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Full text of "Allgemeine Vererbungslehre"

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Allgemeine 




Vererbungsle 




Valentin Haecker 



■ • 



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ALLGEMEINE 

VERERBUNGSLEHRE 



ALLGEMEINE 

VERERBUNGSLEHRE 



Von 



VALENTIN HAECKER 

PkoKKSSoR DER /i.ioUKlIK f\ HALLK A. S. 



T 135 FIGUREN IM TEXT UND 4 LITHOGRAPHIERTEN TAFELN 



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BRAUNSCHWEIG 

DRÜCK UND VERLAG VON FRIEDR. VIEWEG & SOHN 

19 11 



K - ; 

BIOLOGT 
LIBRARY 

Q 



Alle Rechte, 

namentlich das Recht der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. 

Copyright, 1911 , by Friedr. Vieweg & Sohn, 
Brauuschweig, Germany. 



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VORWORT. 



Das vorliegende Buch bildet die ausführlichere Bearbeitung einer 
kleinen Vorlesung, welche ich seit einer Reihe von Jahren, zuerst an 
der Technischen Hochschule in Stuttgart und an der landwirtschaftlichen 
Hochschule in Hohenheim, später in Halle gehalten habe. Es soll 
dem Leser einen Überblick über eine verhältnismäßig junge Disziplin 
geben, welche, wie wohl kein anderer Zweig der Organismenlehre, den 
Charakter einer Sammel Wissenschaft hat und demgemäß ihre Bausteine 
in gleicher Weise der Zoologie und Botanik, der Morphologie und 
Physiologie, der deskriptiv -mikroskopischen und der experimentellen 
Forschung entnimmt. Ebenso wie dem Studierenden in einer Vorlesung 
über Vererbungslehre die enge Fühlung und Wechselwirkung, welche 
im Grunde zwischen den von ihm zu bewältigenden Spezial- und 
Prüfungsfächern besteht, zum Bewußtsein gebracht werden kann, so 
soll auch, wie ich hoffe, der Leser den Eindruck erhalten, daß trotz 
der naturgemäß immer intensiveren Bearbeitung gewisser biologischer 
Einzelprobleme gerade auf dem Gebiete der Vererbungslehre das Inter- 
esse und die Freude an der synthetischen, naturphilosophischen Behand- 
lung niemals aufgehört hat, und daß die gedankenlos nachgesprochene 
und nachgeschriebene Phrase, die Naturwissenschaft verliere sich immer 
mehr in Zersplitterung und Spezialisierung, auch in bezug auf die 
biologischen Probleme zu keiner Zeit weniger am Platze war als 
gegenwärtig. 

In Vorlesungen über Vererbungslehre kommt noch ein weiteres 
Moment didaktischer Art gewissermaßen von selber zur Geltung. Da 
nämlich diese Wissenschaft und das Interesse an ihr nicht gleichmäßig 
fortgeschritten ist. sondern zu verschiedener Zeit, sei es durch die 
vorauseilende Theorie, sei es durch besonders markante Entdeckungen, 
neue kräftige Impulse empfangen hat, so ergibt sich gerade bei ihr eine 

240380 



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VI 



Vorwort. 



Darstellung nach historischen Gesichtspunkten als die nächstliegende, 
und es kann also bei der Behandlung des Stoffes der Sinn für die 
Entwickelungsgeschichte der Wissenschaften und die Wissenschafts- 
lehre überhaupt, die Kenntnis von der Bedeutung des Hypothetischen 
und von den allgemeinen Vorbedingungen und Mitteln eines tatsäch- 
lichen Fortschrittes gefördert werden. Auch in dem vorliegenden 
Buche schien ein Aufbau auf historischer Grundlage geboten zu sein, 
wobei indessen eine möglichst reinliche Scheidung zwischen den tat- 
sächlichen Ergebnissen und den Anregungen und Zusammenfassungen 
theoretischer Art durchzuführen versucht wurde. Insbesondere ist im 
zweiten und vierten Hauptleil die erstere, im dritten und fünften 
die letztere Seite vorwiegend betont worden. 

Diesen Gesichtspunkten formaler Art ist aber in dem Buche ein 
anderer übergeordnet worden. In der letzten Zeit ist eine ganze Reihe 
von lehrbuchartigen Zusammenfassungen erschienen, in welchen nur 
ein begrenzter Teil des Gesamtgebietes von bestimmten Fragestellungen 
aus ausführlich behandelt ist. Das gedankenreiche Werk Batesons, 
welches die Mendel sehen Prinzipien zum Gegenstand hat, ist hier an 
erster Stelle zu nennen. Von zusammenfassenden Darstellungen da- 
gegen, in welchen in gleicher Weise alle allgemein -physiologischen, 
cytologischen und experimentell - physiologischen Probleme zur Be- 
sprechunggekommen wären, liegt aus den letzten Jahren nur Thomsons 
„Heredity" vor uns, und es mag überhaupt zweifelhaft erscheinen, ob eine 
derartige Zusammenfassung zurzeit noch von einem einzelnen bewältigt 
werden kann oder auch, ob die Zeit hierfür bereits gekommen ist 

Vielleicht darf aber am ehesten noch von Seiten derKeimzellen- 
lorschung ein solcher Versuch unternommen werden, denn die Frage 
nach dem materiellen Substrat der Vererbungserscheinungen wird immer 
den letzten und wichtigsten Gegenstand der Vererbungslehre bilden 
müssen, und bei fast allen Untersuchungen experimenteller Art werden 
die Kernfragen der Protoplasma- und Zellenlehre berührt. Es sei nur 
an die Arbeiten über den Einfluß jedes der beiden Eltern auf die 
Nachkommen, über das eigentliche Wesen der Erbeinheiten, über den 
Zeitpunkt ihrer Spaltung und Wiedervereinigung, über die Spezifität 
der Erblichkeitserscheinungen, über die Geschlechtsbestimmung und 
andere erinnert. 



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Vorwort. 



vn 



13er Verlasser hat es schon zu wiederholten Malen in kleineren 
Zusammenstellungen unternommen, den Beziehungen zwischen be- 
stimmten Ergebnissen der Experimental- und der cytologischen For- 
schung weiter nachzugehen. In dem vorliegenden Buche sollen nun 
diese Versuche in mehr systematischer Weise über möglichst weite 
Gebiete der Vererbungslehre ausgedehnt, die Verbindung zwischen 
einzelnen ihrer Kapitel befestigt und dabei das Ziel im Auge behalten 
werden, das durch die Begründer unserer theoretischen Grundvor- 
stellungen, besonders durch Weismann, vorgezeichnet und verfolgt 
worden ist und in dem Ausbau einer allgemeinen, auf eine einheitliche 
morphobiologische Basis gestellten Vererbungslehre besteht. 

Wenn nun auch die Anschauungen und Überzeugungen, welche bei 
jenen früheren Versuchen als Wegweiser gedient und auch in diesem 
Buche den leitenden Faden gebildet haben, in vielen Funkten von denen 
mancher anderer Biologen verschieden sind, so ist doch versucht worden, 
auch die abweichenden Auffassungen möglichst gleichmäßig zum Worte 
kommen zu lassen, vor allem natürlich diejenigen, welche von bestim- 
mendem Einfluß auf den Gang der Untersuchungen und die Deutung und 
Verknüpfung der Tatsachen gewesen sind. Die Literaturverzeichnisse am 
Schlüsse der einzelnen Kapitel sollen in dieser Hinsicht dem Leser eine 
noch ausgedehntere Orientierung ermöglichen. In ihnen sind dreierlei 
Schriften aufgenommen worden: Die für die einzelnen Gebiete grund- 
legenden Werke; ferner zusammenfassende Darstellungen, in welchen 
sich weitere Literaturverweise finden, und endlich solche Arbeiten aus 
der jüngsten Zeit, in welchen ganz neue Beobachtungen mitgeteilt und 
neue Anregungen gegeben sind, welche also als Wegweiser in wissen- 
schaftliches Neuland dienen können, so besonders zahlreiche neuere 
Arbeiten kleineren Umfangs auf dem Gebiete der Mendel sehen Ver- 
erbungslehre. Ich habe versucht, mich möglichst strenge an diese 
Regel zu halten und bitte die Herren Fachgenossen um Nachsicht, 
wenn sie diese oder jene Arbeit in den Literaturverzeichnissen vermissen. 

Ein „Literaturnachweis" am Schlüsse des Buches soll es er- 
möglichen, die in den einzelnen Verzeichnissen zerstreuten Arbeiten 
der einzelnen Autoren aufzufinden. 

Zum Schlüsse möchte ich an dieser Stelle dem verehrlichen Verlag 
Fried r. Vieweg & Sohn meinen verbindlichsten Dank für sein 



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VIII 



Vorwort. 



vielfach bewiesenes Entgegenkommen aussprechen. Ebenso habe 
ich meinem Mitarbeiter am hiesigen Institute, Herrn Privatdozent 
Dr. Ludwig Brüel, für seine freundliche Beihilfe bei der Besorgung 
der Korrekturen und für zahlreiche wertvolle Anregungen zu danken, 
welche er mir auf Grund seiner außerordentlichen Literatur- und 
Sachkenntnis bei diesem Anlaß gegeben hat. Endlich spreche ich 
Fräulein Käthe W angerin auch an dieser Stelle meinen besten 
Dank für ihre Mitwirkung bei der Herstellung der Zeichnungen und 
besonders der Vorlagen für die Tafeln aus. 

Halle a. S., im März lQll. 

V. Haecker. 



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Inhaltsverzeichnis. 



I. Teil. 

Seite 

, 1 

1. Kapitel: Allgemeine Begriffe und vulgäre Erscheinungsformen der Ver- 

erbung 1 

2. Kapitel: Systematische und klassifizierende Versuche 8 

3. Kapitel: Statistische Methode 13 



II. Teil. 

Die morphobiologischen Grundlagen der Vererbungslehre 18 

4. Kapitel: Das Protoplasma 18 

5. Kapitel: Weiterem Wickelung der Zellenlehre 29 

6. Kapitel: Kern und Kernteilung- 39 

7. Kapitel: Geschichte der. Fortpflanzungszellen der Vielzelligen .... 60 

8. Kapitel: Reife Fortpflanzungszellen und Befruchtung 73 

9. Kapitel: Die [Reifungsteilungen und ihre stammesgeschichtliche Be- 

deutung 88 

10. Kapitel: Die Chromosomen in den generativen Zellen. Heterotypische 

Teilung und Heterochromosomen 99 

H. Kapitel: Cbromosomenzahl 112 



III. Teil. 

Welsmanns Vererbungslehre. Das Problem der Vererbung erworbener Eigen- 
schaften 121 

12. Kapitel: Frühere Versuche einer morphobiologischen Erklärung der 

Vererbungserscheinungen 121 

13. Kapitel: Die Kontinuität des Keimplasmas als Grundlage einer Theorie 

der Vererbung 126 

14. Kapitel: Vererbungssubstanz, Keimplasma, Idioplasma 134 

15. Kapitel: Das Problem der Vererbung erworbener Eigenschaften. All- 

gemeines. A. Äquikausale und B. äquidispositionclle Abänderungen 150 

16. Kapitel: Das Problem der Vererbung erworbener Eigenschaften (Forts.). 

C. Einseitige Lamarcksche Abänderungen 156 

17. Kapitel: Das Problem der Vererbung erworbener Eigenschaften (Forts.). 

D. Allseitige Lamarcksche Abänderungen 164 

18. Kapitel: Pfropf bastardc, Xenien, Telegonie 180 



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X Inhaltsverzeichnis. 

Seite 

19. Kapitel: Weiterer Ausbau der Wcismannschcn Vererbungslehre . . 1 00 

20. Kapitel; Kritik der Anschauungen von Weismann. O. Hertwigs 

Theorie der Biogenesis 201 



IV. Teil. 

Experimentelle Bastardforschung; jqo 

31. Kapitel: Allgemeines über Bastarde 3QO 

22. Kapitel: Mendel sehe Bastardierungs- oder Vercrbntigsrcgeln .... 21 

23. Kapitel: Verbreitung des Mendel sehen (alternativen) Vererbungsmodus -»30 

24. Kapitel: Der Mendel sehe Vererbungsmodus heim Menschen .... 344 

35. Kapitel: Das Geschlecht als mendclndes Merkmal 254 

26. Kapitel: Faktorenhypothese. Zusammengesetzte Merkmale 263 

21. Kapitel: Theoretische Tragweite der Mcndelschcn Lehre 2~$ 

29. Kapitel: Praktische Bedeutung der Mendelforschung fGr die Tierzucht . 395 

V. Teil. 

Nene morphobiologische Vererbungshypothesen 304 

29. Kapitel: Individualitatshypothese. Ungleichwertigkeit der Chromosomen 304 

30. Kapitel: Das Reduktionsproblem 315 

31. Kapitel: Chromosomenhypothesen der Vererbung 331 

33. Kapitel: Chromosomen und Geschlechtsbestimmung 345 

33. Kapitel: Versuch einer Kernplasmahypothese zur Erklärung der Mendel- 

prozessc 359 

Ergänzender Literaturnachweis 374 

Sachregister 381 



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I. Teil. 

Historische Einleitung. 

Erstes Kapitel. 

Allgemeine Begriffe und vulgäre Erscheinungsformen 

der Vererbung. 

Die Worte „Vererbung 44 und „erblich 44 sind heute in jedermanns 
Munde und ein großer Teil wenigstens der gebildeten Laien ver- 
bindet mit den Worten auch einen bestimmten Sinn. 

Unter „Vererbung" versteht man erstens die Tatsache, daß die 
Art- und ebenso gewisse Individualcharaktere der Eltern bei den 
Nachkommen wieder zum Vorschein kommen, oder auch zweitens 
den zu ermittelnden Prozeß der Übertragung, also das Zustande- 
kommen dieser Übereinstimmung. Die „Erblichkeit" ist eine Eigen- 
schaft bestimmter Merkmale des Organismus und besteht eben darin, 
daß die betreffenden Charaktere in den aufeinanderfolgenden Genera- 
tionen wiederkehren J ). 

') Es dürfte nicht ganz dem Sprachgebrauch entsprechen, wenn Haeckel (Nat. 
Schöpfungsgesch. , 10. Aufl., I.Teil, S. 158) unter Erblichkeit die Vererbungskraft ver- 
steht, die Fähigkeit der Organismen, ihre Eigenschaften auf ihre Nachkommen 
durch die Fortpflanzung zu übertragen. 

Die beiden in der englischen wissenschaftlichen Sprache gebräuchlichen Worte 
-heredity" und „inheritance" stehen sich in anderem Sinne einander gegenüber wie 
unsere Begriffe „Vererbung** und „Erblichkeit". Nach Thomson würde „hereditv" 
die organische oder genetische Kontinuität zwischen den aufeinanderfolgenden Genera- 
tionen bedeuten, während „inheritance" (heritage) die Gesamtheit dessen bedeutet, 
was der Organismus ist bzw. von dem er ausgeht, vermöge seiner hereditären Be- 
ziehungen zu Eltern und Vorfahren. Beim Menschen kommt dazu noch ein äußer- 
liches Erbteil, a social inheritance, d. h. die mündliche und schriftliche Überlieferung- 
Das Wort „inheritance" in dem von Thomson angegebenen Sinne würde unseren 
Ausdrücken „Erbschaft", „Erbmasse", ..Anlagenkomplex", „Keimgut" (Walter Haecker 
in Natur u. Staat. Teil IX, Jena 1907) entsprechen. 

Ha eck er, Vererbungslehre. 1 



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2 r ••• Habsburger Unterlippe. 

Diejenigen normalen Individual- und Rassencharaktere, deren 
Erbliclikeit dem Laien am meisten in die Augen springt, sind natür- 
lich gewisse äußerliche Eigenschaften des Körpers, so namentlich die 
Farben von Haut, Hautgebilden und Augen. Es ist den Pferde- 
züchtern längst bekannt, daß nicht bloß die Gesamtfärbung, sondern 
vor allem auch gewisse weiße Abzeichen am Kopfe und an den 
Extremitäten der Pferde in hohem Maße, wenn auch mit entschiedener 
Tendenz zur Verkleinerung, erblich sind. Am konservativsten scheint 
der „Stern", d. h. der kleine weiße Stirnfleck zu sein 1 ). 

Bei Menschen sind außer der Pigmentierung von Haut, Haaren 
und Augen hauptsächlich die Größe und Statur, sowie besondere Bil- 
dungen der Gesichtsteile als erbliche Eigenschaften bekannt. Ein 
Beispiel, welches in biologischen Werken immer und immer wieder 
zitiert wird, ist die starke Unterlippe der Habsburger. Da hier 
der merkwürdige Fall vorliegt, daß eine markante und ungewöhn- 
liche Gesichtsbildung sich durch viele Generationen und mindestens 
sechs Jahrhunderte hindurch mit Sicherheit verfolgen läßt, und da sich 
die meisten Autoren mit einem kurzen Hinweis begnügen, so soll 
gleich hier teils im Anschluß an Lorenz, teils auf Grund eigener 
Nachforschungen auf das Historische der Habsburger Unterlippe etwas 
näher eingegangen werden 9 ). 

Die ersten Habsburger, für welche die starke Unterlippe bisher 
mit Sicherheit festgestellt werden konnte, sind Friedrich III. (141 5 
bis 1493). dessen Sohn Maximilian I. (1459— 1519), dessen Sohn 
Philipp der Schöne (1478— 1506) und dessen beiden Söhne Karl V. 
(1500 — 1558) und Ferdinand I. (1503— 1564). Aus früherer Zeit 
liegen naturgemäß nur wenige als authentisch zu betrachtende bildliche 
oder plastische Darstellungen oder Beschreibungen vor, und es mag 
damit die Ansicht zusammenhängen, daß die eigentliche Habsburger 
Unterlippe auf die Prinzessin Cimburga(Cymburgis) von Massovien, 



') Vgl. K. Kiesel, Über die Vererbung von Farben und Abzeichen beim 
Pferd. Arch. wiss. u. prakt. Tierkunde, Bd. 34. 

*) Ich bin besonders meinem Kollegen, Herrn Geheimrat Lindner, ferner den 
Herren Hofrat v. Karabacek und Dr. A. Stix an der k. k. Hofbibliothek in Wien 
und Herrn Prior Heinr. Schüler am Stift in Wilten bei Innsbruck für ihre liebens- 
würdige Beihilfe bei der Beschaffung der Belege zu größtem Dank verpflichtet. Eine 
ausführliche Darstellung der Erblichkeitsverhältnisse der Habsburger Unterlippe wird 
baldigst erfolgen. Hier sei nur kurz auf die Abbildungen in den verschiedenen 
Banden von Onckens Allgemeiner Geschichte und in W. v. Seidlitz* Allgem. histor. 
Porträtwerk (München 1884) hingewiesen. 



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Habsburger Unterlippe. 



3 



die Gemahlin des Herzogs Ernst des Eisernen von Österreich und 
Mutter Friedrichs III., eine körperlich ungewöhnlich entwickelte 
Frau, zurückzuführen sei (Lorenz). Von anderer Seite ist darauf 
hingewiesen worden, daß Herzog Karl der Kühne von Bur- 
gund, aus dem Hause Valois, der Schwiegervater Maximilians I., 
und einige andere Glieder dieses Hauses eine starke Unterlippe be- 
saßen (Rubb recht). Indessen ist darauf aufmerksam zu machen, 
daß auch Ernst der Eiserne, wie eine zeitgenössische Profildarstellung 
deutlich erkennen läßt, eine außerordentlich kräftige, wulstige Unter-' 
lippe aufwies, so daß es meines Erachtens als zweifellos anzunehmen 
ist, daß das Erbstück der Habs- 
burger schon bei diesem Stamm- 
vater vorhanden war 1 ). 

Weniger sicher ist das Vor- 
kommen der Unterlippe bei den 
älteren Habsburgern. Erwähnen 
möchte ich nur, daß das Grab- 
denkmal Rudolfs I. in Speyer 
eine kräftige, wenn auch nicht 
ausnehmend entwickelte Unter- 
lippe zeigt. 

Im Mannesstamm fand die 
Uberlieferung des Merkmals in 
beiden Habsburger Linien statt, 
sowohl bei Karls V. Sohne Phi- 
lipp II. und dessen spanischer 
Deszendenz, wie auch in der von Ferdinand L abstammenden öster- 
reichischen Linie. 

In der österreichischen Linie ist namentlich Leopold L (1640 
bis 1705), der Urenkel Ferdinands L, als „Dicklippiger" bekannt, und 
zwar tritt das Merkmal besonders auf Münzen und Medaillen in 
scheinbar absichtlicher Übertreibung hervor (Fig. 1). 

Von besonderem Interesse sind die Erblichkeitsverhältnisse bei 
den weiblichen Familiengliedern. Im allgemeinen weisen die Habs- 
burgerinnen das Merkmal nicht auf, doch kommen immerhin, wie ich 



') Wiener Hofbibliothek, Kodex Nr. 89 (Predigten des heiligen Augustin). Auch 
einige (viel spätere) Kupferstiche zeigen das Merkmal (Kupferstichsammlung der 
Hofbibliothek, Porträtkasten 87, Blatt 80, 81, 8i*). 



Fig. 1. 




Denkmünze auf Leopold I. 
Aus Oncken-Erdmannsdörfer. 



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4 



Habsburger Unterlippe. 



glaube, wiederholt Andeutungen vor 1 ). Auch fand im ganzen keine 
Übertragung des Merkmals durch die weiblichen Deszendenten statt, 
insbesondere ist die Eigentümlichkeit keinem der europäischen 
Herrscherhäuser durch die ungewöhnlich zahlreichen weiblichen Mit- 
glieder der spanischen Linie mit Sicherheit übermittelt worden, und 
ebensowenig hat durch die sieben Töchter Kaiser Ferdinands I. eine 
Einbürgerung des Merkmals in anderen Dynastien stattgefunden 
(Lorenz). Doch kommen auch hier Ausnahmen vor. 

Insbesondere hat Maria Theresia, welche selber ebensowenig 
wie die meisten anderen Habsburgerinnen eine besonders starke Unter- 
lippe besaß, die Eigentümlichkeit im Gegensatz zu den weiblichen 
Gliedern der spanischen Linie auf ihre männlichen Abkömmlinge 
übertragen. Bei dem zum Teil sehr ausgeprägten Hervortreten des 
Familientypus im Hause Habsburg-Lothringen, z. B. bei Kaiser Fer- 
dinand und bei den Erzherzögen Franz Karl und Albrecht, 
kommt indessen wohl auch in Betracht, daß Maria Theresias Gemahl, 
Franz I. von Lotliringen, ebenfalls eine stark hervortretende Unterlippe, 
wahrscheinlich als Erbteil seiner habsburgischen Großmutter, besaß 2 ). 

Auch bei den Medicis scheint durch die Verbindung mit weib- 
lichen Gliedern des Hauses Habsburg die Verstärkung einer schon in 
der Familie vorhandenen Anlage eingetreten zu sein, wie denn be- 
sonders der von einer habsburgischen Mutter abstammende Leopold 
von Medici (gest. 1675) eine starke Unterlippe erkennen ließ. 

Alles in allem darf als erwiesen gelten, daß sich in der Familie 
der Habsburger das äußerliche Merkmal der stark hervor- 
tretenden Unterlippe in zäher Weise viele Generationen 
und Jahrhunderte hindurch vererbt hat, und daß dieser 
Charakter ganz überwiegend bei den männlichen Gliedern hervor- 
trat, jedoch wiederholt durch Frauen vom Großvater auf die Enkel 
übertragen worden ist. In einem späteren Kapitel wird nochmals 
darauf zurückzukommen sein. 



l ) So bei der Erzherzogin Marianna, Tochter Ferdinands III. und der Infantin 
Maria von Spanien (einer Schwester Philipps IV.), und ebenso bei ihrer Kusine, der 
Infantin Maria Theresia, einer Tochter Philipps IV., welche nach dem Bericht einer 
Zeitgenossin „levres un peu grosses et vermcilles" besaß. Vgl. die zahlreichen Ab- 
bildungen bei H. Zimmermann, Zur Ikonographie des Hauses Habsburg, Jahrb. 
Kunsthist. Samml. d. Alltrh. Kaiserhauses. .25. Bd., Wien u. Leipzig 1905. 

*) Lorenz weist auf das von Liotard gezeichnete und von Schmuzer ge- 
stochene Bild Franz' 1. und auf das Bild seines Bruders hin (vgl. Oncken III, 9. 
S. 47. 50, 78). 



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Psychische Merkmale. 



:> 



Daß beim Menschen auch geistige Eigenschaften vererbt wer- 
den, gehört ebenfalls zu den vulgären Tatsachen. Schon der in allen 
vererbungsgeschichtlichen Werken zitierte Spruch Goethes aus den 
„Zahmen Xenien" stellt physische und psychische Eigenschaften be- 
züglich der Vererbungsmöglichkeit auf gleiche Linie, und besonders 
hat das Buch üaltons Hereditary Genius dazu beigetragen, daß 
heutzutage diesem Verhalten eine große Aufmerksamkeit geschenkt 
und beispielsweise in fast allen neueren Biographien die Frage nach 
der Herkunft der geistigen Eigentümlichkeiten erhoben wird. Es 
ist auch bekannt, daß der für die Vererbungstheorie so wichtige Be- 
griff der „Anlage", der auch von vielen englisch schreibenden Autoren 
verwendet wird, gerade dem psychologischen Gebiete entnommen ist. 

Ein klassisches Beispiel für die Vererbung speziell des musika- 
lischen Talentes bietet die Familie Bach, die in einer ganzen Reihe 
von Generationen eine große Anzahl von tüchtigen, zum Teil hervor- 
ragenden Musikern erzeugt hat 1 ). Zur Zeit der Herzogin Amalie 
von Weimar bedeuteten in Thüringen die „Bache" geradesoviel 
wie Stadtpfeifer oder Berufsmusiker 8 ). 

Für die Weitervererbung des mathematischen Talentes bildet die 
Familie Bernouilli, für die erbliche Veranlagung zur naturwissen- 
schaftlichen Beobachtung und Kombination bilden die Familien Dar- 
win und Siebold bekannte Beispiele. 

Aber nicht bloß auf intellektuellem Gebiete, sondern auch auf 
dem des Gefühlslebens und der Willenstätigkeit ist die erbliche Uber- 
tragung gewisser Familienzüge eine bekannte Erscheinung. Die Be- 
obachtung der Laien pflegt sich dabei naturgemäß nur auf zwei oder 
drei Generationen zu erstrecken, aber der Historiker vermag in 
einzelnen Fällen auch hier die Wirkung der Vererbung über längere 
Zeiträume hinaus nachzuweisen oder wenigstens wahrscheinlich zu 
machen. So wurde, um auch wieder das Haus der Habsburger heran- 
zuziehen, vor einiger Zeit der Nachweis zu führen versucht 8 ), daß 
seit der Vermählung Maria Theresias mit Franz von Lothringen das 
Lothringer Blut mit seiner eigentümlichen Verbindung von Lebens- 
lust und praktischer Nüchternheit mit dem schweren, düsteren, träume- 



') Vgl. C. H. Bitter. Carl F'hilipp Emmanuel und Wilhelm Friedemann Bach 
und deren Brüder. Berlin 1868. 

*) Vgl. W. Bode, Der Musenhof von Weimar. Berlin 1908. 

3 ) Vgl. Der Werdegang Kaiser Franz Josefs. Von einem österreichischen 
Dichter. Velhagen u. Klasings Monatshefte, 22. Jahrg., IQ08. 



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6 



Erblichkeil bei freilebenden Tieren. 



risch- großartigen Lebenselemente der Habsburger ringe, und daß 
bei den einzelnen Gliedern der Dynastie bald das eine, bald das 
andere Erbteil zum Durchbruch komme. 

Kaum weniger geläufig als die erbliche Übertragung von nor- 
malen Charakteren und leichten Abnormitäten ist die Zähigkeit, mit 
welcher ausgesprochen pathologische Merkmale, vor allem Mon- 
strositäten, morphologische und physiologische Defekte (Entwickelungs- 
hemmungen) und Dispositionen zu Krankheiten übertragen werden. 
Beim Menschen sind Hyperdaktylie (Sechszähligkeit der Finger 
und Zehen) und Hypophalangie (Reduktion der Phalangenzahl 
von drei auf zwei), Albinismus, Farbenblindheit (Dyschroma- 
topsie), Bluterkrankheit oder Hämophilie als erbliche Abnor- 
mitäten besonders bekannt. 

Bei den Tieren tritt die Erblichkeit ausgesprochen abnormer und 
pathologischer Charaktere im allgemeinen nur beim planmäßigen 
Experimente hervor, bei den Haustieren, weil naturgemäß abnorm 
veranlagte Tiere in der Regel von der Weiterzucht ausgeschaltet 
werden und daher die Erblichkeit durch mehrere Generationen nicht 
verfolgt werden kann, bei den freilebenden Formen, weil hier aus 
leicht begreiflichen Gründen Vererbungsvorgänge überhaupt nur 
schwer zur Beobachtung gelangen. Doch liegen immerhin auch be- 
züglich der letzteren einige bemerkenswerte Beobachtungen ;vor, und 
insbesondere haben Rot- und Rehwild brauchbare Materialien ge- 
liefert. Schon Burdach berichtet, daß in einem Forste eine Reihe 
von Jahren hindurch Hirsche vorkamen, welche im ersten Jahre ihres 
Lebens noch gar kein Geweih [und späterhin nur eine Stange auf- 
setzten. Ebenso 1 ) sind in einem oberschlesischen Revier in den 
letzten Jahren hintereinander vier Rehböcke mit doppeltem Gehörn 
erlegt worden. Bei allen Exemplaren war in gleichmäßiger Weise 
links und rechts je eine Spießerstange und dahinter eine mäßige 
Sechserstange zur Ausbildung gelangt. In beiden erwähnten Fällen 
kann es sich natürlich nur um die erbliche Übertragung einer spontan 
aufgetretenen Abnormität (Mutation) handeln. 

Die meisten bisher mitgeteilten Tatsachen habfen einen Bestand- 
teil des Gemeinwissens der Menschheit gebildet, ehe es ;eine eigent- 
liche Vererbungsforschung gegeben hat, ja, die Anerkennung der Erb- 
lichkeit, insbesondere der geistigen Eigenschaften, hat sich, wie 



') Vgl. Deutsche Jägerzeitung. Bd. 47. Nr. 28. S.457 (IQ06). 



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Praktische Verwertung der Erfahrungen. 



7 



Haeckel hervorgehoben hat, seit den Anfängen der Geschichte ge- 
wissermaßen unbewußtermaßen, instinktmäßig in einer Menge von 
menschlichen Einrichtungen und Begriffen geäußert. Haeckel erinnert 
vorzugsweise an die Vorstellungen von der „Erbsünde", der „Erb- 
weisheit", dem „Erbadel". 

In bewußter Weise haben sich zuerst wohl die Bauern, Tier- 
züchter und Gärtner die Beobachtungen auf diesem Gebiete zunutze 
gemacht, und eine Reihe von Jahrtausende alten Erfahrungen hat in 
Sprüchen und Bauernregeln einen Niederschlag gefunden. In den 
letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts sind auch den Medizinern 
gewisse Vorstellungen auf dem Gebiete der Vererbungserscheinungen 
in Fleisch und Blut übergegangen, doch wird man hier bereits großen- 
teils die Wirkung der neueren Vererbungswissenschaft, insbesondere 
der Weismannschen Lehre von der Nicht Vererbung erworbener 
Eigenschaften anerkennen müssen, so daß man hier nicht mehr von 
vulgären Kenntnissen sprechen kann. Ebenso ist es auf die Werke 
von Darwin und Spencer, von Galton und Weismann zurück- 
zuführen, wenn neuerdings auch bei den Untersuchungen der Historiker 
und Soziologen 1 ) der Begriff der Vererbung und die Grundtatsachen 
und Hauptregeln der Erblichkeit eine immer bedeutsamere Rolle 
spielen. 



Literaturverzeichnis zu Kapitel 1. 

Galton, F., Hereditary Genius. London (MacMillan) 1869. 

— , Genie und Vererbung. Deutsch von Dr. O. Neurath und Frau Dr. Schapirc- 

Neurath. Leipzig (Verlag von Dr. W. Klinkhardt). 
Haeckel, E., Natürliche Schöpfungsgeschichte. 11. Aufl. Berlin 1909. 
Hcrtwig, O., Die Zelle und die Gewebe. 1. u. II. Jena 1893 und 1898. 
— , Allgemeine Biologie. 3. Aufl. Jena 190Q. 

Lindner, Th., Geschichtsphilosophie. Das Wesen der geschichtlichen Entwickelung. 

Stuttgart u. Berlin 1904. 
Lorenz, O., Lehrbuch der gesamten wissenschaftlichen Genealogie. Berlin 1898. 
Natur und Staat, Beiträge zur naturwissenschaftlichen Gesell schaflslehre. Eine 

Sammlung von Preisschriften. Jena (G. Fischer). 
Rubbrecht, O., L'origine du type familial de la maison de Habsburg. Bruxelles 

191a 

Thomson, J. A., Heredity. London (John Murray) 1908. 



') Vgl. Lindner 1904, sowie das Sammelwerk Natur und Staat. 



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Zweites Kapitel. 



Systematische und klassifizierende Versuche. 

Die ersten wissenschaftlichen Versuche, in das Gebiet der Ver- 
erbungserscheinungen weiter einzudringen, waren naturgemäß rein 
systematischer und klassifizierender Art und beschränkten sich auf 
die Aufzählung einiger empirischer Tatsachen und allgemeiner Sätze. 
Als ernsthafte Versuche dieser Art, die auch heute noch wissenschaft- 
lichen Wert haben, sind diejenigen von Blumenbach, Hofacker, 
Burdach, Lucas, R. Wagner und vor allem Darwin zu nennen. 
Schon bei den älteren der genannten Autoren klingen manche Sätze 
und Fragestellungen durchaus modern, so wenn Burdach hervor- 
hebt, daß die Eltern auch in Beziehung auf Krankheit ihren Kindern 
weniger das geben, was sie selbst sind, als vielmehr die Anlage, das 
zu werden, was sie geworden sind. An die grundlegenden Tatsachen 
der Mendel sehen Erblichkeitsforschung wird man erinnert, wenn 
schon Wagner erwähnt, daß bei der Verbindung eines Albinos oder 
Kakerlaken mit einem schwarzen oder einem gewöhnlichen weißen 
Individuum die Kinder fast ohne Ausnahme einem der beiden Eltern 
folgen, und daß der Albinismus oft in der zweiten Generation latent 
bleibt, in der dritten aber wieder auftritt. 

Zweifellos kann schon mittels der systematischen Methode manches 
Licht auf wichtige Verhältnisse geworfen und eine erste Grundlage 
für Aufstellung von Regeln geschaffen werden. So hat Lorenz bezüg- 
lich der Unterlippe der Habsburger die Regel aufstellen können, daß die 
Abnormität nur in der männlichen Deszendenz sichtbar hervortrat 1 ) 
und vorzugsweise auch durch diese weiter vererbt wurde, und ferner 
konnte er zeigen, daß in mehreren Fällen beim Zusammentreffen 
zweier gleichsinniger „latenter" Anlagen ein verstärktes Wieder- 
erwachen des Familientypus stattfand. Auch Kekule von Strado- 

') Hinsichtlich vermutlicher Ausnahmen vgl. oben S. 4, Anm 1 . 



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Dreigroßelterliche Mischung. 



9 



nitz, der die Degeneration der spanischen Linie der Habsburger zum 
Gegenstand einer Untersuchung gemacht hat, glaubt bei aller Reserve 
in seinen Schlußfolgerungen wenigstens so viel sagen zu dürfen, daß 
die erbliche psychopathische Belastung mancher spanischer Habs- 
burger (Don Carlos, Karl II.) aller Wahrscheinlichkeit nach wenigstens 
zum Teil auf Johanna die Wahnsinnige von Spanien (1479 — 1555). 
die Gemahlin Philipps des Schönen von Österreich, zurückzuführen ist. 
Ebenso scheint sich ihm der Erfahrungssatz zu bestätigen, daß wieder- 
holtes Vorkommen in jeder Beziehung gesunder Ahnen auf die Nach- 
kommen günstig, das wiederholte Vorkommen kranker, belasteter 
Ahnen dagegen schädlich wirken könne. 

Bezüglich gewisser Einzelfragen kann schon die rein genea- 
logische Forschung zu ganz unzweideutigen positiven oder negativen 
Ergebnissen gelangen. Schon wiederholt sind Versuche gemacht 
worden, durch wiederholte Kreuzungen mehr als zwei Rassen in einem 
Bastard zu vereinigen. So hat Wichura stets distinkte Spezies von 
Weiden in einem Bastard kombiniert 1 ), und Darwin hat Tauben- 
bastarde gewonnen, deren Großeltern vier verschiedenen Rassen an- 
gehörten (z. B. weiße Möve, weiße Trommeltaube, weiße Pfauentaube, 
blauer Kröpfer). Aber es sind, abgesehen von den später zu be- 
sprechenden Kreuzungen Mendelscher Art, nur wenige Fälle bekannt, 
in denen bei einem Individuum die Merkmale von mehr als zwei 
Großeltern wirklich hervortreten. Aus der zoologischen Literatur ist 
mir nur Stand fuß' abgeleiteter Saturnia-Bastard 

| pavonia cf \ 



gegenwärtig. 

Es schien mir daher von Interesse zu sein, auf genealogischem 
Wege zu ermitteln, in welchem Umfange beim einzelnen Menschen 
die Eigenschaften von mehr als zwei großelterlichen Linien vereinigt 
sein können. Ich habe deshalb bei solchen Familien meines Be- 
kanntenkreises Umfrage gehalten, in denen gewisse gut charakterisierte 
Merkmale (Farbenblindheit, rote Haarfarbe usw.) auftraten. In einem 
Falle war nun mit Sicherheit zu zeigen, daß der Sohn die ausgesprochen 
mathematische Begabung vom Großvater väterlicherseits und vom 
Vater, die hochgewachsene, schmächtige Statur von dem einen 
Urgroßvater (Vater der Großmutter väterlicherseits) und vom Vater, 

l ) Zitiert bei Darwin. Rd. S. (1868). 



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10 Haeckels „Vererbungsgcsetze". 

die Farbenblindheit vom Großvater mütterlicherseits in sich ver- 
einigte *): 

Urgroßvater 
(Statur) 
I 

Großvater Großmutter Großvater Großmutter 

(Mathcmat. Talent) (Farbenblindheil) 
., - 

Vater Mutter 
(Mathcmat. Talent, Statur) 

Sohn 

(Mathemat. Talent, Statur, Farbenblindheit) 

Es geht aus dem Stammbaum mit Sicherheit hervor, daß hier in 
der Tat im Sohn die Eigenschaften von drei großelterlichen Linien 
vereinigt sind. 

Die meisten der auf genealogischem Wege gewonnenen An- 
schauungen sind schon vor mehreren Jahrzehnten durch Haeckel als 
„Vererbungsgesetze" formuliert worden. Haeckel hat eine 
ganze Reihe solcher „Gesetze" aufgestellt, so das Gesetz der er- 
haltenden (konservativen) und das der fortschreitenden 
(progressiven) Vererbung. Damit soll die Vorstellung zum Aus- 
druck gebracht werden, daß die Einzelindividuen nicht bloß diejenigen 
Eigenschaften auf die Nachkommen vererben können, welche sie selbst 
von den Vorfahren ererbt haben (konservative Vererbung), sondern 
auch solche, die sie erst während ihres individuellen Lebens erworben 
haben (progressive Vererbung, Lamarcksches Prinzip). Andere 
Gesetze sind das der ununterbrochenen oder kontinuierlichen 
Vererbung, das Gesetz der unterbrochenen oder latenten Ver- 
erbung, wie es sich besonders in den Erscheinungen des Generations- 
wechsels und des Rückschlags (Atavismus) äußert, das Gesetz 
der geschlechtlichen Vererbung (Übertragung der sekundären 
Sexualcharaktere durch das andere Geschlecht) und das der ge- 
mischten beiderseitigen Vererbung (Kombination der elterlichen 
Merkmale am Kind, die Amphimixis Weismanns). Einen gesetz- 
mäßigen Charakter haben nach Haeckel auch die abgekürzte 
Vererbung (vereinfachte Rekapitulation der Stammesgeschichte durch 



') Der Vater des betreffenden Sohnes ist selbst Naturforscher und war in der 
I^age, auf Grund genauer, personlicher Kenntnis der in Betracht kommenden Familien- 
glieder und unter Benutzung bestimmt lautender, die Jugendzeit der letzteren be- 
treffender Familientraditionen den Gang der Vererbung in unzweideutiger Weise zu 
verfolgen. 



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Gesetze und Regeln. 



11 



die Einzelentwickelung, biogenetisches Grundgesetz), die be- 
festigte Vererbung (beruhend auf dem akkumulierenden, durch 
mehrere Generationen hindurch wirkenden Einfluß äußerer Faktoren), 
sowie die gleichzeitliche (homochrone) und gleich örtliche 
(homotope) Vererbung (Vererbung im korrespondierenden Lebens- 
alter und an korrespondierenden Körperstellen). 

Man wird bezweifeln dürfen, ob die empirischen Möglichkeiten 
des Vererbungsverlaufes, die in den Haeckelschen Vererbungsgesetzen 
eine Formulierung gefunden haben, die Bezeichnung von Gesetzen 
oder auch nur von Regeln verdienen. Schon R. Wagner hat vor 
beinahe 50 Jahren gesagt: „Wenn wir übrigens überhaupt in der 
Physiologie von Gesetzen sprechen, so geschieht dies nur sehr euphe- 
mistisch; man darf an wahre physikalische Gesetze, wie das Gravi- 
tationsgesetz, dabei nicht denken." Auch neuerdings ist von ver- 
schiedenen Seiten, insbesondere von Roux'), gegen die mißbräuch- 
liche Verwendung des Ausdrucks „Gesetz" in der Biologie Einspruch 
erhoben worden, und in der Tat wird man bei solchen komplexen 
Vorgängen, wie es die einzelnen Formen der Vererbung sind, nur 
dann das Wort Gesetz anwenden können, wenn alle wirksamen 
Faktoren ermittelt sind und demnach das Geschehene als eine be- 
ständige, ausnahmslose (unter gleichen Umständen stets in gleicher 
Weise geschehende), voraus zu berechnende Wirkung erscheint. Im 
Gegensatz zur Physik wird man in der Biologie allerdings auch schon 
von Gesetzen reden dürfen, bevor das Quantitative der Wirkungs- 
weise ermittelt ist 2 ), bevor also die einzelnen wirksamen Faktoren 
und ihre Effekte als mathematisch faßbar erscheinen. 

Andererseits genügen die zahlenmäßige Darstellung und die 
Möglichkeit, die Effekte mit einiger Wahrscheinlichkeit voraus zu 
berechnen, noch nicht, um von einem Gesetze reden zu können: 
es muß vielmehr die Ausnah mslosigkeit der Wirkungsweise 
erkannt sein 3 ). So können z. B. die später zu besprechenden Men- 
delschen Vererbungsregeln, trotzdem die Resultate bestimmter Kreu- 
zungen sich zahlenmäßig darstellen und mit großer Wahrscheinlich- 
keit voraussetzen lassen, nicht als Gesetze bezeichnet werden, da wir 
über die kausalen Faktoren so gut wie gar nicht unterrichtet sind, 

') Vgl. Roux (l807 u. 1005), sowie «iodlewski U<*»)- 

*) Vgl. Roux. S. 146 <io>5>. 

') Vgl. Roux. Aich. Kmw.-Mech.. S. .'«,4 (.1897). sowie Vortr. u. Aufs.. S. 150 
(18Q7). 



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12 



Gesetze und Regeln. 



und das Kriterium der Ausnahmslosigkeit fehlt. Vielmehr handelt es 
sich hier, wie in so vielen anderen Fällen, um Regeln, d. h. um den 
„Ausdruck eines Häufigkeitsverhältnisses des empirischen Vorkom- 
mens" *). Wir werden auf dem Gebiete der Vererbungslehre voraus- 
sichtlich noch lange Zeit brauchen, bis uns die befestigte Erfahrung 
die Aufstellung so einfacher biologischer Gesetze erlaubt, wie sie 
z. B. die Sinnesphysiologie in dem Web ersehen Gesetze („die Empfin- 
dung wächst wie der Logarithmus des Reizes ") besitzt. 



Literaturverzeichnis zu Kapitel 2. 

Blumeubach, De gener is humani varietate nativa. Ed. III. Göttingen 1795. 
Burdacli, B. F., Die Physiologie als Erfahrungsmittel. 1. Bd., 2. Aufl., S. 562 fl". 
Leipzig 1S35. 

Darwin, Ch., Das Variieren der Tiere und Pflanzen im Zustande der Domestikation. 
Cbers. von J. V. Carus. Stuttgart 1868. 

Godlewski, E., Das Vererbungsproblem im Lichte der Entwickelungsmechanik be- 
trachtet. Leipzig 1909- 

Haeckel, E.. Natürliche Schöpfungsgeschichte. 1. Aufl., Berlin 1868. 11. Aufl., Berlin 
1909. . 

Hofacker, Über die Eigenschaften, welche sich bei Menschen und Tieren von den 
Eltern auf die Nachkommen vererben, mit besonderer Rücksicht auf die Pferde- 
zucht. Mit Beiträgen von Dr. Fr. Notter. Tübingen 18J8. 

Kekule von Stradonitz, St., Über die Untersuchung von Vererbungsfragen und die 
Degeneration der spanischen Habsburger. Arch. Psych.. 35. Bd., 1902. 

Lorenz, O., s. Literaturverzcichuis 1. 

Lucas, Prosper, Traite Philosophiquc et Physiologique de rHereditc naturelle. Paris 
1847—1850. 

Roux, W., Für unser Programm und seine Verwirklichung. Arch. Entw.-Mech., 

5. Bd., 1897, und Leipzig 1897. 
— Vorträge und Aufsätze über Entwickelungsmechanik. I. Die Entwickelungsmechanik, 

ein neuer Zweig der biologischen Wissenschaft. Leipzig 1905. 
Standfuß, VW, Experimentelle zoologische Studien. Neue Denkschr. Allg. Schweiz. 

Ges. Naturw. 1898. 

Wagner, R., Nachtrag zum Artikel Zeugung. R. Wagners Handwörterbuch der 
Physiologie. 4. Bd., S. 1007 IT. - Braunschweig 1853. 



') Vgl. Roux 1897. 



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Drittes Kapitel. 

Statistische Methode. 

Etwas zuverlässiger als die systematisch -genealogische ist die 
statistische Methode, wenn freilich auch diese zunächst nur wertvolle 
Iläufigkeitsverhältnisse , also Regeln und keine Gesetze ermitteln 
kann. 

Schon bei den ersten wissenschaftlichen Versuchen, in das Gebiet 
der Vererbungserscheinungen tiefer einzudringen, hat die Statistik 
eine Rolle gespielt. So findet man bei Hofacker die Angabe, daß 
unter 216 von gleichfarbigen Pferdepaaren erzeugten Füllen 205 von 
derselben Farbe wie die Eltern und nur 11 anders gefärbt waren. 

Die bekanntesten Versuche dieser Art, welche den Anstoß zu 
zahlreichen gleichgerichteten Untersuchungen und theoretischen Be- 
trachtungen gegeben haben, sind diejenigen von Galton. 

Galton 1 ) hat an der Hand von Biographien und Stammbäumen 
solche Familien untersucht, welche innerhalb gewisser Berufskatego- 
rien (Staatsmänner, Gelehrte, Dichter usw.) eine größere Anzahl von 
berühmten oder wenigstens bedeutenden Männern aufwiesen und, 
indem er jeweils das hervorragendste Mitglied jeder Familie zum 
Ausgangspunkt nahm, berechnete er u. a., wieviel hervorragende 
Verwandte gleichen Berufs im Durchschnitt auf 100 berühmte 
Männer kommen. Seine Resultate sind in der folgenden abgekürzten 
Tabelle enthalten: 

3 Urgroßväter. 
17 Großväter, 
31 Väter. 

100 Ausgangspersonen. 
48 Söhne, 
14 Enkel, 
3 Urenkel, 



l ) Galton. Hcieditary Genius. 



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14 Galtons Vererbungsgesetze. 



d. h. es kommen auf 100 berühmte Ausgangspersonen 3 hervorragende 
Urgroßväter, 17 Großväter usw. 

Es geht daraus ohne weiteres hervor, daß sowohl in der Deszen- 
denz als in der Aszendenz die Zahl der hervorragenden Familien- 
mitglieder mit Zunahme von der Entfernung von der Ausgangs- 
person rasch abnimmt. 

Diese Ergebnisse sowie Untersuchungen ähnlicher Art über die 
Erblichkeit der Statur beim Menschen und die Färbung bei den Basset- 
Jagdhunden haben Galton zur Aufstellung seines Gesetzes von 
der Mischung elterlicher Eigenschaften in den Kindern 
(Law of ancestral inheritance) geführt 1 ). Danach beträgt der Anteil, 
welchen beide Eltern zusammen an dem im Kinde zur Entfaltung 
kommenden Anlagenkomplex haben, durchschnittlich die Hälfte, der 
Anteil der vier Großeltern 1 4 , derjenige der acht Urgroßeltern V« usw. 
Es läßt sich also der Anteil der ganzen Aszendenz an der gesamten 
Erbmasse (inheritance) des einzelnen Individuums durch die Reihe: 

7, + 1 /4 + Ve+ 1 /,. + •••=! 

oder durch die Reihe 

(o,5) + (0,5)" = (0.5) 4 + • ■ • ~ 1 

darstellen. 

Das sogenannte Galtonsche Vererbungsgesetz ist eine statistische 
Formel, welche selbstverständlich, vorausgesetzt, daß sie richtig ist, 
nur ein Durchschnittsverhältnis zum Ausdruck bringen und nur für 
größere Massen von Individuen Gültigkeit haben kann. Es ist 
natürlich nicht möglich, die im einzelnen Individuum kommenden 
Anlagen an der Hand der Formel vorherzusagen. 

Eine Reihe von englischen Forschern, so Pearson, Weldon u.a., 
haben an ihrer Prüfung und Vervollkommnung gearbeitet. Andere, wie 
Bateson, Darbishire und Thomson, haben versucht, ihr Verhältnis 
zu den später zu besprechenden Mendel sehen Vererbungsregeln klar- 
zulegen. Es muß in dieser Richtung auf ein späteres Kapitel (Kap. 27) 
hingewiesen werden, hier sei nur hervorgehoben, daß die Galtonsche 
Formel auf der einen Seite bis zu einem gewissen Grade mit den Vor- 
stellungen im Einklang steht, welche sich die Tierzüchter hinsichtlich 
der „Blutmischung" gebildet haben und die in den üblichen Bezeich- 
nungen Vi-Blut, '/»-Blut usw. ihren Ausdruck gefunden haben»); anderer- 



') Vgl. Natural inheritance und The average Contribution usw. 
*) Vgl. Bastardierung und Geschlechtszellenbildung, S. 1 "8. 



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R egr ession sgesetz . 1 5 

seits ist leicht einzusehen, daß sie sich nicht gut mit den Ergebnissen 
der Mendel sehen Kreuzungsversuche (s. IV. Teil) und insbesondere 
mit der Lehre von der „Reinheit der Gameten" vertragt. Ob neuere 
Wendungen in der experimentellen und cytologischen Forschung in 
dieser Hinsicht eine Wandlung herbeiführen werden, mag dahingestellt 
bleiben. 

Ein zweites, von Galton auf statistischem Wege gewonnenes 
„Gesetz 44 ist das Rückschlags- oder Regressionsgesetz (Law of 
filial regression). Dieses Gesetz sagt aus, daß, wenn die Eltern bezüg- 
lich irgend einer Eigenschaft große Ausschläge gegenüber dem Mittel- 
maß aufweisen, die Nachkommen allerdings nach der gleichen Richtung 
hin vom Typus abzuweichen pflegen, aber doch die Tendenz zeigen, 
zum Mittelmaß zurückzukehren. So weisen in der von Galton 
untersuchten Bevölkerung die Söhne von Vätern, welche eine Höhe 
von 72 Zoll besitzen, im Durchschnitt nur die Höhe von 70,8 Zoll 
auf, d. h. es tritt die Tendenz hervor, auf die mittlere Höhe der Be- 
völkerung (68,25 Zoll) zurückzufallen. 

Nach Galton beruht die Regression einerseits auf der allgemeinen 
Tendenz der Abnormitäten zur Rückkehr in das organische Gleich- 
gewicht des. „Typus", andererseits auf der mosaikartigen Beschaffen- 
heit der Erbmasse^ des einzelnen Individuums, welche sich ja nach 
Galton nicht bloß aus den Beiträgen der Eltern, sondern aus den- 
jenigen aller Vorfahren zusammensetzt und daher im allgemeinen auf 
ein Durchschnittsverhältnis hinauskommen wird. Die Frage nach der 
Gültigkeit des Galtonschen Regressionsgesetzes ist neuerdings durch 
Johannsens Theorie von den Populationen und reinen Linien ') wieder 
mehr in den Vordergrund des Interesses gerückt worden , im übrigen 
würde es, soweit seine Gültigkeit in Betracht kommt, die wohlbekannte 
Erfahrungstatsache, daß die Nachkommen genialer Persönlichkeiten in 
der Regel zum normalen Typus zurückfallen, gewissermaßen als 
Grenzfall in sich schließen. 

In neuerer Zeit ist die statistische Methode in großem Stile auf 
medizinischem Gebiete zur Anwendung gekommen, indem versucht 
wird, auf diesem Wege die Erblichkeit gewisser Erkrankungen, z. B. 
der Tuberkulose, der bösartigen Geschwülste und der Geisteskrank- 
heiten zu erforschen. Es sei hier insbesondere auf die Zusammen- 
stellungen von Orchansky und Martius hingewiesen, sowie auf die 



») Vgl. Kap. 21. 



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16 Medizinische Statistik. 

zahlreichen Abhandlungen, in welchen Weinberg in verdienstvoller 
Weise auf die methodischen Schwierigkeiten des statistischen Ver- 
fahrens hingewiesen hat. Hierher gehören die Verschiedenwertigkeit 
der Quellen (Material der Kliniken, Lebensversicherungsgesellschaften 
und Standesämter), der Mangel einer exakten Todesursachenstatistik, 
die Unvollständigkeit der Ermittelungen hinsichtlich der entfernteren 
Verwandtschaft, insbesondere bezüglich der verstorbenen Familien- 
mitglieder, die unvermeidlichen Differenzen in der ärztlichen Diagnose. 
Hier liegt noch ein weites Arbeitsfeld offen, und wenn auch auf 
diesem Wege für die Wissenschaft bereits wichtige Vorergebnisse 
und Anregungen gewonnen worden sind, so bleibt doch auf dem 
Gebiete der pathologischen Vererbung für eine exakte, nach einwand- 
freien Grundsätzen arbeitende Statistik fast noch alles zu tun 1 ). 



Literaturverzeichnis zu Kapitel 3. 

Bateson. W. und Saunders, Miss E. R., Reports to the Evolution Committce. 

Rcp. I. London iqoj. 
Darbishire, A. D., On Ibe Bearing of Mendelian Principles of Hcrcdity on Curront 

Theories of the Origin of Specics. Mera. and Proc. Manchester Lit. and Phil. 

Soc, Vol. 48, 1904. 

— , On the supposed Antagonist« of Mendelian to Biometrie Theories of Heredity. 

Ebenda Vol. 49, 1905. 
— , On the Difference between Physiological and Statistical Laws of Heredity. Ebenda 

Vol. 50, 1906. 

— . On cxperimental Kstimation of the Theory of Ancestral Contributions in Heredity. 

Proc. Roy. Soc. B., Vol. 81, 1909. 
Galton, F., Hereditary Genius. London (Mac Millan) 1869. (Deutsche Übers, siehe 

Literaturverzeichnis 1.) 
— , Natural Inhcritancc. London (Mac Millan) 1889. 

— , The Averagc Contribution of each Scvcral Anccstor to the Total Heritage of the 

Offspring. Proc. Roy. Soc. London, Vol. 61, 1897. 
Hacckcr, V., Bastardierung und Geschlechtszcllcnbildiing. Zool. Jahrb., Suppl. 7. 

1904. 

Hesse, A., Natur und Gesellschaft. In: Natur und Staat. 4. Teil. Jena 1904. 
Hofacker, siehe Literaturverzeichnis 2. 

Johannsen, W., Über Erblichkeit in Populationen und reinen Linien. Jena 1903. 
Lang, A., Über Vererbungsversuche. Verb. I). Zool. Ges. 1909. 
Martius, F., Krankheitsanlage und Vererbung. Leipzig u. Wien 1005. 
Orchansky, J., Die Vererbung im gesunden und krankhaften Zustande. Stuttgart 
1903. 



') Vgl. Weinberg, 1903, IO07. 1909. 



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Literaturverzeichnis 3- 



17 



I'earson, R.. On the Law of Revcrsion. Proc. Roy. Soc. London, Vol. 66, 1900. 
— . On the Laws of luheritance in Man. I. Inheritance of l'hysical Ckaractc-rs. Bio- 
mctrika II, 1903. 

— , The Law of Anccstral Inheritance. Biomctrika II, Pari 2, 1903. 

— , On the Laws etc. II. On the Inheritance of the Mental and Moral Characters etc. 

Biometrica III, 1904. 
Thomson, J. A., Heredity. London (John Murray) 1908. 

Weinberg, W. Pathologische Vererbung und genealogische Statistik. Dtsch. Arch. 
f. klin. Med., Bd. 78. 1903. 

— , Aufgabe und Methode der Familicnstatistik bei medizinisch-biologischen Problemen. 
Zeitschr. f. soz. Med., 3. Bd., 190". 

— , Das mathemalische Prinzip der scheinbaren Uberfruchtbarkeit der Eltern aus- 
erlesener Kinder und der Nachwuchs der Begabten. Ebenda 4. Bd.. 1909. 

Weldon, W. F. R., Inheritance in Animals and Plants. In „Lectures on the Method 
of Science", Oxford 1006. 



Haocker, Vererbungslehre. 



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II. Teil. 

Die morphobiologischen Grundlagen 
der Vererbungslehre. 

Viertes Kapitel. 
Das Protoplasma. 

Die rein statistische Methode wird auf dem Gebiete der Erblich- 
keitsforschung nur von einer verhältnismäßig geringen Zahl von Bio- 
logen gepflegt und weitergebildet. Es sind zwei andere Unter- 
suchungsrichtungen, deren Ziele, Wege und Ergebnisse zurzeit im 
Vordergrund des Interesses stehen: die Morphobiologie der Fort- 
pflanzungselemente (Vererbungscytologie) und die experimen- 
telle Bastardforschung. 

Die ersten wirklich nachhaltigen Anstöße für die Inangriffnahme 
des Vererbungsproblems gingen in der Tat von der Zellen- und Be- 
fruchtungslehre aus, und wenn auch schon Jahrzehnte hindurch, auf 
zoologischer Seite namentlich durch Darwin, Standfuß, Haacke und 
Weismann 1 ), immer wieder planmäßige Kreuzungsexperimente ein- 
geleitet worden waren, so brachte es doch die ganze Entwickelung 
der zoologischen Wissenschaft und ihr Jahrzehnte hindurch vorwiegend 
phylogenetisch-morphologischer und deskriptiv-entwickelungsgeschicht- 
licher Charakter mit sich, daß wenigstens von Seiten der Zoologen 
die Erforschung des materiellen Substrates der Vererbungs- 

') Weismann hat schon in den 8oer und 90er Jahren eine ganze Reihe von 
experimentell-vererbungsgeschichtlichen Untersuchungen in Angriff genommen oilcr 
angeregt, so die bekannten Versuche mit Mäusen, welche die Frage nach der Ver- 
erbung von Verletzungen entscheiden sollten, ferner die von G uai laschen Kieuzungs- 
veisuchc mit Mäusen und verschiedene Experimente mit Schmetterlingen und Ostra- 
koden. 



- 



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Protoplasma. 



19 



erscheinungen im ganzen früher betrieben wurde, als das experi- 
mentelle Studium des groben, äußerlichen Vererbungsverlaufes. 

Die von O. Hertwig, Strasburger und Weismann in den 
Dienst der Vererbungslehre gestellte Keimzellenforschung konnte frei- 
lich den vorwiegend morphologischen Charakter welcher noch in den 
70er und 80er Jahren die Zoologie im ganzen kennzeichnete, nicht 
aufrecht erhalten. Es war vielmehr in der Natur des speziellen Ob- 
jektes gelegen, daß hier von Anfang an eine innige Durchdringung 
morphologischer und physiologischer Problem e und Me- 
thoden stattfand, und so ist es gerade die von der Vererbungs- 
theorie immer aufs neue vorwärts getriebene Keimzellenforschung 
gewesen, welche eine große Zahl zoologischer Forscher von der 
reinen Morphologie in die Morphobiologie herübergeleitet hat. 

Dem historischen Gang der Forschung entsprechend, werden in 
diesem Buche zunächst die Theorie von der Kontinuität des 
Keimplasmas und die mit ihr unmittelbar zusammenhängenden 
Vererbungshypothesen ihre Besprechung finden. Zuvor sollen aber 
die wichtigsten Ergebnisse der Zellen- und besonders der Keimzellen- 
forschung, soweit sie unser Gebiet berühren, in übersichtlicher Weise 
zusammengestellt werden. 

Als Ausgangspunkt und Grundlage aller tierischen und pflanz- 
lichen Lebenserscheinungen ist die lebende Substanz oder, wie 
sie seit Hugo von Mohl bezeichnet wird, das Protoplasma 
(Plasma) zu betrachten. Es pflegt in der einfachsten Form, in der 
es sich beispielsweise in vielen Pflanzenzellen, bei den Amöben, bei 
den weißen Blutkörperchen darstellt, als plastische, an und für sich 
durchsichtige Substanz beschrieben zu werden. Der Aggregatzustand 
des Protoplasmas wurde vielfach als „festweich" oder „halbflüssig" 
bezeichnet. In der Tat stellt es, physikalisch -chemisch betrachtet, 
zweifellos ein „heterogenes System" dar, welches aus einer 
Mischung von wässerigen Lösungen, von flüssigen Substanzen (Li- 
poiden u. a.) und von gequollenen Kolloiden besteht 1 ). 

In einigen Fällen, so am Zellleib der kleinsten Lymphkörperchen, 
erscheint das Protoplasma als optisch homogen, in der Regel läßt es 
aber eine deutliche mikroskopische Struktur erkennen, entweder eine 
Waben- oder Alveolarstruktur (Wabentheorie Bütschlis), oder 
eine feinkörnige (Granulatheorie Altmanns), oder schließlich 



') Vgl. Spiro, 1910. 

2* 



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20 



Protoplasmatheoi ieu. 



eine fädige oder filzartige Beschaffenheit (Filar- oder Faden gerüst- 
theorie Flemniings). Im ersten Falle, der in der Sarkode, d. h. im 
Zellleib zahlreicher Protozoen verwirklicht ist (Fig. 2), sind kleinste 
Tröpfchen (Alveolen) einer flüssigeren Substanz in so dichter An- 
ordnung in einer weniger flüssigen eingelagert, daß die letztere nur 
in Gestalt von sehr dünnen Lamellen zwischen den Alveolen hervor- 



Flg. 2. 



Fi*. 3. 



Fi*. 4- 




Alveoläres Plasma von Tricho- 
sphacrium (Rhizop««!). Nach 
Schaudinn. 



und in ihrer Gesamt- 
im optischen Durch- 





tritt 
heit 

schnitt das Ansehen einer 
Honigwabe gewährt. Im 
zweiten Falle sind Körn- 
chen (Granula) einer an- 
scheinend bald festen, bald 
flüssigen Substanz ebenfalls 
in dichtester Anordnung in 
ein Grundplasma eingela- 
gert (Fig. 3), während im 
letzten Falle innerhalb ei- 
ner Grundmasse (Zwischen- 
masse) fibrillen-, strang- 
oder gerüstförmige Bildun- 
gen aultreten ( Fig. 4). Viellach kommen auch zwei oder drei dieser 
Strukturen in derselben Zelle vor. 

Die meisten Forscher sind darin einig, daß beim alveolären Bau 
die „Lamellen" oder „Alveolenwände", beim granulären und fibrillären 
die Grund- oder Zwischenmasse sicher eigentliches lebendes 
Protoplasma darstellen. Dagegen gehen die Ansichten darüber aus- 
einander, inwieweit die verschiedenen Einschlüsse, also die Alveolen, 



Körniges Plasma einer 
Schleiinzelle des Sala- 
manderdarms. Nach 
M. Heidenhain. 



Fibrilläre Plasma- 
strukturen in den 
Darmzellen des Fro- 
sches. Nach M. Hei- 
denhain. 



igiuzea Dy 



Google 



Chemie des Protoplasmas. 



21 



die Granula und die Fadenstrukturen als modifizierte, vom Grund- 
plasma abgegliederte und ein mehr oder weniger selbständiges Dasein 
führende Plasmaportionen, oder aber als rein passive, sekretartige, 
innere Plasmaprodukte zu verstehen sind 1 ). Hier kann jedenfalls nur 
von Fall zu Fall ein bestimmteres Urteil abgegeben werden. Was 
speziell die Alveolen der wabenähnlichen Plasmaformen anbelangt, so 
handelt es sich dabei vielleicht sogar nur um Tröpfchen von „Struktur- 
wasser", welche beim Übergang des Protoplasmas aus dem festen in 
den flüssigen Zustand vom Plasma entbunden werden v ). Die Granula 
der Schleimdrüsen haben sicher, soweit sie bereits die Reaktionen des 
fertigen Schleimes erkennen lassen, den Charakter von Sekrettröpfchen, 
während diejenigen der Eiweiß- und Fermentdrüsen in ihren Anfangs- 
stufen vielfach als lebende, durch Assimilation wachsende Gebilde 
(autonome Organellen) betrachtet werden s ). Unter den fadenförmigen 
Plasmastrukturen werden die während der Zellteilung auftretenden 
Strahlenfiguren von der Mehrzahl der Forscher als vorübergehende 
Modifikationen des Protoplasmas selber aufgefaßt. 

Ebenso viele offene Probleme, wie bei der morphologischen Be- 
trachtung, ergeben sich bei der chemischen Inangriffnahme des 
Protoplasmas. Es liegen zwei Möglichkeiten vor, in die Chemie der 
lebenden Substanz vorzudringen: die makrochemische Methode 
untersucht die chemische Zusammensetzung und die Eigenschaften 
derjenigen Stoffe, welche sich in genügend großen Mengen aus den 
Geweben isolieren lassen, also z. B. die aus dem Fischsamen zu ge- 
winnenden Eiweißverbindungen, während die Mikrochemie unter 
Zuhilfenahme sogenannter differenzierender Farbstoffe, durch welche 
jeweils bestimmte Zellbestandteile ausschließlich oder besonders stark 
tingiert werden, die spezielle Verbreitung und Lokalisation der Stoffe 
nachzuweisen versucht. Die Erfolge der ersteren Methode knüpfen 
sich vorwiegend an die Namen Miescher und Kossei an, die des 
zweiten Verfahrens sind vor allem den Botanikern E. Zacharias und 



') Im ersten Falle würden die betreffenden Gebilde den extrazellulärcn Cuti- 
cularbildungen und den intrazellulären Grundsubstanzen des Bindegewebes (Meta- 
plasma im Sinne Martin Heidenhains, Exoplasma nach Siedlecki). im letz- 
teren Falle den Dotterkörnchen des tierischen Eies, den Slärkekörnern und Kristalloiden 
der Pflanzenzcllen (Para-, Allo-, Deutoplasma der zoologischen, Metaplasma 
der botanischen Autoren) zu vergleichen sein. Vgl. Siedlecki, 190". 

*) Bütschli hat derartiges an den Scheinfüßchen der Foraminiferen beobachtet. 
Vgl. die näheren Ausführungen bei M. Heidenhain (1907, S. 501). 

*) Vgl. Heidenhain, S. 380. 385, 476 (1907). 



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22 Chemie des Protoplasmas. 

Fischer und den Histologen Ehrlich, Weigert und M. Heiden- 
hain zu verdanken. 

Beide Methoden haben mit der großen Schwierigkeit zu kämpfen, 
daß bei jedem chemischen Eingriff nur tote Umwandlungs- und Zer- 
fallsprodukte, also Protoplasmatrümmer, erhalten werden, so daß 
die im Leben vorkommenden und wirksamen Stoffe in der Regel 
nicht direkt zu ermitteln sind. Bei der mikrochemischen Methode 
kommt noch hinzu, daß sich am lebenden Material manche 
Strukturverhältnisse wegen ihres sehr gleichmäßigen Lichtbrechungs- 
vermögens nur unvollkommen voneinander abheben und also eine 
Identifizierung der am toten (fixierten) Objekt gemachten Befunde mit 
den im Leben beobachteten Dingen, sowie die Entscheidung, inwieweit 
es sich bei ersteren um Kunstprodukte handelt, nicht immer ganz 
einfach ist. Es muß besonders noch betont werden, daß die Er- 
wartung, die man noch vor ein oder zwei Jahrzehnten bezüglich der 
mikrochemischen Bedeutung der färbungsanalytischen Untersuchungs- 
methoden gehegt hat, bisher nur in geringem Umfange erfüllt worden 
ist. So wertvoll nämlich auch die differenzierenden Färbungen 
sind, um am toten oder auch am lebenden Objekt (Vitalfärbungen!) 
die auf kleinem Räume nebeneinander liegenden Strukturen in höherem 
Grade unterscheidbar zu machen, so beschränkt sich ihre Bedeutung 
für die chemische Erkenntnis der lebenden Substanz im wesent- 
lichen darauf, daß je nach der Affinität zu basischen oder sauren 
Farbstoffen l ) (Basophilie oder Acidophilie) der saure bzw. basische 
Charakter bestimmter Protoplasmabestandteile erkannt werden kann. 

Unter den Substanzen, welche am Aufbau des Protoplasmas her- 
vorragend beteiligt sind, sind die Eiweißstoffe (Proteinstoffe) und 
Lipoide am genauesten bekannt. Die Eiweißstoffe setzen sich im 
allgemeinen aus den Elementen C, O, H, N, S zusammen, doch können 
auch andere Elemente an ihrem Aufbau beteiligt sein. So enthält 
der rote Blutfarbstoff (Hämoglobin) der Wirbeltiere Eisen, ein im 
Blute der größeren Krebse und vieler Mollusken enthaltener Eiweiß- 
körper, welcher beim Schütteln mit Luft dem Blute eine blaue Farbe 
verleiht (Hämocyan), ist kupferhaltig, und in einem in der Schild- 
drüse vorkommenden Eiweißkörper (Thyreojodin) ist Jod enthalten. 

Speziell in den Zellkernen finden sich Nucleoproteide vor, 
d. h. zusammengesetzte Eiweißverbindungen, welche einen Eiweiß- 

') Im ersten Falle Karmin. Hämatoxylin, basische Anilinfarben, z. B. Mcthyl- 
gn'in. Safranin; im zweiten Falle sanre Anilinfarben, z. B. Säurefuchsin, Lichtgrün. 



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Spezifisches Plasma. 



23 



körper als „Kern" und eine phosphorreiche organische Säure, die 
Nucleinsäure, als „prosthetische Gruppe" enthalten. 

Unter den Lipoiden versteht man gewisse Zell bestand teile, die 
sich durch Äther und ähnliche Lösungsmittel extrahieren lassen 1 ). 
Zu ihnen gehört das P- und N-haltige Lecithin, welches namentlich 
im Sperma und Eidotter und als ein zweifellos sehr bedeutsamer 
P-Träger auch im Gehirn in bedeutenden Mengen vorkommt, sowie 
das P- und N- freie Cholesterin, welches offenbar in sämtlichen 
Zellen, und zwar wahrscheinlich immer als ein und dieselbe Ver- 
bindung auftritt. 

Zu den regelmäßigen Plasmabestandteilen gehören dann noch die 
Fermente (Enzyme), anorganische Salze und Wasser. Erstere 
spielen bei den in der lebenden Substanz sich vollziehenden chemi- 
schen Umsetzungen eine wichtige Rolle als Katalysatoren, d. h. 
als Stoffe, welche durch ihre Anwesenheit die Reaktionsgeschwindig- 
keit gewisser chemischer Vorgänge vergrößern. Sie werden in den 
Lebewesen selber gebildet, und zwar können in derselben Zelle neben- 
einander sehr verschiedene Fermente auftreten. Für die Leberzellen 
z. B. ist schon seit längerer Zeit bekannt, daß sie mindestens zehn 
verschiedene Fermente beherbergen (Hofmeister). 

Für die theoretische Vererbungslehre ist nun vor allem die Frage 
von Interesse, ob die in der lebenden Substanz vorkommenden Stoffe, 
insbesondere die Eiweißstoffe, spezifisch verschieden sind, d. h. eine 
von Art zu Art wechselnde chemische Zusammensetzung aufweisen. 
Schon G. Jäger hat aus der spezifischen und individuellen Ver- 
schiedenheit der Riechstoffe die Vorstellung abgeleitet, daß die lebende 
Substanz nicht bloß der verschiedenen Tierspezies, sondern auch der 
einzelnen Individuen einer Art eine verschiedene chemische Zusammen- 
setzung haben müsse, eine Schlußfolgerung, welche damals mit un- 
verdientem Spott aufgenommen wurde. In der Tat hat die Unter- 
suchung der Eiweißkörper, besonders der Hämoglobine, bestimmte 
Anhaltspunkte für diese Auffassung ergeben. Schon die kristallinische 
Form der rein darstellbaren Hämoglobine zeigt bei den verschiedenen 
Tierformen Unterschiede, die auf die chemische Verschiedenheit spe- 
ziell der im Hämoglobin enthaltenen Eiweißkörper schließen lassen 
zum Teil allerdings auch durch die verschiedenen, den kristallisierten 
Eiweißkörpern anhaftenden Salze bedingt sein mögen. Unter den 



') Vgl. Kanitz, S. 23s (1910). 



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24 



Spezifisches Plasma. 



Nagern weisen z. B. die Meerschweinchen Tetraeder, der Hamster 
kurze, dicke, rhombische Prismen, das Eichhörnchen sechsseitige Tafeln 
auf 1 ). Auch die quantitative Analyse der Eiweißkörper läßt beträcht- 
liche Unterschiede erkennen, wenn auch die bisher aufgestellten For- 
meln 2 ) nicht richtig sein mögen. 

Selbst die Annahme, daß jedes Individuum sein Individual- 
eiweiß besitzt, ist nicht unmöglich, da schon Miese her gezeigt 
hat, daß von einer Eiweißverbindung von nur 40 C-Atomen bereits 
eine Million Isomerien möglich sind. 

Von besonderem Interesse würde es in vererbungstheoretischer 
Hinsicht sein, wenn die Nucleoproteide des Kerns chemisch 
genauer bekannt wären. Wir können hier nur so viel sagen, daß der 
Nucleinsäureanteil offenbar nur geringe Variationen aufweist. 
So konnte z. B. gezeigt werden, daß bei so entfernt stehenden Tier- 
formen, wie beim Seeigel (Arbacia), Lachs und Hering, keinerlei 
chemische Unterschiede bezüglich der Sperma-Nucleinsäure bestehen 3 ), 
dagegen scheinen auch hier die Eiweißanteile nicht unerheblich 
zu wechseln. 

Faßt man, abgesehen von der Spezifität der Eiweißan teile, noch 
die Unmöglichkeit ins Auge, auf dem Wege der Transfusion das 
Blut eines Warmblüters durch artfremdes Blut zu ersetzen, sowie die 
verschiedene Immunität, welche die einzelnen Warmblüter und 
sogar die einzelnen menschlichen Individuen gegenüber bestimmten 
Krankheitserregern, z. B. den Tuberkelbazillen, zeigen, so wird man 
sich für berechtigt halten, mit R. Fick«), in Anlehnung an den 
O. Hertwigschen Begriff der „Artzelle" 6), von einem „Art- 
plasma" und „Individualplasma" zu sprechen. 

Unsere Vorstellungen vom Aufbau des Protoplasmas entstammen 
nun aber nicht bloß der morphologischen Betrachtung der mikro- 
skopisch erkennbaren Strukturverhältnisse und der chemischen Ana- 
lyse, sondern auch allgemeinen, von verschiedenen Gesichtspunkten 
aus angestellten Erwägungen. Schon bei der mikroskopischen Be- 
trachtung lassen, wie neuerdings Heidenhain nachgewiesen hat, die 
sichtbaren Formbestandteile „hinsichtlich ihrer Ausmessungen nach der 



') Vgl. Huppert 1896. 

«) Vgl. Bunge, S. 56 (1894). 

a ) Vgl. Burian 1906, sowie Kanitz. S. 247 (l9lo). 

*) Vgl. R. Fick. S. 103 (1901). 

>) Vgl. O. Hcrtwig, Zelle u. Gewebe. II. S. 8. 



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Metastruktur. Lebenseinheiten. 



25 



Richtung des Kleinen hin eine abnehmende Reihe erkennen, an deren 
Ende sie im Bereich des Metamikroskopischen verschwinden". 
So wird man schon auf diesem Wege mit Notwendigkeit zu der 
Annahme einer jenseits der Leistungsfähigkeit unserer Instrumente 
liegenden „Metastruktur" 1 ) des Protoplasmas geführt, einer Vor- 
stellung, welche sich auch bei der theoretischen Betrachtung der 
Lebenserscheinungen, insbesondere der Vererbungsprozesse, den ver- 
schiedensten Forschern aufgedrängt hat. 

Es hat zuerst wohl Brücke 2 ) in bestimmterer Weise sich für die 
Existenz elementarer Lebenseinheiten ausgesprochen, welche 
eine Zwischenstufe zwischen der Zelle und den chemischen Molekülen 
bilden und die Fähigkeit der Assimilation und Vennehrung zeigen. 
Dieser Gedanke hat dann immer wieder, man könnte sagen, mit un- 
widerstehlicher Gewalt, in der theoretischen Biologie Herrschaft ge- 
wonnen. Es sind im wesentlichen die nämlichen Dinge, die von 
Spencer als physiologische Einheiten 8 ), von de Vries als Pangene, 
von Wiesner als Piasomen, von Weismann als Biophoren«), von 
Roux als Isoplassonten, Automerizonten , von Giglio-Tos als Bio- 
moren, von Heidenhain als Protomoreri bezeichnet werden. Alle 
diese Forscher nehmen an, daß diese Teilchen einen höheren Wert 
haben als die Moleküle der anorganischen und organischen Verbin- 
dungen, daß sie von ihnen durch die Fähigkeit der Assimilation und 
des Stoffwechsels, des Wachstums und der Vermehrung auf dem Wege 
der Selbstteilung unterschieden sind und wahrscheinlich Aggregate von 
verschiedenartigen Molekülen darstellen. Auf der Konstitution dieser 
Molekülgruppen, vielleicht auch auf einer bestimmten gegenseitigen Ver- 
bindung untereinander verschiedener Molekülgruppen beruht nach jener 
Anschauung die Metastruktur, Organisation oder Architek- 
tonik des Plasmas und diese bedingt ihrerseits wieder den regelmäßigen, 
spezifischen Ablauf der Lebenserscheinungen. Wie eine Uhr mit dem 



l ) Roux 1883. 

*) Vielfach wird He nie als Urheber dieser Vorstellung genannt. Vermutlich 
hat man dabei diejenigen Stellen in seiner Allgemeinen Anatomie (S. 163, 2\6) im 
Auge, an welchen er von einer Entstehung und Zusammensetzung der Zellen aus 
„ Elementarkörnchen 14 spricht. 

*) Uber den Unterschied zwischen den physiologischen Einheiten Spencers 
und den Keimeben Darwins siehe Weismann, Keimplasma, S. 8. 

*) Die Biophoren setzen nach Weismann (Keimplasma, S. 60) alles Proto- 
plasma zusammen, sowohl das zu Zellkörpein differenzierte Morphoplasma , als das 
im Kern enthaltene Vererbungs- oder Idioplasma. 



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26 



Teilbarkeit der Lebenseinheiten. 



Einstampfen aufhört, eine Uhr zu sein, obgleich Qualität und Quan- 
tität des Metalles unverändert bleiben, so ist auch mit dem Zerreiben 
eines anscheinend so homogenen Plasmakörpers, wie es z. B. die Loh- 
blüte (Aethalium septicum, jetzt Fuligo varians) ist, das Leben ver- 
nichtet, ein viel zitierter Vergleich, der freilich nach unseren jetzigen 
Kenntnissen nicht ohne weiteres verallgemeinert werden darf»). 

Es soll übrigens bemerkt werden, daß einige neuere Autoren 
direkt von Plasmamolekülen (Davenport) oder Biomolekülen 
(Giglio-Tos) sprechen, wobei von der Vorstellung ausgegangen 
wird, daß diese der Assimilation und Teilung fähigen Atomgruppen 
nur durch die Komplikation ihres Baues von den vielatomigen Mole- 
külen hochorganisierter organischer Verbindungen, wie z. B. der aro- 
matischen Körper oder Eiweißstoffe, verschieden sind. 

Von verschiedenen Seiten ist darauf hingewiesen worden, wie 
schwierig es sei, sich die Teilbarkeit des so gebauten Protoplas- 
mas, insbesondere die bei den meisten Zellteilungsvorgängen an- 
scheinend vollkommen symmetrische Verteilung seiner Qualitäten, 
vorzustellen. Vor allen haben Haacke und Kassowitz diese 
Schwierigkeit für die Weismann sehe lde (wie wir sehen werden, 
lebende Protoplasmateile höherer Ordnung, die sich aus Biophoren 
zusammensetzen) hervorgehoben, und Driesch hat im Zusammen- 
hang damit das Schlagwort von der „Unteilbarkeit dreidimensionaler 
Maschinen" geprägt. 

Indessen ist schon verschiedentlich gezeigt worden, daß es auch 
gewisse organische Verbindungen gibt, deren Moleküle unter geeigneten 
Bedingungen (d. h. bei Vorhandensein bestimmter Verbindungen, mit 
welchen sie Reaktionen ausführen) von dem ursprünglichen Zustand a 
in einen Zustand b übergehen, um sich sodann wieder in 2 Mol. 
vom Zustand a zu spalten. So hat Giglio-Tos darauf hingewiesen, 
daß ein Essigsäuremolekül bei successiver Zuführung geeigneter „Nähr- 
substanzen" (Phosphorchlorid, Zinkäthyl) sich unter Abspaltung von 
„Sekretstoffen" (Phosphoroxychlorid, Salzsäure, Zinkchlorid) in 1 Mol. 
Methyläthylketon umwandelt und daß sich dieses bei Zufuhr von 
Sauerstoff wieder in 2 Mol. Essigsäure spaltet. Ähnliches läßt sich 



') Hofmeister 1891 bebt hervor, daß man aueb mit zertrümmerten, in einen 
Brei verwandelten tierischen Organen einzelne Lebensvorgänge nachzuahmen im- 
stande ist, und daß gerade durch Zertrümmerung von Zellen der Nachweis in ihnen 
eingeschlossener chemischer, im Leben tätiger Agenzien, z. B. mancher Fermente, 
ermöglicht worden sei. 

t 



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Bau der Lebenseinheiten. 



27 



innerhalb der Gruppe der Benzol Verbindungen nachweisen, insofern 
z. B. aus Phenetidin (C,H 6 OC 6 H 4 NH a ) bei Phenolzusatz und Ather- 
behandlung ein Körper (Phenoazophenotol) entsteht, dessen Molekül 
gewissermaßen ein doppeltes Phenetidinmolekül darstellt und durch 
Reduktion tatsächlich auch in zwei Phenetidinmolekel gespalten wer- 
den kann Hier haben wir also die chemischen Analoga der Assi- 
milation, der Sekretion, des Wachstums und der Teilung vor uns. 
Natürlich ist aber die Heranziehung derartiger chemischer Pro- 
zesse nichts weiter als ein ganz roher Versuch, zu einem Bild von 
der Selbstteilung der Protoplasmateilchen zu gelangen, sowie man z. B. 
von „Bahnen" oder „ Verknüpf ungen" redet, wenn man den Verlauf 
der Gehirnfunktionen der Vorstellung näher bringen will. 

Die vergleichsweise Erwähnung einer der aromatischen Körper 
ist vielleicht deshalb noch von Interesse, weil diese Verbindungen 
mit ihrer großen Zahl von Atomen, mit dem ringförmig geschlossenen 
Aufbau, den zahlreichen Isomerien und den austauschfähigen seit- 
lichen Atomgruppen dem Nichtchemiker am ehesten eine vorläufige 
Vorstellung von der Konstitution der kleinsten Lebensteilchen geben 
können. So meint auch Giglio-Tos, daß die Biomoleküle den 
Bau komplizierter Ketten mit verzweigten Ästen besitzen, und vor 
allem ist auch die moderne Serumforschung, wohl in Anlehnung an 
die Chemie der aromatischen Körper, zu ähnlichen Vorstellungen von 
der Konstitution des Protoplasmas gelangt. Nach Ehrlich besteht 
nämlich das Protoplasma aus einem Leistungskern, dem eigent- 
lichen vitalen Zentrum, und den Seitenketten, welche als Organe 
des Protoplasmas dienen. Im speziellen haben bestimmte Seiten- 
ketten, die Rezeptoren oder Nutrizcptoren, die Fähigkeit, auf 
Grund einer bestimmten chemischen Konstitution und Affinität die 
assimilationsfähigen Nährstoffe zu verankern und so die Assimilation 
einzuleiten. 



Literaturverzeichnis zu Kapitel 4. 

Brücke. E., Elementarorganismen. Sitzungsbcr. Akad. Wiss. Wien, 44. Bd. (2), 1861. 
Bütschli. O., Untersuchungen über mikroskopische Schäume und das Protoplasma. 
Leipzig 1892. 

Bunge. G., Lehrbuch der physiologischen und pathologischen Chemie. 3. Aufl. 
Leipzig 1804. 



') Nach freundlicher Mitteilung von Prof. H. Kauf f mann in Stuttgart. 



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28 



Literaturverzeichnis 4. 



Burian, R., Chemie der Spermatozoon. Ergcbn. d. Phys.. 5- Jahrg., 1906. 
Davenport, C. B., Inhcritance in Poultry. Washington 1906. 
Driesch, H., Die organischen Regulationen. Leipzig 1901. 

— , Neue Antworten und neue Fragen der Entwickehingspbysiologie. Anat. Hefte, 

2. Abt., Ergcbn. An. u. Entw. lQOl. 
— , Zwei Beweise von der Autonomie der Lebensvorgänge. Verh. V. Intern. Zool.- 

Kongr., Berlin )<>oi. 

Ehrlich, P., Über Partialfunktioncn der Zelle. Münch. Med. Wochenschr. 1909. 
— , Über die neuesten Ergebnisse auf dem Gebiete der Trypanosomcnfoi schuug. 

Arch. f. Schiffs- u. Tropenhyg., 13. Bd., 1909. 
Kick, Uber die Vererbungssubstanz. Arch. f. Anat. u. Phys. 1907. 
Fischer, A., Fixierung, Färbung und Bau des Protoplasmas. Jena 1899- 
Giglio-Tos, E.. Les Problemcs de la vie. I— IV. Turin u. Cagliari 1900— 1010. 
Haacke, W., Gestaltung und Vererbung. Leipzig 1893. 

Haecker, V., Praxis und Theorie der Zellen- und Befruchtungslehre. Jena 1899. 
— , Über die lebende Substanz. Jahresh. Ver. Vaterl. Xaturk., Württemberg 1908. 
Heidenhain, M., Plasma und Zelle. I. Jena 1907. 
Henle, J., Allgemeine Anatomie. Leipzig 1891. 

Hertwig, O., Die Zelle und die Gewebe. I. u. II. Jena 1893 u. 1898. 
— , Allgemeine Biologie. 3. Aufl., Jena 1909. 

Hofmeister, F., Die chemische Organisation der Zelle. Ein Vortrag. Braunschweig 
1891. 

Huppert, Über die Erhaltung der Arteigenschaften. Prag 1896. 

Jäger, G., Über die Bedeutung des Geschmacks- und Gcruchsstoffes. Zeitschr. f. 

wiss. Zool., 27. Bd., 1876. 
Kanitz, A. Das Protoplasma als chemisches System. Handb. d. Biochemie, 2. Bd.. 

1. Hälfte, Jena 1910. 

Kassowitz. M. t Allgemeine Biologie. I. u. II. Wien 1889. 
Kossei, A., Zur Chemie des Zellkerns. Zeitschr. phys. Chem., 7. Bd., 1882. 
— . Über die Xucleinsäure. Verh. physiol. Ges. Berlin, Jahrg. 1892 (1893) (Arch. f. 
Phys., Jahrg. 1893)- 

Miescher, F., Die Spermatozoen einiger Wirbeltiere. Ein Beitrag zur Hisiochemie. 

Verh. Naturf. Ges. Basel, 6. Bd., 1878. 
Roux, W., Beiträge zur Morphologie der funktionellen Anpassung, I. Arch. f. Anat. 

u. Phys., Anat. Abt 1883. (Auch: Ges. Abh. 1895, 1. Bd.) 
— , Ziele und Wege der Entwickclungsmechanik. Erg. An. u. Entw., 2. Bd., 1892. 
Siedlecki, F. K., Exoplasma oder Metaplasraa? Sitzungsber. Böhm. Ges. Wiss., Prag 

1907. 

Spencer, H., Principles of Biology 1864 — 1866 (2. ed. of vol. 1, 1899). 
Spiro, K., Physikalische Chemie der Zelle. Handb. d. Biochemie, 2. Bd., 1. Hälfte. 
Jena 1910. 

Vries, G. de, Intracellulare Pangenesis. Jena 1889. 

Weismann, A., Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena 1892. 
Wilson, G. B., The Cell in Development and Inhcritance. 2. ed. New York and 

London (Mac Millan) 1900. 
Zacharias, E„ Die chemische Beschaffenheit von Protoplasma und Zellkern. Progi. 

rei bot, 3. Bd., 1909. 

Zehnder, L., Die Entstehung des Lebens aus mechanischen Grundlagen entwickelt. 

2. Ausg. Tübingen 1910. 



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Fünftes Kapitel. 
Weiterentwickelung der Zellenlehre. 

Die Theorie der Vererbung hat nicht nur an die Protoplasma- 
theorie, sondern vor allem auch an die Zellenlehre angeknüpft, und 
wenn auch neuerdings die nichtzellularen Bakterien vielfach in den 
Kreis der vererbungsgeschichtlichen Forschung gezogen worden sind, 
so wurzelt doch die heutige Vererbungstheorie in der üblichen Auf- 
fassung der Zellenlehre. Noch vor kurzem hat O. Hertwig sich 
dahin geäußert, daß das Vererbungsproblem im wesentlichen ein 
Zellenproblem sei. 

Es wird aber niemand, der die Literatur verfolgt, sich des Ein- 
drucks erwehren können, daß die Zellenlehre, wie sie von Schleiden 
und Schwann begründet und im Laufe des 19. Jahrhunderts zur 
Bausteinlehre und zur Zellenstaatlehre weiter gebildet worden 
ist, sich zurzeit in einer Art Krisis befindet, daß vergleichende 
Anatomen, Embryologen, Histologen und Physiologen in immer ver- 
stärktem Maße gegen die bisherige Fassung Einwände erheben, und 
daß durch diese Weiterentwickelung auch gewisse vererbungstheo- 
retische Vorstellungen berührt werden. 

In der Fassung, wie sie ihr ursprünglich von Schleiden, Nägeli, 
Virchow u. a. gegeben worden ist, sagt bekanntlich die Zellentheorie, 
daß alle höheren tierischen und pflanzlichen Organismen aus Gebilden 
niedrigerer Ordnung, den Zellen, zusammengesetzt sind, und daß 
diese, morphologisch betrachtet, die letzten Form demente oder 
Bausteine des Organismus darstellen, in physiologischer Hinsicht 
dagegen als Elementarorganismen oder (nach Virchow) als 
Lebenseinheiten zu betrachten sind. Das letztere soll so viel 
heißen, daß alle Lebens Vorgänge, welche der Organismus als Ganzes 
zeigt, z. B. Assimilation, Wachstum, Vermehrung, sich im kleinen an 
den einzelnen Zellen abspielen. So stellen die chlorophyllführenden 



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30 



Zellenstaat. 



Palissadenzellen auf der einen Seite die Formelemente des phanero- 
gamen Laubblattes dar, auf der anderen Seite zeigen sie bis zu einem 
gewissen Grade noch den Charakter von Elementarorganismen, da 
isolierte Palissadenzellen in geeigneten Nährstofflösungen mehrere 
Wochen lang am Leben bleiben, assimilieren und weiter wachsen 
können »). 

Diese „Bausteintheorie " hat sich bald zur „Zellenstaattheorie" 
weiterentwickelt. Milne Edwards in den 50er Jahren und dann 
namentlich Haeckel und H. Spencer haben die Vorstellung zu be- 



F*- 5- 



Fi?. 6. 




Junge Pandorinakolonie nach Pi iugsheim 
aus Weismann. 



Platydorinakolonie nach Kofoid. 



gründen versucht, daß die Zellen innerhalb des Körpers eine Art von 
sozialer, auf Arbeitsteilung beruhender Gemeinschaft darstellen 8 ). 
Diese Zellenstaaten oder Zellenrepubliken kommen sowohl in der 
Stammesgeschichte wie in der Entwickelung des einzelnen Indivi- 
duums dadurch zustande, daß die ursprünglich gleichartigen Glieder 
einer Zellenfamilie, z. B. einer jungen, auf dem Stadium der Gattung 
Pandorina (Fig. 5) oder Platydorina (Fig. 6) befindlichen Volvoxkolonie 
oder eines im „Morulastadium" stehenden tierischen Eies, auf Grund 
zunehmender morphologischer Differenzierung und physiologischer 
Arbeitsteilung sich auf der einen Seite immer mehr spezialisieren, 



') Vgl. Haberlandt. S. 14 (1904). 

*) Vgl. die näheren Ausführungen bei O. Hertwig und Heidenhain. 



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Einwände gegen die Zellenstaatlehre. 



31 



andererseits immer abhängiger von anderen Zellen und vom ganzen 
Körper werden, also nach H. Spencer dem Ganzen integriert wer- 
den 1 ). Die Zellen haben also, wie sich die Botaniker ausdrücken, 
weniger den Charakter von Elementarorganismen als von Elementar- 
organen, und tatsächlich tritt ja in dem vorhin angeführten Beispiel 
der Palissadenzellen der Phanerogamen die nur unter künstlichen Be- 
dingungen sich äußernde physiologische Selbständigkeit der Zellen 
vollkommen zurück gegenüber ihrem ausgesprochenen Charakter als 
spezifischer Assimilationsorgane s ). 

In dieser Fassung hat die Zellentheorie bis vor kurzem fast 
uneingeschränkte Anerkennung gefunden, und die „Zellenstaatlehre' 1 
pflegte in Lehrbüchern und Vorlesungen als das eigentliche Fun- 
dament aller Morphologie und Physiologie dargestellt zu werden. 
Ontogenetisch betrachtet erschienen die Zellen nach wie vor als 
die eigentlichen Bausteine des Organismus, und namentlich auf zoolo- 
gischer Seite pflegt es fast als Axiom betrachtet zu werden, daß die 
Zellen nicht bloß auf Grund fortgesetzter Teilungen den ursprünglich 
einfachen Elementarorganismus, den einzelligen Keim, in einen Zellen- 
staat umwandeln, sondern daß sie auch durch ihren Teilungsrhythmus 
und ihre Teilungsrichtung die Form des Ganzen und der ein- 
zelnen Körperteile bestimmen. Dem Histologen erschienen 
die nichtzellularert Bestandteile des Organismus, vor allem die Cuti- 
cular- und Interzellularsubstanzen, als einfache tote Sekrete der Epithel- 
und Bindegewebszellen, und der Physiologe sah in den Zellen die 
unteilbaren Träger aller Lebenserscheinungen. 

Gegen diese Thesen sind nun aber schon seit längeren Jahren 
da und dort Stimmen erhoben worden, und vor allen haben sich 
hintereinander die Botaniker Hofmeister, de Bary und Sachs, der 
Anatom Rauber und der Zoologe Whitman dahin ausgesprochen, 
daß in der Einzelentwickelung nicht die Zellen die Form des Ganzen 
bestimmen, sondern daß umgekehrt die Anordnung der Teile durch 
das Wachstum und die Formgestaltung des Ganzen beherrscht wird. 
Im speziellen dachte Sachs, daß sich die Form des Körpers und 



l ) Vgl. auch O. Hertwig, Zelle und Gewebe, II, S. 85. 

*) Das Palissadengewebe enthält im Mittel 3- bis 5 mal soviel Chlorophyllkörner 
als das Schwammparenchjm. Die Assimilationsenergie des ersteren dürfte aber noch 
verhältnismäßig größer sein, weil es sich auf der Blattobei seile befindet und deshalb 
weit günstigeren Belichtungsverhältnissen ausgesetzt ist, als daB von ihm beschattete 
Sehwammparenchym. Vgl. Haberlandt, S. 244 (1004). 



32 



Einwände gegen die Zellenstaatlehre. 



sein Wachstum durch die Strömung des Protoplasmas nach bestimmten 
Richtungen, also durch dessen Wachstumsrichtung und Wachstums- 

Fig. 7. 




Floridee (Melobesia) nach Rosenoff und Sachs. 

druck, reguliert, und daß die Zeilplatten, d. h. die Anlagen der 
Scheidewände zwischen zwei durch Teilung neuentstandenen Tochter- 




Kegelförmiger Vegetationspunkt nach Sachs. 

zellen, auf Grund bestimmter Wachstumsgesetze stets rechtwinklig zur 
Richtung des intensivsten Wachstums angelegt werden. Der wachsende 
Thallua mancher Algen (Fig. 7) und die „Vegetationspunkte" höherer 



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Plasmodien und Syncytien. 



33 



Fig. 9. 



Pflanzen mit ihren „periklinen" und „antiklinen" Zellwandrichtungen, 
welche entsprechend der paraboloidischen Gestalt der Sproßspitzen 
zwei rechtwinklig sich schneidende Systeme konfokaler Paraboloide 
bilden (Fig. 8), gelten als die beste Illustration für die Sachssche 
Theorie, aber auch auf zoologischem Gebiet lassen sich Verhaltnisse 
namhaft machen, welche für die formbestimmende Bedeutung des 
Ganzen sprechen. 

Diese Anschauungen sind nicht ohne Einfluß geblieben, und so 
spricht denn auch O. Hertwig, der im ganzen eher der älteren Auf- 
fassung zuneigt , von 
„der doppelten Stellung 
der Zelle als Elementar- 
organismus und als de- 
terminiertem und inte- 
griertem Teil eines über- 
geordneten , höheren 
Organismus" 1 ). Indessen 
blieb im allgemeinen die 
Zellenstaatlehre zuRecht 
bestehen , insbesondere 
hat, wie wir sehen wer- 
den, die Vererbungstheo- 
rie diese Fassung der 
Zellenlehre als Aus- 
gangspunkt genommen. 

Gerade in den letz- 
ten Jahren ist nun aber, 

• t , . . Caulerpa crassifolia nach Sachs. 

wie bereits angedeutet ^ 

wurde, von verschiedenen Gesichtspunkten aus die Unzulänglich- 
keit (inadequacy) der älteren Zellenstaatthcorie hervorgehoben 
worden. Eine große Rolle spielen bei den betreffenden Erörterungen 
die Plasmodien und Syncytien, vielkernige Plasmamassen, von 
denen die ersteren als selbständige Organismen, die letzteren als Teile 
der höheren Vielzelligen erscheinen*). Es kann darauf hingewiesen 

') Vgl. auch Haberlandts Bemerkungen zum „Zellenstaat" (j. Aufl. d. Phys. 
PflanzcnanaL, S. 15). 

*) Nach Rhode (1908, S. 2) würden auch die vielkernigen Gewebe höherer 
Tiere als Plasmodien zu bezeichnen sein, wofern sie schon primär im Ei durch 
die sich hier abspielenden Kernteilungsprozesse zur Ausbildung kommen, während 
Syncytien durch Verschmelzung von ganz indifferenten Embryonal zellen entstehen. 
Marek er, Vererbungslehre. ^ 




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34 



Plasmodien und Syncytien. 



werden, daß es im Tier- und Pflanzenreiche eine ganze Reihe von 
vielkernigen, nichtzellularen „Plasmodien" gibt, so die Siphoneen oder 
Schlauchalgen (Caulerpa, Fig. 9, Vaucheria), die Myxomyceten oder 
Schleimpilze (Fuligo varians = Aethalium septicum, Lohblüte), viele 
Foraminiferen, die sogenannten „koloniebildenden" Radiolarien (Collo- 
darien) 1 ), und unter den Infusorien die Opalinen. Ferner durch- 
laufen viele Protozoen bei der Reproduktion vielkernige, also plas- 
modiale Entwickelungsstadien, z. B. die Infusorien und manche Radio- 
larien (Aulacanthiden), und ebenso haben bekanntlich auch die Eier 
vieler Arthropoden zunächst einen plasmodialen Charakter. Auf der 
anderen Seite hat neuerdings Rhode zu zeigen versucht, daß in 
vielen Fällen die Gewebszellen vielzelliger Tiere, so insbesondere die 
Muskelelemente, mitunter sogar die Geschlechtszellen, nicht in ge- 
rader Linie von Embryonalzellen (im letzteren Falle den Urgeschlechts- 
zellen) abstammen, sondern unter Einschaltung vielkerniger Plasma- 
massen«), welche aus den mehr selbständigen Embryonalzellen der 
früheren Entwickelungsstadien entweder aul dem Wege multipler 
Kernteilung oder durch nachträgliche Verschmelzung ihre Entstehung 
nehmen. Ebenso ist darauf hingewiesen worden, daß auch bei den 
Regenerationsvorgängen und bei der Bildung der Geschwülste die 
Gewebe vielfach in den plasmodialen oder syncytialen Zustand zurück- 
kehren 8 ). 

In allen diesen Fällen kann natürlich, wenigstens zeitweise, von 
einem zellularen Aufbau der betreffenden Organismen oder Gewebe 
nicht gesprochen werden, vielmehr kann der Ausdruck Energide, 
womit Sachs einen einzelnen Zellkern mit dem von ihm beherrschten 
Protoplasmabezirk bezeichnet hat, eine passende Verwendung finden 4 ). 



l ) Es dürfte vielleicht zweckmäßig sein, die Bezeichnung Kolonie für solche 
zellular gebaute Organismen zu reservieren, deren Zellen nur durch tote Substanzen 
(Gallerte) oder höchstens durch dünne Plasmabrücken miteinander verbunden und in 
geringem Maße differenziert und integriert erscheinen. Nach dieser Definition würden 
mindestens die einfacheren Volvocineen (Pandorina, Platydorina, siehe oben Fig. 5. 6) 
echte Kolonien darstellen, während Volvox globator mit seinen durch Plasmasträngen 
verbundenen Zellen einen Übergang zu den Plasmodien bildet (vgl. auch Rhode, 
1. c S. 83). 

*) Ein sehr interessantes Beispiel eines kompliziert gestalteten Syncytiums bietet 
die Pigmentzelle (Chromatophore) der Tintenfische dar (vgl. C. Chun, Verh. D. Zool. 
Ges. 1902). 

■) Vgl. Driesch, S. 72, und Rhode, S. 73- 

*) Einwände gegen den Energiebegriff sind von verschiedenen Seiten erhob cu 
worden. Vgl. Heidenhain. S. 50; Haberlandt, S. 58, Anm.3. An letzterer Stelle 



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Histologische Einwinde. 



35 



Auch neuere experimentell-entwickelungsgeschicht- 
liche Untersuchungen haben ergeben, daß die tierischen Keime in 
ihren jüngsten Stadien auch bei künstlich gehemmter oder vollständig 
unterdrückter Zelldurchschnürung typische Formen und Differenzie- 
rungen erlangen können, wie z. B. künstlich - parthenogenetische Eier 
von Anneliden auch ohne Plasmateilung das larvale Wimperkleid 
entfalten können 1 ). Man wird Driesch beistimmen können, wenn er 
sagt, daß neuere Forschungen uns den Organismus in weit höherem 
Grade, als man früher glauben mochte, als ein Ganzes gezeigt 
haben. „Die Zellen sind oftmals Bausteine dieses Ganzen, aber mehr 
nicht, und oft nicht einmal das." 

Von histologischer Seite ist neuerdings namentlich Heiden- 
hain») für die Auffassung eingetreten, daß der fertige vielzellige 
Organismus keineswegs als ein reines Zellenaggregat im Sinne der 
Zellenstaattheorie aufgefaßt werden kann, daß er vielmehr eine Asso- 
ziation ganz ungleichwertiger lebender Formbestandteile 
(von Zellen, syncytialen Bildungen, Muskelfasern, Bindegewebsbündeln, 
elastischen Fasern usw.) darstelle, und daß auch Wachstum und histo- 
logische Differenzierung nicht einfach auf der Zellteilung und der 
Abscheidung verschiedenartiger toter Zellenprodukte beruhe. Speziell 
die Interzellularsubstanzen (Bindegewebsfibrillen, elastische Fasern) und 
Cuticularbildungen wären nicht als passive Sekrete der Zellen anzu- 
sehen, sondern stellten sich als abgegliederte, modifizierte Teile des 
Zellprotoplasmas dar, welche außerhalb der Zellen selbständig assimi- 
lieren und weiterwachsen können 8 ). Sogar die Fähigkeit der Selbst- 
teilung dürfte nach Heidenhain wenigstens den Interzellularsubstanzen 
zukommen, wie denn überhaupt das Teilungsvermögen keineswegs 



wird namentlich auf den von A. Zimmermann hervorgehobenen Umstand hin- 
gewiesen, daß bei mehrkernigen Zellen mit lebhafter Protoplasmaströmung der Begriff 
der Energide als einer organischen Einheit sich weder in morphologischem noch in 
physiologischem Sinne aufrecht erhalten 118t. 

') Lillie 1902; vgl. auch Schmidt, S. 331 (1904), welcher bei Seeigelkeimen 
zeigte , daß zwischen Zellteilung und Organbildung keine direkte Beziehung besteht, 
derart , daß etwa an Zonen , welche zur Einfaltung oder Wucherung bestimmt sind, 
eine besonders reichliche Teilung stattfände, sowie Godlewski 1908, der beim 
gleichen Objekt trotz der Unterdrückung der Zellteilung durch CO»- Behandlung ein 
(modifiziertes) Blastulastadium heranzog. 

■) Vgl. Heidenhain, S. 54 ff. 

*) Bezüglich der Interzellularsubstanzen vgl. M. Schultze 1861, Flemming 
1902, Stndnicka 1903 u. a.; bezüglich der Cuticularbildungen siehe Biedermann 

1903. 

3' 



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36 



Histologische Einwände. 



Fig. 10. 




bloß den Zellen und ihren Organellen (Kern, Centrosoma), sondern den 
verschiedensten morphologischen Formgebilden (Biosystemen) 
zuzuschreiben ist. Es ist dabei an die schon 1861 von Weismann 
beobachtete Spaltbarkeit der Muskelprimitivbündel, speziell an die 
Muskelfasern des Säugetierherzens, welche infolge massenhafter un- 
vollkommener Spaltung eine kontinuierliche Fleischmasse von der 

allgemeinen Form eines Plexus 
bilden, zu erinnern. Auch die 
eine unvollständige Teilung dar- 
stellende intrazellulare Spros- 
sung der Skelettanlagen der 
Radiolarien J ) ist in diesem Zu- 
sammenhange zu erwähnen: spe- 
ziell die Radialstacheln der Aula- 
canthiden entstehen nämlich in 
der Weise, daß sich zunächst ein 
länglicher, von einer plasmati- 
schen „Vakuolenhaut" um- 
gebener Gallerttropfen bildet 
(Fig. 10 A), daß dann auf Grund 
von regelmäßigen Sprossungs- 
vorgängen die Endäste gebildet 
werden (Fig.lOB) und schließlich 
die Verkieselung der Vakuolen- 
haut zustande kommt (Fig. 10 C). 
Hier bildet offenbar die zunächst 
häutige Stachelanlage ein relativ 
selbständiges, mit Sprossungsver- 
mögen ausgestattetes lebendes 
Formelement. 

Endlich hat sich auch ein 
Physiologe, Schenck, gegen die 
Auffassung der Zelle als einer elementaren „physiologischen Lebens- 
einheit" gewandt. Der Übergang von potentieller in kinetische 





Intrazellulare Sprossung der Radialstachel- 
aulage einer Aulacanthide (Aulographis). 



') Vgl. V. Haecker, S.45 (1906), S. 602 (1908). Auch manche tierische Hart- 
gebilde zeigen während ihrer Entwickelung ein selbständiges, von den (ernährenden) 
Zellen relativ unabhängiges Wachstums- und Formbildungsvermögen. Vgl. die von 
Maas im wesentlichen bestätigten Angaben von Minchin über die Entstehung der 
Spikula der Kalkschwämme (Tiefsee-Rad., S. 583). 



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Physiologische Einwände. 



37 



Energie, Verbrennung, Wärmebildung, Erregbarkeit, Bewegung (Flim- 
merung), alle diese Vorgänge und Eigenschaften seien keineswegs an 
das zelluläre System gebunden, sondern stellen, da sie innerhalb 
bestimmter Grenzen auch an abgelösten Protoplasmabildungen vor- 
kommen können, Funktionen der lebenden Masse, des Proto- 
plasmas, dar. 

Aus allem hier Gesagten geht hervor, daß die Zellenstaattheorie 
nach verschiedenen Richtungen hin in Weiterentwickelung begriffen 
ist und vielfacher Ergänzungen bedarf. Speziell das überaus häufige 
Vorkommen plasmodialer und syncytialer Bildungen scheint darauf 
hinzuweisen, daß die Differenzierung des Protoplasmas in 
Kernplasma (Karyoplasma) und extranucleares Plasma („Cyto- 
plasma") 1 ) gegenüber der Differenzierung der lebenden Substanz in 
gesonderte Zellterritorien das allgemeinere Prinzip darstelle. 
Wir werden uns also zunächst mit der Sonderung des Protoplasmas 
in Kern- und extranucleares Plasma und deren Bedeutung zu be- 
schäftigen haben, zumal gerade für die Vererbungslehre dieser Gegen- 
satz ein besonders wichtiger geworden ist. 



Literaturverzeichnis zu Kapitel 5. 

de Bary, H. A., Botanische Zeitung 1879. 

Biedermann, W., Geformte Sekrete. Zeitschr. f. allg. Pbys., 2. Bd., 1903. 
Driesch, H., Die Physiologie der tierischen Form. Erg. Phys., 5. Jahrg., 1906. 
Flemming, W., Zur Entwicklungsgeschichte der Bindegewebsfibrillen. Intern. 

Beitr. z. wiss. Med., Festschr. f. Rud. Virchow^ 1. Bd., 189». 
Flemming, W., Die Ilistogenese der Stützsubstanzen der Bindegewebsgruppe. 

O. Hertwigs Handbuch der Entwicklungsgeschichte, Lief. 4 u. 5, 1902. 
Giglio-Tos, E., Les problemes de la vie. III" Partie. Cagliari 1905. 
Godlewski, E. ( Plasma und Kernsubstanz in der normalen und der durch äußere 

Faktoren veränderten Entwickelung der Echiniden. Arch. Ent.-Mech., 26. Bd., 

1908. 

Ilaecker, V., Tiefsee-Radiolarien. Erg. Deutsch. Tiefsee-Exp., 14. Bd., 1908. 
— , Über die Mittel der Formbildung im Radiolarienkörper. Verh. Deutsch. Z00L 
Ges. 1906. 

Haberlandt, G.. Physiologische Pflanzenanatomie. 3. Aufl. Leipzig 1904. 
Hertwig, O.. Die Zelle und die Gewebe. I. u. II. Jena 1893 u- 1898. 
— , Der Kampf um die Kernfragen der Entwicklung«- und Vererbungslehre. Jena 
1909. 



') Der Ausdruck Cytoplasroa bezeichnet das Protoplasma des Zellleibes und 
deckt sich also nicht mit dem allgemeineren Begriff des extranuclearen Plasmas. 



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38 



Literaturverzeichnis 5. 



Heidenhain, M., Plasma und Zelle. L Jena 1907. 

Lillie, F. R., Differentiation without cleavage in the Egg of the Annclid Chautop- 

terus. Arch. Entw.-Mech., 14. Bd., 1902. 
Minchin, E. A., Materials for a Monograph of the Ascons L Quart. J. Micr. Sei., 

Vol. 40^ 1898. 

Rauber, A. . Neue Grundlegungen zur Kenntnis der Zelle. Morph. Jahrb., 8. Bd., 

1883. 

Rhode, E., Histogenetische Untersuchungen. L Breslau 1908. 
Ruzicka, VI., Die Bakterien und das Verci bungsproblera. Axch. Entw.-Mech., 
2£l Bd., 1908. 

— , Uber Erbsubstanz und Vererbungsmechanik. Zeitschr. allg. Phys., ID. Bd., 1909. 

Sachs, J., Vorlesungen Ober Pflanzenphysiologie. Leipzig 1882. 

— , Weitere Betrachtungen über Energiden und Zellen. Flora 1895. Ergänzungsband. 

Scheuck, F., Physiologische Charakteristik der Zelle. Würzburg 1899- 

Schmidt, IL, Zur Kenntnis der Larvenentwickelung von Echinus micr. Verh. 

Phys.-Med. Ges. Wflrzburg, N. F. 36, 1904. 
Schul tze. M., Über Muskelkörperchen und das, was man eine Zelle zu nennen 

habe. Reicherts Archiv 1861. 
Studnicka, F. K., Histologische und histogenetische Untersuchungen. Anat. Hefte. 

2_L Bd., 1903. 

— , Uber einige Grundsubstanzgewebe. Anat. Anz., 3J_. Bd., 1907. 
— , Exoplasma oder Metaplasma? Sitzungsber. Böhm. Ges. Wiss., Prag 1908. 
Weismann, A., Vorträge über Deszendenztheorie. 2. Aufl. Jena 1904. 
Whitman, C. O., The inadequaey of the cell theory of devclopment. Wood's Holl 
Biol. Sect. 1895. 



0 DV kjOOQ tc 



Sechstes Kapitel. 

Kern und Kernteilung. 

Der sogenannte „ruhende", d. h. nicht in Teilung befindliche 
Kern (nucleus) wird speziell für die vielzelligen Organismen in der 
Regel als ein bläschenförmiges Gebilde beschrieben, welches von einer 
Kernmembran umschlossen ist und in seinem Innern eine flüssig 
gedachte Grundsubstanz, den Kernsaft, ferner ein grobmaschig-netz- 
förmiges oder schwammartiges (spongiöses) , den Kernraum durch- 
setzendes Kerngerüst und eine oder mehrere meist stark farbbare, 
rundliche Gebilde, die Kernkörper 
oder Nucleolen, enthält (Fig. 11; 
Fig. 13 A, 1). Die nicht färbbare 
Substanz des Kerngerüstes wird von 
den Histologen gewöhnlich Linin 
oder Achromatin genannt, während 
die färbbare Substanz, welche den 
Lininfäden in Form kleiner Körn- 
chen ein- oder angelagert erscheint, 
die Bezeichnung Chromatin erhal- 
ten hat. 

Es kann keinem Zweifel unter- 
liegen, daß die im Präparat netz- _...„. ... 

ö r Unreifes Eierstocksei eines Echino- 

artig oder spongiös erscheinenden <jenns. Nach O. Hertwig. 

Kerngerüste mehr oder weniger Kunst- 
produkte sind, erzeugt durch die schrumpfende (plasmolytische) 
Wirkung der für die Abtötung und Konservierung der Gewebe ver- 
wandten Reagenzien (Sublimat- und Osmiumgemische usw.). Ebenso 
dürfte es sich dann, wenn im Präparate der Kernraum wolkenartige 
Ansammlungen von körnigen Massen enthält, um gerinnselartige Aus- 
fällungen der Kernsubstanzen handeln. Dem lebenden Zustand werden 
dagegen diejenigen Kernbilder am nächsten kommen, welche an Stelle 



Fig. 11. 




40 



Chemie des Kerns. 



eines grobmaschigen Kerngerüstes den Kernraum von einer schwach 
färbbaren, gleichmäßig alveolaren (feinwabigen) Substanz, dem Grund- 
plasma oder Karyoplasma, erfüllt zeigen, in welchem die stark 
färbbaren Kernsubstanzen, Chromatinkörnchen und Kernkörper als 
selbständige Gebilde eingelagert erscheinen (s. unten Fig. 13 B, l) 1 ). 

Dafür, daß diese Auffassung die zutreffende ist, spricht u. a. die 
Beobachtung, daß die sehr großen „ruhenden" Kerne der tripyleen 
Radiolarien, je nach der Beschaffenheit und Wirkung der Kon- 
servierungsmittel, die zwischen den Nucleolen (»Binnenkörpern") 
gelegene Grundsubstanz bald in Form eines spongiösen Flechtwerks 
(Fig. 12 C), bald als feinkörniges, wolkiges Gerinnsel (Fig. 12 B), bald 
als gleichmäßig -feinwabige Masse (Fig. 12 A) erkennen lassen. Nach 



Fig. 12. 




Karyoplasma der Radiolarien (Aulacanthiden) bei verschiedener Konservierung. 

dem, was uns sonst über die Beschaffenheit des Protoplasmas und 
insbesondere die Kerne der Protozoen bekannt ist (vgl. S. 20, Fig. 2), 
dürfte es nicht zweifelhaft sein, daß wenigstens in diesem Falle das 
letztgenannte Bild den lebenden Zustand am besten wiedergibt. 

Bezüglich der chemischen Beschaffenheit der einzelnen Kern- 
anteile besitzen wir nur sehr wenig befriedigende Kenntnisse. Es 
läßt sich nur soviel sagen, daß im Kern hauptsächlich zweierlei Sub- 
stanzen vorkommen, die sich chemisch und tinktionell (d. h. bezüglich 
ihrer Affinität zu den verschiedenen Kernfarbstoffen) voneinander 
scharf unterscheiden: die früher (S. 22) erwähnten Nucleoproteide und 
ein den Eiweißstoffen zugehöriger oder nahestehender Körper, das 
Plastin 2 ). Nach der ziemlich übereinstimmenden Ansicht der meisten 
Autoren bestehen die Chromatinkörnchen des „ruhenden" und des 

') Vgl. Haecker, S. 385 (1002). S.216 (1904), S. 24 (1907); GrSgoire et 
Wygaerts 1903; Tellyesnicky 1904; Mar£chal 1904 u. a. 
*) Vgl. Zacharias, S. 69. 74 (1909). 



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Kcrnkörper. 



41 



zur Teilung sich vorbereitenden Kernes aus Nuclein •), die bei der 
Teilung hervortretenden Chromosomen oder Chromatinschleifen da- 
gegen setzen sich aus Nuclein und Plastin zusammen a ). Ferner ist 
Nuclein zusammen mit Plastin am Aufbau der zusammengesetzten 
oder Chromatin-Nucleolen beteiligt, dagegen sollen die echten 
Nucleolen oder Plasmosomen ausschließlich aus Plastin bestehen. 

Es ist zurzeit kaum möglich, aus diesen Ergebnissen der Mikro- 
chemie bestimmtere Schlüsse bezüglich des gegenseitigen Verhältnisses 
der einzelnen Kernsubstanzen zu ziehen. In der Tat gehen die An- 
sichten über den Chemismus des Kernes sehr weit auseinander, und 
soweit bestimmtere Anschauungen über die Bedeutung der einzelnen 
Kernteile und ihre Beziehungen zueinander vorliegen, sind sie weniger 
auf Grund der mikrochemischen Untersuchungen, als mit Hilfe aus- 
gedehntester vergleichender Beobachtungen gewonnen worden. 

In einer Beziehung scheinen sich allerdings zurzeit die Ansichten 
mehr und mehr zusammenzuschließen, nämlich in der Frage nach 
der Bedeutung der echten Kernkörper oder Nucleolen 
(Plasmosomen). Diesen Körpern, vor allem den sogenannten Keim- 
flecken der Keimbläschen (d. h. der Kerne der unreifen Eier), wurde 
früher vielfach eine sehr wichtige Rolle, namentlich bei den Kern- 
teilungsprozessen, zugeschrieben, insbesondere sollte nach einer alten 
Annahme von Remak die Teilung von Kern und Zelle durch eine 
Teilung des Kernkörpers eingeleitet werden. Auch nach der Ansicht 
mancher neuerer Forscher würden die Nucleolen wichtige Nähr- oder 
Baustoffe darstellen, welche bei den Veränderungen der chromatischen 
und achromatischen Substanzen zur Verwendung kommen 8 ). Jedoch 
neigen sich zurzeit die Anschauungen eines großen Teiles der For- 
scher der sogenannten Kernsekrettheorie 4 ) zu, wonach die Kern- 

') Nach Heidenhain, S. 153. löJ (1907), würden die Chromatinköi nchen 
(Chromiolen) der ruhenden Kerne von zweierlei Art sein, insofern nebeneinander 
P- reiches, bei Säurefuchsin -Methylgrünbehandlung grün färbbares Basichromatin 
und P- armes, eine rote Tinktion annehmendes Oxychromatin auftreten. In den 
Anfangsstadien der Teilung verschwindet das Oxychromatin , vermutlich, indem es 
sich in Basichromatin verwandelt. 

*) Vgl. Zacharias, 1. c, S. 237. 

*) Über die verschiedenen Kernkörpertheorien vgl. Haecker, S. 114 (1890). 

4 ) Bezüglich der Begründung der Kernsekrettheorie vgl. Haecker, S. 246 (1895), 
S. 114 (1899). Eine ganze Reihe von erfahrenen Zellforschern hat sich neuerdings 
auf den Boden der Kernsekrettheoric gestellt, so Montgomery, Wilson. A. Fischer, 
Schneider, Vejdovski, Winiwarter, Heidenhain. Letzterer hat versucht, der 
Kernsekrettheorie eine chemische Begründung zu geben [S. 196 ff. (1907)]. 



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42 



körper Abspaltungsprodukte, Zwischenprodukte des Stoffwechsels dar- 
stellen. Wie bei allen Stoffwechselvorgängen, die sich in den 
Organismen abspielen, End- und Nebenprodukte des Stoffwechsels zur 
Abscheidung kommen, so würden nach der Kernsekrettheorie auch 
die Nucleolen während der vegetativen Tätigkeit von Zelle und Kern 
in Tröpfchenform abgespalten, um dann noch während der Kernruhe 
oder zu Beginn der Kernteilung als eine Art von Sekret in gelöster 
oder ungelöster Form aus dem Kernraume entfernt zu werden. 

Fig. 13. 

1 2-3 4 5 






12 3 4 

Indirekte Kernteilung, schematisiert. A nach der Chromatinerhaltungs- , B nach der 

Achromatinerhaltungshypothese. 

Weniger Einhelligkeit besteht bezüglich des gegenseitigen Ver- 
hältnisses von Chromatin und achromatischen Kernbestandteilen, sowie 
darüber, inwieweit diese Substanzen an dem Aufbau der beim ge- 
wöhnlichen Kernteilungsmodus hervortretenden Chromosomen oder 
Chromatinschleifen beteiligt sind. 

Nach der am meisten verbreiteten, im wesentlichen auf Fl e In- 
nung zurückzuführenden Ansicht spielt sich dieser Prozeß, die 
indirekte Kernteilung, Mitose oder Karyokinese, in fol- 
gender Weise ab. In den frühen Stadien der Teilung, den Prophasen, 
schließen sich die Chromatinkörnchen des ruhenden Kernes mit Linin- 
bestandteilen des Kerngerüstes zur Bildung der Stäbchen- oder schleifen- 



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Mitose. 43 

• 

förmigen Chromosomen zusammen, und zwar in der Weise, daß 
die Chromatinkörnchen ihre mehr gleichmäßige Verteilung im Kern- 
gerüst (Fig. 13 A, 1) aufgeben und sich, unter gleichzeitiger Ver- 
mehrung, längs bestimmter Fadenzüge des Gerüstwerks zusammen- 
ordnen, während die von ihnen freigegebenen Teile des Maschen- 
werks eine Auflösung erfahren (Fig. 13 A, 2). Es kann entweder 
zunächst ein zusammenhängender, knäuelig aufgewundener Faden 
(Knäuel, Spirem) zustande kommen, der sich erst nachträglich durch 
Querteilung (Segmentierung) in schleifenähnliche Abschnitte, 
die Chromosomen oder Chromatinschleifen, gliedert, oder es 
können letztere von vornherein als selbständige Gebilde auftreten. 
Die Chromosomen erfahren eine zunehmende 

r 1 f. 1 4. 

Verdichtung, und wenigstens in einigen Fällen 
erscheint ihre Chromatinsubstanz in Form von 
färbbaren Scheiben (Chromomeren) oder klei- 
nen Körnchen (Chromiolen), welche geldrollen- 
artig oder wie die Glieder in einer Perlschnur 
angeordnet und durch eine Lininunterlage zu- 
sammengehalten sind 1 ) (Fig. 14 a). 

Die Längsspaltung der Chromosomen (Fig. a 

13, 3) und ihre in den mittleren Stadien der *• Chromosom aus den 
., , . - . , . , , ,, Pollenmutterzellen von 

Teilung, den Metaphasen, sich vollziehende voll- Uljum cmdm mit 

ständige Durchteilung in zwei Tochterchromo- Chromomeren. Nach 
somen (Fig. 13, 4) soll dann in der Weise von- Allen, b. Quergekerb- 
statten gehen, daß sich jedes der vorhin genannten tesDo PP eIstÄb cßen eines 

' _ ~ Kopepoden. 

sichtbaren Teilchen (Chromomeren, Chromio- 
len) für sich spaltet und gleichzeitig eine Durchteilung der Linin- 
unterlage erfolgt. 

In den Anaphasen erfolgt die dizentrische Wanderung der Tochter- 
chromosomengruppen. 

Für die Endstadien der Teilung, die Telophasen (Fig. 13 A, 5), 
wird gewöhnlich angenommen, daß die an die gegenüberliegenden 
Pole der Teilungsfigur gelangten Tochterchromosomen nach Art der 
Amöben Fortsätze ausstrecken und auf diese Weise miteinander in 
Verbindung treten. So kommt wieder ein Kerngerüst zustande, über 
welches sich die Chromatinkörnchen in mehr gleichmäßiger Weise 
verteilen, und da nun auch Kernmembran und Kernkörper wieder er- 




') Vgl. auch Heidenhain, S. 165 (i907). 



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44 



Achromatinhypotbese. 



scheinen, so werden alle in den Prophasen sich abspielenden Prozesse 
gewissermaßen in umgekehrter Reihenfolge (auf dem Wege einer 
retrogressiven Metamorphose) wiederholt. 

In dieser Darstellung kommt die Anschauung zum Ausdruck, 
daß die Chromatinkörnchen des ruhenden Kernes stofflich 
identisch sind mit den die Färbbarkeit der Chromosomen 
bewirkenden Substanzen, speziell mit den Chromomeren und 
Chromiolen, und daß sie gleichzeitig die biologisch wichtigste 
Substanz bilden, während den chromatinfreien Linin- (Achromatin-) 
Teilen des Kerngerüstes, der Lininunterlage der Chromosomen, dem 
» Kernsaft " des ruhenden Kernes, sowie der anscheinend flüssigen Sub- 
stanz, in welcher die Chromosomen in den späteren Prophasen, in den 
Meta- und Anaphasen der Teilung eingebettet sind, nur eine sekun- 
däre Rolle zufällt. 

Im Gegensatz zu dieser älteren Auffassung (Chromatinerhal- 
tungshypothese) geht eine andere Annahme (Achromatin- 
erhaltungshypothese oder kurz Achromatinhypothese) 1 ) 
unter anderen von der Tatsache aus, daß in vielen ruhenden Kernen 
außer einem oder mehreren Nucleolen überhaupt keinerlei färbbare 
Substanz wahrzunehmen ist 8 ), und verlegt den Schwerpunkt von der 
färbungsanalytisch oder mikrochemisch nicht immer scharf faßbaren 
Chromatinsubstanz auf das alveolär strukturierte Grundplasma des 
Kernes (Fig. 13 B, 1), welches nach obigem im ganzen den Kernsaft und 
das Kerngerüst, also die Linin- oder Achromatinsubstanzen der früheren 
Autoren in sich begreift. Die Chromosomen entstehen danach nicht 
durch Vermehrung und Zusammenscharung der Chromatinkörnchen, 
sondern als lokale (zirkumskripte), stark färbbare (vorwiegend 
basophile) Verdichtungen des alveolären Karyoplasmas selber 
(Fig. 1 3 B, 2). Diese Differenzierungen treten zunächst entweder als 
längere, körnige Fäden oder als korkzieherartige Spiralen hervor, aus 
denen dann die definitiven schleifen- oder stäbchenförmigen Chromo- 
somen gewöhnlich auf Grund einer allmählichen Verkürzung und 
weiteren Kondensierung ihre Entstehung nehmen. Welchen Anteil 
die Chromatinkörnchen des ruhenden Kernes am Aufbau der Chromo- 
somen haben, ob sie als körnige Chromiolen oder in Form einer 
imbibierenden Flüssigkeit in die Grundstruktur der Chromosomen 

l ) Haecker 1904. 1907. 

*) So z. B. im „Keimbläschenstadium" mancher einheimischer Kopepoden mit 
langsam sich abspielender Eibildung. 



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Achromatinhypothese. 



45 



eingehen und deren starke Färbbarkeit bewirken '), oder ob sie, ähn- 
lich den Nucleolen, nur Stoffwechselprodukte sind, welche während 
der Chromosomenbildung besonders reichlich zur Entwickelung kom- 
men, oder ob sie gar nur künstliche Fällungen darstellen, läßt die 
Achromatinhypothese vorläufig unentschieden. Die Möglichkeit ist 
mindestens vorhanden, daß die starke Tingierbarkeit der fertigen 
Chromosomen überhaupt nicht mit dem Chromatin im Zusammenhang 
steht, sondern dem eigenen dicht-al veolären Gefüge zu ver- 
danken ist *). 

Die fertigen Chromosomen besitzen also nach der Achromatin- 
hypothese im ganzen eine gleichmäßige, sehr dicht-alveol i- 
sierte Struktur und lassen außer dem früher oder später hervor- 
tretenden Längsspalt in der Regel keine weitere Organisation erkennen. 
In gewissen Fällen kann sich allerdings schon in den Pro- und Meta- 
phasen eine gröbere Alveolisierung (Vakuolisierung) der Chromosomen, 
also eine Auflockerung ihres Gefüges bemerkbar machen, und es 
können dann Bilder zustande kommen, welche eine Gliederung in 
scheibenförmige Abschnitte vortäuschen (Fig. 14 a) 3 ). Seltener ist eine 
durch helle Querkerben hervorgerufene wirkliche Segmentierung 
wahrzunehmen, so z. B. bei den „bivalenten" Chromosomen der Kope- 
poden (Fig. 14b) und offenbar auch bei den auffallend langen „Sammel- 
chromosomen" von Ascaris. In solchen Fällen wird dann auch die 
Längsspaltung des Chromosoms auf einer Durchteilung sichtbarer 
Einzelabschnitte beruhen, während für gewöhnlich das Chromosom 
als Ganzes, vermutlich nach erfolgter Zweiteilung der kleinsten un- 
sichtbaren Plasmateilchen, der Länge nach gespalten wird. 

Die Rekonstitution der Tochterkerne findet nach der Achromatin- 
hypothese in der Weise statt, daß sich die Tochterchromosomen unter 
Alveolisierung und Aufquellung zu wurst- oder bläschenförmigen Teil- 
kernen, den Karyomeren Fols (Idiomeren nach meiner Termino- 
logie), umbilden, welche miteinander zum ruhenden Kern ver- 
schmelzen (Fig. 13 B, 5; Fig. 15). 

Bei der indirekten Kernteilung treten auch im Cytoplasma 
Umbildungen und Neubildungen hervor, die in ihrer Gesamtheit auch 

') Daß zwei nacheinander beobachtete Körper wegen ihres ähnlichen Aus- 
sehens, insbesondere wegen ihrer gleichen Färbbarkeit, in diesem Falle also Chro- 
matinkörnchen und Chromosomen, nicht notwendig in genetischer Verbindung stehen 
müssen, hat neuerdings wieder Zacharias, S. ^38 (1909), betont. 

*) Vgl. Gr£goire und Wygaerts 1003. 

») Vgl. Haecker. S. 35 (W). 



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46 



Achromatische Figur. 



als Teilungsapparat oder als achromatische Figur bezeichnet 
werden. In den als typisch betrachteten Fällen ist noch während der 
Prophasen in der Nachbarschaft des Kernes ein meist als selbständiges 
(„autonomes") Zell -Organeilum angesehener, rundlicher, tief tingier- 
barer Körper, das Centrosoma oder der Zentralkörper, wahr- 



Fig. 15. 




Karyomercnbildung bei der Furchnng des Sceigeleies. Nach Boveri. 



zunehmen, in welchem vielfach noch ein dunkel färbbares Zentralköra- 
chen, das Centriol, zu beobachten ist. Dieses Gebilde dokumentiert 
seine zunehmende Aktivität darin, daß das ihn zunächst umgebende 
Cytoplasma, offenbar unter dem Einfluß einer vom Centrosoma aus- 
gehenden chemischen oder dynamischen Wirkung, besondere Diffe- 
renzierungen zeigt, entweder in Form einer sonnenartigen, scheinbar 
aus strahlig angeordneten Protoplasmafäden oder -fibrillen zusammen- 
gesetzten Figur, der Polstrahlung (Fig. 16), oder mehr in Gestalt 



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Achromatische Figur. 



47 



einer rundlichen, dichteren Plasmaanhäufung, der Sphäre (Attrak- 
tionssphäre). Ebenfalls noch in den Prophasen findet eine Zwei- 
teilung des Centrosomas und der dasselbe umgebenden Plasmadiffe- 
renzierung statt (Fig. 17), bei 



manchen tierischen Eiern kann 
diese Verdoppelung sogar schon 
am Schluß der vorangehenden 
Teilung sichtbar sein (Fig. 15). 
Während dann die Tochtercen- 
trosomen, je von einer eigenen 
Polstrahlung oder Sphäre um- 
geben, weiter auseinanderrücken, 
ordnen sich die zwischen ihnen 
gelegenen Plasmapartien" zu einer 
spindelförmigen, längsgestreiften, 
die Centrosomen verbindenden 
und infolge ihres Auseinander- 
rückens sich verlängernden Figur, 
Fig. 17. 



Fig. 16. 





9 




Fig. 18. 




Entstehung der achromatischen Teilungsfigur in der unreifen Eizelle eines Plattwuims 

(Thysanozoon). Nach van der Stricht. 

der Zentralspindel, an (Fig. 17, 18). Nach der Auflösung der Kern- 
membran, also zu Beginn der Metaphasen, stellen sich dann die 
Centrosomen zu beiden Seiten des ursprünglichen Kernraumes auf 



48 



Achromatische Figur. Amitose. 



(Fig. 18), die Polstrahlungen bzw. Sphären haben sich bedeutend ver- 
größert, und ebenso hat sich die Zentralspindel, zum Teil wohl unter 
Verbrauch der nicht in die Bildung der Chromosomen eingegangenen 
achromatischen Kernsubstanzen, zu einer langen, bald breiteren, bald 
schmäleren, gegen das Cytoplasma meist ziemlich scharf abgegrenzten 
Spindelfigur ausgezogen. Innerhalb oder im Umkreis dieser Spindel, 
und zwar in einer die Mitte der Spindelachse senkrecht durchschnei- 
denden Ebene (Äquatorebene), ordnen sich dann die inzwischen längs- 
gespaltenen Chromosomen in Form einer stern- oder plattenförmigen 
Gruppe (Aster, Äquatorialplatte) an (Fig. 13, 3), worauf die 
endgültige Durchteilung der Chromosomen und, im sogenannten 
Dyasterstadium, das dizentrische Auseinanderrücken der Spalt- 
hälften oder Tochterchromosomen in der Richtung auf die beiden 
Centrosomen erfolgt. 

Nach einer älteren Annahme (Muskelfadentheorie) ') würden sowohl bei der Ein- 
ordnung der Chromosomen in den Äquator, als auch bei der dizentrischen Wanderung 
die n Polst rahlen" und „Spindel fasern * als kontraktile Zug fasern wirksam sein, 
indem sie sich an den Chromosomen anheften und diese in den Äquator und später 
gegen die Pole ziehen. Nach einer anderen Auffassung (dynamische Theorie)*) würden 
die Polstrahlen, Sphären und Spindelfascrn überhaupt nur den (durch die Konser- 
vierung verstärkten) Ausdruck der von den Zentralkörpern auf die beweglichen 
Plasmateilchen ausgeübten (orientierenden, zentrierenden) Wirkungen darstellen, also 
im wesentlichen den Charakter von »Kraftlinien" haben, während die Bewegungen 
der Chromosomen entweder als Reizbewegungen aufzufassen sind, oder mehr mecha- 
nisch durch die Plasmaströmungen und Substanzverlagerungcn bewirkt werden , die 
bei der Zellteilung, also bei der Umwandlung eines einpoligen in einen zweipoligen 
Gleichgewichtszustand, vor sich geben. 

In den Telophasen, nach erfolgter dizentrischer Wanderung, werden die Zentral- 
körper kleiner und im Zusammenhang mit ihrer verminderten Aktivität nehmen auch 
die Polstrahlungen, Sphären und Spindeifasein an Ausdehnung und Deutlichkeit ab, 
um schließlich gewöhnlich ganz zu verschwinden. 

Da, wie wir sehen werden, in einigen Vererbungstheorien die 
Chromosomen eine große Rolle spielen, so ist derjenige Kern- und 
Zellteilungsmodus, bei welchem es nicht zur Bildung von 
Chromosomen kommt, sondern eine einfache Durchschnürung 
oder Fragmentierung des Kernes erfolgt, die direkte Teilung oder 
Amitose, von besonderem Interesse. Bis zur Entdeckung der Karyo- 
kinese, also bis in die 70er Jahre des letzten Jahrhunderts, galt die 
nach dem Remak sehen Schema (successive Durchschnürung von 
Kernkörper, Kern und Zellleib, Fig. 19 A — C) verlaufende direkte Zell- 



') Vgl. besonders van Bcncden u. Neyt 1887 und Boveri 1888. 
*) Vgl. Hacckcr, S. 73 (i8<*>); Gurwitsch 1904. 



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Voikommen der Amitosen. 



49 



teilung als die am weitesten verbreitete Form der Zellvermehrung. 
Später brach dann die Auffassung durch, daß die direkte Teilung 
bei den Vielzelligen hauptsächlich nur in hochspezialisierten Zellen 
auftrete und dann einen Vorgang darstelle, der nicht mehr zur 
physiologischen Neulieferung und Vermehrung der Zellen führe, son- 
dern entweder eine Entartung oder Aberration anzeige, oder vielleicht 

Fig. 19. 






AB C 

Remaksches Schema der direkten Kernteilung. 

in manchen Fällen (Bildung mehrkerniger Zellen durch Fragmentie- 
rung) durch Vergrößerung der Kernoberfläche dem zellulären Stoff- 
wechsel zu diesen habe *). Auch aus dem Gebiete der Einzelligen, 
bei welchen man zunächst noch die direkte Kernteilung als den 
normalen Teilungsprozeß ansah, wurden immer mehr Fälle bekannt, 



Fig. 20. 



Fig. 21. 





Kernteilung bei Myxosphaera. Nach O. Schröder. 



Kernteilung bei Ceratium. 
Nach Borgert. 



in welchen es zur Bildung wirklicher Chromosomen kommt, die nach 
Entstehung, Aussehen und Schicksal durchaus mit den Chromosomen 
der Vielzelligen übereinstimmen. Besonders schöne Beispiele liefern 



') Diese neuere Auffassung ist hauptsächlich auf die Arbeiten von Flemming, 
H. E. Ziegler und vom Rath zurückzuführen. 

Ha eck er, Vererbungslehre. ^ 



50 



Amitosenähnliche Bilder. 



die tripyleen Radiolarien mit ihren 1200 bis 1600 fadenförmigen 
Chromosomen 1 ), die Myxosporidien (Fig. 20 a, b), Peridineen (Fig. 21) 
und Opalinen 2 ). 

Auch heute noch treten immer wieder von Zeit zu Zeit Beob- 
achter auf, welche sogar innerhalb des Entwickelungskreises der 
Geschlechtszellen das regelmäßige Vorkommen amitotischer Teilungen 
nachweisen zu können glauben 8 ). Es ist indessen gegenüber allen 
derartigen Angaben hervorzuheben, daß der Beweis für das Auf- 
treten wirklicher amitotischer Prozesse deshalb nur schwer und viel- 
leicht überhaupt nur mittels der Beobachtung am lebenden Objekt 
geliefert werden kann, weil vielfach auch mitotische Prozesse in den 
Telophasen mit amitosenähnlichen Bildern abschließen. Man kann 

daher den Telophasen sehr 



Fig. 22. 



1 "i 



1 



häufig nicht ansehen, ob sie 

COS® ZU emem m i touscöen °d er 

amitotischen Prozesse gehö- 
ren, ein Umstand, der auf- 
j fallend häufig von den Be- 

obachtern übersehen wird. 

So kann z. B. das Vor- 
kommen von zwei oder meh- 



B 




Gonomercnbildung bei den Kopepoden. reren getrennten Kernen in 

einer Zelle darin seine Ur- 
sache haben, daß in den Telophasen einer indirekten Teilung die 
Karyomeren, d. h. die alveolisierten Chromosomen, nicht zu einheit- 
lichen Tochterkernen verschmelzen (vgl. S. 45), sondern mehrere Teil- 
kerne bilden. Insbesondere kann der Fall eintreten , daß statt eines 
Ganzkernes zwei Halbkerne gebildet werden, von denen sich der eine 
aus den väterlichen, der andere aus den mütterlichen Karyomeren 
zusammensetzt (Gonomcrenty pus der .Doppelkernigkeit, 
Fig. 22 B, C). Indem es dann doch noch zu einer teil weisen Ver- 
schmelzung der Gonomeren kommen kann, entstehen zweilappige 
oder durch Ringfurchen eingeschnürte Kerne, also Formen, die viel- 
fach ohne weiteres als Stadien einer amitotischen Teilung betrachtet 
werden. 



') Vgl- Borgert 1900, 1909; Ilaecker, Tiefs. -Rad., Taf. 41. 
*) Vgl. Schröder 1907; Borgert 1910; Metealf 1908. 

a ) Vgl. Child 1907 und die Kritik seiner Angaben bei Boveri 1907; sowie 
E. Knoche. Zool. Anz., 35- Bd. (1910). 



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Amitosenfihnliche Bilder. 



51 



Fig- 23. 



Fig. 24. 



Zweikernige, also scheinbar amitotisch sich vermehrende Zellen 
können ferner dadurch zustande kommen, daß innerhalb einer Zelle 
eine mitotische Teilung des Kernes stattfindet, die Durchschnürung 
des Zellleibes dagegen ausbleibt, ein Verhalten, das für die Tapeten- 
zellen der Antheren, aber auch als eine mehr ausnahmsweise Er- 
scheinung für die männlichen und weiblichen Fortpflanzungszellen 
mancher Tiere angege- 
ben wird (Tapetenzel- 
lentypus der Doppel- 
kernigkeit, Fig. 23) 1 ). 

Das Auftreten von 
sanduhrlörmigen Kernen, 
welches ebenfalls als Be- 
weis für die Verbreitung 
amitotischer Prozesse an- 
gesehen zu werden pflegt, 
ist deshalb nicht ent- 
scheidend, weil es eine 
ganze Reihe mitotischer, 
d. h. unter Chromosomen- 
bildung verlaufender Pro- 
zesse gibt, die in ihren 
Telophasen sanduhrför- 
mige Bilder liefern und 
so amitotische Prozesse 
vortäuschen können. 
Hierher gehören die 
Kernteilungen der Infusorien (Fig. 24), die sich bei fort- 
bestehender Kernmembran abspielen, und bei welchen die aus- 
einanderrückenden Tochterkerne durch die schlauchförmig ausgezogene 
Kernmembran längere Zeit miteinander verbunden bleiben, sowie 
die „Pseudoamitosen", die man bei Einwirkung von Äther auf 
Kopepodeneier erhält, und bei welchen die auseinanderrückenden 
Tochterchromosomen noch während ihrer Umbildung zu Karyomeren 




Bildung doppelkerniger Zellen 

(junge Tapctenzellen eines 
Bastards von Mirahilis Jalapa 
tubitlora). Nach Tischler. 



Mitose bei Para- 
maecium. 
Nach Calkins und 
Cull. 



') Vgl. Tischler 1908, Jörgensen IQ08, Heidenhain, S. 273 (1907). Auch 
die zwei- und dreikernigen Zentralkapseln der tripyleen Radiolarien möchte ich auf 
Grund verschiedener Beobachtungen und Überlegungen als die Produkte von unvoll- 
ständigen mitotischen Prozessen und nicht, mit Borgert, als Endstadien von Ami- 
tosen betrachten. 

4* 



52 Karyoplasma und extranucleäres Plasma. 

miteinander durch Verbindungsstränge im Zusammenhang bleiben 
(Fig. 25). 

Es sind also so viele Möglichkeiten für das Zustandekommen von 
mehrkernigen Zellen und sanduhr- oder garbenförmigen Kernteilungs- 
figuren auf mitotischem Wege vorhanden, daß auch heute noch 
eine gewisse Reserve gegenüber den Angaben über das Auftreten 
von Amitosen, namentlich in generativen Zellen, geboten erscheint, 
besonders auch gegenüber allen denjenigen Mitteilungen, in welchen 
nicht ausdrücklich die anderen bestehenden Erklärungsmöglichkeiten 
ausgeschlossen sind. 

Speziell bei der indirekten Kern- und Zellteilung tritt 
scheinbar die Tendenz hervor, die Kernsubstanz möglichst gleich- 
mäßig auf die beiden Tochterzellen zu verteilen, man gewinnt 
Fig 25. wenigstens den Eindruck, als ob auf die genaue sym- 

metrische Verteilung des Karyoplasmas eine größere 
Sorgfalt verwendet werde, als auf diejenige des Cyto- 
plasmas. Dieses Verhältnis, auf welches erstmals 
Roux aufmerksam gemacht hat, führt unmittelbar 
vor die Frage, welche Bedeutung der so weit ver- 
breiteten Differenzierung der lebenden Sub- 
stanz in Karyoplasma und extranucleäres 
Plasma zuzusprechen ist. Die bei verschiedenen 
Pseudoamitose Objekten ermittelte Tatsache, daß der Kern innerhalb 

im ätherisierten d z n • {{ Vo rliebe die Stellen lebhaftesten Wachs- 
Cyclopsei. 

tu ms und intensivsten Stoffumsatzes einnimmt, und 
andererseits die mangelnde Regenerationsfähigkeit kernloser Protozoen- 
fragmente l ) weisen darauf hin, daß der Kern ganz allgemein bei der 
stoffbildenden und formgestaltenden (synthetischep, formativen) Tätig- 
keit der Zelle eine wichtige Rolle spiele, oder, wie man auch sagen 
kann, ein organisatorisches Zentrum für diese Lebensfunktionen, ein 
Mittel für die Formbildung*) darstelle. Damit läßt sich vielleicht 
auch die spezielle Hypothese einigermaßen in Einklang bringen, wo- 
nach der Kern als das wesentliche Oxydationsorgan der tierischen Ge- 
webe zu betrachten sei*). 




') Bezuglich der grundlegenden Untersuchungen einerseits von Habcrlandt 
und Korscheit, andererseits von Nußbaum, Gruber, Hofer und Verworn, sei 
auf die Lehrbücher (O. Hertwig, Wilson, Haeckcr) verwiesen. 

*) Vgl. Driesch, S. 104 (1906). 

8 J Vgl. Loeb, S.36 (1906). 



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Karyoplasma und extranucleäres Plasma. 



53 



Während nach der hier vorgetragenen Auffassung dem Kern 
wenigstens bezüglich bestimmter Lebensleistungen eine Art von 
Prinzipat zugeschrieben wird, wird von verschiedenen Seiten 1 ) 
mehr das Wechselverhältnis der beiden Plasmasorten in den 
Vordergrund gestellt. Es wird etwas stärker betont, daß Kern und 
extranucleäres Plasma zwei relativ selbständige (autonome) Kompo- 
nenten eines Systems bilden, zwischen denen ein stetiger Substanz- 
wechsel, eine fortdauernde gegenseitige Wechselwirkung be- 
steht, wie dies bei zellulär gebauten Organismen insbesondere auch 
aus den regelmäßigen Massenverhältnissen zwischen Karyo- und 
Cytoplasma, aus der Kernplasmarelation R. Hertwigs 8 ), her- 
vorgeht Von diesem Standpunkte aus, der natürlich in keinem 
prinzipiellen Gegensatz zu dem erstgenannten steht, wird dann wohl 
der letzte Grund für die Differenzierung von Kern und extranucleärem 
Plasma in der Möglichkeit einer räumlichen Trennung be- 
stimmter chemischer Prozesse, in den osmotischen Funktionen der 
Kernmein bran 8 ). also im ganzen in der bei höheren Organismen 
immer mehr zunehmenden Komplikation des Chemismus der 
lebenden Substanz zu suchen sein. Von großem Interesse ist in dieser 
Hinsicht, daß die Natur auf dem Wege der Plasmadifferenzierung in 
einem Falle noch einen weiteren Schritt zu tun versucht hat, indem 
sie bei den Radiolarien vom zweigliedrigen (zweischichtig-konzentri- 
schen) zum dreigliedrigen System (Kern, Zentralkapsel, extrakapsuläre 
Sarkode) übergegangen ist *). In einer Beziehung wird man dem 
Kern allerdings auch vom Standpunkte der Gegenseitigkeitslehre aus 
ein gewisses Privilegium zuerkennen müssen. Man wird nämlich 
sagen dürfen, daß durch die räumliche Trennung von Karyoplasma 
und Cytoplasma nicht bloß ein komplizierterer Stoffwechsel ermöglicht 
wird, sondern daß durch diese Differenzierung ein Teil der lebenden 
Substanz der direkten Wirkung der äußeren Einflüsse und „den täg- 
lichen und stündlichen Zustandsänderungen des Protoplasmas" ent- 



') Vgl. die Darstellungen bei Verworn u. Godlewski. Auch von O. Hert- 
wig wird, so sehr er auch die wichtige Rolle des Kernes bei formativen und nutri- 
tiven Prozessen hervorhebt, auf die Wechselwirkungen zwischen den Zelltcilen be- 
sonderer Nachdruck gelegt. 

*) Vgl. R. Hcitwig 1903, 190« und Boveri 1905. 

') Vgl. auch Loeb, S. 68 ff. (1906). 

«) Vgl. Tiefsee- Radiolarien. S. 689. „So stellen alle diese drei Zonen drei ge- 
sonderte Laboratorien dar, welche wohl ihre Produkte aneinander abgeben, in denen 
aber mit ganz verschiedenen chemischen Mitteln und Reaktionen gearbeitet wird." 



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54 



Zelluläre Organisation. 



zogen wird, also leichter imstande sein wird, seine spezifische mole- 
kulare Architektonik ') fortzuerhalten. Es wird auf dieses auch 
vererbungstheoretisch wichtige Moment später zurückzukommen sein. 

Während wir uns so einigermaßen eine Vorstellung machen 
können von der Bedeutung, welche der Sonderung von Kern und 
extranucleärem Plasma zukommt, ist die Frage nicht so leicht zu 
beantworten, weshalb sich die höheren Organismen nicht mit dieser 
Differenzierung begnügen, sondern fast durchweg zur zellulären 
Organisation übergegangen sind. Die weitgehende morphologische 
Gliederung der Schlauchalgen (S.33, Fig. 9) und ebenso die erstaun- 
liche Spezialisierung, welche die Skelette und manche andere Struk- 
turen bei einzelligen, also bei nicht zellulär gegliederten 
Organismen (tripyleen Radiolarien, Peridineen, hypotrichen und peri- 
trichen Infusorien) aufweisen, ferner die Unabhängigkeit mancher 
morphogene tischer Prozesse vom zellulären Aufbau und die weite 
Verbreitung syncytialer Gewebsformen bei höheren Tieren, alle diese 
bereits im letzten Kapitel besprochenen Erscheinungen zeigen, daß 
den Formgestal tungs Vorgängen auch bei nichtzellulärem Auf- 
bau ein sehr weiter Spielraum offen steht, und daß also wenigstens 
in dieser Hinsicht die zelluläre Organisation nur relative Vorteile 
bieten kann. Immerhin dürlte es zweifellos sein, daß nicht nur, wie 
wir sahen, bei der Differenzierung der lebenden Substanz in Karyo- 
plasma und extranucleäres Protoplasma, sondern auch bei der Ent- 
wickelung ihrer zellulären Gliederungen vor allem auch mor- 
phogenetische oder konstruktive Momente eine Rolle spielen. 
So wie in der Baukunst die Anwendung von kontinuierlichen Massen 
oder von isolierten Stücken (Lehm, Beton — Ziegel, Quader) sowohl 
von der physikalischen und chemischen Eigenschaft der Materialien 
als auch von den Zielen und Zwecken der Konstruktion abhängig 
ist, so muß auch in der organischen Welt beim Übergang vom 
plasmodialen zum zellulär-gegliederten und weiterhin zum syncytialen 
Aufbau Material und Konstruktionsziel von Bedeutung sein. 

Ein Beispiel dafür, daß auch im Organismus, je nach der Be- 
schaffenheit des Materials, kontinuierliche oder gegliederte 
Strukturen zur Verwendung kommen, scheinen mir die Glasschwämme 
(Hexaktinelliden) und einige hochorganisierte Radiolarien, besonders 
Cannosphaera, zu liefern (Fig. 26). In beiden Tiergruppen ist das 



') Vgl. Heidenhain, S. 61, 391 (1907). 



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Zelluläre Organisation. 



55 



Skelett aus Kieselsubstanz gebildet, und in beiden zeigt es fast die 
nämliche Fachwerkstruktur: äußere (äg) und innere Gurtung (ig), Fül- 
lungsglieder (/"), äußere (äd) und innere (id) Drucktänger 1 ). Während 
aber bei den Glasschwämmen (Fig. 26 B) isolierte Skelettstücke, also 
gegliederte Strukturen, vorliegen, stehen bei Cannosphaera (Fig. 26 A) 
die einzelnen Skelettstücke sämtlich untereinander in kontinuierlicher 

Fig. 26. 




Fachwerkartiges Skelett eines Radiolars, Cannosphaera (A), und eines Kiesel- 
schwamms, Hyalonema (B). Letzteres nach F. E. Schulze. 

Verbindung. Offenbar hängt dies damit zusammen, daß bei ersteren 
die zelligen und syncytialen Gewebsmassen eine genügend innere 
Konsistenz besitzen, so daß für den Zusammenhalt des Organismus 
ein kontinuierliches Skelett nicht nötig ist, während bei Cannosphaera 
die plasmatischen Teile des Organismus infolge ihrer eigenen Zart- 
heit und der Einlagerung dünnflüssiger Gallerte nur eine geringe 
innere Kohäsion besitzen und daher durch ein zusammenhängendes 
Skelett verbunden sein müssen. 



') Näheres in den „Tiefsee-Radiolarien", S. 488 ff. 



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56 



Zelluläre Organisation. 



In ähnlicher Weise, wie in diesem Beispiele die Gliederung bzw. 
die Kontinuität des Skelettes durch die Konsistenz der lebenden 
Substanz bedingt ist, so dürfte auch die Ausbildung des plasmodialen, 
zellulär -gegliederten oder syncytialen Gewebstypus in vielen Fällen 
von den gröberen physikalischen Eigenschaften des Protoplasmas und 
der Plasmaprodukte abhängig sein. 

Außer der Qualität des Materials wird aber auch das Kon- 
struktionsziel, d. h. die endgültige Form eines Organismus oder 
Einzelorgans, darüber zu bestimmen haben, ob im Entwickelungs- 
verlauf zelluläre oder nichtzelluläre Gewebsformen zur Verwendung 



verschiebbare Formelemente, die auf Grund ihrer Plastizität je nach 
ihrer Lage die Gestalt von Kugeln oder Ellipsen, von Prismen oder 
Keilen annehmen können, größere Vorteile gewähren, als kontinuier- 
liche plasmodiale oder syncytiale Gewebsmassen. 

Die zelluläre Gliederung kommt aber wahrscheinlich nicht bloß den 
Bedürfnissen der Formgestaltung, sondern auch den physiologisch- 
chemischen Prozessen entgegen. So wie innerhalb der einzelnen 
Zelle die Differenzierung in Karyo- und Cytoplasma die räumliche 
Trennung und damit den ungestörten Ablauf bestimmter chemischer 
Umsetzungen begünstigt, so wird durch die zelluläre Gliederung der 
Gewebe die Möglichkeit geschaffen, daß in demselben Organ oder 
Gewebe nebeneinander sehr verschiedenartige Prozesse selbständig 
verlaufen, oder aber, daß an den einzelnen Stellen des Gewebes der- 




Beginn der Gastrulation bei Cyclops. 



Ent 



Fig. 27. 



kommen. Wenn wir z.B. 
sehen, daß die Wandung 
einer typisch gebauten 
Blastula und die em- 
bryonalen Keimblätter 
(Fig. 27) einen ausge- 
sprochen zellulären Cha- 
rakter aufweisen , so 
dürfte dies darin seinen 
Zweck haben, daß die 
Keimblätter eine Reihe 
von Falten- und Ge- 
wölbebildungen auszu- 
führen haben, und daß 
dabei vielleicht iso- 
lierte , gegeneinander 



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Zellulärer Charakter der Fortpflanzungselemente. 



57 



selbe Prozeß sich in verschiedenen Phasen befindet. Für die Sinnes- 
epithelien mit ihrer meist sehr deutlich hervortretenden zellulären 
Gliederung dürfte wohl das erstere, für die Drüsenepithelien das letz- 
tere Moment in Betracht kommen. Ihren Höhepunkt erreicht diese 
Entwickelung in der Ausbildung frei beweglicher Elemente, der 
Wanderzellen. 

An Stelle des zellulären Aufbaues kann dann der ungegliedert- 
syncytiale treten, wenn die Funktion des Gewebes eine mehr einheit- 
liche ist und die Stoff- und Energieumsetzungen sich in allen Teilen 
des Gewebes im gleichen Rhythmus abspielen. So stellt der Herz- 
muskel des Menschen wahrscheinlich für die ganze Dauer des Lebens 
ein einziges Syncytium dar. 

Wieder eine andere Bedeutung besitzt der zelluläre Charakter 
für die Fortpflanzungselemente. Bei diesen scheint es in erster 
Linie darauf anzukommen, bei möglichst geringem Material- 
aufwand den einzelnen Keim mit beiden Plasmasorten auszustatten, 
und so fügen sich schon aus diesem Grunde die Fortpflanzungs- 
elemente der höheren Organismen dem Schema der einfachen Zelle 
ein. Wie wir jedoch sehen werden, kommt der zelluläre Charakter 
der generativen Elemente nicht in allen Phasen ihrer Entwickelung 
gleichmäßig zum Vorschein: am deutlichsten tritt er in den Anfangs- 
stadien der Entwickelung, bei den Urgeschiechtszellen hervor, 
wo es sich offenbar gleichzeitig darum handelt, das „Keimplasma" 
von den im Embryo sich abspielenden morpho- und histogenetischen 
Vorgängen zu separieren, und dann wieder in den Endstadien, bei 
den reifen Geschlechtszellen. In den mittleren Stadien der 
Entwickelung kommt es dagegen vielfach zur Entfaltung syncytialer 
Bildungen. 



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Schröder, O., Beiträge zur Entwickelungsgeschichte der Myxosporidien. Arch. Prot., 
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Vom Rath, O.. Über die Bedeutung der amitotischen Kernteilung im Hoden. Zool. 
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— , Psycho-physiologische Protistenstudien. Jena 1889. 
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Ziegler, H. E., Die biologische Bedeutung der amitotischen Kernteilung im Tier- 
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— und Vom Rath, O., Die amitotische Kernteilung bei den Arthropoden. Biol. 
Centralbl., 9. Bd., 1891. 



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Siebentes Kapitel. 
Geschichte der Portpflanzungszellen der Vielzelligen. 

In den vorstehenden Kapiteln ist gezeigt worden, daß auch die 
Zellenlehre als „Zellenstaattheorie" in Begriff ist, ihre ursprüngliche, 
mehr schematische Fassung aufzugeben und sich in freier Weise weiter 
zu entwickeln. Von dieser Umwandlung wird allerdings die morpho- . 
biologische Begründung der Vererbungslehre deshalb weniger berührt, 
weil gerade die generativen Elemente, die für die Erklärung der Ver- 
erbungserscheinungen in erster Linie in Betracht kommen, sowohl in 
den Anfangs- wie in den Endstadien ihrer Entwickelung einen aus- 
gesprochen zellulären Charakter haben 1 ), weil ferner der Befruchtungs- 
prozeß der Vielzelligen und die analogen Erscheinungen bei Ein- 
zelligen sich nahezu als reine Zellenprobleme darstellen und auch die 
ersten Entwickelungsvorgänge des tierischen Eies, welche ein wichtiges 
Angriffsobjekt der experimentellen Vererbungsforschung bilden, im 
wesentlichen den Charakter von Zellteilungsprozessen haben. 

Für die Vererbungstheorie stehen natürlich die reifen Fort- 
pflanzungselemente, speziell die Eier und Samenfäden der höheren 
Tiere, sowie das Produkt ihrer Vereinigung, das befruchtete Ei, im 
Vordergrund des Interesses. Doch sind gerade die von der Ver- 
erbungstheorie, hauptsächlich von den Schriften Weismanns aus- 
gegangenen Anregungen die Ursache gewesen, daß sich die Zellen- 
forschung seil über 30 Jahren mit der größten Energie auch auf die 
Geschichte der Fortpflanzungselemente, also auf die Aszendenz der 
Geschlechtszellen, geworfen hat, und daß zunächst die sogenannte 
Reifungsperiode und die der Reifung unmittelbar vorangehenden 



') Der Charakter der Samenfäden und Eier als hochspezialisierter Zellen ist 
zuerst von Kölliker (1841) und Lavalette St. George (1865—1866) erkannt 
worden. 



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Geschlechtszellendifferenzierung bei Ascaris. 



61 



Teilungen, dann aber auch die Zeit, in welcher die Vorfahrenzellen 
der Fortpflanzungsprodukte sich von den übrigen Embryonalzellen 
absondern und die erste Anlage der Geschlechtsdrüsen zustande 
kommt, an den verschiedensten Objekten und mit allen Mitteln einer 
vervollkommneten Technik in Angriff genommen wurden. 

Bei einer Reihe von vielzelligen Tieren läßt sich die Geschichte 
der Keimzellen oder Geschlechtszellen, wie man ganz all- 
gemein die generativen, im Dienste der Fortpflanzung stehenden 
Zellen und ihre Aszendenz im Gegensatz zu den somatischen, 
Sorna-, Körper- oder Gewebszellen zu nennen pflegt, von den 
Stadien der Embryonalentwickelung an verfolgen. Zuerst ist für 
einige Dipteren gezeigt worden, daß sich schon in den allerersten 
Stadien der Eientwickelung einige Zellen, die Polzellen, von dem 
übrigen Zellmaterial absondern, um später, wie gewöhnlich angenom- 
men wird, den generativen Elementen den Ursprung zu geben (Weis- 
mann, Metschnikoff u. a.) 1 ). Vollkommen sichere Beobachtungen 
liegen für den Pferdespulwurm und für die Kopepoden vor. Bei 
beiden läßt sich die ganze Zellenfolge, welche vom befruchteten 
Ei zu der ersten Anlage der Geschlechtsdrüsen oder Gonaden führt, 
also die Reihe der sogenannten Stammzellen oder die erste 
(differentielle, somato-germinative) Strecke der Keim bahn auf Grund 
bestimmter, bei den einzelnen Teilungsakten auftretender histologischer 
Eigentümlichkeiten Schritt für Schritt verfolgen. 

Beim Pferdespulwurm s ) treten bei der ersten Teilung des be- 
fruchteten Eies lange, schleifenlörmige Chromosomen mit 
keulenförmig angeschwollenen Enden auf. Dieser Chromo- 
somentypus bleibt beim Übergang vom Zwei- zum Vierzellenstadtum 
(Fig. 28 A) nur in der einen Schwesterzelle, der ersten Stamm- 
zelle 8 ) (in der Literatur durch Pj bezeichnet), erhalten, während in 
der anderen Zelle, der ersten Ursomazelle (S 1 -oder AB), welche 
einem Teil des Ektoderms den Ursprung gibt, eine sogenannte Di- 
minution eintritt Diese besteht darin, daß in der Äquatorebene 
der Teilungsfigur von jedem Chromosom die verdickten Enden ab- 

') Vgl. Korschclt u. Heider, Spez. Teil, S. 845 fr.; Allgem. Teil, S. 370. 
*) Vgl. Boveri 1887. 1892, 1899- 

s ) Die von Haeckel für das befruchtete Ei vorgeschlagene Bezeichnung „Stamm- 
zelle" hat Boveri in zweckmäßiger Weise auf diejenigen Embryonalzellen über- 
tragen, welche in der direkten Aszendenz der Geschlechtszellen liegen, aber außer 
den Geschlechtszellen selber auch noch somatische oder nichtgenerative Elemente 
aus sich hervorgehen lassen, also auf die Zellen der ersten Keimbahnstrecke. 



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62 



bei Ascaris. 



gestoßen werden, während der mittlere Fadenabschnitt sich in eine 
große Zahl sehr kleiner Chromatinkörner segmentiert (Fig. 28 A, S,; 
vgl. C, EMSt). Im weiteren Verlaufe der Teilung sind es allein die 



Fig. 28. 





kleinen Körnchen, welche gespal- 
ten werden und die dizentrische Wan- 
derung ausführen, während die großen 
Endabschnitte zunächst im Äquator 
rudimentäre Durchteilungsversuche 
machen und dann im Cytoplasma 
der Resorption anheimfallen (vgl. die 
Fig. 28 B, welche in den Zellen A 
und B an den Polen der Teilungsfigur 
die Körnchen und im Äquator die 
Schleifenenden zeigt). Die gleiche 
Differenzierung wiederholt sich beim 
nächsten Teilungsschnitt (Fig. 28 C): 
nur die eine Tochterzelle der ersten 
Stammzelle, die zweite Stamm- 
zelle (P a = P 8 -f-S B ), führt die langen 
Chromosomen, während ihre Schwester- 




B 

Differenzierung der Geschlechtszellen bei Ascaris (Diniinutionsprozeß). 

Nach Boveri. 

zelle, die zweite Ursomazelle, welche ento- und mesodermale 
Elemente, sowie die Anlage des Munddarms (Stomodäums) aus sich 
hervorgehen läßt (EMSt), die Diminution aufweist. Die gleichen 



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Geschlechtszellendifferenzierung bei Ascaris. 



63 



Unterschiede kehren noch einige Male wieder. Beim sechsten Teilungs- 
schritt 1 ) zeigt sich zum letzten Male das Bild eines ungleichen Ver- 
haltens von zwei Schwesterzellen : die eine, die Stammzelle fünfter 
Ordnung (P 6 ) oder Urgeschlechtsmutterzelle a ), liefert unter 
Bildung langer Chromosomen vom ursprünglichen Habitus die beiden 
Urgeschlechtszellen, während ihre Schwesterzelle, die fünfte 
Ursomazelle (S 6 ), dem Diminutionsprozeß unterliegt. Alle anderen 
Zellen, außer den P- und S-Zellen, bilden bei der Teilung von vorn- 
herein kleine, körnchenförmige Chromosomen. 

Die bei Ascaris ermittelten Tatsachen smd, wie wir sehen wer- 
den, nicht bloß deshalb von besonderem vererbungstheoretischen 
Interesse, weil sich hier auf Grund bestimmter kernteilungsgeschicht- 
licher Merkmale die ganze Reihe der Stammzellen vom befruchteten 
Ei an feststellen läßt, sondern auch deshalb, weil der in den Schwester- 
zellen der Stammzellen sich abspielende Diminutionsprozeß sich wohl 
nicht anders deuten läßt, als daß sich hier der Kern gewisser Be- 
standteile, welche in den Schwesterzellen mitgeführt werden, ent- 
ledigen will 3 ). 

Ein wesentlich einfacheres Bild zeigt die Differenzierung der 
Urgeschlechtszellen bei den Kopepoden aus den Gattungen Cyclops 
und Diaptomus 4 ). Hier sind die Stammzellen einschließlich des un- 
geteilten Eies dadurch gegenüber den anderen Embryonalzellen aus- 
gezeichnet, daß bei ihrer Teilung im Umkreis des einen Pols der 
Teilungsfigur färbbare Körnchen, die Außenkörnchen oder Ekto- 
somen, offenbar als Nebenprodukte des Stoffwechsels zur Abscheidung 
kommen (Fig. 29 A, B). Diese Gebilde gelangen bei der Teilung in 
diejenige Schwesterzelle, welche die Stammzelle der folgenden Zell- 



') In dieser Hinsicht weicht Boveri, dem wir die Entdeckung und die ein- 
gehendste Darstellung des Vorganges verdanken, von zur Strassen und Zoja ab, 
welche nicht sechs, sondern fünf Teilungsschritte angeben. 

*) Von Boveri wird diese Zelle in seinen ersten Schriften als Urgeschlechts- 
zelle bezeichnet (vgl. 1892, S. 116, sowie Waldeyer, S. 223). Später (1899) wendet 
Boveri diesen Namen nur auf ihre beiden Abkömmlinge an. Ich mochte es für 
zweckmäßig halten, schon die erste Embryonalzelle, in deren Deszendenz sich nur 
noch generative Elemente oder höchstens Hilfszellen der letzteren (z. B. Nährzellen) 
befinden , durch einen besonderen Namen von den vorangehenden Stammzellen zu 
unterscheiden, und möchte für sie die Bezeichnung Urgeschlechtsmutterzelle 
(primäre UrgeschlechtBzelle) , für ihre Töchter den Namen Urgeschlechtszellen 
(sekundäre Urgeschlechtszellen) in Vorschlag bringen. 

*) Vgl. Boveri, S. 422 (1899). 

4 ) Vgl. Haecker 1897. 1902. 



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6 4 



Geschlechtszellendifferenzierung bei den Kopepoden. 



generation darstellt 1 ), verschmelzen hier während des Ruhestadiums 
zu unförmigen Klumpen und werden resorbiert. Während sich die 
letzte Stammzelle, die Urgeschlechtsmutterzelle (primäre Urgeschlechts- 
zelle), teilt und so die beiden Urgeschlechtszellen bildet (Fig. 27), 
treten die Körnchen nicht mehr einseitig, sondern im ganzen Umkreise 
der Teilungsfigur auf. Die Körnchenzellen stellen also die direkten 
Etappen der Keimbahn dar. 

Die Differenzierungsvorgänge bei Ascaris und bei den Kopepoden lassen sich 
zurzeit nicht ohne weiteres miteinander in Verbindung bringen. Doch treten bei 
der Furchung von Cyclops abnormerweise Bilder auf, welche eine große Ähnlich- 
keit mit den Befunden von Ascaris zeigen: Abspaltung von Körnchen bereits im 
Knäuelstadium (Fig. 30 A), Ansammlung im Äquator (Fig. 30 B) und rudimen- 
täre Durchteilungsversuche in den Telophasen der Teilung (Fig. 30 C) *). Bemerkens- 
wert ist auch, daß sich die Körnchen an derjenigen Seite des .Kerngerüstes" bilden, 
welche normalerweise wahrscheinlich den Schleifenenden den Ursprung geben wurde. 

Fig. 29. 





Geschlechtszellendifferenzierung bei den Kopepoden. 

Noch für eine Reihe von anderen Tieren wurde eine frühzeitige 
Sonderung der Keimzellen beschrieben 8 ), insbesondere sprechen immer 

') Ich bin bei dem ersten Auffinden der Kömchen unsicher gewesen, ob bei 
den einzelnen Teilungsschritten die körnchenführende oder die körnchenfreie Schwester- 
zelle als Siammzelle anzusprechen ist. Inzwischen konnte K. Amma den bestimmten 
Nachweis führen, daß tatsächlich das erstere zutrifft. Der Nachweis gründet sich 
zum Teil auf die Beobachtung, daß z. B. bei Diaptomus castor (Fig. 29 B) die zu 
Klumpen verbackenen Körnchen der vorangegangenen Teilung (a) noch erhalten sind, 
während bereits in der gleichen Zelle die neue Körnchengeneration (») zur Ab- 
sebeidung kommt. Damit ist bewiesen, daß jeweils die körnchenfühl ende Tochierzelle 
zur Stammzelle wird. 

*) Meine ersten Beobachtungen (Aich. f. mikr. Anat., 43. Bd., 1894) sind inzwischen 
von II. Matscheck in der oben skizzierten Weise vervollständigt worden. Eine ge- 
nauere Veröffentlichung steht noch aus. 

*) Vgl. Korscheit und Heider, Allgem. Teil, S.368. u. Waldeyer. S. 400. 
Über Beobachtungen bei Sagitta vgl. W. Elpatiewski (Anat. Anz.. 35. Bd., 1909 u. 
Biol. Zeitschr.. 1. Bd., Moskau 1910) u. P. Buchner (Anat. Anz. 1909, u. Festschr. 
f. R. Heitwig, Jena 1910). 



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< ionadenbildung bei den Kopepoden. 



65 



mehr Beobachtungen dafür, daß auch bei den Wirbeltieren schon vor 
der Anlage der Geschlechtsdrüsen (vor Bildung der sogenannten 
Genitalleisten) bestimmte Zellen den Charakter von Fortpflanzungs- 
zellen haben 1 ). 

Nur in wenigen Fällen ist das unmittelbare Schicksal der Ur- 
geschlechtszellen und überhaupt der frühzeitig gesonderten Keim- 
zellen, sowie der Anteil, den diese Elemente in Verbindung mit 
anderen (mesodermalen und mesenehymatischen) Embryonalzeilen 
beim Aufbau der Geschlechtsdrüsen haben, vollkommen bekannt. 
Namentlich ist es infolge der soeben erwähnten neueren Beobachtungen 
zweifelhaft geworden, inwieweit die bisherigen Ansichten über die 
Gonadenbildung bei den 



naupliusstadiums im Ruhe- Diminutionsvorgang bei Cyclops (pathologisch), 
zustand liegen , zunächst 

isoliert zu beiden Seiten des Darmrohres, später vereinigt an seiner 
Dorsalseite»). Die Bildung der Gonaden erfolgt dann in der Weise, 
daß sich sowohl die- Urgeschlechtszellen als auch die mesenehy- 
matischen Belegzellen durch Teilung vermehren. Erstere liefern die 
Keimzellen der zunächst geschlechtlich indifferent erscheinenden Ge- 
schlechtsdrüse, also die Geschlechtszellen (Gonocyten) im 
engeren Sinne 4 ) oder die indifferenten Geschlechtszellen 



') Außer den von Korschelt-Heider u. Waldeyer erwähnten Beobachtungen 
von Nußbaum (bei Forelle und Frosch), Beard (bei Selachiern) , Wheeler (bei 
Petromyzon) u. Eigcnmann (bei einem Knochenfisch, Cymatogaster) liegen ähnliche 
Angaben vor von Allen für die Schildkröte Chrysemys und für Rana pipiens (Anat. 
Anz., 29. Bd., 1906 u. 31. Bd., 1907), von Jarvis für den Saurier Phrynosoma (Biol. 
Bull.. Vol. 15, 1908) und von Rubaschkin für Säuger (Anat. Hefte, 39- Bd., 1009). 

*) Vgl. Waldeyer und Felix. 

*) Bei Cetochilus erfolgt die erste Teilung schon vor der Vereinigung 
(Grobben). 

*) Nach der von Waldeyer vorgeschlagenen Terminologie. 
Ilaecker, Vererbuugslehre. e 



Wirbeltieren haltbar sind a ). 



Fig. 30. 



Verhältnismäßig ein- 
fach liegen die Dinge bei 
den Kopepoden. Nach ihrer 
Entstehung bleiben die bei- 
denUrgeschlechtszellen, von 
einigen glatten Mesenchym- 
zellen umhüllt, während des 
ganzen Nauplius- und Meta- 




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66 



Samenbildung und Eibildung. 



(Fig. 31» 9*), letztere die Hüllen der Gonaden (h) und später die An- 
fangsabschnitte der Ausführungswege (yw) l ). 

In einer bestimmten Entwickelungsphase , bei den Kopepoden 
ungefähr gleichzeitig mit der Ausbildung der sekundären Geschlechts- 
charaktere (Greifantenne, Greiffuß), läßt sich dann der Geschlechts- 
charakter der Gonaden und 



Fig. ZI. 




g w 



Indifferente Geschlechtsdrüse (Gonade) von 
Diaptomus. Nach O. Krimmel. 



der Geschlechtszellen deut- 
lich unterscheiden. 

Aus der indifferenten 
Gonade der Metazoen ent- 
wickelt sich dann entweder 
ein Hoden (Testis) oder 
ein Eierstock (Ovarium) 
und aus den Geschlechts- 



zellen entstehen die Ursamenzeilen oder Spermatogonien bzw. die 
Ureizellen oder Ovogonien 2 ). Damit beginnt die Samenbildung 




000 



Ovarium eines Kopepoden (Canthocamptus). Etwas schematisiert. 

(Spermatogenese) und Eibildung (Ovogenese), und zwar 
pflegt man zunächst in beiden Fällen eine Teilungs- oder Ver- 

') Meine früheren Beobachtungen sind neuerdings von Frl. O. Krimmel be- 
stätigt und ergänzt worden (Zool. Anz., 35. Bd., S. 778). 

«) Waldeyer (S. 168, 224, 1906) reserviert die Ausdrücke Ursamenzellen und 
Ureizellen für die erste in sichtbarer Weise geschlechtlich differenzierte Zellengenera- 
tion, während er für die folgenden die Bezeichnungen Primurdialeier oder Ovo- 
gonien bzw. Spermatogonien verwendet. 



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Wachstums- und Reifungsperiode. 



67 



mehrungsperiode zu unterscheiden, während welcher die Sper- 
matogonien und Ovogonien einer mehr oder weniger lebhaften Ver- 
mehrung unterliegen. In schlauchförmigen Geschlechtsdrüsen und bei 
einer mehr kontinuierlichen Geschlechtszellenbildung läßt sich dann 
eine bestimmte Zone, die Keimzone, unterscheiden, welche mit 
den aufeinanderfolgenden Generationen der Ursamen- oder Ureizellen 
angefüllt ist (Fig. 32, ka). Bemerkenswert ist der syncytiale Cha- 
rakter, welchen diese Keimzone in vielen Fällen aufweist. Nament- 
lich in den Anfangsteilen der Ovarien der Arthropoden (Fig. 32) 
pflegt die syncytiale Gewebsform sehr klar hervorzutreten 1 ), und das- 
selbe gilt wenigstens für die Hoden der Kopepoden und Myriapoden 2 ). 
Auch die Spermatogonien vieler Tiere, z. B. der Schmetterlinge 
(Seidenspinner) und Anneliden (Regenwurm), stehen durch eine zen- 
trale, bei ersteren kernhaltige, bei letzteren kernlose Plasmamasse 
(Versonsche Zelle bzw. Cytophor) gruppenweise miteinander in 
syncytialem Zusammenhang. 

In der nun folgenden Wachstumsperiode bzw. Wachstums- 
zone (Fig. 32, rechts von wz) tritt zunächst wieder ein Stillstand in 
der Vermehrungstätigkeit ein: namentlich im weiblichen Geschlecht 
erfahren die aus der letzten ovogonialen Teilung hervorgegangenen 
Eimutterzellen oder Ovocyten erster Ordnung (unreife Eier, 
Eierstockseier, Voreier, Fig. 32, 00c) entweder noch im Ovarium (Säuge- 
tiere) oder zum Teil erst in den Ovidukten (Kopepoden) eine be- 
trächtliche Größenzunahme, welche im wesentlichen durch die Ab- 
scheidung von Dottermaterial (Fig. 32 bei 00c) im Eiplasma bedingt 
ist, während im männlichen Geschlecht in den Samenmutterzellen 
oder Spermatocy ten erster Ordnung das Wachstum weniger stark 
hervortritt und nur in seltenen Fällen (z. B. bei Ascaris, Fig. 33 a) 
eine Dotterbildung zustande kommt. 

In der folgenden Periode der Samen- und Eibildung, in der 
Reifungsperiode bzw. in der Reifungszone, zeigen abermals 
die männlichen Elemente die einfacheren Verhältnisse. Auf Grund 
zweier successiver Teilungen, der Reifungsteilungen (Fig. 33b — d 

l ) Fast alle Abbildungen des iDsektcnovariums lassen den syncylialen Gewebs- 
charakter deutlich erkennen. Ebenso besitzen die Anfangsteile des Ovariums der 
Kopepoden (Haecker 1895) und Myriapoden (Tönniges) eine syncytiale Struktur. 
Vgl. auch Rhode, S. 41 (1908). Auch im Säugetier ovarium kann das Epithel der 
Ovocyten ein syncytiales Gefüge reigen. Vgl. Waldeyer, S. 324. Fig. 130. 

*) Vgl. die Abbildung des Heterocopehodens bei Korscheit und Hei der, 
Allgem. Teil, S.473, sowie Tönniges 1902. 

5* 



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68 



Wachstums- und Reifungsperiode. 








Sperraatidenbildung bei Ascaiis. 
Nach Brauer. 

a Spermatogonie. b Spermatozyte erster 
Ordnung, c— <i erste, e zweite Rciftings- 
teilang. 



unde), verwandeln sich die Samenmutter- 
zellen (Spermatocyten erster Ordnung» 
in zwei Samentochterzellen (Sper- 
matocyten zweiter Ordnung, Fig. 
33d) und vier Samenzellen (Sper- 
ma tiden, Fig. 33 e). Im weiblichen 
Geschlecht pflegt der Kern der Eimutter- 
zellen, das Keimbläschen, meist unter 
beträchtlicher Volumenverminderung (vgl. 
Fig. 34 A und 13) vom Eizentrum an die 
Peripherie zu wandern und gleichzeitig 
die späteren Prophasen und früheren 
Metaphasen der Teilung zu durchlaufen. 
Die erste Teilungsfigur (Fig. 34 B) bleibt 
in sehr vielen Fällen längere Zeit im 
Zustande der späteren Metaphase an der 
Peripherie liegen, eine Bereitschaftsstel- 
lung, während welcher gewöhnlich die 
Samenzelle in das Ei eintritt, also die 
Befruchtung eingeleitet wird und in vie- 
len Fällen, z. B. bei den Kopepoden, 
auch die Eiablage stattfindet. Es erfolgt 
eine asymmetrische Zellteilung (Fig. 34 C), 
welche zur Bildung einer großen Ei- 
tochterzelle (Ovocyte zweiter Ordnung, 
Fig. 34 C, 0) und einer kleinen rudimen- 
tären Zelle, des ersten Richtungs- 
körpers (rk r ) führt. Unmittelbar darauf 
wiederholt sich der gleiche Prozeß (Fig. 
34 D, E) und es kommt zur Bildung der 
reifen Eizelle und des zweiten 
Richtungskörpers (Fig. 34E, rk"). 

Zuweilen erfolgt gleichzeitig mit der 
zweiten Reifungsteilung eine mehr oder 
weniger regelmäßige Teilung des ersten 
Richtungskörpers, so daß im ganzen drei 
Richtungskörper gebildet werden. Im 
Falle der Parthenogenesis (Entwickelung 
ohne Befruchtung) werden entweder zwei 



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Metamorphose der Samenzellen. 



69 



(Honigbiene, Gallwespen, Amei- 
sen) oder nur ein einziger Rich- 
tungskörper (Cladoceren, Ostra- 
koden, Aphiden) gebildet. 

Es kann keinem Zweifel 
unterliegen, daß die Reifungs- 
teilungen bei der Samen- und 
Eibildung , stammesgeschichtlich 
und physiologisch betrachtet, ein- 
ander entsprechen, und daß also 
Ei und Richtungskörper einer- 
seits und die vier Samenzellen 
andererseits eine homologe Zell- b 
generation darstellen. 

An die Reifungsperiode 
schließt sich in der Samenbil- 
dung noch eine weitere Periode, 
die Umwandlungsperiode, 
an, während welcher die Meta- 

n 

morphose der Samenzellen in die 
befruchtungsfähigen, in der Regel 
durch starke Beweglichkeit aus- 
gezeichneten Samenfäden, 
Spermatozoen oder Sper- 
mien stattfindet. Charakteristi- 
sche Momente dieses Umwand- 
lungsprozesses sind bei den ^ 
typischen flagellatenähnlichen 
Spermatozoenformen : die Ver- 
doppelung des Centrosomas (Fig. 
35 A, s) und seine Verlagerung an 
den Zellenrand (B, c.a-\-c.p); 
Bildung des Mittelstückes oder E 
Spermienhalses unter Beteiligung 
des inneren oder vorderen Cen- 
trosomas (B, C, c.a); Auswachsen 
des Schwanzfadens vom äußeren 
oder hinteren Centrosoma aus 
(B, c . p); Streckung und Ver- 




Richtungskörperbildung bei Cyclops gia- 
cilis. Nach Matscheck. (E schematisiert 
nach Bildern bei Cyclops viridis.) 



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Metamorphose der Samenzellen. 




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Metamorphose der Samenzellen. 



71 



dichtung des Kernes (n) sowie Zurückbildung des größten Teiles des 
Cytoplasmas (cy) bis auf einen dünnen, den Kern umgebenden Belag (D); 
Ausbildung des Spitzenstückes (C— E, idz) unter Beteiligung eines 
Körpers, der wahrscheinlich einen Restteil des achromatischen Appa- 
rates (Sphäre = Centrosomahülle, A, s, oder Spindelrest, A, sp) dar- 
stellt und als Idiozom bezeichnet zu werden pflegt 1 ). 

Auch einige Eier durchlaufen teils vor, teils nach der Befruchtung 
eine Metamorphose. Letzteres gilt z. B. für das Vogelei, welches 
beim Eintritt in den Eileiter nur von der als Zellmembran zu 
deutenden Dotterhaut umgeben ist und innerhalb des drüsenreichen 
Eileiters mit sogenannten tertiären Hüllen (Eiweiß und Kalkschale) 
versehen wird 8 ). 

Zum Schluß sei noch bemerkt, daß speziell in der Vererbungs- 
lehre die befruchtungsreifen männlichen und weiblichen Fortpflanzungs- 
zellen mit einem aus der Botanik entnommenen Ausdruck als Ga- 
meten, das Produkt ihrer Vereinigung als Zygote bezeichnet wird. 



Literaturverzeichnis zu Kapitel 7. 

(Betreffs der Auswahl der hier angeführten Literatur vgl. das Vorwort.) 

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') Vgl. die Darstellung bei Meves und Otte. Im einzelnen gehen die Be- 
obachtungen noch sehr weit auseinander, wie die Arbeiten von Otte und Davies. 
welche beide heuschreckenartige Orthopteren zum Gegenstand haben, zeigen. 

•) Vgl. Korscheit und Heider, Allgem. Teil, S.281, 340. 



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72 



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l.Bd., l.Teil. Jena 1906. 



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I 



Achtes Kapitel. 

Reife Portpflanzungszellen und Befruchtung. 

Die reifen, d. h. befruchtungsfahigen Fortpflanzungszellen 1 ), werden 
bei den höheren Tieren im männlichen Geschlecht als Samenfäden, 
Spermatozoen, Spermien oder auch als Samenzellen bezeichnet. 
Sie werden entweder innerhalb einer eiweißhaltigen Flüssigkeit entleert 
(liquor seminis, z. B. „Milch" der Knochenfische) oder in Form von paket- 
artigen, von einer kapselartigen Hülle umgebenen Komplexen, den 
Samenpatronen oder Spermatophoren, vom männlichen Tier in die 
weiblichen Geschlechtsorgane übertragen oder dem Weibchen angeheftet. 
Derartige Samenpatronen finden sich bei Regenwürmern, Blutegeln, 
Krebsen (Kopepoden, Dekapoden u. a.), Spinnen, Insekten (Heuschrecken, 
Honigbiene), Schnecken, Tintenfischen und geschwänzten Amphibien. 
Die fertigen Spermatozoen weichen hinsichtlich ihrer Gestalt in der 
Regel von dem gewöhnlichen Schema einer Zelle bedeutend ab und 
zeigen eine Reihe von Differenzierungen, die mit der besonderen 
Funktion der männlichen Fortpflanzungszellen im Zusammenhang 
stehen. Außer der Bedeutung, welche die Samenzellen wie alle an- 
deren Formen von Fortpflanzungszellen für die Arterhaltung haben, 
kommt ihnen noch die spezielle Aufgabe zu, das Ei aufzusuchen, in 
sein Inneres einzudringen und den jungen Keim mit dem Teilungs- 
apparat auszustatten. Dementsprechend sind die Spermatozoen eines 
großen Teils der Metazoen mit einem Bohr- und lokomotorischen 
Apparat und wahrscheinlich alle mit einem Centrosoma versehen. 

Zu den am einfachsten gebauten Spermatozoen gehören die 
kugeligen oder amöbenähnlichen Samenzellen der Wasser- 
flöhe (Cladoceren). Bemerkenswert sind hier vor allem die spezi- 
fischen Verschiedenheiten in der äußeren Gestalt. So besitzt von den 
beiden bei uns vorkommenden Moinaarten M. paradoxa längliche, an 
beiden Ende zugespitzte, halbmondförmige Elemente (Fig. 36 A), 

') Vgl. Korscheit u. Heider, Allgem. Teil, S. 397. und Waldeyer, S. 99. 



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74 



Samenfäden. 



M. rectirostris dagegen heliozoenähnliche „ Strahlenzellen " , d. h. große 
kugelige Zellen mit sonnenartig ausstrahlenden, feinen, unbeweglichen 
Fäden (Fig. 36 B). In dieser verschiedenen Gestalt kommt offenbar 
die artliche Verschiedenheit des Protoplasmas zum Ausdruck (s. oben 



Einen sehr einfachen Bau besitzen auch die Spermatozoen der 
Nematoden. Speziell diejenigen des Pferdespulwurmes (Fig. 37) 
haben eine kegelförmige Gestalt und enthalten in ihrem breiteren, 
rundlichen, amöbenartig beweglichen Abschnitt den Kern (n), in 
ihrem schmäleren Teile ein kegelförmiges, stark lichtbrechendes 
Gebilde, den sogenannten Glanzkörper (g), der mit dem Kern ins 
Ei gelangt, aber hier der Resorption unterliegt. Dieser Körper ent- 
steht nach neueren Untersuchungen») durch Konzentration der während 



der Wachstumsperiode in den Spermatocyten erster Ordnung ab- 
geschiedenen (Fig. 33) und durch die Reifungsteilungen auf die ein- 
zelnen Samenzellen verteilten Dotterkugeln. 

Die am häufigsten vorkommende Form der reifen Samenzellen 
ist die des flagellatenähnlichen „Samenfadens". Im einfachsten 
Falle, z. B. bei den Medusen (Fig. 38), sind an dem Samenfaden 
zu unterscheiden: das Spitzenstück (sp), welches als Bohr- 
apparat dient, der Kopf (k) mit dem Kern, das Mittelstück (m) 
mit dem Centrosoma und der Schwanzfaden. Im wesent- 



') Auch die übrigen Cladoceren weisen zum Teil sehr verschieden gestaltete 
Spermatozoen auf. In ähnlicher Weise besitzen die Feuerkröte (Bombinator) und die 
Teichunke (Pelobates), trotzdem sie zur gleichen Familie (Pelobatidae) gehören, 
Spermien von sehr verschiedenem Habitus. Vgl. Waldcycr, S. 121. 

*) Vgl. Marcus 1906. Nach A. Mayer 1908 entsteht der Glanzkörper durch 
Verschmelzung der „ plasmatischen Granulationen". 



S. 23) »). 




n 



Spermien von Moina paradoxa (A) und 
rectirostris (B). Nach Weismann. 



Spermium von Ascaris megalo- 
cephala. Nach E. v. Beneden. 




Spermatozoen. 



75 



liehen den nämlichen Bau, aber eine etwas größere Komplikation 
zeigen die Spermatozoen der geschwänzten Amphibien, so 
diejenigen von Salamandra maculosa, Triton (Molge) und Ambly- 
stoma. Schon bei Anwendung schwächerer Vergrößerung lassen sich an 
dem (bei Amblystoma 360 bis 430/1 langen) Spermatozoon ein Spitzen - 
stück (perforatorium, Fig. 39, sp) mit Widerhaken (Hamulus), der 
sehr verlängerte, nach vorn stark verjüngte Kopf (k), Fig 38 
das Mittelstück (Halsstück wi), welches das vordere . 
und hintere Centrosoma enthält^) und der Schwanz- i S 

faden mit der undulierenden Membran (u.m) I k 

unterscheiden 3 ). Letztere stellt einen krausenartig W m 
gefalteten Saum dar, an dem im lebenden Zustande I 
eine lebhafte, fortschreitende Flimmerung wahrzu- / 
nehmen ist. „Indem jede der Krausen gewisser- / 
maßen als Ruderplättchen funktioniert, kommt eine \ 
sehr gleichmäßige, geradlinig fortschreitende Be- \ 
wegung zustande" s ). 1 

Komplikationen anderer Art finden sich bei den I 
Spermatozoen der Säuger. So zeigen z.B. bei Meer- / 
schweinchen (Fig.40) Spitzenstück (sp) und Kopf (k) \ 
zusammen die Gestalt einer abgeplatteten, regel- 
mäßig gekrümmten (im Längsschnitt, Fig. 40 B, \ 
S-förmigen) Schaufel. Über die Bedeutung dieser \ 
Struktur ist nichts bekannt 4 ). 1 

Die kompliziertesten Spermatozoenformen sind j 

wohl die mit Fortsätzen versehenen „Spermato- 1 

soraen* der dekapoden Krebse (Fig. 41)- Man Spermium einer Me- 
— — duse (Aurel ia aurita) . 

') Genau gesagt, das vordere Centrosoma und ein vorderes Nach Ballowitz. 
Teilstück des hinteren. Das hintere Teilstuck des hinteren gleitet 
während der Entwickelung am Achsen faden entlang abwärts und ist endgültig etwa 
am Anfang des letzten Schwanzdrittels gelagert (Meves). 

*) Bezüglich der feineren Struktur des Schwanzfadens vgl. Ballowitz, Meves, 
sowie Waldeyer, S. 184. Der Schwanzfaden wird nach Meves von dem rinnen- 
förmig ausgetieften Achsen faden (Haupt faden, Fig. 39. hf) gebildet, der an 
seiner konvexen Seite von einer plasmatischen Schicht, der „Hülle", bedeckt ist, 
während sich aus der Konkavität der Rinne die von dem Randfaden (rf) ein- 
gesäumte undulicrende Membran (u.m) erhebt. 

s ) Vgl. Kor sehe lt u. Heider, S. 425. Nach anderer Auffassung würde die 
Beweglichkeit der undulierenden Membran weniger in ihr selbst, als in dem den 
freien Rand des Saumes bildenden Randfaden (Fig. 39, rf) liegen. Vgl. Waldeyer, 
S. 151. 

4 ) Vgl. Meves 1899, sowie Waldeyer. S.441. 

/ 



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Spermatozoen. 




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Reifes Ei. 



77 



unterscheidet an diesen den ziemlich umfangreichen Kern (n) 1 ), den 
Hai steil (im), welcher auch hier das Centrosoma einschließt 2 ) und 
drei radiär angeordnete, nach vorn (kerawärts) gerichtete borstenartige 
Fortsätze (f) trägt 8 ), sowie die Chitinkapsel (ch), welche ein früher 
als Stachelapparat bezeichnetes, kompliziert gebautes „Röhrchen" 
einschließt. Das Spermatosom berührt die Eioberfläche mit dem von 
den Halsfortsätzen gebildeten federnden Dreifuß (Fig. 41 A). Das 
Eindringen von Wasser in die mit einem „Explosionsstoff" gefüllte 
Kapsel bewirkt sodann eine Quellung und Umstülpung der Kapsel (B). 
Dadurch erhält der Kopf einen Stoß nach vorn und dringt samt dem 
Halsstück in das Ei ein (B, C). 

Die Abweichungen, welche das reife Ei vom gewöhnlichen 
Zellentypus zeigt, beziehen sich einerseits auf die durch die An- 
sammlung von Nahrungsmaterial bedingte Größe*), andererseits auf 
den Besitz von Hüllen verschiedener Art, welche teils der Ernährung, 
teils dem Schutz des Embryos dienen. Es werden außer der vom 
Eiplasma selbst gebildeten primären Eihülle (Dotterhaut der 
Echinodermen und Mollusken, zona radiata der Wirbeltiere) sekun- 
däre und tertiäre Eihüllen unterschieden. Erstere werden von 
einem besonderen, das Ei umhüllenden Epithel, dem Follikelepithel, 
abgeschieden, und treten, z. B. bei den Insekten, in Form einer chitin- 
artigen Schale (Chorion) auf. Letztere bestehen aus Abscheidungen 
des Eileiters oder besonderer Drüsen. Beispiele sind die Eiweißhülle, 
Schalenhaut und Kalkschale des Vogeleies, die Gallerthüllen der Am- 
phibieneier, die hornigen, viereckigen Eikapseln vieler Haie und 
Kochen, die zitronenartigen Kokons der Regenwürmer usw. 

') Die Untersuchungen von Kol 1 20 ff haben endgültig gezeigt, daß der rund« 
liehe Körper tatsächlich den Kern enthält. 

*) Genauer gesagt, wie bei den Urodelen (S. 75. Anm. 1), das vordere Centrosoma 
und den vorderen Abschnitt des hinteren. Vgl. Koltzoff, S. 510. Der hintere Ab- 
schnitt des hinteren Centrosomas sitzt im Röhrchen. Vgl. 1. c, S. 388. 

") Diese Fortsätze wurden früher gewöhnlich als starr beschrieben. Abgesehen 
davon, daß z. 6. beim Hummer und bei Galathca pseudopodienartige Verkürzungen und 
Verlängerungen zu beobachten sind (Koltzoff, S. 480), muß aber den Fortsätzen 
eine elastische federnde Konsistenz zugeschrieben werden. 

*) Die eigentliche Eizelle, das „Gclbei" oder die Dotterkugel beispielsweise des 
amerikanischen Straußes (Rhca americana), ist nach Messungen an einem dem 
Hallenser zoologischen Garten entstammenden frischen Ei 9,2 cm lang und 6,7 cm 
breit. Sein Volumen beträgt also 2l6ccm. Nimmt man für den ausgestorbenen 
madagassischen Aepyornis dasselbe Verhältnis von Gesamtvolum zu Dottervolum an. 
wie bei Rhea, so ergibt sich für das Gelbei von Aepyornis ein Volumen von 2643 cem, 
also ein ungeheures Maß für eine einzelne Zelle! 



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78 



Begattung. 



Sowohl in den primären als in den sekundären Eihüllen können 
besondere Eingangspforten für die Spermatozoen, die Mikropylen, 
ausgebildet sein. So besitzt die Eihaut der Mollusken und Knochen- 
fische einen, das Chorion der Insekten einen oder mehrere Mikropylen- 
kanäle. 

Die Begegnung der reifen Geschlechtszellen kann bewirkt werden 
durch eine direkte innere Begattung, indem die Samenzellen 
mittels des männlichen Kopulationsorgans unmittelbar in die weiblichen 
Geschlechtswege übertragen werden. Beispiele hierfür finden sich sowohl 
bei Zwittern (Plattwürmer, Mollusken) als auch bei getrennt geschlecht- 
lichen Formen (Haie, Reptilien, Säuger). Bei der indirekten inneren 
Begattung wird das Sperma in Form von Samenpatronen entweder 
während der Kopulation dem Weibchen angeheftet, worauf die Samen- 
zellen nachträglich in die Samentasche (Receptaculum seminis) des 
letzteren gelangen (Kopepoden), oder es wird im Verlauf der Liebes- 
spiele die Samenpatrone vom Männchen abgelegt und dann vom 
Weibchen in die Geschlechtsöffnung aufgenommen (geschwänzte 
Amphibien). Bei der äußeren Begattung kommt die Vereinigung 
der Geschlechtszellen in der Weise zustande, daß während der Kopu- 
lation die Fortpflanzungselemente der beiden Geschlechter gleichzeitig 
ins Wasser austreten (Batrachier), während bei der freien Besamung 
die Abgabe und Vereinigung der Geschlechtszellen ohne Berührung 
der Elterntiere erfolgt (Medusen, Echinodermen, Fische). 

Die Begattung braucht nicht unmittelbar von der Befruchtung 
gefolgt zu sein. In den Fällen z. B., in welchen die Samenzellen vom 
Weibchen in einer Samen tasche aufbewahrt werden, kann die Be- 
fruchtung durch Monate (Feuersalamander) oder Jahre (Honigbiene) 
von der Begattung getrennt sein. Bei den Fledermäusen findet die 
Begattung im Herbst statt, während die Loslösung der Eier aus dem 
Eierstock und ihre Befruchtung durch die im Uterus aufbewahrten 
Samenzellen erst gegen das Frühjahr hin erfolgt. 

Unter Befruchtung versteht man ganz allgemein die Vereinigung 
zweier Geschlechtszellen oder Gameten und ihrer Kerne. 

Von einer Verschmelzung der Kerne im Sinne einer gegenseitigen Durch- 
dringung der Kernsubstanzen darf man offenbar mit Rücksicht auf die gonomer 
gebauten Kerne (siehe unten) nicht reden 1 ). 

Bei der Autogamie (siehe unten) findet vielfach (Entamoeba) nur eine Ver- 
einigung zweier Kerne statt. 



') Vgl. Haecker, S. 78, 1902. 



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Befruchtung. Polyspermie. 



79 



Bei den Metazoen nimmt der Befruchtungsprozeß seinen An- 
fang mit dem Eindringen einer oder mehrerer Samenzellen in das Ei 
und schließt ab mit der Kopulation von Spermakern und Eikern. 
Das Eindringen erfolgt vielfach während der Metaphasen der ersten 
Reifungsteilung („Bereitschaftsstellung" der ersten Richtungsspindel an 
der Eiperipherie), seltener, z. B. bei den Seeigeln, nach vollkommener 
Durchführung der beiden Reifungsteilungen. Bei den meisten Metazoen 
dringt normalerweise nur eine Samenzelle ein (Monospermie), und 
speziell bei dem klassischen Objekt der Befruchtungslehre, beim See- 
igel, schützt sich das Ei im Moment des Eindringens des Sperma- 
kopfes dadurch gegen Überbefruchtung, daß eine für weitere Sperma- 
tozoen undurchdringliche Dottermembran oder Eihaut gebildet wird. 
Diese hebt sich vom Eiplasma ab, indem sich der Plasmaleib ein 
wenig von der Grenzschicht zurückzieht und in den Zwischenraum 
eine aufquellende Substanz abscheidet 1 ). 

Im Gegensatz zur pathologisch verlaufenden Überbefruchtung steht 
die physiologische Polyspermie, bei welcher normalerweise mehrere 
Samenzellen in das Ei eindringen, aber allerdings nur ein Sperma- 
kern mit dem Eikern in Verbindung tritt. Eine derartige Mehr- 
befruchtung wird als regelmäßiges Vorkommnis bei Haien, Reptilien, 
Vögeln, als häufiges Vorkommnis (fakultative physiologische Poly- 
spermie) bei Amphibien, Insekten und Spinnen beobachtet. Es handelt 
sich im allgemeinen um große dotterreiche Eier, und man wird die 
Bedeutung des Vorganges darin zu suchen haben, daß durch eine 
Mehrheit der eindringenden Samenzellen die Aussicht des Eikerns, 
möglichst bald bzw. im richtigen Zustande mit einem Samenkern 
zusammenzutreffen, vergrößert wird. 

Sehr häufig, so z. B. beim Seeigel, dringt vom Spermatozoon 
nur der vordere Teil, einschließlich des Mittelstückes, in das Eiplasma 
ein, während der Schwanzfaden in der Eihülle (beim Seeigel in der 
Dotterhaut) stecken bleibt. In zahlreichen anderen Fällen, so bei 
Turbellarien (Thysanozoon, Fig. 18), Gastropoden (Physa, Fig. 42) und 
manchen Wirbeltieren, z. B. bei der Fledermaus (Vesperugo, Fig. 43), 
wird auch der Schwanzfaden in das Ei hereingezogen. Er ist dann 
als ein in Schlingen gelegter Faden noch während der Durchführung der 
ersten Richtungsteilung (Thysanozoon und Physa), zuweilen aber, so 
bei der Fledermaus (Vesperugo), noch während der Annäherung der 



l ) Zur Analyse des Vorganges vgl. Herbst 1904. 



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8o 



Befruchtung. 



beiden Geschlechtskerne wahrzunehmen. Früher oder später fällt aber 
der eingedrungene Schwanzfaden ebenso wie das Spitzenstück der 
Resorption anheini, während das Cytoplasma des Kopfes und Mittel- 
stückes so vollständig mit dem Eiplasma verschmelzen, daß sie nicht 



Fig. 42. Fig. 43. 




ei 



Befruchtung des Eies der Fledermaus Befruchtung des Eies von Physa. 

(Vesperugo). Nach van der Stricht. Nach Kostanecki und Wierzejski. 

mehr als selbständige Gebilde zu erkennen sind. In der Regel ist 
also von der eingedrungenen männlichen Fortpflanzungszelle nur noch 
der Spermakern (Fig. 44, k) und ferner das im Mittelstück mit- 




Eindringen des Spermiums im Seeigelei. Nach Wilson und Matthews. 



geführte Spermozentrum wahrzunehmen. Dieses besteht aus einem 
Centrosom (? dem vorderen der Spermatide) oder, wo dieses nicht 
erkennbar ist, aus einer körnigen, dotterfreien Masse, der Sphäre 
(Fig. 44 A, s). Später tritt die das Centrosoma oder die Sphäre um- 
gebende Spermastrahlung (Fig. 44B, ss), d. h. die radiäre An- 
ordnung der Plasmagranula und der Dotterkörnchen, hervor. 



UIQIIIZCQ Dy 



Befruchtung. 



8l 



Bald nach dem Eindringen des Spermakerns führt er in sehr vielen Fällen eine 
Drehung aus ') , derart , daß das an seinem hinteren Ende gelegene Spermozentrum 
gegen das Eiinncrc gerichtet wird (Fig. 44 A u. B). Die Eintrittsstelle bleibt beim 
Seeigel längere Zeit durch eine Plasmaerhebung, den Empfängnishügel (eh), 
markiert. 

Während sich dann der Spermakern dem Eikern nähert, verliert 
er allmählich seine längliche (kegel- oder stiftförmige) Gestalt, seine 

Fig. 46. 





Befruchtung des Secigeleics. Nach Wilson 
und Matthews. 

Fig. 47. 

Befruchtung des Ascaris-Eies. 
Nach Boveri. 

dichte Konsistenz und starke 
Färbbarkeit und nimmt mehr 
und mehr das Aussehen des 
Eikerns an. In der Regel 
zeigen die beiden Kerne zur 
Zeit der Kopulation annähernd 
gleiche Größe und Beschaffen- 
heit (Fig. 45, ei und sp, 47), 
seltener, z. B. beim Seeigel 
(Fig. 46), weist der Sperma- 
kern noch während und nach 
der Kopulation eine geringere 
Größe und dichtere Konsistenz 
als der Eikern auf, oder er 
überwiegt sogar an Größe, wie das zuweilen bei den Kopepoden 
der Fall ist. 




Befruchtung des Eies von Cyclops strenuus. 
Nach R Ackert. 



l ) Zuerst von Fick beim Axolotl , dann von Wilson und Matthews beim 
Seeigel beobachtet. In anderen Fällen, so bei der Fledermaus, scheint diese Drehung 
zu unterbleiben (van der Stricht). 

Ha eck er, Vererbungslehre 5 



82 



Befruchtung. 



In früheren oder späteren Stadien der gegenseitigen Annäherung 
der beiden Kerne teilt sich das Spermozentrum (Fig. 45, s,s) und 
damit auch die Spermastrahlung und, indem sich die beiden Kerne 
aneinanderlegen (kopulieren), kommt ein viergliedriges System 
zustande, das aus den beiden weiter auseinander gerückten Spermo- 
zentren und den zwischen ihnen gelegenen Geschlechtskernen besteht 
(Fig. 46, 47). 

Die Vorbereitung der Kernsubstanz zur ersten Teilung des nun- 
mehr doppelkernigen Keimes (der „ersten Furchungsteilung") macht 
sich schon während (Ascaris, Fig. 45) oder erst nach erfolgter Kopu- 
lation bemerkbar. Speziell bei Ascaris zeigen die Chromosomen der 
beiden Geschlechtskerne schon vor der Kopulation eine sehr weitgehende 
Ausbildung, und bei diesem Objekte konnte Eduard van Beneden 
(1883) die fundamentale Tatsache feststellen, daß die Chromosomen 
von Ei- und Spermakern bei der Kopulation die gleiche Zahl und 
das gleiche Aussehen zeigen *). 

Ebenso wie im Falle von Ascaris in besonders deutlicher Weise 
die selbständige und gleichmäßige Vorbereitung zur ersten Teilung 
hervortritt, so läßt sich bei einer Reihe von Formen, insbesondere 
bei den Kopepoden und bei einer Schnecke (Crepidula) zeigen, daß 
die erste Teilung von beiden Kernsubstanzen auch selbständig 
durchgeführt wird, so daß nicht nur im Äquatorialplatten- und Dyaster- 
stadium deutlich zwei Gruppen von Chromosomen, eine väterliche 
und eine mütterliche, zu unterscheiden sind (S. 50, Fig. 22 A), sondern 
auch bei der Rekonstitulion der Tochterkerne keine einheitlichen 
Kerne, sondern Doppelkerne entstehen (Fig. 22 C), die aus den beiden 
elterlichen Halbkernen oder Gonomeren zusammengesetzt sind. 
Auch späterhin läßt sich die gleiche Erscheinung beobachten, so daß 
speziell in den frühen Embryonal zellen und in den Urgeschlechts- 
zellen mit großer Regelmäßigkeit der Doppelbau der Kerne oder der 
gonomere Kemzustand hervortritt. Bei Cyclops kommt in den 
späteren Stadien und sogar noch in den Ovogonien und Spermato- 
gonien der Doppelbau der Kerne darin zum Ausdruck, daß in den 
jungen Tochterkernen in jeder der beiden Kernhälften die Nucleolen- 
substanz selbständig zur Abscheidung kommt und erstere also einen 
symmetrischen binucleolären Bau zeigen (Fig. 48). In älteren 



') Bei Ascaris megalocephala bivalcns (Kig. 45) kommen im Ei- und Samen- 
kern je zwei Chromosomen, bei univalens je eines zur Entwickelang. 



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Befruchtung. 



83 



Kernen findet eine Verschmelzung der beiden Nucleolen statt l ). Die 
Selbständigkeit oder Autonomie der väterlichen und mütterlichen 
Kernsubstanz läßt sich also vom befruchteten Ei bis zum Beginn der 
Wachstumsphase der Keimzellen verfolgen a ). 

Namentlich in den letzten Jahren haben sich die Beobachtungen 
ähnlicher Art immer mehr gehäuft und insbesondere sind auch, wie 
gleich hier angeführt werden soll, für verschiedene niedere Organismen 
Fälle von einer verspäteten Verschmelzung bzw. einer dauernden Auto- 
nomie der Sexualkerne bekannt geworden. Dies gilt für Ascomyceten, 



Basidiomyceten (Uredineen), Konjugaten, für Amoeba diploidea und 
vermutlich auch für Myxosporidien 3 ). 

Angesichts aller dieser Befunde wird man also die Befruchtung 
nicht, wie dies früher üblich war, als einen Verschmelzungsprozeß 

') Sehr schön und regelmäßig tritt ein binucleolärer Bau, speziell der Spermato- 
gonien. in den jugendlichen, in lebhafter Zellvermehrung begriffenen Hoden 
z. B. von Kopepoden (Heterocope) hervor. 

*) Es ist u. a. von O. Hertwig bezweifelt worden, ob die binucleoläre Be- 
schaffenheit junger Tochterkerne als Kriterium für ihren gonomeren Aufbau an- 
gesehen werden darf. Die Befunde, speziell bei Cyclops, zeigen aber, daß in den 
aufeinanderfolgenden Zellgenerationen l. Doppelkerne mit je einem Nucleolus 
in jedem Gonomer, 2. zweilappige Kerne mit je einem Nucleolus in jedem Kernlobus 
und 3. runde Kerne mit zwei symmetrisch gelegenen Nucleolen ganz allmählich 
ineinander übergehen, und daß also ein kontinuierlicher Zusammenhang be- 
steht zwischen dem letztgenannten, von O. Hertwig beanstandeten Kerntypus und 
der von Rücke rt und mir in den ersten Stadien der Furchung beobachteten 
doppelten Teilungsfigur (Fig. 22 A). Es ist also doch offenbar logisch durchaus 
gerechtfertigt, wenn man das Auftreten symmetrischer Nucleolen in den jungen 
Tochterkernen der späteren Zcllgenerationen auf dieselbe Ursache zurückführt, 
wie die in den ersten Doppelkemen. nämlich auf das Fortbestehen zweier selb- 
ständiger, genetisch verschiedener Kernbezirke. 

*) Vgl. für Ascomyceten Black man und Fräser (Ann. Botany 1906) und 
Christ man (Trans. Wiscons. Ac. IQ07) ; für Basidiomyceten Claussen (Ber. bot. 
Ges. 1007); für Konjugalen Klebahn (Ber. bot. Ges. 1888); für Amoeba Hart- 
mann und Nägler (Sitzungsber. Ges. Naturf. Freunde, Berlin 1908); für Myxo- 
sporidien Schröder (Arch. Prot. 1907). 



Fig. 48. 




Blastoracrenkerne im Ei von Cyclops viridis. 




84 



Befruchtung der Pbanerogamen. 



Fig. 49- 



bezeichnen dürfen, vielmehr handelt es sich offenbar um die Schaffung 
eines zweikernigen Zustandes, um die Paarung zweier Kerne meist 
verschiedener Abkunft in einer einzigen Zelle. 

Bei einer Reihe von Metazoen (Rotatorien, Entomostraken, zahl- 
reichen Insekten) ist in bestimmten Generationen der Befruchtungsakt 
sekundär unterdrückt worden. Die Vermehrung durch unbefruchtete 

Eier wird in diesen Fällen alsPartheno- 
genesis (Jungfernzeugung) bezeichnet. 

Es wurde in diesem und dem vor- 
hergehenden Kapitel in erster Linie die 
Entwickelung der Geschlechtszellen und 
der Befruchtungsprozeß der vielzelligen 
Tiere oder Metazoen dargestellt Mit 
wenigen Worten soll hier noch auf die 
homologen Erscheinungen bei den Meta- 
phyten und bei den Einzelligen einge- 
gangen werden. 

Speziell bei den angiospermen 
Phanerogamen nimmt der eigentliche 
Eibildungsprozeß vom Embryosack 
(Embryosackmutterzelle) seinen 
Ausgang. Der Kern dieser Zelle liefert 
auf Grund von drei aufeinanderfolgen- 
den Teilungsschritten acht Kerne, von 
welchen sich je drei an jedem Ende des 
Embryosackes zusammen mit kleinen 
Plasmaportionen vom übrigen Embryo- 
sackplasma abtrennen und die Eizelle, 
die beide Synergiden (Gehilfinnen) und 
die drei Antipodenzellen (Gegen- 
füßlerinnen) darstellen (Fig. 49 oo,sy,ä). Die beiden übrigen Kerne, der 
sogenannte obere und untere Polkern (ps,pi) legen sich in der Mitte 
des Embryosackes zum sekundären Embryosackkern zusammen. 

Im männlichen Geschlecht teilt sich die Pollenmutterzelle 
rasch hintereinander zweimal und liefert die vier Pollenkörner 
(Pollenzellen). Innerhalb jedes Pollenkorns findet noch innerhalb der 
Anthere eine abermalige Teilung statt, welche zur Bildung einer 
generativen und einer vegetativen Zelle führt. Nach erfolgter 
Bestäubung wächst das Pollenkorn zum Pollenschlauch aus, während 




Doppelte Befruchtung bei LUium. 

Nach Guignard. 

pich Polleoschlaach. oo Eizelle, 
«y Synergiden, ps und pi oberer und 
unterer I'oUcero. a Antipode a. p',p" die 

Kerne. 



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Befruchtung der Einzelligen. 



85 



auf Grund eines vierten Teilungsschrittes die generative Zelle zwei 
sich völlig gleichende generative Zellen liefert 

Auf die in stam raesgeschichtlicher Hinsicht sehr interessanten Ver- 
hältnisse bei den Gymnospermen, besonders bei Ginkgo biloba und Cycas, 
sowie bei den Gefäßkryptogamen kann hier nicht eingegangen werden. 
Es sei nur erwähnt, daß bei Ginkgo, Cycas und den Farnen die beweg- 
lichen männlichen Fortpflanzungszellen (Spermatozoide, Antherozoide) 
starke Anklänge an die Spermatozoen der vielzelligen Tiere zeigen. 

Der eigentliche Befruchtungsakt vollzieht sich speziell bei den 
Lilien, einem der klassischen Objekte der botanischen Zeugungslehre, 
in der Weise, daß der eine der generativen Kerne (Fig. 49, p') in die 
Eizelle eindringt und sich mit dem Eikern verbindet, während der 
andere {p") mit dem sekundären Embryosackkern die Kopulation aus- 
führt. Es findet also eine doppelte Kernkopulation statt. Die 
eine bildet den Ausgangspunkt für die Entstehung des eigentlichen 
Embryos, die zweite führt zur Bildung des Ernährungsapparates der 
Eizelle, des Albumens oder Endosperms. 

Dem Befruchtungsakt der höheren Tiere und Pflanzen entspricht 
bei den einzelligen Organismen in der Regel die Verbindung zweier 
Individuen. Die Verbindung kann zu einer dauernden und totalen 
Verschmelzung der beiden Paarlinge oder Gameten und ihrer 
Kerne führen. Man spricht dann von einer Karyoplasmogamie 
oder Kopulation und nennt das Verschmelzungsprodukt eine Zy- 
gote. Oder es kann die Verbindung eine vorübergehende sein und 
nur einen Austausch von Kernen im Gefolge haben, dann liegt eine 
reine Karyogamie oder Konjugation vor. Dieser Fall ist bei den 
Infusorien verwirklicht, bei welchen der Mikronucleus oder Geschlechts- 
kern jedes Paarlings nach zweimaliger vorbereitender Teilung l ) auf 
Grund eines dritten Teilungsvorganges zwei generative Kerne liefert, 
den stationärenKern und den Wanderkern. Der Wanderkern jedes 
Paarlings tritt in den anderen Paarling über und vereinigt sich mit 
dem stationären Kern des letzteren. Hierauf findet die Loslösung 
der beiden Gameten statt 2 ). 

*) Siehe folgendes Kapitel. Fig. 57- 

*) Manche Forscher, z. R A. Lang in seinem Lehrbuch, nehmen an. daß 
die Kopulation aus der Konjugation stam mesgeschicht lieh hervorgegangen sei. Da- 
gegen spricht aber u. a. die isolierte Stellung, welche den neueren Anschauungen 
zufolge die Infusorien gegenüher den übrigen Protozoen einnehmen. Man kann sich 
nicht gut vorstellen, daß die Befi uchtungsvorgänge gerade dieser hochspezialisierten 
Gruppe ein ursprüngliches Verhältnis darstellen. 



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86 



Befruchtung der Einzelligen. 



Die Befruchtungsvorgänge der Einzelligen zeigen noch in anderer 
Hinsicht mancherlei Verschiedenheiten. Insbesondere können die 
Gameten entweder gleich groß sein und werden dann Isogameten 
genannt, oder es treten nach Größe, Form und Beweglichkeit geringere 
oder stärkere Unterschiede hervor, in welchem Falle man die mehr 
eiähnlichen Makrogameten von den spermatozoenartigen Mikro- 
gameten unterscheidet. Der Befruchtungsprozeß wird in ersterem 
Falle als Isogamie (Homogamie), in letzterem als Anisogamie 
(Heterogamie) bezeichnet. 

In einigen Fällen (Actinosphaerium u. a.) sind die Gameten 
Schwesterzellen, in anderen (Entamoeba) besteht der Befruchtungsakt 
sogar nur in der Verbindung von zwei Kernen, die aus dem einzigen 
Kern einer Zelle durch Teilung entstanden sind und vor ihrer Ver- 
einigung noch vorbereitende Teilungen durchlaufen. Beide Be- 
fruchtungsmodi werden als Autogamie zusammengefaßt. 



Literaturverzeichnis zu Kapitel 8. 

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Neuntes Kapitel. 



Fig. 50. 



Die Reifungsteilungen und ihre stammesgeschichtliche 

Bedeutung. 

In den neueren Vererbungstheorien wird d«n Reifungsteilungen 
eine sehr wichtige Rolle bei der Verteilung der Anlagen der 

Eltern auf die Kinder zuge- 
schrieben. Bei diesen Gedanken- 
gängen wird vor allem auch auf 
die ungemein weite Verbrei- 
tung von vorbereitenden Tei- 
lungen ähnlicher Art in den 
meisten Gruppen des Tier- und 
Pflanzenreiches Bezug genommen. 

In der Tat wird zurzeit allge- 
mein anerkannt, daß die Teilungen, 
welche im Embryosack der angio- 
spermen Phanerogamen zur Bildung 
der Synergiden und Antipoden- 
Sporenbildung bei einem Lebermoose zellen führen, den Reifungsteil ungen 
(Aneura). Nach Farmer. def lierischen Fortpflanzungszellen 

zStb de^eJS^ojlägS Wien d drt! n in ^ homolog zu setzen sind »), und daß 

dasselbe für die zwei Teilungspro- 
zesse gilt, auf Grund deren die 
Pollenmutterzelle die Pollenkörner liefert. Vierteilungsprozesse ähn- 
licher Art treten aber auch bei der Sporenbildung der Gefaßkrypto- 
gamen (Pteridophyten, Equisetum) und Lebermoose auf, also an einer 
anscheinend ganz heterogenen Stelle im Lebenscyklus höherer Orga- 
nismen. Es sei insbesondere auf die Lebermoose hingewiesen, in 
deren vierlappigen Sporenmutterzellen vierpolige Teilungsfiguren 




der viert* ist durch 
angedeutet 



l ) Vgl. Strasburger 1884. 



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Homologie der Reifungsprozesse. 



89 



(Fig. 50) auftreten und wenigstens in einzelnen Fällen (Pallavicinia) 
eine gleichzeitige Teilung des Kernes in vier Enkelkerne 
erfolgt 1). 

Es erhebt sich also zunächst die Frage, ob alle diese Vorgänge 
wirklich einander entsprechen und ob ihre weite Verbreitung nicht, 
abgesehen von ihrer etwaigen Rolle bei der Vererbung, 
eine allgemeinere biologische Bedeutung hat. 

Daß die bisher genannten Vorgänge tatsächlich miteinander zu 
homologisieren sind, daß insbesondere jeweils die ersten Teilungen 
bei der Pollen- und Eibildung der Phanerogamen , bei der Sporen- 
bildung der Farne und bei der Samen- und Eireife der Metazoen 
einander entsprechen, geht aus der großen Ähnlichkeit hervor, welche 
die Kernteilungs Vorgänge 



im einzelnen zeigen»). So 
weisen die Chromatinelemente 
bei fast allen Objekten in den 
frühen Prophasen der ersten 
Teilung die bekannte, von 
Moore (1895) als Synapsis 
bezeichnete einseitige Zusam- 
menballung (Fig. 51) auf, einen 
Zustand, von welchem immer 
noch nicht feststeht, ob es 
sich bei diesen Bildern durch- 
aus um natürliche Verhältnisse 



Fig. 51. 




Synapsisstadiuni von Drosera (er"). 
Nach Berjghs. 



oder, was mir wahrscheinlicher erscheint, zum Teil um ein durch die 
Konservierungsmittel hervorgerufenes Artefakt handelt 8 ). Ebenso zeigt 
das folgende Stadium der Diakinese (s. unten) bei den verschiedensten 
Metazoen und Metaphyten eine weitgehende Übereinstimmung der 
Chromosomen, indem in den früheren Phasen (Fig. 52 A, B) lang- 
gestreckte, feinkörnige Doppelfäden, Überkreuzungsfiguren und lockere 
Ringe, in den späteren (Fig. 52 C, D) gedrungenere (kondensierte) Doppel- 
stäbchen, Ringe, Viererkugeln und Kreuze zur Ausbildung kommen. 
Auch auf die achromatischen Teile der Kernteilungsfigur kann sich 
die Ähnlichkeit erstrecken: so ist speziell die „erste Richtungs- 



') Vgl- J« B. Farmer, Ann. Botany 1804, 1895- 

*) Vgl. Haecker, Über weitere Übereinstimmungen usw., S. 691 ; D. Reifungs- 
erscheinungen, S. 911. 

') Vgl. die Chromosomen als Vererbungstr., S. 79- 



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90 



Homologie der Reifungsprozesse. 



spindel", d. h. die achromatische Figur der ersten Reifungsteilung des 
tierischen Eies, bei vielen Objekten, z. B. bei Ascaris und bei den 
Kopepoden, durch die nämliche bündel- oder garbenförmige Gestalt 
und denselben Mangel an ausgesprochenen Centrosomen ausgezeichnet, 
wie die multipolaren Teilungsfiguren, welche bei der Sporenbildung 
der Farne, Equisetaceen (Fig. 53) und bei der Pollenbildung der Lilia- 
ceen angetroffen werden 1 ). 

Für die Frage nach der Homologie der genannten Teilungspro- 
zesse ist vor allem noch von Bedeutung, daß nach einer schon von 



Fig. 52. 




A und B frühe Diakinese bei Pristiurus ($) nach Rückert und Lilium speciosum (cO 
nach Gregoire. C und D späte Diakinese bei Pteris (Sporenbildung) nach Calkins 

und Heterocope (9) nach Rückert. 

Hofmeister begründeten Anschauung 2 ) bei den Phanerogamen, 
Gefäßkryptogamen und Bryophyten die betreffenden Teilungsvorgänge 
die Bildung der rudimentären oder vollentwickelten Geschlechts- 
generation (des Gametophyten) einleiten, also die Entstehung des 
Embryosackes und Pollenschlauches, des Prothalliums und der Moos- 

') Über weitere Übereinstimmungen usw., S. 7^4- 

«) Vgl. Juel 1900; Strasburges Chamberlain, Lotsy 1905 u.a. 



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Befruchtung bei Thallophyten. 



91 



pflanze. Ob es angängig ist, die 
Metazoen zu übertragen, ob man 
zwei oder drei Richtungskörpern 
mit den Gametophyten der Pflanze 
homologisieren darf, mag dahinge- 
stellt sein 1 ); jedenfalls sind in den 
erstgenannten Fällen die Reifungs- 
teilungen durch die Geschlechts- 
generation von dem Befruchtungs- 
akt getrennt und haben also offen- 
bar direkt mit dem letzteren 
nichts zu tun. 

Unter den Thallophyten sind 
entsprechende Vorgänge namentlich 
von den Algenpilzen (Entomo- 
phthoraceen) 2 ) und Braunalgen 
(Fucaceen) bekannt. Bei einem der 
ersteren (Basidiobolus ranarum) ent- 
steht in zwei benachbarten Mycel- 
zellen, die als Gameten bezeichnet 
werden dürfen, in der Nähe der sie 
trennenden Scheidewand je eine 
schnabelförmige Ausstülpung , in 
welche die Kerne der beiden Zellen 
treten. Sie teilen sich hier unter 
Bildung breiter , garbenförmiger 
Spindelfiguren (Fig. 54), wie sie einer- 
seits bei der Richtungskörperbil- 
dung mancher tierischer Eier, an- 
dererseits bei den Teilungsvorgän- 
gen mancher Einzelligen auftreten: 
die beiden äußeren Tochterkerne 
werden durch Scheidewände von 
den Gameten abgetrennt und ge 
inneren Tochterkerne innerhalb des 



„Prothalliumlehre" auch auf die 
also speziell das Ei mit seinen 

Fig. 53- 




Garbenförmige erste TeUungsfigur bei 
Equisetum. Nach Osterhout. 

Fig. 54- 




Richtungskörperbildung bei Basidiobolus. 
Nach Fairchild. 

hen zugrunde, während die 
einen Gameten kopulieren. 



') Vgl. Chamberlain 1905. 

B ) Vgl. D. G. Fairchild, Jahrb. wiss. Bot., 30. Bd., 1897; W. Löwenthal, 
Arch. Prot., 2. Bd., 1903. 



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92 



Vorreife bei Protozoen. 



Bei den Fucaceen 1 ) liefert die ursprüngliche Ovogoniumzelle auf 
Grund von drei hintereinanderfolgenden Teilungsschritten acht Zellen, 
von denen sich nur eine bestimmte, je nach den Spezies verschiedene 
Anzahl zu befruchtungsfähigen Eiern entwickelt, während der Rest 
aus rudimentären, mit den Richtungskörpern vergleich- 
baren Zellen besteht. 

Auch die Protozoenforschung namentlich der letzten Jahre hat uns 
mit zahlreichen Vorkommnissen ähnlicher Art bekannt gemacht, und 
auf diesem Gebiete ist wohl auch in erster Linie der Schlüssel für 
die biologische Deutung der Reifungserscheinungen zu suchen 2 ). 

Man wird am besten eine Übersicht über alle diese Erscheinungen 
gewinnen, indem man verschiedene Gruppen von Beobachtungen 
Fig. 55. unterscheidet, je nachdem die Über- 

einstimmung der betreffenden Tei- 
lungsvorgänge mit den Reifungs- 
teilungen der höheren Organismen 
eine vollkommene und ohne weiteres 
in die Augen springende oder eine 
weniger naheliegende ist. 

Eine erste Gruppe bilden solche 
Formen, bei denen wirkliche Tei- 
lungsakte vorliegen, welche hinsicht- 
lich ihrer Zahl (1 — 2) und ihres Auf- 
tretens unmittelbar vor der Be- 
fruchtung, sowie nach dem Verhalten 
der färbbaren und achromatischen 
Kernsubstanzen eine unverkennbare Ähnlichkeit mit der typisch ver- 
laufenden Ei- und Samenreife der Metazoen aufweisen (typische Vor- 
reife mit Richtungskörperbildung). 




Richtungskörperbildung bei Actiuo- 
phrys. Nach Schaudinn. 



l ) Vgl. Oltmanns, Bibl. Bot. 1889; Strasburger, Jahrb. wiss. Hot. 18Q". 
S. 107; Farmer u. Williams. Phil. Trans. R. Soc. London 1898. 

*) Schon Blütschli (1885) hatte die Protozoen herangezogen, um seine Deutung 
der Kichtungskörper als abortiver Eier zu stützen (vgl. auch R. Hartwig, S. 89, 
1898). Als ich dann in den Jahren 1NQK und 1H99 den Versuch machte, die feineren 
kernteilungsgeschichtlichen Verhältnisse bei den Protozoen bei einer vergleichenden 
morpbobiologischen Betrachtung der Reifungsteilungen zu verwerten, lageu außer 
den bekannten Vorgängen bei den Infusorien nur Angaben über Hcliozoen (Schau- 
dinn, R. Hertwig), Sporozoen (Wolters, Siedlecki), Diatomeen (Klebahn. 
Karsten) und Desm idiacecn (Klebahn) vor. Inzwischen hat sich aber die Zahl 
der Beobachtungen ganz erheblich vergrößert, so daß der Versuch einer natürlichen 
Gruppierung der Tatsachen nicht mehr aussichtslos erscheint. 



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Vorreifc bei Protozoen. 



93 



mi 



Hierher gehört vor allem die „Richtungskörperbildung" bei den 
Heliozoen 1 ). Sowohl bei Actinophrys sol (Fig. 55) als bei Actino- 
sphaerium Eichhorni tritt in jedem der beiden Gameten, welche bei 
beiden Formen wahrscheinlich Geschwisterzellen sind (Autogamie), 
der Kern an die Peripherie und teilt sich hier zweimal unter Bildung 
je eines stark färbbaren „Reduktionskerns", wobei die Teilungsspindeln 
ebenfalls wieder, wie bei Basidiobolus , eine große Ähnlichkeit mit 
den breiten Richtungsspindeln mancher tierischer Eier aufweisen. 
Die inneren Teilkerne wandern dann ins Zentrum der Zellen zurück 
und verschmelzen miteinander nach Auflösung der Zellscheidewand. 

Während wir hier ein genaues Gegen- 
stück zur Richtungskörperbildung desMeta- 
zoeneies vor uns haben, sind bei einem im 
Darm eines Tausendfüßlers (Lithobius) vor- 
kommenden Coccidium (Adelea ovata) Vor- 
gänge zu beobachten, welche in mancher 
Hinsicht an die Samenreife der Metazoen 
erinnern 8 ). Hier erfolgt in der männlichen 
Keimmutterzelle (dem Mikrogametocyt, 
Fig. 56, rot), nachdem sie sich an die weib- 
liche Zelle (den Makrogametocyten, ma) an- 
gelegt hat, ein Vierteilungsprozeß des Ker- 
nes. Entsprechend den vier Kernen zer- 
fällt die männliche Keimmutterzelle in vier 
Mikrogameten, von welchen einer in den 
Makrogameten eindringt, während die drei 
anderen degenerieren. — Alles in allem 
zeigen die Heliozoen und Adelea eine weit- 
gehende Übereinstimmung mit der Ei- und Samenreife der Metazoen. In 
zeitlicher Hinsicht kommt dies auch darin zum Ausdruck, daß die 
Reifungsprozesse erst durchgeführt werden, nachdem sich die Gameten 
nebeneinandergelegt haben, in ähnlicher Weise, wie bei sehr vielen 
Metazoen die Abschnürung der Richtungskörper erst nach dem Ein- 
dringen des Spermatozoons in das Ei erfolgt 8 ). 




um 



Reifungsteilungen im Mikro- 
gametocyten (mi) bei Adelea. 
Nach Siedlecki. 



') Scbaudinn, Sitzungsber. Akad. Wiss. Berlin 18Q6, R. Hertwig 1898. 
Keysselitz, Arcb. Prot., 11. Bd., lqoH, Distaso, ebenda, 12. Bd.. 1008. Vgl. auch 
mein Referat: D. Reifungserschein., S. 863 (1899). 

■) Vgl. Siedlecki, Ann. Inst. Pasteur 189Q. 

a ) Vgl. oben S. 68. 79- 



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94 



Atypische Vor- und Nachreife. 



Fig. 57. 



Bei einer zweiten Gruppe von Formen werden ebenfalls abortive 
Teilungsprodukte gebildet, aber die Zahl der Teilungen und ihre 
zeitlichen Beziehungen zum Konjugationsprozeß stimmen nicht ganz 
mit den Verhältnissen bei den Metazoen überein (atypische Vor- 
und Nachreife mit Bildung von „Richtungs-" oder „Reduktions- 
kernen"). 

Hierher gehören, außer den Befunden bei Desmidiaceen , bei 
einigen Hämosporidien (Haemoproteus noctuae), bei Amoeba diploi- 
dea 1 ) und manchen anderen Vorkommnissen, vor allem die Beob- 
achtungen bei den Infusorien und Myxosporidien. 

Bei ersteren 2 ), speziell bei Paramaecium 
caudatum (Fig. 57), spielt sich bekanntlich 
der Reifungsprozeß in der Weise ab, daß 
sich der Mikronucleus jedes Paarlings zwei- 
mal unter Bildung lang ausgezogener, spin- 
delförmiger Figuren teilt. Drei der Ab- 
kömmlinge gehen als Richtungskörper zu- 
grunde, während der vierte sich abermals 
teilt und die beiden Geschlechtskerne, den 
stationären und den Wanderkern, liefert, 
welche mit dem Geschlechtskerne des an- 
deren Paarlings wechselseitig kopulieren. 

Aber nicht bloß vor, sondern auch 
nach der Konjugation werden bei 
manchen Infusorien rudimentär wer- 
dende Kerne gebildet. Nach erfolgter 
Trennung der beiden Paarlinge läßt bei Para- 
maecium caudatum der Kopulationskern auf Grund eines dreimaligen 
Teilungsprozesses acht Kerne entstehen, von denen vier in die vor- 
dere, vier in die hintere Hälfte des Exkonjuganten zu liegen kommen. 
Die vier vorderen wachsen zu Makronuclei aus, von den vier hinteren 
wird einer zum ständigen Mikronucleus, während die drei an- 
deren zugrunde gehen (Nachreife, Fig. 58A, B). Bei den beiden 




Vorbereitende Teilungen des 
Gcschlechtskerns in den Ga- 
meten von Paramaecium. Nach 
R. Hertwig und Maupas. 



') Vgl. Klebahn (Clostcrium und Cosmarium), Jahrb. wiss. Bot. 1890; Scbau- 
dinn (Haemoproteus [Trypanosoraa] noctuae). Arb. Kaiserl. Gesundheitsamt 1905; 
Prowazek (Trypanosoraa Lewisi u. Brucci), ebenda 1905; Hartmann u. Nägler 
(Amoeba diploidea), vgl. Literaturverzeichnis. 

*) Vgl. Maupas 1889; R. Hertwig 1889; Clara Hamburger. Arch. Prot. 
1904; Prandtl, Arch. Prot. 1906; Calkins u. Cull. Arch. Prot. 1907 u. a. 



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Nachreife der Infusorien. 



95 



folgenden Zellteilungsakten werden die Makronuclei auf die vier 
Enkelzellen verteilt, während der ständige Mikronucleus durch zwei- 
malige Teilung ihre Mikronuclei bildet (Fig. 58 C). 

Etwas andere Verhältnisse liegen bei den Myxosporidien vor 1 ). Speziell bei 
Myxobolus grenzen sich in dem während der Fortpflanzung weitervegetierenden 
und weiterwachsenden vielkernigen Plasmodium zweikernige Plasmaportionen (Pan- 
sporoblasten) ab, aus denen, ebenfalls wieder unter Bildung abortiver Kerne 
oder .Restkerne-, die eigentlichen Sporoblasten hervorgehen. Für eine im See- 
pferdeben vorkommende Form (Sphaeromyxa) konnte neuerdings wahrscheinlich ge- 
macht werden, daß die beiden Kerne jedes der zweikernigen Pansporoblasten aus 
verschiedenen Teilen des Plasmodiums stammen*), woraus sich deutliche Beziehungen 
zu den Verhältnissen bei den Metazoen ergeben würden. 



Fig. 58. 




Nachreife von Paramaecium. Nach Doflein. 
ma vegetative Kerne (Makronuclei). mi Geachlecbtokerne (Mikronuclei). r zugrunde gehende Kerne. 

In einer dritten Gruppe würden solche Fälle zu vereinigen sein, 
in welchen bei der asexuellen Vermehrung (auf dem Wege der homo- 
chronen Teilung vielkerniger Formen, Sporenbildung oder multiplen 
Knospenbildung) ein Teilungsschritt sich durch besondere Charaktere 
hervorhebt, ohne daß es allerdings zur Bildung von Richtungskernen 
kommt (accentuierte Teilungsschritte ohne Richtungskörperbildung). 

Hierher ist z. B. die letzte homochrone Teilung zu rechnen, 
welche die\ Sekundärkerne " eines monothalamen Wurzel füßers, Allo- 

') Thelohan, Bull. Scicntif. France et Belg. 1895 (vgl. auch Lang, S.239, 1901); 
Keysselitz, Arch. Prot., 11. Bd., l'K)8 u.a. 
*) O. Schröder. Arch. Prot. 1907. 



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96 



Accentuierte Teilungsschritte. 



gromia, vor dem Zerfall der Amöbe in die einkernigen Gameten aus- 
führen (Fig. 59), und die auch von dein ersten Beobachter mit einer 
„Reifungsteilung" verglichen worden ist »). Etwas andere Verhältnisse 
zeigen die Telosporidien unter den Sporozoen, z. B. die vorhin er- 
wähnte Adelea a ). Nachdem der Kopulationskern durch Teilung eine 
größere Anzahl von Kernen ausgebildet hat, grenzt sich um jeden 
derselben eine kugelige Partie von Protoplasma ab. In den so ent- 
standenen Sporocysten findet nun abermals eine Art von karyo- 
kinetischer Teilung statt (Fig.oO), und so entstehen schließlich 
die in jeder Sporocyste paarweise gelegenen Sporozoiten, welche 
durch Aufklappen der Sporocystenmembran frei werden 8 ). 



Fig. 59- Fig. 6o. 




Synchrone Teilung der 
Sekundärkerne von Spotozoitenbildung bei Adelea. 

Allogromia. Nach Prandtl. Nach Siedlecki. 



An solche Vorkommnisse schließen sich dann, durch Übergänge 
vermittelt, die Fälle der vierten Gruppe an, in welchen, sowohl 
bei der geschlechtlichen als bei der ungeschlechtlichen Fortpflanzung, 
eine Bildung sehr zahlreicher Sporen auf Grund von successiven, viel- 
fach synchronen Kernteilungsvorgängen erfolgt, ohne daß sich einer 
der Teilungsvorgänge besonders hervorhebt (sexuelle und asexuelle 
Sporenbildung, Sporogonie und Schizogonie). Hierher gehören 



') Prandtl, Arch. Prot. 1907. 

*) Siedlecki, Ann. Inst. Pasteur 1899. 

■) Auch bei der Sporenbildung von Radiolarien (Oroscena) scheinen sich nach 
den mir vorliegenden Bildern die späteren Teilungsprozesse dadurch gegenüber den 
früheren zu accentuieren, daß von einem gewissen Teilungsschritt an die Kerne 
in abgegliederten Plasmaportionen, den Sporennestern, miteinander vereinigt bleiben. 
Vgl. Tiefsee-Radiolarien, Literaturverzeichnis. 



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Rudimentäre Sporenbildung. 



97 



z. B. die Vermehrungsvorgänge von Trichosphacrium ») und diejenigen 
der Foraminiferen 2 ). 

Aus dieser Zusammenstellung läßt sich, wie ich glaube, ohne 
weiteres das Resultat entnehmen, daß auch diejenigen Reifungspro- 
zesse der Protozoen, welche in ausgesprochener Weise mit den Ei- 
und Samenreifungserscheinungen der Metazoen übereinstimmen (erste 
und zweite Gruppe), als rudimentäre Sporenbildungsprozesse 
zu betrachten sind, in ähnlicher Weise, wie die Ei- und Samenreife 
der Metazoen mit den Sporenbildungsprozessen der Farne und Leber- 
moose verglichen werden kann. 

Indem also die Reifungsteilungen der Protozoen und Metazoen 
in ihrer Gesamtheit als phylogenetische Reminiszenzen betrachtet 
werden dürfen 3 ), wird ihre nahezu universelle Verbreitung wenigstens 
zum Teil verständlich gemacht. Das zähe Festhalten an diesen Vor- 
gängen würde aber kaum erklärbar sein, wenn ihnen nicht auch 
heute noch eine wichtige biologische Bedeutung zukommen würde, 
und namentlich seit Weismann den von ihm postulierten Vorgang 
der Reduktion der Keimplasmaeinheiten in die Reifungsperiode ver- 
legt hat, ist immer wieder der eigentliche Grund für die allgemeine 
Verbreitung der Reifungsprozesse in einer fundamentalen vererbungs- 
geschichtlichen Funktion gesucht worden. In späteren Kapiteln (19, 
30. 31. 33) wird hierauf zurückzukommen sein. 



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*) Für eine Reihe von Protozoen werden andere Reduktionsmodi beschrieben, 
sei es ein Zerfall des nucleolusartigcn „Karyosoras", sei es ein Austritt von Chromatin- 
kürnchen aus dem Kern. Vgl. Schaudinn*(Coccidiura Schubergi), Zool. Jahrb. 190O; 
Derselbe (Malariaparasit der Vögel), Sitz.-Ber. Ges. Naturf. Fr. 1899; Siedlecki 
(Makrogamet von Adelea), 1. c, u. a. Diese Beobachtungen, die bei der minutiösen 
Beschaffenheit des Untersuchungsgegenstandes natürlich mit gewissen Unsicherheiten 
verknüpft sind, stehen mit der noch schwebenden Frage der Chromidien- und Mito- 
chondrienbildung im Zusammenhange. 

Haecker, Vererbungslehre. 7 



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— , Über periodische Reduktion der Chromosomenzahl im Entwickelungsgang der 

Organismen. Biol. Centralbl., 14. Bd., 1894; ebenso Ann. Bot., Vol. 8, 1894- 
— , Die stofflichen Grundlagen der Vererbung im organischen Reiche. Jena 1905. 



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Zehntes Kapitel. 



Fig. 61. 



Die Chromosomen in den generativen Zellen. Hetero- 
typische Teilung und Heterochromosomen. 

In den Kernteilungen, welche sich innerhalb des Zyklus der 
generativen Zellen abspielen, zeigen die Chromosomen vielfach ein 
anderes Aussehen und Verhalten als in den Mitosen somatischer 
Gewebe, z. JB. der Epidermis des Feuersalamanders. Es ist nun 
möglich, alle diese Varianten, 
von denen einige auch in der 
Vererbungstheorie eine Rolle 
spielen, unter einem einheit- 
lichen Gesichtspunkte zusam- 
menzufassen. 

Ebenso wie Flemming 
zum erstenmal (1879) den Ver- 
lauf einer typischen somati- 
schen Kernteilung in nahezu 
lückenloser Weise dargestellt 
hat, so rühren von ihm auch 
die ersten eingehenden Beob- 
achtungen über eine beson- 
dere, in generativen Zellen vorkommende Modifikation her (1887). 
Es handelt sich um die heterotypische Kernteilung im Sala- 
manderhoden, einen Modus, der von den Kernteilungen der Sala- 
manderepidermis durch eine ganze Reihe von Eigentümlichkeiten 
unterschieden ist. Hier sei nur erwähnt, daß in den Prophasen die 
Chromosomen nicht in der „normalen", für die somatischen Mitosen 
des Salamanders charakteristischen Zahl (24), sondern nur in der 
halben Zahl (12) zur Ausbildung gelangen, ferner, daß ihre Spalt- 
hälften an den Enden miteinander verklebt sind und auf diese Weise 

r 





A B 

Helerotypische Teilung im Salamanderhoden. 
Nach Flemming. 



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1 (X) 



Diakinese. 



Ringe bilden, und daß sie außerdem vielfache Verschlingungen, 
Überkreuzungen und sonstige Abweichungen vom Parallelismus 
zeigen (Fig. 6l A). Sehr charakteristisch ist sodann das Fehlen 
eines regelmäßigen Aster- oder Äquatorialplattenstadiums und die 
lange Dauer des „metakinetischen Tonnenstadiums", in welchem 
die Ringe an der Außenfläche der achromatischen Spindel parallel 

zu deren Längsachse gespannt und gestreckt 
erscheinen, so daß sie zusammen eine korb- 
oder tonnenförmige Figur bilden (Fig. 6l B). 
Endlich zeigen die Tochterchromosomen wäh- 
rend der dizentrischen Wanderung eine deut- 
liche sekundäre Längsspaltung. 

Noch ehe man sich über die Homologie 
der von Flemming im Salamanderhoden be- 
obachteten Teilungsvorgänge ') mit den bei- 
den Reifungsteilungen der tierischen 
Eier klar geworden war, wurden auch bei letz- 
teren sehr merkwürdige Chromosomenformen 
beobachtet, und zwar hauptsächlich in dem- 
jenigen gewöhnlich sehr lange dauernden pro- 
phasischen Stadium, welches durch die lose, 
vielfach wandständige Verteilung 
der bereits vollständig individualisierten Chro- 
mosomen innerhalb des Kernraumes ausge- 
zeichnet ist und jetzt allgemein die Bezeich- 
nung Diakinese 2 ) führt. So wurden für die 
Eireife verschiedener Arthropoden, Nematoden 
und Mollusken schon durch Carnoy und Bo- 
veri 8 ) sehr mannigfaltige Chromosomentypen 
festgestellt, und bald darauf wurden die quer- 
gekerbten Doppelstäbchen der Kopepoden 
(Fig. 14B, 52 A), die Vierergruppen (Viererkugeln) in den Sperma- 
tocyten der Maulwurfsgrille (Gryllotalpa) und in den Ovocy ten mancher 




Erste Reifungsteilung von 
Heterocope Weismanni. 
Nach Matscheck. 

Fig. 63. 



Kreuzfiguren in den Sper- 
ruatocyten von Syromastes. 
Nach Groß. 



') Der im Salamanderboden auf die helerotypische Teilung folgende, ebenfalls 
durch bestimmte Merkmale gekennzeichnete Teilungsschritt ist von Flemming als 
homöotypische Mitose beschrieben worden. 

*) «tut auseinander, x/V/ja»? Bewegung. 

•) Vgl. Carnoys Arbeiten in der Zeitschrift Cellule (1885— 1886) und Bovei is 
Zellenstudien III (1890). 



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Fig. 64. 



Verbreitung des heterotypischen VocluV- ] • : : > A*^' 

► 

Kopepoden (Fig. 62), die Überkreuzungsfiguren im Keimbläschen 
der Haie und die Kreuze in den Spermatocyten der Hemipteren 
(Fig. 63) entdeckt, lauter Chromosomen typen, welche in der späteren, 
ins Ungeheure anschwellenden Reifungsliteratur immer wieder be- 
schrieben worden sind. Bald konnte auch in überzeugender und end- 
gültiger Weise, speziell bei den Kopepoden, die Homologie der 
diakinetischen Überkreuzungfiguren, Doppelstäbchen, Viererkugeln 
und Ringe festgestellt werden»), nachdem sich schon vorher nahe 
Beziehungen zwischen den in der Ei- und Samenreife beobachteten 
Vierergruppen zu den prophasischen 
Chromosomen des Salamanderhodens 
ergeben hatten 2 ). 

Während so für das gesamte Tier- 
und Pflanzenreich die Homologie der 
Reifungsteilungen und der dabei auf- 
tretenden Chromosomentypen mit im- 
mer größerer Deutlichkeit hervortrat 
(vgl. auch Kap. 9, S. 89), mehrten sich 
gleichzeitig die Beobachtungen, wo- 
nach auch an anderen Stellen des 
generativen Zellenzyklus Mitosen 
mit heterotypischem Charakter auf- 
treten. Die ersten Befunde betrafen 
die Kernteilungen der Keimbahnzellen 

von Ascaris (Fig. 64, sowie S. 62, Heterotypische Teilung im 

Fig. 28), auf deren Übereinstimmung Nach E * van Bene£,en - 

mit der heterotypischen Teilung des Salamanderhodens schon E. van 
Beneden aufmerksam gemacht hatte, sowie die frühen Furchungs- 
teilungen und die Bildung der Urgeschlechtszellen bei Cyclops 
(Fig. 65) 8 j. Aber auch bei ganz anderen Teilungsvorgängen wurden 
Bilder gefunden, welche starke Anklänge an die hetero typische Tei- 
lung des Salamanderhodens und an die diakinetischen Phasen der 




1. 



') Rücken 1804. 

*) Haccker 1«9-; vgl. auch Kap. <). 

a ) In meiner ersten Mitteilung (189.') hatte ich noch die „halbe" Chromosomen- 
zahl als einen besonders wichtigen Charakter des heterotypischen Modus betrachtet, 
daneben aber auch die Beschaffenheit des längsgespaltenen Spireras, die Tendenz der 
Schwesterfäden, mit den Enden zu verkleben und gleichzeitig den Parallelismus auf- 
zugeben, sowie die Ring- und Tonnenfiguren als solche heterotypischc Charaktere be- 
zeichnet, die auch bei der Bildung der l'rgeschlechtszellen von Cyclops hervortreten. 



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1Ö2- . : \ ; ' ' ' V.ftrbreitung des heterotypischen Modus. 

4 

Ei- und Samenreife zeigen: so wurden bei verschiedenen Säugern in 
bösartigen Geschwülsten ringförmige Chromosomen und tonnen- 
förmige Kernteilungsbilder gefunden 1 ) (Fig. 66), und ebenso konnte 
gezeigt werden, daß bei künstlicher Reizung von embryonalen und 
fertigen Gewebszellen (z. B. durch Ätherisierung) 1 ) oder auch bei 
infektiöser Erkrankung der Gewebe die Chromosomen die Form von 



Fig. 65. Fig. 66. 




Vierergruppen im ätherisierten Epitheliom der Maus (B). 

Cyclopsei. Nach Schiller. Nach Farmer, Moore und Walker. 



typischen Vierergruppen annehmen (Fig. 67) 8 ). Endlich kommen auch 
bei den Teilungen der Radiolarien (Fig. 68) ausgesprochene Über- 
kreuzungsfiguren, Ringe und Doppelstäbchen zur Beobachtung 4 ). 



') Vgl. Farmer, Moore und Walker 1004; Scientific reports Cancer Res. 
Fund Nr. l; Haecker 1904. 

*) Vgl. Haecker 1907. Schiller 190Q. 

') Nach neueren Beobachtungen von Frl. O. Krimmcl bei Cyclops. 
*) Haecker. Verh. Zool. Ges. 1907; Zool. Anz.. 34- Bd., 1909. 



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Bedeutung des heterotypischen Modus. 



103 



Im ganzen darf man heute sagen, daß in der heterotypischen 
Teilung des Salamanderhodens eine Anzahl von Erscheinungen zu- 
sammengehäuft ist, welche zum allergrößten Teil auch bei anderen 
Teilungsschritten vorkommen, und daß die heterotypische Teilung 
des Salamanderhodens einen Spezialfall, genau gesagt, einen 
Grenzfall eines auch sonst weit verbreiteten, von den gewöhn- 
lichen Mitosen durch eine Reihe von Merkmalen unter- 
schiedenen Teilungsmodus darstellt 1 ). Man kann also von 
heterotypischen Mitosen im weiteren Sinne des Wortes oder 
mit Strasburger von allotypischen Mitosen sprechen und darunter 
alle Teilungen mit einzelnen ausgesprochen heterotypischen Merk- 
malen verstehen. 

Wenn man sich den gemeinsamen Charakter aller derjenigen Zellen 
zu vergegenwärtigen sucht, in welchen normalerweise derartige Tei- 

Fig. 68. 

a b c d e f 

(c I c f t 

Chromosomenbildung bei Aulacantha. 

lungsprozesse vorkommen, so gelangt man schließlich zu der Auf- 
fassung, daß das Auftreten des heterotypischen Teilungsmodus 
im weiteren Sinne den Ausdruck eines nicht oder nur wenig 
differenzierten (embryonalen) Zustandes der Zelle darstellt. 
Im speziellen läßt sich diese Vorstellung sehr gut mit den von ver- 
schiedenen Seiten geäußerten Anschauungen in Einklang bringen, 
wonach die charakteristischen Eigentümlichkeiten der bösartigen Ge- 
schwülste, deren Kernteilungen nach Obigem ebenfalls heterotypische 
Charaktere aufweisen können, auf einer Entdifferenzierung oder 
Zurückdifferenzierung der Zellen beruhen 3 ). 



') Vgl. Ilaecker 1907, sowie Bonnevie 1908. 

*) Vgl. v. Ilansemann 1903. R. Hertwig 1000. Ilaecker 1004. 



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104 



Heterochromosomvn. 



In seinen reinsten Formen, als euh eteroty pe Mitose mit fädigen oder band- 
förmigen Chromosomen und echten Tonnenfiguren (Fig. 61), oder als diakinetische 
Mitose mit Doppelfäden und Überkreuzungsfigurcn in den früheren (Fig. 51) und 
mit verkürzten und verdickten Chromosomen (Doppel Stäbchen, Ringen, Viererkugcln, 
Kreuzen) in den späteren Phasen (Fig. 52), kommt der heterotypische Teilungsmodus 
hauptsächlich bei den Reifuugsteilungcn vor, während die deuthcteroty pe Mitose, 
welche nur mehr oder weniger starke Anklänge an die hetcrotypische Teilung des 
Salamanderhodens zeigt, außerhalb der Reifungsperiode, in Furchungs-, Keimbahn- 
und Urgeschlechtszellen, bei Protozoen, sowie in pathologischen Zuständen angetroffen 
wird. Auch dieses Verhältnis scheint mir nicht ohne Bedeutung für die Auffassung 
des heterotypischen Modus zu sein. 

Bereits im vorigen Kapitel wurde ja der Nachweis zu führen versucht, daß sich 
in der Vor- und Nachreife der Protozoen, in der Ei- und Samenreifc der höheren 
Tiere und in der Embryosack-, Pollen- und Sporenreife der höheren Pflanzen die 
letzten Anklänge an die multiplen Teilungs- oder Sporulationsprozesse 
finden, die bei einer Reihe von einzelligen Formen (Sporozoen, Foraminiferen. 
gewisse Radiolarien) sowohl in der geschlechtlichen, wie in der ungeschlechtlichen 
Phase des Generationswechsels aufeinander folgen. Wenn nun die heterotypischen 
Abweichungen vom gewöhnlichen Kernteilungstypus, wie sie in embryonalen, gene- 
rativen oder durch Reizwirkungen gehemmten Zellen, also im ganzen in nicht oder 
wenig differenzierten Zellen, mehr vereinzelt vorkommen, in der Reifungs- 
periode gewissermaßen in konzentrierter Form vereinigt sind, so dürfte dies 
eben damit zusammenhängen, daß gerade hier ein teilweises Zurückfallen einzelner 
Keimzellengenerationen auf einen ausgesprochen indifferenzierten physiologischen 
Zustand, nämlich auf den der Sporenmutterzellen (Sporocyten) und Sporen der Ein- 
zelligen und niederen Pflanzen, stattfindet. 

Andere Chromosomentypen, welche nicht speziell dem Kreise der 
heterotypischen Erscheinungen angehören dürften, wohl aber auch 
bei den Teilungen der Keimzellen und besonders in der Reifungs- 
periode zutage treten, sind die Heterochromosomen. Von Henking 
(1891) zuerst bei der Samenbildung der Feuerwanze (Pyrrhocoris) 
festgestellt, sind diese Gebilde namentlich durch die amerikanischen 
Zellforscher bei den Hemipteren und Orthopteren genauer untersucht 
und weiterhin von verschiedenen Autoren bei mehreren anderen 
Arthropodengruppen (Archipteren , Käfern, Myriapoden, Spinnen, 
Kopepoden) nachgewiesen worden 1 ). Es handelt sich um Chromo- 
somen, die durch ihre Größen- und Form Verhältnisse, durch ihre ab- 
weichende Färbbarkeit und durch ihr Verhalten während der Teilung 
gegenüber den anderen Chromosomen gekennzeichnet sind. Sic haben 
entweder den Charakter von Monosomen, d. h. von besonders langen, 
wurmiörmigen Chromosomen, welche in den spermatogonialen Teilungen 



') Vgl. die Schriften von Montgomery, Wilson, McCIung, ferner unter 
anderen die früher (Kap. 7. S. 71) zitierten Arbeiten von Otte und Davies und die 
Kopepoden- Arbeiten von Braun und Matscheck (Kap. 11). 



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Heterochromosomen. 



105 



der Hemipteren in der Einzahl (Fig. 69 a, b, 1), in den ovogonialen 
Teilungen zu zweien (c, 1,1) auftreten, und welche im männlichen 
Geschlecht bei der zweiten Reifungsteilung (d, h) ungeteilt der einen 
Sperma tide zugewiesen werden, so daß die beiden aus der zweiten 
Teilung resultierenden Spermatiden eine ungleiche Chromosomenzahl 
erhalten (e, f). Oder man findet neben den gewöhnlichen Chromo- 
somen zwei kleine, ungleich große Elemente, die sogenannten Idio- 
chromosomen (Fig. 70a, b, c, «, t), die beim ersten Teilungsschritt 



Fig. 69. 




Doppelte Chromosomengarnttur bei Protenor belfragei. Nach Wilson. 

a, b sperrnatogoniale ChromosomenKruppen mit einem Monosom. c ovoi*oniale Gruppe mit zwei 
Mononomen. In allen drei Gruppen sind die paarweise zusammengehörigen Chromosomen dnreh 
gleiche lluchstaben bezeichnet; da« lange Chromosom 1 bzw. h (beim in der Ein-, beim ? in der 
Zweizahl) stellt das unpaare Heterochromosom (Monosem) dar. d spätere Phase der zweiten 
Spcrmatocytenteilung. e, f Schwestergruppen in Polansicht (derselben Spindel entstammend). 

der Reifungsperiode genau wie die übrigen Chromosomen gespalten 
werden (d, e), im zweiten dagegen nach vorübergehender Aneinander- 
legung (f, g) auf die beiden Spermatiden verteilt werden, so daß auch 
in diesem Falle wieder Spermatiden mit ungleichem Chromosomen- 
bestand gebildet werden. In einem dritten Falle endlich liegen zwei 
kleine, aber gleich große Chromosomen, die Mikrochromosomen 
vor (Fig. 71a — c, m), welche beim ersten Teilungsschritt (d, e) auf 
die beiden Samentochterzellen (Spermatocyten zweiter Ordnung) verteilt 
werden. Da sie sich vor der zweiten Teilung durch Spaltung ver- 



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lOO Heterochromosomen. 

doppeln (g) und ihre Tochterelemente in der gewöhnlichen Weise auf 
die Schwesterzellen verteilt werden, so erhalten in diesem Falle sämt- 
liche Spermatiden einen völlig gleichen Chromosomenbestand, wofern 
nicht, wie z. B. im Falle von Alydus (Fig. 71), neben den Mikro- 
chromosomen noch ein unpaares Monosom (h) auftritt (Fig. 71 h). 



Fig. 70. 




Spermatogenese von Lygaeus turcicus. Nach Wilson. 



a spermatot:oniale Metaphase. b Spermatocytenkern an* der W'achstumsphasc. c aus der Diakiaete 
d und e Mctaphase der ersten Teilung in Pol- und Seitenansicht, f und g Metaphase der »weiten 
Teilung in Pol- und Seitenansicht, i, i Idiochrümosomen. 

* 

Die drei Fälle finden sich z. B. in der Spermatogenese von drei 
Hemipteren, einer Protenor-, Lygaeus- und Alydusart (Fig. 69, 70, 71) 
verwirklicht. Bei letzterer Form kommt, wie erwähnt, außer den 
Mikrochromosomen noch ein Monosom vor. 

Die" Geschichte der Heterochromosomen ist trotz vieler sehr 
gründlicher Untersuchungen in mancher Hinsicht noch wenig auf- 



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Heterochroraosomen. 107 

geklärt, insbesondere besitzen wir nur sehr wenige Angaben über das 

Auftreten und Verhalten dieser Gebilde außerhalb der Vermehrungs- 

Fig.71. 



4 ii*, 




Spermatogenese von Al}*dus pilosulus. Nach Wilson. 

a *p«*ruiatogoniale Mctaphase. b Spermatm ytenkern aus der Wachstumsphase: das Monotum h ist 

dem Vi] leolus (Plasmosom) angelagert, c Spcnnatocytenkero in der Diakioese. d und f Metaphasc 

«ier l, batw. 3. Teilung in I'olanskht. e und g Beginn der Anaphase der 1. bzw. j. Teilung, h Ana- 

phase der j. Teilung, m, m die Mikrochromusnmen. 

und Reifungsperiode, speziell auch in den früheren Etappen der Keim- 
bahn und in den somatischen Zellen. Bemerkenswert dürfte in dieser 



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in* 



Heterochromosomen. 



Hinsicht sein, daß bei einer vielleicht hybriden Kopepodenfonn» 
( yclops distinctus, welche in den Vorstadien der Eireife fünf gewöhn- 
liche, doppelwertige Chromosomen und ein' Heterochromosom aul- 
weist, während der Furchungsteilungen elf gleich große und gleich- 
gestaltete Elemente beobachtet werden 1 ). 

Auf die mutmaßliche Bedeutung der Heterochromosomen, ins- 
besondere auf die ihnen zugeschriebene Rolle bei der Geschlechts- 
bestimmung wird später 2 ) zurückgekommen werden, hier sei nur 
die Frage berührt, ob nicht für die Heterochromosomen dasselbe gilt 

Fig. 12. 



a 




ff #••«••• t 
(IIMIM t 



J*A%% ff 




Doppelte Chromosomengainitur von Anasa tristis. Nach Wilson. 

a und c spermatogonialc nnd ovogonialc Gruppe, b und d die gleichen Chromosomen paarweise an- 
geordnet (H das Monosotn, m die Mikrochromosomcn). 

wie für den heterotypischen Teilungsmodus, nämlich daß sie als 
Grenzfall einem weiteren Kreise von Erscheinungen einzureihen sind. 

Es ist hier zu sagen, daß gerade bei einigen Hemipteren und 
Orthopteren, also bei Vertretern derjenigen Tiergruppen, welche die 
Heterochromosomen in besonders deutlicher Weise hervortreten lassen, 
die Chromosomen der Ovogonien und Spermatogonien ihrer Größe 
nach vielfach eine Reihe bilden, derart, daß immer zwei Chromo- 
somen von der gleichen Größenabstufung vorhanden sind (Fig. 72) »). 

') Nach Untersuchungen von K. Anima. 
*) Vgl. Kap. 11 und 32. 

3 ) Vgl. die Arbeiten von Montgomery, Sutton, Wilson. Mc Ölung. 



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Doppelte Cbromosomengarnitur. 



109 



Derartige doppelte Chromosomengarnituren oder -Sortimente 
«gradated series) sind inzwischen mit mehr oder weniger großer Be- 
stimmtheit auch für eine lange Reihe von anderen Tierformen und 
ebenso für einige Pflanzen beschrieben worden, und zwar hauptsächlich 
für die Vermehrungsperiode der Keimzellen 1 ). Man wird bei einigen 
Objekten mit wenigen schleifenförmigen Chromosomen, z. B. bei 
Ascaris megalocephala 2 ), die Möglichkeit exakter Messungen zugeben 
können, auch konnte gerade für dieses Objekt die Verschiedenheit 
<Jer Chromosomen nicht bloß für die Vermehrungs- und Reifungs- 
periode, sondern auch für die Eifurchung nachgewiesen werden. In 
vielen anderen Fällen handelt es sich aber mehr um Abschätzungen, 
als um wirkliche Messungen, und es fehlt außerdem der Nachweis, 
daß die Größenunterschiede auch außerhalb der Vermehrungs- und 
Reifungsperiode vorkommen. Damit sind natürlich viele Unsicher- 
heiten bezüglich der Deutung der Erscheinung verbunden, und diese 
Schwierigkeiten werden noch dadurch gesteigert, daß bei einer 
ganzen Reihe von Objekten inkonstante Größenunterschiede nach- 
gewiesen werden konnten 3 ). 

Aber selbst wenn die Größenunterschiede bei allen fraglichen 
Objekten als konstant nachzuweisen wären, so würde damit noch 
nicht ohne weiteres gesagt sein, daß sie eine essentielle Ver- 
schiedenheit der einzelnen Chromosomenindividuen bedeuten. Da 
nämlich manche Beobachter angeben, daß derartige Größenunterschiede 
sich im Verlaufe der Teilung ausgleichen 4 ), so bleibt für die Ver- 
mutung der Raum offen, daß sowohl die konstanten wie die inkon- 
stanten Größenunterschiede wenigstens bei einigen Objekten auf 
ungleich rascher (heteroch roner) Entwickelung der einzelnen 
Chromosomen beruhen, wie eine solche namentlich deutlich in den 
polychromosomalen Kernen der Radiolarien zutage tritt 6 ). 



') So für einen Seeigel, Strongylocentrotus (Boveri), für Ascaris (Mont- 
goroery), Blattläuse (Hewitt), Haifisch (Schreiner), Amphibien (Montgomery, 
Helen King), Katze (Winiwarter und Sainmont), Ratte und Mensch (Moore 
und Arnold), sowie für mehrere Pflanzen, z. B. Galtonia. Funkia, Yucca, Hieracium 
(Strasburger, Miyake, Rosenberg). 

*) Vgl. die Arbeiten von Montgomery und Schaffer. 

") Näheres findet sich in meinem Referat 1907, S. 40. 

*) So Helen King (1905) für die erste Reifungsteilung des Kröteneies und 
Vejdovski (1907) für diejenige des Rhynchelmiseies. 

*) Haecker, Zool. Anz., 34. Bd., 1909; vgl- auch Tiefsee-Radiolarien, Literatur- 
verzeichnis 5. 



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HO Literaturverzeichnis 10. 

Bei diesem Stande ist es auch noch nicht möglich, die Frage 
endgültig zu beantworten, ob das Vorkommen von Heterochromosomen 
nur einen extremen Fall der abgestuften Garnituren bedeutet, wenn 
auch zugegeben werden muß, daß in einigen Fällen der Augenschein 
unmittelbar für das Bestehen eines derartigen Zusammenhanges spricht. 



Literaturverzeichnis zu Kapitel 10. 

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charakter. Arch. f. Zellf., 2. Bd., 1908. 
Boveri, Th., Zellenstudien. III. Jen. Zeitschr., 24. Bd., 1890. 

Buchner, P., Das accessor. Chromosom in Spermatog. u. Ovogenese der Orthopteren. 

Arch. f. Zellf., 3. Bd., 1910. 
Cancer Research Fund. Scientific reports. Nr. 1. London 1904. 
Carnoy, J. B., La Cylodierese des Arthopodes u. folg. Arb. Celluic, Vol. l u. 3. 

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den Zellen maligner Neubildungen usw. Biol. Centralbl., 24. Bd., 1904. 

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Arch. f. mikr. Anat., 16. Bd., 1879. 

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Nat. Ges. Freib., 6. Bd., 1892. 
— , Über weitere Übereinstimmungen usw., 1897, siehe Literaturverzeichnis 9- 
— , Mitosen im Gefolge amitotischer Vorgänge. Anat. Anz., 17. Bd., 1007. 
— , Über die in malignen Neubildungen auftretenden heterotypischen Teilungsbilder. 

Biol. Centralbl., 24. Bd., 1904. 
— . Die Chromosomen als angenommene Vererbungsträger. Erg. u. Fortschr. Zool.. 

1. Bd., 1907. 

Hansemann, D. von, Studien über Spezifität, Altruismus und Anapiasie der 
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Hertwig, R., Über physiol. Degeneration bei Actinosphaerium. Nebst Bemerkungen 
zur Ätiologie der Geschwülste. Festschr. f. Haeckel, Jena 1904. 

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ginosus. Biol. Bull., Vol. 9. 1905- 

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Bull., Vol. 1. 1902. 

Montgomery, Th. H., A study of the chromosomes of the germ cells of Metazoa. 

Trans. Am. Phil. Soc, Vol. 20, 1901. 
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— , On morphological difference of the Chromosomes of Ascaris meg. Arch. f. Zellf., 

2. Bd., 1008. 

Rath, O. vom, Zur Kenntnis der Spermatogenese von Gryllotalpa vulg. Arch. f. 
mikr. Anat., 4a Bd., 1892. 



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Literaturverzeichnis 10. 



111 



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Anz., 7. Bd.. 1892. 
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Schaffner, J. H., Chromosome differences in Ascaris meg. Ohio Naturalist, 1909. 
Schiller, J., Über künstliche Erzeugung .primitiver" Kernteilungsfiguren beiCyclops. 

Arch. Entw.-Mech., 21. Bd., 1909. 
Strasburger, E., Typische und allotypische Kernteilung. Jahrb. wiss. Bot.. 42. Bd.. 

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Sutton, W. S., On the morphology of the chromosome group in Brachystola magna. 

Biol. Bull., Vol. 4. 1904. 
Vejdovski, F., Neue Untersuchungen über die Reifung und Befruchtung. Prag 

1907. 4°. 

Wilson, E. B., Studies on chromosomes. I — III. J. f. exp. Zool., Vol. 2—3. 
1002—1906. 



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Elftes Kapitel. 
Chromos omenzahl. 

Schon Flemming (1882) hatte es für die Epithel- und Binde- 
gewebszellen des Feuersalamanders aufs höchste wahrscheinlich ge- 
macht, daß bei jedem Kernteilungsakt in konstanter Weise 24 Chromo- 
somen gebildet werden, und später konnte Boveri (1800) auf Grund 
des damals vorliegenden, freilich noch sehr unzulänglichen Materials 
das „Zahlengesetz der Chromosomen" in folgender Weise 
formulieren: „Für jede Spezies ist die Zahl der Chromosomen kon- 
stant, d. h. in den karyokinetischen Figuren homologer (denselben 
Geweben und Entwickelungsstadien angehöriger) Zellen finden sich 
stets die gleichen Zahlen." 

Im ganzen ist dieser Satz im Laufe der Zeit bestätigt worden, 
doch hat sich eine Reihe von Ausnahmen ergeben, so daß man auch 
hier kaum mehr von einem Gesetz, sondern nur von einer Zahlenregcl 
sprechen kann (s. S. 11). Zunächst sind mehrere Tierspezies bekannt 
geworden, welche bezüglich der Chromosomenzahl zwei Rassen auf- 
weisen, von denen die eine doppelt soviel Chromosomen als die 
andere besitzt. So hat Boveri für den Pferdespulwurm und später 
für einen Seeigel, Echinus microtuberculatus , das Vorkommen von 
zwei Varianten festgestellt: beim Spulwurm beträgt die Zahl der 
Chromosomen in den langschleifigen Kernteilungsfiguren der Keim- 
zellen entweder vier (Ascaris megaloeephala bivalens) oder zwei 
(Ascaris megaloeephala univalens), und bei Echinus kommt neben 
der Zahl 36 die halbe Zahl 18 vor Im Hinblick auf das später zu 
besprechende Vorkommen zweiwertiger oder bivalenter 8 ) Chromosomen 
in der Reifungsperiode dürfte die Annahme nahe liegen, daß in diesen 

') Bezüglich anderer Fälle vgl. mein Referat 1907, S. 38. 

*) In diesem Zusammenbange ist das Wort .bivalent" in dem sprachlich 
richtigen Sinne von „zweiwertig" angewandt, während es in der von O. Hertwig 
eingeführten Kassenbezeichnung Ascaris megaloeephala bivalens etwa soviel wie 
.doppelt so groß" (doppeltzähl ig) bedeutet. 



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Ausnahmen vom Zahlengesetz. 



113 



und ähnlichen Fällen die höhere Zahl den Typus darstellt und die 
Rasse mit der geringeren Chromosomenzahl infolge paarweiser Ver- 
bindung der Chromosomen doppel wert ige, d. h. aus zwei Ein- 
heiten zusammengesetzte Elemente besitzt. Es könnte aber auch die 
niedrigere Zahl das ursprüngliche Verhältnis darstellen, während die 
höhere Zahl gelegentlich dadurch zustande kommt, daß sich die 
Chromosomen in einem Kern, beispielsweise in dem des befruchteten 
Eies, längsspalten und infolge Ausbleibens der Kernteilung der doppelte 
Chromosomenbestand erreicht wird J ). 

Ausnahmefälle ähnlicher Art liegen vor, wenn in somatischen 
Zellen die Chromosomenzahl zwischen zwei extremen Zahlen, von 
denen die eine das Doppelte der anderen beträgt, schwankt, wenn z. B. 
in der Darm wand eines Kopepoden (Diaptomus coeruleus) Zellen mit 
28, mit 14 und mit einer dazwischenliegenden Zahl vorkommen 8 ). 
Auch zur Erklärung dieser Erscheinung wird man die Bivalenzhypo- 
these heranziehen und die intermediären Zahlen. auf einen unvoll- 
ständigen Zerfall bivalenter Elemente, also auf eine Mischung bivalenter 
und univalenter Elemente zurückführen dürfen. Vielleicht trifft Ähn- 
liches für die von Strasburger und anderen Botanikern angeführten 
Fälle mit schwankender Chromosomenzahl zu. 

Schwieriger ist es zu erklären, wenn in den Zellen desselben 
Individuums ein mehr oszillierendes Schwanken der Zahl um 
die Normalzahl herum stattfindet. So werden z. B. in den Sperma- 
tocyten des Ohrwurms (Forficula) in der Regel 13 Chromosomen ge- 
funden. Es kommen aber Hoden vor, in welchen nebeneinander die 
Zahlen 13 und 12, und solche, in denen die Zahlen 13 und 14 beob- 
achtet werden 8 ). In ähnlicher Weise beträgt die Chromosomenzahl 
bei der Pollenreife von Hieracium venosum 7, seltener 8 und 9, bei 
Hieracium auricula 9, seltener 8 und 7 4 ). 

Während, von diesen Ausnahmen abgesehen, für die einzelnen 
Arten die Boverische Regel der Zahlenkonstanz Gültigkeit hat, 
scheint auf den ersten Anblick eine vollkommene Regellosigkeit zu 
bestehen, wenn man die Chromosomenzahlen verschiedener Arten 
miteinander vergleicht. Zunächst fallen die ungeheuer weiten Grenzen 



') Vgl. Strasburger 1910. 
•) Vgl. O. Krimmel 1910. 

*) Vgl. Zweiger, S. 157 (1906). Ähnliche Verschiedenheiten haben beim gleichen 
Objekt Lavalette St. George, Carnoy und Sindty gefunden. 
*) Rosenberg 1907. 
Haecker, Vererbungtlchre. g 



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114 



Extreme Zahlen. 



auf, innerhalb welcher die Chromosomenzahl überhaupt schwanken 
kann. Das eine Extrem bildet nach dem jetzigen Stande unserer 
Kenntnisse die Univalensrasse des Pferdespulwurms, welche in den 
Keimbahnzellen nur zwei schleifentörmige Chromosomen aufweist. 
I )abei ist allerdings zu beachten, daß letztere offenbar als mehrwertige, 
aus 24 kleineren Einheiten zusammengesetzte „ Sammelchromosomen " 
anzusehen sind, worauf die Kernteilungsbilder in den somatischen 
Zellen hinweisen >). Auf der anderen Seite finden sich in den mito- 
tischen Figuren der tripyleen Radiolarien mindestens 1200 bis 1600 
Chromosomen, ein offenbar sekundäres Verhältnis, das mit der außer- 
ordentlichen Größe des Kernes und Weichkörpers dieser hochspeziali- 
sierten Protozoen zusammenhängt. 

Innerhalb dieser Grenzen schwankt die Chromosomenzalil der 
einzelnen Tier- und Pflanzenarten, so jedoch, daß im allgemeinen 
die Zahlen der unteren Grenze beträchtlich näher liegen. Nur in 
wenigen Fällen sind Zahlen festgestellt worden, welche über 100 liegen, 
so für den Phyllopoden Artemia salina, welcher 84 oder 168 Chromo- 
somen aufweist 8 ), und für einige Protozoen, nämlich für Actino- 
sphaerium (etwa 100) und Pseudodifflugia (mindestens 200 Chromo- 
somen) 8 ). 

Verhältnismäßig sehr häufig kommt die Zahl 24 vor, so bei einigen 
der klassischen Untersuchungsobjekte der Zoologen und Botaniker, 
beim Feuersalamander und bei den Lilien. Auch beim Menschen, 
bei welchem die Verhältnisse wegen der sehr geringen Größe der 
Kerne für die Zählung ungünstig liegen, beträgt nach neueren Angaben 
die spermatogoniale Chromosomenzahl ungefähr 24 (nach Guyer 
sind es 20 typische und 2 accessorische Chromosomen), während nach 
anderen Untersuchungen 32 als Normalzahl zu gelten hätte*). 

Daß die Chromosomenzahlen der Tiere und Pflanzen überhaupt 
verhältnismäßig häufig zwei einfachen Zahlenreihen, dem „Zweier- 
system" (Boverische Reihe 2, 4, 8, 16, 32 ...) 6 ) und namentlich 
dem „gemischten Zweier- und Dreiersystem" (6, 12, 18, 24...) 

') Bei mehreren anderen Würmern kommt die Zahl 4 vor, so bei Echinorhynchus 
(Kaiser, Biol. Zool. 1803) und Vortex viridis (Lepeschkin, Biol. Zeitschr. 1910). 

*) Dies gilt speziell für die partbenogenetische Form von Capodistria und Odessa 
(Brauer. Petrunke witsch) , während die sexuelle Art von Cagliari 42 Chromo- 
somen besitzt. Vgl. Artom 1906. 

a ) Nach Angaben von R. Hertwig bzw. Doflein. 

*) Vgl. insbesondere Ducsberg 1906, Moore und Arnold 1906, Guyer 1910. 
») Vgl. Boveri, Zcllenstudien III. 



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Spezifische Zahlen. 



115 



angehören, ist wohl dahin zu deuten, „daß die Chromosomenzahl 
auf irgend welcher Stufe der Phylogenese als das Produkt von 
Vermehrungsvorgängen entstanden ist, wie denn auch bei nie- 
deren Organismen, z. B. bei den Pandoraceen und Hämosporidien, 
obige Zahlen vielfach als die Endzahlen der Vermehrungstätig- 
keit auftreten". Tatsächlich kommen bei den Chromosomen analoge 
Vermehrungsvorgänge vor: speziell bei den Radiolarien muß beim 
Übergang von der Zygote zum vegetativen Stadium mit seinem 
polychromosomalen Riesenkem eine Vermehrung dieser Art statt- 
finden 1 ). 

Wenn also schon die Betrachtung der Gesamtheit der Tiere und 
Pflanzen gewisse Regelmäßigkeiten, insbesondere das häufige Auf- 
treten der Glieder bestimmter arithmetischer Reihen (Regel der 
arithmetischen Progression der Chromosomen zahlen) zum 
Vorschein bringt, so lassen sich solche zuweilen auch innerhalb 
einzelner kleinerer Gruppen nachweisen. 

In mehreren Tiergruppen herrscht eine vollständige oder wenigstens 
ziemlich weitgehende Gleichförmigkeit bezüglich der Chromo- 
somenzahl. So führen z. B. die urodelen Amphibien in den Cyten I 
(Spermatocyten und Ovocyten erster Ordnung) regelmäßig 24, die 
opisthobranchiaten Mollusken 16. Unter den Hemipteren weisen die 
Pentatomiden in den Gonicn (Spermatogonien und Ovogonien) größten- 
teils 14, vereinzelt auch 16, die Coreiden in den Spermatogonien 13 
oder 21, in den Ovogonien 14 oder 22 Chromosomen auf 8 ). Auch 
bei den Feldheuschrecken (Acridiodea) herrscht eine gewisse Stabilität 
vor, indem in den Spermatogonien in der Regel 23 Chromosomen 
auftreten 8 ). 

Verhältnismäßig große Schwankungen rinden sich bei den 
Kopepoden, jedoch konnte gerade hier der Nachweis geführt werden, 
daß innerhalb einzelner Gruppen Hand in Hand mit der zu* 
nehmenden morphologischen Differenzierung (mit der Ent- 
fernung von den primitiveren Typen) eine Verkleinerung der Chromo- 
somenzahl geht, und zwar entweder sprungweise, indem beim 
Übergang von einer Art zur anderen die Zahl um die Hälfte ver- 
mindert wird, oder kontinuierlich, auf Grund eines von Art zu 
Art erfolgenden allmählichen Abbaues. 

') Vgl. Haecker, Chrom. Ver. P S. 66 (1907), sowie Rauber 1908. 
*) Vgl. die Arbeiten von Montgomery, Wilson, Payne. 
") Vgl. McClung. 

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u6 



Chromosomenzahl und Differenzierung. 



Faßt man speziell die fortschreitende Zurückbildung des fünften 
Thorakalfußpaares als Kriterium für die zunehmende Entfernung vom 
Ausgangstypus ins Auge, so zeigt sich im großen ganzen, daß die 
Formen mit noch vollständiger entwickelten Rudimentarfüßchen die 
höhere, die mit stärker reduzierten Füßchen die geringere (normale 
oder somatische) Chromosomenzahl aufweisen (Fig. 73) *)• So besitzen 



/ Fig. 73. \ 

/ \ 
/ \ 




Verminderung der Chromosomenzahl der Cyclopsarten Hand in Hand mit der 
Reduktion des fünften Fußpaares. Nach Braun. 



in der Cyclops fuscus-albidus- Gruppe die beiden Arten mit noch 
deutlich zweigliedrigem Rudimentarfüßchen (C. fuscus und albidus) 
14 Chromosomen 8 ), dagegen die Arten mit stärker reduziertem, ein- 

') Vgl. H. Braun, S. 472 ff. (1909). sowie Matscheck, S. 57 (1910). Von 
letzterem wird die „pseudoreduzierte" Chromosomenzahl in den Vorstadien der ersten 
Reifungsteilung angegeben. 

*) Die vielleicht einen natürlichen Bastard darstellende Zwischenform C. distinr- 
tus besitzt 10 Chromosomen und 1 Heterochromosom. Genauere Untersuchungen 
über die Natur dieser Form sind im Gange. 



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Cbromosomenzahl und Differenzierung. 



117 



gliedrigem Füßchen 12 -f- 2 h, d. h. 12 typische und 2 Heterochromo- 
somen (C. serrulatus), 12 +- 1 h (C. phaleratus) und 10 -f- 1 h (C. pra- 
sinus). In ähnlicher Weise bilden die Cyclops - Arten der zweiten 
Hauptgruppe, wenn sie nach dem Grade der Rudimentation des fünften 
Fußpaares zusammengestellt werden, eine Reihe, an deren Anfang 
sich Formen mit 22 Chromosomen (C. strenuus und insignis) befinden 
und deren Schlußglieder nur 12 (C. diaphanus) und 6 (C. gracilis) 
Chromosomen besitzen 1 ). 

Man wird sich dem Eindruck wohl kaum entziehen können, daß 
tatsächlich innerhalb der Gattung Cyclops parallellaufend mit der 
morphologischen Differenzierung, wie sie sich z. B. in der 
zunehmenden Rudimentation des fünften Fußpaares äußert, auch eine 
Abnahme der Chromosomenzahl stattfindet, und ferner, daß 
wenigstens in der Gattung Cyclops die Heterochromosomen (A), in 
diesem Falle doppelte oder einfache Zwergchromosomen, auf einen 
im Laufe der Phylogenese stattfindenden allmählichen 
Abbau und eine schließliche Elimination einzelner 
Chromosomen hinweisen"). 



') Im ganzen kommen in der Gattung Cyclops folgende Chromosomenzahlen vor: 





Zahl dt*r Chromosomen- 
i komplexe (Dilctraden) in 
den Prophasen der ersten 
Keifungsteilung (S) 


Normale 
(somatische) 
Zahl 




11 


22 


- 




11 


22 




bicuspidatus .... 


9 


18 




bicusp. var. odessana 


9 


18 


1 




0 


18 


- 




7 


14 






7 


14 






7 


14 


- 




<> + 2 h 


12 2 h 


- 




6 -f ih 


12 + ih 


•• 




6 


12 


- 


diaphanus 


6 


12 


■• 




5 + l* 


10 + 1 h 


*• 




5+lA 


lO + 1 h 






5 


10 


n 




3 


6 



*) Vgl. Chr. als Ver. Tr., S. 52 (1907). Schon Paulmier (1904) hat unter Bezug- 
nahme auf seine Beobachtungen bei Hemiptercn von „degenerating chromosomes" 
gesprochen. 



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118 



Abbau der Chromosomen. 



Was die übrigen Kopepoden anbelangt, so weisen die Süßwasser-Centro- 
pagiden im ganzen eine höhere Chromosomenzahl auf als die Cyclopiden. Die 
normale oder somatische Zahl schwankt zwischen 34 und 28, demnach die in den 
Vorstadien der ersten Reifungsteilung auftretende halbe oder, wie auch gesagt wird, 
„pseudoreduzierte" Zahl (vgl. Kap. 30) zwischen 17, 16 und 14. Bemerkenswert ist, 
daß bei einer der Formen mit der pseudoreduzierten Zahl von 17 Chromosomen 
(Diaptomus castor) 3 derselben zu einem dreigliedrigen Ring, also einer besonderen 
Art von „Ileterochromosom", verbunden sind (Fig. 74) ')• Etwas niedrigere Zahlen 
finden sich bei den Süßwasser-Harpacticiden*). Es ist zu hoffen, daß gerade bei 
den Kopepoden mit ihrem großen Formenreichtum und ihren günstigen kemgeschicht- 
lichen Verhältnissen die Ausdehnung der Untersuchung auf immer weitere Gruppen 
schließlich dazu führen wird, daß etwas mehr Licht auf die Beziehungen zwischen 
der Chromosomenzahl und den sonstigen morphologischen und physiologischen Ver- 
hältnissen der einzelnen Spezies fallen wird. 

Bezüglich der Beziehung der Chromosomenzahl zu allgemeinen Formverhält- 
nissen vgl. auch die Angaben von Gates (Kap. 14). 

Während hinsichtlich der spezifischen 
Chromosomenzahlen nur die ersten Ansätze 
zur Aufstellung allgemein gültiger Regeln 
vorliegen, lassen sich in bezug auf die in 
den Zellen des gleichen Organismus 
hervortretenden Verschiedenheiten der Chro- 
mosomenzahlen einige bestimmtere Aus- 
sagen machen. 

Eine fundamentale Regel — man kann 
mit Rücksicht auf die Verhältnisse bei den 
mit Heterochromosomen ausgestatteten For- 
men auch hier nicht von einem Gesetz 
sprechen — bildet die zuerst von Eduard 
van Beneden beim Pferdespulwurm festgestellte Gleichheit der 
Chromosomenzahl in den beiden kopulierenden Ge- 
schlechtskernen, d. h. es steht für zahlreiche Formengruppen 
fest, daß sich nach der Befruchtung aus dem ruhenden Eikern genau 
ebenso viele Chromosomen herausarbeiten, wie aus dem Spermakern. 
Bei der Bivalensrasse des Pferdespulwurms z. B. kommen in jedem 
Geschlechtskern zwei (S. 81, Fig. 45), bei der Varietät uni Valens ein 
einziges Chromosom zur Beobachtung. 

Nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch wird die bei der Kopu- 
lation der Geschlechtskerne zur Vereinigung gelangende Chromosomen- 



') Vgl. H. Matscheck 1910. 

*) Canthocamptus staphylinus besitzt die Normalzahl 24. Bei C. trispinosus und 
Nitocra hibernica hat P. Kröger neuerdings die Normalzahlen 22 und 16 festgestellt. 



Fig. 74- 

^O.jcoO 

Chromosomen der ersten Rei- 
fungsteilung von Diaptomus 
castor. Nach Matscheck. 



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Normale Chromosomenzahl. Zahl der komplexen Gruppen. 119 

zahl als die normale, typische oder nicht reduzierte be- 
zeichnet. Diese Zahl erhält sich, soweit Untersuchungen vorliegen, 
in der vom befruchteten Ei zu den Urgeschlechtszellen führenden 
Zellenfolge, also in der ersten (differentiellen) Keimbahn- 
st recke'), fort, so daß also bei der Bildung der Urgeschlechtszellen 
die gleiche Chromosomenzahl auftritt, wie bei der ersten Furchungs- 
teilung*). Auch in den übrigen Furchungszellen, sowie in den soma- 
tischen Zellen des heranwachsenden und ausgewachsenen Organismus 
kehrt in vielen Fällen die nämliche Zahl wieder und wird dann als 
somatische bezeichnet. Doch sind in dieser Hinsicht mehrere Aus- 
nahmen bekannt So führen z. B. bei Ascaris schon während der 
Furchung die nicht zur Keimbahn gehörenden Zellen eine beträchtlich 
größere Zahl, indem die langschleifigen „Sammelchromosomen " der 
Keimbahnzellen in den somatischen Elementen in Einheiten niedriger 
Ordnung zerfallen (S. 62, Fig. 28). Häufiger als solche „über- 
zähligen" Mitosen kommen in den Furchungszellen und ebenso in 
somatischen, insbesondere embryonalen und larvalen Geweben „unter- 
zähl ige- Kernteilungen mit einer wechselnden, die Normalzahl nicht 
erreichenden Chromosomenzahl vor: ganz sicher trifft dies für die 
Kopepoden 8 ) zu, und ebenso wurden Beobachtungen dieser Art bei 
Salamandra und bei einer Meduse gemacht«). Auch von botanischer 
Seite liegen ähnliche Beobachtungen vor. 

Sehr regelmäßig erscheint in den Sperma togonien und Ovo- 
gonien die normale Zahl der Chromosomen. Ausnahmen haben 
sich unter anderen bei den Kopepoden gefunden, indem hier zuweilen 
die halbe Zahl auftritt 1 ). Bemerkenswert ist auch der sexuelle Di- 
morphismus , der namentlich bei den Hemipteren in den spermato- 
gonialen und ovogonialen Teilungen hinsichtlich der Chromosomen- 
zahl hervortritt 6 ). 

Als eine fundamentale Regel gilt endlich, daß in den Ovocyten 
und Sperma tocyten erster Ordnung die Zahl der komplexen 
Chromosomengruppen, die in den allerfrühsten Phasen der ersten 

') Siehe oben S. 61. 

*) So bei Cyclops. Meinen ersten Angaben (l8Qj), wonach in den Urgeschlcchts- 
yellen von Cyclops viridis (= brevicornis) die reduzierte Zahl auftritt, liegt 
möglicherweise eine Verwechselung mehrerer Arten zugrunde. 

•) Vgl. O. Krimmel 1910. 

«) Vgl. hierzu vom Rath 1893 und Bigelow 1907. 

*) Vgl. Matscheck 1910. 

•) Siehe oben S. 104. sowie Kap. 32. 



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120 



Literaturverzeichnis 1 1 . 



Reifungsteilung zutage treten, der sogenannten Vierergruppen 
oder Tetraden und ihrer Homologa (Viererkugeln, Vierer- 
stäbchen, Doppelföden, Doppelstäbchen, Ringe, Kreuze), halb so 
groß ist als die normale Zahl der Chromosomen. Auf 
dieses wichtige Verhältnis wird später zurückgekommen werden 1 ). 

Literaturverzeichnis zu Kapitel 11. 

Art om, C, II numero dei cromosomi e la maturazione dell' uovo dell' Artemia etc. 

Biologica, Vol. l, 1906. 
Bigelow, H. B., Studies on the nuclear cycle of Gonionemus etc. Bull. Mus. Comp. 

Zool. Harv. Coli., Vol. 48. 1907. 
Boveri, Th., Zellenstudien. III. Jen. Zeitschr., 24. Bd., 1890. 

Braun, H., Die spezifischen Chromosomenzahlen der einheimischen Arten der Gattung 

Cyclops. Arch. Zcllf., 3. Bd., 1909. 
Deila Valle, P. , L'organizzata della cromatina studiata mediante il numero dei 

Chromosom i. Archlvio Zool., Vol. 4, 1909. 
Duesberg, J., Sur le nombre des chromosomes chez l'homme. Anat. Anz., 

Vol. 28, 1906. 

Flemming, W., Beitrage zur Kenntnis der Zelle und ihrer Lebenserscheinungen. III. 

Arch. f. mikr. Anat., 20. Bd.. 1882. 
Guyer, M. F., Accessory chromosomes in man. Biol. Bull., Vol. 19. 1910. 
Haccker, V., Die Chromosomen als angenommene Vererbungsträger. Erg. und 

Fortschr. Zool., 1. Bd., 1907. 
Krimmel, Ottilie, Chromosomenverhältnisse in generativen und somatischen Mitosen 

bei Diaptomus coeruleus. Zool. Anz., 35. Bd., 1910. 
Matscheck, H., Über Eireifung und Eiablage bei Kopepoden. Arch. Zellf., 5. Bd., 1910. 
McClung. C. E., The chromosome complcz of orthopteran spermatocytes. Biol. Bull. 

Vol. 9. 190S. 

Montgomery, Th. H., 1901 und 1906, siehe Literaturverzeichnis 10. 

Moore, J. E. S. und Arnold, G., On the existence of permanent forms among the 
chromosomes etc. Proc. Roy. Soc. London, B, Vol. 77, 1906. 

Payne, F., Sorae new types of Chromosome Distribution etc. Biol. Bull. Mar. Biol. 
Lab., Vol. 16, 1909. 

Rauber, A., Ontogenese als Regeneration betrachtet. Dorpat 1908. 

Rosenberg. O., Zur Kenntnis der präsynaptischen Entwickelungsphasen der Re- 
duktionsteilung. Svensk. Botanisk Tidskr., 1. Bd.. 1907. 

Strasburger, E.. Typische und allotypische Kernteilung. Jahrb. wiss. Bot., 
42. Bd., 1905. 

— , Chromosomenzahl. Jena 1910. 

Vom Rath, O., Beiträge zur Kenntnis der Spermatogenese von Salamandra mac. 

Zeitschr. wiss. Zool., 57. Bd., 1803. 
Wilson, E. B., siehe Literaturverzeichnis 10. 

Zweiger. H., Die Spermatogenese von Forficula auricularia. Jen. Zeitschr. Naturw., 
42. Bd.. 1906. 



') Siehe Kap. 30. 



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III. Teil. 

Weismanns Vererbungslehre. 

■ 

Das Problem der Vererbung erworbener Eigenschaften. 

Zwölftes K-apitel. 

Frühere Versuche einer morphobiologischen Erklärung 
der Vererbungserscheinungen. 

In den vorhergehenden Kapiteln sind diejenigen Ergebnisse auf 
dem Gebiete der Protoplasma- und Keimzellenforschung aufgezählt 
worden, welche bei den Versuchen, die Vererbungserscheinungen von 
einem einheitlichen morphobiologischen Gesichtspunkte aus verständ- 
lich zu machen und insbesondere ihr eigentliches materielles Substrat 
kennen zu lernen, von Bedeutung sind. Es wurden dabei in erster 
Linie die tatsächlichen Ergebnisse, welche sich neuerdings dem ge- 
sicherten Bestand unserer Kenntnisse angegliedert haben, hervor- 
gehoben, dagegen ist auf das Hypothetische so wenig wie möglich 
und auf die speziell vererbungstheoretischen Deutungen, welche man 
den Befunden gegeben hat, überhaupt noch nicht eingegangen worden. 

Es kann nun darüber von vornherein kein Zweifel bestehen, daß 
bei den Vererbungserscheinungen der Vielzelligen den reifen Fort- 
pflanzungszellen oder Gameten und ihrem Vereinigungsprodukte, dem 
befruchteten Ei oder der Zygote, eine fundamentale Rolle zufällt. 
Denn nur die reifen Samenzellen können es sein, denen der väter- 
liche Organismus seine offenbare Fähigkeit, die Eigenschaften der 
Nachkommen zu beeinflussen, verdankt, und nur durch den Be- 
fruchtungsprozeß können alle diejenigen Merkmalskombinationen zu- 
stande kommen, deren Regel- und Gesetzmäßigkeiten durch die neuere 
Vererbungsforschung ermittelt worden sind. Aus diesem Sachverhalt 



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122 



Darwins Pangenesishypothese. 



ergibt sich aber unmittelbar die morphobiologische (keimzellen- 
physiologische) Fassung des Vererbungsproblems. Es handelt 
sich, wie Weismann 1 ) betont hat, um ein Doppelproblem: 

1. Wie kommen die Fortpflanzungszellen dazu, daß sie sämt- 
liche Vererbungstendenzen oder Anlagen des gesamten Orga- 
nismus in sich vereinigen? 

2. Durch welche Kräfte, durch welchen Mechanismus werden 
diese Tendenzen beim Aufbau des neuen Organismus zur 
Entfaltung gebracht? Wie ist es insbesondere zu erklären, daß 
beim Kinde die Anlagen in derselben Reihenfolge zur Ent- 
faltung kommen wie bei den Eltern? 

Auf diese Fragen, namentlich auf die erstere, eine Antwort zu 
geben, ist schon in früheren Jahren wiederholt unternommen worden. 
Als erster hat Darwin 1 ) in seiner «Provisorischen Hypothese 
der Pangenesis" den Versuch gemacht, die hauptsächlichsten Tat- 
sachen der Reproduktion und Vererbung „durch irgend ein verständ- 
liches Bindemittel zu verknüpfen". Er nimmt an, daß die Zellen im 
Körper der Tiere und Pflanzen kleine Körnchen oder Atome abstoßen, 
daß diese Zellkeimchen oder Keimchen (gemmules) mit den 
Körpersäften im ganzen Organismus zirkulieren, sich währenddem 
vervielfältigen und an bestimmten Stellendes Körpers sich zu Knospen 
oder Sexualelementcn aggregieren können. Auf diese Weise kommt 
es, daß die reproduktiven Elemente Keimchen von allen Zellen des 
Organismus in sich einschließen. Bei der Entwickelung der Knospe 
oder des Eies zum jungen Organismus bringen dann die Keimchen 
in bestimmter Reihenfolge wieder die nämlichen Zellenformen hervor, 
von denen sie im elterlichen Organismus ihren Ursprung genommen 
hatten. Der junge Organismus, der aus den Keimzellen hervorgeht, ist 
also nicht das Produkt dieser allein, sondern sämtlicher Zellen des 
elterlichen Organismus („Pangenesis"), und zwar in der Weise, daß 
jede Zelle durch Vermittelung der Keimchen ihre eigene Art erzeugt. 

Die Pangenesishypothese scheint auf den ersten Anblick eine 
weitreichende Erklärungskraft zu besitzen. So würde z. B. eine Ver- 
erbung erworbener Abänderungen, falls eine solche vorkommt, sehr 
leicht auf die vermittelnde Rolle der Keimchen zurückgeführt werden 

l ) Vgl. Weismann, Die Kontinuität des Keimplasnias (Aufsätze, S. 200). 

*) Das Variieren usw., 2. fld., S. 491 — 529. Vgl. auch Weismann, Aufsätze, 
S. 86; Keimplasma, S.4; O. Hertwig, Zelle und Gewebe. II. S. 291 ; Allgem. 
Biologie, 2. Aufl.. S. 569. 



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Anlagenträger. 



123 



können, und die Erscheinungen des Rückschlages wären in der Weise 
zu erklären, daß die von den Zellen eines Individuums produzierten 
Keimchen unter Umstanden mehrere Generationen hindurch latent 
bleiben und erst bei späteren Nachkommen zur Entfaltung gelangen. 

Indessen fehlt der Hypothese die tatsächliche Unterlage, indem, 
wenigstens zu Darwins Zeit, die Annahme einer Abgabe der Keim- 
chen in das Blut, einer Zirkulation und Zusammenscharung in den 
Fortpflanzungselementen in keiner Weise durch Beobachtungen ge- 
stützt werden konnte. Es handelt sich also nach Darwins eigenem 
Urteil um eine durchaus provisorische Hypothese. Immerhin ist aber 
durch diesen Erklärungsversuch „rein formaler Natur" (Weismann) 
zum ersten Male gezeigt worden, welche Erscheinungen überhaupt 
zu erklären sind, und eine der Grundvorstellungen Darwins kommt 
auch in den späteren Theorien wieder zum Vorschein, nämlich die 
Annahme, daß die verschiedenen Eigenschaften der Organismen im 
Keime durch gesonderte materielle Teilchen oder Anlagen- 
träger repräsentiert werden. 

Darwins Idee, daß allen Zellen des elterlichen Organismus ein 
gleicher Einfluß auf die Gestaltung des Kindes und damit auf die 
Vererbungserscheinungen zukommt, ist zunächst von keinem anderen 
Vererbungstheoretiker wieder aufgenommen worden, dagegen haben 
schon vor und insbesondere nach Darwin mehrere Forscher eine im 
gewissen Sinne entgegengesetzte Anschauung vertreten und zum Teil 
auch durch tatsächliche Beobachtungen zu stützen versucht, nämlich 
die Vorstellung, daß bei der Entwickelung der Organismen schon 
sehr frühzeitig eine Sonderung der Gewebs- und Fortpflan- 
zungszellen, also der „personalen", der Erhaltung des Indivi- 
duums dienenden und der „germinalen", für die Arterhaltung 
bestimmten Teile des Körpers stattfindet Als Vertreter dieser Auf- 
fassung sind Owen (1849), Haeckel (1866), Brooks (1876), Rauber 
(1880) und Nußbaum (1879, 1880) zu nennen 1 ). 

Aus Vorstellungen dieser Art haben sich dann die verschiedenen 
Kontinuitätshypothesen herausgebildet, welche eine von Gene- 
ration zu Generation sich erstreckende, durch die generativen Körper- 
elemente vermittelte Kontinuität bestimmter Substanzen annehmen 
und damit, zeitlich betrachtet, als eigentliche Vorläuferinnen der 
Weismannschen Lehre anzusehen sind. 

') Vgl. Weiflinann, Keiraplasma, S. 260; Thomson, S. 411 ; bezüglich der 
Arbeiten Nußbaums vgl. auch Waldeyer, S. 401. 



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124 



Galton. Jäger. 



Speziell Galton 1 ) schließt an die Pangenesishypothese an und 
sucht diese zu verbessern. Er behält Darwins Anschauung bei» 
daß in den Fortpflanzungselementen zahlreiche Keimchen als Anlage- 
masse oder als Grundstock („stirp") für das neue Individuum ein- 
geschlossen sind, aber er nimmt im Gegensatz zu Darwin eine 
doppelte Bestimmung dieser Keimchen an. Ein Teil der letzteren 
gelangt nach Galton während der Entwickelung des jungen Organis- 
mus zur Entfaltung, diese werden also aktiv und leiten die Ent- 
wickelung des Individuums, indem sie den Charakter der einzelnen 
Zellen, Gewebe und Organe bestimmen. Die übrigen Keimchen da- 
gegen bleiben in latentem, gebundenem Zustande und gehen schließ- 
lich in die Fortpflanzungszellen des neugebildeten Individuums über, 
um hier den „stirp* für das folgende zu bilden. 

In bestimmterer Weise wendet sich G. Jäger (1876) gegen die 
Pangenesishypothese und gleichzeitig auch gegen Gottes Diskonti- 
nuitätshypothese, wonach der Keim gewissermaßen nur ein totes Pro- 
dukt des Körpers darstelle. Jäger hebt hervor, daß der Ausgangs- 
punkt für die Geschlechtsprodukte lebendiges Protoplasma sei» 
welches niemals aufhört, lebendig zu sein, sich aber an dem ontogene- 
tischen Differenzierungsprozeß und an der Funktion der Selbsterhaltung 
des Muttertieres nicht weiter beteiligt. Jäger stellt also der Pan- 
genesishypothese die „Lehre von der Kontinuität des Keimproto- 
plasmas durch alle Generationen hindurch" gegenüber 2 ). Bei der 
Ontogenese spalten sich die Teilungsprodukte des Keimplasmas in 
zwei Gruppen: in die ontogenetische , welche das Einzelwesen auf- 
baut, und in die phylogenetische, welche reserviert wird, um zu ge- 
schlechtlichem Protoplasma langsam heranzureifen. 

Alle hier aufgezählten, unabhängig voneinander entstandenen 
Versuche, zu denen noch eine mit Weis mann s erster Vererbungs- 
schrift (1883) zeitlich zusammenfallende Äußerung Pflügers zu 
rechnen ist 3 ), zeigen einen provisorischen oder gar nur gelegentlichen 
Charakter. Sie sind in demselben Sinne als Vorläufer der Weis- 

') Vgl. Galton 1875. 

*) Weis mann ist auf das Jäger sehe Buch (l8"6) erst nach dem Erscheinen 
seiner ersten Schrift über die Vererbung (1883) aufmerksam geworden. Er erwähnte 
daher Jäger erst in seiner zweiten Schrift (1885; vgl. Aufsätze, S. 248), übersah 
aber bei diesem Zitat, daß schon Jäger den gleichen Ausdruck „Kontinuität des 
Keimprotoplasmas" benutzt hatte, den er selbst auf der letzten Seite seiner ersten 
Schrift (vgl. Aufsätze, S. 121) gebrauchte. Vgl. auch Keiraplasma, S. 263, Anm. 1. 

") Vgl. Weis mann, Aufsätze, S. 76. 



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Weis mann und seine Vorgänger. 



125 



mann sehen Vererbungstheorie zu betrachten, wie etwa die Schriften 
von Erasmus Darwin, Goethe und manchen anderen Denkern als 
Vorläufer der „Entstehung der Arten" bezeichnet werden. Wohl für 
jedes weitere und engere Wissensgebiet können Zeitperioden namhaft 
gemacht werden, in welchen durch die zunehmende Fülle und Reife 
der Kenntnisse und durch die von einzelnen, besonders markanten 
Entdeckungen ausgehenden Impulse die Forscher auf ganz bestimmte 
Synthesen und Formulierungen hingelenkt worden sind. Es werden 
dann an verschiedenen Stellen und in unabhängiger Weise dieselben 
Gedanken in weniger klarer oder in reiferer Form zum Vorschein 
kommen und ähnliche Begriffe gebildet werden, und es kann auch 
nicht ausbleiben, daß da und dort für den gleichen Gegenstand sogar 
die gleiche Bezeichnung gefunden wird. Die Voraussetzung aber, 
daß schließlich ein derartiger Gedanke beachtet wird, daß er zum 
Durchbruch gelangt und fruchtbar weiter wirkt, liegt nicht bloß in 
der vollkommenen, durch den Fortschritt der Kenntnisse herbeigeführten 
Vorbereitung des Bodens, sondern vor allem in der Hervorhebung 
und glücklichen Kombination der entscheidenden Tatsachen, in der 
Klarheit der Fragestellungen und in der logischen Konsequenz und 
Vollständigkeit, mit welcher der Gedanke zur Durchführung gelangt. 
Für die Vererbungslehre der 80er und 90er Jahre kann es keinem 
Zweifel unterliegen, daß diese Voraussetzungen erst durch die Weis- 
mannschen Schriften erfüllt worden sind. 



Literaturverzeichnis zu Kapitel 12. 

Darwin. Ch., Das Variieren der Tiere und Pflanzen im Zustande der Domestika- 
tion. Übers, von J. V. Carus. Stuttgart 1868. 
Galton, F., A Theory of Heredity. Contemp. Rev., 27. Bd., 1875- 
Hertwig, O., Die Zelle und die Gewebe. Jena 1893—1898. 
— . Allgemeine Biologie. Jena 1896. 
Jäger. G.. Zoologische Briefe. Wien 1876. 
— , Lehrbuch der allgemeinen Zoologie. Leipzig 1879- 
Thomson, J. A., Heredity. London 1908. 

Waldeyer, V., Die Geschlechtszellen. Siehe Literaturverzeichnis. 

Weismann. A., Die Kontinuität des Keimplasmas als Grundlage einer Theorie der 

Vererbung. Jena 1885. 
— , Aufsätze über Vererbung. Jena 1892. 

— , Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena 1892. 



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I 



Dreizehntes Kapitel. 

Die Kontinuität des Keimplasmas als Grundlage 
einer Theorie der Vererbung. 

Weis mann geht bei seinen Betrachtungen von den Verhältnissen 
bei den Einzelligen aus und fragt, auf welche Weise bei diesen die 
Erscheinung der Vererbung zustande kommt Wenn sich ein ein- 
facher organisiertes einzelliges Tier, z. B. eine Amöbe, durch Zwei- 
teilung vermehrt, so teilen sich hintereinander Kern und Zellleib und 
es entstehen zwei Hälften, die sich in Größe und Beschafienheit voll- 
kommen gleichen. Das Mutterindividuum gibt dabei vollständig seine 
Individualität auf und setzt sich in jedem der beiden Tochterindividuen 
in gleicher Weise fort. Es besteht also eine stoffliche Kontinuität 
zwischen Mutter und Töchtern, und darauf beruht offenbar nicht bloß 
die morphologische Ähnlichkeit der letzteren mit dem Mutterindividuum, 
sondern auch ihre physiologische Übereinstimmung, d. h. ihre Fähig- 
keit, bestimmte Nahrungsstoffe in bestimmter Weise zu assimilieren, 
diese in Amöbenplasma von spezifischer Konstitution umzuwandeln 
und so durch Stoffzunahme oder Wachstum den Zustand des Mutter- 
individuums zu erreichen. Die stoffliche Kontinuität zwischen Mutter 
und Töchtern ist also die eigentliche Ursache ihrer Ähnlichkeit, 
d. h. der Vererbung 8 ). Man kann in diesem Falle auch mit Darwin 
sagen, daß die Vererbung eine Form des Wachstums, oder, mit 
Haeckel, daß sie eine einfache Fortsetzung des Wachstums sei. 

Nur bei wenigen Formen dürfte der Vererbungsprozeß nach diesem 
einfachen, von Weis mann angegebenen Schema zustande kommen. 
In der Regel kommt zu dem fortgesetzten Wachstum der Leibes- 
substanz noch ein weiteres Moment hinzu, nämlich eine größere oder 
geringere Anzahl von Neubildungsprozessen. Schon bei der 
Teilung der Amöbe muß, da die einzige im Muttertier vorhandene 

') Ober die Vererbung 1883. 

*) Vgl. Weis mann 1883 (Aufsätze, S. 80). 



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Vererbung bei Einzelligen. 



127 



kontraktile Vakuole einseitig dem einen Tochtertier zugewiesen wird, 
in der anderen Tochter die Neubildung einer Vakuole stattfinden. 
Besonders deutlich tritt das Zusammenwirken beider Faktoren bei 
den hochdifferenzierten Radiolarien, z. B. bei einer Aulacanthide, her- 
vor. Hier kommt bei der Zweiteilung zunächst eine gleichmäßige 
Verteilung aller Bestandteile des Körpers zustande, nämlich der Kern- 
substanz, der Zentralkapsel (Fig. 75, ck), des intra- und extrakapsulären 



Fig. 75. 




Aulacantbide (Auloceros) mit zwei Zentralkapseln und geteiltem Phäodium. (Diese 
Form gehört zu den Formen, welche längere Zeit im zweikapseligen Zustande ver- 
harren. Sie darf aber trotzdem wohl auch zur Veranschaulichung des Zweiteilungs- 
vorganges der cinkapscligen Formen herangezogen werden.) 

Zellplasmas, des aus dünnflüssigen Gallerttropfen bestehenden Alveolen- 
apparates (a), des „Phäodiums" (ph) mit seinen schleimigen, später 
gallertigen, wahrscheinlich fermenthaltigen und der Verdauung dienen- 
den Sekrettropfen (den Phäodellen) und den hohlen, gallertgefüllten 
Kieselstacheln. Während nun in den Tochtertieren Kernsubstanz und 
Plasma durch einfaches Wachstum auf den Stand des Muttertieres 
gebracht werden, müssen Alveolarapparat, Phäodium und Kieselskelett, 
sowie die Öffnungen der Zentralkapsel durch Neubildungsprozesse 
ergänzt werden. Die Möglichkeit solcher Neubildungen beruht aber 



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128 



Vererbung bei Einzelligen. 



darauf, daß die Tochterindividuen infolge der stofflichen Kon- 
tinuität mit dem Mutterorganismus auch alle Qualitäten und 
Potenzen des letzteren übernehmen und daher auch alle Sekretions- und 
Formbildungsprozesse, auf welchen die Differenzierung der Alveolen, 
Phäodellen und Skeletteile beruht, fortzusetzen imstande sind 1 ). 
Zu diesen Potenzen gehört aber nicht bloß die Fähigkeit zu 
spezifischer Sekretion und Formbildung, sondern auch das 

Vermögen zu regulatorischer 
und ordnenderTätigkeit, wie 



Fig. 76 




es sich z. B. in der Herstellung der 
typischen Form der Zentralkapsel 
und in der definitiven Anordnung 
ihrer Öffnungen äußert 

Nicht wesentlich verschieden 
sind solche Fälle, in denen bei der 
Zweiteilung die meisten Differen- 
zierungen des mütterlichen Körpers 
zurückgebildet und in den Tochter- 
individuen neugebildet werden. 
Dies ist z. B. bei den hypotri- 
chen Infusorien der Fall, bei 
welchen das ganze durch den Ge- 
brauch abgenutzte Wimperkleid des 
Muttertieres , insbesondere auch 
die großen Stirn- und Aftercirren 
(Fig. 76, st u. a) und die Membran- 
bildungen des Peristoms zurück- 
gebildet und in den beiden Töch- 
tern durch neue Bildungen (nc' nc") 
ersetzt werden 2 ). Letztere entste- 
hen an Stellen, die zum Teil weit 
entfernt von den alten Differenzierungen stehen. Die Vererbung 
kommt also auch hier nicht durch einfache Übernahme der mütter- 
lichen Organisation zustande, sondern ist dadurch bedingt, daß infolge 
der Kontinuität der lebenden Substanz auch das spezifische Differen- 
zierungsvermögen von Generation zu Generation fortbesteht und sich 



Hypolriches Infusor (Stylonycbia). 
Nach Wallengren. 

W Stirncirrcti. a Aftercirren. ap und np alte« 
[ neues Peristom. nc>, nc" Anlage derCirrcn- 
komplexe der beiden Töchter. 



') Bezüglich der Bildung der Skeletteile vgl. S. 36 (Fig. 10). 
•) Vgl. Schuberg 1899 und Wallengrcn 1901. 



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Vererbung bei koloniebildenden Organismen. 



129 



bei jedem Vermehrungsakt aufs neue betätigt. Es ist also hier durch- 
aus zutreffend, wenn gesagt wird, daß der Mechanismus der Ver- 
erbung nichts anderes sei als der Mechanismus der Differenzierung 
(Conklin), und daß folglich das Studium der Vererbung zusammen- 
fällt mit dem Studium der die Differenzierung bestimmenden Faktoren 
(Jennings). 

Eine Art Zwischenstufe zwischen den einzelligen und vielzelligen 
Organismen bilden in morphobiologischer und damit auch in ver- 
erbungsgeschichtlicher Hinsicht die koloniebildenden Organismen 



Fig. 77. 




A 

Pandorina morum. Nach Pringsbeim aus Lang. 
A Kolonie mit Gamctenhaufen (Tochterkolonien). B freie Gameten, zum Teil in Kopulation. 

aus der Phytoflagellatengruppe der Volvocineen. Bei einigen Formen, 
so bei Pandorina und Platydorina (S. 30, Fig. 5 u. 6) besteht die 
Kolonie aus 16 oder 32 ganz gleichartigen, von einer Mutterzelle ab- 
stammenden Individuen, die in einer gemeinsam von ihnen aus- 
geschiedenen Gallerte eingebettet sind und ihre zwei Geißeln in 
radiärer Richtung über die Oberfläche der Kolonie hervortreten lassen. 
Die Kolonie pflanzt sich gewöhnlich in der Weise fort, daß alle 
Individuen auf Grund fortgesetzter Zweiteilung zu Gametenhaufen 
oder Tochterkolonien werden (Fig. 77 A), welche nach Auflösung der 
mütterlichen Gallerte selbständig umherschwärmen. Bei der geschlecht- 
lichen Fortpflanzung dagegen werden die Einzelzellen nach. dem Zer- 
fall der Mutter- und Tochterkolonien frei und schwärmen als Gameten 

Ha eck er, Vererbungslehre. Q 



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130 



Vererbung bei Volvo x. 



herum, um sich paarweise zur Bildung von Zygoten zu vereinigen 
(Fig. 77 B). Nach einer Ruheperiode entsteht dann aus jeder Zygote 
durch Teilung eine junge Mutterkolonie. Im ganzen verhält sich also 
bei Pandorina jede einzelne Zelle in bezug auf die Fortpflanzung 
wie ein solitärer einzelliger Organismus, mit dem einzigen Unter- 
schiede, daß die Geschwisterzellen längere Zeit miteinander im Kolonie- 
verband bleiben. Das Vererbungsproblem ist also wie bei den echten 
Einzelligen ein Problem der Assimilation, des Wachstums und der 
Differenzierung. 

Anders liegen die Verhältnisse bei der Gattung Volvox, bei 
welcher viele Hunderte von Individuen, im Durchschnitt 10000, zu 
einer Kolonie vereinigt sind. Der Fortschritt gegenüber Pandorina 
beruht darin, daß hier nicht mehr alle Individuen die Fähigkeit haben, 
die Art durch Bildung einer neuen Kolonie fortzupflanzen, vielmehr 
ist diese Fähigkeit an bestimmte Zellen gebunden, welche bei der 
ungeschlechtlichen Fortpflanzung von einerlei, bei der geschlechtlichen 
von zweierlei Art sind. Man kann also zunächst unterscheiden 
zwischen den sterblichen somatischen oder Körperzellen, 
welche, solange die Kolonie wächst, durch Teilung ihresgleichen 
erzeugen und nach Ableistung ihrer animalen und vegetativen Lebens- 
funktionen bei der Auflösung der Kolonie zugrunde gehen, und den 
in gewissem Sinne unsterblichen 1 ) Keim- oder Fortpflanzungs- 
zellen, welche bei Auflösung der Kolonie fortexistieren und eine 
neue Kolonie zu bilden imstande sind. Speziell bei der geschlecht- 
lichen Fortpflanzung kommt noch eine weitere Arbeitsteilung hinzu, 
indem unter den Keimzellen eiähnliche weibliche Zellen oder Makro- 
gameten und spermatozoenähnliche männliche Zellen oder 
Mikrogameten zu unterscheiden sind. 

Die Vererbung sämtlicher Eigenschaften der Art, sowohl derjenigen 
der somatischen wie derjenigen der Geschlechtszellen, ist also aus- 
schließlich eine Funktion der letzteren, und es ergibt sich daraus, daß 
diese zweierlei Potenzen oder Anlagen in sich einschließen müssen, 
nämlich die Anlagen der Charaktere der Somazellen und diejenigen 
der Eigenschaften der Geschlechtszellen. Erstere Anlagen sind in 
den Fortpflanzungszellen nur in potentia oder in „latentem- Zustande 
vorhanden, insofern wenigstens die ungeschlechtlichen Keimzellen 



') „Unsterblich" 4 insofern, als zwischen ihrer lebenden Substanz und derjenigen 
der späteren Generationen eine stoffliche Kontinuität besteht. 



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Kontinuität des Keimplasmas. 



131 



und die Makrogameten gewisse Merkmale der somatischen Zellen, 
nämlich den Geißelapparat, den Augenfleck und die kontraktile Vakuole 
nicht selbst zur Entfaltung bringen, vielmehr nur fähig sind, 
Individuen, welche mit solchen somatischen Charakteren ausgestattet 
sind, durch Teilung aus sich hervorgehen zu lassen. 

Ganz ähnlich verhalten sich nun offenbar auch die vielzelligen 
Organismen. Auch hier besteht ein Gegensatz zwischen den Körper-, 
Sorna- oder Gewebszellen (Haut-, Nerven-, Muskel-, Drüsen- 
zellen usw.) und den Keim- oder Fortpflanzungszellen, auch hier 
ist die Funktion der Vermehrung und Arterhaltung an die letzteren 
gebunden und auch hier müssen diese in potentia (virtuell) sämtliche 
Qualitäten der Körperzellen in sich enthalten. 

Wir stehen also damit vor der ersten Hauptfrage des Vererbungs- 
problems: Wie kommt die Keimzelle dazu, alle Qualitäten, Anlagen 
oder Vererbungstendenzen der Spezies in sich zu enthalten 1 )? 

Weismann ist der Ansicht, daß die morphologischen und physio- 
logischen Tatsachen gegen die Annahme Darwins sprechen, daß die 
Keimzellen gewissermaßen ein Produkt oder einen Extrakt des ganzen 
Körpers darstellen, und ebenso gegen die Hypothese Nägelis, wo- 
nach die in den Keimzellen enthaltene Substanz während der Ent- 
wicklung einen Kreislauf von Veränderungen vollendet, der sie durch 
den Aufbau des neuen Individuums hindurch zum Ausgangspunkt 
zurückführt. Es bliebe also nur die Annahme übrig, daß die Keim- 
zellen in ihrer wesentlichen und bestimmenden Substanz, 
dem Keimplasma, überhaupt nicht durch das Sorna des Individuums 
bedingt und beeinflußt sind oder aus ihm hervorgehen, sondern direkt 
aus den elterlichen Keimzellen ihre Entstehung nehmen. Es 
besteht also eine Kontinuität des Keimplasmas von der Keim- 
zelle der Mutter bis zur Keimzelle der Tochter, und zwar denkt sich 
Weis mann diese Kontinuität zunächst in der Weise, daß bei der 
Eifurchung und beim weiteren Aufbau des Körpers ein Teil des 
Keimplasmas unverbraucht bleibt, um bald früher, bald später in 
Form der neuen Keimzellen sichtbar zu werden»). 

Der Schwerpunkt der Keimplasmahypothese liegt also zunächst 
in der Annahme einer Kontinuität des Keimplasmas und nicht 
darin, daß diese Kontinuität äußerlich in einer durch histologische 



') Vgl. oben S. 122. 

*) Aufsätze Vererbung, S. 89, 323. 

9* 



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132 



Ei klärungswert der Keimplasmatheorie. 



oder physiologische Charaktere ausgezeichneten, vom befruchteten 
Keim zu der Geschlechtsdrüsenanlage führenden Zellenfolge, in einer 
Keim bahn, zum Ausdruck kommt. Es ist aber klar, daß die früher 
erwähnten Fälle von Ascaris und Cyclops, in denen die ganze Reihe 
der Keimbahnzelle durch histologische Merkmale charakterisiert ist 1 ), 
als wertvolle Stützen der Kontinuitätshypothese betrachtet werden 
können. 

Es soll an dieser Stelle nicht auf das zweite Hauptproblem der 
Vererbungslehre, auf die Frage, wie die in den Keimzellen ein- 
geschlossenen Anlagen im jungen Organismus zur Entfaltung gelangen, 
eingegangen werden, aber es empfiehlt sich vielleicht, auf die Trag- 
weite der Kontinuitätshypothese nochmals von etwas anderen Gesichts- 
punkten aus hinzuweisen. 

Es wurde früher gezeigt, daß „Vererbung" im wesentlichen die 
Ähnlichkeit oder vollkommene Übereinstimmung des kindlichen mit 
dem Elternorganismus bedeutet. Diese Übereinstimmung erstreckt 
sich bekanntlich nicht bloß auf den erwachsenen Zustand, sondern 
auf alle einzelnen Entwickelungszustände und beruht in letzter Linie 
zweifellos auf der Übereinstimmung der Keimzellen, aus welchen 
einerseits der elterliche, andererseits der kindliche Organismus hervor- 
gegangen ist, also auf einer Übereinstimmung der Ausgangs- 
punkte. Nun gibt aber doch offenbar die Kontinuitätshypothese 
eine befriedigende Erklärung für die Übereinstimmung der Ausgangs- 
punkte und damit also auch für die Vererbung selbst, indem sie diese 
Übereinstimmung eben auf die stoffliche Kontinuität, auf die von 
Generation zu Generation stattfindende Übertragung eines unver- 
änderten Keimplasmarestes zurückführt. 

Man kann sich mit Weismann das Keimplasma auch als eine 
lang dahin kriechende Wurzel vorstellen, von welcher sich von Strecke 
zu Strecke einzelne Pflänzchen, d. h. die Individuen der aufeinander- 
folgenden Generationen erheben. 

l ) Siehe oben S. 61. 



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Literaturverzeichnis 13. 



133 



Literaturverzeichnis zu Kapitel 13. 

Bütschli, O., Infusoria. In: Bronns, Klassen und Ordnungen, i. Bd., Abt. 3. Leipzig 

u. Heidelberg 1887—1889. 
Conklin, E. G., The mechanism of heredity. Sei.. Vol. 27, 1908. 
Jennings, H. S. f Heredity, Variation and evolution in Protozoa. I. Journ. exp. 

Zool., Vol. 5, 1908. 

Lang, A., Lehrbuch der vergleichenden Anatomie, 2. Aufl., 2. Lief. Protozoa. Jena 
1901. 

Schuberg, A., Zur Kenntnis des Teilungsvorganges bei Euplotes patella. Verh. 

Med.-Nat. Ver. Heidelberg, N. F., 6. Bd., 1899. 
Wallengren, H., Zur Kenntnis des Xeubildungs- und Resorptionsprozesses bei der 

Teilung der hypotrichen Infusorien. Zool. Jahrb. (Anat. Abt.), 15. Bd., 1901. 
Weismann, A., Über die Vererbung. Jena 1883. 

— , Die Kontinuität des Keimplasmas als Grundlage einer Theorie der Vererbung. 
Jena 1885. 



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Vierzehntes Kapitel. 



Vererbungssubstanz, Keimplasma, Idioplasma. 

Wie hat man sich nun die wesentliche und bestimmende Sub- 
stanz der Keimzellen, das Keimplasma, also das eigentliche materielle 
Substrat der Vererbungserscheinungen zu denken? 

Bald nach dem Erscheinen von Weismanns erster Vererbungs- 
schrift (1883) trat Nägeli mit seiner „Mechanisch -physiologischen 
Theorie der Abstammungslehre" (1884) hervor. Die Anschauungen, 
welche Nägeli bezüglich der Vererbungserscheinungen vertritt, laufen 
in mancher Hinsicht mit denjenigen Weismanns parallel, auf der 
anderen Seite sind aber in diesem Werke eine Reihe eigenartiger 
Gedanken enthalten, welche für die weitere Entwickelung des Keim- 
plasmabegriffes von großer Bedeutung gewesen sind 1 ). 

Nägeli nimmt wie Weismann eine besondere Vererbungs- 
substanz, ein Anlagenplasma oder Idioplasma 8 ) an, welches 
gegenüber der übrigen lebenden Substanz, dem Ernährungsplasma, 
an Masse stark zurücktritt, aber auf die spezifische Entwickelung 
und Gestaltung des letzteren und damit des ganzen Organismus einen 
bestimmenden Einfluß hat. Dies geschieht in der Weise, daß eine 
vom Idioplasma ausgehende Entwickelungsbewegung dem Tropho- 
plasma mitgeteilt und hier durch den Umsatz der Nahrung unter- 
halten wird. 

Nägeli dachte sich dieses Idioplasma in Gestalt von Strängen, 
die den ganzen Keim und später sämtliche Zellen des Organismus 
durchziehen und aus mikroskopisch unsichtbaren, reihenförmig an- 
geordneten Kristallenen , den Micellen. zusammengesetzt sind. 
Letztere bestehen aus einer größeren oder kleineren Anzahl von 
Molekülen und sind ihrerseits wieder zu höheren Einheiten verschie- 



') Vgl. auch Weismann, Keimplasma, S. 13 
*) i'cf«o< eigentümlich, eigenartig. 



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Architektonik des Idioplasmas. 



13 Ö 



dener Ordnung verbunden, welche die Anlagen der verschiedenen 
Zellen , Gewebesysteme und Organe des Organismus darstellen 1 ). 
Speziell das Idioplasma des Keimes stellt demnach ein mikroskopisches 
(besser: ultramikroskopisches) Abbild des makroskopischen erwach- 
senen Organismus dar, indem jede Eigenschaft des erwachsenen 
Organismus als Anlage in ihm enthalten ist 

Daraus ergibt sich die weitere wichtige Vorstellung, daß es 
ebenso viele Arten von Idioplasma gibt, als Kombina- 
tionen von Eigenschaften existieren, und daß innerhalb einer 
Spezies jedes Individuum aus einem etwas anders gearteten Idio- 
plasma hervorgegangen ist 8 ). 

Alles in allem kommt in der Näge Ii sehen Lehre die An- 
schauung zum Ausdruck, daß die spezifische Entwickelung und 
Organisation durch die spezifische micellare Struktur oder die 
Architektonik des Idioplasmas bedingt ist Man kann viel- 
leicht auch sagen, daß die spezifische Organisation o eine Funktion 
der Idioplasmastruktur t ist: o = f(t), und daß kleine Abänderungen 
in der Organisation durch kleine Abänderungen in der micellaren 
Struktur des Idioplasmas bedingt sind: o -\- do = f («' -f- di). 

Das Idioplasma Nägelis ist keine sichtbare, mikroskopisch kon- 
trollierbare Struktur, und es mußte also, wenn man in der Erkenntnis 
des materiellen Substrates der Vererbungserscheinungen weiter kom- 
men wollte, als nächster Schritt versucht werden, das Idioplasma 
womöglich mit sichtbaren Organisa tions Verhältnissen in Zusammen- 
hang zu bringen. Schon Nägeli hatte die Annahme ausgesprochen, 
daß das Idioplasmanetz besonders auch im Kern zusammengedrängt 
sei, vor allem aber haben Strasburger, O. Hertwig und Weis- 
mann die Ansicht zu begründen versucht, daß speziell die Kern- 
substanz den Träger der Vererbungserscheinungen, also die Ver- 
erbungssubstanz, das Keim- oder Idioplasma, darstelle. 

Die Beweise, welche von den genannten und von anderen For- 
schern zugunsten dieser Auffassung angeführt worden sind, liegen auf 
verschiedenen Gebieten. 

Schon alle diejenigen Tatsachen, welche für eine wesentliche 
Beteiligung des Kernes an den formgestaltenden Zellprozessen 

*) An einer anderen Stelle spricht Nägeli davon, daß jedes Organ und jeder 
Organteil seine Entstehung einer eigentümlichen Modifikation oder eher einem eigen- 
tumlichen Zustand des Idioplasmas verdanke. 

*) Vgl. oben S. 124 die Anschauungen G. Jägers. 



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136 



Der Kern als Vererbungsträger. 



sprechen, vor allem die mangelnde Regenerationsfähigkeit kernloser 
Protozoenfragmente 1 ), dürfen zugunsten der Ansicht herangezogen 
werden, daß der Kern „den bestimmenden Faktor des spezifischen 
Wesens der Zelle" a ) darstelle und demnach eine wichtige Rolle bei 
der Vererbung spiele. Wenn ferner Roux 8 ) zu dem Schlüsse ge- 
langt, daß der so ungemein umständliche und verwickelte Prozeß der 
Karyokinese ein Mittel darstellen müsse, den Kern nicht bloß 
seiner Masse nach, sondern auch der Masse und Beschaffenheit 
seiner Qualitäten nach zu teilen, so ergab sich von selbst die 
Folgerung, daß für die Entwickelung des Embryos der Kern wich- 
tiger als der Zellleib sei, und daß also ersterem die führende Rolle 
bei den Vererbungsvorgängen zukommen müsse. 

Noch unzweideutiger schienen die Beobachtungen über den Be- 
fruchtungsprozeß zu sein. Speziell bei der Befruchtung der 
Angiospermen gewinnt man den Eindruck, daß sich von männlicher 
Seite tatsächlich nur die Kernsubstanz beteiligt, insofern beide gene- 
rative Kerne des Pollenschlauches (Fig. 49, p', p") vollkommen nackt, 
d. h. ohne Cytoplasma, in den Embryosack eintreten, und der eine 
mit dem Eikern (oo), der andere mit dem sekundären Embryosack- 
kern (ps + pi) kopulieren. Da nun bei Bastarden die Merkmale der 
väterlichen Stammpflanze sowohl im jungen Organismus als auch 
in dem vom sekundären Embryosackkern abstammenden Endospcrm- 
gewebe hervortreten können, so scheint damit wiederum ein Beweis 
für die Annahme zu liegen, daß der Kern nicht bloß eine wichtige 
Rolle bei den Vererbungserscheinungen spielt, sondern sogar den aus- 
schließlichen Träger der Vererbung darstellt 4 ). 

Bei den vielzelligen Tieren kann im Gegensatz zu den Angio- 
spermen nicht in Abrede gestellt werden, daß außer dem Kern auch 
noch andere Teile der Samenzelle, mindestens das Mittelslück mit 



l ) Vgl. die früher (S. 52) erwähnten Versuche von Nußbaum und Gruber. 
*) Vgl. Weismann. Aufsätze, S. 222. 

s ) 1884, S. 15. Ob der äußeren Symmetrie des Kernteilungsvorganges immer auch 
eine symmetrische Teilung der kleinsten Teile entspricht, kann freilich nicht bewiesen 
werden. So hat neuerdings Giglio-Tos zu zeigen versucht, daß die Teilung eines 
Biomoleküls in zwei ungleiche Teile viel leichter sein müsse, als in zwei gleiche 
Teile, und daß daher die unsymmetrische Teilung den häufigeren Modus darstellen 
müsse. Bezüglich der Rouxschen Folgerung vgl. auch Fick, S. 185 (iQOS); God- 
lewski, S. 110 (1909). 

*) Vgl. Strasburger 1884, 1000; S. 533, 544 (1908). Vgl. hierzu auch Cor- 
rens. S. 338 (1909). 



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Äquivalenz von Ei- und Samenkern. 



137 



dem Centrosoma in die Eizelle eintreten. Trotzdem konnten gerade 
die bei der Befruchtimg des Metazoeneies hervortretenden Erschei- 
nungen als ein besonders gewichtiges Argument zugunsten der An- 
nahme, daß die Kernsubstanz dem Idioplasma Nägelis entspreche, 
angeführt werden, und zwar auf Grund folgender Überlegungen. Da 
im allgemeinen, worauf schon Nägeli hingewiesen hatte, die beiden 
Eltern an der Zusammensetzung der in den Deszendenten vereinigten 
Merkmale in gleicher Weise beteiligt sind, so ist von vorn- 
herein zu erwarten, daß auch das von den beiden Eltern gelieferte 
materielle Vererbungssubstrat seiner Masse und Zusammensetzung 
nach gleichartig ist. Nun ist aber bekannt, daß gerade bei den 
vielzelligen Tieren ganz enorme Unterschiede zwischen der Masse 
des ganzen Eies und der ganzen Samenzelle bestehen — schon 
bei kleinen Eiern wie bei dem des Axolotls (Amblystoma) betragt 
das Volumen des Eies das 50 millionenfache gegenüber dem Volumen 
des Spermatozoenkopfes *) — , und es würde also, wenn das ganze 
Ei und die ganze Samenzelle als Vererbungssubstrat in Betracht 
kämen, jene Erwartung nicht erfüllt werden. Da aber, wie van Be- 
neden zuerst beim Ascarisei gezeigt hat, bei der Kopulation die 
Kerne annähernd gleich groß sind und Chromosomen von gleicher 
Zahl und Beschaffenheit zur Entwicklung bringen (Fig. 45, S. 8l), 
so lag die Annahme nahe, daß es die gleich gestalteten Kerne der 
im übrigen so verschieden gestalteten Geschlechtszellen sind, durch 
welche die gleichen Erbanteile der Eltern übermittelt werden (O. Hert- 
wigs »Gesetz der Äquivalenz von Ei- und Samenkern* 4 ). 

Für die ausschließliche Rolle des Kernes bei den Vererbungs- 
erscheinungen schienen vor allem auch die Ergebnisse eines von 
Boveri ausgeführten Bastardierungsversuches zu sprechen. Nachdem 
die Möglichkeit festgestellt war, kernlose Fragmente des Seeigeleies 
nach Befruchtung zur Entwickelung zu bringen, hat Boveri eine 
Kreuzbefruchtung in der Weise ausgeführt, daß kernlose Eifragmente 
von Sphaerechinus mittels des Samens von Echinus befruchtet wurden. 
Von vornherein war dann mit mehreren Möglichkeiten zu rechnen. 
Insbesondere konnten die aus den Eifragmenten entstehenden Zwerg- 
larven hinsichtlich ihrer Gestalt und Skeletteile eine Mischung der 
elterlichen Charaktere zeigen, dann wäre bewiesen gewesen, daß auch 



') Vgl. oben S. 8o. 

*) Vgl. auch die enorm großen Eizellen mancher Vögel (S. 77, Anm. 4). 



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138 



Boveris Vererbungsexperiment. 



das Eiplasraa bei der Vererbung beteiligt ist, da ja vom mütterlichen 
Organismus nur das Eiplasma und keine Kernsubstanz geliefert wurde. 
Oder es konnten die Zwerglarven ausschließlich den väterlichen Ha- 
bitus zeigen: dann wäre dies zunächst so zu deuten gewesen, daß 
das Eiplasma nur die Rolle eines Nährbodens besitzt, und daß der 
Kern allein die Vererbung bestimmt. Nun zeigten in der Tat einige 
der Zwerglarven (Fig. 78 B), welche durch Fremdbefruchtung kernloser 
Eifragmente entstanden, ausschließlich väterliche Merkmale (vergleiche 
Fig. 78 C), und so war ein weiterer Hinweis gegeben, daß dem Kern 
bei der Vererbung eine überwiegende Rolle zukommt 1 ). 

Auf Grund der hier aufgezählten Beobachtungen, denen manche 
andere angereiht werden könnten 2 ), wurde, insbesondere durch O. Hert- 
wig, Strasburger und Weismann, die Hypothese vom Ver- 
erbungsmonopol des Kernes aufgestellt, wonach der Kern das 
eigentliche und ausschließliche materielle Substrat der Vererbungs- 
erscheinungen bildet. Diese Hypothese schließt die spezielle An- 
nahme in sich, daß im Zustand der Kernteilung die Chromo- 
somen die Vererbungsträger darstellen, und so haben sich aus 
dieser Auffassung die später zu besprechenden Chromosomen- 
hypothesen der Vererbung herausentwickelt. 

Welche Kernsubstanzen im Zustand der „ruhenden" Zelle 
die Rolle der Vererbungsmasse spielen, darüber gehen die Ansichten 
auseinander. Zunächst wurde fast allgemein die Meinung vertreten, 
daß die Chromatinkörnchen zur Bildung der Chromosomen zusammen- 
treten, und dementsprechend wurde das Chromatin als die konti- 
nuierliche, von Zellgeneration zu Zellgeneration überlieferte Vererbungs- 
substanz angesehen. Dieser Chromatinerhaltungshypothese 
ist aber, wie oben (S. 44) auseinandergesetzt wurde, neuerdings die 
Achromatinerhaltungshypothese gegenübergestellt worden, der- 



') Ein strenger Beweis dafür, daß der Kern allein die Vererbung bestimme, 
konnte durch das Bovcrische Experiment nicht geliefert werden, denn unter Um- 
ständen können, wie spätere Versuche ergaben, auch Bastardlarven aus ganzen 
Eiern und solche aus kernhaltigen Bruchstücken ganz nach dem väterlichen 
Typus gebildet sein (vgl. Boveri, S. 105, 1904; S. 247, 1907). Welche Veierbungs- 
richtung überhaupt von den Bastardlarvcn der Seeigel eingeschlagen wird , ob mehr 
die väterliche oder die mütterliche, dürfte nach Untersuchungen von Vernon, Don- 
caster, Herbst und Tennant von der Jahreszeit bzw. der Temperatur und Alkali- 
nität des Seewassers abhängig sein. Vgl. Herbst, Literaturverzeichnis .'l u. Ten- 
nant, Arch. Ent-Mech.. 29. Bd., 1910. 

*) Vgl. auch Baltzer 1910. 



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Godlewskis Vererbungsexperiment. 13Q 



zufolge der Schwerpunkt der Kontinuitätsfrage von der Chromatin- 
substanz auf das alveolär strukturierte Grundplasma, das Achro- 
matin, zu verlegen ist. 

Gegen die Auffassung, daß dem Kern bei den Vererbungserschei- 
nungen eine ausschließliche oder doch ganz überwiegende Rolle 
zufällt, haben sich mehrfache Stimmen erhoben. So ist Verworn 
hauptsächlich auf Grund experimenteller Untersuchungen an Protozoen 
zu der Anschauung geführt worden, daß Kernsubstanz und Zellproto- 




Huteuslarven von Sphaerechjnus granularis (A) und von Echinus microtuberculatus (C). 
H Bastardlarve aus einem kernlosen Eifragment von Sphaerechinus. Nach Boveri. 

ab aufsteigende Sttbe der Vbanaheite. an Analstäbe. ap ApikaUUbe. or Oralstabe. 

v seitliche Yerbindungsstäbc. 

plasma in gleicher Weise an dem Zustandekommen der Lebens- 
erscheinungen beteiligt sind, und daß also auch die Vererbung dadurch 
bewirkt werde, daß beide Substanzen mit ihren gegenseitigen Stoff- 
wechselbeziehungen übertragen werden. In ähnlicher Weise haben 
sich auch Loeb, Godlewski, Lundegärd und andere Forscher 
geäußert. 

Besonders überzeugend seidenen in dieser Richtung die Experi- 
mente Godlewskis zu sein. Godlewski hat kernlose Fragmente 



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140 Godlewskis Vererbungsexperiment. 



der Eier eines Seeigels (Echinus) mit dem Samen eines Haarsternes 
(Antedon), also eines Vertreters einer ganz anderen Echinodermen- 
klasse, befruchtet und festgestellt, daß die Embryonen im Gastrula- 
stadium das sogenannte primäre Mesenchym, also ein ausschließlich 
mütterliches Merkmal, zur Entwickelung bringen. Es können also, 
wenigstens bis zum Gastrulastadium , auch ohne Vorhandensein des 
mütterlichen Kernes mütterliche Charaktere zum Vorschein kommen, 
und es muß also auch dem Eiplasma ein Anteil an der Übertragung 
der elterlichen Arteigenschaften zugeschrieben werden. Die Ergebnisse 
Godlewskis scheinen auf den ersten Anblick im schroffen Gegen- 
satz zu den Befunden Boveris zu stehen, indessen lassen sich beide 
durch die Annahme vereinigen, daß während der ersten Periode 
der Eientwickelung die Konstitution des Eiplasmas maßgebend 
ist und die Chromosomen nur durch gewisse generelle Eigenschaften 
wirksam sind, und daß erst in einer zweiten Periode dfe Chromo- 
somen durch ihre spezifischen Eigenschaften zur Geltung kommen 
(Boveri)i). 

Von anderer Seite, so namentlich von Rabl, ist besonders auf 
diejenigen Experimente hingewiesen worden, aus welchen eine Prä- 
formation bestimmter Körperteile im Eiplasma des Keimes 
hervorgeht. Bei den Eiern verschiedener Tiere ruft nämlich die Ent- 
fernung gewisser Teile des Eiplasmas einen Ausfall bestimmter Organe 
hervor, und man konnte daraus schließen, daß in den weggeschnittenen 
Teilen die Anlagen für die betreffenden Körperteile vorgebildet sind. 
Schneidet man z. B. am Ei der Röhrenschnecke (Dentalium) die wäh- 
rend der ersten Teilung normalerweise sich bildende Vorwölbung, den 
sogenannten Pol- oder Dotterlappen (Fig. 79 A, pT), ab, so kommt es zur 
Entwickelung einer Larve, bei welcher das Hinterende und ebenso 
der am Scheitel befindliche Wimperschopf (das Apikaiorgan) nicht 
zur Ausbildung gelangt ist (Fig. 79 C, verglichen mit B) *). Man darf 
also hier annehmen, daß das Material des Pollappens für die Bildung 



') Vgl. Boveri. S. 249 (1907). Kreuzungsvei suche, welche Correns mit einer 
„weißbunten" Mirabilisrasse (Stengel, Blätter, Hüllkelch und unterer Teil der Perigon- 
röhre waren grün und weiß gefleckt) angestellt hatte, ergaben, daß der krankhafte 
Zustand der Chromatophoren , wie er sich in der Weißbuntheit äußert, ausschließlich 
durch das Plasma fiberliefert wird (Correns 1909). Man wird dem Experiment mit 
Bezug auf das vorliegende Problem so lange keine entscheidende Bedeutung zu- 
messen dürfen, als über die eigentlichen Ursachen und den Charakter jenes krank- 
haften Zustandes nichts Genaues bekannt ist. 

*) Wilson 1904. 



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Lokalisation der Anlagen im Keim. 



141 



dieser beiden Körperteile unentbehrlich ist, und es sprechen diese 
und ähnliche Befunde 1 ) dafür, daß bei einigen Tieren mindestens 
nach erfolgter Eireife die einzelnen Regionen des Eiplasmas in 
verschiedener Weise determiniert, oder daß, wie man auch sagen 
kann, die Anlagen bestimmter Organe lokalisiert sind. Zur Ver- 
erbung, d.h. zur Wiederholung der Entwicklungsprozesse, als deren 



Fig. 79- 




Entwickelung von Dentaliura. Nach Wilson. 

A Ei in Zweiteilung mit PolUppen pl. B normale Larve. C Defektlarve (durch Entfernung des 

PolUppens erzielt). 

Endresultat die Eigenschaften der Eltern im Kinde wieder erscheinen, 
ist also in allen diesen Fällen eine bestimmte Struktur des Eiplas- 



l ) Andere Beobachtungen dieser Art haben Roux (Virchows Archiv, 114. Bd., 
1888) am Froschei, Crampton (Arch. Eut.-Mech., 3. Bd., 1896) und Wilson (Journ. 
Exp. Zool., Vol. 1, 1904) bei weiteren Mollusken (Ilyanassa, Patella), Fischel (Arch. 
Ent.-Mech., 6. u. 7. Bd., 1897—1898) bei einer Rippenqualle (Beroe), Conklin (Journ. 
Exp. Zool., Vol. 2. 1905) bei einer Ascidie (Cynthia), F. R. Lillie bei einem Annclid 
(Chaetopterus) gemacht. Vgl. hierzu auch Rabl 1906, sowie Korscheit u. Heider, 
Allg. Teil, S. 81 ff. 



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142 



Organbüdende Substanzen. 



Fig. 80. 



mas nötig, und so wird man auch auf diesem Wege zu dem Schluß 
geführt, daß bei der Vererbung alle Zellbestandteile in gleicher Weise 
beteiligt sind (Rabl). 

In einzelnen Fällen finden sich im reifen Ei sogar besondere 
sichtbare Differenzierungen in Gestalt von Körnchen, die, ähnlich den 
früher (S. 63) beschriebenen Ektosomen des Cyclopseies, durch ihre 
Färbbarkeit oder auch schon durch ihr Lichtbrechungsvermögen von 
dem übrigen Protoplasma verschieden sind und bei der Teilung des 
befruchteten Eies genetische Beziehungen zu bestimmten Organanlagen 
erkennen lassen, indem sie während der Eisegmentierung den Urzellen 

bestimmter Organe zugewiesen werden. 
Ob allerdings diese „organbildenden" 
(ooplasmatischen) Substanzen tatsäch- 
lich eine cy toplasmatische (vom Kern 
mehr oder weniger unabhängige) Ver- 
erbungssubstanz darstellen, wie dies Meves 
speziell für die als Chondriosomen 
( M i t o c h o n d r i e n) bezeichneten Einschlüsse 
der Samen- und Embryonalzellen der Wirbel- 
tiere (Fig. 80) annimmt oder ob es sich 
um nichtlebende Stoffe handelt, ähnlich den 
determinierenden Faktoren, welche nach 
Delage im Ei eingeschlossen sein sollen, 
oder ob sie in letzter Linie aus dem Kern 
hervorgehen und ihr Verhalten also mit der 
Hypothese von dem Vererbungsmonopol des 
Kernes vereinbar ist (Conklin), darüber 
Dannepitheizeiien eines Hüh- gehen die Ansichten noch weit auseinander. 

Alles in allem ist also die Diskussion 
über die Frage, ob der Kernsubstanz bei 
der Vererbung eine ausschließliche oder wenigstens eine führende 
Rolle zufällt, oder ob die beiden Hauptbestandteile der Zelle in 
gleicher Weise beteiligt sind, noch lange nicht abgeschlossen, und eine 
einigermaßen befriedigende Lösung wird wohl erst dann möglich 
sein, wenn unsere Kenntnis von der chemisch-physiologischen Ver- 
schiedenheit der einzelnen Zellorgane und vom Chemismus der Zelle 
überhaupt weiter fortgeschritten sein wird. 




nerembryos mit Mitochondrien 
im Cytoplasma. Nach Meves. 



') Vgl. hierzu Lundegird 1910. 



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Kernplasmahypothese der Vererbung. 



H3 



Ich selbst möchte, unter gleichzeitiger Berücksichtigung der Er- 
gebnisse der Bastardforschung und bestimmter Erfahrungen, die ich 
bei der Untersuchung der hochspezialisierten tripyleen Radiolarien 
gewonnen habe, einer eingeschränkten Kernplasmahypothese 
der Vererbung das Wort reden, wonach im allgemeinen Kern und 
Zellplasma bei der Übertragung der Art- und Individual Charaktere 
beteiligt sind, im einzelnen aber dem* Kern eine bestimmende und 
führende Rolle zufallen kann. 

Als eine der morphologischen Voraussetzungen dieser An- 
schauung ist, wie ich glaube, anzunehmen, daß das Kern- und das 
Zellplasma jeder Spezies in bezug auf die generellen und spezifischen 
Strukturen und Potenzen miteinander übereinstimmen und nur 
insofern verschieden sind, als durch diese Verschiedenheit die 
Stoffwechselvorgänge ermöglicht werden 1 ). Sie stellen also 
ernährungsphysiologische Modifikationen einer und derselben Plasma- 
sorte, des Artplasmas, dar und können ohne Schwierigkeit ineinander 
übergeführt werden. Ebenso wie offenbar in den Prophasen der Kern- 
teilung nach Auflösung der Kernmembran überschüssiges Kern- 
plasma in Cytoplasma transformiert wird 9 ), so kann umgekehrt Cyto- 
plasma in Kernplasma umgewandelt werden, wie dies besonders 
während der Eifurchung in der allmählichen Änderung der Mengen- 
verhältnisse von Kern- und Zellsubstanz, nach R. Hertwigs Definition 
in der Herstellung der normalen Kernplasmarelation, hervortritt 3 ). 

Die weitgehende konstitutionelle Übereinstimmung von Kern und 
Cytoplasma bringt es nun mit sich, daß bei irgend welchen, die 
Variationsbreite der Art nicht überschreitenden Zustandsänderungen 
(konstitutionellen Verschiebungen) der einen Plasmasorte auch die 
andere in gleichem Sinne umgestimmt werden kann, derart, daß be- 

l ) Vgl. auch Kap. 6, S. 52 f. 

*) Vgl. die Größenverhältnisse einerseits des ausgewachsenen Keimbläschens, 
andererseits der kondensierten Chromosomen der ersten Reifungsteilung, S. 6q, 
Fig. 34 a und b 

■) Boveri (1905) hat hervorgehoben, daß sich die Kernsubstanz bei der Ei- 
furchung mit jedem Teilungsschritt verdoppelt, insofern nach jeder mitotischen 
Halbierung der Tochterkern annähernd auf das Volumen des Mutterkerns wiederum 
heranwächst, daß aber andererseits die Zellsubstanz im ganzen nicht nur nicht wächst, 
sondern sogar durch die auf ihre Kosten wachsende Kernsubstanz vermindert wird. 
Godlewski u. a. nehmen bei diesen Vorgängen eine direkte Transformation des 
Zellprotoplasmas in Kernsubstanz an, während Loeb es offen läßt, ob die letztere 
aus dem Protoplasma oder aus den in ihm enthaltenen Reservestoffen gebildet wird. 
Zu diesem Gegenstand vgl. besonders auch R. Hertwig 1003, 1908, Boveri 1005. 



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144 



Umstimmung des Plasmas. 



stimmte, vorher nur latent vorhandene Potenzen des ein zweigliedriges 
System darstellenden Artplasmas aktiviert werden. Wird beispiels- 
weise in ein Zellplasma a ein rassenfremder Kern b' importiert, so 
kann das erstere durch den letzteren umgeprägt (assimiliert) werden, 
so daß es den adäquaten Zustand a' annimmt 1 ). Als Resultat dieses 
Assimilationsprozesses wird eine bestimmte Potenz A' des Artplasmas 
zur Entfaltung kommen und in Gestalt einer bestimmten äußeren 
Eigenschaft in Erscheinung treten. Umgekehrt wird in gewissen Fällen 
auch eine Umstimmung des Kernes durch das Cytoplasma erfolgen 
können. Da nun ferner nach meiner Auffassung das einzelne Artplasma 
nicht bloß solche Potenzen, Konstitutions- oder Zustandsmöglichkeiten 
enthält, welche sich normalerweise in den einzelnen Varietäten 
der betreffenden Art äußern, sondern auch eine große Anzahl an- 
derer Potenzen, welche in den Variationsbereich ganz anderer Arten 
und Gattungen gehören und bei jenen nur unter durchaus abnormen 
Bedingungen als „Transversionen" zum Vorschein kommen 8 ), so 
können gegenseitige Umstimmungen und Assimilationen des Kern- 
und Cytoplasmas sogar bei Art- und Gattungskreuzungen er- 
folgen, wie dies der B overische Bastardierungsversuch (Import eines 
gattungsfremden Kernes) und gewisse durch Artkreuzung hervorgerufene 
Mosaikbastarde zeigen 8 ). Bei sehr starker Heterogenität des Kern- 
und Cytoplasmas unterbleibt freilich eine eigentliche Umstimmung, 
und es wird unter gewissen Bedingungen, wie z. B. beim Godlewski- 
schen Kreuzungsversuch, der Fall eintreten können, daß der Fremdkern, 
ähnlich den die künstliche Parthenogenese bewirkenden Agenzien, 
nur als Stimulus für die Auslösung der Eientwickelung wirkt, und 
das Eiprotoplasma demgemäß überhaupt nur seine eigenen Potenzen 
zur Entfaltung bringt. 

Was nun im speziellen die Anteile der beiden Haupt- 
bestandteile der Zelle an den spezifischen, von Generation zu 
Generation sich wiederholenden Formbildungsvorgängen und also an 
der Vererbung anbelangt, so glaube ich, daß dieses Verhältnis weder 
für alle Organismen, noch für alle Einzel Vorgänge der Ent- 
wickelung auf eine einheitliche und glatte Formel gebracht 



») Vgl. Kap. 33- 

*) Vgl. Haecker 1908. 

•) Letztere zeigen in einzelnen Körperregionen reziproke Umstimmungen nach 
der väterlichen, in andern nach der mütterlichen Seite hin. Vgl. den Bastard zwischen 
Lady Amherst- und Goldfasan (Kap. 21). 



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Rolle von Kern- und Cytoplasma. 



145 



Fig. 81. 



werden kann, um so weniger, als ja bei der Formbildung, wie 
O. Hertwig, Roux, Driesch u. a. hervorgehoben haben, auch die 
inneren Plasmaprodukte, die doch nicht eigentlich zum Zellplasma 
gerechnet werden können, und die äußeren Faktoren (Schwerkraft usw.), 
eine bestimmende Rolle spielen können. 

Wenn man zum vollständigen äußeren Artbild sämtliche 
einzelnen Erscheinungen und Eigenschaften rechnet, die nicht bloß 
im ausgebildeten Zustand eines Organismus, sondern in allen ein- 
zelnen Entwickelungsstufen zur Beobachtung kommen, so dürften 
hinsichtlich der Rolle von Kern- und Cytoplasma hauptsächlich fünf 
verschiedene Verhältnisse in Betracht kom- 
men und unter Umständen nebeneinander 
wirksam sein: 

1. Gewisse äußere Erscheinungen, z. B. 
die Asymmetrie im Zellteilungsprozeß, wer- 
den offenbar ganz überwiegend durch den 
Zustand des Zellprotoplasmas und seiner 
Einschlüsse bestimmt. Wenn z. B. das 
Froschei aus dem Vier- in das Achtzellen- 
stadium übergeht (Fig. 8l), so bewirkt die 
Konzentration der Hauptmasse der Dotter- 
materialien in den unteren Partien des Eies 
und andererseits die größere Affinität des 
Kernes zu den dotterärmeren Plasmaportio- 
nen, daß sich die Kernteilungsfiguren in die 

oberen Teile der Furchungszellen einstellen und letztere demgemäß 
bei der Durchteilung in eine kleinere (obere) protoplasmareiche und 
eine größere (untere) dotterreiche Tochterzelle zerfallen (O. Hertwig). 

Die spezifischen Qualitäten des Kernplasmas dürften auf diese 
Formverhältnisse nur eine geringe Einwirkung haben, und es ist wohl 
anzunehmen, daß in solchen Fällen der Import eines fremden Kernes 
keine wesentlichen Unterschiede hervorrufen würde. 

2. In anderen Fällen scheint die Formbestimmung ebenfalls vor- 
wiegend im Zellprotoplasma ihren Sitz zu haben, aber auch dem 
Kern fällt offenbar eine wichtige spezifische, wenn auch vielleicht 
mehr auslösende und stoffliefernde Funktion zu. Dies dürfte z. B. 
für die tripyleen Radiolarien gelten, bei welchen die hochspezialisierten 
Kieselbildungen, z. B. das „Schloß" der ähnlich den Muscheln von 
zwei Halbschalen eingeschlossenen Conchariden (Fig. 82), auf Grund 

H acck er , Vererbungslehre. jq 




Froschei beim Übergang vom 
Vier- zum Achtzellenstadium. 
Nach O. Hertwig. 



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146 



Rolle von Kern- und Cytoplasma. 



eines komplizierten Ineinandergreifens von Abscheidungs-, Wachstums- 
und Sprossungsvorgängen zustande kommen '). Man gewinnt hier den 
Eindruck, daß die spezifische Formbildung vielmehr durch die innere, 
nach verschiedenen Richtungen hin verschieden beschaffene 
(anisotrope) Struktur, durch den spezifischen „ promorphologischen u 
Aufbau des Weichkörpers, als durch den mächtigen, mit zahlreichen 
(1200 bis loOO) gleichartigen Chromosomen ausgestatteten, anscheinend 
monoton gebauten Kern bedingt ist, und daß der letztere offenbar 

Fig. 82. 

IT) - 






Oc'v O 



Scldoßbilduug eines lupvieen kadmlars (Conchoceras). Die beiden hemisphäiischcn 
Halbschalen sind miteinander durch Zahnreihen verbunden, welche ineinander greifen, 
wie die Finger einer gefalteten Hand. Die Zahnreihe der einen Halbschale ist mit 
der anderen Halbschale durch zwei aus ösenartigen Kiesclbrücken oder Doppelpfeilen! 
bestehenden Führungen (»1 marginale, sm submarginale Führung) verbunden. Diese 
Anordnung bewirkt, daß bei VolumenvergTößerungen des Weichkörpers oder bei 
Kollisionen mit anderen Organismen die Halbschalen sich nicht übereinanderschieben 

können. 

mehr die Funktion einer „Kerndrüse", als die eines eigentlich form- 
bestimmenden Organs besitzt 2 ). 

3. Bei den vielzelligen Organismen stellt die Zahl und Größe 
der Zellen auf einem bestimmten Entwickelungsstadium eine wich- 

') Vgl. auch S. 36. Fig. 10, sowie unten Fig. 106. 

•) Daß speziell bei Formen mit losen Skelettclementcn, vor allem bei den 
Aulacanthiden, die Anlagen der einzelnen Skeletteile, die .häutigen Stachelanlagen" 
ein hohes Maß von morphologischer und physiologischer Selbständigkeit gegenüber 
dem sie umgebenden (irundprotoplasrna besitzen, ist schon früher (S. 36) erwähnt 
worden. Vgl. im übrigen Tiefsee- Radiolarien IQ08 (Literaturverzeichnis 5), S. 680; 
Rad. in Ver. u. Var. IQ07 (Literaturverzeichnis 5), S. 11; sowie 1007. S. 5. 



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Kernplasraarelation. 



147 



tige morphologische Erscheinung dar. Bei ihrem Zustandekommen 
spielt nun offenbar weder das Cytoplasma, noch der Kern eine 
eigentlich führende Rolle, sondern als form bildender Faktor kommt 
im wesentlichen das quantitative Verhältnis der beiden Haupt- 
bestandteile der Zelle in Betracht 1 ). Ein bestehendes Mißverhältnis 
zwischen der Menge der Kernsubstanz und des Cytoplasmas, die 
gestörte Kernplasmarclation oder die Kernplasmaspannung 
(R. Hertwig) stellt ein inneres, die Zellteilung hervorrufendes Moment 
dar, welches so lange wirksam ist, bis die normale Kernplasmarelation 
hergestellt ist. 

Daß für die einzelnen Spezies eine feste Relation zwischen Kernsubstanz- und 
Cytoplasmamenge besteht, äußert sich unter anderem darin, daß bei menschlichen 
Kiesen und Zwergen die Zcllengröße mit der Zcllengröße bei normalen Individuen 
übereinstimmt und nur die Zellenzahl eine wechselnde ist (Boveri). Nahe ver- 
wandte Spezies besitzen im ganzen die nämliche Kernplasmatelation. Daher auch 
bei nahe verwandten, aber ungleich großen Spezies in homologen Organen die 
Zellengrüßc konstant, die Zellenzahl aber wechselnd ist (Rabl)*). 

Für eine Nachtkerzenform, Ocnothera gigas. läßt sich zeigen, daß ihre wesent- 
lichen morphologischen Unterscheidungsmerkmale auf die besondere 
Größe der Zellen zurückzuführen sind. Diese aber hängt offenbar damit zusammen, 
daß bei Oenothera gigas die Zahl der Chromosomen (28) doppelt so groß ist als 
bei Oenothera Lamarckiana und anderen Formen (Mutanten) und dementsprechend 
auch die Kerne größer sind. Es beruhen also hier alle spezifischen Formverhält- 
nisse in letzter Linie auf einer Vergrößerung der Chromosomenzahl (Gates). 

Ob vielleicht in ähnlicher Weise auch die morphologischen Speziesuutcrschiede 
bei den Kopepodcn (Kap. ll) 'mit der Vergrößerung der Chromosomenzahl und 
damit der Kern- und Zellengröße zusammenhängen, ist vorläufig nicht zu entscheiden. 

4. Da, wo es sich weniger um Form Verhältnisse, als um Eigen- 
schaften mehr chemischer Art handelt, z. B. bei der Produktion be- 
stimmter Sekrete, insbesondere auch bei der Ablagerung von Pigmenten, 
wird, worauf die Ergebnisse der Rassenkreuzungen hinweisen 3 ), die 
führende Rolle des Kernes stärker hervortreten, sei es, daß er durch 
Abgabe kleinster Lebenseinheiten (der Pangene de Vries\ 
der Biophoren Weismanns) oder von Stoffteilchen niedrigerer 
Ordnung direkt zur Bildung jener Substanzen beiträgt, oder durch 
Abscheidung von Fermenten (Enzymen) die Stoffwechsel Vorgänge 
im Zellprotoplasma beeinflußt (Haberlandt). 

5- Wenn ein fremder Kern in das Cytoplasma importiert wird, 
wie dies bei jeder Fremdbefruchtung der Fall ist, so kann sich die 

l ) Nach Untersuchungen von Gerassimoff, Morgan, Driesch, R. Hertwig, 
Boveri. Vgl. besonders Boveri 1905, ferner Godlewski 1010. 
*) Vgl. Boveri 1905. 
3 ) Vgl. Kap. 23. 

\o' 



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Führende Rolle des Kerns. 



führende Rolle des Kernes, wie oben ausgeführt wurde, wohl noch 
in anderer Weise geltend machen, nämlich in einer Umprägung 
oder Assimilierung des Zellplasmas, ebenso wie umgekehrt auch 
letzteres eine Umstimmung der Kernsubstanz herbeiführen und so in 
gewissem Sinne die Herrschaft übernehmen kann 1 ). 

Alle diese verschiedenen Relationen zwischen Kern und Cyto- 
plasma lassen sich natürlich nicht immer scharf voneinander trennen. 
Bei dem gegenwärtigen Stande unserer Kenntnisse ist es aber nötig, 
bezüglich der verschiedenen Möglichkeiten zunächst die Analyse, 
soweit als angängig, durchzuführen und auch bei diesem Gegenstand 
im Auge zu behalten, daß in der Biologie mit fortschreitender Tat- 
sachenkenntnis die Problemstellung nicht einfacher, sondern immer 
verwickelter wird. 



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und Vererbungsrichtung bei Echinodermenbastarden. Arch. f. Zellf., 5- Bd., 1910. 

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Gerassimoff. J. P.. Zur Physiologie der Zelle. Bull. Soc. Imp. Nat. Mose. 1904. 



') Vgl. Kap. 33- 



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Literaturverzeichnis 14. 



149 



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Entw.-Mech., 30. Bd., 1910. 
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— , Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena 1892. 
Wilson, E. B., Experimental Studies on germinal Localization. 1 — II. J. Exp. Zool., 
Vol. 1, 1894. 



1QOQ. 




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Fünfzehntes Kapitel. 
Das Problem der Vererbung erworbener Eigenschaften. 

Allgemeines. 

(A) Äquikausale und (B) äquidispositionelle Abänderungen. 

Durch die Aufstellung der Kontinuitätshypothese wurde Weis- 
mann unmittelbar vor das Problem der Vererbung erworbener Eigen- 
schaften geführt. 

Da Lamarck die erbliche Übertragung der während des indi- 
viduellen Lebens erworbenen Variationen als den wichtigsten der bei 
der allmählichen Artumwandlung wirksamen Faktoren betrachtet hatte, 
und da das Lamarck sehe Erklärungsprinzip auch in Darwins Ent- 
wickelungslehre neben dem Selektionsprinzip eine wenn auch neben- 
sächliche Rolle spielt, so ist es klar, daß es sich hier um eine der 
Fundamentalfragen der Artbildungs- und Abstammungslehre handelt. 
Insbesondere ist auch die praktische Bedeutung des Gegenstandes für 
die Tier- und Pflanzenzüchter, für die Mediziner und Soziologen ohne 
weiteres einleuchtend. 

Weis mann ging zunächst (1883) von der Frage aus, wie es 
möglich gewesen sei, daß in einer Volvoxkolonie die Keimzellen die 
Fähigkeit erlangt haben, durch Teilung immer wieder auch die anderen 
Zellarten, die Körperzellen, hervorzubringen, da doch vor der Diffe- 
renzierung der Kolonie, d. h. ehe bei den Vorfahren von Volvox eine 
Differenzierung von Keim- und Körperzellen eingetreten war, alle Zellen 
immer nur ihresgleichen erzeugten. Zunächst besteht die Möglichkeit, 
daß diejenigen Zellen der Kolonie, welche durch Anpassung an die 
Lebensbedingungen zu Körperzellen differenziert wurden, durch 
Abgabe von Stoffteilchen die Keimzellen derart umgestalteten, daß 
diese bei der folgenden Teilung sich in die verlangten ungleichen 
Hälften teilen mußten. Einer solchen, mit Darwins Pangenesis- 
hypothese im wesentlichen zusammenfallenden Annahme steht aber 
schon bei so einfachen Organismen, wie es die Volvoxkolonien sind, 



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Somatische Induktion. 



151 



eine Reihe von Schwierigkeiten im Wege. Ganz besonders ist es aber 
auch unmöglich, sich bei den eigentlichen viel zel Ii gen Organismen, 
welche eine weiter fortgeschrittene Arbeitsteilung und eine ganze 
Anzahl verschiedener Zellen und Gewebe aufweisen, eine Vererbung 
erworbener Eigenschaften auf dem Wege einer stofflichen Kommuni- 
kation zwischen Körper- und Keimzellen vorzustellen, und so kam 
Weismann dazu, hier die Möglichkeit einer solchen direkt in Ab- 
rede zu stellen 1 ). 

Man wird in der Tat Weis mann in dieser Hinsicht mindestens 
das Folgende zugeben müssen. Denkt man sich, es habe irgend eine 
Gruppe von somatischen Zellen, beispielsweise eine Hautpartie, infolge 
einer Verletzung eine Verminderung in der Zahl oder eine Deformation 
in der Anordnung ihrer Elemente erfahren- Dann wäre es allerdings 
in einfachen Fällen mittels einiger Hilfsannahmen denk- 
bar, daß dieses veränderte Bild, die Abänderung A, auf die Fort- 
pflanzungszellen projiziert wird und hier im Keimplasma eine ad- 
äquate Abänderung a hervorruft. Wenigstens könnte man sich irgend 
welche Verbindung zwischen den Sorna- und Keimzellen, eine soma- 
tische Induktion der letzteren durch die ersteren 2 ), sei es mittels 
Darwinscher Kcimchen, sei es mittels irgend welcher innerer Sekrete 
oder Nerveneinflüsse 8 ), vorstellen. Immer unter der Voraussetzung, 
daß es sich um einfachere Fälle handelt, könnte man sich dann in 
der Tat ausdenken, daß gleichen äußeren Eindrücken immer 
auch gleiche Abänderungen in der Konstitution des Keimplasmas 
entsprechen, so wie die empfindliche Platte des Phonographen durch 
gleiche Töne und Tonkombinationen immer in gleicher Weise beeinflußt 
wird. Aber ganz unvorstellbar ist der von Lamarck angenommene 
weitere Vorgang, nämlich die Wiedererweckung derselben Abände- 
rung A im jungen, aus der Keimzelle hervorgegangenen Organismus 
als eine Folge der im Keimplasma entstandenen Abänderung «. 

Die Unmöglichkeit, sich ein derartiges Wechsel Verhältnis vorzu- 
stellen, geht schon aus folgender Überlegung hervor. 

l ) Vgl. unter anderen Weismann. Keimplasma, S. 515. 

*) Detto 1909. Plate, S. 336 (190s), nennt Reize, welche nur auf das Sorna 
wirken und dann in veränderter Form durch die organischen Leitungsbahnen auf die 
Keimzellen übertragen werden, Leitungsreize. 

*} Eine reziproke Verbindung der im Nervensystem gelegenen, funktionell 
dem „Stirp" oder „Keimplasnia" entsprechenden „ Zentralzone " und andererseits der . 
somatischen Elemente durch „nervöse Ströme" hat neuerdings Rignano an- 
genommen. 



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152 



Unwahrscheinlichkeit einer somatischen Induktion. 



Eine der Voraussetzungen für das Zustandekommen einer solchen 
Vererbung als eines gesetzmäßigen und nicht bloß zufälligen Vor- 
kommnisses würde sein, daß die Kette von Ursachen und Wir- 
kungen X, Y, Z, die im elterlichen Organismus von der Abänderung A 
zur Keimzellenvariation a führt, in umgekehrter Reihenfolge wieder 
in Gang gesetzt wird, wenn sich aus der Keimzelle der junge Orga- 
nismus entwickelt. Denn nur in diesem Falle könnte jedesmal dem 
A wieder ein A, dem B ein B entsprechen. Nun können als einzige 
Faktoren, die für die Projektion der Abänderung A auf die Keim- 
zellen im elterlichen Organismus in Betracht kommen, die Abgabe 
und Zirkulation von Keimchen oder inneren Sekreten, oder auch 
Nerveneinflüsse angenommen werden, aus Faktoren dieser Art würden 
also die Glieder der Kette x, y, z bestehen. Andererseits ist aber 
doch der Kausalnexus, welcher zwischen der Konstitution der Keim- 
zellen und der Entfaltung äußerer Merkmale im jungen Organismus, 
bzw. zwischen Keimesvariationen a und entsprechenden Abänderungen 
des Artbildes anzunehmen ist, sicherlich ein ungleich kompli- 
zierterer und kann keineswegs im Transport von Stoffteilchen oder 
in Kommunikationen nervöser Art bestehen. Es werden also als 
Glieder der Ursachenkette nicht x, y, *, sondern ganz andere Fak- 
toren (Mittel der Formbildung) w, n, o in Betracht kommen, und 
dementsprechend wird sich, im Falle die Abänderung A des 
elterlichen Organismus überhaupt fortwirkt, nicht die 
Lamarcksche Reihe 

A — x — y — z — a — z — y — x — d, 

sondern eine Reihe mit einem ganz anderen Schlußglied, etwa 

A — x — y — z — a — m — n — o — B 

ergeben. Nur auf Grund von ganz zufälligen Umständen könnte 
das Schlußglied A dann und wann einmal erreicht werden. 

Wie gezeigt wurde, war Weismann zunächst aus rein theo- 
retischen Gründen zu dem Ergebnis gelangt, daß eine Vererbung 
erworbener Eigenschaften nicht stattfinde. Da nun aber in der Un- 
möglichkeit, sich von einem Vorgang ein Bild zu machen, noch kein 
Beweis gegen die tatsächliche Existenz des Vorganges liegt, so unterzog 
er die einzelnen Erscheinungen, die als Stütze für die Lamarcksche 
Auffassung angeführt worden waren, einer genaueren Prüfung, und 
' suchte den Nachweis zu führen, daß in einem Teil der Beispiele die 
Beobachtung eine unvollständige ist, und daß andere Fälle einer 



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Gruppierung der Erscheinungen. 



153 



scheinbaren Vererbung erworbener Eigenschaften sehr wohl als Wir- 
kung von Ausleseprozessen gedeutet werden können. 

Seit dem Erscheinen von Weismanns Schriften ist das Tat- 
sachenmaterial ganz bedeutend vermehrt worden, und es hat sich 
immer deutlicher die Notwendigkeit einer bestimmten Gruppierung 
der Erscheinungen und einer gesonderten Behandlung der einzelnen 
Tatsachengruppen herausgestellt. Man wird unter den Erscheinungen, 
für welche eine Vererbung in Lamarckschem Sinne (A — a — A) 
auf den ersten Anblick in Frage kommen kann oder mit größerer 
oder geringerer Bestimmtheit behauptet wird, zweckmäßig vier Gruppen 
unterscheiden. Es kommen in Betracht: 

a) solche Fälle, in welchen in augenscheinlicher Weise eine 
Übertragung der Reizursache selber stattfindet und also, 
da beim Kinde die gleiche Ursache weiterwirkt, das Wieder- 
auftreten der Besonderheit, also der Reizwirkung, ohne 
weiteres verständlich wird (äquikausale Änderungen); 

b) solche Fälle, in welchen die Bedingungen für die Wirkung 
bestimmter Reize, also die Reizempfänglichkeit oder 
Disposition, auf Grund einer erblichen Keimesvariation 
übertragen wird (äquidispositionelle oder vielleicht kürzer 
äquipotentielle Variationen). 

Diese beiden Fälle, in welchen sich die gleiche Erschei- 
nung bei Eltern und Kindern wiederholt, ohne daß von einer 
Vererbung der Erscheinung selber gesprochen werden kann, 
fallen nach dem heute noch in der Medizin herrschenden Sprach- 
gebrauch zum Teil wenigstens unter den Begriff der kongenitalen 
(angeborenen), und zwar der erblich kongenitalen Abänderungen 1 ). 

Ihnen stehen diejenigen Variationen gegenüber, welche bei den 
Eltern durch Einwirkung eines Reizes, der entweder direkt 
von der Außenwelt herrührt oder sich aus den Beziehungen des 
Organismus zur Außenwelt ergibt, hervorgebracht werden und bei 
denen eine Übertragung der Reizwirkung angenommen wird oder 
nachzuweisen ist. Man kann sie vielleicht, als Lamarcksche Ab- 



l ) Die Medizin spricht auch beute ncxh von kongenitalen Veränderungen 
sowohl dann, wenn es sich um die Übertragung der Reizursache oder des Erregers 
auf gerrainalera oder placentarem Wege handelt, als auch dann, wenn angeborene, 
auf Keimesvariationen beruhende (zum Teil erbliche) Defekte vorliegen, die in „ver- 
sprengten Embryonalzellen" (z. B. bei Dermoidcysten) oder in Entwickelungshera- 
mungen anderer Art (z. B. bei Leistenbrüchen) ihre Ursache haben. 



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154 



Äquikausale Abänderungen. 



änderungen zusammenfassen und unter ihnen je nach der Angriffs- 
fläche des Reizes unterscheiden: 

c) Die einseitigen Lamarckschen Abänderungen, welche 
in augenscheinlicher Weise nur bestimmte, umschriebene 
Körperteile betreffen, und 

d) die allseitigen, für welche eine Beeinflussung des ganzen 
elterlichen Organismus einschließlich der Fort- 
pflanzungselemente angenommen werden muß. 

A. Äquikausale Abänderungen 
(Übertragung der Reizursache). 

Bei der Pebrine, einer Infektionskrankheit der Seidenraupe, 
kann die Übertragung in der Weise zustande kommen, daß die 
Krankheitserreger aus dem elterlichen Organismus in die Eier ge- 
langen und im jungen Organismus weiterwuchern. Möglicherweise 
werden auch beim Menschen Infektionskrankheiten in der Weise 
übertragen, daß die Erreger aus dem erkrankten (männlichen oder 
weiblichen) Individuum in die Fortpflanzungszellen gelangen. Ins- 
besondere wurde früher angegeben, daß die Syphilis durch Infektion 
der Spermatozoen vom Vater auf die Kinder übertragen werden kann. 
Indessen sind neuerdings die meisten Gynäkologen zu der Ansicht 
gelangt, daß eine direkte paterne Übertragung bei der Syphilis nicht 
vorkomme, wie denn vor allem auch darauf hingewiesen worden 
ist 1 ), daß der vermutliche Erreger der Lues, die Spirochaete pallida, 
länger als der Kopf eines menschlichen Spermatozoons ist. 

Offenbar haben derartige auf Keiminfektion (pränataler Infek- 
tion) beruhenden gleichsinnigen Erkrankungen der Eltern 
und Kinder mit einer Vererbung nichts zu tun, da die Wider- 
holung der Reizwirkung bei den Kindern nicht auf einer Abänderung 
des Keimplasmas, sondern auf der Übertragung der Reizursache 
von einer Generation auf die andere beruht. Es handelt sich um die 
nämliche Erscheinung, wie beim grünen Süßwasserpolypen (Hydra 
viridis), dessen grüne Farbe auf dem Vorhandensein einer symbiotischen 
Algen-(Zoochlorellen-)Flora beruht und in der Weise übertragen 
wird, daß die Algen vom mütterlichen Entoderm in die Eizellen und 



') Zuerst durch Mumm. Die Länge der Spirochaete pallida beträgt 6 bis 15,«, 
seltener 16 bis 26« (aus Doflein, Lehrb. d. Protoz.), die des menschlichen Sperma- 
kopfes 4.5 « (nach W. Krause aus Waldeyer). 



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Äquidispositionelle Abänderungen. 



155 



damit auf die Nachkommen übergehen. Ein Gegenstück bietet ein 
von Sitowski 1 ) ausgeführter Fütterungs versuch dar: Werden die 
Raupen von Tineola biselliclla mit dem Farbstoff Sudanrot gefüttert, 
so erscheinen im Fettkörper der Raupe und ebenso im Fettkörper 
und Eierstock des aus der Raupe hervorgehenden Schmetterlings rosa 
gefärbte Fetttröpfchen, und diese finden sich auch noch in den ab- 
gelegten Eiern, also in den Anfangsstadien der folgenden Generation. 

In allen diesen Fällen liegt also keine Vererbung erworbener 
Eigenschaften im Sinne Lamarcks, also ein A — a — A -Prozeß, 
vor, sondern eine direkte Übertragung der Reizursache, ein Vorgang, 
der durch die Formel U — U — U ausgedrückt werden kann. 

B. Äquidispositionelle Abänderungen 
(Übertragung der Reizempfänglichkeit). 

Ein Vererbungsvorgang kann auch vorgetäuscht werden, wenn 
«ine bestimmte Keimesvariation in Gestalt einer besonderen Reiz- 
empfänglichkeit oder Disposition von einer Generation auf 
die andere übertragen wird, und wenn infolge dieser gleichartigen Dis- 
position (geringe Resistenz der Epithelien, ungenügende Ausbildung 
von Schutzstoffen) bei den Vorfahren und Nachkommen die nämliche 
Krankheit Eingang findet. Hier wird nur die Empfänglichkeit vererbt, 
während die eigentliche Krankheitsursache, sei es in Gestalt von 
Mikroben, wie bei der Tuberkulose, sei es in Gestalt von äußeren 
Wirkungen anderer Art (Traumen), wie bei manchen Psychosen, in 
jeder Generation erst neu hinzutreten muß. 

Man kann vielleicht diese Zusammenhänge durch die Formel 

(D + U) - D - (D + ü) 

veranschaulichen, wobei durch D die Disposition aller Zellen, ein- 
schließlich der Keimzellen, durch II die von außen kommende Reiz- 
ursache ausgedrückt werden soll. 

') L. Sitowski, Ball. Acad. Sei. Cracovic. 1905. 



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Sechzehntes Kapitel. 



Das Problem der Vererbung erworbener Eigenschaften. 

(Fortsetzung.) 

C. Einseitige Lamarcksche Abänderungen. 

Eine Reihe von individuell erworbenen Abänderungen oder Neu- 
erwerbungen kommt dadurch zustande, daß ein äußerer Reiz in 
augenscheinlicher Weise nur auf bestimmte Teile des 
Körpers einen direkten Einfluß ausübt und der Körper in 
entsprechender Weise reagiert. Derartige Abänderungen, welche also 
auf der Reaktion bestimmter Körper- oder Somazellen auf einseitig 
wirksame Reize beruhen, fallen unter den Begriff der somatogenen 
Abänderungen Weismanns und bilden einen direkten Gegensatz zu 
den blastogenen Abänderungen, welche „die Folge einer Keimes- 
variation sind, mag diese entstanden sein, wie sie wolle" 1 ). 

Zu diesen einseitigen Abänderungen gehören die destruktiven 
Abänderungen, d. h. die durch mechanische Eingriffe entstandenen 
Verletzungen und Verstümmelungen, die funktionellen Abänderungen, 
die durch Gebrauch oder Nichtgebrauch eines Organs hervorgerufen 
werden, und die psychischen (mnemischen) Neuerwerbe, d. h. ein- 
fache Eindrücke (Engramme) psychischer Art, welche die einzelnen 
Individuen empfangen. Für alle diese Abänderungen ist von den 
Anhängern Lamarcks die Annahme gemacht worden, daß sie bei 
den Nachkommen, sei es in derselben Form, sei es in qualitativ 
oder quantitativ abgeänderter Weise, wieder zum Vorschein kommen, 
und zwar wird vielfach sogar behauptet, daß schon die Einwirkung 
auf eine Generation genüge, um die Beeinflussung mehrerer oder 
aller folgenden Generationen hervorzurufen. 

Als Beweise für eine Vererbung destruktiver Abänderungen s ) 
sind u. a. immer wieder solche Fälle angeführt worden, in welchen 

') Vgl. Weismann 1888 (Aufs., S. 498), 1892, S. 3. 
«) Vgl. Weismann 1889. 



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Verletzungen. 1 57 

• 

Hunde oder Katzen, die infolge eines Unglücksfalles oder durch 
Zwangskupierung ihren Schwanz eingebüßt hatten, schwanzlose Nach- 
kommen erzeugt haben sollen. Bei den meisten derartigen Fällen ist 
aber vollkommen die Frage aufler Acht gelassen worden, ob nicht 
unter den Vorfahren bereits die Schwanzlosigkeit bzw. eine Ver- 
kümmerung des Schwanzes als sprungweise Variation (Mutation) auf- 
getreten war, und ob es sich also bei den betreffenden Nachkommen 
nicht um ein Wiederauftreten latenter Anlagen oder Tendenzen handelt. 
In der Tat ist es ja bekannt, daß es auf der Insel Man im Irischen 
Meer und in Japan Katzenrassen gibt, bei welchen eine vom Ende 
der Schwanzwirbelsäule her Platz greifende Reduktion der Wirbelzahl, 
verbunden mit abnormer Verknöcherung und zuweilen mit vorzeitiger 
Verwachsung der Schwanzwirbel untereinander, als angeborene und 
erbliche Bildungsanomalie auftritt, wie denn überhaupt die 
Schwanzwirbelsäule der Säuger hinsichtlich der Wirbelzahl außer- 
ordentlich weitgehende Schwankungen spezifischer und individueller 
Art aufweist *). So konnte denn auch in einzelnen der als Beweis- 
material herangezogenen Fälle nachträglich gezeigt werden, daß unter 
den Aszendenten sich ein Individuum mit angeborener Schwanzlosig- 
keit befand, so daß also das Auftreten schwanzloser Jungen in ein- 
facher Weise zu erklären war. 

Gegen die Annahme, daß Verletzungen und Verstümmelungen 
übertragen werden, sprechen im übrigen nicht bloß zielbewußte 
Experimente, wie dasjenige von Weismann, welcher bei Mäusen 
neunzehn Generationen hindurch den Schwanz kupierte, ohne daß 
eine Wirkung bei den Nachkommen hervortrat a ), vielmehr dürften sie 
auch widerlegt werden durch eine Reihe von ethnographischen Tat- 
sachen und tierzüchterischen Erfahrungen. In ersterer Hinsicht ist 
vor allem auf die Beschneidung (Circumcision) hinzuweisen, die nicht 
bloß bei den Israeliten, sondern auch bei zahlreichen anderen asiatischen, 
afrikanischen und amerikanischen Völkern seit Jahrtausenden ausgeübt 
wird, ohne daß ein Einfluß auf die Nachkommen mit Sicherheit nach- 
gewiesen werden konnte. Auf tierzüchterischem Gebiete liegt ferner 



') Es sei auf die großen spezifischen Verschiedenheiten in der Schwanzlänge 
bei den Raubtieren (Katzen, Bären) und Affen (Meerkatzen, Menschenaffen) hin- 
gewiesen. Ein Beispiel für individuelle Schwankungen bildet der Mensch, bei welchem 
in der Regel 4 oder 5. seltener 3 oder 6 Schwanzwirbel angetroffen werden. 

*) Vgl. i8$f8a (Aufsätze. S. 522), sowie Keimplasma, S. 520. Ähnliche Versuche 
hat Ritzern a Bos mit Ratten angestellt. 



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158 



Funktionelle Abänderungen. 



die Tatsache vor, daß seit mehr als 100 Jahren bei den Schafmüttern 
der Merinos der Schwanz kupiert wird, und daß trotzdem niemals ein 
schwanzloses oder stummelschwänziges Merinoschaf geboren wurde 
obwohl gerade bei den Schafen eine große Variabilität bezüglich der 
Zahl der Schwanzwirbel und eine Neigung zu starker Reduktion 
vorliegt 2 ). 

Im ganzen wird man sagen dürfen, daß zurzeit kein vollkommen 
einwandfreies Beispiel für die Vererbung der durch Verletzungen 
hervorgerufenen Deformationen vorliegt, und daß die überwiegende 
Zahl der Biologen der Ansicht ist, daß eine solche Vererbung nicht 
stattfindet. Dagegen wird vielfach noch von Seiten der Tierzüchter 
an der Möglichkeit einer Vererbung von Verletzungen festgehalten »). 

Ähnlich steht es mit den funktionellen Abänderungen, den 
Aktivitätshypertrophien, die durch intensiven Gebrauch eines 
Organs, und den Inaktivitätsatrophien, die durch Nichtgebrauch 
hervorgerufen werden. 

Es ist eine allgemein bekannte Erfahrung, daß viel gebrauchte 
Organe, z. B. einzelne Muskeln und Muskelgruppen, die in bestimmten 
Berufen besonders stark in Anspruch genommen werden (Armmuskeln 
der Schmiede u. a.), überernährt, hypertrophisch werden und daher an 
Volumen und Funktionsfähigkeit zunehmen, und daß umgekehrt ein 
wenig gebrauchter Körperteil in den Zustand der Unterernährung oder 
Atrophie gelangt und infolgedessen eine mangelnde Ausbildung oder 
gar eine Rückbildung erfährt Nach Lamarck sollen nun solche 
durch Gebrauch (Übung) oder Nichtgebrauch hervorgerufenen Ab- 
änderungen erblich übertragen werden, es soll ferner, falls der Gebrauch 

') Vgl. Weisraanu 18SQ (Aufsätze, S. 527). Herr Dr. W. Staudinger hatte 
die Freundlichkeit, die betreffende Mitteilung Kuhns und Weismann 8 dahin zu 
ergänzen, daß bei den Merinos nur die Schafmütter, und zwar im Interesse eines 
erleichterten Sprunges kupiert werden, daß aber bei den englischen Fleischscbafrasseu 
(Leicester, Southdown, Hampshiredown, Oxfordshiie) seit etwa 50 Jahren die Zucht- 
tiere beiderlei Geschlechts, in ähnlicher Weise wie die belgischen Pferde und Shires, 
aus Formrücksichten kupiert werden, ohne daÖ eine Einwirkung auf die Jungen nach- 
gewiesen werden konnte. 

*) Nach H. v. Xathusi us (Vorträge über Schafzucht. Berlin 18K0) besitzen 
die schwanzlosen Rassen nur .3, die kurzschwänzigen 12 bis 16, die langschwänzigen 
(z. B. die Fettschwanzschafe) 22 bis 24. und mehr Wirbel. Die verschiedenen Wild- 
schafe (Moufflon, Argali. Mähnenschaf usw.) besitzen nach dem Material des hiesigen 
landwirtschaftlichen Instituts 10 bis 14 Wirbel. 

a ) So führt neuerdings U. Dürst (Mitt. Naturf. Ges. Bern 1909) den Ursprung- 
der Hörner der Cavicoruier und des Kreuzschnabels der Gattung Loxia auf die Ver- 
erbung von Traumen zurück. 



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Funktionelle Abänderungen. 



159 



oder Nichtgebrauch in den folgenden Generationen sich in gleichem 
Sinne fortsetzt, im Laufe der Stammesgeschichte eine Summierung 
(Akkumulierung) der in den einzelnen Generationen hinzutretenden 
positiven oder negativen Abänderungen oder Differentiale stattfinden 
und so eine immer fortschreitende Entwicklung bzw. eine Rudi- 
mentation und schließlich ein vollständiger Schwund des betreffenden 
Organs zustande kommen '). So würde z. B. die mächtige Entwicke- 
lung der Brustmuskeln einer Taube, eines Mauerseglers (Cypselus) 
oder Kolibris und die starke Entfaltung des ihnen als Ursprungsstätte 
dienenden Brustbeinkiels (Carina) auf eine akkumulierende Wirkung 
des durch viele Generationen fortgesetzten Gebrauches zurückzuführen 
sein, und ebenso würden die vorderen Extremitäten, die Brustmuskeln 
und der Brustbeinkiel bei den straußenartigen Vögeln dadurch zur 
Rückbildung gelangt sein, daß infolge des Aufenthaltes in baumlosen 
Steppen oder auf kleinen Inseln eine Abnahme der Flugtätigkeit, also 
ein zunehmender Nichtgebrauch dieser Organe eintrat. 

Nun gilt aber für die Wirkungen des Gebrauchs oder Nicht- 
gebrauchs dasselbe, wie für die durch mechanische Eingriffe hervor- 
gerufenen Deformationen. Zunächst ist der Nachweis, daß derartige 
Wirkungen vererbt werden, bisher niemals in einwandfreier Weise 
geführt worden, und es ist auch ohne weiteres klar, daß insbesondere 
ein zahlenmäßiger Nachweis mit besonderen Schwierigkeiten verbunden 
sein würde. Denn auch von den Anhängern Lamarcks wird ja ein- 
geräumt, daß selbst die sehr intensiven Gebrauchswirkungen vieler 
Berufe (schwielige Hand des Arbeiters, Muskeln des Athleten) nicht 
vererbt werden, wenn die Wirkung nur eine oder einige wenige Gene- 
rationen lang dauerte, und daß offenbar nur ein durch viele Generationen 
hindurch regelmäßig wiederkehrender Reiz zu sichtbaren erblichen 
Änderungen führen kann 2 ). Aber abgesehen von der Schwierigkeit 
eines direkten Nachweises, kann, wie Weismann hervorgehoben hat, 
eine im Laufe der Stammesgeschichte stattfindende Vergrößerung 
und Vervollkommnung und umgekehrt eine successive Rückbildung 
von Organen ohne besondere Schwierigkeiten auf Selektions- 
prozesse zurückgeführt werden. Denn offenbar werden nur solche 
Organe viel gebraucht und geübt, welche für das Leben des Organismus 
von Bedeutung sind und daher im Kampf ums Dasein eine wichtige 

') Ha ecke 1 hat diesen Prozeß als fortschreitende oder progressive Vererbung 
bezeichnet. Siehe S. 10. 

*) Vgl. Plate, S.344- 



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160 



Panniixie. 



Rolle spielen. Derartige Organe unterliegen aber in besonderem Maße 
der Naturzüchtung, und es wird ihr Ausbildungsgrad und ihre Leistungs- 
fähigkeit schon durch die Wirkung der letzteren gesteigert werden. 

Umgekehrt wird, wenn ein Organ, z. B. der Sehapparat beim 
Übergang zum Höhlenleben, in verringertem Maße gebraucht wird, 
schon durch den Wegfall der Ausleseprozesse seine allmähliche Re- 
duktion im Laufe der Stammesgeschichte herbeigeführt werden können. 
Wenn nämlich zweckmäßige Bildungen durch Selektion entstanden 
sind, so müssen sie auch durch Selektion erhalten werden, und sie 
werden von ihrer hohen Ausbildungsstufe herabsinken, sobald, wie 
dies beim Übergang in neue Lebensbedingungen eintreten kann, die 
Naturzüchtung in Wegfall kommt. In diesem Falle werden ja nicht 
bloß die in bezug auf das betreffende Organ bestausgestatteten 
Individuen, sondern auch die Träger der Minus -Variationen Aussicht 
haben, am Leben zu bleiben, zur Fortpflanzung zu gelangen und 
ihre Eigenschaften auf die Nachkommen zu vererben, es wird also 
eine Vermischung aller Individuen, eine Panmixie, eintreten und 
infolgedessen ein allmähliches Herabsinken des Organs von seiner 
ursprünglichen Organisationshöhe zutage treten, auch ohne daß eine 
Vererbung im Sinne Lamarcks stattfindet 1 ). 

Es gibt überdies Fälle, in denen es überhaupt ausgeschlossen 
erscheint, daß eine Vererbung erworbener Eigenschaften bei der Weiter- 
bildung oder Zurückdifferenzierung bestimmter Organe eine Rolle 
gespielt hat. So sind z. B. bei den Ameisen und Termiten ver- 
schiedene, den Arbeitern eigentümliche Differenzierungen aller 
Wahrscheinlichkeit nach erst auf einer späteren Stufe der stammes- 
geschichtlichen Entwickelung zur Ausbildung gelangt, nachdem die 
Arbeiter bereits ihre Fortpflanzungsfähigkeit und damit die Möglich- 
keit einer Übertragung erworbener Eigenschaften verloren hatten. 
Hier kann, wie Weismann namentlich in der bekannten, mit Herbert 
Spencer geführten Diskussion gezeigt hat, eine Vererbung der Ab- 
änderungen, die bei den Arbeitern durch Gebrauch oder Nichtgebrauch 
eines Organs während des individuellen Lebens entstanden sind, 
überhaupt nicht in Frage kommen, und es bleibt nur die Annahme 
übrig, daß die Weiter- oder Zurückbildung ausschließlich unter dem 
Einfluß von Züchtungsprozessen stattgefunden hat 8 ). 

l ) Vgl. Weismann 1883, 1886 (Aufsätze. S. 102, 574). 

*) Vgl. Weismann 1886 (Aufsätze, S. 573); 1893. S. 17, 43; 189S. S. 37. sowie 
H. Spencers Aufsätze in der Contemperary Review. 



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Mnr mische Abänderungen. 



161 



Die Argumente Weismanns haben bei einem großen Teil der 
Biologen Anklang gefunden, und man wird bezüglich des Problems 
der Vererbung der funktionellen Abänderungen sagen können, daß 
zurzeit kein Biologe und wohl auch kein Mediziner mehr eine solche 
Vererbung als ein des Beweises nicht weiter bedürftiges Axiom an- 
nimmt, daß vielmehr auch die Anhänger Lamarcks im Gegensatz 
zu früher bemüht sind, ihre Ansichten durch Heranziehung von Tat- 
sachen zu stützen. Anders steht es mit den Tierzüchtern. Bei ihnen 
überwiegt im ganzen noch die Annahme, daß die Vererbung funktio- 
neller Abänderungen einen der wichtigsten Faktoren bei der Neu- 
bildung der Kulturrassen darstellt, und die langjährige, auf biologischer 
Seite geführte Diskussion über diesen Gegenstand hat bei ihnen noch 
keinen lebhaften Nachhall gefunden. 

Eine dritte Gruppe von einseitigen Abänderungen stellen die 
psychischen Neuerwerbungen oder, wie man in Anlehnung an Semon 
sagen kann, die mnemischen Abänderungen dar. Nach der 
Ansicht von Haeckel, Eimer, Semon und anderen „Neo- 
Lamarckianern" wäre es möglich, daß Eindrücke psychischer Art, 
insbesondere Erfahrungen, die während des individuellen Lebens 
gemacht werden, und Gewohnheiten, die sich ein Tier angeeignet 
hat, derart die Keimzellen beeinflussen, daß sie bei den Nachkommen 
wieder in Form von angeborenen instinktartigen Fähigkeiten 
zum Vorschein kommen 1 ). Nehmen wir an, ein Falter oder eine 
Hummel habe die Erfahrung gemacht, daß an einer von der betreffenden 
Spezies bisher nicht besuchten Blume, beispielsweise einer neu im- 
portierten Kulturpflanze, Nektar in besonders bequemer oder reich- 
licher Weise zu gewinnen sei, und sie hätten sich infolgedessen daran 
gewöhnt, dieser Blume zuzufliegen, so daß der Besuch dieser Blume 
ein automatischer geworden wäre. Dann würden nach Auffassung 
der Neo-Lamarckianer, mindestens nach einer durch viele Generationen 
hindurch erfolgten Wiederholung der Erfahrung, die Nachkommen 
von vornherein den Instinkt besitzen, der betreffenden Blüte zu- 
zufliegen. Danach würden also die angeborenen Instinkte erblich 
gewordene automatisierte Gewohnheiten darstellen. 

Auch die Vererbung solcher mnemischer Neuerwerbungen ist nach 
Weismann unbeweisbar. Vor allem scheinen gegen die Annahme, 



') Haeckel (Natürliche Schöpfungsgeschichte, 11. Aufl., l.Bd., S. 191) nennt die 
Instinkte ohne weiteres „erbliche psychische Gewohnheiten". 

Haecker, Vererbungslehre. U 



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162 



Entstehnag der Instinkte. 



daß sich die Instinkte auf diese Weise stammesgeschichtlich ent- 
wickelt haben, die nur einmal im Leben ausgeübten Instinkte 
zu sprechen, z. B. die zum Teil so verwickelten Instinkthandlungen, 
welche die Raupen der Schmetterlinge zur Sicherung des Puppen- 
stadiums ausführen. Denn die betreffenden Handlungen kommen 
ihrer Natur nach nur einmal im individuellen Leben zur Ausübung, 
sie sind auch von den Vorfahren immer je nur ein einziges Mal aus- 
geführt worden und es kann also eine Einübung und Einprägung 
gewollter Handlungen als Ursache für ihre Entstehung nicht wohl 
in Frage kommen 1 ). Man müßte denn annehmen, daß bei einem 
Tier schon eine einmalige Folge von psychischen Vorgängen genügen 
würde, um auf die Nachkommen eine nachhaltige Wirkung aus- 
zuüben. Abgesehen von den allgemeinen Gründen, welche gegen 
eine spezialisierte Übermittelung von psychischen Eindrücken auf 
die Nachkommen sprechen, und welche für die mnemischen Abände- 
rungen in gleicher Weise wie für die destruktiven und funktionellen 
Gültigkeit haben, steht aber einer derartigen Voraussetzung schon 
die eine Erfahrung im Wege, daß beim Menschen, dessen Gehirn 
bezüglich seiner Aufnahmefähigkeit alle anderen Gehirne um ein 
Unendliches übertrifft, keine einzige sichere Beobachtung dieser Art 
gemacht werden konnte. 

Man wird angesichts dieser Schwierigkeiten die Instinkte als 
Lebensäußerungen zu betrachten haben, die ihre Ursache in Keimes- 
variationen haben und unter der Wirkung von Züchtungsprozessen 
immer weiter vervollkommnet und spezialisiert worden sind. 



Literaturverzeichnis zu Kapitel 15 und 16. 

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Kimer, Th., Die Entstehung der Arten. Jena 1888. 

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Hering, E., Über das Gedächtnis als eine allgemeine Funktion der organisierten 
Materie. Vortrag. 2. Aufl. Wien 1876. 

') Vgl. Weismann 1883 (Aufsätze, S. 107), 1889 (Aufsätze. S. 5K>), >9<M. H, 
S. 65, ifjo6, S. 22 u. a.a.O. Vgl. auch H. E. Ziegler 1910, S. 34ff. 



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Literaturverzeichnis 15 und 16. 



163 



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— , Vorträge über Deszendenztheorie 2. Aufl. Jena 1904. 

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Ziegler, H. E., Der Begriff des Instinkts einst und jetzt. Zool. Jahrb., Suppl. VU, 

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— , Die Streitfrage der Vererbungslehre (I^marckisraus oder Weismannisraus). Naturw. 
Wochenschr., N.F., 9. Bd., 1910. 



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Siebzehntes Kapitel. 



Das Problem der Vererbung erworbener Eigenschaften. 

(Fortsetzung.) 

D. Allseitige Lamarcksche Abänderungen. 

Während bisher noch in keinem Falle einseitige Abänderungen 
bekannt geworden sind, in welchen die Vererbung in unzweideutiger 
Weise festgestellt worden ist 1 ), liegt eine ganze Anzahl von Bei- 
spielen vor, in welchen Reizwirkungen von weniger lokalisierter Art 
auf die durch die betreffenden Reize nicht mehr beeinflußten Nach- 
kommen übertragen werden und diese Übertragung auf eine gleich- 
zeitige Beeinflussung der Körperzellen und Keimzellen, also 
auf eine Parallelinduktion im Sinne Dettos zurückgeführt werden 
kann a ). 

Ebenso wie bei den einseitigen Abänderungen wird man auch 
hier verschiedene Gruppen von Erscheinungen auseinanderzuhalten 

x ) Auf die Bro wn-S^ quardschen Meerschweinchenversuchc, welche von ver- 
schiedenen Seiten in diesem Zusammenhang angeführt worden sind, wird weiter 
unten bei Besprechung der toxischen Abänderungen eingegangen werden. 

Der von Plate (1908, S. 344) zitierte Cunninghamsche Versuch kann wohl 
kaum als beweiskräftig angesehen werden. Cunninghara hat die farblose Seite 
junger Plattfische von unten her beleuchtet und dadurch das Auftreten von Pigment 
hervorgerufen. Aus dieser Reaktionsfähigkeit der Unterseite, welche also sogar die 
spezifische Vererbungstendenz zu überwinden vermag, schließt Cunningham, daß 
die äußeren Faktoren die eigentümliche Verteilung der Pigmentierung und Pigment- 
losigkeit auf die rechte und linke Körperseite direkt veranlaßt haben müssen, und 
Plate glaubt, daß hier ein Beispiel für Vererbung durch somatische Induktion 
vorliege. 

Angesichts der ungenügenden Kenntnisse, die wir zurzeit noch bezüglich der 
bei der Pigroentbildung wirksamen kausalen und finalen Faktoren haben, scheint mir 
der Versuch Cunninghams nicht eindeutig zu sein, und ich glaube nicht, daß man, 
wie Plate meint, die Wirkung von Selektionsvorgängen und zufälligen Keimes- 
variationen als ausgeschlossen betrachten kann. 

*) Plate hat Reize, die in gleicher Weise Körper- und Keimzellen treffen, im 
Gegensatz zu den Leitungsreizen (s. oben S. 151, Anm. 2), Simultanreize 
genannt. 



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Lamarckschc Vererbung bei Protisten. 165 



haben, und zwar in erster Linie solche Abänderungen, welche bei den 
Nachkommen in qualitativ-identischer Weise, wenn auch in 
abgeschwächtem Grade hervortreten, und solche, welche bei den 
Kindern in modifizierter Form zum Vorschein kommen. 

Die einfachsten Beispiele allseitiger identischer Abände- 
rungen finden sich bei den Protisten, also bei den Bakterien und 
Einzelligen. So verlieren gewisse virulente Bakterien, z. B. die Milz- 
brandbazillen (Bacillus anthracis) und die Erreger der Hühnercholera 
(Bacterium cholerae gallinarum), ihre giftigen Eigenschaften, wenn sie 
unter abnormen Bedingungen, z. B. in bestimmten Nährlösungen oder 
bei hoher Temperatur gehalten werden, und die so erlangte Ungiftig- 
keit kann von den Nachkommen auch unter normalen Bedingungen 
festgehalten werden, im Falle der Milzbrandbazillen z. B. dann, wenn 
sie ein Versuchstier passieren, welches für den Milzbrand besonders 
empfanglich ist 1 ). In ähnlicher Weise sollen von farbstoff bildenden 
Bakterien (Bacillus prodigiosus) unter der Wirkung höherer Tem- 
peraturen farblose Rassen gebildet werden, welche längere Zeit 
hindurch, auch unter normalen Bedingungen stabil bleiben»), und 
ebenso behalten Trypanosomenstämme, welche gegen gewisse Arsen- 
verbindungen giftfest gemacht worden sind, die Arsenfestigkeit als 
dauernden Erwerb des Protoplasmas bei, auch wenn ein solcher 
Stamm in drei Jahren etwa 400mal durch normale Mäuse hindurch- 
passiert ist 8 ). 

Hierher gehört auch die Beobachtung, wonach Algen (Oscillarien) in 
farbigem Licht die betreffende Komplementärfarbe (z. B. in rotem Licht 
die grüne Farbe) annehmen und die so erworbene Farbe auch bei 
Weiterkultur in weißem Licht auf die durch vegetative Vermehrung 
entstandenen Nachkommenzellen übertragen 4 ). 

In allen diesen Fällen ist die Konstitutionsänderung, welche dem 
Protoplasma des elterlichen Organismus beigebracht wurde, eine der- 



') Zitiert nach O. Hertwig, Allg. BioU Sehr skeptisch hat sich bezüglich 
dieser und ähnlicher Angaben A. Fischer 1903, S. 50, geäußert. 

■) Vgl. dagegen A. Fischer 1903, S. 152, wonach auch diese Ergebnisse als 
unsicher erscheinen. 

») Vgl. Ehrlich 1909 (Über Partialfunküonen und: Über die neuesten Er- 
gebnisse). 

*) Vgl. Th. W. Engelmann (Bot. Ztg., 41. Bd., 1883 and Verb. Phys. Ges. 
Berlin 1002/1903) und Gaidukov (Abh. Pr. Ak. Wiss. Berlin 1902 und Bei. Bot. 
Ges., 21. Bd., 1903), sowie F. Oltmanns, Morph, und Biol. d. Algen, 2. Bd., S. 197. 
Jena 1905 und E. Abderhalden, Naturw. Woch., 7. Bd., 1908. 



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l6fb 



Vererbung der Immunität. 



artig nachhaltige, daß die Nachkommen, welche bei den Teilungs- 
vorgängen im wesentlichen als einfache Fortsetzungen des 
Protoplasmas ihre Entstehung nehmen, infolge dieser stofflichen 
Kontinuität jene Modifikation ohne weiteres übernehmen und fest- 
halten »). 

In ähnlicher Weise kann bei Vielzelligen eine von den Eltern 
erworbene Eigenschaft allgemein-konstitutioneller Art bei den 
Nachkommen wieder zum Vorschein kommen, wenn die betreffende 
Reizwirkung sämtliche Teile des Organismus einschließlich der 
Keimzellen betroffen hat. In diesen Fällen wird die konstitutionelle 
Abänderung der Keimzellen auch dem jungen Organismus mitgeteilt 
werden, weil dessen Zellen in stofflicher und funktioneller Kontinuität 
mit den elterlichen Keimzellen stehen- Im speziellen lassen sich 
vielleicht einige Fälle von erblich gewordener Immunität mit den 
Beobachtungen an Protisten in Parallele bringen. 

So wird z. B. die von Mäusen erworbene Festigkeit gegenüber 
gewissen Pflanzengiften, dem Ricin und Abrin»), durch die Mutter 
auf die Kinder übertragen, und ebenso wird die erworbene Immunitat 
des Rindes gegen Küstenfieber 8 ) und diejenige des Kaninchens gegen 
Hundswut und Diphtherie 4 ) zum Teil auf die Nachkommen vererbt 

In den genannten Beispielen ist, wofern nicht die placentare Er- 
nährung der Nachkommen durch die Mutter im Spiele ist, eine gleich- 
artige, immunisierende Beeinflussung sämtlicher Zellen des Körpers 
und damit auch der Keimzellen durch die Pflanzen- oder Krankheits- 
gifte anzunehmen, und eine solche ist deshalb unmittelbar verständlich, 
weil die in kleinen, sich steigernden Dosen den Tieren zugeführten 
Stoffe mit den ernährenden Flüssigkeiten in sämtliche Zellen und so 
auch in die Keimzellen gelangen können. 

Weniger klar sind einige andere Fälle, in denen klimatische 
Faktoren unbestimmter Art als Reizursachen von überdauernder 
Wirkung in Frage kommen. Hierher gehört die Beobachtung 



') S. oben S. 126. 

*) Das Ricin kommt zusammen mit einem dickflüssigen Öl im Samen der 
Euphorbiacee Ricinus communis, das Abrin in den roten, schwarzfleckigen Samen 
der Paternostererbse (Abrus precatorius) vor. 

*) Nach R. Koch (Vortrag im deutschen Landwirtschaftsrat am 13. Februar 
1908) sterbe» ungefähr 90 Proz. der von der Krankheit befallenen Tiere. Dagegen 
sind die Nachkommen der „gesalzenen" Tiere, d. h. derjenigen, welche die Krankheit 
Überstauden haben, in geringerem Grade empfanglich. Es sterben nur 60 bis 70 Proz. 

*) Zitiert bei Tscherxnak 1908. 



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Vererbung klimatischer Wirkungen. 



167 



Schübelers, wonach sich bei dem von Deutschland nach Norwegen 
importierten Sommerweizen die Zeit zwischen Aussaat und Reife von 
Generation zu Generation verkürzt und diese vielleicht unter der 
Wirkung der nordischen Besonnung herbeigeführte Verkürzung der 
Reife auch noch eine Zeitlang hervortreten soll, wenn der Weizen 
nach Deutschland zurückgebracht und dort weiterkultiviert wird 1 ). 
Auch sonst liegen auf botanischem Gebiet hierher gehörige Beob- 
achtungen vor«) und möglicherweise ist in diesem Zusammenhang als 
anthropologisches Gegenstück das viel zitierte Beispiel von der 
Yankeesierung oder Indianisierung der in Amerika einwandernden 
Europäer zu nennen. Denn nicht bloß die Einwanderer angelsäch- 
sischer, deutscher und skandinavischer Abkunft lassen anscheinend 
unter der Wirkung des Klimas eine von Generation zu Generation 
sich steigernde Abänderung in der Richtung des Yankeetypus er- 
kennen, sondern nach neueren Ermittelungen») hat dieser Prozeß auch 
bei den neuerdings in großer Zahl eingewanderten osteuropäischen 
Juden und Süditalienern seinen Anfang genommen. 

Die Erklärung aller hier erwähnten Fälle und ihre Zurückführung 
auf bekannte Erscheinungen ist zurzeit noch mit Schwierigkeiten 
verknüpft Vermutlich dürfte es sich aber um eine ähnliche Form 
der Parallelinduktion handeln, wie bei den experimentell erzielten 
Abänderungen, von denen im folgenden die Rede sein wird und bei 
welchen nicht bloß die Reizursachen, sondern auch die Reiz- 
wirkungen einer genaueren Analyse zugänglich sind. 

Ich erwähne an erster Stelle die Versuche, welche Tower*) in 
langjähriger überaus gründlicher Arbeit mit dem zu den Chrysome- 



l ) Die norwegisch geschriebenen Abhandlungen Schübeletrs, sowie seine 
6 „Sätze" sind bei Wille (1905) zitiert. Die Beobachtungen Schübelers sollen 
übrigens nach Wille wegen verschiedener Fehlerquellen nicht stichhaltig sein, ins- 
besondere liegt die Möglichkeit vor, daß bei der Kultur in unbeabsichtigter Weise 
Selektion sprozesse mit im Spiele waren. Vgl. auch Weisniann 1906. 

•) So gibt Cieslar (zitiert bei Tschermak 1908) an, daß der Zwergwuchs vou 
Koniferen, die in der Höhe gezogen wurden, auf die in der Ebene aufwachsenden 
Nachkommen vererbt wird. Auch hier könnten allerdings Selektionsprozesse in 
Frage kommen, indem möglicherweise in der Höhe nur die zwerghaften Mutationen 
atn Leben blieben und fortpflanzungsfähig wurden, so daß beim Versuch überhaupt 
nur erblich fixierte Zwergformen in Frage kamen. 

•) Nach Untersuchungen des Anthropologen F. Boas an der Columbia- Univer- 
sität (nach einem Referat im Globus 1910). 

4 ) Tower 1906. Vgl. auch Ziegler, Naturw. Woch. 1910 (Literaturverzeichnis 
15 und 16). 



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Towers Versuche. 



liden gehörigen Koloradokäfer (Leptinotarsa deccmlineata) und seinen 
Färbungsvarietäten angestellt hat und die zu ganz besonders klaren 
Ergebnissen geführt haben. Wenn bei diesem Käfer äußere Faktoren 
(Wärme, Kälte, Feuchtigkeit) auf das Puppenstadium zur Ein- 
wirkung kommen, solange die mit der „Wachstumsperiode" be- 
ginnende Geschlechtszellenreife noch nicht eingesetzt hat, so weisen 
die betroffenen Tiere im Imagostadium bestimmte Färbungs- 
abänderungen auf, ähnlich den erblichen Aberrationen, welche die 
Spezies auch in der Natur bildet. Diese künstlich erzeugten Ab- 
änderungen sind nicht erblich, d. h. die unter normalen Bedingungen 
gezogenen Nachkommen zeigen die normale Färbung. Die Er- 
klärung für diese Ergebnisse liegt offenbar darin, daß rein somatogene 
Abänderungen zustande gekommen waren und eine nachträgliche 
Induktion der später sich bildenden Geschlechtszellen augenscheinlich 
nicht stattgefunden hatte. 

Wirken aber die äußeren Faktoren auf die bereits vollkommen 
ausgefärbte Imago während der Geschlechtszellenreife ein, 
so wird die Imago selber nicht mehr beeinflußt, aber die aus den 
Geschlechtszellen hervorgehenden Nachkommen zeigen die Ab- 
änderungen, offenbar weil es zu einer direkten Beeinflussung des 
Keimplasmas der Geschlechtszellen gekommen war. 

Alles in allem sind die Ergebnisse der Versuche zweifellos in 
der Weise zu deuten, daß in keinem Falle eine Vererbung im Sinne 
Lamarcks stattgefunden hat. Im ersteren Falle entstand eine nicht- 
erbliche somatogene, im letzteren eine erbliche Keimesvariation. 

Beobachtungen ähnlicher Art sind bei den sogenannten Tem- 
peraturaberrationen der Schmetterlinge gemacht worden. Durch 
Standfuß, Weismann, Fischer und Schröder sind bei ver- 
schiedenen Tagfaltern, bei einem Spinner (Arctia caja) und beim 
Stachelbeerspanner (Abraxas grossulariata) durch Einwirkung ab- 
normer Temperaturen auf das Puppenstadium Abänderungen der 
Flügelzeichnungen hervorgerufen worden, welche in einzelnen 
Fällen bei den Nachkommen auch dann, wenn diese bei gewöhn- 
licher Temperatur aufgezogen werden, in abgeschwächter Form wieder 
hervortreten. 

Werden speziell die Puppen vom kleinen Fuchs (Vanessa urticae, 
Fig. 83, 1 a) mit mäßig erniedrigter bzw. mäßig erhöhter Temperatur 
(0° bis -f- 15° bzw. 35 bis 37°) behandelt, so schlüpfen Falter aus, 
welche in ihrem Farbenmuster mit den natürlichen Varietäten polaris 



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Temperaturaberrationen. 



169 



(Nordkap, Amurgebiet, Kamtschatka) und ichnusa (Sardinien, Korsika) 
übereinstimmen, und als künstliche Kälte- und Wärmeaberrationen 
bezeichnet werden. Wenn dagegen sehr niedrige oder sehr hohe 
Temperaturen angewandt werden (0° bis —20° bzw. +42 bis -f-46 0 ), 
so erscheinen extrem gefärbte Frost- und Hitzeaberrationen, 
welche bisher mit Sicherheit noch nicht im Freien gefunden worden 
sind und den Namen ichnusoides (nigrita) führen. Charakteristisch 
für diese durch extreme Temperaturreize erzeugten Variationen 
(Fig. 83, l b) sind hauptsächlich die Verschmelzung der beiden ersten 
Vorderrandflecke (11 und III) zu einem breit - oblongen Fleck, der 
Schwund der beiden kleinen Flecke in der Mitte des Vorderflügels, 
die Verwischung der Randbinde und die Auflösung ihrer blauen 

Fig. 83. 




Oberseite 1. von Vanessa urticae (a normal, b Frost- und Hitzeaberration), 2, von 
Vanessa Jo (a normal, b Frost- und Hitzeaberration), 3. von Argynnis Laodicc (mit 

verhältnismäßig .primitiver" Zeichnung). 

Halbmonde, sowie die Verdunkelung der Oberseite der beiden Hinter- 
flügel. 

Ganz analoge Abänderungen weisen bei entsprechender Be- 
handlung einige nahe verwandte Vanessaarten, insbesondere der große 
Fuchs (V. polychloros) und das Tagpfauenauge (V.Jo, Fig. 83, 2 a— b) 
auf. Im speziellen werden bei letzterem die charakteristischen Augen- 
flecke unterdrückt, indem namentlich am Vorderflügel die hellen 
Schuppen durch dunklere verdrängt werden und die dem äußeren 
Vorderrandfleck entsprechende Pupille des Auges (2 a, III) mit dem 
folgenden Randfleck (2a, II) zu einem oblongen Feld verschmilzt 
(2 b, II + IU). 



» 



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170 



Temperaturaberrationen. 



Die durch Frost und Hitze erzeugten Zeichnungsabänderungen 
sind teilweise erblich. Werden nämlich künstlich erzeugte ichnusoides- 
Individuen gepaart, so treten unter den Nachkommen auch dann, 
wenn diese im Puppenstadium bei normaler Temperatur gehalten 
werden, neben normalen Faltern einige Individuen mit den charak- 
teristischen Zeichnungsabänderungen von ichnusoides auf, 

Hier liegt augenscheinlich die Vererbung einer erworbenen Eigen- 
schaft vor, und es fragt sich, ob hier eine parallele Induktion 
(A — A — A) angenommen werden kann, oder ob es sich wirklich 
um den La marck sehen Modus (A — a — ^4) handelt. Auf den 
ersten Anblick scheint es 1 ), als ob die Aberrationen im wesentlichen 
durch Verdunkelung, d. h. durch vermehrte Pigmentierung von 
den normalen Typen unterschieden seien. In diesem Falle hätte man 
sich zu denken, daß Frost und Hitze in sämtlichen Zellen des 
Organismus, also auch in den Schuppenbildungszellen der Puppe und 
in den Keimzellen, eine vermehrte Tendenz zur Pigmentproduktion 
hervorrufen, und die Vererbung könnte dann ohne weiteres als eine 
parallele Induktion, als eine gleichsinnige Beeinflussung des Personal- 
und Germinalteiles aufgefaßt werden ( A — A — A). Indessen zeigt 
eine nähere Betrachtung, daß speziell die Frost- und Hitzeaber- 
rationen der Vanessaarten keineswegs bloß durch intensivere und 
ausgedehntere Pigmentierung von den normalen Typen unterschieden 
sind. Es sei nur auf den durch den Schwund der beiden kleinen 
Flecke im Vorderflügel herbeigeführten Pigmentverlust hingewiesen 8 ). 
Die Erklärung kann also wenigstens bei Vanessa keine volle Gültig- 
keit haben. 

Nun ist von verschiedenen Seiten») darauf aufmerksam gemacht 
worden, daß wenigstens ein Teil der durch Temperaturreize hervor- 
gerufenen Abänderungen den Charakter von Atavismen hat, 
insbesondere treten gewisse Anklänge an die Gattung Argynnis 
(Fig. 83, 3) hervor, die mindestens in bezug auf die größere Regel- 
mäßigkeit des Zeichnungsmusters als eine primitive Formengruppe 
betrachtet werden darf. 



') Namentlich die Versuche mit Abraxas scheinen darauf hinzudeuten, daS 
durch die Temperaturwirkung „melanistische" Individuen erzeugt werden. 

*) Eine ausführliche Widerlegung der Verdunkelungshypothese findet sich bei 
Fischer 1007 ; vgl. auch Haecker 1910. 

*) Vgl. Dixey 1894; Weismann, Vortr. II, S. 229; Fischer 1907; vgl. da- 
gegen Plate, S. 341. 



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Zurückdifferenzierung spezifischer Merkmale und Weckung latenter Potenzen. 171 

Speziell bei den durch sehr starke Temperaturreize bewirkten 
Frost- und Hitzeaberrationen, den „D-Variationen" der Vanessaarten, 
handelt es sich zum Teil um Zeichnungsabänderungen, die jedenfalls 
als Ausdruck einer Zurückdifferenzierung spezifischer Merk- 
male gedeutet werden können 1 ): so wird z. B. das Auge von V. Jo 
ausgelöscht und die spezifischen Grundtöne, das Ziegelrot des großen 
und kleinen Fuchses und das Purpurbraun des Tagpfauenauges, 
werden hauptsächlich am Hinterflügel in ein düsteres Braun über- 
geführt. Als Entwickelungshemmungen können diese Differenzierungen 
im allgemeinen nicht bezeichnet werden, da die reproduzierten 
Stadien meistens keine normalen ontogenetischen Durchgangsstadien 
darstellen, eher könnte man auch hier von phylogenetischen 
Reminiszenzen sprechen. Jedenfalls ist aber die Wirkung dieser 
Differenzierungen eine Verähnlichung der Arten. 

Diese Verähnlichung beruht nun aber nicht bloß auf der Zurück- 
differenzierung gewisser Merkmale, sondern z. T. auf dem weiteren 
Umstand, daß unter der Wirkung der gleichen Reize in den ein- 
ander nahestehenden Arten gewisse übereinstimmende Merkmale zu- 
stande kommen, die nicht wohl als Entwickelungshemmungen onto- 
genetischer Art oder als phylogenetische Reminiszenzen zu deuten 
sind 3 ). Dazu gehört vor allem die Verschmelzung der beiden distalen 
Randflecke des Vorderflügels (II — f- III nach Dixey), wie sie in über- 
einstimmender Weise bei mehreren Vanessaarten hervortritt (Fig. 83, 
1 und 2, b, II 4- HI). Offenbar sind also in den verschiedenen Spezies 
noch gemeinsame (generelle), normalerweise latente Potenzen 
(novelties der englischen Autoren) verborgen, welche unter dem Ein- 
fluß abnormer Reize geweckt werden. 

Demnach liegen (Fig. 84) die durch abnorme Reize hervor- 
gerufenen Aberrationen nicht auf der direkten Linie, die von den 
Formen a, 6, c zur Stammform s führen, sie entsprechen also nicht 
den Punkten a', b\ cf, sondern fallen auf die abseits gelegenen Punkte 
a", b", c" zurück, man kann auch sagen, sie nähern sich einer Pseudo- 
stammform s'. Daß diese nicht der Stammform s entspricht, beruht 
wohl hauptsächlich darauf, daß durch die abnormen, in der Natur 
im allgemeinen nicht vorkommenden Reize im Gattungsplasma ab- 
norme generelle Potenzen geweckt werden. 

') Vgl. Haccker IQIO. 

*) Auch Weismann (1906) nimmt für die Temperaturaberrationen eine Mischung 
uralter Ahneucharaktere mit modernen Merkmalen an. 



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172 



Vererbung bei Temperaturaberrationen. 



Die teilweise Vererbung derartiger Variationen würde dann in 
einfacher Weise durch die Annahme einer parallelen Induktion er- 
klärt werden können. Danach würden sämtliche Zellen, insbesondere 
die Schuppenbildungszellen und die Keimzellen, unter der 
Wirkung der Reize die nämliche Umstimmung in dem angeführten 
doppelten Sinne erfahren, nämlich eine Zurückdifferenzierung 
der spezifischen Merkmale auf der einen und die Entfaltung 
genereller, normalerweise latenter Potenzen auf der anderen 
Seite. Sie verhalten sich also derart, als ob sie nicht den Arten 
a, b, c, sondern der Pseudostammform s' angehören. Infolgedessen 
werden im elterlichen, der Reizwirkung ausgesetzten Individuum die 




Wirkung abnormer Temperaturen auf Vanessaarten. 



Schuppenbildungszellen durch vereintes, harmonisches Zusammen- 
wirken das Farbenmuster s erzeugen 1 ), und ebenso werden sich in 
den jungen, aus den umgestimmten Fortpflanzungszellen hervorgehen- 
den Individuen die Schuppenbildungszellen verhalten können, so daß 
das nämliche Farbenmuster auch unter normalen Bedingungen zum 
Vorschein kommt. 

In ähnlicher Weise, wie die Ergebnisse der Temperaturexperi- 
mente mit Schmetterlingen, dürften wohl auch die Beobachtungen» 

') Bei Regenorationsvorgängen kann von einem neu aufgebauten Entwickelungs- 
zentrum aus in regelmäßiger Weise immer wieder dasselbe harmonische Ganze ent- 
stehen (es liegt gerade hier nahe, an Meisenheimers Beobachtungen über die 
Regeneration der Flügelanlagen der Schmetterlingsraupen zu denken). Man wird um 
so leichter verstehen können, wie in unserem Fall die in der gleichen Richtung um- 
gestimmten Schuppenbildungszellen immer wieder ein in derselben Richtung ab- 
geändertes Farbenmuster entstehen lassen. 



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Kammerers Versuche mit Salamandra. 



173 



welche Kammerer bei seinen Amphibien versuchen gemacht hat, zu 
verstehen sein. Es ist Kammerer gelungen, durch Einwirkung künst- 
licher Bedingungen die beiden einander nahestehenden, aber jedenfalls 
in der Jetztzeit scharf voneinander geschiedenen Molcharten, den 
Feuersalamander (Salamandra maculosa) und den Alpensalamander 
<S. atra), bezüglich ihres Verhaltens bei der Fortpflanzung und des 
Charakters der Larven einander ähnlicher zu machen. Es hat sich 
dabei herausgestellt, daß diese Abänderungen auch ohne Fortdauer 
der künstlichen Versuchsbedingungen wenigstens teilweise auf die 
Nachkommen vererbt werden. 

Im speziellen hat es sich gezeigt, daß S. maculosa, wenn sie bei 
geringer Feuchtigkeit gehalten wird, nicht, wie dies normaler- 
weise der Fallest, eine größere Zahl 
von kiemenatmenden Larven (Fig. 85 A) 
ins Wasser absetzt, sondern nur eine 
kleine Anzahl, bei längerer Angewöh- 
nung überhaupt nur zwei kiemenlose 
. Vollmolche u gebiert. S. maculosa 
zeigt also eine entschiedene Annähe- 
rung an S. atra, welche normaler- 
weise zwei kiemenlose Vollsalamander 
<Fig. 85 B) absetzt, während die übri- 
gen Uteruseier zu einem Dotterbrei 
-eingeschmolzen werden und den bei- 
den überlebenden Embryonen als Nah- 
rung dienen. Die als Vollmolche ge- 
borenen maculosa-Salamander (zweite 
Generation) gebären auch dann, wenn 
sie in normale Feuchtigkeitsbedingungen versetzt werden, Larven, 
welche hinsichtlich ihrer geringeren Zahl, ihrer bedeutenderen Größe 
und vorgeschritteneren Entwicklung immer noch eine bedeutende An- 
näherung an S. atra aufweisen. Es macht sich also bei der Rückkehr 
der zweiten Generation zu normalen Lebensbedingungen eine unzweifel- 
hafte Vererbung der vom Elterntier unter künstlichen Bedingungen 
erworbenen Eigenschaften bemerklich, andererseits findet bei Fort- 
dauer der künstlichen Bedingungen noch eine Steigerung der er- 
worbenen Charaktere und eine vollständige Annäherung an S. atra 
statt: ein maculosa -Weibchen der zweiten Generation, welches in 
einem Aquarium ohne Wasserbecken gehalten wurde, gebar zwei 



Fig. 85. 




A normale neugeborene Larve von 
Salamandra maculosa, ins Wasser ab- 
gesetzt; B normale, als .Vollmolch" 
neugeborene Salamandra atra, auf dem 
Lande abgesetzt. Nach Kammeier. 



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174 



Versuche mit Salamandra. 



Vollsalamander von bedeutender Größe (40 bis 41 mm) l ) und dunkler 
Färbung, sowie ohne eine Spur von Kiemen und Flossensaum (vgl. 
Fig. 85 B). 

Umgekehrt setzt S. atra in wassergesättigter Umgebung statt der 
zwei schwarzen Vollmolche eine größere Anzahl von gefleckten, mit 
Kiemen und Ruderschwanz ausgestatteten Larven ab, und diese, in 
ihrer Jugend an S. maculosa (vgl. Fig. 85 A) erinnernde zweite Gene- 
ration gebiert im Wasser abermals Larven, welche in bezug auf die 
vollkommenere Ausbildung des Ruderschwanzes und ihre größere 
Gewandtheit im Wasser noch eine weitere Steigerung der maculosa- 
Charaktere aufweisen. 

Resultate ähnlicher Art ergeben sich bei Versuchen mit der 
Geburtshelferkröte (Alytes obstetricans). Während diese Kröte, im 
Gegensatz zu unseren anderen Batrachiern, auf dem Lande laicht 
und eine verhältnismäßig geringe Zahl (18 bis 86) großer, dotterreicher 
Eier produziert 3 ), werden die brünstigen Tiere durch die Wirkung 
hoher Temperaturen (25 bis 30° C) namentlich in den späteren 
Laichperioden veranlaßt, mehr und mehr das Wasser aufzusuchen 
und hier sich der Eischnüre zu entledigen. Gleichzeitig steigt die 
Zahl der, Eier bis auf 115, ihre Größe und ihr Dottergehalt werden 
geringer, während ihre Resistenzfahigkeit im ungewohnten Medium 
zunimmt, so daß eine immer größere Anzahl Eier zur Entwickelung 
gelangt. 

Eine Vererbung der erworbenen Eigenschaften trat bei den Nach- 
kommen derjenigen Laichperioden hervor, in denen die Elterntiere 
schon die „höchste Stufe der Instinktvariation" erklommen hatten. 
Trotzdem nämlich die Eier der Stammgeneration sehr bald nach der 
Ablage in normale Bedingungen versetzt worden waren, laichten 
alle aus ihnen hervorgehenden Individuen zweiter Generation zunächst 



») Die Länge der I-arven von S. maculosa beträgt normalerweise 23 bis 30 mm. 

*) Das <f umklammert das $ um die Lenden und leistet Geburtshilfe, indem 
es den Laich aus der Kloake des $ herausdrückt und sein Austreten durch Ziehen 
und Stemmen mit den Hinterbeinen unterstützt. Da die Eierablage im Trocknen 
stattfindet, so quellen die Gallertbüllen der Eier nicht auf, sondern bleiben wegen 
ihrer Klebrigkeit an den Schenkeln des cT haften. Sie wickeln sich infolge der 
Bewegungen des <f um dessen Hinterschenkel herum und sitzen diesen, da sie nach 
Verlust der Klebrigkeit eine zähe Beschaffenheit annahmen , wie eine Fessel auf 
(„Fcßlerkröte"). Sie werden dann vom d* herumgeschleppt und gelegentlich eines 
der häufigen Bäder, welche das <f nimmt, werden die Embryonen frei (vgl. Kam- 
merer. S.450. 1909). 



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Versuche mit Alytes. 



17') 



im Wasser, die Zahl der Eier der ersten Laichperiode übertraf die 
Norm, ihre Größe war geringer und ihre Resistenz fahigkeit im ab- 
normen Medium eine sehr bedeutende. 

Zur Ergänzung sei bemerkt, daß, wenn die Eier der Stamm- 
generation in hoher Temperatur (25 bis 30 0 C) gelassen werden, die 
Annäherung der zweiten Generation an die primitiven Laich- 
gewohnheiten anderer Froschlurche noch stärker hervortritt. 
Die Gallerthülle der Eier der zweiten Generation nimmt an Dicke 
zu, die Larven zeigen typische Amphibienkiemen und die erwach- 
senen er der dritten und noch mehr die der vierten Generation ent- 
wickeln in der Brunst Daumenschwielen. 

Was die vererbungstheoretische Bedeutung der Kämmerer- 
sehen Versuche anbelangt, so dürften mehrere dabei hervorgetretene 
Erscheinungen dem Verständnis näher gerückt werden, wenn auch 
hier, wie bei den Schmetterlingsversuchen, eine mindestens dop- 
pelte Wirkung der veränderten Lebensbedingungen unterschieden 
wird. Auf der einen Seite darf man zweifellos mit Kammerer 
einige der künstlich bewirkten und zum Teil erblichen Abänderungen 
bei S. atra und Alytes als Entdifferenzierungen oder sogar als 
Atavismen auffassen. Auf der anderen Seite bleibt (man denke 
an die Annäherung der S. maculosa an atra) ein Rest von Abände- 
rungen übrig, die vielfach den Charakter von progressiven 
Variationen haben und deren Entstehung an die Entfaltung gene- 
reller, latenter, nur unter abnormen Bedingungen zur Ent Wickelung 
kommender Anlagen bei Vanessa erinnert. Ausgehend von der 
Annahme einer derartigen doppelten Wirkung der äußeren Reize 
gelangt man dann zu der Auffassung, daß es sich bei den beob- 
achteten Vererbungserscheinungen nicht um eine Vererbung soma- 
togener Eigenschaften und um eine somatische Induktion der Keim- 
zellen durch Leitung handelt, sondern daß auch hier, wie bei den 
Vanessen, die Vererbung auf einer parallelen Induktion der Körper- 
und Keimzellen beruht und ihr also blastogene Abänderungen 
zugrunde liegen. 

Ergebnisse ähnlicher Art wie bei den Amphibien hat Kammerer 
(1910) bei Eidechsen erhalten, also bei einem Objekt, das schon vor 
langer Zeit durch die Untersuchungen Eimers in die Artbildungs- 
lehre eingeführt worden ist. Unter anderem wurde die normalerweise 
lebendiggebärende Bergeidechse (Lacerta vivipara) bei erhöhter Tem- 
peratur (25 bis 30° C) eierlegend, und ihre Nachkommen erwiesen sich 



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176 



Versuche von Wolter eck und Klebs. 



ebenfalls als eierlegend, auch dann, wenn sie bei niedriger Temperatur 
gehalten wurden. Bei der im männlichen Geschlecht rot-, im weib- 
lichen gelbbäuchigen L. fiumana ruft Temperaturerhöhung bei den 
Männchen erbliche Weißbäuchigkeit, bei L. serpa und oxycephala 
dagegen Temperaturerhöhung und Haltung in äußerster Trockenheit 
einen ebenfalls erblichen Melanismus hervor usw. 

In der gleichen Richtung bewegen sich die Ergebnisse Wolte- 
recks, welcher bei Cladoceren eine erbliche Fixierbarkeit von milieu- 
bedingten Abänderungen beobachtete. So kann z. B. die „Kopf höhe", 
die im allgemeinen mit wachsender Intensität der Ernährung ihrer- 
seits zunimmt und also gegenüber den Milieubedingungen eine be- 
stimmte „Reaktionsnorm" aufweist, durch Einwirkung extremer 
Lebenslagen in erblicher Weise abgeändert werden. 

Auch auf botanischem Gebiet liegen ähnliche, experimentell ge- 
wonnene Resultate vor. Klebs hat bei der Hauswurz (Sempervivum) 
durch Veränderung der Kulturbedingungen (Düngung, hohe Tempe- 
ratur, Feuchtigkeit) Blütenvariationen bestimmter Art (veränderte Zahl 
der Blumenblätter usw.) hervorgerufen und weiterhin gefunden, daß 
diese Variationen auch bei der ersten Tochtergeneration unter ganz 
anderen Bedingungen wieder zum Vorschein kamen. 

Während die bisher aufgezählten allseitigen Abänderungen bei 
den Nachkommen in qualitativ identischer Weise, wenn auch vielfach 
in quantitativ abgeschwächtem Maße hervortreten und hier also im 
wesentlichen die Formel A — A — A Gültigkeit hat, gibt es eine An- 
zahl von Abänderungen, welche bei den Nachkommen in qualitativ 
modifizierter Form zum Vorschein kommen. 

Zu diesen allseitigen, nicht-identischen Wirkungen ge- 
hören insbesondere die durch die Wirkung gewisser Krankheits- 
gifte oder Toxine hervorgerufenen erblichen (kongenitalen) Abände- 
rungen. Es ist bekannt, daß der Alkoholismus vielfach in der Weise 
sich äußert, daß bei dem Potator selber als Folgen des geschwächten 
Zustandes oder auch als unmittelbare Wirkungen des Alkohols krank- 
hafte Erscheinungen leichter und schwerer Art (Magen- und Darm- 
katarrhe, Lebercirrhose, Delirium) hervortreten, während bei seinen 
Nachkommen sich die Nachwirkung in Form von allgemeiner Körper- 
schwäche, in der geringeren Resistenz gegen Krankheiten und in der 
Neigung zu Psychosen allerart geltend macht. Offenbar ist in 
solchen Fällen als allgemeinste Wirkung des Alkoholmißbrauchs eine 
Schwächung sowohl der Körper- als der Keimzellen des Er- 



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Alkoholismus. 



177 



zeugers und damit auch der Organisation der Nachkommen zu be- 
trachten, während als äußerlich hervortretende Folgewirkung dieser 
Schwächung bei den Eltern und Kindern je nach den accidentiellen 
äußeren Faktoren oder je nach der verschiedenen Blutmischung sehr 
verschiedenartige krankhafte Zustände zur Entwickelung kommen 
können. Es gilt also nicht die Formel A — A — A, sondern das 
abgeleitete Schema (A -j- B) — A — (A + C). 

Vermutlich sind auch die bekannten Beobachtungen von Brown- 
Sequard 1 ), welche so oft als entscheidende Beweise für das Vor- 
kommen einer Lamarckschen Vererbung angeführt worden sind, in 
dieser Weise zu deuten. Brown-Sequard hat bei Meerschweinchen 
mittels Verletzung verschiedener Teile des zentralen und peripheren 
Nervensystems (Herausschneiden eines Teiles der grauen Substanz 
des Gehirns, Durchschneidung des Rückenmarks, des Nervus ischia- 
dicus, Nervus poplitaeus internus usw.) Erscheinungen hervorgerufen, 
welche an verschiedene Symptome der Epilepsie des Menschen er- 
innern. Die Nachkommen dieser Tiere waren im allgemeinen klein, 
schwächlich und dekrepit und wiesen Lähmungserscheinungen, Atro- 
phien oder Gangräne an verschiedenen Körperstellen auf. Im allge- 
meinen entsprachen die bei den Jungen hervortretenden Erscheinungen 
nicht denjenigen, welche bei den Eltern durch die Verletzung her- 
vorgerufen waren, aber in einigen wenigen Fällen (in l bis 2 Proz. 
der Fälle) zeigten sie selber wieder, ohne daß bei ihnen Eingriffe 
vorgenommen wurden, epileptische Erscheinungen. 

Angesichts des Umstandes, daß, wie die verschiedenen Versuche 
beweisen 8 ), ähnliche epileptiforme Krankheitsbilder durch Eingriffe 
sehr verschiedener Art hervorgerufen werden können, und überhaupt 
die eigentliche Ätiologie dieser Erscheinungen vollkommen unklar 
ist, lassen sich die Ergebnisse Brown-Sequards bei der Behandlung 
der Frage nach der Vererbung erworbener Eigenschaften nicht in 
eindeutiger Weise verwerten 3 ). Jedenfalls stehen mehrere Möglich- 
keiten offen, die Erscheinungen auch ohne die Annahme einer Ver- 

') Die Abhandlungen Brown-Sequards sind 1869 — 1893 großenteils in den 
Archives de Physiologie normale et pathologique (Paris) erschienen. Näheres findet 
sich u. a. bei Weismann, Aufsätze, S. 375 ; Thomson, Heredity, S. 230. 

*) Die Versuche Brown-Sequards sind inzwischen von verschiedener Seite 
(Westphal, Obersteiner u. a.) wiederholt und modifiziert worden, und verschiedene 
Mediziner, insbesondere auch der Pathologe E. Zicgler, haben zu ihnen im Sinne 
Weismanns Stellung genommen. 

a ) Vgl. Weismann, Thomson, Plate. 
Haecker, Vererbungslehre. 



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178 



Brown S^quards Versuche. Vererbung und Gedächtnis. 



erbung somatogener Eigenschaften dem Verständnis näher zu bringen, vor 
allem muß damit gerechnet werden, daß durch die Traumen Störungen 
von bestimmter trophischer Art herbeigeführt und daß vielleicht im 
Zusammenhang damit Toxine frei gemacht wurden, welche die Keim- 
zellen oder durch Vermittlung des Blutes den Fötus in gleicher Richtung 
wie die Eltern schädigen. Es würde dann eine ähnliche Erscheinung 
vorliegen wie bei den Wirkungen des Alkoholismus. Weniger wahr- 
scheinlich ist es, daß bakterielle Infektionen eine Rolle spielen. 

Wenn wir nun nochmals den augenblicklichen Stand des La- 
marckschen Problems zusammenfassen, so ist zunächst hervorzuheben, 
daß im Verlauf der Diskussionen, die sich an die Schriften Weis- 
manns angeknüpft haben, in immer bestimmterer Weise die Not- 
wendigkeit hervorgetreten ist, die einzelnen von den Anhängern La- 
marcks herangezogenen Erscheinungen gruppenweise zu behandeln. 
Vor allem ist ein strenger Unterschied zu machen zwischen den 
einseitig lokalisierten Abänderungen, welche sich im ganzen mit 
den somatogenen Variationen Weismanns decken, und denjenigen 
Abänderungen, für welche eine mehr allseitige, gleichmäßige 
Wirkung des Reizes auf Körper- und Keimzellen angenommen werden 
kann und welche demnach einen Teil der blastogenen oder Keimes- 
variationen Weismanns bilden 1 ). 

Bezüglich der somatogenen Variationen besteht heutzutage wohl 
bei der Mehrzahl der Biologen die Auffassung, daß eine Vererbung 
auf dem Wege der somatischen Induktion der Geschlechtszellen 
bisher in keinem Falle mit Sicherheit nachgewiesen werden konnte. 
Dagegen liegt eine Anzahl von Fällen vor, in denen eine Vererbung 
allseitiger Abänderungen mittels paralleler Induktion festgestellt 
wurde. Eine solche Übertragung entspricht zwar nicht vollkommen 
dem von Lamarck und seinen Anhängern angenommenen Ver- 
erbungstypus, es liegt aber wohl kaum ein Bedenken vor, auch hier 
von einer Vererbung erworbener Eigenschaften zu sprechen. Auch 
wird man in diesen Fällen dem von Hering, Semon, A. Forel, 
Rignano 2 ) u. a. gezogenen Vergleich zwischen der Vererbung und 
dem psychischen Gedächtnis (der Mneme) eine mehr als metaphorische 
Bedeutung zuweisen dürfen. 

') Blastogene Variationen können nach Weismann auch auf andere Weise, 
nämlich durch Neukombination der Ahnenplasmcn (s. S. 191) oder auf dem Wege 
der Germinalselektion (s. Kap. 19) zustande kommen. 

*) Siehe hierzu Literaturverzeichnis 15 u. 16. Vgl. auch Weismann 1906. 



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Literaturverzeichnis 17. 



179 



Literaturverzeichnis zu Kapitel 17. 

Brown-Sequard, Versen. Abhandlungen. Arch. Phys. Norm. Path. 1869 — 1893. 

Dixey, F. A., On the phylogenetic significance of the wing- markings etc. of tbe 
Nyrophalidae. Trans. Ent. Soc. London 1802. 

— . Mr. Merrifield's Experiments in Temperature -Variation as bearing on Theorics 
in Heredity. Ebenda 1804. 

Ehrlich, P., Über Partialfunktioncn der Zelle. Münch. Med. Woch. 1909. 

— , Über die neuesten Ergebnisse auf dem Gebiete der Trypanosomenforschung. 
Aich. Schiffs- u. Tropenhygiene, 13. Bd., 1909. 

Fischer. A., Vorlesungen über Bakterien. 2. Aufl. Jena 1903. 

— , E., Zur Physiologie der Aberrationen- und Varietätenbildung der Schmetterlinge. 
Arch. Rass. u. Ges. Biol., 4. Jahrg., 1907 • 

Haecker, V., Vererbungs- und variationstheoretische Einzelfragen. 1. Uber Trans- 
versionen (Überschläge) Zeitschr. ind. Abst., l.Bd., 1909. 

— , — II. Über die Temperaturaberiationen der Schmetterlinge und deren Erblich- 
keit. Ebenda, 4. Bd., 1910. 

Hcrtwig, O., Allg. Biologie, siehe Literaturverzeichnis \2. 

Kammerer, P., Vererbung erzwungener Fortpflanzungsanpassungen« 1. und II. 

(Salamandra). Arch. Entw.-Mecb., 25. Bd.. 10O7- 
— , III. (Alytes). Ebenda. 28. Bd., 1909. 

— , Vererbung erzwungener Farbenafoänderungen. I. und II. Ebenda, 29. Bd., 1910. 
Klebs, G., Über die Nachkommen künstlich veränderter Blüten von Sempervivum. 

Sitzungsber. Heidelb. Akad. Wiss. 1909. 
Meisenheimcr, J., Über Flügelregencration bei Schmetterlingen. Zool. Anz^ 

33. Bd., 1908. 

— , Experimentelle Studien zur Sorna- und Geschlechtsdifferenzierung. I. Beitrag. 
Jena 1909. 

Plate, L.. Selektionsprinzip und Probleme der Artbildung. 3. Aufl. Leipzig 1908. 
Schröder, Chr., Die Zeichnungsvariabilität von Abraxaa grossul. usw. Allgem. 

Zeitschr. Ent., 8. Bd., 1903. 
Standfufl, M., Handbuch der paläarkt. GroBschmetterlinge. Jena 1896. 
— , Die Resultate 30 jähriger Experimente mit Bezug auf Artbildung usw. Verh. 

Schweiz. Naturf. Ges. (Luzern) 1905. 
Thomson, J. A., Heredity. London 1908. 

Tower, W. L., An Investigation of Evolution in Chrysomelid Beetles of the Genus 

Leptinotarsa. Carnegie Inst. Wasb. Publ. 48, 1906. 
Tschermak, E., Der moderne Stand des Vererbungsproblems. Arch. Rass. u. Ges. 

Biol., 5. Jahrg., 1908. 

Weismann, A., Aufsätze, 1892, siehe Literaturverzeichnis 15/16; Vorträge, 1904, 

siehe Literaturverzeichnis 15/ 16. 
— , Richard Semons „Mneme" und die .Vererbung erworbener Eigenschaften". Arch. 

Rass. u. Ges. Biol., 3. Jahrg., 1906. 
Wille, N., Über die Schübelerschen Anschauungen in betreff der Veränderungen 

der Pflanzen in nördlichen Breiten. Biol. Centralbl., 25. Bd.. 1905. 
Woltereck, R. f Weitere experimentelle Untersuchungen über Artveränderung usw. 

bei Daphniden. Verh. D. Zool. Ges. 1909. 



12* 



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Achtzehntes Kapitel. 
Pfropfbastarde, Xenien, Telegonie. 

In allen morphobiologischen Vererbungshypothesen, so insbeson- 
dere in den Pangenesishypothesen von Darwin und de Vries 
und in der Kontinuitätslehre Weismanns, ist auf einige Erschei- 
nungen Bezug genommen worden, welche eine gewisse Ähnlichkeit 
mit den typischen Vererbungsvorgängen erkennen lassen und zum 
Teil auch als Vererbungsprozesse in einem erweiterten Sinne des 
Wortes zu deuten sind Es sind dies vor allem die Pfropf bastarde, 
die Xenien und Bizzarrien, sowie die Telegonie. Durch 
neuere Untersuchungen ist in einem Teil der Fälle eine vollständige 
Aufklärung herbeigeführt worden, bezüglich der übrigen haben sich 
seit der Begründung der genannten Vererbungshypothesen die Frage- 
stellungen in mancher Hinsicht verschoben. 'Auf jeden Fall sind 
neuerdings verschiedene dieser Vorkommnisse in den Vordergrund des 
Interesses gerückt worden, so daß auch jetzt noch jede Vererbungs- 
hypothese sich mit ihnen abfinden muß. 

Man verstand bisher unter Pfropfbastarden im engsten Sinne 
des Wortes Adventivsprosse, die aus der Verwachsungszone eines 
Reises mit der Unterlage hervorgehen und sich in mancher Hinsicht 
wie sexuelle Bastarde zwischen den beiden zusammengepfropften 
Arten verhalten 1 ). Als Beispiel wurde von vielen Forschern das be- 
rühmte Labumum (Cytisus) Adami angesehen, eine Laburnumform, 
deren Blüten in merkwürdiger Mischung die Charaktere des gelb- 
blühenden Goldregens, Labumum vulgare, und der purpurblühenden 
Cytisus purpurea in sich vereinigen 2 ). Insbesondere treten neben 
hellgelben, purpurnen und schmutzigroten Blüten auch solche auf, 
die in zwei symmetrische Hälften, eine gelbe und eine purpurne, 
geteilt sind. 

l ) Vgl. Baut 1910. 

*) Vgl. Darwin, I, S. 497 (1868); Weismann, S. 445 (1802). 



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Xcnien. 



181 



Mit größerer Sicherheit als Laburnum Adami ist der Crataego- 
mespilus Asnieresii von Bronvaux (einem Orte bei Metz) als Propf- 
bastard in dem oben begrenzten Sinne zu deuten. Hier handelt es 
sich um eine interessante Mischform von Mispel (Mespilus germanica) 
und Weißdorn (Crataegus monogyna), welche sich an einem mehr 
als hundertjährigen Weißdornstamm in unmittelbarer Nähe der Stelle, 
wo auf ihn ein Mispelzweig aufgepfropft worden war, in Gestalt von 
mehreren Adventiv trieben gebildet hatte 1 ). 

Unter Xenien faßte man bisher nach dem Vorgang von Focke 
Abänderungen der normalen Gestalt oder Farbe zusammen, die außer- 
halb des Embryos an irgend welchen Teilen des Samens oder des 
mütterlichen Organismus anscheinend durch die Einwirkung fremden 
Blütenstaubes hervorgebracht werden. In einigen Fällen steht tat- 
sächlich fest, daß auf dem Wege der Bastardbefruchtung eine der- 
artige Beeinflussung zustande kommen kann. So hat Correns lür 
den Mais nachgewiesen, daß bei Bestäubung einer gelben Rasse 
mit dem Pollen einer blauen in der äußersten Endospermschicht 
(Aleuron- oder Kleberschicht) der Samenkörner die blaue Farbe 
der väterlichen Stammpflanze auftritt. In ähnlicher Weise ist von 
älteren Beobachtern angegeben worden, daß bei Erbsen auch die 
Samenschale, bei der Zuckererbse (Pisum arvense) und Orange 
die vom Fruchtknoten abstammenden Teile der Frucht (Hülse 
bzw. Fruchtfleisch) und beim Apfel sogar das den Fruchtknoten 
(Gehäuse) umwallende und die Scheinfrucht bildende obere Ende 
der Blütenachse durch Fremdbestäubung in der Richtung der den 
Pollen liefernden Rasse oder Spezies modifiziert werden könne 3 ). 

Mischfrüchte von verschiedenem Aussehen sind namentlich von 
den Agrumi, d. h. den mediterranen Vertretern der Gattung Citrus 
bekannt, und ihre Träger werden als Bizzarrien bezeichnet*). Spe- 
ziell für die Orange gibt Gallesio an, daß er durch Fremdbestäubung 
mit dem Pollen der Limone eine Frucht erhalten habe, deren Rinde 
innerhalb eines Sektors die Merkmale einer Limone aufwies, während 
der übrige Teil der Rinde und das Innere der Frucht nur der 
Orange glich. Am genauesten untersucht sind die auch jetzt noch 
existierenden Bizzarrien von Florenz, welche außer reinen Früchten 
der Pomeranze und der Florentiner Cedrate auch Mischfrüchte ver- 

') Vgl. Noll 1905: Strasburger, S. 530 (1007). 

») Vgl. Darwin, I, S. 511 (1868). 

') Vgl. Strasburger, S. 56 (1904); S. 538 (1907). 



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182 



Birzarrien. Telegonie. 



schiedener Art aufweisen, unter anderen solche, deren Schale voll- 
ständig oder innerhalb bestimmter, vom Scheitel zum Stiel laufender 
Sektoren der Pomeranze angehört, während die übrige Schale und 
das ganze Fruchtfleisch die Charaktere der Cedrate trägt. Auch 
Mischungen von Orange und Limone und solche aus drei Citrusarten 
werden in der Literatur erwähnt. 

Bezüglich der Entstehungsgeschichte der Bizzarrien weichen die 
Angaben voneinander ab. Die Orange -Limone -Bizzarria soll, wie 
bereits erwähnt wurde, nach Gallesio einen sexuellen Bastard dar- 
stellen 1 ), während für die Florentiner Pomeranze -Cedrate -Bizzarria 
angegeben wird, daß sie aus Adventivsprossen hervorging, welche 
der Unterlage nach Absterben des Edelreises entsproßten s ). Erstere 
würde also den Xenien, letztere den Pfropfbastarden anzureihen sein. 

Als Infektion des Keimes oder nach Weismanns Vorschlag 
als Telegonie (Fernzeugung) werden endlich solche Fälle bezeichnet, 
in denen anscheinend die Begattung eines Weibchens mit einem ersten 
Männchen von Einfluß ist auf die Beschaffenheit derjenigen Nach- 
kommen, die aus der Paarung desselben Weibchens mit einem zweiten 
Männchen hervorgehen. Am bekanntesten ist folgender schon von 
Darwin erwähnte Fall»). Eine kastanienbraune arabische Stute des 
Lord Morton wurde zuerst von einem Quaggahengst belegt und 
erzeugte mit diesem einen Bastard, danach wurde sie mit einem ara- 
bischen Rapphengst zusammengebracht und warf zwei Füllen, welche 
graubraun (dun) und an den Beinen, eines von ihnen auch am Hals, 
deutlich gestreift waren. Außerdem besaßen sie die kurze, steil auf- 
recht stehende Mähne des Quaggas. Außer diesem Vorkommnis, 
welches auch Darwin für ein unzweifelhaftes Beispiel von Telegonie 
ansah, sind namentlich von Tierzüchtern zahlreiche andere Fälle an- 
gegeben worden, in denen ein Einfluß des ersten Männchens auf die 
später von derselben Mutter mit anderen Männchen erzeugten Nach- 
kommen hervorzutreten schien 4 ). 

Wie erwähnt, haben die Untersuchungen der letzten Jahre be- 
züglich mancher der hier aufgezählten Vorkommnisse Aufklärung 
gebracht, und zwar haben zunächst diejenigen Xenien eine Erledi- 



l ) Gallesio, Traite du Citrus 1811; vgl. Darwin, Var.. I, S. 514: Stras- 
burger , S. 544 (1907). 

«) NachPietroNati 1674 undGallesio 1811; vgl. Strasburger. S. 539(1907). 

*) Darwin, Var., I, S. 520; vgl. auch Weismann, S. 504 ff. (1892). 

*) Vgl. Darwin, Var., I, S. 520, Anm. 138; ferner Thomson, S. 145 (iQOH). 



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Bastard-Endosperm. Pfropf bastarde. 



183 



gung gefunden, in denen es sich ausschließlich um eine Beeinflussung 
des Endosperms handelt, wie dies z.B. bei manchen Maiskreuzungen 
der Fall ist. Es haben nämlich Nawaschin und Guignard zuerst 
bei den Lilien den Nachweis geführt, daß beide generative Kerne 
des Pollenschlauches in den Embryosack schlüpfen (S. 84, Fig. 49). 
und daß der eine mit dem Eikern (00), der andere mit dem durch 
Vereinigung der beiden Pollenkerne (ps, pi) entstandenen sekundären 
Embryosackkern die Kopulation ausführt. Von dem so entstandenen 
dreifachen Kern stammen aber die Endospermkerne ab, und da also 
die Substanz der letzteren zum Teil auf diejenige des einen genera- 
tiven Pollenkerns zurückzuführen ist, so ist ein Einfluß der väter- 
lichen Rasse auf das Endosperm ohne weiteres zu verstehen. Nun 
ist allerdings gerade für den Mais diese sogenannte doppelte Be- 
fruchtung noch nicht nachgewiesen worden, aber da die letztere 
außer bei den Lilien auch noch bei einer Reihe von anderen Phanero- 
gamen beobachtet ist, so wird man mit Correns die Maisxenien in 
der Weise zu erklären haben, daß durch die Vereinigung des zweiten 
generativen Pollenkerns mit dem sekundären Embryosackkern ein 
Bastard-Endosperm entstanden ist, und man wird also Vorkomm- 
nisse dieser Art als echte Vererbungsvorgänge bezeichnen müssen. 

Auch das Problem der Pfropfbastarde ist in den letzten Jahren 
der Lösung wesentlich näher geführt worden. Zunächst ist es 
Winkler mittels zielbewußter, an Tomate (Solanum lycopersicum) 
und Nachtschatten (S. nigrum) ausgeführter Experimente als erstem 
gelungen, willkürlich Pfropf bastarde in dem früher begrenzten Sinne 
zu erzeugen, d.h. aus der Verwachsungszone zweier Pfröpflinge bastard- 
ähnliche Mittelbildungen als Adventivsprosse entstehen zu lassen. Der 
Versuch bestand im wesentlichen im folgenden: Wenn eine junge 
Pflanze der Tomate dekapitiert und gleichzeitig die Achselknospen 
der Stengelblätter entfernt werden, so daß ein Ersatz des verlorenen 
Haupttriebes durch Austreiben der Achselknospen verhindert wird, so 
kommen aus dem Callus, der die Schnittfläche kappenförmig über- 
zieht, Adventivsprossen in großer Zahl hervor. Wird aber durch 
Keilpfropfung ein Trieb vom Nachtschatten aufgesetzt und abermals 
dekapitiert (Fig. 86 A), so daß die apikale Schnittfläche zum Teil aus 
Geweben der Unterlage, zum Teil aus solchen des Reises besteht, so 
kann durch geeignete Methoden bewirkt werden, daß nur an den Stellen 
a — d (Fig. 86 B), wo die Gewebe von Unterlage und Reis unmittelbar 
aneinanderstoßen, Adventivsprosse entstehen. Auf diese Weise erhielt 



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184 



Wesen der Pfropfbastarde. 



nun Wink ler eine Anzahl von Adventivsprossen, deren Blätter, 
Blütenteile und Früchte die Merkmale der Tomate und des Nacht- 
schattens in sich vereinigten, also ihrer Entstehung und Beschaffen- 
heit nach tatsächlich als Pfropfbastarde im früher angegebenen Sinne 
zu betrachten sind. Die erste der so erzeugten, mit dem zunächst 
theoretisch voraussetzungslosen Namen Chimären bezeichneten Misch- 
formen wurde Solanum tubingense genannt. 

Durch diese Experimente wurde nun aufs neue die Frage nach 
dem eigentlichen Wesen der Pfropfbastarde aufgerollt. Es war früher J ) 



A Fig. 86. 




speziell für Laburnum Adami vielfach angenommen 
worden, daß an der Veredelungsstelle abnormer- 
weise eine Zelle des Edelreises und eine solche 
der Unterlage miteinander verschmolzen und also 
eine Kopulation zwischen zwei vegetativen 
Kernen zustande gekommen sei. Auch Wink ler 
führte zunächst die von ihm erzielten Mischbil- 
dungen auf nichtsexuelle Zellverbindungen zurück. 
Gegen diese Annahme hat aber Strasburger 
aus zellgeschichtlichen Gründen») Einwände er- 
hoben und ist der Ansicht von de Vries») bei- 
getreten t daß Laburnum Adami überhaupt keinen 
Pfropf bastard , sondern einen geschlechtlich ent- 
standenen Bastard darstelle, dessen Eigentümlich- 
keiten durch „vegetative Merkmalsspaltun- 
gen", das heißt durch Trennung der im Bastard 
verbundenen Anlagen während der vegetativen 
Zellteilungen, zustande gekommen seien. 
Eine dritte Ansicht über die Pfropfbastarde ergab sich aus Be- 
obachtungen, die von Baur an panaschierten (partiell -albinotischen) 
Pelargonien gemacht wurden. Bei der Kreuzung grüner und 
weißrandiger Rassen entstehen unter anderen grünweiß marmorierte 
Pflanzen, deren Vegetationspunkte vielfach eine Mischung von weißen 
und grünen Zellen enthalten. Insbesondere können Vegetationskegel 




Erzeugung 
von Pfropfbastarden 
Nach Winklcr. 



') Vgl. Strasburger, S. 169 (1884) und Weismann, S. 447 (1892). 

*) Vgl. Strasburger, S. 63 (1905). Vor allem fand Strasburger, daß 
Laburnum Adami die gleiche Chromosomenzahl aufweist, wie die beiden Stamm- 
formen, während im Falle einer Kernverschmelzung die doppelte Zahl zu er- 
warten wäre. 

8 ) 2. Bd., S.676 (1903). 



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Chimären. 



185 



auftreten, die aus einzelnen weißen und grünen Sektoren zusammen- 
gesetzt sind (Fig. 87 A), und solche, bei denen die zwei peripheren 
Zelllagen aus weißen, die inneren Schichten aus grünen Zellen be- 
stehen, die also eine pcriklinale Schichtung aufweisen (Fig. 87 B). In 
ersterem Falle werden solche Blätter, die an der Grenze zwischen 
einem weißen und grünen Sektor entstehen, eine weiße und eine 
grüne Hälfte besitzen, aus Vegetationskegeln der letzteren Art da- 
gegen bilden sich Blätter, bei denen die äußersten beiden Zellschichten 
und ebenso der dünne, nur aus wenigen Zellschichten bestehende 
Blattrand weiß ist (Fig. 87C). Erstere sind von Baur, indem er den 
Ausdruck „Chimären" in etwas verändertem Sinne verwandte, als 
Sektorial-, letztere als Periklinalchimären bezeichnet worden. 



Fig. 87. 




Schema für Sektorial- (A) und Periklinalchimären (B, C). 

Nach Baur. 



Eine dritte Form würden die Hyperchimären Strasburgers sein, 
bei denen die Vegetationspunkte mosaikartig aus Zellen beider Eltcrn- 
arten zusam mengesetzt sind. 

Im Hinblick auf diese Befunde ergab sich nun die Auffassung, 
daß die „Pfropfbastarde" Laburnum Adami, Crataegomespilus und 
Solanum tubingense Organismen sind, „bei denen artreine Zellen von 
beiden Pfropf komponenten ohne Verschmelzung zu gemeinsamem 
Aufbau eines neuen Individuums zusammengetreten sind" 1 ). Die 
Winklerschc Bezeichnung Chimären wurde auch für die so ge- 
deuteten Organismen beibehalten. Speziell S. tubingense würde eine 
Periklinalchimäre darstellen, deren Haut von der Tomate und deren 

l ) Winkler igio. 



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180 



Chimären. 



Inneres vorn Nachtschatten stammt 1 ), und in ähnlicher Weise sollen 
auch Laburnum Adami und Crataegomespilus auf Grund der ana- 
tomischen Befunde als Periklinalchimären zu betrachten sein. 

Wenn so hinsichtlich der Maisxenien und verschiedener Pfropf- 
bastarde das Hauptproblem im wesentlichen gelöst erscheint, so bleiben 
natürlich noch eine Menge von Einzelfragen offen, und eine ganze 
Anzahl der im Anfang des Kapitels aufgezählten Beobachtungen wird 
zunächst durch die neu gewonnenen Kenntnisse noch nicht berührt. 

Bezüglich der Bizzarrien hat Strasburger 8 ) die Ansicht aus- 
gesprochen, daß es sich ebenfalls um Chimären handelt, eine Auf- 
fassung, für welche die Angaben über die Entstehung der Florentiner 
Bizzarria sprechen dürften 8 ). Man wird aber doch vielleicht sich vor 
einer frühzeitigen Verallgemeinerung hüten müssen, denn die Be- 
hauptung Gallesios, daß er eine Orangen-Limonen-Bizzarria durch 
Bastardierung erzeugt habe, darf doch nicht ohne weiteres bezweifelt 
werden, zumal die Beobachtungen Baurs dafür sprechen, daß ein Zu- 
standekommen sektorial und periklinal geteilter Mischfrüchte auf dem 
Wege der Bastardierung nicht zu den Unmöglichkeiten gehört. Ein 
hierher gehöriger Fall soll kurz erwähnt werden. In einem Pfarrgarten 
im Württembergischen Schwarzwald stehen nebeneinander ein Rosen- 
apfel- und ein Goldparmänenbaum. Vor fünf Jahren trug letzterer neben 
den normalen Goldparmänefrüchten einen Apfel mit einem Rosen- 
apfelsektor, und im letzten Jahre einen kleinen Apfel, welcher äußer- 
lich vollkommen die dunkelrote Farbe und den fettigen Glanz der 
Rosenäpfel zeigte, im Innern aber im Gegensatz zu letzteren rein 
weiß war. Hier liegt doch die Vermutung nahe, daß eine zufällige 
Bastardierung und also eine Einwirkung des Pollens auf die mütter- 
lichen Gewebe stattfand. 

So wird man also angesichts der bestimmten Angaben verschiedener 
Autoren«) immer noch die Möglichkeit offen halten müssen, daß es 
neben der Bastard -Endospermbildung und den Chimären doch auch 
noch Xenien im ursprünglichen Sinne Fockes gibt, und daß durch 
den Pollen bald die Samenschale (Erbse), bald die Derivate des 
Fruchtknotens (Hülse der Zuckererbse und Fruchtfleisch der Orange), 



') Vgl. Baur 1909, 1910, Strasburger 1909. Winkler 1910 (Ober das Wesen 
der Pfropfbastarde). 

«) S. 525 (1909). 

*) Siehe oben S. 182. 

4 ) Vgl. Darwin, I, S. 511 (1868). 



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Echte Xenien. I87 

bald sogar die vom oberen Ende der Blütenachse abstammende Schein- 
frucht (Apfel) beeinflußt werden können. 

Ein zoologisches Gegenstück würden die Beobachtungen von 
A von Tschermak bilden, der bei der Kreuzung von Kanarienhennen 
mit männlichen Wildvögeln (Gierlitz, Stieglitz usw.) einen Einfluß der 
väterlichen Spezies auf die Zeichnung der Eier beobachten zu können 
glaubt 1 ), und als eine weitere Stufe der Xenienbildung , als die 
Wirkung einer besonders nachhaltigen Beeinflussung des mütterlichen 
Organismus würde eventuell die Telegonie in Betracht kommen. 

Angesichts der großen Bedeutung, welche neueren Erfahrungen zu- 
folge die inneren Sekrete (Hormone) für die Beziehungen zwischen 



Fig. 88. 




Schema von Guthries Transplantationsversuchcn bei Hühnern. 



den verschiedenen Organen des Körpers haben, könnte man sich im 
Falle der Xenien- und Bizzarrienbildung die Beeinflussung des mütter- 
lichen Körpers durch die väterlichen Fortpflanzungselemente etwa in 
der Weise denken, daß von dem befruchteten Keime aus auf demselben 
Wege, auf dem ihm die Nahrungsstoffe vom Sorna her zuströmen, 
irgend welche Substanzen, mag man sie als innere Sekrete oder En- 
zyme, als Pangene oder Biophoren auffassen und bezeichnen, an die 



') In. ähnlicher Weise sollen nach den Angaben älterer Autoren (W. von Na- 
thusius) Hennen von Rassen, deren Eier normalerweise weißschalig sind, nach der 
Begattung mit einem Cochinchinahahn gelbe Eier legen. 



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188 



Geschlechtsdrüsen und Sorna. 



mütterlichen Gewebe abgegeben werden, und daß auf diese Weise eine 
Umstimmung der letzteren, eine Erweckung latenter Potenzen nach Art 
der Transversionen herbeigeführt wird, in ähnlicher Weise, wie ein 
Fremdkern das Cytoplasma umzustimmen vermag 1 ). 

Die Ergebnisse der Experimentalforschung sind allerdings vor- 
läufig noch widersprechender Art. Auf der einen Seite weisen neuere 
Beobachtungen darauf hin, daß bei manchen tierischen Objekten das 
Sorna und insbesondere die sekundären Geschlechtscharaktere durch 
die Geschlechtsdrüsen nicht auf dem Wege einer spezifischen inneren 
Sekretion beeinflußt werden 8 ). Andererseits hat Guthrie 8 ) gefunden, 
daß ein schwarzes Huhn, dem der Eierstock eines weißen Huhnes 
implantiert wurde (Fig. 88 A, $), nach der Paarung mit einem weißen 
Hahn (A, o") teils weiße, teils weiß und schwarz gefleckte Nachkommen 
erzeugte, und daß ebenso ein weißes Huhn, dem der Eierstock eines 
schwarzen Huhnes eingesetzt worden war (B, $), nach Kreuzung mit 
einem schwarzen Hahn (B, c/") weiß und schwarz gefleckte Jungen 
hervorbrachte. Falls hier nicht doch Rassenmischungen im Spiele sind, 
würden die Versuche offenbar so zu deuten sein, daß eine spezifische 
Beeinflussung der Genitaldrüsen und der in ihnen erhaltenen Geschlechts- 
zellen durch die Wirtin stattgefunden hat. Es dürfte also auch der 
umgekehrte Fall, d. h. die spezifische Beeinflussung des Sornas durch 
die Geschlechtszellen, nicht ganz außerhalb des Bereichs der physio- 
logischen Wahrscheinlichkeit liegen. 



Literaturverzeichnis zu Kapitel 18. 

Baur, E., Das Wesen und die Erblichkeitsverhältnisse der „Varietates albomarginatae 
hört." von Pelargonium zonale. Zeitschr. ind. Abst., l.Bd., 1909. 

— , Pfropf bastarde, Periklinalcbimären und Hyperchimärcn. Ber. D. Bot. Ges.. 27. Bd., 
1909. 

— , Pfropf bastarde. Biol. Centralbl., 30. Bd.. 1900. 



') Vgl. Kap. 14, 5. 148. Das seltene Vorkommen von Bizzarrien weist darauf 
hin, daß in diesem Falle noch besondere Bedingungen (individuelle Dispositionen, 
physiologische Zustände usw.) hinzutreten müssen. 

*) Vgl. Meisenheimer, Literaturverzeichnis 17. Nach den Ergebnissen von 
Hegar, Halban u. a. üben die Geschlechtsdrüsen , indem sie den allgemeinen 
Stoffwechsel des Organismus beeinflussen, eine quantitative, nicht aber eine 
spezifische Wirkung auf die Ausbildung der sekundären Geschlechtscharaktere aus. 

*) Ein ähnliches, jedoch weniger entscheidendes Experiment hat V. Magnus 
(Norsk. Magazin Laegevidenskab, No. 9* Kristiania 1907) mit Kaninchen ausgeführt. 
Vgl. Johannsen 1909 und Godlewski 1909, Literaturverzeichnis 14. 



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Literaturverzeichnis 18. 



Correns, C. Untersuchungen über die Xenieu bei Zca Mays. Ber. D. Bot. Ges., 
17. Bd., 18Q0. 

— , Über Bastarde zwischen Rassen von Zea Mays usw. Ebenda, 19. Bd., 1901. 
Darwin, Ch., Das Variieren der Tiere und Pflanzen im Zustande der Domestikation. 

Übers, von J. V. Carus. Stuttgart 1868. 
Focke, W. O., Die Pflanzen-Mischlinge. Berlin 1881. 

Guthrie, C. C, Further Results of Transplantation of Ovaries in Chickens. Journ. 

exp. Zool., Vol. 5, 1908. 
Johannscn, W., Kiemente der exakten Erblichkeitsichre. Jena 1909. 
Korscbelt, E., Beeinflussung der Komponenten bei Transplantation. Med. Naturw. 

Archiv, 1. Bd., 1908. 

Meisenhcimer, J.. Experimentelle Studien zur Sorna- und Geschlechtsdifferenzierung. 
Jena 1909. 

Noll, F., Die Pfropfbastarde von Bronvaux. Sitzungsber. Niederrhein. Ges. f. Natu r- 
u. Heilk., 1905. 

Strasburger, E. , Neue Untersuchungen über den Befruchtungsvorgang bei den 

Phanerogamen als Grundlage einer Theorie der Zeugung. Jena 1884. 
— , Streifzüge an der Riviera. 2. Aufl. Jena 1904. 

— . Typische und allotypische Kernteilung. Jahrb. wiss. Bot., 42. Bd., 1905. 

— , Über die Individualität der Chromosomen und die Pfropf hybriden frage. Jahrb. 

wiss. Bot., 44. Bd., 1907. 
— , Meine Stellungnahme zur Frage der Pfropf bastarde. Ber. D. Bot. Ges., 27. Bd., 

1909. 

Thomson, J. A., Heredity. London 1908. 

Tschermak, A. vou, Uber den Einfluß der Bastardierung auf Form, Farbe und 

Zeichnung von Kanarieneiem. Biol. Centralbl., 30. Bd., 1910. 
Vries, II. de, Intrazellulare Pangenesis. Jena 1889. 
— . Die Mutationstheorie, 2. Bd., Leipzig 1903. 

Weismann, A.. Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena 1892. 
Winkler, H., Uber Pfropfbaslarde und pflanzliche Chimären. Ber. D. Bot. Ges., 
25. Bd., 1007. 

— , Solanum tubingense. ein echter Pfropf bastard zwischen Tomate und Nacht- 
schatten. Ebenda, Bd. 26a, 1908. 
— , Weitere Mitteilungen über Pfropfbastarde. Zeitschr. Bot., 1. Jahrg., 1909. 
— , Über das Wesen der Pfropf bastarde. Ber. D. Bot. Ges., 28. Bd., 1909. 



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Neunzehntes Kapitel. 



Weiterer Ausbau der Weismann sehen 
Vererbungslehre. 

a) Lehre von der Amphimixis. 

Durch die Ablehnung der La marck sehen Auffassung, wonach 
die Artumwandlung im wesentlichen durch Vererbung somatogener Ab- 
änderungen bewirkt wird, wurde Weis mann zunächst dazu geführt, 
eine andere Quelle für die Variationen, d. h. für die äußeren Verschieden- 
heiten der Individuen und Rassen anzunehmen. Er sah diese Quelle 
im Befruchtungsprozeß. 

Gegenüber der alten Anschauung, daß der Befruchtungsprozeß 
der Vielzelligen in erster Linie in der mechanischen Auslösung 
der Eientwickelung oder, wie H. Spencer, Ed. van Beneden, 
V. Hensen u. a. sich ausdrückten, in der Verjüngung oder Be- 
lebung des Keimes gelegen sei 1 ), konnte vor allem die weite 
Verbreitung der Parthenogenesis geltend gemacht und insbesondere 
auf das Vorkommen rein parthenogenetischer Organismen, so des 
Muschelkrebses Cypris reptans*), gewisser Wasserflöhe der großen 
Alpenseen 8 ) und der Armleuchteralge Chara crinita 4 ), hingewiesen 
werden. Auch die Anschauung von Maupas, wonach die Konjuga- 
tion der Einzelligen, das zweifellose Homologon der Befruchtung,, 
einen Verjüngungsvorgang darstelle, steht mit einer Reihe von Tat- 
sachen im Widerspruch: es seien nur die Hemmung der Gesamt- 
vermehrung der Infusorien bei Eintritt in die Konjugationsperiode und 
der Dauerzustand vieler durch die Konjugation gebildeten Zygoten 
genannt. 

') Vgl. Weismann 1886 (Aufsätze, S. 343), 1891 (S. 792). 1904.'.!. S. 266. 
•) Weismann 1891 (Aufsätze, S. 796), 1904, I. S. 267. 

") Bosmina und Daphnia longispina. Vgl. Woltereck, Verh. D. Zool. Ges. 1909. 
*) Diese Alge kommt wenigstens im nördlichen Europa nur in weiblichen 
Exemplaren vor. 



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Amphimixis. 



191 



Die Hauptbedeutung des Befruchtungsprozesses kann also nicht 
in der Auslösung der Entwickelung liegen, vielmehr ist als solche 
nach Weismann die Vermischung zweier individuell ver- 
schiedener Vererbungstendenzen, die Amphimixis, an- 
zusehen. 

Die Bedeutung der Amphimixis kann nun ihrerseits nach ver- 
schiedenen Richtungen hin gesucht werden. Entweder könnte der 
Zweck dieses Vorganges im Ausgleich von Störungen, in der 
Unterdrückung weniger günstiger Variationen durch Einführung 
„frischen Blutes", also in der Erhaltung der Artkonstanz, gelegen 
sein, oder es könnte sich um die von der Selektionstheorie geforderte 
Akkumulierung und Stärkung günstiger Anlagen, oder 
endlich um eine immer wiederholte Entstehung neuer Anlage- 
kombinationen handeln. Weismann nimmt nun an, daß die 
Hauptbedeutung der Amphimixis und damit überhaupt der sexuellen 
oder amphigonen (zweielterlichen) Fortpflanzung in der letztgenannten 
Richtung liegt. Die Amphimixis ist nach ihm die Haupt- 
quelle der erblichen Variationen, sie hat das Material 
an individuellen Unterschieden zu schaffen, mittels dessen 
die Selektion neue Arten hervorbringt. In der Sprache der 
Keimplasmatheorie ausgedrückt, heißt das: es findet bei der amphi- 
gonen Fortpflanzung zu Beginn jeder Generation eine 
Neukombination der Vererbungssubstanzen oder Keim- 
plasmen und damit der Anlagen statt, und zwar wird nach 
Weismann diese Wirkung unterstützt durch den von ihm postu- 
lierten Vorgang der Reduktionsteilung. 

b) Reduktion der Ahnenplasmen und Postulat der 

Reduktionsteilung. 

Eine der Grundvoraussetzungen, von welcher Weismann in 
seiner Theorie ausgeht, ist die Annahme, daß in der Erbmasse eines 
Individuums, in seiner Vererbungssubstanz, die väterlichen und 
mütterlichen (je die Anlagen sämtlicher Charaktere und Organe 
enthaltenden) Anteile getrennt bleiben, eine Anschauung, welche 
in gewissem Sinne durch die Beobachtungen über die Autonomie 
der Gonomeren (S.82) bestätigt wird. 

Wenn man sich nun vorstellt, daß in irgend einem befruchteten 
Ei und in sämtlichen Zellen des daraus hervorgehenden Organismus 
diese Anlagenkomplexe zunächst zweimal enthalten seien und daß 



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192 



Reduktion der Zahl der Ahnenplasmen. 



eine Keimzelle dieses Organismus durch eine fremde Keimzelle be- 
fruchtet wird, so würden im Keim zweimal zwei Anlagenkomplexe 
zusammenkommen, und in ähnlicher Weise müßte sich offenbar ihre 
Zahl von Generation zu Generation bei jedem Befruchtungsakt ver- 
doppeln. Es werden also in der Vererbungssubstanz jedes der Nach- 
kommen nicht nur zwei, sondern eine größere Anzahl von selbstän- 
digen, von verschiedenen Ahnen herrührenden Anlagenkomplexen oder, 
wie Weismann sagt, von Ahnenplasmen oder Iden enthalten sein. 

Diese Annahme würde nun aber offenbar zu ungeheuerlichen Kon- 
sequenzen führen, d. h. es würde in den einzelnen Individuen eine 
übermäßige Anhäufung von selbständigen Vererbungstendenzen statt- 
finden. Auf Grund theoretischer Erwägungen kommt also Weismann 
schließlich zu der Vorstellung, daß diese Verdoppelung der Zahl der 
Vererbungseinheiten oder Ahnenplasmen durch eine in jeder Gene- 
Fi? 89 ration sich wiederholende Reduktion ihrer 

ZahlaufdieHälfte aufgehoben werden muß, 
und ferner, daß diese Zahlenreduktion bei den 
Reifungsteilungen, im weiblichen Geschlecht 
also bei der Bildung der Richtungskör- 
per vor sich gehen müsse 1 ). So kam als ein 
Schritt von nachhaltiger theoretischer Wir- 
idant (Chromosom) mit linear kung die engere Verbindung der Ahnenplas- 
ancinandergereihten iden. menhypothese mit den Ergebnissen derKeim- 

Nach Weismann. . , .« , , 

zellen- und Kernteilungsforschung zustande. 
Wie schon früher (S. 135) gezeigt wurde, war Weismann, ebenso 
wie O. Hertwig und Strasburger, zu der Auffassung gelangt, daß 
die Kernsubstanz der Keimzellen das materielle Substrat der 
Vererbungstendenzen darstelle, und daß insbesondere die bei der 
Kernteilung hervortretenden Chromosomen oder Kernschleifen als 
die eigentlichen Vererbungsträger anzusehen seien. Im speziellen 
dachte sich Weismann, daß die Ahnenplasmen oder Ide, also die 
kleinsten, jeweils sämtliche Organanlagen in sich enthaltenden, nicht 
mehr teilbaren, unter sich verschiedenen Einheiten der Vererbungs- 
substanz, in den Chromosomen linear aneinandergereiht 
sind (Fig. 89). Die Chromosomen oder, wie Weis mann sagt, die 
Idanten stellen also Komplexe von „individuell" verschie- 
denen Ahnenplasmen dar. 




') Vgl. Weismann 1887 (Aufsatze, S.425, 4^9). 



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Reduktionsteilung. 



193 



Bei der gewöhnlichen Kernteilung, der Äquationsteilung, 
werden bei der Längsspaltung der Chromosomen gleichzeitig auch 
die linear aneinandergereihten Ahnenplasmen halbiert (Fig.90A), und 
es geht also jede der verschiedenen Qualitäten, die in jedem der 
individuell verschiedenen Ahnenplasmen enthalten sind, auch auf 
jeden der beiden Tochterkerne über 1 ). Wenn aber die postulierte 
Halbierung in der Zahl der pig ^ 

Ahnenplasmen stattfinden 
soll, so muß es nach Weis- 
mann noch einen anderen 
Kernteilungsmodus , eine 
Reduktionsteilung, ge- 
ben. Diese soll darin be- 
stehen, daß die einzelnen 
Chromosomen vor der Kern- 
teilung nicht der Länge nach 
gespalten, also ihrer Zahl 
nach nicht erst verdop- 
pelt werden, sondern sich 
ungespalten auf die bei- 
den Tochterkerne verteilen 
(Fig. 90 B). Dann würde 
jeder der letzteren die Hälfte 
der Gesamtzahl der Ahnen- 
plasmen enthalten. 

Nun hatten einige Be- 
obachtungen ergeben, daß 
beiparthenogenetischen 
Eiern die zweite Reifungs- 
teilung in Wegfall kommt«). 
Auf der anderen Seite war 
zu erwarten, daß bei parthenogenetischen Eiern keine Reduktions- 
teilung stattfindet -weil es ja hier infolge Ausbleibens der Befruchtung 

') Zuerst bat Roux (1884) die Vermutung aufgestellt, daß der Kernteilungsprozeß 
ein Mittel darstelle, den Kern nicht bloß seiner Masse, sondern auch der Masse und Be- 
schaffenheit seiner ein/einen Qualitäten nach möglichst genau zu teilen. Vgl. oben S. 13^. 

*) Von Weis mann und Ishikawa wurde dies an parthenogenetischen Daph- 
nideneiern. von Hlochmann an parthenogenetischen Rotatorieneiern nachgewiesen. B( i 
späteren Untersuchungen stellte es sich heraus, daß in einer Reihe von Fällen auch von 
parthenogenetischen Eiern zwei Richtungskörper gebildet werden. Vgl. S. 68 unten. 
Haecker, Vererbungslehre. t j 




Schema der Äquations- (A) und Reduktions- 
teilung (B). 



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194 



Reduktionsteilung. 



auch nicht zu einer amphimik tischen Verdoppelung der Chromosomen- 
zahl kommt, und so lag der Schluß nahe, daß bei der amphigonen 
Fortpflanzung die theoretisch postulierte Reduktionsteilung durch die 
zweite Reifungsteilung dargestellt werde 1 ). 

Die Anschauungen Weismanns erhielten bald darauf eine Stütze 
einerseits durch die Begründung der „Individualitätshypothese", 
welche den einzelnen Chromosomen ein hohes Maß von stofflicher 
und funktioneller Autonomie zuwies, andererseits durch Befunde, 



Fig. 91. 




Schema der Samcnrcifc bei Ascaris. Frei nach O. Hcrtwig aus Weis mann. 

A Sperm»togonie. B junge Spermatozyte ers'er Ordnung. C ento Reifungsteilung. 

D— F zweite Keifuoggteüung. 



welche bezüglich des Verhaltens der Chromosomen bei den Reifungs- 
teilungen gemacht wurden. 

Auf die Individualitätshypothese und auf die genannten Befunde, 
welche beide für die ganze weitere Entwickelung der Vererbungs- 
theorie eine große Bedeutung erlangt haben, soll in späteren Kapiteln 2 ) 
nochmals zurückgekommen werden. Hier sei nur bemerkt, daß sich 
Weis mann namentlich auf die Beobachtungen am Pferdespulwurm 



') Weis mann 1887 (Aufsätze, S.434)- 
*) Vgl. Kapitel 29, 30. 



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Neukombination der Anlagen. 



195 



(Ascaris megalocephala) stützen konnte, bei welchem durch Boveri 
und O. Hertwig tatsächlich eine Halbierung der Chromosomenzahl 
während der Ei- und Samenreife nachgewiesen worden war, und 
zwar konnten die vorliegenden Bilder wirklich in dem Sinne gedeutet 
werden, daß bei der Samen- und Eireife eine Reduktionsteilung 
stattfindet In den Samen- und Eimutterzellen (Spermato- und Ovo- 
cyten erster Ordnung) findet nämlich z. B. bei der Rasse Ascaris megalo- 
cephala bivalens zunächst eine Art Verdoppelung der in der Vier- 
zahl vorhandenen Chromosomen (Fig. 91 A, B) und dann bei den 
beiden Teilungsschritten eine zweifache Halbierung ihrer Zahl statt 
(C — F). Wird nun der Verdoppelungsprozeß (B) als ein Längs- 
spaltungsvorgang, wie er die normalen Kernteilungsakte einzuleiten 
pflegt, aufgefaßt, so ist ohne weiteres klar, daß sich die eine der 
beiden Reifungsteilungen als eine Aquations-, die andere als eine 
Reduktionsteilung präsentiert. Denn die Längsspaltung könnte sich 
nur auf eine der Teilungen beziehen, für die andere würde kein der- 
artiger Prozeß zur Verfügung stehen. 

Speziell bei der Samenbildung (Fig. 90 würden dann die Vor- 
gänge in folgender Weise zu deuten sein: In der Stammmutterzelle 
erfolgt in den Prophasen der Teilung die Längsspaltung (B); die Ver- 
teilung im ersten Reifungsprozeß (C) erfolgt nach diesem Längsspalt, 
stellt also eine Äquationsteilung dar, und die in die Samentochterzellen 
gelangenden vier Chromosomen (D) verteilen sich, ohne einen weiteren 
Längsteilungsprozeß, als solche auf die beiden Samenenkelzellen (E, F). 

In entsprechender Weise können die Verhältnisse bei der Eireife 
gedeutet werden. 

c) Neukombination der Anlagen. 

Mit der Zahlenreduktion kann nach Weismann eine Neukombi- 
nation der Elemente verbunden sein. Wie wir sahen, enthalten im 
Falle des Pferdespulwurms (Rasse „bivalens") die beiden Samen- 
tochterzellen je vier, nach Weismann individuell verschiedene, 
d. h. aus verschiedenartigen Ahnenplasmen oder Iden zusammengesetzte 
Chromosomen a, b, c, d. W T enn nun diese mittels der Reduktions- 
teilung auf die Samencnkelzellen verteilt werden, so gelangen in jede 
der letzteren zwei Elemente, und zwar sind bei einer Zahl von vier 



l ) Die erste Deutung, welche Weismann (1891. Aufsätze, S.690) diesen Be- 
funden gab, war etwas komplizierter gefaßt. 

13* 



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196 



Germinalselektion. 



Chromosomen offenbar sechs Kombinationen von je zwei Elementen 
möglich: ab, ac, ad, bc, bd, cd. Da aber diese sechs Kombinationen 
sowohl in den männlichen, wie in den weiblichen Geschlechtszellen 
auftreten können, so werden bei der paarweisen Vereinigung der 
Keimzellen (Gameten) des nämlichen Elternpaares 6 X 6 = 36 ver- 
schiedene Sorten von befruchteten Keimen („Zygoten" nach der neueren 
Terminologie) ihre Entstehung nehmen können. Mit der Normalzahl 
der Chromosomen wächst natürlich die Zahl der für die einzelnen 
Geschlechtszellen möglichen Kombinationen. Bei 8 Chromosomen 
beträgt sie 70, bei 12 4096, bei 16 12870 1 ). Es würden also beim 
Menschen, dessen Fortpflanzungszellen nach neueren Angaben ») 12 oder 
16 Chromosomen enthalten, in den Zygoten 4096 x 4096 bzw. 12 870 
X 12870, also rund 16,8 oder 165,6 Millionen Kombinationen möglich 
sein. Die Wahrscheinlichkeit, daß sich dieselbe Kombination in 
zwei oder mehreren Zygoten wiederholt ist also außerordentlich gering, 
und es ist daher nach Weismann nicht zu verwundern, wenn unter 
den successiven Kindern eines menschlichen Elternpaares wohl 
noch niemals identische beobachtet worden sind. 

d) Germinalselektion. 

Eine der Grundlagen der Weismannschen Vererbungshypothesen 
ist, wie gezeigt wurde, die Annahme einer Verschiedenheit der 
einzelnen in den Kernen der Geschlechtszellen nebeneinanderliegen- 
den Vererbungseinheiten (Ide, Ahnenplasmen) und damit auch ihrer 
Träger, der Idanten oder Chromosomen. Es fragt sich nun, wie 
kommt diese Verschiedenheit der Ide und damit der Chromo- 
somen zustande? 

Nach Weismann sind die Ide, also diejenigen kleinsten Ein- 
heiten des Keimplasmas, welche gerade noch sämtliche Anlagen der 
Art enthalten, aus einzelnen Teilchen, den Bestimmungsstücken 
für die einzelnen äußeren Merkmale oder Determinanten, zu- 
sammengesetzt, welche ihrerseits aus bestimmten Gruppierungen von 
Biophoren, d. h. den niedersten, mit den Fähigkeiten der Assimila- 
tion, des Wachstums und der Vermehrung eben noch begabten Lebens- 
einheiten, bestehen 8 ). 



l ) Vgl. Weismann 1H91 (Aufsätze. S. 716). 
*) Siehe oben S. 1 14. 

*) Vgl. Weismann, Keimplasma, S. 71. Vgl. auch oben S. 25. 



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Gcrminalselektion. 



197 



Durch - die Anwesenheit und Beschaffenheit der Determinanten 
ist das Auftreten bestimmter Charaktere im werdenden Organismus 
bedingt, derart, daß die einzelne Determinante je die Anlage 
einer selbständig variabeln Eigenschaft darstellt, und ebenso 
wie die erblichen Variationen des Individuums selber in Variationen 
der ganzen Ide ihren Ursprung haben, so beruhen also die erb- 
lichen Variationen einzelner Körperteile und Körpereigenschaften auf 
Variationen der Determinanten. 

In jedem Geschlechtszellenkern sind natürlich für jedes Organ 
und für jede Körpereigenschalt mehrere Determinanten vorhanden, 
nämlich ebenso viele als Ide, da ja jedes Id einen aus sämtlichen 
Determinantensorten der Spezies bestehenden Komplex darstellt. In 
dem jungen Organismus, der aus der Geschlechtszelle hervorgeht, wird 
im allgemeinen ein bestimmter Körperteil oder eine bestimmte Körper- 
eigenschalt dann variieren, wenn die Majorität der betreffenden 
Determinanten abgeändert ist. 

Wie kommen also die Abänderungen der Determinanten und 
damit diejenigen der Ide (Ahnenplasmen), der Idanten (Chromosomen) 
und des ganzen Keimplasmas zustande? 

Wie Weis mann in Anlehnung an Roux* Vorstellung von 
dem Kampf der Teile im Organismus annimmt, besteht in jedem 
organischen System ein Konkurrenzkampf 1 ): so wie zwischen den 
einzelnen Personen die Selektion wirksam ist (Personalselektion) 
und ebenso wie nach Roux zwischen den einzelnen Geweben und 
Zellen Ausleseprozesse stattfinden (Histonalselektion, Intra- 
selektion), so findet während der Entwickelung der Geschlechts- 
zellen auch zwischen den verschiedenen Determinanten einer Ge- 
schlechtszelle ein Kampf um die zuströmende Nahrung statt, und 
zwar in erster Linie zwischen den homologen Determinanten ver- 
schiedener Ide»), dann aber auch zwischen den nichthomologen 
Determinanten eines und desselben Ids"). Auf der ungleichen 
Ernährung und auf dem damit zusammenhängenden Ausleseprozeß, 
auf der Germinalselektion, beruhen aber die Verschiedenheiten 
der Determinanten, und zwar glaubt Weismann zeigen zu können, 
daß, wenn einmal eine Plus- oder Minusvariation entstanden ist, 
diese Abänderung beim Eingreifen bzw. beim Ausbleiben 

') Vgl. Weismann 1894, 1896. 
*) Weismann S.14 (1896). 

*) Weismann, 2. Bd., S. 129 (1904). Vgl. auch Thomson S.471 0<X>8). 



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198 



Erbungleiche Teilungen. 



der Personalselektion eben auf Grund des intragerminalen Kon- 
kurrenzkampfes in stetiger Weise nach der Plus- bzw. Minusseite 
fortsclireiten muß *). 

e) Zerlegung des Keimplasmas in der Ontogenese. 

Die Determinantenlehre versucht auch das zweite Hauptproblem 
der Vererbung 8 ) zu lösen, die Frage, durch welche Kräfte und 
Mechanismen die Vererbungstendenzen beim Aufbau des neuen 
Organismus zur Entfaltung gebracht werden. 

Nach Weismann sind innerhalb der einzelnen Ide die ver- 
schiedenen Determinanten, also die Bestimmungsstücke für die ein- 
zelnen selbständig variabeln Merkmale, fest lokalisiert und in be- 
stimmter Weise zusammengefügt, so wie z. B. die verschiedenen 
Atomgruppen im Benzolring durch eine typische Architektonik mit- 
einander verbunden sind. Bei der Teilung des Eies wird nun durch 
einen vorausbestimmten und geregelten Mechanismus das Keimplasma 
in der Weise auseinandergelegt, daß auf Grund „erbungleicher" 
Teilungsprozesse die einzelnen Determinantengruppen und Determi- 
nanten jeweils denjenigen Zellen zugewiesen werden, für welche 
sie die Bestimmungsstücke bilden. So würden z. B. bei der ersten 
Teilung des Eies des Pferdespulwurms (S. 62, Fig. 28) die Determi- 
nantengruppen für einen Teil des Ektoderms in die eine der beiden 
ersten Blastomeren (S,-Zelle), die Determinanten für Entoderm, Meso- 
derm, Stomodäum (Anlage des Vorderdarms) und Geschlechtsapparat, 
sowie für einen weiteren Teil des Ektoderms in die andere (P 1 -Zelle) 
eintreten und eben durch diese Verteilung das Schicksal, die „pro- 
spektive Potenz" der beiden Zellen bestimmen. Bei der zweiten 
Teilung findet dann abermals auf Grund einer erbungleichen Teilung 
die Zerlegung des Determinantenkomplexes P, in zwei ungleiche 
Determinantengruppen statt. Die Determinanten für Entoderm, Meso- 
derm und Stomodäum treten in die eine Zelle (EMSt- Zelle), die für 
die Geschlechtselemente und einen Teil des Ektoderms in die andere 
(P a -Zelle). 

Nicht bei jedem Kernteilungsprozeß findet eine unsymmetrische 
erbungleiche Zerlegung der Determinantenkomplexe statt. Wenn es 
sich nämlich um die Bildung einer größeren Zahl gleichartiger 

') Näheres bei Weismann 1896 und 1904. 
*) Vgl. S. 122. 



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Erbungleiche Teilungen. 



Zellen handelt, wenn z. B. aus der Urzelle eines Sinnesepithels die 
verschiedenen gleichartigen Sinneszellen ihre Entstehung nehmen 
sollen, so finden erbgleiche Kernteilungen statt, d. h. während des 
Kernwachstums und der Vorbereitung zur Teilung tritt innerhalb der 
einzelnen Ide eine Verdoppelung der Determinanten ein und bei der 
Durchteilung der Ide werden die so gebildeten Schwesterdeterminanten 
in symmetrischer Weise auf die beiden Tochterkerne verteilt. 

Es ist nochmals daran zu erinnern, daß nach der Hypothese von 
der Kontinuität des Keimplasmas in einer bestimmten Reihenfolge 
von Zellen, in der sogenannten Keimbahn, das Keimplasma in unver- 
änderter Weise fortgeführt wird. In die Sprache der Determinanten- 
lehre übersetzt, heißt dies, daß bei der Abgliederung der Keimbahn- 
zellen von den Somazellen eine asymmetrische Teilung der Ahnen- 
plasmen stattfindet, derart, daß die ersteren jeweils den ganzen 
Determinantenkomplex, die letzteren nur die ihrer prospektiven Potenz 
entsprechenden Determinanten mit auf den Weg erhalten. 

Bezüglich der Art und Weise, wie die Bestimmung der Zellen 
durch die Kernsubstanz vor sich geht, so können von vornherein 
verschiedene Annahmen gemacht werden l ). Es könnte sich entweder 
um eine energetische Beeinflussung des Zellprotoplasmas durch die 
Kernsubstanz handeln, um eine Übertragung von Bewegungsformen, 
in ähnlicher Weise, wie man sich früher die Erregung des Eiplasmas 
durch das eindringende Spermatozoon gedacht hat, oder es könnte 
die Bestimmung durch Enzyme (Fermente) erfolgen, die vom Kern 
gebildet und an das Zellplasma abgegeben werden (Haberlandt), 
oder es könnten Stoffteilchen, die aus dem Kern ins Zellplasma aus- 
wandern, direkt bei den Stoffwechsel Vorgängen und fermentativen 
Tätigkeiten der Zelle beteiligt sein. Letzteres wurde vielfach für die 
vielumstrittenen Chromidien 2 ) angenommen , farbbare, in verschie- 
denen Protozoen- und Metazoenzellen beobachtete Körnchen, welche 
von der Chromatinsubstanz des Kernes abstammen und aus dem Kern 
in das Zellplasma überwandern sollen (R. Hertwig, Goldschmidt). 
Weismann selbst lehnt sich an eine Auffassung an, welche H. de Vries 
in seiner „Intrazellularen Pangenesis" vertreten hat und derzufolge 
die kleinsten Lebenseinheiten, die Pangene, aus dem Kern in das 

l ) Vgl. Weis mann, Keimplasma, S. 61. 

■) Vgl. besonders R. Hertwig 1002, Goldschmidt 1904, 1907. Auf botani- 
schem Gebiete vgl. LundegSrd, Literaturverzeichnis 14, L. Digby, Ann. Bot., 
Vol. 23, 1009. 



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200 



Literaturverzeichnis 19. 



Cytoplasma übertreten und sich in die einzelnen Zellteile umwandeln 
sollen. Nach Weismanns spezieller Anschauung würden sich die 
kleinsten Lebensteilchen, die Biophoren, von den Determinanten- 
gruppen loslösen und nach Auswanderung in den Zellleib die be- 
sonderen Differenzierungen, z. B. in den Muskelzellen die Abscheidung 
der kontraktilen Substanz, hervorrufen. 



Literaturverzeichnis zu Kapitel 19. 

Boveri, Th.. Zellstudien. II. Jenaische Zeitschr., 21. Bd., 1887. 
Goldschmidt, R., Die Chromidien der Protozoen. Arcb. Prot., 5. Bd., 1906. 
— , Der Chromidialapparat lebhaft funktionierender Gewebszellen. Zool. Jahrb., 
21. Bd., Anat., 1904. 

— , u. Pop off, M., Die Karyokinese der Protozoen und der Chromidialapparat usw. 

Arch. Prot., 8. Bd.. 1907. 
Hertwig, O., Vergleich der Ei- und Samenbildung bei den Nematoden. Arch. 

f. mikr. Anat., 36. Bd., 1890. 
Hertwig, R., Die Protozoen und die Zellentheorie. Arch: Prot, l.Bd., 1903. 
Roux, W., Der Kampf der Teile im Organismus. Leipzig 1881. 
Thomson, J. A., Heredity. London 1908. 
Vries, H. de, Intrazellulare Pangenesis. Jena 1889- 

Weismann, A., Die Bedeutung der sexuellen Fortpflanzung für die Selektions- 
theorie. Jena 1886. 

— , Über die Zahl der Richtungskörper und über ihre Bedeutung für die Vererbung. 
Jena 1887. 

— , Amphimixis oder die Vermischung der Individuen. Jena 1891. 
— , Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena 1892. 
— , Äußere Einflüsse als Entwickelungsreize. Jena 1894. 

— , Ober Germinalselektion, eine Quelle bestimmtgerichteter Variation. Jena 1806. 
— , Vortrage über Deszendenztheorie. 2. Aufl. Jena 1904. 



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Zwanzigstes Kapitel. 



Kritik der Anschauungen von Weismann. O. Hertwigs 

Theorie der Biogenesis. 

Die Hypothesen Weismanns haben auf der einen Seite, so 
namentlich durch gewisse Beobachtungen und theoretische Vorstel- 
lungen von Roux 1 ) eine Unterstützung gefunden, auf der anderen 
Seite ist durch sie eine lebhafte Opposition wachgerufen worden*). 

Die gegensätzlichen Anschauungen beziehen sich vor allem auf 
den Bau der Vererbungssubstanz und auf ihr Verhalten bei 
der Entwickelung. Man pflegt diese Gegensätze durch die Wort- 
paare Determinantenlehre (Korpuskularhypothese) und chemische 
Vererbungslehre, Neo-Evolutionismus und neo-epigene- 
tische Theorien zu bezeichnen. 

Nach der Determinanten- oder Korpuskularhypothese 
Weismanns iL a. sind die Einheiten der Vererbungssubstanz, die 
Ide, ihrerseits aus Lebenseinheiten niedrigerer Ordnung, den Deter- 
minanten und Biophoren zusammengesetzt, welche die räumlich 
getrennten Anlagen der einzelnen selbständig variabeln Eigen- 
schaften darstellen und selbst Komplexe von Molekülen bilden »). Auf 
der anderen Seite steht die chemische Vererbungshypothese 
ä outrance (Miescher) oder Konstitutionshypothese«), welche 
einen verhältnismäßig einfachen Bau des Protoplasmas annimmt und 
seinen Einheiten den Wert von außerordentlich komplizierten Mole- 

») Über R ouz* „Mosaiktheorie" Tgl. seine im Literaturverzeichnis aufgezählten 
Schriften. 

") Genauere historische Daten finden sich bei O. Hertwig, Zelle und Gewebe. 

2. Bd., S. 297. 

•) Eine etwas modifizierte, zur chemischen Vererbungshypothese überfahrende 
Annahme hat K. Fick gemacht. 

*) Unter konstitutiven Eigenschaften verstehen die Chemiker solche, welche 
von der Architektonik des Moleküls abhängig sind und mit dieser wechseln, im Gegen- 
sau zu den additiven, welche sich aus den Eigenschaften der einzelnen Bestand- 
teile der Verbindung summieren. 



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202 



Gründe gegen die Kontinuitätslehre. 



külen zuschreibt (vgl. Kapitel 4). Die einzelnen selbständig variabeln 
Eigenschaften des Organismus (z. B. die Zeichnungsflecke auf den 
Schmetterlingsflügeln) sind aber nicht an bestimmte Körperchen oder 
Atomgruppen gebunden, sondern an die Verbindung als Ganzes. So 
wie sich z. B. Benzol und Phenol durch eine OH -Gruppe unter- 
scheiden und dieser Unterschied sich in den Änderungen einer ganzen 
Reihe von Eigenschaften (Geruch, Farbe, spezifisches Gewicht, Reak- 
tionsweise) äußert, so werden durch verhältnismäßig geringfügige 
Änderungen in der Konstitution des Plasmamoleküls auch Abände- 
rungen in der Kombination der äußeren Eigenschaften des Organismus 
bedingt l ). 

Gegenüber den Anschauungen Weismanns, welche sich auf 
das Verhalten der Vererbungssubstanz bei der Entwicke- 
ln g beziehen und teils schon in der Kontinuitätslehre, teils in der 
Determinantenhypothese ihren Ausdruck gefunden haben, ist auf die 
außerordentliche Regenerationskraft vieler pflanzlicher und tie- 
rischer Organismen, auf ihr Vermögen, nach Verletzungen die ursprüng- 
liche Form und verloren gegangene Körperteile wiederherzustellen, 
sowie auf die Erscheinungen der ungeschlechtlichen Vermehrung hin- 
gewiesen worden. Die Fähigkeit des Süßwasserpolypen, aus Teil- 
stücken, die nur V200 des ursprünglichen Körpervolumens betragen, 
den ganzen Körper wiederherzustellen, die außerordentlich weitgehende 
Regenerationskraft verhältnismäßig hochdififerenzierter Tiere, wie es 
die Strudelwürmer (Planaria) und Seesterne sind, das Vermögen 
mancher Pflanzen, z. B. Begonia und Torenia, an scheinbar beliebigen 
Punkten der Blätter und von äußerlich nicht erkennbaren Vegetations- 
punkten aus Sprosse zu entwickeln 3 ), alle diese Erscheinungen sprechen, 
wie O. Hertwig, H. Spencer, Driesch und manche andere be- 
tont haben, gegen die Grundannahme der Kontinuitäts - und Deter- 
minantenlehre, wonach das Keimplasma während der Ontogenese nur 
in den Keimbahnzellen unverändert bleibe, dagegen in allen anderen 
Zellen eine immer weiter gehende Zerlegung und Spezialisierung der 
Anlagenmasse stattfinde. Vielmehr scheinen, wie hervorgehoben wird, 



*) Vgl. hierzu Miescher (1897, l.Bd., S. 117), Herbst (i<X)6, S.290), Baur, 
(1008, S. 287), Giglio-Tos u. a. Auch ich selbst habe innerhalb bestimmter 
Grenzen diese Anschauung vertreten (Erg. u. Fortschr. d. Zool., l.Bd., S. 37, 1907). 

•) Vgl. hierzu ü. Hertwig, Zelle und Gewebe, Morgan 1901, Driesch 1901, 
und seine Referate in den Ergebn. d. An. u. Entw., 8., 11 , 14., 17. Bd., 1898— 1907; 
Korscheit 1907. 



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Theorie der Biogenesis. 203 



<iie genannten Tatsachen zu beweisen, daß sämtliche Zellen des 
Organismus Träger des vollständigen Idioplasmas sind. 

Insbesondere hat O. Hertwig in seiner Theorie der Bio- 
genesis t) den Standpunkt vertreten, daß keine erbungleiche 
Teilungen existieren und daß also während der Ontogenese keine 
Zerlegung der Erbmasse stattfindet. Die tatsächlichen Verschieden- 
heiten der Gewebszellen, wie sie in der Bildung bestimmter Plasma- 
produkte (kontraktile Substanz, Interzellularsubstanzen, Gallenfarbstoffe, 
Fette, Pepsin usw.) äußerlich hervortreten, werden vielmehr nach 
O. Hertwig dadurch hervorgerufen, daß unter dem Einfluß ein- 
seitig angreifender äußerer Faktoren, z. B. der Schwerkraft, oder 
unter der Wirkung innerer Faktoren, z. B. der Wechselwirkung 
benachbarter Zellen, bald diese, bald jene Anlagen mehr ausgebildet 
und zur Entfaltung gebracht werden»). 

Der Gegensatz zwischen der Lehre von Weismann einerseits 
und derjenigen von O. Hertwig andererseits besteht also im wesent- 
lichen im folgenden. Nach der Ansicht des ersteren ist jede Eigen- 
schaft und jeder Körperteil des aus der Keimzelle entstehenden Orga- 
nismus im Keimplasma durch bestimmte Teilchen vorgebildet, 
und die Ontogenese besteht daher im wesentlichen in dem „Sichtbar- 
werden unsichtbarer Mannigfaltigkeiten". Die Lehre von Weis- 
mann kann also als eine evolutionistische (neo-evolutionistische) 
bezeichnet werden und stellt, allerdings in ganz neuem Kleide, eine 
Fortsetzung der Evolutions- oder Präformationstheorie von 
Ha 11 er und Bonnet dar, welche annahmen, daß das neue Indivi- 
duum nicht bloß der Materie nach, sondern auch schon in seiner 
wesentlichen Form im Keim und damit im elterlichen Organismus 
vorgebildet sei. Im Gegensatz dazu würde nach der Auffassung von 
O. Hertwig, Driesch u. a. ein verhältnismäßig einfacher Bau der 
Keimzellen und der Vererbungssubstanz anzunehmen sein, alle Zellen 
erhalten die nämliche Vererbungssubstanz, und die Entwickelung voll- 
zieht sich demnach unter wirklicher Produktion von Mannigfaltig- 
keiten, indem jede einzelne Entwickelungsstufe die eigentliche 
Ursache der nächsten, noch komplizierteren darstellt und dieselbe 



l ) Zelle und Gewebe, 2. Bd., S. 75 ff. 

") Zelle und Gewebe. 2. Bd., S. 66 und a. a. 0. Damit steht auch die im 
5. Kapitel erwähnte Auffassung in enger Berührung, dafl auf jeder Entwickelungs- 
stufe die Form des ganzen Zellenaggregats Charakter und Schicksal der einzelnen 
Zellen bestimme. 



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204 



Regeneraüonsvermögen als Anpassungserscheinung. 



gewissermaßen als eine Neubildung hervorruft Man kann also diese 
Auffassung als eine epigenetische (neo- epigenetische) bezeichnen, 
insofern sie manche Berührungspunkte mit den Anschauungen der 
alten Epigenetiker oder Postformisten, vor allem IC F. Wolffs 
und Blumenbachs zeigt, welche jede Zeugung für einen wirklichen 
Neubildungsakt ansahen l ). 

Der Gegensatz zwischen der „neo-evolutionistischen" und 
der „neo-epigenetischen" Auffassung hat dann weiterhin zu leb- 
haften und anregenden Erörterungen geführt, und es sind bei den sich 
anschließenden Untersuchungen eine Menge von Tatsachen zutage 
gefördert worden, welche bald mehr die eine, bald mehr die. andere 
Auffassung zu stützen- scheinen. 

Die Diskussion drehte sich dabei im wesentlichen um folgende 
Punkte: 

1. Zunächst hat Weismann») die aus den Erscheinungen der 
Regeneration und ungeschlechtlichen Fortpflanzung abgeleiteten Ein- 
wände gegen die Zerlegungstheorie durch den Hinweis auf die 
ungleiche Verbreitung der Regenerationsfahigkeit zu widerlegen 
versucht. Nach Weismann lehren die Tatsachen, daß nicht alle 
Organismen die nämliche Regenerationskraft besitzen, und daß offenbar 
das Regenerationsvermögen keine primäre Eigenschaft der Organismen, 
sondern eine sekundäre, im Laufe der Stammesgeschichte erworbene 
Anpassungserscheinung darstelle, die im wesentlichen nur solchen 
Körperteilen zukommt, welche Verletzungen und Schädigungen anderer 
Art besonders ausgesetzt sind So seien z. B. bei den urodelen 
Amphibien, welche seit den Versuchen Spallanzanis eines der 
klassischen Beispiele der Regenerationsfähigkeit bilden, Lunge und 
Hoden nicht oder kaum regenerationsfahig, offenbar weil sie seltener 
als die Beine, Schwanzflossen, Kiemen und Augen in die Lage kommen, 
verletzt zu werden. Wenn nun das Regenerationsvermögen eine 
sekundäre Anpassungserscheinung darstellt, dann wird auch der idio- 
plasmatische Mechanismus, auf welchem jenes beruht, sekundärer Art 
sein, und zwar besteht er nach Weismann darin, daß den regene- 
raüonsfähigen Geweben und Zellen außer den Determinanten, welche 
im normalen Entwickelungsverlauf ihre Ausbildung beherrschen, 
noch ein Nebenidioplasma mit Ersatzdeterminanten (Reserve- 

') Vgl. u. a. Weismann, Vorträge, l.Bd., S. 287; Korscheit und Heider. 
Allgemeiner Teil, S. 83. 

*) Vgl. besonders Keimplasma, S. 124; Vorträge, 2. Bd., S. 20 u. 21. 



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Entwickelungsmechanische Beobachtungen. 



20") 



idioplasson nach Roux) zugeteilt wird, welches nur bei ein- 
tretenden Störungen aktiv wird, eine Vorstellung, welche bereits 
früher in ähnlicher Weise durch Roux vertreten worden war 1 ). 

Diesen Ausführungen gegenüber konnte freilich darauf hingewiesen 
werden, daß z. B. beim Menschen auch weniger exponierte Teile, wie 
Schilddrüse, Lymphdrüsen, Leber und Niere, in größerem oder ge- 
ringerem Maße regenerationsfähig sind (Ribbert)»), und daß Ähn- 
liches auch für manche Tiere gilt. Auch von botanischer Seite hat 
Vöchting auf Grund seiner Experimente mit Araucaria hervor- 
gehoben, daß Sprossen einer Pflanze zum Bewurzeln und zur Aus- 
bildung gebracht werden können, ohne daß nur die geringste Wahr- 
scheinlichkeit dafür vorhanden ist, dieser Vorgang könne sich in der 
freien Natur ebenso vollziehen, und so muß mindestens so viel zu- 
gegeben werden, daß das Regenerationsvermögen nicht überall, wo 
es vorkommt, den Charakter einer Anpassungserscheinung hat. 

2. Widersprüche ähnlicher Art ergaben sich auch bei der experi- 
mentellen (entwickelungsmechanischen) Untersuchung tierischer Eier. 
Auf der einen Seite stehen solche Eier, deren erste Furchungszellen, 
wenn sie durch mechanische Einwirkung isoliert werden, nur „Teil- 
bildungen" (Halbembryonen mit einseitig ausgebildeter linker oder 
rechter Körperhälfte, Halb- und Viertellarven, Defektbildungen mehr 
unregelmäßiger Art) aus sich hervorgehen lassen und also auf eine 
frühzeitige Spezifizierung des Anlagenmaterials im Sinne von Weis- 
manns Zerlegungshypothese hinweisen, auf der anderen Seite gibt es 
Formen, deren erste Blastomeren sich nach Isolierung ganz wie das 
normale Ei weiterfurchen und dementsprechend Zwerglarven (zwerg- 
hafte Ganzlarven) mit allen Merkmalen der normalen Larve aus sich 
hervorgehen lassen, ein Verhalten, das mehr für eine Äquipotenz der 
Furchungszellen im Sinne O. Hertwigs zu sprechen scheint 8 ). 



') Nach Roux deutet die hohe Regenerationsfähigkeit mancher tierischen 
Objekte darauf hin, daß „die Zellen nicht durch und durch an ihre spezifische Funk- 
tion angepaßt sind, sondern daß jede, sei es im Kern oder im Protoplasma, noch 
einen Rest wirklichen embryonalen Stoffes (Reserveidioplasson) enthält, welcher 
in Tätigkeit tritt, sobald und soweit er nicht mehr durch den Widerstand der physio- 
logischen Umgebung daran verhindert wird". Vgl. Roux l88i, 1893. 

*) Bezüglich der Literatur vgl. Korschclt, S. 254 (1907). 

•) Beispiele für den erstcren Typus bilden die Ctenophoreneier , für den letz- 
teren die des Amphioxus und der Medusen. Bei den Echinodermen furchen sich die 
isolierten Blastomercn zunächst so, als ob sie sich im normalen Verband befänden, 
später setzen aber regulatorische Prozesse ein, welche bewirken, daß die Teilstücke 



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200 Histologische und zellteilungstbeoretische Gegensätze. 

3. Auch auf histologischem Gebiet liegen keine einheitlichen 
Ergebnisse vor. Bei einigen Formen (Ascaris, Kopepoden) ist eine 
frühzeitige histologische Sonderung der Keimbahnzellen von dem 
übrigen embryonalen Zellenmaterial schon während der ersten Ent- 
wickelungsstadien festzustellen (S. 61), und keine Beobachtung steht 
bis jetzt der Vermutung im Wege, daß der histologischen Differenzie- 
rung auch eine solche der Potenzen entspricht, daß also hier die 
Kontinuität des Keimplasmas und die Spaltung der Anlagen im Sinne 
Weismanns einen sichtbaren Ausdruck findet 1 ). Bei anderen 
Formen dagegen, z. B. bei vielen Wirbeltieren, scheint eine durch 
histologische Merkmale charakterisierte, vom befruchteten Ei bis zur 
Geschlechtsanlage führende Keimbahn nicht zu bestehen, ein Ver- 
halten, welches wieder mehr die epigenetische Auffassung zu stützen 
scheint. 

4. Vom zellteilungstheoretischen Standpunkt aus kann 
zugunsten der Annahme erbungleicher Teilungen im Sinne Weis- 
manns angeführt werden, daß, wie Giglio-Tos») in einleuchtender 
Weise auseinandergesetzt hat, vom chemischen Standpunkt eine 
unsymmetrische Teilung so hochorganisierter Atomkomplexe, wie 
es sicherlich die chemischen Einheiten des Plasmas sind, viel wahr- 
scheinlicher ist, als eine symmetrische Zerlegung. Für die Hert- 
wigsche Auffassung von der Ubiquität erbgleicher Teilungen da- 
gegen spricht, daß bisher, abgesehen von den Mitosen der mit Hetero- 
chromosomen ausgestatteten Samenelemente 8 ), bisher keinerlei Zell- 
teilungen zur Beobachtung gelangt sind, bei welchen die primäre 
Ursache für die Verschiedenheit der Tochterzellen auf eine in äußer- 
lich sichtbarer Weise ungleiche Teilung der Kernsubstanz zurück- 
geführt werden könnte. 

Alles in allem lassen sich zurzeit von keinem der beiden Stand- 
punkte aus sämtliche vorliegenden Tatsachen in vollkommen be- 
friedigender Weise zusammenfassen. Aber vielleicht ist es doch mög- 
lich, bei Berücksichtigung einiger neuerdings in die Protoplasma- und 
Zellenlehre hereingetragener Vorstellungen wenigstens die Beobach- 



sich schließlich doch zu normalgestalteten Zwerglarven weiterentwickeln. Vgl. im 
übrigen Korscheit und Heider, Allgemeiner Teil, S. 81 (Kap. 11: Das Determina- 
tionsproblem). 

') Vgl. auch Demoll (Literaturverzeichnis 14) 

•) 1. Bd., S. 48. 

8 ) Siehe oben S. 104. 



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Molekulare Grundlagen der Regeneration. 



207 



hingen auf dem Gebiete der Regeneration in etwas anderer Weise 
miteinander zu verbinden und damit einen Ausgleich zwischen den 
einander gegenüberstehenden Anschauungen anzubahnen 1 ). 

Wenn man von der Voraussetzung ausgeht, daß die Einheiten 
der Vererbungssubstanz, mag es sich um Molekülgruppen oder um 
besonders große Moleküle handeln, nicht ein starres Gefüge besitzen, 
sondern daß mindestens ihre peripheren Teile bei aller Festhaltung 
der Spezifität des Baues, sei es bei der Vorbereitung zur Teilung, 
sei es während der Funktion, regelmäßige Veränderungen erfahren, 
wenn man insbesondere mit Giglio-Tos annimmt, daß die Konsti- 
tution der Vererbungssubstanz eine Art von Zyklus durchläuft, der 
im allgemeinen vom Zustand der ruhenden Zelle A zum Zustand der 
Teilungsreife B und durch die Meta- und Telophasen wieder zurück 
zum Zustand A führt, so wird man mindestens dreierlei Verände- 
rungen für möglich halten müssen: 1. daß bei der Teilung der Zu- 
stand B, statt zweier gleicher Produkte bb, zwei ungleiche b'b" liefert 
(erbungleiche Teilung), 2. daß nach erfolgter Teilung in einer oder 
in beiden Tochterzellen der Zustand der Mutterzelle A nicht mehr 
vollständig erreicht wird (Entwickelungshemmung) , 3- daß in 
einer Zelle durch die Funktion selbst oder durch die Umgebung der 
Zustand A abgeändert wird (epigenetische Veränderung). In allen 
diesen Fällen wird es nun offenbar vom Grade der Veränderung 
abhängig sein, ob sie eine dauernde, irreparable ist, oder ob 
vielleicht durch irgend einen im Organismus gelegenen Faktor oder 
auch durch eine äußere Ursache, z. B. durch den von einer Verletzung 
ausgehenden Reiz, die Vererbungssubstanz veranlaßt wird, ihren 
typischen Zustand wiederherzustellen.' Im ersten Falle, d. h. 
wenn die Modifikation irreparabel ist, wird das Regenerationsvermögen 
dem Organismus selber fehlen oder unvollständig sein, im 
letzteren Falle bestehen zwei Möglichkeiten: entweder ist die Fähig- 
keit zur Wiederherstellung durch Selektionsprozesse fixiert und 
besonders stark ausgebildet, so daß die betreffenden Zellen 
bei einer Deformation des Körpers regelmäßig die Konstitution und 
die Potenzen der Keimzellen erlangen und so den Ausgangspunkt 
für Regenerationsprozesse bilden (adaptatives Regenerations- 

') Einen Ausgleich zwischen den evolutionistischen und epigenetischen An- 
schauungen hat neuerdings auch Rignano (Literaturverzeichnis 1 5/i6) in seiner 
Hypothese der Zcntroepigenese herzustellen versucht. Vgl. auch S. Becher, Biol. 
Centralbl., 19. Bd., 1909. 



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208 



Literaturverzeichnis 20. 



vermögen), oder es wird die Fähigkeit zur Wiederherstellung des 
Zustandes A eine schlummernde sein und in der Natur überhaupt 
nicht oder nur äußerst selten, wohl aber bei künstlichen Eingriffen 
zur Entfaltung kommen können (nicht-adaptati ves Regenera- 
tionsvermögen). 



Literaturverzeichnis zu Kapitel 20. 

Baur, E., Einige Ergebnisse der experimentellen Vererbungslehre. Beih. d. Med. 

Klinik, 4. Jahrg., 1908. 
Blumenbach, J. F., Über den Bildungstrieb. Göttingen 1791« 
Bonnet, K., Betrachtungen über die organisierten Körper, übers, von A. E. Göze. 

Lemgo 1775- 
Belage, Y., siehe Literaturverzeichnis 14. 
Driesch, H., Die organischen Regulationen. Leipzig 1901. 

— , Referate in Merkel und Bonncts Ergebnissen der Anatomie und Entwicke- 

lungsgcsch. 8., 11., 14., 17. Bd., 1898—1907. 
Giglio-Tos, E., Les problemes de la vie. 1 — IV. Turin und Cagliari 1900— 19lO. 
Hai ler, A. v., Elementa physiologiae corporis humani. Lausanne 1757 — 1766. 
Herbst, C, Vererbungsstudien. I — III. Arch. f. Entw.-Mech., 21. Bd., 1906. 
Hertwig, O.. Die Zelle und die Gewebe. I — II. Jena 1893 — 1898. 
—, Zeit- und Streitfragen der Biologie. I. Präformation oder Epigenese ? Jena 1894. 
Korscheit, E., Regeneration und Transplantation. Jena 1907. 
— und Heid er, K., siehe Literaturverzeichnis 71. 

Miese her, F., Histochemische und physiologische Arbeiten. Leipzig 1897- 
Morgan, T. H., Regeneration. New York 1901. Übers, von M. Moßkowski, 

Leipzig 1907. 
R i g n a n o , E., siehe Literaturverzeichnis 1 5/1 6. 

Roux, W. , Der Kampf der Teile im Organismus. Leipzig 1881. Ges. Abhand- 
lungen, l.Bd., Nr. 4. 

— , Einleitung zu den Beitragen zur Entwickelungsmechanik des Embryo. Zeitachr. 

f. Biol., 21. Bd., 1885. 
— . Über Mosaikarbdit und neuere Entwickelungshypothesen. Anat. Hefte von 

Merkel-Bonnet 1893. Ges. Abhandlungen, 2. Bd., Nr. 27. 
— , Über die Spezifikation der Furchungszellen usw. Biol. Ccntralbl., 13. Bd., 1893. 

Ges. Abhandlungen, 2. Bd., Nr. 28. 
— , Gesammelte Abhandlungen. 1. und 2. Bd. Leipzig 1895. 

Vöchting, H., Über die Regeneration der Araucaria excelsa. Jahrb. d. wissensch. 
Bot., 40. Bd., 1904. 

Weismann, A., Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena 1892. 
— , Vortrage über Deszendenztheorie. 2. Aufl. Jena 1904. 
Wolff. K. F., Theorie von der Regeneration. Berlin 1764. 
— , Theoria generationis. Halle 1774- 



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IV. Teil. 



Experimentelle Bastardforschung. 



Einundzwanzigstes Kapitel. 

Allgemeines über Bastarde. 

Die Erforschung der Vererbungserscheinungen hat sich, wie ge- 
zeigt wurde, im Laufe der achtziger und neunziger Jahre des letzten 
Jahrhunderts hauptsächlich in zwei Richtungen bewegt: es wurde 
versucht, das materielle Substrat der Vererbungsvorgänge und die 
cytologischen Prozesse, welche ihnen zugrunde liegen, kennen zu 
lernen, und ferner wurde die alte, bei den Züchtern, Ärzten, Biologen 
und Laien weitverbreitete Ansicht, daß erworbene Eigenschaften ver- 
erbt werden, der Kritik und experimentellen Prüfung unterworfen. 
Daß die Anregung zu eingehender Behandlung dieser beiden Probleme 
zu einem großen Teil von der Aufstellung und Begründung der Lehre 
von der Kontinuität des Keimplasmas ausging, wird heute auch von 
den Gegnern dieser Theorie anerkannt. 

Einen neuen gewaltigen Anstoß erhielt die Vererbungsforschung 
zu Beginn des 20. Jahrhunderts durch die Wiederentdeckung der 
Mende Ischen Bastardierungsregeln. 

Schon vorher war allerdings der Grund zu einer wissenschaft- 
lichen Bastardlehre als einem selbständigen Zweig der Biologie ge- 
legt worden, ja man kann sagen, daß ihre ersten Anfänge bis in die 
zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts zurückreichen, in die Zeit, als 
Kölreuter (1761) durch Kreuzungs versuche den ersten exakten Be- 
weis für die Sexualität der Pflanzen lieferte. Indessen haben beinahe 
alle Nachfolger Kölreuters, so John Hunter, Knight, Gärtner, 
Naudin, Wichura und vor allem Darwin, bei der Untersuchung 
der Pflanzen- und Tierbastarde weniger das Problem der Ver- 

Hacckcr, Vererbungslehre. m 



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210 



Bastardforscbung und Artbildungslehre. 



erbung als solches, als vielmehr die Frage nach den Verwandt- 
schaftsbeziehungen der Arten im Auge gehabt. Noch am Ende des 
19. und zu Anfang des 20. Jahrhunderts hat einer der ersten Zoologen, 
der nach Darwin in zielbewußter Weise und in großem Maßstabe 
Kreuzungsversuche angestellt hat, Stand fuß, auf diesem Wege in 
erster Linie die Frage zu lösen versucht, ob zwei einander nahe- 
stehende Formen getrennte, distinkte Arten oder nur Varietäten dar- 
stellen 1 ); in derselben Weise wollte Kühn in Halle mittels seiner 
ausgedehnten Kreuzungsversuche den Grad der Blutsverwandtschaft 
der Wildrinder und Wildschafe ermitteln, und um die gleiche Zeit 
hat auch H. de Vries auf den ersten Seiten seiner „Elementaren 
Bastardlehre" die Frage nach den systematischen Einheiten und die 
Möglichkeit, mittels der Bastardierungen Arten und Varietäten zu 
unterscheiden, in den Vordergrund gestellt 2 ). In der Regel wurde 
dann von den älteren und neueren Forschern als ein wichtiges Kri- 
terium für die Artve rschiedenheiten die mangelnde Fortpflanzungs- 
fähigkeit der Kreuzungsprodukte angesehen, und so findet man denn 
auch heute noch in fast allen Lehrbüchern die Tatsachen der Bastard- . 
forschung im Anschluß an die Behandlung des Artbegriffes auf- 
gezählt. 

Nun haben allerdings schon Darwin, de Vries, Nägeli. 
Weis mann u. a. die Bedeutung der Bastardforschung für die Ver- 
erbungslehre genau erkannt und bei der Begründung ihrer Ver- 
erbungshypothesen das vorliegende Beobachtungsmaterial in ausgiebiger 
Weise herangezogen, aber trotzdem wird man sagen dürfen, daß der 
enge Zusammenhang zwischen Bastardforschung und Vererbungslehre 
erst durch die Aufstellung der Mend eischen Regeln in das volle 
Licht gerückt worden ist. 

Aus der vormendelschen Periode der Bastardforschung ist aber 
doch von der neueren Forschung eine Anzahl von Erfahrungen, 
Unterscheidungen und Begriffen übernommen worden, auf welche hier 
kurz eingegangen werden soll. 

Man hat früher, namentlich unter dem Einfluß Fockes, eine 
Unterscheidung zwischen Mischlingen, Bastarden (Hybriden) und 
Blendlingen vorgenommen. Als Bastarde wurden die Kreuzungs- 
produkte verschiedener Arten, als Blendlinge diejenigen verschie- 
dener Varietäten bezeichnet, während man mit dem Namen Misch- 

») Vgl. Standfuß 1896. 
■) De Vries, S. 8 (1903). 



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Verwandtschaftsgrad der Eltern. Konstante Hastardrassen. 211 

linge beide Kategorien zusammenfaßt. Es ist klar, daß namentlich 
bei den Bestrebungen, die Bastardforschung in den Dienst der Art- 
bildungslehre zu stellen, die Anwendung dieser verschiedenen Be- 
zeichnungen wegen der Unsicherheit der Abgrenzung zwischen Art 
und Varietät vielfach zu einer petitio prineipii und naturgemäß auch 
sonst zu mancherlei Schwierigkeiten führte, und so hat sich denn in 
der neuesten Phase der Bastardforschung der Gebrauch eingebürgert, 
mit dem Ausdruck Bastard oder Hybrid ganz allgemein jedes 
Kreuzungsprodukt von erblich differenten Formen zu 
bezeichnen, mag es sich um Gattungen, Arten oder Varietäten han- 
deln Man kann auch mit Correns 8 ) unter Bastardierung ganz 
allgemein die Vereinigung zweier Keimzellen verstehen, welche nicht 
die gleichen Anlagen besitzen. Im ganzen deckt sich diese mehr und 
mehr in Aufnahme kommende Definition auch mit dem populären 
Sprachgebrauch, indem man bekanntlich die Kreuzungsprodukte zweier 
„Rassen" des Menschen ebensogut als Bastarde bezeichnet, wie die- 
jenigen zwischen Pferd und Esel oder zwischen Fasan und Haushuhn. 

Je nach dem von der heutigen Systematik angenommenen Ver- 
wandtschaftsgrad der beiden Eltern kann dann unterschieden werden 
zwischen Rassen-, Unterart-, Art- und Gattungsbastarde. Rassen- 
bastarde entstehen z. B. bei der Kreuzung zweier Kulturrassen der 
Haustaube; als Unterartbastarde können die auf der Grenze der 
Verbreitungsgebiete der Raben- und Nebelkrähe (Corvus corone und 
cornix) häufig vorkommenden Mischformen gelten; ein Beispiel für 
die Artbastarde bildet das Rakel- oder Mittelwaldhuhn (Tetrao 
medius), der Abkömmling von Birkhahn und Auerhenne, und als 
Gattungsbastard mag das Kreuzungsprodukt von Haushuhn und 
Edelfasan (Phasianus colchicus), als Familienbastard dasjenige 
der Penelopc (Farn. Cracidae) und des Edelfasans angeführt werden "). 

Werden Bastarde derselben Abkunft untereinander gepaart, so kann 
es vorkommen, daß ihre Nachkommen dieselben Merkmale wie die 
Bastarde selber zeigen. Man spricht dann von konstanten Bastard- 
rassen. Das bekannteste Beispiel bildet Aegilops speltaeformis, eine 
Kreuzung zwischen einer wildwachsenden Graminee, dem Walch 
(Ae. ovata) und dem Weizen (Triticum vulgare) 4 ). Auf zoologischem 

') Vgl. H. de Vries. S. 9 (1903). 
•) Correns, S. 453 (1905). 

*) Letzterer Bastard befindet sich im britischen Museum. Vgl. Guy er 1909. 
<) Vgl. H. de Vries. S. 71 (1903). 

14' 



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212 



Abgeleitete Bastarde. Vollblut, Halbblut. 



Gebiet seien die schon von Darwin mehrfach erwähnten Leporiden 
oder Hasen -Kaninchen -Bastarde angeführt, deren Natur allerdings 
immer noch nicht sichergestellt ist 1 ), sowie die von Castle ge- 
zogenen Kaninchenbastarde mit mittlerer Ohrenlänge, auf welche 
später (Kapitel 27) eingegangen werden soll. 

Werden Bastarde nicht untereinander, sondern mit einer der 
Stammformen oder mit einer dritten verwandten Art oder mit einem 
anderen Mischling gepaart, so können sogenannte abgeleitete 
Bastarde entstehen. Sie werden, je nach der Zahl der ursprünglichen 
reinen Arten oder Typen, welche zu ihrer Entstehung beigetragen 
haben oder „im Bastarde verbunden sind", als zweielterliche 
oder binäre (aus der Rückkreuzung mit einer der Stammformen 
entstandene), dreielterliche (dreifache) oder ternäre, vierelter- 
liche (vierfache) oder quaternäre usw. bezeichnet a ). Ein ternärer 
Bastard ist z. B. das von Darwin 8 ) zitierte Produkt einer Pferde- 
stute und eines Esel -Zebra -Bastards. In ähnlicher Weise gelang es 
Darwin selbst, bei Tauben in einem Vogel fünf der distinktesten 
Rassen miteinander zu vereinigen 4 ), und Wichura 5 ) hat bei seinen 
Versuchen mit Weiden sogar sechs Arten miteinander in einem 
Bastard verbunden. 

Bekanntlich versteht der Tierzüchter unter Vollblut reinrassige 
Tiere mit edeln Eigenschaften, unter Halbblut die Abkömmlinge 
eines Vollbluttieres und eines Angehörigen einer gemeinen Rasse. 
Mit Dreiviertelblut und Einviertelblut werden die Tiere be- 
zeichnet, wenn drei bzw. einer der vier Großeltern der Edelrasse an- 
gehörten. In ähnlicher Weise wird auch bei Mischungen von Wild- 
formen mit Haustierrassen unter Hervorhebung des Anteils der 
ersteren von Halbblutbastarden, Dreiviertelblutbastar- 
den usw. gesprochen (Kühn). 

Als reziproke Bastarde werden die Abkömmlinge zweier 
Stammformen dann bezeichnet, wenn diese kreuzweise miteinander 
verbunden werden, derart, daß das eine Mal von der einen Stamm- 
form der Vater, das andere Mal von der gleichen Stammform die 



! ) Bezüglich der Literatur vgl. Ackermann, II. Teil, S. 75- Ebenda finden 
sich Angaben über (? konstante) Fischbastarde (II. Teil, S. 4). 
■) II. de Vries, S. 79. 85, 87 (1903). 
») Bd. 2. S. 56 (1868). 
4 ) Bd. 1. S. 246 (1868), Anm. 

») Zitiert bei Darwin, Bd. 2, S. 352 (1868) und de Vries, S. 87 (1903). 



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Bezeichnung der Bastarde. 



213 



Mutter genommen wird. Beispiele bilden Maultier und Maulesel. 
Ersteres ist das Kreuzungsprodukt von Eselhengst und Pferdestute, 
letzterer dasjenige von Pferdehengst und Eselstute 

Um Bastarde ihrer Abkunft nach zu kennzeichnen, verbindet 
man die Namen der beiden Stammformen durch ein Kreuz oder in 
Form emes Bruches, indem, wenigstens in der Zoologie, der Name 
des männlichen Erzeugers vorangestellt oder als Zähler verwandt wird, 
zum Beispiel: 

Capra bircus X Ovis aries 

oder 

Capra bircus ö* ** Ovis aries °. 

oder 

Capra hircu s 
Ovis aries 

Abgeleitete Bastarde werden in entsprechender Weise dargestellt, 
z. B. der bekannte dreifache Schmetterlingsbastard von Standfuß: 

Saturnia (paTonia cf X pini ^) <f X S. pyri °- 

oder 

t . /pavonia ö* \ 
Saturnia ( - — ~ — ) cf 
\ pini / 

Botanischerseits wird häufig die umgekehrte Bezeichnungsweise 
angewandt. So setzt de Vries«) den Namen der Mutter voran: 
a x b bedeutet also: „a befruchtet durch b'. 

Hinsichtlich der äußeren Erscheinung der Bastarde unterscheidet 
man intermediäre Bastarde im engeren Sinne, welche ungefähr 
die Mitte zwischen den beiden Elternformen halten, goneokline 
(patrokline und matrokline), welche mehr dem einen der beiden 
Eltern zuneigen, und einseitige, bei welchen nur die Merkmale 
der einen Stammform zum Vorschein kommen »). Vielfach stellt man 
auch einfach die Begriffe intermediär und einseitig einander 
gegenüber und rechnet dann zu den intermediären Bastarden 
im weiteren Sinne auch die goneoklinen «). 

') Die Möglichkeit, Pferdehengst und Eselstute erfolgreich zu verbinden, ist 
durch Kühn im Haustiergarten von Halle in wissenschaftlich einwandfreier Weise 
nachgewiesen worden. 

•) S. 10 (1003). Anm. Vgl. auch ebenda, S. 79. 

3 ) Vgl. de Vries, S. 18 (1903); Lang, S. 1 (1910). 

*) Versuche, die Ursachen der größeren Ähnlichkeit der Nachkommen mit einem 
der beiden Eltern zu ermitteln und den Grad der Ähnlichkeit zu verändern, hat 
namentlich Herbst mit Seeigellarven angestellt (1906— 1909). 



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214 



Intermediäre Bastarde. 



Unter den intermediären Bastarden können Mosaikbastarde 
und Misch- oder Deckbastarde unterschieden werden. Bei ersteren 
kommen die Merkmale der Eltern in mosaikartiger Verteilung an 
den verschiedenen Körperteilen des Bastards zum Vorschein, so bei 
dem in zahlreichen zoologischen Gärten gezogenen Bastard vom 
Lady-Amherstfasan und Goldfasan (Chrysolophus amherstiae cT x Chr. 
pictus Dieser Bastard zeigt zuweilen 1 ) am Kragen und an der 
buntfarbigen Oberseite die Merkmale des männlichen Amherstfasans, 
dagegen gehören die rote Unterseite und die Färbung des Schwanzes 
der Hauptsache nach dem Goldfasan an. Bei den Misch- oder Deck- 
bastarden treten die einzelnen, einander korrespondierenden Charak- 
tere der beiden Eltern zu einem Mischtypus zusammen. Ein schönes 
Beispiel bilden die Bastarde von Gimpel (Pyrrhula pyrrhula) und 
Kanarienvogel (Serinus canarius), bei welchen die Färbung und Zeich- 
nung der einen Stammform fast an allen Körperteilen mit derjenigen 
der anderen kombiniert ist. Über das ganze Farbenmuster des Gim- 
pels erscheint ein gelber Ton gelegt, so daß speziell das Rot der 
Unterseite in ein trübes Orangegelb und das Weiß des Bürzels in 
Hellgelb umgewandelt wird. Auch die dunkeln Schaftstriche des 
wilden Kanarienvogels kommen an dem Gefieder der Bastarde wieder 
zum Vorschein. 

Was die Bedingungen für das Zustandekommen der Bastardie- 
rung anbelangt, so spielt, wie schon die älteren Forscher wußten, 
der Verwandtschaftsgrad der Stammformen eine wichtige Rolle. Je 
näher zwei Formen einander verwandt sind, um so eher kann zwischen 
ihren Angehörigen eine erfolgreiche Paarung stattfinden. 

Bei geringerer Verwandtschaft, z. B. bei Artungleichheit, kann 
die Paarung und erfolgreiche Begattung durch verschiedene Faktoren 
erschwert oder verhindert werden : es kann zwischen den Elterntieren 
selbst eine instinktive Abneigung zur Annäherung bestehen, oder es 
kann durch die Beschaffenheit der Kopulationsorganc die Begattung 
mechanisch unmöglich gemacht sein, oder es besitzen die Fortpflan- 
zungszellen keine sexuelle Affinität zueinander 2 ). Im ersten Falle 
können durch die Gefangenschaft oder Domestikation das repulsive 
Verhalten unterdrückt werden, wie dies die in zoologischen Gärten 
vorkommenden Kreuzungen zwischen so entfernt stehenden Formen, 

') Die einzelnen Individuen weisen beträchtliche Unterschiede in der Farben - 
Verteilung auf. 

*) Vgl. hierzu O. Hertwig, Zelle und Gewebe, l. Bd., S. 241. 



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Sexuelle Affinität. 



215 



wie Löwe und Königstiger, zeigen 1 ), im zweiten Falle können die 
mechanischen Hindernisse eventuell durch künstliche Mittel beseitigt 
werden (künstliche Befruchtung bei sehr verschieden großen Hunde- 
rassen). Was endlich die mangelnde Affinität zwischen den Fort- 
pflanzungszellen anbelangt, so haben die Brüder Hertwig (1886) 
gezeigt, daß bei Seeigeleiern durch längeres Liegenlassen im See- 
wasser die Bastardbefruchtung erleichtert wird, und später ist es 
Loeb u.a. gelungen, z.B. durch Veränderung des Salzgehaltes des See- 
wassers (Zusatz von Natriumhydroxyd) die erfolgreiche Befruchtung 
von Seeigeleiern durch Seesternsperma zu erreichen. 

Mit der instinktiven Abneigung, die im allgemeinen zwischen 
den Angehörigen zweier „guter" Arten besteht, hängt es zusammen, 
daß wenigstens im Tierreich in der freien Natur verhältnismäßig 
selten Artbastarde auftreten, und man hat Grund zu der Annahme, 
daß das Vorkommen solcher fast immer durch irgendwelche Störungen 
der normalen Lebensverhältnisse bedingt ist 8 ). 

Im übrigen spielt auch die Individualität der Elterntiere 
hinsichtlich der Kreuzungsmöglichkeit eine Rolle, wie dies Driesch 
für die Seeigel gezeigt hat. 

Wie die Möglichkeit der erfolgreichen Paarung überhaupt, so 
hängt auch die Fähigkeit der Bastarde, sich ihrerseits fort- 
zupflanzen, von dem Verwandtschaftsgrad der Eltern ab. Je ent- 
fernter sich die Eltern stehen, um so weniger fruchtbar sind die 
Bastarde, und jedenfalls gilt für das Tierreich, daß schon die Art- 
bastarde im allgemeinen unfruchtbar sind 8 ). So sind z. B. 
noch niemals Rakelhühner in Fortpflanzung beobachtet worden. 

') Auch durch künstliche Mittel kann die Abneigung überwunden werden. So 
wurde im Haustiergarten in Halle ein Zebrahengst dadurch zur Begattung mit einer 
Eselstute bewogen, daß dieser eine mit Streifen bemalte Decke aufgelegt wurde. 

*) So wird z. B. das verhältnismäßig häufige Auftreten des Rakelhuhns (s. oben 
S. 211) in Schweden damit in Zusammenhang gebracht, daß in diesem Land ein 
besonders starker Abschuß von Auerhähnen stattfindet und die Auerhennen daher 
häufig die Balzplätze der Birkhähne aufsuchen. Vgl. Naumann, Naturgeschichte 
der Vögel Mitteleuropas, 6. Bd., S. 106, Anm. 3, 108. 

3 ) Nach G u y e r sind bei den Vögeln die Art- und Gattungsbastarde (Fasanen- 
bastarde. Perlhuhn X Haushuhn, Fasan V Haushuhn) größtenteils männlichen 
Geschlechts. Guy er spricht die Vermutung aus, daß durch die Fremdbefruchtung 
die konstruktive Seite des Stoffwechsels (Metabolismus) eine Hemmung erfährt, und 
daß die hierdurch bewirkte schlechtere Ernährung des Embryos die Entwickelung 
des männlichen Geschlechts begünstige. Es würde dann allerdings eine epigame, 
d. h. erst nach der Befruchtung erfolgende Gcschlechtsbestimmung vorliegen (vgl. 
Kapitel 25). 



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216 



Sterilität der Bastarde. 



Daß im übrigen auch hier individuelle Unterschiede in Be- 
tracht kommen, zeigen Beobachtungen von Kühn: von vier Gayal- 
halbblutbullen erwies sich ein einziger mit Halbblutkühen als frucht- 
bar. Ebenso ist bekannt, daß das Maultier ausnahmsweise fruchtbar 
sein kann. 

Über die eigentlichen Ursachen der Sterilität der Bastarde 
ist noch nichts Sicheres bekannt. Ich habe früher (1902) 1 ) die An- 
nahme gemacht, daß bei der Geschlechtszellenbildung der Bastarde 
infolge ungenügender Affinitat der väterlichen und mütterlichen 
Chromosomen die komplizierten Umordnungsverhältnisse, welche nor- 
malerweise der Reife der Eizellen vorangehen, Störungen erfahren, 
und daß infolgedessen eine unvollkommene Ausbildung der Geschlechts- 
zellen stattfindet. Indessen haben cytologische Beobachtungen von 
Poll an Vogelbastarden und von Tischler an Pflanzenmischlingen 
es als zweifelhaft erscheinen lassen, ob eine „Repulsion der elter- 
lichen Chromosomen - die eigentliche Ursache der Sterilität der 
Bastarde darstellt 1 ). 



Literaturverzeichnis zu Kapitel 21. 

Ackermann, R., Tierbastarde. Kassel 1898. (Enthält eine Zusammenstellung der 
bis zum Ende des 19. Jahrhunderts bekannten Tierbastarde.) 

Correns, C, Weitere Untersuchungen Aber die Gynodiöcie. Ber. d. Bot. Ges.» 
23. Bd., 1905. 

Darwin, Ch., Das Variieren usw., 1868. Stehe Literaturverzeichnis 2, S. 12. 
Driesch, H., Über rein -mütterliche Charaktere an Bastardlarven von Echiniden. 

Aren. f. Entwickelungsmechanik, 7. Bd., 1898. 
Focke, W. O.. Die Pflanzenmischlinge. Berlin 1881. 

Fruwirth, C. Die Züchtung der landwirtschaftlichen Kulturpflanzen. I. Berlin 
1905. 

Guy er, M. F., On the sex of hybrid birds. Biol. Bull.. Vol. 16, 1909. 
Haecker, V., Praxis und Theorie der Zellen- und Befruchtungslehre. Jena 1809. 
— , Über die neueren Ergebnisse der Bastardlehre usw. Arcb. f. Rass.- u. Ges.-Biol., 
I.Jahrgang, 1004. 

— , Bastardierung und Geschlechtszcllenbildung. Zool. Jahrb., Suppl. VII, Jena 1904. 
Herbst, C, Vererbungsstudien. I — VI. Arch. f. Entwickeln ngsmechanik , 21., 22., 

24., 27. Bd., 1906—1909. 
Hertwig, O. und R. , Experimentelle Untersuchungen Ober die Bedingungen der 

Bastardbefruchtung. Jen. Zeitschr., 19. Bd., 1R86. 



») Vgl. 1904, S. 245. 

*) Vgl. Tischler 1907, Poll 1908, ferner Gates, Bot. Gaz., S. 48 (Oenothera 
laU X O. gigas), Farmer und Digby, Ann. Bot, Vol. 24 (1910) (Polypodium hybr.). 



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Literaturverzeichnis 21. 



217 



Hertwig, O. . Zelle und Gewebe und Allgemeine Biologie. Siehe Literatur- 
verzeichnis l, S. 7. 

Kölrcuter, J. G. , Vorläufige Nachricht von einigen das Geschlecht der Pflanzen 

betreffenden Versuchen und Beobachtungen. 1761. 
Lang, O.. Die Erblichkeitaverhältnisse der Ohrenlänge usw. Zeitschr. ind. Abst., 

4. Bd., 1910. 

Loeb, J.. The fcrtilization of the egg of the sea-uxchin by the sperm of the star- 

fish. Univ. Calif. Publ. (Phys.), Vol. 1, 1903. 
— , Further experiments usw. Ebenda, Vol. 2, 1904. 
Morgan, Th. H., Experimente Zoology. New York 1907. 

— , Experimentelle Zoologie. Übersetzt von L. und H. Rhumbler. Berlin und 
Leipzig 1900. 

Poll, H. und Tiefensee, W., Mischlingsstudien und die Histiologie der Keim- 
drüsen bei Mischlingen. Sitzungsber. d. Ges. Naturf. Frd., Berlin 1907. 

Poll, H., Mischlingsstudien. III. System und Kreuzung. Ebenda 1908. 

Standfuß, M., Handbuch der paläarktischen Großschmetterlinge. 2. Aull. Jena 
1896. 

— , Die Resultate 30 jähriger Experimente usw. Verh. d. Schweiz. Naturf. Ges., 
Luzern 1905. 

Tischler, G., Weitere Untersuchungen über Sterilitätsursachen bei Bastardpflanzen. 

Ber. d. D. Bot. Ges., 2$. Bd., 1907. 
— , Zeitstudien an sterilen Bastardpflanzen. Aren. f. Zellf., l.Bd., 1908. 
Vries, H. de. Die Mutationstheorie. 2. Bd. Elementare Bastardlehre. Leipzig 1 003. 



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Zweiundzwanzigstes Kapitel. 



Mendclsche Bastardierungs- oder Vererbungsregeln. 

Wie bereits erwähnt wurde, ist die Bastardierungsforschung zu 
Beginn des 20. Jahrhunderts durch die Wiederentdeckung der 
Mendel sehen Regeln in neue Bahnen geleitet worden. 

In den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts hatte der Augustiner- 
pater und nachmalige Prälat Gregor Mendel in Brünn ausgedehnte 
Untersuchungen über Pflanzenkreuzungen, insbesondere über die 
Bastardierung von Erbsenrassen angestellt und ist dabei zu einer 
Anzahl von Ergebnissen gelangt, welche für die Vererbungslehre von 
fundamentaler Bedeutung sind. Mendels Mitteilungen sind in einer 
nicht allgemein zugänglichen Zeitschrift, in den Verhandlungen des 
Naturforschenden Vereins in Brünn, niedergelegt worden *) und waren 
daher, obwohl sie in Fockes Pflanzenmischlingen erwähnt wurden 
und obwohl Mendel einen ausführlichen Briefwechsel mit Nägel i 
unterhielt 2 ), der Beachtung und Würdigung durch die wissenschaft- 
liche Welt entgangen. Ebenso sind auch die Kreuzungen, welche 
später Haacke mit Mäusen vorgenommen hatte und bei welchen 
er in unabhängiger Weise zu ähnlichen, wenn auch weniger scharf 
formulierten Ergebnissen gelangt war, übersehen worden. 

Erst im Jahre 1900 ist durch gleichzeitige Veröffentlichungen 
von deVries, Correns und Tschermak, welche unabhängig von- 
einander und zunächst, ohne Mendels Entdeckungen zu kennen, zu 
den gleichen Ergebnissen wie dieser gelangt waren, die Aufmerk- 
samkeit der Biologen auf diese Verhältnisse und auf die Verdienste 



l ) Die erste, bzw. die erste und zweite Abhandlung Mendels sind in der Zeit- 
schrift Flora 1901, sowie in Ostwalds Klassikern der exakten Wissenschaft (s. Lite- 
raturverzeichnis) abgedruckt worden. Eine englische Übersetzung findet sich im Journ. 
Roy. Hort. Soc, Vol. 26, 1901, sowie als Anhang in Batesons Buche. 

*) Herausgegeben durch Correns, 1905 (s. Literaturverzeichnis). Über die 
Gründe, weshalb Nägeli den Entdeckungen Mendels keine weitere Beachtung 
geschenkt hat. vgl. Correns, ebenda. S. 18Q. und Bateson. S. 54 (>909)- 



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Uniformitätsregel. 



219 



Mendels gelenkt worden. Seither haben zahlreiche botanische und 
zoologische Forscher sich mit dem Gegenstand beschäftigt und die 
Mende Ische Vererbungslehre zu einem der fruchtbarsten, die weitesten 
Perspektiven eröffnenden Zweige der Biologie ausgestaltet. Außer 
den eben genannten drei Botanikern, denen noch E. Baur anzureihen 
ist, haben hauptsächlich das englische, unter der Leitung Batesons 
stehende Evolution Committee, die Amerikaner Castle und Daven- 
port, letzterer als Leiter der Carnegie-Station für experimentelle Ent- 
wicklungslehre in Cold Spring Harbour auf Rhode Island, ferner 
Cuenot in Nancy, Darbishire und Hurst in England, Lang in 
Zürich mit großem Erfolg auf diesem Gebiete gearbeitet. 

Die Ergebnisse der Mendel forschung gipfeln zunächst in der Auf- 
stellung von drei bei der Rassenkreuzung in weitem Umfang 
gültigen Vererbungsregeln und einer Erklärungshypothese. 

Die erste Regel kann bezeichnet werden als die von der Gleich- 
heit (Uniformität) 1 ) der F t -Bastarde, d. h. der Individuen der 
ersten aus der Kreuzung zweier elterlicher Rassen hervorgegangenen 
Nachkommengeneration, der ersten filialen oder JF\-Generation 
(Uniformitätsregel) a ). 

Man hatte eine Zeitlang, nach dem Vorgang von Correns 8 ), als 
erste Regel die „Prävalenzregel" angenommen, wonach von zwei 
einander korrespondierenden (antagonistischen oder allelo- 
morphen) 4 ) Merkmalen der beiden Stammformen (z.B. Pigmentierung 
und Pigmentlosigkeit) in der F t -Generation das eine (in unserem Fall 
die Pigmentierung) „dominiert" 6 ) oder „prävaliert", d. h. aus- 
schließlich zum Vorschein kommt, während das andere, das rezessive, 
in dieser Generation latent bleibt. Es hat sich indessen sehr bald 
herausgestellt, daß eine solche ausschließliche Dominanz oder Prä- 
valenz des einen Merkmals in der ersten Generation nur einen 
Spezialfall darstellt 6 ), und daß als Regel für die erste Generation nur 
ihre Uniformität gelten kann. 

l ) Vgl. A. Lang, S. 34 (1909). 

*) Die Terminologie der F t -, i^-Bastarde usw. stammt von Bateson (Bateson 
und Saunders 1902). Die elterliche Generation wird als parentale oder /'-Gene- 
ration bezeichnet. 

*) Über Levkojenbastarde 1900. 

*) Bateson hat für die beiden sich einander bei der Kreuzung gegenüber- 
stehenden Merkmale die Bezeichnung Allelomorpha vorgeschlagen. 

*) Der Ausdruck „Prävalenz- ist insofern zweideutig, als er ja an und für sich 
nur „ Vorherrschaft", und nicht, was er besagen soll, „Alleinherrschaft" bedeutet. 

*) Vgl. auch Bateson, S. 13 (1909). 



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220 



' Verhalten der ^-Bastarde. 



Es können nun, wie gleich hier angeführt werden soll, drei ver- 
schiedene Fälle auftreten: 

a) Die ^-Bastarde sind intermediär (im weiteren Sinne) 1 )» 
d. h. sie stellen hinsichtlich des antagonistischen Merkmalspaares eine 
Zwischenform zwischen den beiden Stammrassen dar. Dieser Typus 
ist namentlich bei Pflanzen sehr weit verbreitet. Wird z. B. eine 
weißblühende Rasse der Wunderblume, Mirabilis Jalapa, mit einer 
rotblühenden Rasse gekreuzt, so sind die F r Bastarde durchweg rosa 
(Fig. 92, links, F lt und Taf. I). 

b) Die -f^ -Bastarde sind einseitig, d. h. von den antago- 
nistischen Merkmalen ist das eine, das „dominante", alleinherrschend 



Ia Ib 




Schema der alternativen Vererbung. 

P parentale. F u *3 »weite, dritte filiale Generation. Ia Typus mit intermediärer, Ib Typus 

mit rein dominierender F r Gencration. 



(es „prävaliert") 1 ), während das andere, das „rezessive", nicht zum 
Vorschein kommt, man kann auch sagen, daß das dominante Merkmal 
das rezessive in der äußeren Erscheinung vollständig verdeckt 5 ). 
Beispiele finden sich namentlich im Tierreich sehr viele: bei der 
Kreuzung einer einfarbigen und einer fünfbänderigen Gartenschnecke 
(Helix hortensis) dominiert die Einfarbigkeit, schwarze und weiße 
Axolotl (Amblystoma) geben ausschließlich schwarze (im Larven- 

') Vgl. oben S.213. 

*) Siehe oben S. 210. Anm 5. 

■) Vgl. Lang. S.30 (1909). 



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: : 

* * • • . . 
.*. : : •: ••• 





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Verhalten der F r Bastarde. Spaltungsregel. 



221 



zustande barschartig gebänderte) l^-Nachkomraen, braune und fuchs- 
farbige Vollblutpferde nur braune Fohlen (Fig. 92, rechts, F v und Taf. I). 
Als Zeichen für die Dominanz und Rezessivität sind vielleicht die 
mathematischen Zeichen > und < gut zu verwenden, z. B. schwarz 
> weiß, fuchsfarbig < braun l ). 

c) Die I^-Bastarde zeigen einen neuen (bei keiner der 
Stammformen sichtbaren), speziell einen atavistischen 
Charakter, bilden ein Kreuzungsnovum 2 ). Z. B. entstehen bei 
Kreuzung der albinotischen Hausmaus mit der schwarz- und weiß- 
gescheckten japanischen Tanzmausrasse ausschließlich graue (wild- 
farbige) J^-Bastarde, es ist also Rückschlag auf die Stammform erfolgt. 
Ebenso zeigen bei Kreuzung zweier weißblühender Rassen der groß- 
blumigen oder spanischen Wicke (Lathyrus odoratus), die sich im 
übrigen durch die Beschaffenheit des Pollens unterscheiden, die F r 
Nachkommen die Purpurfarbe der in Sizilien wild vorkommenden 
Stammform. 

Die zweite Mendelsche Regel, die mit Correns als Spaltungs- 
regel bezeichnet werden kann, bezieht sich auf die Individuen der 
zweiten Nachkommengeneration, auf die F % - Bastarde. Nach dieser 
Regel kommen, wenn die i^-Bastarde untereinander gepaart werden, 
bzw. wenn Selbstbestäubung erfolgt, bei ihren Nachkommen, den F t - 
Bastarden, beide elterlichen Charaktere wieder zum Vorschein, 
und zwar sind sie in einem ganz bestimmten Zahlenverhältnisse 
auf die F t - Individuen verteilt. Es findet also eine „Spaltung" der 
in den F t - Bastarden verbundenen Anlagen, man kann auch sagen, 
ein „alternierendes" Auftreten derselben statt. 

Entsprechend den drei oben erwähnten Fällen ist nun das Ver- 
halten der ^-Generation ein verschiedenes: 

Im Rille a) findet sich bei 25 Proz. aller F,-Individuen der domi- 
nierende (/)), bei 25 Proz. der rezessive (R), bei 50 Proz. der inter- 
mediäre Charakter (J). Es besteht also das Zahlenverhältnis D:J:R 
= 25:50:25 oder 1:2:1 (Fig. 92, links, F if und Taf.I). 

Im Falle b) kommen auf 75 Proz. dominierende F,- Individuen 
25 Proz. rezessive. Es herrscht demnach das Zahlenverhältnis D : R 
= 3:1 (Fig. 92, rechts, F it und Taf.I). 

') Lies: schwarz dominierend über weiß (stärker als weiß),]fuchsfarbig rezessiv 
gegen braun. Auch Lang hat neuerdings (Zeitschr. Ind. Abst., 4. Bd., S. 41. 1910) 
diese Zeichen in Vorschlag gebracht. 

*) Vgl. Tschermak 1004. 



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222 



Spaltungsregcl. Reinheit der Gameten. 



Im Falle c) treten besondere Zahlenverhältnisse hervor, indem 
neben den elterlichen Charakteren auch die „Kreuzungsnova" der 
Fj-Generation und eventuell noch andere Typen zum Vorschein 
kommen. Sehr häufig findet sich das Zahlenverhältnis 9:3:4, auf 
welches später noch näher eingegangen werden soll. In dem oben 
erwähnten, auf eine Lathyrus-Kreuzung bezüglichen Beispiel weist die 
.F 2 -Generation das Verhältnis 27 purpurn : 9 rot : 28 weiß auf. 

Es sei gleich hier erwähnt, daß die tatsächlich zur Beobachtung 
kommenden Zahlenverhältnisse in der Regel sehr genau mit den hier 
angeführten einfachen Relationen übereinstimmen. So fand z. B. 
Correns bei der Kreuzung einer Erbsenrasse mit gelbem und einer 
solchen mit grünem Keim in der F t - Generation 619 gelbe und 206 
grüne Individuen, und ich selbst erhielt bei meinen Kreuzungen 
zwischen schwarzen und weißen Axolotln in einem Falle das Ver- 
hältnis 573:191 (also genau 3:1), in einem anderen 672:218 (statt 
667,5:222,5). 

Auch in den folgenden Generationen bestehen regelmäßige 
Zahlenverhältnisse. Speziell im Falle a) (Fig. 92, links, F s ) ergibt 
sich bei Inzucht bzw. Selbstbestäubung der vier Lose, daß die domi- 
nante und die rezessive Gruppe jeweils nur Nachkommen ihresgleichen 
erzeugt („rein zeugt" >), breeds true), während die Nachkommen der 
beiden intermediären Gruppen abermals das Zahlenverhältnis 1:2:1 
erkennen lassen. Ebenso findet man im Falle b) (Fig. 92, rechts, F 3 ), 
daß von den drei Losen, welche äußerlich nur den dominierenden 
Charakter zum Vorschein bringen, das eine bei Inzucht oder Selbst- 
bestäubung ausschließlich Nachkommen mit dem dominierenden 
Charakter hervorbringt, während die Nachkommen der beiden anderen 
den dominanten und rezessiven Charakter im Zahlenverhältnis 3 : 1 
aufweisen. Die Individuen des vierten , rezessiven Loses 'erzeugen 
wieder nur rezessive Nachkommen. 

Um diese Zahlenverhältnisse zu erklären, hat schon Mendel 
eine Erklärungs- oder Zusatzhypothese aufgestellt, die als Hypothese 
von der Reinheit der Gameten bezeichnet werden kann. Nach dieser 
Hypothese tritt, wenn der F 1 -Bastard Geschlechtszellen oder Gameten 
bildet, in den Fällen a) und b) eine Spaltung der bei der ursprüng- 
lichen Bastardbefruchtung miteinander vereinigten, antagonistischen 
Anlagen eines Merkmalspaares auf, derart, daß die Hälfte der Gameten 

v ) Wie man vielleicht besser an Stelle des Ausdrucks .rein zieht" oder „rein 
züchtet" sagt. 



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Reinheit der Gameten. 



223 



jedes einzelnen Bastard-Individuums nur noch die Anlage für den domi- 
nierenden, die andere die Anlage für den rezessiven Charakter enthält. 

Nehmen wir im besonderen an, es läge der Fall b) vor und es 
mögen bei einer Bastardbefruchtung eine Gamete mit einer domi- 
nierenden schwarzen und eine solche mit einer rezessiven weißen 
Anlage zusammentreten (Fig. 93, gam). Es bildet sich also ein be- 
fruchteter Keim, eine Zygote (xygj, in welcher die schwarze und 
weiße Anlage miteinander vereinigt sind. In dem jungen /^-Orga- 
nismus (Fi), welcher aus der Zygote hervorgeht, werden die sämt- 
lichen Zellen, z. B. alle Epidermiszellen (epe), beide Anlagen enthalten 
und, da in unserem Falle eine vollkommene Dominanz der schwarzen 
Anlage vorliegt, ausschließlich den schwarzen Charakter äußerlich zur 

Fig. 93. 




Spaltung der Anlagen in der ^-Generation. 



Schau tragen. Auch die Urkeimzellen (uJcmz) und wohl auch die 
folgenden Keimzellengenerationen werden noch beide Anlagen be- 
herbergen, bei der Bildung der definitiven Keimzellen {gam^) jedoch 
wird der Hypothese zufolge eine Spaltung in der vorhin erwähnten 
Weise erfolgen, derart, daß die beiden Anlagen auseinandergehen 
und die fertigen Keimzellen jeweils nur noch eine von ihnen ein- 
schließen. Es ist wie „ein Abschied zwischen zwei Personen, welche 
eine Zeitlang nebeneinander denselben Weg gegangen sind und welche 
sich jetzt eine andere Gesellschaft aufsuchen wollen" (de Vries)»). 
Die Gameten sind also „rein" mit Bezug auf die eine Anlage. 

l ) Dieses Bild wurde von deVries ursprünglich auf die kern geschichtlichen 
Vorgänge angewandt, die mit der Anlagenspaltung in Beziehung gebracht worden 
sind (deVries 1903). 



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224 



Reinheit der Gameten. 



Diese Hypothese von der Reinheit der Gameten erklärt 
in der Tat die Zahlenverhältnisse in einfachster Weise. 
Wenn nämlich z. B. im Falle b) bei der Geschlechtszellenbildung 
der 2*\-Bastarde (Fig. 94, 2^) tatsächlich jeweils 50 Proz. der Gameten 
mit der dominierenden Anlage D, z. B. mit der Anlage für Schwarz, 
und 50 Proz. mit der rezessiven .ß, z. B. mit der für Weiß, ausgestattet 




gam > 4b > 

^«2 §ßw») ^p(DR) q§(RD> cp< EB > 

*©00(a>) 

Spaltung der Anlagen in der i^-Generation. 

werden, so ergeben sich doch bezüglich der Zygotenbildung viererlei 
Kombinationsmöglichkeiten. Es können sich vereinigen (Fig. 94, tyg t ): 

eine schwarze Samenzelle D mit einer schwarzen Eizelle D = DD, 

, schwarze , D » weißen . R = DR, 

m weiße , R „ schwarzen „ D = RD, 

n weiße , R n weißen „ R = RR. 

Aus den Zygoten der ersten Sorte DD müssen „homozygote" 
Individuen hervorgehen, d. h. solche, welche mit nur einerlei Anlage, 
und zwar speziell mit der dominierenden, schwarzen ausgestattet 
sind und demgemäß selbstverständlich den schwarzen Charakter zur 



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Reinheit der Gameten. Rückkreuzungen. 



225 



Entfaltung bringen; ebenso entwickeln sich die Zygoten der vierten 
Sorte RR zu homozygoten Individuen, welche ausschließlich die 
rezessive weiße Anlage enthalten und daher weiß sind. Aus den 
Zygoten der zweiten und dritten Sorte dagegen, DR und RD, ent- 
stehen „heterozygote" Individuen, welche, wie die .F, -Bastarde, 
zweierlei Anlagen in sich beherbergen und, wenn Schwarz voll- 
kommen dominant ist, äußerlich nur den schwarzen Charakter zur 
Entfaltung bringen. Man wird also vom Boden unserer Hypothese 
aus erwarten dürfen, daß von den vier Gruppen im ganzen drei die 
schwarze und nur eine die weiße Farbe zeigen. Da nun die F % - 
Bastarde im Falle b) dieses Verhältnis in Wirklichkeit aufweisen, so 
ist die Hypothese von der Reinheit der Gameten offenbar geeignet, 



Fig. 95. 





Fig. 96. 




ö ö ö 




cp 




Rückkreuzung des Bastards mit der 
dominierenden Stammform. 



Rückkreuzung mit der rezessiven 
Stammform. 



für das Zustandekommen der Proportion 3 : 1 eine ausreichende Er- 
klärung zu geben. 

Ähnlich liegen die Verhältnisse im Falle a), wie ohne weiteres 
ersichtlich ist. 

Eine Art Probe für die Richtigkeit der Hypothese bilden die 
Rückkreuzungen der i^-Bastarde mit den beiden Stammformen. Wird 
im Falle b) der heterozygote F x - Bastard mit der dominierenden 
Stammform gekreuzt, so werden, wie das Schema Fig. 95 ohne 
weiteres zeigt, nur zweierlei Zygoten entstehen, es werden sich also 
die Nachkommen aus 50 Proz. Heterozygoten und 50 Proz. domi- 
nanten Homozygoten zusammensetzen. Bei Rückkreuzung mit der 
rezessiven Stammform (Fig. 96) können ebenfalls nur zweierlei 

Ha eck er, Vererbungslehre. 



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226 



Rückkreuzungen. Unabhängigkeitsregel. 



Sorten von Zygoten gebildet werden: 50 Proz. der Individuen müssen 
Heterozygoten sein, 50 Proz. dagegen rein rezessive Homozygoten, 
die bei Inzucht oder Selbstbestäubung auch wieder nur rezessive 
Individuen liefern. 

In der Tat entsprechen nun die tatsächlichen Ergebnisse der 
Rückkreuzungen den theoretischen Erwartungen, so daß also auch 
auf diesem Wege die Hypothese von der Reinheit der Gameten eine 
wertvolle Stütze zu erhalten scheint. Es soll im übrigen gleich hier 
bemerkt werden, daß die eben besprochenen Schemata für die Rück- 
kreuzung bei der Frage, inwieweit beim Menschen mendelnde Merk- 
male vorkommen, eine große Rolle spielen. 

Es wurde bisher das Verhalten der Bastarde bezüglich eines 
einzigen Merkmalspaares besprochen, ohne Rücksicht darauf, ob die 
betreffenden Stammformen sich noch in anderen Merkmalspaaren 
unterscheiden, oder ob die Bastarde eigentliche Monohybriden 
(deVries) sind, d. h. von Eltern abstammen, die tatsächlich nur in 
dem einen Merkmalspaare differieren. Unterscheiden sich nun die 
beiden, miteinander gekreuzten Stammformen durch zwei oder 
mehrere Merkmalspaare (Farbe der Blüten, Farbe der Keime usw.), 
sind also die Kreuzungen dihybrid oder polyhybrid (deVries), 
so gilt nach Mendel der wichtige Satz, daß die einzelnen Merkmals- 
paare sich mit Bezug auf die Spaltungserscheinungen unabhängig 
voneinander verhalten. Sind die Eltern z. B. in zwei Merkmalspaaren 
verschieden, so liefert demnach der Bastard, da sich beide Merkmals- 
paare unabhängig voneinander spalten und jedes Glied des einen 
mit jedem der beiden Glieder des anderen sich kombinieren kann, 
nicht zweierlei, sondern viererlei Gameten, und durch wechselseitige 
Vereinigung der männlichen und weiblichen Gameten werden nicht, 
wie bei der monohybriden Kreuzung, vier, sondern sechzehn ver- 
schiedene Klassen von Zygoten gebildet. Man wird dieses Verhältnis 
als dritte Mendel sehe Regel oder Unabhängigkeitsregel bezeichnen 
können. 

Es mögen von zwei • miteinander zu kreuzenden Pflanzenrassen, 
z. B. von zwei Erbsenrassen, die eine rote Blüten und gelbe 
Kotyledonen, die andere weiße Blüten und grüne Kotyledonen 
besitzen 1 ). Rot sei vollkommen dominierend über Weiß, Gelb über 
Grün (rot >• weiß, gelb > grün). 



*) Vgl. Correns, S. 73 (i90l) (Die Ergebnisse usw.). 



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Unabhängigkeitsrcgel. Maiskreuzungen. 



227 



Der -Bastard liefert dann sowohl im männlichen wie im weib- 
lichen Geschlecht je viererlei Gameten: 

r-gcT r.gr cT w.g <f w.gr o" — r.g $ r.gr $ w.g $ w.gr $. 

Durch Befruchtung werden 16 verschiedene Zygoten gebildet: 

r.g X r.g r.g v r.gr r.g X w.g r.g X w.gr 

r.gr X r.g r.gr X r.gr r.gr v w.g- r.gr X w.gr 

w.g x r.g w.g x r.gr w.g X w.g w.g x r.gr 

w.gr X r.g w.gr X r.gr r.gr X w.g w.gr X w.gr 

In diesen 16 Zygoten sind die Merkmale in 10 verschiedenen 
Kombinationen enthalten. Äußerlich werden aber infolge der Domi- 
nanz von Rot und Gelb nur viererlei JvBastarde zu unterscheiden 
sein, und zwar im Verhältnis Rot-Gelb : Rot-Grün: Weiß-Gelb: Weiß- 
Grün = 9:3:3 :l (in der obigen Tabelle sind die 9 Zygoten, aus 
denen rot -gelbe Individuen entstehen, durch fetten Druck hervor- 
gehoben). 

Als ein weiteres Beispiel für die Spaltung bei dihybriden Kreu- 
zungen seien die von Correns untersuchten Maisbastarde angeführt 
(Taf. II). Kreuzt man eine gelbe Rasse mit stärkehaltigen und daher 
in trockenem Zustande glatten Körnern mit einer blauen Rasse mit 
zuckerhaltigen Körnern, welche beim Trocknen ihr Wasser verlieren 
und daher runzlig werden, so findet man in der F, - Generation an 
den einzelnen Maiskolben viererlei Körner, nämlich blaue -glatte, 
blaue-runzlige, gelbe-glatte, gelbe-runzlige, und zwar, da blau > gelb, 
glatt >• runzlig, im Zahlenverhältnis von 9:3:3:1 vor , ). 

Wird speziell die Rasse alba mit glatten, gelblichweißen Körnern 
(Taf. II, Fig. 1) mit dem Pollen der Rasse coeruleo-dulcis mit runz- 
ligen, blauen Körnern (Fig. 2) bestäubt, so zeigt der Bastard 
(Fig. 3) 2 ) eine vollkommene Dominanz von „glatt" und eine in diesem 
Falle allerdings unvollständige Dominanz von „blau" (nur etwa die 
Hälfte der Körner ist stärker oder schwächer blau gefärbt). Die rezi- 
proke Kreuzung coeruleo-dulcis o. x alba c? ergibt ebenfalls J'^-Bastarde 
mit dominierendem „glatt" und „blau" (Fig. 4)'). In der F 8 -Generation 

') ^f?l- Correns 1901, 1905, sowie Haecker, Wandtaf. z. allg. Biol., Serie C, 
Nr. 3 (s. Literaturverzeichnis). Die Zeichnungen der Wandtafeln sind von Frl. Marian 
Mülberger teils nach den Figuren in Correns großer Maisarbeit, teils nach einigen 
von Herrn Professor Correns freundlichst aberlassenen Maiskolben gezeichnet. 

*) Das Original (Correns. Bibl. Bot., 1901 . Heft 53. Taf. 2, Fig. 7) stellt 
eigentlich den übereinstimmend gefärbten Bastard alba-cyanea dar. 

") Das Original (Correns, 1. c. , Taf. 2, Fig. 11) stellt eigentlich den Bastard 
von vulgata X coeruleo-dulcis dar. 

15* 



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228 



Trihybride Kreuzungen. 



zeigen die verschiedenen Individuen, nämlich die einzelnen Körner 
jedes Kolbens, im Verhältnis 9:3:3:1 die Kombinationen glatt -blau, 
glatt-gelb, runzlig -blau, runzlig-gelb (Fig. 5). In der F t - Generation 
können übrigens ausnahmsweise auch Mosaikbildungen, sei es in der 
Form (Fig. 6), sei es in der Farbe der Körner (Fig. 7) auftreten. 

Ein zoologisches Beispiel ist unter anderem von Lang angegeben 
worden 1 ). Wird ein Exemplar der reinen gelben, ungebänderten 
Varietät der Hainschnecke (Helix nemoralis) mit einem Exemplar der 
reinen roten, einbänderigen Rasse gekreuzt, so sind die ^-Nach- 
kommen, da rot > gelb und Bänderlosigkeit > Bänderung, uniform- 
rot und ungebändert. In der F 2 - Generation dagegen erscheinen vier 
Typen (rote ungebänderte, rote gebänderte, gelbe ungebänderte und 
gelbe gebänderte) im Zahlenverhältnis 9:3:3:1. 

Auch bei dihybriden Kreuzungen werden sehr genaue, den 
.theoretischen Werten nahekommende Zahlenverhältnisse gefunden. So 
fand z. B. Correns bei einer dihybriden Maiskreuzung in der F 8 -Ge- 
neration die Zahlen 565, 191. 176, 68, also fast die erwarteten Werte 
562,5, 187,5, 187.5 und 62,5 2 ). 

Bei trihybriden Kreuzungen, wenn es sich also um drei Merk- 
malspaare Aa, Bb, Cc handelt (wobei A > a, B > b, C > c), würde 
der 2^-Bastard das Aussehen ABC besitzen und in der ^-Generation 
werden acht äußerlich unterscheidbare Typen in folgendem Verhältnis 
auftreten: 

27 AB C.9 aB C .9 ABc : 9 Ab C : 3 Abc : 3 aBc 3 abC : 1 abc*). 

Daß tatsächlich auch bei trihybriden Kreuzungen eine Spaltung 
der Merkmale und ihre Neukombination nach den verschiedensten 
Richtungen stattfindet, ist durch verschiedene Beobachtungen erwiesen 
worden. So liefern z. B. Leghornhühner mit einfach gezacktem Kamm, 
normaler Zehenzahl und gelben Beinen und Dorkings mit „Rosen- 
kamm", überzähliger Zehe und weißen Beinen zusammen eine Nach- 
kommenschaft, welche in der i^-Generation die genannten Merkmale 
in den verschiedensten Kombinationen aufweist, z. B. Vögel mit ein- 
fachem Kamm, Extrazehe und weißen Beinen oder solche mit Rosen- 
kamm, normaler Zehenzahl und gelben Beinen*). Ein anderes, be- 

') Vgl. Lang 1909. 

") Vgl. Correns, S. 166 (1900). 

•) Vgl. Bateson, S. 59 (1909); Lang, S.4ff. (1910). 

4 ) Vgl. Bateson und Saundera, S. 110 (1902). Bezüglich der hier auf- 
gezählten Merkmale der Hühnerrassen vgl. Kapitel 23. 



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K. W .ingerin dal. Zum Teil nach Corrent. 



Fnedr. Vieweg & Sohn, Brauntchweig. 




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Trihybride Kreuzungen. 



229 



sonders instruktives Beispiel bieten die Meerschweinchen dar l ). Kreuzt 
man ein rotes, kurzhaariges, glatthaariges Meerschweinchen (Fig. 97 B) 
mit einem weißen, lang-(angora-)haarigen, rauhhaarigen, bei welchem 
die Haare rosettenförmig um bestimmte, meist symmetrisch gelegene 
Punkte angeordnet sind (Fig. 97 A), so erscheinen entsprechend dem 
Verhältnis rot > weiß, kurzhaarig > langhaarig, rauhhaarig >» glatt- 
haarig in der i^-Generation die verschiedensten Kombinationen. Die 



A Fipr. 97. n 




Kombinationen der Merkmale l>cim Meerschweinchen. Nach Castle. 



A Langhaariges, rauhhaariges, albinotisches ff (W hite Peruvian). B kurzhaariges, glattes, rotes ? <Ked 
English). C kurzhaariges, rauhhaariges, albinotUches ff (White Abyssinian). Aus der Kreuzung von 
A/ mit einem Red English-? , welches rezessiven Albinisrous enthielt. D kurzhaariges, rauhhaariges, 
schwarzrotes ff (Tortoise-shell Abyssioian). Aus der Kreuzung von K<f mit einem homozygotischen 

Ked English-i. 

7*i - Bastarde sind rot, kurzhaarig, rauhhaarig (Fig. 97 D), falls die pig- 
mentierte Stammform in bezug auf die Färbung reinrassig (homozygot) 
ist. Ist aber der pigmentierte Elter in bezug auf die Färbung hetero- 
zygot, führt er also eine rezessive weiße Anlage mit sich, so entstehen 
in der F, -Generation auch weiße, kurzhaarige, rauhhaarige Individuen 
(Fig. 97 C), da bei Verbindung eines DR- und RR- Individuums 
50 Proz. DR- und 50 Proz. T^ü-Nachkommen entstehen müssen. 

Bezüglich der Literatur vgl. Literaturverzeichnis 23. 
') Castle 1905. 



Dreiundzwanzigstes Kapitel. 



Verbreitung des Mend eischen (alternativen) 
Vererbungsmodus. 

Es fragt sich nunmehr, für welche Merkmale hat die Mendel sehe 
oder, wie man mit Rücksicht auf das alternierende Auftreten der 
Charaktere in der Generation auch sagt, die alternative Ver- 
erbungsweise Gültigkeit? 

Zunächst ist zu sagen, daß mindestens ein sehr großer Teil der 
erblichen Rassenmerkmale nach diesem Modus vererbt wird, und 
daß vor allem für die Färbungs- und Zeichnungscharaktere 
seine weitgehende Gültigkeit nachgewiesen werden konnte. 

Insbesondere steht fest, daß bei Tieren Pigmentierung und 
vollständiger Pigmentmangel, d. h. echter Albinismus, bei 
welchem Haut, Hautgebilde und Augen keine Spur von Pigment 
zeigen und die Augen rot erscheinen 1 ), sich wie zwei antagonistische 
Merkmale verhalten, derart, daß die Pigmentierung stets dominierend 
ist gegenüber der Pigmentlosigkeit. Dies gilt z. B. für alle Nager 
(Kaninchen, Meerschweinchen, Ratten, Mäuse) 2 ) und ist ebenso für 
die schwarze Menschenrasse wahrscheinlich gemacht worden 3 ). 

Bezüglich des partiellen Albinismus 4 ) läßt sich keine Regel 
aufstellen. Was speziell den Leucismus (weißes Integument und pig- 
mentierte Augen) anbelangt, so dominiert dieser bei manchen weißen 
Hühnerrassen über Pigmentierung, jedoch ist dann diese Dominanz 
keine vollständige, insofern z. B. bei einer Kreuzung der weißen 

') Nach der einen Ansicht infolge Durchschimmern* des roten Blutes durch die 
Gefäße (Hau schild, S.486), nach einer anderen infolge der Durchleuchtung der Iris 
durch das vom Augenhintergrund zurückgeworfene Licht („even as the sky is red at 
sunset". G. C. und Ch. B. Davenport). 

*) Schon Castle und Allen (1903) haben für Mäuse diese Feststellung gemacht. 
Vgl. auch Bateson, S. 74 (190Q). 

*) Siehe nächstes Kapitel. 

A ) Unter partiellem Albinismus werden vielfach verschiedene Dinge ver- 
standen. Es ist vielleicht zweckmäßig, diese Bezeichnung für die verschiedenen Grade 
» von Weißbuntheit, einschließlich des Leucismus (weißes Integument und pig- 



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Partieller Albinismus. 



231 



Leghoras mit Indian Games oder braunen Leghorns das weiße Ge- 
fieder der Fj- Bastarde dunkle Flecke aufweist. Im Gegensatz dazu 
verhält sich das weiße Gefieder bei Kreuzungen des Seidenhuhns mit 
gefärbten Rassen (Strupphuhn, Wildhuhn, schwarze Minorka) rezessiv 1 ). 
Bei Schafen dominiert die weiße Farbe über die schwarze, wodurch 
das in der Regel nur sporadische Vorkommen schwarzer Tiere in 
weißen Herden („Every flock has its black sheep") erklärt wird 2 ). 

Einen besonderen Fall bildet das Axolotl (Amblystoma tigrinum). Bei der weißen 
Rasse ist die Iris dunkel pigmentiert, die Pupille dagegen erscheint rötlich, da im 
Pigmentepithel viel weniger Pigment vorhanden ist als bei pigmentierten Tieren. Diese 
meines Wissens bis jetzt noch nirgends vorgefundene Pigmentverteilung im Auge, 
die eine Art Gegenstück zur Blauäugigkeit (pigmentlose Iris, pigmentierter Augen- 
hintergrund) bildet, ist auch bei solchen weißen Individuen stets zu beobachten, welche 
auf dem Kopf oder auch auf dem Nacken mehr oder weniger grau bestäubt sind, und 
ebenso bei den eigentlichen Schecken. Die weißen Individuen, mit oder ohne schwache 
Bestäubung am Kopfe, verhalten sich rezessiv gegenüber den gewöhnlichen (mclano- 
tischen), es kommt jedoch vor, daß in der /vGeneration bzw. bei Rückkreuzung von 
schwarzen Heterozygoten mit weißen Tieren statt weißer Tiere solche mit stärkerer 
Pigmentierung, sei es mit gleichmäßig grauer Oberseite oder mit dunkeln, deutlich 
abgegrenzten, metamer angeordneten Flecken auftreten a ). Es liegt also hier der Fall 
vor, daß trotz strenger Gültigkeit der Mendel sehen Zahlenverhältuisse die rezessiven 
Kreuzungsprodukte einen unreinen Charakter aufweisen*). 

Auch in den Fällen von partiellem Albinismus niedrigeren Grades 
treten Verschiedenheiten auf. Speziell die Scheckzeichnung (Pana- 
chierung), namentlich die mehr unregelmäßige, ist im allgemeinen 
rezessiv gegenüber der gleichförmigen Pigmentierung und dominant 
gegenüber Albinismus. Dies gilt z. B. für die Scheckzeichnung der 
japanischen Tanzmaus (grau-weiß, schwarz-weiß, blaß rötlichgrau-weiß) *) 

mentierte Augen), zu reservieren, und diejenige teilweise Färbung, die auf dem 
Wegfall nur der einen oder anderen Pigmentfarbe beruht, als Scbizochr oismus 
zu bezeichnen (Haecker, Jabresh. Ver. Vaterl. Naturk. Württ. 1008. S. 364). Vgl. aurh 
Adametz 1905. 

l ) Vgl. Bateson und Saunders 1902. Davenport 1906, Bateson, S. 102(1909). 
") Davenport 1905. 

■) .Metamer- Schecken". Vgl. Haecker, S. 200, Fig. 2 (1908). 

4 ) Weitere Untersuchungen zur Aufklärung dieses Verhältnisses sind im Gange. 
So viel bisher ersichtlich, spielen äußere Faktoren keine Rolle (vgl. Bateson, S. 43, 
1009). Eine entferntere Analogie bieten die Befunde von Correns dar, welcher bei 
der grünfleckigen (variegata-) Rasse von Mirabilis Jalapa das Auftreten von Ästen 
mit der typischen grünen, normalerweise dominierenden Farbe beobachtete (1910). 
Diese Aste verhielten sich allerdings bei der Vermehrung durch Selbstbestäubung 
als Heterozygoten, während sich die Axolotl- Schecken bei weiterer Kreuzung als 
rezessive Homozygoten benehmen. 

*) Vgl. Allen, Darbishirc. Cu£not u.a. Mit „blaß rötlichgrau" soll die 
von den englischen Autoren als pale fawn oder silver fawn beschriebene Nuance 
bezeichnet werden. 



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232 



Scheckzeichnung. Wildfarbe. 



und für diejenige der Ratten 1 ) und ebenso für diejenige der Hunde«). 
Auch die bestimmten Formen der Scheckzeichnung verhalten 
sich in ähnlicher Weise. So ist die Zeichnung der Himalaj-akaninchen 
(weiß mit tief schokoladenschwarzer Schnauze, Ohren, Schwanz und 
Pfoten) rezessiv gegenüber der Grau- und ebenso gegenüber der 
Schwarzfarbung, dominant gegenüber reinem Albinismus 8 ). 

Ein eigentümliches Verhalten zeigen die schwarzgesichtigen Schafe: 
bei Kreuzung von Suffolks mit schwarzem und Dorsets mit weißem 
Gesicht entstehen F x - Bastarde mit gesprenkeltem Gesicht, während in 
der F t - Generation rein weiße, rein schwarze und verschiedenartig ge- 
sprenkelte Gesichter auftreten 4 ). 

Unter den einzelnen Färbungen dominiert die „Wild färbe", 
(1. h. die meist graue oder graubraune Anpassungsfarbe, die durch regel- 
mäßige Anordnung der verschiedenen Pigmente im einzelnen Haar 
zustande kommt, über die einfachen Färbungen, die als „Mutationen- 
der Wildfärbung bei domestizierten und gelegentlich auch bei frei- 
lebenden Tieren auftreten (schwarz, schokoladenbraun, gelb), sowie 
über den Albinismus. Bei den Kreuzungs versuchen, die mit ver- 
schiedenen Nagern angestellt wurden, hat sich dies Verhältnis allge- 
mein herausgestellt und ebenso dominiert bei Percheron-Pferden Grau 
über Schwarz 6 ). Was das Verhältnis der verschiedenen Einzelfarbungen 
untereinander anbelangt, so liegen hier wieder spezifische Unter- 
schiede vor: Für Mäuse gilt die Relation gelb ;> schwarz >> schoko- 
ladenbraun, für Kaninchen und Meerschweinchen schwarz > gelb, für 
Meerschweinchen auch schwarz > schokoladenfarbig«). Während bei 
der Wanderratte (Mus decumanus) grau > schwarz, findet man bei der 
Kreuzung zwischen der schwarzen Hausratte (M. rattus) und der wild- 
grauen Alexandrinerratte (M. alexandrinus), daß schwarz ]> grau 7 ). Für 
die Hunde gilt schwarz > braun und für die englischen Rennpferde 
ließ sich an der Hand der Stutbücher nachweisen, daß Dunkelbraune 
(schwarzes Pigment über den ganzen Körper verbreitet) und Braune 
(nur Mähne, Schweif und Füße schwarz) über Füchse dominieren 9 ). 

*) Vgl. McCurdy and Castle. 

*) Vgl. Lang 1910. 

») Vgl. Bateson. S. 1 1 1 (1909). 

*) Wood 1905. 

') Harper 1905. 

') Castle 1906. Bei Kaninchen ist reines Schokoladenbraun nicht bekannt. 
7 ) Morgan 1909. 

") Vgl. Lang 1910, sowie Hurst 1906 und Bateson, S. 124(1909). Die englischen 
Bezeichnungen für Dunkelbraune, Braune und Füchse sind brown, bay und chestnut. 



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Zeichnungsvarietäten . 



233 



Alle bisher für die Erblichkeit der Färbung aufgezählten Beispiele 
beziehen sich auf domestizierte Tiere. Wenn es auch von vorn- 
herein außerordentlich wahrscheinlich ist, daß auch bei wildlebenden 
Säugern und Vögeln die nämlichen Erblichkeitsverhältnisse bestehen, 
so ist es doch von Interesse, daß tatsächlich in einigen Fällen auch 
bei freilebenden Tieren der alternative Vererbungsmodus nachgewiesen 
oder wenigstens sehr wahrscheinlich gemacht werden konnte. So ist 
vom Steinkauz, Athene noctua, eine Varietät bekannt, welche statt 
der normalen gelben Iris eine schwarze Iris besaß, und die vor- 
liegenden Beobachtungen machen es sehr wahrscheinlich, daß die 
Schwarzäugigkeit einen rezessiven Charakter darstellt 1 ). In ähnlicher 
Weise weisen verschiedene Beobachtungen darauf hin, daß bei der 
Amsel (Turdus merula) der normale Melanismus und der Albinismus 
sich als antagonistische Merkmale verhalten 8 ). 

Sehr wechselnd ist auch bei den Wirbellosen das Verhältnis der 
Zeichnungsvarietäten zueinander und zur Einfarbigkeit. Bei der 
Seidenraupe (Bombyx mori) dominiert Streifung über Weiß 8 ), während 
bei der Garten- und Hainschnecke (Helix hortensis und nemoralis) die 
Einfarbigkeit über die Bänderung dominiert*). Bei Schmetterlingen 
ist die typische Zeichnung bald dominant, bald rezessiv gegenüber 
den dunkleren (melanistischen) Varietäten, ersteres z. B. beim Stachel- 
beerspanner (Abraxas grossulariata), letzteres beim Rotbuchenspinner 
oder Nagelfleck (Aglia tau). 

Bezüglich des letzteren liegen sehr interessante Kreuzungen von 
Stand fuß vor 6 ). Die helle Normalform von Aglia tau (Fig. 98 A) 
ist rezessiv gegenüber den beiden melanistischen Varietäten (Muta- 
tionen) fere-nigra mit stark pigmentierter Randbinde (Fig. 98 B) und 
melaina mit mehr gleichmäßiger Verdunkelung (Fig. 98 Q R ). Die 
beiden Mutationen untereinander ergeben eine neue Form, weismanni, 

') Nach Beobachtungen von Giglioli (Ibis, S. ), 1903), zitiert bei Bateson, 
S. 110 (1909). Vgl. auch O. Kl ein schmidt, Strix Athene, in: Berajah (Leipzig) 
1907, Taf. 2 und 3. 

*) Wenn z. B. Fischcr-Sigwart (Ornitbol.' Jahrb. l894t S. 151) von einem 
normalen Amselpaar berichtet, dessen Brut aus zwei normalen und aus zwei weißen 
Jungen bestand, so kann es sich allerdings um spontanes Auftreten von Albinismus, 
gerade so gut aber aueb um das F,- Ergebnis einer Bastardierung gehandelt haben. 

*) Coutagne 1902, Toyama 1906. 

4 ) Lang 1908. 

») Standfuß 1910. 

•) fere-nigra fliegt in einem großen Teil von Mitteleuropa, melaina ist bisher 
nur in Steycr in Oberösterrcich nachgewiesen worden. 



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234 



Aglia tau. 



welche zuweilen einen intermediären Typus repräsentiert, in der Regel 
aber eine Addition des Pigmentes der beiden Mutationen, also eine 
annähernde Verdoppelung der Verdunkelung erkennen läßt (Fig. 98 D). 
Wird ein heterozygotes fere- nigra -Individuum mit einem ebensolchen 
melaina -Individuum gekreuzt, so erscheinen unter den Nachkommen 
alle vier Typen. Dies können wir durch eine Formel ausdrücken. 



Fig. 98. 
A 




Weibchen von Aglia tau. Nach Stand fuß. 
A Normalform. B Mut fere-nigra. 



in welcher die homozygoten Individuen von Aglia tau normal, fere- 
nigra und melaina bzw. mit AA, BB und CG bezeichnet sind 
und durch die Einklammerung der rezessive Charakter von A an- 
gedeutet ist: BB x AA CC x AA 

B(A) C(A) 

25Proz. BC 25P10Z. B(A) ?j Troz. C(A) 25 Proz. AA 

(weismauni) (fere-nigra, heterozyg.) (melaina. heterozyg.) (normal, homozyg.) 



Gc 



Hautgcbilde. 235 

Bezüglich der Erblichkeitsverhältnisse der verschiedenen Zeichnungsfoimen 
polymorpher Schmetterlinge, insbesondere der Papilioniden mit mehreren Weibchen- 
formen, haben die Arbeiten von de Meijere und Punnett interessante Ausblicke 
■eröffnet. 

Was dann sonstige Hautgebilde anbelangt, so verhalten sich 
der Angoracharakter (Angorismus), d. h. das lange, seidenweiche 



Fig. 98. 

c 




Weibchen von Aglia tau. Nach Standfuß. 
C Mut. melaina. D. Mut. wcismanni. 



Haar bei Kaninchen, Meerschweinchen (Fig. 97 A) und Katzen, und 
die Seidenfedrigkeit (silky feathers) der Hühner gegenüber dem 
normalen Typus rezessiv, während die rosettenförmige Anord- 
nung der Haare bei Meerschweinchen (Fig. 97 A) und die Struppig- 
keit des Gefieders bei Hühnern sich gegenüber der normalen glatten 
Beschaffenheit der Haare und des Gefieders als dominierend erweisen. 



Kammformen der Hühner. 



Bei Hunden dominiert Kurzhaarigkeit fast vollkommen über Lang- 
haarigkeit J). 

In besonders schöner Weise läßt sich, wie schon im vorigen Ka- 
pitel ausgeführt wurde, bei Meerschweinchen zeigen, wie die Glieder 
der drei Merkmalspaare: Pigmentierung > Albinismus, Kurzhaarigkeit 
>Angorismus, Rosettencharakter > Glatthaarigkeit in der F,- Gene- 
ration in den verschiedensten Kombinationen zutage treten. 

Die Rezessivität speziell des Angorismus ist in Betracht zu ziehen, 
wenn es sich um die Frage nach der Einwirkung der Lebensbe- 
dingungen auf die Rassencharaktere handelt. So hatte Darwin 8 ) 
angegeben, daß. die Karakulschafe, deren schwarzes, feines, lockiges 
Vließ bekanntlich das Hauptmaterial für die echten „Perser "-Teppiche 
liefert, diesen Haarcharakter verlieren, wenn sie aus ihrer Heimat aus 
der Nähe von Buchara 8 ) nach Persien oder in andere Gegenden ent- 
fernt werden. Gegenüber der naheliegenden Annahme, daß hier eine 
direkte Wirkung des Klimas in Frage komme, [hat schon Castle«) 
die Möglichkeit hervorgehoben, daß bei der Verpflanzung der Tiere 
in andere Gegenden infolge von Blutmischung der rezessive An- 
goracharakter allmählich unterdrückt werde. 

Sehr genaue Angaben existieren über die Erblichkeit der ver- 
schiedenen Kammformen der Hühnerrassen 6 ). Hervorzuheben ist, 
daß der „Erbsenkamm" (erbsenförmige Tuberkeln in drei Längsreihen 
angeordnet, Fig. 99B) und der „Rosenkamm" (zahlreiche papillen- 
förmige Erhebungen, welche zusammen eine dreieckige Platte bilden, 
Fig. 99Q gegenüber dem hohen einfach gezackten Kamm 
z. B. des Bankiva- und Leghornhuhns (Fig. 99 A) dominierend sind. 
Auch die Haube der Hühner, ein Federbüschel in der Stirnregion 6 ), 
und die Fußbefiederung verhalten sich 'gegenüber dem Typus als 
dominierende Merkmale, während der lange Schwanz des japani- 

') Bezüglich der erwähnten Haarcharaktere vgl. namentlich Castle 1903, Lang 
1910, bezüglich der Federncharaktere die Arbeiten von Bateson und Saunders 
und Davenport. 

») Var., I, S. 122. 

*) Das fragliche Karakul ist ein Ort zwischen Buchara (220 m) und Tschardschui 
am Amudarja (190 m) und nicht zu verwechseln mit dem großen Karakulsee (3780 m> 
auf dem Pamir- Plateau. 

4 ) Heredity of „Angora" coat 1903. 

*) Vgl. namentlich Bateson und Saunders und Davenport, sowie Bateson. 

S. 61 (1909). 

*) Eine genauere morphologische Untersuchung dieser Bildung hat neuerdings 
B. Klatt (Zool. Anz., 36. Bd., 1910) gegeben. 



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Hornlosigkeit der Rinder und Schafe. 



237 



sehen Tosa- oder Phönixhuhns einen nicht vollkommen ausgesprochenen 
dominierenden Charakter besitzt. 

Bezüglich der Hörner wurde festgestellt, daß die Hornlosig- 
keit der Aberdeen-Angus- und Gallo way-Rinder gegenüber der Horn- 
bildung der Shorthorns dominierend ist 1 ), während sich bei der 
Kreuzung hornloser Suffolkschafe mit gehörnten Dorsets die Horn- 
losigkeit wenigstens im männlichen Geschlecht als rezessiv erweist 2 ). 




Kanimibrmen. Nach Thomson. 
A Einfach gezackter Kamm. B Erbsenkamm. C Rosenkamm. 



Die Verkümmerung des Schwanzes bei der Katze von Man 
ist ein (unvollständig) dominierender Charakter gegenüber dem nor- 
malen Schwanz 8 ). 

Unter den mehr pathologischen erblichen Rassencharakteren sei 
erwähnt die Extra z ehe der Dorking- und Houdan-Hühner (Fig. 100), 

') Vgl. Bateson und Saunders 1902, Spillmann 1906. 
*) Wood 1905, 

*) Vgl. Groß, S. 511 (1906); Bateson, S. 34 (1909). Die vorliegenden älteren 
Angaben von Weinland (1862) und v. Kennel (1902) (vgl. Groß) lassen es als 
zweifelhaft erscheinen, ob bei Kreuzungen zwischen Stummclschwanzkatzen und nor- 
malen Katzen die Uniformitätsregcl Gültigkeit hat. 



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238 



Mendelndc Merkmale bei Pflanzen. 



welche gegenüber der normalen Zehenzahl unvollständig dominiert, 
sowie die Kopf her nie des polnischen Huhns, eine domartige Vor- 
wölbung des Schädels, welche durch Bildung einer Cerebralhernie und 
sekundäre Verknöcherung der dura mater zustande kommt (Fig. 101) 
und ein rezessives Merkmal darstellt. 

Das Tanzen der japanischen Mäuse, ein erblicher Drehschwindel,, 
dessen Ätiologie noch nicht vollkommen sicher steht und der unab- 
hängig von einem bestimmten Farbenkleid auftreten kann, ist ein 

rezessiver Charakter, 



Fig. 100. 




Überzählige Zehe eines Houdan-Hahnes. Unterhalb des 
Sporns die doppelte Hinterzehe. Nach Davenport. 



der aber in der F t - 
Generation nicht bei 
einem vollen Viertel 
der Individuen zutage 
tritt '). 

Bei Pflanzen 
sind u. a. folgende 
Merkmalspaare fest- 
gestellt worden: 



Wie bei den Tieren trifft auch bei den Pflanzen die Regel zu^ 
daß Färbung über Pigmentlosigkeit dominiert. Speziell gilt dies 

in den meisten Fällen für die 

Fig. 101. 

auf der Anthocyanfärbung des 
Zellsaftes beruhenden roten r 
blauen und purpurnen Blüten- 
farben, welche dominant sind 
gegenüber der weißen Blüten- 
farbe 8 ). Andererseits ist die 
gelbe, durch die Anwesenheit 
gelber Chromoplasten (Plasti- 
den) bedingte Blütenfarbe re- 
zessiv gegenüber der auf der 
Anwesenheit weißer Chromoplasten (Leukoplasten) beruhenden Farb- 
losigkeit, so bei den Levkojen (Mattiola), bei der großblumigen Wicke 
(Lathyrus) usw.»). 

') Darbishire 1904. Plate (Intern. Zool. Kongr. Graz 1910) hat neuerdings 
bestritten, daß das Tanzen einen mcndelnden Charakter darstellt. 

*) Eine Ausnahme bilden gewisse weiße Rassen von Primula sinensis. Vgl. 
Bateson, S. 105 (1900). 

■) Vgl. Bateson, S. 134 (1909). 




Kopfhernie eines polnischen Huhnes. 
Nach Davenport. 



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Mendelnde Merkmale bei Pflanzen. 



239 



Was das Verhältnis der Farben untereinander anbelangt, so do- 
miniert bei Erbsen, großblumigen Wicken und Levkojen Purpur über 
Rot, bei anderen Pflanzen, so beim Aschenkraut (Cineraria) Blau über 
Rot, während umgekehrt bei Primula Sinensis Blau gegenüber Rot 
rezessiv ist 1 ). Also liegen hier ähnliche Verschiedenheiten, wie bei 
den einfachen Pigmentfärbungen der Nager vor. 

Schon früher wurde angedeutet, daß auch bei anderen Pflanzen- 
organen eine alternative Vererbung der Färbungscharaktere stattfindet. 
So dominiert bei den Erbsen, wie schon Mendel fand, die gelbe 
Farbe der Cotyledonen über die grüne, beim Mais verhalten sich nach 
den Untersuchungen von Correns das Blau und Nichtblau der Kleber- 
schicht und ebenso die gelbe und weiße Farbe des übrigen Endo- 
sperms wie antagonistische Merkmale 51 ). 

Bei den Erbsen dominiert ferner die runde Beschaffenheit der 
Samen über die gerunzelte, während die großen, länglichen und ein- 
fachen Starkekörner, welche in runden, und die kleinen verschieden 
geformten und zusammengesetzten Körner, welche in gerunzelten 
Samen vorkommen, eine intermediäre i*\-Form bilden 3 ). In ähnlicher 
Weise sind beim Mais die glattkörnigen Rassen, bei welchen die 
Körner infolge des Stärkegehaltes des Endosperms glatt und voll 
bleiben, dominierend gegenüber denjenigen Rassen, deren Körner 
infolge des Zuckergehaltes des Endosperms beim Trocknen runzlig 
werden (Taf. II) 4 ). 

Bei Lichtnelken (Lychnis) und Levkojen (Matthiola) s ) dominiert 
die haarige Beschaffenheit der Pflanze über die glatte, bei der Brenn- 
nessel (Urtica) die stark gesägte Form der Blätter (U. pilulifera) über 
die schwach gesägte (U. dodartii) 6 ), beim Weizen die Bartlosigkeit 
der Ähren über die bärtige Form 7 ), bei Erbsen und großblumigen 
Wicken (Lathyrus) dominiert endlich hoher Wuchs über Zwerg- 
wuchs 8 ). 

Auch bei einigen rein physiologischen Charakteren 'wurde der 
alternative Vererbungsmodus festgestellt, so beim Bilsenkraut (Hyos- 

') Vgl. Bateson, S. 135 (1909). 

*) Vgl. Correns, S. 2\2 (1901) (Ergebn.) und 1901 (Bast. zw. Maisrassen). 

") Vgl. Correns 1900, Tschermak 1900, Gregory 1903, Darbishi re 1908 u.a. 

*) Correns 1901. 

6 ) Bateson und Saunders 1902, Correns 1000 u. a. 
•) Correns 1905. 

7 ) Tschermak 1901. » 
*) Mendel, Tschermak 1901 u. a. 



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240 



Unvollständige Dominanz. 



cyamus) die Zweijährigkeit als dominierend über Einjährigkeit 1 ), beim 
Weizen Frühreife als unvollständig dominierend gegenüber der Spät- 
reife 2 ), und ebenso Empfänglichkeit für Gelbrost als dominierend 
gegenüber der Immunität 8 ). 

Sowohl im Tier- wie Pflanzenreich sind übrigens eine Reihe von 
Fällen bekannt, in welchen die heterozygoten Individuen eine unvoll- 
ständige Dominanz des eigentlich dominierenden Charakters erkennen 
lassen*). So können bei Kreuzung von normalzehigeo Hühnerrassen 
mit solchen, welche eine Extrazehe besitzen (Fig. 100), in der ^-Ge- 
neration über 20 Proz. der Individuen den rezessiven normalzehigen 
Typus aufweisen. 

Die unvollständige Dominanz, für welche übrigens die unvoll- 
ständige Rezessivität bei den Axolotl-Bastarden eine Art Gegenstück 
bildet, kann an eines der Geschlechter gebunden sein. So ist bei den 
Leghornhühnern Weiß > Schwarz, aber bei den Weibchen ist die Do- 
minanz so unvollständig, daß das Gefieder des Hybriden mit einzelnen 
dunklen Flecken besetzt, gesprenkelt oder „blau" sein kann. Daß hier 
die Dominanz nicht umgekehrt, sondern nur abgeschwächt ist, geht 
daraus hervor, daß in den späteren Generationen das Weiß mehr und 
mehr dominiert. 

Zahlreiche Fälle sind auch bekannt, in welchen die Bastarde ein 
im Laufe der Entwickelung bzw. in den einzelnen Körper- 
regionen wechselndes Verhalten aufweisen. Einfarbig schwarze 
Mäuse können während des Haarwechsels vorübergehend eine grau- 
braune Färbung aufweisen 6 ); bei gesperberten Hühnern beruht die 
Bänderung der einzelnen Federn darauf, daß während ihrer Ent- 
wickelung in bestimmten Zonen schwarzes Pigment zur Abscheidung 
gelangt, in den alternierenden Zonen dagegen nicht«); weiße Axolotl- 
larven können nachträglich einen gescheckten (intermediären) Habitus 
annehmen. 

Verhältnisse dieser Art sind auch bei Artbastarden nachgewiesen 
worden. Bei der Kreuzung von Saturnia pavonia er x pyri o. sind 
die Raupen in ihrem ersten Kleide pyri-ähnlich und werden später 

l ) Correns 1904. 

*) Tschermak 1908. Hier findet sich eine Zusammenstellung der bisher bei 
Wetzen und Gerste beobachteten alternativen Merkmalspaare. 
») Biffen 1907. 

4 ) Vgl. hierzu Davenport 1910. 

s ) Vgl. v. Guaita 1900, sowie Allen 1904. 

*) Davenport, S. 85 (1906). 



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Literaturverzeichnis 22 und 23. 



241 



der Raupe von S. pavonia ähnlicher 1 ). Bei einem Orchideenbastard 
(Odontoglossum Edwardi x O. Harryano-crispum) wurde beobachtet, 
daß die sich öffnenden Blüten auf gelbem Grund violette Flecke be- 
saßen und daß sich dann das Gelb in Weiß und dieses wieder in 
ein blasses Lila verwandelt 8 ). 



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> 

') Stand fufl 1906. Über den Wechsel des Farbenmusters bei jungen Krähen- 
bastarden vgl. Groß, S. 517 (1900). 

*) Aus Illustr. London News 1907 Q*n. 12). 
H aecker, Vererbungslehre l5 

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16' 



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Vierundzwanzigstes Kapitel. 

Der Mendel sehe Vererbungsmodus beim Menschen. 

Eine große Zahl der im vorigen Kapitel angeführten Daten ist 
auf experimentellem Wege, durch planmäßige Züchtung der ersten 
und zweiten, eventuell auch noch der folgenden Bastardgenerationen 
ermittelt worden, nur bei einigen wenigen ist eine andere Methode 
zum Nachweis des alternativen Vererbungsmodus, die statistische, 
zur Verwendung gelangt 

Diese statistische Methode ist im wesentlichen schon von Daven- 
port (1905) bei seinen Untersuchungen über die Farbe der Schafe 
festgelegt und neuerdings von Bateson (1909, S. 229) näher präzi- 
siert worden l ). Sie wird dann zur Anwendung kommen , wenn der 
Natur der Sache nach die planmäßige Reinzucht der Stammformen 
und die Inzucht der -Nachkommen ausgeschlossen ist, wenn viel- 
mehr ein von der Natur dargebotenes, auf in der Regel nur zwei 
oder drei Generationen sich erstreckendes Material zur Festlegung 
des Vererbungsmodus benutzt werden soll. Insbesondere wird also 
die statistische Methode bei der Feststellung der Erblichkeitsverhält- 
nisse beim Menschen Verwendung finden. 

Dominante Charaktere werden nach diesem Verfahren im 
allgemeinen daran erkannt, daß sie nur durch affizierte, d. h. das 
dominierende Merkmal äußerlich zur Schau tragende Individuen 
weiter vererbt werden, und daß also bei den Nachkommen eines 
nichtaffizierten Elternpaares das Merkmal nicht auftritt, es sei denn 
auf Grund einer Spontanvariation (Mutation). 

In vielen Fällen, namentlich dann, wenn es sich um seltenere 
dominante Charaktere mehr pathologischer Natur handelt. 

') Eine streng mathematische Methode zur Feststellung des alternativen Ver- 
erbungsmodus hat Weinberg entwickelt und bei seinem Versuch, den alternativen 
Charakter der Anlage zu Mehrlingsgeburten nachzuweisen, zur Anwendung gebracht 
<IOo8, 19O0). 



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Kriterien für dominierende und rezessive Merkmale. 



245 



wird es ferner vorkommen, daß infolge der beim Menschen be- 
stehenden fast schrankenlosen Blutmischung (Panmixie) von den 
Eltern dominanter Individuen nur der eine dominant, und zwar 
heterozygot, der andere aber rezessiv sein wird, es werden also 
in diesen Fällen, abgesehen natürlich von Verwandtenehen und zu- 
fälligem Zusammentreffen, die Eltern die Vererbungsformeln DR 
- und RR besitzen, und dies wird sich darin äußern, daß nur bei 
50 Proz. der Kinder das dominierende, bei den anderen 50 Proz. 
aber das rezessive Merkmal zum Vorschein kommt. Ist also in einer 
größeren Geschwisterschar ein bestimmtes Merkmal etwa bei der 
Hälfte der Individuen vertreten, so wird man zunächst ganz 
allgemein an einen mendelnden Charakter zu denken haben, und 
an der Hand des im vorigen Absatz angeführten Kriteriums wird 
man bestimmen können, ob es sich um ein dominierendes Merkmal 
handelt. 

Im Falle ein dominierendes Merkmal in seinem Auftreten an ein 
bestimmtes Geschlecht, z. B. das männliche, gebunden ist — ein Ver- 
hältnis, das, wie wir sehen werden, gerade beim Menschen in einigen 
Fällen vorliegt — , wird seine Feststellung durch den Nachweis er- 
folgen, daß die männlichen Nachkommen der affizierten männ- 
lichen Familienglieder zur Hälfte den betreffenden Charakter auf- 
weisen, zur Hälfte nicht. 

Der Verdacht, daß ein bestimmtes Merkmal rezessiv ist, liegt 
dann vor, wenn es innerhalb einer Familie mehreremal zum Vorschein 
kommt, und zwar in der Weise, daß es bei den Kindern von nicht- 
affi zierten Eltern auftritt. Die vier entscheidenden Kriterien für 
den rezessiven Charakter eines Merkmals sind im übrigen nach 
Davenport folgende: 1. Zwei rezessive Eltern (RR x RR) dürfen 
nur rezessive Nachkommen geben. 2. Ein rezessiver und ein hetero- 
zygoter (äußerlich dominierender oder intermediärer) Elter (RR x DR) 
geben 50 Proz. rezessive Nachkommen. 3. Zwei heterozygote Eltern 
(DR x DR) geben 25 Proz. rezessive Nachkommen. 4. Ein rezes- 
siver und ein rein dominierender Elter (RR x DD) liefern nur domi- 
nante Individuen. 

Es ist nun beim Menschen für eine Reihe von normalen und 
pathologischen erblichen Merkmalen der alternierende Charakter fest- 
gestellt oder sehr wahrscheinlich gemacht worden. 

Mit ziemlicher Sicherheit darf man sagen, daß auch beim Menschen 
und speziell bei den Negern der Albinismus ein rezessives 



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24^ 



Albinismus der Neger. 



Merkmal ist- In einem von Farabee 1 ) mitgeteilten Falle heiratete 
ein albinotlscher Neger eine normale Negerin und erhielt drei äußer- 
lich normale Söhne. Von diesen erzeugten zwei wieder nur normale 
Nachkommen, während einer, welcher zweimal mit äußerlich normalen 
Frauen verheiratet war, 15 Kinder erzeugte: mit der ersten Frau 5 
normale und ein albinotisches, mit der zweiten Frau 6 normale und 

3 albinotische. Wenn nun in der Tat der Albinismus auch beim 
Menschen ein rezessives Merkmal darstellt, so läßt sich der Ver- 
erbungsgang bei folgender Annahme leicht verstehen : • Der Großvater 
war homozygot - rezessiv , die Großmutter homozygot -dominant, die 
Söhne heterozygot -dominant, desgleichen die beiden Frauen des 
dritten, eine Annahme, die dadurch ihre Unwahrscheinlichkeit ver- 
liert, daß nach Farabee in der Nachbarschaft noch mehrere andere 
Fälle von Albinismus vorkamen. Es ergibt sich also folgende Des- 
zendenz : 

RR er x DD ? 

DR <f X DD $ DR <f X DD $ 

50 Proz. DD. 50 Proz. DR 2 50 Proz. DD. 50 Proz. DR 

(sämtlich äußerlich normal) (sämtlich äußerlich normal) 

DR <f ^ DR $ 
3. ■ " DR $ 

25 Proz. DD, 50 Proz. DR. 25 Proz. RR 

Da von den Nachkommen des dritten Sohnes 11 normal und 

4 albinotisch waren, so beträgt die Zahl der letzteren annähernd 
25 Proz., und es stimmen also die tatsächlichen Zahlen sehr gut mit 
den zu erwartenden überein. 

Weniger klar liegen andere Beobachtungen. In einem von Sted- 
man in Surinam beobachteten Falle») heiratete eine albinotische 
Negerin einen Europäer. Die Kinder waren lauter Mulatten, es 
muß also in diesem Falle die Anlage für dunkle Pigmentierung von 
der albinotischen Negerfrau latent mitgeführt worden sein, was der 
oben gemachten Annahme widerspricht, daß die albinotischen Neger 
homozygot rezessiv sind. 

Was überhaupt die Erblichkeit der Färbung bei Kreuzung ver- 
schiedener Menschenrassen anbelangt, so liegen in dieser Rich- 

') Vgl. Farabee 1003. sowie Castle 1903. Weitere Literatur bei Groß. 
S.418 und 513 (1906). Hammer. S. 80 (1908) und Bateson, S. 226 r>oOQ). 
•) Zitiert bei Bateson, S. 227 (lOOQ). 



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Bastardvölker. 



247 



tung, so weit mir bekannt ist, noch keine ausgedehnteren, unter Be- 
rücksichtigung unserer neueren Erfahrungen durchgeführten Unter- 
suchungen vor !). In der Regel wird angegeben, daß die Bastarde in 
bezug auf die Färbung einen intermediären Charakter aufweisen 2 ), 
doch liegen auch gegenteilige Beobachtungen vor. So berichtet 
neuerdings Townsend 3 ) von der Bevölkerung einer kleinen Insel 
im Stillen Ozean (Pitcairn), welche vor etwas über 100 Jahren durch 
Vermischung von Engländern mit polynesischen (tahitischen) Frauen 
entstand und deren Stammbäume sorgfältig aufbewahrt sind. Die 
Eingeborenen der ersten Generation hatten alle, mit einer Ausnahme, 

Fig. 102. 




cjp Konjonktivapigment ei CiliarfortsStze. eo Ciliarltörper. hep hinteres Irisepithel. I Linse. 

»tr IrisstToma. vgr vordere Grenzschicht. 

dunkles Haar, dunkle Augen und olivenfarbene Haut. In der zweiten 
Generation waren einige so dunkel wie Vollblut -Tahitier, andere so 
hellfarbig wie Europäer, und gegenwärtig erscheinen beide Typen 
nebeneinander in der gleichen Familie. Offenbar liegt also hier der 
alternative Vererbungsmodus vor 4 ). 

l ) Vgl. E. Fischer 1909. 

') Vgl. auch Bateson, S.208 (1909). 

*) Manchester Guardian 19 10. Zitiert nach der Frankfurter Zeitung. 

*) Ähnliches gilt vielleicht für die Hautfarbe der .Bastards" in Deutsch -Süd- 
westafrika, welche bald hellzimtbraun, bald und zwar meistens wie die Südeuropäer, 
vereinzelt auch recht hell gefärbt sind. Vgl. E. Fischer 1909. 



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248 Bastardvölker. Vererbung der Augenfarbe. 

Ziemlich komplizierter Natur scheinen die Erblichkeitsbeziehungen 
zwischen den verschiedenen Augenfarben des Menschen zu sein. 
Was zunächst das Morphologische anbelangt, so sei daran erinnert, 
daß, abgesehen von den albinotischen Individuen, die Chorioidea bei 
allen Menschenrassen, auch bei den helläugigen, sehr viel Pigment 
enthält und daß darauf die Schwärze der Pupille beruht. Auch das 
zweiblätterige hintere Irisepithel (pars iridica retinae in Fig. 102, h ep), 
welches, als Fortsetzung der Retina und der Epithelbekleidung des 
Ciliarkörpers (et), die Innenfläche der Iris bedeckt, ist stets pigmentiert l ), 
dagegen zeigt das bindegewebige Irisstroma (st r) und die vordere 
Grenzschicht (vorderes Endothel, vgr) wechselnde Verhältnisse. Die 
dunkelbraune bis tief schwarzbraune Irisfarbe dunkelhäutiger 
Rassen und brünetter Individuen wird durch die sehr starke Pigmen- 
tierung der vorderen Grenzschicht der Iris bedingt 8 ), während bei 
allen hellen Augen (hellbraun, grau, grün, blau) das Pigment der 
vorderen Grenzschicht in geringerem oder stärkerem Maße reduziert 
ist, so daß die Pigmentverhältnisse des Stromas und des hinteren Epi- 
thels mit beteiligt sind oder ausschließlich in Frage kommen. Bei 
hellbraunen Augen ist in der vorderen Grenzschicht und im Iris- 
stroma hellbraunes Pigment in weniger dichter Anordnung vorhanden, 
bei grauen und graublauen Augen tritt eine Abänderung der 
Braunfärbung durch Beimischung reflektierter blauer Strahlen ein, eine 
grüne Farbwirkung kommt bei ebenfalls nicht sehr starker Pig- 
mentation dadurch zustande, daß in der Nähe der Pupille die be- 
kannte radiäre Struktur der Iris sich in Form eines Wechsels zwischen 
grauen oder graublauen „Sektoren" und hellbraunen „Irisbalken" 5 ) 
darstellen kann; die Blaufärbung endlich hat darin ihre Ursache, 
daß die bindegewebigen Teile der Iris (vordere Grenzschicht und 
Stroma) vollkommen pigmentfrei sind und in diesem „trüben", vor 
einem dunklen Hintergrund gelegenen Medium eine starke Reflexion 
von blauen Strahlen zustande kommt. Die Blaufärbung der Augen 
kommt also in der nämlichen Weise zustande, wie die des Himmels 
oder wie die der blauen Vogelfedern. 



') Vgl. z. B. A. Rauber, Lebrbuch der Anatomie des Menseben, 5. Aufl., 
2. Bd., S. 712. 

*) Vgl. Hau schild, S.487, 540. 

") Erstere bestehen nur aus den untersten, letztere aus allen Irisschichten (vgl. 
Hauschild, S. 484). 



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Vererbung der Augenfarbe. Haarfarbe. 



249 



Neuere Untersuchungen 1 ) haben nun zunächst ergeben, daß Blau 
rezessiv gegenüber Braun ist, ein Ergebnis, daß mit der allge- 
mein gemachten Beobachtung von der Zurückdrängung des helleren 
(germanischen) durch den dunkleren (romanischen) Typus im Einklang 
steht a ). Blauäugige Individuen sind also in bezug auf dieses Merkmal 
stets homozygot und dementsprechend findet man, daß die Kinder 
zweier blauäugiger Eltern (RR x RR) ebenfalls überwiegend blau, 
seltener blaugrau oder grau sind. Was die graue Farbe anbelangt, so 
scheint sie im allgemeinen ebenfalls rezessiv gegenüber Braun, dagegen 
dominant gegenüber Blau zu sein. Nach anderweitigen Untersuchungen 3 ) 
würde der allgemein gehaltene Satz Gültigkeit haben, daß die An- 
wesenheit von braunem Pigment an der vorderen Oberfläche (d. h. in 
der vorderen Grenzschicht) der Iris dominant ist gegenüber der Ab- 
wesenheit von solchem Pigment. Ferner scheint auch eine gleich- 
mäßige Färbung der ganzen Iris (self-coloured indes) dominant zu 
sein gegenüber der ringförmigen, auf die Umgebung der Pupille be- 
schränkten Pigmentierung (ringed irides). 

Bezüglich der Vererbung der Haarfarbe liegen noch keine be- 
stimmten Resultate vor. Doch dürften die Verhältnisse schwarz oder 
dunkelbraun > hellbraun > flachsfarbig *) und schwarz > rot 6 ) Gültig- 
keit haben. Was den sonstigen Charakter des Kopfhaares anbelangt, 
so ist das gekräuselte (in der distalen Hälfte in einer engen Spirale 
verlaufende) Haar mit elliptischem Querschnitt dominant gegenüber 
dem geraden , zylindrischen 6 ). Das wellenförmige , in einer offenen 
Spirale gleichmäßig von der Wurzel bis zur Spitze gekrümmte Haar 
scheint gewöhnlich einen heterozygoten Zustand (wellenförmig x ge- 
rade) darzustellen 7 ). 

Von sonstigen morphologischen Merkmalen, welche nicht in das 
Gebiet des eigentlich Pathologischen fallen, sei zunächst die Habs- 
burger Unterlippe genannt, welche offenbar ein dominierendes, 

') G. C. und Ch. B. Davenport 1907. 

*) Man vergleiche die Gemälde der Venezianer des 16. Jahrhunderts (Palma 
vecchio, Tintoretto, Bordone) mit ihren blauäugigen, flachs- oder rotblonden Patrizier- 
frauen, die Madonnen des Bolognesers Guido Reni usw. im Gegensatz zu dem vor- 
herrschend dunkeln Typus der jetzigen Stadtbevölkerung Oberitaliens. 

") Vgl. Hurst 1908. 

*) Vgl. Davenport 1908 (Det. of dorn. etc.). 
*) Bateson. S. 206 (1909). 

•) G. C. Davenport und Ch. B. Davenport. 

7 ) Auch bei den „Bastards" in Deutsch-Südwestafrika stellt das Haar einen 
Kompromiß zwischen beiden Rassen dar. Vgl. E. Fischer 1909. 



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250 



Erbliche Mißbildungen. Erbliche Hautaffeküonen. 



fast ausschließlich an das männliche Geschlecht gebundenes Merk- 
mal darstellt und welche als solches durch mindestens sechs Jahr- 
hunderte hindurch in der Dynastie der Habsburger weitervererbt 
worden ist '). Ein physiologisches Merkmal, welches beim Menschen 
wahrscheinlich in Form eines rezessiven Charakters vererbt wird, ist 
die Anlage zur Mehrlingsgeburt»). 

Der alternative Vererbungsmodus kann ferner für eine große Zahl 
von erblichen Krankheiten und Mißbildungen nachgewiesen 
oder wahrscheinlich gemacht werden, und zwar sind beinahe alle bis- 
her bekannten mendelnden Abnormitäten beim Menschen dominant. 
Dieses Verhältnis erklärt sich wahrscheinlich, wie schon Bateson 
hervorgehoben hat, dadurch, daß für dominierende Merkmale die Ver- 
erbung leichter festzustellen ist. 

Als dominierende Merkmale sind vor allem anzuführen: Die 
erbliche Brachydakty lie oder Hypophalangie, bei welcher 
sämtliche Finger und Zehen nur zwei Phalangen aufweisen 3 ); der 
kongenitale präsenile graue Star<); ferner eine ganze Anzahl 
von Hautaffektionen, für welche gleichzeitig durch Gossage 
und H a m m e r die alternative Vererbungsweise dargelegt werden konnte. 
Dahin gehört die Tylosis palmaris et plantaris (Keratoma p. 
et pl.), welche in einer abnormen Verdickung der Haut der inneren 
Handfläche und Fußsohle besteht und deren Erblichkeit schon für 
die durch Darwin 6 ) berühmt gewordene „Stachelschwein- -Familie 
Lambert nachgewiesen worden war; ferner dieDermatolysis here- 
ditaria (Epidermolysis bullosa), bei welcher die Epidermis bei ge- 
ringfügigen Anlässen Blasen bildet, die Hypotrichosis congenita 
familiaris (Haarverlust in ganz jugendlichem Alter) usw.«). 

Weiterhin ist der dominierende Charakter für den Diabetes 
insipidus (Polyurie), für die kongenitale stationäre Nacht- 



') Siehe Kapitel l . 

*) Vgl. Weinberg 1909. 

*) Bateson, Brit. med. Journ., Vol. 2, S. 61 ff. (1906); ferner Hammer 1908. 
Bateson, S.210 (1909) (hier eine ausführliche Darstellung). 
*) Bateson, S. 217 {1909). 
*) Darwin, Variieren, 2. Bd., S. 5. 

•) Eine sehr merkwürdige erbliche Hautabnormität , deren Vererbungsweise 
aber noch nicht genauer bekannt geworden ist, findet sich bei einer Varietät der 
Hausmaus, der „Rhinocerosmaus" (Allen, S. 67. Fig. 1, 1904). Die vollkommen 
haarlose Haut ist hier in Querrunzeln gelegt und bildet an den Körperseiten je eine 
mantelartige Längsfalte. 



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Krbliche Hautaflektionen. 25 1 

b lind hei t, für einige Formen von Glaukom 1 ) usw. nachzuweisen, 
während die Retinitis pigmentosa und Alkaptonurie (Rot- 
färbung des Harnes infolge der Anwesenheit von Alkapton) wahr- 
scheinlich rezessive mendelnde Abnormitäten darstellen 8 ). 

Von besonderem Interesse ist auch die Erblichkeit der Bluter- 
krankheit (Hämophilie), welche durch das Auftreten starker Blutungen 
bei leichten Wunden und Rissen gekennzeichnet ist, und die der 
Farbenblindheit, speziell der Rot -Grün -Blindheit 3 ). Für beide 
Vorkommnisse gilt, ähnlich wie für die Habsburger Unterlippe, daß 
sie offenbar dominante Charaktere sind , die nach dem alternativen 
Modus vererbt werden, aber in ihrem äußeren Auftreten an das 
männliche Geschlecht gebunden sind. Als Norm kann für derartige 
Merkmale gelten, daß sie innerhalb einer Familie im allgemeinen nur 
bei den männlichen Individuen auftreten, daß sie ferner durch nicht- 
affizierte Männer nicht, durch die affizierten Männer aber, je nach 
ihrer und ihrer Frauen Zusammensetzung, auf alle oder nur auf einen 
Teil der Söhne übertragen werden, und endlich, daß sie auch durch 
nichtaftizierte Frauen vom Großvater auf den Enkel übertragen werden 
können. Ausnahmen kommen indessen in verschiedener Hinsicht vor: 
speziell bei der Bluterkrankheit können in seltenen Fällen auch 
nichtaffi zierte Männer die Abnormität auf die Söhne übertragen, 
und andererseits kann die Farbenblindheit auch bei weiblichen 
Familiengliedern auftreten, dann nämlich, wenn diese von einem 
affizierten, heterozygoten Vater und einer in bezug auf das Merk- 
mal gleichfalls heterozygoten Mutter abstammen (DR c? x DR o.) 
und in bezug auf das Merkmal selber homozygot {DD) sind«). In 
diesem Falle werden alle Söhne der affizierten Frauen das Merk- 
mal zur Entfaltung bringen: 

DR d" X DB °. 

DD ? JIR (f 

DU <f (alle affizicrt!) 1) Ii $ 



') Vgl. Bateson. S. 22off. (1909). 
*) Kbenda, S. 225 ff. 

") Vgl. auch P. Lucas, siehe Literaturverzeichnis 2 ; Darwin, Variieren. 
2. Bd. , S. 94 ; We i s m a n n . Keimplasma , S. 484. Bezüglich der Farbenblindheit 
vgl. besonders Bateson, S. 172, 223 (1909). 

*) Nach Bateson (S. 223, 1909). wenn sie mit einer doppelten »Dose* des den 
Zustand der Farbenblindheit hervorrufenden Faktors ausgestattet sind. 



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252 



Eugenik. 



Die zunehmende Kenntnis der Erbeinheiten beim Menschen und 
ihres Verhaltens bei der Vererbung hat nicht bloß ein hohes wissen- 
schaftliches Interesse, sondern wird sicher nach und nach auch prak- 
tische Früchte tragen. Vor allem wird die Frage, inwieweit erblich 
belasteten Individuen das Recht auf Nachkommenschaft zugewiesen 
werden darf, von einem sicheren Boden aus beantwortet werden 
können. In Deutschland, England und Amerika sind ja bereits die 
ersten Schritte getan, um die Aufmerksamkeit weiterer Kreise auf 
das soziologische Grundproblem der Rassenhygiene oder Eugenik 
(der „Wohlgeborenheit") zu lenken, und bei diesen Bestrebungen 
werden in Zukunft sicher die Ergebnisse der Mendel forschung eine 
immer wichtigere Rolle spielen 



Literaturverzeichnis zu Kapitel 24. 

Allen 1903, s. Literaturverzeichnis 22 und 23. 
Bateson 1909. s. Literaturverzeichnis 22 und 23. 

Castle, W. E., Noteon Mr. Farabee s observations. Science, N. S., Vol. 17. 1903. 
Darwin 1868, s. Literaturverzeichnis 2. 

Davenport, C. B., The origin of black sheep in thc flock. Science, N. S.„ 
Vol. 22, 1905. 

— , Determination of dominancc in Mendelian inheritance. Proc. Amer. Phil. Soc, 
Vol. 47, 1008. 

Davenport, Gertrude C. and Davenport, Ch. B., Heredity in eye-colour in 
man. Science, N. S., Vol. 26, 1907. 

— , Heredity in Hair-fprm in Man. Amer. Nat., Vol. 42, 1908. 

Farabee, W. C, Note on Negro albinism. Science, N. S., Vol. 17, 1903. 

Fischer, Kug., Das Rehobother Bastardvolk in Deutsch-Südwestafrika. Umschau. 
13. Jahrgang, 1909. (Vgl. auch Korrespondenzbl. d. D. Ges. f. Anthr.. Ethn., 
Urgesch., 40. Jahrgang, 1909.) 

— , Ein Fall von erblicher Haararmut usw. Arch. f. Rassen- u. Ges.-Biol., 7- Jahr- 
gang, 1910. 

Gossage, A. M. , The inheritance of certain human abnormalities. Quart. J. Med. 
1908. 

Groß, s. Literaturverzeichnis 22 und 23. 



') Vgl. Natur und Staat, Literaturverzeichnis 1 ; Archiv för Rassen- und Ge- 
sellschaftsbiologie ; Bateson 1909; Davenport, Eugenics, New-York 1910. Prak- 
tische Zwecke verfolgt in dieser Richtung das durch Galton geleitete Institut für 
Nationaleugenik, ferner die Internationale Gesellschaft für Rassenhygiene (Vorstand: 
A-. P I ö t z und E. R ü d i n , München) und The Committee on Eugenics of the American 
Breeders Association (Secretär: C. B. Davenport). 



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I 



Literaturverzeichnis 24. 



253 



Hammer, Die Bedeutung der Vererbung für die Haut und ihre Erkrankungen. 

Verh. d. D. dermatol. Ges. 1008. (Berlin, J. Springer.) 
Hauschild, M. W., Untersuchungen über die Pigmentation im Auge verschiedener 

Menschenrassen. Zeitschr. f. Morph, u. Anthr., U. Bd. IQOQ. 
Hurst, C. C, On the Inheritance of Eye-Colour in Man. Proc. Roy. Soc, Vol. 80, 

B., 1908. 

Weinberg, W., Über den Nachweis der Vererbung beim Menschen. Jahresh. d. 

Ver. f. Vaterl. Naturk. Württ. 1008. 
— , Die Anlage zur Mehrlingsgeburt beim Menschen und ihre Vererbung. Arch. f. 

Rassen- u. Ges.-Biol., 6. Jahrg., 1000. 
— , Über Vererbungsgesetze beim Menschen. Zeitschr. Ind. Abst. , I. und 2. Bd., 

19O0. 



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Fünfundzwanzigstes Kapitel. 



Das Geschlecht als mendelndes Merkmal. 

Verschiedene Tatsachen legen es nahe, die Frage nach dem 
Zahlenverhältnis und der Verteilung der beiden Geschlechter und nach 
den Faktoren, welche beim einzelnen Individuum das Geschlecht be- 
stimmen, im Zusammenhang mit dem Vererbungsproblem zu erörtern. 

Es sind dies vor allem die Erscheinungen des sexuellen Di- 
morphismus; die Korrelationen oder wechselseitigen Beziehungen, 
welche zwischen den primären und sekundären Geschlechts- 
charakteren in entwickelungsgeschichtlicher und physiologischer 
Hinsicht bestehen; die Spuren eines latenten hermaphroditischen 
Zustandes, welche sich auch bei den höchsten Tieren nachweisen 
lassen, und endlich die Beobachtung, daß speziell bei den Säugern 
und Vögeln die beiden Geschlechter in einem ganz bestimmten 
Zahlen Verhältnis, dem Sexualverhältnis, auf die Individuen einer 
Art verteilt sind, daß aber andererseits bei den Nachkommen eines 
und desselben Elternpaares hinsichtlich der Verteilung des Geschlechts 
dieselbe scheinbare Unregelmäßigkeit herrschen kann, wie bezüglich 
anderer morphologischer und physiologischer Charaktere. 

Schon Darwin hat in seinem Werke über das Variieren der 
Tiere und Pflanzen in den Kapiteln, welche von der Vererbung 
handeln, auf ein latentes Vorkommen der sekundären Geschlechts- 
charaktere hingewiesen *) und damit die Probleme der Vererbung und 
der Sexualität in einen engeren Zusammenhang gebracht. Darwin 
stellt die These auf, daß in vielen, wahrscheinlich in allen 
Fällen, die sekundären Geschlechtscharaktere jeden Geschlechts in 
dem entgegengesetzten Geschlecht schlafend oder latent ruhen, bereit, 
sich unter gewissen Bedingungen zu entwickeln. Als Stütze für 
diese Auffassung wurden von Darwin hauptsächlich die „hahnen- 

l ) Darwin II, S.67 (1868). 



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Latenter Hermaphroditismus. 



255 



fedrigen" Hennen, Fasanenhennen, Rebhühner, Enten und die Weibchen 
hirschartiger Tiere, welche im Alter Geweihe aufsetzen, herangezogen. 

Von anderen Autoren wurde dann die Ansicht ausgesprochen, 
daß dieses Verhältnis nicht nur für sekundäre Geschlechtscharaktere, 
sondern für die geschlechtlichen Potenzen selber Gültigkeit hat und daß 
also alle diöcischen Organismen als latent monöcisch oder^herma- 
phroditisch zu bezeichnen sind. Namentlich die Pflanzenwelt 
lieferte für die weite Verbreitung eines solchen Zustandes einige 
wichtige Belege. So fand Bordage, daß, wenn die Sproßspitze von 
jungen männlichen Pflanzen des Melonenbaumes (Carica papaya) kurz 
vor dem Erscheinen der ersten männlichen Blüten abgeschnitten wird, 
unmittelbar unter der Schnittfläche seitliche Zweige hervorwachsen, 
welche weibliche Blüten und Früchte tragen. Umgekehrt beobachtete 
Strasburger, daß bei den weiblichen Pflanzen von Melandrium 
album die Infektion mit einem Brandpilz (Ustilago violacea) eine 
Zurückbildung des weiblichen Organs, des Pistills, und eine volle 
Entwickelung der normalerweise rudimentären Antheren bewirkt. 

Bei anderen Pflanzen scheint freilich das Geschlecht unabänder- 
lich bestimmt zu sein. Dies gilt für die männlichen und weiblichen 
Thalli diöcischer Moose und iür die Prothallien der Schachtelhalme, 
während bei den zwitterigen Prothallien der Farne insofern eine ge- 
wisse Labilität besteht, als die Ausbildung der weiblichen Organe 
künstlich gehemmt werden kann. 

Weismann hat dann die Vorstellung des latenten Zwittertums 
auch auf das Keimplasma und die Keimzellen übertragen und die 
Annahme gemacht, daß die Keimzellen mit Doppeldeterminanten 
nicht bloß für die sekundären, sondern auch für die primären Ge- 
schlechtscharaktere ausgestattet sein müssen 1 ). 

Das Geschlechtsbestimmungsproblem, welches seit langer 
Zeit namentlich die Tierzüchter und Physiologen beschäftigte, war 
nunmehr dahin zu präzisieren: Um welche Zeit und durch welche 
Faktoren wird die eine der beiden im Keimplasma ruhenden Anlagen 
aktiviert, die andere iür die betreffende Generation in den latenten 
Zustand versetzt? Bezüglich des Zeitpunktes waren von vornherein 
drei Möglichkeiten gegeben 8 ): es konnte die Determinierung des 

') Vgl. Keimplasma, S. 468. Im übrigen bat sich Weismann wiederholt gegen 
die Ansicht ausgesprochen, daß die Übertragung des Geschlechtes einen Vererbungs- 
akt darstelle (Keimplasma, S. 483). 

■) Haecker, S. 93 (1902). 



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256 



Geschlecht und Mosaikfärbung. 



Geschlechtes schon vor der Befruchtung erfolgen (progame Ge- 
schlechtsbestimmung) oder durch den Befruchtungsakt selbeT 
(syngame Bestimmung) oder erst nach erfolgter Befruchtung, in 
irgend welcher Phase der individuellen Entwickelung (epigame Be- 
stimmung). 

Zugunsten der Annahme einer progamen Entwickelung konnte 
vor alfem die Tatsache angeführt werden, daß bei einigen Tieren 
(bei dem Annelid Dinophilus, bei Rädertieren und bei Phylloxera) 
schon im Ovarium zweierlei Eier, große „Weibcheneier" und kleinere 
„Männcheneier", auftreten; für die syngame Geschlechtsbestimmung 
schienen die Verhältnisse bei der Honigbiene zu sprechen, insofern 
bei dieser aus den befruchteten Eiern bekanntlich weibliche Tiere, 
aus den unbefruchteten Drohnen hervorgehen, während das Vor- 
kommen einer epigamen Bestimmung trotz zahlreicher daraufgerichteter 
Untersuchungen bisher noch durch keine vollkommen unzweideutige 
Beobachtung erwiesen werden konnte 1 ). 

In ein ganz neues Stadium wurde die Geschlechtsbestimmungs- 
frage einerseits durch neuere zytologische Beobachtungen, welche wir 
namentlich einer Anzahl amerikanischer Forscher verdanken und über 
die in einem späteren Kapitel (32) berichtet werden soll, andererseits 
durch die Verknüpfung des Problems mit der Mendel- 
forschung gerückt. 

Schon Mendel hatte im Hinblick auf das eigentümliche Zahlen- 
verhältnis, welches in einem Falle die männlichen und weiblichen 
Pflanzen des Bastards Lychnis diurna x L. vespertina (151 weibliche 
und 52 männliche) aufwiesen, die Frage erhoben, ob hier vielleicht 
etwas Ähnliches wie bei der Anlagenspaltung vorliegt 2 ), und zu einem 
ähnlichen Gesichtspunkt war sehr bald nach der Wiederentdeckung 
der Mendelschen Regeln Bateson 3 ) gelangt. 

Zuerst ist dann Castle (1903) der Frage näher getreten. Indem 
er die echten Hermaphroditen mit mosaikartig gescheckten Tieren und 
die diöcischen (latent hermaphroditischen) Organismen mit einfarbigen, 
d. h. nur das dominierende Merkmal äußerlich entfaltenden Hetero- 

') Näheres über die in Betracht kommenden Beobachtungen findet sich in den 
neueren Zusammenstellungen von Düsin g, Klebs. Waldeyer. Lenhossek, 
O. Schultze. Cut'not, Strasburger. R. Hertwig, Korscheit, Heider. 
Morgan, Bugnion u. a. (Vgl. auch Kap. 21, S. 215. Anm.3 ) 

*) Hriefe an Xägeli, S. 241. Vgl. auch den Zusatz von Correns, ebenda, 
S. -'53. 

a ) Bateson und Saunders. S. 130. 



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Selektive Befruchtung. 



257 



Zygoten vergleicht, glaubt er in bezug auf das Geschlecht ähnliche 
Erblichkeitsverhältnisse wie in bezug auf die Färbung annehmen zu 
dürfen. Ebenso wie nämlich „mosaikfarbige" Mäuse „Mosaik "-Keim- 
zellen produzieren, in welchen beide Farbenanlagen miteinander eng 
verbunden sind (DR), und ebenso wie bei den einfarbig - grauen 
Hybriden eine Spaltung stattfindet und demnach reine I)- und reine 
jR-Gameten gebildet werden, so glaubt Castle, daß auch der Herma- 
phrodit als „sex-mosaic" Mosaikgameten (d*$) liefert, während 
bei diöcischen Formen eine Spaltung in reine cT- und reine 
9 -Gameten stattfindet. - Danach wären bei letzteren nach der 
Spaltungsregel viererlei Keimzellen und viererlei Zygoten zu erwarten: 

CT -Hier $-Eier 

Cf - Spermatozoen $ - Spermatozoon 

" tfer 4-cf ? -H ?cr + $$ 

Nach Castle sprechen aber die Tatsachen gegen das Vorkommen 
von Keimen, die in bezug auf das Geschlecht homozygot (c^d* oder 
$$) sind, denn es gibt keine Fälle, in welchen bei reinster Inzucht, 
wie z.B. bei der Parthenogenese, ausschließlich das eigene Geschlecht 
weitervererbt wird, wie man bei der Inzucht von geschlechtlich 
homozygoten Individuen erwarten müßte 1 ). 

Er führt daher die Hypothese vom selektiven Befruchtungs- 
vorgang ein und meint, daß Eier, welche die Anlage zu einem 
Geschlecht enthalten, stets nur durch entgegengesetzt-geschlecht- 
lich determinierte Spermatozoen befruchtet werden. Es werden also 
d"-Eier durch o.- Spermatozoen, o.-Eier durch cT- Spermatozoen be- 
fruchtet und demnach überhaupt nur heterozygote Keime ge- 
bildet, in welchen (bei den diöcischen Spezies) die männlichen und 
weiblichen Charaktere immer wieder miteinander in einen Konkurrenz- 
kampf um die Alleinherrschaft treten. Eine eigentliche Erklärung 
für den Vorgang der Geschlechtsbestimmung ist damit allerdings 
nicht gegeben. 

Auch andere Beobachtungen können dazu führen, die Mendelsche 
Spaltungsregel auf die Geschlechtsbestimmung anzuwenden 2 ), vor 
allem diejenigen Fälle, in denen in augenscheinlicher Weise das 
Geschlecht die Entfaltung oder Unterdrückung gewisser im übrigen 
mendelnder Anlagen bestimmt. Es sei vor allem an die früher auf- 

') Aus den parthenogenetischen Eiern der Honigbiene gehen sogar ausschließ- 
lich Tiere männlichen Geschlechts hervor! 

*) Bateson, S. 1.1 (i9"4); S. 164 (1909). 
Hacek er, Vererbungslehre. 17 



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258 Gehörnte und hornlose Schaft. 

gezählten, in ihrem Auftreten vorwiegend an das männliche Geschlecht 
gebundenen Abnormitäten, an die Bluterkrankheit, die Rot -Grün- 
Blindheit, sowie an die Habsburger Unterlippe erinnert. 

Besonders lehrreich ist auch folgendes Beispiel '): Wenn die in 
beiden Geschlechtern gehörnten Dorsetschafe mit den in beiden Ge- 
schlechtern hornlosen Suffolks reziprok gekreuzt werden, so sind die 
Fj-cf gehörnt, die F r $ hornlos. Bei den cf dominiert also die 
Hornbildung, bei den $ die Hornlosigkeit In der ^-Genera- 
tion treten viererlei Typen auf, nämlich gehörnte und hornlose 
Männchen und gehörnte und hornlose Weibchen, und zwar ungefähr 
in folgendem Verhältnis: 

Männeben 3 gehörnte : l 

Weibchen l gehörntes : 3 



Wenn dieses Verhältnis sich wirklich bei weiteren Untersuchungen 
als konstant herausstellen sollte, so würde man sich zu seiner Er- 
klärung folgende Spaltung vorzustellen haben: 

P H (Hornbildung) X /»(Hornlosigkeit) 

F x er H(h) $ (H)Ä») 



Gameten .... H h H h 

(h)H hh 
h(H) hh. 



i<f HH H(h) 
* % \ $ HH {H)h 



Daraus wäre abzuleiten, daß im männlichen Geschlecht Horn- 
losigkeit nur bei solchen Individuen zum Vorschein kommt, welche 
bezüglich dieses Merkmals homozygot sind, und ebenso im weiblichen 
Geschlecht die Hörner nur bei solchen Tieren, welche in bezug auf 
Hornbildung homozygot sind. Jedenfalls lassen aber die Tatsachen 
deutliche Beziehungen zwischen dem Geschlecht und einem men- 
delnden Charakter erkennen. 

Hierher gehört ferner die bekannte Tatsache, daß schwarz- und 
orangegefleckte Katzen mit oder ohne Weiß, die „tortoise-shells" der 
englischen Züchter, beinahe stets weiblichen Geschlechts sind'), während 
die Männchen dieser Varietät gewöhnlich eine einfarbige orangegelbe 
oder rostbraune Färbung haben*). Man hat wohl anzunehmen, daß 



') Wood 1905; Wood and Punnett 1908. 
•) Die Klammer bedeutet rezessives Verhalten. 

*) In der Regel wird gesagt. da6 die dreifache Färbung sehr selten bei einem 
Kater zu sehen ist. Vgl. Darwin, Var.. II, S. 97. 

4 ) Erstere nach Doncastcr, letztere nach Darwin. Vgl. im übrigen D«>u- 
caster 1904, sowie Batcson 1909. 



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Correns' Bryonia-Versuch. 259 

die betreffende Rasse heterozygot ist und daß im weiblichen Ge- 
schlecht der heterozygote Zustand im tortoise- Shell -Charakter zum 
Ausdruck kommt, während im männlichen Geschlecht entweder 
Orange dominiert oder eine intermediäre Färbung (Rostbraun) zu- 
stande kommt. Jedenfalls ist auch hier das Auftreten bestimmter 
Färbungen an das Geschlecht gebunden: im weiblichen Geschlecht 
muß irgend ein Agens enthalten sein, welches das Verhältnis von 
Dominanz und Rezessivität abändert. 

Aus diesen und manchen anderen Beobachtungen 1 ) hat auch 
Bateson die Überzeugung geschöpft, daß die Verteilung des Ge- 
schlechts den Mendel sehen Spaltungsprozessen analog ist. Wirklich 
unzweideutige Anhaltspunkte für die Begründung dieser Auffassung 
sind aber erst durch Untersuchungen von Correns gewonnen worden. 

Correns hat zwei Arten der Zaunrübe, die zweihäusige (diöcische) 
Bryonia dioica und die einhäusige (monöcische) B. alba, miteinander 
reziprok gekreuzt und außerdem das Sexualverhältnis der reinen 
B. dioica bestimmt. 

Die drei Versuche ergaben folgendes (Fig. 103): 

I. Bryonia dioica 9 x B. alba cf. 

Resultat: 100 Proz. weibliche Bastarde. 

II. Bryonia dioica $ x B. dioica c/. 

Resultat: 50 Proz. weibliche, 50 Proz. männliche Pflanzen. 
III. Bryonia alba § x B. dioica cf. 

Resultat: 50 Proz. weibliche, 50 Proz. männliche Bastarde. 

Correns glaubt seine Befunde mit Hilfe der Annahme deuten 
zu können, daß B. dioica c? heterozygot männlich-weiblich 
mit dominierender Männlichkeit, B. dioica $ homozygot 
weiblich ist Sämtliche Keimzellen sind demnach progam be- 
stimmt, und zwar haben die männlichen Keimzellen (Pollenkörner) 
zur Hälfte männliche, zur Hälfte weibliche Geschlechts- 
tendenz, die weiblichen (Eizellen) haben durchweg weibliche 



') In seinem Buche (1909) bespricht Bateson u. a. noch die Kreuzungs- 
versuche, welche Doncaster und Raynor mit dem Stachelbeerspanner, Abraxas 
grossulariata, und der Varietät lacticolor angestellt haben (Vcrkoppelung der Charak- 
tere „männlich" und „grossulariata". bzw. „weiblich" und „lacticolor", nach Bateson 
„unechter Allelomorphismus", d. h. Repulsion zwischen den Charakteren Weiblich 
und grossulariata), sowie Versuche von Noorduyn und solche von Miss Durham 
mit Kanarienvögeln (Repulsion zwischen Weiblich und Schwarzäugig). Vgl. auch 
Lang, S.47 (IQ09). 

17* 



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260 



Hryonia -Versuch. 



Fig. 1Q.1. 



Tendenz. Die definitive Entscheidung über das Geschlecht der 
Nachkommen erfolgt erst syngam bei der Befruchtung, indem beim 

Zusammentreffen der weiblich gestimmten 
Eizellen mit männlich gestimmten Pollen- 
körnern die männliche Tendenz über- 
wiegt. 

In der Tat würden sich von der 
gemachten Voraussetzung aus die Ergeb- 
nisse der drei Versuche ohne Schwierig- 
keit erklären lassen. Bezeichnet man die 
männliche dioica mit m(w), die weib- 
liche mit ww, die zwittrige alba mit xz, 
so werden im Versuch I nur einerlei 
Zygoten wz gebildet, welche, da offen- 
bar Zweihäusigkeit über Einhäusigkeit 
dominiert, lauter weibliche Individuen 
liefern. Im Versuch II werden infolge 
der Aufspaltung von ww und m(w) 
zweierlei Zygoten (ww und mtc) gebildet, 
aus denen, da m > tu, weibliche und 
männliche dioica-Individuen in gleicher 
Anzahl hervorgehen. Im Versuch III 
würde unserer Voraussetzung nach eine 
Aufspaltung von zz und m(tc) stattfinden, 
die zur Bildung von zweierlei Zygoten 
zm undste, also zur Bildung von50Proz. 
männlichen und 50 Proz. weiblichen Ba- 
starden führt. 

Gegenüber der Annahme von Castle, 
wonach beide Geschlechter in bezug auf 
das Geschlecht heterozygot sind, ist also 
Correns zu der Vorstellung geführt wor- 
den, daß nur eines von ihnen hetero- 
zygot ist. In der Tat scheinen alle neue- 
ren Untersuchungen, sowohl die experi- 
mentellen wie die zytologischen, darauf hinzuweisen, daß sich die 
beiden Geschlechter in dieser Hinsicht verschieden verhalten, wenn 
auch im einzelnen die Ergebnisse und Anschauungen auseinander- 
weichen. 




Schema für Correns" Bryonia- 
Versucbe. 



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Bi yonia-Versuch. 



■ 

261 



Während nämlich Correns zu dem Resultat gekommen war, 
daß bei Bryonia das männliche Geschlecht heterozygot ist, zeigt 
Bateson 1 ), daß sich die Ergebnisse von Correns auch von der 
Hypothese aus erklären lassen, daß bei Bryonia die weibliche 
Pflanze heterozygot mit dominierender Weiblichkeit, die männliche 
Pflanze dagegen homozygot männlich ist. Bateson ist um so mehr 
zu dieser Ansicht geneigt, da auch bei tierischen Objekten, z. B. beim 
Stachelbeerspanner, Abraxas grossulariata (Doncaster und Raynor), 
und beim Kanarienvogel (Noorduyn, Miss Durham) die Kreuzungs- 
ergebnisse am einfachsten erklärt werden können, wenn man die 
weiblichen Tiere als heterozygot mit dominierender Weiblich- 
keit betrachtet. Es wird diese Frage in einem späteren Kapitel (32) 
nochmals behandelt werden. 



Literaturverzeichnis zu Kapitel 25. 

Bateson und Saunders, s. Literaturverzeichnis 22/23. 

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1904. 

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C. R. Soc. Biol., Ser. 10, Tom. 5. 1898. 
Bugnion, K., Les cellulcs sexuelles et la deturmination du sexe. Bull. Soc. Vaud. 

Sei. nat., Vol. 46. 1010. 
Correns, C, Die Bestimmung und Vererbung des Geschlechts. Berlin 1907. 
Cu^not, L., Sur la determination du sexe chez les aminaux. Bull. Sei. France et 

Belg.. Tom. 32, 1899. 
Darwin. Ch., Das Variieren usw., s. Literaturverzeichnis 2. 

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Proc. Cambr. Phil. Soc, Vol. 13, 1904. 
— , and Raynor, G. H., Breeding Experiments with Lepidoptera. Proc. Zool. Soc. 

London, Vol. 1. 1906. 

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Naturw., 17. Bd., 1884. 
Durham, F. M. , and Marryat, D. C. E., Inheritance of Sex in Canaries. Rep. 

Evol. Ctee, 4. 1908. 

Ilaecker, V., Über das Schicksal der elterlichen und großelterlichcn Kernanteile. 

Jen. Zeitschr., 37- Bd., 190*'. 
Hertwig, R., Über das Problem der sexuellen Differenzierung. Verh. D. Zool. Ges. 

1905. 

— , Weitere Untersuchungen über das Sexualitätsproblem. Ebenda 1906. 



') S. 168 (1909). 



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262 



Literaturverzeichnis 25. 



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Korschclt, E., und Heider, B., s. Literaturverzeichnis 7. 
Lang, A., Über Vererbungsversuche. Verb. D. Zool. Ges. 1909. 
Lcnhosslk, M. v.. Das Problem der geschlechtbestimmcnden Ursachen. Jena 1903. 
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Phys. KI. Kgl. Sachs. Ges. Wiss., 29. Bd., Leipzig 1905. 
Morgan, Th. H., Expcrimental Zoology. New York 1007. 

Noorduyn, C. L. W., Die Erblichkeit der Farben bei Kanarienvögeln. Arch. Rass.- 
u. Ges.-Biol., 5. Jahrg., 1908. 

Schultze, O., Zur Frage der gcschlcchtsbildenden Ursachen. Jena 1903. 

Strasburger, E., Versuche mit diöcischcn Pflanzen in Rücksicht auf Geschlechts- 
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Waldeycr.W., Die Geschlechtszellen. In O. Hertwigs Handb. d. Entwickelungs- 
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Weismann, A. , Das Keimplasma. Jena 1892. 

Wood, T. B., Note on the inheritance of horns and face-colour in sbeep. Journ. 

Agric. Sei., Vol. 1, 1905. 
— . and Punnett, R. C, Heredity in Plants and Animals. Trans. Hight. Agric. 

Soc. Scotland 1908. 



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Sechsundzwanzigstes Kapitel. 
Faktorenhypothese. Zusammengesetzte Merkmale. 

Eine Übersicht über alle dem alternativen Vererbungsmodus unter- 
worfenen Merkmale ergibt zunächst, daß es sich überwiegend um 
erbliche Abänderungen normaler oder pathologischer Natur handelt, 
welche innerhalb der einzelnen Spezies, ohne das Artbild im ganzen 
zu verändern, auftreten, und also als Rassencharaktere im wei- 
testen Sinne des Wortes bezeichnet werden können. Inwieweit auch 
die Unterscheidungsmerkmale verschiedener Arten das alternative 
Verhalten zeigen können, ist infolge des Umstandes, daß wenigstens 
bei Tieren die Artbastarde fast durchweg steril sind, zurzeit noch 
eine offene Frage. 

Wenn man nun weiterhin die spaltenden Rassencharaktere näher 
charakterisieren will, so stößt man zunächst auf die Tatsache, daß 
die Spaltungs Vorgänge und ebenso die Erscheinungen der vollkom- 
menen Dominanz und Rczcssivität dann besonders typisch zutage 
treten, wenn eine Stammform mit einer Defektrasse, d. h. mit 
einer Varietät, welche durch das Fehlen eines Merkmals gekenn- 
zeichnet ist, gekreuzt wird. So wurde bereits erwähnt, daß sich bei 
Tieren Pigmentierung und totaler Albinismus durchweg als antago- 
nistische Merkmale verhalten und daß dabei erstere dominiert, letz- 
terer rezessiv ist. Auf das nämliche läuft im wesentlichen die An- 
sicht von de Vries hinaus, wonach speziell die retrogressiven 
und degressiven Mutationen, d. h. diejenigen sprungweisen 
Variationen, welche durch Latentwerden eines aktiven, bzw. durch 
Aktiv werden eines latenten Merkmals ihre Entstehung nehmen, bei 
der Kreuzung den Mend eischen Regeln folgen. 

Nun scheint aber, und zu dieser Auffassung sind sehr bald eine 
Reihe von Forschern gelangt, beim alternativen Vererbungsmodus das 
Verhältnis Anwesenheit — Abwesenheit noch in weiterem Um- 
fange Gültigkeit zu haben, und Bateson 1 ) hat zuerst in präziser 

•) s. 11 (1909). 



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264 Färbungs bestimmer. Erbformeln. 

Weise die schon von Correns 1 ) begründete Ansicht ausgesprochen, 
daß es sich bei der Spaltung vielleicht weniger um die Trennung 
von zwei antagonistischen Charakteren, als vielmehr um die An- 
wesenheit und Abwesenheit eines unterscheidenden Elementes handelt. 

Um die gleiche Zeit war Cuenot 2 ) bei seinen Mäuseversuchen 
zu der wichtigen Vorstellung gelangt, daß das Zustandekommen einer 
bestimmten Färbung an das Zusammentreten von mindestens zwei 
„Determinanten" in einer Zygote geknüpft ist, eine Annahme, die, wie 
gleich ersichtlich sein wird, mit der Batesonschen in gutem Einklang 
steht. Nach Cuenot genügt es für die Entwickelung der grauen, 
schwarzen oder gelben Gesamtfärbung einer Maus nicht, daß der Be- 
stimmer für Grau (G), Schwarz (N) oder Gelb (</)*) in einer Zygote 
vorhanden ist, sondern es muß noch ein anderes Agens in Gestalt 
eines besonderen Färbungsbestimmers oder Chromogens (C) 
vorhanden sein. 

Ist in den Zygoten dieser Bestimmer C nicht vorhanden, sondern 
der von Cuenot angenommene antagonistische Bestimmer A (Albi- 
nismus), so werden aus den Zygoten, auch wenn sie die Farben- 
bestimmer G, N oder J mit sich führen, albinotische Mäuse hervor- 
gehen. Bei bestimmten Kreuzungen können dann diese von den albi- 
notischen Mäusen mitgeführten Agenzien, die sich an ihren Trägern 
äußerlich nicht dokumentieren, bei den Nachkommen sichtbar werden, 
dann nämlich, wenn die sie einschließenden Gameten mit einer den 
Faktor C enthaltenden Gamete zusammentreffen. 

Cuenot war gleichzeitig zur Aufstellung von Erb formein 
(Formules hereditaires) gelangt, welche in veränderter Form jetzt 
allgemein Anwendung finden. Eine homozygote (reinrassige) graue 
Maus wurde von Cuenot mit CG oder CG CG bezeichnet, eine 
heterozygote graue, z. B. aus der Kreuzung Grau x Schwarz hervor- 
gegangene durch CG CN. Für eine schwarze Maus gilt die Formel 
CN, für Albinos, welche von schwarzen Vorfahren abstammen und 
daher Schwarz in latentem Zustande mit sich führen, die Formel A N usw. 

') s. 607 (1902). 

*) Cuenot 1904. 

*) G, X, J als Anfangsbuchstaben von gris, noir, jaune. Die englischen und 
deutschen Autoren wenden als Indiccs für die einzelnen Bestimmer jeweils die An- 
fangsbuchstaben der englischen und deutschen Bezeichnungen an. Es wäre wünschens- 
wert, wenn bezüglich aller dieser Bezeichnungen eine internationale Vereinbarung 
zustande käme. Vgl. A. Lang. Zcitschr. Ind. Abst. . 4- Bd., 1. Heft, S. 41 (1910). 
Siehe auch unten S. 265, Anm. 1, 210, Anm. 2. 



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Faktorenhypothese. Prcsence- and abscnce-Hypothcse. 265 



Den Gedankengängen von Cuenot und Bateson ist gemeinsam, 
daß bei der Untersuchung der Erblichkeitsverhältnisse nicht die 
äußerlich hervortretende Eigenschaft als solche, sondern ein hinter 
ihr liegendes Agens, „some distinguishing element" bei Bateson, 
„une difference materielle d'ordre chimique" bei Cuenot ins Auge 
gefaßt und mit dieser operiert wird, und so hat sich denn weiterhin 
aus diesen Anschauungen heraus die Faktorenhypothese (Fak- 
torialhypotbese, Presence- and absence -Theorie) entwickelt, um deren 
Ausbau sich Correns, Bateson, Baur, N ill son-Ehle, Castle, 
Lang, Plate u. a. verdient gemacht haben. Nach dieser Hypothese 
ist ganz allgemein ein „dominierender" Charakter durch die An- 
wesenheit eines bestimmten Faktors (Determinante, Bestimmer, 
caractere-unite, unit-character, Elementareigenschaft, Erbeinheit, Gen) 
bedingt, der korrespondierende rezessive Charakter durch 
seine Abwesenheit. Neuerdings bringt man in der Regel in den 
Erbformeln den positiven Faktor durch einen großen lateinischen 
Buchstaben, seine Abwesenheit oder den negativen Faktor durch den 
entsprechenden kleinen Buchstaben zum Ausdruck. 

Die Cuenot sehen Erbformeln für die Mäuse sind also auf Grund 
der neueren Vorstellungen, wenn man zunächst von der gelben 
Rasse mit ihren komplizierten, bisher noch nicht ganz aufgeklärten 
Verhältnissen absieht, in verschiedener Weise zu modifizieren. Ein 
erstes Paar von Allelomorphen bilden C (Anwesenheit von Pigment, 
Faktor für Pigmentierung) und c (Abwesenheit von Pigment). Wei- 
tere Paare sind der Bestimmer für Grau Cr, durch dessen Anwesen- 
heit eine ganz bestimmte, durch Anpassung erworbene, die „Wild- 
farbe" bedingende Verteilung des Pigments innerhalb der 
einzelnen Haare (der „Aguti-Charakter" bei den Meerschweinchen) 
hervorgerufen wird, und sein Allelomorph g (Abwesenheit des Faktors 
für Grau), N (Faktor für Schwarz) und n (Abwesenheit dieses Faktors), 
Ch (Faktor für Schokoladenbraun) und ch (Abwesenheit dieses Faktors). 

Nach der früheren Ausdrucksweise würde die Relation G^>N^> Ch l ) 
gelten, wobei G und N, N und Ch als „korrespondierende" Merkmale 



l ) O und Ch werden in allen drei zunächst in Betracht kommenden Sprachen 
wegen der Übereinstimmung der Anfangsbuchstaben der betreffenden Worte gleicher- 
weise angewandt. Wo keine solche Übereinstimmung besteht, wie z. K. bei den 
Wörtern für Schwarz, könnte vielleicht der Anfangsbuchstabe des lateinischen Wortes, 
der in diesem Falle sich mit dem des französischen Wortes deckt, zur Verwendung 
kommen. 



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206 



Verbesserte Krbformeln. 



oder geradezu als natürliche „Antagonisten" gedacht wurden. Nach 
der Faktorenhypothese gibt es aber keine Antagonistenpaare von der 
Zusammensetzung GN, GCh, NCh, sondern nur die Paare Gg, Nn, 
Chch. Wenn also beim Zusammentreffen beispielsweise von G und N 
in einer Zygote die Graufärbung zur Entfaltung kommt, so sagt man 
nicht mehr, daß Grau über das antagonistische Merkmal N dominiert, 
sondern daß der Bestimmer für Grau durch seine Anwesenheit unter 
anderem auch verhindert, daß der gleichzeitig anwesende 
Bestimmer für Schwarz seine Wirkung manifestiert. Man sagt mit 
Bateson 1 ), der Bestimmer für Grau ist epistatisch gegenüber 
dem lür Schwarz, der letztere hypostatisch gegenüber dem ersteren. 
Der Einfachheit halber kann man allerdings bei zwei 
Faktoren, welche in diesem Verhältnis zueinander stehen, 
immer noch von dominant und rezessiv sprechen und sie 
statt durch vier, durch zwei Buchstaben zum Ausdruck 
bringen. 

Nach dem Obigen gelten also für die Mäuse folgende voll- 
ständige Erbformeln: 

für graue CGA'CA (wobei O epistatisch gegenüber N und CA) 

. schwarze CgNCh ( n N , „ CA) 

„ schokoladenfarbige . . . CgnCh*). 

Nun gibt es aber, wie die Untersuchungen von Miss Dur harn 
und Castle gezeigt haben, auch noch einen besonderen Dichtigkeits- 
faktor D 3 ), welcher durch seine Anwesenheit Dichtigkeit (Intensität, 
Sättigung) des Pigments, durch seine Abwesenheit seine Auflösung 
(Dilution) bedingt. D zusammen mit JS T liefert Schwarz, d und N 
„Blau", ebenso D und (Ii Schokoladenbraun, d und Ch Rötlichgrau 
(silver-fawn) 4 ). Auch die Einfarbigkeit (Uniformität) wird bei den 
Nagern durch einen besonderen Faktor U bedingt, dessen Abwesen- 
heit (u) Scheckzeichnung bewirkt »). 

') S.79 (1909). 

*) Miss Durham (1908) nimmt zunächst für CA keinen bcsondcicn Faktor an. 
vielmehr entsteht nach ihrer Auffassung Schokoladenbraun, wenn C ohne 0 und N 
auftritt. Vgl. im übrigen die abweichenden Erbformcln bei Castle 1909 und 
Plate 1910. 

*) Von Castle für die Kaninchen als Intensitätsfaktor J eingeführt. Beide 
lndices könnten internationale Verwendung finden, da die betreffenden Worte in den 
meisten Sprachen mit gleichen Buchstaben anfangen. 

*) Siehe oben S. 231, Anm 5. 

*) Vgl. hierzu Lang, S. 38 (1910). Castle (1900) hat den Faktor fürScheck- 
zeichnung durch einen besonderen Buchstaben S bezeichnet. 



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Natur der Faktoren. 



267 



Was die Natur der „Faktoren" anbelangt, so kann man mit 
Cuenot und Bateson an fermentartige chemische Substanzen 1 ) 
denken, durch deren Anwesenheit und Zusammenwirken das Auf- 
treten nicht bloß bestimmter Färbungscharaktere, sondern auch das- 
jenige anderer mendelnder Merkmale erklärt werden könnte. So 
dürfte in den rundlichen glatten Samen vieler Erbsen- und Mais- 
rassen ein enzymatischer Faktor vorhanden sein, der die meisten 
Reservestoffe in Stärke verwandelt, während in anderen (rezessiven) 
Rassen infolge des Fehlens dieses Faktors viel Zucker erhalten bleibt 
und die Körner deshalb beim Trocknen runzlig erscheinen 2 ). In 
anderen Fällen sind natürlich die Zusammenhänge weniger faßbar. 
Wenn uns z. B. normale Beschaffenheit des Haarkleides und Ango- 
rismus als „antagonistische" Merkmale in den Weg treten, so läßt sich 
vorläufig nur annehmen, daß bei den normalhaarigen Rassen ein regu- 
latonscher, das Haarwachstum in Anpassung an die Lebensbedingungen 
normierender Faktor vorliegt, der den Angorarassen fehlt. Welcher 
Art eben dieser Faktor im besonderen ist, darüber läßt sich zurzeit 
natürlich keine Ansicht aussprechen. 

Vom Boden der Faktorenhypothese aus sind nun nicht bloß die 
besonderen Zahlenverhältnisse (9 : 3 : 4 usw.) leicht zu ver- 
stehen, die man bei bestimmten Kreuzungen erhält 3 ), sondern auch 
das Auftreten der „Kreuzungsnova" (Tschermak), insbesondere 
das Wiedererscheinen „atavistischer" Merkmale findet eine be- 
friedigende Erklärung. 

Was zunächst die erwähnten Zahlenverhältnisse anbelangt, so 
wurde schon sehr bald zu ihrer Erklärung die Annahme gemacht, 
daß in diesen Fällen bei der Keimzellenbildung der F x -Bastarde ent- 
weder zusammengesetzte Charaktere (Compound allelomorphs 
nach Bateson) aufgespalten 4 ) oder von den sichtbar manifestierten 
Anlagen der beiden Stammformen latente Anlagen (kryptomere 
Charaktere nach Tschermak) abgespalten werden 5 ), die sich ein- 
zeln ebenso verhalten, wie jede andere den Mendel sehen Regeln 

l ) Ähnlich den „spezifischen Kisubstanzen" bei De läge und den „plastischen 
Substanzen" bei Le Dantcc. Vgl. Cuönot 1905. 

*) Vgl. Bateson. S. 267 (19W). Siehe auch oben S. 227. 
") Siebe oben S. 222. 

4 ) Vgl. Mendel 1865 (herausgegeben von Tschermak, Ostwalds Klass. 
d. ex. Wiss., Nr. 121. S. 34) , Bateson und Saunders. S. 142 (1902), Bateson 
1902, Castle und Allen l<»3, de Vrics, S. 196 (1903). 

*) Vgl. Cuenot 1904, Tschermak 1902, 1903. 1904- 



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208 



Relation 9:3:4- 



folgende Eigenschaft. Es werden also von den - Bastarden nicht 
bloß zweierlei, sondern eine größere Anzahl von Gametensorten ge- 
bildet, und in den folgenden Generationen kommen die verschiedenen 
isolierten Merkmale nach den für die dihybriden und polyhybriden 
Kreuzungen geltenden Regeln *) zum Vorschein. Indem sodann die 
Vorstellungen und die Bezeichnungsweise der Faktorenhypothese über- 
nommen wurden, ist man zu einer präzisen und befriedigenden For- 
mulierung dieser Ergebnisse gelangt. 

Einige einfachere Beispiele werden dies illustrieren. Werden 
wildgraue Kaninchen mit Albinos gekreuzt, so erhält man graue 
/^-Bastarde und in der /vGeneration normalerweise das Verhältnis 
3 Grau : 1 Albino. Nun kommen aber zuweilen in der F a -Generation 
neben den grauen und albinotischen Individuen auch schwarze vor. 
und zwar in folgendem Verhältnis: 



Das nämliche läßt sich bei Mäusen (Tafel lila) beobachten, und 
nach Cuenots ersten Darstellungen würde für ein derartiges Ver- 
halten folgende Erklärung zu geben sein 8 ). Es bestehen zwei Paare 
von Allelomorphen : 



Es werden also von jedem Geschlecht viererlei Gameten gebildet: 

CG<f CNcf AG <f ANcf — Cd $ C.V? AG $ AN $ 

und demnach 16 Gruppen von Zygoten. In diesen sind die vier 
Faktoren in neun verschiedenen Kombinationen enthalten, von welchen 
sechs (auf 12 Zygotengruppen verteilte) den Faktor C aufweisen, also 
gefärbte (graue oder schwarze) Individuen aus sich hervorgehen lassen, 
während bei drei Kombinationen (in 4 Zygotengruppen) jener Faktor 
fehlt. Wie leicht zu zeigen ist, kommt tatsächlich das oben erwähnte 
Zahlenverhältnis 9:3:4 zustande, wobei bemerkenswert ist, daß 
hinsichtlich der gametischen Zusammensetzung drei verschiedene 
Sorten von Albinos unterschieden werden können: AA.GG, AA.GN, 



') Vgl. oben S. 226. 

•) Vgl. Hurst 1005, sowie Batcson, S. 75 (1000). 

») Cuenol 1909. Dieser Arbeit sind die Tafeln Jlla und III b entnommen. 



9 graue : 3 schwarze : 4 Albinos J ). 



Dominant: 

1. Chromogen C 

2. Grau-Bcstimmcr G 



Rezessiv: 
Albinismus A 
Schwarz-Bcstimmcr X 
(im Albino enthalten). 



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• » 



. » . • • 
. • •• • 



i 



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Haecker, ^ererjjungsiehre Tafel lila. 

Zu S, 265. 209. 




K. Wtngerin del. Nach Cuonot. Friedr. Viaweg & Sohn, Bnunsch»r«ig. 

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• • - ■ ■ * •••• 

• •••••• • • . 

• •••»•••• 



Haecker. Vererbungslehre .•** : : :*•.*. ]afeHI|b v «. 

ccr \ / CND ' 





CßFCHD CGFCND 



A 

^a^. nnnnnn PUTPUT PCnPf.Il >^ 



CHFCNF — CGDCGD 



COFCßF CRFCNF CG 

^^tf^C GFCW 



K, Wangerin dal. N»ch Cu*not. Friadr. V.aweg & Sohn, Braun.chwe.g. 

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Auftreten von mehreren Kreuzungsnovitäten. 



269 



A A . NN. Bei weiterer Kreuzung kann dann die Verschiedenheit 
dieser Albinos tatsachlich zutage treten J ). 

In diesem Falle ist also ein vom Albino latent mitgeführtes Merk- 
mal durch die Kreuzung sichtbar geworden, und zwar dadurch, daß 
der betreffende positive Faktor mit einem anderen gleichfalls posi- 
tiven im Albino nicht enthaltenen, nämlich dem Chromogen C, zu- 
sammentraf. 

Das folgende, gleichfalls einer Arbeit Cuenots entnommene 
Beispiel zeigt, daß auch mehr als ein Kreuzungsnovum durch 
Kombination der in den Stammformen manifestierten und latenten 
Faktoren entstehen kann. Es sind dabei die Erbformeln Cuenots 
beibehalten worden, obwohl sie nicht mit der neueren oben erwähnten 
Interpretation und Bezeichnungsweise übereinstimmen (Tafel III b>). 

Nach Cuenot unterscheiden sich schokoladenfarbige Mäuse von 
den schwarzen dadurch, daß bei ersteren neben den Faktoren (' und 
N ein Auflösungsfaktor D (dilue) auftritt, während die schwarzen 
Mäuse einen Intensitätsfaktor F (fonce) enthalten. 

Nach Castle, Miss Durbam u. a. ist die Formel für die schwarzen Mäuse 
Cg N Ch (s. oben S. 266), wobei N epistatisch gegenüber Ch ist, die für schokoladen- 
farbige Mäuse lautet CgnCh. Es würde also der Cuenot sehe Faktor F dem 
Faktor Ch, der Cut 1 not sehe Faktor J) dem Faktor ch entsprechen. 

Wird nun eine graue Maus, welche den Faktor F enthält und 
also die Formel CGF besitzt, mit einer schokoladenfarbigen (CND) 
gekreuzt, so entstehen in der -F a -Generation neben grauen (4 Typen) und 
schokoladenfarbigen (1 Typus) zwei neue Farben, nämlich Schwarz 
und Golden -Aguti (cinnamon - agouti , brun dore), je in zwei Typen 
mit etwas verschiedenen Erbformeln (Tafel III b). Das Verhältnis 
lautet : Grau : Schwarz : Golden- Aguti : schokoladenfarben = 9 : 3 : 3 : 1 ')• 

Kreuzungsnova können auch durch Kombination eines positiven 
und eines negativen Faktors zustande kommen, so z. B. wenn eine 
rotblütige Rasse der großblumigen Wicke (Lathyrus) oder Levkoje 
(Matthiola) mit einer cremefarbigen gekreuzt wird 3 ). Die rote Blüten- 
farbe beruht, wie früher gezeigt wurde 4 ), auf einer Rotfarbung 
des Zellsaftes, in den gelben Rassen sind bei farblosem Zellsaft 
gelbe Chromoplasten vorhanden. Die F l - Bastarde sind rot, in der 

l ) Andere Darstellungen dieser Auflösungsprozesse linden sich beiTschermak 
1904 und Batcson, S. 77 (1909). 

*) Vgl. im übrigen die Arbeiten von Castle, Miss Durham und Plate. 
") Entnommen aus Bateson, S. 71 (1909). 
*) Siehe oben S. 2.3S. 



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270 



Atavistische Merkmale. 



F 3 -Generation erscheinen 9 rote, 3 rot-cremefarbene, 3 weiße und 1 creme- 
farbenes Individuum, wobei Rot-creme als Intermediärfarbe, Weiß als 
vollständiges Novum zutage tritt. Um das Zustandekommen dieses 
Zahlen Verhältnisses zu erklären, sind zwei Faktoren paare anzunehmen: 
roter Zellsaft S, farbloser Zellsaft (Abwesenheit der roten Farbe) s; 
farblose Chromoplasten (Anwesenheit eines dominierenden Faktors, 
der die normale Gelbfärbung der Chromoplasten unterdrückt) P — 
gelbe Chromoplasten (Abwesenheit dieses Faktors) p. Die ^-Gene- 
ration wird dann rote Zellfärbung und farblose Chromoplasten auf- 
weisen, in der ^-Generation dagegen werden nach den für die di- 
hybriden Kreuzungen geltenden Regeln folgende Verhältnisse gelten: 

9 rote Individuen 3 rot-cremefarbige 3 weiße Individuen 1 cremefarbiges 

(roter Saft, Individuen (farbloser Saft, Individuum 

farblose Körper) (roter Saft, gelbe farblose Körper) (farbloser Saft, 

Körper) gelbe Körper) 

Das Kreuzungsnovum „Weiß" ist also durch Kombination eines 
positiven und eines negativen Faktors entstanden. 

Sehr häufig treten bei Rassenkreuzungen dieser Art auf Grund 
einer Rekombination von zwei oder drei getrennt erblichen Faktoren 
atavistische Merkmale zutage. Es wurde bereits hervorgehoben, 
daß die Wild färbe der freilebenden Stammformen der Haussauge- 
tiere morphologisch betrachtet darauf beruht, daß die einzelnen Pig- 
mente, Schwarz, Braun und Gelb, am einzelnen Haar in einer ganz 
bestimmten Anordnung, nämlich in bestimmten Zonen (Pigmentringen 
oder -gürteln) auftreten, wodurch die verschiedenen Abstufungen von 
Graugelb, Graubraun, Rötlichgrau usw. entstehen, die man z. B. bei 
der Hausmaus, beim Schakal und Wolf, beim „mäusefarbigen" Wild- 
pferd beobachtet. 

Speziell bei den meerschweinchenartigen Nagern (Caviiden) 1 ) liegen 
der beim Paka (Coelogenys) und Aguti (Dasyprocta) vorkommenden 
Wildfarbe drei Pigmente zugrunde, welche im einzelnen Haar in be- 
stimmten Zonen verteilt sind: Schwarz (an der Haarspitze und Basis), 
Rotbraun (in einem Gürtel unterhalb der Spitze) und Gelb. Für das 
Auftreten dieser drei Pigmente sind die drei Faktoren N (Schwarz), 
Br (Braun) und Y (Gelb) *) verantwortlich zu machen, von welchen N 



') Vgl. Castle 1907, 1907a, 1907b, 1908. 

*) Wegen der Bezeichnung X siehe oben S. 265. Anm. 1. Die Bezeichnung Br 
könnte, ebenso wie Ch (Schokoladenbraun), internationale Gültigkeit haben (brown, 
brun, braun). Y — yellow entspricht der Bezeichnung J = jaune bei Cuenoi. 



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Rückschlag hei Meerschweinchen. 271 

epistatisch über Br und 1\ Br epistatisch über Y ist. Die Wild- 
farbe selbst wird durch das Hinzutreten eines weiteren Faktors A 
bedingt, der als Agutifaktor bezeichnet wird und dem Faktor 6? bei 
den Mäusen entspricht. 

Werden nun schwarze Meerschweinchen, welche N, Br und 
Y, aber kein A enthalten, also die Formel aNBrY besitzen, mit 
roten von der Zusammensetzung anBrY gekreuzt, so wird man in 
der i^-Generation schwarze Tiere von der Formel aNBrY (genauer: 
aaNn Br Br YY), in der F a -Generation das Zahlen Verhältnis 3 Schwarz 
: l Rot erhalten. Wenn aber die rote Stammform den Agutifaktor A 
mit sich führt, also die Formel AnBrY aufweist und zimtbraun 
erscheint, so ergeben sich bei der Kreuzung F x - Bastarde von der 
Formel ANBrY (genauer: Aa Nn Br Br Y Y) , d. h. es tritt als 
atavistisches Merkmal Wildfarbe auf. In der zweiten Gene- 
ration entsteht die Relation: 

9 Aguti : 3 Schwarz : 4 Rot 

Treffen in einer Zygote die Faktoren A, Br und Y zusammen, 
so entstehen Tiere, bei welchen die rote Farbe durch Anwesenheit 
des ^4-Faktors in ein eigentümliches Zimtbraun (cinnamon-agouti) um- 
gewandelt worden ist. Solche zimtbraunen Individuen finden sich 
z. B. bei der Kreuzung Wildgrau x Rot {ANBrY >' anBrY) in 
der JPg - Generation. Die F x - Bastarde sind in diesem Falle natürlich 
wildgrau {Aa . Nn . Br Br . YY). Jeder von ihnen bildet viererlei 
Keimzellen, nämlich: l. ANBrY, 2. AnBrY, 3. aNBrY, 4. anBrY, 
und es ist leicht zu sehen, daß in der F t - Generation viererlei Indi- 
viduen, nämlich wildgraue, schwarze, zimtfarbige und rote im Ver- 
hältnis 9:3:3.1 entstehen müssen J ). 

Ein besonders schönes Beispiel für die Entstehung von Rück- 
schlägen und für die Anwendbarkeit der Faktorenhypothese haben 
"Bateson und Punnett 3 ) mitgeteilt. Werden von der großblumigen 
Wicke (Lathyrus odoratus) zwei weiße Rassen, von denen die eine 
lange Pollenkörner, die andere rundliche besitzt, miteinander gekreuzt, 
so sind die Individuen der F x -Generation purpurn, gleich der in 
Sizilien vorkommenden wilden Stammform, und in der zweiten Gene- 
ration wird das Zahlenverhältnis 27 Purpurn: 9 Rot: 28 Weiß erhalten. 



') Castle 1907. 
*) Castle 1908. 

*) Vgl. S.85 (1905), sowie Batcson, S. «9 (1909). 



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272 



Rückschlag bei Lathyrus. 



Diese Resultate finden ihre Erklärung, wenn man annimmt, daß 
für das Zustandekommen der Rot- und Purpurfärbung das Zusammen- 
treffen von zwei bzw. drei getrennt übertragbaren Faktoren notwendig 
ist: Rot entsteht durch die Kombination eines farbenbildenden Fak- 
tors C und eines komplementären, rotbildenden Faktors R, die Pur- 
purfarbe kommt zustande, wenn ein blaubildender Faktor B hinzu- 
tritt. Es bestehen also Faktorenpaare Cc, Rr, Bb. 

Nun enthält offenbar die eine der beiden weißen Stammformen 
den Faktor C und außerdem den Faktor B, die andere den Faktor R. 
Es werden also gekreuzt: CrB (Weiß mit langen Pollen) x cRb 
(Weiß mit runden Pollen). Die JFi - Generation CcRrBb ist purpurn, 
in der F. 2 - Generation erscheinen 27 purpurne Individuen (CRB), 
9 rote(fiiA) und 28 weiße von sehr verschiedener Zusammensetzung, 
jedoch niemals mit der Kombination CR. In der purpurnen und 
roten Klasse können übrigens verschiedene, durch besondere Faktoren 
bedingte Unterklassen auftreten, welche durch verschiedene Farben- 
intensität und zum Teil durch verschiedene Färbung von „Fahne" 
und „Flügeln" charakterisiert sind 1 ). 

Die fortschreitende Analyse der Faktoren führt bei jeder neuen 
Untersuchung zu überraschenden, die weitesten Perspektiven er- 
öffnenden Ergebnissen. Am weitesten ist man in dieser Hinsicht bei 
einigen Pflanzen vorgedrungen. So sind beim Löwenmaul, Antirhinum 
majus, vorläufig neun verschiedene positive Faktoren oder Erbein- 
heiten, welche beim Zustandekommen der verschiedenen Blütenfarben 
beteiligt sind, nachgewiesen worden, im ganzen ist aber anzunehmen, 
daß die außerordentliche Mannigfaltigkeit der Blütenfarbe von Anti- 
rhinum majus auf etwa zwanzig Erbeinheiten zurückzuführen 
sein wird 2 ). 

Von großer Bedeutung sind auch neue Befunde von Nilsson- 
Ehle 3 ), welcher zeigen konnte, daß ein und dasselbe äußere Merkmal 
bei derselben Pflanze durch verschiedene Faktoren bedingt sein kann. 
Nilsso n-Ehle fand bei der Kreuzung einer schwarzkörnigen und 
einer weißkörnigen Halersorte, daß die F,- Bastarde schwarzkörnig 
waren und daß in der ^-Generation das merkwürdige Zahlenverhältnis 
15 Schwarz : 1 Weiß auftrat. Offenbar liegt hier in verkappter Form 
das für dihybride Kreuzungen gültige Zahlenverhältnis 9:3:3:1 

') Vgl. Bateson 1909, Taf. 3. 

*) Vgl. Baur 1908, 1910, sowie Wheldale 1910. 

") Nilsson-Ehle 1008. 



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Ergebnisse von Nilsson-Ehle. 



273 



vor, und man darf also annehmen, daß beim Hafer die Schwarzkörnig- 
keit durch zwei verschiedene Faktoren für Schwarz, welche einzeln 
oder zusammen wirksam sein können, bedingt ist. Werden diese A 
und Ii genannt, so liegt die Kreuzung AB x ab vor. Die Fj-Indi- 
viduen haben die Erbformel AaBb, und in der F a -Generation treten 
in der bekannten Weise 10 verschiedene Kombinationen auf, welche 
das Ergebnis 15 : 1 zustande kommen lassen. Auf experimentellem 
Wege, durch separate Aussaat der Samen der einzelnen J^- Pflanzen 
konnte die Richtigkeit der Annahme erwiesen werden. 

East 1 ), welcher bei Maiskreuzungen zu ganz ähnlichen Resul- 
taten gelangt ist, hat darauf hingewiesen, daß auf Grund dieser Be- 
obachtungen und Deutungen die Vorstellung der Erbeinheiten (unit- 
characters) als „unwiderruflich fixierter Einheiten" voraussichtlich 
eine allmähliche Umwandlung erfahren werde. 



Literaturverzeichnis zu Kapitel 26. 

Bateson, W., Note on the resolut ion of Compound characters bj cross-breeding. Proc. 

Cambr. Phil. Soc. 1902. 
— , Address to tbe Zool. Sect. Brit. Assor. Advanc. Sei. Cambr. 1904. 
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Baur, E., Einige Ergebnisse der experimentellen Vererbungslehre. Bcih. d. Mcdiz. 

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— , On a case of reversion etc., Sei., N. S., Vol. 25. 1907 (1907 a). 
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Correns, C, Über Bastardierungsversuche mit Mirabilis- Sippen. Ber. D. Bot. Ges., 
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C u e n o t , L., L'Hcr6dit6 de la pigmentation chez les souris (3 m « Note). Arch. zool. 

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') East 1910. 

Ha eck er, Vererbungslehre. jg 



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274 



Literaturverzeichnis 26. 



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Durham, F. M., A Prelirainary Account of the Inberitance of Coat-Colour in Micc. 

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East, E. M., A Mcndclian Interpretation of Variation that is apparentty continuous. 

Am. Natuxe. Vol. 44, 1910. 
Hurst, C. C, Exp. Studies 011 Heredity in Rabbits. Linn. Soc. J. Zool., Vol. 29. 

1905. 

Lang, A., Referat über Castle 1909. Zeitschr. Ind. Abst.. 4. Bd., 1910. 
Nilsson-Eble, H. , Einige Ergebnisse von Kreuzungen bei Hafer und Weizen. 

Botaniska Notiser 1908. 
Plate, L., Die Erbformeln der Farbenrassen von Mus musculus. Zool. Anz., 

3S- Bd., 1910. 

Punnett, R. C, Mendelism. 2. Edit. Cambr. 1907. 

Tschermak, E., Übcr-tiie ercsetzmäßige Gestaltungsweise der Mischlinge. Zeitschr. 

f. landw. Versuchs»', i. Östcrr. 1902. 
— , Die Theorie der Kryptomerie und des Kryptohybridismus. Bcih. Bot. Centralbl., 

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— , Weitere Kreuzungsstudien an Erbsen, Levkojen und Bohnen. Zeitschr. f. landw. 

Versuchsw. i. Österr. 1904. 
Vries, H. de, Die Mutationstheorie, 2. Bd., Leipzig 1903. 

Wheldale, M., Die Vererbung der Blüten färbe bei Antirrhinum majus. Zeitschr. 
Ind. Abst., 3. Bd., 1910. 



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Siebenundzwanzigstes Kapitel. 
Theoretische Tragweite der Mendel sehen Lehre. 

Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß durch die Entdeckungen 
Mendels und seiner Nachfolger fast alle Probleme der Vererbungs-, 
Variations- und Artbildungslehre mehr oder weniger stark berührt 
werden, und daß neben den Anregungen, die im verflossenen Jahrzehnt 
von den gleich zu besprechenden Arbeiten von de Vries und Jo- 
hannsen, von Tower und Kammerer ausgegangen sind, die ge- 
samteTheoriederEvolution hau ptsächlich von der Mendelforschung 
neue Impulse empfangen hat. Es soll im folgenden die theoretische 
Bedeutung der alternativen Vererbung nach verschiedenen Richtungen 
hin erörtert werden. Da aber auf diesem jungen Arbeitsfeld, ebenso 
wie auf den Nachbargebieten, fast ununterbrochen neue und teilweise 
überraschende Tatsachen zutage gefördert werden, so sind auch die 
Meinungen zurzeit noch im vollen Fluß begriffen und es kann sich 
also hier nur darum handeln, in kurzen Zügen eine Übersicht über 
die neuen Gedankenverbindungen und Fragestellungen zu geben. 

a) Hauptergebnis der Mendelforschung. 

Das theoretisch bedeutsamste Ergebnis der Mendelforschung ist 
die Feststellung von selbständig erblichen (spaltbaren), in der 
großen Mehrzahl der Fälle diskontinuierlichen Erbeinheiten und 
die immer klarer werdende Erkenntnis, daß diese Erbeinheiten sich 
wenigstens in vielen Fällen nicht unmittelbar in den äußerlich 
sichtbaren Merkmalen zu erkennen geben, sondern durch un- 
sichtbare Elementareigenschaften, Anlagen oder Faktoren 
repräsentiert werden. In manchen Fällen liegt eine einzige Erb- 
einheit der einzelnen äußeren Eigenschaft zugrunde, und die Ver- 
bindungen, welche die erstere von Generation zu Generation mit 
anderen Erbeinheiten eingeht oder löst, wird durch den Vererbungs- 
gang der äußeren Eigenschaft direkt widergespiegelt, ein anderes Mal 

18* 



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276 



Mutationstheorie. 



dagegen müssen mehrere Erbeinheiten zusammentreffen, um ein 
äußeres Merkmal zur Entfaltung zu bringen, und ihre Spaltung bei der 
Gametenbildung wird in der folgenden Generation den Schwund des 
betreffenden „zusammengesetzten Charakters* herbeiführen. Wieder 
in anderen Fällen kann die einzelne Erbeinheit je nach den Lebens- 
bedingungen in verschiedenen äußeren Merkmalen zum Ausdruck 
kommen, so wenn z. B. bei Primula sinensis eine bestimmte Reaktions- 
fähigkeit als Erbeinheit nachgewiesen werden kann, kraft deren sie 
bei niedriger Temperatur rote, bei höherer Temperatur weiße Blüten 
bildet»). Endlich kann auch der Fall eintreten, daß ein und dasselbe 
äußere Merkmal das eine Mal durch die eine, das andere Mal durch 
die andere Elementareigenschaft bedingt ist, wie dies z. B. für die 
schwarze Kornfarbe gewisser Hafer- und die rote Kornfarbe mancher 
Weizensorten gilt 8 ). 

b) Beziehung zur Mutationstheorie. 

Sowohl in der Hervorhebung der Elementareigenschaften als 
der eigentlichen Angriffsobjekte der Vererbungsforschung, als auch in 
der starken Betonung der Bedeutung, welche die diskontinuierlichen 
Merkmale für die Rassenlehre haben, zeigt sich eine außerordentlich 
nahe Berührung der Mendelforschung mit der Mutationstheorie 
von H. de Vries. Hat doch H. de Vries schon in seiner „Intra- 
cellularen Pangenesis" und ebenso in der „Mutationstheorie" den Ge- 
danken vertreten, daß die Eigenschaften der Organismen aus scharf 
voneinander unterschiedenen Einheiten aufgebaut sind, und aus 
den Ergebnissen der Bastardforschung hatte er weiterhin den Schluß 
gezogen, daß nicht die äußerlichen, der Wahrnehmung bequem zu- 
gänglichen Merkmale für den Ausfall der Kreuzungsprodukte ent- 
scheidend sind, sondern die innerlichen, weit schwieriger zu er- 
forschenden Elementareigenschaften, deren Äußerungen die Merk- 
male sind 3 ). 

Ebenso wie nach den Ergebnissen der Mendelforschung, so hat 
man sich also auch nach den Anschauungen von de Vries zu denken, 
daß das Artbild aus einer Summe von erblichen Elementareigen- 
schaften zusammengesetzt ist, welche in der Regel einer ganzen An- 
zahl von Spezies gemeinsam sind und bei den einzelnen Arten in der 

') Vgl. Haur, S. 285 (1908). 

*) Vgl. Xilsson-Ehle, Literaturverzeichnis 26. 

") Vgl. Mutationstheorie. I. S. 3, II, S. 442 u. a. a. O. 



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*Transvcrsionen. 



277 



verschiedensten Weise kombiniert sind. Diese Eleraentareigenschaften 
können für uns in Gestalt der äußeren Merkmale zum Vorschein 
kommen. 

Was die Zahl der Elementareigenschaften anbelangt, aus welcher 
sich die einzelnen Artbilder zusammensetzen, so braucht diese nach 
de Vries keine außerordentlich große zu sein, sieht man doch die 
nämlichen Merkmale bei sehr verschiedenen Organismen wiederkehren. 
Immerhin glaubt de Vries, daß für die einzelne Pflanze einige Tausende 
von Elementareigenschaften anzunehmen sind. Die Analyse der 
Mendelphänomene hat uns vor der Hand nur mit einer verhältnismäßig 
geringen Anzahl von Elementareigenschaften bekannt gemacht, für 
die Beurteilung ihrer Zahl ist aber bedeutsam, daß für das Zustande- 
kommen zahlreicher äußerer Merkmale zwei, drei und wohl auch mehr 
„Faktoren" oder Elementareigenschaften nötig sind, und daß ins- 
besondere bei „unvollständiger Dominanz" die verschiedenen inter- 
mediären Stadien, welche die iV Bastarde zeigen, auf dem Zusammen- 
wirken einer größeren Anzahl von Faktoren beruhen können 1 ). 

Für die Kenntnis der Elementareigenschaften und ihrer Verbreitung 
bei den einzelnen Organismen dürften auch die von mir als Trans- 
versionen (Überschläge) 3 ) bezeichneten Vorkommnisse von einiger 
Bedeutung sein. Es handelt sich hier darum, daß nicht selten 
einzelne scharf umgrenzte Charaktere, welche normalerweise 
zum Merkmalskomplex einer Spezies gehören, bei einer anderen, mehr 
oder weniger entfernten Spezies in aberrativer Weise auftreten, es 
liegt also ein Sichtbarwerden von normalerweise latenten Elementar- 
eigenschaften unter bestimmten abnormen Bedingungen (z. B. bei Weg- 
fall eines epistatischen Faktors) vor. Als Beispiele seien, abgesehen 
von gewissen Zeichnungsabänderungen bei den früher erwähnten 
Temperaturaberrationen der Schmetterlinge 8 ), die abnormerweise bei 
Tauben vorkommenden Schwimmhäute und der bei verschiedenen 
Vögeln als Speziesmerkmal, bei anderen nur ganz gelegentlich auf- 
tretende weiße Halsring erwähnt. Es weisen derartige Trans- 
versionen, die, soweit bekannt, dem alternativen Vererbungsmodus 
folgen, darauf hin, daß in den einzelnen Artbildern zahlreiche nor- 
malerweise nicht zum Vorschein kommende Elementareigenschaften 
stecken, wie denn auch Klebs auf Grund experimenteller Unter- 

') Vgl. Laug, S. 18 (1910). 

*> Haccker 1909. 

•) Vgl. Kap. 17, S. 171. 



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278 



Bedeutung der diskontinuierlichen Abänderungen. 



suchungen an Pflanzen zu dem Ergebnis gelangt ist, „daß die in der 
freien Natur vorhandenen Entwickelungsformen einer Spezies nicht 
den gesamten Umfang der in ihrer Struktur liegenden Entwickelungs- 
möglichkeiten ausmachen". 

Die Schwimmhäute der Tauben sind rezessiv gegenüber dem normalen Ver- 
halten (Staples-Browne). Der weiße Halsring des Phasianus torquatus erweist 
sich, wie mir Herr Prof. A. Ghigi mitzuteilen die Freundlichkeit hatte, bei Kreu- 
zungen mit Ph. colchicus als ein dominierendes Merkmal. Für die Analyse der 
Entstehungsweise gerade dieses Merkmals besitzen wir insofern einen Anhaltspunkt, 
als bei der Kreuzung von einfarbigen und holländischen (scheckigen) Kaninchen die 
heterozygoten F\- Bastarde die Andeutung eines weißen Kragens zeigen (Bateson, 
S.84. 1909). 

Wie oben angedeutet wurde, besteht noch eine weitere wichtige Be- 
rührung zwischen der Mendelforschung und der Mutationslehre- Ebenso 
wie nämlich durch Mendel die ausgesprochen diskontinuierlichen 
Merkmale und ihre Bedeutung für die Rassenbildung in den Vorder- 
grund der Betrachtung gerückt worden sind, so nimmt auch deVries, 
wie schon vor ihm Bateson (1894) an, daß die Bildung neuer 
Varietäten und Arten nicht, wie sich Darwin und Weismann vor- 
gestellt haben, im wesentlichen auf der kontinuierlichen oder 
fluktuierenden (individuellen) Variabilität, auf einer allmählichen 
Steigerung kleiner individuellerAbänderungen oder Fluktuationen, 
sondern auf Sprung- oder stoßweise vor sich gehenden Prozessen, 
durch welche in der Regel größere diskontinuierliche Ab- 
änderungen, sogenannte Mutationen, geschaffen werden, beruhen. 

Es wird später nochmals von der vererbungstheoretischen Bedeutung 
dieser beiden Formen der Variabilität die Rede sein, hier soll nur noch 
auf die große Verwirrung hingewiesen werden, welche auf diesem Ge- 
biete in terminologischer Hinsicht besteht. Es werden namentlich 
unter dem Begriffe der kontinuierlichen oder fluktuierenden Variabilität 
sehr verschiedene Dinge verstanden, namentlich deshalb, weil man 
in der Definition in der Regel auch die von Fall zu Fall experi- 
mentell festzustellenden Erblichkeitsverhältnisse und ursächlichen 
Faktoren einzuschließen bemüht ist >). Es empfiehlt sich aber vielleicht, 
zwischen der kontinuierlichen und diskontinuierlichen Variabilität, 
also zwischen Fluktuationen und Mutationen, zunächst nur eine rein 
quantitative Unterscheidung zu machen: Die Fluktuationen sind 

') So zeigt Plate, S. 71 ff., 286 (190H), daß Darwin unter Fluktuationen 
erbliche, ricbtungslose, individuelle Schwankungen verstand, während de Vries und 
neuerdings auch Johann sen damit die nichtei blichen Schwankungen um den 
Typus meinen. 



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Terminologisches. 



279 



danach geringfügige, nur kleine, vom Typus und untereinander ab- 
weichende Variationen (Differentiale im mathematischen Sinne); die 
retrogressiven und degressiven Mutationen de Vries' (Partial- 
mutationen nach meiner, Sprungblasto Variationen nach Plates Ter- 
minologie) sind rückschreitende oder neu wieder auftauchende Ab- 
änderungen eines oder einiger weniger Merkmale von beträchtlichem 
Ausschlag, also von stoß- oder sprungweisem Charakter, während unter 
progressiven Mutationen vom Oenothera-Typus (Total- 
mutationen nach meiner, Mutationen sens. strict. nach Plates Be- 
zeichnungsweise) sprungweise Änderungen des ganzen Habitus zu 
verstehen sind. 

Es würde dann ferner von Fall zu Fall nachzuweisen sein, ob 
die Abänderungen der verschiedenen Kategorien erbliche Varia- 
tionen von zunächst internem Ursprung sind, welche durch 
Veränderung der Vererbungssubstanz ohne unmittelbare Beeinflussung 
durch bestimmte äußere Faktoren hervorgerufen werden (blastogene 
oder Keimesvariationen im ursprünglichen Sinne Weismanns), 
oder ob es sich um erbliche Abänderungen exogenen Ursprungs han- 
delt, die unter der Wirkung der Lebensbedingungen durch parallele 
Induktion von Sorna und Geschlechtszellen 1 ) ihre Entstehung nehmen 
(erbliche Modifikationen, cxoblastogene [somatoblastogenel 
Variationen), oder ob nichterbliche, durch äußere Faktoren bewirkte 
Abänderungen des Sornas (somatogene Variationen nach Weis- 
mann, Somationen nach Plate) vorliegen. 

IL de Vries nimmt an, daß die Fluktuationen exogenen Ursprungs 
und nichterblich, die Mutationen dagegen blastogenen Ursprungs und 
erblich sind. Neuere, später zu besprechende Untersuchungen haben 
aber gezeigt, daß diese Unterscheidung nicht festzuhalten ist. 

c) Beziehungen zur Biotypenlehre Johannsens. 

Wie mit der Mutationstheorie, so stehen die neugewonnenen An- 
schauungen auch mit der Lehre Johannsens von den Populationen 
und reinen Linien in engstem Zusammenhang. Nach Johannsen 
stellt eine Population, d. h. die Bevölkerung eines Landes oder der 
Bestand an Tieren bzw. Pflanzen einer gegebenen Art oder Rasse an 
einer bestimmten Örtlichkeit, in vielen Fällen nicht eine Einheit dar, 
sondern bildet eine Mischung von verschiedenen selbständigen, festen 

•) Siehe Kap. 17. S. 164. 



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280 



Phänotypus und Biotypen. 



Typen, den reinen Linien oder Biotypen, und ist dann als Schein- 
typus oder Phänotypus zu bezeichnen. Wenn man einen solchen 
Bestand in bezug auf ein einzelnes Merkmal variationsstatistisch unter- 
sucht, d. h. wenn man z. B. das Samengewicht oder die relative Breite 
von Bohnen, die „Schartigkeit" ') der Gerste, von Individuum zu 
Individuum mißt und die einzelnen Längen, Gewichtsklassen usw. als 
Abszissen, die Zahl der zu jeder Klasse gehörenden Individuen als 
Ordinaten aufträgt, so erhält man, wenn die oberen Enden der Or- 
dinaten verbunden werden, ein Häufigkeits- oder Variations- 
polygon (Fig. 104), oder eine Galtonsche Kurve, welche im all- 



Fig. 104. 




150 200 250 300 350 1 400 450 500 650 600 650 



368,4 

Variationspolygon für das Samcngcwicbt einer Bohne. Nach Johannsen. 

gemeinen symmetrisch ist und so unmittelbar zum Ausdruck bringt, 
daß die mittleren Klassen durch die größte, die extremen durch die 
kleinste Zahl von Individuen vertreten zu sein pflegen (Quetelet- 
sches Gesetz) 8 ). 

In Fig. 104 ist nach Johannsen die Variation des Sainengewicbts von 606 
Bohnen dargestellt, welche die Ernte einer Saat von 25 Bohnen bildeten, die ihrerseits 
die kleinsten Individuen einer Partie von braunen „Prinzeßbobnen" repräsentierten. 
Es wurden in der Ernte 12 Gewichtsklassen (15« bis 200, 200 bis 250 usw. Milligramm) 

') Unter Scbartigkeit der Gerste versteht man die Erscheinung, daß bisweilen 
eine Anzahl der jungen Fruchtknoten sich nicht zu Körnern entwickelt und daß daher 
leere Stellen in der reifen Ähre entstehen. 

*) Variationskurven einfachster Art erhält man z. B. bei einzelnen durch 
variable Stachelzahl ausgezeichneten Radiolarien. Vgl. Rad. Var. u. Artb.. S. 4. 



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Phänotypus und Biotypen. 



281 



unterschieden und diese Klassen als Abszissen aufgetragen. Die Areale der Recht- 
ecke entsprechen der in der betreffenden Klasse gefundenen Individuenzahl. 

Beim ersten Anblick des Variationspolygons erscheinen derartige 
Populationen oder Phänotypen als Einheiten, wenn man aber nach dem 
zuerst von Louis Leveque de Vilmorin aulgestellten Isolations- 
prinzip (Prinzip der individuellen Nachkommenbeurteilung) 
die Nachkommen der einzelnen Mutterpflanzen separat untersucht und 
unter fortgesetzter Selbstbefruchtung „reine Linien" zieht, so wird sich in 
vielen Fällen der Nachweis führen lassen, daß ei ne; scheinbar einheitliche 



General- und Spczialkurven für Phänotypus und Biotypen. Frei nach Lang. 

Population oder ein Phänotypus in Wirklichkeit ein Gemenge von 
mehreren eigentlichen Einheiten, den Biotypen (Elementararten), dar- 
stellt, von denen jede, abgesehen von „fluktuierenden", um den Mittel- 
wert schwankenden Varianten, sich bei Selbstbestäubung konstant von 
Generation zu Generation forterhält. Die äußeren Eigenschaften dieser 
Biotypen sind nach Johannsen durch besondere, trennbare und somit 
selbständige, in den Gameten enthaltene „Zustände", „Grundlagen". 
„Anlagen", durch die Gene, bestimmt; die Gesamtheit der Gene bildet 
die genotypische Grundlage des Biotypus. 

In dem oben angeführten Beispiele (Fig. 104) scheint die Nachkommenschaft 
der kleinen Bohnen beim ersten Anblick des Variationspolygons ebenfalls einen ein- 
heitlichen Typns zu repräsentieren. In Wirklichkeit besteht aber dieser Phänotypus, 
obwohl die Muttersamen alle gleich groß waren, aus nicht weniger als 10 Biotypen 
oder reinen Linien, von welchen 5, 7, 6 und 1 bzw. in die Größenklassen 300 bi$ 350, 



Fig. 103. 




71 



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282 



Phänotypus und Biotypen. 



350 bis 400, 400 bis 450 und 500 bis 550 fallen. Unter den ausgewählten kleinen 
Muttersamen befanden sich also verhältnismäßig viele, welche tatsächlich zu klein- 
samigen Typen (unter 3SOmg), und nur ein einziger, welcher zu einem großsamigen 
Typus (über 450 mg) gehörte. 

In Fig. 105 ist zur Veranschaulichung des Verhältnisses zwischen der Gesamt- 
variation des Pbänotypus und den „fluktuierenden" Variationen der einzelnen Biotypen 
in vereinfachter Form ein von A. Lang gegebenes Schema dargestellt. Ähnlich wie 




206 200 194 176 142 125 100 45 




260 80 

Phänotypus (A) und ein einzelner Biotypus (B) bei Paramaecium. 

Nach Jcnnings. 



im vorigen Schema (Fig. 104) sind auf der Abszisse die Längenklassen der Individuen 
des Pbänotypus angegeben, während die (nur zum Teil gezeichneten) Ordinaten die 
Zahl der zu jeder Längenklasse gehörigen Individuen darstellen. In die Gcneral- 
kurve des Phänotypus sind die Spezialkurven der einzelnen, durch Vererbungs- 
versuchc ermittelten Biotypen eingezeichnet. Für die Zeichnung hat sich die Größe 
und Form der Spezialkurven aus der Überlegung ergeben, daß für jeden einzelnen 
Punkt der Abszisse (z. B. 61,4 oder 65,4) die Ordinale der Gcneralkurve gleich der 
Summe der Ordinaten der Spezialkurven sein muß. 



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Faktoren und Determinanten. 



283 



Inwieweit Selektion das Bild einer Population beeinflussen kann, 
soll weiter unten berührt werden. Hier sei nur hervorgehoben, daß 
zu ähnlichen Vorstellungen auch schon Iljalmar Nilsson an der 
schwedischen Saatzuchtanstalt von Svalöf gelangt war 1 ), und daß 
später Elise Hanel bei Hydra (Tentakelzahl). Jennings bei Para- 
raaecium (Körpergröße), Woltereck bei Cladoceren (Kopf höhe usw.) 
die Ergebnisse Johannsens im wesentlichen bestätigen konnten. 

Die Fig. 106 A zeigt nach Jennings die relativen mittleren Längen von acht 
verschiedenen Biotypen einer Paramaecium-Kultur (die wirklichen mittleren Langen 
sind unter den Umrissen in Mikromilliraetcrn angegeben). In Fig. 106 B ist der 
Biotypus D der Fig. 106 A mit seinen zwischen Sound 250 Mikromillimetern liegenden 
Fluktuationen dargestellt. 

Daß zwischen diesen Ergebnissen und denjenigen der Mendel- 
forschung bezüglich der Annahme von selbständigen Erbeinheiten 
eine vollständige Übereinstimmung besteht, braucht nicht näher aus- 
geführt zu werden. 

d) Beziehungen zu der Determinantenlehre. 

Was das Verhältnis zu den morphobiologischen Vererbungs- und 
Artbildungstheorien anbelangt, so ist ohne weiteres ersichtlich, daß 
die Feststellung zahlreicher selbständig sich vererbender Merkmale der 
Determinantcnlehre oder Korpuskularhypothesc Weismanns 
in gewissem Sinne entgegenkommt 2 ). Die Determinanten Weismanns 
würden in der Tat eine Art von morphologischem Gegenstück zu 
den als Einheiten von mehr physiologischem Charakter gedachten 
„Faktoren" bilden, wofern sie wirklich als materielle Teilchen im 
Sinne Weismanns aufgefaßt werden. Neuerdings hat Castle») eine 
Brücke zwischen beiden Vorstellungsweisen hergestellt, indem er sich, 
ausgehend von den Färbungs- und Zeichnungsrassen der Kaninchen, 
die in der Keimzelle enthaltenen Faktoren in analoger Weise ketten- 
artig verbunden denkt, wie etwa die Determinanten im Id. Er stellt 
demgemäß Erbformeln auf, ähnlich den chemischen Formeln, durch 
welche die Anordnung und Verkettung der Atome im Molekül zum 
Ausdruck gebracht werden soll. Die Formel für die genotypische 



l ) Vgl. Johannsen, S. 6 (igoj). S. 162 (1909). Vgl. auch Barbers Unter- 
suchungen an Bakterien. 

*) Vgl. auch Thomson. S. 369. 

8 ) Castle 1910. Vgl. auch Längs Ref. 1010. 



4 



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284 



Kaktoren und Determinanten. 



Konstitution des homozygoten wildgrauen Kaninchens würde danach 
lauten : 

oder besser (nach Lang): 

Uü 

aa—cc—yy( BB \ee. 

JJ 

In dieser besonderen Zusammenstellung der Indices für die ein- 
zelnen Faktoren stellt der Faktor (\ der ganz allgemein die Bildung 
einer chromogenen Substanz bedingt, eine Art von Kern dar, mit 
dem alle anderen Faktoren direkt oder indirekt verbunden sind. Es 
soll dadurch zum Ausdruck kommen, daß ohne die Anwesenheit dieses 
Faktors C überhaupt keine Farbe zur Entwickelung kommen kann. 
Die übrigen Faktoren sind: A (Aguti-Faktor)»), U (Uniformitätsfaktor, 
bewirkt die gleichmäßige Verteilung des Pigments, also Einfarbigkeit) 2 ), 
./ (Intensitätsfaktor, bewirkt starke, dichte Pigmentbildung) 3 ), Y (Faktor 
für Gelb), Br (Faktor für Braun), B (Faktor für Schwarz)«) sowie ein 
Faktor E (extension factor, bewirkt gleichmäßige Verteilung des 
braunen und schwarzen Pigments über die mit gelbem Pigment ver- 
sehenen Körperpartien) 6 ). Die Formel bringt durch die Stellung der 
Indices im besonderen noch zum Ausdruck, daß B und Br bei den 
Kaninchen nur zur Geltung kommen, wenn schon F vorhanden ist, und 
ferner, daß E nur auf B und Br einwirkt. 

Für ein komplett homozygotes einfarbig schwarzes Tier, bei 
welchem der epistatische Aguti-Faktor fehlt, würde die Erbformel (in 
der von Lang vorgeschlagenen Verbesserung) lauten: 

Uü 

| , BB. 

aa—CC—YY( >EE usw. 
| ^BrBr' 
JJ 

') Siehe oben S. 2~i. 

*) Siehe oben S. 260. Bei seinem Fehlen tritt Scheckzeichnung auf. 
3 ) Siehe oben S. 266. 260. Bei seinem Fehlen tritt Auflockerung (Dilution) des 
Pigments, also Blau- oder Cremefarbung, ein, 
*) — N bei Cu£not. Siehe oben S. 265. 

% ) Seine Abwesenheit bewirkt Beschränkung von Braun und Schwarz auf Augen 
und Extremitäten. 



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Mendelforschung und Seleklionstheorie. 



285 



e) Beziehungen zur Selektionstheorie. 

Sehr umstritten ist noch die Frage, inwieweit durch die neuen 
Ergebnisse die Grundlagen der Selektionstheorie Darwins berührt 
werden. In dieser Richtung können hier nur einige Andeutungen 
gegeben werden. Beim ersten Bekanntwerden der neuen Tatsachen 
wurde hauptsächlich die Größe der Variation ohne Rücksicht auf 
ihr Zustandekommen betont und die Frage erörtert, ob als Angriffs- 
punkte für die natürliche Zuchtwahl nur sprungweise Variationen, 
sei es Mutationen des ganzen Habitus vom Oenothera-Typus, sei es 
stoßweise, durch diskontinuierliche Abänderungen einzelner Merkmale 
entstandene Aberrationen (Partialmutationen), in Betracht kommen, 
oder ob auch eine allmähliche (gleitende), erbliche und daher von 
Generation zu Generation um kleine Differentiale fortschreitende 
Variabilität, also im wesentlichen das, was schon Darwin als in- 
dividuelle fluktuierende Variabilität bezeichnet hat, das Material für 
die Selektion darbietet. Die Antwort lautete verschieden: während 
de Vries nur die erstere Möglichkeit annahm, wurde namentlich von 
Weismann hervorgehoben, daß so komplizierte Anpassungen, wie es 
die Zeichnung der Blattschmetterlinge, die Augen der Tiefseefische 
sind, unmöglich bloß durch Häufung und Steigerung von vereinzelt 
vorkommenden und richtungslosen sprungweisen Mutationen ent- 
standen sein können. Auch haben Weismann u.a. auf die Existenz 
sogenannter morphologisch - geographischer Formenketten 1 ) 
hingewiesen. Solche liegen dann vor, wenn die in benachbarten Ge- 
bieten vorkommenden Lokalformen kontinuierlich ineinander über- 
gehen, und die nächstliegende Erklärung ist offenbar die, daß sie auf 
dem Wege einer kontinuierlichen Entwickelung unter fortgesetzter 
Wirkung der Selektion zustande kommen. Formenketten dieser Art 
haben die Gebrüder Sarasin und Plate für die Landschnecken von 
Celebes und von den Bahamas, ich selbst für die Radiolarien nach- 
gewiesen, und Davenport zitiert in diesem Zusammenhang den nord- 
amerikanischen Singsperling (Melospiza), von welchem westlich der 
Rocky Mountains nicht weniger als 16 Subspezies oder klimatische 
Variationen unterschieden werden»). 



*) Vgl. Weismann, Vorträge II. S. 251 ; Plate 1907; Haecker, Tiefsee-Rad.. 
S. 660; Rad. Var. n. Artb., S. 15. 

*) Nach einer Zusammenstellung im Amer. Mus. of Nat. Hist. in New York. 



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286 Übergänge zwischen Fluktuationen und Mutationen. Variabilität bei Radiolai ien. 

Nun läßt sich aber die Gegenüberstellung von sprungweisen und 
kontinuierlichen Variationen nur schwer durchführen, schon deshalb, 
weil auch solche Variationen, welche im übrigen durchaus den Charakter 
und das Verhalten de Vries scher Mutationen haben, in ihrer äußeren 
Erscheinung keineswegs besonders beträchtlich zu sein brauchen und 
daher vielfach kaum von den fluktuierenden Abänderungen Darwins 
zu unterscheiden sind. Überdies kann durch das Zusammenwirken 
mehrerer selbständiger diskontinuierlicher Faktoren sehr leicht das 
äußere Bild gleitender Übergänge zustande kommen, wie dies 
Lang bezüglich der gleich zu besprechenden Ergebnisse Castles 
wahrscheinlich zu machen versucht hat 1 ), und umgekehrt ist es sehr 
wohl denkbar, daß durch kontinuierliche Abänderungen des Art- 
plasmas bzw. der „Faktoren" sprungweise Abänderungen des äußeren 
Artbildes zustande kommen können, wie ich in einem Falle für 
Radiolarien wahrscheinlich machen konnte 2 ). 

Wie die gallertgefüllten KiesclrÖhren der Aulacanthiden (S. 36. Fig. 10), so 
entstehen auch die Skelettelcmcntc der Aulosphäriden , Castanellidcn und anderer 
Tripyleenfamilicn in der Weise , daß zunächst innerhalb des Protoplasmaleibes läng- 
liche Gallerttropfen („Vakuolen" oder „Alveolen") gebildet werden, deren „Vakuolen- 
haut" später verkicselt. Ein Unterschied gegenüber den Aulacanthiden besteht nur 
darin, daß die Bildung der Gallertvakuolen im Anschluß an die zuerst abgeschiedenen 
kicseligen „Primilivnadeln" (Fig. 107 A, H, pn; C) crlolgt. Wenn nun die länglichen, 
die feinen Primitirnadcln umschließenden Gallertvakuolen (D) bis zur Verkicselung 
selbständig bleiben, so entsteht ein Maschenwerk von selbständigen Skclettröbrcn 
(Aulosphäriden, Fig. 107 A»£), Hießen sie dagegen infolge stärkerer Kohäsion 
vor der Verkie seiung zusammen, so bildet sich eine Gitterschale (Castanelliden, 
Fig. 107 B). Der Unterschied in der Kohäsion kann unmöglich bedeutend sein , da 
in einem Falle innerhalb desselben einzelligen Individuums nebeneinander beide 
Konstruktionstypen beobachtet wurden. 

Es entscheidet also in diesem Falle eine vielleicht nur minimale Differenz 
in der Kohäsion der gallertigen Grundsubstanz des Kieselskclctts darüber, ob das 
aus lauter einzelnen hohlen KiesclrÖhren zusammengesetzte regelmäßige Mascbcnwcrk 
der Aulosphäriden (Fig. 107 A) oder die äußerlich ganz verschiedene, von 
runden, fensterartigen Poren durchbrochene Gitterschale der Castanelliden (Fig. 107 B) 
zur Ausbildung kommt. 

Mit der einfachen quantitativen Unterscheidung zwischen dis- 
kontinuierlicher und kontinuierlicher Variation ist also in der Frage 
nach der Wirkung der Selektion nicht weiterzukommen und es 
wurden zunächst verschiedene Versuche gemacht, für die Hauptformen 
der Variabilität, unter Berücksichtigung der Erblichkeitsverhältnisse und 
der die Variation verursachenden Faktoren, eine genauere Definition 

') Vgl. Lang, Erbl. d. Ohrenlänge, 101O. 
*) Tiefsee-Rad., S. 660; Transvers., S. 461. 



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Wirkung der Selektion nach Johannsen. 



287 



zu geben und die Bedeutung der so umschriebenen Variationstypen 
für die Selektionsprozesse festzustellen. 

Einen besonders scharf präzisierten Standpunkt hat Johannsen 
eingenommen, indem er die diskontinuierlichen, genotypischen 



Fig. 107. 




A Maschenwerk einer Aulosphäride (Aulastrum) und B Gitterschale einer 
Castanellide (Castanidium). C— E Entstehung des Maschenwerks einer Aulosphäride 

(Aulosphaera). 



(auf einer Abänderung der genotypischen Grundlage beruhenden), 
erblichen Unterschiede, durch welche die einzelnen Biotypen einer 
Population gekennzeichnet sind, und die fluktuierenden, persön- 



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288 



Wirkung der Selektion nach Johannsen. 



liehen (bei fester genotypischer Grundlage auftretenden), nichterb- 
lichen Unterschiede, welche in den Variationskurven der einzelnen 
Biotypen zum Ausdruck kommen, einander gegenüberstellt Das Vor- 
kommen genotypischer Verschiebungen, d. h. kontinuier- 
licher (gleitender) Abänderungen der genotypischen Grundlage, will 
Johannsen allerdings nicht vollständig in Abrede stellen, jedoch 
glaubt er, daß bisher keine beweisenden Beobachtungen vorliegen. 

Einen wichtigen Punkt bildet jedenfalls in der Auffassung 
Johannsens die genotypische Festigkeit, d.h. die relative Dauer- 
haftigkeit der einzelnen Biotypen. Neue Biotypen werden nach 
Johannsen, soweit sichere Beobachtungen zur Verfügung stehen, 
nur auf dem Wege einer stoßweisen Änderung oder Mutation ge- 
wonnen; eine solche erfolgt nur zeitweise, und somit stehen also 
der Selektion nicht, wie Darwin und Weismann annehmen, zu 
jeder Zeit zahlreiche richtungslose erbliche Variationen kleineren und 
kleinsten Umfangs und kontinuierlicher Art zur Verfügung. Denn 
die persönlichen Fluktuationen um den einzelnen Biotypus herum 
sind ja nach Johannsen mindestens in der Regel nichterblich. 

Die Selektion erstreckt sich also nur auf die innerhalb eines 
Phänotypus vorkommenden, durch einzelne Merkmale oder ganze 
Merkmalskomplexe diskontinuierlich unterschiedenen Biotypen 
oder reinen Linien, und zwar in der Weise, daß sie die günstigen 
Biotypen unter Ausmerzung der ungünstigen isoliert. Sie kann 
beispielsweise innerhalb eines Phänotypus die größten oder kleinsten 
erblichen Typen isolieren und so den Mittelwert des gesamten 
Phänotypus nach der einen oder anderen seiner beiden Variations- 
grenzen hin dauernd verschieben. Darauf beruht die Erfahrungstat- 
sache, daß sich die Selektion im Anfang, d. h. solange innerhalb 
eines Phänotypus noch eine größere Zahl von Biotypen zur Verfügung 
stehen, in sichtbarer Weise als wirksam erweist, daß aber die Grenzen 
ihrer Wirksamkeit bald erreicht sind, sobald nämlich der einzelne 
Biotypus isoliert ist. Die nichterblichen Fluktuationen im einzelnen 
Biotypus kommen nach Johannsen für die Selektion nicht in Be- 
tracht, und so werden in dem durch Selektion isolierten Biotypus die 
fluktuierenden Plus- und Minusvariationen im alten Umfang weiter- 
bestehen. 

Für die Auffassung, daß die fluktuierenden Plus- und Minus- 
variationen durch die Selektion nicht beeinflußt werden, findet 
Johannsen in seinen Experimenten eine Stütze. Weder das Samen- 



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I 



Wirkung der Selektion. 289 

gewicht und die relative Breite der Bohnen, noch die „Schartigkeit" 
der Gerste konnte innerhalb der einzelnen reinen Linien durch Selek- 
tion modifiziert werden. Unabhängig von der persönlichen Be- 
schaffenheit des Mutter- und Großmutterindividuums, d. h. unabhängig 
von der Größe des Ausschlages, welche diese letzteren gegenüber dem 
Biotypus zeigen, wird der durchschnittliche Charakter der Nach- 
kommen einzig durch diesen bestimmt. Die Annahme Galtons, 
daß die Beschaffenheit der Nachkommenschaft (ihre Abweichung vom 
Durchschnittscharakter der gegebenen Population) durchschnittlich 
betrachtet eine bestimmte Funktion der Beschaffenheit der verschieb 
denen Ahnengenerationen sei") und daß der Rückschlag nach dem 
Regressionsgesetze erfolge«), erhält durch die Experimente keine 
Stütze. 

In ähnlicher Weise hat Jennings bei Paramaecium die Wirkung 
der Selektion formuliert, und ebenso sind Pearl und Surface auf 
Grund langjähriger Untersuchungen zu dem Resultat gekommen, daß 
bei Plymouth-Rock-Hühnern durch Selektion von kontinuierlichen 
(fluktuierenden) Variationen keine Steigerung der Fruchtbarkeit inner- 
halb einer Linie erzielt werden kann. 

Auf der anderen Seite liegen aber doch auch Beobachtungen vor, 
welche auf die Möglichkeit einer genotypischen Verschiebung, d. h. 
einer allmählichen Umprägung des Biotypus unter der Wirkung der 
Selektion hindeuten und damit eine größere Bedeutung der kon- 
tinuierlichen Variabilität für die Artbildung erkennen lassen »). 

So hat Castle den Nachweis zu führen versucht, daß der lang- 
ohrige Charakter der „Widderkaninchen" ein durch Selektion 
langsam aufgebautes Merkmal sei. Bei Kreuzung von Langohren 
mit Kurzohren hatte er nämlich Halbblutlangohren mit intermediärer, 
bei Inzucht der Halbbluttiere konstant sich vererbender Ohrenlänge 
erhalten, ebenso entstand bei Kreuzung von Halbblutlangohren mit 
Vollblutlangohren eine Bastardrasse von Dreiviertelblutlangohren, 
deren Ohrenlänge ungefähr in der Mitte zwischen derjenigen der 
Halbblut- und Vollblutlangohren lag und sich bei Weiterzucht eben- 
falls konstant erhielt usw. Aus der Möglichkeit, den Langohrcharakter 



l ) Vgl. s. 14. 
') Vgl. s. 15. 

■) Auch Johannsen (S. .157. IQOQ) hat. wie oben angedeutet, eine solche geno- 
typische Verschiebung, falls es sich um sehr lange Generationsreihen handelt, als 
nicht unmöglich, wenn auch als sehr unwahrscheinlich bezeichnet. 

Hae - ker, Vererbungslehre. j () 



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Wii kung der Lebenslage. 



in dieser Weise abzubauen und jede einzelne Zwischenstufe erblich 
zu fixieren, schloß Castle umgekehrt, daß jener nicht diskontinuier- 
lich entstanden sei, wie wahrscheinlich die mendelnden Charaktere, 
sondern ganz allmählich auf Grund von Selektionsprozessen '). 

Die Ergebnisse Castles sind trotz ihrer mathematischen Fassung 
nicht ganz eindeutig, denn bei der intermediären Ohrenlänge könnte 
es sich nach Lang 2 ), ähnlich wie in den von Nilsson-Ehle be- 
schriebenen Fällen 8 ), um die kumulative Wirkung mehrerer oder gar 
vieler separater gleichwertiger mendelnder Faktoren für die Ohren- 
länge handeln. Immerhin weisen die Befunde auf die Möglichkeit 
einer kontinuierlichen „genotypischen Verschiebung" unter der 
Wirkung der Selektion hin, wie ja eine solche den Befunden Kam- 
merers und Wolterecks zufolge auch unter dem Einfluß der 
Lebenslage vorkommt*). Wenigstens liegt keine Veranlassung zu 
der Annahme vor, daß in den von Kammerer beobachteten Fällen 
die künstlich erzielten, erblichen Veränderungen einen sprungweisen, 
diskontinuierlichen Charakter haben. Auch Woltereck hat ausdrück- 
lich im Gegensatz zu Johannsen festgestellt, daß bei Cladoceren 
durch Vertauschung der Milieubedingungen zweier Biotypen eine 
kontinuierliche Reihe von Übergängen hergestellt werden kann 
und er hat die Ansicht gewonnen, daß die Lokalformen der Daphnien 
durch kontinuierliche, milieubestimmte Veränderung entstanden seien. 

f) Entstehung der Erbeinheiten. 

Ebenso wie die Ergebnisse der Mendelforschung zusammen mit 
denjenigen von de Vries und Johannsen die Weiterentwickelung 
der Selektionslehre beeinflußt haben, so ist auch das alte Problem 
der Wirkung der Lebensbedingungen auf die Entstehung 
erblicher Variationen durch die neugewonnenen Ergebnisse und 
Anschauungen in mehrfacher Hinsicht berührt worden. 

Fast allgemein wird angenommen, daß die mendelnden Charaktere, 
bzw. die hinter ihnen stehenden Erbeinheiten nicht bloß in ihrem 

') Auf einen ähnlichen Fall habe ich schon vor längerer Zeit aufmerksam ge- 
macht. Die Bastarde Ursus maritimus <f X U. aretos § sind in bezug auf die Form 
des Kopfes und der Färbung intermediär. Bei Rückkreuzung der /^-Bastarde mit 
dem Vater findet in beiderlei Hinsicht eine weitere Annäherung an diesen statt. 
Näheres S. 178 (Km). 

*) Lang, Ohrenlänge, 190O. 

") Siehe oben S. 212. 

*) Vgl. Kap. 17. 



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Knospenvai iationen. 



291 



gegenseitigen Verhältnis diskontinuierlicher Art sind, sondern daß 
dies, was übrigens keineswegs selbstverständlich ist, auch für ihre 
Entstehung gilt, d. h. daß sie auf mutativem Wege entstanden 
sind. In der Tat ist das spontane Auftreten einzelner mendelnder 
Charaktere wiederholt beobachtet oder wahrscheinlich gemacht 
worden. Hierher gehört das plötzliche Auftreten von Mclanisten bei 
Schmetterlingen (z. B. beim Birkenspanner, Amphidasis betularia, 
nach Standluß) 1 ), das unvermittelte Erscheinen von totalen oder 
partiellen Albinos bei „ halbdomestizierten " Vögeln (Amsel, Haus- 
rotschwan/., Haussperling, Haus- und Rauchschwalbe). 

Aul botanischem Gebiete liegen ebenfalls verschiedene Angaben 
vor. Von großem Interesse sind namentlich die erblichen Knospen- 
variationen, auf welche namentlich Darwin und de Vries die 
Aufmerksamkeit gelenkt haben 2 ). Vielfach handelt es sich um 
Nachwirkung vorhergegangener Kreuzungen, in anderen Fällen scheint 
aber die spontane Entstehung sicher zu sein. So treten bei der 
Kartoffel in offenbar nicht seltenen Fällen sprungweise Variationen 
auf, die sich bei asexueller Vermehrung durch Knollen als erblich 
erweisen. Soweit bisher bekannt, handelt es sich dabei stets um 
solche retrogressive Mutationen, welche bei der geschlechtlichen 
Fortpflanzung ein rezessives Verhalten zeigen: an Stöcken mit roten 
Knollen entstehen weiße Knollen, die längliche Gestalt der Knollen 
springt in die runde über und statt flachliegender Augen treten tief- 
liegende auf 3 ). In ähnlicher Weise kommen an „varicgata"-Exemplaren 
von Mirabilis Jalapa mit grünfleckigen Blättern tiefgrüne Sprosse zur 
Entwicklung, also eine Variation, die bei der Bastardierung gegen- 
über dem variegata- Typus dominierend ist*). Auch die spontane 
Entstehung neuer Formen von Winterweizen ist hieher zu rechnen »). 

Welche Ursachen die Entstehung von derartigen Mutationen von 
mendelndem Charakter hervorrufen, darüber ist noch sehr wenig be- 
kannt, doch wird man im Gegensatz zu de Vries vielfach an Fak- 
toren klimatischer Art denken dürfen. So traten nach Simroth 6 ) im 
Jahre 190g, wie er glaubt, sAs Folge der Trockenheit und Wärme des 

') 1898, s. Literaturverzeichnis 17. 

*) Vgl. namentlich de Vries, S. 070 (190.5) und Cramer 1907. 
*) Hast 1909. 

4 ) Correns 1910. Vgl. S. 231, Ann». 4. 

') Vgl. Nilsson-Ehle. Sver. Iltsäd. Tidskr. lOtXj (zitiert bei Fruwirth. Journ. 
Landw.. S. 301. 1908). 

•) Biol. Centralbl.. 25. Bd. 

19* 



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292 Entstehung der Mutationen. 

Sommers, in Mitteldeutschland besonders viele Albinos (besonders bei 
Amseln) und Melanisten (beim Haussperling, bei der Brandmaus und 
beim Hamster) auf, ebenso könnte auch das in den einzelnen Jahr- 
gängen besonders häufige Vorkommen schwarzer Eichhörnchen auf 
klimatische Verhältnisse zurückgeführt werden M, wie ja auch die Zu- 
sammendrängung melanistischer Tierformen in bestimmten Gebieten 
(z. B. im Schwarzwald) auf einen Einfluß klimatischer Faktoren hin- 
weist 2 ). 

Auch die Befunde von Tower 8 ) dürfen in diesem Zusammenhange 
genannt werden, da es sich um mendelnde Charaktere handelt, die 
unter der Wirkung äußerer Faktoren diskontinuierlich entstanden 
sind 4 ). 

Daß auch die kontinuierlichen Variationen durch die 
spezielle Lebenslage hervorgerufen werden können, und daß dies ins- 
besondere für die sogenannten Standortsmodifikationen sicher- 
steht, wird allgemein anerkannt, und durch die Versuche Kammerers 
und Wolterecks ist neuerdings gezeigt worden, daß kontinuier- 
liche, durch künstliche Lebensbedingungen hervorgerufene Verschie- 
bungen erblich fixiert werden können, derart, daß auch bei Zurück- 
versetzung in die ursprüngliche Lebenslage die Nachkommen zunächst 
den neugewonnenen Typus beibehalten. 

Bei der geringen Anzahl unzweideutiger Experimente, welche 
bisher vorliegen, ist es im übrigen noch nicht möglich, die verschie- 
denen, hier berührten Formen der Variabilität schärfer gegeneinander 
abzugrenzen, wie denn auch auf diesem speziellen Gebiete noch keine 
Definition und noch keine These zu allgemeiner Anerkennung gelangt 
ist. Manche Formen von Variationen, wie z. B. die meristischen 
(numerischen) Variationen der tripyleen Radiolarien 6 ), sind bis 
jetzt in keiner der üblichen Rubriken unterzubringen, und eine größere 
Klarheit wird wohl erst dann eintreten, wenn wir in das Wesen der 
hinter den äußeren Eigenschaften stehenden Erbeinheiten, Elementar- 
eigenschaften oder Gene tiefer eingedrungen sein werden. 



') Vgl. Grob, S. 55,] (t<*j6), Literaturverzeichnis 22 u. 23. 

*) Vgl. Kl u nz inger, C.B., Über Melanismus bei Tieren. Jahrcsh. Ver. Vaterl. 
Naturk. Württ. 1903. 
•) Vgl. S. 107. 

*) Vgl. auch Johannsen, S. 450 (1909). 

*) Vgl. Ticfseo-Radiolarien, S. 056; Rad. Var. u. Artb., S. 13. 



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Gallons Gesetze. 



g) Beziehungen zu den Galtonschen Gesetzen. 

Ganz kurz sei zum Schluß nochmals auf die Beziehungen 
zwischen den Mend eischen Regeln zu den statistischen Gesetzen 
Galtons 1 ) hingewiesen. Von verschiedenen Vertretern der variations- 
statistischen (biometrischen) Schule Galtons, so besonders von Dar- 
bishire 2 ), ist versucht worden , # beide Aufstellungen miteinander 
in Einklang zu bringen. Danach sollen die Galtonschen Gesetze 
rein statistische, für Massen gültige Formulierungen sein. Auf der 
anderen Seite ist, namentlich von Bateson, eine allgemeinere Gültig- 
keit der Galtonschen Thesen überhaupt in Abrede gestellt worden. 
Nach Bateson kann allerdings zufälligerweise eine scheinbare 
Gültigkeit bestehen, wie denn auch die arithmetischen Resultate der 
Kreuzungen DR x RR und DR x DR durch Galton korrekt 
vorhergesagt worden seien 3 ). Auch Johannsen«) hebt hervor, daß 
(i alt ons Vererbungsgesetze keine biologischen Gesetze seien, sondern 
nur der Ausdruck dafür, daß bei den betreffenden Untersuchungen 
mit unreinem Material gearbeitet worden sei. 



Literaturverzeichnis zu Kapitel 27. 

Harber, M. A., On Hercdity in certain Micro - Organisms. Kans. Un. Sei. Bull., 
Vol. 4, 1007. 

Bateson, W., Materials for the Studies of Variation. London 1804. 
— . Mendel's Principles of Hercdity. London lOOQ. 
Baur. E., 1908, s. Literaturverzeichnis 26. 
Castle. W. E., 1909, s. Literaturverzeichnis 26. 
Correns 1910, s. Literaturverzeichnis 22 und 2.j. 

Cramei, I'. J. S., Kritische Übersicht der bekannten Fälle von Knospcnmntationen. 

Natuurkund. Vcrh. Holl. Maatscbappij Wet. 4 0 . 474 S. Haarlem 1907- 
Darbishire, A. D., 1904, 1905, 1906, 1909; s. Literaturverzeichnis 3. 
Davenport, C. B.. Evolution without mutation. Journ. Exp. Zool., Vol. 2. 1005. 
— . Species and varielies, their origin by mutation. Sei., N. S., Vol. 2.', 1905. 
— , The Mutation Theory in Animal Evolution. Sei.. X. S., Vol. 24, 1906. 
East, E. M., The Transmission of Variation in the I'otato in Asexual Reproduction. 

Conncct. Exp. Station Rep. 1909 — 1910. 
Haecker, V., Bastardierung und Geschleclitszellcnbildung. Zool. Jahrb. Suppl. VII. 

1909. 



') Siehe Kap. 3, S. 13. 

*) Siehe Literaturverzeichnis 2. 

a ) Bateson und Saunders, S. 116 (1902); Bateson, S. 129 (1909). 
*) S. 163 (1909). 



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294 



Literaturverzeichnis 2',. 



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— , Tiefsee-Radiolarien. Allg. Teil. Wiss. Erg. D. Ticfsec-Erp., 14-Bd., Jena 1QOS 
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— , Die Radiolarien in der Variations- und Artbildungslehre. Ebenda, 2. Bd.. i«»>. 
Hanel. Elise, Vererbung bei ungeschlechtlicher Fortpflanzung von Hydra grisea. 

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Standfuß. M., 1800. s. Literaturverzeichnis 17- 

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Vriis. II. de. Die Mutationstheorie. Leipzig 1901 und 1903. 
Weisniann. A.. Voiträge über Deszendenztheorie. 2. Aull. Jena 1004. 
Woltoreck. R.. 1900. s. Literaturverzeichnis 17, S. 179. 



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Ac h tu nd zwanzigstes Kapitel. 

Praktische Bedeutung der Mendelforschung 
für die Tierzucht. 

Die praktische Bedeutung der Hauptergebnisse von Mendel 
und seinen Nachfolgern, sowie von de Vries und Johannsen 
wird auf dein Gebiete der Pflanzenzucht bereits in vollem Umfange 
anerkannt, und eine ganze Reihe von Instituten für Pflanzenbau- 
lehre hat sich mit großer Energie der neuen Errungenschaften an- 
genommen, um ihre praktische Verwendbarkeit zu prüfen. Es ist 
zweifellos, daß die von den Arbeiten Tschermaks und Fruwirths, 
Johannsens und der Svalöfer Schule ausgehenden Gedanken 
und Anregungen sehr bald auch in der praktischen Landwirtschaft 
zu wichtigen Neuerungen und Erfolgen führen werden. Viel zurück- 
haltender haben sich bisher die Tierzüchter gegenüber den Fort- 
schritten der Erblichkeitslehre verhalten. Alle die Gründe, aus welchen 
sich überhaupt die Tiere für die Verfolgung der Vererbungserschei- 
nungen weniger als die Pflanzen eignen, ihre größere Sprödigkeit 
gegenüber dem Experiment, die Unmöglichkeit einer Selbstbefruchtung, 
ihre langsame Geschlechtsreife und geringere Fruchtbarkeit spielen 
natürlich bei dein wertvollen Haustiermaterial eine besonders wich- 
tige Rolle, zum Teil haben aber auch mehr zufällige und äußere 
Gründe, vor allem die Festlegung durch andere wissenschaftliche Auf- 
gaben, dazu beigetragen, daß auch da. wo Mittel und Material vor- 
handen gewesen wären, die neueren Methoden und Ergebnisse noch 
nicht in wünschenswerter Weise auf die eigentlichen Nutztiere über- 
tragen worden sind. 

Für die praktische Tierzucht kommen nun offenbar hauptsächlich 
folgende beiden Punkte in Betracht: 1. der Nachweis, daß sich zahl- 
reiche unter den unterscheidenden Rassenmerkmalen bei der V ererbung 
als diskontinuierliche, selbständige und spaltbare Ein- 
heiten verhalten, und 2. die Vorstellung, daß die äußeren Charaktere 



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21/) 



Instabilität der Rassen. 



durch Faktoren, Elementareigenschaften oder Erbeinheiten bedingt sind, 
und zwar vielfach in der Weise, daß das Zustandekommen eines an- 
scheinend einheitlichen äußeren Merkmals an das Zusammentreten 
mehrerer Faktoren in einer Zygote geknüpft ist. 

4 

Daraus ergaben sich für die praktische Tierzucht zunächst einige 
Winke für das Verständnis einiger allbekannter und bisher 
wenig geklärter Erscheinungen, dann aber auch verschie- 
dene Lehren in positiver und negativer Richtung. 

Erklärt wird vor allem die den Tierzüchtern geläufige Instabi- 
lität vieler Formen '), das Auftreten von „ Zwischen rassen" (de Vries) 
oder „ever sporting varieties" (Punnett). Hier kann es sich allerdings 
um spontane sprungweise Abänderungen oder auch um „Umschläge", 
d. h. um nichterbliche, durch bestimmte Bedingungskonstellationen her- 
vorgerufene, sprungweise Modifikationen handeln (Baur). Nicht selten 
weiden aber intermediäre heterozygote Formen (DK-Formen) vor- 
liegen, die bei der Weiterzucht immer wieder der Aufspaltung an- 
heimfallen. Wenn z. B. nach einer alten Erlahrung der Kanarien- 
züchter Vögel mit langen, liegenden, symmetrisch vom Scheitel ab- 
stehenden Federn, wie sie auf den Ausstellungen gewünscht werden, 
niemals rein fortgezüchtet werden können, so erklärt sich dies da- 
durch, daß die betreffenden Formen als intermediäre Heterozygoten 
durch die Kreuzung von Vögeln mit krausen aufrechten Hauben (/)) 
und Glattköpfen (K) erhalten werden. Bei ihrer Weiterzucht werden 
daher neben den gewünschten DK-Formen stets auch DD- und JtR- 
Individuen auftreten. 

Überhaupt wird man in der Regel finden, daß intermediäre oder 
neue Formen, die durch Kreuzung zweier reiner Rassen entstanden 
sind, sich nicht rein weiterzüchten lassen, und daß nur in verhältnis- 
mäßig seltenen Fällen intermediäre l\ - Bastarde den Ausgangspunkt 
für konstante Bastardrassen bilden»). Man hat sich das Zu- 
standekommen der letzteren wohl dadurch zu erklären, daß die im 
1\ -Bastard vereinigten „antagonistischen" Merkmale eine dauernde 
Verkoppelung oder Fusion irgendwelcher Art eingehen. 

Eine Instabilität der Rasse kann sich auch darin äußern, daß in 
durchaus unregelmäßiger Weise ungewöhnliche Aberrationen, die 
„Sports" der Züchter, die „Single variations" .Darwins auftreten. 



') Vgl. auch Batesonund Sa und eis, S. (1902); Uateson. S. 298(1909). 
■) Vgl. Kap. 21, S. 211 und Kap. .'7, S. 280. 



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Latenz. Rückschläge. 



297 



Auch hierbei können, falls es sich nicht um Umschläge oder spon- 
tane Mutationen handelt, Spaltungs- und Neukombinationsvorgänge 
M endelscher Art die Ursache sein. Wenn z. B. in einer weißen 
Schafherde von Zeit zu Zeit ein schwarzes Individuum zum Vor- 
schein kommt, so könnte allerdings dabei an eine wirkliche Mutation 
gedacht werden, wahrscheinlicher aber ist es, daß in solchen Fällen 
Mendelprozesse vorliegen. Entweder könnte nämlich das (domi- 
nierende) Weiß der Mehrzahl der Schafe auf der Anwesenheit eines 
epistatischen Faktors S beruhen, welcher die Entwicklung der Pig- 
mentierung verhindert. Es werden dann schwarze Schafe entstehen 
können, wenn eine Kreuzung zwischen zwei in bezug auf S hetero- 
zygoten Tieren (Ss x Ss) erfolgt Oder es wird die schwarze 
Farbe durch zufalliges Zusammentreffen zweier oder mehrerer komple- 
mentärer Faktoren bewirkt, welche von verschiedenen weißen Indi- 
viduen mitgeführt werden, ebenso wie bei Mäusen das Auftreten der 
Graufarbung an das Zusammentreffen zweier komplementärer Faktoren 
(C und G) geknüpft ist 2). 

Früher hätte man in solchen Fällen wohl auch gesagt, daß die 
schwarze Farbe in den weißen Tieren „latent" vorhanden sei. In- 
dessen haben die neueren Untersuchungen von Bateson, Tscher- 
mak, Shull u. a. ergeben, daß man unter Latenz bisher sehr ver- 
schiedene Dinge verstanden hat, es ist also, wie Johanns en sagt, 
der Begriff der Latenz zu den in voller Auflösung befindlichen zu 
rechnen. 

Ähnliches gilt für diejenigen Fälle, in welchen der Tierzüchter 
bisher von Rückschlag oder Atavismus gesprochen hat Auch 
dieser Begriff ist seit einigen Jahren in sichtlicher Umwandlung 
begriffen. Schon de Vries 3 ) hat hier den Hebel angesetzt, aber 
namentlich durch die neugewonnenen Vorstellungen von der Ent- 
stehung und Spaltbarkeit zusammengesetzter Charaktere ist manche 
Klärung herbeigeführt worden. Im ganzen handelt es sich wohl bei 
einem Rückschlag auf die wirkliche, historisch nachweis- 
bare Stammform*) um das Zusammentreffen zweier oder mehrerer 



') Vgl. Bateson, S. 104 (19^9). 

*) Siehe oben S. 231. 

*) Mutationslheoric, I. Teil, S. 48.'. 

4 ) Also beim physiologischen Atavismus nach de Vries (im Gegensatz 
zum phylogenetischen Atavismus, d.h. dem Rückschlag auf die nur auf Grund 
systematischer Untersuchungen angenommene Stammform). 



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208 



Piaktische Winke. 



getrennter Faktoren. Es findet also nicht, wie man früher vielfach 
annahm, ein vollständiges Neuauftreten alter verschwundener Merk- 
male statt, vielmehr sind die betreffenden Erbeinheiten, durch deren 
Kombinierung die Charaktere der Stammform gebildet werden, in 
den verschiedenen Aszendenten stets, wenn auch in isoliertem Zu- 
stande, vorhanden gewesen. 

Etwas anders liegen wohl die Dinge bei den Temperaturaberra- 
tionen der Schmetterlinge. Wenn nämlich bei diesen ein teil weises 
Wiederauftreten „atavistischer" Charaktere ») wahrzunehmen ist, so 
mögen dabei Ausfallerscheinungen mit im Spiele sein: die starken 
äußeren Reize bewirken, daß gewisse epistatische, im Laufe der 
Stammesgeschichte hinzugekommene und für das betreffende Artbild 
charakteristische („phylogenetisch neue") Faktoren nicht zur Geltung 
kommen und infolge des Freiwerdens hypostatiseher Faktoren „phylo- 
genetisch ältere - Eigenschaftskombinationen zur Entfaltung kommen. 

Die neugewonnenen Ergebnisse werfen schließlich noch ein Licht 
auf solche Abänderungen, welche bei Versetzung einer Kasse in ein 
anderes Klima scheinbar unter der direkten Wirkung kli- 
matischer Faktoren zustande kommen, in Wirklichkeit aber 
möglicherweise doch als Wirkung einer Durchkreuzung mit domi- 
nierenden Rassen aufzufassen sind. Es sei hier an den früher erwähnten 
Fall der Karakulschafe erinnert 4 ). 

Ein praktischer Wink in negativer Richtung ist durch 
den Hinweis daraufgegeben, daß der künstlichen Selektion wenig- 
stens in gewissen Fällen anscheinend ganz bestimmte Grenzen ge- 
zogen sind. Nach den Ergebnissen von Johannsen, Jennings und 
Pearl soll es ja innerhalb eines Phänotypus nur möglich sein, eine 
Isolierung der in bezug auf ein bestimmtes Merkmal reinen Linien 
(bei quantitativen Merkmalen eventuell eine Isolierung der extremen 
Formen) vorzunehmen, dagegen soll, sobald die Isolierung statt- 
gefunden hat, die Selektion keinen Einfluß mehr haben. Es muß in- 
dessen nochmals hervorgehoben werden, daß auf diesem Gebiete keines- 
wegs alle Experimente eindeutig sind, und daß insbesondere durch 
Kammerers Untersuchungen neue Ausblicke geschaffen worden sind. 

In positiver Hinsicht ist dadurch, daß auf Grund der neuen 
F>gebnisse die Bedeutung der I nd i vidual züch tung stärker her- 

') In diesem Falle würde ein „phylogenetischer" Atavismus nach de Vries 
vorliegen. Vgl. im übrigen Kap. 17, S. 170. 
*) Vgl. Kap. 23. S. 236. 



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Fixierung von Rassen. 



vortritt, ein überaus wichtiger Anhaltspunkt lür die Konsolidie- 
rung und Verbesserung der Rassen gewonnen worden. Um den 
züchterischen Wert einer bestimmten Rasse zu beurteilen, darf nicht 
mit Massen operiert werden, vielmehr sind die Erblichkeits- 
verhältnisse der einzelnen Individuen zu verfolgen. Dabei 
ist zu beachten, daß da, wo Fluktuationen vorliegen, die Be- 
schaffenheit des Sornas kein sicheres Kriterium für die Zusammen- 
setzung seiner Gameten und damit für die Beschaffenheit der Nach- 
kommen darbietet. Wenn eine Henne im Jahre 200 Eier legt, so 
dart man nicht ohne weiteres erwarten, daß ihre Nachkommen wieder 
„200-Eicr" -Hennen sind, und ebenso brauchen die Nachkommen einer 
besonders schweren und besonders zuckerhaltigen Rübe nicht über 
das Mittelmaß hinauszugehen. 

Soll also aus einer gemischten Rasse oder Population, z. B. einem 
aus zwei Farbenvarietäten (Braunen und Füchsen) bestehenden 
Pferdeschlag, eine reine Rasse gezogen werden, so wird sich zunächst 
nach den für den Menschen angegebenen Regeln ') aus den vor- 
liegenden Daten ein vorläufiges Urteil über Dominanz und Rezes- 
sivität (epi- oder hypostatisches Verhalten) der einzelnen Charaktere 
gewinnen lassen. In dem hier angenommenen Falle, in welchem eine 
nahezu vollständige Dominanz der braunen Farbe vorliegt, wird die 
rezessive Rasse ohne weiteres fixiert werden können, da alle fuchs- 
farbigen Individuen rezessive Homozygoten (Uli) sind und ihre 
Paarung stets wieder rezessive Homozygoten liefern wird. Ferner 
kann durch Kreuzung eines dominanten Individuums mit einem rezes- 
siven festgestellt werden, ob ersteres in bezug auf den dominierenden 
Charakter, in unserem Falle die braune Farbe, homozygot (rein 
dominant, Vollblut") oder heterozygot (Halbblut) ist. Im erstcren Falle 
werden alle, im letzteren 50 Proz. die braune Farbe aufweisen. 

Liegen nur Individuen mit dem dominierenden Charakter vor, 
oder ist das gerade erforderliche Geschlecht nur durch dominierende 
Individuen vertreten, so wird, falls ein Individuum vorhanden ist, dessen 
gametische Zusammensetzung (DD oder DR) schon vorher bekannt 
ist, die Kreuzung mit diesem den Prüfstein bilden. Im anderen Falle 
sind zwei beliebige Individuen mit dominierendem Charakter zu 
kreuzen und das Zahlenverhältnis der aus ihrer Kreuzung hervor- 
gegangenen Individuen wird einen ersten Anhaltspunkt dafür liefern 



») Siehe Kap. .'4. 



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300 



Jiildxin«; neuer konstanter Rassen. 



können, ob eine Kreuzung DD x Dl), DD x DU oder DR x DR 
stattgefunden hat, da nur in letzterem Falle rezessive Tiere zum 
Vorschein kommen. Durch weitere Kreuzungen, insbesondere durch 
Gewinnung einer „Prüfgeneration" (Tschermak), wird dann ein 
endgültiges Urteil darüber gewonnen werden können, welche Aus- 
gangsindividuen und welche Nachkommen homo- und welche hetero- 
zygot sind 1 ). 

In ähnlicher Weise wird zu verfahren sein, wenn es sich um 
Fixierung einer Rasse handelt, deren äußere Eigenschaften, soweit sie 
für den Züchter in Betracht kommen, durch das Zusammentreten 
einer größeren Anzahl von Faktoren bedingt sind. Es kommt 
auch hier zunächst darauf an, das gegenseitige Verhalten der ein- 
zelnen Faktoren festzustellen und bei Pflanzen womöglich durch 
Selbstbestäubung, sonst aber durch Verbindung der zu isolierenden 
Rasse mit einer anderen, welche bekannterweise in bezug auf den 
betreffenden Charakter heterozygot ist, die Reinheit (Samenbestän- 
digkeit) der Rasse zu prüfen. Schon Allen und Castle haben dies 
Verfahren speziell für Mäuse erprobt, Tschermak und Bateson 
haben es später für Pflanzen weitergebildet. 

Im wesentlichen die nämlichen Methoden, welche für die Isolie- 
rung reiner Rassen aus einem gegebenen Gemisch anzuwenden sind, 
finden auch Platz, wenn es sich darum handelt, neue Kombi- 
nationen (Kreuzungsnova) von dauerndem Bestände herzustellen, 
also Bildungen, die in bezug auf alle in Betracht kommenden Fak- 
toren homozygot sind. Hier ist vor allem zu beachten, daß, ab- 
gesehen von dem ganz einfachen Verhalten bei rein monohybriden 
Kreuzungen, die Beschaffenheit der F t -Generation noch nicht für das 
Gelingen oder Nichtgelingen der gewünschten Kombination entschei- 
dend ist, d. h. es wird häufig vorkommen, daß die gewünschte Kom- 
bination in der /^-Generation noch nicht, wohl aber infolge der bei 
der Gameten- und Zygotenbildung stattfindenden Auflösungs- und 
Neugruppierungsprozesse in der /^-Generation zum Vorschein kommt. 
Es dürfen also die F, -Individuen nicht ausgerottet werden, falls sie 
das Gesuchte nicht gewähren, denn sie geben bezüglich der in der 



l ) Auch die Ausmerzung der von den englischen I'flanzenziichtcrn als „rogues" 
(=: Schelme, I^andstrcichcr) bezeichneten Aberrationen .kann unter Umständen auf 
dem nämlichen Wege erfolgen. Sind die .rogues 14 rein rezessive Individuen, so wird 
da, wo es sich nicht um spontane Mutationen handelt, ihre Ausrottung durch Rein- 
zucht der dominanten Individuen gelingen (Bateson, S. 292, \9ng). 



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Wesen der Korrelationen. 



301 



iV Generation zum Vorschein kommenden Möglichkeiten keinen 
sicheren Aufschluß 1 ). 

In vielen Fällen werden speziell die ^-Kombinationen für Ge- 
brauchszwecke besonders wertvoll sein. Diese müssen immer 
wieder durch Kreuzung der P- Formen gewonnen werden, und zu 
diesem Zwecke ist die Reinheit der letzteren aufrecht zu erhalten. 
Als ein grobes Beispiel für die Anwendung dieses Prinzips kann 
die Maultierzucht angeführt werden. 

Schon früher bildeten in der Tier- und Pflanzenzucht Neukoni- 
binationen von konstantem Charakter eine der Hauptquellen der 
meisten züchterischen Neuheiten. Wie aber namentlich Bateson*) 
hervorgehoben hat, ist die alte Annahme, daß eine lange Zeit und 
fortgesetzte Zuchtwahl dazu nötig sei, um eine neue Varietät 
zu fixieren und sie reinziehend (breeding true) zu machen, irrtümlich, 
denn die homozygoten, für die Reinzucht als Ausgangspunkt dienenden 
Individuen erscheinen ja schon in der -F 8 -Generation, und die Rassen- 
reinheit kann dann mit Hilfe der 2*j-Generation endgültig hergestellt 
werden. Soweit es sich also um Erlangung und Fixierung neuer 
Typen durch Neukombination handelt, ist man jetzt in der Lage, 
den Prozeß der Zuchtwahl bedeutend zu beschleunigen. 

Die neuen Ergebnisse gewähren schließlich auch die Möglichkeit 
in das Wesen der Korrelation einzudringen und ihre wirkliche 
Bedeutung für die praktische Zucht klarzulegen. Von Korrelation 
spricht man, wenn zwei Merkmale derart im Zusammenhange mit- 
einander stehen, daß sie in ihrem Auftreten gegenseitig aneinander 
gebunden sind und daß Abänderungen des einen auch solche des 
anderen mit sich bringen. Zusammenhänge dieser Art bestehen z. B., 
wie früher ausgeführt wurde, zwischen bestimmten Abnormitäten 
des Menschen (Hämophilie. Farbenblindheit) und dem männlichen 
Geschlecht. Bekannt ist auch die Erscheinung, daß bei weißen 
und weißgefleckten Schafen und Schweinen, wenn sie mit Buch- 
weizen gefüttert und dem Sonnenlicht ausgesetzt werden, bestimmte, 
als Fagopyrismus bezeichnete Hautaffektionen entstehen, welche 
bei schwarzen Tieren unter gleichen Umständen nicht hervorgerufen 
werden 3 ). 

') Vgl. auch Bateson, S. 2Q6 (lOOQ). 
*) S. 291. 2Q8 (lOOQ). 

*) Andere Beispiele finden sich besonders hei Darwin. Variieren usw.. an 
verschiedenen Stellen. 



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302 



Feststellung vou Korrelationen. 



Die Tierzucht hat nun vielfach Erfahrungen dieser Art auszu- 
nutzen versucht , indem sie sich in der Auswahl der Zuchttiere nach 
äußeren Merkmalen richtete, die mit der gewünschten Eigenschalt 
erfahrungsgemäß korrelativ verbunden erscheinen. So wurden z. B. 
in Süddeutschland lange Zeit hindurch bei der Simmentaler Zucht ein- 
farbige, speziell semmelfarbige Tiere bevorzugt, weil ein gewisser 
korrelativer Zusammenhang zwischen der Einfarbigkeit und der Milch- 
ergiebigkeit angenommen wurde. Schon von züchterischer Seite 1 ) 
ist aber darauf hingewiesen worden, daß derartige erfahrungsmäßigen 
Beziehungen keine unbedingt sicheren Wegzeiger für die Zucht bilden 
können, und daß speziell in der Simmentaler Zucht jahrzehntelang 
gescheckte, aber sonst vorzügliche Tiere lediglich des Prinzips der 
Einfarbigkeit wegen ausgeschaltet werden. Noch deutlicher hat die 
Mendel forschung gezeigt, daß in vielen Fällen Hand in Hand mit der 
Bildung von Neukombinationen scheinbar feste Korrelationen durch 
das einfache Mittel der Kreuzung aufgehoben oder, wie Johannsen 2 ) 
sagt, gebrochen werden können. 

Aul* der anderen Seite sind aber gerade auf dem Wege der Rassen- 
kreuzung wirkliche, vollkommen oder nahezu feste Korrelationen 
zwischen zwei Merkmalen festgestellt worden, sei es, daß für die be- 
treffenden Merkmale zwei miteinander „verkoppelte' 4 Erbeinheiten 
anzunehmen sind, sei es, daß durch einen einzigen Faktor oder durch 
eine bestimmte Faktorenkombination die gleichzeitige Entstehung 
von mehreren äußeren Eigenschaften bedingt ist. Ersteres liegt mög- 
licherweise vor in dem früher 8 ) angeführten Falle von Lathyrus, wo 
die Erbeinheiten für die Gestalt der Pollenkörner anscheinend mit be- 
stimmten Farbenbestimmern kopuliert sind, letzteres dürfte zutreffen, 
wenn z. B. bei Campanula die petaloide Ausbildung des Kelches 
und seine Umwandlung zu einer zweiten Corolla als dominanter 
Charakter auftritt und direkt („kausal mechanisch") eine weitere Eigen- 
tümlichkeit, nämlich die Rückbildung der weiblichen Organe, be- 
dingt *). 

Wenn diese letzten Ermittelungen auch in erster Linie ein theo- 
retisches Interesse haben, weil auf diesem Wege voraussichtlich wohl 



>) Vgl. Strubel. 
') S. 185 (1890). 
•') S. 271. 

*) Vgl. hierzu Corrcns 190a 1905; Johannsen. S.41O (lOOQ); Bateson. 
S. Jon (19O0). 



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Literaturverzeichnis 28. 



3<)3 



noch manche Aufklärung hinsichtlich (1er gegenseitigen Beziehungen 
und des eigentlichen Wesens der „Faktoren" gewonnen werden kann, so 
besteht doch zweifellos auch die Aussicht, daß sich aus Untersuchungen 
dieser Art noch manche praktischen Folgerungen ergeben werden. 



Literaturverzeichnis zu Kapitel 28. 

Bateson und Saunders l<)0.?, s. Literaturverzeichnis 22 und 23. 
Bateson 1009. s. Literaturverzeichnis 2". 

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lebensfähigen Sippe von Antirrhinum majus. Ber. d. D. Bot. Ges., .»5. Bd., 1007. 

Cnrrcns, C. Über Levkojcul)astardc. Bot. Centralbl.. 84. Bd.. IQ00. 

— , Einige Bastardicrungsvci suche mit anomalen Sippen. Jahrb. f. wiss. Bot.. 41. Bd., 
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Sri., N. S., Vol. 21, 1905. 
Haecker, V., Über die neueren Ergebnisse der Bastardlehre usw. und ihre Bedeutung 

für die praktische Tierzucht. Arch. f. Rassen- n. Ges.-Biol., 1. Jahrgang, 1904. 
Johannsen 190Q. s. Literaturverzeichnis J7. 

Krämer. II., Welche Vorteile erwachsen der Tierzucht aus der erhöhten Nutzbar- 
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Wochenschr., 13. Jahrg. 

Punnett, P. C, Mendclism. Cambr. 1905. 

Shull, G. II,. A new Mendelian ratio and scveral types of Latcucy. Am. Nat., 
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Strebcl, V., Die Hohenbeimcr Rindviehherde. Plieningen 1901. 
Tschermak, E. , Die Theorie der Kryptomerie usw. Beih. z. Bot. Centralbl.. 
16. Bd., 1903. 

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tung neuer Getreiderassen. Deutsche landw. Presse, 30. Jahrg., 1903. 
Vries, H. de. Die Mutationstheorie. Leipzig 1901 und 1903. 



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V. Teil. 



Neue rnorphobiologische Yererbungs- 

hypothesen. 

Neun und zwanzigstes Kapitel. 

Individualitätshypothese. Ungleichwertigkeit 
der Chromosomen. 

Wie früher gezeigt wurde 1 ), haben verschiedene Beobachtungen 
und Gedankengänge zu der Annahme geführt, daß im Kern und 
speziell in den beim Kernteilungsprozeß auftretenden Chromosomen 
die eigentliche Vererbungssubstanz eingeschlossen sei, und daß den 
Kernteilungsvorgängen, vor allem aber den die Befruchtung einleitenden 
Reifungsteilungen, eine besonders wichtige Rolle bei der Verteilung 
der Vererbungspotenzen auf die Nachkommen zufallen müsse. Es 
wurde auch bereits hervorgehoben, daß diese hauptsächlich durch 
Weismann begründeten Anschauungen eine wichtige Unterstützung 
durch die Aufstellung der Individualitätshypothese erhielten, 
wonach, ähnlich wie der Kern als Ganzes, so auch die einzelnen 
Chromosomen relativ selbständige Individuen oder autonome Lebens- 
einheiten sind, die auf dem Wege der Teilung von Zellgeneration zu 
Zellgeneration überliefert werden. 

Nach dieser durch Rabl, E. van Beneden und Boveri auf- 
gestellten, hauptsächlich aber durch letzteren begründeten und aus- 
gearbeiteten Lehre bilden also die Chromosomen, die zu Beginn 
der Mitose aus der „ruhenden" Kernsubstanz hervorgehen, die 
direkte Fortsetzung derjenigen Chromosomen, welche nach Ablauf 
der vorangegangenen Teilung in die Entstehung der Tochter- 

') Kap. 14 u. m. 



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V 



Stützen der Individualitätshypothcsc. 



305 



Fig. 108. 




kerne eingegangen waren, sie stellen also, abgesehen von der durch 
den Stoffwechsel bewirkten Substanzvermehrung und Substanzet neue- 
rung, dieselben Individuen wie die letzteren dar 1 ). Voraussetzung 
dieser Annahme ist natürlich, daß den bei der Teilung auftretenden 
Chromosomen auch im „ruhenden Kern" relativ selbständige Teile der 
Kernsubstanz entsprechen. 

Die Frage, ob den Chromosomen wirklich die hier angenommene 
morphologische und physiologische Selbständigkeit zukommt, ist 
von größtem, vererbungstheoretischem Interesse, auch dann, wenn die 
Xhromosomenhypothese der Vererbung", welche sich vom 
Boden der Individualitätslehre aus im Laufe der Jahre entwickelt 
hat, sich in wesentlichen Zügen als 
unhaltbar erweisen sollte. Sicher wer- 
den auch alle Vererbungshypothesen 
der Zukunft die Frage nach der Natur 
der Chromosomen zu berücksichtigen 
haben, und es ist daher hier am Platze, 
au! die Begründung der Individuali- 
tätslehre etwas näher einzugehen. 

Unter den Argumenten, welche zu 
ihren Gunsten angeführt worden sind, 
spielt die fast überall nachweisbare 
konstante spezifische Chromo- 
somenzahl 2 ), sowie die schon von 
Rabl hervorgehobene Tatsache der 
übereinstimmenden Anordnung 
der telophasischen und propha- 
siseben Chromosomen eine wichtige Rolle. Wie nämlich an den 
Epidermiszellen von Salamandra (Fig. 10Ö), an den Furchungszellen 
von Ascaris») und an anderen Objekten in kaum widerlegbarer Weise 
gezeigt werden kann, weisen die Chromosomen, welche zu Beginn 
einer Kernteilung aus dem ruhenden Kern hervorgehen (Fig. 108B), 
annähernd die gleiche charakteristische Stellung auf, welche 
die Tochterchromosomen der vorhergehenden Teilung beim Eintritt 
in das Kernruhestadium eingenommen hatten (A). 




Telophasen und I'rophaseu in den 
Epidermiszellen vön Salamandra. 
Nach Rabl und Boveri. 



') Vgl. besonders Boveri 1004. 
«) Vgl. Kap. lt. S. HJ. 
"I Vgl. besonders Boveri 190Q. 
H aec ker, Vererbungtlehre. 



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306 



Stützen der Individualitätshypotb 



Bei dem zu den klassischen Objekten der Zellforschung ge- 
hörenden Pferdespulwurm (Ascaris megaloeephala) lassen sich über- 
haupt eine ganze Reihe von Erscheinungen nur im Sinne der Indivi- 
dualitätslehre deuten. Wenn z. B. das Ei der Rasse A. m. bivalens 
durch ein Spermatozoon der Rasse univalens befruchtet wird, so ent- 
wickelt der mütterliche Kern vor der ersten Teilung des Eies zwei 
lange, der väterliche ein kurzes Chromosom (Fig. 109A), und ebenso 
treten auch in der ganzen Zellenfolge, welche zur Bildung der Ur- 
geschlechtszellen führt, bei jeder Kernteilung zwei lange und ein 
kurzes Chromosom auf (B), eine Tatsache, welche offenbar als ein 
nachdrücklicher Hinweis auf eine durch die Kernruhestadien hindurch 



bestehende Kontinuität der väterlichen und mütterlichen Chromosomen 
angesehen werden darf »). 

Als eine weitere wertvolle Stütze der Individualitätslehre ist von 
verschiedenen Seiten auch auf die Tatsache hingewiesen worden, daß 
namentlich in der Spermatogenese verschiedener Insekten einzelne 
Chromosomen von bestimmter Größe, Form und Färbbarkeit sowohl 
in den Spermatogonien, wie in den Spermatocy ten beob- 
achtet werden konnten , so daß wenigstens für diese besonderen 
Elemente eine Kontinuität durch mehrere Zellgenerationen hindurch 
kaum bezweifelt werden kann. Diese als „Heterochromosomen" be- 
zeichneten Elemente sind schon früher besprochen worden und werden 
später nochmals zu behandeln sein a ), hier soll nur darauf aufmerksam 
gemacht werden, daß auch bei einem der wichtigsten Objekte der Ver- 

> 

l ) Vgl. Herla. 
*) Kap. 10 bzw. 32. 



Fig. 109. 




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Stützen der Individualitätshypotbese. 



307 



erbungszytologie, beim Seeigel (Echinus und Strongylocentrotus), regel- 
mäßige Formverschiedenheiten der Chromosomen beobachtet werden 
konnten 1 ). Wenigstens treten während der Eifurchung in allen Kern- 
teilungsfiguren zwei Chromosomen auf, deren Tochterelemente in der 
Metaphase durch eine charakteristische Hakenform von den übrigen 
Chromosomen verschieden sind (auf dem in Fig. 110 abgebildeten 
Schnitte ist jederseits nur ein hakenförmiges Tochterchromosom ge- 
troffen). Einer der Haken stammt beim Seeigel vom Ei-, der andere 
vom Spermakern. 

Die Individualitätshypothese war von Anfang an mit der weiteren 
Hypothese verknüpft, daß die färbbaren Teile des Kernes, ins- 
besondere die Chromatin körn chen, die für die Lebens Vorgänge 
wichtigste Kernsubstanz, also auch die 
Yererbungssubstanz bilden. Diese An- F,pr ' 1 10 ]_ 

schauung hing ihrerseits mit den Vorstel- 
lungen zusammen, die man sich anfänglich, 
namentlich im Anschluß an Flemming, 
bezüglich der Entstehung der Chromo- 
somen in den Prophasen der Teilung und 

hinsichtlich der telophasischen Rekonstitu- n l \ l# 

tion der Tochterkerne gemacht hatte 2 ). In- ^ ^ 9 




dessen stehen der Individualitätshypothese 
in dieser Form, der sogenannten Chroma- 
tinerhaltungshypothese,eineReihevon Krsle ^chungsspindei 

,. T „ von Strongylocentrotus. Nach 

Schwierigkeiten im Wege, so vor allem Baitzcr 
die Beobachtung, daß in vielen Fällen im 

-ruhenden" Kern des unreifen Eies (Keimbläschen), abgesehen von 
einem großen Xucleolus, überhaupt keine färbbaren, als Chromatin- 
körnchen zu deutenden Substanzen wahrgenommen werden, und daß 
bei verschiedenen Objekten, z. B. in den embryonalen Geweben der 
Amphibien, in den jungen Eizellen der Kopepoden, sowie in manchen 
Pflanzenzellen 3 ), der Bestand der Kerne an Chromatinkörnchen, offenbar 
im Zusammenhang mit dem physiologischen Zustand der Zelle, ein sehr 



') Baltzer 1909. 
*) Vgl. Kap. 6. 

") Von verschiedenen Botanikern ist eine Korrelation zwischen der Ernährungs- 
arbeit der Zelle und der Menge der chromatischen Substanz nachgewiesen worden 
(Zacharias, Lily Iluie, Rosenberg, Magnus). Vgl. die Literatur bei Rosen- 
berg 1004. 

so- 



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308 Acbromatinerbaltungshypothesc. 

wechselnder sein kann. Diese Schwierigkeiten werden von der Achro- 
matinerhaltungshypothese durch die Annahme umgangen, daß die 
eigentlich aktive Substanz des Kernes durch das alveoläre Grund- 
plasma (S.42, Fig. 13 B, 1) repräsentiert wird, und daß die von Kern- 
generation zu Kerngeneration anzunehmende Stoff kontinuität im wesent- 
lichen auf der Fortexistenz physiologisch selbständiger Territorien dieses 
Grundplasmas beruht 1 ). Ob sich dann die neuen Chromosomen, wie 
von Gregoire für die pflanzlichen Zellen angenommen wird, einfach 
durch Kontraktion der einzelnen Zellterntorien bilden oder 
oh sie innerhalb der letzteren (endogen) in Gestalt von lokalen 
(Stäbchen- oder spiralfadenartigen) Verdichtungen ihre Entstehung 
nehmen und also zu den Kernterritorien des ruhenden Kernes, bzw. 
zu den alten Chromosomen im Verhältnis der Tochter zur Mutter 
oder der Bakterienspore zum mütterlichen Bakterium stehen 2 ), jeden- 
falls hängt ihre Grundsubstanz durch den Kernruhezustand hin- 
durch kontinuierlich mit derjenigen der alten Chromosomen zusammen 
und der ruhende Kern würde demnach als ein Kompositum aus 
mehreren, den einzelnen Chromosomen entsprechenden 
Teilkernen oder Kernplasmaterritorien bestehen 3 ). 

Eine wertvolle Stütze für diese Auffassung gewährt die Beob- 
achtung, daß bei den ersten Teilungen tierischer Eier*) die Tochter- 
chromosomen zunächst zu bläschenförmigen Gebilden, den Karyo- 
meren Fols (Idiomeren), anschwellen, welche, indem sie in be- 
stimmtem Rhythmus oder in mehr unregelmäßiger Weise miteinander 
konfluieren, diu Tochterkerne liefern (S.46, Fig. 15). In einem Falle, 
bei der Eifurchung einer Milbe (Pediculopsis graminum), konnte durch 
mehrere Zellgenerationen hindurch ein kontinuierlicher Fortbestand 
der Karyomeren beobachtet werden (Fig. III) 5 ). 

Wie gesagt, werden durch die Achromatinerhaltungshypothese 
zahlreiche Schwierigkeiten beseitigt, welche früher einer unbedingten 
Annahme der Individualitätshvpothese im Wege gestanden haben. Im 



•} Vgl. Kap.o. 
*) Ilaecker |f»4- 

*> Haecker lQfW. Ausgehend von Untersuchungen an Radiolarien und Tricho- 
nymphiden (einzelligen Parasiten der Termiten), ist neuerdings auch Hartmann 
zu der Vorstellung gelangt, daß die Metazoenkernc „Polykaryen" oder „polyeneigide 
Kerne 1 " mit einer bestimmten Anzahl von Kinzelkei nen (Eneigiden. Chromosomen) 
darstellen. 

*) Vgl. die Zusammenstellung bei Montgomcry l'Xt. 
») E. Reuter hx*) 



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Regulations- und Manövrierhypothese. 



309 



übrigen lassen sich so viele Beobachtungen zugunsten der letzteren 
anführen, daß sie jedenfalls zurzeit zu den am besten begründeten 
zell theoretischen Anschauungen gehört und, wie Boveri hervor- 
gehoben hat, nicht mehr lediglich den Charakter einer Arbeits- 
hypothese, sondern den einer gut fundierten Theorie besitzt. 

Jedenfalls steht ihr keine Gegenhypothese gegenüber, welche in 
gleicher Weise wie die Individualitätslehre allen Beobachtungen ge- 
recht wird. Dies gilt besonders auch für Delages Regulations- 
hypothese und für Ficks Manövrierhypothese. Nach ersterer 
würde die Chromosomenzahl eine spezifische Funktion des Proto- 

Fig. in. 




Furchungsteilung bei I'ediculopsis. Jederseits die vier selbständig bleibenden Karyo- 
meren, in der Mitte der Spindel mitochondrienähnlithe Stäbchen (.Cbromosomoide"). 

Nach Reuter. 

plasmas, speziell des Eiplasmas sein, und demgemäß sollen abnorme 
Chromosomenzahlen, wie sie z. B. bei künstlich bewirkter partheno- 
genetischer Entwickelung infolge des Ausfalles der Kernkopulation 
zustande kommen können, auf Grund einer selbstregulatorischen 
Fähigkeit des Eiplasmas wiederhergestellt werden. Die Konstanz 
der Chromosomenzahl könne also nicht als ein Beweis für .die 
Richtigkeit der Individualitätshypothese angesehen werden. Einen 
etwas abweichenden Standpunkt hat Fick eingenommen. Er be- 
trachtet mit Weis mann, Boveri u. a. die einzelnen Chromatin- 
körnchen als Träger oder Aggregate der hypothetischen Vererbungs- 



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3io 



Hovens Beobachtungen an dispermen Eiern. 



einheiten, er hält aber die Chromosomen, in welchen die.Chromatin- 
körnchen wälirend der Kernteilung miteinander verbunden sind, nicht 
für wichtige, von Zellgeneration zu Zellgeneration sich erhaltende 
Individuen, sondern nur für „taktische Formationen 4 * oder 
„mobile Manövrierverbände", die nur dann auftreten, wenn es 
auf die regelrechte Verteilung des Chromatins ankommt. 

Gegenüber der Anschauung Delages ist darauf hinzuweisen, 
daß die Beobachtungen über die Chromosoinenzahl bei parthenogene- 
tischen Eiern, von denen er ausgegangen ist, nicht bestätigt werden 
konnten 1 ), während mit den Annahmen Ficks die Befunde am 
Ascaris-Ei und die Beobachtungen über die Heterochromosomen kaum 
vereinbar sind 2 ). 

Die Individualitätshypothese hat von Seiten Boveris eine in 
vererbungstheoretischer Hinsicht wichtige Weiterbildung erfahren in 
Gestalt der Hypothese von der essentiellen (physiologischen) 
Verschiedenheit der Chromosomen. 

Während nämlich nach Weismann sämtliche Chromosomen 
eines Geschlechtskernes jeweils die Anlagen sämtlicher Arteigen- 
schalten enthalten und gewissermaßen nur individuelle Unterschiede 
aufweisen 8 ), ist Bovcri zu der Vorstellung gelangt, daß die Chromo- 
somen in bezug auf ihre Funktion ungleichwertig sind. 

Boveri geht von Beobachtungen an disperm, d. h. mit zwei 
Samenzellen befruchteten Seeigeleiern aus. Sei n die normale Chromo- 
soinenzahl der Echinuseier«), so werden bei doppeltbefruchteten Eiern 

die Spalthälften der 3 x — Chromosomen der drei Geschlechtskerne bei 

dem (im ersten Furchungsakt erfolgenden) simultanen Zerfall in 
vier Blastomeren in unregelmäßiger und durchaus zufälliger Weise 
verteilt werden. Die Blastomeren werden also in ihrem Chro- 
matinbestand ungleichwertig sein (Fig. 112). 

Seien die Chromosomen des Eikerns a l , /<,. c,, d v die des einen Spermakerns 
a,. b t , c t > </,, die des anderen o a , 6,. e„, d 3 , so wird, wenn durch Verdoppelung der 
von den beiden Spermien mitgebrachten Centrosomen vier Pole entstehen . jedes der 
12 Chromosomen ganz nach Zufall zwischen zwei der vier Pole gebracht weiden 



* ') Bovcri lQo.\ Vgl. auch E. Bataillon. Anh. Znol. Exp.(5). Tom. 5. S. 107 
(1910). 

*) Vgl. Boveri 1907. 1Q09. 
') Vgl. Kap. 10. 

*) Bei Echinus mkrotuberculatus existieren nach Bovtti zwei Varietäten mit 
IS und 36 Chromosomen. 



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Ungleichwertigkeit der Chromosomen. 



3H 



(Fig. 112). Dementsprechend werden, wenn sich die Vierteilung des Kies vollzieht, 
die vier Blastomeren einen ganz verschiedenen Bestand an Tochtercbi omosomeu 
erhalten. 

Werden nun die vier Blastomeren künstlich voneinander gelöst 
und zu selbständiger Weiterentwickelung gebracht, so entstehen, wie 
die Erfahrung zeigt, pathologische Derivate, und zwar von un- 
gleicher Entwickelungsfähigkeit und Beschaffenheit. Eine 
Störung im Zellprotoplasma kann nun als Ursache für den patho- 
logischen Zustand nicht in Frage kommen. Denn da bei der simul- 
tanen Vierteilung die vier Blastomeren in ihren Protoplasma- Eigen- 
schaften offenbar gleichwertig sind, so hätten bei einer plasmatischen 
Störung Derivate von gleicher i(> 
Beschaffenheit resultieren müssen. 
Die Derivate sind aber, wie ge- 
sagt, ungleichwertig, und diese 
Tatsache kann nach Boveri nur 
darauf beruhen, daß bei der si- 
multanen Teilung die vier Blasto- 
meren einen ungleichen Chro- 
matinbestand erhalten haben. 
Unter Berücksichtigung aller 
näheren Verhältnisse kommt dann 
Boveri zu dem weiteren Schluß, 
daß es nicht die ungleichen und 
zum Teil verminderten Chromo- 
somenzahlen sein können, welche Verteilung der Chromosomen bei der 
die Bildung ungleichwertiger De- simultanen Vierteilung disperm befruchteter 

• „ 4vv . c a. a:~ Seeigeleier. Frei nach Boveri. 

nvate hervorruten, denn die * 

Möglichkeit, kernlose Eifragmente durch Befruchtung sowie unbe- 
fruchtete Eier durch künstliche Agenzien zur Ent Wickelung zu bringen 
(Merogonie bzw. künstliche Parthenogenesis), beweist, daß die 
Chromosomenzahl sogar auf die Hälfte vermindert werden kann und 
dennoch normale Larven entstehen. Es ergibt sich also, daß die 
Variationen, die bei der Entwickelung dispermer Keime auftreten, nur 
auf einer wechselnden Kombination von Chromosomen beruhen kön- 
nen, daß also die einzelnen Chromosomen verschiedene Quali- 
täten besitzen müssen 1 ). 




') Vgl. Boveri igo.\ 1004. 



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312 



< Gültigkeit der Uovei ischeu Hypothese. 



Ausgehend von diesen Befunden und Erwägungen, sowie unter 
Berücksichtigung der bei den Chromosomen anderer Objekte beob- 
achteten regelmäßigen Größenabstufungen (S. 108, Fig. 72) und der 
Beobachtungen über die Heterochromosomen, stellt sich also Boveri 
vor, daß die Chromosomen eines Kernes physiologisch (essen- 
tiell) ungleichwertig sind, und daß für die normale Entwickelung 
des Embryos eine bestimmte Kombination nötig ist. 

Bezüglich der Eindeutigkeit von Boveris Beobachtungen und 
der Sicherheit seines logischen Eliminationsverfahrens, durch welche 
andere Erklärungsmöglichkeiten ausgeschlossen werden sollen, sind 
verschiedene Einwände erhoben worden 1 ). Indessen konnte bisher 
nichts Entscheidendes vorgebracht werden, und wenn man vielleicht 
auch die Empfindung hat, daß bei der Kompliziertheit des Experiments 
und der Schlußketten weitere Untersuchungen noch manche un- 
erwartete Wendungen bringen könnten, so wird man doch in den 
Ergebnissen Boveris einen nachdrücklichen Hinweis auf das Vor- 
handensein physiologischer Ungleichwertigkeiten der Chromosomen 
sehen dürfen , wie denn auch neuerdings eine Anzahl .von Forschern 
zu der Ansicht gelangt ist, daß Boveri im wesentlichen recht 
haben dürfte«). 

Es wurde oben darauf hingewiesen, daß, sobald man sich auf 
den Boden des Individualitätsgedankens stellt, im Hinblick auf das 
in der Organismenwelt überall gültige Prinzip der Arbeitsteilung eine 
funktionelle Verschiedenheit auch der Chromosomen von vornherein 
als wahrscheinlich erscheinen muß. Beispielsweise könnte man sich 
denken, daß ein successiver Abbau der Chrdmosomen, wie er z. B. 
innerhalb der Gattung Cyclops Hand in Hand mit der zunehmenden 
Entfernung von den primitiven Typen geht, nicht ausschließlich auf 
eine Verminderung der Kernsubstanzmasse hinzielt, daß vielmehr, 
ähnlich wie bei metamer gegliederten Tieren, mit der Abnahme der 
Segmentzahl vielfach auch eine zunehmende Arbeitsteilung zwischen 
den Segmenten verbunden ist, auch die Chromosomen im Laufe der 
Stammesgeschichte eine morphologische und physiologische Differen- 
zierung erfahren können. 

Einer Verallgemeinerung der Ergebnisse dürften allerdings vor der 
Hand noch erhebliche Bedenken im Wege stehen. „Welche Schwierig- 



') Vgl. Driesch, S. 628 (1905): Rabl, S. 68 (1906); Fielt 1907. 
*) Vgl. Driesch, S. 31 (lOOO); Godlewski, S. 229 (1909) 



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Gültigkeit der Boveri sehen Hypothese. 



313 



keiten ergeben sich z. B. bei der Vorstellung, daß die Anlagen so 
verschiedener Formen wie der Weinbergschnecke, der Feuerwanze 
< Pyrrhocoris), des Salamanders und der Lilie jedesmal auf die gleiche 
Anzahl von Chromosomen, nämlich auf 24, verteilt sein sollen; und 
wie würde es zu erklären sein, daß gerade die Zahlen 12, 16, 24 so 
häufig wiederkehren 1 )?" 

Welche Zellfunktionen im übrigen im Falle einer wirklich vor- 
handenen Arbeitsteilung auf die einzelnen Chromosomen verteilt sein 
könnten, darüber liegen bisher, abgesehen von der Hypothese von 
der geschlechtsbestimmenden Funktion der Heterochromosomen 
(Kap. 32), nur wenige Äußerungen vor, wie sich denn auch Boveri 
in dieser Hinsicht noch sehr zurückhaltend ausgedrückt hat 2 ). 



Literaturverzeichnis zu Kapitel 29. 

Boveri, Tb.. Zellenstudicn II und III. Jena 188S und 1890. 

— , Uber mehrpolige Mitosen als Mittel zur Aualysc des Zellkernes. Verh. Pbys.- 

Med. Ges. Würzb., (N. F.). 35- Bd.. 1902. 
— . Die Ergebnisse Aber die Konstitution der chromatischen Substanz des Zellkernes. 

Jena 1904. 
— . Zellcnstudten VI. Jena 1907. 

— , Die ßlastomercnkerne von Ascaris usw. Aich. Zcllf.. 3. Bd., 1909. 
Oclagc, Y., Stüdes experi mentales Sur la matur. cytoplasmique etc. Aich. Zool. 
exp. (3) Vol. 9. 1901. 

Driesch. H.. Die Entwickelungsphysiologic von 1902 bis 1905 und 1905 bis 190s. 

Erg. An. u. Entw.. Bd. 14 u. 17, 1905 u. 1909. 
Fick, R.. Betrachtungen über die Chromosomen usw. Arch. An. Phys. (Anal.). 

Suppl. 1905. 

— , Vererbungsfragen usw. Erg. Anat. u. Entw.. 16. Bd.. 1907. 
Godlewski, E., Das Vererbungsproblem im Lichte der Kntwickelungsmechanik be- 
trachtet. Leipzig IQ09. 
Gregoire.V., et Wygaerts. A., s. Literaturverzeichnis 6. 

Haecker.V.. Mitosen im Gefolge amitosenähnlicher Vorgänge. Anat. Anz., 17. Bd.. 
1900. 

— . Bastardierung und Geschlechtszellenbildung. Zool. Jahrb. Suppl. 7. 1904. 
— , Die Chromosomen als angenommene Vererbungsträger. Erg. Fortschr. Zool. 
l.Bd., 1907. 

Hartmann. M., Untersuchungen über Bau und Entwickelung der Trichonymphiden. 
Festschr. f. R. Hertwig. i.Bd. Jena 1910. 



') Haecker, S. 233 (1904); S.00 (1907). 

■) Vgl. Boveri. S.96 (1904). Lillie, S. 250 ( 1900). Haecker, S. 59 (i^'7). 
sowie Kap. 32. 



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3H 



Literaturverzeichnis 2'). 



Hcrla, V., Stüdes des variatkms de la mitose chcz l'ascaridc meg. Aich. Biol., 
Vol. 13, 1893. 

Lillic, F. R., Obscrv. and cxp. etc. in Chactopterus. Journ. Exp. Z00L Vol. 3, 1000. 
Montgomery, Th. H., A study of the cbromos. of thc germ cclls of Metazoa. 

Trans. Amei . Phil. Soc, Vol. 20, 1901. 
Rabl. C, Über Zellteilung. Morph. Jahrb. 1885, io. Bd. 
— . I ber „organbildende Substanzen" usw. Leipzig 1900. 

Rosenberg. O., Über die Individualität der Chromosomen im Pflanzenreiche. Flora, 
93. Bd.. 1004. 

Strasburger. F.. Über die Individualität der Chromosomen usw. Jahrb. wiss. Bot. 
1907, 44. Bd. 

Van Beneden. E., et Neyt, A., Xouvellcs recherches sur la föcondation etc. Bull. 
Ac. Roy. Belg. (3) Tom. 14. i**7. 



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Dreißigstes Kapitel. 

Das Reduktionsproblem 

Kein anderer Zweig der Zellenlehre hat von Anfang an in so enget 
Verbindung mit der Fortentwickelung der vererbungstheoretischen 
Anschauungen gestanden und hat von dieser Seite so viele befruch- 
tende Impulse empfangen, wie die Erforschung der Reifungsteilungen. 
Nachdem Weismann (1877) von theoretischen Erwägungen aus zu der 
Forderung einer in der Reifungsperiode vor sich gehenden Reduktion 
der Chromosomen zahl gelangt war«), haben die regelmäßigen 
Zahlenabstufungen, welche die Chromosomen unmittelbar vor und 
während jener Periode aufweisen, und das Zustandekommen dieser 
Verhältnisse den Gegenstand von Hunderten von Untersuchungen an 
den verschiedensten tierischen und pflanzlichen Objekten gebildet. Als 
dann nach einigen Jahren, angesichts der zahlreichen, scheinbar un- 
überwindlichen Schwierigkeiten, welche sich der endgültigen Ent- 
scheidung mancher strittiger Punkte entgegenzustellen schienen, das 
Interesse zu erlahmen begann und beinahe eine Art von Resignation 
Platz greifen wollte, hat zu Anfang dieses Jahrhunderts die plötzlich 
sich eröffnende Aussicht, die eigentümlichen bei der Reifung hervor- 
tretenden Chromosomen Verteilungen zu den Mendel sehen Spaltungs- 
prozessen in eine engere Fühlung zu bringen, den Gegenstand aufs 
neue in den Vordergrund des cytologischen Interesses gerückt. Dieser 
erneuten und mit erhöhtem Eifer erfolgten Inangriffoahme des Gebietes 
ist es zu verdanken, daß in den letzten Jahren das Reifungs- und 
Reduktionsproblem, wie ich glaube, sehr wesentlich der Klärung und 
Entscheidung näher geführt worden ist. 

Es muBte darauf ankommen, wenigstens bei einigen Objekten, zu sicheren Er- 
gebnissen zu gelangen, und es schien mir, daß gerade die Kopepoden wegen der 
Klarheit der cytologischen Bilder und wegen der Möglichkeit ausgedehnter ver- 



') Vgl. Kap. 0 (Phylogenie der Reifungsteil ungen), 11 (Chromosomen zahl bei 
der Keifung), 10 (Postulat der Reduktionsteilung). 
*) Siehe oben S. 1QJ. 



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3iö 



Zahlcngesetz der Diakinese. 



gleichender, sowie experimentell -cytologischer und bastardgeschicht lieber Unter- 
suchungen besonders günstige Aussichten darbieten. Seit einer Reibe von Jahren 
habe ich daher in Verbindung mit einer Anzahl von Mitarbeitern die Kopepodcn in 
systematischer Weise aufs neue in Angriff genommen, und durch die bisher er- 
schienenen Arbeiten von E. Wolf (vorbereitende Untersuchungen über die Fort- 
pflanzung), Schiller (künstliche Beeinflussung der Kernteilungen), Braun (Chromo- 
somenzabi), Matscheck (Reifungsteilungen), Frl. O. Krimmel (somatische Mitosen), 
Amma (Geschlechtszellendifferenzierung), Krüger (Canthocamptus) sind die Unter- 
suchungen bereits nach verschiedenen Richtungen hin gefördert und zum Teil auch 
bis zu einem gewissen Abschluß gebracht worden. 

a) Das Zahlengesetz der Diakinese. 

Abgesehen davon, daß die Untersuchungen bei Einzelligen eine 
Reihe von neuen Gesichtspunkten eröffnet und zu bestimmteren Vor- 
stellungen bezüglich der Phylogenie der Reifungsteilungen geführt 
haben *), konnte durch die neueren Forschungen immer wieder die 
schon früher 2 ) erwähnte, für die Reifungsperiode gültige Regelmäßig- 
keit oder, wie man hier wohl beinahe sagen kann, Gesetzmäßigkeit 
nachgewiesen werden. Diese besteht darin, daß bei den höheren 
Tieren und Pflanzen die Zahl der komplexen Chromosomen- 
gruppen, die in den Prophasen der ersten Reifungsteilung, speziell in 
der Diakinese 3 ), hervortreten, also die Zahl der sogenannten 
Vierergruppen oder Tetraden und ihrer Homologen (Vierer- 
kugeln, Viererstäbchen, Doppelföden, Doppelstäbchen, Ringe, Kreuze) 
halb so groß ist als die „normale", „somatische", „diploide" *) 
Zahl der Chromosomen, wie sie unter anderem in den Teilungen 
der Spermatogonien und Ovogonien zum Vorschein kommt Ent- 
sprechend diesem Zahlengesetz der Diakinese beträgt z. B. bei 
der Spermatogenese und Ovogenese von Ascaris die Zahl der Vierer- 
stäbchen, welche zu Beginn der Reifungsperiode beobachtet wird, 
bei der Rasse bivalens 2, bei univalens l, während die Normalzahl, 
wie sie in den Spermatogonien und Ovogonien, im befruchteten Ei 

») Vgl. Kap. 9. 

•) Vgl. Kap. Ii, S. 119. 

s ) Vgl. S. 90, Fig. 5-'. Die Diakinese umfaßt diejenigen prophasiseben Stadien» 
in welchen die bereits formierten und mehr oder weniger kondensierten Chromo- 
somen eine lose Verteilung innerhalb des noch membianuinschtossenen Kernraums 
zeigen. 

*) Strasburger bat die „normale" Zahl, wie sie durch Vereinigung der beiden 
Geschlechtskerne zustande kommt, als diploid, die in jeder der reifen Geschlechts- 
zellen enthaltende („reduzierte") Zahl als haploid bezeichnet. Vgl. Strasburger 
1005, Gregoire, S. .'45 (1910). 



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Homologie «Icr .Komplexe" 



und in den Keimbahnzellen des sich furchenden Eies gefunden wird 
(S. 8l, Fig. 45; S.62, Fig. 28 A), sich auf 4 bzw. 2 beläuft. 

Wie der Name Vierergruppen oder Tetraden besagt, läßt sich 
ferner in den allermeisten Fällen eine Zusammensetzung dieser 
komplexen Gebilde aus mindestens vier Einheiten nachweisen, 
und da ferner die vier Einheiten jedes Komplexes im Verlaufe der 
beiden Reifungsteilungen auf die definitiven Fortpflanzungszellen 
verteilt werden, so kommt tatsächlich eine numerische Reduktion 
oder Halbierung der Chromosomenzahl im Laufe der 
Reifungsperiode zustande, derart, daß die definitiven Fortpflanzung^ 



Fig. 113. 




A B 

Achtel gi uppe {.\) und Achterring (B) bei Copepoden. Nach Matscheck. 
q Uuerspalt. II und III priminer und sekundÄrcr iJingsspalt. 

zellen nur noch die Hälfte derjenigen Zahl enthalten, welche in den 
Spermatogonien und Ovogonien auftritt: 

Spei matogonien und Ovogonien n Einheiten 

Spermatocyten und Ovocyten erster Ordnung • • Komplexe =— • 4 Einheiten 

II 

Spermatocyten und Ovocvten zweiter Ordnung • — • J Einheiten 

91 

Samen- und Eizelle — Einheiten 

2 

Befruchtetes Ei w Einheiten 

b) Homologie der komplexen Chromosomengruppen. 

Als der Niederschlag zahlreicher außerordentlich mühevoller 
Untersuchungen, welche im Laufe der beiden letzten Jahrzehnte an 
den verschiedensten zoologischen und botanischen Objekten ausgetührt 
worden sind und auf die Feststellung der Entstehungsweise und auf 
die Möglichkeit einer Homologisierung der komplexen Chromosomen- 
gruppen gerichtet waren, hat sich, wie ich glaube, folgendes ergeben. 



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318 



Unterdrückung der (juerkerbe. 



Fig. 1 14. 





Sekundär längsgcspal 
lene Doppelläden bei 
Stenoboihrtis. Nach 
Davios. 



Man geht am besten wohl von der Tatsache aus, daß bei einer 
Reihe von Formen die »Komplexe* 4 der ersten Teilung nicht bloß 
eine Viertci ligkeit, sondern sogar eine Achtteiligkeit erkennen 

lassen. Dies ist z. B. bei den Kopepoden der Fall, 
bei welchen entweder quergekerbte Doppel- 
stäbchen, deren Einzelstäbchen selbst wieder 
„sekundär" längsgespalten sind (Fig. 113A), 
oder vierteilige, ebenfalls sekundär längs- 
gespaltene Ringe auftreten ( Fig. I13B). 

Nun läßt sich aber für die Kopepoden mit 
Sicherheit nachweisen, daß die quergekerbten 
Doppelstäbchen und vierteiligen Ringe einander 
homolog sind, daß insbesondere die durch Kerben 
(q) getrennten Hälften der Einzelstäbchen 
den Viertelbögen der Ringe 1 ) und der „sekundäre" Längsspalt 
der Doppelstäbchen (II, l) demjenigen der Ringe entspricht 2 ). 

Bei diesen achtteiligen Komplexen oder Ditetraden der 
Kopepoden ist nun offenbar die äußerlich wahrnehmbare Gliederung 
der Komplexe am weitesten ausgebildet, und auf sie als die über- 
sichtlichsten Vorkommnisse können, wie mir 
scheint, sämtliche übrigen bei zoologischen und 
botanischen Objekten gefundenen Bilder unschwer 
zurückgeführt werden. 

Entweder kommt nämlich in den Pro- 
und Metaphasen, teilweise auch in den Ana- 
phasen der Teilung die Querteilung nicht 
z um Vorschein. Dann liegen Bilder vor, wie 
sie z. B. bei den Orthopteren (Fig. 114) und bei 
den Lilien (Fig. 115) beobachtet worden sind und 
wie sie in etwas abweichender Form auch bei 
Ascaris auftreten »). Die Chromosomenkomplexe 
bestehen aus je einem Paar von parallel ge- 
lagerten oder umeinander gedrehten Fäden oder 
Stäbchen (Einzelfaden oder -Stäbchen, chromosomes-filles I bei Gre- 
goire u. a.), welche ihrerseits mehr oder weniger deutlich „sekundär" 




Sekundär längsgespai- 
tene Doppel fädeu bei der 

l'ollenbüdung 
von AUium fistulosum. 
Nach Strasburger. 



') Vgl. Riickert und Matscheck. 

*) Vgl. besonders Matscbecks Beobachtuugen bei Diaptomus saliuus. 
J ) Lei at (Cell., Vol. 22, 1905) hat auffallenderweise auch bei Cyclops strenuus 
die »Juor kerbe nicht finden können. 



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Unterdrückung des sekundären Längsspaltcs. 



319 



Fig. 1 16. 



längsgespalten sind und demnach aus zwei dicht aneinander gelagerten 
Einheiten (chromosomes-filles II) zusammengesetzt erscheinen. Mit- 
unter, so bei Salamandra, tritt der „sekundäre" Längsspalt erst wäh- 
rend der Metaphase hervor (Fig. 116). 

Oder, in einer weiteren Gruppe von Fällen, es tritt im Verlaufe der 
Pro-, Meta- oder Anaphasen der ersten Teilung eine Querkerbe oder 
wenigstens eine charakteristische Knickung der Einzelstäbchen auf, 
dagegen kommt die „sekundäre" Längsspaltung während der ersten 
Teilung überhaupt nicht zur Ausbildung. Dann liegen quergekerbte 
Doppelfäden oder -Stäbchen (S. 43« Fig. 14 b), 
vierteilige Ringe (S. 90, Fig. 52 C — D), Kreuz- 
figuren mit gleich langen oder ungleichen Armen 
(Fig. 117b — d) oder Viererkugeln (Fig. ll7e) vor. 

Alles in allem können also im Verlauf der 
verschiedenen Phasen der ersten Teilung drei 
verschiedene Ilaupttypen von komplexen Chro- 
mosomen auftreten: 

L Achtteilige (quergekerbte und „sekun- 
där" längsgespaltene) Komplexe, O k - 
taden und Ditetraden, z. B. in der 
Ovogenese der Kopepoden und in der- 
jenigen von Ascaris canis 1 ) (Fig. 113). 
II. Vierteilige („sekundär" längsgespal- 
tene) Komplexe, Längstetraden, 
z. B. die Viererstäbchen bei der Samen- 
bildung der Orthopteren (Stenobothrus, Fig. 11 4) und bei der 
Pollenbildung von Liliaceen (Allium, Fig. 115), nach früherer 
Darstellung auch bei der Ei- und Samenbildung von Ascaris 
megalocephala. 

III. Vierteilige (quergekerbte) Komplexe, Quertetraden, 
z. B. die Kreuze und Viercrkugeln bei der Samenbildung 
von Orthopteren und Hemipteren (Fig. 117). 




Anaphasen der hetero- 
typischen Teilung im 
Salaniandorhoden Narh 
Flemming. 



c) Entstehung und Zerlegung der komplexen Chromosomen. 

Es fragt sich nun weiter, in welchem Verhältnis stehen die prophasi- 
schen Komplexe zu den Chromosomen der Spermatogonien und Ovo- 

*) Vgl. Marcus 1906 (besonders Taf. 30. Fig. 34). Auch in der Ovogenese 
von A. megalocephala ist von Tretjakoff (1904, Taf. 21, Fig. 7) das vorübergehende 
Auftreten einer Querkerbe beobachtet worden. 



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320 Kntstehung der Komplexe. 

gonien und wie kommt insbesondere der Übergang der Zahl n in die 

Zahl — (S.317) zustande? Spielen dabei die nämlichen Prozesse, wie 

bei den gewöhnliehen (somatischen) Kernteilungen, oder Vorgänge 
von irgend einer besonderen Art eine Rolle? 

Nach einer heute fast allgemein anerkannten Anschauung, zu 
welcher O. vom Rath, ich selbst und Rückert auf verschiedenen 
Wegen gelangt sind 1 ), sind die Komplexe zunächst als zweiwertige, 
bivalente Chromosomen aufzufassen, deren Eigentümlichkeiten auf 
einer engen paar weisen Verbindung der spermatogonialen und ovo- 



Fig. 117. 

a a 




Umwandlung der quergekerbten Doppelfäden von Syromastes in Vierergruppen (ehe 
das Stadium d in e ubergeht, erfolgt die Einstellung in die Teilungsfigur, wobei die 
kurzen Arme der Vierergruppe in die Äquatorebene zu liegen kommen). 

Nach Groß. 

gonialen Elemente beruhen. Die Herabsetzung der Zahl n auf die 

Zahl — findet also nicht etwa auf dem Wege einer teilweisen Re- 
2 to 

sorption der spermatogonialen und ovogonialen Elemente statt, sondern 
ist nur eine scheinbare, also eine Schein- oder Pseudoreduktion, 
wie jetzt allgemein gesagt wird. 

Nach der ursprünglichen Auflassung würde die Scheinreduktion 
stets dadurch zustande kommen, daß der kontinuierliche (vielfach 
schon längsgespaltene) Chromatinfaden, welcher bei einzelnen Objekten 
in der Knäuelphase der ersten Reifungsteilung beobachtet wird 
(Fig. 118, 119), beim Übergang in die Diakinese eine unvollständige 



»J Vom Rath ixt).», Haccker lHC)j, Rückert IH04. 



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Metasyndcse 



321 



Segmentierung erfährt, d. h. es unterbleibt ein Querteilungsschritt und 
infolgedessen werden durch den Segmentierungsprozeß nicht w, sondern 

nur — Elemente gebildet. Diese Auffassung der Scheinreduktion 
2 

dürfte sicher, wie ich glaube, für einen Teil der Objekte tatsächliche 
Gültigkeit haben, es wird aber wohl besser eine weniger mit hypo- 
thetischen Vorstellungen verbundene Ausdrucksweise zu wählen und zu 
sagen sein, es hat eine paarweise Verbindung, eine Syndese je zweier 
spermatogonialer oder ovogonialer Elemente stattgefunden, sei es noch 

Fig. 1 1H. Fig. 110. 





Kontinuierliches längsgcspaltencs 

Spirem aus den Prophasen 
der ersten Reifungsteilung des 
Salamanderhodens. Nach Flemming. 



Kontinuierliches längsgespaltencs 
Spirem in der Pollenmutter- 
zelle von Lilium. 
Nach Farmer und Moore. 



in den Endstadien der letzten spermatogonialen oder ovogonialen 
Teilung, sei es in den frühen oder auch in den späten Prophasen 
der ersten Reifungsteilung 1 ). 

ua) Annahme einer Metasyndcse. 

Nach einer ersten Auffassung besteht nun die Syndese darin, 
daß sich je zwei der spermatogonialen oder ovogonialen Elemente in 
einer der vorhin erwähnten Phasen mit ihren Enden aneinander, also 
hintereinander legen»), es findet eine Metasyndese statt. Es 

') Vgl. Haeckcr, S. 73 ff. (1907). Die Bezeichnung Konjugation ist für diesen 
Vorgang zunächst zu vermeiden, da man bei diesem Worte an einen geschlechtlichen 
Vorgang, in unserem Falte an eine Verbindung je eines väterlichen und eines mütter- 
lichen Elementes denkt (s. unten). Auch der Ausdruck Synapsis (S. 89), den 
McClung für die paarweise Vereinigung vorschlägt, ist offenbar nicht am Platze, 
da man dabei, seit diese Bezeichnung durch Moore eingeführt ist, in erster Linie an 
das bekannte Bild der einseitig zusammengedrängten Kernsubstanz denkt. 

•) Die amerikanischen Autoren sprechen von einer end-to-end-coujugation. 
Haeckcr, Vererbungslehre. 



322 



Tetradenformeln. 



würde dann ein Spezialfall vorliegen einer sehr weit verbreiteten Er- 
scheinung, nämlich der in den Prophasen der Kernteilungsprozesse 
häufig hervortretenden Neigung der Chromosomen zurEnd verklebung, 
Agglutination oder Kettenbildung 1 ). 

Wenn dies wirklich zutrifft, so bestehen folgende Zusammenhänge 
zwischen den Chromosomen der spermatogonialen und ovogonialen 
Teilungen und den komplexen Elementen der Reifungsperiode. Wer- 
den die ersteren durch a,b,c,d... und nach vollzogener „primärer" 

Längsspaltung durch — , ^, — , bezeichnet, so weisen die dia- 

kinetischen Chromosomen speziell der Kopepoden auf Grund der 
Metasyndese die Zusammensetzung auf: 

tt + b c + d 

a -(- * c -\- d 

oder kürzer: 

a\b c\d 
^\b f 7\d"' 

Wenn dann eine sekundäre, den zweiten Teilungsakt vor- 
bereitende Längsspaltung bemerkbar wird und die Komplexe acht- 
teilige Ditetraden werden, so ergibt sich für sie die Zusammen- 
setzung: 




wobei durch die Striche I und II die Richtung des primären und 
sekundären Längsspaltes angedeutet wird. 

Bei manchen Kopepoden, z.H. Cyclops gracilis und Oiaptorous salinus, sind in 
der späten Diakinese der sekundäre Längsspalt und die Querkerbc bald hintereinander 
(in aufeinanderfolgenden Phasen), bald nebeneinander (an denselben Komplexen) zu 
beobachten (Matscheck 1910, Taf.4, Fig. 4— 8; Taf.6, Fig. 63— 64). Ich selbst habe 
bei anderen Formen schon bei meinen allerersten Untersuchungen Bilder dieser Art 
gesehen, ohne sie jedoch richtig zu deuten. 

Einen entsprechenden Aufbau zeigen die Längstetraden anderer 
Formen, nur daß hier die auf die Metasyndese zurückzuführende 
Bivalenz der Elemente äußerlich nicht sichtbar ist: 

(1) 

©' 

') Haecker 1907. Als eine entferntere Analogie kann die Kettenbilduug der 
Gregarinen und Bakterien angeführt werden. 



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Tetradenformeln. 



323 



Für die Q uerte trade n, bei welchen keine sekundäre Längs- 
spaltung hervortritt, lautet die Formel einfach: 

«|6 
öl*' 

Was nun die Verteilung der Komponenten dieser Komplexe 
im Verlaufe der beiden Reilungsteilungen anbelangt, so spielen hier- 
bei offenbar zwei Momente eine Rolle, die mit dem früher her- 
vorgehobenen Charakter der Reifungsteilungen als rudimentärer Sporen- 
bildungsprozesse zusammenhängen auf der einen Seite die ver- 
schieden abgestuften Rückbildungen und Zusammenziehungen, 
welche der in den Reifungsteilungen mit so großer Zähigkeit fest- 
gehaltene Prozeß der „Tetrasporenbildung" bei den einzelnen Orga- 
nismengruppen erfahren hat, auf der anderen Seite die Gleich- 
wertigkeit, welche bei vorgeschrittener Zusammenziehung a ) der 
Längs- und Querteilungsprozeß hinsichtlich der dizentrischen Wanderung 
und endgültigen Verteilung der Komponenten erlangen kann. 

Ist die Zusammenziehung der beiden Teilungsprozesse nur wenig 
vorgeschritten , wie dies bei einer größeren Zahl von Kopepoden 8 ) 
der Fall ist, so behalten die beiden Reifungsteilungen einen mehr 
gleichartigen Charakter und es vollziehen sich beide nach dem 
Längsspalt, die erste nach dem primären, die zweite nach dem 
sekundären: sie sind also beide Aquationsteilungen im Sinne 
Weismanns 4 ). Die reifen Sanien- und Eizellen erhalten also bi- 
valente Elemente von der Zusammensetzung a\b, c\d..., welche ihren 
bivalenten Charakter vielfach durch die noch während der Embryonal- 
entwickelung deutlich sichtbare Querkerbe verraten. 

Eine numerische Reduktion der Chromosomen im strengen Sinne 
des Wortes hat also während der Reifungsprozesse nicht stattgefunden, 
vielmehr enthalten die reifen Samen- und Eizellen je die volle 
(normale, somatische, diploide) Zahl, wenn auch in verkappter, schein- 
reduzierter Form (Fig. 120A). Der befruchtete Keim erhält also 
faktisch die doppelte (tetraploide) Zahl von Chromosomen, und die 



') Vgl. Kap. 9. sowie Haeckcr, S. 189. 101 (1910). 

") Kinen extremen Fall bilden in dieser Hinsicht die simultanen Vierteilungs- 
prozesse bei manchen Lebermoosen (S. 88, Fig. 50). Vgl. auch die simultanen Vier- 
teilungen im disperm befruchteten Seeigelei (S. 311, Fig. 112). 

*) Einen ganz ähnlichen Modus hat Granata für die Spermatogenese eines 
Acridiers (Pamphagus) beschrieben. Arch. Zellf., 5. Bd., 1910. 

«) Siehe S. 193- 

-1 * 



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324 



Metasymktisch-eumitotischer Modus. 



normale (diploide) Zahl wird wenigstens bei den Kopepoden erst im 
Verlaufe der Embryonalentwickelung oder späteren Ontogenese durch 
endgültige Syndese (Teleutosyndese) der beiden in der Querkerbe 
aneinanderstoßenden Komponenten hergestellt >). Bei diesem Über- 
gang der Chromosomen aus der Zweiheit in die Einheit spielen wohl 
innerhalb der Chromosomensubstanz Assimilations-, Absorptions- 
oder vielleicht nur Rudimentationsprozesse eine Rolle. 

Alles in allem würden also aufeinanderfolgen: l. die Metasyndese, 
2. zwei Aquationsteilungen, 3. die Teleutosyndese. Man kann daher 
den ganzen Prozeß als metasyndetisch-äquationellen oder, da die 
betreffenden Teilungen den typischen Mitosen der Melazoen- und 
Metaphytenzellen hinsichtlich des Verteilungsmodus entsprechen, als 
eumitotischen») oder metasyndetisch-eumitotischen bezeichnen. 

Ist die Zusammenziehung der beiden Teilungsprozesse eine 
stärkere, nähern sich also die Reifungsteilungen in ihrem Charakter 
den simultanen Vierteilungsprozessen der Lebermoose, so kann die 
sekundäre Längsspaltung ganz unterdrückt werden oder sie findet 
wenigstens bei der Verteilung der Chromosomen keine Verwendung. 
Die Chromosomen werden vielmehr bei einer der beiden Teilungen 
nach der Querkerbe zerlegt, d. h. die beiden metasyndetisch ver- 
bundenen Elemente jedes der bivalenten Elemente werden wieder von- 
einander getrennt und auf die Schwesterzellen verteilt, so daß also bei 
einem der beiden Teilungsschritte eine Reduktionsteilung zustande 
kommt und die reifen Geschlechtszellen nur je die halbe (reduzierte, 
haploide) Chromosomenzahl (ein halbes Sortiment der Chromosomen- 
Individuen) übernehmen. 

Es scheinen hierbei beide Möglichkeiten verwirklicht zu sein: 
In einigen Fällen werden die bivalenten Chromosomen erst in 
der zweiten Teilung zerlegt und auf die Schwesterzellen verteilt, es 
liegt also eine Postreduktion (Korscheit und Heider) vor 
(Fig. 120B). Dieser metasyndetisch-postreduktionelle Modus ist zuerst 
für die Ovogenese der Kppepoden 8 ), ferner für die Ovogenese der 
Seeplanarien *), für die Spermatogenese von Myriapoden ») und Ortho- 



') 1910. s. 194. 

•) Nach der Terminologie von Korse holt und Heider. 
*) Rückert, Haecker. Vgl. indessen die obigen Ausführungen. 
*) v. Klinckowström (Arch. mikr. An., 48. Bd., 1 897 ), Francotte (Mem. cour. 
Ac. Belg. 1897). van der Stricht (Arch. Biol., T. 15, 1897). 

l ) M. W. Blackman (Bull. Mus. Comp. Zoo!.. Vol. 4«. 1905). 



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Metasyndetiscb-postreduktioneller Modus. 



325 



pteren ') und in etwas modifizierter Form für diejenige von Hemipteren a ) 
angegeben worden. Noch in einer Reihe von Fällen wurden die 
Bilder anlänglich im Sinne des metasyndetisch - postreduktionellen 
Modus interpretiert, es wurde jedoch diese offenbar nächstliegende 
Erklärung aufgegeben, nachdem durch die Aufstellung der später zu 
besprechenden Hypothese von der Parallelkonjugation oder Parasyndese 
eine andere, vom vererbungstheoretischen Standpunkt aus besonders 
einleuchtende Deutungsmöglichkeit gegeben war 8 ). 

A B Fig. 120. C D 



ab cd ab cdabcd a c 




abcdabcdabcd b d 



Erste Teilaug. 




Zweite Teilung. 




Schematische Darstellung der Reduktion. 
A metasyndetisch-eomitotiacher, B metaiyndeti«th-po»treduktioneller, C metttyndetiich- 
präreduktioneller, D parasyndetitch-präreduktioneUer Modul. 



Eine zweite Möglichkeit besteht nun weiter darin, daß die Zerlegung 
der bivalenten Elemente und damit der Reduktionsprozeß schon im 
ersten Teilungsschritte vor sich geht und also eine Präreduktion 
(Korscheit und Heider) stattfindet. In der zweiten Teilung vollzieht 
sich dann die Verteilung nach dem (primären) Längsspalt (Fig. 120C). 

') Sutton (Biol. Bull., Vol. 4, 1902). McClung 1905. 
*) Groß 1904. 

*) Vgl. die Angaben über die Ovogenese der Oligochäten bei Vejdovski und 
Mrazek (Arch. mikr. An., 62. Bd., 1903) und bei Vejdovski 1907. 



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32b 



Metasy ndetisch-präredukt ioncl 1er Mod us . 



Dieser metasyndetisch-präreduktionelle Modus ist unter anderem 
für die Ovogenese von Anneliden (Ophryotrocha) für die Sper- 
matogenese von Hemipteren*) und- mit großer Bestimmtheit für die 
Samenbildung der Kröte (Bufo lentiginosus) ») angegeben worden. 
Auch bei der Deutung dieser Beobachtungen hat die Beantwortung 
der Frage, ob Metasyndese oder Parasyndese besteht, den prinzipiell 
wichtigen Ausgangspunkt zu bilden 4 ). 



Der Vorstellung, daß bei der Bildung der diakinetischen Chromo- 
somenkomplexe eine Hintereinanderlagerung oder Metasyndese je 
zweier spermatogonialer oder ovogonialer Chromosomen stattfindet, 
stehen mehrere andere Meinungen gegenüber, unter welchen zurzeit 
die Hypothese von der Parallelkonjugation oder Parasyndese 
bei Zoologen und Botanikern die weiteste Verbreitung besitzt 8 ). Nach 
dieser zuerst durch von Winiwarter aulgestellten, zoologischerseits 
besonders durch das Ehepaar Schreiner, botanischerseits durch 
Gregoire verteidigten Hypothese legen sich in den frühesten Pro- 
phasen der ersten Teilung, speziell in dem als Synapsis bezeichneten, 
durch einseitige Zusammendrängung der Kernsubstanz gekennzeichneten 
Stadium, je zwei Chromosomen parallel aneinander. So entstehen 
die „Gemini" oder nach einmaliger Längsspaltung der miteinander 
„konjugierten" Elemente in den einfachsten Fällen Viererstäbchen von 
der Zusammensetzung: / a\ /c\ 



In der ersten heterotypischen Teilung erfolgt dann eine Prä- 
reduktion, indem sich die miteinander konjugierten Elemente wieder 

') Korscheit (Z. w. Z., 60. Bd., 1895). 

*) Paulmier (J. Morph., Vol. 15, Suppl., 1899), Kath. Foot u. Strobell (Am. 
J. Anat., Vol. 4 7, 1005 u. 1907), Lefevre u. McGill (ebenda. Vol. 7. 190«). 
B ) Helen King (Am. J. Anat., Vol. 7. 1907). 
4 ) Vgl. Gr^goiro lOlo, 

& ) Eine andere Auffassung kommt in der Faltungshy pothcsc (Montgomery, 
Farmer u. Moore u. a.) zum Ausdruck, wonach sich nach erfolgter Metasyndese 
die bivalenten Elemente in der Querkerbe umbiegen, so daß die metasyndeüsch ver- 
einigten Elemente nachträglich parallel zueinander gelagert werden. Es soll dann 
eine Präreduktion und im zweiten Teilungsakt eine Längsspaltung erfolgen (vgl. 
Haeckei , S. Sj, 1907). Einen besonders einfachen Keduktionstypus ohne vorausgehende 
Scheinreduktion hat Goldschmidt (Zool. Jahrb. [Anat.], 21. Bd., 1905; Arch. Zellf., 
2. Bd., 1008) für die Ovogenese eines Trematoden, Zoogonus, beschrieben. Vgl. da- 
gegen Gregoire (Cellule. T. 1909). 



ßß) Annahme einer Parasyndese. 





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Gründe gegen die Annahme einer Parasyndesis. 327 



voneinander trennen und auf die Schwesterzellen verteilt werden, im 
zweiten, vielfach als homöotypisch bezeichneten Teilungsakt findet 
hierauf die Verteilung nach dem Längsspalt statt (Fig. 120D; hetero- 
homöotypisches Schema nach Gregoire 1 ). 

Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß zahlreiche Bilder in 
dieser Weise gedeutet werden können, wie denn auch diese Hypo- 
these, zumal sie beim ersten Anblick für die Mendel sehen Spaltungs- 
vorgänge eine besonders einleuchtende Erklärung zu geben scheint, 
im Anfang mit großer Sympathie aufgenommen worden ist. Es 
scheint mir aber, daß bei keinem Objekte bisher ein wirklicher Be- 
weis für das Vorkommen der Parasyndese geliefert worden ist, daß 
vielmehr in allen Fällen auch andere Deutungen möglich sind und 
zum Teil viel näher liegen, und daß außerdem mehrere apriorische 
Gründe gegen die Annahme einer Parasyndese sprechen 2 ). 

Was die Mehrdeutigkeit der betreffenden Bilder anbelangt, so 
sei hier nur darauf hingewiesen, daß der Eindruck der Parallel- 
konjugation offenbar durch die teilweise Koinzidenz zweier 
voneinander unabhängiger Erscheinungen hervorgerufen werden 
kann, nämlich erstens eines mehr zufälligen oder, besser gesagt, selbst- 
verständlichen teilweisen Parallelismus der Fäden, wie er durch 
die in der Synapsisphase, besonders im sogenannten Bukett- 
stadium bestehende polare Anordnung der Kernsubstanzen be- 
dingt wird (Fig. 121 A), und zweitens einer verfrühten, bei den 
einzelnen Objekten und Individuen je nach dem physiologischen und 
Konservierungszustand bald früher, bald später, bald regelmäßiger, bald 
unregelmäßiger hervortretenden primären Längsspaltung (Fig. 121 B). 

Überdies sind viele Bilder, welche eine successive, vom Ende 
gegen die Mitte fortschreitende Aneinanderlagerung zweier Fäden zu 
beweisen scheinen, sicherlich auf die in der Synapsisphase erfolgenden 
künstlichen Schrumpfungen und Verzerrungen zurückzuführen. 

Es sind hier auch jene nicht seltenen Falle zu erwähnen, in 
denen schon beim ersten Auftreten der Doppelfäden in der Pro- 



') Einen etwas modifizierten Modus hat Vejdovski (1907) für die Ovogcnese 
von Oligochätcn beschrieben. Auch Bonnevie (1008— lQll) und Janssens (1909) 
vertreten besondere Auffassungen. 

*) Vgl. Haecker 1907 (S. 86), 1009, 1910. sowie die Kritiken von Meves 
(Arch. Zcllf., 1. Bd.. 1908), Fick (ebenda). Goldschmidt (ebenda), denen sich nach 
anfänglich sehr enthusiastischer Aufnahme der „Junktionstheorie* immer mehr 
Zweifler und Gegner anreihen. 



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328 




phasc der ersten Teilung ein ausgesprochener Parallelismus der 
Einzelfäden vorliegt (Fig. 118, 119), was gegen die angenommene 
allmähliche Aneinanderlagerung je zweier Fäden spricht und die 
Analogie mit den längsgespaltenen Chromosomen somatischer Mitosen 
besonders deutlich macht. 

Auch die bei Pollenmutterzellen beobachteten Bilder, in welchen 
schon im „präsynaptischen Kerngerüst" die ersten, noch etwas unregel- 
mäßigen Verdichtungen der chromatischen Substanz (Prochromo- 
somen, Chromosomenspuren) einen Doppelbau erkennen 
lassen, dürften der ganzen Sachlage nach viel eher auf eine frühzeitige 
Längsspaltung als auf eine Chromosomenpaarung hinweisen 1 ), ganz 



abgesehen davon, daß Bilder ähnlicher Art auch in somatischen 
Pflanzenkernen zur Beobachtung kommen 8 ). 

Die Querkerben, wie sie bei so vielen Objekten in den Prophasen 
der ersten Teilung wahrzunehmen sind (Fig. 117a u. a.), sprechen- 
andererseits mit Entschiedenheit für eine Metasyndese, und die un- 
zweideutige, auf Längsspaltung beruhende Entstehungsweise der 
Chromosomen eines Radiolars (Aulacantha, S. 103, Fig. 68) kann als 
ein weiteres Argument dafür betrachtet werden, daß die ganz ähnlich 
gebauten Chromosomen der Reifungsperiode ebenfalls einem primären 
Längsspaltungsprozeß ihre Entstehung verdanken. 

') Vgl. Overton 1905. Tab. 6., Fig. 16; Strasburger 1905, p. 3 5 ff- ; Lunde- 
gärd 1910, und andererseits Ilaecker 1907, S. 78. 

■) Vgl. Strasburger 1909, S. 59. Tab. l, Fig. 18. 



Fig. \2\. 




Knäuelstadien aus den Ovocyten erster Ordnung der Katze. 
Nach Winiwarter und Sainmont. 



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Gründe gegen die Annahme einer Parasyndesis. 329 

Überdies scheint mir, und damit komme ich zu den apriorischen 
Unwahrscheinlichkeiten, gegen diese Hypothese die immer deut- 
licher hervortretende Tatsache zu sprechen, daß die vielfach dem 
heterotypischen Modus folgende erste Reifungsteilung der 
Metazoen und Phanerogamen hinsichtlich ihrer prophasischen 
und metaphasischen Charaktere keineswegs die isolierte 
Stellung einnimmt, die ihr im Anfang zugeschrieben worden ist, 
daß vielmehr ihre besonderen Züge auch bei anderen generativen und 
embryonalen Mitosen weit verbreitet sind >). Wenn aber diese engen 
Beziehungen zwischen dem in der ersten Reifungsteilung zutage 
tretenden Modus und den typischen Mitosenformen bestehen, so ist 
schwerlich zu erwarten, daß ersterer in bezug auf einen offenbar so 
fundamentalen Punkt, wie es die Entstehung der Chromosomen- 
komplexe ist, von den typischen Mitosen wesentlich abweicht. Und 
wenn diese charakteristischen Doppelfäden, Überkreuzungs- und Achter- 
figuren usw. an anderen Stellen durch Längsspaltung zustande 
kommen, so scheint es mir überaus wahrscheinlich zu sein, daß das 
gleiche für die Chromosomenkomplexe der ersten Reifungsteilung gilt. 

So willkommen also auch eine Hypothese sein würde, welche, 
wie die von der Parasyndesis, in so einfacher Weise die experi- 
mentellen Ergebnisse mit den cytologischen in Verbindung bringt, 
so halte ich sie doch für unbegründet, und ich möchte glauben, daß 
die große Mehrzahl der Beobachtungen durch die Annahme einer 
Metasyndese in einfacherer Weise erklärt wird. 



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330 



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Geschlechtszellen. 1— V. Arch. Biol., Tome 21—22, 1905/06; Anat. Anz., 29. Bd., 

1906; Vidensk. Selsk. Skr.. 1007/08. 
.Strasburger, E., Allen, Ch. E., Miyake, K. und Overton, J. B., Histolog. 

Beiträge zur Vererbungsfrage. Jahrb. Wiss. Bot., 42. Bd., 1905. 
Strasburger, E., Zeitpunkt der Bestimmung des Geschlechts usw. Jena 1900. 
Tretjakoff, D., Die Bildung der Richtungsköi perchen usw. und die Spermatogenese 

von Ascaris. Arch. mikr. An., 65. Bd., 1904. 
Trinci, G., L*cvoluzione storica dcl problema <\el\a. riduzione etc. Archivio An. Embr., 

Vol. 7, 1908. 
Vejdovski 1907, s. Literaturverzeichnis 10. 

Winiwarter. v.. u. Sainmont 190S. s. Literaturverzeichnis 9 (S. 59). 



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Einunddreißigstes Kapitel. 

Chromosomenhypothesen der Vererbung. 

Von der doppelten Annahme aus, daß der Kern und insbesondere 
die bei der Teilung hervortretenden Chromosomen die eigentlichen 
Vererbungsträger darstellen und ferner, daß die Chromosomen auto- 
nome, von Zellgeneration zu Zellgeneration übermittelte Individuen 
sind, kann der Versuch gemacht werden, die bei der Vererbung der 
elterlichen Qualitäten hervortretenden Verteilungsverhältnisse mit den 
Chromosomenbewegungen in Zusammenhang zu bringen, welche bei 
den Reifungsprozessen beobachtet werden. 

a) Ursprüngliche Darstellung Weismanns. 

Die ersten Versuche dieser Art sind von Weismann vorgenommen 
wurden. Weismann nimmt, wie wir gesehen haben»), an, daß in 
jedem der Chromosomen oder Idanten sämtliche Teile und Potenzen 
des Keimplasmas mindestens einmal vorhanden sind, und daß die 
Unterschiede der in einem einzelnen Kern enthaltenen Chromosomen 
nur individueller Art sind, ähnlich den Unterschieden, welche die 
verschiedenen Individuen einer Familie, Rasse oder Spezies auf- 
weisen. Ferner haben nach Weismann die Reifungsteilungen nicht 
bloß den Zweck, die Zahl der Chromosomen oder Idanten vor der 
Befruchtung auf die Hälfte der Normalzahl zu reduzieren, sondern 
sie sollen auch den einzelnen Fortpflanzungszellen jedes Eltern- 
individuums verschiedene Sortimente von Idanten zuweisen, so daß 
die Zahl der durch den Befruchtungsakt, die Amphimixis, herbei- 
geführten Neukombinationen der Anlagen eine weitere Steigerung 
erfährt. 

Von diesen Voraussetzungen, insbesondere auch von der Vor- 
stellung aus, daß tatsächlich bei allen höheren Organismen 

l ) Kap. 10. 



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332 



Annahme Weismanns. 



eine Reduktionsteilung vorkommt, rindet nun in der Tat eine 
ganze Anzahl von Vererbungserscheinungen eine verhältnismäßig ein- 
fache Erklärung. So würde die regelmäßige Ungleichheit der 
von einem Elternpaar abstammenden Kinder darauf zurück- 
zuführen sein, daß die einzelnen Eier der Mutter und ebenso die 
einzelnen Samenzellen des Vaters bei der Reduktionsteilung eine sehr 
verschiedene Idantenkombination erhalten. Dasselbe gilt im beson- 
deren für die Verschiedenheit der nicht-identischen, zwei- 
eiigen Zwillinge, welche von zwei verschiedenen, durch verschie- 
dene Spermatozoen befruchteten Eiern abstammen und sich daher 
vererbungsmechanistisch nicht anders als gewöhnliche Geschwister 
verhalten, während die annähernd vollkommene Übereinstimmung 
der identischen oder eineiigen Zwillinge, die durch nachträg- 
liche Spaltung eines befruchteten Keimes entstehen dürften, auf der 
absoluten Gleichheit ihres Idantenmaterials beruht. Der so häufig zu 
beobachtende, nahezu vollkommene Rückschlag auf einen der vier 
Großeltern würde ferner im wesentlichen darauf beruhen, daß eine 
der beiden in der Zygote zusammentretenden Keimzellen bei der 
Reduktionsteilung vorzugsweise nur die großväterlichen oder die 
großmütterlichen Idanten erhielte, und daß die Idanten dieser Keim- 
zelle im befruchteten Keime über die der anderen dominieren. In 
ähnlicher Weise wäre der Rückschlag auf weit entfernte Vor- 
fahren in der Weise zu erklären, daß sehr alte, normalerweise in 
der Minderheit befindliche Vorfahren-Idanten bzw. -Determinanten in- 
folge bestimmter, für sie besonders günstiger, bei der Reduktions- 
teilung und Amphimixis zustande kommender Kombinationen in die 
Majorität gelangen. 

Manche dieser Erklärungen gewinnen vielleicht noch an Über- 
zeugungskraft, wenn man, entsprechend den cytologischen Ergebnissen 
der letzten beiden Jahrzehnte, eine Syndese zweier Chromosomen 
in den Prophasen der ersten Reifungsteilung annimmt und insbesondere, 
nach einer zuerst von Montgomery ausgesprochenen Hypothese, 
in diesen syndetischen Prozessen eine paarweise Vereinigung oder 
Konjugation je eines väterlichen und mütterlichen Elementes sieht l ). 

Die Fig. 122, welche nach einem von Zieglcr gegebenen Schema in freier 
und abgekürzter Weise diese Modifikation der Wo ismannschen Amphimixislehrc 
veranschaulichen soll, zeigt, wie sowohl im Vater wie in der Mutter während der 
Prophasen der ersten Teilung eine Syndese je eines der großväterlichen und grofi- 

■) Vgl. II. E. Ziegler 1905. 1906. 



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Annahme Weismanns. 



333 



mütterlichen Elemente stattfindet (122B) und wie infolgedessen nach erfolgter Re- 
duktionsteilung und Trennung der syndelisch verbundenen Chromosomen sowohl die 
väterlichen wie die mütterlichen Gameten verschiedene Kombinationen der großelter- 
lichen Chromosomen aufweisen können (bei der angenommenen Clnomosomen2ahl 

Vater Fig. 122. Mutter 

Großvater Großmutter Großvater (J.-ußuiutter 





B 



•0## 



ee©0 
©©©© 








# 




e© 
©© 







ee 

e© 



'"•©©0 

Schema für die Neukombination der Chromosomen. Frei nach Ziegler. 

je vier Kombinationen, C, 1—4)- Auf diese Weise entstehen 16 Sorten von Zygoten, 
in welchen die Chromosomen von allen vier oder auch nur von drei oder zwei Groß- 
eltern enthalten sein können (D, 1—16). 

b) Umgestaltung der Lehre durch Montgomery, Sutton, 

Boveri. 

Die Wiederentdeckung der Mendel sehen Regeln hat zu Be- 
trachtungen dieser Art einen besonders starken Anstoß gegeben. Lag 



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334 



Umgestaltung der Weis mann sehen Lehre. 



es doch sehr nahe, die symmetrische Ausein anderlegung, welche zu- 
folge der Mendel sehen Erklärungshypothese von der Reinheit der 
Gameten 1 ) die im Bastard vereinigten Anlagen bei der Keimzellen- 
bildung erfahren, zu den auffälligen symmetrischen Vorgängen in 
Beziehung zu bringen, welche sich an den Chromosomen der Reifungs- 
teilungen im Falle einer Reduktionsteilung abspielen 2 ). So wurden 

Fig. i 23. 

A B 






«An* 






Spaltungsvorgänge bei individuell (A) und physiologisch (B) verschiedenen 

Chromosomen. 

a nnd b Keimzellenkeroe vor bzw. nach der Syndese der elterlichen Chromosomen. 

c Redaktionsteilung. 

denn auch sehr bald verschiedene Versuche gemacht, die Mendel - 
sehen Vererbungserscheinungen, insbesondere die angenommene Rein- 
heit der Gameten der heterozygoten Individuen, cytologisch zu 
interpretieren, wobei die Hypothese, daß die Chromosomen die Ver- 
erbungsträger seien, ferner die Individualitätstheorie und die schon 

') Siehe S. 222. 

*) Bateson, Princ. Her., Cambr., 1902. 



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Monohybride Spaltungen. 



335 



vorhin erwähnte Hypothese Montgomerys von der Konjugation der 
elterlichen Chromosomen den theoretischen Ausgangspunkt bildeten. 
In der Regel wird außerdem auf Boveris Lehre von der physio- 
logischen Verschiedenheit der Chromosomen zurückgegriffen. 

Verhältnismäßig einfach würde die Erklärung für das Auftreten 
reiner Gameten im Falle in onohybrider Kreuzungen sein, wenn 
also die beiden Stammformen nur durch ein Merkmalspaar unter- 
schieden sind. Man könnte dabei sowohl die Vorstellung Weis- 
raanns festhalten, wonach alle Chromosomen Träger der sämtlichen 
. Funktionen und nur individuell verschieden sind 1 ), oder auch von 
der Hypothese Boveris ausgehen, welche eine Verteilung der ver- 
schiedenen Anlagen auf die verschiedenen Chromosomen eines Kernes 
annimmt. 

Im ersten Falle (Fig. 123 A) wäre allerdings, um die Entstehung 
reiner Gameten verstehen zu können, die weitere Voraussetzung zu 
machen, daß bei der Reduktionsteilung wirklich sämtliche väterliche 
Chromosomen nach der einen, sämtliche mütterliche nach der anderen 
Seite gehen (A, c), was unter der Voraussetzung einer vorangegangenen 
Konjugation je eines väterlichen und eines mütterlichen Chromo- 
soms (A, b) in Anbetracht des im allgemeinen so streng symme- 
trischen Verlaufs der meisten mitotischen Prozesse nicht ganz un- 
wahrscheinlich wäre. 

Es ist der Nachweis versucht worden'), daß auch dann, wenn bei der Reduk- 
tionsteilung der Keimzellen der Bastarde keine reinliche Scheidung der 
väterlichen und mütterlichen Chromosomen erfolgt, die F t - Bastarde im Falle von 
Monohybridismus das Verhältnis 25: 50:25 zeigen werden, da nach der Wahrschein- 
lichkeitsrechnung in 25 Proz. der Zygoten die Chromosomen der väterlichen , in 
25 Proz. die der mütterlichen Stammform die Majorität haben werden, während 
sich in 50 Proz. der Zygoten beide ungefähr die Wage halten werden. 

Im zweiten der angenommenen Fälle hätte man sich vorzustellen, 
daß in den unreifen Keimzellen des Bastards die Träger der beiden 
antagonistischen Anlagen, z. B. der Anlagen zur roten und weißen 
Blütenfarbe, durch je ein Chromosom repräsentiert werden (Fig. 1 23 B, a, 
wo die betreffenden Chromosomen durch Querstriche gekennzeichnet 
sind), und daß in den Prophasen der Reilungsteilungen gerade diese 
beiden homologen Chromosomen miteinander in Konjugation treten 
(Fig. 1 23 B, b). Dann würde die Reduktionsteilung (Fig. I23ß,c) sie 
in regelmäßiger Weise voneinander trennen und es würden also 

') Vgl. Cannon 1902. 
*) H. E. Ziegler 1905. 



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336 



Di- und polyhybride Spaltungen. 



Gameten gebildet werden, die entweder nur die eine oder nur die 
andere Anlage in sich schließen. 

Um nun weiterhin die Unabhängigkeit zu erklären, welche die 
einzelnen Anlagenpaare bei di- und polyhybriden Kreuzungen 
hinsichtlich der Spaltung zeigen, sind freilich erhebliche Schwierig- 
keiten zu beseitigen. 

Geht man von der Weis mann sehen Hypothese aus, daß die 
Chromosomen nur individuell verschieden sind, so bietet die An- 
nahme einer parallelen Konjugation der elterlichen Chromo- 
somen und die weitere Hilfshypothese, daß zwischen den paarweise 
aneinandergelagerten Chromosomen ein Austausch von Anlagen 
Fig ^ stattfindet, die Möglichkeit 

einer Erklärung 1 ). Wenn 
nämlich innerhalb der Chro- 
mosomen die einzelnen, den 
Elementareigenschaften des 
Organismus entsprechen- 
den Anlagen linear geord- 
net sind a ) und in sämtlichen 
Chromosomen in dersel- 
ben Reihenfolge liegen, 
so werden die gleichnami- 
gen Anlagen während des 
Zustandes der Konjugation 
einander opponiert sein, und 
es könnte ein größerer oder 
kleinerer Teil der Anlagen 
gegeneinander ausgetauscht werden. Es würden dann in den reifen 
Sexualzellen die väterlichen und mütterlichen Anlagen in allen mög- 
lichen Kombinationen auftreten können, so wie es nach der Un- 
abhängigkeitsregel tatsächlich der Fall zu sein scheint. 

Einfacher liegt aber auch hier die Sache, wenn im Sinne Boveris 
eine physiologische Verschiedenheit der Chromosomen angenommen 
wird»). Man kann dann die in den Spermatogonien und Ovogonien 




Polansicht der Äquatorialplatte iu einem Spcrma- 

togonium von Brachystola. Nach Sutton. 
x das Heterochrumosom. i, j, k die drei kleinste u Chromo- 
tomenpaare. 



') Vgl. deVries lQo.j- Ähnliche Annahmen haben Rnckert und Vejdovslci 
gemacht. 

') Vgl. S. igj, Fig. so. 

•) Sutton 1903. Boveri 1904. K. R. Lillie (Observ. etc. in Chaetopterus, 
Journ. Kxp. Zool.. Vol. 3. p. 250. JO06). 



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Di- und polyhybiide Spaltungen. 



337 



vielfach beobachteten „doppelten Chromosomengarnituren " l ) in der 
Weise deuten, daß jedes Paar gleich großer Chromosomen (z. B. die 
Paare i, j, k in Fig. 124) aus einem väterlichen (*',/, k') und dem 
ihm funktionell gleichwertigen mütterlichen Chromosom (i"J'\k") 
besteht. Nach den übereinstimmenden Angaben zahlreicher Autoren 
sollen nun in den frühesten Prophasen der ersten Reifungsteilung 
jeweils die beiden Glieder der einzelnen Größenabstufungen mit- 
einander in Konjugation (Meta- bzw. Parasyndese) treten und bei 
der Reduktionsteilung auf die beiden Schwesterzellen verteilt wer- 
den. Da nun die Lage der konjugierten Paare in der Äquatorial- 
platte der Reduktionsteilung ganz vom Zufall abhängig sein könnte, 

i' 

derart, daß z. B. bei der Eireife das Ei selbst von dem Paar 

j' 

den väterlichen, von einem anderen Paar J —, den mütterlichen Partner 

0 

erhalten kann, so würde jede Gamete von jeder Sorte von Chromo- 
somen ein Exemplar übernehmen, wobei jedoch die Chromosomen 
väterlicher und mütterlicher Abkunft in den verschiedensten Kombi- 
nationen auftreten könnten. 

Werden z. B. die doppelten Chromosomengarnituren der Ovo- 
gonien durch a' a"b'b"c'c" ... bezeichnet, so könnte die Aufstellung 
der Paare in der Äquatorialplatte der Reduktionsteilung und ihre Ver- 
teilung in der verschiedensten Weise vor sich gehen: 

a L h ! £l 
a'" c"'" 

oder 



0! 


b" 


c' 


a"' 


b' ' 


?' 


0! 


b' 


c" 



7" V" 7"' usw ' 

Es ist ohne weiteres ersichtlich, daß auf diese Weise alle die- 
jenigen Anlagenkombinationen hergestellt werden können, welche 
bei di- und polyhybriden Kreuzungen zutage treten. 

Mein eigener Versuch*), die Mendel sehen Spallungsvorgänge cytologisch zu 
erklären, ist deshalb als mißglückt zu betrachten, weil die Deutung der Befunde bei 
Cyclops, welche mir als Ausgangspunkt gedient hatte, inzwischen durch die Arbeiten 
meiner Schüler*) als unhaltbar nachgewiesen worden ist. Ich möchte es aber doch 



l ) Siehe Kap. 10. S. 108. Fig. 72. 
») S.239 (1909); 1910. 

") Vgl. besonders Matscheck, Literaturverzeichnis 11 (S. 120). 
Haeckcr, Vererbungsichre. 2 2 



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338 



Symmixis. 



für wahrscheinlich halten, daß dem von mir damals aufgestellten Begriff der Symmixis 
eine Realität zukommt, daß also bei manchen Objekten in den späteren Propbascn 
oder in der Metaphase der ersten Teilung eine Umgestaltung der Chromo- 
somenkomplexe durch Auswechselung ihrer Teile und also eine in den 
frühen Prophasen gewissermaßen nicht vorgesehene Verteilung der Elemente in den 
Anaphasen stattfindet Ein solcher symmiktischer Vorgang kann entweder durch 
Rotation ringförmiger bivalenter Elemente (Fig. 125 B — C) zustande kommen, wie 



Fig. 125. 
B C 



D 



b' 



EEE 




a w b" 




b" b" 
Symmixis durch Rotation. 




dies schon Weismann (iHqi) angenommen hatte, oder es könnte bei X- förmigen 
Elementen eine Permutation oder Versetzung der Teile erfolgen, wie dies z.B. 
bei Cyclops viridis möglicherweise vorkommt (Fig. 126) und in ähnlichei Weise 
Groß (S. IOO, Fig. 63; S. 320, Fig. ll") für die kreuzförmigen Chromosomenkomplexe 
von Syromastes annimmt '). Daß derartigen Vorgängen unter gewissen Voraus- 
setzungen eine Bedeutung für die Eiklärung der Mendel sehen Spaltungsvorgänge 
zukommen könnte, braucht nicht näher erörtert zu werden. 



Fig. 126. 



Wir haben gesehen, daß, indem die Beob- 
achtungen Suttons und anderer über das Auf- 
treten paarweise abgestufter Chromosomensorti- 
mente mit der Bov er i sehen Hypothese von der 
physiologischen Ungleich Wertigkeit der Chromo- 
somen in Verbindung gebracht wurden, eine über- 
raschende Parallele zwischen den Ergebnissen 
der cytologischen und der Bastard forschung her- 
gestellt werden konnte. Mit einem Male schien 
ein großer Teil dessen erreicht zu sein, was den 
Begründern der älteren morphobiologischen Ver- 
erbungshypothesen als Ziel vorgeschwebt hatte: die „Erklärung" einer 
größeren Gruppe von Vererbungserscheinungen durch die mikro- 
skopisch kontrollierbaren Vorgänge in den Keimzellen. Die Sutton- 




V V 

Symmixis durch Per- 
mutation. 



') Es liegt nahe, auch die eigentümliche „Verhängung" 4 , welche die Chromo- 
somen von Ascaris bei der Furcbung zuweilen zeigen, durch Symmixis zu erklären. 
Vgl. dagegen Boveri. S. 212 (1909. Literaturverzeichnis 29). 



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l.'nreinbeit der Gameten. 



339 



Boverische Chromosoinenhypothese der Vererbung hat daher als ein 
einleuchtender und eleganter Lösungsversuch vielen Anklang gefunden, 
und es ist ihr bisher noch keine andere Hypothese von gleichem 
Erklärungswert gegenübergestellt worden. 

Gerade weil aber so viel für die Gültigkeit der Sutton-Boveri- 
schen Kombinationen zu sprechen scheint, ist um so mehr im Auge 
zu behalten, daß ihr eine ganze Reihe von Voraussetzungen zugrunde 
liegen, von denen jede einzelne einen hypothetischen Charakter besitzt 
und schon auf mehr oder weniger Widerstand gestoßen ist. Diese 
Hypothesen sind im wesentlichen folgende: 

l. Die schon von Mendel angenommene Erklärungshypothese 
von der Reinheit der Gameten. 

Die Gültigkeit dieser Annahme ist von verschiedenen Seiten be- 
stritten worden, und es ist zweifellos, daß sie mit manchen experi- 
mentellen Ergebnissen, z. B. den Beobachtungen beim Axolotl (S.231), 
nicht in Einklang zu bringen ist. So wurde denn zur Erklärung einer 
Reihe solcher besonderen Vorkommnisse angenommen, daß die 
Gameten nach der Spaltung in Wirklichkeit nicht vollkommen 
rein sind. Man hat sich entweder 1 ) dabei vorgestellt, daß die beiden 
bei der Kreuzung vereinigten Anlagen sich gegenseitig beeinflussen 
können , ehe sie bei der Keimzellenbildung der JP, - Bastarde wieder 
auseinandergehen (Tauschhypothese). Die Trennung der Anlagen ist, 
wie Castle sagt, nicht so vollständig, wie wenn man zwei aufein- 
andergelegte verschiedenfarbige Glasplatten voneinander nimmt, sondern 
wie wenn man zwei verschieden gefärbte zusammengeschmolzene 
Wachsschichten trennt. Nach einer zweiten 2 ) Anschauung (Alter- 
nationshypothese) würde bei der Keimzellenbildung der i^-Bastarde 
ül>erhaupt keine Spaltung der beiden Anlagen im Sinne Mendels 
stattfinden, vielmehr würden sämtliche Keimzellen beide Anlagen, 
jedoch mit wechselnder Dominanz in sich einschließen. In etwas 
allgemeinerer Form führt eine dritte 8 ) Hypothese die vielfach beob- 
achtete Unreinheit der Kreuzungsprodukte darauf zurück, daß die 
scheinbar rein rezessiven Individuen das dominierende Merkmal in 
„kryptomerem", latentem" Zustande mit sich führen, und daß diese 
latenten Anlagen durch die Kreuzung zum Teil wieder geweckt 
werden können. 

') Vgl. deVries 1903. Castle 1905. 
") Vgl.' Morgan 1905, Fick 1907. 
J ) Vgl. Tscherraak 1903, 1905. 

22* 

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340 



Schwierigkeiten für Hovens Hypothese. 



2. Die Hypothese, daß die Chromosomen die eigentlichen 
Vererbungsträger darstellen (Hypothese vom Vererbungs- 
monopol des Kernes). 

Die Gründe, welche für und gegen diese Annahme sprechen, 
sind im 14. Kapitel erörtert worden. Es scheint, wie wir sahen, mehr 
und mehr die Auffassung durchzudringen, daß die bisherigen Vor- 
stellungen einer Revision bedürftig sind. 

3. Die Hypothese von der Individualität der Chromosomen. 
Sie scheint mir die am besten begründete unter den hier zu machenden 
Voraussetzungen zu sein (Kap. 29). 

4. Die Boverische Hypothese von der physiologischen Un- 
gleichwertigkeit der Chromosomen. 

Wenn auch diese Annahme eine fast notwendige Konsequenz 
der Individualitätslehre zu sein scheint (Kap. 29), so liegt doch bisher 
keine einzige Beobachtung vor, aus welcher mit Sicherheit ein 
direkter Zusammenhang zwischen den Mendelschen Erbeinheiten 
und den Chromosomen hervorgehen würde, wenn auch vielleicht die 
Befunde bei Kopepoden und bei Oenothera (S. 340) auf mittelbare Be- 
ziehungen hinweisen. Selbst die cytologischen Befunde, aus welchen 
die Existenz geschlechtsbestimmender Chromosomen geschlossen 
wurde, sind, wie im folgenden Kapitel gezeigt werden soll, nicht 
eindeutig. 

Daß das Auftreten regelmäßiger Chromosomenzahlen, z. B. der 
Zahl 24, bei den verschiedensten Tier- und Pflanzengruppen für die 
Hypothese an sich eine Schwierigkeit bedeutet, wurde schon früher 
(S. 313) angedeutet. Widersprüche anderer Art ergeben sich aus der 
Tatsache, daß wohl in allen Fällen die Zahl der Chromosomen geringer 
ist als diejenige Zahl, welche für die selbständigen erblichen Merk- 
male anzunehmen ist oder festgestellt wurde. So wurde darauf hin- 
gewiesen '), daß bei der Erbse die reduzierte Zahl der Chromosomen sieben 
beträgt, und daß schon durch Mendel sieben selbständige Erbeinheiten 
nachgewiesen sind. Es wäre doch kaum denkbar, daß Mendel in 
letzterer Hinsicht bereits sämtliche Möglichkeiten erschöpft hätte 
und daß bei der Erbse nicht eine wesentlich größere Anzahl von 
Erbeinheiten existieren würde. Für eine andere Pflanze, das Löwen- 
maul (Antirrhinum), sind schon jetzt mehr selbständig mendelnde 
Erbeinheiten als Chromosomen bekannt"). 

') Vgl. Allen 1905. 

«) Vgl. Baur 1008. 1010 (Literaturverzeichnis 26, S. 273)- 



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Schwierigkeiten für die Konjugationshypothese 



341 



Man hat nun allerdings versucht, durch die Annahme, daß jedes 
Chromosom die Anlage von mehreren Charakteren enthalten müsse »), 
und daß vielleicht die Unterabschnitte der Chromosomen (die Chromo 
meren, Chromiolen oder Mikrosomen) die Träger der selbständigen 
Anlagen seien, einen Teil der Schwierigkeiten zu überwinden, aber 
man verliert dabei die Möglichkeit, die Spaltungsvorgänge auf mikro- 
skopisch kontrollierbare Geschehnisse zurück zuführen, abgesehen davon, 
daß auch die Frage nach den Unterabschnitten der Chromosomen 
noch vollkommen in der Schwebe ist (S. 43). 

5. Die Montgomerysche Hypothese von der paarweisen 
Konjugation der elterlichen Chromosomen. 

Daß die Tatsachen, welche im Sinne einer parasyndetischen 
Konjugation der elterlichen Chromosomen aufgefaßt worden sind, 
mindestens nicht eindeutig sind, und daß manche Beobachtungen 
und ebenso manche Betrachtungen allgemeinerer Art entschieden 
gegen die Annahme eines derartigen Vorganges sprechen, wurde 
früher (Kap. 30) behandelt. 

Aber auch die Hypothese, daß bei einer metasyndetischen 
Paarung der Chromosomen jeweils ein väterliches und mütterliches 
Element verbunden werden, schließt eine ganze Reihe von Unsicher- 
heiten in sich, und mindestens stehen ihrer Verallgemeinerung 
verschiedene Schwierigkeiten im Wege. Einerseits sind ja die 
doppelten Chromosomengarnituren, auf welche sich die Hypothese 
in erster Linie stützt, keineswegs mit Notwendigkeit als konstante 
oder wesentliche Verhältnisse aufzufassen (Kap. 10), andererseits ist 
auch das zweite Hauptargument, nämlich die viellach beobachtete 
Paarung zweier Heterochromosomen (Idiochromosomen, Mikrochromo- 
somen)i keineswegs entscheidend. Denn wenn die Heterochromo- 
somen wirklich im Abbau befindliche, vielleicht der Nucleolisation 
anheimfallende Gebilde sind, so würde weder ihrer paarweisen 
Vereinigung während gewisser Kernzustände, noch dem an ihnen 
beobachteten Teilungsvermögen eine mehr als sekundäre Bedeutung 
zukommen müssen. Wenigstens liegt es nahe, ihre paarweise Ver- 
bindung mit der nachträglichen Verschmelzung der beiden Nucleolen 
gonomer gebauter Kerne (S. 83) zu vergleichen, und, was die Teilungs- 
fähigkeit anbelangt, so zeigen die Diminutionskörper bei Ascaris und 
bei den Kopepoden (S. 62, Fig. 28 B; S. 65, Fig. 30Q zur Genüge, daß 

l ) Vgl. Wilson (Popul. Sc. Monthly 1003), Heider 1006. 



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342 



Schwierigkeiten für die Konjugationshypothese. 



auch solche Gebilde, welche nicht mehr den vollen Wert von Chromo- 
somen haben, in offenbar passiver Weise unter der Wirkung der im 
Plasma vor sich gehenden Verschiebungen und Neugruppierungen 
halbiert werden oder wenigstens Teilungsversuche ausführen können. 

Gegen die allgemeine Gültigkeit der Annahme, daß die Chromo- 
somenpaarung Chromosomen verschiedenelterlicher Abkunft be- 
trifft, spricht übrigens, wie mir scheint, die namentlich bei Bastarden 
häufig gemachte Beobachtung, daß bei der Teilung der Spermato- 
cyten erster Ordnung und Pollenmutterzellen doppelte Teilungsfiguren 
(Doppelspindeln) auftreten (Fig. 127) 1 ). Man könnte allerdings das 



Doppelspindeln in den Spermatocyten eines Taubenbastaids. Nach Guy er. 

Vorkommen solcher Doppelspindeln bei Bastarden als eine Abnor- 
mität, und zwar als ein Zeichen tür die ungenügende Affinität (incom- 
patibility) der Gonomeren bzw. der elterlichen Chromosomen ansehen 
und auf die Störungen, welche sich daraus eventuell für den Ablauf 
des Reifungsprozesses ergeben, die Sterilität der Bastarde zurück- 
führen >). Da aber gerade bei sterilen Bastarden solche Doppelfiguren 
vielfach nicht gefunden werden und umgekehrt auch bei normalen 
(homozygoten) Individuen noch in den Prophasen der ersten Teilung 



bastarden, Metcal f (Proc. Nebraska Ac. Sei. IQ01) bei der Pollenbildung von Gladiolus- 
Bastarden, Cannon (Bull. Torrey Bot. Club, Vol. 30, 1903) bei Bauniwollbastarden. 
Tischler (Jahrb. wiss. Bot., 42. Bd., 1906) bei Ribes-Bastarden gefunden. Vgl. hierzu 
auch Juel (ebenda. 35. Bd., 1900), Rosenberg (Ber. D. Bot. Ges., 21. Bd.. 1903), 
Gregory (Proc. Cambr. Phil. Soc. , Vol. 13, 1905), Poll (Sitzungsber. Ges. Naturf. 
Freunde 1907. 1908). 

*) Vgl. Haecker S. 85 (1902); S. 202 (1904): Sutton 1903. 





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Chromosomen der Drosera- Bastarde. 



343 



deutliche Spuren von Gonomerie angetroffen werden »), so scheint die 
Sterilität weniger auf Unregelmäßigkeiten der Reifungsteilungen, als 
auf allgemeinere physiologische Ursachen (Störungen der Kernplasma- 
relation, Giftwirkungen usw.) zurückzuführen zu sein 2 ), und das Auftreten 
von Doppelspindeln und anderen gonomeren Erscheinungen in den Pro- 
phasen der ersten Teilung würde eher als ein normales Vorkommnis 
zu betrachten sein. Wenn aber die beiden Gonomeren noch bis zur 
ersten Reifungsteilung getrennt bleiben und sogar noch selbständig 
die Teilung ausführen, so würde dies eine Widerlegung der Ansicht 

sein, daß in den Prophasen all- 

„ u \ Fig. 128. 

gemein eine Konjugation je 

zweier elterlicher Chromosomen 

stattfindet. 

6. Die Voraussetzung, daß 
gerade bei den Objekten, bei wel- 
chen der alternative Vererbungs- 
modus nachgewiesen wurde, im- 
mer auch eine Reduktions- 
teilung stattfindet, darf nach 
dem vorigen Kapitel (30) eben- 
falls nicht als selbstverständlich 
betrachtet werden. 

7. Die Annahme, daß bei 
einer eventuellen Reduktions- 
teilung die Chromosomenpaare 
so in die Äquatorebene der Tei- 
lungsfigur zu liegen kommen, daß 
die väterlichen und mütterlichen Partner (Konjuganten) in durchaus 
unregelmäßiger Weise nach den beiden Richtungen auseinander- 
gehen, ist vorläufig ebenfalls stark hypothetischer Natur. Allerdings 
hat Rosen berg zu zeigen versucht, daß dies bei Drosera- Bastarden 
für die kleinen Chromosomen von D. longifolia und die großen von 
rotundifolia zutrifft (Fig. 128), indessen muß auch hier noch auf wirk- 
lich entscheidende Beobachtungen gewartet werden. 

') Doppelte Knäuelfiguren in den Prophaseu der ersten Teilung hat z. B. 
Guignai d (Bull. Soc. Bot. France, 36. Bd.. 1890, Fig. 26) bei Lilium Martagon, ich 
selbst (1902, Taf. II, F"ig. 23) im Hoden junger Heterocope-cf gefunden. Poll (1908) 
fand in normalen Entenhoden Doppelspindcln. 

*) Vgl. Tischler 1. c, sowie 1907. 1908. Vgl. Kap. 21. S. 216. 





Teilung einer l'ollenmutterzclle eines 
Drosera- Bastards Nach Rosenberg. 

Die auf zwei Schnitte verteilten Chromosomen- 
komplexe sind aus einem kleinen longifolia- o. einem 
großen rotundifolia- Chromosom zusammengesetzt. 



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344 Literaturverzeichnis 31. 

Im übrigen besteht die Hauptschwierigkeit für die Chromosomen- 
hypothesen darin, daß bisher noch kein Objekt vorliegt, tür welches 
einerseits die Einzelheiten des alternativen Vererbungsmodus, anderer- 
seits der Verlauf der Reifungsprozesse genau bekannt sind. Die 
cytologische Forschung wird ihre ganze Aufmerksamkeit darauf 
richten müssen, Objekte ausfindig zu machen, welche sich für experi- 
mentelle Kreuzungs- und Vererbungsstudien eignen und gleichzeitig 
auch der Keimzellenforschung endgültige Erfolge versprechen 1 ). 



Literaturverzeichnis zu Kapitel 31. 

Allen, Ch. E., Nuclcar division in the Pollen - Mother - cells of Lilium canadcnse. 

Ann. Bot., Vol. 19, 1905. 
Boveri, Th., Ergebnisse fiber die Konstitution der chromatischen Substanz des 

Zellkernes. Jena IQ04. 
Cannon. W. A., A cytological basis for the Mendelian laws. Bull. Ton. Bot. Club- 

Vol. 20, 1902. 

Castle, W. E. , Recent discoveries in heredity etc. Top. Sei. Montbly 1905. 
Fick, K., Vererbungsfragen usw. Erg. An. u. Entw., 16. Bd., 190". 
Guyer, M. F., The germ cell and the results of Mendel. Cincinnati l^ncet Clinic 
1903. 

Haecker 1902, 1904. lOlo. Literaturverzeichnis 6 und 30. 

Heid er, K., Vererbung und Chromosomen. Jena 19a». , 

Montgomcry, Th. H., 1901. Literaturverzeichnis 6. 

Morgan, T. H.. The assumed purity of the germ cells in Mendelian results. Sei.. 
N.S., Vol. 22, 1005. 

Rosenberg, O., Über die Tetradenteilung eines Drosera- Bastards. Ber. D. Bot. 

Ges., 22. Bd., 1904. (Vgl. Meddel. Stockh. Bot. Inst. 1004.) 
Sutton, W. S., The chromosomes in heredity. Biol. Bull., Vol. 4, 1904- 
Tischler, G., Weitere Untersuchungen fiber Steril itätsuisachen. Ber. D. Bot. Ges., 

25. Bd., 1007. 

— , Zellstudien an sterilen Bastardpflanzen. Arch. Zellf., i. Bd., 1908. 
Tscherxnak, E.. Die Theorie der Kxyptomcrie usw. Beih. Bot. Centralbl.. 16. Bd., 
1903. 

— , Über Bildung neuer Formen durch Kreuzung. Res. Congr. Intern. Bot. 1905. 
Vries. H. de, Befruchtung und Bastardierung. Leipzig 1903. 
Weismann 1891, 1892, s. Literaturverzeichnis 19. 
Ziegler. H. E., Die Vererbung in der Biologie. Jena 1905. 

— , Die Chromosomentheorie der Vererbung in ihrer Anwendung auf den Menschen. 
Arch. Rass. Ges. Biol., 3. Jahrg., 1906. 

') Wie ich glauben möchte, genügen zwei Forniengruppen den meisten der 
Anforderungen, welche an solche Objekte gestellt werden müssen: die Snßwasser- 
kopepoden und die urodelen Amphibien (Vcrh. Zool. Ges. 1908). 



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Zwei und dreißigstes Kapitel. 
Chromosomen und Geschlechtsbestimmung. 

Auch diejenigen Biologen, welche die Unterlagen der Sutton- 
Bo veri sehen Chromosomenlehre für nicht genügend gesichert ansehen, 
werden vielleicht geneigt sein, wenigstens hinsichtlich der Geschlechts- 
bestimmung eine spezielle Funktion einzelner Chromosomen zuzugeben 
und also mit McClung, Wilson, Boveri u.a. diesen Vorgang auf 
eine Art von automatischem, an bestimmte Chromosomen geknüpftem 
Mechanismus zurückzuführen. 

Die grundlegenden Tatsachen, von welchen die betreffenden Vor- 
stellungen ausgehen, sind bereits in einem früheren Kapitel (10) zu- 
sammengestellt worden. Unter den hier aufgezählten Typen von besonders 
beschaffenen Chromosomen oder Heterochromosomen kommen für 
unsere Frage in erster Linie diejenigen in Betracht, welche in un- 
symmetrischer Weise auf die Samenzellen verteilt werden, so daß zwei 
verschieden ausgestattete Gruppen von Samenzellen ihre Ent- 
stehung nehmen. Dieser zuerst von Henking bei der Feuerwanze 
(Pyrrhocoris) entdeckte Dimorphismus der Spermien ist von McClung 
bei den Orthopteren wiedergefunden und erstmals mit der Geschlechts- 
bestimmungsfrage in Zusammenhang gebracht worden, und zwar in 
dem Sinne, daß der von ihm bei der Hälfte der Samenzellen fest- 
gestellte Körper, das „accessor isc he Chromosom 14 , das unpaare 
Heterochromosom oder Monosom bei späteren Autoren, als männlich 
bestimmendes Element zu betrachten sei. 

Eine genauere Begründung der cytologischen Geschlechtsbestim- 
mungslehre ist dann durch Wilson erfolgt. Wilson hat zunächst ver- 
sucht, die Homologie zwischen den bei der Samenbildung der Hemi- 
pteren, Orthopteren und anderen Formen beobachteten Vorkommnissen 
durchzuführen. Danach kann das für die Geschlechtsbestimmung 
hauptsächlich in Betracht kommende Chromosom, das „A r -Element", 
entweder als ein einzelnes Chromosom auftreten, welches bei der 



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Homologie der X- Elemente. 
Fig. 129. 




Spermatogenese der Hemipteren. Nach Wilson. 
A Anasa O X-Element als Monoton)). B Lygaeus (1 X-Element als großer IdiochromosomV 
C Tbyanta u X- Elemente;. D Gelastocoris (4 X- Elemente). 



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Homologie der X-Elementc. 347 

in den frühen Prophasen der Reifungsteilungen sich vollziehenden Syn- 
dese keinen Partner findet und daher bei der angenommenen Reduktions- 
teilung, wenn die syndetisch verbundenen Paare wieder getrennt und 
die beiden Paarlinge auf die beiden Schwesterzellen verteilt werden, nur 
der einen Hälfte der Samenzellen zugewiesen wird. Ein solches, wie 
gesagt, auch als accessorisches Chromosom oder Monosom be- 
zeichnetes Heterochromosom tritt z. B. bei den Hemipteren Protenor 
(Fig. 69 a und b, 1) und Anasa (Fig. 129 A) auf. In anderen Fällen, 
so bei Lygaeus (Fig. 70, Fig. 129 B), wird das X-Element durch das 
größere der beiden Idiochromosomen repräsentiert. Dieses 
findet bei der verspätet zwischen der ersten und zweiten Reifungs- 
teilung vor sich gehenden Syndese in dein kleinen Idiochromosom, 
dem „ l'-Element", einen Partner, und bei der als Reduktionsteilung 
anzusehenden zweiten Reifungsteilung (Fig. 70 g, 1) gelangt das X-Ele- 
ment in die eine, das F-Element in die andere Tochterzelle, so daß 
auch hier nur 50 Proz. der Samenzellen mit dem X-Element aus- 
gestattet sind. 

Bei einzelnen Hemipteren kann das X-Elcmcnt auch durch 2, 3 oder 4 Elemente 
ersetzt sein." Zwei Elemente finden sich z.B. bei Thyanta (Fig. 129 C) und Syro- 
mastes, vier bei Gelastocoiis (Fig. 129 D). Auch dann erhält nur die eine Hälfte der 
Samenzellen die A-Elemente. während die andere Hälfte das l'-Elcment übernimmt 
oder, wie bei Syromastcs, bei der Reduktionsteilung leer ausgeht. 

Zuweilen, z. B. bei Nezara, tteten im männlichen Geschlecht zwei gleich große 
Elemente auf. Im Hinblick auf verschiedene Übergangsformen wird von Wilson 
angenommen, daß in solchen Fällen die beiden Elemente nur äußerlich gleich sind, 
und daß eines von ihnen funktionell den Charakter eines X-, das andere den eines 
) -Elementes besitzt 1 ). 

Der zweite Punkt, welchen Wilson hervorgehoben hat, betrifft die 
Verhältnisse im weiblichen Geschlecht. Bei mehreren Formen konnte 
nachgewiesen werden, daß in denjenigen Fällen, in welchen die Sper- 
matogenese ein Monosom aufweist (Protenor u. a.), in der Ovogenese 
zwei entsprechende Gebilde gefunden werden (Fig. 69 C, 1,1 ; Fig. 129 A), 
und ebenso, daß, wenn in den Spermatogonien zwei ungleich große 
Idiochromosomen auftreten, diese in den Ovogonien durch zwei dem 
größeren Idiochromosom gleichkommende Elemente ersetzt werden 
(129B). Da nun ferner in den Ovocyten erster Ordnung während der 
Prophasen der ersten Teilung gerade diese beiden, dem X-Element 
entsprechenden Chromosomen syndetisch verbunden und dann auf 



') Bezüglich weiterer Einzelheiten vgl. besonders die Arbeiten von Wilson 
und Payne. 



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» 



348 Bedeutung der A'-Elemente. 

Grund der Reduktionsteilung wieder voneinander getrennt werden, 
so werden sämtliche Eier mit einem X- Element ausgestattet und 
erhalten also alle den nämlichen Chromosomenbestand. 

Diese Beobachtungen und Schlüsse führten dann zu der An- 
nahme, daß das X-Element der Spermatogonien ein weiblich be- 
stimmendes Element darstellte, d. h. daß durch Einführung einer 
mit dem X-Element ausgestatteten Samenzelle das Ei weiblich be- 
stimmt werde. 

Wenn z. B. die Spermatogonien einer Tierform n normale Elemente 
und ein X-Element enthalten (n -f X) und demnach die reifen Samen- 

zellen zur Hälfte vom Typus — , zur Hälfte vom Typus — -f- X sind, 

so besitzen nach obigem die Ovogonien n f 2 X und die reifen Eizellen 

~ -\- X Chromosomen. Es wird also bei der Befruchtung einer Eizelle 

f X^ mit einer das X-Chromosom führenden Samenzelle^- -f X^ 

nicht der männliche (n -f X), sondern der weibliche Chromosomen- 
komplex (n 2 X) zustande kommen und damit das weibliche Ge- 
schlecht bestimmt werden. 

Enthält aber das männliche Geschlecht, was der allgemeinere Fall 
sein dürfte, in den Spermatogonien außer den n normalen Elementen 
zwei ungleich große Idiochromosomen (n -f X + Y) und haben dem- 

nach die Samenzellen zur Hälfte — f X, zur Hälfte — -f Y, so weisen 

die Ovogonien n + 2X, die reifen Eizellen * -f X Elemente auf. Auch 

hier wird durch Vereinigung der das X-Element führenden Samen- 
zelle mit der Eizelle der weibliche Chromosomenbestand hergestellt. 

Ahnliche Chromosomenverhältnisse und ein ähnlicher Dimorphismus 
der Spermatozoen, wie bei den Hemipteren, sind auch bei zahlreichen 
Orthopteren, bei Coleopteren, Dipteren, Odonaten, sowie bei Myriapoden 
und Arachnoideen beobachtet worden. Man darf daher nach Wilson 
annehmen, daß in allen diesen Gruppen die Geschlechtsbestimmung 
in der nämlichen Weise wie bei den Hemipteren vor sich geht. Auch 
bei einzelnen Nematoden, nämlich bei Heterakis und möglicherweise 
auch bei Ascaris megalocephala, liegen ähnliche und in ähnlicher Weise 
zu deutende Verhältnisse vor 1 ). 



') Vgl. Alice M. Bor in g. Arch. Zellf., 4- Bd.. J909. und Boveri 1909. 



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Verhalten parthenogenetisdiei Eier. 



349 



Bei anderen Formen existieren umgekehrt zwei Arten von Eiern 
mit verschiedenem Chromosomenbestand und nur eine Sorte von 
Spermatozoen. Dies dürfte der Fall sein bei Seeigeln (Strongylo- 
centrotus) 1 ), und im Zusammenhang damit ist daran zu erinnern, daß 
bei mehreren Formen, z. B. bei dem Annelid Dinophilus, die Eier 
schon im Ovariurn in große Weibcheneier und in kleine Männchen- 
eier gesondert sind. 

Für die Frage, ob wirklich gewisse Heterochromosomen zur Ge- 
schlechtsbestimmung in irgend welcher Beziehung stehen, werden die- 
jenigen Fälle von entscheidender Bedeutung sein, in welchen nicht 
sämtliche Eier befruchtet werden und, wie dies sehr häufig zutrifft, 
etwa die Hälfte der Eier männliche, die Hälfte weibliche Individuen 
liefert 8 ), sondern außer den befruchteten auch unbefruchtete Eier zur 
Entwickelung gelangen und also in ersteren eine syngame, in letzteren 
eine progame Geschlechtsbestimmung vorzukommen scheint, also, kurz 
gesagt, die Fälle periodischer und unregelmäßiger (fakultativer) 
Parthenogenesis. 

Es hat sich nun bei einigen Formen mit parthenogenetischer Fort- . 
pflanzung tatsächlich herausgestellt, daß bei ihnen besondere Chro- 
mosomenverhältnisse vorkommen, und daß diese vom Boden der 
im letzten Kapitel behandelten Chromosomentheorie aus ohne weiteres 
verständlich sind, also ihrerseits wieder als eine wichtige Stütze der 
letzteren betrachtet werden können. 

Bei Rebläusen und Blattläusen gehen aus allen befruchteten 
Eiern weibliche Tiere hervor, und es könnte auf den ersten Anblick 
darin eine Schwierigkeit für die Annahme gesehen werden, daß bei 
den Insekten zwei verschiedene Klassen von Samenzellen vorkommen. 
Nun konnte aber für Aphis saliceti und in ähnlicher Weise für eine 
Phylloxera- Art gezeigt werden 3 ), daß auch hier in der Spermato- 
genese eine der Reifungsteilungen, und zwar die erste eine asymme- 
trische ist (Fig. 130, A bis C): das Heterochromosom , welches in der 
Prophase neben zwei typischen, offenbar bivalenten Chromosomen 
auftritt, wird nur der einen Spermatocytc zweiter Ordnung zugeteilt, 
so daß also eine Schwesterzelle mit drei (2 + X) und eine mit zwei 



l ) Vgl. Baltzer 1QOQ. 

*) In welcher also nicht das Zahlenverhältnis lOOcf:ioo9 oder, wie man 
kürzer sagt, das Geschlechtsverhältuis 100 besteht (das Geschlechtsveihältnis wird aus- 
gedruckt durch die Zahl der ö\ welche auf 100 $ kommen). 

s ) Vgl. Morgan, v. Haehr. 



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350 



Verhalten parthenogenetischer Eier. 



Chromosomen entsteht (C, D). Letztere degeneriert später, und 
es bleibt also nur die X- Klasse der Sperma tozoen, d. h. die Gruppe 
der Weibchen produzierenden Spermatozoen für die Befruchtung 
übrig, während die l'-Klasse, d. h. die männlich bestimmenden Sper- 
matozoon, abortiv wird. So erklärt es sich, daß alle befruchteten 
Eier zu weiblichen Individuen sich entwickeln. 

Bei Aphis saliceti macht übrigens das Heterochi omosom während des eisten 
Teilungsaktes einen Versuch zur Durchteilung (Fig. 130B) in ähnlicher Weise, wie 

dies für die DimiuutionskÖi per von As- 
caris und Cyclops gilt (S. 64). Nach- 
her wird es ungeteilt in die größere, 
durch eine einseitige Anhäufung 
von Mitochondrien schon vorher 
ausgezeichnete Sch w es t er ze 11 e 
herübergezogen (C). 

Eine Bildung rudimentärer Samen- 
zellen ist auch bei Hymenopteren be- 
obachtet worden '). Bei der Honigbiene 
und ebenso bei der Holzbiene (Xylo- 
copa) wird bei der ersten Teilung eine 
kernlose, rudimentäre Spermatocyte 
zweiter Ordnung abgeschnürt (Fig. 1,51 
A, B). Die kernhaltige Tochterzelle 
liefert beim zweiten Teilungsakt einen 
zweiten kernhaltigen „Richtungskör- 
pei", welcher degeneriert, und eine ein- 
zige befruchtungsfähige Samenzelle (C). 
Bei den Wespen (Fig. 132) verläuft der 
erste Teilungsakt in ähnlicher Weise 
wie bei den Bienen, und zwar besteht 
hier der rein cytoplasmatischc .erste 
Ricbtungskürper" vorwiegend ans dem 
einen Centrosom (c) und dem von der 
vorhergegangenen Teilung herrühren- 
den „Spiudelrcstkörpcr" (interzonal 
body, t*). Die zweite Teilung liefert im 
Gegensatz zu den Bienen zwei gleich- 
wertige Spermatozoen (Fig. 13-'B). 

Bei den Bienen und Wespen sind 
nun allerdings die Chromosomenver- 
hältnisse nicht genau bekannt, aber es 
liegt die Vermutung nahe, daß hier, und ebenso bei den Cladoceren und Rotatorien 
in ähnlicher Weise, wie bei den Blattläusen und Rebläusen, eine asymmetrische Ver- 
teilung von „Geschlechtschromosomen'' stattfindet. 

Auch manche anderen cytologischen Verhältnisse befinden sich nach dem jetzigen 
Stande unserer Kenntnisse mit der Theorie im guten Einklang. So wird für die Rebläuse 

J ) Meves, Anat. Auz., 24. Bd., IQ03; 1907; Mark u. Copeland, Proc. Am. Ac, 
Vol. 42, 1906; Vol. 43. 1907; Granata, Biologica, Vol. 2, Torino 1909. 



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Spermatogenese von Aphis saliceti. 

Nach v. Bachr. 

A— C erste KeifungsteüuDg. D kleine degenerierende 

ond grolle Spermatocyte zweiter Ordnung. 
V.—V zweite Reitungsteilung der großen Spcrmato*- vte 
zweiter Ordnung. 



Verhalten parthenogenetischer Eier. 



351 



und Blattläuse angegeben, daß die parthenogeneiischen Männcheneier bei der 
Bildung des einzigen Richtungskörpers eines der beiden X- Kiemente ausstoßen 

Fig. 131. • 





Spermatogenese der Honigbiene. Nach Meves 

A und ft erste, C zweite Rei»ti!it,'<leilnng. 



volle (diploide) Zahl beibehalten '). 

Fig. 132. 



und so auf den männlichen Chromosomenbestand kommen, während die Weibchen- 
eier beide X - Elemente und damit die 
Bei mehreren Insekten bilden auch 
die parthenogenetischen Eier zwei Rich- 
tungskörper"). Bei einigen Gallwespen 
und Blattwespen soll trotzdem keine 
Reduktion der Chromosomen stattfin- 
den, so daß die Eier die volle Chromo- 
somenzahl (also vermutlich auch zwei 
A'-Elemente) beibehalten 3 ). In Über- 
einstimmung mit der Chromosomen- 
theorie entwickeln sich nun bei diesen 
Formen die parthenogenetischen Eier 
vorwiegend zu weiblichen Tieren. Da- 
mit steht die weitere Beobachtung im 
Einklang, daß bei Ameisen in den 
von den Arbeiterinnen gelegten par- 
thenogenetischen (Männchen-) Eiern 
eine Reduktion der Chromosomenzahl 
und damit wohl eine Entfernung eines 
der beiden A'-Elemente zustande kommt, 
während die befruchteten Weibcheneier 
die volle diploidc Zahl aufweisen 4 ). 





Spermatogenese von Vespa maculata. 
Nach Mark und Copeland. 

A erste, B zweite Keilungsteilung. 



') Vgl. Morgan, v. Baehr. 
*) Vgl. S. 68 unten. 

') So bei Rhodites nach Henking und bei der Blattwespe I'oecilosoma nach 
Doncaster (Quart. J. micr. Sc, Vol. 49. 1906). 
\) Vgl. Schleip 1908. 



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35-' 



Qualitätsbypothese. 



Ob alle diese Beobachtungen vollkommen zutreffen und ob auch die partheno- 
genetischen Eier der Bienen, Cladoceren, Phyllopoden und Kotatorien entsprechende 
Verhältnisse darbieten, ist bei den großen Schwierigkeiten, welche gerade bei diesen 
Tiergruppen eine genaue Zählung der meist außerordentlich kleinen und eng zu- 
sammengedrängten Chromosomen gewährt, schwer zu sagen 1 ). Hier sollte vor 
allem gezeigt werden, daß gerade auf dem Gebiete der parthenogenetischen Fort- 
pflanzung eine große Zahl von Kinzelproblemen der I^ösung harrt, und nicht minder, 
daß man gewärtig sein muß, bei Auffindung neuer, besonders günstiger Objekte auf 
Überraschungen verschiedener Art zu stoßen. 

Es erhebt sich nun die Frage, welcher Art die kausalen Be- 
ziehungen zwischen den „ Geschlechtschromosomen u und der Ge- 
schlechtsbestimmung sind. Zunächst liegt es nahe, daran zu denken, 
daß die betreffenden Chromosomen eigentliche Geschlechts- 
bes timmer sind, genauer gesagt, daß sie die Träger gewisser 
Agenzien oder Faktoren darstellen, deren Anwesenheit in den be- 
treffenden Keimen die Entfaltung des männlichen oder weiblichen 
Geschlechts hervorruft. Die Geschlechtschromosomen würden danach 
auf Grund besonderer Qualitäten, durch welche sie von den übrigen 
Chromosomen unterschieden sind, wirksam sein (Qualitätshypo- 
these). 

Daraus würde sich ohne weiteres eine Parallele zu denjenigen 
Faktoren oder Bestimmern ergeben, welche bei der Mendel sehen 
Vererbung als wirksam angenommen werden 3 ), und es wäre also die 
Frage zu beantworten, ob etwa die Chromosomenspaltungen und -Ver- 
bindungen, wie sie besonders bei den Hemipteren und Orthopteren 
beobachtet werden, den sichtbaren Ausdruck für eine Spaltung und 
Wiedervereinigung männlicher und weiblicher Determinanten oder 
Erbeinheiten bilden, und ob also wenigstens in diesem Falle die cyto- 
logischen Grundlagen eines Vererbungsvorganges in unzweideutiger 
Weise festgestellt werden können. Schon durch einige Bastardierungs- 
versuche, namentlich durch Correns' Experimente mit der Zaunrübe 
(Bryonia), ist ja, wie früher (Kap. 25) gezeigt wurde, die Ansicht be- 
festigt worden, daß es sich bei der Verteilung des Geschlechts auf die 
Nachkommen um einen alternativen Vererbungsmodus handle. Nur ist 
es in diesen Fällen bisher nicht möglich gewesen, diejenigen Vorgänge 
in den Keimzellen zu beobachten, welche als das cytologische Korrelat 
der experimentell ermittelten Verhältnisse angesehen werden könnten. 

') Bei den Phyllopoden (Artemia) kommt die grofe Zahl der Chromosomen 
als erschwerendes Moment hinzu. Vgl. S. 114. 

") Vgl. Bateson und Saunders 1902 (Literaturverzeichnis 22 u. 23); Castle 
1003; Wilson, Stud. chrom. III. igoc>; 1909, IQlo. 



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Die Geschlechtsbestimmung als Mendelprozeß. 



Um nun die cytologischen Erscheinungen bei den Hemipteren 
und Orthopteren als einen MendelprozeB interpretieren zu können, 
ist eine ganze Reihe von Hilfsannahmen zu machen. Am einfachsten 
gestaltet sich von der Qualitätshypothese aus noch die Erklärung, 
wenn man sich im Gegensatz zu der früher (S. 348) erwähnten Hypo- 
these vorstellt, daß das in den Chromosomengruppen des männlichen 
Individuums vorkommende einzelne X- Element ein Männchen- 
bestimmer ist, während von den beiden in den Chromosomen- 
gruppen des Weibchens auftretenden X-Chromosomen das eine (X,) 
ein dominierender Weibchenbestimmer, das andere (Xg) 
ebenfalls ein Männchenbestimmer ist. Von den Spermatozoen 
würde dann die eine Hälfte, die sogenannte X-Klasse, den Männchen- 
bestimmer, die andere Hälfte, oder die l r - Klasse, kein besonderes Ge- 
schlechtschromosom enthalten 1 ); von den Eiern sind 50Proz. mit dem 
dominierenden Weibchenbestimmer, 50 Proz. mit dem Männchen- 
bestimmer ausgestattet. Wenn man nun die weitere Annahme macht, 
daß eine „selektive Befruchtung"») stattfindet, in der Weise, 
daß Xj-Eier nur durch X-Spermien und X a -Eier nur durch F-Spermien 
befruchtet werden können, so ergeben sich folgende Kombinationen: 

X, + X = X, (X) = ? 
X,-f Y = X S (Y)= <f. 

Nach diesen Erbformeln, in welchen die Buchstaben nicht bloß 
die Geschlechtschromosomen selber, sondern gleichzeitig auch die von 
ihnen getragenen Bestimmer (Faktoren, Erbeinheiten usw.) darstellen, 
würden in gewissem Sinne sowohl das Weibchen als auch das Männ- 
chen in bezug auf das Geschlecht heterozygotisch (heterogame- 
tisch) sein, ein Ergebnis, welches insofern mit den früher (Kap. 25) 
erwähnten Deutungen der Bryonia-Versuche nicht ganz übereinstimmt, 
als letztere das eine Geschlecht als heterozygotisch, das andere als 
homo zygotisch (homogametisch) erscheinen lassen. 



') Ob dem Y-Element, das bei Formen vom Lygaeus-Typus in der Hälfte der 
Spermien vorkommt, eine besondere Bedeutung zukommt, ist bei diesen Spekulationen 
zunächst außer acht gelassen. 

*) Ein selektiver Befruchtungsprozeß ähnlicher Art ist schon von einer Reibe von 
Forschern, so von Beard (Zool. Jahrb., Anat. Abt., 16. Bd., 1902), Castle 1903 u.a. 
angenommen worden. Morgan, Payne und Browne (Biol. Bull., Vol. 19, 1910) 
haben neuerdings bei einem Mollusk (Cumingia) durch direkte Beobachtung zu ent- 
scheiden versucht, ob die Möglichkeit einer selektiven Befruchtung besteht. In dem 
von ihnen untersuchten Falle war das Resultat ein negatives. 

H a eck er. Vererbungslehre. 2 i 



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334 



Quantitätshypothese. 



Die Qualitätshypothese stößt aber, abgesehen davon, daß sie die offen- 
kundige Verschiedenheit der Spermatozoen unberücksichtigt läßt, auf 
zahlreiche Schwierigkeiten, sobald es sich um die Erklärung besonders 
gearteter, außerhalb des Formenkreises der Hemipteren und Orthopteren 
gelegener Fälle handelt. Hier seien nur die bekannten Geschlechts- 
verhältnisse der Honigbiene herangezogen. Daraus, daß sich bei 
dieser die Eier im Falle der Nichtbefruchtung zu Drohnen entwickeln, 
würde zunächst zu entnehmen sein, daß die Eier bei den Reifungs- 
teilungen den dominierenden Weibchenbestimmer eliminieren. Die 
zu weiblichen Tieren sich entwickelnden Eier könnten dann letzteren 
nur bei der Befruchtung durch das Spermatozoon wiedererlangen, was 
aber in Widerspruch mit der Grundvoraussetzung steht, daß in den 
männlichen Chromosomengruppen keine Weibchenbestimmer ent- 
halten sind. 

Im Hinblick auf diese und manche andere Widersprüche ist 
es fraglich, ob die Qualitätshypothese einer weiteren Entwickelung 
fähig ist. 

Nach einer zweiten Hypothese würde das Geschlecht durch einen 
rein quantitativen Unterschied im Chromosomenbestand bestimmt 
werden *). 

Nach der Quantitätshypothese würden die X-oder Geschlechts- 
chromosomen der männlichen und weiblichen Zellen die gleiche 
Art von Wirksamkeit besitzen, und es würde ausschließlich von der 
Zahl und relativen Größe der in die Zygote eintretenden Ge- 
schlechtschromosomen abhängen, welches Geschlecht erzeugt wird. 
Nun stimmen aber einerseits die Hemipteren (Homopteren, Aphiden), 
bei welchen zweierlei Spermatozoen bestehen, andererseits die See- 
igel, welche zweierlei Eier aufweisen, darin überein, daß die weiblich 
bestimmten Eier „mehr Chromatin" oder, besser wohl, mehr Chromo- 
somensubstanz enthalten, und man könnte daher denken, daß eben 

l ) Ohne Kenntnisse von der McClungschen Hypothese hatte ich es schon vor 
einer Reihe von Jahren als möglich bezeichnet, daß nicht sämtliche Chromosomen 
eines und desselben Kernes in bezug auf die Bestimmung des Geschlechts in einer 
Richtung wirksam sind, sondern daß es im Kern männliche und weibliche Unter- 
einheiten gibt, und daß jeweils die Majorität derselben ausschlaggebend ist. Vgl. 
1902 (Literaturverzeichnis 6). S.98, sowie Ziegler 1905 (Literaturverzeichnis 31). 
S. 40. Mit der im folgenden skizzierten Hypothese berührt sich auch sehr nahe die 
Anschauung von R. Hertwig, wonach die jeweilige Kernplasmarelation geschlechts- 
bestimmend wirkt. Vgl. Verh. D. Zool. Gos. 1905, S. 195, sowie v. Malsens Dino- 
philivs-Arbeit (Arcb. mikr. An., 69. Bd., 1907) und Goldschmidt. Arch. Zellf.. 6. Bd., 
1910. 



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Quantitätshypothesc. 



355 



infolge der Vermehrung der Chromosomensubstanz die im Keim sich 
abspielenden Stoffwechselvorgänge einen anderen, vielleicht intensiveren 
Verlauf nehmen, und daß diese Änderung bzw. Erhöhung der meta- 
bolischen Zelltätigkeiten die Bestimmung zum Weibchen im Ge- 
folge hat 1 ). 

Man könnte auch sagen, daß die Anwesenheit nur eines X-Ele- 
mentes an und für sich den männlichen Zustand bedingt, während 
die Hinzufügimg eines zweiten Elementes derselben Art auf Grund 
einer rein quantitativen Wirkung den weiblichen Zustand herbeiführt 

Noch anders ausgedrückt: eine Dosis A'- Elemente bewirkt den männlichen, 
zwei Dosen den weiblichen Zustand (Bateson). 

Die Quantitätshypothese steht mit der Beobachtung im Einklang, 
daß bei Dinophilus»), bei den Rotatorien und Aphiden die mit Nähr- 
material reicher ausgestatteten, also offenbar metabolisch intensiver 
tätigen Eier weiblich, und zwar progam weiblich bestimmt sind. 
Auch die bekannten Verhältnisse bei der Honigbiene lassen sich ohne 
weiteres von dieser Hypothese aus begreifen. Andererseits stehen ihr 
natürlich solche Fälle im Wege, in denen die beiden Geschlechter die 
gleiche Chromosomenzahl besitzen oder das männlich bestimmende 
Spermatozoon die größere Menge von Chromosomensubstanz erhält*). 
Auch ist es schwer vorstellbar, daß in den verhältnismäßig sehr 
großen Insekteneiern so geringfügige Quantitätsunterschiede einen 
entscheidenden Einfluß ausüben, und daß bei diesen von Spezies zu 
Spezies wechselnden Quantitätsunterschieden immer gerade die Alter- 
native männlich-weiblich in reiner Form und nicht häufiger ein zum 
Zwittertum neigender Zustand herauskommt. Stellt man sich vollends 
auf den Boden der Anschauung, daß die Heterochromosomen minde- 
stens zu einem großen Teil im Abbau befindliche Elemente 
sind — worauf namentlich die Verhältnisse bei den Kopepoden mit 
großer Bestimmtheit hinweisen — , so wird man sich schwer der 
Quantitätshypothese anschließen können. 



') Vgl. besonders Wilson 1906, toio; Boveri 1908. Nach Goldschmidt 
(l.c) und Buchner (Arch. Zellf., 3. Bd., 1900) würden die accessorischen Chromo- 
somen Trophochromatin (den Stoffwechselvorgängen vorstehendes, fermentbilden- 
des Chromatin) enthalten. Vgl. dagegen G u t h e r z (Sitzungsber. Ges. Naturf. Freunde, 
Berlin 1909). 

*) Vgl. besonders v. Malsen, 1. c. 

*) Unter den Hemipteren weist Nezara (siehe oben S. 347) das erstgenannte, 
Atolla das letztere Verhältnis auf. Vgl. Payne, Biol. Bull., Vol. 16, 1909; Buchner, 
Arch. Zellf.. 5- Bd., 1910. 



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350 



Indexhypothese. 



Es soll noch eine dritte Auflassung besprochen werden, welche 
ich selbst für die annehmbarste halten möchte und die man als 
Indexhypothese bezeichnen kann 1 ). Danach vermögen die Hetero- 
chromosomen weder auf Grund besonderer qualitativer. Eigenschaften 
noch vermittelst bestimmter Mengenverhältnisse das Geschlecht der 
Keimzellen zu beeinflussen. Sie unterscheiden sich vielmehr von den 
übrigen Chromosomen nur durch ihre Größe, eventuell auch ihren phy- 
sikalischen Zustand (Dichtigkeit, Adhäsionsvermögen usw.), jedenfalls 
nur durch solche Eigenschaften, welche mit ihrem Charakter als wenig 
modifizierter, im Abbau befindlicher Elemente zusammenhängen. Sie 
werden auch durch Faktoren physikalischer Art (Plasmaströmungen, 
Gleichgewichtsverschiebungen) veranlaßt, in die schon vorher durch 
andere Faktoren einseitig determinierten Samenzellen ein- 
zutreten, und stellen demnach höchstens einen Index für die bereits 
vollzogene Geschlechtsbestimmung dar. 

Manche, durch keine der anderen Hypothesen erklärten Verhält- 
nisse würden vom Boden der Indexhypothese aus verstanden werden. 
Wenn z. B. bei Aphis saliceti (S. 350, Fig. 1 30) die eine Tochterzelle 
schon während der ersten Teilung durch Größe und Mitochondrien- 
bildung ausgezeichnet ist und wenn das Heterochroraosom bei diesem 
Teilungsschritt den Versuch macht, sich seinerseits symmetrisch zu 
teilen und nachträglich in die durch die angegebenen Merkmale 
schon vorher ausgezeichnete Tochterzelle herübergezogen wird, so 
kann man schwer glauben, daß das Heterochromosom während und 
nach der Teilung eine andere als eine passive Rolle spielt. Ebenso 
sind bei Phylloxera diejenigen Eier, welche eines der X- Elemente 
eliminieren und damit auf den männlichen Chromosomenbestand kom- 
men, schon vor der Elimination durch ihre geringere Größe 
von den Weibcheneiern unterschieden. 

Eine Art von Vermittelung zwischen der Qualitäts- und Indexhypothese hat 
Wilson*) herzustellen versucht. Danach wäre anzunehmen, daß eine ganze Reihe 
von Faktoren zusammenwirken müssen, um die Keimzelle, besonders das Ei, männ- 
lich oder weiblich zu bestimmen. Die A-Chromosomen würden einen dieser Faktoren, 
und zwar offenbar den entscheidenden bilden. Es könne auch gesagt werden, daB 
die Herstellung der charakteristischen Chromosomenkombination den Kulminations- 
punkt des Geschlechtsbestimmungsprozcsscs darstelle. 

Welche der hier aufgezählten Hypothesen auch den tatsächlichen 
Verhältnissen am nächsten kommen mag, auf alle Fälle wird man sich 

') Vgl. Haecker, S. 64 (1907). Morgan 1909, Montgomerr 1910, Buchner. 
Arth. Zellf., 5. Bd., 1910. 
«) 1910, S.585. 



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Prädetermination und Prädestination. 



357 



hier noch die eine Frage vorzulegen haben, ob durch die Geschlechts- 
chromosomen oder durch irgend welche andere vor oder während der 
Ei- und Samenreife und Befruchtung wirkende Faktoren der ge- 
schlechtliche Charakter der Keimzellen wirklich endgültig be- 
stimmt, nach Wilson prädeterminiert wird, oder ob die 
Keimzellen nur nach einer bestimmten Richtung hin gestimmt, 
nach Wilson prädestiniert sind, im übrigen aber beide Potenzen 
in sich einschließen 1 ). Während nun in einigen Fällen, wie früher 
(Kap. 25) erwähnt wurde, die Geschlechtszellen unwiderruflich deter- 
miniert erscheinen, sprechen manche Beobachtungen auf tierischem und 
pflanzlichem Gebiete dafür, daß auch bei getrennt geschlechtlichen 
(diözischen) Formen der erwachsene Organismus in Wirklichkeit 
hermaphroditischer Natur sein kann, was wiederum auf einen herma- 
phroditischen Charakter der Keimzellen, aus welchen er hervor- 
gegangen ist, hindeutet. Die Keimzellen sind dann also nicht endgültig 
determiniert, sondern haben eine bestimmte Geschlechtstendenz, 
sind in bestimmter Weise prädestiniert, d. h. von den beiden Po- 
tenzen ist nur die eine im „aktiven", entfaltungsfähigen Zustand, 
während sich die andere in einer „latenten", mindestens in einer 
weniger enthaltungsfahigen Verfassung befindet. Diese Auffassung 
würde im Einklang stehen mit der in diesem Buche zu wiederholten 
Malen in den Vordergrund gestellten Hypothese von einer vielseitigen 
Potenz (Pluripotenz) des Artplasmas. 

Zusammenfassenderweise wäre dann zu sagen, daß mindestens in 
einigen Arthropodengruppen jede Keimzelle progam eine bestimmte 
Tendenz erhält oder prädestiniert wird, und daß, wenn bei der 
Befruchtung zwei Keimzellen mit ungleichen Tendenzen zusammen- 
treten, ein von vornherein festgelegter Unterschied in ihrer Entfaltungs- 
stärke die Entscheidung zugunsten der einen Tendenz herbeiführt"). Es 
findet dann also eine zweite syngame Prädestination statt. 

Inwieweit dann nachträglich noch unter der Wirkung äußerer 
oder innerer Faktoren eine Umstimmung, ein Umschlagen der Ten- 
denz stattfinden, ob und inwieweit also eine tertiäre epigame 
Prädestination vorkommen kann, darüber lassen sich heutzutage 
noch keine Aussagen allgemeinerer Art machen 8 ). Vom Boden der 

') Vgl. Corrcns 1907 (Literaturverzeichnis 25), Mor gan (Exp. Zoo]., New York 
1907), F. R. Lillie (Sei., N. S.. Vol. 25, 1907). Wilson 1909. 
«) Vgl. Correns, S.66 (1907). 
a ) Vgl. R. Hertwig, S. 195 (1905). sowie Kap. 25. 



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358 



Literaturverzeichnis J2. 



Quantitäts- und Indexhypothese würde jedenfalls ein nachträgliches 
Umschlagen einigermaßen verstandlich erscheinen, während sich die 
Qualitätshypothese weniger- leicht damit abfinden könnte. 



Literaturverzeichnis zu Kapitel 32. 

Baehr, W. B. v., Die Oogenese bei einigen viviparen Aphididen und die Spermato- 
genese von Aphis saliceti usw. Arcb. Zellf., 3- Bd., 1909. 

Baltzer, F., Die Chromosomen von Strongylocentrotus usw. Arch. Zell/., 2. Bd., 
1909. 

Boveri, Th., Über Beziehungen des Chromatins zur Geschlecbtsbestimraung. Sitzungs- 

ber. Phys.-med. Ges., Würzburg 1908/09. 
— , Über „Geschlechtschromosomen" bei Nematoden. Arch. Zellf., 4. Bd., 1909. 
Correns 1907, s. Literaturverzeichnis 2$, S. 261. 

Gutherz, S., Zur Kenntnis der Heterochromosomen. Arch. mikr. An., 69. Bd.. 1906. 
Ha eck er 1907, s. Literaturverzeichnis 6, S. 58. 

Henking, H., Untersuchungen über die ersten Entwickelungsvorgänge in den Eiern 

der Insekten. III. Z. w. Z., 54- Bd., 1892. 
Hertwig, R., Das Problem der sexuellen Differenzierung. Verh. D. Zool. Ges. 1905. 
McClung, C E., The Accessory Chromosorae — sex determinant? Biol. Bull., 

Vol. 3, 1902. 

Meves, F., Die Spermatocytenteilungen bei der Honigbiene usw. Arch. mikr. An., 
70. Bd., 1907. 

Montgomery, Th. H., Are particular chromosomes sex determinants ? Biol. Bull., 
Vol. 19. 1910. 

Morgan, T. H., The production of two kinds of spermatozoa in Phylloxerans etc. 

Proc. Soc. Exp. Biol. and Med., Vol. 5, 1908. 
— , A Biolog. and Cytol. Study of Sex Determination in Phylloxerans and Aphids. 

J. Exp. Zool., Vol. 7. 1909. 
Pavne, F., On the sexual diff. of the chromosome groups in Galgulus ocul. Biol. 

Bull., Vol. 14, 1908. 

— , Some new types of chromosome distribution etc. Biol. Bull., Vol. 16, 1909. 
Schleip, W., Die Richtungskörperbildung im Ei von Forraica sanguinea. Zool. Jahrb., 

Anat. Abt, 26. Bd., 1908. 
Stevens, N. M.. Studies in spei matogonesis with especial reference to the .accessory* 

chromosome. Carneg. Inst. Publ. 1905. 
Wilson, E. B., Studies on chromosomes 1 — V. J. Exp. Z„ Vol. 2 — 6. 1005/09. 
— , Recent researches on the determ. and heredity of sex. ScL, N. S., Vol. 29, 1909. 
— , The chromosomes in relation to the determ. of sex. Science progress, Nr. 16. 

1910. 



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Dreiunddreißigstes Kapitel. 

Versuch einer Kernplasmahypothese zur Erklärung 

der Mendelprozesse. 

Gleichzeitig mit der Entwicklung der morphobiologischen Ver- 
erbungslehren von Weismann, de Vries, O. Hertwig iL a. und viel- 
fach beeinflußt durch diese sind, wie wir gesehen haben, im Laufe der 
beiden letzten Jahrzehnte verschiedene Hypothesen über die Natur, die 
Veränderungen und Funktion der Chromosomen aufgestellt worden, 
unter welchen namentlich die Vorstellungen über die Bedeutung der 
Reduktionsteilungen, die Individualitätstheorie und die Lehre von der 
physiologischen Ungleichwertigkeit der Chromosomen Boden gewonnen 
und zu immer weiteren Untersuchungen Anregung gegeben haben. 
Alle diese Anschauungen sind zunächst ohne Kenntnis des Mendel- 
schen Vererbungsmodus begründet und weitergebildet worden. Und 
als sich dann ergab, daß die zur Erklärung des letzteren angenommenen 
Anlagenspaltungen und -neukombinationen von den gewonnenen cyto- 
logischen Anschauungen aus sich in verhältnismäßig einfacher Weise 
erklären ließen, so konnte man den Eindruck gewinnen, daß man sich 
auf beiden Gebieten, sowohl in der Chromosomenlehre wie in der 
Theorie der Rassenkreuzung, auf dem richtigen Wege befände. 

a) Schwierigkeiten für die Chromosomenlehre 

der Vererbung. 

Es wurde aber bereits hervorgehoben, daß der Verbindung beider 
Vorstellungskreise erhebliche Schwierigkeiten im Wege stehen, sobald 
man die bei einigen besonders genau untersuchten Objekten er- 
langten Ergebnisse und Anschauungen zu verallgemeinern versucht 1 ). 

') Schwierigkeiten dieser Art sind auch in den früher zitierten Schriften von 
Driesch, Fick, Godlcwski, Ruzicka, Tischler u.a. hervorgehoben worden. 
Vgl. auch M. F. Guy er. Deficicncies of the Chromoaome Theorv of Heredity. Univ. 
Stud., Univ. Cincinnati (2), Vol. 5. 1900. 



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360 



Schwierigkeiten für die Chromosomenhypothescu. 



Besonders mehren sich aber neuerdings die Hinweise darauf, daß ein 
so enger Zusammenhang, wie er einer weitverbreiteten Ansicht zu- 
folge zwischen den Mendelschen Spaltungsprozessen und der Re- 
duktionsteilung bestehen soll, doch wohl nur innerhalb bestimmter 
Grenzen angenommen werden darf. 

Unter anderem hat die erneute Untersuchung der Kopepoden, 
also desjenigen Objektes, welches seit seiner Einführung in die Cyto- 
logie vor 20 Jahren als besonders beweisend für die Existenz einer 
wirklichen, während der Keimzellenreifung erfolgenden Reduktions- 
teilung gegolten hat, zu dem Ergebnis geführt, daß wenigstens bei 
bestimmten Süßwasserformen nur dann von einem Reduktionsakte im 
ursprünglichen Sinne gesprochen werden könnte, wenn gleichzeitig 
eine parallele Konjugation zweier Chromosomen, eine Parasyndese, 
bestehen würde. Nun sprechen aber gegen das Vorkommen einer 
Parallelkonjugation im allgemeinen und besonders bei den Kopepoden 
eine Reihe von, mir scheint, sehr schwerwiegenden Gründen, und so 
wird man die untersuchten Süßwasserkopepoden zu denjenigen Formen 
zu rechnen haben, bei welchen, wenigstens im weiblichen Geschlecht, 
die Zusammenziehung und Abänderung der beiden Reifungsteilungen 
nicht bis zur Einrichtung einer Reduktionsteilung gediehen ist. Wäh- 
rend allerdings bei anderen Objekten, z. B. bei den männlichen 
Hemipteren, allen Beobachtungen zufolge diese Entwickelungsstufe 
wirklich erreicht ist, so darf doch schon jetzt, wie ich glaube, auf 
Grund der vorliegenden Daten angenommen werden, daß der bei den 
Kopepoden verbreitete Modus auch sonst vorkommt, und man wird 
schon aus diesem Grunde Bedenken tragen müssen, die Anschauungen, 
welche bezüglich der vererbungstheoretischen Bedeutung der Re- 
duktionsteilung bei Hemipteren und anderen Objekten gewonnen 
worden sind, ohne weiteres zu verallgemeinern. 

Aber nicht nur aus der ungleichen Verbreitung der Reduktions- 
teilung ergeben sich Schwierigkeiten für die Chromosomenhypothesen 
in ihrer bisherigen Form. Mehr und mehr häufen sich die Tatsachen, 
aus welchen in überzeugender Weise hervorgeht, daß auch bei nicht- 
sexuellen, somatischen Zellteilungen Anlagenspaltungen 
ganz ähnlicher Art wie bei der sexuellen Kreuzung auf- 
treten können. Schon früher (Kap. 27, S.291) wurde auf einige 
Knospenvariationen hingewiesen, welche durch das Auftreten eines 
rezessiven Charakters oder, wie man auch sagen kann, durch die Unter- 
drückung eines positiven Faktors von der Ausgangspflanze unter- 



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Somatische Spaltungen. 



361 



schieden sind. Auf ein anderes, schon von Darwin erwähntes Beispiel 
hat neuerdings Bateson in gleichem Zusammenhange die Auf- 
merksamkeit gelenkt, nämlich auf die Entstehung haarloser (glatter) 
Pfirsichfrüchte, der sogenannten „Nektarinen", auf dem Wege von 
Knospenvariationen. Bei dem Gegensatz zwischen den gewöhnlichen, 
behaarten Pfirsichen und den Nektarinen handelt es sich um ein Merk- 
malspaar (haarig-glatt), welches bei sexuellen Kreuzungen dem alter- 
nativen Modus folgt, und wenn also bei der Knospenvariation der 
rezessive Charakter zum Vorschein kommt, so kann dies offenbar nur 
auf dem Wege einer unsymmetrischen, somatischen Zellteilung zu- 
stande kommen J ). Ähnliches mag Gültigkeit haben, wenn z. B. Kame- 
lien mit rosa und weißen Blüten Zweige mit einfarbigen Blüten tragen 
und diese bei der Weiterkultivierung die eine Farbe beibehalten 8 ). 

Auf zoologischem Gebiete sind keine ganz entsprechenden Ver- 
hältnisse bekannt Doch wird man sicherlich z. B. bei gewissen, 
regelmäßigen Farbenverteilungen (Streifung, Fleckung, Bänderung) an 
rhythmische, bei somatischen Teilungen vor sich gehende Spaltungs- 
prozesse denken können. Allerdings ist wiederholt der Versuch ge- 
macht worden, die Entstehung derartiger Zeichnungsformen direkt auf 
die Anordnung der Blutbahnen oder Nerven zurückzuführen 8 ), aber in 
einigen Fällen, so z. B. bei gebänderten Vogelfedern, können derartige 
Verhältnisse nicht unmittelbar in Betracht kommen. Vielmehr wird 
man solche Bänderungen mit einer alternierenden Anordnung ver- 
schieden beschaffener, durch somatische Spaltungen entstandener 
Gewebszonen in Zusammenhang bringen dürfen, mögen nun die Zellen 
der aufeinanderfolgenden Zonen in bezug auf das eigene Pigment- 
bildungsvermögen oder in bezug auf ihre Affinität zu den Pigment- 
zellen (Chromatophoren) unterschieden sein 4 ). Bateson ist in dieser 
Hinsicht noch weiter gegangen, indem er ganz allgemein die Ent- 



') Bateson, S. 273 (1909). 

*) Vgl. Tischler. S. 123 (1908), wo ebenfalls verschiedene Giünde gegen die 
Annahme geltend gemacht werden , daß die Mcrkmalsspaltung mit Notwendigkeit 
nur bei der Rednktionstcilung erfolgt. 

*) So hat Zenneck (Z. w. Z„ 58. Bd., 1894) die primäre I^ängstreifung von 
Ringelnattercmbryonen mit der Anordnung der Hautvenen, van Rynberk (Rendic. 
R. Acc. Lincei, Vol. 14, 1905; Arcb. Ital. Biol., Tome 44, 1905) die Zeichnung bei 
Wirbeltieren mit der Ausdehnung der Innervationsgebictc der Spinalnerven in Zu- 
sammenhang gebracht 

4 ) Beobachtungen Aber die Kntstehung des Pigmentes in den Vogelfedern hat 
Strong (Bull. Mus. Comp. Zool. Harv. Coli , Vol. 40, 1902) gemacht. 



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362 



Inäquale Zellteilungen. 



stehung metamer wiederholter Merkmale auf regelmäßig vor sich 
gehende, somatische Spaltungen zurückführt. 

Es ist wahrscheinlich, dafi die hier erwähnten Entwickelungsvorgänge mit der 
Entstehung der eigentlichen Mosaikzeichnung in einer näheren oder entfernteren 
Parallele stehen, und möglicherweise sind auch einige bei Chimären und Bizzarrien 
(Kap. 18) beobachteten Verbältnisse in ähnlichem Sinne zu deuten. 

Allem nach liegt also kein zwingender Grund vor, die Mend ei- 
schen Spaltungen als Vorgänge anzusehen, welche notwendig mit 
einer Reduktionsteilung verknüpft sind. Denkt man noch an die 
Schwierigkeiten, welche einer allgemeineren Anwendung der Hypo- 
these von der physiologischen Ungleichwertigkeit der Chromosomen 
und mancher anderer theoretischer Voraussetzungen der Chromosomen- 
lehre der Vererbung im Wege stehen, sowie an die Beobachtungen, 
welche für die Beteiligung auch des Zellplasmas bei den Vererbungs- 
vorgängen sprechen, so liegt es nahe, von der Chromosomenhypothese 
in ihrer jüngsten Ausgestaltung zunächst auf eine breitere Basis 
zurückzukehren und den Versuch zu machen, auf eine andere Weise 
eine Verbindung zwischen den Ergebnissen der Cytologie und der 
Bastardforschung herzustellen. 

b) Die inäqualen Zellteilungen der Keimbahn. 

Man kann vor allem daran denken 1 ), die inäqualen (asym- 
metrischen) Zellteilungsvorgänge heranzuziehen, welche beinahe 
auf allen Etappen der Keimbahn nachgewiesen werden können. 

Wie früher gezeigt wurde, kann man bei der Entwickelung 
vieler Metazoen zwei Hauptabschnitte der Keimbahn unterscheiden, 
eine erste somatogerminative (differentielle) Strecke, welche vom 
befruchteten Ei bis zur Bildung der Urgeschlechtsmutterzelle führt 
und in welcher die Reinigung der Keimbahnzellcn von ekto-, ento- 
und mesodermalen Elementen vor sich geht, und einen zweiten 
rein-germinativen Abschnitt, welcher sich von der Entstehung der 
Urgeschlechtszellen bis zur Bildung der reifen Fortpflanzungselemente 
erstreckt und in welchem die Teilungsakte nur noch zur Bildung 
von wirklichen propagatorischen Zellen oder höchstens noch von 
Hilfszellen der letzteren (Nährzellen) oder Elementen von rudimentärem 
Charakter (R.'chtungskörper, Abortivzellen im Hoden) führen. In 



') Vgl. Haccker 1910 (Literaturverzeichnis 30). Der Aufsatz war ohne Kenntnis 
des Batesonschen Werkes: Mendels Princ. of Her. 1909, in welchem eine ganze 
Reihe ähnlicher Gedanken enthalten ist. niedergeschrieben worden. 



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Inäquale Zellteilungen. 



363 



manchen Fällen, z. B. bei den Wirbeltieren, lassen sich bis jetzt die 
beiden Strecken nicht scharf gegeneinander abgrenzen, bei anderen 
Objekten dagegen, vor allem bei Ascaris und bei den Kopepoden, 
wird durch das Auftreten der Urgeschlechtsmutterzelle und ihre 
Teilung ein scharfer Einschnitt gebildet. Es ist vielleicht nicht ganz 
ohne Bedeutung, daß bei den Kopepoden zwischen der Teilungsphase 
der Urgeschlechtsmutterzelle und der Schlußphase der zweiten Keim- 
bahnstrecke, der Reifungsperiode, weitgehende Übereinstimmungen 
bestehen: so tritt bei der Teilung der Urgeschlechtsmutterzelle ebenso 
wie bei der ersten Reifungsteilung in besonders ausgeprägter Weise 
der heterotypische Teilungsmodus hervor (S. 101), und ferner setzen 
die beiden Urgeschlechtszellen noch im Embryo zu einem rudimentären 
Teilungsvorgang an, bei welchem die von der Reifungsperiode her 
bekannten Vierergruppen in typischer und normaler Weise zur Aus- 
bildung kommen können (S. 102, Fig. 67) 1 ). 

Die betreffenden Vierergruppen erinnern zunächst an die Viererstäbchen und 
Viererkugeln, wie sie in den Prophasen der ersten Reifungsteilung bei Kopepoden 
und vielen anderen Formen zutage treten (S. 100, Fig. 62). Da aber bei den Kope- 
poden (z. B. bei Cyclops viridis) auch zu Beginn der zweiten Reifungsteilung 
vierergrappenäbnliche Chromosomenkomplexe ausgebildet werden können, so wird 
man vielleicht daran denken dürfen, die Teilung der Urgeschlechtsmutterzelle 
mit der ersten, den rudimentären Teilungsakt der Urgeschlechtszellen mit der 
zweiten Reifungsteilung in engere Homologie zu bringen. Bei den Versuchen, die 
Fortpflanzungsverhältnisse der Metazoen in eine nähere Beziehung zu dem Generations- 
wechsel der Metaphyten zu setzen (S. 91), wird man in Zukunft vielleicht auch 
diese Verhältnisse zu berücksichtigen haben. 

Daß nun die somato-germinati ve Keimbahnstrecke in 
einzelnen Fällen eine fortlaufende Kette von inäqualen Zellteilungs- 
prozessen darstellt, ist bereits auseinandergesetzt worden. Bei Ascaris 
(S. 62, Fig. 28) geht die Inäqualität aus der äußerlichen Verschieden- 
heit der Schwesterzellen, aus ihrem verschiedenen kernteilungs- 
geschichtlichen Verhalten und dem verschiedenen Schicksal ihrer 
Nachkommenzellen hervor, bei den Kojiepoden (S. 64, Fig. 29) gibt 
sie sich schon während der Prophasen der Teilung in dem asym- 
metrischen Auftreten der „Außenkörnchen " zu erkennen. 

') Nach Untersuchungen von K. A m m a treten an dieser Stelle die von 
J. Schiller als abnorme Bildungen beobachteten Vierergruppen bei einzelnen Formen 
als normale Vorkommnisse auf. Es mag hier erwähnt werden, daß R. Hertwig 
geneigt ist. auch die Synapsisphase bzw. das Doppelfäden- oder diploläne Stadium der 
Reifungsperiode als einen unterdrückten Teilungsvorgang zu deuten (vgl. 
R. Hertwig, Über neue Probleme usw., Arch. Zellf., 1. Bd., 1908; M. Popoff, Exp. 
Zellstudien, ebenda). 



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3Ö4 



Inäquale Zellteilungen. 



Aber auch in der zweiten, rein-germinativen Keimbahnstrecke 
sind inäquale Teilungen häufig nachzuweisen. Bei den Kopepoden 
hat offenbar schon die Teilung der Urgeschlechtsmutterzelle in ge- 
wissem Sinne einen inäqualen Charakter. Dies geht daraus hervor, 
daß wenigstens bei Cyclops und Diaptomus ihre beiden Abkömmlinge, 
die Urgeschlechtszellen , nach dem ersten rudimentären Teilungsakt 
und der darauffolgenden langen Ruhepause nicht gleichzeitig, 
sondern regelmäßig hintereinander in die Teilung eintreten, so daß 
ein typisches Dreizellenstadium (Fig. 133) zustande kommt. Man 
kann aus dieser regelmäßigen Ungleichzeitigkeit auf eine innere Un- 
gleichwertigkeit schließen. 

Ferner treten asymmetrische Teilungen in größerer oder geringerer 
Zahl bei der Eibildung verschiedener Insekten auf. So entstehen 



scher Ring bezeichnete Substanz wird aber nach der Teilung dem 
Kern nur einer, und zwar derjenigen Tochterzelle wieder einver- 
leibt, welche in der Keimbahn selbst, d. h. in der unmittelbaren Ascen- 
denz der Ovocyte gelegen ist (Fig. 134B), während der Kern der anderen 
Tochterzelle, welche später auf Grund weiterer Teilungen acht Nähr- 
zellen liefert, sich nur aus Chromosomen aufbaut. Ein solcher in- 
äqualer Teilungsprozeß wiederholt sich nun noch dreimal: jeweils 
bei der Teilung derjenigen Zelle, welche in der direkten Vorfahren- , 
reihe der Ovocyte liegt, wird in den Prophasen der Giardi nasche 
Ring ausgeschaltet und in den Telophasen beim Aufbau des Kernes 
nur einer Tochterzelle, nämlich der folgenden Keimbahnzelle verwandt. 

l ) Giardina, Intern. Monatwehr. An. u. Phys., 18. Bd., 1901; Debaisicux. 
Cellule. Tome 25. 1909; Günthert, Zool. Jahrb. (Anat.). 30. Bd.. 1910. Vgl. auch 
Boveri, S. 30 (1904) (Literaturverzeichnis 344). 



Dr eizelliges Stadium 
der Gonade von Diaptomus 
denticornis. 




z. B. in den Eiröhren des Schwimmkäfers 
(Dytiscus) 1 ) auf Grund derartiger Teilungs- 
prozesse aus jeder der primären Ovogonien 
je eine unreife Eizelle (Ovocyte erster Ord- 
nung) und 15 Nährzellen. Wenn sich näm- 
lich eine primäre Ovogonie teilt, so gehen in 
den Prophasen nur aus einem Teil der Kern- 
substanz Chromosomen hervor, der Rest wird 
als eine farbbare Masse abgespalten und legt 
sich während der Metaphase in Gestalt eines 
Ringes um die Teilungsfigur (Fig. 134A). 
Diese nach ihrem Entdecker als Giardina- 



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Inäqualc Zellteilungen. 



3Ö5 



So entstehen beim zweiten Teilungsakt eine Keimbahnzelle und die 
Großmutterzelle von vier Nährzellen, beim dritten eine Keimbahnzelle 
und die Mutterzelle zweier Nährzellen, beim vierten eine Keimbahn- 
und eine Nährzelle. 

Bekanntlich werden auch bei den übrigen Insekten, bei zahl- 
reichen Crustaceen, Anneliden und manchen anderen Formen inner- 
halb des Ovariums durch Teilung der Ovogonien ungleichwertige 
Produkte, nämlich Eizellen und Nährzellen, gebildet. Wenn nun 
auch in keinem dieser Fälle schon während der Teilung Asymmetrien 
kerngeschichtlicher Art, ähnlich den bei Dytiscus beobachteten, zu 



Differenzierung der Keim- und Nährzellen in den Eiröhren von Dytiscus. 



F.rster Teilungssedritt - eine vom ruhenden Kern abgetrennte Chrontatinmisie wird der einen 



erkennen sind, so ist doch wohl kaum zu bezweifeln, daß wenigstens 
bei einigen Objekten nicht erst durch eine Art von Konkurrenz- 
kampf, durch zufällige Lagerungs- und Ernährungsverhältnisse ent- 
schieden wird, welche Teilprodukte Ei- und welche von ihnen 
Nährzellen werden, daß vielmehr das Schicksal der Zellen schon 
durch eine bei der Teilung selbst fixierte Inäqualität oder Un- 
gleichpoligkeit prädestiniert ist. Dies dürfte insbesondere für die 
Cladoceren gelten, bei welchen in den aus vier hintereinander ge- 
legenen Zellen bestehenden Keimzellengruppen jeweils die dritte, 
vom „Keimlager* aus gerechnete Zelle zur Eizelle, die anderen zu 
Nährzellen werden »). 

') Vgl. Weismann, Z. w. Z„ 28. Bd.. S. 102 (1877). 



Fig. 134. 




Nach Giardina. 




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366 



Spaltungen bei inäqualen Teilungen. 



Es sei ferner an die ausgesprochenen Asymmetrien bei der 
Richtungskörperbildung und an die Inäqualitäten erinnert, welche bei 
der Samenreife der Blattläuse (S.350, Fig. 130), Bienen (S.35L Fig. 131) 
und Wespen (Fig. 132) auftreten. Jedenfalls kommen auch in der 
rein-germinativen Keimbahnstrecke unsymmetrische Zellteilungen häufig 
vor, und wenigstens in einigen Fällen, z. B. in dem der „Außen- 
körnchen H der Kopepoden, könnte, mindestens ebenso gut wie eine 
erbungleiche Teilung der Kernsubstanz im Sinne Weismanns, eine 
im Zellplasma selber gelegene Asymmetrie als die primäre Ursache 
für die Verschiedenheit der Tochterzellen in Betracht kommen 1 ). 

c) Anlagenspaltung bei verschiedenen inäqualen 
Zellteilungsprozessen. 

Es läßt sich nun weiterhin die Auffassung begründen, daß die 
inäqualen Teilungen der rein-germinativen Keimbahnstrecke in der- 
selben Weise ein Mittel für die Spaltung des Anlagenmaterials 
darstellen können, wie die Teilungen der somato-germinativen Strecke 
ein Mittel für die histologische Differenzierung sind, und 
gleichzeitig, daß derartige Spaltungsprozesse wahrscheinlich an ver- 
schiedenen Stellen der rein-germinativen Strecke vor sich gehen. 
So hängt wohl die Differenzierung von Männchen- und 
Weibcheneiern bei Dinophilus, bei Rädertieren und Blattläusen 
in letzter Linie mit inäqualen Teilungsprozessen der Ovogonien zu- 
sammen, eine Auffassung, mit welcher eine andere Ansicht nicht im 
Widerspruch zu stehen braucht, wonach bei Dinophilus die kräftigeren 
Zellen, welche eine größere Anzahl von Nährzellen zu absorbieren 
vermögen, zu Weibcheneiern, die schwächeren zu Männcheneiern werden. 
Es würde also hier die Anlagenspaltung schon vor der Reifungs- 
periode vor sich gehen. 

Auch gewisse Unregelmäßigkeiten in den Zahlenverhältnissen, 
die bei manchen Objekten, z. B. bei Hühnerbastarden, in der -fj-Gene- 
ration auftreten, können in dem Sinne gedeutet werden, daß die 
Anlagenspaltungen schon vor den Reifungsteilungen erfolgen 2 ). 

Bei seinen Maisbastarden ist Correns im Hinblick auf die Erb- 
lichkeitsverhältnisse einerseits des Keimes selbst, andererseits des 
Endosperms zu der Ansicht gelangt, daß die „Spaltung" der Rassen- 

') Vgl. auch Kap. 14, S. 145 (unter 1). 

*) Vgl. Bateson, Saunders u. Punnett, S. 128 (1Q05) (Literaturverzeichnis 26, 

S. 273). 



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Spaltungen bei in&qualen Teilungen. 



367 



Charaktere im weiblichen Geschlecht bei der ersten Teilung der 
Embryosackmutterzelle vor sich gehen müsse, während im männ- 
lichen Geschlecht die Spaltung möglicherweise nicht bei dem 
korrespondierenden Teilungsakt, d. h. bei der ersten Teilung der 
Pollenmutterzelle, sondern erst bei einer späteren Teilung, etwa bei 
derjenigen, welche den vegetativen und generativen Kern liefert, zu- 
stande kommt 1 ). 

Aus anderen Tatsachen, z. B. daraus, daß bei Drosera-Bastarden 
zuweilen zwei Pollenkörner einer Pollenkorntetrade den Typus des 
einen, zwei den des anderen Elters aufweisen 2 ), und daß bei dem 
Lebermoose Sphaerocarpus die vier Sporen jeder Tetrade in der 
Regel je zwei männliche und zwei weibliche Thalli liefern 3 ), kann 
ferner geschlossen werden, daß in diesen Fällen bei einer der beiden 
Reifungsteilungen, und zwar, wie gewöhnlich angenommen wird, bei 
der ersten eine Spaltung von Anlagen bzw. die Geschlechtsbestimmung 
erfolge, während bei den Hemipteren der sichtbare Dimorphismus der 
männlichen Geschlechtszellen erst bei der zweiten Reifungsteilung 
zustande kommt. 

Zieht man die bereits früher erwähnten Beobachtungen in Betracht, 
wonach Spaltungsvorgänge ähnlicher Art offenbar auch in somatischen 
Geweben vorkommen, sowie den Umstand, daß die in der Reifungs- 
periode auftretenden Kernteilungstypen durch Ubergänge mit den 
sonst in der Keimbahn verbreiteten Typen verbunden sind, so wird 
man die Meinung aufstellen dürfen, daß die Mendelschen Spal- 
tungen nicht notwendig an einen bestimmten inäqualen 
Teilungsschritt der rein-germinati ven Keimbahnstrecke 
gebunden sein müssen*). 

d) Anlagenspaltung ohne Reduktionsteilung, 
durch Disgregation der Determinate. 

Wie könnte nun, z. B. bei Formen vom Kopepodentypus oder 
auch bei Knospen Variationen, eine Anlagenspaltung auch ohne eine 
reduktioneile, d. h. auf dem Wege einer Reduktionsteilung er- 

') Correns, Modus und Zeitpunkt der Spaltung usw., Bot. Z., 60. Jahrg., II. Abt.. 

*) O. Rosenberg , Erblichkeitsgesetze und Chromosomen. Bot. Stud. Upsala 1906. 

*) Strasburger, E., Zeitpunkt der Bestimmung des Geschlechts usw., Jena 
IQ09. S. 4, sowie: Über geschlechtsbestimmende Ursachen, Jahrb. wiss. Bot., Bd. 48, 
1910, S.432. 

*) Vgl. auch Bateson, S. 160, 270 (1909). 



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368 



Anlagen spaltuog ohne Reduktionsteilung. 



folgende Verteilung der Chromosomen verständlich gemacht 
werden? 

Einige Befunde zeigen, daß in der männlichen Zelle neben- 
einander mehrere korrespondierende Anlagen im weiteren 
Sinne, d. h. Anlagen, welche bei verschiedenen Rassen oder Arten 
oder auch in den verschiedenen Zellen eines Individuums für einander 
vikarieren, zur Entfaltung kommen können. Zwei auf somatische 
bzw. Protozoenzellen bezügliche Fälle scheinen mir hierfür besonders 
beweisend zu sein. 

Hildebrand 1 ) hat bei einem Oxalis-Bastard gefunden, daß aus- 
nahmsweise an einer Zelle sowohl ein „Knötchenhaar" als auch ein 
„Drüsenhaar" hervorwachsen kann, während gewöhnlich nur das eine 
oder andere zur Entfaltung kommt. 

Um kein Mißverständnis hervorzurufen, sei betont, daß Knötchen- und Drüsen- 
haare nicht etwa alternierende Merkmale in dem Sinne sind, daß jene nur bei der 
einen, diese nur bei der anderen Stammform vorkommen. Vielmehr treten beide 
Typen bei beiden Stammformen und natürlich auch beim Bastard, aber, wie gesagt, 
fast ausnahmslos als Produkt verschiedener Zellen auf. 

Das zweite Beispiel betrifft die schon erwähnten „ Transversionen " 
der Radiolarien, d. h. das aberrative Auftreten der typischen Skelett- 
charaktere von mehreren (bis zu 4) verschiedenen Familien innerhalb 
derselben Zelle (S. 286). 

Aus diesen Befunden ist tatsächlich zu entnehmen, daß, zunächst 
bei somatischen und Protozoenzellen, in verschiedenen Teilen des- 
selben Zellplasmas unter Umständen nebeneinander und unab- 
hängig voneinander mehrere selbständige Potenzen zur 
Entwickelung kommen können, daß also, soweit die Ent- 
faltung der Potenzen auf einer Wechselwirkung zwischen Kern und 
Zellplasma oder einem Prinzipat des ersteren beruht *), in derselben 
Zelle sich hinter- oder nebeneinander Leitungs- und Beeinflussungs- 
vorgänge verschiedener Art zwischen Kern- und Zellplasma abspielen 
können. Besteht nun, wie dies bei Bastarden der Fall ist, der Kern 
aus zwei Komponenten verschiedener Abkunft, die wir uns der Ein- 
fachheit halber als zwei räumlich geschiedene Gonomeren vorstellen 
können (Fig. 135a), so werden von diesen beiden Komponenten aus, 
sei es durch Vermittelung von Pangenen oder Biophoren oder durch 
Enzymbildung oder auf energetischem Wege, selbständige Kern- 

') F. Hildebrand, Über einige Pflanzenbastardierungen. Jen. Zeitschr.. 23. Bd., 
1889. S. 172, Taf.26, Fig. ig. 
•) Vgl. Kap. 14. S. 145 ff. 



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Gleichzeitige Entstehung verschiedener Determinate. 



3tx> 



Wirkungen ausgehen. Eine gewisse Zeitlang, nämlich solange die 
Differenzierungen an den Zellen äußerlich nicht zum Vorschein kommen, 
werden in demselben Zellplasma zweierlei durch die Kern- 
wirkungen determinierte, aber noch unreife und unentfaltete Plasma- 
teilchen oder, wie man vielleicht unter Erweiterung eines Weis- 
mannschen Begriffes 1 ) sagen kann, Determinate vorhanden sein. 
Die betreffende Zelle, die wir uns vorläufig als eine beliebige soma- 
tische Zelle denken können, wird also während jenes Zeitraumes 



Schema einer kern plasmatischen Spaltung, 
a AbftoBung von antagonij tischen Biophoren. b Diigregation der Biophorcn in den Prophasen der 
TeOuiig. c inlquale Teilung, d Rückwirkung de» Plasmas auf den Kern. 

nach zweierlei Richtungen hin determiniert, aber noch nicht 
differenziert sein. 

Man kann sich demnach vorstellen, daß bei Bastarden erster Ord- 
nung speziell auch in irgendwelchen Zellgenerationen der 
rein-germinati ven Keimbahnstrecke Keimwirkungen von 

') Unter Determinaten versteht Weismann zunächst die Zellen oder Zellgruppen, 
■welche von den einzelnen Determinaten des Keimplasmas in ihrer Entwicklung be- 
stimmt sind. 

Haecker, Vererbungslehre. 2 , 




d 




c 



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370 



Disgregation der Oetermiuate. 



zweierlei Art („pigmentbildende" und „pigmenthemmende - , weiblich 
und männlich bestimmende usw.) ihren Anfang nehmen und die 
einzelnen Plasmateilchen zu determinieren beginnen. Es werden also 
dann in derselben Keimbahnzelle nebeneinander zweierlei De- 
terminate bestehen können (Fig. 135 a). 

Wenn dies aber der Fall ist, so besteht offenbar die Möglichkeit, 
daß bei der Vorbereitung zu einer der inäqualen Teilungen, wie sie in 
der germinativen Keimbahnstrecke auftreten, eine Disgregation 
oder polare Verteilung der beiderseitigen Determinate stattfindet, 
in ähnlicher Weise, wie in den Keimbahnzellen von Cyclops die 
„Ektosomen" (S. 64, Fig. 29) und in denjenigen von Dytiscus der 
„Giardinasche Ring« (S. 365, Fig. 134) einseitig der einen Tochter- 
zelle zugewiesen werden. Diese Disgregation wird ihren Anfang 
nehmen, wenn die ersten Regungen des Zellteilungsprozesses sich im 
Zellleib bemerkbar machen (Teilung der Centrosomen usw.), und sie 
wird sich namentlich dann in glatter Weise vollziehen können, wenn 
die eigentlich idioplasmatischen Teile des Kernes, die Chromosomen, 
sich in der diakinetischen Phase 1 ) zu kondensieren und demnach in 
den inaktiven Zustand einzutreten beginnen, wenn also die Beein- 
flussung des Zellplasmas und damit die Bildung neuer Determinate 
vermutlich sistiert wird (Fig. 135 b). 

Während also bei der folgenden Mitose der Kern eine äqua- 
tionelle, d. h. in typischer Weise nach dem Längsspalt erfolgende 
Teilung der Chromosomen erfährt und demnach die väterlichen und 
mütterlichen Kernsubstanzen gleichmäßig auf beide Tochterzellen 
verteilt werden, erhält das Zellplasma der letzteren vor- 
wiegend nur Determinate der einen Sorte (Fig. 135 c). Es 
könnte also, und darin liegt einer der Gegensätze zu den An- 
schauungen Weismanns, unter gewissen Umständen auch bei einer 
äquationellen Kernteilung eine Ausstattung der beiden Tochter- 
zellen mit verschiedenartigen Determinaten zustande kommen. 

Damit würde nun freilich noch nicht erklärt sein, weshalb die 
betreffenden Keimbahnzeilen und ihre Abkömmlinge, die reifen Gameten, 
sich in der Folge ausschließlich als Träger oder wenigstens als Ent- 
falter der dominierenden bzw. rezessiven Anlage erweisen, insbesondere 

') Bei den Kopepoden kommen ausgesprochen diakinetische Phasen (Ver- 
teilung der bereits kondensierten und verkürzten Chromosomen innerhalb des Kern- 
raumes vor dem Schwund der Kernmembran) in der Keimbahn auch außerhalb der 
Reifungsperiode vor. 



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Disgregation der Dcterminate. 



371 



ist noch nicht erklärt, warum in den mit rezessiven Determinaten 
ausgestatteten Keimbahnzellen die die dominierenden Anlagen ent- 
haltenden Kernteile nicht schon im nächsten „Kernruhestadium" 
wieder das Übergewicht bekommen, so daß die während der Pro- 
phasen erfolgte rezessive Bestimmung des Zellplasmas rückgängig ge- 
macht wird. 

Um also die Entstehung der rezessiven Keime zu erklären, muß 
noch die weitere Hilfsannahme gemacht werden, daß das infolge eines 
inäqualen Teilungsprozesses quantitativ ins Übergewicht ge- 
langte rezessive Zellplasma seinerseits auf die dominierenden Kernteile 
zurückwirkt (Fig. I35d), indem es letztere entweder mehr oder weniger 
umprägt und sich assimiliert, wie dies in einem früheren Kapitel als 
möglich angenommen wurde »), oder indem es ihre Wirkungen durch 
Agenzien irgendwelcher Art neutralisiert, in ähnlicher Weise, wie 
das Blutplasma eines höheren Tieres sich gegen fremde Plasmasorten 
wehrt und sie unschädlich macht. 

Was schließlich die Unabhängigkeit der Merkmale bei poly- 
hybriden Kreuzungen und die dabei auftretenden charakteristischen 
Zahlenverhältnisse anbelangt, so dürfte ihre Ursache darin liegen, daß 
die beschriebenen Spaltungsvorgänge sich auf mehrere Zellgenerationen 
der germinativen Keimbahnstrecke verteilen, indem z. B. die Spaltung 
der männlichen und weiblichen Anlagen vorzugsweise auf der einen, 
diejenige der Färbungscharaktere auf einer anderen Teilungsstufe 
vor sich geht, eine Annahme, welche im übrigen in der Divergenz 
der auf den Zeitpunkt der Anlagenspaltung bezüglichen Ergebnisse 
(s. oben) eine Stütze finden würde. 

Die vorstehenden Hypothesen würden auch Gültigkeit haben 
können, wenn nicht alle Chromosomen funktionell gleich- 
wertig sein würden. Denn ebenso wie in diesem Fall angenommen 
werden muß, daß bei der histologischen Differenzierung die 
einzelnen Chromosomen nicht aut den nämlichen Entwickelungs- 
stufen zur vollen Entfaltung ihrer besonderen Wirkungen gelangen, 
so könnte man sich Ähnliches auch für die in der rein-germinativen 

') Vgl. Kap. 14. S. 147. Absatz 5- Es ist zu erwarten, daß die Unterdrückung 
der dominierenden Kernteile durch das rezessiv bestimmte Zellplasma keine so aus- 
giebige sein wird, wie die Hemmung rezessiver Kernsubstanzen durch dominierendes 
Plasma Dies würde einigermaßen mit dem Ergebnis im Einklang stehen, wonach 
rezessive Rassen (Defektrasscn) sehi häufig als „kryptomer" erscheinen, d. h. das 
dominierende Merkmal in latentem Zustand mit sich führen (Tschermak). Vgl. 
meine Axolotl -Versuche (S.331). 

24' 

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372 



Histologische und gametische Differenzierung. 



Keimbahnstrecke angenommene gametische Differenzierung vor- 
stellen. 

Vielleicht wird es später möglich sein, zwischen der histologi- 
schen und gametischen Differenzierung noch in einerweiteren Richtung, 
nämlich hinsichtlich des Zeitpunktes der Sonderung bzw. 
Spaltung der einzelnen Anlagen, Parallelen zu ziehen. Ein 
Hinweis darauf dürfte darin gesehen werden, daß bei der histologi- 
schen Differenzierung die Sonderung der Geschlechtscharaktere einen 
der letzten oder den allerletzten Akt darstellt, und daß ebenso bei 
der gametischen Differenzierung, wofür schon jetzt bestimmte Tat- 
sachen vorliegen, die geschlechtliche Prädestinierung der Keimzellen 
in den späteren Phasen der Keimbahn, zum Teil sogar erst bei der 
zweiten Reifungsteilung erfolgt. 

Über den Erklärungswert der vorstehenden Hypothese habe ich 
schon früher gesagt: die hier entworfene Kernplasmahypothese der 
Vererbung ist ein Komplex von Arbeitshypothesen, so wie es, minde- 
stens in demselben Maße, auch die reinen Chromosomentheorien der 
Vererbung sind, mögen letztere von der Annahme einer allgemeinen 
Verbreitung der Reduktionsteilungen oder von den Beobachtungen über 
die „graded series" der Ovogonien und Spermatogonien oder von der 
Vorstellung einer Parallelkonjugation ihren Ausgang nehmen. Sie 
leidet wie die Chromosomentheorien an dem Mißstand, daß bisher 
noch für keinen Organismus gleichzeitig die Entwickelung der Keim- 
zellen und die Vererbungserscheinungen genau bekannt sind, und daß 
es insbesondere noch nicht gelungen ist, an einem und demselben 
Objekt die beiden Prozesse experimentell zu beeinflussen. Die Kern- 
plasmahypothese steht den Chromosomentheorien bezüglich der Eleganz 
und scheinbaren Einfachheit der versuchten Lösung nach, sie kommt 
aber, wie schon oben angedeutet wurde, neueren Anschauungen über 
die Rolle des Kernes und Zellplasmas bei der Vererbung vielleicht 
etwas mehr entgegen; sie läßt sich kaum weniger gut als jene mit 
der Boverischen Hypothese von der qualitativen Ungleichwertigkeit 
der Chromosomen in Einklang bringen und sie würde manche zur- 
zeit schwer zu erklärenden Ergebnisse, insbesondere das divergierende 
cytologische Verhalten der einzelnen parthenogenetischen Formen, 
verständlich machen. Auch bietet sie vielleicht den Vorteil, daß sie 
das Arbeitsfeld für deskriptive und experimentelle Untersuchung noch 
etwas weiter ausdehnen hilft, als die bisherigen Chromosomentheorien, 
deren Nachprüfung im allgemeinen auf die schwer zugänglichen 



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Erklärungswert der Hypothese. 



Chromosomen und auf die verhältnismäßig kurze Spanne der Reifungs- 
und frühen Furchungsperiode beschränkt war. 

Ganz allgemein wird man aber sagen dürfen, daß sich bei 
weiterem Vordringen in diese Gebiete, wie in der allgemeinen Lebens- 
lehre überhaupt, die Erklärungen und Vorstellungen, Vergleiche und 
Bilder, welche sich bei den ersten Schritten den Pionieren und Füh- 
rern der Forschung aufgedrängt haben, als zu einlach und grob- 
mechanisch herausstellen. Diese Erfahrung würde sich zweifellos 
selbst dann noch immer wiederholen, wenn einmal neue Methoden 
die Aussicht eröffnen sollten, statt bloß an der Peripherie zu rekognos- 
zieren, über die letzten Mauern und Wälle hinüberzusehen und in 
das Allerinnerste einzudringen: in die eigentliche Konstitution und 
in die intimen Veränderungen des Protoplasmas. 



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•7 



Ergänzender Literaturnachweis, 

zugleich Namenregister. 



In diesem sind sämtliche bei den einzelnen Kapiteln angeführte Schriften nach 
den Autoren geordnet. Es soll dadurch einerseits ein Überblick über die Arbeiten 
der einzelnen Autoren, andererseits eine Auffindung des vollen Titels und des Druck- 
ortes der wiederholt zitierten Arbeiten ermöglicht werden. Das Verzeichnis 
gibt also nicht sämtliche Stellen an, an denen eine Arbeit oder ein Autor zitiert ist. 
sondern bildet nur einen Wegweiser für die Auffindung der ausführlichen Zitate. 

Die erste (fett gedruckte) Zahl gibt das Erscheinungsjahr der Arbeit, die zweite 
die Seitenzahl des vorliegenden Buches an. 



Abderhalden 1908, lös. 
Ackermann 1898, JirS. 
Adametz 1905, 24». 
Allen, B. M. 1906, 1907, 6i 
— , Cb. E. 1905. 344t 
— , G. M. 1904, 241. 
Artom 1906, 12Q. 

Baebr, v. 1909, 358. 
Ballowitz 1890, 86. 
Baltzer 1909, t>8; 1910, 14JL 
Barber 1907, 29.3- 
Bary, de 1879, 32. 
Bataillon 1910, 310. 

Bateson, Materials 1894, jqi; Compound 
char. 190a, 27,1; Addr. 1904, 261 ; 
Mend. Princ 1909, 241. 

— und Saunders 190a. 16. 

— , Saunders, Punnett und Hurst 1905, 
21 X 

Baur, Antirrh. 1907, 241; Pelarg. 1909, 
188: Erg. Ver. 1908, 208; Pfropfb. 
1909, 1910. ISJL Ver. Antirrh. 1910, 

Beard 190a, 353- 
Becher 1909, 207. 
Berghs 1904, 1905. 323. 



Biedermann 1903. 3^ 
Biffen 1907. 241. 
Bigelow 1907, i->o. 
Bitter 1868, 5. 
Blackman 1905. .{.'4. 
— und Fräser 1906, 83. 
Blumenbach 1791. 208; 1795, 1 2. 
Bode 1908, 

Bonnet, K. 1775. axS. 

— , R. 1888, 162. 

Bonnevie I— III. 1908—1911. 3- H >- 

Bordage 1898, 261. 

Borgert 1909, 1910. 57. 

Boring 1909. 348. 

Bos, Kitzema 1894. 

Boveri. Diff. Zellk. 1887, 7J_i Geschl. 
erz. Org. 1889. 148; Z.-Stud. II, 1888, 
58; III. 1890, 58; Bcfr. 189a, 71; 
Kernlose Secigeleier 1895, 148; Entw. 
Asc. 1899, lü Mehrpol. Mit. 190a, 
.tu: Einfluß Samenz. 1903, 148: Erg 
Konst. 1904. S8_i Z.-Stud. V, 1905, sS_i 
VI, 1907, S8j Chrom. Geschl. 1908 
bis 1909, .^58; Blast. Asc. 1909, 313; 
Geschl. Nem. 1909, 358. 

Braun 1909, ]_2Q» 

Brown-Sequard 1869—1893, lTü, 



Kränzender Literaturnachweis, zugleich Namenregister. 375 



Brücke 1861, 2JL 

Buchner 1909, 110: Sag. 1910, 64. 
Bütschli, RichtuugskÜrper 1885, Q7 ; Infus. 

1887 — 1889, 133; Mikr. Schäume 

189a, ^ 
Bugnion 1910, 2Ü1. 
Bunge, Ixshrb. 1894, 2JL 
Burdach 1835, Lt. 
Burian 1906, 2Ü. 

Calkins und Cull 1907, 24i 

Cancer Research Fund 1904. 1 10. 

Cannon 1902, 344: 19°3. Ü2. 

Carnoy 1885— 1886. UD. 

Castle, Angora 1903. 241 ; Farab. obs. 
1903, 252; Her. coat char. 19°5> -41 ; 
Rtc. disc. 1905, 303; Mut. theory 
1 9°5. 303; Yell. mice 1906, 241 ; 
Revers. 1907, 273: Col. Rabb. 1907, 
273: Prod. new breeds 1907, 241 ; 
Col. Guin.-Pig 1908. 213; Inh. Rabb. 

i9<>9. 221 
Castle und Allen 1903, 211 
Chambcrlain 1905, Q2. 
Christman 1907, Sj. 
Clausseu 19<>7. Ii 

Conklin, Crepid. 190a, ÜfL; Cynthia 1905, 
141 ; Org.-form. subst. 1905, 148; 
Mut. theory 1905. L48i Mech. her. 

1908, m. 

Correns, Xenicn 1899, l8pj Mend. Reg. 
1900, 241 ; Levk. 1900, .mi : Bast. 
Zea 1901, 18OJ Bast- Mais 1901, 241: 
Erg. Bast. 1901, 24_l : Modus d. Spalt. 
1902, 367: Hyosc. 1904, .'41 : Men- 
dels Briefe 1905, 24J ; Anom. Sippen 
1905, 303 : Gynod. 1905, 216: Vererb. 
Ges. 1905. 241 : Bast. Geschl. 1907, 
261; Kern u. PI. 1909, 148J Überg. 
hornozyg. Zust. 1910. 241. 

Coutagnc 190a. 241. 

Cramer 1907, 293. 

Crampton 1896, 14J_. 

CuL-not, Det. sexe 1899, 261.; Her. pigm. 
sour. 1904. 241 ; 1907. 242; Rapp. 
lUr. 1906, 242: Her. 5 me Note 1907. 
2-3 : Rech. hybr. 1910, 274_. 

Darbishire, Jap. Mice 190a, 1904, 242; 
Mend. Princ. etc. 1904. »9°5. 1 9° 6 . 

1909, lOj Peas 1908, 242. 



Darwin 1868, ü 

Davenport, Black sheep 1905, 242; Evol. 
1Q.Q5. 2Q3: Spec. Var. 1905, 2Q3J Mut. 
Th. 1906, 223J Inh. Poultry 1906, 28j 
Det. Dom. 1908, 252; Imperf. Dom. 
1910, 242. 

— , Gertr. und Ch. B. 1907. 1908, 21L 
Davies 1908, iL 
Debaisicux 1909, 364. 
Delage, £t. exp. 1901, 313: Her. 1903, 
148. 

Deila Valle 1909, uq, 
Demoll 1910, 148. 
Detto 1904, 162, 
Dislaso 1908, 03. 
Dixcy 189a. 1894. 179; 
Doflcin 1910, 86. 
Doncaster 1904, 261 : 1906. 21L. 

— und Raynor 1906. 261 , 
Driesch, Bast. Ech. 1898, 2j6j Org.Rcg. 

1901, 28] Neue Antw. 1901, 281 Zwei 
Beweise 1901, 2jL Referate 1898 bis 

1907. 208: Entw. Phys. 1905, 1909, 
313: Phys. Form 1906. 31 

! Diirst 1909. 158 
| Duesberg 1906, 120. 
1 Düsing 1884, 261. 
Durham 1908. 224. 

— und Marryat 1908, 

East 1909—1910, 293: »9»°- 21± 
1 Ehrlich. Partialfunkt. 1909, 28; Tryp. 

1909. 2& 
Eimer 1888, 162. 
' Elpatiewski 1910, 64. 
Engelmann 1883, löi: 1903—1903, 165. 

Fairchild 1897, OT. 
Farabee 1903, 252. 
Farmer und Moore 1904, 329. 
— , Moore und Walker 1904, UQ. 

— und Williams 1898, 22. 
Felix und Bühlcr 1906, 7_L 
Fick, Axolotl 1893, 86j Betracht. Chrom. 

1905, 148; Vercrbungssubst. 1907, 2jL 
Vererbungsfrag. 19°7. 313; Par. Konj. 

1908, 227; 
Fischöl 1897—1898, 1AL 
Fischer, A., Protopl. 1899, 281 Vorl. 1903, 

179. 



j?6 Ergänzender Literaturnachweis, zugleich Namenregister. 



Fischer, E. (Zur.) 1907, ijjj. 

— . E. (Freib.) 1909, 1910, 252. 

— Sigwart 1894, 233. 

Flemming, Beitr. 1879, 5_8j Beitr. III, 
1883 , 58, Neue Beitr. 1887, uo; 
Leukoc. 189». 58: Bindegew. 1891. 37: 
Zelle 189a, 5_8j Stützsubst. 190a, 37.. 

Focke 1881, j8q. 

Foot und Strobell 1905, 1907, 326. 329. 
Francotte .124. 
Fruwirth 1905, 216. 

Oaidukov 190a, 1903, 165. 

Galton, Her. Gen. 1869, 7j Theory Her. 

1875. !25_L Nat. Inh. 1889. i6j Av. 

Contr. 1897, & 
Gates 1909, 148. 
Gerassimoff 1904, 148. 
Giardina 1901, 364. 
Giglio-Tos 1900—1910, 28. 
Godlewski, Bast Ech. u. Crin. 1906, 149J 

Plasma u. Kernsubst. 1908, 37J Ver- 

erb. 1909, i2j Reg. Amph. 1910, 

'40- 

Goldschmidt, Chromidien 1904, 1906, 
1907. 20O± Zoog. 1905, 1908, 326; 
Par. Konj. 1908, 327; 1910, 354. 

Gossagc 1908, 252. 

Granata 1909, 3jOj 1910, 323, 

Gregoire, Cin. Mat. 1905, 1910, 330: 
Gem. bet. 1907, 330: Ophr. 1909, 326. 

— und Wygaerts 1903, 58. 

Gregory 1903. 242; 1905, 342, 

Grobben 1906, 8£l 

Groß 1904, 110: 1906, 242. 

Gruber 1885, 5fL 

Guaita, von 1898, 1900, 242. 

Günthert 1910, 364. 

Guignard 1890, 343. 

Gutherz 1906, ^SSL 1909. 35i_. 

Guthrie 1908, 189. 

Gurwitsch 1904, 58. 

Guyer 1900, 342J 1903, 3443 Hybr. birds 
1909, 216; Defic. Chrom. Theory 
1909, 359: Acc. ehr. 1910, 120. 

Haacke 1893, 283 1906, 242. 
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Haeckel, Schöpfungsgesch. 12. 

Haecker, Heterotyp. Teil. 1893, 110: 
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86_: Keimbahn 1897, Iii Weit. Über- 
einst. 1897. 08: Vorbereit. Teil. 1898, 
98J Prax. u. Th. 1899, 28j Reifungs- 
erseb. 1899, o8j Mit. Amit. 1900, 
313: Schicksal 190a, $8_; Erg. Bast. 
1904. 216; Bast. u. Geschl. 1904, i6j 
Malign. Neub. 1904, yoj Mittel 
Formb. 1906, 37; Chrom. Ver. 1907, 
5&I Wandtaf. 1907, 2j2j Axol. 1908, 
242; Leb. Subst. 1908,28; Tiefs.-Rad. 
19°8, 3J7j Transvers. 1909, 179; 
Chrom. Aul. 1909, 3jpj Rad. Var. 
1909. 294: Temp.-Ab. 1910, ijoj Erg. 
Ausbl. 1910, 330. 

— , W. 1907, l 

Haller, v. 1757—1766, jqS. 

Hamburger 1904, 94. 

Hammer 1908, 253. 

Hanel 1908, --94, 

Hansemann, v. 1903, 1 10. 

Harper 1905, 242. 

Hartmann 1910, 313. 

— und Nägler 1908, 83. 

Hauschild 1909, 253. 

Heidenhain, M. 1907, 2jL 

Heider 1906, 344. 

Henking 1893, 358. 

Henle 1841, 

Herbst 1904, 86j 1906—1909, 
Hering 1876, l&i, 
Herla 1893, 314. 

Hertwig, O., Befr. 1875, 86j Befr. und 
Isoir. 1885, Eibild. Nemat. 1890, 
200i Zelle 1893—1898, 7j Zeitfrag. 
Biol. 1894, 208: Allg. Biol. 1909. 7; 
Kernfrag. 1909, jjl 

— . R., Actinosph. 1898, Q8; Protoz. u. 
ZeU. 190a, 200; Wechselverh. 1903, 
58j Korrel. 1903, 58; Phys. Degen. 
1904. UPJ Sex. DifT. 1905, iöi ; Weit, 
ünt. Sex. 1906, 2613 Neue Probl. 
1908, 5JL 32a 

— . O. und R. 1886, 116. 

Hesse. A. 1904, 

Hildebrand 1889, 368. 

Hofacker 1838, L2. 

Hofer 1889, 58, 



Ergänzender Literaturnachweis, zugleich Namenregister. 



d77 



Hofmeister 1891, 28. 

Huppert 1896, 2JL 

Hurst 1905, 242; 1908, 253. 

Jäger. G. 1876, 28j Zool. Briefe 1876, 

liii 1879. L2i 
Janssens 1909, 33Q. 
— und Dumez 1903, 33Q. 
Jarvis 1908, 65. 
Jennings 1908, 133. 
Jörgensen 1908, 5fL Jjo; 1909, 294; 

1910, 22± 

Johannsen, Erbl. Pop. 1903, 16^ Elcm. 

1909, iHQ. 
Jucl 1900, 98, 342- 

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III, 1909, 17.9J Färb. I— II, 1910, 179. 
Kanitz 1910, 2jL 
Kassowitz 1889, 28. 
Kekuld von Stradonitz 190a, Li. 
Keysselitz 1908, 93. 
Kiesel 2. 

King 1905, lüü 19«7, 330. 
Klebahn 1888, 83^ 1890, 94, 
Klebs 1894, 262: 1909, 122. 
Kleinschmidt 1907, 233. 
KJinkowström. v. 1897, 324. 
Klunzinger 1903, 2Q2. 
Koch 1908, 166. 
Kölreuter 1761, 317. 
Koltzoff 1906, JRl 

Korscheit, Zellkern 1891, £8_; Ophr. 1895, 
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Korscheit und Heider, Lehrbuch 189a 
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Kossei 188a, 189a, 2JL 

Kostanecki und Wierzejski 1896, 87- 

Krämer 303- 

Krimmel 1910, 120. 

Lang, Lehrb. 1901, 8_7_j Bast. Helix 1908, 
242; Vererb. 1909, i6j Erbl. Ohr. 

1910, 217: Ver. Hunde 1910, 242 ; 
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Lefevre und McGill 1908, 320. 
Lenhoss£k 1903, 262. 
Lepeschkin 1910, 1 14. 



Lillie, F. R. 190a, 38J Chaetopt. 1906, 

336; Polar. Ann. Egg. 1908, 142. 
Lindner 1904. z. 
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Loeb. Fertil. 1903, 217; Further Exp. 

1904, 217; Vöries. 1906, 58. 
Löwenthal 1903, oi_. 

Lorenz 1898, Z. 
Lotsy 1904, 330; 1905, 98. 
Lubosch 190a, 330. 
Lucas 1847—1850, ll 
Lundegäid 1910, 140. 

MacCurdy und Castle 1907, 242. 

Magnus 1907, 188. 

Malsen, v. 1907. 354. 
! Marcus 1906, 83. 
! Marechal 1904, 58J. 1907, 330. 
j Mark und Copeland 1906, 1907, 350. 

Martius 1905, i& 

Matscheck 1910, 120. 

Mayer, A. 1908, 82, 
' McClung, Loa 190a, 110; Acc. Chr. 
190a. lS8_i 1905, UQ 

Meijere, de 1910, 242. 
1 Meisenbcimer 1908. 1909, 179. 

Mendel, Vers. 1866, 242; Hierac. 1870, 
242; Abh. 1901, 242; Briefe an Näg. 

1905, 262. 

Metealf 1901, 342 : 1908, 

Meves. Meerschw. 1899, Iii Honigb. 
19°3. 3 SO: 1907, 3S8: Chondrios. 1908, 
140: Par. Konj. 1908, 327. 

Miescher 1878, 28j 1897, 2U&. 

Minchin 1898. 38, 

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Moore und Arnold 1906, L2Q. 

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Übers. 1909, 217: Exp. Rats 1909, 

— , Payne und Browne 1910, 353. 
j Morse 1909, 33Q- 

i Nägel i 1884, 149. 

Nathusius, iL von 1880, 1 ^8. 
| Natur und Staat 2i 



Ergänzender Literaturnachweis, zugleich Namenregister. 



Naumann -'15. 

Nilsson-Ehle 1906, iqi: 1908, 224. 
Noll X905, i8Q. 
Noorduvn 1908, 2(>:. 
Nußbaum 1884, 58. 

Oltmanns 1889, 92j 19°5- Lüi 
Orchansky 1903, Iii. 
Ottc 1907. IL 

Paulmier 1899, 326. 

Payne 1908, 1909, 358. 

Pearl und Surface 1909. 204. 

Pearson 1900, 1903, 1904, LL 

Plate 1907. 204: Selckt. 1908. K>J_2 1910, 

238. 242. 
Poll 1908, JJJL 
— und Tiefensee 1907, 217. 
Popoff 1908, 363. 
Prandtl 1906, 24_j 1907, 96. 
Prowazek 1905, 04.. 

Punnett 1905. 1907, -'74: lQlo. -'4.'. 
(S. ßatcson.) 

Rabl 1885, 314: 1906, 140. 

Rauber 1883. 18; Anat. 1897—1898, 2.18: 
1908, 12Q. 

Rhode 1908, 38. 

Rignano 1907, 163: 1908, 163. 

Rosenberg 1903, 34«? : Ind. 1904, 314; 
Dros, 1904, 344; Erbl. 1906, 367: 
Präsyn. 1907, L2Q. 

Roux, Kampf d. Teil. 1881, 200: Bed. 
Kernt. 1883, 591 Punkt. Anp. 1883, 
.'8: Einl. 1885, i4üj Halbe Embr. 
1888, 14JJ Ziele u. Wege 189a, 2g_; 
Mosaikarb. 1893, 208: Spezil. Furch. 
1893. 308: Ges. Abb. 1895, 208; Pro- 
gramm 1897, u?j Vortr. u. Aufs. 
1905. L2. 

Rubaschkin 1909, 65. 

Rubbrecht 1910, 7_. 

Rückert, Ovarialei Sei. 189a, 111: Eireif. 
Kop. 1894, Iii ; Befr. 1895, 87j 
Selbstlnd. 1895, 8_7_; Elasmobr. 1899, 
87: Polysp. 1910, 87^ 

Ruzicka 1908, j8j 1909, 38* 

Rynberk, van 1905, 33Q. 

Sachs, Vorl. 188a, 38j Energ. 1895, 38. 
Schaffner 1909, 111. 



' Schaudinn, Koramin. 1895, 9_Ij Actino- 
phrys 1896, Q3j Malaria 1899, 97j 
Trichosph. 1899, Q_7j Coccid. 1900, 
97 : Haemoproteus 1905. 04. 

Schenck 1899, 38. 

Schiller 1909, 111. 

Schleip 1906. 330; 1908, 358. 

Schmidt, iL 1904, 38. 

Schreiner, A. u. K. E. 1905—1908, 330. 

Schröder, Chr. 1903. 129. 

— . O. 1907, XL 

Schuberg 1899, 133. 

Schübeler s. Wille LÖI* 

Schultze, M. 1861, 38. 
I — , O. 1903, 
: Semon 1904, 163. 

Shull 1908, 303. 

Siedlecki 1897, 281 1899, 9_3_. 

Sitowski 1905, ULI- 

Spencer, H. 1864—1866, & 1893. »894, 

163, 

Spill man 1906, 342. 

Spiro 1910, 2iL 

Staples-Browne 1905, 204. 

Standfuß, Handb. 1896, 170: Kxp. Stud. 
1898, l2j Res. 3ojähr. Exp. 1905, 
170: Chacr. Elp. 1910, 242: Alt. Ver. 
1910, 2A2i 

Stevens 1905, 358. 

Strasburger, Befr. Phan. 1884, 9ÖJ Period. 
Redukt. 1894, Q8j Vers. diöz. Pfl. 
1900, .»62; Dopp. Befr. 1900, 149; 
Streifz. Riv. 1904, 180: Typ. u. allo- 
typ. Kernt. 1905, 1 1 1 ; StoffL Gründl. 
1905, 98; Ind. Chr. 1907, 180: Chrom., 
Plasmastr. 1908, 140: Pfropfb. 1909, 
180; Zeitp. Best. Geschl. 1909, 330: 
Cbromosomenzahl 1910, 1 20: Geschl. 
Best. Urs. 1910, 370. 

— , Allen, Miyake u. üverton 1905, 330. 
! Strebel 1901, 303. 

Strong 190a, 350- 

Studnicka 1903, 1907, 19°8, 38. 
, Sutton 190a, lu (lies 1002 statt 1004); 
1904, 34^ 

Tellycsnitzky 190a, 1905, 59. 
Tennant 1910, 138. 
Thelohan 1895, 9i 
Thomson 1908, 7_. 



Ergänzender Literaturnachweis, zugleich Namenregister. 



Tischler 1906, 34^; 1907, 217; 1908, 
SSL 

Tönniges 190a, 12, 

Tower 1906, 170. 

Toyaraa 1906, 243. 

Tretjakoff 1904, 330. 

Trinci »908, 330. 

Tscherraak, A. v. 1910, 189. 

— , E. v., Pis. 1900, J43 : Zücht. Getr. 

1901, 243; Gest. Mischl. 190a, 274; 

Krypt. 1903, 274: Prakt. Verwert. 

1903, 303 ; Weit. Kreuz. 1904, 243; 

Bild, neuer Formen 1905, 344; Erg. 

Kreuz. 1908, 243. 

Van Beneden, E. 1883, sj. 

— und Neyt 1887. 

Van der Stricht, Thysan. 1898, S7; 

Vesperugo 190a, 87. 
Vejdovski 1907, 1 1 1 . 

— u. Mrazek 1903, 325. 
Verworn 1888, 1889, 1909, 59. 
Vfichting 1904, 208. 

Vom Rath, Amitose 1891, S9J Gryll. 
189a, npj Sal. 1893, 120. 

Vries, de, Intrac. Fang. 1889, 28_; Loi 
Disj. 1900, 243; Spalt. Bast. 1900, 
243; Mutat. L 1901, 294; Befr. und j 
Bast. 1903. 243; Mutat. II, 1903, 180. j 

j 

Wagner, R. 1853, L2. 

Waldeyer »903, 20.'. 

Wallengren 1901, 133. 

Weinberg 1903, 1907, 1908, 1909, 17* 

253, 

Weldon 1906, ll 



Weisraann, Oaphn. 1879, 87j Vererb. 
1883, 133J Kont. Kcirapl. 1885, 12s : 
Rückschritt 1886, 16A1 Sex. Fortpfl. 
1886, 20OJ Bot.Bew. 1888, 163J Verletz. 
1889, 163; Amphimixis 1891, 200 ; 
Aufs. 189a, 125; Kcimplasma 189a, 
28: Allm. Xaturz. 1893, 16JJ Äuß. 
Einfl. 1894, 103: Neue Gedank. 1895, 
163: Germinalsel. 1896, 163; Mneme 
1900, 163: Vorträge 1904, 163: Zahl 
d. Rieht. 1907, 2QQ. 

Wheldale 1910, 274. 

Whitman 1895, 3JL 

Wille 1905, I7Q. 

Wilson, Cell 1900, 28j Germ. Local. 
1904. Ul ; Stud. Chr. I— V, 1905 bis 

1909. 358 ; Det. sex 1909, 1910, 358. 

— und Matthews 1895, 8?, 
Winiwarter, v. und Sainmont 1908, 59. 
Winkler 1907, 1908, 1909, 1S& 
Winter 1907, 

Wolff 1764, 1774. 2_QiL 
Woltereck 1909, 179- 
Wood 1905, 243. 

— und Punnett 1908, 262. 

Zacharias, E. 1909, _'R. 

Zehnder 1910, 2Su 

Zenncck 1894, 350. 

Ziegler, E. 1886, 163_. 

— . IL E., Amit. Kernt. 1891, S9j Instinkt 
19<>4, >63i Ver. Biol. 1905. 344: 
Chrom. Ver. 1906, 344; Inst., 2. Aufl. 

1910, 163: Streitfr. 1910. 163. 

— und Vom Rath 1891, 53. 
Zweiger 1906. 1 20. 



Sachregister. 



Bemerkung. Die Namen von Autoren haben in diesem Register nur 
insoweit Aufnahme gefunden, als sie zur kurzen Kennzeichnung bestimmter Theo- 
rien und Hypothesen, Regeln und Experimente dienen und in dieser Verbindung 
in der Literatur zitiert zu werden pflegen (z. B. Altmanns Granulalehre. Brown- 
Sequards Versuche, Mendels Regeln). 



Abraxas 250 (Anm. l), 2ÄL 
Accentuierte Teilungen 95. 
Accessorisches Chromosom 345- 
Achromatin a2i 44j I3iL 
Achromatinhypothesc ü 138. 307. 
Achromatische Figur (achr. Apparat) 46, 

71; A. F. der ersten Reifungsteilung 

90. 

Achtergruppe, Achterring all (Fig. i 1 3). 

Actinophrys, Reifung 92 (Fig. 55). 

Actinosphaerium, Reifung 93.; Autogamie 
86: Chromosomenzahl 1 14. 

Adelea, Reifung 93. (Fig. 56L; Sporen- 
bildung 96 (Fig. 60). 

Äqnalionsteilung 193, 3/Q- 

Äquatorialplatte 48. 

Äquidispositionelle Abänderungen 1 53. 
IS 5. 

Äquikausale Abänderungen 1 53. 154- 

Äthalium 34. 

Affinität, sexuelle 214. 

Agglutination 322. 

Aglia tau 23J ff. (Fig. 98)- 

Agrumi, Bizzarrien ifti. 

Aguti 270; A.- Faktor 265, 211* -'84; 

Golden-A. 269; Cinnamon-A. 2"i. 
Ahnen plasmen ioj, 106. 
Aktivitätshypertrophien 1 58. 
Albinismus 230; Partieller A. 230; A. bei 

Negern 245; Verschied. Typen 268; 

Entstehung 291, 292. 
Algcnpilze 9_)_. 



Alkaptonurie 351. 
Alkoholismus 176. 
Allelomorpha 219. 

Allelomorphismus, unechter 25.9 (Anm. 1 ). 
Allium, Chromosomen 4J (Fig. 14), 31 S 

(Fig. 115). 
Allogromia, Teilung 96 (Fig. 59). 
Alloplasma 21 . 
Allotypische Teilungen 103. 
Allseitige Abänderungen K>4. 
Alternationshypothese 330. 
Alternierende (alternative) Vererbung 

221, 230. 
Altmanns Granulalehre 19. 
Alveolarstruktur 19, 44. 
Alveolen 2£L 

Alydus, Samenbildung 1Q2 (Fig. 71) 
Alytes, künstl. Abänderung 175. 
Amblystoma - Bastarde 220, 222. 23 1 . 
339. 

Ameisen, Arbeiter 1601 Eireife 351. 
Amitose 4j$. 
Amoeba, Teilung L2fL 
Amphigone Fortpflanzung 191. 
Amphimixis 190. 
Amsel-Albinos 233. 
A iiaphasen 43» 

Anasa, Samenbildung 108 (Fig. 72), 340 

(Fig. 129}. 
Angiospermen, Befruchtung 84^ 136, 
Angoracharakter 229. 235. 267. 
Anisogaraie Öd. 



Sachregister. 



Anlagen 5_, 1 35, 375; Lokalisation im 

Ei 141 ; Spaltungen 222. 362. 

366 ff; Neukombination 101. 195, 

300. 337- 
Antagonisten 219, 2(j6. 
Antherozoide 85^ 
Anthocyan 238. 
Antipodenzellen 84. 
Antirrhinura 340. 
Apfel, Xenien l8l_, L§6, 187. 
Aphis, Chromosomen 349_f. (Fig. 130). 

356: 

Apis, Geschlecht 256, 354; Samenbildung 

350 (Fig. 130- 
Araucaria 2Q5. 

Architektonik des Idioplasmas 135- 

Artbastarde 211. 

Artbild 2J& 

Artemia 1 14. 352. 

Artplasma 24. 

Artzelle 2J. 

Ascaris canis 319- 

Ascaris megalocephala, Geschlechtszellen- 
differcnzierung 61 f. (Fig. 28), 1Q8: 
Spermatidenbildung 68 (Fig. 33) ; 
Samenzellen ü (Fig. 37) ; Befruch- 
tung 8J (Fig. 4JlL 82. 118; Heterotyp. 
Teilung KU (Fig. 64J ; Varianten (biv. 
u. univ.) 112. .116; Samenreife 194 
(Fig. 91); Reduktionsteilung 19S: 
Bastardbefruchtung 306 (Fig. 109); 
Chromosomen 318. 319. 338 ; Ge- 
schlechtsbestimmung 348. 

Aster 48. 

Atavismus 221, 267. 270, 297, 332 : bei 
Vanessa 170; bei Amphibien 175 ; 
bei Negern 221, 270; bei Lathyrus 
221, 271; Physiol. u. Phylogen. A. 
2Q2, 

Athene 233. 

Atolla 3_5_5 (Anm. 3). 

Attraktionssphäre 47. 

Auflösungsfaktor 266. 269. 

Augen färbe des Menschen 248. 

Aulacanthiden, Chromosomen 103 (Fig. 
68), 328; Teilung im (Fig. 75lj. Va- 
riabilität 2S6. 

Aulospbäriden 286 f. (Fig. 107). 

Außenkörnchen 63^ 363 

Autogamie 78. 86, 93. 



I Automerizonten 25_. 

I Autonomie der Gonomcven 191 . 

| Axolotl s. Amblystoma. 

1 

Bach, Familie äi 
Bärenbastarde 290. 

Bakterien, Erworb. Ungiftigkeit 165 : 
Farbstoffbild. B. 165; Kettenbildung 
322 (Anm. l). 
Basichromatin 4J_. 
! Basidiobolus 9J. (Fig. 54^ 
I Bastarde, Definition 210. 211; Bezeich- 
nung 213; Abgeleitete, binäre, ter- 
näre usw. B. 212. 213; Reziproke B. 
212; Intermediäre B. 213. 220; Go- 
neokline, patrokline, einseitige B. 213, 
220; Fruchtbarkeit 21s, 342. 
1 Bastard- Endos penn 183. 
! Bastardrassen, konstante 211. 289. 296. 
Bastards 247. (Anm. 4J. 245 (Anm. 7}. 
Bateson, Presence and absencc-Hypo- 
these 263. 265 ; Compound allel. 267. 
Baumwollbastarde 34 -V 
Bausteinlehre 23, 35_. 
Befruchtung 28_i Bedeutung 190; Selek- 
tive B. 353_- 
Begattung 7JL 
1 Begonia 2£LL 
Bereitschaltsstellung d. Richtungsspindel 

: Bernouilli, Familie 5^ 
I Besamung l£. 
. Beschncidung 157. 
i Binucleoläre Kerne iLL 
\ Biogenesis 203. 
1 Biogenetisches Grundgesetz i_L 
I BiomolekQle 26; Teilung 26^ 136, 
Biomoren 25. 

Biophoren 25^ 147t 196. 2CCu 
Biotypen .'So. jflS, 

Bivalenz der Chromosomen 1 12j 1 13^ 320. 
Bizzarrien 18L 1 86. 

Blastogene Abänderungen 156. 178; 279. 

Blattläuse s. Aphis. 

Blattwespcn, Eireife 351. 

Blaufärbung d. Nager 266. -'84. 
| Blendlinge 210. 
I Bluterkrankheit 251- 
: Bohnen, Samengewicht 28Q (Fig. 104). 
] Bombyx mori 233. 



.#2 



Sachregister. 



Boveri, Zahlengesetz 112 ; Vererbungs- 
experiment 137, 139 (Fig. 78); Indi- 
vidualitätshypolhese 3Q3 . 340; Ver- 
schiedenh. d. Chromos. 3 IQ. 335. 
336. 340 ; Vers, mit dispermen Eiern 
310; Sntton - Boveri sehe Ver- 
erbungshypothese 333. 

Boverische Reihe 114. 

Brachydaktylie 250. 

Brachy stola, Chromosomen 336 (Fig. 1 24). 
Braunalgen Qi. 
Breeding trne 

Brown-Sequards Meerschweinchen- 
versuche 177. 
Bryonia 259. 352. 
Buchweizen, Wirkung des 301. 
Bukettstadium 327. 
Bü tschüs Wabentheorie 10. 

Campanula 30.*. 

Canthocamptus, Ovarium 66 (Fig. 32). 
Carica -'55. 

Castanelliden, Skelett 2fl6.f. (Fig. 107). 

Castle, Krcuzungsversucbe jjq, 283. 
289; Erbformeln 283 ; Tauschhypo- 
these 33iL 

Caulerpa 33 (Fig. gj, 34. 

Cavia (Caviiden) s. Meerschweinchen. 

Centriol 40; 

Centrosoma 46, 69^ 73j 74. 
Centrosomahülle 71. 
Ceratium 4J2 (Fig. 21). 
Chara, Parthenog. 100. 
Chemische Vererbungslehre 201. 
Chimäre 184. 185. 
Cholesterin 23. 
Chondriosomen 142. 
Chromatin 39. 

Chromatinerhaltungshypothese Mi 138. 

30Ö. 

Chromatinkürnchen 44* 300. 
Chromatin-Nucleolen 41. 
Chromatinsi bleifen 4^ 43- 
Chrom idien 109. 
Chromiolen 4^ 341. 
Chromogeu 264. 268* 
Chromomeren ^ -^41. 
Chromoplasten 238, 2ÖQ. 
Chromosomen 42, 43j 102 : Entstehung 
43. 44. jQ'S; Alveolisierung 451 Bi- 



valcnz 1 1-?, 113; Abbau UJL J12, 
35S; Chr. als Anlagenträger 131, 3 4P. 
341 ; Individ. Verschiedenheit 192, 
196; Repulsion 216; Keltenbildung 
322 ; Formeln 322 ; Chr. u. Geschlecht 
345. 

I Chromosomengarnituren, doppelte 105 
(Fig. 69L 1Q8 (Fig. 72), 109. 336 
(Fig. 124}. 
Chromosomengruppen , komplexe 1 19. 

JJO, 

Chromosomenhypothesen 331 ; Schwierig- 
keiten 359: Tragweite 372. 

Chromosomenspuren 3 -'8. 

Chromosomenzahl 1 12, 30 5, 313; Schwan- 
ken 113; Normale Chr. 119; Chr. u. 
Zellengröße 147. 

Chromosomes-nlles 318. 

Citrus, Bizzarrien 181. 

Cladoceren. Samenzellen 73j Partheno- 
genesis 190; Wirkung des Milieus 
170. 290; Eibildung 365. 

Concharidenskelett 146 (Fig. 82). 

Correns, Bryoniavei suche 259. 352. 
. Crataegomespilus 181 . lBjl 

Cremefarbige Blüten 26Q. 

Cuenot, Erbformeln 264. 

Cuticularbildungen 35. 

Cyclops, Diminution 65 (Fig. 30}, 34.1. 35Q ; 
Richtungskörperbildung 69. (Fig. 34} ; 
Befruchtung 8l (Fig. 47); Chromo- 
somenzahl 116. 117. 147- 

Cypris, Parthenogenesis IQQ. 

Cytisus adami LÖH. 

Cytophor 61. 

Cytoplasma JJ^ 45- 

Daphnia s. Cladoceren. 
| Darwin, Pangenesis 122. 
| Davenports Kriterien für mendelnde 
Merkmale -'45- 

Deckbastarde 214. 

Defektrassen 263, 371- 

Dekapoden, Spermatosomen 75. 

De läge, Regulationshypothese 309» 

Dentalium, Experiment 141 (Fig- 79). 
, Dermatolysis 25Q. 

Destruktive Abänderungen 156. 

Determinanten 106. 265 : Zerlegung 108. 

Determinantenlehre 201. 283. 



Sachregister. 



3Ꭰ



Determinate 368. 
Delermiuationsproblem -fo6. 
Deutbeterotype Mitose 104. 
Deutoplasma iL 
Diabetes -»50. 

Diakinesc 8^ 22 (Fig. 5_2)_, l&L 370; 

Zahlengesetz der D. 3 »6. 
Diakinetische Mitose 104. 
Diaptomus. Chromosomen 1 13. 118. 

(Fig. 74l. 
Dicentrische Wanderung 4_i 
Differentielle Keimbahnstreckc 6lj 1 10. 
Dihybriden 226. 268. 336. 
Dilutionsfaktor 266. 269. 284. 
Diminution bei Ascaris 6K. (ü (Fig. 28), 

341. 330; bei Cyclops 64^ £5 (Fig. 30L. 

31h JiO. 
Dinophilus 256, 349. .355, 366. 
Diploide Zahl 316, 323 
Disgregation 37Q. 

Diskontinuierliche Merkmale (Abände- 
rungen) 276, 27JL 285, 201, 20S. 

Dispermie 3 IQ. 

Disposition 155. 

Ditetraden 318, 322. 

Dominanz 21Q, 220; Wechsel der D. 
240: Feststellung der D. 244; un- 
vollständige D. 277. 

Doppelbefruchtunfj bei Lilien 8_4j 183. 

Doppelfädcn 89. 

Doppelkcrn 50, 8jl 

Doppelknäuel 343 

Doppelspindel 342 (Fig. 127). 

Doppclstäbchen 83, um. 

Dosenhypothesc 251. Anm. 4j 355- 

Dotterhaut 77. 

Dreigroßelterl iche Vererbung q. 
Drosera. Bastarde 342 (Fig. 128), 367. 
Dyaster 48. 

Dytiscus, Eibildung 364. f. (Fig. 134). 

1 
1 

Echinodermcn , Eizelle 39. (Fig. 11); I 

Bastardierung 137. 140. 
Ei , reifes 211 Ei v ° n Aepyornis 21 • \ 

Determination der Ei teile 140. 205. j 
Eibildung 66, 

Eichhörnchen, schwarze 292. 
Eihüllen 71* TL 
Eimutterzellen 6JL. 



Einfarbigkeitsfaktor 266. 284. 
Eisen im Plasma 22. 
Eiweißkero 23. 
Eiweißstoffc 22. 
EktoBomeu 63. 

Elementareigenschaft 265. 275, _'7t>, Zahl 

der E. JJTJL -'77. 
Elementarorgane 31. 
Elementarorganismen 20. 
Embryosack 84. 
Embrvosackmutterzelle 8_4_. 
Empfängnishügel 8.L 
Endospermbildung 8^ 183. 
End-to-end-conjugation 321 (Anm. 2). 
Energide 34- 

Engramme 156. • 
Entamoeba 28_i 86. 

Entdiffcrenzierung der Zellen 103 : E. 

der Merkmale 171. 175. 
Entomophlhoracecn 91. 
Entwicklungshemmung 207. 
Epigame Gcschlcchtsbestimmung 215 

(Anm. 3J, 255, 357. 
Epigenetiker 204. 

Epigenetische Veränderung der Zellen 

-'Q7. 

Epistatischc Faktoren 266. 

Equiden, Bastarde 182. 212. 215 (Anm. l|j 

vgl. auch Pferde. 
Equisetum, Sporenbildung 9J (Fig. 53). 
Erbadel L 

Erbeinheiten 265. 275: Zahl der E. 272. 
277: Entstehung 290: Verkoppelung 

302. 

Erbformeln 264. 283. 
Erbgleiche Teilungen 190. 206. 
Erblichkeit L. 

Erbse, Xenien 181 , 186; Bastarde 222. 
226. 239 (mehrfach); Faktoren 267 : 
Chromosomenzahl 340. 

Elbungleiche Teilungen 198. 206. 2Q7. 

Essentielle Verschiedenheit der Chromo- 
somen 310, 335a 336. 

Eugenik 252. 

Euheterotypc Mitose 104. 

Eumitotischer Modus 324. 

Evolutionisten 203. 

Exoblastogene Variationen 279. 

Ezoplasma 2_L 

Eztcnsionsfaktor 284. 



Sachregister. 



F r , T-'j-Bastarde 210. 
Fadengerüsttheorie 2Q. 
Fagopyrismus 30 1 . 

Faktoren, Bezeichnungen 264. 263. ,»60. 

284; Natur 267: Zahl 212. 
Faktorenhypothese 263, 265. 
Faltungstheorie 326. 
Farbenblindheit 251. 301. 
Farne, Geschlecht 255. 
Fasanenbastarde 211. 214, 215 (Anm. 3J. 
Fawn (pale f., silver f.) 23J (Anm. Sj^ -'66. 
Fermente 23. 

Fick, Manöverierhypothese 300. 
Filarthcoric 2SL 

Flemming. Fadengerüst- oder Filai- 

theorie«2Q. 
Floriden 31 (Fig. T± 
Fluktuierende Variabilität(Fluktuationen) 

278. 28S. 286. 
Formenketten 28s. 

Fortpflanzungszellen , Geschichte der 

F. 6fL 
Frostaberrationen 160. 
Fucaceen OJj 02. 

Funktionelle Abänderungen 156. 158. 

Qalatbea, Spermium Ifi (Fig. 41) 

Gallwespen, eireife 351. 

Galton, Vererbungsgesetze l_3_t 289, 
293 ; Verbesserte Pangcnesishypo- 
these 124- 

Galtonsche Kurve 28c 

Gameten IL, 8s_; Reinheit 222, 334, 330. 

Gametopbyt 90. 

Garbenspindeln 90, 01. 

Gayalbastarde 21 6. 

Geisteskrankheiten 9, LL Lä5j 

Geistige Eigenschaften 5_. 

Gelastocoris, Samenbildung 346 (Fig. 1 29). 

Gelbei TL 

Gemini 326. 

Gemmules lü. 

Gene 265, 281. 

Generationswechsel 10. 

Genotypische Festigkeit 288; G. Grund- 
lage (Konstitution) 281, 284; G. Un- 
terschiede 287: G. Verschiebungen 
288. 280. 

Gerste, Schartigkeit 280. 

Germinalselektion 196. 



i Geschlecht als mendelndes Merkmal 254. 
Geschlechtsbestimmung 25?, 345; Chro- 
mosomen und G. 345. 
Geschlechtscharaktere , sekundäre 188. 

Geschlechtsgeneration 90. 
Geschlechtstendenz 357. 
Geschlechtsverhältnis 349 (Anm. 2). 
Geschlechtszellcndiffcrenzierung bei As- 

caris 61 ; bei Kopepoden 63. 
Geschwülste L5_l Teilungen iqz (Fig. 06). 
Gesetze 1 1. 

Giardinascher Ring 364. 37Q- 
Giglio-Tos, Protoplasmalehre 26, 201, 
Gingko 85. 

Gladiolus-Bastarde 342. 
Glanzkörper 74. 
Glaukom 251. 

Godlewski, Vererbungsexperiment 140. 

Goldschmidt, Chromidicn iw, 
1 Gonadenbildung 65^ 
j Gonomeren 50, §2, 19Jj 342. 
] Gonocyten 65. 
■ Granula 2Q. 
' Granulatheorie 19. 
j Graufärbung 26s. 

Gr6goire, Achromatinhypothese 45. 
308; Hetero-homöotypisches Schema 

Haacke, Mäusekreuzungen 218. 

Habsburger Unterlippe 2* 8_, 249 ; 
Geistige Eigenschaften Sj Degene- 
ration der spanischen IL Q. 

Häckel. Vererbungsgesetze in. 

Ilaecker, Kernsekrettheorie 4J. ; Achro- 
matinhypothese Mi Gonomeriehypo- 
these 50; Scheinreduktion 320. 

Hafer, Kreuzungen 272: Häufigkeits- 
polygon 280. 

Hämoglobin 22j Spezifität 23. 

Hämophilie 251. 30 1. 

Hahnen fedrige Hennen 254. 

Halbblut 212. 

Halsring 277, 278. 

Haploide Zahl 3 16, 324. 

Hautaffektionen 2 50. 

Heliozocn, Reifung 93. 

Helix- Bastarde 220, 228» 233. 



Sachregister. 



Hemipteren, Samenbildung 104. 345; 
Chromosomenzahl 115; Geschlechts- 
bestimmung 345. 

Henking, Dimorphismus der Sper- 
mien 104, 344- 

Heredity L 

Heritage L. 

Hermaphroditismus, latenter 255. 356. 
35L 

Hertwig, O., Artzelle 24 : Vererbungs- 
monopol des Kerns 135; Teilungs- 
gesetze 145; Biogenesis 201, 203. 

— . O. und R.. Bastardbefruchtung 215. 

— , R., Kernplasmarelation 5_i 143. 147; 
Chromidienlehre 190. 

Heterakis 348. 

Heterochromosomen 104. 306. 341 ; IL 
und Geschlechtsbestimmung 345. 

Heterocope, Rcifungsteü un^ ioo( Fig. 62) ; 
Doppelknäuel 343. 

Hetero-homöotypisches Schema 327. 

Heterotypische Teilung 9_9_ (Fig. 61), 
lül (Fig. 64), 329, 

Heterozygoten 225. 206. 

Hexakünelliden. Skelett 55 (Fig. 26). 

Himalayakaninchcn 233. 

Hirsche, Erblichkeit 6. 

Histonalselektion 107. 

Hitzeaberrationen 160. 

Höhlentiere 160. 

Homöotypische Teilung 100 (Anm. 1), 327. 
Homozygoten 224. 
Honigbiene s. Apis. 
Hormone 187. 

Hühner, Xenien 182 (Anm.); Trans- 
plantation 188: Bastarde 228. 366; 
Färbung 23 1_, 240 ; Seidcnfedrigkeit 
235 ; Struppigkeit 235: Kammformen 
236 f. (Fig. 92)^ Haube 2j6j Fuß- 
beßederung 236; Schwanz 236; Extra- 
zehe 237 (Fig. 100). 240; Kopf- 
hernie 238 (Fig. 101); Fruchtbarkeit 
28Q. 

Hunde. Farbe 232. 
Hybriden 21 1. 
Hyoscyamus 240. 
Hyperchi mären 185. 
Hypophalangie 250. 
Hypolrichosis 250. 
Hypostatische Faktoren 

Hieeker, Vererbanjjslehre. 



Idanten 1Q2. 

Jde 26_i 192; Individuelle Verschieden- 
heit 192, 196. 
Idiochromosomen 105. 347. 
Idiomeren 4_ü, 308. 
Idioplasma 134. 
Idiozom 71- 

Inäquale Teilungen 362. 
j Inaktivitätsatrophien 158. 
' Indexhypothese 356. 

lndianisierung 167. 

Individualeiweiß 24. 

Individualitätshypothese 304. 340- 

Individualplasma 24- 

Individualzächtung 298. 

Induktion, somatische 151- 

Infusorien, Kernteilung 5J ; Konjugation 
85. lQO; Reifung 94j Nachreife 94j 
Vererbung i2fl. 

Inheritaace L. 

Innere Sekrete 187. 

Instabilität der Rassen 296. 
! Instinkte 161; Einmal ausgeübte L 162, 

Intensitätsfaktor 266. 269. 284. 
I Intercellularsubstanzen 33. 
■ Intraselektion 197. 

Intrazellulare Sprossung 36. 

Intrazellulare Pangenesis 199- 

Irisfärbung 24J (Fig. 102), 248. 

Isogamie 86* 

Isolationsprinzip 2«n. 

Isoplassonten 25. 

Jod im Organismus 22* 
Johannsen, Biotypenlehre 270. 287. 

Kamelien 361. 

Kammerer. Versuche mit Amphibien 
173. 290. 292. 298; mit Eidechsen 

• LL 

Kanarienvögel. Xenien 1 87 ; Bastarde 
214, 259 (Anm. 1), 261, 296. 

Kaninchen, Giftfestigkeit 166; Trans- 
plantation 188; Kreuzungen 212. 232. 
268; Himalaya-K. 233: Erbformelu 
284; Langohren .'So. 

Karakulschafe 236. 298. 

Kartoffel, Knospenvariationen 291. 
| Karyogamie 85^ 
! Karyokinese 42. 



386 



Sachregister. 



Karvomeren 4_3_, .108. 
Karyoplasma 3i 38 (Fig. 12). 
Karyoplasmogamie 85. 
Katalysatoren 23. 

Katze, Angorismus 235; Schwanzlosig- 
keit 237; Dreifarbigkeit 2>8: Ovo- 
cyten 328 (Fig. 121). 

Keimbahn 6l 132. v*2i 362. 

Keimbläschen 68, 306. 

Keimchen 122. 

Keimesvariation LS3, 156. 1 78. 279- 
Keimgut L. 
Keiminfektion 182. 

Keimplasma, Kontinuität des K. 126: 

Bau des K. 134. 
Keimzellen yo, I3i. 
Keimzone 67. 
Keratom 250. 

Kern. Ruhender K. 3iK Funktion des 
K. 5_2_i Prinzipat des K. 53J Be- 
deutung für die Vererbung 135. 138. 
340. 

Kerndrüse .146. 

Kerngerüst 3iL 

Kernkörper 2Qi iL 

Kernmembran 39_; Osmot. Funktionen 53. 
Kernplasmahypothese der Vererbung 

143. 350. 
Kernplasmarelation ^ 143, 147. 
Kcmplasmaspannung 14". 
Kernsaft 3Q. 
Kernsekrettheoric 41. 
Kernteilung, direkte 4JL 
— , indirekte $2 (Fig. 13). 
Kettenbildung 322. 

Kleb», Versuche mit Sempervivum 176. 

21& 

Klimatische Faktoren 166, -'QH. 

Knäuel s. Spirem. 

Knospenvariationen 201. 360. 

Kolonien 30 (Anm. l); Vererbung 120. 

Kongenitale Veränderungen 153. 

Koniferen, Zwergwuchs l67. 

Konjugation 85, 100, 321 (Anm. l); K. 
der Chromosomen 332. 334. 

Konstante Bastardrassen 211. 28Q. 206. 

Konstitntionshypothese 201. 

Kontinuierliche Variabilität 278. 286. 2Q2. 

Kontinuitatshypothesen 123; Gegen- 
gründe 2Q2. 



Kopepoden (vgl. auch Cyclops. Diapto- 
mus, Heterocope) 315: Gonomerie 
so. 82; Keimbahn 63j Urgeschlechts- 
zellen 6j_, 363 ; Gonadenbildung 6_5j 
Chromosomen 318, 322 ; Reifung 6^ 
ö2 Iii- 3l8i ÜAl Dreizellen- 

stadium r3Ji 364 (Fig. 133)- 

Kopf der Samenfäden 74. 

Kopulation der Geschlechtskerne bei 
Metazoen 8_2j bei Phanerogamcn 85J 
bei Einzelligen 8s. 

Körpcrzcllen 130. 

Korpuskularhypothese 201. 283. 
1 Korrelation 301. 
! Krähenbastarde 21 1. 

Kreuzfiguren lTJü (Fig. 63). 320 (Fig. 
117). 338. 

Kreuzungsnova 221, 267. 268. 300. 310- 

Kryptomerie 26L 332. 37 1. 

Kühn. Kreuzungsversuche 210. 213. 

216. 

1 Küstenfieber liiQ. 
Kupfer im Organismus 22- 

Laburnum Adami 180, 184^ 185 ; Chro- 
mosomenzahl 184. 
Längsspaltung, sekundäre 100, 3 18. 
Längstctraden 310. 322. 
• Lamarcksches Prinzip 150. 152, 153. 



Lang, Hei ix- Bastarde 220. 236; Graph. 
Darst. der Biotypen 281 ; Erbforraeln 
284. 

Latenz, latente Potenzen (Anlagen) 171. 
262, 297. 

Lathyrus odoratus, mendelnde Charak- 
tere 238. 230; Rückschlag (Purpur) 
221 . 222 . 271 ; Krenzungsnovnm 
(Weiß) 26OJ Verkoppelte Char. 271. 
302, 

Lebenslage, Wirkung der _'<x\ 
Lebenseinheiten, elementare 2^ 14". 
Lebermoose, Sporenbildung 8S (Fig. 50). 

3^3. 324. 367. 
Lecithin 23. 
Leistungskern 27. 
Leitungsreize 151. 
Leporiden 2_L2_ 
Leucismus 23Q. 
Leukoplasten 238. 



Sachregister. 



Levkoien 3.1 8. 239 (mehrfach), 
Lilium, Doppelbefrachtung 8^ (Fig. 49), 

85, 183: Doppelknänel 343- 
Linien, reine 279. 288. 
Linin 39, ü 
Lipoide 22± 23. 

Loeb, Bastardbefruchtung 215. 
Legalisation der Anlagen im Ei 141. 
Lord Morton 8 Stute i8j. 
Lychnis 339. 356. 

Lygaeus, Samenbilduug L06 (Fig. 70). 
346 (Fig. 129). 

Mäuse. Giftfestigkeit 166; Kreuzungen 
221. 232. 264. 268. 269; Erbformeln 
266: Blaufärbung 266. 

Mais, Xenien 181 . 183; Bastarde 222 
(Taf. II), 239 (mehrfach), 366] Fak- 
toren 2&L 

Makrogameten 86. 

Makrogametocyt 93. 

Makronucleus 94. 

Manöverierhypothese 3Q9- 

Maschinen, dreidimensionale 2Ä. 

Mathematische Begabung 5, Q. 

Matthiola s. Levkoien. 

Maulesel, Maultier 213, 216. 301. 

Maupas, Verjüngungslehre 100. 

McClung. Geschlechtsbestiromungs- 
hypothese 345- 

Meduse, Samenfäden TA- 
Meerschweinchen , Samenfäden 7JL, 1b 
(Fig. 40); KünstL Epilepsie 177: 
Kreuzungen 222 (Fig. 97^ 232. 236, 
271; Haarrosetten 235 ; Wildfarbe 
270, 27_L 

Mehrlingsgeburten -'Sa 

Mehrpolige Spindeln 90i 342. 

Melandrium, Geschlecht 255. 

Melanismus 291, 292. 

Melobesia 32 (Fig. 7). 

Melospiza 28S. 

Mendels Regeln 218. 221. 220 ; Rein- 
heit der Gameten 222. 339; Theoret. 
Tragweite 275: Bed. für Tierzucht 
295; M.sche Spaltungen 362. 

Mensch, Mendel sehe Vererbung 244: 
Kassenkreuzung 246 ; Augenfarbe 
248; Haarfarbe 249; Mißbildungen 
250. 



Meristische Variationen 292. 

Merogonie 311. 
, Metakinetische Tonnentiguren loo. 
| Metaphasen 4_3_. 
| Metaplasma 21. 

Metasyndese 321. 

Metasyndetisch-äquationellcr (-eumitoti- 
scher) Modus 324; M.-postredukt. M. 
324; M.-präredukt. M. 326. 
1 Metastruktur 25. 
' Micellen 134. 

Mi es eher, Vererbungshypothese 201. 

Mikrochemie 2_l 

Mikrocbromosomen 105. 

Mikrogameten 8fi. 

Mikrogametocyt 93. 

Mlkronucleus 8_5_, 94. 

Mikropylen 78. 

Mikrosomen 34). 

Milchergiebigkeit 302. 

Mirabilis- Bastarde 220. 231 (Anra. 4) , 
Knospenvariationen 291. 

Mischbastarde 214. 

Mischlinge iia. 

Mitochondrien 14J (Fig. 80), 309. 350. 
Mitose 42. 

Mittelstück 6jL 74. 75- 

Mneme 1 78. 
I Mnemische Neuerwerbe Lüöi »6i. 
' Modifikationen 379. 
1 Moina, Samenzellen 74. (Fig. 36). 
; Moleküle, Teilbarkeit der z£l 
1 Monöcie, latente 255. 

Monohybriden 226, 335- 

Monosom 104. 375. 

Monospermie 70. 

Montgomery, Konjugationshypothese 
332 , 334, 341 : Faltungshypothcse 

336. 

Moose, Geschlecht 255. 

Morgan, Unreinheit der Gameten 339. 

Morphobiologie der Keimzellen ifi. 

Mosaikbastarde 214. 228. 257. 
; Mosaikzeichnung 362. 
| Musikalische Begabung 5. 
[ Muskelfadcnthcoric 48. , 
1 Mutationen 278. 288; Retrogiessive M. 
203. 279. 291 ; Degressive M. 263. 
279; Progressive M. 279. 
; Mutationstheorie 276. 

25* 



388 



Sachregister. 



Myxom ycoten 34. 
Myxosphacra 42 (Fig. jo). 
Myxosporidicn 50; Reifung 2L. 

Nachtblindheit 250, 

Nachtschatten 183. 

Nägeli, Idioplasmalehre 

Nebenidioplasma 204. 

Nektarinen 361, 

Neoepigenetische Theorie 201. 

Neo-Evolutionismus 201. 

Nervöse Ströme 151. 

Neukombination von Anlagen 101. 195, 

3QO. 332* 
Nezara, Samenbildung 347, .155. 
Nils so n sehe Haferkreuzungen 272. 
Nonnalzahl der Chromosomen 1 10. ,116. 
Nucleine (i. S. der älteren Morphologen) 

= Nucleoproteide. 
Nucleinsäure 22± 24. 
Nucleolen 32, 4K 

Nucleoproteide oder Nucleine im eng. S. 

22, 24, 40. 
Nucleus 32. 

Numerische Variationen 292 ; N. Reduk- 
tion 3_LL 323. 
Nutrizeptoren 21. 

Oenothera, Chromosomenzahl 147, 340; 

Mutationen 270. 
Oktaden 31g. 
Oligochäten 325- 
Oocytcn s. Ovocyten. 
Oogenese s. Ovogcnese. 
Oogonium s. Ovogonium. 
Orchideenbastarde 241. 
Organbildcnde Substanzen 142. 
Orthopteren 104. 
Oscillaricn, Färbung lös. 
Ovocyten l Ordn. 6_7_, 2, Ordn. 6Ü. 
Ovogcnese 6A 
Ovogonium (Ovogonie) 66. 
Oxalis-ttastarde 368. 
Oxychromatie 4J_ 

Pallavicinia, Sporcnbildung 8Q. 

Pampbagus 323. 

Panaschierung 184, 231. 

Pandorina 30 (Fig. 5)2 L?2 (Fig. 77}. 

Pangene 2«, 199. 

Pangenesis 122. 



j Panmixie löq. 
Pansporoblasten 9v 

Paramaecium, Mitose 5j (Fig. 24); Vor- 
reife 21 (Fig. 57); Nachreife 95 
(F»g- 581i Variabilität 2&2 (Fig. ior>). 

Parallelinduktion 164^ 178. 

Parallclkonjugation 326, 336» 360. 

Paraplasma 2j_. 

Parasyndese 326. 336, 360. 

Parthenogenesis , Zahl der Richtungs- 
körper 6JL 123 : Entstehung 84; Künst- 
liche P. 144» 31 1 ; Reine P. 1901 Fakul- 
tative P. 349_; Chromosomen bei P. 349. 

Partialmutationen 270. 285. 

P£brine 154. 

Pelargonien 184. 

Pediculopsis, Furchung 308 f. (Fig. lij). 
Pclobatiden, Samenfäden 74. 
Periklinalchimären 185. 
Pcrsonalselektion 107. 
Pferde (s. auch Equiden), Farbe 2± 13, 
321, 232 (bis), 229J Wildfarbe 27a 
Pferdespulwurm s. Ascaris. 
Pfirsiche 361. 

Pflanzen, mendelndc Charaktere 238. 

Pfropfbastarde 180, 183. 

P-Generation 219 (Anm. 2}. 
I Phänotypus 280. 
! Phanerogamen, Befruchtung 84. 

Phönixhuhn 237. 

Phylloxera, Chromosomen 3421 !50r 356. 

Physa, Befruchtung 8Q (Fig. 43). 

Physiologische Einheiten 25. 

Pisum s. Erbse. 

PlasmamolekfiJe 26. 

Plasmodien 33. 

Plasmosomen 41. 

Piasomen 25. 

Plastin 40. 

Plattfische 164 (Anm. 1). 
I Platydorina 30 (Fig. 6^ 12Q. 
' Pluripoienz des Artplasmas 357. 
I Polkerne 84, 
I Pollenbildung 84. 
1 Polstrahlung 46. 

Polyhybriden 226, 268, 336, 371. 

Polyspermie 72: 
1 Polyurie 250. 

Polzellen der Dipteren {ll 

Populationen 279. 



Sachregister. 



38Q 



Potenzen. Latente generelle P. HL 

Postf oralsten 204. 

Postreduktion 324. 

Prädestination 357- 

Prädetermination .357. 

Präformation 140. 

Präformationstheorie 203. 

Präredaktion 325. 

Präsynapsis 328. 

Prävalenz 213 (Anm. 5). 

Prävalenzregel 210. 

Presence and absence 2t> > . 

Primula sinensis 239. 

Prochromosomen 328. 

Progame Bestimmung 2S6. 2SQ. 349. 

.355. 15lL 
Prophasen 4_2j 3Q5- 
Prosthetische Gruppe 23. 
Proteinstoffe 2JL 

Protenor, Samenbildung 105 (Fig. 

Prothallium 00. 

Prothalliumlehre 91. 

Protomeren (im Text fälschlich: Proto- 

moren) 2.S. 
Protoplasma l8j Aggregatzustand IQ ; 

Spezifität 23j Funktionen 37. 
Protozoen, Reifung 97. 
Prüfgeneration 300. 
Pseudoamitosen 51. 
Pseudoreduktion 320. 
Psychische Neuerwerbe i.s6. 
Purpurfarbe 272. 

Quagga 182. 
Qualitätshypothese 35g» 
Quantitätshypothese 354. 
Querkerbe 118, 328, 
Querteilung 43. 
Quertetraden 319. 322. 
Queteletsches Gesetz J8n, 

Rabl, Organbildende Substanzen 140: 
Individualität der Chromosomen 304. 

Rakelhuhn 21^ 21£ (Anm. 2). 

Radiolarien, Intrazell. Sprossung 36; 
Skelett iS (Fig. 26}, 2J6f. (Fig. 107): 
Chromosomen 50, 103 (Fig. 68), 114. 
328: Teilung I27j Variabilität zMf. 
(Fig. 107). 292; Transversionen 368. 



Rassencharaktere 263. 
Rassenfixierung 200. 
Rassenhygiene 252. 
Ratten, Kreuzungen 232. 
Reaktionsnorm 176. 
Rebläuse s. Phyllozera. 
Reduktion der Ahnenplasmen 192. 
Reduktionskerne Q4. 
Reduktionsproblem 315. 
Reduktionsmodi 3_24_f. (Fig. 120). 
Reduktionsteilung 193. 
Regeneration 202, 204; Plasmatische 

Grundlage der R. 2Q7. 
Regressionsgesetz 15. 
Regulationshypothese 309. 
Reifungsperiode 67. 

Reifungsteilungen 6_7_, 315 ; Verbreitung 
88; Biol. Bedeutung 82, 1Q2; R. der 
Protozoen 9_2j R. als rud. Sporen- 
bildungsprozesse 27-1 tQ4. 323. 

Reifungszone 62. 

Reh, Erblichkeit & 

Reinheit der Gameten 222. 339: Cytol. 

Interpret. 334. 
Reinzeugung 222. 
Remaksches Schema 48. 
Reserveidioplasson 205. 
Retinitis 251. 
Rezeptoren 27. 

Rezessive Merkmale 219: Feststellung 

solcher 245. 
Rhinocerosmaus 2 So (Anm. 6). 
Ribes- Bastarde 342. 
Richtungskerne 94. 
Richtungskörper 68, 102. 
Riesen, menschliche 147. 
Rignano, Zentroepigenese 207 . 
Rinder, Hornlosigkeit 237 ', Correlationen 

302. 

Ringelnatter, Zeichnung 361. 

Ringfiguren 89, 100, 338. 

Rogues 300. 

Rotgrünblindheit 251. 

Roux, Bedeutung der Kernteilung 52. 
136; Kampf der Teile 197: Reserve- 
idioplasson 205. 

Rücke rt, Scheinreduktion 320. 

Rückkreuzung 225. 

Rückschlag s. Atavismus. 

Rückschlagsgesetz 15. 



Sachregister. 



Sachs, Energiden 34- 

Sagitta, Geschlechtszellendifferenzierung 
64 (Anm. 3). 

Salamandra, Samenbildung 2Q (Fig. 35); 
Spermium 76 (Fig. 39); Heterotyp. 
Teilung 22 (Fig. 6i); Künstliche Ab- 
änderung 12A (Fig. 85): Epidermis- 
zellen 305 (Fig. 108). 

Samenbildung 6^ 7_o (Fig. 35). 

Samenfäden OQt 72. 74- 

Samenmutterzellen 67. 

Samenpatronen 73j 7JL 

Samentochterzellen 68. 

Satnenzellen 68^ 73- 

Sammelchromosom 1 19. 

Saturnia- Bastard 2« -13. 34». 

Schachtelhalm (s.Equisetum). Geschlecht 
255^ 

Schafe, Kupierung 158; Färbung 231. 
332. 207; Karakulschafe 236. 298; 
Hornlos igkeit 237. 258: Fagopyrismus 
301 

Schartigkeit 2ÜQ. 

Scheckzeichnung 231. 266. 284 (Anm. 2). 
Scbeinreduktion 320. 323. 
Scheintypus 280. 
Schizochroismus 231. 
Schizogonie 6_, 
Schlauchalgen 34. 

Schokoladenfärbung der Nager 232. 26s. 
266. 269. 

Schübeier. Klimawirkung 107. 

Schwanzfaden 62t 74. 

Schwanzlosigkeit bei Katzen 157 ; Er- 
worbene Schw. bei Schafen 158. 

Schweine, Fagopyrismus 301. 

Seeigel . Befruchtung 8Q (Fig. 44} , Üi 
(Fig. 46); Varianten 112: Bastar- 
dierung 137; Chromosomen 30J (Fig. 
110); Dispermie 310; Geschlechts- 
bestimmung 349. 

Seeplanarien 324. 

Segmentierung 43. 

Seidenraupe 233. 

Seitenketten 2J\ 

Sektorialchimären 185. 

Selektionstheorie 285: Künstliche Selek- 
tion 298. 

Selektive Befruchtung 257. 353. 

Sexualverhältnis 2 vi. 



Simmenthaler Zucht 302. 
Simultanreize 164. 
Single variations 206. 
Singsperling 28.5- 
Siphoneen 34. 

Solanum tubingense 183, 18s. 
Somatische Induktion 151. 178. 
Somatoblastogene Abänderungen 279. 
Somatogene Abänderungen 156. 178. 
Somato - germ inative Keimbahnstrecke 

61^ 362, 36J. 
Somazellen (somatische Z.) 6ij 130. 
Soziologie 7_ 

Spaltungen, vegetative 184. 
Spaltungsregel 221. 
Spermakern 8o. 
Spermastrahlung S£L 
Spermatiden 68. 

Spermatocyten 1 . Ordn. 67. z. Ordn. 69. 

Spermatogenese 66. 

Spermatogonie 66. 

Spermatophoren s. Samenpatronen. 

Spermatosomen 7_L 

Spermatozoide 85. 

Spermatozoon 69, 7.1. 

Spermien 69j 73. 

Spermienhals 69. 

Sperraozentrum 80. 

Spezifität des Protoplasmas 23. 

Sphäre 47. 71. 80. 

Spbaerocarpus 367. 

Sphaeromyxa, Reifung 95. 

Spindelrest IL 35Q. 

Spirem 4J : Kontinuierl. Sp. 221 (Fig. 1 18. 
USL 

Spitzenstück 71, 74. 75. 
Sporenbildung 88, 96, 2L 104, 323. 
Sporogonie 96. 
Sporting varieties 29f>. 
Sports 296. 

Sprungblastovariationen 279- 
Stachel schweinfamilie 250. 
Stammzellen 61 . 
Standortsmodifikationen 2Q.\ 
Star, grauer 25Q. 
Stationärer Kern 85. 
Statistische Methode i_3j 244. 
Steinkauz 233. 

Stenobothrus, Chromos. 3.18 (Fig. 1 14). 
Sterilität der Bastarde 342. 



Sachregister. 



301 



Stern der Pferde £ 

Strasburger. Vererbungsmonopol des 
Kerns ]_35; Wesen der Pfropf bastarde 
1S4; der Bizzariien 186: Terrainol. 
der Chromosomenzahlen 316. 

Stylonychia, Teilung 128 (Fig. 76). 

Sutton, Sutton- Bover ischü Ver- 
erbungshypothese 333. 

Svalöf 283, 295. 

Symmixis 3.18. 

Synapsis §2 (Fig. 5_iL 321 (Anm. 1), 

327 f- (Fig. 121). 
Syncytien (syncvtialer Aufbau) 33., 5£i 

SL &L 
Syndesis 321. 
Synergiden 8_4_. 

Syngame Geschlechtsbestimmung 255. 

260, 349. 357. 
Synthetische Zellfunktionen 52. 
Syphilis 154. 

Syromastes, Kreuze lfJQ (Fig. 63), 320 
(Fig. 117}, 3j8j X-Elemente 34JL 

Tanzmaus 231. 238. 

Tapetenzellen £1 (Fig. 23). 

Tauben- Bastarde 9_i Schwimmhäute 277 

278: Doppelspindeln 342. 
Tauschhypothese 339. 
Teilungsperiode 66. 
Telegonie 1R2 
Teleutosyndese 324. 
Telopbase 4JL 3Q5 . 

Temperaturaberrationen 168, 277. 297. 

Tetraden s. Vierergruppen 

Tetrao intermedius 211. 21 S (Anra. 2). 

Tetraploide Zahl 323. 

Tetrasporenbildung 323. 

Thyanta . Samenbildung 346 (Fig. 346), 

Thyreojodin 22. 

Thysanozoon, Kernteilung 47. (Fig. 16 

bis 18). 
Tomate 183, 
Tonnenfiguren im. 
Tortoise-shells 258. 
Tosahuhn 237. 
Totalmutationen 279. 
Towers Exp. mit Käfern 167. 292. 
Toxine, Wirkung 176. 
Transplantation von Ovarien iKH. 
Transversionen 144. 277. 368- 



Trihybriden 22&. 
Trophochromatin 355- 
Trypanosomen lös. 

Tschcrmak, Kryptomerie 267. 339, 

371 ; Rassenfixierung 3CO. 
Tuberkulose ljj, 155. 
Tylosis 250- 

Ober kreu zungsfiguren 8g, lüL 
Überschläge 277. 
Überzählige Mitosen 119_. 
Umprägung des Zellplasmas um. 
Umschläge 296. 
Unabhängigkeitsregel 226. 
Undulierende Membran 75. 
Uniformitätsfaktor 266. 284- 
Uniformitätsregel 219. 
Unsterblichkeit der Keimzellen 130. 
Unterlippe der Habsburger 2± iL 
Ureizellen öö_, 

Urgeschlechtsmutterzellen 03^ 363 . 
Urgeschlechlszellen 63.; U. von Cyclops 

1Q2 (Fig. 65L 363. 
Urodelen, Chromosomenzahl 115. 
Ursamenzellcn 66. 
Ursomazellen 6J_ 
Urtica 239. 

Vanessa, Temperaturaberrationen i6ft. 

Variabilität. Versch. Formen 278: Ter- 
minol. 278. 279. 2ÖJf-; Bedeutung 
für die Selektion 285; Übergänge 
2R6. 

Variationspolygon 280. 

Vegetationspunkt 32 (Fig. 8). 

Vegetative Spaltungen 184- 

Vererbung, Begriff 1 ; Dreigrofielter liehe 
V. 9j Konservative V. lpj Progressive 
V. lOi 159; Morphobiolog. Grund- 
lagen l8_; Doppelproblem der V. 122: 
V. erworb. Eig. 15Q. 

Vererbungscytologie 18. 

Vererbungsmonopol des Kerns 138. 340 ■ 

Vcrerbungsregeln. Häckels V. 10, 11 ; 
Galtons V. 13J Mendels V. 21S. 

Vererbungssubstanz 134. 

Verjüngung des Keims 190. 

Vermehrungsperiode 66. 

Versonsche Zelle 67. 

Vesperugo, Befruchtung 8X2 (Fig. 42). 



391 



Sachregister. 



Vierergruppen KJQ (Fig. 6-'), iqz (Fig. 67) ; 
Zahl der V. 120. 316; Zusammen- 
setzung 317. 3^2; Formeln 322: V. 
in Urgeschlechtszellen 363. 

Vilmorinsches Prinzip 281. 

Vitalffirbungen 22+ 

Vollblut 212, 

Volvocineen 30, 34 (Anm. 1); Vererbung 

129, 150. 
Vom Rath, Scheinreduktion 320. 
Vorreife 02, 94. 

Vries, de, Annahme von Pangenen 
2S. 147. 199; Intracell. Pangenesis 
276: Mutationstheorie 263. 276: Ter- 
minol. des Atavismus 207: Tausch- 
hypothese 336, 330. 

Wabentheorie Bütschlis 10. 

Wachstumsperiode 6jl 

Wachstumszone 67. 

Wanderkern 85. 

Wasserflöhe s. Cladoceren. 

Weidenbastarde 9j 212. 

Weismann, Vererbungslehre 121 , 1 00, 
332; Kontinuitätslehre 126 ; Ver- 
erbung erworbener Eig. 150; Amphi- 
mixis 100: Reduktionsproblem 103, 
315t 331 ; Germinalselektion 106; 
Determinanteulchre 201, 283. 

Weizen, Klimawirkung 167 : Erblichkeit 
239. 240: Neue Formen 201. 

Wespen, Samenbildung I50f (Fig. 132). 

Wicke, großblumige s. Lathyrus. 

Wildfarbe 232. 26^ 2Ö7. 

Wilson, Heterochromosomen io.s, 345 ; 
Geschlechtsbestimmungshypothesen 
345. 354 



Winklers Pfropfbastarde 183. 
Wolterecks Versuche mit Cladoceren 
176. 200. 202* 

X-Element 345^ 353- 
Xenien 18J, 1Ä2. 
Xylocopa 33Q- 

Yankeesierung i67. 
Y-Element 347. 353- 

Zahlenkonstanz der Chromosomen 112. 
Zea s. Mais. 

Zeichnung der Tiere 361. 

Zellenlehre 29^ 

Zellenstaatlehre 29. 

Zellteilung, Theorie 4JL 
: Zelluläre Organisation 54. 
1 Zentralkörper 46. 

Zentralspindel 47. 

Zentroepigenese 207. 

Ziegler, JtLE., Amitosen 49; Chromo- 
somenhypothese 332. 335. 
. Zoogonus 3 Jb. 

■ Zuchtwahl. Grenzen der künstl. Zucht- 
wahl 298 ; Beschleunigung der Zucht- 
wahl 301. 

Zuckererbse, Xenien 181, 186. 

Zugfasern 48. 

Zurückdifferenzierung der Zellen 103 ; 

Z. der Artmerkmale 171. 175. 
Zusammengesetzte Charaktere 26". 
Zwerge, menschliche 147. 
Zwillinge 332. 
Zwischenrassen 296. 
j Zygote iL 223. 



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80m-7.'12 



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. _ CK e r,V, 1 I BIOLOG Y 

Allgemeine yererbtmgslehreJT 0 ^** 

SEP 1U U>|* 





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