zu beantragen. Die Vorichriften des 899 Abſatz 2, 3, 
$ 100 finden entjprechende Anwendung. 

Strafbeitimmungen. Abſichtliche Benachteiligung der Genofienfchaft. 

s 146. Mitglieder des Vorstandes und des Auffichtörats und Liquidatoren 
werden, wenn jie abjichtlich) zum Nachteile der Genoſſenſchaft handeln, mit 
Gefängnis und zugleich mit Gelditrafe bis zu dreitaufend Mark beitrait. 

Zugleich kann auf Verluft der bürgerlichen Ehrenrechte erfannt werden. 


Wiſſentlich falſche Angaben. 
8147. Mitglieder des Vorſtandes und des Aufſichtsrats und Liquidatoren 


werden mit Gefängnis bis zu einem Jahre und zugleich mit Geldſtrafe bis 
zu dreitauſend Mark beſtraft, wenn ſie in den von ihnen dem Gerichte (8 10) 


Die Erwerbs- und Wiriſchaitsgenoſſenſchaften. 415 


zu machenden Anmeldungen, Anzeigen und Verſicherungen wiſſentlich falſche 
Angaben machen, oder in ihren Darſtellungen, ihren Ueberſichten über den 
Vermögensſtand der Genoſſenſchaft, über die Mitglieder und die Haftſummen, 
oder den in der Generalverſammlung gehaltenen Vorträgen den Stand der 
Verhältniſſe der Genoſſenſchaft wiſſentlich unmwahr darſtellen. 
Zugleich kann auf Verluſt der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden. 
Sind mildernde Umſtände vorhanden, jo tritt ausſchließlich die Geld— 


ftrafe ein. 
Zuwiderhandlungen gegen einzelne Vorſchriften. 


8 148. Mit Gelditrafe bis zu fjechshundert Mark oder mit Gefüngnis 
bis zu drei Monaten oder mit beiden Strafen zugleich werden beitraft: 

l. die Mitglieder des Vorſtandes und des Aufjichtsrat® und Die 
Liquidatoren, wenn länger als drei Monate die Genoflenjchaft 
ohne Auffichtsrat geblieben ift, oder in dem letzteren die zur Be— 
ſchlußfähigkeit erforderliche Zahl von Mitgliedern gefehlt hat; 

2. die Mitglieder des Vorjtandes oder die Liquidatoren, wenn entgegen 
den Borjchriften in 88 99, 118, 140 der Antrag auf Eröffnung 
des Konfursverfahrens unterlaſſen ift. 

Die Strafe tritt micht gegen denjenigen ein, welcher nachweiit, daß die 
Unterlaffung ohne jein Verſchulden gejchehen ift. 


8 149. Mitglieder des Vorjtandes werden mit Geldjtrafe bis zu ſechs— 
hundert Marf bejtraft, wenn ihre Handlungen auf andere ala die im 81 
erwähnten geichäftlichen Zwede gerichtet find, oder wenn fie in der General- 
verfammlung die Erörterung von Anträgen geitatten oder nicht hindern, 
welche auf öffentliche Angelegenheiten gerichtet find, deren Erörterung unter 
die Gefjege über das Verſammlungs- und Vereinsrecht fällt. 

Unterlaffene Anzeigen. 
$ 150. Die Mitglieder des Vorſtandes eines Nevijionsverbandes werden, 
wenn umterlajien ijt, die Verfammlung in Gemäßheit des $ 59 Abjag 2 
anzuzeigen, mit Gelditrafe bis zu jechshundert Mark bejtraft. 
Die Strafe tritt nicht gegen denjenigen ein, welcher nachweijt, daß die 


Unterlaffung obne jein Verſchulden geichehen iſt. 
Stimmenfauf. 


$ 151. Wer jich bejondere Vorteile dafür hat gewähren oder versprechen 
fajien, daß er bei einer Abjtimmung in der Generalverfammlung in einem 
gewillen Sinne jtimme, wird mit Geldftrafe bis zu dreitaufend Marf oder 
mit Gefängnis bis zu einem Jahre beitraft. 


416 V. Die übrigen wichtigiten Reichsgeſetze jtrafrechtliden Inhalte. 


Berfauf an Nichtmitglieder uſw. 

$ 152, Werfonen, welche für einen Konjumverein den Warenverfauf 
bewirfen, werden, wenn fie der Vorſchrift des SS Abjag 4 zuwider wifjentlich 
oder ohne Beobachtung der nach $ 31 von dem Borjtande erlafjfenen An— 
weifung Waren an andere Perfonen als an Mitglieder oder deren Vertreter 
verfaufen, mit Geldjtrafe bis zu einhundertfünizig Mark beitraft. 

Gleiche Strafe trifft das Mitglied, welches jeine Legitimation, durch die 
es zum Warenfauf in einem Konſumverein oder bei einem mit dieſem wegen 
Warenabgabe an die Mitglieder in Verbindung jtehenden Gewerbetreibenden 
berechtigt wird, einem Dritten zum Zwed unbefugter Warenentnahme überläßt. 

Dritte, welche von folcher Legitimation zu demſelben Zwed Gebrauch 
machen oder auf andere Weije zu unbefugter Warenabgabe zu verleiten 
unternehmen, werden in gleicher Weiſe beitraft. 

Weiterveräußerung von Waren an Rihtmitglieder. 

$ 153. Mit Gelditrafe bis zu einhundertfünfzig Mark wird bejtraft, 
wer Waren, die er aus dem Konſumverein oder von einem mit Diefem wegen 
Warenabgabe in Verbindung jtehenden Gemwerbetreibenden auf grund feiner 
Mitgliedichaft bezogen hat, gegen Entgelt gemohnheit3mäßig oder gemwerbs- 
mäßig an Nichtmitglieder veräußert. 

Diefe Beſtimmung findet feine Anwendung: 

1. wenn ein Mitglied eines Konjumvereins die von ihm bezogenen 
Waren in jeiner Speijeanjtalt oder an jeine Koftgänger zum als— 
baldigen perjönlichen Verbrauch abgibt; 

2. wenn ein Slonfumverein, welcher Mitglied eines anderen Konſum— 
vereins ijt, die aus leßterem bezogenen Waren an jeine Mitglieder abgibt. 


Ausgabe von niht auf Namen lautenden Anweiſungen uſw. 
$ 154. Zuwiderhandlungen gegen die Vorjchrift des $ 32 werden mit 
Selditrafe bis zu einhundertfünzig Mark beitraft. 
Anmeldungen. 
$ 157. Die Anmeldungen zum Genofjenichaftsregifter find durch ſämtliche 
Mitglieder des Vorjtandes oder jämtliche Liquidatoren perfönlich zu bewirken 
oder in beglaubigter Form einzureichen. 
Die in $$ 16, 28, $ 33 Abjah 2, 851 Abjag 5, 863 Abſatz 2, $ 84, 
585 Abſatz 2 vorgefchriebenen Anmeldungen und Einreichungen müſſen auch 
zu dem Genofjenjchaftsregiiter einer jeden Zweigniederlaffung erfolgen. 


Die Geſellſchaften mit beſchränkter Haftung. 417 


4. Geſttz, 


betreffend die Gejellihaften mit beſchränkter Haftung. 
Vom 20. April 1892. 


In der Faſſung des Einführungsgefeges zum Handeldgejegbudte vom 10. Mai 1897. 
(Im neuer Redaktion abgedrudt R.G.Bl. 1898 ©. 346 ff.). 


(Auszug.) 
Geichäftöfreis der Geſellſchaft. 
$ 1. Gejellichaften mit bejchränfter Haftung können nach) Maßgabe der 
Beitimmungen dieſes Geſetzes zu jedem gejetlich zuläffigen Zwed errichtet 


werden. 
Firma der Geſellſchaft. 


$ 4. Die Firma der Gejellichaft muß entweder von dem Gegenjtande 
des Unternehmens entlehnt jein, oder die Namen der Gejellichafter oder den 
Namen wenigitens eines derjelben mit einem das Vorhandenjein eines Gejell- 
Ichaftsverhältniffes andeutenden Zufage enthalten. Die Namen anderer Perſonen 
al3 der Gejellichafter dürfen in die Firma nicht aufgenommen werden. Die 
Beibehaltung der ‚Firma eines auf die Gefellfchaft übergegangenen Gejchäfts 
Gandelsgeſetzbuch $ 22) wird hierdurch nicht ausgejchlofjen. 

Die Firma der Gejellichaft muß in allen Fällen die zujägliche Bezeichnung 


„mit bejchränfter Haftung“ enthalten. 
Stammfapital. Stammeinlage. 


$S 5. Das Stanımfapital der Gejellichaft muß mindejtens zwanzig— 
tauſend Marf, die Stammeinlage jedes Gejellichafters muß mindeſtens fünf- 
hundert Marf betragen. 

Kein Gefellichafter kann bei Errichtung der Gejellichaft mehrere Stamm- 
einlagen übernehmen. 

Der Betrag der Stammeinlage kann für die einzelnen Sefelljchafter ver: 
ichieden beitimmt werden. Derjelbe muß in Mark durd) hundert teilbar jein. 
Der Gefamtbetrag der Stammeinlagen muß mit dem Stanmfapital überein- 
ftimmen. 

Sollen von Gejellichaftern Einlagen, welche nicht in Geld zu leisten 
jind, auf das Stammkapital gemacht oder joll die Vergütung für Vermögens 
gegenjtände, welche die Gejellichaft übernimmt, auf Stammeinlagen angerechnet 
werden, jo muß die Perſon des Gejellichafters, der Gegenjtand der Einlage 
oder Uebernahme jowie der Geldwert, für welchen die Einlage angenommen 
wird, oder die für die übernommenen Gegenjtände zu gewährende Bergütung 
im Gejelljchaftsvertrage feſtgeſetzt werden. 


tv 
-) 


418 V. Die übrigen wichtigsten Reichsgeſetze ſtrafrechtlichen Inhalts. 


Gelhäftsführer. 

$ 6. Die Gejellichaft muß einen oder mehrere Gejchäftsführer haben. 

Zu Geichäftsführern fünnen Gefellfchafter oder andere Perſonen bejtellt 
werden. Die Beitellung erfolgt entweder im Gejellichaftsvertrage oder nad 
Maßgabe der Beitimmungen des dritten Abjchnitts. 

Iſt im Gejellichaftsvertrage bejtimmt, daß fämtliche Gefelljchafter zur Ge- 
Ichäftführung berechtigt fein ſollen, jo gelten nur die der Gejellichaft bei Feſtſetzung 
diefer Beitimmung angehörenden Perfonen als die bejtellten Gejchäftsführer. 

Anmeldung zum Sandelöregifter. 

$ 7. Die Gefellihaft iſt bei dem Gericht, in deſſen Bezirke fie ihren 
Sitz hat, zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden. 

Die Anmeldung darf nur erfolgen, nachdem von jeder Stammeinlage, 
joweit nicht andere als in Geld zu leiftende Einlagen auf das Etammfapital 
gemacht jind, ein Bierteil, mindejtens aber der Betrag von zweihundertund- 
fünfzig Mark eingezahlt iſt. 

Rechtsverhältniſſe der Geſellſchaft und der Geſellſchafter. 

$ 13. Die Gejellichaft mit beichränfter Haftung als jolche hat jelbjt- 
jtändig ihre Rechte und Pflichten; fie fann Eigentum und andere Dingliche 
Rechte an Grundjtüden erwerben, vor Gericht lagen und verflagt werden. 

Für die Verbindlichleiten der Gejellichaft haftet den Gläubigern derjelben 
nur das Gejellichaftsvermögen. 

Die Gejellichaft gilt als Handelsgejellihaft im Sinne des Handels: 
geſetzbuchs. 

Vertretung und Geſchäftsführung. 

$ 35. Die Geſellſchaft wird durch die Geſchäftsführer gerichtlich und 
außergerichtlich vertreten. 

Diejelben haben in der durch den Gejellichaftsvertrag bejtimmten Form 
ihre Willenserflärungen fundzugeben und für die Gejellfchaft zu zeichnen. Sit 
nichtö darüber bejtimmt, jo muß die Erklärung und Zeichnung durch jämtliche 
Geichäftsführer erfolgen. Iſt der Gejellichaft gegenüber eine Willenserklärung 
abzugeben, fo genügt es, wenn diefelbe an einen der Gejchäftsführer erfolgt. 

Die Zeichnung gejchieht in der Weiſe, daß die Zeichnenden zu der Firma 
der Gejellichaft ihre Namensunterjchrift beifügen. 

Buchführung Durch die Gefhäftsführer. 

$ 41. Die Gejchäftsführer find verpflichtet, für die ordnungsmäßige 

Buchführung der Gejellichaft zu ſorgen. 





Die Geſellſchaften mit beſchränkter Haftung. 419 


Sie müfjen in den erjten drei Monaten des Gejchäftsjahres die Bilanz für 
das verflojfene Gejchäftsjahr nebjt einer Gewinn und Verluftrechnung aufjtellen. 
Durch den Gefellichaftsvertrag kann die bezeichnete Friſt bis auf ſechs 
Monate, bei Gejellichaften, deren Unternehmen den Betrieb von Gejchäften in 
überjeeischen Gebieten zum Gegenftande hat, bis auf neun Monate erjtreckt werden. 
Für Gejellichaften, bei welchen der Gegenitand des Unternehmens im 
Betriebe von Bankgejchäften bejteht, ift die Bilanz innerhalb der vorbezeichneten 
Friften in den im $ 30 Ab. 2 beitimmten öffentlichen Blättern durch Die 
Gefchäftsführer befannt zu machen. Die Bekanntmachung ift zum Handels- 


regijter einzureichen. 
YAuftfidtörat. 


$ 52. Iſt nach dem Gejellichaftsvertrage ein Aufjichtsrat zu bejtellen, 
jo finden auf denjelben, joweit nicht im Gejellichaftövertrage ein anderes be— 
ftimmt ift, die für den Aufjichtsrat einer Aftiengejellichaft nach $ 243 Abi. 1, 
2, 4, 88 244 bis 248 und $ 249 Abſ. 1, 2 des Handelsgejegbuchs geltenden 
Vorſchriften entjprechende Anwendung. 

Schadenserjaganjprüche gegen die Mitglieder des Aufjichtsrats wegen 
Verlegung ihrer Obliegenheiten verjähren in fünf Jahren. 

Konfuröverfahren. 

$ 63. Ueber das Vermögen der Gejellichaft findet das Konkursverfahren 
außer dem Falle der Zahlungsunfähigfeit auch in dem Falle der Ueber— 
ſchuldung jtatt. 

Die auf das Konfursverfahren über das Bermögen einer Aftiengejell- 
schaft bezüglichen Vorfchriften im $ 207 Abſ. 2, $ 208 der Konfursordnung 
finden auf die Gefellichaft mit bejchränfter Haftung entjprechende Anwendung. 


Pflicht der Geihäftsführer zum Antrag auf Konkurseröffnung. 
$ 64. Die Gefchäftsführer haben die Eröffnung des Konkursverfahreng 
zu beantragen, fobald die Zahlungsunfähigfeit der Gejellichaft eintritt oder aus 
der Sahresbilanz oder aus einer im Laufe des Gejchäftsjahres aufgeitellten 
Bilanz Ueberſchuldung ſich ergibt. 

Die Gejchäftsführer find der Gejellichaft zum Erjage aller nach dieſem 
Beitpunft geleifteten Zahlungen verpflichtet. Auf den Erjaganfpruch finden 
die Beitimmungen im $ 43 Abſ. 3 und 4 entiprechende Anwendung. 

Liquidation. 

8 66. Im den Fällen der Auflöſung, außer dem Falle des Konkurs: 

verfahrens, erfolgt die Liquidation durch die Gefchäftsführer, wenn nicht diejelbe 


27° 


420 V. Die übrigen wichtigiten Reichsgeſetze ſtrafrechtlichen Inhalts. 


durch den Gejellichaftsvertrag oder durch Beichluß der Gejellichafter anderen 

Perſonen übertragen wird. 

Auf Antrag von Gejellichaftern, deren Gejchäftsanteile zuſammen 
mindeitend dem zehnten Teile des Stammfapital® entjprechen, fann aus 
wichtigen Gründen die Beitellung von Liquidatoren durch das Gericht ($ 7 
Abi. 1) erfolgen. 

Die Abberufung von Liquidatoren fann durch das Gericht unter der— 
jelben Vorausſetzung wie die Beltellung jtattfinden. Liquidatoren, welche 
nicht vom Gericht ernannt find, fünnen auch durch Beichluß der Gejellichafter 
vor Ablauf des Zeitraums, für welchen fie bejtellt find, abberufen werden. 

8 71. Die Liquidatoren haben die aus SS 36, 37, $ 41 Abſ. 1, $ 43 
Abi. 1, 2 und 4, S 49 Abi. 1 und 2, 8 64 fich ergebenden Rechte und 
Pflichten der Geſchäftsführer. 

Sie haben ſofort bei Beginn der Liquidation und demnächſt in jedem 
Jahre eine Bilanz aufzuſtellen. 

Anmeldungen zum Handelsregiſter. 

8 78. Die in diefem Gejege vorgeiehenen Anmeldungen zum Handels» 
regiiter find durch die Gejchäftsführer oder die Liquidatoren, die im $ 7 Abi. 1, 
8 12 Abſ. 1, & 57 Abi. 1, S 58 Abſ. 1 Nr. 3, $ 80 Abi. 5 vorgefehenen An- 
meldungen find durch Jämtliche Gejchäftsführer zu bewirken. 

Strafbeftiimmungen. Wiſſentlich falidhe Angaben uſw. 

$ 82. Mit Gefängnis bis zu einem Jahre und zugleich mit Gelditrafe 
bis zu fünftaufend Mark werden beftraft: 

1. Sejchäftsführer und Mitglieder einer Gejellichaft mit bejchränfter 
Haftung, welche behufs Eintragung der Gejellichaft in das Handels- 
regiiter, jowie Gejchäftsführer, welche behufs Eintragung einer 
Erhöhung des Stammfapitals in das Handelsregiiter dem Gericht 
($ 7 Abſ. 1) Hinfichtlich der Einzahlungen auf die Stammeinlagen 
wifjentlich faljche Angaben machen; 

. Gejchäftsführer einer Gejelljchaft mit bejchränfter Haftung, welche, 
um die Eintragung einer Herabjegung des Stammelapitals in das 
Handelsregiiter zu erwirfen, dem Gericht ($ 7 Abſ. 1) Hinfichtlich 
der Befriedigung oder Sicheritellung der Gläubiger wiljentlich eine 
unwahre Berjicherung abgeben ; 

3. Gejchäftsführer, Liquidatoren, ſowie Mitglieder eines Aufjichtsrats 

oder ähnlichen Organs einer Gejellihaft mit befchränfter Haftung, 


oe) 





Die Geſellſchaften mut beichränkter Haftung. — Tie Inhaberpapiere mit Prämien. 42] 


welche in einer öffentlichen Mitteilung die VBermögenslage der 

Sejellfchaft wiſſentlich unwahr darftellen oder verjchleiern. 
Zugleich kann auf Verluſt der bürgerlichen Ehrenrechte erfannt werden. 
Sind mildernde Umſtände vorhanden, jo tritt ausschließlich die Geld- 


jtrafe ein. 
Konkursdelitte. 


8 83. Die Strafvorſchriften der 88 239 bis 241 der Konkursordnung 
finden gegen die Geſchäftsführer einer Geſellſchaft mit beſchränkter Haftung, 
welche ihre Zahlungen eingeftellt hat oder über deren Vermögen das Konkurs— 
verfahren eröffnet worden iſt, Anwendung, wenn fie in diejer Eigenjchaft die 
mit Strafe bedrohten Handlungen begangen haben. 


Unterlaffener Antrag auf Konfurseröffnung. 

8 84. Die Gefchäftsführer oder Liquidatoren einer Gejellichaft mit 
bejchränfter Haftung werden mit Gefängnis bis zu drei Monaten und zugleid) 
mit Geldjtrafe bis zu eintaufend Mark bejtraft, wenn entgegen den Vor: 
ichriften im S$ 64, 8 71 Ab. 1 der Antrag auf Eröffnung des Konkurs— 
verfahrens unterlafien ift. 

Sind mildernde Umstände vorhanden, jo tritt ausjchlieglich die Geld- 
jtrafe ein. 

Straflos bleibt derjenige, bezüglich deſſen feitgeftellt wird, daß der 
Antrag auf Eröffnung des Konfursverfahbrens ohne jein Verfchulden unter: 
blieben iſt. 


5. Gejeß, betreffend die Fuhaberpapiere mit Prämien. 
Vom 8. Juni 1871. 
(R.G.Bl. S. 210.) 


Auszug.) 


Inhaberpapiere mit Prämien; Beariff. 
$ 1. Auf den Inhaber lautende Schuldverjchreibungen, in welchen allen 
Gläubigern oder einem Teile derjelben außer der Zahlung der verfchriebenen 
Geldjumme eine Prämie dergeitalt zugefichert wird, daß durch Auslofung oder 
durch eine andere auf den Zufall geitellte Art der Ermittelung die zu prä— 
miierenden Schuldverjchreibungen und die Höhe der ihnen zufallenden Prämie 
bejtimmt werden jollen (Inhaberpapiere mit Prämien), dürfen innerhalb des 





422 V. Die übrigen wichtigſten Neichögefepe ftrafrechtlichen Inhalts. 


Deutjchen Reichs nur auf grund eines Neichsgejeges und nur zum Zwecke 
der Anleihe eines Bundesſtaats oder des Neichs ausgegeben werden. 

$ 2. Inhaberpapiere mit Prämien, welche nach PVerfündigung des 
gegenwärtigen Geſetzes, der Beitimmung im $ 1 zuwider, im Inlande aus- 
gegeben fein möchten, imgleichen Inhaberpapiere mit Prämien, welche nad) 
dem 30. April 1871 im Auslande ausgegeben find, Dürfen weder weiter be— 
geben, noch an den Börjen, noch an anderen zum Berfehr mit Wertpapieren 
beftimmten Berfammlungsorten zum Gegenftande eines Gejchäfts oder einer 
Gejchäftsvermittelung gemacht werden. 

8 3. Dasjelbe gilt vom 15. Juli 1871 ab von ausländischen Inhaber: 
papieren mit Prämien, deren Ausgabe vor dem 1. Mai 1871 erfolgt iſt, ſofern 
diefelben nicht abgeitempelt find (88 4, 5). 

Strafbeitimmung. 

86. Wer den Beitimmungen der $$ 1, 2 oder 3 zumwiderhandelt, ver— 
fällt in eine Geldftrafe, welche dem fünften Teile de Nenmwertes der den 
Gegenstand der Zumwiderhandlung bildenden Papiere gleichfommt, mindejtens 
aber einhundert Taler betragen ſoll. 

Mit Geldjtrafe bis zu einhundert Talern oder Gefängnis bis zu Drei 
Monaten wird bejtraft, wer ein im $ 2 oder $ 3 bezeichnetes Inhaberpapier 
mit Prämie Öffentlich anfündigt, ausbietet oder empfiehlt, oder zur Feſt— 
jtellung eines Kurswertes notiert. 


6. Münzgeſetz. 
Vom 9. Juli 1873. 
(R.G. Bl. ©. 233.) 


Auszug.) 


Artikel 13. Der Bundesrat iſt befugt: 

1. den Wert zu beſtimmen, über welchen hinaus fremde Gold- und 
Silbermünzen nicht in Zahlung angeboten und gegeben werden 
dürfen, fowie den Umlauf fremder Münzen gänzlich zu unterfagen ; 

2. zu bejtimmen, ob ausländifche Münzen von Reichs- oder Landes- 
fafien zu einem öffentlich befannt zu machenden Kurje im in: 
fändiichen Verkehr in Zahlung genommen werden dürfen, auch in 
jolchem Falle den Kurs feſtzuſetzen. 


Münzgefep. — Schup d. z. Anfertigung v. Reichskaſſenſcheinen verw. Papiers ꝛc. 423 


Strafbeitimmung. 
Gewohnheitsmäßige oder gewerbsmäßige Zuwiderhaudlungen gegen die 
vom Bundesrate in Gemäßheit der Beftimmungen unter 1 getroffenen Anord- 
nungen werden bejtraft mit Gelditrafe biß zu 150 Marf oder mit Haft bis 
zu ſechs Wochen. 


7. Gele, 
betreffend den Schuß des zur Anfertigung von Reichskaſſenſcheinen 
verwendeten Papiers gegen unbefugte Nahahmung. 


Vom 26. Mai 1885. 
(R.G.Bl. ©. 165.) 


8 1. Papier, welches dem zur Herjtellung von Neichsfafjenicheinen 
verwendeten, durch äußere Merkmale erkennbar gemachten Papier Hinfichtlich 
diefer Merkmale gleich oder jo ähnlich iſt, daß die Verfchiedenheit nur durch 
Anwendung bejonderer Aufmerfjamkeit wahrgenommen werden fann, darf, 
nachdem die Merfmale in Gemäßheit des $ 7 des Geſetzes vom 30. April 1874, 
betreffend die Ausgabe von Reichskafjenfcheinen (R.G.Bl. S. 40), öffentlich) 
befannt gemacht worden find, ohne Erlaubnis des Neichsfanzlers oder einer 
von demjelben zur Erteilung der Erlaubnis ermächtigten Behörde weder an— 
gefertigt oder aus dem Auslande eingeführt, noch verfauft, feilgehalten oder 


ſonſt in Verkehr gebracht werden. 
Strafbeitimmung. 


s 2. Wer den Beitimmungen im $ 1 vorjäglich zumiderhandelt, wird 
mit Gefängnis bis zu einem Jahre, und wenn die Handlung zum Zwed eines 
Münzverbrechens begangen worden it, mit Gefängnis von drei Monaten bis 
zu zwei Jahren bejtraft. Iſt die Handlung aus Fahrläſſigleit begangen 
worden, jo iſt auf Gelditrafe bis zu eintaufend Mark oder Gefängnis bis zu 
jehs Monaten zu erkennen. 

@inzichung. 

8 3. Neben der Strafe ift auf Einziehung des Papier zu erfennen, 
ohne Unterjchied, ob dasjelbe dem Berurteilten gehört oder nicht. Auf die 
Einziehung des Papiers iſt auc dann zu erkennen, wenn die Verfolgung oder 
die Verurteilung einer bejtimmten Perjon nicht jtattfindet. 





424 V. Die übrigen wichtigiten Reichsgeſetze jtrafrechtlihen Inhalts. 


8. Bankgeſetz. 
Vom 14. März 1875. 
(R.G.Bl. ©. 177.) 


(Auszug.) 


Befugnis zur Ausgabe von Banfnoten., 

s 1, Die Befugnis zur Ausgabe von Banknoten fann nur durch 
Neichsgefeg erworben, oder über den bei Erlaß des gegenwärtigen Gejeges 
zuläſſigen Betrag der Notenausgabe hinaus erweitert werden. 

Den Banknoten im Sinne diefes Gejeges wird dasjenige Staatspapier- 
geld gleich geachtet, dejjen Ausgabe einem Banfinititute zur Verftärfung jeiner 
Betriebsmittel übertragen tft. 

Keine Berpflihtung, Banfnoten in Zahlung zu nchmen. 

8 2, Eine Verpflichtung zur Annahme von Banknoten bei Zahlungen, 
welche gejeglich in Geld zu leiſten find, findet nicht jtatt und fann aud) für 
Staatsfajien durch Landesgeſetz nicht begründet werden. 

Beträge der Banfnoten, 

Ss 3 Banknoten dürfen nur auf Beträge von 100, 200, 500 und 

1000 Mark oder von einem Bielfachen von 1000 Markt ausgefertigt werden. 
Eintöfepfliht der Banken. 

8 4 Jede Bank ijt verpflichtet, ihre Noten ſofort auf Präfentation 
zum vollen Nennmwerte einzulöjen, auch folche nicht nur an ihrem Hauptiig, 
fondern auch bei ihren Zweiganſtalten jederzeit zum vollen Nennwerte in 
Zahlung anzunehmen. 

‚Für bejchädigte Noten hat fie Erſatz zu leisten, jorern der Inhaber ent- 
weder einen Teil der Note präfentiert, welcher größer ijt als die Hälfte, oder 
den Nachweis führt, dab der Reſt der Note, von welcher er nur die Hälfte 
oder einen geringeren Teil als die Hälfte präfentiert, vernichtet jei. 

Für vernichtete oder verlorene Noten Erfaß zu leisten ijt fie nicht verpflichtet. 

Beihädigte Banfnoten. 

$ 5. Banfnoten, welche in die Kaſſe der Banf oder einer ihrer Zweig⸗ 
anftalten oder in eine von ihr beitellte Einlöſungskaſſe in bejchädigtem oder 
beſchmutztem Zujtande zurüdfehren, dürfen nicht wieder ausgegeben werden. 


Bantgejep. 425 


Geihäftsbefhränfung der Notenbanfen. 

8 7. Den Banken, welche Noten ausgeben, ift nicht geitattet: 

1. Wechjel zu afzeptieren, 

. Waren oder fursbhabende Papiere für eigene oder für fremde 
Rechnung auf Zeit zu faufen oder auf Zeit zu verfaufen, oder 
für die Erfüllung folcher Kaufs- oder Verkaufsgeſchäfte Bürgschaft 
zu übernehmen. 


— 


Publitationspflicht der Notenbaͤnten. 
8 8. Banken, welche Noten ausgeben, haben 
1. den Stand ihrer Aktiva und Paſſiva vom 7., 15., 23. und legten 
jedes Monats, jpäteltens am fünften Tage nad) diefen Terininen und 
2. jpäteftens drei Monate nach dem Schluffe jedes Gefchäftsjahres 
eine genaue Bilanz ihrer Aktiva und Paſſiva, ſowie den Jahres: 
abjchluß des Gewinn» und Verluſtkontos 
durch den Neichsanzeiger auf ihre Koſten zu veröffentlichen. 
Die wöchentliche Veröffentlichung muß angeben 
1. auf Seiten der Paſſiva: 
das Grundkapital, 
den Nefervefonds, 
den Betrag der umlaufenden Noten, 
die ſonſtigen täglich fälligen Verbindlichkeiten, 
die an eine Kündigungsfriit gebundenen Berbindlichkeiten, 
die ſonſtigen Paſſiva; 
2. auf Seiten der Aktiva: 
den Metallbeſtand (den Beſtand an kursfähigem deutſchen 
Gelde und an Gold in Barren oder ausländiſchen Münzen, 
das Pfund fein zu 1392 Mark berechnet), 
den Beitand: 
an Neichs-Raffenjcheinen, 
an Noten anderer Banlen, 
an Wechſeln, 
an Lombardforderungen, 
an Effekten, 
an jonftigen Aktiven. 
Welche Kategorien der Aktiva und Paſſiva in der Jahresbilanz gefondert 
nachzumeifen find, beitimmt der Bundesrat. 


426 V. Die übrigen wichtigſten Neichägefepe ſtrafrechtlichen Inhalte. 


Außerdem find in beiden Veröffentlichungen die aus weiterbegebenen im 
Inlande zahlbaren Wechieln entjprungenen eventuellen Berbindlichfeiten 
erfichtlich zu machen. 

Stenerpfliht der Noteubanten. 

$ 9. Banfen, deren Notenumlauf ihren Barvorrat und den ihnen nach 
Maßgabe der Anlage zugewiejenen Betrag überjteigt, haben vom 1. Januar 
1876 ab von dem Ueberſchuſſe eine Steuer von jährlich Fünf vom Hundert 
an die Neichsfafje zu entrichten. Als Barvorrat gilt bei Feititellung der 
Steuer der in den Kaſſen der Banf befindliche Betrag an fursfähigem deutjchem 
Gelde, an Neichs-Saffenjcheinen, an Noten anderer deutjcher Banfen und an Gold 
in Barren oder ausländischen Münzen, das fund fein zu 1392 Marf berechnet. 

Erlijcht die Befugnis einer Bank zur Notenausgabe ($ 49), jo wädjt 
der derjelben zuftehende Anteil an dem Gefamtbetrage des der Steuer nicht 
unterliegenden ungededten Notenumlaufs dem Anteile der Reichsbank zu. 

$ 10. Zum Zwed der Feſtſtellung der Steuer hat die Verwaltung der 
Banf am 7., 15., 23. und letzten jedes Monats den Betrag des Barvorrats 
und der umlaufenden Noten der Bank fejtzuftellen und dieſe Feitftellung an 
die Auffichtsbehörde einzureichen. Am Schluß jedes Jahres wird von der 
Aufiichtsbehörde auf grund diefer Nachweifungen die von der Bank zu zahlende 
Steuer in der Weiſe feitgeftellt, daß von dem aus jeder diefer Nachweifungen 
ſich ergebenden fteuerpflichtigen Ueberſchuſſe des Notenumlaufs us Prozent 
als Steuerjoll berechnet werden. Die Summe diejer für jede einzelne Nad)- 
weifung als Steuerfoll berechneten Beträge ergibt die von der Banf jpätejtens 
am 31. Januar des folgenden Jahres zur Neichskaffe abzuführende Steuer. 

Ausländiſche Banfnoten, 

8 11. Ausländische Banfnoten oder jonjtige auf den Iuhaber lautende 
unverzinsliche Schuldverfchreibungen ausländischer Klorporationen, Gejellichaften 
oder Privaten dürfen, wenn fie ausjchließlich oder neben anderen Wert- 
beftimmungen in Reihswährung oder einer deutjchen Landeswährung aus- 
geftellt find, innerhalb des Neichsgebictes zu Zahlungen nicht gebraucht werden. 

Weitere Beifhränfungen der Notenbanten. Privatnotenbanten., 

$ 42. Banfen, welche ſich bei Erlaß dieſes Gefeges im Befige der 
Befugnis zur Notenausgabe befinden, dürfen außerhalb desjenigen Staates, 
welcher ihnen dieſe Befugnis erteilt hat, Banfgejchäfte durch Zweiganftalten 
weder betreiben, noch durch Agenten für ihre Rechnung betreiben laſſen, noch 
als Gejellichafter an Banfhäufern ich beteiligen. 





Bantgejep. 427 


8 43. Die Noten einer Bank, welche jich bei Erlaß dieſes Geſetzes 
im Befize der Befugnid zur Notenausgabe befindet, dürfen außerhalb des: 
jenigen Staates, welcher derjelben diefe Befugnis erteilt hat, zu Zahlungen 
nicht gebraucht werden. 

Der Umtauſch folcher Noten gegen andere Banknoten, Papiergeld oder 
Münzen unterliegt diefem Verbote nicht. 


Strafbeitiimmungen. 
$ 55. Wer unbefugt Banfnoten oder jonjtige auf den Inhaber lautende 
unverzinsliche Schuldverjchreibungen ausgibt, wird mit einer Geldftrafe bejtraft, 
welche dem Zehnfachen des Betrages der von ihm ausgegebenen Wertzeichen 
gleichfommt, mindeſtens aber fünftaujend Mark beträgt. 


8 56. Mit Gelditrafe bis zu einhundertfünzig Mark wird beftraft, wer 
der Verbotsbeitimmung des 5 43 zuwider, Noten inländiicher Banken, oder 
Noten oder jonitige Geldzeichen inländifcher Korporationen außerhalb des— 
jenigen Landesgebiets, für welches dieſelben zugelafien find, zur Leiftung von 
Zahlungen verwendet. 


8 57. Mit Geldftraien von fünfzig Mark bis zu fünftaufend Mark 
wird bejtraft, wer der Verbotsbejtimmung in $ 11 zumider, ausländijche Bank— 
noten oder jonjtige auf den Inhaber lautende umverzinsliche Schuldver- 
fchreibungen ausländischer Korporationen, Gejellichaften oder Privaten, welche 
ausschließlich oder neben anderen Wertbeſtimmungen in Reichswährung oder einer 
deutjchen Landeswährung ausgejtellt find, zur Leiſtung von Zahlungen verwendet. 

Geichieht die Verwendung gewerbsmäßig, jo tritt neben der Gelditrafe 
Gefängnis bis zu einem Jahre ein. Der Verjuch ijt ftrafbar. 


Ss 58. Mit Gelditrafe bis zu fünftaufend Marf wird bejtraft, wer den 
Beitimmungen im 8 42 zuwider, für Rechnung von Banken als Vorjteher von 
Zweiganjtalten oder als Agent Banfgejchäfte betreibt oder mit Banken als 
Geſellſchafter in Verbindung tritt. 

Die gleiche Strafe trifft die Mitglieder des Vorjtandes einer Banf, 
welche den Beitimmungen des $ 7 entgegenhandeln, oder welche dem Berbote 
des $ 42 zuwider 

a) Zweiganftalten oder Agenturen, beftellen 
oder 
b) die von ihnen vertretene Banf als Gefellichafter an Bankhäuſern 
beteiligen. 


428 V. Die übrigen wichtigiten Reichsgeſetze jtrafrechtlichen Inhalte. 


8 59. Die Mitglieder des Vorftandes einer Banf werden: 


1. wenn ſie in den durch die Bejtimmungen des $ 8 vorgejchriebenen 
Veröffentlichungen wiffentlich den Stand der Verhältniſſe der Bant 
unwahr darjtellen oder verjchleiern, mit Gefängnis bis zu drei 
Monaten beitraft; 


2. wenn fie durch unrichtige Aufftellung der im $ 10 vorgejchriebenen 
Nachweiſungen den jteuerpflichtigen Notenumlauf zu gering angeben, 
mit einer Geldjtrafe bejtraft, welche dem Zehnfachen der hinter- 
zogenen Steuer gleich ſteht, mindeitens aber fünfhundert Marf beträgt; 

3. wenn die Bank mehr Noten ausgibt, als fie auszugeben befugt 
iſt, mit einer Gelditrafe beitraft, welche dem Zehnfachen des zuviel 
ausgegebenen Betrages gleichfommt, mindejtens aber fünftaufend 
Mark beträgt. 

Die Strafe zu 3. trifft auch die Mitglieder des Vorſtandes jolcher 
KKorporationen, welche zur Ausgabe von auf den Inhaber lautenden un: 
verzinslichen Schuldverjchreibungen befugt find, wenn jie mehr jolche Geld- 
zeichen ausgeben, al$ die Korporation auszugeben befugt it. 


9. Geſetz, 
betrefjend die Abänderung des Banfgejeges vom 14. März 1875. 


Von 7. Juni 1899. 
R.G.Bl. ©. 311.) 


(Auszug.) 


Artikel 5. Der nach Maßgabe der Anlage zum 89 des Bankgeſetzes der 
Reichsbank zuſtehende Anteil an dem Geſamtbetrage des der Steuer nicht 
unterliegenden ungedeckten Notenumlaufs, einſchließlich der ihr inzwiſchen zu— 
gewachſenen Anteile der unter Nr, 2 bis 11, 15 bis 17, 21 bis 23 und 25 
bis 33 bezeichneten Banfen wird auf vierhundertundfünfzig Millionen Marf 
fejtgejegt, unter gleichzeitiger Erhöhung des Gejamtbetrages auf fünfhundert- 
einundvierzig Millionen jetshunderttaufend Marf. 





ie, ee e — nn Be 


Bankgeſetz. — Abänderung des Bankgeſetzes. 429 


Artikel 7. 8 1. Die Reichsbank darf vom 1. Januar 1901 ab nicht 
unter dem von ihr gemäß $ 15 des Banfgejeges jeweilig öffentlich befannt 
gemachten Prozentjage disfontieren, jobald diefer Sat vier Prozent erreicht 
oder liberjchreitet. 

Wenn die Reichsbank zu einem geringeren als dem öffentlich befannt 
gemachten Prozentjage disfontiert, jo hat ſie diefen Sat im Reichsanzeiger 
befannt zu machen. 


$ 2. Der Bundesrat wird denjenigen Privatnotenbanfen gegenüber, 
auf welche die bejchränfenden Beitimmungen des $ 43 des Bankgeſetzes feine 
Anwendung finden, von dem vorbehaltenen Kündigungsrechte behufs Aufhebung 
der Befugnis zur Ausgabe von Banknoten zum 1. Januar 1901 Gebrauch 
machen, wenn diefe Banken fich nicht bis zum 1. Dezember 1899 verpflichten, 
vom 1. Januar 1901 ab 
1. nicht unter dem gemäß $ 15 des PBanfgejeges öffentlich befannt 
gemachten Brozentfage der Reichsbank zu disfontieren, jobald diejer 
Sat vier Prozent erreicht oder überjchreitet, 
und 
2. im übrigen nicht um mehr als einviertel Prozent unter dem 
gemäß $ 15 des Banfgejeges öffentlich befannt gemachten Prozent— 
age der Reichsbank zu disfontieren, oder falls die Reichsbank 
jelbft zu einem geringeren Sage disfontiert, nicht um mehr als 
einachtel Prozent unter diefem Satze. 


$ 3. Handelt eine PBrivatnotenbanf der nad) $ 2 eingegangenen Ver— 
pflichtung entgegen, jo wird die Entziehung der Befugnis zur Notenausgabe 
gemäß $ 50 ff. des Bankgejeges durch gerichtliches Urteil ausgeſprochen. 

Strafbeitimmung. 

Mitglieder des Vorjtandes, Vorjteher einer Zreiganitalt, fonjtige Ans 
gejtellte oder Agenten einer jolchen Bank, welche für Nechnung der Banf der 
von ihr eingegangenen Verpflichtung entgegen, unter dem nad) 8 2 zuläffigen 
Prozentjage disfontieren, werden mit Geldſtrafe bis zu fünftaujend Marf 
beitraft. 

Artikel 9. $ 3. Vom 1. Januar 1901 ab werden die Noten der vor» 
maligen Preußischen Bant bei Feititellung des Notenumlaufs der Reichsbant 
gemäß 88 8, 9, 10 und 17 des Bankgeſetzes außer Anſatz gelafien. 


430 V. Die übrigen wichtigſten Reichsgeſetze ſtrafrechtlichen Inhalts. 


10. Börſeugeſetz. 
Vom 22, Juni 1896. 
(R. G.Bl. ©. 157.) 


(Auszug.) 


Zulaſſung von Wertpapieren zum Börfenhandel. 

$ 36. Die Zulafjung von Wertpapieren zum Börjenhandel erfolgt an 
jeder Börfe durd) eine Kommifjion (Zulaffungsitelle), von deren Mitgliedern 
mindeitens die Hälfte aus Perfonen beftehen muß, welche nicht ins Börſen— 
regilter für Wertpapiere ($ 54) eingetragen jind. 

Bon der Beratung und Beichlußfaffung über die Zulafjung eines 
Wertpapiers zum Börfenhandel find Diejenigen Mitglieder ausgeſchloſſen, 
welche an der Einführung diejes Wertpapier in den Börjenhandel beteiligt 
find; für die ausjcheidenden Mitglieder jind Stellvertreter nach näherer 
Beitimmung der Börjenordnung zu berufen. 

Die Bulaffungsstelle hat die Aufgabe und die Pflicht: 

a) die Vorlegung der Urkunden, welche die Grundlage für die zu 
ennittierenden Wertpapiere bilden, zu verlangen und diefe Urkunden 
zu prüfen; 

b) dafür zu jorgen, daß das Publikum über alle zur Beurteilung 
der zu emittierenden Wertpapiere notwendigen tatjächlichen und 
rechtlichen Verhältniſſe ſoweit als möglich informiert wird, und 
bei Unvollftändigfeit der Angaben die Emiſſion nicht zuzulafjen; 

c) Emifjionen nicht zuzulafien, durch welche erhebliche allgemeine 
Interejjen gejchädigt werden oder welche offenbar zu einer Ueber- 
vorteilung des Publikums führen. 

Die Zulafiungsjtelle darf die Emifjion ohne Angabe von Gründen 
ablehnen. Im übrigen werden die Beitimmungen über die Zufammenjegung 
der Zulafjungsitelle jowie über die Zuläffigfeit einer Bejchwerde gegen deren 
Entjcheidungen durch die Börfenordnungen getroffen. Die Zulafjungsjtelle ijt 
befugt, zum Börjenhandel zugelafjene Wertpapiere von demjelben auszujchliegen. 

Die Zulafjung deutjcher Reichs- und Staatsanleihen darf nicht ver- 
jagt werden. 


Börjengeiep. 431 


$ 38. Nach Einreichung des Antrages auf Zulafjung von Wertpapieren 
ift derjelbe von der Zulaffungsitelle unter Bezeichnung der Einführungsfirma, 
des Betrages jowie der Art der einzuführenden Wertpapiere zu veröffentlichen. 
Zwiſchen der Veröffentlichung und der Einführung an der Börje muß eine 
Friſt von mindeitens ſechs Tagen liegen. 

Bor der Zulafjung it, jofern es ſich nicht um deutſche Reichs- oder 
Staatsanleihen handelt, ein Proſpekt zu veröffentlichen, welcher die für die 
Beurteilung des Wertes der einzuführenden Papiere wejentlichen Angaben 
enthält. Das gleidhe gilt für SKomvertierungen und SKapitalserhöhungen. 
Der Projpeft muß den Betrag, welcher in den Verkehr gebracht, jowie den 
Betrag, welcher vorläufig vom Berfehr ausgejchloffen werden joll, und die 
Zeit, für welche diefer Ausjchluß erfolgen joll, erfichtlich machen. 

Für Schufdverjchreibungen, bezüglich deren das Reich oder ein Bundes— 
ſtaat die volle Garantie übernommen bat, und für Schuldverfchreibungen 
fommunaler Körperjchaften und fommunaljtändifcher Kreditinftitute ſowie der 
unter jtaatlicher Aufficht jtehenden Piandbriefanftalten kann die Yandesregierung 
($ 1) von der Verpflichtung zur Einreichung eines Projpelts entbinden. 

$ 39. Die Zulafjung von Aktien eines zur Aktiengejellichaft oder zur 
Kommanditgejellichaft auf Aktien umgewandelten Unternehmens zum Börſen— 
handel darf vor Ablauf eines Jahres nach Eintragung der Gejellichaft in das 
Handelgregifter und vor der Veröffentlichung der erjten Jahresbilanz nebjt 
Gewinn: und Verluftrehnung nicht erfolgen. In bejonderen Fällen kann 
diefe Frijt von der Landesregierung ($ 1) ganz oder teilweiſe erlafien werden. 


Die Zulafjung von Anteilsfcheinen oder jtaatlich nicht garantierten 
Obligationen ausländifcher Erwerbögejellichaften it davon abhängig, dab die 
Emittenten jich auf die Dauer von fünf Jahren verpflichten, die Bilanz ſowie 
die Gewinn» und Verluftrechnung jährlich nach Feititellung derjelben in einer 
oder mehreren von der Zulafjungsitelle zu bejtimmenden deutjchen Zeitungen 
zu veröffentlichen. 

5 40. Für Wertpapiere, welche zur öffentlichen Zeichnung aufgelegt 
werden, darf vor beendeter Zuteilung an die Zeichner eine amtliche Feitjtellung 
des Preijes nicht erfolgen. Bor diefem Zeitpunft find Gejchäfte von der 
Benupung der Börjeneinrichtungen ausgejchlojfen und dürfen von den Kurs— 
maflern nicht notiert werden. Auch dürfen für folche Geſchäfte Preislijten 
Kurszettel) nicht veröffentlicht oder in mechanisch hergeftellter Vervielfältigung 
verbreitet werden. 


432 V. Die übrigen widtigiten Reichsgeſetze ſtrafrechtlichen Inhalts. 


$ 4. Für Wertpapiere, deren Zulafjung zum Börjenhandel verweigert 
oder nicht nachgejucht ijt, darf eine amtliche Feitjtellung des Preiſes nicht 
erfolgen. Gejchäfte in jolchen Wertpapieren find von der Benutzung der 
Börfeneinrichtungen ausgejchlofien und dürfen von den Kursmaklern nicht 
vermittelt werden. Auch dürfen für jolche an der Börſe abgejchlojjenen 
Geſchäfte Preisliften (KHurszettel) nicht veröffentlicht oder in mechanisch her- 
gejtellter Vervielfältigung verbreitet werden, joweit nicht die Börſenordnung 
für befondere Fälle Ausnahmen gejtattet. 


Börfenterminhandel, 


$ 48. Als Börjentermingefchäfte in Waren oder Wertpapieren gelten 
Kauf: oder ſonſtige Anfchaffungsgeichäfte auf eine feſtbeſtimmte Lieferungszeit 
oder mit einer fejtbeitimmten Lieferungsfriit, wenn jie nach Geichäftsbedingungen 
geichlofjen werden, die von dem Börfenvorstande für den Terminhandel feſt— 
gejeßt jind, und wenn für die an der betreffenden Börfe gefchlojienen Gejchäfte 
jolcher Art eine amtliche Feititelung von Terminpreifen ($$ 29, 35) erfolgt. 

$ 49. Ueber die Zulaffung von Waren und Wertpapieren zum Börjen- 
terminhandel entjcheiden die Börjenorgane nach näherer Beitimmung der 
Börfenordnung. 

Die Börjenorgane jind verpflichtet, vor der Zulaffung von Waren zum 
Börjenterminhandel in jedem einzelnen Falle Vertreter der beteiligten Erwerbs- 
zweige gutachtlich zu hören und das Ergebnis dem Neichsfanzler mitzuteilen. 
Die Zulaffung darf erjt erfolgen, nachdem der Neichsfanzler erklärt hat, daß 
er zu weiteren Ermittelungen feine Veranlaſſung finde. 

$ 50. Der Bundesrat ijt befugt, den Börfenterminhandel von Bedingungen 
abhängig zu machen oder in bejtimmten Waren oder Wertpapieren zu unterjagen. 

Der Börjenterminhandel in Anteilen von Bergwerks- und Fabrif- 
unternehmungen it unterjagt. Der Börjenterminhandel in Anteilen von 
anderen Erwerbsgejellichaften fann nur geitattet werden, wenn das Kapital 
der betreffenden Erwerbegejellfchaft mindeitens zwanzig Millionen Mark beträgt. 

Der börjenmäßige Terminhandel in Getreide und Mühlenfabrikaten ift 
unterjagt. 

8 51. Inſoweit der Börfenterminhandel in beftimmten Waren oder 
Wertpapieren durch diefes Gejeg oder vom Bundesrat unterjagt, oder die 
Zulaffung desjeldben von den Börjenorganen endgiltig verweigert ift, find 
Börjentermingefchäfte in diefen Waren oder Wertpapieren von der Benugung 


——————— 


Böorſengeſetz. 433 


der Börſeneinrichtungen ausgeſchloſſen und dürfen von den Kursmaklern nicht 
vermittelt werden. Auch dürfen für ſolche Gejchäfte, jofern jie im Inlande 
abgejchlofjen find, Preislisten (Nurszettel) nicht veröffentlicht oder in mechanisch 
bergejtellter Vervielfältigung verbreitet werden. 

Desgleichen ijt ein von der Mitwirkung der Börjenorgane unabhängiger 
Terminhandel von der Börje ausgeſchloſſen, ſoweit er ji in den für Börſen— 
termingejchäfte üblichen Form vollzieht. 

$ 52. Wird die Zulaffung von Waren oder Wertpapieren zum Börjen- 
terminhandel nicht nachgefucht, jo kann ein tatiächlich Itattfindender Termin: 
handel von den Börjenaufjichtsbehörden mit den im $ 51 bezeichneten Folgen 
unterjagt werden. 


Straf- und Schlußbeſtimmungen. 

$ 75. Wer in betrügerifcher Abjicht auf Täujchung berechnete Mittel 
anwendet, um auf den Börſen- oder Marktpreis von Waren oder Wertpapieren 
einzumirfen, wird mit Gefängnis und zugleich mit Gelditrafe bis zu fünfzehn: 
taujend Mark beitrait. Auch fann auf Verluft der bürgerlichen Ehrenrechte 
erfannt werden. 

Sind mildernde Umjtände vorhanden, jo kann ausſchließlich auf die 
Geldſtrafe erfannt werden. 

Die gleiche Strafe trifft denjenigen, welcher in betrügerifcher Abjicht 
wiſſentlich unrichtige Angaben in Projpeften ($ 38) oder in öffentlichen 
Kundgebungen macht, durch welche die Zeichnung oder der Ankauf oder 
Verkauf von Wertpapieren herbeigeführt werden joll. 


Die Beltimmungen bezüglich der Wertpapiere gelten auch für Wechſel 
und ausländifche Geldforten ($ 80). 


Ss 76. Wer für Mitteilungen in der Preſſe, durch welche auf den 
Börjenpreis eingewirft werden joll, Vorteile gewährt oder verjpricht oder fich 
gewähren oder verjprechen läßt, welche in auffälligem Mikverhältnis zu der 
Leiftung jtehen, wird mit Gefängnis bis zu einem Jahre und zugleich mit 
Selditrafe bis zu fünftaufend Mark beitraft. 

Die gleiche Strafe trifft denjenigen, der jich für die Unterlafjung von 
Mitteilungen der bezeichneten Art Vorteile gewähren oder veriprechen läßt. 

Der Berjuch it ftrafbar. 

Sind mildernde Umstände vorhanden, jo kann ausjchlieglich auf die 
Gelditrafe erfannt werden. 

28 


434 V. Die übrigen wichtigiten Reichsgeſetze ſtrafrechtlichen Inhalts, 


8 77. Wer wifjentlic;) den Vorſchriften der SS 40, 41, 51 und 52 
zuwider Preislijten (Kurszettel) veröffentlicht oder in mechanijch hergeitellter 
Vervielfältigung verbreitet, wird mit Gelditrafe bis zu eintaufend Mark oder 
mit Haft oder mit Gefängnis bis zu ſechs Monaten beitraft. 

$ 78. Wer gemohnheitsmäßig in gewinnjüchtiger Abficht andere unter 
Ausbeutung ihrer Unerfahrenheit oder ihres Leichtjinns zu Börfenjpefulations- 
geichäften verleitet, welche nicht zu ihrem Gewerbebetriebe gehören, wird mit 
Gefängnis und zugleich mit Gelditrafe bis zu fünfzehntaufend Mark beitraft. 
Auch fann auf Verluſt der bürgerlichen Ehrenrechte erfannt werden. 


8 79. Ein Kommiffionär, welcher, um fich oder einem Dritten einen 
Bermögensvorteil zu verjchaffen, 

1. das Vermögen des Kommittenten dadurch beichädigt, daß er Hin- 
fichtlic) eines abzufchließenden Gejchäfts wider bejjeres Wiſſen 
unrichtigen Nat oder unrichtige Auskunft erteilt, oder 

2. bei der Ausführung eines Auftrages oder bei der Abwidelung 
eines Gejchäfts abfichtlich zum Nachteile des Kommittenten handelt, 

wird mit Gefängnis beitraft. Neben der Gefängnisftrafe fann auf Gelditrafe 
bis zu Ddreitaufend Mark fowie auf Berluft der bürgerlichen Ehrenrechte 
erfannt werden. 

Sind mildernde Umjtände vorhanden, jo fann ausjchlieglich auf vie 
Geldſtrafe erfannt werden. 


Der Verſuch iſt jtrafbar in den Fällen der Ziffer 1. 


11. Sypothefenbanfgeieb. 


Vom 13. Juli 189. 
R.G.Bl. ©. 375.) 
(Auszug.) 
Snpothefenbanten. 
$ 1. Altiengefellichaften und Kommanditgejellichaften auf Aktien, bei 
welchen der Gegenjtand des Unternehmens in der hypothefarifchen Beleihung 
von Grundjtüden und der Ausgabe von Schuldverjchreibungen auf grund 
der erworbenen Hppothefen beiteht (Hypothekenbanken), bedürfen zur Aus— 
übung ihres Gejchäftsbetrieb der Genehmigung des Bundesrats. 





a u EEE 


Börfengefeg. — Hypothelenbankgeſetz. 435 


Sit in der Satzung einer Hypothekenbank beſtimmt, daß die hypo— 
thefarifchen Beleihungen nur im Gebiete desjenigen Bundesjtaats erfolgen 
dürfen, in welchem die Banf ihren Sit hat, jo jteht die Erteilung der Ge— 
nehmigung der Zentralbehörde diefes Bundesftaats zu. 

Zu jeder Aenderung der Satzung einer Hypothekenbank ijt die Genehmignng 
der nad) den Abſ. 1, 2 zuftändigen Stelle erforderlich. 


Berbot der Hypothekenbankgeſchäfte. 
8 2. Dffenen Handelögejellichaften, Kommanditgefellichaften, Gejell- 
Ichaften mit beichränfter Haftung, eingetragenen Genofjenjchaften und einzelnen 
Perſonen ijt der Betrieb eines Unternehmens der im $ 1 Abſ. 1 bezeichneten 


Art unterjagt. 
Dedung der Pfandbriefe durch Hypotheken. 


$ 6. Der Geſamtbetrag der im Umlaufe befindlichen Hypothekenpfand— 
briefe muß in Höhe des Nennwerts jederzeit durd) Hypothefen von mindeſtens 
gleicher Höhe und mindeſtens gleichem Zingertrage gededt fein. 

Die Dedung muß, joweit Hypothefen an landwirtjchaftlichen Grund» 
ftüden dazu verwendet werden, mindeflens zur Hälfte aus Amortifations- 
hypotheken bejtehen, bei denen der jährlihe Tilgungsbeitrag des Schuldners 
nicht weniger als ein Bierteil vom Hundert des Hypothefenfapitals beträgt. 
Die Bank darf jedoch, falls jolche Hypothefen vor der Zeit zurückbezahlt werden, 
an ihrer Stelle bis zum Ablaufe der planmäßigen Tilgungszeit Hypothefen 
anderer Art zur Dedung benußen. 

Steht der Bank eine Hypothef an einem Grundjtüde zu, das fie zur 
Verhütung eines Verlujtes an der Hypothek erworben hat, fo darf dieje ala 
Dedung von Hypothefenpfandbriefen höchjtens mit der Hälfte des Betrags in 
Anſatz gebracht werden, mit welchem fie vor dem Erwerbe des Grundjtüds 
durch die Bank als Deckung in Anjag gebracht war. 

Iſt infolge der Rüdzahlung von Hypothefen oder aus einem anderen 
Grunde die vorgejchriebene Dedung in Hypothefen nicht mehr vollitändig vor- 
handen und ift weder die Ergänzung durch andere Hypothefen noch die Ein- 
ziehung eines entjprechenden Betrags von HYypothefenpfandbriefen jofort aus— 
führbar, jo hat die Bank die fehlende Hypothefendedung einjtweilen durch 
Schuldverſchreibungen des Reichs oder eines Bundesjtaat3 oder Durch Geld 
zu erjegen. Die Schuldverfchreibungen dürfen höchitens mit einem Betrag in 
Anjat gebracht werden, der um fünf vom Hundert des Nennwerts unter ihrem 
jeweiligen Börjenpreife bleibt. 


28* 


436 V. Die übrigen widtigiten Reichsgeſetze jtrafrechtlihen Inhalts. 


Gefamtbetrag der Hypothetenbriefe. 
$ 7. Die Hyporhefenbanfen dürfen Hypothefenpfandbriefe nur bis zum 
fünfzehnfachen Betrage des eingezahlten Grundfapitals und de3 ausjchließlich 
zur Dedung einer Unterbilan; oder zur Sicherung der Prandbriefgläubiger 
beitimmten Rejervefonds ausgeben. 


Erfordernifle der Hypotheten. 

$ 10. Als Dedung für Hypothefenpfandbriefe dürfen nur Hypotheken 
benugt werden, welche den in den 88 11, 12 bezeichneten Erfordernifjen 
entiprechen. 

$ 11. Die Beleihung ift auf inländische Grundjtüde bejchränft und der 
Regel nad) nur zur erjten Stelle zuläffig. 

Die Beleidung darf die erjten drei Fünfteile des Wertes des Grund» 
jtüds nicht überfteigen. Die Zentralbehörde eines Bundesitaats fann Die 
Beleihung landwirtichaftlicher Grundftüde in dem Gebiete des Bundesitaats 
oder in Teilen diejes Gebiets bis zu zwei Dritteilen des Wertes gejtatten. 


8 12. Der bei der Beleihung angenommene Wert des Grundjtüds darf 
den durch jorgfältige Ermittelung fejtgeitellten Verfaufswert nicht überjteigen. 
Bei der Feſtſtellung dieſes Wertes find nur die dauernden Eigenjchaften des 
Grundftüds und der Ertrag zu berüdjichtigen, welchen das Grundftüd bei 
ordnungsmäßiger Wirtjchaft jedem Beſitzer nachhaltig gewähren kann. 

Soweit vor der Beleihung die Grundſtücke durch eine öffentliche Behörde 
des Gebiets, in welchem jie liegen, abgejchägt werden, fann der Bundesrat 
beitimmen, daß der bei der Beleihung angenommene Wert auch den durch eine 
ſolche Abſchätzung fejtgeftellten Wert nicht überfteigen darf. 

Tie zur Dedung von Hypothefenpfandbriefen verwendeten Hypotheken 
an Bauplägen jowie an jolchen Neubauten, welche noch nicht fertiggejtellt und 
ertragsfähig ind, dürfen zujammen den zehnten Teil des Gefamtbetrags Ider 
zur Dedung der Hypothefenpfandbriefe benugten Hypothefen ſowie den halben 
Betrag des eingezahlten Grundfapitals nicht überfchreiten. Im übrigen find 
Hppothefen an Grundjtüden, die einen dauernden Ertrag nicht gewähren, 
insbejondere an Gruben und Brüchen, von der Verwendung zur Dedung von 
Hypothefenpfandbriefen ausgejchlojjen. Das gleiche gilt von Hypothefen an 
Bergmwerfen. Hypothefen am anderen Berechtigungen, für welche die ſich auf 
Grundftüde beziehenden Vorſchriften Anwendung finden, find von der Ver: 
wendung zur Dedung von Hypothefenpfandbriefen ausgeſchloſſen, ſofern Die 
Berechtigungen einen dauernden Ertrag nicht gewähren. 


2 5. ale ie a 5 A EEE EEG 2 ei ee ee ee 5 ee 


Hypothekenbankgeſetz. 437 


Hypothetenregiſter. 

$ 22. Die zur Deckung der Hypothekenpfandbriefe beſtimmten Hypotheken 
find von der Bank einzeln in ein Regiſter einzutragen. Im Falle des $ 6 
Abi. 4 find die erjagweije zur Deckung bejtimmten Wertpapiere gleichfalls in 
das Negiiter einzutragen; die Eintragung hat die einzelnen Stücde zu bezeichnen. 

Innerhalb des erjten Monats eines jeden Kalenderhalbjahrs ijt eine 
von dem nad) $ 29 beitellten Treuhänder beglaubigte Abjchrift der Eins 
tragungen, welche während des legten Halbjahrs in dem Hypothefenregifter 
vorgenommen worden find, der Aufjichtsbehörde einzureichen. Die Abjchrift 
wird von der Auffichtsbehörde aufbewahrt. 


a Treuhänder. 
$ 29. Bei jeder Hypothekenbank ift ein Treuhänder jowie ein Stell- 
vertreter zu bejtellen. 
Die Bejtellung erfolgt durch die Auffichtsbehörde nach Anhörung der 
Hypothekenbank. Die Bejtellung kann jederzeit durch die Aufjichtsbehörde 
widerrufen werden. 


Pflichten des Treuhänders. 

$ 30. Der Treuhänder hat darauf zu achten, daß die vorſchriftsmäßige 
Dedung für die Hypothefenpfandbriefe jederzeit vorhanden ift; hierbei hat er, 
jofern der Wert der beliehenen Grundftüde gemäß der von der Aufjichts- 
behörde genehmigten Anweiſung feſtgeſetzt ift, nicht zu unterfuchen, ob der feit- 
gejegte Wert dem wirklichen Werte entjpricht. 

Er hat darauf zu achten, daß die zur Dedung der Hypothefenpfandbriefe 
beitimmten Hypothefen und Wertpapiere gemäß den Vorſchriften des 8 22 
Abſ. 1 in das Hypothefenregifter eingetragen werden. 

Er hat die Hypothefenpfandbriefe vor der Ausgabe mit einer Bejcheinigung 
über das VBorhandenjein der vorjchriftsmäßigen Defung und über die Ein- 
tragung in das Hypothefenregijter zu verjehen. 

Eine in das Hypothefenregiiter eingetragene Hypothek jowie ein in das 
Hypothefenregiiter eingetragenes Wertpapier fann nur mit Zuftimmung des 
Treuhänders in dem Regiſter gelöjcht werden. Die Zujtimmung des Treu: 
händers bedarf der jchriftlichen Form; jie fann in der Weije erfolgen, daß 
der Treuhänder feine Namensunterfchrift dem Löfchungsvermerf im Hypothefen- 
regiſter beifügt. 


438 V. Die übrigen wichtigiten Reichsgeſetze jtrafrehtlihen Inhalts. 


Mitverihluß des Treuhänders. 

$ 31. Der Treuhänder hat die Urkunden über die in das Hypothefen- 
regijter eingetragenen Hypothefen jowie die in das Regiſter eingetragenen 
Wertpapiere und das gemäß $ 6 Ab. 4 zur Dedung der Hypothefenpfand- 
briefe beftimmte Geld unter dem Mitverfchluffe der Bank zu verwahren; er 
darf diefe Gegenitände nur gemäß den Vorſchriften diefes Gefeges herausgeben. 

Er ijt verpflichtet, Hypothefenurfunden ſowie Wertpapiere und Geld auf 
Verlangen der Bank herauszugeben und zur Löſchung im HYypothefenregijter 
mitzuwirken, ſoweit die übrigen in das Regifter eingetragenen Hypothefen und 
Wertpapiere zur Dedung der Hüpothefenpfandbriefe genügen oder die Bank 
eine andere vorichriftsmäßige Dedung beichafft. Iſt die Banf dem Hypothefen- 
ichuldner gegenüber zur Aushändigung der Hypothefenurfunde oder zur Vor— 
nahme der im $ 1145 des Bürgerlichen Gejegbuchs bezeichneten Handlungen 
verpflichtet, jo hat der Treuhänder die Urkunde auch dann herauszugeben, 
wenn die bezeichneten Borausjegungen nicht vorliegen; wird die Hypothek 
zurüdgezahlt, fo tit in dem letteren Falle das gezahlte Geld dem Treuhänder 
zur Verwahrung gemäß Abſ. 1 zu übergeben. 


Bedarf die Banf einer Hppothefenurfunde nur zu vorübergehenden 
Gebrauche, jo hat der Treuhänder fie herauszugeben, ohne daß die Bank ver- 
pflichtet ijt, eine andere Dedung zu bejchaffen. 


Strafbeftiimmungen. Untreue des Treuhänders. 

8 36. Treuhänder, die abſichtlich zum Nachteile der Pfandbrief- 
gläubiger Handeln, werden wegen Untreue nach $ 266 des Strafgejegbuchs 
beitraft. 

Berausgabung von Pfandbriefen über die Dedung. 

$ 37. Wer für eine Hypothekenbank wiſſentlich Hypothefenpfandbriefe 
über den Betrag hinaus ausgibt, welcher durch die in das Hypothekenregiſter 
eingetragenen Hypothefen und Wertpapiere oder das in der Verwahrung des 
Treuhänders befindliche Geld vorſchriftsmäßig gededt ift, wird mit Gefängnis 
bis zu einem Jahre und mit Geldftrafe bis zu zwanzigtaujend Mark bejtraft. 

Die gleiche Strafe trifft denjenigen, welcher für eine Hypothekenbank 
wiffentlich über eine in das Hypothekenregiſter eingetragene Hypothek oder 
über ein in das Regifter eingetragenes Wertpapier durch Veräußerung oder 
Belaftung verfügt, obwohl die übrigen in das Regifter eingetragenen Hypo— 
thefen und Wertpapiere zur vorfchriftsmäßigen Dedung der Hypothefenpfand- 


Hypothetenbantgejep. 439 


briefe nicht genügen, jowie denjenigen, welcher der VBorjchrift des $ 31 Abj. 2 
Sat 2 zuwider es unterläßt, bei der Rüdzahlung einer Hypothek das gezahlte 
Geld dem Treuhänder zur Verwahrung zu übergeben. 

Sind mildernde Umstände vorhanden, jo fann auf die Gelditrafe allein 
erfannt werden. 

Pfandbriefe ohne Beiheinigung des Treuhänders., 

8 38. Wer für eine Hppothefenbanf Hypotbefenpfandbriefe ohne die 
nach $ 30 Abſ. 3 erforderliche Bejcheinigung ausgibt, wird mit Gelditrafe bis 
zu eintaufend Marf oder mit Gefängnis bis zu drei Monaten bejtraft. 


Unbefugte Hypothekenbankgeſchäfte. 
$ 39. Zuwiderhandlungen gegen die Vorfchrift des $ 2 werden mit 
Gelditrafe bis zu dreitaufend Mark bejtraft. 


8 4. Den Hypothefen jtehen im Sinne dieſes Geſetzes die Grund: 
ſchulden gleich. 

Hat die Banf ein Grundjtüd zur Verhütung von Verluſten an einer 
ihr an dem Grumdftüde zuftehenden Hypothef oder Grundichuld bei der 
Bmwangsveriteigerung erworben und an Stelle der gelöfchten HYypothef oder 
Grundſchuld für ſich eine Grundſchuld eintragen laſſen, jo findet auf dieſe 
die VBorjchrift des $ 6 Ab}. 3 entjprechende Anwendung. 


s 4. Werden von einer Hypothekenbank uuf grund nicht hypo— 
thefarifcher Darlehen, die an inländiiche Körperichaften des öffentlichen Rechtes 
oder gegen Uebernahme der Gewährleiſtung durch eine jolche Körperjchaft 
gewährt find, Schuldverjchreibungen ausgegeben, jo finden auf diefe Schuld: 
verjchreibungen und die ihnen zu grunde liegenden Darlehensforderungen die 
Borjchriften des $ 6 Abf. 1, 4 und der 88 8, 9, 22, 23, 25, 26, 29 bis 38 
entjprechende Anwendung. 

Die Schuldverjchreibungen, welche die Hypothefenbanf gemäß Abi. 1 
ausgibt, dürfen unter Hinzurechnung der im Umlaufe befindlichen Hypothefen- 
pfandbriefe den für die legteren im $ 7 bejtimmten Höchjtbetrag nicht um 
mehr als den fünften Teil überjteigen. 


8 42. Werden von einer Hppothefenbanf auf grund von Darlehen, 
die an Kleinbahnunternehmungen gegen Verpfändung der Bahn gewährt find, 
Sculdverfchreibungen ausgegeben, jo finden auf diefe Schuldverfchreibungen 
und die ihnen zu grunde liegenden Darlehensforderung die im 8 41 Abi. 1 


440 V. Die übrigen wichtigiten Reichsgeſetze ſtrafrechtlichen Inhalts, 


angeführten Borjchriften entjprechende Anwendung. Die von der Hypothefenbanf 
in der bezeichneten Weife ausgegebenen Schuldverfchreibungen ftehen im Sinne 
der Vorjchriften des $ 7 und des 8 41 Ab. 2 den Hypothefenpfandbriefen gleich. 

Die Sagung der Banf kann bejtimmen, daß auf grund der Forderungen 
aus den gemäß Ab. 1 gewährten Darlehen und auf grund der Forderungen 
aus Darlehen, die an Kleinbahnunternehmungen gegen Uebernahme der Gewähr: 
leiftung durch eine inländifche Körperjchaft des Öffentlichen Rechtes gewährt 
find, Schuldverjchreibungen einer und derjelben Art ausgegeben werden, denen 
beide Arten von Forderungen zur Dedung dienen. In dem Gejchäftsbericht 
oder in der Bılanz ijt der Gejamtbetrag der Forderungen der einen und der 
anderen Art erfichtlich zu machen. 

Im übrigen find die für die Gewährung von Darlehen an Kleinbahn— 
unternehmungen maßgebenden Grundjäge von der Hypothekenbank feitzuftellen ; 
die Grundjäge bedürfen der Genehmigung der Auffichtsbehörde. Die Vor— 
Ichriften des $ 13 Abſ. 2 finden entjprechende Anwendung. 


12. Geſetz, betreffend die Adzahlungsgeidäfte. 
Vom 16. Mai 1894. 
(R.G.Bl. ©. 450.) 


(Auszug.) 


8 7. Wer Lotterieloje, Inhaberpapiere mit Prämien (Gejeg vom 
8. Juni 1871, Reichs-Geſetzbl. S. 210) oder Bezugs- oder Anteilfcheine auf 
ſolche Loſe oder Inhaberpapiere gegen Teilzahlungen verkauft oder durch 
ſonſtige auf die gleichen Zwecke abzielende Verträge veräußert, wird mit Geld— 
jtrafe bis zu fünfhundert Marf beitraft. 

Es begründet feinen Unterjchied, ob die llebergabe des Papiers vor oder 
nach der Zahlung des Preijes erfolgt. 


$8. Die Bejtimmungen dieſes Gejetes finden feine Anwendung, wenn 
der Empfänger der Ware als Kaufmann in das Handelsregiiter eingetragen iſt. 


Abzahlungsgeichäfte. — Aufbewahrung von Wertpapieren. 441 


13. Geſttz, 
betreffend die Pflichten der Kaufleute bei Aufbewahrung 
fremder Wertpapiere. 
om 5. Juli 1896. 
(R.G.Bl. ©. 183.) 
Gefonderte Berwahrung. Budeintragung. 
81. Ein Kaufmann, welchem im Betriebe ſeines Handelögewerbes 
Altien, Hure, Interimsjcheine, Erneuerungsjcheine (Talong), auf den Inhaber 
lautende oder durch Indofjament übertragbare Schuldverfchreibungen, oder 
vertretbare andere Wertpapiere mit Ausnahme von Banfnoten unverjchlojien 
zur Verwahrung oder als Pfand übergeben find, ift verpflichtet: 

1. diefe Wertpapiere unter äußerlich erfennbarer Bezeichnung jedes 
Hinterlegerd oder Verpfänders gejondert von feinen eigenen Be— 
ftänden und von denen Dritter aufzubewahren, 

2, ein Handelsbuch zu führen, in welches die Wertpapiere jedes 
Hinterlegers oder Verpfänders nad) Gattung, Nennwert, Nummern 
oder ſonſtigen Unterfcheidungsmerfmalen der Stüde einzutragen 
find; der Eintragung fteht die Bezugnahme auf Verzeichnifje gleich, 
welche neben dem Handelsbuche geführt werden. Die Eintragung 
fann unterbleiben, injoweit die Wertpapiere zurüdgegeben find, bevor 
die Eintragung bei ordnungsmäßigem Geſchäftsgange erfolgen konnte. 

Das Recht und die Pflicht des Verwahrers oder Pfandgläubigers, im 
Interefje des Hinterlegers oder Verpfänders Verfügungen oder Verwaltungs— 
handlungen vorzunehmen, wird durch die Beitimmung unter Ziffer 1 nicht berührt. 

Erklärungen des Hinterlegers. 

8 2. Eine Erklärung des Hinterlegers oder Verpfänders, durch welche 
der Verwahrer oder Pfandgläubiger ermächtigt wird, an Stelle hinterlegter 
oder verpfändeter Wertpapiere der im $ 1 bezeichneten Art gleichartige Wert: 
papiere zurüdzugewähren oder über die Papiere zu feinem Nutzen zu verfügen, 
iſt, falls der Hinterleger oder VBerpfänder nicht gewerbsmäßig Banf- oder 
Geldwechslergejchäfte betreibt, nur giltig, ſoweit fie für das einzelne Gejchäft 
ausdrücklich und jchriftlich abgegeben wird. 

Wird der Berwahrer oder Pfandgläubiger ermächtigt, an Stelle hinterlegter 
oder verpfändeter Wertpapiere der im $ 1 bezeichneten Art gleichartige Wertpapiere 
zurüdzugewähren, jo finden die Beitimmungen des $ 1 feine Anwendung. 


nu. 


442 V. Die übrigen wichtigften Reichsgeſetze ftrafrechtlichen Inhalts. 


Einfaufs:Kommiffionär. 

$3. Der Kommifjionär (Artikel 360, 378 des Handelsgeſetzbuchs), 
welcher einen Auftrag zum Einfaufe von Wertpapieren der im $ 1 bezeichneten 
Art ausführt, hat dem Kommittenten binnen drei Tagen ein Verzeichnis der 
Stüde mit Angabe der Gattung, des Nennwertes, der Nummern oder fonjtiger 
Unterjcheidungsmerfmale zu überfenden. Die Friſt beginnt, falls der Kommiſſionär 
bei der Anzeige über die Ausführung des Auftrages einen Dritten als Ber: 
füufer namhaft gemacht hat, mit dem Erwerbe der Stüde, andernfall3 mit dem 
Ablaufe des Zeitraums, innerhalb deſſen der Kommiſſionär nach der Erjtattung 
der Ausführungsanzeige die Stüde bei ordnungsmäßigem Gejchäftsgange ohne 
Ihuldhafte Verzögerung beziehen konnte. 


Ein Verzicht des Kommittenten auf die Ueberſendung des Stüde- 
verzeichnifjes ift, falls der Kommittent nicht gewerbsmäßig Banf- oder Geld» 
wechslergejchäfte betreibt, nur dann wirffam, wenn er bezüglich des einzelnen 
Auftrages ausdrüdlich und jchriftlich erklärt wird. 


Soweit die Auslieferung der eingefauften Stüde an den Kommittenten 
erfolgt oder ein Auftrag des Kommittenten zur Wiederveräußerung ausgeführt 
iſt, kann die Ueberfendung des Stüdeverzeichnifjes unterbleiben. 


s4 Iſt der Kommifjionär mit Erfüllung der ihm nach den Be— 
ftimmungen des 8 3 obliegenden Verpflichtungen im Verzuge und holt er das 
Verfäumte auf eine danach an ihn ergangene Aufforderung des Ktommittenten 
nicht binnen drei Tagen nad), jo ift der Kommittent berechtigt, das Gejchäft 
al3 nicht für feine Rechnung abgeſchloſſen zurüdzuweifen und Schadenserjas 
wegen Nichterfüllung zu beanfpruchen. 

Die Aufforderung des Kommittenten verliert ihre Wirfung, wenn er 
dem Kommiſſionär nicht binnen drei Tagen nad) dem Ablaufe der Nach: 
holungsfriit erflärt, daß er von dem im Abjat 1 bezeichneten Rechte Gebrauch 
machen wolle. 


$5. Der Kommiffionär, welcher einen Auftrag zum Umtauſche von 
Wertpapieren der im 8 1 bezeichneten Art oder zur Geltendmachung eines 
Bezugsrechts auf folche Wertpapiere ausführt, hat binnen zwei Wochen nad) 
dem Empfange der neuen Stüde dem Kommittenten ein Verzeichnis der Stüde 
mit den im $ 3 Abſ. 1 vorgejchriebenen Angaben zu überjenden, ſoweit er 
ihm die Stüde nicht innerhalb diefer Friſt aushändigt. 


Aufbewahrung von Wertpapieren. 443 


Beriuft des Rechtes auf Provifion, 
8 6. Der Kommifjionär, welcher den im $ 4 ihm auferlegten Pflichten 
nicht genügt, verliert das Recht, für die Ausführung des Auftrages Provifion 
zu fordern (Artifel 371 Abi. 2 des Handelsgeſetzbuchs). 


Gigentumsübergang auf den Hommittenten. 

8 T. Mit der Abfendung des Stüdeverzeichnifjes geht das Eigentum 
an den darin verzeichneten Wertpapieren auf den Kommittenten über, joweit 
der Kommifjionär über die Papiere zu verfügen berechtigt ift. Die Beitimmungen 
des bürgerlichen Rechts, nach welchen der Uebergang des Eigentums jchon in 
einem früheren Zeitpunfte eintritt, bleiben unberührt. 

Der Kommifjionär Hat bezüglich der in feinem Gewahrjfam befindlichen, 
in das Eigentum des Kommittenten übergegangenen Wertpapiere die im $ 1 
bezeichneten Pflichten eines Verwahrers. 

Ansantwortung an Dritte, 

$ 8 Ein Kaufmann, welcher im Betriebe feines Handeldgewerbes fremde 
Wertpapiere der im 5 1 bezeichneten Art einem Dritten zum Zweck der Auf: 
bewahrung, der Veräußerung, des Umtaufches oder de3 Bezuges von anderen 
Wertpapieren, Zins oder Gewinnanteilicheinen ausantwortet, hat hierbei dem 
Dritten mitzuteilen, daß die Papiere fremde feien. Ebenſo bat er in dem 
alle, daß er einen ihm erteilten Auftrag zur Anschaffung folcher Wertpapiere 
an einen Dritten weitergibt, dieſem hierbei mitzuteilen, daß die Anjchaffung 
für fremde Rechnung gejchebe. 

Der Dritte, welcher eine folche Mitteilung empfangen hat, fann an den 
übergebenen oder an den neu beichafften Papieren ein Pfandrecht oder ein 
Zurüdbehaltungsrecht nur wegen folcher Forderungen an feinen Auftraggeber 
geltend machen, welche mit bezug auf dieſe Papiere entjtanden find. 


Strafbeftimmungen. 

Rehtswidrige Verfügung über Wertpapiere, Strafantrag. 
59. Wenn ein Kaufmann über Wertpapiere der im 8 1 bezeichneten 
Art, welche ihm zur Verwahrung oder ald Pfand übergeben find, oder welche 
er als Kommiffionär für den Kommittenten in Befig genommen hat, außer 
dem Falle des 8 246 des Strafgeſetzbuchs zum eigenen Nugen oder zum 
Nugen eines Dritten rechtswidrig verfügt, wird er mit Gefängnis bis zu 
einem Jahre und Gelditrafe bis zu dreitauſend Marf oder mit einer diejer 

Strafen beftraft. 


444 V. Die übrigen wichtigſten Reichsgeſetze ſtrafrechtlichen Inhalts. 


Der gleichen Strafe unterliegt, wer der Vorſchrift des $ 8 zum eigenen 
Nugen oder zum Nugen eines Dritten vorjäglich zumwiderhandelt. 

Sit der Täter ein Angehöriger ($ 52 Abj. 2 des Strafgeſetzbuchs) des 
Verletzten, jo tritt die Verfolgung nur auf Antrag ein. Die Zurüdnahme 
des Antrages ift zuläffig. Der $ 247 Abſ. 2 und 3 des Strafgeſetzbuchs findet 
entiprechende Anwendung. 

Stonfurövergehen. 

$ 10. Ein Kaufmann, welcher feine Zahlungen eingejtellt hat oder über 
deſſen Vermögen das Ktonfursverfahren eröffnet worden ijt, wird mit Gefängnis 
bis zu zwei Jahren beitraft, wenn er den VBorfchriften des $ 1 Ziffer 1 oder 2 
vorjägfich zumidergehandelt Hat und dadurch der Berechtigte bezüglich des 
Anjpruches auf Ausfonderung der von jenem zu verwahrenden Wertpapiere 
benachteiligt wird, desgleichen wenn er als Kommiſſionär den Vorjchriften der 
85 3 oder 5 vorjäglich zumidergehandelt hat und dadurch der Berechtigte 
bezüglich des Anfpruches auf Ausſonderung der von jenem eingefauften, ein- 
getaujchten oder bezogenen Wertpapiere benachteiligt wird. 


Konkursverbrechen. 

s 11. Ein Kaufmann, welcher feine Zahlungen eingeſtellt hat oder über 
dejjen Vermögen das SKonfursverfahren eröffnet worden ift, wird mit Zucht: 
haus bejtraft, wenn er im Bewußtiein feiner Zahlungsunfähigfeit oder Ueber: 
Ihuldung fremde Wertpapiere, welche er im Betriebe feines Handelsgewerbes 
als VBerwahrer, Pfandgläubiger oder Kommiffionär in Gewahrfam genommen, 
fich rechtswidrig zugeeignet hat. 

Sind mildernde Umſtände vorhanden, jo tritt Gefängnisftrafe nicht unter 
drei Monaten ein. 

Borfiände von Aktiengeſellſchaften uſw. 

$ 12, Die Strafvorschrift des $ 9 findet gegen die Mitglieder des 
Vorjtandes einer Aftiengefellfchaft oder eingetragenen Genoſſenſchaft, die 
Geſchäftsführer einer Gefellichaft mit befchränfter Haftung, ſowie gegen die 
Liquidatoren einer Handelsgeſellſchaft oder eingetragenen Genofjenjchaft 
Anwendung, wenn fie in Anjehung von Wertpapieren, die fich im Beſitze der 
Gejellichaft oder Genofjenfchaft befinden oder von diefer einem Dritten aus— 
geantwortet jind, die mit Strafe bedrohte Handlung begangen haben. 

Die vorbezeichneten Berjonen werden, wenn die Gejelljchaft oder Genoſſen— 
Ihaft ihre Zahlungen eingeftellt hat, oder wenn über deren Vermögen das 
Konfursverfahren eröffnet worden ift, bejtraft 


Aufbewahrung von Wertpapieren. — Nechte der Beſißer von Schuldverjchreibungen. 445 


1. gemäß $ 10, wenn fie den Borfchriften des $ 1 Ziffer 1 oder 2 
oder den Vorjhriften der 88 3 oder 5 vorſätzlich zumwidergehandelt 
haben und dadurch der Berechtigte bezüglich des Anſpruches auf 
Ausjonderung der von der Geſellſchaft oder Genofjenjchaft zu ver- 
wahrenden oder von ihr eingefauften, eingetaujchten oder bezogenen 
Wertpapiere benachteiligt wird, 

. gemäß $ 11, wenn jie im Bewußtjein der BZahlungsunfähigfeit 
oder Weberjchuldung der Gejellihaft oder Genofjenjchaft fremde 
Wertpapiere, welche von diejer als Berwahrer, Pfandgläubiger oder 
Kommiffionär in Gewahrjam genommen jind, fich rechtswidrig 
zugeeignet haben. 


to 


Nihtanwendbarfeit dieſes Geſetzes. 
$ 13. Dieſes Geſetz findet auf diejenigen Klaſſen von Kaufleuten feine 
Anwendung, für welche gemäß Artifel 10 des Handelsgejegbuchs die Vorſchriften 
über die Handelsbücher feine Geltung haben. 


14. Geſetz, 


betreffend die gemeinjamen Rechte der Beliger von Schuld» 
verſchreibungen. 


Vom 4. Dezember 1899. 
(R.GBl. Seite 691.) 


Auszug.) 


Schuidverfchreibungen. Glänbigerverfammiung. 

81. Sind von jemand, der im Inlande feinen Wohnfig oder jeine 
gewerbliche Niederlafjung hat, im Inlande Schuldverjchreibungen mit im voraus 
bejtimmten Nennwerten ausgeftellt, die nach dem Verhältniſſe diefer Werte den 
Släubigern gleiche Nechte gewähren, und betragen die Nennwerte der aus» 
gegebenen Schuldverjchreibungen zufammen mindejtens dreihunderttaufend Mark 
und die Zahl der ausgegebenen Stüde mindejtens dreihundert, jo haben die 
Beichlüffe, welche von einer Verſammlung der Gläubiger aus diefen Schufd- 
verjchreibungen zur Wahrung ihrer gemeinjamen Interejien gefaßt werden, 
nad) Maßgabe dieſes Geſetzes verbindliche Kraft für alle Gläubiger der be: 
zeichneten Art. 


D — — —— - — 
——7 mu 2, 


446 V. Die übrigen wichtigiten Reichsgeſetze itrafrechtlichen Inhalts. 


Die Verfammlung kann insbefondere zur Wahrnehmung der Rechte der 
Gläubiger einen gemeinjfamen Vertreter für dieje bejtellen. 

Eine Verpflichtung zu Leiftungen fann für die Gläubiger durch Beſchluß 
der Gläubigerverfammlung nicht begründet werden. 


Geſamtbetrag unter einhunderttaufen® Mart ufw. 

$s 2. Sinft der Gejamtbetrag der im Umlaufe befindlichen Schuld- 
verjchreibungen unter einhunderttaujend Mark oder jinft die Zahl der im 
Umlaufe befindlichen Stüde unter einhundert, fo ijt dies von dem Schuldner 
unverzüglich im Deutichen Neichsanzeiger befannt zu machen. Von dem auf 
die Bekanntmachung folgenden Tage an fünnen Gläubigerverjammlungen auf 
grund dieſes Gefeges nicht mehr abgehalten werden; mit dem bezeichneten 
Zeitpunkt erlifcht das Amt eines von der Gläubigerverfammlung bejtellten 
Vertreters der Gläubiger. 

Beſchlüſſe der Glänbigerverfammiunng. 

8 10. Die Beichlüfje bedürfen, joweit nicht in diefem Gejeg ein anderes 
vorgeschrieben it, der Mehrheit der abgegebenen Stimmen. Die Mehrheit 
wird nach den Beträgen der Schuldverjchreibungen berechnet. Bei Gleichheit 
der Stimmen entjcheidet die Zahl der Gläubiger. 

Gezählt werden nur die Stimmen derjenigen Gläubiger, welche ihre 
Sculdverjchreibungen ſpäteſtens am zweiten Tage vor der Berfammlung bei 
der Reichsbank, bei einem Notar oder bei einer anderen durch die Zandes- 
rvegierung dazu für geeignet erflärten Stelle hinterlegt haben. 

Das Stimmrecht kann durch einen Bevollmächtigten ausgeübt werben. 
Für die Vollmacht iſt die jchriftliche Form erforderlich und genügend. 

Der Schuldner ift für Die in feinem Beige befindlichen Schuldverjchreibungen 
nicht ſtimmberechtigt. Soweit ihm an den Schuldverjchreibungen ein Pfand: 
recht oder ein Zurüdbehaltungsrecht zufteht, ift er auf Verlangen des Eigen- 
tümers verpflichtet, die Schuldverjchreibungen bei einer der im Abf. 2 be: 
zeichneten Stellen in der Weife zu hinterlegen, daß, unbejchadet der Fortdauer 
des Pfandrechts oder Zurüdbehaltungsrechts, dem Eigentümer die Ausübung 
des Stimmrechts ermöglicht wird; die Koften der Hinterlegung hat der Eigen- 
tümer zu tragen und vorzufchießen. 

8 11. Die Aufgabe oder Beichränfung von Rechten der Gläubiger, 
insbefondere die Ermäßigung des Zinsfußes oder die Bewilligung einer Stundung, 
fann von der Gläubigerverfjammlung nur zur Abwendung einer Zahlungs: 
einjtellung oder des Konkurſes des Schuldners beichlojfen werden. 


Rechte der Befiger von Schuldverjchreibungen. 447 


Der Beichluß, durch welchen Nechte der Gläubiger aufgegeben oder 
beichränft werden, bedarf einer Mehrheit von mindeitens drei Bierteilen der 
abgegebenen Stimmen. Die Mehrheit muß mindeftens die Hälfte des Nenn: 
wert der im Umlaufe befindlichen Schuldverjchreibungen und, wenn diejer 
nicht mehr ala zwölf Millionen Mark beträgt, mindejtens zwei Dritteile des 
Nennwerts erreichen; beträgt der Nennwert der im Umilaufe befindlichen 
Schuldverjchreibungen weniger als fechzehn Millionen, aber mehr als zwölf 
Millionen Mark, jo muß die Mehrheit acht Millionen Mark erreichen. 

In diefen Fällen bleiben bei der Berechnung des Nennwerts der ums 
laufenden Schuldverjchreibungen die im Befige des Schuldners befindlichen 
Schuldverfchreibungen, für welche das Stimmrecht nad) 8 10 Abi. 4 aus- 
geichlofjen ift, außer Anſatz. 

Der Schuldner ijt verpflichtet, in der Gläubigerverfammflung Auskunft 
über den Betrag der im Umlaufe befindlichen, zum jtimmen berechtigenden 
Schuldverjchreibungen zu erteilen. 

Strafbeitimmungen., 

Mißbrauch der Schuldverfhreibungen durch den Schuldner. 
$ 21. Wer Schuldverfchreibungen, die fich im Befige des Schuldners 
befinden, einem anderen zu dem Zwecke überläßt, dad Stimmrecht der Vor— 
jchrift des 8 10 Abi. 4 zuwider an Stelle des Schuldners auszuüben, wird mit 
Gefängnis bis zu einem Jahre und mit Gelditrafe bi! zu fünftaufend Mark 
bejtraft. Die gleiche Strafe trifft denjenigen, welcher die Echufdverjchreibungen 

zu dem bezeichneten Zwecke verwendet. 

Sind mildernde Umstände vorhanden, jo tritt ausschlieglich die Geld- 

jtrafe ein, 
Wiffentlih unwahre Angaben, 
$ 22. Wer in der Bekanntmachung, die gemäß $ 2 erlajjen wird, oder 
in der Auskunft, die gemäß 8 11 Abſ. 4 in der Gläubigerverfammlung erteilt 
wird, wiſſentlich unwahre Angaben über Tatjachen macht, deren Mitteilung 
ihm nad) den bezeichneten Vorjchriften obliegt, wird mit Gefängnis bis zu 
einem Jahre oder mit Geldjtrafe bis zu dreitaufend Mark beitraft. 

Wer es unterläßt, die nach $ 2 ihm obliegende Belanntmachung zu 

bewirken, wird mit Gelditrafe bis zu dreitaufend Marf bejtraft. 


Stimmentanf. 
$ 23. Wer fich bejondere Vorteile dafür gewähren oder veriprechen 
läßt, daß er bei einer Abjtimmung in der Gläubigerjammfung in einem gewiſſen 


448 V. Die übrigen wichtigjten Reichsgeſetze itrafrechtlichen Inhalts. 


Sinne ftimme oder an der Abjtimmung in der Gläubigerverfammlung nicht 
teilnehme, wird mit Gelditrafe bis zu dreitaufend Mark oder mit Gefängnis 
bis zu einem Jahre beitraft. 

Die gleiche Strafe trifft demjenigen, welcher bejondere Vorteile dafür 
gewährt oder verjpricht, daß jemand bei einer Abjtimmung in der Gläubiger: 
verfammlung in einem gemijjen Sinne jtimme oder an der Abitimmung in 
der Gläubigerverjammlung nicht teilnehme. 

Nichtanwendbarteit dieſes Gefches. 

Ss 24. Auf Schuldverſchreibungen des Reichs, eines Bundesſtaats oder 
einer Körperfchaft des öffentlichen Rechtes finden die Vorſchriften dieſes Gejeges 
feine Anwendung. Die Landesgejege fünnen jedoch beitimmen, dab die 
bezeichneten Borjchriften auch auf Schuldverfchreibungen von Körperjchaften 
des öffentlichen Rechtes Anwendung finden. 


15. Geſetz, 
betreffend das Urheberrecht an Werfen der Literatur 
und der Tonkunit. 


Bom 19. Juni 1901. 
(R.G.BL. 1901, ©. 227 ff.) 
(Auszug.) 


1. Abſchnitt. 
Dorausfehungen des Schutzes. 
Gegenfland des Schutzes. 
8 1. Nach Maßgabe diejes Gejeges werden geichügt: 

1. die Urheber von Schriftwerten und jolchen Vorträgen oder Reden, 
welche dem Zwecke der Erbauung, der Belehrung oder der Unter- 
haltung dienen; 

2, die Urheber von Werken der Tonfunft; 

3. die Urheber von jolchen Abbildungen wifjenjchaftlicher oder 
technischer Art, welche nicht ihrem Hauptzwede nach ala Kunſt— 
werfe zu betrachten find. Zu den Abbildungen gehören auch 
plaſtiſche Daritellungen. 





Urheberrecht (Literatur und Tonkunſt). 449 


Urheber, 


$ 2. Urheber eines Werkes ift dejjen Verfaffer. Bei einer Ueberfegung 
gilt der Ueberjeger, bei einer jonftigen Bearbeitung der Bearbeiter als Urheber. 


Juriſtiſche Perſonen alö Urheber. 
$ 3. SJuriftifche Perſonen des öffentlichen Rechtes, die als Herausgeber 
ein Werf veröffentlichen, deijen Berfaffer nicht auf dem Titelblatt, in der 
Bueignung, in der Borrede oder am Schluſſe genannt wird, werben, wenn 
nicht ein anderes vereinbart ift, als Urheber des Werkes angejehen. 


j Urheber bei Sammelwert, 
Ss 4 Beiteht ein Werf aus den getrennten Beiträgen mehrerer (Sammel- 
werk), jo wird für das Werk als Ganzes der Herausgeber ald Urheber an« 
gejehen. Iſt ein folcher nicht genannt, jo gilt der Verleger ald Herausgeber, 


Schriftwert mit Werk der Tonfunft oder mit Abbildungen verbunden. 
s5. Wird ein Schriftwerf mit einem Werfe der Tonkunſt oder mit 
Abbildungen verbunden, jo gilt für jedes diefer Werfe dejjen Verfaſſer auch 


nad) der Verbindung als Urheber. 
Mehrere Urheber, 


8 6. Haben mehrere ein Werk gemeinfam in der Weife verfaßt, daß 
ihre Arbeiten ich nicht trennen laffen, jo beiteht unter ihnen als Urhebern 
eine Gemeinjchaft nach Bruchteilen im Sinne des Bürgerlichen Gejegbuche. 

Namhaftmachung des Urhebers. 
sT. Enthält ein erſchienenes Werk auf dem Titelblatt, in der Zu— 
eignung, in der Vorrede oder am Schluſſe den Namen eines Verfaſſers, jo 
wird vermutet, daB diefer der Urheber des Werfes ſei. Iſt das Werk durch 
Beiträge mehrerer gebildet, jo genügt es, wenn der Name an der Spite oder 
am Schluſſe des Beitrags angegeben ijt. 

Bei Werfen, die unter einem anderen als dem wahren Namen des Ver— 
faffers oder ohne den Namen eines Verfajjers erjchienen find, iſt der Heraus— 
geber, fall aber ein jolcher nicht angegeben iſt, der Verleger berechtigt, die 
Rechte des Urhebers wahrzunehmen. 

Bei Werfen, die vor oder nach dem Erſcheinen öffentlich aufgeführt oder 
vorgetragen jind, wird vermutet, daß derjenige der Urheber jei, welcher bei 
der Ankündigung der Aufführung oder des Vortrags als Verfaſſer bezeichnet 
worden tft. 


29 


450 V. Die übrigen wichtigſten Neichögejege Itrafrechtlihen Inhalts, 


Bererblichleit des Urheberrechts. 
8 8. Das Recht des Urhebers geht auf die Erben über. 
Sit der Fisfus oder eine andere juriftiiche Perfon gefetlicher Erbe, jo 
erlifcht das Recht, joweit es dem Erblafjer zufteht, mit dejjen Tode. 
Das Recht kann befchränft oder unbejchränft auf andere übertragen 
werden; die Uebertragung kann auch mit der Begrenzung auf ein bejtimmtes 
Gebiet gejchehen. 


2. Abſchnitt. 
Befugnille des Urhebers. 
Ansichliehlihe Befugnis des Urhebers. 

$ 11. Der Urheber hat die ausjchliegliche Befugnis, das Werf zu 
vervielfältigen und gewerbsmäßig zu verbreiten; die ausſchließliche Befugnis 
erjtredt fi nicht auf das Verleihen. Der Urheber ift ferner, jolange nicht 
der wejentliche Inhalt des Werkes öffentlich mitgeteilt it, ausjchlieplich zu 
einer jolchen Mitteilung befugt. 

Das Urheberreht an einem Bühnenwerfe oder an einem Werfe der 
Tonkunſt enthält auch die ausjchliehliche Befugnis, das Werk öffentlich auf- 
zuführen. 

Der Urheber eines Schriftwerfes oder eines Vortrags hat, folange nicht 
das Werk erjchienen ift, die ausschliepliche Befugnis, das Werf öffentlich 
vorzutragen. 


$s 12, Die ausschließlichen Befugniffe, die dem Urheber nad) $ 11 in 
Anjehung des Werkes felbit zuftehen, erſtrecken fich auch auf die Bearbeitungen 
des Werkes. 

Die Befugniffe des Urhebers erjtreden ſich insbefondere auf: 

1. die Weberjegung in eine andere Sprache oder in eine andere 
Mundart derjelben Sprache, auch wenn die Weberjegung in 
gebundener Form abgefaht it; 

2. die Rücküberſetzung in die Sprache des Originalwerfes; 

3. die Wiedergabe einer Erzählung in dramatischer Form oder eines 
Bühnenwerfes in der Form einer Erzählung; 

4. die Heritellung von Auszügen aus Werfen der Tonfunft jomwie 
von Einrichtungen jolcher Werke für einzelne oder mehrere 
Injtrumente oder Stimmen. 


Urheberrecht (Literatur und Tonkunſt). 451 


Freie Benutzung eines Werkes. 
$ 13. Unbefchadet der ausjchlieglichen Befugniffe, die dem Urheber nad) 
8 12 Ubf. 2 zuftehen, ift die freie Benutzung feines Werkes zuläffig, wenn 
dadurch eine eigentümliche Echöpfung hervorgebracht wird. 
Bei einem Werke der Tonfunjt iſt jede Benugung unzuläſſig, durch 
welche eine Melodie erfennbar dem Werfe entnommen und einer neuen Arbeit 
zu grunde gelegt wird. 


$ 14. Im Falle der Uebertragung des Lirheberrechts verbleiben, joweit 
nicht ein anderes vereinbart ift, dem Urheber feine ausjchließlichen Befugnifie: 
1. für die Ueberjegung eines Werkes in eine andere Sprache oder 

in eine andere Mundart; 


2. für die Wiedergabe einer Erzählung in dramatiſcher Form oder 
eines Bühnenwerfes in der Form einer Erzählung; 

3. für die Bearbeitung eines Werfes der Tonkunſt, foweit fie nicht 
bloß ein Auszug oder eine Uebertragung in eine andere Tonart 
oder Stimmlage iſt. 

Berbotene Bervielfältigung. 
$ 15. Eine Vervielfältigung ohne Einwilligung des Berechtigten it 
unzuläfjig, gleichviel durch welches Verfahren fie bewirkt wird; aud begründet 
e3 feinen Unterfchied, ob das Werk in einem oder in mehreren Exemplaren 
vervielfältigt wird. 
Eine Vervielfältigung zum perjünlichen Gebrauch iſt zuläffig, wenn fie 
nicht den Zwed hat, aus dem Werfe eine Einnahme zu erzielen. 


Zuläffiger Abdrud von Geſetzbüchern uſw. 
$ 16. Zuläſſig ift der Abdrudf von Gejegbüchern, Gejegen, Verordnungen, 
amtlichen Erlaſſen und Entjcheidungen jowie von anderen zum amtlichen 
Gebrauche hergeftellten amtlichen Schriften. 
Borträge und Neden. 
8 17. Zuläſſig it: 

1. die Wiedergabe eines Vortrags oder einer Rede in Zeitungen oder 
Zeitfchriften, jofern der Vortrag oder die Rede Beltandteil einer 
öffentlichen Verhandlung it; 

2. die Vervielfältigung von Vorträgen oder Reden, die bei den Ver— 
handlungen der Gerichte, der politischen, kommunalen und kirch— 
lichen Bertretungen gehalten werden. 


29* 


452 V. Die übrigen wichtigjten Reichögefege ſtrafrechtlichen Inhalte. 


Die Bervielfältigung ift jedoch unzuläffig, wenn fie in einer 
Sammlung erfolgt, die der Hauptjache nach Reden desfelben Ver— 
fafiers enthält. 
Zeitungsartitel. 

8 18. Zuläſſig iſt der Abdruck einzelner Artikel aus Zeitungen, ſoweit 
die Artikel nicht mit einem Vorbehalte der Rechte verſehen ſind; jedoch iſt nur 
ein Abdruck geſtattet, durch den der Sinn nicht entſtellt wird. Bei dem Ab— 
druck iſt die Quelle deutlich anzugeben. 

Der Abdruck von Ausarbeitungen wiſſenſchaftlichen, techniſchen oder unter» 
haltenden Inhalts iſt, auch wenn ein Vorbehalt der Rechte fehlt, unzuläſſig. 

Vermiſchte Nachrichten tatſächlichen Inhalts und Tagesneuigkeiten dürfen 
aus Zeitungen oder Zeitſchriften ſtets abgedruckt werden. 


Zuläffige Vervielfältigung. Schriftwerte. 
8 19. Zuläſſig iſt die Vervielfältigung: 

1. wenn einzelne Stellen oder kleinere Teile eines Schriftwerkes, eines 
Vortrags oder einer Rede nach der Veröffentlichung in einer 
ſelbſtändigen literariſchen Arbeit angeführt werden; 

2. wenn einzelne Aufſätze von geringem Umfang oder einzelne Gedichte 
nach dem Erſcheinen in eine ſelbſtändige wiſſenſchaftliche Arbeit 
aufgenommen werden; 

3. wenn einzelne Gedichte nach dem Erſcheinen in eine Sammlung 
aufgenommen werden, die Werke einer größeren Zahl von Schrift— 
jtellern vereinigt und ihrer Beichaffenheit nach zur Benugung bei 
Gelangsvorträgen bejtimmt ift; 

4. wenn einzelne Aufjäge von geringem Umfang, einzelne Gedichte 
oder Fleinere Teile eines Schriftwerfes nach dem Erjcheinen in 
eine Sammlung aufgenommen werden, die Werfe einer größeren 
Zahl von Schriftitellern vereinigt und ihrer Beſchaffenheit nach 
für den Kirchen-, Schule und Interrichtsgebrauch oder zu einem 
eigentümlichen literarifchen Zwede beſtimmt ijt. Bei einer Samm- 
lung zu einem eigentümlichen literarijchen Zwecke bedarf es, ſolange 
der Urheber lebt, jeiner perfönlichen Einwilligung. 

Die Einwilligung gilt als erteilt, wenn der Urheber nicht 
innerhalb eines Monats, nachdem ihm von der Abficht des Ver— 
fafjers Mitteilung gemacht iſt, Wideripruch erhebt. 








Urbeberrecht (Literatur und Tonkunſt). 453 


s 20. Zuläffig ift die Vervielfältigung, wenn fleinere Teile einer 
Dichtung oder Gedichte von geringem Umfange nad ihrem Erjcheinen als 
Tert zu einem neuen Werfe der Tonfunjt in Verbindung mit diefem wieder- 
gegeben werden. Für eine Aufführung des Werkes darf die Dichtung auch 
allein wiedergegeben werden, jofern der Abdruck ausjchlieglich zum Gebrauche 
ber Hörer bejtimmt iſt. 

Unzuläffig ift die Vervielfältigung von Dichtungen, die ihrer Gattung 
nach zur Kompoſition beitimmt find. 

Zuiäffige Vervielfältigung. Werte der Tonfunft. 

8 21. Zuläffig iſt die Vervielfältigung: 

1. wenn einzelne Stellen eines bereits erfchienenen Werkes der Tonfunjt 
in einer felbjtändigen literarifchen Arbeit angeführt werden; 

. wenn fleinere Kompofitionen nad) dem Erjcheinen in eine jelbit- 

jtändige wifjenschaftliche Arbeit aufgenommen werben; 

3. wenn fleinere Kompofitionen nad) dem Erjcheinen in eine Sammlung 
aufgenommen werden, die Werke einer größeren Zahl von 
Komponijten vereinigt und ihrer Bejchaffenheit nach für den Unter: 
richt in Schulen mit Ausſchluß der Muſikſchulen beftimmt ift. 


8 22. Zuläſſig iſt die Vervielfältigung, wenn ein erjchienenes Werk 
der Tonkunſt auf folche Scheiben, Platten, Walzen, Bänder und ähnliche 
Beitandteile von Instrumenten übertragen wird, welche zur mechanischen Wieder: 
gabe von Muſikſtücken dienen. Dieje Borfchrift findet auch auf auswechjelbare 
Beitandteile Anwendung, jofern fie nicht für Injtrumente verwendbar find, 
durch die das Werk hinjichtlich der Stärke und Dauer des Tone und hin- 
fichtlich des Zeitmaßes nad Art eines perjönlichen Vortrags wiedergegeben 
werden fann. 


10 


Zulafſige Vervielfältigung. Abbildungen. 

8 23. Zuläſſig iſt die Vervielfältigung, wenn einem Schriftwerk aus— 
ſchließlich zur Erläuterung des Inhalts einzelne Abbildungen aus einem 
erjchienenen Werfe beigefügt werden. 

Beihränfungen der zuläffigen Vervielfältigung. 

S 24. Auf grund der 88 19 bis 23 ift die Vervielfältigung eines 
fremden Werfes nur zuläffig, wenn an den wiedergegebenen Zeilen feine 
Aenderung vorgenommen wird. Jedoch jind, foweit der Zweck der Wiedergabe 
es erfordert, Ueberjegungen eines Schriftwerfes und folche Bearbeitungen eines 
Werkes der Tonkunſt geftattet, die nur Auszüge oder Uebertragungen in eine 


ee —— BT f 


454 V. Die übrigen wichtigften Reichsgeſetze ftrafrechtlihen Inhalte. 


andere Tonart oder Etimmlage oder Einrichtungen für die im $ 22 bezeich- 
neten Inftrumente darjtellen. Werden einzelne Aufjäge, einzelne Gedichte 
ober Kleinere Teile eines Schriftwerfes in eine Sammlung zum Schulgebraudh 
aufgenommen, jo find die für diefen Gebrauch erforderlichen Aenderungen 
geftattet, jedoch bedarf es, jolange der Urheber lebt, feiner perjönlichen Ein» 
willigung. Die Einwilligung gilt als erteilt, wenn der Urheber nicht inner- 
halb eines Monats, nachdem ihm von der beabfichtigten Aenderung Mitteilung 
gemacht ijt, Widerfpruch erhebt. 
Duellenangabe, 

8 25. Wer ein fremdes Werf nach Maßgabe der 88 19 big 23 benugt, 

hat die Quelle deutlich anzugeben. 


8 26. Soweit ein Werf nad den 88 16 bis 24 ohne Einwilligung 
des Berechtigten vervielfältigt werden darf, iſt auch die Verbreitung, die 
Öffentliche Aufführung fowie der öffentliche Vortrag zuläffig. 

Deffentlihe Aufführung eines Werkes der Tonfunft. 

8 27. Für öffentliche Aufführungen eines erjchienenen Werkes der 
Tonkunſt bedarf ed der Einwilligung des Berechtigten nicht, wenn fie feinem 
gewerblichen Zmwede dienen und die Hörer ohne Entgelt zugelaflen werden. 
Im übrigen find jolche Aufführungen ohne Einwilligung des Berechtigten zuläifig : 

1. wenn fie bei VBoltäfeften, mit Ausnahme der Mufikfefte, ſtatt— 
finden; 

2. wenn der Ertrag ausjchließlich für wohltätige Zwecke bejtimmt 
it und die Mitwirkenden feine Vergütung für ihre Tätigfeit 
erhalten ; 

3. wenn fie von Vereinen veranstaltet werden und nur die Mitglieder 
jowie die zu ihrem Hausſtande gehörigen Perjonen als Hörer 
zugelafjen werden. 

Auf die bühnenmäßige Aufführung einer Oper oder eines ſonſtigen Werfes 
der Tonkunſt, zu welchem ein Text gehört, finden diefe Vorfchriften feine 
Anwendung. 

z 28. Bur PVeranftaltung einer öffentlichen Aufführung ift, wenn 
mehrere Berechtigte vorhanden find, die Eimwilligung eines jeden erforderlich). 

Bei einer Oper oder einem jonjtigen Werke der Tonkunit, zu welchem 
ein Text gehört, bedarf der Veranftalter der Aufführung nur der Einwilligung 
desjenigen, welchem das Urheberrecht an dem mufifalifchen Teile zufteht. 


Urheberrecht (Literatur und Tonkunſt). 455 


3. Abſchnitt. 
Dauer des Schutzes. 


$ 29. Der Schuß des Urheberrechtes endigt, wenn jeit dem Tode des 
Urhebers dreißig Jahre und außerdem jeit der eriten WBeröffentlichung des 
Werkes zehn Jahre abgelaufen jind. Iſt die Veröffentlichung bis zum Ablaufe 
von dreißig Jahren feit dem Tode des Lirhebers nicht erfolgt, jo wird ver- 
mutet, dab das Urheberrecht dem Eigentümer des Werkes zuftehe. 


Bei Mehrheit der Urheber. 
8 30. Steht das Lirheberrecht an einem Werke mehreren gemeinjchafte 
lic) zu, fo bejtimmt fich, joweit der Zeitpunkt des Todes für die Schugfrijt 
maßgebend ijt, deren Ablauf nach dem Tode des Lebtlebenden. 


Anonymer Urheber. 
$ 31. Iſt der wahre Name des lirhebers nicht bei der erjten Ver: 
öffentlichung gemäß $ 7 Abſ. 1, 3 angegeben worden, jo endigt der Schuß 
mit dem Ablaufe von dreißig Jahren jeit der Veröffentlichung. 

Wird der wahre Name des Lirhebers binnen der dreißigjährigen Frift 
gemäß $ 7 Ab. 1, 3 angegeben oder von dem Berechtigten zur Eintragung 
in die Eintragsrolle ($ 56) angemeldet, jo finden die Vorjchriften des $ 29 
Anwendung. Das gleiche gilt, wenn das Werk erjt nad) dem Tode des 
Urhebers veröffentlicht wird. 


Juriſtiſche Perfon als Urheber. 
$ 32. Steht einer juriftijchen PBerfon mac) den $$ 3, 4 das Urheberrecht 
zu, fo endigt der Schug mit dem Ablaufe von dreißig Jahren feit der Ver— 
Öffentlihung. Jedoch endigt der Schug mit dem Ablaufe der im $ 29 
beitimmten Friſt, wenn das Werf erit nach) dem Tode des Verfaſſers vers 
öffentlicht wird. 


Mehrheit von Bänden und Heften. 
8 33. Bei Werfen, die aus mehreren in Zwifchenräumen veröffentlichten 
Bänden beſtehen, jowie bei fortlaufenden Berichten oder Heften wird jeder 
Band, jeder Bericht oder jedes Heft für die Berechnung der Schußfriiten als 
ein bejondere3 Werk angejehen, 
Bei den in Lieferungen veröffentlichten Werten wird die Schugfrift erit 
von der Veröffentlichung der legten Lieferung an berechnet. 





456 V. Die übrigen wichtigiten Reichsgeſetze ſtrafrechtlichen Juhalts. 


Beginn der Schutzfriſt. 
Ss 34. Die Schupfrijten beginnen mit dem Ablaufe des Kalenderjahrs, 
in welchem der Urheber geitorben oder das Werk veröffentlicht worden ift. 
$ 35. Soweit der in diefem Geſetze gewährte Schutz davon abhängt, 
ob ein Werf erjchienen oder anderweit veröffentlicht oder ob der wejentliche 
Inhalt eines Werkes öffentlich mitgeteilt worden ift, fommt nur eine Ber- 
öffentlichung oder Mitteilung in Betracht, die der Berechtigte bewirkt hat. 


4. Abichnitt. 
Rechtsverlehungen. 
Strafbeſtimmungen. 


8 38. Mit Geldſtrafe bis zu dreitauſend Mark wird beſtraft: 

1. wer in anderen als den geſetzlich zugelaſſenen Fällen vorſätzlich 
ohne Einwilligung des Berechtigten ein Werk vervielfältigt oder 
gewerbsmäßig verbreitet; 

2. wer in anderen als den geſetzlich zugelaſſenen Fällen vorſätzlich 
ohne Einwilligung des Berechtigten ein Bühnenwerk, ein Werk 
der Tonfunft oder eine dramatijche Bearbeitung, die nad) $ 12 
unzuläfjig ift, öffentlich aufführt oder ein Werk, bevor es erjchienen 
iſt, Öffentlich vorträgt. 

War die Einwilligung des Berechtigten nur deshalb erforderlich, weil 
an dem Werfe jelbit, an deſſen Titel oder an der Bezeichnung des Urhebers 
Henderungen vorgefommen find, jo tritt Geldjtrafe bis zu dreihundert Marf ein. 

Soll eine nicht beizutreibende Gelditrafe in Gefängnisitrafe ungervanbdelt 
werden, fo darf deren Dauer in den Fällen des Abf. 1 ſechs Monate, in den 
Fällen des Abſ. 2 einen Monat nicht überfteigen. j 

8 39. Wer den wefentlichen Inhalt eines Werfes, bevor der Inhalt 
Öffentlich mitgeteilt iſt, vorfäglich ohne Einwilligung des Berechtigten öffentlich 
mitteilt, wird mit Geldſtrafe bis zu eintaufendfünfhundert Mark beitraft. 
Soll eine nicht beizutreibende Gelditrafe in Gefängnisitrafe umgewandelt werden, 
fo darf deren Dauer drei Monate nicht überfteigen. 


Buße, 
$ 40. Auf Verlangen des Berechtigten fann neben der Strafe auf eine 


an ihn zu erlegende Buße bis zum Betrage von jechstaufend Marf erfannt 
werden. Die zu diefer Buhe BVerurteilten haften als Gejamtjchuldner. 

Eine anerkannte Buße jchließt die Geltendmachung eines weiteren 
Anspruchs auf Schadenerjag aus. 


Urheberrecht (Literatur und Tonkunſt). 457 


$ 41. Die in den $$ 36 bis 39 bezeichneten Handlungen find aud) 
dann rechtswidrig, wenn das Werk nur zu einem Teile vervielfältigt, ver- 
breitet, öffentlich mitgeteilt, aufgeführt oder vorgetragen wird. 

Vernichtung. 

8 42. Die widerrechtlich hergeſtellten oder verbreiteten Exemplare und 
die zur widerrechtlichen Vervielfältigung ausſchließlich beſtimmten Vorrichtungen, 
wie Formen, Platten, Steine, Stereotypen, unterliegen der Vernichtung. Iſt 
nur ein Teil des Werkes widerrechtlich hergeſtellt oder verbreitet, ſo iſt auf 
Vernichtung dieſes Teiles und der entſprechenden Vorrichtungen zu erfennen. 

Gegenjtand der Vernichtung jind alle Eremplare und Vorrichtungen, 
welche ji im Eigentume der an der Herjtellung oder der Verbreitung 
Beteiligten ſowie der Erben diejer Perſonen befinden. 

Auf die Vernichtung ift auch dann zu erfennen, wenn die Herjtellung 
oder die Verbreitung weder vorſätzlich noch fahrläſſig erfolgt. Das gleiche 
gilt, wenn die Herftellung noch nicht vollendet iſt. 

Die Vernichtung hat zu erfolgen, nachdem dem Eigentümer gegenüber 
rechtskräftig darauf erfannt ift. Soweit die Eremplare oder die Vorrichtungen 
in anderer Weife als durch Vernichtung unschädlich gemacht werden fünnen, 
hat dies zu gefchehen, fall8 der Eigentümer die Koften übernimmt. 

$ 43. Der Berechtigte fann ftatt der Vernichtung verlangen, daß ihm 
das Recht zuerfannt wird, die Eremplare und Vorrichtungen ganz oder teil- 
weije gegen eine angemefjene, höchitend dem Betrage der Heritellungsfoften 
gleihfommende Vergütung zu übernehmen. 

Unterlafiene Ouellenangabe. 

8 44. Wer den Vorjchriften des $ 18 Ab. 1 oder des $ 25 zumider 
unterläßt, die benußte Quelle anzugeben, wird mit Gelditrafe bis zu ein- 
bundertfünfzig Mark beftraft. 

Strafantrag. 
$ 45. Die Strafverfolgung in den Fällen der 88 38, 39, 44 tritt nur 
auf Antrag ein. Die Zurüdnahme des Antrags ijt zuläfjig. 

$ 47. Auf die Vernichtung von Exemplaren oder Vorrichtungen kann 
auch im Strafverfahren nur auf befonderen Antrag des Berechtigten erkannt 
werden. Die Zurüdnahme des Antrags iſt bis zur erfolgten Vernichtung 
zuläſſig. 

Der Berechtigte kann die Vernichtung von Exemplaren oder Vorrichtungen 
ſelbſtändig verfolgen. In dieſem Falle finden die 88 477 bis 479 der Straf— 


458 V. Die übrigen wichtigiten Reichsgeſetze ſtrafrechtlichen Inhalts. 


prozeßordnung mit der Maßgabe — daß der Berechtigte als Privat- 
Häger auftreten fann. 
Verjährung. 

$ 50. Der Anjpruch auf Schadenerjag und die Strafverfolgung wegen 
Nachdrucks verjähren in drei Jahren. 

Die Verjährung beginnt mit dem Tage, an welchem die Verbreitung der 
Nachdruckexemplare zuerit jtattgefunden hat. 

$ 51. Der Anſpruch auf Schadenerjag und die Strafverfolgung wegen 
widerrechtlicher Verbreitung oder Aufführung fowie wegen widerrechtlichen 
Vortrags verjähren in drei Jahren. Das gleiche gilt in den Fällen der 
88 36, 39. 

Die Verjährung beginnt mit dem Tage, an welchem die widerrechtliche 
Handlung zulegt ftattgefunden hat. 

$s 52. Der Antrag auf Vernichtung der widerrechtlich hergejtellten oder 
verbreiteten Exemplare jowie der zur widerrechtlichen Vervielfältigung aus— 
Schließlich beitimmten Vorrichtungen ift jolange zuläffig, als ſolche Exemplare 
oder Vorrichtungen vorhanden find. 

8 53. Die Verjährung der nach dem 8 44 jtrafbaren Handlung beginnt 
mit dem Tage, an welchem die erjte Veröffentlichung ftattgefunden hat. 


5. Abſchnitt. 
Sciußbelimmungen. 
Reichsangehörige. 

s 54. Den Schutz genießen die Reichsangehörigen für alle ihre Werke, 

gleichviel ob dieſe erjchienen jind oder nicht. 
Ausländer. 

$ 55. Wer nicht Reichdangehöriger it, genießt den Schug für jedes 
jeiner Werfe, da3 im Inland erjcheint, jofern er nicht das Werk ſelbſt oder 
eine Ueberjegung an einem früheren Tage im Nuslande hat erjcheinen lafjen. 

Unter der gleichen Vorausfegung genießt er den Schug für jedes feiner 
Werke, das er im Inlande in einer Ueberſetzung erjcheinen läßt; die Ueber— 
jegung gilt in diefem Falle als das Driginalwerf. 

Eintragsrolle, 

Ss 56. Die Rolle für die im $ 31 Ab}. 2 vorgejehenen Eintragungen 
wird bei dem Stadtrate zu Leipzig geführt. Der Stadtrat bewirkt die Ein» 
tragungen, ohne die Berechtigung des Antragftellers oder die Nichtigfeit der 
zur Eintragung angemeldeten Tatfachen zu prüfen. 


—I Te nn — - — ö— — — — — — — 


Urheberrecht (Literatur und Tonkunſt. — Bildende Künſte). 459 


Rückwirkende Kraft. 

8 60. Einem nachgelaſſenen Werke, das bei dem Inkrafttreten dieſes 
Geſetzes noch nicht veröffentlicht iſt, wird die im $ 29 vorgejehene Schutzfriſt 
auch dann zu teil, wenn die bisherige Schutzfriſt bereits abgelaufen iſt. 

8 61. Der durch dieſes Geſetz gewährte Schutz gegen Aufführung kann 
nach deſſen Inkrafttreten einem Werfe der Tonkunſt, für welches das Auf: 
führungsrecht bis dahin nicht vorbehalten war, dadurch gejichert werden, daß 
das Werk nachträglich mit dem Vorbehalte verfehen wird. Jedoch iſt die Auf— 
führung eines jolchen Werkes auch ferner ohne Einwilligung des Urhebers 
zuläjfig, fofern nicht bei der Aufführung Noten benugt werden, die mit dem 
Vorbehalte verjehen find. 

Die ausschließliche Befugnis zur öffentlichen Aufführung eines nad 
diejen Vorfchriften gejchügten Werkes jteht dem Urheber zu. 

$ 62. Die ausjchlieglichen Befugniſſe des Urhebers eines gejchügten 
Werfes beitimmen ſich nach den Vorſchriften dieſes Gejeges, auch wenn das 
Werk vor defjen Inkrafttreten entitanden iſt. War jedoch eine Ueberſetzung oder 
fonjtige Bearbeitung oder eine Sammlung, welche aus den Werfen mehrerer Schrift- 
jteller zum Schulgebrauche veranftaltet ift, vor dem Inkrafttreten dieſes Geſetzes 
erlaubterweife ganz oder zum Teil erjchienen, jo bleibt die Befugnis des Be- 
arbeiter zur Vervielfältigung, Verbreitung und öffentlichen Aufführung unberührt. 

$ 63. Soweit eine Bervielfältigung, die nach dem Inkraftreten dieſes 
Geſetzes unzuläffig it, bisher erlaubt war, darf der bereits begonnene Drud von 
Eremplaren vollendet werden. Die vorhandenen Vorrichtungen, wie formen, 
Platten, Steine, Stereotypen, dürfen noc, bis zum Ablauf von ſechs Monaten 
benußt werden. Die Verbreitung der gemäß dieſer Vorſchriften hergejtellten 
jowie der bereit3 vor dem Inkrafttreten dieſes Gefeges vollendeten Eremplare 
iſt zuläſſig. 


16. Geſetz, 
betreffend das Urheberrecht an Werken der bildenden Künſte. 


Vom 9. Januar 1876. 
(R.G. Bl. ©. 4.) 
(Auszjug.) 
Urheberrecht. 
s 1. Das Recht, ein Werk der bildenden Künſte ganz oder teilmweife 
nachzubilden, jteht dem Urheber desjelben ausschließlich zu. 


460 V. Die übrigen wicdtigiten Reichsgeſetze ftrafrechtlihen Inhalts. 


Urheberrecht veränkerlih und vererblich. 
52. Tas Recht des Urhebers geht auf dejien Erben über. Diefes 
Necht kann befchränft oder unbefchränft durch Vertrag oder durch Verfügung 
von Todeswegen auf andere übertragen werden. 


Seine Anwendung auf Baukunſt. 
$3 Auf die Baufunft findet das gegenwärtige Gejek feine Anwendung. 
Keine Nachbildung. 
s4 Als Nachbildung ijt nicht anzujehen die freie Benutzung eines 
Werkes der bildenden Künste zur Hervorbringung eines neuen Werkes. 


Berbotene Nahbildung. 
85. Jede Nachbildung eines Werkes der bildenden Künſte, welche in 


der Abſicht, diejelbe zu verbreiten, ohne Genehmigung des Berechtigten (88 1, 2) 
hergejtellt wird, ijt verboten. Als verbotene Nachbildung ift es auch anzufehen:: 
1. wenn bei Hervorbringung derjelben ein anderes Verfahren angewendet 
worden ijt, als bei dem Driginalwerf; 
2. wenn die Nachbildung nicht unmittelbar nach dem Driginalwerfe, 
fondern mittelbar nach einer Nachbildung desjelben gejchaffen iſt; 
3. wenn die Nachbildung eines Werkes der bildenden Künfte ſich an 
einem Werfe der Baufunjt, der Indujtrie, der Fabriken, Handiwerfe 
oder Manufafturen befindet; 
4. wenn der Urheber oder Verleger dem unter ihmen bejtehenden Ver- 
trage zuwider eine neue Vervielfältigung des Werfes veranftalten; 
5. wenn der Verleger eine größere Anzahl von Exemplaren eines 
Werkes anfertigen läßt, als ihm vertragsmäßig oder gefeglich 
geſtattet iſt. 


Feine verbotene Nachbildung. 
86. ALS verbotene Nachbildung it nicht anzufehen: 

1. die Einzelfopie eines Werfes der bildenden Künſte, fofern diejelbe 
ohne die Abficht der Verwertung angefertigt wird. Cs ijt jedoch 
verboten, den Namen oder das Monogramm des lirheberd des 
Werkes in irgend einer Weife auf der Einzelfopie anzubringen, 
widrigenfalls eine Geldftrafe bis zu fünfhundert Marf verwirkt ift; 

2. die Nachbildung eines Werfes der zeichnenden oder malenden Kunſt 
durch die plaftifche Kunst, oder umgefehrt ; 


Urheberrecht (Bildende Künſte). 461 


3. die Nachbildung von Werfen der bildenden Künste, welche auf 
oder an Straßen oder öffentlichen Pläten bleibend ich befinden. 
Die Nachbildung darf jedoch nicht in derjelben Kunftform erfolgen; 

4. die Aufnahme von Nachbildungen einzelner Werfe der bildenden 
Künfte in ein Schriftwerf, vorausgejegt, daß das letztere als die 
Hauptjache erjcheint, und die Abbildungen nur zur Erläuterung 
des Tertes dienen. Jedoch muß der Urheber des Driginald oder 
die benugte Quelle angegeben werden, widrigenfalld die Straf: 
beſtimmung im $ 24 des Geſetzes vom 11. Juni 1870, betreffend 
das Urheberreht an Schriftwerfen ꝛc. (Bundes -Gejetbl. 1870 
©. 339), Plag greift. 

Nachbildung mitteld anderen Aunftverfahrens. 

87. Wer ein von einen anderen herrührendes Werf der bildenden 
Künfte auf rechtmäßige Weife, aber mittelft eines anderen Kunſtverfahrens 
nachbildet, hat in Beziehung auf das von ihm hervorgebrachte Werk das 
Recht eines Urhebers ($ 1), auch wenn das Original bereit3 Gemeingut 
geworden ijt. 

Eigentumsüberlaffung. 
$8 Wenn der Urheber eines Werfes der bildenden Künſte das 
Eigentum am Werke einem anderen überläßt, jo ijt darin die Uebertragung 
des Nachhildungsrechts fortan nicht enthalten; bei Portraits und Portraitbüften 
geht dieſes Hecht jedoch auf den Beſteller über. 

Der Eigentümer des Werfes ijt nicht verpflichtet, dasjelbe zum Zweck 
der BVeranftaltung von Nachbildungen an den Urheber oder deſſen Nechts> 
nachfolger herauszugeben. 

Dauer des Schutzes. 
$ 9 Der Schug des gegenwärtigen Gejeges gegen Nachbildung wird 
für die Lebensdauer des LUrhebers und dreißig Jahre nad) dem Tode 
desjelben gewährt. 

Bei Werfen, welche veröffentlicht jind, ift diefe Dauer des Schutzes an 
die Bedingung gefmüpft, da der wahre Name des Urhebers auf dem Werke 
vollftändig genannt oder durch fenntliche Zeichen ausgedrüdt iſt. 

Werfe, welche entweder unter einem anderen, als dem wahren Namen 
des Urhebers veröffentlicht, oder bei welchen ein Urheber gar nicht angegeben 
ift, werden dreißig Jahre lang, von der Veröffentlichung an, gegen Nach: 
bildung geichügt. Wird innerhalb diefer dreigig Jahre der wahre Name des 


462 V. Die übrigen wichtigften Reichsgeſetze ftrafbaren Inhalte. 


Urhebers von ihm jelbft oder feinen hierzu legitimierten Rechtönachfolgern zur 
Eintragung in die Eintragsrolle ($ 39 des Geſetzes vom 11. Juni 1870, 
betreffend das Urheberrecht an Schriftwerfen ꝛc, — Bundes-Geſetzbl. 1870 
S. 339) angemeldet, jo wird dadurch dem Werfe die im Abjat 1 beftimmte 
längere Dauer des Schußes erworben. 


Berechnung der Schukfrift. 
S 10. Bei Werfen, die in mehreren Bänden oder Abteilungen erjcheinen, 
wird die Schußfrijt von dem eriten Erfcheinen eines jeden Bandes oder einer 
jeden Abteilung an berechnet. 


Bei Werfen jedoch, die in einem oder mehreren Vänden eine einzige 
Aufgabe behandeln und mithin als in ſich zujammenhängend zu betrachten 
find, begimmt die Schugfrift erft nach dem Erjcheinen des legten Bandes oder 
der legten Abteilung. 


Wenn indeffen zwifchen der Herausgabe einzelner Bände oder Ab- 
teilungen ein Zeitraum von mehr als drei Jahren verflofjen ift, jo find Die 
vorher erjchienenen Bände, Abteilungen x. als ein für fich bejtehendes Werf 
und ebenjo die nach Ablauf der drei Jahre erjcheinenden weiteren Fort— 
fegungen als ein neues Werk zu behandeln. 


s 11. Die erit nach dem Tode des Urhebers veröffentlichten Werfe 
werden dreißig Jahre lang, vom Tode des Urhebers an gerechnet, gegen Nach— 
bildung geſchützt. 

8 12. Einzelne Werfe der bildenden Künſte, welche in periodischen 
Werfen, als Zeitichriften, Tafchenbüchern, Kalendern x. erjchienen find, darf 
der Urheber, fall3 nichts anderes verabredet ift, auch ohne Einwilligung des 
Herausgebers oder Verlegers des Werkes, in welches dieſelben aufgenommen 
find, nad) zwei Jahren, vom Ablaufe des Jahres des Erſcheinens an gerechnet, 
anderweitig abdruden. 


S 13. In den Zeitraum der gejeglichen Schupfrift wird das Todesjahr 
des Verfaſſers beziehungsweise das Kalenderjahr der eriten Veröffentlichung 
oder des erſten Erjcheinend des Werkes nicht eingerechnet. 

An Werfen der Induſtrie, der Fabriten uſw. 

s 14. Wenn der Urheber eines Werkes der bildenden Künſte geſtattet, 
daß dasjelbe an einem Werfe der Induftrie, der Fabrifen, Handwerfe oder 
Manufakturen nachgebildet wird, jo genießt er den Schuß. gegen weitere 
Nahbildungen an Werfen der Induſtrie x. nicht nach) Mahgabe des gegen— 





Urheberredyt (Bildende Künite). 463 


wärtigen Gefepes, jondern nur nad) Maßgabe des Gejehes, betreffend das 
Urheberredt an Mujtern und Modellen. 
Kein Seimfallöreht des Fisfus. 
$ 15. Ein Heimfalldrecht des Fisfus oder anderer zu herrenlofen Ver— 
lafjenjchaften berechtigter Perfonen findet auf das ausſchließliche Recht des 
Urhebers und feiner Rechtsnachfolger nicht jtatt. 
Strafbeitimmungen. 
8 16. Die Beitimmungen in den 88 18 — 42 des Gefees vom 
11. Juni 1870, betreffend das Urheberrecht an Scriftwerfen ıc. (Bundes- 
Geſetzbl. 1870 ©. 339), finden auch auf die Nachbildung von Werfen der 
bildenden Künſte entiprechende Anwendung. 


Die in Frage fommenden Beitimmungen des Geſetzes vom 

11. Suni 1870 lauten: 
Vorfätliher oder fahrläffiger Rachdruck. 

$ 18. Wer vorjäglich oder aus Fahrläſſigkeit einen Nachdrud (58 4 ff.) 
in der Abficht, denjelben innerhalb oder außerhalb des Norddeutjchen Bundes 
(nun des Deutschen Reichs) zu verbreiten, veranftaltet, ift den Urheber oder 
deffen NRechtsnachfolger zu entjchädigen verpflichtet und wird außerdem mit 
einer Geldjtrafe bis zu eintaufend Talern bejtraft. 


Beltrafung ausgeſchloſſen. 

Die Beitrafung des Nachdruds bleibt jedoch ausgejchloffen, wenn der 
Beranftalter desjelben auf grund entjchuldbaren, tatjächlichen oder rechtlichen 
Irrtums in gutem Glauben gehandelt hat. 

Kann die verwirfte Geldjtrafe nicht beigetrieben werden, jo wird diejelbe 
nad) Maßgabe der allgemeinen Strafgejege in eine entjprechende Freiheits— 
jtrafe bis zu jech® Monaten umgewandelt. 

Buße. 

Statt jeder aus diefem Gejege entipringenden Entichädigung kann auf 
Verlangen des Beichädigten neben der Strafe auf eine an den Beichädigten 
zu erlegende Geldbuße bis zum Betrage von zweitaufend Talern erfannt 
werden. Für diefe Buße haften die zu derjelben Berurteilten als Gejamt- 
Schuldner. 

s 4. Jede mechaniſche Vervielfältigung eines? Schriftwertes, welche 
ohne Genehmigung des Berechtigten (SS 1, 2, 3) hergeitellt wird, heißt 
Nahdrud und ıft verboten. 

Dinfichtlich diejes Verbotes macht es feinen Unterſchied, ob das Schrift- 
werf ganz oder teilweile vervielfältigt wird. 


N 


464 V. Die übrigen wichtigften Reichsgeſetze ftrafrechtlihen Inhalts. 


Als mechanische Vervielfältigung ift auch das Abfchreiben anzujehen, 
wenn es dazu beitimmt ift, den Drud zu vertreten. 

85. Als Nahdrud ($ 4) ıft auch anzufehen: 

a) der ohme Genehmigung des Urhebers erfolgte Abdruck von noch 
nicht veröffentlichen Schriftwerfen (Manujfripten). 

Auch der rechtmähige Beliger eines Manuffripts oder 
einer Abfchrift desjelben bedarf der Genehmigung des Urhebers 
zum Abdrud; 

b) — 

ec) der neue Abdrud von Werken, welchen der Urheber oder der Ver— 
leger dem unter ihnen bejtehenden Bertrage zumider veranftaltet ; 

d) die Anfertigung einer größeren Anzahl von Eremplaren eines 
Werkes jeitens des Verleger, als demjelben vertragsmäßig oder 
gejeglich geftattet ift. 

87. Als Nahdrud ift nicht anzuſehen: 
das wörtliche Anführen einzelner Stellen oder Fleinerer Teile eines 
bereit3 veröffentlichten Werkes oder die Aufnahme bereits ver— 
öffentlichter Schriften von geringerem Umfang in ein größeres 
Ganzes, fobald diefes nach feinem Hauptinhalt ein felbftändiges 
wiffenfchaftlihes Werk ift, fowie in Sammlungen, welde aus 
Werken mehrerer Schriftfteller zum Kirchen, Schul- und Unterrichts» 
gebrauch oder zu einem eigentümlichen Literarifchen Bwede ver— 
anftaltet werden. Vorausgeſetzt ift jedoch, daß der Urheber oder 
die benugte Quelle angegeben ilt; 
der Abdrud einzelner Artikel aus Zeitfchriften und anderen öffentlichen 
Blättern mit Ausnahme von novelliftiichen Erzeugniffen und wiſſen— 
ichaftlichen Ausarbeitungen, jowie von fonftigen größeren Mit: 
teilungen, jofern an der Spige ber legteren der Abdrud unterfagt ift. 

Deranlafien zum Nachdruck. 

8 20. Wer vorfäglich oder aus Fahrläjjigkeit einen anderen zur Ver— 
anjtaltung eines Nachdruds veranlaßt, hat die im $ 18 feitgefegte Strafe ver- 
wirft, und ift den Urheber oder deffen Rechtsnachfolger nad) Maßgabe der 
55 18 und 19 zu entjchädigen verpflichtet und zivar jelbft dann, wenn der 
DVeranjtalter des Nachdruds nad) $ 18 nicht jtrafbar oder erjagverbindlich 
jein jollte. 

Wenn der Veranjtalter des Nachdruds ebenfall3 vorfüglich oder aus 
Fahrläſſigkeit gehandelt hat, jo haften beide dem Berechtigten ſolidariſch. 

Die Strafbarfeit und die Erfagverbindlichfeit der übrigen Teilnehmer 
am Nachdrud richtet fich nad) den allgemeinen gejeglichen Vorjchriften. 


— 


b 


— 





Urbeberredt (Bildende Künite). 465 


@inziehung. 

8 21. Die vorrätigen Nachdrudseremplare und die zur widerrechtlichen 
Vervielfältigung ausjchlieglich beftimmten Vorrichtungen, wie Formen, Platten, 
Steine, Stereotypabgüfje zc., unterliegen der Einziehung. Diejelben find, nach: 
dem die Einziehung dem Eigentümer gegenüber rechtäfräftig erfannt iſt, 
entweder zu vernichten oder ihrer gefährdenden Form zu entkleiden und alsdann 
dem Eigentümer zurücdzugeben. 

Wenn nur ein Teil des Werkes als Nachdruck anzufehen ijt, jo erftredt 
jih die Einziehung nur auf den als Nachdrud erfannten Teil des Werkes 
und die Vorrichtungen zu dieſem Teile. 

Die Einziehung erjtredt fich auf alle diejenigen Nachdrudseremplare und 
Vorrichtungen, welche fich im Eigentum des Veranftalters des Nachdruds, des 
Druders, der Sortimentsbuchhändler, der gewerbsmäßigen Verbreiter und des- 
jenigen, welcher den Nachdruck veranlaßt hat (S 20), befinden. 

Die Einziehung tritt auc dann ein, wenn der Beranjtalter oder Ver: 
anlafjjer des Nachdruds weder vorjäglich noch fahrläjfig gehandelt hat (S 18). 
Sie erfolgt auch gegen die Erben desjelben. 

Es ſteht dem Bejchädigten frei, die Nachdrudseremplare und Vor— 
richtungen ganz oder teilweiie gegen die Herjtellungsfojten zu übernehmen, 
injofern nicht die Nechte eines Dritten dadurch verlegt oder gefährdet werden. 

Vollendung des Nahdruds. 

$ 22. Das Vergehen des Nachdrucks iſt vollendet, jobald ein Nach— 
drudseremplar eines Werkes den Vorfchriften des gegenwärtigen Geſetzes 
zuwider, jei es im Gebiete des Norddeutichen Bundes (num des Deutjchen 
Reichs), jei es außerhalb desjelben, Hergeftellt worden iſt. 

Derfud des Nahdruds ftraflos. 

Im Falle des bloßen Verſuchs des Nahdruds tritt weder eine 
Beitrafung noch eine Entjchädigungsverbindlichkeit ein. Die Einziehung der 
Nachdrudsvorrichtungen ($ 21) erfolgt auch in diefem Falle. 

Rückfall. 

z 23. Wegen Rückfalls findet eine Erhöhung der Strafe über das 
höchſte geiegliche Maß ($ 18) nicht jtatt. 

Vebertretung. 

8 24. Wenn in den Fällen des $ 7 lit. a die Angabe der Quelle oder 
des Namens des Urhebers vorjätlich oder aus Fahrläſſigkeit unterlafjen wird, 

30 


4665 V. Die übrigen wichtigften Reichsgeſetze jtrafrechtlichen Inhalte. 


jo haben der PVeranftalter und der Veranlaffer des Abdruds eine Gelditrafe 
bis zu zwanzig Talern verwirkt. 

Eine Umwandlung der Gelditrafe in Freiheitsſtrafe findet nicht jtatt. 

Eine Entichädigungspflicht tritt nicht ein. 

Borfäglide Berbreitung. 

$ 25. Wer vorſätzlich Exemplare eines Werfes, welche den Vorjchriften 
des gegenwärtigen Gejehes zuwider angefertigt worden find, innerhalb oder 
auperhalb des Norddeutichen Bundes (nun de3 Deutfchen Reich) gewerbe- 
mäßig feilhält, verkauft oder in ſonſtiger Weiſe verbreitet, ift nach Maßgabe 
des von ihm verurfachten Schadens den Urheber oder deſſen Rechtsnachfolger 
zu entjchädigen verpflichtet und wird außerdem mit Gelditrafe nach $ 18 beftraft. 

Die Einziehung der zur gewerbsmäßigen Verbreitung beftimmten Nach— 
drudseremplare nach Maßgabe des 8 21 findet auch dann jtatt, wenn der 
Berbreiter nicht vorfäglich gehandelt Hat. 

Der Entfchädigungspflicht, ſowie der Beitrafung wegen Verbreitung unter- 
liegen auch der Veranftalter und Veranlaſſer des Nachdruds, wenn fie nicht 
icon als ſolche entjchädigungspflichtig und ftrafbar find. 

Strafantrag. 

8 27. Das gerichtliche Strafverfahren ift nicht von Amtswegen, fondern 
nur auf den Antrag des Verlegten einzuleiten. Der Antrag auf 
Beitrafung kann bis zur Verfündung eines auf Strafe lautenden Erkenntniſſes 
aurüdgenommen werden. 

$ 28. Die Verfolgung des Nachdrucks jteht jedem zu, deſſen Urheber- 
oder Verlagsrechte durd) die widerrechtliche Vervielfältigung beeinträchtigt 
oder gefährdet find. 

Bei Werfen, welche bereits veröffentlicht find, gilt bis zum Gegen- 
beweije derjenige als Urheber, welcher nad) Maßgabe des 8 11 Abi. 1, 2 
auf dem Werfe als Urheber angegeben iit. 

Bei anonymen und pfeudonymen Werfen ift der Herausgeber, und wenn ein 
jolcher nicht angegeben iſt, der Verleger berechtigt, die dem Urheber zujtehenden 
Nechte wahrzunehmen. Der auf dem Werke angegebene Verleger gilt ohne weiteren 
Nachweis als der Rechtsnachfolger des anonymen oder pſeudonymen Urhebers. 

Berjährung. 

8 33. Die Strafverfolgung des Nachdruds und die lage auf Ent- 
Ichädigung wegen Nachdruds, einjchließlich der Klage wegen Bereicherung ($ 18), 
verjähren in drei Jahren. 





Urbeberreht (Bildende Künite. — Photographieen). 467 


Der Lauf der Verjährung beginnt mit dem Tage, an welchem die Ver: 
breitung der Nachdrudseremplare zuerjt jtattgefunden hat. 

8 34. Die Strafverfolgung der Verbreitung von Nahdrudseremplaren 
und die Klage auf Entjchädigung wegen diejer Verbreitung ($ 25) verjähren 
ebenfalls in drei Sahren. 

Der Lauf der Verjährung beginnt mit dem Tage, an welchem die Ver— 
breitung zuletzt jtattgefunden hat. 

8 35. Der Nahdrud und die Verbreitung von Nachdrudseremplaren 
jollen jtraflos bleiben, wenn der zum Strafantrage Berechtigte den Antrag 
binnen drei Monaten nad) erlangter Kenntnis von dem begangenen Vergehen 
und von der Perſon des Täters zu machen unterläßt. 

S 36. Der Antrag auf Einziehung und Vernichtung der Nachdruds- 
exemplare, jowie der zur widerrechtlichen Bervielfältigung ausſchließlich be— 
jtimmten Vorrichtungen ($ 21), it jo lange zuläffig, als ſolche Eremplare 
und Vorrichtungen vorhanden find. 

8 37. Die Uebertretung, welche dadurch begangen wird, daß in den 
Fällen des $ 7 lit.a die Angabe der Duelle oder des Namens des Ur—⸗ 
hebers unterblieben ift, verjährt in drei Monaten. 

Der Lauf der Berjährung beginnt mit dem Tage, an welchem der Ab- 
drud zuerft verbreitet worden iſt. 


17. Geſttz, 
betreffend den Schug der Bhotographieen gegen unbefugte 
Nachbildung. 
Vom 10. Januar 1876. 


(RG.Bl. ©. 8.) 
Berchtigter. 


$ 1. Das Recht, ein durch Photographie hergeitelltes Werk ganz oder 
teiltveife auf mechanischem Wege nachzubilden, fteht dem Berfertiger der 
photographifchen Aufnahme ausschließlich zu. 

Auf Photograpbieen von jolchen Werfen, welche geretlich gegen Nachdrud 
und Nachbildung noch geſchützt find, findet das gegemwärtige Geſetz Feine 
Anwendung. 

30* 





468 V. Die übrigen wichtigiten Reichsgeſetze ftrafrechtlihen Inhalts. 


Keine Nachbildung. 

82. Als Nachbildung ift nicht anzufehen die freie Benutzung eines 

durch Photographie hergeitellten Werfes zur Hervorbringung eines neuen Werkes. 
Berbotene Nachbildung. 

8 3. Die mechanische Nachbildung eines photographifchen Werkes, 
welche in der Abjicht, diefelbe zu verbreiten, ohne Genehmigung der Berechtigten 
(88 1 und 7) hergejtellt wird, ift verboten. 

Keine verbotene Nachbildung. 

8 4. Die Nachbildung eines photographiichen Werkes, wenn jte ſich 
an einem Werfe der Indujtrie, der Fabriken, Handwerke oder Manufakturen 
befindet, ijt al3 eine verbotene nicht anzujehen. 

Borausfekung des Schutzes. 

8 5. Jede rechtmäßige photographiſche oder fonjtige mechanifche 
Abbildung der Driginalaufnahme muß auf der Abbildung jelbjt oder auf 
dem Karton 

a) den Namen beziehungsweife die Firma des Werfertigerö der 
Originalaufnahme oder des Werlegers, und 
b) den Wohnort des Verfertigers oder Verlegers, 
ce) das Kalenderjahr, in welchem die rechtmäßige Abbildung zuerft 
erſchienen ijt, 
enthalten, widrigenfalls ein Schuß gegen Nachbildung nicht ftattfindet. 
Schubfrift. 

86. Der Schuß de3 gegenmwärtiges Gejeges gegen Nachbildung wird 
dem Verfertiger des photographiichen Werkes fünf Jahre gewährt. Dieje Friſt 
wird vom Ablaufe desjenigen Salenderjahres ab gerechnet, in welchem Die 
rechtmäßigen photographijchen oder fonitigen mechanifchen Abbildungen der 
Driginalaufnahme zuerit erjchienen find. 

Wenn jolche Abbildungen nicht erjcheinen, jo wird die fünfjährige Frift 
von dem Ablauf desjenigen Kalenderjahres ab gerechnet, in welchem das 
Negativ der photographiichen Aufnahme entjtanden iſt. 

Bei Werfen, die im mehreren Bänden oder Abteilungen erjcheinen, 
findet der $ 14 des Geſetzes vom 11. Juni 1870, betreffend das Urheberrecht 
an Schriftwerfen ıc., Anwendung. 

Rechte des BVerfertigers vererblih und veräußerlich. 

8 7. Das im $ 1 bezeichnete Necht des Werfertigers eines photo: 

graphiichen Werfes geht auf deſſen Erben über. Auch fann dieſes Necht von 


Urheberrecht (Photographieen. — Wufter und Modelle). 469 


dem Verfertiger oder defien Erben ganz oder teilweije durch Vertrag oder 
durch Verfügung von Todeswegen auf andere übertragen werden. Bei 
photographiſchen Bildnifjen (Porträts) geht das Hecht auch ohne Vertrag von 


ſelbſt auf den Bejteller über. 
Nachbildung in anderer Aunftart. 


S 8 Wer eine von einem anderen verfertigte photographiiche Auf: 
nahme durch ein Werf der malenden, zeichnenden oder plaſtiſchen Kunſt nad): 
bildet, genießt in Beziehung auf das von ihm hervorgebrachte Werk das 
Necht eines Urhebers nach Mahgabe des 8 7 des Gefeges vom 9. Januar d. J., 
betreffend das Urheberrecht an Werfen der bildenden Künſte. 

Strafbeftimmungen. 

89. Die Beitimmungen in den 88 18 bis 38, 44, 61 Ab. 1 des 
Gejeges vom 11. Juni 1870, betreffend das Urheberrecht an Schriftwerfen :c., 
finden auch Anwendung auf das ausjchiegliche Nachbildungs: und Verviel— 
fältigungsrecht des Verfertigers photographiicher Werte. 

Diefe Beitimmungen ſ. ©. 463. 


18. Geſetz, 
betreffend das Urheberrecht an Muſtern und Modellen. 


"om 11. Januar 1876. 
(R.G.Bl. ©. 11.) 


(Auszjug.) 
Urheberrecht. 
$ 1. Das Recht, ein gewerbliches Mufter oder Modell ganz oder 
teilweije nachzubilden, jteht dem Urheber desfelben ausjchliehlich zu. 
Als Mufter oder Modelle im Sinne diefes Geſetzes werden nur neue 
und eigentümliche Erzeugnifje angejehen. 
Urheber bei Anfertigung in gewerblicher Anſtalt. 
8 2 Bei folden Muftern und Modellen, welche von den in einer 
inländischen gewerblichen Anstalt bejchäftigten Zeichnern, Malern, Bildhauern ꝛc. 
im Auftrage oder für Rechnung des Eigentümers der gewerblichen Anftalt 
angefertigt werden, gilt der leßtere, wenn durch Vertrag nichts anderes bejtimmt 
it, als der Urheber der Muſter und Modelle. 


U LL. _ ... uud. 44 
u J 


470 V. Die übrigen wichtigſten Reichsgeſetze ſtrafrechtlichen Inhalts. 


Urheberrecht vererblich und veränßerlich. 
$ 3. Das Recht des Urhebers geht auf deſſen Erben über. Dieſes 
Recht kann beſchränkt oder unbejchränft durch Vertrag oder durch Verfügung 
von Todeswegen auf andere übertragen werden. 


Keine Nachbildung. 

8 4 Die freie Benußung einzelner Motive eines Muſters oder Modells 
zur Herftellung eines neuen Mufters oder Modells ift als Nachbildung nicht 
anzujehen. 

Berbotene Nachbildung. 

8 5. Jede Nachbildung eines Mufters oder Modells, welche in der 
Abficht, diejelbe zu verbreiten, ohne Genehmigung des Berechtigten (58 1 bis 3) 
hergejtellt wird, ijt verboten. Als verbotene Nachbildung ıft e8 auch anzufehen: 

1. wenn bei Hervorbringung derjelben ein anderes Verfahren an- 
gewendet worden it, als bei dem UOriginalwerfe, oder wenn die 
Nachbildung für einen anderen Gewerbszweig bejtimmt it, als 
das Original; 


x 


. wenn die Nachbildung in anderen räumlichen Abmefjungen oder 
Farben hergejtellt wird, als das Original, oder wenn jie jich vom 
Original nur durch ſolche Abänderungen unterjcheidet, welche nur 
bei Anwendung befonderer Aufmerkſamkeit wahrgenommen werden 
fönnen; 

3. wenn die Nachbildung nicht unmittelbar nach dem Originalwerfe, 
jondern mittelbar nach einer Nachbildung desſelben geſchaffen ift. 

Keine verbotene Nachbildung. 
$ 6. ALS verbotene Nachbildung iſt nicht anzufehen: 

1. die Einzelfopie eines Mufters oder Modells, jofern diejelbe ohne 
die Abſicht der gewerbsmäßigen Verbreitung und Berwertung 
angefertigt wird; 

2. die Nachbildung von Muitern, welche für Flächenerzeugniſſe 
bejtimmt find, durch plaftiiche Erzeugniffe, und umgekehrt; 

3. die Aufnahme von Nachbildungen einzelner Mufter oder Modelle 
in ein Schriftwerf. 

Borausfchung Des Schubes; Eintragung in das Mufterregifter. 
$ 7. Der Urheber eines Mufters oder Modells genießt den Schuß 
gegen Nahbildung nur dann, wenn er dasjelbe zur Eintragung in das 





Urheberrecht (Mujter und Modelle). 471 


Mufterregifter angemeldet und ein Exemplar ober eine Abbildung des 
Mufters ꝛc. bei der mit Führung des Mufterregifterd beauftragten Behörde 
niedergelegt hat. 

Die Anmeldung und Niederlegung muß erfolgen, bevor ein nach dem 
Muster oder Modelle gefertigte Erzeugnis verbreitet wird. 

Schukfrift. 
$ 8. Der Schu des gegenwärtigen Geſetzes gegen Nachbildung wird 
dem Urheber des Mujterd oder Modell3 nach feiner Wahl ein bis drei Jahre 
fang, vom Tage der Anmeldung ($ 7) ab, gewährt. 

Der Urheber ift berechtigt, gegen Zahlung der im 8 12 Ab}. 3 bejtimmten 
Gebühr, eine Ausdehnung der Schugfriit bis auf höchſtens fünfzehn Jahre 
zu verlangen. Die Verlängerung der Schugfrift wird in dem Mufterregijter 
eingetragen. 

Der Urheber fann das ihm nad) Abſatz 2 zujtehende Necht außer bei 
der Anmeldung aud) bei Ablauf der dreijährigen oder zehnjährigen Schuh» 


frift ausüben. Mufterregifter. 


$ 9. Das Mujfterregifter wird von den mit der Führung der Handels- 
register beauftragten Gerichtsbehörden geführt. 

Der Urheber hat die Anmeldung und Niederlegung des Mufter oder 
Modells bei der Gerichtsbehörde feiner Hauptniederlafjung, und fall er eine 
eingetragene Firma nicht beſitzt, bei der betreffenden Gerichtsbehörde jeines 
Wohnortes zu bewirken. 

Urheber, welche im Inlande weder eine Niederlafjung, noch einen 
Wohnfig haben, müfjen die Anmeldung und Niederlegung bei dem Handels: 
gericht in Leipzig bewirken. 

Die Mujfter oder Modelle fünnen offen oder verjiegelt, einzeln oder in 
Paketen niedergelegt werden. Die Pakete dürfen jedoch nicht mehr als 50 
Mufter oder Modelle enthalten und nicht mehr als 10 Kilogramm wiegen. 
Die näheren Vorjchriften über die Führung des Mujterregijters erläßt das 
Reichstanzler = Amt. 

Die Eröffnung der verjiegelt niedergelegten Mujter erfolgt drei Jahre 
nach der Anmeldung ($ 7), beziehentlich, wenn die Schutzfriſt eine fürzere ift, 
nad) dem Ablaufe derjelben. 

Die Eintragung und die Verlängerung der Schugfriit ($ 8 Alinea 2) 
wird monatlich im Dentjchen Neichsanzeiger befannt gemacht. Die Koſten der 
Bekanntmachung hat der Anmeldende zu tragen. 


nn er A —— * u , —— — ¶ 


472 V. Die übrigen wichtigſten Reichsgeſetze ſtrafrechtlichen Inhalts. 


Eintragung. 
$ 10. Die Eintragungen in das Mufterregijter werden bewirkt, ohne 
daß eine zuvorige Prüfung über die Berechtignng des Antragitellers oder 
über die Richtigkeit der zur Eintragung angemeldeten Tatjachen ftattfindet. 
Einfihtnahme, 
$ 11. Es ijt jedermann gejtattet, von dem Mufterregijter und den 
nicht verfiegelien Muftern und Modellen Einficht zu nehmen und jich be- 
glaubigte Auszüge aus dem Mufterregifter erteilen zu laſſen. In Streitfällen 
darüber, ob ein Mufter oder Modell gegen Nachbildung gefhügt iſt, fünnen 
zur SHerbeiführung der Entjcheidung auch die verfiegelten Pakete von der 
mit der Führung des Mufterregifterd beauftragten Behörde geöffnet werden. 
Urheberbeweis. 
$ 13. Derjenige, welcher nach Maßgabe des $ 7 das Mujter oder 
Modell zur Eintragung in das Mujterregifter angemeldet und niedergelegt hat, 
gilt bis zum Gegenbeweife als Urheber. 
Strafbeitimmungen. 
$ 14. Die Beitimmungen in den 88 18-36, 38 des Gejetes vom 
11. Juni 1870, betreffend das Urheberrecht an Schriftwerken x. (Bundes: 
Geſetzbl. 1870 ©. 339), finden auch auf das Urheberrecht an Muftern und 
Modellen mit der Maßgabe entjprechende Anwendung, daß Die borrätigen 
Nachbildungen und die zur widerrechtlichen Vervielfältigung bejtimmten Vor— 
rihtungen nicht vernichtet, jondern auf Koſten des Cigentümerd und nad) 
Wahl desjelben entweder ihrer gefährdenden Form entfleidet oder bis zum 


Ablauf der Schufrijt amtlich aufbewahrt werden. 
Wegen der Beftimmungen des Geſetzes v. 11. Juni 1870 ſ. ©. 463. 


19. Patentgeſetz. 
Vom 7. April 1891. 
(RBB. ©. 79.) 


(Auszug.) 
Patentrecht. Gegenitand desſelben. 
$ 1. Patente werden erteilt für neue Erfindungen, welche eine gewerbliche 
Verwertung gejtatten. 
Ausgenommen find: 
1. Erfindungen, deren Verwertung den Gejegen oder guten Gitten 
zumwiderlaufen würde; 


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Muster und Modelle. — Patentgejeß. 473 


2. Erfindungen von Nahrungs, Genuß: und Arzneimitteln, ſowie 
von Stoffen, welche auf chemifchem Wege hergeftellt werden, ſoweit 
die Erfindungen nicht ein bejtimmtes Verfahren zur Heritellung 


der Gegenjtände betreffen. 
Seine neue Erfindung. 


8 2. Eine Erfindung gilt nicht als neu, wenn fie zur Zeit der auf grund 
diejes Geſetzes erfolgten Anmeldung in öffentlichen Drudichriften aus den 
legten hundert Jahren bereits derart beichrieben oder im Inlande bereits jo 
offenkundig benugt ift, daß danach die Benugung durch andere Sachverjtändige 
möglich erjcheint. 

Die im Auslande amtlich herausgegebenen Batentbejchreibungen jtehen den 
Öffentlichen Drudjchriften erjt nach Ablauf von drei Monaten jeit dem Tage 
der Herausgabe gleich, jofern das Patent von demjenigen, welcher die Erfindung 
im Auslande angemeldet hat oder von feinem Wechtsnachfolger nachgefucht 
wird. Dieſe Begünftigung erjtredt ſich jedoch nur auf die amtlichen Patent: 
bejchreibungen derjenigen Staaten, in welchen nad) einer im Neichs-Gejegblatt 


enthaltenen Bekanntmachung die Gegenjeitigfeit verbürgt iſt. 
Berchtigter. 


8 3. Auf die Erteilung des Patents hat derjenige Anfpruch, welcher 
die Erfindung zuerjt nad) Mafgabe dieſes Gejeges angemeldet hat. Eine 
jpätere Anmeldung fann den Anjpruch auf ein Patent nicht begründen, wenn 
die Erfindung Gegenstand des Patents des früheren Anmelders ift. Trifft 
diefe Vorausſetzung teilweife zu, jo hat der jpätere Anmelder nur Anſpruch 
auf Erteilung eines Patents in entjprechender Bejchränfung. 

Ein Anſpruch des Patentjuchers auf Erteilung des Patents findet nicht 
jtatt, wenn der wejentliche Inhalt jeiner Anmeldung den Befchreibungen, 
Zeichnungen, Modellen, Gerätichaften oder Einrichtungen eines anderen oder 
einem von diefem angewendeten Verfahren ohne Einwilligung desjelben ent— 
nommen und von dem lehteren aus diefem Grunde Einſpruch erhoben ijt. 
Hat der Einfprud die Zurüdnahme oder Zurücdweifung der Anmeldung zur 
Folge, jo kann der Einjprechende, falls er innerhalb eines Monats jeit Mit- 
teilung des hierauf bezüglichen Beicheides des Patentamts die Erfindung 
jeinerjeit3 anmeldet, verlangen, daß als Tag feiner Anmeldung der Tag vor 
Belanntmachung der früheren Anmeldung feitgejegt werde. 

Wirtung des Patents. 

8 4. Das Patent hat die Wirfung, dat der PBatentinhaber ausschließlich 

befugt ift, gewerbsmäßig den Gegenstand der Erfindung herzustellen, in Verkehr 


474 V. Die übrigen widtigjten Reichsgeſetze ftrafrechtlihen Inhalts. 


zu bringen, feilzuhalten oder zu gebrauchen. Iſt das Patent für ein Ver— 
fahren erteilt, jo erjtredt ji die Wirkung auch auf die durch das Verfahren 
unmittelbar hergeftellten Erzeugnifje. 

Nichteintritt Der Wirkung. 

$ 5. Die Wirkung des Patents tritt gegen denjenigen nicht ein, welcher 
zur Zeit der Anmeldung bereits im Inlande die Erfindung in Benugung 
genommen oder die zur Benutzung erforderlichen Veranftaltungen getroffen 
hatte. Derjelbe iſt befugt, die Erfindung für die Bedürfniſſe feines eigenen 
Betriebes in eigenen oder fremden Werkſtätten auszunugen. Dieſe Befugnis 
fann nur zufammen mit dem Betriebe vererbt oder veräußert werben. 

Die Wirkung des Patents tritt ferner injoweit nicht ein, als die Er— 
findung nach Beſtimmung des Neichsfanzlers für das Heer oder für die Flotte 
oder jonjt im Intereſſe der öffentlichen Wohlfahrt benugt werden fol. Doc) 
hat der PBatentinhaber in dieſem Falle gegenüber dem Reich oder dem Staate, 
welcher in jeinem bejonderen Interefje die Beichränfung des Patents beantragt 
hat, Anfpruch auf angemefjene Vergütung, welche in Ermangelung einer Ver— 
ftändigung im Rechtswege feſtgeſetzt wird. 

Auf Einrichtungen an Fahrzeugen, welche nur vorübergehend in das 
Inland gelangen, erjtredt fich die Wirkung des Patents nicht. 

Patentrecht vererbliih und veräußerlich. 

56. Der Anfpruc auf Erteilung des Patents und das Necht aus 
dem Patent gehen auf die Erben über. Der Anſpruch und das Recht können 
bejchränft oder unbeſchränkt durch Vertrag oder durch Verfügung von Todes: 
wegen auf andere übertragen werben. 

Schutfrift. 

$ 7. Die Dauer des Patents iſt fünfzehn Jahre; der Lauf diefer Zeit 
beginnt mit dem auf die Anmeldung der Erfindung folgenden Tage. Bezweckt 
eine Erfindung die Verbeſſerung oder jonjtige weitere Ausbildung einer 
anderen, zu guniten des Patentjuchers durch ein Patent gejchügten Erfindung, 
jo kann diefer die Erteilung eines Zuſatzpatents nachjuchen,. welches mit dem 
Patent für die Ältere Erfindung fein Ende erreicht. 

Wird durch die Erflärung der Nichtigfeit des Hauptpatents ein Zujag- 
patent zu einem jelbjtändigen Patent, jo bejtimmt fich dejlen Dauer und der 
sälligfeitstag der Gebühren nad) dem Anfangstage des Hauptpatents. Für 
den Jahresbetrag der Gebühren iſt der Anfangstag des Zuſatzpatents maß— 


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Patentgeſetz. 475 


gebend. Dabei gilt als erſtes Patentjahr der Zeitabſchnitt zwiſchen dem Tage 
der Anmeldung des Zuſatzpatents und dem nächſtfolgenden Jahrestage des 


Anfangs des Hauptpatents. 
Erlöſchen des Patentes. 


8 9. Das Patent erliſcht, wenn der Patentinhaber auf dasſelbe ver— 
zichtet, oder wenn die Gebühren nicht rechtzeitig bei der Kaſſe des Patent» 
amt3 oder zur Ueberweifung an diejelbe bei einer Poſtanſtalt im Gebiete des 
Deutfchen Reichs eingezahlt find. 

Nidhtigkeitserflärung des Patentes. 
$ 10. Das Batent wird für nichtig erflärt, wenn fich ergibt: 
1. daß der Gegenitand nad) 88 1 und 2 nicht patentfähig war, 
2. daß die Erfindung Gegenftand des Patents eines früheren An— 
melders ijt, 


=> 


. daß der wejentliche Inhalt der Anmeldung den Bejchreibungen, 
Zeichnungen, Modellen, Gerätjchaften oder Einrichtungen eines 
anderen oder einem von diefem angewendeten Verfahren ohne 
Einwilligung desjelben entnommen mar. 

Trifft eine diefer Vorausfegungen (1 big 3) nur teilweife zu, jo erfolgt 

die Erklärung der Nichtigkeit durch entjprechende Beichränfung des Patents. 
Zurüdnahme des Patentes. 

8 11. Das Patent fann nad) Ablauf von drei Jahren, von dem Tage 

der über die Erteilung des Patents erfolgten Bekanntmachung ($ 27 Abi. 1) 

gerechnet, zurücdgenommen werden: 

1. wenn der Patentinhaber es unterläßt, im Inlande die Erfindung 
in angemefjenem Umfange zur Ausführung zu bringen, oder Doc) 
alles zu tun, was erforderlich ijt, um diefe Ausführung zu fichern; 

2. wenn im öffentlichen Interefje die Erteilung der Erlaubnis zur 
Penugung der Erfindung an andere geboten erjcheint, der Patent: 
inhaber aber gleichwohl ich weigert, diefe Erlaubnis gegen an- 
gemejjene Vergütung und genügende Sicherftellung zu erteilen. 

Ausländer. 
8 12, Wer nicht im Inlande wohnt, fann den Anſpruch auf die Er- 
teilung eines Patents und die Nechte aus dem Patent nur geltend machen, 
wenn er im Inlande einen Vertreter bejtellt hat. Der letztere ift zur Ver— 
tretung in dem nach Mahgabe diefes Geſetzes jtattfindenden Verfahren, jowie 
in den das Patent betreffenden bürgerlichen Rechtsftreitigkeiten und zur Stellung 


4765 V. Die übrigen wichtigiten Reichsgeſetze itrafrechtlihen Inhalts. 


von Strafanträgen befugt. Der Ort, wo der Vertreter jeinen Wohnſitz hat, 
gilt im Sinne des $ 24 der Zivilprozekordnung als der Ort, wo ſich der 
Vermögensgegenſtand befindet. 

Unter Zuftimmung des Bundesrat fann durch Anordnung des Reichs— 
fanzler3 beitimmt werden, daß gegen die Angehörigen eines ausländijchen 
Staates ein Vergeltungsrecht zur Anwendung gebracht werde. 

Entihädigungspflidt. 

S 35. Wer wifjentlich oder aus grober Fahrläffigfeit den Bejtimmungen 
der 88 4 und 5 zumider eine Erfindung in Benugung nimmt, it dem Ver— 
legten zur Entichädigung verpflichtet. 

Handelt es ſich um eine Erfindung, welche ein Verfahren zur Herjtellung 
eines neuen Stoffes zum Gegenjtand hat, jo gilt bis zum Beweiſe des Gegen- 
teils jeder Stoff von gleicher Beichaffenheit als nach dem patentierten Ver— 
fahren hergeitellt. 

Strafbeitimmung; Strafantrag. 

S 36. Wer wiffentlic) den Beitimmungen der 88 4 und 5 zumider 
eine Erfindung in Benußung nimmt, wird mit Gelditrafe bis zu fünftaufend 
Mark oder mit Gefängnis bis zu einem Jahre beitraft. 

Die Strafverfolgung tritt nur auf Antrag ein. Die Zurüdnahme des 
Antrags ijt zuläflig. 

Wird auf Strafe erfannt, jo ijt zugleich dem DVerlegten die Befugnis 
zuzufprechen, die Verurteilung auf Koften des Berurteilten öffentlich befannt 
zu machen. Die Art der Belanntmachung, jowie die Friſt zu derjelben tft im 
Urteil zu bejtimmen. 

Buße. 

S 37. Statt jeder aus dieſem Geſetze entipringenden Entjchädigung 
fann auf Verlangen des Beichädigten neben der Strafe auf eine an ihn zu 
erlegende Buße bis zum Betrage von zehntaufend Marf erkannt werden. 
Für diefe Buße haften die zu derjelben Verurteilten als Geſamtſchuldner. 

Eine erfannte Buße jchliegt die Geltendmachung eines weiteren Ent- 
ſchädigungsanſpruchs aus. 

Strafbeitimmung. 

Ss 40. Mit Gelditrafe bis zu eintaufend Marf wird bejtraft: 

1. wer Gegenjtände oder deren Verpadung mit einer Bezeichnung 
verfieht, welche geeignet ift, den Irrtum zu erregen, daß die Gegen— 
jtände durch ein Patent nad) Mafgabe diejes Geſetzes gefchügt jeien ; 





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Fatentgejeß. — Schutz von Gebraudsmuitern. 477 


2. wer in Öffentlichen Anzeigen, auf Aushängejchildern, auf Em: 
pfehlungsfarten oder in ähnlichen Kundgebungen eine Bezeichnung 
anwendet, welche geeignet it, den Jrrtum zu erregen, daß die 
darin erwähnten Gegenjtände durch ein Patent nach) Maßgabe diefes 
Geſetzes geichügt feien. 


0. Geſetz, 
betreffend den Schus von Gebrauchsmuſtern. 


om 1. Juni 1891. 
R.G.Bl. ©. 290.) 
(Auszug.) 
Gegenftand des Schutzes. 
Ss 1. Modelle von Arbeitsgerätichaften oder Gebrauchdgegenjtänden oder 
von Teilen derjelben werden, injoweit fie dem Arbeits- oder Gebrauchszwed 
durch eine neue Gejtaltung, Anordnung oder Vorrichtung dienen jollen, als 
Gebrauchsmufter nach Maßgabe dieſes Geſetzes geſchützt. 
Modelle gelten inſoweit nicht als neu, als ſie zur Zeit der auf grund 
diejes Gejeges erfolgten Anmeldung bereit? in öffentlichen Drudjchriften be— 
jchrieben oder im Inlande offenkundig benugt find. 


Anmeldung beim Patentamt. 

8 2, Modelle, für welche der Schug als Gebrauchsmuſter verlangt 
wird, jind bei dem Patentamt jchriftlich anzumelden. 

Die Anmeldung muß angeben, unter welcher Bezeichnung das Modell 
eingetragen werden und welche neue Gejtaltung oder Vorrichtung dem Arbeits- 
oder Gebrauchszwed dienen joll. 

Jeder Anmeldung it eine Nach- oder Abbildung des Modells beizufügen. 

Ueber die jonjtigen Erforderniffe der Anmeldung trifft das Patentamt 
Beltimmung. 

Gleichzeitig mit der Anmeldung it für jedes angemeldete Modell eine 


Gebühr von fünfzehn Mark einzuzahlen. 
Gebrauchsmuſterrolle. 


S 3. Entſpricht die Anmeldung den Anforderungen des $ 2, jo verfügt 
das Patentamt die Eintragung in die Rolle für Gebrauchsmufter. 

Die Eintragung muß den Namen und Wohnfig des Anmelders, ſowie 
die Zeit der Anmeldung angeben. 


478 V. Die übrigen wichtigſten Reichsgeſetze ftrafrechtlihen Inhalts. 


Die Eintragungen ſind durch den Reichs-Anzeiger in beſtimmten Friſten 
bekannt zu machen. 

Aenderungen in der Perſon des Eingetragenen werden auf Antrag in 
der Rolle vermerkt. 

Die Einſicht der Rolle ſowie der Anmeldungen, auf grund deren die 
Eintragungen erfolgt ſind, ſteht jedermann frei. 

Wirkung der Eintragung in die Muſterrolle. 

8 4. Die Eintragung eines Gebrauchsmuſters im Sinne des $ 1 hat 
die Wirfung, daß dem Eingetragenen ausschließlich das Recht zufteht, gewerbs— 
mäßig das Mufter nachzubilden, die durch Nachbildung hervorgebracdhten Gerät: 
ſchaften und Gegenitände in Verfehr zu bringen, feilzuhalten oder zu gebrauchen. 

Das durch eine jpätere Anmeldung begründete Necht darf, joweit es in 
das Necht des auf grumd früherer Anmeldung Eingetragenen eingreift, ohne 
Erlaubnis des legteren nicht ausgeübt werden. 

Wenn der wejentlihe Inhalt der Eintragung den Bejchreibungen, 
Zeichnungen, Modellen, Gerätfchaften oder Einrichtungen eines anderen ohne 
Einwilligung desjelben entnommen it, jo tritt dem VBerlegten gegenüber ver 
Schutz des Geſetzes nicht ein. 

Eingriffe in ein Patent, 

8 5. Soweit ein nad) $4 begründetes Necht in ein Patent eingreift, 
dejien Anmeldung vor der Anmeldung des Modells erfolgt ift, darf der 
Eingetragene das Recht ohne Erlaubnis des Patentinhabers nicht ausüben. 

Imgleichen darf, joweit in ein nach $ 4 begründetes Necht durch ein 
ſpäter angemeldetes Patent eingegriffen wird, das Necht aus diefem Patent 
ohne Erlaubnis des Eingetragenen nicht ausgeübt werden. 

S 6. Liegen die Erfordernifje des $ 1 nicht vor, jo hat jedermann 
gegen den Eingetragenen Anſpruch auf Löjchung des Gebrauchsmuſters. 

Im Falle des $ 4 Abſatz 3 ſteht dem Verlegten ein Anfpruch auf 
Löſchung zu. 

Eingetragenes Recht vererbliih und veräußerlich. 

S 7. Das dur) die Eintragung begründete Necht geht auf die Erben 
über und kann bejchräntt oder unbejchränft durch Vertrag oder Verfügung 
von Todeswegen auf andere übertragen werden. 

Schutgß friſt. 

8 8. Die Dauer des Schutzes iſt drei Jahre; der Lauf dieſer Zeit 

beginnt mit dem auf die Anmeldung folgenden Tage. Bei Zahlung einer 





TE, GE 


Schub von Gebrauchsmuſtern. 479 


weiteren Gebühr von fechgzig Mark vor Ablauf der Zeit tritt eine Verlängerung 
der Schugfrift um drei Jahre ein. Die Verlängerung wird in der Rolle vermerft. 

Wenn der Eingetragene während der Dauer der Friſt auf den Schub 
Berzicht Teiftet, jo wird die Eintragung gelöfcht. 

Die nicht infolge von Ablauf der Friſt jtattfindenden Löfchungen 
von Eintragungen jind durch den Weichs= Anzeiger in bejtimmten Friſten 
befannt zu machen. 

Entfhädigungspflicht. 

8 9 Wer wiſſentlich oder aus grober Fahrläjfigkeit den Beitimmungen 
der SS 4 und 5 zumider ein Gebrauchsmufter in Benußung nimmt, ift dem 
Berlegten zur Entſchädigung verpflichtet. 

Die Klagen wegen Verlegung des Schutzrechtes verjähren rüdfichtlich 
jeder einzelnen diejelbe begründenden Handlung in drei Jahren. 


Strafbefimmung; Strafantrag. 

S 10. Wer wiffentlich den Bejtimmungen der 88 4 und 5 zumider ein 
Gebrauchsmujter in Benugung nimmt, wird mit Geldjtrafe bis zu fünftaufend 
Mark oder mit Gefängnis bis zu einem Jahre beitraft. 

Die Strafverfolgung tritt nur auf Antrag ein. Die Zurüdnahme des 
Antrags ift zuläffig. 

Wird auf Strafe erfannt, jo iſt zugleich dem Verlegten die Befugnis 
zuzuiprechen, die Verurteilung auf Koften des Verurteilten öffentlich befannt 
zu machen. Die Art der Bekanntmachung, jowie die Friſt zu derjelben ift 


im Urteil zu bejtimmen. 
Buße. 


8 11. Statt jeder aus diefem Geſetze entjpringenden Entichädigung kann 
auf Verlangen des Beichädigten neben der Strafe auf eine an ihn zu erlegende 
Buße bis zum Betrage von zehntaufend Darf erkannt werden. {Für Diefe 
Buße haften die zu derjelben Verurteilten als Gejamtjchuldner. 

Eine erfannte Buße jchließt die Geltendmachung eines weiteren Ent: 
ſchädigungsanſpruchs aus. 

Deredhtigter im Auslande. 

8 13. Wer im Inlande einen Wohnjig oder eine Niederlafjung nicht 
hat, kann nur dann den Anſpruch auf den Schub diejes Geſetzes geltend 
machen, wenn in dem Staate, in welchem fein Wohnfig oder feine Nieder- 
fafjung fich befindet, nach einer im Reichs-Geſetzblatt enthaltenen Bekannt— 
machung deutjche Gebrauchsmufter einen Schuß geniehen. 





480 V. Die übrigen wichtigſten Reichsgejepe ftrafrechtlihen Inhalts. 





Wer auf grund diefer Beitimmung eine Anmeldung bewirkt, muß gleich- 
zeitig einen im Inlande wohnhaften Vertreter beitellen. Name und Wohnjig 
des Vertreters werden in die Rolle eingetragen. Der eingetragene Vertreter 
iſt zur Vertretung des Schugberedhtigten in den das Gebrauchsmuſter betreffenden 
Nechtsitreitigkeiten und zur Stellung von Strafanträgen befugt. Der Drt, 
wo der Vertreter jeinen Wohnfig hat, und in Ermangelung eines folchen 
der Ort, wo das Batentamt feinen Stk hat, gilt im Sinne des $ 24 der Zivil: 
prozekordnung al3 der Ort, wo der Vermögensgegenitand fich befindet. 


21. Geſttz zum Schub der Warenbezeichnungen. 


Vom 12, Mai 189. 
(R.G.Bl. ©. 441.) 
(Auszug.) 
Warenzeichen. 

8 1. Wer in ſeinem Geſchäftsbetriebe zur Unterſcheidung ſeiner Waren 
von den Waren anderer eines Warenzeichens ſich bedienen will, kann dieſes 
Zeichen zur Eintragung in die Zeichenrolle anmelden. 

Zeichenrolle. 

$ 2. Die Zeichenrolle wird bei dem Patentamt geführt. Die Anmeldung 
eines Woarenzeichens hat jchriftlih bei dem Patentamt zu erfolgen. Jeder 
Anmeldung muß die Bezeichnung des Gejchäftsbetriebes, in welchem das Zeichen 
verwendet werden foll, ein Verzeichnis der Waren, für welche es bejtimmt it, 
ſowie eine deutliche Darftellung und joweit erforderlich eine Beſchreibung des 
Zeichens beigefügt fein. 

Das Patentamt erläht Beitimmungen über die jonjtigen Erforderniffe 
der Anmeldung. 

Für jedes Zeichen ift bei der Anmeldung eine Gebühr von dreißig Mark, 
bei jeder Erneuerung der Anmeldung eine Gebühr von zehn Mark zu entrichten. 
Führt die erſte Anmeldung nicht zur Eintragung, jo werden von der Gebühr 
zwanzig Mark eritattet. 

Verſagte Eintragung. 

$ 4. Die Eintragung in die Rolle ift zu verjagen für Freizeichen, 

jowie für Warenzeichen, 





Schup ber Warenbezeihnungen. 481 


1. welche ausfchlieglih in Zahlen, Buchitaben oder jolhen Wörtern 
bejtehen, die Angaben über Art, Zeit und Ort der Heritellung, über 
die Beichaffenheit, über die Beitimmung, über Preis-, Mengen» 
oder Gewichtsverhältnijfe der Ware enthalten; 

2. welche in» oder ausländische Staatäwappen oder Wappen eines 
inländiichen Ortes, eines inländiſchen Gemeinde- oder weiteren 
Kommunalverbandes enthalten; 

3. weiche Aergernis erregende Darjtellungen oder ſolche Angaben 
enthalten, die erjichtlich den tatjächlichen Verhältniſſen nicht 
entjprechen und die Gefahr einer Täuſchung begründen. 

Zeichen, welche gelöjcht find, dürfen für die Waren, für welche jie ein: 
getragen waren, oder für gleichartige Waren zu gunjten eines anderen, als 
des legten Inhabers erit nach Ablauf von zwei Jahren jeit dem Tage der 
Löſchung von neuem eingetragen werden, 

Hebereinftimmung mit anderen Zeichen. 

$5. Erachtet das Patentamt, daß ein zur Anmeldung gebrachtes 
Warenzeichen mit einem anderen, für diejelben oder für gleichartige Waren 
auf grund des Gejehes über Marfenichug vom 30. November 1874 (Reichs: 
Geſetzbl. S. 143) oder auf grund des gegenwärtigen Gefeges früher angemeldeten 
Beichen übereinjtimmt, jo macht es dem Inhaber diefes Zeichens hiervon 
Mitteilung. Erhebt derjelbe nicht innerhalb eines Monats nach der Zuftellung 
Widerfpruch gegen die Eintragung de3 neuangemeldeten Zeichens, jo iſt das 
Zeichen einzutragen. Im anderen Falle entjcheidet das Patentamt durch 
Beichluß, ob die Zeichen übereinstimmen. 

Aus dem Interbleiben der im erſten Abjat vorgejehenen Mitteilung 
erwächit ein Erſatzanſpruch nicht. 

86. Wird durch den Beſchluß ($ 5 Abj. 1) die Uebereinftimmung 
der Zeichen verneint, jo ijt daS neuangemeldete Zeichen einzutragen. 

Wird durch den Beichluß die Uebereinjtimmung der Zeichen feitgejtellt, 
jo ift die Eintragung zu verfagen. Sofern der Anmelder geltend machen 
will, daß ihm ungeachtet der durch die Enticheidung des Patentamts feit 
geftellten Webereinftimmung ein Anſpruch auf die Eintragung zujtehe, hat er 
diefen Anjpruc im Wege der Klage gegenüber dem Wideriprechenden zur 
Anerkennung zu bringen. Die Eintragung auf grund einer zu jeinen Gunſten 
ergebenden Entjcheidung wird unter dem Zeitpunfte der urjprünglichen Anmeldung 
bewirft. 

31 


482 V. Die übrigen wichtigſten Reichsgeſetze ſtrafrechtlichen Inhalts. 





Zeichenrecht vererblich und veräußerlich. 

ST. Das durch die Anmeldung oder Eintragung eines Warenzeichens 
begründete Recht geht auf die Erben über und kann durch Vertrag oder durch 
Verfügung von Todeswegen auf andere übertragen werden. Das Recht kann 
jedody nur mit dem Gejchäftsbetriebe, zu welchem das Warenzeichen gehört, 
auf einen anderen übergehen. Der Uebergang wird auf Antrag des Rechts- 
nachfolgers in der Zeichenrolle vermerkt, jofern die Einwilligung des Berechtigten 
in beweijender Form beigebracht wird. Iſt der Berechtigte verftorben, jo tft 
der Nachweis der Rechtsnachfolge zu führen. 

Solange der Uebergang in der Zeichenrolle nicht vermerkt ift, fann der 
Nechtsnachfolger jein Recht aus der Eintragung des Warenzeichens nicht 
geltend machen. 

Verfügungen und Beichlüfje des Patentamts, welche einer Zujtellung an 
den Inhaber des Zeichens bedürfen, find tet an den eingetragenen Inhaber 
zu richten. Ergibt fich, daß derfelbe verjtorben it, jo fann dag Patentamt 
nach jeinem Ermeſſen die Zustellung als bewirft anjehen oder zum Zweck der 
Zuftellung an die Erben deren Ermittelung veranlaffen. 

Wirkung der Eintragung. 

$ 12. Die Eintragung eines Warenzeichens hat die Wirfung, daß dem 
Eingetragenen ausjchließlich das Recht zuiteht, Waren der angemeldeten Art 
oder deren VBerpadung oder Umhüllung mit dem Warenzeichen zu verjehen, 
die jo bezeichneten Waren in Verkehr zu fjegen, jowie auf Ankündigungen, 
Preislisten, Gejchäftsbriefen, Empfehlungen, Nechnungen oder dergleichen das 
Beichen anzubringen. 

Im Falle der Löſchung fünnen für die Zeit, in welcher ein Rechtsgrund 
für die Löſchung früher bereits vorgelegen hat, Rechte aus der Eintragung 
nicht mehr geltend gemacht werden. 


$ 13. Durch die Eintragung eines Warenzeichen wird niemand 
gehindert, feinen Namen, feine Firma, feine Wohnung, ſowie Angaben über 
Urt, Zeit und Ort der Herftellung, über die Beichaffenheit, über die Beſtimmung, 
über Preis-, Mengen: oder Gewichtsverhältniffe von Waren, jei es auch in 
abgefürzter Geftalt, auf Waren, auf deren Berpadung oder Umhüllung 
anzubringen und derartige Angaben im Gejchäftsverfehr zu gebrauchen. 

Entfhädigungsfriit. 

$ 14. Wer wifjentlic) oder aus grober Fahrläffigfeit Waren oder 

deren VBerpadung oder Umhüllung, oder Ankündigungen, Preisliften, Gejchäfts- 


Schug der Warenbezeichnungen. 483 


briefe, Empfehlungen, Rechnungen oder dergleichen mit dem Namen oder der 
Firma eines anderen oder mit einem nach Maßgabe diejes Gejeges geichügten 
Warenzeichen widerrechtlich verjieht oder dergleichen widerrechtlich gekenn— 
zeichnete Waren in Verkehr bringt oder feilhält, ijt dem Verlegten zur 


Entjhädigung verpflichtet. 
Strafbeftimmungen. Strafantrag. 


Hat er die Handlung wifjentlich begangen, jo wird er außerdem mit 
Geldſtrafe von einhundertfünfzig bis fünftaufend Mark oder mit Gefängnis 
bis zu jechd Monaten beftraft. Die Strafverfolgung tritt nur auf Antrag 
ein. Die Zurüdnahme des Antrages ift zuläflig. 


$ 15. Wer zum Zweck der Täufchung in Handel und Berfchr Waren 
oder deren Verpadung oder Umhüllung, oder Ankündigungen, Preisliſten, 
Gefchäftsbriefe, Empfehlungen, Rechnungen oder dergleichen mit einer Aus- 
ftattung, welche innerhalb beteiligter Verkehrskreiſe als Kennzeichen gleichartiger 
Waren eines anderen gilt, ohne deſſen Genehmigung verjieht, oder wer zu 
dem gleichen Zweck derartig gefennzeichnete Waren in Verkehr bringt oder 
feilhält, it dem Verlegten zur Entichädigung verpflichtet und wird mit Geld- 
itrafe von einhundert bis dreitaufend Mark oder mit Gefängnis bis zu Drei 
Monaten beitraft. Die Strafverfolgung tritt nur auf Antrag ein. Die 
Burüdnahme des Antrages iſt zuläſſig. 


8 16. Wer Waren oder deren Verpackung oder Umhüllung oder An 
fündigungen, Preisliften, Gejchäftsbriefe, Empfehlungen, Rechnungen oder 
dergleichen fäljchlih mit einem Staatöwappen oder mit dem Namen oder 
Wappen eines Ortes, eines Gemeinde- oder weiteren Kommunalverbandes zu 
dem Zweck verjieht, über Bejchaffenheit und Wert der Waren einen Irrtum 
zu erregen, oder wer zu dem gleichen Zweck derartig bezeichnete Waren in 
Verkehr bringt oder feilhält, wird mit Geldjirafe von einhundertfünfzig bis 
fünftaufend Mark oder mit Gefängnis bis zu ſechs Monaten beitraft. 

Die Verwendung von Namen, welche nad) Handelsgebrauch zur Be: 
nennung gewiſſer Waren dienen, ohne deren Herkunft bezeichnen zu follen, 


fällt unter diefe Beſtimmung nicht. 
Buße. 


$ 18. Statt jeder aus dieſem Gejege entipringenden Entjchädigung 

fann auf Verlangen des Beichädigten neben der Strafe auf eine an ihn zu 

erlegende Buße bi zum Betrage von zehntaufend Mark erfannt werden. Für 
dieje Buße haften die zu derjelben Berurteilten ala Geſamtſchuldner. 
31* 


484 V. Die übrigen wichtigſten Reichögefege ſtrafrechtlichen Inhalts. 


Eine erfannte Buße jchließt die Geltendmachung eines weiteren Ent» 
Ihädigungsanipruchs aus. 


Rebenitrafen. 

8 19. Erfolgt eine Verurteilung auf grund der SS 14 bis 16, 18, jo 
ift bezüglich der im Beſitz des Verurteilten befindlichen Gegenjtände auf 
Befeitigung der widerrechtlichen Kennzeichnung, oder, wenn Die Bejeitigung 
in anderer Weije nicht möglich iit, auf Vernichtung der damit verjehenen 
Gegenstände zu erfennen. 

Erfolgt die Verurteilung im Strafverfahren, jo ift in den Fällen der 
$$ 14 und 15 dem Verlepten die Befugnis zuzufprechen, die Verurteilung 
auf Koſten des Verurteilten öffentlih befannt zu machen. Die Art der 
Bekanntmachung, fowie die Friſt zu derjelben ift in dem Urteil zu bejtimmen. 


Abweihungen mit Gefahr der Verwechſelung. 
$ 20. Die Amwendung der Beftimmungen diejes Gejeges wird durch 
Abweichungen nicht ausgejchloffen, mit denen fremde Namen, Firmen, Zeichen, 
Wappen und jonftige Kennzeichnungen von Waren wiedergegeben werden, jofern 
ungeachtet diejer Abweichungen die Gefahr einer Verwechjelung im Berfehr vorliegt. 


Berehtigter im Auslande, 

823 Wer im Inlande eine Niederlafjung nicht bejigt, Hat auf den 
Schuß dieſes Gejeges nur Anspruch, wenn in dem Staate, in welchem jeine 
Niederlaffung ſich befindet, nach einer im Reichs-Geſetzblatt enthaltenen 
Bekanntmachung deutiche Warenbezeichnungen in gleichem Umfange wie in= 
ländiſche Warenbezeichnungen zum gejeglichen Schuß zugelafjen werden. 

Der Anſpruch auf Schutz eines Warenzeichens und das durch Die 
Eintragung begründete Recht fünnen nur durch einen im Inlande bejtellten 
Vertreter geltend gemacht werden. Der letztere ijt zur Vertretung in dem 
nah Maßgabe diefes Gejeges vor dem Patentamt jtattfindenden Verfahren, 
jowie in den das Zeichen betreffenden bürgerlichen Rechtsitreitigfeiten und zur 
Stellung von Strafanträgen befugt. Für die das Beichen betreffenden 
Klagen gegen den eingetragenen Juhaber ift das Gericht zuftändig, in deſſen 
Bezirk der Vertreter feinen Wohnfig hat, in deſſen Ermangelung das Gericht, 
in deſſen Bezirk das Patentamt feinen Sig hat. 

Wer ein ausländisches Warenzeichen zur Anmeldung bringt, hat damit 
den Nachweis zu verbinden, dab er in dem Staate, in welchem feine Nieder- 
laffung Sich befindet, für diefes Zeichen den Markenſchutz nachgefucht und 








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Schug der Warenbezeihnungen. — Belämpfung des unlauteren Wettbewerbed. 485 


erhalten hat. Die Eintragung tft, joweit nicht Staatsverträge ein anderes 
beitimmen, nur dann zuläffig, wenn das Zeichen den Anforderungen diejes 
Geſetzes entipricht. 


22, Geſttz 


zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbes. 


Vom 27. Mai 1896. 
(R.G.Bl. ©. 145.) 


(Auszug.) 


s1. Wer in öffentlichen Bekanntmachungen oder in Mitteilungen, 
welche für einen größeren Kreis von Berfonen bejtimmt find, über gejchäftliche 
Berhältnifje, insbejondere über die Beichaffenheit, die Heritellungsart oder die 
Preisbemejjung von Waren oder gewerblichen Leitungen, über die Art des 
Bezuges oder die Bezugsquelle von Waren, über den Belig von Auszeichnungen, 
über den Anlaß oder den Zweck des Verkaufs unrichtige Angaben tatjächlicher 
Art macht, welche geeignet find, den Anschein eines befonders günftigen Angebots 
hervorzurufen, kann auf Unterlafjung der unrichtigen Angaben in Anspruch) 
genommen werden. Dieſer Anjpruch -fann von jedem Gewerbetreibenden, der 
Waren oder Leitungen gleicher oder verwandter Urt heritellt oder in den 
geichäftlichen Verkehr bringt, oder von Verbänden zur Förderung gewerblicher 
Interefjen geltend gemacht werden, foweit die Verbände als ſolche in bürgerlichen 
Rechtsſtreitigkeiten klagen können. 

Neben dem Anſpruch auf Unterlaſſung der unrichtigen Angaben haben 
die vorerwähnten Gewerbetreibenden auch Anſpruch auf Erſatz des durch die 
unrichtigen Angaben verurſachten Schadens gegen denjenigen, der die Angaben 
gemacht hat, falls dieſer ihre Unrichtigkeit kannte oder kennen mußte. Der 
Anſpruch auf Schadenerſatz kann gegen Redakteure, Verleger, Drucker oder 
Verbreiter von periodiſchen Druchſchriften nur geltend gemacht werden, wenn 
diefelben die Unrichtigkeit der Angaben kannten. 


Die Verwendung von Namen, welche nad dem Handelsgebrauch zur 
Benennung gewiffer Waren dienen, ohne deren Herkunft nn zu follen, 
fällt unter die vorftehenden Beitimmungen nicht. 





486 V. Die übrigen wichtigſten Reichsgeſetze ftrafrechtlihen Inhalts. 


Im Sinne der Beitimmungen des Abfages 1 und 2 find den Angaben 
tatfächlicher Art bildliche Darjtellungen und jonftige Beranftaltungen glei) 
zu achten, die darauf berechnet und geeignet find, jolche Angaben zu erjegen. 

Unter Waren im Sinne diefes Gejeges find auch Tandwirtjchaftliche 
Erzeugniffe, unter gewerblichen Leiftungen auch landwirtjchaftliche zu verjtehen. 


Strafbeftimmungen. 
84 Wer in der Abjicht, den Anfchein eines bejonders günjtigen 


Angebot3 hervorzurufen, in Öffentlichen Bekanntmachungen oder in Mitteilungen, 
welche für einen größeren Kreis von Perſonen bejtimmt find, über die 
Beichaffenheit, die Herftellungsart oder die Preisbemeſſung von Waren oder 
gewerblichen Leiftungen, über die Art des Bezuges oder die Bezugsquelle von 
Waren, über den Befig von Auszeichnungen, über den Anlaß oder den Zweck 
ded Verkaufs wiſſentlich unwahre und zu Srreführung geeignete Angaben 
tatfächlicher Art macht, wird mit Geldjtrafe bis zu eintaujfendfünfhundert 
Mark beitraft. 


Rüdfall. 
Sit der Täter bereit einmal wegen einer Zuwiderhandlung gegen die 


vorjtehende Vorjchrift beftraft, jo fann meben oder ſtatt der Gelditrafe auf 
Haft oder auf Gefängnis bis zu ſechs Monaten erfannt werden; die Beitimmungen 
des $ 245 des Strafgejegbuchs finden entiprechende Anwendung. 


Vebertretungen. 
S5. Durch Beſchluß des Bundesrats kann feitgejegt werden, daß 


bejtimmte Waren im Einzelverfehr nur in vorgefchriebenen Einheiten der Zahl, 
der Länge und des Gewichts oder mit einer auf der Ware oder ihrer Auf- 
machung anzubringenden Angabe über Zahl, Länge oder Gewicht gewerbsmäßig 
verfauft oder feilgehalten werden dürfen. 

Für den Einzelverfehr mit Bier in Flaſchen oder Krügen kann bie 
Angabe des Inhaltes unter Feſtſetzung angemefjener Fehlergrenzen vor- 
gejchrieben werden. 

Die durch Beichluß des Bundesrats getroffenen Bejtimmungen find durch 
das Reichs-Geſetzblatt zu veröffentlichen und dem Neichstag fogleich oder bei 
jeinem nächſten Zujammentritt vorzulegen. 

Zuwiderhandlungen gegen die Beitimmungen des Bundesrat3 werden 
mit Geldftrafe bis einhundertundfünizig Mark vder mit Haft bejtraft. 


Kreditihädigende Behauptungen ; nur Schadenerfahpflidht. 
56. Wer zu Zwecken des Wettbewerbes über das Erwerbsgeſchäft 


eines anderen, über die Perfon des Inhabers oder Leiters des Gejchäfts, über 


Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbes. 487 


die Waren oder gewerblichen Leiftungen eines anderen Behauptungen tatjächlicher 
Art aufjtellt oder verbreitet, welche geeignet find, den Betrieb des Gejchäfts 
oder den Kredit des Inhabers zu jchädigen, ift, jofern die Behauptungen nicht 
erweislich wahr find, dem Berlegten zum Erjage des entitandenen Schadens 
verpflichtet. Auch kann der Verlegte den Anspruch geltend machen, daß die 
Wiederholung oder Verbreitung der Behauptungen unterbleibe. 


Die Beitimmungen des erjten Abjages finden feine Anwendung, wenn 
der Mitteilende oder der Empfänger der Mitteilung an ihr ein bevechtigtes 


Interefje hat. 
Derleumderifhe Behauptungen. 


8 7. Wer wider bejjeres Wiffen über das Erwerbsgeſchäft eines anderen, 
über die Perfon des Inhabers oder Leiterd des Gejchäfts, über die Waren 
oder gewerblichen Leitungen eines anderen unwahre Behauptungen tatjächlicher 
Art aufjtellt oder verbreitet, welche geeignet find, den Betrieb des Geſchäfts 
zu Schädigen, wird mit Geldjtrafe bis zu eimtaujendfünfhundert Mark oder 
mit Gefängnis bis zu einem Jahre bejtraft. 


Mißbrauch eines Namens nfiw.; nur Schadenerfakpflicht. 

S8 Mer im gejchäftlichen Verkehr einen Namen, eine Firma oder 
die bejondere Bezeichnung eines Erwerbsgeſchäfts, eines gewerblichen Unter: 
nehmens oder einer Drudichrift in einer Weiſe benußt, welche darauf berechnet 
und geeignet ijt, Berwechjfelungen mit dem Namen, der Firma oder der be- 
jonderen Bezeichnung hervorzurufen, deren fich ein anderer befugterweije bedient, 
ijt diefem zum Erſatze des Schadens verpflichtet. Auch kann der Anjpruch 
auf Unterlajjung der mihbräuchlichen Art der Benugung geltend gemacht 


werden. 
Derrat von Geſchäftsgeheimniſſen. 


8 9. Mit Gelditrafe bis zu dreitaufend Marf oder mit Gefängnis bis 
zu einem Jahre wird bejtraft, wer als Angejtellter, Arbeiter oder Lehrling 
eines Gejchäftsbetriebes Gejchäfts- oder Betriebsgeheimnijje, die ihm vermöge 
de3 Dienjtverhältnijjes anvertraut oder fonjt zugänglich gavorden find, während 
der Geltungsdauer des Dienjtverhältnifjes unbefugt an andere zu Zwecken des 
Wettbewerbes oder in der Abficht, dem Inhaber des Gejchäftsbetriebes Schaden 
zuzufügen, mitteilt. 

Gleiche Strafe trifft denjenigen, welcher Geſchäfts- oder Betriebs— 
geheimnifje, deren Kenntnis er durch eine der im Abjag 1 bezeichneten Mit: 
teilungen oder durch eine gegen das Geſetz oder die guten Sitten verftoßende 


488 V. Die übrigen wichtigſten Neichögejege ſtrafrechtlichen Inhalts. 


eigene Handlung erlangt Hat, zu Zweden des Wettbewerbes unbefugt ver- 
wertet oder an andere mitteilt. 


Zuwiderhandlungen verpflichten außerdem zum Erfate des entftandenen 
Schadens. Mehrere Verpflichtete haften als Gejamtjchuldner. 


S 10. Wer zum Zweck des Wettbewerbes es unternimmt, einen anderen 
zu einer unbefugten Mitteilung der im $ 9 Abi. 1 bezeichneten Art zu be- 
Itimmen, wird mit Gelditrafe bis zu zweitaufend Marf oder mit Gefängnis 
bis zu neun Monaten bejtraft. 


Strafantrag. Privattlage. 

$ 12. Die Strafverfolgung tritt mit Ausnahme der im $ 5 bezeichneten 
Fälle nur auf Antrag ein. In den Fällen des $ 4 hat das Necht, den 
Strafantrag "zu jtellen, jeder der im $ 1 Abſatz 1 bezeichneten Gewerbe— 
treibenden und Verbände. 

Die Zurüdnahme des Antrages ist zuläjlig. 

Strafbare Handlungen, deren Verfolgung nur auf Antrag eintritt, können 
von den zum Strafantrage Berechtigten im Wege der Privatklage verfolgt 
werden, ohne daß es einer vorgängigen Anrufung der Staatsanwaltichaft 
bedarf. Die öffentliche Klage wird von der Staatsanwaltichaft nur dann er- 
hoben, wenn dies im öffentlichen Intereſſe liegt. 

Gejchieht die Verfolgung im Wege der Privatklage, jo find die Schöffen- 
gerichte zuſtändig. 

Seffentlihe Befanntmachung. 

813. Wird in den Fällen des $ 4 auf Strafe erfannt, jo fann 
angeordnet werden, daß die Verurteilung auf Koiten des Schuldigen öffentlich 
befannt zu machen fei. 

Wird in Fällen des $ 7 auf Strafe erkannt, jo ift zugleich dem Ber: 
fegten die Befugnis zuzufprechen, die Verurteilung innerhalb beftimmter Friſt 
auf often des PVerurteilten öffentlich befannt zu machen. 

Auf Antrag des freigefprochenen Angefchuldigten kann das Gericht Die 
Öffentliche Belanntmachung der Freiſprechung anordnen; die Staatsfafje 
trägt die Koften, injofern diefelben nicht dem Anzeigenden oder dem Privat- 
fläger auferlegt worden find. 

Fit in den Fällen der 88 1, 6, und 8 auf Unterlaffung Klage erhoben, 
jo fann im dem Urteile der obfiegenden Partei die Befugnis zugefprochen 


Belämpfung des unlauteren Wettbeiverbes. — Gewerbeordnung. 489 


werden, den verfügenden Teil des Urteils innerhalb bejtimmter Friſt auf 
Koſten der unterliegenden Partei öffentlich befannt zu machen. 

Die Art der Bekanntmachung ift im Urteil zu beitimmen. 

Buße. 

8 14. Neben einer nad) Maßgabe diejes Gejeges verhängten Strafe 
fann auf Verlangen des Verlegten auf eine an ihn zu erlegende Buße bis 
zum Betrage von zehntaufend Mark erfannt werden. Für diefe Buße haften 
die zu derjelben VBerurteilten als Gejamtjchuldner. Eine erkannte Buße ſchließt 
die Geltendmachung eines weiteren Entjchädigungsanipruchs aus. 


Berechtigte im Auslande. 
8 16. Wer im Inlande eine Hauptniederlaffung nicht befitt, hat auf 
den Schuß dieſes Geſetzes nur inſoweit Anfpruch, als in dem Staate, in 
welchem jeine Hauptniederlafjung fich befindet, nach einer im Reichs-Geſetzblatt 
enthaltenen Bekanntmachung deutjche Gewerbetreibende einen entjprechenden 
Schub genießen. 


23. Gewerbeordnung für das Deutihe Neid). 


Vom 21. Juni 1869, 


In der durd) die Belanntmahung vom 26. Juli 1900 veröffentlichten Redaktion. 
(R.G.BL. 1900, ©. 871.) 


(Auszug.) 
Titel IL. 


Stehender Gemerbebetrieb, 


I. Allgemeine Erforderniffe. 
Anzeigepflicht. 


Ss 14. Wer den ſelbſtändigen Betrieb eines ſtehenden Gewerbes anfängt, 
muß der für den Ort, wo jolches gejchieht, nach den Yandesgejegen zujtändigen 
Behörde gleichzeitig Anzeige davon machen. Diefe Anzeige liegt auch dem— 
jenigen ob, welcher zum Betriebe eines Gewerbes im Umberzichen (Titel III) 
befugt iſt. 

Außerdem hat, wer VBerficherungen für eine Mobiliar: oder Immobiliar— 
Teuerverficherungs- Anstalt als Agent oder Unteragent vermitteln will, bei 
Uebernahme der Agentur, und derjenige, welcher diejes Gejchäft wieder auf: 
gibt, oder welchem die Verficherungsanftalt den Auftrag wieder entzicht, inner- 
halb der nächſten acht Tage der zuftändigen Behörde jeines Wohnortes davon 
Anzeige zu machen. Buch und Steindruder, Buch- und Kunfthändler, Anti» 


490 V. Die übrigen wichtigften Reichsgeſetze ſtrafrechtlichen Inhalte. 


quare, Leihbibliothefare, Inhaber von Lefefabinetten, Verkäufer von Drud- 

ſchriften, Zeitungen und Bildern haben bei der Eröffnung ihres Gewerbebetriebes 

das Lofal desjelben, fowie jeden jpäteren Wechjel des legteren jpäteftens am 

Tage feines Eintritt? der zujtändigen Behörde ihres Wohnortes anzugeben. 
Polizeilihe Verhinderung eines Geiwerbebetriches. 

8 15. Die Behörde bejcheinigt innerhalb dreier Tage den Empfang 
der Anzeige. 

Die Fortjegung des Betriebes fann polizeilich verhindert werden, wenn 
ein Gewerbe, zu deſſen Beginn eine bejondere Genehmigung erforderlich ift, 
ohne diefe Genehmigung begonnen wird. 

Firmenſchild. 

8 15a. Gewerbetreibende, die einen offenen Laden haben oder Gaſt— 
oder Schankwirtichaft betreiben, find verpflichtet, ihren Familiennamen mit 
mindejtens einem ausgefchriebenen Bornamen an der Außenſeite oder am Ein— 
gange des Ladens oder der Wirtjichaft in deutlich lesbarer Schrift anzubringen. 

Kaufleute, die eine Handelsftrma führen, haben zugleich die Firma in 
der bezeichneten Weife an dem Laden oder der Wirtfchaft anzubringen; ijt 
aus der Firma der Familienname des Geichäftsinhabers mit dem ausgejchriebenen 
Vornamen zu erfehen, jo genügt die Anbringung der Firma. 

Auf offene Handelsgejellichaften, Kommanditgefellichaften und Kom— 
manditgejellichaften auf Aktien finden dieſe VBorjchriften mit der Maßgabe 
Anwendung, daß für die Namen der perjönlich haftenden Gejellichafter gilt, 
was in betreff der Namen der Gewerbetreibenden beitimmt it. 

Sind mehr als zwei Beteiligte vorhanden, deren Namen hiernach im der 
Aufichrift anzugeben wären, jo genügt es, wenn die Namen von zweien mit 
einem das Vorhandenjein weiterer Beteiligter andentenden Zujag aufgenommen 
werden. Die Polizeibehörde kann im einzelnen Tyalle die Angabe der Namen 
aller Beteiligter anordnen. 


II. Erfordernis bejonderer Genehmigung. 
l. Anlagen, welche einer bejfonderen Genehmigung bedürfen. 
Erheblich nachteilige, aefährdende und beläftigende Anlagen. 
$ 16. Zur Errichtung von Anlagen, welche durch die örtliche Lage 
oder die Beichaffenheit der Betriebsftätte für die Befiter oder Bewohner der 
benachbarten Grundftücde oder für das Publikum überhaupt erhebliche Nach: 
teile, Gefahren und Beläftigungen herbeiführen fünnen, it die Genehmigung 
der nach den Landesgejegen zuftändigen Behörde erforderlich. 


Gewerbeordnung. 491 


Es gehören dahin: Ä 
Schießpulver- Fabriken, Anlagen zur Feuerwerkerei und zur Bereitung 
von Zündjtoffen aller Art, Gasbereitungs- und Gasbewahrungs-Anftalten, 
Anjtalten zur Dejtillation von Erdöl, Anlagen zur Bereitung von 
Braunfohlenteer, Steinfohlenteer und Kofs, fofern jie außerhalb der 
Gewinnungsorte des Materiald errichtet werden, Glas- und Rußhütten, 
Kalf:, Ziegel: und Ghpsöfen, Anlagen zur Gewinnung roher Metalle, 
Röſtöfen, Metallgiegereien, fofern fie nicht bloße Tiegelgießereien find, 
Hammerwerfe, chemijche Fabriken aller Art, Schnellbleihen, Firniß— 
jiedereien, Stärfefabrifen, mit Ausnahme der Fabriken zur Bereitung 
von Startoffeljtärte, Stärkefyrups- Fabriken, Wachstuch-, Darmjaitenz, 
Dachpappen- und Dachfilz-Fabriken, Leim-, Tran: und Seifenjiedereien, 
Sinochenbrennereien, Knochendarren, Knochenfochereien und Knochen— 
bleichen, Zubereitungsanftalten für Tierhaare, Talgichmelzen, Schläd)- 
tereien, Gerbereien, Abdedereien, Poudretten- und Düngpulverfabrifen, 
Stauanlagen für Wafjertriebwerfe ($ 23), Hopfen» Schwefeldörren, 
Asphaltkochereien und Pechjiedereien, foweit fie außerhalb der Gewinnungs- 
orte des Materiald errichtet werden, Strohpapierjtofffabrifen, Darm 
zubereitungsanjtalten, Fabrifen, in welchen Dampffefjel oder andere 
Blechgefäße durch vermieten hergeftellt werden, Kalifabrifen und Anstalten 
zum imprägnieren von Holz mit erhigten Teerölen, Kunjiwollefabrifen, 
Anlagen für Herjtellung von Gelluloid- und Degrasfabrifen, die Fabriken, 
in welchen Röhren aus Blech durch vernieten hergeftellt werden, jowie 
die Anlagen zur Erbauung eiferner Schiffe, zur Herſtellung eiferner 
Brüden oder ſonſtiger eiferner Baufonjtruftionen, die Anlagen zur 
Deitillation oder zur Verarbeitung von Teer und von Teerwaſſer, 
die Anlagen, in welchen aus Holz oder ähnlichem Faſermaterial auf 
chemiſchem Wege Papierjtoff hergejtellt wird (Gellulojefabrifen), die Anz 
fagen, in welchen Albuminpapier bergejtellt wird, die Anftalten zum 
Trodnen und Einjalzen ungegerbter Tierfelle, jowie die Verbleiungs-, 
Verzinnungs: und Berzinfungsanftalten, die Anlagen zur Herjtellung 
von Gußjtahlfugeln mittel® SKugelfchrotmühlen (Kugelfräsmaſchinen), 
Anlagen zur Heritellung von Zündſchnüren und elektrijchen Zündern. 
Das vorjtehende Verzeichnis fann je nach Eintritt oder Wegfall der im 
Eingang gedachten Vorausfegung durch Beichluß des Bundesrats, vorbehaltlich 
der Genehmigung des nächitfolgenden Reichstags, abgeändert werden. 


492 V. Die übrigen wichtigiten Reichsgejege jtrafrechtlihen Inhalts. 


Stauanlagen. Schlahthäufer. Landesrchtiihe Borichriften. 

S 23. Bei den Stauanlagen für Wafjertriebwerfe find außer den 
Beitimmungen der 85 17—22 die dafür bejtehenden fandesgejeglichen Vor: 
Schriften anzumenden. 

Der Landesgejeßgebung bleibt vorbehalten, die fernere Benutzung beitehender 
und die Anlage neuer Privatichlächtereien in jolchen Orten, für welche öffent- 
lihe Schlachthäufer im genügendem Umfange vorhanden find oder errichtet 
werden, zu unterjagen. 

Soweit durch landesrechtliche Vorjchriften Beſtimmungen getroffen werden, 
wonach gemwifje Anlagen oder gewiſſe Arten von Anlagen in einzelnen Orts» 
teilen gar nicht oder nur unter bejonderen Beſchränkungen zugelafjen find, 
finden diefe Beitimmungen auch auf Anlagen der im $ 16 erwähnten Art 
Anwendung. 

Dampfteſſel. 

S 24. Zur Anlegung von Dampfkeſſeln, dieſelben mögen zum Maſchinen— 
betriebe beitimmt jein oder nicht, ijt die Genehmigung der nad) den Landes— 
gejegen zuftändigen Behörde erforderlich. Dem Gejuche jind die zur Erläuterung 
erforderlichen Zeichnungen und Bejchreibungen beizufügen. 

Die Behörde hat die Zuläffigfeit der Anlage nach den bejtehenden bau, 
feuer= und gefundbeitspolizeilichen Vorſchriften, ſowie nach denjenigen allgemeinen 
polizeilichen Bejtimmungen zu prüfen, welche von dem Bundesrat über die 
Anlegung von Dampffefjeln erlafien werden. Sie hat nach dem Befunde die 
Genehmigung entweder zu verjagen, oder unbedingt zu erteilen, oder endlich 
bei Erteilung derjelben die erforderlichen Vorkehrungen und Einrichtungen 
vorzuſchreiben. 

Bevor der Keſſel in Betrieb genommen wird, iſt zu unterſuchen, ob 
die Yusführung den Beſtimmungen der erteilten Genehmigung entſpricht. Wer 
vor dem Empfange der hierüber auszufertigenden Bejcheinigung den Betrieb 
beginnt, hat die im $ 147 angedrohte Strafe verwirft. 

Die vorjtehenden Beitimmungen gelten auch für bemegliche Dampfkeſſel. 

Für den Nefurs und das Verfahren über denfelben gelten die Vorjchriften 
der SS 20 und 21. 


Genchmigungspflihtige Beränderungen. 
S 25. Die Genehmigung zu einer der in den SS 16 und 24 bezeichneten 
Anlagen bleibt jolange in Kraft, als feine Wenderung in der Lage oder 





Gewerbeordnung. 493 


Beichaffenheit der Betriebsftätte vorgenommen wird, und bedarf unter diefer 
Borausjegung auch dann, wenn die Anlage an einen neuen Erwerber übergeht, 
einer Erneuerung nicht. Sobald aber eine Veränderung der Betriebäftätte 
vorgenommen wird, iſt dazu Die Genehmigung der zuftändigen Behörde nach 
Maßgabe der SS 17 bis 23 einjchließlich, beziehungsweife des 8 24 notwendig. 
Eine gleiche Genehmigung ift erforderlich bei wejentlichen Veränderungen in 
dem Betriebe einer der im $ 16 genannten Anlagen. Die zuftändige Behörde 
fann jedoch auf Antrag des Unternehmerd von der Befanntmahung (8 17) 
Abſtand nehmen, wenn fie die Ueberzeugung gewinnt, daß die beabjichtigte 
Veränderung für die Befiger oder Bewohner benachbarter Grundjtüde oder 
das Publifum überhaupt neue oder größere Nachteile, Gefahren oder Beläjtigungen, 
als mit der vorhandenen Anlage verbunden find, nicht herbeiführen werde. 

Dieje Beitimmungen finden auch auf gewerbliche Anlagen (SS 16 und 
24) Anwendung, welche bereit3 vor Erlaß dieſes Geſetzes beitanden haben. 


Anlagen mit ungewöhnlihem Geräufd. 
8 27. Die Errichtung oder Verlegung jolcher Anlagen, deren Betrieb 
mit ungewöhnlichem Geräujch verbunden tft, muß, jofern fie nicht jchon nad) 
den Vorſchriften der SS 16 bis 25 der Genehmigung bedarf, der Ortspolizei- 
behörde angezeigt werden. Legtere hat, wenn in der Nähe ber gewählten 
Betriebsſtätte Kirchen, Schulen oder andere öffentliche Gebäude, Kranfenhäufer 
oder Heilanjtalten vorhanden jind, deren beitimmungsmäßige Benugung durch 
den Gewerbebetrieb auf diefer Stelle eine erhebliche Störung erleiden würde, 
die Enticheidung der höheren Berwaltungsbehörde darüber einzuholen, ob die 
Ausübung des Gewerbes an der gewählten Betriebsstätte zu unterfagen oder 
nur unter Bedingungen zu gejtatten jei. 
Durch Wind bewegte Triebiwerte, 
8 28. Die höheren Verwaltungsbehörden find befugt, über die Ent— 
fernung, welche bei Errichtung von durch Wind bewegten Triebwerfen von 
benachbarten fremden Grundftüden und von öffentlichen Wegen innezuhalten 
it, durch Polizeiverordnungen Beſtimmung zu treffen. 


2. Gewerbetreibende, welche einer bejonderen Genchmigung 
bedürfen. 
Approbation der Apotheker und Aerzte. 
829. Einer Approbation, welche auf grund eines Nachweifes der Be- 
fähigung erteilt wird, bedürfen Apotheker und diejenigen Perfonen, welche fich 





494 V. Die übrigen wichtigjten Reichsgeſetze ftrafrehtlihen Inhalts. 


als Aerzte (Wundärzte, Augenärzte, Geburtshelfer, Zahnärzte und Tierärzte) 
oder mit gleichbedeutenden Titeln bezeichnen oder jeitens des Staates oder 
einer Gemeinde als folche anerfannt oder mit amtlichen Funktionen betraut 
werben jollen. E3 darf die Approbation jedoch von der vorherigen afademijchen 
Doktorpromotion nicht abhängig gemacht werben. 

Der Bundesrat bezeichnet, mit Nüdficht auf das vorhandene Bedürfnis, 
in verjchiedenen Teilen des Reichs die Behörden, welche für das ganze Reich 
giltige Approbationen zu erteilen befugt jind, und erläßt die VBorjchriften über 
den Nachweis der Befähigung. Die Namen der Approbierten werden von 
der Behörde, welche die Approbation erteilt, in den vom Bundesrat zu be: 
jtimmenden amtlichen Blättern veröffentlicht. 

Perfonen, welche eine ſolche Approbation erlangt haben, jind innerhalb 
des Reichs in der Wahl des Ortes, wo fie ihr Gewerbe betreiben wollen, 
vorbehaltlich der Beitimmungen über die Errichtung und Verlegung von 
Apothefen ($ 6), nicht bejchränft. 

Dem Bundesrat bleibt vorbehalten, zu bejtimmen, unter welchen Vor— 
ausjegungen Perjonen wegen wiſſenſchaftlich erprobter Leijtungen von der 
vorgejchriebenen Prüfung ausnahmsweife zu entbinden find. 

Berjonen, welche vor Verfündigung dieſes Gejeges in einem Bundes— 
jtaate die Berechtigung zum Gewerbebetriebe als Aerzte, Wundärzte, Zahnärzte, 
Geburtshelfer, Apothefer oder Tierärzte bereits erlangt haben, gelten als für 
das ganze Reich approbiert. 

KHonzeffion der Privatsftranfenanftalten uſw. 

S 30. Unternehmer von Privat» Kranfen-, Privat - Entbindungs- und 
Privat-Irrenanitalten bedürfen einer Konzefjion der höheren Vermwaltungs- 
behörde. Die Konzefjion ift nur dann zu verjagen: 

a) wenn Tatjachen vorliegen, welche die Unzuverläffigfeit des Unter- 
nehmers in Beziehung auf die Leitung oder Verwaltung der 
Anftalt dartun, 

b) wenn nach den von dem Unternehmer einzureichenden Beichreibungen 
und Plänen die baulichen und die ſonſtigen technifchen Ein- 
richtungen der Anſtalt den gejundheitspolizeilichen Anforderungen 
nicht entjprechen, 

ec) wenn die Anſtalt nur in einem Teile eines auch von anderen 
Perjonen bewohnten Gebäudes untergebracht werden ſoll und durch 








Gewerbeordnung. 495 


ihren Betrieb für die Mitbewohner dieſes Gebäudes erhebliche 

Nachteile oder Gefahren hervorrufen kann, 
d) wenn die Anjtalt zur Aufnahme von Perfonen mit anjtedenden 
Krankheiten oder von Geijtesfranfen bejtimmt ift und durd) ihre 
Örtliche Lage für die Befiger oder Bewohner der benachbarten 
Grundſtücke erhebliche Nachteile oder Gefahren hervorrufen fann. 
Bor Erteilung der Konzeſſion find über die Fragen zu ce und d die 

Drtöpolizeis und die Gemeindebehörden zu hören. 

Hebammen bedürfen eines Prüfungszeugnifjes der nach den Landesgeſetzen 


zuftändigen Behörde. Hufbeſchlaggewerbe. 


8 30a. Der Betrieb des Hufbeſchlaggewerbes kann durch die Landes— 
gejeßgebung von der Beibringung eines Prüfungszeugnijies abhängig gemacht 
werden. Das erteilte Brüfungszeugnis gilt für den ganzen Umfang des Reichs. 

Scefhhiffer ufw. 

8 31. Seejchiffer, Seejteuerleute, Maſchiniſten der Seedampfichiffe und 
Lotſen müſſen ſich über den Befig der erforderlichen Kenntniſſe durch ein 
Befähigungszeugnis der zuftändigen Verwaltungsbehörde ausweijen. 

Der Bundesrat erläßt die Borfchriften über den Nachweis der Befähigung. 
Die auf grund dieſes Nachweifes erteilten Zeugnijje gelten für das ganze 
Meich, bei Lotſen für das im Zeugnis angeführte Fahrwaſſer. 

Soweit in betreff der Schiffer und Lotſen auf Strömen infolge von 
Staatöverträgen bejondere Anordnungen getroffen find, behält es dabei jein 


den. 
Bewenden Schauſpielunternehmer. 


8 32. Schauſpielunternehmer bedürfen zum Betriebe ihres Gewerbes 
der Erlaubnis. Diejelbe gilt nur für das bei Erteilung der Erlaubnis 
bezeichnete Unternehmen. Zum Betriebe eine anderen oder wejentlich ver- 
änderten Unternehmens bedarf es einer neuen Erlaubnis. 

Die Erlaubnis iſt zu verjagen, ‚wenn der Nachjjuchende den Beſitz der 
zu dem Unternehmen nötigen Mittel nicht nachzuweijen vermag oder wenn die 
Behörde auf grund von Tatjachen die Weberzeugung gewinnt, daß derielbe 
die zu dem beabfichtigten Gewerbebetriebe erforderliche Zuverläffigfeit insbejondere 
in fittlicher, artijtifcher und finanzieller Hinficht nicht befigt. 

Erlaubnis zur Gaftwirtfhaft ufw. 

8 33. Wer Gaftwirtichaft, Schankwirtfchaft oder Stleinhandel mit Brannt: 

wein oder Spiritus betreiben will, bedarf dazu der Erlaubnis. 


496 V. Die übrigen wichtigſten Reichögefepe jtrafrechtlihen Inhalts. 


Diefe Erlaubnis ift nur dann zu verjagen: 


1. wenn gegen den Nachjuchenden Tatjachen vorliegen, welche die 
Annahme rechtfertigen, dab er das Gewerbe zur Förderung ber 
Völlerei, des verbotenen Spiels, der Hehlerei oder der — 
mißbrauchen werde; 

2. wenn das zum Betriebe des Gewerbes beſtimmte Lokal wegen 
ſeiner Beſchaffenheit oder Lage den polizeilichen Anforderungen 
nicht genügt. 

Die Landesregierungen ſind befugt, außerdem zu beſtimmen, daß 
a) die Erlaubnis zum Ausſchenken von Branntwein oder zum 
Kleinhandel mit Branntwein oder Spiritus allgemein, 
b) die Erlaubnis zum Betriebe der Gaſtwirtſchaft oder zum 
Ausſchänken von Wein, Bier oder anderen, nicht unter a 
fallenden geijtigen Getränfen in Ortjchaften mit weniger als 
15000 Einwohnern, jowie in ſolchen Ortfchaften mit einer 
größeren Einwohnerzahl, für welche dies durch Ortsſtatut 
($ 142) feitgejegt wird, 
von dem Nachweis eines vorhandenen Bedürfnifjes abhängig fein folle. 
Bor Erteilung der Erlaubnis ijt die Ortspolizei- und die Gemeinde: 
behörde gutachtlich zu hören. 


Die vorjtehenden Beitimmungen finden auf Vereine, welche den gemein: 
Ichaftlichen Einkauf von Lebens: und Wirtjchaftsbedürfniffen im großen und 
deren Abjag im Kleinen zum ausjchlieglichen oder hauptjächlichen Zwed haben, 
einfchließlich der bereits beftehenden, auch dann Anwendung, wenn der Betrieb 
auf den Kreis der Mitglieder bejchränft ift. 

Die Landesregierungen fünnen anordnen, daß Die vorjtchenden Be: 
jtimmungen, mit Ausnahme derjenigen im Abſatz 3 unter b, auch auf andere 
Vereine, einſchließlich der bereits beftehenden, ſelbſt dann Anwendung finden, 
wenn der Betrieb auf den Kreis der Mitglieder bejchränft ijt. 

Erlaubnis für Singfpiele und Schanftchungen. 

33a. Wer gewerbsmäßig Singipiele, Geſangs- und deflamatorijche Bor: 
träge, Schauftellungen von Perſonen oder theatralijche Vorjtelungen, ohne 
daß ein höheres Intereſſe der Kunft oder Wifjenfchaft dabei obwaltet, in 
jeinen Wirtjchafts: oder jonjtigen Räumen öffentlich veranstalten vder zu deren 
öffentlicher Veranjtaltung feine Räume benugen lafjen will, bedarf zum Betriebe 


Gewerbeordnung. 497 


diefes Gemerbes der Erlaubnis, ohne Nüdficht auf die etwa bereit3 erwirfte 
Erlaubnis zum Betriebe des Gewerbes als Schaufpielunternehmer. 


Die Erlaubnis ijt nur dann zu verjagen: 

l. wenn gegen den Nachjuchenden Tatſachen vorliegen, welche die 
Annahme rechtfertigen, daß die beabfichtigten Veranjtaltungen den 
Geſetzen oder guten Sitten zumwiderlaufen werben; 

2. wenn das zum Betriebe des Gewerbes beſtimmte Lokal wegen jeiner 
Beichaffenheit oder Lage den polizeilichen Anforderungen nicht 
genügt; 

3. wenn der den Verhältnifjen des Gemeindebezirt3 entjprechenden 
Anzahl von Perjonen die Erlaubnis bereits erteilt ift. 


Aus den unter Ziffer 1 angeführten Gründen kann die Erlaubnis 
zurüdgenommen und Perfonen, welche vor dem Inkrafttreten dieſes Geſetzes 
den Gewerbebetrieb begonnen haben, derjelbe unterjagt werden. 


Erlaubnis für Muflfaufführungen von Baus zu Haus. 
s 33b. Wer gemwerbsmäßig Muſikaufführungen, Schauftellungen, 
theatraliſche Vorſtellungen oder fonjtige Quftbarfeiten, ohne daß ein höheres 
Intereffe der Kunft oder Wifjenjchaft dabei obwaltet, von Haus zu Haus oder 
auf Öffentlichen Wegen, Straßen, Plätzen darbieten will, bedarf der vorgängigen 


Erlaubnis der Ortspolizeibehörde. 
Zanzluftbarfeiten, 


z 33e. Die Abhaltung von Tanzlujtbarfeiten richtet ſich nach den 
landesrechtlichen Beltimmungen. 

Erlaubnis für Pfandleiher, Gifthändler, Lotien, Markſcheider. 

z 34. Wer das Gefchäft eines Pfandleihers, Pfandvermittlers, Gejinde- 
vermieter3 oder Stellenvermittlerd betreiben will, bedarf dazu der Erlaubnis. 
Diefe ift zu verfagen, wenn Tatjachen vorliegen, welche die Unzuverläjjigfeit 
des Nachfuchenden in bezug auf den beabfichtigten Gewerbebetrieb dartun. 
Die Landesregierungen find befugt, außerdem zu bejtimmen, daß in Ortjchaften, 
für welche dies durch Ortsſtatut ($ 142) fejtgefegt wird, die Erlaubnis zum 
Vetriebe des Piandleihgewerbes von dem Nachweis eines vorhandenen Be- 
dürfniffes abhängig fein jolle. 

Als Pfandleihgewerbe gilt auch der gewerbsmäßige Anfauf beweglicher 
Sacen mit Gewährung des Rückkaufsrechts. 

Die Landesgefege fünnen vorjchreiben, daß zum Handel mit Giften und 
zum Betriebe des Lotjengemwerbes bejondere Genehmigung erforderlich it, 

32 


498 V. Die übrigen wichtigſten Reichsgeſetze ſtrafrechtlichen Inhalts, 


imgleichen, daß das Gewerbe der Markſcheider nur von Perſonen betrieben 
werden darf, welche als jolche geprüft und Fonzejjioniert find. 
Tanz⸗, Turns und Shwimmunterriht ufw.; Recht zur Unterfagung; 
Anzeigepflict. 

8 35. Die Erteilung von Tanz, Turn» und Schwimmunterricht als 
Gewerbe, ſowie der Betrieb von Badeanftalten ift zu unterfagen, wenn Tat— 
fachen vorliegen, welche die Unzuverläffigfeit de Gewerbetreibenden in bezug 
auf diejen Gewerbebetrieb dartun. 

Zrödelhandel, Hleinhandel uſw. 

Unter derjelben Vorausjegung find zu unterfagen: der Trödelhandel 
(Handel mit gebrauchten Kleidern, gebrauchten Betten oder gebrauchter Wäjche, 
Kleinhandel mit altem Metallgerät, mit Metallbruch oder dergleichen), ſowie 
der Kleinhandel mit Garnabfällen oder Dräumen von Seide, Wolle, Baum- 
wolle oder Leinen, der Handel mit Dynamit oder anderen Sprengitoffen und 
der Handel mit Lofen von Lotterien und Ausjpielungen, oder mit Bezugs— 
und Anteiljcheinen auf folche Loſe. 

Beforgung fremder Rehtsangelegenheiten, Agenten, Auftionatoren ufw. 

Dasjelbe gilt von der gewerbsmäßigen Beforgung fremder Rechtsan- 
gelegenheiten und bei Behörden wahrzunehmender Gejchäfte, insbeſondere der 
Abfafjung der darauf bezüglichen jchriftlichen Auffäge, von der gewerbsmäßigen 
Auskunftserteilung über Vermögensverhältnifje oder perjönliche Angelegenheiten, 
von dem gewerbsmäßigen Betriebe der Viehverjtellung (Viehpacht), des Vieh— 
handels und des Handels mit ländlichen Grundjtüden, von dem Gejchäfte der 
gewerbsmäßigen VBermittelungsagenten für ISmmobiliarverträge, Darlehen und 
Heiraten, jowie vom Gejchäfte eines Auftionators. Denjenigen, welche ge- 
werbsmäßig das Gejchäft eines Auktionators betreiben, ift es verboten, 
Immobilien zu verjteigern, wenn fie nicht von den dazu befugten Staats- 
oder Kommunalbehörden oder Ktorporationen als jolche angejftellt find ($ 36). 

Sandel mit Drogen, Sleinhandel mit Bier uſw. 

Der Handel mit Drogen und chemijchen Präparaten, welche zu Heil— 
zweden dienen, ijt zu unterjagen, wenn die Handhabung des Gewerbebetriebes 
Leben und Gejundheit von Menjchen gefährdet. Der Kleinhandel mit Bier 
fann unterjagt werden, wenn der Gewerbetreibende wiederholt wegen Zuwibder- 
bandlungen gegen die Vorfchriften des $ 33 bejtraft ift. 

Sit die Unterfagung erfolgt, jo kann die Landes= Zentralbehörde oder 
eine andere von ihr zu beftimmende Behörde die Wiederaufnahme des Gewerbe: 
betriebes gejtatten, jofern jeit der Unterfagung mindejtens ein Jahr verfloffen ist. 


Gewerbeordnung. 499 


Perſonen, welche die in dieſem Paragraphen bezeichneten Gewerbe be— 
ginnen, haben bei Eröffnung ihres Gewerbebetriebes der zuſtändigen Behörde 
hiervon Anzeige zu machen. 
Feldmeſſer, Auttionatoren ufw. Beeidigung und öffentliche Anſtellung. 

$ 36. Das Gewerbe der Feldmeſſer, Auktionatoren, Bücherreviſoren, 
derjenigen, welche den Feingehalt edler Metalle oder die Beichaffenheit, Menge 
oder richtige Verpadung von Waren irgend einer Art feititellen, der Güter: 
bejtätiger, Schaffner, Wäger, Meſſer, Brader, Schauer, Stauer ufw. darf zwar 
frei betrieben werden, es bleiben jedoch die verfaffungsmäßig dazu befugten 
Staats- oder Kommunalbehörden oder Korporationen auch ferner berechtigt, 
Berjonen, welche dieje Gewerbe betreiben wollen, auf die Beobachtung der 
bejtehenden Vorjchriften zu beeidigen und öffentlich anzuitellen. 

Die Beitimmungen der Gejete, welche den Handlungen der genannten 
Sewerbetreibenden eine bejondere Glaubwürdigkeit beilegen oder an dieſe 
Handlungen bejondere rechtliche Wirkungen fnüpfen, find nur auf die von dem 
verfaffungsmäßig dazu befugten Staat3- oder Kommunalbehörden oder Kor: 
porationen angeftellten Berjonen zu beziehen. 

Polizeitihe Regelung des Strakengewerbes. 

$ 37. Der Regelung durch die Ortspolizeibehörde unterliegt die Unter: 
haltung des öffentlichen Verkehrs innerhalb der Orte durch Wagen aller Art, 
Sondeln, Sänften, Pferde und andere Transportmittel, jowie da3 Gewerbe 
derjenigen Perſonen, welche auf öffentlichen Straßen oder Plägen ihre Dienfte 


anbieten. 
Vorſchriften für Pfandleiher, Gefindevermieter uſw. 


$ 38. Die Zentralbehörden ſind befugt, über den Umfang der Befugniſſe 
und Verpflichtungen, jowie über den Geichäftsbetrieb der Pfandleiher, Pfand: 
vermittler, Gejindevermieter, Stellenvermittler und Auftionatoren, ſoweit darüber 
die Landesgejege nicht Beitimmungen treffen, Vorſchriften zu erlaſſen. 

Die in diefer Beziehung hinsichtlich der Pfandleiher beitehenden landes- 
gejeglichen Beitimmungen finden auf den im $ 34 Abjag 2 bezeichneten 
Gejchärtsbetrieb Anwendung. Soweit es ſich um dieſen Gejchäftsbetrieh 
handelt, gilt die Zahlung des Kaufpreiſes als Hingabe des Darlehens, der 
Unterjchied zwijchen dem Saufpreife und dem verabredeten Rüdkaufspreije als 
bedungene Vergütung für das Darlehen und die Uebergabe der Sache als 
Berpfändung derjelben für das Darlehen. 

Hinsichtlich der Gefindevermieter und Stellenvermittler find die Zentral- 
behörden insbefondere befugt, die Ausübung des Gewerbes im Umherziehen 


39* 


500 V. Die übrigen wichtigiten Reichsgeſetze trafrechtlichen Inhalts. 


ſowie die gleichzeitige Ausübung des Gaſt- und Schankwirtichaftägewerbes zu 
beichränfen oder zu unterjagen. 

Die Zentralbehörden find ferner befugt, Vorfchriften darüber zu erlaſſen, 
in welcher Weife die im $ 35 Abſatz 2, 3 verzeichneten Gewerbetreibenden 
ihre Bücher zu führen und welcher polizeilichen Kontrolle über den Umfang 
und die Art ihres Gefchäftsbetriebs fie fich zu unterwerfen haben. 

8 40. Die in den 88 29 bis 33a und im $ 34 erwähnten Approbationen 
und Genehmigungen dürfen weder auf Zeit erteilt, noch vorbehaltlich der 
Beitimmungen in den 88 33a, 53 und 143 widerrufen werden. 

Gegen Berfagung der Genehmigung zum Betriebe eines der in den 
ss 30, 30a, 32, 33, 33a und 34, ſowie gegen Unterfagung des Betriebes 
der in den $$ 33a, 35 und 37 erwähnten Gewerbe iſt der Rekurs zuläffig. 
Wegen des Verfahrens und der Behörden gelten die Vorſchriften der 88 20 und 21. 


III. Umfang, Ausübung und Verluſt der Gewerbebefugniffe. 


Sonntagöruhe. 
8 41a. Soweit nad) den Beitimmungen der 88 105b bis 105h 


Gehülfen, Lehrlinge und Arbeiter im Handelsgewerbe an Sonn- und Feittagen 
nicht beichäftigt werden dürfen, darf in offenen Berfaufsjtellen ein Gewerbe- 
betrieb an diefem Tage nicht ftattfinden. Dieje Beitimmung findet auf den 
Sejchäftsbetrieb von Konſum- und anderen Vereinen entjprechende Anwendung. 

Weitergehenden landesgejeglichen Bejchränfungen des Gemwerbebetriebes 
an Eonn- und Feittagen fteht diefe Beitimmung nicht entgegen. 

$ 41b. Auf Antrag von mindejtens zwei Dritteln der beteiligten 
Gewerbetreibenden kann für eine Gemeinde oder mehrere örtlich zuſammen— 
bängende Gemeinden durch die höhere Berwaltungsbehörde vorgejchrieben 
werden, daß an Sonn - und Feſttagen in beitimmten Gemwerben, deren voll- 
ftändige oder teilweile Ausübung zur Befriedigung täglicher oder an dieſen 
Tagen bejonders hervortretender Bedürjniffe der Bevölferung erforderlich vit, 
ein Betrieb nur injoweit ftattfinden darf, als Ausnahmen von den im $ 105 b 
Abſ. 1 getroffenen Beitimmungen zugelajjen find. 

Der Bundesrat it befugt, Beltimmungen darüber zu erlaffen, welche 
Gewerbetreibende als beteiligt anzufehen find und in welchem Verfahren Die 
erforderliche Zahl von Gewerbetreibenden feitzuftellen iſt. 

Stehender Gewerbebetrieb auferhalb des Nicderlaffungsortes. 

$ 42, Wer zum jelbjtändigen Betriebe eines ftehenden Gewerbes befugt 

ilt, darf dasjelbe innerhalb und unbeſchadet der Beitimmungen de3 dritten 


nn ee — —üü 


Gewerbeordnung. 501 


Titels auch außerhalb des Gemeindebezirks ſeiner gewerblichen Niederlaſſung 
ausüben. 

Eine gewerbliche Niederlaſſung gilt nicht als vorhanden, wenn der 
Gewerbetreibende im Inlande ein zu dauerndem Gebrauche eingerichtetes, 
bejtändig oder doc in regelmäßiger Wiederfehr von ihm benußgtes Lokal für 
den Betrieb feines Gewerbes nicht befigt. 

Berbotener Gewerbebetrich von Haus 3u Sans. 

s 42a. Gegenjtände, welche von dem Ankauf oder FFeilbieten im Um— 
herziehen ausgejchlofien find, dürfen auch innerhalb des Gemeindebezirfs des 
Wohnortes oder der gewerblichen Niederlafjung von Haus zu Haus oder auf 
öffentlihen Wegen, Straßen, Plägen oder an anderen öffentlichen Orten 
nicht feilgeboten oder zum Wiederverfauf angefauft werden, mit Ausnahme 
von Bier und Wein in Fäſſern und SFlafchen und vorbehaltlich des nad) 

33 erlaubten Gemerbebetriebes. 

Die zuftändige Landesregierung iſt befugt, joweit ein Bedürfnis dazu 
obwaltet, anzuordnen, daß und immwiefern weitere Ausnahmen von dieſem 
Verbote ftattfinden jollen. 

Das Feilbieten geiftiger Getränfe fann von der Ortspolizeibehörde im 
alle bejonderen Bedürfniffes vorübergehend gejtattet werden. 

Befondere Erlaubnis. 

s 42b. Dur die höhere VBerwaltungsbehörde nach Anhörung der 
Semeindebehörde oder durch Beſchluß der Gemeindebehörde mit Genehmigung 
der höheren Berwaltungsbehörde kann für einzelne Gemeinden bejtimmt werden, 
daß Perfonen, welche in dem Gemeindebezirt einen Wohnfig oder eine 
gewerbliche Niederlafjung befigen und welche innerhalb des Gemeindebezirfs 
auf öffentlichen Wegen, Straßen, Pläßen oder an anderen öffentlichen Orten, 
oder ohne vorgängige Beitellung von Haus zu Haus 

1. Waren feilbieten, oder 

2. Waren bei anderen Perjonen, als bei Kaufleuten oder folchen 
Perjonen, welche die Waren produzieren, oder an anderen Orten, 
als in offenen Verfaufsjiellen zum Wiederverfauf anfaufen, oder 
Warenbeitellungen bei Perfonen, in deren Gewerbebetriebe Waren 
der angebotenen Art feine Verwendung finden, aufjuchen, oder 

3. gewerbliche Leiftungen, binfichtlicy deren dies nicht Landesgebrauch 
üt, anbieten wollen, 


503 V. Die übrigen wichtigſten Reichsgeſetze jtrafrechtlihen Inhalis. 


der Erlaubnis bedürfen. Dieſe Beſtimmung Tann auf einzelne Teile des 
Gemeindebezirks, ſowie auf gewifje Gattungen von Waren und Leijtungen 
bejchränft werden. 


Auf die Erteilung, Verſagung und Zurüdnahme der Erlaubnis finden 
die Vorjchriften der 88 57, 57a, 57b, 58 und 63 Abſ. 1, und auf die 
Ausübung des Gewerbebetriebes die Borjchriften der 88 60b, 60c, 60d 
Abi. 1 und 2 und 63 Abi. 2 entiprechende Anwendung. 


In betreff der im $ 59 Ziffer 1 und 2 bezeichneten Erzeugnijie und 
Waren, auch wenn diejelben nicht zu den jelbjtgewonnenen oder jelbftverfertigten 
gehören, ferner in betreff der Drudichriften, anderen Schriften und Bildwerfe, 
infoweit der Gewerbebetrieb hiermit von Haus zu Haus jtattfindet, ſowie in 
betreff der vom Bundesrat in Gemäßheit des 8 44 Abſ. 2 gejtatteten Aus: 
nahmen darf der betreffende Gewerbebetrieb in dem Gemeindebezirfe des 
Wohnfiges oder der gewerblichen Niederlafjung von einer Erlaubnis nicht 
abhängig gemacht werden. Im betreff der in $ 59 Ziffer 1 und 2 bezeichneten 
Erzeugnifje und Waren fann jedoch der Gewerbebetrieb unter den in $ 57 
Biffer 1 bis 4 erwähnten Vorausfegungen unterfagt, jowie nad) Maßgabe 
des $ 60b Abi. 2 und 8 60c Abf. 2 bejchränft und gemäß $ 60b Abf. 3 
verboten werden. Auf die Unterjfagung diejes Gewerbebetriebes finden die 
Vorichriften des $ 63 Ab. 1, auf die Bejchränfung desjelben die Borjchriften 
des $ 63 Abſ. 2 entjprechende Anwendung. 

Die höhere VBerwaltungsbehörde ift befugt, die vom Bundesrat gemäß 
$ 564 detroffenen Beftimmungen auf diejenigen Ausländer entjprechend 
anzumenden, welche innerhalb des Gemeindebezirks ihres Wohnortes oder ihrer 
gewerblichen Niederlafjung auf öffentlichen Wegen, Straßen, Pläßen oder an 
anderen öffentlichen Orten, oder ohne vorgängige Beitellung von Haus zu 
Haus eines der unter Ziffer 1 bis 3 bezeichneten Gewerbe betreiben wollen. 


Verbotenes Hauſieren von Hindern unter 14 Jahren. 

Kinder unter vierzehn Jahren dürfen, auch wenn eine Bejtimmung nach 
Abſatz 1 nicht getroffen ift, auf Öffentlichen Wegen, Straßen, Pläßen oder an 
öffentlichen Orten oder ohne vorgängige Beltellung von Haus zu Haus 
Gegenstände nicht feilbieten. In Orten, wo ein derartiges eilbieten durch 
Kinder herkömmlich ift, darf die Ortspolizeibehörde ein ſolches für beftimmte 
Beitabjchnitte, welche in einem Salenderjahre zufammen vier Wochen nicht 
überfchreiten dürfen, gejtatteı. 





Bewerbeordnung. 503 


Deffentliher Bertrieb von Drudichriften. 
$ 43. Wer gewerbsmäßig Drudjchriften oder andere Schriften oder 
Bildwerfe auf öffentlichen Wegen, Straßen, Plägen oder anderen öffentlichen 
Orten ausrufen, verkaufen, verteilen, anheften oder anfchlagen. will, bedarf 
dazu einer Erlaubnis der Ortspolizeibehörde, und hat den über diefe Erlaubnis 
auszuftellenden, auf feinen Namen lautenden Legitimationsichein bei ſich zu 
führen. 

Auf die Erteilung und Verfagung der Erlaubnis finden die Vorjchriften 
der 8 57 Nr. 1, 2, 4, 57a, 57b Nr. 1 und 2 und 63 Abi. 1 entjprechende 
Anwendung. Auf das bloße Anheften und Anjchlagen findet der Verjagungs- 
grund der abjchredenden Entjtelung feine Anwendung. 


Stimmzettel, Drudihriftien zu Wahlzwecken. 

Zur Verteilung von Stimmzetteln und Drudjchriften zu Wahlzweden 
bei der Wahl zu gejeggebenden Körperjchaften ift eine polizeiliche Erlaubnis 
in der Zeit von der amtlichen Belanntmachung des Wahltages bis zur 
Beendigung des Wahlaftes nicht erforderlich. 

Dasjelbe gilt auch bezüglich der nicht gewerbsmäßigen Verteilung von 
Stimmzetteln und Drudichriften zu Wahlzweden. 

In gejchlofjenen Räumen ift zur nichtgewerbsmähigen Verteilung von 
Drudichriften oder anderen Schriften oder Bildwerfen eine Erlaubnis nicht 
erforderlich. 

An die Stelle des im $ 5 Abſ. 1 des Preßgeſetzes vom 7. Mai 1874 
angezogenen $ 57 der Gewerbeordnung treten die Beitimmungen der 88 57 
Nr.1, 2, 4 57a, 57b Nr. 1 und 2 des gegenwärtigen Gejeges. 
Warenauffauf u. Beitchungauffuhung außerhalb des Niederlaffungsortes. 

8 44. Wer ein jtehendes Gewerbe betreibt, it befugt, auch außerhalb 
des Gemeindebezirks jeiner gewerblichen Niederlafjung perjönlich oder durch in 
jeinem Dienfte jtehende Reifende für die Zwecke feines Gewerbebetriebes Waren 
aufzufaufen und Beitellungen auf Waren zu juchen. 

Die aufgefauften Waren dürfen nur behufs deren Beförderung nach) 
dem Beitimmungsorte mitgeführt werden; von den Waren, auf welche Be- 
ftellungen gejucht werden, dürfen nur Proben und Mufter mitgeführt werden, 
ſoweit nicht der Bundesrat für beftimmte Waren, welche im Verhältniſſe zu 
ihrem Umfange einen hohen Wert haben und übungsgemäß an die Wieder: 
verfäufer im Stüd abgefegt werden, zum Zweck des Abſatzes an Perfonen, 
welche damit Handel treiben, Ausnahmen zuläßt. 


504 V. Die übrigen wichtigſten Reichsgeſetze ftrafrchtlihen Inhalts. 


Das Auffaufen darf ferner nur bei Kaufleuten oder jolchen Perjonen, 
welche die Waren produzieren, oder in offenen Berfaufsitellen erfolgen. 
Imgleichen darf das Aufjuchen von Bejtellungen auf Waren, mit Ausnahme 
von Drucjchriften, anderen Schriften und Bildwerfen und, ſoweit nicht der 
Bundesrat noch für andere Waren oder Gegenden oder Gruppen von Gewerbe: 
treibenden Ausnahmen zuläßt, ohne vorgängige ausdrüdliche Aufforderung nur 
bei Kaufleuten in deren Gejchäftsräumen, oder bei ſolchen Perjonen gefchehen, 
in deren Gefchäftsbetriebe Waren der angebotenen Art Verwendung finden. 

Hinfichtlich des Auffuchens von Beitellungen auf Drudjchriften, andere 
Schriften und Bildwerfe finden die Vorichriften des $ 56 Abf. 3 entjprechende 
Anwendung. 


Zegitimationsfarten. 

8 44a. Wer in Gemäßheit des $ 44 Warenbejtellungen auffucht oder 
Waren auffauft, bedarf hierzu einer Zegitimationsfarte, welche auf den Antrag 
des Inhabers des jtehenden Gewerbebetriebes von der für deſſen Niederlafjungs- 
ort zuftändigen Berwaltungsbehörde für die Dauer des Kalenderjahres und 
den Umfang des Reichs ausgeftellt wird. Die Legitimationsfarte enthält den 
Namen des Inhabers derjelben, den Namen der Perſon oder der Firma, in 
deren Dienften er Handelt, und die nähere Bezeichnung des Gewerhebetriebes 

Der Inhaber der Legitimationsfarte ift verpflichtet, diejelbe während der 
Ausübung des Gewerbebetriebes bei jich zu führen, auf Erfordern der zu: 
jtändigen Behörden oder Beamten vorzuzeigen und, fofern er Hierzu nicht im 
itande ift, auf deren Geheiß den Betrieb bis zur Herbeifchaffung der Legiti- 
mationsfarte einzuitellen. 

Die Legitimationskarte ift zu verjagen, wenn bei demjenigen, für welchen 
fie beantragt wird, eime der im $ 57 Ziffer 1 bis 4 bezeichneten Voraus— 
fegungen zutrifft, außerdem darf jie nur dann verjagt werden, wenn die im 
$ 57b Ziffer 2 bezeichnete VBorausfegung vorliegt. 

Die Legitimationsfarte kann durch die Behörde, welche fie ausgeitellt 
hat, zurüdgenommen werden, wenn jich ergibt, daß eine der im $ 57 Ziffer 1 
bis 4 bezeichneten Vorausfegungen zur Zeit der Erteilung derjelben vorhanden 
geweſen, der Behörde aber unbekannt geblieben, oder nach Erteilung derjelben 
eingetreten ijt, oder wenn bei dem Gejchäftöbetriebe die im $ 44 gezogenen 
Schranfen überjchritten werden. 

Degen des Verfahrens gelten die Vorjchriften des S 63 Abſ. 1. 


in uugeelüngfien._ DB | 


Gewerbeordnung. 505 


Einer Legitimationsfarte bedürfen diejenigen Gewerbetreibenden nicht, 
welche durch die in den Zollvereins- oder Handeläverträgen vorgejehene 
Gewerbelegitimationsfarte bereit3 legitimiert jind. In betreff diejer Gewerbe: 
treibenden finden die vorftchenden Beitimmungen über die Verpflichtung zum 
Mitjühren der Legitimationsfarte über die Folgen der Nichterfüllung Ddiejer 
Verpflichtung, jomwie über die Verfagung und Zurüdnahme der Karte ent- 
Iprechende Anwendung. Stellvertreter der Gewerbetreibenden. 

S 45. Die Befugniffe zum ftehenden Gewerbebetriebe fünnen durch 
Stellvertreter ausgeübt werden; diefe müſſen jedoch den für das in Rede 
jtehende Gewerbe insbefondere vorgejchriebenen Erfordernifjen genügen. 


Gewerbe für Rehnung der Witwe oder minderjährigen Erben ufw. 
S 46. Nach dem Tode eines Gewerbetreibenden darf das Gewerbe für 


Nechnung der Witwe während des Mitwenftandes, oder, wenn minderjährige 
Erben vorhanden jind, für deren Rechnung durch einen nach $ 45 qualifizierten 
Stellvertreter betrieben werden, injofern die über den Betrieb einzelner Gewerbe 
beitehenden beſonderen VBorfchriften nicht ein anderes anordnen. Dasjelbe gilt 
während der Dauer einer Kuratel oder Nachlakregulierung. 

S 47. Imwiefern für die nad) den 88 34 und 36 fonzeffionierten oder 
angejtellten Berjonen eine Stellvertretung zuläffig ift, hat in jedem einzelnen Falle 
die Behörde zu bejtimmen, welcher die Konzejjionierung oder Anftellung zufteht. 

Dasjelbe gilt in Beziehung auf diejenigen Schorniteinfeger, denen ein 
Kehrbezirk zugewielen it ($ 39). Realgewerbeberedhtigungen. 

S 48. Nealgewerbeberechtigungen fönnen auf jede, nach den Vorſchriften 
dieſes Gefeges zum Betriebe des Gewerbes befähigte Perſon in der Art über: 
tragen werden, daß der Erwerber die Gewerbeberechtigung für eigene Rechnung 
ausüben darf. Friſt für Beginn eines Unternehmens. 

8 49. Bei Erteilung der Genehmigung zu einer Anlage der in den 
$$ 16 und 24 bezeichneten Arten, imgleichen zur Anlegung von Privat:Stranfen-, 
Brivat-Entbindungs: und Privat⸗ Irrenanſtalten, zu Schauſpielunternehmungen, 
ſowie zum Betriebe der im $ 33 gedachten Gewerbe, kann von der genehmigenden 
Behörde den Umſtänden nad) eine Friſt feitgefegt werden, binnen welcher die 
Anlage oder das Unternehmen bei Bermeidung des Erlöjchens der Genehmigung 
begonnen und ausgeführt, und der Gewerbebetrieb angefangen werden muß. 
Iſt eine folche Frift nicht beitimmt, fo erlischt die erteilte Genehmigung, wenn 
der Inhaber nah) Empfang derfelben ein ganzes Jahr verjtreichen läßt, ohne 
davon Gebrauch zu machen. 


—— FE En 


506 V. Die übrigen wichtigiten Reichsgeſetze Itrafrechtlichen Inhalts. 


Eine Berlängerung der Frijt fann von der Behörde bewilligt werden, 
fobald erhebliche Gründe nicht entgegenstehen. 

Hat der Inhaber einer folchen Genehmigung feinen Gewerbebetrieb 
während eines Zeitraums von drei Sahren eingejtellt, ohne eine Friſtung 
nachgeſucht und erhalten zu haben, jo erlijcht diejelbe. 

Für die im $ 16 aufgeführten Anlagen darf die nachgefuchte Friftung 
jo lange nicht verfagt werden, als wegen einer durch Erbfall oder Konkurs— 
erflärung entitandenen Ungewißheit über das Eigentum an einer Anlage 
oder, infolge höherer Gewalt, der Betrieb entweder gar nicht oder nur mit 
erheblichem Nachteile für den Inhaber oder Eigentümer der Anlage jtatt- 
finden kann. 

Das Verfahren für die Frijtung iſt dasjelbe, wie für die Genehmigung 
neuer Anlagen. 

Derbotene Benutzung gewerblicher Anlagen, 

S 51. Wegen überwiegender Nachteile und Gefahren für das Gemein- 
wohl fann die fernere Benugung einer jeden gewerblichen Anlage durch die 
höhere Verwaltungsbehörde zu jeder Zeit unterfagt werben. Doc muß dem 
Befiger aladann für den erweislichen Schaden Erſatz geleijtet werden. 

Gegen die unterfagende Verfügung ijt der Rekurs zuläffig; wegen der 
Entjhädigung ſteht der Rechtsweg offen. 

Aurüdnahme von Approbationen, Genehmigungen uſw. 

$ 53. Die in dem $ 29 bezeichneten Approbationen fünnen von der 
Berwaltungsbehörde nur dann zurüdgenommen werden, wenn die Unrichtigkeit 
der Nachweiſe dargetan wird, auf grund deren ſolche erteilt worden ſind, oder 
wenn dem Inhaber der Approbation die bürgerlichen Ehrenrechte aberkannt 
ſind, im letzteren Falle jedoch nur für die Dauer des Ehrenverluſtes. 

Außer aus dieſen Gründen können die in den 88 30, 304, 32, 33, 34 
und 36 bezeichneten Genehmigungen und Beſtallungen in gleicher Weiſe 
zurückgenommen werden, wenn aus Handlungen oder Unterlaſſungen des In— 
habers der Mangel derjenigen Eigenſchaften, welche bei der Erteilung der 
Genehmigung oder Beſtallung nach der Vorſchrift dieſes Geſetzes vorausgeſetzt 
werden mußten, klar erhellt. Inwiefern durch die Handlungen oder Unter— 
laſſungen eine Strafe verwirkt iſt, bleibt der richterlichen Entſcheidung vorbehalten. 

Pfandleihern, welche vor dem Inkrafttreten des Geſetzes vom 23. Juli 
1879 (Reichsgeſetzblatt Seite 267) den Gewerbebetrieb begonnen haben, ſowie 
Pfandvermittlern, Gefindevermietern und Stellenvermittlern, welche vor dem 


Gewerbeordnung. 507 


1. Oftober 1900 den Gewerbebetrieb begonnen haben, kann derjelbe unterfagt 
werden, wenn Tatjachen vorliegen, welche die Unzuverläfjigkeit des Gewerbe- 
treibenden in bezug auf den Gewerbebetrieb dartun. Sit die Unterfagung 
erfolgt, jo fann die Landes» Zentralbehörde oder eine andere von ihr zu 
bejtimmende Behörde die Wiederaufnahme des Gemwerbebetriebes geitatten, 
jofern jeit der Unterfagung mindeftens ein Jahr verflofjen iſt. 


Titel III 
Gewerbebetrieb im Umherziehen. 


Wandergewerbeſchein. 
855. Wer außerhalb des Gemeindebezirks feines Wohnorts oder der durch 
bejondere Anordnung der höheren Verwaltungsbehörde dem Gemeindebezirke des 
Wohnorts gleichgeftellten nächiten Umgebung desjelben ohne Begründung einer 
gewerblichen Niederlafjung und ohne vorgängige Beſtellung in eigener Perſon 

1. Waren feilbieten, 

2. Warenbeftellungen aufjuchen oder Waren bei anderen Perſonen, 
als bei Kaufleuten, oder an anderen Orten, als in offenen Verkaufs: 
itellen zum Wiederverfauf anfaufen, 

3. gewerbliche Leitungen anbieten, 

4. Mufifaufführungen, Schauftellungen, theatralifche Vorftellungen 
oder fonstige Luftbarfeiten, ohne dab ein höheres Interefje der 
Kunst oder der Wijienfchaft dabei obwaltet, darbieten will, 

bedarf eines Wandergewerbefcheines, ſoweit nicht für die in Ziffer 2 be— 
zeichneten Fülle in Gemäßheit des $ 44a eine Legitimationsfarte genügt. 

In dem Falle der Ziffer 4 ift auch für den Marftverfehr ($ 64) ein 
Wandergewerbejchein erforderlich. 


Un Sonn: und Fefttagen verboten, Ausnahmen. 
Ss 55a. An Sonn: und Feittagen ($ 105a Abſatz 2) ift der Gewerbe- 
betrieb im Umberziehen, joweit er unter $ 55 Abſatz 1, Ziffer 1 bis 3 fällt, 
jowie der Gewerbebetrieb der im $ 42b bezeichneten Perſonen verboten. 
Ausnahmen können von der unteren Berwaltungsbehörde zugelafjen werden. 
Der Bundesrat ift ermächtigt, über die Vorausfegungen und Bedingungen, unter 
denen Ausnahmen zugelaffen werden dürfen, Beitimmungen zu erlaffen. 
Bom Ankauf oder Feilbieten im Umherziehen ausgeſchloſſen. 
$ 56. Beſchränkungen, vermöge deren gewiffe Waren von dem Feil— 
halten im jtehenden Gewerbebetriebe ganz oder teilweife ausgejchlojfen jind, 
gelten auch für deren Feilbieten im Umherziehen. 


. 508 V, Die übrigen widtigiten Reichsgeſetze itrafrechtlihen Inhalis. 


Ausgejchlojfen vom Ankauf oder zzeilbieten im Umherziehen jind: 

1. geiftige Getränfe, joweit nicht das FFeilbieten derjelben von der 
Ortspolizeibehörde im Falle befonderen Bedürfnifies vorübergehend 
geitattet iſt; 

. gebrauchte Kleider, gebrauchte Wäjche, gebrauchte Betten und 
gebrauchte Bettjtüde, insbejoudere Bettfedern, Menjchenhaare, Garn 
abfälle, Enden und Dräumen von Seide, Wolle, Leinen oder 
Baumwolle; 

3. Gold- und Silberwaren, Bruchgoid und Bruchſilber jowie Tajchen: 
uhren; 

4. Spielfarten; 

5. Staatd- und jonjtige Wertpapiere, Lotterieloje, Bezugs- und 
Anteilfcheine auf Wertpapiere und Lotterieloje; 

6. explofive Stoffe, insbefondere Feuerwerkskörper, Schießpulver und 
Dynamit; 

7. ſolche mineralifche und andere Dele, welche leicht entzündlich iind, 
insbejondere Petroleum, fowie Spiritus; 

8. Stoß-, Hieb- und Schußwaffen; 

9. Gifte und gifthaltige Waren, Arznei: und Geheimmittel, ſowie 
Bruchbänder; 

10. Bäume aller Art, Sträucher, Schnitt-, Wurzel-Reben, Futter: 
mittel und Sämereien, mit Ausnahme von Gemüfe- und Blumen- 
famen; 

11. Schmudjachen Bijouterien, Brillen und optijche Inftrumente. 

Ausgeſchloſſen vom Feilbieten und Auffuchen von Beftellungen im Umher— 
ziehen find ferner: 

12. Drudjchriften, andere Schriften und Bildwerfe, injofern jie in 
fittlicher oder religiöfer Beziehung Wergernis zu geben geeignet 
find, oder mitteld AZuficherung von Prämien oder Gewinnen ver: 
trieben werden, oder in Lieferung erjcheinen, wenn nicht der 
Sejamtpreis auf jeder einzelnen Lieferung an einer in die Augen 
fallenden Stelle beſtimmt verzeichnet ift. 

Berzeihnis der Drudidriften. 

Wer Drudjchriften, andere Schriften oder Bildwerfe im Umberziehen 
feilbieten will, hat ein Verzeichnis derjelben der zujtändigen Verwaltungs- 
behörde jeines Wohnortes zur Genehmigung vorzulegen. Die Genehmigung 


—8 


Gewerbeordnung. 509 


ift nur zu verjagen, ſoweit das Verzeichnis Drudjchriften, andere Schriften 
oder Bildwerfe der vorbezeichneten Art enthält. Der Gewerbetreibende darf 
nur die in dem genehmigten Verzeichniffe enthaltenen Drudjchriften, anderen 
Schriften oder Bildwerfe bei fich führen, und ift verpflichtet, das Verzeichnis 
während der Ausübung des Gewerbebetriebes bei jich zu führen, auf Erfordern 
der zuftändigen Behörden oder Beamten vorzuzeigen und, fofern er hierzu 
nicht im ftande tjt, auf deren Geheiß den Betrieb bis zur Herbeifchaffung des 
Verzeichnifjes einzujtellen. 


Bom Gewerbebetrieb im Umherziehen ausgeſchloſſen. 
$ 56a. Ausgeſchloſſen vom Gewerbebetriebe im Umherziehen find ferner: 

1. die Ausübung der Heilkunde, inſoweit der Ausübende für diefelbe 
nicht approbiert iſt; 

2. das Aufjuchen jowie die Bermittelung von Darlehnsgefchäften und 
von Rüdfaufsgefchäften ohne vorgängige Beſtellung, ferner das 
Aufſuchen von Beitellungen auf Staats- und fonftige Wertpapiere, 
Lotterielofe und Bezugs: und Anteilicheine auf Wertpapiere und 
Lotterieloſe; 

3. das Aufſuchen von Beſtellungen auf Branntwein und Spiritus 
bei Perſonen, in deren Gewerbebetriebe dieſelben keine Verwendung 
finden; 

4. das Feilbieten von Waren ſowie das Aufſuchen von Beſtellungen 
auf Waren, wenn ſolche gegen Teilzahlungen unter dem Vor— 
behalt veräußert werden, daß der Veräußerer wegen Nichterfüllung 
der dem Erwerber obliegenden Verpflichtungen von dem Vertrage 
zurücktreten kann (55 1 und 6 des Geſetzes, betreffend die Ab— 
zahlungsgejchäfte, vom 16. Mai 1894). 

Befugniffe des Bundesrates. 

8 56b. Der Bundesrat iſt befugt, joweit ein Bedürfnis obwaltet, 
anzuordnen, daß und inwiefern der Anfauf oder das Feilbieten von einzelnen 
der im 8 56 Abi. 2 ausgefchloffenen Waren im Umberziehen geftattet fein joll. 
Die gleiche Befugnis fteht den Landesregierungen für ihr Gebiet oder Teile 
desjelben hinfichtlich der im 8 56 Abf. 2 Ziffer 10 bezeichneten Gegen- 
jtände zu. 

Aus Gründen der öffentlichen Sicherheit, jowie zur Abwehr oder Unter— 
drüdung von Seuchen fann durch Beſchluß des Bundesrats und in dringenden 
‚Fällen durch Anordnung des Neichsfanzlers nach Einvernehmen mit dem Aus» 


510 V. Die übrigen wichtigsten Reichsgeſetze jtrafrechtlihen Inhalts. 


ſchuß des Bundesrats für Handel und Verkehr für den Umfang des Reidıs 
oder für Teile bejtimmt werden, daß und immiefern außer den in den 88 56 
und 568 aufgeführten Gegenftänden und Leiftungen auch noch andere Gegen: 
jtände und Leiftungen auf beitimmte Dauer von dem Gewerbebetriebe im 
Umberziehen ausgeichloffen fein jollen. Die Anordnung ift dem Reichstag 
fofort, oder, wenn derjelbe nicht verjammelt ift, bei feinem nächjten Zuſammen— 
tritt mitzuteilen. Diefelbe ift außer Kraft zu ſetzen, wenn der Reichstag die 
- Buftimmung nicht erteilt. 

Durch die Landesregierungen kann das Umberziehen mit Zuchthengiten 
zur Dedung von Stuten unterfagt werden. Desgleihen kann zur Abwehr 
oder Unterdrüdung von Seuchen der Handel mit Rindvieh, Schweinen, Schafen, 
Biegen oder Geflügel im Umherziehen Bejchränfungen unterworfen oder auf 
bejtimmte Dauer unterfagt werden. 

Verfteigerung, Glücksſpiel und Ausfpielung im Imherzichen ; Ausnahmen. 

$ 56e. Das Feilbieten von Waren im Umberziehen in der Art, daß 

diejelben verfteigert oder im Wege des Glüdsjpield oder der Ausfpielung 

(Zotterie) abgejegt werden, iſt nicht geftattet. Ausnahmen von diejem Ver— 

bote dürfen von der zuftändigen Behörde zugelafien werden, Hinfichtlich der 

Wanderverfteigerungen jedoch nur bei Waren, welche dem raſchen Verderben 
ausgejegt jind. 

DTeffentliche Ankündigungen des Gemwerbebetriebes dürfen nur unter Dem 
Namen des Gewerbetreibenden mit Hinzufügung jeines Wohnortes erlafjen 
werden. Wird für den Gewerbetrieb eine Verfaufsitelle benugt, jo muß an 
derjelben in einer für jedermann erkennbaren Weife ein den Namen und 
Wohnort des Gewerbetreibenden angebender Aushang angebracht werben. 
Dies gilt insbefondere von den Wanderlagern. 

Ausländer. 

8 56d. Ausländern kann der Gewerbebetrieb im Umherziehen gejtattet 

werden. Der Bundesrat ijt befugt, die deshalb nötigen Beftimmungen zu treffen. 
Berfagaung des Wandergewerbeicheins. 

8 57. Der Wandergewverbefchein ift zu verjagen: 

1. wenn der Nachjuchende mit einer abjchredenden oder anſteckenden 
Krankheit behaftet oder in einer abjchredenden Weiſe entitellt it; 

2. wenn er unter Bolizeiaufficht jteht; 

3. wenn er wegen ftrafbarer Handlungen aus Gewinnjucht, gegen 
das Eigentum, gegen die Sittlichkeit, wegen vorfäglicher Angriffe 


Gewerbeordnung. 511 


auf das Leben und die Geſundheit der Menſchen, wegen Land— 
oder Hausfriedensbruchs, wegen Widerſtands gegen die Staats— 
gewalt, wegen vorſätzlicher Brandſtiftung, wegen Zuwiderhandlungen 
gegen Verbote oder Sicherungsmaßregeln, betreffend Einführung 
oder "Verbreitung anſteckender Krankheiten oder Viehſeuchen, zu 
einer ?jreiheitsitrafe von mindeſtens drei Monaten verurteilt 
ijt, und feit Verbüßung der Strafe drei Jahre noch nicht ver- 
floffen find; 

4. wenn er wegen gewohnheitsmäßiger Arbeitsicheu, Bettelei, Land— 
ftreicheret, Trunfjucht übel berüchtigt tft; 

5. in dem Falle des $ 55 Ziffer 4, jobald der den Berhältnijien 
des Verwaltungsbezirks der zuftändigen VBerwaltungsbehörde ent- 
Iprechenden Anzahl von Perfonen Wandergewerbefcheine erteilt 
oder ausgedehnt find ($ 60 Abjay 2). 

8 57a. Der Wandergewerbejchein ift in der Regel zu verjagen: 

1. wenn der Nachjuchende das fünfundzwanzigſte Lebensjahr noch 
nicht vollendet hat. 

Im Falle der Nr. 1 ijt dem Nachjuchenden der Wander: 
gewerbejchein zu erteilen, wenn er der Ernährer einer Familie it 
und bereits vier Jahre im Wandergewerbe tätig geweſen it. 


2. wenn er blind, taub oder ftumm ist, oder an Geiſtesſchwäche leidet. 


$57b. Der Wandergewerbejchein darf außerdem nur dann verjagt werden: 
1. wenn der Nachſuchende im Inlande einen feiten Wohnfig nicht hat; 
2. wenn er wegen jtrafbarer Handlungen aus Gewinnjucht, gegen das 
Eigentum, gegen die Sittlichfeit, wegen vorjäglicher Angriffe auf 
das Leben und die Gejundheit der Menjchen, wegen Hausfriedens- 
bruchs, wegen Widerftands gegen die Staatsgewalt, wegen vor» 
jäglicher Branditiftung, wegen Zumwiderhandlungen gegen Verbote 
oder Sicherungsmaßregeln, betreffend Einführung oder Verbreitung 
anjtedender Krankheiten oder Viehſeuchen, zu einer Freiheitsjtrafe 
von mindejtens einer Woche verurteilt ift, und feit der Verbüßung 
der Strafe fünf Jahre noch nicht verflofien find; 
3. wenn er wegen Verlegung der auf den Gewerbebetrieb im Um— 
herziehen bezüglichen Borjchriften im Laufe der legten drei Jahre 
wiederholt bejtraft ilt; 


512 V. Die übrigen wichtigiten Reichsgeſetze ſtrafrechtlichen Inhalts. 


4. wenn er ein oder mehrere Kinder beſitzt, für deren Unterhalt und, 
ſofern ſie im ſchulpflichtigen Alter ſtehen, für deren Unterricht 
nicht genügend geſorgt iſt. 

Zurücknahme des Wandergewerbeſcheins. 

858. Der Wandergewerbeſchein kann zurückgenommen werden, wenn 
ſich ergibt, daß eine der im $ 57 Ziffer 1bis 4, 8574 oder 8 57b bezeichneten 
Borausjegungen entweder zur Zeit der Erteilung desjelben bereits vorhanden 
gewejen, der Behörde aber unbekannt geblieben, oder erſt nach Erteilung des 
Scheins eingetreten it. 

Wandergewerbeihein nicht erforderlich. 

$ 59. Eines Wandergewerbefcheind bedarf nicht: 

1. wer jelbitgewonnene oder rohe Erzeugnifje der Land: und Forſt— 
wirtichaft, des Garten» und Objtbaues, der Geflügel: und Bienenzucht, 
ſowie jelbitgewonnene Erzeugnifje der Jagd und Fiſcherei feilbietet: 

2. wer in der Umgegend jeines Wohnortes bis zu 15 Kilometer Ent- 
fernung von demſelben jelbjtverfertigte Waren, welche zu den 
Gegenſtänden des Mochenmarftverfehrs gehören, feilbietet oder 
gewerbliche Leiſtungen, hinfichtlich deren dies Landesgebrauch ift, 
anbietet; 

3. wer jelbjtgewonnene Erzeugnijje oder jelbjtverfertigte Waren, hin— 
fichtfich deren dies Landesgebrauch ift, zu Wafler anfährt und 
von dem Fahrzeuge aus feilbietet; 

4. wer bei öffentlichen zeiten, Truppenzufammenziebungen oder anderen 
außergewöhnlichen Gelegenheiten mit Erlaubnis der Drtspolizei- 
behörde die von derjelben zu beitimmenden Waren feilbietet. 

Die Landesregierungen können in weiterem Umfange den Gewerbebetrieb 
im Umberziehen mit Gegenftänden des gemeinen Verbrauchs ohne Wander- 
gewerbejchein innerhalb ihres Gebietes geitatten. 

59a. In den Fällen des $59 Ziffer 1 bis 3 fann der Gewerbebetrieb 
unterfagt werden, wenn die Vorausjegungen des $ 57 Ziffer 1 bis 4 vorliegen. 

Wirkung des Wandergewerbeiheins. 

$ 60. Der Wandergewerbeichein wird für die Dauer des Stalender: 
jahres erteilt, er berechtigt den Inhaber, in dem ganzen Gebiete des Reichs 
das bezeichnete Gewerbe nach Entrichtung der darauf haftenden Landesſteuern 
zu betreiben. Soweit nah 856 Ziffer 1 das Feilbieten von geiftigen Ge— 





Gewerbrordnung. 513 


tränfen im alle bejonderen Bedürfnijjes vorübergehend gejtattet wird, ift die 
räumliche und zeitliche Beichränfung Ddiejer Erlaubnis im Wandergewerbe- 
ſcheine anzugeben. 

Ein Wandergewerbejchein für dem Betrieb der im $ 55 Ziffer 4 be 
zeichneten Gewerbe gewährt die Befugnis zum Gewerbebetriebe in einem 
anderen, als dem Bezirke derjenigen Berwaltungsbehörde, welche ihn ausgejtellt 
hat, nur dann, wenn er auf den anderen Bezirk von dejjen Verwaltungs» 
behörde ausgedehnt iſt. Sowohl die Ausjtellung als auch die Ausdehnung 
eines derartigen Wandergewerbeicheins fann für eine fürzere Dauer, als das 
Kalenderjahr, oder für bejtimmte Tage während des Kalenderjahres erfolgen. 
Die Ausdehnung ift zu verfagen, jobald für die den Verhältniffen des Bezirks 
entfprechende Anzahl von Perjonen Wandergemwerbeicheine bereit ausgejtelft 
oder ausgedehnt find. 

Die Verwaltungsbehörde fann die von ihr bewilligte Ausdehnung nad) 
Maßgabe des 8 58 zurüdnehmen. 

Der Wandergewerbejchein enthält die Perſonalbeſchreibung des Inhabers 
und die nähere Bezeichnung des Gejchäftäbetriebee. Das Formular der 
Wandergewerbejcheine bejtimmt der Bundesrat. 


Gewerbe von Haus zu Baus. 
8 60a. Wer die im $ 55 Ziffer 4 bezeichneten Gewerbe an einem 


Orte von Haus zu Haus oder auf öffentlichen Wegen, Straßen, Plägen oder 
an anderen Öffentlichen Orten ausüben will, bedarf der vorgängigen Erlaubnis 


ber Artöpoligeibehßrbe, Minderjährige Wandergewerbtreibende, 
$ 60b. Minderjährigen PBerjonen fann in dem Wandergewerbejcheine 


die Beichränfung auferlegt werden, daß fie das Gewerbe nicht nach Sonnen- 
untergang, und minderjährigen Perſonen weiblichen Gejchlehts fann außerdem 
die Beichränfung auferlegt werden, daß ſie dasjelbe nur auf öffentlichen Wegen, 
Straßen und Plägen, nicht aber von Haus zu Haus betreiben dürfen, 

Desgleihen fann von der Ort3polizeibehörde minderjährigen Perjonen 
verboten werden, daß fie innerhalb des Polizeibezirts die im 8 59 Ziffer 1 
und 2 aufgeführten Gegenstände nach Sonnenuntergang, und minderjährigen 
Perſonen weiblichen Gejchlechts, daß jie dieſelben Gegenstände von Haus zu 
Haus feilbieten. 

Das Feilbieten der im $ 59 Ziffer 1 und 2 bezeichneten Gegenjtände 
durch Kinder unter vierzehn Jahren fann von der Ortspolizeibehörde ver: 
boten werden. 

38 


514 V. Tie übrigen wichtigiten Reichsgeſetze ſtrafrechtlichen Inhalts. 


Pflicht zur Dorzeigung des Wandergewerbeidheins. 

s 60e. Der Inhaber eines Wandergewerbejcheins ijt verpflichtet, dieſen 
während der Ausübung des Gemwerbebetriebes bei fich zu führen, auf Erfordern 
der zujtändigen Behörden oder Beamten vorzuzeigen und, jofern er hierzu 
nicht im ftande tjt, auf deren Geheiß den Betrieb bis zur Herbeifchaffung des 
Wandergewerbejcheins einzuftellen. Auf gleiches Erfordern hat er die von ihm 
geführten Waren vorzulegen. 

Betreten fremder Behaufungen. 

Zum Zwed des Gemwerbebetriebes ift ohne vorgängige Erlaubnis der 
Eintritt in fremde Wohnungen, jowie zur Nachtzeit das Betreten fremder 
Häufer und Gehöfte nicht geitattet. 

Denjelben Beitimmungen — Abſatz 2 — unterliegt das Feilbieten der 
im $ 59 Ziffer 1 umd 2 aufgeführten Gegenftände. 

Dandergewerbeihein des Vertreters und mehrerer Geiwerbetreibenden. 

8 60d. Der Wandergewerbejchein darf einem anderen nicht zur Be— 

nugung überlafjen werden. 


Wer für einen anderen ein Gewerbe im Umherziehen zu betreiben bes 
abfichtigt, unterliegt für feine Perſon den Beltimmungen dieſes Gejeßes. 

Wenn mehrere Perſonen die im $ 55 Ziffer 4 bezeichneten Gewerbe in 
Gemeinjchaft miteinander zu betreiben beabjichtigen, jo fann auf ihren Antrag 
ein gemeinfamer Wandergewerbejchein für die Gejellichaft als ſolche ausgejtellt 
werden, im welchem jedes einzelne Mitglied aufzuführen iſt. Werden für die 
einzelnen Mitglieder bejondere Wandergewerbejcheine ausgeftellt, fo fann in 
die lehteren ein Vermerk aufgenommen werden, nach welchem dem Inhaber 
der Gewerbebetrieb nur im Verbande einer beftimmten Gejellichaft, oder einer 
Geſellſchaft überhaupt, geftattet fein ſoll. 

Umberziehenden Scauspielergejellichaften wird der Wandergewerbefchein 
nur dann erteilt, wenn der Unternehmer die im $ 32 vorgejchriebene Erlaubnis 
befigt. Im dem Wandergewerbejcheine für den Unternehmer einer Schaufpieler- 
gefellichaft ift ausdrüdlich zu vermerken, daß der Gewerbetreibende als Unter- 
nehmer auftreten will. 

Erteilung des Wandergewerbeidheins. 

$ 61. Die Erteilung des Wandergewerbejcheins erfolgt durch die für 
den Wohnort oder Aufentshaltsort des Nachjuchenden zujtändige höhere Ver: 
waltungsbehörde. Die Verwaltungsbehörde des Aufenthaltsortes fann den 
Nachſuchenden an die Behörde feines Wohnortes verweijen. 


Gewerbeordnung. 515 


In dem Falle des $ 55 Ziffer 4 erfolgt die Erteilung des Wander— 
gewerbejcheins durch die höhere Verwaltungsbehörde, in deren Bezirk das 
Gewerbe betrieben werden joll. 

Die Zurüdnahme des Wandergewerbejcheins erfolgt durch die für den 
Wohnort oder Aufentshaltsort des Inhabers zuftändige höhere Verwaltungs» 


behörde. Mitführung anderer Perſonen, Kinder uſw. 


Ss 62, Wer beim ©ewerbebetriebe im Umherziehen andere Perſonen 
von Ort zu Ort mit ſich führen will, bedarf der Erlaubnis derjenigen Behörde, 
welche den Wandergewerbejchein erteilt hat, oder in deren Bezirk fich der 
Nachjuchende befindet. Die Erlaubnis wird in dem Wandergewerbejcheine 
unter näherer Bezeichnung diefer Perſonen vermerft. 

Die Erlaubnis ijt zu verfagen, injoweit bei ihnen eine der im $ 57 
bezeichneten Borausfegungen zutrifft; außerdem darf diejelbe nur dann verjagt 
werden, injoweit eine der im $ 57a und 57b bezeichneten Vorausjegungen 
vorliegt. Die Zurüdnahme der Erlaubnis erfolgt nach Maßgabe des 5 58 
durd) eine für deren Erteilung zujtändige Behörde. 

Die Mitführung von Kindern unter vierzehn Jahren zu gewerblichen 
Zwecken ijt verboten. 

Die Erlaubnis zur Mitführung von Kindern, welche jchulpflichtig find, 
it zu verjagen und die bereits erteilte Erlaubnis zurüdzunehmen, wenn nicht 
für einen ausreichenden Unterricht der Kinder gejorgt iſt. 

Die Erlaubnis zur Mitführung von Kindern unter vierzehn Jahren 
fann verjagt und von der für die Erteilung derſelben zuftändigen Behörde 
zurüdgenommen werden. Dasjelbe gilt von der Erlaubnis zur Mitführung 
von Perſonen anderen Gejchlechts mit Ausnahme der Ehegatten und der über 
vierzehn Jahre alten eigenen Kinder und Enkel. 

Berfahren bei Berfagung und Rüdnahme des Scheines. 

3 63. Wird der Wandergewerbejchein verjagt oder zurücdgenommen, 
oder wird die erfolgte Ausdehnung desjelben zurüdgenommen, jo ijt dies dem 
Beteiligten mitteljt schriftlichen Bejcheides unter Angabe der Gründe zu 
eröffnen. Gegen den Bejcheid ijt der Rekurs zuläjfig, jedoch ohme aufjchiebende 
Wirkung. Wegen des Verfahrens und der Behörden gelten die Vorjchriften 
der SS 20 und 21. Tasjelbe gilt von der Berjagung der Genehmigung des 
Trudjchriftenverzeichnifies ($ 56 Abjag 4), von der Unterfagung des Gewerbe: 
betriebes gemäß $ 59a und der Verfagung oder Zurücknahme der Erlaubnis 
in den Fällen des 8 62 Abſatz 2. 

33* 


516 V. Die übrigen wichtigſten Neichögefepe ſtrafrechtlichen Inhalts. 


Die in Gemäßheit des $ 57 Ziffer 5 erfolgte Verfagung des Wander» 
gewerbefcheins, ſowie die auf grund der 83 60 Abſatz 2, 60b und 62 Abjag 
4 und 5 getroffenen Verfügungen fünnen nur im Wege der Bejchwerde an 
die unmittelbar vorgejegte Auffichtsbehörde angefochten werben. 


Titel IV. 
Marktverkehr. 
Wodhenmarftverfehr. 


$ 66. Gegenjtände des Wochenmarftverfehrs ind: 

1. Rohe Naturerzeugniffe mit Ausjchluß des größeren Viehs; 

2. Fabrifate, deren Erzeugung mit der Land» und Forſtwirtſchaft, dem 
Garten- und Objtbau oder der Fiſcherei in unmittelbarer Ver— 
bindung ſteht, oder zu den Nebenbeichäftigungen der Landleute der 
Gegend gehört, oder durch Taglöhnerarbeit bewirkt wird, mit Aus» 
ichluß der geiltigen Getränfe; 

3. frifche Lebensmittel aller Art. 

Die zuftändige Verwaltungsbehörde ijt auf Antrag der Gemeindebehörde 
befugt, zu beftimmen, welche Gegenftände außerdem nad) Ortögewohnheit und 
Bedürfnis in ihrem Bezirke überhaupt, oder an gewifjen Orten zu den Wochens 
marftartifeln gehören. 

Jahrmärfte. 

8 67. Auf Jahrmärkten dürfen außer den im $ 66 benannten Gegen 
ftänden Verzehrungsgegenftände und Fabrifate aller Art feilgehalten werden. 

Zum Berfauf von geiftigen Getränfen zum Genuß auf der Stelle bedarf 
e3 jedoch der Genehmigung der Ortspolizeibehörde. 

Marftordnung. 

8 69. In den Grenzen der Beitimmungen der 88 65 bis 68 fann die 
Drtspolizeibehörde, im Einverjtändnis mit der Gemeindebehörde, die Marftordnung 
nach dem örtlichen Bedürfnis fejtjegen, namentlich auch für das Feilbieten von 
gleichartigen Gegenitänden den Platz, und für das Feilbieten im Umbertragen, 
mit oder ohne Ausruf, die Tageszeit und die Gattung der Waren bejtimmen. 

Märkte bei befonderen Gelegenheiten uſw. 

$ 70. In betreff der Märkte, welche bei bejonderen Gelegenheiten oder 
für bejlimmte Gattungen von Gegenjtänden gehalten werden, bewendet es bei 
den beitehenden Anordnungen. 

Erweiterungen diejes Marftverfehrs können von der zuftändigen Behörde 
mit Zuſtimmung dev Gemeindebehörde angeordnet werden. 


Gewerbeordnung. 517 
Titel V. 
Taren. 
Bäder. 


$ 73. Die Bäder und die Verkäufer von Backwaren fünnen durch die 
Ortspolizeibehörde angehalten werden, die Preife und das Gewicht ihrer ver- 
Ichiedenen Badwaren für gewifje von derfelben zu beftimmende Zeiträume 
durch einen von außen fichtbaren Anjchlag am Verfaufslofale zur Kenntnis 
des Publifums zu bringen. 

Diejer Anjchlag ijt foftenfrei mit dem polizeilichen Stempel zu verjehen 
und täglich während der Verfaufszeit auszuhängen. 

Bereitfiehung einer Wage. 

s 74. Wo der Verfauf von Backwaren nur nad) den von den Bädern 
und Verfäufern an ihren Berfaufslofalen angejchlagenen Preifen erlaubt ift, 
kann die Ortspolizeibehörde die Bäder und Verkäufer zugleich anhalten, im 
Verfaufslofale eine Wage mit den erforderlichen geaichten Gewichten auf- 
zujtellen und die Benugung derjelben zum Nachwiegen der verkauften Bad- 


waren zu geftatten. 
Gaftwirte. 


$ 75. Die Gaftwirte fünnen durch die Ortspolizeibehörde angehalten 
werden, das Verzeichnis der von ihnen gejtellten Preiſe einzureichen und in 
den Gajtzimmern anzujchlagen. Die Preife dürfen zwar jederzeit abgeändert 
werden, bleiben aber folange in Kraft, bis die Abänderung der Polizeibehörde 
angezeigt und das abgeänderte Verzeichnis in den Gajtzimmern angejchlagen 
it. Auf Beſchwerden Reifender wegen Weberjchreitung der verzeichneten Preije 
fteht der Ortspolizeibehörde eine vorläufige Entjcheidung vorbehaltlich des 


Rechtsweges zu. 
Gefindevermieter und Stellenvermittler. 


8 T5a. Die Gejindevermieter und Stellenvermittler find verpflichtet, 
das Verzeichnis der von ihnen für ihre gewerblichen Leiftungen aufgejtellten 
Taren der Ortöpolizeibehörde einzureichen und in ihren Gejchäftsräumen an 
einer in die Augen fallenden Stelle anzuſchlagen. Diefe Taren dürfen zwar 
jederzeit abgeändert werden, bleiben aber jolange in Kraft, bis die Abänderung 
der Bolizeibehörde angezeigt und das abgeänderte Verzeichnis in den Gejchäfte- 
räumen angejchlagen iſt. 

Die Gefindevermieter und Stellenvermittler find ferner verpflichtet, dem 
Stellefuchenden vor Abſchluß des Vermittelungsgeichäfts die für ihn zur 
Anwendung fommende Tare mitzuteilen. 


518 V. Die übrigen wichtigften Reichsgeſetze ſtrafrechtlichen Inhalts. 





Dienftmänner. 

5 76. Die DOrtspolizeibehörde ift in Uebereinftimmung mit der Gemeinde: 
behörde befugt, für Lohnbediente und andere Berfonen, welche auf öffentlichen 
Straßen und Plätzen oder in Wirtshäufern ihre Dienfte anbieten ($ 37), ſowie 
für die Benußung von Magen, Pferden, Sänften, Gondeln und anderen Trans» 
portmitteln, welche öffentlich zum Gebrauch aufgeftellt find, Taxen ſeſtzuſetzen. 

Schornfteinfeger. 

8 77. Ebenſo fönnen für Schornsteinfeger, wenn ihnen Bezirke aus» 
Schließlich zugewiefen find, von der Ortspolizeibehörde, im Einverjtändnis mit 
der Gemeindebehörde, oder, wenn der zugewiejene Bezirf mehr als eine Ort— 
ſchaft umfaßt, von der unteren Berwaltungsbehörde Taren aufgejtellt werden. 


8 78. Hinſichtlich der Taxen für folche gewerbetreibende Perſonen, 
welche nach den Bejtimmungen im $ 36 von den Behörden zu beeidigen und 
anzustellen find, wird durch das gegenwärtige Gejeg nichts geändert. Die nad) 
$ 36 zuftändigen Behörden jind befugt, für dieſe Perfonen auch da Taren 
einzuführen, wo dergleichen bisher nicht beitanden. 

Ermähigung der Preife und Zaren, 

$ 79. Die in den 88 73 bis 78 genannten Gewerbetreibenden jind 

berechtigt, die feitgelegten Preife und Taxen zu ermäßigen. 
Apotheter. 

$ 80. Die Taxen für die Apotheker können durch die Zentralbehörden 
fejtgefegt werden. Ermäßigungen derjelben durch freie Vereinbarungen find 
jedoch zufällig. 

Die Bezahlung der approbierten Aerzte uſw. ($ 29 Abſ. 1) bleibt der 
Vereinbarung überlaffen. Als Norm für ftreitige Fälle im Mangel einer 
Vereinbarung können jedoch für diejelben Taxen von den LZentralbehörden 
feftgefegt werden. 

Titel VL 
Innungen, Innungsausfhüfe, Handwerkskammern, 
Innungsverbände. 
I. Innungen. 
a) allgemeine Vorſchriften. 
$ 81. Diejenigen, welche ein Gewerbe jelbjtändig betreiben, können 


zur Förderung der gemeinjamen gewerblichen Snterefien zu einer Innung 
zufammentreten. 


Gewerbeordnung. 519 


Aufgabe der Innungen. 
8 Sla. Aufgabe der Innungen iſt: 


1. die Pflege des Gemeingeiites jowie die Aufrechterhaltung und 
Stärfung der Standesehre unter den Innungsmitgliedern ; 

. die Förderung eines gedeihlichen Verhältniſſes zwifchen Meiftern 
und Gejellen (Gehülfen) jowie die Fürſorge für das Herbergsweien 
ımd den Arbeitänachweis; 

3. die nähere Regelung des Lehrlingswejens und die Fürſorge für 
die technifche, gewerbliche und fittliche Ausbildung der Lehrlinge, 
vorbehaltlich der Beitimmungen der 88 103e, 126 bis 132a; 

4. die Entjcheidung von Streitigkeiten der im $ 3 des Gemwerbe- 
gerichtägejeges vom 29. Juli 1890 (Reich3-Gefegblatt S. 141) und 
im $ 53a des Kranfenverficherungsgejeges (Reichs-Geſetzblatt 1892 
S. 379) bezeichneten Art zwijchen den Innungsmitgliedern und 
ihren Lehrlingen. 


to 


III. Handiwerfstammern. 

$ 103. Zur Bertretung der Intereſſen des Handwerks ihres Bezirkes 
find Handwerfsfammern zu errichten. 

Die Errichtung erfolgt durch eine Verfügung der Landes: Zentralbehörde, 
in welcher der Bezirk der Handwerfsfammer zu bejtimmen iſt. Dabei fann 
die Bildung von Abteilungen für einzelne Teile des Bezirkes oder für Gemwerbe- 
gruppen angeordnet werben. 

Dur Verfügung der Yandes» Zentralbehörde kann der Bezirk der Hand- 
werfsfammer abgeändert werden. Im Ddiejem Falle hat eine Vermögens— 
auseinanderjegung unter entjprechender Anwendung des $ 100k Abi. 2 zu 
erfolgen. 

Mehrere Bundesjtaaten fünnen fich zur Errichtung gemeinfamer Hand: 
werföfammern vereinigen. In diefem alle find die den Behörden übertragenen 
Befugnifje, joweit nicht eine anderweite Vereinbarung getroffen wird, von den 
Behörden desjenigen Bundesjtaats wahrzunehmen, in welchem die Handwerks— 


fammer ihren Sig hat. 
Geihäftötreis der Sandwerföfammer. 


$ 103e. Der Handwerksfammer liegt insbefondere ob: 
1. die nähere Regelung des Lehrlingswejens; 
2. die Durchführung der für das Lehrlingswejen geltenden Vorjchriften 
zu überwachen ; 


520 V. Die übrigen wichtigiten Neicysgeiepe ſtrafrechtlichen Inhalte. 


3. die Staats- und Gemeindebehörden in der Förderung des Hand— 
werfes durch tatjächliche Mitteilungen und Erjtattung von Gut— 
achten über Fragen zu unterftügen, welche die Verhältnifje des 
SHandwerfes berühren ; 

4. Wünfche und Anträge, welche die VBerhältniffe des Handwerkes 
berühren, zu beraten und den Behörden vorzulegen, jowie Jahres- 
berichte über ihre die Berhältniffe des Handwerkes betreffenden 
Wahrnehmungen zu erjtatten; 

5. die Bildung von Prüfungsausfchüffen zur Abnahme der Gejellen- 
prüfung ($ 131 Abja 2); 

‚6. die Bildung von Ausschüffen zur Entjcheidung über Beanjtandungen 
von Beſchlüſſen der Prüfungsausſchüſſe ($ 132). 

Die Handwerfstammer fol in allen wichtigen, die Geſamtintereſſen des 
Handwerfes oder die Intereffen einzelner Zweige desjelben berührenden Au— 
gelegenheiten gehört werden. 

Sie ift befugt, Veranitaltungen zur Förderung der gewerblichen, 
technischen und fittlichen Ausbildung der Meijter, Gejellen, (Gehülfen) und 
Lehrlinge zu treffen, ſowie Fachſchulen zu errichten und zu unterjtügen. 


Titel VII 


Gewerbliche Arbeiter (Gefellen, Gehülfen, Lehrlinge, 
Betriebsbeamte, Werkmeilter, Techniker, Fabrikarbeiter). 
I. Allgemeine Berhältniijie. 

Arbeit an Sonn⸗ und Feittagen. 

$ 105a. Zum arbeiten an Sonn- und Felttagen fünnen die Gewerbe- 
treibenden die Arbeiter nicht verpflichten. Arbeiten, welche nach den Be- 
ftimmungen diefes Gejeges au an Sonn- und Feittagen vorgenommen werden 
dürfen, fallen unter die vorjtehende Beitimmung nicht. 

Melche Tage als Feittage gelten, bejtimmen unter VBerücjichtigung der 
Örtlichen und fonfejftonellen Berhältnifje die Yandesregierungen. 

Sonntagöruhe. 
Fabriken und ähnliche Betriebe. 

s 105b. Im Betriebe von Bergwerfen, Salinen, Aufbereitungsanjtalten, 
Brüchen und Gruben, von Hüttenwerfen, Fabrifen und Werfftätten, von 
Zimmerplägen und anderen Bauhöfen, von Werften und Biegeleien, ſowie bei 
Bauten aller Art dürfen Arbeiter an Sonn» und Feittagen nicht bejchäftigt 


Gewerbeordnung. 521 


werden. Die den Arbeitern zu gewährende Ruhe hat mindeftens für jeden 
Sonn- und Feittag vierundzwanzig, für zwei aufeinander folgende Sunn- 
und Feſttage jechsumddreißig, für das Weihnachts, Oſter- und Pfingjtfeft 
achtundvierzig Stunden zu dauern. Die Ruhezeit ift von zwölf Uhr nachts 
zu rechnen und muß bei zwei aufeinanderfolgenden Sonn: und FFeittagen bis 
jechs Uhr abends des zweiten Tages dauern. Im Betrieben mit regelmäßiger 
Tag: und Nahtichicht kann die Ruhezeit früheitens um jechs Uhr abends 
des vorhergehenden Werktages, jpätejtens um ſechs Uhr morgens des Sonn— 
oder Feſttages beginnen, wenn für die auf den Beginn der Ruhezeit folgenden 


vierumdzwanzig Stunden der Betrieb ruht. 
Sandelögewerbe, 


Im Handeldgewerbe dürfen Gehülfen, Lehrlinge und Arbeiter am erften 
Weihnachts-, Dfter- und Pfingittage überhaupt nicht, im übrigen an Sonn 
und Feittagen nicht länger als fünf Stunden bejchäftigt werden. Durch 
ftatutarische Beitimmung einer Gemeinde oder eines weiteren tommunalverbandes 
($ 142) kann diefe Beichäftigung für alle oder einzelne Zweige des Handels- 
gewerbes auf fürzere Zeit eingefchränft oder ganz unterjagt werden. ‘Für die 
legten vier Wochen vor Weihnachten, jowie für einzelne Sonn» und Feſttage, 
an welchen örtliche Verhältniſſe einen erweiterten Gejchäftsverfehr erforderlich 
machen, kann die Polizeibehörde eine Vermehrung der Stunden, während 
welcher die Bejchäftigung ftattfinden darf, bis auf zehn Stunden zulafjfen. Die 
Stunden, während welcher die Bejchäftigung jtattfinden darf, werden unter 
Berüdjichtigung der für den öffentlichen Gottesdienit bejtimmten Zeit, jofern 
die Bejchäftigungszeit durch jtatutarische Beitimmungen eingejchränft worden 
it, Durch letere, im übrigen von der Polizeibehörde feitgeftellt. Die Feſt— 
ftellung fann für verjchiedene Zweige des Handelsgewerbes verfchieden erfolgen. 

Die Beftimmungen des Abjages 2 finden auf die Beichäftigung von 
Gehülfen, Lehrlingen und Arbeitern im Gejchäftsbetriebe von Sonfum- und 
anderen Vereinen entjprechende Anwendung. 

Geftattete Sonntagsarbeiten ; vorfhriftsmähiges Verzeichnis. 

S 105e. Die Beitimmungen des $ 105b finden feine Anwendung: 

1. auf Arbeiten, welche in Notfällen oder im öffentlichen Intereſſe 
unverzüglich vorgenommen werden müſſen; 

2. für einen Sonntag auf Arbeiten zur Durchführung einer gejeglich 
vorgejchriebenen Inventur; 

3. auf die Bewachung der Betriebsanlagen, auf Arbeiten zur Reinigung 
und Initandhaltung, durch welche der regelmäßige Fortgang des 


ET SEE — 


522 V. Die übrigen wichtigſten Reichsgeſetze ſtrafrechtlichen Inhafts. 


eigenen oder eines fremden Betriebes bedingt iſt, ſowie auf Arbeiten, 
von welchen die Wiederaufnahme des vollen werktägigen Betriebes 
abhängig iſt, ſofern nicht dieſe Arbeiten an Werktagen vorgenommen 
werden können; 

4. auf Arbeiten, welche zur Verhütung des Verderbens von Roh— 
ſtoffen oder des Mißlingens von Arbeitserzeugniſſen erforderlich 
ſind, ſofern nicht dieſe Arbeiten an Werktagen vorgenommen werden 
fünnen:; 

. auf die Beauffichtigung des Betriebes, joweit er nach Ziffer 1 
bis 4 an Sonn- und Feſttagen jtattfindet. 

Gewerbetreibende, welche Arbeiter an Sonn» und Feittagen mit Arbeiten 
der unter Ziffer 1 bis 5 erwähnten Art bejchäftigen, find verpflichtet, ein 
Verzeichnis anzulegen, in welches für jeden einzelnen Sonn: und Feſttag die 
Zahl der bejchäftigten Arbeiter, die Dauer ihrer Beſchäftigung jowie die Art 
der vorgenommenen Arbeiten einzutragen find. Das Verzeichnis ijt auf 
Erfordern der Ortepolizeibehörde fowie dem im $ 139 b bezeichneten Beamten 
jederzeit zur Einficht vorzulegen. 

Bei den unter Ziffer 3 und 4 bezeichneten Arbeiten, jofern dieſelben 
länger al3 drei Stunden dauern, oder die Arbeiter am Beſuche des Gottes- 
dienjtes hindern, find die Gewerbetreibenden verpflichtet, jeden Arbeiter entweder 
an jedem dritten Sonntage volle jechsunddreifig Stunden, oder an jedem 
zweiten Sonntage mindejtens in der Zeit von jechs Uhr morgens bis ſechs 
Uhr abends von der Arbeit frei zu laſſen. 

Ausnahmen von den Borjchriften des vorftehenden Abſatzes darf die 
untere Berwaltungsbehörde gejtatten, wenn die Arbeiter am Bejuche des ſonn— 
täglichen Gottesdienstes nicht gehindert werden und ihnen an Stelle des Sonn 
tages eine vierundzwanzigſtündige Ruhezeit an einem Wochentage gewährt wird. 


gr 


Zulaffung weiterer Ausnahmen durch Beſchluß des Bundesrats. 

8 105d. Für beſtimmte Gewerbe, insbeſondere für Betriebe, in denen 
Arbeiten vorkommen, welche ihrer Natur nach eine Unterbrechung oder einen 
Aufſchub nicht geſtatten, ſowie für Betriebe, welche ihrer Natur nach auf 
beſtimmte Jahreszeiten beſchränkt ſind, oder welche in gewiſſen Zeiten des 
Jahres zu einer außergewöhnlich verſtärkten Tätigkeit genötigt ſind, können 
durch Beſchluß des Bundesrats Ausnahmen von der Beſtimmung des 8 105b 
Abj. 1 zugelajien werden. 


Gewerbeordnung. 523 


— 


Die Regelung der an Sonn- und Feſttagen in dieſen Betrieben ge— 
jtatteten Arbeiten und der Bedingungen, unter welchen fie geitattet find, erfolgt 
für alle Betriebe derfelben Art gleichmäßig und unter Berüdfichtigung der 
Beitimmung des $ 105c Ab}. 3. 

Die vom Bundesrat getroffenen Beitimmungen find durch das Neichs- 
Geſetzblatt zu veröffentlichen und dem Reichstag bei feinem nächſten Zuſammen— 
tritt zur Kenntnisnahme vorzulegen. 


Ausnahmen durch Berfügung der höheren Berwaltungsbehörde. 

8 105e. Für Gewerbe, deren vollftändige oder teilweife Ausübung an 
Sonne umd Feſttagen zur Befriedigung täglicher oder an diefen Tagen bejonders 
hervortretender Bedürfniffe der Bevölkerung erforderlich it, ſowie für Betriebe, 
welche ausſchließlich oder vorwiegend mit durch Wind oder unregelmäßige 
Waſſerkraft bewegten Triebwerfen arbeiten, fünnen durch Verfügung der höheren 
Verwaltungsbehörde Ausnahmen von den im $ 105 b getroffenen Bejtimmungen 
zugelafjen werden. Die Regelung diejer Ausnahmen hat unter Berüdjichtigung 
der Beitimmungen des 8 105c Abi. 3 zu erfolgen. 

Der Bundesrat trifft über die Vorausſetzungen und Bedingungen der 
Zulaffung von Ausnahmen nähere Beitimmungen; diejelben find dem Reichs— 
tage bei jeinem nächiten Zujammentritte zur Kenntnisnahme mitzuteilen. 

Das Verfahren auf Anträge wegen Zulafjung von Ausnahmen für 
Betriebe, welche ausjchlieglich oder vorwiegend mit durch Wind oder unregel- 
mäßige Wajjerfraft bewegten Triebwerfen arbeiten, unterliegt den Vorjchriften 
der SS 20 und 21. 

Ausnahmen Durch Berfügung der unteren Berwaltungöbehörde. 

8 105f. Wenn zur Verhütung eines unverhältnismäßigen Schadens 
ein nicht vorherzufehendes Bedürfnis der PBeichäftigung von Arbeitern an 
Sonne und Feſttagen eintritt, jo fünnen durch die untere Verwaltungsbehörde 
Ausnahmen von der Beftinnmung des $ 105b Abi. 1 für bejtimmte Zeit zu- 
gelafien werden. 

Die Verfügung der unteren Berwaltungsbehörde it fchriftlich zu erlafjen 
und muß von dem Unternehmer auf Erfordern dem für die Revifion zu— 
jtändigen Beamten an der Betriebsitelle zur Einficht vorgelegt werden. Eine 
Abfchrift der Verfügung ift innerhalb der Betriebsjtätte an einer den Arbeitern 
feicht zugänglichen Stelle auszuhängen. 

Die untere Verwaltungsbehörde hat über die von ihr geftatteten Aus— 
nahmen ein Verzeichnis zu führen, in welchem die Betriebsjtätte, die gejtatteten 


524 V. Die übrigen wichtigſten Reichsgeſetze ftrafrechtlihen Inhalte. 


Urbeiten, die Zahl der in dem Betriebe bejchäftigten und der an den betreffenden 

Soun= und Felltagen tätig geweſenen Arbeiter, die Dauer ihrer Bejchäftigung, 

jowie die Dauer und die Gründe der Erlaubnis einzutragen find. 
Ausdehnung Der Sonntagäruhe Durch ſtaiſerliche Verordnung. 

8 105g. Das Verbot der Bejchäftigung von Arbeitern an Sonn» und 
Feſttagen kann durch Kaijerliche Verordnung mit Zuftimmung des Bundes: 
rat3 auf andere Gewerbe ausgedehnt werden. Dieſe Verordnungen find dem 
Neichstag bei feinem nächiten Zufammentritt zur Kenntnisnahme vorzulegen. 
Auf die von dem Berbote zuzulafjenden Ausnahmen finden die Beitimmungen 
der 88 105 bis 105f entiprechende Anwendung. 

Landesgeſetze. 

8 105h. Die Beſtimmungen der 88 1054 bis 105g ſtehen weiter— 
gehenden landesgeſetzlichen Beſchränkungen der Arbeit an Sonn- und Feſt— 
tagen nicht entgegen. 

Den Landes - Zentralbehörden bleibt vorbehalten, für einzelne Feittage, 
welche nicht auf einen Sonntag fallen, Abweichungen von der VBorjchrift des 
$ 105b Abſ. 1 zu geftatten. Auf das Weihnachts-, Neujahrs-, Ofter-, Himmel» 
fahrts- und Pfingitfeit findet diefe Beitimmung feine Anwendung. 

Sonntagsdarbeit in Gaftwirtichaften uſw. 

$ 1051. Die SS 105a Abſ. 1, 105b bis 105g finden auf Gajt- und 
Schanfwirtjchaftägewerbe, Mufifaufführungen, Schauftellungen, theatralische 
Voritellungen oder jonjtige Luſtbarkeiten, ſowie auf Verkehrsgewerbe feine 
Anwendung. 

Die Gewerbetreibenden können die Arbeiter in diefen Gewerben nur zu 
folchen Arbeiten an Sonn» und Feittagen verpflichten, welche nach) der Natur 
des Gewerbebetriebes einen Auffchub oder eine Unterbrechung nicht geitatten. 

Gewerbetreibende ohne bürgerlihe Ehrenredte. 

8 106. Gewerbetreibende, welchen die bürgerlichen Ehrenrechte aberfannt 
find, dürfen, jo lange ihmen diefe Rechte entzogen bleiben, mit der Anleitung 
von Arbeitern unter achtzehn Jahren fich nicht befafien. 

Die Entlafjung der dem vorjtehenden Verbote zumider bejchäftigten 
Ürbeiter fann polizeilich erzwungen werden. 

Arbeitsbuh Minderjähriger; Obliegenheiten des Arbeitgebers. 

$ 107. Minderjährige Perjonen dürfen, joweit reichögejeglich nicht ein 
anderes zugelaffen ift, als Arbeiter nur bejchäftigt werden, wenn ſie mit einem 
Arbeitsbuche verjehen find. Bei der Annahıne folcher Arbeiter hat der Arbeit 


Gewerbeordnung. 225 


geber das Arbeitsbuch einzufordern. Er iſt verpflichtet, dasjelbe zu verwahren, 
auf amtliche Verlangen vorzulegen und nad rechtmähiger Löſung des 
Arbeitöverhältnijjes wieder auszuhändigen. Die Aushändigung erfolgt an 
den geſetzlichen Vertreter, jofern dieſer es verlangt, oder der Arbeiter das 
fechzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet hat, andernfalld an den Arbeiter 
ſelbſt. Mit Genehmigung der Gemeindebehörde des im $ 108 bezeichneten 
Ortes kann die Aushändigung des Arbeitsbuches auch an die zur gefeglichen 
Vertretung nicht berechtigte Mutter oder einen ſonſtigen Angehörigen oder 
unmittelbar an den Arbeiter erfolgen. 

Auf Kinder, welche zum Befuche der Volksſchule verpflichtet find, finden 


vorjtehende Beitimmungen feine Anwendung. 
Einrihtung des Arbeitöbuches. 
8 110. Das Arbeitsbuch ($ 108) mu den Namen des Arbeiters, Ort, 


Sahr und Tag feiner Geburt, Namen und legten Wohnort feines gejeglichen 
Vertreters und die Unterſchrift des Arbeiters enthalten. Die Ausitellung 
erfolgt unter dem Siegel und der Unterſchrift der Behörde. Letztere hat über 
die von ihr ausgeftellten Arbeitsbücher ein Verzeichnis zu führen. 

Die Einrichtung der Arbeitsbücher wird durch den Reichsfanzler bejtimmt. 

Einträge in das Arbeitsbuch. 

8 111. Bei dem Eintritt des Arbeiters in das Arbeitsverhältnis hat 
der Arbeitgeber an der dafür beitimmten Stelle de3 Arbeitsbuches die Zeit 
des EintrittS und die Art der Beichäftigung, am Ende des Arbeitsverhältniffes 
die Zeit des Austritts und, wenn die Bejchäftigung Aenderungen erfahren 
hat, die Art der legten Beichäftigung des Arbeiterd einzutragen. 

Die Eintragungen find mit Tinte zu bewirken und von dem Arbeitgeber 
oder dem dazu bevollmächtigten Betriebsleiter zu unterzeichnen. 

Die Eintragungen dürfen nicht mit einem Merkmal verjchen fein, 
welches den Inhaber des Arbeitsbuches günjtig oder nachteilig zu fennzeichnen 
bezweckt. 

Die Eintragung eines Urteils über die Führung oder die Leiſtungen 
des Arbeiters und ſonſtige durch dieſes Geſetz nicht vorgeſehene Eintragungen 
oder Vermerke in oder an dem Arbeitsbuche ſind unzuläſſig. 

Anſpruch auf Zeugnis. 
$ 113. Beim Abgange können die Arbeiter ein Zeugnis über die Art 
und Dauer ihrer Beichäftigung fordern. 

Diefes Zeugnis ift auf Verlangen der Arbeiter auch auf ihre Führung 
und ihre Leiftungen auszudehnen. 


Tu nn. LU 2 


526 V. Die übrigen wicdtigften Reichsgeſetze ſtrafrechtlichen Inhalte. 


Den Arbeitgebern iſt unterjagt, die Zeugnifje mit Merkmalen zu vers 
fehen, welche den Zwed haben, den Arbeiter in einer aus dem Wortlaut des 
Zeugniſſes nicht erfichtlichen Weiſe zu fennzeichnen. 

Iſt der Arbeiter minderjährig, jo fan das Zeugnis von dem gejeglichen 
Vertreter gefordert werden. Diefer fann verlangen, daß das Zeugnis an ihn, 
nicht an den Minderjährigen ausgehändigt werde. Mit Genehmigung der 
Gemeindebehörde des im $ 108 bezeichneten Ortes fanıı auch gegen den Willen 


des gefeglichen Vertreters die Aushändigung unmittelbar an den Arbeiter erfolgen. 
LSohnbücher und Arbeitszettel. 


8 114a. Für beſtimmte Gewerbe kann der Bundesrat Lohnbücher oder 
Arbeitszettel vorjchreiben. In dieſe jind von dem Arbeitgeber oder dem dazu 
Bevollmächtigten einzutragen: 

1. Art und Umfang der übertragenen Arbeit, bei Atfordarbeit Die 
Stüdzahl ; 
2. die Lohnſätze; 
. die Bedingungen für die Lieferung von Werkzeugen und Stoffen 
zu den übertragenen Arbeiten. 

Der Bundesrat kann bejtimmen, dab in die Lohnbücher oder Arbeits: 
zettel auch die Bedingungen für die Gewährung von Kojt und Wohnung 
einzutragen jind, jofern Soft oder Wohnung als Lohn oder Teil des Lohnes 
gewährt werden jollen. 

Auf die Eintragungen finden die Borfchriften des $ 111 Abj. 2 bis 4 
entiprechende Anwendung. 

Das Lohnbuch oder der Arbeitszettel ift von dem Arbeitgeber auf feine 
Ktoften zu beichaffen und dem Arbeiter nad) Vollziehung der vorgefchriebenen 
Eintragungen vor oder bei der Uebergabe der Arbeit fojtenfrei auszuhändigen. 

Die Lohnbücher find mit einem Abdrude der Beitimmungen der 88 115 
bis 119a Abſ. 1 und des $ 119b zu verjehen. Im übrigen wird die 
Einrichtung der Lohnbücher durch den Reichsfanzler bejtimmt. 

Auf die von dem Bundesrate getroffenen Anordnungen findet die 
Beitimmung im $ 120e Abf. 4 Anwendung. 

Bare Kohnzahlung in Reihswährung. 

$ 115. Die Gewerbetreibenden find verpflichtet, die Löhne ihrer Arbeiter 
in Reichswährung zu berechnen und bar auszuzahlen. 

Sie dürfen den Arbeitern feine Waren freditieren. Doch ijt es gejtattet, 
den Arbeitern Lebensmittel für den Betrag der Anjchaffungsfoften, Wohnung 


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— — — — — 


Gewerbeordnung. 527 


und Landnugung gegen die ortsühlichen Miet: und Pachtpreiſe, Feuerung, 
Beleuchtung, regelmäßige Belöjtigung, Arzeneien und ärztliche Hülfe, ſowie 
Werkzeuge und Stoffe zu den ihnen übertragenen Arbeiten für den Betrag 
der durchſchnittlichen Selbftkoften unter Anrechnung bei der Lohnzahlung zu verab- 
folgen. Zu einem höheren Breife iſt die VBerabfolgung von Werkzeugen und Stoffen 
für Afordarbeiten zuläjjig, wenn derjelbe den ortsüblichen nicht überfteigt und im 
voraus vereinbart iſt. 


Lohnzahlungen in Gaftwirtihaften ufw. und an Dritte. 
$ 115a. Lohn- und Abfchlagszahlungen dürfen in Gaſt- und Schank— 
wirtichaften oder Berfaufsjtellen nicht ohne Genehmigung der unteren Ver— 
waltungsbehörde erfolgen; fie dürfen an Dritte nicht erfolgen auf grund von 
Nechtsgefchäften oder Urkunden über Nechtögejchäfte, welche nach $ 2 des 
Geſetzes, betreffend die Beſchlagnahme des Arbeits: oder Dienjtlohnes, vom 
21. Juni 1869 (Bundes:Gefegblatt ©. 242) rechtlich unwirkſam find. 


Ungiltige Lohnberichtigungen. 

$ 116. Arbeiter, deren Forderungen in einer dem $ 115 zunviderlaufenden 
Weiſe berichtigt worden find, fünnen zu jeder Zeit Zahlung nach Mapgabe 
des $ 115 verlangen, ohne daß ihnen eine Einrede aus dem an BZahlungsitatt 
gegebenen entgegengejettt werden kann. Letzteres fällt, joweit es noch bei dem 
Empfänger vorhanden oder diejer daraus bereichert ijt, derjenigen Hülfskaſſe 
zu, welcher der Arbeiter angehört, in Ermangelung einer jolchen einer anderen 
zum beiten der Arbeiter an dem Orte beitehenden, von der Gemeindebehörde 
zu bejtimmenden Kaſſe und in deren Ermangelung der Ortsarmenfafje. 


Zuwiderlaufende Verträge und Verabredungen. 
$ 117. Verträge, welche dem $ 115 zumiderlaufen, find nichtig. 
Dasjelbe gilt von Verabredungen zwijchen den Gewerbetreibenden und 
den von ihnen bejchäftigten Arbeitern über die Entnahme der Bedürfnifie der 
legteren aus gewiſſen Berfaufsftellen, jowie überhaupt über die Verwendung 
des Berdienjtes derjelben zu einem anderen Zwed ala zur Beteiligung an 
Einrichtungen zur Verbeſſerung der Lage der Arbeiter oder ihrer Familien. 

$ 118. Forderungen für Waren, welche dem $ 115 zumider freditiert 
worden jind, können von dem Gläubiger weder eingeflagt, nody durch Anz 
rechnung oder jonft geltend gemacht werden, ohne Unterjchied, ob fie zwijchen 
den Beteiligten unmittelbar entjtanden oder mittelbar erworben jind. Dagegen 
fallen dergleichen Forderungen der im $ 116 bezeichneten Kaſſe zu. 


528 V. Die übrigen wichtigiten Reichsgeſetze ftrafrechtlichen Inhalts. 


$ 119. Den Gewerbebetreibenden im Sinne der SS 115 big 118 jind 
gleich zu achten deren Familienglieder, Gehilfen, Beauftragte, Gejchäftsführer, 
Aufjeher und Faktoren, ſowie andere Gewerbetreibende, bei deren Gejchäft 
eine der hier erwähnten Perfonen unmittelbar oder mittelbar beteiligt ift. 

2ohneinbehaltungen. 

8 119a. Lohneinbehaltungen, welche von Gemwerbeunternehmern zur 
Sicherung des Erfages eines ihnen aus der widerrechtlichen Auflöfung des 
Arbeitöverhältnijjes erwachjenden Schadens oder einer für dieſen Fall ver- 
abredeten Strafe ausbedungen werden, dürfen bei den einzelnen Zohnzahlungen 
ein Viertel des fälligen Zohnes, im Gejamtbetrage den Betrag eines durch— 
fchnittlichen Wochenlohnes nicht überfteigen. 

Durch ftatutarische Bejtimmung einer Gemeinde oder eines weiteren 
Kommunalverbandes (8 142) fann für alle Gewerbebetriebe oder gewiſſe Arten 
derjelben feitgefegt werden: 

1. daß Lohn» und Abjchlagszahlungen in feſten Friſten erfolgen 
müſſen, welche nicht länger als einen Monat und nicht fürzer als 
eine Woche jein dürfen; 

2. daß der von minderjährigen Arbeitern verdiente Lohn an die Eltern 
oder Bormünder und nur mit deren fchriftlicher Zuftimmung oder 
nach deren Beicheinigung über den Empfang der legten Yohnzahlung 
unmittelbar an die Minderjährigen gezahlt wird; 

3. daß die Gewerbetreibenden den Eltern oder Vormündern innerhalb 
gewiffer Friſten Mitteilung von den an minderjährige Arbeiter 
gezahlten Lohnbeträgen zu machen haben. 


8 119b. Unter den in 88 114a bis 119a bezeichneten Arbeitern 
werden auch diejenigen Perjonen verjtanden, welche für bejtimmte Gewerbe— 
treibende außerhalb der Arbeitsjtätten der Ießteren mit der Anfertigung 
gewerblicher Erzeugnifje bejchäftigt find, und zwar auch dann, wenn jie Die 
Roh- und Hilfsstoffe ſelbſt bejchaffen. 

Beſuch der Fortbildungsfhule. 

8 120. Die Gewerbeunternehmer find verpflichtet, ihren Arbeitern unter 
achtzehn Jahren, welche eine von der Gemeindebehörde oder vom Staate als 
Hortbildungsichule anerkannte Unterrichtsanstalt befuchen, hierzu die erforderlichen: 
fall8 von der zuftändigen Behörde feitzujegende Zeit zu gewähren. Am 
Sonntage darf der Unterricht nur ftattfinden, wenn die Unterrichtsitunden jo 





Gewerbeordnung. 529 


gelegt werben, daß die Schüler nicht gehindert werden, den Hauptgottesdienft 
oder einen mit Genehmigung der firchlichen Behörden für fie eingerichteten 
bejonderen Gottesdienit ihrer Konfeffion zu bejuchen. Ausnahmen von diefer 
Beitimmung fann die Zentralbehörde für bejtehende Fortbildungsschulen, zu 
deren Beſuch feine Verpflichtung beiteht, biß zum 1. Oftober 1894 gejftatten. 

Als Fortbildungsjchulen im inne dieier Beitimmung gelten auch 
Anstalten, in welchen Unterricht in weiblichen Hand- und Hausarbeiten erteilt wird. 

Durch jtatutarifche Beftimmung einer Gemeinde oder eines weiteren 
Kommunalverbandes ($ 142) fann für männliche Arbeiter unter achtzehn 
Jahren, jowie für weibliche Handlungsgehülfen unter achtzehn Jahren die 
Verpflichtung zum Beſuche einer Fortbildungsſchule, ſoweit dieje Verpflichtung 
nicht landesgejeglich bejteht, begründet werden. Auf demfelben Wege können 
die zur Durchführung diefer Verpflichtung erforderlichen Beitimmungen ge: 
troffen werden. Insbejondere können durch jtatutarische Beitimmung die zur 
Sicherung eines regelmäßigen Schulbefuchs den Schulpflichtigen, jowie deren 
Eltern, VBormündern und Arbeitgebern obliegenden Berpflichtungen beſtimmt 
und diejenigen Borjchriften erlaffen werden, durch welche die Ordnung in der 
Fortbildungsjchule und ein gebührliches Verhalten der Schüler gefichert wird. 
Bon der durch jtatutarifche Beſtimmung begründeten Verpflichtung zum Befuche 
einer Fortbildungsjchule jind diejenigen befreit, welche eine Innungs= oder 
andere Fortbildungs- oder Fachſchule bejuchen, fofern der Unterricht diejer 
Schule von der höheren Berwaltungsbehörde als ein ausreichender Erſatz des 
allgemeinen Fortbildungsjchulunterrichts anerfannt wird. 


Schub der Arbeiter für Leben und Gefundheit, 

$ 120a. Die Gewerbeunternehmer find verpflichtet, die Arbeitsräume, Be- 
trieb3vorrichtungen, Majchinen und Gerätjchaften jo einzurichten und zu unter: 
halten und den Betrieb jo zu regeln, daß die Arbeiter gegen Gefahren für Leben 
und Gejundheit joweit gejchügt find, wie es Die Natur des Betriebes geftattet. 

Inbejondere iſt für gemügendes Licht, ausreichenden Luftraum und Quft: 
wechjel, Bejeitigung des bei dem Betriebe entitehenden Staubes, der dabei ent: 
widelten Dünſte und Gaje, jowie der dabei entjtehenden Abfälle Sorge zu tragen. 

Ebenjo find diejenigen Vorrichtungen herzuitellen, welche zum Schuge 
der Arbeiter gegen gefährliche Berührungen mit Majchinen oder Mafchinen- 
teilen oder gegen andere in der Natur der Betriebäftätte oder des Betriebes 
liegende Gefahren, namentlich auch gegen die Gefahren, welche aus Fabril— 
bränden erwachjen künnen, erforderlich find. 

34 





530 V. Die übrigen wichtigſten Reichsgeſetze ſtrafrechtlichen Inhalts. 


Endlich ſind diejenigen Vorſchriften über die Ordnung des Betriebes 
und das Verhalten der Arbeiter zu erlaſſen, welche zur Sicherung eines 
gefahrloſen Betriebes erforderlich ſind. 


Sicherung von Sitte und Anſtand. 

$ 120b. Die Gewerbeunternehmer ſind verpflichtet, diejenigen Ein— 
richtungen zu treffen und zu unterhalten und diejenigen Vorjchriften über 
das Verhalten der Arbeiter im Betriebe zu erlaffen, welche erforderlich find, 
um die Aufrechterhaltung der guten Sitten und des Anjtandes zu fichern. 

Insbejondere muß, ſoweit es die Natur des Betriebes zuläht, bei der 
Arbeit die Trennung der Gefchlechter durchgeführt werden, fofern nicht die 
Aufrechterhaltung der guten Sitten und des Anjtandes durch die Einrichtung 
des Betriebes ohnehin gefichert ift. 

In Anlagen, deren Betrieb es mit fid) bringt, daß die Arbeiter ſich 
umfleiden und mach der Arbeit ſich reinigen, müflen ausreichende, nad 
Sefchlechtern getrennte Ankleide- und Wafchräume vorhanden fein. 

Die Bedürfnisanftalien müſſen jo eingerichtet jein, daß fie für die Zahl 
der Arbeiter ausreichen, daß den Anforderungen der Geſundheitspflege ent- 
jprochen wird und daß ihre Benugung ohne Verlegung von Sitte und Anjtand 
erfolgen kann. 


Befondere Rüdfihten auf Arbeiter unter 18 Jahren. 

$ 120e. Gewerbeunternehmer, welche Arbeiter unter achtzehn Jahren 
beichäftigen, find verpflichtet, bei der Einrichtung der Betriebsftätte und bei 
der Regelung des Betriebes diejenigen bejonderen Nüdjichten auf Geſundheit 
und Eittlichkeit zu nehmen, welche durch das Alter diejer Arbeiter geboten find. 

Befugniſſe der Polizeibehörden. 

8 120d. Die zuſtändigen Polizeibehörden find befugt, im Wege der 
Verfügung für einzelne Anlagen die Ausführung derjenigen Mahnahmen 
anzuordnen, welche zur Durchführung der ın 88 120a bis 120c enthaltenen 
Grundjäge erforderlich und nach der Befchaffenheit der Anlage ausführbar 
erjcheinen. Sie fünnen anordnen, daß den Arbeitern zur Einnahme von 
Mahlzeiten außerhalb der Arbeitsräume angemefjene, in der falten Jahreszeit 
geheizte Räume unentgeltlich zur Verfügung geftellt werben. 


Soweit die angeordneten Mafregeln nicht die Befeitigung einer dringenden, 
das Leben oder die Gejundheit bedrohenden Gefahr bezweden, muß für die 
Ausführung eine angemefjene Friſt gelafien werben. 





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Gewerbeordnung. 531 


Den bei Erlaß diefes Geſetzes bereits beftchenden Anlagen gegenüber 
fönnen, folange nicht eine Erweiterung oder ein Umbau eintritt, nur Anz 
forderungen geitellt werden, welche zur Bejeitigung erheblicher, daS Leben, die 
Geſundheit oder die Sittlichfeit der Arbeiter gefährdender Mißſtände erforderlich 
oder ohne unverhältnismäßige Aufwendungen ausführbar erjcheinen. 


Gegen die Verfügung der PBolizeibehörde jteht dem Gewerbeunternehmer 
binnen zwei Wochen die Beichwerde an die höhere Verwaltungsbehörde zu. 
Segen die Enticheidung der höheren Verwaltungsbehörde iſt binnen vier 
Wochen die Beichwerde an die Zentralbehörde zuläſſig; Ddieje entjcheidet 
endgültig. Widerſpricht die Verfügung den von der zuftändigen Berufsgenofjen- 
ſchaft erlajienen Vorfchriften zur Verhütung von Unfällen, jo ijt zur Ein» 
legung der vorstehend bezeichneten Nechtsmittel binnen der dem Gewerbeunter- 
nehmer zuitehenden Friſt auch der Vorſtand der Berufsgenofienschaft befugt. 


Borichriften des Bundesrates, der Landeszentralbehörden uſw. 

8 120e. Durch Beichluß des Bundesrats können Vorjchriften darüber 
erlafien werden, welchen Anforderungen in bejtimmten Arten von Anlagen 
zur Durchführung der in den SS 120a bis 120c enthaltenen Grundjäge zu 
genügen tft. 

Soweit jolche Borjchriften durch Beſchluß des Bundesrats nicht erlaffen 
find, fünnen diejelben durch Anordnung der Landes = Zentralbehörden oder 
- durch Bolizeiverordnungen der zum Erlaß ſolcher berechtigten Behörden 
erlaffen werden. Bor dem Erlaß solcher Anordnungen und Polizei⸗ 
verordnungen iſt den Vorſtänden der beieiligten Berufsgenoſſenſchaften oder 
Berufsgenoſſenſchafts-Sektionen Gelegenheit zu einer gutachtlichen Aeußerung 
zu geben. Auf dieſe finden die Beſtimmungen des 8 79 Abſatz 1 des Geſetzes, 
betreffend die Unfallverficherung der Arbeiter, vom 6. Juli 1884 (Meichs: 
Geſetzbl. S. 69) Anwendung. 

Durch Beichluß des Bundesrats fönnen für jolche Gewerbe, in welchen 
durch übermäßige Dauer der täglichen Arbeitszeit die Gefundheit der Arbeiter 
gefährdet wird, Dauer, Beginn und Ende der zuläjfigen täglichen Arbeitszeit 
und der zu gewährenden Pauſen vorgejchrieben und die zur Durchführung 
diefer Vorschriften erforderlichen Anordnungen erlaffen werden. 

Die durch Beſchluß des Bundesrats erlafjenen Vorjchriften find durch 
das Reichs-Geſetzblatt zu veröffentlichen und dem Reichstag bei jeinem nächsten 
BZufammentritt zur Senntnisnahme vorzulegen. 

34* 


532 V. Die übrigen wictigiten Reichögejege jtrafrechtlichen Inhalts. 


II. Berhältnifie der Gejellen und Gehülfen. 
Vertragöverhältnis. 
$ 121. Gejellen und Gehülfen find verpflichtet, den Anordnungen der 


Arbeitgeber in Beziehung auf die ihnen übertragenen Arbeiten und auf die 
häuslichen Einrichtungen Folge zu leiften; zu häuslichen Arbeiten find fie nicht 
verbunden. 
Dierzehntägige Kündigung. 
$ 122. Das Nrbeitsverhältnis zwiſchen den Geſellen oder Gehülfen 
und ihren Arbeitgebern kann, wenn nicht ein anderes verabredet ijt, durch eine 
jedem Teile freiftehende, vierzehn Tage vorher erflärte Auffündigung gelöft 
werden. Werden andere Auffündigungsfriiten vereinbart, jo müfjen fie für 
beide Teile gleich fein. Wereinbarungen, welche diefer Beftimmung zumider- 
laufen, jind nichtig. 
Entlaffung ohne Auffündigung. 
$ 123. Bor Ablauf der vertraggmäßigen Zeit und ohne Auffündigung 
fönnen Gejellen und Gehülfen entlafjen werden : 

1. wenn fie bei Abjchluß des Arbeitsvertrages den Arbeitgeber durch 
Vorzeigung falfcher oder verfäljchter Arbeitsbücher oder Zeugnifje 
bintergangen oder ihm über das Bejtehen eines anderen, fie gleich- 
zeitig verpflichtenden Arbeitöverhältniffes in einen Irrtum verfegt 
haben; 

2. wenn fie eines Diebftahls, einer Entwendung, einer Unterjchlagung, 
eines Betruges oder eines liederlichen Lebenswandels fich fchuldig 
machen; 

3. wenn fie die Arbeit unbefugt verlafjen haben oder ſonſt den nach 
dem Arbeitsvertrage ihnen obliegenden Berpflichtungen nach: 
zufommen beharrlich verweigern; 

4. wenn fie der Verwarnung ungeachtet mit Feuer und Licht 
unvorfichtig umgehen ; 

5. wenn ſie ſich Tätlichfeiten oder grobe Beleidigungen gegen den 
Arbeitgeber oder jeine Vertreter oder gegen die Familienangehörigen 
des Arbeitgebers oder jeiner Vertreter zu ſchulden kommen laſſen; 

6. wenn jie einer vorjäglichen und rechtswidrigen Sachbeichädigung 
zum Nachteile des Arbeitgebers oder eines Mitarbeiters fich fchuldig 
machen; 





7. 


8. 


Gewerbeordnung. 533 


wenn ſie Familienangehörige des Arbeitgebers oder ſeiner Ver— 
treter oder Mitarbeiter zu Handlungen verleiten oder zu verleiten 
verſuchen oder mit Familienangehörigen des Arbeitgebers oder 
ſeiner Vertreter Handlungen begehen, welche wider die Geſetze oder 
die guten Sitten verſtoßen; 

wenn ſie zur Fortſetzung der Arbeit unfähig oder mit einer 
abſchreckenden Krankheit behaftet ſind. 


In den unter Nr. 1 bis 7 gedachten Fällen iſt die Entlaſſung nicht 
mehr zuläjlig, wenn die zu grunde liegenden Tatjachen dem Arbeitgeber länger 
als eine Woche befannt find. 

Inwiefern in den unter Nr. 8 gedachten Fällen dem Entlafjenen ein 
Anspruch auf Entichädigung zuftehe, ijt nach dem Inhalt des Vertrages und 
nach den allgemeinen gejeglichen VBorjchriften zu beurteilen. 


Arbeitöniederlegung ohne Auffündigung. 


$ 124. Bor Ablauf der vertragsmäßigen Zeit und ohne Auffündigung 
fünnen Gejellen und Gehülfen die Arbeit verlafjen: 


. 


2 


wenn ſie zur Fortſetzung der Arbeit unfähig werden; 

wenn der Arbeitgeber oder ſeine Vertreter ſich Tätlichkeiten oder 
grobe Beleidigungen gegen die Arbeiter oder gegen ihre Familien— 
angehörigen zu ſchulden kommen laſſen; 


. wenn der Arbeitgeber oder ſeine Vertreter oder Familienangehörige 


derjelben die Arbeiter oder deren Familienangehörige zu Handlungen 
verleiten oder zu verleiten verjuchen oder mit den Familien— 
angehörigen der Arbeiter Handlungen begehen, welche wider die 
Geſetze oder die guten Sitten laufen; 


. wenn der Arbeitgeber den Arbeitern den jchuldigen Lohn nicht in 


der bedungenen Weije auszahlt, bei Stüdlohn nicht für ihre aus- 
reichende Bejchäftigung jorgt, oder wenn er fich widerrechtlicher 
Uebervorteilungen gegen fie jchuldig macht; 


. wenn bei Fortſetzung der Arbeit das Leben oder die Gejundheit 


der Arbeiter einer erweislichen Gefahr ausgejegt fein würde, welche 
bei Eingehung des Arbeitsvertrages nicht zu erfennen war. 


In den unter Nr. 2 gedachten Fällen ift der Austritt aus der Arbeit 
nicht mehr zuläjfig, wenn die zu grunde liegenden Tatfachen dem Arbeiter 
länger als eine Woche befannt find. 


534 V. Die übrigen wichtigſten Reichsgeſetze ſtrafrechtlichen Inhalts, 


Weitere wichtige Auflöſungsgründe. 
$ 124a. Außer den in 88 123 und 124 bezeichneten Fällen fann jeder 


der beiden Teile aus wichtigen Gründen vor Ablauf der vertraggmäßigen 

Zeit und ohne Innehaltung einer Kündigungsfrift die Aufhebung des Arbeits: 

verhältnifjes verlangen, wenn dasjelbe mindeitens auf vier Wochen oder wenn 

eine längere als vierzehntägige Kündigungsfriſt vereinbart ift. 
Entihädigungspflicht. 

8 124». Hat ein Gejelle oder Gehülfe rechtswidrig die Arbeit ver- 
lafjen, jo fann der Arbeitgeber als Entjchädigung für den Tag des Vertrags- 
bruch® und jeden folgenden Tag der vertragsmäßigen oder gejeglichen Arbeits- 
zeit, höchitens aber für eine Woche, den Betrag des ortsüblichen Tagelohnes 
($ 8 des Strankenverficherungsgefeges vom 15. Juni 1883, Reichs » Gejegblatt 
©. 73) fordern. Dieje Forderung it an den Nachweis eines Schadens nicht 
gebunden. Durch ihre Geltendmachung wird der Anſpruch auf Erfüllung des 
Vertrages und auf weiteren Schadenserfag ausgeichlofjen. Dasſelbe Recht 
iteht dem Gejellen oder Gehülfen gegen den Arbeitgeber zu, wenn er von 
diefem vor rechtmäßiger Beendigung des Arbeitsverhältnifjes entlafjen worden ift. 

8 125. Gin Arbeitgeber, welcher einen Gejellen oder Gehülfen verleitet, 
vor rechtmäßiger Beendigung des Arbeitöverhältnifjes die Arbeit zu verlafjen, 
iit dem früheren Arbeitgeber für den entitandenen Schaden oder den nad) 
$ 124b an die Stelle des Schadenserfages tretenden Betrag als Selbjt- 
jchuldner mitverhaftet. Im gleicher Weile haftet ein Arbeitgeber, welcher einen 
Geſellen oder Gehülfen annimmt, von dem er weiß, daß derjelbe einem anderen 
Arbeitgeber zur Arbeit noch verpflichtet iſt. 

In dem im vorstehenden Abjag bezeichneten Umfang tft auch derjenige Arbeit- 
geber mitverhaftet, welcher einen Gefellen oder Gehülfen, von dem er weiß, daß 
derjelbe einem anderen Arbeitgeber zur Arbeit noch verpflichtet it, während der 
Dauer diefer Verpflichtung in der Beichäftigung behält, jofern nicht jeit der unrecht- 
mäßigen Löjung des Arbeitsverhältniffes bereits vierzehn Tage verfloffen find. 

Den Gefellen und Gehülfen ftehen im Sinne der vorftehenden Beſtim— 
mungen die im $ 119b bezeichneten Perfonen gleich. 


III. Lehriingsperbältnifie. 
A. Allgemeine Bejtimmungen. 
Befugnis, Lehrlinge zu halten. 
8 126. Die Befugnis zum Halten oder zur Anleitung von Lehrlingen ſteht 
Perſonen, welche fich nicht im Befige der bürgerlichen Ehrenrechte befinden, nicht zu. 


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Gewerbeordnung. 335 


S 1268. Die Befugnis zum Halten und zur Anleitung von Lehrlingen 
fann folchen Perſonen ganz oder auf Zeit entzogen werden, welche jich wieder- 
holt grober Pflichtverlegungen gegen die ihnen anvertrauten Lehrlinge ſchuldig 
gemacht haben, oder gegen welche Tatjachen vorliegen, die jie in fittlicher 
Beziehung zum Halten oder zur Anleitung von Lehrlingen ungeeignet er: 
jcheinen laſſen. 

Die Befugnis zur Anleitung von Lehrlingen kann ferner folchen Perſonen 
entzogen werden, welche wegen geijtiger oder körperlicher Gebrechen zur fach: 
gemäßen Anleitung eines Lehrlinges nicht geeignet find. 

Die Entziehung erfolgt durch Verfügung der unteren Verwaltungs 
behörde; gegen die Verfügung findet der Rekurs ſtatt. Wegen des Verfahrens 
und der Behörden gelten die Vorichriften der SS 20 und 21, ſoweit nicht 
(andesgejeßlich das Verfahren in jtreitigen Berwaltungsjachen Play greift. 

Durch die höhere VBerwaltungsbehörde fann die entzogene Befugnis nad) 
Ablauf eines Jahres wieder eingeräumt werden. 

Schriftlicher Lchrvertrag. 

S 126b. Der Xehrvertrag iſt binnen vier Wochen nad) Beginn der 
Lehre jchriftlidy abzuschließen. Derfelbe muß enthalten: 

1. die Bezeichnung des Gewerbes oder des Zweiges der getverblichen 
Tätigfeit, in welchem die Ausbildung erfolgen joll; 

2. die Angabe der Dauer der Lehrzeit; 

3. die Angabe der gegemjeitigen Leiftungen ; 

4. die gefeglichen und jonjtigen Vorausjegungen, unter welchen die 
einjeitige Auflöjung des Vertrags zuläffig üt. 

Der Lehrvertrag iſt von dem Gewerbetreibenden oder jeinem Stellvertreter, 
den Lehrling und dem gejeglichen Stellvertreter des Lehrlinges zu unterjchreiben 
und in einem Eremplare dem gejeglichen Stellvertreter des Lehrlinges aus— 
zuhändigen. Der Lehrherr ijt verpflichtet, der Ortspolizeibehörde auf Erfordern 
den Lehrvertrag einzureichen. 

Auf Lehrlinge in Staatlich anerkannten Lehrwerkitätten finden dieſe 
Beitimmungen feine Anwendung. 

Der Lehrvertrag iſt fojten- und jtempelfrei. 

Pflichten des Lehrhberrn. 

8 127. Der Lehrherr ift verpflichtet, den Lehrling in den bei jeinem 
Betriebe vorkommenden Arbeiten des Gewerbes dem Zwecke der Ausbildung 
entjprechend zu unterweifen, ihn zum Beſuche der Fortbildungs- oder Fach— 


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536 V. Die übrigen wichtigſten Reichsgeſetze ſtrafrechtlichen Inhalts, 


ſchule anzuhalten und den Schulbeſuch zu überwachen. Er muß entweder ſelbſt 
oder durch einen geeigneten, ausdrücklich dazu beſtimmten Vertreter die Aus— 
bildung des Lehrlinges leiten, den Lehrling zur Arbeitſamkeit und zu guten 
Sitten anhalten und vor Ausſchweifungen bewahren, er hat ihn gegen Miß— 
bandlungen jeitens der Arbeit3- und Hausgenofjen zu ſchützen und dafür 
Sorge zu tragen, daß dem Lehrlinge nicht Arbeitsverrichtungen zugemwiefen 
werden, welche jeinen förperlichen Kräften nicht angemefjen jind. 

Er darf dem Lehrlinge die zu feiner Ausbildung und zum Beſuche des 
Gottesdienites an Sonn- umd Feittagen erforderliche Zeit und Gelegenheit 
nicht entziehen. Zu häuslichen Dienftleiftungen dürfen Lehrlinge, welche im 
Hauje des Lehrheren weder Koſt noch Wohnung erhalten, nicht herangezogen 
werden. 

Züchtigungsrecht des Lehrherrn. 

S 127a. Der Lehrling iſt der väterlichen Zucht des Lehrherrn unter: 
worfen und dem Lehrherrn ſowie demjenigen, welcher an Stelle des Lehrherrn 
die Ausbildung zu leiten hat, zur Folgſamkeit und Treue, zu Fleiß und 
anftändigem Betragen verpflichtet. 

Uebermäßige und unanftändige Züchtigungen jowie jede die Gejundheit 
des Lehrlinges gefährdende Behandlung find verboten. 

Einfeltiger Nüdtritt vom Lehrvertrag. 

8 127b. Das Lehrverhältnis kann, wenn eine längere Friſt nicht ver: 
einbart ift, während der erjten vier Wochen nach Beginn der Lehrzeit durch 
einfeitigen Rücktritt aufgelöjt werden. Eine Vereinbarung, wonach Dieje 
Probezeit mehr als drei Monate betragen fol, iſt nichtig. 

Nach Ablauf der Probezeit farın der Lehrling vor Beendigung der ver: 
abredeten Lehrzeit entlaffen werden, wenn einer der im $ 123 vorgejehenen 
Fülle auf ihn Anwendung findet oder wenn er die ihm im $ 127a auf- 
erlegten Pflichten wiederholt verlegt oder den Beſuch der Fortbildungs- oder 
Fachſchule vernachläjfigt. 

Bon feiten des Lehrlinges kann das Lehrverhältnis nach Ablauf der 
Probezeit aufgelöft werden, wenn: 

1. einer der im $ 124 unter Ziffer 1, 3 bis 5 vorgejehenen Fälle 
vorliegt; 

2. der Lehrherr feine gejeglichen Verpflichtungen gegen den Lehrling 
in einer die Gejundheit, die Sittlichfeit oder die Ausbildung des 
Lehrlinges gefährdenden Weife vernachläffigt, oder das Recht der 


Gewerbeordnung. 537 


väterlichen Zucht mißbraucht, oder zur Erfüllung der ihm vertrags- 
mäßig obliegenden Verpflichtungen unfähig wird, 

Der Lehrvertrag wird Durch den Tod des Lehrling aufgehoben. Durd) 
den Tod des Lehrherrn gilt der Lehrvertrag als aufgehoben, jofern die Auf: 
hebung binnen vier Wochen geltend gemacht wird. 

Zeugnis ded Lehrlinge. 

S 127c. Bei Beendigung des Lehrverhältnifies Hat der Lehrherr dem 
Lehrling unter Angabe des Gewerbes, im welchem der Lehrling unterwiejen 
worden ijt, über die Dauer der Lehrzeit und die während derjelben erworbenen 
Kenntniffe und Fertigkeiten, jowie über jein Betragen ein Zeugnis auszujtellen, 
welches von der Gemeindebehörde fojten- und ftempelfrei zu beglaubigen ijt. 

An Stelle dieſer Zeugnifje treten, wo Innungen oder andere Vertretungen 
der Gewerbetreibenden bejtehen, die von diefen ausgeftellten Lehrbriefe. 


Anstretender Lehrling; Strafandrohung., 

S 127d. Verläßt der Lehrling in einem durch dies Geſetz nicht vor: 
gejehenen Falle ohne Zuftimmung des Lehrheren die Lehre, jo fann letzterer 
den Anſpruch auf Rückkehr des Lehrlings nur geltend machen, wenn der 
Lehrvertrag chriftlich geſchloſſen iſt. Die Polizeibehörde kann in diejem Falle 
auf Antrag des Lehrherrn den Lehrling anhalten, jo lange in der Lehre zu 
verbleiben, als durch gerichtliches Urteil das Lehrverhältnis nicht für aufgelöft 
erklärt ijt, oder dem Lehrlinge durch einjtweilige Verfügung eines Gerichts 
gejtattet ift, der Lehre fern zu bleiben. Der Antrag ijt nur zuläffig, wenn 
er binnen einer Woche nach dem Austritte gejtellt it. Im Falle unbegründeter 
Weigerung der Rüdfehr hat die Polizeibehörde den Lehrling zwangsweiſe 
zurüdführen zu lajjen oder durch Androhung von Gelditrafe bis zu fünfzig 
Mark oder Haft bis zu 5 Tagen zur Nüdfehr anzuhalten. 

YAuflöfung des Lehrvertrags. 

8 127e. Wird von dem gejetlichen Vertreter für den Lehrling oder, 
jofern der legtere volljährig ift, von ihm felbit dem Lehrherrn die fchriftliche 
Erklärung abgegeben, daß der Lehrling zu einem anderen Gewerbe oder anderen 
Beruf übergehen werde, jo gilt das Lehrverhältnis, wenn der Lehrling nicht 
früher entlafjen wird, nad) Ablauf von vier Wochen als aufgelöft. Den Grund 
der Yuflöjung hat der Lehrherr in dem Arbeitsbuche zu vermerken. 

Binnen neun Monaten nad) der Auflöfung darf der Lehrling in demfelben 
Gewerbe von einem anderen Arbeitgeber ohne Zuſtimmung des früheren 
Lehrherrn nicht befchäftigt werden. 


538 V. Die übrigen wichtigiten Reichsgeſetze jtrafrechtlihen Inhalts. 


Anzahl der Lehrlinge, 

S 128. Wenn der Lehrherr eine im Mihverhältnifjfe zu dem Umfang 
oder der Art feines Gewerbebetriebs jtehende Zahl von Lehrlingen hält und 
dadurch die Ausbildung der Lehrlinge gefährdet ericheint, jo fann dem Lehr- 
herren von der unteren Verwaltungsbehörde die Entlafjung eines entjprechenden 
Teiles der Lehrlinge auferlegt und die Annahme von Lehrlingen über eine 
bejtimmte Zahl hinaus unterfagt werden. Die Beitimmungen des $ 126a 
Abſ. 3 finden hierbei entiprechende Anwendung. 

Unbeſchadet der vorjtchenden Beſtimmung fünnen durch Beſchluß des 
Bundesrats für einzelne Gewerbszweige VBorjchriften über die höchite Zahl 
der Lehrlinge erlaſſen werden, welche in Betrieben dieſer Gewerbszweige 
gehalten werden darf. Soweit folche Vorjchriften nicht erlaffen find, können 
fie durch Anordnung der Yandes-Zentraibehörde erlafjen werden. 


B. Bejondere Beftimmungen für Handwerfer. 

8 129. In Handwerfsbetrieben jteht die Befugnis zur Anleitung von 
Lehrlingen nur denjenigen Perſonen zu, welche das vierundzwanzigfte Lebensjahr 
vollendet haben und in dem Gewerbe oder in dem Zweige des Gewerbes, in 
welchem die Anleitung der Lehrlinge erfolgen fol, 

entweder die von der Handwerkskammer vorgejchriebene Lehrzeit, 
oder folange die Handwerfsfammer eine Vorfchrift über die Dauer 
der Lehrzeit nicht erlaffen hat, mindeitens eine dreijährige Lehrzeit 
zurüdgelegt und die Gefellenprüfung beitanden haben, 

oder fünf Jahre hindurch perjünlich das Handwerk jelbitändig aus- 
geübt haben oder als Werfmeifter oder in ähnlicher Stellung 
tätig geweſen find. 

Die höhere Berwaltungsbehörde kann Berfonen, welche diefen Anforderungen 
nicht entfprechen, die Befugnis zur Anleitung von Lehrlingen verleihen. Gehört 
die Perjon einer Innung an oder bejteht an ihrem Wohnorte für den Gewerbs- 
zweig, welchem jie angehört, eine Innung, jo ift die legtere vor der Ent— 
jcheidung von der höheren Verwaltungsbehörde zu hören. 

Die Unterweifung des Lehrlings in einzelnen technifchen Handgriffen 
und Fertigkeiten durch einen Gefellen fällt nicht unter die im Abſ. 1 
vorgefehenen Bejtimmungen. 

Die Zurücdlegung der Lehrzeit fann auch in einem dem Gewerbe an- 
gehörenden Grofbetriebe erfolgen und durch den Bejuch einer Lehrwerfjtätte 
oder fonftigen gewerblichen Unterrichtsanftalt erjegt werden. Die Landes- 





Gewerbeordnung. 339 


Zentralbehörden fünnen den Brüfungszeugnifjen von Lehrwerkjtätten, gewerblichen 
Unterricht3anftalten oder von Prüfungsbehörden, welche vom Staate für 
einzelne Gewerbe oder zum Nachweife der Befähigung zur Anftellung in 
Ttaatlichen Betrieben eingejegt find, die Wirkung der Verleihung der im Abf. 1 
bezeichneten Befugnis für beftimmte Gewerbszweige beilegen. 

Der Bundesrat iſt befugt, für einzelne Gewerbe Ausnahmen von den 
Beitimmungen im Abf. 1 zuzulafjen. 


8 129a. Der Unternehmer eines Betriebs, in welchem mehrere Gewerbe 
vereinigt jind, iſt befugt, in allen zu dem Betriebe vereinigten Gewerben 
Lehrlinge anzuleiten, wenn er für eines diejer Gewerbe den Borausjegungen 
des 8 129 entipricht. 

Wer für einen gejondert betriebenen Zweig eines Gewerbes den Voraus» 
jegungen des $ 129 entjpricht, iſt berechtigt, auch in den übrigen Zweigen 
diejes Gewerbes Lehrlinge anzuleiten. 

Wer für eim Gewerbe den Vorausjegungen des $ 129 entipricht, iſt 
berechtigt, auch in den diefem verwandten Gemwerben Lehrlinge anzuleiten. 
Welche Gewerbe als verwandte Gewerbe im Sinne diefer Beſtimmung anzujehen 
ſind, bejtimmt die Handwerfsfammer. 

Das gemäß $ 131c Abſ. 2 dem Prüfungsausſchuſſe vorzulegende Lehr— 
zeugmis darf nur für dasjenige Gewerbe ausgejtellt werden, für welches der 
Lehrherr oder fein Vertreter ($ 127 Abi. 1) zur Anleitung von Lehrlingen 
befugt iſt. 

8 129b. Gehört der Lehrherr einer Innung an, jo ift er verpflichtet, 
eine Abjchrift des Lehrvertrags binnen vierzehn Tagen nad Abjchluß desjelben 
der Innung einzureichen; er fann hierzu durch die Ortspofizeibehörde an— 
gehalten werden. 

Die Innungen fünnen bejtimmen, daß der Abſchluß des Lehrvertrags 
vor der Innung erfolgen joll. In diefem Falle ift dem Lehrheren und dem 
Vater oder VBormunde des Lehrlinges eine Abjchrift des Lehrvertrags aus— 
zubändigen. 


S 130, Soweit durch den Bundesrat oder die Landes-Zentralbehörde 
auf grund des $ 128 Abf. 2 Vorfchriften über die zuläffige Zahl von Lehr- 
lingen nicht erlaſſen jind, tt die Handwerfsfammer und die Innung zum 
Erlafje ſolcher Vorichriften befugt. 


540 V. Die übrigen widtigiten Reichsgeſetze ſtrafrechtlichen Inhalte. 


Illa. Meiftertitel. 

8 133. Den Meijtertitel in Verbindung mit der Bezeichnung eines 
Handwerfes dürfen nur Handwerker führen, wenn jie in ihrem Gewerbe die 
Befugnis zur Anleitung von Lehrlingen erworben ($ 129) und die Meiiter- 
prüfung bejtanden haben. Zu leßterer find fie in der Regel nur zuzulajien, 
wenn fie mindejtens drei Jahre als Gejelle (Gehülfe) in ihrem Gewerbe tätig 
geweien find. Die Abnahme der Prüfung erfolgt durch Prüfungstommijftonen, 
welche aus einem Vorjigenden und vier Beifigern bejtehen. 

Die Errichtung der Prüfungsfommifjionen erfolgt nach Anhörung der 
Handwerfsfammer durch Verfügung der höheren Berwaltungsbehörde, welche 
auch die Mitglieder ernennt; die Ernennung erfolgt auf drei Jahre. 

Die Prüfung hat den Nachweis der Befähigung zur jelbjtändigen Aus- 
führung und Koftenberehnung der gewöhnlichen Arbeiten des Gewerbes jowie 
der zu dem jelbjtändigen Betriebe desjelben ſonſt notwendigen Kenntniſſe, 
insbefondere auch der Buch: und Recdynungsführung, zu erbringen. 

Das Verfahren vor der PBrüfungsfommiffion, der Gang der Prüfung 
und die Höhe der Prüfungsgebühren werden durch) eine von der Handwerfs- 
fammer mit Genehmigung der Landes-Zentralbehörde zu erlaffende Prüfungs: 
vrdnung geregelt. 

Die Koſten der Prüfungskommiſſionen fallen der Handwerkskammer zur 
Laſt, welcher die Prüfungsgebühren zufließen. 

Die Prüfungszeugniffe find koſten- und ftempelfrei. 

Der Meifterprüfung im Sinne der voritehenden Beitimmungen Fönnen 
von der Landes: Zentralbehörde die von ihr angeordneten Prüfungen bei An- 
ftalten und Einrichtungen der im 8 129 Ab. 4 bezeichneten Art gleichgeitellt 
werden, ſofern bei denfelben mindeftens die gleichen Anforderungen geftellt 
werden wie bei den im Abf. 1 vorgejehenen Prüfungen. 


TIIb. Berhältniffe der Betriebsbeamten, Werkmeiſter, Technifer. 

Ss 133 aa. Wird durch Vertrag eine kürzere oder längere Kündigungsfruit 
bedungen, jo muß fie für beide Teile gleich fein; ſie darf nicht weniger ala 
einen Monat betragen. 

Die Kündigung fann nur für den Schluß eines Kalendermonats zu— 
gelafjen werden. 

Die Vorfchriften des Ab. 2 finden auch in dem Falle Anwendung, wenn 
das Dienftverhältnis für bejtimmte Zeit mit der Vereinbarung eingegangen 


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Gewerbeordnung. 541 


wird, daß es in Ermangelung einer vor dem Ablaufe der Vertragszeit er— 
folgten Kündigung als verlängert gelten foll. 

Eine Vereinbarung, die diefen Borfchriften zuwiderläuft, iſt nichtig. 

8 133ab. Die PVorfchriften des S 133aa finden feine Anwendung, 
wenn der Angeftellte ein Gehalt von mindejtens fünftaufend Mark für das 
Jahr bezicht. 

Sie bleiben ferner außer Anwendung, wenn der Angeſtellte für eine 
aufßereuropäifche Niederlafjung angenommen ift und nad) dem Vertrage der 
Arbeitgeber für den Fall, daß er das Dienftverhältnis kündigt, die Kojten der 
Nüdreife des Angeftellten zu tragen hat. 

8 133ac. Wird ein Angeftellter nur zur vorübergehenden Aushülfe 
genommen, jo finden die Vorfchriften des $ 133aa feine Anwendung, es ſei 
denn, daß das Dienjtverhältnis über die Zeit von drei Monaten hinaus feit- 
gejegt wird, Die Kündigungsiriit muß jedoch auch in einem jolchen Falle 
für beide Teile gleich fein. 


IV, Verhältniſſe der Fabritarbeiter. 
Bertragsverhältnis. 


8 134. Auf Fabrifarbeiter finden die Beitimmungen der SS 121 bis 
125 oder, wein die Fabrikarbeiter als Lehrlinge anzufehen find, die Be— 
itimmungen der 88 126 bie 128 Anwendung. 

Den Unternehmern von Fabriken, in welchen in der Regel mindeftens 
zwanzig Arbeiter befchäftigt werden, it unterjagt, für dem Fall der redhts- 
widrigen Auflöjfung des Arbeitöverhältnifies durch den Arbeiter die Ber: 
wirfung des rüdjtändigen Lohnes über den Betrag des durchichnittlichen 
Wochenlohnes Hinaus auszubedingen. Auf die Arbeitgeber und Arbeiter in 
jolhen Fabriken finden die Beitimmungen des 8 124b feine Anwendung. 

Lohnzahlungsbuch. 

In Fabriken, für welche beſondere Beſtimmungen auf grund des $ 1144 
Abi. 1 nicht erlaffen find, it auf Koſten des Arbeitgebers für jeden minder: 
jährigen Arbeiter ein Lohnzahlungsbuch einzurichten. In das Lohnzahlungs: 
buch ijt bei jeder Lohnzahlung der Betrag des verdienten Lohnes einzutragen; 
es ijt bei der Lohnzahlung dem Minderjährigen oder feinem gejeglichen Ver— 
treter auszuhändigen und von dem Empfänger vor der nächiten Lohnzahlung 
zurüdzureichen. Auf das Lohnzahlungsbuch finden die Beitimmungen des 
$ 110 Sag 1 und des $ 111 Abj. 2 bis 4 Anwendung. 


542 V. Die übrigen wichtigſten Reichsgeſeße ſtrafrechtlichen Inhalts. 


Arbeitsordnuung. 

8 134a. Für jede Fabrik, in welcher in der Regel mindeſtens zwanzig 
Arbeiter befchäftigt werden, ift innerhalb vier Wochen nad) Inkrafttreten dieſes 
Gefeges oder nad) der Eröffnung des Betriebes eine Arbeitsordnung zu 
erlaffen. Für die einzelnen Abteilungen des Betriebes oder für Die einzelnen 
Gruppen der Arbeiter können befondere Arbeitordnungen erlaſſen werden. 
Der Erlaß erfolgt durch Aushang (5 134e Abf. 2). 

Die Arbeitsordnung muß den Zeitpunkt, mit welchem fie in Wirkſam— 
feit treten foll, angeben und von demjenigen, welcher jie erläßt, unter Angabe 
des Datums unterzeichnet fein. 

Abänderungen ihres Inhalts fünnen nur durch den Erlaß von Nach: 
trägen oder in der Weije erfolgen, dab an Stelle der beitchenden eine neue 
Arbeitsordnung erlaffen wird. 

Die Arbeit3ordnungen und Nachträge zu denjelben treten frühejtens 
zwei Wochen nach ihrem Erlaß in Geltung. 

Anhalt der Arbeitsordnung. 

8 134b. Die Arbeitsordnung muß Beitimmungen enthalten: 

1. über Anfang und Ende der regelmäßigen täglichen Arbeitszeit, 
jowie der für die erwachjenen Arbeiter vorgejehenen Pauſen; 

2. über Zeit und Art der Abrechnung und Lohnzahlung mit der 
Maßgabe, daß die regelmäßige Lohnzahlung nicht am Sonntage 
jtattfinden darf. Ausnahmen fünnen von der unteren Berwaltungs- 
behörde zugelafjen werden; 

3. jofern es nicht bei den gejeglichen Beitimmungen bewenden foll, 
über die Friſt der zuläjfigen Auffündigung, jowie über die Gründe, 
aus welchen die Entlafjung und der Austritt aus der Arbeit ohne 
Auffündigung erfolgen darf; 

4. fofern Strafen vorgejehen werden, über die Art und Höhe der— 
jelben, über die Art ihrer Feitfegung und, wenn fie in Geld be- 
jtehen, über deren Einziehung und über den Zweck, für welchen 
fie verwendet werden follen; 

5. jofern die Verwirfung von Lohnbeträgen nach) Maßgabe der Be- 
jtimmung des 8 134 Abſ. 2 durch Arbeitsordnung oder Arbeits- 
vertrag ausbedungen wird, über die Verwendung der vermwirkten 
Beträge. 





Gewerbeordnung. 549 


Strafbejtimmungen, welche das Ehrgefühl oder die guten Sitten ver- 
legen, dürfen in die Arbeitsordnung nicht aufgenommen werden. Geldjtrafen 
dürfen die Hälfte des durchjchnittlichen TQTagesarbeitsverdienftes nicht über: 
jteigen; jedoch können Tätrlichfeiten gegen Mitarbeiter, erhebliche Verſtöße 
gegen die guten Sitten, jowie gegen die zur Aufrechthaltung der Ordnung 
des Betriebes, zur Sicherung eines gefahrlojen Betriebes oder zur Durch— 
führung der Beitimmungen der Gewerbeordnung erlajjenen Vorfchriften mit 
Geldſtrafen bis zum vollen Betrage des ducchjchnittlichen Tagesarbeitsverdienjtes 
belegt werden. Alle Strafgelder müſſen zum bejten der Arbeiter der Fabrif 
verwendet werden. Das Recht des Arbeitgebers, Schadenserfag zu fordern, 
wird durch diefe Bejtimmung nicht berührt. 

Dem Befiger der Fabrik bleibt überlaffen, neben den im Abf. 1 unter 
1 bis 5 bezeichneten, noch weitere die Ordnung des Betriebes und das Ver— 
halten der Arbeiter im Betriebe betreffende Beſtimmungen in die Arbeits: 
ordnung aufzunehmen. Mit der Zuſtimmung eines jtändigen Arbeiterausſchuſſes 
fönnen in die ArbeitSordnung Vorichriften über das Verhalten der Arbeiter 
bei Benußung der zu ihrem bejten getroffenen mit der Fabrik verbundenen 
Einrichtungen, jowie Vorjchriften über das Verhalten der minderjährigen 
Arbeiter außerhalb des Betriebes aufgenommen werden, 


8 134c. Der Inhalt der Arbeitsordnung it, joweit er den Gefegen 
nicht zuwiderläuft, für die Arbeitgeber und Arbeiter rechtsverbindlich. 

Andere ald die in der Arbeit3ordnung oder in den SS 123 und 124 
vorgejehenen Gründe der Entlafjung und des Austritt aus der Arbeit dürfen 
im Arbeitsvertrage nicht vereinbart werden. Andere als die in der Arbeits- 
ordnung vorgejehenen Strafen dürfen über den Arbeiter nicht verhängt werben. 
Die Strafen müſſen ohne Verzug fejtgefegt und dem Arbeiter zur Kenntnis 
gebracht werden. 


Die verhängten Geldftrafen find in ein Verzeichnis einzutragen, welches 
den Namen des Beitraften, den Tag der Bejtrafung, jowie den Grund und 
die Höhe der Strafe ergeben und auf Erfordern dem im $ 139b bezeichneten 
Beamten jederzeit zur Einficht vorgelegt werden muß. 


S 134d. Bor dem Erlaß der Arbeitsordnung oder eines Nachtrags 
zu derjelben ift den im der Fabrik oder in den betreffenden Abteilungen des 
Betriebes beichäftigten großjährigen Arbeitern Gelegenheit zu geben, ſich über 
den Inhalt derjelben zu äußern. 


544 V. Die übrigen wichtigiten Reichsgeſetze ftrafrechtlihen Inhalte. 


Für Fabriken, für welche ein ftändiger Arbeiterausfchuß befteht, wird 
diefer Borjchrift durch Anhörung des Ausſchuſſes über den Inhalt der Arbeits- 
ordnung genügt. 

8 134e. Die Arbeitsordnung, fowie jeder Nachtrag zu derjelben ijt 
unter Mitteilung der feitens der Arbeiter geäußerten Bedenken, joweit die 
Aeußerungen jchriftlich oder zu Protokoll erfolgt find, binnen drei Tagen nach 
dem Erlaß in zwei Ausfertigungen unter Beifügung der Erklärung, daß und 
in welcher Weife der Vorjchrift des $ 134d gemügt ift, der unteren Ver— 
waltungsbehörde einzureichen. 

Aushang Der Arbeitöordnung. 

Die Arbeitsordnung ijt an geeigneter, allen beteiligten Arbeitern zu— 
gänglicher Stelle auszuhängen. Der Aushang muß ſtets in lesbarem Zuſtande 
erhalten werden. Die Arbeit3ordnung iſt jedem Arbeiter bei feinem Eintritt 
in die Beichäftigung zu behändigen. 

S 134f. Arbeit3ordnungen und Nachträge zu denjelben, welche nicht 
vorjchriftsmäßig erlaffen find, oder deren Inhalt den gefeglichen Beitimmungen 
zumwiderläuft, find auf Anordnung der unteren Verwaltungsbehörde durch 
gejegmäßige Arbeitsordnungen zu erjegen oder den gejeglichen Vorjchriften 
entjprechend abzuändern. 

Gegen diefe Anordnung findet binnen zwei Wochen die Beichwerde an 
die höhere Berwaltungsbehörde jtatt. 

S 134g. Nrbeitsordnungen, welche vor dem Inkrafttreten dieſes Ge- 
jeges erlafjen worden find, unterliegen den Beltimmungen der 88 134a bis 
134 c, 134e Abf. 2, 134f und find binnen vier Wochen der unteren Ver: 
waltungsbehörde in zwei Ausfertigungen einzureichen. Auf fpätere Ab— 
änderungen diefer Arbeitsordnungen und auf die jeit dem 1. Januar 1891 
eritmalig erlajlenen Arbeitsordnungen finden die SS 134d und 134e Abi. 1 
Anwendung. 

Arbeiterausſchüſſe. 

s 134h. Als ſtändige Arbeiterausſchüſſe im Sinne der 88 134 b Abf. 3 
und 134d gelten nur: 

1. diejenigen Vorſtände der Betriebs: (Fabrik) Kranfenfaffen oder 
anderer für die Arbeiter der Fabrik beitehender Kafjeneinrichtungen, 
deren Mitglieder in ihrer Mebrheit von den Arbeitern aus ihrer 
Mitte zu wählen find, fofern fie als ftändige Arbeiterausjchüffe 
bejtellt werden; 


Gewerbeordnung. 345 


2. die Anappchaftsälteiten von Knappſchaftsvereinen, welche die nicht 
den Beitimmungen der Berggejege unterjtehenden Betriebe eines 
Unternehmers umfafjen, jofern jie als ftändige Arbeiterausschüfje 
bejtellt werben; 

3. die bereit vor dem 1. Januar 1891 errichteten jtändigen Arbeiter: 
ausjchüffe, deren Mitglieder in ihrer Mehrzahl von den Arbeitern 
aus ihrer Mitte gewählt werden; 

4. jolche Vertretungen, deren Mitglieder in ihrer Mehrzahl von den 
volljährigen Arbeitern der Fabrik oder der betreffenden Betriebs- 
abteilung aus ihrer Mitte in unmittelbarer und geheimer Wahl 
gewählt werden. Die Wahl der Vertreter kann auch nach Arbeiter: 
Elafjen oder nach bejonderen Abteilungen des Betriebes erfolgen. 


Kinder und junge Leute, 
S 135. Kinder unter dreizehn Jahren dürfen in Fabriken nicht bejchäftigt 
werden. Kinder über dreizehn Sahre dürfen in Fabrifen nur bejchäftigt 
werden, wenn fie nicht mehr zum Befuche der Volksschule verpflichtet find. 
Die Beichäftigung von Kindern unter vierzehn Jahren darf die Dauer 
von ſechs Stunden täglich nicht überjchreiten. 
Junge Leute zwijchen vierzehn und jechzehn Jahren dürfen in Fabriken 
nicht länger als zehn Stunden täglich befchäftigt werden. 
Alrbeitöftunden der jugendlihen Arbeiter, 
S 136. Die Arbeitsjtunden der jugendlichen Arbeiter ($ 135) dürfen 
nicht vor fünfeinhalb Uhr morgens beginnen und nicht über achteinhalb Uhr 
abends dauern. Zwiſchen den Arbeitsftunden müſſen an jedem Arbeitstage 
regelmäßige Paufen gewährt werden. Für jugendliche Arbeiter, welche nur 
ſechs Stunden täglich bejchäftigt werden, muß die Pauſe mindeſtens eine halbe 
Stunde betragen. Den übrigen jugendlichen Arbeitern muß mindefteng mittags 
eine einftündige jowie vormittags und nachmittags je eine halbjtündige Paufe 
gewährt werden. Eine Bor: und Nachmittagspauje braucht nicht gewährt 
zu werden, fofern jugendliche Arbeiter täglich nicht länger als acht Stunden 
bejchäftigt werden, und die Dauer ihrer durch eine Pauſe nicht unterbrochenen 
Arbeitszeit am Vor- und Nachmittage je vier Stunden nicht überfteigt. 
Während der Pauſen darf den jugendlichen Arbeitern eine Beichäftigung 
in dem Fabrifbetriebe überhaupt nicht und der Aufenthalt in den Arbeits— 
räumen nur dann geftattet werden, wenn in denjelben diejenigen Zeile des 
35 


rt nn LU 


546 V. Die übrigen wichtigiten Neichögefepe ftrafvechtlihen Inhalts. 


Betriebes, in welchen jugendliche Arbeiter bejchäftigt find, für die Zeit der 
Pauſen völlig eingeftellt werden oder wenn der Aufenthalt im Freien nicht 
tunlich und andere geeignete Nufenthaltsräume ohne unverhältnismäßige 
Schwierigkeiten nicht bejchafft werden können. 

An Sonn und Feſttagen, ſowie während der von dem ordentlichen Seelforger 
für den Slatechumenen- und Konfirmanden-, Beicht- und Kommunionunterricht 
bejtimmten Stunden dürfen jugendliche Arbeiter nicht bejchäftigt werden. 


Arbeiterinnen. 

S 137. Arbeiterinnen dürfen in Fabriken nicht in der Nachtzeit von 
achteinhalb Uhr abends bis fünfeinhalb Uhr morgens und am Sonnabend 
jowie an Borabenden der Feittage nicht nach fünfeinhalb Uhr nachmittags 
beichäftigt werden. 

Die Beichäftigung von Arbeiterinnen über fjechzehn Jahre darf die 
Dauer von elf Stunden täglich, an den Worabenden der Sonn: und FFeittage 
von zehn Stunden nicht überjchreiten. 

Zwiſchen den Arbeitsftunden muß den Arbeiterinnen eine mindeftens 
einftündige Mittagspauſe gewährt werden. 

Arbeiterinnen über fechzehn Jahre, welche ein Hauswejen zu bejorgen 
haben, find auf ihren Antrag eine halbe Stunde vor der Mittagspaufe zu 
entlafjen. jofern dieje nicht mindeſtens ein und eine halbe Stunde beträgt. 

Wöchnerinnen dürfen während vier Wochen nach ihrer Niederkunft über- 
haupt nicht und während der folgenden zwei Wochen nur bejchäftigt werben, 
wenn das Zeugnis eines approbierten Arztes dies für zuläffig erklärt. 

Anzeigepflicht bei Beihäftigung von Arbeiterinnen 

und jugendlihen Arbeitern, 

$ 138. Sollen Arbeiterinnen oder jugendliche Arbeiter in Fabriken 
beichäftigt werden, jo hat der Arbeitgeber vor dem Beginn der Beichäftigung 
der Ortöpolizeibehörde eine jchriftliche Anzeige zu machen. 

In der Anzeige find die Fabrik, die Wochentage, an welchen die Be: 
Ihäftigung ftattfinden jo, Beginn und Ende der Arbeitszeit und der Baufen, 
jowie die Art der Beichäftigung anzugeben. Eine Aenderung hierin darf, 
abgejehen von Verschiebungen, welche durch Erfegung behinderter Arbeiter für 
einzelne Arbeitsfchichten notwendig werden, nicht erfolgen, bevor eine ent- 
jprechende weitere Anzeige der Behörde gemacht ift. Im jeder Fabrik hat der 
Arbeitgeber dafür zu forgen, daß in den Fabrifräumen, in welchen jugendliche 
Arbeiter befchäftigt werden, an einer in die Augen fallenden Stelle ein 


Bewerbeordnung. 547 


Verzeichnis der jugendlichen Arbeiter unter Angabe ihrer Arbeitstage, ſowie des 
Beginns und Endes ihrer Arbeitszeit und der Pauſen ausgehängt ift. Ebenſo 
hat er dafür zu forgen, daß in den betreffenden Räumen eine Tafel aus- 
gehängt ift, welche in der von der Yentralbehörde zu bejtimmenden Faſſung 
und in deutlicher Schrift einen Auszug aus den Bejtimmungen über die Be- 
ihäftigung von Arbeiterinnen und jugendlichen Arbeitern enthält. 


Geftattung von Ueberſtunden. 

8 138a. Wegen außergewöhnlicher Häufung der Arbeit kann auf 
Antrag des Arbeitgebers die untere VBerwaltungsbehörde auf die Dauer von 
zwei Mochen die Beichäftigung von Arbeiterinnen über jechzehn Jahre bis 
zehn Uhr abends an den Wochentagen, außer Sonnabend, unter der Voraus— 
jegung geftatten, daß die tägliche Arbeitszeit dreizehn Stunden nicht über— 
jchreitet. Innerhalb eines Kalenderjahres darf die Erlaubnis einem Arbeit: 
geber für feinen Betrieb oder für eine Abteilung feines Betriebes auf mehr 
al3 vierzig Tage nicht erteilt werben. 

Für eine zwei Wochen überjchreitende Dauer kann die gleiche Erlaubnis 
nur von der höheren Verwaltungsbehörde und auch von dieſer für mehr als 
vierzig Tage im Jahre nur dann erteilt werden, wenn die Arbeitszeit für den 
Betrieb oder die betreffende Abteilung des Betriebes jo geregelt. wird, daß 
ihre tägliche Dauer im Durchichnitt der Betriebstage des Jahres die regel- 
mäßige gefegliche Arbeitszeit micht überschreitet. 

Der Antrag it Schriftlich zu stellen und muß den Grund, aus 
welchem die Erlaubnis beantragt wird, die Zahl der in Betracht kommenden 
Arbeiterinnen, das Maß der längeren Bejchäftigung, jowie den Zeitraum an— 
geben, für welchen Ddiejelbe ftattfinden foll. Der Bejcheid der unteren Ver: 
waltungsbehörde auf den Antrag it binnen drei Tagen jchriftlich zu erteilen. 
Gegen die Berfagung der Erlaubnis ſteht die Beichwerde an die vorgeiegte 
Behörde zu. 

Die untere Verwaltungsbehörde hat über die Fälle, in welchen bie 
Erlaubnis erteilt worden iſt, ein Verzeichnis zu führen, in welches der Name 
des Arbeitgebers und die für den fchriftlichen Antrag vorgejchriebenen Angaben 
einzutragen find. 

Die untere Verwaltungsbehörde fann die Beichäftigung von Arbeiterinnen 
über jechzehn Jahre, welche fein Hauswejen zu bejorgen haben und eine 
Fortbildungsfchule nicht bejuchen, bei den im $ 105c Abi. 1 und Ziffer 3 
und 4 bezeichneten Arbeiten an Sonnabenden und VBorabenden von TFeittagen 

35* 


548 V. Die übrigen wichtigſten Reichsgeſetze ſtrafrechtlichen Inhalts. 


nachmittags nach fünfeinhalb Uhr, jedoch nicht über achteinhalb Uhr abends 
hinaus, geſtatten. Die Erlaubnis iſt ſchriftlich zu erteilen. Eine Abſchrift 
derſelben iſt in den Fabrikräumen, in welchen die Arbeiterinnen beſchäftigt 
werden, an einer in die Augen fallenden Stelle auszuhängen. 


8 139. Wenn Naturereigniſſe oder Unglücksfälle den regelmäßigen 
Betrieb einer Fabrik unterbrochen haben, ſo können Ausnahmen von den in 
ss 135 Abſatz 2 und 3, 136, 137 Abi. 1 bis 3 vorgeſehenen Beſchränkungen 
auf die Dauer von vier Wochen durch die höhere Verwaltungsbehörde, auf 
längere Zeit durch den Reichsfanzler zugelaffen werden. In dringenden Fällen 
ſolcher Art, jowie zur Verhütung von Unglüdsfällen kann die untere Berwaltungs- 
behörde, jedoch höchitens auf die Dauer von vierzehn Tagen, ſolche Aus- 
nahmen geitatten. 

Wenn die Natur des Betriebes oder Nüdjichten auf die Arbeiter in 
einzelnen Fabriken es erwünjcht erjcheinen lafjen, daß die Arbeitäzeit der 
Arbeiterinnen oder jugendlichen Arbeiter in einer anderen als der durch 
z8 136 und 137 Abſ. 1 und 3 vorgejehenen Weije geregelt wird, jo fann 
auf bejonderen Antrag eine anderweite Regelung Hinfichtlich der Paufen durch 
die höhere Berwaltungsbehörde, im übrigen durch den Reichkanzler geftattet 
werden. Jedoch dürfen in jolchen Fällen die jugendlichen Arbeiter nicht länger 
als jechs Stunden bejchäftigt werden, wenn zwijchen den Arbeitsjtunden nicht 
Paujen von zufammen mindejtens einftündiger Dauer gewährt werden. 

Die auf grund vorjtchender Beitimmungen zu treffenden Verfügungen 
müſſen jchriftlich erlafjen werden. 

Vorſchriften des Bundesrats. 

S 139a. Der Bundesrat iſt ermächtigt: 

1. die Verwendung von Arbeiterinnen, ſowie von jugendlichen Arbeitern 
für gewifje Fabrikationszweige, welche mit befonderen Gefahren für 
Gejundheit oder Sittlichfeit verbunden find, gänzlich zu unterfagen 
oder von bejonderen Bedingungen abhängig zu machen; 

2. für Fabriken, welche mit ununterbrochenem Feuer betrieben werden, 
oder welche jonft durch die Art des Betriebes auf eine regelmäßige 
Tag: und Nachtarbeit angewiefen jind, fowie für jolche Fabriken, 
deren Betrieb eine Einteilung in regelmäßige Arbeitsjchichten von 
gleicher Dauer nicht gejtattet oder feiner Natur nach auf bejtimmte 
Jahreszeiten bejchränft ift, Ausnahmen von den in 88 135 Abj. 2 
und 3, 136, 137 Abſ. 1 bis 3 vorgejehenen Beitimmungen nachzulaffen ; 


Gewerbeordnung 549 


3. für gewijie Fabrifationszmweige, joweit die Natur des Betriebes oder 
die Rüdficht auf die Arbeiter es erwünfcht erjcheinen lafjen, die 
Abkürzung oder den Wegfall der für jugendliche Arbeiter 
vorgejchriebenen Paufen zu geitatten; 

4. für Fabrifationszweige, in denen regelmäßig zu gewijjen Zeiten des 
Jahres ein vermehrtes Arbeitsbedürfnis eintritt, Ausnahmen von 
den Beitimmungen des $ 137 Abi. 1 und 2 mit der Maßgabe 
zuzulajien, daß die tägliche Arbeitszeit dreizehn Stunden, an 
Sonnabenden zehn Stunden nicht überjchreitet. 

In den Fällen zu 2 darf die Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit für 
Kinder jechsunddreigig Stunden, für junge Leute fechzig, für Arbeiterinnen 
fünfundfechzig, in Biegeleien für junge Leute und Arbeiterinnen jiebzig Stunden 
nicht überjchreiten. Die Nachtarbeit darf im vierundzwanzig Stunden Die 
Dauer von zehn Stunden nicht überfchreiten und muß im jeder Schicht durch 
eine oder mehrere Paufen in der Gejamtdauer von mindejtens einer Stunde 
unterbrochen fein. Die Tagichichten und Nachtſchichten müſſen wöchentlich wechſeln. 

In den Fällen zu 3 dürfen die jugendlichen Arbeiter nicht länger als 
jechs Stunden bejchäftigt werden, wenn zwifchen den Arbeitsjtunden nicht eine 
oder mehrere Baufen von zufammen mindejtens einftündiger Dauer gewährt werden. 

In den Fällen zu 4 darf die Erlaubnis zur Ueberarbeit für mehr als 
vierzig Tage im Jahre nur dann erteilt werden, wenn Die Arbeitszeit jo 
geregelt wird, daß ihre tägliche Dauer im Durchichnitt der Betriebstage des 
Jahres die regelmäßige gejeliche Arbeitszeit nicht überſchreitet. 

Die durch Beſchluß des Bundesrat getroffenen Beltimmungen find 
zeitlich zu begrenzen und können auch für beſtimmte Bezirke erlaffen werden. 
Sie find durch das Reichs-Geſetzblatt zu veröffentlichen und dem Reichstag 
bei jeinem nächſten Zufammentritt zur Kenntnisnahme vorzulegen, 


V. Aufficht. 
8 139b. Die Aufſicht über die Ausführung der Beſtimmungen der 
88 105a, 105b Abf. 1, 105c bis 105h, 120a bis 120e, 134 bis 139a üt 
ausschließlich oder neben den ordentlichen Polizeibehörden bejonderen von den 
Landesregierungen zu ernennenden Beamten zu übertragen. Denfelben jtehen 
bei Ausübung diefer Aufficht alle amtlichen Befugnifje der Ortspolizerbehörden, 
insbefondere das Necht zur jederzeitigen Revifion der Anlagen zu. Sie find, 


en] Sn 
[4 


50 V. Die übrigen wichtigjten Neichögefepe ftrafretlihen Inhalts, 


Se 


vorbehaltlich der Anzeige von Gejegmwidrigfeiten zur Geheimhaltung der amtlich 
zu ihrer Kenntnis gelangenden Gefchäfts- und Betriebsverhältnifje der ihrer 
Reviſion unterliegenden Anlagen zu verpflichten. 

Die Ordnung der Zuftändigfeitsverhältniffe zwilchen diefen Beamten und 
den ordentlichen Polizeibehörden bleibt der verfaffungsmäßigen Regelung in 
den einzelnen Bundesjtaaten vorbehalten. 

Die erwähnten Beamten haben Jahresberichte über ihre amtliche Tätig- 
feit zu erjtatten. Dieje Jahresberichte oder Auszüge aus denjelben find dem 
Bundesrat und dem Reichstag vorzulegen. 

Die auf grund der Beitimmungen der 88 105a bis 105h, 120a bis 
120e, 134 bis 139a auszuführenden amtlichen Revifionen müflen die Arbeit- 
geber zu jeder Zeit, namentlich auch in der Nacht, während des Betriebes 
geltatten. 

Die Arbeitgeber find ferner verpflichtet, den genannten Beamten oder 
der Polizeibehörde diejenigen ſtatiſtiſchen Mitteilungen über die Verhältnifje 
ihrer Arbeiter zu machen, welche vom Bundesrat oder von der Yandes- Zentral: 
behörde unter Feſtſetzung der dabei zu beobachtenden Friſten und Formen 
vorgefchrieben werden. 

Ruhezeit in offenen Berfauföftellen, Kontoren und Lagerräumen. 

8 139e. In offenen Verfaufsftellen und den dazu gehörigen Schreib: 
ftuben (Kontore) und Yagerräumen ilt den Gehülfen, Lehrlingen und Arbeitern 
nach Beendigung der täglichen Arbeitzzeit eine ununterbrochene Ruhezeit von 
mindejtens zehn Stunden zu gewähren. 

In Gemeinden, welche nach der jeweilig legten Volkszählung mehr als 
zwanzigtaujend Einwohner haben, muß die Ruhezeit in offenen Verfaufsitellen, 
in denen zwei oder mehr Gehülfen und Lehrlinge bejchäftigt werden, für dieſe 
mindeſtens elf Stunden betragen; für Heinere Ortjchaften kann diefe Ruhezeit 
durch Ortsſtatut vorgejchrieben werden. 

Innerhalb der Arbeitszeit muß den Gehülfen, Lehrlingen und Arbeitern 
eine angemefjene Mittagspauje gewährt werden. Für Gehülfen, Lehrlinge und 
Arbeiter, die ihre Hauptmahlzeit außerhalb des die Verfaufsjtelle enthaltenden 
Gebäudes einnehmen, muß dieje Bauje mindejtens ein und eine halbe Stunde 
betragen. | 

S 139d. Die Bejtimmungen des $ 139 finden feine Anwendung 

l. auf Arbeiten, die zur Verhütung des Verderbens von Waren 
unverzüglich vorgenommen werden müfjen, 





—— 


Gewerbeordnung. 551 


2. für die Aufnahme der geſetzlich vorgeſchriebenen Inventur ſowie 
bei Neueinrichtungen und Umzügen, 

3. außerdem an jährlich höchſtens dreißig von der Ortspolizeibehörde 
allgemein oder für einzelne Geſchäftszweige zu beſtimmenden Tagen. 


Ladenſchluß. 
8 139e. Bon neun Uhr abends bis fünf Uhr morgens müſſen offene 
Verkaufsſtellen für den gejchäftlichen Verkehr geichloffen fein. Die beim 
Ladenſchluß im Laden ſchon anweſenden Kunden dürfen noch bedient werden. 
Ueber neun Uhr abends dürfen Verfaufsitellen für den gejchäftlichen 
Verkehr geöffnet fein 

1. für unvorbergejebene Notfälle, 

2. an höchſtens vierzig von der Ortspolizeibehörde zu beitimmenden 
Tagen, jedoch bis fpäteftens zehn Uhr abends, 

3. nach näherer Bejtimmung der höheren Berwaltungsbehörde in 
Städten, welche nach der jeweilig legten Volkszählung weniger 
als zweitauiend Einwohner haben, jowie in ländlichen Gemeinden, 
jofern in denjelben der Gejchäftsverfehr jich vornehmlich auf einzelne 
Tage der Moche oder auf einzelne Stunden des Tages bejchränft. 

Die Beitimmungen der $S 139c und 139d werden durch die vorjtehen- 


den Beitimmungen nicht berührt. 
Berbotener Strabenhandel uſw. 


Während der Zeit, wo die Verfaufsftellen geſchloſſen fein müſſen, it 
das Fzeilbieten von Waren auf öffentlichen Wegen, Straßen, Plägen oder an 
anderen öffentlichen Orten oder ohne vorherige Beitellung von Haus zu 
Haus im jtehenden Gewerbebetriebe (5 42b Abſ. 1 Ziffer 1) jowie im 
Gewerbebetrieb im Umberziehen ($ 55 Abf. 1 Ziffer 1) verboten. Ausnahmen 
fünnen von der Ortspolizeibehörde zugelaffen werden. Die Bejtimmung des 
8 55a Abi. 2 Sap 2 findet Anwendung. 


Weitere Beihränfung des Ladenverkehrs uſw. 
8 139f. Auf Antrag von mindeſtens zwei Dritteln der beteiligten 
Gejchäftsinhaber fann für eime Gemeinde oder mehrere örtlich unmittelbar 
zujammenbhängenden Gemeinden durch Anordnung der höheren Verwaltungs» 
behörde nach Anhörung der Gemeindebehörden für alle oder einzelne Gejchäfts- 
zweige angeordnet werden, daß die offenen VBerfaufsitellen während bejtimmter 
Zeiträume oder während des ganzen Jahres auch in der Zeit zwijchen acht 


552 V. Die übrigen wichtigiten Reichsgeſetze itrafrechtlichen Inhalts, 


und neun Uhr abends und zwifchen fünf und fieben Uhr morgens für den 
geichäftlichen Werfehr geichloffen jein müflen. Die Beltimmungen der 
s$ 139 ce und 1394 werden hierdurch nicht berührt. 

Auf Antrag von mindeſtens einem Drittel der beteiligten Gejchäfts- 
inhaber hat die höhere Verwaltungsbehörde die beteiligten Gefchäftsinhaber 
durch ortsübliche Bekanntmachung oder befondere Mitteilung zu einer Aeußerung 
für oder gegen die Einführung des Ladenjchlufjes im Sinne des vorftehenden 
Abjages aufzufordern. Erklären fich zwei Drittel der Abjtimmenden für Die 
Einführung, jo kann die höhere PVerwaltungsbehörde die entiprechenden 
Anordnungen treffen. 

Der Bundesrat ift befugt, Beitimmungen darüber zu erlaffen, in welchem 
Verfahren die erforderlihe Zahl von Geichäftsinhabern feſtzuſtellen iſt. 

Während der Zeit, wo Verfaufsjtellen auf grund des Abjages 1 
geichloffen fein müfjen, ift der Verfauf von Waren der in diefen Verkaufs— 
jtellen geführten Art fowie das Feilbieten von jolchen Waren auf öffentlichen 
Degen, Strafen, Plägen oder an anderen Öffentlichen Orten oder ohne vor- 
herige Bejtellung von Haus zu Haus im jtehenden Gewerbebetriebe ($ 42b 
Abi. 1 Ziffer 1) fowie im Gewerbebetrieb im Umberziehen ($ 55 Abi. 1 
Ziffer 1) verboten. Ausnahmen fünnen von der Ortspolizeibehörde zugelafjen 
werden, Die Beitimmung des $ 55a Abi. 2 Satz 2 findet Anwendung. 

Maßnahmen der Polizeibehörden. 

S 139g. Die Polizeibehörden find befugt, im Wege der Verfügung 
für einzelne offene Verkaufsstellen diejenigen Maßnahmen anzuordnen, welche 
zur Durchführung der im $ 62 Abſ. 1 des Handelsgefegbuchs enthaltenen 
Grundjäge in Anjehung der Einrichtung und Unterhaltung der Gejchäftsräume 
und der für den Gejchäftsbetrieb bejtimmten Vorrichtungen und Gerätjchaften 
ſowie in Anfehung der Regelung des Gefchäftsbetriebs erforderlich und nad) 
der Beichaffenheit der Anlage ausführbar erfcheiner. 

Die Beftimmungen im $ 120 A Abſ. 2 big 4 finden entjprechende Anwendung. 

Vorſchriften Des Bundesrats uſw. 

$ 139h. Durch Beichlug des Bundesrats können Vorjchriften darüber 
erlaffen werden, welchen Anforderungen die Laden-, Arbeit: und Lager— 
räume und deren Einrichtung jowie die Mafchinen umd Gerätichaften 
zum Zwecke der Durchführung der in 8 62 Abi. 1 des Handelsgefegbuchs 
enthaltenen Grumdiäge zu genügen haben. Die Bejtimmung im 8 120e 
Abſ. 4 findet Anwendung. 





Gewerbeordnung. 555 


Soweit ſolche Vorjchriften durch Beſchluß des Bundesrats nicht erlafjen 
find, können fie durch Anordnung der im $ 120e Abf. 2 bezeichneten Behörden 


erlafjen werden. 
Fortbildungs⸗ und Fachſchulen. 


8 139i. Die durch 8 76 Abſ. 4 des Handelsgeſetzbuchs ſowie durch 
$ 120 Abſ. 1 begründete Verpflichtung des Geſchäftsinhabers findet an Orten, 
wo eine vom Staate oder der Gemeindebehörde anerfannte Fachſchule beſteht, 
hinsichtlich des Beſuchs diefer Schule entjprechende Anwendung. 

Der Gejchäftsinhaber hat die Gehülfen und Lehrlinge unter achtzehn 
Jahren zum Beſuche der Fortbildungd- uud Fachjchulen anzuhalten und den 


Schulbeſuch zu überwachen. 
Arbeitsordnung für offene Berfanföftellen. 


S 139k. Für jede offene PVerfaufzftelle, in welcher in der Regel 
mindeitens zwanzig Gehülfen und Lehrlinge bejchäftigt werden, iſt innerhalb 
vier Wochen nach Infrafttreten dieſes Gejeßes oder nach der Erdfinung des 
Betriebs eine Arbeit3ordnung zu erlafjen. 

Auf die Arbeitsordnung finden die Vorjchriften der 88 134a, 134 b Abi. I 
Ziffer 1 bis 4, Abi. 2, Abi. 3 Sap 1, des $ 134c Abſ. 1, Abi. 2 Satz 2 und 
3, des 8 134d Abſ. 1 und der 88 134e, 134f entjprechende Anwendung. 

Andere als die in der Arbeitsordnung oder in den 88 71 und 72 des 
Handelsgejegbuchs vorgefehenen Gründe der Entlafjung und des Austritts aus 
der Arbeit dürfen im Arbeitövertrage nicht vereinbart werden. 

Die verhängten Gelditrafen find in ein Verzeichnis einzutragen, welches 
den Namen des Beitraften, den Tag der Beitrafung fowie den Grund und 
die Höhe der Strafe ergeben und auf Erfordern der Ortöpolizeibehörde jeder- 
zeit zur Einficht vorgelegt werden muß. 

Auf Arbeitsordnungen, welche vor dem Infrafttreten dieſes Gejeßes 
erlaffen worden find, finden die Bejtimmungen der 88 134a, 134b Abſ. 1 
Ziffer 1 bis 4, Abſ. 2, Abſ. 3 Sat 1, des 8 134c Abf. 1, Abi. 2 Sah 2 
und 3, des $ 134e Abſ. 2 und des 8 134Ff entiprechende Anwendung. 
Diefelben find binnen vier Wochen der unteren Verwaltungsbehörde in zwei 
Ausfertigungen einzureichen. Auf fpätere Abänderungen diefer Arbeitsordnungen 
und auf die jeit dem 1. Dftober 1899 eritmalig erlafjfenen Arbeitsordnungen 
finden der $ 134d Abſ. 1 und der 8 134e Abi. 1 entiprechende Anwendung. 

S 1391. Auf das Halten von Lehrlingen in offenen Berfaufsjtellen 
jowie in anderen Betrieben de3 Handelsgewerbes findet die Beſtimmung 
des 8 128 Anwendung. 


554 V. Die übrigen wichtigſten Reichsgeſetze ſtrafrechtlichen Jnhalts, 


8 139m. Die Bejtimmungen der $$ 139c bis 13091 finden auf den 
Gejchäftsbetrieb der Konſum- und anderer Vereine entjprechende Anwendung. 
Titel X. 
5trafbeſtimmungen. 

S 144a. Perſonen, welche den Beſtimmungen der 88 126, 126a und 129 
entgegen Lehrlinge halten, anleiten oder anleiten laſſen, fönnen von der Ortspolizei— 
behörde durch Zwangsitrafen zur Entlafjung der Lehrlinge angehalten werden. 

In gleicher Weiſe fann die Entlafjung derjenigen Lehrlinge, welche den 
auf grund der 88 Sla Ziffer 3, 128 Abſatz 2 und 130 erlafjenen Vor— 
ichriften entgegen angenommen find, verfügt werden. 

Reichsſtrafgeſetzbuch maßgebend. Berjährung. 

8 145. Für das Mindeſtmaß der Strafen, das Verhältnis von Geld— 
jtrafe zur zFreiheitsitrafe, jomwie für die Verjährung der in den 88 145a, 
146 und 153 verzeichneten Vergehen find die Beitimmungen des Strafgejeg- 
buch für das Deutiche Reich maßgebend. 

Die übrigen in diefem Titel mit Strafe bedrohten Handlungen verjähren 
binnen drei Monaten, von dem Tage an gerechnet, an welchem fie begangen find. 

Bergehen. 

S 145a. Die in den Fällen der 88 16, 24 und 25 gemäß $ 21 
Ziffer 1 zugezogenen Eadjverjtändigen werden bejtraft, 

1. wenn jie unbefugt Betriebsgeheimnifje offenbaren, welche durch 
das Verfahren zu ihrer Kenntnis gelangt find, mit Geldftrafe 
bis zu eintaufendfünfhundert Mark oder mit Gefängnis bis zu 
drei Monaten; 

2. wenn fie abfichtlih zum Nachteile der Betriebsunternehmer 
Betriebsgeheimnifje, welche durc) das Verfahren zu ıhrer Stenntnis 
gelangt jind, offenbaren oder geheim gehaltene Betriebseinrichtungen 
oder Betriebsweien, welche durch das Verfahren zu ihrer Kenntnis 
gelangt find, jolange diefe Betriebsgeheimniffe find, nachahmen, 
mit Gefängnis, neben welchem auf Berlujt der bürgerlichen 
Ehrenrechte erfannt werden fann. Tun jie dies, um jich oder 
einem anderen VBermögensvorteil zu verfchaffen, jo fann neben der 
Sefängnisstrafe auf Geldjtrafe bis zu dDreitaujend Marf erfannt werden. 

Im Falle der Ziffer 1 tritt die Verfolgung nur auf Antrag des Betriebs: 
unternehmers ein. 














Gewerbeordnung. 555 


Vergeben, 


8 146. Mit Gelditrafe bis zu zweitaufend Mark und im Unvermögens- 
falle mit Gefängnis bis zu ſechs Monaten werden beitraft: 


I: 


Sewerbetreibende, welche dem $ 115 zumwiderhandeln; 


2. Gewerbetreibende, welche den 88 135, 136, 137, 139c oder den 


auf grund der SS 139, 139a getroffenen Verfügungen zumider: 
handeln; 


3. Gewerbetreibende, welche dem $ 111 Abjag 3, $ 113 Abſatz 3 


4. 


oder dem $ 1144 Abſatz 3, ſoweit daſelbſt die Beſtimmungen des 
s 111 Abjag 3 für anwendbar erklärt worden find, zuwiderhandeln; 
wer $ 56 Ziffer 6 zuwiderhandelt. 


Die Geldftrafen fließen der im $ 116 bezeichneten Kaſſe zu. 
Der $ 75 des Gerichtsverfaffungsgeieges findet Anwendung. 


Vergehen. 


S 146a. Mit Geldſtrafe bis zu ſechshundert Mark, im Unvermögens— 
falle mit Haft wird bejtraft, wer den 88 105b bis 105g oder den auf grund 
derjelben erlajjenen Anordnungen zumider Arbeitern an Sonn» und Feſttagen 
Beichäftigung gibt oder den 88 dla, 55a, 139e, 139f Abſatz 4 oder den 
auf grund des $ 105b Abf. 2 erlajienen jtatutarischen Beitimmungen oder 
den auf grund des $ Ald oder des $ 139f Abi. 1 getroffenen Anord— 


nungen zumwiderhandelt. 


Vergehen. 


8 147. Mit Geldſtrafe bis zu dreihundert Mark und im Unvermögens: 
falle mit Haft wird bejtraft: 


8 


— 


wer den ſelbſtändigen Betrieb eines ſtehenden Gewerbes, zu deſſen 
Beginn eine beſondere polizeiliche Genehmigung (Konzeſſion, Appro— 
bation, Beſtallung) erforderlich iſt, ohne die vorſchriftsmäßige 
Genehmigung unternimmt oder fortſetzt, oder von den in der 
Genehmigung feſtgeſetzten Bedingungen abweicht; 


. wer eine gewerbliche Anlage, zu der mit Rückſicht auf die Lage 


oder Beichaffenheit der Betriebsitätte oder des Lokals eine bejondere 
Genehmigung erforderlich iſt ($$ 16 und 24), ohme dieje Ge— 
nehmigung errichtet, oder die wejentlichen Bedingungen, unter 
welchen die Genehmigung erteilt worden, nicht innehält, oder ohne 
neue Genehmigung eine wejentliche Veränderung der Betriebsstätte 
oder eine Verlegung des Lokals oder eine wejentliche Veränderung 
in dem Betriebe der Anlage vornimmt; 


556 V. Die übrigen wichtigiten Reichögejege Itrafrechtlichen Inhalts, 


3. wer, ohne hierzu approbiert zu fein, ſich als Arzt (Wundarzt, 
Augenarzt, Geburtshelfer, Zahnarzt, Tierarzt) bezeichnet oder ſich 
einen ähnlichen Titel beilegt, durch den der Glauben erwedt wird, 
der Inhaber desjelben jei eine geprüfte Medizinalperjon; 

4. wer den auf grund des $ 120d, 139g endgültig erlafjenen Ber- 
fügungen oder den auf grund der $$ 120e, 139h erlafjenen 
Vorjchriften zumwiderhandelt ; 

5. wer eine Fabrik betreibt oder eine offene Verfaufsftelle hält, für 
welche eine Arbeitsordnung ($$ 134a, 139k) micht befteht, oder 
wer der endgültigen Anordnung der Behörde wegen Erjegung oder 
Abänderung der Arbeitsordnung nicht nachfommt. 

Enthält die Handlung zugleich eine Zumwiderhandlung gegen die Steuer: 
gejege, jo joll nicht außerdem noch auf eine Steuerjtrafe erfannt werden, 
e3 iſt aber darauf bei Zumefjung der Strafe Rüdficht zu nehmen. 

In dem Falle zu 2 fann die Polizeibehörde die Wegichaffung der 
Anlage oder die Herjtellung des den Bedingungen entjprechenden Zuſtandes 
derjelben anordnen. 

In dem Falle zu 4 fann die Polizeibehörde bis zur Herſtellung des 
der Verfügung oder der Vorfchrift entiprechenden Zuftandes die Einjtellung 
des Betriebes, ſoweit derjelbe durch die Verfügung oder die Vorfchrift getroffen 
wird, anordnen, falls deſſen Fortjegung erhebliche Nachteile oder Gefahren 
herbeizuführen geeignet fein würde. 


Mebertretungen. 
8 148. Mit Geldjtrafe bis zu einhundertfünizig Mark und im Unver: 
mögensfalle mit Haft bis zu vier Wochen wird beitraft: 

1. wer außer den im $ 147 vorgefehenen Fällen ein jtehendes 
Gewerbe beginnt, ohne dasjelbe vorjchriftsmäßig anzuzeigen; 

2. wer die im $ 14 erforderte An- oder Abmeldung einer über- 
nommenen Feuerverſicherungsagentur unterläßt; 

3 wer die im $ 14 erforderten Anzeigen über das Betriebslofal 
unterläßt; 

4. wer der nah $ 35 gegen ihn ergangenen Unterfagung eines 
Gewerbebetriebes zumwiderhandelt oder die im $ 35 vorgejchriebene 
Anzeige unterläßt; 


—— EEE net 


4a. 


-] 


7a. 


7b. 


Te. 


7d. 


Te. 


Gewerbeordnung. 957 


wer außer den Füllen des $ 360 Nr. 12, $ 367 Wr. 16 des 
Strafgefegbuchs den auf grund des $ 38 erlajjenen Vorjchriften ° 
zuwiderhandelt ; 


. wer dem $ 33b oder außer den im 8 149 Ziffer 1 vorgejehenen 


Fällen den SS 42a bis 44a zumwiderhandelt oder jeine Legitimationd- 
farte ($S 44a) oder feinen Wandergewerbejchein ($ 55) einem 
anderen zur Benutzung überläßt; 


. wer zum Zweck der Erlangung einer Legitimationsfarte, eines 


Mandergewerbejcheins oder der im $ 62 vorgejehenen Erlaubnis 
in bezug auf feine Perſon oder die Perjonen, die er mit ſich zu 
führen beabfichtigt, wiſſentlich unrichtige Angaben macht; 


, wer ein Gewerbe im Umherziehen ohne den gejeglich erforderlichen 


MWandergewerbefchein, imgleichen wer eines der im $ 59 Ziffer 1 
bis 3 bezeichneten Gewerbe der nach $ 59a ergangenen Unter- 
jagung zuwider betreibt; 

wer dem $ 56 Abf. 1, Abj. 2 Ziffer 1 bis 5, 7 bis 11, Abſ. 3, 
$ 56a oder 56b zumiderhandelt; 

wer den Borjchriften der SS 56c, 60a, 60b Ab. 2 und 3 oder 
60 Abjag 2 und 3 zumiderhandelt; 

wer einer ihm in Gemäßheit des S 60 Abj. 1, 8 60b Abf. 1 
oder des $ 60d Abf. 3 in dem Wandergewerbeicheine auferlegten 
Beichränfung zuwiderhandelt; 

wer bei dem Gewerbebetriebe im Umbherziehen Kinder unter vierzehn 
Jahren zu gewerblichen Zwecken mit jich führt oder zu dem nach 
z 42b Abſ. 5 verbotenen Gewerbebetriebe Kinder unter vierzehn 
Jahren anleitet oder ausjchidt; 

ein Ausländer, welcher bei dem Gewerbebetriebe im Umbherziehen 
den in Gemäßheit des $ 56d vom Bundesrat getroffenen Beſtim— 
mungen zuwiderhandelt; 


. wer bei dem Betriebe jeines Gewerbes die von der Obrigkeit oder 


durch Anzeige bei derfelben fejtgelegten Taxen überjchreitet oder 
es unterläßt, das gemäß $ 75 oder $ 75a vorgejchriebene Ver— 
zeichnis einzureichen ; 


. wer die gefeglichen Pflichten gegen die ihm anvertrauten Lehrlinge 


verlegt; 


558 V. Die übrigen wichtigiten Reichsgeſetze jtrafredhtlihen Inhalts. 


9a. wer den $$ 126 und 126a zuwider Lehrlinge hält, anleitet oder 
anleiten läßt; 

9b. wer dem $ 129 oder den auf grund der 88 128 und 130 erlaffenen 
Vorſchriften zumider Lehrlinge hält, anleitet oder anleiten läßt: 

dc. wer unbefugt den Meistertitel führt; 

10. wer wifjentlich der Beitimmung im 8 127e Abi. 2 zuwider 
einen Lehrling beichäftigt; 

11. wer der Beitimmung des 8 134c Abſ. 2 zumwider gegen Arbeiter 
Strafen verhängt, welche in der Arbeitsordnung nicht vorgejehen 
find oder den gejeglich zuläffigen Betrag überfteigen oder wer 
Strafgelder oder die im $ 134b Nr. 5 bezeichneten Beträge in 
einer in der Arbeitsordnung nicht vorgejehenen Weife verwendet; 

12. wer es unterläßt, der durch $ 134e Abf. 1,$$ 134g, 139k Abi. 5 
für ihn begründeten Verpflichtung zur Einreihung der Arbeits- 
ordnung, ihrer Abänderungen und Nachträge nachzufommen; 

13. wer dem $ 15a oder den auf grund des $ 119a erlafjenen 
jtatutarischen Beſtimmungen zumiderhandelt. 

14. wer den Vorſchriften des $ 15a zumiderhandelt; 

Strafe ausgeſchloſſen. 
In allen diefen Fällen bleibt die Strafe ausgeſchloſſen, wenn die jtraf- 
bare Handlung zugleich eine Zumwiderhandlung gegen die Steuergejege enthält. 
Webdertretungen. 
8 149. Mit Gelditrafe bis zu dreißig Marf und im Unvermögensfalle 
mit Haft bis zu acht Tagen wird beitraft: 

1. wer den im $42b vorgefehenen Erlaubnisfchein oder den im $ 43 
vorgejehenen Legitimationsfchein während der Ausübung des 
Gewerbebetriebes nicht bei jich führt oder den Beltimmungen des 
$ 44a Abſ. 2 zumwiderhandelt; 

. wer bei dem Gewerbebetriebe im Umherziehen dem legten Abjag 

des $ 56 oder dem $ 60c Abf. 1 zumiderhandelt ; 

3. wer ein Gewerbe im Umberziehen, für weldjes ihm ein auf einen 
beftimmten Bezirk lautender Wandergewerbejchein erteilt ift, unbefugt 
in einem anderen Bezirfe betreibt; 

4. wer ein Gewerbe im Umherziehen mit anderen Warengattungen 
oder unter Darbietung anderer Leiftungen betreibt, al3 fein Wander: 
gewerbejchein angibt; 


—X 


—— ee SEITE N  EEREEENSERF” 


Gewerbeordnung. 550 


5. wer bei dem Gewerbebetriebe im Umherziehen unbefugt Perſonen 
mit fich führt, oder einen Gewerbetreibenden, zu welchem er nicht 
in dem Berhältniffe eines Ehegatten, Kindes oder Enkels fteht, 
unbefugt begleitet; 

6. wer den polizeilichen Anordnungen wegen des Mearftverfehrs 
zuwiberhandelt; 

7. wer es unterläßt, den durch SS 105 Abj. 2 134e, Abſ. 2, 138, 138 a 
Abſ. 5, 139b für ihn begründeten Verpflichtungen nachzufommen ; 

7a. wer ed unterläßt, gemäß $$ 75, 75a das Verzeichnis anzuſchlagen 
oder dem Stellefuchenden vor Abſchluß des Vermittelungsgeichäfts 
die für ihn zur Anwendung kommenden Taxe mitzuteilen. 

8. wer, ohne einer Innung als Mitglied anzugehören, ſich als 


Innungsmeiſter bezeichnet. Strafe ausgefhloffen. 


In allen dieſen Fällen bleibt die Strafe ausgeſchloſſen, wenn die ftraf: 
bare Handlung zugleich eine Zumwiderhandlung gegen die Steuergefege enthält. 
Vebertretungen. 
$ 150. Mit Gelditrafe bis zu zwanzig Mark und im Unvermögens- 
falle mit Haft bis zu drei Tagen für jeden Fall der Verlegung des Geſetzes 
wird beitraft: 

1. wer den Bejtimmungen der 88 106 bis 112 zumider einen Arbeiter 

in Beichäftigung nimmt oder behält; 

. wer außer dem im $ 146 Ziffer 3 vorgejehenen Falle den Be: 
ftimmungen diejes Gejeges in Anfehung der Arbeitsbücher, Lohn— 
bücher oder Arbeitäzettel zumwiderhandelt; 

3. wer vorfäßlic; ein auf feinen Namen ausgejtelltes Arbeitsbuch) 
unbrauchbar macht oder vernichtet; 

4. wer den Beitimmungen des $ 120 Abſ. 1, des 8 1391 oder einer 
auf grund des $ 120 Abj. 3 erlaffenen jtatutarifchen Beitimmungen 
zumwiderhandelt ; 

4a. der Lehrherr, welcher den Lehrvertrag nicht ordnungsmäßig ab- 
Ichließt (SS 103e Abf. 1 Ziffer 1 und 126 b); 

5. wer es unterläßt, den durch $ 134c Abſ. 3, $ 139k Abſ. 4 für 
ihn begründeten Berpflichtungen nachzukommen. 

Landesgefegliche Vorfchriften gegen die Verlegung der Schulpflicht, nach 
welchen eine höhere Strafe eintritt, werden durch die Bejtimmung unter 

Ziffer 4 nicht berührt. 


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560 V. Die übrigen widtigiten Reichsgeſetze jtrafrechtlichen Inhalte. 


Straftaten der Betriebsleiter. 

$ 151. Sind bei der Ausübung des Gewerbes polizeiliche Vorjchriften 
von Perſonen übertreien worden, welche der Gewerbetreibende zur Leitung 
des Betriebes oder eines Teiles desjelben oder zur Beaufjichtigung beftellt 
hatte, jo trifft die Strafe dieje lehteren. Der Gewerbetreibende iſt neben 
denfelben jtrafbar, wenn die Uebertretung mit jeinem Vorwiſſen begangen ift 
oder wenn er bei der nach den Verhältniffen möglichen eigenen Beauf— 
jichtigung des ‚Betriebes, oder bei der Auswahl oder der Beauffichtigung der 
Betriebsleiter oder Aufjichtsperfonen es an der erforderlichen Sorgfalt hat 
fehlen laſſen. 

Sit an eine folche Uebertretung der Verlujt der Konzefjion, Approbation 
oder Beltallung gefnüpft, jo findet derjelbe auch als folge der von dem 
Stellvertreter begangenen Uebertretung jtatt, wenn dieſe mit Vorwiſſen des 
verfügungsfähigen Vertretenen begangen worden. Iſt dies nicht der Fall, jo 
ijt der Vertretene bei Berlujt der Konzefjion, Approbation ufw. verpflichtet, 
den Stellvertreter zu entlafjen. 


Koalitionsfreiheit. 
$ 152. Alle Verbote und Strafbeitimmungen gegen Gewerbetreibende, 
gewerbliche Gehülfen, Gejellen oder Fabrifarbeiter wegen VBerabredungen und 
Vereinigungen zum Behufe der Erlangung günftiger Lohn- und Wrbeits- 
bedingungen, insbejondere mitteljt Einjtellung der Arbeit oder Entlafjung der 
Arbeiter, werden aufgehoben. 
Jedem Teilnehmer jteht der Nüdtritt von jolchen Vereinigungen und 
Berabredungen frei, und es findet aus legteren weder Klage noch Einrede jtatt. 
Dergeben. 
$ 153. Wer andere durch Anwendung förperlichen Zwanges, durd) 
Drohungen, durch Ehrverlegung oder durch VBerrufserklärung bejtimmt oder 
zu bejtimmen verjucht, am jolchen Verabredungen ($ 152) teilzunehmen, oder 
ihnen Folge zu leijten, oder andere durch gleiche Mittel hindert oder zu hindern 
verjucht, von jolchen Verabredungen zurüdzutreten, wird mit Gefängnis bis 
zu drei Monaten bejtraft, jofern nach dem allgemeinen Strafgejeg nicht eine 
härtere Strafe eintritt. 


Schlußbeſtimmungen. | 
8 154. Die Bejtimmungen der $$ 105 bis 133e, 139c bi8 139m | 
finden auf Gehülfen und Lehrlinge in Apotheken, die Beitimmungen der 


Gewerbeordnung. 561 


88 105, 106 bis 119b ſowie vorbehaltlich des $ 139g Abſ. 1 und der 
8$ 139h, 1391 139m die Beitimmungen der 88 120a bis 133e auf Ge: 
hülfen und Lehrlinge in Handelsgejchäften feine Anwendung. 

Die Beitimmungen der 88 134 bis 139b finden auf Arbeitgeber und 
Arbeiter in Hüttenwerfen, in Bimmerplägen und in anderen Bauhöfen, in 
Werften fowie in folchen Ziegeleien, über Tage betriebenen Brüchen und 
Gruben, welche nicht bloß vorübergehend oder in geringem Umfang betrieben 
werden, entjprechende Anwendung. Darüber, ob die Anlage vorübergehend 
oder in geringem Umfang betrieben wird, entjcheidet die höhere Verwaltungs— 
behörde endgültig. 

Die Beitimmungen der 88 135 bis 139b finden auf Arbeitgeber und 
Arbeiter in Werkjtätten, in welchen durch elementare Kraft (Dampf, Wind, 
Waſſer, Gas, Luft, Elektrizität ujw.) bewegte Triebwerfe nicht bloß vorüber- 
gehend zur Verwendung fommen, mit der Maßgabe entiprechende Anwendung, 
daß der Bundesrat für gewiffe Arten von Betrieben Ausnahmen von den in 
88 135 Abſ. 2 und 3, 136, 137 Abi. 1 bis 3 und 138 vorgejchenen Be- 
jtimmungen nachlaſſen fann. 

Auf andere Werkjtätten, jowie auf Bauten fünnen durch Kaijerliche 
Verordnung mit Zuftimmung des Bundesrats die Bejtimmungen der 88 135 
bi8 139b ganz oder teilmeije ausgedehnt werden. Werfjtätten, in welchen 
der Arbeitgeber ausjchließlich zu feiner Familie gehörige Perſonen beichäftigt, 
fallen unter dieje Beitimmungen nicht. 

Die Kaijerlihen Verordnungen, jowie die Ausnahmebejtimmungen des 
YBundesrats können auch für bejtimmte Bezirfe erlajjen werden. Sie find 
durch das Reichs-Geſetzblatt zu veröffentlichen und dem Neichstag bei feinem 
nächſten Zujammentritt zur Kenntnisnahme vorzulegen. 


8 154a. Die Beitimmungen der 88 115 bis 119a, 135 bis 139 b, 
152 und 153 finden auf die Befiger und Arbeiter von Bergwerfen, Salinen, 
Aufbereitungsanftalten und unterirdijch betriebenen Brüchen oder Gruben 
entjprechende Anwendung. 

Arbeiterinnen dürfen in Anlagen der vorbezeichneten Art nicht unter 
Tage bejchäftigt werden. Zuwiderhandlungen unterliegen der Strafbeitimmung 
des & 146. 


36 


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562 V. Die übrigen wichtigſten Reichsgeſetze itrafrechtlihen Inhalts. 


24. Geſetz, 
betreffend die Verwendung gejundheitsihädlider Farben bei 
der Heritellung von Nahrungsmitteln, Genußmitteln 
und Gebrauhsgegenjtänden. 


Bom 5. Juli 1887. 


(R.G.Bl. ©. 277.) 
Berbot der Berwendung. 
a) bei Nahrungs und Genukmitteln. 


81. Gejundheitsjchädliche Farben dürfen zur Herjtellung von Nahrungs— 
und Genußmitteln, welche zum Verkauf beftimmt find, nicht verwendet werden. 

Gejundheitsichädliche Farben im Sinne diejer Beitimmung find diejenigen 
Tarbitoffe und SFarbzubereitungen, welche: Antimon, Arſen, Baryum, Blei, 
Cadmium, Chrom, Kupfer, Quedjilber, Uran, Zinf, Zinn, Gummiguttt, 
Korallin, Pikrinſäure enthalten. 

Der Reichskanzler ift ermächtigt, nähere Borjchriften über das bei ber 
Teititellung des VBorhandenjeins von Arjen und Zinn anzumendende Verfahren 
zu erlaffen. 

b) bei Gefähen ufw, 

8 2. Zur Aufbewahrung oder Berpadung von Nahrungs: und Genuß 
mitteln, welche zum Verkauf bejtimmt find, dürfen Gefäße, Umhüllungen oder 
Schugbededungen, zu deren Herſtellung Farben der im $ 1 Abf. 2 bezeichneten 
Urt verwendet find, nicht benußt werben. 

Auf die Verwendung von 

jchwefelfaurem Baryum (Schwerjpath, blanc fixe), 

Barytfarbladen, welche von kohlenſaurem Baryum frei find, 

Chromoryd, 

Kupfer, Zinn, Zink und deren Legierungen ald Metallfarben, 

Binnober, 

Binnoryd, 

Schwefelzinn als Mufivgold, 

ſowie auf alle in Glasmaſſen, Glaſuren oder Emails eingebrannte 
Farben und auf den äußeren Anſtrich von Gefäßen aus waſſer— 
dichten Stoffen 

findet diefe Beitimmung nicht Anwendung. 





Verwendung gejundheitsihädlicher Farben uſw. 563 


c) bei Fosmetifhen Mitteln, 

8 3. Bur Herftellung von fosmetifchen Mitteln (Mitteln zur Reinigung, 
Pflege oder Färbung der Haut, des Haares oder der Mundhöhle), welche zum 
Berkauf beftimmt find, dürfen die im $ 1 Ab. 2 bezeichneten Stoffe nicht 
verwendet werden. 

Auf Schwefelfaures Baryum (Schweripath, blanc fixe), Schwefelcadmium, 
Chromoryd, Zinnober, Zinforyd, Zinnoxyd, Schwefelzinf, ſowie auf Kupfer, 
Zinn, Zink und deren Legierungen in Form von Puder findet dieje Be- 


ftimmung nicht Anwendung. d) bei Spielwaren ufw. 


8 4. Zur Herftellung von zum Verkauf beftimmten Spielwaren (ein— 
ichliehlich der Bilderbogen, Bilderbücher und Tufchfarben für Kinder), Blumen» 
topfgittern und fünftlichen Chrijtbäumen dürfen die im $ 1 Ab. 2 bezeichneten 
Farben nicht verwendet werden. 

Auf die im 8 2 Abf. 2 bezeichneten Stoffe, fowie auf 

Schwefelantimon und Schwefelcadmium als Färbemittel der Gummimaſſe, 

Bleioryd in Firniß, 

Bleiweiß als Beftandteil des jogenannten Wachögufjes, jedoch nur, 
jofern dasfelbe nicht ein Gewichtäteil in 100 Gewichtsteilen der 
Maſſe überfteigt, | 

hromjaures Blei (für fi) oder in Verbindung mit jchwefeljaurem 
Blei) als Del» oder Ladfarbe oder mit Lad» oder Firnisüberzug, 
die in Wafjer unlöslichen Zinfverbindungen, bei Gummifpielvaren 
jedoch nur, joweit fie als Färbemittel der Gummimajje, als Del- 
oder Ladfarben oder mit Lack- oder Firnisüberzug verwendet werden, 
alle in Glafuren oder Emails eingebrannten Farben 
findet diefe Beftimmung nicht Anwendung. 

Soweit zur Heritellung von Spielwaren die in den $$ 7 und 8 be- 

zeichneten Gegenftände verwendet werden, finden auf lehtere lediglich die Vor- 


jchriften der SS 7 und 8 Anwendung. 
e) bei Buch⸗ und Steindrud. 


S5. Zur Heritellung von Buch- und Steindrud auf den in den. 
SS 2, 3 und 4 bezeichneten Gegenftänden dürfen nur jolche Farben nicht 


verwendet werden, welche Arjen enthalten. 
f) bei Tuſchfarben. 


S 6. Tuſchfarben jeder Art dürfen als frei von gejundheitsjchädlichen 
Stoffen beziehungsweise giftfrei nicht verfauft oder feilgehalten werden, wenn 
fie den Vorſchriften im $ 4 Abſ. 1 und 2 nicht entjprechen. 

36* 


u an u ee 21 


564 V. Die übrigen wichtigften Reichsgeſetze jtrafrechtlichen Inhalts. 


£) bei Tapeten, Möbelftoffen uſw. 
8 7. Zur Herjtellung von zum Berfauf bejtimmten Tapeten, Möbel: 
ftoffen, Teppichen, Stoffen zu VBorhängen oder Befleidungsgegenftänden, Masken, 
Kerzen, ſowie fünftlihen Blättern, Blumen und Früchten dürfen farben, welche 
Arfen enthalten, nicht verwendet werden. i 
Auf die Verwendung arjenhaltiger Beizen oder Firierungsmittel zum 
Zwed des Färbens oder Bedruckens von Geſpinnſten oder Geweben findet 
diefe Beitimmung nicht Anwendung. Doch dürfen derartig bearbeitete Geſpinnſte 
oder Gewebe zur Heritellung der im Abjat 1 bezeichneten Gegenstände nicht 
verwendet werden, wenn jie das Arfen in wafjerlöslicher Form oder in folcher 
Menge enthalten, daß ſich in 100 Duadratzentimeter des fertigen Gegenjtandes | 
mehr ald 2 Milligramm Arfen vorfinden. Der Reichskanzler ijt ermächtigt, 
nähere Vorschriften über das bei der Feititellung des Arſengehalts anzumendende 
Verfahren zu erlafjen. 
h) Bei Schreibmaterialien ufw., Oblaten. 
8 8. Die Vorjchriften des $ 7 finden auch auf die Herjtellung von 
zum Verkauf bejtimmten Schreibmaterialien, Lampen- und Lichtjchirmen jowie | 
Lichtmanfchetten Anwendung. 
Die Herjtellung der Oblaten unterliegt den Beitimmungen im $ 1, jedod) 
jofern fie nicht zum Genuſſe bejtimmt find, mit der Maßgabe, daß die Ver: | 
wendung von jchwefelfaurem Baryum (Schweripat, blanc fixe), Chromoryd | 
und Binnober geitattet ilt. 


i) Bei Waſſer⸗ und Leimfarben. 

8 9. Arjenhaltige Wafjer- oder Leimfarben dürfen zur Herjtellung des 
Anftrichs von Fußböden, Deden, Wänden, Türen, Fenſtern der Wohn- oder 
Gefchäftsräume, von Rol-, Zug- oder Klappläden oder Vorhängen, von 
Möbeln und jonjtigen häuslichen Gebrauchsgegenitänden nicht verwendet werben. 


S 10. Auf die Verwendung von Farben, welche die im 8 1 Abf. 2 
bezeichneten Stoffe nicht als fonjtituierende Bejtandteile, fondern nur als 
Verunreinigungen, und zwar höchitens in einer Menge enthalten, welche fich 
bei den in der Technik gebräucdjlichen Darjtellungsverfahren nicht vermeiden 
läßt, finden die Bejtimmungen der 88 2 bis 9 nicht Anwendung. 

Peljwaren auögenommen. 

8 11. Auf die Färbung von Pelzwaren finden die Vorfchriften diejes 

Geſetzes nicht Anwendung. 





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2 
. * * 


Verwendung geſundheitsſchädlicher Farben ufiv. — Verkehr mit Butter, Käſe, Schmalz uſw. 565 


Strafbeftimmungen. 
s 12. Mit Geldjtrafe bis zu einhundertundfünfzig Mark oder mit 
Haft wird beitraft: 

1. wer den Vorjchriften der SS 1 bis 5, 7, 8 und 10 zumider 
Nahrungsmittel, Genußmittel oder Gebrauchsgegenjtände heritellt, 
aufbewahrt oder verpadt, oder derartig hergeftellte, aufbewahrte 
oder verpadte Gegenstände gewerbsmäßig verfauft oder feilhält; 

2. wer der Borjchrift des $ 6 zumiderhandelt ; 

3. wer der Vorfchrift des $ 9 zumiderhandelt, imgleichen wer Gegen: 
itände, welche dem $ 9 zuwider hergeitellt find, gewerbsmäßig 


verfauft oder feilhält. Einziehung. 


S 13. Neben der im $ 12 vorgejehenen Strafe fann auf Einziehung 
der verbotswidrig hergeitellten, aufbewahrten, verpadten, verfauften oder feil- 
gehaltenen Gegenjtände erfannt werden, ohne Unterjchied, ob jie dem Verurteilten 
gehören oder nicht. 

Iſt die Verfolgung oder Verurteilung einer beftimmten Perjon nicht 
ausführbar, jo fann auf die Einziehung jelbjtändig erfannt werden. 

Verkehr mit Nahrungsmitteln uſw. 

8 14. Die Vorfchriften des Geſetzes, betreffend den Verkehr mit 
Nahrungsmitteln, Genußmitteln und Gebrauchsgegenjtänden, vom 14. Mai 
1879 (Reichs-Geſetzbl. S. 145) bleiben unberührt. Die Vorjchriften in den 
SS 16, 17 desfelben finden auch bei Zumiderhandlungen gegen die Vorjchriften 
des gegenwärtigen Gejetes Anwendung. 


2). Geſetz, 
betreffend den Verkehr mit Butter, Käſe, Schmalz und deren 
Erſatzmitteln. 


Vom 15. Juni 1897. 


(RG. Bl. ©. 475.) 
Geihäftsräume. 


8 1. Die Gejchäftsräume und jonftigen Verkaufsſtellen, einschließlich 
der Marftjtände, in denen Margarine, Margarineläfe oder Kunjtjpeijefett 
gewerbsmäßig verfauft oder jeilgehalten wird, müſſen an in die Augen jallender 
Stelle die deutliche, nicht verwifchbare Infchrift „Verkauf von Margarine“, 
„Berfauf von Margarinefäje", „Verkauf von Kunſtſpeiſefett“ tragen. 


566 V. Die übrigen wichtigsten Reichsgeſetze ſtrafrechtlichen Inhalts, 


Begriff von Margarine. 

Margarine im Sinne diejes Geſetzes find diejenigen der Milchbutter oder 
dem Butterfchmalz ähnlichen Zubereitungen, deren Fettgehalt nicht ausschließlich 
der Milch entitammt. 

Margarinefäfe im Sinne diefes Gefeges jind diejenigen fäfeartigen Zu— 
bereitungen, deren Fettgehalt nicht ausschließlich der Milch entftammt. 

Kunftfpeifefett. 

Kunftjpeifefett im Sinne dieſes Gefeges find diejenigen dem Echweine- 
ſchmalz Ähnlichen Zubereitungen, deren Fettgehalt nicht ausſchließlich aus 
Scweinefett befteht. Ausgenommen jind unverfälfchte Fette beitimmter Tier— 
oder Pflanzenarten, welche unter den ihrem Urfprung entjprechenden Be- 
zeichnungen in den Verkehr gebracht werden. 


Gefähe und Umhüllungen. 

8 2. Die Gefäße und äußeren Umhüllungen, in melden Margarine, 
Margarinefäfe oder Kunſtſpeiſefett gewerbsmäßig verfauft oder feilgehalten 
wird, müffen an in die Augen fallenden Stellen die deutliche, nicht verwifch- 
bare Inſchrift „Margarine, „Margarinefäje”, „unftjpeifefett" tragen. Die 
Gefäße müſſen außerdem mit einem ſtets jichtbaren, bandförmigen Streifen 
von roter Farbe verjehen jein, welcher bei Gefäßen bis zu 35 Zentimeter 
Höhe mindeitens 2 Zentimeter, bei höheren Gefäßen mindejtend 5 Zentimeter 
breit fein muß. 

Wird Margarine, Margarinefäje oder Kunjtpeifefett in ganzen Gebinden 
oder Kiſten gewerbsmäßig verkauft oder feilgehalten, jo bat die Inſchrift 
außerdem den Namen oder die Firma des Fabrikanten, ſowie die von dem 
Fabrifanten zur Kennzeichnung der Beichaffenheit jeiner Erzeugnifje angewendeten 
Zeichen (Fabrikmarke) zu enthalten, 

Im gemwerbsmäßigen Einzelverfaufe müfjen Margarine, Margarinefäje 
und Kumftjpeifefett an den Käufer in einer Umhüllung abgegeben werden, auf 
welcher die Infchrift „Margarine“, „Margarinefäfe“, „Kunſtſpeiſefett“ mit dem 
Namen oder der Firma des Verfäuferd angebradt iſt. 

Wird Margarine oder Margarinekäſe in regelmäßig geformten Stüden 
gewerbömäßig verfauft oder feilgehalten, jo müfjen diejelben von Würfelform fein, 
auch muß denjelben die Inschrift „Margarine“, „Margarinefäje” eingepreßt jein. 

Berbotene Bermifhung. 

83. Die Vermifchung von Butter oder Butterfchmalz mit Margarine oder 

anderen Speifefetten zum Zwecke de3 Handels mit diefen Mifchungen ift verboten. 


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Verkehr mit Butter, Käfe, Schmalz uſw. 567 


Unter dieje Beſtimmung fällt auch die Verwendung von Milch oder 
Rahm bei der gewerbsmäßigen Herjtellung von Margarine, jofern mehr als 
100 &ewichtsteile Milch; oder eine dementfprechende Menge Rahm auf 
100 Gewichtsteile der nicht der Milch entjtammenden Fette in Anwendung 


fommen. 
Trennung der Gewerböräumlidhkeiten. 


84. In Räumen, wojelbft Butter oder Butterjchmalz gewerbsmäßig 
hergeftellt, aufbewahrt, verpadt oder feilgehalten wird, ijt die Herjtellung, 
Aufbewahrung, Verpadung oder das Feilhalten von Margarine oder Kunjt- 
jpeijefett verboten. Ebenſo ift in Räumen, wojelbjt Käſe gewerbsmäßig ber» 
geitellt, aufbewahrt, verpadt oder feilgehalten wird, die Herjtellung, Auf: 
bewahrung, Verpadung oder das FFeilhalten von Margarinefäje unterfagt. 


Ausnahme für Hleinhandel. 

In Orten, welche nach dem endgültigen Ergebnifje der letmaligen 
Boltszählung weniger als 5000 Einwohner hatten, findet die Beitimmung des 
vorstehenden Abjates auf den Stleinhandel und das Aufbewahren der für den 
Kleinhandel erforderlichen Bedarfsmengen in öffentlichen Verfaufsjtätten, ſowie 
auf das Verpaden der dajelbft im SHeinhandel zum Verkaufe gelangenden 
Maren feine Anwendung. Jedoch miüfjen Margarine, Margarinefäfe und 
Kunjtipeifefett innerhalb der Verfaufsräume in bejonderen Borratsgefähen 
und an befonderen Lagerjtellen, welche von den zur Aufbewahrung von 
Butter, Butterjchmalz und Käſe dienenden Lagerjtellen getrennt find, auf— 
bewahrt werden. 

Für Orte, deren Einwohnerzahl erſt nad dem endgültigen Ergebnis 
einer ſpäteren Volfszählung die angegebene Grenze überjchreitet, wird ber 
Zeitpunft, von welchem ab die Vorjchrift des zweiten Abjages micht mehr An— 
wendung findet, durch die nad) Anordnung der Landes: Zentralbehörde zuftändigen 
Berwaltungsjtellen bejtimmt. Mit Genehmigung der Landes - Zentralbehörde 
fönnen dieſe Verwaltungsſtellen bejtimmen, daß die VBorjchrift des zweiten 
Abſatzes von einem beftimmten Zeitpunft ab ausnahmsweije in einzelnen 
Orten mit weniger al3 5000 Einwohnern nicht Anwendung findet, ſofern der 
unmittelbare räumliche Zuſammenhang mit einer Ortjchaft von mehr als 
5000 Einwohnern ein Bedürfnis hierfür begründet. 

Die auf grund des dritten Abjages ergebenden Beltimmungen Jind 
mindejtens jech® Monate vor dem Eintritte des darin bezeichneten Zeitpunftes 
öffentlich befannt zu machen. 


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568 V. Die übrigen wichtigſten Reichsgeſetze ftrafrechtlichen Inhalts, 


Deffentlihde Angebote uſw. 

8 5. Im öffentlichen Angeboten, fowie in Schlußjcheinen, Rechnungen, 
Frachtbriefen, Konnofjementen, Lagerjcheinen, Ladejcheinen und ſonſtigen im 
Handelsverfehr üblichen Schriftjtüden, welche jich auf die Lieferung von 
Margarine, Margarinefäje oder Kunſtſpeiſefett beziehen, müfjen die dieſem 
Geſetz entjprechenden Warenbezeichnungen angewendet werben. 


$ 6. Margarine und Margarinefäfe, welche zu Handelszwecken be⸗ 
beſtimmt find, müſſen einen die allgemeine Erkennbarkeit der Ware mittelſt 
chemijcher Unterfuchung erleichternden, Beichaffenheit und Farbe derfelben nicht 
ichädigenden Zujag enthalten. 

Die näheren Beitimmungen hierüber werden vom Bundesrat erlafjen 
und im Neichs-Gejegblatte veröffentlicht. 


Anzeigepfliht der Fabrikanten. 

87T. Wer Margarine, Margarinefäje oder Kunſtſpeiſefett gewerbs— 
mäßig heritellen will, hat davon der nach den landesredhtlichen Beitimmungen 
zuftändigen Behörde Anzeige zu erjtatten, hierbei auch die für die Herjtellung, 
Aufbewahrung, Verpackung und TFeilhaltung der Waren dauernd bejtimmten 
Näume zn bezeichnen und die etwa bejtellten Betriebsleiter und Aufſichts— 
perfonen namhaft zu machen. 

Für bereits bejtehende Betriebe ift eine entiprechende Anzeige binnen 
zwei Monaten nach Inkrafttreten dieſes Gefeges zu erjtatten. 

Veränderungen bezüglich der der Anzeigepflicht unterliegenden Räume 
und Perſonen jind nach Maßgabe der Beitimmung des Abſatzes 1 ber zu: 
jtändigen Behörde binnen drei Tagen anzuzeigen. 

Befugniffe der Polizeibeamten, 

8 8. Die Beamten der Polizei und die von ber Polizeibehörde 
beauftragten Sachverjtändigen find befugt, in die Räume, in denen Butter 
Margarine, Margarinefäje oder Kumjtipeijefett gewerbsmäßig hergejtellt wird, 
jederzeit, in die Räume, in denen Butter, Margarine, Margarinefäje oder 
Kunſtſpeiſefett aufbewahrt, feilgehalten oder verpadt wird, während der 
Gejchäftszeit einzutreten und dajelbit Reviſionen vorzunehmen, auch nach ihrer 
Auswahl Proben zum Zwede der Unterfuhung gegen Empfangsbejcheinigung 
zu entnehmen. Auf Verlangen ijt ein Teil der Probe amtlich verjchlofjen 
oder verjiegelt zurüdzulajjien und jür die entnommmene Probe eine angemefjene 
Entſchädigung zu leiten. 


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Verlehr mit Butter, Käſe, Schmalz; uſw. 569 


Pflicht der Unternehmer zur Ausfunftserteilung. 

8 9. Die Unternehmer von Betrieben, in denen Margarine, Margarine- 
fäfe oder Kunſtſpeiſefett gewerbsmäßig hergeitellt wird, fowie die von ihnen 
beftellten Betriebsleiter und Aufſichtsperſonen find verpflichtet, der Polizei— 
behörde oder deren Beauftragten auf Erfordern Auskunft über das Verfahren 
bei Herjtellung der Erzeugnifje, über den Umfang des Betriebs und über die 
zur Verarbeitung gelangenden Rohſtoffe, insbefondere auch über deren Menge 
und Herkunft zu erteilen. 


Derpflihtung der Polizeibeamten zur Berfchwiegenheit. 
8 10. Die Beauftragten der Polizeibehörde jind, vorbehaltlich der 
dienstlichen Verichterftattung und der Anzeige von Gejegwidrigfeiten, verpflichtet, 
über die Tatjachen und Einrichtungen, welche durch die Ueberwachung und 
Kontrolle der Betriebe zu ihrer Stenntnis fommen, WBerjchtwiegenheit zu 
beobachten und fich der Mitteilung und Nachahmung der von den Betriebs- 
unternehmern geheim gehaltenen, zu ihrer Kenntnis gelangten Betriebs- 
einrichtungen und Betrieböweifen, jolange als dieſe Betriebsgeheimnifje find, 
zu enthalten. 
Die Beauftragten der Polizeibehörden find hierauf zu -beeidigen. 
Befugniffe des Bundesrates. 
8 11. Der Bundesrat ijt ermächtigt, das gewerbsmäßige Verfaufen 
und Feilhalten von Butter, deren Fettgehalt nicht eine bejtimmte Grenze 
erreicht oder deren Wafler- oder Salzgehalt eine bejtimmte Grenze über: 
jchreitet, zu verbieten. 


8 12. Der Bundesrat ift ermächtigt, 
1. nähere, im Neich3-Gefegblatte zu veröffentlichende Beſtimmungen 
zur Ausführung der VBorfchriften des $2 zu erlaſſen, 
2. Grundjäge aufzujtellen, nach welchen die zur Durchführung dieſes 
Geſetzes, ſowie des Gejehes vom 14. Mai 1879, betreffend den 
Verkehr mit Nahrungsmitteln, Genußmitteln und Gebrauchs- 
gegenftänden (Reichs-Geſetzbl. S. 145), erforderlichen Unterjuchungen 
von Fetten und Käſen vorzunehmen find. 
Nidhtanwendbarfeit dieſes Geſetzes. 
$ 13. Die Vorſchriften dieſes Geſetzes finden auf ſolche Erzeugniſſe 
der im $ 1 bezeichneten Art, welche zum Genuſſe Tür Menſchen nicht beſtimmt 
jind, feine Anwendung. 





570 V. Die übrigen wichtigſten Reichsgeſetze ftrafrechtlihen Inhalte. 


Strafbeftimmungen. 

$ 14. Mit Gefängnis bis zu ſechs Monaten und mit Gelditrafe bis 
zu eintaufendfünfhundert Marf oder mit einer diejer Strafen wird bejtraft: 

1. wer zum Bmede der Täufchung im Handel und Verkehr eine der 

nah $ 3 unzuläffigen Mifchungen heritellt; 
. wer in Ausübung eines Gewerbes wiſſentlich ſolche Mifchungen 
verfauft, feilhält oder jonjt in Verkehr bringt; 

3. wer Margarine oder Margarinefäfe ohne den nach $ 6 erforder: 
lihen Zuſatz vorfäglich herſtellt oder wijjentlich verfauft, feilhält 
oder ſonſt in Verkehr bringt. 

Wiederholungsfal. 

Im Wiederholungsfalle tritt Gefängnisftrafe bis zu ſechs Monaten ein, 
neben , welcher auf Gelpitrafe bis zu eintaujendfünfhundert Mark erfannt 
werden fann; dieſe Beſtimmung findet nicht Anwendung, wenn jeit dem Beit- 
punft, in welchem die für die frühere Zuwiderhandlung erfannte Strafe 
verbüßt oder erlafjen ift, drei Jahre verflofien find. 

Offenbaren von Betriebögeheimniffen ufw.; Strafantrag. 

8 15. Mit Gelditrafe bis zu eintaufendfünfhundert Marf oder mit 
Gefängnis bis zu drei Monaten wird bejtraft, wer als Beauftragter der 
Polizeibehörde unbefugt Betriebsgeheimnifje, welche fraft feines Auftrags zu 
jeiner Kenntnis gefommen find, offenbart, oder geheimgehaltene Betriebs- 
einrichtungen oder Berriebsweifen, von denen er fraft feines Auftrags 
Kenntnis erlangt hat, nachahmt, ſolange diejelben noch Betriebsgeheimnifje find. 

Die Verfolgung tritt nur auf Antrag des Betriebsunternehmers ein. 

Derweigerung des Eintritts uſw. 

8 16. Mit Geldftrafe von fünfzig bis zu einhundertfünfzig Mark 
oder mit Haft wird beitraft: 

1. wer den Vorjchriften des $ 8 zuwider den Eintritt in die Räume, 
die Entnahme einer Probe oder die Revifion verweigert ; 

2. wer die in Gemäßheit des $ 9 von ihn erforderte Auskunft nicht erteilt 
oder bei der Augfunfterteilung wiffentlich unmwahre Angaben macht. 

817. Mit Gelditrafe bis zu einhundertfünfzig Mark oder mit Haft 
bis zu vier Wochen wird beitraft: 

1. wer den Vorjchriiten des $ 7 zumwiderhandelt; 

2. wer bei der nad) $9 von ihm erforderten Ausfunfterteilung aus 
Fahrläſſigkeit unwahre Angaben macht. 


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Verkehr mit Butter, Käſe, Schmalz uſw. — Verkehr mit Nahrungs: u. Genußmitteln uſp. 571 


$ 18. Wußer den Fällen der 88 14 bis 17 werden Zuwiderhandlungen 
gegen die Borfchriften dieſes Gejeges fowie gegen die in Gemäßheit der $$ 11 
und 12 Ziffer 1 ergebenden Bejtimmungen des Bundesrats mit Gelditrafe 
bis zu einhundertfünzig Mark oder mit Haft bejtraft. 

Wiederholungsfalt. 

Im Wiederholungsfall iſt auf Gelbftrafe bis zu jechshundert Mark 
oder auf Haft, oder auf Gefängnis bis zu drei Monaten zu erfennen. Dieje 
Beitimmung findet feine Anwendung, wenn jeit dem Zeitpunft, in welchem 
die für die frühere Zumiderhandlung erfannte Strafe verbüßt oder erlafjen 


it, drei Jahre verflofjen find. 
Einzichung. Selbftändiges Berfahren. 


8 19. Im den Fällen der 88 14 und 18 kann neben der Strafe auf 
Einziehung der verbotswidrig hergeitellten, verfauften, feilgehaltenen ober 
ſonſt in Verfehr gebrachten Gegenjtände erfannt werden, ohne Unterjchied, ob 
jie dem Berurteilten gehören oder nicht. 

Sit die Verfolgung oder Verurteilung einer bejtimmten Perſon nicht 
ausführbar, jo fann auf die Einziehung felbjtändig erfannt werden. 

Verkehr mit Nahrungsmitteln uſw. 

$ 20. Die VBorjchriften des Gefeßes, betreffend den Verkehr mit Nahrungs: 
mitteln, Genußmitteln und Gebrauchdgegenitänden, vom 14. Mai 1879 (Neiche- 
Geſetzbl. S. 145) bleiben unberührt. Die Vorſchriften in den 88 16, 17 
desfelben finden auch bei Zumwiderhandlungen gegen die Borjchriften des 
gegenwärtigen Gejeges mit der Maßgabe Anwendung, daß in den Fällen des 
S 14 die öffentliche Befanntmachung der Verurteilung angeordnet werden muß. 


26. Geſttz, 
betreffend den Verkehr mit Nahrungsmitteln, Genußmitteln 
und Gebraudsgegenftänden. 


Vom 14. Mai 1879. 
(R.G.Bl. ©. 145.) 


Geltungsbereih des Gefches. 
8 1. Der Verfehr mit Nahrungs- und Genußmitteln, jowie mit Spiel- 
waren, Tapeten, Farben, Eß-, Trink- und Kochgefhirr und mit Petroleum 
unterliegt der Beauffihtigung nad) Maßgabe diefes Gejehes. 





572 V, Die übrigen wichtigiten Reichsgeſetze ftrafrechtlihen Inhalts. 


Beingniffe der Polizeibeamten. 

8 2, Die Beamten der Polizei find befugt, in die Räumlichkeiten, in 
welchen Gegenftände der in $ 1 bezeichneten Art feilgehalten werden, während 
der üblichen Gejchäftsjtunden oder während die Räumlichkeiten dem Verfehr 
geöffnet find, einzutreten. 

Sie find befugt, von den Gegenjtänden der in $ 1 bezeichneten Art, 
welche in den angegebenen Räumlichkeiten fich befinden, oder welche an öffent: 
lihen Orten, auf Märkten, Plägen, Straßen oder im Umherziehen verkauft 
oder feilgehalten werden, nach ihrer Wahl Proben zum Awede der Unter- 
ſuchung gegen Empfangsbeicheinigung zu entnehmen. Auf Verlangen ijt dem 
Befiger ein Teil der Probe amtlich verfchlojien oder verjiegelt zurüdzulafjen. 
Für die entnommene Probe ijt Entſchädigung in Höhe des üblichen Kaufpreiſes 
zu leijten. 

8 3. Die Beamten der Polizei find befugt, bei Perjonen, welche auf 
grund der 88 10, 12, 13 dieſes Gefeges zu einer FFreiheitsitrafe verurteilt 
find, in den Räumlichkeiten, in welchen Gegenjtände der in $ 1 bezeichneten 
Art feilgehalten werden oder welche zur Aufbewahrung oder Heritellung 
folder zum Verkaufe beftimmter Gegenftände dienen, während der in $ 2 
angegebenen Zeit Nevifionen vorzunehmen. 

Dieje Befugnis beginnt mit der Rechtskraft des Urteils und erlischt mit 
dem Ablauf von drei Jahren von dem Tage an gerechnet, an welchem die 
Sreiheitsitrafe verbüßt, verjährt oder erlaffen it. 

8 4 Die Zuftändigfeit der Behörden und Beamten zu den in 88 2 
und 3 bezeichneten Maßnahmen richtet ich nach den einschlägigen landesrecht- 
lichen Bejtimmungen. 

Landesrechtlihe Beitimmungen, welche der Polizei weitergehende Befug- 
niſſe als die in 88 2 und 3 bezeichneten geben, bleiben unberührt. 

Kaiferlihe Berordnungen. 

S5. Für das Reich fünnen durch Kaiſerliche Verordnung mit Zuftims 
mung des Bunbdesrats zum Schutze der Gejundheit Borjchriften erlajien 
werben, welche verbieten: 

1. bejtimmte Arten der Herjtellung, Aufbewahrung und Berpadung 
von Nahrungs- und Genußmitteln, die zum Verkaufe beftimmt find; 

2. das gewerbsmäßige Verkaufen und Feilhalten von Nahrungs und 
Genupmitteln von einer bejtimmten Beichaffenheit oder unter einer 
der wirklichen Bejchaffenheit nicht entjprechenden Bezeichnung; | 


Bertehr mit Nahrungs und Genußmitteln uſw. 573 


3. das Verkaufen und Feilhalten von Tieren, welche an bejtimmten 
Krankheiten leiden, zum Zwecke des Schlachtens, ſowie das Ver- 
faufen und Feilhalten des Fleiſches von Tieren, welche mit 
bejtimmten Krankheiten behaftet waren ; 

4. die Verwendung bejtimmter Stoffe und Farben zur SHerjtellung 
von Bekleidungsgegenftänden, Spielwaren, Tapeten, Eh-, Trinf- 
und Kochgeſchirr, jowie das gewerbsmäßige Verkaufen und Feilhalten 
von Gegenjtänden, welche diefem Verbote zumider hergeftellt find; 

. das gewerbsmäßige Verkaufen und Feilhalten von Petroleum von 
einer bejtimmten Bejchaffenheit. 


or 


8 6. Für das Reich fann durch Kaiferliche Verordnung mit Zuftimmung 
de Bundesrats dag gewerbömäßige Heritellen, Verkaufen und Feilhalten von 
Segenjtänden, welche zur Fäljchung von Nahrungs: oder Genußmitteln beftimmt 
find, verboten oder bejchränft werden. 


ST. Die auf grund der $$ 5, 6 erlaffenen Kaiferlichen Verordnungen 
find dem Neichstag, fofern er verfammelt ift, fofort, anderenfalld bei deſſen 
nächitem Zujammentreten vorzulegen. Diejelben find außer Kraft zu ſetzen, 
ſoweit der Reichstag dies verlangt. 

Strafbeftimmungen. 

8 8. Wer den auf grund der $$ 5, 6 erlaffenen Verordnungen zuwider: 
handelt, wird mit Geldtrafe bis zu einhundertfünfzig Mark oder mit Haft beitraft. 

Landesrechtliche Vorjchriften dürfen eine höhere Strafe nicht androhen. 

89 Wer den VBorjchriften der SS 2 bis 4 zuwider den Eintritt in 
die Räumlichkeiten, die Entnahme einer Probe oder die Nevifion verweigert, 
wird mit Geldjtrafe von fünfzig bis zu einhundertfünfzig Mark oder mit 
Haft beitraft. 

8 10. Mit Gefängnis bis zu jechs Monaten und mit Gelditrafe bis zu 
eintaufendfünfhundert Mark oder mit einer diefer Strafen wird beftraft: 

1. wer zum Zwede der Täuſchung im Handel und Berfehr Nahrungs: 
oder Genußmittel nachmacht oder verfälfcht ; 

. wer wiſſentlich Nahrungs- oder Genußmittel, welche verdorben 
oder nachgemacht oder verfälicht find, unter Verfchweigung diejes 
Umjstandes verfauft oder unter einer zur Täufchung geeigneten 
Bezeichnung feilhält. 


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n74 V. Die übrigen wichtigiten Reichsgeſetze ſtrafrechtlichen Inhalts. 


s 11. Iſt die im $ 10 Nr. 2 bezeichnete Handlung aus Fahrläſſigkeit 
begangen worden, jo tritt Geldftrafe bis zu einhundertfünfzig Mark oder Haft ein. 


$ 12. Mit Gefängnis, neben welchem auf Verluſt der bürgerlichen 
Ehrenrechte erfannt werden fann, wird bejtraft: 

1. wer vorjäglich Gegenjtände, welche bejtimmt jind, anderen als 
Nahrungs» oder Genußmittel zu dienen, derart heritellt, daß 
der Genuß derfelben die menfchliche Gefundheit zu bejchädigen 
geeignet iſt, ingleichen wer wijjentlich Gegenftände, deren Genuß 
die menschliche Gejundheit zu bejchädigen geeignet ijt, ald Nahrungs- 
oder Genußmittel verkauft, feilhält oder ſonſt in Verkehr bringt: 

2. wer vorfäglich Bekleidungsgegenftände, Spielwaren, Tapeten, E$-, 
Trinf- oder Kochgefchirr oder Petroleum derart heritellt, daß der 
beitimmungsgemäße oder vorauszufehende Gebrauch diefer Gegen- 
ftände die menjchlihe Gefundheit zu bejchädigen geeignet iſt, 
ingleichen wer wiſſentlich jolche Gegenstände verfauft, feilhält oder 
ſonſt in Verkehr bringt. 

Der Verſuch iſt ftrafbar. 
Iſt durch die Handlung eine jchwere Körperverlegung oder der Tod 
eines Menjchen verurfacht worden, jo tritt Zuchthausitrafe bis fünf Jahren ein. 


$ 13. War in den Fällen des $ 12 der Genuß oder Gebrauch des 
Gegenſtandes die menjchliche Gefundheit zu ftören geeignet und war dieſe 
Eigenihaft dem Täter befannt, jo tritt Zuchthausitrafe bis zu zehn Jahren, 
und wenn dur die Handlung der Tod eines Meenfchen verurjacht worden 
it, Zuchtdausitrafe nicht unter zehn Jahren oder Tebenslängliche Zuchthaus: 
jtrafe ein. 

Neben der Strafe fann auf Zuläffigfeit von Polizeiaufficht erfannt 
werben. 


$ 14. Fit eine der in den $$ 12, 13 bezeichneten Handlungen aus 
Fahrläffigkeit begangen worden, jo ijt auf Gelditrafe bis zu eintaufend Marf 
oder Gefängnisstrafe bis zu ſechs Monaten und, wenn durch die Handlung 
ein Schaden an der Gejundheit eines Menfchen verurfacht worden tft, auf 
Gefängnisjtrafe bi8 zu einem Jahre, wenn aber der Tod eines Menjchen 
verurfacht worden ijt, auf Gefängnisjtrafe von einem Monat bis zu Drei 
Jahren zu erfennen. 








Verkehr mit Nahrungs: und Genußmitteln ujm. — Berfehr mit Wein ufm. 575 


Einziehung. 

8 15. In den Fällen der 88 12 bis 14 iſt neben der Strafe auf 
Einziehung der Gegenjtände zu erkennen, welche den bezeichneten Vorjchriften 
zuwider hergejtellt, verfauft, feilgehalten oder jonft in Verkehr gebracht find, 
ohne Unterjchied, ob fie dem Berurteilten gehören oder nicht; in den Fällen 
der 88 8, 10, 11 fann auf die Einziehung erfannt werden. 

Iſt in den Fällen der $$ 12 bis 14 die Verfolgung oder die Verurteilung 
einer beftimmten Perjon nicht ausführbar, jo kann auf die Einziehung 


jelbjtändig erfannt werden. Urteilßveröffentlihung. 


$ 16. In dem Urteil oder dem Strafbefehl kann angeordnet werden, dat 
die Verurteilung auf Koſten des Schuldigen öffentlich befannt zu machen jei. 
Auf Antrag des freigefprochenen Angejchuldigten hat das Gericht die 
Öffentliche" Befanntmachung der Freiſprechung anzuordnen; die Staatsfafje 
trägt die Koſten, injofern diefelben nicht dem Anzeigenden auferlegt worden find. 
In der Anordnung ift die Art der Befanntmachung zu beitimmen. 


7. Geſttz, 
betreffend den Berfehr mit Wein, weinhaltigen 
und weinähnliden Getränfen, 


Bom 24. Mai 1901. 


(R.G. Bl. ©. 175.) 
Wein; Begriff. 


Ss 1. Wein ift das durch alfoholiiche Gährung aus dem Saft der 
Weintraube hergejtellte Getränf. 


Seine Berfälfhung oder Nachahmung des Weines vorliegend. 
8 2, Als Verfälichung oder Nachahmung des Weines im Sinne des 
$ 10 des Geſetzes, betreffend den Verkehr mit Nahrungsmitteln, Genußmitteln 
und Gebrauchägegenjtänden, vom 14. Mai 1879 (R-G.Bl. ©. 145) ijt nicht 
anzujehen: 

1. die anerkannte Sellerbehandlung einschließlich der Haltbarmachjung 
des Weines, auch wenn dabei Alfohol oder geringe Mengen von 
mechanifch wirkenden Klärungsmitteln (Eiweiß, Gelatine, Haufen- 
blaje und dergleichen), von Tannin, Kohlenjäure, ſchwefliger Säure 
oder daraus entjtandener Schwefelläure in den Wein gelangen; 


576 


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V. Die übrigen wichtigſten Neichögejege ftrafrechtlihen Inhalts. 


jedoch darf die Menge des zugejegten Alkohols, jofern es fich nicht 
um Getränfe handelt, die als Defjertweine (Süd-, Süßweine) 
ausländifchen Urjprungs in den Verkehr fommen, nicht mehr als 
ein Raumteil auf einhundert Raumteile Wein betragen; 


. die Vermifchung (Verjchnitt) von Wein mit Wein; 
. die Entfäuerung mittel® reinen gefällten fohlenjauren Kalkes; 
. der Zuſatz von technisch reinem Rohr-, Rüben- oder Invertzuder, 


technisch reinem Stärfezuder, auch in wäjjeriger Löfung, jofern ein 
jolher Zujag nur erfolgt, um den Wein zu verbejjern, ohne feine 
Menge erheblich zu vermehren; aud) darf der gezuderte Wein 
jeiner Beichafienheit und feiner Zufammenfegung nach, namentlich 
auch in jeinem Gehalt an Extraktſtoffen und Mineralbeitandteilen, 
nicht unter den Durchjchnitt der ungezuderten Weine des Wein- 
baugebiets, dem der Wein nach feiner Benennung entjprechen joll, 
herabgejegt werben. 


Berbotene gewerbömähige Serftelung oder Nachahmung von Wein, 


8 3. 


Es iſt verboten Die gewerbsmäßige Herjtellung oder Nachmachung 


von Wein unter Verwendung 


1. 


eines Aufguſſes von AZuderwafler oder Wafjer auf Trauben, 
Traubenmaifche oder ganz oder teilweife entmojtete Trauben, jedoch 
it der Zuſatz wäfjeriger Zuderlöjung zur vollen Rotweintrauben: 
maische zu dem im $ 2 Nr. 4 angegebenen Zwede mit den dort 
bezeichneten Bejchränfungen behufs Heritellung von Rotwein 
geitattet: 


. eines Aufguſſes von Zuderwafjler auf Hefen; 
. von getrodneten Früchten (auch in Auszügen oder Abkochungen) 


oder eingedidten Moititoffen, unbeichadet der Verwendung bei 
der Heritellung von ſolchen Getränfen, welche als Defjertweine 
(Süd-, Süßweine) ausländischen Uriprunges in den Verkehr 
fommen. Betriebe, in welchen eine derartige Verwendung ſtatt— 
finden joll, find von dem Inhaber vor dem Beginne des Gejchäfts- 
betrieb3 der zuftändigen Behörde anzuzeigen; 


. von anderen als den im $ 2 Nr. 4 bezeichneten Süßitoffen, ins- 


24— 


beſondere von Saccharin, Dulcin oder ſonſtigen künſtlichen Süßſtoffen; 


. von Säuren, ſäurehaltigen Stoffen, insbeſondere von Weinſtein 


und Weinfäure, von Boquetitoffen, künſtlichen Moftjtoffen oder 











Verkehr mit Wein ufw. 577 


Ejjenzen, unbejchadet der Berwendung aromatijcher oder arznei- 
licher Stoffe bei der Herjtellung von folchen Weinen, welche als 
landesübliche Gemwürzgetränfe oder als Arzneimittel unter den 
hierfür gebräuchlichen Bezeichnungen (Wermutwein, Maiwein, 
Pepfinwein, Chinawein und dergleichen) in den Berfehr fommen ; 

6. von Objtmoft und Objtwein, von Gummi oder anderen Stoffen, 
durch welche der Ertraftgehalt erhöht wird, jedoch unbefchadet der 
Beitimmungen im $ 2 Nr. 1, 3, 4. 

Getränke, welche den vorjtehenden Vorfchriften zuwider oder unter Ver: 
wendung einc nad) $ 2 Nr. 4 nicht gejtatteten Zuſatzes hergejtellt find, dürfen 
weder feilgehalten noch, verfauft werden. Dies gilt auch dann, wenn die Her: 
jtellung nicht gewerbsmäßig erfolgt iſt. 

Die Berwertung von Trejtern, Rofinen und Korinthen in der Brannt- 
weinbrennerei wird durch die Beitimmungen des Abſatz 1 nicht berührt; jedoch 
unterliegt fie der Stontrolle der Steuerbehörden. 


8 4. Es ijt verboten, Wen, welcher einen nach $ 2 Nr. 4 gejtatteten 
Zujag erhalten hat, oder Rotwein, welcher unter Verwendung eines nach 
83 Ab. 1 Nr. 1 gejtatteten Aufgufjes hergeitellt iſt, als Naturwein oder 
unter anderen Bezeichnungen feilzuhalten oder zu verfaufen, welche die Annahme 
hervorzurufen geeignet find, daß ein derartiger Zujag nicht gemacht ift. 

Schaumwein. 

8 5. Die Vorſchriften des $ 3 Abſ. 1 Nr. 1 bis 4, Abſ. 2 finden 

auch auf Schaumwein Anwendung. 


8 6. Schaummein, der gewerbsmäßig verfauft oder feilgehalten wirb, 
muß eine Bezeichnung tragen, welche das Land und erforderlichen Falles den 
Ort erfennbar macht, in welchem er auf Flaſchen gefüllt worden ift. Schaum- 
wein, der aus Fruchtwein (Obſt- oder Beerenwein) hergeitellt ift, muß eine 
Bezeichnung tragen, welche die Verwendung von Fruchtwein erfennen läßt. 
Die näheren Vorſchriften trifft der Bundesrat. 

Die vom Bundesrate vorgejchriebenen Bezeichnungen jind auch in die 
Preisliften und Weinfarten fowie in die jonftigen im geichäftlichen Verkehr 


üblichen Angebote mit aufzunehmen. 
Berbotene Zuſatzſtoffe. 
8 7. Die nahbenannten Stoffe, nämlich: 


(ösliche Aluminiumjalze (Alaun und dergleichen), Baryumverbindungen, 
Borjäure, Glycerin, Ktermesbeeren, Magnefiumverbindungen, Salicyl- 


37 


578 V. Die übrigen wichtigſten Reichsgeſetze ſtrafrechtlichen Inhalte. 


ſäure, Oraljäure, unreiner (freien Amylalkohol enthaltender) Sprit, 
unreiner (micht technifch reiner) Stärfezuder, Strontiumverbindungen, 
Theerfarbitoffe, 
oder Gemijche, welche einen diefer Stoffe enthalten, dürfen Wein, weinhaltigen 
oder weinähnlichen Getränten, welche bejtimmt find, anderen als Nahrungs: 
oder Genußmittel zu dienen, bei oder nach der Herſtellung nicht zugeſetzt werden. 
Der Bundesrat iſt ermächtigt, noch andere Stoffe zu bezeichnen, auf 
welche dieſes Verbot Anwendung zu finden hat. 


8 8. Wein, weinhaltige oder weinähnliche Getränke, welchen, den Vor— 
ſchriften des $ 7 zuwider, einer der dort oder der vom Bundesrat gemäß 87 
bezeichneten Stoffe zugefegt ijt, dürfen weder feilgehalten noch verfauft, noch 
fonft in Verfehr gebracht werden. 

Dasjelbe gilt für Rotwein, deſſen Gehalt an Schwefelfäure in einem 
Liter Flüjfigkeit mehr beträgt, als fich in zwei Gramm neutralen fchwefelfauren 
Kaliums vorfindet. Diefe Beitimmung findet jedoch auf folche Rotweine nicht 
Anwendung, welche ald Defjertweine (Süd-, Süßweine) ausländischen Urfprungs 
in den Berfehr fommen. 


Aushang Diefed Geſetzes in Kellerräumen ufw. 

8 9. Jeder Inhaber von Steller-, Gähr- und Stelterräumen oder fonftigen 
Räumen, in denen Wein oder Schaumwein gewerbsmäßig hergejtellt oder 
behandelt wird, hat dafür zu forgen, daß in diefen Näumen an einer in die 
Augen fallenden Stelle ein deutlicher Abdrud der 88 2 bis 8 dieſes Geſetzes 
ausgehängt it. 


Befugniſſe der zuftändigen Beamten uſw. 

8 10. Bis zur reichögefeglichen einheitlichen Regelung der Beaufjichtigung 
des BVerfehrs mit Nahrungs: und Genußmitteln treffen die Landesregierungen 
darüber Bejtimmung, welche Beamten und Sachverftändigen für die in den 
nachfolgenden Borjchriften bezeichneten Maßnahmen zuftändig find. 

Diefe Beamten und Sachverjtändigen find befugt, außerhalb der Nacht- 
zeit und, falls Tatjachen vorliegen, welche-annehmen laffen, dab zur Nachtzeit 
gearbeitet wird, auch während diefer Zeit, in Räume, in denen Wein, wein- 
haltige oder weinähnliche Getränfe gewerbsmäßig hergeftellt, aufbewahrt, feil- 
gehalten oder verpadt werden, einzutreten, dafelbjt Bejichtigungen vorzunehmen, 
geichäftliche Aufzeichnungen, Frachtbriefe und Bücher einzufehen, auch nad) 
ihrer Auswahl Proben zum Zwecke der Unterfuchung gegen Cmpfangs- 





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Verkehr mit Wein uſw. 579 


bejcheinigung zu entnehmen. Auf Verlangen ijt ein Teil der Probe amtlich 
verjchlofjen oder verjiegelt zurüdzulaffen und für die entnommene Probe eine 
angemefjene Entjhädigung zu leiften. 

Die Nachtzeit umfaßt in dem Zeitraume vom erjten April bi dreißigjten 
September die Stunden von neun Uhr abends bis vier Uhr morgens und in 
dem Zeitraume vom erjten DOftober bis einunddreißigjten März die Stunden 
von neun Uhr abends bis ſechs Uhr morgens. 


Pflicht zur Ausfunftserteilung; Ausnahmen. 
$ 11. Die Inhaber der im $ 10 bezeichneten Räume fowie die von 
ihnen bejtellten Betriebsleiter und Auffichtöperfonen find verpflichtet, den zu- 
itändigen Beamten und Sadjverftändigen auf Erfordern Auskunft über das 
Verfahren bei Heritellung der Erzeugnijje, über den Umfang des Betriebs, 
über die zur Verwendung gelangenden Stoffe, insbejondere auch über deren 
Menge und Herkunft, zu erteilen ſowie die gejchäftlichen Aufzeichnungen, 
Frachtbriefe und Bücher vorzulegen. Die Erteilung von Auskunft fann jedoch 
verweigert werden, joweit derjenige, von welchem jie verlangt wird, fich jelbjt 
oder einem der im $ 51 Nr. 1 bis 3 der Strafprozekordnung bezeichneten 

Angehörigen die Gefahr ftrafrechtlicher Verfolgung zuziehen würde. 

Pflicht zur Geheimhaltung. 
8 12. Die Sachverſtändigen ($ 10) find, vorbehaltlich der Anzeige von 
Gejewidrigfeiten, verpflichtet, über die Tatjachen und Einrichtungen, welche 
durch die Aufficht zu ihrer Kenntnis kommen, Berjchwiegenheit zu beobachten 
und ſich der Mitteilung und Nachahmung der von den Gewerbetreibenden 
geheim gehaltenen, zu ihrer Kenntnis gelangten Betriebseinrichtungen und 
Betriebsweifen, ſolange als diefe Betriebsgebeimnifje find, zu enthalten. Sie 


find hierauf zu beeidigen. 
Strafbeftimmungen. Vergehen. 


S 13. Mit Gefängnis bis zu jehs Monaten und mit Gelditrafe bis 
dreitaufend Mark oder mit einer diefer Strafen wird bejtraft, wer vorſätzlich 
1. den Vorfchriften des $ 3, abgejchen von der Bejtimmung über 
die Anzeige gewiſſer Betriebe in der Nr. 3 des Abi. 1, oder den 
Borichriften der 88 5, 7, 8 oder 
2, den Vorjchriften des $ 4 


zuwiderhandelt. Rückall. 


Iſt der Täter bereits einmal wegen einer der im Abſ. 1 bezeichneten 
Zuwiderhandlungen bejtraft, jo tritt Gefängnisſtrafe bis zu einem Jahre ein, 
37* 





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580 V. Die übrigen wichtigſten Reichsgeſetze jtrafrechtlihen Inhalts. 


neben welcher auf Geldjtrafe bis zu fünfzehntaufend Mark erfannt werden 
fann. Dieſe Beitimmung findet Anwendung, auch wenn die frühere Strafe 
nur teilmeije verbüßt oder ganz oder teilweife erlafjen iſt, bleibt jedoch aus— 
gejchloffen, wenn feit der Verbüßung oder dem Erlaſſe der legten Strafe bis 
zur Begehung der neuen Straftat drei Jahre verfloffen find. 

Strafantrag. 

8 14. Mit Gelditrafe bis zu eintaufendfünfhundert Marf oder mit 
Gefängnis bis zu drei Monaten wird beſtraft, wer den Vorjchriften des $ 12 
zuwider Verſchwiegenheit nicht beobachtet, oder der Mitteilung oder Nachahmung 
von Betriebögeheimnifjen ſich nicht enthält. 

Die Berfolgung tritt nur auf Antrag des Betriebsunternehmers ein. 

Hebertretungen. 
8 15. Mit Geldftrafe von fünfzig bis zu einhundertfünfzig Mark oder 
mit Haft wird bejtraft, wer den Vorfchriften der SS 10, 11 zumider 
1. den Eintritt in die Räume, die Beſichtigung, die Einjicht in Auf- 
zeichnungen, sFrachtbriefe und Bücher oder die Entnahme von 
Proben verweigert; 
2. die von ihm erforderte Auskunft nicht erteilt oder bei der Aus- 
funftserteilung wiſſentlich unwahre Angaben macht oder die Vor- 
legung der Aufzeichnungen, Frachtbriefe und Bücher verweigert. 


8 16, Mit Gelditrafe bis zu einhundertfünfzig Mark oder mit Haft 
wird beitraft: 

1. wer die im $ 3 Abſ. 1 Nr. 3 vorgejchriebene Anzeige unterläßt; 

2. wer Schaumwein gewerbsmäßig verkauft, feilhält oder anbietet, 
ohne daß den Vorjchriften des $ 6 genügt it; 

3. wer bei der nad $ 11 von ihm erforderten Ausfunftserteilung 
aus Fahrläfjigfeit unwahre Angaben macht; 

4. wer eine der im $ 13 bezeichneten Handlungen aus Fahrläjfig- 
feit begeht. 

s 17, Mit Gelditrafe bis zu dreißig Marf und im Unvermögensfalle 
mit Haft bis zu acht Tagen wird bejtraft, wer es unterläßt, der durch den 
$ 9 für ihn begründeten Verpflichtung nachzulommen. 

Einziehung ; felbftändiges Einzichungsverfahren. 

8 18. In den Fällen des $ 13 Nr. 1 tjt neben der Strafe auf Ein: 

ziehung der Getränke zu erfennen, welche den dort bezeichneten Vorſchriften 


Verkehr mit Wein ufw. — Sühftoffgeiep. 581 


zuwider hergeftellt, feilgehalten, verkauft oder ſonſt in Verkehr gebracht find, 
ohne LUnterfchied, ob fie dem Verurteilten gehören oder nicht; auch fann die 
Vernichtung ansgefprochen werden. In den Fällen des $ 13 Nr. 2, des 
$ 16 Nr. 2, 4 kann auf Einziehung oder Vernichtung erfannt werden. 

It die Verfolgung oder Verurteilung einer beftimmten Perſon nicht 
ausführbar, jo fann auf die Einziehung felbftändig erfannt werden. 

Nahrungsmittelgefek. 

$ 19. Die Vorjchriften des Gejeges vom 14. Mai 1879 bleiben un— 
berührt, joweit die 88 2 bis 11 des gegenwärtigen Geſetzes nicht entgegen- 
jtehende Beitimmungen enthalten. Die VBorjchriften ın den 88 16, 17 des 
Gefeges vom 14. Mai 1879 finden auch bei Zumiderhandlungen gegen die 
Vorjchriften des gegemmwärtigen Gejeges Anwendung. 


, Befugniſſe des Bundedrats. 
$ 20. Der Bundesrat ijt ermächtigt: 


a) die Grenzen fejtzuftellen, welche für die bei der Kellerbehandlung in 
den Wein gelangenden Mengen der im $ 2 Nr. 1 bezeichneten Stoffe, 
joweit das Gejeg jelbit die Menge nicht feſtſetzt, maßgebend fein follen ; 

b) Grundfäge aufzuftellen, welche gemäß $ 2 Nr. 4 zweiter Halbjat 
für die Beurteilung der Weine nad) ihrer Beichaffenheit und Zu: 
ſammenſetzung, insbejondere auch für die Feititellung des Durch— 
ſchnittsgehalts an Ertraftitoffen und Mineralbeftandteilen, maßgebend 
jein jollen. 

8 21. Der Bundesrat ift ermächtigt, Grundjäge aufzuftellen, nad) 
welchen die zur Ausführung diejes Gejeges ſowie des Gejeges vom 14. Mat 1879 
in bezug auf Wein, weinhaltige und weinähnliche Getränfe erforderlichen 
Unterfuchungen vorzunehmen find. 


25. Süßſtoffgeſetz. 
Vom 7. Juli 1902, 
(R.G. Bl. ©. 253.) 


(Auszug.) Sühftoff; Bearifl 


s1. Süßſtoff im Sinne diejes Gefeges find alle auf fünftlichem Wege 
gewonnenen Stoffe, welche ald Süßmittel dienen können und eine Höhere 
Süßkraft als raffinierter Rohr: oder Nübenzuder, aber nicht entjprechenden 
Nährwert befigen. 


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582 V. Die übrigen wichtigsten Reichsgeſetze ftrafrechtlichen Inhalis 


Verbote. 
$ 2. Soweit nicht in den 88 3 bis 5 Ausnahmen zugelaſſen find, iſt 
es verboten: 

a) Süßſtoff herzuftellen oder Nahrungs- oder Genußmittel bei deren 
gewerblicher Herjtellung zuzujeßen; 

b) Süßftoff oder ſüßſtoffhaltige Nahrungs- oder Genußmittel aus 
dem Ausland einzuführen ; 

ce) Süßftoff oder fühjtoffhaltige Nahrungs» oder Genußmittel feil- 
zubalten oder zu verfaufen. 

Ermädhtigung für Herſtellung oder Einfuhr von Süßſtoff. 

8 3. Nach näherer Beftimmung des Bundesrats ijt für die Herjtellung 
oder die Einfuhr von Süßſtoff die Ermächtigung einem oder mehreren Gewerbe- 
treibenden zu geben. 

Die Ermächtigung iſt unter Vorbehalt des jederzeitigen Widerrufs zu 
erteilen und der Gejchäftsbetrieb des Berechtigten unter dauernde amtliche 
Ueberwachung zu ftellen. Auch hat der Bundesrat in diefem alle zu be— 
ftimmen, daß bei dem Verkaufe des Süßſtoffs ein gewijfer Preis nicht über- 
jchritten werden jowie ob und unter welchen Bedingungen eine Ausfuhr von 
Süßſtoff in das Ausland erfolgen darf. 

Amtlihe Erlaubnis zum Bezuge von Sükftoff. 

$ 4. Die Abgabe des gemäß $ 3 bergejtellten oder eingeführten Süß— 
jtoffs im Inland ift nur an Apotheken und an folche Perſonen geitattet, 
welche die amtliche Erlaubnis zum Bezuge von Süßſtoff beſitzen. 

Dieje Erlaubnis iſt nur zu erteilen: 

a) an Perjonen, welche den Süßſtoff zu wiflenjchaftlichen Zwecken 
verwenden wollen; 

b) an Gewerbetreibende zum Zwecke der Heritellung von bejtimmten 
Waren, für welche die Zuſetzung von Süßjtoff aus einem die 
Verwendung von Zuder ausschliegenden Grunde erforderlich it; 

c) an Leiter von Kranfen-, Kur-, Pflege- und ähnlichen Anjtalten 
zur Verwendung für die in der Anftalt befindlichen Perſonen; 

d) an die Inhaber von Gaft- und Speifewirtfchaften in Kurorten, 
deren PBejuchern der Genuß mit Zuder verfühter Lebensmittel 
ärztlicherfeits unterfagt zu werden pflegt, zur Verwendung für die 
im Orte befindlichen PBerfonen. 








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Süßſtoffgeſeh. 983 


Die Erlaubnis ift ferner nur unter Vorbehalt jederzeitigen Widerrufs 
und nur dann zu erteilen, wenn die Verwendung des Süßjtoffs zu den an- 
gegebenen Zwecken ausreichend überwacht werden fann. 


$ 5. Die Apothefen dürfen Süßftoff außer an Perſonen, welche eine 
amtliche Erlaubnis ($ 4) befigen, nur unter den vom Bundesrate feitzuftellenden 
Bedingungen abgeben. 

Die im $ 4 Abſ. 2 zu b benannten Bezugsberechtigten dürfen den Süß— 
jtoff nur zur Herjtellung der in der amtlichen Erlaubnis bezeichneten Waren 
verwenden und legtere nur an folche Abnehmer abgeben, welche derart zu— 
bereitete Waren ausdrüdlich verlangen. Der Bundesrat fann bejtimmen, daß 
diefe Waren unter bejtimmten Bezeichnungen und in bejtimmten Verpadungen 
feilgehalten und abgegeben werden müſſen. 

Die zu ce und d genannten Bezugsberechtigten dürfen Süßſtoff oder 
unter Verwendung von Süßitoff hergeitellte Nahrungs: oder Genußmittel nur 
innerhalb der Anjtalt (zu c) oder des Drtes (zu d) abgeben. FJ 


86. Die vom Bundesrate zur Ausführung der VBorfchriften in den 
88 3, 4 und 5 zu erlafjfenden Beitimmungen find dem Neichdtage bis zum 
1. April 1903 vorzulegen. Sie find außer Kraft zu fegen, foweit der Reichs: 


tag dies verlangt. 
Strafbeftiimmungen. 


ST. Wer der Vorjchrift des 8 2 vorjäglich zumiderhandelt, wird, 
joweit nicht die Bejtimmungen des Vereinszollgefeges Pla greifen, mit Ge— 
fängnis bis zu ſechs Monaten und mit Gelditrafe bis zu eintaufendfünfhundert 
Mark oder mit einer diefer Strafen beftraft. 

Iſt die Handlung aus Fahrläffigfeit begangen worden, jo tritt Geldjtrafe 
bis zu einhundertfünfzig Mark oder Haft ein. 


8 8. Der Strafe des $7 Abj. 1 unterliegen auch diejenigen, in Deren 
Bejig oder Gewahrjam Süpftoff in Mengen von mehr ald 50 Gramm vor: 
gefunden wird, fofern fie nicht den Nachweis erbringen, daß fie den Süßitoff 
nach Inkrafttreten dieſes Gejeges von einer zur Abgabe befugten Perjon 
bezogen haben. 

Sit in ſolchen Fällen den Umſtänden nach anzunehmen, daß der 
vorgeiundene Süßftoff nicht verbotswidrig hergeftellt oder eingeführt worden 
ift, jo tritt ftatt der Strafe des S 7 Abi. 1 diejenige des Abi. 2 
daſelbſt ein. 


584 V. Die übrigen wichtigften Reichsgeſetze ſtrafrechtlichen Inhalis. 


Einziehung; ſelbſtändiges Sinziehungsverfahren. 
$ 9. Im den Fällen des $7 und $ 8 iſt neben der Strafe auf Ein— 
ziehung der Gegenftände zu erfennen, mit bezug auf welche die Zuwider— 
handlung begangen worden ijt. 
Fit die Verfolgung oder Verurteilung einer bejtimmten Perſon nicht 
ausführbar, jo fann auf die Einziehung felbjtändig erfannt werden. 
DOrdunungsftrafen. 
$ 10. Zuwiderhandlungen gegen die auf grund dieſes Geſetzes erlaffenen 
und Öffentlich oder den Beteiligten bejonders befannt gemachten Verwaltungs- 
vorfchriften werden mit einer Ordnungsitrafe von einer bis zu dreihundert 
Mark geahndet. 


$ 12. Der Neichsfanzler ift befugt, von dem Tage der Publikation 
diefes Geſetzes ab, den einzelnen Fabriken den von ihnen hberzujtellenden 
Höcjftbetrag von Süßſtoff vorzufchreiben. 


29. Geſetz, 
betreffend den Verkehr mit blei- und zinfhaltigen Gegenftänden. 


Bom 25. Juni 1887. 
R.G.Bl. ©. 273.) 


8 1. Er, Trink und Kochgeſchirr ſowie Flüffigfeitsmaße dürfen nicht 

1. ganz; oder teilweije aus Blei oder einer in 100 Gemichtöteilen 

mehr als 10 Gewichtsteile Blei enthaltenden Metallegierung 
bergeitellt, 

2. an der Innenſeite mit einer in 100 Gewichtsteilen mehr als einen 
Gewichtsteil Blei enthaltenden Metallegierung verzinnt oder mit 
einer in 100 Gewichtsteilen mehr als 10 Gewichtsteile Blei ent- 
haltenden Metallegierung gelötet, 

3. mit Email oder Glaſur verfehen fein, welche bei Halbjtündigem 
Kochen mit einem in 100 Gewichtötcilen 4 Gewichtäteile Ejjigjäure 
enthaltenden Eſſig an den letzteren Blei abgeben. 

Auf Geſchirre und Flüſſigkeitsmaße aus bleifreiem Britanniametall finder 
die Vorjchrift in Ziffer 2 betreffs des Lotes nicht Anwendung. 








Süßftofigefeg. — Verlehr mit bfei- und zinfhaltigen Gegenitänden. 585 


Zur Herftellung von Druckvorrichtungen zum Ausſchank von Bier, ſowie 
von Siphons für fohlenjäurehaltige Getränfe und von Metallteilen für 
Kinderjaugflafchen dürfen nur Metallegierungen verwendet werden, welche in 
100 Gemwichtsteilen nicht mehr als einen Gewichtsteil Blei enthalten. 

8 2. Zur Herjtellung von Mundjtüden für Saugflajchen, Saugringen 
und Warzenhütchen darf blei- oder zinkyaltiger Kautſchuk nicht verwendet fein. 

Zur Herftellung von Trinkbechern und von Spielwaren, mit Ausnahme 
der majjiven Bälle, darf bleihaltiger Kauiſchuk nicht verwendet fein. 

Zu Leitungen für Bier, Wein oder Eſſig dürfen bleihaltige Kautſchuk— 
Schläuche nicht verwendet werden. 

8 3. Geſchirre und Gefäße zur Verfertigung von Getränfen und 
Fruchtjäften dürfen in denjenigen Teilen, welche bei dem beſtimmungsgemäßen 
oder vorauszujehenden Gebrauche mit dem Inhalt in unmittelbare Berührung 
fommen, nicht den Vorjchriften des $ 1 zuwider bergejtellt fein. 

Konjervenbüchfen müffen auf der Innenjeite den Bedingungen des $ 1 
entjprechend bergejtellt jein. 

Zur Aufbewahrung von Getränfen dürfen Gefäße nicht verwendet fein, 
in welchen ſich Rüdjtände von bleihaltigem Schrote befinden. Zur Padung 
von Schnupfe und Kautabaf, jowie Käſe dürfen Metallfolien nicht verwendet 
fein, welche in 100 Gewichtsteilen mehr als einen Gewichtsteil Blei enthalten. 

Strafbeitimmungen. 

8 4 Mit Gelditrafe bis zu einhundertfünfzig Marf oder mit Haft 
wird beitraft: 

1. wer Gegenstände der im $1, $S2 Abf. 1 und 2, $3 Abi. 1 und 2 
bezeichneten Art den daſelbſt getroffenen Beitimmungen zumider 
gewerbsmäßig heritellt; 

2. wer Gegenjtände, welche den Beitimmungen im $ 1, $ 2 Abi. 1 
und 2 und $ 3 zumider hergejtellt, aufbewahrt oder verpadt find, 
gemwerbsmäßig verfauft oder feilhält; 

3. wer Drudvorrichtungen, welche den Borjchriften im $ 1 Abi. 3 
nicht entfprechen, zum Ausfchanf von Bier oder bleihaltige Schläuche 
zur Leitung von Bier, Wein oder Eſſig gewerbsmäßig verwendet. 

8 5. Gleiche Strafe trifft denjenigen, welcher zur Verfertigung von 
Nahrungs: oder Genußmitteln bejtimmte Mühlſteine unter Verwendung von 
Blei oder bleihaltigen Stoffen an der Mahlfläche herjtellt oder derartig Her: 
gejtellte Mühlfteine zur Berfertigung von Nahrungs: oder Genußmitteln verwendet. 





586 V. Die übrigen wichtigſten Reichsgeſetze jtrafrechtlihen Inhalts, 


Einziehung. Selbſtändiges Verfahren. 

86. Neben der in den 88 4 und 5 vorgeſehenen Strafe kann auf 
Einziehung der Gegenjtände, welche den betreffenden VBorjchriften zumider her- 
geſtellt, verfauft, feilgehalten oder verwendet find, ſowie der vorjchriftswidrig 
hergejtellten Mühlfteine erfannt werden. 

Fit die Verfolgung oder Verurteilung einer bejtimmten Perſon nicht 
ausführbar, jo kann auf die Einziehung jelbitändig erfannt werben. 

NRahrungsmittelgefek. 

8 7. Die Borjchriften des Gejeges, betreffend den Verkehr mit Nahrungs- 
mitteln, Genußmitteln und Gebrauchsgegenjtänden, vom 14. Mai 1879 (Reichd- 
Sejegbl. S. 145) bleiben unberührt. Die VBorjchriften in den 88 16, 17 
desjelben finden auch bei Zuwiderhandlungen gegen die Borjchriften des gegen- 
wärtigen Gejeged Anwendung. 


| 30. Geſttz, 
betreffend die Bezeichnung des Raumgehaltes der Schankgefäße. 
Vom 20. Juli 1881. 
(R.G. Bl. ©. 249.) 
Füllſtrich; Bezeihnung des Sollinhaltes. 

S 1. Schantgefähe (Gläfer, Krüge, Flaſchen ufm.), welche zur Ver— 
abreihung von Wein, Obftwein, Mojt oder Bier in Gaft- und Schank— 
wirtjchaften dienen, müfjen mit einem bei der Aufitellung des Gefäßes auf 
einer horizontalen bene den Sollinhalt begrenzenden Strih (Fülljtrich) 
und in der Nähe des Strichs mit der Bezeichnung des Sollinhalts nach 
Yitermaß verfehen jein. Der Bezeichnung des Sollinhalt3 bedarf es nicht, 
wenn derjelbe ein Liter oder ein halbes Liter beträgt. 

Der Strich und die Bezeichnung müfjen durch Schnitt, Schiff, Brand 
oder Aetzung äußerlich und im leicht erfennbarer Weife angebradht fein. 

Zugelafiene Maße. 

Zugelaffen find nur Schanfgefähe, deren Sollinhalt einem Liter oder 
einer Mafgröße entipricht, welche vom Liter aufwärts durch Stufen von 
!s Liter, vom Liter abwärts durch Stufen von Zehnteilen des Literd gebildet 
wird, Außerdem find zugelaffen Gefäße, deren Sollinhalt Liter beträgt. 


. . 82 Der Abjtand des ‚züllitrichs von dem oberen Rande der Schanf- 
gefäße muß 





Bezeichnung des Raumgehalts der Schantgefähe. — Prüfung der Läufe und Verſchlüſſe um. 587 


a) bei Gefäßen mit verengtem Halſe, auf dem letzteren angebracht, 
zwiſchen 2 und 6 Bentimenter, 
b) bet anderen Gefähen zwijchen 1 und 3 Zentimeter betragen. 

Der Marimalbetrag diejes Abſtands fann durch die zuftändige höhere 
Verwaltungsbehörde hinſichtlich folder Schanfgefähe, in welchen eine ihrer 
Natur nad) ſtark ſchäumende Flüſſigkeit verabreicht wird, über die vorftehend 
bezeichneten Grenzen hinaus feftgejtellt werden. 

S 3. Der durch den Füllſtrich begrenzte Raumgehalt eines Schant- 
gefähes darf 

a) bei Gefäßen mit verengtem Halje höchſtens so, 
b) bei anderen Gefähen höchitens Y/so 
geringer fein ala der Sollinhalt. 

s 4 Gajt: und Schanfwirte haben gehörig gejtempelte Flüſſigkeits— 
maße von einem zur Prüfung ihrer Schanfgefäpe geeigneten Einzel- oder 
Gejamtinhalt bereit zu halten. Strafbefiimmung; Einziehung. 

8 5. Gaſt- und Scanfwirte, welche den vorjtehenden Borjchriften 
zumwiderhandeln, werden mit Gelditrafe bis zu einhundert Marf oder mit Haft 
bis zu vier Wochen beitraft. Gleichzeitig ift auf Einziehung der vorfchrifts- 
widrig befundenen Schanfgefähe zu erfennen, auch fann die Vernichtung der- 
jelben ausgejprochen werden. Ausnahmen. 

8 6. Die vorjtehenden Bejtimmungen finden auf fejtverfchlofjene (ver: 
jiegelte, verfapjelte, fejtverforfte ufw.) Flajchen und Krüge, ſowie auf Schanf- 
gefäße von "so Liter oder weniger nicht Anwendung. 


31. Geſetz, 
betreffend die Prüfung der Läufe und Verſchlüſſe 
der Handfeuerwaffen. 


Vom 19. Mai 1891. 
(R.G.Bl. ©. 109.) 


(Auszuag.) 
Borausfchung der Feilhaltung uſw. 
8 1. Handfeuerwaffen jeder Art dürfen nur dann feilgehalten oder 
in den Berfehr gebracht werden, wenn ihre Läufe und Berichlüfje nach den 
Vorschriften diefes Geſetzes in amtlichen Prüfungsanftalten geprüft und mit 
Prüfungszeichen verfehen jind. 





588 V. Die übrigen wichtigſten Reichögeiege jtrafrechtlihen Inhalts. 


Prüfung; Beſchußprobe. 

8 2. Die Prüfung bejteht in einer Beſchußprobe mit verjtärkter Ladung. 

Die Prüfung findet bei Terzerolen und Revolvern einmal jtatt. Auch 
bei anderen Handfeuerwaffen kann, wenn diefelben Würgebohrung nicht erhalten 
haben, die Prüfung auf Antrag des Einjenders auf eine einmalige Beſchuß— 
probe bejchränft werden. Im übrigen findet eine zweimalige Beſchuß— 
probe jtatt, die erjte mit vorgerichteten Läufen, Die zweite (Endprobe) nach 
Fertigſtellung der Läufe einjchließlich der Vereinigung bei Mehrläufen und 
der Anbringung der Verichlußftüde. ‚Findet auf Antrag des Einfenders eine 
einmalige Prüfung jtatt, jo ift diefelbe an den Waffen in dem fonft für Die 
zweite Probe vorgejchriebenen Zustande vorzunehmen. 


Unbraudbarmahung. 

8 3. Läufe oder Berfchlußteile, welche nach einer Beſchußprobe unganz 
oder aufgebaucht befunden werden, jind durch Einſägen oder Zerichlagen 
unbrauchbar zu machen. 

Für Waffen, an deren Läufen oder Verichlüfien nad) einer Beſchußprobe 
andere Mängel vorgefunden werden, ijt nach Befeitigung der leßteren eine 
einmalige Wiederholung der Echußprobe zuläffig. Läufe oder Verfchlußteile, 
welche nach der wiederholten Beſchußprobe mangelhaft befunden werden, find 
durch Einfägen oder Zerichlagen unbrauchbar zu machen. 


Erneute Prüfung. 

S4 Wird an einer bereits geprüften Waffe während oder nad) der 
Heritellung in dem Kaliber oder an dem Verfchluffe eine Veränderung vor: 
genommen, jo iſt eine erneute Prüfung erforderlich. Diejebe richtet fich bei 
Waffen, welche der Regel nach einer zweimaligen Prüfung unterliegen, nad) 
dem Stande der Herftellung, in welchem die Waffe fich befindet. 


Vorratszeichen. 
$ 5. Bis zu dem Zeitpunkte, mit welchem dieſes Geſetz ſeinem ganzen 
Umfange nad) in Kraft tritt, find Dandfeuerwaffen auf Antrag der Einjender 
durch die Ortspolizeibehörde oder eine andere von der Landes» Zentralbehörde 
zu bezeichnende Behörde mit einem Vorratzzeichen, welches durch den Bundesrat 
beftimmt werden wird, zu verfehen. 


Unanwendbarteit dieſes Geſetzes. 
8 6. Auf Handfeuerwaffen, 
1. welche mit dem Vorratszeichen verſehen ſind, 





Prüfung der Yäufe u. Verjchlüfje ufw. — Feingehalt der Gold» und Silberwaren. 589 


2. welche aus dem Auslande eingeführt und mit den volljtändigen, 
den inländischen gleichwertigen Prüfungszeichen eines auswärtigen 
Staates verjehen find, 
3. welche durch eine Militärverwaltung oder im Auftrage einer folchen 
bergejtellt und geprüft worden find, 
finden die Vorfchriften dieſes Gejetes jolange feine Anwendung, als an den 
Waffen feine Veränderung des Salibers oder des Verjchluffes vorgenommen 
wird. Wird eine ſolche Veränderung vorgenommen, jo bedürfen Waffen diefer 
Art der im $ 4 vorgejchriebenen Prüfung, die unter 3 bezeichneten jedoch nur 
dann, wenn die Veränderung nicht durch eine Militärverwaltung ausgeführt 
oder geprüft worden ift. 
Der Bundesrat bejtimmt, welche Prüfungszeichen eines ausmärtigen 
Staates als den inländifchen gleichwertig anzuerfennen jind. 
Strafbeftimmung. 
89 Mit Geldjtrafe bis zu eintaufend Marf oder mit Gefängnis bis 
zu ſechs Monaten wird beitraft: 
wer Handfeuerwaffen feilyält oder in den Verkehr bringt, deren 
Läufe oder Verjchlüffe nicht mit den vorgejchriebenen oder 
zugelafjenen ($ 6) Prüfungszeichen verjehen find. 
Einziehung. 
Neben der verwirkten Strafe ift auf die Einziehung der vorjchrifts- 
widrig feilgehaltenen oder in den Verkehr gebrachten Waffen zu erfennen, 
ohne Unterjchied, ob jie dem Berurteilten gehören oder nicht. 
Selbftändiges Einzicehungsverfahren., 
Iſt die Verfolgung oder Verurteilung einer bejtimmten Perſon nicht 
ausführbar, jo kann die im vorjtehenden Abſatz bezeichnete Maßnahme jelbft- 
jtändig erfannt werden. 


32. Gejeb 
über den Feingehalt der Gold- und Silberwaren. 
Bom 16. Juli 1884. 
(R.G.Bl. ©. 120.) 


8 1. Gold: und Silberwaren dürfen zu jedem Feingehalte angefertigt 
und feilgehalten werden. Die Angabe des Feingehalts auf denſelben ijt nur 
nad) Maßgabe der folgenden Beſtimmungen gejtattet. 





590 V, Die übrigen wichtigften Reichögejege ſtrafrechtlichen Inhalte. 


QZuläffige Angabe des Feingehaltes. 

8 2. Auf goldenen Geräten darf der Feingehalt nur in 585 oder mehr 
Taufendteilen, auf filbernen Geräten nur in 800 oder mehr Taufendteilen 
angegeben werden. 

Der wirfliche Feingehalt darf weder im ganzen der Ware noch auch in 
deren einzelnen Bejtandteilen bei goldenen Geräten mehr als fünf, bei filbernen 
Gerätenmehr als acht Taujendteile unter dem angegebenen Feingehalte bleiben. 
Vorbehaltlich diefer Abweichung muß der Gegenstand im ganzen und mit der 
Lötung eingejchmolzen den angegebenen Feingehalt haben. 

Stempelzeichen. 

S 3. Die Angabe des Feingehalts auf goldenen und ſilbernen Geräten 
geichieht durch ein Stempelzeichen, welches die Zahl der Taufendteile und die 
Firma des Gejchäfts, für welches die Stempelung bewirft ift, kenntlich madıt. 
Die Form des Stempelzeichens wird durch den Bundesrat bejtimmt. 

Uhrgehäuſe. 

8 4. Goldene und ſilberne Uhrgehäuſe unterliegen den Beſtimmungen 

der 88 2 und 3. 
Schmuckſachen. 

8 5. Schmuckſachen von Gold und Silber dürfen in jedem Feingehalte 
geſtempelt werden und iſt in dieſem Falle der letztere in Tauſendteilen anzugeben. 

Die Fehlergrenze darf zehn Tauſendteile nicht überſchreiten, wenn der 
Gegenſtand im ganzen eingeſchmolzen wird. 

Das vom Bundesrat gemäß $ 3 beſtimmte Stempelzeichen darf auf 
Schmudjachen von Gold und Silber nicht angebracht werden. 

Ausländifhe Gold: und Silberwaren. 

S 6. Aus dem Auslande eingeführte Gold- und Silberwaren, deren 
Feingehalt durch eine diejem Geſetze nicht entjprechende Bezeichnung angegeben 
it, Dürfen nur dann feilgehalten werden, wenn fie außerdem mit einem Stempel» 
zeichen nach Maßgabe diejes Gejeges verjehen find. 

87T. Für die Nichtigfeit des angegebenen TFeingehalts haftet der Ver— 
fäufer der Ware. Iſt deren Stempelung im Inlande erfolgt, jo Haftet gleich 
dem Berfäufer der Inhaber des Gejchäfts, für welches die Stempelung erfolgt ift. 

Angabe des Feingehaltes verboten. 


S8 Auf Gold- und Silberwaren, welche mit anderen metallischen 
Stoffen ausgefüllt find, darf der Feingehalt nicht angegeben werben. 


— ee | 


Feingehalt der Gold» und Silberwaren. — Beurkundung des Perjonenitandes. 591 


Dasjelbe gilt von Gold» und Silberwaren, mit welchen aus anderen 
Metallen beitehende Verjtärfungsvorrichtungen metalliich verbunden find. 
Bei Ermittelung des Feingehalts bleiben alle von dem zu ftempelnden Metalle 
verjchiedenen, äußerlich als jolche erfennbaren Metalle außer Betracht, welche: 
1. zur Verzierung der Ware dienen; 
2. zur Herftellung mechanischer Vorrichtungen erforderlich find; 
3. als Verjtärfungsporrichtungen ohne metallifche Verbindung ſich 


darſtellen. 
Strafbeſtimmung . 


8 9. Mit Geldſtrafe bis zu eintauſend Mark oder mit ae 
bis zu ſechs Monaten wird bejtraft: 

l. wer Gold» oder Silberwaren, welche nach diejem Gejege mit einer 
Angabe des Feingehalts nicht verjehen jein Dürfen, mit einer 
folden Angabe verjieht; 

2. wer Gold» oder Silberwaren, welche nach diefem Geſetze mit einer 
Ungabe des Feingehalts verjehen jein dürfen, mit einer anderen, 
al3 der nach diejem Geſetze zuläjiigen Feingehaltsangabe verfieht; 

3. wer gold» oder filberähnliche Waren mit einem durch dieſes Geſetz 
vorgejehenen Stempelzeichen oder mit einem Stempelzeichen verjicht, 
welches nach dieſem Gejege als TFeingehaltsbezeichnung für Gold- 
und Silberwaren nicht zuläffig ift; 

4. wer Waren feilhält, welche mit einer gegen die Beſtimmungen 
diefes Geſetzes verſtoßenden Bezeichnung verſehen ſind. 


33. Geſetz 


über die Beurkundung des Perſonenſtandes 
und die Eheſchließung. 
Vom 6. Februar 1875. 
(R.G.Bl. ©. 23.) . 
(Auszug.) 
Beurfundung der Geburten. 
8 17. Jede Geburt eines Kindes ift innerhalb einer Woche dem 

Standesbeamten des Bezirks, in welchem die Niederkunft ftattgefunden hat, 
anzuzeigen. 





592 V. Die übrigen widhtigjten Reichsgeſetze ſtrafrechtlichen Inhalte. 


Anzeigepflichtiger. 
8 18. Zur Anzeige ſind verpflichtet: 
. ber eheliche Vater; 


— 


2. die bei der Niederkunft zugegen geweſene Hebamme; 
3. der dabei zugegen geweſene Arzt; 

4. jede andere dabei zugegen geweſene Perſon; 

5. die Mutter, ſobald ſie dazu im ſtande iſt. 

Jedoch tritt die Verpflichtung der in der vorſtehenden Reihenfolge 
ſpäter genannten Perſonen nur dann ein, wenn ein früher genannter Ver— 
pflichteter nicht vorhanden oder derſelbe an der Erſtattung der Anzeige ver— 
hindert iſt. 

8 19. Die Anzeige iſt mündlich von dem Verpflichteten ſelbſt oder 
durch eine andere aus eigener Wiſſenſchaft unterrichtete Perſon zu machen. 


8 20. Bei Geburten, welche ſich in öffentlichen Entbindungs-, Hebammen-, 
Kranfen-, Gefangen und ähnlichen Anjtalten, jowie in Kaſernen ereignen, 
trifft die Verpflichtung zur Anzeige ausſchließlich den Vorfteher der Anitalt 
oder den von der zuitändigen Behörde ermächtigten Beamten. Es genügt 
eine jchriftliche Anzeige in amtlicher Form. 

Eintragung in Das Geburtäregiiter, 
8 22. Die Eintragung des Geburtöfalles joll enthalten: 
1. Vor- und Familiennamen, Stand oder Gewerbe und Wohnort 
des Anzeigenden ; 
. Drt, Tag und Stunde der Geburt; 
. Gejchlecht des Kindes; 
. Vornamen des Slindes; 
. Bor: und Familiennamen, Religion, Stand oder Gewerbe und 
Wohnort der Eltern. 

Bei Zmillings- oder Mehrgeburten ift die Eintragung für jedes Kind 
befonder® und jo genau zu bewirfen, daß die Beitfolge der verjchiedenen 
Geburten erſichtlich ift. 

Stauden die Vornamen des Kindes zur Zeit der Anzeige noch nicht 
ſeſt, jo jind dieſelben nachträglich und längjtens binnen zwei Monaten nad) 
der Geburt anzuzeigen. Ihre Eintragung erfolgt am Rande der erjten Ein- 
tragung. 


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Beurkundung des Perſonenſtandes uſw. 593 


8 23. Wenn ein Kind totgeboren oder in der Geburt verſtorben iſt, 
fo muß die Anzeige jpätejtend am nächitfolgenden Tage gejchehen. Die Ein- 
tragung ijt alsdann mit dem im $ 22 unter Nr. 1 bis 3 und 5 angegebenen 


Inhalte nur im Sterberegifter zu machen. 
Findling. 


8 24. Wer ein neugeborenes Kind findet, ift verpflichtet, hiervon 
ſpäteſtens am nächitfolgenden Tage Anzeige bei der Ortspolizeibehörde zu 
machen. Die legtere hat die erforderlichen Ermittelungen vorzunehmen und 
dem Standesbeamten des Bezirfö von deren Ergebnis behufs Eintragung in 
das Geburtäregifter Anzeige zu machen. 

Die Eintragung joll enthalten die Zeit, den Ort und die Umftände des 
Auffindens, die Beichaffenheit und die Kennzeichen der bei dem Kinde vor: 
gefundenen Kleider und ſonſtigen Gegenjtände, die körperlichen Merkmale des 
Kindes, fein vermutliches Alter, fein Gejchlecht, die Behörde, Anstalt oder 
Perſon, bei welcher das Kind untergebracht worden, und die Namen, welche 


ihm beigelegt werben. 
i Beurfundung der Sterbefälle. 


8 56. Seder Sterbefall ijt ſpäteſtens am nächjtiolgenden Wochentage 

dem Standesbeamten des Bezirks, in welchem der Tod erfolgt ijt, anzuzeigen. 
Anzeigepflihtiger. 

8 57. Zu der Anzeige verpflichtet ift das Familienhaupt, umd wenn 
ein jolches nicht vorhanden oder an der Anzeige behindert ift, derjenige, in 
defien Wohnung oder Behaufung der Sterbefall ſich ereignet hat. 

8 58. Die SS 19 bis 21 fommen auch in Beziehung auf die Anzeige 
der Sterbefälle zur Anwendung. 

Findet eine amtliche Ermittelung über den Todesfall jtatt, jo erfolgt die 
Eintragung auf grund der jchriftlichen Mitteilung der zuftändigen Behörbe. 
Beurfunpung des Perfonenflandes der auf See befindtihen Perſonen. 

8 61. Geburten und Sterbefälle, welche ſich auf Seejchiffen während 
der Reife ereignen, find nad) den Vorjchriften diejes Geſetzes jpätejtend am 
nädjtfolgenden Tage nach der Geburt oder dem Todesfall von dem Schiffer, 
unter Yuziehung von zwei Schiffsoffizieren oder anderen glaubhaften Perjonen, 
in dem Tagebuch zu beurfunden. Bei Sterbefällen ift zugleich die mutmaß— 
liche Urfache des Todes zu vermerfen. 


$ 62. Der Schiffer hat zwei von ihm beglaubigte Abjchriften der 
Urkunden demjenigen Seemanusamte, bei dem es zuerit geichehen kann, zu 
38 


594 V. Die übrigen wichtigſten Reichsgeſetze ftrafrechtlihen Inhalte. 


übergeben. Eine dieſer Abſchriften iſt bei dem Seemannsamte aufzubewahren 
die andere iſt demjenigen Standesbeamten, in deſſen Bezirk die Eltern des 
Kindes, beziehungsweiſe der Verſtorbene ihren Wohnſitz haben oder zuletzt 
gehabt haben, behufs der Eintragung in das Regiſter zuzufertigen. 


8 63. Iſt der Schiffer verſtorben oder verhindert, jo hat der Steuer— 
mann die in den 88 61 und 62 dem Echiffer auferlegten Berpflichtungen zu 
erfüllen. 


8 64. Sobald das Schiff in den inländijchen Hafen eingelaufen ift, in 
welchem es jeine Fahrt beendet, it das Tagebuch der für den Standesbeamten 
des Hafenorts zujtändigen Auffichtsbehörde vorzulegen. 

Diefe hat beglaubigte Abjchrift der in das Tagebuch eingetragenen 
Standesurfunde dem Standesbeamten, in deſſen Negijter der Fall gehört ($ 62), 
behufs Kontrollierung der Eintragung zuzujtellen. 


Strafbeftimmungen. Trauung vor Nachweis der Eheſchließung. 

5 67. Ein Geiftlicher oder anderer Neligionsdiener, welcher zu ben 
religiöjen Feierlichkeiten einer Eheſchließung jchreitet, bevor ihm nachgewiejen 
worden ift, daß die Ehe vor dem Standesbeamten gejchlofjen ſei, wird mit 
Gelditrafe bis zu dreihundert Mark oder mit Gefängnis bis zu drei Monaten 
beſtraft. 

Eine ſtrafbare Handlung iſt nicht vorhanden, wenn der Geiſtliche oder 
der Religionsdiener im Falle einer lebensgefährlichen, einen Aufſchub nicht 
geſtattenden Erkrankung eines der Verlobten zu den religiöſen Feierlichkeiten 
der Eheſchließung ſchreitet. 

Unterlaſſene Anzeigen. 

868. Wer den in den 8817 bis 20, 22 bis 24, 56 bis 58 vor- 
gejchriebenen Anzeigepflichten nicht nachfommt, wird mit Gelditrafe bis zu 
einhundertrünfzig Mark oder mit Haft beftraft. Die Strafverfolgung tritt 
nicht ein, wenn Die Anzeige, obwohl nicht von den zunächſt Verpflichteten, 
doch rechtzeitig gemacht worden ift. 

Die bezeichnete Strafe trifft auch den Schiffer oder Steuermann, welcher 
den Vorjchriften der SS 61 bis 64 zumiderhandelt. 

Die Standesbeamten find außerdem befugt, die zu Anzeigen oder zu 
jonjtigen Handlungen auf grund diefes Geſetzes DVerpflichteten hierzu durch 
Geldſtrafen anzuhalten, welche für jeden einzelnen Fall den Betrag von fünf: 
zehn Mark nicht überfteigen dürfen. 


Beurkundung des Perfonenftandes ujw. — Geſetz iiber die Prejje. 595 


Strafbarer Standesbeamter. 
8 69. Ein Standesbeamter, welcher unter Außerachtlaſſung der in 
diefem Gefege und in dem Bürgerlichen Gejegbuche gegebenen Vorjchriiten eine 
Eheſchließung vollzieht, wird mit Geldjtrafe bis zu jechshundert Mark beitraft. 


$ 70. Gebühren und Gelditrafen, welche in Gemäßheit dieſes Geſetzes 
zur Erhebung gelangen, fließen, injoweit die Zandesgejege nicht ein anderes 
beftimmen, den Gemeinden zu, welche die fächlichen Koften der Standesämter 
($$ 8, 9) zu tragen haben. 


34. Gejeß über die Preife. 
Bom 7. Mai 1874, 
(RG.Bl. ©. 65.) 


L Einleitende Bejtimmungen. 
Freiheit der Preſſe. 
8 1. Die Freiheit der Prefje unterliegt nur denjenigen Beichränfungen, 
welche durch das gegenwärtige Gejeg vorgejchrieben oder zugelafjen find. 
Anwendungsgebiet des Gefches. 
S 2. Das gegenwärtige Geſetz findet Anwendung auf alle Erzeugnifje 
der Burhdruderprefje, jowie auf alle anderen, durch mechanijche. oder chemifche 
Mittel bewirkten, zur Verbreitung beftimmten Vervielfältigungen von Schriften 
und bifdlichen Darjtellungen mit oder ohne Schriften, und von Mufikalien mit 
Tert oder Erläuterungen. 


Was im folgenden von „Drucdjchriften” verordnet ift, gilt für alle vor- 


jtehend bezeichneten Erzeugnifje. 
Verbreitung einer Drudichrift. 


Ss 3. Als Verbreitung einer Drudichrift im Einne diefes Geſetzes gilt 
auch das Anfchlagen, Ausjtellen oder Auslegen derjelben an Orten, wo jie 
der Kenntnisnahme durch das Publikum zugänglich ilt. 


Keine Entzichung des Gewerbebetrichs. 
8 4. Eine Entziehung der Befugnis zum jelbjtändigen Betriebe irgend 
eines Preßgewerbes oder jonjt zur Herausgabe und zum Vertriebe von Drud- 
jchriften fann weder im administrativen, noch im richterlichen Wege jtattfinden. 
Im übrigen find für den Betrieb der Preigewerbe die Beſtimmungen 
der Gewerbeordnung maßgebend. 
38* 


nn Ze a Ta a ST 


5096 V. Die übrigen wichtigſten Reichsgeſetze ftrafrechtlichen Anhalt. 


$ 5. Die nichtgewerbsmähige öffentliche Verbreitung von Drudjchriften 
fann durch die Ortspolizeibehörde denjenigen Berjonen verboten werden, welchen 
nach $ 57 der Gewerbeordnung ein Legitimationsfchein verjagt werden darf. 

Zuwibderhandlungen gegen ein jolches Verbot werden nach $ 148 der 
Sewerbeordnung beitraft. 


II. Ordnung der Breife. 


Nennung des Druders, Berlegerö oder Berfaflers. 

8 6. Auf jeder im Geltungsbereich dieſes Gejeges erjcheinenden Drud- 
ichrift muß der Name und Wohnort de3 Druders und, wenn fie für den 
Buchhandel oder font zur Verbreitung bejtimmt ift, der Name und Wohnort 
des Verlegers, oder — beim Selbftvertriebe der Druckſchrift — des Verfafiers 
oder Herausgeberd genannt jein. An Stelle des Namens des Druderd oder 
Berlegerd genügt die Angabe der in das Handelsregifter eingetragenen Firma. 


Ausnahmen, 

Ausgenommen von diejer Vorjchrift find die nur zu den Zwecken des 
Gewerbes und Verkehrs, des häuslichen und gejelligen Lebens dienenden 
Drudjchriften, als: Formulare, Preiszettel, Bifitenfarten und dergleichen, ſowie 
Stimmzettel für öffentlihe Wahlen, fofern fie nichts weiter als Zweck, Zeit 
und Ort der Wahl und die Bezeichnung der zu wählenden Perſonen enthalten. 


Nennung des verantwortliden Redakteurs. 

$ 7. Zeitungen und Zeitjchriften, welche in monatlichen oder fürzeren, 
wenn auch unregelmäßigen Friſten erjcheinen (periodiiche Drudjchriften im 
Sinne diejes Geſetzes), müfjen außerdem auf jeder Nummer, jedem Stüde oder 
Hefte den Namen und Wohnort des verantwortlichen Redakteurs enthalten. 

Die Benennung mehrerer Berfonen al3 verantwortliche Redakteure iſt nur 
dann zuläffig, wenn aus Form und Inhalt der Benennung mit Bejtimmtheit 
zu erfehen ift, für welchen Teil der Drudjchrift jede der benannten Perſonen 
die Nedaktion beforgt. 


Berfon des verantwortlichen Redafteurs. 

8 8. Derantwortliche Redakteure periodifcher Drudjchriften dürfen nur 
Berjonen jein, welche verfügungsfähig, im Bejige der bürgerlichen Ehrenrechte 
find und im Deutjchen Reiche ihren Wohnfig oder gewöhnlichen Aufenthalt 
haben. 





Gejep über die Preiie. 597 


Bllihteremplar. 
8 9. Bon jeder Nummer (Heft, Stüd) einer periodifchen Drudjchrift 
muß der Berleger, jobald die Austeilung oder Berjendung beginnt, ein 
Eremplar gegen eine ihm fofort zu erteilende Beicheinigung an die Polizei 
behörde des Abgabeorts unentgeltlich abliefern. 
Dieſe Vorſchrift findet feine Anwendung auf Drudjchriften, welche 
ausschließlich Zweden der Willenjchaft, der Kunit, des Gewerbes vder der 


Induftrie dienen. 
Pflicht zur Aufnahme amtliher Befanntmahungen. 


8 10. Der verantwortliche Redakteur einer periodischen Drudjchrift, welche 
Anzeigen aufnimmt, ift verpflichtet, die ihm von öffentlichen Behörden mit: 
geteilten amtlichen Bekanntmachungen auf deren Verlangen gegen Zahlung 
der üblichen Einrüdungsgebühren in eine der beiden nächjten Nummern des 


Blattes aufzunehmen. 
Pflicht zur Berihtigung. 


$ 11. Der verantwortliche Redakteur einer periodischen Drudjchrift ift 
verpflichtet, eine Berichtigung der in letzterer mitgeteilten Tatjachen auf Ver— 
langen einer beteiligten öffentlichen Behörde oder Privatperfon ohne Ein- 
ichaltungen oder Weglafjungen aufzunehmen, jofern die Berichtigung von dem 
Einfender unterzeichnet tt, feinen ftrafbaren Inhalt hat und jich auf tatjächliche 
Angaben bejchränft. | 

Der Abdruf muß in der nad) Empfang der Einjendung nächjtfolgenden, 
für den Drud nicht bereits abgejchloffenen Nummer und zwar im demjelben 
Teile der Drucdjchrift und mit derjelben Schrift, wie der Abdrud des zu 
berichtigenden Artikels gejchehen. 

Die Aufnahme erfolgt foftenfrei, foweit nicht die Entgegnung den Raum 
der zu berichtigenden Mitteilung überfchreitet; für die über diejes Maß hinaus- 
gehenden Zeilen find die üblichen Einrüdungsgebühren zu entrichten. 


Behördliche Druckſchriften. 
s 12, Auf die von den deutjchen Weiche, Staats: und Gemeinde: 
behörden, von dem Reichstage oder von der Landesvertretung eines deutjchen 
Bundesstaat ausgehenden Drudjchriften finden, foweit fi) ihr Inhalt auf 
amtliche Mitteilungen beichränft, die VBorjchriften der 88 6 bis 11 feine 


Anwendung. 
Korreipondenzen. 


s 13. Die auf mechaniſchem oder chemijchen Wege vervielfältigten, 
periodischen Mitteilungen (lithographierte, autographierte, metallographierte, 


598 V. Die übrigen wichtigſten Reichsgeſetze ſtrafrechtlichen Inhalte. 


durchfchriebene Korrefpondenzen) unterliegen, sofern ſie ausſchließlich an 
Nedaktionen verbreitet werden, den in dieſem Geſetze für periodiiche Drud- 
jchriften getroffenen Beitimmungen nicht. 

YAusländifche periodifhe Drudichrift. 

8 14. Fit gegen eine Nummer (Stüd, Heft) einer im Auslande 
erjcheinenden periodischen Drudjchrift binnen Sahresfrift zweimal eine Ber: 
urteifung auf grund der 83 41 und 42 des Strafgefegbuchs erfolgt, jo fann 
der Reichsfanzler innerhalb zwei Monaten nad Eintritt der Nechtsfraft des 
legten Erfenntnifjes das Verbot der ferneren Verbreitung diefer Drudjchrift 
bis auf zwei Jahre durch Öffentliche Bekanntmachung ausiprechen. 

Die in den einzelnen Bundesitaaten auf grund der Landesgeſetzgebung bisher 
erlajienen Verbote ausländischer periodischer Drudichriften treten außer Wirkſamkeit. 


Vorſchriften bei Kriegsgefahr uſw. 
8 15. In Zeiten der Kriegsgefahr oder des Krieges können Ber: 
öffentlichungen über Truppenbewegungen oder Verteidigungsmittel durch den 
Reichskanzler mittels öffentlicher Bekanntmachung verboten werden. 


Aufforderung zur Aufbringung von Geldſtrafen. 
$ 16. Deffentliche Aufforderungen mittels der Prefje zur Aufbringung 
der wegen einer jtrafbaren Handlung erkannten Geldftrafen und Koſten, jowie 
öffentliche Bejcheinigungen mittel3 der Prefie über den Empfang der zu jolchen 
Zweden gezahlten Beiträge find verboten. 
Das zufolge jolcher Aufforderungen Empfangene oder der Wert desſelben 
ift der Armenfafje des Orts der Sammlung für verfallen zu erflären. 


Amtlihe Schriftftüde eines Strafprozeſſes. 
$ 17. Die Anflagejchrift oder andere amtliche Schriftitüde eines Straf: 
prozejjes dürfen durch die Preſſe nicht cher veröffentlicht werden, als bis die: 
jelben in öffentliher Verhandlung fundgegeben worden find oder das Ver— 
fahren jein Ende erreicht hat. 
Strafbeftimmungen. 
$ 18. Mit Gelditrafe bi! zu eintaufend Mark oder mit Haft oder mit 
Gefängnis bis zu jechs Monaten werden bejtraft: 
1. Zumwiderhandlungen gegen die in den SS 14, 15, 16 und 17 ent- 
haltenen Verbote; 
2. Zuwiderhandlungen gegen die Beitimmungen der 88 6, 7 und 8, 
welche durch falſche Angaben mit Kenntnis der Unrichtigfeit 
begangen werden. 


Geſetz über die Prefie. 599 


Diejelbe Strafe trifft den Verleger einer periodijchen Drudjchrift auch 
dann, wenn er wiljentlich geichehen läßt, daß auf derjelben eine Perjon 
fälſchlich als Nedakteur benannt wird. 


$ 19. Mit Geldjtrafe bis zu einhundertundfünfzig Mark oder mit 
Haft werden bejtraft: 
1. Zuwiderhandlungen gegen die SS 6, 7 und 8, welche nicht durch 
$ 18 Ziffer 2 getroffen find; 
2. Zuwiderhandlungen gegen den S 9; 
3. Zuwiderhandlungen gegen die 88 10 und 11. 
Strafantrag. 
Sn den Fällen der Ziffer 3 tritt die Verfolgung nur auf Antrag ein, 
und hat das Strafurteil zugleich die Aufnahme des eingefandten Artikels in 
die nächjtfolgende Nummer anzuordnen. Iſt die unberechtigte Verweigerung 
im guten Glauben gejchehen, fo iſt unter Freiſprechung von Strafe und Kojten 
lediglich die nachträgliche Aufnahme anzuordnen. 


III. Berantwortlichleit für die durch die Preile begangenen jtrafbaren 
Handlungen. 
Verantwortlichteit nah den allgemeinen Strafgeſetzen. 

$ 20. Die Berantwortlichfeit für Handlungen, deren Strafbarfeit durch 
den Inhalt einer Drucdjchrift begründet wird, beſtimmt ſich nach den bejtehenden 
allgemeinen Strafgefegen. 

Iſt die Drudjchrift eine pertodijche, jo it der verantwortliche Redakteur 
als Täter zu bejtrafen, wenn nicht durch bejondere Umftände die Annahme 


jeiner Täterfchaft ausgejchloffen wird. 
Strafbare Fahrläffigkeit. 


8 21. Begründet der Inhalt einer Drudichrift den Tatbeſtaud einer 

jtrafbaren Handlung, jo find 

der verantwortliche Redakteur, 

der Verleger, 

der Druder, 

derjenige, welcher die Drudichrift gewerbsmäßig vertrieben oder ſonſt 

öffentlich verbreitet hat (Werbreiter), 

joweit fie nicht nach $ 20 als Täter oder Teilnehmer zu bejtrafen find, wegen 
Fahrläſſigkeit mit Geldftrafe bis zu eintaufend Mark oder mit Haft oder mit 
Feitungshaft oder Gefängnis bis zu einem Jahre zu belegen, wenn fie nicht 





600 Die übrigen wichtigſten Reichsgeſetze jtrafrechtlihen Inhalts. 


die Anwendung der pflichtgemäßen Sorgfalt oder Umſtände nachweijen, welche 
diefe Anwendung unmöglich gemacht haben. 

Die Beitrafung bleibt jedoch für jede der benannten Perfonen aus: 
geichloffen, wenn fie als den Verfaſſer oder Einfender, mit deſſen Einwilligung 
die Veröffentlichung gejchehen ift, oder, wenn es fich um eine nicht periodijche 
Drudjchrift Handelt, ald den Herausgeber derjelben, oder als einen der in 
obiger Reihenfolge vor ihr Benannten eine Perſon bis zur Verfündigung des 
erjten Urteils nachweift, welche in dem Bereich der richterlichen Gewalt eines 
deutſchen Bundesſtaats ſich befindet, oder falls fie verftorben ift, ſich zur Zeit 
der Veröffentlichung befunden hat; hinfichtlid des Verbreiters ausländijcher 
Drudichriften außerdem, wenn ihm diejelben im Wege des Buchhandels zu: 
gekommen find. 


IV. Berjägrung. 
$ 22. Die Strafverfolgung derjenigen Verbrechen und Vergehen, welche 
durch die Verbreitung von Drudjchriften jtrafbaren Inhalts begangen werden, 
jowie derjenigen jonftigen Vergehen, welche in diefem Gejege mit Strafe be- 
droht find, verjährt in ſechs Monaten. 


V. Beſchlagnahme. 
Beſchlagnahme ohne richterliche Anordnung. 
8 23. Eine Beſchlagnahme von Druckſchriften ohne richterliche An— 
ordnung findet nur ſtatt: 

l. wenn eine Druckſchrift den Vorſchriften der 886 und 7 nicht ent— 
Ipricht, oder den Vorjchriften des $ 14 zuwider verbreitet wird, 

2. wenn durch eine Drudjchrift einen auf grund des $ 15 Ddiejes 
Geſetzes erlaffenen Verbot zuwider gehandelt wird, 

3. wenn der Suhalt einer Drudichrift den Tatbeſtand einer der in 
den 88 85, 95, 111, 130 oder 184 des deutjchen Strafgejegbuchs 
mit Strafe bedrohten Handlungen begründet, in den Fällen der 
88 111 und 130 jedoch nur dann, wenn dringende Gefahr beitcht, 
das bei Verzögerung der Beſchlagnahme die Aufforderung oder 
Anreizung ein Verbrechen oder Vergehen unmittelbar zur Folge 
haben werde. 

Richterlihe Beitätigung von Beihlagnahmen binnen 48 Stunden. 
s 24. Ueber die Beftätigung oder Aufhebung der vorläufigen Beichlag- 
nahme hat das zuitändige Gericht zu entjcheiden. 





Geſetz über die Preſſe. 601 


Staatsanwaliſchaft. 
Dieſe Entſcheidung muß von der Staatsanwaltſchaft binnen vierundzwanzig 
Stunden nach Anordnung der Beſchlagnahme beantragt und von dem Gericht 
binnen vierundzwanzig Stunden nach Empfang des Antrags erlaſſen werden. 
Polizeibehörde. 
Hat die Polizeibehörde die Beſchlagnahme ohne Anordnung der Staats— 
ammaltjchaft verfügt, fo muß fie die Abjendung der Verhandlungen an die 
fegtere ohne Verzug und jpäteftens binnen zwölf Stunden bewirfen. Die Staats- 
anwaltichaft hat entweder die Wiederaufhebung der Beichlagnahme mitteljt 
einer jofort volljtredbaren Berfügung anzuordnen oder die gerichtliche Betätigung 
binnen zwölf Stunden nad) Empfang der Verhandlungen zu beantragen. 
Erlöihen der Beſchlagnahme. 
Wenn nicht bis zum Ablaufe des fünften Tages nach Anordnung der 
Beichlagnahme der bejtätigende Gerichtsbefhluß der Behörde, welche die Be- 
fchlagnahme angeordnet hat, zugegangen ist, erlischt die lettere und muß die 
Freigabe der einzelnen Stüde erfolgen. 


S 25. Gegen den Beichluß des Gerichts, welcher die vorläufige Be— 

ichlagnahme aufhebt, findet ein Nechtsmittel nicht Statt. 
Wiederaufhebung der gerihtlidh beftätigten Beſchlagnahme. 
$ 26. Die vom Gericht betätigte, vorläufige Beſchlagnahme ift wieder 
aufzuheben, wenn nicht binnen zwei Wochen nach der Beitätigung bie Straf. 
verfolgung in der Hauptjache eingeleitet worden ijt. 
Umfang der Beihlagnahıne. 
$ 27. Die Bejchlagnahme von Drudjchriften trifjt die Eremplare nur 
da, ıwo dergleichen zum Zwecke der Verbreitung fich befinden. Sie kann ſich 
auf die zur Vervielfältigung dienenden Platten und Formen erjtreden; bei 
Drudjchriften im engeren Sinne hat auf Antrag des Beteiligten jtatt Be— 
ſchlagnahme des Sates das Ablegen des leyteren zu gejchehen. 

Bei der Beichlagnahme find die diejelbe veranlajjeuden Stellen der 
Schrift unter Anführung der verlegten Gejege zu bezeichnen. Trennbare 
Teile der Drucdjchrift (Beilagen einer Zeitung ujw.), welche nichts Strafbares 
enthalten, jind von der Beſchlagnahme auszujchließen. 

Wirfung der Beihlaanahme; Strafbeitimmung. 

Ss 28. Während der Dauer der Bejchlagnahme ift die Verbreitung der 
von derjelben betroffenen Drudjchrift oder der Wiederabdrud der die Bejchlag- 
nahme veranlafjenden Stellen unjtatthaft. 


‘60% ‚Die übrigen wictigiten Reichẽgeſetze ſtrafrechtlichen Inhalte. 


Wer mit Kenntnis der verfügten Beſchlagnahme dieſer Beſtimmung 
entgegenhandelt, wird mit Geldftrafe bis fünfhundert Marf oder mit Gefängnis 
bis zu ſechs Monaten bejtraft. 

Ausſchließliche Zuftändigfeit Der Gerichte, 

8 29. Zur Entjcheidung über die durch die Preſſe begangenen Ueber: 
tretungen jind die Gerichte auch im denjenigen Bundesjtaaten ausſchließlich 
zuftändig, wo zur Zeit noch deren Aburteilung den Verwaltungsbehörden zujteht. 

Soweit in einzelnen Bundesjtaaten eine Mitwirfung der Staats: 
anwaltjchaft bei den Gerichten unterjter Inſtanz nicht vorgejchrieben it, find 
in den Fällen der ohme richterliche Anordnung erfolgten Bejchlagnahme die 
Akten unmitttelbar dem Gericht vorzulegen. 


VI. Schlußbeſtimmungen. 

$ 30. Die für Zeiten der Kriegsgefahr, des Krieges, des erklärten 
Kriegs- (Belagerungs:) Zuftandes oder innerer Unruhen (Aufruhrs) in bezug 
auf die Preſſe beitehenden bejonderen gejeglichen Beitimmungen bleiben auc 
dieſem Gejege gegenüber bis auf weiteres in Kraft. 

Landesgeſetze. 

Das Recht der Landesgeſetzgebung, Vorſchriften über das öffentliche 
Anſchlagen, Anheften, Ausſtellen, ſowie die öffentliche, unentgeltliche Verteilung 
von Bekanntmachungen, Plakaten und Aufrufen zu erlaſſen, wird durch dieſes 
Geſetz nicht berührt. 

Dasjelbe gilt von den Vorſchriften der Landesgeſetze über Abgabe von 
‚sreieremplaren an Bibliotheken und öffentlihe Sammlungen. 

Borbehaltlich der auf den Yandesgejegen beruhenden allgemeinen Gewerbe: 
jteuer findet eine bejondere Beſteuerung der Preſſe und der einzelnen Preß— 
erzeugniffe (Zeitungs- und Kafenderjtempel, Abgaben von Injeraten uw.) nicht ftatt. 


3). Geſetz, 
betreffend die Stimmzettel fir öffentlihe Wahlen. 
Vom 12. März 1884. 
(R.G.Bl. ©. 17.) 
Stimmzettel, welche im Wege der Vervielfältigung hergejtellt find und 
nur die Bezeichnung der zu wählenden Perſonen enthalten, gelten nicht als 
Drudichriften im Sinne der Reich: und der Landesgeſetze. 





— — ee — ⸗ 





Geſetz über die Preſſe. — Stimmzettel. — Yuswanderungsweien. 603 


36. Geſetz über das Auswanderungsweſen. 


Vom 9. Juni 1897. 
(R.GBl. ©. 468.) 
(Auszug.) 
I. Unternehmer. 
8 1. Wer die Beförderung von Auswanderern nach außerdeutjchen 
Yändern betreiben will (linternehmer), bedarf hierzu der Erlaubnis. 
Belhränfung der Erlaubnis. 
86. Die Erlaubnis ift nur für bejtimmte Länder, Teile von jolchen 
oder bejtimmte Orte und im ‘Falle überjeeijcher Beförderung nur für bejtimmte 


Einjchiffungshäfen zu erteilen. 
Anhalt der Griaubnis. 


58 Die Erlaubnis berechtigt den Unternehmer zum Gejchäftsbetrieb 
im ganzen Neichsgebiete mit der Einjchränfung, daß er außerhalb des Gemeinde- 
bezirfes feiner gewerblichen Niederlaffung und des Gemeindebezirfes jeiner 
etwaigen Zweigniederlaffungen bei der Ausübung feines gejamten Gejchäfts- 
betriebs, joweit es jich dabei nicht lediglich um die Erteilung von Ausfunft 
auf Anfrage oder um die Veröffentlichung der Beförderungsgelegenheiten und 
Berörderungsbedingungen handelt, ausfchließlich der Vermittlung feiner nad) 


Ss 11 fi. zugelaffenen Agenten fich zu bedienen hat. 
Stellvertreter. 


89 Der Unternehmer fann jeine Befugniffe zum Gejchäftsbetriebe 
durch Stellvertreter ausüben. Die Beftellung eines jolchen iſt erforderlich für 
die Geichäftsführung in Zweigniederlafjungen. 

Nach dem Tode des Unternehmers jowie im Falle einer Bormundichaft 
oder Pflegichaft kann der Gejchäftsbetrieb noch längſtens ſechs Monate durch 
Stellvertreter fortgefegt werden. 

Die Beſtellung eines Stellvertreter3 bedarf der Genehmigung des 
Reichskanzlers. 

II. Agenten. 

8 11. Wer bei einem Betriebe der im $ 1 bezeichneten Art durch 
Vorbereitung, Vermittlung oder Abſchluß des Beförderungsvertrags gewerbs- 
mäßig mitwirfen will (Agent), bedarf Hierzu der Erlaubnis. 


604 V. Die übrigen wichtigiten Neichsgefege jtrafrechtlihen Inhalts. 


Inhalt der Erlaubnis. 
$ 15. Die Erlaubnis berechtigt zum Gejchäftsbetrieb im Bezirke der die 
Erlaubnis erteilenden Behörde, wenn fie nicht auf einen Teil desjelben bejchräntt 
wird. Im Einvernehmen mit diefer Behörde fann jedoch dem Agenten die 
Ausdehnung jeines Gejchäftsbetriebs auf benachbarte Bezirfe von den für 
fegtere zuftändigen höheren Verwaltungsbehörden gejtattet werden. 
Pllihten der Agenten. 
S 16. Für andere al$ den in der Erlaubnisurfunde namhaft gemachten 
Unternehmer fowie auf eigene Rechnung darf der Agent Gejchäfte der im 
$ 11 bezeichneten Art nicht beforgen. 


8 17. Dem Agenten ift es unterfagt, jeine Gefchäfte in Zweignieder— 
(afjungen durch Stellvertreter oder im Umherziehen zu betreiben. 


III. Gemeinjane Beitimmungen für Unternehmer und Agenten. 
8 21. Der Bundesrat erläht nähere Beitimmungen über den Gejchäfts- 
betrieb der Unternehmer und Agenten und deren Beauffichtigung, namentlich aud 

a) über die von ihnen zu führenden Bücher, Lijten, ftatijtiichen und 
Jonftigen Nachweijungen jowie über die in Umwendung zu bringenden 
Vertragsformulare; 

b) über die Art und Weiſe der Sicherheitsbejtellung und die Be: 
dingungen, welche über die Haftbarfeit jowie über die Ergänzung 
und die Nüdgabe der Sicherheit in die Beltellungsurfunde auf- 
zunehmen find. 





IV. Allgemeine Beſtimmungen über die Beförderung von Auswanderern. 

8 22. Der Unternehmer darf Auswanderer nur befördern auf grund 
eines vorher abgejchlofjenen jchriftlichen Vertrags. 

Den Auswanderern darf nicht die Verpflichtung auferlegt werden, den 
Beförderungspreis oder einen Teil desjelben oder ihnen geleiltete Borjchüfie 
nach ihrer Ankunft am Beitimmungsorte zu zahlen oder zurüdzuerjtatten oder 
dur; Arbeit abzuverdienen; ebenjowenig dürfen fie in der Wahl ihres 
Aufenthaltsorts oder ihrer Beichäftigung im Beitimmungslande bejchränft werden. 

8 23. Verboten ift die Beförderung jowie der Abſchluß von Verträgen 
über die Beförderung: 

a) von Wehrpflichtigen im Alter vom vollendeten jiebzehnten bis zum 
vollendeten fünfundzwanzigiten Lebensjahre, bevor jie eine Ent- 





Auswanderungsweien. 605 


laſſungsurkunde ($ 14 des Gejeges über die Erwerbung und den 
Verluft der Bundes: und Staatsangehörigfeit vom 1. Juni 1870) 
oder ein Zeugnis der Erſatzkommiſſion darüber beigebracht haben, 
daß ihrer Auswanderung aus dem Grunde der Wehrpflicht fein 
Hindernis entgegenfteht; 

b) von PBerjonen, deren Verhaftung oder Feſtnahme von einer Gerichts» 


oder Polizeibehörde angeordnet ift; 


St 


c 


— 


von Reichsangehörigen, für welche von fremden Regierungen oder 
von Koloniſationsgeſellſchaften oder ähnlichen Unternehmungen der 
Beförderungspreis ganz oder teilweiſe bezahlt wird oder Vorſchüſſe 
geleiſtet werden; Ausnahmen von dieſer Beſtimmung kann der 
Reichskanzler zulaſſen. 


8 24. Auswanderer, welche ſich nicht im Beſitze der nach $ 23a 
erforderlichen Urkunde befinden, oder welche zu den im $ 23 unter b und c 
bezeichneten Perfonen gehören, fünnen durch die Polizeibehörden am Verlaſſen 
des Neichsgebiet3 verhindert werden. 

Die Polizeibehörden in den Hafenorten find befugt, die Unternehmer au 
der Einſchiffung von Perjonen zu verhindern, deren Beförderung auf grund 
diejes Geſetzes verboten: ilt. 


V. Bejondere Beitimmungen für die überjeeiihe Auswanderung 
nad) außereuropäiihen Ländern. 

$ 25. Verträge über die überfeeifche Beförderung von Auswanderen 
müffen auf Beförderung und Berpflegung bi8 zur Landung im außer: 
enropäischen Ausjchiffungshafen gerichtet fein. Sie find auf die Weiter- 
beförderung und Verpflegung vom Ausjchiffungshafen bis an das Aus- 
wanderungsziel zu erjtreden, injoweit dies bei der Erteilung der Erlaubnis 
($ 1) zur Bedingung gemacht ift. | 

Soll das Schiff in einem außerdeutſchen Hafen bejtiegen oder gewechjelt 
werden, jo it dies in den Beförderungsvertrag aufzunehmen. 


S 26. Der Berfauf von Fahrjcheinen an Auswanderer zur Weiter- 
beförderung von einem überfeeischen Plage aus ift verboten. 

Diefes Verbot findet jedoch feine Anwendung auf Verträge, durch welche 
der Unternehmer ($ 1) Sich zugleich zur Weiterbeförderung vom überſeeiſchen 
Ausſchiffungshafen aus verpflichtet. 


— n—7— — 


606 V. Die übrigen wichtigſten Reichsgeſetze ſtrafrechtlichen Inhalts. 


8 32. Der Unternehmer kann verpflichtet werden, zur Sicherſtellung 
der ihm aus den $$ 27 bis 30 entſtehenden Verpflichtungen eine das Ueber— 
fahrtsgeld um den halben Betrag überjteigende Summe zu verfichern oder 
einen der Verficherungsjumme entjprechenden Betrag zu hinterlegen. 


Seetühtiges Schiff. , 

8 33. Der Unternehmer hat dafür Sorge zu tragen, daß das Schiff, 
mit welchem die Auswanderer befördert werden follen, für die beabfichtigte 
Neife völlig feetüchtig, vorjchriftsmäßig eingerichtet, ausgerüftet und ver: 
proviantiert iſt. 

Die gleiche Berpflichtung trifft den Führer des Schiffes. 


Amtliche Unterfuhung des Schiffes. 

S 34 Jedes Auswandererichiff unterliegt vor dem Antritte der Reiſe 
einer Unterfuchung über feine Seetüchtigfeit, Einrichtung, Ausrüftung und 
Verproviantierung. 

Die Unterjuhung erfolgt durch amtliche, von den Landesregierungen 
beitellte Befichtiger. 

Aerztliche Unterſuchung der Auswanderer. 

S 35. Vor Abgang des Schiffes ijt der Gejundheitszujtand der Aus- 
wanderer und der Schiffsbefagung durch einen von der Auswanderungsbehörde 
(40) zu bejtimmenden Arzt zu unterjuchen. 


Borihriften des Bundesrats. 

$ 36. Der Bundesrat erläßt Worfchriften über die Beſchaffenheit, 
Einrichtung, Ausrüftung und Verproviantierung der Auswandererjchiffe, über 
die amtliche Befichtigung und Kontrolle diefer Schiffe, ferner über die ärztliche 
Unterfuchung der Reifenden und der Schiffsbefagung vor der Einjchiffung, 
über die Ausſchließung kranker Perfonen, über das Verfahren bei der Ein- 
Ihiffung und über den Schug der Auswanderer in gejundheitlicher und 
jittlicher Hinſicht. 

Die vom Bundesrat erlafienen Vorſchriften find durch das Weiche: 
Gejegblatt zu veröffentlichen und dem NReichstage bei jeinem nächſten Zujammen- 
tritte zur Kenntnisnahme vorzulegen. 


Begriff des Auswandererſchiffes. 
5 37. Als Auswandererjchiffe im Sinne diejes Gejeges gelten alle nad) 
außereuropäiichen Häfen bejtimmten Seeſchiffe, mit denen, abgejehen von den 
Kajütspaflagieren, mindeitens fünfundzwanzig Reijende befördert werden jollen. 





Auswanderungswejen. 607 


VI. Auswanderungsbehörden. 
$ 40. Zur Ueberwachung des Auswanderungswejens und der Aus- 
führung der darauf bezüglichen Beitimmungen find an denjenigen Hafenplägen, 
für welche Unternehmer zugelaffen find, von den Landesregierungen Aus- 
wanderungsbehörden zu bejtellen. 


$ 41. In den Hafenorten übt der Neichsfanzler die Aufficht über das 
Auswanderungswefen durch von ihm beftellte Kommiſſare aus. 

Diefe Kommifjare find befugt, den im $ 34 vorgefehenen Unterfuchungen 
beizumwohnen, auch jelbftändig Unterfuchungen der Auswandererjchiffe vor: 
zunehmen. Sie haben die Yandesbehörden auf die von ihnen wahrgenommenen 
Mängel und Verſtöße aufmerffam zu machen und auf deren Abjtellung zu 
dringen. 

Die Führer von Auswandererjchiffen find verpflichtet, den Kommifjaren 
auf Erfordern wahrheitsgetreue Auskunft über alle Verhältnifje des Schiffes 
und über deſſen Reife zu erteilen, ſowie jederzeit das Betreten der Echiffö- 
räume und die Einficht in die Schiffspapiere zu gejtatten. 

Im Auslande werden die Obliegenheiten der Kommifjare behufs Wahr: 
nehmung der Intereffen deutjcher Auswanderer von den Behörden des Neichs 


wahrgenommen, denen erforderlichenfall3 bejondere Kommiſſare als Hülfsbeamte 
beizugeben jind. 


VII. Beförderung von außerdeutſchen Häfen aus. 
$ 42. Durch Saiferliche Verordnung mit Zujtimmung des Bundesrats 
fünnen zur Regelung der Beförderung von Auswanderern und Bafjagieren 
auf deutschen Schiffen, welche von auferdeutichen Häfen ausgehen, VBorjchriften 
der im $ 36 bezeichneten Art erlaſſen werden. 


VIII. Strafbeitimmungen. 

$ 43. Unternehmer (8 1), welche den Bejtimmungen der 88 8, 22, 
23, 25, 32 und 33 Abjag 1 oder den für die Ausübung ihres Gejchäfts: 
betrieb3 von den zuitändigen Behörden erlaffenen Vorjchriften zumiderhandeln, 
werden mit Geldſtrafe von einhundertfünfzig bis zu fechstaufend Mark oder 
mit Gefängnis bis zu ſechs Monaten bejtraft. 

Eind die Zumwiderhandlungen von einem Stellvertreter ($ 9) begangen 
worden, jo trifft die Strafe diefen; der Unternehmer ift neben demjelben 


608 V. Die übrigen wichtigſten Reichsgeſetze Itrafrechtlihen Inhalte. 


jtrafbar, wenn die Zuwiderhandlung mit feinem Vorwiſſen begangen ijt, 
oder wenn er bei der nach den Verhältnifjen möglichen eigenen Beaufjichtigung 
des Stellvertreterd es an der erforderlichen Sorgfalt hat fehlen Lafjen. 

Die gleiche Strafe trifft Schiffsführer, welche den ihnen im $ 33 Abj. 2 
und im $ 41 Abf. 3 auferlegten Berpflichtungen oder den auf grund des 
$ 36 erlafjenen VBorfchriften zumiderhandeln, ohne Unterjchied, ob die Zuwider— 
handlung im Inlande oder im Auslande begangen ijt. 

$ 44. Agenten ($ 11), welche den Bejtimmungen der 88 15, 16, 17, 
22 Abſ. 2, 23 und 25 oder den für die Ausübung ihres Gejchäftsbetriebs 
von den zuftändigen Behörden erlafjenen Vorſchriften zumiderhandeln, werben 
mit Gelditrafe von dreißig bis zu dreitaufend Mark oder mit Gefängnis bis 
zu drei Monaten beitraft. 

8 45. Wer ohne die nah 88 1 und 11 erforderliche Erlaubnis die 
Beförderung von Auswanderern betreibt oder bei einem folchen Betriebe 
gewerbsmäßig mitwirft, wird mit Gefängnis bis zu einem Jahre und mit 
Geldftrafe bis zu fechstaufend Marf oder mit einer diejer Strafen beitraft. 

Die gleiche Strafe trifft denjenigen, welcher ſich zum Gejchäfte macht, 
zur Auswanderung anzumwerben. 

8 46. Wer der Vorſchrift des 8 26 Abi. 1 zumwiderhandelt, wird mit 
Geldftrafe bis zu einhundertfünfzig Mark oder mit Haft bejtraft. 

847. Wer den auf grund de3 $ 42 erlajienen Vorſchriften zumwider- 
handelt, wird mit Gelditrafe von einhundertfünfzig bis zu jechstaufend Marf 
oder mit Gefängnis bis zu jechs Monaten bejtrait. 

Berleitung einer frauenöperfon jur Auswanderung. . 

$ 48. Wer eine Frauensperjon zu dem Zwecke, jie der gewerbsmähigen 
Unzucht zuzuführen, mittels arglijtiger Berjchweigung dieſes Zwedes zur Aus: 
wanderung verleitet, wird mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren bejtraft. Neben 
der Zuchthausitrafe ift der Verluſt der bürgerlichen Ehrenrechte auszuſprechen; 
auch fann zugleich auf Geldjtrafe von einhundertfüntzig bis zu jechstaujend 
Mark jowie auf Zuläffigfeit von Polizeiaufficht erfannt werden. 

Diejelben Strafvorfchriften finden auf denjenigen Anwendung, welcher 
mit Kenntnis des vom Täter in jolcher Weife verfolgten Zwedes die Aus— 
wanderung der Frauensperſon vorjäglich befördert; find mildernde Umjtände 
vorhanden, jo tritt Gefängnisftrafe nicht unter drei Monaten ein, neben 
welcher auf Geldftrafe von einhundertfünfzig bis zu jechstaufend Mark erfannt 
werden fann. 





|. eu — — ——— TEL, — — — — — — 


Auswanderungsweſen. — Gebrauch von Sprengſtoffen. 609 


S 48 des Geſetzes über das Auswanderungsweſen iſt insbeſondere gegen 


den internationalen Mädchenhandel gerichtet. 

Zur wirkſameren Bekämpfung desſelben iſt eine Zentral-Polizeiſtelle bei 
dem Königlichen Polizeipräſidium in Berlin errichtet worden; dieſelbe führt 
die Bezeichnung: 

Zentralpolizeiſtelle zur Bekämpfung des internationalen Mädchenhandels. 

Ihre geſchäftliche Korreſpondenz wird unter der Bezeichnung „König— 
licher Polizeipräftdent Abteilung IV, Zentralpolizeiftelle zur Belämpfung des 
internationalen Mädchenhandel3 in Berlin” geführt. 

Die BZentrafpolizeiftelle bildet eine Sammelſtelle für Nachrichten über 
den internationalen Mädchenhandel. Zu dem Zwed wird fie teil die aus 
eigenem Antriebe von den Behörden ihr gemachten Mitteilungen entgegen: 
nehmen, teil3 jahgemäße Erkundigungen, darunter aud über die Verurteilung 
von Mädchenhändlern einziehen. Die Zentralpolizeiftelle führt über die ihr 
befannt gewordenen Mädchenhändler Perfonalaufzeihnungen und teilt im 
geeigneten Zwifchenräumen den in betrat kommenden Bolizeibehörden die 
Namen der Mädchenhändler unter Beifügung einer kurzen Charakteriftif, wenn 
möglich aud einer Perjonalbefchreibung mit. Die der Bentralpolizeiftelle 
zugehenden Nachrichten über das Eintreffen oder die Durchreife verfchleppter 
Mädchen hat fie Tofort dem zuftändigen örtlichen Polizeibehörden zu übermitteln- 

Soweit ihr fonjtige Umſtände befannt werden, welche vermuten laffen, 
daß bei näheren Ermittelungen ein Strafverfahren wegen Mädchenhandels 
einzuleiten ift, hat fie der örtlich zuftändigen Polizeibehörde Mitteilung zu 
machen, daß diele die Einleitung des Strafverfahrens herbeiführt. 

In geeignet fcheinenden Fällen kann die Zentralpolizeiitelle ihr Material 
auch direft der Staatsanmwaltichaft mitteilen. 

Im übrigen richtet ſich der Verkehr der Zentralpolizeiftelle mit den 
Behörden der Stantsanwaltfchaft und der Gerichte nad den für das Polizei: 
präfidium darüber bejtchenden Vorfchriften. 


31. Geſttz 
gegen den verbrederiihen und gemeingefährlihen Gebraud) 
von Sprengitoffen. 


Bom 9. Juni 1884. 


(R.G. Bl. ©. 61.) 
Polizeilihe Genchmigung. 


8 1. Die Heritellung, der Vertrieb und der Befig von Sprengjtoffen 
jowie die Einführung derfelben aus dem Auslande ift unbeichadet der bejtehenden 
jonftigen Beichränfungen nur mit polizeilicher Genehmigung zuläffig. 

39 


e 





610 V. Die übrigen widjtigften Reichsgeſetze ftrafrechtlichen Inhalts. 


Resifterführung. 

Mer ſich mit der Herftellung oder dem Bertriebe von Sprengitoffen 
befaßt, hat ein Regijter zu führen, aus welchem die Mengen der hergeitellten, 
aus dem Auslande eingeführten oder fonft zum Zweck des Wertriches 
angefchafften Sprengftoffe, jowie die Bezugsquellen und der Verbleib derjelben 
erfichtlich fein müſſen. Dieſes Regiſter ift der zuitändigen Behörde auf 
Erforbern jederzeit vorzulegen. 

Ausnahmen. 

Auf Sprengftoffe, welche vorzugsweije als Schießmittel gebraucht werden, 
finden vorbehaltlich abweichender landesrechtlicher VBorfchriften die Beftimmungen 
des eriten und des zweiten Abjages feine Anwendung. Die Bezeichnung 
diejer Stoffe erfolgt durd) Beſchluß des Bundesrats. 

Injoweit Sprengftoffe zum eigenen Gebrauch durch Reichs- oder Landes: 
behörden von der zuftändigen Verwaltung hergejtellt, befefjen, eingeführt oder 
vertrieben werden, bleiben die Borjchriften des erjten und zweiten Abſatzes 
ebenfall3 ausgeſchloſſen. 


$ 2, Die Zentralbehörden der Bundesitaaten erlafien die zur Aus— 
führung der Vorjchriften in dem $ 1 Abi. 1 und 2, fowie in dem $ 15 
erforderlichen näheren Anordnungen und bejtimmen die Behörden, welche über 
die Gejuche um Gejtattung der Herjtellung, des VBertriebes, des Befiges und 
der Einführung von Sprengitoffen Entjcheidung zu treffen haben. 


$ 3. Gegen die verfagende Verfügung ift nur die Beſchwerde an 
die Auffichtsbehörde innerhalb 14 Tagen zuläſſig. Diefelbe hat feine auf: 
jchiebende Wirkung. 


$4 Die Erteilung der nah $ 1 Abi. 1 erforderlichen ‚Erlaubnis 
erfolgt in widerruflicher Weife. Wegen der Beichwerde gegen die Zurücknahme 
gilt die Vorfchrift des $ 3 des gegenwärtigen Geſetzes. 

Strafbeftimmungen. 

$5. Wer vorjäglic dur Anwendung von Sprengftoffen Gefahr für 
das Eigentum, die Gejundheit oder das Leben eines anderen herbeiführt, wird 
mit Zuchthaus bejtraft. 

Iſt durch die Handlung eine fchwere Körperverlegung verurfacht worden, 
jo tritt Zuchthausftrafe nicht unter fünf Jahren, und wenn der Tod eines 
Menjchen verurfacht worden ift, Zuchthausftrafe nicht unter zehn Jahren oder 
lebenslängliche Zuchthausſtrafe ein. 


Gebrauch von Sprengſtoſſen. 611 


Iſt durch die Handlung der Tod eines Menſchen herbeigeführt worden 
und bat der Täter einen ſolchen Erfolg vorausſehen können, jo iſt auf Todes— 
itrafe zu erfennen. 

$ 6. Haben mehrere die Ausführung einer oder mehrerer nad) $ 5 
zu ahndender jtrafbaren Handlungen verabredet oder ſich zur fortgejeßten 
Begehung derartiger, wenn auch im einzelnen noch) nicht bejtimmter Handlungen 
verbunden, jo werden diejelben, auch ohne daß der Entjchluß der Verübung 
des Verbrechens durch Handlungen, welche einen Anfang der Ausführung ent- 
halten, betätigt worden iſt, mit Zuchthaus nicht unter fünf Jahren bejtraft. 


8 7. Wer Sprengjtoffe Herjtellt, anjchafft, bejtellt, oder in jeinem 
Befige hat, in der Abficht, durch Anwendung derjelben Gefahr für dag 
Eigentum, die Gejundheit oder das Leben eines anderen entweder jelbjt herbei- 
zuführen oder andere Perfonen zur Begehung diejes Verbrechens in den 
Stand zu ſetzen, wird mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren beitraft. . 

Der gleichen Strafe verfällt, wer Sprengitoffe, wiſſend, daß diejelben 
zur Begehung eines in dem 8 5 vorgejehenen Berbrechens beitimmt find, an 
andere Perfonen überläßt. 


58 Mer Sprengftoffe herjtellt, anjchafft, bejtellt, wifjentlich in feinem 
Beſitze hat oder an andere Perjonen überläßt unter Umſtänden, welche nicht 
erweifen, daß dies zu einen erlaubten Zwed gejchieht, wird mit Zuchthaus: 
itrafe bis zu fünf Jahren oder mit Gefängnis nicht unter einem Jahre beftraft. 
Dieje Beitimmung findet auf die gemäß $ 1 Abſ. 3 vom Bundesrat bezeichneten 
Stoffe nicht Anwendung. 

89 Wer der VBorichrift in dem erjten Abjag des $ 1 zuwider es 
unternimmt, ohne polizeiliche Ermächtigung Sprengitoffe herzuftellen, vom 
Auslande einzuführen, feilzuhalten, zu verfaufen oder ſonſt an andere zu über: 
(afjen, oder wer im Beige derartiger Stoffe betroffen wird, ohne polizeiliche 
Erlaubnis hierzu nachweifen zu fünnen, ift mit Gefängnis von drei Monaten 
bis zu zwei Jahren zu bejtrafen. 

Gleicher Strafe verfällt, wer die Vorjchriften des $ 1 Abj. 2, die von den 
Bentralbehörden in Gemäßheit des $ 2 getroffenen Anordnungen oder die bereits 
bejtehenden oder noch zu erlafjenden fonjtigen polizeilichen Beitimmungen über den 
Verkehr mit Sprengjtoffen, auf welche $ 1 Abj. 1 Anwendung findet, Übertritt. 

8 10. Wer öffentlich vor einer Menjchenmenge oder wer durch Ber: 
breitung oder öffentlichen Anjchlag oder öffentliche Ausjtelung von Schriften 

39° 


612 V. Die übrigen wichtigſten Reichsgeſetze ſtrafrechtlichen Inhalts. 


oder anderen Darſtellungen, oder wer in Schriften oder anderen Darſtellungen 
zur Begehung einer der in den SS 5 und 6 bezeichneten ſtrafbaren Handlungen 
oder zur Teilnahme an denfelben auffordert, wird mit Zuchthaus bejtraft. 
Gleiche Strafe trifft denjenigen, welcher auf die vorbezeichnete Weiſe 
zur Begehung der im Abſatz 1 gedachten jtrafbaren Handlungen insbejondere 
dadurch anreizt oder verleitet, daß er diejelben anpreiſt oder ala etwas 
NRühmliches darftellt. 
Polizeiauffiht. Ginzichung. 
$ 11. In den Fällen der SS 5, 6, 7, 8 und 10 fann auf Zuläjfigfeit 
von PBolizeiaufjicht erfannt werden, In den Fällen der 88 5, 6, 7, 8 und 
in dem Falle einer Anwendung der Strafvorjchriften des I 9 iſt auf Ein- 
ziehung der zur Yubereitung der Sprengjtoffe gebrauchten oder bejtimmten 
Gegenftände, jowie der im Beſitze des Verurteilten vorgefundenen Vorräte 
von Sprengjtoffen zu erfennen, ohne Unterjchted, ob diejelben dem Verurteilten 
gchören oder nicht. 
$ 4 Ubi. 2 Nr. 1 und 8 139 des Reichsſtrafgeſezbuchs anwendbar. 
$ 12. Die Beitimmungen im 8 4 Abi. 2 Nr. 1 des Strafgeiegbuchs 
für das Deutjche Neich finden auch auf die in den 88 5, 6, 7, 8 und 10 
dieſes Gefeges vorgejehenen Verbrechen Anwendung. 


$ 13. Der in dem $ 139 des Strafgejegbuchs für das Deutjche Reich 
angedrohten Strafe verfällt, wer von dem Vorhaben eines im 8 5 vorgejehenen 
Verbrechens oder von einer im 56 vorgejehenen Verabredung oder von dem 
Tatbejtande eines im 57 des gegenwärtigen Gejeges unter Strafe gejtellten 
Verbrechens in glaubhafter Weije Kenntnis erhält und es unterläßt, der durd) das 
Verbrechen bedrohten Perſon oder der Behörde rechtzeitig Anzeige zu machen. 


38. Gejeb gegen den Berrat militärischer Geheimmiife. 


Vom 3. Juli 189. 


(R.G.Bl. ©. 205.) 
Strafbeitimmungen. 


8 1. Wer vorfäglih Schriften, Zeichnungen oder andere Gegenftände, 
deren Geheimhaltung im Intereffe der Landesverteidigung erforderlich ift, in 
den Beſitz oder zur Kenntnis eines anderen „gelangen läßt, wird, wenn er 
weiß, dat dadurch die Sicherheit des Deutfchen Reichs gefährdet wird, mit 


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a A U a rin a m 


Gebrauch von Sprengitoffen. — Verrat militärischer Geheimnifie. 613 


Zuchthaus nicht unter zwei Jahren bejtraft, neben welchem auf Gelditrafe bis 
zu fünfzehntaufend Mark erfannt werden fann. 

Sind mildernde Umftände vorhanden, jo tritt Feſtungshaft nicht unter 
ſechs Monaten ein, neben welcher auf Gelditrafe bis zu zehntaufend Mark 
erfannt werden fann. 

8 2. Mer außer dem Falle des $ 1 vorjäglich und rechtswidrig 
Gegenſtände der dafelbjt bezeichneten Art in den Beſitz oder zur Kenntnis 
eines anderen gelangen läßt, wird mit Gefängnis oder mit Feitungshaft bis 
zu fünf Jahren beitraft. 

Neben der Tzreiheitsitrafe fann auf Gelditrafe bis zu fünftaufend Mark 
erfannt werden. 

Der Verſuch iſt ftrafbar. 

8 3. Wer vorjäglich den Beſitz oder die Kenntnis von Gegenftänden 
der im & 1 bezeichneten Art im der Abficht fich ‚verfchafft, davon zu einer 
die Sicherheit des Deutjchen Reichs gefährdenden Mitteilung an andere 
Gebrauch zu machen, wird mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren bejtraft, neben 
welchem auf Gelditrafe bis zu zehntaufend Mark erfannt werden fann. 

8 4. Mer ohne die vorbezeichnete Abjicht vorfäglich und rechtswidrig 
den Befig oder die Kenntnis von Gegenftänden der im $ 1 bezeichneten Art 
jich verfchafft, wird mit Gefängnis bis zu drei Jahren oder mit Feſtungshaft 
von gleicher Dauer beitraft. 

Neben der FFreiheitsitrafe kann auf Gelditrafe bis zu fünftaufend Marf 
erfannt werden. 

Sind mildernde Umftände vorhanden, jo kann ausjchließlich auf die 
Selditrafe erfannt werden, 

Der Berfuch it ſtrafbar. 

8 5. Haben mehrere ein Verbrechen der in den SS 1, 3 bezeichneten 
Art verabredet, ohne daß es zur Ausführung oder zu einem jtrafbaren 
Verfuch desjelben gefommen iſt, jo tritt Gefängnis nicht unter drei Monaten ein. 

Neben der Freiheitsſtrafe fann auf Gelditrafe- bis zu fünftauſend Marf 


erfannt werden. 
Straflofigfeit. 


Straflos bleibt der an einer Verabredung der vorbezeichneten Art 
Beteiligte, wenn er von derjelben zu einer Zeit, wo die Behörde nicht jchon 
anderweit davon unterrichtet ijt, in einer Weije Anzeige macht, dab die Ver- 
hütung des Verbrechens möglich it. 


614 V. Die übrigen wichtigſten Reichsgeſetze jtrafrechtlihen Inhalts. 


NRebenftrafen. 

$ 6. Im den Fällen der S$ 1, 3, 5 fann neben Gefängnis auf Verluft 
der befleideten öffentlichen Nemter und der aus Öffentlichen Wahlen hervor: 
gegangenen Rechte, neben jeder Freiheitsſtrafe auf Zuläffigfeit von Polizei- 
auflicht erfannt werden. 

Fahrläffigkeit. 

8 7. Wer aus Fahrläſſigkeit Gegenftände der im $ 1 bezeichneten Art, 
die ihm amtlich anvertraut oder fraft jeines Amtes oder eines von amtlicher 
Seite erteilten Auftrages zugänglich find, in einer die Sicherheit des Deutjchen 
Reichs gefährdenden Weife in den Beſitz oder zur Kenntnis eines anderen 
gelangen läßt, wird mit Gefängnis oder Feſtungshaft bis zu drei Jahren oder 
mit Geldjtrafe bis zu dreitaufend Mark bejtraft. 

Neben der Freiheitsſtrafe kann auf Geldftrafe bis zu dreitaufend Mark 
erfannt werden. 

VHebertretung. 

88 Mer den von der Militärbehörde erlafjenen, an Ort und Stelle 
erkennbar gemachten Anordnungen zuwider Bereftigungsanlagen, Anftalten des 
Heeres oder der Marine, SKriegsichiffe, Kriegsfahrzeuge oder militärifche 
Verſuchs- oder Uebungspläge betritt, wird mit Geldftrafe bis zu einhundert: 
fünfzig Marf oder mit Haft beitraft. 

Anzeigepfliht; Unterlaffung ftrafbar, 

$ 9 Wer von dem Vorhaben eines der in den 88 1 und 3 vorgejehenen 
Verbrechen zu einer Zeit, in welcher die Verhütung des Verbrechens möglich 
it, glaubhafte Kenntnis erhält und es unterläßt, hiervon der Behörde zur 
rechten Zeit Anzeige zu machen, iit, wenn das Verbrechen oder ein jtrafbarer 
Berfuch desjelben begangen worden ijt, mit Gefängnis zu beftrafen. 

8 4 Abi. 2 Nr. 2 des NReihöftrafgeichbuhs anwendbar. 

8 10. Die Beitimmungen im $ 4 Abſ. 2 Nr. 2 des Strafgejegbuchs 
für das Deutjche Reich finden auch auf die in den SS 1, 3, 5 dieſes Gejeges 
vorgejehenen Verbrechen und Vergehen Anwendung. 

Zuſtändigteit des Reichsgerichts. 

$ 12. Für die Unterſuchung und Entſcheidung in erſter und letzter 
Inftanz in den Fällen der in den $$ 1, 3 vorgejehenen Berbrechen it das 
Neichsgericht zuftändig. Die Milttärgerichtsbarfeit wird Hierdurch nicht berührt. 





Verrat militärifcher Geheimniſſe. — Impfgeſeh. 615 


39. Impfgeſetz. 
Bom 8. April 1874. 


(R.G. Bl. ©. 31.) f 
(Auszug.) 
Impfpflichtige. 
8 1. Der Impfung mit Schutzpocken ſoll unterzogen werden: 

1. jedes Kind vor dem Ablaufe des auf fein Geburtsjahr folgenden 
Kalenderjahres, jofern es nicht nach ärztlichem Zeugnis ($ 10) die 
natürlichen Blattern überjtanden hat; 

2. jeder Zögling einer öffentlichen Lehranstalt oder einer Privatjchule, 
mit Ausnahme der Sonntags: und Abendichulen, innerhalb des 
Jahres, in welchem der Zögling das zwölfte Lebensjahr zurüdlegt, 
jofern er nicht nach) ärztlichem Zeugnis in den letzten fünf Jahren 
die natürlichen Blattern überftanden hat oder mit Erfolg geimpft 
worden iſt. 


8 2. Ein Impfpflichtiger ($ 1), welcher nach ärztlichem Zeugnis ohne 
Gefahr für fein Leben oder für feine Gejundheit nicht geimpft werden fanı, 
ift binnen Jahresfriit nach Aufhören des dieje Gefahr begründenden Zuſtandes 
der Impfung zu unterziehen. 

Ob dieje Gefahr noch fortbefteht, hat im zweifelhaften Fällen der 
zuftändige Impfarzt ($ 6) endgültig zu entjcheiden. 


8 3 Sit eine Impfung nach dem Urteile des Arztes ($ 5) erfolglos 
geblieben, jo muß fie jpätejtens im nächſten Jahre und, falls jie aud) dann 
erfolglos bleibt, im dritten Jahre wiederholt werden. 

Die zuitändige Behörde fann anordnen, daß die legte Wiederholung der 
Smpfung durch den Impfarzt ($ 6) vorgenommen werde. 


8 4 Sit die Impfung ohne geieglichen Grund (88 1, 2) unterblieben, 
jo ijt fie binnen einer von der zuftändigen Behörde zu ſetzenden Friſt 
nachzubolen. 


S 5. Jeder Impfling muß früheftens am jechiten, ſpäteſtens am achten 
Tage nach der Impfung dem impfenden Arzte vorgejtellt werden. 





616 V. Die übrigen wichtigſten Reichsgeſetze jtrafredhtlichen Inhalts. 


Impfbezirfe. Impfarzt. 

8 6. Im jedem Bımdesjtaate werden Impfbezirke gebildet, deren jeder 
einem Impfarzte unterjtellt wird. 

Der Impfarzt nimmt in der Zeit vom Anfang Mai bi8 Ende September 
jeden Jahres an den vorher befannt zu machenden Orten und Tagen für die 
Bewohner des Impfbezirks Impfungen unentgeltlich vor. Die Orte für die 
Vornahme der Impfungen, jowie für die Vorſiellung der Impflinge ($ 5) 
werden jo gewählt, daß fein Ort des Bezirks von dem nächjt belegenen Impf— 
orte mehr als 5 Kilometer entfernt ift. 


S 7. Für jeden Impfbezirt wird vor Beginn der Impfzeit eine Lifte 
der nach $ 1 Ziffer 1 der Impfung unterliegenden Kinder von der zuftändigen 
Behörde aufgejtellt. Ueber die auf grund des 8 1 Ziffer 2 zur Impfung 
gelangenden Kinder haben die Vorſteher der betreffenden Lehranjtalten eine 
Lite anzufertigen. 

Die Impfärzte vermerken in den Liſten, ob die Impfung mit oder ohne 
Erfolg vollzogen, oder ob und weshalb fie ganz oder vorläufig unterblieben ift. 

Nah dem Schluffe des Kalenderjahres find die Liften der Behörde 
einzureichen. 

Die Einrichtung der Liſten wird durch den Bundesrat fejtgejtellt. 


Impfbefugnis. 
8 8. Außer den Impfärzten find ausſchließlich Aerzte befugt, Impfungen 
vorzunehmen. 
Sie haben über die ausgeführten Impfungen in der im $ 7 vor- 
geichriebenen Form Lijten zu führen und diefelben am Jahresichluß der zu- 
ſtändigen Behörde vorzulegen. 


8 9. Die Landesregierungen haben nach näherer Anordnung des 
Yundesrats dafür zu jorgen, daß eine angemefiene Anzahl von Impfinftituten 
zur Beſchaffung und Erzeugung von Schugpodeniymphe eingerichtet werde. 

Die Impfinftitute geben die Schutzpockenlymphe an die öffentlichen Impf— 
ärzte unentgeltlich ab und Haben über Herkunft und Abgabe derjelben Lijten 
zu führen. 

Die öffentlichen Impfärzte jind verpflichtet, auf Verlangen Schugpoden- 
[ymphe, joweit ihr entbehrlicher Vorrat reicht, an andere Aerzte umentgeltlich 
abzugeben. 








EEE EL ——— — — — 


Impfgeſetz. 617 


Impffchein. 

8 10. Ueber jede Impfung wird nach Feſtſtellung ihrer Wirkung 
($ 5) von dem Arzte ein Impfſchein ausgeſtellt. In dem Impfſchein wird, 
unter Angabe des Vor: und Zunamens des Impflings jowie des Jahres und 
Tages feiner Geburt, bejcheinigt, entweder, 

daß durch die Impfung der gejeglichen Pflicht genügt ift, 
oder 
daß die Impfung im nächiten Jahre wiederhoft werden muß. 

In den ärztlichen Zeugniſſen, durch welche die gänzliche oder vorläufige 
Befreiung von der Impfung (88 1, 2) nachgewiejen werden foll, wird, unter 
der für den Impfſchein vorgejchriebenen Bezeichnung der Perſon, befcheinigt, 
aus welchem Grunde und auf wie lange die Impfung unterbleiben darf. 


$ 11. Der Bundesrat bejtimmt das für die vorgedachten Bejcheinigungen 
($ 10) anzumwendende Formular. 

Die erſte Ausstellung der Beicheinigungen erfolgt jtempel- und gebührenfrei. 

Nachweis der Impfung. 

8 12, Eltern, Pflegeeltern und Vormünder find gehalten, auf amtliches 
Erfordern mitteljt der vorgejchriebenen Bejcheinigungen ($ 10) den Nachweis 
zu führen, daß die Impfung ihrer Kinder und Pflegebefohlenen erfolgt oder 
aus einem gejeglichen Grunde unterblieben it. 

8 13. Die Vorjteher derjenigen Schulanjtalten, deren Zöglinge dem 
Impfzwange unterliegen ($ 1 Ziffer 2), haben bei der Aufnahme von Schülern 
durch Einfordern der vorgeichriebenen Beicheinigungen feitzujtellen, ob die 
gejegliche Impfung erfolgt iſt. 

Sie haben dafür zu jorgen, daß Zöglinge, welche während des Bejuches 
der Anjtalt nah $ 1 Ziffer 2 impfpflichtig werden, diejer Verpflichtung 
genügen. 

Sit eine Impfung ohne gejelichen Grund unterblieben, jo haben fie 
auf deren Nachholung zu dringen. 

Sie find verpflichtet, vier Wochen vor Schluß des Schuljahres der 
zujtändigen Behörde ein Verzeichnis derjenigen Schüler vorzulegen, für welche 


der Nachweis der Impfung nicht erbracht ift. 
Strafbeitimmungen. 


8 14. Eltern, Pflegeeltern und VBormünder, welche den nach $ 12 
ihnen obliegenden Nachweis zu führen unterlajjen, werden mit einer Geldjtrafe 
bis zu zwanzig Mark beitraft. 


618 V. Die übrigen widtigften Reichsgeſetze itrafrechtlihen Inhalts. 


Eltern, Pflegeeltern und Vormünder, deren Kinder und Pflegebefohlene 
ohne gejeglichen Grund und troß erfolgter amtlicher Aufforderung der Impfung 
oder der ihr folgenden Gejtellung ($ 5) entzogen geblieben find, werden mit 
Geldjtrafe bis zu fünfzig Mark oder mit Haft bis zu drei Tagen beitraft. 

8 15, Aerzte und Schulvorjteher, welche den durch $ 8 Abf. 2, 8 7 


und durch 8 13 ihnen auferlegten Verpflichtungen nicht nachfommen, werden 
nit Geldjtrafe bis zu einhundert Mark bejtraft. 


8 16. Wer unbefugterweife ($ 8) Impfungen vornimmt, wird mit 
Gelditrafe bis zu einhundertfünfzig Mark oder mit Haft bis zu vierzehn 
Tagen bejtraft. 

8 17. Wer bei der Ausführung einer Impfung fahrläffig handelt, 
wird mit Gelditrafe bis zu fünfhundert Mark oder mit Gefängnisitrafe bis 


zu drei Monaten bejtraft, jofern nicht nach dem Strafgeſetzbuch eine härtere 
Strafe eintritt. 


40. Geſetz, 
betrefjend die Bekämpfung gemeingefährlider Krankheiten. 


Bom 30. Juni 1900. 


(R.G.Bl. ©. 306.) 
Ausführungsbejtimmungen vom 6. Oktober 1900 (R.G. Bl. ©. 849 ff). 


(Auszug.) 


Anzeigepflidht. 
5 1. Jede Erkrankung und jeder Todesfall an 
Ausſatz (Lepra), Cholera (afiatifcher), Fledfieber (Fledtyphus), Gelb- 
fieber, Peft (orientalifcher Beulenpeit), Boden (Blattern), 
jowie jeder Fall, welcher den Verdacht einer diejer Krankheiten erwedt, iſt der 
für den Aufenthaltsort des Erkrankten oder den Sterbeort zuſtändigen Bolizei- 
behörde unverzüglich anzuzeigen. 
Wechielt der Erfranfte den Aufenthaltsort, jo ift dies unverzüglich bei 
der Polizeibehörde de3 bisherigen und des neuen Aufenthaltsort? zur Anzeige 
zu bringen. 





Impfgeſetz. — Gemeingefährliche Krankheiten. 619 


8 2. Zur Anzeige find verpflichtet: 
. der zugezogene Arzt, 
. der Haushaltungsvorftand, 
. jede ſonſt mit der Behandlung oder Pflege des Erfranften be- 
ſchäftigte Perſon, 
4. derjenige, in deſſen Wohnung oder Behauſung der Erkrankungs— 
oder Todesfall ſich ereignet hat, 
>. der Leichenſchauer. 
Die Verpflichtung der unter Nr. 2 bis 5 genannten Perſonen tritt nur 
dann ein, wenn ein früher genannter Verpflichteter nicht vorhanden ift. 
$ 3. Für Krankheits- und Todesfälle, welche ſich in Öffentlichen Kranken-, 
Entbindungs-, Pfleger, Gefangenen» und ähnlichen Anjtalten ereignen, iſt der 
Vorſteher der Anjtalt oder die von der zuitändigen Stelle damit beauftragte 
Perſon nusfchlieglich zur Erjtattung der Anzeige verpflichtet. 


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Auf Schiffen oder Flößen gilt al8 der zur Erjtattung der Anzeige ver- 
pflichtete Haushaltungsvorftand der Schiffer oder Floßführer oder deren Stell 
vertreter. Der Bundesrat ijt ermächtigt, Beſtimmungen darüber zu erlafjen, 
an wen bei Kranfheit3- und Todesfällen, welche auf Schiffen oder Flößen 
vorfommen, die Anzeige zu erjtatten iſt. 


8 4 Die Anzeige kann mündlich oder jchriftlich erjtattet werden. Die 
Polizeibehörden haben auf Verlangen Meldefarten für Schriftliche Anzeigen 
unentgeltlich zu verabfolgen. 


$ 5. Landesrechtliche Beitimmungen, welche eine weitergehende Anzeige- 
pflicht begründen, werden durch dieſes Geſetz nicht berührt. 

Durch Beichluß des Bundesrats können die Vorjchriften über die Anzeige: 
pflicht (SS 1 bis 4) auf andere als die im $ 1 Abf. 1 genannten übertragbaren 
Krankheiten ausgedehnt werden. 


Ermittelung der Krankheit. 

56. Die Polizeibehörde muß, jobald fie von dem Ausbruch oder dem 
Berdachte des Auftretens einer der im $ 1 Abſ. 1 genannten Krankheiten 
(gemeingefährliche Krankheiten) Kenntnis erhält, den zuftändigen beamteten 
Arzt benachrichtigen. Diejer hat alsdann umverzüglich an Ort umd Stelle 
Ermittelungen über die Art, den Stand und die Urfache der Krankheit vor- 
zunehmen und der Polizeibehörde eine Erklärung darüber abzugeben, ob der 





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620 V. Die übrigen wichtigſten Reichsgeſetze ſtrafrechtlichen Inhalts. 


Ausbruch der Krankheit feſtgeſtellt oder der Verdacht des Ausbruchs begründet 
iſt. In Notfällen kann der beamtete Arzt die Ermittelung auch vornehmen, 
ohne daß ihm eine Nachricht der Polizeibehörde zugegangen tft. 

In Ortichaften mit mehr als 10000 Einwohner iſt nach den Be: 
ſtimmungen des Ab). 1 aud dann zu verfahren, wenn Grfranfungs- oder 
Todesfälle in einem räumlich abgegrenzten Teile der Ortjchaft, welcher von 
der Krankheit bis dahin verjchont geblieben war, vorfommen. 

Die höhere Berwaltungsbehörde kann Ermittelungen über jeden einzelnen 
Krankheits- oder Todesfall anordnen. Sulange eine jolche Anordnung nicht 
getroffen iſt, find nach der eriten ‚Feititellung der Krankheit von dem beamteten 
Arzte Ermittelingen nur im Einverjtändnifie mit der unteren Verwaltungs: 
behörde und nur injoweit vorzunehmen, als dies erforderlich ift, um die Aus- 
breitung der Krankheit örtlich oder zeitlich zu verfolgen. 


8 7. Dem beamteten Arzt ift, joweit er es zur Feitjtellung der Krank— 
heit für erforderlich; und ohne Schädigung des Kranken für zuläffig hält, der 
Zutritt zu dem Kranken oder zur Leiche und die Vornahme der zu den 
Ermittelungen über die Krankheit erforderlichen Unterjuchungen zu gejtatten. 
Auch kann bei Cholera-, Gelbfieber- und Peſtverdacht eine Deffuung der 
Leiche polizeilic) angeordnet werden, injoweit der beamtete Arzt dies zur 
Feſtſtellung der Krankheit für erforderlich hält. 

Der behandelnde Arzt ift berechtigt, den Unterjuchungen, insbejondere 
auch der Leichenöffnung beizumohnen. 

Die in $$ 2 und 3 aufgeführten Perjonen find verpflichtet, über alle 
für die Entitehung und den Verlauf der Krankheit wichtigen Umftände dem 
beamteten Arzte und der zuftändigen Behörde auf Befragen Auskunft zu erteilen. 


ss. It nad dem Gutachten des beamteten Arztes der Ausbruch der 
Krankheit feitgejtellt oder der Verdacht des Ausbruchs begründet, jo hat Die 
Polizeibehörde unverzüglich die erforderlichen Schugmaßregeln zu treffen. 


$ 9. Ber Gefahr im Berzuge kann der beamtete Arzt jchon vor dem 
Einjchreiten der Polizeibehörde die zur Verhütung der Verbreitung der Kran: 
heit zunächjt erforderlichen Mafregeln anordnen. Der Voriteher der Ortſchaft 
hat den von dem beamteten Arzte getroffenen Anordnungen Folge zu leiften. 
Bon den Anordnungen hat der beamtete Arzt der Volizeibehörde ſofort jchrift- 
liche Mitteilung zu machen; fie bleiben jo lange in Kraft, bis von der zu: 
ſtändigen Behörde anderweite Verfügung getroffen wird. 


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Gemeingefährliche Krankheiten. 621 


$ 10. Für Ortichaften und Bezirfe, welche von einer gemeingefährlichen 
Krankheit befallen oder bedroht find, fan durch die zujtändige Behörde an- 
geordnet werden, daß jede Leiche vor der Bejtattung einer amtlichen Be- 
fihtigung (Leichenfchau) zu unterwerfen ift. 


Sıchubmaßregeln. 

8 11. Zur Berhütung der Verbreitung der gemeingefährlichen Krank— 
heiten können für die Dauer der Krankheitsgefahr Abjperrungs- und Auffichts: 
maßregeln nach Maßgabe der 88 12 bis 21 polizeilich angeordnet werden. 

Die Anfechtung der Anordnungen hat feine aufjchiebende Wirkung. 


$ 12. Kranke und franfheit3: oder anftedungsverdächtige Perjonen 
fönnen einer Beobachtung unterworfen werden. Eine Beſchränkung in der 
Wahl des Aufenthalts oder der Arbeitsjtätte iſt zu dieſem Zwecke nur bei 
Perſonen zuläjfig, welche obdachlos oder ohne feſten Wohnfig jind oder berufs- 
oder gewohnheitsmäßig umberziehen. 


8 13. Die höhere Verwaltungsbehörde kann für den Umfang ihres 
Bezirkes oder für Teile desjelben anordnen, daß zureifende Perſonen, ſofern 
jie fic) innerhalb einer zu beftimmenden Frift vor ihrer Ankunft in Ortichaften 
oder Bezirken aufgehalten haben, in welchen eine gemeingefährliche Krankheit 
ausgebrochen ift, nach ihrer Ankunft der Ortspolizeibehörde zu melden find. 


s 14 Für franfe und krankheits- oder anjtekungsverdächtige Perjonen 
fann eine Abjonderung angeordnet werden. 

Die Abjonderung franfer Perjonen hat derart zu erfolgen, daß der 
Kranke mit anderen als den zu feiner Pflege bejtimmten Perſonen, dem Arzte 
oder dem Seeljorger nicht im Berührung fommt und eine Verbreitung der 
Krankheit tunlichit ausgeichloffen tit. Angehörigen und Urkundsperſonen  ift, 
inſoweit e8 zur Erledigung wichtiger und dringender Angelegenheiten geboten 
it, der Zutritt zu dem Kranken unter Beobachtung der erforderlichen Maß: 
regeln gegen eine Weiterverbreitung der Krankheit geitattet. Werden auf 
Erfordern der Polizeibehörde in der Behaufung des Kranken die nach dem 
Gutachten des beamteten Arztes zum Zwede der Abjonderung notwendigen 
Einrichtungen nicht getroffen, jo kann, falls der beamtete Arzt es für une 
erläßlih und der behandelnde Arzt es ohne Schädigung des Kranken für 
zuläffig erklärt, die Ueberführung des Kranken in ein geeignetes Krankenhaus 
oder in einen anderen geeigneten Unterfunftsraum angeordnet werden. 


622 V. Die übrigen wichtigſten Reichsgeſetze itrafrechtlihen Inhalts. 


Auf die Abjonderung franfheits- oder anftetungsverdächtiger Perſonen 
finden die Beitimmungen des Abf. 2 finngemäße Anwendung. Jedoch dürfen 
franfheits- oder anjtedungsverdächtige Berjonen nicht in demjelben Raume mit 
franfen Perſonen untergebracht werden. Anſteckungsverdächtige Perſonen 
dürfen in demjelben Raume mit franfheitsverdächtigen Perſonen nur unter: 
gebracht werden, foweit der beamtete Arzt e8 für zuläffig hält. 

Wohnungen oder Häufer, in welchen erkrankte Perjonen jich befinden, 
fönnen fenntlich gemacht werden. 

Für das berufsmäßige Pflegeperfonal können Verkehrsbejchränfungen 
angeordnet werden. 


$ 15. Die Landesbehörden find befugt, für Ortfchaften und Bezirke, 
welche von einer gemeingefährlichen Krankheit befallen oder bedroht find, 

1. Hinfichtlicy der gewerbsmäkigen Herftellung, Behandlung und Auf- 
bewahrung ſowie Hinfichtlih des Vertriebs von Gegenftänden, 
welche geeignet find, die Krankheit zu verbreiten, eine gejundheits- 
polizeiliche Ueberwahung und die zur Verhütung der Verbreitung 

“der Krankheit erforderlichen Maßregeln anzuordnen; die Ausfuhr 
von Gegenftänden der bezeichneten Art darf aber nur für Ort— 
Ichaften verboten werden, in denen Cholera, Fleckfieber, Peſt oder 
Boden ausgebrochen find, 

2. Gegenftände der in Nr. 1 [bezeichneten Art vom Gewerbebetrieb 
im Umberziehen auszuschließen, 

3. die Abhaltung von Märkten, Mefjen und anderen Veranftaltungen, 
welche eine Anfammlung größerer Menſchenmengen mit jich bringen, 
zu verbieten oder zu bejchränfen, 

4. die in der Schiffahrt, der Flößerei oder fonftigen Transport- 
betrieben bejchäftigten Berjonen einer gejundheitspolizeilichen Ueber: 
wachung zu unterwerfen und franfe, krankheits- oder anftedungs- 
verdächtige Berjonen jowie Gegenftände, von denen anzunehmen 
iit, daß fie mit dem Krankheitsſtoffe behaftet find, von der Be— 
förderung auszufchliegen, 

5. den Schiffahrts- und Flößereiverkehr auf bejtimmte Tageszeiten 
zu befchränfen. 


8 16. Jugendliche Perjonen aus Behaufungen, in denen Erfranfungen 
vorgefommen find, können zeitweilig vom Schul» und Unterrichtbejuche fern- 








Geweingefährliche Krankheiten. 623 


gehalten werden. Hinfichtlich der jonjtigen für die Schulen anzuordnenden 
Schutzmaßregeln bewendet es bei den landesrechtlichen Bejtimmungen. 


$ 17. Im Ortjchaften, welche von Cholera, Fledfieber, Peſt oder Boden 
befallen oder bedroht find, jowie in deren Umgegend kann die Benugung von 
Brunnen, Teichen, Seen, Waſſerläufen, Wafjerleitungen ſowie der dem öffent: 
lichen Gebrauche dienenden Bader, Schwimm-, Waſch- und Bedürfnisanitalten 
verboten oder bejchränft werden. 


$ 18. Die gänzliche oder teilweife Räumung von Wohnungen und 
Gebäuden, in denen Erkrankungen vorgefommen jind, fann, infoweit der be: 
amtete Arzt es zur wirkffamen Bekämpfung der Krankheit für unerläßlich er- 
klärt, angeordnet werden. Den betroffenen Bewohnern iſt anderweit geeignete 
Unterkunft unentgeltlich zu bieten. 


$ 19. Für Gegenstände und Räume, von denen anzunehmen ift, daß 
fie mit dem Krankheitsſtoffe behaftet jind, fann eine Desinfektion angeordnet 
werden, 

Für Neifegepäd und Handelswaren ift bei Ausſatz, Cholera und Gelb- 
fieber die Anordnung der Desinfektion nur dann zuläffig, wenn die Annahme, 
dab die Gegenjtände mit dem Krankheitsſtoffe behaftet find, durch bejondere 
Umftände begründet iſt. 

Iſt die Desinfektion nicht ausführbar oder im Verhältniffe zum Werte 
der Gegenstände zu Eojtfpielig, jo fann die Vernichtung angeordnet werden. 


z 20. Zum Schuge gegen Peſt fünnen Maßregeln zur Vertilgung und 
Fernhaltung von Ratten, Mäufen und anderem Ungeziefer angeordnet werden. 


8 21. Für die Aufbewahrung, Einjargung, Beförderung und Bejtattung 
der Leichen von Perſonen, welche an einer gemeingefährlichen Krankheit ge- 
jtorben find, fönnen befondere Borfichtsmaßregeln angeordnet werden. 


$ 22. Die Beltimmungen über die Ausführung der in den 88 12 bis 
21 vorgejehenen Schugmaßregeln, insbefondere der Desinfektion, werden vom 
Bımdesrat erlafjen. 


$ 23. Die zuftändige Landesbehörde kann die Gemeinden oder Die 
weiteren Rommunalverbände dazu anhalten, diejenigen Einrichtungen, welche 
zur Befämpfung der gemeingefährlichen Stranfheiten notwendig find, zu treffen. 
Degen Aufbringung der erforderlichen Kojten findet die Bejtimmung des $ 37 
Abi. 2 Anwendung. 


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524 V. Die übrigen wichtigiten Reichsgeſetze ſtrafrechtlichen Inhalts. 





s 24. Zur Verhütung der Einfchleppung der gemeingefährlichen Krank— 
heiten aus dem Auslande kann der Einlaß der Seejchiffe von der Erfüllung 
gejundheitspolizeilicher Vorjchriften abhängig gemacht ſowie 

1. der Einlaß anderer dem Perſonen- oder Frachtverkehre dienenden 
Fahrzeuge, | 
2. die Ein- und Durchfuhr von Waren und Gebrauchögegenjtänden, 
3. der Eintritt und die Beförderung von Perjonen, welche aus dem 
von der Krankheit befallenen Lande kommen, 
verboten oder bejchränft werden. 

Der Bundesrat ift ermächtigt, Vorfchriften über die hiernach zu treffen- 
den Mafregeln zu beichließen. Soweit ſich diefe Vorjchriften auf die geſundheits— 
polizeiliche Ueberwachung der Seejchiffe beziehen, fünnen jie auf den Sciffs- 
verfehr zwiſchen deutfchen Häfen erftredt werden. 


$s 25. Wenn eine gemeingefährlihe Krankheit im Ausland oder im 
Ktüftengebiete des Reichs ausgebrochen iſt, jo beitimmt der NReichsfanzler oder 
für das Gebiet des zunächſt bedrohten Bundesftaats im Einvernehmen mit 
dem Reichskanzler die Landesregierung, warn und in welchem Umfange Die 
gemäß $ 24 Abi. 2 erlaffenen Vorſchriften in Vollzug zu jegen find. 


$ 26. Der Bundesrat ift ermächtigt, Vorjchriften über die Ausftellung 
von Gefundheitspäjien für die aus deutjchen Häfen ausgehenden Seeſchiffe 
zu beſchließen. 

$ 27. Der Bundesrat iſt ermächtigt, über die bei der Ausführung 
wifjenjchaftlicher Arbeiten mit Kranfheitserregern zu beobachtenden Vorſichts— 


maßregeln fowie über den Berfehr mit Stranfheitserregern und deren Auf- 
bewahrung Vorjchriften zu erlajjen. 


Strafvorſchriften. 
s 44. Mit Gefängnis bis zu drei Jahren wird beſtraft: 

1. wer wifjentlich bewegliche Gegenstände, für welche eine Desinfeftion 
polizeilich angeordnet war, vor Ausführung der angeordneten Des- 
infeftion in Gebrauch nimmt, an andere überläßt oder fonft in 
Verfehr bringt; 

2. wer wijfentlich Kleidungsſtücke, Leibwäſche, Bettzeug oder jonftige 
bewegliche Gegenjtände, welche von Perſonen, die an einer gemein- 
gefährlichen Krankheit litten, während der Erfranfung gebraucht 





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Gemeingefährliche Krankheiten. 625 


oder bei deren Behandlung oder Pflege benukt worden find, in 
Gebrauch nimmt, an andere überläßt oder ſonſt in Verfehr bringt, 
bevor fie den auf grund des $ 22 vom Bundesrate befchlofjenen 
Beitimmungen entjprechend desinfiziert worden find; 

3. wer wifjentlich Fahrzeuge oder fonjtige Gerätjchaften, welche zur 
Beförderung von Stranfen oder Berjtorbenen der in Nr. 2 be- 
zeichneten Art gedient haben, vor Ausführung der polizeilich. ans 
geordneten Desinfektion benutzt oder anderen zur Benugung 
überläßt. 

Sind mildernde Umjtände vorhanden, jo fann auf Gelditrafe bis zu 
eintaujendfünfhundert Mark erfannt werden. 


$ 45. Mit Gelditrafe von zehn bis einhundertfünfzig Mark oder mit 
Haft nicht unter einer Woche wird beitraft: 

1. wer die ihm nach den 88 2, 3 oder nad) den auf grund des $ 5 
vom Bundesrate bejchlofjenen Borjchriften obliegende Anzeige unter: 
läßt oder länger als vierundzwanzig Stunden, nachdem er von 
der anzuzeigenden Tatjache Kenntnis erhalten hat, verzögert. Die 
Strafverfolgung tritt nicht ein, wenn die Anzeige, obwohl nicht 
von dem zunächſt VBerpflichteten, doch rechtzeitig gemacht worden tit; 

2. wer im alle des $ 7 dem beamteten Arzte den Zutritt zu dem 
Kranken oder zur Leiche oder die Vornahme der erforderlichen 
Unterfuchungen verweigert; 

3. wer den Bejtimmungen im $ 7 Ab}. 3 zuwider über die dajelbit 
bezeichneten Umſtände dem beamteten Arzte oder der zuftändigen 
Behörde die Auskunft verweigert oder wifjentlich unrichtige An— 
gaben macht; 

4. wer den auf grund des $ 13 erlafjenen Anordnungen zumwiderhandelt. 


8 46. Mit Geldftrafe bis zu einhundertfünizig Mark oder mit Haft 
wird, fofern nicht nach den bejtehenden gejeglichen Beitimmungen eine höhere 
Strafe verwirkt iſt, bejtraft: 

1. wer den im alle des $ 9 von dem beamteten Arzte oder dem 
Vorſteher der Ortſchaft getroffenen vorläufigen Anordnungen 
oder den auf grund des $ 10 von der zujtändigen Behörde ers 
(afjenen Anordnungen zuwiderhandelt; 

40 





626 V. Die übrigen wichtigſten Reichsgeſetze itrafrechtlihen Inhalte. 


2. wer den auf grund des 8 12, des $ 14 Ab. 5, der 88 15, 17, 
19 bis 22 getroffenen polizeilichen Anordnungen zumwiderhandelt ; 

3. wer den auf grund der 88 24, 26, 27 erlafjenen Vorjchriften 
zumwiderhandelt. 


5chlußbeſtimmungen. 
$ 48. Landesrechtliche Vorſchriften über die Bekämpfung anderer als 
der im 81 Ab. 1 genannten übertragbaren Krankheiten werden durch dieſes 
Geſetz nicht berührt. 


Al. Geſetz, 
betreffend die Schlachtvieh- und Fleiſchbeſchau. 
Bom 3. Juni 1900. 
(R.G. Bl. ©. 547.) 
Amtliche Unterfuhung. 

8 1. Rindvieh, Schweine, Schafe, Ziegen, Pferde und Hunde, deren 
Fleiſch zum Genufje für Menjchen verwendet werden joll, unterliegen vor und 
nah der Schlachtung einer amtlichen ;Unterfuhung. Durch Beichluß des 
Bundesrat fann die Unterfuchungspflicht auf anderes Schladhtvieh ausgedehnt 
werben. 

Bei Notfchlachtungen darf die Unterfuchung vor der Schlachtung unterbleiben. 

Ter Fall der Notichlachtung liegt dann vor, wenn zu befürchten ſteht, 
dat das Tier bis zur Ankunft des zuftändigen Beſchauers verenden oder das 
Fleiſch durch Verichlimmerung des krankhaften Zuftandes wejentlih an Wert 
verlieren werde oder wenn das Tier infolge eines Unglücksfalls fofort ge- 
tötet werden muß. 


$ 2. Ber Schlachttieren, deren Fleiſch ausjchlieglich im eigenen Haus— 
halte des Befigers verwendet werden joll, darf, fofern fie feine Merkmale 
einer die Genußtauglichfeit des Fleiſches ausfchließenden Erkrankung zeigen, 
die Unterfuchung vor der Schlachtung und, jofern fich ſolche Merkmale auch 
bei der Echlachtung nicht ergeben, auch die Unterfuchung nad) der Schlachtung 
unterbleiben. 

Eine gewerbsmäßige Verwendung von Fleiſch, bei welchen auf grund des 
Abjages 1 die Unterfuchung unterbleibt, ıft verboten. 





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Gemeingefährliche Krankheiten. — Schlachtvieh- und Fleiſchbeſchau. 627 


Als eigener Haushalt im Sinne des Abſatz 1 iſt der Haushalt der 
Kaſernen, Krankenhäufer, Erziehungsanftalten, Speifeanjtalten, Gefangen- 
anftalten, Armenhäujer und ähnlicher Anftalten jowie der Haushalt der 
Sclächter, Fleiihhändler, Gaſt-, Schanf- und Speifewirte nicht anzujehen. 

8 3. Die Landesregierungen jind befugt, für Gegenden und Zeiten, 
in denen eine übertragbare Tierkrankheit herrjcht, die Unterfuchung aller der 
Seuche ausgeſetzten Schlachttiere anzuordnen. 

84 Fleiſch im Sinne diefes Geſetzes find Teile von mwarmblütigen 
Tieren, friſch oder zubereitet, ſofern fie fich zum Genufje für Menjchen eignen. 
Als Teile gelten auch die aus warmblütigen Tieren hergeftellten Fette und 
Würſte, andere Erzeugnifje nur injoweit, als der Bundesrat dies anordnet. 

Deihaubezirke, 
$S5. Zur Bornahme der Unterfuchungen find Befchaubezirfe zu bilden ; 
für jeden derjelben iſt mindeitens ein Beichauer jowie ein Stellvertreter zu 
beitellen. 

Die Bildung der Beichaubezirfe und die Beitellung der Beichauer erfolgt 
durch die Landesbehörden. Für die in den Armeefonfervenfabrifen vorzu- 
nehmenden Unterjuchungen können ſeitens der Militärverwaltung bejondere 
Beichauer beftellt werden. 

Bu Beichauern find approbierte Tierärzte oder andere Perſonen, welche 
genügende Kenntniſſe nachgewiefen haben, zu bejtellen. 

Ergebniffe der Unterſuchung. 
$ 6. Ergibt jich bei den Unterfuchungen das Vorhandenſein oder der 
Berdacht einer Krankheit, für welche die Anzeigepflicht befteht, fo ijt nach) Maß— 
gabe der hierüber geltenden VBorjchriften zu verfahren. 

8 7. Ergibt die Unterfuchung des lebenden Tieres feinen Grund zur 
Beanjtandung der Schlachtung, jo Hat der Beichauer fie unter Anordnung 
der etwa zu beobachtenden bejonderen Vorſichtsmaßregeln zu genehmigen. 

Die Schladhtung des zur Unterfuchung gejtellten- Tieres darf nicht vor 
der Erteilung der Genehmigung und nur unter Einhaltung der angeordneten 
bejonderen VBorjichtsmaßregeln jtattfinden. 

Erfolgt die Schlachtung nicht ſpäteſtens zwei Tage nach Erteilung der 
Genehmigung, jo tft ſie nur nach erneuter Unterfuchung und Genehmigung zuläfjig. 

8 8. Ergibt die Unterfuchung nad der Schlachtung, daß fein Grund 
zur Beanftandung des Fleiſches vorliegt, jo hat der Beichauer es als tauglid) 
zum Genuſſe für Menjchen zu erflären. 

40* 


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2 


628 V. Die übrigen wichtigſten Reichsgeſetze ſtrafrechtlichen Inhalts. 


Vor der Unterſuchung dürfen Teile eines geſchlachteten Tieres nicht 
beſeitigt werden. 


89. Ergibt die Unterſuchung, daß das Fleiſch zum Genuſſe für 
Menjchen untauglich it, jo hat der Beichauer es vorläufig zu bejchlagnahmen, 
den Bejiger hiervon zu benachrichtigen und der Polizeibehörde jofort Anzeige 
zu eritatten. 

Fleiſch, deſſen Untauglichfeit fich bei der Unterfuchung ergeben hat, darf 
als Nahrungs= oder Genußmittel für Menfchen nicht in Verfehr gebracht werden. 

Die Verwendung des Fleiſches zu anderen Zweden fann von der Polizei— 
behörde zugelafjen werden, joweit gejundheitliche Bedenfen nicht entgegenstehen. 
Die Polizeibehörde beitimmt, welche Sicherungsmaßregeln gegen eine Ber- 
wendung des Fleiſches zum Genufie für Menfchen zu treffen find. 

Das Fleiſch darf nicht vor der polizeilichen Zulafjung und nur unter 
Einhaltung der von der Polizeibehörde angeordneten Sicherungsmaßregeln in 
Verkehr gebracht werden. 

Das Fleiſch iſt von der Polizeibehörde in unfchädlicher Weile zu 
bejeitigen, joweit feine Verwendung zu anderen Zwecken (Abi. 3) nicht 
zugelajjen wird. 


s 10. Ergibt die Unterfuchung, daß das Fleiſch zum Genufje für 
Menfchen nur bedingt tauglich iſt, jo hat der Beichauer es vorläufig zu 
befchlagnahmen, den Beliger hiervon zu benachrichtigen und der Polizeibehörde 
jofort Anzeige zu eritatten. Die Bolizeibehörde bejtimmt, unter welchen 
Sicherungsmaßregeln das Fleisch zum Genuſſe für Menjchen brauchbar ge— 
macht werden kann. 

Fleiſch, das bei der Unterfuchung als nur bedingt tauglich erfannt 
worden ift, darf als Nahrungs- und Genußmittel für Menfchen nicht in Ver— 
fehr gebracht werden, bevor es unter den von der Bolizeibehörde angeordneten 
Sicherungsmaßregeln zum Genufje für Menjchen brauchbar gemacht worden ift. 

Inſoweit eine ſolche Brauchbarmachung unterbleibt, finden die Vorfchriften 
des $ 9 Ab). 3 bis 5 entjprechende Anwendung. 


$ 11. Der Vertrieb des zum Genufje für Menfchen brauchbar ge: 
machten Fleiſches ($ 10 Abſ. 1) darf nur unter einer dieſe Befchaffenheit 
erfennbar machenden Bezeichnung erfolgen. 

Fleiſchhändlern, Gajt:, Schanf: und Speijewirten ift der Vertrieb und 
die Verwendung ſolchen Fleiſches nur mit Genehmigung der Polizeibehörde 


Schlachtvieh⸗ und Fleiſchbeſchau. 629 


geſtattet; die Genehmigung iſt jederzeit widerruflich. An die vorbezeichneten 

Gewerbetreibenden darf derartiges Fleiſch nur abgegeben werden, ſoweit ihnen 

eine ſolche Genehmigung erteilt worden iſt. In den Geſchäftsräumen dieſer 

Perſonen muß an einer in die Augen fallenden Stelle durch deutlichen An— 

ſchlag beſonders erkennbar gemacht werden, daß Fleiſch der im Abſatz 1 be- 

zeichneten Beſchaffenheit zum Vertrieb oder zur Verwendung kommt. 
Fleiſchhändler dürfen das Fleiſch nicht in Räumen feilhalten oder ver— 
kaufen, in welchen taugliches Fleiſch ($ 8) feilgehalten oder verkauft wird. 
Einfuhr von fonferpiertem Fleiſch uſw. 
$ 12. Die Einfuhr von Fleisch in luftdicht verjchloffenen Büchſen oder 
ähnlichen Gefäßen, von Würften und jonjtigen Gemengen aus zerfleinertem 

Fleiſche in das Zollinland it verboten. 

Im übrigen gelten für die Einfuhr von Fleisch in das Bollinland bis 
zum 31. Dezember 1903 folgende Bedingungen: 

1. Friſches Fleisch darf in das Zollinland nur in ganzen Tierförpern, 
die bei Nindvich, ausschließlich der Kälber, und bei Schweinen in 
Hälften zerlegt fein fünnen, eingeführt werden. 

Mit den Tierförpern müſſen Bruſt- und Bauchjell, Zunge, 
Herz, Nieren, bei Kühen auch das Euter in natürlichem Zuſammen— 
hange verbunden fein; der Bundesrat ıft ermächtigt, dieſe Vor— 
Ichrift auf weitere Organe auszudehnen. 

. Zubereitetes Fleiſch darf nur eingeführt werden, wenn nach der 
Art jeiner Gewinnung und Zubereitung Gefahren für die menjch- 
lihe Geſundheit erfahrungsgemäß ausgejchlofjen jind oder die 
Unjchädlichfeit für die menjchliche Geſundheit in zuverläffiger Weiſe 
bei der Einfuhr ich feititellen läßt. Dieſe Feititellung gilt als 
unausführbar insbejondere bei Sendungen von Böfelfleifch, ſofern 
das Gewicht einzelner Stüde weniger als vier Kilogramm beträgt; 
auf Schinfen, Speck und Därme findet diefe Vorjchrift feine Ans 
wendung. 

leifch, welches zwar einer Behandlung zum Zwecke feiner 
Haltbarmahung unterzogen worden ift, aber die Eigenjchaften 
friſchen Fleiſches im mwejentlichen beibehalten hat, oder durch ent: 
jprechende Behandlung wieder gewinnen fann, it als zubereitetes 
Fleiſch nicht anzuſehen; Fleiſch jolcher Art unterliegt den Be— 
ſtimmungen in Ziffer 1. 


to 


630 V, Die übrigen wichtigſten Neichdgejege ſtrafrechtlichen Inhalts, 


Tür die Zeit nad) dem 31. Dezember 1903 find die Bedingungen für 
die Einfuhr von Fleisch gejeglich von neuem zu regeln. Sollte eine Neu: 
regelung bis zu dem bezeichneten Zeitpunfte nicht zujtande kommen, jo bleiben 
die im Abjat 2 feitgefegten Einfuhrbedingungen bis auf weitere® maßgebend. 

$ 13. Das in das Bollinland eingehende Fleiſch unterliegt bei der 
Einfuhr einer amtlichen Unterfuhung unter Mitwirkung der Zollbehörden. 
Ausgenommen hiervon ift das nachweislich im Inlande bereits vorjchrifts- 
mäßig unterfuchte und das zur unmittelbaren Durchfuhr beitimmte Fleiſch. 

Die Einfuhr von Fleisch darf nur über bejtimmte Zollämter erfolgen. 
Der Bundesrat bezeichnet diefe Aemter jowie diejenigen Zoll- und Steuer: 
jtellen, bei welchen die Unterſuchung des Fleiſches ftattfinden fann. 

8 14. Auf Wildpret und Federvieh, ferner auf das zum Neifeverbrauche 
mitgeführte ‚Fleijch finden die Beitimmungen der SS 12 und 13 nur infoweit 
Anwendung, als der Bundesrat dies anordnet. 

Für das im fleinen Örenzverfehre fowie im Meß- und Marktverfehre 
des Grenzbezirfes eingehende Fleiſch können durch Anordnung der Landes: 
regierungen Ausnahmen von den Beitimmungen der 88 12 und 13 zugelafjen 
werden. 

$ 15. Der Bundesrat iſt ermächtigt, weitergehende Einfuhrverbote und 
Einfuhrbefchränfungen, als in den 88 12 und 13 vorgejchen find, zu beichließen. 

$ 16. Die Borfchriften des S 8 Ab. 1 und der SS 9.bis 11 gelten 
auch für das in das Zollinland eingehende Fleiih. An Stelle der un: 
Ihädlichen Beſeitigung des Fleiſches oder an Stelle der polizeilicherjeits an- 
zuordnenden Sicherungsmaßregeln fann jedoch, infoweit gejundheitliche Bedenten 
nicht entgegenstehen, die Wiederausfuhr des Fleiſches unter entjprechenden 
Borfihtsmaßnahmen zugelaſſen werden. 

8 17. Fleiſch, welches zwar nicht für dem menschlichen Genuß beftimmt 
it, aber dazu verwendet werden fanır, darf zur Einfuhr ohne Unterfuchung 
zugelafjen werden, nachdem es zum Genuſſe für Menjchen unbrauchbar 
gemacht ift. 

Fleifh von Pferden uſw. 

8 18. Bei Pferden muß die Unterfuchhung ($ 1) durch approbierte 
Tierärzte vorgenommen werden. 

Der Bertrieb von Pferdefleiich ſowie die Einfuhr folchen Fleiſches in 
das Bollinland darf nur unter einer Bezeichnung erfolgen, welche in deutscher 
Sprache das Fleisch ala Pferdefleiſch erfennbar madıt. | 


Scylachtvieh- und Fleiſchbeſchau. 631 


Fleiſchhändlern, Gaſt-, Schanf- und Speijewirten ijt der Vertrieb und 
die Verwendung don Pferdefleifch nur mit Genehmigung der Polizeibehörde 
geftattet; die Genehmigung ift jederzeit widerruflih. An die vorbezeichneten 
Sewerbetreibenden darf Pferbefleifch nur abgegeben werden, foweit ihnen eine 
ſolche Genehmigung erteilt worden it. In den Gejchäftsräumen dieſer 
Perfonen muß an einer in die Augen fallenden Stelle durch deutlichen An— 
Ichlag befonders erkennbar gemacht werden, daß Pferdefleijch zum Vertrieb 
oder zur Verwendung fommt. 

Fleiſchhändler dürfen Pferdefleifch nicht in Räumen feilhalten oder ver: 
faufen, in welchen Fleiſch von anderen Tieren feilgehalten oder verfauft wird. 

Der Bundesrat ift ermächtigt, anzuordnen, daß die vorjtehenden Vor— 
ihriften auf Ejel, Mauleſel, Hunde und ſonſtige, jeltener zur Schlachtung 
gelangende Tiere entjprechende Anwendung finden. 

Kennzeichnung unterfuhten Fleiſches. 

8 19. Der Beſchauer hat das Ergebnis der Unterſuchung an dem Fleiſche 
kenntlich zu machen. Das aus dem Ausland eingeführte Fleiſch iſt außerdem 
als ſolches kenntlich zu machen. 

Der Bundesrat beſtimmt die Art der Kennzeichnung. 

Abermalige amtliche Unterſuchung. 
$ 20. Fleiſch, welches innerhalb des Reichs der amtlichen Unterſuchung 
nach Maßgabe der SS 8 bis 16 unterlegen hat, darf einer abermaligen amt— 
lichen Unterfuchung nur zu dem Zwecke unterworfen werden, um fejtzuftellen, 
ob das ‚Fleisch inzwiichen verdorben ift oder fonft eine gefundheitsichädfiche 
Veränderung feiner Beichaffenheit erlitten hat. 

Zandesrechtliche Borfchriften, nach denen für Gemeinden mit öffentlichen 
Schlahthäufern der Vertrieb frischen Fleiſches Beichränkungen, insbefondere 
dem Beichauzwang innerhalb der Gemeinde unterworfen werden fann, bleiben 
mit der Mabgabe unberührt, da ihre Anwendbarkeit nicht von der Herkunft 
des Fleiſches abhängig gemacht werden darf. 

$ 21. Bei der gewerbsmäßigen Zubereitung von Fleiſch dürfen Stoffe 
oder Arten des Verfahrens, welche der Ware eine gejundheitsjchädliche Be— 
Ichaffenheit zu verleihen vermögen, nicht angewendet werden. Es iſt verboten, 
derartig zubereitetes Fleiſch aus dem Ausland einzuführen, feilzuhalten, zu 
verfaufen oder jonjt in Berfehr zu bringen. 

Der Bundesrat bejtimmt die Stoffe und die Arten des Verfahrens, auf 
welche diefe Vorjchriften Anwendung finden. 


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632 V. Die übrigen wichtigſten Reichsgeſetze ſtrafrechtlichen Inhalts. 


Der Bundesrat ordnet an, inwieweit die Vorſchriften des Abſ. 1 auch 
auf beſtimmte Stofſe und Arten des Verfahrens Anwendung finden, welche 
eine geſundheitsſchädliche oder minderwertige Beſchaffenheit der Ware zu ver— | 
deden geeignet find. 

$ 22. Der Bundesrat ijt ermächtigt, | 

1. Vorjchriften über den Nachweis genügender Kenntniſſe der Fleiſch— 
bejchauer zu erlafjen, 

. Grundfäge aufzuftellen, nach welchen die Schlachtvieh- und Fleiſch— 
beſchau auszuführen und die weitere Behandlung des Schladhtviehs 
und Fleiſches im Falle der Beanftandung jtattzufinden hat, | 

3. die zur Ausführung der Bejtimmungen in dem $ 12 erforderlichen 

Anordnungen zu treffen und die Gebühren für die Unterfuchung 
des in das Zollinland eingehenden Fleiſches feſtzuſetzen. 


$ 23. Wem die Kojten der amtlichen Unterfuchung °($ 1) zur Lait 
fallen, regelt fich nach Landesrecht. Im übrigen werden die zur Ausführung 
des Gejeges erforderlichen Bejtimmungen, inſoweit nicht der Bundesrat für 
zuftändig erffärt ift oder infoweit er von einer durch 8 22 erteilten Er- 
mächtigung feinen Gebrauch macht, von den Landesregierungen erlafjen. 


$ 24. Landesrechtliche VBorjchriften über die Trichinenfhau und über 

den Vertrieb und die Verwendung von Fleisch, welches zwar zum Genuſſe 
für Menjchen tauglich, jedoch in feinem Nahrungs: und Genußwert erheblich 
herabgeſetzt ift, ferner landesrechtliche Borjchriften, welche mit Bezug auf 

1. die der Unterfuchung zu unterwerfenden Tiere, 

2. die Ausführung der Unterfuchungen durch approbierte Tierärzte, 

3. den Vertrieb beanftandeten Fleiſches oder des Fleiſches von Tieren 

der im $ 18 bezeichneten Arten 

weitergehende Verpflichtungen als diejes Geſetz begründen, find mit der Maß— 
gabe zuläfjig, daß ihre Anwendbarkeit nicht von der Herfunft des Schluchtviehs 
oder des Fleiſches abhängig gemacht werden darf. 


DD 


$ 25. Inwieweit die VBorjchriften dieſes Gejeges auf das in die Zoll— 
ausjchlüffe eingeführte Fleisch Anwendung zu finden haben, bejtimmt der 
Bundesrat. 
Sirafbeftimmungen. 
$ 26. Mit Gefängnis bis zu jechs Monaten und mit Geldjtrafe bis 
zu eintaufendfünihundert Mark oder mit einer diefer Strafen wird bejtraft: 


Schlachwieh- und Fleiſchbeſchau. 633 


1. wer wiſſentlich den Vorſchriften des $ 9 Abſ. 2, 4, des 8 10 
Abſ. 2, 3, des $ 12 Ab. 1 oder des 8 21 Abi. 1, 2 oder einem 
auf grumd de3 $ 21 Abf. 3 ergangenen Verbote zuwiderhandelt; 

2. wer wifjentlich SFleifch, das den PVorfchriften des $ 12 Abi. 1 
zuwider eingeführt oder auf grund des $ 17 zum Genufje für 
Menſchen unbrauchbar gemacht worden ijt, als Nahrungs- oder 
Genußmittel für Menfchen in Verkehr bringt; 

3. wer Sennzeichen der im $ 19 vorgejehenen Art Fäljchlich anbringt 
oder verfäljcht, oder wer wiljentlich Fleiich, an welchem die Kenn— 
zeichen fälfchlich angebracht, verfälicht oder befeitigt worden jind, 
feilhält oder verfauft. 

$ 27. Mit Geldftrafe bis zu einhundertfünfzig Marf oder mit Haft 
wird beftraft: 

1. wer eine der im $ 26 Nr. 1 und 2 bezeichneten Handlungen aus 
Fahrläſſigkeit begeht; 

2. wer eine Schlachtung vornimmt, bevor das Tier der in dieſem 
Geſetze vorgeſchriebenen oder einer auf grund des $ 1 Abſ.1 
Sap 2, des $ 3, des $ 18 Abſ. 5 oder des 8 24 angeordneten 
Unterfuchung unterworfen worden ift; 

3. wer Fleisch in Verkehr bringt, bevor es der in diefem Geſetze 
vorgejchriebenen oder einer auf grund des $ 1 Abj. 1 Satz 2, 
des 8 3, des $ 14 Abi. 1, des $ 18 Abi. 5 oder des $ 24 an- 
geordneten Unterjuchung unterworfen worden tft; 

4. wer den Vorjchriften des $ 2 Abj. 2, des $ 7 Abſ. 2, 3, des $ 8 
Abi. 2, des $ 11, des $ 12 Abi. 2, des 8 13 Ab}. 2 oder des $ 18 
Abſ. 2 bis 4, imgleichen wer den auf grund des $ 15 oder des $ 18 
Ab. 5 erlajjenen Anordnungen oder den auf grund des $ 24 er- 
gehenden landesrechtlichen VBorjchriften über den Vertrieb und die 
Verwendung von Fleiſch zuwiderhandelt. 

Ginzichung; felbftändiges Ginziehungsverfahren, 
$ 28. Im den Fällen des $ 26 Nr. 1 und 2 und des $ 27 Nr. I 
ijt neben der Strafe auf die Einziehung des TFleisches zu erfennen. In den 
Fällen des $ 26 Nr. 3 und des $ 27 Nr. 2 bis 4 kann neben der Strafe 
auf die Einziehung des Fleiſches oder des Tieres erfannt werden. Für die 
Einziehung ijt e8 ohne Bedeutung, ob der Gegenſtand dem Verurteilten gehört 
oder nid). 


— 


634 V. Die übrigen wichtigſten Reichsgeſetze ſtrafrechtlichen Juhalts. 


Iſt die Verfolgung oder Verurteilung einer beſtimmten Perſon nicht 

ausführbar, ſo kann auf die Einziehung ſelbſtändig erkannt werden. 
Nahrungsmittelgeſetz. 

8 29. Die Vorſchriften des Geſetzes, betreffend den Verkehr mit 
Nahrungsmitteln, Genußmitteln und Gebrauchsgegenjtänden, vom 14. Mai 1879 
(Reichs = Gejetbl. S. 145) bleiben unberührt. Die Vorfchriften des $ 16 des 
bezeichneten Geſetzes finden auch auf DSL gegen die Vorſchriften 
des gegenwärtigen Geſetzes Anwendung. 


42. Geſetz, Mafregeln gegen die Rinderpeit betreffend. 
Vom 7. April 1869. 
(8.6.81. ©. 105.) 
(Auszug.) 


Z 1. Wenn die Rinderpeft (Löſerdürre) in einem Bundesftaate oder in 
einem an das Gebiet des Norddeutichen Bundes angrenzenden oder mit dem— 
jelben im direften Verkehre ftehenden Lande ausbricht, jo find die zuftändigen 
Berwaltungsbehörden der betreffenden Bunbesitaaten verpflichtet und ermächtigt, 
ale Mafregeln zu ergreifen, welche geeignet jind, die Einfchleppung und 
beziehentlich die Weiterverbreitung der Seuche zu verhüten und die im Lande 
jelbft ausgebrochene Seuche zu unterdrüden. 

Zuläffige Maßregeln. 

5 2. Die Mafregeln, auf welche jich die im $ 1 ausgefprochene Ber- 
pflihtung und Ermächtigung je nach den Umständen zu erſtrecken hat, find folgende: 

1. Beichränfungen und Verbote der Einfuhr, des Transports und 

des Handels in bezug auf lebendes oder totes Nindvich, Schafe 
und Biegen, Häute, Haare und fonjtige tierische Rohſtoffe in 
frifchem oder trodenem Zuftande, Nauchfutter, Streumaterialien, 
Lumpen, gebrauchte Kleider, Gejchirre und Stallgeräte; endlich 
Einführung einer Rindvichfontrolle im Grenzbezirke; 

2. Abjperrung einzelner Gehöfte, Ortsteile, Orte, Bezirke gegen den 
Berfehr mit der Umgebung; 

3. Tötung ſelbſt gefunder Tiere und Vernichtung von giftfangenden 
Sachen, ingleichen, wenn die Desinfektion nicht al3 ausreichend 
befunden wird, von Transportmitteln, Gerätjchaiten und dergl. im 
erforderlichen Umfange; 





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Mahregeln gegen die Rinderpejt. — Vieh» Einfuhrverbote. 635 


4. Desinfizierung der Gebäude, Transportmittel und fonftigen Gegen— 
ftände, ſowie der Perfonen, welche mit jeuchefranfen oder ver— 
dächtigen Tieren in Berührung gefommen find; 

5. Enteignung des Grund und Bodens für die zum Verſcharren 
‚ getöteter Tiere und giftfangender Dinge nötigen Gruben. 


$ 7. Die näheren Beitimmungen über die Ausführung der vorstehenden 
Vorſchriften und deren Ueberwachung durch die geeigneten Organe, über Die 
Beitreitung der entitehenden Koſten und die Beitrafung der Zuwiderhandlungen 
jind von den Einzeljtaaten zu treffen. Es iſt jedoch von den deshalb erlafjenen 
Verfügungen dem Bundespräjidium Mitteilung zu machen. 


$ 8. Vom Bundespräfidium wird eine allgemeine Injtruftion erlaſſen, 
welche über die Anwendung der im $ 2 unter Nr. 1 bis 4 aufgeführten Maß— 
regeln nähere Anweifung gibt und den nach $ 7 von den Einzelitaaten zu 
treffenden Beitimmungen zur Grundlage dient. 


43. Geſttz, 
betreffend Zuwiderhandlungen gegen die zur Abwehr der 
Ninderpeit erlaflenen Bieh-Finfuhrverbote. 


"Dom 21. Mai 1878. 
(R.G.BI. ©, 95.) 
Strafbeftimmungen. Borfab. 

$1. Wer den auf grund des Gejeges vom 7. April 1869 (Bundes: 
Gejegblatt S. 105) zur Verhütung der Einfchleppung der Rinderpeſt erlafjenen 
Beichränfungen oder Verboten der Einfuhr lebender Wiederfäuer vorſätzlich 
zumwiderhandelt, wird mit Gefängnis von einem Monat bis zu zwei Jahren 
beitraft. 


Der Verſuch iſt jtrafbar. 
Erſchwerung. 
$ 2. Wird die Zuwiderhandlung in der Abſicht begangen, ſich oder 
einem anderen einen Vermögensvorteil zu verjchaffen oder einem anderen 
Schaden zuzufügen, jo tritt Zuchthausitrafe bis zu fünf Jahren oder Gefängnis 
nicht unter ſechs Monaten ein. 


636 V. Die übrigen wichtigſten Reichsgeſetze ftrafreditlihen Inhalte, 


Fahrläffigkeit. 
Ss 3 Wer den im $ 1 bezeichneten Beichränfungen oder Verboten aus 
Sahrläffigkeit zumiderhandelt, wird mit Geldjtrafe bis zu jechshundert Mark 
oder mit Gefängnis bis zu drei Monaten bejtraft. 


Beweis der Fahrläffigfeit. 

Bei Berjonen, welche nicht weiter als fünfzehn Stilometer von der 
Grenze entfernt ihren Wohnjig oder gewöhnlichen Aufenthalt haben, ingleichen 
bei Perſonen, welche mit den durch die Beichränfungen oder Verbote betroffenen 
Tieren gewerbsmäßig Handel treiben, insbefondere Fleiſchern und Viehhändlern, 
jowie den Gehülfen diejer Perjonen, ijt die Unkenntnis diefer Befchränfungen 
oder Verbote als durch Fahrläffigkeit verjchuldet anzunehmen, wenn fie nicht 
den Nachweis führen, daß jie ohne ihr Verfchulden durch befondere Umftände 
verhindert waren, von denfelben Kenntnis zu erlangen. 


Weitere Erfhwerung. 
8 4 It infolge der Zumwiderhandlung Vieh von der Seuche ergriffen 
worden, jo it 
in dem alle des $ 1 auf Gefängnis nicht unter drei Monaten, 
in dem Falle des $ 2 auf Zuchthaus bis zu zehn Jahren oder Ge- 
fängnis nicht unter einem Jahre, 
im Falle des 8 3 auf Geldjtrafe bis zu zweitaufend Mark oder auf 
Gefängnis bis zu einem Jahre 
zu erfennent. 


44. Geſttz, 
betreffend die Abwehr und Unterdrüdung der Viehſeuchen. 


Bom 23. Juni 1880. 
Faſſung gemäß Gejep vom 1. Mai 1394. 
(R.G.Bl. 1894 ©. 410.) 
(Auszug.) 
Verdächtige Tiere. 
$ 1. Das nachjtehende Geje regelt das Verfahren zur Abwehr und 
Unterdrüfung übertragbarer Seuchen der Haustiere, mit Ausnahme der 
Rinderpeft. 





Bieh-Einfuhrverbote. — Unterdrüdung von Biehfeuchen. _ 637 


Als verdächtige Tiere gelten im Sinne diefes Gefehes: 

Tiere, an welchen jich Erjcheinungen zeigen, die den Aus— 
bruch einer übertragbaren Seuche befürchten laſſen (der Seuche 
verbächtige Tiere); 

Tiere, an welchen jich jolche Erjcheinungen zwar nicht zeigen, 
rücjichtlich deren jedoch die Vermutung vorliegt, daß fie den 
Anstekungsitoff aufgenommen haben (der Anſteckung verdächtige 
Tiere). 


1. Abwehr der Einfchleppung aus dem Auslande, 
@infuhrs und Verfehröbefhränfungen. 
86. Die Einfuhr von Tieren, welche an einer übertragbaren Seuche . 
leiden, ift verboten. 


8 7. Wenn in dem Auslande eine übertragbare Seuche der Haustiere 
in einem für den inländischen Viehbeſtand bedrohlichen Umfange herricht oder 
ausbricht, jo kann 

1. die Einfuhr lebender oder toter Tiere aus dem von der Seuche 
heimgejuchten Auslande allgemein oder für bejtimmte Grenzitreden 
verboten oder ſolchen Beſchränkungen unterworfen werden, welche 
die Gefahr einer Einjchleppung ausfchliegen oder vermindern; 

2. der Berfehr mit Tieren im Grenzbezirk folchen Beitimmungen 
unterworfen werden, welche geeignet find, im (alle der Einjchleppung 
einer Weiterverbreitung der Seuche vorzubeugen. 

Die Einfuhr: und Verfehrsbefchränfungen find, joweit erforderlich, auch 
auf die Einfuhr von tierischen Rohſtoffen und von allen jolchen Gegenitänden 
auszudehnen, welche Träger des Anſteckungsſtoffes jein können, 

Bon dem Erlafje, der Aufhebung oder Veränderung einer Einfuhr» oder 
Berfehrsbefchränfung ift unverzüglich dem Reichskanzler Mitteilung zu machen. 

Die verfügten Einfuhr: oder Verfehräbejchränfungen find ohne Verzug 
öffentlich befannt zu machen. 


I. Unterdrückung der Viehſeuchen im Inlande. 


1. Allgemeine Vorſchriften. 
Anzeigepflicht. 


8 9. Der Beſitzer von Haustieren iſt verpflichtet, von dem Ausbruch 
einer der im $ 10 angeführten Seuchen unter feinem Viehſtande und von 


638 V. Die übrigen wichtigften Reichsgeſetze ftrafrechtlihen Inhalte. 


allen verdächtigen Erjcheinungen bei demfelben, welche den Ausbruch einer 
jolchen Krankheit befürchten fafjen, ſofort der Polizeibehörde Anzeige zu machen, 
auch das Tier von Drten, an welchen die Gefahr der Anſteckung fremder 
Tiere befteht, fern zu halten. 

Die gleichen Pflichten Liegen demjenigen ob, welcher in Vertretung des 
Befizers der Wirtfchaft vorfteht, ferner bezüglich der auf dem Transporte 
befindlichen Tiere dem Begleiter derjelben und bezüglich der in fremdem 
Sewahrjam befindlichen Tiere dem Befiger der betreffenden Gehöfte, Stallungen, 
Koppeln oder Weiden. 

Zur fofortigen Anzeige find auch die Tierärzte und alle Diejenigen 
Perſonen verpflichtet, welche fi) gewerbsmäßig mit der Ausübung der Tier- 
heilfunde bejchäftigen, imgleichen die Fleiſchbeſchauer, jowie diejenigen, welche 
gewerbsmähig mit der Bejeitigung, Verwertung oder Bearbeitung tierijcher 
Kadaver oder tierischer Beſtandteile fich beichäftigen, wenn fie, bevor ein 
polizeiliches Einfchreiten jtattgefunden hat, von dem Ausbruch einer der nach— 
benannten Seuchen oder von Erjcheinungen unter dem Viehſtande, welche den 
Verdacht eines Seuchenausbruchs begründen, Kenntnis erhalten. 


Anzuzeigende Seuchen. 
8 10. Die Seuchen, auf welche ſich die Anzeigepflicht (5 9) erſtreckt, 
find folgende: 
1. der Milzbrand; 
2. die Tollwut; 
3. der Rog (Wurm) der Pferde, Ejel, Maultiere und Maulefel; 
4. die Maul- und Klauenjeuche des Nindviehs, der Schafe, Ziegen 
und Schweine; 
. die Yungenjeuche des Nindviehs; 
6. die Podenjeuche der Schafe; 
7. die Bejchäljeuche der Pferde und der Bläschenausichlag der 
Pferde und des Rindviehs; 
8. die Räude der Pferde, Ejel, Maultiere, Mauleſel und der Schafe. 
Der Neichsfanzler ift befugt, die Anzeigepflicht vorübergehend auch für 
andere Seuchen einzuführen. 


en 


$s 11. Die Landesregierungen find ermächtigt, für folche Bezirke, in 
welchen ich der Milzbrand beftändig zeigt, von der Anzeigepflicht ($ 9) 
inſoweit zu entbinden, als die Seuche nur vereinzelt auftritt. In dieſem 


gi u N ie en eV DEE un u „> ren TR ein. —— 
[> 


Unterdrüdung von Viehſeuchen. 639 


alle müfjen die Schugmaßregeln nad) Maßgabe des Gejeges und der Aus» 
führungsinftruftion ($ 30) allgemein vorgejchrieben werden. 


Ermittelung der Seuchenausbrüche durch beamteten Tierarzt. 

$ 12. Die Polizeibehörde hat auf die erfolgte Anzeige ($$ 9 und 10) 
oder wenn fie auf irgend einem anderen Wege von dem Ausbruch einer 
Seuche oder dem Verdachte eines Seuchenausbruchs Kenntnis erhalten hat, 
jofort den beamteten Tierarzt behufs fachverftändiger Ermittelung bes 
Seuchenausbruchs zuzuziehen (vergl. jedoch $ 15). Der Tierarzt hat die Art, 
den Stand und die Urjachen der Krankheit zu erheben und fein Gutachten 
darüber abzugeben, ob durch den Befund der Ausbruch der Seuche fejtgeftellt 
oder der Verdacht eines Seuchenausbruchs begründet it. 

In eiligen Fällen kann derſelbe jchon vor polizeilichem Einfchreiten die 
jofortige vorläufige Einfperrung und Abjonderung der erfranften und ver: 
dächtigen Tiere, nötigenfalls auch die Bewachung derjelben anordnen. Die 
getroffenen vorläufigen Anordnungen find dem Befiger der Tiere oder deſſen 
Bertreter entweder zu Protofoll oder durch jchriftliche Verfügung zu eröffnen, 
auch ijt davon der Polizeibehörde ſofort Anzeige zu machen. 

Auf Erjuchen des Tierarztes hat der Vorjteher des Seuchenortes die 
vorläufige Bewachung der erfranften Tiere zu veranlafjen. 

Beauffihtigung von Bichmärften uſw. 

8 17. Alle Vieh: und Pferdemärkte jowie auch öffentliche Schlacht: 
häuſer jollen durch beamtete Tierärzte beauffichtigt werden. Diejelbe Mafregel 
fann auch auf die von Unternehmern behufs öffentlichen Verkaufs in öffent: 
lichen oder privaten Räumlichkeiten zufammengebrachten Viehbeſtände, auf die 
zu Buchtzweden öffentlich aufgeitellten männlichen Zuchttiere, auf öffentliche 
Tierfchauen und auf die durch obrigfeitliche Anordnung veranlaften Zuſammen— 
ziehungen von Pferde- und Viehbeitänden, ſowie auf Gaftitälle, private Schladht- 
bäujer und Ställe von Vichhändfern ausgedehnt werden. Der Tierarzt ift 
verpflichtet, alle von ihm auf dem Marfte oder unter den vorbezeichneten Pferde— 
und Viehbeſtänden beobachteten Fälle übertragbarer Seuchen oder jeuchen- 
verdächtiger Erjcheinungen jogleich zur Kenntnis der Polizeibehörde zu bringen 
und nach jofortiger Unterfuchung des Falles die Anordnung der erforderlichen 
polizeilihen Schugmaßregeln zu beantragen. 

Liegt Gefahr im Verzuge, jo ift der Tierarzt befugt, ſchon vor polizei- 
lihem Einjchreiten die Abjonderung und Bewachung der erkrankten und der 
verdächtigen Tiere anzuordnen. 


540 V. Die übrigen widtigjten Reichsgeſetze jtrafrechtlichen Inhalts. 


Schhukmahregein gegen Scuhengefahr. 
$ 18. Im Falle der Seuchengefahr und für die Dauer derfelben können, 
vorbehaltlich der in diefem Gejege rüdjichtlich einzelner "Seuchen erteilten 
bejonderen Borjchriften, je nach Lage des Falles und nach der Größe der 
Gefahr, unter Berücdjichtigung der beteiligten Verkehrsintereſſen die nach- 
folgenden Schugmaßregeln ($$ 19 bis 29) polizeilich angeordnet werden. 
Beichwerden des Beligers über Die von der Bolizeibehörde angeordneten 
Schugmaßregeln haben feine aufjchiebende Wirkung. 


$ 19. 1. Die Abfonderung, Bewachung oder polizeiliche Beobachtung 
der an der Seuche erfranften, der verdäcdhtigen und der der Seuchengefahr 
ausgejegten Tiere. | 

Der Befiger eines der Abjonderung oder polizeilichen Beobachtung unter- 
worfenen Tieres ijt verpflichtet, auf Erfordern ſolche Einrichtungen zu treffen, 
dab das Tier für die Dauer der Abfonderung oder Beobachtung die für das- 
jelbe bejtimmte Näumlichfeit (Stall, Standort, Hof» oder Weideraum ufm.) 
nicht verlaffen kann und außer aller Berührung und Gemeinschaft mit anderen 
Tieren bleibt. 


$ 20. 2. Bejchränfungen in der Art der Benugung, der Verwertung 
oder des Transportes franfer oder verdächtiger Tiere, der von denſelben 
ſtammenden Brodufte oder ſolcher Gegenstände, welche mit franfen oder ver: 
dächtigen Tieren im Berührung gefommen oder jonft geeignet find, die Seuche 
zu verjchleppen. 

Veichränfungen im Transporte der der Seuchengefahr ausgefegten und 
jolcher Tiere, welche geeignet find, die Seuche zu verjchleppen. 


z 21. 3. Verbot des gemeinfchaftlichen Weideganges von Tieren aus 
verjchtedenen Stallungen und der Benugung bejtimmter Weideflächen, ferner 
der gemeinichaftlichen Benugung von Brunnen, Tränfen und Schwemmen und 
des Verkehrs mit jeucchenfranfen oder verdächtigen Tieren auf Öffentlichen oder 
gemeinschaftlichen Straßen und Triften. 

Verbot des freien Umherlaufens der Hunde. 


s 22. 4. Die Sperre des Stalled oder jonjtigen Standortes jeuchen- 
franfer oder verbächtiger Tiere, des Gehöftes, des Ortes, der Weide, 
der Feldmark, oder eines ohne Rückſicht auf Feldmarkgrenzen bejtimmten, 
tunlichft eng zu bemejjenden Gebietes gegen den Berfehr mit Tieren und 
mit folchen Gegenfländen, welche Träger des Anſteckungsſtoffes fein fünnen. 














Unterdrüdung von Biehfeuchen. 641 


Die Sperre des Gechöftes, des Ortes, der Weide, der Feldmark oder 
des fonjtigen Sperrgebietes (Abſatz 1) darf erft dann verfügt werden, wenn 
der Ausbruch der Seuche durch das Gutachten des beamteten Tierarztes feit- 
geſtellt ift. 

Die Sperre eines Ortes, einer Feldmark oder eines jonftigen Sperr- 
gebietes (Abjag 1) ift nur dann zuläſſig, wenn die Seuche ihrer Bejchaffenheit 
nad) eine größere und allgemeinere Gefahr einschließt. Die Sperre fann 
auf einzelne Straßen oder Teile des Ortes oder der Feldmark befchräntt werden. 

Die polizeilich angeordnete Sperre eines Stalles oder jonftigen Stand- 
ortes, eines Gehöftes oder einer Weide verpflichtet den Beſitzer, Diejenigen 
Einrichtungen zu treffen, welche zur wirfjamen Durchführung der Sperre 
vorgejchrieben werden. 


$ 23. _5. Die Impfung der der Seuchengefahr ausgejegten Tiere, Die 
tierärztliche Behandlung der erfranften Tiere, jowie Beichränfungen in der 
Befugnis zur Vornahme von Heilverjuchen. 

Die Impfung oder die tierärztliche Behandlung darf nur in den Fällen 
angeordnet werden, welche in diefem Geſetze ausdrüclich bezeichnet find, und 
zwar nad) Maßgabe der dajelbit erteilten näheren Vorſchriften. 

Die polizeilich angeordnete Impfung erfolgt unter Aufficht des beamteten 
Tierarztes oder durch denjelben. 


$ 24. 6. Die Tötung der an der Seuche erfranften oder ver- 
dächtigen Tiere. 

Diejelbe darf nur in den Fällen angeordnet werden, welche in diefem 
Geſetze ausdrüdlich vorgejehen find. 

- Die Vorfchrift unverzüglicher Tötung der an einer Seuche erfranften 
oder verdächtigen Tiere findet, wo fie in diefem Geſetze enthalten ift, feine 
Anwendung auf joldhe Tiere, welche einer der Staatsaufjicht unterworfenen 
höheren LZehranjtalt übergeben find, um dort für die Zwecke derjelben ver- 
wendet zu werden. 


$ 25. Werden Tiere, welche bejtimmten Verkehrs- oder Nutzungs— 
beichränfungen oder der Abjperrung unterworfen find, in verbotswidriger Be— 
nugung oder außerhalb der ihnen angemwiejenen Näumlichfeit, oder an Orten, 
zu welchen ihr Zutritt verboten ijt, betroffen, jo fann die Polizeibehörde die 
fofortige Tötung derfelben anordnen. 
41 








— — — —— — 


642 V. Die übrigen wichtigſten Reichsgeſetze ſtrafrechtlichen Inhalts. 


$ 26. 7. Die unſchädliche Beſeitigung der Kadaver ſolcher Tiere, 
welche an der Seuche verendet, infolge der Seuche oder infolge des Verdachts 
getötet ſind, und ſolcher Teile des Kadavers kranker oder verdächtiger Tiere, 
welche zur Verſchleppung der Seuche geeignet ſind (Fleiſch, Häute, Eingeweide, 
Hörner, Klauen ujw.), endlich der Streu, des Düngers oder anderer Abfälle 
franfer oder verdächtiger Tiere. 


$ 27. 8. Die Unihädlihmahung (Desinfektion) der von den franfen 
oder verdächtigen Tieren benugten Ställe, Standorte und Eijenbahnrampen, 
jowie des von ihnen herrührenden Düngerd und die Unſchädlichmachung oder 
unjchädliche Befeitigung der mit denjelben in Berührung gefommenen Gerät- 
ichaften und ſonſtigen Gegenstände, insbejondere auch der Kleidungsſtücke folcher 
Perſonen, welche mit den franfen Tieren in Berührung gefommen find. 

Erforderlihenfall® fann auch die Desinfizterung der Perjonen, welche 
mit jeuchenfranfen oder verdächtigen Tieren in Berührung gefommen find, 
angeordnet werden. 

In Zeiten der Seuchengefahr und für die Dauer derjelben kann Die 
Reinigung der von zufammengebrachten, der Seuchengefahr ausgefegten Tieren 
benugten Wege und Standorte (Rampen, Buchten, Gaſtſtälle, Marftpläge uſw.) 
polizeilic; angeordnet werden. 





» Die Durchführung diefer Mafregeln muß nach Anordnung des beamteten 
ZTierarztes und unter polizeilicher Ueberwachung erfolgen. 


8 28. 9. Die Einitellung der Vieh- und Wferdemärkte, jowie der 
öffentlichen Tierjchauen oder der Ausjchluß einzelner Viehgattungen von der 
Benutzung der Märkte. 


$ 29. 10. Die tierärztliche Unterfuchhung der am Seuchenorte oder in 
dejjen Umgegend vorhandenen, von der Seuche gefährdeten Tiere. 


z 29a. 11. Die öffentliche Bekanntmachung des Ausbruchs und des 
Erlöjchens der Zeuche. 


2, Beiondere Vorſchriften für einzelne Seuchen. 


$ 30. Die näheren Vorjchriften über die Anwendung und Ausführung 
der zuläjligen Schugmaßregeln ($$ 19 bis 29) auf die nachbenannten und alle 
übrigen einzelnen Seuchen werden von dem Bundesrat auf dem Wege der 
Inſtruktion erlafjen. 


Unterdbrüdung von Viehſeuchen. 643 


Es jollen jedoch bei den hierunter benannten Seuchen, vorbehaltlich der 
weiter erforderlichen Schugmaßregeln, nachfolgende bejondere Borjchriften 


Platz greifen. 
Milzbrand. 


8 31. Tiere, welche am Milzbrande erkrankt oder dieſer Seuche ver— 
dächtig ſind, dürfen nicht geſchlachtet werden. 


$ 32. Die Vornahme blutiger Operationen an milzbrandkranken oder 
der Seuche verdächtigen Tieren ift nur approbierten Tierärzten geitattet. 

Eine Deffnung des Kadavers darf ohne polizeiliche Erlaubnis nur von 
approbierten Tierärzten vorgenommen werden. 


8 33. Die Kadaver gefallener oder getöteter milzbrandfranfer oder der 
Seuche verdächtiger Tiere müſſen jofort unfchädlich befeitigt werden. 

Die Abhäutung derjelben ift verboten. 

Die gleichen Borjchriften finden beim Ausbruch des Milzbrandes unter 
Wildftänden auf die Kadaver des gefallenen oder getöteten Wildes Anwendung. 


Tollwut, 
$ 34. Hunde oder fonjtige Haustiere, welche der Seuche verdächtig 
jind, müfjen von dem Befiter oder demjenigen, unter deſſen Aufjicht fie 
jtehen, jofort getötet oder bis zu polizeilihem Einfchreiten in einem ficheren 
Behältnifje eingefperrt werden. 


$ 35. Bor polizeilichem Einfchreiten dürfen bei wutfranfen oder der 
Seuche verdächtigen Tieren feinerlet Heilverfuche angeftellt werden. 


$ 36. Das Schlachten wutkranker oder der Seuche verdächtiger Tiere 
und jeder Verkauf oder Verbrauch einzelner Teile, der Milch oder jonjtiger 
Erzeugniſſe derjelben iſt verboten. 


8 37. Sit die Tollwut an einem Hunde oder an einem anderen Haus: 
tiere fejtgeitellt, jo it die jofortige Tötung des wutkranken Tieres und aller 
derjenigen Hunde und Haben anzuordnen, rücdjichtlich welcher der Verdacht 
vorliegt, daß fie von dem wutfranfen Tiere gebiffen jind. 

Liegt rücdfichtlich anderer Haustiere der gleiche Verdacht vor, jo müfjen 
diefelben jofort der polizeilichen Beobachtung unterworfen werden. 

Zeigen fih Spuren der Tollwut an —— ſo iſt die ſofortige 
Tötung auch dieſer Tiere anzuordnen. 

41* 


644 V. Die übrigen wichtigſten Reichsgeſetze ſtrafrechtlichen Inhalts, 


Ausnahmsweiſe kann die mindeſtens dreimonatliche Abſperrung eines 
der Tollwut verdächtigen Hundes geſtattet werden, ſofern dieſelbe nach dem 
Ermeſſen der Polizeibehörde mit genügender Sicherheit durchzuführen iſt, und 
der Beſitzer des Hundes die daraus und aus der polizeilichen Ueberwachung 
erwachſenden Laſten trägt. 


8 38. Iſt ein wutkranker oder der Seuche verdächtiger Hund frei 
umbergelaufen, jo muß für die Dauer der Gefahr die Feſtlegung aller in dem 
gefährdeten Bezirk vorhandenen Hunde polizeilich angeordnet werden. Der 
Feitlegung ift das Führen der mit einem ficheren Maulforbe verjehenen Hunde 
an der Leine gleich zu erachten. Wenn Hunde diefer Vorfchrift zuwider frei 
umberlaufend betroffen werden, jo fann deren jofortige Tötung polizeilich an— 
geordnet werden. 


$ 39. Die Kadaver der gefallenen oder getöteten wutfranfen oder der 
Seuche verdächtigen Tiere müſſen jofort unjchädlich befeitigt werden. 
Tas Abhäuten derjelben ift verboten. 
NRotz (Wurm) der Pferde, Eſel, Manltiere und Mauleſel. 
$ 40. Sobald der Rog (Wurm) bei Tieren fejtgeitellt ift, muB Die 
unverzägliche Tötung derjelben polizeilic) angeordnet werden. 


$ 41. Verdächtige Tiere unterliegen der Abjonderung und polizeilichen 
Beobachtung mit den nach Lage des Falles erforderlichen Verkehrs- und 
Nutungsbejchränfungen oder der Sperre (88 19 bis 22). 
$ 42. Die Tötung verdächtiger Tiere muß von der Polizeibehörde 
angeordnet werden, 
wenn von dem beamteten Tierarzte der Ausbruch der Rogfrankheit 
auf grund der vorliegenden Anzeichen für wahrjcheinlich erklärt 
wird, oder 
wenn durch anderweite, den Borjchriften dieſes Gejeges entjprechende 
Mapfregeln ein wirkſamer Schuß gegen die Verbreitung der Seuche 
nach Lage des Falles nicht erzielt werden kann, oder 
wenn der Beſitzer die Tötung beantragt und die bejchleunigte Unter— 
drüdfung der Seuche im öffentlichen Intereſſe erforderlich ift. 


$ 43. Die Kadaver gefallener oder getöteter rogfranfer Tiere müfjen 
jofort unfchädlich bejeitigt werden. 
Das Abhäuten derfelben iſt verboten. 


Unterdrüdung von Viehſeuchen. 645 


$ 44. Die Polizeibehörde hat von jedem erſten Seuchenverdacht und 
von jedem erſten Seuchenausbruch in einer Ortichaft, jowie von dem Verlaufe 
und von dem Erlöjchen der Seuche dem Generaltommando desjenigen Armee- 
forps, in deſſen Bezirf der Seuchenort liegt, ſofort ſchriftlich Mitteilung 
zu machen. Befindet ſich an dem Seuchenorte eine Garnijon, jo ijt die Mit- 
teilung dem Gouverneur, Kommandanten oder Garnijonältejten zu machen. 


Maul: und Klauenſeuche. 

8 44a. Sit der Ausbruch der Maul» und Slauenjeuche fejtgejtellt, 
jo fann das Weggeben von Milch aus einem Seuchengehöft, einer der Sperre 
unterworfenen Ortſchaft, Feldmark oder einem jonftigen Sperrgebiete ($ 22 
Abf. 1) verboten oder an die Bedingung gefmüpft werden, daß die Milch 
vorher abgefocht wird. 

Das Weggeben ungefochter Milch aus Sammelmolfereien kann in Zeiten 
der Seuchengefahr und für die Dauer derjelben verboten werden. Sit einer 
der beteiligten Viehbeſtände unter Sperre gejtellt, jo darf die Mil nur nad) 


erfolgter Abkochung weggegeben werden. 
Zungenfeude des Rindviehs. 


8 45. Die Polizeibehörde hat die Tötung der nad) dem Gutachten 
des beamteten Tierarztes an der Lungenſeuche erfranften Tiere anzuordnen 
und fann auch die Tötung verdächtiger Tiere anordnen. 

Der Landesgefeggebung bleibt die Beitimmung überlaffen, ob und unter 
welchen Bedingungen eine Schugimpfung der der Anitedung ausgeſetzten 
Nindviehbeitände polizeilich angeordnet werden darf. 

Pockenſeuche der Schafe. 

s 46. Iſt die Podenfeuche in einer Schafherde fejtgejtellt, jo muß 
die Impfung aller zur Zeit noch feuchenfreien Stüde der Herde angeordnet 
werden. 

Auf den Antrag des Bejigers der Herde oder dejjen Vertreters kann für 
die Vornahme der Impfung eine Friſt gewährt werden, wenn nach dem Gut: 
achten de3 beamteten Tierarztes die forortige Impfung nicht zwedmäßig it. 

Auch kann auf den Antrag des Befigers oder defjen Vertreters von der 
Anwendung der Impfung ganz Abjtand genommen werden, jofern Mafregeln 
getroffen jind, welche die Abjchlachtung der noch jeuchenfreien Stüde der 
Herde innerhalb 10 Tagen nad Feititellung des Seuchenausbruchs fichern. 


Ss 47. Gewinnt die Seuche eine größere Ausdehnung oder ijt nach den 
örtlichen Berhältniffen die Gefahr einer BVBerfchleppung der Seuche in bie 





646 V. Die übrigen widtigiten Reichsgeſetze Itrafrechtlihen Inhalts. 


benachbarten Schafherden nicht auszufchliegen, jo fann die Impfung der von 
der Seuche bedrohten Herden und aller in demjelben Orte befindlichen Schafe 
polizeilicd) angeordnet werden. 


$ 48. Die geimpften Schafe jind rüdfichtlich der polizeilichen Schuß- 
maßregeln den podenfranfen gleich zu behandeln. 

8 49. Außer in dem Falle polizeilicher Anordnung ($$ 46 und 47) 
darf eine Pockenimpfung der Schafe nicht vorgenommen werden. 

Belhälfeuhe der Pferde und Bläshenansfhlag der Pferde und des 

Rindvichs. 

$ 50. Pferde, welche an der Beichälfeuche, und Pferde oder Rindvieh- 
jtüde, welche an dem Bläschenausjchlag der Gejchlechtsteile leiden, dürfen von 
dem Bejiger folange nicht zur Begattung zugelaffen werden, als nicht durch 
den beamteten Tierarzt die vollitändige Heilung und Unverdächtigfeit der 
Tiere fejtgejtellt ijt. 


$ 51. Tritt die Befchälfeuche in einem Bezirk in größerer Ausdehnung 
auf, jo kann die Zulaffung der Pferde zur Begattung für die Dauer der 
Gefahr allgemein von einer vorgängigen Unterfuchung derjelben durch den 
beamteten Tierarzt abhängig gemacht werden. 

Räude der Pierde, Eſel, Maultiere, Mauleſel und der Schafe. 

8 52. Wird die Näudefranfheit bei Pferden, Ejeln, Maultieren, Maul- 
ejeln (Sarcoptes- oder dermatocoptes Näude) oder Schafen (dermatocoptes 
Räude) feitgeitellt, jo fann der Befiger, wenn er nicht die Tötung der räude- 
franfen Tiere vorzieht, angehalten werden, diefelben jofort dem Heilverfahren 
eines approbierten Tierarztes zu unterwerfen. 


111. Strafvorfchriften. 


5 65 Mit Gelditrafe von zehn bis einhundertundfünfzig Mark oder 
mit Haft nicht unter einer Woche wird, jofern nicht nach den beftchenden 
gejeglichen Beitimmungen eine höhere Strafe verwirft tft, beftraft: 
1. wer der Vorſchrift des $ 6 zumider Tiere einführt, welche an 
einer übertragbaren Seuche leiden. 
Neben der Strafe ift auf Einziehung der verbotswidrig ein: | 
geführten Tiere zu erfennen, ohne Unterjchied, ob fie dem Ber- 
urteilten gehören oder nicht; 


10 


ort 


Unterdrüdung von Viehſeuchen. 647 


. wer der Vorſchrift der SS 9 und 10 zumider die Anzeige vom 


Ausbruch der Seuche oder vom Seuchenverdacht unterläßt, oder 
länger als 24 Stunden nach erhaltener Kenntnis verzögert, oder 
es unterläßt, die verbächtigen Tiere von Orten, an welchen die 
Gefahr der Anſteckung fremder Tiere bejteht, fern zu halten; 


. wer den Vorjchriften der 88 31 big 33 zuwider an Milzbrand 


erfrantte, oder der Krankheit verdächtige Tiere jchlachtet, blutige 
Operationen an denjelben vornimmt, oder die Kadaver derjelben 
abhäutet oder vorjchriftswidrig eine Deffnung derjelben vornimmt, 
oder es unterläßt, diefelben ſofort unjchädlich zu bejeitigen; 


. wer den zum Schuge gegen die Tollwut der Haustiere in den 


88 34, 35, 36 und 39 erteilten Borjchriften zumiderhandelt; 


. wer den VBorjchriften im $ 43 zuwider die Kadaver gefallener oder 


getöteter roßfranfer Tiere abhäutet, oder nicht jofort unschädlich 
bejeitigt; 


. wer außer dem Falle polizeilicher Anordnung die Bodenimpfung 


eines Schafes vornimmt; 


. wer gegen die Vorjchrift des $ 50 Pferde, welche an der Bejchäl- 


jeuche, Pferde oder Viehftüde, welche an dem Bläschenausichlage 
der Gejchlechtsteile leiden, zur Begattung zuläßt. 


5 66. Mit Gelditrafe bis zu eimhundertundfünfzig Mark oder mit 
Haft wird, 
höhere Strafe verwirkt ijt, beftraft: 
l. 


jofern nicht nach den beftehenden gejetlichen Bejtimmungen eine 


wer dem auf grund des $ 7 diejes Gejehes angeordneten Einfuhr- 
beichränfungen zumwiderhandelt. 

Neben der Strafe iſt auf Einziehung der verbotswidrig ein— 
geführten Tiere oder Gegenstände zu erfennen, ohne Unterjchied, 
ob jie dem Verurteilten gehören oder nicht; 


. wer den auf grund des $ 8 dieſes Geſetzes polizeilich angeordneten 


Kontrollmahregeln zumviderhandelt ; 


. wer den in den Fällen des $ 12 Abi. 2 und des $ 17 Abſ. 2 von 


dem Tierarzte getroffenen vorläufigen Anordnungen zuwiderhandelt ; 


. wer den im Falle der Seuchengefahr polizeilic) angeordneten 


Schugmaßregeln (88 19 bis 28, 38, 44a, 51), jowie den auf 
grund des $ 45 Abi. 2 getroffenen polizeilichen Anordnungen 
zuwiderhandelt. 





— — DE ten —— 
U 


648 V. Die übrigen wichtigsten Neichögejepe jtrafbaren Inhalte. 


5 67. Sind in den Füllen der 88 65, 66 die Zuwiderhandlungen in 
der Abficht begangen, fich oder einem anderen einen Vermögensvorteil zu 
verschaffen oder einem anderen Schaden zuzufügen, jo tritt, jofern nicht 
nad) den bejtehenden gejeglichen Beſtimmungen eine höhere Strafe verwirft 
ift, Gelditrafe nicht unter fünfzig bis zu einhundertundfünfzig Mark oder Haft 
nicht unter drei Wochen ein. 


IV. Schlußbeſtimmungen. 
$ 68. Das Gefeh, betreffend die Bejeitigung von Anſteckungsſtoffen 
bei Viehbeförderungen auf Eijenbahnen, vom 25. Februar 1876 (Reiche: 
Geſetzbl. S. 163) wird durch das gegenwärtige Gejet nicht berührt. 


45. Geſetz, betreffend die Bekämpfung der Reblaus. 


Bom 6. Juli 1904. (R. G. Bl. ©. 261.) 
(Auszug.) 


Amtliche Beauffihtigung aller Rebpflanzungen. 

$ 1. Ale Rebpflanzungen unterliegen der amtlichen Beauffichtigung 
zum BZwede der Bekämpfung der Reblaus. Die zur Ermittelung von Ber- 
jeuchungen erforderlichen Unterjuchungen, bei denen eine entjprechende Anzahl 
von Nebjtöden entwurzelt werden darf, find im angemefjenen Zwifchenräumen 
zu wiederholen. 

Nebichulen, in welchen Reben zum Verkaufe gezogen werden, jowie 
Nebpflanzungen in Handelsgärtnereien find mindeftens einmal jährlich zu 
unterfuchen. Zu gunften fleiner Rebſchulen fünnen Ausnahmen durch die 
höheren Berwaltungsbehörden bewilligt werden. 

Einzelne Befugniffe der Behörden, 

52. Den zuftändigen Behörden liegt ob, durch geeignete Maßregeln 
der Verbreitung der Neblaus vorzubeugen und feitgejtellte Verſeuchungen 
Schleunig und gründlich auszurotten und zu unterbrüden. 

Zu diejem Zwecke fünnen fie: 

1. Neben, Rebteile und Erzeugnifje des Weinjtods, gebrauchte Neb- 
pfäyle und Nebbänder vernichten und verjeuchte oder der Ber: 
feuchung verdäcdhtige Flächen und auf jolchen verwendete Wein- 
baugerätjchaften desinfizieren laſſen; 


— —7 EN ER — —— 





Unterdrückung von Viehſeuchen. — Bekämpfung der Reblaus. 649 


2. das Entfernen von Reben, Rebteilen und Erzeugniſſen des Wein— 
ſtocks, ferner von anderen Pflanzen oder Pflanzenteilen, Rebpfählen, 
Rebbändern, Weinbaugerätſchaften, Dünger, Kompoſt, Erde oder 
einzelnen Bodenbeſtandteilen von verſeuchten oder der Verſeuchung 
verdächtigen Flächen ſowie das Betreten ſolcher Flächen verbieten 
und deren weitere Benutzung Beſchränkungen unterwerfen; 

3. den Anbau von Reben oder beſtimmten Arten von Reben oder 
die Anlage von Rebſchulen auf bejtimmten Flächen oder innerhalb 
beftimmter Grenzen verbieten oder bejchränfen; insbejondere 
die Anmeldung aller Neuanlagen bei der Polizeibehörde ans 
ordnen; 

4. den Verkehr mit Neben, Rebteilen und Erzeugnijien des Wein- 
jtods, mit gebrauchten Rebpfählen, Nebbändern oder Weinbau: 
gerätjchaften, mit Dünger, Kompoft, oder aus Nebpflanzungen 
entnommener Erde oder einzelnen Bodenbejtandteilen jowie mit 
Pflanzen, welche im Gemenge mit Neben oder in der Nähe von 
Neben gewachjen find oder mit Teilen jolcher Pflanzen — aus: 
genommen jedoc) oberirdiich abzuerntende Früchte und Samen — 
verbieten oder bejchränfen. 


Erforderlichenfalls fünnen auch andere Mafregeln angeordnet werden. 
Jedoch bedürfen Verfchröbefchränfungen, die über das Mat von Abj. 2 Nr. 4 
hinausgehen, der Genehmigung des Bundesrats. 

Berjuche zur Anzucht reblausfefter Reben dürfen nur mit Genehmigung 
und unter Aufficht der zujtändigen Behörden veranstaltet werden; Die 


Genehmigung ijt widerruflic. 
Einteilung in Weinbaubezirke. 


8 3. Die am Weinbau beteiligten Gebiete des Reichs werden in 
Weinbaubezirfe eingeteilt, deren Abgrenzung durch den Reichskanzler im Neichs- 
Sejegblatt befannt zu machen ijt. 

Als Weinbau gilt der Anbau von Neben zum Zwecke der Gewinnung 
von Wein. 

Es ijt verboten, bewurzelte Neben oder Blindreben über die Grenzen 
eines Weinbaubezirf3 zu verjenden, einzuführen oder auszuführen. Ausnahmen 
fönnen jür Blindreben und im Berfehre zwijchen benachbarten Weinbaubezirlen 
zu gunjten einer Perſon, welche in beiden Bezirken Nebpflanzungen bejitt, 
auch für Wurzelveben durch die höheren Verwaltungsbehörden zugelafjen 


650 V. Die übrigen wichtigſten Reichsgeſetze ſtrafrechtlichen Inhalts, 


werden; die Bewilligung ſonſtiger Ausnahmen bedarf der Zuſtimmung des 
Reichskanzlers. 

Die Durchſuhr von bewurzelten Reben, welche weder aus einem Wein— 
baubezirke ſtammen, noch zur Einfuhr in einen ſolchen beſtimmt ſind, unter— 
liegt dem Verbote des Abſ. 3 nicht, kann jedoch Beſchränkungen unterworfen 
werden. 


Anzeigepflicht des Grundſtücksberechtigten. 

8 4 Der zur Nutzung eines mit Neben beſtandenen Grundſtücks 
Berechtigte iſt verpflichtet, der Ortspolizeibehörde unverzüglich alle verdächtigen 
Erſcheinungen anzuzeigen, welche auf das Auftreten der Reblaus auf ſeinem 
oder einem benachbarten Grundſtück oder innerhalb des Gemeindebezirks oder 
ſelbſtändigen Gutsbezirks, welchem ſein Grundſtück angehört, ſchließen laſſen. 
Zu der Anzeige ſind auch Weinbergsaufſeher ſowie die mit dem Vollzuge 
dieſes Geſetzes betrauten Perſonen hinſichtlich der Bezirke verpflichtet, auf 
welche ſich ihre Tätigkeit erſtreckt. 

Die Anzeigepflicht entſteht nicht, wenn von anderer Seite bereits Anzeige 
erſtattet worden iſt. 


Buchführung des Handeltreibenden. 

$5. Wer mit Neben oder Rebteilen Handel treibt, iſt verpflichtet, 
Bücher zu führen, aus welchen die Herkunft, die Abgabe und der Verfand 
der Neben oder Webteile zu erjehen it, und der höheren VBerwaltungsbehörde 
auf Verlangen unter Vorlage diejer Bücher über die bezeichneten Punkte 
Auskunft zu geben. Die Bücher find bis zum Ablaufe von zehn Jahren, 
von dem Tage der darin vorgenommenen legten Eintragung an gerechnet, 
aufzubewahren. 


Strafbeftimmungen. 

s 9. Mit Gefängnis nicht unter einem Monat und mit Geldjtrafe 
bis zu .eintaufend Mark wird bejtraft, wer vorfäglich die Neblaus auf einem 
Grundſtücke verbreitet. 

Der Verſuch iſt jtrafbar. 

8 10. Mit Gefängnis bis zu einem Jahre und mit Gelditrafe bis zu 
eintaufend Markt oder mit einer diefer Strafen wird bejtraft: 


1. wer vorfäglich dem Verbote des $ 3 zumider Reben über Die 
Grenzen eines Weinbaubezirfes verjendet, einführt oder ausführt; 





Belämpfung der Reblaus 651 


2. wer vorjäglich den nach Maßgabe des 8 2 oder des $ 3 Abi. 4 
erlaffenen Anordnungen oder den zum Schuße gegen die Neblaus 
für die Ein- und Ausfuhr über die Grenzen des Reichs erlaffenen 
Borjchriften zuwiderhandelt; 

3. wer wiſſentlich unrichtige Eintragungen in die nah 8 5 zu 
führenden Bücher macht oder die nach Maßgabe des $ 5 von 
ihm geforderte Ausfunft wiſſentlich unrichtig erteilt. 

8 11. Mit Geldjtrafe bis zu dreihundert Mark oder mit Haft wird 
beitraft: 

1. wer eine der im $ 9 oder im 8 10 Nr. 1, 2 bezeichneten Hand- 

lungen fahrläjfig begeht; 
. wer außer dem Falle des $ 10 Nr. 3 den Vorjchriften über die 
nah $ 5 zu führenden Bücher zumwiderhandelt; 

3. wer die nad) Maßgabe des 8 5 von ihm geforderte Auskunft 
verweigert oder aus Fahrläſſigkeit unrichtig. erteilt. 

812. Mit Gelditrafe bis zu einhundertfünfzig Markt oder mit Haft 
wird bejtraft, wer der ihm nach 8 4 obliegenden Anzeigepflicht nicht gemügt. 

$ 13. Der Bundesrat ift ermächtigt, Grundjäge für die Ausführung 
der SS 1 bis 3 umd des 8 5 aufzuitellen. 

Erweiſt jich die Unterdrüdung der Reblaus in einer Gegend als nicht 
mehr durchführbar, jo fann durch Beſchluß des Bundesrats angeordnet werden, 
daß für die Gegend einzelne Vorjchriften diejes Gejeßes außer Anwendung 
treten. In diefem Falle hat der Bundesrat über die zum Schuge des übrigen 
Weinbaues erforderlichen befonderen Anordnungen zu beſchließen. 

s 14. Der Bollzug diejes Geſetzes liegt den Landesregierungen ob. 

Die mit dem Vollzuge betrauten Perfonen find befugt, in Erfüllung 
ihrer Aufgabe jederzeit mit ihren Gehülfen die im betracht fommenden Grunde 
jtüde zu betreten und dort die erforderlichen Arbeiten vorzunehmen. 

Die Koften der auf Anordnung der Behörden ausgeführten Vernichtung 
von Rebpflanzungen und Desinfektion des Bodens fallen der Kaffe des Bundes- 
jtaats zur Laſt, zu deſſen Gebiete die Nebpflanzung gehört. 

8 16. Diejes Gejeg tritt am 1. April 1905 an die Stelle des 
Geſetzes, betreffend die Abwehr und Unterdrüdung der Neblaus, vom 3. Juli 
1883, injoweit nicht durch Staiferliche Berordnung mit Zuftimmung des 
Bundesrat für einzelne Bejtimmungen ein früherer Zeitpunkt beftimmt wird. 


15) 





V. Die übrigen wichtigsten Neichtgefege ftrafrechtlihen Inhalte. 


jez 
or 
10 


46. Geſetz über das Poſtweſen des Deutſchen Reichs. 
| Bon 28. Oftober 1871. 
(R.W.Bl. ©. 347.) 


(Ausjug.) 


In der Faffung deö Geſetzes, betreffend einige Menderungen von Beſtimmungen über das 
Roftwefen, vom 20. Dezember 1899. (R.®.BL. ©. 715.) 


Abſchnitt I. 
Grundfähliche Rechte und Pflichten der Bor. 
8 1. Die Beförderung 
1. aller verfiegelten, zugenähten oder ſonſt verjchlofjenen Briefe, 
2. aller Zeitungen politifchen Inhalts, welche öfter als einmal 
wöchentlich erjcheinen, 

gegen Bezahlung von Orten mit einer Poſtanſtalt nach anderen Orten mit 
einer Bojtanftalt des In- oder Auslandes auf andere Weife, ald durch die 
Bot, ift verboten. Hinjichtlich der politischen Zeitungen erftredt dieſes Verbot 
jich nicht auf den zweimaligen Umkreis ihres Urjprungsortes. 

Denn Briefe und Zeitungen (Nr. 1 und 2) vom Auslande eingehen 
und nach inländiichen Orten mit einer Poſtanſtalt bejtimmt find oder durch 
das Gebiet des Deutfchen Reichs tranfitieren jollen, jo müfjen fie bei der 
nächften inländiichen Poſtanſtalt zur Weiterbeförderung eingeliefert werden. 

Unverjchlofjene Briefe, welche in verjiegelten, zugenähten oder ſonſt 
verjchlofjenen Paketen befördert werden, find den verjchlofjenen Briefen gleich 
zu achten. Es iſt jedoch gejtattet, verjiegelten, zugenähten oder ſonſt ver— 
ichlojienen Paketen, welche auf andere Weife als durch die Pojt befördert 
werben, folche unverjchlofjene Briefe, Fakturen, Preiskurante, Rechnungen 
und ähnliche Schriftjtüde beizufügen, welche den Inhalt des Pakets betreffen. 

$S 1a. Die 88 1, 27, 28, 30 bis 33 dieſes Gejetes finden auch An— 
wendung auf verichloffene und ſolchen gleichzuachtende Briefe, die innerhalb 
der Gemeindegrenzen ihres mit einer Pojtanitalt verfehenen Urjprungsorts 
verbleiben. 





Poſtweſen des Deutichen Reichs. 653 


$ 2. Die Beförderung von Briefen und politifchen Zeitungen ($ 1) 
gegen Bezahlung durch expreſſe Boten oder Fuhren ijt geitattet. Doch darf 
ein jolcher Erprefjer nur von einem Abjender abgefchidt fein, und dem Poſt— 
zwange unterliegende Gegenjtände weder von anderen mitnehmen, noch für 
andere zurüdbringen. 


$ 2a. Die Beförderung von verjchlofjenen Briefen im Urjprungsorte 
(5 la) gegen Bezahlung durch Boten, welche weder die Einfammlung von 
Briefen, Karten, Drudfachen, Zeitungen und Zujchriften oder Warenproben 
gewerbsmäßig betreiben, noch im Dienjte einer Brivatbeförderungsanitalt jtehen, 
ijt ohne die im $ 2 vorgejchriebenen Einjchränfungen geitattet. 

Privatbeförderungsanftalten dürfen in eigener Angelegenheit verjchlofjene 
Briefe auch durch ihre Bedienſteten befördern laſſen. 


5 3 Die Annahme und Beförderung von Pojtjendungen darf von 
der Poſt nicht verweigert werden, jofern die Beitimmungen diejes Gejehes 
und de3 Reglements ($ 50) beobachtet find. Auch darf feine im Gebiete des 
Deutjchen Reich erjcheinende politifche Zeitung vom Poſtdebit ausgeſchloſſen 
und ebenjowenig darf bei der Normierung der Provifion, welche für die Be— 
förderung und Debitierung der im Gebiete des Deutjchen Neichs erfcheinenden 
Zeitungen zu erheben ijt, nach verjchiedenen Grundjägen verfahren werden. 
Die Poſt bejorgt die Annahme der Pränumeration- auf die Zeitungen, jowie 
den gejamten Debit derjelben. 

Briefgcheimnis. 
$ 5. Das Briefgeheimmis iſt unverleglih. Die bei ftrafgerichtlichen 
Unterfuchungen und in Konkurs- und ziwvilprozejjualiichen Fällen notwendigen 
Ausnahmen find durch ein Reichsgeſetz feitzuftellen. Bis zu dem Erlaß eines 
Neichsgefeges werden jene Ausnahmen durch die Landesgefege beitimmt. 


Abjchnitt IL. 
Garantie, 


$ 15. In Fällen des Krieges und gemeiner Gefahr ijt die Pojtver- 
waltung befugt, durch öffentliche Bekanntmachung jede Vertretung abzulehnen 
und Briefe jowie andere Sachen nur auf Gefahr des Abjenders zur Be- 
förderung zu übernehmen. In jolchem Falle jteht jedoch dem Abjender frei, 
jih ohne Rüdficht auf die Beftimmungen des $ 1 jeder anderen Beförderungs- 
gelegenheit zu bedienen. 


654 V. Die übrigen wichtigiten Reichsgeſetze jtrafrechtlichen Inhalts. 


Abſchnitt III. 


Befondere Vorrechte der Poſten. 

$ 17. In befonderen Fällen, in denen die gewöhnlichen Poitwege gar 
nicht oder jchwer zu pafjieren find, fünnen die ordentlichen Poſten, die Ertra- 
pojten, Kuriere und Ejtafetten fich der Neben- und Feldwege, ſowie der un— 
gehegten Wiefen und Neder bedienen, unbejchadet jedoch) des Rechtes der 
Eigentümer auf Schadenerjag. 

Strafbeitimmung: verbotene Pfändung. 

$ 18. Gegen die ordentlichen Poſten, Ertrapoften, Kuriere und 
Eitafetten iſt feine Pfändung erlaubt; auch darf diejelbe gegen einen Poſtillon 
‚nicht geübt werden, welcher mit dem ledigen Geſpann zurüdfehrt. Bei Zuwider— 
handlungen ijt eine Geldjtrafe von zehn Silbergrojchen bis zu zwanzig Talern 
verwirft. 

Strafbefimmung: Pflicht zum Ausweichen. 

$ 19. Jedes Fuhrwerk muß den ordentlichen Pojten, ſowie den Extra- 
pojten, Kurieren und Gitafetten auf das übliche Signal ausweichen. Bei 
Zuwiderhandlungen it eine Geldjtrafe von zehn Silbergrofchen bis zu zehn 
Talern verwirft. 

8 21. Wenn den ordentlichen Poſten, Extrapoſten, Kurieren oder 
Eitafetten unterwegs ein Unfall begegnet, jo find die Anwohner der Straße 
verbunden, denjelben die zu ihrem Weiterfommen erforderliche Hülfe gegen 
volljtändige Entſchädigung jchleunigjt zu gewähren. 

Strafbeftiimmung: Oeffnen der Schlagbäume ufw, 

8 23. Die Torwachen, Tor, Brücken- und Barrierebeamten find ver- 
bunden, die Tore und Schlagbäume jchleunigjt zu öffnen, ſobald der Boftillon 
das übliche Signal gibt. Ebenſo müſſen auf dasjelbe die Fährleute die Ueber- 
fahrt unverzüglich bewirken. Bei Zuwiderhandlungen ift eine Geldftrafe von 
zehn Eilbergrojchen bis zu zehn Talern verwirft. 

$ 24. Auf Nequifition der Poſtbehörden Haben die Polizei und 
Steuerbeamten und deren Organe zur Verhütung und Entdeckung von Poſt— 
übertretungen mitzumirfen. 


Abſchnitt IV. 
Strafbefimmungen bei Poſt- und PBorto-Defrandationen. 


$ 27. Mit dem vierfachen Betrage des dejraudierten Portos, jedoch 
niemals unter einer Geldftraie von einem Taler, wird beitraft: 


Poſtweſen des Deutihen Reichs. 655 


1. wer Briefe oder politifche Zeitungen, den Bejtimmungen der $$ 1 
und 2 zuwider, auf andere Weife als durch die Poſt gegen Be— 
zahlung befördert oder verſchickt: erfolgt die Beförderung in ver: 
fiegelten, zugenähten oder ſonſt verfchlofjenen Paketen, jo trifit 
die Strafe den Befürderer nur dann, wenn er den verbotwidrigen 
Inhalt des Pakets zu erfennen vermochte; 

2. wer ſich zu einer portopflichtigen Sendung einer von der Ent- 
richtung des Porto befreienden Bezeichnung bedient oder eine 
jolhe Sendung in eine andere verpadt, welche bei Anwendung 
einer vorgejchriebenen Bezeichnung portofrei befördert wird; 

3. wer Pojtwertzeichen nach ihrer Entwertung zur Frankierung einer 
Sendung benußt; inwiefern in diejem Falle wegen binzugetretener 
Bertilgung des Entwertungszeichens eine härtere Strafe verwirft 
ift, wird nach den allgemeinen Strafgeſetzen beurteilt; 

4. wer Briefe oder andere Sachen zur Umgehung der PVortogefälle 
einem Boftbeamten oder Poſtillon zur Mitnahme übergibt. 

In den unter Nr. 2 und 3 bejtimmten Fällen ift die Strafe mit der 


Einlieferung der Sendung zur Poſt verwirkt. 
Rückfall. 


8 28. Im erſten Rückfalle wird die Strafe ($ 27) verdoppelt und bei 
ferneren Rückfällen auf das Vierfache erhöht. 

Im Nüdfalle befindet fich derjenige, welcher,. nachdem er wegen einer 
der im $ 27 bezeichneten Defraudationen vom Gerichte oder im Berwaltungs- 
weye (S$ 34, 35) bejtraft worden, abermals eine diejer Tefraudationen begeht. 

Die Straferhöhung wegen Rüdfalls tritt auch ein, wenn die frühere 
Strafe nur teilweife verbüßt oder ganz oder teilweije erlaſſen it, bleibt jedoch 
ausgejchloffen, wenn jeit der Verbüßung oder dem Erlafje der legten Strafe 
bis zur Begehung der neuen Defraudation drei Jahre verfloffen find. 

Defraudation des Perfonengeldes, 

s 29. Wer wifjentlich, um der Poſtkaſſe das Perfonengeld zu entziehen, 
uneingefchrieben mit der Poit reiſt, wird mit dem vierfachen Betrage Des 
defraudierten PBerjonengeldes, jedoch niemals unter einer Gelditrafe von einem 
Taler, beitraft. 


$ 30. Außer der Strafe muß in den Fällen des 8 27 das Porto, 
welches für die Beförderung der Gegenjtände der Poſt zu entrichten gewejen 


— 49—9—— nn ir 


656 V. Die übrigen widtigiten Reichsgeſetze itrafrechtlichen Inhalts, 


wäre, und in dem Falle des 8 29 das defraudierte PBerfonengeld gezahlt 
werden. Im dem Falle des $ 27 unter Nr. 1 haften der Abfender und der 
Beförderer für das Porto ſolidariſch. 
Umwandlung in Saft. 

$ 31. Die Dauer der Haft, welche an die Stelle einer nicht bei- 
zutreibenden Gelditrafe tritt, it vom Richter feitzufegen und darf jechs Wochen 
nicht überſteigen. 

$ 32. Die Rojtbehörden und Bojtbeamten, weldje eine Defraudation 
entdeden, find befugt, die dabei vorgefundenen Briefe oder anderen Sachen, 
welche Gegenjtand der Uebertretung find, in Bejchlag zu nehmen und jo lange 
ganz oder teilweije zurüdzubalten, bis entweder die defraudierten Poftgefälle, 
die Gelditrafe und die Koſten gezahlt oder durch Kaution jichergeftellt find. 

s 33. Die in den $$ 27 bis 29 bejtimmten Gelditrafen fließen zur 
Poſtarmen- oder Unterjtügungsfajie. 


47. Geſetz, 
betrefjend einige Menderungen von Beitimmungen über das 
Poſtweſen. 
Vom 20. Dezember 1899 
(R.G.Bl. ©. 715.) 
Berbot der Privatbeförderungsanftalt. 

Artifel 3. Anftalten zur gewerbsmäßigen Einfammlung, Beförderung 
oder Perteilung von unverjchloffenen Briefen, Karten, Drudjachen und 
Warenproben, die mit der Aufjchrift bejtimmter Empfänger verjehen find, 
dürfen vom 1. April 1900 ab nicht betrieben werden. 

Strafbeitimmung. 

Zumiderhandlungen werden mit Geldſtrafe bis zu eintaufendfünfhundert 
Marf oder mit Haft oder mit Gefängnis bis zu ſechs Monaten bejtraft. 

Abgeſehen von den bezeichneten Anjtalten iſt die gewerbsmäßige vder 
nicht gewerbsmäßige Beförderung von unverjchloffenen pofitiichen Zeitungen 
innerhalb der Gemeindegrenzen eines Ortes, insbefondere auch wenn jie durch 
die Poſt oder durch Expreßboten dorthin befördert wurden, jedermann gejtattet, 


auch an Sonn- umd Feiertagen während der Stunden, in denen die Katjerliche 
Poſt beſtellt. 





Schuß der umterjeeiihen Telegraphentabel. — Telegraphenweſen des Deutichen Reichs. 657 


48. Geleh 
zur Ausführung des internationalen Vertrages zum Schutze 
der unterjeeiihen Telegraphentabel vom 14. März 1884. 


Bom 21. November 1887. 
(R.G.Bl. 1888 ©. 169.) 


$ 1. Die Beitimmungen der Artifel 5 (Abſ. 2 bis 4), 6 und 7 des 
internationalen Vertrages zum Schutze der unterfeeiichen Telegraphenfabel 
vom 14. März; 1884 finden bezüglich der unterjeeiichen Telegraphenfabel der 
im Urtifel 1 des Vertrages bezeichneten Art auch innerhalb der deutjchen 


Küftengewäfler Anwendung. 
Strafbeitimmungen. 


$ 2. Zuwiderhandlungen gegen die in den Artikeln 5 (Abi. 2 bis 4) 
und 6 des internationalen Vertrages vom 14. März 1884 und im $ 1 dieſes 
Geſetzes enthaltenen Bejtimmungen werden, jofern nicht nach allgemeinen 
Strafgejegen eine höhere Strafe verwirft it, mit Gelditrafe bis zu fechshundert 
Markt oder mit Gefängnis bis zu drei Monaten beftraft. 

83. Die S$ 113, 114 des Strafgefegbuchs für das Deutſche Neich 
finden Anwendung, wenn die in denjelben vorgejehenen Handlungen gegen die 
im Artikel 10 des Vertrages bezeichneten Schiffsbefehlshaber begangen werden, 


während diejelben in Ausübung der ihnen dortjelbjt erteilten Befugniſſe 
begriffen find. 


4). Geſetz 
über das Telegraphenweien des Deutſchen Reichs. 
Vom 6. April 1892, 
R.G.Bl. ©. 467.) 
(Auszug.) 
Ausichliehlihes Recht des Deutihen Reiche. 
81. Das Recht, Telegraphenanlagen für die WBermittelung von 
Nachrichten zu errichten und zu betreiben, ſteht ausschlieglich dem Neich zu. 
Unter Telegraphenanlagen find die Fernſprechanlagen mit begriffen. 
42 


Du —— 


658 V. Die übrigen wichtigſten Reichsgeſetze ſtrafrechtlichen Inhalts. 


Ausnahmen. 
$ 2. Die Ausübung des im $ 1 bezeichneten Rechts kann für einzelne 

Streden oder Bezirfe an WPrivatunternehmer und muß an Gemeinden 

für den Berfehr innerhalb des Gemeindebezirfs verliehen werden, wenn die 

nachfuchende Gemeinde die genügende Sicherheit für einen ordnungsmäßigen 

Betrieb bietet und das Weich eine folche Anlage weder errichtet hat, noch fic 

zur Errichtung und zum Betriebe einer jolchen bereit erklärt. 

Die Verleihung erfolgt durch den Reichsfanzler oder die von ihm Hierzu 
ermächtigten Behörden. 

Die Bedingungen der Verleihung jind in der Verleihungsurfunde 
feſtzuſtellen. 

$ 3. Ohne Genehmigung des Reichs können errichtet und betrieben 
werden: 

1. ZTelegraphenanlagen, welche ausschließlich dem inneren Dienite 
von Landes- oder Kommunalbehörden, Deichforporationen, Siel: 
und Entwäfferungsverbänden gewidmet jind; 

. Zelegrapbenanlagen, welche von Zransportanjtalten auf ihren 
Linien ausschließlich zu Zwecken ihres Betriebes oder für die 
Bermittelung von Nachrichten innerhalb der bisherigen Grenzen 
benußt werden; 

3. Telegraphenanlagen 

a) innerhalb der Grenzen eines Grundjtüde, 
b) zwifchen mehreren einem Beliger gehörigen oder zu einem 
Betriebe vereinigten Grundftüden, deren Feine von dem 
anderen über 25 Slilometer in der Luftlinie entfernt ift, wenn 
diefe Anlagen ausschließlich für den der Benugung der Grund: 
jtüde entjprechenden unentgeltlichen Verkehr beitimmt find. 
$ 4 Durch die Landes-Zentralbehörde wird, vorbehaltlich” der Reiche: 
aufficht (Artikel 4 Ziffer 10 der Neichsverfafjung), die Stontrole darüber 
geführt, daß die Errichtung und der Betrieb der im $ 3 bezeichneten Telegraphen- 

anlagen fich innerhalb der gejeglichen Grenzen halten. 
Recht zur Benubung. 

$ 5. Sedermann hat gegen Zahlung der Gebühren Das Recht auf 

Beförderung von ordnungsmäßigen Telegrammen und auf Zulafjung zu 

einer ordnungsmäßigen telephonijchen Unterhaltung durch die fur den öffentlichen 

Verkehr beſtimmten Anlagen. 


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Telegraphenweſen des Deutſchen Reichs. 659 


Vorrechte bei der Benutzung der dem öffentlichen Verkehr dienenden 
Anlagen und Ausſchließungen von der Benutzung ſind nur aus Gründen des 
öffentlichen Intereſſes zuläſſig. 


86. Sind an einem Orte Telegraphenlinien für den Ortséverkehr, ſei 
e3 von der Neichstelegraphenverwaltung, jei es von der Gemeindeverwaltung 
oder don einem anderen Linternehmer, zur Benutung gegen Entgelt errichtet, 
jo fann jeder Eigentümer eines Grundjtüds gegen Erfüllung der von jenen 
zu erlaffenden und öffentlich befannt zu machenden Bedingungen den Anſchluß 
an das Lokalnetz verlangen. | 

Die Benutung ſolcher Privatitellen durch Unbefugte gegen Entgelt it 
unzuläſſig. 


8 7. Die für die Benutzung von Reichstelegraphen- und Fernſprech— 
anlagen beſtehenden Gebühren können nur auf grund eines Geſetzes erhöht 
werden. Ebenſo iſt eine Ausdehnung der gegenwärtig beſtehenden Befreiungen 
von ſolchen Gebühren nur auf grund eines Geſetzes zuläſſig. 

Telegraphengeheimnis. 

88. Das Telegraphengeheimnis iſt unverletzlich, vorbehaltlich der 
geſetzlich für ſtrafgerichtliche Unterſuchungen, im Konkurſe und in zivil— 
prozeſſualiſchen Fällen oder ſonſt durch Reichsgeſetz feſtgeſtellten Ausnahmen. 
Dasſelbe erſtreckt ſich auch darauf, ob und zwiſchen welchen Perſonen tele— 


graphiſche Mitteilungen ſtattgefunden haben. 
Strafbeſtimmungen. 


$ 9 Mit Geldſtrafe bis zu eintauſendfünfhundert Mark oder mit Haft 
oder mit Gefängnis bis zu ſechs Monaten wird bejtraft, wer vorjäglich ent- 
gegen den Beitimmungen diefes Geſetzes eine Telegraphenanlage errichtet oder 
betreibt. 


s 10. Mit Geldjtrafe bis zu einhundertundfünfzig Mark wird beitraft, 

wer den in Gemäßheit des $ 4 erlaſſenen Kontrollvorschriften zumiderhandelt. 
Bayern und Württemberg, 

$ 15. Die Beitimmungen dieſes Geſetzes gelten für Bayern und 

Württemberg mit der Maßgabe, daß für ihre Gebiete die für das Neich feit- 

geſtellten Nechte diefen Bundesstaaten zuftehen und daß die Beftimmungen 

des $7 auf den inneren Berfehr diefer Bundesstaaten feine Anwendung finden. 


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660 V. Die übrigen wichtigſten Reichsgeſetze ſtrafrechtlichen Inhalts. 





50. Bekanntmachung, 
betreffend die Betriebsordnung für die Haupteiſenbahnen 
Deutſchlands. 


Vom 5. Juli 1892, 
(R.G.Bl. ©. 691.) 


(Auszug.) 
IV. Befimmungen für das Publikum. 


Allgemeine Beitimmungen. 

8 53. Die Eijenbahnreijenden und das ſonſtige Publitum müfjen den 
allgemeinen Anordnungen nachfonmen, welche von der Bahnverwaltung behufs 
Aufrechthaltung der Ordnung innerhalb des Bahngebiets und bei der Be- 
törderung von Perſonen und Sachen getroffen werden, und haben den dienſt— 
lichen Anordnungen der in Uniform befindlichen oder mit einem Dienjtabzeichen 
oder einem fonftigen Ausweis über ihre amtliche Eigenſchaft verſehenen Bahn— 
polizeibeamten ($ 66) Folge zu leiften. 





Betreten der Bahnanlagen. 

s 54. (1) Das Betreten der Bahn einjchließlich der zugehörigen 
Böjichungen, Dämme, Gräben, Brüden und fonjtigen Anlagen ist ohne Erlaubnis- 
farte nur den Auffichtsbehörden und deren Vertretern, den ın der Ausübung 
ihres Dienjtes befindlichen Beamten der Staatsanwaltjchaften, den Forſtſchutz— 
und Polizeibeamten, den zur Wahrnehmung des Zoll, Steuer- oder Telegraphen- 
dienjtes innerhalb des Bahngebiets berufenen Beamten, fowie den zu Be— 
ſichtigungen dienjtlich entjendeten deutjchen Offizieren gejtattet; dabei iſt jedoch 
die Bewegung wie der Aufenthalt zwiichen den Schienen eines jeden Gleifes 
zu vermeiden. Die bezeichneten Perſonen, jowie die nach $ 55 zum Betreten 
der dem übrigen Publikum nicht geöffneten Stationg- und Dienfträume be— 
rechtigten Beamten haben, jofern fie nicht durch ihre Uniform fenntlich find, jich 
durch eine Beicheinigung ihrer vorgejegten Dienjtbehörde auf Erfordern auszuweisen. 
(2) Das Publifum darf die Bahn nur an den zu Uebergängen beitimmten 
Stellen überjchreiten, und zwar nur jolange, al& diefelben nicht durch; Schranfen 
geichloffen find. Die mit Drehfreugen oder anderen in gleicher Weije jichernden 
Berjchlüffen verfehenen Uebergänge ($ 4%) dürfen nur überfchritten werden, 
wenn fein Zug in Gicht üt. 





Betriebsordnung für die Haupteijenbahnen Deutſchlands. 661 
(3) In allen Fällen ift jeder unnötige Verzug zu vermeiden. . 
(4) Die Gewährung von Erlaubnisfarten zum Betreten der vorjtehend 
bezeichneten Bahnanlagen bedarf der Genehmigung der Auffichtsbehörde. 
(5) Es iſt unterfagt, die Schranken oder jonjtigen Einfriedigungen eigen- 
mächtig zu öffnen, zu überjchreiten oder zu überjteigen, oder etwas darauf zu 


fegen oder zu hängen. 
g zu häng Betreten der Stationen. 


8 55. (1) Außerhalb der bejtimmungsmäßig dem Publikum für immer 
oder zeitweije geöffneten Räume darf niemand die Station ohne Erlaubnis- 
farte betreten, mit Ausnahme der in Ausübung ihres Dienjtes befindlichen 
Chefs der Militär: und Polizeibehörde, fowie der im $ 54 gedachten und der 
Boitbeamten. 

(2) Den Offizieren und in Uniform befindlichen Beamten der deutjchen 
Feſtungsbehörden it geftattet, die Stationen jowie den Bahnkörper innerhalb 
des Feſtungsbereichs bis zur äußerjten Grenze der Tragweite der Geſchütze 
zu betreten. 

(3) Für das Anhalten von Wagen behufs Aufnahme oder Abjegung 
von PBerfonen, jowie zur Abholung oder Zufuhr von Gütern find nur die 
dafür beitimmten Stellen auf den VBorplägen der Stationen und auf den 
Plätzen an den Ladegleifen und den Güterfchuppen zu bemugen. 

(4) Die Ueberwachung der Ordnung auf diejen für die Fuhrwerle be- 
jtimmten Plätzen jteht den Bahnpolizeibeamten zu, infofern in diefer Beziehung 
nicht befondere Vorschriften ein anderes bejtimmen. 

Sinüberfhaffen von Gegenftänden über die Bahn, 
$ 56. Das Hinüberfchaffen von Pflügen und Eggen, fowie von Baumes 
jtämmen und anderen jchweren Gegenjtänden über die Bahn darf, jofern 
jolche nicht getragen werden, nur auf Magen oder untergelegten Schleifen 


erfolgen. Betreten der Bahn durch Vieh. 


8 57. (1) Für das Betreten der Bahn und der dazu gehörigen An- 
lagen durch Vieh bleibt derjenige verantwortlich, welchem die Aufjicht über 
dasjelbe obliegt. 

(2) Das Treiben von größeren Viehherden über die Bahnübergänge it 
innerhalb 10 Minuten vor dem erwarteten Eintreffen eines Zuges nicht 


mehr geſtattet. Benutzung von Privatübergängen. 


$ 58. Privatübergänge dürfen nur von den Berechtigten unter den 
von der Aufjichtsbehörde genehmigten Bedingungen benußgt werden. ($ 59). 


6623 V. Die übrigen wichtigſten Reichsgeſetze ftrafrechtlichen Inhalte. 


Geſchloſſene Uebergänge. 
$ 59. Solange die Uebergänge geſchloſſen find, müſſen Fuhrwerke, 
Reiter, Treiber von Vichherden und Führer von Lajttieren bei den auf- 
gejtellten Warnungstafeln halten. Das gleiche gilt, fobald die Gloden an den 
mit Zugjchranfen verjehenen Uebergängen ertönen. Fußgänger dürfen fich den 
geichloffenen Schranken nähern, diejelben aber nicht öffnen. 


Bahnbefhädigungen und Betrieböftörungen. 

8 60. Jede Beichädigung der Bahn und der dazu gehörigen Anlagen 
mit Einſchluß der Telegraphen, jowie der Betriebsmittel nebſt Zubehör, 
imgleichen da8 Auflegen von Steinen, Holz und fonjtigen Sachen auf das 
Planum oder das Anbringen jonjtiger Fahrthindernifje ift verboten, ebenjo 
die Erregung falfchen Alarms, die Nachahmung von Signalen, die Verjtellung 
von Ausweichevorrihtungen und überhaupt die Vornahme aller den Betrieb 
jtörenden Handlungen. 


Berhalten der Neifenden beim Ein- und Ausſteigen und während der Fahrt. 
861. () Solange ein Zug fich in Bewegung befindet, ijt das Ein- 
und Aussteigen und der Werfuch dazu, jowie das eigenmächtige Definen der 
an den Langjeiten der Wagen befindlichen Türen verboten. 
(2) Es iſt unterfagt, Gegenstände, durch welche Perjonen oder Sachen 
bejchädigt werden fünnen, während der Fahrt aus dem Wagen zu werfen. 


Beitrafung von Uebertretungen. 
$ 62. Wer den Beltimmungen der 88 53 bis 61 und den nachfolgenden 
Beitimmungen der Verkehrsordnung für die Eifenbahnen Deutſchlands zuwider— 
handelt, welche aljo lauten: 
„euergefährliche, Jowie andere Gegenftände, die auf irgend 
eine Weile Schaden verurfachen können, insbejondere geladene 
Gewehre, Schiehpulver, leicht entzündliche Stoffe und dergleichen, 
find von der Mitnahme ausgejchloflen. 
Die Eijenbahnbediensteten find berechtigt, jich von der Be— 
Ichaffenheit der mitgenommenen Gegenftände zu überzeugen. 
Jägern und im öffentlichen Dienſte ftehenden Perſonen iit 
die Mitführung von Handmunition geitattet“ 
wird mit Geldftrafe bis zu einhundert Mark bejtraft, fofern nicht nach den 
allgemeinen Strafbejtimmungen eine härtere Strafe verwirkt ift. 





Betriebsordnnung für die Haupteifenbahnen Deutichlande. 663 


Befugniſſe der Bahnpolizeibeamten. 

8 63. (1) Die Bahnpolizeibeamten ($ 66) find befugt, einen jeden 
vorläufig feftzunehmen, der auf der Uebertretung der im $ 62 gedachten Be: 
ftimmungen betroffen oder unmittelbar nach der Uebertretung verfolgt wird 
und fich über feine Perfon nicht auszuweifen vermag. Derjelbe iſt mit der 
Feftnahme zu verfchonen, wenn er eine angemeffene Sicherheit beftellt. Die 
Sicherheit darf den Höchſtbetrag der angedrohten Strafe nicht überjteigen. 

(2) Enthält die jtrafbare Handlung ein Verbrechen oder Vergehen, jo 
fann fich der Schuldige durch eine Sicherheitsbeftellung der vorläufigen Feſt— 
nahme nicht entziehen. 

Derfahren im Falle einer Feſtnahme. 
$ 64. (1) Der Feitgenommene ift unverzüglich, fofern er nicht wieder 
in Freiheit gefegt wird, dem Amtzrichter oder der Polizeibehörde desjenigen 
Bezirks, in welchem die Feſtnahme erfolgt, vorzuführen. 

(2) Erfolgt die Ablieferung des Feitgenommenen nicht durch Bahnpolizei- 
beamte, jo hat der die Ablieferung anordnende Beamte eine mit feinem Namen 
und feiner Dienjtftellung bezeichnete Feitnehmungsfarte mitzugeben, auf welcher 
der Grund der Feſtnahme anzugeben ift. 


V. Sahnpolizeibeamte. 


Benennung. 
$ 66. (1) Zur Ausübung der Bahnpolizei find zunächſt berufen die— 

jenigen Perfonen, welche mit den Verrichtungen betraut jind der: 

1. Betriebsdireftoren und Oberingenieure, 
. Betriebsinfpeftoren und Bauinipeltoren, 
. Baumeifter und Ingenieure, 
. Bahnfontroleure und Betriebsfontroleure, 
. Stationsvorfteher, Stationsauffeher und Stationsaffiitenten, 
. Rangiermeifter, 
. Bahpnmeiiter, 
. Haltejtellenaufjeher und Weicheniteller, 
. Haltepunftwärter und Bahnwärter, 
10. Zugführer, 
11. Packmeiſter, 


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664 V. Die übrigen wichtigiten Reichsgeſetze jtrafrechtlihen Inhalts. 


12. Schaffner, 

13. Wagenwärter und Bremjer, 
14. Stationsdiener, 

15. Nachtwächter. 


(2) Die Bahnpolizeibeamten müfjen bei Ausübung ihres Dienjtes die 
vorgefchriebene Dienftuniform oder das feitgeftellte Dienftabzeichen tragen oder 
mit einem jonjtigen Ausweis über ihre amtliche Eigenjchaft verjehen fein. 


Befähigung. 

868. (1) Alle zur Ausübung der Bahnpolizei berufenen Beamten 
müſſen mindeftens 21 Jahre alt und unbejcholtenen Rufes fein, leſen und 
jchreiben fünnen, und die ſonſt zu ihrem bejonderen Dienfte erforderlichen 
Eigenſchaften beſitzen. Dieſe müjjen bezüglich der im $ 66 Wr. 5 bis 15 
aufgeführten Beamten den vom Bundesrat erlafienen Beſtimmungen über die 
Befähigung von Eifenbahnbetriebsbeamten entjprechen. 

(2) Tie Bahnpolizeibeamten werden von der zuftändigen Behörde ver- 
eidigt. Sie treten alsdann in Beziehung auf die ihnen übertragenen Dienit- 
verrichtungen dem Publikum gegenüber in die Rechte der öfjentlichen Bolizei- 
beamten. 

(3) Auf die Offiziere und Mannfchaften der militärischen Formationen 
für Eifenbahnzwede finden obige Vorjchriften über das Alter und die Ver: 
eidigung feine Amvendung. 


Pllihten gegen Das Publifum. Berfonalaften. 
$ 69. (1) Die Bahnpolizeibeamten haben dem Publikum gegenüber ein 
bejonnenes, anjtändiges und rüdjichtsvolles Benehmen zu beobachten und fich 
ingbejondere jedes herrijchen und unfreundlichen Auftretens zu enthalten. 
(2) Unziemlichfeiten find von den Vorgeſetzten nötigenfalls durch an- 
gemefjene Strafen zu ahnden. | 
(3) Diejenigen Bahnpolizeibeamten, welche jich als zur Ausübung ihres 
Dienftes ungeeignet zeigen, mäffen jofort von der Wahrnehmung polizeilicher 
Berrichtungen entfernt werden. 
(4) Die Bahnverwaltung ijt verbunden, über jeden Bahnpolizeibeamten 
Berjonalaften anzulegen und fortzuführen. 
Bezirf der Amtstätigfeit. 
5 70. Die Amtstätigfeit der Bahnpolizeibeamten erjtredt fich ohne 
Nüdficht auf den ihnen angewieſenen Wohnfit auf die ganze Bahn, die dazu 





Betriebsordnung für die Haupteijenbahnen Deutſchlands. 665 


gehörigen Anlagen und joweit, als jolche8 zur Handhabung der für den 
Eifenbahnbetrieb geltenden Polizeiverordnungen erforderlich it. 
Gegenfeitige Unterftühung der verſchiedenen Polizeibeamten. 

8 71. Die fonjtigen Polizeibeamten find verpflichtet, die Bahnpolizei- 
beamten auf deren Erſuchen in der Handhabung der Bahnpolizei zu unter: 
ſtützen. Ebenſo find die Bahnpolizeibeamten verbunden, den übrigen Bolizei- 
beamten bei der Ausübung ihres Amts innerhalb des im vorhergehenden 
Paragraphen bezeichneten Gebiets Beiltand zu leiten, joweit es die den Bahn: 
beamten obliegenden bejonderen Pflichten zulafien. 


VIII. Shlußbefimmungen. 

8 74. (1) Diefe Betriebsordnung tritt mit dem 1. Januar 1893 in 
Kraft und findet Anwendung auf allen dem öffentlichen Berfehr dienenden 
Eifenbahnen Deutjchlands mit Ausnahme derjenigen, für welche nach der Ent- 
Schließung der zuftändigen Yandes-Aufjichtsbehörde mit Zuftimmung des Neichs- 
Eijenbahn- Amts die Bahnordnung für die Nebeneifenbahnen Deutjchlands 
maßgebend iſt. 

(2) Diefelbe wird durch das Reichs-Geſetzblatt veröffentlicht. 

(3) Die von den Bundesregierungen oder Eifenbahnverwaltungen 
erlajjenen Ausführungsbeitimmungen find dem Neichs » Eifenbahn - Amt mit: 
zuteilen. 

(4) In der Betriebsordnung jind 

a) unter der Bezeichnung Station folgende Unterarten zu unter: 
fcheiden: 

1. Bahnhöfe als Stationen mit bedeutenderem Verkehr, 

2. Haltejtellen als Stationen mit geringerem Berfehr, welche 
mit mindeftens einer Weiche für den öffentlichen Verkehr 
verjehen jind, 

3. Haltepunfte ala Stationen, welche mit Weichen fitr Den 
Öffentlichen Verkehr nicht verjehen find; 

b) als Hauptgleife der Bahnhöfe und Halteftellen diejenigen Gleife 
anzufeben, welche von gefchloffenen Zügen im regelmäßigen Betriebe 
befahren werden. 


666 V. Die übrigen wichtigſten Reichsgeſetze ſtrafrechtlichen Inhalts. 





51. Bekanntmachung, 
betreffend die Bahnordnung für die Nebeneijenbahnen 
Deutſchlands. 


Vom 5. Juli 1892. 
(R.G.Bl. ©. 764.) 


(Auszug.) 
V. Befimmungen für das Publikum. 


Allgemeine Beftimmungen, 
$ 45. Die Eifenbahnreifenden und das fonjtige Publitum müfjen den 
allgemeinen Anordnungen nachkommen, welche von der Bahnverwaltung behufs 
Aufrechthaltung der Ordnung innerhalb des Bahngebiets und bei der Be— 
förderung von Perſonen und Sachen getroffen werden, und haben den dienjt- 
lihen Anordnungen der in Uniform befindlichen oder mit einem Dienjtabzeichen 
oder einem jonjtigen Ausweis über ihre amtliche Eigenschaft verjehenen Bahn: 
polizeibeamten ($ 47) Folge zu leijten. 
Betreten der Bahnanlagen und der Stationen, Bahnbefhädigungen und 


Betricböftörungen fowie Berbalten der NReifenden beim Ein- und 
Ausſteigen und während der Fahrt. 


s 4. (1) Das Betreten der Bahn, joweit fie nicht zugleich als Weg 
dient, jowie das Betreten der zur Bahn gehörigen Böjchungen, Dämme, 
Gräben, Brüden und jonftigen Anlagen ift ohne Erlaubnisfarte nur den Auf 
Jichtsbehörden und deren Vertretern, den in der Ausübung ihres Dienites 
befindlichen Beamten der Staatsanwaltjchaften, den Forſtſchutz- und Polizei— 
beamten, den zur Wahrnehmung des Zoll:, Steuer: oder Telegraphendienites 
innerhalb des BahngebietS berufenen Beamten, jowie den zu Befichtigungen 
dienftlich entjendeten deutſchen Offizieren, ferner innerhalb des Bereich von 
Feſtungen bis zur äußerten Grenze der Tragweite der Gejchüge den Offizieren 
und in Uniform befindlichen Beamten der deutichen Feitungsbehörden gejtattet. 
Die bezeichneten Perſonen haben, jofern fie nicht durch ihre Uniform fenntlich 
find, fich durch eine Beicheinigung ihrer vorgefegten Dienftbehörde auf Er: 
fordern auszuweiſen. 





Bahnordnung für die Nebeneiienbahnen Deutjchlands. 667 


(2) Das Publikum darf die Bahn, foweit fie nicht zugleich ala Weg 
dient, nur an den zu Uebergängen bejtimmten Stellen betreten, und zwar nur 
folange, als diejelben nicht abgejperrt find oder fich fein Zug nähert. 

(3) In allen‘ Fällen ift jeder unnötige Verzug zu vermeiden, 

(4) Für das Betreten der Bahn und der dazu gehörigen Anlagen, joweit 
diefelben nicht zugleich als Weg dienen, durch Vieh, bleibt derjenige ver- 
antwortlich, welchem die Aufficht über dasselbe obliegt. 

(5) Sobald ji ein Zug nähert, müfjen Fuhrwerke, Reiter, Fußgänger, 
Treiber von Vieh und Lafttieren in angemefjener Entfernung von der Bahn 
und zwar, jofern Warnungstafeln vorhanden jind, an diefen Halten, beziehungs- 
weije die Bahn ſchnell räumen. 

(6) Es ijt unterjagt, die Schranken und ſonſtigen Einfriedigungen eigen- 
mächtig zu Öffnen, zu überfchreiten oder zu überfteigen, oder etwas darauf zu 
legen oder zu hängen. 

(7) Jede Bejchädigung der Bahn und der dazu gehörigen Anlagen mit 
Einfchluß der Telegraphen, jowie der Betriebsmittel nebſt Zubehör, imgleichen das 
Auflegen von Steinen, Holz und jonjtigen Sachen auf das Planum, oder das 
Anbringen ſonſtiger Fahrthindernifje ift verboten, ebenjo die Erregung faljchen 
Alarms, die Nahahmung von Signalen, die Beritellung von Ausmweichevorrichtungen 
und überhaupt die Vornahme aller den Betrieb jtörenden Handlungen. 

(8) Solange ein Zug jich in Bewegung befindet, ift dag Ein» und Aus- 
jteigen und der Verſuch dazu, jowie das eigenmächtige Deffnen der an den 
Langjeiten der Wagen befindlichen Türen verboten. 

(9) Es iſt unterjagt, Gegenstände, durch welche Perjonen oder Sachen 
bejchädigt werden fünnen, während der Fahrt aus dem Wagen zu werfen. 

Beitrafung von Mebertretungen. 

$ 45. Wer den Beitimmungen der 88 43 und 44 und den nach» 
folgenden Bejtimmungen der Berfehrsordnung für die Eifenbahnen Deutjch- 
lands zumwiderhandelt, welche aljo lauten: 

„euergefährliche ſowie andere Gegenstände, die auf irgend eine 
Weiſe Schaden verurjachen können, insbefondere geladene Gewehre, 
Scießpulver, leicht entzündliche Stoffe und dergleichen, jind von 
der Mitnahme ausgejchlofien. 

Die Eifenbahnbedienjteten find berechtigt, fich von der Veſchaffen— 
heit der mitgenommenen Gegenſtände zu überzeugen. 


668 V. Die übrigen wichtigſten Reichsgeſetze ſtrafrechtlichen Inhalts. 


Jägern und im öffentlichen Dienſte ſtehenden Perſonen iſt die 
Mitführung von Handmunition geſtattet“ 
wird mit Geldſtrafe bis zu einhundert Mark beſtraft, ſofern nicht nach den 
allgemeinen Strafbeſtimmungen eine härtere Strafe verwirkt iſt. 


VI. Bahnpolizeibeamte. 
Bezeichnung und Befugniſſe der Bahnpolizeibeamten. 
$ 47. (1) Zur Ausübung der Bahnpolizei find zunächſt berufen die— 
jenigen Berjonen, welche mit den Berrichtungen betraut jind der: 
1. Betriebsdireftoren und DOberingenieure, 
2. Betriebsinspeftoren und Bauinfpeftoren, 
3. Baumeiſter und Ingenieure, 
4. Bahnfontroleure und Betriebstontroleure, 
5. Stationsvorfteher, Stationsaufjeher und Stationsaflistenten, 
6. Rangiermeiiter, 
7. Bahnmeiiter, 
8. Haltejtellenauffeher und Weicheniteller, 
9. Haltepunftwärter und Bahnwärter, 
10. Zugführer, 
11. Bacdmeiiter, 
12. Schaffner, 
13. Wagenwärter und Bremfer, 
14. Stationsdiener, 
15. Nachtwächter. . 
(2) Die Bahnpolizeibeamten müſſen bei Ausübung ihres Dienftes die 
vorgeschriebene Dienjtuniform oder das fejtgejtellte Dienftabzeichen tragen oder 
mit einem jonjtigen Ausweis über ihre amtliche Eigenjchaft verjehen jein. 
(3) Die Bahnpolizeibeamten jind befugt, einen jeden vorläufig feit- 
zunehmen, der auf der Uebertretung der im $ 45 gedachten Beitimmungen 
betroffen oder unmittelbar nad) der Uebertretung verfolgt wird und jich über 
jeine Perſon nicht auszumweijen vermag. Derjelbe ift mit der Feſtnahme zu 
verichonen, wenn er eine angemejjene Sicherheit bejtellt. Die Sicherheit darf 
den Höchjtbetrag der angedrohten Strafe nicht überjteigen. 
(4) Enthält die jtrafbare Handlung ein Verbrechen oder Vergehen, jo 
fann jich der Schuldige durch eine Sicherheitsbeitellung der vorläufigen Feſt— 
nahme nicht entziehen. 





Bahnordnung für die Nebeneifenbaßnen Deutſchlands. 669 


(5) Der Feitgenommene iſt unverzüglich, ſofern er nicht wieder in Freiheit 
gefegt wird, dem Amtsrichter oder der Polizeibehörde desjenigen Bezirks, in 
welchem die Feſtnahme erfolgt, vorzuführen. 

(6) Erfolgt die Ablieferung des Feitgenommenen nicht durch Bahn- 
polizeibeamte, jo hat der die Ablieferung anordnende Beamte eine mit feinem 
Namen umd feiner Dienititellung bezeichnete Feitnehmungsfarte mitzugeben, 


auf welcher der Grund der Feſtnahme anzugeben it. 
Befähigung. 


$ 49 (1) Alle zur Ausübung der Bahnpolizei berufenen Beamten 
müffen mindeitens 21 Jahre alt und unbejcholtenen Rufes fein, lefen und 
ichreiben können und die ſonſt zu ihrem bejonderen Dienjte erforderlichen 
Eigenjchaften befigen. Diefe müfjen bezüglich der im $ 47 Nr. 5 bis 15 
aufgeführten Beamten den vom Bundesrat erlajjenen Beitimmungen über die 
Befähigung von Eijenbahnbetriebsbeamten entjprechen. 

(2) Die Bahnpolizeibeamten werden von der zujtändigen Behörde ver- 
eidigt. Sie treten alsdann in Beziehung auf die ihnen übertragenen Dienjt- 
verrichtungen dem Publifum gegenüber in die Rechte der öffentlichen Polizei— 
beamten. 

(3) Auf die Offiziere und Mannjchaften der militärischen Formationen 
für Eifenbahnzwede finden obige Vorjchriften über das Alter und die Ver— 


eidigung feine Anwendung. 
Bezirk der Amtstätigkeit. 


$ 51. Die Amtstätigfeit der Bahnpolizeibeamten erjtredt ſich, ohne 
Rüdficht auf den ihnen angewiejenen Wohnfig, auf die ganze Bahn, die dazu 
gehörigen Anlagen und ſoweit, als folches zur Handhabung der für den Eijen- 
bahnbetrieb geltenden Polizeiverordnungen erforderlich if. 


Gegenfeitige Unterftühung der verfhiedenen Polizeibeamten. 
$ 52. Die jonjtigen Polizeibeamten find verpflichtet, die Bahnpolizei- 
beamten auf deren Erjuchen in der Handhabung der Bahnpolizei zu unters 
jtügen. Ebenſo jind die Bahnpolizeibeamten verbunden, den übrigen Polizei: 
beamten bei der Ausübung ihres Amts innerhalb des im vorhergehenden Para— 
graphen bezeichneten Gebiet3 Beiſtand zu leiiten, foweit e3 die den Bahnbeamten 
obliegenden bejonderen Pflichten zulaffen. 





670 V. Die übrigen wichtigſten Reichsgeſetze ftrafrechtlichen Inhalts. 


52. Geſetz über die eingeſchriebenen Hülfskaſſen. 
Bom 7. April 1876. 


(R.GBl. S. 125.) 
In der Faſſung des Gefeges vom 1. Juni 1884. (R. G. Bl. ©. 54.) 
(Auszjug.) 
Eingeſchriebene Hülfskaſſe. 

8 1. Raſſen, welche die gegenſeitige Unterſtützung ihrer Mitglieder für 
den Fall der Krankheit bezweden und auf freier Uebereinkunft beruhen, erhalten 
die Rechte einer eingeichriebenen Hülfsfaffe unter den nachjtehend angegebenen 
Bedingungen. 


8 2. Die Kaffe hat einen Namen anzunehmen, welcher von dem aller 
anderen, an demjelben Orte oder in derjelben Gemeinde befindlichen Hülfskaſſen 
verichieden tft und die zufägliche Bezeichnung „eingejchriebene Hülfskaſſe“ enthält. 

Beitritt der Mitglieder. 

$6. Zum Beitritt der Mitglieder iſt eine Schriftliche Erflärung oder 
die Unterzeichnung des Statuts erforderlih. Handzeichen Schreibensuntundiger 
bedürfen der Beglaubigung durch ein Mitglied des Vorſtandes oder einer 
örtlichen Berwaltungsitelle; vergl. SS 19a ff. 

Der Beitritt darf von der Beteiligung an anderen Gejellichaften oder 
Vereinen nur dann abhängig gemacht werden, wenn eine jolche Beteiligung 
für jämtliche Mitglieder bei Errichtung der Kaſſe durch das Statut vor- 
geſehen ijt. Im übrigen darf den Mitgliedern die Verpflichtung zu Handlungen 
oder Unterlajjungen, welche mit dem Kaſſenzweck in feiner Verbindung jtehen, 
nicht auferlegt werden. 

Recht auf Unterftükung. 

ST. Das Necht auf Unterftügung aus der Kafje beginnt für ſämtliche 
Mitglieder jpäteftens mit dem Ablauf der dreizehnten auf den Beitritt folgen- 
den Woche. 

Hat ein Mitglied bereit? das Recht auf Unterſtützung erworben, jo 
verbleibt ihm dasjelbe auch nach dem Austritte oder Ausjchlufje für die nad 
Abſatz 1 feſtgeſetzte Friſt. Iſt der Ausschluß wegen Zahlungsſäumnis erfolgt, 
fo läuft diefe Frijt von dem Tage, bis zu welchem die Beiträge bezahlt find. 


— — — — — — — — 
5 





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Eingeſchriebene Hülfskaſſen. 671 


Für die erſte Woche nach dem Beginn der Krankheit kann io: Gewährung 
einer Unterjtügung ausgejchlofjen werden. 

Der völlige oder teilweife Ausschluß der Unterftügung iſt nur in Fällen 
folder Krankheiten zuläffig, welche fich die Mitglieder vorfäglich oder durch 
ſchuldhafte Beteiligung an Schlägereien oder Raufhändeln, durch Trunffälligfeit 
oder gefchlechtliche Ausfchweifungen zugezogen haben. Soweit die Unterjtügung 
in Gewährung freier ärztlicher Behandlung oder Arznei befteht, fann ſie auch 
in dieſen Fällen nicht ausgeſchloſſen werden. 

Beiträge der Mitglieder. 

Ss 8. Die Mitglieder jind der Kaſſe gegenüber lediglich zu den auf 
grund diefes Geſetzes und des Statuts fejtgeftellten Beiträgen verpflichtet. 

Nach Maßgabe des Gejchlechts, des Gejundheitszuftandes, des Lebens— 
alters, der Bejchäftigung oder des Beichäftigungsortes der Mitglieder darf die 
Höhe der Beiträge verfchieden bemejjen werden. 

Die Einrichtung von Mitgliederklaſſen mit verjchtedenen Beitrags- und 
Unterftügungsjägen iſt zuläffig. 

Sm übrigen müſſen die Beiträge und Unterjtügungen für alle Mitglieder 
nach gleichen Grundſätzen abgemejjen jein. 


Anſpruch auf Unterftügung nidht übertragbar. 
$ 10. Der Anfpruch auf Unterftügung fann mit rechtlicher Wirkung 
weder verpfändet, noch übertragen, noch gepfändet und darf nur auf gejchuldete 


Beiträge aufgerechnet werden. 
Safienvorfitand. 


8 16. Die Kaſſe muß einen von der Generalverfammlung gewählten 
Boritand haben, durch welchen fie gerichtlich und aufergerichtlich vertreten wird. 
Die Mitglieder des Vorftandes, welche die Kaffe gerichtlich und außer: 
gerichtlich vertreten, haben in der Generalverfammlung nur eine beratende 


Stimme. 
Ausſchuß. 


$ 19. Dem Vorſtande kann zur Ueberwachung der Geſchäftsleitung ein 
Ausſchuß zur Seite gefegt werden, welcher durch die Generalverfammlung zu 


wählen ijt. 
Genceralverfammilung. 


$ 20. Soweit die Angelegenheiten der Kajje nicht durch den Vorſtand 
oder Ausſchuß wahrgenommen werden, jteht die Beſchlußnahme darüber der 
Generalverjammlung zu. 





672 V. Die übrigen wichtigsten Reichsgeſetze ſtrafrechtlichen Inhalts. 


Die Generalverfammlung kann dritten Perjonen ihre Befugnifje nicht 
übertragen. 
Abänderungen des Statuts bedürfen ihrer Zuftimmung. 


Gefonderte Kaſſenverwaltung. 

$ 24. Die Einnahmen und Ausgaben der Kaffe find von allen den 
Amweden der Kaſſe fremden Bereinnahmungen und Verausgabungen getrennt 
feftzuftellen und zu verrechnen; ebenfo jind Beſtände gejondert zu verwahren. 

Verfügbare Gelder dürfen, außer in Öffentlichen Sparfafjen, nur ebenjo 
wie die Gelder Bevormundeter angelegt werden. 

Reſervefonds. 

z 25. Die Kaſſe hat einen Reſervefonds im Mindeſtbetrage der durd- 
jchnittlichen Jahresausgabe der legten fünf Rechnungsjahre anzujammeln und 
erforderlichenfalls bis zu diefer Höhe zu ergänzen. 

So lange der Nefervefonds dieſen Betrag nicht erreicht, iſt demjelben 
mindejtens ein Zehntel des Jahresbetrages der Kafjenbeiträge zuzuführen. 

Strafbeitimmung. 

8 34. Mitglieder des VBorjtandes, des Ausjchuffes oder einer örtlichen 
Verwaltungsftelle, welche den Beltimmungen dieſes Geſetzes zumwiderhandeln, 
werden mit Geldftrafe bis zu dreihundert Mark beitraft. Haben fie abjichtlic 
zum Nachteil der Kaffe gehandelt, jo unterliegen fie der Strafbejtimmung des 
$ 266 des Strafgejegbuche. | 


39. Kraukenverſicherungsgeſetz. 


Vom 15. Juni 1883. 
In der Faflung des Geſetzes vom 10. April 1892 (R.G. Bl. 1892 S. 417) und mit der Ab 
änderung durd das Geſetz vom 30. Juni 1900 (R. G. Bi. 1900 ©. 332.) 


(Auszug.) 


A. Berfihjerungssmang. 
8 1. Berfonen, welche gegen Gehalt oder Lohn bejchäftigt find: 
1. in Bergwerfen, Salinen, Mufbereitungsanftalten, Brücden und 
Gruben, in Fabrifen und Hüttenwerfen, beim Eiſenbahn-, Binnen- 
Ihiffahrt3- und Baggereibetriebe, auf Werften und bei Bauten, 








Kranfenverjicherungägefep. 673 


2. im Sandelsgewerbe, im Handwerf und in fonftigen jtehenden 
Gewerbebetrieben, 

2a. in dem Gejchäftsbetriebe der Anwälte, Notare und Gerichts- 
vollzieher, der Krankenkaſſen, Berufsgenofjenjchaften und Ver— 
jiherungsanftalten, 

3. in Betrieben, in denen Dampffefjel oder durch elementare Kraft 
(Wind, Waller, Dampf, Gas, heige Luft ujw.) bewegte Triebwerke 
zur Verwendung kommen, jofern diefe Verwendung nicht aus- 
Ichließlic in vorübergehender Benutzung einer nicht zur Betriebs: 
anlage gehörenden Kraftmajchine bejteht, 

ind mit Ausnahmen der Gehülfen und Lehrlinge in Apotheken, jowie der 
im $ 2 unter Biffer 2 bis 6 aufgeführten Perjonen, jofern nicht die Be- 
Ihäftigung durd; die Natur ihres Gegenstandes oder im Voraus durch den 
Arbeitsvertrag auf einen Zeitraum von weniger als einer Woche bejchränft ift, 
nach Maßgabe der VBorjchriften dieſes Gejeges gegen Kranfheit zu verfichern. 

Dasjelbe gilt von Berjonen, welche in dem gejamten Betriebe der Bojt: 
und Telegraphenverwaltungen, jowie in den Betrieben der Marines und 
Heeresverwaltungen gegen Gehalt oder Lohn beſchäftigt find und nicht bereits 
auf grund der vorjtehenden Beſtimmungen der Stranfenverficherungspflicht 
unterliegen. 

Die Befagung von Seejchiffen, auf welche die Vorfchriften der 88 48 
und 49 der Seemannsordnung vom 27. Dezember 1872 (Reichs - Gejegbl. 
S. 409) Anwendung finden, unterliegt der Verjicherungspflicht nicht. 

Handlungsgehülfen und -Lehrlinge unterliegen der Berjicherungspflicht 
nur, fofern durch Vertrag die ihnen nad Artikel 60 des deutjchen Handels: 
gejegbuchs zuſtehenden Nechte aufgehoben oder bejchränft find. 

Als Gehalt oder Lohn im Sinne dieſes Gejeges gelten auch Tantiömen 
und Naturalbezüge. Für die lehteren wird der Durchnittswert in Anſatz 
gebracht; diefer Wert wird von der unteren Verwaltungsbehörde feitgefeßt. 

$ 2. Durch ftatutarische Beitimmung einer Gemeinde für ihren Bezirk, 
oder eines weiteren Kommunalverbandes für feinen Bezirk oder Teile des- 
jelben, fann die Anwendung der Vorjchriften des $ 1 erjtredt werden: 

1. auf diejenigen im $ 1 bezeichneten Perjonen, deren Befchäftigung 
durch die Natur ihres Gegenftandes oder im Voraus durch den 
Arbeitövertrag auf einen Zeitraum von weniger al3 einer Woche 
beichränft ist, 

43 


674 V, Die übrigen wichtigften Reichsgeſetze jtrafrechtlihen Inhalts. 


LS 


. auf die in Kommunalbetrieben und im Kommunaldienfte bejchäftigten 
Perſonen, auf welche die Anwendung des $ 1 nicht Durch ander- 
weite reichsgeſetzliche Vorjchriften erſtreckt ift, 

3. auf diejenigen Familienangehörigen eines Betriebsunternehmers, 
deren Beichäftigung in dem Betriebe nicht auf grund eines 
Arbeitövertrages jtattfindet, 

4. auf jelbjtändige Gewerbetreibende, welche in eigenen Betriebsjtätten 
im Auftrage und für Rechnung anderer Gewerbetreibender mit 
der Heritellung oder Bearbeitung gewerblicher Erzeugnilje be- 
Ichäftigt werden (Hausinduftrie), und zwar auch für den Fall, 
daß fie die Roh- und Hülfsſtoffe, ſelbſt beihaffen, und auch für 
die Zeit, während welcher fie vorübergehend für eigene Rechnung 
arbeiten, 

5. auf Handlungsgehülfen und Lehrlinge, joweit diejelben nicht nad) 
$ 1 verjicherungspflichtig find, | 

6. auf die im der Land» und Foritwirtichaft bejchäftigten Arbeiter 
und Betriebsbeamten. 

Die auf grund diejer Vorfchrift ergehenden ſtatutariſchen Beitimmungen 
müſſen die genaue Bezeichnung derjenigen Klafjen von Perſonen, auf mwelche 
die Anwendung der Vorfchriften des $ 1 erſtreckt werden foll, und in ben 
Fällen der Ziffern J und 4 Beitimmungen über die Verpflichtung zur An- 
und Abmeldung, jowie über die Verpflichtung zur Einzahlung der Beiträge 
enthalten. 

Sie bedürfen der Genehmigung der höheren Berwaltungsbehörde und find 
in der für Belanntmachungen der Gemeindebehörden vorgejchriebenen oder 
üblichen Form zu veröffentlichen. 

Auf die im Abſatz 1 Ziffer 4 bezeichneten Gewerbetreibenden fann die 
Anwendung der VBorjchriften des 8 1 auch durch Beſchluß der Bunbdesrats 
erjtredft werden. Die Anordnung fann aud für bejtimmte Gewerbszweige 
und für örtliche Bezirke erfolgen. 


S 2a. Die Anwendung der Borjchriften des 8 1 fanın auch auf folche 
in Betrieben oder im Dienste des Reichs oder eines Staates bejchäftigte 
Perſonen erſtreckt werden, welche der Sranfenverficherungspflicht nicht bereits 
nach gejeglichen Beltimmungen unterliegen. Die Erjtredung erfolgt durch 
Verfügung des Neichsfanzlers beziehungsweife der Zentralbehörde. 


[Dr on Du 227 — ———— —— — Er — 2 03 Jul 
i u : 


Krantenverficherungsgeiep. 675 


$ 2b. Betriebsbeamte, Werfmeijter und Techniker, Handlungsgehülfen 
und Lehrlinge, jowie die unter & 1 Abſ. 1 Ziffer 2a fallenden Perſonen 
unterliegen der Verficherungspflicht nur, wenn ihr Arbeitsverdienſt an Lohn 
oder Schalt jechszweidrittel Mark für den Arbeitstag oder, jofern Lohn oder 
Gehalt nach größeren Beitabjchnitten bemejjen iſt, zweitaufend Mark für das 
Jahr gerechnet, nicht überjteigt. 

Dasjelbe gilt von anderen unter $2 Abj. 1 Ziffer 2 und $ 2a fallenden 
Perſonen, joweit fie Beamte find, 


$ 3. Perſonen des Soldatenjtandes, jowie jolche in Betrieben oder im 
Dienjte des Reichs, eined Staate8 oder Kommunalverbandes bejchäftigte 
Perſonen, welche dem Reich, Staat oder Kommunalverbande gegenüber in 
Krankheitsfällen Anſpruch auf Fortzahlung des Gehalts oder des Lohnes 
mindeftens für dreizehn Wochen nach der Erfranfung oder auf eine den 
Beitimmungen des $ 6 entjprechende Unterjtügung haben, jind von der 
Verficherungspflicht ausgenommen. 


Ss 3a. Auf ihren Antrag find von der Verficherungspflicht zu befreien: 
1. Berjonen, welche infolge von Verlegungen, Gebrechen, chronijchen 
Krankheiten oder Alter nur teilweife oder nur zeitweile erwerbs— 
fähig jind, wenn der unterjtügungspflichtige Armenverband der 
Befreiung zujtimmt, 


ty 


. Berfonen, welchen gegen ihren Arbeitgeber für den Fall der 
Erkrankung ein Rechtsanfpruch auf eine den Bejtimmungen des 
$ 6 entiprechende oder gleichwertige Unterftügung zuſteht, ſofern 
die Leiftungsfähigkeit des Arbeitgebers zur Erfüllung des Anſpruchs 
gejichert iſt. 

Wird der Antrag auf Befreiung von der Verwaltung der Gemeinde- 
Ktranfenverficherung oder von dem Borjtande der Krankenkaſſe, weicher der 
Antragſteller angehören würde, abgelehnt, jo entjcheidet auf Anrufen des 
Antragjtellers die Auffichtsbehörde endgültig. 

In dem Falle zu 2 gilt die eingeräumte Befreiung nur für die Dauer 
des Arbeitsvertrages. Sie erlifcht vor Beendigung des Arbeitsvertrages: 

a) wenn jie von der Aufjichtsbehörde wegen nicht genügender Leiſtungs— 
fähigkeit des Arbeitgebers von Amtswegen oder auf Antrag eines 

Beteiligten aufgehoben wird, 

43* 


676 V. Die übrigen wichtigiten Neichsgejege ſtrafrechtlichen Inhalts. 


b) wenn der Arbeitgeber die befreite Perjon zur Kranfenverjicherung 
anmeldet. Die Anmeldung iſt ohne rechtliche Wirkung, wenn Die 
befreite Perſon zur Zeit derjelben bereits erfranft war. 

Injoweit im Erfranfungsfalle der gegen den Arbeitgeber bejtehende 
Anspruch nicht erfüllt wird, it auf Antrag der befreiten Perjon von der 
Gemeinde-Stranfenverficherung oder von der Sranfenfaffe, welcher fie im 
Nichtbefreiungstalle angehört haben würde, die gejeßliche oder jtatutenmäßige 
Kranfenunterjtügung zu gewähren. Die zu dem Ende gemachten Aufwendungen 
ſind von dem Arbeitgeber zu erjtatten. 


8 3b. Auf den Antrag des Arbeitgebers find von der Verjicherungs- 
pflicht zu befreien Lehrlinge, welchen durch den Arbeitgeber für die während 
der Dauer des Lehrverhältnifjes eintretenden Erfranfungsfälle der Anjpruch 
auf freie Kur oder Verpflegung in einem Krankenhauſe auf die im $ 6 
Abi. 2 bezeichnete Dauer gejichert iſt. Gleiches gilt von Werjonen, welche 
im Falle der Arbeitslofigfeit in einer die VBerficherungspflicht begründenden 
Art in Wohltätigkeitsanftalten bejchäftigt werden, deren Zwed darin beiteht, 
arbeitslofen Perjonen vorübergehend Beichäftigung zu gewähren (Arbeiter- 
folonien und dergl.). 

Die Beitimmungen des $ 3a Abſ. 2 bis 4 finden entiprechende Anwendung. 


B. Gemeinde - Brankenverfidjerung. 
8 4 Für alle verficherungspflichtigen Perſonen, welche nicht 

einer Orts-Krankenkaſſe ($ 16), 

einer Betriebs- (Fabrik-) Krankenkaſſe ($ 59), 

einer Bau-Krankenkaſſe (8 69), 

einer Innungs-Krankenkaſſe ($ 73), 

einer Knappſchaftskaſſe ($ 74) 
angehören, tritt, vorbehaltlich der Beitimmung des $ 75, die Gemeinde-Stranfen- 
verjicherung ein. 

Perſonen der in SS 1 bis 3 bezeichneten Art, welche der Verjicherungs- 
pflicht nicht unterliegen und deren jährliches Gejamteinfommen zweitaujend 
Mark nicht überjteigt, jowie Dienſtboten jind berechtigt. der Gemeinde-$tranfen- 
verficherung der Gemeinde, in deren Bezirk fie bejchäftigt jind, beizutreten. 
Durch Statutarische Beſtimmung ($ 2) kann auch anderen nichtverjicherungss 
pflihtigen Perſonen die Aufnahme in die Gemeinde: Kranfenverficherung 


— DEREN 


Krankenverfiherungägejeb. 677 


geftattet oder das Recht des Beitrittes eingeräumt werden, ſofern ihr jährliches 
Gejamteinfommen zweitaufend Mark nicht überfteigt. 

Der Beitritt der Berechtigten erfolgt durch jchriftliche oder mündliche 
Erklärung beim Gemeindevoritande, gewährt aber feinen Anſpruch auf Unter: 
ſtützung im Falle einer bereit zur Zeit diejer Erklärung eingetretenen Erfranfung. 
Die Gemeinde ift berechtigt, nichtverficherungspflichtige Perfonen, welche ſich 
zum Beitritt melden, einer ärztlichen Unterfuchung unterziehen zu lafjen, 
und, wenn dieſe eine bereit3 bejtehende Krankheit ergibt, von der Ber: 
jicherung zurückzuweiſen. 

Freiwillig Beigetretene, welche die Verjicherungsbeiträge ($ 5) an zwei 
aufeinander folgenden Zahlungsterminen nicht geleistet haben, jcheiden damit 
aus der Gemeinde-Krankenverſicherung aus. 


C. Ortskrankenkafen. 

$ 16. Die Gemeinden find berechtigt, für die im ihrem Bezirk be- 
ichäftigten verjicherungspflichtigen Perſonen Ortskrankenkaſſen zu errichten, 
fofern die Zahl der im der Kaſſe zu verfichernden Perjonen mindejtens ein- 
hundert beträgt. 

Die Vorfchriften des $ 5a finden auch hier Anwendung. 

Die Ortöfranfenfafjfen jollen in der Regel für die in einem Gewerbs- 
zweige oder in einer Betriebsart bejchäftigten Perſonen errichtet werden. 

Die Errichtung gemeinjamer Ortsfranfenfafjen für mehrere Gewerbszweige 
oder Vetriebsarten iſt zuläjfig, wenn die Zahl der in den einzelnen Gewerbszweigen 
und Betriebiarten bejchäftigten Perfonen weniger als einhundert beträgt. 

Gewerbszweige oder Betriebsarten, in welchen einhundert Perſonen oder 
mehr bejchäftigt werden, können mit anderen Gewerbszweigen oder Betriebs- 
arten zu einer gemeinjamen Ortsfranfenfafje nur vereinigt werden, nachdem 
den in ihnen bejchäftigten Perſonen Gelegenheit zu einer Aeußerung über die 
Errichtung der gemeinfamen Kaſſe gegeben worden iſt. Wird in diefem Falle 
Widerſpruch erhoben, jo entjcheidet über die Zuläffigfeit der Errichtung die 
höhere Verwaltungsbehörde. 


D. Gemeinfame Befimmungen für die Gemeinde- 
Brankenverfihherung und für die Ortskrankenkaflen. 
Anmeldungöpflict des Arbeitgebers, 
49. Die Arbeitgeber haben jede von ihnen bejchäftigte verjicherungs- 
pflichtige Perſon, welche weder einer Betriebs- (Fabrik) Krankenkaſſe ($ 59), 


678 V. Die übrigen wichtigſten Reichsgeſetze ſtrafrechtlichen Inhalts. 


Bau-Krankenkaſſe ($ 69), Innungs-Krankenkaſſe ($ 73), Knappſchaftskaſſe 
($ 74) angehört, noch gemäß $ 75 von der Verpflichtung, der Gemeinde: 
Krankenverficherung oder einer Ortskrankenkaſſe anzugehören, befreit ift, 
jpätejtend am dritten Tage nach Beginn der Beichäftigung anzumelden und 
fpäteftens am dritten Tage nad) Beendigung derjelben wieder abzumelden. 
Veränderungen, durch welche während der Dauer der Beichäftigung Die 
Berficherungspflicht für folche Perfonen begründet wird, die der Verficherungs- 
pfliht auf grund ihrer Beichäftigung bisher nicht unterlagen, find ſpäteſtens 
am dritten Tage nach ihrem Eintritt gleichfalls anzumelden. Das gleiche 
gilt bei Aenderungen des Arbeitövertrages, welche die Verjicherungspflicht der 
im $ 1 Abf. 4 bezeichneten Perfonen zur Folge haben. 

Die Anmeldungen und Abmeldungen erfolgen für verficherungspflichtige 
Perſonen folcher Klafjen, für welche Ortskrankenkaſſen beſtehen ($ 23 Ab. 2 
Ziffer 1), bei den durch das Statut diejer Kafjen beftimmten Stellen, übrigens 
bei der Gemeindebehörde oder einer von dieſer zu bejtimmenden Meldeitelle. 

In der Anmeldung zur Ortskrankenkaſſe jind auch die behufs der 
Berechnung der Beiträge durch das Statut geforderten Angaben über die 
Lohnverhältniffe zu machen. Aenderungen in diefen Berhältniffen find ſpäteſtens 
am dritten Tage, nachdem ſie eingetreten, anzumelden. 

Durch Beichluß der Berwaltung der Gemeinde-Kranfenverficherung und 
durch das Kaſſenſtatut kann die Friit für die An» und Abmeldungen bis zum 
letzten Werktage der Kalenderwoche, in welchen die dreitägige Friſt (Abf. 1) 
abläuft, erjtredit werden. 

Die Aufjichtsbehörde, jowie die höhere Verwaltungsbehörde kann für 
fämtliche Gemeinde-Stranfenverficherungen und Ortsfranfenfaffen ihres Bezirks 
oder einzelner Teile desjelben eine gemeinfame Meldejtelle errichten. Die 
Aufbringung der Koſten derjelben erfolgt durd) die beteiligten Gemeinden und 
Ortöfranfenfafien nad Maßgabe des 8 46 Ab. 3, 4. 


8 49a. Hülfsfafien der im 8 75 bezeichneten Art haben jedes Aus- 
jcheiden eines verjicherungspflichtigen Mitgliede® aus der Kaſſe umd jedes 
Uebertreten eines folchen in eine niedrigere Mitgliederflaffe innerhalb Monats: 
frift bei der gemeinfamen Meldeſtelle oder bei der Auffichtsbehörde desjenigen 
Bezirks, in welchem das Mitglied zur Zeit der letzten Beitragszahlung be: 
jchäftigt war, unter Angabe feines Aufenthaltsortes und feiner Beichäftigung 
zu diefer Zeit jchriftlich anzuzeigen. 





Krankenverſicherungsgeſetz. 679 


Für Hülfskaſſen, welche örtliche Verwaltungsſtellen errichtet haben, iſt 
die Anzeige von der örtlichen Berwaltungsitelle zu eritatten. 

Zur Erftattung der Anzeige ift für jede Hülfsfaffe, jofern deren Vorjtand 
nicht eine andere Perfon damit beauftragt, der Rechnungsführer derjelben, 
für die Örtliche Verwaltungsftelle dasjenige Mitglied, welches die Rechnungs» 
gejchäfte derjelben führt, verpflichtet. 

Die Aufjichtsbehörde hat die an fie gelangenden Anzeigen der Verwaltung 
der Gemeinde-franfenverjicherung oder dem Vorſtande der Oriskrankenkaſſe, 
welcher die in der Anzeige bezeichnete Berfon nach der in derjelben angegebenen 
Beichäftigung anzugehören verpflichtet ift, zu überweifen. 


$ 50. Arbeitgeber, welche der ihnen nach $ 49 obliegenden Anmelde 
pflicht vorjäglich oder jahrläjfigerweife nicht genügen, haben alle Aufwendungen, 
welche eine Gemeinde=Stranfenverficherung oder eine Ortskrankenkaſſe auf grund 
gejeßlicher oder jtatutarischer VBorjchrift in einem vor der Anmeldung durch 
die nicht angemeldete Perſon veranlagten Unterjtügungsfalle gemacht hat, zu 
eritatten. 

Die Verpflichtung zur Entrichtung von Beiträgen für die Zeit, während 
welcher die nicht angemeldete oder nicht angezeigte Perfon der Gemeinde- 
Kranfenverficherung oder der DOrtsfranfenfafje anzugehören verpflichtet war, 


wird hierdurch nicht berührt. 
Beiträge. 


$ 51. Die Beiträge zur Sranfenverficherung entfallen bei verjicherungs- 
pflichtigen Perfonen zu zwei Dritteln auf diefe, zu einem Drittel auf ihre 
Arbeitgeber. Eintrittsgelder belaften nur die Verficherten. 

Durch jtatutarifche Regelung ($ 2) kann beftimmt werden, daß Arbeit- 
geber, in deren Betrieben Dampffefjel oder durch elementare Kraft bewegte 
Triebwerke nicht verwendet und mehr als zwei dem Krankenverficherungszwange 
unterliegende Perjonen nicht bejchäftigt werden, von der Verpflichtung zur 
Leiftung von Beiträgen aus eigenen Mitteln befreit find. 


Einzahblungspfliht der Arbeitgeber. 
$ 52. Die Arbeitgeber find verpflichtet, die Beiträge und Cintritte- 
gelder, welche für die von ihnen bejchäftigten Perfonen zur Gemeinde-Stranten- 
verficherung oder zu einer Ortöfranfenfafje zu entrichten find, einzuzahlen. 
Die Beiträge find an die Gemeinde -Sranfenverficherung, fofern nicht durch) 
Gemeindebeichluß andere Zahlungstermine ſeſtgeſetzt find, wöchentlich im voraus, 
an die Ortöfranfenfafje zu den durch Statut feitgefegten Zahlungsterminen 


680 V. Die übrigen wichtigften Reichsgeſetze ſtrafrechtlichen Inhalts. 


einzuzahlen. Das Eintrittsgeld iſt mit dem erſten fälligen Beitrage einzuzahlen. 
Die Beiträge ſind ſolange fortzuzahlen, bis die vorſchriftsmäßige Abmeldung 
($ 49) erfolgt iſt, und für den betreffenden Zeitteil zurückzuerſtatten, wenn die 
rechtzeitig abgemeldete Perſon innerhalb der Zahlungsperiode aus der bis- 
berigen Beichäftigung ausſcheidet. 

Wenn der Verſicherte gleichzeitig in mehreren die Verficherungspflicht 
begründenden Arbeitsverhältnijien jteht, jo haften die jämtlichen Arbeitgeber 
als Gefamtjchuldner für die vollen Beiträge und Cintrittögelder. 

Durch Gemeindebeihluß mit Genehmigung der Aufjichtsbehörde oder 
durch Kaſſenſtatut kann beftimmt werden, daß die Beiträge ſtets für volle 
Wochen erhoben und zurücgezahlt werden. 


Zahlungsunfähige Arbeitgeber. 

8 52a. Auf Antrag der Gemeindesfranfenverficherung oder einer 
Ortskrankenkaſſe kann die Aufjichtsbehörde widerruflich anordnen, daß jolche 
Urbeitgeber, die mit Abführung der Beiträge im Nüdjtande geblieben jind 
und deren Zahlungsunfähigfeit im Bmangsbeitreibungsverfahren feitgeitellt 
worden ijt, nur den auf fie jelbjt als Arbeitgeber entfallenden Teil der Beiträge, 
welche für die von ihnen bejchäftigten verficherungspflichtigen Perjonen zur 
Gemeinde-Sranfenverficherung oder Ortsfranfenfafje zu entrichten jind, einzu— 
zahlen haben. 

Wird dies angeordnet, jo jind die von folchen Arbeitgebern bejchäftigten 
verficherungspflichtigen Perſonen verpflichtet, die Eintrittsgelder fowie den auf 
jie ſelbſt entfallenden Teil der Beiträge zu den feitgeitellten Zahlungsterminen 
jelbit an die Gemeinde-$tranfenverficherung oder Krankenkaſſe einzuzahlen. 

Die Anordnungen (Abfag 1) müfjen diejenigen Arbeitgeber, für welche 
fie gelten follen, nach Namen, Wohnort und Gejchäftsbetrieb deutlich bezeichnen 
und find diefen Arbeitgebern jchriftlich mitzuteilen. 

Die von ſolchen Anordnungen betroffenen Arbeitgeber find verpflichtet, 
diefelben den von ihnen bejchäftigten, in der Gemeinde: Kranfenverjicherung 
oder Ortskrankenkaſſe verficherten verficherungspflichtigen Perſonen durch 
dauernden Aushang in den Berriebsftätten befannt zu machen und bei jeder 
Lohnzahlung die von ihmen bejchäftigten verficherungspflichtigen Perſonen 
darauf hinzuweiſen, daß dieſe die im Abſatz 2 bezeichneten Beiträge jelbjt ein- 
zuzahlen haben. 

Segen die im Abjag 1 bezeichneten Anordnungen findet binnen zwei 
Wochen nach der Zujtellung die Beſchwerde an die höhere Berwaltungsbehörde 








Krantenverjicherungsgejep. 681 


jtatt. Die Beſchwerde hat feine auffchiebende Wirkung. Die Entfcheidung der 
höheren Berwaltungsbehörde iſt endgültig. 
Einbehaltung der Beiträge bei Lohnzahlungen. 

$ 53. Die Verficherten find verpflichtet, die Eintrittsgelder und Bei: 
träge, legtere nach Abzug des auf den Arbeitgeber entfallenden Drittels ($ 51), 
bei den Lohnzahlungen fich einbehalten zu lajjen. Die Arbeitgeber dürfen nur 
auf diefem Wege den auf die DVerficherten entjallenden Betrag wieder ein: 
ziehen. Die Abzüge für Beiträge find auf die Lohnzahlungsperioden, auf 
welche fie entfallen, gleichmäßig zu verteilen. Dieje Teilbeträge dürfen, ohne 
daß dadurch Mehrbelaftungen der Verficherten herbeigeführt werden, auf volle 
zehn Pfennig abgerundet werden. Sind Abzüge für eine Lohnzahlungsperiode 
unterblieben, jo dürfen fie nur noch bei der Lohnzahlung für die nächjtfolgende 
Lohnzahlungsperiode nachgeholt werden. 

Hat der Arbeitgeber Beiträge um deswillen nachzuzahlen, weil die Ber: 
pflihtung zur Entrichtung von Beiträgen zwar vom Arbeitgeber anerfannt, 
von dem Berjicherten, der Gemeinde-Stranfenverjicherung oder Ortskrankenkaſſe 
aber bejtritten wurde und erjt durch einen Nechtsjtreit ($ 58) hat fejtgeitellt 
werden müſſen, oder weil die im $ 49a vorgejchriebene Anzeige erjt nach Ab- 
lauf der im Abjag 1 bezeichneten Zeiträume oder gar nicht eritattet worden 
iit, jo findet die Wiedereinziehung des auf den Verſicherten entfallenden 
Teiles der Beiträge ohne die vorjtehend aufgeführten Beichränfungen jtatt. 

Arbeitgeber, deren Zahlungsunfähigfeit im Zwangsbeitreibungsverfahren 
jejtgejtellt worden ijt, find, folange für jie nicht eine Anordnung der im $ 52a 
bezeichneten Art getroffen worden ift, verpflichtet, die im Abjag 1 zugelaſſenen 
Lohnabzüge zu machen und deren Betrag jofort, nachdem der Abzug gemacht 
worden ijt, an die berechtigte Kaſſe abzuliefern. 


$ 56. Die Unterjtügungsanfprüche auf grund diefes Gejetes verjähren 
in zwei Jahren vom Tage ihrer Entjtchung an. 

Die dem Unterftügungsberechtigten zujtehenden Forderungen fünnen mit 
rechtlicher Wirkung weder verpfündet, noch übertragen, noch für andere als dic 
im $ 749 Abſ. 4 der Zivilprozehordnung bezeichneten Forderungen der Ehe: 
frau und ehelichen Kinder und die des erjagberechtigten Armenverbandes 
gepfändet werden; jie dürfen nur auf geſchuldete Eintrittsgelder und Beiträge, 
welche von dem Unterjtügungsberechtigten jelbit einzuzahlen waren, jowie auf 
Selditrafen, welche er durch Zumwiderhandlungen gegen die auf grund des 


682 V. Die übrigen wichtigſten Reichsgeſetze itrafrechtlichen Inhalte. 


S 6a Abi. 2 oder $ 26a Abf. 2 Ziffer 2a erlafjenen Vorjchriften verwirkt 
hat, aufgerechnet werden. 


E. Setriebs- (&abrik-) Krankenkaflen. 


$ 59. Krankenkaſſen, welche für einen der im $ 1 bezeichneten Betriebe 
oder für mehrere diejer Betriebe gemeinfam in der Weije errichtet werben, 
dat auf dem Wege des Arbeitsvertrages (durch Fabrifordnung, Reglement uſw. 
die in dem Betriebe bejchäftigten Perjonen zum Beitritt verpflichtet werden, 
unterliegen den nachfolgenden Vorjchriften. 


8 60. Ein Unternehmer, welcher in einem Betriebe oder in mehreren 
Betrieben fünfzig oder mehr dem Sranfenverjicherungszwange unterliegende 
Perſonen befchäftigt, iſt berechtigt, eine Betriebs- (Fabrik) Krankenkaſſe zu 
errichten. 

Er kann dazu durch Anordnung der höheren Verwaltungsbehörde ver- 
pflichtet werden, wenn dies von der Gemeinde, in welcher die Beichäftigung 
jtattfindet, oder von der Kranfenfafje, welcher die befchäftigten Perjonen an- 
gehören, beantragt wird. Vor der Anordnung ift dem Unternehmer, jowie den 
von ihm bejchäftigten Perſonen oder von diejen gewählten Vertretern und, 
falls der Antrag von einer Ortsfranfenfafje ausgegangen ift, auch ver 
Gemeinde zu einer Aeußerung darüber Gelegenheit zu geben. 


$ 61. Unternehmer eines Betriebes, welcher für die darin befchäftigten 
Berjonen mit bejonderer Krankheitsgefahr verbunden ift, fönnen auch dann, 
wenn fie weniger als fünfzig Perſonen bejchäftigen, zur Errichtung einer 
Betriebs» (Fabrik) Krankenkaſſe angehalten werden. 

Unternehmern eines Vetriebes, im welchem weniger als fünfzig Perſonen 
bejchäftigt werden, fann die Errichtung einer Betriebs- (Fabrif-) Krankenkaſſe 
gejtattet werden, wenn die nachhaltige Leiitungsfähigfeit der Kaſſe in einer 
von der höheren Berwaltungsbehörde für ausreichend erachteten Weije ficher- 
geſtellt iſt. 


$ 63. Verſicherungspflichtige Perſonen, welche in dem Betriebe, für 
welchen eine Betriebs: (Fabrik) Krankenkaſſe errichtet ift, bejchäftigt werden, 
gehören vorbehaltlich der Beitimmungen des $ 75 mit dem Tage des Eintritts 
in die Bejchäftigung der Kaſſe als Mitglieder an. 

Nichtverficherungspflichtige in dem Betriebe befchäftigte Perſonen haben 
dag Recht, der Kaſſe beizutreten, jofern ihr jährliches Gejfamteinfommen zwei- 





Krantenverfiherungsgefep. 683 


taufend Mark nicht überjteig. Der Beitritt erfolgt durch fchriftliche oder 
mündliche Anmeldung bei dem Kafjenvorftande, gewährt aber feinen Anſpruch 
auf Unterjtügung im Falle einer bereit3 zur Zeit diefer Anmeldung eingetretenen 
Erfranfung. Die Kaffe ift berechtigt, nichtverficherungspflichtige Perfonen, 
welche fich zum Beitritt melden, einer ärztlichen Unterjuchung unterziehen zu 
faffen und ihre Aufnahme abzulehnen, wenn die Unterfuchung eine bereits 
beitehende Krankheit ergibt. 

Berficherungspflichtigen Perfonen iſt der Austritt mit dem Schluffe des 
Nechnungsjahres zu gejtatten, wenn fie demjelben mindeitens drei Monate 
vorher bei dem Vorſtande beantragen und vor dem Austritt nachweifen, daß 
fie einer der im $ 75 bezeichneten Kafjen angehören. 

Nichtverficherungspflichtige Perjonen, welche die Beiträge an zwei auf 
einander folgenden Zahlungsterminen nicht geleiftet haben, fcheiden damit aus 
der Kaſſe aus. 


$ 65. Die Betriebsunternehmer find verpflichtet, die jtatutenmäßigen 
Eintrittsgelder und Beiträge für die von ihnen bejchäftigten verficherungs: 
pflichtigen Kafjenmitglieder zu den durch das Kaſſenſtatut feitgejegten Zahlungs— 
terminen in die Kaſſe einzuzahlen und die Beiträge zu einem Drittel aus 
eigenen Mittel zu leijten. 

Werden die gejeglichen Mindeftleiftungen der Kaffe ($- 20) durch die 
Beiträge, nachdem dieje für die Verficherten drei Prozent der durchichnitt- 
lichen Tagelöhne oder des Arbeitsverdienjtes erreicht haben, nicht gededt, jo 
hat der Betriebsunternehmer die zur Dedung derjelben erforderlichen Zuſchüſſe 
aus eigenen Mitteln zu leijten. 

Die Beftimmungen des $ 52 Abf. 3 und der 88 52a bis 53a, 54a 
bis 58 finden auch auf Betriebs» (Fabrif-) Krankenkaſſen entiprechende An— 
wendung. 


F. Baukrankenkafen. 
$ 69. Für die bei Eijenbahn-, Kanal, Wege, Strom, Deich- und 
Feſtungsbauten, jowie in anderen vorübergehenden Baubetrieben bejchäftigten 
Perſonen haben die Bauherren auf Anordnung der höheren Verwaltungs: 
behörde Baufränfenfaffen zu errichten, wenn jie zeitweilig eine größere Zahl 
von Arbeitern bejchäftigen. 


$ 72. Die in Gemäßheit des 8 69 errichteten Krankenkaſſen find 
zu jchließen: 





684 V. Die übrigen wichtigſten Reichsgeſetze ſtrafrechtlichen Inhalts. 


1. wenn der Betrieb, für welchen fie errichtet find, aufgelöſt wird: 
2. wenn der Bauherr oder Unternehmer es unterläßt, für ordnungs— 
mäßige Kaſſen- und NRechnungsführung Sorge zu tragen. 

In dem Falle zu 2 trifft den Bauherrn oder Unternehmer die im $ 71 
ausgejprochene Verpflichtung. 

Im übrigen finden auf die in Gemäßheit des $ 69 errichteten Kranken— 
fafien die Vorfchriften der SS 63 bis 68 mit der Maßgabe Anwendung, das 
über die Amvendbarfeit der VBorjchrift des $ 32 die höhere Verwaltungs: 
behörde bei Genehmigung des Kafjenftatuts, über die Verwendung des bei 
Schließung oder Auflöfung einer Kaffe verbleibenden Reſtes des Kaſſen— 
vermögen® das Kaſſenſtatut Beſtimmung treffen muß. Eine Verwendung 
zu gunften des Bauherrn oder Unternehmers ift ausgejchlofjen. 

Auf Streitigkeiten über Unterftügungsanfprüche, welche auf grund des 
$ 71 gegen den Bauherrn erhoben werden, findet die Vorjchrift des 8 58 
Abi. 1 Anwendung; auf Streitigkeiten über Erjaganfprüche, welche auf grund 
des $ 71 und des $ 57 Abſ. 2 gegen den Bauherrn erhoben werden, findet 
die Vorjchrift des $ 58 Abi. 2 Anwendung. 


G. Innungskrankenkaflen. 

Ss 73. Auf Sranfenfafjen, welche auf grund der VBorjchriften des 
Titels VI der Gewerbeordnung von Innungen für die Gefellen und Lehrlinge 
ihrer Mitglieder errichtet werden, finden die Vorjchriften des $ 19 Abi. 5, 
$$ 20 bie 22, 26 bis 33, 39 bis 42, 46, 46a, 46b, 48a Abf. 2, $ 49a 
Abſ. 4, 88 51 bis 53a, 54a bis 58, 65 Abi. 2 Anwendung. 

Wird für eine Innung nach Maßgabe der vorjtehenden Beitimmung eine 
Innungskrankenkaſſe errichtet, jo werden die von Iunungsmitgliedern in ihrem 
Gewerbebetriebe bejchäftigten verficherungspflichtigen Berjonen, vorbehaltlich der 
Beitimmung des $ 75, Joweit fie zu dem Zeitpunkte, mit welchem die Kaſſe ins Leben 
tritt, in diefer Bejchäftigung jtehen, mit dieſem Zeitpunkte, joweit fie jpäter in dieſe 
Beichäftigung eintreten, mit dieſem Eintritt Mitglieder der Innungsfranfenfafie. 

Verfiherungspflichtige Perfonen, deren Arbeitgeber der Innung, für 
welche eine Innungskrankenkaſſe errichtet ift, erjt nach deren Errichtung bei: 
treten, werden, joweit fie bisher einer Ortsfranfenfafje angehörten, mit Beginn 
des neuen Nechnungsjahres Mitglieder der Innungskrankenkaſſe, jofern der 
Arbeitgeber drei Monate zuvor dem Vorſtande der Ortskrankenkaſſe jeinen 
Eintritt in die Innung nachgewieſen hat. 


Kraufenverjiherungsgefeh. 685 


Mit dem Zeitpunfte, mit welchem verjicherungspflichtige Perſonen Mit- 
glieder einer Innungskranfenfafje werden, jcheiden jie aus anderen auf grund 
diejes Geſetzes errichteten Kafjen, welchen fie bis dahin vermöge ihrer Be— 
Ihäftigung angehörten, aus. 

Den Zeitpunft, mit welchem eine nenerrichtete Innungskrankenkaſſe ins 
Leben tritt, bejtimmt die höhere Verwaltungsbehörde. 

Im übrigen bleiben für dieſe Kaſſen die Vorjchriften des Titels VI der 
Gewerbeordnung in Kraft. 


H. Verhältnis der Knappſchaftskaſſen und der 
eingefcjriebenen und anderen Hülfskaflen zur Kranken- 
verſicherung. 

8 74. Für die Mitglieder der auf grund berggeſetzlicher Vorſchriften 
errichteten Krankenkaſſen (Knappichaftsfaffen) tritt weder die Gemeinde: 
Kranfenverfiherung noch die Verpflichtung, einer nad) Maßgabe der Bor- 
ichriften diefes Geſetzes errichteten Krankenkaſſe anzugehören, ein. 

Die ftatutenmäßigen Leiſtungen diefer Kaſſen in Kranfheitsfällen müſſen 
die für die Betriebs: (Fabrik-) Krankenkaſſen vorgejchriebenen Mindejtleiftungen 
erreichen. 

Die Vorjchriften des $ 26 Abi. 1 und Abi. 2 Sap 1, 88 56a und 57a 
finden auch auf Knappſchaftskaſſen Anwendung. 

Im übrigen bleiben die landesgeſetzlichen Vorſchriften über die Knapp— 
ſchaftskaſſen unberührt. 

8 75. Mitglieder der auf grund des Geſetzes über die eingeſchriebenen 
7. April 1876 (Reichs-Geſetzbl. ©. 125) 
1. Juni 1884 (Neichs-Gejegbl. S. 54) 
jind von der Verpflichtung, der Gemeinde-Stranfenverjicherung oder einer nad) 
Maßgabe diejes Geſetzes errichteten Krankenkaſſe anzugehören, befreit, wenn 
die Hülfskaffe, welcher fie angehören, allen ihren verficherungspflichtigen Mit: 
gliedern oder doch derjenigen Mitgliederklaffe, zu welcher der Verſicherungs— 
prlichtige gehört, im Krankheitsfalle mindejtens diejenigen Leiltungen gewährt, 
welche nad) Maßgabe der SS 6 und 7 von der Gemeinde, in deren Bezirk der 
Verficherungspflichtige bejchäftigt it, zu gewähren find. Die durch Kafjen- 
ſtatut begründeten Bejchränfungen der Unterjtügungsanjprüche jchliegen Die 
Befreiung nicht aus, wenn fie ſich innerhalb der Grenzen der den Gemeinden 
nach $ 6a gejtatteten Bejchränfungen halten. 





Hülfsfafjen vom errichteten Stafjen 


— —— — 


686 V. Die übrigen wichiigſten Reichsgeſetze ſtrafrechtlichen Inhalts. 


Tritt ein Mitglied einer eingeſchriebenen Hülfskaſſe an einem Orte in 
Beſchäftigung, au welchem das Krankengeld der Mitgliederkaſſe, der es bisher 
angehörte, hinter dem von der Gemeinde-Krankenverſicherung zu gewährenden 
Stranfengelde zurüdbleibt, jo gilt die Befreiung noch für die Dauer von zwei 
Wochen. Die Meldepflicht des Arbeitgebers ($ 49 Abf. 1) beginnt in diefen 
Fällen erft mit dem Ablauf diefer zwei Wochen. 


Mitgliedern einer eingejchriebenen Hülfskaſſe, welche zugleich der 
Semeinde-Stranfenverjicherung oder einer auf grund dieſes Gejeges errichteten 
Stranfenfafje angehören, fann an Stelle der freien ärztlichen Behandlung und 
Arznei eine Erhöhung des SKranfengeldes um ein Viertel des Betrages des 
ortsüblichen Tagelohnes ($ 8) ihres Beichäftigungsortes gewährt werden. 


Die vorjtehenden Beitimmungen finden auch auf Mitglieder jolcher auf 
grund landesrechtlicher Borjchriften errichteten Hülfskaſſen Anwendung, deren 
Statut von einer Staatsbehörde genehmigt ift und über die Bildung eines 
Nejervefonds den SS 32, 33 entiprechende Beitimmungen enthält. 


J. Schluß⸗, Straf- und Uebergangsbeſtimmungen. 


$ 80. Den Arbeitgebern ift unterjagt, die Anwendung der Beitimmungen 
dieſes Geſetzes zum Nachteile der Berjicherten durch Verträge (mitteljt 
Reglements oder bejonderer Uebereinfunit) auszufchliegen oder zu beichränfen. 
Bertragsbeitimmungen, welche diefem Verbote zuwiderlaufen, haben feine recht- 
fihe Wirkung. 


8 81. Wer der ihm nach) $ 49 oder nad) den auf grund des $ 2 
Abi. 2 erlafienen Beitimmungen obliegenden Berpflichtung zur Anz oder Ab- 
meldung oder der ihm nach $ 49a obliegenden Anzeigepflicht nicht nacjfommt, 
wird mit Gelditrafe bis zu zwanzig Mark beitraft. 


$ 82. Arbeitgeber, welche den von ihmen bejchäftigten, dem Stranfen- 
verjicherunggzwange unterliegenden Perjonen bei der Lohnzahlung vorjätlich 
höhere als die nach SS 53, 65 zuläfjigen Beträge in Anrechnung bringen, 
oder der Beitimmung des $ 53 Ab]. 3, oder dem Verbote des $ 80 entgegen- 
handeln, werden, fofern nicht mach anderen gejeglichen Bejtimmungen eine 
härtere Strafe eintritt, mit Gelditrafe bis zu dreihundert Mark oder mit Haft 
beitraft. 


Krankenverfiherungsgejeg. — Invalidenverſicherungsgeſetz. 687 


8 82a. Die Arbeitgeber ſind befugt, die Erfüllung der ihnen durch 
diejes Gejeg auferlegten Verpflichtungen ſolchen Perſonen zu übertragen, 
welche ſie zur Leitung ihres Betriebes oder eines Teiles desfelben oder zur 
Beauffichtigung bejtellt Haben. 

Sind die in diefem Gefege gegebenen Borjchriften von jolchen Perſonen 
übertreten worden, jo trifft die Strafe die leteren. Der Arbeitgeber ijt neben 
denjelben jtrafbar, wenn die Zuwiderhandlung mit feinem Vorwiſſen begangen 
ilt, oder wenn er bei der nad den Verhältniffen möglichen eigenen Be— 
auffichtigung des Betriebes, oder bei der Auswahl oder der Beauffichtigung 
der Betriebsleiter oder Auffichtsperjonen es an der erforderlichen Sorgfalt hat 
fehlen laſſen. 

Für den Erftattungsanjprud; aus $ 50 haftet neben dem zur Anmeldung 
etwa verpflichteten Betriebsleiter oder Aufjeher in allen Fällen aud) der 
Arbeitgeber. Mehrere Verpflichtete haften dabei als Gejamtjchuldner. 


$ 82b. Arbeitgeber, welche den von ihnen bejchäftigten Perſonen auf 
grund des $ 53 Lohnbeträge in Abzug bringen, dieſe Beträge aber in der 
Abjicht, Fich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu 
verschaffen, oder die berechtigte Gemeinde-Stranfenverficherung oder Kranken— 
fafje zu jchädigen, den legteren vorenthalten, werden mit Gefängnis bejtraft, 
neben welchem auf Geldjtrafe bis zu dreitaufend Mark, ſowie auf Verluſt der 
bürgerlichen Chrenrechte erfannt werden fann. Sind mildernde Umstände 
vorhanden, jo farn ausschlieglich auf Gelditrafe erfannt werden. 


34. Invalidenverſicherungsgeſttz. 
Vom 13. Juli 1899. 
(R.B.BL. ©. 463.) 
(Auszjug.) 
Berfiherungspflicht. 


$ 1. Nach Maßgabe der Beitimmungen diejes Gefeges werden vom voll- 
endeten jechzehnten Lebensjahr ab verjichert: 


1. Berjonen, welche al8 Arbeiter, Gehülfen, Gefellen, Lehrlinge oder 
Dienjtboten gegen Lohn oder Gehalt bejchäftigt werden; 





588 V. Die übrigen wichtigſten Reichsgeſetze itrafrechtlihen Inhalts. 


2. Betriebsbeamte, Werfmeifter und Technifer, Handlungsgehülfen und 
Lehrlinge (ausfchlieglich der in Apotheken befchäftigten Gehülfen 
und Lehrlinge), jonjtige Angeftellte, deren dienftliche Beichäftigung 
ihren Hauptberuf bildet, jowie Lehrer und Erzieher, ſämtlich ſofern 
jie Lohn oder Gehalt beziehen, ihr regelmäßiger Jahresarbeits: 
verdienjt aber zweitaufend Mark nicht überjteigt, ſowie 

3. die gegen Lohn oder Gehalt bejchäftigten Perjonen der Schiffs: 
befagung deutjcher Seefahrzeuge ($ 2 des Geſetzes vom 13. Juli 
1887, Reich8-Gejeßblatt S. 329) und von Fahrzeugen der Binnen- 
Ihiffahrt, Schiifsführer jedoch nur dann, wenn ihr regelmäßiger 
Jahresarbeitsverdienit an Lohn oder Gehalt zweitaufend Mearf 
nicht übersteigt. Die Führung der Heichsflagge auf grund der 
gemäß Artitel II S 7 Ab. 1 des Gejetes vom 15. Mär; 1888 
(Reichs: Gejegblatt S. 71) erteilten Ermächtigung macht das Schiff 
nicht zu einem deutjchen Scefahrzeug im Sinne dieſes Gejebes. 


Ausdehnung der Berfiherungspflict. 

8 2. Durch Bejchluß des Bundesrats kann die Vorjchriit des S 1 für 
bejtimmte Berufszjweige allgemein oder mit Beſchränkung auf gewifie Be- 
zirke auch 

1. auf Gewerbetreibende und ſonſtige Betriebsunternehmer, welche 
nicht regelmäßig wenigſtens einen Lohnarbeiter beſchäftigen, ſowie 
. ohne Rückſicht auf die Zahl der von ihnen beſchäftigten Lohn— 
arbeiter auf jolche jelbjtändige Gewerbetreibende, welche in eigenen 
Betriebsftätten im Auftrag und für Rechnung anderer Gewerbe— 
treibenden mit der Hertellung oder Bearbeitung gewerblicher Er- 
zeugniſſe bejchäftigt werden (Hausgewerbetreibende), 
erjtredft werden, und zwar auf leßtere auch dann, wenn fie die Roh- und 
Hülfsitoffe felbit beichaffen, und auch für Die Zeit, während welcher fie vor- 
übergehend für eigene Nechnung arbeiten. 

Durch Beichluß des Bundesrats fann beitimmt werden, 

1. daß und immwieweit Gewerbetreibende, in deren Auftrag und für 
deren Rechnung von Hausgewerbetreibenden (Abi. 1 Ziffer 2) 
gearbeitet wird, gehalten jein jollen, rüdjichtlich der Hausgewerbe- 
treibenden und ihrer Gehülfen, Gejellen und Lehrlinge die in Diejem 
Sejege den Arbeitgebern auferlegten Verpflichtungen zu erfüllen, 


10 


Invalidenverficherungsgefeb. 689 


2. dab und inwieweit Gewerbetreibende, in deren Auftrage Zwiſchen— 
perfonen (Ausgeber, Faktoren, Zwiſchenmeiſter ꝛc.) gewerbliche 
Erzeugniſſe Herjtellen oder bearbeiten lafjen, gehalten fein jollen, 
rücjichtlich der von den Zwiſchenperſonen hierbei bejchäftigten Haus: 
gewerbetreibenden (Abſ. 1 Ziffer 2) und deren Gehülfen, Gejellen 
und Lehrlinge die in diefem Gejege den Arbeitgebern auferlegten 
Verpflichtungen zu erfüllen. 


8 3. Als Lohn oder Gehalt gelten auch Tantiemen und Naturalbezüge. 
Für dieſelben wird der Durchfchnittswert in Anjag gebracht; diefer Wert wird 
von der unteren Verwaltungsbehörde feſtgeſetzt. 

Eine Beichäftigung, für welche als Entgelt nur freier Unterhalt gewährt 
wird, gilt im Sinne dieſes Gejeges nicht als eine die Verficherungspflicht 
begründete Bejchäftigung. 


85. Beamte des Reichs, der Bundesjtaaten und der Kommunalver— 
bände, fowie Lehrer und Erzieher an öffentlichen Schulen oder Anjtalten 
unterliegen der Berjicherungspflicht nicht, jolange fie lediglich zur Ausbildung 
für ihren zufünftigen Beruf bejchäftigt werden oder fofern ihnen eine Anwart- 
ſchaft auf Penfion im Mindejtbetrage der Invalidenrente nach den Sätzen der 
erjten Lohnklaſſe gewährleijtet tft. 

Beamte der Berficherungsanitalten und zugelaffenen befonderen Kaſſen— 
einrichtungen unterliegen der Berficherungspflicht nicht, jofern ihnen eine 
Anwartichaft auf Penſion in der im Ab. 1 bezeichneten Höhe gewährleijtet ift. 

Der Berficherungspflicht unterliegen ferner nicht Berjonen, welche Unter- 
richt gegen Entgelt erteilen, fofern dies während ihrer wiljenjchaftlichen Aus: 
bildung für ihren zufünftigen Lebensberuf gejchieht, Perſonen des Soldaten- 
jtandes, welche dienſtlich als Arbeiter bejchäftigt werden, jowie Perſonen, 
welchen auf grund der reichögefeßlichen Beltimmungen eine Invalidenrente 
bewilligt iſt. 

Der Verficherungspflicht unterliegen endlich nicht diejenigen Perſonen, 
deren Erwerbsfähigfeit infolge von Alter, Krankheit oder anderen Gebrechen 
dauernd auf weniger al3 ein Drittel Herabgejegt ift. Dies ift dann anzu— 
nehmen, wenn fie nicht mehr imjtande find, durch eine ihren Kräften und 
Fähigkeiten entjprechende Tätigkeit, die ihnen unter billiger Berüdjichtigung 
ihrer Ausbildung und ihres bisherigen Berufs zugemutet werden kann, ein 
Drittel desjenigen zu erwerben, was förperlich und geiftig gejunde Perſonen 

44 


Li ı 2 


690 V, Die übrigen widtigiten Reichsgeſetze ſtrafrechtlichen Inhalts. 


derjelben Art mit ähnlicher Ausbildung in derjelben Gegend durch Arbeit zu 
verdienen pflegen. 


Befreiungen. 


8 6. Auf ihren Antrag find von der Verjicherungspflicht zu befreien 
Perfonen, welchen vom Reiche, von einem Bundesftaat, einem Kommunal— 
verband, einer Verficherungsanitalt oder zugelafienen bejonderen Kaſſen— 
einrichtung oder welchen auf grund früherer Beichäftigung als Lehrer oder 
Erzieher an öffentlichen Schulen oder Anftalten Penſionen, Wartegelder oder 
ähnliche Bezüge im Mindeftbetrage der Invalidenrente nach den Sätzen der 
eriten Lohnklaſſe bewilligt find, oder welchen auf grund der reichsgejeglichen 
Beitimmungen über Unfallverficherung der Bezug einer jährlichen Rente von 
mindejtens demjelben Betrage zuiteht. Dasjelbe gilt von folchen Perjonen, 
welche das fiebenzigite Lebensjahr vollendet haben. Ueber den Antrag ent- 
jcheidet die untere Verwaltungsbehörde des Beichäftigungsorts. Gegen den 
Beſcheid derjelben ift die Beſchwerde an die zunächſt vorgefegte Behörde zu— 
läjfig, welche endgültig entscheidet. Bei Zurüdnahme des Antrags tritt die 
Verſicherungspflicht wieder in Kraft. 

In der gleichen Weife find auf ihren Antrag von der Verſicherungs— 
pflicht zu befreien Perjonen, welche Lohnarbeit im Laufe eines Kalenderjahrs 
nur in bejtimmten Jahreszeiten für nicht mehr als zwölf Wochen oder über: 
baupt für nicht mehr als fünfzig Tage übernehmen, im übrigen aber ihren 
Lebensunterhalt ala Betriebsunternehmer oder anderweit felbjtändig erwerben, 
oder ohne Lohn oder Gehalt tätig find, jolange für dieſelben nicht bereits 
einhundert Wochen lang Beiträge entrichtet worden find. Der Bundesrat iſt 
befugt, hierüber nähere Beitimmungen zu erlafien. 

Freiwillige Berfiherung. 

$ 14. Folgende Perfonen jind befugt, freiwillig in die Verficherung 
einzutreten, jolange fie das vierzigjte Lebensjahr nicht vollendet Haben (Selbjt- 
verjicherung): 

I. Betriebsbeamte, Werkmeijter, Techniker, Handlungsgehülfen und 
Jonftige Angeftellte, deren dienſtliche Beihäftigung ihren Haupt- 
beruf bildet, ferner Lehrer und Erzieher, jowie Schiffsführer, 
jämtlich fofern ihr regelmäßiger Jahresarbeitsverdienft an Lohn 
oder Gehalt mehr als zweitaufend Mark, aber nicht über drei— 
taufend Mark beträgt; 








Invalidenverfiherungägejep. 691 


2. Gewerbetreibende und jonjtige Betriebsunternehmer, welche nicht 
regelmäßig mehr als zwei verficherungspflichtige Lohnarbeiter 
beichäftigen, jowie KHausgewerbetreibende, ſämtlich foweit nicht 
durch Beichlug des Bundesrats ($S 2 Abi. 1) die Kerſicherunge 
pflicht auf ſie erſtreckt worden iſt; 

3. Perſonen, welche auf grund des $ 3 Abſ. 2 und $ 4Abſ. 1 
der Verficherungspflicht nicht — 

Dieſe Perſonen ſind ferner berechtigt, beim Ausſcheiden aus dem die Be— 
rechtigung zur Selbſtverſicherung begründenden Verhältniſſe die Selbſtver— 
ſicherung fortzufegen und nach den Beſtimmungen des 8 46 zu erneuern. 

Berjonen, welche aus einem die Verficherungspflicht begründenden Ber- 
hältnis ausscheiden, find befugt, die Verjicherung freiwillig fortzufegen. oder 
zu erneuern (Weiterverficherung). 

Die in Betrieben, für welche eine bejondere Kaſſeneinrichtung (88 8, 
10, 11) errichtet it, bejchäftigten Perjonen der im Abſ. 1 Ziffer 1 bis 3 
bezeichneten Art find berechtigt, fich bei der Stafjeneinrichtung freiwillig zu 
verfichern (Abi. 1). Die in folchen Betrieben bejchäftigten verjicherungs- 
pflichtigen Perſonen find ferner beim Ausscheiden aus dem die Verjicherungs- 
pflicht begründenden Arbeit: oder Dienjtverhältnffe befugt, jich bei der be— 
jonderen Safjeneinrichtung weiter zu verfichern (Abſ. 2), jolange ſie nicht 
durch ein neues Arbeit3- oder Dienftverhältnis bei einer anderen bejonderen 
Kafjeneinrihtung oder bei einer WVerficherungsanstalt verficherungspflichtig 
werden. Solange die Borausfegungen für die freiwillige Verficherung bei 
einer bejonderen Slafjeneinrichtung gegeben jind, findet die freiwillige Ver: 
jicherung bei einer Verficherungsanftalt nicht jtatt. 

Aufbringung der Mittel, 

8 27. Die Mittel zur Gewährung der in Diefem Gelege vorgejehenen 
Leiftungen werden vom Reiche, von den Arbeitgebern und von den Berficherten . 
aufgebracht. 

Die Aufbringung der Mittel erfolgt jeitens des Reiches durch Zujchüfie 
zu den in jedem Jahre tatjächlich zu zahlenden Renten ($ 35), ſeitens der 
Arbeitgeber und der Verjicherten durch laufende Beiträge. 

Die Beiträge entfallen auf den Arbeitgeber und den Berficherten zu 
gleichen Teilen (58 142, 144, 154) und find für jede Beitragswoche ($ 30) 
zu entrichten. 

44* 


6923 V, Die übrigen wichtigsten Reichsgeſetze ſtrafrechtlichen Inhalts, 


Quittungsfarte. 

8 131. Die Entrichtung der Beiträge erfolgt durch Einfleben eines 
entiprechenden Betrags von Marken in die Unittungsfarte des Verſicherten. 

Der Verficherte ijt verpflichtet, die Duittungsfarte ſich ausstellen zu 
laſſen und fie behufs Einflebens der Marken oder zum Entwerten der Marfen 
zu den hierfür vorgejehenen Zeiten vorzulegen (SS 141, 149, 150). Er fann 
hierzu von der Ortspolizeibehörde oder von dem Borfigenden der Rentenftelle, 
ſoweit diefer die Kontrole über die Beitragsentrichtung (58 161 ff.) übertragen 
ift, durch Geldftrafen bis zu zehn Mark angehalten werden. Iſt der Verjicherte 
mit einer Quittungsfarte nicht verjehen oder lehnt er deren Vorlegung ab, jo 
it der Arbeitgeber berechtigt, für Nechnung des Verjicherten eine jolche an- 
zufchaffen und den verauslagten Betrag bei der nächſten Lohnzahlung ein— 
zubehalten. 

Der Verficherte ijt berechtigt, auf jeine Koſten zu jeder Zeit die 
Ausstellung einer neuen Duittungsfarte gegen Nüdgabe der älteren zu 
beanfpruchen. 


$ 139. Die Eintragung eine Urteil® über die Führung oder Die 
Zeiftungen des Inhabers jowie ſonſtige durch dieſes Geje nicht vorgejehene 
Eintragungen oder VBermerfe in oder an der Quittungsfarte find unzuläſſig. 
Uuittungsfarten, in welchen derartige Eintragungen oder Vermerke jich vor- 
finden, find von jeder Behörde, welcher fie zugehen, einzubehalten. Die Be- 
hörde hat die Erjegung derjelben durch neue Karten, in welche der zuläfjige 
Inhalt der eriteren nach Maßgabe der Beitimmung des $ 136 zu übernehmen 
ift, zu veranlaſſen. 

Dem Arbeitgeber jowie Dritten iſt unterjagt, die Quittungskarte nach 
Einflebung der Marken wider den Willen des Inhabers zurüdzubehalten. 
Auf die Zurüdbehaltung der Karten feitens der zuftändigen Behörden und 
Drgane zu Zweden des Umtaufches, der Kontrole, Berichtigung, Aufrechnung, 
Uebertragung oder der Durchführung des Einzugsverfahrens ($$ 148 fi.) 
findet diejfe Beitimmung feine Anwendung. 

Quittungsfarten, welche im Widerjpruche mit dieſer Vorſchrift zurüd- 
behalten werden, find durch die Ortöpolizeibehörde dem Zumwiderhandelnden 
abzunehmen und dem Berechtigten auszuhändigen. Der erjtere bleibt dem 
(egteren für alle Nachteile, welche diefem aus der Zuwiderhandlung erwachien, 
verantwortlic. 


Invalidenverſicherungsgeſetz. 693 


Entrichtung der Beiträge durch die Arbeitgeber. 

8 140. Die Beiträge des Arbeitgeber und des Verficherten find von 
demjenigen Arbeitgeber zu entrichten, welcher den Verficherten während der 
Beitragswoche ($ 30) befchäftigt hat. 

Findet die Bejchäftigung nicht während der ganzen Beitragsmwoche bei 
demjelben Arbeitgeber jtatt, jo ift vom demjenigen Arbeitgeber, welcher den 
Berficherten zuerft bejchäftigt, der volle Wochenbeitrag zu entrichten. Wurde 
diefer Verpflichtung nicht genügt, und hat der Verjicherte den Beitrag nicht 
jelbft entrichtet ($ 144), fo hat derjenige Arbeitgeber, welcher den Verficherten 
weiterhin bejchäftigt, den Wochenbeitrag zu entrichten, doch ſteht ihm gegen 
den zunächſt Verpflichteten Anſpruch auf Erjag zu. Steht der Berficherte 
gleichzeitig im mehreren die Berficherungspflicht begründenden Arbeit3- oder 
Dienjtverhältnifien, fo haften die Arbeitgeber als Gejamtjchuldner für die 
vollen Wochenbeiträge. 

Sofern die tatjächlich verwendete Arbeitzeit nicht feitgeftellt werden kann, 
iſt der Beitrag für diejenige Arbeitszeit zu entrichten, welche zur Herjtellung 
der Arbeit annähernd für erforderlich zu erachten iſt. Im Streitfall entjcheidet 
auf Antrag eines Teiles die untere Verwaltungsbehörde endgültig, Die Ver— 
jiherungsanjtalt ijt berechtigt, für die Berechnung derartiger Beiträge befondere 
Beltimmungen zu erlafjen. Diejelben bedürfen der Genehmigung des Neichs- 
Verſicherungsamts. 


$ 141. Die Entrichtung der Beiträge erfolgt in der Weiſe, daß der 
Arbeitgeber ($ 140) bei der Lohnzahlung für die Dauer der Beſchäftigung 
Marken derjenigen Art in die Uuittungsfarte einflebt, welche für die Lohn— 
flafje, die für den WVerficherten in Anwendung fommt ($ 34), von der für 
den Beichäftigungsort zuftändigen Verficherungsanftalt ausgegeben iſt. Der 
Arbeitgeber Hat die Marfen aus eigenen Mitteln zu erwerben. 

Die Verficherungsanitalt kann bejtimmen, daß und inwieweit Arbeitgeber 
befugt jein jollen, die Marfen zu anderen als den aus den Lohnzahlungen 
Jich ergebenden Terminen beizubringen. In allen Fällen müffen die auf die 
Dauer des Arbeits oder Dienjtverhältnifjes entfallenden Marken ſpäteſtens 
in der legten Woche des Stalenderjahrs oder, fojern das Arbeits- oder Dient- 
verhältnis früher beendigt wird, bei Beendigung desjelben eingeflebt werden 

Marken für einen zwei Wochen überjteigenden Zeitraum müſſen ent- 
wertet werden. Der Bundesrat hat die näheren Vorjchriften über die Art 
der Entwertung zu erlafjen und deren Nichtbefolgung mit Strafe zu bedrohen. 


En 94 


694 V. Die übrigen wichtigiten Reichsgeſetze ſtrafrechtlichen Inhalts. 


Der Bundesrat ift befugt, über die Entwertung von anderen Marfen 
Borjchriften zu erlaffen und deren Nichtbefolgung mit Strafe zu bedrohen. 


Einbehaltung der Beiträge bei Lohnzahlungen. 
$ 142, Die Verficherten find verpflichtet, bei dem Lohnzahlungen Die 
Hälfte der Beiträge, in den Fällen des $ 34 Abſ. 4 aber, ſofern nicht Die 
Berficherung in einer höheren Lohnklaſſe auf einer Vereinbarung zwijchen dem 
Arbeitgeber und dem Verſicherten beruht, den auf fie entfallenden höheren 
Betrag ich einbehalten zu laſſen. Die Arbeitgeber dürfen nur auf dieſem 
Wege den auf die Verficherten entfallenden Betrag wieder einzichen. 


Die Abzüge für Beiträge find auf die Lohnzahlungsperioden, auf welche 
fie entfallen, gleichmäßig zu verteilen. Die ZTeilbeträge dürfen, ohne daß da- 
durch Mehrbelaftungen der Berficherten herbeigeführt werden, auf volle zehn 
Pfennig abgerundet werden. 

Sind Abzüge bei einer Yohnzahlungsperiode unterblieben, jo dürfen fie 
für die betreffende Lohnzahlungsperiode nur noch bei der nächitfolgenden 
Lohnzahlung nachgeholt werden. Dieſe Beitimmung findet feine Anwendung, 
wenn wegen verfpäteter SFejtitellung einer bisher ftreitigen Verficherungspflicht 
oder aus anderen Gründen Beiträge nachträglich zu verwenden find, ohne daß 
den Arbeitgeber hierbei ein Verſchulden trifft. 


Zahlungsunfähige Arbeitgeber. 

Arbeitgeber, deren Zahlungsunfähigkeit im Bwangsbeitreibungsverfahren 
fejtgeftellt worden ijt, dürfen, joweit die Entrichtung der Beiträge in der im 
$ 141 Abſ. 1 angegebenen Weife erfolgt, Lohnabzüge nur für diejenige Zeit: 
dauer machen, für welche fie die gejchuldeten Beiträge nachweislich bereits 
entrichtet haben; joweit dagegen die Einziehung der Beiträge gemäß SS 148 fi. 
ftattfindet, find fie verpflichtet, die im Abſ. 1 zugelaffenen Lohnabzüge zu 
machen und deren Betrag jofort, nachdem der Abzug gemacht iſt, an die zu: 
jtändige Einzugsitelle abzuliefern. Cine gegen den Arbeitgeber auf grund des 
$ 52a des Stranfenverficherungsgejeges getroffene Anordnung erjtredt ſich auch 
auf die von der beteiligten Krankenkaſſe einzuziehenden Beiträge für Die 
Invalidenverjicherung. 


$ 143. Die Erhebung der Beiträge für diejenigen Perſonen, auf welche 
die Verficherungspflicht nach $ 2 erjtredt worden ijt, wird durch Beichluß des 
Bundesrats geregelt. 


Invalidenverfiherungsaefep. 605 


Entrihtung der Beiträge durch die Berfiherten. 

$ 144. Verficherungspflichtige Perſonen jind befugt, die Beiträge an 
Stelle der Arbeitgeber zu entrichten. 

Dem Verficherten, welcher auf grund diefer Beitimmung die vollen 
Wochenbeiträge entrichtet Hat, jteht gegen den nach $ 140 zur Entrichtung der 
Beiträge verpflichteten Arbeitgeber der Anſpruch auf Erjtattung der Hälfte 
des Betrags, und in Fällen des $ 34 Abſ. 4, jofern nicht die Verjicherung 
in einer höheren Lohnklaſſe auf einer Vereinbarung zwijchen dem Arbeitgeber 
und dem Berjicherten beruht, auf Erjtattung der Hälfte desjenigen geringeren 
Betrags zu, welchen der Arbeitgeber nad) der für den Verficherten maßgebenden 
Lohnklafje zu tragen hat. Der Anjpruch bejteht jedoch nur, fofern die Marke 
vorschriftsmähig entwertet ift. Der Anſpruch iſt für die betreffende Lohn: 
zablungsperiode bei der Lohnzahlung geltend zu machen. Iſt dies bei einer 
Lohnzahlung unterblieben, jo darf der Anjpruch für die betreffende Lohn— 
zahlungsperiode nur noch bei der nächitfolgenden Lohnzahlung erhoben werden, 
jofern nicht der Verficherte ohne jein Verſchulden erjt nachträglich an Stelle 
des Arbeitgebers Beiträge verwendet hat. 

$ 145. Bei freiwilliger Berficherung ($ 14) haben die jie eingehenden 
Perſonen Marken derjenigen VBerjicherungsanjtalt zu verwenden, in deren 
Bezirke fie bejchäftigt find oder, jofern eine Beichäftigung nicht ftattfindet, 
jich aufhalten. Dabei jteht ihnen die Wahl der Lohnklaffe frei. Begeben 
fi) Verficherte in das Ausland, jo jind jie berechtigt, die VBerficherung 
dort fortzujegen; fie haben dabei Marken derjenigen Berficherungsanitalt 
zu verwenden, in deren Bezirfe fie zuletzt bejchäftigt waren oder jih auf: 
gehalten haben. 

Perjonen, welche für die Dauer einer gegen Lohn oder Gehalt unter: 
nommenen Beichäftigung, während deren jie nach $3 Abi. 2, 8 4 Abj. 1 der 
BVerficherungspflicht nicht unterliegen, freiwillig jich verjichern ($ 14 Abſ. 1), 
Iteht gegen denjenigen Arbeitgeber, welcher, wenn die Verficherungspflicht 
beitände, nach $ 140 zur Entrichtung der Beiträge verpflichtet fein würde, 
der Anſpruch auf Erjtattung der Hälfte der für die Dauer der Arbeitszeit 
entrichteten Beträge nach Maßgabe des $ 144 Ab. 2 zu. Die Anrechnung 
höherer Beträge, als fic) bei Anwendung des $ 34 Abſ. 1 bis 3 ergeben 
würden, kann der Arbeitgeber ablehnen. Abrundung. 

s 154. Ergeben ſich bei den zwiſchen Arbeitgebern und Verſicherten 
ftattfindenden Abrechnungen Bruchpfennige, jo iſt der auf den Arbeitgeber 


— — m nn 


696 V. Die übrigen wichtigſten Reichsgeſetze ftrafrehtlihen Inhalte. 


entfallende Teil nad) oben, der auf den Verficherten entfallende Teil nad 
unten auf volle Pfennig abzurunden. 


Kontrolle, 

$ 161. Die Berficherungsanftalten find verpflichtet, Die rechtzeitige und 
volljtändige Entrihtung der Beiträge regelmäßig zu überwachen. 

Die Arbeitgeber find verpflichtet, über die Zahl der von ihnen befchäftigten 
Perſonen, über die gezahlten Löhne und Gehälter und über die Dauer der 
Beichäftigung den Organen der Verficherungsanftalt und ihren Beauftragten 
jowie den die Kontrole ausübenden anderen Behörden oder Beamten auf 
Verlangen Auskunft zu erteilen und denjelben diejenigen Gejchäftsbücher oder 
Liiten, aus welchen jene Tatjachen hervorgehen, zur Einficht während der 
Betriebszeit an Ort und Stelle vorzulegen. Ebenſo find die Berjicherten 
zur Erteilung von Auskunft über Ort und Dauer ihrer Bejchäftigung 
verpflichtet. Die Arbeitgeber und die Verficherten find ferner verbunden, den 
bezeichneten Organen, Behörden und Beamten auf Erfordern die Quittungs- 
farten behufs Ausübung der Kontrole und Herbeiführung der etwa erforderlichen 
Berichtigungen gegen Bejcheinigung auszuhändigen. Ste fünnen hierzu von 
der Ortspolizeibehörde durch Gelditrafen bis zum Betrage von je einhundert: 
undfünfzig Mark angehalten werden, 

Die Verficherungsanftalten find befugt, mit Genehmigung des Reichs— 
VBerjicherungsamts zum Zwede der Kontrole Vorſchriften zu erlaſſen. Das 
Neichs-Verjicherungsamt kann den Erlaß ſolcher Vorjchriften anordnen und 
diefelben, fofern die Anordnung nicht befolgt wird, ſelbſt erlaffen. Der 
Vorſtand der VBerficherungsanftalt oder der Vorjigende der Rentenitelle, ſofern 
diefer die Beitragsfontrole obliegt, it befugt, Arbeitgeber und Berficherte zur 
rechtzeitigen Erfüllung diefer Vorjchriften durch Gelditrafen bis zum Betrage 
von je einhundertundfünfzig Marf anzubalten. 


Strafbeftimmungen. 

$ 175. Arbeitgeber, welche in die von ihnen auf grumd gejeglicher oder 
von der Verficherungsanitalt erlafjener Beitimmung aufzujtellenden Nachweijungen 
oder Anzeigen Eintragungen aufnehmen, deren Unrichtigkeit ſie fannten oder 
den Umständen nad annehmen mußten, können von der unteren Berwaltungs- 
behörde und da, wo Nentenjtellen bejtehen, von dem Borfigenden derjelben 
mit Geldjtrafe bis zu cinhundertundfünfzig Mark, von dem Vorſtande der Ver— 
fiherungsanjtalt mit Geldftrafe bis zu fünihundert Mark belegt werden. 


Invalidenverfiherungsgejep. 697 


8 176. Arbeitgeber, welche e8 unterlajjen, für die von ihnen befchäftigten, 
dem Berficherungszwang unterliegenden PBerjonen Marken in zureichender Höhe 
und in vorjchriftsmähiger Befchaffenheit rechtzeitig ($ 141) zu verwenden oder 
die Verficherungsbeiträge rechtzeitig abzuführen ($$ 148, 149), können von 
dem Borjtande der Berjicherungsanjtalt und da, wo die Beitragäfontrole 
Nentenjtellen übertragen it, von dem Borfigenden derjelben mit Geldftrafe 
belegt werden, und zwar von dem Vorſtande bis zu dreihundert Marf, von 
dem Borfigenden der Nentenftelle bis zu einhundertundfünfzig Mark. Eine 
Beitrafung findet nicht ftatt, wenn die rechtzeitige Verwendung der Marfen 
von einem anderen Arbeitgeber oder Betriebsleiter ($ 177) oder im Falle des 
8 144 von dem VBerficherten bewirkt worden tft. 

Die vorjtehenden Beitimmungen finden auf Arbeitgeber, welche die 
ihnen gemäß $ 4 Abſ. 2 obliegenden Verpflichtungen nicht erfüllen, ent- 
jprechende Anwendung. 

Beitreitet der Arbeitgeber jeine EN jo ift dieje auf dem im 
& 155 bezeichneten Wege fejtzuftellen. 


$ 177. Der Arbeitgeber ift befugt, die Aufitellung der nach gejeglicher 
oder jtatutarifcher Vorjchrift erforderlichen Nachweilungen oder Anzeigen 
jowie die Verwendung von Marken auf bevollmächtigte Leiter feines Betriebs 
zu übertragen. 

Name und Wohnort von jolchen bevollmächtigten Betriebsleitern ſind 
dem Vorſtande der Verficherungsanjtalt und da, wo die Beitragsfontrole 
Rentenjtellen übertragen it, dem Vorſitzenden derjelben jowie beim Einzugs- 
verfahren der Einzugsjtelle mitzuteilen. Begeht ein derartiger Bevollmächtigter 
eine in den SS 175, 176, 179 mit Strafe bedrohte Handlung, jo finden auf 
ihn die dort vorgejehenen Strafen Anwendung. 


8 179. Wer der ihm nad) $ 148 obliegenden Verpflichtung zur An— 
und Abmeldung nicht nachkommt, wird mit Geldfirafe bis zu zwanzig Marf 
bejtraft. Hatte die Meldung für eine Krankenkaſſe zu erfolgen, jo fließen 
diefer die Geldſtrafen zu. 


8 180. Dem Arbeitgebern und ihren Angejtellten it unterjagt, durch 
Uebereinfunft oder mittels Arbeitsordnungen die Anwendung der Beitimmungen 
dieſes Gejeges zum Nachteile der Verficherten ganz oder teilweiſe aus— 
zujchließen oder diefelben in der Uebernahme oder Ausübung eines in Gemäß— 
heit dieſes Gejeges ihnen übertragenen Ehrenamt zu bejchränfen. Vertrags: 





698 V. Die übrigen wichtigiten Reichsgeſetze ftrafrechtlichen Inhalts, 


beftimmungen, welche diefem Verbote zumiderlaufen, haben feine rechtliche 
Wirkung. 

Arbeitgeber oder deren Angejtellte, welche gegen die vorjtehende Be— 
jtimmung verſtoßen, werden, fofern nicht mac) anderen gejeglichen Vorfchriften 
eine härtere Strafe eintritt, mit Geldſtrafe bis zu dreihundert Mark oder mit 
Haft beftraft. 

8 181. Die gleiche Strafe ($ 180) trifft, fofern nicht nach anderen 
Gejegen eine höhere Strafe verwirft ift, 

l. Arbeitgeber, welche den von ihnen beichäftigten, dem Verſicherungs— 
zwang unterliegenden Perjonen an Beiträgen in rechtöwidriger 
Abjicht mehr bei der Lohnzahlung in Anrechnung bringen, ala 
nach $ 34 Abi. 4, $ 142 zuläffig ift, oder welche es unterlafjen, 
entgegen der VBorjchrift des $ 142 Abf. 4 die dort gebotenen Lohn— 
abzüge zu machen, oder den bei Anwendung des $ 52a des 
Stranfenverjicherungsgefeges auf die Beiträge zur Imvaliden: 
verjicherung fich ergebenden Berpflichtungen nachzukommen ; 

2. Angeftellte, welche einen jolchen größeren Abzug in rechtswidriger 
Abjicht bewirken; 

3. Verficherte, welche die Beiträge ſelbſt entrichten, wenn jie dabei 
von dem Arbeitgeber in rechtswidriger Abjicht mehr erjtattet ver- 
langen, als nad) $ 34 Abf. 4, 88 144, 145 zuläflig iſt, oder 
wenn jie für die gleiche Beitragswoche die Erftattung des vollen 
Beitragsanteild® von mehr als einem Ürbeitgeber in Anſpruch 
nehmen oder es unterlajjen, den vom Arbeitgeber erhobenen Bei: 
tragsanteil zur Entrichtung des Beitrags zu verwenden ; 

4. Verfonen, welche dem Berechtigten eine QDuittungsfarte wider: 
rechtlich vorenthalten. 

$ 182. Arbeitgeber, welche den von ihnen bejchäftigten Perfonen auf 
grund des 8 142 Lohnbeträge in Abzug bringen, die abgezogenen Beträge 
aber nicht zu Zweden der Verſicherung verwenden, werden, falls nicht nad 
anderen Gejegen eine höhere Strafe verwirkt iſt, mit Geldjtrafe bis zu drei 
hundert Mark oder mit Haft bejtraft. 

Wurde die Verwendung im der Abjicht unterlaffen, fich oder einen 
Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verjchaffen oder die Ber: 
jicherungsanjtalt oder die Verficherten zu ſchädigen, fo tritt Gefängnisitrafe 
ein, neben welcher auf Geloftrafe bis zu dreitaufend Mark ſowie auf Berluft 


_ — 


Invalidenverfiherungsgefeh. 699 


der bürgerlichen Ehrenrechte erfannt werden kann. Sind mildernde Umſtände 
vorhanden, jo darf ausschließlich auf Geldftrafe erkannt werden. 


$ 183. Die Strafbeitimmungen der 88 175, 176, 179 bis 182 finden 
auch auf die gejeglichen Vertreter handlungsunfähiger Arbeitgeber, desgleichen 
auf die Mitglieder des Vorſtandes einer Aftiengejellichaft, ISnnung oder ein- 
getragenen Genoſſenſchaft jowie auf die Liquidatoren einer Handelsgejellichaft, 
Innung oder eingetragenen Genoflenjchaft Anwendung. 


$ 184. Wer in QDuittungsfarten Eintragungen oder Bermerfe macht, 
welche nach $ 139 unzuläffig find, oder wer in Quittungsfarten den Bordrud 
oder die zur Ausfüllung des Vordruds eingetragenen Worte oder Zahlen 
verfälfcht oder wiſſentlich von einer derart verfälichten Karte Gebrauch madıt, 
fann von der unteren Berwaltungsbehörde und da, wo Rentenſtellen die 
Beitragsfontrofe übertragen ift, von dem Vorſitzenden derjelben mit Geld— 
jtrafe bi8 zu zwanzig Mark belegt werden. 

Sind die Eintragungen, Bermerfe oder Veränderungen in der Abjicht 
gemacht worden, den Inhaber der Quittungsfarte anderen Arbeitgebern gegen— 
über zu fennzeichnen, jo tritt Geldftrafe bis zu zweitaufend Marf oder 
Gefängnis bis zu jechd Monaten ein. Sind mildernde Umstände vorhanden, 
jo fann jtatt der Gefängnisitrafe auf Haft erfannt werden. 

Eine Verfolgung wegen Urfundenfälichung (88 267, 268 des Reichs— 
Strafgejegbuchs) tritt mur ein, wenn die Fälſchung in der Abficht begangen 
wurde, jich oder einem anderen einen VBermögensvorteil zu verichaffen oder 
einem andern Schaden zuzufügen. 


$ 185. Die Mitglieder der Vorſtände und jonjtiger Organe der 
Berficherungsanftalten ſowie Die das Aufjichtsrecht über diefelben ausübenden 
Beamten werden, wenn fie unbefugt Betriebsgeheimnifje offenbaren, welche 
fraft ihres Amtes zu ihrer Kenntnis gelangt find, mit Geldftrafe bis zu ein- 
taufendfünfhundert Mark oder mit Gefängnis bis zu drei Monaten bejtraft. 
Die Verfolgung tritt nur auf Antrag des Betriebsunternehmers ein. 


$ 186. Die im $ 185 bezeichneten Perfonen werden mit Gefängnis, 
neben welchem auf Berlujt der bürgerlichen Ehrenrechte erfannt werden kann, 
bejtraft, wenn fie abjichtlich zum Nachteile der Betriebsunternehmer Betriebs: 
geheimnijje, welche Fraft ihres Amtes zu ihrer Stenntnis gelangt waren, 
offenbaren, oder wenn fie geheim gehaltene Betriebseinrichtungen oder 


u Erg 





700 V. Die übrigen mwidtigiten Reichsgeſetze ftrafrechtliden Inhalts. 


Betriebsweifen, welche kraft ihres Amtes zu ihrer Kenntnis gelangt jind, 
jolange als dieje Betriebsgeheimnifje find, nachahmen. 

Tun fie dies, um ſich oder einem anderen einen Vermögensvorteil zu 
verjchaffen, jo fann neben der Gefängnigjtrafe auf Gelditrafe bis zu dreitaufend 
Mark erfannt werden. 


8 187. Mit Gefängnis nicht unter drei Monaten, neben welchem auf 
Verlujt der bürgerlichen Ehrenrechte erfannt werden fann, wird bejtraft, wer 
unechte Marken in der Abficht anfertigt, fie als echt zu verwenden, oder echte 
Marken in der Abjicht verfälicht, fie zu einem höheren Werte zu vermenden, 
oder wifjentlich von faljchen oder verfäljchten Marken Gebrauch madıt. 

Diefelbe Strafe trifft denjenigen, welcher Marken verwendet, veräußert 
oder feilhält, obwohl er weiß oder den Umſtänden nad annehmen muß, 
dab die Marten bereit3 einmal verwendet worden find. Sind mildern 
Umjtände vorhanden, jo fann auf Gelditrafe bis zu dreihundert Mark oder 
Haft erfannt werden. 

Zugleich it auf Einziehung der Marken zu erfennen, ohne Unterjchied, 
ob jie dem Verurteilten gehören oder nicht. Auf diefe Einziehung ift audı 
dann zu erfennen, wenn die Verfolgung oder Verurteilung einer bejtimmten 
Perſon nicht jtattfindet. 


$ 188. Mit Gelditrafe bis zu einhundertundfünfzig. Marf oder mit 
Haft wird bejtraft, wer ohme fchriftlichen Auftrag einer Verficherungsanitalt 
oder einer Behörde 
1. Stempel, Siegel, Stiche, Platten oder andere Formen, welche zur 
Anfertigung von Marken dienen können, anfertigt oder an einen 
anderen als die Verjicherungsanftalt beziehungsweije die Behörde 
verabfolgt, 
2. den Abdrud der in Ziffer I genannten Stempel, Siegel, Stick, 
Platten oder ‚Formen unternimmt oder Abdrüde an einen anderen 
als die Berficherungsanftalt beziehungswetje die Behörde verabfolg! 
Neben der Geldjtrafe oder Haft kann auf Einziehung der Stempel, 
Siegel, Stiche, Platten oder Formen erfannt werden, ohne Unterjchied, ob fie 
dem Berurteilten gehören oder nicht. 





Invalidenverfiherungägeieg. — Gewerbe-Unfallverſicherungsgeſetz. 701 


39. Gewerbe⸗Unfallverſicherungsgeſetz. 


In der Faſſung des auf grund des Gefeges, betreffend die Abänderung der Unfallverfiherungs: 
gefege, vom 30. Juni 1900, veröffentlichten Tertes. 


(R .B1. 1900 ©. 585.) 
(Auszug.) 
Strafbare Untreue. 
$ 45. Die Mitglieder der Borftände, ſowie die Vertrauensmänner haften 
der Genojjenjchaft für getreue Gejchäftsverwaltung, wie Vormünder ihren 
Mündeln und unterliegen, wenn jie abjichtlich zum Nachteil der Genofjenfchaft 
handeln, der Strafbeitimmung des 8 266 des Strafgeſetzbuchs. 


Ueberwachung der Betriche, 

$ 119. Die Genojjenschaften find verpflichtet, für die Durchführung 
der gemäß $ 112 erlafjenen Unfallverhütungsvorjchriften Sorge zu tragen. 
Sie find befugt, durch technische Aufjichtsbeamte die Befulgung der zur Ver— 
hütung von Unfällen erlafjenen Borjchriften zu überwachen und von den Ein- 
richtungen der Betriebe, joweit fie für die Zugehörigfeit zur Genoſſenſchaft 
oder für die Einfhägung in den Gefahrentarif von Bedeutung find, Kenntnis 
zu nehmen. Sie find ferner befugt, durch Nechnungsbeamte behufs Prüfung 
der von den Betriebsunternehmern auf grund gejeglicher oder ftatutarifcher 
Beitimmungen eingereichten Arbeiter» und Lohnnachweifungen diejenigen Ge— 
ihäftsbücher und Liſten einzujehen, aus welchen die Zahl der bejchäftigten 
Arbeiter und Beamten und die Beträge der verdienten Löhne und Gehälter 
erfichtlich werden. 

Die Funktionen des technischen Auffichtsbeamten und des Nechnungs- 
beamten fünnen mit Genehmigung des Neich3-Berjicherungsamts in einer Perſon 
vereinigt werden. 

Die einer Genoſſenſchaft angehörenden Betriebsunternehmer find ver- 
pflichtet, den als folchen legitimierten technischen Auffichtsbeamten der beteiligten 
Genofjenfchaft auf Erfordern den Zutritt zu ihren Betriebsftätten während 
der Betriebözeit zu geftatten und den Rechnungsbeamten die bezeichneten Bücher 
und Lilten an Ort und Stelle zur Einficht vorzulegen. Sie fünnen hierzu, 
vorbehaltlich der Beitimmungen des $ 120, auf Antrag der technifchen Auffichts- 





02 V. Die übrigen widtigften Reichsgeſetze ſtrafrechtlichen Inhalte. 


beamten oder der Rechnungsbeamten von der unteren Berwaltungsbehörde 
durch Geldjtrafen im Betrage bis zu dreihundert Marf angehalten werden. 


$ 120. Befürchtet der Betriebsunternehmer die Verlegung des Fabrik— 
geheimniffes oder die Schädigung feiner Geichäftsintereffen infolge der Be— 
fihtigung des Betriebes durch dem technischen Aufjichtsbeamten der Genofjen- 
ichaft, jo fann derjelbe die Belichtigung durch andere Sachverftändige be- 
anfpruchen. In diefem Falle hat er dem Genofjenjchaftsvorstande, jobald er 
den Namen des technischen Auffichtsbeamten erfährt, eine entjprechende Mit- 
teilung zu machen und einige geeignete Perjonen zu bezeichnen, welde auf 
jeine Koſten die erforderliche Einficht in den Betrieb zu nehmen und dem 
Borjtande die für die Amede der Genofjenjchaft notwendige Auskunft über 
die Betriebseinrichtungen zu geben bereit find. Im Ermangelung einer Ber- 
ftändigung zwiichen dem Betriebsunternehmer und dem Borjtande entjcheidet 
auf Anrufen des legteren das Reichs-Verſicherungsamt. 

Offenbarung von Betrichögeheimnifien. 

S 150. Die Mitglieder der Vorſtände der Genojjenichaften, deren 
technische Auffichtsbeamte und Nechnungsbeamte ($$ 119 und 120) und Die 
nach $ 120 ernannten Sacdjverjtändigen, jowie die Beifiger der Schiedsgerichte 
($ 9 des Gejeges, betreffend der Abänderung der Unfallverficherungsgefege) 
werden, wenn jie unbefugt Betriebsgeheimnifje offenbaren, welche kraft ihres 
Amtes oder Auftrages zu ihrer Kenntnis gelangt find, mit Geldftrafe bis zu 
eintaujendfünfhundert Mark oder mit Gefängnis bis zu drei Monaten bejtraft. 


Die Verfolgung tritt nur auf Antrag des VBetriebsunternehmers ein. 


8 151. Die in $ 150 bezeichneten Perſonen werden mit Gefängnis, 
neben welchem auf Berluft der bürgerlichen Ehrenrechte erfannt werden fann, 
bejtraft, wenn fie abfichtlich zum Nachteile der Betriebsunternehmer Betriebs— 
geheimniffe, welche fraft ihres Amtes oder Auftrages zu ihrer Kenntnis 
gelangt find, offenbaren, oder geheim gehaltene Betriebseinrichtungen oder 
Betriebsweijen, welche fraft ihres Amtes oder Auftrages zu ihrer Kenntnis 
gelangt find, jolange als dieje Betriebsgeheimnifje find, nachahmen. 

Tun fie dies, um jich oder einem anderen einen WVermögensvorteil zu 
verjchaffen, jo fann neben der Gefängnisstrafe auf Gelditrafe bis zu dreitaufend 
Mark erfannt werden. 


Unfallverjiherungsgejeg für Land» und Forftwirtichaft. 708 


36. Unfallverfiherungsgefeg für Pand- und Forſtwirtſchaft. 
An der Faſſung ded auf grund des Geſetzes, betreffend die Abänderung der Unfall» 
verjiherungägejege, vom 30. Juni 1900, befannt gemachten Tertes. 

(R.G.BL. ©. 641) 

(Auszug.) 

Strafbare Untreue. 

8 47. Die Mitglieder der Vorjtände, jowie die Vertrauensmänner 
haften der Genojjenichaft für getreue Gefchäftsverwaltung, wie Vormünder 
ihren Mündeln und unterliegen, wenn fie abfichtlich zum Nachteil der Genofjen: 
Schaft handeln, der Strafbeftimmung des $ 266 des Strafgejegbuche. 

Ueberwachung der Betriche. 

$ 126. Die Genofjenfchaften find verpflichtet, für die Durchführung 
der gemäß $ 120 erlafjenen Unfallverhütungsvorjchriften Sorge zu tragen. 
Sie find befugt, durch technische Auffichtsbeamte die Befolgung der zur Ver: 
hütung von Unfällen erlafjenen VBorjchriften zu überwachen und von den Ein: 
richtungen der Betriebe, joweit fie für die Zugehörigkeit zur Genofjenichaft 
oder für die Einjchägung in den Gefahrentarif von Bedeutung find, Kenntnis 
zu nehmen. Sie find ferner befugt, durch Rechnungsbeamte behufs Prüfung 
der von den Betriebsunternehmern auf grund gejelicher oder jtatutarischer 
Beitimmungen eingereichten Arbeiter und Lohnnachweiiungen diejenigen Ge: 
ichäftsbücher und Liſten einzujehen, aus welchen die Zahl der bejchäftigten 
Arbeiter und Beamten und die Beträge der verdienten Löhne und Gehälter 
erjichtlich werden. 

Die Funktionen des technischen Auffichtsbeamten und des Nechnungs- 
beamten fünnen mit Genehmigung des Neichs » Verjicherungsamts in einer 
Perſon vereinigt werden. 

Die einer Genoffenjchaft angehörenden Betriebsunternehmer find ver: 
pflichtet, den als jolchen legitimierten technifchen Aufjichtsbeamten der beteiligten 
Senofjenjchaft auf Erfordern den Zutritt zu ihren Betriebsftätten während 
der Betriebszeit zu gejtatten und den Rechnungsbeamten die bezeichneten Bücher 
und Lijten an Ort und Stelle zur Einficht vorzulegen. Sie fünnen hierzu, 
vorbehaltlich der Beitimmungen des $ 127, auf Antrag der technifchen Auffichts- 
beamten oder der Necdhnungsbeamten von der unteren Verwaltungsbehörde 
durch Geldjtrafen im Betrage bis zu dreihundert Mark angehalten werden. 





704 V. Die übrigen wichtigiten Reichsgeſetze jtrafrechtlichen Inhalts. 


$ 127. Befürchtet der Betrieböunternehmer die Verlegung des Fabrik: 
geheimnifjes oder die Schädigung feiner Gejchäftsintereffen infolge der Be- 
ſichtigung des Betriebes durch den techniſchen Auffichtsbeamten der Genofjen- 
ihaft, jo kann derſelbe die Befichtigung durch andere Sachverjtändige 
beanspruchen. In diefem alle hat er dem Genofjenjchaftsvorjtande, jobald 
er den Namen des technifchen Auffichtsbeamten erfährt, eine entiprechende 
Mitteilung zu machen und einige geeignete Perfonen zu bezeichnen, welche 
auf feine Kojten die erforderliche Einficht in den Betrieb zu nehmen und 
dem Vorſtande die für die Zwecke der Genoſſenſchaft notwendige Auskunft 
über die Betriebseinrichtungen zu geben bereit find. In Ermangelung einer 
Verftändigung zwilchen dem Betriebsunternehmer und dem Borjtande ent- 
icheidet auf Anrufen des leßteren das Reichs : Verficherungsamt. 

Offenbarung von Betrichögeheimmifien. 

$ 160. Die Mitglieder der Vorſtände der Genoſſenſchaften und Die 
Mitglieder der Genojjenschaftsausschüffe zur Entjcheidung über Beſchwerden 
($ 38 Ziffer 3), imgleichen die in Gemäßheit der SS 126 und 127 ernannten 
techniichen Aufjichtsbeamten und Sacveritändigen, jowie die Beifiger der 
Schiedögerichte ($ 9 des Gefeges, betreffend die Abänderung der Unjallver: 
jicherungsgejege) werden, wenn jie unbefugt Betriebsgeheimniffe offenbaren, 
welc;e fraft ihres Amtes oder Auftrages zu ihrer Kenntnis gelangt find, mit 
Geldftrafe bis zu eintaujendfünfhundert Markt oder mit Gefängnis bis zu 
drei Monaten bejtraft. 

Die Verfolgung tritt nur auf Antrag des Betriebsunternehmers ein. 


$ 161. Die im $ 160 bezeichneten Perjonen werden mit Gefängnis, 
neben welchem auf Berluft der bürgerlichen Ehrenrechte erfannt werden kann, 
beitraft, wenn fie abjichtlich zum Nachteile der Vetriebsunternehmer Betriebe: 
geheimniſſe, welche kraft ihres Amtes oder Auftrages zu ihrer Kenntnis gelangt 
jind, offenbaren oder geheim gehaltene Betriebseinrichtungen oder Betriebs: 
weilen, welche fraft ihres Amtes oder Auftrages zu ihrer Kenntnis gelangt 
find, folange als diefe Betriebsgeheimniffe find, nachahmen. 

Tun fie dies, um ſich oder einem anderen Vermögensvorteil zu ver: 
haften, jo fan neben der Gefängnigitrafe auf Geldjtrafe bis zu dreitaujend 
Marf erfannt werden. 


Bau-Unfallverſicherungsgeſetz. — Schutz von Vögeln. 705 


57. Bau⸗Unfallverſicherungsgeſth. 
In der Faſſung des auf grund des Geſetzes, betreiiend die Abänderung der Unfallverſicherungs— 
gefege vom 30. Juni 1900, befannt gemadjten Terte®. 
R.G.Bi. ©. 698.) 
(Auszug.) 
Unfallverhütung. Ueberwachung durch die Genoſſenſchaft. 
s 40 (Auszug) Die Beſtimmungen der 88 112 bis 124 des Gewerbe— 
Unfallverficherungsgejeges finden (mit folgenden Maßgaben) Anwendung. 
Strafbeitimmungen. 
s 45 (bj. 2). Im übrigen finden die Vorjchriften der $$ 135, 139 
bis 155 des Gewerbe: Unfallverjicherungsgejeges entjprechende Anwendung. 
Die Strafbeitimmungen insbejondere auch bezüglich der Einreichung und 
Nichtigkeit der Für die Berechnung der Prämien maßgebenden Nach- 
weilungen. 8 24.) 


38. Gejeß, betreffend den Schub von Bögeln. 
Vom 22. März 1888, 


(R.G.RL. 2. 111.) 
Berbote, 


$ 1. Das Zerjtören und das Ausheben von Nejtern oder Brutjtätten 
der Vögel, das Zerftören und Ausnehmen von Eiern, das Ausnehmen und 
Töten von Jungen, das FFeilbieten und der Berfauf der gegen diejes Verbot 
erlangten Nefter, Eier und Jungen it unterjagt. 

Dem Eigentümer und dem Nutungsberechtigten und deren Beauftragten 
jteht jedoch frei, Nejter, welche fich an oder in Gebäuden oder in Hofräumen 
befinden, zu bejeitigen. 

Auch findet das Verbot feine Amvendung auf das Einfammeln, Feil- 
bieten und den Verfauf der Eier von Strandvögeln, Seeſchwalben, Möven 
und Stiebigen, jedoch kann durch Landesgejeg oder durch landespolizeiliche 
Anordnung das Einjfammeln der Eier diefer Vögel für beitimmte Orte oder 
für beſtimmte Zeiten unterfagt werden. 

45 


En ao | 


706 V. Die übrigen wichtiaften Reichsgeſetze jtrairechtlihen Inhalts. 





8 2. Verboten iſt ferner: 

a) das Fangen und die Erlegung von Vögeln zur Nachtzeit mittelſt 
Leimes, Schlingen, Neben oder Waffen; als Nachtzeit gilt der 
Zeitraum, welcher eine Stunde nach Sonnenuntergang beginnt 
und eine Stunde vor Sonnenaufgang endet; 

b) jede Art des Fangens von Vögeln, jolange dev Boden mit Schnee 
bededt iſt; 

c) das Fangen von Vögeln mit Anwendung von Körnern oder 
anderen Futteritoffen, denen betäubende oder giftige Beitandteile 
beigemischt find, oder unter Anwendung geblendeter Yodvögel: 

d) das Fangen von Vögeln mitteljt Fallfäfigen und Fallkäſten, 
Neufen, großer Schlag: und Zugnege, jowie mittelft beweglicher 
und tragbarer, auf dem Boden oder quer über das Feld, das 
Niederholz, das Rohr oder den Weg gejpannter Nete. 

Der Bundesrat ijt ermächtigt, auch beftimmte andere Arten des Fangens 
Jowie das Fangen mit VBorfebrungen, welche eine Mafjenvertilgung von Vögeln 
ermöglichen, zu verbieten. 

Schonzeit. 

S 3. In der Zeit vom 1. März bis zum 15. September iſt das Fangen 
und Die Grlegung von Vögeln ſowie das Feilbieten und der Verkauf toter 
Vögel überhaupt unterjagt. 

Der Bundesrat ijt ermächtigt, das Fangen und die Erlegung bejtimmter 
Vogelarten, jowie das zFeilbieten und den Verkauf derielben auch außerhalb 
des im Abi. 1 beftimmten Zeitraums allgemein oder für gewiſſe Zeiten oder 
Bezirke zu unterjagen. 

8 4. Dem Fangen im Sinne Ddiejes Geſetzes wird jedes Nachitellen 
zum Zweck des Fangens oder Tötens von Vögeln, insbefondere das Auf: 
jtellen von Veen, Schlingen, Leimruten oder anderen Fangvorrichtungen 
gleichgeachtet. | 

S5. Wögel, welche dem jagdbaren Feder- und Haarwilde und dejien 
Brut und Jungen, ſowie Fiſchen und deren Brut nachjtellen, dürfen nad 
Maßgabe der landesgejeslichen Beltimmungen über Jagd und Fiſcherei von 
den Jagd» oder ‚Siichereiberechtigten und deren Beauftragten getötet werden. 

Wenn Vögel in Weinbergen, Gärten, bejtellten Feldern, Baumpflanzımaen, 
Saatfämpen und Schonungen Schaden anrichten, fünnen die von den Landes: 


|| TEE > - — 


Schutz von Vögeln— 707 


regierungen bezeichneten Behörden den Eigentümern und Nutzungsberechtigten 
der Grundftüde und deren Beauftragten oder öffentlichen Schutzbeamten 
(Forſt- und FFeldhütern, Flurſchützen ufw.), foweit dies zur Abwendung diejes 
Schadens notwendig tit, das Töten jolcher Vögel innerhalb der betroffenen 
Dertlichfeiten auch während der im $ 3 Abſ. 1 bezeichneten Friſt geftatten. 
Das Fzeilbieten und der Berfauf der auf grund folcher Erlaubnis erlegten 
Vögel find unzuläffig. 

Ebenjo fünnen die im Abjat 2 bezeichneten Behörden einzelne Aus: 
nahmen von den Beitimmungen in SS 1 bis 3 diejes Gefetes zu willen: 
Ichaftlichen oder Lehrzweden, jowie zum Yang von Stubenvögeln für eine 
beitimmte Zeit und für bejtimmte Dertlichfeiten bewilligen. 

Der Bundesrat beitimmt die mäheren Vorausfegungen, unter welchen 
die im Abſ. 2 und 3 bezeichneten Ausnahmen jtatthaft fein ſollen. 

Bon der Vorfchrift unter $ 2b fann der Bundesrat für bejtimmte 
Bezirke eine allgemeine Ausnahme geftatten. 

Strafbeitimmungen. 
$ 6. Zumwiderhandlungen gegen die Beitimmungen diejes Gejeges oder 
gegen die von dem Bundesrat auf grund derjelben erlaflenen Anordnungen 
werden mit Geldjtrafe bis zu einhundertundfünzig Mark oder mit Haft beitrait. 

Der gleichen Strafe unterliegt, wer es unterläßt, Kinder oder andere 
unter feiner Gewalt jtehende Perſonen, welche feiner Aufſicht untergeben jind 
und zu jeiner Hausgenofjenjchaft gehören, von der Lcbertretung dieſer Bor: 


schriften abzuhalten. 
Ginzichung. 


$ 7. Neben der Gelditrafe oder der Haft kann auf die Einziehung 
der verbotswidrig in Beſitz genommenen, feilgebotenen oder verfauften Vögel 
Nejter, Eier, ſowie auf Einziehung dev Werkzeuge erfannt werden, welche zum 
Fangen oder Töten der Vögel, zum Zeritören oder Ausheben der Neiter, 
Brutjtätten oder Gier gebraucht oder beſtimmt waren, ohne Unterſchied, ob 
die einzuziehenden Gegenſtände dem WBerurteilten gehören oder nicht. 

Fit die Verfolgung oder Verurteilung einer beitinmten Perſon nicht 
ansführbar, jo fünnen die im vorftehenden Abjag bezeichneten Mapnahmen 


jelbitändig erfannt werden, 
Nidhtanwendbarfeit des Geſetzes. 


8 8. Die Beſtimmungen dieſes Geſetzes Finden feine Anwendung 
a) auf das im Privateigentum befindliche Federvieh: 
b) auf die nach Maßgabe der Yandesgefete jagdbaren Vögel: 
45* 


708 V. Die übrigen wichtigſten Reichsgeſetze ſtrafrechtlichen Inhalte. 


ec) auf die in nachjtehendem Verzeichnis aufgeführten Vogelarten: 
. Tagraubvögel, mit Ausnahme der Turmfalfen, 
. Uhus, 
. Wiürger (Neuntöter), 
. Kreuzichnäbel, 
. Sperlinge (Haus: und Feldſperlinge), 
6. Kernbeißer, 
7. Nabenartige Bögel (Kolfraben, Rabenfrähen, Nebelträhen 
Saatfrähen, Dohlen, Elitern, Eichelheher, Nuß- oder Tannen: 
heher), 
8. Wildtauben (Ringeltauben, Hohltauben, Turteltauben), 
9. Waſſerhühner (Rohr- und Bleßhühner). 
10. Reiher (eigentliche Reiher, Nachtreiher oder Nohrdommeln), 
11. Säger (Sägetaucher, Tauchergänfe), 
12. alle nicht im Binnenlande brütende Möven, 
13. Kormorane, 
14. Taucher (Eistaucher und Haubentaucher). 

Auch wird der in der bisher üblichen Weiſe betriebene Krammets— 
vogelfang, jedoch nur in der Zeit vom 21. September bis 31. Dezember je 
einschließlich, durch die Vorjchriften dieſes Geſetzes nicht berührt. 

Die Berechtigten, welche in Ausübung des Krammetsvogelfangs außer 
den eigentlichen Krammetsvögeln auch andere, nad) diefem Gefege geſchützte 
Vögel unbeabfichtigt mitfangen, bleiben traflos. 


a m — 


Landesrecht. 
$ 9. Die landesrechtlichen Beſtimmungen, welche zum Schutze der 
Vögel weitergehende Verbote enthalten, bleiben unberührt. Die auf grund 
derſelben zu erkennenden Strafen dürfen jedoch den Höchſtbetrag der in dieſem 
Geſetze angedrohten Strafen nicht überiteigen. 


— 





5 8 8 Blätter für Dachträge und Notizen. 3 8 & 


& Blätter für Nachträge und Notyen. © 8 & 


= 58 8 Blätter für Nachträge und Notizen. & 


So 5 8 Blätter für Nachträge und Notizen. S 8 & 


oo & 8 Blätter für Nachträge und Noten. > 8 & 





I. Deutſches Reid). 709 


Nachtrag 


der während des Drudes veröffentlichten Geſetze. 


I. Dentſche⸗ Reich. 


Die Betriebsordnung für die Haupteiſenbahnen und die Bahnordnung für die Nebeneiſenbahnen 
Deutſchlands find vom 1. Mai 1905 aufgehoben (Handbuch, Bd. I, S. 660 ff. und 666 fi.). 


I. Bekanntmadyung, 


betreffend die Eifenbahn-Bau- und Betriebsordnung. 
Bom 4. November 1904. 
(R.G.BI. 1904, ©. 387.) 

Gemäß dem vom Bundesrat in der Sitzung vom 3. November 1904 
auf Grund der Artikel 42 und 43 der Neichsverfafjung gefaßten Beichlufje 
tritt mit dem 1. Mai 1905 an die Stelle 

der Normen für den Bau und die Musrüftung der Haupteiſen— 
bahnen Teutjchlands vom 5. Juli 1892, 

der Betriebsordnung für die Haupteijenbuhnen Deutjchlands vom 
5. Juli 1892, 

der Bahnordnung für die Nebeneifenbahnen Deutſchlands vom 
5. Suli 1892 

und der zu diefen Ordnungen ergangenen Nachträge 

die nachſtehende Eiſenbahn-Bau- und Betriebsordnung. 


Eifenbahn-Bau- und Betriebsordnung 
(Auszug). 


(Gültig fir Haupt- und Nebeneijenbahnen.) 


IV. Sahnbetricb. 
Eiſenbahnbetriebsbeamte. 
8 45. (1) Eiſenbahnbetriebsbeamte find die nachſtehend aufgeführten 
Beamten, Bedienſteten und Arbeiter und ihre Vertreter: 
1. die die Unterhaltung und den Betrieb der Bahn leitenden und 
beaufjichtigenden Beamten, 
2. die Bahnkontrolleure, die Betriebsfontrolleure, 


710 Nachtrag. 


3. die Vorjteher und Aufjeher der Stationen, die fonjtigen Fahr: 
dienjtleiter (Bemerkung zu $ 51 (1), 
. die Bahnmeijter, die Telegraphenmeiiter, 
. Die Nottenführer, 
. die Meichenfteller, 
. die Blod:, Bahn- und Schranfenwärter, 
. die Zugbegleitungsbeamten, 
. die Betriebswerfmeifter, 
10. die Lofomotivführer und Heizer, 
11. die Rangiermeifter und Wagenmeijter. 

(2) Die Betriebsbeamten müſſen mindeitens einundzwanzig Jahre alt und 
unbejcholten fein, auch die Eigenfchaften und die Befähigung bejigen, die ihr 
Dienst erfordert. | 

(3) Die Betriebsbeamten find in der zur geficherten Durchführung des 
Betriebs erforderlichen Anzahl anzuftellen. 

(1) Den Betriebsbeamten find jchriftliche oder gedrudte Anweifungen über 
ihre dienstlichen Pflichten einzuhändigen. 

(5) Ueber jeden Betriebsbeamten find Perjonalaften zu führen uſw. 


> DD I Te 


V. Bahnpolizei. 
Eijenbahnpolizeibeamte. 

$ 74. (1) Eijenbahnpolizeibeamte find Die im $45 unter 1 bis 11 auf- 

geführten Eijenbahnbetriebsbeamten und 
12. Pförtner, 
13. Bahnfteigichaffner, 
14. Wächter. 

(2) Die Bahnpolizeibeamten find zu vereidigen oder durch Handichlag an 
Eidesftatt zu verpflichten. Die Bereidigung oder eidliche Verpflichtung verleiht 
dem Bahnpoflizeibeamten die Nechte des Öffentlichen Polizeibeamten. 

(3) Die Beitimmungen im $ 45 (2), (a) und (s) finden auch auf die in 
(1) unter 12 bis 14 aufgeführten Bahnpolizeibeamten Anwendung. 

(4) Beamten, die fich zur Ausübung polizeificher Obliegenheiten ungeeignet 
zeigen, dürfen folche nicht übertragen werden. 

(5) Auf die Offiziere, Beamten und Mannjchaften der militärijchen 
Formationen für Eifenbahnziwede findet die Vorjchrift über die Vereidigung 
oder eidliche Verpflichtung (2) feine Anwendung. 


> LEE de ne ae an ne eier gu — Fer 


I. Deutſches Neid). 711 


Ausübung der Bahnpolizei. 


s 75. (1) Der Umtsbereich der Bahnpolizeibeamten umfaßt örtlich — 
ohne Rüdficht auf den Wohnort oder Dienjtbezirt — das gefamte Bahngebiet 
der Verwaltungen, bei denen fie bejchäftigt werden, jachlich die Maßnahmen, 
die zur Handhabung der für den Eijenbahnbetrieb geltenden Polizeiverordnungen 
erforderlich find. 


(2) Bei Ausübung des Dienjtes müſſen die Bahnpolizeibeamten Uniform 
oder ein Dienjtabzeichen tragen oder mit einem jonjtigen Ausweis über ihre 
amtliche Eigenjchaft verjehen jein. 

(3) Die Bahnpolizeibeamten haben fic, dem Publikum gegenüber befonnen 
und rüdjichtsvoll, aber bejtimmt zu benehmen. 

(4) Die Bahnpolizeibeamten find befugt, jeden vorläufig jeitzunehmen, der 
auf der Uebertretung der in den 88 77 bis 81 enthaltenen Bejtimmungen 
oder einer ſonſtigen jtrafbaren Handlung betroffen oder unmittelbar danach 
verfolgt wird, wenn er der ‚Flucht verdächtig ift oder fich nicht auszuweiſen 
vermag. Eine Feſtnahme wegen llebertretung der in den 88 77 bis 81 ent— 
haltenen Beftimmungen hat zu unterbleiben, wenn eine angemefjene Sicherheit 
beitellt wird; dieſe Sicherheit darf den Betrag von einhundert Marf ($ 82) 
nicht überjteigen. Iſt die vorläufige Feſtnahme notwendig. um die Fortjegung 
der jtrafbaren Handlung zu verhindern, jo darf jie nicht unterbleiben, auch 
wenn der Täter nicht der Flucht verdächtig ift, fich auszumeifen vermag und 
Sicherheitsleiſtung anbietet. 

(5) Der Feitgenommene ift, wenn er nicht wieder in Freiheit gejegt wird, 
unverzüglich dem Amtsrichter oder der Polizeibehörde des Bezirks, in dem die 
Feſtnahme erfolgte, vorzuführen. 

(s) Erfolgt die Ablieferung nicht durch einen Bahnpolizeibeamten, jo hat 
der fie anordnende Beamte eine mit jeinem Namen und feiner Dienjtjtellung 
verjehene Starte, worauf der Grund der Feitnahme vermerkt ift, mitzugeben. 


Gegenjeitige Unteritügung der Polizeibeamten. 


$ 76. Die fonjtigen Polizeibeamten find verpflichtet, die Bahnpolizei— 
beamten auf Erfuchen bei Handhabung der Bahnpolizei zu unterftügen. Ebenſo 
find die Bahnpolizeibeamten verbunden, den fonjtigen Polizeibeamten bei der 
Ausübung ihres Dienjtes innerhalb des Bahngebiet3 Beiltand zu leiften, ſoweit 
e3 ihre bahndienſtlichen Pflichten zulaſſen. 





712 Nadıtrag. 





VI. Beſtimmungen für das Publikum. 
Allgemeine Beitimmungen. 

$ 77. Die Reilenden und das ſonſtige Publifum haben den allgemeinen 
Anordnungen, die von der Bahnverwaltung zur Aufrechterhaltung der Ordnung 
innerhalb des Bahngebiet3 und im Bahnverfehre getroffen werden, nachzu- 
fommen und den Dienftlichen Anordnungen der in Uniform befindlichen oder 
mit einem Dienjtabzeichen oder einem junjtigen Ausweis über ihre amtliche 
Eigenschaft verfehenen Bahnpolizeibeamten Folge zu leiften. 


Betreten der Bahnanlagen. 

$ 78. (1) Das Betreten der Bahnanlagen der freien Strede, ſoweit 
jie nicht zugleich zur Benugung als Weg bejtimmt find, ift ohne Erlaubnisfarte 
nur gejtattet: 

1. den Vertretern der Aufjichtsbehörden, 

2. den Beamten der Staatdanwaltichaft, der Gerichte, des Tyorit- 
ſchutzes und der Polizei, wenn es zur Ausübung ihres Dienjtes 
notwendig ilt, 

3. den Beamten des Telegraphen-, des Zoll- und de3 Steuerwejens, 
joweit e3 zur Wahrnehmung ihres Dienjtes innerhalb des Bahn: 
gebiet3 notwendig tit, 

4. den zur Befichtigung dienftlich entjandten deutfchen Offizieren. 

(2) Das Betreten der Stationsanlagen außerhalb der dem Publikum 
bejtimmungsgemäß geöffneten Räume ift ohne Erfaubnisfarte außer den unter (1) 
genannten Perfonen auch den Poſtbeamten geitattet, ſoweit fich der Boftdienft 
innerhalb des Stationsgebiets abwidelt. 

(3) Den Offizieren und den in Uniform befindlichen Beamten der deutfchen 
Feſtungsbehörden ift geftattet, die Bahnanlagen innerhalb des ee 
bis zur äußerſten Grenze der Tragweite der Gejchüge zu betreten. 

(4) Die zum Betreten der Bahnanlagen ohne Erlaubnisfarte — 
Perſonen haben ſich, ſoweit ſie nicht durch ihre Uniform kenntlich ſind, auf 
Erfordern durch eine Beſcheinigung ihrer vorgeſetzten Behörde auszumeijen. 

(6) Erlaubniskarten zum Betreten der Bahnanlagen dürfen nur mit 
Genehmigung der Auffichtsbehörde ausgejtellt werden. 

(s) Die zum Betreten der Bahnanlagen Berechtigten haben es zu vermeiden, 
ji innerhalb der Gleiſe aufzuhalten. 





I. Deutiches Neid). 713 


(7) Die Ueberwachung der Ordnung auf den Vorpläßen der Stationen liegt 
den Bahnpolizeibeamten ob, ſoweit nicht befondere Vorschriften anderes beftimmen. 

(s) Für das Betreten der Bahnanlagen durch Tiere ift der verantwortlich, 
dem die Aufjicht über die Tiere obliegt. 

(6) Wo die Bahn zugleich als Weg dient, ijt fie bei Annäherung eines 
Zuges zu räumen, 


Ueberjchreiten der Bahn. 

8 79. (1) Das Publiftum darf die Bahn nur an den zu Uebergängen 
beitimmten Stellen überfchreiten, und zwar nur folange, als dieſe nicht durch 
Schranfen gejchloffen find oder ein Zug fich nicht nähert. Beim Ueberjchreiten 
der Bahn ift jeder unnötige Aufenthalt zu vermeiden. 

(2) Prlüge und Eggen, Baumjtämme und andere jchwere Gegenftände 
dürfen, wenn fie nicht getragen werden, nur auf Wagen oder untergelegten 
Schleifen über die Bahn gejchafft werden. 

(s) Privatübergänge dürfen nur von den Berechtigten und nur unter 
den von der Aufficht3behörde genehmigten Bedingungen benutzt werden. 

(4) Es ift unterjagt, die Schranken oder ſonſtigen Einfriedigungen eigen- 
mächtig zu öffnen oder zu überjchreiten, etwas darauf zu legen oder zu hängen. 
Solange die Uebergänge gejchlojjen find, wenn an den mit Zugjchranfen ver- 
jehenen Uebergängen die Glode ertönt oder wenn ein Zug fich nähert, müfjen 
Fuhrwerke und Tiere an den Warnungdtafeln, und wo folche fehlen, in an- 
gemefjener Entfernung von der Bahn angehalten werden. Fußgänger dürfen 
bis an die Echranfen der damit verjehenen Uebergänge herantreten. 

(5) Größere Viehherden dürfen innerhalb zehn Minuten vor dem mut— 
maßlichen Eintreffen eines Zuges nicht mehr über die Bahn getrieben werden. 


Bahnbeihädigungen und Betriebsitörungen. 
$ 80. Es ijt verboten, die Bahnanlagen, die Betriebseinrichtungen oder 
die Fahrzeuge zu bejchädigen, Gegenftände auf die Fahrbahn zu legen oder 
jonjtige Fahrthindernifje anzubringen, Weichen umzustellen, faljchen Alarm 
zu erregen, Eignale nachzuahmen oder andere betriebjtörende Handlungen 
vorzunehmen. 
Verhalten der Neijenden. 


$ 81. (1) Die Reijenden dürfen nur an den dazu bejtimmten Stellen 
und nur an der dazu beitimmten Ceite der Züge ein- und ausſteigen. 


714 Nadıtrag. 


(2) Solange ein Zug fi in Bewegung befindet, ijt das Oeffnen der 
Wagentüren, das Ein- und Ausjteigen, der Verfuch oder die Hilfeleiitung 
dazu, das Betreten der Trittbretter und Plattformen, joweit der Aufenthalt 
hier nicht ausdrücklich gejtattet ift, verboten. 

(s) Es ift unterfagt, Gegenstände aus dem Wagen zu werfen, durch die 
ein Menjch verlegt oder eine Cache bejchädigt werden könnte. 


Beitrafung von Webertretungen. 

8 82. (1) Wer den Beftimmungen der 88 77 bis 81 zumwiderhandelt, 
wird mit Geldftrafe bis zu einhundert Marf beftraft, wenn nicht nach den 
allgemeinen Strafbeftimmungen eine höhere Strafe verwirft iſt. 

(2) Die gleiche Strafe trifft den, der den Beftimmungen der Verkehrs— 
ordnung über die von der Mitnahme in Perfonenwagen ausgejchlofienen 
Gegenſtände zumiderhandelt. 


Aushang don Vorſchriften. 

8 83. Ein Abdrud der 88 75 und 77 bis 82 dieſer Ordnung, ſowie 
der Beitimmungen der Verfehrsordnung über die von der Mitnahme in 
Perſonenwagen ausgejchloffenen Gegenjtände iſt in jedem Warteraum aus 
zubängen. 


9, Geſeh, 
betreffend Aenderungen des Gerictsverfafungsgefehes. 


Vom 5. Juni 1905. 
(R.G. Bl. 1905, ©. 532.) 
Abgeändert find die 88 27, 28 und 75. (Bergl. Handbuch, Bd. I, ©. 22 fi.) 


s 27. Bie Schöffengerichte find zuftändig 

1. für alle Uebertretungen ; 

2. für Diejenigen Vergehen, welche nur mit Gefängnis von höchjtens 
drei Monaten oder Gelditrafe von höchitens ſechshundert Marf, alleın 
oder neben Haft oder in Verbindung mit einander oder in Verbindung 
mit Einziehung bedroht find, mit Ausnahme der im 8 320 des 
Strafgeſetzbuchs und der im $ 74 dieſes Geſetzes bezeichneten Wergeben: 

3. für die nur auf Antrag zu verfolgenden Beleidigungen, wenn die 
Verfolgung im Wege der Privatflage gejchieht; 


I. Deutjches Reich. 715 


3a. für die nur auf Antrag zu verfolgenden Körperverlegungen ; 

3b. für das Vergehen des Hausfriedensbruchs im Falle des 8 123 
Abſ. 3 des Strafgeſetzbuchs; 

3c. für das Vergehen der Bedrohung mit der Begehung eines Ver: 
brechens im Falle des 8 241 des Strafgeſetzbuchs; 

3d. für das Vergehen des ftrafbaren Eigennußes in den Fällen des 
$ 286 Abf. 2, der 88 290, 291 und 298 des Strafgeſetzbuchs ſowie 
des 8 93 Abſ. 3 der Seemannsordnung vom 2. Juni 1902 
(Neichsgejegblatt ©. 175); 

4. für das Vergehen des Diebftahls im alle des 8 242 des Straf- 
gejegbuch?, wenn der Wert des Gejtohlenen einhundertfünfzig Mark 
nicht überfteigt; 

5. für das Vergehen der Unterfchlagung im Falle des $ 246 des 

Strafgefegbuchd, wenn der Wert des Linterjchlagenen einhundert- 

fünfzig Marf nicht überjteigt; 

für das Vergehen des Betruges im Falle des $ 263 des Straf— 

geſetzbuchs, wenn der Schaden einhundertfünizig Mark nicht 

überfteigt; 

7. für das Vergehen der Sachbefhädigung im Falle des $ 303 des 
Strafgejegbuchd, wenn der Schaden einhundertfünfzig Mark nicht 
überjteigt; 

8. für das Vergehen der Begünftigung und für das Vergehen der 
Hehlerei in den Fällen des $ 258 Nr. 1 umd des $ 259 des Straf- 
gejeßbuchg, wenn die Handlung, auf welche ſich die Begünftigung 
oder die Hehlerei bezieht, zur Zuftändigfeit der Schöffengerichte gehört. 

$ 28. Sit die Zuftändigfeit des Schöffengericht3 durch den Wert einer 

Sache oder den Betrag eines Schadens bedingt und jtellt jich in der Haupt— 

verhandlung heraus, daß der Wert oder Schaden mehr als einhundertfünizig 

Mark beträgt, jo hat das Gericht feine Unzuftändigfeit nur dann auszufprechen, 

wenn aus anderen Gründen die Ausjegung der Verhandlung geboten erjcheint. 

$ 75. Die Straffammer fann bei Eröffnung des Hauptverfahrens wegen 
der Vergehen: 

1. des Widerjtandes gegen die Staatögewalt in den Fällen der SS 113, 

114, 117 Abj. 1 und des 8 120 des Strafgeſetzbuchs; 

wider die Öffentliche Ordnung in den Füllen des $ 137 des Straf- 

geſetzbuchs; 


0 


716 Nachtrag. 


3. wider die Sittlichkeit in den Fällen der $$ 180 und 183 des Straf— 
geſetzbuchs 

4. der Beleidigung in den Fällen der nur auf Antrag eintretenden 
Verfolgung; | 

5. der Körperverlegung im Falle des $ 223a und des $ 230 Abf. 2 
des Strafgeſetzbuchs; 

5a. der Nötigung im Falle des $ 240 des Strafgeſetzbuchs; 

6. des Diebitahls im Falle des 8 242 des Strafgeſetzbuchs; 

7. der Unterfchlagung im Falle des $ 246 des Strafgejegbuchs ; 

8. der Begünftigung; 

9. der Hehlerei in den Fällen des $ 258 Nr. 1 und des $ 259 des 
Strafgeſetzbuchs; 

10. des Betruges im Falle des $ 263 des Strafgeſetzbuchs; 

11. des ftrafbaren Eigennußes in den Fällen des $ 286 Abi. 1 und 
der 85 288 und 289 des Strafgeſetzbuchs; - 

12. der Eahbejhädigung in den Fällen der 88 303 und 304 des 
Strafgejegbuchs; 

12a. der Bejtechung im Falle des $ 333 des Strafgejeßbuchs; 

13, wegen der gemeingefährlichen Vergehen in den Fällen der 88 309, 
316, 318, 318a, des 8 327 Abſ. 1 und des $ 328 Abi. 1 des 
Strafgejeßbuchs ; ferner 

14. wegen derjenigen Vergehen, welche nur mit Gefängnisfirafe von 
höchstens ſechs Monaten oder Geldjtrafe von höchitens eintaufend- 
fünfdundert Mark, allein oder neben Haft oder in Verbindung 
mit einander oder in Verbindung mit Einziehung bedroht find, 
mit Ausnahme der in den 88 128, 271, 296a, 301, 320, 331 
und 347 des Etrafgefegbuch® und der im $ 74 diejes Gejetes 
bezeichneten Vergehen; ſowie 

14a, wegen der Vergehen derjenigen Perſonen, welche zur Zeit der Tat 
das achtzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet Hatten, jowie 

15. wegen ſolcher Zumwiderhandlungen gegen die Vorjchriften über die 
Erhebung öffentlicher Abgaben und Gefälle, deren Strafe in dem 
mehrfachen Betrage einer Hinterzogenen Abgabe oder einer anderen 
Leiſtung bejteht; 

auf Antrag der Staatsanwaltichaft die Verhandlung und Entjcheidung dem 
Schöffengerichte, joweit dieſes nicht ſchon zuſtändig ift, überweiſen, wenn nach 





J. Deutiches Reid). 717 


den Umftänden des Falles anzunehmen ift, daß wegen des Vergehens auf 
feine andere und höhere Strafe, als auf eine Gefängnisjtrafe von höchitens 
ſechs Monaten oder eine Geldftrafe von höchitens eintaufendfünfhundert Marf 
allein oder neben Haft oder in Verbindung mit einander und auf feine höhere 
Rufe als eintaufendfünfhundert Mark zu erfennen fein werde. 

Beichwerde findet nicht jtatt. 

Hat im Falle der Nr. 15 die Verwaltungsbehörde die öffentliche Klage 
erhoben, jo jteht ihr der Antrag auf Ueberwerfung an das Schöffengericht in 
gleicher Weiſe wie der Staatsanwaltichaft zu. 


3. Geſeh., 
betreffend die Wetten bei öffentlich veranftalteten Pferderennen. 


Vom 4. Juli 1905. 
(R.G.Bl. 1905, ©. 595.) 


$ 1. Der Betrieb eines Wettunternehmens für öffentlich veranftaltete 
Pferderennen iſt nur mit Erlaubnis der Landes-Zentralbehörde oder der von 
ihr bezeichneten Behörde zuläjfig. 


$ 2. Die Erlaubnis darf nur jolchen Vereinen zur Veranftaltung von 
Pferderennen erteilt werden, welche nad) Mabgabe der vom Bundesrate zu 
erlafjenden Ausführungsbeitimmungen die Sicherheit bieten, daß fie die ihnen 
aus dem Betriebe des Wettunternehmens zufließenden Einnahmen ausjchlieglich 
zum Bejten der Zandespferdezucht verwenden. 

Die Erlaubnis fann von weiteren Bedingungen abhängig gemacht, jeder: 
zeit bejchränft oder widerrufen werden; fie muß widerrufen werden, wenn die 
in Abf. 1 bezeichnete Sicherheit nicht mehr beiteht. 


Ss 3. Das gefchäftsmäßige Vermitteln von Wetten für öffentlich im In— 
und Auslande veranftaltete Pferderennen ijt verboten. Aufforderungen und 
Angebote zum Abſchluß oder zur Vermittelung folcher Wetten find verboten, 
wenn fie Öffentlich oder durch Verbreitung von Echriften oder anderen Dar— 
ftellungen erfolgen. Unter diejes Verbot fallen nicht Ankündigungen eines 
nad) diefem Gejege erlaubten Wettunternehmens. 

$ 4. Die nad) Maßgabe des $ 23 des Neichsftempelgejeßes von den Wett- 
einfägen bei öffentlich veranjtalteten Rennen zu erhebende NReichsjtempel- 


ne >. ı Ve V—V—- 
» 





718 Nachtrag. 


abgabe (Tarifnummer 5 des Neichsjtempelgefeges) iſt bei Pierderennen auch 
dann zu entrichten, wenn ausſchließlich Mitglieder beftimmter Vereine zum 
Wetten zugelafjen werden. Die Beitimmung tritt für ſolche Wereine, welche 
ſchon im Jahre 1904 auf Mitglieder bejchränfte Wettunternehmen eingerichtet 
haben, erjt mit 1. Januar 1906 in Kraft. 


8 5. Die Hälfte des Ertrages ber Reichsitempelabgabe von Wetteinfägen 
bei PVierderennen wird im Neichshaushalte für Zwede der Pferdezucht bereit- 
gejtellt und zur Verwendung für diefe Zivede an die Regierungen der Einzel- 
jtaaten nad) dem Verhältnis ausgezahlt, nach welchem diefe Abgaben in ihren 
Gebieten aufgebracht find. 


$ 6. Mit Gefängnis von ein bis zu ſechs Monaten oder mit Geld- 
jtrafe von fünfhundert bis eintaufendfünfhundert Mark wird, jofern nicht nach 
anderen Gejegen eine höhere Strafe eintritt, bejtraft: 
1. wer ein Wettunternehmen für öffentlich veranftaltete Pferderennen 
ohne die vorgejchriebene Erlaubnis betreibt; 
2. wer den Vorſchriften des 8 3 zumiderhandelt. 
Sind mildernde Umſtände vorhanden, jo fann auf Gefängnisftrafe bis 
zu einem Monat oder auf Gelditrafe bis zu fünfhundert Mark erfannt werden. 


II. Rönigreich Preußen. 


Das Geſet über die Schonzeit des Wildes vom 26. Februar 1870 in der Faſſung der Geſetze 
vom 13. Auguſt 1897 und vom 15. April 1902 ift aufgehoben (Handbuch Bd. II, ©. 47). 
An feine Stelle ijt getreten: 


1. Wildſchongeſeh. 
Vom 14. Juli 1904. 


(Geſetzſammlung 1904, ©. 159.) 
(Sültig für den ganzen Umfang der Monarchie mit Ausſchluß der Hohenzollernſchen Lande.) 





$ 1. Jagdbare Tiere find: 
a) Elch», Rot, Dam:, Reh- und Schwarzwild, Hafen, Biber, Dttern, 
Dachfe, Füchſe, wilde tagen, Edelmarder; 
b) Auer-, Birf- und Hajelwild, Schnee-, Neb- und jchottiiche Moor: 
hühner, Wachteln, Fajanen, wilde Tauben, Drofjeln (Krammets- 
vögel), Schnepfen, Trappen, Brachvögel, Wachtelfönige, Kraniche, 


7 


c0 to — 





II. Königreich Preußen. 719 


Adler (Stein-, See-, Fiſch-, Schlangen-, Schreiadler), wilde 
Schwäne, wilde Gänſe, wilde Enten, alle anderen Sumpf- und 
Waſſervögel mit Ausnahme der grauen Reiher, der Störche, der 
Taucher, der Säger, der Kormorane und der Bleßhühner. 


Mit der Jagd ſind zu verſchonen: 


männliches Elchwild vom 1. Oktober bis 31. Auguſt, 

. weibliches Elchwild und Elchkälber das ganze Jahr hindurch, 

. männliches Not: und Damwild vom 1. März bis 31. Juli, 

. weibliches Rotwild, weibliches Damwild jowie Kälber von Not: 


und Dammwild vom 1. Februar bis 15. Dftober, 


. Rehböde vom 1. Januar bi8 15. Mai, 

. weibliches Rehwild und Rehfälber vom 1. Januar bis 31. Oftober, 
. Dachje vom 1. Januar bis 31. Auguft, 

. Biber vom 1. Dezember bis 30. September, 

. Hafen vom 16. Januar bis 30. September, 

. Auerhähne vom 1. Juni bis 30. November, 

11. 
12, 


Auerhennen vom 1. Februar bis 30. November, 
Birf-, Haſel- und Fafanenhähne vom 1. Juni bi8 15. September, 


13: Birk», Hafel- und Faſanenhennen vom 1. Februar bis 


15. September, 


. Rebhühner, Wachteln und fchottifche Moorhühner vom 1. Dezember 


bi8 31. Auguft, 


. wilde Enten vom 1. März bis 30. Juni, 

. Schnepfen vom 16. April bis 30. Juni, 

. Trappen vom 1. April bis 31. Auguft, 

. wilde Schwäne, Kraniche, Bradjvögel, Wachtelfönige und alle 


anderen jagdbaren Sumpf» und Wajjervögel mit Ausnahme ber 
wilden Gänfe vom 1. Mai bis 30. Juni, 


. Drofjeln (Krammetsvögel) vom 1. Ianıtar bi8 20. September. 


Die im vorjtehenden als Anfangs» und Endtermine der Schonzeiten 
bezeichneten Tage gehören zur Schonzeit. 

Beim Elch-, Rot:, Dam- und Rehwild gilt das Jungwild als Kalb bis 
einschließlich zum leiten Tage des auf die Geburt folgenden Februars. 

Vorſtehende Borichriften über Schonzeiten finden auf das Fangen oder 
Erlegen von Wild in eingefriedigten Wildgärten feine Anwendung. 


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> 


Nachtrag. 


83. Aus Rückſichten der Landeskultur oder der Jagdpflege kann der 
Miniſter für Landwirtſchaft, Domänen und Forſten den Abſchuß weiblichen 
Elchwildes für die Zeit vom 16, bis 30. Scptember gejtatten. 

Aus denjelben Gründen fünnen durch Beichluß des Bezirfsausjchuffes 

a) der Anfang und der Echluß der Schonzeiten für die in $2 unter 
12 bis 14 genannten Wildarten und der Schluß der Schonzeit 
für Rehböcke anderweit, jedoch nicht über 14 Tage vor oder nad) 
den dort bejtimmien Zeitpunkten feſtgeſetzt, 

b) das Ende der Echonzeit für Drofjein (Krammetsvögel) bis 30. Sep— 
tember einfchlichlich binausgejchoben, 

c) die Schonzeiten für Dachſe und wilde Enten eingejchränft oder 
gänzlich aufgehoben ſowie für Nehfälber und Biber verlängert oder 
auf das ganze Jahr - 

ausgedehnt werden. 

Die hiernach zuläjjige Abänderung oder Aufhebung der Schonzeiten 
darf für den ganzen Umfang oder nur für einzelne Zeile des Regierungs: 
bezirfes, die Abänderung für die einzelnen Teile desjelben Regierungsbezirfes 
in verjchiedener Weiſe erfolgen. 

Der Beihluß zu a fann nur für die Dauer eines Jahres gefaßt werden. 

8 4. Das Aufitellen von Schlingen, in denen ſich jagdbare Tiere oder 
Kaninchen fangen fünnen, iſt verboten. 

Unter dieſes Verbot fällt nicht die Ausübung des Dohnenſtiegs mittels 
hochhängender Dohnen. Die Art der Ausübung des Dohnenſtiegs kann durch 
den Negierungspräfidenten im Wege der Polizeiverordnung geregelt werden. 

$ 5. Kiebitz- und Möweneier dürfen nur bis 30. April einjchlieglich 
eingejammelt werden. 

Durch Beichluß des Bezirfeausfchuffes kann diefer Termin bis zum 
10. April einschließlich zurüdverlegt oder für Mömeneier bis zum 15. Juni 
einjchließlich verlängert werben. 

Das Sammeln der Kiebig- und Mömeneier darf von anderen Berjonen 
als dem Jagdberechtigten nur in defjen Begleitung oder mit deſſen jchriftlich 
erteifter Erlaubnis, welche der Sammelnde bei ſich zu führen hat, vor: 
genommen werben. 

Eier oder Junge von anderem jagdbaren Federwild auszunehmen, iſt 
auch der Sagdberechtigte nicht befugt, mit Ausnahme derjenigen Eier, welche 
ausgebrütet werden jollen. 





II. Königreid) Preußen. 721 


Zum Ausnehmen von Giern, welche zu wifjenfchaftlichen oder zu Lehr 
zweden benußt werden follen, bedarf es der Genehmigung der Jagdpolizeibehörde. 


5 6. Vom Beginne des fünfzehnten Tages der für eine Wildart feſt— 
gejegten Schonzeit bis zu deren Ablauf ift es verboten, derartiges Wild in 
ganzen Stüden oder zerlegt, aber nicht zum Genufje fertig zubereitet, in dem: 
jenigen Bezirfe, für welchen die Schonzeit gilt, zu verfenden, zum Verkaufe 
herumzutragen oder auszujtellen oder feilzubieten, zu verkaufen, anzufaufen, 
oder den Berfauf von ſolchem Wild zu vermitteln. 

Vorjtehenden Beſchränkungen unterliegt nicht der Vertrieb einzelner 
Arten von Wild aus Kühlyäufern, wenn er unter Kontrolle nad) Maßgabe 
der von den zuftändigen Miniftern zu erlaffenden Beitimmungen ftattfindet. 
Die Koſten der Kontrolle fallen den Inhabern der Kühlhäufer zur Laſt und 
fönnen in Form einer Gebühr nach Tarifen erhoben werden. 

‚serner dürfen Ausnahmen, wenn es ſich um die Verſendung, den Ver- 
fauf, den Anfauf und die Verfaufsvermittelung von lebendem Wild zum 
Zwede der Blutauffrifchung oder Einführung einer Wildart handelt, durch) 
den für den Empfangsort zuftändigen Regierungspräfidehten gejtattet werden. 

Die Beitimmungen des erjten Abjates finden auf KHiebig- und Mötveneier 
entjprechende Anwendung. 


$ 7. Bom Beginne des fünfzehnten Tages der für das weibliche Elch-, 
Not-, Dam- und Rehwild fejtgejegten Schonzeiten bis zu deren Ablauf it es 
verboten, unzerlegtes Elch», Rot, Dam» und Rehwild, bei welchem das Ge— 
Ichlecht nicht mehr mit Sicherheit zu erfennen ift, zu verjenden, zum Berfaufe 
herumzutragen oder auszuſtellen oder feilzubieten, zu verfaufen, anzufaufen 
oder den Berfauf von ſolchem Wilde zu vermitteln. 


$ 8. Die Vorfchriften der S$ 6 und 7 finden auf Wild feine Anwendung, 
welches im Strafverfahren in Bejchlag genommen oder eingezogen, oder welches 
mit Genehmigung oder auf Anordnung der zuftändigen Behörde oder in Fällen 
erlegt ijt, in denen befondere gejegliche Vorſchriften e3 gejtatten ($ 19 Abi. 2). 

Wer jedoch jolches Wild in ganzen Stüden oder zerlegt verjendet, zum 
Berfaufe herumträgt oder ausjtellt oder feilbietet, verfauft, oder den Verkauf von 
jolchem Wilde vermittelt, muß mit einer befrijteten Bejcheinigung der Ortspolizei- 
behörde oder des von ihr mit Genehmigung des Landrat zur Ausstellung 
einer ſolchen ermäcdhtigten Gemeinde-(Gut3-)VBorjtehers verjehen fein. 

Der Käufer muß fich die Beicheinigung vorzeigen lafjen. 





122 Nachtrag. 


8 9, Die Verſendung von Wild darf nur unter Beifügung eines 
Urjprungsicheines erfolgen. 

Die näheren VBorfchriften werden von dem Oberpräjidenten oder dem 
Negierungspräfidenten im Wege der Volizeiverordnung erlafjen; hierbei können 
von dem Erfordernifje des Urſprungsſcheins bezüglich einzelner kleinerer Wild» 
arten Ausnahmen gejtattet werden. 


$ 10. Die Vorjchriften der 88 6 bis 9 finden auch auf Wild, welches 
in eingefriedigten Wildgärten erlegt oder gefangen ijt, Anwendung. 

8 11. Der Bezirksausſchuß iſt befugt, für den Umfang de3 ganzen 
Regierungsbezirkes oder einzelne Teile des legteren diejenigen nicht jagdbaren 
Vögel zu bezeichnen, auf welche die Ausnahmebeftimmung des $ 5 Abſatz 1 
des Neichögejeges, betreffend den Schuß von Vögeln, vom 22. März 1888 
(R.GBl. ©. 111) dauernd oder vorübergehend Anwendung finden darf. 

$ 12. Der Beichluß des Bezirfsausschuffes ift in den Fällen der SS 3, 
5 und 11 endgültig. 

$ 13. Mit den nachjtehenden Geldjtrafen wird bejtraft, wer während 
der Schonzeit erlegt oder einfängt: 


1. ein Stüd Eldwid -. . » » 2 130 Mar 
2. ein Stüd Rotwild . » > 2 2 22 4130 
3. ein Stüd Damwid . » 2 2 2 2 2 22020. , 10 
4. einen Biber. a Re . 100 
5. ein Stüd Nehwid . . . . . +60 
6. ein Stüd Auerwild, eine Trappe, einen — > a 
7. einen Dachs, einen Hafen, ein Stüd Birk- oder Hajel- 
wild, eine Schnepfe oder einen Faſan. . . . . 10 


8. ein Rebhuhn, ein fchottifches Moorhuhn, eine Wachtel, 
eine wilde Ente, einen Kranich, einen Brachvogel, einen 
Wachtelkönig, oder einen jonjtigen jagdbaren Sumpf« 
oder Waſſervogee..5 
9. eine Drofjel (Krammetsvogel) . .» .. . — — 
Sind mildernde Umſtände vorhanden, ſo kann die Geldſtrafe in den 
Fällen 1 bis 4 bis auf 15 Mark, 5 und 6 auf 5 Mark, in den Fällen 7 
bis 9 bis auf 1 Mark für jedes Stüd ermäßigt werden. 


$ 14. Bei Einführung oder Einwanderung bisher nicht einheimijcher 
Wildarten fann durch Königliche Verordnung Beitimmung getroffen werben 


II. Königreich Preußen. 123 


über ihre Jagdbarfeit, die Feſtſetzung von Schonzeiten für fie und die An— 
drohung von Strafen bei Verlegung der feſtgeſetzten Schonzeiten. 


$ 15. Mit Gelditrafe bis zu 150 Mark wird bejtraft, wer: 
1. innerhalb der Schonzeit auf die durch dieje gefchügten Tiere die 
Jagd ausübt, ohne fie zu erlegen oder einzufangen, 
2. den Borfchriften des $ 4 zuwider Schlingen jtellt, in denen jagd- 
bare Tiere oder Kaninchen jich fangen fünnen. 
Iſt in den Schlingen Wild gefangen worden, für welches eine Schon 
zeit vorgefchrieben ift, jo darf eine niedrigere Strafe, als wie fie nad) 88 13 
und 14 angedroht ijt, nicht verhängt werden. Das Gleiche findet Anwendung 
auf Wild, für welches die Schonzeiten deshalb nicht gelten, weil es ſich in 
eingefriedigten Wildgärten befindet. 
Bei einer Zuwiderhandlung gegen den 8 4 ift neben der Gelditrafe die 
Einziehung der Schlingen auszufprechen, ohne Unterjchied, ob fie dem Schuldigen 
gehören oder nicht. 


$ 16. Mit Geldftrafe bis zu 150 Mark wird bejtraft: wer den Vor— 
jchriften der $$ 6, 7 und 8 zuwider Wild oder Kiebitz- oder Möweneier ver: 
jendet, zum Berfaufe herumträgt oder ausftellt oder feilbietet, verfauft, an— 
fauft oder den Verkauf von ſolchem Wild (Eiern) vermittelt. 

Hat der Täter gewerbd: oder gewohnheitsmäßig gehandelt, jo iſt eine 
Geldftrafe von nicht unter 30 Marf zu verhängen. 

Neben der Geldfirafe ift das den Gegenjtand der Zuwiderhandlung 
bildende Wild (die Kiebig- und Mömeneier) einzuziehen, ohne Unterjchied, ob 
der Echuldige Eigentümer ift oder nicht; von der Einziehung fann abgejehen 
werden, wenn der Anfauf nur zum eigenen Berbrauche gejchehen ift. 


8 17. An die Stelle einer nad) Maßgabe der vorjtehenden Bejtim- 
mungen zu verhängenden, nicht beitreibbaren Geldjtrafe tritt Haftjtrafe nach 
Maßgabe der SS 28 und 29 des Reichs-Strafgeſetzbuchs. 


$ 18. Für die Gelditrafe und die Kojten, zu denen Perſonen ver: 
urteilt werden, welche unter der Gewalt, der Aufjicht oder im Dienfte eines 
anderen ſtehen und zu dejjen Hausgenofjenichaft gehören, iſt legterer im Falle 
des Unvermögens der Berurteilten für haftbar zu erflären, und zwar unab- 
hängig von der etwaigen Strafe, zu welcher er felbit auf grund diejes Gejeges 
oder des $ 361 zu 9 des Strafgejegbuchs verurteilt wird. Wird fejtgejtellt, 





724 Nachtrag. 


day die Tat nicht mit feinem Wifjen verübt ift, oder daß er fie nicht ver: 
hindern konnte, jo wird die Haftbarfeit nicht ausgejprochen. 

Hat der Täter noch nicht das zwölfte Lebensjahr vollendet, jo wird 
derjenige, welcher in Gemäßheit der vorjtehenden Beſtimmungen haftei, zur 
Zahlung der Gelditrafe und der Kojten al3 unmittelbar haftbar verurteilt. 
Dasjelbe gilt, wenn der Täter zwar das zwölfte, aber noch nicht das acht— 
zehnte Lebensjahr vollendet hatte und wegen Mangels der zur Erfenntnis der 
Strafbarkeit feiner Tat erforderlichen Einficht freizujprechen ijt, oder wenn 
derjelbe wegen eines feine freie Willensbejtimmung ausjchliegenden Zuſtandes 
itraffrei bfeibt. 

Gegen die in Gemäßheit der vorjtehenden Beitimmungen als haftbar 
Erflärten tritt an die Stelle der Geldjtrafe eine Freiheitsitrafe nicht ein. 

$ 19. Alle dem gegenwärtigen Gefet entgegenftehenden Bejtimmungen 
treten außer Kraft, insbefondere $ 24 Titel XIV der Forſtordnung für Dft- 
preußen und Litauen vom 3. Dezember 1775 und $ 31 der Hannoverjchen 
Jagdordnung vom 11. März 1859 (Hannoverjche Geſetzſammlung I ©. 159). 

Die Befugnifje, welche in den einzelnen Landesteilen zum Schuge gegen 
Wildfchaden in betreff des Erlegens von Wild aucd während der Schonzeit 
gejeglich bejtehen, werden durch dieſes Gejeg nicht geändert. 

In denjenigen Landesteilen, in denen das Necht, Kibig- und Möweneier 
einzufammeln, anderen Berjonen als den Sagbberechtigten zujteht, bleibt diefes 
Recht bis zum Ablaufe der bei dem Inkrafttreten dieſes Geſetzes beitehenden 
Sagdpachtverträge von deſſen Beitimmungen unberührt. 


Das Geſetz, betreifend da3 Spiel in außerpreußiſchen Lotterien, vom 29. Juli 1885 ift aufs 
gchoben worden. (Handbuch Bb. II, S. 79.) An feine Stelle tritt: 


2, Geſeh, 
betreffend das Spiel in außerprenßifhen Kotterien. 
Dom 29. August 1904. 
(Sefegfammlung 1904, ©. 255.) 

8 1. Wer in außerpreußifchen Zotterien, die nicht im Königreiche Preußen 
zugelaffen find, jpielt, wird mit Gelditrafe bis zu 600 Marf oder im Nicht: 
beitreibungsfalle mit Haft bejtraft. 

s2 Mer fih dem Verkauf oder der jonjligen Veräußerung eines 
Rofes, eines Losabfchnitts oder eines Anteils an einem Lofe oder Losabſchnitte 





II. Königreich Preußen. 725 


der im $ 1 bezeichneten Lotterien unterzieht, insbeſondere auch, wer ein Los, 
einen Losabſchnitt oder einen Losanteil diefer Art zum Erwerb anbietet oder 
zur Veräußerung bereit hält, wird mit Gelditrafe bis zu 1000 Mark bejtraft. 
Die gleiche Strafe trifft denjenigen, welcher bei einem jolchen Gejchäft oder 
einer ſolchen Handlung als Mittelsperfon mitwirft. 

Iſt die Zuwiderhandlung durch eine Berjon begangen, welche Loſehandel 
gewerb3mäßig betreibt, oder bei ihm gewerbsmäßig Hülfe leitet, oder iſt jie 
durch öffentliches Auslegen, Ausftellen oder Aushängen oder durch Berjenden 
eines Loſes, eines Losabſchnitts, eines Bezugsſcheins, eines Anteilſcheins, eines 
Angebots, einer Anzeige oder eines Lotterieplans oder durch Einrüden eines 
Angebots, einer Anzeige oder eines Lotterieplans in eine in Preußen er- 
jcheinende Zeitung erfolgt, jo tritt Gelditrafe von 100 bis zu 1500 Marf ein. 

Jede einzelne Verkaufs- oder Bertriebshandlung, namentlich jedes einzelne 
Anbieten, Bereithalten, Auslegen, Ausjtellen, Aushängen, Verſenden eincs 
Lojes, eines Losabjchnitt3, eines Bezugſcheins, eines Anteilfcheing, einc? 
Angebots, einer Anzeige oder eines Lotterieplans wird als bejonderes jelb: 
ftändiges Vergehen beftraft, auch wenn die einzelnen Handlungen zuſammen— 
hängen und auf einen einheitlichen Vorſatz des Täters oder Teilnehmers 
zurüdzuführen find. 


8 3. Wer, nachdem er wegen eines der im $ 2 bezeichneten Vergehen 
rechtsfräftig verurteilt worden it, abermals eine Ddiejer Handlungen begeht, 
wird in den Fällen des 8 2 Abi. 1 mit Gelditrafe von 100 bis zu 1500 Mark, 
in den ‚zällen des $ 2 Abi. 2 mit Geldjtrafe von 200 bis zu 2000 Mark beſtraft. 


Ss 4. Jeder fernere Rückfall nach vorausgegangener rechtäfräftiger Ver: 
urteilung im erjten Rüdfalle zicht Geldjtrafe von 300 bis zu 3000 Marf nad) fich. 


S5. Die Beitimmungen der 88 3 und 4 finden Anwendung, auch 
wenn die früheren Geldftrafen noch nicht oder nur teilweiſe gezahlt oder ganz 
oder teilweije erlaffen jind; fie bleiben jedoch ausgejchlojjen, wenn jeit Der 
Zahlung oder dem Erlaffe der letzten Geldjtrafe oder der Verbüßung der an 
ihre Stelle getretenen TFreiheitsitrafe bi8 zur Begehung der neuen Zuwider— 
handlung drei Jahıe verflofjen jind. 


s 6. Wer Gewinnergebnifje der im $ 1 bezeichneten Lotterien in einer 
in Preußen erjcheinenden Zeitung veröffentlicht oder durch öffentliches Aus: 
legen, Augjtellen oder Mushängen befannt gibt, wird mit Gelditrafe bis zu 


726 Nadıtrag. 


50 Mark beitraft. Gehört der Täter oder Teilnehmer zu den im $ 2 Abſatz 2 
bezeichneten Perſonen, jo tritt Geldftrafe von 100 bis zu 600 Mark ein. 


$ 7. Den außerpreußifchen Lotterien find alle außerhalb Preußens 
veranstalteten Ausjpielungen beweglicher oder unbeweglicher Gegenjtände gleich 
zu achten. 


$ 8. Dieles Gejeg tritt vier Wochen nach der Veröffentlichung im 
ganzen Umfange der Monarchie in Kraft. Gleichzeitig wird mit diefem Tage 
das Gejet, betreffend das Spiel in außerpreußifchen Lotterien, vom 29. Juli 
1885 (Gefeg-Samml. S. 317) außer Straft gefett. 


111. Königreid; Sachſen. 


Die Verordnung, das Berbot der fogenannten Perkuſſionsſtöcke oder Stodflinten betrefiend, 
vom 30. November 1835 (Handbuch, Bd. Il, ©. 202) ift aufgehoben. An ihre Stelle tritt: 


Verordnung, 
polizeiliche Vorſchriften über Waffen und Schießbedarf betreffend. 


Vom 15. November 1904. 
(G.WV.Bl. 1904, ©. 435.) 


8 1. Stoß, Hieb- und Schußwaffen, die in Stöden oder Röhren oder 
in ähnlicher Weije verborgen find, mit fich zu führen, ift verboten. 

Andere Waffen mit jich zu führen, ift, abgefehen von den Ausnahme: 
fällen des $ 3, nur Berjonen erlaubt, die einen auf ihren Namen ausgejtellten 
Waffenjchein bei fich tragen, und auch ihnen nur bei den in dem Scheine 
bezeichneten Gelegenheiten. 

Als Waffen im Sinne diefer Verordnung find anzufehen jämtliche Arten 
von Schußwaffen ohne Umterjchted der Triebfraft, jowie Stoß- und Hiebwaffen, 
insbejondere Säbel, Degen, Dolche, Schlagringe und Totjchläger, fofern dieſe 
Gegenftände ihrer Natur nach dazu bejtimmt find, als Angriffs- oder Ber- 
teidigungsinittel zu dienen. 


$2. Zuftändig zur Erteilung des Waffenfcheines ijt die Kreishaupt— 
mannjchaft des MWohnortes des Nachjuchenden. 


III. Königreih Sadjen. 427 


Der Waffenichein ijt nur durchaus zuverläjjigen Perſonen im Alter 
von mehr ald 21 Jahren, überdies aber nur für ſolche im Scheine aus— 
drüdlich zu bezeichnende Gelegenheiten zu erteilen, bei denen ein zwingender 
Grund, eine Waffe mit fich zu führen, anzuerkennen ift. Die Erteilung 
erfolgt auf Widerruf und auf Zeit; die Gültigfeitsdauer ſoll drei Jahre nicht 
überjchreiten. 

Gejuche um Erteilung eines Waffenjcheines find in der Negel bei der 
Ortspolizeibehörde des Wohnortes anzubringen und von dieſer qutachtlich der 
vorgejegten Kreishauptmannſchaft einzuberichten. 

Der Waffenſchein wird gegen eine zur Kaſſe der Kreishauptmannſchaft 
fliegende Gebühr von 5 .# ausgejtellt. Ueberdies fann die Ortspolizeibehörde 
für die von ihr anzufiellen gewejenen Erhebungen je nad) deren Umfange 
einen Baujchbetrag bis zu 3 # berechnen. 


$ 3. Eines Waffenjcheines bedarf nicht: 

1. wer vermöge jeined Amtes, Standes, Berufes oder infolge bejon- 
derer Verwilligung — Militärvereine, Schügengejellichaften und 
dergleichen — beitimmte Waffen zu führen berechtigt it, innerhalb 
der Grenzen diejer Berechtigung; 

2. wer die Jagd oder die Sagdaufjicht ausübt und entweder mit 
einer Jagdkarte verjehen oder von der Verbindlichkeit zur Löſung 
einer jolchen befreit ift, hinfichtlich der Iagdwaffen, daferı er fie 
bei Ausübung oder aus Anlaß der Jagd oder der Jagdaufficht führt; 

3. wer Waffen von einem Orte zum andern lediglich zum Zwecke 
der Beförderung verbringt, ohne hierbei die Waffen als jolche 
zu führen. 


84 Stoß, Hieb- und Schußwaffen, die in Stöden oder Röhren oder 
in ähnlicher Weije verborgen jind, Dürfen nicht feilgehalten werben. 

Andere Waffen jowie jede Art von Schießbedarf dürfen nur an Berjonen 
veräußert werden, welche über 21 Jahre alt find und von denen überdies 
ein mißbräuchliches Gebahren mit den erworbenen Gegenftänden nicht zu be- 
fürchten jteht. 


$5. Wer mit Waffen und Schiegbedarf umgeht oder folche befördert, 
hat die erforderlichen Vorſichtsmaßregeln zu beobachten. 
Schußwaffen find ungeladen zu befördern. 


728 Nachtrag. 


8 6. Wer vorjtehenden Beſtimmungen zumwiderhandelt oder wer Waffen 
durch Minderjährige unter Außerachtlaſſung der erforderlichen Vorſichtsmaß— 
regeln — $ 5 — befördern läßt, wird, joweit nicht $ 367 Abjag 1 Ziffer 9 
des Reichsſtrafgeſetzbuchs oder fonftige allgemeine Strafvorfchriften Platz greifen, 
mit Gelditrafe biß zu 150 M oder mit Haft beitraft. 

Waffen, die jemand einem der vorjtehenden Verbote zuwider mit ſich 
führt, können ebenfo wie der etwa mit vorgefundene Schiegbedarf, auch wenn 
z 367 Abſatz 2 des Reichsſtrafgeſetzbuchs nicht einjchlägt, eingezogen werden, 
ohne Unterjchied, ob jie dem Verurteilten gehören oder nicht. 

8 7. Ortspolizeibehörden im Sinne diefer Berordnung find in Dresden, 
Yeipzig und Chemnitz die dort beftehenden, bejonderen Sicherheitspolizeibehörden, 
in anderen Städten mit der Revidierten Städteordnung die Stadträte, im 
übrigen die Amtshauptmännjchaften. 


$ 8. Die Verordnung, das Verbot der jogenannten Berkuffionsjtöde 
oder Stodflinten betreffend, vom 30. November 1835 (©. u. BB. ©. 642) 
wird aufgehoben. 

















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