Allgemeine
Vererbungsle
Valentin Haecker
■ •
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ALLGEMEINE
VERERBUNGSLEHRE
ALLGEMEINE
VERERBUNGSLEHRE
Von
VALENTIN HAECKER
PkoKKSSoR DER /i.ioUKlIK f\ HALLK A. S.
T 135 FIGUREN IM TEXT UND 4 LITHOGRAPHIERTEN TAFELN
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BRAUNSCHWEIG
DRÜCK UND VERLAG VON FRIEDR. VIEWEG & SOHN
19 11
K - ;
BIOLOGT
LIBRARY
Q
Alle Rechte,
namentlich das Recht der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten.
Copyright, 1911 , by Friedr. Vieweg & Sohn,
Brauuschweig, Germany.
r . -
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VORWORT.
Das vorliegende Buch bildet die ausführlichere Bearbeitung einer
kleinen Vorlesung, welche ich seit einer Reihe von Jahren, zuerst an
der Technischen Hochschule in Stuttgart und an der landwirtschaftlichen
Hochschule in Hohenheim, später in Halle gehalten habe. Es soll
dem Leser einen Überblick über eine verhältnismäßig junge Disziplin
geben, welche, wie wohl kein anderer Zweig der Organismenlehre, den
Charakter einer Sammel Wissenschaft hat und demgemäß ihre Bausteine
in gleicher Weise der Zoologie und Botanik, der Morphologie und
Physiologie, der deskriptiv -mikroskopischen und der experimentellen
Forschung entnimmt. Ebenso wie dem Studierenden in einer Vorlesung
über Vererbungslehre die enge Fühlung und Wechselwirkung, welche
im Grunde zwischen den von ihm zu bewältigenden Spezial- und
Prüfungsfächern besteht, zum Bewußtsein gebracht werden kann, so
soll auch, wie ich hoffe, der Leser den Eindruck erhalten, daß trotz
der naturgemäß immer intensiveren Bearbeitung gewisser biologischer
Einzelprobleme gerade auf dem Gebiete der Vererbungslehre das Inter-
esse und die Freude an der synthetischen, naturphilosophischen Behand-
lung niemals aufgehört hat, und daß die gedankenlos nachgesprochene
und nachgeschriebene Phrase, die Naturwissenschaft verliere sich immer
mehr in Zersplitterung und Spezialisierung, auch in bezug auf die
biologischen Probleme zu keiner Zeit weniger am Platze war als
gegenwärtig.
In Vorlesungen über Vererbungslehre kommt noch ein weiteres
Moment didaktischer Art gewissermaßen von selber zur Geltung. Da
nämlich diese Wissenschaft und das Interesse an ihr nicht gleichmäßig
fortgeschritten ist. sondern zu verschiedener Zeit, sei es durch die
vorauseilende Theorie, sei es durch besonders markante Entdeckungen,
neue kräftige Impulse empfangen hat, so ergibt sich gerade bei ihr eine
240380
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VI
Vorwort.
Darstellung nach historischen Gesichtspunkten als die nächstliegende,
und es kann also bei der Behandlung des Stoffes der Sinn für die
Entwickelungsgeschichte der Wissenschaften und die Wissenschafts-
lehre überhaupt, die Kenntnis von der Bedeutung des Hypothetischen
und von den allgemeinen Vorbedingungen und Mitteln eines tatsäch-
lichen Fortschrittes gefördert werden. Auch in dem vorliegenden
Buche schien ein Aufbau auf historischer Grundlage geboten zu sein,
wobei indessen eine möglichst reinliche Scheidung zwischen den tat-
sächlichen Ergebnissen und den Anregungen und Zusammenfassungen
theoretischer Art durchzuführen versucht wurde. Insbesondere ist im
zweiten und vierten Hauptleil die erstere, im dritten und fünften
die letztere Seite vorwiegend betont worden.
Diesen Gesichtspunkten formaler Art ist aber in dem Buche ein
anderer übergeordnet worden. In der letzten Zeit ist eine ganze Reihe
von lehrbuchartigen Zusammenfassungen erschienen, in welchen nur
ein begrenzter Teil des Gesamtgebietes von bestimmten Fragestellungen
aus ausführlich behandelt ist. Das gedankenreiche Werk Batesons,
welches die Mendel sehen Prinzipien zum Gegenstand hat, ist hier an
erster Stelle zu nennen. Von zusammenfassenden Darstellungen da-
gegen, in welchen in gleicher Weise alle allgemein -physiologischen,
cytologischen und experimentell - physiologischen Probleme zur Be-
sprechunggekommen wären, liegt aus den letzten Jahren nur Thomsons
„Heredity" vor uns, und es mag überhaupt zweifelhaft erscheinen, ob eine
derartige Zusammenfassung zurzeit noch von einem einzelnen bewältigt
werden kann oder auch, ob die Zeit hierfür bereits gekommen ist
Vielleicht darf aber am ehesten noch von Seiten derKeimzellen-
lorschung ein solcher Versuch unternommen werden, denn die Frage
nach dem materiellen Substrat der Vererbungserscheinungen wird immer
den letzten und wichtigsten Gegenstand der Vererbungslehre bilden
müssen, und bei fast allen Untersuchungen experimenteller Art werden
die Kernfragen der Protoplasma- und Zellenlehre berührt. Es sei nur
an die Arbeiten über den Einfluß jedes der beiden Eltern auf die
Nachkommen, über das eigentliche Wesen der Erbeinheiten, über den
Zeitpunkt ihrer Spaltung und Wiedervereinigung, über die Spezifität
der Erblichkeitserscheinungen, über die Geschlechtsbestimmung und
andere erinnert.
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Vorwort.
vn
13er Verlasser hat es schon zu wiederholten Malen in kleineren
Zusammenstellungen unternommen, den Beziehungen zwischen be-
stimmten Ergebnissen der Experimental- und der cytologischen For-
schung weiter nachzugehen. In dem vorliegenden Buche sollen nun
diese Versuche in mehr systematischer Weise über möglichst weite
Gebiete der Vererbungslehre ausgedehnt, die Verbindung zwischen
einzelnen ihrer Kapitel befestigt und dabei das Ziel im Auge behalten
werden, das durch die Begründer unserer theoretischen Grundvor-
stellungen, besonders durch Weismann, vorgezeichnet und verfolgt
worden ist und in dem Ausbau einer allgemeinen, auf eine einheitliche
morphobiologische Basis gestellten Vererbungslehre besteht.
Wenn nun auch die Anschauungen und Überzeugungen, welche bei
jenen früheren Versuchen als Wegweiser gedient und auch in diesem
Buche den leitenden Faden gebildet haben, in vielen Funkten von denen
mancher anderer Biologen verschieden sind, so ist doch versucht worden,
auch die abweichenden Auffassungen möglichst gleichmäßig zum Worte
kommen zu lassen, vor allem natürlich diejenigen, welche von bestim-
mendem Einfluß auf den Gang der Untersuchungen und die Deutung und
Verknüpfung der Tatsachen gewesen sind. Die Literaturverzeichnisse am
Schlüsse der einzelnen Kapitel sollen in dieser Hinsicht dem Leser eine
noch ausgedehntere Orientierung ermöglichen. In ihnen sind dreierlei
Schriften aufgenommen worden: Die für die einzelnen Gebiete grund-
legenden Werke; ferner zusammenfassende Darstellungen, in welchen
sich weitere Literaturverweise finden, und endlich solche Arbeiten aus
der jüngsten Zeit, in welchen ganz neue Beobachtungen mitgeteilt und
neue Anregungen gegeben sind, welche also als Wegweiser in wissen-
schaftliches Neuland dienen können, so besonders zahlreiche neuere
Arbeiten kleineren Umfangs auf dem Gebiete der Mendel sehen Ver-
erbungslehre. Ich habe versucht, mich möglichst strenge an diese
Regel zu halten und bitte die Herren Fachgenossen um Nachsicht,
wenn sie diese oder jene Arbeit in den Literaturverzeichnissen vermissen.
Ein „Literaturnachweis" am Schlüsse des Buches soll es er-
möglichen, die in den einzelnen Verzeichnissen zerstreuten Arbeiten
der einzelnen Autoren aufzufinden.
Zum Schlüsse möchte ich an dieser Stelle dem verehrlichen Verlag
Fried r. Vieweg & Sohn meinen verbindlichsten Dank für sein
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VIII
Vorwort.
vielfach bewiesenes Entgegenkommen aussprechen. Ebenso habe
ich meinem Mitarbeiter am hiesigen Institute, Herrn Privatdozent
Dr. Ludwig Brüel, für seine freundliche Beihilfe bei der Besorgung
der Korrekturen und für zahlreiche wertvolle Anregungen zu danken,
welche er mir auf Grund seiner außerordentlichen Literatur- und
Sachkenntnis bei diesem Anlaß gegeben hat. Endlich spreche ich
Fräulein Käthe W angerin auch an dieser Stelle meinen besten
Dank für ihre Mitwirkung bei der Herstellung der Zeichnungen und
besonders der Vorlagen für die Tafeln aus.
Halle a. S., im März lQll.
V. Haecker.
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Inhaltsverzeichnis.
I. Teil.
Seite
, 1
1. Kapitel: Allgemeine Begriffe und vulgäre Erscheinungsformen der Ver-
erbung 1
2. Kapitel: Systematische und klassifizierende Versuche 8
3. Kapitel: Statistische Methode 13
II. Teil.
Die morphobiologischen Grundlagen der Vererbungslehre 18
4. Kapitel: Das Protoplasma 18
5. Kapitel: Weiterem Wickelung der Zellenlehre 29
6. Kapitel: Kern und Kernteilung- 39
7. Kapitel: Geschichte der. Fortpflanzungszellen der Vielzelligen .... 60
8. Kapitel: Reife Fortpflanzungszellen und Befruchtung 73
9. Kapitel: Die [Reifungsteilungen und ihre stammesgeschichtliche Be-
deutung 88
10. Kapitel: Die Chromosomen in den generativen Zellen. Heterotypische
Teilung und Heterochromosomen 99
H. Kapitel: Cbromosomenzahl 112
III. Teil.
Welsmanns Vererbungslehre. Das Problem der Vererbung erworbener Eigen-
schaften 121
12. Kapitel: Frühere Versuche einer morphobiologischen Erklärung der
Vererbungserscheinungen 121
13. Kapitel: Die Kontinuität des Keimplasmas als Grundlage einer Theorie
der Vererbung 126
14. Kapitel: Vererbungssubstanz, Keimplasma, Idioplasma 134
15. Kapitel: Das Problem der Vererbung erworbener Eigenschaften. All-
gemeines. A. Äquikausale und B. äquidispositionclle Abänderungen 150
16. Kapitel: Das Problem der Vererbung erworbener Eigenschaften (Forts.).
C. Einseitige Lamarcksche Abänderungen 156
17. Kapitel: Das Problem der Vererbung erworbener Eigenschaften (Forts.).
D. Allseitige Lamarcksche Abänderungen 164
18. Kapitel: Pfropf bastardc, Xenien, Telegonie 180
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X Inhaltsverzeichnis.
Seite
19. Kapitel: Weiterer Ausbau der Wcismannschcn Vererbungslehre . . 1 00
20. Kapitel; Kritik der Anschauungen von Weismann. O. Hertwigs
Theorie der Biogenesis 201
IV. Teil.
Experimentelle Bastardforschung; jqo
31. Kapitel: Allgemeines über Bastarde 3QO
22. Kapitel: Mendel sehe Bastardierungs- oder Vercrbntigsrcgeln .... 21
23. Kapitel: Verbreitung des Mendel sehen (alternativen) Vererbungsmodus -»30
24. Kapitel: Der Mendel sehe Vererbungsmodus heim Menschen .... 344
35. Kapitel: Das Geschlecht als mendclndes Merkmal 254
26. Kapitel: Faktorenhypothese. Zusammengesetzte Merkmale 263
21. Kapitel: Theoretische Tragweite der Mcndelschcn Lehre 2~$
29. Kapitel: Praktische Bedeutung der Mendelforschung fGr die Tierzucht . 395
V. Teil.
Nene morphobiologische Vererbungshypothesen 304
29. Kapitel: Individualitatshypothese. Ungleichwertigkeit der Chromosomen 304
30. Kapitel: Das Reduktionsproblem 315
31. Kapitel: Chromosomenhypothesen der Vererbung 331
33. Kapitel: Chromosomen und Geschlechtsbestimmung 345
33. Kapitel: Versuch einer Kernplasmahypothese zur Erklärung der Mendel-
prozessc 359
Ergänzender Literaturnachweis 374
Sachregister 381
q Dy VjOOvtc
I. Teil.
Historische Einleitung.
Erstes Kapitel.
Allgemeine Begriffe und vulgäre Erscheinungsformen
der Vererbung.
Die Worte „Vererbung 44 und „erblich 44 sind heute in jedermanns
Munde und ein großer Teil wenigstens der gebildeten Laien ver-
bindet mit den Worten auch einen bestimmten Sinn.
Unter „Vererbung" versteht man erstens die Tatsache, daß die
Art- und ebenso gewisse Individualcharaktere der Eltern bei den
Nachkommen wieder zum Vorschein kommen, oder auch zweitens
den zu ermittelnden Prozeß der Übertragung, also das Zustande-
kommen dieser Übereinstimmung. Die „Erblichkeit" ist eine Eigen-
schaft bestimmter Merkmale des Organismus und besteht eben darin,
daß die betreffenden Charaktere in den aufeinanderfolgenden Genera-
tionen wiederkehren J ).
') Es dürfte nicht ganz dem Sprachgebrauch entsprechen, wenn Haeckel (Nat.
Schöpfungsgesch. , 10. Aufl., I.Teil, S. 158) unter Erblichkeit die Vererbungskraft ver-
steht, die Fähigkeit der Organismen, ihre Eigenschaften auf ihre Nachkommen
durch die Fortpflanzung zu übertragen.
Die beiden in der englischen wissenschaftlichen Sprache gebräuchlichen Worte
-heredity" und „inheritance" stehen sich in anderem Sinne einander gegenüber wie
unsere Begriffe „Vererbung** und „Erblichkeit". Nach Thomson würde „hereditv"
die organische oder genetische Kontinuität zwischen den aufeinanderfolgenden Genera-
tionen bedeuten, während „inheritance" (heritage) die Gesamtheit dessen bedeutet,
was der Organismus ist bzw. von dem er ausgeht, vermöge seiner hereditären Be-
ziehungen zu Eltern und Vorfahren. Beim Menschen kommt dazu noch ein äußer-
liches Erbteil, a social inheritance, d. h. die mündliche und schriftliche Überlieferung-
Das Wort „inheritance" in dem von Thomson angegebenen Sinne würde unseren
Ausdrücken „Erbschaft", „Erbmasse", ..Anlagenkomplex", „Keimgut" (Walter Haecker
in Natur u. Staat. Teil IX, Jena 1907) entsprechen.
Ha eck er, Vererbungslehre. 1
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2 r ••• Habsburger Unterlippe.
Diejenigen normalen Individual- und Rassencharaktere, deren
Erbliclikeit dem Laien am meisten in die Augen springt, sind natür-
lich gewisse äußerliche Eigenschaften des Körpers, so namentlich die
Farben von Haut, Hautgebilden und Augen. Es ist den Pferde-
züchtern längst bekannt, daß nicht bloß die Gesamtfärbung, sondern
vor allem auch gewisse weiße Abzeichen am Kopfe und an den
Extremitäten der Pferde in hohem Maße, wenn auch mit entschiedener
Tendenz zur Verkleinerung, erblich sind. Am konservativsten scheint
der „Stern", d. h. der kleine weiße Stirnfleck zu sein 1 ).
Bei Menschen sind außer der Pigmentierung von Haut, Haaren
und Augen hauptsächlich die Größe und Statur, sowie besondere Bil-
dungen der Gesichtsteile als erbliche Eigenschaften bekannt. Ein
Beispiel, welches in biologischen Werken immer und immer wieder
zitiert wird, ist die starke Unterlippe der Habsburger. Da hier
der merkwürdige Fall vorliegt, daß eine markante und ungewöhn-
liche Gesichtsbildung sich durch viele Generationen und mindestens
sechs Jahrhunderte hindurch mit Sicherheit verfolgen läßt, und da sich
die meisten Autoren mit einem kurzen Hinweis begnügen, so soll
gleich hier teils im Anschluß an Lorenz, teils auf Grund eigener
Nachforschungen auf das Historische der Habsburger Unterlippe etwas
näher eingegangen werden 9 ).
Die ersten Habsburger, für welche die starke Unterlippe bisher
mit Sicherheit festgestellt werden konnte, sind Friedrich III. (141 5
bis 1493). dessen Sohn Maximilian I. (1459— 1519), dessen Sohn
Philipp der Schöne (1478— 1506) und dessen beiden Söhne Karl V.
(1500 — 1558) und Ferdinand I. (1503— 1564). Aus früherer Zeit
liegen naturgemäß nur wenige als authentisch zu betrachtende bildliche
oder plastische Darstellungen oder Beschreibungen vor, und es mag
damit die Ansicht zusammenhängen, daß die eigentliche Habsburger
Unterlippe auf die Prinzessin Cimburga(Cymburgis) von Massovien,
') Vgl. K. Kiesel, Über die Vererbung von Farben und Abzeichen beim
Pferd. Arch. wiss. u. prakt. Tierkunde, Bd. 34.
*) Ich bin besonders meinem Kollegen, Herrn Geheimrat Lindner, ferner den
Herren Hofrat v. Karabacek und Dr. A. Stix an der k. k. Hofbibliothek in Wien
und Herrn Prior Heinr. Schüler am Stift in Wilten bei Innsbruck für ihre liebens-
würdige Beihilfe bei der Beschaffung der Belege zu größtem Dank verpflichtet. Eine
ausführliche Darstellung der Erblichkeitsverhältnisse der Habsburger Unterlippe wird
baldigst erfolgen. Hier sei nur kurz auf die Abbildungen in den verschiedenen
Banden von Onckens Allgemeiner Geschichte und in W. v. Seidlitz* Allgem. histor.
Porträtwerk (München 1884) hingewiesen.
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Habsburger Unterlippe.
3
die Gemahlin des Herzogs Ernst des Eisernen von Österreich und
Mutter Friedrichs III., eine körperlich ungewöhnlich entwickelte
Frau, zurückzuführen sei (Lorenz). Von anderer Seite ist darauf
hingewiesen worden, daß Herzog Karl der Kühne von Bur-
gund, aus dem Hause Valois, der Schwiegervater Maximilians I.,
und einige andere Glieder dieses Hauses eine starke Unterlippe be-
saßen (Rubb recht). Indessen ist darauf aufmerksam zu machen,
daß auch Ernst der Eiserne, wie eine zeitgenössische Profildarstellung
deutlich erkennen läßt, eine außerordentlich kräftige, wulstige Unter-'
lippe aufwies, so daß es meines Erachtens als zweifellos anzunehmen
ist, daß das Erbstück der Habs-
burger schon bei diesem Stamm-
vater vorhanden war 1 ).
Weniger sicher ist das Vor-
kommen der Unterlippe bei den
älteren Habsburgern. Erwähnen
möchte ich nur, daß das Grab-
denkmal Rudolfs I. in Speyer
eine kräftige, wenn auch nicht
ausnehmend entwickelte Unter-
lippe zeigt.
Im Mannesstamm fand die
Uberlieferung des Merkmals in
beiden Habsburger Linien statt,
sowohl bei Karls V. Sohne Phi-
lipp II. und dessen spanischer
Deszendenz, wie auch in der von Ferdinand L abstammenden öster-
reichischen Linie.
In der österreichischen Linie ist namentlich Leopold L (1640
bis 1705), der Urenkel Ferdinands L, als „Dicklippiger" bekannt, und
zwar tritt das Merkmal besonders auf Münzen und Medaillen in
scheinbar absichtlicher Übertreibung hervor (Fig. 1).
Von besonderem Interesse sind die Erblichkeitsverhältnisse bei
den weiblichen Familiengliedern. Im allgemeinen weisen die Habs-
burgerinnen das Merkmal nicht auf, doch kommen immerhin, wie ich
') Wiener Hofbibliothek, Kodex Nr. 89 (Predigten des heiligen Augustin). Auch
einige (viel spätere) Kupferstiche zeigen das Merkmal (Kupferstichsammlung der
Hofbibliothek, Porträtkasten 87, Blatt 80, 81, 8i*).
Fig. 1.
Denkmünze auf Leopold I.
Aus Oncken-Erdmannsdörfer.
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4
Habsburger Unterlippe.
glaube, wiederholt Andeutungen vor 1 ). Auch fand im ganzen keine
Übertragung des Merkmals durch die weiblichen Deszendenten statt,
insbesondere ist die Eigentümlichkeit keinem der europäischen
Herrscherhäuser durch die ungewöhnlich zahlreichen weiblichen Mit-
glieder der spanischen Linie mit Sicherheit übermittelt worden, und
ebensowenig hat durch die sieben Töchter Kaiser Ferdinands I. eine
Einbürgerung des Merkmals in anderen Dynastien stattgefunden
(Lorenz). Doch kommen auch hier Ausnahmen vor.
Insbesondere hat Maria Theresia, welche selber ebensowenig
wie die meisten anderen Habsburgerinnen eine besonders starke Unter-
lippe besaß, die Eigentümlichkeit im Gegensatz zu den weiblichen
Gliedern der spanischen Linie auf ihre männlichen Abkömmlinge
übertragen. Bei dem zum Teil sehr ausgeprägten Hervortreten des
Familientypus im Hause Habsburg-Lothringen, z. B. bei Kaiser Fer-
dinand und bei den Erzherzögen Franz Karl und Albrecht,
kommt indessen wohl auch in Betracht, daß Maria Theresias Gemahl,
Franz I. von Lotliringen, ebenfalls eine stark hervortretende Unterlippe,
wahrscheinlich als Erbteil seiner habsburgischen Großmutter, besaß 2 ).
Auch bei den Medicis scheint durch die Verbindung mit weib-
lichen Gliedern des Hauses Habsburg die Verstärkung einer schon in
der Familie vorhandenen Anlage eingetreten zu sein, wie denn be-
sonders der von einer habsburgischen Mutter abstammende Leopold
von Medici (gest. 1675) eine starke Unterlippe erkennen ließ.
Alles in allem darf als erwiesen gelten, daß sich in der Familie
der Habsburger das äußerliche Merkmal der stark hervor-
tretenden Unterlippe in zäher Weise viele Generationen
und Jahrhunderte hindurch vererbt hat, und daß dieser
Charakter ganz überwiegend bei den männlichen Gliedern hervor-
trat, jedoch wiederholt durch Frauen vom Großvater auf die Enkel
übertragen worden ist. In einem späteren Kapitel wird nochmals
darauf zurückzukommen sein.
l ) So bei der Erzherzogin Marianna, Tochter Ferdinands III. und der Infantin
Maria von Spanien (einer Schwester Philipps IV.), und ebenso bei ihrer Kusine, der
Infantin Maria Theresia, einer Tochter Philipps IV., welche nach dem Bericht einer
Zeitgenossin „levres un peu grosses et vermcilles" besaß. Vgl. die zahlreichen Ab-
bildungen bei H. Zimmermann, Zur Ikonographie des Hauses Habsburg, Jahrb.
Kunsthist. Samml. d. Alltrh. Kaiserhauses. .25. Bd., Wien u. Leipzig 1905.
*) Lorenz weist auf das von Liotard gezeichnete und von Schmuzer ge-
stochene Bild Franz' 1. und auf das Bild seines Bruders hin (vgl. Oncken III, 9.
S. 47. 50, 78).
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Psychische Merkmale.
:>
Daß beim Menschen auch geistige Eigenschaften vererbt wer-
den, gehört ebenfalls zu den vulgären Tatsachen. Schon der in allen
vererbungsgeschichtlichen Werken zitierte Spruch Goethes aus den
„Zahmen Xenien" stellt physische und psychische Eigenschaften be-
züglich der Vererbungsmöglichkeit auf gleiche Linie, und besonders
hat das Buch üaltons Hereditary Genius dazu beigetragen, daß
heutzutage diesem Verhalten eine große Aufmerksamkeit geschenkt
und beispielsweise in fast allen neueren Biographien die Frage nach
der Herkunft der geistigen Eigentümlichkeiten erhoben wird. Es
ist auch bekannt, daß der für die Vererbungstheorie so wichtige Be-
griff der „Anlage", der auch von vielen englisch schreibenden Autoren
verwendet wird, gerade dem psychologischen Gebiete entnommen ist.
Ein klassisches Beispiel für die Vererbung speziell des musika-
lischen Talentes bietet die Familie Bach, die in einer ganzen Reihe
von Generationen eine große Anzahl von tüchtigen, zum Teil hervor-
ragenden Musikern erzeugt hat 1 ). Zur Zeit der Herzogin Amalie
von Weimar bedeuteten in Thüringen die „Bache" geradesoviel
wie Stadtpfeifer oder Berufsmusiker 8 ).
Für die Weitervererbung des mathematischen Talentes bildet die
Familie Bernouilli, für die erbliche Veranlagung zur naturwissen-
schaftlichen Beobachtung und Kombination bilden die Familien Dar-
win und Siebold bekannte Beispiele.
Aber nicht bloß auf intellektuellem Gebiete, sondern auch auf
dem des Gefühlslebens und der Willenstätigkeit ist die erbliche Uber-
tragung gewisser Familienzüge eine bekannte Erscheinung. Die Be-
obachtung der Laien pflegt sich dabei naturgemäß nur auf zwei oder
drei Generationen zu erstrecken, aber der Historiker vermag in
einzelnen Fällen auch hier die Wirkung der Vererbung über längere
Zeiträume hinaus nachzuweisen oder wenigstens wahrscheinlich zu
machen. So wurde, um auch wieder das Haus der Habsburger heran-
zuziehen, vor einiger Zeit der Nachweis zu führen versucht 8 ), daß
seit der Vermählung Maria Theresias mit Franz von Lothringen das
Lothringer Blut mit seiner eigentümlichen Verbindung von Lebens-
lust und praktischer Nüchternheit mit dem schweren, düsteren, träume-
') Vgl. C. H. Bitter. Carl F'hilipp Emmanuel und Wilhelm Friedemann Bach
und deren Brüder. Berlin 1868.
*) Vgl. W. Bode, Der Musenhof von Weimar. Berlin 1908.
3 ) Vgl. Der Werdegang Kaiser Franz Josefs. Von einem österreichischen
Dichter. Velhagen u. Klasings Monatshefte, 22. Jahrg., IQ08.
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6
Erblichkeil bei freilebenden Tieren.
risch- großartigen Lebenselemente der Habsburger ringe, und daß
bei den einzelnen Gliedern der Dynastie bald das eine, bald das
andere Erbteil zum Durchbruch komme.
Kaum weniger geläufig als die erbliche Übertragung von nor-
malen Charakteren und leichten Abnormitäten ist die Zähigkeit, mit
welcher ausgesprochen pathologische Merkmale, vor allem Mon-
strositäten, morphologische und physiologische Defekte (Entwickelungs-
hemmungen) und Dispositionen zu Krankheiten übertragen werden.
Beim Menschen sind Hyperdaktylie (Sechszähligkeit der Finger
und Zehen) und Hypophalangie (Reduktion der Phalangenzahl
von drei auf zwei), Albinismus, Farbenblindheit (Dyschroma-
topsie), Bluterkrankheit oder Hämophilie als erbliche Abnor-
mitäten besonders bekannt.
Bei den Tieren tritt die Erblichkeit ausgesprochen abnormer und
pathologischer Charaktere im allgemeinen nur beim planmäßigen
Experimente hervor, bei den Haustieren, weil naturgemäß abnorm
veranlagte Tiere in der Regel von der Weiterzucht ausgeschaltet
werden und daher die Erblichkeit durch mehrere Generationen nicht
verfolgt werden kann, bei den freilebenden Formen, weil hier aus
leicht begreiflichen Gründen Vererbungsvorgänge überhaupt nur
schwer zur Beobachtung gelangen. Doch liegen immerhin auch be-
züglich der letzteren einige bemerkenswerte Beobachtungen ;vor, und
insbesondere haben Rot- und Rehwild brauchbare Materialien ge-
liefert. Schon Burdach berichtet, daß in einem Forste eine Reihe
von Jahren hindurch Hirsche vorkamen, welche im ersten Jahre ihres
Lebens noch gar kein Geweih [und späterhin nur eine Stange auf-
setzten. Ebenso 1 ) sind in einem oberschlesischen Revier in den
letzten Jahren hintereinander vier Rehböcke mit doppeltem Gehörn
erlegt worden. Bei allen Exemplaren war in gleichmäßiger Weise
links und rechts je eine Spießerstange und dahinter eine mäßige
Sechserstange zur Ausbildung gelangt. In beiden erwähnten Fällen
kann es sich natürlich nur um die erbliche Übertragung einer spontan
aufgetretenen Abnormität (Mutation) handeln.
Die meisten bisher mitgeteilten Tatsachen habfen einen Bestand-
teil des Gemeinwissens der Menschheit gebildet, ehe es ;eine eigent-
liche Vererbungsforschung gegeben hat, ja, die Anerkennung der Erb-
lichkeit, insbesondere der geistigen Eigenschaften, hat sich, wie
') Vgl. Deutsche Jägerzeitung. Bd. 47. Nr. 28. S.457 (IQ06).
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Praktische Verwertung der Erfahrungen.
7
Haeckel hervorgehoben hat, seit den Anfängen der Geschichte ge-
wissermaßen unbewußtermaßen, instinktmäßig in einer Menge von
menschlichen Einrichtungen und Begriffen geäußert. Haeckel erinnert
vorzugsweise an die Vorstellungen von der „Erbsünde", der „Erb-
weisheit", dem „Erbadel".
In bewußter Weise haben sich zuerst wohl die Bauern, Tier-
züchter und Gärtner die Beobachtungen auf diesem Gebiete zunutze
gemacht, und eine Reihe von Jahrtausende alten Erfahrungen hat in
Sprüchen und Bauernregeln einen Niederschlag gefunden. In den
letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts sind auch den Medizinern
gewisse Vorstellungen auf dem Gebiete der Vererbungserscheinungen
in Fleisch und Blut übergegangen, doch wird man hier bereits großen-
teils die Wirkung der neueren Vererbungswissenschaft, insbesondere
der Weismannschen Lehre von der Nicht Vererbung erworbener
Eigenschaften anerkennen müssen, so daß man hier nicht mehr von
vulgären Kenntnissen sprechen kann. Ebenso ist es auf die Werke
von Darwin und Spencer, von Galton und Weismann zurück-
zuführen, wenn neuerdings auch bei den Untersuchungen der Historiker
und Soziologen 1 ) der Begriff der Vererbung und die Grundtatsachen
und Hauptregeln der Erblichkeit eine immer bedeutsamere Rolle
spielen.
Literaturverzeichnis zu Kapitel 1.
Galton, F., Hereditary Genius. London (MacMillan) 1869.
— , Genie und Vererbung. Deutsch von Dr. O. Neurath und Frau Dr. Schapirc-
Neurath. Leipzig (Verlag von Dr. W. Klinkhardt).
Haeckel, E., Natürliche Schöpfungsgeschichte. 11. Aufl. Berlin 1909.
Hcrtwig, O., Die Zelle und die Gewebe. 1. u. II. Jena 1893 und 1898.
— , Allgemeine Biologie. 3. Aufl. Jena 190Q.
Lindner, Th., Geschichtsphilosophie. Das Wesen der geschichtlichen Entwickelung.
Stuttgart u. Berlin 1904.
Lorenz, O., Lehrbuch der gesamten wissenschaftlichen Genealogie. Berlin 1898.
Natur und Staat, Beiträge zur naturwissenschaftlichen Gesell schaflslehre. Eine
Sammlung von Preisschriften. Jena (G. Fischer).
Rubbrecht, O., L'origine du type familial de la maison de Habsburg. Bruxelles
191a
Thomson, J. A., Heredity. London (John Murray) 1908.
') Vgl. Lindner 1904, sowie das Sammelwerk Natur und Staat.
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Zweites Kapitel.
Systematische und klassifizierende Versuche.
Die ersten wissenschaftlichen Versuche, in das Gebiet der Ver-
erbungserscheinungen weiter einzudringen, waren naturgemäß rein
systematischer und klassifizierender Art und beschränkten sich auf
die Aufzählung einiger empirischer Tatsachen und allgemeiner Sätze.
Als ernsthafte Versuche dieser Art, die auch heute noch wissenschaft-
lichen Wert haben, sind diejenigen von Blumenbach, Hofacker,
Burdach, Lucas, R. Wagner und vor allem Darwin zu nennen.
Schon bei den älteren der genannten Autoren klingen manche Sätze
und Fragestellungen durchaus modern, so wenn Burdach hervor-
hebt, daß die Eltern auch in Beziehung auf Krankheit ihren Kindern
weniger das geben, was sie selbst sind, als vielmehr die Anlage, das
zu werden, was sie geworden sind. An die grundlegenden Tatsachen
der Mendel sehen Erblichkeitsforschung wird man erinnert, wenn
schon Wagner erwähnt, daß bei der Verbindung eines Albinos oder
Kakerlaken mit einem schwarzen oder einem gewöhnlichen weißen
Individuum die Kinder fast ohne Ausnahme einem der beiden Eltern
folgen, und daß der Albinismus oft in der zweiten Generation latent
bleibt, in der dritten aber wieder auftritt.
Zweifellos kann schon mittels der systematischen Methode manches
Licht auf wichtige Verhältnisse geworfen und eine erste Grundlage
für Aufstellung von Regeln geschaffen werden. So hat Lorenz bezüg-
lich der Unterlippe der Habsburger die Regel aufstellen können, daß die
Abnormität nur in der männlichen Deszendenz sichtbar hervortrat 1 )
und vorzugsweise auch durch diese weiter vererbt wurde, und ferner
konnte er zeigen, daß in mehreren Fällen beim Zusammentreffen
zweier gleichsinniger „latenter" Anlagen ein verstärktes Wieder-
erwachen des Familientypus stattfand. Auch Kekule von Strado-
') Hinsichtlich vermutlicher Ausnahmen vgl. oben S. 4, Anm 1 .
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Dreigroßelterliche Mischung.
9
nitz, der die Degeneration der spanischen Linie der Habsburger zum
Gegenstand einer Untersuchung gemacht hat, glaubt bei aller Reserve
in seinen Schlußfolgerungen wenigstens so viel sagen zu dürfen, daß
die erbliche psychopathische Belastung mancher spanischer Habs-
burger (Don Carlos, Karl II.) aller Wahrscheinlichkeit nach wenigstens
zum Teil auf Johanna die Wahnsinnige von Spanien (1479 — 1555).
die Gemahlin Philipps des Schönen von Österreich, zurückzuführen ist.
Ebenso scheint sich ihm der Erfahrungssatz zu bestätigen, daß wieder-
holtes Vorkommen in jeder Beziehung gesunder Ahnen auf die Nach-
kommen günstig, das wiederholte Vorkommen kranker, belasteter
Ahnen dagegen schädlich wirken könne.
Bezüglich gewisser Einzelfragen kann schon die rein genea-
logische Forschung zu ganz unzweideutigen positiven oder negativen
Ergebnissen gelangen. Schon wiederholt sind Versuche gemacht
worden, durch wiederholte Kreuzungen mehr als zwei Rassen in einem
Bastard zu vereinigen. So hat Wichura stets distinkte Spezies von
Weiden in einem Bastard kombiniert 1 ), und Darwin hat Tauben-
bastarde gewonnen, deren Großeltern vier verschiedenen Rassen an-
gehörten (z. B. weiße Möve, weiße Trommeltaube, weiße Pfauentaube,
blauer Kröpfer). Aber es sind, abgesehen von den später zu be-
sprechenden Kreuzungen Mendelscher Art, nur wenige Fälle bekannt,
in denen bei einem Individuum die Merkmale von mehr als zwei
Großeltern wirklich hervortreten. Aus der zoologischen Literatur ist
mir nur Stand fuß' abgeleiteter Saturnia-Bastard
| pavonia cf \
gegenwärtig.
Es schien mir daher von Interesse zu sein, auf genealogischem
Wege zu ermitteln, in welchem Umfange beim einzelnen Menschen
die Eigenschaften von mehr als zwei großelterlichen Linien vereinigt
sein können. Ich habe deshalb bei solchen Familien meines Be-
kanntenkreises Umfrage gehalten, in denen gewisse gut charakterisierte
Merkmale (Farbenblindheit, rote Haarfarbe usw.) auftraten. In einem
Falle war nun mit Sicherheit zu zeigen, daß der Sohn die ausgesprochen
mathematische Begabung vom Großvater väterlicherseits und vom
Vater, die hochgewachsene, schmächtige Statur von dem einen
Urgroßvater (Vater der Großmutter väterlicherseits) und vom Vater,
l ) Zitiert bei Darwin. Rd. S. (1868).
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10 Haeckels „Vererbungsgcsetze".
die Farbenblindheit vom Großvater mütterlicherseits in sich ver-
einigte *):
Urgroßvater
(Statur)
I
Großvater Großmutter Großvater Großmutter
(Mathcmat. Talent) (Farbenblindheil)
., -
Vater Mutter
(Mathcmat. Talent, Statur)
Sohn
(Mathemat. Talent, Statur, Farbenblindheit)
Es geht aus dem Stammbaum mit Sicherheit hervor, daß hier in
der Tat im Sohn die Eigenschaften von drei großelterlichen Linien
vereinigt sind.
Die meisten der auf genealogischem Wege gewonnenen An-
schauungen sind schon vor mehreren Jahrzehnten durch Haeckel als
„Vererbungsgesetze" formuliert worden. Haeckel hat eine
ganze Reihe solcher „Gesetze" aufgestellt, so das Gesetz der er-
haltenden (konservativen) und das der fortschreitenden
(progressiven) Vererbung. Damit soll die Vorstellung zum Aus-
druck gebracht werden, daß die Einzelindividuen nicht bloß diejenigen
Eigenschaften auf die Nachkommen vererben können, welche sie selbst
von den Vorfahren ererbt haben (konservative Vererbung), sondern
auch solche, die sie erst während ihres individuellen Lebens erworben
haben (progressive Vererbung, Lamarcksches Prinzip). Andere
Gesetze sind das der ununterbrochenen oder kontinuierlichen
Vererbung, das Gesetz der unterbrochenen oder latenten Ver-
erbung, wie es sich besonders in den Erscheinungen des Generations-
wechsels und des Rückschlags (Atavismus) äußert, das Gesetz
der geschlechtlichen Vererbung (Übertragung der sekundären
Sexualcharaktere durch das andere Geschlecht) und das der ge-
mischten beiderseitigen Vererbung (Kombination der elterlichen
Merkmale am Kind, die Amphimixis Weismanns). Einen gesetz-
mäßigen Charakter haben nach Haeckel auch die abgekürzte
Vererbung (vereinfachte Rekapitulation der Stammesgeschichte durch
') Der Vater des betreffenden Sohnes ist selbst Naturforscher und war in der
I^age, auf Grund genauer, personlicher Kenntnis der in Betracht kommenden Familien-
glieder und unter Benutzung bestimmt lautender, die Jugendzeit der letzteren be-
treffender Familientraditionen den Gang der Vererbung in unzweideutiger Weise zu
verfolgen.
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Gesetze und Regeln.
11
die Einzelentwickelung, biogenetisches Grundgesetz), die be-
festigte Vererbung (beruhend auf dem akkumulierenden, durch
mehrere Generationen hindurch wirkenden Einfluß äußerer Faktoren),
sowie die gleichzeitliche (homochrone) und gleich örtliche
(homotope) Vererbung (Vererbung im korrespondierenden Lebens-
alter und an korrespondierenden Körperstellen).
Man wird bezweifeln dürfen, ob die empirischen Möglichkeiten
des Vererbungsverlaufes, die in den Haeckelschen Vererbungsgesetzen
eine Formulierung gefunden haben, die Bezeichnung von Gesetzen
oder auch nur von Regeln verdienen. Schon R. Wagner hat vor
beinahe 50 Jahren gesagt: „Wenn wir übrigens überhaupt in der
Physiologie von Gesetzen sprechen, so geschieht dies nur sehr euphe-
mistisch; man darf an wahre physikalische Gesetze, wie das Gravi-
tationsgesetz, dabei nicht denken." Auch neuerdings ist von ver-
schiedenen Seiten, insbesondere von Roux'), gegen die mißbräuch-
liche Verwendung des Ausdrucks „Gesetz" in der Biologie Einspruch
erhoben worden, und in der Tat wird man bei solchen komplexen
Vorgängen, wie es die einzelnen Formen der Vererbung sind, nur
dann das Wort Gesetz anwenden können, wenn alle wirksamen
Faktoren ermittelt sind und demnach das Geschehene als eine be-
ständige, ausnahmslose (unter gleichen Umständen stets in gleicher
Weise geschehende), voraus zu berechnende Wirkung erscheint. Im
Gegensatz zur Physik wird man in der Biologie allerdings auch schon
von Gesetzen reden dürfen, bevor das Quantitative der Wirkungs-
weise ermittelt ist 2 ), bevor also die einzelnen wirksamen Faktoren
und ihre Effekte als mathematisch faßbar erscheinen.
Andererseits genügen die zahlenmäßige Darstellung und die
Möglichkeit, die Effekte mit einiger Wahrscheinlichkeit voraus zu
berechnen, noch nicht, um von einem Gesetze reden zu können:
es muß vielmehr die Ausnah mslosigkeit der Wirkungsweise
erkannt sein 3 ). So können z. B. die später zu besprechenden Men-
delschen Vererbungsregeln, trotzdem die Resultate bestimmter Kreu-
zungen sich zahlenmäßig darstellen und mit großer Wahrscheinlich-
keit voraussetzen lassen, nicht als Gesetze bezeichnet werden, da wir
über die kausalen Faktoren so gut wie gar nicht unterrichtet sind,
') Vgl. Roux (l807 u. 1005), sowie «iodlewski U<*»)-
*) Vgl. Roux. S. 146 <io>5>.
') Vgl. Roux. Aich. Kmw.-Mech.. S. .'«,4 (.1897). sowie Vortr. u. Aufs.. S. 150
(18Q7).
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12
Gesetze und Regeln.
und das Kriterium der Ausnahmslosigkeit fehlt. Vielmehr handelt es
sich hier, wie in so vielen anderen Fällen, um Regeln, d. h. um den
„Ausdruck eines Häufigkeitsverhältnisses des empirischen Vorkom-
mens" *). Wir werden auf dem Gebiete der Vererbungslehre voraus-
sichtlich noch lange Zeit brauchen, bis uns die befestigte Erfahrung
die Aufstellung so einfacher biologischer Gesetze erlaubt, wie sie
z. B. die Sinnesphysiologie in dem Web ersehen Gesetze („die Empfin-
dung wächst wie der Logarithmus des Reizes ") besitzt.
Literaturverzeichnis zu Kapitel 2.
Blumeubach, De gener is humani varietate nativa. Ed. III. Göttingen 1795.
Burdacli, B. F., Die Physiologie als Erfahrungsmittel. 1. Bd., 2. Aufl., S. 562 fl".
Leipzig 1S35.
Darwin, Ch., Das Variieren der Tiere und Pflanzen im Zustande der Domestikation.
Cbers. von J. V. Carus. Stuttgart 1868.
Godlewski, E., Das Vererbungsproblem im Lichte der Entwickelungsmechanik be-
trachtet. Leipzig 1909-
Haeckel, E.. Natürliche Schöpfungsgeschichte. 1. Aufl., Berlin 1868. 11. Aufl., Berlin
1909. .
Hofacker, Über die Eigenschaften, welche sich bei Menschen und Tieren von den
Eltern auf die Nachkommen vererben, mit besonderer Rücksicht auf die Pferde-
zucht. Mit Beiträgen von Dr. Fr. Notter. Tübingen 18J8.
Kekule von Stradonitz, St., Über die Untersuchung von Vererbungsfragen und die
Degeneration der spanischen Habsburger. Arch. Psych.. 35. Bd., 1902.
Lorenz, O., s. Literaturverzcichuis 1.
Lucas, Prosper, Traite Philosophiquc et Physiologique de rHereditc naturelle. Paris
1847—1850.
Roux, W., Für unser Programm und seine Verwirklichung. Arch. Entw.-Mech.,
5. Bd., 1897, und Leipzig 1897.
— Vorträge und Aufsätze über Entwickelungsmechanik. I. Die Entwickelungsmechanik,
ein neuer Zweig der biologischen Wissenschaft. Leipzig 1905.
Standfuß, VW, Experimentelle zoologische Studien. Neue Denkschr. Allg. Schweiz.
Ges. Naturw. 1898.
Wagner, R., Nachtrag zum Artikel Zeugung. R. Wagners Handwörterbuch der
Physiologie. 4. Bd., S. 1007 IT. - Braunschweig 1853.
') Vgl. Roux 1897.
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Drittes Kapitel.
Statistische Methode.
Etwas zuverlässiger als die systematisch -genealogische ist die
statistische Methode, wenn freilich auch diese zunächst nur wertvolle
Iläufigkeitsverhältnisse , also Regeln und keine Gesetze ermitteln
kann.
Schon bei den ersten wissenschaftlichen Versuchen, in das Gebiet
der Vererbungserscheinungen tiefer einzudringen, hat die Statistik
eine Rolle gespielt. So findet man bei Hofacker die Angabe, daß
unter 216 von gleichfarbigen Pferdepaaren erzeugten Füllen 205 von
derselben Farbe wie die Eltern und nur 11 anders gefärbt waren.
Die bekanntesten Versuche dieser Art, welche den Anstoß zu
zahlreichen gleichgerichteten Untersuchungen und theoretischen Be-
trachtungen gegeben haben, sind diejenigen von Galton.
Galton 1 ) hat an der Hand von Biographien und Stammbäumen
solche Familien untersucht, welche innerhalb gewisser Berufskatego-
rien (Staatsmänner, Gelehrte, Dichter usw.) eine größere Anzahl von
berühmten oder wenigstens bedeutenden Männern aufwiesen und,
indem er jeweils das hervorragendste Mitglied jeder Familie zum
Ausgangspunkt nahm, berechnete er u. a., wieviel hervorragende
Verwandte gleichen Berufs im Durchschnitt auf 100 berühmte
Männer kommen. Seine Resultate sind in der folgenden abgekürzten
Tabelle enthalten:
3 Urgroßväter.
17 Großväter,
31 Väter.
100 Ausgangspersonen.
48 Söhne,
14 Enkel,
3 Urenkel,
l ) Galton. Hcieditary Genius.
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14 Galtons Vererbungsgesetze.
d. h. es kommen auf 100 berühmte Ausgangspersonen 3 hervorragende
Urgroßväter, 17 Großväter usw.
Es geht daraus ohne weiteres hervor, daß sowohl in der Deszen-
denz als in der Aszendenz die Zahl der hervorragenden Familien-
mitglieder mit Zunahme von der Entfernung von der Ausgangs-
person rasch abnimmt.
Diese Ergebnisse sowie Untersuchungen ähnlicher Art über die
Erblichkeit der Statur beim Menschen und die Färbung bei den Basset-
Jagdhunden haben Galton zur Aufstellung seines Gesetzes von
der Mischung elterlicher Eigenschaften in den Kindern
(Law of ancestral inheritance) geführt 1 ). Danach beträgt der Anteil,
welchen beide Eltern zusammen an dem im Kinde zur Entfaltung
kommenden Anlagenkomplex haben, durchschnittlich die Hälfte, der
Anteil der vier Großeltern 1 4 , derjenige der acht Urgroßeltern V« usw.
Es läßt sich also der Anteil der ganzen Aszendenz an der gesamten
Erbmasse (inheritance) des einzelnen Individuums durch die Reihe:
7, + 1 /4 + Ve+ 1 /,. + •••=!
oder durch die Reihe
(o,5) + (0,5)" = (0.5) 4 + • ■ • ~ 1
darstellen.
Das sogenannte Galtonsche Vererbungsgesetz ist eine statistische
Formel, welche selbstverständlich, vorausgesetzt, daß sie richtig ist,
nur ein Durchschnittsverhältnis zum Ausdruck bringen und nur für
größere Massen von Individuen Gültigkeit haben kann. Es ist
natürlich nicht möglich, die im einzelnen Individuum kommenden
Anlagen an der Hand der Formel vorherzusagen.
Eine Reihe von englischen Forschern, so Pearson, Weldon u.a.,
haben an ihrer Prüfung und Vervollkommnung gearbeitet. Andere, wie
Bateson, Darbishire und Thomson, haben versucht, ihr Verhältnis
zu den später zu besprechenden Mendel sehen Vererbungsregeln klar-
zulegen. Es muß in dieser Richtung auf ein späteres Kapitel (Kap. 27)
hingewiesen werden, hier sei nur hervorgehoben, daß die Galtonsche
Formel auf der einen Seite bis zu einem gewissen Grade mit den Vor-
stellungen im Einklang steht, welche sich die Tierzüchter hinsichtlich
der „Blutmischung" gebildet haben und die in den üblichen Bezeich-
nungen Vi-Blut, '/»-Blut usw. ihren Ausdruck gefunden haben»); anderer-
') Vgl. Natural inheritance und The average Contribution usw.
*) Vgl. Bastardierung und Geschlechtszellenbildung, S. 1 "8.
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R egr ession sgesetz . 1 5
seits ist leicht einzusehen, daß sie sich nicht gut mit den Ergebnissen
der Mendel sehen Kreuzungsversuche (s. IV. Teil) und insbesondere
mit der Lehre von der „Reinheit der Gameten" vertragt. Ob neuere
Wendungen in der experimentellen und cytologischen Forschung in
dieser Hinsicht eine Wandlung herbeiführen werden, mag dahingestellt
bleiben.
Ein zweites, von Galton auf statistischem Wege gewonnenes
„Gesetz 44 ist das Rückschlags- oder Regressionsgesetz (Law of
filial regression). Dieses Gesetz sagt aus, daß, wenn die Eltern bezüg-
lich irgend einer Eigenschaft große Ausschläge gegenüber dem Mittel-
maß aufweisen, die Nachkommen allerdings nach der gleichen Richtung
hin vom Typus abzuweichen pflegen, aber doch die Tendenz zeigen,
zum Mittelmaß zurückzukehren. So weisen in der von Galton
untersuchten Bevölkerung die Söhne von Vätern, welche eine Höhe
von 72 Zoll besitzen, im Durchschnitt nur die Höhe von 70,8 Zoll
auf, d. h. es tritt die Tendenz hervor, auf die mittlere Höhe der Be-
völkerung (68,25 Zoll) zurückzufallen.
Nach Galton beruht die Regression einerseits auf der allgemeinen
Tendenz der Abnormitäten zur Rückkehr in das organische Gleich-
gewicht des. „Typus", andererseits auf der mosaikartigen Beschaffen-
heit der Erbmasse^ des einzelnen Individuums, welche sich ja nach
Galton nicht bloß aus den Beiträgen der Eltern, sondern aus den-
jenigen aller Vorfahren zusammensetzt und daher im allgemeinen auf
ein Durchschnittsverhältnis hinauskommen wird. Die Frage nach der
Gültigkeit des Galtonschen Regressionsgesetzes ist neuerdings durch
Johannsens Theorie von den Populationen und reinen Linien ') wieder
mehr in den Vordergrund des Interesses gerückt worden , im übrigen
würde es, soweit seine Gültigkeit in Betracht kommt, die wohlbekannte
Erfahrungstatsache, daß die Nachkommen genialer Persönlichkeiten in
der Regel zum normalen Typus zurückfallen, gewissermaßen als
Grenzfall in sich schließen.
In neuerer Zeit ist die statistische Methode in großem Stile auf
medizinischem Gebiete zur Anwendung gekommen, indem versucht
wird, auf diesem Wege die Erblichkeit gewisser Erkrankungen, z. B.
der Tuberkulose, der bösartigen Geschwülste und der Geisteskrank-
heiten zu erforschen. Es sei hier insbesondere auf die Zusammen-
stellungen von Orchansky und Martius hingewiesen, sowie auf die
») Vgl. Kap. 21.
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16 Medizinische Statistik.
zahlreichen Abhandlungen, in welchen Weinberg in verdienstvoller
Weise auf die methodischen Schwierigkeiten des statistischen Ver-
fahrens hingewiesen hat. Hierher gehören die Verschiedenwertigkeit
der Quellen (Material der Kliniken, Lebensversicherungsgesellschaften
und Standesämter), der Mangel einer exakten Todesursachenstatistik,
die Unvollständigkeit der Ermittelungen hinsichtlich der entfernteren
Verwandtschaft, insbesondere bezüglich der verstorbenen Familien-
mitglieder, die unvermeidlichen Differenzen in der ärztlichen Diagnose.
Hier liegt noch ein weites Arbeitsfeld offen, und wenn auch auf
diesem Wege für die Wissenschaft bereits wichtige Vorergebnisse
und Anregungen gewonnen worden sind, so bleibt doch auf dem
Gebiete der pathologischen Vererbung für eine exakte, nach einwand-
freien Grundsätzen arbeitende Statistik fast noch alles zu tun 1 ).
Literaturverzeichnis zu Kapitel 3.
Bateson. W. und Saunders, Miss E. R., Reports to the Evolution Committce.
Rcp. I. London iqoj.
Darbishire, A. D., On Ibe Bearing of Mendelian Principles of Hcrcdity on Curront
Theories of the Origin of Specics. Mera. and Proc. Manchester Lit. and Phil.
Soc, Vol. 48, 1904.
— , On the supposed Antagonist« of Mendelian to Biometrie Theories of Heredity.
Ebenda Vol. 49, 1905.
— , On the Difference between Physiological and Statistical Laws of Heredity. Ebenda
Vol. 50, 1906.
— . On cxperimental Kstimation of the Theory of Ancestral Contributions in Heredity.
Proc. Roy. Soc. B., Vol. 81, 1909.
Galton, F., Hereditary Genius. London (Mac Millan) 1869. (Deutsche Übers, siehe
Literaturverzeichnis 1.)
— , Natural Inhcritancc. London (Mac Millan) 1889.
— , The Averagc Contribution of each Scvcral Anccstor to the Total Heritage of the
Offspring. Proc. Roy. Soc. London, Vol. 61, 1897.
Hacckcr, V., Bastardierung und Geschlechtszcllcnbildiing. Zool. Jahrb., Suppl. 7.
1904.
Hesse, A., Natur und Gesellschaft. In: Natur und Staat. 4. Teil. Jena 1904.
Hofacker, siehe Literaturverzeichnis 2.
Johannsen, W., Über Erblichkeit in Populationen und reinen Linien. Jena 1903.
Lang, A., Über Vererbungsversuche. Verb. I). Zool. Ges. 1909.
Martius, F., Krankheitsanlage und Vererbung. Leipzig u. Wien 1005.
Orchansky, J., Die Vererbung im gesunden und krankhaften Zustande. Stuttgart
1903.
') Vgl. Weinberg, 1903, IO07. 1909.
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Literaturverzeichnis 3-
17
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— . On the Laws of luheritance in Man. I. Inheritance of l'hysical Ckaractc-rs. Bio-
mctrika II, 1903.
— , The Law of Anccstral Inheritance. Biomctrika II, Pari 2, 1903.
— , On the Laws etc. II. On the Inheritance of the Mental and Moral Characters etc.
Biometrica III, 1904.
Thomson, J. A., Heredity. London (John Murray) 1908.
Weinberg, W. Pathologische Vererbung und genealogische Statistik. Dtsch. Arch.
f. klin. Med., Bd. 78. 1903.
— , Aufgabe und Methode der Familicnstatistik bei medizinisch-biologischen Problemen.
Zeitschr. f. soz. Med., 3. Bd., 190".
— , Das mathemalische Prinzip der scheinbaren Uberfruchtbarkeit der Eltern aus-
erlesener Kinder und der Nachwuchs der Begabten. Ebenda 4. Bd.. 1909.
Weldon, W. F. R., Inheritance in Animals and Plants. In „Lectures on the Method
of Science", Oxford 1006.
Haocker, Vererbungslehre.
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II. Teil.
Die morphobiologischen Grundlagen
der Vererbungslehre.
Viertes Kapitel.
Das Protoplasma.
Die rein statistische Methode wird auf dem Gebiete der Erblich-
keitsforschung nur von einer verhältnismäßig geringen Zahl von Bio-
logen gepflegt und weitergebildet. Es sind zwei andere Unter-
suchungsrichtungen, deren Ziele, Wege und Ergebnisse zurzeit im
Vordergrund des Interesses stehen: die Morphobiologie der Fort-
pflanzungselemente (Vererbungscytologie) und die experimen-
telle Bastardforschung.
Die ersten wirklich nachhaltigen Anstöße für die Inangriffnahme
des Vererbungsproblems gingen in der Tat von der Zellen- und Be-
fruchtungslehre aus, und wenn auch schon Jahrzehnte hindurch, auf
zoologischer Seite namentlich durch Darwin, Standfuß, Haacke und
Weismann 1 ), immer wieder planmäßige Kreuzungsexperimente ein-
geleitet worden waren, so brachte es doch die ganze Entwickelung
der zoologischen Wissenschaft und ihr Jahrzehnte hindurch vorwiegend
phylogenetisch-morphologischer und deskriptiv-entwickelungsgeschicht-
licher Charakter mit sich, daß wenigstens von Seiten der Zoologen
die Erforschung des materiellen Substrates der Vererbungs-
') Weismann hat schon in den 8oer und 90er Jahren eine ganze Reihe von
experimentell-vererbungsgeschichtlichen Untersuchungen in Angriff genommen oilcr
angeregt, so die bekannten Versuche mit Mäusen, welche die Frage nach der Ver-
erbung von Verletzungen entscheiden sollten, ferner die von G uai laschen Kieuzungs-
veisuchc mit Mäusen und verschiedene Experimente mit Schmetterlingen und Ostra-
koden.
-
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Protoplasma.
19
erscheinungen im ganzen früher betrieben wurde, als das experi-
mentelle Studium des groben, äußerlichen Vererbungsverlaufes.
Die von O. Hertwig, Strasburger und Weismann in den
Dienst der Vererbungslehre gestellte Keimzellenforschung konnte frei-
lich den vorwiegend morphologischen Charakter welcher noch in den
70er und 80er Jahren die Zoologie im ganzen kennzeichnete, nicht
aufrecht erhalten. Es war vielmehr in der Natur des speziellen Ob-
jektes gelegen, daß hier von Anfang an eine innige Durchdringung
morphologischer und physiologischer Problem e und Me-
thoden stattfand, und so ist es gerade die von der Vererbungs-
theorie immer aufs neue vorwärts getriebene Keimzellenforschung
gewesen, welche eine große Zahl zoologischer Forscher von der
reinen Morphologie in die Morphobiologie herübergeleitet hat.
Dem historischen Gang der Forschung entsprechend, werden in
diesem Buche zunächst die Theorie von der Kontinuität des
Keimplasmas und die mit ihr unmittelbar zusammenhängenden
Vererbungshypothesen ihre Besprechung finden. Zuvor sollen aber
die wichtigsten Ergebnisse der Zellen- und besonders der Keimzellen-
forschung, soweit sie unser Gebiet berühren, in übersichtlicher Weise
zusammengestellt werden.
Als Ausgangspunkt und Grundlage aller tierischen und pflanz-
lichen Lebenserscheinungen ist die lebende Substanz oder, wie
sie seit Hugo von Mohl bezeichnet wird, das Protoplasma
(Plasma) zu betrachten. Es pflegt in der einfachsten Form, in der
es sich beispielsweise in vielen Pflanzenzellen, bei den Amöben, bei
den weißen Blutkörperchen darstellt, als plastische, an und für sich
durchsichtige Substanz beschrieben zu werden. Der Aggregatzustand
des Protoplasmas wurde vielfach als „festweich" oder „halbflüssig"
bezeichnet. In der Tat stellt es, physikalisch -chemisch betrachtet,
zweifellos ein „heterogenes System" dar, welches aus einer
Mischung von wässerigen Lösungen, von flüssigen Substanzen (Li-
poiden u. a.) und von gequollenen Kolloiden besteht 1 ).
In einigen Fällen, so am Zellleib der kleinsten Lymphkörperchen,
erscheint das Protoplasma als optisch homogen, in der Regel läßt es
aber eine deutliche mikroskopische Struktur erkennen, entweder eine
Waben- oder Alveolarstruktur (Wabentheorie Bütschlis), oder
eine feinkörnige (Granulatheorie Altmanns), oder schließlich
') Vgl. Spiro, 1910.
2*
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20
Protoplasmatheoi ieu.
eine fädige oder filzartige Beschaffenheit (Filar- oder Faden gerüst-
theorie Flemniings). Im ersten Falle, der in der Sarkode, d. h. im
Zellleib zahlreicher Protozoen verwirklicht ist (Fig. 2), sind kleinste
Tröpfchen (Alveolen) einer flüssigeren Substanz in so dichter An-
ordnung in einer weniger flüssigen eingelagert, daß die letztere nur
in Gestalt von sehr dünnen Lamellen zwischen den Alveolen hervor-
Flg. 2.
Fi*. 3.
Fi*. 4-
Alveoläres Plasma von Tricho-
sphacrium (Rhizop««!). Nach
Schaudinn.
und in ihrer Gesamt-
im optischen Durch-
tritt
heit
schnitt das Ansehen einer
Honigwabe gewährt. Im
zweiten Falle sind Körn-
chen (Granula) einer an-
scheinend bald festen, bald
flüssigen Substanz ebenfalls
in dichtester Anordnung in
ein Grundplasma eingela-
gert (Fig. 3), während im
letzten Falle innerhalb ei-
ner Grundmasse (Zwischen-
masse) fibrillen-, strang-
oder gerüstförmige Bildun-
gen aultreten ( Fig. 4). Viellach kommen auch zwei oder drei dieser
Strukturen in derselben Zelle vor.
Die meisten Forscher sind darin einig, daß beim alveolären Bau
die „Lamellen" oder „Alveolenwände", beim granulären und fibrillären
die Grund- oder Zwischenmasse sicher eigentliches lebendes
Protoplasma darstellen. Dagegen gehen die Ansichten darüber aus-
einander, inwieweit die verschiedenen Einschlüsse, also die Alveolen,
Körniges Plasma einer
Schleiinzelle des Sala-
manderdarms. Nach
M. Heidenhain.
Fibrilläre Plasma-
strukturen in den
Darmzellen des Fro-
sches. Nach M. Hei-
denhain.
igiuzea Dy
Google
Chemie des Protoplasmas.
21
die Granula und die Fadenstrukturen als modifizierte, vom Grund-
plasma abgegliederte und ein mehr oder weniger selbständiges Dasein
führende Plasmaportionen, oder aber als rein passive, sekretartige,
innere Plasmaprodukte zu verstehen sind 1 ). Hier kann jedenfalls nur
von Fall zu Fall ein bestimmteres Urteil abgegeben werden. Was
speziell die Alveolen der wabenähnlichen Plasmaformen anbelangt, so
handelt es sich dabei vielleicht sogar nur um Tröpfchen von „Struktur-
wasser", welche beim Übergang des Protoplasmas aus dem festen in
den flüssigen Zustand vom Plasma entbunden werden v ). Die Granula
der Schleimdrüsen haben sicher, soweit sie bereits die Reaktionen des
fertigen Schleimes erkennen lassen, den Charakter von Sekrettröpfchen,
während diejenigen der Eiweiß- und Fermentdrüsen in ihren Anfangs-
stufen vielfach als lebende, durch Assimilation wachsende Gebilde
(autonome Organellen) betrachtet werden s ). Unter den fadenförmigen
Plasmastrukturen werden die während der Zellteilung auftretenden
Strahlenfiguren von der Mehrzahl der Forscher als vorübergehende
Modifikationen des Protoplasmas selber aufgefaßt.
Ebenso viele offene Probleme, wie bei der morphologischen Be-
trachtung, ergeben sich bei der chemischen Inangriffnahme des
Protoplasmas. Es liegen zwei Möglichkeiten vor, in die Chemie der
lebenden Substanz vorzudringen: die makrochemische Methode
untersucht die chemische Zusammensetzung und die Eigenschaften
derjenigen Stoffe, welche sich in genügend großen Mengen aus den
Geweben isolieren lassen, also z. B. die aus dem Fischsamen zu ge-
winnenden Eiweißverbindungen, während die Mikrochemie unter
Zuhilfenahme sogenannter differenzierender Farbstoffe, durch welche
jeweils bestimmte Zellbestandteile ausschließlich oder besonders stark
tingiert werden, die spezielle Verbreitung und Lokalisation der Stoffe
nachzuweisen versucht. Die Erfolge der ersteren Methode knüpfen
sich vorwiegend an die Namen Miescher und Kossei an, die des
zweiten Verfahrens sind vor allem den Botanikern E. Zacharias und
') Im ersten Falle würden die betreffenden Gebilde den extrazellulärcn Cuti-
cularbildungen und den intrazellulären Grundsubstanzen des Bindegewebes (Meta-
plasma im Sinne Martin Heidenhains, Exoplasma nach Siedlecki). im letz-
teren Falle den Dotterkörnchen des tierischen Eies, den Slärkekörnern und Kristalloiden
der Pflanzenzcllen (Para-, Allo-, Deutoplasma der zoologischen, Metaplasma
der botanischen Autoren) zu vergleichen sein. Vgl. Siedlecki, 190".
*) Bütschli hat derartiges an den Scheinfüßchen der Foraminiferen beobachtet.
Vgl. die näheren Ausführungen bei M. Heidenhain (1907, S. 501).
*) Vgl. Heidenhain, S. 380. 385, 476 (1907).
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22 Chemie des Protoplasmas.
Fischer und den Histologen Ehrlich, Weigert und M. Heiden-
hain zu verdanken.
Beide Methoden haben mit der großen Schwierigkeit zu kämpfen,
daß bei jedem chemischen Eingriff nur tote Umwandlungs- und Zer-
fallsprodukte, also Protoplasmatrümmer, erhalten werden, so daß
die im Leben vorkommenden und wirksamen Stoffe in der Regel
nicht direkt zu ermitteln sind. Bei der mikrochemischen Methode
kommt noch hinzu, daß sich am lebenden Material manche
Strukturverhältnisse wegen ihres sehr gleichmäßigen Lichtbrechungs-
vermögens nur unvollkommen voneinander abheben und also eine
Identifizierung der am toten (fixierten) Objekt gemachten Befunde mit
den im Leben beobachteten Dingen, sowie die Entscheidung, inwieweit
es sich bei ersteren um Kunstprodukte handelt, nicht immer ganz
einfach ist. Es muß besonders noch betont werden, daß die Er-
wartung, die man noch vor ein oder zwei Jahrzehnten bezüglich der
mikrochemischen Bedeutung der färbungsanalytischen Untersuchungs-
methoden gehegt hat, bisher nur in geringem Umfange erfüllt worden
ist. So wertvoll nämlich auch die differenzierenden Färbungen
sind, um am toten oder auch am lebenden Objekt (Vitalfärbungen!)
die auf kleinem Räume nebeneinander liegenden Strukturen in höherem
Grade unterscheidbar zu machen, so beschränkt sich ihre Bedeutung
für die chemische Erkenntnis der lebenden Substanz im wesent-
lichen darauf, daß je nach der Affinität zu basischen oder sauren
Farbstoffen l ) (Basophilie oder Acidophilie) der saure bzw. basische
Charakter bestimmter Protoplasmabestandteile erkannt werden kann.
Unter den Substanzen, welche am Aufbau des Protoplasmas her-
vorragend beteiligt sind, sind die Eiweißstoffe (Proteinstoffe) und
Lipoide am genauesten bekannt. Die Eiweißstoffe setzen sich im
allgemeinen aus den Elementen C, O, H, N, S zusammen, doch können
auch andere Elemente an ihrem Aufbau beteiligt sein. So enthält
der rote Blutfarbstoff (Hämoglobin) der Wirbeltiere Eisen, ein im
Blute der größeren Krebse und vieler Mollusken enthaltener Eiweiß-
körper, welcher beim Schütteln mit Luft dem Blute eine blaue Farbe
verleiht (Hämocyan), ist kupferhaltig, und in einem in der Schild-
drüse vorkommenden Eiweißkörper (Thyreojodin) ist Jod enthalten.
Speziell in den Zellkernen finden sich Nucleoproteide vor,
d. h. zusammengesetzte Eiweißverbindungen, welche einen Eiweiß-
') Im ersten Falle Karmin. Hämatoxylin, basische Anilinfarben, z. B. Mcthyl-
gn'in. Safranin; im zweiten Falle sanre Anilinfarben, z. B. Säurefuchsin, Lichtgrün.
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Spezifisches Plasma.
23
körper als „Kern" und eine phosphorreiche organische Säure, die
Nucleinsäure, als „prosthetische Gruppe" enthalten.
Unter den Lipoiden versteht man gewisse Zell bestand teile, die
sich durch Äther und ähnliche Lösungsmittel extrahieren lassen 1 ).
Zu ihnen gehört das P- und N-haltige Lecithin, welches namentlich
im Sperma und Eidotter und als ein zweifellos sehr bedeutsamer
P-Träger auch im Gehirn in bedeutenden Mengen vorkommt, sowie
das P- und N- freie Cholesterin, welches offenbar in sämtlichen
Zellen, und zwar wahrscheinlich immer als ein und dieselbe Ver-
bindung auftritt.
Zu den regelmäßigen Plasmabestandteilen gehören dann noch die
Fermente (Enzyme), anorganische Salze und Wasser. Erstere
spielen bei den in der lebenden Substanz sich vollziehenden chemi-
schen Umsetzungen eine wichtige Rolle als Katalysatoren, d. h.
als Stoffe, welche durch ihre Anwesenheit die Reaktionsgeschwindig-
keit gewisser chemischer Vorgänge vergrößern. Sie werden in den
Lebewesen selber gebildet, und zwar können in derselben Zelle neben-
einander sehr verschiedene Fermente auftreten. Für die Leberzellen
z. B. ist schon seit längerer Zeit bekannt, daß sie mindestens zehn
verschiedene Fermente beherbergen (Hofmeister).
Für die theoretische Vererbungslehre ist nun vor allem die Frage
von Interesse, ob die in der lebenden Substanz vorkommenden Stoffe,
insbesondere die Eiweißstoffe, spezifisch verschieden sind, d. h. eine
von Art zu Art wechselnde chemische Zusammensetzung aufweisen.
Schon G. Jäger hat aus der spezifischen und individuellen Ver-
schiedenheit der Riechstoffe die Vorstellung abgeleitet, daß die lebende
Substanz nicht bloß der verschiedenen Tierspezies, sondern auch der
einzelnen Individuen einer Art eine verschiedene chemische Zusammen-
setzung haben müsse, eine Schlußfolgerung, welche damals mit un-
verdientem Spott aufgenommen wurde. In der Tat hat die Unter-
suchung der Eiweißkörper, besonders der Hämoglobine, bestimmte
Anhaltspunkte für diese Auffassung ergeben. Schon die kristallinische
Form der rein darstellbaren Hämoglobine zeigt bei den verschiedenen
Tierformen Unterschiede, die auf die chemische Verschiedenheit spe-
ziell der im Hämoglobin enthaltenen Eiweißkörper schließen lassen
zum Teil allerdings auch durch die verschiedenen, den kristallisierten
Eiweißkörpern anhaftenden Salze bedingt sein mögen. Unter den
') Vgl. Kanitz, S. 23s (1910).
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24
Spezifisches Plasma.
Nagern weisen z. B. die Meerschweinchen Tetraeder, der Hamster
kurze, dicke, rhombische Prismen, das Eichhörnchen sechsseitige Tafeln
auf 1 ). Auch die quantitative Analyse der Eiweißkörper läßt beträcht-
liche Unterschiede erkennen, wenn auch die bisher aufgestellten For-
meln 2 ) nicht richtig sein mögen.
Selbst die Annahme, daß jedes Individuum sein Individual-
eiweiß besitzt, ist nicht unmöglich, da schon Miese her gezeigt
hat, daß von einer Eiweißverbindung von nur 40 C-Atomen bereits
eine Million Isomerien möglich sind.
Von besonderem Interesse würde es in vererbungstheoretischer
Hinsicht sein, wenn die Nucleoproteide des Kerns chemisch
genauer bekannt wären. Wir können hier nur so viel sagen, daß der
Nucleinsäureanteil offenbar nur geringe Variationen aufweist.
So konnte z. B. gezeigt werden, daß bei so entfernt stehenden Tier-
formen, wie beim Seeigel (Arbacia), Lachs und Hering, keinerlei
chemische Unterschiede bezüglich der Sperma-Nucleinsäure bestehen 3 ),
dagegen scheinen auch hier die Eiweißanteile nicht unerheblich
zu wechseln.
Faßt man, abgesehen von der Spezifität der Eiweißan teile, noch
die Unmöglichkeit ins Auge, auf dem Wege der Transfusion das
Blut eines Warmblüters durch artfremdes Blut zu ersetzen, sowie die
verschiedene Immunität, welche die einzelnen Warmblüter und
sogar die einzelnen menschlichen Individuen gegenüber bestimmten
Krankheitserregern, z. B. den Tuberkelbazillen, zeigen, so wird man
sich für berechtigt halten, mit R. Fick«), in Anlehnung an den
O. Hertwigschen Begriff der „Artzelle" 6), von einem „Art-
plasma" und „Individualplasma" zu sprechen.
Unsere Vorstellungen vom Aufbau des Protoplasmas entstammen
nun aber nicht bloß der morphologischen Betrachtung der mikro-
skopisch erkennbaren Strukturverhältnisse und der chemischen Ana-
lyse, sondern auch allgemeinen, von verschiedenen Gesichtspunkten
aus angestellten Erwägungen. Schon bei der mikroskopischen Be-
trachtung lassen, wie neuerdings Heidenhain nachgewiesen hat, die
sichtbaren Formbestandteile „hinsichtlich ihrer Ausmessungen nach der
') Vgl. Huppert 1896.
«) Vgl. Bunge, S. 56 (1894).
a ) Vgl. Burian 1906, sowie Kanitz. S. 247 (l9lo).
*) Vgl. R. Fick. S. 103 (1901).
>) Vgl. O. Hcrtwig, Zelle u. Gewebe. II. S. 8.
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Metastruktur. Lebenseinheiten.
25
Richtung des Kleinen hin eine abnehmende Reihe erkennen, an deren
Ende sie im Bereich des Metamikroskopischen verschwinden".
So wird man schon auf diesem Wege mit Notwendigkeit zu der
Annahme einer jenseits der Leistungsfähigkeit unserer Instrumente
liegenden „Metastruktur" 1 ) des Protoplasmas geführt, einer Vor-
stellung, welche sich auch bei der theoretischen Betrachtung der
Lebenserscheinungen, insbesondere der Vererbungsprozesse, den ver-
schiedensten Forschern aufgedrängt hat.
Es hat zuerst wohl Brücke 2 ) in bestimmterer Weise sich für die
Existenz elementarer Lebenseinheiten ausgesprochen, welche
eine Zwischenstufe zwischen der Zelle und den chemischen Molekülen
bilden und die Fähigkeit der Assimilation und Vennehrung zeigen.
Dieser Gedanke hat dann immer wieder, man könnte sagen, mit un-
widerstehlicher Gewalt, in der theoretischen Biologie Herrschaft ge-
wonnen. Es sind im wesentlichen die nämlichen Dinge, die von
Spencer als physiologische Einheiten 8 ), von de Vries als Pangene,
von Wiesner als Piasomen, von Weismann als Biophoren«), von
Roux als Isoplassonten, Automerizonten , von Giglio-Tos als Bio-
moren, von Heidenhain als Protomoreri bezeichnet werden. Alle
diese Forscher nehmen an, daß diese Teilchen einen höheren Wert
haben als die Moleküle der anorganischen und organischen Verbin-
dungen, daß sie von ihnen durch die Fähigkeit der Assimilation und
des Stoffwechsels, des Wachstums und der Vermehrung auf dem Wege
der Selbstteilung unterschieden sind und wahrscheinlich Aggregate von
verschiedenartigen Molekülen darstellen. Auf der Konstitution dieser
Molekülgruppen, vielleicht auch auf einer bestimmten gegenseitigen Ver-
bindung untereinander verschiedener Molekülgruppen beruht nach jener
Anschauung die Metastruktur, Organisation oder Architek-
tonik des Plasmas und diese bedingt ihrerseits wieder den regelmäßigen,
spezifischen Ablauf der Lebenserscheinungen. Wie eine Uhr mit dem
l ) Roux 1883.
*) Vielfach wird He nie als Urheber dieser Vorstellung genannt. Vermutlich
hat man dabei diejenigen Stellen in seiner Allgemeinen Anatomie (S. 163, 2\6) im
Auge, an welchen er von einer Entstehung und Zusammensetzung der Zellen aus
„ Elementarkörnchen 14 spricht.
*) Uber den Unterschied zwischen den physiologischen Einheiten Spencers
und den Keimeben Darwins siehe Weismann, Keimplasma, S. 8.
*) Die Biophoren setzen nach Weismann (Keimplasma, S. 60) alles Proto-
plasma zusammen, sowohl das zu Zellkörpein differenzierte Morphoplasma , als das
im Kern enthaltene Vererbungs- oder Idioplasma.
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26
Teilbarkeit der Lebenseinheiten.
Einstampfen aufhört, eine Uhr zu sein, obgleich Qualität und Quan-
tität des Metalles unverändert bleiben, so ist auch mit dem Zerreiben
eines anscheinend so homogenen Plasmakörpers, wie es z. B. die Loh-
blüte (Aethalium septicum, jetzt Fuligo varians) ist, das Leben ver-
nichtet, ein viel zitierter Vergleich, der freilich nach unseren jetzigen
Kenntnissen nicht ohne weiteres verallgemeinert werden darf»).
Es soll übrigens bemerkt werden, daß einige neuere Autoren
direkt von Plasmamolekülen (Davenport) oder Biomolekülen
(Giglio-Tos) sprechen, wobei von der Vorstellung ausgegangen
wird, daß diese der Assimilation und Teilung fähigen Atomgruppen
nur durch die Komplikation ihres Baues von den vielatomigen Mole-
külen hochorganisierter organischer Verbindungen, wie z. B. der aro-
matischen Körper oder Eiweißstoffe, verschieden sind.
Von verschiedenen Seiten ist darauf hingewiesen worden, wie
schwierig es sei, sich die Teilbarkeit des so gebauten Protoplas-
mas, insbesondere die bei den meisten Zellteilungsvorgängen an-
scheinend vollkommen symmetrische Verteilung seiner Qualitäten,
vorzustellen. Vor allen haben Haacke und Kassowitz diese
Schwierigkeit für die Weismann sehe lde (wie wir sehen werden,
lebende Protoplasmateile höherer Ordnung, die sich aus Biophoren
zusammensetzen) hervorgehoben, und Driesch hat im Zusammen-
hang damit das Schlagwort von der „Unteilbarkeit dreidimensionaler
Maschinen" geprägt.
Indessen ist schon verschiedentlich gezeigt worden, daß es auch
gewisse organische Verbindungen gibt, deren Moleküle unter geeigneten
Bedingungen (d. h. bei Vorhandensein bestimmter Verbindungen, mit
welchen sie Reaktionen ausführen) von dem ursprünglichen Zustand a
in einen Zustand b übergehen, um sich sodann wieder in 2 Mol.
vom Zustand a zu spalten. So hat Giglio-Tos darauf hingewiesen,
daß ein Essigsäuremolekül bei successiver Zuführung geeigneter „Nähr-
substanzen" (Phosphorchlorid, Zinkäthyl) sich unter Abspaltung von
„Sekretstoffen" (Phosphoroxychlorid, Salzsäure, Zinkchlorid) in 1 Mol.
Methyläthylketon umwandelt und daß sich dieses bei Zufuhr von
Sauerstoff wieder in 2 Mol. Essigsäure spaltet. Ähnliches läßt sich
') Hofmeister 1891 bebt hervor, daß man aueb mit zertrümmerten, in einen
Brei verwandelten tierischen Organen einzelne Lebensvorgänge nachzuahmen im-
stande ist, und daß gerade durch Zertrümmerung von Zellen der Nachweis in ihnen
eingeschlossener chemischer, im Leben tätiger Agenzien, z. B. mancher Fermente,
ermöglicht worden sei.
t
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Bau der Lebenseinheiten.
27
innerhalb der Gruppe der Benzol Verbindungen nachweisen, insofern
z. B. aus Phenetidin (C,H 6 OC 6 H 4 NH a ) bei Phenolzusatz und Ather-
behandlung ein Körper (Phenoazophenotol) entsteht, dessen Molekül
gewissermaßen ein doppeltes Phenetidinmolekül darstellt und durch
Reduktion tatsächlich auch in zwei Phenetidinmolekel gespalten wer-
den kann Hier haben wir also die chemischen Analoga der Assi-
milation, der Sekretion, des Wachstums und der Teilung vor uns.
Natürlich ist aber die Heranziehung derartiger chemischer Pro-
zesse nichts weiter als ein ganz roher Versuch, zu einem Bild von
der Selbstteilung der Protoplasmateilchen zu gelangen, sowie man z. B.
von „Bahnen" oder „ Verknüpf ungen" redet, wenn man den Verlauf
der Gehirnfunktionen der Vorstellung näher bringen will.
Die vergleichsweise Erwähnung einer der aromatischen Körper
ist vielleicht deshalb noch von Interesse, weil diese Verbindungen
mit ihrer großen Zahl von Atomen, mit dem ringförmig geschlossenen
Aufbau, den zahlreichen Isomerien und den austauschfähigen seit-
lichen Atomgruppen dem Nichtchemiker am ehesten eine vorläufige
Vorstellung von der Konstitution der kleinsten Lebensteilchen geben
können. So meint auch Giglio-Tos, daß die Biomoleküle den
Bau komplizierter Ketten mit verzweigten Ästen besitzen, und vor
allem ist auch die moderne Serumforschung, wohl in Anlehnung an
die Chemie der aromatischen Körper, zu ähnlichen Vorstellungen von
der Konstitution des Protoplasmas gelangt. Nach Ehrlich besteht
nämlich das Protoplasma aus einem Leistungskern, dem eigent-
lichen vitalen Zentrum, und den Seitenketten, welche als Organe
des Protoplasmas dienen. Im speziellen haben bestimmte Seiten-
ketten, die Rezeptoren oder Nutrizcptoren, die Fähigkeit, auf
Grund einer bestimmten chemischen Konstitution und Affinität die
assimilationsfähigen Nährstoffe zu verankern und so die Assimilation
einzuleiten.
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Bunge. G., Lehrbuch der physiologischen und pathologischen Chemie. 3. Aufl.
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') Nach freundlicher Mitteilung von Prof. H. Kauf f mann in Stuttgart.
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28
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Fünftes Kapitel.
Weiterentwickelung der Zellenlehre.
Die Theorie der Vererbung hat nicht nur an die Protoplasma-
theorie, sondern vor allem auch an die Zellenlehre angeknüpft, und
wenn auch neuerdings die nichtzellularen Bakterien vielfach in den
Kreis der vererbungsgeschichtlichen Forschung gezogen worden sind,
so wurzelt doch die heutige Vererbungstheorie in der üblichen Auf-
fassung der Zellenlehre. Noch vor kurzem hat O. Hertwig sich
dahin geäußert, daß das Vererbungsproblem im wesentlichen ein
Zellenproblem sei.
Es wird aber niemand, der die Literatur verfolgt, sich des Ein-
drucks erwehren können, daß die Zellenlehre, wie sie von Schleiden
und Schwann begründet und im Laufe des 19. Jahrhunderts zur
Bausteinlehre und zur Zellenstaatlehre weiter gebildet worden
ist, sich zurzeit in einer Art Krisis befindet, daß vergleichende
Anatomen, Embryologen, Histologen und Physiologen in immer ver-
stärktem Maße gegen die bisherige Fassung Einwände erheben, und
daß durch diese Weiterentwickelung auch gewisse vererbungstheo-
retische Vorstellungen berührt werden.
In der Fassung, wie sie ihr ursprünglich von Schleiden, Nägeli,
Virchow u. a. gegeben worden ist, sagt bekanntlich die Zellentheorie,
daß alle höheren tierischen und pflanzlichen Organismen aus Gebilden
niedrigerer Ordnung, den Zellen, zusammengesetzt sind, und daß
diese, morphologisch betrachtet, die letzten Form demente oder
Bausteine des Organismus darstellen, in physiologischer Hinsicht
dagegen als Elementarorganismen oder (nach Virchow) als
Lebenseinheiten zu betrachten sind. Das letztere soll so viel
heißen, daß alle Lebens Vorgänge, welche der Organismus als Ganzes
zeigt, z. B. Assimilation, Wachstum, Vermehrung, sich im kleinen an
den einzelnen Zellen abspielen. So stellen die chlorophyllführenden
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30
Zellenstaat.
Palissadenzellen auf der einen Seite die Formelemente des phanero-
gamen Laubblattes dar, auf der anderen Seite zeigen sie bis zu einem
gewissen Grade noch den Charakter von Elementarorganismen, da
isolierte Palissadenzellen in geeigneten Nährstofflösungen mehrere
Wochen lang am Leben bleiben, assimilieren und weiter wachsen
können »).
Diese „Bausteintheorie " hat sich bald zur „Zellenstaattheorie"
weiterentwickelt. Milne Edwards in den 50er Jahren und dann
namentlich Haeckel und H. Spencer haben die Vorstellung zu be-
F*- 5-
Fi?. 6.
Junge Pandorinakolonie nach Pi iugsheim
aus Weismann.
Platydorinakolonie nach Kofoid.
gründen versucht, daß die Zellen innerhalb des Körpers eine Art von
sozialer, auf Arbeitsteilung beruhender Gemeinschaft darstellen 8 ).
Diese Zellenstaaten oder Zellenrepubliken kommen sowohl in der
Stammesgeschichte wie in der Entwickelung des einzelnen Indivi-
duums dadurch zustande, daß die ursprünglich gleichartigen Glieder
einer Zellenfamilie, z. B. einer jungen, auf dem Stadium der Gattung
Pandorina (Fig. 5) oder Platydorina (Fig. 6) befindlichen Volvoxkolonie
oder eines im „Morulastadium" stehenden tierischen Eies, auf Grund
zunehmender morphologischer Differenzierung und physiologischer
Arbeitsteilung sich auf der einen Seite immer mehr spezialisieren,
') Vgl. Haberlandt. S. 14 (1904).
*) Vgl. die näheren Ausführungen bei O. Hertwig und Heidenhain.
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Einwände gegen die Zellenstaatlehre.
31
andererseits immer abhängiger von anderen Zellen und vom ganzen
Körper werden, also nach H. Spencer dem Ganzen integriert wer-
den 1 ). Die Zellen haben also, wie sich die Botaniker ausdrücken,
weniger den Charakter von Elementarorganismen als von Elementar-
organen, und tatsächlich tritt ja in dem vorhin angeführten Beispiel
der Palissadenzellen der Phanerogamen die nur unter künstlichen Be-
dingungen sich äußernde physiologische Selbständigkeit der Zellen
vollkommen zurück gegenüber ihrem ausgesprochenen Charakter als
spezifischer Assimilationsorgane s ).
In dieser Fassung hat die Zellentheorie bis vor kurzem fast
uneingeschränkte Anerkennung gefunden, und die „Zellenstaatlehre' 1
pflegte in Lehrbüchern und Vorlesungen als das eigentliche Fun-
dament aller Morphologie und Physiologie dargestellt zu werden.
Ontogenetisch betrachtet erschienen die Zellen nach wie vor als
die eigentlichen Bausteine des Organismus, und namentlich auf zoolo-
gischer Seite pflegt es fast als Axiom betrachtet zu werden, daß die
Zellen nicht bloß auf Grund fortgesetzter Teilungen den ursprünglich
einfachen Elementarorganismus, den einzelligen Keim, in einen Zellen-
staat umwandeln, sondern daß sie auch durch ihren Teilungsrhythmus
und ihre Teilungsrichtung die Form des Ganzen und der ein-
zelnen Körperteile bestimmen. Dem Histologen erschienen
die nichtzellularert Bestandteile des Organismus, vor allem die Cuti-
cular- und Interzellularsubstanzen, als einfache tote Sekrete der Epithel-
und Bindegewebszellen, und der Physiologe sah in den Zellen die
unteilbaren Träger aller Lebenserscheinungen.
Gegen diese Thesen sind nun aber schon seit längeren Jahren
da und dort Stimmen erhoben worden, und vor allen haben sich
hintereinander die Botaniker Hofmeister, de Bary und Sachs, der
Anatom Rauber und der Zoologe Whitman dahin ausgesprochen,
daß in der Einzelentwickelung nicht die Zellen die Form des Ganzen
bestimmen, sondern daß umgekehrt die Anordnung der Teile durch
das Wachstum und die Formgestaltung des Ganzen beherrscht wird.
Im speziellen dachte Sachs, daß sich die Form des Körpers und
l ) Vgl. auch O. Hertwig, Zelle und Gewebe, II, S. 85.
*) Das Palissadengewebe enthält im Mittel 3- bis 5 mal soviel Chlorophyllkörner
als das Schwammparenchjm. Die Assimilationsenergie des ersteren dürfte aber noch
verhältnismäßig größer sein, weil es sich auf der Blattobei seile befindet und deshalb
weit günstigeren Belichtungsverhältnissen ausgesetzt ist, als daB von ihm beschattete
Sehwammparenchym. Vgl. Haberlandt, S. 244 (1004).
32
Einwände gegen die Zellenstaatlehre.
sein Wachstum durch die Strömung des Protoplasmas nach bestimmten
Richtungen, also durch dessen Wachstumsrichtung und Wachstums-
Fig. 7.
Floridee (Melobesia) nach Rosenoff und Sachs.
druck, reguliert, und daß die Zeilplatten, d. h. die Anlagen der
Scheidewände zwischen zwei durch Teilung neuentstandenen Tochter-
Kegelförmiger Vegetationspunkt nach Sachs.
zellen, auf Grund bestimmter Wachstumsgesetze stets rechtwinklig zur
Richtung des intensivsten Wachstums angelegt werden. Der wachsende
Thallua mancher Algen (Fig. 7) und die „Vegetationspunkte" höherer
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Plasmodien und Syncytien.
33
Fig. 9.
Pflanzen mit ihren „periklinen" und „antiklinen" Zellwandrichtungen,
welche entsprechend der paraboloidischen Gestalt der Sproßspitzen
zwei rechtwinklig sich schneidende Systeme konfokaler Paraboloide
bilden (Fig. 8), gelten als die beste Illustration für die Sachssche
Theorie, aber auch auf zoologischem Gebiet lassen sich Verhaltnisse
namhaft machen, welche für die formbestimmende Bedeutung des
Ganzen sprechen.
Diese Anschauungen sind nicht ohne Einfluß geblieben, und so
spricht denn auch O. Hertwig, der im ganzen eher der älteren Auf-
fassung zuneigt , von
„der doppelten Stellung
der Zelle als Elementar-
organismus und als de-
terminiertem und inte-
griertem Teil eines über-
geordneten , höheren
Organismus" 1 ). Indessen
blieb im allgemeinen die
Zellenstaatlehre zuRecht
bestehen , insbesondere
hat, wie wir sehen wer-
den, die Vererbungstheo-
rie diese Fassung der
Zellenlehre als Aus-
gangspunkt genommen.
Gerade in den letz-
ten Jahren ist nun aber,
• t , . . Caulerpa crassifolia nach Sachs.
wie bereits angedeutet ^
wurde, von verschiedenen Gesichtspunkten aus die Unzulänglich-
keit (inadequacy) der älteren Zellenstaatthcorie hervorgehoben
worden. Eine große Rolle spielen bei den betreffenden Erörterungen
die Plasmodien und Syncytien, vielkernige Plasmamassen, von
denen die ersteren als selbständige Organismen, die letzteren als Teile
der höheren Vielzelligen erscheinen*). Es kann darauf hingewiesen
') Vgl. auch Haberlandts Bemerkungen zum „Zellenstaat" (j. Aufl. d. Phys.
PflanzcnanaL, S. 15).
*) Nach Rhode (1908, S. 2) würden auch die vielkernigen Gewebe höherer
Tiere als Plasmodien zu bezeichnen sein, wofern sie schon primär im Ei durch
die sich hier abspielenden Kernteilungsprozesse zur Ausbildung kommen, während
Syncytien durch Verschmelzung von ganz indifferenten Embryonal zellen entstehen.
Marek er, Vererbungslehre. ^
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34
Plasmodien und Syncytien.
werden, daß es im Tier- und Pflanzenreiche eine ganze Reihe von
vielkernigen, nichtzellularen „Plasmodien" gibt, so die Siphoneen oder
Schlauchalgen (Caulerpa, Fig. 9, Vaucheria), die Myxomyceten oder
Schleimpilze (Fuligo varians = Aethalium septicum, Lohblüte), viele
Foraminiferen, die sogenannten „koloniebildenden" Radiolarien (Collo-
darien) 1 ), und unter den Infusorien die Opalinen. Ferner durch-
laufen viele Protozoen bei der Reproduktion vielkernige, also plas-
modiale Entwickelungsstadien, z. B. die Infusorien und manche Radio-
larien (Aulacanthiden), und ebenso haben bekanntlich auch die Eier
vieler Arthropoden zunächst einen plasmodialen Charakter. Auf der
anderen Seite hat neuerdings Rhode zu zeigen versucht, daß in
vielen Fällen die Gewebszellen vielzelliger Tiere, so insbesondere die
Muskelelemente, mitunter sogar die Geschlechtszellen, nicht in ge-
rader Linie von Embryonalzellen (im letzteren Falle den Urgeschlechts-
zellen) abstammen, sondern unter Einschaltung vielkerniger Plasma-
massen«), welche aus den mehr selbständigen Embryonalzellen der
früheren Entwickelungsstadien entweder aul dem Wege multipler
Kernteilung oder durch nachträgliche Verschmelzung ihre Entstehung
nehmen. Ebenso ist darauf hingewiesen worden, daß auch bei den
Regenerationsvorgängen und bei der Bildung der Geschwülste die
Gewebe vielfach in den plasmodialen oder syncytialen Zustand zurück-
kehren 8 ).
In allen diesen Fällen kann natürlich, wenigstens zeitweise, von
einem zellularen Aufbau der betreffenden Organismen oder Gewebe
nicht gesprochen werden, vielmehr kann der Ausdruck Energide,
womit Sachs einen einzelnen Zellkern mit dem von ihm beherrschten
Protoplasmabezirk bezeichnet hat, eine passende Verwendung finden 4 ).
l ) Es dürfte vielleicht zweckmäßig sein, die Bezeichnung Kolonie für solche
zellular gebaute Organismen zu reservieren, deren Zellen nur durch tote Substanzen
(Gallerte) oder höchstens durch dünne Plasmabrücken miteinander verbunden und in
geringem Maße differenziert und integriert erscheinen. Nach dieser Definition würden
mindestens die einfacheren Volvocineen (Pandorina, Platydorina, siehe oben Fig. 5. 6)
echte Kolonien darstellen, während Volvox globator mit seinen durch Plasmasträngen
verbundenen Zellen einen Übergang zu den Plasmodien bildet (vgl. auch Rhode,
1. c S. 83).
*) Ein sehr interessantes Beispiel eines kompliziert gestalteten Syncytiums bietet
die Pigmentzelle (Chromatophore) der Tintenfische dar (vgl. C. Chun, Verh. D. Zool.
Ges. 1902).
■) Vgl. Driesch, S. 72, und Rhode, S. 73-
*) Einwände gegen den Energiebegriff sind von verschiedenen Seiten erhob cu
worden. Vgl. Heidenhain. S. 50; Haberlandt, S. 58, Anm.3. An letzterer Stelle
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Histologische Einwinde.
35
Auch neuere experimentell-entwickelungsgeschicht-
liche Untersuchungen haben ergeben, daß die tierischen Keime in
ihren jüngsten Stadien auch bei künstlich gehemmter oder vollständig
unterdrückter Zelldurchschnürung typische Formen und Differenzie-
rungen erlangen können, wie z. B. künstlich - parthenogenetische Eier
von Anneliden auch ohne Plasmateilung das larvale Wimperkleid
entfalten können 1 ). Man wird Driesch beistimmen können, wenn er
sagt, daß neuere Forschungen uns den Organismus in weit höherem
Grade, als man früher glauben mochte, als ein Ganzes gezeigt
haben. „Die Zellen sind oftmals Bausteine dieses Ganzen, aber mehr
nicht, und oft nicht einmal das."
Von histologischer Seite ist neuerdings namentlich Heiden-
hain») für die Auffassung eingetreten, daß der fertige vielzellige
Organismus keineswegs als ein reines Zellenaggregat im Sinne der
Zellenstaattheorie aufgefaßt werden kann, daß er vielmehr eine Asso-
ziation ganz ungleichwertiger lebender Formbestandteile
(von Zellen, syncytialen Bildungen, Muskelfasern, Bindegewebsbündeln,
elastischen Fasern usw.) darstelle, und daß auch Wachstum und histo-
logische Differenzierung nicht einfach auf der Zellteilung und der
Abscheidung verschiedenartiger toter Zellenprodukte beruhe. Speziell
die Interzellularsubstanzen (Bindegewebsfibrillen, elastische Fasern) und
Cuticularbildungen wären nicht als passive Sekrete der Zellen anzu-
sehen, sondern stellten sich als abgegliederte, modifizierte Teile des
Zellprotoplasmas dar, welche außerhalb der Zellen selbständig assimi-
lieren und weiterwachsen können 8 ). Sogar die Fähigkeit der Selbst-
teilung dürfte nach Heidenhain wenigstens den Interzellularsubstanzen
zukommen, wie denn überhaupt das Teilungsvermögen keineswegs
wird namentlich auf den von A. Zimmermann hervorgehobenen Umstand hin-
gewiesen, daß bei mehrkernigen Zellen mit lebhafter Protoplasmaströmung der Begriff
der Energide als einer organischen Einheit sich weder in morphologischem noch in
physiologischem Sinne aufrecht erhalten 118t.
') Lillie 1902; vgl. auch Schmidt, S. 331 (1904), welcher bei Seeigelkeimen
zeigte , daß zwischen Zellteilung und Organbildung keine direkte Beziehung besteht,
derart , daß etwa an Zonen , welche zur Einfaltung oder Wucherung bestimmt sind,
eine besonders reichliche Teilung stattfände, sowie Godlewski 1908, der beim
gleichen Objekt trotz der Unterdrückung der Zellteilung durch CO»- Behandlung ein
(modifiziertes) Blastulastadium heranzog.
■) Vgl. Heidenhain, S. 54 ff.
*) Bezüglich der Interzellularsubstanzen vgl. M. Schultze 1861, Flemming
1902, Stndnicka 1903 u. a.; bezüglich der Cuticularbildungen siehe Biedermann
1903.
3'
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36
Histologische Einwände.
Fig. 10.
bloß den Zellen und ihren Organellen (Kern, Centrosoma), sondern den
verschiedensten morphologischen Formgebilden (Biosystemen)
zuzuschreiben ist. Es ist dabei an die schon 1861 von Weismann
beobachtete Spaltbarkeit der Muskelprimitivbündel, speziell an die
Muskelfasern des Säugetierherzens, welche infolge massenhafter un-
vollkommener Spaltung eine kontinuierliche Fleischmasse von der
allgemeinen Form eines Plexus
bilden, zu erinnern. Auch die
eine unvollständige Teilung dar-
stellende intrazellulare Spros-
sung der Skelettanlagen der
Radiolarien J ) ist in diesem Zu-
sammenhange zu erwähnen: spe-
ziell die Radialstacheln der Aula-
canthiden entstehen nämlich in
der Weise, daß sich zunächst ein
länglicher, von einer plasmati-
schen „Vakuolenhaut" um-
gebener Gallerttropfen bildet
(Fig. 10 A), daß dann auf Grund
von regelmäßigen Sprossungs-
vorgängen die Endäste gebildet
werden (Fig.lOB) und schließlich
die Verkieselung der Vakuolen-
haut zustande kommt (Fig. 10 C).
Hier bildet offenbar die zunächst
häutige Stachelanlage ein relativ
selbständiges, mit Sprossungsver-
mögen ausgestattetes lebendes
Formelement.
Endlich hat sich auch ein
Physiologe, Schenck, gegen die
Auffassung der Zelle als einer elementaren „physiologischen Lebens-
einheit" gewandt. Der Übergang von potentieller in kinetische
Intrazellulare Sprossung der Radialstachel-
aulage einer Aulacanthide (Aulographis).
') Vgl. V. Haecker, S.45 (1906), S. 602 (1908). Auch manche tierische Hart-
gebilde zeigen während ihrer Entwickelung ein selbständiges, von den (ernährenden)
Zellen relativ unabhängiges Wachstums- und Formbildungsvermögen. Vgl. die von
Maas im wesentlichen bestätigten Angaben von Minchin über die Entstehung der
Spikula der Kalkschwämme (Tiefsee-Rad., S. 583).
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Physiologische Einwände.
37
Energie, Verbrennung, Wärmebildung, Erregbarkeit, Bewegung (Flim-
merung), alle diese Vorgänge und Eigenschaften seien keineswegs an
das zelluläre System gebunden, sondern stellen, da sie innerhalb
bestimmter Grenzen auch an abgelösten Protoplasmabildungen vor-
kommen können, Funktionen der lebenden Masse, des Proto-
plasmas, dar.
Aus allem hier Gesagten geht hervor, daß die Zellenstaattheorie
nach verschiedenen Richtungen hin in Weiterentwickelung begriffen
ist und vielfacher Ergänzungen bedarf. Speziell das überaus häufige
Vorkommen plasmodialer und syncytialer Bildungen scheint darauf
hinzuweisen, daß die Differenzierung des Protoplasmas in
Kernplasma (Karyoplasma) und extranucleares Plasma („Cyto-
plasma") 1 ) gegenüber der Differenzierung der lebenden Substanz in
gesonderte Zellterritorien das allgemeinere Prinzip darstelle.
Wir werden uns also zunächst mit der Sonderung des Protoplasmas
in Kern- und extranucleares Plasma und deren Bedeutung zu be-
schäftigen haben, zumal gerade für die Vererbungslehre dieser Gegen-
satz ein besonders wichtiger geworden ist.
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deckt sich also nicht mit dem allgemeineren Begriff des extranuclearen Plasmas.
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38
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0 DV kjOOQ tc
Sechstes Kapitel.
Kern und Kernteilung.
Der sogenannte „ruhende", d. h. nicht in Teilung befindliche
Kern (nucleus) wird speziell für die vielzelligen Organismen in der
Regel als ein bläschenförmiges Gebilde beschrieben, welches von einer
Kernmembran umschlossen ist und in seinem Innern eine flüssig
gedachte Grundsubstanz, den Kernsaft, ferner ein grobmaschig-netz-
förmiges oder schwammartiges (spongiöses) , den Kernraum durch-
setzendes Kerngerüst und eine oder mehrere meist stark farbbare,
rundliche Gebilde, die Kernkörper
oder Nucleolen, enthält (Fig. 11;
Fig. 13 A, 1). Die nicht färbbare
Substanz des Kerngerüstes wird von
den Histologen gewöhnlich Linin
oder Achromatin genannt, während
die färbbare Substanz, welche den
Lininfäden in Form kleiner Körn-
chen ein- oder angelagert erscheint,
die Bezeichnung Chromatin erhal-
ten hat.
Es kann keinem Zweifel unter-
liegen, daß die im Präparat netz- _...„. ...
ö r Unreifes Eierstocksei eines Echino-
artig oder spongiös erscheinenden <jenns. Nach O. Hertwig.
Kerngerüste mehr oder weniger Kunst-
produkte sind, erzeugt durch die schrumpfende (plasmolytische)
Wirkung der für die Abtötung und Konservierung der Gewebe ver-
wandten Reagenzien (Sublimat- und Osmiumgemische usw.). Ebenso
dürfte es sich dann, wenn im Präparate der Kernraum wolkenartige
Ansammlungen von körnigen Massen enthält, um gerinnselartige Aus-
fällungen der Kernsubstanzen handeln. Dem lebenden Zustand werden
dagegen diejenigen Kernbilder am nächsten kommen, welche an Stelle
Fig. 11.
40
Chemie des Kerns.
eines grobmaschigen Kerngerüstes den Kernraum von einer schwach
färbbaren, gleichmäßig alveolaren (feinwabigen) Substanz, dem Grund-
plasma oder Karyoplasma, erfüllt zeigen, in welchem die stark
färbbaren Kernsubstanzen, Chromatinkörnchen und Kernkörper als
selbständige Gebilde eingelagert erscheinen (s. unten Fig. 13 B, l) 1 ).
Dafür, daß diese Auffassung die zutreffende ist, spricht u. a. die
Beobachtung, daß die sehr großen „ruhenden" Kerne der tripyleen
Radiolarien, je nach der Beschaffenheit und Wirkung der Kon-
servierungsmittel, die zwischen den Nucleolen (»Binnenkörpern")
gelegene Grundsubstanz bald in Form eines spongiösen Flechtwerks
(Fig. 12 C), bald als feinkörniges, wolkiges Gerinnsel (Fig. 12 B), bald
als gleichmäßig -feinwabige Masse (Fig. 12 A) erkennen lassen. Nach
Fig. 12.
Karyoplasma der Radiolarien (Aulacanthiden) bei verschiedener Konservierung.
dem, was uns sonst über die Beschaffenheit des Protoplasmas und
insbesondere die Kerne der Protozoen bekannt ist (vgl. S. 20, Fig. 2),
dürfte es nicht zweifelhaft sein, daß wenigstens in diesem Falle das
letztgenannte Bild den lebenden Zustand am besten wiedergibt.
Bezüglich der chemischen Beschaffenheit der einzelnen Kern-
anteile besitzen wir nur sehr wenig befriedigende Kenntnisse. Es
läßt sich nur soviel sagen, daß im Kern hauptsächlich zweierlei Sub-
stanzen vorkommen, die sich chemisch und tinktionell (d. h. bezüglich
ihrer Affinität zu den verschiedenen Kernfarbstoffen) voneinander
scharf unterscheiden: die früher (S. 22) erwähnten Nucleoproteide und
ein den Eiweißstoffen zugehöriger oder nahestehender Körper, das
Plastin 2 ). Nach der ziemlich übereinstimmenden Ansicht der meisten
Autoren bestehen die Chromatinkörnchen des „ruhenden" und des
') Vgl. Haecker, S. 385 (1002). S.216 (1904), S. 24 (1907); GrSgoire et
Wygaerts 1903; Tellyesnicky 1904; Mar£chal 1904 u. a.
*) Vgl. Zacharias, S. 69. 74 (1909).
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Kcrnkörper.
41
zur Teilung sich vorbereitenden Kernes aus Nuclein •), die bei der
Teilung hervortretenden Chromosomen oder Chromatinschleifen da-
gegen setzen sich aus Nuclein und Plastin zusammen a ). Ferner ist
Nuclein zusammen mit Plastin am Aufbau der zusammengesetzten
oder Chromatin-Nucleolen beteiligt, dagegen sollen die echten
Nucleolen oder Plasmosomen ausschließlich aus Plastin bestehen.
Es ist zurzeit kaum möglich, aus diesen Ergebnissen der Mikro-
chemie bestimmtere Schlüsse bezüglich des gegenseitigen Verhältnisses
der einzelnen Kernsubstanzen zu ziehen. In der Tat gehen die An-
sichten über den Chemismus des Kernes sehr weit auseinander, und
soweit bestimmtere Anschauungen über die Bedeutung der einzelnen
Kernteile und ihre Beziehungen zueinander vorliegen, sind sie weniger
auf Grund der mikrochemischen Untersuchungen, als mit Hilfe aus-
gedehntester vergleichender Beobachtungen gewonnen worden.
In einer Beziehung scheinen sich allerdings zurzeit die Ansichten
mehr und mehr zusammenzuschließen, nämlich in der Frage nach
der Bedeutung der echten Kernkörper oder Nucleolen
(Plasmosomen). Diesen Körpern, vor allem den sogenannten Keim-
flecken der Keimbläschen (d. h. der Kerne der unreifen Eier), wurde
früher vielfach eine sehr wichtige Rolle, namentlich bei den Kern-
teilungsprozessen, zugeschrieben, insbesondere sollte nach einer alten
Annahme von Remak die Teilung von Kern und Zelle durch eine
Teilung des Kernkörpers eingeleitet werden. Auch nach der Ansicht
mancher neuerer Forscher würden die Nucleolen wichtige Nähr- oder
Baustoffe darstellen, welche bei den Veränderungen der chromatischen
und achromatischen Substanzen zur Verwendung kommen 8 ). Jedoch
neigen sich zurzeit die Anschauungen eines großen Teiles der For-
scher der sogenannten Kernsekrettheorie 4 ) zu, wonach die Kern-
') Nach Heidenhain, S. 153. löJ (1907), würden die Chromatinköi nchen
(Chromiolen) der ruhenden Kerne von zweierlei Art sein, insofern nebeneinander
P- reiches, bei Säurefuchsin -Methylgrünbehandlung grün färbbares Basichromatin
und P- armes, eine rote Tinktion annehmendes Oxychromatin auftreten. In den
Anfangsstadien der Teilung verschwindet das Oxychromatin , vermutlich, indem es
sich in Basichromatin verwandelt.
*) Vgl. Zacharias, 1. c, S. 237.
*) Über die verschiedenen Kernkörpertheorien vgl. Haecker, S. 114 (1890).
4 ) Bezüglich der Begründung der Kernsekrettheorie vgl. Haecker, S. 246 (1895),
S. 114 (1899). Eine ganze Reihe von erfahrenen Zellforschern hat sich neuerdings
auf den Boden der Kernsekrettheoric gestellt, so Montgomery, Wilson. A. Fischer,
Schneider, Vejdovski, Winiwarter, Heidenhain. Letzterer hat versucht, der
Kernsekrettheorie eine chemische Begründung zu geben [S. 196 ff. (1907)].
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42
körper Abspaltungsprodukte, Zwischenprodukte des Stoffwechsels dar-
stellen. Wie bei allen Stoffwechselvorgängen, die sich in den
Organismen abspielen, End- und Nebenprodukte des Stoffwechsels zur
Abscheidung kommen, so würden nach der Kernsekrettheorie auch
die Nucleolen während der vegetativen Tätigkeit von Zelle und Kern
in Tröpfchenform abgespalten, um dann noch während der Kernruhe
oder zu Beginn der Kernteilung als eine Art von Sekret in gelöster
oder ungelöster Form aus dem Kernraume entfernt zu werden.
Fig. 13.
1 2-3 4 5
12 3 4
Indirekte Kernteilung, schematisiert. A nach der Chromatinerhaltungs- , B nach der
Achromatinerhaltungshypothese.
Weniger Einhelligkeit besteht bezüglich des gegenseitigen Ver-
hältnisses von Chromatin und achromatischen Kernbestandteilen, sowie
darüber, inwieweit diese Substanzen an dem Aufbau der beim ge-
wöhnlichen Kernteilungsmodus hervortretenden Chromosomen oder
Chromatinschleifen beteiligt sind.
Nach der am meisten verbreiteten, im wesentlichen auf Fl e In-
nung zurückzuführenden Ansicht spielt sich dieser Prozeß, die
indirekte Kernteilung, Mitose oder Karyokinese, in fol-
gender Weise ab. In den frühen Stadien der Teilung, den Prophasen,
schließen sich die Chromatinkörnchen des ruhenden Kernes mit Linin-
bestandteilen des Kerngerüstes zur Bildung der Stäbchen- oder schleifen-
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Mitose. 43
•
förmigen Chromosomen zusammen, und zwar in der Weise, daß
die Chromatinkörnchen ihre mehr gleichmäßige Verteilung im Kern-
gerüst (Fig. 13 A, 1) aufgeben und sich, unter gleichzeitiger Ver-
mehrung, längs bestimmter Fadenzüge des Gerüstwerks zusammen-
ordnen, während die von ihnen freigegebenen Teile des Maschen-
werks eine Auflösung erfahren (Fig. 13 A, 2). Es kann entweder
zunächst ein zusammenhängender, knäuelig aufgewundener Faden
(Knäuel, Spirem) zustande kommen, der sich erst nachträglich durch
Querteilung (Segmentierung) in schleifenähnliche Abschnitte,
die Chromosomen oder Chromatinschleifen, gliedert, oder es
können letztere von vornherein als selbständige Gebilde auftreten.
Die Chromosomen erfahren eine zunehmende
r 1 f. 1 4.
Verdichtung, und wenigstens in einigen Fällen
erscheint ihre Chromatinsubstanz in Form von
färbbaren Scheiben (Chromomeren) oder klei-
nen Körnchen (Chromiolen), welche geldrollen-
artig oder wie die Glieder in einer Perlschnur
angeordnet und durch eine Lininunterlage zu-
sammengehalten sind 1 ) (Fig. 14 a).
Die Längsspaltung der Chromosomen (Fig. a
13, 3) und ihre in den mittleren Stadien der *• Chromosom aus den
., , . - . , . , , ,, Pollenmutterzellen von
Teilung, den Metaphasen, sich vollziehende voll- Uljum cmdm mit
ständige Durchteilung in zwei Tochterchromo- Chromomeren. Nach
somen (Fig. 13, 4) soll dann in der Weise von- Allen, b. Quergekerb-
statten gehen, daß sich jedes der vorhin genannten tesDo PP eIstÄb cßen eines
' _ ~ Kopepoden.
sichtbaren Teilchen (Chromomeren, Chromio-
len) für sich spaltet und gleichzeitig eine Durchteilung der Linin-
unterlage erfolgt.
In den Anaphasen erfolgt die dizentrische Wanderung der Tochter-
chromosomengruppen.
Für die Endstadien der Teilung, die Telophasen (Fig. 13 A, 5),
wird gewöhnlich angenommen, daß die an die gegenüberliegenden
Pole der Teilungsfigur gelangten Tochterchromosomen nach Art der
Amöben Fortsätze ausstrecken und auf diese Weise miteinander in
Verbindung treten. So kommt wieder ein Kerngerüst zustande, über
welches sich die Chromatinkörnchen in mehr gleichmäßiger Weise
verteilen, und da nun auch Kernmembran und Kernkörper wieder er-
') Vgl. auch Heidenhain, S. 165 (i907).
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44
Achromatinhypotbese.
scheinen, so werden alle in den Prophasen sich abspielenden Prozesse
gewissermaßen in umgekehrter Reihenfolge (auf dem Wege einer
retrogressiven Metamorphose) wiederholt.
In dieser Darstellung kommt die Anschauung zum Ausdruck,
daß die Chromatinkörnchen des ruhenden Kernes stofflich
identisch sind mit den die Färbbarkeit der Chromosomen
bewirkenden Substanzen, speziell mit den Chromomeren und
Chromiolen, und daß sie gleichzeitig die biologisch wichtigste
Substanz bilden, während den chromatinfreien Linin- (Achromatin-)
Teilen des Kerngerüstes, der Lininunterlage der Chromosomen, dem
» Kernsaft " des ruhenden Kernes, sowie der anscheinend flüssigen Sub-
stanz, in welcher die Chromosomen in den späteren Prophasen, in den
Meta- und Anaphasen der Teilung eingebettet sind, nur eine sekun-
däre Rolle zufällt.
Im Gegensatz zu dieser älteren Auffassung (Chromatinerhal-
tungshypothese) geht eine andere Annahme (Achromatin-
erhaltungshypothese oder kurz Achromatinhypothese) 1 )
unter anderen von der Tatsache aus, daß in vielen ruhenden Kernen
außer einem oder mehreren Nucleolen überhaupt keinerlei färbbare
Substanz wahrzunehmen ist 8 ), und verlegt den Schwerpunkt von der
färbungsanalytisch oder mikrochemisch nicht immer scharf faßbaren
Chromatinsubstanz auf das alveolär strukturierte Grundplasma des
Kernes (Fig. 13 B, 1), welches nach obigem im ganzen den Kernsaft und
das Kerngerüst, also die Linin- oder Achromatinsubstanzen der früheren
Autoren in sich begreift. Die Chromosomen entstehen danach nicht
durch Vermehrung und Zusammenscharung der Chromatinkörnchen,
sondern als lokale (zirkumskripte), stark färbbare (vorwiegend
basophile) Verdichtungen des alveolären Karyoplasmas selber
(Fig. 1 3 B, 2). Diese Differenzierungen treten zunächst entweder als
längere, körnige Fäden oder als korkzieherartige Spiralen hervor, aus
denen dann die definitiven schleifen- oder stäbchenförmigen Chromo-
somen gewöhnlich auf Grund einer allmählichen Verkürzung und
weiteren Kondensierung ihre Entstehung nehmen. Welchen Anteil
die Chromatinkörnchen des ruhenden Kernes am Aufbau der Chromo-
somen haben, ob sie als körnige Chromiolen oder in Form einer
imbibierenden Flüssigkeit in die Grundstruktur der Chromosomen
l ) Haecker 1904. 1907.
*) So z. B. im „Keimbläschenstadium" mancher einheimischer Kopepoden mit
langsam sich abspielender Eibildung.
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Achromatinhypothese.
45
eingehen und deren starke Färbbarkeit bewirken '), oder ob sie, ähn-
lich den Nucleolen, nur Stoffwechselprodukte sind, welche während
der Chromosomenbildung besonders reichlich zur Entwickelung kom-
men, oder ob sie gar nur künstliche Fällungen darstellen, läßt die
Achromatinhypothese vorläufig unentschieden. Die Möglichkeit ist
mindestens vorhanden, daß die starke Tingierbarkeit der fertigen
Chromosomen überhaupt nicht mit dem Chromatin im Zusammenhang
steht, sondern dem eigenen dicht-al veolären Gefüge zu ver-
danken ist *).
Die fertigen Chromosomen besitzen also nach der Achromatin-
hypothese im ganzen eine gleichmäßige, sehr dicht-alveol i-
sierte Struktur und lassen außer dem früher oder später hervor-
tretenden Längsspalt in der Regel keine weitere Organisation erkennen.
In gewissen Fällen kann sich allerdings schon in den Pro- und Meta-
phasen eine gröbere Alveolisierung (Vakuolisierung) der Chromosomen,
also eine Auflockerung ihres Gefüges bemerkbar machen, und es
können dann Bilder zustande kommen, welche eine Gliederung in
scheibenförmige Abschnitte vortäuschen (Fig. 14 a) 3 ). Seltener ist eine
durch helle Querkerben hervorgerufene wirkliche Segmentierung
wahrzunehmen, so z. B. bei den „bivalenten" Chromosomen der Kope-
poden (Fig. 14b) und offenbar auch bei den auffallend langen „Sammel-
chromosomen" von Ascaris. In solchen Fällen wird dann auch die
Längsspaltung des Chromosoms auf einer Durchteilung sichtbarer
Einzelabschnitte beruhen, während für gewöhnlich das Chromosom
als Ganzes, vermutlich nach erfolgter Zweiteilung der kleinsten un-
sichtbaren Plasmateilchen, der Länge nach gespalten wird.
Die Rekonstitution der Tochterkerne findet nach der Achromatin-
hypothese in der Weise statt, daß sich die Tochterchromosomen unter
Alveolisierung und Aufquellung zu wurst- oder bläschenförmigen Teil-
kernen, den Karyomeren Fols (Idiomeren nach meiner Termino-
logie), umbilden, welche miteinander zum ruhenden Kern ver-
schmelzen (Fig. 13 B, 5; Fig. 15).
Bei der indirekten Kernteilung treten auch im Cytoplasma
Umbildungen und Neubildungen hervor, die in ihrer Gesamtheit auch
') Daß zwei nacheinander beobachtete Körper wegen ihres ähnlichen Aus-
sehens, insbesondere wegen ihrer gleichen Färbbarkeit, in diesem Falle also Chro-
matinkörnchen und Chromosomen, nicht notwendig in genetischer Verbindung stehen
müssen, hat neuerdings wieder Zacharias, S. ^38 (1909), betont.
*) Vgl. Gr£goire und Wygaerts 1003.
») Vgl. Haecker. S. 35 (W).
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46
Achromatische Figur.
als Teilungsapparat oder als achromatische Figur bezeichnet
werden. In den als typisch betrachteten Fällen ist noch während der
Prophasen in der Nachbarschaft des Kernes ein meist als selbständiges
(„autonomes") Zell -Organeilum angesehener, rundlicher, tief tingier-
barer Körper, das Centrosoma oder der Zentralkörper, wahr-
Fig. 15.
Karyomercnbildung bei der Furchnng des Sceigeleies. Nach Boveri.
zunehmen, in welchem vielfach noch ein dunkel färbbares Zentralköra-
chen, das Centriol, zu beobachten ist. Dieses Gebilde dokumentiert
seine zunehmende Aktivität darin, daß das ihn zunächst umgebende
Cytoplasma, offenbar unter dem Einfluß einer vom Centrosoma aus-
gehenden chemischen oder dynamischen Wirkung, besondere Diffe-
renzierungen zeigt, entweder in Form einer sonnenartigen, scheinbar
aus strahlig angeordneten Protoplasmafäden oder -fibrillen zusammen-
gesetzten Figur, der Polstrahlung (Fig. 16), oder mehr in Gestalt
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Achromatische Figur.
47
einer rundlichen, dichteren Plasmaanhäufung, der Sphäre (Attrak-
tionssphäre). Ebenfalls noch in den Prophasen findet eine Zwei-
teilung des Centrosomas und der dasselbe umgebenden Plasmadiffe-
renzierung statt (Fig. 17), bei
manchen tierischen Eiern kann
diese Verdoppelung sogar schon
am Schluß der vorangehenden
Teilung sichtbar sein (Fig. 15).
Während dann die Tochtercen-
trosomen, je von einer eigenen
Polstrahlung oder Sphäre um-
geben, weiter auseinanderrücken,
ordnen sich die zwischen ihnen
gelegenen Plasmapartien" zu einer
spindelförmigen, längsgestreiften,
die Centrosomen verbindenden
und infolge ihres Auseinander-
rückens sich verlängernden Figur,
Fig. 17.
Fig. 16.
9
Fig. 18.
Entstehung der achromatischen Teilungsfigur in der unreifen Eizelle eines Plattwuims
(Thysanozoon). Nach van der Stricht.
der Zentralspindel, an (Fig. 17, 18). Nach der Auflösung der Kern-
membran, also zu Beginn der Metaphasen, stellen sich dann die
Centrosomen zu beiden Seiten des ursprünglichen Kernraumes auf
48
Achromatische Figur. Amitose.
(Fig. 18), die Polstrahlungen bzw. Sphären haben sich bedeutend ver-
größert, und ebenso hat sich die Zentralspindel, zum Teil wohl unter
Verbrauch der nicht in die Bildung der Chromosomen eingegangenen
achromatischen Kernsubstanzen, zu einer langen, bald breiteren, bald
schmäleren, gegen das Cytoplasma meist ziemlich scharf abgegrenzten
Spindelfigur ausgezogen. Innerhalb oder im Umkreis dieser Spindel,
und zwar in einer die Mitte der Spindelachse senkrecht durchschnei-
denden Ebene (Äquatorebene), ordnen sich dann die inzwischen längs-
gespaltenen Chromosomen in Form einer stern- oder plattenförmigen
Gruppe (Aster, Äquatorialplatte) an (Fig. 13, 3), worauf die
endgültige Durchteilung der Chromosomen und, im sogenannten
Dyasterstadium, das dizentrische Auseinanderrücken der Spalt-
hälften oder Tochterchromosomen in der Richtung auf die beiden
Centrosomen erfolgt.
Nach einer älteren Annahme (Muskelfadentheorie) ') würden sowohl bei der Ein-
ordnung der Chromosomen in den Äquator, als auch bei der dizentrischen Wanderung
die n Polst rahlen" und „Spindel fasern * als kontraktile Zug fasern wirksam sein,
indem sie sich an den Chromosomen anheften und diese in den Äquator und später
gegen die Pole ziehen. Nach einer anderen Auffassung (dynamische Theorie)*) würden
die Polstrahlen, Sphären und Spindelfascrn überhaupt nur den (durch die Konser-
vierung verstärkten) Ausdruck der von den Zentralkörpern auf die beweglichen
Plasmateilchen ausgeübten (orientierenden, zentrierenden) Wirkungen darstellen, also
im wesentlichen den Charakter von »Kraftlinien" haben, während die Bewegungen
der Chromosomen entweder als Reizbewegungen aufzufassen sind, oder mehr mecha-
nisch durch die Plasmaströmungen und Substanzverlagerungcn bewirkt werden , die
bei der Zellteilung, also bei der Umwandlung eines einpoligen in einen zweipoligen
Gleichgewichtszustand, vor sich geben.
In den Telophasen, nach erfolgter dizentrischer Wanderung, werden die Zentral-
körper kleiner und im Zusammenhang mit ihrer verminderten Aktivität nehmen auch
die Polstrahlungen, Sphären und Spindeifasein an Ausdehnung und Deutlichkeit ab,
um schließlich gewöhnlich ganz zu verschwinden.
Da, wie wir sehen werden, in einigen Vererbungstheorien die
Chromosomen eine große Rolle spielen, so ist derjenige Kern- und
Zellteilungsmodus, bei welchem es nicht zur Bildung von
Chromosomen kommt, sondern eine einfache Durchschnürung
oder Fragmentierung des Kernes erfolgt, die direkte Teilung oder
Amitose, von besonderem Interesse. Bis zur Entdeckung der Karyo-
kinese, also bis in die 70er Jahre des letzten Jahrhunderts, galt die
nach dem Remak sehen Schema (successive Durchschnürung von
Kernkörper, Kern und Zellleib, Fig. 19 A — C) verlaufende direkte Zell-
') Vgl. besonders van Bcncden u. Neyt 1887 und Boveri 1888.
*) Vgl. Hacckcr, S. 73 (i8<*>); Gurwitsch 1904.
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Voikommen der Amitosen.
49
teilung als die am weitesten verbreitete Form der Zellvermehrung.
Später brach dann die Auffassung durch, daß die direkte Teilung
bei den Vielzelligen hauptsächlich nur in hochspezialisierten Zellen
auftrete und dann einen Vorgang darstelle, der nicht mehr zur
physiologischen Neulieferung und Vermehrung der Zellen führe, son-
dern entweder eine Entartung oder Aberration anzeige, oder vielleicht
Fig. 19.
AB C
Remaksches Schema der direkten Kernteilung.
in manchen Fällen (Bildung mehrkerniger Zellen durch Fragmentie-
rung) durch Vergrößerung der Kernoberfläche dem zellulären Stoff-
wechsel zu diesen habe *). Auch aus dem Gebiete der Einzelligen,
bei welchen man zunächst noch die direkte Kernteilung als den
normalen Teilungsprozeß ansah, wurden immer mehr Fälle bekannt,
Fig. 20.
Fig. 21.
Kernteilung bei Myxosphaera. Nach O. Schröder.
Kernteilung bei Ceratium.
Nach Borgert.
in welchen es zur Bildung wirklicher Chromosomen kommt, die nach
Entstehung, Aussehen und Schicksal durchaus mit den Chromosomen
der Vielzelligen übereinstimmen. Besonders schöne Beispiele liefern
') Diese neuere Auffassung ist hauptsächlich auf die Arbeiten von Flemming,
H. E. Ziegler und vom Rath zurückzuführen.
Ha eck er, Vererbungslehre. ^
50
Amitosenähnliche Bilder.
die tripyleen Radiolarien mit ihren 1200 bis 1600 fadenförmigen
Chromosomen 1 ), die Myxosporidien (Fig. 20 a, b), Peridineen (Fig. 21)
und Opalinen 2 ).
Auch heute noch treten immer wieder von Zeit zu Zeit Beob-
achter auf, welche sogar innerhalb des Entwickelungskreises der
Geschlechtszellen das regelmäßige Vorkommen amitotischer Teilungen
nachweisen zu können glauben 8 ). Es ist indessen gegenüber allen
derartigen Angaben hervorzuheben, daß der Beweis für das Auf-
treten wirklicher amitotischer Prozesse deshalb nur schwer und viel-
leicht überhaupt nur mittels der Beobachtung am lebenden Objekt
geliefert werden kann, weil vielfach auch mitotische Prozesse in den
Telophasen mit amitosenähnlichen Bildern abschließen. Man kann
daher den Telophasen sehr
Fig. 22.
1 "i
1
häufig nicht ansehen, ob sie
COS® ZU emem m i touscöen °d er
amitotischen Prozesse gehö-
ren, ein Umstand, der auf-
j fallend häufig von den Be-
obachtern übersehen wird.
So kann z. B. das Vor-
kommen von zwei oder meh-
B
Gonomercnbildung bei den Kopepoden. reren getrennten Kernen in
einer Zelle darin seine Ur-
sache haben, daß in den Telophasen einer indirekten Teilung die
Karyomeren, d. h. die alveolisierten Chromosomen, nicht zu einheit-
lichen Tochterkernen verschmelzen (vgl. S. 45), sondern mehrere Teil-
kerne bilden. Insbesondere kann der Fall eintreten , daß statt eines
Ganzkernes zwei Halbkerne gebildet werden, von denen sich der eine
aus den väterlichen, der andere aus den mütterlichen Karyomeren
zusammensetzt (Gonomcrenty pus der .Doppelkernigkeit,
Fig. 22 B, C). Indem es dann doch noch zu einer teil weisen Ver-
schmelzung der Gonomeren kommen kann, entstehen zweilappige
oder durch Ringfurchen eingeschnürte Kerne, also Formen, die viel-
fach ohne weiteres als Stadien einer amitotischen Teilung betrachtet
werden.
') Vgl- Borgert 1900, 1909; Ilaecker, Tiefs. -Rad., Taf. 41.
*) Vgl. Schröder 1907; Borgert 1910; Metealf 1908.
a ) Vgl. Child 1907 und die Kritik seiner Angaben bei Boveri 1907; sowie
E. Knoche. Zool. Anz., 35- Bd. (1910).
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Amitosenfihnliche Bilder.
51
Fig- 23.
Fig. 24.
Zweikernige, also scheinbar amitotisch sich vermehrende Zellen
können ferner dadurch zustande kommen, daß innerhalb einer Zelle
eine mitotische Teilung des Kernes stattfindet, die Durchschnürung
des Zellleibes dagegen ausbleibt, ein Verhalten, das für die Tapeten-
zellen der Antheren, aber auch als eine mehr ausnahmsweise Er-
scheinung für die männlichen und weiblichen Fortpflanzungszellen
mancher Tiere angege-
ben wird (Tapetenzel-
lentypus der Doppel-
kernigkeit, Fig. 23) 1 ).
Das Auftreten von
sanduhrlörmigen Kernen,
welches ebenfalls als Be-
weis für die Verbreitung
amitotischer Prozesse an-
gesehen zu werden pflegt,
ist deshalb nicht ent-
scheidend, weil es eine
ganze Reihe mitotischer,
d. h. unter Chromosomen-
bildung verlaufender Pro-
zesse gibt, die in ihren
Telophasen sanduhrför-
mige Bilder liefern und
so amitotische Prozesse
vortäuschen können.
Hierher gehören die
Kernteilungen der Infusorien (Fig. 24), die sich bei fort-
bestehender Kernmembran abspielen, und bei welchen die aus-
einanderrückenden Tochterkerne durch die schlauchförmig ausgezogene
Kernmembran längere Zeit miteinander verbunden bleiben, sowie
die „Pseudoamitosen", die man bei Einwirkung von Äther auf
Kopepodeneier erhält, und bei welchen die auseinanderrückenden
Tochterchromosomen noch während ihrer Umbildung zu Karyomeren
Bildung doppelkerniger Zellen
(junge Tapctenzellen eines
Bastards von Mirahilis Jalapa
tubitlora). Nach Tischler.
Mitose bei Para-
maecium.
Nach Calkins und
Cull.
') Vgl. Tischler 1908, Jörgensen IQ08, Heidenhain, S. 273 (1907). Auch
die zwei- und dreikernigen Zentralkapseln der tripyleen Radiolarien möchte ich auf
Grund verschiedener Beobachtungen und Überlegungen als die Produkte von unvoll-
ständigen mitotischen Prozessen und nicht, mit Borgert, als Endstadien von Ami-
tosen betrachten.
4*
52 Karyoplasma und extranucleäres Plasma.
miteinander durch Verbindungsstränge im Zusammenhang bleiben
(Fig. 25).
Es sind also so viele Möglichkeiten für das Zustandekommen von
mehrkernigen Zellen und sanduhr- oder garbenförmigen Kernteilungs-
figuren auf mitotischem Wege vorhanden, daß auch heute noch
eine gewisse Reserve gegenüber den Angaben über das Auftreten
von Amitosen, namentlich in generativen Zellen, geboten erscheint,
besonders auch gegenüber allen denjenigen Mitteilungen, in welchen
nicht ausdrücklich die anderen bestehenden Erklärungsmöglichkeiten
ausgeschlossen sind.
Speziell bei der indirekten Kern- und Zellteilung tritt
scheinbar die Tendenz hervor, die Kernsubstanz möglichst gleich-
mäßig auf die beiden Tochterzellen zu verteilen, man gewinnt
Fig 25. wenigstens den Eindruck, als ob auf die genaue sym-
metrische Verteilung des Karyoplasmas eine größere
Sorgfalt verwendet werde, als auf diejenige des Cyto-
plasmas. Dieses Verhältnis, auf welches erstmals
Roux aufmerksam gemacht hat, führt unmittelbar
vor die Frage, welche Bedeutung der so weit ver-
breiteten Differenzierung der lebenden Sub-
stanz in Karyoplasma und extranucleäres
Plasma zuzusprechen ist. Die bei verschiedenen
Pseudoamitose Objekten ermittelte Tatsache, daß der Kern innerhalb
im ätherisierten d z n • {{ Vo rliebe die Stellen lebhaftesten Wachs-
Cyclopsei.
tu ms und intensivsten Stoffumsatzes einnimmt, und
andererseits die mangelnde Regenerationsfähigkeit kernloser Protozoen-
fragmente l ) weisen darauf hin, daß der Kern ganz allgemein bei der
stoffbildenden und formgestaltenden (synthetischep, formativen) Tätig-
keit der Zelle eine wichtige Rolle spiele, oder, wie man auch sagen
kann, ein organisatorisches Zentrum für diese Lebensfunktionen, ein
Mittel für die Formbildung*) darstelle. Damit läßt sich vielleicht
auch die spezielle Hypothese einigermaßen in Einklang bringen, wo-
nach der Kern als das wesentliche Oxydationsorgan der tierischen Ge-
webe zu betrachten sei*).
') Bezuglich der grundlegenden Untersuchungen einerseits von Habcrlandt
und Korscheit, andererseits von Nußbaum, Gruber, Hofer und Verworn, sei
auf die Lehrbücher (O. Hertwig, Wilson, Haeckcr) verwiesen.
*) Vgl. Driesch, S. 104 (1906).
8 J Vgl. Loeb, S.36 (1906).
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Karyoplasma und extranucleäres Plasma.
53
Während nach der hier vorgetragenen Auffassung dem Kern
wenigstens bezüglich bestimmter Lebensleistungen eine Art von
Prinzipat zugeschrieben wird, wird von verschiedenen Seiten 1 )
mehr das Wechselverhältnis der beiden Plasmasorten in den
Vordergrund gestellt. Es wird etwas stärker betont, daß Kern und
extranucleäres Plasma zwei relativ selbständige (autonome) Kompo-
nenten eines Systems bilden, zwischen denen ein stetiger Substanz-
wechsel, eine fortdauernde gegenseitige Wechselwirkung be-
steht, wie dies bei zellulär gebauten Organismen insbesondere auch
aus den regelmäßigen Massenverhältnissen zwischen Karyo- und
Cytoplasma, aus der Kernplasmarelation R. Hertwigs 8 ), her-
vorgeht Von diesem Standpunkte aus, der natürlich in keinem
prinzipiellen Gegensatz zu dem erstgenannten steht, wird dann wohl
der letzte Grund für die Differenzierung von Kern und extranucleärem
Plasma in der Möglichkeit einer räumlichen Trennung be-
stimmter chemischer Prozesse, in den osmotischen Funktionen der
Kernmein bran 8 ). also im ganzen in der bei höheren Organismen
immer mehr zunehmenden Komplikation des Chemismus der
lebenden Substanz zu suchen sein. Von großem Interesse ist in dieser
Hinsicht, daß die Natur auf dem Wege der Plasmadifferenzierung in
einem Falle noch einen weiteren Schritt zu tun versucht hat, indem
sie bei den Radiolarien vom zweigliedrigen (zweischichtig-konzentri-
schen) zum dreigliedrigen System (Kern, Zentralkapsel, extrakapsuläre
Sarkode) übergegangen ist *). In einer Beziehung wird man dem
Kern allerdings auch vom Standpunkte der Gegenseitigkeitslehre aus
ein gewisses Privilegium zuerkennen müssen. Man wird nämlich
sagen dürfen, daß durch die räumliche Trennung von Karyoplasma
und Cytoplasma nicht bloß ein komplizierterer Stoffwechsel ermöglicht
wird, sondern daß durch diese Differenzierung ein Teil der lebenden
Substanz der direkten Wirkung der äußeren Einflüsse und „den täg-
lichen und stündlichen Zustandsänderungen des Protoplasmas" ent-
') Vgl. die Darstellungen bei Verworn u. Godlewski. Auch von O. Hert-
wig wird, so sehr er auch die wichtige Rolle des Kernes bei formativen und nutri-
tiven Prozessen hervorhebt, auf die Wechselwirkungen zwischen den Zelltcilen be-
sonderer Nachdruck gelegt.
*) Vgl. R. Hcitwig 1903, 190« und Boveri 1905.
') Vgl. auch Loeb, S. 68 ff. (1906).
«) Vgl. Tiefsee- Radiolarien. S. 689. „So stellen alle diese drei Zonen drei ge-
sonderte Laboratorien dar, welche wohl ihre Produkte aneinander abgeben, in denen
aber mit ganz verschiedenen chemischen Mitteln und Reaktionen gearbeitet wird."
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54
Zelluläre Organisation.
zogen wird, also leichter imstande sein wird, seine spezifische mole-
kulare Architektonik ') fortzuerhalten. Es wird auf dieses auch
vererbungstheoretisch wichtige Moment später zurückzukommen sein.
Während wir uns so einigermaßen eine Vorstellung machen
können von der Bedeutung, welche der Sonderung von Kern und
extranucleärem Plasma zukommt, ist die Frage nicht so leicht zu
beantworten, weshalb sich die höheren Organismen nicht mit dieser
Differenzierung begnügen, sondern fast durchweg zur zellulären
Organisation übergegangen sind. Die weitgehende morphologische
Gliederung der Schlauchalgen (S.33, Fig. 9) und ebenso die erstaun-
liche Spezialisierung, welche die Skelette und manche andere Struk-
turen bei einzelligen, also bei nicht zellulär gegliederten
Organismen (tripyleen Radiolarien, Peridineen, hypotrichen und peri-
trichen Infusorien) aufweisen, ferner die Unabhängigkeit mancher
morphogene tischer Prozesse vom zellulären Aufbau und die weite
Verbreitung syncytialer Gewebsformen bei höheren Tieren, alle diese
bereits im letzten Kapitel besprochenen Erscheinungen zeigen, daß
den Formgestal tungs Vorgängen auch bei nichtzellulärem Auf-
bau ein sehr weiter Spielraum offen steht, und daß also wenigstens
in dieser Hinsicht die zelluläre Organisation nur relative Vorteile
bieten kann. Immerhin dürlte es zweifellos sein, daß nicht nur, wie
wir sahen, bei der Differenzierung der lebenden Substanz in Karyo-
plasma und extranucleäres Protoplasma, sondern auch bei der Ent-
wickelung ihrer zellulären Gliederungen vor allem auch mor-
phogenetische oder konstruktive Momente eine Rolle spielen.
So wie in der Baukunst die Anwendung von kontinuierlichen Massen
oder von isolierten Stücken (Lehm, Beton — Ziegel, Quader) sowohl
von der physikalischen und chemischen Eigenschaft der Materialien
als auch von den Zielen und Zwecken der Konstruktion abhängig
ist, so muß auch in der organischen Welt beim Übergang vom
plasmodialen zum zellulär-gegliederten und weiterhin zum syncytialen
Aufbau Material und Konstruktionsziel von Bedeutung sein.
Ein Beispiel dafür, daß auch im Organismus, je nach der Be-
schaffenheit des Materials, kontinuierliche oder gegliederte
Strukturen zur Verwendung kommen, scheinen mir die Glasschwämme
(Hexaktinelliden) und einige hochorganisierte Radiolarien, besonders
Cannosphaera, zu liefern (Fig. 26). In beiden Tiergruppen ist das
') Vgl. Heidenhain, S. 61, 391 (1907).
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Zelluläre Organisation.
55
Skelett aus Kieselsubstanz gebildet, und in beiden zeigt es fast die
nämliche Fachwerkstruktur: äußere (äg) und innere Gurtung (ig), Fül-
lungsglieder (/"), äußere (äd) und innere (id) Drucktänger 1 ). Während
aber bei den Glasschwämmen (Fig. 26 B) isolierte Skelettstücke, also
gegliederte Strukturen, vorliegen, stehen bei Cannosphaera (Fig. 26 A)
die einzelnen Skelettstücke sämtlich untereinander in kontinuierlicher
Fig. 26.
Fachwerkartiges Skelett eines Radiolars, Cannosphaera (A), und eines Kiesel-
schwamms, Hyalonema (B). Letzteres nach F. E. Schulze.
Verbindung. Offenbar hängt dies damit zusammen, daß bei ersteren
die zelligen und syncytialen Gewebsmassen eine genügend innere
Konsistenz besitzen, so daß für den Zusammenhalt des Organismus
ein kontinuierliches Skelett nicht nötig ist, während bei Cannosphaera
die plasmatischen Teile des Organismus infolge ihrer eigenen Zart-
heit und der Einlagerung dünnflüssiger Gallerte nur eine geringe
innere Kohäsion besitzen und daher durch ein zusammenhängendes
Skelett verbunden sein müssen.
') Näheres in den „Tiefsee-Radiolarien", S. 488 ff.
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56
Zelluläre Organisation.
In ähnlicher Weise, wie in diesem Beispiele die Gliederung bzw.
die Kontinuität des Skelettes durch die Konsistenz der lebenden
Substanz bedingt ist, so dürfte auch die Ausbildung des plasmodialen,
zellulär -gegliederten oder syncytialen Gewebstypus in vielen Fällen
von den gröberen physikalischen Eigenschaften des Protoplasmas und
der Plasmaprodukte abhängig sein.
Außer der Qualität des Materials wird aber auch das Kon-
struktionsziel, d. h. die endgültige Form eines Organismus oder
Einzelorgans, darüber zu bestimmen haben, ob im Entwickelungs-
verlauf zelluläre oder nichtzelluläre Gewebsformen zur Verwendung
verschiebbare Formelemente, die auf Grund ihrer Plastizität je nach
ihrer Lage die Gestalt von Kugeln oder Ellipsen, von Prismen oder
Keilen annehmen können, größere Vorteile gewähren, als kontinuier-
liche plasmodiale oder syncytiale Gewebsmassen.
Die zelluläre Gliederung kommt aber wahrscheinlich nicht bloß den
Bedürfnissen der Formgestaltung, sondern auch den physiologisch-
chemischen Prozessen entgegen. So wie innerhalb der einzelnen
Zelle die Differenzierung in Karyo- und Cytoplasma die räumliche
Trennung und damit den ungestörten Ablauf bestimmter chemischer
Umsetzungen begünstigt, so wird durch die zelluläre Gliederung der
Gewebe die Möglichkeit geschaffen, daß in demselben Organ oder
Gewebe nebeneinander sehr verschiedenartige Prozesse selbständig
verlaufen, oder aber, daß an den einzelnen Stellen des Gewebes der-
Beginn der Gastrulation bei Cyclops.
Ent
Fig. 27.
kommen. Wenn wir z.B.
sehen, daß die Wandung
einer typisch gebauten
Blastula und die em-
bryonalen Keimblätter
(Fig. 27) einen ausge-
sprochen zellulären Cha-
rakter aufweisen , so
dürfte dies darin seinen
Zweck haben, daß die
Keimblätter eine Reihe
von Falten- und Ge-
wölbebildungen auszu-
führen haben, und daß
dabei vielleicht iso-
lierte , gegeneinander
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Zellulärer Charakter der Fortpflanzungselemente.
57
selbe Prozeß sich in verschiedenen Phasen befindet. Für die Sinnes-
epithelien mit ihrer meist sehr deutlich hervortretenden zellulären
Gliederung dürfte wohl das erstere, für die Drüsenepithelien das letz-
tere Moment in Betracht kommen. Ihren Höhepunkt erreicht diese
Entwickelung in der Ausbildung frei beweglicher Elemente, der
Wanderzellen.
An Stelle des zellulären Aufbaues kann dann der ungegliedert-
syncytiale treten, wenn die Funktion des Gewebes eine mehr einheit-
liche ist und die Stoff- und Energieumsetzungen sich in allen Teilen
des Gewebes im gleichen Rhythmus abspielen. So stellt der Herz-
muskel des Menschen wahrscheinlich für die ganze Dauer des Lebens
ein einziges Syncytium dar.
Wieder eine andere Bedeutung besitzt der zelluläre Charakter
für die Fortpflanzungselemente. Bei diesen scheint es in erster
Linie darauf anzukommen, bei möglichst geringem Material-
aufwand den einzelnen Keim mit beiden Plasmasorten auszustatten,
und so fügen sich schon aus diesem Grunde die Fortpflanzungs-
elemente der höheren Organismen dem Schema der einfachen Zelle
ein. Wie wir jedoch sehen werden, kommt der zelluläre Charakter
der generativen Elemente nicht in allen Phasen ihrer Entwickelung
gleichmäßig zum Vorschein: am deutlichsten tritt er in den Anfangs-
stadien der Entwickelung, bei den Urgeschiechtszellen hervor,
wo es sich offenbar gleichzeitig darum handelt, das „Keimplasma"
von den im Embryo sich abspielenden morpho- und histogenetischen
Vorgängen zu separieren, und dann wieder in den Endstadien, bei
den reifen Geschlechtszellen. In den mittleren Stadien der
Entwickelung kommt es dagegen vielfach zur Entfaltung syncytialer
Bildungen.
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Siebentes Kapitel.
Geschichte der Portpflanzungszellen der Vielzelligen.
In den vorstehenden Kapiteln ist gezeigt worden, daß auch die
Zellenlehre als „Zellenstaattheorie" in Begriff ist, ihre ursprüngliche,
mehr schematische Fassung aufzugeben und sich in freier Weise weiter
zu entwickeln. Von dieser Umwandlung wird allerdings die morpho- .
biologische Begründung der Vererbungslehre deshalb weniger berührt,
weil gerade die generativen Elemente, die für die Erklärung der Ver-
erbungserscheinungen in erster Linie in Betracht kommen, sowohl in
den Anfangs- wie in den Endstadien ihrer Entwickelung einen aus-
gesprochen zellulären Charakter haben 1 ), weil ferner der Befruchtungs-
prozeß der Vielzelligen und die analogen Erscheinungen bei Ein-
zelligen sich nahezu als reine Zellenprobleme darstellen und auch die
ersten Entwickelungsvorgänge des tierischen Eies, welche ein wichtiges
Angriffsobjekt der experimentellen Vererbungsforschung bilden, im
wesentlichen den Charakter von Zellteilungsprozessen haben.
Für die Vererbungstheorie stehen natürlich die reifen Fort-
pflanzungselemente, speziell die Eier und Samenfäden der höheren
Tiere, sowie das Produkt ihrer Vereinigung, das befruchtete Ei, im
Vordergrund des Interesses. Doch sind gerade die von der Ver-
erbungstheorie, hauptsächlich von den Schriften Weismanns aus-
gegangenen Anregungen die Ursache gewesen, daß sich die Zellen-
forschung seil über 30 Jahren mit der größten Energie auch auf die
Geschichte der Fortpflanzungselemente, also auf die Aszendenz der
Geschlechtszellen, geworfen hat, und daß zunächst die sogenannte
Reifungsperiode und die der Reifung unmittelbar vorangehenden
') Der Charakter der Samenfäden und Eier als hochspezialisierter Zellen ist
zuerst von Kölliker (1841) und Lavalette St. George (1865—1866) erkannt
worden.
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Geschlechtszellendifferenzierung bei Ascaris.
61
Teilungen, dann aber auch die Zeit, in welcher die Vorfahrenzellen
der Fortpflanzungsprodukte sich von den übrigen Embryonalzellen
absondern und die erste Anlage der Geschlechtsdrüsen zustande
kommt, an den verschiedensten Objekten und mit allen Mitteln einer
vervollkommneten Technik in Angriff genommen wurden.
Bei einer Reihe von vielzelligen Tieren läßt sich die Geschichte
der Keimzellen oder Geschlechtszellen, wie man ganz all-
gemein die generativen, im Dienste der Fortpflanzung stehenden
Zellen und ihre Aszendenz im Gegensatz zu den somatischen,
Sorna-, Körper- oder Gewebszellen zu nennen pflegt, von den
Stadien der Embryonalentwickelung an verfolgen. Zuerst ist für
einige Dipteren gezeigt worden, daß sich schon in den allerersten
Stadien der Eientwickelung einige Zellen, die Polzellen, von dem
übrigen Zellmaterial absondern, um später, wie gewöhnlich angenom-
men wird, den generativen Elementen den Ursprung zu geben (Weis-
mann, Metschnikoff u. a.) 1 ). Vollkommen sichere Beobachtungen
liegen für den Pferdespulwurm und für die Kopepoden vor. Bei
beiden läßt sich die ganze Zellenfolge, welche vom befruchteten
Ei zu der ersten Anlage der Geschlechtsdrüsen oder Gonaden führt,
also die Reihe der sogenannten Stammzellen oder die erste
(differentielle, somato-germinative) Strecke der Keim bahn auf Grund
bestimmter, bei den einzelnen Teilungsakten auftretender histologischer
Eigentümlichkeiten Schritt für Schritt verfolgen.
Beim Pferdespulwurm s ) treten bei der ersten Teilung des be-
fruchteten Eies lange, schleifenlörmige Chromosomen mit
keulenförmig angeschwollenen Enden auf. Dieser Chromo-
somentypus bleibt beim Übergang vom Zwei- zum Vierzellenstadtum
(Fig. 28 A) nur in der einen Schwesterzelle, der ersten Stamm-
zelle 8 ) (in der Literatur durch Pj bezeichnet), erhalten, während in
der anderen Zelle, der ersten Ursomazelle (S 1 -oder AB), welche
einem Teil des Ektoderms den Ursprung gibt, eine sogenannte Di-
minution eintritt Diese besteht darin, daß in der Äquatorebene
der Teilungsfigur von jedem Chromosom die verdickten Enden ab-
') Vgl. Korschclt u. Heider, Spez. Teil, S. 845 fr.; Allgem. Teil, S. 370.
*) Vgl. Boveri 1887. 1892, 1899-
s ) Die von Haeckel für das befruchtete Ei vorgeschlagene Bezeichnung „Stamm-
zelle" hat Boveri in zweckmäßiger Weise auf diejenigen Embryonalzellen über-
tragen, welche in der direkten Aszendenz der Geschlechtszellen liegen, aber außer
den Geschlechtszellen selber auch noch somatische oder nichtgenerative Elemente
aus sich hervorgehen lassen, also auf die Zellen der ersten Keimbahnstrecke.
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62
bei Ascaris.
gestoßen werden, während der mittlere Fadenabschnitt sich in eine
große Zahl sehr kleiner Chromatinkörner segmentiert (Fig. 28 A, S,;
vgl. C, EMSt). Im weiteren Verlaufe der Teilung sind es allein die
Fig. 28.
kleinen Körnchen, welche gespal-
ten werden und die dizentrische Wan-
derung ausführen, während die großen
Endabschnitte zunächst im Äquator
rudimentäre Durchteilungsversuche
machen und dann im Cytoplasma
der Resorption anheimfallen (vgl. die
Fig. 28 B, welche in den Zellen A
und B an den Polen der Teilungsfigur
die Körnchen und im Äquator die
Schleifenenden zeigt). Die gleiche
Differenzierung wiederholt sich beim
nächsten Teilungsschnitt (Fig. 28 C):
nur die eine Tochterzelle der ersten
Stammzelle, die zweite Stamm-
zelle (P a = P 8 -f-S B ), führt die langen
Chromosomen, während ihre Schwester-
B
Differenzierung der Geschlechtszellen bei Ascaris (Diniinutionsprozeß).
Nach Boveri.
zelle, die zweite Ursomazelle, welche ento- und mesodermale
Elemente, sowie die Anlage des Munddarms (Stomodäums) aus sich
hervorgehen läßt (EMSt), die Diminution aufweist. Die gleichen
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Geschlechtszellendifferenzierung bei Ascaris.
63
Unterschiede kehren noch einige Male wieder. Beim sechsten Teilungs-
schritt 1 ) zeigt sich zum letzten Male das Bild eines ungleichen Ver-
haltens von zwei Schwesterzellen : die eine, die Stammzelle fünfter
Ordnung (P 6 ) oder Urgeschlechtsmutterzelle a ), liefert unter
Bildung langer Chromosomen vom ursprünglichen Habitus die beiden
Urgeschlechtszellen, während ihre Schwesterzelle, die fünfte
Ursomazelle (S 6 ), dem Diminutionsprozeß unterliegt. Alle anderen
Zellen, außer den P- und S-Zellen, bilden bei der Teilung von vorn-
herein kleine, körnchenförmige Chromosomen.
Die bei Ascaris ermittelten Tatsachen smd, wie wir sehen wer-
den, nicht bloß deshalb von besonderem vererbungstheoretischen
Interesse, weil sich hier auf Grund bestimmter kernteilungsgeschicht-
licher Merkmale die ganze Reihe der Stammzellen vom befruchteten
Ei an feststellen läßt, sondern auch deshalb, weil der in den Schwester-
zellen der Stammzellen sich abspielende Diminutionsprozeß sich wohl
nicht anders deuten läßt, als daß sich hier der Kern gewisser Be-
standteile, welche in den Schwesterzellen mitgeführt werden, ent-
ledigen will 3 ).
Ein wesentlich einfacheres Bild zeigt die Differenzierung der
Urgeschlechtszellen bei den Kopepoden aus den Gattungen Cyclops
und Diaptomus 4 ). Hier sind die Stammzellen einschließlich des un-
geteilten Eies dadurch gegenüber den anderen Embryonalzellen aus-
gezeichnet, daß bei ihrer Teilung im Umkreis des einen Pols der
Teilungsfigur färbbare Körnchen, die Außenkörnchen oder Ekto-
somen, offenbar als Nebenprodukte des Stoffwechsels zur Abscheidung
kommen (Fig. 29 A, B). Diese Gebilde gelangen bei der Teilung in
diejenige Schwesterzelle, welche die Stammzelle der folgenden Zell-
') In dieser Hinsicht weicht Boveri, dem wir die Entdeckung und die ein-
gehendste Darstellung des Vorganges verdanken, von zur Strassen und Zoja ab,
welche nicht sechs, sondern fünf Teilungsschritte angeben.
*) Von Boveri wird diese Zelle in seinen ersten Schriften als Urgeschlechts-
zelle bezeichnet (vgl. 1892, S. 116, sowie Waldeyer, S. 223). Später (1899) wendet
Boveri diesen Namen nur auf ihre beiden Abkömmlinge an. Ich mochte es für
zweckmäßig halten, schon die erste Embryonalzelle, in deren Deszendenz sich nur
noch generative Elemente oder höchstens Hilfszellen der letzteren (z. B. Nährzellen)
befinden , durch einen besonderen Namen von den vorangehenden Stammzellen zu
unterscheiden, und möchte für sie die Bezeichnung Urgeschlechtsmutterzelle
(primäre UrgeschlechtBzelle) , für ihre Töchter den Namen Urgeschlechtszellen
(sekundäre Urgeschlechtszellen) in Vorschlag bringen.
*) Vgl. Boveri, S. 422 (1899).
4 ) Vgl. Haecker 1897. 1902.
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6 4
Geschlechtszellendifferenzierung bei den Kopepoden.
generation darstellt 1 ), verschmelzen hier während des Ruhestadiums
zu unförmigen Klumpen und werden resorbiert. Während sich die
letzte Stammzelle, die Urgeschlechtsmutterzelle (primäre Urgeschlechts-
zelle), teilt und so die beiden Urgeschlechtszellen bildet (Fig. 27),
treten die Körnchen nicht mehr einseitig, sondern im ganzen Umkreise
der Teilungsfigur auf. Die Körnchenzellen stellen also die direkten
Etappen der Keimbahn dar.
Die Differenzierungsvorgänge bei Ascaris und bei den Kopepoden lassen sich
zurzeit nicht ohne weiteres miteinander in Verbindung bringen. Doch treten bei
der Furchung von Cyclops abnormerweise Bilder auf, welche eine große Ähnlich-
keit mit den Befunden von Ascaris zeigen: Abspaltung von Körnchen bereits im
Knäuelstadium (Fig. 30 A), Ansammlung im Äquator (Fig. 30 B) und rudimen-
täre Durchteilungsversuche in den Telophasen der Teilung (Fig. 30 C) *). Bemerkens-
wert ist auch, daß sich die Körnchen an derjenigen Seite des .Kerngerüstes" bilden,
welche normalerweise wahrscheinlich den Schleifenenden den Ursprung geben wurde.
Fig. 29.
Geschlechtszellendifferenzierung bei den Kopepoden.
Noch für eine Reihe von anderen Tieren wurde eine frühzeitige
Sonderung der Keimzellen beschrieben 8 ), insbesondere sprechen immer
') Ich bin bei dem ersten Auffinden der Kömchen unsicher gewesen, ob bei
den einzelnen Teilungsschritten die körnchenführende oder die körnchenfreie Schwester-
zelle als Siammzelle anzusprechen ist. Inzwischen konnte K. Amma den bestimmten
Nachweis führen, daß tatsächlich das erstere zutrifft. Der Nachweis gründet sich
zum Teil auf die Beobachtung, daß z. B. bei Diaptomus castor (Fig. 29 B) die zu
Klumpen verbackenen Körnchen der vorangegangenen Teilung (a) noch erhalten sind,
während bereits in der gleichen Zelle die neue Körnchengeneration (») zur Ab-
sebeidung kommt. Damit ist bewiesen, daß jeweils die körnchenfühl ende Tochierzelle
zur Stammzelle wird.
*) Meine ersten Beobachtungen (Aich. f. mikr. Anat., 43. Bd., 1894) sind inzwischen
von II. Matscheck in der oben skizzierten Weise vervollständigt worden. Eine ge-
nauere Veröffentlichung steht noch aus.
*) Vgl. Korscheit und Heider, Allgem. Teil, S.368. u. Waldeyer. S. 400.
Über Beobachtungen bei Sagitta vgl. W. Elpatiewski (Anat. Anz.. 35. Bd., 1909 u.
Biol. Zeitschr.. 1. Bd., Moskau 1910) u. P. Buchner (Anat. Anz. 1909, u. Festschr.
f. R. Heitwig, Jena 1910).
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< ionadenbildung bei den Kopepoden.
65
mehr Beobachtungen dafür, daß auch bei den Wirbeltieren schon vor
der Anlage der Geschlechtsdrüsen (vor Bildung der sogenannten
Genitalleisten) bestimmte Zellen den Charakter von Fortpflanzungs-
zellen haben 1 ).
Nur in wenigen Fällen ist das unmittelbare Schicksal der Ur-
geschlechtszellen und überhaupt der frühzeitig gesonderten Keim-
zellen, sowie der Anteil, den diese Elemente in Verbindung mit
anderen (mesodermalen und mesenehymatischen) Embryonalzeilen
beim Aufbau der Geschlechtsdrüsen haben, vollkommen bekannt.
Namentlich ist es infolge der soeben erwähnten neueren Beobachtungen
zweifelhaft geworden, inwieweit die bisherigen Ansichten über die
Gonadenbildung bei den
naupliusstadiums im Ruhe- Diminutionsvorgang bei Cyclops (pathologisch),
zustand liegen , zunächst
isoliert zu beiden Seiten des Darmrohres, später vereinigt an seiner
Dorsalseite»). Die Bildung der Gonaden erfolgt dann in der Weise,
daß sich sowohl die- Urgeschlechtszellen als auch die mesenehy-
matischen Belegzellen durch Teilung vermehren. Erstere liefern die
Keimzellen der zunächst geschlechtlich indifferent erscheinenden Ge-
schlechtsdrüse, also die Geschlechtszellen (Gonocyten) im
engeren Sinne 4 ) oder die indifferenten Geschlechtszellen
') Außer den von Korschelt-Heider u. Waldeyer erwähnten Beobachtungen
von Nußbaum (bei Forelle und Frosch), Beard (bei Selachiern) , Wheeler (bei
Petromyzon) u. Eigcnmann (bei einem Knochenfisch, Cymatogaster) liegen ähnliche
Angaben vor von Allen für die Schildkröte Chrysemys und für Rana pipiens (Anat.
Anz., 29. Bd., 1906 u. 31. Bd., 1907), von Jarvis für den Saurier Phrynosoma (Biol.
Bull.. Vol. 15, 1908) und von Rubaschkin für Säuger (Anat. Hefte, 39- Bd., 1009).
*) Vgl. Waldeyer und Felix.
*) Bei Cetochilus erfolgt die erste Teilung schon vor der Vereinigung
(Grobben).
*) Nach der von Waldeyer vorgeschlagenen Terminologie.
Ilaecker, Vererbuugslehre. e
Wirbeltieren haltbar sind a ).
Fig. 30.
Verhältnismäßig ein-
fach liegen die Dinge bei
den Kopepoden. Nach ihrer
Entstehung bleiben die bei-
denUrgeschlechtszellen, von
einigen glatten Mesenchym-
zellen umhüllt, während des
ganzen Nauplius- und Meta-
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66
Samenbildung und Eibildung.
(Fig. 31» 9*), letztere die Hüllen der Gonaden (h) und später die An-
fangsabschnitte der Ausführungswege (yw) l ).
In einer bestimmten Entwickelungsphase , bei den Kopepoden
ungefähr gleichzeitig mit der Ausbildung der sekundären Geschlechts-
charaktere (Greifantenne, Greiffuß), läßt sich dann der Geschlechts-
charakter der Gonaden und
Fig. ZI.
g w
Indifferente Geschlechtsdrüse (Gonade) von
Diaptomus. Nach O. Krimmel.
der Geschlechtszellen deut-
lich unterscheiden.
Aus der indifferenten
Gonade der Metazoen ent-
wickelt sich dann entweder
ein Hoden (Testis) oder
ein Eierstock (Ovarium)
und aus den Geschlechts-
zellen entstehen die Ursamenzeilen oder Spermatogonien bzw. die
Ureizellen oder Ovogonien 2 ). Damit beginnt die Samenbildung
000
Ovarium eines Kopepoden (Canthocamptus). Etwas schematisiert.
(Spermatogenese) und Eibildung (Ovogenese), und zwar
pflegt man zunächst in beiden Fällen eine Teilungs- oder Ver-
') Meine früheren Beobachtungen sind neuerdings von Frl. O. Krimmel be-
stätigt und ergänzt worden (Zool. Anz., 35. Bd., S. 778).
«) Waldeyer (S. 168, 224, 1906) reserviert die Ausdrücke Ursamenzellen und
Ureizellen für die erste in sichtbarer Weise geschlechtlich differenzierte Zellengenera-
tion, während er für die folgenden die Bezeichnungen Primurdialeier oder Ovo-
gonien bzw. Spermatogonien verwendet.
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Wachstums- und Reifungsperiode.
67
mehrungsperiode zu unterscheiden, während welcher die Sper-
matogonien und Ovogonien einer mehr oder weniger lebhaften Ver-
mehrung unterliegen. In schlauchförmigen Geschlechtsdrüsen und bei
einer mehr kontinuierlichen Geschlechtszellenbildung läßt sich dann
eine bestimmte Zone, die Keimzone, unterscheiden, welche mit
den aufeinanderfolgenden Generationen der Ursamen- oder Ureizellen
angefüllt ist (Fig. 32, ka). Bemerkenswert ist der syncytiale Cha-
rakter, welchen diese Keimzone in vielen Fällen aufweist. Nament-
lich in den Anfangsteilen der Ovarien der Arthropoden (Fig. 32)
pflegt die syncytiale Gewebsform sehr klar hervorzutreten 1 ), und das-
selbe gilt wenigstens für die Hoden der Kopepoden und Myriapoden 2 ).
Auch die Spermatogonien vieler Tiere, z. B. der Schmetterlinge
(Seidenspinner) und Anneliden (Regenwurm), stehen durch eine zen-
trale, bei ersteren kernhaltige, bei letzteren kernlose Plasmamasse
(Versonsche Zelle bzw. Cytophor) gruppenweise miteinander in
syncytialem Zusammenhang.
In der nun folgenden Wachstumsperiode bzw. Wachstums-
zone (Fig. 32, rechts von wz) tritt zunächst wieder ein Stillstand in
der Vermehrungstätigkeit ein: namentlich im weiblichen Geschlecht
erfahren die aus der letzten ovogonialen Teilung hervorgegangenen
Eimutterzellen oder Ovocyten erster Ordnung (unreife Eier,
Eierstockseier, Voreier, Fig. 32, 00c) entweder noch im Ovarium (Säuge-
tiere) oder zum Teil erst in den Ovidukten (Kopepoden) eine be-
trächtliche Größenzunahme, welche im wesentlichen durch die Ab-
scheidung von Dottermaterial (Fig. 32 bei 00c) im Eiplasma bedingt
ist, während im männlichen Geschlecht in den Samenmutterzellen
oder Spermatocy ten erster Ordnung das Wachstum weniger stark
hervortritt und nur in seltenen Fällen (z. B. bei Ascaris, Fig. 33 a)
eine Dotterbildung zustande kommt.
In der folgenden Periode der Samen- und Eibildung, in der
Reifungsperiode bzw. in der Reifungszone, zeigen abermals
die männlichen Elemente die einfacheren Verhältnisse. Auf Grund
zweier successiver Teilungen, der Reifungsteilungen (Fig. 33b — d
l ) Fast alle Abbildungen des iDsektcnovariums lassen den syncylialen Gewebs-
charakter deutlich erkennen. Ebenso besitzen die Anfangsteile des Ovariums der
Kopepoden (Haecker 1895) und Myriapoden (Tönniges) eine syncytiale Struktur.
Vgl. auch Rhode, S. 41 (1908). Auch im Säugetier ovarium kann das Epithel der
Ovocyten ein syncytiales Gefüge reigen. Vgl. Waldeyer, S. 324. Fig. 130.
*) Vgl. die Abbildung des Heterocopehodens bei Korscheit und Hei der,
Allgem. Teil, S.473, sowie Tönniges 1902.
5*
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68
Wachstums- und Reifungsperiode.
Sperraatidenbildung bei Ascaiis.
Nach Brauer.
a Spermatogonie. b Spermatozyte erster
Ordnung, c— <i erste, e zweite Rciftings-
teilang.
unde), verwandeln sich die Samenmutter-
zellen (Spermatocyten erster Ordnung»
in zwei Samentochterzellen (Sper-
matocyten zweiter Ordnung, Fig.
33d) und vier Samenzellen (Sper-
ma tiden, Fig. 33 e). Im weiblichen
Geschlecht pflegt der Kern der Eimutter-
zellen, das Keimbläschen, meist unter
beträchtlicher Volumenverminderung (vgl.
Fig. 34 A und 13) vom Eizentrum an die
Peripherie zu wandern und gleichzeitig
die späteren Prophasen und früheren
Metaphasen der Teilung zu durchlaufen.
Die erste Teilungsfigur (Fig. 34 B) bleibt
in sehr vielen Fällen längere Zeit im
Zustande der späteren Metaphase an der
Peripherie liegen, eine Bereitschaftsstel-
lung, während welcher gewöhnlich die
Samenzelle in das Ei eintritt, also die
Befruchtung eingeleitet wird und in vie-
len Fällen, z. B. bei den Kopepoden,
auch die Eiablage stattfindet. Es erfolgt
eine asymmetrische Zellteilung (Fig. 34 C),
welche zur Bildung einer großen Ei-
tochterzelle (Ovocyte zweiter Ordnung,
Fig. 34 C, 0) und einer kleinen rudimen-
tären Zelle, des ersten Richtungs-
körpers (rk r ) führt. Unmittelbar darauf
wiederholt sich der gleiche Prozeß (Fig.
34 D, E) und es kommt zur Bildung der
reifen Eizelle und des zweiten
Richtungskörpers (Fig. 34E, rk").
Zuweilen erfolgt gleichzeitig mit der
zweiten Reifungsteilung eine mehr oder
weniger regelmäßige Teilung des ersten
Richtungskörpers, so daß im ganzen drei
Richtungskörper gebildet werden. Im
Falle der Parthenogenesis (Entwickelung
ohne Befruchtung) werden entweder zwei
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Metamorphose der Samenzellen.
69
(Honigbiene, Gallwespen, Amei-
sen) oder nur ein einziger Rich-
tungskörper (Cladoceren, Ostra-
koden, Aphiden) gebildet.
Es kann keinem Zweifel
unterliegen, daß die Reifungs-
teilungen bei der Samen- und
Eibildung , stammesgeschichtlich
und physiologisch betrachtet, ein-
ander entsprechen, und daß also
Ei und Richtungskörper einer-
seits und die vier Samenzellen
andererseits eine homologe Zell- b
generation darstellen.
An die Reifungsperiode
schließt sich in der Samenbil-
dung noch eine weitere Periode,
die Umwandlungsperiode,
an, während welcher die Meta-
n
morphose der Samenzellen in die
befruchtungsfähigen, in der Regel
durch starke Beweglichkeit aus-
gezeichneten Samenfäden,
Spermatozoen oder Sper-
mien stattfindet. Charakteristi-
sche Momente dieses Umwand-
lungsprozesses sind bei den ^
typischen flagellatenähnlichen
Spermatozoenformen : die Ver-
doppelung des Centrosomas (Fig.
35 A, s) und seine Verlagerung an
den Zellenrand (B, c.a-\-c.p);
Bildung des Mittelstückes oder E
Spermienhalses unter Beteiligung
des inneren oder vorderen Cen-
trosomas (B, C, c.a); Auswachsen
des Schwanzfadens vom äußeren
oder hinteren Centrosoma aus
(B, c . p); Streckung und Ver-
Richtungskörperbildung bei Cyclops gia-
cilis. Nach Matscheck. (E schematisiert
nach Bildern bei Cyclops viridis.)
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Metamorphose der Samenzellen.
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Metamorphose der Samenzellen.
71
dichtung des Kernes (n) sowie Zurückbildung des größten Teiles des
Cytoplasmas (cy) bis auf einen dünnen, den Kern umgebenden Belag (D);
Ausbildung des Spitzenstückes (C— E, idz) unter Beteiligung eines
Körpers, der wahrscheinlich einen Restteil des achromatischen Appa-
rates (Sphäre = Centrosomahülle, A, s, oder Spindelrest, A, sp) dar-
stellt und als Idiozom bezeichnet zu werden pflegt 1 ).
Auch einige Eier durchlaufen teils vor, teils nach der Befruchtung
eine Metamorphose. Letzteres gilt z. B. für das Vogelei, welches
beim Eintritt in den Eileiter nur von der als Zellmembran zu
deutenden Dotterhaut umgeben ist und innerhalb des drüsenreichen
Eileiters mit sogenannten tertiären Hüllen (Eiweiß und Kalkschale)
versehen wird 8 ).
Zum Schluß sei noch bemerkt, daß speziell in der Vererbungs-
lehre die befruchtungsreifen männlichen und weiblichen Fortpflanzungs-
zellen mit einem aus der Botanik entnommenen Ausdruck als Ga-
meten, das Produkt ihrer Vereinigung als Zygote bezeichnet wird.
Literaturverzeichnis zu Kapitel 7.
(Betreffs der Auswahl der hier angeführten Literatur vgl. das Vorwort.)
Boveri, Tb., Über Differenzierung der Zellkerne während der Furchung des Eies
von Ascaris mcgalocephala. Anat. Anz., 2. Bd., 1887.
— , Ref.: Befruchtung. Erg. An. u. Entw., i.Bd., 1892.
— , Die Entwickelung von Ascaris megalocephala mit besonderer Rücksicht auf die
Kernverhältnisse. Festschrift für Kupffer. Jena 1899.
Davies, H. Sp. , Spermatogenesis in Acridiidae and Locustidae. Bull. Mus. Comp.
Zool. Harv. Coli., Vol. 53. 1908.
Felix, W., und Bühler, A., Die Entwickelung der Keimdrüsen und Ausführungs-
gänge. O. Hertwigs Handbuch d. Entw^Lehre, 3. Bd.. l.Teil. Jena 1906.
Haecker, V„ Die Vorstadien der Eireifung. Arcb. f. mikr. Anat., 45. Bd., 1895.
— , Die Keimbahn von Cyclops. Arch. f. mikr. Anat., 49. Bd., 1897.
— , Über das Schicksal der elterlichen und gToßelterlichen Kernanteile. Jen. Zeitscbr.
Naturw., N. F., 30. Bd., 1902.
Korscheit, E., und Heider, K., Lehrbuch der vergleichenden Entwickelungs-
geschichte der wirbellosen Tiere. Spez. Teil. Jena 1890.
') Vgl. die Darstellung bei Meves und Otte. Im einzelnen gehen die Be-
obachtungen noch sehr weit auseinander, wie die Arbeiten von Otte und Davies.
welche beide heuschreckenartige Orthopteren zum Gegenstand haben, zeigen.
•) Vgl. Korscheit und Heider, Allgem. Teil, S.281, 340.
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72
Literaturverzeichnis 7.
Korscheit, E., und Heider, K., Allgera. Teil. Jena 1902 — 1909.
Meves, F., Uber Struktur und Histogenese der Samenfaden des Meerschweinchens.
Arch. f. roikr. Anat.. 54- Bd., 1899-
Otte, H.. Samenreifung und Samenbildung bei Locusta viridissima. Zool. Jahrb.
(Anat. Abt.), 24. Bd., 1907.
Rhode, E., Histogenetische Untersuchungen. I. Breslau 1908.
Tinniges, C, Beiträge zur Spermatogenese und Ovogenese der Myriapoden. Zeit-
schr. wiss. Zool., 71. Bd., 1902.
Waldeyer, W., Die Geschlechtszellen. O. Hertwigs Handbuch d. Entw.-Lehre,
l.Bd., l.Teil. Jena 1906.
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I
Achtes Kapitel.
Reife Portpflanzungszellen und Befruchtung.
Die reifen, d. h. befruchtungsfahigen Fortpflanzungszellen 1 ), werden
bei den höheren Tieren im männlichen Geschlecht als Samenfäden,
Spermatozoen, Spermien oder auch als Samenzellen bezeichnet.
Sie werden entweder innerhalb einer eiweißhaltigen Flüssigkeit entleert
(liquor seminis, z. B. „Milch" der Knochenfische) oder in Form von paket-
artigen, von einer kapselartigen Hülle umgebenen Komplexen, den
Samenpatronen oder Spermatophoren, vom männlichen Tier in die
weiblichen Geschlechtsorgane übertragen oder dem Weibchen angeheftet.
Derartige Samenpatronen finden sich bei Regenwürmern, Blutegeln,
Krebsen (Kopepoden, Dekapoden u. a.), Spinnen, Insekten (Heuschrecken,
Honigbiene), Schnecken, Tintenfischen und geschwänzten Amphibien.
Die fertigen Spermatozoen weichen hinsichtlich ihrer Gestalt in der
Regel von dem gewöhnlichen Schema einer Zelle bedeutend ab und
zeigen eine Reihe von Differenzierungen, die mit der besonderen
Funktion der männlichen Fortpflanzungszellen im Zusammenhang
stehen. Außer der Bedeutung, welche die Samenzellen wie alle an-
deren Formen von Fortpflanzungszellen für die Arterhaltung haben,
kommt ihnen noch die spezielle Aufgabe zu, das Ei aufzusuchen, in
sein Inneres einzudringen und den jungen Keim mit dem Teilungs-
apparat auszustatten. Dementsprechend sind die Spermatozoen eines
großen Teils der Metazoen mit einem Bohr- und lokomotorischen
Apparat und wahrscheinlich alle mit einem Centrosoma versehen.
Zu den am einfachsten gebauten Spermatozoen gehören die
kugeligen oder amöbenähnlichen Samenzellen der Wasser-
flöhe (Cladoceren). Bemerkenswert sind hier vor allem die spezi-
fischen Verschiedenheiten in der äußeren Gestalt. So besitzt von den
beiden bei uns vorkommenden Moinaarten M. paradoxa längliche, an
beiden Ende zugespitzte, halbmondförmige Elemente (Fig. 36 A),
') Vgl. Korscheit u. Heider, Allgem. Teil, S. 397. und Waldeyer, S. 99.
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74
Samenfäden.
M. rectirostris dagegen heliozoenähnliche „ Strahlenzellen " , d. h. große
kugelige Zellen mit sonnenartig ausstrahlenden, feinen, unbeweglichen
Fäden (Fig. 36 B). In dieser verschiedenen Gestalt kommt offenbar
die artliche Verschiedenheit des Protoplasmas zum Ausdruck (s. oben
Einen sehr einfachen Bau besitzen auch die Spermatozoen der
Nematoden. Speziell diejenigen des Pferdespulwurmes (Fig. 37)
haben eine kegelförmige Gestalt und enthalten in ihrem breiteren,
rundlichen, amöbenartig beweglichen Abschnitt den Kern (n), in
ihrem schmäleren Teile ein kegelförmiges, stark lichtbrechendes
Gebilde, den sogenannten Glanzkörper (g), der mit dem Kern ins
Ei gelangt, aber hier der Resorption unterliegt. Dieser Körper ent-
steht nach neueren Untersuchungen») durch Konzentration der während
der Wachstumsperiode in den Spermatocyten erster Ordnung ab-
geschiedenen (Fig. 33) und durch die Reifungsteilungen auf die ein-
zelnen Samenzellen verteilten Dotterkugeln.
Die am häufigsten vorkommende Form der reifen Samenzellen
ist die des flagellatenähnlichen „Samenfadens". Im einfachsten
Falle, z. B. bei den Medusen (Fig. 38), sind an dem Samenfaden
zu unterscheiden: das Spitzenstück (sp), welches als Bohr-
apparat dient, der Kopf (k) mit dem Kern, das Mittelstück (m)
mit dem Centrosoma und der Schwanzfaden. Im wesent-
') Auch die übrigen Cladoceren weisen zum Teil sehr verschieden gestaltete
Spermatozoen auf. In ähnlicher Weise besitzen die Feuerkröte (Bombinator) und die
Teichunke (Pelobates), trotzdem sie zur gleichen Familie (Pelobatidae) gehören,
Spermien von sehr verschiedenem Habitus. Vgl. Waldcycr, S. 121.
*) Vgl. Marcus 1906. Nach A. Mayer 1908 entsteht der Glanzkörper durch
Verschmelzung der „ plasmatischen Granulationen".
S. 23) »).
n
Spermien von Moina paradoxa (A) und
rectirostris (B). Nach Weismann.
Spermium von Ascaris megalo-
cephala. Nach E. v. Beneden.
Spermatozoen.
75
liehen den nämlichen Bau, aber eine etwas größere Komplikation
zeigen die Spermatozoen der geschwänzten Amphibien, so
diejenigen von Salamandra maculosa, Triton (Molge) und Ambly-
stoma. Schon bei Anwendung schwächerer Vergrößerung lassen sich an
dem (bei Amblystoma 360 bis 430/1 langen) Spermatozoon ein Spitzen -
stück (perforatorium, Fig. 39, sp) mit Widerhaken (Hamulus), der
sehr verlängerte, nach vorn stark verjüngte Kopf (k), Fig 38
das Mittelstück (Halsstück wi), welches das vordere .
und hintere Centrosoma enthält^) und der Schwanz- i S
faden mit der undulierenden Membran (u.m) I k
unterscheiden 3 ). Letztere stellt einen krausenartig W m
gefalteten Saum dar, an dem im lebenden Zustande I
eine lebhafte, fortschreitende Flimmerung wahrzu- /
nehmen ist. „Indem jede der Krausen gewisser- /
maßen als Ruderplättchen funktioniert, kommt eine \
sehr gleichmäßige, geradlinig fortschreitende Be- \
wegung zustande" s ). 1
Komplikationen anderer Art finden sich bei den I
Spermatozoen der Säuger. So zeigen z.B. bei Meer- /
schweinchen (Fig.40) Spitzenstück (sp) und Kopf (k) \
zusammen die Gestalt einer abgeplatteten, regel-
mäßig gekrümmten (im Längsschnitt, Fig. 40 B, \
S-förmigen) Schaufel. Über die Bedeutung dieser \
Struktur ist nichts bekannt 4 ). 1
Die kompliziertesten Spermatozoenformen sind j
wohl die mit Fortsätzen versehenen „Spermato- 1
soraen* der dekapoden Krebse (Fig. 41)- Man Spermium einer Me-
— — duse (Aurel ia aurita) .
') Genau gesagt, das vordere Centrosoma und ein vorderes Nach Ballowitz.
Teilstück des hinteren. Das hintere Teilstuck des hinteren gleitet
während der Entwickelung am Achsen faden entlang abwärts und ist endgültig etwa
am Anfang des letzten Schwanzdrittels gelagert (Meves).
*) Bezüglich der feineren Struktur des Schwanzfadens vgl. Ballowitz, Meves,
sowie Waldeyer, S. 184. Der Schwanzfaden wird nach Meves von dem rinnen-
förmig ausgetieften Achsen faden (Haupt faden, Fig. 39. hf) gebildet, der an
seiner konvexen Seite von einer plasmatischen Schicht, der „Hülle", bedeckt ist,
während sich aus der Konkavität der Rinne die von dem Randfaden (rf) ein-
gesäumte undulicrende Membran (u.m) erhebt.
s ) Vgl. Kor sehe lt u. Heider, S. 425. Nach anderer Auffassung würde die
Beweglichkeit der undulierenden Membran weniger in ihr selbst, als in dem den
freien Rand des Saumes bildenden Randfaden (Fig. 39, rf) liegen. Vgl. Waldeyer,
S. 151.
4 ) Vgl. Meves 1899, sowie Waldeyer. S.441.
/
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Spermatozoen.
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Reifes Ei.
77
unterscheidet an diesen den ziemlich umfangreichen Kern (n) 1 ), den
Hai steil (im), welcher auch hier das Centrosoma einschließt 2 ) und
drei radiär angeordnete, nach vorn (kerawärts) gerichtete borstenartige
Fortsätze (f) trägt 8 ), sowie die Chitinkapsel (ch), welche ein früher
als Stachelapparat bezeichnetes, kompliziert gebautes „Röhrchen"
einschließt. Das Spermatosom berührt die Eioberfläche mit dem von
den Halsfortsätzen gebildeten federnden Dreifuß (Fig. 41 A). Das
Eindringen von Wasser in die mit einem „Explosionsstoff" gefüllte
Kapsel bewirkt sodann eine Quellung und Umstülpung der Kapsel (B).
Dadurch erhält der Kopf einen Stoß nach vorn und dringt samt dem
Halsstück in das Ei ein (B, C).
Die Abweichungen, welche das reife Ei vom gewöhnlichen
Zellentypus zeigt, beziehen sich einerseits auf die durch die An-
sammlung von Nahrungsmaterial bedingte Größe*), andererseits auf
den Besitz von Hüllen verschiedener Art, welche teils der Ernährung,
teils dem Schutz des Embryos dienen. Es werden außer der vom
Eiplasma selbst gebildeten primären Eihülle (Dotterhaut der
Echinodermen und Mollusken, zona radiata der Wirbeltiere) sekun-
däre und tertiäre Eihüllen unterschieden. Erstere werden von
einem besonderen, das Ei umhüllenden Epithel, dem Follikelepithel,
abgeschieden, und treten, z. B. bei den Insekten, in Form einer chitin-
artigen Schale (Chorion) auf. Letztere bestehen aus Abscheidungen
des Eileiters oder besonderer Drüsen. Beispiele sind die Eiweißhülle,
Schalenhaut und Kalkschale des Vogeleies, die Gallerthüllen der Am-
phibieneier, die hornigen, viereckigen Eikapseln vieler Haie und
Kochen, die zitronenartigen Kokons der Regenwürmer usw.
') Die Untersuchungen von Kol 1 20 ff haben endgültig gezeigt, daß der rund«
liehe Körper tatsächlich den Kern enthält.
*) Genauer gesagt, wie bei den Urodelen (S. 75. Anm. 1), das vordere Centrosoma
und den vorderen Abschnitt des hinteren. Vgl. Koltzoff, S. 510. Der hintere Ab-
schnitt des hinteren Centrosomas sitzt im Röhrchen. Vgl. 1. c, S. 388.
") Diese Fortsätze wurden früher gewöhnlich als starr beschrieben. Abgesehen
davon, daß z. 6. beim Hummer und bei Galathca pseudopodienartige Verkürzungen und
Verlängerungen zu beobachten sind (Koltzoff, S. 480), muß aber den Fortsätzen
eine elastische federnde Konsistenz zugeschrieben werden.
*) Die eigentliche Eizelle, das „Gclbei" oder die Dotterkugel beispielsweise des
amerikanischen Straußes (Rhca americana), ist nach Messungen an einem dem
Hallenser zoologischen Garten entstammenden frischen Ei 9,2 cm lang und 6,7 cm
breit. Sein Volumen beträgt also 2l6ccm. Nimmt man für den ausgestorbenen
madagassischen Aepyornis dasselbe Verhältnis von Gesamtvolum zu Dottervolum an.
wie bei Rhea, so ergibt sich für das Gelbei von Aepyornis ein Volumen von 2643 cem,
also ein ungeheures Maß für eine einzelne Zelle!
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78
Begattung.
Sowohl in den primären als in den sekundären Eihüllen können
besondere Eingangspforten für die Spermatozoen, die Mikropylen,
ausgebildet sein. So besitzt die Eihaut der Mollusken und Knochen-
fische einen, das Chorion der Insekten einen oder mehrere Mikropylen-
kanäle.
Die Begegnung der reifen Geschlechtszellen kann bewirkt werden
durch eine direkte innere Begattung, indem die Samenzellen
mittels des männlichen Kopulationsorgans unmittelbar in die weiblichen
Geschlechtswege übertragen werden. Beispiele hierfür finden sich sowohl
bei Zwittern (Plattwürmer, Mollusken) als auch bei getrennt geschlecht-
lichen Formen (Haie, Reptilien, Säuger). Bei der indirekten inneren
Begattung wird das Sperma in Form von Samenpatronen entweder
während der Kopulation dem Weibchen angeheftet, worauf die Samen-
zellen nachträglich in die Samentasche (Receptaculum seminis) des
letzteren gelangen (Kopepoden), oder es wird im Verlauf der Liebes-
spiele die Samenpatrone vom Männchen abgelegt und dann vom
Weibchen in die Geschlechtsöffnung aufgenommen (geschwänzte
Amphibien). Bei der äußeren Begattung kommt die Vereinigung
der Geschlechtszellen in der Weise zustande, daß während der Kopu-
lation die Fortpflanzungselemente der beiden Geschlechter gleichzeitig
ins Wasser austreten (Batrachier), während bei der freien Besamung
die Abgabe und Vereinigung der Geschlechtszellen ohne Berührung
der Elterntiere erfolgt (Medusen, Echinodermen, Fische).
Die Begattung braucht nicht unmittelbar von der Befruchtung
gefolgt zu sein. In den Fällen z. B., in welchen die Samenzellen vom
Weibchen in einer Samen tasche aufbewahrt werden, kann die Be-
fruchtung durch Monate (Feuersalamander) oder Jahre (Honigbiene)
von der Begattung getrennt sein. Bei den Fledermäusen findet die
Begattung im Herbst statt, während die Loslösung der Eier aus dem
Eierstock und ihre Befruchtung durch die im Uterus aufbewahrten
Samenzellen erst gegen das Frühjahr hin erfolgt.
Unter Befruchtung versteht man ganz allgemein die Vereinigung
zweier Geschlechtszellen oder Gameten und ihrer Kerne.
Von einer Verschmelzung der Kerne im Sinne einer gegenseitigen Durch-
dringung der Kernsubstanzen darf man offenbar mit Rücksicht auf die gonomer
gebauten Kerne (siehe unten) nicht reden 1 ).
Bei der Autogamie (siehe unten) findet vielfach (Entamoeba) nur eine Ver-
einigung zweier Kerne statt.
') Vgl. Haecker, S. 78, 1902.
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Befruchtung. Polyspermie.
79
Bei den Metazoen nimmt der Befruchtungsprozeß seinen An-
fang mit dem Eindringen einer oder mehrerer Samenzellen in das Ei
und schließt ab mit der Kopulation von Spermakern und Eikern.
Das Eindringen erfolgt vielfach während der Metaphasen der ersten
Reifungsteilung („Bereitschaftsstellung" der ersten Richtungsspindel an
der Eiperipherie), seltener, z. B. bei den Seeigeln, nach vollkommener
Durchführung der beiden Reifungsteilungen. Bei den meisten Metazoen
dringt normalerweise nur eine Samenzelle ein (Monospermie), und
speziell bei dem klassischen Objekt der Befruchtungslehre, beim See-
igel, schützt sich das Ei im Moment des Eindringens des Sperma-
kopfes dadurch gegen Überbefruchtung, daß eine für weitere Sperma-
tozoen undurchdringliche Dottermembran oder Eihaut gebildet wird.
Diese hebt sich vom Eiplasma ab, indem sich der Plasmaleib ein
wenig von der Grenzschicht zurückzieht und in den Zwischenraum
eine aufquellende Substanz abscheidet 1 ).
Im Gegensatz zur pathologisch verlaufenden Überbefruchtung steht
die physiologische Polyspermie, bei welcher normalerweise mehrere
Samenzellen in das Ei eindringen, aber allerdings nur ein Sperma-
kern mit dem Eikern in Verbindung tritt. Eine derartige Mehr-
befruchtung wird als regelmäßiges Vorkommnis bei Haien, Reptilien,
Vögeln, als häufiges Vorkommnis (fakultative physiologische Poly-
spermie) bei Amphibien, Insekten und Spinnen beobachtet. Es handelt
sich im allgemeinen um große dotterreiche Eier, und man wird die
Bedeutung des Vorganges darin zu suchen haben, daß durch eine
Mehrheit der eindringenden Samenzellen die Aussicht des Eikerns,
möglichst bald bzw. im richtigen Zustande mit einem Samenkern
zusammenzutreffen, vergrößert wird.
Sehr häufig, so z. B. beim Seeigel, dringt vom Spermatozoon
nur der vordere Teil, einschließlich des Mittelstückes, in das Eiplasma
ein, während der Schwanzfaden in der Eihülle (beim Seeigel in der
Dotterhaut) stecken bleibt. In zahlreichen anderen Fällen, so bei
Turbellarien (Thysanozoon, Fig. 18), Gastropoden (Physa, Fig. 42) und
manchen Wirbeltieren, z. B. bei der Fledermaus (Vesperugo, Fig. 43),
wird auch der Schwanzfaden in das Ei hereingezogen. Er ist dann
als ein in Schlingen gelegter Faden noch während der Durchführung der
ersten Richtungsteilung (Thysanozoon und Physa), zuweilen aber, so
bei der Fledermaus (Vesperugo), noch während der Annäherung der
l ) Zur Analyse des Vorganges vgl. Herbst 1904.
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8o
Befruchtung.
beiden Geschlechtskerne wahrzunehmen. Früher oder später fällt aber
der eingedrungene Schwanzfaden ebenso wie das Spitzenstück der
Resorption anheini, während das Cytoplasma des Kopfes und Mittel-
stückes so vollständig mit dem Eiplasma verschmelzen, daß sie nicht
Fig. 42. Fig. 43.
ei
Befruchtung des Eies der Fledermaus Befruchtung des Eies von Physa.
(Vesperugo). Nach van der Stricht. Nach Kostanecki und Wierzejski.
mehr als selbständige Gebilde zu erkennen sind. In der Regel ist
also von der eingedrungenen männlichen Fortpflanzungszelle nur noch
der Spermakern (Fig. 44, k) und ferner das im Mittelstück mit-
Eindringen des Spermiums im Seeigelei. Nach Wilson und Matthews.
geführte Spermozentrum wahrzunehmen. Dieses besteht aus einem
Centrosom (? dem vorderen der Spermatide) oder, wo dieses nicht
erkennbar ist, aus einer körnigen, dotterfreien Masse, der Sphäre
(Fig. 44 A, s). Später tritt die das Centrosoma oder die Sphäre um-
gebende Spermastrahlung (Fig. 44B, ss), d. h. die radiäre An-
ordnung der Plasmagranula und der Dotterkörnchen, hervor.
UIQIIIZCQ Dy
Befruchtung.
8l
Bald nach dem Eindringen des Spermakerns führt er in sehr vielen Fällen eine
Drehung aus ') , derart , daß das an seinem hinteren Ende gelegene Spermozentrum
gegen das Eiinncrc gerichtet wird (Fig. 44 A u. B). Die Eintrittsstelle bleibt beim
Seeigel längere Zeit durch eine Plasmaerhebung, den Empfängnishügel (eh),
markiert.
Während sich dann der Spermakern dem Eikern nähert, verliert
er allmählich seine längliche (kegel- oder stiftförmige) Gestalt, seine
Fig. 46.
Befruchtung des Secigeleics. Nach Wilson
und Matthews.
Fig. 47.
Befruchtung des Ascaris-Eies.
Nach Boveri.
dichte Konsistenz und starke
Färbbarkeit und nimmt mehr
und mehr das Aussehen des
Eikerns an. In der Regel
zeigen die beiden Kerne zur
Zeit der Kopulation annähernd
gleiche Größe und Beschaffen-
heit (Fig. 45, ei und sp, 47),
seltener, z. B. beim Seeigel
(Fig. 46), weist der Sperma-
kern noch während und nach
der Kopulation eine geringere
Größe und dichtere Konsistenz
als der Eikern auf, oder er
überwiegt sogar an Größe, wie das zuweilen bei den Kopepoden
der Fall ist.
Befruchtung des Eies von Cyclops strenuus.
Nach R Ackert.
l ) Zuerst von Fick beim Axolotl , dann von Wilson und Matthews beim
Seeigel beobachtet. In anderen Fällen, so bei der Fledermaus, scheint diese Drehung
zu unterbleiben (van der Stricht).
Ha eck er, Vererbungslehre 5
82
Befruchtung.
In früheren oder späteren Stadien der gegenseitigen Annäherung
der beiden Kerne teilt sich das Spermozentrum (Fig. 45, s,s) und
damit auch die Spermastrahlung und, indem sich die beiden Kerne
aneinanderlegen (kopulieren), kommt ein viergliedriges System
zustande, das aus den beiden weiter auseinander gerückten Spermo-
zentren und den zwischen ihnen gelegenen Geschlechtskernen besteht
(Fig. 46, 47).
Die Vorbereitung der Kernsubstanz zur ersten Teilung des nun-
mehr doppelkernigen Keimes (der „ersten Furchungsteilung") macht
sich schon während (Ascaris, Fig. 45) oder erst nach erfolgter Kopu-
lation bemerkbar. Speziell bei Ascaris zeigen die Chromosomen der
beiden Geschlechtskerne schon vor der Kopulation eine sehr weitgehende
Ausbildung, und bei diesem Objekte konnte Eduard van Beneden
(1883) die fundamentale Tatsache feststellen, daß die Chromosomen
von Ei- und Spermakern bei der Kopulation die gleiche Zahl und
das gleiche Aussehen zeigen *).
Ebenso wie im Falle von Ascaris in besonders deutlicher Weise
die selbständige und gleichmäßige Vorbereitung zur ersten Teilung
hervortritt, so läßt sich bei einer Reihe von Formen, insbesondere
bei den Kopepoden und bei einer Schnecke (Crepidula) zeigen, daß
die erste Teilung von beiden Kernsubstanzen auch selbständig
durchgeführt wird, so daß nicht nur im Äquatorialplatten- und Dyaster-
stadium deutlich zwei Gruppen von Chromosomen, eine väterliche
und eine mütterliche, zu unterscheiden sind (S. 50, Fig. 22 A), sondern
auch bei der Rekonstitulion der Tochterkerne keine einheitlichen
Kerne, sondern Doppelkerne entstehen (Fig. 22 C), die aus den beiden
elterlichen Halbkernen oder Gonomeren zusammengesetzt sind.
Auch späterhin läßt sich die gleiche Erscheinung beobachten, so daß
speziell in den frühen Embryonal zellen und in den Urgeschlechts-
zellen mit großer Regelmäßigkeit der Doppelbau der Kerne oder der
gonomere Kemzustand hervortritt. Bei Cyclops kommt in den
späteren Stadien und sogar noch in den Ovogonien und Spermato-
gonien der Doppelbau der Kerne darin zum Ausdruck, daß in den
jungen Tochterkernen in jeder der beiden Kernhälften die Nucleolen-
substanz selbständig zur Abscheidung kommt und erstere also einen
symmetrischen binucleolären Bau zeigen (Fig. 48). In älteren
') Bei Ascaris megalocephala bivalcns (Kig. 45) kommen im Ei- und Samen-
kern je zwei Chromosomen, bei univalens je eines zur Entwickelang.
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Befruchtung.
83
Kernen findet eine Verschmelzung der beiden Nucleolen statt l ). Die
Selbständigkeit oder Autonomie der väterlichen und mütterlichen
Kernsubstanz läßt sich also vom befruchteten Ei bis zum Beginn der
Wachstumsphase der Keimzellen verfolgen a ).
Namentlich in den letzten Jahren haben sich die Beobachtungen
ähnlicher Art immer mehr gehäuft und insbesondere sind auch, wie
gleich hier angeführt werden soll, für verschiedene niedere Organismen
Fälle von einer verspäteten Verschmelzung bzw. einer dauernden Auto-
nomie der Sexualkerne bekannt geworden. Dies gilt für Ascomyceten,
Basidiomyceten (Uredineen), Konjugaten, für Amoeba diploidea und
vermutlich auch für Myxosporidien 3 ).
Angesichts aller dieser Befunde wird man also die Befruchtung
nicht, wie dies früher üblich war, als einen Verschmelzungsprozeß
') Sehr schön und regelmäßig tritt ein binucleolärer Bau, speziell der Spermato-
gonien. in den jugendlichen, in lebhafter Zellvermehrung begriffenen Hoden
z. B. von Kopepoden (Heterocope) hervor.
*) Es ist u. a. von O. Hertwig bezweifelt worden, ob die binucleoläre Be-
schaffenheit junger Tochterkerne als Kriterium für ihren gonomeren Aufbau an-
gesehen werden darf. Die Befunde, speziell bei Cyclops, zeigen aber, daß in den
aufeinanderfolgenden Zellgenerationen l. Doppelkerne mit je einem Nucleolus
in jedem Gonomer, 2. zweilappige Kerne mit je einem Nucleolus in jedem Kernlobus
und 3. runde Kerne mit zwei symmetrisch gelegenen Nucleolen ganz allmählich
ineinander übergehen, und daß also ein kontinuierlicher Zusammenhang be-
steht zwischen dem letztgenannten, von O. Hertwig beanstandeten Kerntypus und
der von Rücke rt und mir in den ersten Stadien der Furchung beobachteten
doppelten Teilungsfigur (Fig. 22 A). Es ist also doch offenbar logisch durchaus
gerechtfertigt, wenn man das Auftreten symmetrischer Nucleolen in den jungen
Tochterkernen der späteren Zcllgenerationen auf dieselbe Ursache zurückführt,
wie die in den ersten Doppelkemen. nämlich auf das Fortbestehen zweier selb-
ständiger, genetisch verschiedener Kernbezirke.
*) Vgl. für Ascomyceten Black man und Fräser (Ann. Botany 1906) und
Christ man (Trans. Wiscons. Ac. IQ07) ; für Basidiomyceten Claussen (Ber. bot.
Ges. 1007); für Konjugalen Klebahn (Ber. bot. Ges. 1888); für Amoeba Hart-
mann und Nägler (Sitzungsber. Ges. Naturf. Freunde, Berlin 1908); für Myxo-
sporidien Schröder (Arch. Prot. 1907).
Fig. 48.
Blastoracrenkerne im Ei von Cyclops viridis.
84
Befruchtung der Pbanerogamen.
Fig. 49-
bezeichnen dürfen, vielmehr handelt es sich offenbar um die Schaffung
eines zweikernigen Zustandes, um die Paarung zweier Kerne meist
verschiedener Abkunft in einer einzigen Zelle.
Bei einer Reihe von Metazoen (Rotatorien, Entomostraken, zahl-
reichen Insekten) ist in bestimmten Generationen der Befruchtungsakt
sekundär unterdrückt worden. Die Vermehrung durch unbefruchtete
Eier wird in diesen Fällen alsPartheno-
genesis (Jungfernzeugung) bezeichnet.
Es wurde in diesem und dem vor-
hergehenden Kapitel in erster Linie die
Entwickelung der Geschlechtszellen und
der Befruchtungsprozeß der vielzelligen
Tiere oder Metazoen dargestellt Mit
wenigen Worten soll hier noch auf die
homologen Erscheinungen bei den Meta-
phyten und bei den Einzelligen einge-
gangen werden.
Speziell bei den angiospermen
Phanerogamen nimmt der eigentliche
Eibildungsprozeß vom Embryosack
(Embryosackmutterzelle) seinen
Ausgang. Der Kern dieser Zelle liefert
auf Grund von drei aufeinanderfolgen-
den Teilungsschritten acht Kerne, von
welchen sich je drei an jedem Ende des
Embryosackes zusammen mit kleinen
Plasmaportionen vom übrigen Embryo-
sackplasma abtrennen und die Eizelle,
die beide Synergiden (Gehilfinnen) und
die drei Antipodenzellen (Gegen-
füßlerinnen) darstellen (Fig. 49 oo,sy,ä). Die beiden übrigen Kerne, der
sogenannte obere und untere Polkern (ps,pi) legen sich in der Mitte
des Embryosackes zum sekundären Embryosackkern zusammen.
Im männlichen Geschlecht teilt sich die Pollenmutterzelle
rasch hintereinander zweimal und liefert die vier Pollenkörner
(Pollenzellen). Innerhalb jedes Pollenkorns findet noch innerhalb der
Anthere eine abermalige Teilung statt, welche zur Bildung einer
generativen und einer vegetativen Zelle führt. Nach erfolgter
Bestäubung wächst das Pollenkorn zum Pollenschlauch aus, während
Doppelte Befruchtung bei LUium.
Nach Guignard.
pich Polleoschlaach. oo Eizelle,
«y Synergiden, ps und pi oberer und
unterer I'oUcero. a Antipode a. p',p" die
Kerne.
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Befruchtung der Einzelligen.
85
auf Grund eines vierten Teilungsschrittes die generative Zelle zwei
sich völlig gleichende generative Zellen liefert
Auf die in stam raesgeschichtlicher Hinsicht sehr interessanten Ver-
hältnisse bei den Gymnospermen, besonders bei Ginkgo biloba und Cycas,
sowie bei den Gefäßkryptogamen kann hier nicht eingegangen werden.
Es sei nur erwähnt, daß bei Ginkgo, Cycas und den Farnen die beweg-
lichen männlichen Fortpflanzungszellen (Spermatozoide, Antherozoide)
starke Anklänge an die Spermatozoen der vielzelligen Tiere zeigen.
Der eigentliche Befruchtungsakt vollzieht sich speziell bei den
Lilien, einem der klassischen Objekte der botanischen Zeugungslehre,
in der Weise, daß der eine der generativen Kerne (Fig. 49, p') in die
Eizelle eindringt und sich mit dem Eikern verbindet, während der
andere {p") mit dem sekundären Embryosackkern die Kopulation aus-
führt. Es findet also eine doppelte Kernkopulation statt. Die
eine bildet den Ausgangspunkt für die Entstehung des eigentlichen
Embryos, die zweite führt zur Bildung des Ernährungsapparates der
Eizelle, des Albumens oder Endosperms.
Dem Befruchtungsakt der höheren Tiere und Pflanzen entspricht
bei den einzelligen Organismen in der Regel die Verbindung zweier
Individuen. Die Verbindung kann zu einer dauernden und totalen
Verschmelzung der beiden Paarlinge oder Gameten und ihrer
Kerne führen. Man spricht dann von einer Karyoplasmogamie
oder Kopulation und nennt das Verschmelzungsprodukt eine Zy-
gote. Oder es kann die Verbindung eine vorübergehende sein und
nur einen Austausch von Kernen im Gefolge haben, dann liegt eine
reine Karyogamie oder Konjugation vor. Dieser Fall ist bei den
Infusorien verwirklicht, bei welchen der Mikronucleus oder Geschlechts-
kern jedes Paarlings nach zweimaliger vorbereitender Teilung l ) auf
Grund eines dritten Teilungsvorganges zwei generative Kerne liefert,
den stationärenKern und den Wanderkern. Der Wanderkern jedes
Paarlings tritt in den anderen Paarling über und vereinigt sich mit
dem stationären Kern des letzteren. Hierauf findet die Loslösung
der beiden Gameten statt 2 ).
*) Siehe folgendes Kapitel. Fig. 57-
*) Manche Forscher, z. R A. Lang in seinem Lehrbuch, nehmen an. daß
die Kopulation aus der Konjugation stam mesgeschicht lieh hervorgegangen sei. Da-
gegen spricht aber u. a. die isolierte Stellung, welche den neueren Anschauungen
zufolge die Infusorien gegenüher den übrigen Protozoen einnehmen. Man kann sich
nicht gut vorstellen, daß die Befi uchtungsvorgänge gerade dieser hochspezialisierten
Gruppe ein ursprüngliches Verhältnis darstellen.
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86
Befruchtung der Einzelligen.
Die Befruchtungsvorgänge der Einzelligen zeigen noch in anderer
Hinsicht mancherlei Verschiedenheiten. Insbesondere können die
Gameten entweder gleich groß sein und werden dann Isogameten
genannt, oder es treten nach Größe, Form und Beweglichkeit geringere
oder stärkere Unterschiede hervor, in welchem Falle man die mehr
eiähnlichen Makrogameten von den spermatozoenartigen Mikro-
gameten unterscheidet. Der Befruchtungsprozeß wird in ersterem
Falle als Isogamie (Homogamie), in letzterem als Anisogamie
(Heterogamie) bezeichnet.
In einigen Fällen (Actinosphaerium u. a.) sind die Gameten
Schwesterzellen, in anderen (Entamoeba) besteht der Befruchtungsakt
sogar nur in der Verbindung von zwei Kernen, die aus dem einzigen
Kern einer Zelle durch Teilung entstanden sind und vor ihrer Ver-
einigung noch vorbereitende Teilungen durchlaufen. Beide Be-
fruchtungsmodi werden als Autogamie zusammengefaßt.
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Neuntes Kapitel.
Fig. 50.
Die Reifungsteilungen und ihre stammesgeschichtliche
Bedeutung.
In den neueren Vererbungstheorien wird d«n Reifungsteilungen
eine sehr wichtige Rolle bei der Verteilung der Anlagen der
Eltern auf die Kinder zuge-
schrieben. Bei diesen Gedanken-
gängen wird vor allem auch auf
die ungemein weite Verbrei-
tung von vorbereitenden Tei-
lungen ähnlicher Art in den
meisten Gruppen des Tier- und
Pflanzenreiches Bezug genommen.
In der Tat wird zurzeit allge-
mein anerkannt, daß die Teilungen,
welche im Embryosack der angio-
spermen Phanerogamen zur Bildung
der Synergiden und Antipoden-
Sporenbildung bei einem Lebermoose zellen führen, den Reifungsteil ungen
(Aneura). Nach Farmer. def lierischen Fortpflanzungszellen
zStb de^eJS^ojlägS Wien d drt! n in ^ homolog zu setzen sind »), und daß
dasselbe für die zwei Teilungspro-
zesse gilt, auf Grund deren die
Pollenmutterzelle die Pollenkörner liefert. Vierteilungsprozesse ähn-
licher Art treten aber auch bei der Sporenbildung der Gefaßkrypto-
gamen (Pteridophyten, Equisetum) und Lebermoose auf, also an einer
anscheinend ganz heterogenen Stelle im Lebenscyklus höherer Orga-
nismen. Es sei insbesondere auf die Lebermoose hingewiesen, in
deren vierlappigen Sporenmutterzellen vierpolige Teilungsfiguren
der viert* ist durch
angedeutet
l ) Vgl. Strasburger 1884.
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Homologie der Reifungsprozesse.
89
(Fig. 50) auftreten und wenigstens in einzelnen Fällen (Pallavicinia)
eine gleichzeitige Teilung des Kernes in vier Enkelkerne
erfolgt 1).
Es erhebt sich also zunächst die Frage, ob alle diese Vorgänge
wirklich einander entsprechen und ob ihre weite Verbreitung nicht,
abgesehen von ihrer etwaigen Rolle bei der Vererbung,
eine allgemeinere biologische Bedeutung hat.
Daß die bisher genannten Vorgänge tatsächlich miteinander zu
homologisieren sind, daß insbesondere jeweils die ersten Teilungen
bei der Pollen- und Eibildung der Phanerogamen , bei der Sporen-
bildung der Farne und bei der Samen- und Eireife der Metazoen
einander entsprechen, geht aus der großen Ähnlichkeit hervor, welche
die Kernteilungs Vorgänge
im einzelnen zeigen»). So
weisen die Chromatinelemente
bei fast allen Objekten in den
frühen Prophasen der ersten
Teilung die bekannte, von
Moore (1895) als Synapsis
bezeichnete einseitige Zusam-
menballung (Fig. 51) auf, einen
Zustand, von welchem immer
noch nicht feststeht, ob es
sich bei diesen Bildern durch-
aus um natürliche Verhältnisse
Fig. 51.
Synapsisstadiuni von Drosera (er").
Nach Berjghs.
oder, was mir wahrscheinlicher erscheint, zum Teil um ein durch die
Konservierungsmittel hervorgerufenes Artefakt handelt 8 ). Ebenso zeigt
das folgende Stadium der Diakinese (s. unten) bei den verschiedensten
Metazoen und Metaphyten eine weitgehende Übereinstimmung der
Chromosomen, indem in den früheren Phasen (Fig. 52 A, B) lang-
gestreckte, feinkörnige Doppelfäden, Überkreuzungsfiguren und lockere
Ringe, in den späteren (Fig. 52 C, D) gedrungenere (kondensierte) Doppel-
stäbchen, Ringe, Viererkugeln und Kreuze zur Ausbildung kommen.
Auch auf die achromatischen Teile der Kernteilungsfigur kann sich
die Ähnlichkeit erstrecken: so ist speziell die „erste Richtungs-
') Vgl- J« B. Farmer, Ann. Botany 1804, 1895-
*) Vgl. Haecker, Über weitere Übereinstimmungen usw., S. 691 ; D. Reifungs-
erscheinungen, S. 911.
') Vgl. die Chromosomen als Vererbungstr., S. 79-
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90
Homologie der Reifungsprozesse.
spindel", d. h. die achromatische Figur der ersten Reifungsteilung des
tierischen Eies, bei vielen Objekten, z. B. bei Ascaris und bei den
Kopepoden, durch die nämliche bündel- oder garbenförmige Gestalt
und denselben Mangel an ausgesprochenen Centrosomen ausgezeichnet,
wie die multipolaren Teilungsfiguren, welche bei der Sporenbildung
der Farne, Equisetaceen (Fig. 53) und bei der Pollenbildung der Lilia-
ceen angetroffen werden 1 ).
Für die Frage nach der Homologie der genannten Teilungspro-
zesse ist vor allem noch von Bedeutung, daß nach einer schon von
Fig. 52.
A und B frühe Diakinese bei Pristiurus ($) nach Rückert und Lilium speciosum (cO
nach Gregoire. C und D späte Diakinese bei Pteris (Sporenbildung) nach Calkins
und Heterocope (9) nach Rückert.
Hofmeister begründeten Anschauung 2 ) bei den Phanerogamen,
Gefäßkryptogamen und Bryophyten die betreffenden Teilungsvorgänge
die Bildung der rudimentären oder vollentwickelten Geschlechts-
generation (des Gametophyten) einleiten, also die Entstehung des
Embryosackes und Pollenschlauches, des Prothalliums und der Moos-
') Über weitere Übereinstimmungen usw., S. 7^4-
«) Vgl. Juel 1900; Strasburges Chamberlain, Lotsy 1905 u.a.
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Befruchtung bei Thallophyten.
91
pflanze. Ob es angängig ist, die
Metazoen zu übertragen, ob man
zwei oder drei Richtungskörpern
mit den Gametophyten der Pflanze
homologisieren darf, mag dahinge-
stellt sein 1 ); jedenfalls sind in den
erstgenannten Fällen die Reifungs-
teilungen durch die Geschlechts-
generation von dem Befruchtungs-
akt getrennt und haben also offen-
bar direkt mit dem letzteren
nichts zu tun.
Unter den Thallophyten sind
entsprechende Vorgänge namentlich
von den Algenpilzen (Entomo-
phthoraceen) 2 ) und Braunalgen
(Fucaceen) bekannt. Bei einem der
ersteren (Basidiobolus ranarum) ent-
steht in zwei benachbarten Mycel-
zellen, die als Gameten bezeichnet
werden dürfen, in der Nähe der sie
trennenden Scheidewand je eine
schnabelförmige Ausstülpung , in
welche die Kerne der beiden Zellen
treten. Sie teilen sich hier unter
Bildung breiter , garbenförmiger
Spindelfiguren (Fig. 54), wie sie einer-
seits bei der Richtungskörperbil-
dung mancher tierischer Eier, an-
dererseits bei den Teilungsvorgän-
gen mancher Einzelligen auftreten:
die beiden äußeren Tochterkerne
werden durch Scheidewände von
den Gameten abgetrennt und ge
inneren Tochterkerne innerhalb des
„Prothalliumlehre" auch auf die
also speziell das Ei mit seinen
Fig. 53-
Garbenförmige erste TeUungsfigur bei
Equisetum. Nach Osterhout.
Fig. 54-
Richtungskörperbildung bei Basidiobolus.
Nach Fairchild.
hen zugrunde, während die
einen Gameten kopulieren.
') Vgl. Chamberlain 1905.
B ) Vgl. D. G. Fairchild, Jahrb. wiss. Bot., 30. Bd., 1897; W. Löwenthal,
Arch. Prot., 2. Bd., 1903.
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92
Vorreife bei Protozoen.
Bei den Fucaceen 1 ) liefert die ursprüngliche Ovogoniumzelle auf
Grund von drei hintereinanderfolgenden Teilungsschritten acht Zellen,
von denen sich nur eine bestimmte, je nach den Spezies verschiedene
Anzahl zu befruchtungsfähigen Eiern entwickelt, während der Rest
aus rudimentären, mit den Richtungskörpern vergleich-
baren Zellen besteht.
Auch die Protozoenforschung namentlich der letzten Jahre hat uns
mit zahlreichen Vorkommnissen ähnlicher Art bekannt gemacht, und
auf diesem Gebiete ist wohl auch in erster Linie der Schlüssel für
die biologische Deutung der Reifungserscheinungen zu suchen 2 ).
Man wird am besten eine Übersicht über alle diese Erscheinungen
gewinnen, indem man verschiedene Gruppen von Beobachtungen
Fig. 55. unterscheidet, je nachdem die Über-
einstimmung der betreffenden Tei-
lungsvorgänge mit den Reifungs-
teilungen der höheren Organismen
eine vollkommene und ohne weiteres
in die Augen springende oder eine
weniger naheliegende ist.
Eine erste Gruppe bilden solche
Formen, bei denen wirkliche Tei-
lungsakte vorliegen, welche hinsicht-
lich ihrer Zahl (1 — 2) und ihres Auf-
tretens unmittelbar vor der Be-
fruchtung, sowie nach dem Verhalten
der färbbaren und achromatischen
Kernsubstanzen eine unverkennbare Ähnlichkeit mit der typisch ver-
laufenden Ei- und Samenreife der Metazoen aufweisen (typische Vor-
reife mit Richtungskörperbildung).
Richtungskörperbildung bei Actiuo-
phrys. Nach Schaudinn.
l ) Vgl. Oltmanns, Bibl. Bot. 1889; Strasburger, Jahrb. wiss. Hot. 18Q".
S. 107; Farmer u. Williams. Phil. Trans. R. Soc. London 1898.
*) Schon Blütschli (1885) hatte die Protozoen herangezogen, um seine Deutung
der Kichtungskörper als abortiver Eier zu stützen (vgl. auch R. Hartwig, S. 89,
1898). Als ich dann in den Jahren 1NQK und 1H99 den Versuch machte, die feineren
kernteilungsgeschichtlichen Verhältnisse bei den Protozoen bei einer vergleichenden
morpbobiologischen Betrachtung der Reifungsteilungen zu verwerten, lageu außer
den bekannten Vorgängen bei den Infusorien nur Angaben über Hcliozoen (Schau-
dinn, R. Hertwig), Sporozoen (Wolters, Siedlecki), Diatomeen (Klebahn.
Karsten) und Desm idiacecn (Klebahn) vor. Inzwischen hat sich aber die Zahl
der Beobachtungen ganz erheblich vergrößert, so daß der Versuch einer natürlichen
Gruppierung der Tatsachen nicht mehr aussichtslos erscheint.
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Vorreifc bei Protozoen.
93
mi
Hierher gehört vor allem die „Richtungskörperbildung" bei den
Heliozoen 1 ). Sowohl bei Actinophrys sol (Fig. 55) als bei Actino-
sphaerium Eichhorni tritt in jedem der beiden Gameten, welche bei
beiden Formen wahrscheinlich Geschwisterzellen sind (Autogamie),
der Kern an die Peripherie und teilt sich hier zweimal unter Bildung
je eines stark färbbaren „Reduktionskerns", wobei die Teilungsspindeln
ebenfalls wieder, wie bei Basidiobolus , eine große Ähnlichkeit mit
den breiten Richtungsspindeln mancher tierischer Eier aufweisen.
Die inneren Teilkerne wandern dann ins Zentrum der Zellen zurück
und verschmelzen miteinander nach Auflösung der Zellscheidewand.
Während wir hier ein genaues Gegen-
stück zur Richtungskörperbildung desMeta-
zoeneies vor uns haben, sind bei einem im
Darm eines Tausendfüßlers (Lithobius) vor-
kommenden Coccidium (Adelea ovata) Vor-
gänge zu beobachten, welche in mancher
Hinsicht an die Samenreife der Metazoen
erinnern 8 ). Hier erfolgt in der männlichen
Keimmutterzelle (dem Mikrogametocyt,
Fig. 56, rot), nachdem sie sich an die weib-
liche Zelle (den Makrogametocyten, ma) an-
gelegt hat, ein Vierteilungsprozeß des Ker-
nes. Entsprechend den vier Kernen zer-
fällt die männliche Keimmutterzelle in vier
Mikrogameten, von welchen einer in den
Makrogameten eindringt, während die drei
anderen degenerieren. — Alles in allem
zeigen die Heliozoen und Adelea eine weit-
gehende Übereinstimmung mit der Ei- und Samenreife der Metazoen. In
zeitlicher Hinsicht kommt dies auch darin zum Ausdruck, daß die
Reifungsprozesse erst durchgeführt werden, nachdem sich die Gameten
nebeneinandergelegt haben, in ähnlicher Weise, wie bei sehr vielen
Metazoen die Abschnürung der Richtungskörper erst nach dem Ein-
dringen des Spermatozoons in das Ei erfolgt 8 ).
um
Reifungsteilungen im Mikro-
gametocyten (mi) bei Adelea.
Nach Siedlecki.
') Scbaudinn, Sitzungsber. Akad. Wiss. Berlin 18Q6, R. Hertwig 1898.
Keysselitz, Arcb. Prot., 11. Bd., lqoH, Distaso, ebenda, 12. Bd.. 1008. Vgl. auch
mein Referat: D. Reifungserschein., S. 863 (1899).
■) Vgl. Siedlecki, Ann. Inst. Pasteur 189Q.
a ) Vgl. oben S. 68. 79-
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94
Atypische Vor- und Nachreife.
Fig. 57.
Bei einer zweiten Gruppe von Formen werden ebenfalls abortive
Teilungsprodukte gebildet, aber die Zahl der Teilungen und ihre
zeitlichen Beziehungen zum Konjugationsprozeß stimmen nicht ganz
mit den Verhältnissen bei den Metazoen überein (atypische Vor-
und Nachreife mit Bildung von „Richtungs-" oder „Reduktions-
kernen").
Hierher gehören, außer den Befunden bei Desmidiaceen , bei
einigen Hämosporidien (Haemoproteus noctuae), bei Amoeba diploi-
dea 1 ) und manchen anderen Vorkommnissen, vor allem die Beob-
achtungen bei den Infusorien und Myxosporidien.
Bei ersteren 2 ), speziell bei Paramaecium
caudatum (Fig. 57), spielt sich bekanntlich
der Reifungsprozeß in der Weise ab, daß
sich der Mikronucleus jedes Paarlings zwei-
mal unter Bildung lang ausgezogener, spin-
delförmiger Figuren teilt. Drei der Ab-
kömmlinge gehen als Richtungskörper zu-
grunde, während der vierte sich abermals
teilt und die beiden Geschlechtskerne, den
stationären und den Wanderkern, liefert,
welche mit dem Geschlechtskerne des an-
deren Paarlings wechselseitig kopulieren.
Aber nicht bloß vor, sondern auch
nach der Konjugation werden bei
manchen Infusorien rudimentär wer-
dende Kerne gebildet. Nach erfolgter
Trennung der beiden Paarlinge läßt bei Para-
maecium caudatum der Kopulationskern auf Grund eines dreimaligen
Teilungsprozesses acht Kerne entstehen, von denen vier in die vor-
dere, vier in die hintere Hälfte des Exkonjuganten zu liegen kommen.
Die vier vorderen wachsen zu Makronuclei aus, von den vier hinteren
wird einer zum ständigen Mikronucleus, während die drei an-
deren zugrunde gehen (Nachreife, Fig. 58A, B). Bei den beiden
Vorbereitende Teilungen des
Gcschlechtskerns in den Ga-
meten von Paramaecium. Nach
R. Hertwig und Maupas.
') Vgl. Klebahn (Clostcrium und Cosmarium), Jahrb. wiss. Bot. 1890; Scbau-
dinn (Haemoproteus [Trypanosoraa] noctuae). Arb. Kaiserl. Gesundheitsamt 1905;
Prowazek (Trypanosoraa Lewisi u. Brucci), ebenda 1905; Hartmann u. Nägler
(Amoeba diploidea), vgl. Literaturverzeichnis.
*) Vgl. Maupas 1889; R. Hertwig 1889; Clara Hamburger. Arch. Prot.
1904; Prandtl, Arch. Prot. 1906; Calkins u. Cull. Arch. Prot. 1907 u. a.
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Nachreife der Infusorien.
95
folgenden Zellteilungsakten werden die Makronuclei auf die vier
Enkelzellen verteilt, während der ständige Mikronucleus durch zwei-
malige Teilung ihre Mikronuclei bildet (Fig. 58 C).
Etwas andere Verhältnisse liegen bei den Myxosporidien vor 1 ). Speziell bei
Myxobolus grenzen sich in dem während der Fortpflanzung weitervegetierenden
und weiterwachsenden vielkernigen Plasmodium zweikernige Plasmaportionen (Pan-
sporoblasten) ab, aus denen, ebenfalls wieder unter Bildung abortiver Kerne
oder .Restkerne-, die eigentlichen Sporoblasten hervorgehen. Für eine im See-
pferdeben vorkommende Form (Sphaeromyxa) konnte neuerdings wahrscheinlich ge-
macht werden, daß die beiden Kerne jedes der zweikernigen Pansporoblasten aus
verschiedenen Teilen des Plasmodiums stammen*), woraus sich deutliche Beziehungen
zu den Verhältnissen bei den Metazoen ergeben würden.
Fig. 58.
Nachreife von Paramaecium. Nach Doflein.
ma vegetative Kerne (Makronuclei). mi Geachlecbtokerne (Mikronuclei). r zugrunde gehende Kerne.
In einer dritten Gruppe würden solche Fälle zu vereinigen sein,
in welchen bei der asexuellen Vermehrung (auf dem Wege der homo-
chronen Teilung vielkerniger Formen, Sporenbildung oder multiplen
Knospenbildung) ein Teilungsschritt sich durch besondere Charaktere
hervorhebt, ohne daß es allerdings zur Bildung von Richtungskernen
kommt (accentuierte Teilungsschritte ohne Richtungskörperbildung).
Hierher ist z. B. die letzte homochrone Teilung zu rechnen,
welche die\ Sekundärkerne " eines monothalamen Wurzel füßers, Allo-
') Thelohan, Bull. Scicntif. France et Belg. 1895 (vgl. auch Lang, S.239, 1901);
Keysselitz, Arch. Prot., 11. Bd., l'K)8 u.a.
*) O. Schröder. Arch. Prot. 1907.
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96
Accentuierte Teilungsschritte.
gromia, vor dem Zerfall der Amöbe in die einkernigen Gameten aus-
führen (Fig. 59), und die auch von dein ersten Beobachter mit einer
„Reifungsteilung" verglichen worden ist »). Etwas andere Verhältnisse
zeigen die Telosporidien unter den Sporozoen, z. B. die vorhin er-
wähnte Adelea a ). Nachdem der Kopulationskern durch Teilung eine
größere Anzahl von Kernen ausgebildet hat, grenzt sich um jeden
derselben eine kugelige Partie von Protoplasma ab. In den so ent-
standenen Sporocysten findet nun abermals eine Art von karyo-
kinetischer Teilung statt (Fig.oO), und so entstehen schließlich
die in jeder Sporocyste paarweise gelegenen Sporozoiten, welche
durch Aufklappen der Sporocystenmembran frei werden 8 ).
Fig. 59- Fig. 6o.
Synchrone Teilung der
Sekundärkerne von Spotozoitenbildung bei Adelea.
Allogromia. Nach Prandtl. Nach Siedlecki.
An solche Vorkommnisse schließen sich dann, durch Übergänge
vermittelt, die Fälle der vierten Gruppe an, in welchen, sowohl
bei der geschlechtlichen als bei der ungeschlechtlichen Fortpflanzung,
eine Bildung sehr zahlreicher Sporen auf Grund von successiven, viel-
fach synchronen Kernteilungsvorgängen erfolgt, ohne daß sich einer
der Teilungsvorgänge besonders hervorhebt (sexuelle und asexuelle
Sporenbildung, Sporogonie und Schizogonie). Hierher gehören
') Prandtl, Arch. Prot. 1907.
*) Siedlecki, Ann. Inst. Pasteur 1899.
■) Auch bei der Sporenbildung von Radiolarien (Oroscena) scheinen sich nach
den mir vorliegenden Bildern die späteren Teilungsprozesse dadurch gegenüber den
früheren zu accentuieren, daß von einem gewissen Teilungsschritt an die Kerne
in abgegliederten Plasmaportionen, den Sporennestern, miteinander vereinigt bleiben.
Vgl. Tiefsee-Radiolarien, Literaturverzeichnis.
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Rudimentäre Sporenbildung.
97
z. B. die Vermehrungsvorgänge von Trichosphacrium ») und diejenigen
der Foraminiferen 2 ).
Aus dieser Zusammenstellung läßt sich, wie ich glaube, ohne
weiteres das Resultat entnehmen, daß auch diejenigen Reifungspro-
zesse der Protozoen, welche in ausgesprochener Weise mit den Ei-
und Samenreifungserscheinungen der Metazoen übereinstimmen (erste
und zweite Gruppe), als rudimentäre Sporenbildungsprozesse
zu betrachten sind, in ähnlicher Weise, wie die Ei- und Samenreife
der Metazoen mit den Sporenbildungsprozessen der Farne und Leber-
moose verglichen werden kann.
Indem also die Reifungsteilungen der Protozoen und Metazoen
in ihrer Gesamtheit als phylogenetische Reminiszenzen betrachtet
werden dürfen 3 ), wird ihre nahezu universelle Verbreitung wenigstens
zum Teil verständlich gemacht. Das zähe Festhalten an diesen Vor-
gängen würde aber kaum erklärbar sein, wenn ihnen nicht auch
heute noch eine wichtige biologische Bedeutung zukommen würde,
und namentlich seit Weismann den von ihm postulierten Vorgang
der Reduktion der Keimplasmaeinheiten in die Reifungsperiode ver-
legt hat, ist immer wieder der eigentliche Grund für die allgemeine
Verbreitung der Reifungsprozesse in einer fundamentalen vererbungs-
geschichtlichen Funktion gesucht worden. In späteren Kapiteln (19,
30. 31. 33) wird hierauf zurückzukommen sein.
Literaturverzeichnis zu Kapitel 9.
Bütschli, O.. Gedanken über die morpholog. Bedeutung der sogenannten Richtungs-
körperchen. Hiol. Centralbl., 4. Bd., 1885.
Chamberlain, Ch. J.. Altcrnation of generations in animals from a botanical
Standpoint. Bot. Gaz., Vol. .19. 1905-
') Schaudinn, Abh. Prcuß. Akad. Wiss. Berlin, Anhang, 1899.
*) Lister, Phil. Trans. R. Soc. London 1895; Schaudinn, Sitzungsber. Ges.
Naturf. Freunde, Berlin 1895; Winter, Aich. Prot. 1907.
*) Für eine Reihe von Protozoen werden andere Reduktionsmodi beschrieben,
sei es ein Zerfall des nucleolusartigcn „Karyosoras", sei es ein Austritt von Chromatin-
kürnchen aus dem Kern. Vgl. Schaudinn*(Coccidiura Schubergi), Zool. Jahrb. 190O;
Derselbe (Malariaparasit der Vögel), Sitz.-Ber. Ges. Naturf. Fr. 1899; Siedlecki
(Makrogamet von Adelea), 1. c, u. a. Diese Beobachtungen, die bei der minutiösen
Beschaffenheit des Untersuchungsgegenstandes natürlich mit gewissen Unsicherheiten
verknüpft sind, stehen mit der noch schwebenden Frage der Chromidien- und Mito-
chondrienbildung im Zusammenhange.
Haecker, Vererbungslehre. 7
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98
Literaturverzeichnis 9-
Iiaecker, V., Über weitere Übereinstimmungen zwischen den Fortpflanzungszellen
der Tiere und Pflanzen. Biol. Centralbl., 17. Bd., 1897.
— , Über vorbereitende Teilungsvorgänge bei Tieren und Pflanzen. Verb. D. Zool.
Ges. 1898.
— , Die Reifungserscheinungen. Erg. An. u. Entw., 8. Bd. (1898), 1899.
— , Die Chromosomen als angenommene Vererbungsträger. Erg. u. Fortschr. d.
Zool., l.Bd., 1907.
Hertwig, R., Über Kernteilung, Richtungskörperbildung und Befruchtung von
Actinosphaerium Eichhorni. Abhandl. Kgl. Bayer. Akad.Wiss., 2. Cl., 19-Bd., 1898.
Juel, H. O. , Vergleichende Untersuchungen über typische und parthenogenelische
Fortpflanzung bei der Gattung Anten naria. Sv. Vet. Ak. Handl., 33. Bd., 1900.
Lotsy, J. P., Die X-Generation und die 2 X- Generation. Eine Arbeitshypothese.
Biol. Centralbl.. 25. Bd., 1905.
Strasburger, E., Neue Untersuchungen über den Befruchtungsvorgang bei den
Phanerogamen usw. Jena 1884.
— , Über periodische Reduktion der Chromosomenzahl im Entwickelungsgang der
Organismen. Biol. Centralbl., 14. Bd., 1894; ebenso Ann. Bot., Vol. 8, 1894-
— , Die stofflichen Grundlagen der Vererbung im organischen Reiche. Jena 1905.
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Zehntes Kapitel.
Fig. 61.
Die Chromosomen in den generativen Zellen. Hetero-
typische Teilung und Heterochromosomen.
In den Kernteilungen, welche sich innerhalb des Zyklus der
generativen Zellen abspielen, zeigen die Chromosomen vielfach ein
anderes Aussehen und Verhalten als in den Mitosen somatischer
Gewebe, z. JB. der Epidermis des Feuersalamanders. Es ist nun
möglich, alle diese Varianten,
von denen einige auch in der
Vererbungstheorie eine Rolle
spielen, unter einem einheit-
lichen Gesichtspunkte zusam-
menzufassen.
Ebenso wie Flemming
zum erstenmal (1879) den Ver-
lauf einer typischen somati-
schen Kernteilung in nahezu
lückenloser Weise dargestellt
hat, so rühren von ihm auch
die ersten eingehenden Beob-
achtungen über eine beson-
dere, in generativen Zellen vorkommende Modifikation her (1887).
Es handelt sich um die heterotypische Kernteilung im Sala-
manderhoden, einen Modus, der von den Kernteilungen der Sala-
manderepidermis durch eine ganze Reihe von Eigentümlichkeiten
unterschieden ist. Hier sei nur erwähnt, daß in den Prophasen die
Chromosomen nicht in der „normalen", für die somatischen Mitosen
des Salamanders charakteristischen Zahl (24), sondern nur in der
halben Zahl (12) zur Ausbildung gelangen, ferner, daß ihre Spalt-
hälften an den Enden miteinander verklebt sind und auf diese Weise
r
A B
Helerotypische Teilung im Salamanderhoden.
Nach Flemming.
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1 (X)
Diakinese.
Ringe bilden, und daß sie außerdem vielfache Verschlingungen,
Überkreuzungen und sonstige Abweichungen vom Parallelismus
zeigen (Fig. 6l A). Sehr charakteristisch ist sodann das Fehlen
eines regelmäßigen Aster- oder Äquatorialplattenstadiums und die
lange Dauer des „metakinetischen Tonnenstadiums", in welchem
die Ringe an der Außenfläche der achromatischen Spindel parallel
zu deren Längsachse gespannt und gestreckt
erscheinen, so daß sie zusammen eine korb-
oder tonnenförmige Figur bilden (Fig. 6l B).
Endlich zeigen die Tochterchromosomen wäh-
rend der dizentrischen Wanderung eine deut-
liche sekundäre Längsspaltung.
Noch ehe man sich über die Homologie
der von Flemming im Salamanderhoden be-
obachteten Teilungsvorgänge ') mit den bei-
den Reifungsteilungen der tierischen
Eier klar geworden war, wurden auch bei letz-
teren sehr merkwürdige Chromosomenformen
beobachtet, und zwar hauptsächlich in dem-
jenigen gewöhnlich sehr lange dauernden pro-
phasischen Stadium, welches durch die lose,
vielfach wandständige Verteilung
der bereits vollständig individualisierten Chro-
mosomen innerhalb des Kernraumes ausge-
zeichnet ist und jetzt allgemein die Bezeich-
nung Diakinese 2 ) führt. So wurden für die
Eireife verschiedener Arthropoden, Nematoden
und Mollusken schon durch Carnoy und Bo-
veri 8 ) sehr mannigfaltige Chromosomentypen
festgestellt, und bald darauf wurden die quer-
gekerbten Doppelstäbchen der Kopepoden
(Fig. 14B, 52 A), die Vierergruppen (Viererkugeln) in den Sperma-
tocyten der Maulwurfsgrille (Gryllotalpa) und in den Ovocy ten mancher
Erste Reifungsteilung von
Heterocope Weismanni.
Nach Matscheck.
Fig. 63.
Kreuzfiguren in den Sper-
ruatocyten von Syromastes.
Nach Groß.
') Der im Salamanderboden auf die helerotypische Teilung folgende, ebenfalls
durch bestimmte Merkmale gekennzeichnete Teilungsschritt ist von Flemming als
homöotypische Mitose beschrieben worden.
*) «tut auseinander, x/V/ja»? Bewegung.
•) Vgl. Carnoys Arbeiten in der Zeitschrift Cellule (1885— 1886) und Bovei is
Zellenstudien III (1890).
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Fig. 64.
Verbreitung des heterotypischen VocluV- ] • : : > A*^'
►
Kopepoden (Fig. 62), die Überkreuzungsfiguren im Keimbläschen
der Haie und die Kreuze in den Spermatocyten der Hemipteren
(Fig. 63) entdeckt, lauter Chromosomen typen, welche in der späteren,
ins Ungeheure anschwellenden Reifungsliteratur immer wieder be-
schrieben worden sind. Bald konnte auch in überzeugender und end-
gültiger Weise, speziell bei den Kopepoden, die Homologie der
diakinetischen Überkreuzungfiguren, Doppelstäbchen, Viererkugeln
und Ringe festgestellt werden»), nachdem sich schon vorher nahe
Beziehungen zwischen den in der Ei- und Samenreife beobachteten
Vierergruppen zu den prophasischen
Chromosomen des Salamanderhodens
ergeben hatten 2 ).
Während so für das gesamte Tier-
und Pflanzenreich die Homologie der
Reifungsteilungen und der dabei auf-
tretenden Chromosomentypen mit im-
mer größerer Deutlichkeit hervortrat
(vgl. auch Kap. 9, S. 89), mehrten sich
gleichzeitig die Beobachtungen, wo-
nach auch an anderen Stellen des
generativen Zellenzyklus Mitosen
mit heterotypischem Charakter auf-
treten. Die ersten Befunde betrafen
die Kernteilungen der Keimbahnzellen
von Ascaris (Fig. 64, sowie S. 62, Heterotypische Teilung im
Fig. 28), auf deren Übereinstimmung Nach E * van Bene£,en -
mit der heterotypischen Teilung des Salamanderhodens schon E. van
Beneden aufmerksam gemacht hatte, sowie die frühen Furchungs-
teilungen und die Bildung der Urgeschlechtszellen bei Cyclops
(Fig. 65) 8 j. Aber auch bei ganz anderen Teilungsvorgängen wurden
Bilder gefunden, welche starke Anklänge an die hetero typische Tei-
lung des Salamanderhodens und an die diakinetischen Phasen der
1.
') Rücken 1804.
*) Haccker 1«9-; vgl. auch Kap. <).
a ) In meiner ersten Mitteilung (189.') hatte ich noch die „halbe" Chromosomen-
zahl als einen besonders wichtigen Charakter des heterotypischen Modus betrachtet,
daneben aber auch die Beschaffenheit des längsgespaltenen Spireras, die Tendenz der
Schwesterfäden, mit den Enden zu verkleben und gleichzeitig den Parallelismus auf-
zugeben, sowie die Ring- und Tonnenfiguren als solche heterotypischc Charaktere be-
zeichnet, die auch bei der Bildung der l'rgeschlechtszellen von Cyclops hervortreten.
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1Ö2- . : \ ; ' ' ' V.ftrbreitung des heterotypischen Modus.
4
Ei- und Samenreife zeigen: so wurden bei verschiedenen Säugern in
bösartigen Geschwülsten ringförmige Chromosomen und tonnen-
förmige Kernteilungsbilder gefunden 1 ) (Fig. 66), und ebenso konnte
gezeigt werden, daß bei künstlicher Reizung von embryonalen und
fertigen Gewebszellen (z. B. durch Ätherisierung) 1 ) oder auch bei
infektiöser Erkrankung der Gewebe die Chromosomen die Form von
Fig. 65. Fig. 66.
Vierergruppen im ätherisierten Epitheliom der Maus (B).
Cyclopsei. Nach Schiller. Nach Farmer, Moore und Walker.
typischen Vierergruppen annehmen (Fig. 67) 8 ). Endlich kommen auch
bei den Teilungen der Radiolarien (Fig. 68) ausgesprochene Über-
kreuzungsfiguren, Ringe und Doppelstäbchen zur Beobachtung 4 ).
') Vgl. Farmer, Moore und Walker 1004; Scientific reports Cancer Res.
Fund Nr. l; Haecker 1904.
*) Vgl. Haecker 1907. Schiller 190Q.
') Nach neueren Beobachtungen von Frl. O. Krimmcl bei Cyclops.
*) Haecker. Verh. Zool. Ges. 1907; Zool. Anz.. 34- Bd., 1909.
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Bedeutung des heterotypischen Modus.
103
Im ganzen darf man heute sagen, daß in der heterotypischen
Teilung des Salamanderhodens eine Anzahl von Erscheinungen zu-
sammengehäuft ist, welche zum allergrößten Teil auch bei anderen
Teilungsschritten vorkommen, und daß die heterotypische Teilung
des Salamanderhodens einen Spezialfall, genau gesagt, einen
Grenzfall eines auch sonst weit verbreiteten, von den gewöhn-
lichen Mitosen durch eine Reihe von Merkmalen unter-
schiedenen Teilungsmodus darstellt 1 ). Man kann also von
heterotypischen Mitosen im weiteren Sinne des Wortes oder
mit Strasburger von allotypischen Mitosen sprechen und darunter
alle Teilungen mit einzelnen ausgesprochen heterotypischen Merk-
malen verstehen.
Wenn man sich den gemeinsamen Charakter aller derjenigen Zellen
zu vergegenwärtigen sucht, in welchen normalerweise derartige Tei-
Fig. 68.
a b c d e f
(c I c f t
Chromosomenbildung bei Aulacantha.
lungsprozesse vorkommen, so gelangt man schließlich zu der Auf-
fassung, daß das Auftreten des heterotypischen Teilungsmodus
im weiteren Sinne den Ausdruck eines nicht oder nur wenig
differenzierten (embryonalen) Zustandes der Zelle darstellt.
Im speziellen läßt sich diese Vorstellung sehr gut mit den von ver-
schiedenen Seiten geäußerten Anschauungen in Einklang bringen,
wonach die charakteristischen Eigentümlichkeiten der bösartigen Ge-
schwülste, deren Kernteilungen nach Obigem ebenfalls heterotypische
Charaktere aufweisen können, auf einer Entdifferenzierung oder
Zurückdifferenzierung der Zellen beruhen 3 ).
') Vgl. Ilaecker 1907, sowie Bonnevie 1908.
*) Vgl. v. Ilansemann 1903. R. Hertwig 1000. Ilaecker 1004.
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104
Heterochromosomvn.
In seinen reinsten Formen, als euh eteroty pe Mitose mit fädigen oder band-
förmigen Chromosomen und echten Tonnenfiguren (Fig. 61), oder als diakinetische
Mitose mit Doppelfäden und Überkreuzungsfigurcn in den früheren (Fig. 51) und
mit verkürzten und verdickten Chromosomen (Doppel Stäbchen, Ringen, Viererkugcln,
Kreuzen) in den späteren Phasen (Fig. 52), kommt der heterotypische Teilungsmodus
hauptsächlich bei den Reifuugsteilungcn vor, während die deuthcteroty pe Mitose,
welche nur mehr oder weniger starke Anklänge an die hetcrotypische Teilung des
Salamanderhodens zeigt, außerhalb der Reifungsperiode, in Furchungs-, Keimbahn-
und Urgeschlechtszellen, bei Protozoen, sowie in pathologischen Zuständen angetroffen
wird. Auch dieses Verhältnis scheint mir nicht ohne Bedeutung für die Auffassung
des heterotypischen Modus zu sein.
Bereits im vorigen Kapitel wurde ja der Nachweis zu führen versucht, daß sich
in der Vor- und Nachreife der Protozoen, in der Ei- und Samenreifc der höheren
Tiere und in der Embryosack-, Pollen- und Sporenreife der höheren Pflanzen die
letzten Anklänge an die multiplen Teilungs- oder Sporulationsprozesse
finden, die bei einer Reihe von einzelligen Formen (Sporozoen, Foraminiferen.
gewisse Radiolarien) sowohl in der geschlechtlichen, wie in der ungeschlechtlichen
Phase des Generationswechsels aufeinander folgen. Wenn nun die heterotypischen
Abweichungen vom gewöhnlichen Kernteilungstypus, wie sie in embryonalen, gene-
rativen oder durch Reizwirkungen gehemmten Zellen, also im ganzen in nicht oder
wenig differenzierten Zellen, mehr vereinzelt vorkommen, in der Reifungs-
periode gewissermaßen in konzentrierter Form vereinigt sind, so dürfte dies
eben damit zusammenhängen, daß gerade hier ein teilweises Zurückfallen einzelner
Keimzellengenerationen auf einen ausgesprochen indifferenzierten physiologischen
Zustand, nämlich auf den der Sporenmutterzellen (Sporocyten) und Sporen der Ein-
zelligen und niederen Pflanzen, stattfindet.
Andere Chromosomentypen, welche nicht speziell dem Kreise der
heterotypischen Erscheinungen angehören dürften, wohl aber auch
bei den Teilungen der Keimzellen und besonders in der Reifungs-
periode zutage treten, sind die Heterochromosomen. Von Henking
(1891) zuerst bei der Samenbildung der Feuerwanze (Pyrrhocoris)
festgestellt, sind diese Gebilde namentlich durch die amerikanischen
Zellforscher bei den Hemipteren und Orthopteren genauer untersucht
und weiterhin von verschiedenen Autoren bei mehreren anderen
Arthropodengruppen (Archipteren , Käfern, Myriapoden, Spinnen,
Kopepoden) nachgewiesen worden 1 ). Es handelt sich um Chromo-
somen, die durch ihre Größen- und Form Verhältnisse, durch ihre ab-
weichende Färbbarkeit und durch ihr Verhalten während der Teilung
gegenüber den anderen Chromosomen gekennzeichnet sind. Sic haben
entweder den Charakter von Monosomen, d. h. von besonders langen,
wurmiörmigen Chromosomen, welche in den spermatogonialen Teilungen
') Vgl. die Schriften von Montgomery, Wilson, McCIung, ferner unter
anderen die früher (Kap. 7. S. 71) zitierten Arbeiten von Otte und Davies und die
Kopepoden- Arbeiten von Braun und Matscheck (Kap. 11).
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Heterochromosomen.
105
der Hemipteren in der Einzahl (Fig. 69 a, b, 1), in den ovogonialen
Teilungen zu zweien (c, 1,1) auftreten, und welche im männlichen
Geschlecht bei der zweiten Reifungsteilung (d, h) ungeteilt der einen
Sperma tide zugewiesen werden, so daß die beiden aus der zweiten
Teilung resultierenden Spermatiden eine ungleiche Chromosomenzahl
erhalten (e, f). Oder man findet neben den gewöhnlichen Chromo-
somen zwei kleine, ungleich große Elemente, die sogenannten Idio-
chromosomen (Fig. 70a, b, c, «, t), die beim ersten Teilungsschritt
Fig. 69.
Doppelte Chromosomengarnttur bei Protenor belfragei. Nach Wilson.
a, b sperrnatogoniale ChromosomenKruppen mit einem Monosom. c ovoi*oniale Gruppe mit zwei
Mononomen. In allen drei Gruppen sind die paarweise zusammengehörigen Chromosomen dnreh
gleiche lluchstaben bezeichnet; da« lange Chromosom 1 bzw. h (beim in der Ein-, beim ? in der
Zweizahl) stellt das unpaare Heterochromosom (Monosem) dar. d spätere Phase der zweiten
Spcrmatocytenteilung. e, f Schwestergruppen in Polansicht (derselben Spindel entstammend).
der Reifungsperiode genau wie die übrigen Chromosomen gespalten
werden (d, e), im zweiten dagegen nach vorübergehender Aneinander-
legung (f, g) auf die beiden Spermatiden verteilt werden, so daß auch
in diesem Falle wieder Spermatiden mit ungleichem Chromosomen-
bestand gebildet werden. In einem dritten Falle endlich liegen zwei
kleine, aber gleich große Chromosomen, die Mikrochromosomen
vor (Fig. 71a — c, m), welche beim ersten Teilungsschritt (d, e) auf
die beiden Samentochterzellen (Spermatocyten zweiter Ordnung) verteilt
werden. Da sie sich vor der zweiten Teilung durch Spaltung ver-
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lOO Heterochromosomen.
doppeln (g) und ihre Tochterelemente in der gewöhnlichen Weise auf
die Schwesterzellen verteilt werden, so erhalten in diesem Falle sämt-
liche Spermatiden einen völlig gleichen Chromosomenbestand, wofern
nicht, wie z. B. im Falle von Alydus (Fig. 71), neben den Mikro-
chromosomen noch ein unpaares Monosom (h) auftritt (Fig. 71 h).
Fig. 70.
Spermatogenese von Lygaeus turcicus. Nach Wilson.
a spermatot:oniale Metaphase. b Spermatocytenkern an* der W'achstumsphasc. c aus der Diakiaete
d und e Mctaphase der ersten Teilung in Pol- und Seitenansicht, f und g Metaphase der »weiten
Teilung in Pol- und Seitenansicht, i, i Idiochrümosomen.
*
Die drei Fälle finden sich z. B. in der Spermatogenese von drei
Hemipteren, einer Protenor-, Lygaeus- und Alydusart (Fig. 69, 70, 71)
verwirklicht. Bei letzterer Form kommt, wie erwähnt, außer den
Mikrochromosomen noch ein Monosom vor.
Die" Geschichte der Heterochromosomen ist trotz vieler sehr
gründlicher Untersuchungen in mancher Hinsicht noch wenig auf-
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Heterochroraosomen. 107
geklärt, insbesondere besitzen wir nur sehr wenige Angaben über das
Auftreten und Verhalten dieser Gebilde außerhalb der Vermehrungs-
Fig.71.
4 ii*,
Spermatogenese von Al}*dus pilosulus. Nach Wilson.
a *p«*ruiatogoniale Mctaphase. b Spermatm ytenkern aus der Wachstumsphase: das Monotum h ist
dem Vi] leolus (Plasmosom) angelagert, c Spcnnatocytenkero in der Diakioese. d und f Metaphasc
«ier l, batw. 3. Teilung in I'olanskht. e und g Beginn der Anaphase der 1. bzw. j. Teilung, h Ana-
phase der j. Teilung, m, m die Mikrochromusnmen.
und Reifungsperiode, speziell auch in den früheren Etappen der Keim-
bahn und in den somatischen Zellen. Bemerkenswert dürfte in dieser
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in*
Heterochromosomen.
Hinsicht sein, daß bei einer vielleicht hybriden Kopepodenfonn»
( yclops distinctus, welche in den Vorstadien der Eireife fünf gewöhn-
liche, doppelwertige Chromosomen und ein' Heterochromosom aul-
weist, während der Furchungsteilungen elf gleich große und gleich-
gestaltete Elemente beobachtet werden 1 ).
Auf die mutmaßliche Bedeutung der Heterochromosomen, ins-
besondere auf die ihnen zugeschriebene Rolle bei der Geschlechts-
bestimmung wird später 2 ) zurückgekommen werden, hier sei nur
die Frage berührt, ob nicht für die Heterochromosomen dasselbe gilt
Fig. 12.
a
ff #••«••• t
(IIMIM t
J*A%% ff
Doppelte Chromosomengainitur von Anasa tristis. Nach Wilson.
a und c spermatogonialc nnd ovogonialc Gruppe, b und d die gleichen Chromosomen paarweise an-
geordnet (H das Monosotn, m die Mikrochromosomcn).
wie für den heterotypischen Teilungsmodus, nämlich daß sie als
Grenzfall einem weiteren Kreise von Erscheinungen einzureihen sind.
Es ist hier zu sagen, daß gerade bei einigen Hemipteren und
Orthopteren, also bei Vertretern derjenigen Tiergruppen, welche die
Heterochromosomen in besonders deutlicher Weise hervortreten lassen,
die Chromosomen der Ovogonien und Spermatogonien ihrer Größe
nach vielfach eine Reihe bilden, derart, daß immer zwei Chromo-
somen von der gleichen Größenabstufung vorhanden sind (Fig. 72) »).
') Nach Untersuchungen von K. Anima.
*) Vgl. Kap. 11 und 32.
3 ) Vgl. die Arbeiten von Montgomery, Sutton, Wilson. Mc Ölung.
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Doppelte Cbromosomengarnitur.
109
Derartige doppelte Chromosomengarnituren oder -Sortimente
«gradated series) sind inzwischen mit mehr oder weniger großer Be-
stimmtheit auch für eine lange Reihe von anderen Tierformen und
ebenso für einige Pflanzen beschrieben worden, und zwar hauptsächlich
für die Vermehrungsperiode der Keimzellen 1 ). Man wird bei einigen
Objekten mit wenigen schleifenförmigen Chromosomen, z. B. bei
Ascaris megalocephala 2 ), die Möglichkeit exakter Messungen zugeben
können, auch konnte gerade für dieses Objekt die Verschiedenheit
<Jer Chromosomen nicht bloß für die Vermehrungs- und Reifungs-
periode, sondern auch für die Eifurchung nachgewiesen werden. In
vielen anderen Fällen handelt es sich aber mehr um Abschätzungen,
als um wirkliche Messungen, und es fehlt außerdem der Nachweis,
daß die Größenunterschiede auch außerhalb der Vermehrungs- und
Reifungsperiode vorkommen. Damit sind natürlich viele Unsicher-
heiten bezüglich der Deutung der Erscheinung verbunden, und diese
Schwierigkeiten werden noch dadurch gesteigert, daß bei einer
ganzen Reihe von Objekten inkonstante Größenunterschiede nach-
gewiesen werden konnten 3 ).
Aber selbst wenn die Größenunterschiede bei allen fraglichen
Objekten als konstant nachzuweisen wären, so würde damit noch
nicht ohne weiteres gesagt sein, daß sie eine essentielle Ver-
schiedenheit der einzelnen Chromosomenindividuen bedeuten. Da
nämlich manche Beobachter angeben, daß derartige Größenunterschiede
sich im Verlaufe der Teilung ausgleichen 4 ), so bleibt für die Ver-
mutung der Raum offen, daß sowohl die konstanten wie die inkon-
stanten Größenunterschiede wenigstens bei einigen Objekten auf
ungleich rascher (heteroch roner) Entwickelung der einzelnen
Chromosomen beruhen, wie eine solche namentlich deutlich in den
polychromosomalen Kernen der Radiolarien zutage tritt 6 ).
') So für einen Seeigel, Strongylocentrotus (Boveri), für Ascaris (Mont-
goroery), Blattläuse (Hewitt), Haifisch (Schreiner), Amphibien (Montgomery,
Helen King), Katze (Winiwarter und Sainmont), Ratte und Mensch (Moore
und Arnold), sowie für mehrere Pflanzen, z. B. Galtonia. Funkia, Yucca, Hieracium
(Strasburger, Miyake, Rosenberg).
*) Vgl. die Arbeiten von Montgomery und Schaffer.
") Näheres findet sich in meinem Referat 1907, S. 40.
*) So Helen King (1905) für die erste Reifungsteilung des Kröteneies und
Vejdovski (1907) für diejenige des Rhynchelmiseies.
*) Haecker, Zool. Anz., 34. Bd., 1909; vgl- auch Tiefsee-Radiolarien, Literatur-
verzeichnis 5.
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HO Literaturverzeichnis 10.
Bei diesem Stande ist es auch noch nicht möglich, die Frage
endgültig zu beantworten, ob das Vorkommen von Heterochromosomen
nur einen extremen Fall der abgestuften Garnituren bedeutet, wenn
auch zugegeben werden muß, daß in einigen Fällen der Augenschein
unmittelbar für das Bestehen eines derartigen Zusammenhanges spricht.
Literaturverzeichnis zu Kapitel 10.
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Elftes Kapitel.
Chromos omenzahl.
Schon Flemming (1882) hatte es für die Epithel- und Binde-
gewebszellen des Feuersalamanders aufs höchste wahrscheinlich ge-
macht, daß bei jedem Kernteilungsakt in konstanter Weise 24 Chromo-
somen gebildet werden, und später konnte Boveri (1800) auf Grund
des damals vorliegenden, freilich noch sehr unzulänglichen Materials
das „Zahlengesetz der Chromosomen" in folgender Weise
formulieren: „Für jede Spezies ist die Zahl der Chromosomen kon-
stant, d. h. in den karyokinetischen Figuren homologer (denselben
Geweben und Entwickelungsstadien angehöriger) Zellen finden sich
stets die gleichen Zahlen."
Im ganzen ist dieser Satz im Laufe der Zeit bestätigt worden,
doch hat sich eine Reihe von Ausnahmen ergeben, so daß man auch
hier kaum mehr von einem Gesetz, sondern nur von einer Zahlenregcl
sprechen kann (s. S. 11). Zunächst sind mehrere Tierspezies bekannt
geworden, welche bezüglich der Chromosomenzahl zwei Rassen auf-
weisen, von denen die eine doppelt soviel Chromosomen als die
andere besitzt. So hat Boveri für den Pferdespulwurm und später
für einen Seeigel, Echinus microtuberculatus , das Vorkommen von
zwei Varianten festgestellt: beim Spulwurm beträgt die Zahl der
Chromosomen in den langschleifigen Kernteilungsfiguren der Keim-
zellen entweder vier (Ascaris megaloeephala bivalens) oder zwei
(Ascaris megaloeephala univalens), und bei Echinus kommt neben
der Zahl 36 die halbe Zahl 18 vor Im Hinblick auf das später zu
besprechende Vorkommen zweiwertiger oder bivalenter 8 ) Chromosomen
in der Reifungsperiode dürfte die Annahme nahe liegen, daß in diesen
') Bezüglich anderer Fälle vgl. mein Referat 1907, S. 38.
*) In diesem Zusammenbange ist das Wort .bivalent" in dem sprachlich
richtigen Sinne von „zweiwertig" angewandt, während es in der von O. Hertwig
eingeführten Kassenbezeichnung Ascaris megaloeephala bivalens etwa soviel wie
.doppelt so groß" (doppeltzähl ig) bedeutet.
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Ausnahmen vom Zahlengesetz.
113
und ähnlichen Fällen die höhere Zahl den Typus darstellt und die
Rasse mit der geringeren Chromosomenzahl infolge paarweiser Ver-
bindung der Chromosomen doppel wert ige, d. h. aus zwei Ein-
heiten zusammengesetzte Elemente besitzt. Es könnte aber auch die
niedrigere Zahl das ursprüngliche Verhältnis darstellen, während die
höhere Zahl gelegentlich dadurch zustande kommt, daß sich die
Chromosomen in einem Kern, beispielsweise in dem des befruchteten
Eies, längsspalten und infolge Ausbleibens der Kernteilung der doppelte
Chromosomenbestand erreicht wird J ).
Ausnahmefälle ähnlicher Art liegen vor, wenn in somatischen
Zellen die Chromosomenzahl zwischen zwei extremen Zahlen, von
denen die eine das Doppelte der anderen beträgt, schwankt, wenn z. B.
in der Darm wand eines Kopepoden (Diaptomus coeruleus) Zellen mit
28, mit 14 und mit einer dazwischenliegenden Zahl vorkommen 8 ).
Auch zur Erklärung dieser Erscheinung wird man die Bivalenzhypo-
these heranziehen und die intermediären Zahlen. auf einen unvoll-
ständigen Zerfall bivalenter Elemente, also auf eine Mischung bivalenter
und univalenter Elemente zurückführen dürfen. Vielleicht trifft Ähn-
liches für die von Strasburger und anderen Botanikern angeführten
Fälle mit schwankender Chromosomenzahl zu.
Schwieriger ist es zu erklären, wenn in den Zellen desselben
Individuums ein mehr oszillierendes Schwanken der Zahl um
die Normalzahl herum stattfindet. So werden z. B. in den Sperma-
tocyten des Ohrwurms (Forficula) in der Regel 13 Chromosomen ge-
funden. Es kommen aber Hoden vor, in welchen nebeneinander die
Zahlen 13 und 12, und solche, in denen die Zahlen 13 und 14 beob-
achtet werden 8 ). In ähnlicher Weise beträgt die Chromosomenzahl
bei der Pollenreife von Hieracium venosum 7, seltener 8 und 9, bei
Hieracium auricula 9, seltener 8 und 7 4 ).
Während, von diesen Ausnahmen abgesehen, für die einzelnen
Arten die Boverische Regel der Zahlenkonstanz Gültigkeit hat,
scheint auf den ersten Anblick eine vollkommene Regellosigkeit zu
bestehen, wenn man die Chromosomenzahlen verschiedener Arten
miteinander vergleicht. Zunächst fallen die ungeheuer weiten Grenzen
') Vgl. Strasburger 1910.
•) Vgl. O. Krimmel 1910.
*) Vgl. Zweiger, S. 157 (1906). Ähnliche Verschiedenheiten haben beim gleichen
Objekt Lavalette St. George, Carnoy und Sindty gefunden.
*) Rosenberg 1907.
Haecker, Vererbungtlchre. g
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114
Extreme Zahlen.
auf, innerhalb welcher die Chromosomenzahl überhaupt schwanken
kann. Das eine Extrem bildet nach dem jetzigen Stande unserer
Kenntnisse die Univalensrasse des Pferdespulwurms, welche in den
Keimbahnzellen nur zwei schleifentörmige Chromosomen aufweist.
I )abei ist allerdings zu beachten, daß letztere offenbar als mehrwertige,
aus 24 kleineren Einheiten zusammengesetzte „ Sammelchromosomen "
anzusehen sind, worauf die Kernteilungsbilder in den somatischen
Zellen hinweisen >). Auf der anderen Seite finden sich in den mito-
tischen Figuren der tripyleen Radiolarien mindestens 1200 bis 1600
Chromosomen, ein offenbar sekundäres Verhältnis, das mit der außer-
ordentlichen Größe des Kernes und Weichkörpers dieser hochspeziali-
sierten Protozoen zusammenhängt.
Innerhalb dieser Grenzen schwankt die Chromosomenzalil der
einzelnen Tier- und Pflanzenarten, so jedoch, daß im allgemeinen
die Zahlen der unteren Grenze beträchtlich näher liegen. Nur in
wenigen Fällen sind Zahlen festgestellt worden, welche über 100 liegen,
so für den Phyllopoden Artemia salina, welcher 84 oder 168 Chromo-
somen aufweist 8 ), und für einige Protozoen, nämlich für Actino-
sphaerium (etwa 100) und Pseudodifflugia (mindestens 200 Chromo-
somen) 8 ).
Verhältnismäßig sehr häufig kommt die Zahl 24 vor, so bei einigen
der klassischen Untersuchungsobjekte der Zoologen und Botaniker,
beim Feuersalamander und bei den Lilien. Auch beim Menschen,
bei welchem die Verhältnisse wegen der sehr geringen Größe der
Kerne für die Zählung ungünstig liegen, beträgt nach neueren Angaben
die spermatogoniale Chromosomenzahl ungefähr 24 (nach Guyer
sind es 20 typische und 2 accessorische Chromosomen), während nach
anderen Untersuchungen 32 als Normalzahl zu gelten hätte*).
Daß die Chromosomenzahlen der Tiere und Pflanzen überhaupt
verhältnismäßig häufig zwei einfachen Zahlenreihen, dem „Zweier-
system" (Boverische Reihe 2, 4, 8, 16, 32 ...) 6 ) und namentlich
dem „gemischten Zweier- und Dreiersystem" (6, 12, 18, 24...)
') Bei mehreren anderen Würmern kommt die Zahl 4 vor, so bei Echinorhynchus
(Kaiser, Biol. Zool. 1803) und Vortex viridis (Lepeschkin, Biol. Zeitschr. 1910).
*) Dies gilt speziell für die partbenogenetische Form von Capodistria und Odessa
(Brauer. Petrunke witsch) , während die sexuelle Art von Cagliari 42 Chromo-
somen besitzt. Vgl. Artom 1906.
a ) Nach Angaben von R. Hertwig bzw. Doflein.
*) Vgl. insbesondere Ducsberg 1906, Moore und Arnold 1906, Guyer 1910.
») Vgl. Boveri, Zcllenstudien III.
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Spezifische Zahlen.
115
angehören, ist wohl dahin zu deuten, „daß die Chromosomenzahl
auf irgend welcher Stufe der Phylogenese als das Produkt von
Vermehrungsvorgängen entstanden ist, wie denn auch bei nie-
deren Organismen, z. B. bei den Pandoraceen und Hämosporidien,
obige Zahlen vielfach als die Endzahlen der Vermehrungstätig-
keit auftreten". Tatsächlich kommen bei den Chromosomen analoge
Vermehrungsvorgänge vor: speziell bei den Radiolarien muß beim
Übergang von der Zygote zum vegetativen Stadium mit seinem
polychromosomalen Riesenkem eine Vermehrung dieser Art statt-
finden 1 ).
Wenn also schon die Betrachtung der Gesamtheit der Tiere und
Pflanzen gewisse Regelmäßigkeiten, insbesondere das häufige Auf-
treten der Glieder bestimmter arithmetischer Reihen (Regel der
arithmetischen Progression der Chromosomen zahlen) zum
Vorschein bringt, so lassen sich solche zuweilen auch innerhalb
einzelner kleinerer Gruppen nachweisen.
In mehreren Tiergruppen herrscht eine vollständige oder wenigstens
ziemlich weitgehende Gleichförmigkeit bezüglich der Chromo-
somenzahl. So führen z. B. die urodelen Amphibien in den Cyten I
(Spermatocyten und Ovocyten erster Ordnung) regelmäßig 24, die
opisthobranchiaten Mollusken 16. Unter den Hemipteren weisen die
Pentatomiden in den Gonicn (Spermatogonien und Ovogonien) größten-
teils 14, vereinzelt auch 16, die Coreiden in den Spermatogonien 13
oder 21, in den Ovogonien 14 oder 22 Chromosomen auf 8 ). Auch
bei den Feldheuschrecken (Acridiodea) herrscht eine gewisse Stabilität
vor, indem in den Spermatogonien in der Regel 23 Chromosomen
auftreten 8 ).
Verhältnismäßig große Schwankungen rinden sich bei den
Kopepoden, jedoch konnte gerade hier der Nachweis geführt werden,
daß innerhalb einzelner Gruppen Hand in Hand mit der zu*
nehmenden morphologischen Differenzierung (mit der Ent-
fernung von den primitiveren Typen) eine Verkleinerung der Chromo-
somenzahl geht, und zwar entweder sprungweise, indem beim
Übergang von einer Art zur anderen die Zahl um die Hälfte ver-
mindert wird, oder kontinuierlich, auf Grund eines von Art zu
Art erfolgenden allmählichen Abbaues.
') Vgl. Haecker, Chrom. Ver. P S. 66 (1907), sowie Rauber 1908.
*) Vgl. die Arbeiten von Montgomery, Wilson, Payne.
") Vgl. McClung.
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u6
Chromosomenzahl und Differenzierung.
Faßt man speziell die fortschreitende Zurückbildung des fünften
Thorakalfußpaares als Kriterium für die zunehmende Entfernung vom
Ausgangstypus ins Auge, so zeigt sich im großen ganzen, daß die
Formen mit noch vollständiger entwickelten Rudimentarfüßchen die
höhere, die mit stärker reduzierten Füßchen die geringere (normale
oder somatische) Chromosomenzahl aufweisen (Fig. 73) *)• So besitzen
/ Fig. 73. \
/ \
/ \
Verminderung der Chromosomenzahl der Cyclopsarten Hand in Hand mit der
Reduktion des fünften Fußpaares. Nach Braun.
in der Cyclops fuscus-albidus- Gruppe die beiden Arten mit noch
deutlich zweigliedrigem Rudimentarfüßchen (C. fuscus und albidus)
14 Chromosomen 8 ), dagegen die Arten mit stärker reduziertem, ein-
') Vgl. H. Braun, S. 472 ff. (1909). sowie Matscheck, S. 57 (1910). Von
letzterem wird die „pseudoreduzierte" Chromosomenzahl in den Vorstadien der ersten
Reifungsteilung angegeben.
*) Die vielleicht einen natürlichen Bastard darstellende Zwischenform C. distinr-
tus besitzt 10 Chromosomen und 1 Heterochromosom. Genauere Untersuchungen
über die Natur dieser Form sind im Gange.
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Cbromosomenzahl und Differenzierung.
117
gliedrigem Füßchen 12 -f- 2 h, d. h. 12 typische und 2 Heterochromo-
somen (C. serrulatus), 12 +- 1 h (C. phaleratus) und 10 -f- 1 h (C. pra-
sinus). In ähnlicher Weise bilden die Cyclops - Arten der zweiten
Hauptgruppe, wenn sie nach dem Grade der Rudimentation des fünften
Fußpaares zusammengestellt werden, eine Reihe, an deren Anfang
sich Formen mit 22 Chromosomen (C. strenuus und insignis) befinden
und deren Schlußglieder nur 12 (C. diaphanus) und 6 (C. gracilis)
Chromosomen besitzen 1 ).
Man wird sich dem Eindruck wohl kaum entziehen können, daß
tatsächlich innerhalb der Gattung Cyclops parallellaufend mit der
morphologischen Differenzierung, wie sie sich z. B. in der
zunehmenden Rudimentation des fünften Fußpaares äußert, auch eine
Abnahme der Chromosomenzahl stattfindet, und ferner, daß
wenigstens in der Gattung Cyclops die Heterochromosomen (A), in
diesem Falle doppelte oder einfache Zwergchromosomen, auf einen
im Laufe der Phylogenese stattfindenden allmählichen
Abbau und eine schließliche Elimination einzelner
Chromosomen hinweisen").
') Im ganzen kommen in der Gattung Cyclops folgende Chromosomenzahlen vor:
Zahl dt*r Chromosomen-
i komplexe (Dilctraden) in
den Prophasen der ersten
Keifungsteilung (S)
Normale
(somatische)
Zahl
11
22
-
11
22
bicuspidatus ....
9
18
bicusp. var. odessana
9
18
1
0
18
-
7
14
7
14
7
14
-
<> + 2 h
12 2 h
-
6 -f ih
12 + ih
••
6
12
-
diaphanus
6
12
■•
5 + l*
10 + 1 h
*•
5+lA
lO + 1 h
5
10
n
3
6
*) Vgl. Chr. als Ver. Tr., S. 52 (1907). Schon Paulmier (1904) hat unter Bezug-
nahme auf seine Beobachtungen bei Hemiptercn von „degenerating chromosomes"
gesprochen.
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118
Abbau der Chromosomen.
Was die übrigen Kopepoden anbelangt, so weisen die Süßwasser-Centro-
pagiden im ganzen eine höhere Chromosomenzahl auf als die Cyclopiden. Die
normale oder somatische Zahl schwankt zwischen 34 und 28, demnach die in den
Vorstadien der ersten Reifungsteilung auftretende halbe oder, wie auch gesagt wird,
„pseudoreduzierte" Zahl (vgl. Kap. 30) zwischen 17, 16 und 14. Bemerkenswert ist,
daß bei einer der Formen mit der pseudoreduzierten Zahl von 17 Chromosomen
(Diaptomus castor) 3 derselben zu einem dreigliedrigen Ring, also einer besonderen
Art von „Ileterochromosom", verbunden sind (Fig. 74) ')• Etwas niedrigere Zahlen
finden sich bei den Süßwasser-Harpacticiden*). Es ist zu hoffen, daß gerade bei
den Kopepoden mit ihrem großen Formenreichtum und ihren günstigen kemgeschicht-
lichen Verhältnissen die Ausdehnung der Untersuchung auf immer weitere Gruppen
schließlich dazu führen wird, daß etwas mehr Licht auf die Beziehungen zwischen
der Chromosomenzahl und den sonstigen morphologischen und physiologischen Ver-
hältnissen der einzelnen Spezies fallen wird.
Bezüglich der Beziehung der Chromosomenzahl zu allgemeinen Formverhält-
nissen vgl. auch die Angaben von Gates (Kap. 14).
Während hinsichtlich der spezifischen
Chromosomenzahlen nur die ersten Ansätze
zur Aufstellung allgemein gültiger Regeln
vorliegen, lassen sich in bezug auf die in
den Zellen des gleichen Organismus
hervortretenden Verschiedenheiten der Chro-
mosomenzahlen einige bestimmtere Aus-
sagen machen.
Eine fundamentale Regel — man kann
mit Rücksicht auf die Verhältnisse bei den
mit Heterochromosomen ausgestatteten For-
men auch hier nicht von einem Gesetz
sprechen — bildet die zuerst von Eduard
van Beneden beim Pferdespulwurm festgestellte Gleichheit der
Chromosomenzahl in den beiden kopulierenden Ge-
schlechtskernen, d. h. es steht für zahlreiche Formengruppen
fest, daß sich nach der Befruchtung aus dem ruhenden Eikern genau
ebenso viele Chromosomen herausarbeiten, wie aus dem Spermakern.
Bei der Bivalensrasse des Pferdespulwurms z. B. kommen in jedem
Geschlechtskern zwei (S. 81, Fig. 45), bei der Varietät uni Valens ein
einziges Chromosom zur Beobachtung.
Nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch wird die bei der Kopu-
lation der Geschlechtskerne zur Vereinigung gelangende Chromosomen-
') Vgl. H. Matscheck 1910.
*) Canthocamptus staphylinus besitzt die Normalzahl 24. Bei C. trispinosus und
Nitocra hibernica hat P. Kröger neuerdings die Normalzahlen 22 und 16 festgestellt.
Fig. 74-
^O.jcoO
Chromosomen der ersten Rei-
fungsteilung von Diaptomus
castor. Nach Matscheck.
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Normale Chromosomenzahl. Zahl der komplexen Gruppen. 119
zahl als die normale, typische oder nicht reduzierte be-
zeichnet. Diese Zahl erhält sich, soweit Untersuchungen vorliegen,
in der vom befruchteten Ei zu den Urgeschlechtszellen führenden
Zellenfolge, also in der ersten (differentiellen) Keimbahn-
st recke'), fort, so daß also bei der Bildung der Urgeschlechtszellen
die gleiche Chromosomenzahl auftritt, wie bei der ersten Furchungs-
teilung*). Auch in den übrigen Furchungszellen, sowie in den soma-
tischen Zellen des heranwachsenden und ausgewachsenen Organismus
kehrt in vielen Fällen die nämliche Zahl wieder und wird dann als
somatische bezeichnet. Doch sind in dieser Hinsicht mehrere Aus-
nahmen bekannt So führen z. B. bei Ascaris schon während der
Furchung die nicht zur Keimbahn gehörenden Zellen eine beträchtlich
größere Zahl, indem die langschleifigen „Sammelchromosomen " der
Keimbahnzellen in den somatischen Elementen in Einheiten niedriger
Ordnung zerfallen (S. 62, Fig. 28). Häufiger als solche „über-
zähligen" Mitosen kommen in den Furchungszellen und ebenso in
somatischen, insbesondere embryonalen und larvalen Geweben „unter-
zähl ige- Kernteilungen mit einer wechselnden, die Normalzahl nicht
erreichenden Chromosomenzahl vor: ganz sicher trifft dies für die
Kopepoden 8 ) zu, und ebenso wurden Beobachtungen dieser Art bei
Salamandra und bei einer Meduse gemacht«). Auch von botanischer
Seite liegen ähnliche Beobachtungen vor.
Sehr regelmäßig erscheint in den Sperma togonien und Ovo-
gonien die normale Zahl der Chromosomen. Ausnahmen haben
sich unter anderen bei den Kopepoden gefunden, indem hier zuweilen
die halbe Zahl auftritt 1 ). Bemerkenswert ist auch der sexuelle Di-
morphismus , der namentlich bei den Hemipteren in den spermato-
gonialen und ovogonialen Teilungen hinsichtlich der Chromosomen-
zahl hervortritt 6 ).
Als eine fundamentale Regel gilt endlich, daß in den Ovocyten
und Sperma tocyten erster Ordnung die Zahl der komplexen
Chromosomengruppen, die in den allerfrühsten Phasen der ersten
') Siehe oben S. 61.
*) So bei Cyclops. Meinen ersten Angaben (l8Qj), wonach in den Urgeschlcchts-
yellen von Cyclops viridis (= brevicornis) die reduzierte Zahl auftritt, liegt
möglicherweise eine Verwechselung mehrerer Arten zugrunde.
•) Vgl. O. Krimmel 1910.
«) Vgl. hierzu vom Rath 1893 und Bigelow 1907.
*) Vgl. Matscheck 1910.
•) Siehe oben S. 104. sowie Kap. 32.
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120
Literaturverzeichnis 1 1 .
Reifungsteilung zutage treten, der sogenannten Vierergruppen
oder Tetraden und ihrer Homologa (Viererkugeln, Vierer-
stäbchen, Doppelföden, Doppelstäbchen, Ringe, Kreuze), halb so
groß ist als die normale Zahl der Chromosomen. Auf
dieses wichtige Verhältnis wird später zurückgekommen werden 1 ).
Literaturverzeichnis zu Kapitel 11.
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Zweiger. H., Die Spermatogenese von Forficula auricularia. Jen. Zeitschr. Naturw.,
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') Siehe Kap. 30.
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III. Teil.
Weismanns Vererbungslehre.
■
Das Problem der Vererbung erworbener Eigenschaften.
Zwölftes K-apitel.
Frühere Versuche einer morphobiologischen Erklärung
der Vererbungserscheinungen.
In den vorhergehenden Kapiteln sind diejenigen Ergebnisse auf
dem Gebiete der Protoplasma- und Keimzellenforschung aufgezählt
worden, welche bei den Versuchen, die Vererbungserscheinungen von
einem einheitlichen morphobiologischen Gesichtspunkte aus verständ-
lich zu machen und insbesondere ihr eigentliches materielles Substrat
kennen zu lernen, von Bedeutung sind. Es wurden dabei in erster
Linie die tatsächlichen Ergebnisse, welche sich neuerdings dem ge-
sicherten Bestand unserer Kenntnisse angegliedert haben, hervor-
gehoben, dagegen ist auf das Hypothetische so wenig wie möglich
und auf die speziell vererbungstheoretischen Deutungen, welche man
den Befunden gegeben hat, überhaupt noch nicht eingegangen worden.
Es kann nun darüber von vornherein kein Zweifel bestehen, daß
bei den Vererbungserscheinungen der Vielzelligen den reifen Fort-
pflanzungszellen oder Gameten und ihrem Vereinigungsprodukte, dem
befruchteten Ei oder der Zygote, eine fundamentale Rolle zufällt.
Denn nur die reifen Samenzellen können es sein, denen der väter-
liche Organismus seine offenbare Fähigkeit, die Eigenschaften der
Nachkommen zu beeinflussen, verdankt, und nur durch den Be-
fruchtungsprozeß können alle diejenigen Merkmalskombinationen zu-
stande kommen, deren Regel- und Gesetzmäßigkeiten durch die neuere
Vererbungsforschung ermittelt worden sind. Aus diesem Sachverhalt
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122
Darwins Pangenesishypothese.
ergibt sich aber unmittelbar die morphobiologische (keimzellen-
physiologische) Fassung des Vererbungsproblems. Es handelt
sich, wie Weismann 1 ) betont hat, um ein Doppelproblem:
1. Wie kommen die Fortpflanzungszellen dazu, daß sie sämt-
liche Vererbungstendenzen oder Anlagen des gesamten Orga-
nismus in sich vereinigen?
2. Durch welche Kräfte, durch welchen Mechanismus werden
diese Tendenzen beim Aufbau des neuen Organismus zur
Entfaltung gebracht? Wie ist es insbesondere zu erklären, daß
beim Kinde die Anlagen in derselben Reihenfolge zur Ent-
faltung kommen wie bei den Eltern?
Auf diese Fragen, namentlich auf die erstere, eine Antwort zu
geben, ist schon in früheren Jahren wiederholt unternommen worden.
Als erster hat Darwin 1 ) in seiner «Provisorischen Hypothese
der Pangenesis" den Versuch gemacht, die hauptsächlichsten Tat-
sachen der Reproduktion und Vererbung „durch irgend ein verständ-
liches Bindemittel zu verknüpfen". Er nimmt an, daß die Zellen im
Körper der Tiere und Pflanzen kleine Körnchen oder Atome abstoßen,
daß diese Zellkeimchen oder Keimchen (gemmules) mit den
Körpersäften im ganzen Organismus zirkulieren, sich währenddem
vervielfältigen und an bestimmten Stellendes Körpers sich zu Knospen
oder Sexualelementcn aggregieren können. Auf diese Weise kommt
es, daß die reproduktiven Elemente Keimchen von allen Zellen des
Organismus in sich einschließen. Bei der Entwickelung der Knospe
oder des Eies zum jungen Organismus bringen dann die Keimchen
in bestimmter Reihenfolge wieder die nämlichen Zellenformen hervor,
von denen sie im elterlichen Organismus ihren Ursprung genommen
hatten. Der junge Organismus, der aus den Keimzellen hervorgeht, ist
also nicht das Produkt dieser allein, sondern sämtlicher Zellen des
elterlichen Organismus („Pangenesis"), und zwar in der Weise, daß
jede Zelle durch Vermittelung der Keimchen ihre eigene Art erzeugt.
Die Pangenesishypothese scheint auf den ersten Anblick eine
weitreichende Erklärungskraft zu besitzen. So würde z. B. eine Ver-
erbung erworbener Abänderungen, falls eine solche vorkommt, sehr
leicht auf die vermittelnde Rolle der Keimchen zurückgeführt werden
l ) Vgl. Weismann, Die Kontinuität des Keimplasnias (Aufsätze, S. 200).
*) Das Variieren usw., 2. fld., S. 491 — 529. Vgl. auch Weismann, Aufsätze,
S. 86; Keimplasma, S.4; O. Hertwig, Zelle und Gewebe. II. S. 291 ; Allgem.
Biologie, 2. Aufl.. S. 569.
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Anlagenträger.
123
können, und die Erscheinungen des Rückschlages wären in der Weise
zu erklären, daß die von den Zellen eines Individuums produzierten
Keimchen unter Umstanden mehrere Generationen hindurch latent
bleiben und erst bei späteren Nachkommen zur Entfaltung gelangen.
Indessen fehlt der Hypothese die tatsächliche Unterlage, indem,
wenigstens zu Darwins Zeit, die Annahme einer Abgabe der Keim-
chen in das Blut, einer Zirkulation und Zusammenscharung in den
Fortpflanzungselementen in keiner Weise durch Beobachtungen ge-
stützt werden konnte. Es handelt sich also nach Darwins eigenem
Urteil um eine durchaus provisorische Hypothese. Immerhin ist aber
durch diesen Erklärungsversuch „rein formaler Natur" (Weismann)
zum ersten Male gezeigt worden, welche Erscheinungen überhaupt
zu erklären sind, und eine der Grundvorstellungen Darwins kommt
auch in den späteren Theorien wieder zum Vorschein, nämlich die
Annahme, daß die verschiedenen Eigenschaften der Organismen im
Keime durch gesonderte materielle Teilchen oder Anlagen-
träger repräsentiert werden.
Darwins Idee, daß allen Zellen des elterlichen Organismus ein
gleicher Einfluß auf die Gestaltung des Kindes und damit auf die
Vererbungserscheinungen zukommt, ist zunächst von keinem anderen
Vererbungstheoretiker wieder aufgenommen worden, dagegen haben
schon vor und insbesondere nach Darwin mehrere Forscher eine im
gewissen Sinne entgegengesetzte Anschauung vertreten und zum Teil
auch durch tatsächliche Beobachtungen zu stützen versucht, nämlich
die Vorstellung, daß bei der Entwickelung der Organismen schon
sehr frühzeitig eine Sonderung der Gewebs- und Fortpflan-
zungszellen, also der „personalen", der Erhaltung des Indivi-
duums dienenden und der „germinalen", für die Arterhaltung
bestimmten Teile des Körpers stattfindet Als Vertreter dieser Auf-
fassung sind Owen (1849), Haeckel (1866), Brooks (1876), Rauber
(1880) und Nußbaum (1879, 1880) zu nennen 1 ).
Aus Vorstellungen dieser Art haben sich dann die verschiedenen
Kontinuitätshypothesen herausgebildet, welche eine von Gene-
ration zu Generation sich erstreckende, durch die generativen Körper-
elemente vermittelte Kontinuität bestimmter Substanzen annehmen
und damit, zeitlich betrachtet, als eigentliche Vorläuferinnen der
Weismannschen Lehre anzusehen sind.
') Vgl. Weiflinann, Keiraplasma, S. 260; Thomson, S. 411 ; bezüglich der
Arbeiten Nußbaums vgl. auch Waldeyer, S. 401.
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124
Galton. Jäger.
Speziell Galton 1 ) schließt an die Pangenesishypothese an und
sucht diese zu verbessern. Er behält Darwins Anschauung bei»
daß in den Fortpflanzungselementen zahlreiche Keimchen als Anlage-
masse oder als Grundstock („stirp") für das neue Individuum ein-
geschlossen sind, aber er nimmt im Gegensatz zu Darwin eine
doppelte Bestimmung dieser Keimchen an. Ein Teil der letzteren
gelangt nach Galton während der Entwickelung des jungen Organis-
mus zur Entfaltung, diese werden also aktiv und leiten die Ent-
wickelung des Individuums, indem sie den Charakter der einzelnen
Zellen, Gewebe und Organe bestimmen. Die übrigen Keimchen da-
gegen bleiben in latentem, gebundenem Zustande und gehen schließ-
lich in die Fortpflanzungszellen des neugebildeten Individuums über,
um hier den „stirp* für das folgende zu bilden.
In bestimmterer Weise wendet sich G. Jäger (1876) gegen die
Pangenesishypothese und gleichzeitig auch gegen Gottes Diskonti-
nuitätshypothese, wonach der Keim gewissermaßen nur ein totes Pro-
dukt des Körpers darstelle. Jäger hebt hervor, daß der Ausgangs-
punkt für die Geschlechtsprodukte lebendiges Protoplasma sei»
welches niemals aufhört, lebendig zu sein, sich aber an dem ontogene-
tischen Differenzierungsprozeß und an der Funktion der Selbsterhaltung
des Muttertieres nicht weiter beteiligt. Jäger stellt also der Pan-
genesishypothese die „Lehre von der Kontinuität des Keimproto-
plasmas durch alle Generationen hindurch" gegenüber 2 ). Bei der
Ontogenese spalten sich die Teilungsprodukte des Keimplasmas in
zwei Gruppen: in die ontogenetische , welche das Einzelwesen auf-
baut, und in die phylogenetische, welche reserviert wird, um zu ge-
schlechtlichem Protoplasma langsam heranzureifen.
Alle hier aufgezählten, unabhängig voneinander entstandenen
Versuche, zu denen noch eine mit Weis mann s erster Vererbungs-
schrift (1883) zeitlich zusammenfallende Äußerung Pflügers zu
rechnen ist 3 ), zeigen einen provisorischen oder gar nur gelegentlichen
Charakter. Sie sind in demselben Sinne als Vorläufer der Weis-
') Vgl. Galton 1875.
*) Weis mann ist auf das Jäger sehe Buch (l8"6) erst nach dem Erscheinen
seiner ersten Schrift über die Vererbung (1883) aufmerksam geworden. Er erwähnte
daher Jäger erst in seiner zweiten Schrift (1885; vgl. Aufsätze, S. 248), übersah
aber bei diesem Zitat, daß schon Jäger den gleichen Ausdruck „Kontinuität des
Keimprotoplasmas" benutzt hatte, den er selbst auf der letzten Seite seiner ersten
Schrift (vgl. Aufsätze, S. 121) gebrauchte. Vgl. auch Keiraplasma, S. 263, Anm. 1.
") Vgl. Weis mann, Aufsätze, S. 76.
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Weis mann und seine Vorgänger.
125
mann sehen Vererbungstheorie zu betrachten, wie etwa die Schriften
von Erasmus Darwin, Goethe und manchen anderen Denkern als
Vorläufer der „Entstehung der Arten" bezeichnet werden. Wohl für
jedes weitere und engere Wissensgebiet können Zeitperioden namhaft
gemacht werden, in welchen durch die zunehmende Fülle und Reife
der Kenntnisse und durch die von einzelnen, besonders markanten
Entdeckungen ausgehenden Impulse die Forscher auf ganz bestimmte
Synthesen und Formulierungen hingelenkt worden sind. Es werden
dann an verschiedenen Stellen und in unabhängiger Weise dieselben
Gedanken in weniger klarer oder in reiferer Form zum Vorschein
kommen und ähnliche Begriffe gebildet werden, und es kann auch
nicht ausbleiben, daß da und dort für den gleichen Gegenstand sogar
die gleiche Bezeichnung gefunden wird. Die Voraussetzung aber,
daß schließlich ein derartiger Gedanke beachtet wird, daß er zum
Durchbruch gelangt und fruchtbar weiter wirkt, liegt nicht bloß in
der vollkommenen, durch den Fortschritt der Kenntnisse herbeigeführten
Vorbereitung des Bodens, sondern vor allem in der Hervorhebung
und glücklichen Kombination der entscheidenden Tatsachen, in der
Klarheit der Fragestellungen und in der logischen Konsequenz und
Vollständigkeit, mit welcher der Gedanke zur Durchführung gelangt.
Für die Vererbungslehre der 80er und 90er Jahre kann es keinem
Zweifel unterliegen, daß diese Voraussetzungen erst durch die Weis-
mannschen Schriften erfüllt worden sind.
Literaturverzeichnis zu Kapitel 12.
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tion. Übers, von J. V. Carus. Stuttgart 1868.
Galton, F., A Theory of Heredity. Contemp. Rev., 27. Bd., 1875-
Hertwig, O., Die Zelle und die Gewebe. Jena 1893—1898.
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— , Lehrbuch der allgemeinen Zoologie. Leipzig 1879-
Thomson, J. A., Heredity. London 1908.
Waldeyer, V., Die Geschlechtszellen. Siehe Literaturverzeichnis.
Weismann. A., Die Kontinuität des Keimplasmas als Grundlage einer Theorie der
Vererbung. Jena 1885.
— , Aufsätze über Vererbung. Jena 1892.
— , Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena 1892.
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I
Dreizehntes Kapitel.
Die Kontinuität des Keimplasmas als Grundlage
einer Theorie der Vererbung.
Weis mann geht bei seinen Betrachtungen von den Verhältnissen
bei den Einzelligen aus und fragt, auf welche Weise bei diesen die
Erscheinung der Vererbung zustande kommt Wenn sich ein ein-
facher organisiertes einzelliges Tier, z. B. eine Amöbe, durch Zwei-
teilung vermehrt, so teilen sich hintereinander Kern und Zellleib und
es entstehen zwei Hälften, die sich in Größe und Beschafienheit voll-
kommen gleichen. Das Mutterindividuum gibt dabei vollständig seine
Individualität auf und setzt sich in jedem der beiden Tochterindividuen
in gleicher Weise fort. Es besteht also eine stoffliche Kontinuität
zwischen Mutter und Töchtern, und darauf beruht offenbar nicht bloß
die morphologische Ähnlichkeit der letzteren mit dem Mutterindividuum,
sondern auch ihre physiologische Übereinstimmung, d. h. ihre Fähig-
keit, bestimmte Nahrungsstoffe in bestimmter Weise zu assimilieren,
diese in Amöbenplasma von spezifischer Konstitution umzuwandeln
und so durch Stoffzunahme oder Wachstum den Zustand des Mutter-
individuums zu erreichen. Die stoffliche Kontinuität zwischen Mutter
und Töchtern ist also die eigentliche Ursache ihrer Ähnlichkeit,
d. h. der Vererbung 8 ). Man kann in diesem Falle auch mit Darwin
sagen, daß die Vererbung eine Form des Wachstums, oder, mit
Haeckel, daß sie eine einfache Fortsetzung des Wachstums sei.
Nur bei wenigen Formen dürfte der Vererbungsprozeß nach diesem
einfachen, von Weis mann angegebenen Schema zustande kommen.
In der Regel kommt zu dem fortgesetzten Wachstum der Leibes-
substanz noch ein weiteres Moment hinzu, nämlich eine größere oder
geringere Anzahl von Neubildungsprozessen. Schon bei der
Teilung der Amöbe muß, da die einzige im Muttertier vorhandene
') Ober die Vererbung 1883.
*) Vgl. Weis mann 1883 (Aufsätze, S. 80).
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Vererbung bei Einzelligen.
127
kontraktile Vakuole einseitig dem einen Tochtertier zugewiesen wird,
in der anderen Tochter die Neubildung einer Vakuole stattfinden.
Besonders deutlich tritt das Zusammenwirken beider Faktoren bei
den hochdifferenzierten Radiolarien, z. B. bei einer Aulacanthide, her-
vor. Hier kommt bei der Zweiteilung zunächst eine gleichmäßige
Verteilung aller Bestandteile des Körpers zustande, nämlich der Kern-
substanz, der Zentralkapsel (Fig. 75, ck), des intra- und extrakapsulären
Fig. 75.
Aulacantbide (Auloceros) mit zwei Zentralkapseln und geteiltem Phäodium. (Diese
Form gehört zu den Formen, welche längere Zeit im zweikapseligen Zustande ver-
harren. Sie darf aber trotzdem wohl auch zur Veranschaulichung des Zweiteilungs-
vorganges der cinkapscligen Formen herangezogen werden.)
Zellplasmas, des aus dünnflüssigen Gallerttropfen bestehenden Alveolen-
apparates (a), des „Phäodiums" (ph) mit seinen schleimigen, später
gallertigen, wahrscheinlich fermenthaltigen und der Verdauung dienen-
den Sekrettropfen (den Phäodellen) und den hohlen, gallertgefüllten
Kieselstacheln. Während nun in den Tochtertieren Kernsubstanz und
Plasma durch einfaches Wachstum auf den Stand des Muttertieres
gebracht werden, müssen Alveolarapparat, Phäodium und Kieselskelett,
sowie die Öffnungen der Zentralkapsel durch Neubildungsprozesse
ergänzt werden. Die Möglichkeit solcher Neubildungen beruht aber
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128
Vererbung bei Einzelligen.
darauf, daß die Tochterindividuen infolge der stofflichen Kon-
tinuität mit dem Mutterorganismus auch alle Qualitäten und
Potenzen des letzteren übernehmen und daher auch alle Sekretions- und
Formbildungsprozesse, auf welchen die Differenzierung der Alveolen,
Phäodellen und Skeletteile beruht, fortzusetzen imstande sind 1 ).
Zu diesen Potenzen gehört aber nicht bloß die Fähigkeit zu
spezifischer Sekretion und Formbildung, sondern auch das
Vermögen zu regulatorischer
und ordnenderTätigkeit, wie
Fig. 76
es sich z. B. in der Herstellung der
typischen Form der Zentralkapsel
und in der definitiven Anordnung
ihrer Öffnungen äußert
Nicht wesentlich verschieden
sind solche Fälle, in denen bei der
Zweiteilung die meisten Differen-
zierungen des mütterlichen Körpers
zurückgebildet und in den Tochter-
individuen neugebildet werden.
Dies ist z. B. bei den hypotri-
chen Infusorien der Fall, bei
welchen das ganze durch den Ge-
brauch abgenutzte Wimperkleid des
Muttertieres , insbesondere auch
die großen Stirn- und Aftercirren
(Fig. 76, st u. a) und die Membran-
bildungen des Peristoms zurück-
gebildet und in den beiden Töch-
tern durch neue Bildungen (nc' nc")
ersetzt werden 2 ). Letztere entste-
hen an Stellen, die zum Teil weit
entfernt von den alten Differenzierungen stehen. Die Vererbung
kommt also auch hier nicht durch einfache Übernahme der mütter-
lichen Organisation zustande, sondern ist dadurch bedingt, daß infolge
der Kontinuität der lebenden Substanz auch das spezifische Differen-
zierungsvermögen von Generation zu Generation fortbesteht und sich
Hypolriches Infusor (Stylonycbia).
Nach Wallengren.
W Stirncirrcti. a Aftercirren. ap und np alte«
[ neues Peristom. nc>, nc" Anlage derCirrcn-
komplexe der beiden Töchter.
') Bezüglich der Bildung der Skeletteile vgl. S. 36 (Fig. 10).
•) Vgl. Schuberg 1899 und Wallengrcn 1901.
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Vererbung bei koloniebildenden Organismen.
129
bei jedem Vermehrungsakt aufs neue betätigt. Es ist also hier durch-
aus zutreffend, wenn gesagt wird, daß der Mechanismus der Ver-
erbung nichts anderes sei als der Mechanismus der Differenzierung
(Conklin), und daß folglich das Studium der Vererbung zusammen-
fällt mit dem Studium der die Differenzierung bestimmenden Faktoren
(Jennings).
Eine Art Zwischenstufe zwischen den einzelligen und vielzelligen
Organismen bilden in morphobiologischer und damit auch in ver-
erbungsgeschichtlicher Hinsicht die koloniebildenden Organismen
Fig. 77.
A
Pandorina morum. Nach Pringsbeim aus Lang.
A Kolonie mit Gamctenhaufen (Tochterkolonien). B freie Gameten, zum Teil in Kopulation.
aus der Phytoflagellatengruppe der Volvocineen. Bei einigen Formen,
so bei Pandorina und Platydorina (S. 30, Fig. 5 u. 6) besteht die
Kolonie aus 16 oder 32 ganz gleichartigen, von einer Mutterzelle ab-
stammenden Individuen, die in einer gemeinsam von ihnen aus-
geschiedenen Gallerte eingebettet sind und ihre zwei Geißeln in
radiärer Richtung über die Oberfläche der Kolonie hervortreten lassen.
Die Kolonie pflanzt sich gewöhnlich in der Weise fort, daß alle
Individuen auf Grund fortgesetzter Zweiteilung zu Gametenhaufen
oder Tochterkolonien werden (Fig. 77 A), welche nach Auflösung der
mütterlichen Gallerte selbständig umherschwärmen. Bei der geschlecht-
lichen Fortpflanzung dagegen werden die Einzelzellen nach. dem Zer-
fall der Mutter- und Tochterkolonien frei und schwärmen als Gameten
Ha eck er, Vererbungslehre. Q
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130
Vererbung bei Volvo x.
herum, um sich paarweise zur Bildung von Zygoten zu vereinigen
(Fig. 77 B). Nach einer Ruheperiode entsteht dann aus jeder Zygote
durch Teilung eine junge Mutterkolonie. Im ganzen verhält sich also
bei Pandorina jede einzelne Zelle in bezug auf die Fortpflanzung
wie ein solitärer einzelliger Organismus, mit dem einzigen Unter-
schiede, daß die Geschwisterzellen längere Zeit miteinander im Kolonie-
verband bleiben. Das Vererbungsproblem ist also wie bei den echten
Einzelligen ein Problem der Assimilation, des Wachstums und der
Differenzierung.
Anders liegen die Verhältnisse bei der Gattung Volvox, bei
welcher viele Hunderte von Individuen, im Durchschnitt 10000, zu
einer Kolonie vereinigt sind. Der Fortschritt gegenüber Pandorina
beruht darin, daß hier nicht mehr alle Individuen die Fähigkeit haben,
die Art durch Bildung einer neuen Kolonie fortzupflanzen, vielmehr
ist diese Fähigkeit an bestimmte Zellen gebunden, welche bei der
ungeschlechtlichen Fortpflanzung von einerlei, bei der geschlechtlichen
von zweierlei Art sind. Man kann also zunächst unterscheiden
zwischen den sterblichen somatischen oder Körperzellen,
welche, solange die Kolonie wächst, durch Teilung ihresgleichen
erzeugen und nach Ableistung ihrer animalen und vegetativen Lebens-
funktionen bei der Auflösung der Kolonie zugrunde gehen, und den
in gewissem Sinne unsterblichen 1 ) Keim- oder Fortpflanzungs-
zellen, welche bei Auflösung der Kolonie fortexistieren und eine
neue Kolonie zu bilden imstande sind. Speziell bei der geschlecht-
lichen Fortpflanzung kommt noch eine weitere Arbeitsteilung hinzu,
indem unter den Keimzellen eiähnliche weibliche Zellen oder Makro-
gameten und spermatozoenähnliche männliche Zellen oder
Mikrogameten zu unterscheiden sind.
Die Vererbung sämtlicher Eigenschaften der Art, sowohl derjenigen
der somatischen wie derjenigen der Geschlechtszellen, ist also aus-
schließlich eine Funktion der letzteren, und es ergibt sich daraus, daß
diese zweierlei Potenzen oder Anlagen in sich einschließen müssen,
nämlich die Anlagen der Charaktere der Somazellen und diejenigen
der Eigenschaften der Geschlechtszellen. Erstere Anlagen sind in
den Fortpflanzungszellen nur in potentia oder in „latentem- Zustande
vorhanden, insofern wenigstens die ungeschlechtlichen Keimzellen
') „Unsterblich" 4 insofern, als zwischen ihrer lebenden Substanz und derjenigen
der späteren Generationen eine stoffliche Kontinuität besteht.
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Kontinuität des Keimplasmas.
131
und die Makrogameten gewisse Merkmale der somatischen Zellen,
nämlich den Geißelapparat, den Augenfleck und die kontraktile Vakuole
nicht selbst zur Entfaltung bringen, vielmehr nur fähig sind,
Individuen, welche mit solchen somatischen Charakteren ausgestattet
sind, durch Teilung aus sich hervorgehen zu lassen.
Ganz ähnlich verhalten sich nun offenbar auch die vielzelligen
Organismen. Auch hier besteht ein Gegensatz zwischen den Körper-,
Sorna- oder Gewebszellen (Haut-, Nerven-, Muskel-, Drüsen-
zellen usw.) und den Keim- oder Fortpflanzungszellen, auch hier
ist die Funktion der Vermehrung und Arterhaltung an die letzteren
gebunden und auch hier müssen diese in potentia (virtuell) sämtliche
Qualitäten der Körperzellen in sich enthalten.
Wir stehen also damit vor der ersten Hauptfrage des Vererbungs-
problems: Wie kommt die Keimzelle dazu, alle Qualitäten, Anlagen
oder Vererbungstendenzen der Spezies in sich zu enthalten 1 )?
Weismann ist der Ansicht, daß die morphologischen und physio-
logischen Tatsachen gegen die Annahme Darwins sprechen, daß die
Keimzellen gewissermaßen ein Produkt oder einen Extrakt des ganzen
Körpers darstellen, und ebenso gegen die Hypothese Nägelis, wo-
nach die in den Keimzellen enthaltene Substanz während der Ent-
wicklung einen Kreislauf von Veränderungen vollendet, der sie durch
den Aufbau des neuen Individuums hindurch zum Ausgangspunkt
zurückführt. Es bliebe also nur die Annahme übrig, daß die Keim-
zellen in ihrer wesentlichen und bestimmenden Substanz,
dem Keimplasma, überhaupt nicht durch das Sorna des Individuums
bedingt und beeinflußt sind oder aus ihm hervorgehen, sondern direkt
aus den elterlichen Keimzellen ihre Entstehung nehmen. Es
besteht also eine Kontinuität des Keimplasmas von der Keim-
zelle der Mutter bis zur Keimzelle der Tochter, und zwar denkt sich
Weis mann diese Kontinuität zunächst in der Weise, daß bei der
Eifurchung und beim weiteren Aufbau des Körpers ein Teil des
Keimplasmas unverbraucht bleibt, um bald früher, bald später in
Form der neuen Keimzellen sichtbar zu werden»).
Der Schwerpunkt der Keimplasmahypothese liegt also zunächst
in der Annahme einer Kontinuität des Keimplasmas und nicht
darin, daß diese Kontinuität äußerlich in einer durch histologische
') Vgl. oben S. 122.
*) Aufsätze Vererbung, S. 89, 323.
9*
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132
Ei klärungswert der Keimplasmatheorie.
oder physiologische Charaktere ausgezeichneten, vom befruchteten
Keim zu der Geschlechtsdrüsenanlage führenden Zellenfolge, in einer
Keim bahn, zum Ausdruck kommt. Es ist aber klar, daß die früher
erwähnten Fälle von Ascaris und Cyclops, in denen die ganze Reihe
der Keimbahnzelle durch histologische Merkmale charakterisiert ist 1 ),
als wertvolle Stützen der Kontinuitätshypothese betrachtet werden
können.
Es soll an dieser Stelle nicht auf das zweite Hauptproblem der
Vererbungslehre, auf die Frage, wie die in den Keimzellen ein-
geschlossenen Anlagen im jungen Organismus zur Entfaltung gelangen,
eingegangen werden, aber es empfiehlt sich vielleicht, auf die Trag-
weite der Kontinuitätshypothese nochmals von etwas anderen Gesichts-
punkten aus hinzuweisen.
Es wurde früher gezeigt, daß „Vererbung" im wesentlichen die
Ähnlichkeit oder vollkommene Übereinstimmung des kindlichen mit
dem Elternorganismus bedeutet. Diese Übereinstimmung erstreckt
sich bekanntlich nicht bloß auf den erwachsenen Zustand, sondern
auf alle einzelnen Entwickelungszustände und beruht in letzter Linie
zweifellos auf der Übereinstimmung der Keimzellen, aus welchen
einerseits der elterliche, andererseits der kindliche Organismus hervor-
gegangen ist, also auf einer Übereinstimmung der Ausgangs-
punkte. Nun gibt aber doch offenbar die Kontinuitätshypothese
eine befriedigende Erklärung für die Übereinstimmung der Ausgangs-
punkte und damit also auch für die Vererbung selbst, indem sie diese
Übereinstimmung eben auf die stoffliche Kontinuität, auf die von
Generation zu Generation stattfindende Übertragung eines unver-
änderten Keimplasmarestes zurückführt.
Man kann sich mit Weismann das Keimplasma auch als eine
lang dahin kriechende Wurzel vorstellen, von welcher sich von Strecke
zu Strecke einzelne Pflänzchen, d. h. die Individuen der aufeinander-
folgenden Generationen erheben.
l ) Siehe oben S. 61.
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Literaturverzeichnis 13.
133
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— , Die Kontinuität des Keimplasmas als Grundlage einer Theorie der Vererbung.
Jena 1885.
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Vierzehntes Kapitel.
Vererbungssubstanz, Keimplasma, Idioplasma.
Wie hat man sich nun die wesentliche und bestimmende Sub-
stanz der Keimzellen, das Keimplasma, also das eigentliche materielle
Substrat der Vererbungserscheinungen zu denken?
Bald nach dem Erscheinen von Weismanns erster Vererbungs-
schrift (1883) trat Nägeli mit seiner „Mechanisch -physiologischen
Theorie der Abstammungslehre" (1884) hervor. Die Anschauungen,
welche Nägeli bezüglich der Vererbungserscheinungen vertritt, laufen
in mancher Hinsicht mit denjenigen Weismanns parallel, auf der
anderen Seite sind aber in diesem Werke eine Reihe eigenartiger
Gedanken enthalten, welche für die weitere Entwickelung des Keim-
plasmabegriffes von großer Bedeutung gewesen sind 1 ).
Nägeli nimmt wie Weismann eine besondere Vererbungs-
substanz, ein Anlagenplasma oder Idioplasma 8 ) an, welches
gegenüber der übrigen lebenden Substanz, dem Ernährungsplasma,
an Masse stark zurücktritt, aber auf die spezifische Entwickelung
und Gestaltung des letzteren und damit des ganzen Organismus einen
bestimmenden Einfluß hat. Dies geschieht in der Weise, daß eine
vom Idioplasma ausgehende Entwickelungsbewegung dem Tropho-
plasma mitgeteilt und hier durch den Umsatz der Nahrung unter-
halten wird.
Nägeli dachte sich dieses Idioplasma in Gestalt von Strängen,
die den ganzen Keim und später sämtliche Zellen des Organismus
durchziehen und aus mikroskopisch unsichtbaren, reihenförmig an-
geordneten Kristallenen , den Micellen. zusammengesetzt sind.
Letztere bestehen aus einer größeren oder kleineren Anzahl von
Molekülen und sind ihrerseits wieder zu höheren Einheiten verschie-
') Vgl. auch Weismann, Keimplasma, S. 13
*) i'cf«o< eigentümlich, eigenartig.
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Architektonik des Idioplasmas.
13 Ö
dener Ordnung verbunden, welche die Anlagen der verschiedenen
Zellen , Gewebesysteme und Organe des Organismus darstellen 1 ).
Speziell das Idioplasma des Keimes stellt demnach ein mikroskopisches
(besser: ultramikroskopisches) Abbild des makroskopischen erwach-
senen Organismus dar, indem jede Eigenschaft des erwachsenen
Organismus als Anlage in ihm enthalten ist
Daraus ergibt sich die weitere wichtige Vorstellung, daß es
ebenso viele Arten von Idioplasma gibt, als Kombina-
tionen von Eigenschaften existieren, und daß innerhalb einer
Spezies jedes Individuum aus einem etwas anders gearteten Idio-
plasma hervorgegangen ist 8 ).
Alles in allem kommt in der Näge Ii sehen Lehre die An-
schauung zum Ausdruck, daß die spezifische Entwickelung und
Organisation durch die spezifische micellare Struktur oder die
Architektonik des Idioplasmas bedingt ist Man kann viel-
leicht auch sagen, daß die spezifische Organisation o eine Funktion
der Idioplasmastruktur t ist: o = f(t), und daß kleine Abänderungen
in der Organisation durch kleine Abänderungen in der micellaren
Struktur des Idioplasmas bedingt sind: o -\- do = f («' -f- di).
Das Idioplasma Nägelis ist keine sichtbare, mikroskopisch kon-
trollierbare Struktur, und es mußte also, wenn man in der Erkenntnis
des materiellen Substrates der Vererbungserscheinungen weiter kom-
men wollte, als nächster Schritt versucht werden, das Idioplasma
womöglich mit sichtbaren Organisa tions Verhältnissen in Zusammen-
hang zu bringen. Schon Nägeli hatte die Annahme ausgesprochen,
daß das Idioplasmanetz besonders auch im Kern zusammengedrängt
sei, vor allem aber haben Strasburger, O. Hertwig und Weis-
mann die Ansicht zu begründen versucht, daß speziell die Kern-
substanz den Träger der Vererbungserscheinungen, also die Ver-
erbungssubstanz, das Keim- oder Idioplasma, darstelle.
Die Beweise, welche von den genannten und von anderen For-
schern zugunsten dieser Auffassung angeführt worden sind, liegen auf
verschiedenen Gebieten.
Schon alle diejenigen Tatsachen, welche für eine wesentliche
Beteiligung des Kernes an den formgestaltenden Zellprozessen
*) An einer anderen Stelle spricht Nägeli davon, daß jedes Organ und jeder
Organteil seine Entstehung einer eigentümlichen Modifikation oder eher einem eigen-
tumlichen Zustand des Idioplasmas verdanke.
*) Vgl. oben S. 124 die Anschauungen G. Jägers.
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136
Der Kern als Vererbungsträger.
sprechen, vor allem die mangelnde Regenerationsfähigkeit kernloser
Protozoenfragmente 1 ), dürfen zugunsten der Ansicht herangezogen
werden, daß der Kern „den bestimmenden Faktor des spezifischen
Wesens der Zelle" a ) darstelle und demnach eine wichtige Rolle bei
der Vererbung spiele. Wenn ferner Roux 8 ) zu dem Schlüsse ge-
langt, daß der so ungemein umständliche und verwickelte Prozeß der
Karyokinese ein Mittel darstellen müsse, den Kern nicht bloß
seiner Masse nach, sondern auch der Masse und Beschaffenheit
seiner Qualitäten nach zu teilen, so ergab sich von selbst die
Folgerung, daß für die Entwickelung des Embryos der Kern wich-
tiger als der Zellleib sei, und daß also ersterem die führende Rolle
bei den Vererbungsvorgängen zukommen müsse.
Noch unzweideutiger schienen die Beobachtungen über den Be-
fruchtungsprozeß zu sein. Speziell bei der Befruchtung der
Angiospermen gewinnt man den Eindruck, daß sich von männlicher
Seite tatsächlich nur die Kernsubstanz beteiligt, insofern beide gene-
rative Kerne des Pollenschlauches (Fig. 49, p', p") vollkommen nackt,
d. h. ohne Cytoplasma, in den Embryosack eintreten, und der eine
mit dem Eikern (oo), der andere mit dem sekundären Embryosack-
kern (ps + pi) kopulieren. Da nun bei Bastarden die Merkmale der
väterlichen Stammpflanze sowohl im jungen Organismus als auch
in dem vom sekundären Embryosackkern abstammenden Endospcrm-
gewebe hervortreten können, so scheint damit wiederum ein Beweis
für die Annahme zu liegen, daß der Kern nicht bloß eine wichtige
Rolle bei den Vererbungserscheinungen spielt, sondern sogar den aus-
schließlichen Träger der Vererbung darstellt 4 ).
Bei den vielzelligen Tieren kann im Gegensatz zu den Angio-
spermen nicht in Abrede gestellt werden, daß außer dem Kern auch
noch andere Teile der Samenzelle, mindestens das Mittelslück mit
l ) Vgl. die früher (S. 52) erwähnten Versuche von Nußbaum und Gruber.
*) Vgl. Weismann. Aufsätze, S. 222.
s ) 1884, S. 15. Ob der äußeren Symmetrie des Kernteilungsvorganges immer auch
eine symmetrische Teilung der kleinsten Teile entspricht, kann freilich nicht bewiesen
werden. So hat neuerdings Giglio-Tos zu zeigen versucht, daß die Teilung eines
Biomoleküls in zwei ungleiche Teile viel leichter sein müsse, als in zwei gleiche
Teile, und daß daher die unsymmetrische Teilung den häufigeren Modus darstellen
müsse. Bezüglich der Rouxschen Folgerung vgl. auch Fick, S. 185 (iQOS); God-
lewski, S. 110 (1909).
*) Vgl. Strasburger 1884, 1000; S. 533, 544 (1908). Vgl. hierzu auch Cor-
rens. S. 338 (1909).
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Äquivalenz von Ei- und Samenkern.
137
dem Centrosoma in die Eizelle eintreten. Trotzdem konnten gerade
die bei der Befruchtimg des Metazoeneies hervortretenden Erschei-
nungen als ein besonders gewichtiges Argument zugunsten der An-
nahme, daß die Kernsubstanz dem Idioplasma Nägelis entspreche,
angeführt werden, und zwar auf Grund folgender Überlegungen. Da
im allgemeinen, worauf schon Nägeli hingewiesen hatte, die beiden
Eltern an der Zusammensetzung der in den Deszendenten vereinigten
Merkmale in gleicher Weise beteiligt sind, so ist von vorn-
herein zu erwarten, daß auch das von den beiden Eltern gelieferte
materielle Vererbungssubstrat seiner Masse und Zusammensetzung
nach gleichartig ist. Nun ist aber bekannt, daß gerade bei den
vielzelligen Tieren ganz enorme Unterschiede zwischen der Masse
des ganzen Eies und der ganzen Samenzelle bestehen — schon
bei kleinen Eiern wie bei dem des Axolotls (Amblystoma) betragt
das Volumen des Eies das 50 millionenfache gegenüber dem Volumen
des Spermatozoenkopfes *) — , und es würde also, wenn das ganze
Ei und die ganze Samenzelle als Vererbungssubstrat in Betracht
kämen, jene Erwartung nicht erfüllt werden. Da aber, wie van Be-
neden zuerst beim Ascarisei gezeigt hat, bei der Kopulation die
Kerne annähernd gleich groß sind und Chromosomen von gleicher
Zahl und Beschaffenheit zur Entwicklung bringen (Fig. 45, S. 8l),
so lag die Annahme nahe, daß es die gleich gestalteten Kerne der
im übrigen so verschieden gestalteten Geschlechtszellen sind, durch
welche die gleichen Erbanteile der Eltern übermittelt werden (O. Hert-
wigs »Gesetz der Äquivalenz von Ei- und Samenkern* 4 ).
Für die ausschließliche Rolle des Kernes bei den Vererbungs-
erscheinungen schienen vor allem auch die Ergebnisse eines von
Boveri ausgeführten Bastardierungsversuches zu sprechen. Nachdem
die Möglichkeit festgestellt war, kernlose Fragmente des Seeigeleies
nach Befruchtung zur Entwickelung zu bringen, hat Boveri eine
Kreuzbefruchtung in der Weise ausgeführt, daß kernlose Eifragmente
von Sphaerechinus mittels des Samens von Echinus befruchtet wurden.
Von vornherein war dann mit mehreren Möglichkeiten zu rechnen.
Insbesondere konnten die aus den Eifragmenten entstehenden Zwerg-
larven hinsichtlich ihrer Gestalt und Skeletteile eine Mischung der
elterlichen Charaktere zeigen, dann wäre bewiesen gewesen, daß auch
') Vgl. oben S. 8o.
*) Vgl. auch die enorm großen Eizellen mancher Vögel (S. 77, Anm. 4).
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138
Boveris Vererbungsexperiment.
das Eiplasraa bei der Vererbung beteiligt ist, da ja vom mütterlichen
Organismus nur das Eiplasma und keine Kernsubstanz geliefert wurde.
Oder es konnten die Zwerglarven ausschließlich den väterlichen Ha-
bitus zeigen: dann wäre dies zunächst so zu deuten gewesen, daß
das Eiplasma nur die Rolle eines Nährbodens besitzt, und daß der
Kern allein die Vererbung bestimmt. Nun zeigten in der Tat einige
der Zwerglarven (Fig. 78 B), welche durch Fremdbefruchtung kernloser
Eifragmente entstanden, ausschließlich väterliche Merkmale (vergleiche
Fig. 78 C), und so war ein weiterer Hinweis gegeben, daß dem Kern
bei der Vererbung eine überwiegende Rolle zukommt 1 ).
Auf Grund der hier aufgezählten Beobachtungen, denen manche
andere angereiht werden könnten 2 ), wurde, insbesondere durch O. Hert-
wig, Strasburger und Weismann, die Hypothese vom Ver-
erbungsmonopol des Kernes aufgestellt, wonach der Kern das
eigentliche und ausschließliche materielle Substrat der Vererbungs-
erscheinungen bildet. Diese Hypothese schließt die spezielle An-
nahme in sich, daß im Zustand der Kernteilung die Chromo-
somen die Vererbungsträger darstellen, und so haben sich aus
dieser Auffassung die später zu besprechenden Chromosomen-
hypothesen der Vererbung herausentwickelt.
Welche Kernsubstanzen im Zustand der „ruhenden" Zelle
die Rolle der Vererbungsmasse spielen, darüber gehen die Ansichten
auseinander. Zunächst wurde fast allgemein die Meinung vertreten,
daß die Chromatinkörnchen zur Bildung der Chromosomen zusammen-
treten, und dementsprechend wurde das Chromatin als die konti-
nuierliche, von Zellgeneration zu Zellgeneration überlieferte Vererbungs-
substanz angesehen. Dieser Chromatinerhaltungshypothese
ist aber, wie oben (S. 44) auseinandergesetzt wurde, neuerdings die
Achromatinerhaltungshypothese gegenübergestellt worden, der-
') Ein strenger Beweis dafür, daß der Kern allein die Vererbung bestimme,
konnte durch das Bovcrische Experiment nicht geliefert werden, denn unter Um-
ständen können, wie spätere Versuche ergaben, auch Bastardlarven aus ganzen
Eiern und solche aus kernhaltigen Bruchstücken ganz nach dem väterlichen
Typus gebildet sein (vgl. Boveri, S. 105, 1904; S. 247, 1907). Welche Veierbungs-
richtung überhaupt von den Bastardlarvcn der Seeigel eingeschlagen wird , ob mehr
die väterliche oder die mütterliche, dürfte nach Untersuchungen von Vernon, Don-
caster, Herbst und Tennant von der Jahreszeit bzw. der Temperatur und Alkali-
nität des Seewassers abhängig sein. Vgl. Herbst, Literaturverzeichnis .'l u. Ten-
nant, Arch. Ent-Mech.. 29. Bd., 1910.
*) Vgl. auch Baltzer 1910.
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Godlewskis Vererbungsexperiment. 13Q
zufolge der Schwerpunkt der Kontinuitätsfrage von der Chromatin-
substanz auf das alveolär strukturierte Grundplasma, das Achro-
matin, zu verlegen ist.
Gegen die Auffassung, daß dem Kern bei den Vererbungserschei-
nungen eine ausschließliche oder doch ganz überwiegende Rolle
zufällt, haben sich mehrfache Stimmen erhoben. So ist Verworn
hauptsächlich auf Grund experimenteller Untersuchungen an Protozoen
zu der Anschauung geführt worden, daß Kernsubstanz und Zellproto-
Huteuslarven von Sphaerechjnus granularis (A) und von Echinus microtuberculatus (C).
H Bastardlarve aus einem kernlosen Eifragment von Sphaerechinus. Nach Boveri.
ab aufsteigende Sttbe der Vbanaheite. an Analstäbe. ap ApikaUUbe. or Oralstabe.
v seitliche Yerbindungsstäbc.
plasma in gleicher Weise an dem Zustandekommen der Lebens-
erscheinungen beteiligt sind, und daß also auch die Vererbung dadurch
bewirkt werde, daß beide Substanzen mit ihren gegenseitigen Stoff-
wechselbeziehungen übertragen werden. In ähnlicher Weise haben
sich auch Loeb, Godlewski, Lundegärd und andere Forscher
geäußert.
Besonders überzeugend seidenen in dieser Richtung die Experi-
mente Godlewskis zu sein. Godlewski hat kernlose Fragmente
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140 Godlewskis Vererbungsexperiment.
der Eier eines Seeigels (Echinus) mit dem Samen eines Haarsternes
(Antedon), also eines Vertreters einer ganz anderen Echinodermen-
klasse, befruchtet und festgestellt, daß die Embryonen im Gastrula-
stadium das sogenannte primäre Mesenchym, also ein ausschließlich
mütterliches Merkmal, zur Entwickelung bringen. Es können also,
wenigstens bis zum Gastrulastadium , auch ohne Vorhandensein des
mütterlichen Kernes mütterliche Charaktere zum Vorschein kommen,
und es muß also auch dem Eiplasma ein Anteil an der Übertragung
der elterlichen Arteigenschaften zugeschrieben werden. Die Ergebnisse
Godlewskis scheinen auf den ersten Anblick im schroffen Gegen-
satz zu den Befunden Boveris zu stehen, indessen lassen sich beide
durch die Annahme vereinigen, daß während der ersten Periode
der Eientwickelung die Konstitution des Eiplasmas maßgebend
ist und die Chromosomen nur durch gewisse generelle Eigenschaften
wirksam sind, und daß erst in einer zweiten Periode dfe Chromo-
somen durch ihre spezifischen Eigenschaften zur Geltung kommen
(Boveri)i).
Von anderer Seite, so namentlich von Rabl, ist besonders auf
diejenigen Experimente hingewiesen worden, aus welchen eine Prä-
formation bestimmter Körperteile im Eiplasma des Keimes
hervorgeht. Bei den Eiern verschiedener Tiere ruft nämlich die Ent-
fernung gewisser Teile des Eiplasmas einen Ausfall bestimmter Organe
hervor, und man konnte daraus schließen, daß in den weggeschnittenen
Teilen die Anlagen für die betreffenden Körperteile vorgebildet sind.
Schneidet man z. B. am Ei der Röhrenschnecke (Dentalium) die wäh-
rend der ersten Teilung normalerweise sich bildende Vorwölbung, den
sogenannten Pol- oder Dotterlappen (Fig. 79 A, pT), ab, so kommt es zur
Entwickelung einer Larve, bei welcher das Hinterende und ebenso
der am Scheitel befindliche Wimperschopf (das Apikaiorgan) nicht
zur Ausbildung gelangt ist (Fig. 79 C, verglichen mit B) *). Man darf
also hier annehmen, daß das Material des Pollappens für die Bildung
') Vgl. Boveri. S. 249 (1907). Kreuzungsvei suche, welche Correns mit einer
„weißbunten" Mirabilisrasse (Stengel, Blätter, Hüllkelch und unterer Teil der Perigon-
röhre waren grün und weiß gefleckt) angestellt hatte, ergaben, daß der krankhafte
Zustand der Chromatophoren , wie er sich in der Weißbuntheit äußert, ausschließlich
durch das Plasma fiberliefert wird (Correns 1909). Man wird dem Experiment mit
Bezug auf das vorliegende Problem so lange keine entscheidende Bedeutung zu-
messen dürfen, als über die eigentlichen Ursachen und den Charakter jenes krank-
haften Zustandes nichts Genaues bekannt ist.
*) Wilson 1904.
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Lokalisation der Anlagen im Keim.
141
dieser beiden Körperteile unentbehrlich ist, und es sprechen diese
und ähnliche Befunde 1 ) dafür, daß bei einigen Tieren mindestens
nach erfolgter Eireife die einzelnen Regionen des Eiplasmas in
verschiedener Weise determiniert, oder daß, wie man auch sagen
kann, die Anlagen bestimmter Organe lokalisiert sind. Zur Ver-
erbung, d.h. zur Wiederholung der Entwicklungsprozesse, als deren
Fig. 79-
Entwickelung von Dentaliura. Nach Wilson.
A Ei in Zweiteilung mit PolUppen pl. B normale Larve. C Defektlarve (durch Entfernung des
PolUppens erzielt).
Endresultat die Eigenschaften der Eltern im Kinde wieder erscheinen,
ist also in allen diesen Fällen eine bestimmte Struktur des Eiplas-
l ) Andere Beobachtungen dieser Art haben Roux (Virchows Archiv, 114. Bd.,
1888) am Froschei, Crampton (Arch. Eut.-Mech., 3. Bd., 1896) und Wilson (Journ.
Exp. Zool., Vol. 1, 1904) bei weiteren Mollusken (Ilyanassa, Patella), Fischel (Arch.
Ent.-Mech., 6. u. 7. Bd., 1897—1898) bei einer Rippenqualle (Beroe), Conklin (Journ.
Exp. Zool., Vol. 2. 1905) bei einer Ascidie (Cynthia), F. R. Lillie bei einem Annclid
(Chaetopterus) gemacht. Vgl. hierzu auch Rabl 1906, sowie Korscheit u. Heider,
Allg. Teil, S. 81 ff.
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142
Organbüdende Substanzen.
Fig. 80.
mas nötig, und so wird man auch auf diesem Wege zu dem Schluß
geführt, daß bei der Vererbung alle Zellbestandteile in gleicher Weise
beteiligt sind (Rabl).
In einzelnen Fällen finden sich im reifen Ei sogar besondere
sichtbare Differenzierungen in Gestalt von Körnchen, die, ähnlich den
früher (S. 63) beschriebenen Ektosomen des Cyclopseies, durch ihre
Färbbarkeit oder auch schon durch ihr Lichtbrechungsvermögen von
dem übrigen Protoplasma verschieden sind und bei der Teilung des
befruchteten Eies genetische Beziehungen zu bestimmten Organanlagen
erkennen lassen, indem sie während der Eisegmentierung den Urzellen
bestimmter Organe zugewiesen werden.
Ob allerdings diese „organbildenden"
(ooplasmatischen) Substanzen tatsäch-
lich eine cy toplasmatische (vom Kern
mehr oder weniger unabhängige) Ver-
erbungssubstanz darstellen, wie dies Meves
speziell für die als Chondriosomen
( M i t o c h o n d r i e n) bezeichneten Einschlüsse
der Samen- und Embryonalzellen der Wirbel-
tiere (Fig. 80) annimmt oder ob es sich
um nichtlebende Stoffe handelt, ähnlich den
determinierenden Faktoren, welche nach
Delage im Ei eingeschlossen sein sollen,
oder ob sie in letzter Linie aus dem Kern
hervorgehen und ihr Verhalten also mit der
Hypothese von dem Vererbungsmonopol des
Kernes vereinbar ist (Conklin), darüber
Dannepitheizeiien eines Hüh- gehen die Ansichten noch weit auseinander.
Alles in allem ist also die Diskussion
über die Frage, ob der Kernsubstanz bei
der Vererbung eine ausschließliche oder wenigstens eine führende
Rolle zufällt, oder ob die beiden Hauptbestandteile der Zelle in
gleicher Weise beteiligt sind, noch lange nicht abgeschlossen, und eine
einigermaßen befriedigende Lösung wird wohl erst dann möglich
sein, wenn unsere Kenntnis von der chemisch-physiologischen Ver-
schiedenheit der einzelnen Zellorgane und vom Chemismus der Zelle
überhaupt weiter fortgeschritten sein wird.
nerembryos mit Mitochondrien
im Cytoplasma. Nach Meves.
') Vgl. hierzu Lundegird 1910.
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Kernplasmahypothese der Vererbung.
H3
Ich selbst möchte, unter gleichzeitiger Berücksichtigung der Er-
gebnisse der Bastardforschung und bestimmter Erfahrungen, die ich
bei der Untersuchung der hochspezialisierten tripyleen Radiolarien
gewonnen habe, einer eingeschränkten Kernplasmahypothese
der Vererbung das Wort reden, wonach im allgemeinen Kern und
Zellplasma bei der Übertragung der Art- und Individual Charaktere
beteiligt sind, im einzelnen aber dem* Kern eine bestimmende und
führende Rolle zufallen kann.
Als eine der morphologischen Voraussetzungen dieser An-
schauung ist, wie ich glaube, anzunehmen, daß das Kern- und das
Zellplasma jeder Spezies in bezug auf die generellen und spezifischen
Strukturen und Potenzen miteinander übereinstimmen und nur
insofern verschieden sind, als durch diese Verschiedenheit die
Stoffwechselvorgänge ermöglicht werden 1 ). Sie stellen also
ernährungsphysiologische Modifikationen einer und derselben Plasma-
sorte, des Artplasmas, dar und können ohne Schwierigkeit ineinander
übergeführt werden. Ebenso wie offenbar in den Prophasen der Kern-
teilung nach Auflösung der Kernmembran überschüssiges Kern-
plasma in Cytoplasma transformiert wird 9 ), so kann umgekehrt Cyto-
plasma in Kernplasma umgewandelt werden, wie dies besonders
während der Eifurchung in der allmählichen Änderung der Mengen-
verhältnisse von Kern- und Zellsubstanz, nach R. Hertwigs Definition
in der Herstellung der normalen Kernplasmarelation, hervortritt 3 ).
Die weitgehende konstitutionelle Übereinstimmung von Kern und
Cytoplasma bringt es nun mit sich, daß bei irgend welchen, die
Variationsbreite der Art nicht überschreitenden Zustandsänderungen
(konstitutionellen Verschiebungen) der einen Plasmasorte auch die
andere in gleichem Sinne umgestimmt werden kann, derart, daß be-
l ) Vgl. auch Kap. 6, S. 52 f.
*) Vgl. die Größenverhältnisse einerseits des ausgewachsenen Keimbläschens,
andererseits der kondensierten Chromosomen der ersten Reifungsteilung, S. 6q,
Fig. 34 a und b
■) Boveri (1905) hat hervorgehoben, daß sich die Kernsubstanz bei der Ei-
furchung mit jedem Teilungsschritt verdoppelt, insofern nach jeder mitotischen
Halbierung der Tochterkern annähernd auf das Volumen des Mutterkerns wiederum
heranwächst, daß aber andererseits die Zellsubstanz im ganzen nicht nur nicht wächst,
sondern sogar durch die auf ihre Kosten wachsende Kernsubstanz vermindert wird.
Godlewski u. a. nehmen bei diesen Vorgängen eine direkte Transformation des
Zellprotoplasmas in Kernsubstanz an, während Loeb es offen läßt, ob die letztere
aus dem Protoplasma oder aus den in ihm enthaltenen Reservestoffen gebildet wird.
Zu diesem Gegenstand vgl. besonders auch R. Hertwig 1003, 1908, Boveri 1005.
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144
Umstimmung des Plasmas.
stimmte, vorher nur latent vorhandene Potenzen des ein zweigliedriges
System darstellenden Artplasmas aktiviert werden. Wird beispiels-
weise in ein Zellplasma a ein rassenfremder Kern b' importiert, so
kann das erstere durch den letzteren umgeprägt (assimiliert) werden,
so daß es den adäquaten Zustand a' annimmt 1 ). Als Resultat dieses
Assimilationsprozesses wird eine bestimmte Potenz A' des Artplasmas
zur Entfaltung kommen und in Gestalt einer bestimmten äußeren
Eigenschaft in Erscheinung treten. Umgekehrt wird in gewissen Fällen
auch eine Umstimmung des Kernes durch das Cytoplasma erfolgen
können. Da nun ferner nach meiner Auffassung das einzelne Artplasma
nicht bloß solche Potenzen, Konstitutions- oder Zustandsmöglichkeiten
enthält, welche sich normalerweise in den einzelnen Varietäten
der betreffenden Art äußern, sondern auch eine große Anzahl an-
derer Potenzen, welche in den Variationsbereich ganz anderer Arten
und Gattungen gehören und bei jenen nur unter durchaus abnormen
Bedingungen als „Transversionen" zum Vorschein kommen 8 ), so
können gegenseitige Umstimmungen und Assimilationen des Kern-
und Cytoplasmas sogar bei Art- und Gattungskreuzungen er-
folgen, wie dies der B overische Bastardierungsversuch (Import eines
gattungsfremden Kernes) und gewisse durch Artkreuzung hervorgerufene
Mosaikbastarde zeigen 8 ). Bei sehr starker Heterogenität des Kern-
und Cytoplasmas unterbleibt freilich eine eigentliche Umstimmung,
und es wird unter gewissen Bedingungen, wie z. B. beim Godlewski-
schen Kreuzungsversuch, der Fall eintreten können, daß der Fremdkern,
ähnlich den die künstliche Parthenogenese bewirkenden Agenzien,
nur als Stimulus für die Auslösung der Eientwickelung wirkt, und
das Eiprotoplasma demgemäß überhaupt nur seine eigenen Potenzen
zur Entfaltung bringt.
Was nun im speziellen die Anteile der beiden Haupt-
bestandteile der Zelle an den spezifischen, von Generation zu
Generation sich wiederholenden Formbildungsvorgängen und also an
der Vererbung anbelangt, so glaube ich, daß dieses Verhältnis weder
für alle Organismen, noch für alle Einzel Vorgänge der Ent-
wickelung auf eine einheitliche und glatte Formel gebracht
») Vgl. Kap. 33-
*) Vgl. Haecker 1908.
•) Letztere zeigen in einzelnen Körperregionen reziproke Umstimmungen nach
der väterlichen, in andern nach der mütterlichen Seite hin. Vgl. den Bastard zwischen
Lady Amherst- und Goldfasan (Kap. 21).
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Rolle von Kern- und Cytoplasma.
145
Fig. 81.
werden kann, um so weniger, als ja bei der Formbildung, wie
O. Hertwig, Roux, Driesch u. a. hervorgehoben haben, auch die
inneren Plasmaprodukte, die doch nicht eigentlich zum Zellplasma
gerechnet werden können, und die äußeren Faktoren (Schwerkraft usw.),
eine bestimmende Rolle spielen können.
Wenn man zum vollständigen äußeren Artbild sämtliche
einzelnen Erscheinungen und Eigenschaften rechnet, die nicht bloß
im ausgebildeten Zustand eines Organismus, sondern in allen ein-
zelnen Entwickelungsstufen zur Beobachtung kommen, so dürften
hinsichtlich der Rolle von Kern- und Cytoplasma hauptsächlich fünf
verschiedene Verhältnisse in Betracht kom-
men und unter Umständen nebeneinander
wirksam sein:
1. Gewisse äußere Erscheinungen, z. B.
die Asymmetrie im Zellteilungsprozeß, wer-
den offenbar ganz überwiegend durch den
Zustand des Zellprotoplasmas und seiner
Einschlüsse bestimmt. Wenn z. B. das
Froschei aus dem Vier- in das Achtzellen-
stadium übergeht (Fig. 8l), so bewirkt die
Konzentration der Hauptmasse der Dotter-
materialien in den unteren Partien des Eies
und andererseits die größere Affinität des
Kernes zu den dotterärmeren Plasmaportio-
nen, daß sich die Kernteilungsfiguren in die
oberen Teile der Furchungszellen einstellen und letztere demgemäß
bei der Durchteilung in eine kleinere (obere) protoplasmareiche und
eine größere (untere) dotterreiche Tochterzelle zerfallen (O. Hertwig).
Die spezifischen Qualitäten des Kernplasmas dürften auf diese
Formverhältnisse nur eine geringe Einwirkung haben, und es ist wohl
anzunehmen, daß in solchen Fällen der Import eines fremden Kernes
keine wesentlichen Unterschiede hervorrufen würde.
2. In anderen Fällen scheint die Formbestimmung ebenfalls vor-
wiegend im Zellprotoplasma ihren Sitz zu haben, aber auch dem
Kern fällt offenbar eine wichtige spezifische, wenn auch vielleicht
mehr auslösende und stoffliefernde Funktion zu. Dies dürfte z. B.
für die tripyleen Radiolarien gelten, bei welchen die hochspezialisierten
Kieselbildungen, z. B. das „Schloß" der ähnlich den Muscheln von
zwei Halbschalen eingeschlossenen Conchariden (Fig. 82), auf Grund
H acck er , Vererbungslehre. jq
Froschei beim Übergang vom
Vier- zum Achtzellenstadium.
Nach O. Hertwig.
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146
Rolle von Kern- und Cytoplasma.
eines komplizierten Ineinandergreifens von Abscheidungs-, Wachstums-
und Sprossungsvorgängen zustande kommen '). Man gewinnt hier den
Eindruck, daß die spezifische Formbildung vielmehr durch die innere,
nach verschiedenen Richtungen hin verschieden beschaffene
(anisotrope) Struktur, durch den spezifischen „ promorphologischen u
Aufbau des Weichkörpers, als durch den mächtigen, mit zahlreichen
(1200 bis loOO) gleichartigen Chromosomen ausgestatteten, anscheinend
monoton gebauten Kern bedingt ist, und daß der letztere offenbar
Fig. 82.
IT) -
Oc'v O
Scldoßbilduug eines lupvieen kadmlars (Conchoceras). Die beiden hemisphäiischcn
Halbschalen sind miteinander durch Zahnreihen verbunden, welche ineinander greifen,
wie die Finger einer gefalteten Hand. Die Zahnreihe der einen Halbschale ist mit
der anderen Halbschale durch zwei aus ösenartigen Kiesclbrücken oder Doppelpfeilen!
bestehenden Führungen (»1 marginale, sm submarginale Führung) verbunden. Diese
Anordnung bewirkt, daß bei VolumenvergTößerungen des Weichkörpers oder bei
Kollisionen mit anderen Organismen die Halbschalen sich nicht übereinanderschieben
können.
mehr die Funktion einer „Kerndrüse", als die eines eigentlich form-
bestimmenden Organs besitzt 2 ).
3. Bei den vielzelligen Organismen stellt die Zahl und Größe
der Zellen auf einem bestimmten Entwickelungsstadium eine wich-
') Vgl. auch S. 36. Fig. 10, sowie unten Fig. 106.
•) Daß speziell bei Formen mit losen Skelettclementcn, vor allem bei den
Aulacanthiden, die Anlagen der einzelnen Skeletteile, die .häutigen Stachelanlagen"
ein hohes Maß von morphologischer und physiologischer Selbständigkeit gegenüber
dem sie umgebenden (irundprotoplasrna besitzen, ist schon früher (S. 36) erwähnt
worden. Vgl. im übrigen Tiefsee- Radiolarien IQ08 (Literaturverzeichnis 5), S. 680;
Rad. in Ver. u. Var. IQ07 (Literaturverzeichnis 5), S. 11; sowie 1007. S. 5.
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Kernplasraarelation.
147
tige morphologische Erscheinung dar. Bei ihrem Zustandekommen
spielt nun offenbar weder das Cytoplasma, noch der Kern eine
eigentlich führende Rolle, sondern als form bildender Faktor kommt
im wesentlichen das quantitative Verhältnis der beiden Haupt-
bestandteile der Zelle in Betracht 1 ). Ein bestehendes Mißverhältnis
zwischen der Menge der Kernsubstanz und des Cytoplasmas, die
gestörte Kernplasmarclation oder die Kernplasmaspannung
(R. Hertwig) stellt ein inneres, die Zellteilung hervorrufendes Moment
dar, welches so lange wirksam ist, bis die normale Kernplasmarelation
hergestellt ist.
Daß für die einzelnen Spezies eine feste Relation zwischen Kernsubstanz- und
Cytoplasmamenge besteht, äußert sich unter anderem darin, daß bei menschlichen
Kiesen und Zwergen die Zcllengröße mit der Zcllengröße bei normalen Individuen
übereinstimmt und nur die Zellenzahl eine wechselnde ist (Boveri). Nahe ver-
wandte Spezies besitzen im ganzen die nämliche Kernplasmatelation. Daher auch
bei nahe verwandten, aber ungleich großen Spezies in homologen Organen die
Zellengrüßc konstant, die Zellenzahl aber wechselnd ist (Rabl)*).
Für eine Nachtkerzenform, Ocnothera gigas. läßt sich zeigen, daß ihre wesent-
lichen morphologischen Unterscheidungsmerkmale auf die besondere
Größe der Zellen zurückzuführen sind. Diese aber hängt offenbar damit zusammen,
daß bei Oenothera gigas die Zahl der Chromosomen (28) doppelt so groß ist als
bei Oenothera Lamarckiana und anderen Formen (Mutanten) und dementsprechend
auch die Kerne größer sind. Es beruhen also hier alle spezifischen Formverhält-
nisse in letzter Linie auf einer Vergrößerung der Chromosomenzahl (Gates).
Ob vielleicht in ähnlicher Weise auch die morphologischen Speziesuutcrschiede
bei den Kopepodcn (Kap. ll) 'mit der Vergrößerung der Chromosomenzahl und
damit der Kern- und Zellengröße zusammenhängen, ist vorläufig nicht zu entscheiden.
4. Da, wo es sich weniger um Form Verhältnisse, als um Eigen-
schaften mehr chemischer Art handelt, z. B. bei der Produktion be-
stimmter Sekrete, insbesondere auch bei der Ablagerung von Pigmenten,
wird, worauf die Ergebnisse der Rassenkreuzungen hinweisen 3 ), die
führende Rolle des Kernes stärker hervortreten, sei es, daß er durch
Abgabe kleinster Lebenseinheiten (der Pangene de Vries\
der Biophoren Weismanns) oder von Stoffteilchen niedrigerer
Ordnung direkt zur Bildung jener Substanzen beiträgt, oder durch
Abscheidung von Fermenten (Enzymen) die Stoffwechsel Vorgänge
im Zellprotoplasma beeinflußt (Haberlandt).
5- Wenn ein fremder Kern in das Cytoplasma importiert wird,
wie dies bei jeder Fremdbefruchtung der Fall ist, so kann sich die
l ) Nach Untersuchungen von Gerassimoff, Morgan, Driesch, R. Hertwig,
Boveri. Vgl. besonders Boveri 1905, ferner Godlewski 1010.
*) Vgl. Boveri 1905.
3 ) Vgl. Kap. 23.
\o'
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Führende Rolle des Kerns.
führende Rolle des Kernes, wie oben ausgeführt wurde, wohl noch
in anderer Weise geltend machen, nämlich in einer Umprägung
oder Assimilierung des Zellplasmas, ebenso wie umgekehrt auch
letzteres eine Umstimmung der Kernsubstanz herbeiführen und so in
gewissem Sinne die Herrschaft übernehmen kann 1 ).
Alle diese verschiedenen Relationen zwischen Kern und Cyto-
plasma lassen sich natürlich nicht immer scharf voneinander trennen.
Bei dem gegenwärtigen Stande unserer Kenntnisse ist es aber nötig,
bezüglich der verschiedenen Möglichkeiten zunächst die Analyse,
soweit als angängig, durchzuführen und auch bei diesem Gegenstand
im Auge zu behalten, daß in der Biologie mit fortschreitender Tat-
sachenkenntnis die Problemstellung nicht einfacher, sondern immer
verwickelter wird.
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Literaturverzeichnis 14.
149
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1QOQ.
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Fünfzehntes Kapitel.
Das Problem der Vererbung erworbener Eigenschaften.
Allgemeines.
(A) Äquikausale und (B) äquidispositionelle Abänderungen.
Durch die Aufstellung der Kontinuitätshypothese wurde Weis-
mann unmittelbar vor das Problem der Vererbung erworbener Eigen-
schaften geführt.
Da Lamarck die erbliche Übertragung der während des indi-
viduellen Lebens erworbenen Variationen als den wichtigsten der bei
der allmählichen Artumwandlung wirksamen Faktoren betrachtet hatte,
und da das Lamarck sehe Erklärungsprinzip auch in Darwins Ent-
wickelungslehre neben dem Selektionsprinzip eine wenn auch neben-
sächliche Rolle spielt, so ist es klar, daß es sich hier um eine der
Fundamentalfragen der Artbildungs- und Abstammungslehre handelt.
Insbesondere ist auch die praktische Bedeutung des Gegenstandes für
die Tier- und Pflanzenzüchter, für die Mediziner und Soziologen ohne
weiteres einleuchtend.
Weis mann ging zunächst (1883) von der Frage aus, wie es
möglich gewesen sei, daß in einer Volvoxkolonie die Keimzellen die
Fähigkeit erlangt haben, durch Teilung immer wieder auch die anderen
Zellarten, die Körperzellen, hervorzubringen, da doch vor der Diffe-
renzierung der Kolonie, d. h. ehe bei den Vorfahren von Volvox eine
Differenzierung von Keim- und Körperzellen eingetreten war, alle Zellen
immer nur ihresgleichen erzeugten. Zunächst besteht die Möglichkeit,
daß diejenigen Zellen der Kolonie, welche durch Anpassung an die
Lebensbedingungen zu Körperzellen differenziert wurden, durch
Abgabe von Stoffteilchen die Keimzellen derart umgestalteten, daß
diese bei der folgenden Teilung sich in die verlangten ungleichen
Hälften teilen mußten. Einer solchen, mit Darwins Pangenesis-
hypothese im wesentlichen zusammenfallenden Annahme steht aber
schon bei so einfachen Organismen, wie es die Volvoxkolonien sind,
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Somatische Induktion.
151
eine Reihe von Schwierigkeiten im Wege. Ganz besonders ist es aber
auch unmöglich, sich bei den eigentlichen viel zel Ii gen Organismen,
welche eine weiter fortgeschrittene Arbeitsteilung und eine ganze
Anzahl verschiedener Zellen und Gewebe aufweisen, eine Vererbung
erworbener Eigenschaften auf dem Wege einer stofflichen Kommuni-
kation zwischen Körper- und Keimzellen vorzustellen, und so kam
Weismann dazu, hier die Möglichkeit einer solchen direkt in Ab-
rede zu stellen 1 ).
Man wird in der Tat Weis mann in dieser Hinsicht mindestens
das Folgende zugeben müssen. Denkt man sich, es habe irgend eine
Gruppe von somatischen Zellen, beispielsweise eine Hautpartie, infolge
einer Verletzung eine Verminderung in der Zahl oder eine Deformation
in der Anordnung ihrer Elemente erfahren- Dann wäre es allerdings
in einfachen Fällen mittels einiger Hilfsannahmen denk-
bar, daß dieses veränderte Bild, die Abänderung A, auf die Fort-
pflanzungszellen projiziert wird und hier im Keimplasma eine ad-
äquate Abänderung a hervorruft. Wenigstens könnte man sich irgend
welche Verbindung zwischen den Sorna- und Keimzellen, eine soma-
tische Induktion der letzteren durch die ersteren 2 ), sei es mittels
Darwinscher Kcimchen, sei es mittels irgend welcher innerer Sekrete
oder Nerveneinflüsse 8 ), vorstellen. Immer unter der Voraussetzung,
daß es sich um einfachere Fälle handelt, könnte man sich dann in
der Tat ausdenken, daß gleichen äußeren Eindrücken immer
auch gleiche Abänderungen in der Konstitution des Keimplasmas
entsprechen, so wie die empfindliche Platte des Phonographen durch
gleiche Töne und Tonkombinationen immer in gleicher Weise beeinflußt
wird. Aber ganz unvorstellbar ist der von Lamarck angenommene
weitere Vorgang, nämlich die Wiedererweckung derselben Abände-
rung A im jungen, aus der Keimzelle hervorgegangenen Organismus
als eine Folge der im Keimplasma entstandenen Abänderung «.
Die Unmöglichkeit, sich ein derartiges Wechsel Verhältnis vorzu-
stellen, geht schon aus folgender Überlegung hervor.
l ) Vgl. unter anderen Weismann. Keimplasma, S. 515.
*) Detto 1909. Plate, S. 336 (190s), nennt Reize, welche nur auf das Sorna
wirken und dann in veränderter Form durch die organischen Leitungsbahnen auf die
Keimzellen übertragen werden, Leitungsreize.
*} Eine reziproke Verbindung der im Nervensystem gelegenen, funktionell
dem „Stirp" oder „Keimplasnia" entsprechenden „ Zentralzone " und andererseits der .
somatischen Elemente durch „nervöse Ströme" hat neuerdings Rignano an-
genommen.
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152
Unwahrscheinlichkeit einer somatischen Induktion.
Eine der Voraussetzungen für das Zustandekommen einer solchen
Vererbung als eines gesetzmäßigen und nicht bloß zufälligen Vor-
kommnisses würde sein, daß die Kette von Ursachen und Wir-
kungen X, Y, Z, die im elterlichen Organismus von der Abänderung A
zur Keimzellenvariation a führt, in umgekehrter Reihenfolge wieder
in Gang gesetzt wird, wenn sich aus der Keimzelle der junge Orga-
nismus entwickelt. Denn nur in diesem Falle könnte jedesmal dem
A wieder ein A, dem B ein B entsprechen. Nun können als einzige
Faktoren, die für die Projektion der Abänderung A auf die Keim-
zellen im elterlichen Organismus in Betracht kommen, die Abgabe
und Zirkulation von Keimchen oder inneren Sekreten, oder auch
Nerveneinflüsse angenommen werden, aus Faktoren dieser Art würden
also die Glieder der Kette x, y, z bestehen. Andererseits ist aber
doch der Kausalnexus, welcher zwischen der Konstitution der Keim-
zellen und der Entfaltung äußerer Merkmale im jungen Organismus,
bzw. zwischen Keimesvariationen a und entsprechenden Abänderungen
des Artbildes anzunehmen ist, sicherlich ein ungleich kompli-
zierterer und kann keineswegs im Transport von Stoffteilchen oder
in Kommunikationen nervöser Art bestehen. Es werden also als
Glieder der Ursachenkette nicht x, y, *, sondern ganz andere Fak-
toren (Mittel der Formbildung) w, n, o in Betracht kommen, und
dementsprechend wird sich, im Falle die Abänderung A des
elterlichen Organismus überhaupt fortwirkt, nicht die
Lamarcksche Reihe
A — x — y — z — a — z — y — x — d,
sondern eine Reihe mit einem ganz anderen Schlußglied, etwa
A — x — y — z — a — m — n — o — B
ergeben. Nur auf Grund von ganz zufälligen Umständen könnte
das Schlußglied A dann und wann einmal erreicht werden.
Wie gezeigt wurde, war Weismann zunächst aus rein theo-
retischen Gründen zu dem Ergebnis gelangt, daß eine Vererbung
erworbener Eigenschaften nicht stattfinde. Da nun aber in der Un-
möglichkeit, sich von einem Vorgang ein Bild zu machen, noch kein
Beweis gegen die tatsächliche Existenz des Vorganges liegt, so unterzog
er die einzelnen Erscheinungen, die als Stütze für die Lamarcksche
Auffassung angeführt worden waren, einer genaueren Prüfung, und
' suchte den Nachweis zu führen, daß in einem Teil der Beispiele die
Beobachtung eine unvollständige ist, und daß andere Fälle einer
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Gruppierung der Erscheinungen.
153
scheinbaren Vererbung erworbener Eigenschaften sehr wohl als Wir-
kung von Ausleseprozessen gedeutet werden können.
Seit dem Erscheinen von Weismanns Schriften ist das Tat-
sachenmaterial ganz bedeutend vermehrt worden, und es hat sich
immer deutlicher die Notwendigkeit einer bestimmten Gruppierung
der Erscheinungen und einer gesonderten Behandlung der einzelnen
Tatsachengruppen herausgestellt. Man wird unter den Erscheinungen,
für welche eine Vererbung in Lamarckschem Sinne (A — a — A)
auf den ersten Anblick in Frage kommen kann oder mit größerer
oder geringerer Bestimmtheit behauptet wird, zweckmäßig vier Gruppen
unterscheiden. Es kommen in Betracht:
a) solche Fälle, in welchen in augenscheinlicher Weise eine
Übertragung der Reizursache selber stattfindet und also,
da beim Kinde die gleiche Ursache weiterwirkt, das Wieder-
auftreten der Besonderheit, also der Reizwirkung, ohne
weiteres verständlich wird (äquikausale Änderungen);
b) solche Fälle, in welchen die Bedingungen für die Wirkung
bestimmter Reize, also die Reizempfänglichkeit oder
Disposition, auf Grund einer erblichen Keimesvariation
übertragen wird (äquidispositionelle oder vielleicht kürzer
äquipotentielle Variationen).
Diese beiden Fälle, in welchen sich die gleiche Erschei-
nung bei Eltern und Kindern wiederholt, ohne daß von einer
Vererbung der Erscheinung selber gesprochen werden kann,
fallen nach dem heute noch in der Medizin herrschenden Sprach-
gebrauch zum Teil wenigstens unter den Begriff der kongenitalen
(angeborenen), und zwar der erblich kongenitalen Abänderungen 1 ).
Ihnen stehen diejenigen Variationen gegenüber, welche bei den
Eltern durch Einwirkung eines Reizes, der entweder direkt
von der Außenwelt herrührt oder sich aus den Beziehungen des
Organismus zur Außenwelt ergibt, hervorgebracht werden und bei
denen eine Übertragung der Reizwirkung angenommen wird oder
nachzuweisen ist. Man kann sie vielleicht, als Lamarcksche Ab-
l ) Die Medizin spricht auch beute ncxh von kongenitalen Veränderungen
sowohl dann, wenn es sich um die Übertragung der Reizursache oder des Erregers
auf gerrainalera oder placentarem Wege handelt, als auch dann, wenn angeborene,
auf Keimesvariationen beruhende (zum Teil erbliche) Defekte vorliegen, die in „ver-
sprengten Embryonalzellen" (z. B. bei Dermoidcysten) oder in Entwickelungshera-
mungen anderer Art (z. B. bei Leistenbrüchen) ihre Ursache haben.
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154
Äquikausale Abänderungen.
änderungen zusammenfassen und unter ihnen je nach der Angriffs-
fläche des Reizes unterscheiden:
c) Die einseitigen Lamarckschen Abänderungen, welche
in augenscheinlicher Weise nur bestimmte, umschriebene
Körperteile betreffen, und
d) die allseitigen, für welche eine Beeinflussung des ganzen
elterlichen Organismus einschließlich der Fort-
pflanzungselemente angenommen werden muß.
A. Äquikausale Abänderungen
(Übertragung der Reizursache).
Bei der Pebrine, einer Infektionskrankheit der Seidenraupe,
kann die Übertragung in der Weise zustande kommen, daß die
Krankheitserreger aus dem elterlichen Organismus in die Eier ge-
langen und im jungen Organismus weiterwuchern. Möglicherweise
werden auch beim Menschen Infektionskrankheiten in der Weise
übertragen, daß die Erreger aus dem erkrankten (männlichen oder
weiblichen) Individuum in die Fortpflanzungszellen gelangen. Ins-
besondere wurde früher angegeben, daß die Syphilis durch Infektion
der Spermatozoen vom Vater auf die Kinder übertragen werden kann.
Indessen sind neuerdings die meisten Gynäkologen zu der Ansicht
gelangt, daß eine direkte paterne Übertragung bei der Syphilis nicht
vorkomme, wie denn vor allem auch darauf hingewiesen worden
ist 1 ), daß der vermutliche Erreger der Lues, die Spirochaete pallida,
länger als der Kopf eines menschlichen Spermatozoons ist.
Offenbar haben derartige auf Keiminfektion (pränataler Infek-
tion) beruhenden gleichsinnigen Erkrankungen der Eltern
und Kinder mit einer Vererbung nichts zu tun, da die Wider-
holung der Reizwirkung bei den Kindern nicht auf einer Abänderung
des Keimplasmas, sondern auf der Übertragung der Reizursache
von einer Generation auf die andere beruht. Es handelt sich um die
nämliche Erscheinung, wie beim grünen Süßwasserpolypen (Hydra
viridis), dessen grüne Farbe auf dem Vorhandensein einer symbiotischen
Algen-(Zoochlorellen-)Flora beruht und in der Weise übertragen
wird, daß die Algen vom mütterlichen Entoderm in die Eizellen und
') Zuerst durch Mumm. Die Länge der Spirochaete pallida beträgt 6 bis 15,«,
seltener 16 bis 26« (aus Doflein, Lehrb. d. Protoz.), die des menschlichen Sperma-
kopfes 4.5 « (nach W. Krause aus Waldeyer).
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Äquidispositionelle Abänderungen.
155
damit auf die Nachkommen übergehen. Ein Gegenstück bietet ein
von Sitowski 1 ) ausgeführter Fütterungs versuch dar: Werden die
Raupen von Tineola biselliclla mit dem Farbstoff Sudanrot gefüttert,
so erscheinen im Fettkörper der Raupe und ebenso im Fettkörper
und Eierstock des aus der Raupe hervorgehenden Schmetterlings rosa
gefärbte Fetttröpfchen, und diese finden sich auch noch in den ab-
gelegten Eiern, also in den Anfangsstadien der folgenden Generation.
In allen diesen Fällen liegt also keine Vererbung erworbener
Eigenschaften im Sinne Lamarcks, also ein A — a — A -Prozeß,
vor, sondern eine direkte Übertragung der Reizursache, ein Vorgang,
der durch die Formel U — U — U ausgedrückt werden kann.
B. Äquidispositionelle Abänderungen
(Übertragung der Reizempfänglichkeit).
Ein Vererbungsvorgang kann auch vorgetäuscht werden, wenn
«ine bestimmte Keimesvariation in Gestalt einer besonderen Reiz-
empfänglichkeit oder Disposition von einer Generation auf
die andere übertragen wird, und wenn infolge dieser gleichartigen Dis-
position (geringe Resistenz der Epithelien, ungenügende Ausbildung
von Schutzstoffen) bei den Vorfahren und Nachkommen die nämliche
Krankheit Eingang findet. Hier wird nur die Empfänglichkeit vererbt,
während die eigentliche Krankheitsursache, sei es in Gestalt von
Mikroben, wie bei der Tuberkulose, sei es in Gestalt von äußeren
Wirkungen anderer Art (Traumen), wie bei manchen Psychosen, in
jeder Generation erst neu hinzutreten muß.
Man kann vielleicht diese Zusammenhänge durch die Formel
(D + U) - D - (D + ü)
veranschaulichen, wobei durch D die Disposition aller Zellen, ein-
schließlich der Keimzellen, durch II die von außen kommende Reiz-
ursache ausgedrückt werden soll.
') L. Sitowski, Ball. Acad. Sei. Cracovic. 1905.
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Sechzehntes Kapitel.
Das Problem der Vererbung erworbener Eigenschaften.
(Fortsetzung.)
C. Einseitige Lamarcksche Abänderungen.
Eine Reihe von individuell erworbenen Abänderungen oder Neu-
erwerbungen kommt dadurch zustande, daß ein äußerer Reiz in
augenscheinlicher Weise nur auf bestimmte Teile des
Körpers einen direkten Einfluß ausübt und der Körper in
entsprechender Weise reagiert. Derartige Abänderungen, welche also
auf der Reaktion bestimmter Körper- oder Somazellen auf einseitig
wirksame Reize beruhen, fallen unter den Begriff der somatogenen
Abänderungen Weismanns und bilden einen direkten Gegensatz zu
den blastogenen Abänderungen, welche „die Folge einer Keimes-
variation sind, mag diese entstanden sein, wie sie wolle" 1 ).
Zu diesen einseitigen Abänderungen gehören die destruktiven
Abänderungen, d. h. die durch mechanische Eingriffe entstandenen
Verletzungen und Verstümmelungen, die funktionellen Abänderungen,
die durch Gebrauch oder Nichtgebrauch eines Organs hervorgerufen
werden, und die psychischen (mnemischen) Neuerwerbe, d. h. ein-
fache Eindrücke (Engramme) psychischer Art, welche die einzelnen
Individuen empfangen. Für alle diese Abänderungen ist von den
Anhängern Lamarcks die Annahme gemacht worden, daß sie bei
den Nachkommen, sei es in derselben Form, sei es in qualitativ
oder quantitativ abgeänderter Weise, wieder zum Vorschein kommen,
und zwar wird vielfach sogar behauptet, daß schon die Einwirkung
auf eine Generation genüge, um die Beeinflussung mehrerer oder
aller folgenden Generationen hervorzurufen.
Als Beweise für eine Vererbung destruktiver Abänderungen s )
sind u. a. immer wieder solche Fälle angeführt worden, in welchen
') Vgl. Weismann 1888 (Aufs., S. 498), 1892, S. 3.
«) Vgl. Weismann 1889.
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Verletzungen. 1 57
•
Hunde oder Katzen, die infolge eines Unglücksfalles oder durch
Zwangskupierung ihren Schwanz eingebüßt hatten, schwanzlose Nach-
kommen erzeugt haben sollen. Bei den meisten derartigen Fällen ist
aber vollkommen die Frage aufler Acht gelassen worden, ob nicht
unter den Vorfahren bereits die Schwanzlosigkeit bzw. eine Ver-
kümmerung des Schwanzes als sprungweise Variation (Mutation) auf-
getreten war, und ob es sich also bei den betreffenden Nachkommen
nicht um ein Wiederauftreten latenter Anlagen oder Tendenzen handelt.
In der Tat ist es ja bekannt, daß es auf der Insel Man im Irischen
Meer und in Japan Katzenrassen gibt, bei welchen eine vom Ende
der Schwanzwirbelsäule her Platz greifende Reduktion der Wirbelzahl,
verbunden mit abnormer Verknöcherung und zuweilen mit vorzeitiger
Verwachsung der Schwanzwirbel untereinander, als angeborene und
erbliche Bildungsanomalie auftritt, wie denn überhaupt die
Schwanzwirbelsäule der Säuger hinsichtlich der Wirbelzahl außer-
ordentlich weitgehende Schwankungen spezifischer und individueller
Art aufweist *). So konnte denn auch in einzelnen der als Beweis-
material herangezogenen Fälle nachträglich gezeigt werden, daß unter
den Aszendenten sich ein Individuum mit angeborener Schwanzlosig-
keit befand, so daß also das Auftreten schwanzloser Jungen in ein-
facher Weise zu erklären war.
Gegen die Annahme, daß Verletzungen und Verstümmelungen
übertragen werden, sprechen im übrigen nicht bloß zielbewußte
Experimente, wie dasjenige von Weismann, welcher bei Mäusen
neunzehn Generationen hindurch den Schwanz kupierte, ohne daß
eine Wirkung bei den Nachkommen hervortrat a ), vielmehr dürften sie
auch widerlegt werden durch eine Reihe von ethnographischen Tat-
sachen und tierzüchterischen Erfahrungen. In ersterer Hinsicht ist
vor allem auf die Beschneidung (Circumcision) hinzuweisen, die nicht
bloß bei den Israeliten, sondern auch bei zahlreichen anderen asiatischen,
afrikanischen und amerikanischen Völkern seit Jahrtausenden ausgeübt
wird, ohne daß ein Einfluß auf die Nachkommen mit Sicherheit nach-
gewiesen werden konnte. Auf tierzüchterischem Gebiete liegt ferner
') Es sei auf die großen spezifischen Verschiedenheiten in der Schwanzlänge
bei den Raubtieren (Katzen, Bären) und Affen (Meerkatzen, Menschenaffen) hin-
gewiesen. Ein Beispiel für individuelle Schwankungen bildet der Mensch, bei welchem
in der Regel 4 oder 5. seltener 3 oder 6 Schwanzwirbel angetroffen werden.
*) Vgl. i8$f8a (Aufsätze. S. 522), sowie Keimplasma, S. 520. Ähnliche Versuche
hat Ritzern a Bos mit Ratten angestellt.
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158
Funktionelle Abänderungen.
die Tatsache vor, daß seit mehr als 100 Jahren bei den Schafmüttern
der Merinos der Schwanz kupiert wird, und daß trotzdem niemals ein
schwanzloses oder stummelschwänziges Merinoschaf geboren wurde
obwohl gerade bei den Schafen eine große Variabilität bezüglich der
Zahl der Schwanzwirbel und eine Neigung zu starker Reduktion
vorliegt 2 ).
Im ganzen wird man sagen dürfen, daß zurzeit kein vollkommen
einwandfreies Beispiel für die Vererbung der durch Verletzungen
hervorgerufenen Deformationen vorliegt, und daß die überwiegende
Zahl der Biologen der Ansicht ist, daß eine solche Vererbung nicht
stattfindet. Dagegen wird vielfach noch von Seiten der Tierzüchter
an der Möglichkeit einer Vererbung von Verletzungen festgehalten »).
Ähnlich steht es mit den funktionellen Abänderungen, den
Aktivitätshypertrophien, die durch intensiven Gebrauch eines
Organs, und den Inaktivitätsatrophien, die durch Nichtgebrauch
hervorgerufen werden.
Es ist eine allgemein bekannte Erfahrung, daß viel gebrauchte
Organe, z. B. einzelne Muskeln und Muskelgruppen, die in bestimmten
Berufen besonders stark in Anspruch genommen werden (Armmuskeln
der Schmiede u. a.), überernährt, hypertrophisch werden und daher an
Volumen und Funktionsfähigkeit zunehmen, und daß umgekehrt ein
wenig gebrauchter Körperteil in den Zustand der Unterernährung oder
Atrophie gelangt und infolgedessen eine mangelnde Ausbildung oder
gar eine Rückbildung erfährt Nach Lamarck sollen nun solche
durch Gebrauch (Übung) oder Nichtgebrauch hervorgerufenen Ab-
änderungen erblich übertragen werden, es soll ferner, falls der Gebrauch
') Vgl. Weisraanu 18SQ (Aufsätze, S. 527). Herr Dr. W. Staudinger hatte
die Freundlichkeit, die betreffende Mitteilung Kuhns und Weismann 8 dahin zu
ergänzen, daß bei den Merinos nur die Schafmütter, und zwar im Interesse eines
erleichterten Sprunges kupiert werden, daß aber bei den englischen Fleischscbafrasseu
(Leicester, Southdown, Hampshiredown, Oxfordshiie) seit etwa 50 Jahren die Zucht-
tiere beiderlei Geschlechts, in ähnlicher Weise wie die belgischen Pferde und Shires,
aus Formrücksichten kupiert werden, ohne daÖ eine Einwirkung auf die Jungen nach-
gewiesen werden konnte.
*) Nach H. v. Xathusi us (Vorträge über Schafzucht. Berlin 18K0) besitzen
die schwanzlosen Rassen nur .3, die kurzschwänzigen 12 bis 16, die langschwänzigen
(z. B. die Fettschwanzschafe) 22 bis 24. und mehr Wirbel. Die verschiedenen Wild-
schafe (Moufflon, Argali. Mähnenschaf usw.) besitzen nach dem Material des hiesigen
landwirtschaftlichen Instituts 10 bis 14 Wirbel.
a ) So führt neuerdings U. Dürst (Mitt. Naturf. Ges. Bern 1909) den Ursprung-
der Hörner der Cavicoruier und des Kreuzschnabels der Gattung Loxia auf die Ver-
erbung von Traumen zurück.
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Funktionelle Abänderungen.
159
oder Nichtgebrauch in den folgenden Generationen sich in gleichem
Sinne fortsetzt, im Laufe der Stammesgeschichte eine Summierung
(Akkumulierung) der in den einzelnen Generationen hinzutretenden
positiven oder negativen Abänderungen oder Differentiale stattfinden
und so eine immer fortschreitende Entwicklung bzw. eine Rudi-
mentation und schließlich ein vollständiger Schwund des betreffenden
Organs zustande kommen '). So würde z. B. die mächtige Entwicke-
lung der Brustmuskeln einer Taube, eines Mauerseglers (Cypselus)
oder Kolibris und die starke Entfaltung des ihnen als Ursprungsstätte
dienenden Brustbeinkiels (Carina) auf eine akkumulierende Wirkung
des durch viele Generationen fortgesetzten Gebrauches zurückzuführen
sein, und ebenso würden die vorderen Extremitäten, die Brustmuskeln
und der Brustbeinkiel bei den straußenartigen Vögeln dadurch zur
Rückbildung gelangt sein, daß infolge des Aufenthaltes in baumlosen
Steppen oder auf kleinen Inseln eine Abnahme der Flugtätigkeit, also
ein zunehmender Nichtgebrauch dieser Organe eintrat.
Nun gilt aber für die Wirkungen des Gebrauchs oder Nicht-
gebrauchs dasselbe, wie für die durch mechanische Eingriffe hervor-
gerufenen Deformationen. Zunächst ist der Nachweis, daß derartige
Wirkungen vererbt werden, bisher niemals in einwandfreier Weise
geführt worden, und es ist auch ohne weiteres klar, daß insbesondere
ein zahlenmäßiger Nachweis mit besonderen Schwierigkeiten verbunden
sein würde. Denn auch von den Anhängern Lamarcks wird ja ein-
geräumt, daß selbst die sehr intensiven Gebrauchswirkungen vieler
Berufe (schwielige Hand des Arbeiters, Muskeln des Athleten) nicht
vererbt werden, wenn die Wirkung nur eine oder einige wenige Gene-
rationen lang dauerte, und daß offenbar nur ein durch viele Generationen
hindurch regelmäßig wiederkehrender Reiz zu sichtbaren erblichen
Änderungen führen kann 2 ). Aber abgesehen von der Schwierigkeit
eines direkten Nachweises, kann, wie Weismann hervorgehoben hat,
eine im Laufe der Stammesgeschichte stattfindende Vergrößerung
und Vervollkommnung und umgekehrt eine successive Rückbildung
von Organen ohne besondere Schwierigkeiten auf Selektions-
prozesse zurückgeführt werden. Denn offenbar werden nur solche
Organe viel gebraucht und geübt, welche für das Leben des Organismus
von Bedeutung sind und daher im Kampf ums Dasein eine wichtige
') Ha ecke 1 hat diesen Prozeß als fortschreitende oder progressive Vererbung
bezeichnet. Siehe S. 10.
*) Vgl. Plate, S.344-
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160
Panniixie.
Rolle spielen. Derartige Organe unterliegen aber in besonderem Maße
der Naturzüchtung, und es wird ihr Ausbildungsgrad und ihre Leistungs-
fähigkeit schon durch die Wirkung der letzteren gesteigert werden.
Umgekehrt wird, wenn ein Organ, z. B. der Sehapparat beim
Übergang zum Höhlenleben, in verringertem Maße gebraucht wird,
schon durch den Wegfall der Ausleseprozesse seine allmähliche Re-
duktion im Laufe der Stammesgeschichte herbeigeführt werden können.
Wenn nämlich zweckmäßige Bildungen durch Selektion entstanden
sind, so müssen sie auch durch Selektion erhalten werden, und sie
werden von ihrer hohen Ausbildungsstufe herabsinken, sobald, wie
dies beim Übergang in neue Lebensbedingungen eintreten kann, die
Naturzüchtung in Wegfall kommt. In diesem Falle werden ja nicht
bloß die in bezug auf das betreffende Organ bestausgestatteten
Individuen, sondern auch die Träger der Minus -Variationen Aussicht
haben, am Leben zu bleiben, zur Fortpflanzung zu gelangen und
ihre Eigenschaften auf die Nachkommen zu vererben, es wird also
eine Vermischung aller Individuen, eine Panmixie, eintreten und
infolgedessen ein allmähliches Herabsinken des Organs von seiner
ursprünglichen Organisationshöhe zutage treten, auch ohne daß eine
Vererbung im Sinne Lamarcks stattfindet 1 ).
Es gibt überdies Fälle, in denen es überhaupt ausgeschlossen
erscheint, daß eine Vererbung erworbener Eigenschaften bei der Weiter-
bildung oder Zurückdifferenzierung bestimmter Organe eine Rolle
gespielt hat. So sind z. B. bei den Ameisen und Termiten ver-
schiedene, den Arbeitern eigentümliche Differenzierungen aller
Wahrscheinlichkeit nach erst auf einer späteren Stufe der stammes-
geschichtlichen Entwickelung zur Ausbildung gelangt, nachdem die
Arbeiter bereits ihre Fortpflanzungsfähigkeit und damit die Möglich-
keit einer Übertragung erworbener Eigenschaften verloren hatten.
Hier kann, wie Weismann namentlich in der bekannten, mit Herbert
Spencer geführten Diskussion gezeigt hat, eine Vererbung der Ab-
änderungen, die bei den Arbeitern durch Gebrauch oder Nichtgebrauch
eines Organs während des individuellen Lebens entstanden sind,
überhaupt nicht in Frage kommen, und es bleibt nur die Annahme
übrig, daß die Weiter- oder Zurückbildung ausschließlich unter dem
Einfluß von Züchtungsprozessen stattgefunden hat 8 ).
l ) Vgl. Weismann 1883, 1886 (Aufsätze. S. 102, 574).
*) Vgl. Weismann 1886 (Aufsätze, S. 573); 1893. S. 17, 43; 189S. S. 37. sowie
H. Spencers Aufsätze in der Contemperary Review.
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Mnr mische Abänderungen.
161
Die Argumente Weismanns haben bei einem großen Teil der
Biologen Anklang gefunden, und man wird bezüglich des Problems
der Vererbung der funktionellen Abänderungen sagen können, daß
zurzeit kein Biologe und wohl auch kein Mediziner mehr eine solche
Vererbung als ein des Beweises nicht weiter bedürftiges Axiom an-
nimmt, daß vielmehr auch die Anhänger Lamarcks im Gegensatz
zu früher bemüht sind, ihre Ansichten durch Heranziehung von Tat-
sachen zu stützen. Anders steht es mit den Tierzüchtern. Bei ihnen
überwiegt im ganzen noch die Annahme, daß die Vererbung funktio-
neller Abänderungen einen der wichtigsten Faktoren bei der Neu-
bildung der Kulturrassen darstellt, und die langjährige, auf biologischer
Seite geführte Diskussion über diesen Gegenstand hat bei ihnen noch
keinen lebhaften Nachhall gefunden.
Eine dritte Gruppe von einseitigen Abänderungen stellen die
psychischen Neuerwerbungen oder, wie man in Anlehnung an Semon
sagen kann, die mnemischen Abänderungen dar. Nach der
Ansicht von Haeckel, Eimer, Semon und anderen „Neo-
Lamarckianern" wäre es möglich, daß Eindrücke psychischer Art,
insbesondere Erfahrungen, die während des individuellen Lebens
gemacht werden, und Gewohnheiten, die sich ein Tier angeeignet
hat, derart die Keimzellen beeinflussen, daß sie bei den Nachkommen
wieder in Form von angeborenen instinktartigen Fähigkeiten
zum Vorschein kommen 1 ). Nehmen wir an, ein Falter oder eine
Hummel habe die Erfahrung gemacht, daß an einer von der betreffenden
Spezies bisher nicht besuchten Blume, beispielsweise einer neu im-
portierten Kulturpflanze, Nektar in besonders bequemer oder reich-
licher Weise zu gewinnen sei, und sie hätten sich infolgedessen daran
gewöhnt, dieser Blume zuzufliegen, so daß der Besuch dieser Blume
ein automatischer geworden wäre. Dann würden nach Auffassung
der Neo-Lamarckianer, mindestens nach einer durch viele Generationen
hindurch erfolgten Wiederholung der Erfahrung, die Nachkommen
von vornherein den Instinkt besitzen, der betreffenden Blüte zu-
zufliegen. Danach würden also die angeborenen Instinkte erblich
gewordene automatisierte Gewohnheiten darstellen.
Auch die Vererbung solcher mnemischer Neuerwerbungen ist nach
Weismann unbeweisbar. Vor allem scheinen gegen die Annahme,
') Haeckel (Natürliche Schöpfungsgeschichte, 11. Aufl., l.Bd., S. 191) nennt die
Instinkte ohne weiteres „erbliche psychische Gewohnheiten".
Haecker, Vererbungslehre. U
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162
Entstehnag der Instinkte.
daß sich die Instinkte auf diese Weise stammesgeschichtlich ent-
wickelt haben, die nur einmal im Leben ausgeübten Instinkte
zu sprechen, z. B. die zum Teil so verwickelten Instinkthandlungen,
welche die Raupen der Schmetterlinge zur Sicherung des Puppen-
stadiums ausführen. Denn die betreffenden Handlungen kommen
ihrer Natur nach nur einmal im individuellen Leben zur Ausübung,
sie sind auch von den Vorfahren immer je nur ein einziges Mal aus-
geführt worden und es kann also eine Einübung und Einprägung
gewollter Handlungen als Ursache für ihre Entstehung nicht wohl
in Frage kommen 1 ). Man müßte denn annehmen, daß bei einem
Tier schon eine einmalige Folge von psychischen Vorgängen genügen
würde, um auf die Nachkommen eine nachhaltige Wirkung aus-
zuüben. Abgesehen von den allgemeinen Gründen, welche gegen
eine spezialisierte Übermittelung von psychischen Eindrücken auf
die Nachkommen sprechen, und welche für die mnemischen Abände-
rungen in gleicher Weise wie für die destruktiven und funktionellen
Gültigkeit haben, steht aber einer derartigen Voraussetzung schon
die eine Erfahrung im Wege, daß beim Menschen, dessen Gehirn
bezüglich seiner Aufnahmefähigkeit alle anderen Gehirne um ein
Unendliches übertrifft, keine einzige sichere Beobachtung dieser Art
gemacht werden konnte.
Man wird angesichts dieser Schwierigkeiten die Instinkte als
Lebensäußerungen zu betrachten haben, die ihre Ursache in Keimes-
variationen haben und unter der Wirkung von Züchtungsprozessen
immer weiter vervollkommnet und spezialisiert worden sind.
Literaturverzeichnis zu Kapitel 15 und 16.
Bonnet, R., Die stummelschwänzigen Hunde usw. Anat. Anz., 3. Bd., 1888.
Bos, J. Ritzema, Untersuchungen über die Folgen der Zucht in engster Bluts-
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Kimer, Th., Die Entstehung der Arten. Jena 1888.
Ilaeckel. E., Natürliche Schöpfungsgeschichte, 11. Aufl. Berlin 1909.
Hering, E., Über das Gedächtnis als eine allgemeine Funktion der organisierten
Materie. Vortrag. 2. Aufl. Wien 1876.
') Vgl. Weismann 1883 (Aufsätze, S. 107), 1889 (Aufsätze. S. 5K>), >9<M. H,
S. 65, ifjo6, S. 22 u. a.a.O. Vgl. auch H. E. Ziegler 1910, S. 34ff.
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Literaturverzeichnis 15 und 16.
163
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Plate, L.. Selektionsprinzip und Probleme der Artbildung. 3. Aufl. Leipzig 1908.
Rignano, E., Über die Vererbung erworbener Eigenschaften, Hypothese einer
Zentroepigcncse. Leipzig igo7. (Vgl. Frances Zeitschr. Ausbau d. Entw., 2. Jahrg.
1908; Ann. Naturphil., 8. Bd.)
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Spencer, H., The Inadequacy of Natural Selection. Contemp. Rev. 1893.
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— , Äußere Einflüsse als Entwickelungsreize. Jena 1894-
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— , Vorträge über Deszendenztheorie 2. Aufl. Jena 1904.
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Beitr. Path. Anat. u. Phys., l.Bd., 1886.
Ziegler, H. E., Der Begriff des Instinkts einst und jetzt. Zool. Jahrb., Suppl. VU,
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— , Die Streitfrage der Vererbungslehre (I^marckisraus oder Weismannisraus). Naturw.
Wochenschr., N.F., 9. Bd., 1910.
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Siebzehntes Kapitel.
Das Problem der Vererbung erworbener Eigenschaften.
(Fortsetzung.)
D. Allseitige Lamarcksche Abänderungen.
Während bisher noch in keinem Falle einseitige Abänderungen
bekannt geworden sind, in welchen die Vererbung in unzweideutiger
Weise festgestellt worden ist 1 ), liegt eine ganze Anzahl von Bei-
spielen vor, in welchen Reizwirkungen von weniger lokalisierter Art
auf die durch die betreffenden Reize nicht mehr beeinflußten Nach-
kommen übertragen werden und diese Übertragung auf eine gleich-
zeitige Beeinflussung der Körperzellen und Keimzellen, also
auf eine Parallelinduktion im Sinne Dettos zurückgeführt werden
kann a ).
Ebenso wie bei den einseitigen Abänderungen wird man auch
hier verschiedene Gruppen von Erscheinungen auseinanderzuhalten
x ) Auf die Bro wn-S^ quardschen Meerschweinchenversuchc, welche von ver-
schiedenen Seiten in diesem Zusammenhang angeführt worden sind, wird weiter
unten bei Besprechung der toxischen Abänderungen eingegangen werden.
Der von Plate (1908, S. 344) zitierte Cunninghamsche Versuch kann wohl
kaum als beweiskräftig angesehen werden. Cunninghara hat die farblose Seite
junger Plattfische von unten her beleuchtet und dadurch das Auftreten von Pigment
hervorgerufen. Aus dieser Reaktionsfähigkeit der Unterseite, welche also sogar die
spezifische Vererbungstendenz zu überwinden vermag, schließt Cunningham, daß
die äußeren Faktoren die eigentümliche Verteilung der Pigmentierung und Pigment-
losigkeit auf die rechte und linke Körperseite direkt veranlaßt haben müssen, und
Plate glaubt, daß hier ein Beispiel für Vererbung durch somatische Induktion
vorliege.
Angesichts der ungenügenden Kenntnisse, die wir zurzeit noch bezüglich der
bei der Pigroentbildung wirksamen kausalen und finalen Faktoren haben, scheint mir
der Versuch Cunninghams nicht eindeutig zu sein, und ich glaube nicht, daß man,
wie Plate meint, die Wirkung von Selektionsvorgängen und zufälligen Keimes-
variationen als ausgeschlossen betrachten kann.
*) Plate hat Reize, die in gleicher Weise Körper- und Keimzellen treffen, im
Gegensatz zu den Leitungsreizen (s. oben S. 151, Anm. 2), Simultanreize
genannt.
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Lamarckschc Vererbung bei Protisten. 165
haben, und zwar in erster Linie solche Abänderungen, welche bei den
Nachkommen in qualitativ-identischer Weise, wenn auch in
abgeschwächtem Grade hervortreten, und solche, welche bei den
Kindern in modifizierter Form zum Vorschein kommen.
Die einfachsten Beispiele allseitiger identischer Abände-
rungen finden sich bei den Protisten, also bei den Bakterien und
Einzelligen. So verlieren gewisse virulente Bakterien, z. B. die Milz-
brandbazillen (Bacillus anthracis) und die Erreger der Hühnercholera
(Bacterium cholerae gallinarum), ihre giftigen Eigenschaften, wenn sie
unter abnormen Bedingungen, z. B. in bestimmten Nährlösungen oder
bei hoher Temperatur gehalten werden, und die so erlangte Ungiftig-
keit kann von den Nachkommen auch unter normalen Bedingungen
festgehalten werden, im Falle der Milzbrandbazillen z. B. dann, wenn
sie ein Versuchstier passieren, welches für den Milzbrand besonders
empfanglich ist 1 ). In ähnlicher Weise sollen von farbstoff bildenden
Bakterien (Bacillus prodigiosus) unter der Wirkung höherer Tem-
peraturen farblose Rassen gebildet werden, welche längere Zeit
hindurch, auch unter normalen Bedingungen stabil bleiben»), und
ebenso behalten Trypanosomenstämme, welche gegen gewisse Arsen-
verbindungen giftfest gemacht worden sind, die Arsenfestigkeit als
dauernden Erwerb des Protoplasmas bei, auch wenn ein solcher
Stamm in drei Jahren etwa 400mal durch normale Mäuse hindurch-
passiert ist 8 ).
Hierher gehört auch die Beobachtung, wonach Algen (Oscillarien) in
farbigem Licht die betreffende Komplementärfarbe (z. B. in rotem Licht
die grüne Farbe) annehmen und die so erworbene Farbe auch bei
Weiterkultur in weißem Licht auf die durch vegetative Vermehrung
entstandenen Nachkommenzellen übertragen 4 ).
In allen diesen Fällen ist die Konstitutionsänderung, welche dem
Protoplasma des elterlichen Organismus beigebracht wurde, eine der-
') Zitiert nach O. Hertwig, Allg. BioU Sehr skeptisch hat sich bezüglich
dieser und ähnlicher Angaben A. Fischer 1903, S. 50, geäußert.
■) Vgl. dagegen A. Fischer 1903, S. 152, wonach auch diese Ergebnisse als
unsicher erscheinen.
») Vgl. Ehrlich 1909 (Über Partialfunküonen und: Über die neuesten Er-
gebnisse).
*) Vgl. Th. W. Engelmann (Bot. Ztg., 41. Bd., 1883 and Verb. Phys. Ges.
Berlin 1002/1903) und Gaidukov (Abh. Pr. Ak. Wiss. Berlin 1902 und Bei. Bot.
Ges., 21. Bd., 1903), sowie F. Oltmanns, Morph, und Biol. d. Algen, 2. Bd., S. 197.
Jena 1905 und E. Abderhalden, Naturw. Woch., 7. Bd., 1908.
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l6fb
Vererbung der Immunität.
artig nachhaltige, daß die Nachkommen, welche bei den Teilungs-
vorgängen im wesentlichen als einfache Fortsetzungen des
Protoplasmas ihre Entstehung nehmen, infolge dieser stofflichen
Kontinuität jene Modifikation ohne weiteres übernehmen und fest-
halten »).
In ähnlicher Weise kann bei Vielzelligen eine von den Eltern
erworbene Eigenschaft allgemein-konstitutioneller Art bei den
Nachkommen wieder zum Vorschein kommen, wenn die betreffende
Reizwirkung sämtliche Teile des Organismus einschließlich der
Keimzellen betroffen hat. In diesen Fällen wird die konstitutionelle
Abänderung der Keimzellen auch dem jungen Organismus mitgeteilt
werden, weil dessen Zellen in stofflicher und funktioneller Kontinuität
mit den elterlichen Keimzellen stehen- Im speziellen lassen sich
vielleicht einige Fälle von erblich gewordener Immunität mit den
Beobachtungen an Protisten in Parallele bringen.
So wird z. B. die von Mäusen erworbene Festigkeit gegenüber
gewissen Pflanzengiften, dem Ricin und Abrin»), durch die Mutter
auf die Kinder übertragen, und ebenso wird die erworbene Immunitat
des Rindes gegen Küstenfieber 8 ) und diejenige des Kaninchens gegen
Hundswut und Diphtherie 4 ) zum Teil auf die Nachkommen vererbt
In den genannten Beispielen ist, wofern nicht die placentare Er-
nährung der Nachkommen durch die Mutter im Spiele ist, eine gleich-
artige, immunisierende Beeinflussung sämtlicher Zellen des Körpers
und damit auch der Keimzellen durch die Pflanzen- oder Krankheits-
gifte anzunehmen, und eine solche ist deshalb unmittelbar verständlich,
weil die in kleinen, sich steigernden Dosen den Tieren zugeführten
Stoffe mit den ernährenden Flüssigkeiten in sämtliche Zellen und so
auch in die Keimzellen gelangen können.
Weniger klar sind einige andere Fälle, in denen klimatische
Faktoren unbestimmter Art als Reizursachen von überdauernder
Wirkung in Frage kommen. Hierher gehört die Beobachtung
') S. oben S. 126.
*) Das Ricin kommt zusammen mit einem dickflüssigen Öl im Samen der
Euphorbiacee Ricinus communis, das Abrin in den roten, schwarzfleckigen Samen
der Paternostererbse (Abrus precatorius) vor.
*) Nach R. Koch (Vortrag im deutschen Landwirtschaftsrat am 13. Februar
1908) sterbe» ungefähr 90 Proz. der von der Krankheit befallenen Tiere. Dagegen
sind die Nachkommen der „gesalzenen" Tiere, d. h. derjenigen, welche die Krankheit
Überstauden haben, in geringerem Grade empfanglich. Es sterben nur 60 bis 70 Proz.
*) Zitiert bei Tscherxnak 1908.
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Vererbung klimatischer Wirkungen.
167
Schübelers, wonach sich bei dem von Deutschland nach Norwegen
importierten Sommerweizen die Zeit zwischen Aussaat und Reife von
Generation zu Generation verkürzt und diese vielleicht unter der
Wirkung der nordischen Besonnung herbeigeführte Verkürzung der
Reife auch noch eine Zeitlang hervortreten soll, wenn der Weizen
nach Deutschland zurückgebracht und dort weiterkultiviert wird 1 ).
Auch sonst liegen auf botanischem Gebiet hierher gehörige Beob-
achtungen vor«) und möglicherweise ist in diesem Zusammenhang als
anthropologisches Gegenstück das viel zitierte Beispiel von der
Yankeesierung oder Indianisierung der in Amerika einwandernden
Europäer zu nennen. Denn nicht bloß die Einwanderer angelsäch-
sischer, deutscher und skandinavischer Abkunft lassen anscheinend
unter der Wirkung des Klimas eine von Generation zu Generation
sich steigernde Abänderung in der Richtung des Yankeetypus er-
kennen, sondern nach neueren Ermittelungen») hat dieser Prozeß auch
bei den neuerdings in großer Zahl eingewanderten osteuropäischen
Juden und Süditalienern seinen Anfang genommen.
Die Erklärung aller hier erwähnten Fälle und ihre Zurückführung
auf bekannte Erscheinungen ist zurzeit noch mit Schwierigkeiten
verknüpft Vermutlich dürfte es sich aber um eine ähnliche Form
der Parallelinduktion handeln, wie bei den experimentell erzielten
Abänderungen, von denen im folgenden die Rede sein wird und bei
welchen nicht bloß die Reizursachen, sondern auch die Reiz-
wirkungen einer genaueren Analyse zugänglich sind.
Ich erwähne an erster Stelle die Versuche, welche Tower*) in
langjähriger überaus gründlicher Arbeit mit dem zu den Chrysome-
l ) Die norwegisch geschriebenen Abhandlungen Schübeletrs, sowie seine
6 „Sätze" sind bei Wille (1905) zitiert. Die Beobachtungen Schübelers sollen
übrigens nach Wille wegen verschiedener Fehlerquellen nicht stichhaltig sein, ins-
besondere liegt die Möglichkeit vor, daß bei der Kultur in unbeabsichtigter Weise
Selektion sprozesse mit im Spiele waren. Vgl. auch Weisniann 1906.
•) So gibt Cieslar (zitiert bei Tschermak 1908) an, daß der Zwergwuchs vou
Koniferen, die in der Höhe gezogen wurden, auf die in der Ebene aufwachsenden
Nachkommen vererbt wird. Auch hier könnten allerdings Selektionsprozesse in
Frage kommen, indem möglicherweise in der Höhe nur die zwerghaften Mutationen
atn Leben blieben und fortpflanzungsfähig wurden, so daß beim Versuch überhaupt
nur erblich fixierte Zwergformen in Frage kamen.
•) Nach Untersuchungen des Anthropologen F. Boas an der Columbia- Univer-
sität (nach einem Referat im Globus 1910).
4 ) Tower 1906. Vgl. auch Ziegler, Naturw. Woch. 1910 (Literaturverzeichnis
15 und 16).
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Towers Versuche.
liden gehörigen Koloradokäfer (Leptinotarsa deccmlineata) und seinen
Färbungsvarietäten angestellt hat und die zu ganz besonders klaren
Ergebnissen geführt haben. Wenn bei diesem Käfer äußere Faktoren
(Wärme, Kälte, Feuchtigkeit) auf das Puppenstadium zur Ein-
wirkung kommen, solange die mit der „Wachstumsperiode" be-
ginnende Geschlechtszellenreife noch nicht eingesetzt hat, so weisen
die betroffenen Tiere im Imagostadium bestimmte Färbungs-
abänderungen auf, ähnlich den erblichen Aberrationen, welche die
Spezies auch in der Natur bildet. Diese künstlich erzeugten Ab-
änderungen sind nicht erblich, d. h. die unter normalen Bedingungen
gezogenen Nachkommen zeigen die normale Färbung. Die Er-
klärung für diese Ergebnisse liegt offenbar darin, daß rein somatogene
Abänderungen zustande gekommen waren und eine nachträgliche
Induktion der später sich bildenden Geschlechtszellen augenscheinlich
nicht stattgefunden hatte.
Wirken aber die äußeren Faktoren auf die bereits vollkommen
ausgefärbte Imago während der Geschlechtszellenreife ein,
so wird die Imago selber nicht mehr beeinflußt, aber die aus den
Geschlechtszellen hervorgehenden Nachkommen zeigen die Ab-
änderungen, offenbar weil es zu einer direkten Beeinflussung des
Keimplasmas der Geschlechtszellen gekommen war.
Alles in allem sind die Ergebnisse der Versuche zweifellos in
der Weise zu deuten, daß in keinem Falle eine Vererbung im Sinne
Lamarcks stattgefunden hat. Im ersteren Falle entstand eine nicht-
erbliche somatogene, im letzteren eine erbliche Keimesvariation.
Beobachtungen ähnlicher Art sind bei den sogenannten Tem-
peraturaberrationen der Schmetterlinge gemacht worden. Durch
Standfuß, Weismann, Fischer und Schröder sind bei ver-
schiedenen Tagfaltern, bei einem Spinner (Arctia caja) und beim
Stachelbeerspanner (Abraxas grossulariata) durch Einwirkung ab-
normer Temperaturen auf das Puppenstadium Abänderungen der
Flügelzeichnungen hervorgerufen worden, welche in einzelnen
Fällen bei den Nachkommen auch dann, wenn diese bei gewöhn-
licher Temperatur aufgezogen werden, in abgeschwächter Form wieder
hervortreten.
Werden speziell die Puppen vom kleinen Fuchs (Vanessa urticae,
Fig. 83, 1 a) mit mäßig erniedrigter bzw. mäßig erhöhter Temperatur
(0° bis -f- 15° bzw. 35 bis 37°) behandelt, so schlüpfen Falter aus,
welche in ihrem Farbenmuster mit den natürlichen Varietäten polaris
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Temperaturaberrationen.
169
(Nordkap, Amurgebiet, Kamtschatka) und ichnusa (Sardinien, Korsika)
übereinstimmen, und als künstliche Kälte- und Wärmeaberrationen
bezeichnet werden. Wenn dagegen sehr niedrige oder sehr hohe
Temperaturen angewandt werden (0° bis —20° bzw. +42 bis -f-46 0 ),
so erscheinen extrem gefärbte Frost- und Hitzeaberrationen,
welche bisher mit Sicherheit noch nicht im Freien gefunden worden
sind und den Namen ichnusoides (nigrita) führen. Charakteristisch
für diese durch extreme Temperaturreize erzeugten Variationen
(Fig. 83, l b) sind hauptsächlich die Verschmelzung der beiden ersten
Vorderrandflecke (11 und III) zu einem breit - oblongen Fleck, der
Schwund der beiden kleinen Flecke in der Mitte des Vorderflügels,
die Verwischung der Randbinde und die Auflösung ihrer blauen
Fig. 83.
Oberseite 1. von Vanessa urticae (a normal, b Frost- und Hitzeaberration), 2, von
Vanessa Jo (a normal, b Frost- und Hitzeaberration), 3. von Argynnis Laodicc (mit
verhältnismäßig .primitiver" Zeichnung).
Halbmonde, sowie die Verdunkelung der Oberseite der beiden Hinter-
flügel.
Ganz analoge Abänderungen weisen bei entsprechender Be-
handlung einige nahe verwandte Vanessaarten, insbesondere der große
Fuchs (V. polychloros) und das Tagpfauenauge (V.Jo, Fig. 83, 2 a— b)
auf. Im speziellen werden bei letzterem die charakteristischen Augen-
flecke unterdrückt, indem namentlich am Vorderflügel die hellen
Schuppen durch dunklere verdrängt werden und die dem äußeren
Vorderrandfleck entsprechende Pupille des Auges (2 a, III) mit dem
folgenden Randfleck (2a, II) zu einem oblongen Feld verschmilzt
(2 b, II + IU).
»
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170
Temperaturaberrationen.
Die durch Frost und Hitze erzeugten Zeichnungsabänderungen
sind teilweise erblich. Werden nämlich künstlich erzeugte ichnusoides-
Individuen gepaart, so treten unter den Nachkommen auch dann,
wenn diese im Puppenstadium bei normaler Temperatur gehalten
werden, neben normalen Faltern einige Individuen mit den charak-
teristischen Zeichnungsabänderungen von ichnusoides auf,
Hier liegt augenscheinlich die Vererbung einer erworbenen Eigen-
schaft vor, und es fragt sich, ob hier eine parallele Induktion
(A — A — A) angenommen werden kann, oder ob es sich wirklich
um den La marck sehen Modus (A — a — ^4) handelt. Auf den
ersten Anblick scheint es 1 ), als ob die Aberrationen im wesentlichen
durch Verdunkelung, d. h. durch vermehrte Pigmentierung von
den normalen Typen unterschieden seien. In diesem Falle hätte man
sich zu denken, daß Frost und Hitze in sämtlichen Zellen des
Organismus, also auch in den Schuppenbildungszellen der Puppe und
in den Keimzellen, eine vermehrte Tendenz zur Pigmentproduktion
hervorrufen, und die Vererbung könnte dann ohne weiteres als eine
parallele Induktion, als eine gleichsinnige Beeinflussung des Personal-
und Germinalteiles aufgefaßt werden ( A — A — A). Indessen zeigt
eine nähere Betrachtung, daß speziell die Frost- und Hitzeaber-
rationen der Vanessaarten keineswegs bloß durch intensivere und
ausgedehntere Pigmentierung von den normalen Typen unterschieden
sind. Es sei nur auf den durch den Schwund der beiden kleinen
Flecke im Vorderflügel herbeigeführten Pigmentverlust hingewiesen 8 ).
Die Erklärung kann also wenigstens bei Vanessa keine volle Gültig-
keit haben.
Nun ist von verschiedenen Seiten») darauf aufmerksam gemacht
worden, daß wenigstens ein Teil der durch Temperaturreize hervor-
gerufenen Abänderungen den Charakter von Atavismen hat,
insbesondere treten gewisse Anklänge an die Gattung Argynnis
(Fig. 83, 3) hervor, die mindestens in bezug auf die größere Regel-
mäßigkeit des Zeichnungsmusters als eine primitive Formengruppe
betrachtet werden darf.
') Namentlich die Versuche mit Abraxas scheinen darauf hinzudeuten, daS
durch die Temperaturwirkung „melanistische" Individuen erzeugt werden.
*) Eine ausführliche Widerlegung der Verdunkelungshypothese findet sich bei
Fischer 1007 ; vgl. auch Haecker 1910.
*) Vgl. Dixey 1894; Weismann, Vortr. II, S. 229; Fischer 1907; vgl. da-
gegen Plate, S. 341.
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Zurückdifferenzierung spezifischer Merkmale und Weckung latenter Potenzen. 171
Speziell bei den durch sehr starke Temperaturreize bewirkten
Frost- und Hitzeaberrationen, den „D-Variationen" der Vanessaarten,
handelt es sich zum Teil um Zeichnungsabänderungen, die jedenfalls
als Ausdruck einer Zurückdifferenzierung spezifischer Merk-
male gedeutet werden können 1 ): so wird z. B. das Auge von V. Jo
ausgelöscht und die spezifischen Grundtöne, das Ziegelrot des großen
und kleinen Fuchses und das Purpurbraun des Tagpfauenauges,
werden hauptsächlich am Hinterflügel in ein düsteres Braun über-
geführt. Als Entwickelungshemmungen können diese Differenzierungen
im allgemeinen nicht bezeichnet werden, da die reproduzierten
Stadien meistens keine normalen ontogenetischen Durchgangsstadien
darstellen, eher könnte man auch hier von phylogenetischen
Reminiszenzen sprechen. Jedenfalls ist aber die Wirkung dieser
Differenzierungen eine Verähnlichung der Arten.
Diese Verähnlichung beruht nun aber nicht bloß auf der Zurück-
differenzierung gewisser Merkmale, sondern z. T. auf dem weiteren
Umstand, daß unter der Wirkung der gleichen Reize in den ein-
ander nahestehenden Arten gewisse übereinstimmende Merkmale zu-
stande kommen, die nicht wohl als Entwickelungshemmungen onto-
genetischer Art oder als phylogenetische Reminiszenzen zu deuten
sind 3 ). Dazu gehört vor allem die Verschmelzung der beiden distalen
Randflecke des Vorderflügels (II — f- III nach Dixey), wie sie in über-
einstimmender Weise bei mehreren Vanessaarten hervortritt (Fig. 83,
1 und 2, b, II 4- HI). Offenbar sind also in den verschiedenen Spezies
noch gemeinsame (generelle), normalerweise latente Potenzen
(novelties der englischen Autoren) verborgen, welche unter dem Ein-
fluß abnormer Reize geweckt werden.
Demnach liegen (Fig. 84) die durch abnorme Reize hervor-
gerufenen Aberrationen nicht auf der direkten Linie, die von den
Formen a, 6, c zur Stammform s führen, sie entsprechen also nicht
den Punkten a', b\ cf, sondern fallen auf die abseits gelegenen Punkte
a", b", c" zurück, man kann auch sagen, sie nähern sich einer Pseudo-
stammform s'. Daß diese nicht der Stammform s entspricht, beruht
wohl hauptsächlich darauf, daß durch die abnormen, in der Natur
im allgemeinen nicht vorkommenden Reize im Gattungsplasma ab-
norme generelle Potenzen geweckt werden.
') Vgl. Haccker IQIO.
*) Auch Weismann (1906) nimmt für die Temperaturaberrationen eine Mischung
uralter Ahneucharaktere mit modernen Merkmalen an.
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172
Vererbung bei Temperaturaberrationen.
Die teilweise Vererbung derartiger Variationen würde dann in
einfacher Weise durch die Annahme einer parallelen Induktion er-
klärt werden können. Danach würden sämtliche Zellen, insbesondere
die Schuppenbildungszellen und die Keimzellen, unter der
Wirkung der Reize die nämliche Umstimmung in dem angeführten
doppelten Sinne erfahren, nämlich eine Zurückdifferenzierung
der spezifischen Merkmale auf der einen und die Entfaltung
genereller, normalerweise latenter Potenzen auf der anderen
Seite. Sie verhalten sich also derart, als ob sie nicht den Arten
a, b, c, sondern der Pseudostammform s' angehören. Infolgedessen
werden im elterlichen, der Reizwirkung ausgesetzten Individuum die
Wirkung abnormer Temperaturen auf Vanessaarten.
Schuppenbildungszellen durch vereintes, harmonisches Zusammen-
wirken das Farbenmuster s erzeugen 1 ), und ebenso werden sich in
den jungen, aus den umgestimmten Fortpflanzungszellen hervorgehen-
den Individuen die Schuppenbildungszellen verhalten können, so daß
das nämliche Farbenmuster auch unter normalen Bedingungen zum
Vorschein kommt.
In ähnlicher Weise, wie die Ergebnisse der Temperaturexperi-
mente mit Schmetterlingen, dürften wohl auch die Beobachtungen»
') Bei Regenorationsvorgängen kann von einem neu aufgebauten Entwickelungs-
zentrum aus in regelmäßiger Weise immer wieder dasselbe harmonische Ganze ent-
stehen (es liegt gerade hier nahe, an Meisenheimers Beobachtungen über die
Regeneration der Flügelanlagen der Schmetterlingsraupen zu denken). Man wird um
so leichter verstehen können, wie in unserem Fall die in der gleichen Richtung um-
gestimmten Schuppenbildungszellen immer wieder ein in derselben Richtung ab-
geändertes Farbenmuster entstehen lassen.
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Kammerers Versuche mit Salamandra.
173
welche Kammerer bei seinen Amphibien versuchen gemacht hat, zu
verstehen sein. Es ist Kammerer gelungen, durch Einwirkung künst-
licher Bedingungen die beiden einander nahestehenden, aber jedenfalls
in der Jetztzeit scharf voneinander geschiedenen Molcharten, den
Feuersalamander (Salamandra maculosa) und den Alpensalamander
<S. atra), bezüglich ihres Verhaltens bei der Fortpflanzung und des
Charakters der Larven einander ähnlicher zu machen. Es hat sich
dabei herausgestellt, daß diese Abänderungen auch ohne Fortdauer
der künstlichen Versuchsbedingungen wenigstens teilweise auf die
Nachkommen vererbt werden.
Im speziellen hat es sich gezeigt, daß S. maculosa, wenn sie bei
geringer Feuchtigkeit gehalten wird, nicht, wie dies normaler-
weise der Fallest, eine größere Zahl
von kiemenatmenden Larven (Fig. 85 A)
ins Wasser absetzt, sondern nur eine
kleine Anzahl, bei längerer Angewöh-
nung überhaupt nur zwei kiemenlose
. Vollmolche u gebiert. S. maculosa
zeigt also eine entschiedene Annähe-
rung an S. atra, welche normaler-
weise zwei kiemenlose Vollsalamander
<Fig. 85 B) absetzt, während die übri-
gen Uteruseier zu einem Dotterbrei
-eingeschmolzen werden und den bei-
den überlebenden Embryonen als Nah-
rung dienen. Die als Vollmolche ge-
borenen maculosa-Salamander (zweite
Generation) gebären auch dann, wenn
sie in normale Feuchtigkeitsbedingungen versetzt werden, Larven,
welche hinsichtlich ihrer geringeren Zahl, ihrer bedeutenderen Größe
und vorgeschritteneren Entwicklung immer noch eine bedeutende An-
näherung an S. atra aufweisen. Es macht sich also bei der Rückkehr
der zweiten Generation zu normalen Lebensbedingungen eine unzweifel-
hafte Vererbung der vom Elterntier unter künstlichen Bedingungen
erworbenen Eigenschaften bemerklich, andererseits findet bei Fort-
dauer der künstlichen Bedingungen noch eine Steigerung der er-
worbenen Charaktere und eine vollständige Annäherung an S. atra
statt: ein maculosa -Weibchen der zweiten Generation, welches in
einem Aquarium ohne Wasserbecken gehalten wurde, gebar zwei
Fig. 85.
A normale neugeborene Larve von
Salamandra maculosa, ins Wasser ab-
gesetzt; B normale, als .Vollmolch"
neugeborene Salamandra atra, auf dem
Lande abgesetzt. Nach Kammeier.
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174
Versuche mit Salamandra.
Vollsalamander von bedeutender Größe (40 bis 41 mm) l ) und dunkler
Färbung, sowie ohne eine Spur von Kiemen und Flossensaum (vgl.
Fig. 85 B).
Umgekehrt setzt S. atra in wassergesättigter Umgebung statt der
zwei schwarzen Vollmolche eine größere Anzahl von gefleckten, mit
Kiemen und Ruderschwanz ausgestatteten Larven ab, und diese, in
ihrer Jugend an S. maculosa (vgl. Fig. 85 A) erinnernde zweite Gene-
ration gebiert im Wasser abermals Larven, welche in bezug auf die
vollkommenere Ausbildung des Ruderschwanzes und ihre größere
Gewandtheit im Wasser noch eine weitere Steigerung der maculosa-
Charaktere aufweisen.
Resultate ähnlicher Art ergeben sich bei Versuchen mit der
Geburtshelferkröte (Alytes obstetricans). Während diese Kröte, im
Gegensatz zu unseren anderen Batrachiern, auf dem Lande laicht
und eine verhältnismäßig geringe Zahl (18 bis 86) großer, dotterreicher
Eier produziert 3 ), werden die brünstigen Tiere durch die Wirkung
hoher Temperaturen (25 bis 30° C) namentlich in den späteren
Laichperioden veranlaßt, mehr und mehr das Wasser aufzusuchen
und hier sich der Eischnüre zu entledigen. Gleichzeitig steigt die
Zahl der, Eier bis auf 115, ihre Größe und ihr Dottergehalt werden
geringer, während ihre Resistenzfahigkeit im ungewohnten Medium
zunimmt, so daß eine immer größere Anzahl Eier zur Entwickelung
gelangt.
Eine Vererbung der erworbenen Eigenschaften trat bei den Nach-
kommen derjenigen Laichperioden hervor, in denen die Elterntiere
schon die „höchste Stufe der Instinktvariation" erklommen hatten.
Trotzdem nämlich die Eier der Stammgeneration sehr bald nach der
Ablage in normale Bedingungen versetzt worden waren, laichten
alle aus ihnen hervorgehenden Individuen zweiter Generation zunächst
») Die Länge der I-arven von S. maculosa beträgt normalerweise 23 bis 30 mm.
*) Das <f umklammert das $ um die Lenden und leistet Geburtshilfe, indem
es den Laich aus der Kloake des $ herausdrückt und sein Austreten durch Ziehen
und Stemmen mit den Hinterbeinen unterstützt. Da die Eierablage im Trocknen
stattfindet, so quellen die Gallertbüllen der Eier nicht auf, sondern bleiben wegen
ihrer Klebrigkeit an den Schenkeln des cT haften. Sie wickeln sich infolge der
Bewegungen des <f um dessen Hinterschenkel herum und sitzen diesen, da sie nach
Verlust der Klebrigkeit eine zähe Beschaffenheit annahmen , wie eine Fessel auf
(„Fcßlerkröte"). Sie werden dann vom d* herumgeschleppt und gelegentlich eines
der häufigen Bäder, welche das <f nimmt, werden die Embryonen frei (vgl. Kam-
merer. S.450. 1909).
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Versuche mit Alytes.
17')
im Wasser, die Zahl der Eier der ersten Laichperiode übertraf die
Norm, ihre Größe war geringer und ihre Resistenz fahigkeit im ab-
normen Medium eine sehr bedeutende.
Zur Ergänzung sei bemerkt, daß, wenn die Eier der Stamm-
generation in hoher Temperatur (25 bis 30 0 C) gelassen werden, die
Annäherung der zweiten Generation an die primitiven Laich-
gewohnheiten anderer Froschlurche noch stärker hervortritt.
Die Gallerthülle der Eier der zweiten Generation nimmt an Dicke
zu, die Larven zeigen typische Amphibienkiemen und die erwach-
senen er der dritten und noch mehr die der vierten Generation ent-
wickeln in der Brunst Daumenschwielen.
Was die vererbungstheoretische Bedeutung der Kämmerer-
sehen Versuche anbelangt, so dürften mehrere dabei hervorgetretene
Erscheinungen dem Verständnis näher gerückt werden, wenn auch
hier, wie bei den Schmetterlingsversuchen, eine mindestens dop-
pelte Wirkung der veränderten Lebensbedingungen unterschieden
wird. Auf der einen Seite darf man zweifellos mit Kammerer
einige der künstlich bewirkten und zum Teil erblichen Abänderungen
bei S. atra und Alytes als Entdifferenzierungen oder sogar als
Atavismen auffassen. Auf der anderen Seite bleibt (man denke
an die Annäherung der S. maculosa an atra) ein Rest von Abände-
rungen übrig, die vielfach den Charakter von progressiven
Variationen haben und deren Entstehung an die Entfaltung gene-
reller, latenter, nur unter abnormen Bedingungen zur Ent Wickelung
kommender Anlagen bei Vanessa erinnert. Ausgehend von der
Annahme einer derartigen doppelten Wirkung der äußeren Reize
gelangt man dann zu der Auffassung, daß es sich bei den beob-
achteten Vererbungserscheinungen nicht um eine Vererbung soma-
togener Eigenschaften und um eine somatische Induktion der Keim-
zellen durch Leitung handelt, sondern daß auch hier, wie bei den
Vanessen, die Vererbung auf einer parallelen Induktion der Körper-
und Keimzellen beruht und ihr also blastogene Abänderungen
zugrunde liegen.
Ergebnisse ähnlicher Art wie bei den Amphibien hat Kammerer
(1910) bei Eidechsen erhalten, also bei einem Objekt, das schon vor
langer Zeit durch die Untersuchungen Eimers in die Artbildungs-
lehre eingeführt worden ist. Unter anderem wurde die normalerweise
lebendiggebärende Bergeidechse (Lacerta vivipara) bei erhöhter Tem-
peratur (25 bis 30° C) eierlegend, und ihre Nachkommen erwiesen sich
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176
Versuche von Wolter eck und Klebs.
ebenfalls als eierlegend, auch dann, wenn sie bei niedriger Temperatur
gehalten wurden. Bei der im männlichen Geschlecht rot-, im weib-
lichen gelbbäuchigen L. fiumana ruft Temperaturerhöhung bei den
Männchen erbliche Weißbäuchigkeit, bei L. serpa und oxycephala
dagegen Temperaturerhöhung und Haltung in äußerster Trockenheit
einen ebenfalls erblichen Melanismus hervor usw.
In der gleichen Richtung bewegen sich die Ergebnisse Wolte-
recks, welcher bei Cladoceren eine erbliche Fixierbarkeit von milieu-
bedingten Abänderungen beobachtete. So kann z. B. die „Kopf höhe",
die im allgemeinen mit wachsender Intensität der Ernährung ihrer-
seits zunimmt und also gegenüber den Milieubedingungen eine be-
stimmte „Reaktionsnorm" aufweist, durch Einwirkung extremer
Lebenslagen in erblicher Weise abgeändert werden.
Auch auf botanischem Gebiet liegen ähnliche, experimentell ge-
wonnene Resultate vor. Klebs hat bei der Hauswurz (Sempervivum)
durch Veränderung der Kulturbedingungen (Düngung, hohe Tempe-
ratur, Feuchtigkeit) Blütenvariationen bestimmter Art (veränderte Zahl
der Blumenblätter usw.) hervorgerufen und weiterhin gefunden, daß
diese Variationen auch bei der ersten Tochtergeneration unter ganz
anderen Bedingungen wieder zum Vorschein kamen.
Während die bisher aufgezählten allseitigen Abänderungen bei
den Nachkommen in qualitativ identischer Weise, wenn auch vielfach
in quantitativ abgeschwächtem Maße hervortreten und hier also im
wesentlichen die Formel A — A — A Gültigkeit hat, gibt es eine An-
zahl von Abänderungen, welche bei den Nachkommen in qualitativ
modifizierter Form zum Vorschein kommen.
Zu diesen allseitigen, nicht-identischen Wirkungen ge-
hören insbesondere die durch die Wirkung gewisser Krankheits-
gifte oder Toxine hervorgerufenen erblichen (kongenitalen) Abände-
rungen. Es ist bekannt, daß der Alkoholismus vielfach in der Weise
sich äußert, daß bei dem Potator selber als Folgen des geschwächten
Zustandes oder auch als unmittelbare Wirkungen des Alkohols krank-
hafte Erscheinungen leichter und schwerer Art (Magen- und Darm-
katarrhe, Lebercirrhose, Delirium) hervortreten, während bei seinen
Nachkommen sich die Nachwirkung in Form von allgemeiner Körper-
schwäche, in der geringeren Resistenz gegen Krankheiten und in der
Neigung zu Psychosen allerart geltend macht. Offenbar ist in
solchen Fällen als allgemeinste Wirkung des Alkoholmißbrauchs eine
Schwächung sowohl der Körper- als der Keimzellen des Er-
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Alkoholismus.
177
zeugers und damit auch der Organisation der Nachkommen zu be-
trachten, während als äußerlich hervortretende Folgewirkung dieser
Schwächung bei den Eltern und Kindern je nach den accidentiellen
äußeren Faktoren oder je nach der verschiedenen Blutmischung sehr
verschiedenartige krankhafte Zustände zur Entwickelung kommen
können. Es gilt also nicht die Formel A — A — A, sondern das
abgeleitete Schema (A -j- B) — A — (A + C).
Vermutlich sind auch die bekannten Beobachtungen von Brown-
Sequard 1 ), welche so oft als entscheidende Beweise für das Vor-
kommen einer Lamarckschen Vererbung angeführt worden sind, in
dieser Weise zu deuten. Brown-Sequard hat bei Meerschweinchen
mittels Verletzung verschiedener Teile des zentralen und peripheren
Nervensystems (Herausschneiden eines Teiles der grauen Substanz
des Gehirns, Durchschneidung des Rückenmarks, des Nervus ischia-
dicus, Nervus poplitaeus internus usw.) Erscheinungen hervorgerufen,
welche an verschiedene Symptome der Epilepsie des Menschen er-
innern. Die Nachkommen dieser Tiere waren im allgemeinen klein,
schwächlich und dekrepit und wiesen Lähmungserscheinungen, Atro-
phien oder Gangräne an verschiedenen Körperstellen auf. Im allge-
meinen entsprachen die bei den Jungen hervortretenden Erscheinungen
nicht denjenigen, welche bei den Eltern durch die Verletzung her-
vorgerufen waren, aber in einigen wenigen Fällen (in l bis 2 Proz.
der Fälle) zeigten sie selber wieder, ohne daß bei ihnen Eingriffe
vorgenommen wurden, epileptische Erscheinungen.
Angesichts des Umstandes, daß, wie die verschiedenen Versuche
beweisen 8 ), ähnliche epileptiforme Krankheitsbilder durch Eingriffe
sehr verschiedener Art hervorgerufen werden können, und überhaupt
die eigentliche Ätiologie dieser Erscheinungen vollkommen unklar
ist, lassen sich die Ergebnisse Brown-Sequards bei der Behandlung
der Frage nach der Vererbung erworbener Eigenschaften nicht in
eindeutiger Weise verwerten 3 ). Jedenfalls stehen mehrere Möglich-
keiten offen, die Erscheinungen auch ohne die Annahme einer Ver-
') Die Abhandlungen Brown-Sequards sind 1869 — 1893 großenteils in den
Archives de Physiologie normale et pathologique (Paris) erschienen. Näheres findet
sich u. a. bei Weismann, Aufsätze, S. 375 ; Thomson, Heredity, S. 230.
*) Die Versuche Brown-Sequards sind inzwischen von verschiedener Seite
(Westphal, Obersteiner u. a.) wiederholt und modifiziert worden, und verschiedene
Mediziner, insbesondere auch der Pathologe E. Zicgler, haben zu ihnen im Sinne
Weismanns Stellung genommen.
a ) Vgl. Weismann, Thomson, Plate.
Haecker, Vererbungslehre.
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178
Brown S^quards Versuche. Vererbung und Gedächtnis.
erbung somatogener Eigenschaften dem Verständnis näher zu bringen, vor
allem muß damit gerechnet werden, daß durch die Traumen Störungen
von bestimmter trophischer Art herbeigeführt und daß vielleicht im
Zusammenhang damit Toxine frei gemacht wurden, welche die Keim-
zellen oder durch Vermittlung des Blutes den Fötus in gleicher Richtung
wie die Eltern schädigen. Es würde dann eine ähnliche Erscheinung
vorliegen wie bei den Wirkungen des Alkoholismus. Weniger wahr-
scheinlich ist es, daß bakterielle Infektionen eine Rolle spielen.
Wenn wir nun nochmals den augenblicklichen Stand des La-
marckschen Problems zusammenfassen, so ist zunächst hervorzuheben,
daß im Verlauf der Diskussionen, die sich an die Schriften Weis-
manns angeknüpft haben, in immer bestimmterer Weise die Not-
wendigkeit hervorgetreten ist, die einzelnen von den Anhängern La-
marcks herangezogenen Erscheinungen gruppenweise zu behandeln.
Vor allem ist ein strenger Unterschied zu machen zwischen den
einseitig lokalisierten Abänderungen, welche sich im ganzen mit
den somatogenen Variationen Weismanns decken, und denjenigen
Abänderungen, für welche eine mehr allseitige, gleichmäßige
Wirkung des Reizes auf Körper- und Keimzellen angenommen werden
kann und welche demnach einen Teil der blastogenen oder Keimes-
variationen Weismanns bilden 1 ).
Bezüglich der somatogenen Variationen besteht heutzutage wohl
bei der Mehrzahl der Biologen die Auffassung, daß eine Vererbung
auf dem Wege der somatischen Induktion der Geschlechtszellen
bisher in keinem Falle mit Sicherheit nachgewiesen werden konnte.
Dagegen liegt eine Anzahl von Fällen vor, in denen eine Vererbung
allseitiger Abänderungen mittels paralleler Induktion festgestellt
wurde. Eine solche Übertragung entspricht zwar nicht vollkommen
dem von Lamarck und seinen Anhängern angenommenen Ver-
erbungstypus, es liegt aber wohl kaum ein Bedenken vor, auch hier
von einer Vererbung erworbener Eigenschaften zu sprechen. Auch
wird man in diesen Fällen dem von Hering, Semon, A. Forel,
Rignano 2 ) u. a. gezogenen Vergleich zwischen der Vererbung und
dem psychischen Gedächtnis (der Mneme) eine mehr als metaphorische
Bedeutung zuweisen dürfen.
') Blastogene Variationen können nach Weismann auch auf andere Weise,
nämlich durch Neukombination der Ahnenplasmcn (s. S. 191) oder auf dem Wege
der Germinalselektion (s. Kap. 19) zustande kommen.
*) Siehe hierzu Literaturverzeichnis 15 u. 16. Vgl. auch Weismann 1906.
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Literaturverzeichnis 17.
179
Literaturverzeichnis zu Kapitel 17.
Brown-Sequard, Versen. Abhandlungen. Arch. Phys. Norm. Path. 1869 — 1893.
Dixey, F. A., On the phylogenetic significance of the wing- markings etc. of tbe
Nyrophalidae. Trans. Ent. Soc. London 1802.
— . Mr. Merrifield's Experiments in Temperature -Variation as bearing on Theorics
in Heredity. Ebenda 1804.
Ehrlich, P., Über Partialfunktioncn der Zelle. Münch. Med. Woch. 1909.
— , Über die neuesten Ergebnisse auf dem Gebiete der Trypanosomenforschung.
Aich. Schiffs- u. Tropenhygiene, 13. Bd., 1909.
Fischer. A., Vorlesungen über Bakterien. 2. Aufl. Jena 1903.
— , E., Zur Physiologie der Aberrationen- und Varietätenbildung der Schmetterlinge.
Arch. Rass. u. Ges. Biol., 4. Jahrg., 1907 •
Haecker, V., Vererbungs- und variationstheoretische Einzelfragen. 1. Uber Trans-
versionen (Überschläge) Zeitschr. ind. Abst., l.Bd., 1909.
— , — II. Über die Temperaturaberiationen der Schmetterlinge und deren Erblich-
keit. Ebenda, 4. Bd., 1910.
Hcrtwig, O., Allg. Biologie, siehe Literaturverzeichnis \2.
Kammerer, P., Vererbung erzwungener Fortpflanzungsanpassungen« 1. und II.
(Salamandra). Arch. Entw.-Mecb., 25. Bd.. 10O7-
— , III. (Alytes). Ebenda. 28. Bd., 1909.
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Klebs, G., Über die Nachkommen künstlich veränderter Blüten von Sempervivum.
Sitzungsber. Heidelb. Akad. Wiss. 1909.
Meisenheimcr, J., Über Flügelregencration bei Schmetterlingen. Zool. Anz^
33. Bd., 1908.
— , Experimentelle Studien zur Sorna- und Geschlechtsdifferenzierung. I. Beitrag.
Jena 1909.
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Schröder, Chr., Die Zeichnungsvariabilität von Abraxaa grossul. usw. Allgem.
Zeitschr. Ent., 8. Bd., 1903.
Standfufl, M., Handbuch der paläarkt. GroBschmetterlinge. Jena 1896.
— , Die Resultate 30 jähriger Experimente mit Bezug auf Artbildung usw. Verh.
Schweiz. Naturf. Ges. (Luzern) 1905.
Thomson, J. A., Heredity. London 1908.
Tower, W. L., An Investigation of Evolution in Chrysomelid Beetles of the Genus
Leptinotarsa. Carnegie Inst. Wasb. Publ. 48, 1906.
Tschermak, E., Der moderne Stand des Vererbungsproblems. Arch. Rass. u. Ges.
Biol., 5. Jahrg., 1908.
Weismann, A., Aufsätze, 1892, siehe Literaturverzeichnis 15/16; Vorträge, 1904,
siehe Literaturverzeichnis 15/ 16.
— , Richard Semons „Mneme" und die .Vererbung erworbener Eigenschaften". Arch.
Rass. u. Ges. Biol., 3. Jahrg., 1906.
Wille, N., Über die Schübelerschen Anschauungen in betreff der Veränderungen
der Pflanzen in nördlichen Breiten. Biol. Centralbl., 25. Bd.. 1905.
Woltereck, R. f Weitere experimentelle Untersuchungen über Artveränderung usw.
bei Daphniden. Verh. D. Zool. Ges. 1909.
12*
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Achtzehntes Kapitel.
Pfropfbastarde, Xenien, Telegonie.
In allen morphobiologischen Vererbungshypothesen, so insbeson-
dere in den Pangenesishypothesen von Darwin und de Vries
und in der Kontinuitätslehre Weismanns, ist auf einige Erschei-
nungen Bezug genommen worden, welche eine gewisse Ähnlichkeit
mit den typischen Vererbungsvorgängen erkennen lassen und zum
Teil auch als Vererbungsprozesse in einem erweiterten Sinne des
Wortes zu deuten sind Es sind dies vor allem die Pfropf bastarde,
die Xenien und Bizzarrien, sowie die Telegonie. Durch
neuere Untersuchungen ist in einem Teil der Fälle eine vollständige
Aufklärung herbeigeführt worden, bezüglich der übrigen haben sich
seit der Begründung der genannten Vererbungshypothesen die Frage-
stellungen in mancher Hinsicht verschoben. 'Auf jeden Fall sind
neuerdings verschiedene dieser Vorkommnisse in den Vordergrund des
Interesses gerückt worden, so daß auch jetzt noch jede Vererbungs-
hypothese sich mit ihnen abfinden muß.
Man verstand bisher unter Pfropfbastarden im engsten Sinne
des Wortes Adventivsprosse, die aus der Verwachsungszone eines
Reises mit der Unterlage hervorgehen und sich in mancher Hinsicht
wie sexuelle Bastarde zwischen den beiden zusammengepfropften
Arten verhalten 1 ). Als Beispiel wurde von vielen Forschern das be-
rühmte Labumum (Cytisus) Adami angesehen, eine Laburnumform,
deren Blüten in merkwürdiger Mischung die Charaktere des gelb-
blühenden Goldregens, Labumum vulgare, und der purpurblühenden
Cytisus purpurea in sich vereinigen 2 ). Insbesondere treten neben
hellgelben, purpurnen und schmutzigroten Blüten auch solche auf,
die in zwei symmetrische Hälften, eine gelbe und eine purpurne,
geteilt sind.
l ) Vgl. Baut 1910.
*) Vgl. Darwin, I, S. 497 (1868); Weismann, S. 445 (1802).
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Xcnien.
181
Mit größerer Sicherheit als Laburnum Adami ist der Crataego-
mespilus Asnieresii von Bronvaux (einem Orte bei Metz) als Propf-
bastard in dem oben begrenzten Sinne zu deuten. Hier handelt es
sich um eine interessante Mischform von Mispel (Mespilus germanica)
und Weißdorn (Crataegus monogyna), welche sich an einem mehr
als hundertjährigen Weißdornstamm in unmittelbarer Nähe der Stelle,
wo auf ihn ein Mispelzweig aufgepfropft worden war, in Gestalt von
mehreren Adventiv trieben gebildet hatte 1 ).
Unter Xenien faßte man bisher nach dem Vorgang von Focke
Abänderungen der normalen Gestalt oder Farbe zusammen, die außer-
halb des Embryos an irgend welchen Teilen des Samens oder des
mütterlichen Organismus anscheinend durch die Einwirkung fremden
Blütenstaubes hervorgebracht werden. In einigen Fällen steht tat-
sächlich fest, daß auf dem Wege der Bastardbefruchtung eine der-
artige Beeinflussung zustande kommen kann. So hat Correns lür
den Mais nachgewiesen, daß bei Bestäubung einer gelben Rasse
mit dem Pollen einer blauen in der äußersten Endospermschicht
(Aleuron- oder Kleberschicht) der Samenkörner die blaue Farbe
der väterlichen Stammpflanze auftritt. In ähnlicher Weise ist von
älteren Beobachtern angegeben worden, daß bei Erbsen auch die
Samenschale, bei der Zuckererbse (Pisum arvense) und Orange
die vom Fruchtknoten abstammenden Teile der Frucht (Hülse
bzw. Fruchtfleisch) und beim Apfel sogar das den Fruchtknoten
(Gehäuse) umwallende und die Scheinfrucht bildende obere Ende
der Blütenachse durch Fremdbestäubung in der Richtung der den
Pollen liefernden Rasse oder Spezies modifiziert werden könne 3 ).
Mischfrüchte von verschiedenem Aussehen sind namentlich von
den Agrumi, d. h. den mediterranen Vertretern der Gattung Citrus
bekannt, und ihre Träger werden als Bizzarrien bezeichnet*). Spe-
ziell für die Orange gibt Gallesio an, daß er durch Fremdbestäubung
mit dem Pollen der Limone eine Frucht erhalten habe, deren Rinde
innerhalb eines Sektors die Merkmale einer Limone aufwies, während
der übrige Teil der Rinde und das Innere der Frucht nur der
Orange glich. Am genauesten untersucht sind die auch jetzt noch
existierenden Bizzarrien von Florenz, welche außer reinen Früchten
der Pomeranze und der Florentiner Cedrate auch Mischfrüchte ver-
') Vgl. Noll 1905: Strasburger, S. 530 (1007).
») Vgl. Darwin, I, S. 511 (1868).
') Vgl. Strasburger, S. 56 (1904); S. 538 (1907).
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182
Birzarrien. Telegonie.
schiedener Art aufweisen, unter anderen solche, deren Schale voll-
ständig oder innerhalb bestimmter, vom Scheitel zum Stiel laufender
Sektoren der Pomeranze angehört, während die übrige Schale und
das ganze Fruchtfleisch die Charaktere der Cedrate trägt. Auch
Mischungen von Orange und Limone und solche aus drei Citrusarten
werden in der Literatur erwähnt.
Bezüglich der Entstehungsgeschichte der Bizzarrien weichen die
Angaben voneinander ab. Die Orange -Limone -Bizzarria soll, wie
bereits erwähnt wurde, nach Gallesio einen sexuellen Bastard dar-
stellen 1 ), während für die Florentiner Pomeranze -Cedrate -Bizzarria
angegeben wird, daß sie aus Adventivsprossen hervorging, welche
der Unterlage nach Absterben des Edelreises entsproßten s ). Erstere
würde also den Xenien, letztere den Pfropfbastarden anzureihen sein.
Als Infektion des Keimes oder nach Weismanns Vorschlag
als Telegonie (Fernzeugung) werden endlich solche Fälle bezeichnet,
in denen anscheinend die Begattung eines Weibchens mit einem ersten
Männchen von Einfluß ist auf die Beschaffenheit derjenigen Nach-
kommen, die aus der Paarung desselben Weibchens mit einem zweiten
Männchen hervorgehen. Am bekanntesten ist folgender schon von
Darwin erwähnte Fall»). Eine kastanienbraune arabische Stute des
Lord Morton wurde zuerst von einem Quaggahengst belegt und
erzeugte mit diesem einen Bastard, danach wurde sie mit einem ara-
bischen Rapphengst zusammengebracht und warf zwei Füllen, welche
graubraun (dun) und an den Beinen, eines von ihnen auch am Hals,
deutlich gestreift waren. Außerdem besaßen sie die kurze, steil auf-
recht stehende Mähne des Quaggas. Außer diesem Vorkommnis,
welches auch Darwin für ein unzweifelhaftes Beispiel von Telegonie
ansah, sind namentlich von Tierzüchtern zahlreiche andere Fälle an-
gegeben worden, in denen ein Einfluß des ersten Männchens auf die
später von derselben Mutter mit anderen Männchen erzeugten Nach-
kommen hervorzutreten schien 4 ).
Wie erwähnt, haben die Untersuchungen der letzten Jahre be-
züglich mancher der hier aufgezählten Vorkommnisse Aufklärung
gebracht, und zwar haben zunächst diejenigen Xenien eine Erledi-
l ) Gallesio, Traite du Citrus 1811; vgl. Darwin, Var.. I, S. 514: Stras-
burger , S. 544 (1907).
«) NachPietroNati 1674 undGallesio 1811; vgl. Strasburger. S. 539(1907).
*) Darwin, Var., I, S. 520; vgl. auch Weismann, S. 504 ff. (1892).
*) Vgl. Darwin, Var., I, S. 520, Anm. 138; ferner Thomson, S. 145 (iQOH).
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Bastard-Endosperm. Pfropf bastarde.
183
gung gefunden, in denen es sich ausschließlich um eine Beeinflussung
des Endosperms handelt, wie dies z.B. bei manchen Maiskreuzungen
der Fall ist. Es haben nämlich Nawaschin und Guignard zuerst
bei den Lilien den Nachweis geführt, daß beide generative Kerne
des Pollenschlauches in den Embryosack schlüpfen (S. 84, Fig. 49).
und daß der eine mit dem Eikern (00), der andere mit dem durch
Vereinigung der beiden Pollenkerne (ps, pi) entstandenen sekundären
Embryosackkern die Kopulation ausführt. Von dem so entstandenen
dreifachen Kern stammen aber die Endospermkerne ab, und da also
die Substanz der letzteren zum Teil auf diejenige des einen genera-
tiven Pollenkerns zurückzuführen ist, so ist ein Einfluß der väter-
lichen Rasse auf das Endosperm ohne weiteres zu verstehen. Nun
ist allerdings gerade für den Mais diese sogenannte doppelte Be-
fruchtung noch nicht nachgewiesen worden, aber da die letztere
außer bei den Lilien auch noch bei einer Reihe von anderen Phanero-
gamen beobachtet ist, so wird man mit Correns die Maisxenien in
der Weise zu erklären haben, daß durch die Vereinigung des zweiten
generativen Pollenkerns mit dem sekundären Embryosackkern ein
Bastard-Endosperm entstanden ist, und man wird also Vorkomm-
nisse dieser Art als echte Vererbungsvorgänge bezeichnen müssen.
Auch das Problem der Pfropfbastarde ist in den letzten Jahren
der Lösung wesentlich näher geführt worden. Zunächst ist es
Winkler mittels zielbewußter, an Tomate (Solanum lycopersicum)
und Nachtschatten (S. nigrum) ausgeführter Experimente als erstem
gelungen, willkürlich Pfropf bastarde in dem früher begrenzten Sinne
zu erzeugen, d.h. aus der Verwachsungszone zweier Pfröpflinge bastard-
ähnliche Mittelbildungen als Adventivsprosse entstehen zu lassen. Der
Versuch bestand im wesentlichen im folgenden: Wenn eine junge
Pflanze der Tomate dekapitiert und gleichzeitig die Achselknospen
der Stengelblätter entfernt werden, so daß ein Ersatz des verlorenen
Haupttriebes durch Austreiben der Achselknospen verhindert wird, so
kommen aus dem Callus, der die Schnittfläche kappenförmig über-
zieht, Adventivsprossen in großer Zahl hervor. Wird aber durch
Keilpfropfung ein Trieb vom Nachtschatten aufgesetzt und abermals
dekapitiert (Fig. 86 A), so daß die apikale Schnittfläche zum Teil aus
Geweben der Unterlage, zum Teil aus solchen des Reises besteht, so
kann durch geeignete Methoden bewirkt werden, daß nur an den Stellen
a — d (Fig. 86 B), wo die Gewebe von Unterlage und Reis unmittelbar
aneinanderstoßen, Adventivsprosse entstehen. Auf diese Weise erhielt
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184
Wesen der Pfropfbastarde.
nun Wink ler eine Anzahl von Adventivsprossen, deren Blätter,
Blütenteile und Früchte die Merkmale der Tomate und des Nacht-
schattens in sich vereinigten, also ihrer Entstehung und Beschaffen-
heit nach tatsächlich als Pfropfbastarde im früher angegebenen Sinne
zu betrachten sind. Die erste der so erzeugten, mit dem zunächst
theoretisch voraussetzungslosen Namen Chimären bezeichneten Misch-
formen wurde Solanum tubingense genannt.
Durch diese Experimente wurde nun aufs neue die Frage nach
dem eigentlichen Wesen der Pfropfbastarde aufgerollt. Es war früher J )
A Fig. 86.
speziell für Laburnum Adami vielfach angenommen
worden, daß an der Veredelungsstelle abnormer-
weise eine Zelle des Edelreises und eine solche
der Unterlage miteinander verschmolzen und also
eine Kopulation zwischen zwei vegetativen
Kernen zustande gekommen sei. Auch Wink ler
führte zunächst die von ihm erzielten Mischbil-
dungen auf nichtsexuelle Zellverbindungen zurück.
Gegen diese Annahme hat aber Strasburger
aus zellgeschichtlichen Gründen») Einwände er-
hoben und ist der Ansicht von de Vries») bei-
getreten t daß Laburnum Adami überhaupt keinen
Pfropf bastard , sondern einen geschlechtlich ent-
standenen Bastard darstelle, dessen Eigentümlich-
keiten durch „vegetative Merkmalsspaltun-
gen", das heißt durch Trennung der im Bastard
verbundenen Anlagen während der vegetativen
Zellteilungen, zustande gekommen seien.
Eine dritte Ansicht über die Pfropfbastarde ergab sich aus Be-
obachtungen, die von Baur an panaschierten (partiell -albinotischen)
Pelargonien gemacht wurden. Bei der Kreuzung grüner und
weißrandiger Rassen entstehen unter anderen grünweiß marmorierte
Pflanzen, deren Vegetationspunkte vielfach eine Mischung von weißen
und grünen Zellen enthalten. Insbesondere können Vegetationskegel
Erzeugung
von Pfropfbastarden
Nach Winklcr.
') Vgl. Strasburger, S. 169 (1884) und Weismann, S. 447 (1892).
*) Vgl. Strasburger, S. 63 (1905). Vor allem fand Strasburger, daß
Laburnum Adami die gleiche Chromosomenzahl aufweist, wie die beiden Stamm-
formen, während im Falle einer Kernverschmelzung die doppelte Zahl zu er-
warten wäre.
8 ) 2. Bd., S.676 (1903).
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Chimären.
185
auftreten, die aus einzelnen weißen und grünen Sektoren zusammen-
gesetzt sind (Fig. 87 A), und solche, bei denen die zwei peripheren
Zelllagen aus weißen, die inneren Schichten aus grünen Zellen be-
stehen, die also eine pcriklinale Schichtung aufweisen (Fig. 87 B). In
ersterem Falle werden solche Blätter, die an der Grenze zwischen
einem weißen und grünen Sektor entstehen, eine weiße und eine
grüne Hälfte besitzen, aus Vegetationskegeln der letzteren Art da-
gegen bilden sich Blätter, bei denen die äußersten beiden Zellschichten
und ebenso der dünne, nur aus wenigen Zellschichten bestehende
Blattrand weiß ist (Fig. 87C). Erstere sind von Baur, indem er den
Ausdruck „Chimären" in etwas verändertem Sinne verwandte, als
Sektorial-, letztere als Periklinalchimären bezeichnet worden.
Fig. 87.
Schema für Sektorial- (A) und Periklinalchimären (B, C).
Nach Baur.
Eine dritte Form würden die Hyperchimären Strasburgers sein,
bei denen die Vegetationspunkte mosaikartig aus Zellen beider Eltcrn-
arten zusam mengesetzt sind.
Im Hinblick auf diese Befunde ergab sich nun die Auffassung,
daß die „Pfropfbastarde" Laburnum Adami, Crataegomespilus und
Solanum tubingense Organismen sind, „bei denen artreine Zellen von
beiden Pfropf komponenten ohne Verschmelzung zu gemeinsamem
Aufbau eines neuen Individuums zusammengetreten sind" 1 ). Die
Winklerschc Bezeichnung Chimären wurde auch für die so ge-
deuteten Organismen beibehalten. Speziell S. tubingense würde eine
Periklinalchimäre darstellen, deren Haut von der Tomate und deren
l ) Winkler igio.
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180
Chimären.
Inneres vorn Nachtschatten stammt 1 ), und in ähnlicher Weise sollen
auch Laburnum Adami und Crataegomespilus auf Grund der ana-
tomischen Befunde als Periklinalchimären zu betrachten sein.
Wenn so hinsichtlich der Maisxenien und verschiedener Pfropf-
bastarde das Hauptproblem im wesentlichen gelöst erscheint, so bleiben
natürlich noch eine Menge von Einzelfragen offen, und eine ganze
Anzahl der im Anfang des Kapitels aufgezählten Beobachtungen wird
zunächst durch die neu gewonnenen Kenntnisse noch nicht berührt.
Bezüglich der Bizzarrien hat Strasburger 8 ) die Ansicht aus-
gesprochen, daß es sich ebenfalls um Chimären handelt, eine Auf-
fassung, für welche die Angaben über die Entstehung der Florentiner
Bizzarria sprechen dürften 8 ). Man wird aber doch vielleicht sich vor
einer frühzeitigen Verallgemeinerung hüten müssen, denn die Be-
hauptung Gallesios, daß er eine Orangen-Limonen-Bizzarria durch
Bastardierung erzeugt habe, darf doch nicht ohne weiteres bezweifelt
werden, zumal die Beobachtungen Baurs dafür sprechen, daß ein Zu-
standekommen sektorial und periklinal geteilter Mischfrüchte auf dem
Wege der Bastardierung nicht zu den Unmöglichkeiten gehört. Ein
hierher gehöriger Fall soll kurz erwähnt werden. In einem Pfarrgarten
im Württembergischen Schwarzwald stehen nebeneinander ein Rosen-
apfel- und ein Goldparmänenbaum. Vor fünf Jahren trug letzterer neben
den normalen Goldparmänefrüchten einen Apfel mit einem Rosen-
apfelsektor, und im letzten Jahre einen kleinen Apfel, welcher äußer-
lich vollkommen die dunkelrote Farbe und den fettigen Glanz der
Rosenäpfel zeigte, im Innern aber im Gegensatz zu letzteren rein
weiß war. Hier liegt doch die Vermutung nahe, daß eine zufällige
Bastardierung und also eine Einwirkung des Pollens auf die mütter-
lichen Gewebe stattfand.
So wird man also angesichts der bestimmten Angaben verschiedener
Autoren«) immer noch die Möglichkeit offen halten müssen, daß es
neben der Bastard -Endospermbildung und den Chimären doch auch
noch Xenien im ursprünglichen Sinne Fockes gibt, und daß durch
den Pollen bald die Samenschale (Erbse), bald die Derivate des
Fruchtknotens (Hülse der Zuckererbse und Fruchtfleisch der Orange),
') Vgl. Baur 1909, 1910, Strasburger 1909. Winkler 1910 (Ober das Wesen
der Pfropfbastarde).
«) S. 525 (1909).
*) Siehe oben S. 182.
4 ) Vgl. Darwin, I, S. 511 (1868).
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Echte Xenien. I87
bald sogar die vom oberen Ende der Blütenachse abstammende Schein-
frucht (Apfel) beeinflußt werden können.
Ein zoologisches Gegenstück würden die Beobachtungen von
A von Tschermak bilden, der bei der Kreuzung von Kanarienhennen
mit männlichen Wildvögeln (Gierlitz, Stieglitz usw.) einen Einfluß der
väterlichen Spezies auf die Zeichnung der Eier beobachten zu können
glaubt 1 ), und als eine weitere Stufe der Xenienbildung , als die
Wirkung einer besonders nachhaltigen Beeinflussung des mütterlichen
Organismus würde eventuell die Telegonie in Betracht kommen.
Angesichts der großen Bedeutung, welche neueren Erfahrungen zu-
folge die inneren Sekrete (Hormone) für die Beziehungen zwischen
Fig. 88.
Schema von Guthries Transplantationsversuchcn bei Hühnern.
den verschiedenen Organen des Körpers haben, könnte man sich im
Falle der Xenien- und Bizzarrienbildung die Beeinflussung des mütter-
lichen Körpers durch die väterlichen Fortpflanzungselemente etwa in
der Weise denken, daß von dem befruchteten Keime aus auf demselben
Wege, auf dem ihm die Nahrungsstoffe vom Sorna her zuströmen,
irgend welche Substanzen, mag man sie als innere Sekrete oder En-
zyme, als Pangene oder Biophoren auffassen und bezeichnen, an die
') In. ähnlicher Weise sollen nach den Angaben älterer Autoren (W. von Na-
thusius) Hennen von Rassen, deren Eier normalerweise weißschalig sind, nach der
Begattung mit einem Cochinchinahahn gelbe Eier legen.
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188
Geschlechtsdrüsen und Sorna.
mütterlichen Gewebe abgegeben werden, und daß auf diese Weise eine
Umstimmung der letzteren, eine Erweckung latenter Potenzen nach Art
der Transversionen herbeigeführt wird, in ähnlicher Weise, wie ein
Fremdkern das Cytoplasma umzustimmen vermag 1 ).
Die Ergebnisse der Experimentalforschung sind allerdings vor-
läufig noch widersprechender Art. Auf der einen Seite weisen neuere
Beobachtungen darauf hin, daß bei manchen tierischen Objekten das
Sorna und insbesondere die sekundären Geschlechtscharaktere durch
die Geschlechtsdrüsen nicht auf dem Wege einer spezifischen inneren
Sekretion beeinflußt werden 8 ). Andererseits hat Guthrie 8 ) gefunden,
daß ein schwarzes Huhn, dem der Eierstock eines weißen Huhnes
implantiert wurde (Fig. 88 A, $), nach der Paarung mit einem weißen
Hahn (A, o") teils weiße, teils weiß und schwarz gefleckte Nachkommen
erzeugte, und daß ebenso ein weißes Huhn, dem der Eierstock eines
schwarzen Huhnes eingesetzt worden war (B, $), nach Kreuzung mit
einem schwarzen Hahn (B, c/") weiß und schwarz gefleckte Jungen
hervorbrachte. Falls hier nicht doch Rassenmischungen im Spiele sind,
würden die Versuche offenbar so zu deuten sein, daß eine spezifische
Beeinflussung der Genitaldrüsen und der in ihnen erhaltenen Geschlechts-
zellen durch die Wirtin stattgefunden hat. Es dürfte also auch der
umgekehrte Fall, d. h. die spezifische Beeinflussung des Sornas durch
die Geschlechtszellen, nicht ganz außerhalb des Bereichs der physio-
logischen Wahrscheinlichkeit liegen.
Literaturverzeichnis zu Kapitel 18.
Baur, E., Das Wesen und die Erblichkeitsverhältnisse der „Varietates albomarginatae
hört." von Pelargonium zonale. Zeitschr. ind. Abst., l.Bd., 1909.
— , Pfropf bastarde, Periklinalcbimären und Hyperchimärcn. Ber. D. Bot. Ges.. 27. Bd.,
1909.
— , Pfropf bastarde. Biol. Centralbl., 30. Bd.. 1900.
') Vgl. Kap. 14, 5. 148. Das seltene Vorkommen von Bizzarrien weist darauf
hin, daß in diesem Falle noch besondere Bedingungen (individuelle Dispositionen,
physiologische Zustände usw.) hinzutreten müssen.
*) Vgl. Meisenheimer, Literaturverzeichnis 17. Nach den Ergebnissen von
Hegar, Halban u. a. üben die Geschlechtsdrüsen , indem sie den allgemeinen
Stoffwechsel des Organismus beeinflussen, eine quantitative, nicht aber eine
spezifische Wirkung auf die Ausbildung der sekundären Geschlechtscharaktere aus.
*) Ein ähnliches, jedoch weniger entscheidendes Experiment hat V. Magnus
(Norsk. Magazin Laegevidenskab, No. 9* Kristiania 1907) mit Kaninchen ausgeführt.
Vgl. Johannsen 1909 und Godlewski 1909, Literaturverzeichnis 14.
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Literaturverzeichnis 18.
Correns, C. Untersuchungen über die Xenieu bei Zca Mays. Ber. D. Bot. Ges.,
17. Bd., 18Q0.
— , Über Bastarde zwischen Rassen von Zea Mays usw. Ebenda, 19. Bd., 1901.
Darwin, Ch., Das Variieren der Tiere und Pflanzen im Zustande der Domestikation.
Übers, von J. V. Carus. Stuttgart 1868.
Focke, W. O., Die Pflanzen-Mischlinge. Berlin 1881.
Guthrie, C. C, Further Results of Transplantation of Ovaries in Chickens. Journ.
exp. Zool., Vol. 5, 1908.
Johannscn, W., Kiemente der exakten Erblichkeitsichre. Jena 1909.
Korscbelt, E., Beeinflussung der Komponenten bei Transplantation. Med. Naturw.
Archiv, 1. Bd., 1908.
Meisenhcimer, J.. Experimentelle Studien zur Sorna- und Geschlechtsdifferenzierung.
Jena 1909.
Noll, F., Die Pfropfbastarde von Bronvaux. Sitzungsber. Niederrhein. Ges. f. Natu r-
u. Heilk., 1905.
Strasburger, E. , Neue Untersuchungen über den Befruchtungsvorgang bei den
Phanerogamen als Grundlage einer Theorie der Zeugung. Jena 1884.
— , Streifzüge an der Riviera. 2. Aufl. Jena 1904.
— . Typische und allotypische Kernteilung. Jahrb. wiss. Bot., 42. Bd., 1905.
— , Über die Individualität der Chromosomen und die Pfropf hybriden frage. Jahrb.
wiss. Bot., 44. Bd., 1907.
— , Meine Stellungnahme zur Frage der Pfropf bastarde. Ber. D. Bot. Ges., 27. Bd.,
1909.
Thomson, J. A., Heredity. London 1908.
Tschermak, A. vou, Uber den Einfluß der Bastardierung auf Form, Farbe und
Zeichnung von Kanarieneiem. Biol. Centralbl., 30. Bd., 1910.
Vries, II. de, Intrazellulare Pangenesis. Jena 1889.
— . Die Mutationstheorie, 2. Bd., Leipzig 1903.
Weismann, A.. Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena 1892.
Winkler, H., Uber Pfropfbaslarde und pflanzliche Chimären. Ber. D. Bot. Ges.,
25. Bd., 1007.
— , Solanum tubingense. ein echter Pfropf bastard zwischen Tomate und Nacht-
schatten. Ebenda, Bd. 26a, 1908.
— , Weitere Mitteilungen über Pfropfbastarde. Zeitschr. Bot., 1. Jahrg., 1909.
— , Über das Wesen der Pfropf bastarde. Ber. D. Bot. Ges., 28. Bd., 1909.
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Neunzehntes Kapitel.
Weiterer Ausbau der Weismann sehen
Vererbungslehre.
a) Lehre von der Amphimixis.
Durch die Ablehnung der La marck sehen Auffassung, wonach
die Artumwandlung im wesentlichen durch Vererbung somatogener Ab-
änderungen bewirkt wird, wurde Weis mann zunächst dazu geführt,
eine andere Quelle für die Variationen, d. h. für die äußeren Verschieden-
heiten der Individuen und Rassen anzunehmen. Er sah diese Quelle
im Befruchtungsprozeß.
Gegenüber der alten Anschauung, daß der Befruchtungsprozeß
der Vielzelligen in erster Linie in der mechanischen Auslösung
der Eientwickelung oder, wie H. Spencer, Ed. van Beneden,
V. Hensen u. a. sich ausdrückten, in der Verjüngung oder Be-
lebung des Keimes gelegen sei 1 ), konnte vor allem die weite
Verbreitung der Parthenogenesis geltend gemacht und insbesondere
auf das Vorkommen rein parthenogenetischer Organismen, so des
Muschelkrebses Cypris reptans*), gewisser Wasserflöhe der großen
Alpenseen 8 ) und der Armleuchteralge Chara crinita 4 ), hingewiesen
werden. Auch die Anschauung von Maupas, wonach die Konjuga-
tion der Einzelligen, das zweifellose Homologon der Befruchtung,,
einen Verjüngungsvorgang darstelle, steht mit einer Reihe von Tat-
sachen im Widerspruch: es seien nur die Hemmung der Gesamt-
vermehrung der Infusorien bei Eintritt in die Konjugationsperiode und
der Dauerzustand vieler durch die Konjugation gebildeten Zygoten
genannt.
') Vgl. Weismann 1886 (Aufsätze, S. 343), 1891 (S. 792). 1904.'.!. S. 266.
•) Weismann 1891 (Aufsätze, S. 796), 1904, I. S. 267.
") Bosmina und Daphnia longispina. Vgl. Woltereck, Verh. D. Zool. Ges. 1909.
*) Diese Alge kommt wenigstens im nördlichen Europa nur in weiblichen
Exemplaren vor.
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Amphimixis.
191
Die Hauptbedeutung des Befruchtungsprozesses kann also nicht
in der Auslösung der Entwickelung liegen, vielmehr ist als solche
nach Weismann die Vermischung zweier individuell ver-
schiedener Vererbungstendenzen, die Amphimixis, an-
zusehen.
Die Bedeutung der Amphimixis kann nun ihrerseits nach ver-
schiedenen Richtungen hin gesucht werden. Entweder könnte der
Zweck dieses Vorganges im Ausgleich von Störungen, in der
Unterdrückung weniger günstiger Variationen durch Einführung
„frischen Blutes", also in der Erhaltung der Artkonstanz, gelegen
sein, oder es könnte sich um die von der Selektionstheorie geforderte
Akkumulierung und Stärkung günstiger Anlagen, oder
endlich um eine immer wiederholte Entstehung neuer Anlage-
kombinationen handeln. Weismann nimmt nun an, daß die
Hauptbedeutung der Amphimixis und damit überhaupt der sexuellen
oder amphigonen (zweielterlichen) Fortpflanzung in der letztgenannten
Richtung liegt. Die Amphimixis ist nach ihm die Haupt-
quelle der erblichen Variationen, sie hat das Material
an individuellen Unterschieden zu schaffen, mittels dessen
die Selektion neue Arten hervorbringt. In der Sprache der
Keimplasmatheorie ausgedrückt, heißt das: es findet bei der amphi-
gonen Fortpflanzung zu Beginn jeder Generation eine
Neukombination der Vererbungssubstanzen oder Keim-
plasmen und damit der Anlagen statt, und zwar wird nach
Weismann diese Wirkung unterstützt durch den von ihm postu-
lierten Vorgang der Reduktionsteilung.
b) Reduktion der Ahnenplasmen und Postulat der
Reduktionsteilung.
Eine der Grundvoraussetzungen, von welcher Weismann in
seiner Theorie ausgeht, ist die Annahme, daß in der Erbmasse eines
Individuums, in seiner Vererbungssubstanz, die väterlichen und
mütterlichen (je die Anlagen sämtlicher Charaktere und Organe
enthaltenden) Anteile getrennt bleiben, eine Anschauung, welche
in gewissem Sinne durch die Beobachtungen über die Autonomie
der Gonomeren (S.82) bestätigt wird.
Wenn man sich nun vorstellt, daß in irgend einem befruchteten
Ei und in sämtlichen Zellen des daraus hervorgehenden Organismus
diese Anlagenkomplexe zunächst zweimal enthalten seien und daß
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192
Reduktion der Zahl der Ahnenplasmen.
eine Keimzelle dieses Organismus durch eine fremde Keimzelle be-
fruchtet wird, so würden im Keim zweimal zwei Anlagenkomplexe
zusammenkommen, und in ähnlicher Weise müßte sich offenbar ihre
Zahl von Generation zu Generation bei jedem Befruchtungsakt ver-
doppeln. Es werden also in der Vererbungssubstanz jedes der Nach-
kommen nicht nur zwei, sondern eine größere Anzahl von selbstän-
digen, von verschiedenen Ahnen herrührenden Anlagenkomplexen oder,
wie Weismann sagt, von Ahnenplasmen oder Iden enthalten sein.
Diese Annahme würde nun aber offenbar zu ungeheuerlichen Kon-
sequenzen führen, d. h. es würde in den einzelnen Individuen eine
übermäßige Anhäufung von selbständigen Vererbungstendenzen statt-
finden. Auf Grund theoretischer Erwägungen kommt also Weismann
schließlich zu der Vorstellung, daß diese Verdoppelung der Zahl der
Vererbungseinheiten oder Ahnenplasmen durch eine in jeder Gene-
Fi? 89 ration sich wiederholende Reduktion ihrer
ZahlaufdieHälfte aufgehoben werden muß,
und ferner, daß diese Zahlenreduktion bei den
Reifungsteilungen, im weiblichen Geschlecht
also bei der Bildung der Richtungskör-
per vor sich gehen müsse 1 ). So kam als ein
Schritt von nachhaltiger theoretischer Wir-
idant (Chromosom) mit linear kung die engere Verbindung der Ahnenplas-
ancinandergereihten iden. menhypothese mit den Ergebnissen derKeim-
Nach Weismann. . , .« , ,
zellen- und Kernteilungsforschung zustande.
Wie schon früher (S. 135) gezeigt wurde, war Weismann, ebenso
wie O. Hertwig und Strasburger, zu der Auffassung gelangt, daß
die Kernsubstanz der Keimzellen das materielle Substrat der
Vererbungstendenzen darstelle, und daß insbesondere die bei der
Kernteilung hervortretenden Chromosomen oder Kernschleifen als
die eigentlichen Vererbungsträger anzusehen seien. Im speziellen
dachte sich Weismann, daß die Ahnenplasmen oder Ide, also die
kleinsten, jeweils sämtliche Organanlagen in sich enthaltenden, nicht
mehr teilbaren, unter sich verschiedenen Einheiten der Vererbungs-
substanz, in den Chromosomen linear aneinandergereiht
sind (Fig. 89). Die Chromosomen oder, wie Weis mann sagt, die
Idanten stellen also Komplexe von „individuell" verschie-
denen Ahnenplasmen dar.
') Vgl. Weismann 1887 (Aufsatze, S.425, 4^9).
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Reduktionsteilung.
193
Bei der gewöhnlichen Kernteilung, der Äquationsteilung,
werden bei der Längsspaltung der Chromosomen gleichzeitig auch
die linear aneinandergereihten Ahnenplasmen halbiert (Fig.90A), und
es geht also jede der verschiedenen Qualitäten, die in jedem der
individuell verschiedenen Ahnenplasmen enthalten sind, auch auf
jeden der beiden Tochterkerne über 1 ). Wenn aber die postulierte
Halbierung in der Zahl der pig ^
Ahnenplasmen stattfinden
soll, so muß es nach Weis-
mann noch einen anderen
Kernteilungsmodus , eine
Reduktionsteilung, ge-
ben. Diese soll darin be-
stehen, daß die einzelnen
Chromosomen vor der Kern-
teilung nicht der Länge nach
gespalten, also ihrer Zahl
nach nicht erst verdop-
pelt werden, sondern sich
ungespalten auf die bei-
den Tochterkerne verteilen
(Fig. 90 B). Dann würde
jeder der letzteren die Hälfte
der Gesamtzahl der Ahnen-
plasmen enthalten.
Nun hatten einige Be-
obachtungen ergeben, daß
beiparthenogenetischen
Eiern die zweite Reifungs-
teilung in Wegfall kommt«).
Auf der anderen Seite war
zu erwarten, daß bei parthenogenetischen Eiern keine Reduktions-
teilung stattfindet -weil es ja hier infolge Ausbleibens der Befruchtung
') Zuerst bat Roux (1884) die Vermutung aufgestellt, daß der Kernteilungsprozeß
ein Mittel darstelle, den Kern nicht bloß seiner Masse, sondern auch der Masse und Be-
schaffenheit seiner ein/einen Qualitäten nach möglichst genau zu teilen. Vgl. oben S. 13^.
*) Von Weis mann und Ishikawa wurde dies an parthenogenetischen Daph-
nideneiern. von Hlochmann an parthenogenetischen Rotatorieneiern nachgewiesen. B( i
späteren Untersuchungen stellte es sich heraus, daß in einer Reihe von Fällen auch von
parthenogenetischen Eiern zwei Richtungskörper gebildet werden. Vgl. S. 68 unten.
Haecker, Vererbungslehre. t j
Schema der Äquations- (A) und Reduktions-
teilung (B).
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194
Reduktionsteilung.
auch nicht zu einer amphimik tischen Verdoppelung der Chromosomen-
zahl kommt, und so lag der Schluß nahe, daß bei der amphigonen
Fortpflanzung die theoretisch postulierte Reduktionsteilung durch die
zweite Reifungsteilung dargestellt werde 1 ).
Die Anschauungen Weismanns erhielten bald darauf eine Stütze
einerseits durch die Begründung der „Individualitätshypothese",
welche den einzelnen Chromosomen ein hohes Maß von stofflicher
und funktioneller Autonomie zuwies, andererseits durch Befunde,
Fig. 91.
Schema der Samcnrcifc bei Ascaris. Frei nach O. Hcrtwig aus Weis mann.
A Sperm»togonie. B junge Spermatozyte ers'er Ordnung. C ento Reifungsteilung.
D— F zweite Keifuoggteüung.
welche bezüglich des Verhaltens der Chromosomen bei den Reifungs-
teilungen gemacht wurden.
Auf die Individualitätshypothese und auf die genannten Befunde,
welche beide für die ganze weitere Entwickelung der Vererbungs-
theorie eine große Bedeutung erlangt haben, soll in späteren Kapiteln 2 )
nochmals zurückgekommen werden. Hier sei nur bemerkt, daß sich
Weis mann namentlich auf die Beobachtungen am Pferdespulwurm
') Weis mann 1887 (Aufsätze, S.434)-
*) Vgl. Kapitel 29, 30.
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Neukombination der Anlagen.
195
(Ascaris megalocephala) stützen konnte, bei welchem durch Boveri
und O. Hertwig tatsächlich eine Halbierung der Chromosomenzahl
während der Ei- und Samenreife nachgewiesen worden war, und
zwar konnten die vorliegenden Bilder wirklich in dem Sinne gedeutet
werden, daß bei der Samen- und Eireife eine Reduktionsteilung
stattfindet In den Samen- und Eimutterzellen (Spermato- und Ovo-
cyten erster Ordnung) findet nämlich z. B. bei der Rasse Ascaris megalo-
cephala bivalens zunächst eine Art Verdoppelung der in der Vier-
zahl vorhandenen Chromosomen (Fig. 91 A, B) und dann bei den
beiden Teilungsschritten eine zweifache Halbierung ihrer Zahl statt
(C — F). Wird nun der Verdoppelungsprozeß (B) als ein Längs-
spaltungsvorgang, wie er die normalen Kernteilungsakte einzuleiten
pflegt, aufgefaßt, so ist ohne weiteres klar, daß sich die eine der
beiden Reifungsteilungen als eine Aquations-, die andere als eine
Reduktionsteilung präsentiert. Denn die Längsspaltung könnte sich
nur auf eine der Teilungen beziehen, für die andere würde kein der-
artiger Prozeß zur Verfügung stehen.
Speziell bei der Samenbildung (Fig. 90 würden dann die Vor-
gänge in folgender Weise zu deuten sein: In der Stammmutterzelle
erfolgt in den Prophasen der Teilung die Längsspaltung (B); die Ver-
teilung im ersten Reifungsprozeß (C) erfolgt nach diesem Längsspalt,
stellt also eine Äquationsteilung dar, und die in die Samentochterzellen
gelangenden vier Chromosomen (D) verteilen sich, ohne einen weiteren
Längsteilungsprozeß, als solche auf die beiden Samenenkelzellen (E, F).
In entsprechender Weise können die Verhältnisse bei der Eireife
gedeutet werden.
c) Neukombination der Anlagen.
Mit der Zahlenreduktion kann nach Weismann eine Neukombi-
nation der Elemente verbunden sein. Wie wir sahen, enthalten im
Falle des Pferdespulwurms (Rasse „bivalens") die beiden Samen-
tochterzellen je vier, nach Weismann individuell verschiedene,
d. h. aus verschiedenartigen Ahnenplasmen oder Iden zusammengesetzte
Chromosomen a, b, c, d. W T enn nun diese mittels der Reduktions-
teilung auf die Samencnkelzellen verteilt werden, so gelangen in jede
der letzteren zwei Elemente, und zwar sind bei einer Zahl von vier
l ) Die erste Deutung, welche Weismann (1891. Aufsätze, S.690) diesen Be-
funden gab, war etwas komplizierter gefaßt.
13*
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196
Germinalselektion.
Chromosomen offenbar sechs Kombinationen von je zwei Elementen
möglich: ab, ac, ad, bc, bd, cd. Da aber diese sechs Kombinationen
sowohl in den männlichen, wie in den weiblichen Geschlechtszellen
auftreten können, so werden bei der paarweisen Vereinigung der
Keimzellen (Gameten) des nämlichen Elternpaares 6 X 6 = 36 ver-
schiedene Sorten von befruchteten Keimen („Zygoten" nach der neueren
Terminologie) ihre Entstehung nehmen können. Mit der Normalzahl
der Chromosomen wächst natürlich die Zahl der für die einzelnen
Geschlechtszellen möglichen Kombinationen. Bei 8 Chromosomen
beträgt sie 70, bei 12 4096, bei 16 12870 1 ). Es würden also beim
Menschen, dessen Fortpflanzungszellen nach neueren Angaben ») 12 oder
16 Chromosomen enthalten, in den Zygoten 4096 x 4096 bzw. 12 870
X 12870, also rund 16,8 oder 165,6 Millionen Kombinationen möglich
sein. Die Wahrscheinlichkeit, daß sich dieselbe Kombination in
zwei oder mehreren Zygoten wiederholt ist also außerordentlich gering,
und es ist daher nach Weismann nicht zu verwundern, wenn unter
den successiven Kindern eines menschlichen Elternpaares wohl
noch niemals identische beobachtet worden sind.
d) Germinalselektion.
Eine der Grundlagen der Weismannschen Vererbungshypothesen
ist, wie gezeigt wurde, die Annahme einer Verschiedenheit der
einzelnen in den Kernen der Geschlechtszellen nebeneinanderliegen-
den Vererbungseinheiten (Ide, Ahnenplasmen) und damit auch ihrer
Träger, der Idanten oder Chromosomen. Es fragt sich nun, wie
kommt diese Verschiedenheit der Ide und damit der Chromo-
somen zustande?
Nach Weismann sind die Ide, also diejenigen kleinsten Ein-
heiten des Keimplasmas, welche gerade noch sämtliche Anlagen der
Art enthalten, aus einzelnen Teilchen, den Bestimmungsstücken
für die einzelnen äußeren Merkmale oder Determinanten, zu-
sammengesetzt, welche ihrerseits aus bestimmten Gruppierungen von
Biophoren, d. h. den niedersten, mit den Fähigkeiten der Assimila-
tion, des Wachstums und der Vermehrung eben noch begabten Lebens-
einheiten, bestehen 8 ).
l ) Vgl. Weismann 1H91 (Aufsätze. S. 716).
*) Siehe oben S. 1 14.
*) Vgl. Weismann, Keimplasma, S. 71. Vgl. auch oben S. 25.
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Gcrminalselektion.
197
Durch - die Anwesenheit und Beschaffenheit der Determinanten
ist das Auftreten bestimmter Charaktere im werdenden Organismus
bedingt, derart, daß die einzelne Determinante je die Anlage
einer selbständig variabeln Eigenschaft darstellt, und ebenso
wie die erblichen Variationen des Individuums selber in Variationen
der ganzen Ide ihren Ursprung haben, so beruhen also die erb-
lichen Variationen einzelner Körperteile und Körpereigenschaften auf
Variationen der Determinanten.
In jedem Geschlechtszellenkern sind natürlich für jedes Organ
und für jede Körpereigenschalt mehrere Determinanten vorhanden,
nämlich ebenso viele als Ide, da ja jedes Id einen aus sämtlichen
Determinantensorten der Spezies bestehenden Komplex darstellt. In
dem jungen Organismus, der aus der Geschlechtszelle hervorgeht, wird
im allgemeinen ein bestimmter Körperteil oder eine bestimmte Körper-
eigenschalt dann variieren, wenn die Majorität der betreffenden
Determinanten abgeändert ist.
Wie kommen also die Abänderungen der Determinanten und
damit diejenigen der Ide (Ahnenplasmen), der Idanten (Chromosomen)
und des ganzen Keimplasmas zustande?
Wie Weis mann in Anlehnung an Roux* Vorstellung von
dem Kampf der Teile im Organismus annimmt, besteht in jedem
organischen System ein Konkurrenzkampf 1 ): so wie zwischen den
einzelnen Personen die Selektion wirksam ist (Personalselektion)
und ebenso wie nach Roux zwischen den einzelnen Geweben und
Zellen Ausleseprozesse stattfinden (Histonalselektion, Intra-
selektion), so findet während der Entwickelung der Geschlechts-
zellen auch zwischen den verschiedenen Determinanten einer Ge-
schlechtszelle ein Kampf um die zuströmende Nahrung statt, und
zwar in erster Linie zwischen den homologen Determinanten ver-
schiedener Ide»), dann aber auch zwischen den nichthomologen
Determinanten eines und desselben Ids"). Auf der ungleichen
Ernährung und auf dem damit zusammenhängenden Ausleseprozeß,
auf der Germinalselektion, beruhen aber die Verschiedenheiten
der Determinanten, und zwar glaubt Weismann zeigen zu können,
daß, wenn einmal eine Plus- oder Minusvariation entstanden ist,
diese Abänderung beim Eingreifen bzw. beim Ausbleiben
') Vgl. Weismann 1894, 1896.
*) Weismann S.14 (1896).
*) Weismann, 2. Bd., S. 129 (1904). Vgl. auch Thomson S.471 0<X>8).
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198
Erbungleiche Teilungen.
der Personalselektion eben auf Grund des intragerminalen Kon-
kurrenzkampfes in stetiger Weise nach der Plus- bzw. Minusseite
fortsclireiten muß *).
e) Zerlegung des Keimplasmas in der Ontogenese.
Die Determinantenlehre versucht auch das zweite Hauptproblem
der Vererbung 8 ) zu lösen, die Frage, durch welche Kräfte und
Mechanismen die Vererbungstendenzen beim Aufbau des neuen
Organismus zur Entfaltung gebracht werden.
Nach Weismann sind innerhalb der einzelnen Ide die ver-
schiedenen Determinanten, also die Bestimmungsstücke für die ein-
zelnen selbständig variabeln Merkmale, fest lokalisiert und in be-
stimmter Weise zusammengefügt, so wie z. B. die verschiedenen
Atomgruppen im Benzolring durch eine typische Architektonik mit-
einander verbunden sind. Bei der Teilung des Eies wird nun durch
einen vorausbestimmten und geregelten Mechanismus das Keimplasma
in der Weise auseinandergelegt, daß auf Grund „erbungleicher"
Teilungsprozesse die einzelnen Determinantengruppen und Determi-
nanten jeweils denjenigen Zellen zugewiesen werden, für welche
sie die Bestimmungsstücke bilden. So würden z. B. bei der ersten
Teilung des Eies des Pferdespulwurms (S. 62, Fig. 28) die Determi-
nantengruppen für einen Teil des Ektoderms in die eine der beiden
ersten Blastomeren (S,-Zelle), die Determinanten für Entoderm, Meso-
derm, Stomodäum (Anlage des Vorderdarms) und Geschlechtsapparat,
sowie für einen weiteren Teil des Ektoderms in die andere (P 1 -Zelle)
eintreten und eben durch diese Verteilung das Schicksal, die „pro-
spektive Potenz" der beiden Zellen bestimmen. Bei der zweiten
Teilung findet dann abermals auf Grund einer erbungleichen Teilung
die Zerlegung des Determinantenkomplexes P, in zwei ungleiche
Determinantengruppen statt. Die Determinanten für Entoderm, Meso-
derm und Stomodäum treten in die eine Zelle (EMSt- Zelle), die für
die Geschlechtselemente und einen Teil des Ektoderms in die andere
(P a -Zelle).
Nicht bei jedem Kernteilungsprozeß findet eine unsymmetrische
erbungleiche Zerlegung der Determinantenkomplexe statt. Wenn es
sich nämlich um die Bildung einer größeren Zahl gleichartiger
') Näheres bei Weismann 1896 und 1904.
*) Vgl. S. 122.
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Erbungleiche Teilungen.
Zellen handelt, wenn z. B. aus der Urzelle eines Sinnesepithels die
verschiedenen gleichartigen Sinneszellen ihre Entstehung nehmen
sollen, so finden erbgleiche Kernteilungen statt, d. h. während des
Kernwachstums und der Vorbereitung zur Teilung tritt innerhalb der
einzelnen Ide eine Verdoppelung der Determinanten ein und bei der
Durchteilung der Ide werden die so gebildeten Schwesterdeterminanten
in symmetrischer Weise auf die beiden Tochterkerne verteilt.
Es ist nochmals daran zu erinnern, daß nach der Hypothese von
der Kontinuität des Keimplasmas in einer bestimmten Reihenfolge
von Zellen, in der sogenannten Keimbahn, das Keimplasma in unver-
änderter Weise fortgeführt wird. In die Sprache der Determinanten-
lehre übersetzt, heißt dies, daß bei der Abgliederung der Keimbahn-
zellen von den Somazellen eine asymmetrische Teilung der Ahnen-
plasmen stattfindet, derart, daß die ersteren jeweils den ganzen
Determinantenkomplex, die letzteren nur die ihrer prospektiven Potenz
entsprechenden Determinanten mit auf den Weg erhalten.
Bezüglich der Art und Weise, wie die Bestimmung der Zellen
durch die Kernsubstanz vor sich geht, so können von vornherein
verschiedene Annahmen gemacht werden l ). Es könnte sich entweder
um eine energetische Beeinflussung des Zellprotoplasmas durch die
Kernsubstanz handeln, um eine Übertragung von Bewegungsformen,
in ähnlicher Weise, wie man sich früher die Erregung des Eiplasmas
durch das eindringende Spermatozoon gedacht hat, oder es könnte
die Bestimmung durch Enzyme (Fermente) erfolgen, die vom Kern
gebildet und an das Zellplasma abgegeben werden (Haberlandt),
oder es könnten Stoffteilchen, die aus dem Kern ins Zellplasma aus-
wandern, direkt bei den Stoffwechsel Vorgängen und fermentativen
Tätigkeiten der Zelle beteiligt sein. Letzteres wurde vielfach für die
vielumstrittenen Chromidien 2 ) angenommen , farbbare, in verschie-
denen Protozoen- und Metazoenzellen beobachtete Körnchen, welche
von der Chromatinsubstanz des Kernes abstammen und aus dem Kern
in das Zellplasma überwandern sollen (R. Hertwig, Goldschmidt).
Weismann selbst lehnt sich an eine Auffassung an, welche H. de Vries
in seiner „Intrazellularen Pangenesis" vertreten hat und derzufolge
die kleinsten Lebenseinheiten, die Pangene, aus dem Kern in das
l ) Vgl. Weis mann, Keimplasma, S. 61.
■) Vgl. besonders R. Hertwig 1002, Goldschmidt 1904, 1907. Auf botani-
schem Gebiete vgl. LundegSrd, Literaturverzeichnis 14, L. Digby, Ann. Bot.,
Vol. 23, 1009.
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200
Literaturverzeichnis 19.
Cytoplasma übertreten und sich in die einzelnen Zellteile umwandeln
sollen. Nach Weismanns spezieller Anschauung würden sich die
kleinsten Lebensteilchen, die Biophoren, von den Determinanten-
gruppen loslösen und nach Auswanderung in den Zellleib die be-
sonderen Differenzierungen, z. B. in den Muskelzellen die Abscheidung
der kontraktilen Substanz, hervorrufen.
Literaturverzeichnis zu Kapitel 19.
Boveri, Th.. Zellstudien. II. Jenaische Zeitschr., 21. Bd., 1887.
Goldschmidt, R., Die Chromidien der Protozoen. Arcb. Prot., 5. Bd., 1906.
— , Der Chromidialapparat lebhaft funktionierender Gewebszellen. Zool. Jahrb.,
21. Bd., Anat., 1904.
— , u. Pop off, M., Die Karyokinese der Protozoen und der Chromidialapparat usw.
Arch. Prot., 8. Bd.. 1907.
Hertwig, O., Vergleich der Ei- und Samenbildung bei den Nematoden. Arch.
f. mikr. Anat., 36. Bd., 1890.
Hertwig, R., Die Protozoen und die Zellentheorie. Arch: Prot, l.Bd., 1903.
Roux, W., Der Kampf der Teile im Organismus. Leipzig 1881.
Thomson, J. A., Heredity. London 1908.
Vries, H. de, Intrazellulare Pangenesis. Jena 1889-
Weismann, A., Die Bedeutung der sexuellen Fortpflanzung für die Selektions-
theorie. Jena 1886.
— , Über die Zahl der Richtungskörper und über ihre Bedeutung für die Vererbung.
Jena 1887.
— , Amphimixis oder die Vermischung der Individuen. Jena 1891.
— , Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena 1892.
— , Äußere Einflüsse als Entwickelungsreize. Jena 1894.
— , Ober Germinalselektion, eine Quelle bestimmtgerichteter Variation. Jena 1806.
— , Vortrage über Deszendenztheorie. 2. Aufl. Jena 1904.
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Zwanzigstes Kapitel.
Kritik der Anschauungen von Weismann. O. Hertwigs
Theorie der Biogenesis.
Die Hypothesen Weismanns haben auf der einen Seite, so
namentlich durch gewisse Beobachtungen und theoretische Vorstel-
lungen von Roux 1 ) eine Unterstützung gefunden, auf der anderen
Seite ist durch sie eine lebhafte Opposition wachgerufen worden*).
Die gegensätzlichen Anschauungen beziehen sich vor allem auf
den Bau der Vererbungssubstanz und auf ihr Verhalten bei
der Entwickelung. Man pflegt diese Gegensätze durch die Wort-
paare Determinantenlehre (Korpuskularhypothese) und chemische
Vererbungslehre, Neo-Evolutionismus und neo-epigene-
tische Theorien zu bezeichnen.
Nach der Determinanten- oder Korpuskularhypothese
Weismanns iL a. sind die Einheiten der Vererbungssubstanz, die
Ide, ihrerseits aus Lebenseinheiten niedrigerer Ordnung, den Deter-
minanten und Biophoren zusammengesetzt, welche die räumlich
getrennten Anlagen der einzelnen selbständig variabeln Eigen-
schaften darstellen und selbst Komplexe von Molekülen bilden »). Auf
der anderen Seite steht die chemische Vererbungshypothese
ä outrance (Miescher) oder Konstitutionshypothese«), welche
einen verhältnismäßig einfachen Bau des Protoplasmas annimmt und
seinen Einheiten den Wert von außerordentlich komplizierten Mole-
») Über R ouz* „Mosaiktheorie" Tgl. seine im Literaturverzeichnis aufgezählten
Schriften.
") Genauere historische Daten finden sich bei O. Hertwig, Zelle und Gewebe.
2. Bd., S. 297.
•) Eine etwas modifizierte, zur chemischen Vererbungshypothese überfahrende
Annahme hat K. Fick gemacht.
*) Unter konstitutiven Eigenschaften verstehen die Chemiker solche, welche
von der Architektonik des Moleküls abhängig sind und mit dieser wechseln, im Gegen-
sau zu den additiven, welche sich aus den Eigenschaften der einzelnen Bestand-
teile der Verbindung summieren.
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202
Gründe gegen die Kontinuitätslehre.
külen zuschreibt (vgl. Kapitel 4). Die einzelnen selbständig variabeln
Eigenschaften des Organismus (z. B. die Zeichnungsflecke auf den
Schmetterlingsflügeln) sind aber nicht an bestimmte Körperchen oder
Atomgruppen gebunden, sondern an die Verbindung als Ganzes. So
wie sich z. B. Benzol und Phenol durch eine OH -Gruppe unter-
scheiden und dieser Unterschied sich in den Änderungen einer ganzen
Reihe von Eigenschaften (Geruch, Farbe, spezifisches Gewicht, Reak-
tionsweise) äußert, so werden durch verhältnismäßig geringfügige
Änderungen in der Konstitution des Plasmamoleküls auch Abände-
rungen in der Kombination der äußeren Eigenschaften des Organismus
bedingt l ).
Gegenüber den Anschauungen Weismanns, welche sich auf
das Verhalten der Vererbungssubstanz bei der Entwicke-
ln g beziehen und teils schon in der Kontinuitätslehre, teils in der
Determinantenhypothese ihren Ausdruck gefunden haben, ist auf die
außerordentliche Regenerationskraft vieler pflanzlicher und tie-
rischer Organismen, auf ihr Vermögen, nach Verletzungen die ursprüng-
liche Form und verloren gegangene Körperteile wiederherzustellen,
sowie auf die Erscheinungen der ungeschlechtlichen Vermehrung hin-
gewiesen worden. Die Fähigkeit des Süßwasserpolypen, aus Teil-
stücken, die nur V200 des ursprünglichen Körpervolumens betragen,
den ganzen Körper wiederherzustellen, die außerordentlich weitgehende
Regenerationskraft verhältnismäßig hochdififerenzierter Tiere, wie es
die Strudelwürmer (Planaria) und Seesterne sind, das Vermögen
mancher Pflanzen, z. B. Begonia und Torenia, an scheinbar beliebigen
Punkten der Blätter und von äußerlich nicht erkennbaren Vegetations-
punkten aus Sprosse zu entwickeln 3 ), alle diese Erscheinungen sprechen,
wie O. Hertwig, H. Spencer, Driesch und manche andere be-
tont haben, gegen die Grundannahme der Kontinuitäts - und Deter-
minantenlehre, wonach das Keimplasma während der Ontogenese nur
in den Keimbahnzellen unverändert bleibe, dagegen in allen anderen
Zellen eine immer weiter gehende Zerlegung und Spezialisierung der
Anlagenmasse stattfinde. Vielmehr scheinen, wie hervorgehoben wird,
*) Vgl. hierzu Miescher (1897, l.Bd., S. 117), Herbst (i<X)6, S.290), Baur,
(1008, S. 287), Giglio-Tos u. a. Auch ich selbst habe innerhalb bestimmter
Grenzen diese Anschauung vertreten (Erg. u. Fortschr. d. Zool., l.Bd., S. 37, 1907).
•) Vgl. hierzu ü. Hertwig, Zelle und Gewebe, Morgan 1901, Driesch 1901,
und seine Referate in den Ergebn. d. An. u. Entw., 8., 11 , 14., 17. Bd., 1898— 1907;
Korscheit 1907.
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Theorie der Biogenesis. 203
<iie genannten Tatsachen zu beweisen, daß sämtliche Zellen des
Organismus Träger des vollständigen Idioplasmas sind.
Insbesondere hat O. Hertwig in seiner Theorie der Bio-
genesis t) den Standpunkt vertreten, daß keine erbungleiche
Teilungen existieren und daß also während der Ontogenese keine
Zerlegung der Erbmasse stattfindet. Die tatsächlichen Verschieden-
heiten der Gewebszellen, wie sie in der Bildung bestimmter Plasma-
produkte (kontraktile Substanz, Interzellularsubstanzen, Gallenfarbstoffe,
Fette, Pepsin usw.) äußerlich hervortreten, werden vielmehr nach
O. Hertwig dadurch hervorgerufen, daß unter dem Einfluß ein-
seitig angreifender äußerer Faktoren, z. B. der Schwerkraft, oder
unter der Wirkung innerer Faktoren, z. B. der Wechselwirkung
benachbarter Zellen, bald diese, bald jene Anlagen mehr ausgebildet
und zur Entfaltung gebracht werden»).
Der Gegensatz zwischen der Lehre von Weismann einerseits
und derjenigen von O. Hertwig andererseits besteht also im wesent-
lichen im folgenden. Nach der Ansicht des ersteren ist jede Eigen-
schaft und jeder Körperteil des aus der Keimzelle entstehenden Orga-
nismus im Keimplasma durch bestimmte Teilchen vorgebildet,
und die Ontogenese besteht daher im wesentlichen in dem „Sichtbar-
werden unsichtbarer Mannigfaltigkeiten". Die Lehre von Weis-
mann kann also als eine evolutionistische (neo-evolutionistische)
bezeichnet werden und stellt, allerdings in ganz neuem Kleide, eine
Fortsetzung der Evolutions- oder Präformationstheorie von
Ha 11 er und Bonnet dar, welche annahmen, daß das neue Indivi-
duum nicht bloß der Materie nach, sondern auch schon in seiner
wesentlichen Form im Keim und damit im elterlichen Organismus
vorgebildet sei. Im Gegensatz dazu würde nach der Auffassung von
O. Hertwig, Driesch u. a. ein verhältnismäßig einfacher Bau der
Keimzellen und der Vererbungssubstanz anzunehmen sein, alle Zellen
erhalten die nämliche Vererbungssubstanz, und die Entwickelung voll-
zieht sich demnach unter wirklicher Produktion von Mannigfaltig-
keiten, indem jede einzelne Entwickelungsstufe die eigentliche
Ursache der nächsten, noch komplizierteren darstellt und dieselbe
l ) Zelle und Gewebe, 2. Bd., S. 75 ff.
") Zelle und Gewebe. 2. Bd., S. 66 und a. a. 0. Damit steht auch die im
5. Kapitel erwähnte Auffassung in enger Berührung, dafl auf jeder Entwickelungs-
stufe die Form des ganzen Zellenaggregats Charakter und Schicksal der einzelnen
Zellen bestimme.
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204
Regeneraüonsvermögen als Anpassungserscheinung.
gewissermaßen als eine Neubildung hervorruft Man kann also diese
Auffassung als eine epigenetische (neo- epigenetische) bezeichnen,
insofern sie manche Berührungspunkte mit den Anschauungen der
alten Epigenetiker oder Postformisten, vor allem IC F. Wolffs
und Blumenbachs zeigt, welche jede Zeugung für einen wirklichen
Neubildungsakt ansahen l ).
Der Gegensatz zwischen der „neo-evolutionistischen" und
der „neo-epigenetischen" Auffassung hat dann weiterhin zu leb-
haften und anregenden Erörterungen geführt, und es sind bei den sich
anschließenden Untersuchungen eine Menge von Tatsachen zutage
gefördert worden, welche bald mehr die eine, bald mehr die. andere
Auffassung zu stützen- scheinen.
Die Diskussion drehte sich dabei im wesentlichen um folgende
Punkte:
1. Zunächst hat Weismann») die aus den Erscheinungen der
Regeneration und ungeschlechtlichen Fortpflanzung abgeleiteten Ein-
wände gegen die Zerlegungstheorie durch den Hinweis auf die
ungleiche Verbreitung der Regenerationsfahigkeit zu widerlegen
versucht. Nach Weismann lehren die Tatsachen, daß nicht alle
Organismen die nämliche Regenerationskraft besitzen, und daß offenbar
das Regenerationsvermögen keine primäre Eigenschaft der Organismen,
sondern eine sekundäre, im Laufe der Stammesgeschichte erworbene
Anpassungserscheinung darstelle, die im wesentlichen nur solchen
Körperteilen zukommt, welche Verletzungen und Schädigungen anderer
Art besonders ausgesetzt sind So seien z. B. bei den urodelen
Amphibien, welche seit den Versuchen Spallanzanis eines der
klassischen Beispiele der Regenerationsfähigkeit bilden, Lunge und
Hoden nicht oder kaum regenerationsfahig, offenbar weil sie seltener
als die Beine, Schwanzflossen, Kiemen und Augen in die Lage kommen,
verletzt zu werden. Wenn nun das Regenerationsvermögen eine
sekundäre Anpassungserscheinung darstellt, dann wird auch der idio-
plasmatische Mechanismus, auf welchem jenes beruht, sekundärer Art
sein, und zwar besteht er nach Weismann darin, daß den regene-
raüonsfähigen Geweben und Zellen außer den Determinanten, welche
im normalen Entwickelungsverlauf ihre Ausbildung beherrschen,
noch ein Nebenidioplasma mit Ersatzdeterminanten (Reserve-
') Vgl. u. a. Weismann, Vorträge, l.Bd., S. 287; Korscheit und Heider.
Allgemeiner Teil, S. 83.
*) Vgl. besonders Keimplasma, S. 124; Vorträge, 2. Bd., S. 20 u. 21.
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Entwickelungsmechanische Beobachtungen.
20")
idioplasson nach Roux) zugeteilt wird, welches nur bei ein-
tretenden Störungen aktiv wird, eine Vorstellung, welche bereits
früher in ähnlicher Weise durch Roux vertreten worden war 1 ).
Diesen Ausführungen gegenüber konnte freilich darauf hingewiesen
werden, daß z. B. beim Menschen auch weniger exponierte Teile, wie
Schilddrüse, Lymphdrüsen, Leber und Niere, in größerem oder ge-
ringerem Maße regenerationsfähig sind (Ribbert)»), und daß Ähn-
liches auch für manche Tiere gilt. Auch von botanischer Seite hat
Vöchting auf Grund seiner Experimente mit Araucaria hervor-
gehoben, daß Sprossen einer Pflanze zum Bewurzeln und zur Aus-
bildung gebracht werden können, ohne daß nur die geringste Wahr-
scheinlichkeit dafür vorhanden ist, dieser Vorgang könne sich in der
freien Natur ebenso vollziehen, und so muß mindestens so viel zu-
gegeben werden, daß das Regenerationsvermögen nicht überall, wo
es vorkommt, den Charakter einer Anpassungserscheinung hat.
2. Widersprüche ähnlicher Art ergaben sich auch bei der experi-
mentellen (entwickelungsmechanischen) Untersuchung tierischer Eier.
Auf der einen Seite stehen solche Eier, deren erste Furchungszellen,
wenn sie durch mechanische Einwirkung isoliert werden, nur „Teil-
bildungen" (Halbembryonen mit einseitig ausgebildeter linker oder
rechter Körperhälfte, Halb- und Viertellarven, Defektbildungen mehr
unregelmäßiger Art) aus sich hervorgehen lassen und also auf eine
frühzeitige Spezifizierung des Anlagenmaterials im Sinne von Weis-
manns Zerlegungshypothese hinweisen, auf der anderen Seite gibt es
Formen, deren erste Blastomeren sich nach Isolierung ganz wie das
normale Ei weiterfurchen und dementsprechend Zwerglarven (zwerg-
hafte Ganzlarven) mit allen Merkmalen der normalen Larve aus sich
hervorgehen lassen, ein Verhalten, das mehr für eine Äquipotenz der
Furchungszellen im Sinne O. Hertwigs zu sprechen scheint 8 ).
') Nach Roux deutet die hohe Regenerationsfähigkeit mancher tierischen
Objekte darauf hin, daß „die Zellen nicht durch und durch an ihre spezifische Funk-
tion angepaßt sind, sondern daß jede, sei es im Kern oder im Protoplasma, noch
einen Rest wirklichen embryonalen Stoffes (Reserveidioplasson) enthält, welcher
in Tätigkeit tritt, sobald und soweit er nicht mehr durch den Widerstand der physio-
logischen Umgebung daran verhindert wird". Vgl. Roux l88i, 1893.
*) Bezüglich der Literatur vgl. Korschclt, S. 254 (1907).
•) Beispiele für den erstcren Typus bilden die Ctenophoreneier , für den letz-
teren die des Amphioxus und der Medusen. Bei den Echinodermen furchen sich die
isolierten Blastomercn zunächst so, als ob sie sich im normalen Verband befänden,
später setzen aber regulatorische Prozesse ein, welche bewirken, daß die Teilstücke
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200 Histologische und zellteilungstbeoretische Gegensätze.
3. Auch auf histologischem Gebiet liegen keine einheitlichen
Ergebnisse vor. Bei einigen Formen (Ascaris, Kopepoden) ist eine
frühzeitige histologische Sonderung der Keimbahnzellen von dem
übrigen embryonalen Zellenmaterial schon während der ersten Ent-
wickelungsstadien festzustellen (S. 61), und keine Beobachtung steht
bis jetzt der Vermutung im Wege, daß der histologischen Differenzie-
rung auch eine solche der Potenzen entspricht, daß also hier die
Kontinuität des Keimplasmas und die Spaltung der Anlagen im Sinne
Weismanns einen sichtbaren Ausdruck findet 1 ). Bei anderen
Formen dagegen, z. B. bei vielen Wirbeltieren, scheint eine durch
histologische Merkmale charakterisierte, vom befruchteten Ei bis zur
Geschlechtsanlage führende Keimbahn nicht zu bestehen, ein Ver-
halten, welches wieder mehr die epigenetische Auffassung zu stützen
scheint.
4. Vom zellteilungstheoretischen Standpunkt aus kann
zugunsten der Annahme erbungleicher Teilungen im Sinne Weis-
manns angeführt werden, daß, wie Giglio-Tos») in einleuchtender
Weise auseinandergesetzt hat, vom chemischen Standpunkt eine
unsymmetrische Teilung so hochorganisierter Atomkomplexe, wie
es sicherlich die chemischen Einheiten des Plasmas sind, viel wahr-
scheinlicher ist, als eine symmetrische Zerlegung. Für die Hert-
wigsche Auffassung von der Ubiquität erbgleicher Teilungen da-
gegen spricht, daß bisher, abgesehen von den Mitosen der mit Hetero-
chromosomen ausgestatteten Samenelemente 8 ), bisher keinerlei Zell-
teilungen zur Beobachtung gelangt sind, bei welchen die primäre
Ursache für die Verschiedenheit der Tochterzellen auf eine in äußer-
lich sichtbarer Weise ungleiche Teilung der Kernsubstanz zurück-
geführt werden könnte.
Alles in allem lassen sich zurzeit von keinem der beiden Stand-
punkte aus sämtliche vorliegenden Tatsachen in vollkommen be-
friedigender Weise zusammenfassen. Aber vielleicht ist es doch mög-
lich, bei Berücksichtigung einiger neuerdings in die Protoplasma- und
Zellenlehre hereingetragener Vorstellungen wenigstens die Beobach-
sich schließlich doch zu normalgestalteten Zwerglarven weiterentwickeln. Vgl. im
übrigen Korscheit und Heider, Allgemeiner Teil, S. 81 (Kap. 11: Das Determina-
tionsproblem).
') Vgl. auch Demoll (Literaturverzeichnis 14)
•) 1. Bd., S. 48.
8 ) Siehe oben S. 104.
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Molekulare Grundlagen der Regeneration.
207
hingen auf dem Gebiete der Regeneration in etwas anderer Weise
miteinander zu verbinden und damit einen Ausgleich zwischen den
einander gegenüberstehenden Anschauungen anzubahnen 1 ).
Wenn man von der Voraussetzung ausgeht, daß die Einheiten
der Vererbungssubstanz, mag es sich um Molekülgruppen oder um
besonders große Moleküle handeln, nicht ein starres Gefüge besitzen,
sondern daß mindestens ihre peripheren Teile bei aller Festhaltung
der Spezifität des Baues, sei es bei der Vorbereitung zur Teilung,
sei es während der Funktion, regelmäßige Veränderungen erfahren,
wenn man insbesondere mit Giglio-Tos annimmt, daß die Konsti-
tution der Vererbungssubstanz eine Art von Zyklus durchläuft, der
im allgemeinen vom Zustand der ruhenden Zelle A zum Zustand der
Teilungsreife B und durch die Meta- und Telophasen wieder zurück
zum Zustand A führt, so wird man mindestens dreierlei Verände-
rungen für möglich halten müssen: 1. daß bei der Teilung der Zu-
stand B, statt zweier gleicher Produkte bb, zwei ungleiche b'b" liefert
(erbungleiche Teilung), 2. daß nach erfolgter Teilung in einer oder
in beiden Tochterzellen der Zustand der Mutterzelle A nicht mehr
vollständig erreicht wird (Entwickelungshemmung) , 3- daß in
einer Zelle durch die Funktion selbst oder durch die Umgebung der
Zustand A abgeändert wird (epigenetische Veränderung). In allen
diesen Fällen wird es nun offenbar vom Grade der Veränderung
abhängig sein, ob sie eine dauernde, irreparable ist, oder ob
vielleicht durch irgend einen im Organismus gelegenen Faktor oder
auch durch eine äußere Ursache, z. B. durch den von einer Verletzung
ausgehenden Reiz, die Vererbungssubstanz veranlaßt wird, ihren
typischen Zustand wiederherzustellen.' Im ersten Falle, d. h.
wenn die Modifikation irreparabel ist, wird das Regenerationsvermögen
dem Organismus selber fehlen oder unvollständig sein, im
letzteren Falle bestehen zwei Möglichkeiten: entweder ist die Fähig-
keit zur Wiederherstellung durch Selektionsprozesse fixiert und
besonders stark ausgebildet, so daß die betreffenden Zellen
bei einer Deformation des Körpers regelmäßig die Konstitution und
die Potenzen der Keimzellen erlangen und so den Ausgangspunkt
für Regenerationsprozesse bilden (adaptatives Regenerations-
') Einen Ausgleich zwischen den evolutionistischen und epigenetischen An-
schauungen hat neuerdings auch Rignano (Literaturverzeichnis 1 5/i6) in seiner
Hypothese der Zcntroepigenese herzustellen versucht. Vgl. auch S. Becher, Biol.
Centralbl., 19. Bd., 1909.
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208
Literaturverzeichnis 20.
vermögen), oder es wird die Fähigkeit zur Wiederherstellung des
Zustandes A eine schlummernde sein und in der Natur überhaupt
nicht oder nur äußerst selten, wohl aber bei künstlichen Eingriffen
zur Entfaltung kommen können (nicht-adaptati ves Regenera-
tionsvermögen).
Literaturverzeichnis zu Kapitel 20.
Baur, E., Einige Ergebnisse der experimentellen Vererbungslehre. Beih. d. Med.
Klinik, 4. Jahrg., 1908.
Blumenbach, J. F., Über den Bildungstrieb. Göttingen 1791«
Bonnet, K., Betrachtungen über die organisierten Körper, übers, von A. E. Göze.
Lemgo 1775-
Belage, Y., siehe Literaturverzeichnis 14.
Driesch, H., Die organischen Regulationen. Leipzig 1901.
— , Referate in Merkel und Bonncts Ergebnissen der Anatomie und Entwicke-
lungsgcsch. 8., 11., 14., 17. Bd., 1898—1907.
Giglio-Tos, E., Les problemes de la vie. 1 — IV. Turin und Cagliari 1900— 19lO.
Hai ler, A. v., Elementa physiologiae corporis humani. Lausanne 1757 — 1766.
Herbst, C, Vererbungsstudien. I — III. Arch. f. Entw.-Mech., 21. Bd., 1906.
Hertwig, O.. Die Zelle und die Gewebe. I — II. Jena 1893 — 1898.
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Korscheit, E., Regeneration und Transplantation. Jena 1907.
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Miese her, F., Histochemische und physiologische Arbeiten. Leipzig 1897-
Morgan, T. H., Regeneration. New York 1901. Übers, von M. Moßkowski,
Leipzig 1907.
R i g n a n o , E., siehe Literaturverzeichnis 1 5/1 6.
Roux, W. , Der Kampf der Teile im Organismus. Leipzig 1881. Ges. Abhand-
lungen, l.Bd., Nr. 4.
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— . Über Mosaikarbdit und neuere Entwickelungshypothesen. Anat. Hefte von
Merkel-Bonnet 1893. Ges. Abhandlungen, 2. Bd., Nr. 27.
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— , Gesammelte Abhandlungen. 1. und 2. Bd. Leipzig 1895.
Vöchting, H., Über die Regeneration der Araucaria excelsa. Jahrb. d. wissensch.
Bot., 40. Bd., 1904.
Weismann, A., Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena 1892.
— , Vortrage über Deszendenztheorie. 2. Aufl. Jena 1904.
Wolff. K. F., Theorie von der Regeneration. Berlin 1764.
— , Theoria generationis. Halle 1774-
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IV. Teil.
Experimentelle Bastardforschung.
Einundzwanzigstes Kapitel.
Allgemeines über Bastarde.
Die Erforschung der Vererbungserscheinungen hat sich, wie ge-
zeigt wurde, im Laufe der achtziger und neunziger Jahre des letzten
Jahrhunderts hauptsächlich in zwei Richtungen bewegt: es wurde
versucht, das materielle Substrat der Vererbungsvorgänge und die
cytologischen Prozesse, welche ihnen zugrunde liegen, kennen zu
lernen, und ferner wurde die alte, bei den Züchtern, Ärzten, Biologen
und Laien weitverbreitete Ansicht, daß erworbene Eigenschaften ver-
erbt werden, der Kritik und experimentellen Prüfung unterworfen.
Daß die Anregung zu eingehender Behandlung dieser beiden Probleme
zu einem großen Teil von der Aufstellung und Begründung der Lehre
von der Kontinuität des Keimplasmas ausging, wird heute auch von
den Gegnern dieser Theorie anerkannt.
Einen neuen gewaltigen Anstoß erhielt die Vererbungsforschung
zu Beginn des 20. Jahrhunderts durch die Wiederentdeckung der
Mende Ischen Bastardierungsregeln.
Schon vorher war allerdings der Grund zu einer wissenschaft-
lichen Bastardlehre als einem selbständigen Zweig der Biologie ge-
legt worden, ja man kann sagen, daß ihre ersten Anfänge bis in die
zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts zurückreichen, in die Zeit, als
Kölreuter (1761) durch Kreuzungs versuche den ersten exakten Be-
weis für die Sexualität der Pflanzen lieferte. Indessen haben beinahe
alle Nachfolger Kölreuters, so John Hunter, Knight, Gärtner,
Naudin, Wichura und vor allem Darwin, bei der Untersuchung
der Pflanzen- und Tierbastarde weniger das Problem der Ver-
Hacckcr, Vererbungslehre. m
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210
Bastardforscbung und Artbildungslehre.
erbung als solches, als vielmehr die Frage nach den Verwandt-
schaftsbeziehungen der Arten im Auge gehabt. Noch am Ende des
19. und zu Anfang des 20. Jahrhunderts hat einer der ersten Zoologen,
der nach Darwin in zielbewußter Weise und in großem Maßstabe
Kreuzungsversuche angestellt hat, Stand fuß, auf diesem Wege in
erster Linie die Frage zu lösen versucht, ob zwei einander nahe-
stehende Formen getrennte, distinkte Arten oder nur Varietäten dar-
stellen 1 ); in derselben Weise wollte Kühn in Halle mittels seiner
ausgedehnten Kreuzungsversuche den Grad der Blutsverwandtschaft
der Wildrinder und Wildschafe ermitteln, und um die gleiche Zeit
hat auch H. de Vries auf den ersten Seiten seiner „Elementaren
Bastardlehre" die Frage nach den systematischen Einheiten und die
Möglichkeit, mittels der Bastardierungen Arten und Varietäten zu
unterscheiden, in den Vordergrund gestellt 2 ). In der Regel wurde
dann von den älteren und neueren Forschern als ein wichtiges Kri-
terium für die Artve rschiedenheiten die mangelnde Fortpflanzungs-
fähigkeit der Kreuzungsprodukte angesehen, und so findet man denn
auch heute noch in fast allen Lehrbüchern die Tatsachen der Bastard- .
forschung im Anschluß an die Behandlung des Artbegriffes auf-
gezählt.
Nun haben allerdings schon Darwin, de Vries, Nägeli.
Weis mann u. a. die Bedeutung der Bastardforschung für die Ver-
erbungslehre genau erkannt und bei der Begründung ihrer Ver-
erbungshypothesen das vorliegende Beobachtungsmaterial in ausgiebiger
Weise herangezogen, aber trotzdem wird man sagen dürfen, daß der
enge Zusammenhang zwischen Bastardforschung und Vererbungslehre
erst durch die Aufstellung der Mend eischen Regeln in das volle
Licht gerückt worden ist.
Aus der vormendelschen Periode der Bastardforschung ist aber
doch von der neueren Forschung eine Anzahl von Erfahrungen,
Unterscheidungen und Begriffen übernommen worden, auf welche hier
kurz eingegangen werden soll.
Man hat früher, namentlich unter dem Einfluß Fockes, eine
Unterscheidung zwischen Mischlingen, Bastarden (Hybriden) und
Blendlingen vorgenommen. Als Bastarde wurden die Kreuzungs-
produkte verschiedener Arten, als Blendlinge diejenigen verschie-
dener Varietäten bezeichnet, während man mit dem Namen Misch-
») Vgl. Standfuß 1896.
■) De Vries, S. 8 (1903).
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Verwandtschaftsgrad der Eltern. Konstante Hastardrassen. 211
linge beide Kategorien zusammenfaßt. Es ist klar, daß namentlich
bei den Bestrebungen, die Bastardforschung in den Dienst der Art-
bildungslehre zu stellen, die Anwendung dieser verschiedenen Be-
zeichnungen wegen der Unsicherheit der Abgrenzung zwischen Art
und Varietät vielfach zu einer petitio prineipii und naturgemäß auch
sonst zu mancherlei Schwierigkeiten führte, und so hat sich denn in
der neuesten Phase der Bastardforschung der Gebrauch eingebürgert,
mit dem Ausdruck Bastard oder Hybrid ganz allgemein jedes
Kreuzungsprodukt von erblich differenten Formen zu
bezeichnen, mag es sich um Gattungen, Arten oder Varietäten han-
deln Man kann auch mit Correns 8 ) unter Bastardierung ganz
allgemein die Vereinigung zweier Keimzellen verstehen, welche nicht
die gleichen Anlagen besitzen. Im ganzen deckt sich diese mehr und
mehr in Aufnahme kommende Definition auch mit dem populären
Sprachgebrauch, indem man bekanntlich die Kreuzungsprodukte zweier
„Rassen" des Menschen ebensogut als Bastarde bezeichnet, wie die-
jenigen zwischen Pferd und Esel oder zwischen Fasan und Haushuhn.
Je nach dem von der heutigen Systematik angenommenen Ver-
wandtschaftsgrad der beiden Eltern kann dann unterschieden werden
zwischen Rassen-, Unterart-, Art- und Gattungsbastarde. Rassen-
bastarde entstehen z. B. bei der Kreuzung zweier Kulturrassen der
Haustaube; als Unterartbastarde können die auf der Grenze der
Verbreitungsgebiete der Raben- und Nebelkrähe (Corvus corone und
cornix) häufig vorkommenden Mischformen gelten; ein Beispiel für
die Artbastarde bildet das Rakel- oder Mittelwaldhuhn (Tetrao
medius), der Abkömmling von Birkhahn und Auerhenne, und als
Gattungsbastard mag das Kreuzungsprodukt von Haushuhn und
Edelfasan (Phasianus colchicus), als Familienbastard dasjenige
der Penelopc (Farn. Cracidae) und des Edelfasans angeführt werden ").
Werden Bastarde derselben Abkunft untereinander gepaart, so kann
es vorkommen, daß ihre Nachkommen dieselben Merkmale wie die
Bastarde selber zeigen. Man spricht dann von konstanten Bastard-
rassen. Das bekannteste Beispiel bildet Aegilops speltaeformis, eine
Kreuzung zwischen einer wildwachsenden Graminee, dem Walch
(Ae. ovata) und dem Weizen (Triticum vulgare) 4 ). Auf zoologischem
') Vgl. H. de Vries. S. 9 (1903).
•) Correns, S. 453 (1905).
*) Letzterer Bastard befindet sich im britischen Museum. Vgl. Guy er 1909.
<) Vgl. H. de Vries. S. 71 (1903).
14'
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212
Abgeleitete Bastarde. Vollblut, Halbblut.
Gebiet seien die schon von Darwin mehrfach erwähnten Leporiden
oder Hasen -Kaninchen -Bastarde angeführt, deren Natur allerdings
immer noch nicht sichergestellt ist 1 ), sowie die von Castle ge-
zogenen Kaninchenbastarde mit mittlerer Ohrenlänge, auf welche
später (Kapitel 27) eingegangen werden soll.
Werden Bastarde nicht untereinander, sondern mit einer der
Stammformen oder mit einer dritten verwandten Art oder mit einem
anderen Mischling gepaart, so können sogenannte abgeleitete
Bastarde entstehen. Sie werden, je nach der Zahl der ursprünglichen
reinen Arten oder Typen, welche zu ihrer Entstehung beigetragen
haben oder „im Bastarde verbunden sind", als zweielterliche
oder binäre (aus der Rückkreuzung mit einer der Stammformen
entstandene), dreielterliche (dreifache) oder ternäre, vierelter-
liche (vierfache) oder quaternäre usw. bezeichnet a ). Ein ternärer
Bastard ist z. B. das von Darwin 8 ) zitierte Produkt einer Pferde-
stute und eines Esel -Zebra -Bastards. In ähnlicher Weise gelang es
Darwin selbst, bei Tauben in einem Vogel fünf der distinktesten
Rassen miteinander zu vereinigen 4 ), und Wichura 5 ) hat bei seinen
Versuchen mit Weiden sogar sechs Arten miteinander in einem
Bastard verbunden.
Bekanntlich versteht der Tierzüchter unter Vollblut reinrassige
Tiere mit edeln Eigenschaften, unter Halbblut die Abkömmlinge
eines Vollbluttieres und eines Angehörigen einer gemeinen Rasse.
Mit Dreiviertelblut und Einviertelblut werden die Tiere be-
zeichnet, wenn drei bzw. einer der vier Großeltern der Edelrasse an-
gehörten. In ähnlicher Weise wird auch bei Mischungen von Wild-
formen mit Haustierrassen unter Hervorhebung des Anteils der
ersteren von Halbblutbastarden, Dreiviertelblutbastar-
den usw. gesprochen (Kühn).
Als reziproke Bastarde werden die Abkömmlinge zweier
Stammformen dann bezeichnet, wenn diese kreuzweise miteinander
verbunden werden, derart, daß das eine Mal von der einen Stamm-
form der Vater, das andere Mal von der gleichen Stammform die
! ) Bezüglich der Literatur vgl. Ackermann, II. Teil, S. 75- Ebenda finden
sich Angaben über (? konstante) Fischbastarde (II. Teil, S. 4).
■) II. de Vries, S. 79. 85, 87 (1903).
») Bd. 2. S. 56 (1868).
4 ) Bd. 1. S. 246 (1868), Anm.
») Zitiert bei Darwin, Bd. 2, S. 352 (1868) und de Vries, S. 87 (1903).
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Bezeichnung der Bastarde.
213
Mutter genommen wird. Beispiele bilden Maultier und Maulesel.
Ersteres ist das Kreuzungsprodukt von Eselhengst und Pferdestute,
letzterer dasjenige von Pferdehengst und Eselstute
Um Bastarde ihrer Abkunft nach zu kennzeichnen, verbindet
man die Namen der beiden Stammformen durch ein Kreuz oder in
Form emes Bruches, indem, wenigstens in der Zoologie, der Name
des männlichen Erzeugers vorangestellt oder als Zähler verwandt wird,
zum Beispiel:
Capra bircus X Ovis aries
oder
Capra bircus ö* ** Ovis aries °.
oder
Capra hircu s
Ovis aries
Abgeleitete Bastarde werden in entsprechender Weise dargestellt,
z. B. der bekannte dreifache Schmetterlingsbastard von Standfuß:
Saturnia (paTonia cf X pini ^) <f X S. pyri °-
oder
t . /pavonia ö* \
Saturnia ( - — ~ — ) cf
\ pini /
Botanischerseits wird häufig die umgekehrte Bezeichnungsweise
angewandt. So setzt de Vries«) den Namen der Mutter voran:
a x b bedeutet also: „a befruchtet durch b'.
Hinsichtlich der äußeren Erscheinung der Bastarde unterscheidet
man intermediäre Bastarde im engeren Sinne, welche ungefähr
die Mitte zwischen den beiden Elternformen halten, goneokline
(patrokline und matrokline), welche mehr dem einen der beiden
Eltern zuneigen, und einseitige, bei welchen nur die Merkmale
der einen Stammform zum Vorschein kommen »). Vielfach stellt man
auch einfach die Begriffe intermediär und einseitig einander
gegenüber und rechnet dann zu den intermediären Bastarden
im weiteren Sinne auch die goneoklinen «).
') Die Möglichkeit, Pferdehengst und Eselstute erfolgreich zu verbinden, ist
durch Kühn im Haustiergarten von Halle in wissenschaftlich einwandfreier Weise
nachgewiesen worden.
•) S. 10 (1003). Anm. Vgl. auch ebenda, S. 79.
3 ) Vgl. de Vries, S. 18 (1903); Lang, S. 1 (1910).
*) Versuche, die Ursachen der größeren Ähnlichkeit der Nachkommen mit einem
der beiden Eltern zu ermitteln und den Grad der Ähnlichkeit zu verändern, hat
namentlich Herbst mit Seeigellarven angestellt (1906— 1909).
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214
Intermediäre Bastarde.
Unter den intermediären Bastarden können Mosaikbastarde
und Misch- oder Deckbastarde unterschieden werden. Bei ersteren
kommen die Merkmale der Eltern in mosaikartiger Verteilung an
den verschiedenen Körperteilen des Bastards zum Vorschein, so bei
dem in zahlreichen zoologischen Gärten gezogenen Bastard vom
Lady-Amherstfasan und Goldfasan (Chrysolophus amherstiae cT x Chr.
pictus Dieser Bastard zeigt zuweilen 1 ) am Kragen und an der
buntfarbigen Oberseite die Merkmale des männlichen Amherstfasans,
dagegen gehören die rote Unterseite und die Färbung des Schwanzes
der Hauptsache nach dem Goldfasan an. Bei den Misch- oder Deck-
bastarden treten die einzelnen, einander korrespondierenden Charak-
tere der beiden Eltern zu einem Mischtypus zusammen. Ein schönes
Beispiel bilden die Bastarde von Gimpel (Pyrrhula pyrrhula) und
Kanarienvogel (Serinus canarius), bei welchen die Färbung und Zeich-
nung der einen Stammform fast an allen Körperteilen mit derjenigen
der anderen kombiniert ist. Über das ganze Farbenmuster des Gim-
pels erscheint ein gelber Ton gelegt, so daß speziell das Rot der
Unterseite in ein trübes Orangegelb und das Weiß des Bürzels in
Hellgelb umgewandelt wird. Auch die dunkeln Schaftstriche des
wilden Kanarienvogels kommen an dem Gefieder der Bastarde wieder
zum Vorschein.
Was die Bedingungen für das Zustandekommen der Bastardie-
rung anbelangt, so spielt, wie schon die älteren Forscher wußten,
der Verwandtschaftsgrad der Stammformen eine wichtige Rolle. Je
näher zwei Formen einander verwandt sind, um so eher kann zwischen
ihren Angehörigen eine erfolgreiche Paarung stattfinden.
Bei geringerer Verwandtschaft, z. B. bei Artungleichheit, kann
die Paarung und erfolgreiche Begattung durch verschiedene Faktoren
erschwert oder verhindert werden : es kann zwischen den Elterntieren
selbst eine instinktive Abneigung zur Annäherung bestehen, oder es
kann durch die Beschaffenheit der Kopulationsorganc die Begattung
mechanisch unmöglich gemacht sein, oder es besitzen die Fortpflan-
zungszellen keine sexuelle Affinität zueinander 2 ). Im ersten Falle
können durch die Gefangenschaft oder Domestikation das repulsive
Verhalten unterdrückt werden, wie dies die in zoologischen Gärten
vorkommenden Kreuzungen zwischen so entfernt stehenden Formen,
') Die einzelnen Individuen weisen beträchtliche Unterschiede in der Farben -
Verteilung auf.
*) Vgl. hierzu O. Hertwig, Zelle und Gewebe, l. Bd., S. 241.
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Sexuelle Affinität.
215
wie Löwe und Königstiger, zeigen 1 ), im zweiten Falle können die
mechanischen Hindernisse eventuell durch künstliche Mittel beseitigt
werden (künstliche Befruchtung bei sehr verschieden großen Hunde-
rassen). Was endlich die mangelnde Affinität zwischen den Fort-
pflanzungszellen anbelangt, so haben die Brüder Hertwig (1886)
gezeigt, daß bei Seeigeleiern durch längeres Liegenlassen im See-
wasser die Bastardbefruchtung erleichtert wird, und später ist es
Loeb u.a. gelungen, z.B. durch Veränderung des Salzgehaltes des See-
wassers (Zusatz von Natriumhydroxyd) die erfolgreiche Befruchtung
von Seeigeleiern durch Seesternsperma zu erreichen.
Mit der instinktiven Abneigung, die im allgemeinen zwischen
den Angehörigen zweier „guter" Arten besteht, hängt es zusammen,
daß wenigstens im Tierreich in der freien Natur verhältnismäßig
selten Artbastarde auftreten, und man hat Grund zu der Annahme,
daß das Vorkommen solcher fast immer durch irgendwelche Störungen
der normalen Lebensverhältnisse bedingt ist 8 ).
Im übrigen spielt auch die Individualität der Elterntiere
hinsichtlich der Kreuzungsmöglichkeit eine Rolle, wie dies Driesch
für die Seeigel gezeigt hat.
Wie die Möglichkeit der erfolgreichen Paarung überhaupt, so
hängt auch die Fähigkeit der Bastarde, sich ihrerseits fort-
zupflanzen, von dem Verwandtschaftsgrad der Eltern ab. Je ent-
fernter sich die Eltern stehen, um so weniger fruchtbar sind die
Bastarde, und jedenfalls gilt für das Tierreich, daß schon die Art-
bastarde im allgemeinen unfruchtbar sind 8 ). So sind z. B.
noch niemals Rakelhühner in Fortpflanzung beobachtet worden.
') Auch durch künstliche Mittel kann die Abneigung überwunden werden. So
wurde im Haustiergarten in Halle ein Zebrahengst dadurch zur Begattung mit einer
Eselstute bewogen, daß dieser eine mit Streifen bemalte Decke aufgelegt wurde.
*) So wird z. B. das verhältnismäßig häufige Auftreten des Rakelhuhns (s. oben
S. 211) in Schweden damit in Zusammenhang gebracht, daß in diesem Land ein
besonders starker Abschuß von Auerhähnen stattfindet und die Auerhennen daher
häufig die Balzplätze der Birkhähne aufsuchen. Vgl. Naumann, Naturgeschichte
der Vögel Mitteleuropas, 6. Bd., S. 106, Anm. 3, 108.
3 ) Nach G u y e r sind bei den Vögeln die Art- und Gattungsbastarde (Fasanen-
bastarde. Perlhuhn X Haushuhn, Fasan V Haushuhn) größtenteils männlichen
Geschlechts. Guy er spricht die Vermutung aus, daß durch die Fremdbefruchtung
die konstruktive Seite des Stoffwechsels (Metabolismus) eine Hemmung erfährt, und
daß die hierdurch bewirkte schlechtere Ernährung des Embryos die Entwickelung
des männlichen Geschlechts begünstige. Es würde dann allerdings eine epigame,
d. h. erst nach der Befruchtung erfolgende Gcschlechtsbestimmung vorliegen (vgl.
Kapitel 25).
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216
Sterilität der Bastarde.
Daß im übrigen auch hier individuelle Unterschiede in Be-
tracht kommen, zeigen Beobachtungen von Kühn: von vier Gayal-
halbblutbullen erwies sich ein einziger mit Halbblutkühen als frucht-
bar. Ebenso ist bekannt, daß das Maultier ausnahmsweise fruchtbar
sein kann.
Über die eigentlichen Ursachen der Sterilität der Bastarde
ist noch nichts Sicheres bekannt. Ich habe früher (1902) 1 ) die An-
nahme gemacht, daß bei der Geschlechtszellenbildung der Bastarde
infolge ungenügender Affinitat der väterlichen und mütterlichen
Chromosomen die komplizierten Umordnungsverhältnisse, welche nor-
malerweise der Reife der Eizellen vorangehen, Störungen erfahren,
und daß infolgedessen eine unvollkommene Ausbildung der Geschlechts-
zellen stattfindet. Indessen haben cytologische Beobachtungen von
Poll an Vogelbastarden und von Tischler an Pflanzenmischlingen
es als zweifelhaft erscheinen lassen, ob eine „Repulsion der elter-
lichen Chromosomen - die eigentliche Ursache der Sterilität der
Bastarde darstellt 1 ).
Literaturverzeichnis zu Kapitel 21.
Ackermann, R., Tierbastarde. Kassel 1898. (Enthält eine Zusammenstellung der
bis zum Ende des 19. Jahrhunderts bekannten Tierbastarde.)
Correns, C, Weitere Untersuchungen Aber die Gynodiöcie. Ber. d. Bot. Ges.»
23. Bd., 1905.
Darwin, Ch., Das Variieren usw., 1868. Stehe Literaturverzeichnis 2, S. 12.
Driesch, H., Über rein -mütterliche Charaktere an Bastardlarven von Echiniden.
Aren. f. Entwickelungsmechanik, 7. Bd., 1898.
Focke, W. O.. Die Pflanzenmischlinge. Berlin 1881.
Fruwirth, C. Die Züchtung der landwirtschaftlichen Kulturpflanzen. I. Berlin
1905.
Guy er, M. F., On the sex of hybrid birds. Biol. Bull.. Vol. 16, 1909.
Haecker, V., Praxis und Theorie der Zellen- und Befruchtungslehre. Jena 1809.
— , Über die neueren Ergebnisse der Bastardlehre usw. Arcb. f. Rass.- u. Ges.-Biol.,
I.Jahrgang, 1004.
— , Bastardierung und Geschlechtszcllenbildung. Zool. Jahrb., Suppl. VII, Jena 1904.
Herbst, C, Vererbungsstudien. I — VI. Arch. f. Entwickeln ngsmechanik , 21., 22.,
24., 27. Bd., 1906—1909.
Hertwig, O. und R. , Experimentelle Untersuchungen Ober die Bedingungen der
Bastardbefruchtung. Jen. Zeitschr., 19. Bd., 1R86.
») Vgl. 1904, S. 245.
*) Vgl. Tischler 1907, Poll 1908, ferner Gates, Bot. Gaz., S. 48 (Oenothera
laU X O. gigas), Farmer und Digby, Ann. Bot, Vol. 24 (1910) (Polypodium hybr.).
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Literaturverzeichnis 21.
217
Hertwig, O. . Zelle und Gewebe und Allgemeine Biologie. Siehe Literatur-
verzeichnis l, S. 7.
Kölrcuter, J. G. , Vorläufige Nachricht von einigen das Geschlecht der Pflanzen
betreffenden Versuchen und Beobachtungen. 1761.
Lang, O.. Die Erblichkeitaverhältnisse der Ohrenlänge usw. Zeitschr. ind. Abst.,
4. Bd., 1910.
Loeb, J.. The fcrtilization of the egg of the sea-uxchin by the sperm of the star-
fish. Univ. Calif. Publ. (Phys.), Vol. 1, 1903.
— , Further experiments usw. Ebenda, Vol. 2, 1904.
Morgan, Th. H., Experimente Zoology. New York 1907.
— , Experimentelle Zoologie. Übersetzt von L. und H. Rhumbler. Berlin und
Leipzig 1900.
Poll, H. und Tiefensee, W., Mischlingsstudien und die Histiologie der Keim-
drüsen bei Mischlingen. Sitzungsber. d. Ges. Naturf. Frd., Berlin 1907.
Poll, H., Mischlingsstudien. III. System und Kreuzung. Ebenda 1908.
Standfuß, M., Handbuch der paläarktischen Großschmetterlinge. 2. Aull. Jena
1896.
— , Die Resultate 30 jähriger Experimente usw. Verh. d. Schweiz. Naturf. Ges.,
Luzern 1905.
Tischler, G., Weitere Untersuchungen über Sterilitätsursachen bei Bastardpflanzen.
Ber. d. D. Bot. Ges., 2$. Bd., 1907.
— , Zeitstudien an sterilen Bastardpflanzen. Aren. f. Zellf., l.Bd., 1908.
Vries, H. de. Die Mutationstheorie. 2. Bd. Elementare Bastardlehre. Leipzig 1 003.
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Zweiundzwanzigstes Kapitel.
Mendclsche Bastardierungs- oder Vererbungsregeln.
Wie bereits erwähnt wurde, ist die Bastardierungsforschung zu
Beginn des 20. Jahrhunderts durch die Wiederentdeckung der
Mendel sehen Regeln in neue Bahnen geleitet worden.
In den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts hatte der Augustiner-
pater und nachmalige Prälat Gregor Mendel in Brünn ausgedehnte
Untersuchungen über Pflanzenkreuzungen, insbesondere über die
Bastardierung von Erbsenrassen angestellt und ist dabei zu einer
Anzahl von Ergebnissen gelangt, welche für die Vererbungslehre von
fundamentaler Bedeutung sind. Mendels Mitteilungen sind in einer
nicht allgemein zugänglichen Zeitschrift, in den Verhandlungen des
Naturforschenden Vereins in Brünn, niedergelegt worden *) und waren
daher, obwohl sie in Fockes Pflanzenmischlingen erwähnt wurden
und obwohl Mendel einen ausführlichen Briefwechsel mit Nägel i
unterhielt 2 ), der Beachtung und Würdigung durch die wissenschaft-
liche Welt entgangen. Ebenso sind auch die Kreuzungen, welche
später Haacke mit Mäusen vorgenommen hatte und bei welchen
er in unabhängiger Weise zu ähnlichen, wenn auch weniger scharf
formulierten Ergebnissen gelangt war, übersehen worden.
Erst im Jahre 1900 ist durch gleichzeitige Veröffentlichungen
von deVries, Correns und Tschermak, welche unabhängig von-
einander und zunächst, ohne Mendels Entdeckungen zu kennen, zu
den gleichen Ergebnissen wie dieser gelangt waren, die Aufmerk-
samkeit der Biologen auf diese Verhältnisse und auf die Verdienste
l ) Die erste, bzw. die erste und zweite Abhandlung Mendels sind in der Zeit-
schrift Flora 1901, sowie in Ostwalds Klassikern der exakten Wissenschaft (s. Lite-
raturverzeichnis) abgedruckt worden. Eine englische Übersetzung findet sich im Journ.
Roy. Hort. Soc, Vol. 26, 1901, sowie als Anhang in Batesons Buche.
*) Herausgegeben durch Correns, 1905 (s. Literaturverzeichnis). Über die
Gründe, weshalb Nägeli den Entdeckungen Mendels keine weitere Beachtung
geschenkt hat. vgl. Correns, ebenda. S. 18Q. und Bateson. S. 54 (>909)-
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Uniformitätsregel.
219
Mendels gelenkt worden. Seither haben zahlreiche botanische und
zoologische Forscher sich mit dem Gegenstand beschäftigt und die
Mende Ische Vererbungslehre zu einem der fruchtbarsten, die weitesten
Perspektiven eröffnenden Zweige der Biologie ausgestaltet. Außer
den eben genannten drei Botanikern, denen noch E. Baur anzureihen
ist, haben hauptsächlich das englische, unter der Leitung Batesons
stehende Evolution Committee, die Amerikaner Castle und Daven-
port, letzterer als Leiter der Carnegie-Station für experimentelle Ent-
wicklungslehre in Cold Spring Harbour auf Rhode Island, ferner
Cuenot in Nancy, Darbishire und Hurst in England, Lang in
Zürich mit großem Erfolg auf diesem Gebiete gearbeitet.
Die Ergebnisse der Mendel forschung gipfeln zunächst in der Auf-
stellung von drei bei der Rassenkreuzung in weitem Umfang
gültigen Vererbungsregeln und einer Erklärungshypothese.
Die erste Regel kann bezeichnet werden als die von der Gleich-
heit (Uniformität) 1 ) der F t -Bastarde, d. h. der Individuen der
ersten aus der Kreuzung zweier elterlicher Rassen hervorgegangenen
Nachkommengeneration, der ersten filialen oder JF\-Generation
(Uniformitätsregel) a ).
Man hatte eine Zeitlang, nach dem Vorgang von Correns 8 ), als
erste Regel die „Prävalenzregel" angenommen, wonach von zwei
einander korrespondierenden (antagonistischen oder allelo-
morphen) 4 ) Merkmalen der beiden Stammformen (z.B. Pigmentierung
und Pigmentlosigkeit) in der F t -Generation das eine (in unserem Fall
die Pigmentierung) „dominiert" 6 ) oder „prävaliert", d. h. aus-
schließlich zum Vorschein kommt, während das andere, das rezessive,
in dieser Generation latent bleibt. Es hat sich indessen sehr bald
herausgestellt, daß eine solche ausschließliche Dominanz oder Prä-
valenz des einen Merkmals in der ersten Generation nur einen
Spezialfall darstellt 6 ), und daß als Regel für die erste Generation nur
ihre Uniformität gelten kann.
l ) Vgl. A. Lang, S. 34 (1909).
*) Die Terminologie der F t -, i^-Bastarde usw. stammt von Bateson (Bateson
und Saunders 1902). Die elterliche Generation wird als parentale oder /'-Gene-
ration bezeichnet.
*) Über Levkojenbastarde 1900.
*) Bateson hat für die beiden sich einander bei der Kreuzung gegenüber-
stehenden Merkmale die Bezeichnung Allelomorpha vorgeschlagen.
*) Der Ausdruck „Prävalenz- ist insofern zweideutig, als er ja an und für sich
nur „ Vorherrschaft", und nicht, was er besagen soll, „Alleinherrschaft" bedeutet.
*) Vgl. auch Bateson, S. 13 (1909).
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220
' Verhalten der ^-Bastarde.
Es können nun, wie gleich hier angeführt werden soll, drei ver-
schiedene Fälle auftreten:
a) Die ^-Bastarde sind intermediär (im weiteren Sinne) 1 )»
d. h. sie stellen hinsichtlich des antagonistischen Merkmalspaares eine
Zwischenform zwischen den beiden Stammrassen dar. Dieser Typus
ist namentlich bei Pflanzen sehr weit verbreitet. Wird z. B. eine
weißblühende Rasse der Wunderblume, Mirabilis Jalapa, mit einer
rotblühenden Rasse gekreuzt, so sind die F r Bastarde durchweg rosa
(Fig. 92, links, F lt und Taf. I).
b) Die -f^ -Bastarde sind einseitig, d. h. von den antago-
nistischen Merkmalen ist das eine, das „dominante", alleinherrschend
Ia Ib
Schema der alternativen Vererbung.
P parentale. F u *3 »weite, dritte filiale Generation. Ia Typus mit intermediärer, Ib Typus
mit rein dominierender F r Gencration.
(es „prävaliert") 1 ), während das andere, das „rezessive", nicht zum
Vorschein kommt, man kann auch sagen, daß das dominante Merkmal
das rezessive in der äußeren Erscheinung vollständig verdeckt 5 ).
Beispiele finden sich namentlich im Tierreich sehr viele: bei der
Kreuzung einer einfarbigen und einer fünfbänderigen Gartenschnecke
(Helix hortensis) dominiert die Einfarbigkeit, schwarze und weiße
Axolotl (Amblystoma) geben ausschließlich schwarze (im Larven-
') Vgl. oben S.213.
*) Siehe oben S. 210. Anm 5.
■) Vgl. Lang. S.30 (1909).
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: :
* * • • . .
.*. : : •: •••
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Verhalten der F r Bastarde. Spaltungsregel.
221
zustande barschartig gebänderte) l^-Nachkomraen, braune und fuchs-
farbige Vollblutpferde nur braune Fohlen (Fig. 92, rechts, F v und Taf. I).
Als Zeichen für die Dominanz und Rezessivität sind vielleicht die
mathematischen Zeichen > und < gut zu verwenden, z. B. schwarz
> weiß, fuchsfarbig < braun l ).
c) Die I^-Bastarde zeigen einen neuen (bei keiner der
Stammformen sichtbaren), speziell einen atavistischen
Charakter, bilden ein Kreuzungsnovum 2 ). Z. B. entstehen bei
Kreuzung der albinotischen Hausmaus mit der schwarz- und weiß-
gescheckten japanischen Tanzmausrasse ausschließlich graue (wild-
farbige) J^-Bastarde, es ist also Rückschlag auf die Stammform erfolgt.
Ebenso zeigen bei Kreuzung zweier weißblühender Rassen der groß-
blumigen oder spanischen Wicke (Lathyrus odoratus), die sich im
übrigen durch die Beschaffenheit des Pollens unterscheiden, die F r
Nachkommen die Purpurfarbe der in Sizilien wild vorkommenden
Stammform.
Die zweite Mendelsche Regel, die mit Correns als Spaltungs-
regel bezeichnet werden kann, bezieht sich auf die Individuen der
zweiten Nachkommengeneration, auf die F % - Bastarde. Nach dieser
Regel kommen, wenn die i^-Bastarde untereinander gepaart werden,
bzw. wenn Selbstbestäubung erfolgt, bei ihren Nachkommen, den F t -
Bastarden, beide elterlichen Charaktere wieder zum Vorschein,
und zwar sind sie in einem ganz bestimmten Zahlenverhältnisse
auf die F t - Individuen verteilt. Es findet also eine „Spaltung" der
in den F t - Bastarden verbundenen Anlagen, man kann auch sagen,
ein „alternierendes" Auftreten derselben statt.
Entsprechend den drei oben erwähnten Fällen ist nun das Ver-
halten der ^-Generation ein verschiedenes:
Im Rille a) findet sich bei 25 Proz. aller F,-Individuen der domi-
nierende (/)), bei 25 Proz. der rezessive (R), bei 50 Proz. der inter-
mediäre Charakter (J). Es besteht also das Zahlenverhältnis D:J:R
= 25:50:25 oder 1:2:1 (Fig. 92, links, F if und Taf.I).
Im Falle b) kommen auf 75 Proz. dominierende F,- Individuen
25 Proz. rezessive. Es herrscht demnach das Zahlenverhältnis D : R
= 3:1 (Fig. 92, rechts, F it und Taf.I).
') Lies: schwarz dominierend über weiß (stärker als weiß),]fuchsfarbig rezessiv
gegen braun. Auch Lang hat neuerdings (Zeitschr. Ind. Abst., 4. Bd., S. 41. 1910)
diese Zeichen in Vorschlag gebracht.
*) Vgl. Tschermak 1004.
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222
Spaltungsregcl. Reinheit der Gameten.
Im Falle c) treten besondere Zahlenverhältnisse hervor, indem
neben den elterlichen Charakteren auch die „Kreuzungsnova" der
Fj-Generation und eventuell noch andere Typen zum Vorschein
kommen. Sehr häufig findet sich das Zahlenverhältnis 9:3:4, auf
welches später noch näher eingegangen werden soll. In dem oben
erwähnten, auf eine Lathyrus-Kreuzung bezüglichen Beispiel weist die
.F 2 -Generation das Verhältnis 27 purpurn : 9 rot : 28 weiß auf.
Es sei gleich hier erwähnt, daß die tatsächlich zur Beobachtung
kommenden Zahlenverhältnisse in der Regel sehr genau mit den hier
angeführten einfachen Relationen übereinstimmen. So fand z. B.
Correns bei der Kreuzung einer Erbsenrasse mit gelbem und einer
solchen mit grünem Keim in der F t - Generation 619 gelbe und 206
grüne Individuen, und ich selbst erhielt bei meinen Kreuzungen
zwischen schwarzen und weißen Axolotln in einem Falle das Ver-
hältnis 573:191 (also genau 3:1), in einem anderen 672:218 (statt
667,5:222,5).
Auch in den folgenden Generationen bestehen regelmäßige
Zahlenverhältnisse. Speziell im Falle a) (Fig. 92, links, F s ) ergibt
sich bei Inzucht bzw. Selbstbestäubung der vier Lose, daß die domi-
nante und die rezessive Gruppe jeweils nur Nachkommen ihresgleichen
erzeugt („rein zeugt" >), breeds true), während die Nachkommen der
beiden intermediären Gruppen abermals das Zahlenverhältnis 1:2:1
erkennen lassen. Ebenso findet man im Falle b) (Fig. 92, rechts, F 3 ),
daß von den drei Losen, welche äußerlich nur den dominierenden
Charakter zum Vorschein bringen, das eine bei Inzucht oder Selbst-
bestäubung ausschließlich Nachkommen mit dem dominierenden
Charakter hervorbringt, während die Nachkommen der beiden anderen
den dominanten und rezessiven Charakter im Zahlenverhältnis 3 : 1
aufweisen. Die Individuen des vierten , rezessiven Loses 'erzeugen
wieder nur rezessive Nachkommen.
Um diese Zahlenverhältnisse zu erklären, hat schon Mendel
eine Erklärungs- oder Zusatzhypothese aufgestellt, die als Hypothese
von der Reinheit der Gameten bezeichnet werden kann. Nach dieser
Hypothese tritt, wenn der F 1 -Bastard Geschlechtszellen oder Gameten
bildet, in den Fällen a) und b) eine Spaltung der bei der ursprüng-
lichen Bastardbefruchtung miteinander vereinigten, antagonistischen
Anlagen eines Merkmalspaares auf, derart, daß die Hälfte der Gameten
v ) Wie man vielleicht besser an Stelle des Ausdrucks .rein zieht" oder „rein
züchtet" sagt.
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Reinheit der Gameten.
223
jedes einzelnen Bastard-Individuums nur noch die Anlage für den domi-
nierenden, die andere die Anlage für den rezessiven Charakter enthält.
Nehmen wir im besonderen an, es läge der Fall b) vor und es
mögen bei einer Bastardbefruchtung eine Gamete mit einer domi-
nierenden schwarzen und eine solche mit einer rezessiven weißen
Anlage zusammentreten (Fig. 93, gam). Es bildet sich also ein be-
fruchteter Keim, eine Zygote (xygj, in welcher die schwarze und
weiße Anlage miteinander vereinigt sind. In dem jungen /^-Orga-
nismus (Fi), welcher aus der Zygote hervorgeht, werden die sämt-
lichen Zellen, z. B. alle Epidermiszellen (epe), beide Anlagen enthalten
und, da in unserem Falle eine vollkommene Dominanz der schwarzen
Anlage vorliegt, ausschließlich den schwarzen Charakter äußerlich zur
Fig. 93.
Spaltung der Anlagen in der ^-Generation.
Schau tragen. Auch die Urkeimzellen (uJcmz) und wohl auch die
folgenden Keimzellengenerationen werden noch beide Anlagen be-
herbergen, bei der Bildung der definitiven Keimzellen {gam^) jedoch
wird der Hypothese zufolge eine Spaltung in der vorhin erwähnten
Weise erfolgen, derart, daß die beiden Anlagen auseinandergehen
und die fertigen Keimzellen jeweils nur noch eine von ihnen ein-
schließen. Es ist wie „ein Abschied zwischen zwei Personen, welche
eine Zeitlang nebeneinander denselben Weg gegangen sind und welche
sich jetzt eine andere Gesellschaft aufsuchen wollen" (de Vries)»).
Die Gameten sind also „rein" mit Bezug auf die eine Anlage.
l ) Dieses Bild wurde von deVries ursprünglich auf die kern geschichtlichen
Vorgänge angewandt, die mit der Anlagenspaltung in Beziehung gebracht worden
sind (deVries 1903).
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224
Reinheit der Gameten.
Diese Hypothese von der Reinheit der Gameten erklärt
in der Tat die Zahlenverhältnisse in einfachster Weise.
Wenn nämlich z. B. im Falle b) bei der Geschlechtszellenbildung
der 2*\-Bastarde (Fig. 94, 2^) tatsächlich jeweils 50 Proz. der Gameten
mit der dominierenden Anlage D, z. B. mit der Anlage für Schwarz,
und 50 Proz. mit der rezessiven .ß, z. B. mit der für Weiß, ausgestattet
gam > 4b >
^«2 §ßw») ^p(DR) q§(RD> cp< EB >
*©00(a>)
Spaltung der Anlagen in der i^-Generation.
werden, so ergeben sich doch bezüglich der Zygotenbildung viererlei
Kombinationsmöglichkeiten. Es können sich vereinigen (Fig. 94, tyg t ):
eine schwarze Samenzelle D mit einer schwarzen Eizelle D = DD,
, schwarze , D » weißen . R = DR,
m weiße , R „ schwarzen „ D = RD,
n weiße , R n weißen „ R = RR.
Aus den Zygoten der ersten Sorte DD müssen „homozygote"
Individuen hervorgehen, d. h. solche, welche mit nur einerlei Anlage,
und zwar speziell mit der dominierenden, schwarzen ausgestattet
sind und demgemäß selbstverständlich den schwarzen Charakter zur
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Reinheit der Gameten. Rückkreuzungen.
225
Entfaltung bringen; ebenso entwickeln sich die Zygoten der vierten
Sorte RR zu homozygoten Individuen, welche ausschließlich die
rezessive weiße Anlage enthalten und daher weiß sind. Aus den
Zygoten der zweiten und dritten Sorte dagegen, DR und RD, ent-
stehen „heterozygote" Individuen, welche, wie die .F, -Bastarde,
zweierlei Anlagen in sich beherbergen und, wenn Schwarz voll-
kommen dominant ist, äußerlich nur den schwarzen Charakter zur
Entfaltung bringen. Man wird also vom Boden unserer Hypothese
aus erwarten dürfen, daß von den vier Gruppen im ganzen drei die
schwarze und nur eine die weiße Farbe zeigen. Da nun die F % -
Bastarde im Falle b) dieses Verhältnis in Wirklichkeit aufweisen, so
ist die Hypothese von der Reinheit der Gameten offenbar geeignet,
Fig. 95.
Fig. 96.
ö ö ö
cp
Rückkreuzung des Bastards mit der
dominierenden Stammform.
Rückkreuzung mit der rezessiven
Stammform.
für das Zustandekommen der Proportion 3 : 1 eine ausreichende Er-
klärung zu geben.
Ähnlich liegen die Verhältnisse im Falle a), wie ohne weiteres
ersichtlich ist.
Eine Art Probe für die Richtigkeit der Hypothese bilden die
Rückkreuzungen der i^-Bastarde mit den beiden Stammformen. Wird
im Falle b) der heterozygote F x - Bastard mit der dominierenden
Stammform gekreuzt, so werden, wie das Schema Fig. 95 ohne
weiteres zeigt, nur zweierlei Zygoten entstehen, es werden sich also
die Nachkommen aus 50 Proz. Heterozygoten und 50 Proz. domi-
nanten Homozygoten zusammensetzen. Bei Rückkreuzung mit der
rezessiven Stammform (Fig. 96) können ebenfalls nur zweierlei
Ha eck er, Vererbungslehre.
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226
Rückkreuzungen. Unabhängigkeitsregel.
Sorten von Zygoten gebildet werden: 50 Proz. der Individuen müssen
Heterozygoten sein, 50 Proz. dagegen rein rezessive Homozygoten,
die bei Inzucht oder Selbstbestäubung auch wieder nur rezessive
Individuen liefern.
In der Tat entsprechen nun die tatsächlichen Ergebnisse der
Rückkreuzungen den theoretischen Erwartungen, so daß also auch
auf diesem Wege die Hypothese von der Reinheit der Gameten eine
wertvolle Stütze zu erhalten scheint. Es soll im übrigen gleich hier
bemerkt werden, daß die eben besprochenen Schemata für die Rück-
kreuzung bei der Frage, inwieweit beim Menschen mendelnde Merk-
male vorkommen, eine große Rolle spielen.
Es wurde bisher das Verhalten der Bastarde bezüglich eines
einzigen Merkmalspaares besprochen, ohne Rücksicht darauf, ob die
betreffenden Stammformen sich noch in anderen Merkmalspaaren
unterscheiden, oder ob die Bastarde eigentliche Monohybriden
(deVries) sind, d. h. von Eltern abstammen, die tatsächlich nur in
dem einen Merkmalspaare differieren. Unterscheiden sich nun die
beiden, miteinander gekreuzten Stammformen durch zwei oder
mehrere Merkmalspaare (Farbe der Blüten, Farbe der Keime usw.),
sind also die Kreuzungen dihybrid oder polyhybrid (deVries),
so gilt nach Mendel der wichtige Satz, daß die einzelnen Merkmals-
paare sich mit Bezug auf die Spaltungserscheinungen unabhängig
voneinander verhalten. Sind die Eltern z. B. in zwei Merkmalspaaren
verschieden, so liefert demnach der Bastard, da sich beide Merkmals-
paare unabhängig voneinander spalten und jedes Glied des einen
mit jedem der beiden Glieder des anderen sich kombinieren kann,
nicht zweierlei, sondern viererlei Gameten, und durch wechselseitige
Vereinigung der männlichen und weiblichen Gameten werden nicht,
wie bei der monohybriden Kreuzung, vier, sondern sechzehn ver-
schiedene Klassen von Zygoten gebildet. Man wird dieses Verhältnis
als dritte Mendel sehe Regel oder Unabhängigkeitsregel bezeichnen
können.
Es mögen von zwei • miteinander zu kreuzenden Pflanzenrassen,
z. B. von zwei Erbsenrassen, die eine rote Blüten und gelbe
Kotyledonen, die andere weiße Blüten und grüne Kotyledonen
besitzen 1 ). Rot sei vollkommen dominierend über Weiß, Gelb über
Grün (rot >• weiß, gelb > grün).
*) Vgl. Correns, S. 73 (i90l) (Die Ergebnisse usw.).
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Unabhängigkeitsrcgel. Maiskreuzungen.
227
Der -Bastard liefert dann sowohl im männlichen wie im weib-
lichen Geschlecht je viererlei Gameten:
r-gcT r.gr cT w.g <f w.gr o" — r.g $ r.gr $ w.g $ w.gr $.
Durch Befruchtung werden 16 verschiedene Zygoten gebildet:
r.g X r.g r.g v r.gr r.g X w.g r.g X w.gr
r.gr X r.g r.gr X r.gr r.gr v w.g- r.gr X w.gr
w.g x r.g w.g x r.gr w.g X w.g w.g x r.gr
w.gr X r.g w.gr X r.gr r.gr X w.g w.gr X w.gr
In diesen 16 Zygoten sind die Merkmale in 10 verschiedenen
Kombinationen enthalten. Äußerlich werden aber infolge der Domi-
nanz von Rot und Gelb nur viererlei JvBastarde zu unterscheiden
sein, und zwar im Verhältnis Rot-Gelb : Rot-Grün: Weiß-Gelb: Weiß-
Grün = 9:3:3 :l (in der obigen Tabelle sind die 9 Zygoten, aus
denen rot -gelbe Individuen entstehen, durch fetten Druck hervor-
gehoben).
Als ein weiteres Beispiel für die Spaltung bei dihybriden Kreu-
zungen seien die von Correns untersuchten Maisbastarde angeführt
(Taf. II). Kreuzt man eine gelbe Rasse mit stärkehaltigen und daher
in trockenem Zustande glatten Körnern mit einer blauen Rasse mit
zuckerhaltigen Körnern, welche beim Trocknen ihr Wasser verlieren
und daher runzlig werden, so findet man in der F, - Generation an
den einzelnen Maiskolben viererlei Körner, nämlich blaue -glatte,
blaue-runzlige, gelbe-glatte, gelbe-runzlige, und zwar, da blau > gelb,
glatt >• runzlig, im Zahlenverhältnis von 9:3:3:1 vor , ).
Wird speziell die Rasse alba mit glatten, gelblichweißen Körnern
(Taf. II, Fig. 1) mit dem Pollen der Rasse coeruleo-dulcis mit runz-
ligen, blauen Körnern (Fig. 2) bestäubt, so zeigt der Bastard
(Fig. 3) 2 ) eine vollkommene Dominanz von „glatt" und eine in diesem
Falle allerdings unvollständige Dominanz von „blau" (nur etwa die
Hälfte der Körner ist stärker oder schwächer blau gefärbt). Die rezi-
proke Kreuzung coeruleo-dulcis o. x alba c? ergibt ebenfalls J'^-Bastarde
mit dominierendem „glatt" und „blau" (Fig. 4)'). In der F 8 -Generation
') ^f?l- Correns 1901, 1905, sowie Haecker, Wandtaf. z. allg. Biol., Serie C,
Nr. 3 (s. Literaturverzeichnis). Die Zeichnungen der Wandtafeln sind von Frl. Marian
Mülberger teils nach den Figuren in Correns großer Maisarbeit, teils nach einigen
von Herrn Professor Correns freundlichst aberlassenen Maiskolben gezeichnet.
*) Das Original (Correns. Bibl. Bot., 1901 . Heft 53. Taf. 2, Fig. 7) stellt
eigentlich den übereinstimmend gefärbten Bastard alba-cyanea dar.
") Das Original (Correns, 1. c. , Taf. 2, Fig. 11) stellt eigentlich den Bastard
von vulgata X coeruleo-dulcis dar.
15*
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228
Trihybride Kreuzungen.
zeigen die verschiedenen Individuen, nämlich die einzelnen Körner
jedes Kolbens, im Verhältnis 9:3:3:1 die Kombinationen glatt -blau,
glatt-gelb, runzlig -blau, runzlig-gelb (Fig. 5). In der F t - Generation
können übrigens ausnahmsweise auch Mosaikbildungen, sei es in der
Form (Fig. 6), sei es in der Farbe der Körner (Fig. 7) auftreten.
Ein zoologisches Beispiel ist unter anderem von Lang angegeben
worden 1 ). Wird ein Exemplar der reinen gelben, ungebänderten
Varietät der Hainschnecke (Helix nemoralis) mit einem Exemplar der
reinen roten, einbänderigen Rasse gekreuzt, so sind die ^-Nach-
kommen, da rot > gelb und Bänderlosigkeit > Bänderung, uniform-
rot und ungebändert. In der F 2 - Generation dagegen erscheinen vier
Typen (rote ungebänderte, rote gebänderte, gelbe ungebänderte und
gelbe gebänderte) im Zahlenverhältnis 9:3:3:1.
Auch bei dihybriden Kreuzungen werden sehr genaue, den
.theoretischen Werten nahekommende Zahlenverhältnisse gefunden. So
fand z. B. Correns bei einer dihybriden Maiskreuzung in der F 8 -Ge-
neration die Zahlen 565, 191. 176, 68, also fast die erwarteten Werte
562,5, 187,5, 187.5 und 62,5 2 ).
Bei trihybriden Kreuzungen, wenn es sich also um drei Merk-
malspaare Aa, Bb, Cc handelt (wobei A > a, B > b, C > c), würde
der 2^-Bastard das Aussehen ABC besitzen und in der ^-Generation
werden acht äußerlich unterscheidbare Typen in folgendem Verhältnis
auftreten:
27 AB C.9 aB C .9 ABc : 9 Ab C : 3 Abc : 3 aBc 3 abC : 1 abc*).
Daß tatsächlich auch bei trihybriden Kreuzungen eine Spaltung
der Merkmale und ihre Neukombination nach den verschiedensten
Richtungen stattfindet, ist durch verschiedene Beobachtungen erwiesen
worden. So liefern z. B. Leghornhühner mit einfach gezacktem Kamm,
normaler Zehenzahl und gelben Beinen und Dorkings mit „Rosen-
kamm", überzähliger Zehe und weißen Beinen zusammen eine Nach-
kommenschaft, welche in der i^-Generation die genannten Merkmale
in den verschiedensten Kombinationen aufweist, z. B. Vögel mit ein-
fachem Kamm, Extrazehe und weißen Beinen oder solche mit Rosen-
kamm, normaler Zehenzahl und gelben Beinen*). Ein anderes, be-
') Vgl. Lang 1909.
") Vgl. Correns, S. 166 (1900).
•) Vgl. Bateson, S. 59 (1909); Lang, S.4ff. (1910).
4 ) Vgl. Bateson und Saundera, S. 110 (1902). Bezüglich der hier auf-
gezählten Merkmale der Hühnerrassen vgl. Kapitel 23.
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K. W .ingerin dal. Zum Teil nach Corrent.
Fnedr. Vieweg & Sohn, Brauntchweig.
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Trihybride Kreuzungen.
229
sonders instruktives Beispiel bieten die Meerschweinchen dar l ). Kreuzt
man ein rotes, kurzhaariges, glatthaariges Meerschweinchen (Fig. 97 B)
mit einem weißen, lang-(angora-)haarigen, rauhhaarigen, bei welchem
die Haare rosettenförmig um bestimmte, meist symmetrisch gelegene
Punkte angeordnet sind (Fig. 97 A), so erscheinen entsprechend dem
Verhältnis rot > weiß, kurzhaarig > langhaarig, rauhhaarig >» glatt-
haarig in der i^-Generation die verschiedensten Kombinationen. Die
A Fipr. 97. n
Kombinationen der Merkmale l>cim Meerschweinchen. Nach Castle.
A Langhaariges, rauhhaariges, albinotisches ff (W hite Peruvian). B kurzhaariges, glattes, rotes ? <Ked
English). C kurzhaariges, rauhhaariges, albinotUches ff (White Abyssinian). Aus der Kreuzung von
A/ mit einem Red English-? , welches rezessiven Albinisrous enthielt. D kurzhaariges, rauhhaariges,
schwarzrotes ff (Tortoise-shell Abyssioian). Aus der Kreuzung von K<f mit einem homozygotischen
Ked English-i.
7*i - Bastarde sind rot, kurzhaarig, rauhhaarig (Fig. 97 D), falls die pig-
mentierte Stammform in bezug auf die Färbung reinrassig (homozygot)
ist. Ist aber der pigmentierte Elter in bezug auf die Färbung hetero-
zygot, führt er also eine rezessive weiße Anlage mit sich, so entstehen
in der F, -Generation auch weiße, kurzhaarige, rauhhaarige Individuen
(Fig. 97 C), da bei Verbindung eines DR- und RR- Individuums
50 Proz. DR- und 50 Proz. T^ü-Nachkommen entstehen müssen.
Bezüglich der Literatur vgl. Literaturverzeichnis 23.
') Castle 1905.
Dreiundzwanzigstes Kapitel.
Verbreitung des Mend eischen (alternativen)
Vererbungsmodus.
Es fragt sich nunmehr, für welche Merkmale hat die Mendel sehe
oder, wie man mit Rücksicht auf das alternierende Auftreten der
Charaktere in der Generation auch sagt, die alternative Ver-
erbungsweise Gültigkeit?
Zunächst ist zu sagen, daß mindestens ein sehr großer Teil der
erblichen Rassenmerkmale nach diesem Modus vererbt wird, und
daß vor allem für die Färbungs- und Zeichnungscharaktere
seine weitgehende Gültigkeit nachgewiesen werden konnte.
Insbesondere steht fest, daß bei Tieren Pigmentierung und
vollständiger Pigmentmangel, d. h. echter Albinismus, bei
welchem Haut, Hautgebilde und Augen keine Spur von Pigment
zeigen und die Augen rot erscheinen 1 ), sich wie zwei antagonistische
Merkmale verhalten, derart, daß die Pigmentierung stets dominierend
ist gegenüber der Pigmentlosigkeit. Dies gilt z. B. für alle Nager
(Kaninchen, Meerschweinchen, Ratten, Mäuse) 2 ) und ist ebenso für
die schwarze Menschenrasse wahrscheinlich gemacht worden 3 ).
Bezüglich des partiellen Albinismus 4 ) läßt sich keine Regel
aufstellen. Was speziell den Leucismus (weißes Integument und pig-
mentierte Augen) anbelangt, so dominiert dieser bei manchen weißen
Hühnerrassen über Pigmentierung, jedoch ist dann diese Dominanz
keine vollständige, insofern z. B. bei einer Kreuzung der weißen
') Nach der einen Ansicht infolge Durchschimmern* des roten Blutes durch die
Gefäße (Hau schild, S.486), nach einer anderen infolge der Durchleuchtung der Iris
durch das vom Augenhintergrund zurückgeworfene Licht („even as the sky is red at
sunset". G. C. und Ch. B. Davenport).
*) Schon Castle und Allen (1903) haben für Mäuse diese Feststellung gemacht.
Vgl. auch Bateson, S. 74 (190Q).
*) Siehe nächstes Kapitel.
A ) Unter partiellem Albinismus werden vielfach verschiedene Dinge ver-
standen. Es ist vielleicht zweckmäßig, diese Bezeichnung für die verschiedenen Grade
» von Weißbuntheit, einschließlich des Leucismus (weißes Integument und pig-
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Partieller Albinismus.
231
Leghoras mit Indian Games oder braunen Leghorns das weiße Ge-
fieder der Fj- Bastarde dunkle Flecke aufweist. Im Gegensatz dazu
verhält sich das weiße Gefieder bei Kreuzungen des Seidenhuhns mit
gefärbten Rassen (Strupphuhn, Wildhuhn, schwarze Minorka) rezessiv 1 ).
Bei Schafen dominiert die weiße Farbe über die schwarze, wodurch
das in der Regel nur sporadische Vorkommen schwarzer Tiere in
weißen Herden („Every flock has its black sheep") erklärt wird 2 ).
Einen besonderen Fall bildet das Axolotl (Amblystoma tigrinum). Bei der weißen
Rasse ist die Iris dunkel pigmentiert, die Pupille dagegen erscheint rötlich, da im
Pigmentepithel viel weniger Pigment vorhanden ist als bei pigmentierten Tieren. Diese
meines Wissens bis jetzt noch nirgends vorgefundene Pigmentverteilung im Auge,
die eine Art Gegenstück zur Blauäugigkeit (pigmentlose Iris, pigmentierter Augen-
hintergrund) bildet, ist auch bei solchen weißen Individuen stets zu beobachten, welche
auf dem Kopf oder auch auf dem Nacken mehr oder weniger grau bestäubt sind, und
ebenso bei den eigentlichen Schecken. Die weißen Individuen, mit oder ohne schwache
Bestäubung am Kopfe, verhalten sich rezessiv gegenüber den gewöhnlichen (mclano-
tischen), es kommt jedoch vor, daß in der /vGeneration bzw. bei Rückkreuzung von
schwarzen Heterozygoten mit weißen Tieren statt weißer Tiere solche mit stärkerer
Pigmentierung, sei es mit gleichmäßig grauer Oberseite oder mit dunkeln, deutlich
abgegrenzten, metamer angeordneten Flecken auftreten a ). Es liegt also hier der Fall
vor, daß trotz strenger Gültigkeit der Mendel sehen Zahlenverhältuisse die rezessiven
Kreuzungsprodukte einen unreinen Charakter aufweisen*).
Auch in den Fällen von partiellem Albinismus niedrigeren Grades
treten Verschiedenheiten auf. Speziell die Scheckzeichnung (Pana-
chierung), namentlich die mehr unregelmäßige, ist im allgemeinen
rezessiv gegenüber der gleichförmigen Pigmentierung und dominant
gegenüber Albinismus. Dies gilt z. B. für die Scheckzeichnung der
japanischen Tanzmaus (grau-weiß, schwarz-weiß, blaß rötlichgrau-weiß) *)
mentierte Augen), zu reservieren, und diejenige teilweise Färbung, die auf dem
Wegfall nur der einen oder anderen Pigmentfarbe beruht, als Scbizochr oismus
zu bezeichnen (Haecker, Jabresh. Ver. Vaterl. Naturk. Württ. 1008. S. 364). Vgl. aurh
Adametz 1905.
l ) Vgl. Bateson und Saunders 1902. Davenport 1906, Bateson, S. 102(1909).
") Davenport 1905.
■) .Metamer- Schecken". Vgl. Haecker, S. 200, Fig. 2 (1908).
4 ) Weitere Untersuchungen zur Aufklärung dieses Verhältnisses sind im Gange.
So viel bisher ersichtlich, spielen äußere Faktoren keine Rolle (vgl. Bateson, S. 43,
1009). Eine entferntere Analogie bieten die Befunde von Correns dar, welcher bei
der grünfleckigen (variegata-) Rasse von Mirabilis Jalapa das Auftreten von Ästen
mit der typischen grünen, normalerweise dominierenden Farbe beobachtete (1910).
Diese Aste verhielten sich allerdings bei der Vermehrung durch Selbstbestäubung
als Heterozygoten, während sich die Axolotl- Schecken bei weiterer Kreuzung als
rezessive Homozygoten benehmen.
*) Vgl. Allen, Darbishirc. Cu£not u.a. Mit „blaß rötlichgrau" soll die
von den englischen Autoren als pale fawn oder silver fawn beschriebene Nuance
bezeichnet werden.
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232
Scheckzeichnung. Wildfarbe.
und für diejenige der Ratten 1 ) und ebenso für diejenige der Hunde«).
Auch die bestimmten Formen der Scheckzeichnung verhalten
sich in ähnlicher Weise. So ist die Zeichnung der Himalaj-akaninchen
(weiß mit tief schokoladenschwarzer Schnauze, Ohren, Schwanz und
Pfoten) rezessiv gegenüber der Grau- und ebenso gegenüber der
Schwarzfarbung, dominant gegenüber reinem Albinismus 8 ).
Ein eigentümliches Verhalten zeigen die schwarzgesichtigen Schafe:
bei Kreuzung von Suffolks mit schwarzem und Dorsets mit weißem
Gesicht entstehen F x - Bastarde mit gesprenkeltem Gesicht, während in
der F t - Generation rein weiße, rein schwarze und verschiedenartig ge-
sprenkelte Gesichter auftreten 4 ).
Unter den einzelnen Färbungen dominiert die „Wild färbe",
(1. h. die meist graue oder graubraune Anpassungsfarbe, die durch regel-
mäßige Anordnung der verschiedenen Pigmente im einzelnen Haar
zustande kommt, über die einfachen Färbungen, die als „Mutationen-
der Wildfärbung bei domestizierten und gelegentlich auch bei frei-
lebenden Tieren auftreten (schwarz, schokoladenbraun, gelb), sowie
über den Albinismus. Bei den Kreuzungs versuchen, die mit ver-
schiedenen Nagern angestellt wurden, hat sich dies Verhältnis allge-
mein herausgestellt und ebenso dominiert bei Percheron-Pferden Grau
über Schwarz 6 ). Was das Verhältnis der verschiedenen Einzelfarbungen
untereinander anbelangt, so liegen hier wieder spezifische Unter-
schiede vor: Für Mäuse gilt die Relation gelb ;> schwarz >> schoko-
ladenbraun, für Kaninchen und Meerschweinchen schwarz > gelb, für
Meerschweinchen auch schwarz > schokoladenfarbig«). Während bei
der Wanderratte (Mus decumanus) grau > schwarz, findet man bei der
Kreuzung zwischen der schwarzen Hausratte (M. rattus) und der wild-
grauen Alexandrinerratte (M. alexandrinus), daß schwarz ]> grau 7 ). Für
die Hunde gilt schwarz > braun und für die englischen Rennpferde
ließ sich an der Hand der Stutbücher nachweisen, daß Dunkelbraune
(schwarzes Pigment über den ganzen Körper verbreitet) und Braune
(nur Mähne, Schweif und Füße schwarz) über Füchse dominieren 9 ).
*) Vgl. McCurdy and Castle.
*) Vgl. Lang 1910.
») Vgl. Bateson. S. 1 1 1 (1909).
*) Wood 1905.
') Harper 1905.
') Castle 1906. Bei Kaninchen ist reines Schokoladenbraun nicht bekannt.
7 ) Morgan 1909.
") Vgl. Lang 1910, sowie Hurst 1906 und Bateson, S. 124(1909). Die englischen
Bezeichnungen für Dunkelbraune, Braune und Füchse sind brown, bay und chestnut.
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Zeichnungsvarietäten .
233
Alle bisher für die Erblichkeit der Färbung aufgezählten Beispiele
beziehen sich auf domestizierte Tiere. Wenn es auch von vorn-
herein außerordentlich wahrscheinlich ist, daß auch bei wildlebenden
Säugern und Vögeln die nämlichen Erblichkeitsverhältnisse bestehen,
so ist es doch von Interesse, daß tatsächlich in einigen Fällen auch
bei freilebenden Tieren der alternative Vererbungsmodus nachgewiesen
oder wenigstens sehr wahrscheinlich gemacht werden konnte. So ist
vom Steinkauz, Athene noctua, eine Varietät bekannt, welche statt
der normalen gelben Iris eine schwarze Iris besaß, und die vor-
liegenden Beobachtungen machen es sehr wahrscheinlich, daß die
Schwarzäugigkeit einen rezessiven Charakter darstellt 1 ). In ähnlicher
Weise weisen verschiedene Beobachtungen darauf hin, daß bei der
Amsel (Turdus merula) der normale Melanismus und der Albinismus
sich als antagonistische Merkmale verhalten 8 ).
Sehr wechselnd ist auch bei den Wirbellosen das Verhältnis der
Zeichnungsvarietäten zueinander und zur Einfarbigkeit. Bei der
Seidenraupe (Bombyx mori) dominiert Streifung über Weiß 8 ), während
bei der Garten- und Hainschnecke (Helix hortensis und nemoralis) die
Einfarbigkeit über die Bänderung dominiert*). Bei Schmetterlingen
ist die typische Zeichnung bald dominant, bald rezessiv gegenüber
den dunkleren (melanistischen) Varietäten, ersteres z. B. beim Stachel-
beerspanner (Abraxas grossulariata), letzteres beim Rotbuchenspinner
oder Nagelfleck (Aglia tau).
Bezüglich des letzteren liegen sehr interessante Kreuzungen von
Stand fuß vor 6 ). Die helle Normalform von Aglia tau (Fig. 98 A)
ist rezessiv gegenüber den beiden melanistischen Varietäten (Muta-
tionen) fere-nigra mit stark pigmentierter Randbinde (Fig. 98 B) und
melaina mit mehr gleichmäßiger Verdunkelung (Fig. 98 Q R ). Die
beiden Mutationen untereinander ergeben eine neue Form, weismanni,
') Nach Beobachtungen von Giglioli (Ibis, S. ), 1903), zitiert bei Bateson,
S. 110 (1909). Vgl. auch O. Kl ein schmidt, Strix Athene, in: Berajah (Leipzig)
1907, Taf. 2 und 3.
*) Wenn z. B. Fischcr-Sigwart (Ornitbol.' Jahrb. l894t S. 151) von einem
normalen Amselpaar berichtet, dessen Brut aus zwei normalen und aus zwei weißen
Jungen bestand, so kann es sich allerdings um spontanes Auftreten von Albinismus,
gerade so gut aber aueb um das F,- Ergebnis einer Bastardierung gehandelt haben.
*) Coutagne 1902, Toyama 1906.
4 ) Lang 1908.
») Standfuß 1910.
•) fere-nigra fliegt in einem großen Teil von Mitteleuropa, melaina ist bisher
nur in Steycr in Oberösterrcich nachgewiesen worden.
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234
Aglia tau.
welche zuweilen einen intermediären Typus repräsentiert, in der Regel
aber eine Addition des Pigmentes der beiden Mutationen, also eine
annähernde Verdoppelung der Verdunkelung erkennen läßt (Fig. 98 D).
Wird ein heterozygotes fere- nigra -Individuum mit einem ebensolchen
melaina -Individuum gekreuzt, so erscheinen unter den Nachkommen
alle vier Typen. Dies können wir durch eine Formel ausdrücken.
Fig. 98.
A
Weibchen von Aglia tau. Nach Stand fuß.
A Normalform. B Mut fere-nigra.
in welcher die homozygoten Individuen von Aglia tau normal, fere-
nigra und melaina bzw. mit AA, BB und CG bezeichnet sind
und durch die Einklammerung der rezessive Charakter von A an-
gedeutet ist: BB x AA CC x AA
B(A) C(A)
25Proz. BC 25P10Z. B(A) ?j Troz. C(A) 25 Proz. AA
(weismauni) (fere-nigra, heterozyg.) (melaina. heterozyg.) (normal, homozyg.)
Gc
Hautgcbilde. 235
Bezüglich der Erblichkeitsverhältnisse der verschiedenen Zeichnungsfoimen
polymorpher Schmetterlinge, insbesondere der Papilioniden mit mehreren Weibchen-
formen, haben die Arbeiten von de Meijere und Punnett interessante Ausblicke
■eröffnet.
Was dann sonstige Hautgebilde anbelangt, so verhalten sich
der Angoracharakter (Angorismus), d. h. das lange, seidenweiche
Fig. 98.
c
Weibchen von Aglia tau. Nach Standfuß.
C Mut. melaina. D. Mut. wcismanni.
Haar bei Kaninchen, Meerschweinchen (Fig. 97 A) und Katzen, und
die Seidenfedrigkeit (silky feathers) der Hühner gegenüber dem
normalen Typus rezessiv, während die rosettenförmige Anord-
nung der Haare bei Meerschweinchen (Fig. 97 A) und die Struppig-
keit des Gefieders bei Hühnern sich gegenüber der normalen glatten
Beschaffenheit der Haare und des Gefieders als dominierend erweisen.
Kammformen der Hühner.
Bei Hunden dominiert Kurzhaarigkeit fast vollkommen über Lang-
haarigkeit J).
In besonders schöner Weise läßt sich, wie schon im vorigen Ka-
pitel ausgeführt wurde, bei Meerschweinchen zeigen, wie die Glieder
der drei Merkmalspaare: Pigmentierung > Albinismus, Kurzhaarigkeit
>Angorismus, Rosettencharakter > Glatthaarigkeit in der F,- Gene-
ration in den verschiedensten Kombinationen zutage treten.
Die Rezessivität speziell des Angorismus ist in Betracht zu ziehen,
wenn es sich um die Frage nach der Einwirkung der Lebensbe-
dingungen auf die Rassencharaktere handelt. So hatte Darwin 8 )
angegeben, daß. die Karakulschafe, deren schwarzes, feines, lockiges
Vließ bekanntlich das Hauptmaterial für die echten „Perser "-Teppiche
liefert, diesen Haarcharakter verlieren, wenn sie aus ihrer Heimat aus
der Nähe von Buchara 8 ) nach Persien oder in andere Gegenden ent-
fernt werden. Gegenüber der naheliegenden Annahme, daß hier eine
direkte Wirkung des Klimas in Frage komme, [hat schon Castle«)
die Möglichkeit hervorgehoben, daß bei der Verpflanzung der Tiere
in andere Gegenden infolge von Blutmischung der rezessive An-
goracharakter allmählich unterdrückt werde.
Sehr genaue Angaben existieren über die Erblichkeit der ver-
schiedenen Kammformen der Hühnerrassen 6 ). Hervorzuheben ist,
daß der „Erbsenkamm" (erbsenförmige Tuberkeln in drei Längsreihen
angeordnet, Fig. 99B) und der „Rosenkamm" (zahlreiche papillen-
förmige Erhebungen, welche zusammen eine dreieckige Platte bilden,
Fig. 99Q gegenüber dem hohen einfach gezackten Kamm
z. B. des Bankiva- und Leghornhuhns (Fig. 99 A) dominierend sind.
Auch die Haube der Hühner, ein Federbüschel in der Stirnregion 6 ),
und die Fußbefiederung verhalten sich 'gegenüber dem Typus als
dominierende Merkmale, während der lange Schwanz des japani-
') Bezüglich der erwähnten Haarcharaktere vgl. namentlich Castle 1903, Lang
1910, bezüglich der Federncharaktere die Arbeiten von Bateson und Saunders
und Davenport.
») Var., I, S. 122.
*) Das fragliche Karakul ist ein Ort zwischen Buchara (220 m) und Tschardschui
am Amudarja (190 m) und nicht zu verwechseln mit dem großen Karakulsee (3780 m>
auf dem Pamir- Plateau.
4 ) Heredity of „Angora" coat 1903.
*) Vgl. namentlich Bateson und Saunders und Davenport, sowie Bateson.
S. 61 (1909).
*) Eine genauere morphologische Untersuchung dieser Bildung hat neuerdings
B. Klatt (Zool. Anz., 36. Bd., 1910) gegeben.
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Hornlosigkeit der Rinder und Schafe.
237
sehen Tosa- oder Phönixhuhns einen nicht vollkommen ausgesprochenen
dominierenden Charakter besitzt.
Bezüglich der Hörner wurde festgestellt, daß die Hornlosig-
keit der Aberdeen-Angus- und Gallo way-Rinder gegenüber der Horn-
bildung der Shorthorns dominierend ist 1 ), während sich bei der
Kreuzung hornloser Suffolkschafe mit gehörnten Dorsets die Horn-
losigkeit wenigstens im männlichen Geschlecht als rezessiv erweist 2 ).
Kanimibrmen. Nach Thomson.
A Einfach gezackter Kamm. B Erbsenkamm. C Rosenkamm.
Die Verkümmerung des Schwanzes bei der Katze von Man
ist ein (unvollständig) dominierender Charakter gegenüber dem nor-
malen Schwanz 8 ).
Unter den mehr pathologischen erblichen Rassencharakteren sei
erwähnt die Extra z ehe der Dorking- und Houdan-Hühner (Fig. 100),
') Vgl. Bateson und Saunders 1902, Spillmann 1906.
*) Wood 1905,
*) Vgl. Groß, S. 511 (1906); Bateson, S. 34 (1909). Die vorliegenden älteren
Angaben von Weinland (1862) und v. Kennel (1902) (vgl. Groß) lassen es als
zweifelhaft erscheinen, ob bei Kreuzungen zwischen Stummclschwanzkatzen und nor-
malen Katzen die Uniformitätsregcl Gültigkeit hat.
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238
Mendelndc Merkmale bei Pflanzen.
welche gegenüber der normalen Zehenzahl unvollständig dominiert,
sowie die Kopf her nie des polnischen Huhns, eine domartige Vor-
wölbung des Schädels, welche durch Bildung einer Cerebralhernie und
sekundäre Verknöcherung der dura mater zustande kommt (Fig. 101)
und ein rezessives Merkmal darstellt.
Das Tanzen der japanischen Mäuse, ein erblicher Drehschwindel,,
dessen Ätiologie noch nicht vollkommen sicher steht und der unab-
hängig von einem bestimmten Farbenkleid auftreten kann, ist ein
rezessiver Charakter,
Fig. 100.
Überzählige Zehe eines Houdan-Hahnes. Unterhalb des
Sporns die doppelte Hinterzehe. Nach Davenport.
der aber in der F t -
Generation nicht bei
einem vollen Viertel
der Individuen zutage
tritt ').
Bei Pflanzen
sind u. a. folgende
Merkmalspaare fest-
gestellt worden:
Wie bei den Tieren trifft auch bei den Pflanzen die Regel zu^
daß Färbung über Pigmentlosigkeit dominiert. Speziell gilt dies
in den meisten Fällen für die
Fig. 101.
auf der Anthocyanfärbung des
Zellsaftes beruhenden roten r
blauen und purpurnen Blüten-
farben, welche dominant sind
gegenüber der weißen Blüten-
farbe 8 ). Andererseits ist die
gelbe, durch die Anwesenheit
gelber Chromoplasten (Plasti-
den) bedingte Blütenfarbe re-
zessiv gegenüber der auf der
Anwesenheit weißer Chromoplasten (Leukoplasten) beruhenden Farb-
losigkeit, so bei den Levkojen (Mattiola), bei der großblumigen Wicke
(Lathyrus) usw.»).
') Darbishire 1904. Plate (Intern. Zool. Kongr. Graz 1910) hat neuerdings
bestritten, daß das Tanzen einen mcndelnden Charakter darstellt.
*) Eine Ausnahme bilden gewisse weiße Rassen von Primula sinensis. Vgl.
Bateson, S. 105 (1900).
■) Vgl. Bateson, S. 134 (1909).
Kopfhernie eines polnischen Huhnes.
Nach Davenport.
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Mendelnde Merkmale bei Pflanzen.
239
Was das Verhältnis der Farben untereinander anbelangt, so do-
miniert bei Erbsen, großblumigen Wicken und Levkojen Purpur über
Rot, bei anderen Pflanzen, so beim Aschenkraut (Cineraria) Blau über
Rot, während umgekehrt bei Primula Sinensis Blau gegenüber Rot
rezessiv ist 1 ). Also liegen hier ähnliche Verschiedenheiten, wie bei
den einfachen Pigmentfärbungen der Nager vor.
Schon früher wurde angedeutet, daß auch bei anderen Pflanzen-
organen eine alternative Vererbung der Färbungscharaktere stattfindet.
So dominiert bei den Erbsen, wie schon Mendel fand, die gelbe
Farbe der Cotyledonen über die grüne, beim Mais verhalten sich nach
den Untersuchungen von Correns das Blau und Nichtblau der Kleber-
schicht und ebenso die gelbe und weiße Farbe des übrigen Endo-
sperms wie antagonistische Merkmale 51 ).
Bei den Erbsen dominiert ferner die runde Beschaffenheit der
Samen über die gerunzelte, während die großen, länglichen und ein-
fachen Starkekörner, welche in runden, und die kleinen verschieden
geformten und zusammengesetzten Körner, welche in gerunzelten
Samen vorkommen, eine intermediäre i*\-Form bilden 3 ). In ähnlicher
Weise sind beim Mais die glattkörnigen Rassen, bei welchen die
Körner infolge des Stärkegehaltes des Endosperms glatt und voll
bleiben, dominierend gegenüber denjenigen Rassen, deren Körner
infolge des Zuckergehaltes des Endosperms beim Trocknen runzlig
werden (Taf. II) 4 ).
Bei Lichtnelken (Lychnis) und Levkojen (Matthiola) s ) dominiert
die haarige Beschaffenheit der Pflanze über die glatte, bei der Brenn-
nessel (Urtica) die stark gesägte Form der Blätter (U. pilulifera) über
die schwach gesägte (U. dodartii) 6 ), beim Weizen die Bartlosigkeit
der Ähren über die bärtige Form 7 ), bei Erbsen und großblumigen
Wicken (Lathyrus) dominiert endlich hoher Wuchs über Zwerg-
wuchs 8 ).
Auch bei einigen rein physiologischen Charakteren 'wurde der
alternative Vererbungsmodus festgestellt, so beim Bilsenkraut (Hyos-
') Vgl. Bateson, S. 135 (1909).
*) Vgl. Correns, S. 2\2 (1901) (Ergebn.) und 1901 (Bast. zw. Maisrassen).
") Vgl. Correns 1900, Tschermak 1900, Gregory 1903, Darbishi re 1908 u.a.
*) Correns 1901.
6 ) Bateson und Saunders 1902, Correns 1000 u. a.
•) Correns 1905.
7 ) Tschermak 1901. »
*) Mendel, Tschermak 1901 u. a.
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240
Unvollständige Dominanz.
cyamus) die Zweijährigkeit als dominierend über Einjährigkeit 1 ), beim
Weizen Frühreife als unvollständig dominierend gegenüber der Spät-
reife 2 ), und ebenso Empfänglichkeit für Gelbrost als dominierend
gegenüber der Immunität 8 ).
Sowohl im Tier- wie Pflanzenreich sind übrigens eine Reihe von
Fällen bekannt, in welchen die heterozygoten Individuen eine unvoll-
ständige Dominanz des eigentlich dominierenden Charakters erkennen
lassen*). So können bei Kreuzung von normalzehigeo Hühnerrassen
mit solchen, welche eine Extrazehe besitzen (Fig. 100), in der ^-Ge-
neration über 20 Proz. der Individuen den rezessiven normalzehigen
Typus aufweisen.
Die unvollständige Dominanz, für welche übrigens die unvoll-
ständige Rezessivität bei den Axolotl-Bastarden eine Art Gegenstück
bildet, kann an eines der Geschlechter gebunden sein. So ist bei den
Leghornhühnern Weiß > Schwarz, aber bei den Weibchen ist die Do-
minanz so unvollständig, daß das Gefieder des Hybriden mit einzelnen
dunklen Flecken besetzt, gesprenkelt oder „blau" sein kann. Daß hier
die Dominanz nicht umgekehrt, sondern nur abgeschwächt ist, geht
daraus hervor, daß in den späteren Generationen das Weiß mehr und
mehr dominiert.
Zahlreiche Fälle sind auch bekannt, in welchen die Bastarde ein
im Laufe der Entwickelung bzw. in den einzelnen Körper-
regionen wechselndes Verhalten aufweisen. Einfarbig schwarze
Mäuse können während des Haarwechsels vorübergehend eine grau-
braune Färbung aufweisen 6 ); bei gesperberten Hühnern beruht die
Bänderung der einzelnen Federn darauf, daß während ihrer Ent-
wickelung in bestimmten Zonen schwarzes Pigment zur Abscheidung
gelangt, in den alternierenden Zonen dagegen nicht«); weiße Axolotl-
larven können nachträglich einen gescheckten (intermediären) Habitus
annehmen.
Verhältnisse dieser Art sind auch bei Artbastarden nachgewiesen
worden. Bei der Kreuzung von Saturnia pavonia er x pyri o. sind
die Raupen in ihrem ersten Kleide pyri-ähnlich und werden später
l ) Correns 1904.
*) Tschermak 1908. Hier findet sich eine Zusammenstellung der bisher bei
Wetzen und Gerste beobachteten alternativen Merkmalspaare.
») Biffen 1907.
4 ) Vgl. hierzu Davenport 1910.
s ) Vgl. v. Guaita 1900, sowie Allen 1904.
*) Davenport, S. 85 (1906).
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Literaturverzeichnis 22 und 23.
241
der Raupe von S. pavonia ähnlicher 1 ). Bei einem Orchideenbastard
(Odontoglossum Edwardi x O. Harryano-crispum) wurde beobachtet,
daß die sich öffnenden Blüten auf gelbem Grund violette Flecke be-
saßen und daß sich dann das Gelb in Weiß und dieses wieder in
ein blasses Lila verwandelt 8 ).
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16'
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Vierundzwanzigstes Kapitel.
Der Mendel sehe Vererbungsmodus beim Menschen.
Eine große Zahl der im vorigen Kapitel angeführten Daten ist
auf experimentellem Wege, durch planmäßige Züchtung der ersten
und zweiten, eventuell auch noch der folgenden Bastardgenerationen
ermittelt worden, nur bei einigen wenigen ist eine andere Methode
zum Nachweis des alternativen Vererbungsmodus, die statistische,
zur Verwendung gelangt
Diese statistische Methode ist im wesentlichen schon von Daven-
port (1905) bei seinen Untersuchungen über die Farbe der Schafe
festgelegt und neuerdings von Bateson (1909, S. 229) näher präzi-
siert worden l ). Sie wird dann zur Anwendung kommen , wenn der
Natur der Sache nach die planmäßige Reinzucht der Stammformen
und die Inzucht der -Nachkommen ausgeschlossen ist, wenn viel-
mehr ein von der Natur dargebotenes, auf in der Regel nur zwei
oder drei Generationen sich erstreckendes Material zur Festlegung
des Vererbungsmodus benutzt werden soll. Insbesondere wird also
die statistische Methode bei der Feststellung der Erblichkeitsverhält-
nisse beim Menschen Verwendung finden.
Dominante Charaktere werden nach diesem Verfahren im
allgemeinen daran erkannt, daß sie nur durch affizierte, d. h. das
dominierende Merkmal äußerlich zur Schau tragende Individuen
weiter vererbt werden, und daß also bei den Nachkommen eines
nichtaffizierten Elternpaares das Merkmal nicht auftritt, es sei denn
auf Grund einer Spontanvariation (Mutation).
In vielen Fällen, namentlich dann, wenn es sich um seltenere
dominante Charaktere mehr pathologischer Natur handelt.
') Eine streng mathematische Methode zur Feststellung des alternativen Ver-
erbungsmodus hat Weinberg entwickelt und bei seinem Versuch, den alternativen
Charakter der Anlage zu Mehrlingsgeburten nachzuweisen, zur Anwendung gebracht
<IOo8, 19O0).
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Kriterien für dominierende und rezessive Merkmale.
245
wird es ferner vorkommen, daß infolge der beim Menschen be-
stehenden fast schrankenlosen Blutmischung (Panmixie) von den
Eltern dominanter Individuen nur der eine dominant, und zwar
heterozygot, der andere aber rezessiv sein wird, es werden also
in diesen Fällen, abgesehen natürlich von Verwandtenehen und zu-
fälligem Zusammentreffen, die Eltern die Vererbungsformeln DR
- und RR besitzen, und dies wird sich darin äußern, daß nur bei
50 Proz. der Kinder das dominierende, bei den anderen 50 Proz.
aber das rezessive Merkmal zum Vorschein kommt. Ist also in einer
größeren Geschwisterschar ein bestimmtes Merkmal etwa bei der
Hälfte der Individuen vertreten, so wird man zunächst ganz
allgemein an einen mendelnden Charakter zu denken haben, und
an der Hand des im vorigen Absatz angeführten Kriteriums wird
man bestimmen können, ob es sich um ein dominierendes Merkmal
handelt.
Im Falle ein dominierendes Merkmal in seinem Auftreten an ein
bestimmtes Geschlecht, z. B. das männliche, gebunden ist — ein Ver-
hältnis, das, wie wir sehen werden, gerade beim Menschen in einigen
Fällen vorliegt — , wird seine Feststellung durch den Nachweis er-
folgen, daß die männlichen Nachkommen der affizierten männ-
lichen Familienglieder zur Hälfte den betreffenden Charakter auf-
weisen, zur Hälfte nicht.
Der Verdacht, daß ein bestimmtes Merkmal rezessiv ist, liegt
dann vor, wenn es innerhalb einer Familie mehreremal zum Vorschein
kommt, und zwar in der Weise, daß es bei den Kindern von nicht-
affi zierten Eltern auftritt. Die vier entscheidenden Kriterien für
den rezessiven Charakter eines Merkmals sind im übrigen nach
Davenport folgende: 1. Zwei rezessive Eltern (RR x RR) dürfen
nur rezessive Nachkommen geben. 2. Ein rezessiver und ein hetero-
zygoter (äußerlich dominierender oder intermediärer) Elter (RR x DR)
geben 50 Proz. rezessive Nachkommen. 3. Zwei heterozygote Eltern
(DR x DR) geben 25 Proz. rezessive Nachkommen. 4. Ein rezes-
siver und ein rein dominierender Elter (RR x DD) liefern nur domi-
nante Individuen.
Es ist nun beim Menschen für eine Reihe von normalen und
pathologischen erblichen Merkmalen der alternierende Charakter fest-
gestellt oder sehr wahrscheinlich gemacht worden.
Mit ziemlicher Sicherheit darf man sagen, daß auch beim Menschen
und speziell bei den Negern der Albinismus ein rezessives
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24^
Albinismus der Neger.
Merkmal ist- In einem von Farabee 1 ) mitgeteilten Falle heiratete
ein albinotlscher Neger eine normale Negerin und erhielt drei äußer-
lich normale Söhne. Von diesen erzeugten zwei wieder nur normale
Nachkommen, während einer, welcher zweimal mit äußerlich normalen
Frauen verheiratet war, 15 Kinder erzeugte: mit der ersten Frau 5
normale und ein albinotisches, mit der zweiten Frau 6 normale und
3 albinotische. Wenn nun in der Tat der Albinismus auch beim
Menschen ein rezessives Merkmal darstellt, so läßt sich der Ver-
erbungsgang bei folgender Annahme leicht verstehen : • Der Großvater
war homozygot - rezessiv , die Großmutter homozygot -dominant, die
Söhne heterozygot -dominant, desgleichen die beiden Frauen des
dritten, eine Annahme, die dadurch ihre Unwahrscheinlichkeit ver-
liert, daß nach Farabee in der Nachbarschaft noch mehrere andere
Fälle von Albinismus vorkamen. Es ergibt sich also folgende Des-
zendenz :
RR er x DD ?
DR <f X DD $ DR <f X DD $
50 Proz. DD. 50 Proz. DR 2 50 Proz. DD. 50 Proz. DR
(sämtlich äußerlich normal) (sämtlich äußerlich normal)
DR <f ^ DR $
3. ■ " DR $
25 Proz. DD, 50 Proz. DR. 25 Proz. RR
Da von den Nachkommen des dritten Sohnes 11 normal und
4 albinotisch waren, so beträgt die Zahl der letzteren annähernd
25 Proz., und es stimmen also die tatsächlichen Zahlen sehr gut mit
den zu erwartenden überein.
Weniger klar liegen andere Beobachtungen. In einem von Sted-
man in Surinam beobachteten Falle») heiratete eine albinotische
Negerin einen Europäer. Die Kinder waren lauter Mulatten, es
muß also in diesem Falle die Anlage für dunkle Pigmentierung von
der albinotischen Negerfrau latent mitgeführt worden sein, was der
oben gemachten Annahme widerspricht, daß die albinotischen Neger
homozygot rezessiv sind.
Was überhaupt die Erblichkeit der Färbung bei Kreuzung ver-
schiedener Menschenrassen anbelangt, so liegen in dieser Rich-
') Vgl. Farabee 1003. sowie Castle 1903. Weitere Literatur bei Groß.
S.418 und 513 (1906). Hammer. S. 80 (1908) und Bateson, S. 226 r>oOQ).
•) Zitiert bei Bateson, S. 227 (lOOQ).
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Bastardvölker.
247
tung, so weit mir bekannt ist, noch keine ausgedehnteren, unter Be-
rücksichtigung unserer neueren Erfahrungen durchgeführten Unter-
suchungen vor !). In der Regel wird angegeben, daß die Bastarde in
bezug auf die Färbung einen intermediären Charakter aufweisen 2 ),
doch liegen auch gegenteilige Beobachtungen vor. So berichtet
neuerdings Townsend 3 ) von der Bevölkerung einer kleinen Insel
im Stillen Ozean (Pitcairn), welche vor etwas über 100 Jahren durch
Vermischung von Engländern mit polynesischen (tahitischen) Frauen
entstand und deren Stammbäume sorgfältig aufbewahrt sind. Die
Eingeborenen der ersten Generation hatten alle, mit einer Ausnahme,
Fig. 102.
cjp Konjonktivapigment ei CiliarfortsStze. eo Ciliarltörper. hep hinteres Irisepithel. I Linse.
»tr IrisstToma. vgr vordere Grenzschicht.
dunkles Haar, dunkle Augen und olivenfarbene Haut. In der zweiten
Generation waren einige so dunkel wie Vollblut -Tahitier, andere so
hellfarbig wie Europäer, und gegenwärtig erscheinen beide Typen
nebeneinander in der gleichen Familie. Offenbar liegt also hier der
alternative Vererbungsmodus vor 4 ).
l ) Vgl. E. Fischer 1909.
') Vgl. auch Bateson, S.208 (1909).
*) Manchester Guardian 19 10. Zitiert nach der Frankfurter Zeitung.
*) Ähnliches gilt vielleicht für die Hautfarbe der .Bastards" in Deutsch -Süd-
westafrika, welche bald hellzimtbraun, bald und zwar meistens wie die Südeuropäer,
vereinzelt auch recht hell gefärbt sind. Vgl. E. Fischer 1909.
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248 Bastardvölker. Vererbung der Augenfarbe.
Ziemlich komplizierter Natur scheinen die Erblichkeitsbeziehungen
zwischen den verschiedenen Augenfarben des Menschen zu sein.
Was zunächst das Morphologische anbelangt, so sei daran erinnert,
daß, abgesehen von den albinotischen Individuen, die Chorioidea bei
allen Menschenrassen, auch bei den helläugigen, sehr viel Pigment
enthält und daß darauf die Schwärze der Pupille beruht. Auch das
zweiblätterige hintere Irisepithel (pars iridica retinae in Fig. 102, h ep),
welches, als Fortsetzung der Retina und der Epithelbekleidung des
Ciliarkörpers (et), die Innenfläche der Iris bedeckt, ist stets pigmentiert l ),
dagegen zeigt das bindegewebige Irisstroma (st r) und die vordere
Grenzschicht (vorderes Endothel, vgr) wechselnde Verhältnisse. Die
dunkelbraune bis tief schwarzbraune Irisfarbe dunkelhäutiger
Rassen und brünetter Individuen wird durch die sehr starke Pigmen-
tierung der vorderen Grenzschicht der Iris bedingt 8 ), während bei
allen hellen Augen (hellbraun, grau, grün, blau) das Pigment der
vorderen Grenzschicht in geringerem oder stärkerem Maße reduziert
ist, so daß die Pigmentverhältnisse des Stromas und des hinteren Epi-
thels mit beteiligt sind oder ausschließlich in Frage kommen. Bei
hellbraunen Augen ist in der vorderen Grenzschicht und im Iris-
stroma hellbraunes Pigment in weniger dichter Anordnung vorhanden,
bei grauen und graublauen Augen tritt eine Abänderung der
Braunfärbung durch Beimischung reflektierter blauer Strahlen ein, eine
grüne Farbwirkung kommt bei ebenfalls nicht sehr starker Pig-
mentation dadurch zustande, daß in der Nähe der Pupille die be-
kannte radiäre Struktur der Iris sich in Form eines Wechsels zwischen
grauen oder graublauen „Sektoren" und hellbraunen „Irisbalken" 5 )
darstellen kann; die Blaufärbung endlich hat darin ihre Ursache,
daß die bindegewebigen Teile der Iris (vordere Grenzschicht und
Stroma) vollkommen pigmentfrei sind und in diesem „trüben", vor
einem dunklen Hintergrund gelegenen Medium eine starke Reflexion
von blauen Strahlen zustande kommt. Die Blaufärbung der Augen
kommt also in der nämlichen Weise zustande, wie die des Himmels
oder wie die der blauen Vogelfedern.
') Vgl. z. B. A. Rauber, Lebrbuch der Anatomie des Menseben, 5. Aufl.,
2. Bd., S. 712.
*) Vgl. Hau schild, S.487, 540.
") Erstere bestehen nur aus den untersten, letztere aus allen Irisschichten (vgl.
Hauschild, S. 484).
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Vererbung der Augenfarbe. Haarfarbe.
249
Neuere Untersuchungen 1 ) haben nun zunächst ergeben, daß Blau
rezessiv gegenüber Braun ist, ein Ergebnis, daß mit der allge-
mein gemachten Beobachtung von der Zurückdrängung des helleren
(germanischen) durch den dunkleren (romanischen) Typus im Einklang
steht a ). Blauäugige Individuen sind also in bezug auf dieses Merkmal
stets homozygot und dementsprechend findet man, daß die Kinder
zweier blauäugiger Eltern (RR x RR) ebenfalls überwiegend blau,
seltener blaugrau oder grau sind. Was die graue Farbe anbelangt, so
scheint sie im allgemeinen ebenfalls rezessiv gegenüber Braun, dagegen
dominant gegenüber Blau zu sein. Nach anderweitigen Untersuchungen 3 )
würde der allgemein gehaltene Satz Gültigkeit haben, daß die An-
wesenheit von braunem Pigment an der vorderen Oberfläche (d. h. in
der vorderen Grenzschicht) der Iris dominant ist gegenüber der Ab-
wesenheit von solchem Pigment. Ferner scheint auch eine gleich-
mäßige Färbung der ganzen Iris (self-coloured indes) dominant zu
sein gegenüber der ringförmigen, auf die Umgebung der Pupille be-
schränkten Pigmentierung (ringed irides).
Bezüglich der Vererbung der Haarfarbe liegen noch keine be-
stimmten Resultate vor. Doch dürften die Verhältnisse schwarz oder
dunkelbraun > hellbraun > flachsfarbig *) und schwarz > rot 6 ) Gültig-
keit haben. Was den sonstigen Charakter des Kopfhaares anbelangt,
so ist das gekräuselte (in der distalen Hälfte in einer engen Spirale
verlaufende) Haar mit elliptischem Querschnitt dominant gegenüber
dem geraden , zylindrischen 6 ). Das wellenförmige , in einer offenen
Spirale gleichmäßig von der Wurzel bis zur Spitze gekrümmte Haar
scheint gewöhnlich einen heterozygoten Zustand (wellenförmig x ge-
rade) darzustellen 7 ).
Von sonstigen morphologischen Merkmalen, welche nicht in das
Gebiet des eigentlich Pathologischen fallen, sei zunächst die Habs-
burger Unterlippe genannt, welche offenbar ein dominierendes,
') G. C. und Ch. B. Davenport 1907.
*) Man vergleiche die Gemälde der Venezianer des 16. Jahrhunderts (Palma
vecchio, Tintoretto, Bordone) mit ihren blauäugigen, flachs- oder rotblonden Patrizier-
frauen, die Madonnen des Bolognesers Guido Reni usw. im Gegensatz zu dem vor-
herrschend dunkeln Typus der jetzigen Stadtbevölkerung Oberitaliens.
") Vgl. Hurst 1908.
*) Vgl. Davenport 1908 (Det. of dorn. etc.).
*) Bateson. S. 206 (1909).
•) G. C. Davenport und Ch. B. Davenport.
7 ) Auch bei den „Bastards" in Deutsch-Südwestafrika stellt das Haar einen
Kompromiß zwischen beiden Rassen dar. Vgl. E. Fischer 1909.
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250
Erbliche Mißbildungen. Erbliche Hautaffeküonen.
fast ausschließlich an das männliche Geschlecht gebundenes Merk-
mal darstellt und welche als solches durch mindestens sechs Jahr-
hunderte hindurch in der Dynastie der Habsburger weitervererbt
worden ist '). Ein physiologisches Merkmal, welches beim Menschen
wahrscheinlich in Form eines rezessiven Charakters vererbt wird, ist
die Anlage zur Mehrlingsgeburt»).
Der alternative Vererbungsmodus kann ferner für eine große Zahl
von erblichen Krankheiten und Mißbildungen nachgewiesen
oder wahrscheinlich gemacht werden, und zwar sind beinahe alle bis-
her bekannten mendelnden Abnormitäten beim Menschen dominant.
Dieses Verhältnis erklärt sich wahrscheinlich, wie schon Bateson
hervorgehoben hat, dadurch, daß für dominierende Merkmale die Ver-
erbung leichter festzustellen ist.
Als dominierende Merkmale sind vor allem anzuführen: Die
erbliche Brachydakty lie oder Hypophalangie, bei welcher
sämtliche Finger und Zehen nur zwei Phalangen aufweisen 3 ); der
kongenitale präsenile graue Star<); ferner eine ganze Anzahl
von Hautaffektionen, für welche gleichzeitig durch Gossage
und H a m m e r die alternative Vererbungsweise dargelegt werden konnte.
Dahin gehört die Tylosis palmaris et plantaris (Keratoma p.
et pl.), welche in einer abnormen Verdickung der Haut der inneren
Handfläche und Fußsohle besteht und deren Erblichkeit schon für
die durch Darwin 6 ) berühmt gewordene „Stachelschwein- -Familie
Lambert nachgewiesen worden war; ferner dieDermatolysis here-
ditaria (Epidermolysis bullosa), bei welcher die Epidermis bei ge-
ringfügigen Anlässen Blasen bildet, die Hypotrichosis congenita
familiaris (Haarverlust in ganz jugendlichem Alter) usw.«).
Weiterhin ist der dominierende Charakter für den Diabetes
insipidus (Polyurie), für die kongenitale stationäre Nacht-
') Siehe Kapitel l .
*) Vgl. Weinberg 1909.
*) Bateson, Brit. med. Journ., Vol. 2, S. 61 ff. (1906); ferner Hammer 1908.
Bateson, S.210 (1909) (hier eine ausführliche Darstellung).
*) Bateson, S. 217 {1909).
*) Darwin, Variieren, 2. Bd., S. 5.
•) Eine sehr merkwürdige erbliche Hautabnormität , deren Vererbungsweise
aber noch nicht genauer bekannt geworden ist, findet sich bei einer Varietät der
Hausmaus, der „Rhinocerosmaus" (Allen, S. 67. Fig. 1, 1904). Die vollkommen
haarlose Haut ist hier in Querrunzeln gelegt und bildet an den Körperseiten je eine
mantelartige Längsfalte.
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Krbliche Hautaflektionen. 25 1
b lind hei t, für einige Formen von Glaukom 1 ) usw. nachzuweisen,
während die Retinitis pigmentosa und Alkaptonurie (Rot-
färbung des Harnes infolge der Anwesenheit von Alkapton) wahr-
scheinlich rezessive mendelnde Abnormitäten darstellen 8 ).
Von besonderem Interesse ist auch die Erblichkeit der Bluter-
krankheit (Hämophilie), welche durch das Auftreten starker Blutungen
bei leichten Wunden und Rissen gekennzeichnet ist, und die der
Farbenblindheit, speziell der Rot -Grün -Blindheit 3 ). Für beide
Vorkommnisse gilt, ähnlich wie für die Habsburger Unterlippe, daß
sie offenbar dominante Charaktere sind , die nach dem alternativen
Modus vererbt werden, aber in ihrem äußeren Auftreten an das
männliche Geschlecht gebunden sind. Als Norm kann für derartige
Merkmale gelten, daß sie innerhalb einer Familie im allgemeinen nur
bei den männlichen Individuen auftreten, daß sie ferner durch nicht-
affizierte Männer nicht, durch die affizierten Männer aber, je nach
ihrer und ihrer Frauen Zusammensetzung, auf alle oder nur auf einen
Teil der Söhne übertragen werden, und endlich, daß sie auch durch
nichtaftizierte Frauen vom Großvater auf den Enkel übertragen werden
können. Ausnahmen kommen indessen in verschiedener Hinsicht vor:
speziell bei der Bluterkrankheit können in seltenen Fällen auch
nichtaffi zierte Männer die Abnormität auf die Söhne übertragen,
und andererseits kann die Farbenblindheit auch bei weiblichen
Familiengliedern auftreten, dann nämlich, wenn diese von einem
affizierten, heterozygoten Vater und einer in bezug auf das Merk-
mal gleichfalls heterozygoten Mutter abstammen (DR c? x DR o.)
und in bezug auf das Merkmal selber homozygot {DD) sind«). In
diesem Falle werden alle Söhne der affizierten Frauen das Merk-
mal zur Entfaltung bringen:
DR d" X DB °.
DD ? JIR (f
DU <f (alle affizicrt!) 1) Ii $
') Vgl. Bateson. S. 22off. (1909).
*) Kbenda, S. 225 ff.
") Vgl. auch P. Lucas, siehe Literaturverzeichnis 2 ; Darwin, Variieren.
2. Bd. , S. 94 ; We i s m a n n . Keimplasma , S. 484. Bezüglich der Farbenblindheit
vgl. besonders Bateson, S. 172, 223 (1909).
*) Nach Bateson (S. 223, 1909). wenn sie mit einer doppelten »Dose* des den
Zustand der Farbenblindheit hervorrufenden Faktors ausgestattet sind.
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252
Eugenik.
Die zunehmende Kenntnis der Erbeinheiten beim Menschen und
ihres Verhaltens bei der Vererbung hat nicht bloß ein hohes wissen-
schaftliches Interesse, sondern wird sicher nach und nach auch prak-
tische Früchte tragen. Vor allem wird die Frage, inwieweit erblich
belasteten Individuen das Recht auf Nachkommenschaft zugewiesen
werden darf, von einem sicheren Boden aus beantwortet werden
können. In Deutschland, England und Amerika sind ja bereits die
ersten Schritte getan, um die Aufmerksamkeit weiterer Kreise auf
das soziologische Grundproblem der Rassenhygiene oder Eugenik
(der „Wohlgeborenheit") zu lenken, und bei diesen Bestrebungen
werden in Zukunft sicher die Ergebnisse der Mendel forschung eine
immer wichtigere Rolle spielen
Literaturverzeichnis zu Kapitel 24.
Allen 1903, s. Literaturverzeichnis 22 und 23.
Bateson 1909. s. Literaturverzeichnis 22 und 23.
Castle, W. E., Noteon Mr. Farabee s observations. Science, N. S., Vol. 17. 1903.
Darwin 1868, s. Literaturverzeichnis 2.
Davenport, C. B., The origin of black sheep in thc flock. Science, N. S.„
Vol. 22, 1905.
— , Determination of dominancc in Mendelian inheritance. Proc. Amer. Phil. Soc,
Vol. 47, 1008.
Davenport, Gertrude C. and Davenport, Ch. B., Heredity in eye-colour in
man. Science, N. S., Vol. 26, 1907.
— , Heredity in Hair-fprm in Man. Amer. Nat., Vol. 42, 1908.
Farabee, W. C, Note on Negro albinism. Science, N. S., Vol. 17, 1903.
Fischer, Kug., Das Rehobother Bastardvolk in Deutsch-Südwestafrika. Umschau.
13. Jahrgang, 1909. (Vgl. auch Korrespondenzbl. d. D. Ges. f. Anthr.. Ethn.,
Urgesch., 40. Jahrgang, 1909.)
— , Ein Fall von erblicher Haararmut usw. Arch. f. Rassen- u. Ges.-Biol., 7- Jahr-
gang, 1910.
Gossage, A. M. , The inheritance of certain human abnormalities. Quart. J. Med.
1908.
Groß, s. Literaturverzeichnis 22 und 23.
') Vgl. Natur und Staat, Literaturverzeichnis 1 ; Archiv för Rassen- und Ge-
sellschaftsbiologie ; Bateson 1909; Davenport, Eugenics, New-York 1910. Prak-
tische Zwecke verfolgt in dieser Richtung das durch Galton geleitete Institut für
Nationaleugenik, ferner die Internationale Gesellschaft für Rassenhygiene (Vorstand:
A-. P I ö t z und E. R ü d i n , München) und The Committee on Eugenics of the American
Breeders Association (Secretär: C. B. Davenport).
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I
Literaturverzeichnis 24.
253
Hammer, Die Bedeutung der Vererbung für die Haut und ihre Erkrankungen.
Verh. d. D. dermatol. Ges. 1008. (Berlin, J. Springer.)
Hauschild, M. W., Untersuchungen über die Pigmentation im Auge verschiedener
Menschenrassen. Zeitschr. f. Morph, u. Anthr., U. Bd. IQOQ.
Hurst, C. C, On the Inheritance of Eye-Colour in Man. Proc. Roy. Soc, Vol. 80,
B., 1908.
Weinberg, W., Über den Nachweis der Vererbung beim Menschen. Jahresh. d.
Ver. f. Vaterl. Naturk. Württ. 1008.
— , Die Anlage zur Mehrlingsgeburt beim Menschen und ihre Vererbung. Arch. f.
Rassen- u. Ges.-Biol., 6. Jahrg., 1000.
— , Über Vererbungsgesetze beim Menschen. Zeitschr. Ind. Abst. , I. und 2. Bd.,
19O0.
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Fünfundzwanzigstes Kapitel.
Das Geschlecht als mendelndes Merkmal.
Verschiedene Tatsachen legen es nahe, die Frage nach dem
Zahlenverhältnis und der Verteilung der beiden Geschlechter und nach
den Faktoren, welche beim einzelnen Individuum das Geschlecht be-
stimmen, im Zusammenhang mit dem Vererbungsproblem zu erörtern.
Es sind dies vor allem die Erscheinungen des sexuellen Di-
morphismus; die Korrelationen oder wechselseitigen Beziehungen,
welche zwischen den primären und sekundären Geschlechts-
charakteren in entwickelungsgeschichtlicher und physiologischer
Hinsicht bestehen; die Spuren eines latenten hermaphroditischen
Zustandes, welche sich auch bei den höchsten Tieren nachweisen
lassen, und endlich die Beobachtung, daß speziell bei den Säugern
und Vögeln die beiden Geschlechter in einem ganz bestimmten
Zahlen Verhältnis, dem Sexualverhältnis, auf die Individuen einer
Art verteilt sind, daß aber andererseits bei den Nachkommen eines
und desselben Elternpaares hinsichtlich der Verteilung des Geschlechts
dieselbe scheinbare Unregelmäßigkeit herrschen kann, wie bezüglich
anderer morphologischer und physiologischer Charaktere.
Schon Darwin hat in seinem Werke über das Variieren der
Tiere und Pflanzen in den Kapiteln, welche von der Vererbung
handeln, auf ein latentes Vorkommen der sekundären Geschlechts-
charaktere hingewiesen *) und damit die Probleme der Vererbung und
der Sexualität in einen engeren Zusammenhang gebracht. Darwin
stellt die These auf, daß in vielen, wahrscheinlich in allen
Fällen, die sekundären Geschlechtscharaktere jeden Geschlechts in
dem entgegengesetzten Geschlecht schlafend oder latent ruhen, bereit,
sich unter gewissen Bedingungen zu entwickeln. Als Stütze für
diese Auffassung wurden von Darwin hauptsächlich die „hahnen-
l ) Darwin II, S.67 (1868).
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Latenter Hermaphroditismus.
255
fedrigen" Hennen, Fasanenhennen, Rebhühner, Enten und die Weibchen
hirschartiger Tiere, welche im Alter Geweihe aufsetzen, herangezogen.
Von anderen Autoren wurde dann die Ansicht ausgesprochen,
daß dieses Verhältnis nicht nur für sekundäre Geschlechtscharaktere,
sondern für die geschlechtlichen Potenzen selber Gültigkeit hat und daß
also alle diöcischen Organismen als latent monöcisch oder^herma-
phroditisch zu bezeichnen sind. Namentlich die Pflanzenwelt
lieferte für die weite Verbreitung eines solchen Zustandes einige
wichtige Belege. So fand Bordage, daß, wenn die Sproßspitze von
jungen männlichen Pflanzen des Melonenbaumes (Carica papaya) kurz
vor dem Erscheinen der ersten männlichen Blüten abgeschnitten wird,
unmittelbar unter der Schnittfläche seitliche Zweige hervorwachsen,
welche weibliche Blüten und Früchte tragen. Umgekehrt beobachtete
Strasburger, daß bei den weiblichen Pflanzen von Melandrium
album die Infektion mit einem Brandpilz (Ustilago violacea) eine
Zurückbildung des weiblichen Organs, des Pistills, und eine volle
Entwickelung der normalerweise rudimentären Antheren bewirkt.
Bei anderen Pflanzen scheint freilich das Geschlecht unabänder-
lich bestimmt zu sein. Dies gilt für die männlichen und weiblichen
Thalli diöcischer Moose und iür die Prothallien der Schachtelhalme,
während bei den zwitterigen Prothallien der Farne insofern eine ge-
wisse Labilität besteht, als die Ausbildung der weiblichen Organe
künstlich gehemmt werden kann.
Weismann hat dann die Vorstellung des latenten Zwittertums
auch auf das Keimplasma und die Keimzellen übertragen und die
Annahme gemacht, daß die Keimzellen mit Doppeldeterminanten
nicht bloß für die sekundären, sondern auch für die primären Ge-
schlechtscharaktere ausgestattet sein müssen 1 ).
Das Geschlechtsbestimmungsproblem, welches seit langer
Zeit namentlich die Tierzüchter und Physiologen beschäftigte, war
nunmehr dahin zu präzisieren: Um welche Zeit und durch welche
Faktoren wird die eine der beiden im Keimplasma ruhenden Anlagen
aktiviert, die andere iür die betreffende Generation in den latenten
Zustand versetzt? Bezüglich des Zeitpunktes waren von vornherein
drei Möglichkeiten gegeben 8 ): es konnte die Determinierung des
') Vgl. Keimplasma, S. 468. Im übrigen bat sich Weismann wiederholt gegen
die Ansicht ausgesprochen, daß die Übertragung des Geschlechtes einen Vererbungs-
akt darstelle (Keimplasma, S. 483).
■) Haecker, S. 93 (1902).
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256
Geschlecht und Mosaikfärbung.
Geschlechtes schon vor der Befruchtung erfolgen (progame Ge-
schlechtsbestimmung) oder durch den Befruchtungsakt selbeT
(syngame Bestimmung) oder erst nach erfolgter Befruchtung, in
irgend welcher Phase der individuellen Entwickelung (epigame Be-
stimmung).
Zugunsten der Annahme einer progamen Entwickelung konnte
vor alfem die Tatsache angeführt werden, daß bei einigen Tieren
(bei dem Annelid Dinophilus, bei Rädertieren und bei Phylloxera)
schon im Ovarium zweierlei Eier, große „Weibcheneier" und kleinere
„Männcheneier", auftreten; für die syngame Geschlechtsbestimmung
schienen die Verhältnisse bei der Honigbiene zu sprechen, insofern
bei dieser aus den befruchteten Eiern bekanntlich weibliche Tiere,
aus den unbefruchteten Drohnen hervorgehen, während das Vor-
kommen einer epigamen Bestimmung trotz zahlreicher daraufgerichteter
Untersuchungen bisher noch durch keine vollkommen unzweideutige
Beobachtung erwiesen werden konnte 1 ).
In ein ganz neues Stadium wurde die Geschlechtsbestimmungs-
frage einerseits durch neuere zytologische Beobachtungen, welche wir
namentlich einer Anzahl amerikanischer Forscher verdanken und über
die in einem späteren Kapitel (32) berichtet werden soll, andererseits
durch die Verknüpfung des Problems mit der Mendel-
forschung gerückt.
Schon Mendel hatte im Hinblick auf das eigentümliche Zahlen-
verhältnis, welches in einem Falle die männlichen und weiblichen
Pflanzen des Bastards Lychnis diurna x L. vespertina (151 weibliche
und 52 männliche) aufwiesen, die Frage erhoben, ob hier vielleicht
etwas Ähnliches wie bei der Anlagenspaltung vorliegt 2 ), und zu einem
ähnlichen Gesichtspunkt war sehr bald nach der Wiederentdeckung
der Mendelschen Regeln Bateson 3 ) gelangt.
Zuerst ist dann Castle (1903) der Frage näher getreten. Indem
er die echten Hermaphroditen mit mosaikartig gescheckten Tieren und
die diöcischen (latent hermaphroditischen) Organismen mit einfarbigen,
d. h. nur das dominierende Merkmal äußerlich entfaltenden Hetero-
') Näheres über die in Betracht kommenden Beobachtungen findet sich in den
neueren Zusammenstellungen von Düsin g, Klebs. Waldeyer. Lenhossek,
O. Schultze. Cut'not, Strasburger. R. Hertwig, Korscheit, Heider.
Morgan, Bugnion u. a. (Vgl. auch Kap. 21, S. 215. Anm.3 )
*) Hriefe an Xägeli, S. 241. Vgl. auch den Zusatz von Correns, ebenda,
S. -'53.
a ) Bateson und Saunders. S. 130.
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Selektive Befruchtung.
257
Zygoten vergleicht, glaubt er in bezug auf das Geschlecht ähnliche
Erblichkeitsverhältnisse wie in bezug auf die Färbung annehmen zu
dürfen. Ebenso wie nämlich „mosaikfarbige" Mäuse „Mosaik "-Keim-
zellen produzieren, in welchen beide Farbenanlagen miteinander eng
verbunden sind (DR), und ebenso wie bei den einfarbig - grauen
Hybriden eine Spaltung stattfindet und demnach reine I)- und reine
jR-Gameten gebildet werden, so glaubt Castle, daß auch der Herma-
phrodit als „sex-mosaic" Mosaikgameten (d*$) liefert, während
bei diöcischen Formen eine Spaltung in reine cT- und reine
9 -Gameten stattfindet. - Danach wären bei letzteren nach der
Spaltungsregel viererlei Keimzellen und viererlei Zygoten zu erwarten:
CT -Hier $-Eier
Cf - Spermatozoen $ - Spermatozoon
" tfer 4-cf ? -H ?cr + $$
Nach Castle sprechen aber die Tatsachen gegen das Vorkommen
von Keimen, die in bezug auf das Geschlecht homozygot (c^d* oder
$$) sind, denn es gibt keine Fälle, in welchen bei reinster Inzucht,
wie z.B. bei der Parthenogenese, ausschließlich das eigene Geschlecht
weitervererbt wird, wie man bei der Inzucht von geschlechtlich
homozygoten Individuen erwarten müßte 1 ).
Er führt daher die Hypothese vom selektiven Befruchtungs-
vorgang ein und meint, daß Eier, welche die Anlage zu einem
Geschlecht enthalten, stets nur durch entgegengesetzt-geschlecht-
lich determinierte Spermatozoen befruchtet werden. Es werden also
d"-Eier durch o.- Spermatozoen, o.-Eier durch cT- Spermatozoen be-
fruchtet und demnach überhaupt nur heterozygote Keime ge-
bildet, in welchen (bei den diöcischen Spezies) die männlichen und
weiblichen Charaktere immer wieder miteinander in einen Konkurrenz-
kampf um die Alleinherrschaft treten. Eine eigentliche Erklärung
für den Vorgang der Geschlechtsbestimmung ist damit allerdings
nicht gegeben.
Auch andere Beobachtungen können dazu führen, die Mendelsche
Spaltungsregel auf die Geschlechtsbestimmung anzuwenden 2 ), vor
allem diejenigen Fälle, in denen in augenscheinlicher Weise das
Geschlecht die Entfaltung oder Unterdrückung gewisser im übrigen
mendelnder Anlagen bestimmt. Es sei vor allem an die früher auf-
') Aus den parthenogenetischen Eiern der Honigbiene gehen sogar ausschließ-
lich Tiere männlichen Geschlechts hervor!
*) Bateson, S. 1.1 (i9"4); S. 164 (1909).
Hacek er, Vererbungslehre. 17
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258 Gehörnte und hornlose Schaft.
gezählten, in ihrem Auftreten vorwiegend an das männliche Geschlecht
gebundenen Abnormitäten, an die Bluterkrankheit, die Rot -Grün-
Blindheit, sowie an die Habsburger Unterlippe erinnert.
Besonders lehrreich ist auch folgendes Beispiel '): Wenn die in
beiden Geschlechtern gehörnten Dorsetschafe mit den in beiden Ge-
schlechtern hornlosen Suffolks reziprok gekreuzt werden, so sind die
Fj-cf gehörnt, die F r $ hornlos. Bei den cf dominiert also die
Hornbildung, bei den $ die Hornlosigkeit In der ^-Genera-
tion treten viererlei Typen auf, nämlich gehörnte und hornlose
Männchen und gehörnte und hornlose Weibchen, und zwar ungefähr
in folgendem Verhältnis:
Männeben 3 gehörnte : l
Weibchen l gehörntes : 3
Wenn dieses Verhältnis sich wirklich bei weiteren Untersuchungen
als konstant herausstellen sollte, so würde man sich zu seiner Er-
klärung folgende Spaltung vorzustellen haben:
P H (Hornbildung) X /»(Hornlosigkeit)
F x er H(h) $ (H)Ä»)
Gameten .... H h H h
(h)H hh
h(H) hh.
i<f HH H(h)
* % \ $ HH {H)h
Daraus wäre abzuleiten, daß im männlichen Geschlecht Horn-
losigkeit nur bei solchen Individuen zum Vorschein kommt, welche
bezüglich dieses Merkmals homozygot sind, und ebenso im weiblichen
Geschlecht die Hörner nur bei solchen Tieren, welche in bezug auf
Hornbildung homozygot sind. Jedenfalls lassen aber die Tatsachen
deutliche Beziehungen zwischen dem Geschlecht und einem men-
delnden Charakter erkennen.
Hierher gehört ferner die bekannte Tatsache, daß schwarz- und
orangegefleckte Katzen mit oder ohne Weiß, die „tortoise-shells" der
englischen Züchter, beinahe stets weiblichen Geschlechts sind'), während
die Männchen dieser Varietät gewöhnlich eine einfarbige orangegelbe
oder rostbraune Färbung haben*). Man hat wohl anzunehmen, daß
') Wood 1905; Wood and Punnett 1908.
•) Die Klammer bedeutet rezessives Verhalten.
*) In der Regel wird gesagt. da6 die dreifache Färbung sehr selten bei einem
Kater zu sehen ist. Vgl. Darwin, Var.. II, S. 97.
4 ) Erstere nach Doncastcr, letztere nach Darwin. Vgl. im übrigen D«>u-
caster 1904, sowie Batcson 1909.
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Correns' Bryonia-Versuch. 259
die betreffende Rasse heterozygot ist und daß im weiblichen Ge-
schlecht der heterozygote Zustand im tortoise- Shell -Charakter zum
Ausdruck kommt, während im männlichen Geschlecht entweder
Orange dominiert oder eine intermediäre Färbung (Rostbraun) zu-
stande kommt. Jedenfalls ist auch hier das Auftreten bestimmter
Färbungen an das Geschlecht gebunden: im weiblichen Geschlecht
muß irgend ein Agens enthalten sein, welches das Verhältnis von
Dominanz und Rezessivität abändert.
Aus diesen und manchen anderen Beobachtungen 1 ) hat auch
Bateson die Überzeugung geschöpft, daß die Verteilung des Ge-
schlechts den Mendel sehen Spaltungsprozessen analog ist. Wirklich
unzweideutige Anhaltspunkte für die Begründung dieser Auffassung
sind aber erst durch Untersuchungen von Correns gewonnen worden.
Correns hat zwei Arten der Zaunrübe, die zweihäusige (diöcische)
Bryonia dioica und die einhäusige (monöcische) B. alba, miteinander
reziprok gekreuzt und außerdem das Sexualverhältnis der reinen
B. dioica bestimmt.
Die drei Versuche ergaben folgendes (Fig. 103):
I. Bryonia dioica 9 x B. alba cf.
Resultat: 100 Proz. weibliche Bastarde.
II. Bryonia dioica $ x B. dioica c/.
Resultat: 50 Proz. weibliche, 50 Proz. männliche Pflanzen.
III. Bryonia alba § x B. dioica cf.
Resultat: 50 Proz. weibliche, 50 Proz. männliche Bastarde.
Correns glaubt seine Befunde mit Hilfe der Annahme deuten
zu können, daß B. dioica c? heterozygot männlich-weiblich
mit dominierender Männlichkeit, B. dioica $ homozygot
weiblich ist Sämtliche Keimzellen sind demnach progam be-
stimmt, und zwar haben die männlichen Keimzellen (Pollenkörner)
zur Hälfte männliche, zur Hälfte weibliche Geschlechts-
tendenz, die weiblichen (Eizellen) haben durchweg weibliche
') In seinem Buche (1909) bespricht Bateson u. a. noch die Kreuzungs-
versuche, welche Doncaster und Raynor mit dem Stachelbeerspanner, Abraxas
grossulariata, und der Varietät lacticolor angestellt haben (Vcrkoppelung der Charak-
tere „männlich" und „grossulariata". bzw. „weiblich" und „lacticolor", nach Bateson
„unechter Allelomorphismus", d. h. Repulsion zwischen den Charakteren Weiblich
und grossulariata), sowie Versuche von Noorduyn und solche von Miss Durham
mit Kanarienvögeln (Repulsion zwischen Weiblich und Schwarzäugig). Vgl. auch
Lang, S.47 (IQ09).
17*
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260
Hryonia -Versuch.
Fig. 1Q.1.
Tendenz. Die definitive Entscheidung über das Geschlecht der
Nachkommen erfolgt erst syngam bei der Befruchtung, indem beim
Zusammentreffen der weiblich gestimmten
Eizellen mit männlich gestimmten Pollen-
körnern die männliche Tendenz über-
wiegt.
In der Tat würden sich von der
gemachten Voraussetzung aus die Ergeb-
nisse der drei Versuche ohne Schwierig-
keit erklären lassen. Bezeichnet man die
männliche dioica mit m(w), die weib-
liche mit ww, die zwittrige alba mit xz,
so werden im Versuch I nur einerlei
Zygoten wz gebildet, welche, da offen-
bar Zweihäusigkeit über Einhäusigkeit
dominiert, lauter weibliche Individuen
liefern. Im Versuch II werden infolge
der Aufspaltung von ww und m(w)
zweierlei Zygoten (ww und mtc) gebildet,
aus denen, da m > tu, weibliche und
männliche dioica-Individuen in gleicher
Anzahl hervorgehen. Im Versuch III
würde unserer Voraussetzung nach eine
Aufspaltung von zz und m(tc) stattfinden,
die zur Bildung von zweierlei Zygoten
zm undste, also zur Bildung von50Proz.
männlichen und 50 Proz. weiblichen Ba-
starden führt.
Gegenüber der Annahme von Castle,
wonach beide Geschlechter in bezug auf
das Geschlecht heterozygot sind, ist also
Correns zu der Vorstellung geführt wor-
den, daß nur eines von ihnen hetero-
zygot ist. In der Tat scheinen alle neue-
ren Untersuchungen, sowohl die experi-
mentellen wie die zytologischen, darauf hinzuweisen, daß sich die
beiden Geschlechter in dieser Hinsicht verschieden verhalten, wenn
auch im einzelnen die Ergebnisse und Anschauungen auseinander-
weichen.
Schema für Correns" Bryonia-
Versucbe.
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Bi yonia-Versuch.
■
261
Während nämlich Correns zu dem Resultat gekommen war,
daß bei Bryonia das männliche Geschlecht heterozygot ist, zeigt
Bateson 1 ), daß sich die Ergebnisse von Correns auch von der
Hypothese aus erklären lassen, daß bei Bryonia die weibliche
Pflanze heterozygot mit dominierender Weiblichkeit, die männliche
Pflanze dagegen homozygot männlich ist. Bateson ist um so mehr
zu dieser Ansicht geneigt, da auch bei tierischen Objekten, z. B. beim
Stachelbeerspanner, Abraxas grossulariata (Doncaster und Raynor),
und beim Kanarienvogel (Noorduyn, Miss Durham) die Kreuzungs-
ergebnisse am einfachsten erklärt werden können, wenn man die
weiblichen Tiere als heterozygot mit dominierender Weiblich-
keit betrachtet. Es wird diese Frage in einem späteren Kapitel (32)
nochmals behandelt werden.
Literaturverzeichnis zu Kapitel 25.
Bateson und Saunders, s. Literaturverzeichnis 22/23.
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262
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Sechsundzwanzigstes Kapitel.
Faktorenhypothese. Zusammengesetzte Merkmale.
Eine Übersicht über alle dem alternativen Vererbungsmodus unter-
worfenen Merkmale ergibt zunächst, daß es sich überwiegend um
erbliche Abänderungen normaler oder pathologischer Natur handelt,
welche innerhalb der einzelnen Spezies, ohne das Artbild im ganzen
zu verändern, auftreten, und also als Rassencharaktere im wei-
testen Sinne des Wortes bezeichnet werden können. Inwieweit auch
die Unterscheidungsmerkmale verschiedener Arten das alternative
Verhalten zeigen können, ist infolge des Umstandes, daß wenigstens
bei Tieren die Artbastarde fast durchweg steril sind, zurzeit noch
eine offene Frage.
Wenn man nun weiterhin die spaltenden Rassencharaktere näher
charakterisieren will, so stößt man zunächst auf die Tatsache, daß
die Spaltungs Vorgänge und ebenso die Erscheinungen der vollkom-
menen Dominanz und Rczcssivität dann besonders typisch zutage
treten, wenn eine Stammform mit einer Defektrasse, d. h. mit
einer Varietät, welche durch das Fehlen eines Merkmals gekenn-
zeichnet ist, gekreuzt wird. So wurde bereits erwähnt, daß sich bei
Tieren Pigmentierung und totaler Albinismus durchweg als antago-
nistische Merkmale verhalten und daß dabei erstere dominiert, letz-
terer rezessiv ist. Auf das nämliche läuft im wesentlichen die An-
sicht von de Vries hinaus, wonach speziell die retrogressiven
und degressiven Mutationen, d. h. diejenigen sprungweisen
Variationen, welche durch Latentwerden eines aktiven, bzw. durch
Aktiv werden eines latenten Merkmals ihre Entstehung nehmen, bei
der Kreuzung den Mend eischen Regeln folgen.
Nun scheint aber, und zu dieser Auffassung sind sehr bald eine
Reihe von Forschern gelangt, beim alternativen Vererbungsmodus das
Verhältnis Anwesenheit — Abwesenheit noch in weiterem Um-
fange Gültigkeit zu haben, und Bateson 1 ) hat zuerst in präziser
•) s. 11 (1909).
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264 Färbungs bestimmer. Erbformeln.
Weise die schon von Correns 1 ) begründete Ansicht ausgesprochen,
daß es sich bei der Spaltung vielleicht weniger um die Trennung
von zwei antagonistischen Charakteren, als vielmehr um die An-
wesenheit und Abwesenheit eines unterscheidenden Elementes handelt.
Um die gleiche Zeit war Cuenot 2 ) bei seinen Mäuseversuchen
zu der wichtigen Vorstellung gelangt, daß das Zustandekommen einer
bestimmten Färbung an das Zusammentreten von mindestens zwei
„Determinanten" in einer Zygote geknüpft ist, eine Annahme, die, wie
gleich ersichtlich sein wird, mit der Batesonschen in gutem Einklang
steht. Nach Cuenot genügt es für die Entwickelung der grauen,
schwarzen oder gelben Gesamtfärbung einer Maus nicht, daß der Be-
stimmer für Grau (G), Schwarz (N) oder Gelb (</)*) in einer Zygote
vorhanden ist, sondern es muß noch ein anderes Agens in Gestalt
eines besonderen Färbungsbestimmers oder Chromogens (C)
vorhanden sein.
Ist in den Zygoten dieser Bestimmer C nicht vorhanden, sondern
der von Cuenot angenommene antagonistische Bestimmer A (Albi-
nismus), so werden aus den Zygoten, auch wenn sie die Farben-
bestimmer G, N oder J mit sich führen, albinotische Mäuse hervor-
gehen. Bei bestimmten Kreuzungen können dann diese von den albi-
notischen Mäusen mitgeführten Agenzien, die sich an ihren Trägern
äußerlich nicht dokumentieren, bei den Nachkommen sichtbar werden,
dann nämlich, wenn die sie einschließenden Gameten mit einer den
Faktor C enthaltenden Gamete zusammentreffen.
Cuenot war gleichzeitig zur Aufstellung von Erb formein
(Formules hereditaires) gelangt, welche in veränderter Form jetzt
allgemein Anwendung finden. Eine homozygote (reinrassige) graue
Maus wurde von Cuenot mit CG oder CG CG bezeichnet, eine
heterozygote graue, z. B. aus der Kreuzung Grau x Schwarz hervor-
gegangene durch CG CN. Für eine schwarze Maus gilt die Formel
CN, für Albinos, welche von schwarzen Vorfahren abstammen und
daher Schwarz in latentem Zustande mit sich führen, die Formel A N usw.
') s. 607 (1902).
*) Cuenot 1904.
*) G, X, J als Anfangsbuchstaben von gris, noir, jaune. Die englischen und
deutschen Autoren wenden als Indiccs für die einzelnen Bestimmer jeweils die An-
fangsbuchstaben der englischen und deutschen Bezeichnungen an. Es wäre wünschens-
wert, wenn bezüglich aller dieser Bezeichnungen eine internationale Vereinbarung
zustande käme. Vgl. A. Lang. Zcitschr. Ind. Abst. . 4- Bd., 1. Heft, S. 41 (1910).
Siehe auch unten S. 265, Anm. 1, 210, Anm. 2.
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Faktorenhypothese. Prcsence- and abscnce-Hypothcse. 265
Den Gedankengängen von Cuenot und Bateson ist gemeinsam,
daß bei der Untersuchung der Erblichkeitsverhältnisse nicht die
äußerlich hervortretende Eigenschaft als solche, sondern ein hinter
ihr liegendes Agens, „some distinguishing element" bei Bateson,
„une difference materielle d'ordre chimique" bei Cuenot ins Auge
gefaßt und mit dieser operiert wird, und so hat sich denn weiterhin
aus diesen Anschauungen heraus die Faktorenhypothese (Fak-
torialhypotbese, Presence- and absence -Theorie) entwickelt, um deren
Ausbau sich Correns, Bateson, Baur, N ill son-Ehle, Castle,
Lang, Plate u. a. verdient gemacht haben. Nach dieser Hypothese
ist ganz allgemein ein „dominierender" Charakter durch die An-
wesenheit eines bestimmten Faktors (Determinante, Bestimmer,
caractere-unite, unit-character, Elementareigenschaft, Erbeinheit, Gen)
bedingt, der korrespondierende rezessive Charakter durch
seine Abwesenheit. Neuerdings bringt man in der Regel in den
Erbformeln den positiven Faktor durch einen großen lateinischen
Buchstaben, seine Abwesenheit oder den negativen Faktor durch den
entsprechenden kleinen Buchstaben zum Ausdruck.
Die Cuenot sehen Erbformeln für die Mäuse sind also auf Grund
der neueren Vorstellungen, wenn man zunächst von der gelben
Rasse mit ihren komplizierten, bisher noch nicht ganz aufgeklärten
Verhältnissen absieht, in verschiedener Weise zu modifizieren. Ein
erstes Paar von Allelomorphen bilden C (Anwesenheit von Pigment,
Faktor für Pigmentierung) und c (Abwesenheit von Pigment). Wei-
tere Paare sind der Bestimmer für Grau Cr, durch dessen Anwesen-
heit eine ganz bestimmte, durch Anpassung erworbene, die „Wild-
farbe" bedingende Verteilung des Pigments innerhalb der
einzelnen Haare (der „Aguti-Charakter" bei den Meerschweinchen)
hervorgerufen wird, und sein Allelomorph g (Abwesenheit des Faktors
für Grau), N (Faktor für Schwarz) und n (Abwesenheit dieses Faktors),
Ch (Faktor für Schokoladenbraun) und ch (Abwesenheit dieses Faktors).
Nach der früheren Ausdrucksweise würde die Relation G^>N^> Ch l )
gelten, wobei G und N, N und Ch als „korrespondierende" Merkmale
l ) O und Ch werden in allen drei zunächst in Betracht kommenden Sprachen
wegen der Übereinstimmung der Anfangsbuchstaben der betreffenden Worte gleicher-
weise angewandt. Wo keine solche Übereinstimmung besteht, wie z. K. bei den
Wörtern für Schwarz, könnte vielleicht der Anfangsbuchstabe des lateinischen Wortes,
der in diesem Falle sich mit dem des französischen Wortes deckt, zur Verwendung
kommen.
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206
Verbesserte Krbformeln.
oder geradezu als natürliche „Antagonisten" gedacht wurden. Nach
der Faktorenhypothese gibt es aber keine Antagonistenpaare von der
Zusammensetzung GN, GCh, NCh, sondern nur die Paare Gg, Nn,
Chch. Wenn also beim Zusammentreffen beispielsweise von G und N
in einer Zygote die Graufärbung zur Entfaltung kommt, so sagt man
nicht mehr, daß Grau über das antagonistische Merkmal N dominiert,
sondern daß der Bestimmer für Grau durch seine Anwesenheit unter
anderem auch verhindert, daß der gleichzeitig anwesende
Bestimmer für Schwarz seine Wirkung manifestiert. Man sagt mit
Bateson 1 ), der Bestimmer für Grau ist epistatisch gegenüber
dem lür Schwarz, der letztere hypostatisch gegenüber dem ersteren.
Der Einfachheit halber kann man allerdings bei zwei
Faktoren, welche in diesem Verhältnis zueinander stehen,
immer noch von dominant und rezessiv sprechen und sie
statt durch vier, durch zwei Buchstaben zum Ausdruck
bringen.
Nach dem Obigen gelten also für die Mäuse folgende voll-
ständige Erbformeln:
für graue CGA'CA (wobei O epistatisch gegenüber N und CA)
. schwarze CgNCh ( n N , „ CA)
„ schokoladenfarbige . . . CgnCh*).
Nun gibt es aber, wie die Untersuchungen von Miss Dur harn
und Castle gezeigt haben, auch noch einen besonderen Dichtigkeits-
faktor D 3 ), welcher durch seine Anwesenheit Dichtigkeit (Intensität,
Sättigung) des Pigments, durch seine Abwesenheit seine Auflösung
(Dilution) bedingt. D zusammen mit JS T liefert Schwarz, d und N
„Blau", ebenso D und (Ii Schokoladenbraun, d und Ch Rötlichgrau
(silver-fawn) 4 ). Auch die Einfarbigkeit (Uniformität) wird bei den
Nagern durch einen besonderen Faktor U bedingt, dessen Abwesen-
heit (u) Scheckzeichnung bewirkt »).
') S.79 (1909).
*) Miss Durham (1908) nimmt zunächst für CA keinen bcsondcicn Faktor an.
vielmehr entsteht nach ihrer Auffassung Schokoladenbraun, wenn C ohne 0 und N
auftritt. Vgl. im übrigen die abweichenden Erbformcln bei Castle 1909 und
Plate 1910.
*) Von Castle für die Kaninchen als Intensitätsfaktor J eingeführt. Beide
lndices könnten internationale Verwendung finden, da die betreffenden Worte in den
meisten Sprachen mit gleichen Buchstaben anfangen.
*) Siehe oben S. 231, Anm 5.
*) Vgl. hierzu Lang, S. 38 (1910). Castle (1900) hat den Faktor fürScheck-
zeichnung durch einen besonderen Buchstaben S bezeichnet.
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Natur der Faktoren.
267
Was die Natur der „Faktoren" anbelangt, so kann man mit
Cuenot und Bateson an fermentartige chemische Substanzen 1 )
denken, durch deren Anwesenheit und Zusammenwirken das Auf-
treten nicht bloß bestimmter Färbungscharaktere, sondern auch das-
jenige anderer mendelnder Merkmale erklärt werden könnte. So
dürfte in den rundlichen glatten Samen vieler Erbsen- und Mais-
rassen ein enzymatischer Faktor vorhanden sein, der die meisten
Reservestoffe in Stärke verwandelt, während in anderen (rezessiven)
Rassen infolge des Fehlens dieses Faktors viel Zucker erhalten bleibt
und die Körner deshalb beim Trocknen runzlig erscheinen 2 ). In
anderen Fällen sind natürlich die Zusammenhänge weniger faßbar.
Wenn uns z. B. normale Beschaffenheit des Haarkleides und Ango-
rismus als „antagonistische" Merkmale in den Weg treten, so läßt sich
vorläufig nur annehmen, daß bei den normalhaarigen Rassen ein regu-
latonscher, das Haarwachstum in Anpassung an die Lebensbedingungen
normierender Faktor vorliegt, der den Angorarassen fehlt. Welcher
Art eben dieser Faktor im besonderen ist, darüber läßt sich zurzeit
natürlich keine Ansicht aussprechen.
Vom Boden der Faktorenhypothese aus sind nun nicht bloß die
besonderen Zahlenverhältnisse (9 : 3 : 4 usw.) leicht zu ver-
stehen, die man bei bestimmten Kreuzungen erhält 3 ), sondern auch
das Auftreten der „Kreuzungsnova" (Tschermak), insbesondere
das Wiedererscheinen „atavistischer" Merkmale findet eine be-
friedigende Erklärung.
Was zunächst die erwähnten Zahlenverhältnisse anbelangt, so
wurde schon sehr bald zu ihrer Erklärung die Annahme gemacht,
daß in diesen Fällen bei der Keimzellenbildung der F x -Bastarde ent-
weder zusammengesetzte Charaktere (Compound allelomorphs
nach Bateson) aufgespalten 4 ) oder von den sichtbar manifestierten
Anlagen der beiden Stammformen latente Anlagen (kryptomere
Charaktere nach Tschermak) abgespalten werden 5 ), die sich ein-
zeln ebenso verhalten, wie jede andere den Mendel sehen Regeln
l ) Ähnlich den „spezifischen Kisubstanzen" bei De läge und den „plastischen
Substanzen" bei Le Dantcc. Vgl. Cuönot 1905.
*) Vgl. Bateson. S. 267 (19W). Siehe auch oben S. 227.
") Siebe oben S. 222.
4 ) Vgl. Mendel 1865 (herausgegeben von Tschermak, Ostwalds Klass.
d. ex. Wiss., Nr. 121. S. 34) , Bateson und Saunders. S. 142 (1902), Bateson
1902, Castle und Allen l<»3, de Vrics, S. 196 (1903).
*) Vgl. Cuenot 1904, Tschermak 1902, 1903. 1904-
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208
Relation 9:3:4-
folgende Eigenschaft. Es werden also von den - Bastarden nicht
bloß zweierlei, sondern eine größere Anzahl von Gametensorten ge-
bildet, und in den folgenden Generationen kommen die verschiedenen
isolierten Merkmale nach den für die dihybriden und polyhybriden
Kreuzungen geltenden Regeln *) zum Vorschein. Indem sodann die
Vorstellungen und die Bezeichnungsweise der Faktorenhypothese über-
nommen wurden, ist man zu einer präzisen und befriedigenden For-
mulierung dieser Ergebnisse gelangt.
Einige einfachere Beispiele werden dies illustrieren. Werden
wildgraue Kaninchen mit Albinos gekreuzt, so erhält man graue
/^-Bastarde und in der /vGeneration normalerweise das Verhältnis
3 Grau : 1 Albino. Nun kommen aber zuweilen in der F a -Generation
neben den grauen und albinotischen Individuen auch schwarze vor.
und zwar in folgendem Verhältnis:
Das nämliche läßt sich bei Mäusen (Tafel lila) beobachten, und
nach Cuenots ersten Darstellungen würde für ein derartiges Ver-
halten folgende Erklärung zu geben sein 8 ). Es bestehen zwei Paare
von Allelomorphen :
Es werden also von jedem Geschlecht viererlei Gameten gebildet:
CG<f CNcf AG <f ANcf — Cd $ C.V? AG $ AN $
und demnach 16 Gruppen von Zygoten. In diesen sind die vier
Faktoren in neun verschiedenen Kombinationen enthalten, von welchen
sechs (auf 12 Zygotengruppen verteilte) den Faktor C aufweisen, also
gefärbte (graue oder schwarze) Individuen aus sich hervorgehen lassen,
während bei drei Kombinationen (in 4 Zygotengruppen) jener Faktor
fehlt. Wie leicht zu zeigen ist, kommt tatsächlich das oben erwähnte
Zahlenverhältnis 9:3:4 zustande, wobei bemerkenswert ist, daß
hinsichtlich der gametischen Zusammensetzung drei verschiedene
Sorten von Albinos unterschieden werden können: AA.GG, AA.GN,
') Vgl. oben S. 226.
•) Vgl. Hurst 1005, sowie Batcson, S. 75 (1000).
») Cuenol 1909. Dieser Arbeit sind die Tafeln Jlla und III b entnommen.
9 graue : 3 schwarze : 4 Albinos J ).
Dominant:
1. Chromogen C
2. Grau-Bcstimmcr G
Rezessiv:
Albinismus A
Schwarz-Bcstimmcr X
(im Albino enthalten).
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• »
. » . • •
. • •• •
i
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Haecker, ^ererjjungsiehre Tafel lila.
Zu S, 265. 209.
K. Wtngerin del. Nach Cuonot. Friedr. Viaweg & Sohn, Bnunsch»r«ig.
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• • - ■ ■ * ••••
• •••••• • • .
• •••»••••
Haecker. Vererbungslehre .•** : : :*•.*. ]afeHI|b v «.
ccr \ / CND '
CßFCHD CGFCND
A
^a^. nnnnnn PUTPUT PCnPf.Il >^
CHFCNF — CGDCGD
COFCßF CRFCNF CG
^^tf^C GFCW
K, Wangerin dal. N»ch Cu*not. Friadr. V.aweg & Sohn, Braun.chwe.g.
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Auftreten von mehreren Kreuzungsnovitäten.
269
A A . NN. Bei weiterer Kreuzung kann dann die Verschiedenheit
dieser Albinos tatsachlich zutage treten J ).
In diesem Falle ist also ein vom Albino latent mitgeführtes Merk-
mal durch die Kreuzung sichtbar geworden, und zwar dadurch, daß
der betreffende positive Faktor mit einem anderen gleichfalls posi-
tiven im Albino nicht enthaltenen, nämlich dem Chromogen C, zu-
sammentraf.
Das folgende, gleichfalls einer Arbeit Cuenots entnommene
Beispiel zeigt, daß auch mehr als ein Kreuzungsnovum durch
Kombination der in den Stammformen manifestierten und latenten
Faktoren entstehen kann. Es sind dabei die Erbformeln Cuenots
beibehalten worden, obwohl sie nicht mit der neueren oben erwähnten
Interpretation und Bezeichnungsweise übereinstimmen (Tafel III b>).
Nach Cuenot unterscheiden sich schokoladenfarbige Mäuse von
den schwarzen dadurch, daß bei ersteren neben den Faktoren (' und
N ein Auflösungsfaktor D (dilue) auftritt, während die schwarzen
Mäuse einen Intensitätsfaktor F (fonce) enthalten.
Nach Castle, Miss Durbam u. a. ist die Formel für die schwarzen Mäuse
Cg N Ch (s. oben S. 266), wobei N epistatisch gegenüber Ch ist, die für schokoladen-
farbige Mäuse lautet CgnCh. Es würde also der Cuenot sehe Faktor F dem
Faktor Ch, der Cut 1 not sehe Faktor J) dem Faktor ch entsprechen.
Wird nun eine graue Maus, welche den Faktor F enthält und
also die Formel CGF besitzt, mit einer schokoladenfarbigen (CND)
gekreuzt, so entstehen in der -F a -Generation neben grauen (4 Typen) und
schokoladenfarbigen (1 Typus) zwei neue Farben, nämlich Schwarz
und Golden -Aguti (cinnamon - agouti , brun dore), je in zwei Typen
mit etwas verschiedenen Erbformeln (Tafel III b). Das Verhältnis
lautet : Grau : Schwarz : Golden- Aguti : schokoladenfarben = 9 : 3 : 3 : 1 ')•
Kreuzungsnova können auch durch Kombination eines positiven
und eines negativen Faktors zustande kommen, so z. B. wenn eine
rotblütige Rasse der großblumigen Wicke (Lathyrus) oder Levkoje
(Matthiola) mit einer cremefarbigen gekreuzt wird 3 ). Die rote Blüten-
farbe beruht, wie früher gezeigt wurde 4 ), auf einer Rotfarbung
des Zellsaftes, in den gelben Rassen sind bei farblosem Zellsaft
gelbe Chromoplasten vorhanden. Die F l - Bastarde sind rot, in der
l ) Andere Darstellungen dieser Auflösungsprozesse linden sich beiTschermak
1904 und Batcson, S. 77 (1909).
*) Vgl. im übrigen die Arbeiten von Castle, Miss Durham und Plate.
") Entnommen aus Bateson, S. 71 (1909).
*) Siehe oben S. 2.3S.
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270
Atavistische Merkmale.
F 3 -Generation erscheinen 9 rote, 3 rot-cremefarbene, 3 weiße und 1 creme-
farbenes Individuum, wobei Rot-creme als Intermediärfarbe, Weiß als
vollständiges Novum zutage tritt. Um das Zustandekommen dieses
Zahlen Verhältnisses zu erklären, sind zwei Faktoren paare anzunehmen:
roter Zellsaft S, farbloser Zellsaft (Abwesenheit der roten Farbe) s;
farblose Chromoplasten (Anwesenheit eines dominierenden Faktors,
der die normale Gelbfärbung der Chromoplasten unterdrückt) P —
gelbe Chromoplasten (Abwesenheit dieses Faktors) p. Die ^-Gene-
ration wird dann rote Zellfärbung und farblose Chromoplasten auf-
weisen, in der ^-Generation dagegen werden nach den für die di-
hybriden Kreuzungen geltenden Regeln folgende Verhältnisse gelten:
9 rote Individuen 3 rot-cremefarbige 3 weiße Individuen 1 cremefarbiges
(roter Saft, Individuen (farbloser Saft, Individuum
farblose Körper) (roter Saft, gelbe farblose Körper) (farbloser Saft,
Körper) gelbe Körper)
Das Kreuzungsnovum „Weiß" ist also durch Kombination eines
positiven und eines negativen Faktors entstanden.
Sehr häufig treten bei Rassenkreuzungen dieser Art auf Grund
einer Rekombination von zwei oder drei getrennt erblichen Faktoren
atavistische Merkmale zutage. Es wurde bereits hervorgehoben,
daß die Wild färbe der freilebenden Stammformen der Haussauge-
tiere morphologisch betrachtet darauf beruht, daß die einzelnen Pig-
mente, Schwarz, Braun und Gelb, am einzelnen Haar in einer ganz
bestimmten Anordnung, nämlich in bestimmten Zonen (Pigmentringen
oder -gürteln) auftreten, wodurch die verschiedenen Abstufungen von
Graugelb, Graubraun, Rötlichgrau usw. entstehen, die man z. B. bei
der Hausmaus, beim Schakal und Wolf, beim „mäusefarbigen" Wild-
pferd beobachtet.
Speziell bei den meerschweinchenartigen Nagern (Caviiden) 1 ) liegen
der beim Paka (Coelogenys) und Aguti (Dasyprocta) vorkommenden
Wildfarbe drei Pigmente zugrunde, welche im einzelnen Haar in be-
stimmten Zonen verteilt sind: Schwarz (an der Haarspitze und Basis),
Rotbraun (in einem Gürtel unterhalb der Spitze) und Gelb. Für das
Auftreten dieser drei Pigmente sind die drei Faktoren N (Schwarz),
Br (Braun) und Y (Gelb) *) verantwortlich zu machen, von welchen N
') Vgl. Castle 1907, 1907a, 1907b, 1908.
*) Wegen der Bezeichnung X siehe oben S. 265. Anm. 1. Die Bezeichnung Br
könnte, ebenso wie Ch (Schokoladenbraun), internationale Gültigkeit haben (brown,
brun, braun). Y — yellow entspricht der Bezeichnung J = jaune bei Cuenoi.
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Rückschlag hei Meerschweinchen. 271
epistatisch über Br und 1\ Br epistatisch über Y ist. Die Wild-
farbe selbst wird durch das Hinzutreten eines weiteren Faktors A
bedingt, der als Agutifaktor bezeichnet wird und dem Faktor 6? bei
den Mäusen entspricht.
Werden nun schwarze Meerschweinchen, welche N, Br und
Y, aber kein A enthalten, also die Formel aNBrY besitzen, mit
roten von der Zusammensetzung anBrY gekreuzt, so wird man in
der i^-Generation schwarze Tiere von der Formel aNBrY (genauer:
aaNn Br Br YY), in der F a -Generation das Zahlen Verhältnis 3 Schwarz
: l Rot erhalten. Wenn aber die rote Stammform den Agutifaktor A
mit sich führt, also die Formel AnBrY aufweist und zimtbraun
erscheint, so ergeben sich bei der Kreuzung F x - Bastarde von der
Formel ANBrY (genauer: Aa Nn Br Br Y Y) , d. h. es tritt als
atavistisches Merkmal Wildfarbe auf. In der zweiten Gene-
ration entsteht die Relation:
9 Aguti : 3 Schwarz : 4 Rot
Treffen in einer Zygote die Faktoren A, Br und Y zusammen,
so entstehen Tiere, bei welchen die rote Farbe durch Anwesenheit
des ^4-Faktors in ein eigentümliches Zimtbraun (cinnamon-agouti) um-
gewandelt worden ist. Solche zimtbraunen Individuen finden sich
z. B. bei der Kreuzung Wildgrau x Rot {ANBrY >' anBrY) in
der JPg - Generation. Die F x - Bastarde sind in diesem Falle natürlich
wildgrau {Aa . Nn . Br Br . YY). Jeder von ihnen bildet viererlei
Keimzellen, nämlich: l. ANBrY, 2. AnBrY, 3. aNBrY, 4. anBrY,
und es ist leicht zu sehen, daß in der F t - Generation viererlei Indi-
viduen, nämlich wildgraue, schwarze, zimtfarbige und rote im Ver-
hältnis 9:3:3.1 entstehen müssen J ).
Ein besonders schönes Beispiel für die Entstehung von Rück-
schlägen und für die Anwendbarkeit der Faktorenhypothese haben
"Bateson und Punnett 3 ) mitgeteilt. Werden von der großblumigen
Wicke (Lathyrus odoratus) zwei weiße Rassen, von denen die eine
lange Pollenkörner, die andere rundliche besitzt, miteinander gekreuzt,
so sind die Individuen der F x -Generation purpurn, gleich der in
Sizilien vorkommenden wilden Stammform, und in der zweiten Gene-
ration wird das Zahlenverhältnis 27 Purpurn: 9 Rot: 28 Weiß erhalten.
') Castle 1907.
*) Castle 1908.
*) Vgl. S.85 (1905), sowie Batcson, S. «9 (1909).
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272
Rückschlag bei Lathyrus.
Diese Resultate finden ihre Erklärung, wenn man annimmt, daß
für das Zustandekommen der Rot- und Purpurfärbung das Zusammen-
treffen von zwei bzw. drei getrennt übertragbaren Faktoren notwendig
ist: Rot entsteht durch die Kombination eines farbenbildenden Fak-
tors C und eines komplementären, rotbildenden Faktors R, die Pur-
purfarbe kommt zustande, wenn ein blaubildender Faktor B hinzu-
tritt. Es bestehen also Faktorenpaare Cc, Rr, Bb.
Nun enthält offenbar die eine der beiden weißen Stammformen
den Faktor C und außerdem den Faktor B, die andere den Faktor R.
Es werden also gekreuzt: CrB (Weiß mit langen Pollen) x cRb
(Weiß mit runden Pollen). Die JFi - Generation CcRrBb ist purpurn,
in der F. 2 - Generation erscheinen 27 purpurne Individuen (CRB),
9 rote(fiiA) und 28 weiße von sehr verschiedener Zusammensetzung,
jedoch niemals mit der Kombination CR. In der purpurnen und
roten Klasse können übrigens verschiedene, durch besondere Faktoren
bedingte Unterklassen auftreten, welche durch verschiedene Farben-
intensität und zum Teil durch verschiedene Färbung von „Fahne"
und „Flügeln" charakterisiert sind 1 ).
Die fortschreitende Analyse der Faktoren führt bei jeder neuen
Untersuchung zu überraschenden, die weitesten Perspektiven er-
öffnenden Ergebnissen. Am weitesten ist man in dieser Hinsicht bei
einigen Pflanzen vorgedrungen. So sind beim Löwenmaul, Antirhinum
majus, vorläufig neun verschiedene positive Faktoren oder Erbein-
heiten, welche beim Zustandekommen der verschiedenen Blütenfarben
beteiligt sind, nachgewiesen worden, im ganzen ist aber anzunehmen,
daß die außerordentliche Mannigfaltigkeit der Blütenfarbe von Anti-
rhinum majus auf etwa zwanzig Erbeinheiten zurückzuführen
sein wird 2 ).
Von großer Bedeutung sind auch neue Befunde von Nilsson-
Ehle 3 ), welcher zeigen konnte, daß ein und dasselbe äußere Merkmal
bei derselben Pflanze durch verschiedene Faktoren bedingt sein kann.
Nilsso n-Ehle fand bei der Kreuzung einer schwarzkörnigen und
einer weißkörnigen Halersorte, daß die F,- Bastarde schwarzkörnig
waren und daß in der ^-Generation das merkwürdige Zahlenverhältnis
15 Schwarz : 1 Weiß auftrat. Offenbar liegt hier in verkappter Form
das für dihybride Kreuzungen gültige Zahlenverhältnis 9:3:3:1
') Vgl. Bateson 1909, Taf. 3.
*) Vgl. Baur 1908, 1910, sowie Wheldale 1910.
") Nilsson-Ehle 1008.
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Ergebnisse von Nilsson-Ehle.
273
vor, und man darf also annehmen, daß beim Hafer die Schwarzkörnig-
keit durch zwei verschiedene Faktoren für Schwarz, welche einzeln
oder zusammen wirksam sein können, bedingt ist. Werden diese A
und Ii genannt, so liegt die Kreuzung AB x ab vor. Die Fj-Indi-
viduen haben die Erbformel AaBb, und in der F a -Generation treten
in der bekannten Weise 10 verschiedene Kombinationen auf, welche
das Ergebnis 15 : 1 zustande kommen lassen. Auf experimentellem
Wege, durch separate Aussaat der Samen der einzelnen J^- Pflanzen
konnte die Richtigkeit der Annahme erwiesen werden.
East 1 ), welcher bei Maiskreuzungen zu ganz ähnlichen Resul-
taten gelangt ist, hat darauf hingewiesen, daß auf Grund dieser Be-
obachtungen und Deutungen die Vorstellung der Erbeinheiten (unit-
characters) als „unwiderruflich fixierter Einheiten" voraussichtlich
eine allmähliche Umwandlung erfahren werde.
Literaturverzeichnis zu Kapitel 26.
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274
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Ind. Abst., 3. Bd., 1910.
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Siebenundzwanzigstes Kapitel.
Theoretische Tragweite der Mendel sehen Lehre.
Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß durch die Entdeckungen
Mendels und seiner Nachfolger fast alle Probleme der Vererbungs-,
Variations- und Artbildungslehre mehr oder weniger stark berührt
werden, und daß neben den Anregungen, die im verflossenen Jahrzehnt
von den gleich zu besprechenden Arbeiten von de Vries und Jo-
hannsen, von Tower und Kammerer ausgegangen sind, die ge-
samteTheoriederEvolution hau ptsächlich von der Mendelforschung
neue Impulse empfangen hat. Es soll im folgenden die theoretische
Bedeutung der alternativen Vererbung nach verschiedenen Richtungen
hin erörtert werden. Da aber auf diesem jungen Arbeitsfeld, ebenso
wie auf den Nachbargebieten, fast ununterbrochen neue und teilweise
überraschende Tatsachen zutage gefördert werden, so sind auch die
Meinungen zurzeit noch im vollen Fluß begriffen und es kann sich
also hier nur darum handeln, in kurzen Zügen eine Übersicht über
die neuen Gedankenverbindungen und Fragestellungen zu geben.
a) Hauptergebnis der Mendelforschung.
Das theoretisch bedeutsamste Ergebnis der Mendelforschung ist
die Feststellung von selbständig erblichen (spaltbaren), in der
großen Mehrzahl der Fälle diskontinuierlichen Erbeinheiten und
die immer klarer werdende Erkenntnis, daß diese Erbeinheiten sich
wenigstens in vielen Fällen nicht unmittelbar in den äußerlich
sichtbaren Merkmalen zu erkennen geben, sondern durch un-
sichtbare Elementareigenschaften, Anlagen oder Faktoren
repräsentiert werden. In manchen Fällen liegt eine einzige Erb-
einheit der einzelnen äußeren Eigenschaft zugrunde, und die Ver-
bindungen, welche die erstere von Generation zu Generation mit
anderen Erbeinheiten eingeht oder löst, wird durch den Vererbungs-
gang der äußeren Eigenschaft direkt widergespiegelt, ein anderes Mal
18*
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276
Mutationstheorie.
dagegen müssen mehrere Erbeinheiten zusammentreffen, um ein
äußeres Merkmal zur Entfaltung zu bringen, und ihre Spaltung bei der
Gametenbildung wird in der folgenden Generation den Schwund des
betreffenden „zusammengesetzten Charakters* herbeiführen. Wieder
in anderen Fällen kann die einzelne Erbeinheit je nach den Lebens-
bedingungen in verschiedenen äußeren Merkmalen zum Ausdruck
kommen, so wenn z. B. bei Primula sinensis eine bestimmte Reaktions-
fähigkeit als Erbeinheit nachgewiesen werden kann, kraft deren sie
bei niedriger Temperatur rote, bei höherer Temperatur weiße Blüten
bildet»). Endlich kann auch der Fall eintreten, daß ein und dasselbe
äußere Merkmal das eine Mal durch die eine, das andere Mal durch
die andere Elementareigenschaft bedingt ist, wie dies z. B. für die
schwarze Kornfarbe gewisser Hafer- und die rote Kornfarbe mancher
Weizensorten gilt 8 ).
b) Beziehung zur Mutationstheorie.
Sowohl in der Hervorhebung der Elementareigenschaften als
der eigentlichen Angriffsobjekte der Vererbungsforschung, als auch in
der starken Betonung der Bedeutung, welche die diskontinuierlichen
Merkmale für die Rassenlehre haben, zeigt sich eine außerordentlich
nahe Berührung der Mendelforschung mit der Mutationstheorie
von H. de Vries. Hat doch H. de Vries schon in seiner „Intra-
cellularen Pangenesis" und ebenso in der „Mutationstheorie" den Ge-
danken vertreten, daß die Eigenschaften der Organismen aus scharf
voneinander unterschiedenen Einheiten aufgebaut sind, und aus
den Ergebnissen der Bastardforschung hatte er weiterhin den Schluß
gezogen, daß nicht die äußerlichen, der Wahrnehmung bequem zu-
gänglichen Merkmale für den Ausfall der Kreuzungsprodukte ent-
scheidend sind, sondern die innerlichen, weit schwieriger zu er-
forschenden Elementareigenschaften, deren Äußerungen die Merk-
male sind 3 ).
Ebenso wie nach den Ergebnissen der Mendelforschung, so hat
man sich also auch nach den Anschauungen von de Vries zu denken,
daß das Artbild aus einer Summe von erblichen Elementareigen-
schaften zusammengesetzt ist, welche in der Regel einer ganzen An-
zahl von Spezies gemeinsam sind und bei den einzelnen Arten in der
') Vgl. Haur, S. 285 (1908).
*) Vgl. Xilsson-Ehle, Literaturverzeichnis 26.
") Vgl. Mutationstheorie. I. S. 3, II, S. 442 u. a. a. O.
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*Transvcrsionen.
277
verschiedensten Weise kombiniert sind. Diese Eleraentareigenschaften
können für uns in Gestalt der äußeren Merkmale zum Vorschein
kommen.
Was die Zahl der Elementareigenschaften anbelangt, aus welcher
sich die einzelnen Artbilder zusammensetzen, so braucht diese nach
de Vries keine außerordentlich große zu sein, sieht man doch die
nämlichen Merkmale bei sehr verschiedenen Organismen wiederkehren.
Immerhin glaubt de Vries, daß für die einzelne Pflanze einige Tausende
von Elementareigenschaften anzunehmen sind. Die Analyse der
Mendelphänomene hat uns vor der Hand nur mit einer verhältnismäßig
geringen Anzahl von Elementareigenschaften bekannt gemacht, für
die Beurteilung ihrer Zahl ist aber bedeutsam, daß für das Zustande-
kommen zahlreicher äußerer Merkmale zwei, drei und wohl auch mehr
„Faktoren" oder Elementareigenschaften nötig sind, und daß ins-
besondere bei „unvollständiger Dominanz" die verschiedenen inter-
mediären Stadien, welche die iV Bastarde zeigen, auf dem Zusammen-
wirken einer größeren Anzahl von Faktoren beruhen können 1 ).
Für die Kenntnis der Elementareigenschaften und ihrer Verbreitung
bei den einzelnen Organismen dürften auch die von mir als Trans-
versionen (Überschläge) 3 ) bezeichneten Vorkommnisse von einiger
Bedeutung sein. Es handelt sich hier darum, daß nicht selten
einzelne scharf umgrenzte Charaktere, welche normalerweise
zum Merkmalskomplex einer Spezies gehören, bei einer anderen, mehr
oder weniger entfernten Spezies in aberrativer Weise auftreten, es
liegt also ein Sichtbarwerden von normalerweise latenten Elementar-
eigenschaften unter bestimmten abnormen Bedingungen (z. B. bei Weg-
fall eines epistatischen Faktors) vor. Als Beispiele seien, abgesehen
von gewissen Zeichnungsabänderungen bei den früher erwähnten
Temperaturaberrationen der Schmetterlinge 8 ), die abnormerweise bei
Tauben vorkommenden Schwimmhäute und der bei verschiedenen
Vögeln als Speziesmerkmal, bei anderen nur ganz gelegentlich auf-
tretende weiße Halsring erwähnt. Es weisen derartige Trans-
versionen, die, soweit bekannt, dem alternativen Vererbungsmodus
folgen, darauf hin, daß in den einzelnen Artbildern zahlreiche nor-
malerweise nicht zum Vorschein kommende Elementareigenschaften
stecken, wie denn auch Klebs auf Grund experimenteller Unter-
') Vgl. Laug, S. 18 (1910).
*> Haccker 1909.
•) Vgl. Kap. 17, S. 171.
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278
Bedeutung der diskontinuierlichen Abänderungen.
suchungen an Pflanzen zu dem Ergebnis gelangt ist, „daß die in der
freien Natur vorhandenen Entwickelungsformen einer Spezies nicht
den gesamten Umfang der in ihrer Struktur liegenden Entwickelungs-
möglichkeiten ausmachen".
Die Schwimmhäute der Tauben sind rezessiv gegenüber dem normalen Ver-
halten (Staples-Browne). Der weiße Halsring des Phasianus torquatus erweist
sich, wie mir Herr Prof. A. Ghigi mitzuteilen die Freundlichkeit hatte, bei Kreu-
zungen mit Ph. colchicus als ein dominierendes Merkmal. Für die Analyse der
Entstehungsweise gerade dieses Merkmals besitzen wir insofern einen Anhaltspunkt,
als bei der Kreuzung von einfarbigen und holländischen (scheckigen) Kaninchen die
heterozygoten F\- Bastarde die Andeutung eines weißen Kragens zeigen (Bateson,
S.84. 1909).
Wie oben angedeutet wurde, besteht noch eine weitere wichtige Be-
rührung zwischen der Mendelforschung und der Mutationslehre- Ebenso
wie nämlich durch Mendel die ausgesprochen diskontinuierlichen
Merkmale und ihre Bedeutung für die Rassenbildung in den Vorder-
grund der Betrachtung gerückt worden sind, so nimmt auch deVries,
wie schon vor ihm Bateson (1894) an, daß die Bildung neuer
Varietäten und Arten nicht, wie sich Darwin und Weismann vor-
gestellt haben, im wesentlichen auf der kontinuierlichen oder
fluktuierenden (individuellen) Variabilität, auf einer allmählichen
Steigerung kleiner individuellerAbänderungen oder Fluktuationen,
sondern auf Sprung- oder stoßweise vor sich gehenden Prozessen,
durch welche in der Regel größere diskontinuierliche Ab-
änderungen, sogenannte Mutationen, geschaffen werden, beruhen.
Es wird später nochmals von der vererbungstheoretischen Bedeutung
dieser beiden Formen der Variabilität die Rede sein, hier soll nur noch
auf die große Verwirrung hingewiesen werden, welche auf diesem Ge-
biete in terminologischer Hinsicht besteht. Es werden namentlich
unter dem Begriffe der kontinuierlichen oder fluktuierenden Variabilität
sehr verschiedene Dinge verstanden, namentlich deshalb, weil man
in der Definition in der Regel auch die von Fall zu Fall experi-
mentell festzustellenden Erblichkeitsverhältnisse und ursächlichen
Faktoren einzuschließen bemüht ist >). Es empfiehlt sich aber vielleicht,
zwischen der kontinuierlichen und diskontinuierlichen Variabilität,
also zwischen Fluktuationen und Mutationen, zunächst nur eine rein
quantitative Unterscheidung zu machen: Die Fluktuationen sind
') So zeigt Plate, S. 71 ff., 286 (190H), daß Darwin unter Fluktuationen
erbliche, ricbtungslose, individuelle Schwankungen verstand, während de Vries und
neuerdings auch Johann sen damit die nichtei blichen Schwankungen um den
Typus meinen.
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Terminologisches.
279
danach geringfügige, nur kleine, vom Typus und untereinander ab-
weichende Variationen (Differentiale im mathematischen Sinne); die
retrogressiven und degressiven Mutationen de Vries' (Partial-
mutationen nach meiner, Sprungblasto Variationen nach Plates Ter-
minologie) sind rückschreitende oder neu wieder auftauchende Ab-
änderungen eines oder einiger weniger Merkmale von beträchtlichem
Ausschlag, also von stoß- oder sprungweisem Charakter, während unter
progressiven Mutationen vom Oenothera-Typus (Total-
mutationen nach meiner, Mutationen sens. strict. nach Plates Be-
zeichnungsweise) sprungweise Änderungen des ganzen Habitus zu
verstehen sind.
Es würde dann ferner von Fall zu Fall nachzuweisen sein, ob
die Abänderungen der verschiedenen Kategorien erbliche Varia-
tionen von zunächst internem Ursprung sind, welche durch
Veränderung der Vererbungssubstanz ohne unmittelbare Beeinflussung
durch bestimmte äußere Faktoren hervorgerufen werden (blastogene
oder Keimesvariationen im ursprünglichen Sinne Weismanns),
oder ob es sich um erbliche Abänderungen exogenen Ursprungs han-
delt, die unter der Wirkung der Lebensbedingungen durch parallele
Induktion von Sorna und Geschlechtszellen 1 ) ihre Entstehung nehmen
(erbliche Modifikationen, cxoblastogene [somatoblastogenel
Variationen), oder ob nichterbliche, durch äußere Faktoren bewirkte
Abänderungen des Sornas (somatogene Variationen nach Weis-
mann, Somationen nach Plate) vorliegen.
IL de Vries nimmt an, daß die Fluktuationen exogenen Ursprungs
und nichterblich, die Mutationen dagegen blastogenen Ursprungs und
erblich sind. Neuere, später zu besprechende Untersuchungen haben
aber gezeigt, daß diese Unterscheidung nicht festzuhalten ist.
c) Beziehungen zur Biotypenlehre Johannsens.
Wie mit der Mutationstheorie, so stehen die neugewonnenen An-
schauungen auch mit der Lehre Johannsens von den Populationen
und reinen Linien in engstem Zusammenhang. Nach Johannsen
stellt eine Population, d. h. die Bevölkerung eines Landes oder der
Bestand an Tieren bzw. Pflanzen einer gegebenen Art oder Rasse an
einer bestimmten Örtlichkeit, in vielen Fällen nicht eine Einheit dar,
sondern bildet eine Mischung von verschiedenen selbständigen, festen
•) Siehe Kap. 17. S. 164.
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280
Phänotypus und Biotypen.
Typen, den reinen Linien oder Biotypen, und ist dann als Schein-
typus oder Phänotypus zu bezeichnen. Wenn man einen solchen
Bestand in bezug auf ein einzelnes Merkmal variationsstatistisch unter-
sucht, d. h. wenn man z. B. das Samengewicht oder die relative Breite
von Bohnen, die „Schartigkeit" ') der Gerste, von Individuum zu
Individuum mißt und die einzelnen Längen, Gewichtsklassen usw. als
Abszissen, die Zahl der zu jeder Klasse gehörenden Individuen als
Ordinaten aufträgt, so erhält man, wenn die oberen Enden der Or-
dinaten verbunden werden, ein Häufigkeits- oder Variations-
polygon (Fig. 104), oder eine Galtonsche Kurve, welche im all-
Fig. 104.
150 200 250 300 350 1 400 450 500 650 600 650
368,4
Variationspolygon für das Samcngcwicbt einer Bohne. Nach Johannsen.
gemeinen symmetrisch ist und so unmittelbar zum Ausdruck bringt,
daß die mittleren Klassen durch die größte, die extremen durch die
kleinste Zahl von Individuen vertreten zu sein pflegen (Quetelet-
sches Gesetz) 8 ).
In Fig. 104 ist nach Johannsen die Variation des Sainengewicbts von 606
Bohnen dargestellt, welche die Ernte einer Saat von 25 Bohnen bildeten, die ihrerseits
die kleinsten Individuen einer Partie von braunen „Prinzeßbobnen" repräsentierten.
Es wurden in der Ernte 12 Gewichtsklassen (15« bis 200, 200 bis 250 usw. Milligramm)
') Unter Scbartigkeit der Gerste versteht man die Erscheinung, daß bisweilen
eine Anzahl der jungen Fruchtknoten sich nicht zu Körnern entwickelt und daß daher
leere Stellen in der reifen Ähre entstehen.
*) Variationskurven einfachster Art erhält man z. B. bei einzelnen durch
variable Stachelzahl ausgezeichneten Radiolarien. Vgl. Rad. Var. u. Artb.. S. 4.
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Phänotypus und Biotypen.
281
unterschieden und diese Klassen als Abszissen aufgetragen. Die Areale der Recht-
ecke entsprechen der in der betreffenden Klasse gefundenen Individuenzahl.
Beim ersten Anblick des Variationspolygons erscheinen derartige
Populationen oder Phänotypen als Einheiten, wenn man aber nach dem
zuerst von Louis Leveque de Vilmorin aulgestellten Isolations-
prinzip (Prinzip der individuellen Nachkommenbeurteilung)
die Nachkommen der einzelnen Mutterpflanzen separat untersucht und
unter fortgesetzter Selbstbefruchtung „reine Linien" zieht, so wird sich in
vielen Fällen der Nachweis führen lassen, daß ei ne; scheinbar einheitliche
General- und Spczialkurven für Phänotypus und Biotypen. Frei nach Lang.
Population oder ein Phänotypus in Wirklichkeit ein Gemenge von
mehreren eigentlichen Einheiten, den Biotypen (Elementararten), dar-
stellt, von denen jede, abgesehen von „fluktuierenden", um den Mittel-
wert schwankenden Varianten, sich bei Selbstbestäubung konstant von
Generation zu Generation forterhält. Die äußeren Eigenschaften dieser
Biotypen sind nach Johannsen durch besondere, trennbare und somit
selbständige, in den Gameten enthaltene „Zustände", „Grundlagen".
„Anlagen", durch die Gene, bestimmt; die Gesamtheit der Gene bildet
die genotypische Grundlage des Biotypus.
In dem oben angeführten Beispiele (Fig. 104) scheint die Nachkommenschaft
der kleinen Bohnen beim ersten Anblick des Variationspolygons ebenfalls einen ein-
heitlichen Typns zu repräsentieren. In Wirklichkeit besteht aber dieser Phänotypus,
obwohl die Muttersamen alle gleich groß waren, aus nicht weniger als 10 Biotypen
oder reinen Linien, von welchen 5, 7, 6 und 1 bzw. in die Größenklassen 300 bi$ 350,
Fig. 103.
71
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282
Phänotypus und Biotypen.
350 bis 400, 400 bis 450 und 500 bis 550 fallen. Unter den ausgewählten kleinen
Muttersamen befanden sich also verhältnismäßig viele, welche tatsächlich zu klein-
samigen Typen (unter 3SOmg), und nur ein einziger, welcher zu einem großsamigen
Typus (über 450 mg) gehörte.
In Fig. 105 ist zur Veranschaulichung des Verhältnisses zwischen der Gesamt-
variation des Pbänotypus und den „fluktuierenden" Variationen der einzelnen Biotypen
in vereinfachter Form ein von A. Lang gegebenes Schema dargestellt. Ähnlich wie
206 200 194 176 142 125 100 45
260 80
Phänotypus (A) und ein einzelner Biotypus (B) bei Paramaecium.
Nach Jcnnings.
im vorigen Schema (Fig. 104) sind auf der Abszisse die Längenklassen der Individuen
des Pbänotypus angegeben, während die (nur zum Teil gezeichneten) Ordinaten die
Zahl der zu jeder Längenklasse gehörigen Individuen darstellen. In die Gcneral-
kurve des Phänotypus sind die Spezialkurven der einzelnen, durch Vererbungs-
versuchc ermittelten Biotypen eingezeichnet. Für die Zeichnung hat sich die Größe
und Form der Spezialkurven aus der Überlegung ergeben, daß für jeden einzelnen
Punkt der Abszisse (z. B. 61,4 oder 65,4) die Ordinale der Gcneralkurve gleich der
Summe der Ordinaten der Spezialkurven sein muß.
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Faktoren und Determinanten.
283
Inwieweit Selektion das Bild einer Population beeinflussen kann,
soll weiter unten berührt werden. Hier sei nur hervorgehoben, daß
zu ähnlichen Vorstellungen auch schon Iljalmar Nilsson an der
schwedischen Saatzuchtanstalt von Svalöf gelangt war 1 ), und daß
später Elise Hanel bei Hydra (Tentakelzahl). Jennings bei Para-
raaecium (Körpergröße), Woltereck bei Cladoceren (Kopf höhe usw.)
die Ergebnisse Johannsens im wesentlichen bestätigen konnten.
Die Fig. 106 A zeigt nach Jennings die relativen mittleren Längen von acht
verschiedenen Biotypen einer Paramaecium-Kultur (die wirklichen mittleren Langen
sind unter den Umrissen in Mikromilliraetcrn angegeben). In Fig. 106 B ist der
Biotypus D der Fig. 106 A mit seinen zwischen Sound 250 Mikromillimetern liegenden
Fluktuationen dargestellt.
Daß zwischen diesen Ergebnissen und denjenigen der Mendel-
forschung bezüglich der Annahme von selbständigen Erbeinheiten
eine vollständige Übereinstimmung besteht, braucht nicht näher aus-
geführt zu werden.
d) Beziehungen zu der Determinantenlehre.
Was das Verhältnis zu den morphobiologischen Vererbungs- und
Artbildungstheorien anbelangt, so ist ohne weiteres ersichtlich, daß
die Feststellung zahlreicher selbständig sich vererbender Merkmale der
Determinantcnlehre oder Korpuskularhypothesc Weismanns
in gewissem Sinne entgegenkommt 2 ). Die Determinanten Weismanns
würden in der Tat eine Art von morphologischem Gegenstück zu
den als Einheiten von mehr physiologischem Charakter gedachten
„Faktoren" bilden, wofern sie wirklich als materielle Teilchen im
Sinne Weismanns aufgefaßt werden. Neuerdings hat Castle») eine
Brücke zwischen beiden Vorstellungsweisen hergestellt, indem er sich,
ausgehend von den Färbungs- und Zeichnungsrassen der Kaninchen,
die in der Keimzelle enthaltenen Faktoren in analoger Weise ketten-
artig verbunden denkt, wie etwa die Determinanten im Id. Er stellt
demgemäß Erbformeln auf, ähnlich den chemischen Formeln, durch
welche die Anordnung und Verkettung der Atome im Molekül zum
Ausdruck gebracht werden soll. Die Formel für die genotypische
l ) Vgl. Johannsen, S. 6 (igoj). S. 162 (1909). Vgl. auch Barbers Unter-
suchungen an Bakterien.
*) Vgl. auch Thomson. S. 369.
8 ) Castle 1910. Vgl. auch Längs Ref. 1010.
4
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284
Kaktoren und Determinanten.
Konstitution des homozygoten wildgrauen Kaninchens würde danach
lauten :
oder besser (nach Lang):
Uü
aa—cc—yy( BB \ee.
JJ
In dieser besonderen Zusammenstellung der Indices für die ein-
zelnen Faktoren stellt der Faktor (\ der ganz allgemein die Bildung
einer chromogenen Substanz bedingt, eine Art von Kern dar, mit
dem alle anderen Faktoren direkt oder indirekt verbunden sind. Es
soll dadurch zum Ausdruck kommen, daß ohne die Anwesenheit dieses
Faktors C überhaupt keine Farbe zur Entwickelung kommen kann.
Die übrigen Faktoren sind: A (Aguti-Faktor)»), U (Uniformitätsfaktor,
bewirkt die gleichmäßige Verteilung des Pigments, also Einfarbigkeit) 2 ),
./ (Intensitätsfaktor, bewirkt starke, dichte Pigmentbildung) 3 ), Y (Faktor
für Gelb), Br (Faktor für Braun), B (Faktor für Schwarz)«) sowie ein
Faktor E (extension factor, bewirkt gleichmäßige Verteilung des
braunen und schwarzen Pigments über die mit gelbem Pigment ver-
sehenen Körperpartien) 6 ). Die Formel bringt durch die Stellung der
Indices im besonderen noch zum Ausdruck, daß B und Br bei den
Kaninchen nur zur Geltung kommen, wenn schon F vorhanden ist, und
ferner, daß E nur auf B und Br einwirkt.
Für ein komplett homozygotes einfarbig schwarzes Tier, bei
welchem der epistatische Aguti-Faktor fehlt, würde die Erbformel (in
der von Lang vorgeschlagenen Verbesserung) lauten:
Uü
| , BB.
aa—CC—YY( >EE usw.
| ^BrBr'
JJ
') Siehe oben S. 2~i.
*) Siehe oben S. 260. Bei seinem Fehlen tritt Scheckzeichnung auf.
3 ) Siehe oben S. 266. 260. Bei seinem Fehlen tritt Auflockerung (Dilution) des
Pigments, also Blau- oder Cremefarbung, ein,
*) — N bei Cu£not. Siehe oben S. 265.
% ) Seine Abwesenheit bewirkt Beschränkung von Braun und Schwarz auf Augen
und Extremitäten.
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Mendelforschung und Seleklionstheorie.
285
e) Beziehungen zur Selektionstheorie.
Sehr umstritten ist noch die Frage, inwieweit durch die neuen
Ergebnisse die Grundlagen der Selektionstheorie Darwins berührt
werden. In dieser Richtung können hier nur einige Andeutungen
gegeben werden. Beim ersten Bekanntwerden der neuen Tatsachen
wurde hauptsächlich die Größe der Variation ohne Rücksicht auf
ihr Zustandekommen betont und die Frage erörtert, ob als Angriffs-
punkte für die natürliche Zuchtwahl nur sprungweise Variationen,
sei es Mutationen des ganzen Habitus vom Oenothera-Typus, sei es
stoßweise, durch diskontinuierliche Abänderungen einzelner Merkmale
entstandene Aberrationen (Partialmutationen), in Betracht kommen,
oder ob auch eine allmähliche (gleitende), erbliche und daher von
Generation zu Generation um kleine Differentiale fortschreitende
Variabilität, also im wesentlichen das, was schon Darwin als in-
dividuelle fluktuierende Variabilität bezeichnet hat, das Material für
die Selektion darbietet. Die Antwort lautete verschieden: während
de Vries nur die erstere Möglichkeit annahm, wurde namentlich von
Weismann hervorgehoben, daß so komplizierte Anpassungen, wie es
die Zeichnung der Blattschmetterlinge, die Augen der Tiefseefische
sind, unmöglich bloß durch Häufung und Steigerung von vereinzelt
vorkommenden und richtungslosen sprungweisen Mutationen ent-
standen sein können. Auch haben Weismann u.a. auf die Existenz
sogenannter morphologisch - geographischer Formenketten 1 )
hingewiesen. Solche liegen dann vor, wenn die in benachbarten Ge-
bieten vorkommenden Lokalformen kontinuierlich ineinander über-
gehen, und die nächstliegende Erklärung ist offenbar die, daß sie auf
dem Wege einer kontinuierlichen Entwickelung unter fortgesetzter
Wirkung der Selektion zustande kommen. Formenketten dieser Art
haben die Gebrüder Sarasin und Plate für die Landschnecken von
Celebes und von den Bahamas, ich selbst für die Radiolarien nach-
gewiesen, und Davenport zitiert in diesem Zusammenhang den nord-
amerikanischen Singsperling (Melospiza), von welchem westlich der
Rocky Mountains nicht weniger als 16 Subspezies oder klimatische
Variationen unterschieden werden»).
*) Vgl. Weismann, Vorträge II. S. 251 ; Plate 1907; Haecker, Tiefsee-Rad..
S. 660; Rad. Var. n. Artb., S. 15.
*) Nach einer Zusammenstellung im Amer. Mus. of Nat. Hist. in New York.
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286 Übergänge zwischen Fluktuationen und Mutationen. Variabilität bei Radiolai ien.
Nun läßt sich aber die Gegenüberstellung von sprungweisen und
kontinuierlichen Variationen nur schwer durchführen, schon deshalb,
weil auch solche Variationen, welche im übrigen durchaus den Charakter
und das Verhalten de Vries scher Mutationen haben, in ihrer äußeren
Erscheinung keineswegs besonders beträchtlich zu sein brauchen und
daher vielfach kaum von den fluktuierenden Abänderungen Darwins
zu unterscheiden sind. Überdies kann durch das Zusammenwirken
mehrerer selbständiger diskontinuierlicher Faktoren sehr leicht das
äußere Bild gleitender Übergänge zustande kommen, wie dies
Lang bezüglich der gleich zu besprechenden Ergebnisse Castles
wahrscheinlich zu machen versucht hat 1 ), und umgekehrt ist es sehr
wohl denkbar, daß durch kontinuierliche Abänderungen des Art-
plasmas bzw. der „Faktoren" sprungweise Abänderungen des äußeren
Artbildes zustande kommen können, wie ich in einem Falle für
Radiolarien wahrscheinlich machen konnte 2 ).
Wie die gallertgefüllten KiesclrÖhren der Aulacanthiden (S. 36. Fig. 10), so
entstehen auch die Skelettelcmcntc der Aulosphäriden , Castanellidcn und anderer
Tripyleenfamilicn in der Weise , daß zunächst innerhalb des Protoplasmaleibes läng-
liche Gallerttropfen („Vakuolen" oder „Alveolen") gebildet werden, deren „Vakuolen-
haut" später verkicselt. Ein Unterschied gegenüber den Aulacanthiden besteht nur
darin, daß die Bildung der Gallertvakuolen im Anschluß an die zuerst abgeschiedenen
kicseligen „Primilivnadeln" (Fig. 107 A, H, pn; C) crlolgt. Wenn nun die länglichen,
die feinen Primitirnadcln umschließenden Gallertvakuolen (D) bis zur Verkicselung
selbständig bleiben, so entsteht ein Maschenwerk von selbständigen Skclettröbrcn
(Aulosphäriden, Fig. 107 A»£), Hießen sie dagegen infolge stärkerer Kohäsion
vor der Verkie seiung zusammen, so bildet sich eine Gitterschale (Castanelliden,
Fig. 107 B). Der Unterschied in der Kohäsion kann unmöglich bedeutend sein , da
in einem Falle innerhalb desselben einzelligen Individuums nebeneinander beide
Konstruktionstypen beobachtet wurden.
Es entscheidet also in diesem Falle eine vielleicht nur minimale Differenz
in der Kohäsion der gallertigen Grundsubstanz des Kieselskclctts darüber, ob das
aus lauter einzelnen hohlen KiesclrÖhren zusammengesetzte regelmäßige Mascbcnwcrk
der Aulosphäriden (Fig. 107 A) oder die äußerlich ganz verschiedene, von
runden, fensterartigen Poren durchbrochene Gitterschale der Castanelliden (Fig. 107 B)
zur Ausbildung kommt.
Mit der einfachen quantitativen Unterscheidung zwischen dis-
kontinuierlicher und kontinuierlicher Variation ist also in der Frage
nach der Wirkung der Selektion nicht weiterzukommen und es
wurden zunächst verschiedene Versuche gemacht, für die Hauptformen
der Variabilität, unter Berücksichtigung der Erblichkeitsverhältnisse und
der die Variation verursachenden Faktoren, eine genauere Definition
') Vgl. Lang, Erbl. d. Ohrenlänge, 101O.
*) Tiefsee-Rad., S. 660; Transvers., S. 461.
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Wirkung der Selektion nach Johannsen.
287
zu geben und die Bedeutung der so umschriebenen Variationstypen
für die Selektionsprozesse festzustellen.
Einen besonders scharf präzisierten Standpunkt hat Johannsen
eingenommen, indem er die diskontinuierlichen, genotypischen
Fig. 107.
A Maschenwerk einer Aulosphäride (Aulastrum) und B Gitterschale einer
Castanellide (Castanidium). C— E Entstehung des Maschenwerks einer Aulosphäride
(Aulosphaera).
(auf einer Abänderung der genotypischen Grundlage beruhenden),
erblichen Unterschiede, durch welche die einzelnen Biotypen einer
Population gekennzeichnet sind, und die fluktuierenden, persön-
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288
Wirkung der Selektion nach Johannsen.
liehen (bei fester genotypischer Grundlage auftretenden), nichterb-
lichen Unterschiede, welche in den Variationskurven der einzelnen
Biotypen zum Ausdruck kommen, einander gegenüberstellt Das Vor-
kommen genotypischer Verschiebungen, d. h. kontinuier-
licher (gleitender) Abänderungen der genotypischen Grundlage, will
Johannsen allerdings nicht vollständig in Abrede stellen, jedoch
glaubt er, daß bisher keine beweisenden Beobachtungen vorliegen.
Einen wichtigen Punkt bildet jedenfalls in der Auffassung
Johannsens die genotypische Festigkeit, d.h. die relative Dauer-
haftigkeit der einzelnen Biotypen. Neue Biotypen werden nach
Johannsen, soweit sichere Beobachtungen zur Verfügung stehen,
nur auf dem Wege einer stoßweisen Änderung oder Mutation ge-
wonnen; eine solche erfolgt nur zeitweise, und somit stehen also
der Selektion nicht, wie Darwin und Weismann annehmen, zu
jeder Zeit zahlreiche richtungslose erbliche Variationen kleineren und
kleinsten Umfangs und kontinuierlicher Art zur Verfügung. Denn
die persönlichen Fluktuationen um den einzelnen Biotypus herum
sind ja nach Johannsen mindestens in der Regel nichterblich.
Die Selektion erstreckt sich also nur auf die innerhalb eines
Phänotypus vorkommenden, durch einzelne Merkmale oder ganze
Merkmalskomplexe diskontinuierlich unterschiedenen Biotypen
oder reinen Linien, und zwar in der Weise, daß sie die günstigen
Biotypen unter Ausmerzung der ungünstigen isoliert. Sie kann
beispielsweise innerhalb eines Phänotypus die größten oder kleinsten
erblichen Typen isolieren und so den Mittelwert des gesamten
Phänotypus nach der einen oder anderen seiner beiden Variations-
grenzen hin dauernd verschieben. Darauf beruht die Erfahrungstat-
sache, daß sich die Selektion im Anfang, d. h. solange innerhalb
eines Phänotypus noch eine größere Zahl von Biotypen zur Verfügung
stehen, in sichtbarer Weise als wirksam erweist, daß aber die Grenzen
ihrer Wirksamkeit bald erreicht sind, sobald nämlich der einzelne
Biotypus isoliert ist. Die nichterblichen Fluktuationen im einzelnen
Biotypus kommen nach Johannsen für die Selektion nicht in Be-
tracht, und so werden in dem durch Selektion isolierten Biotypus die
fluktuierenden Plus- und Minusvariationen im alten Umfang weiter-
bestehen.
Für die Auffassung, daß die fluktuierenden Plus- und Minus-
variationen durch die Selektion nicht beeinflußt werden, findet
Johannsen in seinen Experimenten eine Stütze. Weder das Samen-
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I
Wirkung der Selektion. 289
gewicht und die relative Breite der Bohnen, noch die „Schartigkeit"
der Gerste konnte innerhalb der einzelnen reinen Linien durch Selek-
tion modifiziert werden. Unabhängig von der persönlichen Be-
schaffenheit des Mutter- und Großmutterindividuums, d. h. unabhängig
von der Größe des Ausschlages, welche diese letzteren gegenüber dem
Biotypus zeigen, wird der durchschnittliche Charakter der Nach-
kommen einzig durch diesen bestimmt. Die Annahme Galtons,
daß die Beschaffenheit der Nachkommenschaft (ihre Abweichung vom
Durchschnittscharakter der gegebenen Population) durchschnittlich
betrachtet eine bestimmte Funktion der Beschaffenheit der verschieb
denen Ahnengenerationen sei") und daß der Rückschlag nach dem
Regressionsgesetze erfolge«), erhält durch die Experimente keine
Stütze.
In ähnlicher Weise hat Jennings bei Paramaecium die Wirkung
der Selektion formuliert, und ebenso sind Pearl und Surface auf
Grund langjähriger Untersuchungen zu dem Resultat gekommen, daß
bei Plymouth-Rock-Hühnern durch Selektion von kontinuierlichen
(fluktuierenden) Variationen keine Steigerung der Fruchtbarkeit inner-
halb einer Linie erzielt werden kann.
Auf der anderen Seite liegen aber doch auch Beobachtungen vor,
welche auf die Möglichkeit einer genotypischen Verschiebung, d. h.
einer allmählichen Umprägung des Biotypus unter der Wirkung der
Selektion hindeuten und damit eine größere Bedeutung der kon-
tinuierlichen Variabilität für die Artbildung erkennen lassen »).
So hat Castle den Nachweis zu führen versucht, daß der lang-
ohrige Charakter der „Widderkaninchen" ein durch Selektion
langsam aufgebautes Merkmal sei. Bei Kreuzung von Langohren
mit Kurzohren hatte er nämlich Halbblutlangohren mit intermediärer,
bei Inzucht der Halbbluttiere konstant sich vererbender Ohrenlänge
erhalten, ebenso entstand bei Kreuzung von Halbblutlangohren mit
Vollblutlangohren eine Bastardrasse von Dreiviertelblutlangohren,
deren Ohrenlänge ungefähr in der Mitte zwischen derjenigen der
Halbblut- und Vollblutlangohren lag und sich bei Weiterzucht eben-
falls konstant erhielt usw. Aus der Möglichkeit, den Langohrcharakter
l ) Vgl. s. 14.
') Vgl. s. 15.
■) Auch Johannsen (S. .157. IQOQ) hat. wie oben angedeutet, eine solche geno-
typische Verschiebung, falls es sich um sehr lange Generationsreihen handelt, als
nicht unmöglich, wenn auch als sehr unwahrscheinlich bezeichnet.
Hae - ker, Vererbungslehre. j ()
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Wii kung der Lebenslage.
in dieser Weise abzubauen und jede einzelne Zwischenstufe erblich
zu fixieren, schloß Castle umgekehrt, daß jener nicht diskontinuier-
lich entstanden sei, wie wahrscheinlich die mendelnden Charaktere,
sondern ganz allmählich auf Grund von Selektionsprozessen ').
Die Ergebnisse Castles sind trotz ihrer mathematischen Fassung
nicht ganz eindeutig, denn bei der intermediären Ohrenlänge könnte
es sich nach Lang 2 ), ähnlich wie in den von Nilsson-Ehle be-
schriebenen Fällen 8 ), um die kumulative Wirkung mehrerer oder gar
vieler separater gleichwertiger mendelnder Faktoren für die Ohren-
länge handeln. Immerhin weisen die Befunde auf die Möglichkeit
einer kontinuierlichen „genotypischen Verschiebung" unter der
Wirkung der Selektion hin, wie ja eine solche den Befunden Kam-
merers und Wolterecks zufolge auch unter dem Einfluß der
Lebenslage vorkommt*). Wenigstens liegt keine Veranlassung zu
der Annahme vor, daß in den von Kammerer beobachteten Fällen
die künstlich erzielten, erblichen Veränderungen einen sprungweisen,
diskontinuierlichen Charakter haben. Auch Woltereck hat ausdrück-
lich im Gegensatz zu Johannsen festgestellt, daß bei Cladoceren
durch Vertauschung der Milieubedingungen zweier Biotypen eine
kontinuierliche Reihe von Übergängen hergestellt werden kann
und er hat die Ansicht gewonnen, daß die Lokalformen der Daphnien
durch kontinuierliche, milieubestimmte Veränderung entstanden seien.
f) Entstehung der Erbeinheiten.
Ebenso wie die Ergebnisse der Mendelforschung zusammen mit
denjenigen von de Vries und Johannsen die Weiterentwickelung
der Selektionslehre beeinflußt haben, so ist auch das alte Problem
der Wirkung der Lebensbedingungen auf die Entstehung
erblicher Variationen durch die neugewonnenen Ergebnisse und
Anschauungen in mehrfacher Hinsicht berührt worden.
Fast allgemein wird angenommen, daß die mendelnden Charaktere,
bzw. die hinter ihnen stehenden Erbeinheiten nicht bloß in ihrem
') Auf einen ähnlichen Fall habe ich schon vor längerer Zeit aufmerksam ge-
macht. Die Bastarde Ursus maritimus <f X U. aretos § sind in bezug auf die Form
des Kopfes und der Färbung intermediär. Bei Rückkreuzung der /^-Bastarde mit
dem Vater findet in beiderlei Hinsicht eine weitere Annäherung an diesen statt.
Näheres S. 178 (Km).
*) Lang, Ohrenlänge, 190O.
") Siehe oben S. 212.
*) Vgl. Kap. 17.
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Knospenvai iationen.
291
gegenseitigen Verhältnis diskontinuierlicher Art sind, sondern daß
dies, was übrigens keineswegs selbstverständlich ist, auch für ihre
Entstehung gilt, d. h. daß sie auf mutativem Wege entstanden
sind. In der Tat ist das spontane Auftreten einzelner mendelnder
Charaktere wiederholt beobachtet oder wahrscheinlich gemacht
worden. Hierher gehört das plötzliche Auftreten von Mclanisten bei
Schmetterlingen (z. B. beim Birkenspanner, Amphidasis betularia,
nach Standluß) 1 ), das unvermittelte Erscheinen von totalen oder
partiellen Albinos bei „ halbdomestizierten " Vögeln (Amsel, Haus-
rotschwan/., Haussperling, Haus- und Rauchschwalbe).
Aul botanischem Gebiete liegen ebenfalls verschiedene Angaben
vor. Von großem Interesse sind namentlich die erblichen Knospen-
variationen, auf welche namentlich Darwin und de Vries die
Aufmerksamkeit gelenkt haben 2 ). Vielfach handelt es sich um
Nachwirkung vorhergegangener Kreuzungen, in anderen Fällen scheint
aber die spontane Entstehung sicher zu sein. So treten bei der
Kartoffel in offenbar nicht seltenen Fällen sprungweise Variationen
auf, die sich bei asexueller Vermehrung durch Knollen als erblich
erweisen. Soweit bisher bekannt, handelt es sich dabei stets um
solche retrogressive Mutationen, welche bei der geschlechtlichen
Fortpflanzung ein rezessives Verhalten zeigen: an Stöcken mit roten
Knollen entstehen weiße Knollen, die längliche Gestalt der Knollen
springt in die runde über und statt flachliegender Augen treten tief-
liegende auf 3 ). In ähnlicher Weise kommen an „varicgata"-Exemplaren
von Mirabilis Jalapa mit grünfleckigen Blättern tiefgrüne Sprosse zur
Entwicklung, also eine Variation, die bei der Bastardierung gegen-
über dem variegata- Typus dominierend ist*). Auch die spontane
Entstehung neuer Formen von Winterweizen ist hieher zu rechnen »).
Welche Ursachen die Entstehung von derartigen Mutationen von
mendelndem Charakter hervorrufen, darüber ist noch sehr wenig be-
kannt, doch wird man im Gegensatz zu de Vries vielfach an Fak-
toren klimatischer Art denken dürfen. So traten nach Simroth 6 ) im
Jahre 190g, wie er glaubt, sAs Folge der Trockenheit und Wärme des
') 1898, s. Literaturverzeichnis 17.
*) Vgl. namentlich de Vries, S. 070 (190.5) und Cramer 1907.
*) Hast 1909.
4 ) Correns 1910. Vgl. S. 231, Ann». 4.
') Vgl. Nilsson-Ehle. Sver. Iltsäd. Tidskr. lOtXj (zitiert bei Fruwirth. Journ.
Landw.. S. 301. 1908).
•) Biol. Centralbl.. 25. Bd.
19*
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292 Entstehung der Mutationen.
Sommers, in Mitteldeutschland besonders viele Albinos (besonders bei
Amseln) und Melanisten (beim Haussperling, bei der Brandmaus und
beim Hamster) auf, ebenso könnte auch das in den einzelnen Jahr-
gängen besonders häufige Vorkommen schwarzer Eichhörnchen auf
klimatische Verhältnisse zurückgeführt werden M, wie ja auch die Zu-
sammendrängung melanistischer Tierformen in bestimmten Gebieten
(z. B. im Schwarzwald) auf einen Einfluß klimatischer Faktoren hin-
weist 2 ).
Auch die Befunde von Tower 8 ) dürfen in diesem Zusammenhange
genannt werden, da es sich um mendelnde Charaktere handelt, die
unter der Wirkung äußerer Faktoren diskontinuierlich entstanden
sind 4 ).
Daß auch die kontinuierlichen Variationen durch die
spezielle Lebenslage hervorgerufen werden können, und daß dies ins-
besondere für die sogenannten Standortsmodifikationen sicher-
steht, wird allgemein anerkannt, und durch die Versuche Kammerers
und Wolterecks ist neuerdings gezeigt worden, daß kontinuier-
liche, durch künstliche Lebensbedingungen hervorgerufene Verschie-
bungen erblich fixiert werden können, derart, daß auch bei Zurück-
versetzung in die ursprüngliche Lebenslage die Nachkommen zunächst
den neugewonnenen Typus beibehalten.
Bei der geringen Anzahl unzweideutiger Experimente, welche
bisher vorliegen, ist es im übrigen noch nicht möglich, die verschie-
denen, hier berührten Formen der Variabilität schärfer gegeneinander
abzugrenzen, wie denn auch auf diesem speziellen Gebiete noch keine
Definition und noch keine These zu allgemeiner Anerkennung gelangt
ist. Manche Formen von Variationen, wie z. B. die meristischen
(numerischen) Variationen der tripyleen Radiolarien 6 ), sind bis
jetzt in keiner der üblichen Rubriken unterzubringen, und eine größere
Klarheit wird wohl erst dann eintreten, wenn wir in das Wesen der
hinter den äußeren Eigenschaften stehenden Erbeinheiten, Elementar-
eigenschaften oder Gene tiefer eingedrungen sein werden.
') Vgl. Grob, S. 55,] (t<*j6), Literaturverzeichnis 22 u. 23.
*) Vgl. Kl u nz inger, C.B., Über Melanismus bei Tieren. Jahrcsh. Ver. Vaterl.
Naturk. Württ. 1903.
•) Vgl. S. 107.
*) Vgl. auch Johannsen, S. 450 (1909).
*) Vgl. Ticfseo-Radiolarien, S. 056; Rad. Var. u. Artb., S. 13.
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Gallons Gesetze.
g) Beziehungen zu den Galtonschen Gesetzen.
Ganz kurz sei zum Schluß nochmals auf die Beziehungen
zwischen den Mend eischen Regeln zu den statistischen Gesetzen
Galtons 1 ) hingewiesen. Von verschiedenen Vertretern der variations-
statistischen (biometrischen) Schule Galtons, so besonders von Dar-
bishire 2 ), ist versucht worden , # beide Aufstellungen miteinander
in Einklang zu bringen. Danach sollen die Galtonschen Gesetze
rein statistische, für Massen gültige Formulierungen sein. Auf der
anderen Seite ist, namentlich von Bateson, eine allgemeinere Gültig-
keit der Galtonschen Thesen überhaupt in Abrede gestellt worden.
Nach Bateson kann allerdings zufälligerweise eine scheinbare
Gültigkeit bestehen, wie denn auch die arithmetischen Resultate der
Kreuzungen DR x RR und DR x DR durch Galton korrekt
vorhergesagt worden seien 3 ). Auch Johannsen«) hebt hervor, daß
(i alt ons Vererbungsgesetze keine biologischen Gesetze seien, sondern
nur der Ausdruck dafür, daß bei den betreffenden Untersuchungen
mit unreinem Material gearbeitet worden sei.
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') Siehe Kap. 3, S. 13.
*) Siehe Literaturverzeichnis 2.
a ) Bateson und Saunders, S. 116 (1902); Bateson, S. 129 (1909).
*) S. 163 (1909).
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294
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Woltoreck. R.. 1900. s. Literaturverzeichnis 17, S. 179.
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Ac h tu nd zwanzigstes Kapitel.
Praktische Bedeutung der Mendelforschung
für die Tierzucht.
Die praktische Bedeutung der Hauptergebnisse von Mendel
und seinen Nachfolgern, sowie von de Vries und Johannsen
wird auf dein Gebiete der Pflanzenzucht bereits in vollem Umfange
anerkannt, und eine ganze Reihe von Instituten für Pflanzenbau-
lehre hat sich mit großer Energie der neuen Errungenschaften an-
genommen, um ihre praktische Verwendbarkeit zu prüfen. Es ist
zweifellos, daß die von den Arbeiten Tschermaks und Fruwirths,
Johannsens und der Svalöfer Schule ausgehenden Gedanken
und Anregungen sehr bald auch in der praktischen Landwirtschaft
zu wichtigen Neuerungen und Erfolgen führen werden. Viel zurück-
haltender haben sich bisher die Tierzüchter gegenüber den Fort-
schritten der Erblichkeitslehre verhalten. Alle die Gründe, aus welchen
sich überhaupt die Tiere für die Verfolgung der Vererbungserschei-
nungen weniger als die Pflanzen eignen, ihre größere Sprödigkeit
gegenüber dem Experiment, die Unmöglichkeit einer Selbstbefruchtung,
ihre langsame Geschlechtsreife und geringere Fruchtbarkeit spielen
natürlich bei dein wertvollen Haustiermaterial eine besonders wich-
tige Rolle, zum Teil haben aber auch mehr zufällige und äußere
Gründe, vor allem die Festlegung durch andere wissenschaftliche Auf-
gaben, dazu beigetragen, daß auch da. wo Mittel und Material vor-
handen gewesen wären, die neueren Methoden und Ergebnisse noch
nicht in wünschenswerter Weise auf die eigentlichen Nutztiere über-
tragen worden sind.
Für die praktische Tierzucht kommen nun offenbar hauptsächlich
folgende beiden Punkte in Betracht: 1. der Nachweis, daß sich zahl-
reiche unter den unterscheidenden Rassenmerkmalen bei der V ererbung
als diskontinuierliche, selbständige und spaltbare Ein-
heiten verhalten, und 2. die Vorstellung, daß die äußeren Charaktere
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21/)
Instabilität der Rassen.
durch Faktoren, Elementareigenschaften oder Erbeinheiten bedingt sind,
und zwar vielfach in der Weise, daß das Zustandekommen eines an-
scheinend einheitlichen äußeren Merkmals an das Zusammentreten
mehrerer Faktoren in einer Zygote geknüpft ist.
4
Daraus ergaben sich für die praktische Tierzucht zunächst einige
Winke für das Verständnis einiger allbekannter und bisher
wenig geklärter Erscheinungen, dann aber auch verschie-
dene Lehren in positiver und negativer Richtung.
Erklärt wird vor allem die den Tierzüchtern geläufige Instabi-
lität vieler Formen '), das Auftreten von „ Zwischen rassen" (de Vries)
oder „ever sporting varieties" (Punnett). Hier kann es sich allerdings
um spontane sprungweise Abänderungen oder auch um „Umschläge",
d. h. um nichterbliche, durch bestimmte Bedingungskonstellationen her-
vorgerufene, sprungweise Modifikationen handeln (Baur). Nicht selten
weiden aber intermediäre heterozygote Formen (DK-Formen) vor-
liegen, die bei der Weiterzucht immer wieder der Aufspaltung an-
heimfallen. Wenn z. B. nach einer alten Erlahrung der Kanarien-
züchter Vögel mit langen, liegenden, symmetrisch vom Scheitel ab-
stehenden Federn, wie sie auf den Ausstellungen gewünscht werden,
niemals rein fortgezüchtet werden können, so erklärt sich dies da-
durch, daß die betreffenden Formen als intermediäre Heterozygoten
durch die Kreuzung von Vögeln mit krausen aufrechten Hauben (/))
und Glattköpfen (K) erhalten werden. Bei ihrer Weiterzucht werden
daher neben den gewünschten DK-Formen stets auch DD- und JtR-
Individuen auftreten.
Überhaupt wird man in der Regel finden, daß intermediäre oder
neue Formen, die durch Kreuzung zweier reiner Rassen entstanden
sind, sich nicht rein weiterzüchten lassen, und daß nur in verhältnis-
mäßig seltenen Fällen intermediäre l\ - Bastarde den Ausgangspunkt
für konstante Bastardrassen bilden»). Man hat sich das Zu-
standekommen der letzteren wohl dadurch zu erklären, daß die im
1\ -Bastard vereinigten „antagonistischen" Merkmale eine dauernde
Verkoppelung oder Fusion irgendwelcher Art eingehen.
Eine Instabilität der Rasse kann sich auch darin äußern, daß in
durchaus unregelmäßiger Weise ungewöhnliche Aberrationen, die
„Sports" der Züchter, die „Single variations" .Darwins auftreten.
') Vgl. auch Batesonund Sa und eis, S. (1902); Uateson. S. 298(1909).
■) Vgl. Kap. 21, S. 211 und Kap. .'7, S. 280.
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Latenz. Rückschläge.
297
Auch hierbei können, falls es sich nicht um Umschläge oder spon-
tane Mutationen handelt, Spaltungs- und Neukombinationsvorgänge
M endelscher Art die Ursache sein. Wenn z. B. in einer weißen
Schafherde von Zeit zu Zeit ein schwarzes Individuum zum Vor-
schein kommt, so könnte allerdings dabei an eine wirkliche Mutation
gedacht werden, wahrscheinlicher aber ist es, daß in solchen Fällen
Mendelprozesse vorliegen. Entweder könnte nämlich das (domi-
nierende) Weiß der Mehrzahl der Schafe auf der Anwesenheit eines
epistatischen Faktors S beruhen, welcher die Entwicklung der Pig-
mentierung verhindert. Es werden dann schwarze Schafe entstehen
können, wenn eine Kreuzung zwischen zwei in bezug auf S hetero-
zygoten Tieren (Ss x Ss) erfolgt Oder es wird die schwarze
Farbe durch zufalliges Zusammentreffen zweier oder mehrerer komple-
mentärer Faktoren bewirkt, welche von verschiedenen weißen Indi-
viduen mitgeführt werden, ebenso wie bei Mäusen das Auftreten der
Graufarbung an das Zusammentreffen zweier komplementärer Faktoren
(C und G) geknüpft ist 2).
Früher hätte man in solchen Fällen wohl auch gesagt, daß die
schwarze Farbe in den weißen Tieren „latent" vorhanden sei. In-
dessen haben die neueren Untersuchungen von Bateson, Tscher-
mak, Shull u. a. ergeben, daß man unter Latenz bisher sehr ver-
schiedene Dinge verstanden hat, es ist also, wie Johanns en sagt,
der Begriff der Latenz zu den in voller Auflösung befindlichen zu
rechnen.
Ähnliches gilt für diejenigen Fälle, in welchen der Tierzüchter
bisher von Rückschlag oder Atavismus gesprochen hat Auch
dieser Begriff ist seit einigen Jahren in sichtlicher Umwandlung
begriffen. Schon de Vries 3 ) hat hier den Hebel angesetzt, aber
namentlich durch die neugewonnenen Vorstellungen von der Ent-
stehung und Spaltbarkeit zusammengesetzter Charaktere ist manche
Klärung herbeigeführt worden. Im ganzen handelt es sich wohl bei
einem Rückschlag auf die wirkliche, historisch nachweis-
bare Stammform*) um das Zusammentreffen zweier oder mehrerer
') Vgl. Bateson, S. 104 (19^9).
*) Siehe oben S. 231.
*) Mutationslheoric, I. Teil, S. 48.'.
4 ) Also beim physiologischen Atavismus nach de Vries (im Gegensatz
zum phylogenetischen Atavismus, d.h. dem Rückschlag auf die nur auf Grund
systematischer Untersuchungen angenommene Stammform).
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208
Piaktische Winke.
getrennter Faktoren. Es findet also nicht, wie man früher vielfach
annahm, ein vollständiges Neuauftreten alter verschwundener Merk-
male statt, vielmehr sind die betreffenden Erbeinheiten, durch deren
Kombinierung die Charaktere der Stammform gebildet werden, in
den verschiedenen Aszendenten stets, wenn auch in isoliertem Zu-
stande, vorhanden gewesen.
Etwas anders liegen wohl die Dinge bei den Temperaturaberra-
tionen der Schmetterlinge. Wenn nämlich bei diesen ein teil weises
Wiederauftreten „atavistischer" Charaktere ») wahrzunehmen ist, so
mögen dabei Ausfallerscheinungen mit im Spiele sein: die starken
äußeren Reize bewirken, daß gewisse epistatische, im Laufe der
Stammesgeschichte hinzugekommene und für das betreffende Artbild
charakteristische („phylogenetisch neue") Faktoren nicht zur Geltung
kommen und infolge des Freiwerdens hypostatiseher Faktoren „phylo-
genetisch ältere - Eigenschaftskombinationen zur Entfaltung kommen.
Die neugewonnenen Ergebnisse werfen schließlich noch ein Licht
auf solche Abänderungen, welche bei Versetzung einer Kasse in ein
anderes Klima scheinbar unter der direkten Wirkung kli-
matischer Faktoren zustande kommen, in Wirklichkeit aber
möglicherweise doch als Wirkung einer Durchkreuzung mit domi-
nierenden Rassen aufzufassen sind. Es sei hier an den früher erwähnten
Fall der Karakulschafe erinnert 4 ).
Ein praktischer Wink in negativer Richtung ist durch
den Hinweis daraufgegeben, daß der künstlichen Selektion wenig-
stens in gewissen Fällen anscheinend ganz bestimmte Grenzen ge-
zogen sind. Nach den Ergebnissen von Johannsen, Jennings und
Pearl soll es ja innerhalb eines Phänotypus nur möglich sein, eine
Isolierung der in bezug auf ein bestimmtes Merkmal reinen Linien
(bei quantitativen Merkmalen eventuell eine Isolierung der extremen
Formen) vorzunehmen, dagegen soll, sobald die Isolierung statt-
gefunden hat, die Selektion keinen Einfluß mehr haben. Es muß in-
dessen nochmals hervorgehoben werden, daß auf diesem Gebiete keines-
wegs alle Experimente eindeutig sind, und daß insbesondere durch
Kammerers Untersuchungen neue Ausblicke geschaffen worden sind.
In positiver Hinsicht ist dadurch, daß auf Grund der neuen
F>gebnisse die Bedeutung der I nd i vidual züch tung stärker her-
') In diesem Falle würde ein „phylogenetischer" Atavismus nach de Vries
vorliegen. Vgl. im übrigen Kap. 17, S. 170.
*) Vgl. Kap. 23. S. 236.
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Fixierung von Rassen.
vortritt, ein überaus wichtiger Anhaltspunkt lür die Konsolidie-
rung und Verbesserung der Rassen gewonnen worden. Um den
züchterischen Wert einer bestimmten Rasse zu beurteilen, darf nicht
mit Massen operiert werden, vielmehr sind die Erblichkeits-
verhältnisse der einzelnen Individuen zu verfolgen. Dabei
ist zu beachten, daß da, wo Fluktuationen vorliegen, die Be-
schaffenheit des Sornas kein sicheres Kriterium für die Zusammen-
setzung seiner Gameten und damit für die Beschaffenheit der Nach-
kommen darbietet. Wenn eine Henne im Jahre 200 Eier legt, so
dart man nicht ohne weiteres erwarten, daß ihre Nachkommen wieder
„200-Eicr" -Hennen sind, und ebenso brauchen die Nachkommen einer
besonders schweren und besonders zuckerhaltigen Rübe nicht über
das Mittelmaß hinauszugehen.
Soll also aus einer gemischten Rasse oder Population, z. B. einem
aus zwei Farbenvarietäten (Braunen und Füchsen) bestehenden
Pferdeschlag, eine reine Rasse gezogen werden, so wird sich zunächst
nach den für den Menschen angegebenen Regeln ') aus den vor-
liegenden Daten ein vorläufiges Urteil über Dominanz und Rezes-
sivität (epi- oder hypostatisches Verhalten) der einzelnen Charaktere
gewinnen lassen. In dem hier angenommenen Falle, in welchem eine
nahezu vollständige Dominanz der braunen Farbe vorliegt, wird die
rezessive Rasse ohne weiteres fixiert werden können, da alle fuchs-
farbigen Individuen rezessive Homozygoten (Uli) sind und ihre
Paarung stets wieder rezessive Homozygoten liefern wird. Ferner
kann durch Kreuzung eines dominanten Individuums mit einem rezes-
siven festgestellt werden, ob ersteres in bezug auf den dominierenden
Charakter, in unserem Falle die braune Farbe, homozygot (rein
dominant, Vollblut") oder heterozygot (Halbblut) ist. Im erstcren Falle
werden alle, im letzteren 50 Proz. die braune Farbe aufweisen.
Liegen nur Individuen mit dem dominierenden Charakter vor,
oder ist das gerade erforderliche Geschlecht nur durch dominierende
Individuen vertreten, so wird, falls ein Individuum vorhanden ist, dessen
gametische Zusammensetzung (DD oder DR) schon vorher bekannt
ist, die Kreuzung mit diesem den Prüfstein bilden. Im anderen Falle
sind zwei beliebige Individuen mit dominierendem Charakter zu
kreuzen und das Zahlenverhältnis der aus ihrer Kreuzung hervor-
gegangenen Individuen wird einen ersten Anhaltspunkt dafür liefern
») Siehe Kap. .'4.
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300
Jiildxin«; neuer konstanter Rassen.
können, ob eine Kreuzung DD x Dl), DD x DU oder DR x DR
stattgefunden hat, da nur in letzterem Falle rezessive Tiere zum
Vorschein kommen. Durch weitere Kreuzungen, insbesondere durch
Gewinnung einer „Prüfgeneration" (Tschermak), wird dann ein
endgültiges Urteil darüber gewonnen werden können, welche Aus-
gangsindividuen und welche Nachkommen homo- und welche hetero-
zygot sind 1 ).
In ähnlicher Weise wird zu verfahren sein, wenn es sich um
Fixierung einer Rasse handelt, deren äußere Eigenschaften, soweit sie
für den Züchter in Betracht kommen, durch das Zusammentreten
einer größeren Anzahl von Faktoren bedingt sind. Es kommt
auch hier zunächst darauf an, das gegenseitige Verhalten der ein-
zelnen Faktoren festzustellen und bei Pflanzen womöglich durch
Selbstbestäubung, sonst aber durch Verbindung der zu isolierenden
Rasse mit einer anderen, welche bekannterweise in bezug auf den
betreffenden Charakter heterozygot ist, die Reinheit (Samenbestän-
digkeit) der Rasse zu prüfen. Schon Allen und Castle haben dies
Verfahren speziell für Mäuse erprobt, Tschermak und Bateson
haben es später für Pflanzen weitergebildet.
Im wesentlichen die nämlichen Methoden, welche für die Isolie-
rung reiner Rassen aus einem gegebenen Gemisch anzuwenden sind,
finden auch Platz, wenn es sich darum handelt, neue Kombi-
nationen (Kreuzungsnova) von dauerndem Bestände herzustellen,
also Bildungen, die in bezug auf alle in Betracht kommenden Fak-
toren homozygot sind. Hier ist vor allem zu beachten, daß, ab-
gesehen von dem ganz einfachen Verhalten bei rein monohybriden
Kreuzungen, die Beschaffenheit der F t -Generation noch nicht für das
Gelingen oder Nichtgelingen der gewünschten Kombination entschei-
dend ist, d. h. es wird häufig vorkommen, daß die gewünschte Kom-
bination in der /^-Generation noch nicht, wohl aber infolge der bei
der Gameten- und Zygotenbildung stattfindenden Auflösungs- und
Neugruppierungsprozesse in der /^-Generation zum Vorschein kommt.
Es dürfen also die F, -Individuen nicht ausgerottet werden, falls sie
das Gesuchte nicht gewähren, denn sie geben bezüglich der in der
l ) Auch die Ausmerzung der von den englischen I'flanzenziichtcrn als „rogues"
(=: Schelme, I^andstrcichcr) bezeichneten Aberrationen .kann unter Umständen auf
dem nämlichen Wege erfolgen. Sind die .rogues 14 rein rezessive Individuen, so wird
da, wo es sich nicht um spontane Mutationen handelt, ihre Ausrottung durch Rein-
zucht der dominanten Individuen gelingen (Bateson, S. 292, \9ng).
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Wesen der Korrelationen.
301
iV Generation zum Vorschein kommenden Möglichkeiten keinen
sicheren Aufschluß 1 ).
In vielen Fällen werden speziell die ^-Kombinationen für Ge-
brauchszwecke besonders wertvoll sein. Diese müssen immer
wieder durch Kreuzung der P- Formen gewonnen werden, und zu
diesem Zwecke ist die Reinheit der letzteren aufrecht zu erhalten.
Als ein grobes Beispiel für die Anwendung dieses Prinzips kann
die Maultierzucht angeführt werden.
Schon früher bildeten in der Tier- und Pflanzenzucht Neukoni-
binationen von konstantem Charakter eine der Hauptquellen der
meisten züchterischen Neuheiten. Wie aber namentlich Bateson*)
hervorgehoben hat, ist die alte Annahme, daß eine lange Zeit und
fortgesetzte Zuchtwahl dazu nötig sei, um eine neue Varietät
zu fixieren und sie reinziehend (breeding true) zu machen, irrtümlich,
denn die homozygoten, für die Reinzucht als Ausgangspunkt dienenden
Individuen erscheinen ja schon in der -F 8 -Generation, und die Rassen-
reinheit kann dann mit Hilfe der 2*j-Generation endgültig hergestellt
werden. Soweit es sich also um Erlangung und Fixierung neuer
Typen durch Neukombination handelt, ist man jetzt in der Lage,
den Prozeß der Zuchtwahl bedeutend zu beschleunigen.
Die neuen Ergebnisse gewähren schließlich auch die Möglichkeit
in das Wesen der Korrelation einzudringen und ihre wirkliche
Bedeutung für die praktische Zucht klarzulegen. Von Korrelation
spricht man, wenn zwei Merkmale derart im Zusammenhange mit-
einander stehen, daß sie in ihrem Auftreten gegenseitig aneinander
gebunden sind und daß Abänderungen des einen auch solche des
anderen mit sich bringen. Zusammenhänge dieser Art bestehen z. B.,
wie früher ausgeführt wurde, zwischen bestimmten Abnormitäten
des Menschen (Hämophilie. Farbenblindheit) und dem männlichen
Geschlecht. Bekannt ist auch die Erscheinung, daß bei weißen
und weißgefleckten Schafen und Schweinen, wenn sie mit Buch-
weizen gefüttert und dem Sonnenlicht ausgesetzt werden, bestimmte,
als Fagopyrismus bezeichnete Hautaffektionen entstehen, welche
bei schwarzen Tieren unter gleichen Umständen nicht hervorgerufen
werden 3 ).
') Vgl. auch Bateson, S. 2Q6 (lOOQ).
*) S. 291. 2Q8 (lOOQ).
*) Andere Beispiele finden sich besonders hei Darwin. Variieren usw.. an
verschiedenen Stellen.
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302
Feststellung vou Korrelationen.
Die Tierzucht hat nun vielfach Erfahrungen dieser Art auszu-
nutzen versucht , indem sie sich in der Auswahl der Zuchttiere nach
äußeren Merkmalen richtete, die mit der gewünschten Eigenschalt
erfahrungsgemäß korrelativ verbunden erscheinen. So wurden z. B.
in Süddeutschland lange Zeit hindurch bei der Simmentaler Zucht ein-
farbige, speziell semmelfarbige Tiere bevorzugt, weil ein gewisser
korrelativer Zusammenhang zwischen der Einfarbigkeit und der Milch-
ergiebigkeit angenommen wurde. Schon von züchterischer Seite 1 )
ist aber darauf hingewiesen worden, daß derartige erfahrungsmäßigen
Beziehungen keine unbedingt sicheren Wegzeiger für die Zucht bilden
können, und daß speziell in der Simmentaler Zucht jahrzehntelang
gescheckte, aber sonst vorzügliche Tiere lediglich des Prinzips der
Einfarbigkeit wegen ausgeschaltet werden. Noch deutlicher hat die
Mendel forschung gezeigt, daß in vielen Fällen Hand in Hand mit der
Bildung von Neukombinationen scheinbar feste Korrelationen durch
das einfache Mittel der Kreuzung aufgehoben oder, wie Johannsen 2 )
sagt, gebrochen werden können.
Aul* der anderen Seite sind aber gerade auf dem Wege der Rassen-
kreuzung wirkliche, vollkommen oder nahezu feste Korrelationen
zwischen zwei Merkmalen festgestellt worden, sei es, daß für die be-
treffenden Merkmale zwei miteinander „verkoppelte' 4 Erbeinheiten
anzunehmen sind, sei es, daß durch einen einzigen Faktor oder durch
eine bestimmte Faktorenkombination die gleichzeitige Entstehung
von mehreren äußeren Eigenschaften bedingt ist. Ersteres liegt mög-
licherweise vor in dem früher 8 ) angeführten Falle von Lathyrus, wo
die Erbeinheiten für die Gestalt der Pollenkörner anscheinend mit be-
stimmten Farbenbestimmern kopuliert sind, letzteres dürfte zutreffen,
wenn z. B. bei Campanula die petaloide Ausbildung des Kelches
und seine Umwandlung zu einer zweiten Corolla als dominanter
Charakter auftritt und direkt („kausal mechanisch") eine weitere Eigen-
tümlichkeit, nämlich die Rückbildung der weiblichen Organe, be-
dingt *).
Wenn diese letzten Ermittelungen auch in erster Linie ein theo-
retisches Interesse haben, weil auf diesem Wege voraussichtlich wohl
>) Vgl. Strubel.
') S. 185 (1890).
•') S. 271.
*) Vgl. hierzu Corrcns 190a 1905; Johannsen. S.41O (lOOQ); Bateson.
S. Jon (19O0).
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Literaturverzeichnis 28.
3<)3
noch manche Aufklärung hinsichtlich (1er gegenseitigen Beziehungen
und des eigentlichen Wesens der „Faktoren" gewonnen werden kann, so
besteht doch zweifellos auch die Aussicht, daß sich aus Untersuchungen
dieser Art noch manche praktischen Folgerungen ergeben werden.
Literaturverzeichnis zu Kapitel 28.
Bateson und Saunders l<)0.?, s. Literaturverzeichnis 22 und 23.
Bateson 1009. s. Literaturverzeichnis 2".
Baur, E., TJntersuchungen über die Erblichkcilsverhältnisse einer nur in Bastard form
lebensfähigen Sippe von Antirrhinum majus. Ber. d. D. Bot. Ges., .»5. Bd., 1007.
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Wochenschr., 13. Jahrg.
Punnett, P. C, Mendclism. Cambr. 1905.
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Vries, H. de. Die Mutationstheorie. Leipzig 1901 und 1903.
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V. Teil.
Neue rnorphobiologische Yererbungs-
hypothesen.
Neun und zwanzigstes Kapitel.
Individualitätshypothese. Ungleichwertigkeit
der Chromosomen.
Wie früher gezeigt wurde 1 ), haben verschiedene Beobachtungen
und Gedankengänge zu der Annahme geführt, daß im Kern und
speziell in den beim Kernteilungsprozeß auftretenden Chromosomen
die eigentliche Vererbungssubstanz eingeschlossen sei, und daß den
Kernteilungsvorgängen, vor allem aber den die Befruchtung einleitenden
Reifungsteilungen, eine besonders wichtige Rolle bei der Verteilung
der Vererbungspotenzen auf die Nachkommen zufallen müsse. Es
wurde auch bereits hervorgehoben, daß diese hauptsächlich durch
Weismann begründeten Anschauungen eine wichtige Unterstützung
durch die Aufstellung der Individualitätshypothese erhielten,
wonach, ähnlich wie der Kern als Ganzes, so auch die einzelnen
Chromosomen relativ selbständige Individuen oder autonome Lebens-
einheiten sind, die auf dem Wege der Teilung von Zellgeneration zu
Zellgeneration überliefert werden.
Nach dieser durch Rabl, E. van Beneden und Boveri auf-
gestellten, hauptsächlich aber durch letzteren begründeten und aus-
gearbeiteten Lehre bilden also die Chromosomen, die zu Beginn
der Mitose aus der „ruhenden" Kernsubstanz hervorgehen, die
direkte Fortsetzung derjenigen Chromosomen, welche nach Ablauf
der vorangegangenen Teilung in die Entstehung der Tochter-
') Kap. 14 u. m.
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V
Stützen der Individualitätshypothcsc.
305
Fig. 108.
kerne eingegangen waren, sie stellen also, abgesehen von der durch
den Stoffwechsel bewirkten Substanzvermehrung und Substanzet neue-
rung, dieselben Individuen wie die letzteren dar 1 ). Voraussetzung
dieser Annahme ist natürlich, daß den bei der Teilung auftretenden
Chromosomen auch im „ruhenden Kern" relativ selbständige Teile der
Kernsubstanz entsprechen.
Die Frage, ob den Chromosomen wirklich die hier angenommene
morphologische und physiologische Selbständigkeit zukommt, ist
von größtem, vererbungstheoretischem Interesse, auch dann, wenn die
Xhromosomenhypothese der Vererbung", welche sich vom
Boden der Individualitätslehre aus im Laufe der Jahre entwickelt
hat, sich in wesentlichen Zügen als
unhaltbar erweisen sollte. Sicher wer-
den auch alle Vererbungshypothesen
der Zukunft die Frage nach der Natur
der Chromosomen zu berücksichtigen
haben, und es ist daher hier am Platze,
au! die Begründung der Individuali-
tätslehre etwas näher einzugehen.
Unter den Argumenten, welche zu
ihren Gunsten angeführt worden sind,
spielt die fast überall nachweisbare
konstante spezifische Chromo-
somenzahl 2 ), sowie die schon von
Rabl hervorgehobene Tatsache der
übereinstimmenden Anordnung
der telophasischen und propha-
siseben Chromosomen eine wichtige Rolle. Wie nämlich an den
Epidermiszellen von Salamandra (Fig. 10Ö), an den Furchungszellen
von Ascaris») und an anderen Objekten in kaum widerlegbarer Weise
gezeigt werden kann, weisen die Chromosomen, welche zu Beginn
einer Kernteilung aus dem ruhenden Kern hervorgehen (Fig. 108B),
annähernd die gleiche charakteristische Stellung auf, welche
die Tochterchromosomen der vorhergehenden Teilung beim Eintritt
in das Kernruhestadium eingenommen hatten (A).
Telophasen und I'rophaseu in den
Epidermiszellen vön Salamandra.
Nach Rabl und Boveri.
') Vgl. besonders Boveri 1004.
«) Vgl. Kap. lt. S. HJ.
"I Vgl. besonders Boveri 190Q.
H aec ker, Vererbungtlehre.
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306
Stützen der Individualitätshypotb
Bei dem zu den klassischen Objekten der Zellforschung ge-
hörenden Pferdespulwurm (Ascaris megaloeephala) lassen sich über-
haupt eine ganze Reihe von Erscheinungen nur im Sinne der Indivi-
dualitätslehre deuten. Wenn z. B. das Ei der Rasse A. m. bivalens
durch ein Spermatozoon der Rasse univalens befruchtet wird, so ent-
wickelt der mütterliche Kern vor der ersten Teilung des Eies zwei
lange, der väterliche ein kurzes Chromosom (Fig. 109A), und ebenso
treten auch in der ganzen Zellenfolge, welche zur Bildung der Ur-
geschlechtszellen führt, bei jeder Kernteilung zwei lange und ein
kurzes Chromosom auf (B), eine Tatsache, welche offenbar als ein
nachdrücklicher Hinweis auf eine durch die Kernruhestadien hindurch
bestehende Kontinuität der väterlichen und mütterlichen Chromosomen
angesehen werden darf »).
Als eine weitere wertvolle Stütze der Individualitätslehre ist von
verschiedenen Seiten auch auf die Tatsache hingewiesen worden, daß
namentlich in der Spermatogenese verschiedener Insekten einzelne
Chromosomen von bestimmter Größe, Form und Färbbarkeit sowohl
in den Spermatogonien, wie in den Spermatocy ten beob-
achtet werden konnten , so daß wenigstens für diese besonderen
Elemente eine Kontinuität durch mehrere Zellgenerationen hindurch
kaum bezweifelt werden kann. Diese als „Heterochromosomen" be-
zeichneten Elemente sind schon früher besprochen worden und werden
später nochmals zu behandeln sein a ), hier soll nur darauf aufmerksam
gemacht werden, daß auch bei einem der wichtigsten Objekte der Ver-
>
l ) Vgl. Herla.
*) Kap. 10 bzw. 32.
Fig. 109.
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Stützen der Individualitätshypotbese.
307
erbungszytologie, beim Seeigel (Echinus und Strongylocentrotus), regel-
mäßige Formverschiedenheiten der Chromosomen beobachtet werden
konnten 1 ). Wenigstens treten während der Eifurchung in allen Kern-
teilungsfiguren zwei Chromosomen auf, deren Tochterelemente in der
Metaphase durch eine charakteristische Hakenform von den übrigen
Chromosomen verschieden sind (auf dem in Fig. 110 abgebildeten
Schnitte ist jederseits nur ein hakenförmiges Tochterchromosom ge-
troffen). Einer der Haken stammt beim Seeigel vom Ei-, der andere
vom Spermakern.
Die Individualitätshypothese war von Anfang an mit der weiteren
Hypothese verknüpft, daß die färbbaren Teile des Kernes, ins-
besondere die Chromatin körn chen, die für die Lebens Vorgänge
wichtigste Kernsubstanz, also auch die
Yererbungssubstanz bilden. Diese An- F,pr ' 1 10 ]_
schauung hing ihrerseits mit den Vorstel-
lungen zusammen, die man sich anfänglich,
namentlich im Anschluß an Flemming,
bezüglich der Entstehung der Chromo-
somen in den Prophasen der Teilung und
hinsichtlich der telophasischen Rekonstitu- n l \ l#
tion der Tochterkerne gemacht hatte 2 ). In- ^ ^ 9
dessen stehen der Individualitätshypothese
in dieser Form, der sogenannten Chroma-
tinerhaltungshypothese,eineReihevon Krsle ^chungsspindei
,. T „ von Strongylocentrotus. Nach
Schwierigkeiten im Wege, so vor allem Baitzcr
die Beobachtung, daß in vielen Fällen im
-ruhenden" Kern des unreifen Eies (Keimbläschen), abgesehen von
einem großen Xucleolus, überhaupt keine färbbaren, als Chromatin-
körnchen zu deutenden Substanzen wahrgenommen werden, und daß
bei verschiedenen Objekten, z. B. in den embryonalen Geweben der
Amphibien, in den jungen Eizellen der Kopepoden, sowie in manchen
Pflanzenzellen 3 ), der Bestand der Kerne an Chromatinkörnchen, offenbar
im Zusammenhang mit dem physiologischen Zustand der Zelle, ein sehr
') Baltzer 1909.
*) Vgl. Kap. 6.
") Von verschiedenen Botanikern ist eine Korrelation zwischen der Ernährungs-
arbeit der Zelle und der Menge der chromatischen Substanz nachgewiesen worden
(Zacharias, Lily Iluie, Rosenberg, Magnus). Vgl. die Literatur bei Rosen-
berg 1004.
so-
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308 Acbromatinerbaltungshypothesc.
wechselnder sein kann. Diese Schwierigkeiten werden von der Achro-
matinerhaltungshypothese durch die Annahme umgangen, daß die
eigentlich aktive Substanz des Kernes durch das alveoläre Grund-
plasma (S.42, Fig. 13 B, 1) repräsentiert wird, und daß die von Kern-
generation zu Kerngeneration anzunehmende Stoff kontinuität im wesent-
lichen auf der Fortexistenz physiologisch selbständiger Territorien dieses
Grundplasmas beruht 1 ). Ob sich dann die neuen Chromosomen, wie
von Gregoire für die pflanzlichen Zellen angenommen wird, einfach
durch Kontraktion der einzelnen Zellterntorien bilden oder
oh sie innerhalb der letzteren (endogen) in Gestalt von lokalen
(Stäbchen- oder spiralfadenartigen) Verdichtungen ihre Entstehung
nehmen und also zu den Kernterritorien des ruhenden Kernes, bzw.
zu den alten Chromosomen im Verhältnis der Tochter zur Mutter
oder der Bakterienspore zum mütterlichen Bakterium stehen 2 ), jeden-
falls hängt ihre Grundsubstanz durch den Kernruhezustand hin-
durch kontinuierlich mit derjenigen der alten Chromosomen zusammen
und der ruhende Kern würde demnach als ein Kompositum aus
mehreren, den einzelnen Chromosomen entsprechenden
Teilkernen oder Kernplasmaterritorien bestehen 3 ).
Eine wertvolle Stütze für diese Auffassung gewährt die Beob-
achtung, daß bei den ersten Teilungen tierischer Eier*) die Tochter-
chromosomen zunächst zu bläschenförmigen Gebilden, den Karyo-
meren Fols (Idiomeren), anschwellen, welche, indem sie in be-
stimmtem Rhythmus oder in mehr unregelmäßiger Weise miteinander
konfluieren, diu Tochterkerne liefern (S.46, Fig. 15). In einem Falle,
bei der Eifurchung einer Milbe (Pediculopsis graminum), konnte durch
mehrere Zellgenerationen hindurch ein kontinuierlicher Fortbestand
der Karyomeren beobachtet werden (Fig. III) 5 ).
Wie gesagt, werden durch die Achromatinerhaltungshypothese
zahlreiche Schwierigkeiten beseitigt, welche früher einer unbedingten
Annahme der Individualitätshvpothese im Wege gestanden haben. Im
•} Vgl. Kap.o.
*) Ilaecker |f»4-
*> Haecker lQfW. Ausgehend von Untersuchungen an Radiolarien und Tricho-
nymphiden (einzelligen Parasiten der Termiten), ist neuerdings auch Hartmann
zu der Vorstellung gelangt, daß die Metazoenkernc „Polykaryen" oder „polyeneigide
Kerne 1 " mit einer bestimmten Anzahl von Kinzelkei nen (Eneigiden. Chromosomen)
darstellen.
*) Vgl. die Zusammenstellung bei Montgomcry l'Xt.
») E. Reuter hx*)
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Regulations- und Manövrierhypothese.
309
übrigen lassen sich so viele Beobachtungen zugunsten der letzteren
anführen, daß sie jedenfalls zurzeit zu den am besten begründeten
zell theoretischen Anschauungen gehört und, wie Boveri hervor-
gehoben hat, nicht mehr lediglich den Charakter einer Arbeits-
hypothese, sondern den einer gut fundierten Theorie besitzt.
Jedenfalls steht ihr keine Gegenhypothese gegenüber, welche in
gleicher Weise wie die Individualitätslehre allen Beobachtungen ge-
recht wird. Dies gilt besonders auch für Delages Regulations-
hypothese und für Ficks Manövrierhypothese. Nach ersterer
würde die Chromosomenzahl eine spezifische Funktion des Proto-
Fig. in.
Furchungsteilung bei I'ediculopsis. Jederseits die vier selbständig bleibenden Karyo-
meren, in der Mitte der Spindel mitochondrienähnlithe Stäbchen (.Cbromosomoide").
Nach Reuter.
plasmas, speziell des Eiplasmas sein, und demgemäß sollen abnorme
Chromosomenzahlen, wie sie z. B. bei künstlich bewirkter partheno-
genetischer Entwickelung infolge des Ausfalles der Kernkopulation
zustande kommen können, auf Grund einer selbstregulatorischen
Fähigkeit des Eiplasmas wiederhergestellt werden. Die Konstanz
der Chromosomenzahl könne also nicht als ein Beweis für .die
Richtigkeit der Individualitätshypothese angesehen werden. Einen
etwas abweichenden Standpunkt hat Fick eingenommen. Er be-
trachtet mit Weis mann, Boveri u. a. die einzelnen Chromatin-
körnchen als Träger oder Aggregate der hypothetischen Vererbungs-
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3io
Hovens Beobachtungen an dispermen Eiern.
einheiten, er hält aber die Chromosomen, in welchen die.Chromatin-
körnchen wälirend der Kernteilung miteinander verbunden sind, nicht
für wichtige, von Zellgeneration zu Zellgeneration sich erhaltende
Individuen, sondern nur für „taktische Formationen 4 * oder
„mobile Manövrierverbände", die nur dann auftreten, wenn es
auf die regelrechte Verteilung des Chromatins ankommt.
Gegenüber der Anschauung Delages ist darauf hinzuweisen,
daß die Beobachtungen über die Chromosoinenzahl bei parthenogene-
tischen Eiern, von denen er ausgegangen ist, nicht bestätigt werden
konnten 1 ), während mit den Annahmen Ficks die Befunde am
Ascaris-Ei und die Beobachtungen über die Heterochromosomen kaum
vereinbar sind 2 ).
Die Individualitätshypothese hat von Seiten Boveris eine in
vererbungstheoretischer Hinsicht wichtige Weiterbildung erfahren in
Gestalt der Hypothese von der essentiellen (physiologischen)
Verschiedenheit der Chromosomen.
Während nämlich nach Weismann sämtliche Chromosomen
eines Geschlechtskernes jeweils die Anlagen sämtlicher Arteigen-
schalten enthalten und gewissermaßen nur individuelle Unterschiede
aufweisen 8 ), ist Bovcri zu der Vorstellung gelangt, daß die Chromo-
somen in bezug auf ihre Funktion ungleichwertig sind.
Boveri geht von Beobachtungen an disperm, d. h. mit zwei
Samenzellen befruchteten Seeigeleiern aus. Sei n die normale Chromo-
soinenzahl der Echinuseier«), so werden bei doppeltbefruchteten Eiern
die Spalthälften der 3 x — Chromosomen der drei Geschlechtskerne bei
dem (im ersten Furchungsakt erfolgenden) simultanen Zerfall in
vier Blastomeren in unregelmäßiger und durchaus zufälliger Weise
verteilt werden. Die Blastomeren werden also in ihrem Chro-
matinbestand ungleichwertig sein (Fig. 112).
Seien die Chromosomen des Eikerns a l , /<,. c,, d v die des einen Spermakerns
a,. b t , c t > </,, die des anderen o a , 6,. e„, d 3 , so wird, wenn durch Verdoppelung der
von den beiden Spermien mitgebrachten Centrosomen vier Pole entstehen . jedes der
12 Chromosomen ganz nach Zufall zwischen zwei der vier Pole gebracht weiden
* ') Bovcri lQo.\ Vgl. auch E. Bataillon. Anh. Znol. Exp.(5). Tom. 5. S. 107
(1910).
*) Vgl. Boveri 1907. 1Q09.
') Vgl. Kap. 10.
*) Bei Echinus mkrotuberculatus existieren nach Bovtti zwei Varietäten mit
IS und 36 Chromosomen.
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Ungleichwertigkeit der Chromosomen.
3H
(Fig. 112). Dementsprechend werden, wenn sich die Vierteilung des Kies vollzieht,
die vier Blastomeren einen ganz verschiedenen Bestand an Tochtercbi omosomeu
erhalten.
Werden nun die vier Blastomeren künstlich voneinander gelöst
und zu selbständiger Weiterentwickelung gebracht, so entstehen, wie
die Erfahrung zeigt, pathologische Derivate, und zwar von un-
gleicher Entwickelungsfähigkeit und Beschaffenheit. Eine
Störung im Zellprotoplasma kann nun als Ursache für den patho-
logischen Zustand nicht in Frage kommen. Denn da bei der simul-
tanen Vierteilung die vier Blastomeren in ihren Protoplasma- Eigen-
schaften offenbar gleichwertig sind, so hätten bei einer plasmatischen
Störung Derivate von gleicher i(>
Beschaffenheit resultieren müssen.
Die Derivate sind aber, wie ge-
sagt, ungleichwertig, und diese
Tatsache kann nach Boveri nur
darauf beruhen, daß bei der si-
multanen Teilung die vier Blasto-
meren einen ungleichen Chro-
matinbestand erhalten haben.
Unter Berücksichtigung aller
näheren Verhältnisse kommt dann
Boveri zu dem weiteren Schluß,
daß es nicht die ungleichen und
zum Teil verminderten Chromo-
somenzahlen sein können, welche Verteilung der Chromosomen bei der
die Bildung ungleichwertiger De- simultanen Vierteilung disperm befruchteter
• „ 4vv . c a. a:~ Seeigeleier. Frei nach Boveri.
nvate hervorruten, denn die *
Möglichkeit, kernlose Eifragmente durch Befruchtung sowie unbe-
fruchtete Eier durch künstliche Agenzien zur Ent Wickelung zu bringen
(Merogonie bzw. künstliche Parthenogenesis), beweist, daß die
Chromosomenzahl sogar auf die Hälfte vermindert werden kann und
dennoch normale Larven entstehen. Es ergibt sich also, daß die
Variationen, die bei der Entwickelung dispermer Keime auftreten, nur
auf einer wechselnden Kombination von Chromosomen beruhen kön-
nen, daß also die einzelnen Chromosomen verschiedene Quali-
täten besitzen müssen 1 ).
') Vgl. Boveri igo.\ 1004.
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312
< Gültigkeit der Uovei ischeu Hypothese.
Ausgehend von diesen Befunden und Erwägungen, sowie unter
Berücksichtigung der bei den Chromosomen anderer Objekte beob-
achteten regelmäßigen Größenabstufungen (S. 108, Fig. 72) und der
Beobachtungen über die Heterochromosomen, stellt sich also Boveri
vor, daß die Chromosomen eines Kernes physiologisch (essen-
tiell) ungleichwertig sind, und daß für die normale Entwickelung
des Embryos eine bestimmte Kombination nötig ist.
Bezüglich der Eindeutigkeit von Boveris Beobachtungen und
der Sicherheit seines logischen Eliminationsverfahrens, durch welche
andere Erklärungsmöglichkeiten ausgeschlossen werden sollen, sind
verschiedene Einwände erhoben worden 1 ). Indessen konnte bisher
nichts Entscheidendes vorgebracht werden, und wenn man vielleicht
auch die Empfindung hat, daß bei der Kompliziertheit des Experiments
und der Schlußketten weitere Untersuchungen noch manche un-
erwartete Wendungen bringen könnten, so wird man doch in den
Ergebnissen Boveris einen nachdrücklichen Hinweis auf das Vor-
handensein physiologischer Ungleichwertigkeiten der Chromosomen
sehen dürfen , wie denn auch neuerdings eine Anzahl .von Forschern
zu der Ansicht gelangt ist, daß Boveri im wesentlichen recht
haben dürfte«).
Es wurde oben darauf hingewiesen, daß, sobald man sich auf
den Boden des Individualitätsgedankens stellt, im Hinblick auf das
in der Organismenwelt überall gültige Prinzip der Arbeitsteilung eine
funktionelle Verschiedenheit auch der Chromosomen von vornherein
als wahrscheinlich erscheinen muß. Beispielsweise könnte man sich
denken, daß ein successiver Abbau der Chrdmosomen, wie er z. B.
innerhalb der Gattung Cyclops Hand in Hand mit der zunehmenden
Entfernung von den primitiven Typen geht, nicht ausschließlich auf
eine Verminderung der Kernsubstanzmasse hinzielt, daß vielmehr,
ähnlich wie bei metamer gegliederten Tieren, mit der Abnahme der
Segmentzahl vielfach auch eine zunehmende Arbeitsteilung zwischen
den Segmenten verbunden ist, auch die Chromosomen im Laufe der
Stammesgeschichte eine morphologische und physiologische Differen-
zierung erfahren können.
Einer Verallgemeinerung der Ergebnisse dürften allerdings vor der
Hand noch erhebliche Bedenken im Wege stehen. „Welche Schwierig-
') Vgl. Driesch, S. 628 (1905): Rabl, S. 68 (1906); Fielt 1907.
*) Vgl. Driesch, S. 31 (lOOO); Godlewski, S. 229 (1909)
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Gültigkeit der Boveri sehen Hypothese.
313
keiten ergeben sich z. B. bei der Vorstellung, daß die Anlagen so
verschiedener Formen wie der Weinbergschnecke, der Feuerwanze
< Pyrrhocoris), des Salamanders und der Lilie jedesmal auf die gleiche
Anzahl von Chromosomen, nämlich auf 24, verteilt sein sollen; und
wie würde es zu erklären sein, daß gerade die Zahlen 12, 16, 24 so
häufig wiederkehren 1 )?"
Welche Zellfunktionen im übrigen im Falle einer wirklich vor-
handenen Arbeitsteilung auf die einzelnen Chromosomen verteilt sein
könnten, darüber liegen bisher, abgesehen von der Hypothese von
der geschlechtsbestimmenden Funktion der Heterochromosomen
(Kap. 32), nur wenige Äußerungen vor, wie sich denn auch Boveri
in dieser Hinsicht noch sehr zurückhaltend ausgedrückt hat 2 ).
Literaturverzeichnis zu Kapitel 29.
Boveri, Tb.. Zellenstudicn II und III. Jena 188S und 1890.
— , Uber mehrpolige Mitosen als Mittel zur Aualysc des Zellkernes. Verh. Pbys.-
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Jena 1904.
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■) Vgl. Boveri. S.96 (1904). Lillie, S. 250 ( 1900). Haecker, S. 59 (i^'7).
sowie Kap. 32.
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3H
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Dreißigstes Kapitel.
Das Reduktionsproblem
Kein anderer Zweig der Zellenlehre hat von Anfang an in so enget
Verbindung mit der Fortentwickelung der vererbungstheoretischen
Anschauungen gestanden und hat von dieser Seite so viele befruch-
tende Impulse empfangen, wie die Erforschung der Reifungsteilungen.
Nachdem Weismann (1877) von theoretischen Erwägungen aus zu der
Forderung einer in der Reifungsperiode vor sich gehenden Reduktion
der Chromosomen zahl gelangt war«), haben die regelmäßigen
Zahlenabstufungen, welche die Chromosomen unmittelbar vor und
während jener Periode aufweisen, und das Zustandekommen dieser
Verhältnisse den Gegenstand von Hunderten von Untersuchungen an
den verschiedensten tierischen und pflanzlichen Objekten gebildet. Als
dann nach einigen Jahren, angesichts der zahlreichen, scheinbar un-
überwindlichen Schwierigkeiten, welche sich der endgültigen Ent-
scheidung mancher strittiger Punkte entgegenzustellen schienen, das
Interesse zu erlahmen begann und beinahe eine Art von Resignation
Platz greifen wollte, hat zu Anfang dieses Jahrhunderts die plötzlich
sich eröffnende Aussicht, die eigentümlichen bei der Reifung hervor-
tretenden Chromosomen Verteilungen zu den Mendel sehen Spaltungs-
prozessen in eine engere Fühlung zu bringen, den Gegenstand aufs
neue in den Vordergrund des cytologischen Interesses gerückt. Dieser
erneuten und mit erhöhtem Eifer erfolgten Inangriffoahme des Gebietes
ist es zu verdanken, daß in den letzten Jahren das Reifungs- und
Reduktionsproblem, wie ich glaube, sehr wesentlich der Klärung und
Entscheidung näher geführt worden ist.
Es muBte darauf ankommen, wenigstens bei einigen Objekten, zu sicheren Er-
gebnissen zu gelangen, und es schien mir, daß gerade die Kopepoden wegen der
Klarheit der cytologischen Bilder und wegen der Möglichkeit ausgedehnter ver-
') Vgl. Kap. 0 (Phylogenie der Reifungsteil ungen), 11 (Chromosomen zahl bei
der Keifung), 10 (Postulat der Reduktionsteilung).
*) Siehe oben S. 1QJ.
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3iö
Zahlcngesetz der Diakinese.
gleichender, sowie experimentell -cytologischer und bastardgeschicht lieber Unter-
suchungen besonders günstige Aussichten darbieten. Seit einer Reibe von Jahren
habe ich daher in Verbindung mit einer Anzahl von Mitarbeitern die Kopepodcn in
systematischer Weise aufs neue in Angriff genommen, und durch die bisher er-
schienenen Arbeiten von E. Wolf (vorbereitende Untersuchungen über die Fort-
pflanzung), Schiller (künstliche Beeinflussung der Kernteilungen), Braun (Chromo-
somenzabi), Matscheck (Reifungsteilungen), Frl. O. Krimmel (somatische Mitosen),
Amma (Geschlechtszellendifferenzierung), Krüger (Canthocamptus) sind die Unter-
suchungen bereits nach verschiedenen Richtungen hin gefördert und zum Teil auch
bis zu einem gewissen Abschluß gebracht worden.
a) Das Zahlengesetz der Diakinese.
Abgesehen davon, daß die Untersuchungen bei Einzelligen eine
Reihe von neuen Gesichtspunkten eröffnet und zu bestimmteren Vor-
stellungen bezüglich der Phylogenie der Reifungsteilungen geführt
haben *), konnte durch die neueren Forschungen immer wieder die
schon früher 2 ) erwähnte, für die Reifungsperiode gültige Regelmäßig-
keit oder, wie man hier wohl beinahe sagen kann, Gesetzmäßigkeit
nachgewiesen werden. Diese besteht darin, daß bei den höheren
Tieren und Pflanzen die Zahl der komplexen Chromosomen-
gruppen, die in den Prophasen der ersten Reifungsteilung, speziell in
der Diakinese 3 ), hervortreten, also die Zahl der sogenannten
Vierergruppen oder Tetraden und ihrer Homologen (Vierer-
kugeln, Viererstäbchen, Doppelföden, Doppelstäbchen, Ringe, Kreuze)
halb so groß ist als die „normale", „somatische", „diploide" *)
Zahl der Chromosomen, wie sie unter anderem in den Teilungen
der Spermatogonien und Ovogonien zum Vorschein kommt Ent-
sprechend diesem Zahlengesetz der Diakinese beträgt z. B. bei
der Spermatogenese und Ovogenese von Ascaris die Zahl der Vierer-
stäbchen, welche zu Beginn der Reifungsperiode beobachtet wird,
bei der Rasse bivalens 2, bei univalens l, während die Normalzahl,
wie sie in den Spermatogonien und Ovogonien, im befruchteten Ei
») Vgl. Kap. 9.
•) Vgl. Kap. Ii, S. 119.
s ) Vgl. S. 90, Fig. 5-'. Die Diakinese umfaßt diejenigen prophasiseben Stadien»
in welchen die bereits formierten und mehr oder weniger kondensierten Chromo-
somen eine lose Verteilung innerhalb des noch membianuinschtossenen Kernraums
zeigen.
*) Strasburger bat die „normale" Zahl, wie sie durch Vereinigung der beiden
Geschlechtskerne zustande kommt, als diploid, die in jeder der reifen Geschlechts-
zellen enthaltende („reduzierte") Zahl als haploid bezeichnet. Vgl. Strasburger
1005, Gregoire, S. .'45 (1910).
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Homologie «Icr .Komplexe"
und in den Keimbahnzellen des sich furchenden Eies gefunden wird
(S. 8l, Fig. 45; S.62, Fig. 28 A), sich auf 4 bzw. 2 beläuft.
Wie der Name Vierergruppen oder Tetraden besagt, läßt sich
ferner in den allermeisten Fällen eine Zusammensetzung dieser
komplexen Gebilde aus mindestens vier Einheiten nachweisen,
und da ferner die vier Einheiten jedes Komplexes im Verlaufe der
beiden Reifungsteilungen auf die definitiven Fortpflanzungszellen
verteilt werden, so kommt tatsächlich eine numerische Reduktion
oder Halbierung der Chromosomenzahl im Laufe der
Reifungsperiode zustande, derart, daß die definitiven Fortpflanzung^
Fig. 113.
A B
Achtel gi uppe {.\) und Achterring (B) bei Copepoden. Nach Matscheck.
q Uuerspalt. II und III priminer und sekundÄrcr iJingsspalt.
zellen nur noch die Hälfte derjenigen Zahl enthalten, welche in den
Spermatogonien und Ovogonien auftritt:
Spei matogonien und Ovogonien n Einheiten
Spermatocyten und Ovocyten erster Ordnung • • Komplexe =— • 4 Einheiten
II
Spermatocyten und Ovocvten zweiter Ordnung • — • J Einheiten
91
Samen- und Eizelle — Einheiten
2
Befruchtetes Ei w Einheiten
b) Homologie der komplexen Chromosomengruppen.
Als der Niederschlag zahlreicher außerordentlich mühevoller
Untersuchungen, welche im Laufe der beiden letzten Jahrzehnte an
den verschiedensten zoologischen und botanischen Objekten ausgetührt
worden sind und auf die Feststellung der Entstehungsweise und auf
die Möglichkeit einer Homologisierung der komplexen Chromosomen-
gruppen gerichtet waren, hat sich, wie ich glaube, folgendes ergeben.
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318
Unterdrückung der (juerkerbe.
Fig. 1 14.
Sekundär längsgcspal
lene Doppelläden bei
Stenoboihrtis. Nach
Davios.
Man geht am besten wohl von der Tatsache aus, daß bei einer
Reihe von Formen die »Komplexe* 4 der ersten Teilung nicht bloß
eine Viertci ligkeit, sondern sogar eine Achtteiligkeit erkennen
lassen. Dies ist z. B. bei den Kopepoden der Fall,
bei welchen entweder quergekerbte Doppel-
stäbchen, deren Einzelstäbchen selbst wieder
„sekundär" längsgespalten sind (Fig. 113A),
oder vierteilige, ebenfalls sekundär längs-
gespaltene Ringe auftreten ( Fig. I13B).
Nun läßt sich aber für die Kopepoden mit
Sicherheit nachweisen, daß die quergekerbten
Doppelstäbchen und vierteiligen Ringe einander
homolog sind, daß insbesondere die durch Kerben
(q) getrennten Hälften der Einzelstäbchen
den Viertelbögen der Ringe 1 ) und der „sekundäre" Längsspalt
der Doppelstäbchen (II, l) demjenigen der Ringe entspricht 2 ).
Bei diesen achtteiligen Komplexen oder Ditetraden der
Kopepoden ist nun offenbar die äußerlich wahrnehmbare Gliederung
der Komplexe am weitesten ausgebildet, und auf sie als die über-
sichtlichsten Vorkommnisse können, wie mir
scheint, sämtliche übrigen bei zoologischen und
botanischen Objekten gefundenen Bilder unschwer
zurückgeführt werden.
Entweder kommt nämlich in den Pro-
und Metaphasen, teilweise auch in den Ana-
phasen der Teilung die Querteilung nicht
z um Vorschein. Dann liegen Bilder vor, wie
sie z. B. bei den Orthopteren (Fig. 114) und bei
den Lilien (Fig. 115) beobachtet worden sind und
wie sie in etwas abweichender Form auch bei
Ascaris auftreten »). Die Chromosomenkomplexe
bestehen aus je einem Paar von parallel ge-
lagerten oder umeinander gedrehten Fäden oder
Stäbchen (Einzelfaden oder -Stäbchen, chromosomes-filles I bei Gre-
goire u. a.), welche ihrerseits mehr oder weniger deutlich „sekundär"
Sekundär längsgespai-
tene Doppel fädeu bei der
l'ollenbüdung
von AUium fistulosum.
Nach Strasburger.
') Vgl. Riickert und Matscheck.
*) Vgl. besonders Matscbecks Beobachtuugen bei Diaptomus saliuus.
J ) Lei at (Cell., Vol. 22, 1905) hat auffallenderweise auch bei Cyclops strenuus
die »Juor kerbe nicht finden können.
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Unterdrückung des sekundären Längsspaltcs.
319
Fig. 1 16.
längsgespalten sind und demnach aus zwei dicht aneinander gelagerten
Einheiten (chromosomes-filles II) zusammengesetzt erscheinen. Mit-
unter, so bei Salamandra, tritt der „sekundäre" Längsspalt erst wäh-
rend der Metaphase hervor (Fig. 116).
Oder, in einer weiteren Gruppe von Fällen, es tritt im Verlaufe der
Pro-, Meta- oder Anaphasen der ersten Teilung eine Querkerbe oder
wenigstens eine charakteristische Knickung der Einzelstäbchen auf,
dagegen kommt die „sekundäre" Längsspaltung während der ersten
Teilung überhaupt nicht zur Ausbildung. Dann liegen quergekerbte
Doppelfäden oder -Stäbchen (S. 43« Fig. 14 b),
vierteilige Ringe (S. 90, Fig. 52 C — D), Kreuz-
figuren mit gleich langen oder ungleichen Armen
(Fig. 117b — d) oder Viererkugeln (Fig. ll7e) vor.
Alles in allem können also im Verlauf der
verschiedenen Phasen der ersten Teilung drei
verschiedene Ilaupttypen von komplexen Chro-
mosomen auftreten:
L Achtteilige (quergekerbte und „sekun-
där" längsgespaltene) Komplexe, O k -
taden und Ditetraden, z. B. in der
Ovogenese der Kopepoden und in der-
jenigen von Ascaris canis 1 ) (Fig. 113).
II. Vierteilige („sekundär" längsgespal-
tene) Komplexe, Längstetraden,
z. B. die Viererstäbchen bei der Samen-
bildung der Orthopteren (Stenobothrus, Fig. 11 4) und bei der
Pollenbildung von Liliaceen (Allium, Fig. 115), nach früherer
Darstellung auch bei der Ei- und Samenbildung von Ascaris
megalocephala.
III. Vierteilige (quergekerbte) Komplexe, Quertetraden,
z. B. die Kreuze und Viercrkugeln bei der Samenbildung
von Orthopteren und Hemipteren (Fig. 117).
Anaphasen der hetero-
typischen Teilung im
Salaniandorhoden Narh
Flemming.
c) Entstehung und Zerlegung der komplexen Chromosomen.
Es fragt sich nun weiter, in welchem Verhältnis stehen die prophasi-
schen Komplexe zu den Chromosomen der Spermatogonien und Ovo-
*) Vgl. Marcus 1906 (besonders Taf. 30. Fig. 34). Auch in der Ovogenese
von A. megalocephala ist von Tretjakoff (1904, Taf. 21, Fig. 7) das vorübergehende
Auftreten einer Querkerbe beobachtet worden.
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320 Kntstehung der Komplexe.
gonien und wie kommt insbesondere der Übergang der Zahl n in die
Zahl — (S.317) zustande? Spielen dabei die nämlichen Prozesse, wie
bei den gewöhnliehen (somatischen) Kernteilungen, oder Vorgänge
von irgend einer besonderen Art eine Rolle?
Nach einer heute fast allgemein anerkannten Anschauung, zu
welcher O. vom Rath, ich selbst und Rückert auf verschiedenen
Wegen gelangt sind 1 ), sind die Komplexe zunächst als zweiwertige,
bivalente Chromosomen aufzufassen, deren Eigentümlichkeiten auf
einer engen paar weisen Verbindung der spermatogonialen und ovo-
Fig. 117.
a a
Umwandlung der quergekerbten Doppelfäden von Syromastes in Vierergruppen (ehe
das Stadium d in e ubergeht, erfolgt die Einstellung in die Teilungsfigur, wobei die
kurzen Arme der Vierergruppe in die Äquatorebene zu liegen kommen).
Nach Groß.
gonialen Elemente beruhen. Die Herabsetzung der Zahl n auf die
Zahl — findet also nicht etwa auf dem Wege einer teilweisen Re-
2 to
sorption der spermatogonialen und ovogonialen Elemente statt, sondern
ist nur eine scheinbare, also eine Schein- oder Pseudoreduktion,
wie jetzt allgemein gesagt wird.
Nach der ursprünglichen Auflassung würde die Scheinreduktion
stets dadurch zustande kommen, daß der kontinuierliche (vielfach
schon längsgespaltene) Chromatinfaden, welcher bei einzelnen Objekten
in der Knäuelphase der ersten Reifungsteilung beobachtet wird
(Fig. 118, 119), beim Übergang in die Diakinese eine unvollständige
»J Vom Rath ixt).», Haccker lHC)j, Rückert IH04.
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Metasyndcse
321
Segmentierung erfährt, d. h. es unterbleibt ein Querteilungsschritt und
infolgedessen werden durch den Segmentierungsprozeß nicht w, sondern
nur — Elemente gebildet. Diese Auffassung der Scheinreduktion
2
dürfte sicher, wie ich glaube, für einen Teil der Objekte tatsächliche
Gültigkeit haben, es wird aber wohl besser eine weniger mit hypo-
thetischen Vorstellungen verbundene Ausdrucksweise zu wählen und zu
sagen sein, es hat eine paarweise Verbindung, eine Syndese je zweier
spermatogonialer oder ovogonialer Elemente stattgefunden, sei es noch
Fig. 1 1H. Fig. 110.
Kontinuierliches längsgcspaltencs
Spirem aus den Prophasen
der ersten Reifungsteilung des
Salamanderhodens. Nach Flemming.
Kontinuierliches längsgespaltencs
Spirem in der Pollenmutter-
zelle von Lilium.
Nach Farmer und Moore.
in den Endstadien der letzten spermatogonialen oder ovogonialen
Teilung, sei es in den frühen oder auch in den späten Prophasen
der ersten Reifungsteilung 1 ).
ua) Annahme einer Metasyndcse.
Nach einer ersten Auffassung besteht nun die Syndese darin,
daß sich je zwei der spermatogonialen oder ovogonialen Elemente in
einer der vorhin erwähnten Phasen mit ihren Enden aneinander, also
hintereinander legen»), es findet eine Metasyndese statt. Es
') Vgl. Haeckcr, S. 73 ff. (1907). Die Bezeichnung Konjugation ist für diesen
Vorgang zunächst zu vermeiden, da man bei diesem Worte an einen geschlechtlichen
Vorgang, in unserem Falte an eine Verbindung je eines väterlichen und eines mütter-
lichen Elementes denkt (s. unten). Auch der Ausdruck Synapsis (S. 89), den
McClung für die paarweise Vereinigung vorschlägt, ist offenbar nicht am Platze,
da man dabei, seit diese Bezeichnung durch Moore eingeführt ist, in erster Linie an
das bekannte Bild der einseitig zusammengedrängten Kernsubstanz denkt.
•) Die amerikanischen Autoren sprechen von einer end-to-end-coujugation.
Haeckcr, Vererbungslehre.
322
Tetradenformeln.
würde dann ein Spezialfall vorliegen einer sehr weit verbreiteten Er-
scheinung, nämlich der in den Prophasen der Kernteilungsprozesse
häufig hervortretenden Neigung der Chromosomen zurEnd verklebung,
Agglutination oder Kettenbildung 1 ).
Wenn dies wirklich zutrifft, so bestehen folgende Zusammenhänge
zwischen den Chromosomen der spermatogonialen und ovogonialen
Teilungen und den komplexen Elementen der Reifungsperiode. Wer-
den die ersteren durch a,b,c,d... und nach vollzogener „primärer"
Längsspaltung durch — , ^, — , bezeichnet, so weisen die dia-
kinetischen Chromosomen speziell der Kopepoden auf Grund der
Metasyndese die Zusammensetzung auf:
tt + b c + d
a -(- * c -\- d
oder kürzer:
a\b c\d
^\b f 7\d"'
Wenn dann eine sekundäre, den zweiten Teilungsakt vor-
bereitende Längsspaltung bemerkbar wird und die Komplexe acht-
teilige Ditetraden werden, so ergibt sich für sie die Zusammen-
setzung:
wobei durch die Striche I und II die Richtung des primären und
sekundären Längsspaltes angedeutet wird.
Bei manchen Kopepoden, z.H. Cyclops gracilis und Oiaptorous salinus, sind in
der späten Diakinese der sekundäre Längsspalt und die Querkerbc bald hintereinander
(in aufeinanderfolgenden Phasen), bald nebeneinander (an denselben Komplexen) zu
beobachten (Matscheck 1910, Taf.4, Fig. 4— 8; Taf.6, Fig. 63— 64). Ich selbst habe
bei anderen Formen schon bei meinen allerersten Untersuchungen Bilder dieser Art
gesehen, ohne sie jedoch richtig zu deuten.
Einen entsprechenden Aufbau zeigen die Längstetraden anderer
Formen, nur daß hier die auf die Metasyndese zurückzuführende
Bivalenz der Elemente äußerlich nicht sichtbar ist:
(1)
©'
') Haecker 1907. Als eine entferntere Analogie kann die Kettenbilduug der
Gregarinen und Bakterien angeführt werden.
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Tetradenformeln.
323
Für die Q uerte trade n, bei welchen keine sekundäre Längs-
spaltung hervortritt, lautet die Formel einfach:
«|6
öl*'
Was nun die Verteilung der Komponenten dieser Komplexe
im Verlaufe der beiden Reilungsteilungen anbelangt, so spielen hier-
bei offenbar zwei Momente eine Rolle, die mit dem früher her-
vorgehobenen Charakter der Reifungsteilungen als rudimentärer Sporen-
bildungsprozesse zusammenhängen auf der einen Seite die ver-
schieden abgestuften Rückbildungen und Zusammenziehungen,
welche der in den Reifungsteilungen mit so großer Zähigkeit fest-
gehaltene Prozeß der „Tetrasporenbildung" bei den einzelnen Orga-
nismengruppen erfahren hat, auf der anderen Seite die Gleich-
wertigkeit, welche bei vorgeschrittener Zusammenziehung a ) der
Längs- und Querteilungsprozeß hinsichtlich der dizentrischen Wanderung
und endgültigen Verteilung der Komponenten erlangen kann.
Ist die Zusammenziehung der beiden Teilungsprozesse nur wenig
vorgeschritten , wie dies bei einer größeren Zahl von Kopepoden 8 )
der Fall ist, so behalten die beiden Reifungsteilungen einen mehr
gleichartigen Charakter und es vollziehen sich beide nach dem
Längsspalt, die erste nach dem primären, die zweite nach dem
sekundären: sie sind also beide Aquationsteilungen im Sinne
Weismanns 4 ). Die reifen Sanien- und Eizellen erhalten also bi-
valente Elemente von der Zusammensetzung a\b, c\d..., welche ihren
bivalenten Charakter vielfach durch die noch während der Embryonal-
entwickelung deutlich sichtbare Querkerbe verraten.
Eine numerische Reduktion der Chromosomen im strengen Sinne
des Wortes hat also während der Reifungsprozesse nicht stattgefunden,
vielmehr enthalten die reifen Samen- und Eizellen je die volle
(normale, somatische, diploide) Zahl, wenn auch in verkappter, schein-
reduzierter Form (Fig. 120A). Der befruchtete Keim erhält also
faktisch die doppelte (tetraploide) Zahl von Chromosomen, und die
') Vgl. Kap. 9. sowie Haeckcr, S. 189. 101 (1910).
") Kinen extremen Fall bilden in dieser Hinsicht die simultanen Vierteilungs-
prozesse bei manchen Lebermoosen (S. 88, Fig. 50). Vgl. auch die simultanen Vier-
teilungen im disperm befruchteten Seeigelei (S. 311, Fig. 112).
*) Einen ganz ähnlichen Modus hat Granata für die Spermatogenese eines
Acridiers (Pamphagus) beschrieben. Arch. Zellf., 5. Bd., 1910.
«) Siehe S. 193-
-1 *
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324
Metasymktisch-eumitotischer Modus.
normale (diploide) Zahl wird wenigstens bei den Kopepoden erst im
Verlaufe der Embryonalentwickelung oder späteren Ontogenese durch
endgültige Syndese (Teleutosyndese) der beiden in der Querkerbe
aneinanderstoßenden Komponenten hergestellt >). Bei diesem Über-
gang der Chromosomen aus der Zweiheit in die Einheit spielen wohl
innerhalb der Chromosomensubstanz Assimilations-, Absorptions-
oder vielleicht nur Rudimentationsprozesse eine Rolle.
Alles in allem würden also aufeinanderfolgen: l. die Metasyndese,
2. zwei Aquationsteilungen, 3. die Teleutosyndese. Man kann daher
den ganzen Prozeß als metasyndetisch-äquationellen oder, da die
betreffenden Teilungen den typischen Mitosen der Melazoen- und
Metaphytenzellen hinsichtlich des Verteilungsmodus entsprechen, als
eumitotischen») oder metasyndetisch-eumitotischen bezeichnen.
Ist die Zusammenziehung der beiden Teilungsprozesse eine
stärkere, nähern sich also die Reifungsteilungen in ihrem Charakter
den simultanen Vierteilungsprozessen der Lebermoose, so kann die
sekundäre Längsspaltung ganz unterdrückt werden oder sie findet
wenigstens bei der Verteilung der Chromosomen keine Verwendung.
Die Chromosomen werden vielmehr bei einer der beiden Teilungen
nach der Querkerbe zerlegt, d. h. die beiden metasyndetisch ver-
bundenen Elemente jedes der bivalenten Elemente werden wieder von-
einander getrennt und auf die Schwesterzellen verteilt, so daß also bei
einem der beiden Teilungsschritte eine Reduktionsteilung zustande
kommt und die reifen Geschlechtszellen nur je die halbe (reduzierte,
haploide) Chromosomenzahl (ein halbes Sortiment der Chromosomen-
Individuen) übernehmen.
Es scheinen hierbei beide Möglichkeiten verwirklicht zu sein:
In einigen Fällen werden die bivalenten Chromosomen erst in
der zweiten Teilung zerlegt und auf die Schwesterzellen verteilt, es
liegt also eine Postreduktion (Korscheit und Heider) vor
(Fig. 120B). Dieser metasyndetisch-postreduktionelle Modus ist zuerst
für die Ovogenese der Kppepoden 8 ), ferner für die Ovogenese der
Seeplanarien *), für die Spermatogenese von Myriapoden ») und Ortho-
') 1910. s. 194.
•) Nach der Terminologie von Korse holt und Heider.
*) Rückert, Haecker. Vgl. indessen die obigen Ausführungen.
*) v. Klinckowström (Arch. mikr. An., 48. Bd., 1 897 ), Francotte (Mem. cour.
Ac. Belg. 1897). van der Stricht (Arch. Biol., T. 15, 1897).
l ) M. W. Blackman (Bull. Mus. Comp. Zoo!.. Vol. 4«. 1905).
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Metasyndetiscb-postreduktioneller Modus.
325
pteren ') und in etwas modifizierter Form für diejenige von Hemipteren a )
angegeben worden. Noch in einer Reihe von Fällen wurden die
Bilder anlänglich im Sinne des metasyndetisch - postreduktionellen
Modus interpretiert, es wurde jedoch diese offenbar nächstliegende
Erklärung aufgegeben, nachdem durch die Aufstellung der später zu
besprechenden Hypothese von der Parallelkonjugation oder Parasyndese
eine andere, vom vererbungstheoretischen Standpunkt aus besonders
einleuchtende Deutungsmöglichkeit gegeben war 8 ).
A B Fig. 120. C D
ab cd ab cdabcd a c
abcdabcdabcd b d
Erste Teilaug.
Zweite Teilung.
Schematische Darstellung der Reduktion.
A metasyndetisch-eomitotiacher, B metaiyndeti«th-po»treduktioneller, C metttyndetiich-
präreduktioneller, D parasyndetitch-präreduktioneUer Modul.
Eine zweite Möglichkeit besteht nun weiter darin, daß die Zerlegung
der bivalenten Elemente und damit der Reduktionsprozeß schon im
ersten Teilungsschritte vor sich geht und also eine Präreduktion
(Korscheit und Heider) stattfindet. In der zweiten Teilung vollzieht
sich dann die Verteilung nach dem (primären) Längsspalt (Fig. 120C).
') Sutton (Biol. Bull., Vol. 4, 1902). McClung 1905.
*) Groß 1904.
*) Vgl. die Angaben über die Ovogenese der Oligochäten bei Vejdovski und
Mrazek (Arch. mikr. An., 62. Bd., 1903) und bei Vejdovski 1907.
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32b
Metasy ndetisch-präredukt ioncl 1er Mod us .
Dieser metasyndetisch-präreduktionelle Modus ist unter anderem
für die Ovogenese von Anneliden (Ophryotrocha) für die Sper-
matogenese von Hemipteren*) und- mit großer Bestimmtheit für die
Samenbildung der Kröte (Bufo lentiginosus) ») angegeben worden.
Auch bei der Deutung dieser Beobachtungen hat die Beantwortung
der Frage, ob Metasyndese oder Parasyndese besteht, den prinzipiell
wichtigen Ausgangspunkt zu bilden 4 ).
Der Vorstellung, daß bei der Bildung der diakinetischen Chromo-
somenkomplexe eine Hintereinanderlagerung oder Metasyndese je
zweier spermatogonialer oder ovogonialer Chromosomen stattfindet,
stehen mehrere andere Meinungen gegenüber, unter welchen zurzeit
die Hypothese von der Parallelkonjugation oder Parasyndese
bei Zoologen und Botanikern die weiteste Verbreitung besitzt 8 ). Nach
dieser zuerst durch von Winiwarter aulgestellten, zoologischerseits
besonders durch das Ehepaar Schreiner, botanischerseits durch
Gregoire verteidigten Hypothese legen sich in den frühesten Pro-
phasen der ersten Teilung, speziell in dem als Synapsis bezeichneten,
durch einseitige Zusammendrängung der Kernsubstanz gekennzeichneten
Stadium, je zwei Chromosomen parallel aneinander. So entstehen
die „Gemini" oder nach einmaliger Längsspaltung der miteinander
„konjugierten" Elemente in den einfachsten Fällen Viererstäbchen von
der Zusammensetzung: / a\ /c\
In der ersten heterotypischen Teilung erfolgt dann eine Prä-
reduktion, indem sich die miteinander konjugierten Elemente wieder
') Korscheit (Z. w. Z., 60. Bd., 1895).
*) Paulmier (J. Morph., Vol. 15, Suppl., 1899), Kath. Foot u. Strobell (Am.
J. Anat., Vol. 4 7, 1005 u. 1907), Lefevre u. McGill (ebenda. Vol. 7. 190«).
B ) Helen King (Am. J. Anat., Vol. 7. 1907).
4 ) Vgl. Gr^goiro lOlo,
& ) Eine andere Auffassung kommt in der Faltungshy pothcsc (Montgomery,
Farmer u. Moore u. a.) zum Ausdruck, wonach sich nach erfolgter Metasyndese
die bivalenten Elemente in der Querkerbe umbiegen, so daß die metasyndeüsch ver-
einigten Elemente nachträglich parallel zueinander gelagert werden. Es soll dann
eine Präreduktion und im zweiten Teilungsakt eine Längsspaltung erfolgen (vgl.
Haeckei , S. Sj, 1907). Einen besonders einfachen Keduktionstypus ohne vorausgehende
Scheinreduktion hat Goldschmidt (Zool. Jahrb. [Anat.], 21. Bd., 1905; Arch. Zellf.,
2. Bd., 1008) für die Ovogenese eines Trematoden, Zoogonus, beschrieben. Vgl. da-
gegen Gregoire (Cellule. T. 1909).
ßß) Annahme einer Parasyndese.
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Gründe gegen die Annahme einer Parasyndesis. 327
voneinander trennen und auf die Schwesterzellen verteilt werden, im
zweiten, vielfach als homöotypisch bezeichneten Teilungsakt findet
hierauf die Verteilung nach dem Längsspalt statt (Fig. 120D; hetero-
homöotypisches Schema nach Gregoire 1 ).
Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß zahlreiche Bilder in
dieser Weise gedeutet werden können, wie denn auch diese Hypo-
these, zumal sie beim ersten Anblick für die Mendel sehen Spaltungs-
vorgänge eine besonders einleuchtende Erklärung zu geben scheint,
im Anfang mit großer Sympathie aufgenommen worden ist. Es
scheint mir aber, daß bei keinem Objekte bisher ein wirklicher Be-
weis für das Vorkommen der Parasyndese geliefert worden ist, daß
vielmehr in allen Fällen auch andere Deutungen möglich sind und
zum Teil viel näher liegen, und daß außerdem mehrere apriorische
Gründe gegen die Annahme einer Parasyndese sprechen 2 ).
Was die Mehrdeutigkeit der betreffenden Bilder anbelangt, so
sei hier nur darauf hingewiesen, daß der Eindruck der Parallel-
konjugation offenbar durch die teilweise Koinzidenz zweier
voneinander unabhängiger Erscheinungen hervorgerufen werden
kann, nämlich erstens eines mehr zufälligen oder, besser gesagt, selbst-
verständlichen teilweisen Parallelismus der Fäden, wie er durch
die in der Synapsisphase, besonders im sogenannten Bukett-
stadium bestehende polare Anordnung der Kernsubstanzen be-
dingt wird (Fig. 121 A), und zweitens einer verfrühten, bei den
einzelnen Objekten und Individuen je nach dem physiologischen und
Konservierungszustand bald früher, bald später, bald regelmäßiger, bald
unregelmäßiger hervortretenden primären Längsspaltung (Fig. 121 B).
Überdies sind viele Bilder, welche eine successive, vom Ende
gegen die Mitte fortschreitende Aneinanderlagerung zweier Fäden zu
beweisen scheinen, sicherlich auf die in der Synapsisphase erfolgenden
künstlichen Schrumpfungen und Verzerrungen zurückzuführen.
Es sind hier auch jene nicht seltenen Falle zu erwähnen, in
denen schon beim ersten Auftreten der Doppelfäden in der Pro-
') Einen etwas modifizierten Modus hat Vejdovski (1907) für die Ovogcnese
von Oligochätcn beschrieben. Auch Bonnevie (1008— lQll) und Janssens (1909)
vertreten besondere Auffassungen.
*) Vgl. Haecker 1907 (S. 86), 1009, 1910. sowie die Kritiken von Meves
(Arch. Zcllf., 1. Bd.. 1908), Fick (ebenda). Goldschmidt (ebenda), denen sich nach
anfänglich sehr enthusiastischer Aufnahme der „Junktionstheorie* immer mehr
Zweifler und Gegner anreihen.
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328
phasc der ersten Teilung ein ausgesprochener Parallelismus der
Einzelfäden vorliegt (Fig. 118, 119), was gegen die angenommene
allmähliche Aneinanderlagerung je zweier Fäden spricht und die
Analogie mit den längsgespaltenen Chromosomen somatischer Mitosen
besonders deutlich macht.
Auch die bei Pollenmutterzellen beobachteten Bilder, in welchen
schon im „präsynaptischen Kerngerüst" die ersten, noch etwas unregel-
mäßigen Verdichtungen der chromatischen Substanz (Prochromo-
somen, Chromosomenspuren) einen Doppelbau erkennen
lassen, dürften der ganzen Sachlage nach viel eher auf eine frühzeitige
Längsspaltung als auf eine Chromosomenpaarung hinweisen 1 ), ganz
abgesehen davon, daß Bilder ähnlicher Art auch in somatischen
Pflanzenkernen zur Beobachtung kommen 8 ).
Die Querkerben, wie sie bei so vielen Objekten in den Prophasen
der ersten Teilung wahrzunehmen sind (Fig. 117a u. a.), sprechen-
andererseits mit Entschiedenheit für eine Metasyndese, und die un-
zweideutige, auf Längsspaltung beruhende Entstehungsweise der
Chromosomen eines Radiolars (Aulacantha, S. 103, Fig. 68) kann als
ein weiteres Argument dafür betrachtet werden, daß die ganz ähnlich
gebauten Chromosomen der Reifungsperiode ebenfalls einem primären
Längsspaltungsprozeß ihre Entstehung verdanken.
') Vgl. Overton 1905. Tab. 6., Fig. 16; Strasburger 1905, p. 3 5 ff- ; Lunde-
gärd 1910, und andererseits Ilaecker 1907, S. 78.
■) Vgl. Strasburger 1909, S. 59. Tab. l, Fig. 18.
Fig. \2\.
Knäuelstadien aus den Ovocyten erster Ordnung der Katze.
Nach Winiwarter und Sainmont.
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Gründe gegen die Annahme einer Parasyndesis. 329
Überdies scheint mir, und damit komme ich zu den apriorischen
Unwahrscheinlichkeiten, gegen diese Hypothese die immer deut-
licher hervortretende Tatsache zu sprechen, daß die vielfach dem
heterotypischen Modus folgende erste Reifungsteilung der
Metazoen und Phanerogamen hinsichtlich ihrer prophasischen
und metaphasischen Charaktere keineswegs die isolierte
Stellung einnimmt, die ihr im Anfang zugeschrieben worden ist,
daß vielmehr ihre besonderen Züge auch bei anderen generativen und
embryonalen Mitosen weit verbreitet sind >). Wenn aber diese engen
Beziehungen zwischen dem in der ersten Reifungsteilung zutage
tretenden Modus und den typischen Mitosenformen bestehen, so ist
schwerlich zu erwarten, daß ersterer in bezug auf einen offenbar so
fundamentalen Punkt, wie es die Entstehung der Chromosomen-
komplexe ist, von den typischen Mitosen wesentlich abweicht. Und
wenn diese charakteristischen Doppelfäden, Überkreuzungs- und Achter-
figuren usw. an anderen Stellen durch Längsspaltung zustande
kommen, so scheint es mir überaus wahrscheinlich zu sein, daß das
gleiche für die Chromosomenkomplexe der ersten Reifungsteilung gilt.
So willkommen also auch eine Hypothese sein würde, welche,
wie die von der Parasyndesis, in so einfacher Weise die experi-
mentellen Ergebnisse mit den cytologischen in Verbindung bringt,
so halte ich sie doch für unbegründet, und ich möchte glauben, daß
die große Mehrzahl der Beobachtungen durch die Annahme einer
Metasyndese in einfacherer Weise erklärt wird.
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') Vgl. Kap. 10, sowie Haecker. S. 104 (1007); S. 185 (1910). Bonnevie 1007
n. 1908.
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330
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Winiwarter. v.. u. Sainmont 190S. s. Literaturverzeichnis 9 (S. 59).
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Einunddreißigstes Kapitel.
Chromosomenhypothesen der Vererbung.
Von der doppelten Annahme aus, daß der Kern und insbesondere
die bei der Teilung hervortretenden Chromosomen die eigentlichen
Vererbungsträger darstellen und ferner, daß die Chromosomen auto-
nome, von Zellgeneration zu Zellgeneration übermittelte Individuen
sind, kann der Versuch gemacht werden, die bei der Vererbung der
elterlichen Qualitäten hervortretenden Verteilungsverhältnisse mit den
Chromosomenbewegungen in Zusammenhang zu bringen, welche bei
den Reifungsprozessen beobachtet werden.
a) Ursprüngliche Darstellung Weismanns.
Die ersten Versuche dieser Art sind von Weismann vorgenommen
wurden. Weismann nimmt, wie wir gesehen haben»), an, daß in
jedem der Chromosomen oder Idanten sämtliche Teile und Potenzen
des Keimplasmas mindestens einmal vorhanden sind, und daß die
Unterschiede der in einem einzelnen Kern enthaltenen Chromosomen
nur individueller Art sind, ähnlich den Unterschieden, welche die
verschiedenen Individuen einer Familie, Rasse oder Spezies auf-
weisen. Ferner haben nach Weismann die Reifungsteilungen nicht
bloß den Zweck, die Zahl der Chromosomen oder Idanten vor der
Befruchtung auf die Hälfte der Normalzahl zu reduzieren, sondern
sie sollen auch den einzelnen Fortpflanzungszellen jedes Eltern-
individuums verschiedene Sortimente von Idanten zuweisen, so daß
die Zahl der durch den Befruchtungsakt, die Amphimixis, herbei-
geführten Neukombinationen der Anlagen eine weitere Steigerung
erfährt.
Von diesen Voraussetzungen, insbesondere auch von der Vor-
stellung aus, daß tatsächlich bei allen höheren Organismen
l ) Kap. 10.
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332
Annahme Weismanns.
eine Reduktionsteilung vorkommt, rindet nun in der Tat eine
ganze Anzahl von Vererbungserscheinungen eine verhältnismäßig ein-
fache Erklärung. So würde die regelmäßige Ungleichheit der
von einem Elternpaar abstammenden Kinder darauf zurück-
zuführen sein, daß die einzelnen Eier der Mutter und ebenso die
einzelnen Samenzellen des Vaters bei der Reduktionsteilung eine sehr
verschiedene Idantenkombination erhalten. Dasselbe gilt im beson-
deren für die Verschiedenheit der nicht-identischen, zwei-
eiigen Zwillinge, welche von zwei verschiedenen, durch verschie-
dene Spermatozoen befruchteten Eiern abstammen und sich daher
vererbungsmechanistisch nicht anders als gewöhnliche Geschwister
verhalten, während die annähernd vollkommene Übereinstimmung
der identischen oder eineiigen Zwillinge, die durch nachträg-
liche Spaltung eines befruchteten Keimes entstehen dürften, auf der
absoluten Gleichheit ihres Idantenmaterials beruht. Der so häufig zu
beobachtende, nahezu vollkommene Rückschlag auf einen der vier
Großeltern würde ferner im wesentlichen darauf beruhen, daß eine
der beiden in der Zygote zusammentretenden Keimzellen bei der
Reduktionsteilung vorzugsweise nur die großväterlichen oder die
großmütterlichen Idanten erhielte, und daß die Idanten dieser Keim-
zelle im befruchteten Keime über die der anderen dominieren. In
ähnlicher Weise wäre der Rückschlag auf weit entfernte Vor-
fahren in der Weise zu erklären, daß sehr alte, normalerweise in
der Minderheit befindliche Vorfahren-Idanten bzw. -Determinanten in-
folge bestimmter, für sie besonders günstiger, bei der Reduktions-
teilung und Amphimixis zustande kommender Kombinationen in die
Majorität gelangen.
Manche dieser Erklärungen gewinnen vielleicht noch an Über-
zeugungskraft, wenn man, entsprechend den cytologischen Ergebnissen
der letzten beiden Jahrzehnte, eine Syndese zweier Chromosomen
in den Prophasen der ersten Reifungsteilung annimmt und insbesondere,
nach einer zuerst von Montgomery ausgesprochenen Hypothese,
in diesen syndetischen Prozessen eine paarweise Vereinigung oder
Konjugation je eines väterlichen und mütterlichen Elementes sieht l ).
Die Fig. 122, welche nach einem von Zieglcr gegebenen Schema in freier
und abgekürzter Weise diese Modifikation der Wo ismannschen Amphimixislehrc
veranschaulichen soll, zeigt, wie sowohl im Vater wie in der Mutter während der
Prophasen der ersten Teilung eine Syndese je eines der großväterlichen und grofi-
■) Vgl. II. E. Ziegler 1905. 1906.
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Annahme Weismanns.
333
mütterlichen Elemente stattfindet (122B) und wie infolgedessen nach erfolgter Re-
duktionsteilung und Trennung der syndelisch verbundenen Chromosomen sowohl die
väterlichen wie die mütterlichen Gameten verschiedene Kombinationen der großelter-
lichen Chromosomen aufweisen können (bei der angenommenen Clnomosomen2ahl
Vater Fig. 122. Mutter
Großvater Großmutter Großvater (J.-ußuiutter
B
•0##
ee©0
©©©©
#
e©
©©
ee
e©
'"•©©0
Schema für die Neukombination der Chromosomen. Frei nach Ziegler.
je vier Kombinationen, C, 1—4)- Auf diese Weise entstehen 16 Sorten von Zygoten,
in welchen die Chromosomen von allen vier oder auch nur von drei oder zwei Groß-
eltern enthalten sein können (D, 1—16).
b) Umgestaltung der Lehre durch Montgomery, Sutton,
Boveri.
Die Wiederentdeckung der Mendel sehen Regeln hat zu Be-
trachtungen dieser Art einen besonders starken Anstoß gegeben. Lag
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334
Umgestaltung der Weis mann sehen Lehre.
es doch sehr nahe, die symmetrische Ausein anderlegung, welche zu-
folge der Mendel sehen Erklärungshypothese von der Reinheit der
Gameten 1 ) die im Bastard vereinigten Anlagen bei der Keimzellen-
bildung erfahren, zu den auffälligen symmetrischen Vorgängen in
Beziehung zu bringen, welche sich an den Chromosomen der Reifungs-
teilungen im Falle einer Reduktionsteilung abspielen 2 ). So wurden
Fig. i 23.
A B
«An*
Spaltungsvorgänge bei individuell (A) und physiologisch (B) verschiedenen
Chromosomen.
a nnd b Keimzellenkeroe vor bzw. nach der Syndese der elterlichen Chromosomen.
c Redaktionsteilung.
denn auch sehr bald verschiedene Versuche gemacht, die Mendel -
sehen Vererbungserscheinungen, insbesondere die angenommene Rein-
heit der Gameten der heterozygoten Individuen, cytologisch zu
interpretieren, wobei die Hypothese, daß die Chromosomen die Ver-
erbungsträger seien, ferner die Individualitätstheorie und die schon
') Siehe S. 222.
*) Bateson, Princ. Her., Cambr., 1902.
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Monohybride Spaltungen.
335
vorhin erwähnte Hypothese Montgomerys von der Konjugation der
elterlichen Chromosomen den theoretischen Ausgangspunkt bildeten.
In der Regel wird außerdem auf Boveris Lehre von der physio-
logischen Verschiedenheit der Chromosomen zurückgegriffen.
Verhältnismäßig einfach würde die Erklärung für das Auftreten
reiner Gameten im Falle in onohybrider Kreuzungen sein, wenn
also die beiden Stammformen nur durch ein Merkmalspaar unter-
schieden sind. Man könnte dabei sowohl die Vorstellung Weis-
raanns festhalten, wonach alle Chromosomen Träger der sämtlichen
. Funktionen und nur individuell verschieden sind 1 ), oder auch von
der Hypothese Boveris ausgehen, welche eine Verteilung der ver-
schiedenen Anlagen auf die verschiedenen Chromosomen eines Kernes
annimmt.
Im ersten Falle (Fig. 123 A) wäre allerdings, um die Entstehung
reiner Gameten verstehen zu können, die weitere Voraussetzung zu
machen, daß bei der Reduktionsteilung wirklich sämtliche väterliche
Chromosomen nach der einen, sämtliche mütterliche nach der anderen
Seite gehen (A, c), was unter der Voraussetzung einer vorangegangenen
Konjugation je eines väterlichen und eines mütterlichen Chromo-
soms (A, b) in Anbetracht des im allgemeinen so streng symme-
trischen Verlaufs der meisten mitotischen Prozesse nicht ganz un-
wahrscheinlich wäre.
Es ist der Nachweis versucht worden'), daß auch dann, wenn bei der Reduk-
tionsteilung der Keimzellen der Bastarde keine reinliche Scheidung der
väterlichen und mütterlichen Chromosomen erfolgt, die F t - Bastarde im Falle von
Monohybridismus das Verhältnis 25: 50:25 zeigen werden, da nach der Wahrschein-
lichkeitsrechnung in 25 Proz. der Zygoten die Chromosomen der väterlichen , in
25 Proz. die der mütterlichen Stammform die Majorität haben werden, während
sich in 50 Proz. der Zygoten beide ungefähr die Wage halten werden.
Im zweiten der angenommenen Fälle hätte man sich vorzustellen,
daß in den unreifen Keimzellen des Bastards die Träger der beiden
antagonistischen Anlagen, z. B. der Anlagen zur roten und weißen
Blütenfarbe, durch je ein Chromosom repräsentiert werden (Fig. 1 23 B, a,
wo die betreffenden Chromosomen durch Querstriche gekennzeichnet
sind), und daß in den Prophasen der Reilungsteilungen gerade diese
beiden homologen Chromosomen miteinander in Konjugation treten
(Fig. 1 23 B, b). Dann würde die Reduktionsteilung (Fig. I23ß,c) sie
in regelmäßiger Weise voneinander trennen und es würden also
') Vgl. Cannon 1902.
*) H. E. Ziegler 1905.
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336
Di- und polyhybride Spaltungen.
Gameten gebildet werden, die entweder nur die eine oder nur die
andere Anlage in sich schließen.
Um nun weiterhin die Unabhängigkeit zu erklären, welche die
einzelnen Anlagenpaare bei di- und polyhybriden Kreuzungen
hinsichtlich der Spaltung zeigen, sind freilich erhebliche Schwierig-
keiten zu beseitigen.
Geht man von der Weis mann sehen Hypothese aus, daß die
Chromosomen nur individuell verschieden sind, so bietet die An-
nahme einer parallelen Konjugation der elterlichen Chromo-
somen und die weitere Hilfshypothese, daß zwischen den paarweise
aneinandergelagerten Chromosomen ein Austausch von Anlagen
Fig ^ stattfindet, die Möglichkeit
einer Erklärung 1 ). Wenn
nämlich innerhalb der Chro-
mosomen die einzelnen, den
Elementareigenschaften des
Organismus entsprechen-
den Anlagen linear geord-
net sind a ) und in sämtlichen
Chromosomen in dersel-
ben Reihenfolge liegen,
so werden die gleichnami-
gen Anlagen während des
Zustandes der Konjugation
einander opponiert sein, und
es könnte ein größerer oder
kleinerer Teil der Anlagen
gegeneinander ausgetauscht werden. Es würden dann in den reifen
Sexualzellen die väterlichen und mütterlichen Anlagen in allen mög-
lichen Kombinationen auftreten können, so wie es nach der Un-
abhängigkeitsregel tatsächlich der Fall zu sein scheint.
Einfacher liegt aber auch hier die Sache, wenn im Sinne Boveris
eine physiologische Verschiedenheit der Chromosomen angenommen
wird»). Man kann dann die in den Spermatogonien und Ovogonien
Polansicht der Äquatorialplatte iu einem Spcrma-
togonium von Brachystola. Nach Sutton.
x das Heterochrumosom. i, j, k die drei kleinste u Chromo-
tomenpaare.
') Vgl. deVries lQo.j- Ähnliche Annahmen haben Rnckert und Vejdovslci
gemacht.
') Vgl. S. igj, Fig. so.
•) Sutton 1903. Boveri 1904. K. R. Lillie (Observ. etc. in Chaetopterus,
Journ. Kxp. Zool.. Vol. 3. p. 250. JO06).
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Di- und polyhybiide Spaltungen.
337
vielfach beobachteten „doppelten Chromosomengarnituren " l ) in der
Weise deuten, daß jedes Paar gleich großer Chromosomen (z. B. die
Paare i, j, k in Fig. 124) aus einem väterlichen (*',/, k') und dem
ihm funktionell gleichwertigen mütterlichen Chromosom (i"J'\k")
besteht. Nach den übereinstimmenden Angaben zahlreicher Autoren
sollen nun in den frühesten Prophasen der ersten Reifungsteilung
jeweils die beiden Glieder der einzelnen Größenabstufungen mit-
einander in Konjugation (Meta- bzw. Parasyndese) treten und bei
der Reduktionsteilung auf die beiden Schwesterzellen verteilt wer-
den. Da nun die Lage der konjugierten Paare in der Äquatorial-
platte der Reduktionsteilung ganz vom Zufall abhängig sein könnte,
i'
derart, daß z. B. bei der Eireife das Ei selbst von dem Paar
j'
den väterlichen, von einem anderen Paar J —, den mütterlichen Partner
0
erhalten kann, so würde jede Gamete von jeder Sorte von Chromo-
somen ein Exemplar übernehmen, wobei jedoch die Chromosomen
väterlicher und mütterlicher Abkunft in den verschiedensten Kombi-
nationen auftreten könnten.
Werden z. B. die doppelten Chromosomengarnituren der Ovo-
gonien durch a' a"b'b"c'c" ... bezeichnet, so könnte die Aufstellung
der Paare in der Äquatorialplatte der Reduktionsteilung und ihre Ver-
teilung in der verschiedensten Weise vor sich gehen:
a L h ! £l
a'" c"'"
oder
0!
b"
c'
a"'
b' '
?'
0!
b'
c"
7" V" 7"' usw '
Es ist ohne weiteres ersichtlich, daß auf diese Weise alle die-
jenigen Anlagenkombinationen hergestellt werden können, welche
bei di- und polyhybriden Kreuzungen zutage treten.
Mein eigener Versuch*), die Mendel sehen Spallungsvorgänge cytologisch zu
erklären, ist deshalb als mißglückt zu betrachten, weil die Deutung der Befunde bei
Cyclops, welche mir als Ausgangspunkt gedient hatte, inzwischen durch die Arbeiten
meiner Schüler*) als unhaltbar nachgewiesen worden ist. Ich möchte es aber doch
l ) Siehe Kap. 10. S. 108. Fig. 72.
») S.239 (1909); 1910.
") Vgl. besonders Matscheck, Literaturverzeichnis 11 (S. 120).
Haeckcr, Vererbungsichre. 2 2
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338
Symmixis.
für wahrscheinlich halten, daß dem von mir damals aufgestellten Begriff der Symmixis
eine Realität zukommt, daß also bei manchen Objekten in den späteren Propbascn
oder in der Metaphase der ersten Teilung eine Umgestaltung der Chromo-
somenkomplexe durch Auswechselung ihrer Teile und also eine in den
frühen Prophasen gewissermaßen nicht vorgesehene Verteilung der Elemente in den
Anaphasen stattfindet Ein solcher symmiktischer Vorgang kann entweder durch
Rotation ringförmiger bivalenter Elemente (Fig. 125 B — C) zustande kommen, wie
Fig. 125.
B C
D
b'
EEE
a w b"
b" b"
Symmixis durch Rotation.
dies schon Weismann (iHqi) angenommen hatte, oder es könnte bei X- förmigen
Elementen eine Permutation oder Versetzung der Teile erfolgen, wie dies z.B.
bei Cyclops viridis möglicherweise vorkommt (Fig. 126) und in ähnlichei Weise
Groß (S. IOO, Fig. 63; S. 320, Fig. ll") für die kreuzförmigen Chromosomenkomplexe
von Syromastes annimmt '). Daß derartigen Vorgängen unter gewissen Voraus-
setzungen eine Bedeutung für die Eiklärung der Mendel sehen Spaltungsvorgänge
zukommen könnte, braucht nicht näher erörtert zu werden.
Fig. 126.
Wir haben gesehen, daß, indem die Beob-
achtungen Suttons und anderer über das Auf-
treten paarweise abgestufter Chromosomensorti-
mente mit der Bov er i sehen Hypothese von der
physiologischen Ungleich Wertigkeit der Chromo-
somen in Verbindung gebracht wurden, eine über-
raschende Parallele zwischen den Ergebnissen
der cytologischen und der Bastard forschung her-
gestellt werden konnte. Mit einem Male schien
ein großer Teil dessen erreicht zu sein, was den
Begründern der älteren morphobiologischen Ver-
erbungshypothesen als Ziel vorgeschwebt hatte: die „Erklärung" einer
größeren Gruppe von Vererbungserscheinungen durch die mikro-
skopisch kontrollierbaren Vorgänge in den Keimzellen. Die Sutton-
V V
Symmixis durch Per-
mutation.
') Es liegt nahe, auch die eigentümliche „Verhängung" 4 , welche die Chromo-
somen von Ascaris bei der Furcbung zuweilen zeigen, durch Symmixis zu erklären.
Vgl. dagegen Boveri. S. 212 (1909. Literaturverzeichnis 29).
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l.'nreinbeit der Gameten.
339
Boverische Chromosoinenhypothese der Vererbung hat daher als ein
einleuchtender und eleganter Lösungsversuch vielen Anklang gefunden,
und es ist ihr bisher noch keine andere Hypothese von gleichem
Erklärungswert gegenübergestellt worden.
Gerade weil aber so viel für die Gültigkeit der Sutton-Boveri-
schen Kombinationen zu sprechen scheint, ist um so mehr im Auge
zu behalten, daß ihr eine ganze Reihe von Voraussetzungen zugrunde
liegen, von denen jede einzelne einen hypothetischen Charakter besitzt
und schon auf mehr oder weniger Widerstand gestoßen ist. Diese
Hypothesen sind im wesentlichen folgende:
l. Die schon von Mendel angenommene Erklärungshypothese
von der Reinheit der Gameten.
Die Gültigkeit dieser Annahme ist von verschiedenen Seiten be-
stritten worden, und es ist zweifellos, daß sie mit manchen experi-
mentellen Ergebnissen, z. B. den Beobachtungen beim Axolotl (S.231),
nicht in Einklang zu bringen ist. So wurde denn zur Erklärung einer
Reihe solcher besonderen Vorkommnisse angenommen, daß die
Gameten nach der Spaltung in Wirklichkeit nicht vollkommen
rein sind. Man hat sich entweder 1 ) dabei vorgestellt, daß die beiden
bei der Kreuzung vereinigten Anlagen sich gegenseitig beeinflussen
können , ehe sie bei der Keimzellenbildung der JP, - Bastarde wieder
auseinandergehen (Tauschhypothese). Die Trennung der Anlagen ist,
wie Castle sagt, nicht so vollständig, wie wenn man zwei aufein-
andergelegte verschiedenfarbige Glasplatten voneinander nimmt, sondern
wie wenn man zwei verschieden gefärbte zusammengeschmolzene
Wachsschichten trennt. Nach einer zweiten 2 ) Anschauung (Alter-
nationshypothese) würde bei der Keimzellenbildung der i^-Bastarde
ül>erhaupt keine Spaltung der beiden Anlagen im Sinne Mendels
stattfinden, vielmehr würden sämtliche Keimzellen beide Anlagen,
jedoch mit wechselnder Dominanz in sich einschließen. In etwas
allgemeinerer Form führt eine dritte 8 ) Hypothese die vielfach beob-
achtete Unreinheit der Kreuzungsprodukte darauf zurück, daß die
scheinbar rein rezessiven Individuen das dominierende Merkmal in
„kryptomerem", latentem" Zustande mit sich führen, und daß diese
latenten Anlagen durch die Kreuzung zum Teil wieder geweckt
werden können.
') Vgl. deVries 1903. Castle 1905.
") Vgl.' Morgan 1905, Fick 1907.
J ) Vgl. Tscherraak 1903, 1905.
22*
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340
Schwierigkeiten für Hovens Hypothese.
2. Die Hypothese, daß die Chromosomen die eigentlichen
Vererbungsträger darstellen (Hypothese vom Vererbungs-
monopol des Kernes).
Die Gründe, welche für und gegen diese Annahme sprechen,
sind im 14. Kapitel erörtert worden. Es scheint, wie wir sahen, mehr
und mehr die Auffassung durchzudringen, daß die bisherigen Vor-
stellungen einer Revision bedürftig sind.
3. Die Hypothese von der Individualität der Chromosomen.
Sie scheint mir die am besten begründete unter den hier zu machenden
Voraussetzungen zu sein (Kap. 29).
4. Die Boverische Hypothese von der physiologischen Un-
gleichwertigkeit der Chromosomen.
Wenn auch diese Annahme eine fast notwendige Konsequenz
der Individualitätslehre zu sein scheint (Kap. 29), so liegt doch bisher
keine einzige Beobachtung vor, aus welcher mit Sicherheit ein
direkter Zusammenhang zwischen den Mendelschen Erbeinheiten
und den Chromosomen hervorgehen würde, wenn auch vielleicht die
Befunde bei Kopepoden und bei Oenothera (S. 340) auf mittelbare Be-
ziehungen hinweisen. Selbst die cytologischen Befunde, aus welchen
die Existenz geschlechtsbestimmender Chromosomen geschlossen
wurde, sind, wie im folgenden Kapitel gezeigt werden soll, nicht
eindeutig.
Daß das Auftreten regelmäßiger Chromosomenzahlen, z. B. der
Zahl 24, bei den verschiedensten Tier- und Pflanzengruppen für die
Hypothese an sich eine Schwierigkeit bedeutet, wurde schon früher
(S. 313) angedeutet. Widersprüche anderer Art ergeben sich aus der
Tatsache, daß wohl in allen Fällen die Zahl der Chromosomen geringer
ist als diejenige Zahl, welche für die selbständigen erblichen Merk-
male anzunehmen ist oder festgestellt wurde. So wurde darauf hin-
gewiesen '), daß bei der Erbse die reduzierte Zahl der Chromosomen sieben
beträgt, und daß schon durch Mendel sieben selbständige Erbeinheiten
nachgewiesen sind. Es wäre doch kaum denkbar, daß Mendel in
letzterer Hinsicht bereits sämtliche Möglichkeiten erschöpft hätte
und daß bei der Erbse nicht eine wesentlich größere Anzahl von
Erbeinheiten existieren würde. Für eine andere Pflanze, das Löwen-
maul (Antirrhinum), sind schon jetzt mehr selbständig mendelnde
Erbeinheiten als Chromosomen bekannt").
') Vgl. Allen 1905.
«) Vgl. Baur 1008. 1010 (Literaturverzeichnis 26, S. 273)-
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Schwierigkeiten für die Konjugationshypothese
341
Man hat nun allerdings versucht, durch die Annahme, daß jedes
Chromosom die Anlage von mehreren Charakteren enthalten müsse »),
und daß vielleicht die Unterabschnitte der Chromosomen (die Chromo
meren, Chromiolen oder Mikrosomen) die Träger der selbständigen
Anlagen seien, einen Teil der Schwierigkeiten zu überwinden, aber
man verliert dabei die Möglichkeit, die Spaltungsvorgänge auf mikro-
skopisch kontrollierbare Geschehnisse zurück zuführen, abgesehen davon,
daß auch die Frage nach den Unterabschnitten der Chromosomen
noch vollkommen in der Schwebe ist (S. 43).
5. Die Montgomerysche Hypothese von der paarweisen
Konjugation der elterlichen Chromosomen.
Daß die Tatsachen, welche im Sinne einer parasyndetischen
Konjugation der elterlichen Chromosomen aufgefaßt worden sind,
mindestens nicht eindeutig sind, und daß manche Beobachtungen
und ebenso manche Betrachtungen allgemeinerer Art entschieden
gegen die Annahme eines derartigen Vorganges sprechen, wurde
früher (Kap. 30) behandelt.
Aber auch die Hypothese, daß bei einer metasyndetischen
Paarung der Chromosomen jeweils ein väterliches und mütterliches
Element verbunden werden, schließt eine ganze Reihe von Unsicher-
heiten in sich, und mindestens stehen ihrer Verallgemeinerung
verschiedene Schwierigkeiten im Wege. Einerseits sind ja die
doppelten Chromosomengarnituren, auf welche sich die Hypothese
in erster Linie stützt, keineswegs mit Notwendigkeit als konstante
oder wesentliche Verhältnisse aufzufassen (Kap. 10), andererseits ist
auch das zweite Hauptargument, nämlich die viellach beobachtete
Paarung zweier Heterochromosomen (Idiochromosomen, Mikrochromo-
somen)i keineswegs entscheidend. Denn wenn die Heterochromo-
somen wirklich im Abbau befindliche, vielleicht der Nucleolisation
anheimfallende Gebilde sind, so würde weder ihrer paarweisen
Vereinigung während gewisser Kernzustände, noch dem an ihnen
beobachteten Teilungsvermögen eine mehr als sekundäre Bedeutung
zukommen müssen. Wenigstens liegt es nahe, ihre paarweise Ver-
bindung mit der nachträglichen Verschmelzung der beiden Nucleolen
gonomer gebauter Kerne (S. 83) zu vergleichen, und, was die Teilungs-
fähigkeit anbelangt, so zeigen die Diminutionskörper bei Ascaris und
bei den Kopepoden (S. 62, Fig. 28 B; S. 65, Fig. 30Q zur Genüge, daß
l ) Vgl. Wilson (Popul. Sc. Monthly 1003), Heider 1006.
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342
Schwierigkeiten für die Konjugationshypothese.
auch solche Gebilde, welche nicht mehr den vollen Wert von Chromo-
somen haben, in offenbar passiver Weise unter der Wirkung der im
Plasma vor sich gehenden Verschiebungen und Neugruppierungen
halbiert werden oder wenigstens Teilungsversuche ausführen können.
Gegen die allgemeine Gültigkeit der Annahme, daß die Chromo-
somenpaarung Chromosomen verschiedenelterlicher Abkunft be-
trifft, spricht übrigens, wie mir scheint, die namentlich bei Bastarden
häufig gemachte Beobachtung, daß bei der Teilung der Spermato-
cyten erster Ordnung und Pollenmutterzellen doppelte Teilungsfiguren
(Doppelspindeln) auftreten (Fig. 127) 1 ). Man könnte allerdings das
Doppelspindeln in den Spermatocyten eines Taubenbastaids. Nach Guy er.
Vorkommen solcher Doppelspindeln bei Bastarden als eine Abnor-
mität, und zwar als ein Zeichen tür die ungenügende Affinität (incom-
patibility) der Gonomeren bzw. der elterlichen Chromosomen ansehen
und auf die Störungen, welche sich daraus eventuell für den Ablauf
des Reifungsprozesses ergeben, die Sterilität der Bastarde zurück-
führen >). Da aber gerade bei sterilen Bastarden solche Doppelfiguren
vielfach nicht gefunden werden und umgekehrt auch bei normalen
(homozygoten) Individuen noch in den Prophasen der ersten Teilung
bastarden, Metcal f (Proc. Nebraska Ac. Sei. IQ01) bei der Pollenbildung von Gladiolus-
Bastarden, Cannon (Bull. Torrey Bot. Club, Vol. 30, 1903) bei Bauniwollbastarden.
Tischler (Jahrb. wiss. Bot., 42. Bd., 1906) bei Ribes-Bastarden gefunden. Vgl. hierzu
auch Juel (ebenda. 35. Bd., 1900), Rosenberg (Ber. D. Bot. Ges., 21. Bd.. 1903),
Gregory (Proc. Cambr. Phil. Soc. , Vol. 13, 1905), Poll (Sitzungsber. Ges. Naturf.
Freunde 1907. 1908).
*) Vgl. Haecker S. 85 (1902); S. 202 (1904): Sutton 1903.
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Chromosomen der Drosera- Bastarde.
343
deutliche Spuren von Gonomerie angetroffen werden »), so scheint die
Sterilität weniger auf Unregelmäßigkeiten der Reifungsteilungen, als
auf allgemeinere physiologische Ursachen (Störungen der Kernplasma-
relation, Giftwirkungen usw.) zurückzuführen zu sein 2 ), und das Auftreten
von Doppelspindeln und anderen gonomeren Erscheinungen in den Pro-
phasen der ersten Teilung würde eher als ein normales Vorkommnis
zu betrachten sein. Wenn aber die beiden Gonomeren noch bis zur
ersten Reifungsteilung getrennt bleiben und sogar noch selbständig
die Teilung ausführen, so würde dies eine Widerlegung der Ansicht
sein, daß in den Prophasen all-
„ u \ Fig. 128.
gemein eine Konjugation je
zweier elterlicher Chromosomen
stattfindet.
6. Die Voraussetzung, daß
gerade bei den Objekten, bei wel-
chen der alternative Vererbungs-
modus nachgewiesen wurde, im-
mer auch eine Reduktions-
teilung stattfindet, darf nach
dem vorigen Kapitel (30) eben-
falls nicht als selbstverständlich
betrachtet werden.
7. Die Annahme, daß bei
einer eventuellen Reduktions-
teilung die Chromosomenpaare
so in die Äquatorebene der Tei-
lungsfigur zu liegen kommen, daß
die väterlichen und mütterlichen Partner (Konjuganten) in durchaus
unregelmäßiger Weise nach den beiden Richtungen auseinander-
gehen, ist vorläufig ebenfalls stark hypothetischer Natur. Allerdings
hat Rosen berg zu zeigen versucht, daß dies bei Drosera- Bastarden
für die kleinen Chromosomen von D. longifolia und die großen von
rotundifolia zutrifft (Fig. 128), indessen muß auch hier noch auf wirk-
lich entscheidende Beobachtungen gewartet werden.
') Doppelte Knäuelfiguren in den Prophaseu der ersten Teilung hat z. B.
Guignai d (Bull. Soc. Bot. France, 36. Bd.. 1890, Fig. 26) bei Lilium Martagon, ich
selbst (1902, Taf. II, F"ig. 23) im Hoden junger Heterocope-cf gefunden. Poll (1908)
fand in normalen Entenhoden Doppelspindcln.
*) Vgl. Tischler 1. c, sowie 1907. 1908. Vgl. Kap. 21. S. 216.
Teilung einer l'ollenmutterzclle eines
Drosera- Bastards Nach Rosenberg.
Die auf zwei Schnitte verteilten Chromosomen-
komplexe sind aus einem kleinen longifolia- o. einem
großen rotundifolia- Chromosom zusammengesetzt.
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344 Literaturverzeichnis 31.
Im übrigen besteht die Hauptschwierigkeit für die Chromosomen-
hypothesen darin, daß bisher noch kein Objekt vorliegt, tür welches
einerseits die Einzelheiten des alternativen Vererbungsmodus, anderer-
seits der Verlauf der Reifungsprozesse genau bekannt sind. Die
cytologische Forschung wird ihre ganze Aufmerksamkeit darauf
richten müssen, Objekte ausfindig zu machen, welche sich für experi-
mentelle Kreuzungs- und Vererbungsstudien eignen und gleichzeitig
auch der Keimzellenforschung endgültige Erfolge versprechen 1 ).
Literaturverzeichnis zu Kapitel 31.
Allen, Ch. E., Nuclcar division in the Pollen - Mother - cells of Lilium canadcnse.
Ann. Bot., Vol. 19, 1905.
Boveri, Th., Ergebnisse fiber die Konstitution der chromatischen Substanz des
Zellkernes. Jena IQ04.
Cannon. W. A., A cytological basis for the Mendelian laws. Bull. Ton. Bot. Club-
Vol. 20, 1902.
Castle, W. E. , Recent discoveries in heredity etc. Top. Sei. Montbly 1905.
Fick, K., Vererbungsfragen usw. Erg. An. u. Entw., 16. Bd., 190".
Guyer, M. F., The germ cell and the results of Mendel. Cincinnati l^ncet Clinic
1903.
Haecker 1902, 1904. lOlo. Literaturverzeichnis 6 und 30.
Heid er, K., Vererbung und Chromosomen. Jena 19a». ,
Montgomcry, Th. H., 1901. Literaturverzeichnis 6.
Morgan, T. H.. The assumed purity of the germ cells in Mendelian results. Sei..
N.S., Vol. 22, 1005.
Rosenberg, O., Über die Tetradenteilung eines Drosera- Bastards. Ber. D. Bot.
Ges., 22. Bd., 1904. (Vgl. Meddel. Stockh. Bot. Inst. 1004.)
Sutton, W. S., The chromosomes in heredity. Biol. Bull., Vol. 4, 1904-
Tischler, G., Weitere Untersuchungen fiber Steril itätsuisachen. Ber. D. Bot. Ges.,
25. Bd., 1007.
— , Zellstudien an sterilen Bastardpflanzen. Arch. Zellf., i. Bd., 1908.
Tscherxnak, E.. Die Theorie der Kxyptomcrie usw. Beih. Bot. Centralbl.. 16. Bd.,
1903.
— , Über Bildung neuer Formen durch Kreuzung. Res. Congr. Intern. Bot. 1905.
Vries. H. de, Befruchtung und Bastardierung. Leipzig 1903.
Weismann 1891, 1892, s. Literaturverzeichnis 19.
Ziegler. H. E., Die Vererbung in der Biologie. Jena 1905.
— , Die Chromosomentheorie der Vererbung in ihrer Anwendung auf den Menschen.
Arch. Rass. Ges. Biol., 3. Jahrg., 1906.
') Wie ich glauben möchte, genügen zwei Forniengruppen den meisten der
Anforderungen, welche an solche Objekte gestellt werden müssen: die Snßwasser-
kopepoden und die urodelen Amphibien (Vcrh. Zool. Ges. 1908).
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Zwei und dreißigstes Kapitel.
Chromosomen und Geschlechtsbestimmung.
Auch diejenigen Biologen, welche die Unterlagen der Sutton-
Bo veri sehen Chromosomenlehre für nicht genügend gesichert ansehen,
werden vielleicht geneigt sein, wenigstens hinsichtlich der Geschlechts-
bestimmung eine spezielle Funktion einzelner Chromosomen zuzugeben
und also mit McClung, Wilson, Boveri u.a. diesen Vorgang auf
eine Art von automatischem, an bestimmte Chromosomen geknüpftem
Mechanismus zurückzuführen.
Die grundlegenden Tatsachen, von welchen die betreffenden Vor-
stellungen ausgehen, sind bereits in einem früheren Kapitel (10) zu-
sammengestellt worden. Unter den hier aufgezählten Typen von besonders
beschaffenen Chromosomen oder Heterochromosomen kommen für
unsere Frage in erster Linie diejenigen in Betracht, welche in un-
symmetrischer Weise auf die Samenzellen verteilt werden, so daß zwei
verschieden ausgestattete Gruppen von Samenzellen ihre Ent-
stehung nehmen. Dieser zuerst von Henking bei der Feuerwanze
(Pyrrhocoris) entdeckte Dimorphismus der Spermien ist von McClung
bei den Orthopteren wiedergefunden und erstmals mit der Geschlechts-
bestimmungsfrage in Zusammenhang gebracht worden, und zwar in
dem Sinne, daß der von ihm bei der Hälfte der Samenzellen fest-
gestellte Körper, das „accessor isc he Chromosom 14 , das unpaare
Heterochromosom oder Monosom bei späteren Autoren, als männlich
bestimmendes Element zu betrachten sei.
Eine genauere Begründung der cytologischen Geschlechtsbestim-
mungslehre ist dann durch Wilson erfolgt. Wilson hat zunächst ver-
sucht, die Homologie zwischen den bei der Samenbildung der Hemi-
pteren, Orthopteren und anderen Formen beobachteten Vorkommnissen
durchzuführen. Danach kann das für die Geschlechtsbestimmung
hauptsächlich in Betracht kommende Chromosom, das „A r -Element",
entweder als ein einzelnes Chromosom auftreten, welches bei der
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Homologie der X- Elemente.
Fig. 129.
Spermatogenese der Hemipteren. Nach Wilson.
A Anasa O X-Element als Monoton)). B Lygaeus (1 X-Element als großer IdiochromosomV
C Tbyanta u X- Elemente;. D Gelastocoris (4 X- Elemente).
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Homologie der X-Elementc. 347
in den frühen Prophasen der Reifungsteilungen sich vollziehenden Syn-
dese keinen Partner findet und daher bei der angenommenen Reduktions-
teilung, wenn die syndetisch verbundenen Paare wieder getrennt und
die beiden Paarlinge auf die beiden Schwesterzellen verteilt werden, nur
der einen Hälfte der Samenzellen zugewiesen wird. Ein solches, wie
gesagt, auch als accessorisches Chromosom oder Monosom be-
zeichnetes Heterochromosom tritt z. B. bei den Hemipteren Protenor
(Fig. 69 a und b, 1) und Anasa (Fig. 129 A) auf. In anderen Fällen,
so bei Lygaeus (Fig. 70, Fig. 129 B), wird das X-Element durch das
größere der beiden Idiochromosomen repräsentiert. Dieses
findet bei der verspätet zwischen der ersten und zweiten Reifungs-
teilung vor sich gehenden Syndese in dein kleinen Idiochromosom,
dem „ l'-Element", einen Partner, und bei der als Reduktionsteilung
anzusehenden zweiten Reifungsteilung (Fig. 70 g, 1) gelangt das X-Ele-
ment in die eine, das F-Element in die andere Tochterzelle, so daß
auch hier nur 50 Proz. der Samenzellen mit dem X-Element aus-
gestattet sind.
Bei einzelnen Hemipteren kann das X-Elcmcnt auch durch 2, 3 oder 4 Elemente
ersetzt sein." Zwei Elemente finden sich z.B. bei Thyanta (Fig. 129 C) und Syro-
mastes, vier bei Gelastocoiis (Fig. 129 D). Auch dann erhält nur die eine Hälfte der
Samenzellen die A-Elemente. während die andere Hälfte das l'-Elcment übernimmt
oder, wie bei Syromastcs, bei der Reduktionsteilung leer ausgeht.
Zuweilen, z. B. bei Nezara, tteten im männlichen Geschlecht zwei gleich große
Elemente auf. Im Hinblick auf verschiedene Übergangsformen wird von Wilson
angenommen, daß in solchen Fällen die beiden Elemente nur äußerlich gleich sind,
und daß eines von ihnen funktionell den Charakter eines X-, das andere den eines
) -Elementes besitzt 1 ).
Der zweite Punkt, welchen Wilson hervorgehoben hat, betrifft die
Verhältnisse im weiblichen Geschlecht. Bei mehreren Formen konnte
nachgewiesen werden, daß in denjenigen Fällen, in welchen die Sper-
matogenese ein Monosom aufweist (Protenor u. a.), in der Ovogenese
zwei entsprechende Gebilde gefunden werden (Fig. 69 C, 1,1 ; Fig. 129 A),
und ebenso, daß, wenn in den Spermatogonien zwei ungleich große
Idiochromosomen auftreten, diese in den Ovogonien durch zwei dem
größeren Idiochromosom gleichkommende Elemente ersetzt werden
(129B). Da nun ferner in den Ovocyten erster Ordnung während der
Prophasen der ersten Teilung gerade diese beiden, dem X-Element
entsprechenden Chromosomen syndetisch verbunden und dann auf
') Bezüglich weiterer Einzelheiten vgl. besonders die Arbeiten von Wilson
und Payne.
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»
348 Bedeutung der A'-Elemente.
Grund der Reduktionsteilung wieder voneinander getrennt werden,
so werden sämtliche Eier mit einem X- Element ausgestattet und
erhalten also alle den nämlichen Chromosomenbestand.
Diese Beobachtungen und Schlüsse führten dann zu der An-
nahme, daß das X-Element der Spermatogonien ein weiblich be-
stimmendes Element darstellte, d. h. daß durch Einführung einer
mit dem X-Element ausgestatteten Samenzelle das Ei weiblich be-
stimmt werde.
Wenn z. B. die Spermatogonien einer Tierform n normale Elemente
und ein X-Element enthalten (n -f X) und demnach die reifen Samen-
zellen zur Hälfte vom Typus — , zur Hälfte vom Typus — -f- X sind,
so besitzen nach obigem die Ovogonien n f 2 X und die reifen Eizellen
~ -\- X Chromosomen. Es wird also bei der Befruchtung einer Eizelle
f X^ mit einer das X-Chromosom führenden Samenzelle^- -f X^
nicht der männliche (n -f X), sondern der weibliche Chromosomen-
komplex (n 2 X) zustande kommen und damit das weibliche Ge-
schlecht bestimmt werden.
Enthält aber das männliche Geschlecht, was der allgemeinere Fall
sein dürfte, in den Spermatogonien außer den n normalen Elementen
zwei ungleich große Idiochromosomen (n -f X + Y) und haben dem-
nach die Samenzellen zur Hälfte — f X, zur Hälfte — -f Y, so weisen
die Ovogonien n + 2X, die reifen Eizellen * -f X Elemente auf. Auch
hier wird durch Vereinigung der das X-Element führenden Samen-
zelle mit der Eizelle der weibliche Chromosomenbestand hergestellt.
Ahnliche Chromosomenverhältnisse und ein ähnlicher Dimorphismus
der Spermatozoen, wie bei den Hemipteren, sind auch bei zahlreichen
Orthopteren, bei Coleopteren, Dipteren, Odonaten, sowie bei Myriapoden
und Arachnoideen beobachtet worden. Man darf daher nach Wilson
annehmen, daß in allen diesen Gruppen die Geschlechtsbestimmung
in der nämlichen Weise wie bei den Hemipteren vor sich geht. Auch
bei einzelnen Nematoden, nämlich bei Heterakis und möglicherweise
auch bei Ascaris megalocephala, liegen ähnliche und in ähnlicher Weise
zu deutende Verhältnisse vor 1 ).
') Vgl. Alice M. Bor in g. Arch. Zellf., 4- Bd.. J909. und Boveri 1909.
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Verhalten parthenogenetisdiei Eier.
349
Bei anderen Formen existieren umgekehrt zwei Arten von Eiern
mit verschiedenem Chromosomenbestand und nur eine Sorte von
Spermatozoen. Dies dürfte der Fall sein bei Seeigeln (Strongylo-
centrotus) 1 ), und im Zusammenhang damit ist daran zu erinnern, daß
bei mehreren Formen, z. B. bei dem Annelid Dinophilus, die Eier
schon im Ovariurn in große Weibcheneier und in kleine Männchen-
eier gesondert sind.
Für die Frage, ob wirklich gewisse Heterochromosomen zur Ge-
schlechtsbestimmung in irgend welcher Beziehung stehen, werden die-
jenigen Fälle von entscheidender Bedeutung sein, in welchen nicht
sämtliche Eier befruchtet werden und, wie dies sehr häufig zutrifft,
etwa die Hälfte der Eier männliche, die Hälfte weibliche Individuen
liefert 8 ), sondern außer den befruchteten auch unbefruchtete Eier zur
Entwickelung gelangen und also in ersteren eine syngame, in letzteren
eine progame Geschlechtsbestimmung vorzukommen scheint, also, kurz
gesagt, die Fälle periodischer und unregelmäßiger (fakultativer)
Parthenogenesis.
Es hat sich nun bei einigen Formen mit parthenogenetischer Fort- .
pflanzung tatsächlich herausgestellt, daß bei ihnen besondere Chro-
mosomenverhältnisse vorkommen, und daß diese vom Boden der
im letzten Kapitel behandelten Chromosomentheorie aus ohne weiteres
verständlich sind, also ihrerseits wieder als eine wichtige Stütze der
letzteren betrachtet werden können.
Bei Rebläusen und Blattläusen gehen aus allen befruchteten
Eiern weibliche Tiere hervor, und es könnte auf den ersten Anblick
darin eine Schwierigkeit für die Annahme gesehen werden, daß bei
den Insekten zwei verschiedene Klassen von Samenzellen vorkommen.
Nun konnte aber für Aphis saliceti und in ähnlicher Weise für eine
Phylloxera- Art gezeigt werden 3 ), daß auch hier in der Spermato-
genese eine der Reifungsteilungen, und zwar die erste eine asymme-
trische ist (Fig. 130, A bis C): das Heterochromosom , welches in der
Prophase neben zwei typischen, offenbar bivalenten Chromosomen
auftritt, wird nur der einen Spermatocytc zweiter Ordnung zugeteilt,
so daß also eine Schwesterzelle mit drei (2 + X) und eine mit zwei
l ) Vgl. Baltzer 1QOQ.
*) In welcher also nicht das Zahlenverhältnis lOOcf:ioo9 oder, wie man
kürzer sagt, das Geschlechtsverhältuis 100 besteht (das Geschlechtsveihältnis wird aus-
gedruckt durch die Zahl der ö\ welche auf 100 $ kommen).
s ) Vgl. Morgan, v. Haehr.
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350
Verhalten parthenogenetischer Eier.
Chromosomen entsteht (C, D). Letztere degeneriert später, und
es bleibt also nur die X- Klasse der Sperma tozoen, d. h. die Gruppe
der Weibchen produzierenden Spermatozoen für die Befruchtung
übrig, während die l'-Klasse, d. h. die männlich bestimmenden Sper-
matozoon, abortiv wird. So erklärt es sich, daß alle befruchteten
Eier zu weiblichen Individuen sich entwickeln.
Bei Aphis saliceti macht übrigens das Heterochi omosom während des eisten
Teilungsaktes einen Versuch zur Durchteilung (Fig. 130B) in ähnlicher Weise, wie
dies für die DimiuutionskÖi per von As-
caris und Cyclops gilt (S. 64). Nach-
her wird es ungeteilt in die größere,
durch eine einseitige Anhäufung
von Mitochondrien schon vorher
ausgezeichnete Sch w es t er ze 11 e
herübergezogen (C).
Eine Bildung rudimentärer Samen-
zellen ist auch bei Hymenopteren be-
obachtet worden '). Bei der Honigbiene
und ebenso bei der Holzbiene (Xylo-
copa) wird bei der ersten Teilung eine
kernlose, rudimentäre Spermatocyte
zweiter Ordnung abgeschnürt (Fig. 1,51
A, B). Die kernhaltige Tochterzelle
liefert beim zweiten Teilungsakt einen
zweiten kernhaltigen „Richtungskör-
pei", welcher degeneriert, und eine ein-
zige befruchtungsfähige Samenzelle (C).
Bei den Wespen (Fig. 132) verläuft der
erste Teilungsakt in ähnlicher Weise
wie bei den Bienen, und zwar besteht
hier der rein cytoplasmatischc .erste
Ricbtungskürper" vorwiegend ans dem
einen Centrosom (c) und dem von der
vorhergegangenen Teilung herrühren-
den „Spiudelrcstkörpcr" (interzonal
body, t*). Die zweite Teilung liefert im
Gegensatz zu den Bienen zwei gleich-
wertige Spermatozoen (Fig. 13-'B).
Bei den Bienen und Wespen sind
nun allerdings die Chromosomenver-
hältnisse nicht genau bekannt, aber es
liegt die Vermutung nahe, daß hier, und ebenso bei den Cladoceren und Rotatorien
in ähnlicher Weise, wie bei den Blattläusen und Rebläusen, eine asymmetrische Ver-
teilung von „Geschlechtschromosomen'' stattfindet.
Auch manche anderen cytologischen Verhältnisse befinden sich nach dem jetzigen
Stande unserer Kenntnisse mit der Theorie im guten Einklang. So wird für die Rebläuse
J ) Meves, Anat. Auz., 24. Bd., IQ03; 1907; Mark u. Copeland, Proc. Am. Ac,
Vol. 42, 1906; Vol. 43. 1907; Granata, Biologica, Vol. 2, Torino 1909.
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Spermatogenese von Aphis saliceti.
Nach v. Bachr.
A— C erste KeifungsteüuDg. D kleine degenerierende
ond grolle Spermatocyte zweiter Ordnung.
V.—V zweite Reitungsteilung der großen Spcrmato*- vte
zweiter Ordnung.
Verhalten parthenogenetischer Eier.
351
und Blattläuse angegeben, daß die parthenogeneiischen Männcheneier bei der
Bildung des einzigen Richtungskörpers eines der beiden X- Kiemente ausstoßen
Fig. 131. •
Spermatogenese der Honigbiene. Nach Meves
A und ft erste, C zweite Rei»ti!it,'<leilnng.
volle (diploide) Zahl beibehalten ').
Fig. 132.
und so auf den männlichen Chromosomenbestand kommen, während die Weibchen-
eier beide X - Elemente und damit die
Bei mehreren Insekten bilden auch
die parthenogenetischen Eier zwei Rich-
tungskörper"). Bei einigen Gallwespen
und Blattwespen soll trotzdem keine
Reduktion der Chromosomen stattfin-
den, so daß die Eier die volle Chromo-
somenzahl (also vermutlich auch zwei
A'-Elemente) beibehalten 3 ). In Über-
einstimmung mit der Chromosomen-
theorie entwickeln sich nun bei diesen
Formen die parthenogenetischen Eier
vorwiegend zu weiblichen Tieren. Da-
mit steht die weitere Beobachtung im
Einklang, daß bei Ameisen in den
von den Arbeiterinnen gelegten par-
thenogenetischen (Männchen-) Eiern
eine Reduktion der Chromosomenzahl
und damit wohl eine Entfernung eines
der beiden A'-Elemente zustande kommt,
während die befruchteten Weibcheneier
die volle diploidc Zahl aufweisen 4 ).
Spermatogenese von Vespa maculata.
Nach Mark und Copeland.
A erste, B zweite Keilungsteilung.
') Vgl. Morgan, v. Baehr.
*) Vgl. S. 68 unten.
') So bei Rhodites nach Henking und bei der Blattwespe I'oecilosoma nach
Doncaster (Quart. J. micr. Sc, Vol. 49. 1906).
\) Vgl. Schleip 1908.
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35-'
Qualitätsbypothese.
Ob alle diese Beobachtungen vollkommen zutreffen und ob auch die partheno-
genetischen Eier der Bienen, Cladoceren, Phyllopoden und Kotatorien entsprechende
Verhältnisse darbieten, ist bei den großen Schwierigkeiten, welche gerade bei diesen
Tiergruppen eine genaue Zählung der meist außerordentlich kleinen und eng zu-
sammengedrängten Chromosomen gewährt, schwer zu sagen 1 ). Hier sollte vor
allem gezeigt werden, daß gerade auf dem Gebiete der parthenogenetischen Fort-
pflanzung eine große Zahl von Kinzelproblemen der I^ösung harrt, und nicht minder,
daß man gewärtig sein muß, bei Auffindung neuer, besonders günstiger Objekte auf
Überraschungen verschiedener Art zu stoßen.
Es erhebt sich nun die Frage, welcher Art die kausalen Be-
ziehungen zwischen den „ Geschlechtschromosomen u und der Ge-
schlechtsbestimmung sind. Zunächst liegt es nahe, daran zu denken,
daß die betreffenden Chromosomen eigentliche Geschlechts-
bes timmer sind, genauer gesagt, daß sie die Träger gewisser
Agenzien oder Faktoren darstellen, deren Anwesenheit in den be-
treffenden Keimen die Entfaltung des männlichen oder weiblichen
Geschlechts hervorruft. Die Geschlechtschromosomen würden danach
auf Grund besonderer Qualitäten, durch welche sie von den übrigen
Chromosomen unterschieden sind, wirksam sein (Qualitätshypo-
these).
Daraus würde sich ohne weiteres eine Parallele zu denjenigen
Faktoren oder Bestimmern ergeben, welche bei der Mendel sehen
Vererbung als wirksam angenommen werden 3 ), und es wäre also die
Frage zu beantworten, ob etwa die Chromosomenspaltungen und -Ver-
bindungen, wie sie besonders bei den Hemipteren und Orthopteren
beobachtet werden, den sichtbaren Ausdruck für eine Spaltung und
Wiedervereinigung männlicher und weiblicher Determinanten oder
Erbeinheiten bilden, und ob also wenigstens in diesem Falle die cyto-
logischen Grundlagen eines Vererbungsvorganges in unzweideutiger
Weise festgestellt werden können. Schon durch einige Bastardierungs-
versuche, namentlich durch Correns' Experimente mit der Zaunrübe
(Bryonia), ist ja, wie früher (Kap. 25) gezeigt wurde, die Ansicht be-
festigt worden, daß es sich bei der Verteilung des Geschlechts auf die
Nachkommen um einen alternativen Vererbungsmodus handle. Nur ist
es in diesen Fällen bisher nicht möglich gewesen, diejenigen Vorgänge
in den Keimzellen zu beobachten, welche als das cytologische Korrelat
der experimentell ermittelten Verhältnisse angesehen werden könnten.
') Bei den Phyllopoden (Artemia) kommt die grofe Zahl der Chromosomen
als erschwerendes Moment hinzu. Vgl. S. 114.
") Vgl. Bateson und Saunders 1902 (Literaturverzeichnis 22 u. 23); Castle
1003; Wilson, Stud. chrom. III. igoc>; 1909, IQlo.
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Die Geschlechtsbestimmung als Mendelprozeß.
Um nun die cytologischen Erscheinungen bei den Hemipteren
und Orthopteren als einen MendelprozeB interpretieren zu können,
ist eine ganze Reihe von Hilfsannahmen zu machen. Am einfachsten
gestaltet sich von der Qualitätshypothese aus noch die Erklärung,
wenn man sich im Gegensatz zu der früher (S. 348) erwähnten Hypo-
these vorstellt, daß das in den Chromosomengruppen des männlichen
Individuums vorkommende einzelne X- Element ein Männchen-
bestimmer ist, während von den beiden in den Chromosomen-
gruppen des Weibchens auftretenden X-Chromosomen das eine (X,)
ein dominierender Weibchenbestimmer, das andere (Xg)
ebenfalls ein Männchenbestimmer ist. Von den Spermatozoen
würde dann die eine Hälfte, die sogenannte X-Klasse, den Männchen-
bestimmer, die andere Hälfte, oder die l r - Klasse, kein besonderes Ge-
schlechtschromosom enthalten 1 ); von den Eiern sind 50Proz. mit dem
dominierenden Weibchenbestimmer, 50 Proz. mit dem Männchen-
bestimmer ausgestattet. Wenn man nun die weitere Annahme macht,
daß eine „selektive Befruchtung"») stattfindet, in der Weise,
daß Xj-Eier nur durch X-Spermien und X a -Eier nur durch F-Spermien
befruchtet werden können, so ergeben sich folgende Kombinationen:
X, + X = X, (X) = ?
X,-f Y = X S (Y)= <f.
Nach diesen Erbformeln, in welchen die Buchstaben nicht bloß
die Geschlechtschromosomen selber, sondern gleichzeitig auch die von
ihnen getragenen Bestimmer (Faktoren, Erbeinheiten usw.) darstellen,
würden in gewissem Sinne sowohl das Weibchen als auch das Männ-
chen in bezug auf das Geschlecht heterozygotisch (heterogame-
tisch) sein, ein Ergebnis, welches insofern mit den früher (Kap. 25)
erwähnten Deutungen der Bryonia-Versuche nicht ganz übereinstimmt,
als letztere das eine Geschlecht als heterozygotisch, das andere als
homo zygotisch (homogametisch) erscheinen lassen.
') Ob dem Y-Element, das bei Formen vom Lygaeus-Typus in der Hälfte der
Spermien vorkommt, eine besondere Bedeutung zukommt, ist bei diesen Spekulationen
zunächst außer acht gelassen.
*) Ein selektiver Befruchtungsprozeß ähnlicher Art ist schon von einer Reibe von
Forschern, so von Beard (Zool. Jahrb., Anat. Abt., 16. Bd., 1902), Castle 1903 u.a.
angenommen worden. Morgan, Payne und Browne (Biol. Bull., Vol. 19, 1910)
haben neuerdings bei einem Mollusk (Cumingia) durch direkte Beobachtung zu ent-
scheiden versucht, ob die Möglichkeit einer selektiven Befruchtung besteht. In dem
von ihnen untersuchten Falle war das Resultat ein negatives.
H a eck er. Vererbungslehre. 2 i
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334
Quantitätshypothese.
Die Qualitätshypothese stößt aber, abgesehen davon, daß sie die offen-
kundige Verschiedenheit der Spermatozoen unberücksichtigt läßt, auf
zahlreiche Schwierigkeiten, sobald es sich um die Erklärung besonders
gearteter, außerhalb des Formenkreises der Hemipteren und Orthopteren
gelegener Fälle handelt. Hier seien nur die bekannten Geschlechts-
verhältnisse der Honigbiene herangezogen. Daraus, daß sich bei
dieser die Eier im Falle der Nichtbefruchtung zu Drohnen entwickeln,
würde zunächst zu entnehmen sein, daß die Eier bei den Reifungs-
teilungen den dominierenden Weibchenbestimmer eliminieren. Die
zu weiblichen Tieren sich entwickelnden Eier könnten dann letzteren
nur bei der Befruchtung durch das Spermatozoon wiedererlangen, was
aber in Widerspruch mit der Grundvoraussetzung steht, daß in den
männlichen Chromosomengruppen keine Weibchenbestimmer ent-
halten sind.
Im Hinblick auf diese und manche andere Widersprüche ist
es fraglich, ob die Qualitätshypothese einer weiteren Entwickelung
fähig ist.
Nach einer zweiten Hypothese würde das Geschlecht durch einen
rein quantitativen Unterschied im Chromosomenbestand bestimmt
werden *).
Nach der Quantitätshypothese würden die X-oder Geschlechts-
chromosomen der männlichen und weiblichen Zellen die gleiche
Art von Wirksamkeit besitzen, und es würde ausschließlich von der
Zahl und relativen Größe der in die Zygote eintretenden Ge-
schlechtschromosomen abhängen, welches Geschlecht erzeugt wird.
Nun stimmen aber einerseits die Hemipteren (Homopteren, Aphiden),
bei welchen zweierlei Spermatozoen bestehen, andererseits die See-
igel, welche zweierlei Eier aufweisen, darin überein, daß die weiblich
bestimmten Eier „mehr Chromatin" oder, besser wohl, mehr Chromo-
somensubstanz enthalten, und man könnte daher denken, daß eben
l ) Ohne Kenntnisse von der McClungschen Hypothese hatte ich es schon vor
einer Reihe von Jahren als möglich bezeichnet, daß nicht sämtliche Chromosomen
eines und desselben Kernes in bezug auf die Bestimmung des Geschlechts in einer
Richtung wirksam sind, sondern daß es im Kern männliche und weibliche Unter-
einheiten gibt, und daß jeweils die Majorität derselben ausschlaggebend ist. Vgl.
1902 (Literaturverzeichnis 6). S.98, sowie Ziegler 1905 (Literaturverzeichnis 31).
S. 40. Mit der im folgenden skizzierten Hypothese berührt sich auch sehr nahe die
Anschauung von R. Hertwig, wonach die jeweilige Kernplasmarelation geschlechts-
bestimmend wirkt. Vgl. Verh. D. Zool. Gos. 1905, S. 195, sowie v. Malsens Dino-
philivs-Arbeit (Arcb. mikr. An., 69. Bd., 1907) und Goldschmidt. Arch. Zellf.. 6. Bd.,
1910.
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Quantitätshypothesc.
355
infolge der Vermehrung der Chromosomensubstanz die im Keim sich
abspielenden Stoffwechselvorgänge einen anderen, vielleicht intensiveren
Verlauf nehmen, und daß diese Änderung bzw. Erhöhung der meta-
bolischen Zelltätigkeiten die Bestimmung zum Weibchen im Ge-
folge hat 1 ).
Man könnte auch sagen, daß die Anwesenheit nur eines X-Ele-
mentes an und für sich den männlichen Zustand bedingt, während
die Hinzufügimg eines zweiten Elementes derselben Art auf Grund
einer rein quantitativen Wirkung den weiblichen Zustand herbeiführt
Noch anders ausgedrückt: eine Dosis A'- Elemente bewirkt den männlichen,
zwei Dosen den weiblichen Zustand (Bateson).
Die Quantitätshypothese steht mit der Beobachtung im Einklang,
daß bei Dinophilus»), bei den Rotatorien und Aphiden die mit Nähr-
material reicher ausgestatteten, also offenbar metabolisch intensiver
tätigen Eier weiblich, und zwar progam weiblich bestimmt sind.
Auch die bekannten Verhältnisse bei der Honigbiene lassen sich ohne
weiteres von dieser Hypothese aus begreifen. Andererseits stehen ihr
natürlich solche Fälle im Wege, in denen die beiden Geschlechter die
gleiche Chromosomenzahl besitzen oder das männlich bestimmende
Spermatozoon die größere Menge von Chromosomensubstanz erhält*).
Auch ist es schwer vorstellbar, daß in den verhältnismäßig sehr
großen Insekteneiern so geringfügige Quantitätsunterschiede einen
entscheidenden Einfluß ausüben, und daß bei diesen von Spezies zu
Spezies wechselnden Quantitätsunterschieden immer gerade die Alter-
native männlich-weiblich in reiner Form und nicht häufiger ein zum
Zwittertum neigender Zustand herauskommt. Stellt man sich vollends
auf den Boden der Anschauung, daß die Heterochromosomen minde-
stens zu einem großen Teil im Abbau befindliche Elemente
sind — worauf namentlich die Verhältnisse bei den Kopepoden mit
großer Bestimmtheit hinweisen — , so wird man sich schwer der
Quantitätshypothese anschließen können.
') Vgl. besonders Wilson 1906, toio; Boveri 1908. Nach Goldschmidt
(l.c) und Buchner (Arch. Zellf., 3. Bd., 1900) würden die accessorischen Chromo-
somen Trophochromatin (den Stoffwechselvorgängen vorstehendes, fermentbilden-
des Chromatin) enthalten. Vgl. dagegen G u t h e r z (Sitzungsber. Ges. Naturf. Freunde,
Berlin 1909).
*) Vgl. besonders v. Malsen, 1. c.
*) Unter den Hemipteren weist Nezara (siehe oben S. 347) das erstgenannte,
Atolla das letztere Verhältnis auf. Vgl. Payne, Biol. Bull., Vol. 16, 1909; Buchner,
Arch. Zellf.. 5- Bd., 1910.
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350
Indexhypothese.
Es soll noch eine dritte Auflassung besprochen werden, welche
ich selbst für die annehmbarste halten möchte und die man als
Indexhypothese bezeichnen kann 1 ). Danach vermögen die Hetero-
chromosomen weder auf Grund besonderer qualitativer. Eigenschaften
noch vermittelst bestimmter Mengenverhältnisse das Geschlecht der
Keimzellen zu beeinflussen. Sie unterscheiden sich vielmehr von den
übrigen Chromosomen nur durch ihre Größe, eventuell auch ihren phy-
sikalischen Zustand (Dichtigkeit, Adhäsionsvermögen usw.), jedenfalls
nur durch solche Eigenschaften, welche mit ihrem Charakter als wenig
modifizierter, im Abbau befindlicher Elemente zusammenhängen. Sie
werden auch durch Faktoren physikalischer Art (Plasmaströmungen,
Gleichgewichtsverschiebungen) veranlaßt, in die schon vorher durch
andere Faktoren einseitig determinierten Samenzellen ein-
zutreten, und stellen demnach höchstens einen Index für die bereits
vollzogene Geschlechtsbestimmung dar.
Manche, durch keine der anderen Hypothesen erklärten Verhält-
nisse würden vom Boden der Indexhypothese aus verstanden werden.
Wenn z. B. bei Aphis saliceti (S. 350, Fig. 1 30) die eine Tochterzelle
schon während der ersten Teilung durch Größe und Mitochondrien-
bildung ausgezeichnet ist und wenn das Heterochroraosom bei diesem
Teilungsschritt den Versuch macht, sich seinerseits symmetrisch zu
teilen und nachträglich in die durch die angegebenen Merkmale
schon vorher ausgezeichnete Tochterzelle herübergezogen wird, so
kann man schwer glauben, daß das Heterochromosom während und
nach der Teilung eine andere als eine passive Rolle spielt. Ebenso
sind bei Phylloxera diejenigen Eier, welche eines der X- Elemente
eliminieren und damit auf den männlichen Chromosomenbestand kom-
men, schon vor der Elimination durch ihre geringere Größe
von den Weibcheneiern unterschieden.
Eine Art von Vermittelung zwischen der Qualitäts- und Indexhypothese hat
Wilson*) herzustellen versucht. Danach wäre anzunehmen, daß eine ganze Reihe
von Faktoren zusammenwirken müssen, um die Keimzelle, besonders das Ei, männ-
lich oder weiblich zu bestimmen. Die A-Chromosomen würden einen dieser Faktoren,
und zwar offenbar den entscheidenden bilden. Es könne auch gesagt werden, daB
die Herstellung der charakteristischen Chromosomenkombination den Kulminations-
punkt des Geschlechtsbestimmungsprozcsscs darstelle.
Welche der hier aufgezählten Hypothesen auch den tatsächlichen
Verhältnissen am nächsten kommen mag, auf alle Fälle wird man sich
') Vgl. Haecker, S. 64 (1907). Morgan 1909, Montgomerr 1910, Buchner.
Arth. Zellf., 5. Bd., 1910.
«) 1910, S.585.
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Prädetermination und Prädestination.
357
hier noch die eine Frage vorzulegen haben, ob durch die Geschlechts-
chromosomen oder durch irgend welche andere vor oder während der
Ei- und Samenreife und Befruchtung wirkende Faktoren der ge-
schlechtliche Charakter der Keimzellen wirklich endgültig be-
stimmt, nach Wilson prädeterminiert wird, oder ob die
Keimzellen nur nach einer bestimmten Richtung hin gestimmt,
nach Wilson prädestiniert sind, im übrigen aber beide Potenzen
in sich einschließen 1 ). Während nun in einigen Fällen, wie früher
(Kap. 25) erwähnt wurde, die Geschlechtszellen unwiderruflich deter-
miniert erscheinen, sprechen manche Beobachtungen auf tierischem und
pflanzlichem Gebiete dafür, daß auch bei getrennt geschlechtlichen
(diözischen) Formen der erwachsene Organismus in Wirklichkeit
hermaphroditischer Natur sein kann, was wiederum auf einen herma-
phroditischen Charakter der Keimzellen, aus welchen er hervor-
gegangen ist, hindeutet. Die Keimzellen sind dann also nicht endgültig
determiniert, sondern haben eine bestimmte Geschlechtstendenz,
sind in bestimmter Weise prädestiniert, d. h. von den beiden Po-
tenzen ist nur die eine im „aktiven", entfaltungsfähigen Zustand,
während sich die andere in einer „latenten", mindestens in einer
weniger enthaltungsfahigen Verfassung befindet. Diese Auffassung
würde im Einklang stehen mit der in diesem Buche zu wiederholten
Malen in den Vordergrund gestellten Hypothese von einer vielseitigen
Potenz (Pluripotenz) des Artplasmas.
Zusammenfassenderweise wäre dann zu sagen, daß mindestens in
einigen Arthropodengruppen jede Keimzelle progam eine bestimmte
Tendenz erhält oder prädestiniert wird, und daß, wenn bei der
Befruchtung zwei Keimzellen mit ungleichen Tendenzen zusammen-
treten, ein von vornherein festgelegter Unterschied in ihrer Entfaltungs-
stärke die Entscheidung zugunsten der einen Tendenz herbeiführt"). Es
findet dann also eine zweite syngame Prädestination statt.
Inwieweit dann nachträglich noch unter der Wirkung äußerer
oder innerer Faktoren eine Umstimmung, ein Umschlagen der Ten-
denz stattfinden, ob und inwieweit also eine tertiäre epigame
Prädestination vorkommen kann, darüber lassen sich heutzutage
noch keine Aussagen allgemeinerer Art machen 8 ). Vom Boden der
') Vgl. Corrcns 1907 (Literaturverzeichnis 25), Mor gan (Exp. Zoo]., New York
1907), F. R. Lillie (Sei., N. S.. Vol. 25, 1907). Wilson 1909.
«) Vgl. Correns, S.66 (1907).
a ) Vgl. R. Hertwig, S. 195 (1905). sowie Kap. 25.
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358
Literaturverzeichnis J2.
Quantitäts- und Indexhypothese würde jedenfalls ein nachträgliches
Umschlagen einigermaßen verstandlich erscheinen, während sich die
Qualitätshypothese weniger- leicht damit abfinden könnte.
Literaturverzeichnis zu Kapitel 32.
Baehr, W. B. v., Die Oogenese bei einigen viviparen Aphididen und die Spermato-
genese von Aphis saliceti usw. Arcb. Zellf., 3- Bd., 1909.
Baltzer, F., Die Chromosomen von Strongylocentrotus usw. Arch. Zell/., 2. Bd.,
1909.
Boveri, Th., Über Beziehungen des Chromatins zur Geschlecbtsbestimraung. Sitzungs-
ber. Phys.-med. Ges., Würzburg 1908/09.
— , Über „Geschlechtschromosomen" bei Nematoden. Arch. Zellf., 4. Bd., 1909.
Correns 1907, s. Literaturverzeichnis 2$, S. 261.
Gutherz, S., Zur Kenntnis der Heterochromosomen. Arch. mikr. An., 69. Bd.. 1906.
Ha eck er 1907, s. Literaturverzeichnis 6, S. 58.
Henking, H., Untersuchungen über die ersten Entwickelungsvorgänge in den Eiern
der Insekten. III. Z. w. Z., 54- Bd., 1892.
Hertwig, R., Das Problem der sexuellen Differenzierung. Verh. D. Zool. Ges. 1905.
McClung, C E., The Accessory Chromosorae — sex determinant? Biol. Bull.,
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Montgomery, Th. H., Are particular chromosomes sex determinants ? Biol. Bull.,
Vol. 19. 1910.
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— , A Biolog. and Cytol. Study of Sex Determination in Phylloxerans and Aphids.
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— , Some new types of chromosome distribution etc. Biol. Bull., Vol. 16, 1909.
Schleip, W., Die Richtungskörperbildung im Ei von Forraica sanguinea. Zool. Jahrb.,
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Stevens, N. M.. Studies in spei matogonesis with especial reference to the .accessory*
chromosome. Carneg. Inst. Publ. 1905.
Wilson, E. B., Studies on chromosomes 1 — V. J. Exp. Z„ Vol. 2 — 6. 1005/09.
— , Recent researches on the determ. and heredity of sex. ScL, N. S., Vol. 29, 1909.
— , The chromosomes in relation to the determ. of sex. Science progress, Nr. 16.
1910.
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Dreiunddreißigstes Kapitel.
Versuch einer Kernplasmahypothese zur Erklärung
der Mendelprozesse.
Gleichzeitig mit der Entwicklung der morphobiologischen Ver-
erbungslehren von Weismann, de Vries, O. Hertwig iL a. und viel-
fach beeinflußt durch diese sind, wie wir gesehen haben, im Laufe der
beiden letzten Jahrzehnte verschiedene Hypothesen über die Natur, die
Veränderungen und Funktion der Chromosomen aufgestellt worden,
unter welchen namentlich die Vorstellungen über die Bedeutung der
Reduktionsteilungen, die Individualitätstheorie und die Lehre von der
physiologischen Ungleichwertigkeit der Chromosomen Boden gewonnen
und zu immer weiteren Untersuchungen Anregung gegeben haben.
Alle diese Anschauungen sind zunächst ohne Kenntnis des Mendel-
schen Vererbungsmodus begründet und weitergebildet worden. Und
als sich dann ergab, daß die zur Erklärung des letzteren angenommenen
Anlagenspaltungen und -neukombinationen von den gewonnenen cyto-
logischen Anschauungen aus sich in verhältnismäßig einfacher Weise
erklären ließen, so konnte man den Eindruck gewinnen, daß man sich
auf beiden Gebieten, sowohl in der Chromosomenlehre wie in der
Theorie der Rassenkreuzung, auf dem richtigen Wege befände.
a) Schwierigkeiten für die Chromosomenlehre
der Vererbung.
Es wurde aber bereits hervorgehoben, daß der Verbindung beider
Vorstellungskreise erhebliche Schwierigkeiten im Wege stehen, sobald
man die bei einigen besonders genau untersuchten Objekten er-
langten Ergebnisse und Anschauungen zu verallgemeinern versucht 1 ).
') Schwierigkeiten dieser Art sind auch in den früher zitierten Schriften von
Driesch, Fick, Godlcwski, Ruzicka, Tischler u.a. hervorgehoben worden.
Vgl. auch M. F. Guy er. Deficicncies of the Chromoaome Theorv of Heredity. Univ.
Stud., Univ. Cincinnati (2), Vol. 5. 1900.
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360
Schwierigkeiten für die Chromosomenhypothescu.
Besonders mehren sich aber neuerdings die Hinweise darauf, daß ein
so enger Zusammenhang, wie er einer weitverbreiteten Ansicht zu-
folge zwischen den Mendelschen Spaltungsprozessen und der Re-
duktionsteilung bestehen soll, doch wohl nur innerhalb bestimmter
Grenzen angenommen werden darf.
Unter anderem hat die erneute Untersuchung der Kopepoden,
also desjenigen Objektes, welches seit seiner Einführung in die Cyto-
logie vor 20 Jahren als besonders beweisend für die Existenz einer
wirklichen, während der Keimzellenreifung erfolgenden Reduktions-
teilung gegolten hat, zu dem Ergebnis geführt, daß wenigstens bei
bestimmten Süßwasserformen nur dann von einem Reduktionsakte im
ursprünglichen Sinne gesprochen werden könnte, wenn gleichzeitig
eine parallele Konjugation zweier Chromosomen, eine Parasyndese,
bestehen würde. Nun sprechen aber gegen das Vorkommen einer
Parallelkonjugation im allgemeinen und besonders bei den Kopepoden
eine Reihe von, mir scheint, sehr schwerwiegenden Gründen, und so
wird man die untersuchten Süßwasserkopepoden zu denjenigen Formen
zu rechnen haben, bei welchen, wenigstens im weiblichen Geschlecht,
die Zusammenziehung und Abänderung der beiden Reifungsteilungen
nicht bis zur Einrichtung einer Reduktionsteilung gediehen ist. Wäh-
rend allerdings bei anderen Objekten, z. B. bei den männlichen
Hemipteren, allen Beobachtungen zufolge diese Entwickelungsstufe
wirklich erreicht ist, so darf doch schon jetzt, wie ich glaube, auf
Grund der vorliegenden Daten angenommen werden, daß der bei den
Kopepoden verbreitete Modus auch sonst vorkommt, und man wird
schon aus diesem Grunde Bedenken tragen müssen, die Anschauungen,
welche bezüglich der vererbungstheoretischen Bedeutung der Re-
duktionsteilung bei Hemipteren und anderen Objekten gewonnen
worden sind, ohne weiteres zu verallgemeinern.
Aber nicht nur aus der ungleichen Verbreitung der Reduktions-
teilung ergeben sich Schwierigkeiten für die Chromosomenhypothesen
in ihrer bisherigen Form. Mehr und mehr häufen sich die Tatsachen,
aus welchen in überzeugender Weise hervorgeht, daß auch bei nicht-
sexuellen, somatischen Zellteilungen Anlagenspaltungen
ganz ähnlicher Art wie bei der sexuellen Kreuzung auf-
treten können. Schon früher (Kap. 27, S.291) wurde auf einige
Knospenvariationen hingewiesen, welche durch das Auftreten eines
rezessiven Charakters oder, wie man auch sagen kann, durch die Unter-
drückung eines positiven Faktors von der Ausgangspflanze unter-
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Somatische Spaltungen.
361
schieden sind. Auf ein anderes, schon von Darwin erwähntes Beispiel
hat neuerdings Bateson in gleichem Zusammenhange die Auf-
merksamkeit gelenkt, nämlich auf die Entstehung haarloser (glatter)
Pfirsichfrüchte, der sogenannten „Nektarinen", auf dem Wege von
Knospenvariationen. Bei dem Gegensatz zwischen den gewöhnlichen,
behaarten Pfirsichen und den Nektarinen handelt es sich um ein Merk-
malspaar (haarig-glatt), welches bei sexuellen Kreuzungen dem alter-
nativen Modus folgt, und wenn also bei der Knospenvariation der
rezessive Charakter zum Vorschein kommt, so kann dies offenbar nur
auf dem Wege einer unsymmetrischen, somatischen Zellteilung zu-
stande kommen J ). Ähnliches mag Gültigkeit haben, wenn z. B. Kame-
lien mit rosa und weißen Blüten Zweige mit einfarbigen Blüten tragen
und diese bei der Weiterkultivierung die eine Farbe beibehalten 8 ).
Auf zoologischem Gebiete sind keine ganz entsprechenden Ver-
hältnisse bekannt Doch wird man sicherlich z. B. bei gewissen,
regelmäßigen Farbenverteilungen (Streifung, Fleckung, Bänderung) an
rhythmische, bei somatischen Teilungen vor sich gehende Spaltungs-
prozesse denken können. Allerdings ist wiederholt der Versuch ge-
macht worden, die Entstehung derartiger Zeichnungsformen direkt auf
die Anordnung der Blutbahnen oder Nerven zurückzuführen 8 ), aber in
einigen Fällen, so z. B. bei gebänderten Vogelfedern, können derartige
Verhältnisse nicht unmittelbar in Betracht kommen. Vielmehr wird
man solche Bänderungen mit einer alternierenden Anordnung ver-
schieden beschaffener, durch somatische Spaltungen entstandener
Gewebszonen in Zusammenhang bringen dürfen, mögen nun die Zellen
der aufeinanderfolgenden Zonen in bezug auf das eigene Pigment-
bildungsvermögen oder in bezug auf ihre Affinität zu den Pigment-
zellen (Chromatophoren) unterschieden sein 4 ). Bateson ist in dieser
Hinsicht noch weiter gegangen, indem er ganz allgemein die Ent-
') Bateson, S. 273 (1909).
*) Vgl. Tischler. S. 123 (1908), wo ebenfalls verschiedene Giünde gegen die
Annahme geltend gemacht werden , daß die Mcrkmalsspaltung mit Notwendigkeit
nur bei der Rednktionstcilung erfolgt.
*) So hat Zenneck (Z. w. Z„ 58. Bd., 1894) die primäre I^ängstreifung von
Ringelnattercmbryonen mit der Anordnung der Hautvenen, van Rynberk (Rendic.
R. Acc. Lincei, Vol. 14, 1905; Arcb. Ital. Biol., Tome 44, 1905) die Zeichnung bei
Wirbeltieren mit der Ausdehnung der Innervationsgebictc der Spinalnerven in Zu-
sammenhang gebracht
4 ) Beobachtungen Aber die Kntstehung des Pigmentes in den Vogelfedern hat
Strong (Bull. Mus. Comp. Zool. Harv. Coli , Vol. 40, 1902) gemacht.
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362
Inäquale Zellteilungen.
stehung metamer wiederholter Merkmale auf regelmäßig vor sich
gehende, somatische Spaltungen zurückführt.
Es ist wahrscheinlich, dafi die hier erwähnten Entwickelungsvorgänge mit der
Entstehung der eigentlichen Mosaikzeichnung in einer näheren oder entfernteren
Parallele stehen, und möglicherweise sind auch einige bei Chimären und Bizzarrien
(Kap. 18) beobachteten Verbältnisse in ähnlichem Sinne zu deuten.
Allem nach liegt also kein zwingender Grund vor, die Mend ei-
schen Spaltungen als Vorgänge anzusehen, welche notwendig mit
einer Reduktionsteilung verknüpft sind. Denkt man noch an die
Schwierigkeiten, welche einer allgemeineren Anwendung der Hypo-
these von der physiologischen Ungleichwertigkeit der Chromosomen
und mancher anderer theoretischer Voraussetzungen der Chromosomen-
lehre der Vererbung im Wege stehen, sowie an die Beobachtungen,
welche für die Beteiligung auch des Zellplasmas bei den Vererbungs-
vorgängen sprechen, so liegt es nahe, von der Chromosomenhypothese
in ihrer jüngsten Ausgestaltung zunächst auf eine breitere Basis
zurückzukehren und den Versuch zu machen, auf eine andere Weise
eine Verbindung zwischen den Ergebnissen der Cytologie und der
Bastardforschung herzustellen.
b) Die inäqualen Zellteilungen der Keimbahn.
Man kann vor allem daran denken 1 ), die inäqualen (asym-
metrischen) Zellteilungsvorgänge heranzuziehen, welche beinahe
auf allen Etappen der Keimbahn nachgewiesen werden können.
Wie früher gezeigt wurde, kann man bei der Entwickelung
vieler Metazoen zwei Hauptabschnitte der Keimbahn unterscheiden,
eine erste somatogerminative (differentielle) Strecke, welche vom
befruchteten Ei bis zur Bildung der Urgeschlechtsmutterzelle führt
und in welcher die Reinigung der Keimbahnzellcn von ekto-, ento-
und mesodermalen Elementen vor sich geht, und einen zweiten
rein-germinativen Abschnitt, welcher sich von der Entstehung der
Urgeschlechtszellen bis zur Bildung der reifen Fortpflanzungselemente
erstreckt und in welchem die Teilungsakte nur noch zur Bildung
von wirklichen propagatorischen Zellen oder höchstens noch von
Hilfszellen der letzteren (Nährzellen) oder Elementen von rudimentärem
Charakter (R.'chtungskörper, Abortivzellen im Hoden) führen. In
') Vgl. Haccker 1910 (Literaturverzeichnis 30). Der Aufsatz war ohne Kenntnis
des Batesonschen Werkes: Mendels Princ. of Her. 1909, in welchem eine ganze
Reihe ähnlicher Gedanken enthalten ist. niedergeschrieben worden.
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Inäquale Zellteilungen.
363
manchen Fällen, z. B. bei den Wirbeltieren, lassen sich bis jetzt die
beiden Strecken nicht scharf gegeneinander abgrenzen, bei anderen
Objekten dagegen, vor allem bei Ascaris und bei den Kopepoden,
wird durch das Auftreten der Urgeschlechtsmutterzelle und ihre
Teilung ein scharfer Einschnitt gebildet. Es ist vielleicht nicht ganz
ohne Bedeutung, daß bei den Kopepoden zwischen der Teilungsphase
der Urgeschlechtsmutterzelle und der Schlußphase der zweiten Keim-
bahnstrecke, der Reifungsperiode, weitgehende Übereinstimmungen
bestehen: so tritt bei der Teilung der Urgeschlechtsmutterzelle ebenso
wie bei der ersten Reifungsteilung in besonders ausgeprägter Weise
der heterotypische Teilungsmodus hervor (S. 101), und ferner setzen
die beiden Urgeschlechtszellen noch im Embryo zu einem rudimentären
Teilungsvorgang an, bei welchem die von der Reifungsperiode her
bekannten Vierergruppen in typischer und normaler Weise zur Aus-
bildung kommen können (S. 102, Fig. 67) 1 ).
Die betreffenden Vierergruppen erinnern zunächst an die Viererstäbchen und
Viererkugeln, wie sie in den Prophasen der ersten Reifungsteilung bei Kopepoden
und vielen anderen Formen zutage treten (S. 100, Fig. 62). Da aber bei den Kope-
poden (z. B. bei Cyclops viridis) auch zu Beginn der zweiten Reifungsteilung
vierergrappenäbnliche Chromosomenkomplexe ausgebildet werden können, so wird
man vielleicht daran denken dürfen, die Teilung der Urgeschlechtsmutterzelle
mit der ersten, den rudimentären Teilungsakt der Urgeschlechtszellen mit der
zweiten Reifungsteilung in engere Homologie zu bringen. Bei den Versuchen, die
Fortpflanzungsverhältnisse der Metazoen in eine nähere Beziehung zu dem Generations-
wechsel der Metaphyten zu setzen (S. 91), wird man in Zukunft vielleicht auch
diese Verhältnisse zu berücksichtigen haben.
Daß nun die somato-germinati ve Keimbahnstrecke in
einzelnen Fällen eine fortlaufende Kette von inäqualen Zellteilungs-
prozessen darstellt, ist bereits auseinandergesetzt worden. Bei Ascaris
(S. 62, Fig. 28) geht die Inäqualität aus der äußerlichen Verschieden-
heit der Schwesterzellen, aus ihrem verschiedenen kernteilungs-
geschichtlichen Verhalten und dem verschiedenen Schicksal ihrer
Nachkommenzellen hervor, bei den Kojiepoden (S. 64, Fig. 29) gibt
sie sich schon während der Prophasen der Teilung in dem asym-
metrischen Auftreten der „Außenkörnchen " zu erkennen.
') Nach Untersuchungen von K. A m m a treten an dieser Stelle die von
J. Schiller als abnorme Bildungen beobachteten Vierergruppen bei einzelnen Formen
als normale Vorkommnisse auf. Es mag hier erwähnt werden, daß R. Hertwig
geneigt ist. auch die Synapsisphase bzw. das Doppelfäden- oder diploläne Stadium der
Reifungsperiode als einen unterdrückten Teilungsvorgang zu deuten (vgl.
R. Hertwig, Über neue Probleme usw., Arch. Zellf., 1. Bd., 1908; M. Popoff, Exp.
Zellstudien, ebenda).
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3Ö4
Inäquale Zellteilungen.
Aber auch in der zweiten, rein-germinativen Keimbahnstrecke
sind inäquale Teilungen häufig nachzuweisen. Bei den Kopepoden
hat offenbar schon die Teilung der Urgeschlechtsmutterzelle in ge-
wissem Sinne einen inäqualen Charakter. Dies geht daraus hervor,
daß wenigstens bei Cyclops und Diaptomus ihre beiden Abkömmlinge,
die Urgeschlechtszellen , nach dem ersten rudimentären Teilungsakt
und der darauffolgenden langen Ruhepause nicht gleichzeitig,
sondern regelmäßig hintereinander in die Teilung eintreten, so daß
ein typisches Dreizellenstadium (Fig. 133) zustande kommt. Man
kann aus dieser regelmäßigen Ungleichzeitigkeit auf eine innere Un-
gleichwertigkeit schließen.
Ferner treten asymmetrische Teilungen in größerer oder geringerer
Zahl bei der Eibildung verschiedener Insekten auf. So entstehen
scher Ring bezeichnete Substanz wird aber nach der Teilung dem
Kern nur einer, und zwar derjenigen Tochterzelle wieder einver-
leibt, welche in der Keimbahn selbst, d. h. in der unmittelbaren Ascen-
denz der Ovocyte gelegen ist (Fig. 134B), während der Kern der anderen
Tochterzelle, welche später auf Grund weiterer Teilungen acht Nähr-
zellen liefert, sich nur aus Chromosomen aufbaut. Ein solcher in-
äqualer Teilungsprozeß wiederholt sich nun noch dreimal: jeweils
bei der Teilung derjenigen Zelle, welche in der direkten Vorfahren- ,
reihe der Ovocyte liegt, wird in den Prophasen der Giardi nasche
Ring ausgeschaltet und in den Telophasen beim Aufbau des Kernes
nur einer Tochterzelle, nämlich der folgenden Keimbahnzelle verwandt.
l ) Giardina, Intern. Monatwehr. An. u. Phys., 18. Bd., 1901; Debaisicux.
Cellule. Tome 25. 1909; Günthert, Zool. Jahrb. (Anat.). 30. Bd.. 1910. Vgl. auch
Boveri, S. 30 (1904) (Literaturverzeichnis 344).
Dr eizelliges Stadium
der Gonade von Diaptomus
denticornis.
z. B. in den Eiröhren des Schwimmkäfers
(Dytiscus) 1 ) auf Grund derartiger Teilungs-
prozesse aus jeder der primären Ovogonien
je eine unreife Eizelle (Ovocyte erster Ord-
nung) und 15 Nährzellen. Wenn sich näm-
lich eine primäre Ovogonie teilt, so gehen in
den Prophasen nur aus einem Teil der Kern-
substanz Chromosomen hervor, der Rest wird
als eine farbbare Masse abgespalten und legt
sich während der Metaphase in Gestalt eines
Ringes um die Teilungsfigur (Fig. 134A).
Diese nach ihrem Entdecker als Giardina-
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Inäqualc Zellteilungen.
3Ö5
So entstehen beim zweiten Teilungsakt eine Keimbahnzelle und die
Großmutterzelle von vier Nährzellen, beim dritten eine Keimbahnzelle
und die Mutterzelle zweier Nährzellen, beim vierten eine Keimbahn-
und eine Nährzelle.
Bekanntlich werden auch bei den übrigen Insekten, bei zahl-
reichen Crustaceen, Anneliden und manchen anderen Formen inner-
halb des Ovariums durch Teilung der Ovogonien ungleichwertige
Produkte, nämlich Eizellen und Nährzellen, gebildet. Wenn nun
auch in keinem dieser Fälle schon während der Teilung Asymmetrien
kerngeschichtlicher Art, ähnlich den bei Dytiscus beobachteten, zu
Differenzierung der Keim- und Nährzellen in den Eiröhren von Dytiscus.
F.rster Teilungssedritt - eine vom ruhenden Kern abgetrennte Chrontatinmisie wird der einen
erkennen sind, so ist doch wohl kaum zu bezweifeln, daß wenigstens
bei einigen Objekten nicht erst durch eine Art von Konkurrenz-
kampf, durch zufällige Lagerungs- und Ernährungsverhältnisse ent-
schieden wird, welche Teilprodukte Ei- und welche von ihnen
Nährzellen werden, daß vielmehr das Schicksal der Zellen schon
durch eine bei der Teilung selbst fixierte Inäqualität oder Un-
gleichpoligkeit prädestiniert ist. Dies dürfte insbesondere für die
Cladoceren gelten, bei welchen in den aus vier hintereinander ge-
legenen Zellen bestehenden Keimzellengruppen jeweils die dritte,
vom „Keimlager* aus gerechnete Zelle zur Eizelle, die anderen zu
Nährzellen werden »).
') Vgl. Weismann, Z. w. Z„ 28. Bd.. S. 102 (1877).
Fig. 134.
Nach Giardina.
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366
Spaltungen bei inäqualen Teilungen.
Es sei ferner an die ausgesprochenen Asymmetrien bei der
Richtungskörperbildung und an die Inäqualitäten erinnert, welche bei
der Samenreife der Blattläuse (S.350, Fig. 130), Bienen (S.35L Fig. 131)
und Wespen (Fig. 132) auftreten. Jedenfalls kommen auch in der
rein-germinativen Keimbahnstrecke unsymmetrische Zellteilungen häufig
vor, und wenigstens in einigen Fällen, z. B. in dem der „Außen-
körnchen H der Kopepoden, könnte, mindestens ebenso gut wie eine
erbungleiche Teilung der Kernsubstanz im Sinne Weismanns, eine
im Zellplasma selber gelegene Asymmetrie als die primäre Ursache
für die Verschiedenheit der Tochterzellen in Betracht kommen 1 ).
c) Anlagenspaltung bei verschiedenen inäqualen
Zellteilungsprozessen.
Es läßt sich nun weiterhin die Auffassung begründen, daß die
inäqualen Teilungen der rein-germinativen Keimbahnstrecke in der-
selben Weise ein Mittel für die Spaltung des Anlagenmaterials
darstellen können, wie die Teilungen der somato-germinativen Strecke
ein Mittel für die histologische Differenzierung sind, und
gleichzeitig, daß derartige Spaltungsprozesse wahrscheinlich an ver-
schiedenen Stellen der rein-germinativen Strecke vor sich gehen.
So hängt wohl die Differenzierung von Männchen- und
Weibcheneiern bei Dinophilus, bei Rädertieren und Blattläusen
in letzter Linie mit inäqualen Teilungsprozessen der Ovogonien zu-
sammen, eine Auffassung, mit welcher eine andere Ansicht nicht im
Widerspruch zu stehen braucht, wonach bei Dinophilus die kräftigeren
Zellen, welche eine größere Anzahl von Nährzellen zu absorbieren
vermögen, zu Weibcheneiern, die schwächeren zu Männcheneiern werden.
Es würde also hier die Anlagenspaltung schon vor der Reifungs-
periode vor sich gehen.
Auch gewisse Unregelmäßigkeiten in den Zahlenverhältnissen,
die bei manchen Objekten, z. B. bei Hühnerbastarden, in der -fj-Gene-
ration auftreten, können in dem Sinne gedeutet werden, daß die
Anlagenspaltungen schon vor den Reifungsteilungen erfolgen 2 ).
Bei seinen Maisbastarden ist Correns im Hinblick auf die Erb-
lichkeitsverhältnisse einerseits des Keimes selbst, andererseits des
Endosperms zu der Ansicht gelangt, daß die „Spaltung" der Rassen-
') Vgl. auch Kap. 14, S. 145 (unter 1).
*) Vgl. Bateson, Saunders u. Punnett, S. 128 (1Q05) (Literaturverzeichnis 26,
S. 273).
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Spaltungen bei in&qualen Teilungen.
367
Charaktere im weiblichen Geschlecht bei der ersten Teilung der
Embryosackmutterzelle vor sich gehen müsse, während im männ-
lichen Geschlecht die Spaltung möglicherweise nicht bei dem
korrespondierenden Teilungsakt, d. h. bei der ersten Teilung der
Pollenmutterzelle, sondern erst bei einer späteren Teilung, etwa bei
derjenigen, welche den vegetativen und generativen Kern liefert, zu-
stande kommt 1 ).
Aus anderen Tatsachen, z. B. daraus, daß bei Drosera-Bastarden
zuweilen zwei Pollenkörner einer Pollenkorntetrade den Typus des
einen, zwei den des anderen Elters aufweisen 2 ), und daß bei dem
Lebermoose Sphaerocarpus die vier Sporen jeder Tetrade in der
Regel je zwei männliche und zwei weibliche Thalli liefern 3 ), kann
ferner geschlossen werden, daß in diesen Fällen bei einer der beiden
Reifungsteilungen, und zwar, wie gewöhnlich angenommen wird, bei
der ersten eine Spaltung von Anlagen bzw. die Geschlechtsbestimmung
erfolge, während bei den Hemipteren der sichtbare Dimorphismus der
männlichen Geschlechtszellen erst bei der zweiten Reifungsteilung
zustande kommt.
Zieht man die bereits früher erwähnten Beobachtungen in Betracht,
wonach Spaltungsvorgänge ähnlicher Art offenbar auch in somatischen
Geweben vorkommen, sowie den Umstand, daß die in der Reifungs-
periode auftretenden Kernteilungstypen durch Ubergänge mit den
sonst in der Keimbahn verbreiteten Typen verbunden sind, so wird
man die Meinung aufstellen dürfen, daß die Mendelschen Spal-
tungen nicht notwendig an einen bestimmten inäqualen
Teilungsschritt der rein-germinati ven Keimbahnstrecke
gebunden sein müssen*).
d) Anlagenspaltung ohne Reduktionsteilung,
durch Disgregation der Determinate.
Wie könnte nun, z. B. bei Formen vom Kopepodentypus oder
auch bei Knospen Variationen, eine Anlagenspaltung auch ohne eine
reduktioneile, d. h. auf dem Wege einer Reduktionsteilung er-
') Correns, Modus und Zeitpunkt der Spaltung usw., Bot. Z., 60. Jahrg., II. Abt..
*) O. Rosenberg , Erblichkeitsgesetze und Chromosomen. Bot. Stud. Upsala 1906.
*) Strasburger, E., Zeitpunkt der Bestimmung des Geschlechts usw., Jena
IQ09. S. 4, sowie: Über geschlechtsbestimmende Ursachen, Jahrb. wiss. Bot., Bd. 48,
1910, S.432.
*) Vgl. auch Bateson, S. 160, 270 (1909).
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368
Anlagen spaltuog ohne Reduktionsteilung.
folgende Verteilung der Chromosomen verständlich gemacht
werden?
Einige Befunde zeigen, daß in der männlichen Zelle neben-
einander mehrere korrespondierende Anlagen im weiteren
Sinne, d. h. Anlagen, welche bei verschiedenen Rassen oder Arten
oder auch in den verschiedenen Zellen eines Individuums für einander
vikarieren, zur Entfaltung kommen können. Zwei auf somatische
bzw. Protozoenzellen bezügliche Fälle scheinen mir hierfür besonders
beweisend zu sein.
Hildebrand 1 ) hat bei einem Oxalis-Bastard gefunden, daß aus-
nahmsweise an einer Zelle sowohl ein „Knötchenhaar" als auch ein
„Drüsenhaar" hervorwachsen kann, während gewöhnlich nur das eine
oder andere zur Entfaltung kommt.
Um kein Mißverständnis hervorzurufen, sei betont, daß Knötchen- und Drüsen-
haare nicht etwa alternierende Merkmale in dem Sinne sind, daß jene nur bei der
einen, diese nur bei der anderen Stammform vorkommen. Vielmehr treten beide
Typen bei beiden Stammformen und natürlich auch beim Bastard, aber, wie gesagt,
fast ausnahmslos als Produkt verschiedener Zellen auf.
Das zweite Beispiel betrifft die schon erwähnten „ Transversionen "
der Radiolarien, d. h. das aberrative Auftreten der typischen Skelett-
charaktere von mehreren (bis zu 4) verschiedenen Familien innerhalb
derselben Zelle (S. 286).
Aus diesen Befunden ist tatsächlich zu entnehmen, daß, zunächst
bei somatischen und Protozoenzellen, in verschiedenen Teilen des-
selben Zellplasmas unter Umständen nebeneinander und unab-
hängig voneinander mehrere selbständige Potenzen zur
Entwickelung kommen können, daß also, soweit die Ent-
faltung der Potenzen auf einer Wechselwirkung zwischen Kern und
Zellplasma oder einem Prinzipat des ersteren beruht *), in derselben
Zelle sich hinter- oder nebeneinander Leitungs- und Beeinflussungs-
vorgänge verschiedener Art zwischen Kern- und Zellplasma abspielen
können. Besteht nun, wie dies bei Bastarden der Fall ist, der Kern
aus zwei Komponenten verschiedener Abkunft, die wir uns der Ein-
fachheit halber als zwei räumlich geschiedene Gonomeren vorstellen
können (Fig. 135a), so werden von diesen beiden Komponenten aus,
sei es durch Vermittelung von Pangenen oder Biophoren oder durch
Enzymbildung oder auf energetischem Wege, selbständige Kern-
') F. Hildebrand, Über einige Pflanzenbastardierungen. Jen. Zeitschr.. 23. Bd.,
1889. S. 172, Taf.26, Fig. ig.
•) Vgl. Kap. 14. S. 145 ff.
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Gleichzeitige Entstehung verschiedener Determinate.
3tx>
Wirkungen ausgehen. Eine gewisse Zeitlang, nämlich solange die
Differenzierungen an den Zellen äußerlich nicht zum Vorschein kommen,
werden in demselben Zellplasma zweierlei durch die Kern-
wirkungen determinierte, aber noch unreife und unentfaltete Plasma-
teilchen oder, wie man vielleicht unter Erweiterung eines Weis-
mannschen Begriffes 1 ) sagen kann, Determinate vorhanden sein.
Die betreffende Zelle, die wir uns vorläufig als eine beliebige soma-
tische Zelle denken können, wird also während jenes Zeitraumes
Schema einer kern plasmatischen Spaltung,
a AbftoBung von antagonij tischen Biophoren. b Diigregation der Biophorcn in den Prophasen der
TeOuiig. c inlquale Teilung, d Rückwirkung de» Plasmas auf den Kern.
nach zweierlei Richtungen hin determiniert, aber noch nicht
differenziert sein.
Man kann sich demnach vorstellen, daß bei Bastarden erster Ord-
nung speziell auch in irgendwelchen Zellgenerationen der
rein-germinati ven Keimbahnstrecke Keimwirkungen von
') Unter Determinaten versteht Weismann zunächst die Zellen oder Zellgruppen,
■welche von den einzelnen Determinaten des Keimplasmas in ihrer Entwicklung be-
stimmt sind.
Haecker, Vererbungslehre. 2 ,
d
c
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370
Disgregation der Oetermiuate.
zweierlei Art („pigmentbildende" und „pigmenthemmende - , weiblich
und männlich bestimmende usw.) ihren Anfang nehmen und die
einzelnen Plasmateilchen zu determinieren beginnen. Es werden also
dann in derselben Keimbahnzelle nebeneinander zweierlei De-
terminate bestehen können (Fig. 135 a).
Wenn dies aber der Fall ist, so besteht offenbar die Möglichkeit,
daß bei der Vorbereitung zu einer der inäqualen Teilungen, wie sie in
der germinativen Keimbahnstrecke auftreten, eine Disgregation
oder polare Verteilung der beiderseitigen Determinate stattfindet,
in ähnlicher Weise, wie in den Keimbahnzellen von Cyclops die
„Ektosomen" (S. 64, Fig. 29) und in denjenigen von Dytiscus der
„Giardinasche Ring« (S. 365, Fig. 134) einseitig der einen Tochter-
zelle zugewiesen werden. Diese Disgregation wird ihren Anfang
nehmen, wenn die ersten Regungen des Zellteilungsprozesses sich im
Zellleib bemerkbar machen (Teilung der Centrosomen usw.), und sie
wird sich namentlich dann in glatter Weise vollziehen können, wenn
die eigentlich idioplasmatischen Teile des Kernes, die Chromosomen,
sich in der diakinetischen Phase 1 ) zu kondensieren und demnach in
den inaktiven Zustand einzutreten beginnen, wenn also die Beein-
flussung des Zellplasmas und damit die Bildung neuer Determinate
vermutlich sistiert wird (Fig. 135 b).
Während also bei der folgenden Mitose der Kern eine äqua-
tionelle, d. h. in typischer Weise nach dem Längsspalt erfolgende
Teilung der Chromosomen erfährt und demnach die väterlichen und
mütterlichen Kernsubstanzen gleichmäßig auf beide Tochterzellen
verteilt werden, erhält das Zellplasma der letzteren vor-
wiegend nur Determinate der einen Sorte (Fig. 135 c). Es
könnte also, und darin liegt einer der Gegensätze zu den An-
schauungen Weismanns, unter gewissen Umständen auch bei einer
äquationellen Kernteilung eine Ausstattung der beiden Tochter-
zellen mit verschiedenartigen Determinaten zustande kommen.
Damit würde nun freilich noch nicht erklärt sein, weshalb die
betreffenden Keimbahnzeilen und ihre Abkömmlinge, die reifen Gameten,
sich in der Folge ausschließlich als Träger oder wenigstens als Ent-
falter der dominierenden bzw. rezessiven Anlage erweisen, insbesondere
') Bei den Kopepoden kommen ausgesprochen diakinetische Phasen (Ver-
teilung der bereits kondensierten und verkürzten Chromosomen innerhalb des Kern-
raumes vor dem Schwund der Kernmembran) in der Keimbahn auch außerhalb der
Reifungsperiode vor.
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Disgregation der Dcterminate.
371
ist noch nicht erklärt, warum in den mit rezessiven Determinaten
ausgestatteten Keimbahnzellen die die dominierenden Anlagen ent-
haltenden Kernteile nicht schon im nächsten „Kernruhestadium"
wieder das Übergewicht bekommen, so daß die während der Pro-
phasen erfolgte rezessive Bestimmung des Zellplasmas rückgängig ge-
macht wird.
Um also die Entstehung der rezessiven Keime zu erklären, muß
noch die weitere Hilfsannahme gemacht werden, daß das infolge eines
inäqualen Teilungsprozesses quantitativ ins Übergewicht ge-
langte rezessive Zellplasma seinerseits auf die dominierenden Kernteile
zurückwirkt (Fig. I35d), indem es letztere entweder mehr oder weniger
umprägt und sich assimiliert, wie dies in einem früheren Kapitel als
möglich angenommen wurde »), oder indem es ihre Wirkungen durch
Agenzien irgendwelcher Art neutralisiert, in ähnlicher Weise, wie
das Blutplasma eines höheren Tieres sich gegen fremde Plasmasorten
wehrt und sie unschädlich macht.
Was schließlich die Unabhängigkeit der Merkmale bei poly-
hybriden Kreuzungen und die dabei auftretenden charakteristischen
Zahlenverhältnisse anbelangt, so dürfte ihre Ursache darin liegen, daß
die beschriebenen Spaltungsvorgänge sich auf mehrere Zellgenerationen
der germinativen Keimbahnstrecke verteilen, indem z. B. die Spaltung
der männlichen und weiblichen Anlagen vorzugsweise auf der einen,
diejenige der Färbungscharaktere auf einer anderen Teilungsstufe
vor sich geht, eine Annahme, welche im übrigen in der Divergenz
der auf den Zeitpunkt der Anlagenspaltung bezüglichen Ergebnisse
(s. oben) eine Stütze finden würde.
Die vorstehenden Hypothesen würden auch Gültigkeit haben
können, wenn nicht alle Chromosomen funktionell gleich-
wertig sein würden. Denn ebenso wie in diesem Fall angenommen
werden muß, daß bei der histologischen Differenzierung die
einzelnen Chromosomen nicht aut den nämlichen Entwickelungs-
stufen zur vollen Entfaltung ihrer besonderen Wirkungen gelangen,
so könnte man sich Ähnliches auch für die in der rein-germinativen
') Vgl. Kap. 14. S. 147. Absatz 5- Es ist zu erwarten, daß die Unterdrückung
der dominierenden Kernteile durch das rezessiv bestimmte Zellplasma keine so aus-
giebige sein wird, wie die Hemmung rezessiver Kernsubstanzen durch dominierendes
Plasma Dies würde einigermaßen mit dem Ergebnis im Einklang stehen, wonach
rezessive Rassen (Defektrasscn) sehi häufig als „kryptomer" erscheinen, d. h. das
dominierende Merkmal in latentem Zustand mit sich führen (Tschermak). Vgl.
meine Axolotl -Versuche (S.331).
24'
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372
Histologische und gametische Differenzierung.
Keimbahnstrecke angenommene gametische Differenzierung vor-
stellen.
Vielleicht wird es später möglich sein, zwischen der histologi-
schen und gametischen Differenzierung noch in einerweiteren Richtung,
nämlich hinsichtlich des Zeitpunktes der Sonderung bzw.
Spaltung der einzelnen Anlagen, Parallelen zu ziehen. Ein
Hinweis darauf dürfte darin gesehen werden, daß bei der histologi-
schen Differenzierung die Sonderung der Geschlechtscharaktere einen
der letzten oder den allerletzten Akt darstellt, und daß ebenso bei
der gametischen Differenzierung, wofür schon jetzt bestimmte Tat-
sachen vorliegen, die geschlechtliche Prädestinierung der Keimzellen
in den späteren Phasen der Keimbahn, zum Teil sogar erst bei der
zweiten Reifungsteilung erfolgt.
Über den Erklärungswert der vorstehenden Hypothese habe ich
schon früher gesagt: die hier entworfene Kernplasmahypothese der
Vererbung ist ein Komplex von Arbeitshypothesen, so wie es, minde-
stens in demselben Maße, auch die reinen Chromosomentheorien der
Vererbung sind, mögen letztere von der Annahme einer allgemeinen
Verbreitung der Reduktionsteilungen oder von den Beobachtungen über
die „graded series" der Ovogonien und Spermatogonien oder von der
Vorstellung einer Parallelkonjugation ihren Ausgang nehmen. Sie
leidet wie die Chromosomentheorien an dem Mißstand, daß bisher
noch für keinen Organismus gleichzeitig die Entwickelung der Keim-
zellen und die Vererbungserscheinungen genau bekannt sind, und daß
es insbesondere noch nicht gelungen ist, an einem und demselben
Objekt die beiden Prozesse experimentell zu beeinflussen. Die Kern-
plasmahypothese steht den Chromosomentheorien bezüglich der Eleganz
und scheinbaren Einfachheit der versuchten Lösung nach, sie kommt
aber, wie schon oben angedeutet wurde, neueren Anschauungen über
die Rolle des Kernes und Zellplasmas bei der Vererbung vielleicht
etwas mehr entgegen; sie läßt sich kaum weniger gut als jene mit
der Boverischen Hypothese von der qualitativen Ungleichwertigkeit
der Chromosomen in Einklang bringen und sie würde manche zur-
zeit schwer zu erklärenden Ergebnisse, insbesondere das divergierende
cytologische Verhalten der einzelnen parthenogenetischen Formen,
verständlich machen. Auch bietet sie vielleicht den Vorteil, daß sie
das Arbeitsfeld für deskriptive und experimentelle Untersuchung noch
etwas weiter ausdehnen hilft, als die bisherigen Chromosomentheorien,
deren Nachprüfung im allgemeinen auf die schwer zugänglichen
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Erklärungswert der Hypothese.
Chromosomen und auf die verhältnismäßig kurze Spanne der Reifungs-
und frühen Furchungsperiode beschränkt war.
Ganz allgemein wird man aber sagen dürfen, daß sich bei
weiterem Vordringen in diese Gebiete, wie in der allgemeinen Lebens-
lehre überhaupt, die Erklärungen und Vorstellungen, Vergleiche und
Bilder, welche sich bei den ersten Schritten den Pionieren und Füh-
rern der Forschung aufgedrängt haben, als zu einlach und grob-
mechanisch herausstellen. Diese Erfahrung würde sich zweifellos
selbst dann noch immer wiederholen, wenn einmal neue Methoden
die Aussicht eröffnen sollten, statt bloß an der Peripherie zu rekognos-
zieren, über die letzten Mauern und Wälle hinüberzusehen und in
das Allerinnerste einzudringen: in die eigentliche Konstitution und
in die intimen Veränderungen des Protoplasmas.
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•7
Ergänzender Literaturnachweis,
zugleich Namenregister.
In diesem sind sämtliche bei den einzelnen Kapiteln angeführte Schriften nach
den Autoren geordnet. Es soll dadurch einerseits ein Überblick über die Arbeiten
der einzelnen Autoren, andererseits eine Auffindung des vollen Titels und des Druck-
ortes der wiederholt zitierten Arbeiten ermöglicht werden. Das Verzeichnis
gibt also nicht sämtliche Stellen an, an denen eine Arbeit oder ein Autor zitiert ist.
sondern bildet nur einen Wegweiser für die Auffindung der ausführlichen Zitate.
Die erste (fett gedruckte) Zahl gibt das Erscheinungsjahr der Arbeit, die zweite
die Seitenzahl des vorliegenden Buches an.
Abderhalden 1908, lös.
Ackermann 1898, JirS.
Adametz 1905, 24».
Allen, B. M. 1906, 1907, 6i
— , Cb. E. 1905. 344t
— , G. M. 1904, 241.
Artom 1906, 12Q.
Baebr, v. 1909, 358.
Ballowitz 1890, 86.
Baltzer 1909, t>8; 1910, 14JL
Barber 1907, 29.3-
Bary, de 1879, 32.
Bataillon 1910, 310.
Bateson, Materials 1894, jqi; Compound
char. 190a, 27,1; Addr. 1904, 261 ;
Mend. Princ 1909, 241.
— und Saunders 190a. 16.
— , Saunders, Punnett und Hurst 1905,
21 X
Baur, Antirrh. 1907, 241; Pelarg. 1909,
188: Erg. Ver. 1908, 208; Pfropfb.
1909, 1910. ISJL Ver. Antirrh. 1910,
Beard 190a, 353-
Becher 1909, 207.
Berghs 1904, 1905. 323.
Biedermann 1903. 3^
Biffen 1907. 241.
Bigelow 1907, i->o.
Bitter 1868, 5.
Blackman 1905. .{.'4.
— und Fräser 1906, 83.
Blumenbach 1791. 208; 1795, 1 2.
Bode 1908,
Bonnet, K. 1775. axS.
— , R. 1888, 162.
Bonnevie I— III. 1908—1911. 3- H >-
Bordage 1898, 261.
Borgert 1909, 1910. 57.
Boring 1909. 348.
Bos, Kitzema 1894.
Boveri. Diff. Zellk. 1887, 7J_i Geschl.
erz. Org. 1889. 148; Z.-Stud. II, 1888,
58; III. 1890, 58; Bcfr. 189a, 71;
Kernlose Secigeleier 1895, 148; Entw.
Asc. 1899, lü Mehrpol. Mit. 190a,
.tu: Einfluß Samenz. 1903, 148: Erg
Konst. 1904. S8_i Z.-Stud. V, 1905, sS_i
VI, 1907, S8j Chrom. Geschl. 1908
bis 1909, .^58; Blast. Asc. 1909, 313;
Geschl. Nem. 1909, 358.
Braun 1909, ]_2Q»
Brown-Sequard 1869—1893, lTü,
Kränzender Literaturnachweis, zugleich Namenregister. 375
Brücke 1861, 2JL
Buchner 1909, 110: Sag. 1910, 64.
Bütschli, RichtuugskÜrper 1885, Q7 ; Infus.
1887 — 1889, 133; Mikr. Schäume
189a, ^
Bugnion 1910, 2Ü1.
Bunge, Ixshrb. 1894, 2JL
Burdach 1835, Lt.
Burian 1906, 2Ü.
Calkins und Cull 1907, 24i
Cancer Research Fund 1904. 1 10.
Cannon 1902, 344: 19°3. Ü2.
Carnoy 1885— 1886. UD.
Castle, Angora 1903. 241 ; Farab. obs.
1903, 252; Her. coat char. 19°5> -41 ;
Rtc. disc. 1905, 303; Mut. theory
1 9°5. 303; Yell. mice 1906, 241 ;
Revers. 1907, 273: Col. Rabb. 1907,
273: Prod. new breeds 1907, 241 ;
Col. Guin.-Pig 1908. 213; Inh. Rabb.
i9<>9. 221
Castle und Allen 1903, 211
Chambcrlain 1905, Q2.
Christman 1907, Sj.
Clausseu 19<>7. Ii
Conklin, Crepid. 190a, ÜfL; Cynthia 1905,
141 ; Org.-form. subst. 1905, 148;
Mut. theory 1905. L48i Mech. her.
1908, m.
Correns, Xenicn 1899, l8pj Mend. Reg.
1900, 241 ; Levk. 1900, .mi : Bast.
Zea 1901, 18OJ Bast- Mais 1901, 241:
Erg. Bast. 1901, 24_l : Modus d. Spalt.
1902, 367: Hyosc. 1904, .'41 : Men-
dels Briefe 1905, 24J ; Anom. Sippen
1905, 303 : Gynod. 1905, 216: Vererb.
Ges. 1905. 241 : Bast. Geschl. 1907,
261; Kern u. PI. 1909, 148J Überg.
hornozyg. Zust. 1910. 241.
Coutagnc 190a. 241.
Cramer 1907, 293.
Crampton 1896, 14J_.
CuL-not, Det. sexe 1899, 261.; Her. pigm.
sour. 1904. 241 ; 1907. 242; Rapp.
lUr. 1906, 242: Her. 5 me Note 1907.
2-3 : Rech. hybr. 1910, 274_.
Darbishire, Jap. Mice 190a, 1904, 242;
Mend. Princ. etc. 1904. »9°5. 1 9° 6 .
1909, lOj Peas 1908, 242.
Darwin 1868, ü
Davenport, Black sheep 1905, 242; Evol.
1Q.Q5. 2Q3: Spec. Var. 1905, 2Q3J Mut.
Th. 1906, 223J Inh. Poultry 1906, 28j
Det. Dom. 1908, 252; Imperf. Dom.
1910, 242.
— , Gertr. und Ch. B. 1907. 1908, 21L
Davies 1908, iL
Debaisicux 1909, 364.
Delage, £t. exp. 1901, 313: Her. 1903,
148.
Deila Valle 1909, uq,
Demoll 1910, 148.
Detto 1904, 162,
Dislaso 1908, 03.
Dixcy 189a. 1894. 179;
Doflcin 1910, 86.
Doncaster 1904, 261 : 1906. 21L.
— und Raynor 1906. 261 ,
Driesch, Bast. Ech. 1898, 2j6j Org.Rcg.
1901, 28] Neue Antw. 1901, 281 Zwei
Beweise 1901, 2jL Referate 1898 bis
1907. 208: Entw. Phys. 1905, 1909,
313: Phys. Form 1906. 31
! Diirst 1909. 158
| Duesberg 1906, 120.
1 Düsing 1884, 261.
Durham 1908. 224.
— und Marryat 1908,
East 1909—1910, 293: »9»°- 21±
1 Ehrlich. Partialfunkt. 1909, 28; Tryp.
1909. 2&
Eimer 1888, 162.
' Elpatiewski 1910, 64.
Engelmann 1883, löi: 1903—1903, 165.
Fairchild 1897, OT.
Farabee 1903, 252.
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— , Moore und Walker 1904, UQ.
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Felix und Bühlcr 1906, 7_L
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Leukoc. 189». 58: Bindegew. 1891. 37:
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Focke 1881, j8q.
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1875. !25_L Nat. Inh. 1889. i6j Av.
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Vorstad. 1895, 58i Selbständ. 1896,
86_: Keimbahn 1897, Iii Weit. Über-
einst. 1897. 08: Vorbereit. Teil. 1898,
98J Prax. u. Th. 1899, 28j Reifungs-
erseb. 1899, o8j Mit. Amit. 1900,
313: Schicksal 190a, $8_; Erg. Bast.
1904. 216; Bast. u. Geschl. 1904, i6j
Malign. Neub. 1904, yoj Mittel
Formb. 1906, 37; Chrom. Ver. 1907,
5&I Wandtaf. 1907, 2j2j Axol. 1908,
242; Leb. Subst. 1908,28; Tiefs.-Rad.
19°8, 3J7j Transvers. 1909, 179;
Chrom. Aul. 1909, 3jpj Rad. Var.
1909. 294: Temp.-Ab. 1910, ijoj Erg.
Ausbl. 1910, 330.
— , W. 1907, l
Haller, v. 1757—1766, jqS.
Hamburger 1904, 94.
Hammer 1908, 253.
Hanel 1908, --94,
Hansemann, v. 1903, 1 10.
Harper 1905, 242.
Hartmann 1910, 313.
— und Nägler 1908, 83.
Hauschild 1909, 253.
Heidenhain, M. 1907, 2jL
Heider 1906, 344.
Henking 1893, 358.
Henle 1841,
Herbst 1904, 86j 1906—1909,
Hering 1876, l&i,
Herla 1893, 314.
Hertwig, O., Befr. 1875, 86j Befr. und
Isoir. 1885, Eibild. Nemat. 1890,
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1904. UPJ Sex. DifT. 1905, iöi ; Weit,
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Hesse. A. 1904,
Hildebrand 1889, 368.
Hofacker 1838, L2.
Hofer 1889, 58,
Ergänzender Literaturnachweis, zugleich Namenregister.
d77
Hofmeister 1891, 28.
Huppert 1896, 2JL
Hurst 1905, 242; 1908, 253.
Jäger. G. 1876, 28j Zool. Briefe 1876,
liii 1879. L2i
Janssens 1909, 33Q.
— und Dumez 1903, 33Q.
Jarvis 1908, 65.
Jennings 1908, 133.
Jörgensen 1908, 5fL Jjo; 1909, 294;
1910, 22±
Johannsen, Erbl. Pop. 1903, 16^ Elcm.
1909, iHQ.
Jucl 1900, 98, 342-
Kaiser 1893, 114.
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Kanitz 1910, 2jL
Kassowitz 1889, 28.
Kekuld von Stradonitz 190a, Li.
Keysselitz 1908, 93.
Kiesel 2.
King 1905, lüü 19«7, 330.
Klebahn 1888, 83^ 1890, 94,
Klebs 1894, 262: 1909, 122.
Kleinschmidt 1907, 233.
KJinkowström. v. 1897, 324.
Klunzinger 1903, 2Q2.
Koch 1908, 166.
Kölreuter 1761, 317.
Koltzoff 1906, JRl
Korscheit, Zellkern 1891, £8_; Ophr. 1895,
326: Transpl. u. Reg. 1907, 208:
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bis 1910. 7_ij 72.
Kossei 188a, 189a, 2JL
Kostanecki und Wierzejski 1896, 87-
Krämer 303-
Krimmel 1910, 120.
Lang, Lehrb. 1901, 8_7_j Bast. Helix 1908,
242; Vererb. 1909, i6j Erbl. Ohr.
1910, 217: Ver. Hunde 1910, 242 ;
Ref. Castle 1910, 274-
Lefevre und McGill 1908, 320.
Lenhoss£k 1903, 262.
Lepeschkin 1910, 1 14.
Lillie, F. R. 190a, 38J Chaetopt. 1906,
336; Polar. Ann. Egg. 1908, 142.
Lindner 1904. z.
| Lister 1895. 27_.
Loeb. Fertil. 1903, 217; Further Exp.
1904, 217; Vöries. 1906, 58.
Löwenthal 1903, oi_.
Lorenz 1898, Z.
Lotsy 1904, 330; 1905, 98.
Lubosch 190a, 330.
Lucas 1847—1850, ll
Lundegäid 1910, 140.
MacCurdy und Castle 1907, 242.
Magnus 1907, 188.
Malsen, v. 1907. 354.
! Marcus 1906, 83.
! Marechal 1904, 58J. 1907, 330.
j Mark und Copeland 1906, 1907, 350.
Martius 1905, i&
Matscheck 1910, 120.
Mayer, A. 1908, 82,
' McClung, Loa 190a, 110; Acc. Chr.
190a. lS8_i 1905, UQ
Meijere, de 1910, 242.
1 Meisenbcimer 1908. 1909, 179.
Mendel, Vers. 1866, 242; Hierac. 1870,
242; Abh. 1901, 242; Briefe an Näg.
1905, 262.
Metealf 1901, 342 : 1908,
Meves. Meerschw. 1899, Iii Honigb.
19°3. 3 SO: 1907, 3S8: Chondrios. 1908,
140: Par. Konj. 1908, 327.
Miescher 1878, 28j 1897, 2U&.
Minchin 1898. 38,
Montgomery, Germ cells Metaz. 1901,
58: Sperm. Hemipt. 1906, 110; Asc.
1908, lioi Sex. det. 1910, 358.
Moore und Arnold 1906, L2Q.
Morgan, Reg. 1901, 208; Pur. germ
cells 1905, 3J4J Exp. Zool. 1907, 217:
Phyll. 1908. 1909, 358: Exp. Zool.
Übers. 1909, 217: Exp. Rats 1909,
— , Payne und Browne 1910, 353.
j Morse 1909, 33Q-
i Nägel i 1884, 149.
Nathusius, iL von 1880, 1 ^8.
| Natur und Staat 2i
Ergänzender Literaturnachweis, zugleich Namenregister.
Naumann -'15.
Nilsson-Ehle 1906, iqi: 1908, 224.
Noll X905, i8Q.
Noorduvn 1908, 2(>:.
Nußbaum 1884, 58.
Oltmanns 1889, 92j 19°5- Lüi
Orchansky 1903, Iii.
Ottc 1907. IL
Paulmier 1899, 326.
Payne 1908, 1909, 358.
Pearl und Surface 1909. 204.
Pearson 1900, 1903, 1904, LL
Plate 1907. 204: Selckt. 1908. K>J_2 1910,
238. 242.
Poll 1908, JJJL
— und Tiefensee 1907, 217.
Popoff 1908, 363.
Prandtl 1906, 24_j 1907, 96.
Prowazek 1905, 04..
Punnett 1905. 1907, -'74: lQlo. -'4.'.
(S. ßatcson.)
Rabl 1885, 314: 1906, 140.
Rauber 1883. 18; Anat. 1897—1898, 2.18:
1908, 12Q.
Rhode 1908, 38.
Rignano 1907, 163: 1908, 163.
Rosenberg 1903, 34«? : Ind. 1904, 314;
Dros, 1904, 344; Erbl. 1906, 367:
Präsyn. 1907, L2Q.
Roux, Kampf d. Teil. 1881, 200: Bed.
Kernt. 1883, 591 Punkt. Anp. 1883,
.'8: Einl. 1885, i4üj Halbe Embr.
1888, 14JJ Ziele u. Wege 189a, 2g_;
Mosaikarb. 1893, 208: Spezil. Furch.
1893. 308: Ges. Abb. 1895, 208; Pro-
gramm 1897, u?j Vortr. u. Aufs.
1905. L2.
Rubaschkin 1909, 65.
Rubbrecht 1910, 7_.
Rückert, Ovarialei Sei. 189a, 111: Eireif.
Kop. 1894, Iii ; Befr. 1895, 87j
Selbstlnd. 1895, 8_7_; Elasmobr. 1899,
87: Polysp. 1910, 87^
Ruzicka 1908, j8j 1909, 38*
Rynberk, van 1905, 33Q.
Sachs, Vorl. 188a, 38j Energ. 1895, 38.
Schaffner 1909, 111.
' Schaudinn, Koramin. 1895, 9_Ij Actino-
phrys 1896, Q3j Malaria 1899, 97j
Trichosph. 1899, Q_7j Coccid. 1900,
97 : Haemoproteus 1905. 04.
Schenck 1899, 38.
Schiller 1909, 111.
Schleip 1906. 330; 1908, 358.
Schmidt, iL 1904, 38.
Schreiner, A. u. K. E. 1905—1908, 330.
Schröder, Chr. 1903. 129.
— . O. 1907, XL
Schuberg 1899, 133.
Schübeler s. Wille LÖI*
Schultze, M. 1861, 38.
I — , O. 1903,
: Semon 1904, 163.
Shull 1908, 303.
Siedlecki 1897, 281 1899, 9_3_.
Sitowski 1905, ULI-
Spencer, H. 1864—1866, & 1893. »894,
163,
Spill man 1906, 342.
Spiro 1910, 2iL
Staples-Browne 1905, 204.
Standfuß, Handb. 1896, 170: Kxp. Stud.
1898, l2j Res. 3ojähr. Exp. 1905,
170: Chacr. Elp. 1910, 242: Alt. Ver.
1910, 2A2i
Stevens 1905, 358.
Strasburger, Befr. Phan. 1884, 9ÖJ Period.
Redukt. 1894, Q8j Vers. diöz. Pfl.
1900, .»62; Dopp. Befr. 1900, 149;
Streifz. Riv. 1904, 180: Typ. u. allo-
typ. Kernt. 1905, 1 1 1 ; StoffL Gründl.
1905, 98; Ind. Chr. 1907, 180: Chrom.,
Plasmastr. 1908, 140: Pfropfb. 1909,
180; Zeitp. Best. Geschl. 1909, 330:
Cbromosomenzahl 1910, 1 20: Geschl.
Best. Urs. 1910, 370.
— , Allen, Miyake u. üverton 1905, 330.
! Strebel 1901, 303.
Strong 190a, 350-
Studnicka 1903, 1907, 19°8, 38.
, Sutton 190a, lu (lies 1002 statt 1004);
1904, 34^
Tellycsnitzky 190a, 1905, 59.
Tennant 1910, 138.
Thelohan 1895, 9i
Thomson 1908, 7_.
Ergänzender Literaturnachweis, zugleich Namenregister.
Tischler 1906, 34^; 1907, 217; 1908,
SSL
Tönniges 190a, 12,
Tower 1906, 170.
Toyaraa 1906, 243.
Tretjakoff 1904, 330.
Trinci »908, 330.
Tscherraak, A. v. 1910, 189.
— , E. v., Pis. 1900, J43 : Zücht. Getr.
1901, 243; Gest. Mischl. 190a, 274;
Krypt. 1903, 274: Prakt. Verwert.
1903, 303 ; Weit. Kreuz. 1904, 243;
Bild, neuer Formen 1905, 344; Erg.
Kreuz. 1908, 243.
Van Beneden, E. 1883, sj.
— und Neyt 1887.
Van der Stricht, Thysan. 1898, S7;
Vesperugo 190a, 87.
Vejdovski 1907, 1 1 1 .
— u. Mrazek 1903, 325.
Verworn 1888, 1889, 1909, 59.
Vfichting 1904, 208.
Vom Rath, Amitose 1891, S9J Gryll.
189a, npj Sal. 1893, 120.
Vries, de, Intrac. Fang. 1889, 28_; Loi
Disj. 1900, 243; Spalt. Bast. 1900,
243; Mutat. L 1901, 294; Befr. und j
Bast. 1903. 243; Mutat. II, 1903, 180. j
j
Wagner, R. 1853, L2.
Waldeyer »903, 20.'.
Wallengren 1901, 133.
Weinberg 1903, 1907, 1908, 1909, 17*
253,
Weldon 1906, ll
Weisraann, Oaphn. 1879, 87j Vererb.
1883, 133J Kont. Kcirapl. 1885, 12s :
Rückschritt 1886, 16A1 Sex. Fortpfl.
1886, 20OJ Bot.Bew. 1888, 163J Verletz.
1889, 163; Amphimixis 1891, 200 ;
Aufs. 189a, 125; Kcimplasma 189a,
28: Allm. Xaturz. 1893, 16JJ Äuß.
Einfl. 1894, 103: Neue Gedank. 1895,
163: Germinalsel. 1896, 163; Mneme
1900, 163: Vorträge 1904, 163: Zahl
d. Rieht. 1907, 2QQ.
Wheldale 1910, 274.
Whitman 1895, 3JL
Wille 1905, I7Q.
Wilson, Cell 1900, 28j Germ. Local.
1904. Ul ; Stud. Chr. I— V, 1905 bis
1909. 358 ; Det. sex 1909, 1910, 358.
— und Matthews 1895, 8?,
Winiwarter, v. und Sainmont 1908, 59.
Winkler 1907, 1908, 1909, 1S&
Winter 1907,
Wolff 1764, 1774. 2_QiL
Woltereck 1909, 179-
Wood 1905, 243.
— und Punnett 1908, 262.
Zacharias, E. 1909, _'R.
Zehnder 1910, 2Su
Zenncck 1894, 350.
Ziegler, E. 1886, 163_.
— . IL E., Amit. Kernt. 1891, S9j Instinkt
19<>4, >63i Ver. Biol. 1905. 344:
Chrom. Ver. 1906, 344; Inst., 2. Aufl.
1910, 163: Streitfr. 1910. 163.
— und Vom Rath 1891, 53.
Zweiger 1906. 1 20.
Sachregister.
Bemerkung. Die Namen von Autoren haben in diesem Register nur
insoweit Aufnahme gefunden, als sie zur kurzen Kennzeichnung bestimmter Theo-
rien und Hypothesen, Regeln und Experimente dienen und in dieser Verbindung
in der Literatur zitiert zu werden pflegen (z. B. Altmanns Granulalehre. Brown-
Sequards Versuche, Mendels Regeln).
Abraxas 250 (Anm. l), 2ÄL
Accentuierte Teilungen 95.
Accessorisches Chromosom 345-
Achromatin a2i 44j I3iL
Achromatinhypothesc ü 138. 307.
Achromatische Figur (achr. Apparat) 46,
71; A. F. der ersten Reifungsteilung
90.
Achtergruppe, Achterring all (Fig. i 1 3).
Actinophrys, Reifung 92 (Fig. 55).
Actinosphaerium, Reifung 93.; Autogamie
86: Chromosomenzahl 1 14.
Adelea, Reifung 93. (Fig. 56L; Sporen-
bildung 96 (Fig. 60).
Äqnalionsteilung 193, 3/Q-
Äquatorialplatte 48.
Äquidispositionelle Abänderungen 1 53.
IS 5.
Äquikausale Abänderungen 1 53. 154-
Äthalium 34.
Affinität, sexuelle 214.
Agglutination 322.
Aglia tau 23J ff. (Fig. 98)-
Agrumi, Bizzarrien ifti.
Aguti 270; A.- Faktor 265, 211* -'84;
Golden-A. 269; Cinnamon-A. 2"i.
Ahnen plasmen ioj, 106.
Aktivitätshypertrophien 1 58.
Albinismus 230; Partieller A. 230; A. bei
Negern 245; Verschied. Typen 268;
Entstehung 291, 292.
Algcnpilze 9_)_.
Alkaptonurie 351.
Alkoholismus 176.
Allelomorpha 219.
Allelomorphismus, unechter 25.9 (Anm. 1 ).
Allium, Chromosomen 4J (Fig. 14), 31 S
(Fig. 115).
Allogromia, Teilung 96 (Fig. 59).
Alloplasma 21 .
Allotypische Teilungen 103.
Allseitige Abänderungen K>4.
Alternationshypothese 330.
Alternierende (alternative) Vererbung
221, 230.
Altmanns Granulalehre 19.
Alveolarstruktur 19, 44.
Alveolen 2£L
Alydus, Samenbildung 1Q2 (Fig. 71)
Alytes, künstl. Abänderung 175.
Amblystoma - Bastarde 220, 222. 23 1 .
339.
Ameisen, Arbeiter 1601 Eireife 351.
Amitose 4j$.
Amoeba, Teilung L2fL
Amphigone Fortpflanzung 191.
Amphimixis 190.
Amsel-Albinos 233.
A iiaphasen 43»
Anasa, Samenbildung 108 (Fig. 72), 340
(Fig. 129}.
Angiospermen, Befruchtung 84^ 136,
Angoracharakter 229. 235. 267.
Anisogaraie Öd.
Sachregister.
Anlagen 5_, 1 35, 375; Lokalisation im
Ei 141 ; Spaltungen 222. 362.
366 ff; Neukombination 101. 195,
300. 337-
Antagonisten 219, 2(j6.
Antherozoide 85^
Anthocyan 238.
Antipodenzellen 84.
Antirrhinura 340.
Apfel, Xenien l8l_, L§6, 187.
Aphis, Chromosomen 349_f. (Fig. 130).
356:
Apis, Geschlecht 256, 354; Samenbildung
350 (Fig. 130-
Araucaria 2Q5.
Architektonik des Idioplasmas 135-
Artbastarde 211.
Artbild 2J&
Artemia 1 14. 352.
Artplasma 24.
Artzelle 2J.
Ascaris canis 319-
Ascaris megalocephala, Geschlechtszellen-
differcnzierung 61 f. (Fig. 28), 1Q8:
Spermatidenbildung 68 (Fig. 33) ;
Samenzellen ü (Fig. 37) ; Befruch-
tung 8J (Fig. 4JlL 82. 118; Heterotyp.
Teilung KU (Fig. 64J ; Varianten (biv.
u. univ.) 112. .116; Samenreife 194
(Fig. 91); Reduktionsteilung 19S:
Bastardbefruchtung 306 (Fig. 109);
Chromosomen 318. 319. 338 ; Ge-
schlechtsbestimmung 348.
Aster 48.
Atavismus 221, 267. 270, 297, 332 : bei
Vanessa 170; bei Amphibien 175 ;
bei Negern 221, 270; bei Lathyrus
221, 271; Physiol. u. Phylogen. A.
2Q2,
Athene 233.
Atolla 3_5_5 (Anm. 3).
Attraktionssphäre 47.
Auflösungsfaktor 266. 269.
Augen färbe des Menschen 248.
Aulacanthiden, Chromosomen 103 (Fig.
68), 328; Teilung im (Fig. 75lj. Va-
riabilität 2S6.
Aulospbäriden 286 f. (Fig. 107).
Außenkörnchen 63^ 363
Autogamie 78. 86, 93.
I Automerizonten 25_.
I Autonomie der Gonomcven 191 .
| Axolotl s. Amblystoma.
1
Bach, Familie äi
Bärenbastarde 290.
Bakterien, Erworb. Ungiftigkeit 165 :
Farbstoffbild. B. 165; Kettenbildung
322 (Anm. l).
Basichromatin 4J_.
! Basidiobolus 9J. (Fig. 54^
I Bastarde, Definition 210. 211; Bezeich-
nung 213; Abgeleitete, binäre, ter-
näre usw. B. 212. 213; Reziproke B.
212; Intermediäre B. 213. 220; Go-
neokline, patrokline, einseitige B. 213,
220; Fruchtbarkeit 21s, 342.
1 Bastard- Endos penn 183.
! Bastardrassen, konstante 211. 289. 296.
Bastards 247. (Anm. 4J. 245 (Anm. 7}.
Bateson, Presence and absencc-Hypo-
these 263. 265 ; Compound allel. 267.
Baumwollbastarde 34 -V
Bausteinlehre 23, 35_.
Befruchtung 28_i Bedeutung 190; Selek-
tive B. 353_-
Begattung 7JL
1 Begonia 2£LL
Bereitschaltsstellung d. Richtungsspindel
: Bernouilli, Familie 5^
I Besamung l£.
. Beschncidung 157.
i Binucleoläre Kerne iLL
\ Biogenesis 203.
1 Biogenetisches Grundgesetz i_L
I BiomolekQle 26; Teilung 26^ 136,
Biomoren 25.
Biophoren 25^ 147t 196. 2CCu
Biotypen .'So. jflS,
Bivalenz der Chromosomen 1 12j 1 13^ 320.
Bizzarrien 18L 1 86.
Blastogene Abänderungen 156. 178; 279.
Blattläuse s. Aphis.
Blattwespcn, Eireife 351.
Blaufärbung d. Nager 266. -'84.
| Blendlinge 210.
I Bluterkrankheit 251-
: Bohnen, Samengewicht 28Q (Fig. 104).
] Bombyx mori 233.
.#2
Sachregister.
Boveri, Zahlengesetz 112 ; Vererbungs-
experiment 137, 139 (Fig. 78); Indi-
vidualitätshypolhese 3Q3 . 340; Ver-
schiedenh. d. Chromos. 3 IQ. 335.
336. 340 ; Vers, mit dispermen Eiern
310; Sntton - Boveri sehe Ver-
erbungshypothese 333.
Boverische Reihe 114.
Brachydaktylie 250.
Brachy stola, Chromosomen 336 (Fig. 1 24).
Braunalgen Qi.
Breeding trne
Brown-Sequards Meerschweinchen-
versuche 177.
Bryonia 259. 352.
Buchweizen, Wirkung des 301.
Bukettstadium 327.
Bü tschüs Wabentheorie 10.
Campanula 30.*.
Canthocamptus, Ovarium 66 (Fig. 32).
Carica -'55.
Castanelliden, Skelett 2fl6.f. (Fig. 107).
Castle, Krcuzungsversucbe jjq, 283.
289; Erbformeln 283 ; Tauschhypo-
these 33iL
Caulerpa 33 (Fig. gj, 34.
Cavia (Caviiden) s. Meerschweinchen.
Centriol 40;
Centrosoma 46, 69^ 73j 74.
Centrosomahülle 71.
Ceratium 4J2 (Fig. 21).
Chara, Parthenog. 100.
Chemische Vererbungslehre 201.
Chimäre 184. 185.
Cholesterin 23.
Chondriosomen 142.
Chromatin 39.
Chromatinerhaltungshypothese Mi 138.
30Ö.
Chromatinkürnchen 44* 300.
Chromatin-Nucleolen 41.
Chromatinsi bleifen 4^ 43-
Chrom idien 109.
Chromiolen 4^ 341.
Chromogeu 264. 268*
Chromomeren ^ -^41.
Chromoplasten 238, 2ÖQ.
Chromosomen 42, 43j 102 : Entstehung
43. 44. jQ'S; Alveolisierung 451 Bi-
valcnz 1 1-?, 113; Abbau UJL J12,
35S; Chr. als Anlagenträger 131, 3 4P.
341 ; Individ. Verschiedenheit 192,
196; Repulsion 216; Keltenbildung
322 ; Formeln 322 ; Chr. u. Geschlecht
345.
I Chromosomengarnituren, doppelte 105
(Fig. 69L 1Q8 (Fig. 72), 109. 336
(Fig. 124}.
Chromosomengruppen , komplexe 1 19.
JJO,
Chromosomenhypothesen 331 ; Schwierig-
keiten 359: Tragweite 372.
Chromosomenspuren 3 -'8.
Chromosomenzahl 1 12, 30 5, 313; Schwan-
ken 113; Normale Chr. 119; Chr. u.
Zellengröße 147.
Chromosomes-nlles 318.
Citrus, Bizzarrien 181.
Cladoceren. Samenzellen 73j Partheno-
genesis 190; Wirkung des Milieus
170. 290; Eibildung 365.
Concharidenskelett 146 (Fig. 82).
Correns, Bryoniavei suche 259. 352.
. Crataegomespilus 181 . lBjl
Cremefarbige Blüten 26Q.
Cuenot, Erbformeln 264.
Cuticularbildungen 35.
Cyclops, Diminution 65 (Fig. 30}, 34.1. 35Q ;
Richtungskörperbildung 69. (Fig. 34} ;
Befruchtung 8l (Fig. 47); Chromo-
somenzahl 116. 117. 147-
Cypris, Parthenogenesis IQQ.
Cytisus adami LÖH.
Cytophor 61.
Cytoplasma JJ^ 45-
Daphnia s. Cladoceren.
| Darwin, Pangenesis 122.
| Davenports Kriterien für mendelnde
Merkmale -'45-
Deckbastarde 214.
Defektrassen 263, 371-
Dekapoden, Spermatosomen 75.
De läge, Regulationshypothese 309»
Dentalium, Experiment 141 (Fig- 79).
, Dermatolysis 25Q.
Destruktive Abänderungen 156.
Determinanten 106. 265 : Zerlegung 108.
Determinantenlehre 201. 283.
Sachregister.
3ßÄ
Determinate 368.
Delermiuationsproblem -fo6.
Deutbeterotype Mitose 104.
Deutoplasma iL
Diabetes -»50.
Diakinesc 8^ 22 (Fig. 5_2)_, l&L 370;
Zahlengesetz der D. 3 »6.
Diakinetische Mitose 104.
Diaptomus. Chromosomen 1 13. 118.
(Fig. 74l.
Dicentrische Wanderung 4_i
Differentielle Keimbahnstreckc 6lj 1 10.
Dihybriden 226. 268. 336.
Dilutionsfaktor 266. 269. 284.
Diminution bei Ascaris 6K. (ü (Fig. 28),
341. 330; bei Cyclops 64^ £5 (Fig. 30L.
31h JiO.
Dinophilus 256, 349. .355, 366.
Diploide Zahl 316, 323
Disgregation 37Q.
Diskontinuierliche Merkmale (Abände-
rungen) 276, 27JL 285, 201, 20S.
Dispermie 3 IQ.
Disposition 155.
Ditetraden 318, 322.
Dominanz 21Q, 220; Wechsel der D.
240: Feststellung der D. 244; un-
vollständige D. 277.
Doppelbefruchtunfj bei Lilien 8_4j 183.
Doppelfädcn 89.
Doppelkcrn 50, 8jl
Doppelknäuel 343
Doppelspindel 342 (Fig. 127).
Doppclstäbchen 83, um.
Dosenhypothesc 251. Anm. 4j 355-
Dotterhaut 77.
Dreigroßelterl iche Vererbung q.
Drosera. Bastarde 342 (Fig. 128), 367.
Dyaster 48.
Dytiscus, Eibildung 364. f. (Fig. 134).
1
1
Echinodermcn , Eizelle 39. (Fig. 11); I
Bastardierung 137. 140.
Ei , reifes 211 Ei v ° n Aepyornis 21 • \
Determination der Ei teile 140. 205. j
Eibildung 66,
Eichhörnchen, schwarze 292.
Eihüllen 71* TL
Eimutterzellen 6JL.
Einfarbigkeitsfaktor 266. 284.
Eisen im Plasma 22.
Eiweißkero 23.
Eiweißstoffc 22.
EktoBomeu 63.
Elementareigenschaft 265. 275, _'7t>, Zahl
der E. JJTJL -'77.
Elementarorgane 31.
Elementarorganismen 20.
Embryosack 84.
Embrvosackmutterzelle 8_4_.
Empfängnishügel 8.L
Endospermbildung 8^ 183.
End-to-end-conjugation 321 (Anm. 2).
Energide 34-
Engramme 156. •
Entamoeba 28_i 86.
Entdiffcrenzierung der Zellen 103 : E.
der Merkmale 171. 175.
Entomophlhoracecn 91.
Entwicklungshemmung 207.
Epigame Gcschlcchtsbestimmung 215
(Anm. 3J, 255, 357.
Epigenetiker 204.
Epigenetische Veränderung der Zellen
-'Q7.
Epistatischc Faktoren 266.
Equiden, Bastarde 182. 212. 215 (Anm. l|j
vgl. auch Pferde.
Equisetum, Sporenbildung 9J (Fig. 53).
Erbadel L
Erbeinheiten 265. 275: Zahl der E. 272.
277: Entstehung 290: Verkoppelung
302.
Erbformeln 264. 283.
Erbgleiche Teilungen 190. 206.
Erblichkeit L.
Erbse, Xenien 181 , 186; Bastarde 222.
226. 239 (mehrfach); Faktoren 267 :
Chromosomenzahl 340.
Elbungleiche Teilungen 198. 206. 2Q7.
Essentielle Verschiedenheit der Chromo-
somen 310, 335a 336.
Eugenik 252.
Euheterotypc Mitose 104.
Eumitotischer Modus 324.
Evolutionisten 203.
Exoblastogene Variationen 279.
Ezoplasma 2_L
Eztcnsionsfaktor 284.
Sachregister.
F r , T-'j-Bastarde 210.
Fadengerüsttheorie 2Q.
Fagopyrismus 30 1 .
Faktoren, Bezeichnungen 264. 263. ,»60.
284; Natur 267: Zahl 212.
Faktorenhypothese 263, 265.
Faltungstheorie 326.
Farbenblindheit 251. 301.
Farne, Geschlecht 255.
Fasanenbastarde 211. 214, 215 (Anm. 3J.
Fawn (pale f., silver f.) 23J (Anm. Sj^ -'66.
Fermente 23.
Fick, Manöverierhypothese 300.
Filarthcoric 2SL
Flemming. Fadengerüst- oder Filai-
theorie«2Q.
Floriden 31 (Fig. T±
Fluktuierende Variabilität(Fluktuationen)
278. 28S. 286.
Formenketten 28s.
Fortpflanzungszellen , Geschichte der
F. 6fL
Frostaberrationen 160.
Fucaceen OJj 02.
Funktionelle Abänderungen 156. 158.
Qalatbea, Spermium Ifi (Fig. 41)
Gallwespen, eireife 351.
Galton, Vererbungsgesetze l_3_t 289,
293 ; Verbesserte Pangcnesishypo-
these 124-
Galtonsche Kurve 28c
Gameten IL, 8s_; Reinheit 222, 334, 330.
Gametopbyt 90.
Garbenspindeln 90, 01.
Gayalbastarde 21 6.
Geisteskrankheiten 9, LL Lä5j
Geistige Eigenschaften 5_.
Gelastocoris, Samenbildung 346 (Fig. 1 29).
Gelbei TL
Gemini 326.
Gemmules lü.
Gene 265, 281.
Generationswechsel 10.
Genotypische Festigkeit 288; G. Grund-
lage (Konstitution) 281, 284; G. Un-
terschiede 287: G. Verschiebungen
288. 280.
Gerste, Schartigkeit 280.
Germinalselektion 196.
i Geschlecht als mendelndes Merkmal 254.
Geschlechtsbestimmung 25?, 345; Chro-
mosomen und G. 345.
Geschlechtscharaktere , sekundäre 188.
Geschlechtsgeneration 90.
Geschlechtstendenz 357.
Geschlechtsverhältnis 349 (Anm. 2).
Geschlechtszellcndiffcrenzierung bei As-
caris 61 ; bei Kopepoden 63.
Geschwülste L5_l Teilungen iqz (Fig. 06).
Gesetze 1 1.
Giardinascher Ring 364. 37Q-
Giglio-Tos, Protoplasmalehre 26, 201,
Gingko 85.
Gladiolus-Bastarde 342.
Glanzkörper 74.
Glaukom 251.
Godlewski, Vererbungsexperiment 140.
Goldschmidt, Chromidicn iw,
1 Gonadenbildung 65^
j Gonomeren 50, §2, 19Jj 342.
] Gonocyten 65.
■ Granula 2Q.
' Granulatheorie 19.
j Graufärbung 26s.
Gr6goire, Achromatinhypothese 45.
308; Hetero-homöotypisches Schema
Haacke, Mäusekreuzungen 218.
Habsburger Unterlippe 2* 8_, 249 ;
Geistige Eigenschaften Sj Degene-
ration der spanischen IL Q.
Häckel. Vererbungsgesetze in.
Ilaecker, Kernsekrettheorie 4J. ; Achro-
matinhypothese Mi Gonomeriehypo-
these 50; Scheinreduktion 320.
Hafer, Kreuzungen 272: Häufigkeits-
polygon 280.
Hämoglobin 22j Spezifität 23.
Hämophilie 251. 30 1.
Hahnen fedrige Hennen 254.
Halbblut 212.
Halsring 277, 278.
Haploide Zahl 3 16, 324.
Hautaffektionen 2 50.
Heliozocn, Reifung 93.
Helix- Bastarde 220, 228» 233.
Sachregister.
Hemipteren, Samenbildung 104. 345;
Chromosomenzahl 115; Geschlechts-
bestimmung 345.
Henking, Dimorphismus der Sper-
mien 104, 344-
Heredity L
Heritage L.
Hermaphroditismus, latenter 255. 356.
35L
Hertwig, O., Artzelle 24 : Vererbungs-
monopol des Kerns 135; Teilungs-
gesetze 145; Biogenesis 201, 203.
— . O. und R.. Bastardbefruchtung 215.
— , R., Kernplasmarelation 5_i 143. 147;
Chromidienlehre 190.
Heterakis 348.
Heterochromosomen 104. 306. 341 ; IL
und Geschlechtsbestimmung 345.
Heterocope, Rcifungsteü un^ ioo( Fig. 62) ;
Doppelknäuel 343.
Hetero-homöotypisches Schema 327.
Heterotypische Teilung 9_9_ (Fig. 61),
lül (Fig. 64), 329,
Heterozygoten 225. 206.
Hexakünelliden. Skelett 55 (Fig. 26).
Himalayakaninchcn 233.
Hirsche, Erblichkeit 6.
Histonalselektion 107.
Hitzeaberrationen 160.
Höhlentiere 160.
Homöotypische Teilung 100 (Anm. 1), 327.
Homozygoten 224.
Honigbiene s. Apis.
Hormone 187.
Hühner, Xenien 182 (Anm.); Trans-
plantation 188: Bastarde 228. 366;
Färbung 23 1_, 240 ; Seidcnfedrigkeit
235 ; Struppigkeit 235: Kammformen
236 f. (Fig. 92)^ Haube 2j6j Fuß-
beßederung 236; Schwanz 236; Extra-
zehe 237 (Fig. 100). 240; Kopf-
hernie 238 (Fig. 101); Fruchtbarkeit
28Q.
Hunde. Farbe 232.
Hybriden 21 1.
Hyoscyamus 240.
Hyperchi mären 185.
Hypophalangie 250.
Hypolrichosis 250.
Hypostatische Faktoren
Hieeker, Vererbanjjslehre.
Idanten 1Q2.
Jde 26_i 192; Individuelle Verschieden-
heit 192, 196.
Idiochromosomen 105. 347.
Idiomeren 4_ü, 308.
Idioplasma 134.
Idiozom 71-
Inäquale Teilungen 362.
j Inaktivitätsatrophien 158.
' Indexhypothese 356.
lndianisierung 167.
Individualeiweiß 24.
Individualitätshypothese 304. 340-
Individualplasma 24-
Individualzächtung 298.
Induktion, somatische 151-
Infusorien, Kernteilung 5J ; Konjugation
85. lQO; Reifung 94j Nachreife 94j
Vererbung i2fl.
Inheritaace L.
Innere Sekrete 187.
Instabilität der Rassen 296.
! Instinkte 161; Einmal ausgeübte L 162,
Intensitätsfaktor 266. 269. 284.
I Intercellularsubstanzen 33.
■ Intraselektion 197.
Intrazellulare Sprossung 36.
Intrazellulare Pangenesis 199-
Irisfärbung 24J (Fig. 102), 248.
Isogamie 86*
Isolationsprinzip 2«n.
Isoplassonten 25.
Jod im Organismus 22*
Johannsen, Biotypenlehre 270. 287.
Kamelien 361.
Kammerer. Versuche mit Amphibien
173. 290. 292. 298; mit Eidechsen
• LL
Kanarienvögel. Xenien 1 87 ; Bastarde
214, 259 (Anm. 1), 261, 296.
Kaninchen, Giftfestigkeit 166; Trans-
plantation 188; Kreuzungen 212. 232.
268; Himalaya-K. 233: Erbformelu
284; Langohren .'So.
Karakulschafe 236. 298.
Kartoffel, Knospenvariationen 291.
| Karyogamie 85^
! Karyokinese 42.
386
Sachregister.
Karvomeren 4_3_, .108.
Karyoplasma 3i 38 (Fig. 12).
Karyoplasmogamie 85.
Katalysatoren 23.
Katze, Angorismus 235; Schwanzlosig-
keit 237; Dreifarbigkeit 2>8: Ovo-
cyten 328 (Fig. 121).
Keimbahn 6l 132. v*2i 362.
Keimbläschen 68, 306.
Keimchen 122.
Keimesvariation LS3, 156. 1 78. 279-
Keimgut L.
Keiminfektion 182.
Keimplasma, Kontinuität des K. 126:
Bau des K. 134.
Keimzellen yo, I3i.
Keimzone 67.
Keratom 250.
Kern. Ruhender K. 3iK Funktion des
K. 5_2_i Prinzipat des K. 53J Be-
deutung für die Vererbung 135. 138.
340.
Kerndrüse .146.
Kerngerüst 3iL
Kernkörper 2Qi iL
Kernmembran 39_; Osmot. Funktionen 53.
Kernplasmahypothese der Vererbung
143. 350.
Kernplasmarelation ^ 143, 147.
Kcmplasmaspannung 14".
Kernsaft 3Q.
Kernsekrettheoric 41.
Kernteilung, direkte 4JL
— , indirekte $2 (Fig. 13).
Kettenbildung 322.
Kleb», Versuche mit Sempervivum 176.
21&
Klimatische Faktoren 166, -'QH.
Knäuel s. Spirem.
Knospenvariationen 201. 360.
Kolonien 30 (Anm. l); Vererbung 120.
Kongenitale Veränderungen 153.
Koniferen, Zwergwuchs l67.
Konjugation 85, 100, 321 (Anm. l); K.
der Chromosomen 332. 334.
Konstante Bastardrassen 211. 28Q. 206.
Konstitntionshypothese 201.
Kontinuierliche Variabilität 278. 286. 2Q2.
Kontinuitatshypothesen 123; Gegen-
gründe 2Q2.
Kopepoden (vgl. auch Cyclops. Diapto-
mus, Heterocope) 315: Gonomerie
so. 82; Keimbahn 63j Urgeschlechts-
zellen 6j_, 363 ; Gonadenbildung 6_5j
Chromosomen 318, 322 ; Reifung 6^
ö2 Iii- 3l8i ÜAl Dreizellen-
stadium r3Ji 364 (Fig. 133)-
Kopf der Samenfäden 74.
Kopulation der Geschlechtskerne bei
Metazoen 8_2j bei Phanerogamcn 85J
bei Einzelligen 8s.
Körpcrzcllen 130.
Korpuskularhypothese 201. 283.
1 Korrelation 301.
! Krähenbastarde 21 1.
Kreuzfiguren lTJü (Fig. 63). 320 (Fig.
117). 338.
Kreuzungsnova 221, 267. 268. 300. 310-
Kryptomerie 26L 332. 37 1.
Kühn. Kreuzungsversuche 210. 213.
216.
1 Küstenfieber liiQ.
Kupfer im Organismus 22-
Laburnum Adami 180, 184^ 185 ; Chro-
mosomenzahl 184.
Längsspaltung, sekundäre 100, 3 18.
Längstctraden 310. 322.
• Lamarcksches Prinzip 150. 152, 153.
Lang, Hei ix- Bastarde 220. 236; Graph.
Darst. der Biotypen 281 ; Erbforraeln
284.
Latenz, latente Potenzen (Anlagen) 171.
262, 297.
Lathyrus odoratus, mendelnde Charak-
tere 238. 230; Rückschlag (Purpur)
221 . 222 . 271 ; Krenzungsnovnm
(Weiß) 26OJ Verkoppelte Char. 271.
302,
Lebenslage, Wirkung der _'<x\
Lebenseinheiten, elementare 2^ 14".
Lebermoose, Sporenbildung 8S (Fig. 50).
3^3. 324. 367.
Lecithin 23.
Leistungskern 27.
Leitungsreize 151.
Leporiden 2_L2_
Leucismus 23Q.
Leukoplasten 238.
Sachregister.
Levkoien 3.1 8. 239 (mehrfach),
Lilium, Doppelbefrachtung 8^ (Fig. 49),
85, 183: Doppelknänel 343-
Linien, reine 279. 288.
Linin 39, ü
Lipoide 22± 23.
Loeb, Bastardbefruchtung 215.
Legalisation der Anlagen im Ei 141.
Lord Morton 8 Stute i8j.
Lychnis 339. 356.
Lygaeus, Samenbilduug L06 (Fig. 70).
346 (Fig. 129).
Mäuse. Giftfestigkeit 166; Kreuzungen
221. 232. 264. 268. 269; Erbformeln
266: Blaufärbung 266.
Mais, Xenien 181 . 183; Bastarde 222
(Taf. II), 239 (mehrfach), 366] Fak-
toren 2&L
Makrogameten 86.
Makrogametocyt 93.
Makronucleus 94.
Manöverierhypothese 3Q9-
Maschinen, dreidimensionale 2Ä.
Mathematische Begabung 5, Q.
Matthiola s. Levkoien.
Maulesel, Maultier 213, 216. 301.
Maupas, Verjüngungslehre 100.
McClung. Geschlechtsbestiromungs-
hypothese 345-
Meduse, Samenfäden TA-
Meerschweinchen , Samenfäden 7JL, 1b
(Fig. 40); KünstL Epilepsie 177:
Kreuzungen 222 (Fig. 97^ 232. 236,
271; Haarrosetten 235 ; Wildfarbe
270, 27_L
Mehrlingsgeburten -'Sa
Mehrpolige Spindeln 90i 342.
Melandrium, Geschlecht 255.
Melanismus 291, 292.
Melobesia 32 (Fig. 7).
Melospiza 28S.
Mendels Regeln 218. 221. 220 ; Rein-
heit der Gameten 222. 339; Theoret.
Tragweite 275: Bed. für Tierzucht
295; M.sche Spaltungen 362.
Mensch, Mendel sehe Vererbung 244:
Kassenkreuzung 246 ; Augenfarbe
248; Haarfarbe 249; Mißbildungen
250.
Meristische Variationen 292.
Merogonie 311.
, Metakinetische Tonnentiguren loo.
| Metaphasen 4_3_.
| Metaplasma 21.
Metasyndese 321.
Metasyndetisch-äquationellcr (-eumitoti-
scher) Modus 324; M.-postredukt. M.
324; M.-präredukt. M. 326.
1 Metastruktur 25.
' Micellen 134.
Mi es eher, Vererbungshypothese 201.
Mikrochemie 2_l
Mikrocbromosomen 105.
Mikrogameten 8fi.
Mikrogametocyt 93.
Mlkronucleus 8_5_, 94.
Mikropylen 78.
Mikrosomen 34).
Milchergiebigkeit 302.
Mirabilis- Bastarde 220. 231 (Anra. 4) ,
Knospenvariationen 291.
Mischbastarde 214.
Mischlinge iia.
Mitochondrien 14J (Fig. 80), 309. 350.
Mitose 42.
Mittelstück 6jL 74. 75-
Mneme 1 78.
I Mnemische Neuerwerbe Lüöi »6i.
' Modifikationen 379.
1 Moina, Samenzellen 74. (Fig. 36).
; Moleküle, Teilbarkeit der z£l
1 Monöcie, latente 255.
Monohybriden 226, 335-
Monosom 104. 375.
Monospermie 70.
Montgomery, Konjugationshypothese
332 , 334, 341 : Faltungshypothcse
336.
Moose, Geschlecht 255.
Morgan, Unreinheit der Gameten 339.
Morphobiologie der Keimzellen ifi.
Mosaikbastarde 214. 228. 257.
; Mosaikzeichnung 362.
| Musikalische Begabung 5.
[ Muskelfadcnthcoric 48. ,
1 Mutationen 278. 288; Retrogiessive M.
203. 279. 291 ; Degressive M. 263.
279; Progressive M. 279.
; Mutationstheorie 276.
25*
388
Sachregister.
Myxom ycoten 34.
Myxosphacra 42 (Fig. jo).
Myxosporidicn 50; Reifung 2L.
Nachtblindheit 250,
Nachtschatten 183.
Nägeli, Idioplasmalehre
Nebenidioplasma 204.
Nektarinen 361,
Neoepigenetische Theorie 201.
Neo-Evolutionismus 201.
Nervöse Ströme 151.
Neukombination von Anlagen 101. 195,
3QO. 332*
Nezara, Samenbildung 347, .155.
Nils so n sehe Haferkreuzungen 272.
Nonnalzahl der Chromosomen 1 10. ,116.
Nucleine (i. S. der älteren Morphologen)
= Nucleoproteide.
Nucleinsäure 22± 24.
Nucleolen 32, 4K
Nucleoproteide oder Nucleine im eng. S.
22, 24, 40.
Nucleus 32.
Numerische Variationen 292 ; N. Reduk-
tion 3_LL 323.
Nutrizeptoren 21.
Oenothera, Chromosomenzahl 147, 340;
Mutationen 270.
Oktaden 31g.
Oligochäten 325-
Oocytcn s. Ovocyten.
Oogenese s. Ovogcnese.
Oogonium s. Ovogonium.
Orchideenbastarde 241.
Organbildcnde Substanzen 142.
Orthopteren 104.
Oscillaricn, Färbung lös.
Ovocyten l Ordn. 6_7_, 2, Ordn. 6Ü.
Ovogcnese 6A
Ovogonium (Ovogonie) 66.
Oxalis-ttastarde 368.
Oxychromatie 4J_
Pallavicinia, Sporcnbildung 8Q.
Pampbagus 323.
Panaschierung 184, 231.
Pandorina 30 (Fig. 5)2 L?2 (Fig. 77}.
Pangene 2«, 199.
Pangenesis 122.
j Panmixie löq.
Pansporoblasten 9v
Paramaecium, Mitose 5j (Fig. 24); Vor-
reife 21 (Fig. 57); Nachreife 95
(F»g- 581i Variabilität 2&2 (Fig. ior>).
Parallelinduktion 164^ 178.
Parallclkonjugation 326, 336» 360.
Paraplasma 2j_.
Parasyndese 326. 336, 360.
Parthenogenesis , Zahl der Richtungs-
körper 6JL 123 : Entstehung 84; Künst-
liche P. 144» 31 1 ; Reine P. 1901 Fakul-
tative P. 349_; Chromosomen bei P. 349.
Partialmutationen 270. 285.
P£brine 154.
Pelargonien 184.
Pediculopsis, Furchung 308 f. (Fig. lij).
Pclobatiden, Samenfäden 74.
Periklinalchimären 185.
Pcrsonalselektion 107.
Pferde (s. auch Equiden), Farbe 2± 13,
321, 232 (bis), 229J Wildfarbe 27a
Pferdespulwurm s. Ascaris.
Pfirsiche 361.
Pflanzen, mendelndc Charaktere 238.
Pfropfbastarde 180, 183.
P-Generation 219 (Anm. 2}.
I Phänotypus 280.
! Phanerogamen, Befruchtung 84.
Phönixhuhn 237.
Phylloxera, Chromosomen 3421 !50r 356.
Physa, Befruchtung 8Q (Fig. 43).
Physiologische Einheiten 25.
Pisum s. Erbse.
PlasmamolekfiJe 26.
Plasmodien 33.
Plasmosomen 41.
Piasomen 25.
Plastin 40.
Plattfische 164 (Anm. 1).
I Platydorina 30 (Fig. 6^ 12Q.
' Pluripoienz des Artplasmas 357.
I Polkerne 84,
I Pollenbildung 84.
1 Polstrahlung 46.
Polyhybriden 226, 268, 336, 371.
Polyspermie 72:
1 Polyurie 250.
Polzellen der Dipteren {ll
Populationen 279.
Sachregister.
38Q
Potenzen. Latente generelle P. HL
Postf oralsten 204.
Postreduktion 324.
Prädestination 357-
Prädetermination .357.
Präformation 140.
Präformationstheorie 203.
Präredaktion 325.
Präsynapsis 328.
Prävalenz 213 (Anm. 5).
Prävalenzregel 210.
Presence and absence 2t> > .
Primula sinensis 239.
Prochromosomen 328.
Progame Bestimmung 2S6. 2SQ. 349.
.355. 15lL
Prophasen 4_2j 3Q5-
Prosthetische Gruppe 23.
Proteinstoffe 2JL
Protenor, Samenbildung 105 (Fig.
Prothallium 00.
Prothalliumlehre 91.
Protomeren (im Text fälschlich: Proto-
moren) 2.S.
Protoplasma l8j Aggregatzustand IQ ;
Spezifität 23j Funktionen 37.
Protozoen, Reifung 97.
Prüfgeneration 300.
Pseudoamitosen 51.
Pseudoreduktion 320.
Psychische Neuerwerbe i.s6.
Purpurfarbe 272.
Quagga 182.
Qualitätshypothese 35g»
Quantitätshypothese 354.
Querkerbe 118, 328,
Querteilung 43.
Quertetraden 319. 322.
Queteletsches Gesetz J8n,
Rabl, Organbildende Substanzen 140:
Individualität der Chromosomen 304.
Rakelhuhn 21^ 21£ (Anm. 2).
Radiolarien, Intrazell. Sprossung 36;
Skelett iS (Fig. 26}, 2J6f. (Fig. 107):
Chromosomen 50, 103 (Fig. 68), 114.
328: Teilung I27j Variabilität zMf.
(Fig. 107). 292; Transversionen 368.
Rassencharaktere 263.
Rassenfixierung 200.
Rassenhygiene 252.
Ratten, Kreuzungen 232.
Reaktionsnorm 176.
Rebläuse s. Phyllozera.
Reduktion der Ahnenplasmen 192.
Reduktionskerne Q4.
Reduktionsproblem 315.
Reduktionsmodi 3_24_f. (Fig. 120).
Reduktionsteilung 193.
Regeneration 202, 204; Plasmatische
Grundlage der R. 2Q7.
Regressionsgesetz 15.
Regulationshypothese 309.
Reifungsperiode 67.
Reifungsteilungen 6_7_, 315 ; Verbreitung
88; Biol. Bedeutung 82, 1Q2; R. der
Protozoen 9_2j R. als rud. Sporen-
bildungsprozesse 27-1 tQ4. 323.
Reifungszone 62.
Reh, Erblichkeit &
Reinheit der Gameten 222. 339: Cytol.
Interpret. 334.
Reinzeugung 222.
Remaksches Schema 48.
Reserveidioplasson 205.
Retinitis 251.
Rezeptoren 27.
Rezessive Merkmale 219: Feststellung
solcher 245.
Rhinocerosmaus 2 So (Anm. 6).
Ribes- Bastarde 342.
Richtungskerne 94.
Richtungskörper 68, 102.
Riesen, menschliche 147.
Rignano, Zentroepigenese 207 .
Rinder, Hornlosigkeit 237 ', Correlationen
302.
Ringelnatter, Zeichnung 361.
Ringfiguren 89, 100, 338.
Rogues 300.
Rotgrünblindheit 251.
Roux, Bedeutung der Kernteilung 52.
136; Kampf der Teile 197: Reserve-
idioplasson 205.
Rücke rt, Scheinreduktion 320.
Rückkreuzung 225.
Rückschlag s. Atavismus.
Rückschlagsgesetz 15.
Sachregister.
Sachs, Energiden 34-
Sagitta, Geschlechtszellendifferenzierung
64 (Anm. 3).
Salamandra, Samenbildung 2Q (Fig. 35);
Spermium 76 (Fig. 39); Heterotyp.
Teilung 22 (Fig. 6i); Künstliche Ab-
änderung 12A (Fig. 85): Epidermis-
zellen 305 (Fig. 108).
Samenbildung 6^ 7_o (Fig. 35).
Samenfäden OQt 72. 74-
Samenmutterzellen 67.
Samenpatronen 73j 7JL
Samentochterzellen 68.
Satnenzellen 68^ 73-
Sammelchromosom 1 19.
Saturnia- Bastard 2« -13. 34».
Schachtelhalm (s.Equisetum). Geschlecht
255^
Schafe, Kupierung 158; Färbung 231.
332. 207; Karakulschafe 236. 298;
Hornlos igkeit 237. 258: Fagopyrismus
301
Schartigkeit 2ÜQ.
Scheckzeichnung 231. 266. 284 (Anm. 2).
Scbeinreduktion 320. 323.
Scheintypus 280.
Schizochroismus 231.
Schizogonie 6_,
Schlauchalgen 34.
Schokoladenfärbung der Nager 232. 26s.
266. 269.
Schübeier. Klimawirkung 107.
Schwanzfaden 62t 74.
Schwanzlosigkeit bei Katzen 157 ; Er-
worbene Schw. bei Schafen 158.
Schweine, Fagopyrismus 301.
Seeigel . Befruchtung 8Q (Fig. 44} , Üi
(Fig. 46); Varianten 112: Bastar-
dierung 137; Chromosomen 30J (Fig.
110); Dispermie 310; Geschlechts-
bestimmung 349.
Seeplanarien 324.
Segmentierung 43.
Seidenraupe 233.
Seitenketten 2J\
Sektorialchimären 185.
Selektionstheorie 285: Künstliche Selek-
tion 298.
Selektive Befruchtung 257. 353.
Sexualverhältnis 2 vi.
Simmenthaler Zucht 302.
Simultanreize 164.
Single variations 206.
Singsperling 28.5-
Siphoneen 34.
Solanum tubingense 183, 18s.
Somatische Induktion 151. 178.
Somatoblastogene Abänderungen 279.
Somatogene Abänderungen 156. 178.
Somato - germ inative Keimbahnstrecke
61^ 362, 36J.
Somazellen (somatische Z.) 6ij 130.
Soziologie 7_
Spaltungen, vegetative 184.
Spaltungsregel 221.
Spermakern 8o.
Spermastrahlung S£L
Spermatiden 68.
Spermatocyten 1 . Ordn. 67. z. Ordn. 69.
Spermatogenese 66.
Spermatogonie 66.
Spermatophoren s. Samenpatronen.
Spermatosomen 7_L
Spermatozoide 85.
Spermatozoon 69, 7.1.
Spermien 69j 73.
Spermienhals 69.
Sperraozentrum 80.
Spezifität des Protoplasmas 23.
Sphäre 47. 71. 80.
Spbaerocarpus 367.
Sphaeromyxa, Reifung 95.
Spindelrest IL 35Q.
Spirem 4J : Kontinuierl. Sp. 221 (Fig. 1 18.
USL
Spitzenstück 71, 74. 75.
Sporenbildung 88, 96, 2L 104, 323.
Sporogonie 96.
Sporting varieties 29f>.
Sports 296.
Sprungblastovariationen 279-
Stachel schweinfamilie 250.
Stammzellen 61 .
Standortsmodifikationen 2Q.\
Star, grauer 25Q.
Stationärer Kern 85.
Statistische Methode i_3j 244.
Steinkauz 233.
Stenobothrus, Chromos. 3.18 (Fig. 1 14).
Sterilität der Bastarde 342.
Sachregister.
301
Stern der Pferde £
Strasburger. Vererbungsmonopol des
Kerns ]_35; Wesen der Pfropf bastarde
1S4; der Bizzariien 186: Terrainol.
der Chromosomenzahlen 316.
Stylonychia, Teilung 128 (Fig. 76).
Sutton, Sutton- Bover ischü Ver-
erbungshypothese 333.
Svalöf 283, 295.
Symmixis 3.18.
Synapsis §2 (Fig. 5_iL 321 (Anm. 1),
327 f- (Fig. 121).
Syncytien (syncvtialer Aufbau) 33., 5£i
SL &L
Syndesis 321.
Synergiden 8_4_.
Syngame Geschlechtsbestimmung 255.
260, 349. 357.
Synthetische Zellfunktionen 52.
Syphilis 154.
Syromastes, Kreuze lfJQ (Fig. 63), 320
(Fig. 117}, 3j8j X-Elemente 34JL
Tanzmaus 231. 238.
Tapetenzellen £1 (Fig. 23).
Tauben- Bastarde 9_i Schwimmhäute 277
278: Doppelspindeln 342.
Tauschhypothese 339.
Teilungsperiode 66.
Telegonie 1R2
Teleutosyndese 324.
Telopbase 4JL 3Q5 .
Temperaturaberrationen 168, 277. 297.
Tetraden s. Vierergruppen
Tetrao intermedius 211. 21 S (Anra. 2).
Tetraploide Zahl 323.
Tetrasporenbildung 323.
Thyanta . Samenbildung 346 (Fig. 346),
Thyreojodin 22.
Thysanozoon, Kernteilung 47. (Fig. 16
bis 18).
Tomate 183,
Tonnenfiguren im.
Tortoise-shells 258.
Tosahuhn 237.
Totalmutationen 279.
Towers Exp. mit Käfern 167. 292.
Toxine, Wirkung 176.
Transplantation von Ovarien iKH.
Transversionen 144. 277. 368-
Trihybriden 22&.
Trophochromatin 355-
Trypanosomen lös.
Tschcrmak, Kryptomerie 267. 339,
371 ; Rassenfixierung 3CO.
Tuberkulose ljj, 155.
Tylosis 250-
Ober kreu zungsfiguren 8g, lüL
Überschläge 277.
Überzählige Mitosen 119_.
Umprägung des Zellplasmas um.
Umschläge 296.
Unabhängigkeitsregel 226.
Undulierende Membran 75.
Uniformitätsfaktor 266. 284-
Uniformitätsregel 219.
Unsterblichkeit der Keimzellen 130.
Unterlippe der Habsburger 2± iL
Ureizellen öö_,
Urgeschlechtsmutterzellen 03^ 363 .
Urgeschlechlszellen 63.; U. von Cyclops
1Q2 (Fig. 65L 363.
Urodelen, Chromosomenzahl 115.
Ursamenzellcn 66.
Ursomazellen 6J_
Urtica 239.
Vanessa, Temperaturaberrationen i6ft.
Variabilität. Versch. Formen 278: Ter-
minol. 278. 279. 2ÖJf-; Bedeutung
für die Selektion 285; Übergänge
2R6.
Variationspolygon 280.
Vegetationspunkt 32 (Fig. 8).
Vegetative Spaltungen 184-
Vererbung, Begriff 1 ; Dreigrofielter liehe
V. 9j Konservative V. lpj Progressive
V. lOi 159; Morphobiolog. Grund-
lagen l8_; Doppelproblem der V. 122:
V. erworb. Eig. 15Q.
Vererbungscytologie 18.
Vererbungsmonopol des Kerns 138. 340 ■
Vcrerbungsregeln. Häckels V. 10, 11 ;
Galtons V. 13J Mendels V. 21S.
Vererbungssubstanz 134.
Verjüngung des Keims 190.
Vermehrungsperiode 66.
Versonsche Zelle 67.
Vesperugo, Befruchtung 8X2 (Fig. 42).
391
Sachregister.
Vierergruppen KJQ (Fig. 6-'), iqz (Fig. 67) ;
Zahl der V. 120. 316; Zusammen-
setzung 317. 3^2; Formeln 322: V.
in Urgeschlechtszellen 363.
Vilmorinsches Prinzip 281.
Vitalffirbungen 22+
Vollblut 212,
Volvocineen 30, 34 (Anm. 1); Vererbung
129, 150.
Vom Rath, Scheinreduktion 320.
Vorreife 02, 94.
Vries, de, Annahme von Pangenen
2S. 147. 199; Intracell. Pangenesis
276: Mutationstheorie 263. 276: Ter-
minol. des Atavismus 207: Tausch-
hypothese 336, 330.
Wabentheorie Bütschlis 10.
Wachstumsperiode 6jl
Wachstumszone 67.
Wanderkern 85.
Wasserflöhe s. Cladoceren.
Weidenbastarde 9j 212.
Weismann, Vererbungslehre 121 , 1 00,
332; Kontinuitätslehre 126 ; Ver-
erbung erworbener Eig. 150; Amphi-
mixis 100: Reduktionsproblem 103,
315t 331 ; Germinalselektion 106;
Determinanteulchre 201, 283.
Weizen, Klimawirkung 167 : Erblichkeit
239. 240: Neue Formen 201.
Wespen, Samenbildung I50f (Fig. 132).
Wicke, großblumige s. Lathyrus.
Wildfarbe 232. 26^ 2Ö7.
Wilson, Heterochromosomen io.s, 345 ;
Geschlechtsbestimmungshypothesen
345. 354
Winklers Pfropfbastarde 183.
Wolterecks Versuche mit Cladoceren
176. 200. 202*
X-Element 345^ 353-
Xenien 18J, 1Ä2.
Xylocopa 33Q-
Yankeesierung i67.
Y-Element 347. 353-
Zahlenkonstanz der Chromosomen 112.
Zea s. Mais.
Zeichnung der Tiere 361.
Zellenlehre 29^
Zellenstaatlehre 29.
Zellteilung, Theorie 4JL
: Zelluläre Organisation 54.
1 Zentralkörper 46.
Zentralspindel 47.
Zentroepigenese 207.
Ziegler, JtLE., Amitosen 49; Chromo-
somenhypothese 332. 335.
. Zoogonus 3 Jb.
■ Zuchtwahl. Grenzen der künstl. Zucht-
wahl 298 ; Beschleunigung der Zucht-
wahl 301.
Zuckererbse, Xenien 181, 186.
Zugfasern 48.
Zurückdifferenzierung der Zellen 103 ;
Z. der Artmerkmale 171. 175.
Zusammengesetzte Charaktere 26".
Zwerge, menschliche 147.
Zwillinge 332.
Zwischenrassen 296.
j Zygote iL 223.
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UNIVERSITY OP CALIFORNIA
LIBRARY
Due two weeks after date.
80m-7.'12
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. _ CK e r,V, 1 I BIOLOG Y
Allgemeine yererbtmgslehreJT 0 ^**
SEP 1U U>|*
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