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Full text of "Rom in wort und bild. Eine schilderung der ewigen stadt und der Campagna"

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ROM IN WORT UND 

BILD: EINE 
SCHILDERUNG DER 
EWIGEN STADT UND 
DER CAMPAGNA 




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ROM 

IN WORT UND BILD. 



ERSTER BAND. 



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ROM 



IN WORT UND BILD. 



HINK SCHILDERUNG 

DER EWIGEN STADT UND DER CAMPAGNA 

VON 

RUDOLF KLEINPAUL. 

'/ 

ERSTER BAND. 

MIT i 7 - ILLUSTRATIONEN. 

LEIPZIG 

HEINRICH SCHMIDT & CARL GÜNTHER. 
1882. 



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SEINER MAJESTÄT 



König Albert von Sachsen 



IN TIEFSTER UNTERTHÄN1GKEIT 



GEWIDMET 



RUDOLF K LI CIN PAUL. 



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Alma parcns hominum, populorum magna sacerdos, 

Lucida militia, relligione, fide: 

Bis suprcma globi regina, bis arbitra terrae 

Et nostri sedes scilicet imperii: 

Roma, caput mundi, vetus orbis domna rotundi, 

Tot confessorum sanguinc rubra pio: 

Urbs sacrata diu mortalibus imperiturae 

Saxoniac Regem rite salutat: Ave! 



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\ 



VORWORT. 



Schritt beflügelt und uns einen der vielen Wege 



mächtiger Name wie Dunnerrollen unser 
ohne die Schauer der 



Wir sind m Rom ; ein Genius hat unserr 
die nach der Welthauptstadt fuhren. 

Ist das jenes Rom, das eine WeJt in sich 
kindliches Ohr und die «wachend« Phantasie betäubte, das wir 
Unendlichkeit zu fühlen? — 

Ist das Rom, die Niobe der Nationen ; ist das Rom , die grosse Karawanscrai der Christenheit , ist das 
Rom. das Aachen Italiens, die Krönungsstadt und das ruhmvolle F.rbtheil unserer deutschen Kaiser! — 

Ist das die ewige, die heilige, die Sicbcnhugclstadt ? — 

Ja, sie ist's! Sie liegt vor Gott in ihrer Majestät und Grösse; eine himmlische Luft zieht belebend in 
unsere Brust, eine urwüchsige Vegetation heisst uns erstarken und gesunden, blaue Berge umkränzen duftig und 
sanftansteigend das weite Blachfcld — und ein milde*, überirdisches Licht blüht über den sieben Hügeln, verklärt 
die schweigenden Ruinen und die hemmstehenden Marmorbilder, weckt in uns eine nie geahnte Stimmung von 
feierlicher Ruhe, von andächtigem Gebet, von ernster SabbaUtille. 

Es ist, als lernten wir hier erst unsere Erde und unsern Himmel kennen — als seien wir wie Kinder auf 
einen Stuhl gestiegen, um naher am Angesicht der unendlichen Mutter zu stchn und sie m erlangen mit unserer 
kleinen Umarmung. 

Und wie Kinder ruhen wir am Herzen der grossen Mutter, spielen wir mit ihr, laufen wir in ihrem 
Hause umher, horchen wir auf die Geschichten, die sie uns erzählt, entzucken w ir uns an den Bildern, die sie vor 
uns ausgebreitet hat 

Das alles dringt auf uns ein — Altes und Neues, Zerbrochenes und Ganzes, Vergangenes und Umge- 
wandeltes, Heiliges und Profanes — das Leben der Göttin und ihr ungeheures Dasein umbraust uns wie ein Meer, 
verwirrend, berauschend, hinreissend, überwältigend, 

Wie fangen wir es an. einige Ordnung hineinzubringen und diese Flut von Kindnicken zu bemeistern 
und zu dämmen! — 

Da begegnet uns ein ehrwürdiger Greis, ein alter Romfahrer und deshalb von den Italienern Romeo 
genannt : der giebt uns aus dem Schatze seiner Erfahrung einen guten Rath. 

Er sagt : Liebe Kinder, seht euch alles an , wie es eben kommt. System ist von Ucbcl in Rom ; da 
läuft alles durcheinander, das musst ihr nicht künstlich auseinander nehmen wollen. Denkt an den nachtlichen 
-Sternenhimmel uml seine Pracht : da giebt es Sterne, deren Licht Jahrtausende braucht, um zu uns zu gelangen, 
andere, die wrr nach Jahrzehnten und noch andere, die wir fast in demselben Augenblicke wahrnehmen, wo sie 
erscheinen. Und doch sehen wir sie alle auf einmal und sie bilden für uns alle zusammen ein grosses uner- 
messüches Sternenzelt, wie die Kinder und die Greise, die Jünglinge und die Männer eine einzige bunte Gesell- 
schaft für uns bilden- Kennt ihr den hellen, rothlichen Fixstern in der Nähe der Plejadcn? Wenn wir unsere 
Augen aufschlagen und sein glänzendes Licht bewundern, kann er vielleicht langst untergegangen sein, denn die 
Reise, wdche ein Strahl von ihm zurücklegt, dauert an siebzehnhundert Jahre , und doch freuen wir uns seiner, 
als begrusste uns ein trauter Zeitgenosse. Solche Sonnen und solche Sonncnwciten finden sich auch in Rom: 
bald sind es Aeoncn, dass eine Steile und eine Ruine wie ein Sternbild geleuchtet hat, bald nur ein paar Momente. 
Aber in der Gegenwart und im Augenblicke flicssen die alten und die jungen Strahlen zu einer Glorie und zu 
einem Kranz zusammen : ich bitte, zerpflückt sie nicht , die blühende Himmelsrose und lasst Rom sein Antlitz, 
das tausendfaltige, das ewig w rchselnde, das allgegenwärtige, lebt wohl ! — 

Wie wir nun die trefflichen Worte in unseren Herzen bewegen, begegnet uns ein anderer Romeo und 
giebt uns abermals einen guten Rath. 

Er sagt : Ihr musst methodisch zu Werke gehn. Ei, meine Kinder, Rom zu scheu ist ein grosses Glück 
für euch ! Also nutzt dieses Gluck recht aus. Macht euch eine Einthcilung und durch den Kör)>cr der Stadt wie 
durch ein Gebirge verschiedene Qucrdurchschnitte. Auf diese Weise gewinnt ihr Profile, durch welche die Structur 
und Mächtigkeit der historischen Schichten bloßgelegt wird. Unten fangt ihr an: da lagert klar und stark wie 
estdn das cJassische Altcrthum. Es zerfallt in drei parallele lagen, die kostbare Versteinerungen 
in der obersten entspringt glcissend die goldene Ader der christlichen Religion. Weiter hinauf gewinnt 
Petrus völlig die Oberhand; es entsteht ein secundaria Gebirge, reich an Todtücgcndcm : daran schlicssen sich 
kalkige Niederschlage und jüngere Krupttvgebilde. So hauen sich über einander und stetig wachsend die Formationen 
auf, bis endlich die verwitterte, zerfressene, von Thälern durchfurchte, selbst in ewiger Wandlung begriffene Kruste zu 
Tage kommt, die zu guterletzt vom italienischen Basalt gesprengt und durchbrochen wird. Jede dieser Formationen 
musst ihr für sich betrachten und auf ihre Fossilien und ihre Pctrefacten prüfen, dabei wie gesagt mit der ältesten 
und mit der jüngsten schlicssen. Rom ist ein Bild der Erde: Glück auf! Treibt in Rom Geognosie. 



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Aber wahrend wir wieder über diese Methode nachdenken, begegnet uns ein dritter Romeo und Riebt 
uns einen dritten guten Rath. 

Kr Mag! : Meine jungen Freunde, Rom ist wie das Meer; seid ihr wie Seeleute, die seine Tiefen messen, 
»«gleich oberflächlich und gründlich, frisch und staubig und mit einer blendenden Körnt über bodenlose Wege 
täuschend Ihr fahrt lustig auf der Überflache — sie ist eben und spiegelglatt : aber der Meeresgrund bald näher, 
bald entfernter. Bald ist das Wasser so tief, dass ihr den Moni Rlane oder den Chimbarazo hineinwerfen konntet 
und die Wogen sich über ihnen schlissen . bald ist es so flach, «las* ihr es mit euren Armen abreicht. Nun nehmt 
ihr eure Sonde zur Hand und lasst das -Senkblei an der Leine in die Tiefe gleiten : es geht richtig zu Hoden und 
steigt langsam wieder in die Höhe, alle Tiefenschichten stetig und der Reihe nach durchbohrend. Ob zweitausend 
Kaden oder nur zweihundert gclothct werden, das Niveau des Meeresspiegels bleibt darum doch dasselbe, ohne 
örtliche Anschwellungen, der idealen Flache gleich, welche entsteht, wenn wir uns den Meeresspiegel unter den 
Gcbirgsmasscn der Erde fortgesetzt und die letzteren gleichsam abgeschnitten denken: Ihr sitzt in eurem Sehifflein 
und schickt euer Tiefloth abwärts an einer Stelle nach der andern und habt gleichsam ein Gebirge von Wasser 
unter euch, das mit ungleichen Gipfeln den Meeresboden ausfüllt, aber dessen breiten Rücken nur Sonne und 
Mond durch ihre Anziehungkraft verändern oder ein spielendes Lüftchen kräuselt. 

Das Meer ist die räthselhafte Ewigkeit, die Rom umgiebt ; der Meeresgrund ist der classischc Boden, 
über den sie lautlos ebbt und fluthet ; der Meeresspiegel ist die Gegenwart, in der ihr ankommt. 

Und die Faden, nach denen die Tiefe gemessen wird, sind die Zeiten und die Perioden Roms : sie haben 
kein Ende, sie haben kaum einen Anfang, sie thürmen sich immer hoher, und Jedes Gestern verschwindet unter 
einem Heute, das wiederum vom Morgen überdeckt wird. 

Die älteste Zeit bespült den jungfrauliclien Meeresgrund. Das Ist das antike Rom : es hat das Hwipt- 
bassin geschaffen und angefüllt. Auch die nachstürzenden Fluten hiihlen sieh ihre eigenen Becken aus : sie nehmen 
ihren Weg in die Campagna , sie verbreiten sich über das Marsfeld , sie clringen Ins auf die rechte Tfberseitc ; 
und die Ticfscc erhalt sich stellenweise rein und unvermischt, dass wir ihre krystallrnrn Wogen bis auf den 
heutigen Tag mit unserem Kiel durchschneiden . zum Beispiel am Palatm Aber gewöhnlich laufen die jüngeren 
Strome über die Spiegel der alteren Gewässer und bleiben wie Ocl über ihnen stehen oder berühren sich mit 
ihnen und tauschen sich aus und bilden ein wunderbares Amalgam. Ist nicht unser Meer wie ein Gebirge aus 
Schichten zusammengesetzt unil ruht nicht ulier dem Ocean die Luft, ein anderer Occan? Wer oben üi) Aethcr 
schwämme und sich gleich einem Taucher herunterliesse , bis er zu den Korallenriffen und den Ungeheuern der 
traurigen Ocdc tief unter dem Schall der menschlichen Rede käme, der vollbrächte eine Reise wie sie das Batho- 
meter des louristen in den Abgründen der römischen Ewigkeit zurücklegt. 

Wenn wir den Vergleich der Jahre mit den Maassen, die zu Tieflothungen dienen, beibehalten wollten, 
so könnten wir sagen, dass das römische Meer bis an dreitausend Faden hat - da wo es ha in die Urgeschichte 
I. atiums hinabreicht; dass es an zweitausend Kaden hat — da wo es bis ins christliche Alterthum lünabreicht ; 
dass es etwa tausend Faden hat — da wo es bis in die Aera Karls hinabreicht ; und dass es nur zwölf Faden 
hat — da wo es in's moderne Italien hinabreicht 

Aber es ist nicht gesagt, dass es nicht auch eine Tiefe von vielen tausend Faden haben könnte, wo 
eben die italienische Strömung herrscht, weil dieselbe ihre empörten Wellen wohl über das Urmccr und über 
alle Tiefcnschichtcn zusammen treiben kann. 

Wäre ich nun wie ihr, ich kundschaftete die Stellen aus, wo das Meer ungefähr die gleichen Faden hat, 
und misse zuerst die tiefsten , dann ginge ich Schritt für Schritt oder Seemeile um Seemeile zu den flacheren und 
endlich zu den flachsten. Dabei habt ihr den Vortheil . einen festen Ausgangspunkt zu besitzen und zwar den 
allernaturlichsten: den, wo ihr eben seid. Ihr braucht nur an Bord zu gehn und die Segel aufzuhissen. Es ist 
eine lange Reise: die Götter geleiten euch; fahrt wohl! — 

Das ist die Methode, nach welcher wir im gegenwartigen Werke haben fahren wollen. Wir sind auch 
in Rom, wenn nicht der Wirklichkeit so doch der Einbildungskraft und dem kunstvollen Bilde nach — dem Bilde, 
welches einem Gegenstände nicht ferne steht der selbst tin Bild ist, und welches, seiner Klarheit und Deutlich- 
keit wegen, einem schwer erkennbaren Original nicht selten vorzuziehen ist. Die ewige Stadt wirft gleichsam ihre 
S< hatten in unser.' enge Zelle. Nun diese Schatten zu ordnen erfordert genau so viel Ueberlegung als eine Reise 
nach Rom und ein liebevolles Studium an Ort und Stelle ; und da haben wir eben von der Gegenwart ausgehen, 
aber uns in der Gegenwart, ohne sie zu verlassen und ohne je mehr aU einen einzigen Punkt >> flomi zu nehmen, 
analog dem blciscnkcndcn Seemann vertiefen wollen, das topographische und historische Verfahren combin.rcn.l. 
Und sie senkten den Bleiwurf ein, heisst es von den Schiflfslcuten, so I'aulum gen Rom fuhicten, in der Apostel- 
geschichte, und fanden zwanzig Klafter tief, und über ein wenig von dannen senkten sie abermal. und fanden 
fünfzehn Klafter. Wir sind Nachkommen Pauli, wir haben sein Loth gefunden : luthen wir in Rom selbst 

B.tll*.Lel P il|, Z4- J.ni IM*. Kudolf KldlipiiUl, 



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INHALTS-VERZEICHNISS. 



ERSTER HAUPTTHEIL. 

Wanderung durch das antike Rom. 

Das Forum. Mu 

Erster Anblick — Das Forum, der Marktplatz und die Ding9tatt des alten Rom — Buden und Rathhauscr 

Tempel und Gefängnisse — Triumphieren und Khrensaulen I 

Die Velia. 

Hin Tempel, der in eine Kirche verwandelt w orden ist — das Tcmplum l'aos und die Constantinsbasilica — 

Der l'orticus der Octavia — der Triumphbogen und der Triumphzug des Titus 20 

Palatium. 

Rerniniscenzen an Roinulu» uml Remus und die viereckige Stadt — Besuch im Eltemhause des Kaisers 
Tiberius — Augustus macht einen Palast aus dem Palatium — Gastmahl Domitians in der Domus 
Flavia — Einfalle müssi^er Pagen im kaiserlichen Pagcninstitut — die Ruinen vom Palast des 
Scptimrus Severus 30 

Das Thal des Colosseums. 

Tempel der Venus und Roma — Colossus, Colysaeus und Colösseum — Besteigung der oberen Stock- 
werke des flavischen Amphitheaters — Gladiatorenspiele und Thierhetzen — Plan. Maasse und 
Einrichtung des Colosseums — Zerstörung, Ausbeutung und Wiederherstellung des Gebäudes — 
Der 1 riumphbogen Constantins 56 

Die südlichen Thäler der Stadt. 

Auf die appische Strasse — Abstecher auf den Caelius — Die Thermen des Caracalla — Der grosse 
Kirchhof der alten Römerwelt — die Grotte der Egeria, das Grabmal der Caecilia Mctella und 
der Circus des Maxentius — Pancm et Circenses — Ruckkehr über die Via Osticnsis und durch 
das Paulsthor — die Pyramide und der Scherbenberg — Partie nach dem sogenannten schonen 
Ufer und der Mundung der grossen Kloake — der Rindermarkt und das Vclabrum 77 



Die nordöstliche Hochebene. 

Configurat.nn der siel>en Hügel — Wall uml Mauern des Servius Tullius — Sprung auf die Carmen und 
Besuch der Titus -Thermen — Die Ruinen des Esquilin — die Diocletians . Thermen auf dem 
Viminal — der Quirinal und die Kolosse von Monte Cavallo " .... 100 

Das Marsfeld und die kaiserlichen Fora. 

Der Tum- und Excrcicrplatz des alten Roms — Gnomons und Mausoleen — das Gcrichtsvierlel lies alten 
Rom — die Säulen des Traj.tn und des Marc Aurel — das Pantheon oder der AUgöttertempel 
des Agrippa , ein Abbild des Himmelsgewölbes - die Gruppe des Pasquino und die Pasquinaden 1 1 4 

Das Capitol. 

Marfono — Topographische Uebersicht über das Capitolium und seine Hciligthumcr - Es ist nur ein Schritt 
vom Capitol zum tarpciischcn Kelsen — Die Reitersutue Marc Aurel's, der bronzene Gast Ron» 
— das Capitolinischc Museum — Schluss der Wanderung durch das antike Rom 13 3 



V 



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ZWEITER HAUPTTHEIL. 

Wanderung durch das altchristlicho Rom, 

Santa Maria In Ara-Celi. .„.. 

Die tiburtinischc Sibylle zeigt dem Kaiser August ms den künftigen Wcltbchcrrschcr — der Altar des 
Himmels und die Kirche, die sich über ihm erhebt — die christlichen Basiliken, ihre Entstehung 
und ihre Hinrichtung — Christus, Petrus und Rom Ijl 

Santa Purtenziana und Santa Prassede. 
Der Apostel Petrus wird in dem Hause des Senator l'udcns aufgenommen — Praxedis und Pudentiana, 
seine beiden Töchter — die alten Pfarrkirchen und die Cardinälc. ihre Glockenturme, ihre Tri- 
bünen und ihre Mosaiken - das F-rbbegralmiss der Familie Pudcns 163 

San Paolo fuori le Mura. 

Paulus in Rom — seine Hinrichtung und die Abtei der drei Quellen — seine llestattung und die Theodo- 
sianische Rasilica — die neue Paulskirche und der Kreuzgang des anstossenden Mcncdictinerklostcrs 
— die Mutterkirche von San Paolo fuori le Mura. Santa Maria in Cosmedin 178 

San Clement«» Romano. 

Gemens Romanus, der apostolische Vater — sein Elternhaus wird in eine Kirche verwandelt, wahrend er 
selbst in der Verbannung stirbt — die alte und die neue liasilica oder die Ober- und die L'ntcr. 
kirchc von San Clcmcntc — Darstellungen aus der Hcilsgi-j»chichte, der Legende de» heiligen 
Clemens und andern Legendenkreisen if?9 

Die Callistus- Katakomben und die heilige Caecilia. 

Abermals auf die appischc Strasse — Domine quo vadis? — Zurück nach Trastcvcrc — Kirchc und 
Legende der heiligen Caecilia — Zum drittenmal auf die appischc Strasse — System, Einrichtung 
und Ausschmückung der allchriMlichen Friedhofe — Christus als Orpheus, der Pfau ein Symbol 
Li,;: '.;i.;,-,.;l>iiilütit . , , . 1 1 1 1 . 1 1 1 1 , . 1 1 . . , , . . , ■ 1 . 1 20& 

Santa Maria in Domnica und San Lorenzo fuori le Mura. 

Inschriften in den Katakomben, Sprache und Form — Dominica, die lateinwehe Cyriaca - ihr Haut und 
die Amtswohnung des Archidiaconus — das Martyrium des heiligen Laurentius — sein Grab und 
seine Kirche in der Campagna 112 

Sant' Agnese fuori le Mura und die Agnese-Katakomben. 

Legende dg heiligen Agnes und ihr Zusammenhang mit Agnu.>, Lamm — der Friedhof, der sich an ihre 

Gruft anschlicsst und angebliche Katakombenkirche — Christus als guter Hirte 228 

San Gioyanni in katerano, 

Santa Gr»«« in ücrusalemmc. — Santa Maria Maggiore, 
Conxtantin der Grosse «rhtrbt d;is nihstentrium zur Staatsrc'.igion und räumt dem HUchot" Mclchiadcs einen 



— Omnium 


urbis et orbis ecclcsiarum matcr et Caput - 


- Episode 


aus der Zeit Innocenz III — 


Gestalt, die 


dcr.t 1 .-,tfrr.nji'.it« Sixtus V. gegeben hat 


— Scene 


aus der heutigen Zeit : das 


johannisfest 


profane und iLls christliche Mii--.euni ( 


les Lateran 


Sophocles und der heilige 



Iii: polytus 23; 



~ — m-— : 



Verzeichniafl der Tafeln. 





Vit« 






Stil« 


IXe Hauten Caligula's: Reste seiner Brücke . . T 






•3° 


Tempel de» Vespasian und des Saturn auf dem Koruni 


4 






150 




8 


Treppe tu S. Maria in Araceli . 




'5' 


Gcsarumtbild des Forum Romanum ...... 


I 2 


Tribuna und Mosaiken von SS. Com 






Die Balustraden det Rcdnerbuhnc auf dem Forum . 


to 






■ 7» 




M 


Die alte Paulikirrhe; a! Triurnphla 


>gen und Aptif, 




Der Triumphbogen des Titus auf der Via Sacra . 


>8 






180 




3* 


llasilica di San Paolo fuori le murj 




181 


Plan der Ausgrabungen auf dem Palann .... 


36 






191 


Klick durch den Titmbogen auf da» Thal des Co- 




Hochaltar von Santa Cccilia in Tri 


stevere . 


21 2 




$« 


Die Papstgruft in den CaMstus-Ka 




Ji6 




60 


Deckengemälde aus den Calltstu». Katakomben 


»18 




68 






IzO 




7* 


Confenion von S. I.orcnto fuori 1c 


mura .... 


tat 




76 


Tabernakel Uber dem Hochaltar von 


S. Lorcnio fuori 






80 






•M 




84 


Der Ambon des Evangeliums in San Lorenzo . . 


22b 




96 


Alte Malereien aus den Katakomben 


von Sant' Agnese 


*}» 


Üdysseiu in der Unterwelt, Wandgemälde vom Ei- 




Fatade von Santa Mana Maggiore Sant r Antonio 






108 








Montc Cavallo oder Piaira dcl Quirinale .... 


III 






»44 




tJO 


Zwei frühchristliche Sarkophage . 




146 




176 


Sanctus Hippolylus, sitiende Statue 




Ml 



Verzeidhniss der Text -Illustrationen. 



Die westliche Seite des Forum mit dem Capitol . 


1 




•i 


Das Forum in seiner C 




3 


Die Spottes des Jemsalctner Tempels, Sculpturen 




Der V'espaslantctnpcl un< 


1 der Porticus der 1 2 Götter 


5 




26 


Der Concordia-Teropel reslaurirl (nach Caninai . . 


7 


Der Zug des Triumphalen, Sculpturen vom Titusbogen 


*7 




9 




30 


Der Carcer Mamertinus 




10 




3> 






1 1 




34 


Der Faustinatcmpcl 




■3 


Grundpinn des Haukes der Livia auf dem Palatin . 


.5 5 






'4 




37 






'S 


Wandgemälde des Tablinuins im Hause der Livia . 


.19 


Der Tempel dci Romolu 


s, jetit SS. Cosiua e Damiano 


:a 


Haus der Livia: Linker Flügel des Tabknums . . 


4' 


Die Constantinbasilica 




22 




4 3 


Hauptbagen der Consta. 




»3 




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VII 



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Marroorgclandcr der Brücke Caligula'» 46 I Seiteneingang tat Kirche S. Maria in Ara-Celi . . m 





1 V 




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.58 


Der Crrptoportkus 


49 


Obere Gallerie des Kreuxgangs von S. Maria in 












\nvi,-h; ,i c <. PaUrin und dr; ('in i: ■ Mixirr.ns 




Hethitern- t nrr.ilf.n- im kln.lrr enn S Maria in 




Pfcilerhallc und Exedra des Stadium Palatium . 


jj 


Ara-Celi 


\f>9 


Antike Treppe im Palast des Septimius Severus . . 


SS 


/ , V r irn -n in', k'lr.srr-r vnn S \lni. in Wl ( ( Ii 


lit 


Inniii- Ansicht Jw Cfilnwum« , , , , , . 


62 


Altes Port.i) ' i Santa Pudcn/iana 


,6 1 




"i1 


Apsis und Mosaiken von Santa PudenaiaM . 






-i 


Kloster und Clni lti-.ilrii.rm vmi Sann Pudiniiana . 


1'. 1 

LH 
LU 


Durchschnitt und Aufrtsi i)h Colnstcums .... 


60 


Innern vi» Santa Pnmuli- 


Gladiatoren, nach einer altrOreischen Malerei . . . 


71 


Die Capeila della Colonna in S. Prassede .... 




19 


■Mir- \ljlrr.-i mit Arn l'nq j| i. k~ iHtimilwn . . . 


LLS 
'77 










8 1 




187 




S6 


Vcsübulum und Haupteingang von S. Gcmcnte . . 


190 




87 




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»95 




95 




107 




97 




'99 


Sogenannter Tempel iler Furtuna Viriii* .... 


00 




aoo 


Wall de* Senilis Tulliu» 


191 




101 




■0» 




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10 S 


S. f1«rn>nti. ■ WirenVr am Hralw» «Ii.« h-il fl-m-r..; 


30i 


Die Reservoire der Tituathermen 


106 


Legendariichc Darstellungen in der Untctkirche von 




107 




20S 


Soiretianclcr !t»i;icl der Minerva Medica . . . . 


100 


S Cl-.-lilcl.tL-: l.a;i:i .L i]._-. ni-lht;. :! Aie.Miu 


_ u 


Innerei des Temixls der Minerva Medica 


1 10 


S. demente 1 Legende des heiligen l.ibertinus . . 


:-l 


Die Dioakuren auf Monte Cavallo 


112 


Eingang au den Callistuskatakomhen ..... 


2 a 9 


Der Genius des Mörsfelds mit dem Gnomon . . 


1 1 s 


Vorhalle von Santa CVr.ilia in Traitevm .... 


; 1 j 


Tempel des Mars Ultor auf dem Forum des Augustus 


... 


Valerianua nnd Caecilia, Mosaik in Santa Cecilia in 




Das Forum des Nerv« — Lc Colonoacce .... 


119 




1 ; 1 


Säule des Marc Aurel 


laa 


Die heilige CacciJia. tnodellirt von Stefano Madeno 


an 


Sogenannter Tempel dea Antoninru Pins .... 


•M 


CaUistuikatakombcn 1 Der Todtengriber Diogenes 


'Ii 


Du l'au1l'.eii:i , . , 


IM 


> M.ul.i 11 irasn.".i>. . . 


»■S 


Ua* Innere de» Pantheon (Ursprüngliche Anlage 


"S 


Chriatua all Orpheus. Malerei aus den Calhstus- 






11g 




"7 


Die Vorderseite des CapitolsplaUes mit den Dioskurcn 


'.14 


Die drei Maurer im icunir.cn Ofen Malerei :ius den 






•IS 


Canistutkalakombcn 


"1 


Der Capitolaplatz links vom Senatorrnpalasl gesehen 






"S 


Da» Capitol : Frc: treppe des. rtenatoreupalastes reit 




Laurentius-Medaille 






«M 


Kremgang des Kletten S. Ijorenru fuori le mura . 


"7 




M» 




310 


Der Satyr des Praxiteles im Cauitolinischeo Museum 


«4.t 


Die heilige Agnes. Mosaik in Sant' Aenese . . . 


».1« 




'44 




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■45 


Arcosolium in den Katakomben von Sant' Agnese . 


SU 


Marius — Die j innere Agrippina, Mutter Nero's 






»J7 




■4« 




».«•> 




'47 


Piazza di S. Giovanni in I-atcrano 


>4' 




M» 


Die heilige Treppe (SS. Sahatore deJIe Sole Sante) 




Tauben auf einer Wasserschale 1 Mosaik 


«49 




HJ 


Qaerxchiff und Aml>onen von S. Maria in Ara-Celi 


«1« 




»44 


Haupiemgang der Kirche S. Maria in Ara-Celi . . 


■5.1 


Antike Sutue des Sophoklea Im [ airran-Miiseuisi 


-'47 



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IHr wpj liehe Sdte des r'otuen out tlera Cipüol, in ihrer jem£en CwUli, im Vunlrrpttwlc dl« Knie der Pwilio Jvlio. 



ERSTER HAUPTTIIK1L. 

Wanderung durch das antike Rom. 




Forum. 
L 

Abhang eines steilen Hügels, der durch eine Einsattelung in zwei Gipfel zer- 
legt und dessen ungleiches Areal mit Palästen, Klöstern und Statuen bedeckt 
ist, stehen wir; rechts gegenüber erblicken wir einen amiern, viereckigen Berg, den 
ein Chaos von Ruinen und blühende Gartenanlagen überkleiden; und in der 
Tiefe dazwischen liegt in grossartiger Verwüstung, rings einstürzend und von öden Brand- 
stätten umgeben, der ausgestorbene Marktplatz einer alten Stadt. Er ist wie gekehrt; 
kein Hauch von Leben regt sich in dieser Welt von Trümmern; nur hier und da lehnt 
ein fremder Pilgrim sinnend an einem kunstreichen Gebälk, einer eingerissenen Marmor- 
wand, während über ihm auf den drei Säulen die drei Sibyllen sitzen, und die Sajjc 
unsichtbar und riesengross durch die verlassenen Hallen schreitet Wie wird uns? 
Welch ein heiliger, ehrfürchtiger Schauer fasst uns an? Der Abhang, auf dem wir 
ist der capitolinische , auf jenem Ber^e erhob sich das alte Palatium, und dieser Platz 
Forum. 



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O, sei gegrüsst. du ehrwürdiger alter Marktplatz, in deinem schauerlichen Ruin, in deiner 
«lüstern Grösse! Wagen wir's, zu dir hinabzusteigen? Darf der Sohn einer neuen, glorreichen 
Zeit die Steine betreten, auf denen Riesen wandelten, über die der triumphirende Feldherr die 
Nationen schleifte, wo die Catonen und die Caesaren ihre Fusstapfen zurückgelassen haben? — 

Noch hallt der Donner der riceronianischen Bcraltsamkeit von den zwiefachen Rostris 
wieder, das erstaunte Rom hinreissend; noch tagt eine brausende Volksmenge, gleich einem 
aufgewühlten, launischen Meere auf dem Comitium; noch richtet sich angesichts dessellten der 
Leichnam mit der dreiundzwanzigfachen Wunde geistergleich und dämonisch vom Todtcnbettc 
in die Höhe, und die Flammen seines Scheiterhaufens steigen wie Brandfackeln himmelan, mit 
denen der Triumvir das Weltreich entzündete. 

Grosser, grosser, welthistorischer Platz, wo jeder Stein zu uns spricht! — Die ungeheure 
Wirkung, die Rom auf die Menschheit ausgeübt hat, klingt noch heute nach: es lebt Niemand 
auf Erden, dessen Dasein durch diese Stadt nicht näher oder entfernter, directer oder indirecter 
berührt worden wäre. Nun , gleich wie Rom die Welt elektrisirt , so das Forum Rom : denn 
das Forum ist gleichsam ein Rom in Rom, wo sich die Adern des Reichs als in einem Herzen 
sammeln, wo der „L'mbilicus Romae" aulragt, wo derlleerd des Staates gegründet ist und das heilige, 
unverlöschliche Feuer der Vesta brennt - es ist auf kleinstem Räume das grösste, vollständigste 
Bild der Weltgeschichte, vor dem die hohe Sonne, wenn sie in ihrem täglichen Laufe vorülier- 
kommt, trauernd anhält, denn wie der melancholische Hirtc klagt, der hier auf dem ( amjio- Vaccino 
in Ziegenfelle gekleidet an einem Wagenrade lehnt. Rom ist nicht mehr, wie es einst gewesen: 

Roma ! Roma ! Roma ! 

Roma non e piü come era prima. 

IL 

Das Wort Forum bedeutet soviel wie Marktplatz, den Ort, wo die Wochenmärkte (nundinae) 
abgehalten und die unentbehrlichen, schnellem Verderben ausgesetzten Nahrungsmittel, wie frisches 
Gemüse, rohes Heisch, Fische, Eier, Milch den Consumenten dargeboten werden. Es ist dies 
ein wesentlicher Bestandteil aller Städte, die gleichsam aus Marktflecken hervorgehen und daher 
oft genug sogar ihre Namen von diesem Lokal entlehnen: Wie wir Städte Namens Marktbreit 
oder Neumarkt haben, so gab es im Alterthum ein Forum Julii, das heutige Friaul, ein Forum 
Iivii, das heutige Forli, und zahllose Fora nova. Ja, mit der zunehmenden Ausbreitung einer 
Stadt entstehen sogar in derselben mehrere Märkte. Zu dem Altmarkt tritt ein Neumarkt, 
ein Kohlmarkt, ein Viehmarkt, ein Grempelmarkt hinzu; ebenso sprachen die Alten von einem 
Forum boarram, d. L einem Rindermarkt, einem Forum suarium, d. i. einem Schweinemarkt, 
einem Forum piscatorium, d. i. einem Fischmarkt, und einem Forum olitorium, d. i. einem Gemüse- 
markt IX-r alte Hauptmarkt aber gab zugleich die natürlichste Stätte zu Volksversammlungen 
und Gerichten her: Mitten auf dem Forum wurden also die Comitien oder die Bürger- 
versammlungen abgehalten, in welchen das gesammte, in seine Abtheilungen gegliederte Volk 
über die Gesetzesanträge abstimmte, und der Marktplatz war zugleich der Maalplatz oder, 
wie es mit einem andern altdeutschen Worte heisst, die Dingstatt. Nel>en diesen allgemeinen 
Versammlungen gingen wieder diejenigen nebenher, tlie ein Ausschuss der bejahrten Patrizier, 
der sogenannte Senat, in einem Rathhaus abhielt: dieses Rathhaus, vor welchem eine Kanzel, die 
Rednerbühnc, stand, hiess Curia und lag, wie gewöhnlich, abermals am Markte. Wie endlich bei 
uns in dieser Gegend die ältesten und bedeutendsten Kirchen zu stehen pflegen, ich will z. B. an 

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den Markt in Regensburg, in I lalle, den Gensdarmenmarkt in Berlin und an soviele Domplätze erinnern, 
die zugleich Marktplätze sind: also wurden an einem Forum die Tempel der (iölter und der 
alten Schutzpatrone, des Saturn, der Concordia, der Üioskuren angelegt, während man auf ihm, 
wie auf modernen Plätzen, für verdiente Bürger Denkmäler errichtete, l'nd so war denn ein Forum 
für die Nation etwa dasselbe, was das mit den Penaten geschmückte Wohnzimmer für die Familie 
— das bürgerliche lleiligthum des Volks. 

I Jas ungefähr sind die wesentlichsten Züge in dem Bilde , das hier noch kümmerlich und 
stückhaft vor uns liegt, und das zu reconstruiren wir uns eben irgend einen modernen Markt- 
platz vor Augen halten müssen, obwohl sich ihm sicher keiner an Pracht und Herrlichkeit nur 
annähernd vergleichen dürfte. Wenn wir jetzt von einem Forum reden, so pflegen wir dabei 
zunächst an Gerichtsverhandlungen und Volksversammlungen zu denken, und die Reste, mit denen das 
römische bedeckt ist, und die durchgängig sogenannten öffentlichen Gebäuden angehören, scheinen 
auch nur auf dergleichen forense Zwecke hinzudeuten. Aber ursprünglich war das Forum nichts 




Uli Va 



tu (rillet 4>Uiu|>criij«le 



weiter als der 
Marktplatz von 
Rom, zu welchem, 
wie es heisst, 
der König Tar<|ui- 
nius Priscus die 
Tiefe nordöstlich 

vom Palatin be- 
stimmte. Sie war 
noch ein Morast, 
ein schilfumwun- 
dener Sumpf, der 
erst zugeschüttet 
und trocken gelegt 
werden musste : 
der König that es 
durch ein unlcr- 

Bühne, auf der so erhabene und so weitreichende Dramen abgespielt werden sollten, in Wahrheit be- 
schränkt wie eine Bühne — abermals ein Beweis dafür, dass das, was die Geschicke der Welt regiert, 
nicht der planmässige Calcül, nicht die l>ewusst und regelrecht zugeschnittene Anlage- des Menschen- 
verstandes ist. Die abgezirkelte Symmetrie moderner Bauten, die mechanische Gleichförmigkeit 
Berliner und Pariser Plätze findet sich nicht am Forum der Welthauptstadt, das enger und 
winkeliger als der Leipziger Marktplatz war. Es bildete ein Trapez, das sich vom Capilolinischen 
Hügel im Nordwesten bis zur Höhe des Titusbogens, der sogenannten Velia im Südosten 
erstreckte: diese Strecke beträgt etwa 200 Meter, während die Breite am westlichen Ende zu etwa 
60, am östlichen zu etwa 35 Meter gemessen wird. Der leipziger Marktplatz, di r ebenfalls kein 
ganz regelmässiges Viereck ist, hat, von der Mitte je einer Seite nach der Mitte der gegenüber- 
liegenden und von Haus zu Haus gemessen, allerdings nur eine Länge von 153, aber eine Breite 
von 70 Meiern. 

An den beiden Langseiten dieses Trapezes Hess nun Tarquinius Priscus Hallen und Buden, 
die sogenannten Tabernae anlegen: die an der Südseite waren die älteren, sie Messen daher veleres. 
die an der Nordseite kamen später hinzu, sie Wessen daher novae. Besagte Colonnaden enthielten 
ungefähr alles, was wir in unsern Markthallen erblicken und was wir oben namhaft machten: Kohl 



irdisches Riesen- 
werk , die soge- 
nannte grosse 
Kloake, deren un- 
längst entdeckten 
Hauptarm man 
nach soviel Jahr- 
hunderten noch 
heute am Ostende 
des Platzes unter- 
halb der Basilica' 
Julia bemerkt. 
Der so gewonnene 
tiefe, künstlich ge- 
ebnete Platz war 
weder gross, noch 
regelmässig : die 



und Hülsenfrüchte, Gänse und < Ichsenfleisch — es war ein Fleischerladen am Forum, an welchen sich 
eine tragische Scene der Republik anknüpfte. Appius Claudius, der tyrannische Decemvir, hatte, 
auf seinem Richterstuhl sitzend, zu verschiedenen Malen ein schönes, junges, kaum erwachsenes 
Mädchen in eine Volksschule am Forum gehen sehn. Virginia, die Tochter Virginias', eines 
angesehenen Plebejers und die Braut eines Volkstribunen. Ihre naive Schönheit reizte den vor- 
nehmen Wollüstling, und er beachten sie in seine Gewalt zu bringen. Einer seiner dienten, Marcus 
Claudius, musste vorgeben, Virginia sei kein rechtes, sondern ein untergeschobenes Kind des 
Virginias, und zwar die Tochter seiner eignen Sklavin, die er, Marcus Claudius, als sein Eigenthum 
reklamire. Der Vorgang ist echt römisch und wird liewunderungswürdig von I.ivius geschildert. 
Keine Entführung, kein Betrug, keine offenkundige Gewaltthat ; »lern Frevel bleibt der Schein der 
höchsten Gesetzmässigkeit gewahrt. Ein Fremder, der den Grund der Intrigue nicht durchschaute, 
hätte in «lern Decemvir den gerechten, durch keine Rücksicht abgelenkten Richter bewundern 
müssen. Trotz der Schwüre des Vaters der aus dem Lager herbeigeeilt und in Trauerkleidern 
auf dem Forum erschienen ist; trotz der Drohungen des Tribuns und seines Anhangs; trotz der 
Tlllinen der unglücklichen Braut spricht er dem Marcus Claudius die Jungfrau zu und heissl ihn 
sich ihrer als seiner Sklavin bemächtigen. Da bittet «1er hoffnungslose Vater den Appius um 
die Erlaubnis*, noch irinmal, in Gegenwart seiner Tochter, die Amme befragen zu dürfen, tritt 
mit den beiden Frauen ein wenig abseits an einen Fleischerladen, ergreift ein Fleischcrmesser und 
stösst es Virginia ins Herz — die Rose brechend, ehe sie der Sturmwind entblätterte. Wir 
glauben die Emilia Galotti oder Mass für Mass zu lesen, und wirklich ist ja die Geschichte der 
römischen Virginia typisch für alle ähnlichen geworden. 

Jene Buden waren ursprünglich klein und hölzern, nach Art unserer Jahrmarktsbuden; später, 
etwa 290 v. Chr., wurden sie in Peperin und alletruskischem Style aufgeführt, und Luxusläden traten 
an die Stelle plebejischer Fleischbänke und Bäckereien. Sie heissen Silberhallen (argentariae 
tabernaeV und wir werden uns darunter einerseits Wechselgcschäftc und Bankhäuser, andererseits 
Werkstätten von Goldschmieden und Juwelierläden zu denken haben, in denen ein Gallus Air seine 
I.ycoris Ohrgehänge mit Perlen und einen bernsteinernen Halsschmuck kaufen konnte: diese neuen 
Arkaden müssen eine frappante Aehnlichkeit mit den Gallerien des Palais Royal oder mit dem 
Florentiner Ponte vecchio gehabt haben, wo bekanntlich ebenfalls ausschliesslich Schmuckwaaren 
und Luxusartikel vertreten sind. Als der Dictator Papirius Cursor im Jahre 309 v. Chr. über die 
Sammler triumphirte, wurden die erbeuteten goldenen Schilde den Juwelieren am Neumarkt über- 
geben, um damit ihre Läden zu decoriren ; sie lagen nämlich an der Strasse der Triumphatoren 
der zum Capitol hinaufführenden Via sacra, an ihnen zogen die Glücklichen vorüber, um sie 
erschollen die Danklieder der Erretteten. Endlich, um 197 v. Chr., verschwanden auch diese Peperin- 
hallen, nachdem sie ein Jahrhundert l>estanden hatten, daher sich der obenerwähnte Dichter Gallus 
wohl vergeblich nach ihnen umgesehen und einen unnützen Weg gemacht haben wird. Allmählich 
nämlich wurde der Platz für das mächtige Leben, das sich hier zasammendrängte, zu eng; man 
masste daran denken, das Forum zu erweitern und den Verkehr seitlich auszuladen. Dies geschah 
durch eine Reihe von Prachtbauten, die, griechisch und mit einem griechischen Fremdworte bezeichnet, 
in Rom eine ganz cigcnthümliche Ausbildung erhielten — die sogenannten Basiliken. Man versteht 
darunter grosse öffentliche Gebäude, deren Inneres grosse Aehnlichkeit mit einer alten Kirche hatte: 
Ein oblonger, durch zwei Säulenstellungen in drei Schiffe getheilterRaum, deren mittleres die grössere 
Breite hat und in eine Nische oder Tribuna ausläuft: dieser Theil des Gebäudes Ist von dem 
vorderen durch ein Gitter, gleich einem Chore, abgegrenzt, sodass ein reservirter und der profanen 
Menge unzugänglicher Raum entsteht; in demselben werden die Gerichtssitzungen abgehalten, 
hier wird plaidirt und processirt, während das Schiff dem Handel und Wandel und diu Geschäften 

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<l<:r Kauflcute dient. Die zwei Säulenreihen tragen überdies eint! Kmpuru oder eine Gallcrie, die vun 
Müßiggängern und neugierigen Zuschauern bevölkert wird, und wo man das bunte Gewühl beobachten 
und den Schwurgerichlsvcrhunülungcn folgen kann, ohne sieh seilet hineinzumischen. Hin Dach 
scheint nicht gewöhnlich, sondern das Ganze eine offene Halle gewesen zu sein. F.ine solche 
Basilica war also ein .Mittelding zwischen Hörst: und Rathhaus oder zwischen Börse und Gericht, 
und wohl mögen wir uns den fieberhaften Drang, das dumpfe Brausen solcher Orte vergegen- 
wärtigen, wenn wir die Pfcilerstümpfe der Bu-ilica Julia und die unkenntlichen Areale so vieler 
anderen aufsuchen. 

Denn das Forum bekam gleichsam einen breiten Saum von Basiliken. lJing.s der alten 
Buden liefen zu beiden Seiten Strassen, und an diese stiessen Häuser und Gründe von Privaten. 



letztere wurden expro- 
priirl, die Grundstücke 
angekauft und darauf 
Basiliken erbaut, die mit 
ihren I-angsciten Front 
gegen das Forum mach- 
ten: die Buden ver- 
schwanden , was noch 
von Viklualienhändlern 
da war erhielt andere 
Plätze, und der Haupt- 
markt war, ohne seine 
ursprüngliche Gestalt 
und Anlage zu ver- 
lieren, auf die geschick- 
teste Weise und sozu- 
sagen durch einen Kunst- 
griff um das Dreifache 
erweitert worden. Der 
alte Cato scheint den 
klugen Gedanken zuerst 
gehabt zu haben. Fr 
kaufte vier Stände in 
den Markthallen an der 
Nordseite und die 1 löte 




Der Vcs|Kuüu1cmi*t und Oer I' -rticu-. <lcr u Cutter. 



von zwei anstossenden 
Häusern an und erbaute 
im Jahre 184 die nach 
seinem Geschlechtsna- 
men benannte Basilica 
Porcia, die im Jahre 52 
gleich dem benachbar- 
ten Rathhause ein Raub 
der Flammen wurde ; 
179 folgte die Basilica 
Acmilia, 169 die Basi- 
lica Sempronia; endlich 
Caesar, der mit den 
meisten grossen Herr- 
schergeistern die Leiden- 
schaft zum Bauen ge- 
mein hatte, der ein 
neues Forum, das Fo- 
rum Julium ansetzte und 
einen Durchstich durch 
den, Capitol und (Juiri- 
nal verbindenden Rücken 
plante, um den Verkehr 
mit der im .Marsfeld auf- 
blühenden Neustadt zu 



erleichtern, er gründete nach der Schlacht bei Thapsus (46 v. Chr.) die grosse Basilica Julia an 
diT Südseite, die erst spät vollendet, dreimal durch Brand zerstört, dreimal wieder aufgebaut 
und, untergegangen und Jahrhunderle lang vergessen, im Jahre 1871 freigelegt ward: bei der 
Ausgrabung fand man die Reste einer Kirche, die in ihr errichtet worden war, und fast bis 
zum heutigen Niveau menschliche Gebeine; hier war nämlich der Kirchhof des anstossenden 
Hospitals der Consolazione (vgl. unsrr Bild S. 1). 

Sie war ein prachtvoller Marmorbau; noch jetzt sieht man geringe Reste der kostbaren 
Platten, mit denen der Fussboden getäfelt war, und auf denen die allen Römer nicht bloss Ge- 
schäfte abzuschliessen, sondern gelegentlich auch Dame zu spielen pflegten. Der Grundplan ist 
ein Rechteck von etwa 100 Meter Länge und halb so breit; dasselbe zerfällt nach einem abweichenden, 
aber grossartigen Plane in einen oblongen Mittelraum und einen denselben rings umschlicsscnden, 



zwiefachen Gürtel von Seitenschiffen, die durch backsteinerne, mit Travertin verkleidete Pfeiler, 
nach der Strasse durch dorische Halbsäulen gebildet werden; das durch Eisengitter geschlossene 
Mittelschiff vertrat die Stell«: der sonst üblichen Tribuna oder Apsis, denn in ihm fanden die 
Sitzungen des über Civilsachen urtheilenden Collegiums der Hundertmänner statt. Die Gallerien, 
auf denen das Publikum den Vorträgen folgen konnte, fehlten nicht, von den dazu führenden 
Trep|ien sind noch Ansätze an der Südseite erhalten. Hier lehnten sich ältere Bauten aus Tuff 
an die Basilica an, vermuthlich Wechslcrbuden, die sich nach der vorbeilaufenden Strasse öffneten. 

Steigen wir auch einmal auf so eine Galleric hinauf, einer Gerichtsverhandlung beizuwohnen, 
und machen wir einmal im alten Rom den Pflastertreter. O, die römischen Richter waren nicht 
lauter Catonen, sondern Menschen wie andere. Kin Redner entwirft uns von ihnen ein anmuthiges 
Charakterbild, aus einer Zeit, wo noch auf dem Comitium Recht gesprochen ward (c. i 70 v. Chr.). 
Er schildert sie, wie sie, sorgfältig parfümirt, noch unmittelbar vor der Sitzung bei Tische liegen, 
Würfel spielen und mit schönen Mädchen schäkern. Wie es zehn Uhr, d. h. nach unserer Rechnung 
etwa drei Uhr Nachmittags wird, schicken sie einen Sklaven auf's Comitium, der sich erkundigen 
soll, wie die Sachen stehen, wer für das Gesetz, wer dagegen gesprochen, und welchen Verlauf 
die Abstimmung der Tribus genommen hat. I Herauf entschliessen sie sich endlich aufzubrechen, 
damit sie ihren Termin nicht versäumen und die Geldbusse bezahlen müssen. Unterwegs sprechen 
sie, des süssen Weines voll, wiederholt in kleinen Anstalten ein, die im alten Rom genau so wie 
in den gegenwärtigen italienischen Städten eingerichtet gewesen sind. In etwas katzenjämmerlicher 
Stimmung kommen sie auf dem Forum an. „Die Sachwalter vor !" rufen sie; der Präsident lässt 
die Zeugen vorladen und gehl al>crmals hinaus, sich seines Ueberllusscs zu entledigen. Wie er 
zurückkommt, sagt er : „Schon gut, ich hat* gehört, gebt die Stimmtafeln ab." Kr will sie lesen, 
al»er die Augen fallen ihm zu, so trunken ist er. Nun ziehen sich die Geschworenen zurück, den 
Wahrspruch zufallen, aber dabei klingt es ungefähr so: — „Das verfluchte Geschwätz! 'Irinken 
wir doch lieber eine Bowle Meth und essen einen feisten Krammetsvogel oder einen Hecht, der 
zwischen den zwei Brücken gefangen ist!" 

Der Hecht, der im Schlamme der Tiber zwischen dem Pons sublicius und dem Pons 
palatinus fett geworden war, genoss einer besonderen Berühmtheit. 



Diejenigen Gebäude am Forum, die zunächst die Augen aut sich ziehen, weil von ihnen 
verhältnissmässig noch am meisten erhalten ist, und die mit ihren Säulen gleichsam die Wahrzeichen 
des Platzes bilden, sind die Tempel. Wir haben ihrer sechs: drei uralte, dem des Saturn, den des 
Castor und Pollux und den der Concordia; und drei jüngere-, verstorbenen und vergötterten Kaisern 
geweihte, den des Caesar, den desVespasian und den des Antoninus und der Faustina. Von ihnen stehen 
drei am Kopfende des Forums, arn Abhanjje des Capitolinischen I lügcls und unmittelbar unterhalb 
des antiken Staatsarchivs, des aus grossen Peperin<|uadern erbauten Tabulariums, dessen mächtigen 
Unterbau, vom Senatorenpalast gekrönt, wir auf unserm Bilde (S. 1) im Hintergrund erblicken: 
nämlich der Saturn-, der Vcspasian- und der Concordientcmpel ; drei andere am Fussende des 
Forums, nach der Velia zu: nämlich der Dioskuren-, der Caesar- und der Faastinatempel ; beide 
Reihen bezeichnen etwa die Schmälseiten des Forums, wie die Hallen vorhin seine Lan^seiten 
bezeichneten; durch die zwei mittleren, den Vespasianstempel oben und den Caesartempel unten 
könnte man allenfalls die Axe des Forums legen. Von dem Faustinatempel steht noch die ganze 
Vorhalle mit zehn Säulen und ein Theil der Cclla; von dem Saturntempel stehen noch acht 



III. 



6 




Säulen, von dem Vespasianstcmpel und dem Tempel des Castor und Pollux noch je drei Säulen; 
von dem Concordicntcrnpcl und dem Cacsartcm|>cl steht gar nichts mehr. 

Wir übersehen hierbei den runden Vestatempel, der südöstlich vom Caesartempel am 
Kusse dtis Palatin und neben der königlichen Amtswohnung des Pontifex maximus, des antiken 
Papstes lag, da wo jetzt die Kirche S. Maria Liberatrice steht. 

Der Temj>el des Saturn, (siehe unsere Tafel) dessen acht ionische Säulen, sechs vorn 
und je eine von der Langseite auf einem fünf Meter hohen L'nterbau, erst einer späten 
Restauration anzugehören scheinen, ist einer der heiligsten, ältesten und sozusagen römischsten 
von ganz Rom ; seine Stiftung wird in die mythische Zeit zurückverlcgt. Saturn war. nach einer aus 




Der Coocorilli • Tempel, restaurirt • ouh Cinina/. 



Aegypten bekannten Vorstellung, nicht nur ein Gott, sondern auch ein alter König von Latium. 
Die Sage erzählte, er sei nach längerem Umherirren unter der Herrschaft des Janus nach Italien 
gekommen, von diesem gastfreundlich aufgenommen worden und habe sich auf dem Capitolinischen 
l Iügel niedergelassen, welcher darob den Namen „mons Saturnius" erhielL Kr lehrte die Menschen 
den Ackerbau, brachte ihnen die Segnungen der Civilisation und das goldene Zeitalter; er schuf 
sozusagen das Land, welches nach ihm „Saturnia tellus" heLsst; ja in dem Namen Latium selbst, 
der Flachland bedeutet, wollte man eine Anspielung auf das Verschwinden, die „Latenz" des 
Gottes erkennen, der ihm plötzlich entrissen ward. Ihm zu Khren errichtete man am Abhang 
des Capitolinischcn Berges einen Altar ; später {49 t v. Chr.) weihten ihm die Consuln Sempronius 
und Minucius an derselben Stelle einen Tempel. Wer dieses Heiligthum betrat, der erblickte darin 
das Bild eines alten, bärtigen Mannes mit verhülltem l linterhaupte, wollenen Banden an den Küssen 

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und einer Sichel in der Hand; es troff von Od. denn um den Reichthum l.atiums ,in Uelbäumen 
anzudeuten, war die hohle Statue mit Olivenöl angefüllt. Seine Gemahlin hiess Ops, die Personi- 
ficalion des Kei<:hthums, dessen letzte Quelle der Landbau ist 

Ks schien deshalb eine sinnreiche Klee, ihn zum Hüter der aufgehäuften Keichthümer der 
Welt zu machen: der Saturntempel war seit den ältesten Zeiten «las Aerar oder die Schatz- 
kammer des Staates wie das anstossende Tabularium das Staatsarchiv. In unterirdischen Kellern 
wurden hier die öffentlichen Gelder nebst den dazu gehörigen Rechnungen, auch andere Werth- 
sachen und Papiere, wie Feldzeichen, Abschriften der Senatsbeschlüsse, Gesetze, Patente und 
dergleichen aufbewahrt; eine besondere Abtheilung bildete das Aerarium sanetius, die geheime 
Schatzkammer, für die höchsten Nothfälle, namentlich für den einer gallischen Invasion bestimmt. 
Gegenwärtig hat bekanntlich nur das Deutsche Reich einen Staatsschatz von Bedeutung: den 
Reichskriegsschatz, der im Juliusthurrn der Citadelle zu Spandau in Reichsgoldmünzen niedergelegt 
ist; dieser Juliusthurm ist der Saturntcmpel Berlins und noch immer gegen Gallien gerichtet. 
Als Caesar bei Beginn des Bürgerkrieges (März 49) dem römischen Volke ein«: Grafikation 
versprochen hatte, fehlte es ihm an Geld: er liess sich durch seinen Senat autorisiren, den 
Staatsschatz im Tempel des Saturn zu nehmen. Kin Tribun, L. Metcllus, widersetzte sich, 
„Ich habe Gallien überwunden", sagte Caesar, „dieser Grund existirt nicht mehr, und die Zeit 
der Waffen ist nicht die Zeit der Gesetze". Aber der Tribun vertritt ihm den Kingang und will 
den Schatz nicht herausgeben. „Ich werde dich todtschlagen lassen", drohte Caesar zornig, „wisse, 
junger Mann, es ist mir weniger leicht, es zu sagen als zu thun." 

Das Aerarium publicum, welches der Senat verwaltete, ist verschieden von dem Fiscus 
der Kaiserzeit, womit man die aus den Hinkünften der kaiserlichen Provinzen gebildeten kaiserlichen 
Cassen bezeichnete, und welcher unserer Civilliste entspricht. Besagte Einkünfte wurden in 
Körben eingehoben, und solche aus Binsen oder Stroh geflochtene Geldkörbe, wie sie vermuthlich 
auch im Saturntempel standen, führten den Namen fisci. Ursprünglich legte man in den Fiscus 
nicht Geld, sondern Obst, Käse u. s. w., und noch heute hat sich bei der römischen Bevölkerung 
das Wort tiscella für die Binsenkörbchen erhalten, in welche man eine Art süssen Käse, die 
Ricotta, legt. 

Links vom Saturntem]*! und unmittelbar unterhalb des Tabulariums erblicken wir eine Säulen- 
halle (siehe unser Bild S. 5), den sogenannten Porticus der vereinigten Götter (deum consentum), welcher 
auf zwei Seiten die Schola Xantha, ein Lokal für Schreiber und Notare begrenzt; erstcre sind mit 
unsern Stenographen zu vergleichen. Dahinter ragt (siehe unser Bild S. 7) schroff und düster 
der tarpejische Felsen auf. Rechts davon stösst an das Tabularium die edle Ruine von drei 
korinthischen Säulen aus carrarischem Marmor, die rechte Ecke der ursprünglich sechssäuligen 
Vorhalle des Tempels, welchen Domitian seinem Vater errichtete und nachmals Kaiser, Senat 
und Volk restaurirten (estituer, die einzigen Buchstaben, welche von der Inschrift am Friese der 
Vorderseite übrig blieben. (Vgl. unsere Bilder.) Das Gettälk mit seiner reichen Ornamentik 
wurde lange Zeit als eins der herrlichsten Vorbilder betrachtet: am Fries der auf unserer Tafel 
sichtbaren Seitenfront lassen sich noch ein Stierschädel und zwei Opfergefässe unterscheiden. Aber- 
mals weiter rechts und el>enfalLs mit der Rückwand an das darüber ragende Tabularium gelehnt 
stand der Concordiatempel , von dem wir auf S. 9 ein prächtiges Gcsimsstück , wie sie rings 
umherliegen, bewundern können, während er auf unserem Bilde S. 7 mit der heiligen Strasse 
davor, dem Tabularium dahinter und dem Vespasians- und Saturntem|iel daneben die her- 
vorragendste Stelle einnimmt 

Der Concordiatempel wurde im Jahre 366 v. Chr. von dem Dictalor M. Furius Camillus 
erbaut. Als der greise Kriegsheld die Gallier zum letzten Male geschlagen hatte und nach 



* 





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Rom zurückgekehrt war, weihte (t den Abend seines Lebens einem Werke der Versöhnung: 
er vermittelte die Annahme der Licinischen Gesetze und dadurch den Frieden zwischen Patri- 
ziern und Plebejern, worauf er der Eintracht dieses schöne Denkmal setzte und, von ganz 
Rom betrauert, starb. „Concordia res parvae crescunt", das legte er seinen Mitbürgern wie ein 
scheidender Vater auf dem Todtenbette an's Merz, das sollte das Füllhorn ausdrücken, welches die 
Göttin der Eintracht in ihrer Linken hielt; in ihrer Rechten hatte sie einen Oelzweig. Der (von Tiberius 
restaurirte) Tempel erhob sich, wie unsere Abbildung zeigt, auf mächtigem Unterbau ; eine Freitrep]>c 
führte zu der Vorhalle mit siths korinthischen Säulen an der Front; Fussboden und Wände waren 
mit farbigen Marmorplatten bekleidet, der Saal mit Gemälden und Statuen geschmückt. IX;r Saal, 
denn in ihm versammelte sich in den Zeiten der Republik zur Beratschlagung wichtiger An- 



gelegenheiten, wie unter 
anderem bei der Catili- 
narischen Verschwörung, 
der Senat, 

Die Senatoren 
hielten ihre Sitzungen 
gewöhnlich im Rathhaus 
ab, in der von Tullus 
Hostilius 2u diesem 
Zwecke am Comitium 
erbauten Curia Hostilia. 
die an der Nordseite, bei 
der Kirche S. Adriano, 
zu suchen ist, und vor 
welcher die älteste Red- 
nerbühne stand; letztere, 
welche von den völki- 
schen Schiffsschnäbeln, 
mit denen sie geschmückt 
war, den Namen Rostra 
führte , war halbkreis- 
förmig wie eine Kanzel 
ausgebogen, genau ent- 
sprechend den Ambonen 
altchristlicher Kirchen, 




OnnmulutV rum CcnrodiiUeMptt. 



und so eingerichtet, dass 
sich der Redner nach 
Belieben zu den Sena- 
toren und zum Volke 
wenden, in die Curie 
hinein und zum Comitium 
hinaus sprechen konnte; 
denn die Sitzungen des 
Senats waren halb öffent- 
lich, er berieth bei offe- 
nen Thüren, und auf den 
Bänken am Portal der 
Curie sassen die Volks- 
tribunen. Sj>äter indes- 
sen traten die Senatoren 
auch in Tempeln oder 
sonst einem durch die 
Auspizien geheiligten Ort 
zusammen, und so hatte 
sie Cicero am K. No- 
vember 63 in den Tem- 
pel des Jupiter Stator 
auf dem Palalin berufen, 
wo er seine erste Catili- 
narische Rede hielt : 



Quousquc tandem abutere, Caülina, patientia nostra! Die zweite und dritte war an das Volk 
gerichtet, aber die vierte (5. December) abermals an den Senat, der diesmal im Tempel der 
Concordia versammelt war, um über Leben und Tod der Gefangenen zu entscheiden. Hier 
war es, wo der Consul indirect die härtere Strafe anempfahl, und der Senat, trotz Caesars 
Widerspruch, unter dem mächtigen Eindruck einer zweiten, von M. Porcius Cato gehaltenen 
Rede, auf sofortige Hinrichtung der Verbrecher erkannte, welcher verfassungswidrige Bcschluss 
(denn nach altem Rechte konnte nur die gesammte Bürgerschaft über einen römischen Bürger 
das Todesurtheil aussprechen) noch am Abend desselben Tages in dem unterirdischen Gefängniss 
nebenan, dem Carcer Maniertinas vollzogen wurde. 

„Est in carcere locas <|uod Tullianum appellatur, circiter duodeeim pedes humi depressus. 
Eum muniunt unditjue parietes atque insuper camera lapideis fornieibus vineta; sed incultu, tenebris, 



odore foeda atque terribilis ejus facics es»".' 1 So beschreibt Sallust das grauenvolle, in den Capito- 
linischcn Berg eingehauene Verüess, wo die Scharfrichter den Verschwörern die Kehle mit einem 
Stricke zusammenschnürten. Ks ist das untere, von Servius Tullius angelegte Gemach des Kerkers. 
Auch Jugurtha wurde nach dem Triumphzuge nackt ins Tullianum geworfen : „Herkules", rief er 
lachend, „wie kalt ist euer Bad!" Dann ranj,' er hier sechs Tage lang mit dem Hunger. Alle feind- 
lichen, im Siegesgepränge aufgeführten Fürsten und Feldherren wurden hier vom Lehen zum Tode 
gebracht, aber gewöhnlich erdrosselt, wie jene Staatsverbrecher; die Leichname dann mit Haken 
herausgezogen und an die Gemonischen Treppen, den altrömischcn Rabcnstcin, geschleift. Wir werden 
auf dieses Lokal zurückkommen, das an Schrecklichkeit keinem italienischen Gefängniss etwas nach- 
giebt, und wo der Tradition nach auch der Apostel Petrus geschmachtet hat : auf sein Gebet ent- 
sprang daselbst ein (Juell, mit dem er seine Wächter, Processus und Martinianus und 47 Mit- 
gefangene taufte. Das Loch, über welchem die Kirche der Zimmerleute S. Giuseppe de' Fale- 
gnami steht, heisst daher S. Pictro in Carccrc. 

Wenn hier, wie so oft, das Christenthum selbst in"» Heidenthum hineinspielt, so liest sich 
dafür die Geschichte des Diöskurenlem|>els, in welchem elient'alls häutig Senatssitzungen gehalten 
wurden , wie Schlachttages 

erschienen auf 
dem Forum 2 
Götterjünglinge 
in glänzendem 
Waffenschmuck , 
tränkten ihre 
Pferde an dem 
Brunnen beim 

Vestatempel 
und verkünde- 
ten der erstaun- 
ten Bevölke- 
rung den Sieg. 

I )as .ir<-fi dii: 




Ua Carter Mamertiftiu. 



die einer christ- 
lichen Kirche. 
Es ' war ein 
Wunder , wie 
man es von un- 
sern Heiligen zu 
sehen gewohnt 
ist. Am Regil- 
1er See hatten 
die Römer 496 
v.Ch. einen Sieg 
über die Latiner 
davongetragen. 
Am Abend des 

Dioskuren, Castor und Pollux, und man beschloss den beiden Schutzpatronen dankbar an dieser 
Stelle eine Votivkirche zu gründen. Das republikanische 1 leiligthum wurde späterhin von Tiberius 
mit deutschem Gelde verschönert und erweitert, und diesem Neubau des Tiberius gehören die drei 
korinthischen Säulen von parischem Marmor an, die wir auf S. 1 1 erblicken, und die der Mitte der 
südöstlichen 1-angseite des dem Forum zugekehrten Tempels angehören. 

Sie sind ausgezeichnet durch ihre schönen Verhältnisse sowohl, als durch die vortreffliche 
Arbeit der Verzierungen, die man zumal an dem wohlerhaltenen Gebälk bemerkt. Wahr- 
scheinlich standen ihrer dreizehn an jeder Langseite und acht in der Front; der Unterbau ist 
sieben Meter hoch. Die Stufen, die hinauf führten, sind noch grossentheils zu erkennen; am 
Forum sprang eine Freitreppe von achtzehn Stufen vor. Dieser Tempel hatte einen Antipoden 
in dem schräg gegenüber an der Via sacra gelegenen Faustinatempel, zu dem ebenfalls eine Frei- 
treppe von zwanzig Stufen hinaufführte; die beiden Freitrepjwn waren sich wie Füsse oder, wenn 
man will, wie Stirnen zugekehrt. Durch die neuesten Ausgrabungen ist die Facade des Kaustina- 

') 1« Genlagniu ist eil Ranm, de» TullUnum genannt «ir<l, etwa xwnlf Fun UM» der Erik. Ihn ■muhUcu» rlngsam RMl 
«ml darutxf liegt eine andere Kimaver mit einem Krvargtwulut ; »ba in Folge seiner Wandten, Pirtncrnut uitd Auvjuuuuiig lluut er Furcht 
and EoticUfa do. 



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tempels vollkommen freigelegt, die Säulen sind nicht mehr halb im Schutt begraben, die- Strasse, 
welche sich hier am Forum hinzog, existirt nicht mehr. 

Die Gemahlin des frommen Antoninus war eine ernaneipirte Weltdame gewesen, und doch 
machte er ihr zu Ehren nicht nur eine Stiftung für arme Mädchen, welche puellae alimentären: 
Faustinianac hiessen, sondern widmete ihr auch einen Tempel, der ihm nach seinem Tode auf 
Beschluss des Senats (Divo Antonino et Divae Faustinae ex S. C.) mitgeweiht ward. Die Vor- 
halle dcssellien hat zehn korinthische, aber nicht cannelirte Säulen von Cipollino, sechs in der Front ; 
die Capitäle sind verstümmelt gleich den Greifen, welche, durch Candelaber und Vasen geschieden, 
die Decoraiion des Frieses bilden. Die Mauern der Cella bestehen aus Feperin<|uadern , die 
mit Marmor bekleidet waren: von dieser Bekleidung bemerkt man noch ein Pilasterrapitäl. Benrits 



1430 legten sich die 
römischen Apotheker in 
der Vorhalle eine kleine 
Capelle an, die, weil sie 
das ehrwürdige Monu- 
ment verunstaltete, bei 
dem Einzüge Karls V. 
niedergerissen wurde ; 
1602 bauten sie eine 
neue in die Cella ein. 
Diese geschmacklose 
Kirche, zu welcher seit- 
wärts eine Brücke über 
den tiefliegenden antiken 
Boden führt, krönt ba- 
rock die etilen Reste des 
Alterthums, und dennoch 
nannten sie unsere Apo- 
theker San Lorenzo in 
Miranda, ein Name, 
der augenscheinlich von 
den bewundernswerthen 
I Denkmälern in ihrer Nähe 
hergenommen ist. 

Zwischen dem 

getragen und vor den Rostris niedergesetzt: Antonius stieg hinauf, 
er, „wenn ich einen so grossen Mann allein loben wollte. Hört die Stimme des ganzen Vater- 
landes." Und langsam las er die Senatsbeschlüsse vor, nach welchen dem Caesar göttliche 
Ehren zugestanden waren, in denen er heilig, unverletzlich, Vater des Vaterlandes genannt ward. 
Wie er diese letzten Worte aussprach, fügte er, zum Todtenbette gewandt, hinzu: „Und das 
sind die Beweise ihrer Güte. Bei ihm fand jeder, jeder Hülfe, und er konnte sich selbst nicht 
retten : sie haben ihn ermordet Und doch sc-.hwuren sie, ihn zu vertheidigen, sie fluchten allen, 
die nicht mit ihrem Leben für ihn stünden !" Hierauf erhob er die Hände zum Capitol : „O, allmäch- 
tiger Jupiter, Hüter dieser Stadt, und ihr himmlischen Götter, ich rufe euch Alle zu Zeugen an: 
vernehmt meinen feierlichen Eid : ich werde ihn rächen !" Er trat wieder an den Sarg und 
stimmte einen Hymnus auf den grossen Todten an; mit fiebernder und glühender BeredLsamkeit 




Uct DkukuiYDtanpcl. 



Dioskuren- und dem 
Faustinatem|vcl, hart vor 
dem ersteren und gleich- 
sam einem der beiden 
Dioskuren die Aussicht 
versperrend, aber selbst 
Forum und Comitium be- 
herrschend und gerade 
das Capitol anblickend, 
lag der Tempel Julius 
Caesars, davor die Red- 
nerbühne, die er hierher 
verlegt hatte, und auf 
welcher Antonius dem 
Ermordeten die Leichen- 
rade hielt. 

Bereits stand sein 
Scheiterhaufen auf dem 
Marsfeld ; aber erst 
musste auf dem Forum 
nach altem Brauch die 
Slandrcde gehalten wer- 
den. Mit Pomp wurde 
der Leichnam auf elfen- 
Ivcinerncr Hahre dahin 
„Es wäre Unrecht," sagte 



schilderte er seine Krieg*', seine Triumphe, seine Eroberungen-. „O du siegreicher Held, hast 
du deine Schlachten nur geschlagen, um mitten unter uns zu fallen" — und er reisst die Toga, 
die den Leichnam deckte, weg, zeigt dem Volke das Blut, mit «lern sie gcröthet ist, die Stiche, wo 
die Dolche der Unmenschen hineingefahren sind. I>ie Menge beginnt zu schluchzen, der Redner 
weint selbst; aber er braucht noch eine neue Wendung. Der Todte lag ausgestreckt und den 
Blicken unerreichbar auf der Bahre. Plötzlich richtete er sich auf. Der Imperator mit den 
dreiundzwanzig Wunden in der Brust und im Angesicht, wahrscheinlich ein Wachsbildniss , er- 
steht und dreht sich langsam im Kreise herum, dass man auf dem ganzen Forum den Blutenden 
sehen kann; und der Trauerchor singt: „Ich habe sie gerettet, um durch sie zu sterben." 

Da erträgt das Volk den Jammer nicht mehr; es glaubt den Schatten zu sehen, der 
Rächt! von ihm fordert: man rennt zu der Curie, wo Caesar erschlagen worden ist, steckt sie in 
Brand ; man sucht die Mörder, und durch die Namensähnlichkeit getäuscht, reissen die Wüthenden 
einen Tribun in Stücke, den sie für Cinna, den Praetor halten. Die Curie des Pompejus steht in 
Mammen ; sie nehmen die glühenden Keuerbrände und setzen den Verschworenen den rothm Hahn 
auf die Dächer; dann eilen sie zum Leichnam zurück, der im Jupitertempel selbst verbrannt werden 
soll. Da die Priester Einspruch erbeben, tragen sie ihn wieder aufs Forum, vor die bereits er- 
wähnte Königsburg des Xuma. die Regia, wo Caesar als Pontifex Maximus gewohnt. Linen 
neuen Scheiterhaufen improvisirend , hauen sie die Bänke, die Richterstühle, die Wechslcrtischc 
klein; die Soldaten werfen ihre Speere, die Veteranen ihre Kränze, ihre Ehrengeschenke, ihre 
Auszeichnungen, die Frauen ihren Schmuck ins Feuer; man glaubte die Dioskuren Castor und 
Pollux zu sehen, wie sie selbst die erste brennende Fackel brachten. Das Volk verbrachte die 
ganze Nacht beim Scheiterhaufen. Ein Komet, der um diese Zeit erschien, gab dem Fanatismus 
Recht: Caesar war unter die Götter aufgenommen worden, für die Mehrzahl ein wirklicher, 
unumstößlicher Glaubenssatz. Dem einen sichtbaren Ausdruck zu verleihen, Hess Octavian im 
Venustempel eine eherne Statue seines Adoptivvaters mit einem goldnen Stern auf dem Kopf auf- 
stellen; Später, nach der Schlacht Itei Actium, erbaute er ihm auf der Vcrbrennungsstälte, die bisher 
nur ein Altar bezeichnete, oberwähnten Tempel, dessen massiver Kern 1X72 aufgedeckt worden ist. 



IV. 

In den Tempefal wurden die Götter und zu Göttern erhobene Menschen angebetet. Al>er auch 
groSM Männirr verehrte man auf dem Forum : ihre Standbilder waren unbedeckt auf Postamenten 
und Säulen aufgepflanzt ; dieser Platz glich nicht nur einem Pantheon, sondern auch einem 
Nationalmuseum. 

Ein Wahl von Fhrensäulen und Ehrenstatuen überwucherte den Marktplatz, mehr Schatten 
gewährend als die drei edlen Culturgewächse , welche von den Plebejern als die köstlichsten 
Geschenke des Himmels auf ihrer ursprünglichen Malstatt angtrpflanzt worden waren, und du-, 
von Geschlecht zu Geschlecht gepflegt, fortdauerten und grünten, nachdem das Forum lange 
gepflastert war, bis in die Kaiserzeit hinein: der Feigenbaum, die Weinrebe und der Oelliaum. 
der gleichfalls auf das Comitium versetzte heilige Feigenbaum , unter welchem die Wölfin die 
Zwillinge gesäugt, verdorrte unter Nero. Tacitus erzählt es mit dem Gefühle, dass der 
Untergang des Grossen in cler Menschheit auch die Natur berührt, und mit dem Ausdruck«? 
vaterländischer Wehmuth, die sein unsterbliches Werk durchzieht. Diese Kinder einer vergessenen 
Natur versteckten sich furchtsam , wie einsame Fremdlinge , vor der stolzen Pracht und den 
glänzenden Schöpfungen der Kunst. Vor diesen steinernen Männern, diesen metallenen Reitern, 

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die hier wie die Pike aufgeschossen waren; schon Cato wollte lieber, dass die Leute frügen, 
warum ihm keine, als warum ihm eine Statue gesetzt sei. 

Die Ehrensäulen mussten nicht gerade nothwendig Portraitstatucn auf ihrer Spitze tragen: 
die des Duilius, von der Nachbildungen auf dem benachbarten Capitol im Conservatorenpalast 
und bei der Auffahrt zum Pincio zu sehen sind, war nur mit den von ihm erbeuteten Schiffs- 
schnäbeln geschmückt; die des Maenius ebenfalls unbesetzt, denn auf sie stieg täglich vermittels 
einer Leiter ein Gcrichtsdiencr hinauf, um, nicht unähnlich einem orientalischen Mueddin, Mittag und 
Sonnenuntergang auszurufen, sie vertrat also gewissermassen die Stelle einer Marktuhr. Uebrigens 
diente die Columna Macnia auch als Pranger, woran schuldige Sklaven und Diebe angebunden 
und öffentlich gezüchtigt wurden. Gewöhnlich indessen gaben diese Säulen nur Piedestale, vor 




Der FftuilinMempel. 



allem für Kaiserbilder ab, wie auf drei anderen römischen Säulen gegenwärtig Heiligenbilder 
stehen : und ein solches Piedestal ist uns auf dem Forum noch erhalten, nämlich das letzte seiner 
Art, die berüchtigte Phocassäule (S. 14), die Jahrhunderte lang das Wahrzeichen des verschütteten 
Forums geblieben ist 

Auf ihrem Gipfel erhob sich die Porträtstatue des byzantinischen Kaisers Phocas, dessen 
struppige, koboldartige Miss^eslalt in vergoldeter Bronze wiedergegeben war. Sie selbst ist canne- 
lirt und von korinthischer Ordnung: ihre Arbeit, die den gut?n Zeiten der Kaiser entspricht, 
setzt ausser Zweifel, dass sie einem älteren Gebäude entnommen worden ist. Das Postament 
ruht auf einer viereckigen Substruction von Backsteinen und diese wiederum auf einem pyramidal- 
lormigen l'nterbau, an dessen vier Seiten Stufen hinaufführten, die stellenweise noch erhallen 
und aus antiken Bruchstücken zusammengesetzt sind. Daneben liemerkt man noch verschieden« 



Postamente, auf denen vermuthlich ebenfalls Ehrensäulen standen: Fragmente von rothem orienta- 
lischem Granit liegen haufenweise umher. 

Auf unserer restaurirten Ansicht des Forums erblicken wir rechts von der Phocassäulc 
auch eine Reiterstatue, die eine /weite Gattung von Khrmdcnkmälcrn repräsentirt. Ms ist nach 
der Ausdruckweise der Römer, denen das Ross mehr als der Reiter in die Augen zu stechen 
pflegt, das Pferd Domitians (K(|uus Domitiani), für uns besonders dadurch merkwürdig, dass unter 
seinen Vorderhufen unser Rhein, der gefangene Rhenus liegt; der Kaiser, der mit der aus- 
gestreckten Rechten Frieden gebietet, in der Linken eine gewappnete Pallas hält, hatte einen Feldzug 
gegen die Hessen unternommen und denselben beendet, ohne einen Feind gesehen zu haben, aber 
dennoch geglaubt, einen glänzenden Triumph feiern und sich aufs hohe Pferd setzen zu müssen. 



Es stand in der Mitte 
des Forums, auf cl>rn 
jener Stelle, wo dereinst 
ein besserer Ritter, Mar- 
cus Curtius, der höchste 
Schatz Roms, in dem 
gähnenden Abgrund ver- 
schwunden war: Nichts 
besseres hatte Rom, als 
Waffen und Helden- 
muth. Das eitle Monu- 
ment Domitians wurde 
vom römischen Volke 
selbst, gleich allen Bild- 
nissen des verhassten 
Kaisers, unmittelbar nach 
seinem Tode zerstört und 
mit Wuth, als gälte es 
dem lebenden Tyran- 
nen, in Stücke gerissen. 
Ein ähnliches Schicksal 
wurde einem anderen 
Denkmal eines Sieges 
über Germanien zu 
Thcil , dem Triumph- 




iii« Pbocauluic. 



bogen Tibers, den wir 
auf demselben Bilde 
zwischen dem Saturn- 
und Vcspasianslcmpi-1, 
hinter Ehrensäulen ver- 
steckt, wahrnehmen, und 
der die Wiedereroberung 
der unter Varus ver- 
lorenen Feldzeichen ver- 
ewigen sollte: der Tri- 
umph des (iermanicus, 
in welchem er Thusnelda 
sammt Sigmund und 
ihrem eignen neugebor- 
nen Söhnchrn aufführte, 
war vielmehr das Ende 
als der Anfang des 
römischen Glücks ge- 
wesen, das wie jene 
Denkmäler, ja wie Cae- 
sar Germanicus selber, 
frühe unterging und 
starb. 

Der Triumphbogen 
Tibers führt uns auf 



eine dritte Gattung von Ehrendenkmälern, der wir in der Stadt noch wiederholt begegnen werden 
und von der wir jetzt im Triumphl>ogen des Septimius Severus das erste Beispiel sehen: die 
Arcus triumphales. In der republikanischen Zeit verstand man unter diesem Ausdruck ungefähr 
dasselbe, was wir in Deutschland unter einer Ehrenpforte: einen provisorischen, hölzernen, über 
die Strasse, wo der Triumphzug durchkam, geworfenen und nach dem Feste wieder abge- 
brochenen Bogen. Erst unter den Kaisern wurden diese fliegenden Ehrenpforten in dauernde, 
marmorne verwandelt: sie dienten nicht mehr zu Thoren für den kommenden Zug. sondern zu 
Denksteinen eines längst vorübergegangenen, obwohl sie naturgemäss noch immer gern über die 
Triumphal-Strasse , namentlich über die letzte Hälfte derselben, die Via Sacra, gesjtannt wurden, 
auf welcher die Spuren der Triumphwagen noch heute sichtbar sind. Wir versparen uns die 
Beschreibung dieses merkwürdigen Schauspiels auf den Tilusbogen auf, weil er der interessanteste 

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ist und die lehrreichsten Details enthält: der gegenwärtige soll uns nur eine vorläufige Idee 
verschaffen. 

Anfangs waren die stehenden Triumphliogen klein und schmucklos und hatten nur einen 
Durchgang, aber allmählich bekamen sie grosse Dimensionen und eine reiche bildnerische Decoration. 
Das beweist der Bogen des Seplimius Severus, der diesem Kriegsfürsten wegen seiner Siege über 
die Parther 203 n. Ch. vom Senat, laut Inschrift, errichtet wurde; die Buchstaben der letzteren 
waren mit Metall ausgelegt, wie zahlreiche Nietlöcher beweisen. Er ist von pentelischem Marmor 
und hat drei gewölbte Durchgänge, einen grösseren in der Mitte und zwei kleinere zu beiden Seiten, 
zu welchen Stufen führen; diese Durchgänge communiciren vermittels zweier Bogen auch wieder 
unter sich; alle fünf Gewölbe sind kassettirt und mit Rosetten verziert Jede der beiden I lauptfronten 




IV? ScvcmtKjgeu- 



schmücken vier hervorspringende cannelirte Säulen, wie die gegenüberstehenden Pilaster, römischer 
( )rdnung. Die äusserst verstümmelten Reliefs in den vier Feldern , welche sich , zwei vorn und 
zwei hinten, links und rechts von den Scheiteln der Seitenbögen zum Gebälk hinaufziehen, stellen 
Begebenheiten aus den Kriegen vor, zu deren Gedächtniss dieses Monument errichtet wurde und 
/war angeblich an der Forumseite links ilen Entsatz von Nisibis, rechts den Rundesvertrag des 
Severus mit dem König von Armenien und die Belagerung von Hatra; an der Capitolseite rechts 
die Einnahme Babylons, links den Uebergang über den Euphrat und Tigris und die Eroberung 
von Ctesiphon und Seleucia. Sie sind ungleich gearbeitet und durch Horizontallinien in je fünf 
Abtheilungen zerlegt 

An den Friesstreifen, unter diesen Reliefs, sind ebenso viele Triumphzüge vorgestellt; jetler 
einzelne geht nach einer Roma, welche die Gefangenen knieend um Gnade anflehen ; in der Mitte 



Mehl die besiegte Parthia, in Barbarenkleidung und eine phrygische Mütze auf dein Kopfe. In 
den Winkeln des I lauptl>ogcns sieht man Victorien mit Trophäen, unter ihnen Genien der Jahres- 
zeiten, auf den zwei Schhisssteinen desselben den siegreichen Mars; in den Zwickeln der Seitenbogen 
Flussgöttcr und auf den dreistufigen Postamenten der Säulen Körner mit gefangenen Barbaren. 
Den First, zu welchem eine Treppe im Innern des Gebäudes führt, krönte ein Sechsgespann des 
Scptimius Severus und seines Sohnes Caracalla; rechts und links je ein Fusssoldat und an den 
beiden Ecken je ein, gleichsam darüber hinaussprengender Reiter. Von dem ursprünglichen 
Ganzen gewährt das Münchener Siegesthor eine vortreffliche Anschauimg, welches ja im Stil 
römischer Triumphbogen entworfen worden ist. 



Im zehnten Gesänge von Dantes „Purgatorio" gelangen die beiden Dichter auf schmalem 
Felsenpfad Iiis zur ersten Gallerie des Berges, deren Rückwand marmorn und mit herrlichen 
Basreliefs bedeckt ist. Sie stellen Beispiele der Demuth dar, die den Stolzen zur Lehre dienen 
sollen, und unter ihnen befindet sich auch die Geschichte Trajans, die Gregor den Grossen 
veranlasste, bei Gott einen Antrag auf seine Begnadigung zu stellen. Trajan stand im Begriff, 
.i-i r..-r Sj.it/'.- meines Heeres in den Krieg EU liehet). Da tritt ihr:-, eine arme Wittwe in den 
Weg, der der Sohn erschlagen worden war, und bittet den Kaiser, ihr Recht zu verschaffen. 
Trajan sagt erst, sie solle bis zu seiner Rückkehr warten, und wenn er selbst nicht zurückkomme, 
so werde sein Nachfolger für sie sorgen, gewinnt es aber schliesslich doch über sich, der unglück- 
lichen Mutter wegen seinen Feldzug aufzuschieben, lässt den Mörder aufsuchen und, da dies sein 
eigner Sohn ist, so fragt er sie, ob sie ihn sterben sehen oder anstatt des Verlorenen zur Sühne 
annehmen wolle, womit sie zufrieden ist. 

Warum mir diese Anecdote einfällt? Weil hier auf dem Forum hinter der Phocassäulo 
zwei 1873 gefundene Marmorbalustraden stehen, die von dem Dante'schen Berg zu stammen scheinen, 
obwoltl sie vermuthlich die Plattform der Rednerbühne umgeben haben. Ihre Reliefs beziehen 
sich ebenfalls auf Wohlthaten des Trajan und zwar auf solche, die er der Stadt Rom auf dem 
Forum erwiesen hat; der Senat, welcher seine Nachfolger mit den Worten hegrüsste; „Sei 
glucklicher als August und besser als Trajan", er wollte ihnen seine Verdienste auch sichtbar vor 
Augen stellen. Das erste war, dass er den römischen Bürgern die rückständige Erbschaftssteuer 
erliess: er that es, indem er die Steuerregister t syngraphae 1 von Lieferen zusammentragen und auf 
offenem Markte verhrennen Hess, wie auf unserem Bilde links zu sehen ist; rechts davor auf der 
Rednerbühne stellt Trajan, links der bereits erwähnte heilige Feigenbaum, der unter Nero verdorrt, 
aber wieder ausgeschlagen war, und auf dem Postament daneben eine Statu« des geschundenen 
Marsvas; eine solche war nämlich auf dem römischen Forum, wie oft auf antiken Marktplätzen, 
aufgepflanzt, wie man will als Sinnbild der städtischen Freiheit, ich möchte eher glauben, als 
warnendes Beispiel für Anmassende; dahinter bemerkt man zwei Tempel und einen Schwibbogen 
oder gewölbten Durchgang (janus). Die zweite Wohlthat war, dass er ein Waisenhaus stiftete, in 
welchem Waisen und arme Kinder freier Eltern alimentirl werden sollten, und darauf beziehen 
sich die Reliefs der andern Baiastrade, die wir nicht sehen, wo das betreffende Kdict dem Volke 
auf den Rostris durch einen Magistrat verkündet wird, und der auf dem curulischen Sessel sitzende 
Trajan die Kindlein zu sich kommen lässt. Auch hier wird das Forum durch den Feigenbaum 
und den Marsyas gekennzeichnet Die Kehrseiten beider Platten zeigen je drei Exemplare von 
Schlachtvieh, an denen jeder Metzger seine Freude haben wird, nämlich je einen Eber, Widder 
und Stier, die Elemente des grossen Sühnopfers, der sogenannten Su-ove-Uur ilia: Die Thiere 



V. 





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wurden, wie deutlich zu erkennen, mit farbigen, rcichgestfcfctieil Banden idorsualibus) um den Leib 
und weissen Wnllflockcn (infulac) um den Kopf unter Gesängen und Gebeten dreimal um die 
Versammlung herumgeführt und hierauf gesehlachtet ; Trajan scheint also gleichzeitig eine städtische 
Lustration vorgenommen und das Sühnopfer gebracht zu haben. In den löchern der oberen 
< iesimsfläche mögen die die Schenkungsurkunden enthaltenden Bronzetafeln befestigt gewesen sein. 

Auf diesen Balustraden haben wir also ein altes Bild des Forums, wie es Ende des 
ersten Jahrhunderts n. Chr. und zur Zeit seines höchsten Glanzes l>estandcn hal>en mag. Der 
Weg, den es seitdem zurücklegen musstc, um bis zu seinem gegenwärtigen, man darf sagen, 
ärmlichen Zustand zu gelangen, ist ein weiter und trauriger, für die Menschheit beschämender. 
Dass dieser Platz allmählich vereidete, als er sinnlos geworden und Roms Freiheit und Bürgertugend 
untergegangen war, begreift sich: jemehr er sich mit den Standbildern von Kaisern und Kaiser- 
knechten füllte, um so leerer wurde er an Römern, für die überdies von Caesar bis Trajan fünf 
neue Fora angelegt worden waren, den allen Mittelpunkt mit den Prachtbauten des Marsfeldes 
verbindend. Aber dass dieses ehrwürdige und heilige Forum im Laufe dunkler Jahrhunderte ganz 
zerstört, ganz zusammengeschlagen und ausgeraubt ward; dass man in diesen edlen Bauwerken 
nichts mehr als ergiebige Steinbrüche sah und aus dem köstlichen Marmorrelief nichts besseres 
als Kalk zu machen wusste ; dass von einein der prächtigsten und reichsten Stadllheile, die die; 
Knie getragen haben mag, schliesslich nicht viel weiter übrig blieb, als die gestohlene Säule und 
das zusammengestückelte Postament etnirs blutbefleckten Tyrannen von Byzanz — das begreift 
sich schwer. Und doch ist gerade diese systematische Zerstörung ein Beweis dafür, dass Rom 
nicht gleich Pompeji verschüttet und plötzlich wie durch Zauber von allem I.cbcn gesauln-rt 
worden, sondern fort und fort von Menschen bewohnt gewesen ist, welche sich die Reichthümer 
des Alterthums in einer neuen Zeit für andere Zwecke zu nutze machten. Ohne Rücksicht und 
Pietät; aber dass dergleichen neue Zwecke da waren» ist immerhin ein Merkmal von der Fort- 
dauer der Stadt. Krst diejenige Zeit, die das Forum nicht mehr braucht, lässt es ausgraben. 

Das Mittelalter brauchte unser Forum. Es brauchte die Basiliken und Tempel: man 
legte Kirchen und Kirchhofe darin an. Ks brauchte die Triumphbogen: Man setzte Thürme 
darauf und verwandelte sie in Burgen. Ks brauchte das Tabularium : man baute auf seinen 
Trümmern ein neues Rathhaus für die Sitzungen des mittelalterlichen Senats, dessen ()l>erhaupt 
schlechtweg der Senator (Senatore) hetsst. Indessen die I>imensionen des Alterthums waren so 
riesig, die Massen so kolossal, dass sie- nicht gleich auszufüllen waren: was übrig blieb, gab noch 
unerschöpfliche Fundgruben ab. Man brauchte sie auch. Man nahm die Säulen und die Werk- 
stücke und schleppte sie fort, um noch an andern Stellen Kirchen, und Festungen zu bauen, selbst 
fremde Städte, wie Pisa, Pavia, Salerno holten sich Baumaterial in Rom; und um den Mörtel bequem 
zu haben, richtete man in den Basiliken Kalkbrennereien ein. Man vergass auch die vergoldeten 
Lettern nicht, mit denen die Inschriften ausgelegt waren: man schlug Zecehinen daraus, an einem 
einzigen M l>efand sich eine Krone Goldwerth. Auf diese Welse bewältigte man das Forum. 

Zu der eigenen und freiwilligen Zerstörung gesellte sich nun aber auch, ganz abgesehen 
von dem Zahn der Zeit, die Zerstörung durch Feindes Hand, durch Gothen-, durch Vandalen-, 
durch .Normannenhand; die Vorstellung der Christen, dass die Götzenbilder und die heidnischen 
Greuel des Forums dereinst von Mammen verschlungen werden müssten, schien bereits durch die 
Westgolhen bestätigt worden zu sein ; der schreckliche Brand, der im Mai des Jahres 1 08 1 Rom 
vom I .ateran bis zum Capitol in Asche legte, als Guiscard die Stadt erstürmte, hat sicherlich 
auch das Forum nicht verschont. Feuer und Schwert, Krieg und wülhender Parteikampf halfen 
den christlichen Römern nach, das aufräumend, was die Maurer und was die Kalkbrenner etwa 
noch stehen gelassen hatten. So ward der römische Marktplatz endlich völlig leer, und das 

> 

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Forum, bis auf die ehrfurchtgebietende Tiefe seihst, von »1er Bildfläche der Rrde hinweggetilgt. 
Dämmerung brach ein, dunkle Nacht, eine undurchdringliche Finsternis* lagerte darüber, durch 
welche die „tria fata", die drei greisen Parzen oder Feen mit ausgebreiteten Schwingen, wie 
riesige Nachtfalter, lautlos zu flattern schienen: denn mit diesem räthselhaften aber sinnreichen 
Namen bezeichnete man vom achten Jahrhundert an das Forum. 

Veranlassung zu ihm sollen drei Sibyllenbilder in der Nähe der Kednerbühne und der 
berühmten Thorhalle des Janus am Fusse des Capitols gegeben hal>en, welche, weil sie zum Beginn 
eines Krieges geöffnet, nach Beendigung desselben geschlossen wurde, „Templum fatale" hiess. 

Jetzt ward es zum Müllkasten und zum Kehrichtwinkel Roms: vier Jahrhunderte luden 
ihren Bauschutt in ihm ab. Sie füllten es mit .Wust, der stellenweise eine Mächtigkeit von 13 
Metern erreichte, und unter welchem die Fläche des Forums vollständig begraben ward. Schon 
die Mauern der Thürme und Burgen, mit denen der Adel den Platz bedeckt hatte und die seit 
1221 niedergerissen wurden, lagen chaotisch und trümmerhaft umher; al>cr man verschüttete es 
auch geradezu, indem man bei Neubauten den Grus und die Abfälle kurzweg in das Forum wie 
in eine dazu hergesetzte Mulde warf. Als der Pajwt Faul III 1536 eine Triumphalstrassc für 
Karl V. anlegen Hess, wurden an zweihundert I läuser, die zwischen dem Titus- und dem Severus- 
bogen standen, planirt und die Schutlmasseil in die grosse Grube zwischen Palatin und Capitol 
verfahren. Wäre das alle, prächtige Forum in seinem vollen Glänze zugeschüttet worden, so 
hätte man das beweinen, aber man hätte sagen dürfen, dass es gleichsam begraben und im Schoss 
der Frde für eine schönere Zukunft geliorg« n worden sei. Aber es wurde vielmehr erst zerstört und 
all seines Schmuckes beraubt, und der leere Kaum dann wie die gemeinste Abfallgrube benutzt. 
Tiefer konnte es nicht herabgewürdigt werden. 

Nun entstand der Campo Vaccino, wörtlich das Kuhfeld, gleich dem anstossenden Heumarkt 
(piazza de' fenili) und dem capitolinisch.cn Ziegenbeige (Monte caprino) ein getreuer Reflex der 
jeweiligen Bestimmung dieser Gegend. 

l.'nd der Kinder 
ltrdtgeilirnli-, cbli«; ScJmUUCH 
Kommen bniHind 
• Die KCwohMcn Stalle füllend. 

F'.s sind die Zugochsen, die aus der Campagna Heu in die grossen Futtermagazine beim 
I'orum bringen, und welche die Fuhrleute hier auf der weiten Fläche, zu Füssen der alten Tempel 
ausspannen und lagern lassen: Bei ihren Karren ruhend und mit den langen gewundenen Hörnern 
an die vereinzelten Zeugen antiker Kunst und Pracht anstossend, bringen sie einen wunderbaren 
Zug von idyllischer Poesie in das immer noch majestätische Gemälde. Zugleich scheint auf dem 
Campo Vacdno, wie auf einem neuen Forum boarium, ein wirklicher Viehmarkt abgehalten worden 
zu sein ; vor dem Porlicus des Faustinatempels stand ein Thurm, wo Zoll von Vieh erhoben ward, 
und Schwcinehändler hatten ihren Posten auf dem Comitium. Dem entsprach die übrige Nachbar- 
schaft des Forums : vom Bogen des Septimius Severus bis zum Faustinatempel sassen Stellmacher 
und Schmiede, welche Karren, Joche und alles verfertigten, was der I-andmann braucht. Man 
konnte sich in die Zustände unter Tanjuinius Priscus zurückversetzt glauben: das Forum war 
gleichsam zu seinem l rsprung zurückgekehrt, ja geradezu wieder geworden, was es in vorgeschicht- 
licher Zeit gewesen, ehe noch eines Menschen Hand daran gerührt und eine Kloake angelegt - 
ein Sumpf, ein undurchdringlicher Sumpf, wenigstens zur Regenzeit, unwirthlich um! unwegsam 
und von einer unglücklichen Allee kranker Bäume gtfs]Mmsterhafl durchzogen. 

In einer Schilderung des Lebens und Treibens auf dem römischen Forum, die uns von 
Plautus erhalten ist, gehen die guten und wohlhabenden Bürger, die vor Gericht und an der Börse 

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nicht* weiter zu suchen haben, die weder zu den falschen Zeugen auf dem Coinitium , noch zu 
den Schwätzern an der Kednerbühne, noch zu den I lalsalxschneidcrn in tlen Wechslcrbuden, noch 
zu den Feinschmeckern am Fischmarkt , noch zu den Roues in der Basiliea gehören, ruhig am 
untern Kndc des Forums stieren. Im achtzehnten Jahrhundert lustwandelten die Quinten 
wiederum die stille Allee entlang: sie hatten gleichfalls nichts mehr auf Forum und ("omitium zu dum. 

Diese Phase in der Geschichte des Platzes ist abermals vorüber: die Ausgrabungen, bereits 
von Raphael geplant, dann abwechselnd unterbrochen und, so namentlich in unserem Jahrhundert 
unter Fca's und Canina's Leitung fortgesetzt, sind seit 1 87 1 von der italienischen Regierung mit 
Energie wieder aulgenommen worden: an der Spitze derselben stand erst Pielro Rosa, seit 1875 
thut es Giuseppe Fiorelli, der Generaldirektor der italienischen Museen und Ausgrabungen. Dank 
ihnen liegt das römische Forum wieder vor uns, nicht das unversehrte, aber doc h wenigstens das 
zerstörte Forum, will sagen der Marktplatz selbst. Wir erwähnten bereits, dass die Strasse, welche 
es auf der Xordseite begrenzte, nicht mehr existirt ; die Allee ist gleichfalls gefällt, ul>er, damit 
man die Tiefe überschreiten und vom Marsfeld zum Palatin gelangen kann, zwischen San Lorenzo 
in Miranda und S. Maria Liberatrice ein Damm nach Art des vom Severusbogen zum Capitol 
gelassen «Orden. Die rechteckige, von vier Strassen umrahmte Mitte des Forums, die Travertin- 
täfelung dieser und das polygonale tavapllaster jener, samt den verschütteten Postamenten und 
Substructionen der Denkmäler ist wieder und dabei sogar noch manches Neue ans Licht getreten, 
so das berühmte und wichtige Puteal Libonis, das Rendezvous der römischen Wechsler und 
Wucherer, eine von Jupiters Blitzen getroffene, darum heilige und mit einer Hrunncnmündung 
eingefasste Stelle. Der Fremde, der bei den drei Säulen, an der Rückseite des Diuskurcntempcls 
zu den Ausgrabungen hinabsteigt, hat wirklich das Vergnügen, das versunkene Theater der 
römischen Weltherrschaft zu betreten und ahnungsvoll über einen Platz zu schweifen, der an 
Anschaulichkeit und Schönheit der Ruinen etwa mit dem Trümmerfelde auf der athener Akropolis 
nicht verglichen werden kann, der dennoch unbedingt der inhaltreichste des Abendlandes ist. 
Ihn in seiner ganzen Länge und mit seiner monumentalen Einfassung wiederherzustellen, trotz aller 
Hindernisse wiederherzustellen, welche durch die Ansprüche des modernen Verkehrs in den Weg 
gelegt werden, erscheint als ein schöner Act der Pietät gegen das römisch»: Alterthum, zugleich 
aber auch als ein Act, durch welchen der Platz endgiltig von der Stadt an die antiquarische 
Forschung übergeben wird. 

Denn dies ist keine neue Epoche des Forums, es ist nur die Redintegration einer vorherge- 
gangenen. Die: Wissenschaft hat, wenn ich mich so ausdrücken darf, dem Leben gegenüber 
etwas Impotentes, und indem das Forum zum Tummelplatz der selten einigen Archäologen wird, 
die nichts Neues schaffen, sondern nur das Alte erkennen wollen, hört seine Theilnahme am Dasein 
der Stadt völlig auf. Das Forum, das beim Volke den Namen der „tria fata" führte, hat selbst 
seine drei Schicksale gehabt, nicht mehr: es ist erst der Marktplatz, dann der Steinbruch und 
endlich der Kuhslal Roms gewesen — jener Roma, die vom Glockenturme des Senatoren- 
palastes, an das christliche Kreuz gelehnt, stet und göttcrgleieh auf dies Treilx-n hernieder- 
schauL Am 11. April, dem Tage der Gründung Roms und dem alten Feste der Palilien, wird 
das Forum illuminirt: dann erglänzt über dieser Roma in künstlichem Magnesiumlicht ein blendend 
weisser Stern. Dieser Stern bedeutet Roms, er bedeutet Italiens Glück und Stern. Er ist ein 
Bote der Tria Fata und der Götter des Forums, die nach so viel Wandlungen diese Stadt in 
neuer Gestalt umschweben ; die, ob sie es gleich verlassen haben, noch immer aus dem Forum, wie 
Rauchwolken aus einem Krater, aufzusteigen und über seine ausgebrannten Wände hinzuirren scheinen. 



'9 



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Die V c 1 i o. 
1. 

Nordöstlich vom Palatm zieht sich ein I [QgclrÄcken gegen jene Spitze des hviuilin, welche 
im Alterthum den Namen Carinae trug, und die jeUt die Kirche S. I'ictro in Vincoli bezeichnet ; 
er scheidet das südöstliche Thal des Colosseuins von dem nordwestlichen des Forums, welche» am 
Vkua Tuscwi, einer vom Tiber her kommenden und vor dem Caesftrtcmpd vorbeilaufenden Quer 
strafe, seine tiefste Einsenkung halle und sich, von hier ab wieder steinend, denselben hinan cr- 
strecktt:. Dieser Hügelrücken, dessen Höhe, wie bereits bemerkt, der Titusbogen krönt (19,8 m) und 

einmal hineinschauen. 
Eine alte Rotunde, auf 
die spätere Kaiserzeit 
deutend, mit einer mo- 
dernen Kuppel ül »er- 
wölbt, die durch eine 
runde OetTnung Lieht 
erhält; diese Oeffitung 
war ursprünglich unbe- 
deckt, jetzt hat man sie 
mit einem kleinen run- 
den, an den Seiten 
mit Fenstern versehenen 
Thürmchcn, einer soge- 
nannten Laterne, ülier- 
baut; ein starkes Echo, 
wie durch einen dop- 
pelten Boden verursacht, 
begleitet gespenstisch 
unsere Schritte. Wo 
sind wir? Im Tempel 
der Stadt Rom? Wir 
w issen es nicht, aber wir 
gehen immer weiter, 
denn die eigentliche 

Kirche scheint erst noch zu kommen und diese Rotunde nur ein Atrium zu sein. Ganz recht: dahinter 
liegt eine Basilica, einschiffig und durch eine halbkreisförmige Nische abgeschlossen, die gleichfalls 
aus einem antiken Geliäude entstanden scheint Ks schweigt und dunkelt; aber hier, im Dämmer- 
lichte des versunkenen und vergessenen Heiligthums, überkommt es uns wie eine himmlische Vision : 
aus einer goldenen Wolke taucht der Erlöser auf, majestätisch und üliermenschlich schwebt er 
über uns in der Mitte der Austxwähltcn, die ihre Kronen halten, und von helläugigen Cherubim 
umflattert, liefsinnig schreiten die Lämmer der Apokalypse auf das mystische Gotteslamm zu, das 
auf dem Stuhle sitzt — es ist, wie die Inschrift unter dem Gewölbe der Tribüne meldet; 

Gott«» Aula rrgUtnil im Schmucke lauteren Goldes, 
Herrlicher noch als Gold funkelt der Glaube darein. 

Wir sind in die seltsame Kirche zweier Heiligen gerathen, die, Aerzte und auf italienisch 
Metlid genannt, deshalb als die Schutzpatrone der Florentiner „Media" gegolten haben und, 



über den die jene Thäler 
verbindende- Sacra via 
ging, hiess Velia, ein 
Name, der, mil dem ei- 
ner unteritalisijhcn Stadt 
{Elea) identisch, angeb- 
lich Moosherg bedeutet. 
Diesen bescheidenen Gi- 
pfel wollen wir zur Feier 
des Abends eben noch 
erklimmen und von ihm 
aus auf den durchleb- 
ten Wandertag zurück- 
schauen, aber indem wir 
auf ihn und den Titus- 
bogen zusteuern, fällt uns 
links eine runde Kirche 
auf, deren Portal durch 
zwei antike Porphyrsäu- 
len und einen ebenfalls 
antiken Architrav gebil- 
det wird. Sie ist un- 
besucht, alKT offen und 
die bronzene Thür nur 
angelehnt : wir werden 




Per T«m|»c1 *\c* Komuliu, jeLrl SS. Coorfii c Itamianci. 



20 



arabische Zwillingsbrüder, an dieser Stelle auf die römischen Zwillinge, Romulus und Retnus, gefolgt 
sind ; ihnen (ursprünglich nur dem Romulus und zwar nicht dem Erbauer der Stadt, sondern dem 
Sohne des Maxcntius) war die antike Rotunde geweiht, die, wie der l>enachl>arte Tempel des 
Antoninus und der Faustina, in eine christliche Kirche umgesehaffen worden ist ; die hervorstehende 
Mauer links ist vermuthlich der Rest der ehemaligen Vorhalle dieses (iebäudes, zu welcher auch 
zwei halbverschüttetc Cipollinsäulen rechts (vor dem Oratorio della Via Crucis) gehörten. Wie 
dort ein antiker Forticus zur Vorhalle der Kirche San Lorenzo, so dient hier ein antiker Rund- 
tempel zur Vorhalle der Kirche SS. Cosma e Damiano, die nicht minder unmittelbar auf antikem 
Grunde steht; der alte Fussboden der Rotunde, welcher auf gleichem Plane mit dem des Temjiels 
des Antoninus und der Faustina gelegen und nur allmählich durch den Schutt des Forums verdeckt 
worden ist, tritt nämlich noch in einer L'nterkirche zu l äge, zu welcher in der Apsis eine Thür 
hinabführt, und die ein drittes Element in den verwickelten Bau-Complcxc darstellt; sie ist nichts 
anderes als das Gewölbe, welches Urban VIII. 1633 über dem alten tiefen und feuchten Pflaster 
aufführen liess und wodurch er die Kirche wieder auf gleiches Niveau mit ihrer erhöhten l'mgebung 
brachte. Dass Felix IV., welcher sie 527 anlegte, gerade diesen Tempel als Bauplatz wählte, 
wird wohl durch die Analogie der beiden Brüderpaare veranlasst worden sein, da man bei „Romulus" 
auf alle Fälle zunächst an Romulus und Remus dachte, und die Kirche immer das Princip gehabt 
hat, in die heidnischen Tcm|>el I leilige einzusetzen, welche den daraus vertriebenen Göttern einiger- 
massen entsprachen; vielleicht hatte man l>creiLs des Namens Romulus wegen diese Wände mit 
dem marmornen Plane des alten Roms bekleidet, dessen merkwürdige Fragmente gegenwärtig 
an der Treppe des capttolinischen Museums eingemauert sind und die wiederum zu dem Titel 
„Templum l Irbis Romae" führten. Fs heisst aber überdies, dass hier bereits in alter Zeit ein 
medieinischer Club bestanden und unser Rundtempel eine Art „Jatreion" abgegeben habe : hier 
mag Antonius Musa aus und eingegangen sein, der August durch seine kühne Kaltwassercur vom 
Tode gerettet hatte, nachdem er von den übrigen Aerzlen schon aufgegeben war; hier mag der 
Zahnarzt Cascellius, der Bandagist Hermes, der Augenarzt Hyginus, der I lühncraugcn-Operateur 
Fannius verkehrt; hier mag der berühmte Galen, der Leibarzt des jungen ("ommodus, den Teulhras 
getroffen und einen Vortrag über die Frage gehalten haben, ob der von Erasistratus bekämpfte 
Aderlass nicht in gewissen Fällen unerlässlich sei. Hin Grund mehr, das Ijocal den heiligen, 
umsonst praclic irenden und daher von den Griechen „Doctoren ohne Geld" genannten Medici anzu- 
weisen. Ihre Gebeine befinden sich nicht hier, sie wurden vielmehr 1649 von Bremen nach München 
übergeführt und in der Michaeliskirche beigesetzt. 

Wir müssen es uns leider versagen, bereits hier auf jene grossen Mosaiken näher einzugehn, 
und die Beschreibung und Abbildung derselben auf die christliche Zeil versparen, wo uns ein 
günstiger Stern hoffentlich wieder einmal um dieselbe Stunde, auf der Rückkehr von den Katakomben, 
über die Velia führen und uns der Herr Christus wieder erscheinen wird; gegen Al>end ist 
nämlich das beste Ficht für diese feierlichen, tiefergreifenden Darstellungen. Für heute lassen 
wir uns an der flüchtigen „Vision" genügen und kundschaften zunächst das Terrain noch weiter aus 
das uns immer von neuem zu einer liebevollen Vertiefung in das classische Alterthum hindrängt. 

II. 

Interessante und fragenreiche IV-nkmäler begleiten unsern Weg in unablässiger Folge. 
Hinter den Heiligthümern des Romulus und des Antonin und der Faustina, genauer hinter den 
Plätzen, die sie später einnahmen, lag der berühmtP Tempel, den Vespasian nach der Eroberung 
Jerusalems mit grosser Pracht inmitten eines neuen Forums erbauen liess, und den er gleich diesem 

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der Güttin des Friedens der den Oelzweig und den Caduceus führenden Pax weihte: die beiden 
sich in einander windenden Schlangen daran sind rin Symbol der Eintracht ; den Reichthum, den 
wir oben mit der Concordia und dem Saturn vermählt gefunden haben, trägt die Pax als Kind 
auf ihren Armen, wie eine schöne Statue der griechischen Irene in der Münchener Glyptothek 
beweist. In dem Friederistemi>el stellte Vespasian unter andern Kunstwerken und Weihgeschenken 
auch die Jerusalemor Sjiolion auf, die der Kronprinz Titus mitgebracht, das heisst den sieben- 
armigen Leuchter und den Schaubrodtisch, denn die Vorhänge des Tempels und die Gesetzbücher 
waren in den kaiserlichen Palast auf den Palalin gekommen. In der fürchterlichen Feuersbrunst 
unter Commodus, die uns der griechische Geschichtschreiber ilerodian ausführlich beschrieben 




Du: K„iucaiiüu&ta»llka. 



hat, c. HjO n. Chr., brannte <ler herrliche Bau Vespasians nieder; die jüdischen Schätze wurden 
angeblich gerettet und an einem andern unbekannten Orte niedergelegt, wo sie Jahrhunderte 
lang verblieben. 

Dieses vespanianische Templum Paris hat man nun in den erhabenen Ruinen erkennen 
wollen, welche gleich neben SS. Cosma e Damiano liegen und die schon ihres Umfangs und ihrer 
Erhaltung wegen zu den merkwürdigsten Roms gehören. Drei einsame riesenhafte Bogen gähnen 
abgrundgleich dem Wanderer entgegen, als ob sie ihn samt der Velia und dem gegenüberliegenden 
Palatin verschlingen wollten, drei Gewölbe von ungeheurer Spannung, wie drei Peterskirchen 
neben einander; wirklich dienten sie der Renaissance beim Bau dieser Weltkirche zum Vorbild. 
Sie wären des Vespasian nicht unwürdig gewesen, doch lag der Friedenstempel, wie wir bereiLs 
bemerkten, nicht nebern, sondern hinter dem Tempel des Romulus, mit welchem diese grossen 
Reste gleichen Ursprung haben: sie stammen wie jener vom Kaiser Maxenlius und von einer 



32 



Basilica desselben her. Aber alle prachtvollen Werke , mit denen Maxentius Rom geschmückt, 
weihte der Senat nachmals, nachdem er von seinem Mitkaiser Konstantin dem Grossen geschlagen 
und im Uber ersauft worden war, dem glücklichen Sieger: und so wurde Konstantins Name auf 
den Rundtempel , den der Vater dem S>hnc gewidmet, und aul die „Konslantinsbasilica" 
übertragen. Als solche hat sie der Archäolog Nibby zuerst erkannt, und seine Ansicht wurde 




lUuptbtigcü ,lcf KuluUliliiittuMik?. 



seinerzeit durch eine Münze mit dem Namen Maxentius bestätigt, die in einem herabgestürzten Stück 
Gewölbe steckte; es liegt dicht vor der zweiten Tribüne. Nur beim Volke leben noch heute 
die schönen Namen „Tempio della pace" und „Via del tempio della pace" unvergesslich fort 

Mine eigentümlich variirte, ausserordentlich (76 m zu 100 m IJinge) breite Basilica. bei 
der an die Stelle des Säulenbaues das Princip der Grwülbeconstruction getreten ist, der Ilaupt- 
richtung nach etwa mit dem Forum parallel, also mit der einen I.angseite der Sacra Via und 

*3 



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dem Palatin, mit der einen Schmalseite dem Colosseum zugekehrt; von diesem her, durrh eine 
zum Thcil noch erhaltene Halle, der jetzt in einen Kornspeicher verbauten Tribüne gegenüber 
war der ursprüngliche, enge und niedrige Eingang. Später, vielleicht durch Konstantin den Grossen, 
erhielt die Basilica eine zweite Tribüne und einen zweiten Eingang: zu (lern Zwecke ward von 
der Via Sacra her eine eilfstufige Treppe zu ihr hinaufgeführt und am Portal eine Halle von vier 
Porphvrsäulcn errichtet. Vor die neue Tribüne stellte man zwei Säulen, deren Gebälk umherliegt ; 
von ihr erkennt man noch den Stuhl des Präsidenten, das Tribunal, und die Sitze der Geschworenen, 
die durch ungeheure, mit Victorien verzierte Kragsteine geschieden sind. Dazwischen haben 
byzantinische Künstler betende Christen gemalt, welche stehend die ungefalteten und ausgebreiteten 
Hände gen Himmel erheben; die Heiden beteten auch so, hielten aber die Hände nebeneinander. 

Was stellen nun die drei so grosse Bewunderung erregenden Bogen in dem beschriebenen 
Gebäude dar? Die Tonnengewölbe des rechten Seitenschiffes die nach der Breite der Basilica 
gerichtet sind, und deren mittleres die zweite Apsis enthält. So kühn und gewaltig ihre Wölbung ist- 
so wurden sie an Mächtigkeit doch noch durch die drei der Längsrichtung entsprechenden Kreuz- 
gewölbe des Mittelschiffes übertroffen; denn während sie 20,5 m breit, 17,5 m tief, 24,5 m hoch 
sind, so betrug die Breite der drei Kreuzgewölbe 35 m bei 35 m Höht- und 20 m Tiefe. Ihre 
Flächen sind darch achteckige (.'assettoni, wie man die vertieften, kastenmässigen Felder nennt, 
in den Zwischenräumen mit Rosetten und Raulen belebt; der Hauptbogen sticht durch verschiedene 
Zeichnung derselben ab. Vor den Mittelpfeilern standen acht Riesensäulen von weissem Marmor 
korinthischer Ordnung, eine davon werden wir auf dem Platze vor S. Maria Maggiore, von der 
h. Jungfrau liestanden, wiederfinden. 

Hinter der Basilica liegt ein Haus, in dem arme Mädchen von ihrem sechsten Jahre an 
bis zu ihrer Vcrheirathung oder anderweitigen Versorgung nach Art der „puetlae alimentariae 
Faustinianae" unterhalten werden , das „Conservalorio detle i>overe zitelle mendicanti" ; und diese 
armen Mädchen halien auf den drei Gewölben einen Garten angelegt. Man spricht viel von den 
hängenden Gärten der Semiramis; auf den Resten des Frieden.stem|>els hängen die Gärten der 
römischen Bcttclmädchen, in ihrer Art auch Königinnen. Vermittels einer Wendeltreppe klettern 
sie hinauf und hegen auf dem erhabenen Beete Rosen und Lilien, und dalwi überblicken sie 
ahnungsvoll, in der Abendsonne verglühend, die Sieben- Hügelstadt und ihre ewigen Ruinen. Hat 
der Dichter wohl an sie gedacht, als er sagte, prächtiger als wir in unserem Norden wohne der 
Bettler an der FngeLspforten, denn er sehe das ewig einzige Rom? — 

Inzwischen ist es, bei der in Rom ohnehin kürzeren Dämmerung, völlig Nacht geworden, 
und indem wir endlich auf der Höhe der Vclia ankommen, finden wir uns samt dem Titusbogen 
in Schatten eingehüllt, die der siebenarmige Leuchter nieht aufzuhellen vermag. 

III. 

Aber das ist die rechte Stunde, wenn wir die Vorbereitungen zu dem Triumphzug sehen 
wollen, den dieses berühmte Monument besiegelt und verewigt; denn sie wurden in der Nacht 
und an einem andern Platz gemacht. Hören wir den Josephus der Augenzeuge war. Diebeiden 
Imperatoren, Titus und sein kaiserlicher Vater Vcspasianus brachten die Nacht auf dem Marsfelde 
nahe beim Isistempcl zu; die l 'nterfeldherren ordneten während derselben das siegreiche I leer in 
Rotten und Schaaren. Bei Tagesanbruch erschienen die Herrseher, lorheerhekränzt und festlich 
angethan, vor der erwartungsvollen Menge und begaben sich zu den Säulengängen der Octavia, 
allwo sie vom Senat und den obr-rsten Behörden empfangen wurden. Alles jauchzte und jubelte den 
Glücklichen zu, die würdevoll auf ihren curulischen Sesseln sassen; der Kaiser Vespasian aber 

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erhob sich, verhüllte sein Haupt und betete zu den Göttern; dann lud er die Soldaten zum Fest- 
mahl ein und entliess sie. Verweilen wir, ehe wir die Triumphatoren weiter verfolgen, zunächst 
ein wenig bei jenen Säulengängen der Octavia, in denen die mediccische Venus gefunden ward, 
und deren edle Reste sich noch heute an der Grenze des Ghetto und des früheren Fischmarktes, 
in pittoresker Umrahmung über einem dunklen graubraunen I Iäuserknäuel erheben. 

Säulenhallen oder Colonnaden, wie man in gewissen Gegenden auch sagt, Lauben, das. 



heisst lange, 
schmale, mit 
einem auf 
Säulen ru- 
henden Dach 

bedeckte 
Gänge sind 
in allen süd- 
lichen Län- 
dern ein IVe- 
dürfniss und 
finden sich 
daselbst aller- 
orten «rtd zu 
allen Zeiten 
in verschie- 
denartiger 
künsderischer 
Ausbildung. 
Sic gewähr- 
ten zugleich 
frische Luft 
und Schutz 
gegen die 
Wärme der 
Sonne oder 
die Feuchtig- 
keit der At- 
mosphäre 
und stimmten 
in dieser Be- 
ziehung mit 




Oer l'iKtiaii der Ckuvl*. 



unsern Pas- 
sagen sowie 
mit den Mün- 
chener Arca- 
den überein: 

namentlich 
leiten sich von 
ihnen auch 
die Kreuz- 
gänge der 
christlichen 
Klöster her. 
Den Grie- 
chen, welche 
sie Stoen 
nannten, wird 
ihre Erfin- 
dung zuge- 
schrieben, 
von ihnen 
adoptirtensie 
die Römer 
unter dem 
Namen Por- 
ticus. In Rom 
wurden sie 
wie gewöhn- 
lich ins Gros- 
se ausgeführt 
und in jeder 
Hinsicht ver- 
vollkommnet. 



und verschönert, bald mit Anlehnung an andere Gebäude, balil als freistehende und selbständige 
Construcüoncn und bald privatim, bald öffentlich. In letzterem Falle, wenn für die grosse Menge 
bestimmt, wurden sie bald zu beliebten Sammelplätzen der Bevölkerung und deshalb wie unsere 
Promenaden mit Bänken und Stühlen versehen, mit Gemälden, Reliefs und Statuen decorirt: 
die Venus von Medici sollten die Blicke der römischen Spaziergänger erfreuen. Denn die pracht- 
volle Halle, welche Augustus erbaute und nach seiner Schwester Octavia benannte, war eben ein 
glänzendes Beispiel eines solchen antiken Porticus. 

Wir haben oben bei SS. C'osma e Damiano einer marmornen Karte des alten Rom 



»5 



Erwähnung gethan, die an den Wänden der Treppe des Capitolinischen Museums eingemauert ist 
Auf ihr besitzen wir den Grundrill des Gebäudes. Dasselbe bestand aus einer doppelten Säulen- 
reihe und bildete ein längliches Viereck, worin zwei Tempel, ein Jupiter- und ein Junotempel 
eingeschlossen waren ; es erhob sich auf einigen Stufen. Der Haupteingang ist auf dem Plane 
in der Mitte der rechten Seite deutlich zu erkennen: er wurde durch einen Vorbau bezeichnet, 
.der Aehnlichkeit mit der Vorhalle eines Tempels, einem Pronaos hatte. Zweimal vier Säulen und 
je zwei Anten an den Ecken trugen einen Giebel von edler Form und, gleich Säulen und Gebälk, 
von weissem Marmor; die Anten d. h. die Wandpfeiler bestanden mit Ausnahme der Capitäle aus 
Ziegeln, die aber, wie noch Spuren zeigen, mit Marmor bekleidet waren. Diese Halle vor der Halle 
ist noch grossentheils erhalten, aber durch spätere Reparaturen und moderne Einbauten sehr 
entstellt: Wir haben auf Seite 25 die Aussen- und auf unserer Tafel die Innenseite derselben vor uns. 
An jener, welche nach dem Fischmarkt zu gelegen ist, bemerken wir den schönen antiken Giebel, 
rechts eine Ante und einen backsteinernen, zur Unterstützung des Gehälkes, wahrscheinlich bereits 



unter Septi- 
mius Severus 
und Caracalla 
an Stelle zwei- 
er Säulen auf- 
geführten Bo- 
gen ; links, 
ziemlich ver- 
steckt die bei- 
den andern 
Säulen. Von 
der inneren 
Seite stehen 
nur noch zwei 
Säulen nebst 
einer Ante. 
Säulen und An- 




Ltie Spotten de* Jertnalenwr Tempfii, Stvl|*nn-ii vom Titus fcogm. 



len sind von 
korinthischer 
Ordnung , die 
Basen ver- 
schüttet , die 

cannelirten 
Schäftearg be- 
schädigt An 
den vortreff- 
lich gearbeite- 
ten Capitälcn 
erscheinen an- 
statt der 
Akanthusblät- 
ter und der 
rankenartigen 
Voluten Adler 



mit Donnerkeilen in den Klauen, dic_ Vögel Jupiters, dessen Tempel, wie bemerkt, in der Halle 
eingeschlossen war. Rechts und links vom Vorbau sieht man überdies je einen den weiteren 
Fortgang des Porticus andeutenden Ziegelbogen ; unter dem Anfang der Wölbung haben diese 
Bögen, welche gleich den Anten mit weissem Marmor bekleidet waren, noch marmorne Gebälke, 
die mit Rosetten verziert sind, wie auf unserer Tafel links zu sehen ist. 



IV. 

Von dem Porticus der Octavia begaben sich die Imperatoren zu dem freistehenden Thore 
auf dem Marsfeldc, durch welches gewöhnlich eingezogen ward (porta triumphalis), nahmen ein 
Frühstück ein, opferten vor den hier aufgestellten Götterbildern und legten die Triumphatoren- 
gewänder an: das palmcnnestickte Hemd (tunica palmata) und den purpurnen, mit goldnen Sternen 
übersäten Mantel (toga picta). Nun begann die Procession: langsam und feierlich, ein unabseh- 
barer Strom, ergoss sie sich über den Flaminischen Circus, dann am westlichen Ende des Capitoli- 
nischen Berges durch die Carmentalis in die Porta eigentliche Stadt, von da zum Circus Maximus, 
durch diesen und zwischen Palatin und Caclius zur Velia und auf der Via Sacra zum Forum, 



w6 



endlich den Abhang hinauf auf das Capitolium — zum Tempel des Jupiter, in welchen so einzuziehn 
ein fast übermenschliches Glück erschien, und an dessen Stufen einst Caesar ehrfurchtsvoll die 
stolzen Knie beugte, um demüthig hinauf zu klimmen. 

Mit ihr gelangen wir also wieder auf unsere Velia und zu jenem Bogen, der dem Kaiser 
Titus nachmals zum Gedächtnis* dieses Tages errichtet wurde: an ihm können wir uns noch heute 
die Hauptmomente des Triumphes, der wegen der Zerstörung Jerusalems 71 n. Chr. abgehalten 
ward, lebendig vergegenwärtigen. Den Zug eröffnete der Senat, welcher die Truppen an den 
Thoren Roms empfangen hatte und sie nun gleichsam in die Stadt einführte. Hierauf kam die 
Musik, grosse gewundene Hörner (cornua) und geradeaus laufende Trompeten itubae); dahinter 
eine Reihe von Wagen, die mit der Kriegsbeute beladen waren: die interessantesten und werth- 
vollsten Stücke wurden auf Rahren (ferculis) dazwischen getragen und den neugierigen Blicken 
der Menge ausgesetzt. Das Basrelief an der Seitenwand unter dem Titusbogen, welches wir 
umstehend abgebildet haben, gibt ditrsen Theil des Zuges treu wieder. Römische Soldaten tragen 



die Spolien 
des Herodia- 
nischen Tem- 
pels auf ih- 
ren Schultern 

durch die 
Porta trium- 
phalis : acht 
den goldnen 

Schaubrod- 
tisch (i. Ki">n. 
7 , 48) und 
die silbernen 

Posaunen, 
mit denen 
das Halljahr 
durch ganz 
Einfall hat 



Palästina ver- 
kündigt ward 
f3.Mos.J5,o); 
acht andere 
den goldnen 
Leuchter, der 
im Heiligen 
stand , und 
dessen siel>en 

Arme die 
sechs Wo- 
chentage mit 
dem Sabbat 
in der Mitte 
vorbedeuten 
sollten: wohl 
aus eignem 

der Bildhauer auf dem Fusse Stiere, Adler und andere Ungeheuer angebracht. 




Der Zug des Triuaptiators, Suüptnren rom Titiulmgen. 



Nach diesem tausendmal copierten Leuchter, welchen man in Stuck auch an den Wänden 
unserer Judenschulen abgebildet sieht und von dem der im mailänder Dome aufgepflanzte Cande- 
laber eine lehrreiche Anschauung gewährt, hiess der ganze Bogen im Mittelalter „arcus septem 
lucernarum"; er allein hat der Nachwelt die Gestalt des heiligen Geräthes überliefert. Nebenher 
werden an der Spitze langer Stangen Placate getragen, auf welchen die Zahl der Gefangenen, 
der Werth der Beute, der Name der eroberten Stadt und Provinz in grossen Buchstaben zu 
lesen ist: diese Placate heissen tituli, und ihre eigenthümliche Form hat sich auf die Marmor- 
tafeln, welche die Nischen der italienischen Friedhöfe verschliessen, ja bis auf unsere Fünfmarkscheine 
vererbt : das Täfelchen auf der Rückseite, welches die Worte „Fünf Mark" enthält, ist ihnen ganz 
ähnlich. Auf dem Original folgen hier noch gefangene Juden, denen die Hände auf dem Rücken 
zusammengebunden sind. 

Von jetzt ab müssen wir uns den Triumphzug wieder mit der Phantasie ausmalen. Hinter 
den Spolien marschirte eine Bande von Flötenbläsern (ttbicines), die den weissen, ritualmässig 
geschmückten ( )pferstier anführten, welchem wiederum die Priesterschaft mit ihren Acoluthen folgte. 
Dieser Opferzug ist mit mehreren Rindern am Friese des Säulengebälks dargestellt, dabei der 



»7 



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personincirtc Jordan, der als Greis auf einer Bahre wie vorhin getragen wird : wir sehen das auf 
unserer Tafel. Dann gab es wieder Waffen, Fahnen und andere dem Feinde abgenommene 
Trophäen : bei uns würden in diesem Falle die vernagelten Geschütze figuriren; ihnen schleppten 
sich und ihre Familicm trauernd die besiegten Fürsten und Feldherren und, mit Ketten beladen, 
die Gefangenen alle nach. Der greise, gramgebeugte Held da, der barfuss und in schwarzem 
Kleide hinter den Gesetzestafeln herwankt, Ist Simon Bar Giora, der jüdische General; wenn der 
Triumphzug das Capitol erreicht hat, wird er im mamertinischen Gcfängniss erdrosselt werden. 
Vae victis! Warum liess er sich auch einfallen, Jerusalem und den Tempel Jehovahs gegen das 
allmächtige Rom vertheidigen zu wollen? — 

Nun kam der Kern und die Krone des Festzugs, und zugleich fangen unsere Bilder wieder 
an, die uns jetzt das Basrelief an der gegenüberliegenden Innenwand abspiegeln : Die kronprinzlichen 
Li Ctoren treten auf, in Civil, will sagen in Toga, Stime und Fasces mit Lorbeer bekränzt, 
gleichsam die Fhrengarde oder die Vorhut des Triumphators , welcher in der obenbeschriebenen 
Uniform, auf dem Haupte einen Lorbeerkranz, in der Hand einen elfenbeinernen Stab mit einem Adler 
an der Spitze, aufrecht auf einem kreisförmigen, von vier Schimmeln gezogenen Wagen steht, ein 
gottgleichcr Mann und ein Rivale Jupiters, daher auch sein Gesicht, wie das thönernc Bildnis des 
Jupiter Capitolinus, mit Mennige geschminkt ist; dahinter hält ihm ein Sclave eine mit Edelsteinen 
geschmückte Krone von massivem Golde über's Haupt und ruft pathetisch : Bedenke , dass du 
ein Mensch bist! Homo es, non Deus! — eine Mahnung, die übergrosse Freude weise zu massigen, 
wie sie der Geras noch heute dem neugekrönten Papst ertheilt. Wenn er sich in der Feterskirche 
zum Hochaltar begibt, wird eine Flocke Werg, die an der Spitze eines silbernen Stabes l>efcstigt 
ist, angezündet und vom Volke ausgeblasen, wobei der Ceremontenmeister zu dem Erwählten 
spricht: Sic transit gloria mundi ! — und diese symbolische Handlung noch zweimal bis zu seiner 
Ankunft am Altar wiederholt. Bei dem Krönungszuge nach dem Lateran, der offenbar einem 
antiken Triumphzug nachgebildet war, musstc er sich früher zu demselben Zwecke auf einen Nacht- 
stuhl setzen. Dem weisen Amtsdiener, der so kluge Bemerkungen an den goldnen Lorbeerkranz 
knüpfte, hat der Künstler auf unserem Basrelief poetisch die Figur einer geflügelten Victoria gegeben, 
wie denn vier langgestreckte Siegesgöttinnen auch die Bogenwinkel beleben; die Rosse der Triumphal- 
quadriga führt nicht minder poetisch die Göttin Roma am Zügel, die man auch in der ver- 
stümmelten Figur auf dem Bogenschlusse erkennen will ; Lictoren zählt man zwölf. Den Titus 
hat der Bildhauer in seinem weichlichen, fetten, nicht gerade idealen Habitas allein ohne seinen 
allerdings noch hässlicheren Vater, der mit triumphirtc, dargestellt. Kinder besass Titus nicht^ 
sonst würden dieselben bei ihm im Wagen gestanden hahen, während die älteren Söhne als 
Postillone auf den Schimmeln oder auf besondern Pferden nebenher zu reiten pflegten. Hinter dem 
General marschirten die hohen Offiziere, die Legati, die Tribuni und die Fquites, alle zu Pferd, 
dazu die Bürger, die er aus der Kriegsgefangenschaft hefreit, den Freiheitshut auf dem Kopfe: 
das gesammte siegreiche Armee-Corps, lorbeerbekränzt und Lorbeerzweige in den Händen, schloss 
den Zug, bald Hymnen zu Fhren ihres Feldherrn, bald nach altrömischer Sitte derbe Spottlieder 
auf el>en denselben singend und in das „lo triumphe" des Publicums einstimmend. Auf dem 
Capitol verrichtete der Triumphator ein Dankgebet, opferte dem Jupiter und legte dem Gott seine 
goldne Krone, sowie den Lorbeerzweig, welchen er in der Hand trug, später statt dessen eine 
Palme in den Schoos, weihte ihm auch einen Theil der Beute. Zuletzt gab er seinen Freunden 
und den angesehensten Männern der Stadt auf dem Capitol ein splendides Gastmahl, von dem er 
abends mit Fackeln und Musik nach Hause begleitet wurde. 

Diese Reliefs sind wahrscheinlich Nachbildungen von Gemälden, auf denen der Krieg in 
seinem ganzen Verlaufe dargestellt war und wie sie bei Triumphen gewöhnlich auf hohen Staffeleien 





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mit umgetragen wurden. Ua sah man. sagt Josephus, da» Land verwüsten, die Feinde nieder- 
metzeln, die Mauern einbrechen, die Festungen benennen, die Stadl anzünden und jenen Tempel 
einäschern, welcher die letzte Schutzwehr der verzweifelt«) Juden gewesen war. Oer ganze Bogen 
und Triumph beweist übrigens, dass die Kömer das -Volk Israel als keinen geringen Feind betrach- 
teten — „die Nation der Juden bezwungen und die solange- vergeblich angegriffene Stadt Jerusalem 
endlich niedergeworfen zu haben", erschien ihnen besonders glorreich. 

V. 

Es erübrigt nun noch, das Wenige nachzuholen, was an dem Rogen sonst bemerkenswerth 
sein dürfte — dem Bogen, denn in der That ist es. im Gegensatz zu andern, ein einziger, 
einfacher, nur durch je zwei länglich viereckige Fenster unterbrochener Bogen. An beide Facaden 
sind je vier Säulen angelehnt, je zwei an den Eckel) und je zwei zu Seiten des Gewölbes, unter 
ihnen aber nur die beiden mittleren an der Facadc nach dem Colosseum, wo die Inschrift steht, 
antik, und diese die frühesten Beispiele der römischen Säulenordnung, deren Kapital aus dem 
korinthischen Akanthusblätterkekh und den jonischen Voluten zusammengesetzt ist. Der Kern 
des Bogens besteht aus Travertin, die Attika aus enormen Marmorblöcken, die in den Feuern 
des Tages last lebenswarm entbrennen . im Schatten einen kalten , grünlichen Schein annehmen ; 
mit pentclischem Marmor war derselbe ursprünglich ganz bekleidet, aber als er im zwölften Jahrhundert 
zu einem Thor der frangipanischen Festungen erhoben, und das berühmte Monument mit so vielen 
anderen in eine grosse finstere, zinnengekrönte Burg verschmolzen ward, die dann wieder langsam 
von ihm abbrach und gleich einer Schale barst mag auch sein weisses Kleid in Stücke gegangen 
sein. Laut der schönen, leserlichen Inschrift an der Attika, an welcher dem Laien die l'nzer- 
trenntheit der Worte und die stehende Wiedergabe von U durch V auffallen wird: 

SENATVS 
POPVLVSQVF.ROMAS'VS 
DtVtmrODtVlVESI'ASlANIK 1I.R) 
VESPASIANOAVGVSTO — 

— Vcspasianus war Beiname auch des Titus - wurde der Bogen dem vergötterten Titus, 
mithin erst nach seinem Tode errichtet, was auch daraus hervorgeht, dass am Scheitel der mit 
rosettirten Kassetten und hübschen Arabesken darum herum verzierten Tonnenwölbung (wir sehen 
sie am vollkommensten auf unserer zweiten Tafel) Titus' Apotheose dargestellt ist: der Kaiser 
wird von einem Adler zum Himmel emporgetragen. Fin Adler flog nämlich bei der Ceremonie 
der Apotheose oder Consecration vom Scheiterhaufen auf, wie man glaubte, die Seele des Verstorbenen 
entführend. Alle Kaiser nahmen diese Ehre für sich .in Anspruch, die den Göttlichen in der Regel 
durch Senatsbeschluss zuertheilt ward, aasgenommen Vespasian, Titus' Vater. 

Noch heute mag kein Jude durch den Titusbogen gehn, der ihn an den vollständigen 
Verlust der politischen Selbständigkeit und die verhängnissvolle Zerstreuung seines Volks über 
das Abendland erinnert, und den dieses sein Volk Jahrhunderte lang beim i>äpstlichcn Kröjiungszuge 
mit Tcppichen und seidnen Stoffen decoriren musste; er geht zwischen ihm und dem Palatin hinunter. 
Auch glaubt er nicht etwa, dass dem I leiden, dem er wohl gelegentlich einen Stein an seinen Titus- 
kopf wirft, die Zerstörung der heiligen Stadt so hingegangen sei: nein, Jerusalem Hess sterbend seinen 
Stachel in ihm zurück. Beim Triumphzug drang dem Imperator eine Mücke mit kupfernem Stachel 
durch die Nase ins Gehirn, ihn fortan ununterbrochen quälend. Als er einmal bei einer Schmiede 
vorbeizog, hörte das Insect, erschreckt von dem Gehämmer, zu stechen auf: Titus war schon froh, er 
wollte nun neben seinem Palast beständig ein I lammerwerk unterhalten lassen. Allein die Mücke 
gewohnte den Hamm erschlag, eine Phrase, die beiden Juden sprichwörtlich geworden ist. 



29 



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Cuin Firnt*:, Aa/gmc «"» l'ilatiu. 




P a 1 a t i u m. 



!. 



ie Velia billigt geographisch nur einen Abhang des höchsten und berühmtesten 
unter den sieben Hügeln, welcher, ursprünglich eine grüne Bergtrift und mit alt- 
lateinischen Sennhütten bedeckt, Pulalium d. i. Anger oder Alm genannt ward: der 
Name, den man sogar von den über ihn zerstreuten Schafen und I Emmern (a bala- 
ovium) hat ableiten wollen, hängt wahrscheinlich mit Pabulum, Pastor und mit 
der Hirtengöttin Pales zusammen, deren Schutz man, wie heutzutage dem heiligen Anto- 
nius, das Wohl der Heerden anbefahl, und an deren Fest, den bereits erwähnten Palilien, 
dreimal über die reinigenden Flammen brennender I leuschoher gesprungen ward. Sie 
3t bildet den nordöstlichen, nach dem Forum und dem Fsqutlin zu gelegenen Abhang dieses 
Hügels, während ein nordwestlicher, Germalus oder Cermalus genannt, nach dem Capitol 
und der Tiber, ein südöstlicher nach dem Caelischen Berg gerichtet, endlich ein sudwestlicher 
durch das Thal des Circus vom Aventinus geschieden war; mit diesen Abhängen stellt er ein 
unregelmässiges Viereck dar, dessen Umfang 1 744 m, genau soviel wie der Tuileriengarten, beträgt 
und das sich, durch ein schon in alter Zeit überbrücktes Thal in der Richtung von Nordost 
nach Südwest durchschnitten, bis zu 51,2 m über den Meeresspiegel, 35,4 m über das antike 
Niveau der Stadt erhebt Beim Besteigtm der Velia und noch vor deren Gipfel, von welchem 
der älteste Aufgang war (durch die Porta MugionLs; einen zweiten, durch die Porta Romanula, 



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hat man am Forum um! einen dritten, die Treppe i)e_s ("acus am Cirius aufgefunden), bemerkten 
wir rechts, gegenüber der Constantinsbasilika, ein Portal, darüber ein Einhorn, «las Wappen der 
Farnese, und die lateinische l "eberschrift : 

Horti Palatini Farnesiorum, 
die uns auf das Palatium einzuladen schien. Wir können jetzt der Versuchung nicht widerstehen, 
statt die Velia auf der itndcrn Seite und zum Colosseum hinabzugehen, erst zu diesem Thore 
einzutreten und die dräuenden, von immergrünen Eichen umrauschten Felsenwände zerstörter 
Kaiserpalästc zu erklimmen, trotzdem wir voraussehen, dass wir uns in einen labyrinthischen Irr- 
garten und in ein verzaubertes Schloss begeben, aus dem wir nicht gleich wieder herauskommen 
werden — und indem wir die breiten Stufen der ersten' Rampe bequem hinaufsteigen, wieder- 
holen wir uns eine alte, bekannte Legende. 

Die Tiber ist ausgetreten und begräbt eine wüste Landschaft in einer wüsten Mut, unter 
deren Andrang Busch- und Strauchwerk nachgibt und aus welcher die sieben Hügel wie Inseln 



aus einem 
Nil aufragen. 
Auf dieser 
Flut treibt, 
wie weiland 
das Körb- 
chen Mosis 
in Aegypten, 
eine mit zwei 
lebendigen 
Knäblein be- 

ladcne 
Wiege. Es 
sind auser- 
wählte Kin- 
der , Werk- 
zeuge des 
Schicksals 




llie Wufün nlt kooiulu* uml K 

].:>.-.!.,.. ■ t I : .;ir-, \rr.z: im Lupcrdl, fClJl Ulf dem CipUdl.'t 



und die un- 

bewussten 
Träger einer 
grossen Zu- 
kunft — die 
Zwillinge des 
Mars die in 

Albalonga, 
den Plänen 
des Usurpa- 
tors zum 
Trotz , aus 
dem jung- 
fräulichen 
Schoosse ei- 
ner Vestalin 
entsprossen 
und auf Amu- 



lius' Befehl den unbarmherzigen Wellen übergeben worden sind. Aber sanft trägt sie der 
gelbe Strom die niedrige Campagna und his an den Palatin hinab, wo ihr steuerloses Fahr- 
zeug von ohngefähr an dem knorrigen und ausgebreiteten Geäst eines wilden Feigimbaumes, 
der Ficus Ruminalis, hängen bleibt. Gottes Hand ruht sichtbar über ihren Häuptern: eine 
grimme Amme, eine Wölfin hört ihr Schreien und säugt sie — säugt sie, bis sie erstarkt 
die kräftigere Atzung eines Spechts vertragen, der mit andern heiligen Vögeln hülfreich ge- 
llogen kommt. Welch Wunder! Faustulus, der fromme Schäfer, betrachtete es staunend: er 
nahm die Zwillinge, trug sie in seine Strohhülte am Rande des Berges und brachte die von 
wilden Thieren an Kindesstatt atigenommenen Wölflein der Acca Larentia, welche sie Romulus 
und Remus. nannte, während die alte Mutter heulend in ihre tiefe Höhle, das finstre Lu- 
percal kroch. 

Sie legte sich hier zu Füssen ihres Herrn, des mit Ziegenfellen bekleideten Faunus Lupercus, 
dem alle Wölfe unterthan sind, und der sie nach Belieben zur Heerde sendet und von der Heerde 
abwehrt (lupos arcetj-, ihm zu Ehren ward nachmals hier alljährlich im Februar das volksthümliche 
Fest der Luperealien gefeiert, das in Shakesj>eare's Julius Caesar vorkommt, ja, das in anderer 



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Form noch heute unter den römischem Katholiken tortlebt, sintemal es von der Kirche in die 
L ich t) 1X88 verwandelt worden ist') 

Auferzogen auf der Alm, in Sennhütten wie schlichte I lirtensohne, wuchsen die Findlinge 
zu kecken Knaben auf, die sich im Kampf mit wilden Thieren und mit wilden Räubern massen und 
es mit aller Welt aufnahmen. Eines Tages gedeihen sie in Streit mit den I Iirten des reichen Numitor, 
die auf dem Aventin weideten; Remus wurde gefangen genommen und vor den Herm in Alba- 
longa, seinen eigenen unbekannten Grossvater geschleppt Das Gesicht des Gefangemen, sein 
Alter, sein wunderbares Schicksal, alles das fiel dem Numitor auf; er schickte auch nach Romulus, 
der mit Faustulus herbeieilte. Da offenbarte sich die Abkunft der Zwillinge: mit ihren beider- 
seitigen Gefährten, den Quiptilii und den Fabii. erschlugen sie den Usur|»tor, setzten ihren Gross- 
vater wieder in seine rechtmässige Würde ein und kehrten selbander an den heimatlichen Strom 
zurück, um an seinen Ufern eine Stadt zu gründen. 

Gleichen Alters, gleich stark und gleich angesehen, haderten die Bruder, wo diese Stadt 
zu stehen kommen, wessen Namen sie. tragen, wer über sie herrschen solle. Schliesslich wollten 
sie es den Göttern anheimstellen und das altlateinusche Augurium des Yogelflugs befragen. Als 
Weissagevögel galten Rahen, Krähen, Adler, Spechte und Geier: deren sah Remus, auf dem 
Aventin stehend, sechs, aber fast gleichzeitig flogen vor Romulus auf dem palatinischen Auguratorium 
zwölf Geier auf; dies entschied zu seinen Gunsten. Der Aventin, später ein Hauptsitz der Plebejer, 
war noch immerein Unglücksberg gewesen: an ihm haftete von früher her das verwünschte Andenken 
des Cacus ; jetzt wurde er für Remus zu einem Orte schlimmer Vorbedeutung, und noch heute 
scheint ein Fluch auf ihm zu ruhen, denn er ist eine Kinöde, welche Klöster und Wcinl>crge bedecken, 
nur von schwermüthigen Einsiedlern bewohnt 

Somit ward Rom von Romulus gegründet. Am 1 1 . April, dem ersten Frühlingstage, nach 
Varro's Berechnung im 3. Jahre der 6. Olympiade- oder 753 v. Chr. spannte ct nach etruskischem 
Ritus einen Stier und eine Färse an einen Pflug und zog eine Furche um den erwählten Berg: 
diese Furche bezeichnete die Stadtmauer und die sacralrechtliche Schranke zwischen Stadt und 
Feldmark, das sogenannte Pomoerium, jenseits dessen, extra muros, das profane, fremde, plebejische' 
Gebiet begann. Schon erhob sich die aus mächtigen Tuffquadem ohne Mörtel nach Läufern 
und Bindern geschichtete Ringmauer, als Remus spottend mit einem Satze darüber sprang; Romulus 
nach Andern Celer, durchbohrte ihn und rief: So soll es jedem ergehen, der hier darüber springt! 
Die Stadt, die mehr Blut vergiessen sollte als sonst eine in der Welt, ward selbst in ihren 
Grundmauern mit Bruderblut gefärbt 

Das war die Roma quadrata, die älteste, mit dem palatinischen Hügel zusammenfallende, 
viereckige Stadt. Etymologen wollen wissen , jener mit eherner Pflugschar gezogene Mauerkreis 
sei orbis oder urbs und das Thor porta genannt worden, weil man daselbst den Pflug aufhob 
und hinübertrug (von |>ortare, tragen); später wendete man den Begriff auch auf I läusereingäiige 
an. Diese Erklärung hat etwas Ansprechendes, namentlich für Rom, das so oft mit dem Erdkreis 
identilicirt wird, doch müssle man dann „orbis" und „Kreis" in einem sehr weiten Sinne nehmen, 
weil sonst „urbs quadrata" eine musterhafte Contradictio in adjecto wäre, und die altitalienischen 
Städte überhaupt nicht kreisförmig gebaut gewesen sind. Das palatinische Rom, der Keim und 

l) IfcuorlW w»i ein Ranlipingsfc.!, duich wtkbn .dein «mxdil det „Wollutlmchrrr" aU »ielmthr da „IsrfnKhtcr" i'Inmnl versöhnt 
wCTdcti »llt>. An 15. Felxiur (XV. Kil. Man.) fand« |M die Prieslcrcolle,;!.« .kr Falw «ad Oainctilii ao> Pilaün cia i 

in, Lupen»] - un.j.[uafUch vielleicht et» Mr»«brao|.feT. «ic dir», .chlirsKe, kann, dus die Opferprioter fwa 

mit milchECtranlittr Wolle wieder l 



.clh,t nl»r l..hr» musttea. Sich .lern Oplersehiwu«- /emhtiitt min die Fett, der geopferten Bücke ia Kiemen aad Uppen: 
uir-KUtlft, die eitleren wie Geiiaela ickwlapad, liefen die PricKer, die uuu »IM luperri hiessen, nackt darch die Stadl . 
nam.nilur. uiifmchltiue und schwingcrc Wcllei jvitnhrod. Diele letudiung nnaiile Vin Jfhnuü»' - , d.i. 
«rliiuam-, den Feulat ..dies fctiruituy and den £ *tu-n Moeut ..memi» fet.niiiu.» »<.hcr nnier „Kehnur-, 

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Kern der Weltstadt und des W eltreichs, war, wie man auch über die L'rformen der Dinge denken 
mag. nicht rund, sondern viereckig, dem östlich abgestumpften Faralleltrai>ez entsprechend, welches 
der Hügel bildete, und dieses Trapez mit der durch drei Thore unterbrochenen Mauerlinie auf 
halber I Iöhc des Abhangs ganz umziehend. Vielmehr haben die Alten eben in der Roma (juadrata 
ein Emblem der Welt gesehen, die sie sich als ein Viereck dachten, die vier Zeiten und vier 
Gegenden besass, die wie die Lotosblume aus vier Blättern zusammengesetzt war und wie ein 
Wagen auf vier Rädern vorwärts rollte, wie sie später in den sieben Hügeln, auf denen die mit sieben 
Palladien gesegnete Stadt erbaut war, ein Abbild der himmlischen Planeten -Sieben zu erkennen 
glaubten; sie verglichen die bewohnte Knie mit einer ausgebreiteten Chlamys und mit einem Pallium, 
beiiles viereckigen Gewändern. Ja. dergleichen kosmische Bezüge haben zu der stolzen 
Bezeichnung „Aetema urbs" geführt 

IL 

Die Sage verfahrt gerade umgekehrt wie die Wissenschaft, welche bekanntlich Rom nicht 
durch Romulus, sondern Romulus durch Rom entstehen lässt: sie betrachtet diesen Heros nur 
als eine etymologische Personifikation des Ursprungs einer Stadt, deren griechischer Name Roma 
etwa unserem „Starkenburg" und dein lateinischen „Valentin" entspricht,' 1 -seine Geschichte (abge- 
sehen von der aus einheimischen Mythen compilirten Erzählung über seine Geburt und einzelnen 
andern Bestandteilen ähnlichen Ursprungs) nur als eine den nachmaligen Vorstellungen von der ersten 
Bildung und ältesten Verfassung des römischen Staates entsprungene Fabel, die auf keiner 
positiven Ucberlieferung beruht. Romulus ist augenscheinlich ein Diminutivum von Romus, wie 
Faustulus von Faustus i«iui gregi fauslus), Romus aber, welches an sich soviel wie „Starke" 1 
bedeuten wurde, nur aus der Projection der Idee eines Stadterbauers in tiie Wirklichkeit hervorge- 
gangen, Remus eine andere Form seines eignen Namens oder aber eine ähnliche Personification 
einer Stadt Rem[uri]a auf dem Aventin. Der Name Romulus ist in dem modenesischen Familien- 
namen Romoli heute noch lebendig, wie sich denn die Italiener gern nach historischen und 
mythologischen Grössen nennen, und so ein moderner Romoli, trotzdem er nur als ein später 
Schatten des ersten Königs von Rom erscheint, dennoch eine ungleich realere Figur. 

(Jod doch scheint uns eben der alle Romulus seine Existenz mit Brief und Siegel zu 
belegen. Während wir nämlich über dergleichen Reminiscenzen die Rampe hinaufgekommen und 
in eine pittoreske Wassergrotte gerathen, aber in Gedanken weiter gegangen und eine neue Treppe 
bis zu demCasino hinaufgestiegen sind, werden wir urplötzlich durch eine prächtige Wölfin überrascht, 
welche, erfüllt von zarten Muttersorgen , bang und scheu in ihrem Käfig auf und abhuscht. 
Verwundert betrachten wir dieses lebendige Stück römischer Gründungssage: Lebt am Ende die 
alte Luperca noch, die unsere Zwillinge gesäugt hat? Wir befragen dent'omthur Rasa, ("onservator 
der KaiscTpaläste und Inhaber des Casino, über dieses archäologische Specimen — ob er etwa die 
Amme des Romulus eingefangen habe? Und er theilt uns mit, dass sie allerdings die echte römische 
Wölfin sei. In ihren Adern rolle das Blut des Romulus. Vor ein paar Jahren habe der Graf 
Pianciani , damals römischer Bürgermeister , angeregt durch die Bären Bern 's und die Adler des 
protestantischen Rom 's, eine Wölfin angekauft und in die Gärten des Capitols, links von der asphaltirten 
Elachtreppe, gesetzt. Grober Missgriff! Wo war denn das Lu]>ereal ? Hier unten am Germalus. Da 
erkennt man ja noch die Wolfsschlucht und das ehrwürdige Zwillingsheim, unterhalb der 1 lutte 
des Faustulus. Kr habe also flugs eine andere Wölfin für die farnesischen Gärten des Palatin 
gekauft ; und nun sei die Wahrheil gleich offenbar worden. Nämlich die Wölfin des Grafen Pianciani 
war keine Wölfin, es war ein Wolf! Das kommt davon, wenn man die Topographie vernachlässigt 

■) Neben ihm t üiürlc noch ein fijeaerlichcr Nlme der Stull, Klüt», iin.i ein Kclirimct, uwwcpircklklirr, »eU ruijlmh 'Irr Ort Sdnilt- 
CiKhen Jet Stadt, die «nridlkhe PtieMet nichl «M anrufen und den Rumetn iMpMNlg wathm durfte», ..ItocS: Ar»«», da. von Kuno. 

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Es steht zu hoffen, dass Herr Rosa auch die bronzene Wöllin, jene etruskische Nach- 
bildung' des römischen Wappenthiers, das uns von allen Omnibusen und von allen Bannern der 
Stadt entgegengrinst, wieder vom Capitol herunterholen und an den Eingang des Lupercal, oder 
in die benachbarte Kirche San Teodoro verpflanzen wird, die für einen alten Tempel des Komulus 
und Remus gilt, und in welcher sie im sechzehnten Jahrhundert stand. 

Unsern Vätern, den Germanen, war das Erscheinen, der Angang eines Wolfes ein glückliches 
Vorzeichen, daher gaben sie sich des guten Omeas wegen den Namen Wolfgang. Das war 
also jetzt auf dem Palatin ein wahrer Wolfgang für uns. L'ebrigens aber sieht es hier oben 
nicht nach Wolfsschluchten und nach den Sennhütten der Gründungszeit aus: jene ländlichen 
Traditionen werden von welthistorischen Jahrtausenden erdrückt. Welch ein Bild, das sich vor 
uns entrollt! Ein starres Ruinenmeer, wüst und unübersehbar, voll erschütternden Ernstes, beredt 
in seinem Schweigen. 




T («artrn »o( drm I'aUtir». 



Es xab sehünre Zeilen, 
AU die unsern, das ist nicht zu streiten ! 
Und ein edler Volk hat einst gelebt. 
Konnte die (ieschtchte davon schweigen, 
Tausend Steine würden redend zeugen. 
Die man aus dem Schoos» der Eide graut, (Schiller.) • 

Schönere Zeiten? Mich dünkt, diese Steine zeugen vielmehr von ungeheurem Frevel, von 
masslosem Beginnen und vom Wahnsinn der Caesaren. Aber sie zeugen allerdings zunächst 
von den grossen Zeiten der römischen Republik, von jener Periode, die auf die mythische der 
Könige gefolgt ist, und in die wir uns jetzo vertiefen wollen, indem wir hinter der Wohnung des 
Dircctors in einen langen gewölbten Gang, den sogenannten Cryptoporticus, eintreten, in welchem 
dereinst auf gleichem Wege Caligula ermordet worden ist, der uns aber glücklicher und ohne 
andern Aufenthalt als den bei einem merkwürdigen Sarkophag mit der Fabel der Medea zu einem 
altrömischen Privathaas gerade an dessen Eingang leiten wird. 

Frühe waren sechs kleine Ortschaften auf benachbarten Waldhöhen in die romulische 
Altstadt eingegangen und das Palatium hatte sich zu einem Septimontium erweitert: das Andenken 
an ihre Aufnahme erhielt sich in dem alljährlich im Dezember gefeierten Siebenhügelfest, welches 

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gleichfalls Septimontium genannt ward. Der gegenüberliegende capitolinische Berg wurde zur 
Burg der Stadt ausersehen; die heimathlosen Flüchtlinge, denen Romullis hier ein Asyl gewährt 
hatte, kamen auf diese Weise /um römischen Bürgerrecht Auf dem (Juirinal sassen die Sabiner : 
nach hartem Kampfe, in welchem Romulus den Jupiter Stator anrief, dem Fluchtsteller den noch 
heute bei der Porta Mugionis erkennbaren Tempel angelobend, fand die Vereinigung mit ihnen 
statt und damit eine weitere Annexion. Den Caelius zog Tullus Hostilius zur Stadt, indem er die 
Bewohner des zerstörten Alba dahin verpflanzte; den Aventin der König Ancus Marcius, der ihn 
I^ateinern anwies. Und so wurde wie gesagt ein Hügel nach dem anderen erworben und das 
Pomoerium mehrmals vorgerückt, aber der Palatinische Berg darüber nicht verlassen. Im Gegcn- 
theil, die ehrwürdige <iuadrate Mutterstadt, voll uraller Heiligthümer und durch die nationalen 
Sagen und Wahrzeichen geweiht, mit Inschriften bedeckt, die dem Fremdling wie noch heute 



von der Ur- 
geschichte 
des römi- 
schen Volks 

erzählten, 
sie blieb 
nicht nur 
die Resi- 
denz der 
meisten Kö- 
nige, i. B. • 
des Ancus 

Marcius 

des 



Priscus 
iServiusTul- 
lius wohnte 
auf dem Ks- 
i(uilin), son- 
dern auch 
der Stamm - 
und Lieb- 




lingssitz der 
alten Patri- 
zierfamilicn, 
genau so 



•I«. H.u.r, ,Sp Livi» „,,f <l.m F»1.lin wbt Seile }J1. 



Familien in 
Wien oder 

in Paris 
nicht die 
Vorstädte, 
sondern die 
von Glacis 
umgebene 
innen: Stadt 
zu bewoh- 
nen pflegen. 
Wer kennt 
nicht das 
] trächtige, 
an Kunst- 

schätzen 
reic he „Pa- 
laisdeScau- 



rus", nach welchem Mazois seine Untersuchungen über das römische Haus betitelt hat? Nun, 
sothanes Palais stand auf dem Palatin , da wo , gegenüber dem kleinen Museum , eine Tafel 
die Wohnung des Clodius angibt, denn dieser in den Zeiten des Unterganges der römischen 
Republik vielgenannte Agitator kaufte es für beiläufig drei Millionen Reichsmark. Berühmt ist 
seine Feindschaft mit Cicero und diese Feindschaft schien sich sogar auf die Häuser der beiden 
Staatsmänner zu vererben; sie waren Nachbarn und recht hämische Nachbarn, denn Cicero spricht 
es offen aus, dass er dem Clodius die Aussicht verbauen wolle, um selbst das Vergnügen zu 
haben, ihn von oben herab anzusehen. Cicero bewohnte das Haus des Crassus, das er für etwa 
eine halbe Million Mark erworben hatte. Catilina, sein anderes Kreuz, ärgerte ihn gleichfalls 
durch seine verhasste Nähe ; endlich sein Rivale, der reiche Hortensias, mit dem er um die Palme 
der Beredsamkeit rang, wohnte auch bei ihm auf dem Palatin. Bekannt ist ferner, dass das alte 
Geschlecht der Lutatier, die Livier, die Antonier hier sassen, und so wird es uns auch nicht 



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Wunder nehmen, wenn es die Familien thaten, welche Rom seine ersten Kaiser gegeben haben: 
die Familie Julius Caesars, der anfangs ein bescheidenes Haus in der Niederung zwischen Caelius 
und Ksc)uilin, der lebhaften Subura innc hatte, aber als Pontifcx Maximus die hiesige Amts- 
wohnung, die Regia bezog, und die des Tiberiiis Claudius Nero, des alten Tiberius oder des Kaiser- 
vaters und Gemahls der Livia Drusilla, an dessen Thür uns eben unser Cryptoporticus geleitet, 
und dessen stillem Heim, als dem letzten palatinischen Privathaus, wir gegenwärtig einen Besuch 
abstatten wollen. Da sich die Livia, welche von ihrem Gemahl geschieden und an den Kaiser 
Augustus abgetreten worden war, nach dessen Tode wieder hierher zurückzog, wird es von den 
Italienern gewöhnlich „Casa di Livia" (Domus Liviae) genannt. . 

Der Fremde nimmt zwar im Allgemeinen auf Treu und Glauben hin, was ihm die Gelehrten 
sagen; aber er möchte doch auch manchmal erfahren, wie sie zu ihren Bestimmungen und ihren 
Resultaten kommen. Woher weiss man z. B., dass dies gerade Kaiser Tiberius' Elternhaus 
Vorstellt, höre ich einen fragen, wo es doch weder im Brandkataster steht noch an den Wänden abge- 
sehen werden kann? — Ich will dem liebenswürdigen Skeptiker verrathen, woher man es weiss, 
und ihm eine Probe archäologischer Forschung geben. Dieses backsteinerne Häuschen ist erst 
i S69 blossgelegt und seine Taufe allerdings auf Grund eimT alten Inschrift vollzogen worden, die 
nur nicht gerade über dem Portal zu lesen ist. Nein, sie ist auf den Bleiröhren zu lesen, die 
da unten an der linken Wantl des mittleren Zimmers lehnen. Sie leiteten das Trinkwasser in das 
Haus und wurden 1870 in einem unterirdischen Gange gefunden. Auf ihnen stehen also ab und zu 
die Worte: JULLE AUG., d. h. Juliae Augustae. Julia Augusta hiess Livia nach Augustus' 
Tode: indem ihr der Kaiser ein Drittheil seines Vermögens im Testament vermachte, nahm er 
sie zugleich ins Julische Geschlecht und in den Julischen Namen auf. Nun aber ist wiederum 
bekannt, dass dergleichen Gerätschaften regelmässig mit dem Namen des Hausbesitzers gezeichnet 
sind: zu Juliae Augustae hat man etwa ..proprietas", Eigenthum hinzuzudenken. Mithin gehörte 
das Gebäude sammt jenen Röhren der Kaiserinwitwe Livia. 

Der Palatin wurde mit Wasser durch die Aqua Claudia versorgt, von der man noch fünf 
Bogen im Osten erblickt; von hierher kam also wohl auch der ebenerwähnte unterirdische Kanal. 
Fr wurde nachmals durch den Palast der Flavier unterbrochen, die „Aedes publicae" Domitians: 
aber vor denselben bemerkt man eine von rechts her einmündende Zweigleitung, wahrscheinlich 
bestimmt, das Wasser um den Palast herum dem ! lause der Livia zuzuführen. Zu dieser Zweig- 
leitung gehörte die ebenfalls hier aufbewahrte Röhre, auf der man folgende Buchstaben entziffert : 

IMPnOMlTIAN[CAE.SARAUü. SUBtTRA 
EUTYCH1L. PROC. FEC HYMNZSCAESARNSER 

will sagen: 

Imp(eratoris) Domitiani Caesar(is) Aug(usti). Sub cura 
Eutychii Uiberti) produratoris) feefit) Hymnus Caesar(is| niostri) ser(vus), 
oder zu deutsch: 

lEigenthum) des Kaisers Domitian. Fabricirt. imter Leitung des Freigelassenen Eutychius 
von Hymnus, unserer Kaiserlichen Majestät gehorsamem Diener. 

Bei Livia's Tode ging nämlich das Haus in den Besitz des Germanicus Caesar, ihres 
Enkels über und wurde dann Bestandtheil der kaiserlichen Domäne überhaupt. Es kam also, wie 
eben diese Bleiröhre beweist, auch an Domitian, der es nicht nur bestehen, sondern so sorgfältig 
unterhalten Hess, dass er bei der Anlage der Aedes publicae Massregeln ergriff, um ihm seine 
Wasserleitung nicht zu entziehen. Ja, dasselbe Haus hat sich, fort und fort geschont und eben 
deshalb tiefer als die umliegenden Paläste, für welche das Areal erhöht ward und von denen 
man auf Stufen zu ihm herabsteigen musste, bis ins dritte Jahrhundert hinein erhalten, wie eine 

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Plan der Ausgrabungen auf dem Palatin. 



*Ai *t rr>m t+vi ji». ttiasttm iU^vjWw . . .- 
Li. Kl M^ii« f/fT.-wu aram >tmf r.-tetriur. 
J >. /eWs <rrrY# 4>Wirt i*4t'ji\ti imfidtt /rr ur>t mr+*iü /W.irV.n 
«>ii* i 

j }. MM . nn.l/ CVf/rM, 

f ■ <faü). farada« imrürm 

1 ). / ■..,.'-■ ^Wt«w,i iTaCIT. /Inn. xti, 14. > 

II. R**i» v*ad>«u «4 ikCjfii a »II»», f«* t« In A)*****«. <T>T< tiv.) 
L, kam» ^udnu «1 *J tupirttl".» &cal*mm Ort VaS«« tarauaut» »fct 

lugumai tzii Fautluli, ibt SCpuuIj» mmnuni, (StUMnJ 
r». Paria MuguB.it a Kanüle inililKi. 

E, tftrnulm i fefainli Romtfo tt Ke»o, quc-J ».) i<a*i ruM«lm i>ii 



Invantfc, q*0 4<)u» hiotin» TtUrll *4l aaiularat tn *lraa>}a «Mf-MMU. 

(Vnn», aV /.raf. j« L ) 
F. Teil* Ri'ikani iotliluu cit a Romnio inaaao dito Vittor»«:. {FKittra} 

0. Antun In pallll* «J f-jft»fa Mhf>*ab Mcwidua «atat tu* ntmrj, aV 

s.!«< lanv« «tt, [V»»*g «1 *>-.wac*.> 

H. Caliajula, foiiu traDiuui palatiun. Ll.ipitiJin»iq&c csajaaxit. 

(Si'ii. CW.] 

1. Caligul». rfc«xoa pu w nocili vi^ili» tu>Madiqut it«li.i .... mm« jar Ion* 

g.Ki*!»« panicu* vaf m, Inrocan idmt>A«r» at^ua * » • p«c i*r« kuc«m 

- 1 • ;t •*! iL (Sun. Ca/.) 

K. CaligaJa parle* pulaüi *ti Fora« «a<juc faanw^il. 
U Otbe p«r TiUthiBMi 4««iu» V«Utr«\ ia«a ad mlllurtna auM^at 

aaa> »Aim Sai^rai parfii (Taut. .4mn.\ 

Sl Viealüua, capla atb«. per »cram ptlatii ptrttca AvintMuoi ia danuia 

uioril icJfaU iefctlur. dem «olälilal« ia(«ftll Ül fftlMlo ttfl*4il*f, 
(Facit. Hin. (II. mav.) 



DOgle 



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andere mit der „Julia Augusta" zusammengelöthete Bleiröhre beweist, die Herr Rosa 1870 unter 
der Täfelung des Perislyls entdeckt hat und die folgende Inschrift trägt: 

L. PESCENN1USF.ROS. CAESAKUM. 

das heisst: • 

l^ucius) Pescennius F.ros (fecit). Caesarum (proprietas) : 
In obgenanntem Ingenieur hat man wahrscheinlich rinen Freigelassenen der Familie des 
Pescennius Niger zu erblicken, die „Caesares" würden dann Septimius Severus und sein Sohn 
Caracalla, oder aber dieser und sein Bruder Geta sein. So viel lässt sich noch nach Jahr- 
tausende aus ein Paar unscheinbaren, in der Erde vergrabenen, wahrlich nicht für die Archäo- 
logen gezeichneten Röhren lernen. 

In ihnen giebt uns also der alte Tiberius Claudius Nero gewissormassen seine Visitenkarte und 
wir haben das Vergnügen, uns gleich irgend einem reisenden Hyperboräer bei ihm umzusehen und 
einen indiscreten Blick in seine Häuslichkeit zu thun. Pompeji bietet nichts Interessanteres. Da 




Aiiigrabunc dm Haan «Irr Livii. 

stehen wir also zum ersten Mal in unserem Leben in einem Atrium , einem wirklichem , echten, 
antiken Atrium. Wir wissen lange, dass das den Mittelpunkt des römischen Wohnhauses bildete 
— dass es Atrium hiess, weil hier der Kochherd (focus) stand und es von Rauch geschwärzt 
(atrum) war — dass es ausserdem das Khebett, die Webstühle der Sdavinnen, die Familiengöttcr 
und den Geldschrank enthielt — dass es ein viereckiger Hof war mit Oberlicht und mit einem 
Dache, das in der Mitte eine Oeffnung hatte, welcher Oeffnung, Compluvium genannt, unten im 
Fussboden ein Bassin, das Impluvium entsprach — in diesem Bassin sammelte sich das Regenwasser, 
das durch das Compluvium niederging — dass aber auch das Compluvium fehlen und der ganze 
Raum mit einem gewölbten Schutzdach, wie mit einer Schildkrötenschalc itestudo) bedeckt sein 
konnte, und dass eben unseres ein solches Atrium testudinatum war — das Alles haben wir 
im Vitruv gelesen und unterschiedliche Grundrisse davon gesehen; der marmorne Stadtplan auf 
dem Capilol selbst musste herhalten, um uns eine Idee von einem Schildkrötendach zu geben. 
Ja, wir haben es wohl gelesen, aber wie mächtig belebt doch unser Studium die unmittelbare 
Anschauung; welch ein ander Ding ist es doch, leibhaftig durch die offene I lausthürc (janua) in 
den Hausflur einzutreten, kecklich die Thür zum Atrium (ostiuim aufzumachen, den kostbaren 



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i 

Mosaikfussltoden zu l>eschreiten und in den vier Wänden an den Resten eines Laren-Altars auszu- 
ruhn: man lebt wirklich mit den Alten und bekommt gleich Lust, sich im Triclinium zu lagern und 
«•in „Prandium" einzunehmen, oder man tritt an das gemalle Fenster und sieht mit anderen Gaffern 
der schönen Dame nach, die da unten, gefolgt von ihrer Sklavin, vorübergeht und sich mit einem 
Flabellum Luft zufächelt. Man wird eben über Vieles, ich möchte sagen, bereits an der Schwelle 
aufgeklärt, welche Schwelle, wie wir sehen, direct an der Strasse lag: ein Vestibulum, wie es 
unsere Lehrbücher jedwedem regelrechten römischen Haus vorlegen, gab es nicht. Ei was, ein 
Vestibulum! Will sagen, ein grossartiger Vorplatz, der durch vorspringende Seitenflügel zwischen 
Haus und Strasse vor der Facade gebildet wird, wie vor dem Versailler Schloss! Ein solcher 
hatte offenbar nur bei grossen und ausgedehnten Palastanlagen statt, während Privathäuser wie 
unseres nichts weiter als einen engen, zwischen den zwei Hausthüren gelegenen Corridor, das 
sogenannte Prothyrum besassen, welches man sehr irrthümlich mit einem Vestibulum verwechselt; 
das ist so wahr, dass man in der ganzen kleinen Provincialstadt Pompeji nicht ein einziges 
Vestibulum antrifft. 

Auch an andere Räumlichkeiten darf man nicht einen Masstab l<!gen, den man wohl an die 
eines modernen I lauses legt : das PalaLs einer deutschen oder russischen Kaiserinwittwe ergäbe gar 
andere Ruinen. An das Atrium schliessen sich dem Eingänge gegenüber drei Gemächer, deren 
mittleres den Salon oder, um mich so auszudrücken, die gute Stube, das Tablinum darstellt; an die 
rechte Seite des Hofes lehnt sich ein länglich viereckiger Raum, dessen Wände im schönsten 
pompejanischen Roth entbrennen, der Speise-Saal, mit einem griechischen Fremdworte Triclinium 
genannt, weil es Sitte war, drei Ruhebetten hufeisenförmig um die Tafel aufzustellen, während die 
vierte Seite frei blieb. Nun, schon diese Säle sind für eine so vornehme Dame wie die Livia 
nicht gerade bedeutend; sie haben mehr Tiefe als Breite, die Höhe der Mauern übersteigt keine 
vier Meter. Wenn man aber vollends auf dem hölzernen Treppchen an der rechten vorderen Ecke 
des Atriums zu der hinteren Hälfte der Wohnung hinarusteigt. welche die Schlaf- (eubicula) und 
Fremdenzimmer (hospitiaS die Bäder ibalnea) und die heizbaren Gemächer (hypocausta), die Vorraths- 
kammern und Wirthschaftsräume enthält und gleichsam das Privathaus im Privathaus darstellt, so 
wundert man sich geradezu, wie; bescheiden und dürftig dasselbe angelegt ist Die kleinen Schlaf- 
zimmer, ohne Verbindung unter sich und ihr Licht vom Hof oder hochgelegenen in den Hof schauenden, 
Fenslerchen erhaltend, mit schmalen BetlnLschen in den Wänden können kaum so comfortabel 
wie unsere Schlafstellen oder Alkoven gewesen sein. Diese Beobachtung wiederholt sich in 
Pompeji, wo die vornehmen Häuser gleichfalls weite Höfe und darum herum ein«! Meng«; kleiner 
auffallend kleiner Räume haben, aber solch Missvcrhältniss gründet sich zum guten Theil auf 
die Lebensgewohnheiten der Alten und der Südländer insbesondere. Sie waren nicht viel zu 
Hause, sie lebten mehr unter freiem Himmel und in reger Theilnahme an der Oeffentlichkeit ; 
und im Hause liebten sie wie<lerum «len Aufenthalt in den Höfen und Säulengängen, wo sie ihre 
Klienten empfingen und der frischen Luft genossen; die Stuben und die gedeckten Räume be- 
trachteten sie dagegen m«;hr wie einen augenblicklichen Unterschlupf und als eine Herberge , in 
der man einkehrt, um sie bald wieder zu verlassen. Dergleichen Einrichtungen und Sitten konnte sich 
natürlich auch eine Dame, und wenn sie eine Livia war, nicht entziehen. Sie schloss sich auch in sofern 
daran an, als sie an einer Ecke ihres Hauses, nach der Strasse zu, welche dasselbe vom Tempel 
des Jupiter Victor schied, zwei Läden (tabemae) an Kaulleute vermiethete; Läden gehören auch 
in Pompiji, wie im heutigen Neapel zu den st(;hend«;n DejM-ndcnzen vornehmer Häuser. 

Dafür war die künstlerische Decoration und die Ornamentik ihres Wittwcnsitzes so anmuthig 
wie jemals eine, und schönere Fresken hat kaum eine moderne Majestät, als sie hier, nach fast zwei 
Jahrtausenden, frisch und harmonisch an den Wänden des Tablinum» prangen; es ist wahr, dass 

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sie Herr Rosa wieder mit antikem, nach Yitruv's Recept bereitetem Fimiss überzogen hat. 
Diese (iemülde sollen in dem fensterlosen Räume abbilden, was durch Fenster im Freien oder 
auf der ; Strasse zu sehen ist, wie man noch heutzutage an der Riviera blinde, mit allerhand 
parrhasius'schen Schyzen bemalte Fenster liebt, und ähnliche Ueberraschungen sich in den 




\\ xnileef&ilde des TiKitmlm im Haute der Liria. 



italienischen Villen überhaupt und in Rom selber wiederholen. Die ganze Malerei beruht auf einer 
Augentäuschung, und als diese; Kunst noch neu war, schien man Gefallen daran zu finden, die 
Täuschung möglichst vollkommen zu machen. Aufschiessend von einer braunen, scharlachumsäumten 
Sohlbank , tragen fingirtc Säulen, deren Kannelirungen durch Kränze unterbrochen werden, gleich- 
falls perspectivische Karniese von einem seltnen Reichthum : zwischen ihnen und abwechselnd mit 
einfachen Feldern, die, lebhafter geröthet und gelb cassettirt, durch Friese von zartem Blau 

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gehoben werden, durch diese elegante, bizarre, caprieiüse Architektunik hindurch erblicken wir die 
wohlerhaltenen Bilder. 

Stylistisch das schönste ist das kleine Gemälde rechts, in dunkelbraunem Rahmen zwischen 
zwei geflügelten Victoricn, welches die Fabel der Jo zum Gegenstände hat. Die Tochter des Inachos 
wurde von Zeus geliebt und aus Furcht vor Hera, deren Priesterin sie war, in eine Kuh ver- 
wandelt. Dennoch bekam die eifersüchtige Gemahlin Wind davon und setzte den hundertäugigen 
Argos zu ihrem Hüter ein: im Auftrag des Zeus musstc Hermes dem Argas den Kopf abschlagen, 
worauf die Göttin die verhasste Nebenbuhlerin durch eine Bremse von I-and zu Land und von 
Europa nach Asien unstät jagen liess, bis sie endlich in Aegypten Ruhe fand. Von diesem 
Mythus, welcher eine Vermenschlichung des wandelnden, nachts vom Sternenhimmel (Argos) be- 
wachten, in der Morgendämmerung (Hermes) befreiten, al>er nun vom Glanz des Tages (Juno) , 
überschienenen und gleichsam durch die Himmel gejagten Mondes (Jo) zu enthalten scheint — 
ihn als eine weisse Kuh und seine Sicheln als die Hörner derselben aufzufassen, ist eine uralte 
Symbolik — sehen wir hier den Moment der Argostödtung dargestellt. Jo sitzt in menschlicher 
Form, aber mit Kuhhömern zu Füssen einer Säule, auf welcher die Statue einer bekleideten Juno 
aufgepflanzt ist; Argos, mit l~anze und Schwert bewaffnet, den rechten Fuss aufgestützt, über dem 
gebogenen Knie ein Stierfell, ist, schlaftrunken und seiner kaum mehr mächtig, über sie gebeugt, 
daher er sich auch mit der Hand an den milderen Felsen anhält; denn bereits umspielt seine 
Sinne süss und bestrickend das Flötenspiel des Hermes, welcher vorsichtig heranschleicht, um 
ihn mit seinem Schwert oder, so sieht es aus, mit einem Steinwurfc zu tödten. Diese Darstellung 
wiederholt sich oft, namentlich auch auf Vasen; Hermes ist wie Argos nackt, aber als alter 
Reisender durch den breitkrämpigen, geflügelten Filzhut (petasus) charakterisirt. 

Daneben, an derselben Wand spielt sich die bereits oben angedeutete Strassen scene ab, 
überaus merkwürdig, weil sie uns zeigt, wie die Bürgerwohnungen des siebenten Jahrhunderts in , 
Rom aussahen : nämlich so wie die zwei I läuscr, die hier neben einander an einer Strasse liegen, 
eins auf das andere gezeichnet, mit einflügeligen Thüren, die oberen Stocke mit Balkons oder 
Altanen versehen, nicht viel anders als heutzutage; eine massive Schnur grenzt die erste von der 
zweiten Etage ab. An einem Fenster und auf den Baikonen stehen drei Personen, mit den Augen 
einer trefflich drapirten Dame folgend, welche eben mit einem jungen Mädchen das Haus 
verlassen hat und einen Fächer aus Pfauenfedern (flabellum) in der Hand hält. An der 
Wand dem Eingang gegenüber endlich erblicken wir Galathea, die, von anderen Nereiden 
umgaukelt, auf stolzem Seepferd über die Finthen des sicilischen Meeres sprengt, sich verächtlich 
von Polyphän! abwendend, der, liebebedürftig und einen Eros auf der Schulter, der wonnigen 
Nymphe nachsieht. 

Oben sind kleinere Bilder zu Schönleistcn des Staatszimmers verwandt. Da wird ein Lamm 
geopfert, da wird Zauberei getrieben. Das Opfer haben wir auf unserem Bilde in der Mitte. 
Eine griechisch gekleidete Priesterin schüttet aus einer Amphora Wein auf den Altar, vor welchem 
eine römische, portraitartige Matrone schweigend sitzt, sie hält el>enfalLs einen Fächer in der 
Hand: Wein auszugießen und dem Thiere Weihrauch und Dinkelmehl mit Salz (mola salsa) 
zwischen die Horner zu streuen, war der gewöhnliche Beginn eines Opfers. Die Heldin der 
zweiten freieren Composition ist vermutlich Phaedra, welche dem Hippolytus einen Liebestrank 
brauen will. Sie sitzt und hält ein Kästchen auf den Knieen, eine Zofe steht aufrecht hinter ihr ; 
vor einem Dreifuss mit wabernder Lohe erhebt sich gross und- feierlich die Magierin, von der 
Königin angstvoll beobachtet; sie reicht ihr einen Gürtel oder ein Degengehänge. Diese beiden 
kleinen, als wirkliche Malereien gedachten Skizzen geben eine deutliche Vorstellung von dem antiken 
Tafelbilde, welches zusammenlegbare Flügel gleich einem Klap]>enaltar hatte. 

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- 



Die Wandgemälde der übrigen Räumt: zeigen dieselbe Anordnung in Felder, welche durch 
simulirtc Säulen, Stühle und Gesimse begrenzt und auseinander gehalten werden. Im linken 
Flügel des Tablinums, den wir umstehend abgebildet haben, sind die Säulen grau und mit lauch- 
grünem Laubwerk umwunden, die Säulenstühle roth; die durch breite, isabellfarbene Plinthen 
vermittelten Felder braun und blau gerändert. Ueber ihnen läuft eine goldene, mit ausschreitenden 
Löwen und Greifen geschmückte Schünteiste und darüber wieder eine Reihe purpurumrahmter 
Tafeln hin, deren höchst anmuthige Decoration an die Titusthermen und die Loggien des Rafael 
erinnert: Auf hellem Grunde sieht man blau-, grün- und rosageflügelte Genien zu zwei und zwei 
um leichte Araliesken spielen. Im rechten Flügel sind die Felder Isabellfarben und mit Festons von 



Blumen- und Fruchtguir- 
landcn schwerbehangen, 
während auf einer Leiste 
darüber, unterhalb eines 
dunkelgelben Frieses, 
Scenen aus dem dama- 
ligen Strasscnverkehre 
figuriren. Nichts pikan- 
ter als diese Schildereien 
des Volkslebens vom 
Ende der Republik. Ein 
Consul , begleitet von 
Lictoren ohne Beile und 
einer Ordonnanz (accen- 
sus), geht seinen Ge- 
schäften nach ; Matronen 
besuchen den nahen Tem- 
pel, andere die Gräber 
an der appischen Strasse, 
wo sie ein Todtenopfer 
bringen ; Frauen aus dem 
Volke mit Körben (spor- 
tis| in der liand wollen 
auf dem Markt Einkäufe 
machen; Advokaten eilen 




lliof der Ltvät Liaker Flügel des Tnbliminu, 



aufs Forum, das vor 
ihnen abgebildet ist ; 
Kaufleute führen ihre 
schwerbeladenen Ka- 
meele; Freigelassene ma- 
chen ihre Läden auf, 
Jäger kehren in die Stadt 
zurück, ein Fischer spannt 
seine Netze aus. Der- 
gleichen Wandgemälde 
sind oft lehrreicher als 
die Wände selbst 

Das Triclinium ist 
mit Landschaftsbildern 
geschmückt An der 
Wand rechts sieht man 
eine Gegend im Ge- 
schmack des Schwetzin- 
ger Schlossgartens dar- 
gestellt, mit Phantasie- 
bauten, mit Sculpturen, 
mit Zugbrücken , mit 
Muschclwerk, mit Was- 
serkünsten; im Vorder- 
grunde kommen drei 



F-nten, lange Furchen ziehend, unter einer Grotte hervorgeschwommen, Hirsche und Eber scheinen 
über das Gesims zu laufen. Die Rückwand belebt ein zweites Landschaftsbild , ein Rasenplatz, 
in dessen Mitte ein mit einer griechischen Vase gekrönter Pfeiler aufragt; rechts und links 
ziehen sich auf einer Schönlcistc jene fabelhaften Wesen hin, die aus Löwen und Adlern 
zusammengesetzt sind und welche man Greife (gryphos) nennt Endlich an der Eingangswand 
bemerkt man grosse transparente Obstschalen (calices), deren Form an unsere Tafelaulsätze und 
an den heiligen Gral in Genua erinnert — sie sind die einzigen Beispiele von Gcfässcn, in denen 
bei den Alten Früchte aufgegeben wurden. 

Was denn für Früchte ? Vielleicht denkt Mancher : recht schöne Apfelsinen ; die italienischen 
Ciceroni, die diese Gegenstände zeigen, glauben selbst welche zu sehn. Ich besuchte einmal die 
Villa der Kaiserin Livia, die in der Campagna bei Prima Porta gelegen ist und die von den daselbst 
gezogenen Hühnern den charakteristischen Beinamen „ad Gallinas" trug : daselbst finden sich ähnliche 



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Malereien ; unter blauem Himmel , in einem mit Rosenhecken umzäunten Garten stehen die ver- 
schiedenartigsten Zieqjflanzen, mit Früchten beladen und von zahlreichen Vögeln tielebt. Darunter 
wies mir nun die Schliesserin Feigen, Mandeln, Pfirsiche, Citroncn und Apfelsinen, wie man in Rom 
sagt, Portogalli. Die gute Frau ahnte nicht, das eben dieser Name, welcher an die Einführung 
der sinesischen Acpfel über Portugal erinnert, ihre Auffassung unmöglich mache: eine Orangerie 
hat unsere Kaiserin nicht besessen, nicht einmal Citronen. Wie Schouw nachgewiesen hat, dass 
in Pompeji weder Cacteen noch Agaven dargestellt sind, so darf man a priori behaupten, dass 
in dieser Zeit auch Niemand Agrumen malte; ja, selbst die Normannen haben die Orangen noch 
nicht gekannt, und wenn Grcgorovius erzählt, sie hätten welche von Salemo an ihre Brüder nach 
der Normandie geschickt, um ihnen zu zeigen, dass das Land ein Paradies sei, so ist das ein 
Anachronismus. In gedachter Villa, die als ein Pendant unseres palatinischen Hauses zu betrachten 
ist, wurde 1863 die schöne Statue des Augustus gefunden, das vorzüglichste Abbild dieses 
grossen Kaisers überhaupt, welches ihn in einem reich mit Reliefs geschmückten Panzer wiedergiebt 
und das wir dem Leser bei den vaticanischen Museen vor Augen stellen werden, während gegen- 
wärtig sein Haus unsere ganze Aufmerksamkeit erfordert. 



Augustus machte einen Palast aus dem Palatium — dieses Wort, in fast allen modernen 
Sprachen die Bezeichnung für die Wohnungen der Fürsten und Könige, entstand, als der Sieger 
von Actium das Haus des Hortensius kaufte und seine Residenz auf den alten Adlerhorst verlegte, 
wo er selber geboren war: der Hügel, über den ein paar arme Hirten ihr Vieh getrieben, 
auf dem dann eine Stadt erbaut ward, welche Stadt wieder als innere Stadt einen Kranz von 
Vorstädten hervortrieb, er entwickelte sich jetzt zum Schlossberg und zu einem Typus für alle 
ResidenzschU'isser, alle Zwinger und Hofburgen der Welt. 

Salvator Rosa , der Ahn unseres Archäologen vom Palatin , hat einmal clie Glücksgöttin 
gemalt, wie sie die Schätze der Erde aus ihrem Füllhorn über eine I leerde Thiere ausschüttet : auf 
den dummen Fsel, der Büchirr, Pinsel und Malerpaletten ungeschickt betalpst, regnet es Lorbeerkränze, 
das Schwein watet in rothen Rosen, wühlt in Perlen und Mehreres dergleichen, was eine 
Satire auf den römischen Hof sein sollte. Wie merkwürdig I Eben das lateinische Wort Cohors, 
aus welchem das italienische Corte und das französische Cour hervorgegangen ,sind, bedeutet 
einen Viehhof, die „Turba Cortis", wie man die Schaar der Höflinge nennen könnte, bestand 
wirklich aus Schweinen, Eseln und anderen Hausthieren. Klingt es nicht wie eine gleiche Fabel, 
wenn von einem „Palazzo" und einem „Palais" die Rede ist, aus welchem letzteren unser mittel- 
hochdeutsches Palas und (indem wie bei Papst ein T antrat) unser heutiges Palast ward? — 
Unmittelbar nahmen wir das Wort Palatium in der Form Pfalz in unsere Sprache auf, womit man 
gleichfalls zunächst den kaiserlichen Palast, dann das zu ihm gehörige, für den Unterhalt der 
Pfalzgrafen bestimmte Gebiet bezeichnete. 

Auch die Tuilerien lassen sich mit dem Palatium vergleichen, indem sie bekanntlich aus 
einer Ziegelbrennerei (tuilcric) hervorgegangen sind. 

Der Palast des Augustus, die Domus Caesaris oder Augustana, die schliesslich, alle 
Privathäuser verdrängend, den königlichen Hügel überdeckte, lag an der Stelle der sogenannten 
Villa Mills, welche bisher den Klosterfrauen von der Heimsuchung Maria angehörte, aber neuer- 
dings angekauft worden ist, anstiess, von derselben Villa eingefriedigt, ein grosser Apollotempel 
und die berühmte Bibliotheca Palatina. Augustus hatte in den Gewässern des Ambrakischen 
Meerbusens, des heutigen Golfo di Arta, bei dem Vorgebirge Actium am 1. September des 



III. 




Jahres 3 1 v. Chr. den Seesieg über Antonius und Cleopatra erfochten , welcher ihm die 
Weltherrschaft sicherte. Auf besagtem Vorgebirge stand ein uralter, der Sage nach von den 
Argonauten gegründeter Tempel des Apollo, und es war natürlich, dass Augustus fortan diesem 
Gott eine specielle Devotion widmete und ihn gewissermassen als seinen Patron betrachtete, 
wie er eine solche Patronin bereits in der Venus, der angeblichen Stammmutter des Julischen 
Geschlechtes hatte. Er Hess also nicht nur den Tempel des Apollo Actiacus erweitern, die 
erbeuteten Trophäen daselbst aufhängen und die früher hier gefeierten Festspiele erneuern, sondern 
führte ihm auch 28 v. Chr. einen neuen Tempel auf dem Palatin neben seinem Palaste auf, gleichsam eine 
Hauskapelle ; ja, selbst die elegante Statue des eidechsentödtenden Apollo, die seine Privatgemächer 
schmückte, und die, 1777 gefunden, gegenwärtig in der vaticanischen Galleria delle Statue 
aufgestellt ist, mochte er mit einer Art von gläubiger Verehrung ansehn. So bauten christliche 
Sieger unzählige Mal den Heiligen Kirchen, an deren Namenstage ihnen Heil widerfahren war. Der 



palatinische 
Tempel war 
sehr reich, 
sein Portal 
mit Schnitze- 
reien von 
Elfenbein be- 
deckt und in 
ihnen Apollo 
dargestellt, 
wie er an sei- 
nen Feinden 
Rache nahm 
— an den 
sein Delphi 
bedrohenden 
(ialliern, die 
von dem Par- 




kte der HiM.ulhcc* 1'aUuin. 



nass herab- 
gestürzt wur- 
den, an den 
Niobiden, die 
seinen Pfeilen 
widerstands- 
los erlagen. 
Nichts ist von 
ihm übrig als 
die Beschrei- 
bung des Pro- 
perz (II, 311. 
Unter dem 

Bilde des 
Gottes wur- 
den in zwei 

vergoldeten 
Schränkchen 



i forulLsi die Sprüche beigesetzt die für seine specielle Offenbarung {Apollinis beneheium) galten und das 
Evangelium der alten Römer bildeten: die sibyllinischen, unter Augustus neugesichteten und sorgfältig 
revidirten Bücher. Aber unter seinem Schutze standen noch sehr viele andere profane Bücher, und die 

Scripta, Falaunus i|uaccunu|iic receuit Apollo, 
zu katalogisiren, mag eine schwere Arbeit für die römischen Bibliothekare gewesen sein. Wir machen 
uns im Allgemeinen ein falsches Bild von der Cultur des Altrrthums, das wir als eine Vorstufe für 
unser Mittelalter und die darauffolgende Neuzeit ansehen, während sich doch diese Perioden in der 
Geschichte jedes einzelnen Volkes wiederholen und z. B. das augusteische Zeitalter durchaus nichts 
Alterthümliches an sich hat, sondern bis auf unwesentliche Mängel nur mit den hochentwickelten 
Zustanden moderner Grossslädle verglichen werden kann, über die es in manchen Dingen sogar noch 
hinausgegangen sein mag. So dürfen wir auch nicht zu gering von der literarischen Bewegung desselben 
denken, ob es wohl noch keine beweglichen Lettern gab: Bücher und Büchermacher, Sortimenter und 
Verlagsbuchhändler, gute und schlechte Dichter und Autoren gab es eben genau so viel wie bei 
uns. Man hat ermittelt dass Martial's Gedichte, erste Sammlung in der Prachtausgabe, 5 Denare 
(4,12 Reichsmark), etwa soviel wie 1 leine's Buch der Lieder, in der wohlfeilen Ausgabe etwa 
die Hälfte kosteten, und dass die Firma Schwelger (Tryphon 1 seine Xenien zu 4 Sesterzen (87 Pf.) 



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nach des Verfassers Meinung viel zu thcucr angab; dass die Auflage beiläufig 1250 Exemplare 
stark war, und die Druckkosten, will sagen die Schreibkosten doppelt soviel als heutzutage, wo 
der Verleger im Allgemeinen den Druckbogen mit dreissig Pfennigen berechnet, betragen haben 
mögen. Es gab also auch Bibliotheken, öffentliche und private, griechische und lateinische die 
Hülle und die Fülle, mindestens soviel wie gegenwärtig : Asinius Pollio, der, ein Redner wie Cicero, 
ein Dichter wie Virgil und ein Historiker wie Sallust, zur Zeit des Augustus blühte, soll zuerst in 
dem Tempel der Libertas auf dem Aventin eine Bücherei angelegt haben, die dem lesclustigen Publicum 
zu gewissen Stunden des Tages geöffnet war, und Augustus selbst gründete deren zwei, eine in dem 
früher erwähnten Porticus der Octavia, die danach Bibliotheca Octaviana hiess (sie ging bei dem 
verheerenden Brand unter Titus in Feuer auf) und die Palatina in einer dem Tempel des Apollo 
Palatinus angebauten Säulenhalle, die, von seinen Zeitgenossen als die reichhaltigste bezeichnet, 
ebenfalls ein Raub der Flammen unter Commodus wurde. Bekanntlich heisst auch die von den 
Kurfürsten von der Pfalz gesammelte Heidelberger Bibliothek Bibliotheca Palatina. Da Pfalz dasselbe 
Wort ist wie Palatium, so werden wir uns über dieses Zusammentreffen nicht verwundern. 

Wenn wir der Tafel mit der ausdrücklichen Angabe „Bibliotheca Palatina" trauen dürfen, 
so besitzen wir noch die Reste dieser berühmten Sammlung: den Porticus von sechs Cipollin- 
säulen, von denen zwei ganz, vier theiiweise erhatten sind, und die wir umstehend abgebildet 
haben. Daneben liegt, hart am Rande des Berges und eine herrliche Aussicht über das enge 
Circusthal hinweg auf den Aventin, die Tiber und die südliche Campagna mit den gross- 
artigen Linien und dem warmen, prächtigen Farbenspiel gewährend, ein viereckiger Raum, der 
durch eine tribünenartige Ausbuchtung abgeschlossen und von Sitzen umgeben ist, angeblich 
die Akademie, wo Dichter und Rhetoren ihre Vorlesungen | recitationes) hielten. Gleich der 
Schriftstellerei, so blühte nämlich auch im alten Rom l>ercits das Vortragswesen, indem die Autoren 
ihre neuesten Werke in geschlossenen Gesellschaften, zu denen man nur auf besondere Einladung 
Zutritt hatte, vorzulesen pflegten. Wie Wilhelm Jordan als wandernder Rhapsode seine „Nibelunge" 
declamirt, so trug Statius mit gleich angenehmem Organe seine „Thebaide" vor. I>ie Wuth 
der Dichterlinge, ihre Sachen privatim vorzulesen, ein unglückliches Opfer mit Vorlesungen zu 
verfolgen, kennt wohl Mancher unter uns, der einmal wie Horaz von einem Sohn der Musen 
angepackt worden ist, aus eigener Erfahrung. Dass sie vollends die Gelegenheit, sich öffentlich 
und vor den Kaisem selber hören zu lassen, begierig ergriffen, lässt sich denken. 

In Herculanum hat man 1753 eine vollständig ausgestattete Privatbibliothek entdeckt, 
und man kann sich danach eine Idee machen, wie die alten Römer ihre Bücher oder PapyTus- 
rollen aufstellten und aufbewahrten. Nämlich in den Fächern mannshoher, numerirter Wandschränke 
(armaria); im Centrum stand ein besonderes Bücherbret in Form eines viereckigen Pfeilers, nach 
allen vier Seiten hin Front machend und ebenso wie jene Schränke angefüllt, den drehbaren Bücher- 
gestellen unserer Zeit entsprechend (forulusi; ein solches Schränkchen sieht man auf einem 
Sarkophage abgebildet, der gegenwärtig in einer römischen Strasse zum Brunnenbecken dient. 
Dieses Bibliothekzimmer ist allerdings so klein, dass es ein Mann mit ausgespannten Armen abreicht ; 
die grossen römischen Bibliotheken hatten andere Dimensionen und luxuriöse, mit den Porträts 
und den Büsten berühmter Männer, mit den Statuen der Minerva und der Musen geschmückte 
Lesesäle. Avitus wollte z. B. gern das Bildniss des Martial für seine Bibliothek, und der Dichter 
konnte nicht umhin, es ihm nebst einem Exemplar seiner Gedichte durch seinen Bruder Turanius 
zu verehren ; Asinius Pollio hatte in der aventinischen Bibliothek Varro's Statue aufgestellt. Wie 
diese alten Bibliotheken bei Tempeln, so liegt noch heute die besuchteste Bibliothek in Rom bei 
einer Kirche, sinnreich bei der Kirche S. Maria sopra Minerva, und man nennt sie schlechthin „la 
Minerva", genau so wie oben Horaz die Palatinische Bibliothek schlechtweg den „Apollo" nannte. 



44 



Das Haus des Augustus war bescheiden und ohne Prätension ; aber als 1 laus des Kaisers 
und des Pontifex Maximus, dessen Amt für ein Attribut der Kaiserwürde galt, ist es immerhin 
der Grundstein der nachfolgenden. Prachtbauten und seine Anlage epochemachend für die Geschichte 
des palatinischen Bergs gewesen, der seitdem die Privathäuscr abzuschütteln anfing und zu jenem 
complicirtcn Kaiserstuhle ward, der auf die Phantasie der Völker einen so mächtigen, noch 
heute lebendigen Eindruck hervorgebracht hat. Die Dornas Cacsaris ward ausgebaut, etwa 
wie in Mün- 
chen zu dem 
alten Schloss 
der Königs- 
bau und der 
Festsaalbau 
hinzugefügt 
worden ist, 
oder wie sich 
in Berlin ne- 
ben dem kö- 
niglichen 
Schloss das 
Palais des 
Kaisers und 
desKronprin- 
zen erhebt. 

Tiberius 
setzte da, wo 
sein Vater- 
haus lag, die 
mit diesem 
nicht zu ver- 
wechselnde 
Dom us H- 
beriana an, 
welche , die 
Niederung 
des Vela- 
brums be- 
herrschend, 
über die Do- 




Mm do. Tilwflm. 



mus I.iviae 
hinaus bis an 
den Westrand 
des Hügels 
vorgerückt 
und im Osten 
und im Süden 
mit unabseh- 
baren Säu- 
lenhallen um- 
gebenwar: in 
diesen Galle- 
rien , deren 
Ruinen un- 
sere Augen 
• vergeblich 
zu ermessen 
streben, irrte 
sein geistes- 
kranker Nach 
folger Cali- 
gula, ein ruhe- 
loser Nacht- 
wandler, in 
der erträum- 
ten Gesell- 
schaft der Un- 
sterblichen 
umher. Hier 
konnte man 
hören, wie er 
dem Jupiter 



die l-cviten las, ihm drohte, er werde ihn heimschicken nach Griechenland; hier war es, wo er 
in mondhellen Nächten, wenn das Gestirn Dianens voll erglänzte, die keusche Göttin beschwor, sich 
nicht lange zu zieren und in seine Arme zu kommen. Dieser Unglückliche, in welchem kein Arzt 
etwas Anderes als ein Opfer gewöhnlichen Grössenwahnes erkennen wird, der mehr Gott sein als 
die Götter und sein Reitpferd zum Consul ernennen wollte, er erweiterte die Schlossanlagen" nach 
dem Forum und dem Givus Victoriae zu. Kr hatte den geistreichen Einfall, den Tempel des 
Castor und Pollux zu einer Portierloge und die Dioskuren, zwischen die er sich gelegentlich stellte, 
um sich mit ihnen anbeten zu lassen, zu seinen Thürhütern zu machen: er durchbrach deshalb 



45 



die Cella des Tempels, damit sie leichter eintreten konnten Kr hatte auch den Finfall , ein 
Stündchen mit dem capitolinischen Jupiter verplaudern zu wollen: von Zeit zu Zeit sah er den Alten 
gern: er verband also Palast und Capitol durch einen Yiaduct, .wobei er sich mittels ungeheurer 
Substructionen auf dem Niveau des Palatin erhalten und, mit Naturgewalten wetteifernd, gleichsam 
den Berg selbst fortsetzen musste. Ei, er, der Jupiter Latinus ! Das Herrgottstiefelchcn '), dessen 
Altar auf dem Palatin stand ! Vor dessen goldenem, täglich nach seiner Mode gekleidetem Bilde die 
Flamines rothflügelige Flamingos, schwarze Gänse, Pfauen, Auerhähne, Fasanen opferten ! Hatte er 
doch ein anderes Mal, um den Xerxes zu übertreffen, im Golf von Neapel eine anderthalb Stunden 
lange Schiffbrücke von Misenum nach Puteoli schlagen und bei ihrer Einweihung der Volks- 

bloss sie, sondern reichte 
bis auf den Kstjuilin 
hinüber. Wie der Pa- 
latin dereinst die sieben 
Hügel absorbirt hatte, 
so verschlang jetzt der 
Palast eines Finzigen 
die Stadt, deren Grund 
und Boden er wie ein 

Riesenschmarotzerpilz 
überwucherte. Es muss 
einen märchenhaften An- 
blick gewährt haben, 
dieses goldene 1 laus des 
Nero mit seinen Mar- 
mor wän den, seinem leuch- 
'tenden Säulenhallen, sei- 
nen vielartigen Frei- 
treppen, seinen Räucher- 
becken, seinen Sphinxen, 
seinen Kolossen, seinen 
Lustgärten, Wäldern und 
Seen — obgleich es in 
der Welt nicht gerade 
einzig dasteht, und zum 

Beispiel der Zwinger Augusts des Starken in Dresden, von dem bekanntlich nur der Vorhof fertig 
geworden ist, recht ähnliche Aspirationen und Dimensionen aufweist: Vor ihm spielt die Scene 
der „Lebenden Fackeln Ncro's," welche 1 lenri Sicmiradzki auf seinem Kolossalgemälde verewigt hat. 
Dies«: alles Mass überschreitenden Pläne gaben die sparsameren Flavier, Vespasian und seine Söhne 
auf: sie beschränkten den Palast wieder auf das Palatium und legten in der Einsenkung zwischen 
der Domus Augustana und der Domus Tiberiana, hart an dem uralten Tempel des Jupiter Victor, 

') Der Num Califula hcilmct Stiefelette. Caliga bicii der Schuh, den die rueaischen Soldaten mk BimAlilw der Centurioncn {nicht 
der Höheren OrTutere) trugen. Ks war ein £e»chliMaeuer llaltisliefeL welcher den ganteu Kuss liedrclae, eine dapprke, mit eisernen Nnyeln 
Unvi hUgene Sohle halte »cid mit Kiemen befntigt wurde : ein iletglclcheli Sih ihnsscher ward lallgariui ernannt. Cutis Caesar nun erhielt diesen 
Heinsnien, weil er schon aU Knahe ans kheitt unter deu Lcguwirn des Germanica« die Cnlig» trag. Gienau mui dieselbe Weise erhielt der 
Kaiser Asrelius Aatuiiiw, llamiauus den Zunamen CaracaUa . weil er ein der e;*ll»crirn CaracoJIu analoges Gewand in Roan einführte, wrli-lirs 
wit.lem tllrrmriii «imi WM. gclnu-ca. iplter «un den mmisen katludlurlwn l'rii-dern angenommen ward wnd noch hewte MM dem Nimm 
der Sutlana fortlebt 

• 

4« 



menge, die daraufstand, 
die Schippt? gehen lassen. 
Die unlängst blossge- 
leglen Träger der römi- 
schen Brücke, die sich 
in thurmhohen Unterge- 
schossen und Wölbungen 
verlieren, erblicken wir 
auf unserer Tafel ne- 
benstehend ein noch 
erhaltenes Stück ihres 
Geländers, der marmor- 
nen und durchbrochenen 
Cancclli. 

So erhoben sich 
nun bereits drei kaiser- 
liche Pfalzen ; aber erst 
durch Nero's ungeheure 
Neubauten, nach dem 
grossen Brande, wurde 
der Privatbesitz von 
diesen Höhen gänzlich 
ausgeschlossen: sein „Gol- 
denes Haus" {Domus 
Aurea) umfasste nicht 




MirosLTgclander der Bracke CalignlsY 



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dessen Schonung auf die Richtungslinie einen unverkennbaren Kinfluss übte, auf einer künstlich 
hergestellten Fläche und über alten Häusern aus der Zeit der Republik, den Grund zu der nach 
ihrem Geschlecht genannten Domus Flavia, welche, zum Sitze des römischen Reiches (Sedes 
lmperii Romanil und zum Regierungsgebäude (Aedes Publicae) erhoben, die Kaiserpalastbauten 
vorläufig einmal abschloss und mit ihren deutlich vorliegenden Räumlichkeiten gegenwärtig das 
Hauptinteresse des Palatin bildet Wir gelangen zu ihr, indem wir dem mehrerwähnten bedeckten 
Gange, dem Cryptoporticus , folgen, der gleichsam den Faden der Ariadne in dem Labyrinth 




IV. 

Die Geschichte hat uns die Beschreibung eines Gastmahls aufbewahrt, welches Domitian 
bei Gelegenheit eines Triumphes über die Dacier den vornehmsten Senatoren und den ange- 
sehensten Rittern gab. Es spricht ebenso sehr für die bizarren Launen dieses Kaisers, der sich 
eine Freude daraus machte, die Menschen zu ängstigen und zu quälen, ab lur die Schwäche und 
die tiefe Gesunkenheit jener berühmten Körperschaften unter dem Kaiserreiche. Als die Gäste 
beisammen waren, liess sie Domitian in einen Saal eintreten, der ganz schwarz ausgeschlagen und 
von ein paar Grablampen unsicher beleuchtet war. Vor jedem Platze stand ein Sarg und darauf 
der Name des Eingeladenen. Zugleich kommt eine beflortc Schaar von Lemuren hereingehuscht, 
die das Ansehen bleicher Schemen haben und um die Tafel einen schattenhaften, gespenstischen 
Tanz aufführen. Nachdem sie ausgetanzt haben, stellen sie sich hinter die Gäste, die von diesen 
Schreckges|>enstem bedient werden sollen. Was bekommen sie zu essen r Die Speisen, die man bei 

47 



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Leichenmählcrn den Verstorbenen vorzusetzen pflegt — schwarze Bohnen und ähnliche Todtenfrüchte; 
Schädel sind ihre Trinkgefässe. Ein tiefes Todtenschwcigen herrschte unter der Versammlung: 
Domitian allein sprach und unterhielt die verdutzten Würdenträger von Blutgerüsten, Exccutionen, 
Rabensteinen. Endlich liess er sie in Leichenwagen stecken und in denselben ■ nach Hause 
zurückbetürdern. Sie begannen aufzuathmen — Botschaft vom Kaiser! Schon recht, unser Todes- 
urtheil. Aber nein, es sind die Lemuren von vorhin, die Larven, die den Mummenschanz abgethan 
und sich in unschuldige Kinder verwandelt haben. Sie bringen kostbare Geschenke. 

Die Herren Senatoren und Ritter konnten wahrlich froh sein, dass sie mit dem blossen Schrecken 
davon gekommen waren: denn in der Kaiserzeit wurde kurzer Process mit ihnen gemacht. 
Man erinnert sich, dass dereinst Commodus während der Spiele, den abgehauenen Kopf eines 
Slrausses in der einen, das gezogene Schwert in der andern Hand, unter die zuschauenden 
Väter trat, indem er mit seltsamem Kopfwackeln andeutete, er werde es mit ihnen betreffenden 
Falles ebenso machen, wie mit dem Vogel. Die Pantomime soll freilich so possirlich gewesen sein 



dass sich die 

Senatoren 
trotz der Ge- 
fahr nur 
durth Kauen 
von I-orber- 
blättern das 
Lachen erhal- 
ten konnten. 

Da ste- 
hen wir in 
dem domitia- 
nischen Ban- 
ketsaal : der 
Cryptoporti- 
cus hat uns 
gerade hin- 
eingeführt. 
Wahrlichdas 




AcJra Pnblitw. 

Im HinMrgnMd* am KatTaekau« dar Farne», racbla «Ui Villa Milla. 



Andenken 
der schauri- 
gen, von Dio 
Cassius ge- 
schilderten 
Mahlzeit wer- 
den wir nicht 
los: es ver- 
folgt uns in 
dem herrli- 
chen Salon, 
der, 34 m 
breit und 30 
m tief, jeden 
falls Raum für 
eine ansehn- 
liche Tisch- 
gesellschaft 
bot , dessen 



goldstrahlcnde Decke ein domitianischer I Iofpoet, Statius, mit dem unendlichen und unerreichbaren 
Himmelsgewölbe zu vergleichen wagte, und dessen Fenster sich nach Norden auf die kühle Nymphen- 
burg, eine Grotte voll plätschernder Springbrunnen, das Nymphcum öffneten, während im Osten der 
viereckige, säulenumgebene Garten, das Peristylium an ihn stiess: ein Garten von 54 m Umfang im 
Quadrat, nicht unähnlich einem italienischen Campo Santo und gleichfalls mit Wasserwerken, mit 
holländischen Buchsbaumspielereien, mit zierlich beschnittenen Bäumen und Hecken, Lauben und 
Alleen reich belebt. Diese Mauem sind voll von kaiserlichem Extravaganzen und Bubenstreichen 
— von fliegenfangenden und spiessenden Domitians — der Menschen Tugend schreiben wir in 
Wasser, ihr böses Treiben lebt in Erz. Sic sind auch voll von Attentaten und Staatsverbrechen: 
ihr Geruch ist Mord. Beregt es Peristylium führte im Alterthum den Namen Sicilia, wie eine 
Abtheilung des Tuileriengartens in Paris Provence genannt wird; und der Speisesaal den Namen 
Jovis Coenatio, wie Lucullus ein Esszimmer Namens Apollo hatte, wahrscheinlich hier wie dort, 
weil die gleichnamige Statue darin stand; Coenatio. womit man sonst einen Speisesaal im ersten 
Stock bezeichnet, war ein Synonym von Triclinium. Nun in dieser Sicilia und in dieser Coenatio 



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wurde Pertinax von den verschworenen, bis hieher gedrungenen Prätorianern niedergemacht In 
demselben Zimmer wurde Commodus erdrosselt, nachdem er bereits Gift bekommen hatte ; Domitian 
selbst wurde hier in seinem Schlafgemach ermordet. Wer wurde nicht ermordet? Wie viel römische 
Kaiser starben eines natürlichen Todes in den Armen der Ihrigen ? Nicht mehr ab Czaren Russlands. 

Die Laren , die dieses Haus behüten sollten und deren bekränzte Gestalten man noch 
heute in der bekannten typischen Darstellungsweise am Altare I.arariums erblickt: als gestiefelte, 
hochgeschürzte Jünglinge , die in der erhobenen Hand ein Trinkhorn (rhytium), in der anderen 
einen Eimer (situla) halten — der Genius familiaris, der verhüllten Hauptes an der Vorderseite 
desselben Altars steht — sie haben wahrlich nicht viel für ihre Schutzbefohlenen gethan. 

Das Lararium, wo Alexander Severus, wenn man seinem Biographen Lampridius glauben 

mals rückwärts ein 



darf, Abraham , Or- 
pheus und Jesus von 
Nazareth unterbrachte, 
bildet in unserem Pa- 
laste ein besonderes 
Gemach und einen Sei- 
tenflügel des Thron- 
saales, der Aula Regia, 
welche sich rückwärts 
an das Peristylium an- 
schliesst , der andere 
Seitenflügel war eine 
Basilica, wo der Kaiser 
Recht sprach i Basilica 
Jovis); auf den Thron- 
saal, einen gewaltigen 
Raum von 36 mal 
45 m, mit einer Apsis 
für den Thron und acht 
abwechselnd runden 
und viereckigen Ni- 
schen für kolossale Ha 
saltstatuen, folgt aber- 




litr CryiilufKirui*!» 



breiter Vorplatz , die 
Halle, wo die Leib- 
wache aufgepflanzt war, 
und wo sich meldete, 
wer vorgelassen wer- 
den wollte: mit dieser 
Vorhalle stehen wir am 
nordwestlichen Rande 
des PJateaus, welches 
hier (man vergleiche 
unser Bild auf der vor- 
hergehenden Seite) nach 
dem Muster eines Be- 
satzes ä la Grecque in 
rechtwinkeligen Zinnen 
symmetrisch zu dem 
alten Niveau des Hü- 
gels der Via Nova und 
der Porta Mugionis 
abfällt. Von da wird 
man auf den Stufen 
einer breiten Treppe 



(Gradus Palatii) zu dem Palast emporgestiegen sein, der in Einer Flacht Wache, Thronsaal, Garten. 
SjHiisesaal enthielt. Wir sehen diese Flucht, welche im Allgemeinen der gewöhnlichen von Atrium, 
Tablinum, Peristylium, Triclinium entspricht, auf unserer Abbildung, und zwar nicht in der Linear-, 
sondern in der Kayalierperspective von der Seite, etwa von der Villa Mills aus, die auch hier wieder 
den Ausgrabungen hindernd im Wege steht: das südliche Drittheil des Gartens und des Speisesaals wird 
nämlich durch die rechtwinkelig hervorspringende Umfriedung des Salesianerinnenklosters vorweg- 
genommen, sodass der Plan dieser Räumlichkeiten in Gedanken seitlich über die Klostermauern 
hinaus zu ergänzen ist. Analog hat der nebenanlicgende, von Quintus- Kabius Maximus Rullianus 
nach der Schlacht bei Sentinum 1295 v. Chr.) ex voto gestiftete Jupitertempel den Bauten selbst 
Hinhält gethan und zum Beispiel die Veranlassung dazu gegeben, dass das Gemach rechts neben 
dem Nympheum in spitzem Winkel abgeschlossen wurde. Dergleichen l'mstände wirken nun 
bestimmend bis auf den Holzschnitt herunter, der nach Jahrtausenden von den Ruinen entworfen 
wird. Die Mäche links, die von ihrer einstigen Pracht, von ihrem sicilianischen Blumenflore nichts 



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bewahrt hat als einige Spuren der Marmorbekleidung, die Stümpfe der vierzig im Quadrat aufge- 
pflanzten Säulen und die imponirenden Dimensionen, ist das Peristylium, darüber hinaus sehen wir 
die Coenatio Jovis, das noch in seinen l.'ebcrblcibscln reizende Nympheum mit dem elliptischen 
Bassin, rechts, uns zunächst das Lararium, jenseits desselben den Thronsaal, dessen gegenwärtige 
< )cdc gleichfalls einen auffallenden Contrast zu dem „Augustale Solium Caesariani Palatii" und seiner 
erhabenen Verschwendung, seinem Giallo antico, seinem Pavonazzetto bildet; der riesige, pittoreske, 
rothbraunglühende Mauerrest dahinter, stammt von der Basilica. Dieselbe hat ganz die früher 
einmal angedeutete Form dieser Gebäude : sie zerfällt durch zwei Reihen von je fünf Säulen in ein 
Mittelschiff und zwei schmale Seitenschiffe, welche drei Schiffe durch Marmorschranken von. der 




Südwestlicher Abhftajg Je* Palftlin, 



halbrunden Tribuna an der westlichen Schmalseite geschieden sind ; diese Tribuna, wo die Gerichts- 
verhandlungen stattfanden, schloss das Ganze. Von den Marmorschranken, welche nach Art von 
Radspeichen durchbrochen waren, steht noch ein Rest; man nannte sie, wie oben das Geländer 
an der Brücke Caligula's. cancelli ; noch heute heisst ein Gitter im Italienischen cancello und etwas 
durch gitterformige Federstriche ausstreichen, gleichsam ausgittern, cancellare. Auf diese „Cancelli" 
ist unser deutsches Kanzlei zurückzuführen, ursprünglich der mit Schranken umgebene Ort, wo die 
öffentlichen Urkunden, die landesherrlichen Rescripte, die Gerichtsurtheilc u. s. w. ausgefertigt wurden, 
und dessen Vorsteher den Titel Kanzler führte; nicht minder unsere Kanzel, die sich aus den Lese- 
pulten oder Amboncn an den Chorschranken altchristlicher Basiliken herausgebildet hat, ja die 
vielleicht selbst von Cancellen umgeben war, wenigsten sollen es auch die antiken Rostra gewesen sein. 

Im Westen geht der domitianischc Palast, dessen Länge über 1 50 m, dessen Breite etwa 
halb soviel beträgt, nicht über den Speisesaal hinaus: die Räume, welche sich an die Rückwand 

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desselben anschliessen, die vorhin erwähnte Bibliothek und Akademie, seheinen, obgleich sie ihrer 
Bestimmung nach überhaupt nicht klar sind, eher zu dem 1 lause des Augustus gehört zu haben ; 
doch bilden .sie mit den llavischen Zimmern Eine Reihe und gleichsam eine über den Hügel von 
Osten nach Westen und von Rand zu Rand gelegte Kette, denn unmittelbar hinter dem Conferenz- 
saal fallt, wie bemerkt, das Terrain zum Thal des Circus, der Vallis Murciae, ab, die von den 
Juden zum Friedhof auserkoren und wie ein Thal Josaphat mit Leichensteinen übersäet ist. ja, 
der vielgliederige Palastkörper erreicht sogar dieses Thal und streckt seine Fühlhörner bis in 
die Tiefe aus ; denn am Westabhange des Palatin, genau unterhalb der Academia und der Veranda 
der Villa Mills liegt noch eine Dcpendenz desselben : das Paedagogium, zu dem sich die Strasse 
von der Südwestecke des Jupitertempels aus wie von einem Alpenpasse in grossen Kehren hinuntersenkt. 
Eine Reihe gewölbter Kammern mit einem Portjeus davor, an deren Wänden man einmal über das 

andere eingekritzelt liest: „CORlNTHUS EXIT DE PAEDAGOGIO MARIANUS AFER EXIT 

DE PAKI)A(HKiK)" etc. De Paedagogio? Was ist das, ein Paedagogium ? Etwa dasselbe wie 



eine deutsche 
Cadcttenan- 
■»talt oder wie 
die Militär- 
schule von 
Saint ■ Cyr. 
Vielleicht am 
allerrichtig- 
sten das kai- 
serliche Pa- 
geninstitut, 
denn die hier 

erzogenen 
Knaben Wes- 
sen Paeda- 
gogiani Pueri 
und daraus 
ist das Wort 




Amlvlit ilc* Tabula und ik> Circus Muunui. 



„Page" ver- 
mutlich ent- 
standen. Sie 
stellten auch 
der Sache 
nach Pagen 
vories waren 
junge Skla- 
ven, die, ei- 
nes gefälli- 
gen Aeus- 
seren wejjen 
zu Gespie- 
len der Kin- 
der des I lau- 
ses auser- 
sehen, unter 
der Aufsicht 



alter Sklaven sorgfältig ausgebildet wurden. Dies geschah nicht blos beim Kaiser, sondern bei 
reichen Leuten überhaupt. Wenn sie nun von der Schule abgingen (exibant de Paedagogio), worauf 
sie sich vermutlich ebenso sehr freuten, als unsere Cadetten, so malten sie's an die Wand. 

Diese Kritzeleien sind das Interessanteste. Es heisst: Narrenhände bemalen Tisch und Wände, 
und die Herren Pagen sind gehörige Narren gewesen. Und sonderbar! Was so ein Philologe in 
der Gegenwart keines Blickes würdigen, eventuell mit einer Carena bestrafen würde, das sammelt 
er aus dem Alterthum mit einer Art von Ehrfurcht. Ein dummer Junge braucht nur ein paar 
Jahrtausende alt zu werden, so beschäftigen sich liebevoll die grössten Gelehrten mit ihm. Sie geben 
diesem mit Griffel >stilusi auf Stuck bewerkstelligten Gekritzel den pompösen Namen Gratnto, 
worunter man eigentlich eine kunstgerechte Manier der Wandmalerei versteht. Bekanntlich gab 
einmal ein französischer Schriftsteller und Reisender, Emanuel Domenech, die Croquis Hinterwäldler 
Bübchen in dem berüchtigten „Livre des Sauvages" für amerikanische Hieroglyphen aus. Für Hiero- 
glyphen werden nun die Graffiti gerade nicht ausgegeben, aber herausgegeben, erklärt, 
studiert trotz jenen. 

Au>ser über ihren bevorstehenden Abgang halten sie der Nachwelt noch verschiedene 



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wichtige Mittheilungen gemacht und zunächst wie natürlich in grossen Buchstaben, griechisch und 
lateinisch, ihre Namen angeschrieben, z. B. den Namen PßUCt04BMKtair. l'nter diesen Namen, 
die oftmals von Porträts begleitet sind, liest man allerdings nicht blos solche von Schülern, sondern 
auch von alten gedienten Soldaten, z. B. gleich rechts an der Eingangswand : 
HILARIUS MI. V. I». N (d. > mfle* vetcranu* domini nowi) 

oder aber: 

BASSUS BT SATUKUS PKREQRIN1 (m. miliie*. die mdit lAnlttbc Biuf{er waren). 
Man hat daher hier auch Wachtstuben und einen Palasteingang gesucht. Doch warum 
könnten das nicht die Namen der Institutslehrer gewesen sein ? — 

Aber auch eine Menge witziger, muthwilliger Caricaturen machten unsere Pagen, genau 
so wie Karlchen Miessnik. Das Büffeln und das Ochsen mag ihnen schwer geworden sein: sie 
trösteten sich mit dem Esel, der die Getreidemühle treiben muss, eitle äusserst anstrengende Arbeit, 
die man auch durch Sklaven verrichten liess — und schrieben darunter: 

I.AHOKA ASELLX QVOUOitO RUO I.ABOKAVI 
BT l'KODKKIT 'I HM 

Arbeite, Eselchen, wie ich gearbeitet habe, und es wird dir zum Guten sein. 

Das ist echter altrömischer Schublubenwitz. Die Mühle sieht ungefähr so aus: Auf einem 
Kegel ruht die untere Glocke eines sanduhrfürmigen Steines gleich einem Hute ; die obere Glocke 
Stellt einen offenen Trichter dar. In diesen Trichter wird das Korn geschüttet und, durch Um- 
drehen der Sanduhr, zwischen Mut und Kegel zu Mehl zermahlen, welches in eine um die Basis 
des Kegels herumlaufende Rinne fallt. 

Fast noch charakteristischer ist ein zweites Zerrbild, das von den heidnischen Pennalen 
zur Verhöhnung des „gläubigen Alexamenos" eingeritzt worden ist — man liest diesen Namen. 
ALEXAMENOS FIDEI-IS in der That noch jetzt an einer andern Stelle, am Fuss einer 
Marsfigur. Vor einer an einem Kreuze hängenden menschlichen, aber eselsköpligen Gestalt steht 
anbetend und die Hände aufhebend ein, gleich dem («-kreuzigten, mit wollener Unterjacke ..interulai 
und loser Blouse itunicai bekleideter Mann, darunter der griechische Sa«: 

'AAKMAHKUOC CKBKTK (sie. »oll hcim.fi CKBKT.il, HKn.V ./. 

das heisst: 

Alexamenos verehrt seinen Gott. 

Dieses Bild bestätigt die Angabe Tertullians, dass man Christus, den in der Eselskrippe 
liegenden Gott ii»K*oir^<i spottweise mit Eselsohren abgebildet habe, und es ist höchst merkwürdig, 
wie dasselbe mit einer seltenen, ohne Jahres- und Ortsangabe erschienenen schlesischen Satire 
zusammentrifft, wo von einem auf dem Zobtenberge aufgestellten, mit den Insignien des römischen 
Cultus versehenen, männiglich verspeisten Esel die Rede ist — wahrscheinlich ebenfalls eine 
heidnische , gegen das vordringende Christenthum gerichtete Farce. Das von einem Jesuiten 
1856 entdeckte Stuckfragment befindet sich nicht mehr an Ort und Stelle, sondern in der 
chrisüichen Abtheilung des Museo Kircheriano in der Lehranstalt der Jesuiten; nicht ungeschickt 
hat es Henri Siemiradzki auf seinen „Fackeln des Nero" verwerthet, wo das Spottcrucifix auf den 
die Anklage enthaltenden Täfelchen unter den Worten. „CHRISTI ANl 'S, INCENDIATOR I RBIS 
GENERISQUE HUMAN] HOSTIS" angebracht ist. 

Man liest in der Apostelgeschichte, wie Paulus in Athen einen Altar fand, welcher dem 
unbekannten Gott geweiht war, und wie er an diesen unbekannten Gott anknüpfte, als er auf der 
Akropolis predigte. Nun hier, nur ein paar Schritte von dem Paedagogium. erhebt sich so ein dem 
unbekannten Gott geweihter Altar. SEI DEO SEI DE1VAE SACRL'M. wie auf dem Travrrtinblock 

5J 



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der den muldenförmig vertieften, mit zwei Voluten verzierten Altarstcin trägt, alterthümlich 
geschrieben steht. Hatte etwa Paulus auch dieses Heiligthum entdeckt, es zum Ausgangspunkte 
eines Vortrags in Rom genommen und die Familie des Alexamcnos bekehrt? 



Wir haben das Paedagogium verlassen und sind an Gemüsebeeten und namenlosen Trümmern 

vorbei, links über uns in unerreichbarer Höhe die Cypressen der Villa Mills, treppauf, treppauf 

bis zu einem 

Platz gekom- 
men, der im 

Osten und im 

Süden von 

neuen, höchst 

grossartigen 

Ruinen -Com- 

plexen einge- 
schlossen ist. 

Es sind die 

südlich gelc- 

genenKaiser- 

patäste , die 
malerischen 

Resteder An- 
lagen des 

Septimius Se- 
verus und des 

räthselhaften, 

siebenstücki- 
gen Septizo- 

niums , das 

seinen Lands- 

leuten aus 

dem dunkeln 

Weltthcil bei 

ihrer Ankunft 

in Rom zuerst 

in die Augen 

fallen sollte, 

denn Septi- 




irnus Severus 
war ein ge- 
borener Afri- 
kaner ; sie 
werden von 
dem alten Pa- 
last des Au 
gustus durch 
eine Wett- 
laufbahn, das 

elliptische, 
185 m lange 
Stadium ge- 
trennt , wel- 
ches der Zeit 
Domitiansan- 
gehören soll 
und von dem 
man an dem 

Westende 
noch das Ziel 
(metaund an 
der Südseile 
noch die kai- 
serliche Tri- 
büne (Lxe- 
dra)erkennen 
will. In der 
Ruinenmassc 
jenseits ist 
angeblich die 

kaiserliche 



Loge (pulvinan am Circus Maximus erhalten — an jenem Grcus, in welchem jetzt, umrauscht von hohem 
Schilfrohr, die weissen jüdischen Leichensteine Stenn. Wir schauen zurück: Ungeordnet, unerkannt, 
al>er warm und harmonisch, das .schwelende Zicgelwerk von dunkeln Kpheuranken liebevoll umsponnen, 
dehnt es sich vor uns aus gleich einem Chaos: es liegt vor Gott in seiner Leere, mit seinen ausgestor- 
benen Corridoren, seinen hohlen Gewölben, seinen gähnenden Gallerien: wer sich in ihnen verliert, 
den graust es. Darüber blüht und duftet die Damastener Rose : aus den Ritzen schiesst Goldlack und 
wilde Reseda auf, und I lecken von Raslardloröeer bekleiden die ausgedörrte Wand. 



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Wir überschreiten eine Brücke und treten auf die Plattform des Belvedere — ein 
erhabenes, einziges Panorama thut sich auf, das wie der Anblick des Meeres oder der feierlichen 
Wüste mit nichts zu vergleichen ist — jene grosse Kbene, die von dem weiten Amphitheater 
ewig klassischer Gebirge und ewig klassischer Gebirgsstädte eingeschlossen, des Ruhms und der 
Krinnerungcn müde, die Last von fünfundzwanzig Jahrhunderten schweigend trägt. Links neben 
uns der ungeheure, halbentblätterte Mauerkranz des Colosseums; vor uns der stille, idyllische 
(oelius mit seinen lX>rfkirchen . seinen I-andhäusern , seinen duftigen Wildnissen; rechts der 
verlassene Aventin, an dessen Fuss, riesig und ernst, ein öder Denkstein, die Cestiuspyramide, 
steht, und darüber hinaus der unabsehbare, monumentale Kirchhof der alten Römerwelt, bis dahin, 
WO am Horizonte der lichte Streifen des tvrrhenischen Meeres hell erglänzt. 

Die« feuchten, mit Rohr so lange tiewathincn Gestade. 

Diese mit Btttimcn und Busch duster tiesrhattctcn Hoh'n. 
Wenig Hutten «igten sie erst; dann sahst du auf einmal 

Sie vom «iromclndcn Volk glücklicher Riubcr belebt. 
Alle» schleppten sie drauf an diese Statte zusammen; 

Kaum war das Übrige Rund deiner Betrachtung nuch werth. 
Sahst eine Welt hier entsteh», sahst d.um eine W elt hier in Trümmern, 

Aus den Trümmern auf's neu fast eine grossere Welt ! 

Goethe richtet diese Verse an die Sonne, die lx;wundernd über Rom weilt — sie ist abermals 
im Westen hinler der Kuppel von Sanct Peter hinabgesunken — aber sinkend wirft sie mit ihren 
letzten Strahlen einen milden, verklärenden Schimmer über die TrOmmerstättc — mit ihrem tiefen 
Golde umspielt sie die grauen Mauern der viereckigen Stadt — die Kaiseri>aläste stehen sprühend 
in den Mammen des Sonnenuntergangs — den palatinischen Berg bedeckt wie ehtsJcm ein 
königlicher Purpur — über ihm wölbt sich der I limmel furchtbar prächtig wie ein glühender 
Baldachin, in dessen Feuer die Cypresse und die Palme von San -Bonaventura ihre stolzen Wipfel 
selig träumend taucht. 

Die Natur allein ist noch kaiserlich auf dem Palatium — sie allein vergoldet den Hügel noch, 
bekleidet ihn noch mit einem Purpurmantel — übrigens ist er wieder zu dem Anger, der Trift 
von ehedem geworden, auf der die Heimchen zirpen — durch die offenen Hallen streicht der 
Wind — der Custode geht neben seinem Amte ländlichen Geschäften nach Ziegenheerden, ja, 
Zicgenhcerden beweiden den grünen, von den Ausgrabungen noch nicht berührten Rain — 
während vor uns ein Volk von Geiern, wie zu Romulus Zeiten, krächzend auffliegt und, im blauen 
Raum verloren, seine majestätischen Kreise zieht. 

O, Welt, du rollendes Rad! Wie dieses Palatium, so werden dereinst auch unsere 
Paläste, auch unsere Tem|)el, auch unsere wolkenhohen Thürme zerfallen und untergehn; so wird 
auch für uns einmal der Tag kommen, wo die heilige Ilios in den Staub sinkt — wo der Fuhrmann 
über die Pegnitz fahrt, mit der Peitsche knallt und hinwirft: Hier stand Nürnberg! — oder wo, 
wie Macaulay sagt, ein Neuseeländer auf der London Bridge die Ruinen der Paulskirche 
zeichnen wird. 

lieber die Vergänglichkeit alles Irdischen und über den Kreislauf der Dinge nachzusinnen, 
in welchem das Kleine gross und das Grosse klein wird, ist ein Lieblingsgeschäft aller Philosophen, 
und von Salvator Rosa besitzen wir ausser dem oben angezogenen auch ein Bild, das die 
„Fragilitä umana" zum Gegenstände hat, und wo sothane Fragilitä in Gestalt eines schönen, mit 
Rosen bekränzten Mädchens auf einer Glaskugel sitzt, während vor ihr ein Knabe Seifenblasen 
steigen lässt, ein anderer, das an einem Spinnrocken hängende Werg in Brand steckt Aber, 
wahrlich, Niemandem kann dieses Geschält leichter werden als dem Herrn Pietro Rosa, der, wie 
wir mittheilten, ein Verwandter des Malers ist und der, indem er aus dem Palatin ein neues Pompeji 



macht, zu dem' Bilde seines Urgrossvaters gleichsam die Staffage liefert. Ja, nicht blos die alten 
BeSuEGf und Schöpfer dieser Gärten, die römischen Caesarrm, sondern sogar die modernen Herren 
und Kaiser derselben mCKsen ihm Stoff zu recht lehrreichen Betrachtungen gewähren — die 
farnesischen Gärten hat Napoleon III. nach der Schlacht bei Sedan auf Wilhelmshöhe bei Kassel 
an Victor Fmanucl verkauft, weil er sich in (icld Verlegenheit befand. Kr bekam vorläufig 
80,000 Francs dafür; später im December 1870 wurden sie von der italienischen Regierung 
für 650,000 Francs angekauft — ungefähr die Summe, welche den Cicero das Haus des Crassus 
gekostet hatte. Napoleon selbst hatte die farnesischen Gärten im Jahre 1861 von Franz IL, dem 
Exkönige beider Sicilien, für 250,000 Francs erworben, als dieser kapitulirte. Sonderl>are Ironie und 



Analogie des Schick- 
sals!. An die neapoli- 
tanischen Bourbons 
waren die Gärten ge- 
kommen, als ihnen das 
Erbe der Farnese zu- 
fiel, die 1731 mit Don 
Antonio erloschen, und 
deren Grösse sich von 
dem Gründer der Villa, 
Papst Paul III. Farne«: 
herschrei ht. 

Die übrigen 
Grundstücke, z. B. die 
Vigna Nussiner und 
die Vigna dcl (.'ollcgiu 
lnglese. in der wir 
stehen und wo, wie es 
heisst , die reizende 
Aphrodite Kallipygos 
gefunden ward .... doch 
da zupft uns der Cu- 
stode am Ohr, wie der 
Cynthische Apollo den 
Virgil, als er Schlachten 




AurlLe Treppe Im l'ftlo5l *Icj Scp:imias Severus. 



und Könige besang. 
„Es wird geschlossen, 
meine Herren, 's ist 
vierundzwanzig Uhr, 
haben Sie das Ave 
Maria nicht läuten hö- 
ren?" So pflegt 
Septimius Severus, der 
gewöhnlich zuletzt da- 
ran kommt, seine Gäste 
hinaus zu bckompli- 
mentiren: der Palatin 
wird zugemacht Ge- 
dankenvoll gehen wir 
den Weg zurück, den 
wir gekommen — zum 
Tempel des ' Jupiter 
Victor, zu den Aedes 
Puhlicae, zum Hause 
der Livia, um den 
ganzen Palatin herum 
— wir brauchen keine 
Angst zu haben, dass 
wir uns verirren, denn 
um sicher zu sein, dass 



wir nicht oben bleiben, begleitet uns unser Custode selber wie ein hülfreicher Engel bis an das 
Casino des Directors und zum Labyrinth hinaus. Die Gluth des Sonnenuntergangs erlosch : Ucber 
die I-andschaft legt es sich plötzlich wie dn Bahrtuch; dir Ruinen erstarren und erkalten, die 
Cypressen zeichnen sich schwarz am Horizonte ab ; der opalisirende Himmel nimmt den Schein einer 
bläulichen Todtenfarbe an. Nur das Nachleuchten des Tages breitet noch über das durchwanderte 
Trümmerfeld und über die mit uns herabwallende Menge eine matte, fast geisterhafte Helle. 

So langen wir wieder an dem Thore des Palatin und auf unserer Velia an, wo uns die 
heilige Nacht mit ihrem breiten Schatten zum zweiten Mal umhüllt. 



55 



Das Thal des Colosseums. 

L • ■ 

eurig ist der Vollmond aulgegangen; mit einer im Norden unbekannten Wärme ist 
er aus dem abendlichen Dunsumer emporgequollen und das Auge der Nacht ruht 
wie ein Traum der Sonne , still und magisch über der ausgebreiteten Traumwelt, 
meinem Lichte taucht die Stadt wieder auf, aber eine neue Stadt : sie ist es und ist es 
}$# nicht, ein anderer, seligerer Geist bescheint sie und spiegelt sich in ihr; mit unsichtbaren 
Strahlen verklärt er das alte Rom, und indem sie gleichsam alles Einzelne verschlingen 
T&k und von den Ruinen nur die grossen, allgemeinen Umrisse übrig lassen, entfaltet sich eine 
einfachere, aber eben darum noch erhabenere, feierlichere Landschaft. Line überirdische, 
X süsse Helligkeit umlliesst die sieben Hügel; die Himmelsflur, eingelegt mit Scheiben lichten 
™ Goldes, zieht uns magnetisch an wie eine ferne Heimat, lockt unsere ahnungsvolle Seele 
wie ein verwandtes Geisterrcich , wo unzählige Unsterbliche ihre leuchtenden Kreise beschreiben 
und harmonisch durcheinander schwingen und klingen, ihre liebliche, vom Lärm des Tages nicht 
mehr übertönte Musik anhebend — und indem wir sehnsuchtsvoll hinhören, schweben uns von 
den Blenden links die silbernen Gestallen der Venus und Roma auf, schreiten Arm in Arm und 
riesengross über die heilige Strasse hin und bergen sich dann wieder in den Nischen ihres Tempels, 
welchen sie schwesterlich und göttlich, unüberwunden durch die Stürmt- der Jahrtausende bewohnc-n. 

Ja, sie sind's, die AlLsiegreichen , die Allbezwingerinnen, die AlUwherrscherinncn ! Nicht 
zwei Göttinnen, sondern eine, nur gleich einem Janus mit einem Doppelantlitz vorwärts und rück- 
wärts blickend ! Die Mutter der Welt in kriegerischer Rüstung, Minerven ahnlich dem Colosseum, 
die Stammmutter des Julischen Geschlechtes in dünnem Gewand, durch welches die Formen ihres 
ambrosischen Leibes hindurchschimmern, dem Forum zugewandt ! — Das, beide Gottheiten als eine 
und gleichsam als zwei Seiten eines und desselben unfassbaren und unausdrückbaren Wesens 
erscheinen zu lassen, war augenscheinlich die Absicht I ladrian's, des kaiserlichen Baumeisters, der 
die Pläne zu diesem grössten und prächtigsten Tempel der Stadt selber entworfen hat; deshalb 
wollte er, dass sie unter einem Dache zusammen wohnten . deshalb widmete er ihnen nicht zwei 
Tempel, sondern einen Doppeltempel, dessen conj;ruente Zellim mit den Scheiteln ihrer Apsiden 
an einander stiessen, sodass man der zweieinigen Göttin bald von oben bald von unten nahen 
und ihr zu gleicher Zeit auf zwei Altären diesseits und jenseits Opfer bringen und Weihrauch 
anzünden konnte ; deshalb weihte er beide Heiligthümer zugleich am Feste der Falilien im Jahre 
135 ein, am 2 1. April, dem Gründimgstag einer Stadt, die beide personiricirten, ja, nach welcher 
der Doppeltempel vom dritten Jahrhundert an schlechthin Tcmplum l rbis hiess. 

In der That, diese Zusammenstellung war keine willkürliche, sie brachte nur einen Gedanken 
zum Ausdruck, der im Bewußtsein Aller längst geschlummert hatte. Die Sage vom trojanischen 
Ursprung der Stadt Rom und von der Ahnenschaft der Frau Mutler Venus ist bekannt: mit der 
Erweiterung der römischen Macht und der Fntwickeluni; der römischen Weltherrschaft bekam sie 
eine allgemeine Geltung und wurde durch die lateinischen Mythngraphen und Dichter, besonders 



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der Familie der Julier zu Liebe, eifrig gepflegt. Der fromme Aeneas, Sohn des Anchises und der 
Aphrodite, war nach Lalium gekommen, den Grund zum römischen Volk zu legen : die Localsagen, 
nach denen er bald hier bald dort das Ziel seiner Fahrt gefunden, wurden ignorirt, und diese Orte 
als Stationen in die weite Reise von Troja nach den italienischen Küsten eingereiht. Der Sohn, 
den er hier mit der Lavinia erzeugt. Aeneas Silvius, gründete das Geschlecht der Könige von Alba 
longa, sein Erstgeborener Julus, den er von Troja mitgebracht, gründete Alba longa selbst und das 
grosse Julischc Geschlecht: aus jenem ging nach dem Rathschlusse der Götter der erste König, 
aus diesem der erste Kaiser von Rom hervor. Ja, der Wunsch, den Sitz des Römischen Reiches 
an diesen seinen Ursprung zurückzuverlegen und gleichsam den Kreis seiner Geschicke zu schliessen, 
hat, verbunden mit der hinreissenden Schönheit der trojanischen Gegend, nachmals den Kaiser 
Konstantin bewogen, Byzanz an Stelle Rom's zur Welthauptstadt und damit dem Römischen 
Reiche selbst ein Ende zu machen - gemäss der Prophezeiung dt!s lloraz,' wonach es in's 
Nichts versinken sollte, wenn dereinst ein Nachfolger des Augustus zu seinem Ausgangspunkt 
zurückkehren werde. 

Die Venus war also die Mutter jener Stadl, deren Personificalion wie eine Doppelgängerin 
an ihrem Rücken lehnte, und schon das hätte genügt , eine solche innig«; Verbindung zu recht- 
fertigen. Aber dieselbe hatte noch einen anderen, tiefsinnigeren Grund. Wie kam die Menschheit 
wohl darauf, eine Roma als Göttin und in einer Gestalt anzubeten, die erst Winckelmann von 
der einer Minejva unterscheiden gelehrt hat? — Von Jugend auf erblicken wir mächtige Wesen 
über uns und vor uns, deren allumfassende Natur wir nicht anders als unter dem Bilde einer 
Gottheit anzuschauen vermögen. Dergleichen Wesen sind der Himmel und die Erde, die Sonne 
und das Meer - - warum nicht Rom ? Denn diese ungeheure Localität forderte zu einer kindlichen 
Verehrung genau so auf, wie jene elementaren Kräfte, und wenn man, wie dies noch heute 
geschieht, gewöhnliche Städte verpersönlichte, so konnte man wohl die allgebietende Stadt Rom 
'vergöttlichen. Es entstand eine Göttin Roma, wie es liei uns etwa eine Göttin Germania oder 
bei den heutigen Italienern eine Göttin Italia geben könnte; und indem sie als solche das Erden- 
rund zu symbolisiren schien, musste sie sich abermals mit einer Göttin decken, die im tiefsten 
Grunde eine Versinnbildlichung der Mutter Erde, der blühenden, fruchtbaren, meerentstiegenen 
Erde, der Braut des Adonis war, und welche in Griechenland Aphrodite, in Latium Venus, ja, 
wie Rom selbst genannt ward: denn der priesterliche Name Flora, welchen die Stadt neben 
ihrem bürgerlichen hatte, galt auch für ein Praedicat der Venus, der Ahnmutter der Aeneaden. 

Die Vorstellung der Liebe und der Alles bezwingenden Schönheit, welche gleich dem 
Wein und gleich dem Tode die Welt überwindet und das Universum in ihre Fesseln schlägt — 
diese Vorstellung, welche man s|>äterhin an Venus zu knüpfen pflegte, als ihre kosmische Bedeutung 
zurückzutreten anfing: sie war nicht minder geeignet, die Mutter Amors zur Kehrseite der weit- 
beherrschenden Stadt zu machen. 

Alles das und noch vieles Andere mochte der gläubige Römer in seinem Herzen bewegen, 
wenn er sich dem weitläufigen Gebäude näherte, welches alle uns bekannten T empel in Rom, 
selbst den des capitolinischen Jupiter, an Grösse übertraf; wenn er die Marmortrepjien zu der 
äusseren Säulenhalle emporstieg, die gleichsam seinen Vorhof bildete, und zu welcher die in 
dieser Gegend herumliegenden Granitsäulen - Bruchstücke gehörten ; wenn er durch sie in eine 
zweite, innere Halle eintrat, die von cannclirten Säulen griechischen Marmors getragen ward: 
wenn er endlich durch die Riesensäulenreihcn eines dritten Porticus hindurch die colossalen 
Ciestalten der Schwestergöttinnen in ihren parabolischen, innen mit Alabaster . und Giallo antico, 
aussen mit weissem Marmor bekleideten Gellen gross und übergewaltig sitzen sah. Sie waren 
so gross, dass ein Baumeister spottete, sie würden nicht aufstehen können, ohne mit dem Kopfe 

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an die goldene Cassetürung des Gewölbes anzustossen: der Baumeister hiess Apollodorus und 
er hat mit seinem Spotte selbst derb angestossen, ja er hat ihn selbst den Kopf gekostet. Der 
geniale Schöpfer des Forums und der Säule des Trajan, des Odeons und anderer trajanischen 
Monumente, zum Beispiel der berühmten Donaubrücke unterhalb des Eisernen Thores (Porta 
Trajana) hatte bereits damals Hadrian'* Künstlich terei mit einem Stolze und mit einer Energie abge- 
wiesen, welche bei einem Griechen jener Zeit in Verwunderung setzt Hadrian war eben in der 
Architectur ein Dilettant Als nun der Dilettant seinen Venustempel fertig hatte, konnte er sich 
doch, war es Eitelkeit oder eine dem Künstler gestellte Falle, nicht enthalten, dem Apollodor 
den höchsteigenhändigen Riss zu übersenden. Apollodor beurtheilte 1 ladrian's Plan verächtlich 
und büsstc seine ungebundene Frcimüthigkeit mit dem Leben. 

Von beiden Cellen stehen noch auf einer von Tuff und Peperin in Mörtel gebauten, ihnrr 
Travertinbekleiduhg eniblössten Substruction die Seitenmauern und die feingerauteten Apsiden, 
deren eine, sehr wohlerhaltene in das Kloster von S. Francesca Romana verbaut und im Hofe 
hinter der Kirche zu sehen Lst, während die andere dem Colosseum offen gegenüberliegt Hier, 
wo die Göttin Roma thronte und sich am Anblick des flavischen Amphitheaters weidete, stehen 
auch wir plötzlich wie festgebannt: ein Weltwunder blendet uns; wir finden nichts, womit wir 
es vergleichen könnten. 



An uns vorbei senkt sich die Strasse hinab nach dem Colosseum, dem Amphitheater des 
Titus, welches die Thalsenkung zwischen Palatin, Caelius und Ksquilin mit mächtiger Ellipse 
ausfüllt, ja, eben dieses Thal durch seine eigene Schwere gebildet zu haben scheint. Denn den 
Boden mit ihrer Wucht eindrückend, massig und doch organisch gegliedert, liegt sie mondbe- 
strahlt gegenüber, die grösste Ruine der Welt und in ihrer Grösse nicht unwerth für ein Symbol 
dieser majestätischen Stadt und der Welt selbst zu gelten. 

Qtiandiu stabil Colyseus, stabil et Roma. 
Qiuodo ladet Colyseus, ladet H Roma, 
Quaudo cadet Roma, tadet et Muixlus — 

Millionen fremder Pilger, die das ungeheure Monument der llavischen Dynastie vielleicht 
noch in seiner ursprünglichen Herrlichkeit erblickten, haben dieses echt römische, zu Beda's 
Zeiten geltende Sprichwort wiederholt; noch ein Pilger dieses Jahrhunderts, ein Landsmann des 
angelsächsischen Mönches, spricht es nach: 

Whilc Stands the Coliseum, Romc shall stand, 
Whcn falls the Coliseum, Romc »hall fall, 
And whcn Romc fall» — the World — 

und die Jahrhunderte werden noch, wenn wir an ihrem Flammcnhcrzcn längst verglommen sind, 
diese erhabene Rundung anstaunen und bekennen : 

So lange das Colosseum steht, nird Rom stehen, 
Wenn da» Colosseum fallt, wird Rom falten, 
l'nH mit Rom fallt die Welt 

Denn noch immer ist sie unfassbar — sie zieht uns an wie eine Erde mit centripetalcr Kraft — 
wir verlieren uns in ihr wie eine Welle im ewigen Ocean — wir gehen auf sie zu, wie unser 
Leben unwiderstehlich in den Schooss der unendlichen Mutter, der Natur hinabsinkt 

Nichtig und unbedeutend erscheint alles Menschenwerk neben dem Colosseum, und wäre 
es noch so riesig; ja man darf ohne die eitlen Hyperbeln kleiner Reisender sagen, dass weder 
der griechische noch selbst der aegyptische Genius, zu dessen auffallendsten Charakterzügen die 

■ 



Kolossalität gehört, «was so Grandioses hervorgebracht hat. Trotzdem ist es nicht wahrscheinlich, 
dass das Wort Colosseum wirklich von der kolossalen Grösse dieses Gebäudes hergenommen 
sei, da dasselbe in seiner ältesten Gestalt, bei Beda Venerabiiis, nicht Colosseum, sondern Colyseus 
oder Colysaeus lautet, und dieses Colysaeus bis auf den heutigen Tag in dem italienischen Coliseo. 
dem französischen Colisee, dem englischen Coliseum und dem spanischen Coliseo fortlebt; man 
kann nicht begreifen, wie Colysaeus aus Colosseum entstanden sein und sich hartnäckig erhalten 
haben soll, während es umgekehrt sehr nahe lag, das wunderliche Colysaeus an das geläufigere 
Colossus anzulehnen und als ein kolossales Gebäude (aedificium colosseum) verständlicher zu 
machen. Das italienische Volk, zumal das römische ist sehr geneigt zu Wortspielen und zu 
etymologischen „Spropositi": es sagt z. B. nicht „Arabia Pctraea", sondern „Rabbia Petrella", 
nicht „Chili", sondern „Qui e Li", nicht „Cecilia Metella", sondern „Sciscilia minestrclla", nicht 
.,S. Maria in Via lata", sondern „S. Maria üiviolata", nicht „aut Caesar aut nihil", sondern „o 
Cesare, o Niccolö"; und es vertauscht das obenerwähnte Coliseo. kraft einer ziemlich ordinären 
Anspielung, gewöhnlich mit Culiseo, was der Grund ist, dass die Italiener „11 bei di Roma" oder „II 
piü bei di Roma" an ihren Körper haben. Mittelst einer analogen, edleren Verdrehung bildeten einige 
Nationen, eigentlich nur die Deutschen aus Colysaeus Colosseum, ja noch kühner Colossus selbst 
hervor, welche Namen dann auch auf andere grosse Amphitheater, z. B. das von Capua und das 
von Lima übertragen wurden. Man darf vermuthen, dass bereits dem Masculinum Colysaeus der 
Gedanke an Colossus zu Grunde lag, und dass das Gebäude ursprünglich Colysaeum oder Colyseum 
hiess, mithin nicht sowohl einem Worte wie Coryphaeus, als vielmehr einem Worte wie Museum 
zu vergleichen war, obwohl in jenen barbarischem Jahrhunderten die Geschlechter überhaupt vielfach 
ineinanderlaufen und z. B. Palatius neben Palatium, Vocabularius neben Vocabularium gesagt wird. 

Dieser Colossus, welcher im zehnten Jahrhundert auf das Colysaeus des achten folgte, 
brachte die" Gelehrten wieder auf eine neue Gedankenassociation. Sie Hessen Colosseum gelten, 
meinten aber, das sei nicht etwa selber ein Koloss, sondern nur eines Kolossen Nachbar, 
gleichsam das „Amphitheatrum in Colosso" — und gründeten das auf folgende Erwägung. Vor 
dem Eingang des Colosseums stand einmal ein Koloss — ein gletscherhafter Koloss, dessen 
Höhe auf vierzig Meter angegeben wird, mithin fast noch einmal so gross als die Münchener 
Bavaria (20,5 m) und der heilige Carlo bei Arona (24 m); auch die aegyptischen Kolossalstatuen 
brachten es niemals viel über zwanzig Meter, ja selbst der Koloss von Rhodus, der angeblich 
mit gespreizten Beinen über dem Hafeneingang stand, dass die Schilfe darunter durchsegelten, 
war sechs Meter niedriger. Nämlich die eheme Bildsäule des Nero, das Wunderwerk Zenodor's, 
deren Geschichte interessant zu lesen ist Drei verschiedene Köpfe hat sie nacheinander gehabt: 
zuerst, wie billig, den des Nero, dann wahrscheinlich den des Titus, der aber die Sonne 
vorstellen sollte und deshalb mit Strahlen von sieben Meter Iünge umgeben war, endlich den 
Kopf jenes grossen, einzigen Mannes, der 735 Mal als Gladiator auftrat und liooo Fechter 
mit seiner Linken niederschlug, des herculischen Commodus. Und analog hat der metallne 
Riese dreimal den Platz gewechselt und ist wie ein eherner Gast von Piedestal zu Piedestal 
gewandert, jedesmal einem Gotte weichend: er stand ursprünglich in einem Hofe des Goldenen 
Hauses, da baute Vespasian seinen Eriedenstempel hin und schickte den Koloss auf die Via Sacra. 
Kaum hatte er hier Posto gefasst, so kam dem Hadrian die Idee zu dem Tempel der Venus und 
Roma: es half nichts der Herr Gouverneur zu Fusse musste wieder abziehen und weiter nach unten 
rücken : aber, müde zu gehen, Hess er sich in aufrechter Stellung von vierundzwanzig Elefanten bis 
vors Colosseum tragen, und hier auf einem dritten Fussgestell, einem aus Backsteinen und Gussmörtel 
aufgemauerten Schemel, wie er ihn brauchte, fand er endlich Ruhe; hier blieb er, bis er vermuthlich 
von den Gothen todt geschlagen ward. Man sieht dieses letzte, grasbewachsene Postament noch 



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heute zwischen dem Tempel der Venus und Roma und dem Colosseum; da» erste, unter Nero 
selbst erbaute nimmt aufllenri Sicmiradzki's mehrerwähntem Bilde im Vordergrund zur Linken die 
ganze Höhe bis zum oberen Rahmen ein. Ks gleicht einem Festungswerke, und man darf es 
nicht etwa mit dem armseligen Rest eines domitianischen Springbrunnens verwechseln, der, nach 
seiner konischen Form Meta sudans. triefender Kegel, sozusagen Trippstein zulienannt, auf unserer 
Tafel rechts daneben vor dem Colosseum steht, obgleich, nach der I löhe der Wassercntnahmestolle 
und dem Röhrendurchmesser zu urtheilen auch dieser in seiner Art recht grossartig gewesen 
sein und die prächtigen Fontainen auf dem Platze von Sanct Peter weit übertroffen haben mag. 
Dergleichen Metae, deren Mantel sich zu einem bedeutenden Umfange erweiterte und an denen 
der herabstürzende Wasserstrahl absatzweise zwei Cascaden bildete, gab es auch anderwärts, 
zum Beispiel eine ganz ähnlicht; in Bajae. 

I>er Koloss des Nero nun war allerdings, als der Name Colosseum auftauchte, längst 
untergegangen und den erz- und goldgierigen Gothen anheimgefallen: immerhin ist er als ein 
merkwürdiges plastisches Pendant zu dem architeclonischen Ungeheuer zu betrachten, von dem es 
uns nicht Wunder nehmen kann, wenn es, um mich so auszudrücken, mit ihm über einen Kamm 
geschoren wird. Die Sage, die gleich der Schleiereule in altem Gemäuer haust, die im Augen- 
blicke der Zerstörung in die Ruinen einzieht, sie nicht verlässt, so lange noch eine Spur von 
ihnen übrig ist, und um so besser gedeiht, je einsamer sie sind, sie nistete gleichsam in dem 
Winkel zwischen den beiden Monumenten und flatterte behaglich vom Bronzekoloss zum Maucr- 
koloss hinüber. Sie erzählte, das Colosseum sei ein Ort in Rom (<[uidam locus Romae), wo einst 
die Bilder aller Provinzen aufgestellt gewesen wären, und in ihrer Mitte hätte Roma, ihre Herrin 
und Königin gestanden mit einem goldenen Apfel in der Hand. In diesen Statuen habe Zauberei 
gesteckt, sobald nämlich eine Provinz gegen das Reich aufstand, kehrte ihre Bildsäule im Colosseum 
der Roma den Rücken zu , und gleich schickten die Römer ein I leer nach der Provinz , den 
Aufstand zu dämpfen: tali arte, so schliefst unser Wintermärchen, Romani Trojani mundum 
subjugabant. Ob mit diesen Provinzen die Standbilder gemeint sind, welche zum Schmucke 
der mittleren Stockwerke in den Bögen an der Aussenseite des Amphitheaters standen, und 
ob die Roma das Götterbild von der dem Colosseum zugekehrten Nische des hadrianischen 
Doppeltempels war, welches in der Erinnerung der Völker mit dem ehernen Koloss 
verschmolz? Denn der goldene Apfel ist unzweifelhaft die Weltkugel, welche die römischen 
Kaiser in der Hand zu halten pflegen und aus welcher unser Reichsapfel hervorgegangen 
ist. Eine spätere, mimler ursprüngliche Version derselben Sage versetzt diese Statuen in der 
Zahl siebzig auf das Capitol und hängt ihnen Glöckchen an den Hals, mit denen sie zum Zeichen 
der Empörung läuten. 

Eigentlich bevorzugte unsere Schleiereule den Koloss des Nero, den grossen Simson, wie 
er auch genannt wird; die Sage haftet in dieser Stadt überhaupt lieber an Bildsäulen als an 
todten Monumenten. Das beweist schon die eben, mitgctheiltc Fabel, aber auch in andern ist 
immer nur von einer Statue die Rede. So in der, welche an die Legende von der tiburtinischen 
Sibylle und Octavian erinnert — dass Romulus da, wo die zwei Tempel der Pietas und der 
Concordia stehen, sein goldenes Bild mit den Worten aufgestellt habe: Es wird nimmer lallen, bis 
eine Jungfrau gebären wird (non cadet, donec virgo pariet); und dass es, als dies geschah, 
augenblicklich zusammengestürzt sei: mit den zwei Tempeln der Pietas und der Concordia ist 
nachweislich der Duppeltempel der Venus und Roma gemeint , und ich glaube , man kann den 
goldnen Romulus nicht besser als auf den goldnen Nero deuten, bei dessen Fall die Erde gezittert 
haben mag. Ja, ich halte sogar, gestützt auf die unverkennbare Analogie, dafür, dass die oben- 
erwähnte Prophezeiung des Beda Venerabilis : Quando cadet Colyseus, cadet et Roma, ursprünglich 



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vom Koloss des Nero gegolten hat, und erst nachmals auf das benachbarte, allein übrige 
Colosseum bezogen worden ist. 

Wäre dem so, so würde die ganze Frage nach dem Ursprünge des Wortes Colosseum 
eine andere Gestalt gewinnen. Es würde in Wahrheit auf den Koloss des Nero zurückzuführen, 
aber nicht von Colossus abgeleitet, sondern identisch mit dem Namen Colysaeus sein, den der 
Koloss trug und aus diesem Colysaeus hätte sich dann stufenweise Colysaeum, Coloseum, Colisseum, 
Colosseum entwickelt. Das ist auch recht wahrscheinlich ; trotzdem bleibt das Räthsel des 
Colysaeus selbst noch immer unaufgclöst Statt Colossus hätte man allerdings wohl Colosseus 
(Ao/onsiKir»..-), der Kolossale sagen dürfen, aber es ist absolut nicht abzusehn, wie aus diesem Colosseus 
Colysaeus werden und der sonderbare Fehler Jahrhunderte lang im Munde aller Völker bleiben 
konnte, während doch das Wort Koloss in andern Ableitungen keineswegs erlosch ; und deshalb 
ist man verpflichtet, im Stillen auf eine andere Etymologie zu denken. Fs will sich keine recht 
darbieten, nicht einmal das so naheliegende Wort A'«iirr>«c: wenn dieses Käfig bedeutete, so 
liesse sich üaraus allenfalls AWrcrnJoi- , Menagerie gewinnen und mit dem Namen Verlascio vergleichen, 
den in Italien viele Amphitheater führen und den man als „Bärengelass" erklärt — — aber 
es sei mir gestattet, hier zum Schluss eine Vermuthung vorzubringen , die zwar eben so wenig 
durchschlägt, die sich indessen hören lässt, weil sie auf historischen Daten fusst. 

Wir sprechen wohl von einem Goldtischteiche oder von einem Karpfenteiche ; und analog 
könnten wir von einem Meerjunkertrichc sprechen. Meerjunker heisst nämlich bei uns, Rcgen- 
bogentiseh bei anderen Völkern, einer der schönsten Seelische, dessen Farben auf das mannig- 
faltigste in einander spielen und sich beständig mit dem auffallenden Licht verändern.- Er Ist 
ol>en blaugrün mit orangefarbenem Längsband, an den Seiten silbergrau und violett gestreift, 
am Kopfe braungelb, blau und silbern gemustert, an der Rückenflosse purpurn, an den übrigen 
Flossen blauroth. Der Junkertisch gehört zu derselben Familie wie der ebenfalls prächtig gefärbte 
Papageilisch, der auf dem Rücken purpurroth, an den Seiten rosenroth und violett, an Brust- und 
Bauchflossen orangegelb und mit veilchenblauen Linien gezeichnet ist. 

Die Alten kannten und liebten beide Fische: sie nannten den Meerjunker Julis, den Papa- 
geifisch Scarus ja, es heisst, dass Tiberius eine Flotte ausrüsten liess, um den letzteren im 
griechischen Inselmeere aufzusuchen und in den italienischen Gewässern zu verbreiten. Sie kamen 
sogar auf die Tafel, al>cr man darf behaupten, dass dies wie bei den Pfauen weniger um ihres 
Wohlgeschmacks als um ihrer Farbenpracht willen geschah. Für Julis galt auch der Name 
Coris, desgleichen der Name Colisa, den französische Gelehrte dem Meerjunker bis auf den 
heutigen Tag geben. 

Nun steht fest, dass Vesi>asian sein Amphitheater an der Stelle eines künstlichen Sees 
gründete, welcher im Umkreis des Goldenen Hauses lag; und nichts hindert uns anzunehmen, 
dass Nero diesen meerähnlichen Teich mit jenen berühmten Fischen bevölkert hatte: im Gegen- 
theil, das ist im höchsten Grad wahrscheinlich. Die Meerjunker stechen angeblich wie die Wespen. 
Wer weiss, der Tyrann belustigte sich am Ende damit, Christen in seinem Teiche baden und sie 
von den Meerjunkern beissen zu lassen. 

Jener Teich könnte wie Nymphaeum nach Nympha, nach Colisa Colisaeum genannt, und 
der Name dann auf das hineingebaute Amphitheater übertragen worden sein; bei den Schiffs- 
kämpfen (Naumachieni wurde ja die Arena sogar noch immer in einen See verwandelt und mit 
Fischen angefüllt. Sind nicht nach Aalen, Karpfen. Heringen Dörfer und Städte in der Welt 
benannt? Warum nicht in Rom ein Amphitheater nach den Junkerfischen? — 



61 



i« 



DL 

Wir pochen an die Holzthür in der Arcadc am Eingang vom Palatin her. Ist der Herr 
Custode da? Können wir die oberen Stockwerke besteigen? Wollen Sie uns durch diese 
tinstern Corridore leuchten? — 

Welch ein bewunderungswürdiges Oval! Wie ist die grosse Ellipse mit Meisterhand 
gezogen! Wie sie harmonisch in sich selbst zurückkehrt! Wie sich Sitzreihen über Sitzreihen 
und Gallerien über Gallerien staffelförmig und concentrisch aufbauen! Wie die Wände des 
ungeheuren Kessels rinics in die Arena, als in einen Abgrund zusammenstürzen' — 

I la I Ich erkenne sie wieder , die siebenundachtzigtausend zuschauenden Römer ! Der 



i 

\ 




Innere Amichl <lr» Cokutcuirn. 



überwältigende Anblick eines versammelten Volkes wird mir abermals! Vom Boden aufwärts bis 
an den Rand, über den Bauch des Kessels hin, in wundervoller Ordnung ist terrassenartig ein 
Reich von Königen gelagert : golddurchwirkte Tcppiche spannen sich schützend über ihre Haupter, 
und Wohlgerüche strömen in Nebelschauern kühlend auf sie herab. 

Ave, Caesar Imperator, morituri te salutant! Die Gladiatoren kommen! t'n<l Heerden 
wilder Thiere, afrikanische und asiatische I-öwen, indische Elefanten, Eber von den L'fern des 
Rheins, Bären aus den Wäldern Apuliens, Stiere aus den pontinischen Sümpfen, die Ungeheuer 
des Nil, Krokodil und Hippopotamus, Tiger, Nashörner, Panther und Hyänen, durch Stacheln, 
Feuerbrände und Peitschenknallen gereizt, stürzen wüthend auf den Sand — und das Volk 
jauchzt vor Entzücken, wenn sich die Rasenden zerfleischen — wenn die Samniten und die 
Thracier brav aufeinander einhauen — aus den Reihen ertönt es triumphirend: Habet! Er hat's! — 



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Der schwer Verwundete hebt einen Finger in die Höhe und bittet um sein Leben — aber die 
Quinten wenden den Daumen nach unten, man soll ihm den Todesstoss ertheilen — und ich höre sie, 
wie sie sich erbittern, weil er nicht gerne sterben will: Treibt ihn mit Peitschen in den Kampf. 
Stosst ihn mit den Glüheisen zurück! — wie sie, die furchtbarsten Bestien unter allen, nach Blute 
lechzen, in Blute schwelgen und in einem Anfall von Wahnsinn Wollust und Grausamkeit vereinen. 

Und ich theile für einen Augenblick den' kolossalen Taumel dieses Volkes : der Kitzel des 
Schrecklichen, der allgemeine Rausch des Gemetzels und der fremden Todesqual ergreift mich, 
reisst mich wider Willen fort gleich einem Wirbel; und wie der Mann, der dieses Amphitheater 
schuf, in seinem eigenen Meisterwerke den Raubthieren vorgeworfen und der ersten Märtyrerkrone 



in dem Colosseum ge- 
würdigt ward : so büssen 
auch wir, die wir uns 
dasselbe in Gedanken 
wieder aufbauen , die 
Schuld unserer Phantasie 
damit, dass wir den Lei- 
denschaften , die gleich 
Tigern des Menschen 
Brust bewohnen und unter 
dem Zauber einer sanf- 
teren Religion entschlum- 
mert sind, von Neuem 
zum Opfer fallen. 

Der Architect, 
welcher den Bau des 
Colosseums in Accord 
nahm und es unter Titus 
im Jahre So n. Chr. be- 
endigte , schuf damit 
nichts Neues, er befolgte 
nur die Regel, die längst 
für diese Art von Schau- 
spielhäusern feststand. 
Theater, in denen einer- 




Eiu Corrvlur des Cotosscm. 



seMts Gladiatorenspiele, 
andererseits Thierhetzen 
gegeben wurden, kannte 
man bereits seit den 
Tagen des Caesar und 
Pompejus, denn in den 
letzten Zeiten der Re- 
publik fingen diese grau- 
samen Lustbarkeiten an 
Mode und von den Macht- 
habern, welche darin an- 
geblich ein männliches 
Vergnügen und ein Mit- 
tel zur Erhaltung und 
Stählung des kriegeri- 
schen Sinnes sahen, im 
Grunde aber nur um 
die Gunst des Pöbels 
buhlten, ausdrücklich her- 
vorgesucht zu werden. 
Die Fechterspiele waren 
das Ursprüngliche , die 
Thierhetzen kamen erst 
im Laufe der* Zeit hinzu; 
und zwar gingen jene von 



Leichenspielen aus. Beim Leichenbegängniss eines Feldherrn eine gewisse Anzähl von Kriegsgefangenen 
wie Vieh auf seinem Grab zu oplern, war in grauen Jahrhunderten eine allgemeine Gepflogenheit nicht 
bloss der Etrusker, sondern auch der Griechen: Homer lässt in der Iliade den Achill bei der Bestattung 
des Patroclus zwölf junge Trojaner schlachten; und so mochten es auch die alten Römer und die 
Trojaner selbst gehalten haben, deren Stammhalter Aeneas dieses Opfer dem Anchises in Sicilien 
wahrscheinlich nur deshalb vorenthält, weil er keine Griechen zur Hand hat. Späterhin erachteten sie 
es für einfacher, die Gefangenen sich selber untereinander morden zu lassen: sie, oder an 
ihrer Stelle Sklaven und verurtheilte Verbrecher mussten sich in aller Form am Scheiterhaufen 
(ad rogum) duelüren, und schwere Duelle wurden nun auch im Frieden bei vornehmen Leichen, 
namentlich zu Khrcn des gestorbenen Vaters auf öffentlichen Plätzen vorgenommen; Virgil hätte 
auch diesen Zug benutzen können, während den ersten derartigen Fall vielmehr Valerius Maximus 
erwähnt Im Jahre 161 v. Chr. liessen Marcus und Decius Brutus bei der Bestattung ihres 



63 



Vaters drei Paare auf dem Ochsenmarkte fechten ; ein halbes Jahrhundert später traten beim 
Begräbnis* des M. Aemilius Lepidus zweiundzwanzig Paare auf die Mensur, wozu sich die Ouiriten 
drei Tage hintereinander auf dem Forum versammelten ; Scipio Africanus feierte den Doppelte«! 
seines Vaters und Oheims 210 in Spanien durch ein Kampfspiel, an welchem sich sogar 
freie Männer betheiligten. Man sieht, diese blutige Solennität gehörte durchaus zu den römischen 
Kxscquien, ja hat bis in das letzte Jahrhundert vor Christus dazu gehört, denn um die Mitte 
desselben gab Cajus Scribonius Curio beim Tode seines Vaters noch immer Fechterspiele. Dieser 
Mann aber machte in der Vorführung der Spiele eint: wichtige Neuerung, sozusagen eine Erfindung, 
aus der die bis dahin unbekannten Amphitheater hervorgegangen sind. 

Bisher waren für das Publicum auf dem ausgewählten Platze einfache Tribünen wie bei 
unseren Rennen kunstlos aufgeschlagen worden, während es zu dramatischen Aufführungen bereits 
seit 145 v. C. vollständige Theater gab. Curio kam nun auf die Idee, zwei hölzerne Theater 
mit dem Rücken an einander bauen zu lassen, die Vormittags wie gewöhnlich zu Schauspielen 
benutzt, Nachmittags aber um ihre Bühnen erleichtert, mitsammt den Zuschauern wie Karouselle 
herumgedreht und zu einem Kreise verbunden werden konnten: auf dem von beiden Theatern 
umschlossenen Platze wurden die Fechterspiele ausgeführt. So entstand ein Haus, wo der 
Zuschauerraum nicht halbkreisförmig die Bühne vor sich, sondern wo er kreisförmig die Bühne 
in der Mitte hatte: nicht sowohl ein doppeltes als vielmehr ein ganzes Theater, dem gegenüber 
die bisherigen nur halb gewesen waren. Man nannte es Amphitheatrum und den elliptischen, 
mit Sand (arena) bestreuten Kampfplatz Arena, welches zugleich der häufigste Name der Amphi- 
theater im Mittelalter geworden ist. Ziemlich lax wird mit dem Worte Amphitheater in neuerer 
Zeit ein stufenweLs aufsteigender Halbkreis, ja im Theater der der Bühne gegenüberliegende 
Theil des Zuschauerraums allein bezeichnet, und man sollte zum Betspiel nicht sagen, dass sich 
Neapel amphitheatralisch am Gestade des Tyrrhenischen Meeres erhebe, sondern theatralisch. 

Dieser Plan war ebenso einfach wie grossartig, ebenso zweckmässig wie schön, elwnso 
überraschend wie leicht verständlich: er musstc wie ein Naturgesetz alle nachfolgenden beherrschen, 
und es konnte sich, abgesehen von dem Grade der Rundung, nur um das Material und die 
Dimensionen handeln, in denen er ausgeführt ward. Die letzteren mussten gross sein, denn das 
harte und freiheitsstolze Volk fand am Anblick der im Todeskampf ringenden Sclaven immer 
mehr Geschmack, es strömte zu den Parade-Manövern, die ihnen die Magistrate bei ihrem Amts- 
antritte und nicht etwa blos bei Leichen, sondern alle Augenblicke gaben, um sich populär zu 
machen; und in demselben Masse waren die Zahlen der Auftretenden gewachsen, die von den 
Festgebem* bandenweise zusammengekauft, auch freiwillig angeworben, ja gewaltsam gepresst 
wurden und die, schulgerecht ausgebildet und organisirt, nach der Führung ihrer Hauptwaffe 
(a gladiando) Gladiatores, Meister vom langen Schwerte hiessen. Ja, durch seine Verbindung mit 
grossartigen Menagerien, die alle Schrecken der Wüsten Afrika's und Asien's enthielten, in denen 
sich die ersten Lüwenjäger und die kühnsten Thierbändiger aller Zeiten producirten, oder in denen 
man die aufregende Scene einer qualvollen Fxecution durch Bärenklaue und Tigerzahn gemessen 
konnte, hatte das Institut vollends an Zugkraft und Ausdehnung gewonnen. Es war daher nach- 
gerade natürlich und nothwendig, dass man daran dachte, stehende Amphitheater wenn auch 
zunächst nur von Holz anzulegen, wie man wohl in unsem Metropolen bleibende Circusse und 
permanente Ausstellungspaläste baut, und ein solches dauerndes Amphitheater bekam definitiv 
folgende Einrichtung. 

Ein aus lauter concentrischen und allmälig abfallenden Ellipsen oder Kreisen 
Gebäude erhob sich vollkommen und in fehlloser Reinheit auf dem Plane und grenzte 
wie ein dazwischen gelegter Ring von der eirunden Arena ab. Die Mauer, welche letztere von 



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den Silzreihen und den Korridoren schied, vertrat die innerste, tiefste und kleinste Linie dieses 
Rinkes j die Umfassungsmauer, die aus mehreren Reihen senkrecht auf einander gestellten Arcaden 
gebildet war, die äusserste, höchste und grösste Linie: die zwischen der äussersten und innersten 
liegenden Curven , die an • Höhe wie an Weite symmetrisch abnahmen , waren die Sitzreihen 
(gradationes), welche von der höchsten bis zur letzten und in gerader Richtung bis zu dem die 
Bühne selbst umgebenden ("orridor von Treppen durchschnitten wurden ; diese i>erpendiculären Treppen 



theilten den 
ganzen 1 lohl- 
raum in keil- 
förmige, un- 
ten schmale, 
oben breite 
Ausschnitte 
(cunei). Um 
die Arena 
herum befan- 
den sich die 
Behälter für 
die wilden 
Thiere und 
die Kammern 
für die Gla- 
diatoren. 
In republi- 
kanischer 
Zeit sassen 
alle Stände 
ohne l 'nter- 
schied unter- 
einander ; in 
der späteren 

Kaiserzeit 
aber wurden 
jeder Volks- 
klasse beson- 
dere Sitzrei- 
hen angewie- 
sen und diese 



(I: 



Hm GflBf do CoIosmi»,. 



durch Schran- 
ken und Kor- 
ridore ge- 
trennt Die 
unterste und 

vornehmste 
hiess Podium 
(it. Poggio) : 
hier war die 

kaiserliche 
Loge , der 

Ehrenplatz 
des Spiel- 
gebers und 
der Vestalin- 
nen; hier sas- 
sen, Lictoren 
zur Seite, die 
Kampfrichter 
auf ihren un- 
sern Fcld- 
stühlen glei- 
chenden Eh- 

renscsseln 
(sellae curu- 
les). Nach 
der Bühne zu 
war das Po- 
dium durch 

Gitterwerk 
und überdies 
durch einen 



breiten und tiefen Graben vor den Gefahren geschützt, die aus der unmittelbaren Nähe der 
Kampfthiere entstehen mochten: man war jedenfalls durch Erfahrung klug geworden, zum Beispiel 
wird berichtet, dass in den einst von Pompejus gegebenen Spielen wüthende Elefanten die 
Barrieren, welche sie vom Volke trennten, niederzureissen versuchten. Auf das Podium folgten 
die sogenannten Macniana, das heisst einzelne, unsern Rängen entsprechende Stockwerke von 
Sitzreihen, die durch Brustwehren (baltei) von einander geschieden waren und deren cm bald mehr 
bald weniger, je nach den Dimensionen des Gebäudes gab ; ganz oben lief rundum eine Gallerie, 
die sich mit unserm Paradiese vergleichen lässt Die Sitzbänke fgradus), welche in den ältesten 



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Amphitheatern 36 Centimeter hoch und ebenso breit gewesen waren, erhielten später eine Breite 
von 72 bis 95 Centimetern, so dass man seine Füsse ausstrecken konnte, ohne dem Untermann 
auf dem Kopfe herumzutrampeln. Zum Ein- und Austritt dienten in allen Stockwerken Pforten 
(vomitoria), durch welche man zu den im Innern umlaufenden Gängen, don in sie mündenden Treppen 
und schliesslich zu seinem genau bezeichneten und numerirten Platz gelangte: jede dieser Pforten 
stand wiederum mit anderen Treppen in der Dicke des Gebäudes in Verbindung, welche nach 
Aussen führten, so dass die Menge fast gleichzeitig ohne das geringste Gedränge das Haus 
verlassen konnte; man hat berechnet, dass sich der Strom von neunzig oder hunderttausend 
Menschen, der sich bei den Spielen in die Amphitheater ergoss, durch diese Treppen und Pforten 
in nicht fünf Minuten wieder zu verlaufen im Stande war. Für die obersten Staatsbeamten gab 
es einen reservirten Eingang. 

Dergleichen grosse und mächtige Amphitheater zählte nun die Weltstadt seit Cajus Curio 
bereits beinahe ein Dutzend, aber noch alle waren sie, wie gesagt, von Holz oder wenigstens 
grösstentheils aus Holz, selbst das, welches Statilius Taurus unter Augustus errichtete, denn wie 
könnte es sonst bei dem Neronischen Brande in Flammen autgegangen sein? Aus demselben 
Grunde brach einmal ein Amphitheater in dem benachbarten Fidenae zusammen und begrub unter 
seinen Trümmern fünfundzwanzigtausend Menschen. Augustus selbst wollte ein steinernes bauen, 
kam aber nicht dazu. Erst Vespasian, der sparsame Vespasian nahm seinen Gedanken wieder auf 
und legte den Grund zu einem Gebäude, welches, von Titus im Jahre So vollendet, nicht nur 
alle früheren Amphitheater an Umfang und Pracht weit übertreffen, sondern, ein Wunder von 
Solidität und gleichsam für die Ewigkeit bestimmt, die ganze römische Baukunst vorher und 
nachher in Schatten stellen sollte. Es bildet namentlich einen frappanten Contrast zu dem Goldenen 
Hause, von dem es eine bedeutsame Stelle einnimmt. Der geile Luxus des Nero verschwand über 
Nacht wie ein üppiges Schlinggewächs. Die tüchtige Schöpfung Vespasian's trotzt wie ein starker 
Eichbaum mit ungezählten Ringen den Jahrtausenden. 

Material drei Perioden der römischen Baukunst unterscheiden: die Peperin-, die Travertin- und 
die Marmorperiode. In der älteren Zeit bauten die Römer mit Pfeiferstein oder Peperino, einem 
vulkanischen Tuffstein von aschgrauer oder grünlichgrauer Farbe, aus welchem ein grosser Theil 
der Berge und Hügel von I.atium besteht; vorzüglich ward er am Albanergebirge gefunden und 
deshalb nannte man ihn lapis Albanus. Er musste, weil sich feinere Gliederungen in ihm nicht 
ausführen liessen, im Laufe der Zeit dem härteren, leichteren, wc:gen seiner porösen Beschaffenheit 
besser bearbeitbaren Kalktuff weichen, der in der Nähe der Stadt Tibur gebrochen ward und 
der deshalb den Namen lapis Tiburtinus führte: aus diesem Tiburtinus ist das italienische 
Travertino entstanden. Der Travertin endlich pflegte in noch späterer Zeit durch den Marmor 
ersetzt zu werden, der unter Augustus allgemeine Verbreitung fand und aus den entferntesten 
Gegenden herbeigeschafft ward, nachdem zuerst L. Licinius Crassus in seinem Hause sechs 
kleine Säulen aus hymettischem Marmor angebracht und Mamurra auf dem Caelius das seinige 
mit Marmor bekleidet hatte. Doch ist der Travertin neben dem Marmor immer ein sehr gesuchtes 
und beliebtes Baumaterial geblieben , die grössten Gebäude des alten wie des neuen Rom 
bestehen sämmtlich aus Travertin. Auf der Strasse nach Tivoli begegnet der Reisende noch 
heute Büffelgcspannen , Vier-, Sechs- und Achtgespannen , die auf rohen zweirädrigen Karren 
Blöcke des bald weissen, bald grauen, bald gelblichen, bald röthlichen Gesteins langsam und 
durch Nasenringe gebändigt in die Capitalc Iransportiren. Sie kommen von den Travertinbrüchen 
am Anio, von denen schon Strabo spricht, und aus denen halb Rom hervorgeholt worden ist. Hier 
ruhte, wenn ich mich so ausdrücken darf, in den Tiefen der Erde verschlossen, die ganze Peterskirche, 



rv:. 



bis ein Papst mit starker Hand ihre ewigen Ketten sprengte; hier hatte vor ihr, unter jenen grünen 
Hügeln und Thälern, der berühmte Koloss geschlummert, den die flavische Dynastie aus seinem 
Bann befreite, den sie zum Staunen der Welt von seinem Bette aulriss, den sie hier Stück für 
Stück und Glied für Glied an's Tageslicht hervorzog. 

Wer könnte ihn vergessen, den rothgelblichen Sterin des Colosseums, der im Abendsonnen- 
glanze so tief und unbeschreiblich glühen kann, und dessen tausend Lücken wuchernder Hpheu 
vergebens zuzudecken sucht? Dieser Stein ist der tiburtinisehe ; Travertinquadern , durch Eisen- 
klammern zusammengehalten, bildeten den Hauptl>estandthcil des flavischen Riesenbaues, neben 
dem nur im Innern auch Tuff und Ziegel zur Verwendung gekommen sind. Zu zwei Dritteln 
ist er nicht mehr vorhanden; den Werth des übrig gebliebenen Materials hat man nach den 
laufenden Travertinpreisen noch immer auf acht, ja ein andermal auf siebzehn Millionen Lire 
veranschlagt. Das ganze Amphitheater soll an sechzig Millionen Lire zu bauen gekostet haben, 
und zwölftausend gefangene Juden mussten dabei frohnen. Ein Architect mag die Genauigkeit 
dieser Ziffern beurtheilen . wenn er etwas von den Maasen des Gebäudes erfährt. Dieselben 
werden ausserordentlich verschieden und meist sehr viel höher angegeben, aber nach den zuver- 
lässigsten Messungen beträgt in Metern: 



Der antwrc Umfang des Colosseuius 524 

!>er Umfang der Arena jjS 

Die grosse Axc «ler äusseren, das Cime umschreibenden Kllipse . 187,77 

Die kleine Aac derselben 155.ft.vS 

Die grosse Axe der inneren, die Arena umschreibenden Kllipse s 5.75 6 

Die kleine Axe derselben SJ,*»-» 

Die Hohe der Aussenwand 48,5 

Die Weite der Enilastungsbiigen 4.1 

Die Höhe derselben 7 (abnehmend bis 6,41 

Die Weite der l laupteingangsthure . 4,6 



Aus dem geringen Unterschied der Länge der beidesmaligen Axen geht zugleich hervor, 
dass die Exccntricität der Ellipsen keine grosse gewesen ist, und dass sich namentlich die Umfassungs- 
mauer der reinen Kreisform genähert hat In der That erscheint das Colosseum auf den ersten 
Blick dem ungeübten Auge als ein Zirkel, erst später, namentlich von oben und bei Mondlicht, 
tritt die elliptische Anlage mehr hervor. Der deutsche Baumeister Johann •Michael Knapp, der 
im Verein mit dem römischen Ingenieur Lucangeli zu Bunsens Zeit der Vermessung, Herstellung 
und Nachbildung des Monumentes Jahre angestrengter Arbeit gewidmet hat, nennt die Ellipse 
des Colosseums die schönste und kunstvollste, die man kenne. 

An diesem Riesengebäude nun lassen sich vier Hauptpartien unterscheiden, die wir 
gesondert betrachten müssen, und die sich wieder in Unterabteilungen gliedern, daher wir sie 
der leichteren Uebcrsicht wegen mit Buchstaben bezeichnen wollen. 

A. Die Aussen seite. Man wolle einen Blick auf unsere Tafel und auf die nord- 
östliche, nach dem Esquilin zu gelegene Hälfte des Gebäudes werfen, wo dasselbe noch fast 
vollständig erhalten ist. Ein 2,6 m breiter Kreis prächtiger Travertinquadcrn umgiebt es und 
hebt es vom Strassenpflaster ab; dieser Kreis ist nach vorn durch eine Stufe abgetheilt, die sich 
zum Abflüsse des Regens leise senkt. Inmitten desselben ragt stolz und felsenfest die grosse 
Ruine vor, von der wir zunächst nichts weiter als die Umfassungsmauer sehen. In vier Stockwerken 
steigt sie auf, in den drei unteren durch je achtzig Bogen entlastet, im obersten von rechteckigen 
Eensterchen durchbrochen, die über je zwei Bogen der unteren Geschosse stehen ; ein Kranzgesims 
schliesst sie ab. Die Pfeiler zwischen den einzelnen Bogen sind mit halben, ein einfaches Gebälk 
sammt Attika tragenden Säulen geziert und zwar, entsprechend der Last, in einer ebenso zweck- 



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massigen wie harmonischen Anordnung. Bekanntlich weist die dorische Säule die einfachsten 
Formen und schwersten Verhältnisse, die jonische llüssigere Formen und leichtere Verhältnisse, 
die korinthische die reichsten Formen und schlanksten Verhältnisse auf. Demgemäss gehören 
also die Halbsaulcn am ersten Stocke der dorischen, am zweiten der jonischen, am dritten der 
korinthischen Ordnung an, und nach derselben Proportion ist der zweite Stock etwas höher als 
der erste, der dritte ein Minimum niedriger als der zweite. Der oberste; Stock, zu dem überdies 
noch das Gesims hinzukommt, ist der höchste ; er hat korinthische Pilaster , die genau über den 
vorhergehenden Halbsäulen stehen ; zwischen ihnen lehnten runde Schilder (clipea) von Bronze, auf 
denen Brustbilder der Ahnen der flavischen Familie und ähnliche Darstellungen in Relief angebracht 
waren: die Sitte, dergleichen Ahnenschilder, an deren Stelle im Mittelalter die symbolischen 
Wappenschilder traten, an öffenüichen Gebäuden aufzuhängen, war eine sehr alte, angeblich 
trojanische. Die hundert und sechzig Bogen der beiden mittleren Stockwerke waren mit ebenso viel 
Statuen von Erz oder Marmor ausgefüllt, die in der Höhe der Brüstung auf einem Travertin- 
untersatze standen ; die achtzig Bogen des Krdgeschosses dagegen leer und nicht für ein marmornes, 
sondern für ein lebendiges Volk bestimmt. 

Sie bildeten die Eingänge oder Thore des Amphitheaters, gleichfalls achtzig an der Zahl. 
Die vier vornehmsten lagen an den vier Scheiteln der Ellipse, da, wo die grosse und kleine 
Axe die Umfassungslinie traf, offenbar den ausgezeichnetsten Punkten des Gebäudes; sie waren 
dreischiffig . überhaupt breiter und prächtiger als die übrigen und von je einem ehernen Vier- 
gespann überragt. Die an den Scheiteln der kleinen Axe gelegenen Portale, mit einem Vorbau, 
der von mächtigen cannelirten Säulen phrygischen Marmors getragen ward, dienten für den Kaiser, 
die kaiserliche Familie und die fremden Gesandten und Könige ; die an den Scheiteln der grossen 
Axe einerseits für die Gladiatoren, die bei Eröffnung der Spiele durch diese Pforten im Parade- 
marsch eintraten, ihren festlichen Umzug um die Arena hielten und, bei der kaiserlichen Loge 
vorübergehend, dem Imperator zurufen mochten : „Sei gesegnet, Kinder des Todes grüssen dich" ; 
andererseits für die wilden Thiere und die Maschinen, die hier vor den Spielen hereingeschafft 
und den Depots unter der Arena übergeben wurden. Die übrigen sechsundsiebzig Bogen waren 
für das Ein- und Ausströmen des Publikums bestimmt, doch durfte man nicht zu jedem beliebigen 
hineingehn, sondern, um Verwirrung zu vermeiden, hatte jeder Einzelne eine bestimmte Thüre zu 
wählen, deren Nummer auf seinem Einlassbillct, der Tessera amphilhealralis (nicht zu verwechseln 
mit der Tessera gladiatoria) ausdrücklich angegeben stand; zu dem Ende waren die sechsund- 
siebzig Bogen numerirt, von XXIII bis LIV lassen sich die Ziffern noch erkennen. Sie sind in 
den Travertin eingehauen, der also hier nicht mit Stuck (opus albarium) bekleidet gewesen sein 
kann wie er es anderswo, namentlich in den Gallerien, die zu den kaiserlichen Logen führten, 
war; man behauptet, der Maler Giovanni da l'dine, der grösste Meister der neuen Kunst in 
solchen Verzierungen, dem von den Italienern die Wiederernndung der Stuccaturarbeit zugeschrieben 
wird, habe dieselbe dem Colosseum und den benachbarten Titusthermen abgesehen und die 
Decorationen jener Gewölbe ihrer Schönheit wegen gezeichnet 

B. Der Zwischenbau. Im Vorigen haben wir die Aussenseite des massiven Ringes 
und gewissermassen das geschildert , was den Begriff des Colosseums in der Phantasie der 
Menschheit constituirte , wie es sich dem Beschauer darstellte, wenn er die heilige Strasse 
hinunterkam, und wie es auf alten Münzen abgebildet ist. Dieser Aussenseite ist nun offenbar 
die Innenseite des Ringes entgegengesetzt, die man um sich erblickte, wenn man auf der Arena 
stand; aber in das Colosseum kann man nicht wie in einen Fingerring hineinsehen, man kann 
auch nicht über das Kranzgesims hineinfliegen, wie ein Stein, der von aussen hineingeworfen 
wird, sondern, um hineinzugelangen, muss man es gerade so machen, wie der alte Römer, der 

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uigmzeo Dy VjUü 



gle 



die Spiele besuchen wollte: man muss durch den Ring hindurchgehen, Und zwar hatte der 
Römer, je nachdem er tief unten oder hoch oben sass, in dem Kerne des keineswegs hohlen 
Ringes Strecken zu durchmessen, die in umgekehrtem Verhältnis* zu der Höhe des gesuchten 
Stockwerks standen. Nämlich der Ring, der nach aussen eine senkrechte Mauer bildete, fiel 
nach innen terrassenförmig ab und hatte hier gleichsam eine Menge neuer Ringe angesetzt, die 
immer kleiner und niedriger wurden, bis der aufgemauerte Gürtel seine vollständige Dicke erreicht 
hatte. Die Folge war, dass man wagerecht um so mehr Schichten zu durchbrechen, um so mehr 
Schalen zu durchbeissen hatte, je näher man an der Arena sass, und dass z. B. der Kaiser, dessen 
Loge unmittelbar daranstiess, wohl ein Dutzend Mauern und Korridore kreuzen musste, während 
der Proletarier, der oben die Gallerie bestieg, sofort ans Freie kam. Die ganze Partie nun, 
welche von dem verborgenen und linstern Ringkern gebildet wird, und die zwischen der Aussen- 
seite und der Innenseite desselben liegt, haben wir als Zwischenbau bezeichnet. 

Derselbe ist einerseits als Unterbau, andererseits als eine Art Kanalbau aufzufassen. Zu 

inneren Rundbaus 
bildeten. Die fol- 
genden vier stell- 
ten sich, im I>urch- 
schnitte gesehen, 
als Scherwände 
dar, nach innen 
gesenkt , um die 
Sitze der Zu- 
schauer zu tragen, 
und den äusseren 
lTiorhogen ent- 
sprechend durch 
gerade hindurch- 
führende Gänge 
und Treppen unter- 
brochen. Die letz- 
teren sind das, was 

wir eben als Kanäle bezeichneten; denn sie lassen sich, wenn wir das Bild eines Menschen - 
Stroms festhalten, mit dem Röhrenapj>arat vergleichen, durch welchen das Trinkwasser in einer 
Stadt vertheilt, in die einzelnen Häuser geleitet und in den Häusern bis in alle Ftagen gehoben 
wird. Gleich dem Wassertropfen trat das Individuum in die Rinnen des Amphitheaters ein und 
ward in denselben auf verschlungenen Wegen bis zur Mündung des Rohres emporgeführt: 
solcher Mündungen, Vomitoria genannt, gab es im C'olosseum hundert und sechzig. Hier ange- 
kommen oder „ausgespieen", hatte der Zuschauer nur die oberhalb jedes Ranges hinlaufende 
Gürtelbahn (praecinetio) zu verfolgen und den Cuneus zu erreichen, der seinen Platz enthielt, dann 
stieg er die nächste Treppe hinab, bis er an seine Sitzreihe kam und brauchte nun blos die 
paar Personen zu incommodiren , die etwa vor ihm sassen. Dieses viclverzweigte System von 
bald Stollen-, bald schachtartigen Gängen, Treppen und Stiegen, Passagen und Pfürtchen war 
unbedingt einer der kunstvollsten und bewunderungswürdigsten Theile des Colosseums, welches 
durch ihn das Ansehen eines grossen Badeschwamms erhält; es gleicht einem Ringgebirge, aber 
einem klaren und luftigen Ringgebirge, das von geschäftigen Gnomen nach allen Richtungen 
hin durchbohrt und durchlöchert worden ist, und durch dessen Lücken jetzt, wo diese Hallen 

fr, 



jenem gehören die 
fünf Mauern, die, 
durch Umgänge 
i.ambulacraj von 
einander geschie 
den. innerhalb der 
Umfassungsmauer 
und parallel mit 

dieser tar.gr* : g. 'tl 
sind. Die erste 
dieserinneren Mau- 
ern war wie die 
Aussenmauer aus 
Bogen, nur zu einer 
geringeren Höhe 
aufgeführt, sodass 
beide gleichsam 
die Vorhalle des 




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längst verödet sind, Myriaden Geister schlüpfen und gleich den durchstreichenden Winden statt 
der Lebendigen circuliren. 

C, Das Innere (Cavea). Endlich, nachdem wir durch den fünffachen Mauerring 
hindurchgedrungen sind, stehen wir zum zweiten Mal im Umkreis des Gebäudes und können uns 
das Colosseum wieder von innen ansehen. Wir thuen es nun mit besserem Yerständntss und unter- 
scheiden ohne grosse Mühe folgende fünf Hauptabtheilungen des Zuschauerraumes: 

1, Das Podium, zu unterst und zu innerst, unmittelbar über der Arena. Hier befanden sich 
an den beiden Enden der kleinen Axe die beiden prachtvollen, je mit einem Polster (pulvinar) 
versehenen Kaiserlogt-n (eubicula) : in der einen nahm der Kaiser mit seinem Gefolge, in der 
gegenüberliegenden die kaiserliche Familie und der Hof, die; Damen inbegriffen, Platz. Die beiden 
Curven rechts und links von diesen beiden Logen füllte die Elite des Weltreichs, zu welcher 
auch die Vestalischen Jungfrauen gerechnet wurden — ein glänzender Kreis und wohl majestätischer 
als irgetnd ein modernes Parterre von Königen. Hier sassen und zwar in Einer Reihe, nicht in 
mehreren hintereinander, auf elfenbeinernen Stühlen die höchsten Würdenträger der Monarchie, 
die curulischen Magistrate, die Consuln, Censoren, Praetoren und curulischen Aedilen, alle in der 
mit einem Purpurstreifen eingefassten Toga Itoga praetexta), daneben die Mitglieder der höchsten, 
geistlichen und weltlichen Aristokratie, oft untermischt mit fremden Fürsten und Gesandten, die 
damals natürlich genau so die Rücke auf sich zogen, wie heutzutage. Als nach Victor F.manuels 
Tode Küttig Humbert den Eid vor den vereinigten Kammern leistete, zeigte man sich im Parlament 
auf Monte Citorio die vornehmen Gäste, die zum Begräbniss in Rom erschienen waren, den 
deutschen Kronprinz, den Erzherzog Rainer und den Marschall Canrobert. So llüsterte man sich 
wohl im Colosseum zu: „Seht Ihr dort den blonden Hünen mit den himmelblauen Augen in der 
engen, knappansehliessenden Tracht? Das ist ein deutscher Häuptling, 

Germania quo« homda partum 
Ken» ; 

seht Ihr dort den Andern in der hohen persischen Mütze und dem weiten goldstrahlenden Gewand* 
Das ist ein Ptolemaeus. Nein, es Ist Hvrcanus, der JudentursL Kein, es ist der König von 
Armenien, Tiridates, der neulich in Puteoli mit einem einzigen Speerwurf zwei Stiere durchbohrt 
hat". So ging's her im Colosseum. Zufällig steht das römische Parlamentsgebäude auf den 
Ruinen eines alten Amphitheaters, nämlich des obenerwähnten, von Statilius Taurus errichteten. 

Auf das Podium folgten, durch Mauern und Terrassen geschieden und wie gewöhnlich 
von Trep)>en in Keile leunei) zerspalten, drei grosse Ordnungen von Sitzreihen oder Ränge 
(Maeniana), die der dreifachen Abstufung der Stände in Senat, Ritterschaft und Volk entsprachen. 
Wir bemerken von unten aufwärtsgehend 

2, den ersten Rang I Maenianum primum, ima Cavea) mit zwanzig marmornen Sitzreihen. 

3, den zweiten Rang 1 Maenianum secundura, media Cavea) mit sechzehn Sitzreihen über- 
einander 

4, den dritten Rang (Maenianum tertium, summa Cavea) mit vierzehn Sitzreihen, deren 
Stufen steiler sind. Endlich über dem dritten Rang erhob sich 

5, die bedeckte Säulenhalle (Porticus): hier sassen auf hölzernen Stühlen in zehn Reihen 
die Frauen, abgesehen von den 1 Iofdamen und den Vestalinncn, die wir vorhin unten am Podium, 
in unmittelbarer Nähe des grausamen Spiels erblickten. Das Dach der Halle bildete eine Terrasse, 
und diese diente als Stehplatz für die römischen Proletarier, die Pullati, die keine weisse, sondern 
nur eine dunkle Toga itoga pullaj halten. Wie man nämlich heutzutage, namentlich in England 

70 



beim Besuch eines guten Theaters in „füll dress", d. h. in Frack und weisser Cravate erscheinen 
muss, so war für das Colosseum die weisse Toga und die Bekränzung mit Lorber vorschriftsmassig, 
wenigstens für die Bürger, denn die zahllosen Fremden, die wir uns in der Weltstadt 
jedenfalls unter den Zuschauern denken müssen, werden wohl ihre Nationalcostüme beibehalten 
haben. Die Armen waren also nicht salonfähig, aber von ihrem Paradiese aus konnten auch sie, 
glcichmässig gegen das Wetter geschützt, das Lieblingsschauspiel der Römer gemessen, ohne den 
Anblick des versammelten, festlich bekränzten und bekleideten Volks zu stören. Neuere Schrift- 
steller werden nicht müde, die Pracht dieses Anblickes zu preisen und als ein Schauspiel 
hinzustellen, „so überwältigend gross, wie die Welt es nie, weder vorher noch nachher, gesehen 
hat." Nun, es soll allerdings nicht geleugnet werden, dass sich kein volles Haus der Neuzeit an 
Grossartigkeit und Schönheit nur entfernt dem gefüllten Colosseum an die Seite stellen könnte, 
obgleich am Knde das Theaterpublicum auch bei uns eine recht glänzende Versammlung und 
gleichsam das Abbild und Emblem eines wohlgeordneten Staates ist. Trotzdem klingt es etwas 
eigentümlich, dass die Quinten, die doch überdies an diesen Anblick gewöhnt waren, hauptsächlich 
in das Amphitheater gegangen sein sollen, um sich selbst zu sehn und so zu sagen ohne Gage 




mitzuspielen. Diese Ansicht schmeckt nach archäologischer Stubengelehrsamkeit ; sie liegt den 
Antiquaren nahe, weil sie die grossartigen Ruinen der Cavea noch bewundern, aber von den 
Spielen gar nichts mehr sehen. Für den alten Römer war sicherlich der Anblick des Publikums 
etwas Nebensächliches ja nicht einmal so interessant, als er es für uns in unsern Theatern ist, 
weil die Damen fehlten. Diese waren in den früheren Amphitheatern keineswegs so streng 
von den Männern geschieden, sondern sossen mit ihnen in bunter Reihe, wie aus der charak- 
teristischen Anecdote des Plutarch hervorgeht. Es traf sich einst, dass eine schöne und vor- 
nehme, al>er jüngst von ihrem Manne geschiedene Frau, Namens Valeria, bei den Spielen nahe 
dem glücklichen Sulla zu sitzen kam. Sic trat von hinten an ihn heran, riss sich, an ihn 
gestemmt, eine Wolltlocke von seiner Toga ab und kehrte auf ihren Platz zurück. Sulla sah 
sie gross an; sie antwortete: „Kein Wunder, Imperator, ich will auch ein klein wenig von 
deinem Glücke abhaben." Das kitzelte Sulla, er ling augenblicklich Feuer und erkundigte sich 
heimlich nach dem Namen und den Verhältnissen der Dame. Nun warfen sie sich, heisst c!s 
wörtlich, verliebte Blicke zu und lächelten sich an und schauten sich in die Augen und verlobten 

*'i Zwei SMimlicn haben gegen iwct Mirnulljncs gemeinen. In der Grupc»e li&Lf «reckt der beilegte Snmnjie die Ilarxl au., um 
Ute Gnade des VoUcs iu eräehen, wlhrer.d der Sieger sich tijo leinem Fechtmeiilcr Ulli««; luvtrurtissen weht, um seinen Gegner ru opfern, 
KecliU i« ei der Mirmillu, welcher kMNUfa »crwnndel Hill. Auf iiem Krie«: .in-l die Namen der GUdiah-rc», ihrer Herren und die Zahl 
ihrer Sicje angncnrieliCT. 

V 



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sich schliesslich, als ob sie nicht Sulla und Valeria, sondern Hans und Grete geheissen hätten, 
und wirklich wird auch Sulla von wegen seiner knabenhaften Entzündlichkeit hart getadelt. 

Die erwähnte Terrasse gab nicht blos ein Stehparterre , sondern auch einen Schnür- und 
Maschinenboden ab: auf ihr konnte man eine höchst grossartige Anlage der alten Schauspiel- 
häuser studieren. Für das Behagen der Zuschauer war in jeder Weise gesorgt: die Gänge 
wurden mit Blumen bestreut, die Treppen mit Walser angefeuchtet, wohlriechende Essenzen und 
Bou<)ucts durch ein Druckwerk bis zu den oberen Sitzen emporgesprengt (sparsio). Natürlich, 
dass man auch daran dachte, sie vor Regen und den brennenden Strahlen der Mittagssonne zu 
schützen: zu dem Ende wurden purpurfarbene Zeltdächer aus feinem Linnen über ihnen aufges|>annt; 
Nero liess einmal in ein solches Zeltdach den ganzen gestirnten Himmel und in der Mitte sein 
eigenes Bild zu Wagen sticken. Diirse Zeltdächer hiessen Velaria, und sie wurden wie Segel 
durch Matrosen der kaiserlichen Flotte mit Hülfe von Tauen, Kolben und Flaschenzügen an 
Mastbäumen (mali) je nach Bedürfniss aufgehisst und wieder eingezogen. Am Colosseum bemerken 
wir nun unmittelbar über den hohen Fenstern des oberstet) Stockes auswendig grosse und schön- 
verzierte Kragsteine , auf denen dergleichen erzbeschlagcjie Masten mit ihrem Fusse ruhten und 
die den runden Spuren an kleineren Theatern, z. B. dem pompejanischen. entsprechen ; durch die 
Löcher im Gesims über den Kragsteinen wurden die Masten hindurchgesteckt. Die an ihnen 
befestigten Taue sollen slrahlenweise nach einer über der Arena ausgespannten , durch ihre 
gleichmässige Anziehung in der Schwebe gehaltenen Ellipse gelaufen sein, so dass das Ganze 
einem riesigen Spinnengewebe glich und die Segel zwischen den Speichen des Kades flatterten. 
Jedenfalls standen die Matrosen, welche diese Segel bedienten, gleichfalls auf der Terrasse, 
wo sich der Abschaum der Stadt anzusammeln pflegte: es mag ein wüstes Treiben hier oben 
geherrscht haben, das zu schildern ein anziehender Vorwurf für einen Emile Zola gewesen wäre. 
Gegenwärtig läuft über die Mauerkrönung statt allen Tauwerks ein Telegraphendraht. 

D. Die Arena. Der ovale Platz, auf welchem die wilden Thiere und die Gladiatoren 
kämpften, und auf welchen die Blicke der ungeheuren Menge gerichtet waren, wurde durch 
einen Bretterboden gebildet, der auf colossalen Substructionen ruhte, das, was wir heutzutage 
unter einem Pociium verstehen; man bestreute ihn mit Sand, um das Ausgleiten der Füsse zu 
verhindern. Es liegt in der Natur der Sache, dass er an sich nichts weiter Bemerkenswert!! es 
enthielt: eine Bühne, auf welcher gespielt werden soll, muss leer sein. Nur unter ihr pflegt noch 
eine complicirte Maschinerie und eine ganze Welt zu stecken : wer jemals eine grosse Bühne mit 
ihren Versenkungen, Kanälen, Freifahrten, Wägen und den Apparaten gesehen hat, die bald zur 
Bewegung der Kulissen, bald zum Emporheben aus der Knie aufsteigender Erscheinungen dienen, 
der weiss es. Eine solche Untermaschinerie gab es natürlich auch im Colosseum, wo die Scenerie 
oft eine märchenhafte Pracht entfaltete und aus unterirdischen Schlünden bald eine Heerde von 
hundert Löwen, bald" ein Zauberwald mit ausländischen Vögeln, bald ein ganzer zoologischer 
Garten in die Höhe geschleudert, bald eine See-, bald eine Landschlacht, bald wieder eine 
mythologische Pantomime gegeben ward; ja, die vielen wilden Thiere machten ganz andere 
Vorrichtungen erforderlich , als sie unsere Theater haben, wo höchstens einmal ein Hündchen 
oder ein lammfrommes Pferd lebendig auf die Bühne gebracht wird: der l.'nterraum der Arena 
musste eine ungeheure Menagerie vorstellen. Da liefen schräg ansteigend bald in geraden, bald 
in Schraubenlinien gemauerte Gänge hin, auf denen die Elephanten. die Rhinocerosse und ähnliche 
verständige Thiere heraufgetrieben wurden; da lagen bei den Fundamenten des innersten Mauer- 
ringes Kammern und Käfige für die reissenden; durch einen einfachen Mechanismus wurden 
die letzteren sammt ihren Behältern emporgeschnellt, und in demselben Momente sprang die Thüre 
des Käligs auf. worauf der jäger (Venator) das Thier reizte herauszukommen und entweder 

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den Kampf mit ihm selber und seinen Hunden oder mit dm Verurtheillen aufzunehmen, die sich von 
ihnen zerfleischen lassen sollten: Christian! ad leones! Christiani ad belluas! — Man begreift 
nicht recht, wie sich die Zuschauer auf dem Podium, das nur etwa drei Meter über der Arena 
erhaben gewesen zu sein scheint, trotz aller Gräben, Netze und Scheuchen - sicher fühlen 
konnten ; ein wüthender I-öwe überspringt wohl die grössten 1 lindernisse. Man muss annehmen, 
dass sich das damalige Geschlecht überhaupt weniger vor Katzen fürchtete, die der Kaiser 
gelegentlich selbst zu Dutzenden erlegte. 

IV. 

Die Geschichte des Colosseums ist im Allgemeinen die aller grossen römischen Ruinen : 
erst Zerstörung durch Feindashand , dann Fortitication durch die fehdelustigen Barone , dann 
rücksichtslose Ausbeutung zu finanziellen Zwecken, dann kirchliche I leiligung, endlich Ausgrabung 
und sorgfällige Erhaltung des Uebriggebliebenen durch die Archaeologie. 

Von feindlicher Zerstörung ist nicht viel zu vermelden, erst als Guiscard's Normannen Rom 
10S4 verwüsteten, scheint das Colosseum in dieser Beziehung gelitten zu haben ; wohl aber Einiges 
von Zerstörung durch Naturgewalten. Als unter Macrinus die Vulcanalien, das Hauptfest des 
Feuergottes, in ihm begangen wurden, fiel der Blitz darauf, und die obere Gallerie. an der 
vieles Holzwerk war, sowie die Stufen verbrannten; unter Elagabalus und Alexander Severus 
wurde der Schaden geheilt, so dass unter Philippus Arabs im Jahre 248 das tausendjährige 
Jubiläum der Stadt mit nie gesehener Pracht im Colosseum gefeiert werden konnte. So erblickte es 
vielleicht noch Karl der Grosse in seiner ursprünglichen Herrlichkeit, und erst sehr viel später, 
am I.Juni 123t, stürzte wieder ein beträchdicher Theil bei einem Erdbeben ein. Diese Krdl>eben 
wiederholten sich noch oft, jedesmal ein paar Blöcke wie Felsstücke niederreissend , aber das 
Ganze nicht bezwingend. Inzwischen hatte das Christenthum von oben herab zur Abschaffung 
der Fechterspiele hingedrängt, namentlich seitdem einmal ein fanatischer Mönch, Tetemachos, der 
in heiliger Entrüstung unter die Kämpfenden sprang, von dem unwilligen Volke zerrissen worden 
war (405) ; nur Thierhetzen fanden noch immer im Colosseum statt, besonders scheint es fort 
und fort zu Stiergefechten benutzt worden zu sein, welche sich, ursprünglich in Thessalien 
einheimisch, als Reste der amphitheatralischen Vorstellungen bis in unsere Zeiten erhalten hallen, 
welche auch in Italien local bis vor ungefähr fünfundzwanzig Jahren üblich gewesen, hier aber meist 
aus den Amphitheatern in die Ballhäuser verlegt worden sind. Berühmt ist ein glänzendes Stier- 
gefecht, welches der römische Adel am 3. September 1332 im Colosseum gab, wo die Sitzreihen 
abermals mit scheinen Frauen bevölkert waren, die edelsten Ritler nach mittelalterlich-römischer 
Weise als ihre Horatius', ihre Aeneas', ihre Tanjuinius' auftraten und achtzehn Matadore den 
Tod gefunden haben sollen. 

Daneben aber war das Colosseum in den Fehden desselben Adels eine der Hauptfestungen 
der Stadt geworden und hatte bald den Frangipani, bald den Anibaldi als Donjon dienen müssen. 
Als die Ritter heraus waren, zogen die Industrieritter ein : es ward eine Räuberhöhle, welche die 
Brüder der Capelle Sancta Sanctorum säuberten ; zur Belohnung erhielt diese Brüderschaft, deren 
marmornes Wappen, das Bild Christi zwischen zwei Leuchtern, noch heute an einem der innern 
Bögen zu sehen Ist, den dritten Theil des Gebäudes vom Municipium geschenkt; sie legte ein 
Hospital darin an. Im Uebrigen wurde das Colosseum von jetzt ab allgemein, namentlich während 
des Aufenthalts der Päpste in Avignon, als Steingrube benutzt. 

Drei der schönsten und grüssten römischen Paläste, der Palazzo di Venezia, della Cancelle- 
ria und Farnese sind sämmtlich mit Steinen vom Colosseum erliaut und gleichsam Geburten, die 

1» 

73 



dieser mächtige Organismus von sich abstiess, während in einem andern Winkel Kalk gebrannt, 
in noch einem andern eine Salpeterplantage, abermals in einem andern eine Tuchfabrik angelegt 
ward. Damals mögen auch die vielen Löcher in den Mauern des Colosseums entstanden sein, 
indem man die metallenen Klammern zwischen den Quadern entwendete; einige darunter sind 
wohl gewöhnliche Rüsüöchcr, deren Verstuckung ausgefallen ist, wie man sie an allen alten 
Gebäuden findet 

Benedict XIV. im vorigen Jahrhundert setzte der barbarischen Zerstörung zum ersten 
Mal- ein Ziel. Schon längst waren auf dem durch das Blut so vieler Märtyrer geheiligten 
Boden Charfrcitags Passionsspicle aufgeführt worden, an welche noch eine Ansicht Jerusalems an 
einem inneren Bogen erinnert; ja, Nonnen und Büsserinnen nach Art der heiligen Wiborad 
hatten sich hier als „Reclausae" einmauern lassen. Jener Papst machte nun einen wirklichen 
Kalvarienberg daraus, er verwandelte die Arena in eine Via Crucis, wo der Leidensweg des 
Erlösers mit seinen vierzehn Stationen abgebildet war, und vor das in der Mitte aufgepflanzte 
Kreuz setzte er eine Kanzel, wo jeden Freitag ein Kapuziner zum Schlüsse der Andacht eine 
Predigt halten musste. Koch jetzt werden sich Viele dieser charakteristischen Predigten erinnern, 
die, seitdem die Stationen 1874 wieder entfernt wurden, gleichfalls verklungen sind; die Wegnahme 
dieser Kapellen Lst bezeichnend für die allgemeine Entheiligung und Entzauberung , die das 
nüchterne Italien über Rom und über das Colosseum, Rom's Symbol, gebracht hat, und geht 
neben der tölpelhaften Ausrottung der vierhundertzwanzig Nummern starken Flora, welche diese 
Trümmer belebte, her. 

Mit Pius VII. und Napoleon begann die Zeit der Restauration. Die äussere Mauer 
gegen den Lateran drohte den Einsturz: ein mächtiger, anspruchsloser Strebepfeiler verhütete ihn 
noch gerade zur rechten Zeit. Einige Jahre darauf wurde der antike Boden um das Colosseum 
blossgelegt, noch ein paar Jahre später in der Arena gegraben, deren unterirdische Anlagen man 
auffand. Auch unter den nachfolgenden Päpsten war man ununterbrochen damit beschäftigt, die 
bedrohten Theile zu sichern und die schadhaften Stellen auszubessern ; nur die Arena ward wiederum 
begraben und vergessen. 1874 ging man abermals daran, sie und was darunter lag von Schutt 
und Erde zu räumen, wobei Säulenbruchstücke, Marmorplatten und andere Fragmente zum 
Vorschein kamen; ja. gegenwärtig Lst die Hälfte sämmtlicher innerer Substructionen aufgedeckt. 
Aber das sich ansammelnde Wasser und die Schwierigkeit, demselben einen Abfluss zu schaffen, 
werden wohl die abermalige Zuschüttung veranlassen, wenn man nicht durch die Ausgrabung das 
Colosseum wieder zu dem machen will, was es gpwesen ist — ein See. 



V. 

Neben dem Colosseum steht, am Eingänge in die Schlucht zwischen Caelius und Palatin 
und auf der Mündung der letzteren in das Thal das Colosseums. der Triumphbogen Constantin's 
des Grossen, die alte hier durchgehende Triumphalstrasse überspannend. 

Unter allen römischen Triumphbogen ist dies der hc-sterhaltene , zugleich wenn nicht 
der schönste, so doch der grossartigste und prächtigste, daher ihn Friedrich von Gärtner 
bei der Erbauung des münchener Siegesthores speciell zum Muster genommen hat. Er 
wurde «lern Kaiser von Senat und Volk gewidmet, weil er nach Gottes Rath und durch GeUtes 
Kraft mit seinem Heere in gerechtem Kriege dem Staat an dem Tyrannen und an dessen 
Partei gerächt hatte: 



MFCAES H.CONS1 \N TIXOMAXIMU 

PtlO, F[ELICI AUC.CS TOS PQ-R- 
QUODIKSTINCIITDIVINITATISMENTIS 

NLVGXmi lINECrMEXERCm.rsiK) 
TAMI IETYRANNOQUAM [ >EO»tXIEIUS 
FACnuXECXCVrFMPOREIUSTIS 

rew*übuca»h;ltusestar>iis 
arcumtriumi'hisins10xe.mi>1cavit- 

Gemeint ist der wehhistorische Sieg, welchen Constantin am 27. Oct. 312 bei Saxa Rubra 
am Pons Milvius über seinen Gegenkaiser Maxentius erfocht, und dessen meisterhafte Darstellung 
wir im Vatican in der Sala di Costantino wiederfinden werden. Statt „Instinctu Divinitatis" soll 
es ursprünglich „Nutu J(ovis) Oiptimij Mfaximij" geheissen haben, und jener Ausdruck erst durch 
die Christen hineincorrigirt worden sein. War es doch auf diesem Zuge gewesen, dass dem 
Constantin nach einer berühmten Legende unter der Sonne ein flammendes Kreuz mit der Unter- 
schrift erschien, die ihm unter diesem Feldzeichen den Sieg verhiess f«r TW«* AW; In Hoc 
Signo Vinckes'); und dass er die Kriegsfahne, das Labarum, gleich den Schilden der Soldaten 
mit dem Kreuze bezeichnen liess. 

Beim Bau dieses Monumentes hatten sich Senat und Volk an die- Muster der älteren 
Triumphbogen und zwar an die zuletzt errichteten gehalten, die nicht nur mit Säulen und 
Sculpturen überreich geschmückt, sondern auch, wie der des Septimius Severus, mit drei E>urch- 
gängen statt des ursprünglichen einen versehen waren: einem grösseren in der Mitte und zwei 
kleineren zu beiden Seiten. Jener ist 11,5 m, diese sind 7,5 m hoch. Aber Senat und Volk 
copierten nicht nur die alten Bogen, sie machten die neuen auch buchstäblich aus den alten, 
und wie Kinder, die mit dem Baukasten spielen, rissen sie ihre Kunstwerke nur ein, um sie 
anderwärts wieder aufzusetzen. Der Bogcm. den sie einrissen und den sie in den constantinischen 
verbauten, war ein Triumphbogen Trajans, der am Kingang des Trajansforums stand ; so lächerlich, 
ja, so unglaublich es klingt, sie nahmen nicht nur die Materialien und die architectonischen 
Zierraten, sondern sogar die Basreliefs, als ob dieselben gar keinen Sinn gehabt hätten, zum 
grossen Theil von diesem Monumente, das ihnen vielleicht deshalb entbehrlich schien, weil das 
Andenken Trajan's schon ein anderer Bogen verewigte. Nun bei der Architectur kann es uns 
nicht viel versrhlagen, welchem Zeitalter sie angehört, ob zum Beispiel die vier korinthischen 
Säulen an den beiden Fronten, alle mit einer einzigen Ausnahme von Giallo anlico, durch welche 
die drei Thore gleichsam eingerahmt werden, neu sind oder nicht. Aber die Sculpturen müssen 
wir in zwei ganz verschiedene Gruppen sondern, je nachdem sie sich auf die Thaten des Trajan 
oder des Constantin beziehen — nämlich auf die letzteren nur ein verschwindend kleiner Theil, 
der Bogen trägt den Namen Conslantin's des Grossen, aber das Kleid und die Farben des 
Optimus Trajanus. 

A. Darstellungen aus der Geschichte des Trajan: 

1. Ach< oblonge Reliefs welche in die Anika eingelassen sind. Je zwei sind zu eine« Tafel vereinigt, 
.in deren Seiten Statuen gefangener Hauer gleichsam Warne stehen, 
a nördliche Front odet Colosscutnscite, von links ab: 

«». Trajan zieht, von de« Roma gefühlt, von der < inarle (dementia) und der EmtegOttin lAnnuna) 
l>cgleilet, iieggekrünt, nach dem ersten dactichen Kriege durch die Porta Ca|.ena in die Stadt ein. 

') lUalig «Ird aui den Anfangd "KliüiKn der drei criten Worter dieses Sz:/es die licUanlc Sigl? erklärt, die nun Uber den I'mfe-»- 
hsj-ern der J«-.uiirii *icht : I. IL S. Dies ift jedoch nur ein lUÜIhses Zusammentreffen; l II. S sind die drei erden FSnrhdaNcn de* Namrm 
' IHXOYS (Jesus), wie ^£ die jwei criten des N«raen> XP/STol (ChristtH) Lateinisch Iramcrihirt hstitr lic cignulfc» I. K S- l.iuie» 
■nasse«, »ber im Unwissenheit h*li<ss nun den [«eilen KuchM»l.eii, weil er »inem lateM.rhen (II) glich, such in uVt lalcituxlwn Schrift. 
Di« -Sgl« .lamm, noch äs der Zeit, -o man sich scheine Chrtaus leiblich slwibildtn. 



75 



Dacien ist ungefähr mit der heutigen Moldau und Walachei identisch. Oer Kancr fahrt nirht. 
sondern geht : 4U Fuss, von seiner Krau Pompcja Plotma begleitet, war er schon bei seiner Thron 
besteigung, ak er von Köln kam. eingebogen. 
fi. Trajan verlängerte die Arische Strasse, die ursprünglich nur bis Capua ging, bis nach Brundusium. 
dem Ccbcrfahrtsonc nach Griechenland (leg n. Chr.) l>iese Strasse ist tinter dem Hilde einer 
liegenden Frau vorgestellt, welche den linken Arm auf ein Rad suit/t, den rechten gegen den 
Kaiser erhebt. Neben diesem stehen zwei Männer, welche der in )cncr F^ioche ungewöhnliche 
Barl als griechische Philosophen kennzeichnet. YicUeichl sind es Wcgchaumcistcr und heisst der 
eine Apollodor 

y. Trajan stiftet, auf den Rostris stehend, Alimente flu - Waisen und fur Kinder dürftiger freier Fitem. 
4. Trajan entsetzt, auf dem Suggcstum stehend, den Parthainasir», dem sein Onkel Arsakes XXV die 
armenische Krone verschaffen wollte ; ■ 1 5 n Chr; 
b südliche Front, welche auf unserer Tafel abgelötet ist. Hier sieht man ton links nach rechts folgende 

11. Trajan verleiht, auf einer Tribüne (suggestum) stehend und von seinen TMppta mit ihren Feld- 
zeichen (signa militari») uingelscn, zu Ktesiphun dem armenischen Prinzen Panhamasiiatei die 
armenische Klone 1,116) 

f. Trajan verhört in derselben Weise zwei des Hochverrat!» angeklagte Dauer, welche von Soldaten 
vorgeführt werden. I>as gekrümmte Instrument rechts ist wahrscheinlich ein Aug-.irciutah (HMM] 
jr. Trajan halt, abermals auf dem Suggestum slehend. eine Ansprache an das Heer (AzfccMb). 
». Trajan bringt für sein Heer das feteilicJic Opfer der Sitovetauriüen dar. Im Hintergründe iwmerkt 
man ausser zwei Feldzeichen auch zwei Fahnen (vesilla). 
3 acht runde Reliefs unter den oblongen 
a. nördliche Front oder Colosscumseitc : 
«■ Trajan ■ Pferde auf der Jagd. 

Trajan opfert dem Apollo 
y. Trajan vor einem erlegten Löwen. 
<f. Trajan opfert dem Mai». 
I>. südliche Front, die auf unserer Tafel abgebildet ist: 
«. Trajan zieht auf die Jagd. 
( 5f. Trajan opfert dem Hercules. 
y. Trajan zu Pferde einen Baren erlegend. 
i. Trajan upferl der Diana. 
3 Zwei ausgezeichnete Ketiels an den beiden Schmalseiten 'der Attica, jedes au» einem einzigen Stück 

Marmor gearbeitet und eine Dacicrschlacht darstellend. 
4. Zwei Relief« im mittleren Durchgang. 

11. Barbaren riehen den zu Pferrlc sitzenden Trajan um Gnade an. Darülier steht, auf Cunstantin bezüglich: 
laberatori urbis. 

,i. Trajan wird von <ler Siegesgöttin gekrönt. Daruber: Fundatori cjuietrs. 
B. Darstellungen aus der Geschichte Conslantins : 

r. Vier Victorien und die Genien der vier Jahreszeiten in den Zwickeln des Mittellmgen». Flus>göiter und 
Nymphen in denen der Seitenbugen; den Schlüssel des Mittcilingens bildet eine Roma. 

2. Die Reliefs, welche sich als Friese über den Seitenbugen hinziehen. 
11. nördliche front. 

a. Cunstantin halt vom Tribunal herab eine Ans|>rachc ;Allocurin) an das Volk. 

0. Constantin macht dem Volke eine < ieldsiiend« (congiarium). IVer Geber sitzt auf einer Tribüne 
(suggestum) ; die K.mpfanger treten einer um den andern vor und erhalten eine Anweisung i,iesseia> 
aui eine bestimmte Summe, weicht Anweisung dann dem Vorzeiget in den kaiseilirltvn Ka-se'i 
ausgezahlt warxL Bisweilen wurden diese Anweisungen auch aufs Geraihrwohl unter die Menge 
ausgeworfen; dann nannte man sie Missi'.ia. Tittcriu* schenkte jedem Bürger 300 Denare (lingtrfahr 
W46 M-irk'i als Congiarium, Caligula zweimal 300 Sestcrzen (ungefähr 25 Mark , Nero 400 (ungefähr 
33 Mark\ Daneben blieben alter immer auch noch Schenkungen von Lebensmitteln in natura 
üblich, worin die Cnngiaria ursprünglich bestanden hatten; z. IL theilte Hadrian wieder Provisionen, 
Aurelian Kuchen von 700 Gramm Gewicht, Brod, Wein und Schweinefleisch aus. Einige fuhren 
auf diese Cnngiaria die unter dem Namen Cocagna bekannte Vulkslustbarkeit zurück. 

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b, «idlichc Front 

«. Hc-lagcrim« de» Stailt Sefnimo (Su») 

/f. Schlacht am l'ora Müvius 
0. Schmalseiten : Triiun|ihriigc ConMantim und seines Sohnes C/ispus. F-tiendaselbst wrei Medaillons mit 

SoniH.' und Mond, Sinnbildern der Kwigkcil. 
3. Die Relief* an den Saulciwtuhlen, welche Siegesgöttinnen, Soldaten und gefangene Hatluren, so»ic die 
acht BnuthOdtr in den beides Scitcndurchglngen, welche Glieder der Familie Corrstantin* darstclkic 

Man kann dieses Denkmal so gut wie den Severusbogen besteigen, doch sieht man von 
«lern Triumphwagen, der es wahrscheinlich krönte, keine Spur. Im Mittelalter wurde es mit dem 
Titusbo x en und dem Colosseum in die grosse frangipanische Burg verbaut, in deren Trümmern 
es Jahrhunderte lang verschüttet liegen mochte.. Im Jahre 1804 ward der Bogen ausgegraben 
und bei dieser Gelegenheit das Pflaster der Via triumphalis, welche vom Circus maximus 
in gerader Linie durch ihn hindurchging, wieder entdeckt. 



Die südlic hen Thnlcr der Sladt. 



Dial wischen l'alalin und Cxlim - /wischen Palatin und Avenlin — wischen Caelira und Aventin — 
Asvntüi und Tcstaccus — /wischen l'alatin, Capitol und der Tiher. 

N 1 




ähreml wir hier unten am Bogen Constantins verweilen, öffnet sich daroben ein 
antleres Siegesthor : Flammend springen die Pforten des Ostens auf, Krühroth färbt 
<len Schnee der Lionessa, und, angethan mit Purpur, tritt der junge Morgen durch 
das himmlische Portal — es ist der ewige, tägliche Triumphzug, den der Vater des 
Lebens unter dem Jauchzen der Creatur über die entweichenden Schatten hält 

Hohe Sonne, die du des italienischen Tages glanzreiche Gegenwart bringst 
und wegnimmst, und, eine andere und doch die alte, nach dem prophetischen Gebete 
des t ntzückten Wchters, nichts Grösseres schaust denn Rom — deine irdischen Abbilder 
zerfallen und zerstieben , und der eherne Koloss , dessen goldstrahlendes I laupt dein 
glorreiches Licht nachäffte, stürzt ohnmächtig zusammen und sinkt blindlings in dumpfe 
Vergessenheit zurück. Du allein alterst und stirbst nicht, o grosser Triumphator. Du 
deine Rosse und lenkst sie mit Götterhänden über die Flur des Himmels wie vor grauen 
Jahrtausenden. Ein ewiger Rosengarten entbrennt unter ihren Hufen, und mit feuerblühenden 
Rosen kränzest du deine Locken, unauslöschlichen, unvergänglichen, unverwelklichen ! — 

O, weiche Seligkeit, dieses wunderbaren Frühlichts 2U gemessen, das in Safranfarlx-n um 
alle Bäume und um alle Steine spielt, in dem das alte Rom abermals wiedergeboren wird, und 
dessen Andenken in unserer Seele fortleuchtet wie ein erschienener Geist! Welche Er<|uickung, 
welch höhere Wonne, an einem solchen Morgen ungebunden durch diese feierlichen Thäler. um 
diese Hügel zu schweifen, wo nichts die süsse, träumerische Ruhe und die schöne Sammlung des 
Geistes unterbricht! Denn einsamer und stiller ist kaum eine Gegend der Stadt als die, welche 
wir betreten. Klagend singt hier im Lenz die Nachtigall, und wenn die Hochsommerhitze unter 
dem harzigen Pinienbaldachine brütet, zirpt traut und heimlich in den Zweigen die Grille des 
Anakreon. Was einst zur Zeit der Päpste mehr oder weniger ganz Rom der Menschheit gewesen 

in 

77 



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ist — eine Stätte der Andacht, der frommen Finkehr in sich selbst und der inneren Beschallung, das 
lindet sie noch in den Weinbergen und Gärten der südlicheren Hügel, in den Landhäusern des 
Caelius, in den Einöden des Circus Maximus. in den Klöstern des Aventin und auf der appischen 
Strasse, dem grossen Kirchhof der alten Kömerwelt. Die Kuhe eines Kirchhofs, wie man sie oft 
genannt hat, aber eines schönen, eines bencidenswerthen Kirchhofs, jenes Kirchhofs, aUf den 
Giuseppe Giusti in einer Erwiderung an Lamartine die ironischen Strophen gedichtet hat: 



Deutaoh : 

Vegtia »ul munumenlo K» K^h' » uhl dein (Italic 

iVrprluo lume il solo Eine hrennemle Kaikel auf; 

K <a da lorrU J rem«; . Den Todten liltihn jeur Lahe 

U- rote, le vicile, l^rkojt-n und Rrewn H ll.vnf, 

I pamnani, gli ulivi Die ( Nivenlaume, die Rehen, 

Son simlxilo di |iianw — Sie tragen vnn <!ram und Leide - 

O ihc Iwl Campn S.mtii () Friedhof, Friedhof zum Neide 

Da f.ir invidia a' vi«! Den lebendigen gegeben! 

Die Strasse, welche vom Constantinsbogen /.wischen Palatin und Caelius hin bis zu der 
Gregor dem Grossen geweihten Kirche, seinem einstigen Vaterhause führt, ist nachts ganz 
unbetreten, stockfinster, beinahe unheimlich; wer spät Abends aus der gastlichen Villa Celimontana 
in die Stadt zurückkehrt und sie zu Fuss passiren muss, dem wird wohl eine Walle, oder 
wenigstens ein geh ör iger Knüttel mitgegeben, damit er sich der Räuber und der hier umgehenden 
Gespenster erwehren könne. In der That war der Caelius bereits in alter Zeit, obwohl damals 
einer der bevölkertsten und glänzendsten Stadttheile, durch seine kreischenden Nachtvögel verrufen; 
auf ihm stand ein Tempel der Nymphe Carna, der Geliebten des Janus, welche vom Volke um 
Schutz gegen die „Striges" angerufen ward. Man versteht darunter geflügelte alte Weiber, die 
sich unsichtbar durch die Luft schwingen und namentlich mit vampyrartiger Gier, um ihnen das Blut 
auszusaugen, auf die unschuldigen Kindlein stürzen. Tier Glaube an diese t 'nholdinnen, zu welchem 
die phantastische Erscheinung der Ohreulen (striges) Veranlassung gegeben hat, ist ein allgemeiner, 
nicht blos in Italien, sondern im ganzen Orient, besonders aber in Griechentand verbreiteter; und 
hat in beiden lindern das Heidenthum überlebt. Das Hauptfest der Carna, an welchem der 
Familienvater dirr guten Göttin die Kinder anempfahl eine zweijährige Sau opferte, die I laus- 
thüren dreimal mit Zweigen des Krdhecrbaumcs schlug und sein ganzes Grundstück mit 
Wasser reinigte, fiel in den Monat Juni, auf die Zeit der Sommersonnenwende, den nachmaligen 
Johannistag. Nun noch heute wird in der Mittsommernachl in Rom auf dem benachbarten Lateran- 
platz ein Volksfest abgehalten, bei dem man Knoblauchdotden und Lavendelblüten in der 
l land trägt, um mit ihnen die bösen Geister zu vertreiben ; noch heute stellt die Trasteverinerin am 
Johannisabend eine volle Salzmeste vor die Hausthür und legt zwei Besen kreuzweis daneben, 
damit die „Streghe", die erst alle Salzkörner und alle Besenreiser zählen müssen, nicht herein zu 
den schlafenden Kindern können. Allerdings hat sich in Italien aus der fabelhaften Strega 
allmählich der realere Begriff einer gewöhnlichen I lexe entwickelt, so dass die alte Eule schliesslich 
zu einer wirklichen alten Frau geworden ist. Analog hat der Italiener für eine Coquotte den 
Ausdruck Käuzchen, weil dieses bekanntlich zum Vogelfange dient (Civetta). 

Jetzt, wo es Tag ist, haben wir jene unheimlichen Gäste nicht zu fürchten; das Licht der 
Sonne hat sie längst in ihre Höhlen zurüekgeschcucht. Herrlich, gleich unersteiglichen Schroffen 
ragen rechts von uns die Kaiserpaläste in die klaren Lüfte; auf der Höhe ihres Kammes recken 
die Palmen des FrancLskanerklosters, von herabhängenden Fruchttrauben gleich üppigen Locken 
umgeben, ihre schwanken Häupter, wie Fürstinnen, die aus einem Traum erwachen ; während links 
von uns, am Abhang des Caelius, in dem von Najx>leon I. angelegten Garten die Pinien und 



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die immergrünen Eichen ihre Dächer wirthlich wölben, und die feuchte Wiese im Schmucke von 
Millionen Perlen frisch erglänzt. Bald erblicken wir oberhalb derselben,' in dieser mehr als länd- 
lichen Einsamkeit, die malerische Gruppe von Gebäuden, welche die Rückseite der Kirche 
SS. Giovanni e Paolo mit ihrer zierlichen Tribüne, dem alten Glockenturme und dem Kloster der 
Passionislen bildet, etwas näher am Wege die hohe Ereitreppc von S. Gregorio; und zwischen 
beiden Kirchen, unter Ziegelbogen und Strebepfeilern hindurch, steigen wir den alten Stieg des 
Scaurus, den 
Clivus Scauri 
zum Caelius 
hinauf, wo 
sich beide 
Tempelberge 
in der Höhe 
von Villa Cac- 

limontana 
vereinigen. 

Der Cae- 
lische Hügel, 
so breit wie- 
der Aventin 
und so hoch 
wie das Ca- 
pitol {50 m), 
hiess ur- 
sprünglich 
von den ihn 
bedeckenden 
Eichen- Wäl- 
dern der 
Eichenberg 
(Möns Quer- 
<|uetulanusr, 
seinen jetzi- 
gen Namen 
erhielt er von 
dem etruski- 
schen Feld- 
herrn Caeles 

nämlich die fünfte der sieben „Cohortes Vigilum 
W'achtstube der siebenten ist vor etwa fünfzehn Jahren in Trastevere bei S. Crisogono aufgefunden 
worden; an die fünfte erinnern nur noch zwei monumentale Namensverzeichnisse (Vigilum Romanorum 
latercula duo Caelimontana), die, in Erz und Marmelstein gegraben und unter den immergrünen 
Eichen der Villa Celimontana aufgestellt, jedem modernen Nachtwächter den Muth erheben mögen. 
Diese „Vieles," die unter dem Commando des Nachtwachtmeisters (nyclostrategus) standen, sollten 
Überhaupt die öffentliche Sicherheit in der Stadt während der Nacht aufrecht erhalten und die 
Bürger und ihr Eigenthum gegen Mord und Diebstahl schützen; speciell aber lag ihnen das 




Uer llucrp ifc» l)„taWI«. 



Vibenna, der, 
den Römern 
gegen die Sa- 
binerzu Hülfe 
geeilt, auf ihm 
sein Lager 

aufschlug. 
Tullus I losti- 
lius zog ihn 
zur Stadt, da 
er die Be- 
wohner des 

zerstörten 
Alba dahin 
verpflanzte ; 
unter Augus- 
tus machte 
der Berg den 

1 lauptthcil 
der zweiten 
Region aus, 
die von ihm 
Caelimontana 
oder Caeli- 
monlium ge- 
nannt ward. 
Daher ver- 
legte auch 

Augustus 
eine Schar- 
wache auf 
da) Caelius, 

welche die nächtliche Polizei handhabten: die 



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Feuerlöschwesen ob, und die sieben Wachtstuben waren zugleich sieben Feuermeldestellen, daher der 
anükisirende Römer sein£ Feuerwehr, die sonst sogenannten Pompicri (welche einmal der Kaiserin 
von Russland zu Khren auf der Piazza del Popolo ein eigens dazu erbautes zweistöckiges Haus 
in Brand stecken und sammt den hineingesetzten Menschen und Thieren retten musslen) gern mit 
dem augusteischen Titel „Vigili" beehrt; der italienische Ausdruck „Guardia del fuoco" ist nur 
eine Uebersetzung der deutschen „Feuerwache." Ihre Caseme (Caserma de' Vigili) ist gegenwärtig 
im Marsfeld, an der Piazza Borghese ; wachte das Auge des Gesetzes noch . über dem Caelius, 
so könnten wir die Villa Celimontana des Abends unbesorgt verlassen, während wir auf die 
obengedachten Listen schwerlich mehr zählen können, trotzdem dass sie von einem jungen danischen 
Gelehrten, Olaus Kellermann, herausgegeben worden sind. 

Ausserdem ist bekannt, dass auf diesem Hügel die grosse Speisemarkthalle, das aussen 
von Colonnadcn umgebene und von einer Kuppel (tholus) überwölbte Macellum magnum stand, 
in welchem man Lebensmittel aller Art, als Fleisch, Wildprct, Gemüse, Geflügel, aber nicht roh, 
sondern gekocht zu kaufen bekam, wo man auch bei grossen Gelegenheiten Köche engagirte, und 
das daher eine gewisse Aehnlichkeit mit einer Garküche oder einer pariser Rötisscrie gehabt haben 
muss; gegenwärtig versteht man zwar unter einem Macellaro einen Fleischer, aber im Alterthum 
hiess dieser Lanio. Line zweite solche Markthalle, das Macellum livianum, war auf dem EsqiaKn. 
Man hat wohl die grossen, aus massivem Travertin gebauten Arcaden, die eine Seite des Bergs 
bekleiden, für Reste des Macellums angesehn, wie man sie ein andermal für Thicrkäfige erklärt 
hat, die Dependenzen des Colosseums gewesen wären. Gegenwärtig erkennt man darin vielmehr 
Substructionen der üomus Vecliliana, welche Commodus bezog, um den Schlaf zu rinden, der ihn 
in den Kaiserpalästen floh — eins der vielen glänzenden und vornehmen Privathäuscr, mit denen 
der freie, der Campagna nähere Berg bedeckt war. und unter denen das des Mamurra, das der 
alten Familie der Lateraner und das Grossvaterhaus des hier geborenen und crzogcmui Kaisers 
Marc Aurel unser Interesse namentlich erregt. 

Etwas Nennenswerthes hat sich auch von diesen nicht erhalten: das von schönen Garlcn- 
anlagen umgebene Haus des Venis, wo der kaiserliche Philosoph seinen ersten Jugendtraum 
geträumt hat, würde man ebenso vergeblich suchen wie etwa das Schloss des Tullus Hostilius 
oder die „Mansiones Albanac", von deren Söllern die Weiber von Alba weinend auf das heimatliche 
Gebirg und das verlassene Paradies zurückgeschaut haben mögen. Die deutlichsten und unmittel- 
barsten Spuren des Alterthums stellen die herrlichen Bogen dar. auf welchen Nero einen Zweig 
der A<|ua Claudia über den' Caelius leitete (Arcus Neroniani), und auf die wir stossen, indem wir 
links in der von Mauern eingeschlossenen Strasse weitersteigen. Ihnen einverleibt finden wir 
einen andern, einfachen, selbständigen Bogen aus, Travertin , welcher, laut Inschrift (P. Cornelius 
P. F Dolaliella C. Junius C. F. Silanus Flamen Martial. Coss. Fx. S. C. faciundum curaverunt 
Idemque probaverunt) von den Consuln Dolabella und Silanus aufgerichtet, kurzweg der Bogen 
des Dolabella heisst. Dolabella, soviel wie Hacke, ist ein mehrfach unter den Corneliern vor- 
kommender Zuname, der bekannteste Träger desselben der Schwiegersohn Ciceros, Publius Cornelius 
Dolabella, ein kleines Persönchcn, das. als es einmal mit einem langen Schwerte zum Schwiegervater 
kam. diesem Veranlassung zu der scherzhaften Frage gab, wo denn das Schwert mit dem Mann hinwolle. 
Dieser Dolabella war Consul . und zwar im Jahre 44 v.Chr.; ebenso kennt man einen Consul 
Junius Silanus aus derselben Zeit. Doch wird die Erbauung des Bogens in das zwölfte Jahr 
n. Chr. gesetzt, und man hat um so weniger Grund, dem zu widersprechen, als seine Bestimmung 
vollständig unklar ist. Auf unserem Bilde sehen wir ihn rechts, links ist das Portal des I lospitals 
von S. Tommaso in formis mit dem Wappen der Trinitarier, auf das wir später zu sprechen 
kommen werden. Die nähere Bestimmung ,in formis' wird wohl von dem Aquaeduct entlehnt 

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I 



uigmz 



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sein, da .forma* im Mittelalter Bogen, speciell Bogen einer Wasserleitung heisst. L'ebrigens Ist 
der Berg wie das angrenzende Thal unter der Porta Capena schon von Natur ausserordentlich 
>|uellenreieh; ein Beispiel bietet die vom klarsten Wasser erfüllte Grotte, die noch im Umkreis 
der Villa Celimontana liegt, und in welcher man vielleicht, wenn nicht das Heiligthum der 
Nymphe Egern, so doch die hei den Allen durch ihre eigentümliche Kraft und Frisch«: l>erühmte 
Aqua Mercurii wiedererkennen darf. 

II. 

' Wir kehren nach dem kurzen Besuche, den wir dem Caelius abgestattet haben, wieder 
zu unserm Ausgangspunkt, auf die Piazza di San Gregorio zurück. Hinter derselben theilt sich 
die Strasse: rechts zieht sich, der Westseite des Palatins entlang und am (istlichen Rande des 
Circus Maximus, dessen Thal an «lieser Stelle halbkreisförmig abschliesst, die nach ihm benannte 
Via de' Cerchi hin; links geht zwischen Caelius und Aventin die baumbepflanzte Via di Porta 
San Sebastiano ab. Sie führt uns zu einem Thore; aber wir stehen bereits hier an einem allen 
'Ihore und an der Grenze des ehemaligen Weichbilds. Nämlich an der Porta Capena, dem Capuaner 
Thore, von welchem die Lateinische und die Appische Strasse auslief, die eben mit der obengenannten 
identisch ist, 7.ü diesem Thore zog Hüraz hinaus, als er nach Brundusium reiste; vor demselben 
Thore ging Juvenal s|iaziercn, als er den Trüdeljuden begegnete. Ks lag neueren Ausgrabungen zufolge 
in dem Weinberge von San Gregorio. Um das Vorkommen eines solchen Tliores in der Stadt und 
vor einem zweiten zu begreifen, braucht man nur an andere grosse alte Städte wie Wien oder 
Paris zu denken, wo es ebenfalls in einer Reihe hintereinander mehrere, mit den Mauerringen 
veraltende Thore giebt: die innersten sind die ältesten, die äussersten die jüngsten. l>ic Porta 
Ca|iena entspricht etwa dem Wiener Burgthor oder der pariser Porte St. Denis. Die erste 
Mauer Roms war die um den Palatinischen Berg gewesen, wo wir auch die ersten Thore gefunden 
haben; die zweite zog der König Servius Tullius, indem er das ganze, durch Hinzufügung fünfer 
Hügel vergrösserte städtische Gebiet mit einer Befestigung umgab; sie schloss nur den Aventin, 
auf dem Remus die unglücklichen Auspicien genommen hatte, nicht in sich; und unter den Thoren 
der Stadt des Servius, die sieben bis acht Kilometer im Umfang hatte, befand sich die PorU 
Capena am Caelius. Kndlich einen dritten Gürtel bildete die Mauer des Kaisers Aurelian, die 
Rom in dem Umfange von nahe achtzehn Kilometern umgab, und in ihrer Linie, die wesentlich 
noch die der jetzigen Stadtmauer ist, lag die Porta Appia, die gegenwärtig Porta San Seba- 
stiano heisst. 

Welch ein Gewühl mag das einst an der Porta Capena gewesen sein, wo die wichtigste 
Strasse des alten Italien ihren Anfang nahm ! Jetzt gehört diese Stätte, ' der frühere Richtplatz, 
zu den stillsten und einsamsten des alten Rom. Vom Palatin gähnen die weitläufigen Ruinen der 
Kaiserpaläste herab auf die wüste Rennbahn, wo der ewige Jude an den Gräbern seiner I.ands- 
leute trauernd sitzt und die darauf gelegten Steine überzählt, während der Bach Marrana 
träge auf der Sohle des Thals dahinschleicht Grosse Schuttmassen gleiten rüfenenartig 
vom Aventin herab, den grünen Rasen erdrückend, der die amphiteatralischen Sitzreihen 
wieder überkleidet , wie damals als hier die ersten Römer gelagert waren und ihre Sabinerinnen 
raubten. Melancholisch klingen die Klostcrglocken von S. Saba und von S. Sabina drein; 
durch das Schilfrohr flüstert es wie ein Memento mori; und neben uns geht ein Sedier in den 
Alleen der Sebastiansthorstrasse auf seiner Reperbahn bedächtig hinter sich und zieht seine 
Sache in die Länge. 

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Indem wir diesen Seiler, der wahrscheinlich noch dort steht und gleich einem Verdammten 
des Tartarus an seinem unendlichen Seil arbeitet, kreuzen und die Via di Porta S. Sebastiano 
zehn Minuten lang verfolgen, gelangen wir, die trübe Marrana überschreitend, zu den Thermen 
des Caracalla, welche, rechts von der Strasse, in der Weitung des Thaies zwischen Caelius und 
Aventin, gelegen, die Landschaft umher beherrschen. 

Die Thermen des Caracalla sind der prächtigste Bau des kaiserlichen Roms gewesen, und 
ihre Reste gehören zu den gewaltigsten der Stadt Sie waren das Wunder der Folgezeit, 
welche nicht mehr einsah, wie man die Decken dieser ungeheuren Säle habe construiren 
können; eine Menge der berühmtesten Kunstwerke sind aus ihren Trümmern hervorgezogen 
worden, so namentlich alle Farnesischen : die Flora, der Hercules und die kolossale Marmor- 
grupi>e des Farnesischen Stiers; der ganze Gebäudecomplex hat den Umfang einer Meile; in den 
Thermen des Caracalla steckt ein gutes Stück altes Rom. 

Was sind Thermen? Unter Thermen pflegt man warme Quellen {«jj/mi) zu verstehen. 
Es heisst; die Thermen von Karlsbad, die Thermen von Ragaz und Ptäfers, und so sprach man 
schon im Alterthum von den Thermae Himerenses in Sicilien, dem heuligen Termini, welches 
genau dasselbe wie das deutsche Warmbrunn und das slavische Töplitz ist Zugleich begriff man 
darunter die natürlich damit verbundenen warmen Bäder; und endlich wandte man das Wort 
auch auf künstlich angelegte und auf die Gebäude an, die alles enthielten, was zu einer voll- 
ständigen Badeanstalt gehört: kalte und warme, Wasser- und Dampfl>äder — wo sie dann im Laufe 
der Zeit mit Kursälen, Konversationszimmem, Bibliotheken, Ballhäusern, Reitbahnen, Promenaden, 
Gcmäldegallerien und anderen Bedürfnissen einer reichen und luxuriösen Bevölkerung ausgestattet 
wurden; die Gegenwart würde noch Spielbänke, Billards, Journale, Bazare, Concerte und Rauch- 
zimmer hinzuthun. Dergleichen Thermen, die mit den Kurhäusern der deutschen und den Casino's 
der italienischen Bäder eine täuschende Aehnlichkeit gehabt haben müssen und sich von ihnen 
nur dadurch unterschieden, dass sie natürliche warme Quellen nicht gerade zur Voraussetzung 
hatten, gab es im ganzen römischen Reiche, ja wir besitzen auf eigenem Grund und Boden ein 
vortreffliches Exemplar derselben, in dem der Diana des Schwarzwaldes (Dianae Abnobae) 
gewidmeten Rümerbad von Badenweiler, wo jene Voraussetzung wirklich erfüllt war. Wenn die 
römischen Legionen ein Land eroberten, so wurden ihnen auch Bäder angelegt. In Rom Selbst 
lassen sich noch drei beträchtliche Etablissements dieser Art nachweisen : die Thermen des Titus 
auf dem Esquilin, wo die Laocoongruppe gefunden ward, die Thermen Dioclctians, welche einen 
Theil lies Viminal und des Quirinal bedecken und von denen ein einziger Saal die zweitgn'wste 
Kirche in Rom hergab, und die gegenwärtigen des Caracalla am Fusse des Aventin, auch nach 
seinem KaLsernamen Antoninus Antoninianae genannt, begonnen von Caracalla im Jahre 2 1 2 n. Chr., 
erweitert von seinem Nachfolger Heliogabalus im Jahr 218, und vollendet von dessen Nachfolger 
Alexander Severus im Jahr 222. 

Die gesammte Anlage mass 330 m im Quadrat; das eigentliche Thermengebäude, welches 
innerhalb dieses Quadrates stand , war ein Oblongum und 2 20 m lang, 114m breit. In der Mitte 
desselben lag im Kellergeschoss der grosse Ofen, der zunächst zur Luftheizung gebraucht ward: vom 
Ofenraum (hypocaustum) ausgehende Kanäle führten die erwärmte Luft in die oberen Räumlichkeiten. 
Ueber dem Ofen waren in ingeniöser, holzsparender Weise drei Kessel (ahena) übereinander 
angebracht; aus dem obersten (frigidarium) floss kaltes Wasser in den mittleren (tepidarium) und 
von hier, abgeschlagen, in den untersten (caldarium), um heiss zu werden. Aus jedem Kessel 
gingen Röhren, die mit silbernen Hähnen (epistomia) versehen waren, in die Bäder; der 
oberste erhielt sein Wasser aus einem Reservoir (castellum), das durch einen besonders dazu 
angelegten A>|iiaeduct (Aqua Marcia) gespeist ward. Die Einrichtung der Bäder selbst war ganz 

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die der irisch-römischen, ') wie man sie in jeder grösseren Stadt und speciell im Oriente findet, und 
nur insofern vollkommener, als man weniger zu bezahlen brauchte. 

Begleiten wir einen alten Titius oder Cajus in die Thermen des Caracalla. Durch eine 
leichte Bewegung vorbereitet, betritt er zuerst das Appdyterium, wo er sich gemächlich auf einem 
Stuhle auszieht, und die Sachen während seines Bades an dem hölzernen Haken hängen bleiben; 
es ist Reglement, dass er sie hier ablegt, damit er nichts stehlen und darunter verbergen kann. 



denfalLs noch 
gründlicher 
beseitigten 
als die bei 
uns gewöhn- 
lichen wol- 
lenen Faust- 
handschuhe ; 
worauf er in 
das Calda- 
riumgcht,um 
entweder nur 
zu schwitzen 
oder auch 
das heisse 
Wasserbad. 
welches einen 
bedeutenden 
Temperatur- 
jjTad hat, zu 
vi rsucrhi -n. 

Dieses Cal- 
darium, des- 
sen Seiten - 
wände hohl 
sind und des- 
sen Fussho- 
den auf klei- 
nen Pfeilern 
ruht, schwebt 
gleichsam in 
der heissen 

Luft, die vom I Iypocaustum ausströmt und es in allen Richtungen umfliesst I lier wartet unser 
Cajus, bis der hervorbrechende Schweiss Tropfen zu bilden beginnt. Ist es ihm noch nicht 



üannbegiebt 
er sich in das 
Tepidarium, 
einen Raum 
mit massig 

trockener 
Wärme, wo 
er sich zur 
Vorbereitung 
auf die hö- 
here Tempa- 
ratur des 
nächsten Zim- 
mers in lau- 
warmemWaS' 
sit badet und 
nebenbei mit 
Gel salbt, was 
er während 
der Opera- 
tion noch öf- 
ters wieder- 
holt.- Dem- 
nächst lässt 
er sich frot- 
tiren und mit 
Striegeln(stri- 
gilibus) be- 
handeln, wel- 
che die ver- 
brauchte 
Oberhaut je- 




Der Uogen des Dm 



<) Der sotickrharc Name deutet an, doss *u die runilsthen Uhler, die doch seiner Zell von den kL-rortn selUt 1*1 um eingeführt 
Vörden und, in nroerer /ril ij einem ungeheuren Iniwege wieder empfangen hoben. Dieser Umweg est folgender. Die Runter treiben ihre 
Thermen Mch in Griechenland und in Constantinopcl her; daselbst tuulen sie die Türken vor, welche säe mit ihren religiösen Gebrauchen in 
Verbindung brachten und rnr nationalen Sitte entwickelten. Vom Orient aus war ihr Andenken in Deutschland abermals, zur Zelt der Krati- 
rüge, aufgefrischt, aber im 17. Jahrhundert wieder vergessen worden, als der Besuch der Wddbnder und der Mineralwasser al. Ver- 
gttdgwagsorte aufkam. Erst vor iwoniig jähren bürgerten sich die Thermen rum dritte« Male ein, als sie ein Engländer, Namens Urtiuharl, 
in der Tarkei kennen lernte and ihre Anlage in Irland, in St. • AmVs- Hill bei Cork veranlasste { 1 856). Von hier gelangten sie nach l>eutsch- 
Uud, nfiasa i»6o l>r. Lwther in -Vadersdorf bei Wiltesiberg das erste „irisch rumische Bad" gründete. 



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hriss genug, so zieht er eine metallene Klappe (cüpeus) am Boden mittels einer Kette in die 
Höhe, um mehr Wärme hereinzulassen: und er setzt sich unter den Bänken, die amphilheatralisch 
an den Wänden herumlaufen, auf die oberste; von Zeit zu Zeit benetzt er sich mit dem kalten 
Wasser des flachen Beckens (labrum) in der» Ecke ; dann verweilt er wieder ruhig so lange, bis der 
Schweis» auf der Haut reichlich herabrieselt. Nun lässt er sich durch einen Sklaven vom Scheitel 
aus mit lauwarmem Wasser übergiessen und macht dann dass er in das Frigidarium kommt, um 
durch das kalte Bad in dem Bassin die erschlaffte Haut wieder zu stärken, worauf der Körper 
zum letzten Mal mit Oel gesalbt wird. Abgekühlt und gereinigt, kehrt er in das Zimmer 
zurück, in dem er sich ausgekleidet hat, und lässt sich auf ein bequemes Polster nieder, 
den narbenvollen Leib in behaglicher Ruhe zu recken und zu strecken. Hierdurch wird 
dem Ausbruche eines zweiten Schwcisscs vorgcl>eugt und seiner Haut der durch das starke 
Schwitzen einigermassen beeinträchtigte Tonus wiedergegeben. Endlich gieht er sich neugeboren 
den geistigen und materiellen Genüssen hin, die ihm im Umkreis der Thermen an allen. Ecken 

uml Enden geboten sind. « 

Unsere Tafel zeigt die grosse, von Fenstern durchbrochene Rotunde des Caldariums, deren 
Gewölbe eingestürzt ist; sie hat 50 m im Durchmesser und tritt buckeiförmig aus der geraden 
Grundlinie des Parallelogramms heraus. So mag das Pantheon aus den Thermen des Agrippa 
herausgeslanden haben, die wir auf dem Marsfelde finden werden. Die Bestimmung der Räume 
im Einzelnen ist schwierig und unsicher; man staunt über die riesenhaften Verhältnisse und ülier 
die noch überall sichtbare glänzende Ausstattung, ohne den deutlichen Einblick zu haben, den 
die kleineren Bäder zu Pompeji so überraschend gewähren. 

Von den Caracallathermen kehren wir auf die Strasse zurück, die hier bereits zur Gräber- 
strasse wird: links, wo die Via della Ferratella abgeht, gleich hinter der Kirche von San Sisto, 
bemerken wir ein erstes Monument, welchem dann noch innerhalb der Stadt, nachdem abermals 
links die Via l.atina abgezweigt ist, in den anstossenden Vigncn, durch Cypressen bezeichnet, 
die Grüfte der Seipionen (Sepulcra Scipionumj und verschiedene Columbarien folgen. Die Römer 
hatten Gräber sowohl für einzelne Personen als auch für ganze Familien und Corporationen ; auch 
errichteten mehrere Familien zusammen eine gemeinschaftliche Grabstätte (sepulcrum commune). 
Solche für eine oder mehrere Familien, meist unter der Erde erbaute Grabkammern bildeten 
längliche Vierecke und enthielten in ihren Wänden, auch wohl an besonderen Massiven in der 
Mitte, mehrere Reihen von Nischen übereinander, die, weil sie an einen Taubenschlag erinnerten, 
Columbaria hiessen und je zwei Aschenkrüge (ollae) gleich einem Nest aufnahmen. In Rom und 
anderen grossen Städten mochten auch dergleichen Columbarien auf öffentliche Kosten oder 
auf Speculation gegründet werden, wo sich dann minder Bemittelte einen Platz für eine Urne, 
eine Inschrift, ja selbst für eine Büste kaufen konnten. Nun diese Grüfte wurden vorzugsweise 
in der Nähe der Städte aut eigens dazu irrworbenen Arealen längs der grossen i lecrstrassen, in 
Rom zum Beispiel längs der Via Elaminia, der Via Latina und eben der Via Appia angelegt: 
die langen Reihen grossartiger Denkmäler, die ihren Saum auf beiden Seiten bildeten, gaben 
eigentümlich schöne und imposante Strassenprospekte ab und forderten den hindurchgehenden 
Wanderer mehr als etwas zu ernsten Gedanken auf. Innerhalb der Mauern von Rom selbst bestattet 
zu werden, galt, abgesehen von dem alten Armenfriedhof am Esquilin, für eine hohe Ehre, die nur 
ausnahmsweise vom Senat ertheilt werden konnte; dergleichen Ehrengräber befanden sich zumal 
auf dem Marsfelde. Wenn wir also den grossen Friedhof schon hier beginnen sehen, so dürfen 
wir nicht vergessen, dass diese Gegend ausserhalb der Porta Capena lag und erst von Aurelian 
im dritten Jahrhundert n. Chr. zur Stadt gezogen ward. 

Unmittelbar vor dem Thorc und gleichsam ein Vorthor bildend, erhebt sich ab das letzte 

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Monument im Weichbilde der Stadt der Bogen, welcher dem Drusus Claudius Nero, dem Besieg« 
der Germanen (Germanicus) errichtet wurde. Der Stiefsohn des Kaisers Auguslus, der diesem 
von der l.ivia drei Monate nach seiner Hochzeit geboren ward (mlf *iir/or<n »«i ii/i/tt,vn nnttiu) 
war tiefer ins Innere von Germanien denn irgend ein Römer eingedrungen, als er plötzlich an den 
Ufern der Elbe stehen blieb. Durch die Erscheinung eines erhabenen Weibes bewogen, das ihm 
in heimatlichen Accenten sein nahes Ende geweissagt, trat er, wie es heisst, den Rückzug an, 
auf welchem er, noch ehe er den Rhein erreicht hatte, infolge eines Sturzes vom Pferde, starb. 
Das Andenken seiner Siege feiert eine der schönsten Oden des Konz (IV, 4) und dieser Triumph- 
bogen, der, aus Travcrtin<[uadem erbaut, mit weissem Marmor bekleidet und von je zwei Saiden 
afrikanischen Marmors flankiert, sp&ter zum Träger des von Caracalla in seine Thermen geführten 
Zweiges der A<|ua Marcia ausersehen und mit einer Kruste von Mauerwerk bedeckt ward. , 

Das Thor selbst, noch im Mittelalter Porta Appia genannt, besteht, gleich dem viereckigen 
Unterbau der beiden mittelalterlichen Thürme, aus grossen weissen Marmonjuadern, die wahr- 
scheinlich von den Denkmälern in der Nahe hergenommen sind. 




Die Via Vi .1 
III. 

Die appische Strasse führt anfangs ziemlich trostlos zwischen Weinbergen hin, die von 
hohen, beengenden Mauern eingefriedigt sind. Sie senkt sich den alten Clivus Maitis hinunter, 
der von einem vormals hier stehenden Marstempel den Namen hat, läuft dann unter der Maremmen- 
bahn hindurch und überschreitet den Bach Almo, in welchem die Statue der Cybele (wie spater 
das Bildniss des Heilands auf dem Forum) alljährlich abgewaschen ward. Aber je weiter man 
kommt, um so schöner wird die Aassicht, um so grossartiger die ganze Seenerie, bis wir zuletzt 
in eine Landschaft von wahrhaft erhabenem Stil eintreten. Das alte polygonale Pflaster der 
Königin der Strassen, einem bis hierher geflossenen Lavastrom entnommen, kommt zu Tage; 
gerade vor uns die herrliche vulkanische Gebirgsgruppe von Albano, über welche der Weg nach 
den Pontimschen Sümpfen und nach dem glücklichen Campanien weitergeht: rings um uns ein 
unabsehbares, undulirendes Land, eine Steppe ohne Anbau grün, durch die der berittene 
Hirte mit eingelegter Lanze gleich einem Wüstenkönig jagt, während die fieberkranken Knechte 
von dem nahen Pachthof die ärmliche Osterie bevölkern und eine Winzerfamilie in irgend einer 
formlosen, epheuumrankten Ruine Schutz sucht Links unten in mächtiger, hier und da unter- 
brochener Gontinuation die ehrwürdigen Bogenreihen der Aqua Marcia und der (zum Theil in 

»t 

SS 



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die moderne Feiice verwandelten) Acjua Claudia, an die Viaducte unserer Zeit errinnernd; die 
Strasse dicht und meilenweit mit Denkmälern besetzt, unter denen Alles ruht, was Rom an Feldherm, 
Staatsmännern, Rednern Grosses gehabt hat, und die mit ihren Reliefs mit ihren Inschriften ein- 
gehendster Betrachtung werth sind; eine erstaunliche Fülle bedeutender Reminiscenzen überall. 
Um uns dieselben einigermassen zu ordnen und anschaulicher zu machen, wollen wir versuchen, 
sie auf die Häupter dreier alten Römer zu concentriren, die zu verschiedenen Zeiten und 
in verschie- 
dener Ab- 
sicht , aber 
auf derselben 
Strasse mit 
uns zum Thor 
und in die 

Campagna 
hinausgegan- 
gen sind und 
die uns als 

Wegweiser 
zu den typi- 
schen Stellen 

derselben 
dienen. 

üiese 
drei alten Rö- 
mer sind: der 
fromme Kö- 
nig Numa, 
der reiche 
Crassus und 
der Kaiser 
Maxentius. 

Der er- 
ste besucht 
nächtlicher- 
weile seine 
Freundin, die 

Nymphe 
Egeria ; der 




Iiic Grolle der Egeria. 



zweite be- 
sucht das 
Grab seiner 

Gemahlin, 
der Caecilia 
Mctella; der 
dritte be- 
sucht den 
neuen Circus, 
den er sei- 
nem frühver- 
storbenen 
Sohne Romu- 
lus zu Ehren 
errichtet hat, 
wie ein An- 
dereraufdem 
Sarge seines 
Kindes die 
circensischcn 
Spiele seihst 

abbilden 
lässt, weil das 
menschliche 
Leben schnel- 
ler dahin eilt 
als Räder am 
Wagen. 

Schlägt 
man hinter 
der Kirche 
Dominequo- 



vadis bei einer kleinen Kapelle den Feldweg links ein, und wendet man sich dann, auf der Wiese 
abermals links hinunter nach der Mühle, so stösst man auf ein kleines antikes Bauwerk, der Tempel 
des Deus Rediculus genannt- Obgleich es das nicht, vielmehr ein Grab aus I ladrians Zeit ist, so 
bietet doch diese Benennung einen willkommenen Anhalt, um sich den Wendepunkt in der Geschichte 
des zweiten punischen Krieges daran zu merken. Im Jahre 2 1 1 suchte Hannibal das belagerte Capua 
vergebens durch einen Marsch gegen Rom zu retten: er musste umkehren (redire) und dem 
Gotte, der ihn zu dieser Umkehr veranlasste, (Deo Rediculo) bauten die Römer vor der Porta 
Capcaia einen Tempel Nun, als die späten Enkel den Ort suchten , wo der Schreckliche mit 



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seinem Eber* gelagert hatte, fanden sie keinen passenderen als den grossen Krater auf der Höhe 
des Albanergebirgs, der daher noch heute Hnnnibals Lager (Campo d'Annibale) genannt wird; 
und für den Tempel erklärten sie das ebenerwähnte Grabmal. Aber unmittelbar daneben locali- 
sirten sie ein noch viel älteres Hreigniss, suchten sie ein noch interessanteres Heiligthum und 
zwar ebenfalls mit einer Kühnheit, die ohne grosse kritische Sorgfalt zugreift, der wir nichts 
desto weniger ein neues Stück Poesie verdanken. 

Der weise und gerechte König, der den neugegründeten Staat durch die Religion und 
durch friedliche Institutionen befestigte, wurde von der Sage nicht nur 211 einem Schüler des 
Pythagoras gemacht, sondern auch in ein Verhältnis? gesetzt, welches einen gewissen modernen 
romantischen Charakter und die schwärmerische Verehrung der Frauen, ja den Glauben an ihre 
Inspiration zur Voraussetzung hat. Numa Pompilius besass eine Freundin in der Nymphe Egeria 
wie Pericles in der Aspasia oder wie Augustus in der Livia, eine Freundin, mit der er alle 
wichtigen Fragen durchsprach; wenigstens gab er aus Klugheit vor sie zu besitzen und seine 

und dieser 
Neigungzum 
.Vagabundi- 
ren entsagte 
auch der Kö- 
nig nicht, er 
ward fort und 
fort in der 
Einsamkeit 
der Wälder 
von der schö- 
nen Nymphe 
berathen und 
beglückt, die 
sich , als er 
starb , der- 
massen be- 
trübte, dass 




Gesetze k la 
Moses und 
ä la Moham- 
med von ihr 
offenbart zu 

erhalten. 
Schon als 

Jüngling 
übernachtete 
er gern bei 
Mutter Grün 
in der Cam- 
pagna und in 
heiligen Hai- 
nen, wo erdes 

Umgangs 
der L'nsterb- 
lichengcnoss: 

sie von der mitleidigen Diana in eine Quelle verwandelt ward. Daher war ihr auch vor dem 
Capuaner Thore eine Grotte inmitten eines heiligen Haines geweiht, in der eine Quelle sprudelte 
und wo die Vestalinnen täglich das zum Opfer und zur Besprengung des Tempels nöthige Wasser 
holen mussten. Diese Grotte {Vallis Camenarum) befand sich also vermuthlich in der Umgebung 
des Caelius, an der Servianischen Mauer; aber durch die darüber hinaus wachsende Stadt irre 
geleitet, verlegte man sie später weit in die Campagna hinaus, ausserhalb der Aurelianischen 
Mauer und nannte ein Nympheum, welches man trifft, wenn man vom Tempel des Deus Rediculus 
im Thal des Almo aufwärts geht, „Crotta d'Egeria" und den kleinen Busch von immergrünen Eichen 
auf dem benachbarten Hügel „Bosco dellc Camcne" d. i. Hain der Camenen, als in welchem die 
Camene Egeria ihren sterblichen Freund empfangen haben soll : Camenae, in älterer Form Casmenae, 
sind die altitalLschen Musen, ursprünglich wie diese Quellgottheiten und Personiricaüonen der zum 
Weissagen und Singen (zu Carminibus = Casminibus) begeisternden Kraft der Quellen. 

Von den topographischen Schwierigkeiten abgesehen, muss man zugeben, dass die 
Bezeichnung „Grotte der Egeria" gar nicht übel passt. Man versteht unter Nympheen (wir haben 
bereits eins auf dem Palatin gefunden) Bauwerke, welche Quellcnbchälter umschlossen und unter 



l.nWal da Cltlli» Modi» — <:»|~- di txrrr. 



«7 



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den Schutz der Nymphen gestellt waren. Nun dieselben haben schon so wie so eine grottenartige 
Anlage gehabt, und eben das gegenwärtige hätte selbst, als es neu war, wohl mit der künstlichen 
Höhle eines englischen Parks verglichen werden können. Wie es sich aber vollends jetzt darstellt 
— ein kleines, tief in die Böschung, an der es lehnt, versunkenes Gewölbe — mit einer Nische 
im Hintergrund, in welcher, auf Kragsteine gebettet, die verstümmelte Statue eines Flussgottcs 
ruht als eines Schlummernden — das Netzwerk der Mauern von dem durchsickernden Wasser 
feucht erhalten und in Folge dessen mit üppigem Frauenhaar und einem dichten Moosteppich 
bedeckt — angenehm belebt durch das leichte Geriesel einer Quelle, die in einer kunstlosen, aus 
Dachpfannen limbriecs supini) hergestellten Rinne austritt und niederträuft — welch eine kühle, 
lauschige, anmuthige Grotte ist es! Wie den Musen und den Najaden ein willkommener Aufenthalt! 
Welch ein hochentzückendes Nympheum ! Denn wenn dasselbe auch dem Flussgott, der das Thal 
bewässert, zu Fhren errichtet worden und der obenerwähnte Torso eben dieser Flussgott sein soll, so 
mahnt uns doch schon der Name zunächst an keinen Almo, sondern an eine F.geria zu denken, die das 
silberne Nass aus ihrer Urne ausgiesst Die Hirten der Campagna, die hier ihren Krug zu füllen 
kommen, bezeichnen das nicht gerade besonders köstliche, aber immerhin gesunde Wasser seiner 
verhältnissmässigen Reinheit wegen als ein leichtes, als „ac<|ua leggiera." Es wäre nicht undenkbar, 
dass dieser einfache Ausdruck mitgewirkt hätte, es zu einer „acf|ua dell' Egeria" zu stempeln. 

Gegenüber dem Hügel, welcher den Hain der Camenen trägt, liegt auf einer andern 
Anhöhe die alte Kirche des heiligen Urban, des Rebenpatrons und des christlichen Bacchus, 
der an dieser Stelle auf den alten Bacchus folgte; und von hier führt ein schöner, mit Bäumen 
besetzter Weg auf eine neue Chaussee, die oberhalb der Catlistuskatakomben wieder in die alte 
appische Strasse mündet. Vermittels desselben kehren wir also in unser altes Gleis zurück, in 
welchem wir nun direct auf das stolze Grabmal der Caecilia Metella losgehen, auf jenen runden 
Thurm , der unsere Blicke schon lange auf sich gezogen und der den volkstümlichen Namen 
Ochsenkopf (Capo di bove) angeblich von den seinen Fries zufällig schmückenden Stierschädeln 
erhalten hat, der aber vielmehr selbst wie ein Ochsenkopf hervorragt und die Campagna beherrscht, 
genau so wie das Haupt und Herz des Fichtelberges Ochsenkopf genannt wird. 

CAECILIAE Q. CRETICI F. METELLAE CRASSI, der Caecilia Metella, Tochter des 
Quintus Caecilius Mctellus Crcticus, Gemahlin des Crassus. wie die Inschrift auf der Marmortafel 
meldet; ob dieser Crassus gerade der bekannte Triumvir ist, ob der reiche Crassus hier den Manen 
seiner Gemahlin Wein ausgegossen und Hecatomben geopfert hat, wie er es einst dem Volke an zehn- 
tausend Tischen that, erscheint freilich zweifelhaft. Ein mächtiger, mit grossen Tavertincjuadem 
bekleideter Rundbau von 20 m Durchmesser; der einem erst einen Begriff von solidem Mauerwerk 
giebt, um mit Goethe zu reden. Er erhebt sich auf einer viereckigen Basis die ursprünglich ebenfalls 
mit Travertin bekleidet war ; oben krönt ihn der mit Blumengewinden und Stierschädeln geschmückte 
Fries, der durch ein Kranzgesims abgeschlossen wird; der Zinnenaufsatz stammt aus dem 
13. Jahrhundert, wo die Gaetani das Monument in ihren Bergfried verwandelten, um von hier 
aus die Bewegungen der Colonna zu überwachen. Die Ruinen dieser Gaetanischen Burg, des 
Scfilosshofs und der Burgkapelle liegen nebenan auf der andern Seite der Strasse, die durch sie 
gesperrt ward; man erkennt daran noch das Wappen der Gaetani, das sie vermuthlich von dem 
Capo di bove entlehnten; einen Ochsenkopf. 

An der Südseite ist der Eingang in die Gruft, deren Wände mit Backsteinen bekleidet sind 
und die sich nach oben kegelförmig verjüngt ; der verschüttete Fussboden hat 5 m im Durchmesser. 
Hier befand sich der marmorne Sarkophag, der die Gebeine der Verstorbenen bewahrte und der, 
während die Stürme der Belagerung unablässig über ihm rasten, nimmer wankte, bis er im sech- 
zehnten Jahrhundert unter Paul III. in den Hof des Palastes Farnese zu stehen kam. Die Leiche 

N 



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der Caecilia Metella wurde nicht verbrannt: ihre Verwandten mussten keine Freunde der 
Feuerbestattung sein, die entweder privatim auf dem Bustum, oder öffentlich auf der grossen 
l'strina, an der a|>pLschen Strasse rechts, fünf Miglien von Rom, zu erfolgen pflegte. Eine solche 
Gruft wird von den Alten gewöhnlich Conditorium genannt, ebenso der Sarkophag selbst; Condi- 
torium heisst z. B. der Peperinosarg des L. Cornelius Scipio Barlutus, der in dem Grab der 
Scipionen gefunden ward und dem wir im Yatican begegnen werden. 

Die Caecilia Metella fascinirt: man hat Augen nur für sie: man geht auf sie zu, ohne 
was dazwischen liegt zu bemerken. Und doch ist es überaus merkwürdig: hier dehnt sich links 
von der appischen Strasse der Circus des Maxentius aus, der einzige, von welchem sich deutlich 
erkennbare Trümmer erhalten haben, denn auch der Hippodrom zu Konstantinopel, bis zur 
Zeit der Türken ein vorzügliches Specialen, bildet gegenwärtig nur einen grossen, viereckigen 
I'l.itz, ähnlich wie die Piazza Navona. Den Circus des Maxentius müssen wir besuchen, wenn wir 
uns eine Vorstellung von dem grossen Circus machen wollen, in dessen ödes Thal wir schon so 
manchen ahnungsvollen Blick geworfen haben: er ist zwar nicht so umfangreich und misst nur 
4S2 m in der IJinge und 79 m in der Breite, während jener 640 m lang und 130 m breit war, 




Der Cirn» •!« Moucntim. 



er taute keine 260,000 Zuschauer, sondern nur etwa iS.ooo: aber dafür hat er den Vorzug, 
überhaupt noch zu bestehn und uns die Einrichtung der alten Turfs lebendig zu vergegenwärtigen 
— uns Begriffe zu gewähren , welche wir mit unserer Phantasie beliebig in die Vallis Murcia 
oder wo sonst Wettfahrten abgehalten wurden, z. B. auf den Vatican und auf das Marsfeld 
oder meinetwegen nach Bovillae projiciren können. 

Wenn wir gegenwärtig von Circussen reden, so verstehen wir darunter Häuser, in welchen 
sich Kunstreiter produciren, und zwar sind dic-se Häuser gewöhnlich kreisförmig angelegt Die 
Bestimmung ist keine ganz moderne, die Form auch keine neue, im Gegentheil gerade die aller- 
älteste. Das Wort Circus, von dem die Praeposition circum der Accusaliv und unser Zirkel das 
Diminutiv ist, bedeutet einen Kreis, und als Tari)uinius Friscus zum ersten Male die Eroberung 
der kleinen Stadt Apiolae in dem trockengelegten Thalc durch Rennen und Boxen feierte, mögen 
wohl auch die Patrizier im Kreise darum herumgestanden haben. Den Namen belicss man, der 
Bahn aber und den um die Bahn gelegten hölzernen Tribünen gab man die länglich -runde, 
hutVisi-nartige Gestalt, die offenbar für Weltfahrten viel angemessener war, die auch unsere 
Circus.se besitzen würden, wenn die römischen Bigen noch eine Rolle darin spielten, die sich aber 
bei uns vielmehr auf die Turfs und auf die Hippodrome vererbt hat — eben die Gestalt des 
langen und schmalen Thaies, welches die Natur zwischen den parallel streichenden Abhanden des 

M 

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Aventin und Palatin zu dem F.nde eingeschnitten zu haben scheint. Allerdings wurden im Circus 
verschiedenartige Schauspiele geboten, namentlich militärische, Parademanöver, Carrousek der 
von Virgil in der Aenei's beschriebene Ludus Trojae; auch Fechterspiele und Thierhetzen, späterhin 
die Specialität der Amphitheater, mögen wohl zur Zeit der Republik, ja noch unter den Kaisern 
auf diesem Platze stattgefunden haben : die rührende Geschichte des Androdus — wonach dieser 
seinem Herrn, einem Proconsul in Afrika, entlief und in der libyschen Wüste einem Löwen einen 
Dorn aus der Tatze zog; wieder aufgegriffen, wurde er nach Jahren in Rom dem mittlerweile 
gleichfalls eingefangenen Löwen vorgeworfen , aber das dankbare Thier erkannte seinen Wohl- 
thäter, legte sich ihm liebkosend zu Füssen nnd leckte ihm die Hand — diese rührende Scene, 
die sich unter Caligula ereignet haben soll, wird von Seneca und von Aulus Gellius in einen 
Circus verlegt; desgleichen verlautet, dass der vaticanische Circus, auf dessen Stelle jetzt die 
Peterskirche steht, der Schauplatz der Christenschlächterci unter Nero (04) gewesen sei: hier liess 
der Tyrann, zu dessen noblen Passionen das Fahren gehörte, wie später das Fechten zu denen 
des Commodus, als Jockey auf einem Wagen stehend, nach dem Zeugnisse des Tacitus, die 
Märtyrer bald in Thierfellen von Jagdhunden zerfleischen, bald nächtlicher Weile in Form von 
Pechfackeln anbrennen, ja, hier nach einer Legende eben den Apostel Petrus kreuzigen (67). 
Indessen das Haugtgaudium des Circus war von jeher, mit Rennen und Kunstreiterei verbunden, 
das regelrechte Wettfahren selbst gewesen; wenn der römische Pöbel 

duas Mnumi res anxius opiai, 
Pancm et C'ircciisev. 

so hat' er die „cursus" und die „agitatores equorum" und die berühmten Sattelpferde, den 
Andraemon und den Tigris und den Passerinus im Kopf. Wäre das nicht gewesen , so hätte 
die langgestreckte Form des Circus gar keinen Sinn gehabt : denn so passend, ja so nothwendig 
eine solche Bahn für die Evolutionen der Kutscher und der Bereiter war, so unpassend würde 
sie für stabile Schauspiele gewesen sein, die nicht gleichsam vor jedem einzelnen Zuschauer 
vorüberflogen, sondern sich um eine einzige Stelle drehten, indem dann der eine unverhältniss- 
mässig gut, der andere unverhältnissmässig schlecht gesehen hätte. 

Uebrigens war ja Bühne und Alles, was darum und daran hing, nur für Wertfahrten 
eingerichtet, so dass man kaum begreift, wie hier für andere Aufführungen Platz gewesen sein 
soll. Die Vorderseite des Circus, das heisst, die beide Schenkel des Hufeisens verbindende Linie, 
hat in der Mitte das Portal für die grosse Procession, mit welcher die Spiele eröffnet wurden 
(Porta Pompaei, zur Rechten und zur Linken desselben je sechs mit hölzernen Gatterthoren ver- 
schlossene Schuppen oder Ställe, einen für jeden Wagen (Carceres). Sie waren überwölbt und an 
beiden Kcken mit Thürrnen fiankirt, daher auch die Stadt iOppidum) betitelt. Die Axe der wie 
im Amphitheater Arena genannten Bühne oder Bahn vertrat eine niedrige Mauer (Spinal, welche 
ungefähr drei Viertel von ihrer Länge einnahm und sowohl ihrer Lage, als ihrer Gestalt nach 
treffend mit dem Rückgrat eines Wirbelthiers 1' Spina) verglichen werden konnte. Sie bildete die 
Barriere, um welche die Wagen fahren mussten, und die Regel ihres Laufes; dicht an ihren 
beiden Enden, aber auf einer abgesonderten hohen Basis stand je eine Gruppe von drei geraden 
Kegeln (Metaei, die untere „Meta prima", die obere „Meta secunda" genannt — die beiden 
Cardinalpunkte, um welche sich Alles drehte. Die Mitte der Spina schmückte ein Obelisk, 
ausserdem war ihr Grat mit Götterbildern. Säulen, Altären und zwei Gestellen (falaei besetzt, 
von denen das eine sieben Delphine, das andere sieben Hier trug: mit diesen Delphinen und mit 
diesen Eiern, welche man nacheinander aufsteckte, sowie sie vorüber waren, wurden die Umläufe 
gezählt, deren bei jedem Gange (missusj sieben stattfanden: jene beziehen sich auf den Neptun, 
der das Ross erschuf, diese auf die Dioscuren, welche die Rosse bändigten. Gegenüber dem 



Processionsthor , am Scheitel des Hufeisens, bemerkt man ein zweites Thor, durch welches die 
Sieger aus dem Crem zogen (porta triumphalis), am rechten Schenkel ein drittes, durch welches 
man die verunglückten Kutscher hinaustrug i porta libitinensis) : ein viertes und fünftes endlich an 
den Schuppen für die Wagen. 

Am Tage des Rennens ist es schon, ehe der Morgen graut, lebendig auf den Strassen. 
Eine feierliche Procession, die schon erwähnte Pompa Circensis. eröffnet das Fest. Unter schallender 
Musik, unter Wolken von Weihrauch zieht sie vom Capitol über das Forum nach dem ("ircus und 
in diesem die Rennbahn entlang, geführt von dem die Spiele leitenden Beamten, der in Triumpha- 
torsuniform auf einem Wagen steht. In derselben werden die Attribute und Bilder der Götter, 
die Portrait* der kaiserlichen Familie theils aut Bahren und Thronen iferculis) getragen, theils 
auf kostbaren Wagen itensis; von Elefanten oder Maullhieren gezogen. Zahlreiche Priesterschaften 
und religiöse Corporationen geleiten sie Voraus ziehen Scharen von Knaben zu Fuss und zu 
Pferd, die zum W'etu'ahren bestimmten Wagen und die tausend Virtuosen, Boxer, Ringer, Läufer. 
Tänzer, die sich nebenbei an den Spielen betheiligen, Dabei ist Alles auls peinlichste und pedantisch 
vorgeschrieben ; der geringste Verstoss macht die Feier ungiltig und eine Wiederholung nothwendig. 
Auf den Festzug folgt noch ein Opfer, dann beginnt das Rennen. 

Wie gewöhnlich rennen vier vierspännige Wagen. Hie Gatterflügel der Schuppen sind 
.sprangeweit geöffnet: die Kutscher, grün, roth, blau und weiss, in einer Tracht, die an unsere 
Jockeys erinnert, in der Hand die Peitsche, in dem breiten Gürtel ein Messer, um im Falle der 
Noth die eben daran hängenden Zügel zu durchschneiden, tummeln ihre Pferde in der Vorbahn 
und fahren dann langsam in einer Front und in der durchs Loos bestimmten Ordnung vor dem 
kreideweissen Seile lalba linea) vor, welches in der Höhe der Spina, vom untern Ende derselben 
bis zu den Tribünen «per über die Bahn gespannt und an zwei kleinen Pfeilern ihermulae) 
befestigt ist. Bei diesem Seil wird abgelaufen; damit alle Parteien bis hieher gleich weit zu 
fahren haben, bilden wohl auch die zwölf Schuppen keine gerade, sondern eine krumme Einie. 
I ngeschickt lassen unsere Archäologen die 1 höre der Schuppen selbst durch ein Seil sperren 
und die Wagen direct aus dem Stalle auf die Rennbahn zum fröhlichen Wettlauf stürmen: sie 
müssen noch niemals ein Rennen, namentlich nicht das alte Wettrennen beim römischen Carneval 
gesehen haben, wo die Berberhengste natürlich auch nicht gleich aus dem Stalle hinausgejagt, 
sondern erst in die Schranken auf der Piazza del Popolo geführt, letztere aber noch immer mit 
einem ausgespannten Seile verschlossen wurden. Ohne dieses Seil würden die unbändigen Thiere, 
die so schon beständig darüber hauen und sich ungeduldig bäumen, das Signal nicht einhalten, 
sondern versuchen eins vor dem andern abzurennen. Das Signal, wann kommt es? Denn erst 
wenn es ertheilt wird, fällt das rasch an einer Seite losgemachte Seil. 

F.s heisst, dass einst Nero in einem solchen Momente bei Tafel sass. Es war in seinem 
Goldnen Hause, in einem Saale, dessen Fenster auf den Circus gingen. Draussen tobte und" brauste 
das aufgeregte Volk, weil das Rennen nicht begann : aus dem dumpfen Thale donnerte es herauf wie 
aus einem grollenden Vulcan. Da nahm der Kaiser eine Serviette vom Tische, warf sie zum 
Fenster hinaus und gab damit das Zeichen. Die Anecdote ist erfunden, um einen uralten Gebrauch 
zu erklären: denn in der That gab der Vorsitzende regelmässig das Zeichen zum Beginn der 
Wettfahrt indem er von seinem Balcon aus eine weisse Serviette (mappa) in die Luft warf. 

Ein ungeheures Geschrei: die Wagen sind in einer Wolke von Staub verloren. Eine 
Weile rollen sie noch nebeneinander und in einer Linie, aber sehr bald bleibt einer hinter dem 
anderen zurück und sie bilden eine Colonne: deshalb ist die Arena am Anfang breiter als am 
Ende, und nimmt die Spina eine beträchtlich schiefe Richtung. Der Umläufe von Linea zu Linea 
sind sieben: auf der rechten Seite der Spina wird hinauf, auf der linken hinunter gefahren: die 
1 

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Metae lässt der Kutscher regelmässig links oder, wie die Römer sagten, innen (interiore rota): seine 
Kunst besteht darin, die Kegel geschickt zu umfahren und zwischen sich und ihnen nicht soviel Platz 
zu lassen, dass sich ein Anderer dazwischen drängen kann, ohne doch andererseits zu nahe daran 
zu streifen und eventuell durch einen Stoss an ihre Basis umzuwerten, den Wagen zu zertrümmern 
und von den Pferden geschleift zu werden: deshalb wurde auch das beste Pferd, auf dessen 
Schnelligkeit und Dressur es am meisten ankam, in der Regel zum Sattelpferd gemacht. 
Die Werke der Alten sind voll von Anspielungen auf die Wechselfalle, auf die dramatischen 
Peripetien, welche durch die 

meta fervidis nfan rotis 

veranlasst wurden und die sich an ihrem Fuss abspielten; und da sie mit einer solchen Wettfahrt 
das menschliche Leben zu vergleichen lieben, so sind die Worte Meta und Linea stehende 
Bezeichnungen für Ziel und Ende aller Dinge und für den Tod. die „ultima linea rerum" geworden. 
Noch heute sind die römischen Kutscher Meister ihres I landwerks, das sie überhaupt mit Passion 
betreiben, und welches fast durchgängig in den Händen eingeborener Römer ist. Am Antonius- 
feste (17. Jan.) pflegte sonst der Adel und der Papst selbst seine Pferde an die Kirche dieses 
Heiligen zu schicken; man Hess sich dann gern mit einer glänzenden Equipage sehn, z. B. die 
Familie Boncompagni mit einer sechzehnspännigen. Es war nichts Leichtes, eine solche mit Grazie 
durch die engen Strassen der Stadt und um soviel natürliche Metae herumzubugsiren. Uebrigens 
werden ja gelegentlich in Rom und in Florenz, hier auf dem Platze von S. Maria Novella, dort 
auf dem Maccao cnler in der Villa Borghese. ja im Circus des Maxentius selbst noch wirkliche 
Wettfahrten nach antikem Ritus abgehalten. 

Bei solchen Gelegenheiten werden für das Publikum hölzerne Tribünen aufgeschlagen, wie 
es in der ältesten Zeit der Fall war: was Circusspiele anbetrifft, aber auch in vielen andern 
Dingen steht Rom seinen rohen Anfängen näher als dem Glanz der kaiserlichen Aera. Denn 
schon vor der Vertreibung der Könige scheint man an Stelle der provisorischen Tribünen ein 
stehendes und permanentes Gebäude aufgeführt zu haben, welches abgesehen davon, dass es 
mehr in die Länge gezogen war, dem immer wiederkehrenden Plane eines halben Amphitheaters, 
oder, was nach unseren früheren Erörterungen dasselbe ist, eines Thealers folgte. Zehn terrassen- 
förmig aufsteigende Sitzreihen, durch ein dreifache Stockwerk von Bogen Wölbungen getragen — 
die unterste (Podium) durch ein Geländer und ausserdem durch einen Kanal, den Euripus, geschützt 

— links und rechts, einander schräg gegenüber zwei Logen iPulvinaria), die eine für den Kaiser, 
die andere vermuthlich für den Festgeber (editor ludorumi bestimmt — äusserlich von Arcaden 
umgeben, wo die Kramläden und die Garküchen und die Obsthöken dicht aneinander stehen,' in 
deren I lallen Wahrsager, Winkelastrologen und tausend Gaukler ihr Wesen treiben und dazwischen 
hindurch in bunter Tracht die spanischen Tänzerinnen und die syrischen Freudenmädchen schwirren 

— so ist es ungefähr, wie wir uns den Circus vorzustellen haben, dessen Ruinen wir vor uns 
sehen. Er wurde im Jahre 311 von Maxentius, wie wir bereits vermutheten, zu Ehren seines 
verstorbenen Sohnes Romulus (D1VO ROMl L( ). N'[OBILISJ. M[EMORIAE]. V[1R0], FILIO DTOMINTJ. 
N[OSTRl]. MAXENTI1) und zwar in einer Manier erbaut, welche die Gelehrten mit bewogen hat 
«las Gebäude in diese späte Zeit zu setzen: l'm die Last der Gewölbe und mithin ihren Schub 
zu vermindern, hat man dieselben aus I lohlziegeln oder Töpfen hergestellt, sogenannte Topfgewölhe 
angewandt. Für ein Heroon des Romulus gilt auch die Rotunde vor dem Circus, auf deren 
Lnterbau sich ein modernes Haus erhebt. 



IV. 



Wir lassen uns heute an diesem Stück der Via Appia genügen und kehren in die Stadt 
zurück. Da wir nicht pressirt sind, wählen wir einen Umweg und schlagen unmittelbar hinter der 
Sebastianskirche links die Via delle Sette Chiese ein, welche nach zehn Minuten die Via 
Ardeatina schneidet und dann durch die Paulshügel hindurch, in einem angenehmen, an herr- 
lichen Aussichten auf die Campagna reichen Thalc zur Paulskirche und damit auf die Via 
Ostiensis führt ; auf derselben gelangen wir, abermals unter der Maremmcnbahn hindurch, in einer 
halben Stunde an die Porta S. Paolo, die alte Porta Ostiensis. Hier erblicken wir wieder, von 
Cypressen und Pinien beschattet, die aurclianische Stadtmauer und in dieselbe eingeschlossen eine 
Pyramide , das um das Jahr 1 3 v. Chr. errichtete Grabmal eines Mannes , dessen Namen und 
Qualität eine Inschrift folgendermassen angibt: 



C CKSTtUS. I. K POE KPl'i.o. PK. TU. PI.. 
VII VIR. KPl'l.dSI M. 

Das heisst, er 

war Praetor, 
Volkstribun 

und — Gour- 

mand: F-'pulo 

heisst das in 

der That ; 

doch bedeutet 

es hier in die- 
ser Zusam- 
menstellung 

einen Fein- 
schmecker 

von Amt und 
Würden. 

Nämlich ein 

Mitglied der 

reiten und zu serviren, resj>cctive dann selbst zu sich zu nehmen. 
Epitaphium an wie die bekannte Grabschrift des Herzog Magnus zu Doberan: In dieser Welt 
hab ich mein Lüst Allein mit Kalter Schalen gebüsst u. s, w. 

Dieses Grabmal lag ursprünglich frei an der Via Ostiensis und wurde erst durch Aurelian 
in den Ring der Stadtmauer verbaut; es lag an der Strasse nach Ostia, wie sonst eins an der 
Appischen, eine Viertelmeile vor ihm bemerkten wir die von einem Winzerhäuschen gekrönten 
Ruinen eines zweiten. Auf einer 84 cm hohen Unterlage von Travortin erhebt sich die vierseitige 
Pyramide in einer Höhe von j6,6 m (die grosse Pyramide von Gize in einer Höhe von ursprünglich 
146,52 m); sie ist aus Backsteinen aufgeführt und mit starken Platten von altersschwarzem 
carrarischen Marmor bekleidet; fertig geworden sein soll sie in nicht ganz einem Jahre, während 
Herodot an der grossen Pyramide hunderttausend Menschen alles in allem dreissig Jahre arbeiten 
lässL Die Spitze ward neuerdings restaurirt, nachdem sie der Blitz zerstört. Im Innern befindet 
sich die gewölbte Grabkammer, 6 m lang, 4 m breit, 5 m hoch: ein fester Stuck überzieht 
die Wände, an denen sich noch Spuren von Malereien zeigen: sie sind 1661 von Pietro 
Santi Barloli, der so viele antike Monumente vervielfältigte, in Kupfer gestochen worden. Die 




Septemviri 
Epulones, ei- 
nes Priester- 
kollegiums, 
dessen Haupt 
funclion darin 
bestand, bei 
gewissen Fes- 
ten den Göt- 
tern, deren 
Statuen man 
in aller Form 
zu Tusche, 
setzte, eine 
gute Mahlzeit, 
«las Lectister- 
nium, zuzube- 
tmmerhin muthet uns solches 



93 



königliche Form der Pyramiden, welche ja auch in Aegypten n ' e c,ncn andern Zweck gehabt 
haben, wurde von den Etruskern und den Römern nicht selten für Grabdenkmäler gewählt: dem 
reichen Cestius, von dem man wissen will, dass er testamentarisch eine bedeutende Summe zu 
einem Denkmal auswarf, gefiel sie wie dem Fürsten Pückler- Muskau; Gräber sind die Bergspitzen 
einer fernen, unbekannten Welt F.s ist interessant zu beobachten, wie auch das Schicksal der 
Copien und der Originale ein analoges gewesen ist. 

Während man sich im Innern nicht besonders streng an die aegyptischen Vorbilder 
gehalten hatte (die in der Regel massiv über unterirdischen Felskammcrn aufgehäuft, mit polirten 
Granitplatten ausgelegt, aber am Kerne sorgfältiger und besser gebaut sind als an der Schale), 
ahmte man sie äusserlich auf das Genaueste nach. Die Eingänge zu allen echten Pyramiden 
befinden sich an der Nordseite, bei der grossen Pyramide auf 1 5 m senkrechter l lohe ; sie wurden 
durch kolossale Blöcke verrammelt und durch die Bekleidung unkenntlich gemacht. So befand 
sich auch der antike Eingang zur Cestiuspyramide an der Mitternachtsseite, er war mit einem 
Marmorquader vollkommen verschlossen und so hoch, dass man ihn nur mit Leitern erreichen 
konnte. Dank diesen Vorsichtsmassregeln Standern die aegyptischen und römischen Pyramiden 
Jahrtausende lang, ohne dass jemand ins Innere derselben eingedrungen wäre; ihr Andenken ver- 
dunkelte sich und verschmolz mit mythischen Namen und Begriffen, mit den Kornspeichern des 
Joseph, mit der gefeierten Rhodopis, mit dem unglücklichen Remus. Aber die Hoffnung Schätze 
zu finden trieb endlich doch dort die Araber, hier die Römer hinein; ja, wie in Aegypten der 
Khalif Mamun mit Feuers Hülfe einen neuen Eingang in die grosse Pyramide brach, so der Papst 
Alexander VH einen in die Pyramide des Cestius an der Abendseite. Damals wurde das merk- 
würdige, tief verschüttete Denkmal bis zu seiner Basis ausgegraben , und aus dem Schutte das 
davorstehende Säulenpaar, sowie ein kolossaler Fuss von Bronze, jedenfalls ein Fuss des Cestius 
selbst, gegenwärtig auf dem Capitol im Conservatorcnpalast hervorgezogen. Auf dem kleinen, 
von einem tiefen Graben umschlossenen Raum vor der Pyramide wurden seit Ende des vorigen 
Jahrhunderts die zu Rom heimgegangenen Nichtkatholikcn begraben: hier ruhten und ruhen zum 
Thcil noch der deutsche Maler Asmus Jakob Carstens, der englische Dichter John Keats und sein 
Landsmann und College Percy Bysshe Shelley (-j- 1822). Die Asche des Letzteren wurde kurz 
darauf von seinem Freunde, dem kürzlich verstorbenen Kapitän Trelawny herausgenommen und 
auf einem anderen Platze seitwärts oben an der Mauer beigesetzt, worauf man, weil die starke 
Anpflanzung von Cypressen dem Anblick der Pyramide Eintrag that, auch andere Akatholiken 
hierher zu bringen anfing. Seit 1815 besteht demnach neben der Pyramide, aber von ihrem 
Schatten immer noch gekühlt, ein neuer „Cimitero degli Acattolici", auf welchem der Deutsche 
wenig grosse, dagegen recht viel unrafc und unglückliche junge Männer beweint. 

Zur Charakteristik dieser malerischen Gegend der Stadt gehört noch ein mit einem Kreuz 
bezeichneter, ebenso schöngeformter, wie räthsclhafter Haufen, der poetischen Gemüthern von 
jeher die tiefsinnigsten Vergleiche und die geistreichsten Märchen eingegeben hat: der 35 m hohe, 
umfangreiche Hügel, welcher, in der südwestlichsten Ecke Roms, in unmittelbarer Nähe des 
Tiberflusses und der Stadtmauern gelegen, ganz aus Scherben antiker Thongefässc besteht. Er 
heisst Möns Testaceus (Monte Tcstaccio), und dieser Name, der zum ersten Mal auf einer Inschrilt 
des 8. Jahrhunderts erscheint, ist zweifelsohne von Testa, Topf oder Scherbe, abgeleitet: nach 
einer volksmässigen Anschauung hat dieses ,Testa' später die Bedeutung von Hirnschale oder 
Kopf angenommen, genau so wie unser eignes .KoptV welches eigentlich soviel wie Kelch 
Ist Es gilt gegenwärtig für ausgemacht, dass dieser Scherbenberg bereits in der Mitte des 
2. Jahrhunderts unserer Acra stand, und die Scherben von den vielen spanischen, afrikanischen, 
griechischen Transportgefässen stammen, welche in dem grossen Entrepöt am Tiber (Emporiumi 



in nächster Nähe ausgeladen wurden. Die thciLs heim Ausladen selbst, thcils in den I-agerhäusem 
des Hmjxjriums massenhaft zerbrechenden Getässe würden zusammengeworfen und allmälig 
zu einem Berge aufgehäuft, in welchem nun der Archäologe wühlt und eine Pinselinschrift 
nach der anderen entdeckt. Dass in der Nähe grosser Städte aus den in den Wohnungen 
gesammelten und von Rathswegen abgeholten Abfällen aller Art unaufhörlich kleine Berge gebildet 
werden, ist bekannt: Paris stösst täglich Millionen Kubikmeter von sogenannten „Gadoues" oder 
„Boucs de rues" aus, welche man am Ufer der Seine in langen Schichten von i m Höhe und 2 m 
Breite aufhäuft, um sie später zur Düngung zu benutzen. Doch waltet zwischen diesen Kehricht- 
haufen und dem Scherbenberge ein doppelter l "Mörschied ob: der letztere ist (wenigstens gegenwärtig) 
nur aus Scherben zusammengesetzt, und er soll nur eine Ablagerung des benachbarten Emporiums, 




Die Ktitcnpferte des Septimns Severus. 



nicht der ganzen Stadt vorstellen. In der That sehe ich den Grund für diese Kinschränkung 
nicht ein: der Monte Testaccio könnte wohl nachgerade die Abfälle des alten Rom überhaupt 
enthalten haben und ein Pendant der in der Nähe, am „pulchrum littus" mündenden grossen 
Kloake sein, in welch«: man vermuthlich Scherben ebensowenig werfen durfte als man es bei uns 
in die Aschengrube darf. Dass aber gerade Scherben die Hauptrolle darin spielen , darf uns, 
abgesehen von ihrer unvergleichlichen Dauerhaftigkeit (gebrannter Thon ist bekanntlich der 
unvergänglichste aller Stoffe) deshalb nicht Wunder nehmen, weil es bis zu Plinius' Zeiten weder 
in Griechenland noch in Rom hölzerne Fässer gab: erst nachher kamen, vielleicht unter deutschem 
Kintluss , hölzerne, aus Dauben hergestellte und durch eiserne Reifen zusammengehaltene Kufen 
(cupae) in Gebrauch, bis dahin hatte man ausschliesslich lederne oder irdene. In der Villa 
Albani befindet sich ein Relief, welches den Diogenes in seiner Tonne zeigt, und es erstaunt 

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vielleicht Mancher, statt der Tonne ein grosses rundes Thongefäss zu sehn. In Wahrheit bewohnte 
aber auch der Cvniker keine Tonne, sondern eine Vase, nämlich ein Dolium, das ihm einst ein 
junger LarTe aus Muthwillen zerschlagen konnte. Dolien standen in dem antiken Weinkeller wie 
Fässer im modernen — wie eben in jenen Kellern, die gegenwärtig den ganz.cn Umfang des 
Hügelseinnehmen und mit Weinschenken verbunden sind. Dieselben werden jetzt nicht mehr so 
stark besucht wie früher, namentlich am Sonntage des Carneval, wenn sich noch die Römer von 
den tributbringenden Völkern und von den Töpfen, die diesen Tribut enthielten, und von den 
hier herumliegenden Scherben dieser Töpfe viel erzählen mochten. 

Merkwürdig, für den Monte Testaccio gibt es in Aegypten eine schlagende Analogie, 
wie für die Pyramide des Cestius. Erd-, Geröll- und namentlich Scherbenanhäufungen fehlen 
nirgends, wo eine alte aegyptische Stadt gestanden: *. B. rinden sich sehr hohe bei Bubastis. 
Die Araber nennen sie schlechthin Haufen (Köm). 

V. 

Der Monte Testaccio liegt am Austritt des Tiber aus der Stadt, mitten in der südlich 
vom Aventin beginnenden Ebene, welche durch den westlich ausbiegenden Fluss gebildet wird. 
Unser Weg führt uns aus besagter Ebene heraus, auf den Südfuss des Aventin zu und links 
darum herum an den westlichen Abhang des hart am Wasser hinstreichenden Hügels, den Ufer- 
saum entlang, der hier gleichsam von der Natur gespart wird; die Strasse heissl, weil da seit 
alter Zeit der carrarische Marmor ausgeschifft wird, Via della Marmorata, weiter oben, wo der 
Rand breiter und links wieder mit Häusern besetzt zu werden anfängt, nach den grossen Salz- 
magazinen, unter denen sie hindurchgehl, Via della Salara. Letztere mündet in die weitläufige 
Piazza di Bocca della Vcritä, welche einen Thal des alten Rindermarktes einnimmt: das Forum 
Boarium, auf «lern das regste gewerbliche Treiben herrschte, dehnte sich links bis an den Tiber 
aus und hing rechts mit der kleinen Fläche westlich vom Palatin zusammen, die Velabrum hiess; 
sie wird durch die alte Kirche S. Giorgio in Velabro ziemlich genau bestimmt. Neben dieser 
Kirche steht eine dem Septimius Severus von den Wechslern und Kaufleuten des Rindermarktes 
204 n. Chr. errichtete Ehrenpforte (Arcus Argentariorum) ; ebenda, am Kreuzungspunkt zweier 
Strassen hat sich auch ein Durchgangsbogen mit Hallen, wegen der vierfachen Stirnseite Janus 
Quadrifrons genannt, erhalten. Wie eine Rumpelkammer ist dieser entlegene, unter dem Palatin 
versteckte Winkel mit heiligen und profanen, überflüssigen und nützlichen Dingen vollgepfropft : bei 
dem Janus Quadrifrons liegt eine Papiermühle, und an dieser Stelle steigt man unter Backsteinbogen 
zur Cloaca Maxima hinab. Hier arbeitet die alte etniskische , auf Strebemaucm (anterides) 
gestützte Riesin still und verborgen zum Wohl des Volks und trotzt den Jahrtausenden. Ein 
paar hundert Meter weiter mündet sie in den Tiber, und wenn wir an der Piazza di Bocca della 
Vcritä ein Boot nehmen, können wir ihr vom Fluss aus in den Schlund hineinsehn. Es ist das 
jedenfalls empfehlenswerther als auf die benachbarte Brücke, den Ponte Rotto, zu treten und das 
Pulchrum Littus* nur aus der Ferne zu betrachten. 

Vielleicht aber auch, dass wir den ganzen Weg zu Wasser zurückgelegt und bereits an 
der Paulskirche einen Kahn bestiegen haben: die Fahrt auf dem flavus Tiberis ist überaus 
belohnend. Magie der Erinnerung! Zauber des dassischen Bodens! Er ergreift uns dort fast 
mächtiger, als wenn wir ihn seilet betreten. 

Sa*tt »ispcnsam hunr ispicc rujicml 

Erkennst du die steilabstürzenden Felswände des Aventin, voll altheiligcr Stellen? Den 
Altar des Evander, die Höhle des Cacus? Wo mag der unglückliche Remus gestanden haben, 



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als er mit dem Bruder ausschaute nach den Geiern? Ob der Lorberwald noch über Titus 
Tatius' Grabe rauscht? — 

Ich grüsse dich, Diana vom Aventin, in nächtiger Ferne schwebst du mondhell vor mir 
auf! — Dort oben, wo jetzt drei Klöster burgartig herabsehn, stand ihr mit den Hörnern der 
fatalen Kuh '> besteckter Tempel , das lateinische Bundesheiligthum ; stand der Tempel der 
Dea Bona und der Juno Regina, den Camillus nach der Eroberung von Vcji gründete. Juno war 
die Schutzgöttin der mächtigen etruskischen Stadt gewesen, und im dortigen Junotempel hatte 
Camillus Veji nach zehnjähriger Belagerung erobert, indem er durch einen unterirdischen Gang 
eingedrungen und den V'ejentern mit der Darbringung des Opfers, an dem nach einer 
Weissagung des Haruspex der Sieg hing, zuvorgekommen war. Kr hatte gleichsam die Juno 
selbst erobert, die freiwillig dem kühnen Kntführer folgte; denn Rom fahndete nicht nur auf 
fremde Städte, Rom fahndete auch auf Götter. Ja, die Liberias, die Göttin der Freiheit, hatte einen 
Tempel auf dem Aventin, von einem Gracchus aufgebaut und von einem Gracchus mit Bildern aus- 
geschmückt, 



weil er im 
zweiten Pu- 
nischen Krie- 
ge bei Bene- 
vent (a 1 4 v. 
Chr.) durch 

Freiwillige 
(volones) 
Sieg gewon- 
nen; denn die 

Gracchen 
wohnten hier 
nebst vielen 
andern gros- 
sen plebeji- 
schen Ge- 
schlechtern ; 




VcazalcmpeL 



der Aventin 
war gleich- 
sam die Burg 
der Freiheit 
undderGrac- 
chen.dievom 

Senat mit 
Sturm genom- 
men werden 
musste und 
die in ihrer 
. tragischen 
Geschichte 
oft genannt 
wird Kein 
Zweifel, dass 
diese Remi- 
niscenz es 



war, die nachmals den Rienzi bestimmte, auch seinen Anhang auf diesem Berge zu versammeln. 

O, alter, gelber Tiber, in dessen kaltes Bette die erschlagenen Gracchen geworfen wurden, was 
hast du gesehn ! Von was für kühnen Schwimmern könntest du erzählen ! Ueber diese Flut , die 
jetzt unser Nachen theilt, schwamm dereinst der einäugige Horaz (Horatius Codes), der Held der 
altrömischen Legende, als die hölzerne Brücke hinter ihm abgebrochen war ; hier, wo ein armseliger 
Ziegelbogen steht, erreichte er das heimatliche Ufer, trotz aller etruskischen Pfeile und Geschosse 
— denselben Tiber durchschwamm, an der Spitze ihrer Jungfrauen, die muthige Cloelia, dem 
Porsenna auf dem Janiculum entspringend — und abermals über diese Flut schwammen Caesar 
und Cassius um die Wette, schlugen den brüllenden Strom 

Mit w»circn Sehnen, »Anen iho bei Seit 

Und hemmten ihn mit einer Brust des Trotz« 

doch da haben wir die Kloake. 

■J f5n Sabiner balle ein* prachtvolle Kuh. Die Seher verkündeten, wer lic der Iiiann von Aventin opferte, denen Rate wurde die 
hcmclicnd* werden. deich rührt «Irr Hirt nein Rind rum Tempel der Diana «od schickt sich mm Opcer an, aber eiai laleiai*chcr Priester 
unnerbfiuV Ihn: „Cnglm-kUchet, was wiDtl du tbwn! Der tkeiin opfern, ohne dich gereinigt ru haben T !>a onleu flieul der Tiber: laufe unH 
wasche dach!" Der Arme liaat sich verblüffe» uod ueä£t »am Kluva hinab: al, er wieder Luinaat, hat der »araiav daa Opfer dargebracht. 
ftiescr fromsae Betrug, fugt Uvbaa hlniu, fand altfcmdut» Heüall; er verhalf Rom rar llrgvnujiiie u'wr Laliwm. 



'-<- 



Begonnen unter Tar<|uinius Priscus, um die stagnirenden Wasser des Velabrum und der 
benachbarten Niederungen aufzusaugen, respective Platz für Markt und Rennbahn zu gewinnen, 
nachmals durch Agrippa zur höchsten Vollkommenheit gebracht i|. besteht dieses grossartige Werk, 
wenn auch zu zwei Dritteln seiner Höhe verschlämmt, seit mehr als 1400 Jahren. Ein Netz 
unterirdischer, im vollen Bogen überwölbter ,- geräumiger Kanäle, die sich, oben mit Oeffnungen 
versehn, in die Tiefen zwischen den Hügeln senken und, zu immer grösseren Adern zusammen- 
gefasst, endlich in einer Hauptröhre vereinigen: letztere ist es, die hier vor uns in die natürliche 
Kloake des Tiberflusses mündet. Sie zeigt die älteste bekannte Anwendung des für die gesammte 
römische Architcctur so wichtigen Bogenschnittes: drei concentrische Bogen l'arcus), aus enormen 
Steinen ohne Mörtel gewölbt, umschliessen das finstere, in die Substructionen des antiken Quais 
gestossene Mundloch; sothaner Quai hiess, wie schon bemerkt, die schöne Promenade (Pulcrum Littus). 
Die Sehne de» innersten Bogens misst 4,014 m, seine Höhe ist unbekannt, doch variirt sie je nach 
dem Wasserstande zwischen 3,96 und 4,27 m, so dass man mit einem Heuwagen bequem durch- 
fahren könnte; die Blöcke haben eine Länge von 1,672, eine Höhe von 1,003 II! s ' e sm d jenem 
schwarzen vulcanischen (iestein entnommen, welches die Basis des capitolinischen Hügels bildet 
und das gewöhnliche Material für die Constnactionen der Königszeit gewesen ist In und bei 
den Kloaken nisteten im Alterthum die Verbrecher und die Bettler so gut wie heutzutage. 

In Paris gehört es zum guten Tone, einmal während der Saison in die Egouts hinabzu- 
steigen und die Eingeweide der Stadt zu Fuss, per Schiff und mittels Eisenbahnen zu durchreisen ; 
und so verlässt auch Rom kein Fremder, ohne sich gelegentlich diese durchstochenen Berge, diese 
gewölbten Flussbetten anzusehn , die mit den Wasserleitungen und den Strassen laut von Rom's 
Grösse und dem starken Wollen des Alterthumes reden ; die zwar nicht mehr, wie zu Theodorich's 
Zeiten, unvergleichlich daslehn, im Gegentheil von dem ebenso genial coneipirten als solid aus- 
geführten Kloakensystem Londons übertroffen werden, die indessen eine unvergleichliche Probe 
bestanden und den modernen Grossstädten ein unvergleichliches Modell geliefert haben. Zugleich 
aber enthält die Piazza di Bocca della Veritä noch einen andern Anziehungspunkt, namentlich 
für die Damen, die es gleichsam als ihr eignes Heiligthum betrachten — ich meine nicht die 
antike Brunnenmaske, von welcher der Platz den Namen hat, auch nicht die Tritonen, welche den 
Brunnen in der Mitte des Platzes stützen, sondern das anmuthige runde Tempelchen, welches als 
eine reizende Staffage hart am Ufer, gerade ül>er der Kloakenmündung steht und gewöhnlich 
den Namen Vestatempel führt. 

Ein seltsamer Zufall paart es mit einem zweiten antiken Tempel, dem Tempel des Glückes, 
welches die Frauen in der Liebe bei den Männern haben, der mit den Gelübden keiner Vestalin 
vereinbaren Fortuna Viriiis. Die Pudicitia Patricia, die Andere darin sehen, würde es besser 
gewesen sein. Seit 880 verehrt man an dieser Stätte die Maria von Aegypten. 

Aus der Kunstgeschichte ist der Ausdruck Pseudoperipteros bekannt: man versteht darunter 
ein Gebäude, das scheinbar von einer Colonnade (Pteron) umgeben Ist, in Wirklichkeit aber nur 
an seiner Vorhalle (Pronaos) freistehende Säulen hat, während in die Mauern der Cclla blosse 
Halbsäulen eingelassen sind: es sieht so aus, als ob jene Mauern zu weit, bis an die Säulen- 
stellung, die sie gleichsam ausfüllen, vorgeschoben seien, und in der That war der Zweck dieser 
Anlage, mehr Platz für das Innere des Heiligthums zu gewinnen. Der Tempel der Fortuna Viriiis 
ist ein jonischer, mit je fünf Halbsäulen geschmückter Pseudoperipteros gewesen; bei der Um- 
wandlung desselben in eine Kirche hat man auch die vier, respective sechs Säulen der Vorhalle 

») Indem fr nah einem Aufwand loa tlrcl Udlünen Mnrk nicht allein neue Kanäle bauen und die ahen reinigen lieas, «indem »tlth 
sieben Havhr lii»durcht<i<rte, mit einem Gefalle, dut rfl den Anrath gleich Oercttromea out lieh fortrissen Vielleicht iit die kryilnilcne '„Kiclle 
welch« KiiA Ina der Pnpienirehle in die Kloaie ergfcail, die «Mike Jaturnn, einer dieser Ulche: du Wasier, welches den Fremden mm Ttinlc« 
aaf-ehuWn wird, jrt.l Ac|un di Sin Giorgio genannt, eilt n.xh heule fo eim der besten in Rom. 

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mit Ziegelmauern ausgefüllt, so dass nun «las Gebäude, wenn ich mich so ausdrücken darf, ganz 
zu ist Die runde Cclla des Vestatempels, die sammt der Mauer nur 10 m Durchmesser hat, 
umgibt eine Colonnade von zwanzig korinthischen Säulen aus weissem Marmor; ehemals wölbte 
sich wahrscheinlich über der Höhlung eine Kuppel, jetzt steht ein dürftiges, kegelförmiges 
Holzdach drauf ; es gereicht der Ruine nicht zur Zierde, wirkt im Gegentheil geradezu antipathisch. 

Die Gelehrten halten den Vestatempel, welcher als Kirche S. Stefano delle Carrozze und 
beim Volke S. Maria del Sole heisst, für einen Tempel des Hercules: der Heros, welcher den Cacus 
in seiner Höhle am Aventin erschlug und sich nach erkämpftem Siege seihst einen Altar, die Ära 
Maxima, erbaute, besass allerdings in dieser Gegend mehrere Heiligthümer. Die populäre Bezeich- 
nung ist zunächst durch die nmde Gestalt des Gebäudes veranlasst worden, denn der Tempel, 
auf dessen I lerd das ewige Feuer unterhalten ward, war ebenfalls ein Rundbau; und der Umstand, 
dass ihn l loraz in einer seiner Satiren als eine Station auf dem Wege vom Forum nach Trastevere 
erwähnt, schien diese Ansicht zu bestätigen. Der Dichter wird auf der Via Sacra von einem 
aufdringlichen Schwätzer angepackt; um ihn los zu werden, gibt er vor, Jemanden besuchen zu 
wollen, der weitweg, bei den Gärten Caesars über dem Tiber wohne; aber jener lässt sich nicht 



abschrecken und sie gelangen selbander „ad Aedem Vestae". Ich gebe nun freilich zu , dass die 
beiden Spaziergänger in der Satire etwas lange dazu brauchen; nichtsdestoweniger steht fest, 
dass der Vestatempel am Hauptmarkte lag, der durchaus nicht bis hier hinabgereicht hat — an der 
nördlichen 'Ecke des Vierecks, welches der palatinische Hügel bildet, und an Stelle der Kirche 
S. Maria Liberatrice. Verhüte Gott, dass sich der arme Horaz mit dem lästigen Gesellen noch 
durch die „Tusci turba inpia vici" bis aufs Vclabrum und das ganze Forum Boarium habe 
hinunterschleppen müssen. Wie? Vielleicht hätte er's doch gethan? So wollen wir einmal ver- 
suchen, ob wir ihm begegnen. Kein, es ist nichts von ihm zu sehen, auch beim richtigen Vesta- 
tempel nicht: er hat sich längst aus dem Staub gemacht Aber dafür sind wir von Ungefähr 
wieder auf dem Forum und freuen uns nach unserer Irrfahrt in den südlichen Regionen das 
alte l>ekannte Pflaster zu betreten. Sic nos servavit Apollo. 




Sogtttumler Tonpel da Kwrtani Virilis. 




99 



Die nordöstliche Hochebene 

mit ihren Ausläufarn: Möns Esqulllnus, Collis Viminalis und Collis Quirinalis. 





L 

an hat Messina mit einer Sichel, Amalfi mit einem Hammer verglichen: die sieben 
Hügel, auf denen Rom erbaut ist, lassen sich ungefähr nach dem Schema eines 
$fcteÄk*yf Ankers ordnen, den man von Nordwesten nach Südosten wagerecht über die Stadt 
gelegt denkt Wenn das Ankerkreuz am capitolinischen Hügel befestigt wird, so 
J füllt der eiserne Stiel die tiefe Rinne aas welche, durch den Buckel der Velia unter- 
brochen, vom Capitol bis zum Colosseum läuft, liier, vom unteren Ende des Ankerschafts, 
liehen in entgegengesetzter Richtung zwei gekrümmte Arme aus: der eine nach unten in 
südwestlicher, der andere nach oben in nordwestlicher Richtung, jener den Caclius, den 
Avt-ntin und mit der äussersten eingebogenen Spitze der Ankerflüe den Palatin, dieser 
die übrigen drei Hügel, den Esquilin, den Viminal und den langgezogenen Quirinal 
liiührend. Indessen zwischen beiden Armen besteht ein Unterschied: der südliche ist 
durch Thäler in d/ei Stücke zerschnitten, der nördliche massiv: er bildet einen einzigen, tort- 
laufenden Rücken, eine Hochebene, welche die genannten Berge wie Zungen nach Westen und 
Süden ausstreckt: alle diese Zungen convergiren in der Tiefe, welche, in alter Zeit einer der 
lebhaftesten Thcilc Roms, Subura, die Gegend unten am Berge (fnufit;) hiess. Man kann auch 
den Esquilin als die gemeinsame Basis ansehn und den Quirinal und den Viminal als Ausläufer 
des Esquilin betrachten. Der Weg, den wir vorhin zurückgelegt haben, entsprach dem südlichen 
Ankerarm: wir werden jetzt die entgegengesetzte Curve beschreiben, vom Thale des Colosscums 
aus den Esquilin erklimmen und dem nördlichen Arme folgen bis dahin, wo er in der Tiefe der 
Piazza Barberini, dem Pincius gegenüber abbricht. 

Der eigentliche Esquilin, der gleichsam zwischen zwei Amphitheatern, dem Colosseum im 
Westen und dem Amphilheatrum Castrense im Osten liegt, hat, von kleineren NiveauditTerenzen 
abgesehen, zwei Hauptspitzen, die in der Gegenwart von zwei Hauptkirchen bezeichnet werden: 
die Carinae mit der Kirche San Pietro in Vincoli im Südwesten und die Höhe von $anta Maria 
Maggiore im Norden. Ausser ihnen sind uns noch verschiedene Gipfel des Esquilin, der Cispische, 
der Oppischc, und der Septimische dem Namen nach bekannt, doch hat sie die alles nivellirende 
Zeit längst von seiner Bildnache getilgt Der Umfang des Plateaus beträgt 4 km, seine grösste 
Erhebimg 75 m; an der Subura hat der Esquilin fast gleiches Niveau mit dem Viminal (54 m) 
und dem Quirinal (52 ml. Seit 1870 beginnt er wieder bebaut zu werden, das ganze Terrain ist 
in der Umgestaltung begriffen, ein neues Esquilinisches Viertel im EnLstehen. 

Diese Gegend der Stadt betritt der Reisende zuerst, da der Bahnhof auf dem Viminal 
liegt : die stolze Basilica von Santa Maria Maggiore und die ungeheuren Thermen Dioclctian's 
sind die ersten Eindrücke, die er von der ewigen Stadt empfängt. Ein seltsamer Zufall, oder 
vielmehr kein Zufall, sondern eine innere Nothwendigkeit hat das moderne Ve 

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denselben Stelle entstehen lassen , wo der sechste römische König einen Wall aufführte , damit 
Niemand hinein könnte in Rom : der Wall wurde thalsächlich eingerissen, um den Bahnhof hinein- 
zulegen, und seine Ruinen contrastiren sonderbar mit den hier mündenden Schienenwegen und den 
Ankunfts- und AbfahrLshallen, die ältesten Rauten mit den jüngsten. Wir haben bereits Gelegenheit 
gehabt, von der Mauer des Servius Tullius zu sprechen. Dieser König, der selbst auf dem 
Esquilin wohnte, umgab das ganze, durch Hinzufügung der nordöstlichen Hochebene vergrösserte, 
städtische Gebiet mit einer Befestigung. Eben der Nordosten war die schwächste, feindlichen 
Angriffen am meisten ausgesetzte Stelle: ejuer über das breite Plateau, welches der Ksquilin, 
Viminal und Quirinal zusammen bildeten, wurde daher als Bollwerk der dahinter liegenden Stadt 
ein starker Erdwall, der Agger Servii Tullii, aufgeschüttet. Er war ungefähr 16,25 m breit ""d 
19,5 m hoch, und mit Thürmen und einer Brustwehr zur Deckung der auf ihm stehenden Ver- 
teidiger versehn: vor dem Walle ein 32 m breiter, 9,75 m tiefer Graben. An der Porta 



Esquilina en- 
dete der Wall 
im Süden; von 
hier lief die 
Befestigung 
als bethürmte 
Mauer (Mu- 
rus) um den 
Caelius und 
den Aventin 
herum , auf 
den Hügelab- 
hängen hin bis 
an da Tiber 
(Porta Trige- 
mina). Von 
der Porta Tri- 
gemina ah bis 
zur Porta Flu- 
mentana un- 
terhalb der 




Südwestspitzc 
des Capitols 
gab es, wie 
es scheint, 
keine Mauer, 
weilderStrom 
hinlängliche 
Sicherheit ge- 
währte. An 
der Porta Flu- 
mentana fing 
die Befcsti- 

gungslinie 
wieder an 
und zog sich, 
die Fläche 
des Marsfel- 
des aus- 
schliessend, 
an den Ab- 
hängen des 



Capitols und des Ouirinals hin, bis sin das nördliche Ende des Walls bei der Porta Collina 
wieder erreichte. Beide, Wall und Mauer, pflegen unter dem Begriffe des Servischen Mauer- 
kreise* im weiteren Sinne (Munis Servii Tullii) zusammengefasst zu werden. Die Zahl der Thore, 
welche ihn durchbrachen, ist ungewiss und die Lage mehrerer zweifelhaft. Plinius giebt aller- 
dings ihre Zahl auf siebenunddreissig an; gewiss aber hat er dabei viele jüngere, secundäre 
Pförtchen mitgezählt, die der Communication zwischen dem inneren Bezirk und den Vorstädten 
dienen sollten, da die Mauern Servius Tullius* von dem ausgewachsenen Rom längst gesprengt 
worden waren. Der Bogen des Galiienus, den wir gleich näher betrachten werden, bezeichnet 
die Stelle der Porta Fsijuilina am Südendc des Walls, wo die Via Praenestina und die Via Labi- 
cana ihren Anfang nahmen; er ersetzte sie wahrscheinlich. Bis zu ihm liess «ich noch vor kurzem 
die durch eine starke Erdböschung gestützte Mauer des Walls und der breite Graben davor 
verfolgen ; jetzt steht nur noch auf Piazza Manfredo Fanti, mitten in dem neuen, von italienischen 
Namen widerhallenden Ouartier ein Rest des Walles, ein anderer beim sogenannten Auditorium 



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des Maecenas an der Via Merulana. Das bedeutendste und Unterhaltene Stück des Servius- 
walles aber ist durch Abtragung des .klonte della Giustizia" an der Nordostseite der Hahnhofs- 
gebäude blossgelegt worden: das Hauptzollamt (Dogana Centrale) liegt gerade mitten drin. Rom 
halte damals die Grösse Athens: zehn Kilometer im Umkreis. 

Die Servische Mauer war gleich einem künstlichen Kamme <|ucr über den Esquilin 
gelaufen: die Aurelianische umschloss ihn gleich einer Schnur, die in seine Flanken einschnitt. 
Die Stadt, die wie ein Hühnchen aus dem Ei geschlüpft war und nur die alte Schale noch mit 
sich herumtrug, wurde von Auguxtus in vierzehn (Quartiere, sogenannte Regionen eingetheilt , die 
wieder vermöge einer Unterabtheilung, analog den Sacellen des Servius Tullius, in einzelne 
Gründe (vici) zerfielen; von denen kamen ganz oder theilweise vier auf die drei nordöstlichen 
Hügel, nämlich Nummer 3" (Isis et Sera] >Ls. die Carinae), 5 (Es<|uiliae), 6" (Alta Semita, d. i. I loher 
Weg. Quirinal, Viminal und ein Stück des Hindus) und 7° (Via Lata, d. i. Breite Strasse, der 



westliche Ab- 
hang desOui- 
rinal mit dem 
anstossenden 

Theil iles 

Marsfeldes). 
Das Glacis 

viruandelte 
Maecenas ge- 
nau so, wie 
es bei uns 
zu geschehen 
pflegt, in eine 

Promenade. 
Als nun in 
den Zeiten 
des Verfalls 
wo die Stadt 
aufhörte Re- 
sidenz zu sein 
und die In- 




M.-Hirr ttr* Set-Tip, Tullittv 



vasiou dir 

Harba/en 
drohte, Kai- 
ser Aurelian 
daran dachte, 
Rom aber- 
mals mit ei- 
ner Mauer zu 
versehen, die 
Probus 176 

vollendete 
und Horton w 
zu Anfang 
des 5. Jahr- 
hunderts wie- 
derherstellte: 

so musste 
diese Mauer, 
um die neuen 

Stadttheile 
mit izu um- 



spannen, wie ein Gummiband ausgedehnt und in die Länge gezogen werden. Dabei führte man 
ihre Linie auf dieser Seite durch mehrere hervorragende Punkte, an denen man sich ihren Lauf 
am besten merken kann. Das grosse verschanzte 1-ager an der Nordostecke der Stadt, wo die 
kaiserlichen Gardetruppen (milites praetoriani) kasernirt waren, von Tibcrius in der kunstvollen 
Form der römischen Castra aufgeführt, wurde der Aurelianischen Mauer, aus der es viereckig 
vorspringt, einverleibt: es ist der in neuerer Zeit vielgenannte Campo di Maccao, auf dem der 
König am Verfassungsfest die grosse Parade abhält. Der Name erinnert an eine chinesische Insel 
und rührt wirklich von derselben her; das Lager der Praetorianer befindet sich nämlich in einer 
grossen Vigna, die zu dem Noviziatc der Jesuiten gehörte und der Mission in China zu Ehren 
„il Maccao" getauft ward. Die Schüler der Propaganda kamen wöchentlich einmal zur Erholung 
in den „Villino de' Gesuiti". Ein grosses Amphitheater weiter im Süden, das backsteineme, 
52 m in der grossen Axe haltende Amphitheatrum Castrcnse ging ebenfalls als ein einfaches 
Glied in die mächtige Kette ein. Endlich wurde zwischen diesen zwei ausschlaggel)cnden Punkten 



102 



ein ehrwürdiges Monument, welches Claudius für seine beiden Wasserleitungen, die Claudia und 
den Anio Novus errichtet hatte, von Aurelian zu einem Thore der neuen Stadtmauer benutzt, 
und dieses Thor, Porta Pracncstina genannt, nur wenig unterhalb der Porta Tiburtina, ist 
die gegenwärtige Porta Maggiore, will sagen das Grosse Thor, zu dem man hinausgeht, wenn 
man von Rom nach Palestrina will 

Die Aqua Claudia und der Anio Novus, beide von Caligula 36 n. Chr. begonnen und 
von Claudius im Jahr 50 vollendet, sind, was Schönheit des Baues und stilvolle Ausfuhrung 
anbelangt, die vornehmsten Aquaeducte der wasserreichen Stadt- Jedermann kennt die Moch- 
• luellon Wasserleitung Wiens, die auch nach ihrem Schöpfer Kaiser-Franz-Josephs-Hochi|uellleitung 
heust; sie führt der Capitale in einem neunzig Kilometer langen gemauerten Kanal reines und 




frisches Quellwasser aus dem Gebiete des Wiener Schneebergs, des Ostcaps der Alpen zu, bald 
durch Stollen, bald über mächtige, oberirdische Brücken taufend. Was dieses grossartige Werk 
für die österreichische, das war die zwiefache Wasserleitung des Claudius für die alte Kaiserstadt. 
Die Aqua Claudia, nach derMarcia die vorzüglichste, begann bei dem 45. Meilenstein der nach Subiaco 
führenden Via Sublacensus: sie durchlief im Ganzen achtzig Kilometer, auf Bogen sechzehn Kilo- 
meter. Der Anio Novus begann beim 6i. Meilenstein an derselben Strasse ; seine I-änge betrug 
hundert Kilometer, die Höhe seinef- Bogen bis zu dreissig Metern. Beide Leitungen wurden also 
von den Quellen des Anio gespeist, der in den Simbriviner Bergen, am Rande der marsischen 
Hochebene entspringt — die Alten rühmten die Klarheit, Lieblichkeit und Frische seines Wassers ; 
beide stellten gewissermassen einen cingefangenen und gezähmten Anio dar, ja gaben ihm, der bis 
zu seiner Mündung in den Tiber hundertundzwanzig Kilometer braucht, an I-änge wenig nach. Warum 

103 



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ihn wohl die Römer an seinem Quell aufsuchten? Warum sie so tief in's Gebirge und so weit 
hinaus über Tivoli gingen , wo der Fluss bedeutende Fälle bildet ? Ah, offenbar, weil sie reines 
und köstliches Bergwasser trinken wollten, das noch nicht durch die Erden und den Schwefel der 
Ebene getrübt war — von Tivoli ging in der That eine alte Wasserleitung, der von Marcus 
Curius üentatus gestiftete Anio Vetus, aus; damals, im Jahre 273 v. Chr., konnte man sich so gutes 
Wasser noch nicht bezähmen, es wäre zu kostspielig gewesen ; den Luxus gestattete sich erst der 
Kaiser Claudius. Genau so Hessen sich die Wiener, ehe ihnen der Kaiser Franz Joseph und der 
Graf Hoyos - Sprinzenstein die drei Schneeberger Quellen schenkten , an der Kaiser - Ferdinands- 
Wasserleitung genügen. Auf der Fahrt nach Tivoli und nach Subiaco, in das so classische. wie 
romantische Thal des Anio, hat man die riesenhaften Reste der Kaiser-ClaudiusHochquellleitung 
beständig wie Wegweiser zur Seite. 

Nun beide Leitungen, die Aqua Claudia und der Anio Novus, vereinigten sich, in zwei 
Kanälen übereinander auf denselben Bogen lliessend ; und die Porta Maggiorc war ursprünglich 
nichts weiter als ein 14m hohes Bogenpaar, eingerahmt von drei niedrigeren, gegiebelten Bogen 
in Travcrtin und deshalb besonders hervorgehoben, weil es* zwei grosse Strassen, die Via Labicana 
und die Via Praenestina, überbrückte; Labici und Praeneste, da* heutige Palestrina, waren zwei 
alte, am Abfalle des Gebirges gelegene Städte Latiums. Drei Inschriften am Gesims, welche; 
Claudius als Stifter, Vespasian und Titus als Wiederhersteller des Aquacductes nennen, beweisen 
das; die oberste lautet wörtlich: 

TKXAVMWDRVSI F^\IS^R AVGVS'nsvr.ER>L\NICV^PC)\T^ MAXIM 
TRIBVNICIA -TO TKSTATK XII COS VIMPKRA Ii IRXXV1I IKK VA TRI AK- 
AQVAM I.AVWAM FXFOOTIBVS QVI 

1TKM ANIKNEM-NOVVM'A'MII.LIARKH.XII-SVA-IMI'ENSA-INA'RBKM-I'KRI A'CKNDAS'CVRAVIT. 

Von hier wurde die Aqua Claudia nachmals durch Nero beim Tempel der Spes Vetus abgeleitet 
und über die bereits erwähnten herrlichen Bogen auf den Caclius in den Tempel des Claudius 
geführt, allwo sie sich in die Reservoirs (Castella) der Marcia und Julia ergoss. Ein ganz ähn- 
liches, der Vereinigung dreier Aquaeducte, der Aqua Julia, Tepula und Marcia, gewidmetes 
Monument steht vor der benachbarten Porta Tiburtina; doch Ist das unsrige das imposantere. 
Als Aurelian seine Mauern zog und das feste Gebäude zu einem Thore benutzen wollte, eignete 
es sich um so besser, als es durchweg Bäuerisches Werk (Opus Kusticum), und nicht nur die 
Mauern, sondern auch die Säulen, welche das Gebälk der kleineren Bogen trugen, quadersteinartig 
und rauh bekleidet waren ; eben diese Mauerbekleidung aber, welche einen gewissen schwerfälligen, 
massiven Charakter hat, wird ja auch bei uns für die l'ntcrstocke von Stadtthoren gern gewählt. 
Honorius setzte später auf der Ausscnseitc, die unterbrochene Stadtmauer ergänzend, zwei neue 
Thore an, deren Zinnen klein und schmarotzerhaft durch die Wölbungen des riesenhaften Baues 
hereinschauen. Im Mittelalter ward er von den Colonna zum Kern einer Burg gemacht und zu 
diesem Zwecke wieder hinter dem I lonorius'schen Thore ein babylonischer Thurmbau aufgeführt : 
den Colonna, deren wichtigste Besitzung die Stadt Palestrina war, musste das Palcstrineser Thor 
am besten passen. Von allen Monumenten Roms hat dieses eine kriegerische Bestimmung am 
längsten beibehalten. Erst 183 8, unter Gregor XVI (der den nördlichen Durchgang der Accise 
wegen wieder vermauern Hess), wurde das edle Gebäude des Claudius wenigstens von jenen 
barbarischen Vorwerken entlastet, und bei dieser Gelegenheit im Kerne eines Thurmes das Grabmal 
des Bäckers Breitschild (Kurysaces) aus der letzten Zeit der Republik entdeckt : es besitzt die 
Gestalt eines Backofens, auf dem Getreidesäcke liegen; am Friese hat der unsterbliche Philister, 
zugleich Bäcker und Müller, den ganzen Apparat seines ehrsamen Dopiiclhandwcrks, das bereits 
damals einen goldnen Boden gehabt zu haben scheint, in Relief abbilden lassen — Backöfen 

104 



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und Mühlen, Teigrollen und Mehlsiebe, Brodwagen und Eichscheffel. Von Plinius wissen wir, dass es 
erst seit dem Jahre 185 v. Chr. professionsmässige Bäcker (Pistares) in Rom gab; bis dahin war 
das Kommahlen und das Brotbacken als eine häusliche Operation hetrachtet worden, die jeder 
selbst verrichtete, genau so wie sich jede Familie selbst ihre Suppe kocht. Nach dem macedo- 
nisehen Kriege bildete sich zwar eine selbständige Bäckerinnung, doch schloss sie wiederum 
embryonisch ein anderes Handwerk in sich, das sich seinerseits erst viel später emaneipiren sollte : 
die Müllerei. Jeder Bäcker mahlte sich das Getreide, das er brauchte, selbst, genauer, stampfte: 
es sich selbst, denn das Korn in einem Mörser zu stampfen war die älteste Methode der Mohl- 
bereitung; Mahlmühlen und Mühlsteine, durch Sclaven, Vieh, Wasser, Wind getrieben, sind abermals 
von jüngerem Datum : das Wort Pistor, so viel wie Bäcker, bedeutet eigentlich einen Stampfer und 
erst im Anschluss daran einen Müller und, weil damit verbunden, einen Bäcker. Unser Eurysaces, 
ein Grieche, buk vielleicht den Marius und den Cicero das berühmte Athener Weissbrod, wie 
Ade oder Meyer den heutigen Kömern Wiener Brod bäckt: in Gedanken sehen wir aus seinen 
Oelen. mit seiner Schutzmarke versehen, tausend runde in Sectoren eingetheilte Maden, die Olx-r- 
kruste mit Mohn, die Unterkruste mit gehackter Petersilie bestreut, hervorgehen. 

11. 

Nachdem wir unser Gebiet im Vorigen mit 1 lülfe der zwei Mauerlinien umrissen haben, 
wenden wir uns gegenwärtig zur Betrachtung der innerhalb dessellwn versteckten Reste des Alter- 
thums. Wir beginnen dabei mit den Titusthermen , deren mächtige Trümmer auf den Carinen, 
einige hundert Schritt vom Colosseum, im linken Schultergelcnk des Ankers belogen sind. 

Ebensoviel wie Noro's Goldenes Haus verschlungen , gab es wieder von sich: es glich 
einer Riesenamme, die, unfähig, sich selber geschlechtlich iörtzupllanzen . «wischen zwei ähnliche 
Generationen trat. I )enn der Stadt Rom ging es wie einem Kinde, das vom tyrannischen Vater 
zu hart geschlagen worden ist und nun von einer zärtlichen Mutter zur Entschädigung mit Lieb- 
kosungen überhäuft und mit Süssigkeiton gestopft wird ; statt des Spielzeugs, das man ihm weg- 
genommen hat. bekommt es ein anderes und es steht sich schliesslich in Folge seines Verlustes 
besser als zuvor. An Stelle des grossen Teichs erhob sich das Colasseum, an Stelle des Pavillons 
(den Titus ursprünglich selbst bewohnte) erhob sich ein glänzendes alle damals vorhandenen an 
Geräumigkeit und Comfort übertreffendes Badehaus. Das sind die Thermae Titianae. hinter die 
später, ebenfalls auf dem Esquilin, die kleineren des Trajan zu liegen kamen; eine Pest hatte 
vielleicht Titus' Aufmerksamkeit auf die öffentliche Gesundheitspflege gelenkt und ihn veranlasst, die 
Schuld Nero's nicht blos durch ein luxuriöses Amphitheater, sondern auch durch eine gemeinnützige 
Anlage zu sühnen. 

Wahrscheinlich wollte er, dessen Menschenfreundlichkeit durch so viele grosse nationale 
Unglücksfälle auf die Probe gestellt ward, zugleich den Schaden wieder einigermaassen gut machen, 
den ein elementarer Nero in der Stadt angerichtet hatte, nämlich eine schreckliche, drei Tage und 
drei Nächte wüthende Feuersbrunst 

Die: Tilusthennen samt den dazu gehörigen sieben Reservoirs (Sette Sale) sind weniger 
an sich als vielmehr durch die Kunstwerke, die sie enthielten, berühmt geworden : sie waren eine 
reiche Schatzkammer des Alterthums. Als man sie zu Rafaels Zeit auf der Suche nach Statuen 
entdeckte, waren es vornehmlich die an den Gewölben befindlichen Aralveskon und Stuccaturen, 
welche mit ihrer reizenden Phantastik, ihrer anmuthigen Bizarrerie die allgemeine Bewunderung 
erregten, nachdem sie ihrerzeit von Vitruv und Plinius hart getadelt worden: diese Deco- 
rationen, aas wunderlich verschlungenem Laub- und Thierwerk zusammengesetzt, machton damals 

IT 

I05 



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mehr Aufsehen, als .sie heutzutage machen würden, weil man Herculanum und Pompeji noch nicht 
konnte, und sollen neben denen des C'olosscums Giovanni da Udine und dem grossen Maler selbst 
die Vorbilder für die Loggien im Vatican geliefert haben. Bekanntlich war die ganze antike 
Malerei wesendich eine solche Ornamentalmalerei, nämlich einerseits Wandmalerei al Fresco oder 
in enkaustischer Manier, andererseits Vasenmalerei. Unter den grösseren, auf gelbem und rolhem 
Grunde ausgeführten Scenen glaubte man eine heute noch beliebte zu erkennen : den Coriolan, den seine 
Mutter zum Rückzüge bewegt. Man nannte diese unterirdischen Zimmer und Gänge Keller oder 
Grotten (grotte = cryptac) und danach elegante und phantastische Verzierungen im Stil der Titus, 
thermen überhaupt Grotesken (it. grottesche, fr. grote.v|ues), woraus unser Ausdruck «Grotesk» für 
eine Gattung des Närrisch-Seltsamen, des Niedrig-Komischen hervorgegangen ist. 




Pie RcMrroirc 'ler Ticuitbcnoea, genannt „Le Settc Sole". 



In dem langen, durch sechzehn Fenster mit Oberlicht versehenen Corridor, welcher den 
nördlichen Abschluss der Anlage gegen die Gärten hin bildete, bemerkt man nicht weit vom 
Eingang rechts unten an der Wand zwei aufgerichtete Schlangen (duos anguesj mit einem Altar in der 
Mitte. Dies ist keine Groteske, sondern eine zarte Erinnerung an den .Genius loci," der diese 
Räume überwacht, dem Kreuz zu vergleichen, welches man im modernen Italien oft an die Mauer 
malt. Ks deutet symbolisch an, dass hier in den Thermen des Titus „Verunreinigung verboten" 
ist Wem diese Symbolik zu fein sein sollte, für den steht explicite, mit göttlicher Grobheil 
die antike Verwünschung da: 

1 IV< N >K< IM l)K< >S KT I »KANAM KT J< >VKM OlTVM V M. 
M.VXVMVMIkA TOS HAHKATQVISQX IS1MO 
MINXKR1 I AV1 < Ai: \RIT. 



106 



Bei den sieben Reservoirs, wohl nur zufallig nicht in den Bädern selbst (in dem Saale 
des „Coriolan") wurde im Januar 1506, von einem gewissen Feiice de Frcddi, im Beisein 
zweier grosser lebenden Küasder das Wunder der Kunst fil Portento dell'.arte) ans Licht hervor- 
gezogen — die Laokoongruppe, 

Versetzen wir uns einen Augenblick in jene empfangliche, für Alterthum und Kunst glühende 
Zeit, wo die Morgenröthe eines herrlichen Jahrhunderts aufging. Kaum war der genannte Schatz- 
gräber in 
seiner Vigna 
auf das be- 
wunderungs- 
würdige 
Denkmal der 
griechischen 
Kunst gc- 
stossen , so 
hatte er auch 
die Ahnung, 
dass es ihm 
geglückt sei, 
einen wirk- 
lichen Schatz 
zu heben. Kr 
schickte Bo- 
ten in den 
Vatican, es 
dem Papst zu 
melden. Der 

ehrgeizige 
Julius sah auf 
von der Po- 
litik; er liebte 
die schönen 
Künste und 
Wissenschaf- 
ten: sie sind, 
pflegte er zu 
sagen, Silber 
für das Volk, 




fcjgc* lies. GalJkfliu. 



Gold für den 
Adel und für 
einen Fürsten 
Demantstein. 
Der Baumei- 
ster Giuliano 
da San Gallo, 
gerade wie- 
der in Rom, 
ward abge- 
ordnet ; die- 
ser nahm Mi- 
chel Angelo 
mit, und beide 
Künstler be- 
fallen sich 
an Ort und 
Stelle. Sie 

stiegen zu 
den Ausgra- 
bungen hinab 
— „das ist 
Laocoon, von 
dem Plinius 
redet !" rief 
der gelehrte 
Architect; in 

der That 
preist Plinius 
die Grup|)e 
alsdiebcdcu- 
denste Lei- 



stung aller Zeiten; derselbe Plinius erwähnt, dass sie den Palast des Titus schmückte. — „Ein 
Wunderwerk, ein ewiges Wunderwerk !" wiederholte Michel Angelo begeistert, „aber Plinius schreibt, 
die Gruppe sei aus einem einzigen Marmorblock verfertigt, und hier bemerke ich eine Fuge". — 
„Und der rechte Arm des Vaters fehlt," erwiderte Giuliano, „er muss sich ausstrecken, um die 
Schlange abzuhalten: Simul manibus tendit divellere nodos, heisst es bei Virgil." — „Wer darf 
es jemals wagen, dergleichen zu ergänzen?" bemerkte der grosse Künstler, der sich vielleicht in 
diesem Momente?, beim Anblick des schmcrzcrtullten Vaters, daran erinnern mochte, wie er selbst 
in einer Jugendarbeit den erhabenen Schmerz einer Mutter darzustellen versucht hatte. 



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Abo feierte die Laokoongruppe ihre „Renaissance". Freddi trat sie dem Heiligen Vater 
ab und erhielt dafür mm Lohne die Hälfte der Accisen an der Porta San Giovanni iintroilum et 
portionem gabdlac portae Sancti Joannis Latcrancnsis): er wurde also Thorschreiber; Imo X übertrug 
ihm statt dessen durch ein Breve vom November 1517 das Officium scriptoriac ai<ostolicae_ 
Wie ein grosser Entdecker wurde er in der Basilica von S. Maria in Araceli auf dem Capitol 
nehrn dem Reisenden Pictro della Valle und dem Bcschreiber Roms Flavio Biondo di Forli l>eigesetzt. 

Hl. 

Die sich an den Vignen des Ks<|uilin hinwindende Via delle Settc Sale mündet in die 
öde \ r ia di S. Pietro in Vincoli, und durch sie gelangen wir in die Gegend der Stadt, welche 
im Mittelalter von einem Palaste der Cornelius Morula (Domus Merulana) den Namen La Merulana 
führte. Via Merulana heisst die grosse, einen Kilometer lange Strasse von S. Maria Maggiore bis 
zum Lateran. An derselben halbwegs ist 1874 ein antiker Hörsaal (Auditorium) ausgegraben 
worden , wo die Celebritäten der Zeit Vorträge gehalten haben . ungefähr von der Form eines 
anatomischen Theaters. Da das Gebäude zu den fast den ganzen Fsrjuilin bedeckenden Gärten 
des Maecenas gehurt haben soll, so konnte es auch ein theatralischer Abschluss einer grossen Mittel- 
perspective gewesen sein. In diesen Gärten wurde im Jahre 1006 beim Bogen des Gallienus die 
Aldobrandinische Hochzeit aufgefunden; in denselben hat man die schönen Odysseelandschaflen 
entdeckt, welche mit jenem grossen Gemälde in dem Gabinetto delle Pitturc antiebe der Vatica- 
nischen Bibliothek untergebracht sind, l'nter ihnen befindet sich eine, deren Sujet dem eilften 
Buche entnommen ist — man sieht in den Fingang der Unterwelt, ein natürliches Felsenthor, 
am westlichen Fnde des Weltstromes hinein: hier, vor den kraftlosen Schatten steht Odysseus 
(OJtVK)C), den Tiresias (/ TJEII'ECIM?) über den Modus seiner Heimkehr zu befragen; Perimedes 
und Furylochos haben ein schwarzes Schaf geopfert; oben am Felsenhang sitzt trauernd der 
eben verschiedene, schneller als Odysseus mit seinem Schiff angelangte Flpenor (K.tMtSur). Die 
Kimmerier lagern, begraben in Finstcrniss, umher, weisser Asphodclus schiesst auf, es riecht nach 
dem moderigen Hades, feucht und dumpf. Wie sonderbar! Ehe Maecenas unsern Hügel in den 
prachtvollen Park verwandelte, dessen Pavillons diese Gemälde schmücken mochten, war der 
Es<|uilin ein solcher Hades — das felsige Plateau durchsetzten Massimgruben , die sogenannten 
Puticuli, in welche, wie dies noch heutzutage in Neapel geschieht, die Sclavein die Armen und 
die kleinen Leute, die kein eigenes Grab erschwingen konnten, zu Haufen geworfen wurden: 

Hoc miscrac ptetn stabat commune scpulcrum (Hör. Su. I, S\ 
Horaz, der oft hier eingesprochen hallen mag, hatte auf dem Esijuilin noch einen andern Freund, 
L. Aelius I«amia, in dessen Gärten ebenfalls 1874 die Venus vom Fsquilin gefunden ward. 

Von der Via Merulana zweigt links die Via di S. Vito ab und diese führt unter dem bereits 
erwähnten Gallienusbogcn durch, welcher, neben der gleichnamigen Kirche eingeklemmt, im Volks- 
munde Arco di San Vito heisst. Zwischen ihm und der Kirche S. Maria Maggiore lag die Markt- 
halle der Livia (Macellum Livianum). 

Der Kaiser Gallienus war alles — Redner, Dichter, Gartenkünstler, Gastrosoph, ein Liebhaber 
des Neuplatonismus — als Plotinos vorschlug, in Campanien einen platonischen Musterstaat, eine 
Platono]H>lis zu gründen, ging er mit Begeisterung darauf ein - er hatte eine bedeutende Frau, 
Cornelia Salonina, zur Gemahlin, die im Jahre 368 Augenzeugin seines Falls in Mailand wurde — 
nur war er kein Fürst : seine ästhetischen Neigungen stimmten wenig für jene wilde Zeit. Wenn 
daher ein einfacher Privatmann, M. Aurelius Victor, vielleicht ein Vorfahr des Historikers, auf die 
Idee kam 



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'lllth fllt\ i.'iji, Htfuiov Ti$atttlau. 


Siehe, da kam der Schatten Tiresias de« 'lliehanen, 




In der Hand ein Scepter, und wie er mich kannte, 


Ihm 


so rief er: 


„Ji'JffK, ^xaepllutfq, .10/1 /if^in 1 ' Vy.JiacM . 

t»?t»' biV, ij «Ji'Orrrr, imür y«o s - ./.mwi 
f{lv&K, IJr; «<d tri»ß.r»rr 


„Kdler Si ihn des l.aertes, erfindungsreicher Odysseus, 
Mann de» Jammers, was trieb dirh, da» lirht der 

Sonne iu lassen 
Und hinab «1 der Todtcn trübseligem Hause tu 




steinen ? 


n'/i' «.-r<ir«J>» (li&(fot; Smtfxt ii <f< oyumv 


Akt weiche iiiruck und stecke das blitzende 


m, 


Schwert ein, 


alfttttot i\<fQu .-»im xni 101 n«i(iiii »In»." 


Dass ich vom Blute koste und dir die Wahrheit 
verkünde." 


Odruee XI, 90 «. 



Odysscus in der Unterwelt, Wandgemälde vom Esquilin. 



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i Googljr 



GAUJENCKXEMKNTlSSIMO-nUNCiro 
CVIVS INVICTA MRTVS- 
SOLAPIETATESVI'ERATA EST- 

nebst der schönen und heldenmüthigcn Salontna einen Triumphbogen in Travertinquadern zu er- 
richten, von welchem noch der mittlere Durchgang erhalten ist, so mag derselbe als ein Aus- 
druck persönlicher Verehrung für das Kaiserpaar aufzufassen sein, das menschlich gewiss recht 
liebenswürdig war, aber auf dem Throne getadelt wird. Menschen zu sein, verbietet man den Kaisern. 

Als die Römer am 6. Januar 1 200 Yiterbo besiegt hatten, hingen sie die Schlüssel dieser 
Stadt als Trophäen am Bogen des Gallienus auf. Vielleicht dass sie gerade auf ihn verfallen 
waren, weil in unmittelbarer Nähe, in den Nischen einer grossartigen Fontaine, des monumentalen 




Sogenannter Tempd der Minerva Mexico. 

Reservoirs der A<|ua Julia, zwei antike Trophäen standen, die Trophäen des Marius, auch kurzweg 
Cimhern (Cimhri) genannt. Dem Besicger der Cimbcrn waren seinerzeit dergleichen gestiftet 
worden, die Sulla umstürzen und Caesar als curulischer Aedil gegen das Gesetz von Neuem 
aufrichten liess; mit Thränen im Auge konnten die Veteranen eines Morgens den geliebten Feld- 
herrn nebst den Zeugen seines Ruhms auf dem Capitol im alten Glänze wieder erstehen sehen. 
Für besagte Trophäen wurden nun im Mittelalter die obigen gehalten, um so mehr gehalten, als 
an dieser Stelle einmal ein Siegesdenkmal des Marius gestanden haben soll; ja, in diesem Glauben 
wurden sie 1585, unter dem Ponttticate Sixtus' V. wirklich dem Capitol zurückgegeben und vorn 
auf der Balustrade zu beiden Seiten der Dioskuren aufgestellt Hier stechen sie dem Sohn der 
jütischen Halbinsel heute noch in die Augen , und es ist sinnreich , dass er die vortrefflichen 
Werke samt dem gefangenen Knaben wirklich nicht ohne alle Wahrscheinlichkeit auf sich und 

M 

109 



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das 



sein Volk beziehen darf — dass er vielleicht in der That die Trophäen des Marius vor sich hat. 
Das heisst, in Marmor und in effigie, denn ein Tropaeum war eigentlich ein Baumstamm, der auf 
dem Schlachtfeldc selber vom Sieger aufgepflanzt und mit diversen Beutestücken behangen ward. 
Die Ruine der Fontaine heisst beim Volke nach wie vor Trofci di Mario; jüngst restaurirt, füllt 
sie eine Ecke der weitläufigen, wüsten Piazza Vittorio Emanuele, ein tausendjähriges Monument 
auf einem Platz von gestern. Die Anlagen und „Gründungen" der „Societä Fondiaria" waschen 

einer Kuppel 

überwölbt, 
die an Mäch- 
tigkeit nur 
vom Panthe- 
on übertrof- 
fen wird. Fast 
ganz einge- 
stürzt , von 
Epheu und 
Buschwerk 
umwuchert, 
gewährt es in 
seinem Ver- 
falle ein noch 
malerischeres 
Bild. Man er- 
klärte es für 
den Tempel 
der Minerva 
Medica , der 
angeblich auf 
dem Esquili- 
nischen Felde 
stand , weil 
der Sage 
nach in ihm 
die schöne 
Pallas Giusti- 
niani gefun- 
den ward, 
eine Minerva, 



Terrain 
aus , über- 
schwemmen 
Kohlgärten 
undArtischo- 
kenbecte wie 
eine Sturm- 
Hut ; bereits 
haben sie 
noch eine an- 
dere Ruine 
erreicht — 
den interes- 
santen , täg- 
lich vom Ei- 
senbahnzug 
gestreiften 
Tempel der 
Minerva Me- 
dica. 

Vor uns 
liegt ein Zehn- 
eck von 50 m 
Umfang, mit 
einer grossen 
Nische und 
einem Fen- 
ster an jeder 
Seite, die Fin- 

gangsseite 

ausgenom- 
men, und mit 

zu deren Füssen sich eine Schlange ringelt : diese Schlange, eigentlich die athenische Burgschlange, 
wurde hier wie das Attribut Aesculaps, nämlich als Symbol der I leilkraft aufgefasst und die Statue 
deshalb Minerva Medica getauft. Alles das ruhte aut schwachen Gründen, und ausserdem stand damit 
der volksthümliche Name der Ruine: Le Terme di Galluccio, abgekürzt Le Galluzze, in Wider- 
spruch, welcher auf voraussctzliche Thermen des Gaius und Lucius, obscurer Enkel des Augustus 
(Thermae Gaii et Lucii) zu leiten schien ; stellte doch auch das Pantheon den Rest einer Thermen- 
anInge dar. Wir schweigen von andern Vermuthungen. Galluccio und Galluzzo kommen als Orts- 
namen auch anderwärts, z. B. bei Florenz und bei Caserta vor, beide Formen sind unverkennbare, 




Trinpcl» der Mioera Medici. 



I 10 



auf gewöhnlichem Wege abgeleitete Diraüiutiva des gemeinen Namen* Gallo und haben mit 
<iaius und Lucius schwerlich etwas zu thun; man begreift kaum, wie ein der italienischen Sprache 
auch nur einigermassen Kundiger, ja ein Italiener selbst auf eine so abgeschmackte Etymologie 
gerathen kann, die durch kein historisches Zeugniss bestätigt wird, denn Niemand weiss etwas von 
Thermen eines Gaius und Lucius. Wahrscheinlich verdankt der Zusatz ,di Galluccio' seine Entstehung 
lediglich dem Umstand, dass das Gebäude von einem Gallo, nämlich dem Architectcn Antonio 
da San Gallo, dem Aelteren, vulgo Galluccio, um 1500 gezeichnet worden ist; diese Zeichnung, 
auf der unsere ganze Kcnntniss des ursprünglichen Plans beruht, wird noch in der Barnerinischen 
Sammlung aufbewahrt «Le Terme di Galluccio» ist dasselbe wie «Le Logge di Raffaello.. 

IV. 

Der Viminal, dessen Name an die diesen Hügel einst bedeckenden Wcidichte (Viminal erinnert, 
in der Mitte zwischen Es.|uilin und Quirinal gelegen und individuell am schwächsten ausgeprägt 
wurde, im Gegensatz EU dem vornehmen es<|ui!inischen Quartier, gleich den Abhängen des Quirinal, 
von der ärmeren Gasse, unter Andern der Legende nach von den ältesten Christen bewohnt, 
wofür nicht nur die hier gefundenen kleinen Häuser, sondern auch die zahlreichen Thermen dieser 
(iegend sprechen — Thermen waren nicht nur die Bäder, sondern auch die Paläste und die 
Casinos des Volks. So kam denn auf den Viminal, genauer auf die Scheide zwischen Viminal, 
Quirinal und Servius- Wall um 303 n. Chr. auch jener Riesenbau zu stelTn, dem fast alle hier befindlichen 
Trümmer angehören: die Thermen Diocletians welche dieser Kaiser in Gemeinschaft mit seinem 
Mitregenten Maximianus anlegte und die zu vollenden den jüngeren Caesaren, Constantius und 
Galerius, seinem Adoptiv- und Schwiegersohn vorbehalten war. Die grössten Thermen unter allen, 
fast doppelt so umfangreich als die des Caracalla, mit dreitausend Badezellen und zweitausend 
vierhundert Marmorsesseln, verbunden mit einer Bibliothek, einer Gemaldcgallerie, < Pinacotheca I, 
einem Conccrthaus (Odeumi und einem Conversationssaal (Exedraj; letzterer, an der südwestlichen 
Grundlinie des grossen Parallelogramms gelegen, welches die Umfassungsmauer bildete, schloss 
wie gewöhnlich mit einer runden Ajjsis ab, in welcher die Stühle standen, und diese Apsis (derselbe 
mächtige Halbkreis, den die hier anhebende Via Nazionale in zwei Quadranten zerschneidet) sprang 
wie der Halbring eines Transporteurs mitten aus der Grundlinie heraus, deren Endpunkte zwei 
andere Rundgebäude, die Kirche S. Bemardo und das Gefängniss vis-a-vis bezeichnen. Von 
den Thermen heisst der römische Bahnhofsplatz Piazza di Termini neuerdings pedantisch Piazza 

■ 

delle Terme). 

Beim Bau des Colosseums mussten Juden, beim Bau der diocletianischen Thermen Christen 
frohnen, angeblich vierzigtausend ; unter ihnen befanden sich der Bischof Sisinnius und der Diacon 
Cyriacus, die beide während der nachherigen Verfolgungen den Märtyrertod erlitten. Deshalb 
wurde dieses Bad schon zu Honorius' Zeiten, als es noch allgemein in Gebrauch stand, von den 
römischen Christen mit frommer Scheu betrachtet, dem heiligen Cyriacus sogar eine Kirche darin 
erbaut Die letztere verschwand, aber das Gebäude blieb nach wie vor geheiligt. Im vierzehnten 
lahrhundert wurde es zu einer KarUusc bestimmt und im sechzehnten eine solche wirklich darin 
auf Kosten der Kartäuser angelegt, während Pius IV. die Erbauung der Kirche auf sich nahm. 
Die berühmtesten Architectcn reichten Pläne ein: der Papst wählte den Michel Angelo's, des 
Baumeisters von San« Peter. Er gab auch dieser der Königin des Himmels (S. Maria degli 
Angeli) geweihten Kirche die Form eines griechischen Kreuzes, dessen Pfahl der 170 m lange, 
100 m breite, 29 m hohe, von acht Granitsäulcn getragene Prachtsaal der Gemäldegalerie bildete, 
während er die hundertsäulige Palästra in den Kreuzgang umschuf; Vanvitelli veränderte 1749 

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diesen Plan, indem er den Pfahl zum Querbalken machte. Die Kartäuserkirche, am 5. August 
1 56 1 eingeweiht , war das Letzte, was der sechsundachtzigjährige Künstler in Rom vollendete ; 
die vier Cypressen, welche er um den Brunnen des Kreuzgangs pflanzte und von denen heute 
noch, wo er als Militärdepot dient, drei wie grüne Pyramiden zum Himmel ragen, pflanzte er 
sich selbst. Er starb wenige Jahre darauf. Bald werden auch sie verdorrt sein: durch die 
schweigende Kartause, um den heiligen Bruno, der so sprechend dargestellt ist, aber der noch im 
Steine Thore und Schlösser vor seine Lippen legt, lärmt die italienische Soldatesca; vor Michel 
Angelo's Kirche hält ein piemontesischer Posten Wache; und auf dem Platz der diocletianischen 
Thermen stehen Schaubuden und Menagerien. 



Auch die Kolosse von Monte Cavallo, die einzigen lebenden Zeugen des Altcrthums auf dem 
Quirinal, der sich als das äusserste Glied der Gruppe sanft einwärts gekrümmt von Nordosten 

nach Südwe- Reihe dieser 

sten gegen mm " Anlagen be- 

das Thal hin jfc M MiwflHf schliessen- 

erstreckt und flfe^^ 'Xnm\u\W\ < ' ( n ' ' a zu 

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Rospigliosi ein. Nur die beiden nackten Riesen stehen noch wie Memnonssäulen mit erhobenen 
Armen und geballten Fäusten auf dem Gipfel des sabinischen Bergs, denn sie zählen das Kommende — 
sie sind Symbole der Wahrheit, die sonst in einem geblümten Rocke nach I lofe kommt, aber diesmal 
unverhüllt vor den römischen Kaiser trat — weder Auge noch Geist sind hinreichend sie zu fassen. 

Als Christine von Schweden in Rom war, gab ihr der Papst ein paar Cardinäle zu ihren 
Ciceroni. Einst entzückte sie sich an einer Statue Bernini's, die Wahrheit darstellend. Ein Cardinal, 
der sich vermuthlich etwas auf seinen Witz zu Gute that (der Italiener liebt das Wortspiel) meinte, 
er bewundere mehr noch eine Fürstin, die, was bei gekrönten Häuptern selten, die Wahrheit liebe. 
«Ja.» erwiederte die Königin, < nicht alle Wahrheiten sind von Marmor. > 

Warum trat Christine nicht auf den Monte Cavallo, auf jenen eigenen, individuellen Platz, so 
unregelmässig als erhaben und wundersam ? Denn hier hatte Tiberius selbst marmorne Wahrheiten 
errichtet. < Warum geht ihr nackt ? » fragte er zwei junge Gymnosophisten, die zu seiner Zeit nach 
Rom gekommen waren, Phidias und Praxiteles mit Namen. — «Weil alle Dinge, ja, deine eignen 
Gedanken vor uns nackt und offenbar sind, und wir die Welt für nichts achten, > war die Antwort. 



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Kr prüfti; ihre Weisheit: wahrlich, es war vor ihnen Alles nackt und offenbar, und was er in stiller 
Kammer ins Ohr geredet hatte, das predigten sie auf den Dächern. Da beschloss er ihr Andenken 
zu verewigen und sie nackt auf dem Quirinal aufstellen zu lassen und zwei bäumende Rosse, 
Sinnbilder der mächtigen Herrscher der Welt dazu. 

Denn das Pferd stampft die Krde gleich einem Konige — Terram ungula fodk, exultat 
audacter; in occursum pergit armatis, contemnit pavorem, nec cedit gladio. Super ipsum sonabit 
pharetra ; vibrabit hasta et clvpeus, fervens et fremens sorbet terram, nec reputat tubae sonare 
clarigorem (Hiob Cap. 39). Ks ist dies vielleicht die schönste, anschaulichste unil treffendste 
Schilderung dieses edlen Thieres in der gesamten Weltliteratur, wohl auf einem Platze zu citiren, 
der nach ihm benannt um! gleichsam ihm geweiht ist. 

Wir sind besser unterrichtet als die Pilger des zwölften Jahrhunderts, welche die gewaltigen 
Rossebändiger für Philosophen und „Phidias und Praxiteles" für die Namen sothaner Philosophen hielten. 
Diese beiden herrlichen, 5,6 m hohen Heldenjünglinge, die zwei verhältnismässig kleinen Pferden in 
die Zügel fallen, nicht völlig nackt, sondern mit einer leichten Chlamys bekleidet, die vom linken 
Arm herablallt, und mit dem rechten Fuss an einen Panzer gelehnt, ohne Hut, aber wohl ursprüng- 
lich mit Kranz und Stern bezeichnet — sind die Dioskurcn, die Zwillinge, die der bedrängte 
Schiffer auf stürmischem Meere anruft, und die Götter des Sports, die als Pferdeliebhaber auf 
weissen Rossen reiten oder sich mit ihrer Dressur beschäftigen. Wenn sie jetzt erschienen, würde 
man sie zu Präsidenten eines Jockey-Clubs erwählen; im Alterthum standen ihre Bildsäulen am 
Eingänge der Rennbahnen, gelegentlich auch am Kingange der Thermen, wie hier vor denen 
Constantins, der die colossalen Werke Gott weiss woher genommen hat. Die Inschriften: OPVS 
PHIDIAK und OPVS PRAXITKLIS sind apokryph, beide Gruppen jedoch sowohl durch die 
Grobheit in den Verhältnissen des Gliederbaus, als durch den bewunderungswürdigen Ausdruck 
heroischer, übermenschlicher Kraft ausgezeichnet, namentlich besitzt die dem Phidias zugeschriebene 
Figur, die freilich auch am l>csten beleuchtet ist, einen hohen Kunst wert h ; sie scheinen unter 
Augustus nach griechischen Bronzen aus der besten Zeit gearbeitet und Originalen aus der Schule 
des Lysippos nachgebildet zu sein. Auf ihre Vortrefflichkeit machte die Deutschen zuerst Carstens 
aufmerksam. Diese tCaballi Marmorei' wurden nie verschüttet: bis zur Zeit Sixtus' V. standen 
sie bei<ten Constantinischen Thermen, 1 jSi; wurden sie härter am westlichen Rande des ijuirinalischen 
I lügels, vor dem apostolischen Palaste, und zwar parallel nebeneinander aufgestellt (respeclive die Pferde 
nach Einigen verstellt); den Transport leitete derselbe Domenico Kontana. der unter demselben 
Sixtus den grossen Obelisken vom vaticanischen Circus auf den Petersplatz gebracht hat Im 
vorigen |ahrhundert endlich, unter Pius VU, wurden sie mit einem Obelisken vom Mausoleum des 
Augustus zu einer ziemlich geschmacklosen Gruppe vereinigt, in welcher die «Fratres Helenae, 
lucida sidera» einander den Rücken kehren. Das Becken des Springbrunnens vor dem Obelisken 
bildet eine antike Schale von orientalischem Granit, deren Umfang 25 m beträgt. Einst, als die 
Kolosse noch bei den Thermen standen, sass bei ihnen, von Büchern umgeben, eine weise Frau, 
die eine Schale in der Hand hielt und eine Schlange tränkte, vermuthlich eine Hygiea, schön 
für ein Bad und für den gesündesten Hügel der Stadt geeignet den Pilgern erschien sie als die 
Kirche, welche die Bücher der Offenbarung verschliesst, aber Niemand mag sie lesen, der nicht 
gleich der klugen Schlange begierig aus dem Becher des Heiles schlürft. 

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"3 



Das Marsfeld 



und 

dlo kaiserlichen Fora. 



L 

leichwie gegen Südwesten zwischen Capitol und Palatin zum Velabrum, öffnet sich 
das Thal des Forums gegen Norden zwischen C apitol und Ouirinal zum Marsfeld : 
beide Flächen, durch zwei susspringende Bogen des Stroms gebildet, hängen ihrer- 
seits am südwestlichen Abhänge des Capitols durch eine .schmale Niederung, wie 
durch eine Landenge zusammen, sodass Forum, Marsfeld und Velabrum eine 
1. y ununterbrochene Ebene darstellen, aus welcher der Capitolinische Hügel inselartig 
aufragt. Indessen ist das Marsfeld das Hauptstück dieser Ebene und gleichsam 
tyj das grosse aufgelegte Tuch, von dem die übrigen Plätze wie Fetzen abgeschnitten 
& sind ; es ist die Fbcne Roms schlechthin. Weit und glatt, in l>ehaglichcr Breite 
dehnt sie sich von den Abhängen des Pincius, Quirinal und Capitolinus ausserhalb 
des städtischen Friedensbezirks bis zum l'fer des Flusses aus, in dessen Arm sie wie in einer 
Schlinge hängt: der grosste Theil der heutigen Stadt liegt auf ihr. Sie soll ursprünglich im 
Besitze der Tarquinier gewesen und nach ihrer Vertreibung dem Vater Mars, dem längst hier 
waltenden und längst hier verehrten Kriegsgott gewidmet worden sein; daher ihr Name Campus 
Marthas, der gleich Forum, Palatium und Capitol typisch und auf so viele fremde März- und 
Marsfelder übertragen wurde. Es war der Turn- und F.xercierplatz des alten Roms, der 
Berliner Hasenheide zu vergleichen; die südöstliche Seite, zunächst der Stadt, diente neben dem 
Forum zu Volksversammlungen ; und zwar anfangs nur für die Versammlungen der Bürgerschaft 
nach ihrer militärischen Gliederung iComitia centuriata), später auch für die V ersammlungen, in 
welchen das Volk nach Nachbarschaften zusammentrat (Comitia tributa). Die dabei beschäftigten 
Auguren, Consuln und andere Magistrale, sowie die fremden Gesandten hatten ein zweistückiges 
Casino (Villa publica) auf der Dingstatt; die Versammlungen selbst wurden im Freien abgehalten: 
Rotten und Gemeinden standen vor der Stimmabgabe in Gehegen (Seplis), die wie Schafställe 
eingepfercht und mit Hürden umgehen waren, deshalb auch den Namen Schafstall (Ovile) wirklich 
führten; erst Caesar verwandelte diese hölzernen Zäune in Marmorschranken und umgab die 
patriarchalischen Ställe mit reich ausgestatteten Colonnaden, die Agrippa beendete; sie hiessen 
noch immer Septa. aber nach ihrem Stifter Septa Julia. Auf einer Münze Nerva's sieht man, wie 
die Wähler einzeln in der Toga aus ihren Schranken treten, über eine Brücke (pons sutfragiorum 
schreiten und die Stimmzettel (tabcllae) in eine L'rne (cista) werfen. So lange der Antheil an 
öffentlichen Dingen noch allgemein und lebendig war, versammelte sich das römische Volk wie 
eine Herde in rohen und unbedeckten Ställen. Als die Freiheit untergegangen war, versammelte 
es sich in Palästen und in schimmernden Säulenhallen. 

Ein Herold rief die Ccnturier und die Tribus zum Stimmen auf (in Campo Martio centuriatim 
populum citabat Liv. 6, 20, 10); von sothaner Citation erhielt der Platz, wo die Septa standen, 

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respective die späterhin entstandene Anhöhe den Namen Möns GUtorius (Monte Citorio). Diese 
Erinnerung bewog die Italiener im Jahre 1S71 das Parlament auf dem Monte Citorio tagen zu lassen. 

Aber allmählich begann die Ebene auch mit andern herrlichen Gebäuden geschmückt und 
das Feld des Mars von seinen dankbaren Söhnen eifrig bestellt zu werden. Man will wissen, 
dass die weitere Entwickelung der meisten grösseren Städte nach Westen gehe, indessen ist 
dieser Gang wohl nur eine Folge des zufälligen L'mstands, dass bei vielen unter ihnen gerade 
im Westen Platz war. Wie Berlin über den nicht zum Weichbild gehörenden Thiergarten hinaus 
vorgedrungen ist, also schritt Rom über den ausserhalb des Pomeriums liegenden Campus Martius 
hinaus. Derselbe Agrippa, der die Wahllokale vollendete, legte 25 v. Chr. auf .lern Marsfelde 
die ersten öffentlichen Thermen an: schon vorher 1220 v. Chr.i hatte Cajus Flaminius im Süden, 
auf den ITaminischen Wiesen einen Circus, PompejtU nordwestlich davon ein steinernes Theater 
155 v. Chr.) und Statilius Taurus ein Amphitheater erbaut 129 v. Chr.). Zu den Thermen des 
Agrippa gehörte das Pantheon, welches nachmals in einen Tempel umgewandelt wurde; es war 
ebenfalls nicht einzig 
in seiner Art . vor ihm 
stand schon der Tem- 
pel der Uellona, von 
Appius Claudius dem 
Blinden im Jahr 296 
v. Chr. während heisser 
Schlacht gelobt und mit 
der Kriegssäule 1C0- 
lumna bellica! verbun- 
den, dem fürchterlichen 
Grenzpfeiler des Reichs, 
an den der Fetial trat, 
wenn er mit der Formel : 
Bellum justum in- 
dico facioque ei- 
nem Staat den Krieg 
erklärte und den in Rlut 
getauchten Speer in 

ja, dem hier vorwaltenden Gölte selbst, dem Mars dem alljährlich im Oclober auf dem Campus 
das Streitross geopfert ward, dem erhabenen Stammvater, dessen Andenken man jährlich zweimal, 
am 27. Februar und am 17. März auf derselben Stätte durch Pferderennen iequiriai und martia- 
lische Spiele tludi martialesi leierte, erhob sich seit dem Jahre 138 v.Chr. statt des alten Altars 
ein Tempel, gestiftet von dem Consul D. Brutus Gallaecus, erbaut von dem Archilecten Hermodorus 
und berühmt durch eine Bildsäule des sitzenden Mars, das Meisterwerk des Skopas. Cebermächtig 
und kolossal, konnte sie für ein Symbol des grassgewordenen Volkes, der aus kleinen Anfängen 
erwachsenen Stadt, ja eben des Feldes gleiten, auf dem Romulus verschwand. 

Es heisst, Mars war seiner ursprünglichen Bedeutung nach ein Sonnengott, als solcher 
brachte er über Herde und Flur bald Fluch, bald Segen; mit seinem Monat, dem März, l>egann 
der Frühling und das alle römische Jahr. Nun auch der Sonnengott und der Jahrgott beschien 
die römische Ebene, mit seinem himmlischen Lichte still die Tageszeiten ordnend. Er zählte 
die Stunden seiner Stadt, und das unterworfene Aegypten hatte einen versteinerten Sonnenstrahl 
als Weiser dazu geliefert — einen Obelisken aus der Sonnenstadt Heliopolis. Es war Augustus, 

115 




Feindesland schleuder- 
te : in dem Tempel der 
Bellona gab der Senat 
den Gesandten fremder 
Völker, welche die Stadt 
nicht betreten durften 
und den Feldherren, 
die einen Triumph for- 
derten . Audienz 
Hercules als Vorsteher 
der Musen (Hercules 
Musarum) hatte einen 
Tempel beim Circus 
Flaminius, den M. Ful- 
vius Nobilior 189 v. 
Chr. erbaute und mit 
einer Gruppe der neun 
Musen aus Ambrakia 
in Epirus schmückte — 



der Rom mit einem Gnomon, d. i. einer Sonnenuhr beschenkte und das Marsfeld um einen sinnigen 
Schmuck bereicherte; er that es mit Hülfe des gelehrten Manilius, der ein Gedieht über Astro- 
nomie und Astrologie verfasste. F.in Gnomon Lst ein Instrument zur Bestimmung der Hohe der 
Sonne und der Zeit des Mittags und nichts Anderes als eine Säule, welche senkrecht über einer 
horizontalen Mittagslinie steht: ihre Länge, durch die Länge ihre» Schattens dividirt, ergiebt die 
Tangente des Höhenwinkcls der Sonne. Dazu sollte also hier der grosse, 76 ra hohe Obelisk 
genommen werden, den Augustus nach Besiegung des Antonius heim gebracht, und den Plinius 
mit Unrecht dem Sesostris zuschreibt: 

IMPCAESAR AVGVSTVS POOTtFEX-MAXIMVS, 
AEGVPTO IN POTESTATK^l FOFVIJ RONlANl KKliVCTA SÜLl OU.VV ÄI UED1T. 

wie die antike Inschrift meldet; sie ist gleichlautend mit der des gleichzeitig entführten 
Obelisken auf Piazza del Popolo, der im Circus Maximus aufgerichtet ward. Aber wegen der 
Bildung des I lalbschattens waren die Bestimmungen ungenau, die Spitze des der Frdaxe parallelen 
Obelisken zeichnete sich im Schatten nicht scharf genug auf der steinernen Fläche ab, die der 
Kbene des Ae<|uators parallel daran gelegt war: deshalb brachte Manilius auf dem ( >behsken 
eine vergoldete Kugel an, deren Mittelpunkt mit der Spitze lies Oliolisken zusammentraf: in dem 
Mittelpunkt des elliptischen Schattens, welchen die Kugel warf, hatte man nun den Schatten der Spitze 
esact vor sich. Gegenwärtig pflegt man noch glücklicher mit der Spitze des Gnomons eine durch- 
löcherte Metallplatte zu verbinden, wo dann das mitten im Schatten sichtbare, unbeschattete Loch 
die wahre Höhe anzeigt. Die meisten römischen Obelisken trugen diese Kugel, wie sie jetzt das 
Bild der Erlösung tragen, zum Beweis, dass man sie alle in Gnomons verwandelt hatte; auch 
den Gipfel des grossen Obelisken auf dem Petersplatze, in dessen Schatten Goethe am 22. November 
1786 mit Tischbein auf und ab ging, und vor welchem im Jahre 1817 wieder eine Mittagslinie 
in Porphyr gezogen worden ist, schmückte ursprünglich anstatt des Kreuzes eine hohle Kugel 
von vergoldeter Bronze: das Volk glaubte, dass in ihr die Asche Julius Caesars enthalten 
sei, und ein Dichter machte die Choriamben darauf: 

Caesar, laimis cras, quantiB rt cirlns, 
Scd nunc in modico tUudcri* antm 1 

Der augusteische Gnomon steht jetzt auf Monte Citorio vor dem Parlamentsgebäude und erfüllt 
seinen Zweck noch immer, wie es besser oder schlechter jeder Obelisk, jeder Baum, jede Berg- 
spitze, ja, jeder in die Höhe gehaltene Finger thut: wirklich pflegen sich die italienischen Land- 
leute mit dem eigenen Mittelfinger eine Sonnenuhr zu improvisiren, indem sie sich gegen Norden 
stellen ; Gnomons sind die ersten astronomischen Instrumente gewesen, weil sie gleichsam von der 
Natur geliefert werden. Er ist die Veranlassung, dass das Marsfeld auf Bildwerken (z. B. auf 
dem Piedestal der dem Antoninus Pius unweit des Monte Citorio errichteten Säule) durch einen 
liegenden Genius, der den linken Arm um einen Obelisken schlingt, bezeichnet wird. 

Geschah es einer aegyptischen Vorstellung, etwa einer Osirisirung des Mars zu Liebe, 
dass man auf dem Marsfelde auch begraben sein wollte? Jedenfalls ruhten viele bedeutende Männer, 
z. B. Sulla, Agrippa, Hirtius und Pansa auf dem Marsfeld, vielleicht in einer am Fluss hingehenden 
Totenstrassc, und Augustus selbst legte sich mitten in derselben sein berühmtes Mausoleum, die 
Augusta (I.agusta) des Mittelalters an, von welcher die umliegende Gegend den Namen .in 
Augusta' bekam. Sit- hätte auch .in Caesarea' heissen können denn in dem Mausoleum des 
Augustus wurden auch fast alle seine Nachfolger bis auf Nerva beigesetzt : es enthielt die Grüfte 
nicht nur der Jütischen, sondern auch der Flavischen und der Clpischen Familie, ja der Gründer 

'I Carar, v*tt< **> |pi*s oh wir ilrr Krilircis. 
Aeh. du» <lo KrugVin klciü jtuo dich ciaacMinXl 

116 



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selbst hatte darin seine Verwandten und Freunde, so den Agrippa aufgenommen: es war Roms 
Kscurial, bis Hadrian ein neues am andern Ufer erbauen Hess. Mit Strabo's Hülfe können wir 
uns ein Bild von dem prächtigen Monumente machen. Kr beschreibt es als einen kegelförmigen, 
mit immergrünen Bäumen bepflanzten Hügel, auf dessen Spitze das eherne Bild des Kaisers 
Augustus stand: er war auf der Höhe eines geraden, viermal verjüngten Cvlindcrs aufgehäuft, 
dessen Grundfläche einen Durchmesser von 97 m hatte und im Centrum die Gruft Octavians, an 
der Peripherie die gewölbten Grabkammem der Ucbrigcn enthielt. Die Sage, welche die Er- 
innerung an das alte Imperium nimmer los wird, erzählt, der Kaiser habe von allen Provinzen einen 
Korb voll F.rde kommen und auf sein Grab werfen lassen, um so gleichsam in einem kurzgefassten 
Auszuge seines Reichs zu ruhen. Ich weiss nicht, ob man an diese Sage gedacht hat, als man 1872 
auf dem Turnplatz in der Hasenheidc bei Berlin dem Turnvater Jahn ein Erzstandbild auf einem 
Hügel errichtete, zu dem Deutsche aus allen Gauen und selbst aus überseeischen Erdtheilen 
Steinblöcke gesendet hatten. Ausgedehnte Parkanlagen, durch Marmorbilder belebt, umgaben dies 
letzte Palatium, in welchem die müden Götter nach so vielen Herbergen eine ewige Wohnung 
fanden ; vor seinem Eingang standen, wie vor einem aegyptischen Tempel, zwei kleinere Obelisken, 
während ebendaselbst das ruhmvolle Leben Augustus' auf ehernen Tafeln beschrieben war. „Dies 
sind", so will ein Pilgrim an einer Grabkammer gelesen haben, „die Gebeine und die Asche des 
Kaisers Nerva und der Sieg, welchen er gewonnen hat." „Dies sind", so konnte Titius 
zu seinen Freunden sagen, „die Thaten und die Siege Octavians. Hat er seine Rolle gut 
gespielt? So klatscht." 

Auch dieses Mausoleum ward im Mittelalter zu einem Bergfried umgeschaften : es bildete 
den Kem der Festungen der Colonna, zu denen auch der nahe Monte Citorio gehörte, und theilte 
die Schicksale derselben; auf Befehl zweier Colonna verbrannten am 11. October 1354 in seinen 
Trümmern auf einem Haufen Disteln Juden Rienzi's Leichnam. Nur die dicken, in Netzwerk 
(Opus reticulatum) aufgeführten Mauern des gewaltigen Cylinders standen noch; gegen Ende des 
vorigen Jahrhunderts richtete man darin einen Circus für Kunstreiter, Stierhetzen und ähnliche 
Lustbarkeiten her; vielleicht erhielt es davon den Namen Tanzsaal {Aniiteatro Corea [chorea]), 
der dann auch auf den davorliegenden Palast Vivaldi (Palazzo Corea) überging. Gegenwärtig 
befindet sich ebendaselbst ein Tagestheater mit oft vortrefflicher Truppe. Abermals heisst es: 
Haben wir gut gespielt? So klatscht 

Bekanntlich that Augustus diese Frage auf seinem Todtenbette. Als der fast Sechsund- 
siebzigjährige sein Ende nahen fühlte, forderte er einen Spiegel, ordnete sein Haar und sagte zu 
den Umstehenden: Habe ich meine Rolle gut gespielt? So klatscht! Nunc, spectatorcs, clare 
plaudite! — Hat er geahnt dass man dieses Bonmot dereinst auf seinem Grahe in eigentlichem 
Sinne wiederholen werde? — 

II. 

Wenn sich im alten Rom Cajus über Sempronius zu beklagen hatte, so citirte er ihn vor 
den Praetor, und stellte er sich nicht, so forderte er Titius auf, für ihn Zeugniss abzulegen. Zehn- 
mal für einmal wollte Titius nicht, bald aus dem, bald aus jenem Grunde: in dem Falle hatte 
Cajus das Recht, Titius beim Ohrläppchen zu nehmen und „per aurem" mit Gewalt vors Gericht 
zu führen. Daher die in Frankreich und Italien landläufige Redensart wenn sich Einer nöthigen 
lässt: se faire tirer l'orcille. 

Es scheint mir, dass eben in diesem Augenblicke ein solcher Kläger kommt und uns beim 
Ohrläppchen von der Promenade weg aufs Forum schleppt Nämlich auf die besonders für 

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"7 



Gerichtsverhandlungen bestimmten Kaiserfora, die in der Ebene nordöstlich vom alten republi- 
kanischen Forum liegen, die dasselbe gleichsam topographisch mit dem Marsfeldc vermitteln und 
die zunächst zu besuchen in Ordnung gewesen wäre. Erst sollt ihr Zeugen unserer Herrlichkeit 
und unseres Glanzes werden, ehe ihr aufs Feld geht, rufen Xerva und Trajan: ja, August us 
macht uns gleichsam zu Augenzeugen eines wirklichen Strafgerichtes. Vor dem rächenden Mars 
sollen wir uns beugen , che wir uns in Speculationen über den Sonnengott verlieren. Die an 
Caesars Mör- 
dern vollzo- 
gene Rache 
will der Tem- 
pel des Mars 
Ultor verewi- 
gen : der Gott 
war bei Phi- 
ippi mit ih- 
nen ins Ge- 
richt gegan- 
gen ; der 
Todtemitder 
dreiundzwan- 

zigfachen 
Wunde selbst 
hatte gegen 
sie Zeugniss 
abgelegt ; ja, 
noch heute 
hört man ihn 
auf dieser 
Stätte, bei 
diesen drei 
korinthischen 
Säulen wim- 
mern — 



— von wannen 
deine Reue? 

l>auert mich die 
äiebenhügel- 
«udt? 




Tempel de« Mi 



<lei Auguslu» 



Oft geweinet 
hall' ich um 
die Waise, 
tlxvt sie nimmer 
einen Caesar 
hat. 

Mit Julius 
Caesar be- 
ginnt die 
Reihe dieser 
kaiserlichen 
Fora, die all«! 
mit Mauern 
umgeben wa- 
ren , deren 
Mittelpunkt 
stets ein gros- 
ser Tempel 
bildete, und 
bei denen es 
gar nicht auf 
einen wirkli- 
chen Markt 
platz ankam, 
sondern auf 
einen mög- 
lichst präch- 
tigen Gebäu- 
decomplex ; 
hauptsächlich 
Gcrichtsstät- 
ten , bestan- 



den sie fast nur aus Basiliken und Hallen, bevölkert von den damaligen Herren der Robe und 
vom Gezänk der Parteien widerhallend wie das „Palais de Justice" in Paris ; auch die öffentlichen 
Schreiber (notarii), jene Stenographen des Alterthums, die ihre Protocolle mit Chiffem (per notas) 
und so geschwind aufzeichneten, dass sie den Gedanken der Richter und der Advokaten zuvor- 
zukommen schienen, werden ihre Bureaus hier aufgeschlagen haben: 

Currant vertu licet, nunus CM vclocior üb»; 

Nondiun Imgua. suum devira iwtegil npin ;MnrtuTi. 

Man wird sich die Lage dieser Fora am deutlichsten machen, wenn man sie nach dem Schema 



Hl 



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eines Kreuzes ordnet, dessen kurzer Pfahl vom nordöstlichen Gipfel des Capitols gegen den 
Quirinal gestemmt ist, während der (Querbalken von der Velia bis ans eigentliche? Marsfeld reicht. 
Caesars Forum Julium und das Forum Augusti bilden den IJingsstamm, das von Domitian 
begonnene Forum Nervae (auch, weil die Strasse vom Markt zur Subura darüber ging, Forum 
Transitorium genannt) und das Vespasianische Forum Pacis den rechten Arm, das Forum Trajani 
den linken Arm des Kreuzes; die beiden Arme entsprachen mithin der Richtung der Rinne, 



welche vom 
republikani- 
schen Forum 
nach dem 
Marsfeld und 
der hier auf- 
blühenden 
Neustadt lief, 
deren Be- 
nutzung an- 
fangs ein 
quer vorlie- 
gender, Capi- 
tol und Quiri- 
nal verbin- 
dender Rük- 
ken noch er- 
schwerte, die 
aber seit Tra- 
jan durch ei- 
nen grossar- 
tigen Durch- 
stich voll- 
kommen aus- 
geteuft und 
practicabcl 
gemacht wor 

den war. 
Wenn man 
sich den 
I.ängsstrich 
von unten 




I >bi Komm da Nerv» — I.« (*utu«iii»u:r. 



nach oben 
und den Quer 
strich von 
rechts nach 
links gezogen 
denkt, so hat 
man zugleich 
ein Schema 
für die histo- 
rische Auf- 
einanderfolge 
dieser Bau- 
ten, die unten 
anfangen und 
links glän- 
zend endigen. 

Auf dem 
Forum Ju- 
lium stand 
der bei Phar 
salus gelobte 
Tempel der 
Venus Geni- 
trix, davor 
Caesars Rei- 
terstatue 
(Equus Cae- 
saris) ; auf 
dem Forum 
Augusti das 
schon obener- 
wähnte Tem- 



plum Maitis Ultoris; auf dem Forum Pacis der gleichnamige Tempel; auf dem Forum Nervae 
ein Tempel der Minerva; auf dem Forum Trajani die Basilica L'lpia, davor Trajans Reiterstatue 
(Kquus Trajani), dahinter die Trajanssäulc (Columna Trajani) und hinter dieser wieder, gleichsam der 
Knopf des linken Kreuzesarms, ein von Hadrian seinem Vorgänger geweihter Tempel iTemplum 
Divi Trajani). Das Trajansforum mass über 200 m im Quadrat 

Von dem Forum Julium und dem Forum Pacis sieht man so gut wie gar nichts 
mehr. Von dem Forum Augusti steht noch ein Stück der aus Peperinquadern ausgeführten 
Umfassungsmauer, in ihr, sie durchbrechend und bis auf eine Höhe von 5 m in der Erde 



119 



I 

begraben, früher geradezu versumpft, daher auch Arco de' Pantani genannt, der Bogen, durch 
den die Via Bonella nach den anliegenden Stadthöhen führt , endlich in Form dreier Säulen ein impo- 
santer Rest des daran lehnenden Tem]>els. Das Forum Nervae ist durch zwei korinthische, gleichfalls 
tief verschüttete Säulen vertreten, die das Volk seit dem Mittelalter, ein pejoratives oder 
verschlimmerndes Suffix anfügend, ,Je Colonnacce", etwa die Schandsäulen betitelt, und welche zu 
dem abermals an einer Peperinmauer lehnenden Tempel der Minerva gehören mochten; oben an 
der Attica zwischen den Säulen bemerkt man noch in verstümmeltem Relief die Figur einer 
Minerva und am Friese das Gebälks andere auf diese Göttin bezügliche, aber bis zur Unkenntlichkeit 
entstellte, wenig Genuss gewährende Bildwerke, den prächtigen Tempel liess Paul V. abbrechen 
und die Säulen zersägen, um den grossen Springbrunnen auf dem Janiculum, den Fontanone 
dell' Acqua Paola damit zu schmücken. Endlich das Trajansforum,* jenen überwältigenden, einzigen 
Prachtbau, dem selbst die Götter ihre Bewunderung nicht versagten, bezeichnet noch wie ein Zeige- 
finger des Allmächtigen die Säule, die sich an der Nordseite der fünfschiffigen , theilweise auf- 
gegrabenen und mit Granitsäulcnstümpfen besetzten Basilica Ulpia erhebt 

Im Jahre 357 kam Constantius II. in Begleitung des persischen Prinzen Hormisdas zum 
ersten Mal nach Rom. wo er vom Senat feierlich und pomphaft empfangen ward. Staunend 
durchwanderte er die Stadl, die unter Hadrian und den Antoninen eine märchenhafte Pracht 
erreicht hatte ; ein Monument stellte immer das andere in Schatten, eins war immer bewunderungs- 
würdiger als das andere; als er aber an Trajans Forum kam und diesen ungeheuren, himmel- 
erhabenen Bau erblickte, da, sagt Ammian, stand Constantius wie vom Donner gerührt — im ganzen 
Sonnenreiche hatte er etwas Aehnliches nie gesehn. 

Nur schade, pflegte er zu sagen, dass auch in Rom die Menschen sterben müssen. 

Dass sogar der Urheber dieser Pracht, der gute und gerechte Trajan selber gestorben 
ist! Und dass er als Heide in den Flammen der Hölle leidet! — Leber diesen zweiten Umstand 
äusserte ein paar Jahrhunderte später ein Kirchenfürst sein Bedauern, der gleichfalls in Erinnerung 
versunken über das herrliche Forum ging, der Papst Gregor der Grosse. Sein Blick war auf 
ein Relief gefallen, welches den Trajan darstellte, wie er einer armen Witwe Gerechtigkeit wider- 
fahren liess — eben jene Scene, die Dante auf die erste Gallerie des Fegefeuerberges überträgt 
und die wir auf Seite 16 beschrieben haben. Unendliches Mitleid erfasste den Hirten der 
Christenheit, und mit Thränen im Auge kehrte er nach Sanct Peter zurück. Aus der Tiefe seines 
Herzens betete er zu Gott: er rang im Geiste mit dem ewigen Weltcnrichtcr und drang in 
ihn, Trajans Seele zu erhwen — und der Vater der Barmherzigkeit erhörte sein hohenpriesterliches 
Gebet. Trajans unsterbliches Theil trat vor den siegreichen Papst und empfing von seiner Hand 
das Sacrament der laufe. Seine Seele war gerettet 

Vielleicht dass wir dieser Legende und der dadurch gesteigerten Verehrung Trajans die 
gute Erhaltung der Marmorsäule zu danken haben, unter der er begraben ward und deren Spitze 
das Bild des Kaisers zierte; erst Sixtus V setzte 1587 an seine Stelle eine Statue des heiligen 
Petrus von vergoldeter Bronze, nach einem Modell von Tommaso della Porta. Es war eine 
Ehrensäule, kein Werk Trajans, sondern dem Trajan unter seinem Nachfolger von Senat und 
Volk zur Erinnerung an die Eroberung Daciens errichtet, und als solche zugleic h das Maass der 
Höhe, bis zu welcher sich die bei der Anlage des Forums abgetragene Quirinalschicht ursprünglich 
erhob, nämlich bis zu 29,6 m: 

i 

SENATVS -POPVLVSQVE ROMAXVSvlMP-CAKSARl Ol Vi NERVAEF- 
NERVAETRAIANOAVG GERM ÜAC1CO -PONTIK MAX-TRIB-POT- 
XVUl,MP\'lCOS\'IPPAt)l)ECLAR.\NI)UMQfANTAK.M.H - 
TUDINIS MÖNS ET-LOCVS TA.\TIS-OPER]BVS SIT-HGE-S T\ S 

120 



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Forum und Säule dos Trajan. 



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besagt die 114 gesellte Inschrift auf dem Piedestal; 29,6 m — 100 altrömische FussfC pedes) 
ist die absolute Höhe der Säule bei unten 3,6, oben 3,3 m Durchmesser; mit Postament und 
Statue misst sie 45,7 m, der schneckenförmige, aus 23 Stücken zusammengesetzte Schaft allein 
27 m, das Postament 5 m, die Statue 7,47 m. Man zählt sie der dorischen Ordnung zu; die 
im Innern des Schaftes ausgesparte Wendeltreppe, die zu der aussichtsreichen Plattform empor- 
führt, erwirbt ihr den Titel einer Columna Cochlis. Sie hat 185 Stufen und empfangt Licht 
durch 45 schiessschartenartige Fensterchen. Um die Säule windet sich in 22 Spiralen ein 200 m 
langes, meterbreites Band von Reliefs, die Begebenheiten des dacischen Kriegs darstellend: sie 
enthalten, von Thiercn, Maschinen und andern Gegenständen abgesehen, nicht weniger als 2547 
Menschenfiguren; diese sind unten 6 cm gross und wachsen in demselben Verhältniss wie sie steigen; 
trotzdem entziehen sie sich durch die weite Entfernung dem Auge zu sehr, und können daher 
nur in Gipsabgüssen genau betrachtet werden. Rafael, Giulio Romano, Caravaggio, Piranesi 
machten sie nebst den Trophäen an den vier Seiten des Piedestals zum Gegenstand sorg- 
fältigen Studiums. Unter den Bildwerken will man sogar Pfahlbauten wahrgenommen haben. 
Ein dacisches Dorf wird von den Römern geplündert und in Brand gesteckt. Vorn zur Linken 
zwei Hütten, die eine auf Pfählen, die andere auf ebenem Grunde stehend und mit einer Thür ins 
Freie. Die erste ist überdies von einer Reihe Schanzpfahlc umgeben. In der Schweiz hatte 
Caesar keine Pfahlbauten mehr vorgefunden. 

Die Trajanssäule ist, wie das ganze Forum, eine Schöpfung des Apollodnras von Damascus, 
des berühmten Baumeisters, den wir bereits bei Hadrians Tempel der Venus und Roma kennen 
gelernt haben. Je länger wir dieses erhabene Monument betrachten, um so mehr imponirt es 
uns durch seine Grösse, durch seinen sorgfältigen Bau und durch die vorzügliche Ausführung der 
Sculpturen, die, wie bei den Büchern der Alten, gleich steinernen Blättern um den riesenhaften 
Schall gerollt sind. Obgleich dieselben von Niemandem recht gesehen und genossen werden 
können, und die spiralförmige Anordnung keine sehr vortheilhafte ist, so darf man doch dem 
genialen Gedanken, der Nachwelt auf so knappem Räume eine solche Fülle historischer That- 
sachen zu überliefern, seine Bewunderung nicht versagen; die Trajanssäule ist die Säule aller 
monumentalen Säulen und das typische Beispiel ihrer Art. Und dabei scheint sie eine fast ewige 
Dauer zu versprechen — unser Romantiker Unland besingt ein Schloss, von dem nur noch eine 
hohe Säule steht, auch sie über Nacht zu stürzen drohend — die letzte Säule von Trajans 
Schlosse droht nach siebzehn Jahrhunderten noch keineswegs zu stürzen. Daher sie auch das 
berühmteste AdeLsgeschlecht Roms, das Geschlecht der Colonna, in seinem Wappen führt, obgleich 
sich der Name der Uolonna nicht von der Trajanssäule, sondern von einer andern antiken Säule 
und einem finstern Castcllc herschreibt, welches sich am Abhänge des Gebirgs über der Pale- 
strinescr Landstrasse erhebt 

III. 

Die Trajanssäule wurde häutig nachgeahmt, und eine ihrer besten Copien ist die Säule des 
Marc Aurel, von den Italienern Colonna Antonina genannt, aber nicht zu verwechseln mit einer 
Khrensäulc, welche Marc Aurel und L. Veras ihrem Vater, dem Antoninus Pius in derselben 
Gegend errichteten, und von welcher nur noch die Basis in der Mitte des vaticanischen Giar- 
dino della Pigna erhalten ist ; die Säule seihst wurde zersägt und von Pius VI. zur Ausschmückung 
der vaticanischen Bibliothek verwandt. Die Säule Marc Aurels erhebt sich — und damit treten 
wir eben wieder auf das Martfeld, vielleicht durch die Militärmusik angelockt, die an Sommer- 
abenden hier spielt — in der Mitte des schönen Platzes, der nach ihr Piazza Colonna heisst; sie 

m 

121 



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wurde diesem Kaiser vom Senat zur Erinnerung an den glücklich beendeten Markomannenkrieg 
gestiftet {180). Sie hat im Wesentlichen die Form der Trajanssäule , ist aus 28 Stücken von 
weissem Marmor zusammengesetzt, mit Capital und Basis 29,6 m hoch und ebenfalls mit einer 
Wendeltreppe versehen, die 206 Stufen und 56 Fenster hat; der Schaft endlich wie dort in 
schneckenförmigen Abtheilungen mit erhobenen Arbeiten bedeckt, welche Begebenheiten aus dem 
erwähnten Krieg darstellen. Es sind unsere Brüder, die hier von den Legionen bewältigt werden, 
und der Kampf entbrennt an der schönen blauen Donau. Unter diesen Legionen gewahrt man 
auch die christliche Donnerlegion, die Legio fulminata. 

Es war 1 74 in Ungarn , in der Gegend des heutigen Gran , dass die Markomannen und 
die Quaden den Kaiser eingeschlossen hatten, während sein Heer zugleich vor Hitze verschmachtete. 



Da beteten die Christen, 
aus welchen die zwölfte 
Legion bestand, um Ret- 
tung zu ihrem Gott, ja, 
ihrem Beispiele folgend, 
sank der Kaiser selber 
auf die Knie. U nd siehe, 
plötzlich fiel ein er- 
quickender Regen auf 
das römische Heer herab, 
während die Feinde ein 
Hagel- und Donnerwetter 
traf. Dieser Augenblick 
Ist auf unserer Säule 
wirklich dargestellt: man 
sieht einen Soldaten be- 
ten, während andere den 
Regen auffangen. Die 
heidnischen wie die christ- 
lichen Schriftsteller er- 
zählen diese Begeben- 
heit den 1 lauptumstän- 
den nach übereinstim- 
mend, doch schreiben sie 
die ersteren vielmehr auf 




Siulr de* Mi AturcL 



Rechnung eines ägypti- 
schen Zauberers. Etwas 
Zauberei muss freilich 
dabei sein, wenn es ein- 
mal an einem schwülen 
Tage wittert. Das ge- 
wöhnlich der ersten 
„Apologie" des Märty- 
rers Justin us beige- 
druckte Schreiben des 
Kaisers Marc Aurel ist 
unecht, und den Beinamen 
fulminata, die vom 
Blitze getroffene (man 
las früher fälschlich ful- 
minatrix , die Blitze 
schleudernde) hat die 
zwölfte Legion schon vor 
ihm geführt. Gran ist 
die Wiege des Christen- 
thums in Ungarn, man 
nennt es das ungari- 
sche Rom. 

In die Marc-Aurel- 
Säule selbst hat der Blitz 



einmal eingeschlagen, überhaupt litt sie sehr durch Feuer. Jahrhunderte lang war sie im Besitz 
ikr Mönche von S. Silvestro in Capite, die sie verpachteten, denn sie ward von den Pilgern 
und Fremden oft bestiegen, und die erlegten Kintrittsgelder bildeten eine einträgliche Rente. 
Ucbrigens geschah dies bereits im Alterthum, und man kennt einen Custoden der „Columna Divi 
Marci" aus dem Jahr 193, Namens Adrastus. Sixtus V. Hess sie im Jahre 1589 unter der Aufsicht 
Domenico Fontana's ausbessern und weihte sie dem andern Apostclfürsten, der hier den Marc Aurel 
von ihrem Gipfel herunterdrängelte, dem heiligen Paulus; die vergoldete Bronzestatue ist 4 m hoch. 
Sanct Peter und Sanct Paul, zwei Päpste an der ausgezeichneten Stelle zweier Kaiser und zwei 
Säulenheilige an Stelle zweier Säulenphilosophen, sind sprechende Repräsentanten einer Kirche, 
welche die F.rbschaft des römischen Reiches antrat und sich aus dem Thron der Welt vergnüglich 
den Stuhl Petri gezimmert hat. 



122 



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Die Piazza Colonna bildete das Centrum der Antonin-Bauten, und von den vielen darüber 
zerstreuten Steinen derselben soll der südlich gelegene, nur durch ein Gässchen getrennte Platz 
den Namen Piazza di Pietra erhalten haben. An diesem Platz steht das alte Zollamt, die Dogana 
di Terra, wo ehemals alle zu Lande ankommenden Fremden ihre Koffer öffnen lassen mussten, 
wie sie es jetzt auf dem Bahnhof thun — Jean Paul, der den Einzug seines Titan in Rom 
künstlich beschreibt, hätte sich dieses Stadium nicht entgehen lassen sollen ; und in die Vorderseite 
des Zollamts zwischen den Fenstern sind elf korinthische Säulen nebst dem Gebälke einge- 
schlossen, Ueberbleibsel einer Säulenhalle, welche einen Peripteros umgab, und zwar einer der 
langen Seiten dieser Halle (15x8). Die Höhe der Säulen beträgt 12,9 m. Der Tempel trägt, 
wie der am Forum, den Namen des Antoninus Pius. In srinen Ruinen standen ehemals Hütten; 
Alexander VII. liess diese 
1664 wegräumen, setzte 
aber, um das baufällige 
Gebäude vor dem Zu- 
sammensturz zu bewah- 
ren, ein Zollhaus an ihre 
Stelle, in dessen Mauern 
die kolossalen Säulen ge- 
bettet wurden. Von hier 
führt die Via de' Pastini 
auf die Piazza della Ro- 
tonda zum Pantheon, wel- 
ches im Volksmunde la 
Rotonda heisst. 

IV. 

Es ist bekannt, 
dass man in der Archi- 
tectur unzähligemal ge- 
spielt und sich darin ge- 
fallen hat, Gegenstände 
der Natur oder der 
menschlichen Industrie 
ausdrücklich nachzubil- 

unscrem Auge misfallt ; denn ein tieferblickender Geist erkennt wohl in der ganzen Baukunst nur eine 
Nachahmung der Natur, und die architectonischen Formen scheinen ihm fast immer auf Copien und 
eine unbewusste Wiederholung gegebener Muster hinauszulaufen. Wer möchte leugnen, dass die 
erste Anregung zum Bau eines Hauses die bis dahin bewohnte Höhle gegeben hat? Dass allen 
Bauwerken der Araber der Gedanke des Zeltes zu Grunde liegt? Dass der Aegypter auf die 
(^Instruction der ersten Säule durch den Anblick des I.otosstcngels, der Mohammedaner auf sein 
Minaret durch die Cypresse gekommen ist? Dass die Burgen in den Gebirgen, die Hallen in den 
Wäldern, die Wasserleitungen in den Flüssen, die Kloaken in den Schluchten gleichsam vorgebildet 
sind? Ja, das Firmament und das Himmelsgewölbe selbst hat man aus Steinen aufgeführt; ent- 
zückt von seiner Festigkeit und Symmetrie, machte man es in luftigen Kuppeln nach, schuf 
Welten in der Welt 

«23 




Sogenannter Tempel dei Antonia« Pin*. 



den; dass man dem Es- 
rurial die Form eines 
Rostes, der römischen 
L'niversitätskirche die 
Form einer Biene und 
den meisten andern Kir- 
chen die Form eines Kreu- 
zes gegeben hat — aus- 
drücklich und mit Ab- 
sicht gegeben hat, wäh- 
rend andere Gebäude 
nur zufällig mit haus- 
backenen Dingen zu- 
sammentreffen und vom 
Volke spottweise, z. B. 
die Berliner Bibliothek 
mit einer Kommode, der 
Palast Borghesc mit ei- 
nem Klavier verglichen 
werden. Man tadelt sol- 
che Nachahmungen als 
bizarr, und doch ist es 
vielleicht blos die un- 
passende Wahl eines he- 
terogenen Vorbilds, die 



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Das Pantheon des Agrippa ist einer der ältesten unter diesen Himmeln, und an ihm werden 
wir gleich gewahr, dass es nur darauf ankommt, das Rechte nachzuahmen : als Tempel aller Götter 
könnte es nicht sinnreicher gestaltet sein, es gefallt uns ausgezeichnet Zwar soll es ursprünglich 
nur ein integrirender Bcstandtheil der grossartigen Bäder gewesen sein, die Marcus Vipsanius 
Agrippa, der Freund, Feldherr und Schwiegersohn des Augustus während seines dritten Consu- 
lates 2 5 v. Chr. dem römischen Volke schenkte : fast alle antiken Thermen enthielten Rundgebäude 
mit Decken, die nach der Form einer Rotationsfläche gebildet waren; doch hat es Agrippa jeden- 
falls nachträglich in einen Tempel verwandelt und den Göttern des Julischen Geschlechtes, nament- 
lich dem Mars und der Venus geweiht. Der Name „Pantheon" kommt schon zu Nero's Zeiten 
vor. Auf die Vollendung des Tempels bezieht sich die ehrwürdige Inschrift am Friese 
der Vorhalle: 

M AGRIWAI.K COS TERTIUM FEQT- 
Oefters vom Blitz getroffen und durch Feuersbrünste beschädigt, bereits unter Domitian 
und Hadrian restaurirt, wurde das verfallende Gebäude durch Septimius Severus und seine Söhne 



wieder herge- 
stellt; von die- 
ser Herstel- 
lung spricht 
eine andere In- 
schrift 21 v. 
Chr. hatte es 
in die Bild- 
säule des Au- 
gustus einge- 
schlagen, de- 
ren Hand da- 
durch die 
Lanze entfal- 
len war. Im 
Jahre 607 
schenkte der 
Kaiser Pho- 




IHm r>nlhcim 



kas, jener Pho- 
kas vom Fo- 
rum das All- 
götterhaus 
dem Papste 
Bonifatius IV., 
und dieser wid- 
mete es, unter 
deutlicher Be- 
zugnahme auf 
die „Götter- 
mutter", deren 
Statue angeb- 
lich auf dem 
Scheitel der 
Kuppel stand, 
und auf die 

„nant; 9toi", 



der „Mutter Gottes" und „allen Märtyrern", mit Bewilligung des Phokas das Pantheon in 
ein Panagion (Santa Maria ad Martyres) verwandelnd. Achtundzwanzig Wagen voll heiliger 
Gebeine liess der Papst von verschiedenen altchristlichen Begräbnissplätzen in die neue Kirche 
bringen und (Reliquien werden in die Altäre immer eingeschlossen) unter dem Hochaltar nieder- 
legen, während die falschen Götter und ihre Abzeichen, die „Unreinigkeiten der Abgötterei", 
wie Paulus Diaconus sagt, hinausgeworfen wurden. Am 13. März 610 wurde sie eingeweiht 
und bei dieser Gelegenheit das Fest eingeführt, welches die griechische Kirche am Sonntag 
nach Pfingsten zu feiern pflegte, das Fest Allerheiligen (Ognissanti) ; letzteres indessen im Jahre 
835 durch eine Bestimmung Gregors IV. auf den 1. November verlegt. Zu Allerheiligen 
pflegte daher der heilige Vater das Hochamt im Pantheon zu halten. Es ist anziehend, sich in 
der Phantasie den Augenblick auszumalen, wo diese typische Metamorphose vorgenommen und 
der christliche Olymp gleichsam en bloc an Stelle des heidnischen gesetzt ward — sich vorzu- 
stellen, wie das christliche Kreuz an den AUgöttertempcl pocht, zu den weit geöffneten 
Thüren der römische Clerus unter den Klängen des Gloria in excebis einzieht, der Papst das 



1*4 



frohe Himmelsgewölbe beweihwassert und beweihraucht , und Mars und Venus und die Rhea 
Cybele mit allen ihren Kindern durch die runde Lichtöffnung entweicht. 

Und der alten Götter bunt Gewimmel 
Hat sogleich dii stille Haus geleert, 
Unsichtbar wird Kiner nur im Himmel, 
Und ein Heiland wird am Kreuz verehrt; 
Opfer fallen hier, 
Weder Umm noch Stier, 
Aber Menschenopfer unerhört. 

Die unsagbare Wehmuth des Untergangs einer schönen Welt ergreift uns ; in dem träumerisch 
erhellten Rund bricht es ein wie eine Götter- Dämmerung. Und doch möge der Freund des 




Iis» Innere <lc, Pantheon (l'nprenglicbe Anlage). 

classLschcn Alterthums nicht ungerecht gegen diese eifernden Priester sein. Nicht allein das 
wolle er bedenken, dass hier nur eine Form gewechselt hat, und keineswegs blos Einer im Himmel 
unsichtbar wird, sondern im Gegentheil durch das ferne Fluggewölk eine tausendfältige Glorie 
neuer Götterdynastien hindurchscheint ; dass auch jene Märtyrer, gegenwärtig noch armselig und roh, 
der künstlerischen Auferstehung harren, und dass dercinstmals ihre Königin, die Mutter Gottes, in den 
wunderbaren Farben des Mannes, der hier ruht, einen rührenden und himmlischen Glanz verbreiten 

wird — der Mann, der hier ruht, heisst Rafael mit Namen auch das wolle er erwägen, dass 

der alte Tempel durch die christliche Exauguration vom Untergange gerettet wird, und dass diese antiken 
Maucm und diese erhabenen Gewölbe nicht stehen geblieben, sondern durch eine kriegerische 
Verwendung und deren Folgen unfehlbar, gleich dem Mausoleum des Augustus, zu Grunde 
gegangen wären, wenn sie der Papst Bonifacius nicht für die Maria und alle Märtyrer in Anspruch 
genommen hätte. Die Kirche hat viel zerstört; sie hat auch viel erhalten. 

Wirklich war es nur das Gebäude, welches stehen blieb, während alle seine sonstigen 



WS 



Zierden entstellt und weggenommen wurden. Im Jahre 663 wurde das Dach des Pantheons 
abgedeckt ; Kaiser Constans wollte die vergoldeten Bronzeziegel nach Constantinopel haben ; es 
erhielt eine bleierne Bedeckung. Unter Urban VIII. kam der mittelalterliche Glockenthurm weg, 
der bisher davor gestanden hatte, aber dafür set/tc Bernini, der I-cibarchitect dieses Papst«» aus 
dem Hause Barberini, zwei andere Glockentürme, die sogenannten Eselsohren (orecchi di ciueo) 
auf den Kopf des Tempels selbst; derselbe Bernini schmolz unter demselben Urban die Nägel 
und die ehernen Balken ein, die dem Dachstuhl der gewölbten Vorhalle unterstützten, um 
daraus eine Himmelsdecke für den Papst und Kanonen .für die Engelsburg zu giessen. 
Der barbarische Raub, der noch dazu durch eine Inschrift in der Vorhalle verewigt wird, veran- 
lasste den Pasquino zu einem seiner besten Witze, in dem er mit Anspielung auf die Herkunft 
Urbans sagte: 



Was man nach allen diesen und andern Barberineien — denn es fehlen ausserdem die 
Erzreliefs, welche das Giebelfeld schmückten und vielleicht den auf dem Donnerwagen stehenden, 
die Giganten niederschmetternden Jupiter darstellten, die Bildsäulen auf der Spitze und an den 
beiden Ecken des Giebels, sowie die Colossalstatucn des Augustus und Agrippa in den beiden 
Nischen der Vorhalle, es fehlt das edle Metall, welches die Cassetten der Kuppel vergoldete, es 
fehlt der Marmor und der Stuckühcrzug der äussern Mauern, es fehlt Tausenderlei — ich sage, 
was man vom alten Pantheon noch sieht, ist dies. 

1) Der Porticus, 33,5 m breit und 13 m tief, getragen von sechzehn Säulen aus orum- 
talischem Granit, deren marmorne Capitäle zu den schönsten Beispielen dieser Gattung in der 
römischen Kunst gehören; der Umfang der Schäfte beträgt 4,5, die Höhe 12,5 m. Acht Säulen 
stehen in der Front, die übrigen acht bilden, zu je zwei mit der ersten, dritten, sechsten und 
achten Frontsäule verbunden und an der Vorderseite des Pronaos durch vier vortretende Pfeiler 
oder Anten completirt, vier auf die Zelle zugehende Reihen, so dass drei Schiffe entstehen; das 
mittlere führt zum Eingang, während die beiden Seitenschiffe ihren Abschluss in zwei grossen Nischen 
zwischen den Anten linden. Ursprünglich führten fünf Stufen zur Vorhalle empor, später erhöhte 
sich der Boden ringsum so, dass man auf ebenso vielen Stufen dazu hinabging; auch jetzt liegt 
der Tempel immer noch niedriger als der Platz und wird daher von dem austretenden Tiber am 
ersten überschwemmt 

2) . Der Pronaos oder der den Zugang zur Cella vermittelnde geschlossene Raum an der 
Vorderseite des Tempels, mit Pilastern geschmückt, rechts und links zwei Treppen zum Oberbau 
und in der Mitte das Portal enthaltend. Die Schwelle der Thür ist von africanischem , Sturz 
und Pfosten sind von weissem Marmor; die beiden Thürflügel von Holz, aber mit starkem 
Bronzeblech beschlagen. Den oberen Theil derselben bildet, sei es der Ventilation, sei es der 
Entlastung wegen, ein metallenes Gitter. 

3) Die Cella oder das Innere. Ein hohler Cylinder, aus Ziegeln von vortrefflicher Qualität in 
einer Dicke von 6,7 m aufgeführt, erhebt sich auf einer Basis von Travertin, mit einer Grund- 
fläche von 42 m Durchmesser und in gleicher Höhe; auf dem Cylinder steht eine reine Halbkugel, 
deren Durchmesser 43.4 m beträgt, und deren Pol ein offener Kreis von 8,5 m Durchmesser, 
das sogenannte Auge (occhio) bildet; es erleuchtet den ganzen, wunderbar einfachen sphärischen 
Raum. In dieser erhabenen, kühnen Einfachheit wird alles Detail gewissermassen absorbirt: man 
bemerkt nichts weiter als das heilige, grosse, freie Wcltgebäude, durch dessen Wölbung 
die Sonne wie das Auge der durch den alten Himmel ziehenden Venus mild und fromm herein- 
schaut In der Mauer des Cyündcrs befinden sich sieben Nischen, in welchen die Götterbilder 



Quod non feccrjnl Baibari, 
Feeerum BiuUüinL 



126 





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4- I 



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standen, gegenwärtig Capellen; die vor dcnselhcn herumlaufende Säulenstellung gehört erst der 
unter Hadrian erfolgten Restauration an. Ueber ihr erheben sich eine Attica und eine Pilaster- 
stcllung, worauf das mächtige, aus Gussmasse bestehende und mit colossalen Cassetten geschmückte 
Rundgewölbe beginnt. Der Fussboden ist mit Porphyr und edlen Marmorarten belegt; er neigt sich 
etwas nach der Mitte zu, um den hereinfallenden Regen zu sammeln ; derselbe Aiesst durch einige 
Löcher in eine kleine, unter dem Fussboden verborgene Schleuse ab. 

Als christliche Kirche ist das Pantheon unbedeutend, aber berühmt als Mausoleum: in 
der Mittagsstunde geht Rafaels Geist aus seinem Grabe und streift es mit seinem göttlichen 
Widerschein. 

Ute hie cü Raphael, timuit quo suspiie vinci 

Kerum magna MMN et moheiite moti — 
Rafael ist es: solang er leUe, befürchtete ihre 

Niederlage Natur, mit seinem Tode den Tod — 

dieses Distichon, dessen Anfang der elegante Latinist, Cardinal Bembo, wohl noch etwas eleganter 
hätte machen können, bezeichnet nebst einer Madonna die Grabstätte des grossen und glücklichen 
Rivalen der Natur; er hatte sich den dritten Altar links in seinem letzten Willen selber für seine 
irdischen Reste ausgebeten; daneben ist die Gruft seiner Braut Maria, der Nichte des Cardinais 
Dovizio di Bibiena. Rafael starb am (harfreitag 6. April i 520 im 37. Lebensjahre; sein Skelett ward 
1S33 b-' einer Oeffhung des Grabes noch ziemlich wohlerhalten gefunden. Der Epitaphist, Cardinal 
Bembo las angeblich die Bibel nicht und betete sein Brevier nicht, um sich sein gutes Latein 
nicht zu verderben; er sagte, er vertauschte es nicht mit der Markgrafschaft Mantua. Ausser 
Rafael ruhen noch viele namhafte Künstler im Pantheon, so seine Schüler Baldassarre Peruzzi 



/ 



< 1 

(t '537). Perino del Vaga (■}■ 1547), Giovanni da Udinc (7 1564) und Taddeo Zuccaro (f 1566). 
auf ausdrücklichen Wunsch wurde noch 1609 Annibale Caracd an seiner Seite gebettet. Rafael zu jy y 

Ehren ist wohl auch die Brüderschaft der Künstler (Compagnia de' Virtuosi) mit dem Pantheon ^ [i 
verbunden. In der Capelle links neben dem Hochaltar steht ein Kenotaph des Cardinais Ercole J f " 
Consahri (t 1824}, der unter Pius VII. den Kirchenstaat neugestaltete, ausgeführt von Thorwaldsen, J> 
einem seiner vornehmsten Günstlinge; endlich rechts neben dem I lochaltar befindet sich die provi- / . X 
sorische Gruft Victor Emanuels IL, des ersten Königs von Italien (f 9. Januar 1878). lf y 

Er hat versprochen, in Rom zu bleiben, und er vcrlasst Rom auch im Tode nicht, der 
König-Ehrenmann: er bleibt in seiner Hauptstadt, ein heiliges Vermächtniss. Im Pantheon, dem 
eifersüchtig gehüteten Eigenthum der Päpste, schlägt er seine ewige Wohnung auf; in dem offenen 
Tempel, unter dem Bilde des Himmels, den er so sehr geliebt, will er schlafen und von einem 
langen, glorreichen Lebenswerke ausruhen, gleich der königlichen Dido, 

Urbem praeriaram «tatui, mea moenia vidi, 
Kl nuivr magna mei sub terras Ml 



Er zieht noch einmal durch die Stadt, die er gleichsam neugegründet : die Eiserne Krone 
setzt er auf: dann besteigt er sein Bett und legt sich bei Lampenscheine inmitten des mächtigen 
Rundes nieder. Der ausgespannte Himmel ist umflort : dicht und schwer hangen undurchdringliche 
Wolken auf den Sarkophag herab: an seinen Stufen liegen die Löwen des savoyischen Hauses 
gramvoll ausgestreckt Todesstille und Todesnacht in dem Allgöttertem|>el — das Vaterland neigt sich 
trauernd über den grossen Toten. Es ist nicht Victor Emanuel. es ist Italien, das sich hier Rom 
im Pantheon verpfändet — sein Stern steht verschleiert im Zenith darüber — der Vater hatte 
ihn entdeckt, der Sohn hatte ihn vom 1 Iimmel hcrabgeholt 



127 



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V. 



Südöstlich vom Pantheon lag Domitians Tempel der Minerva Chalcidica, auf dessen 
Trümmern jetzt (sopra Minerva) die grosse Marienkirche, die Hauptkirche der Dominicaner steht: 
die Madonna, welcher ein beredter Prediger dieses Ordens, Pelbart von Temesvär, unter dem 
Pontificat Alexanders VI. eine weltumfassende Weisheit zuschrieb — die Grammatik, denn sie 
machte niemals im Sprechen einen Fehler — die Rhetorik, denn sie beherrschte die heilige 
Schrift, die nach Sanct Augustinus alle Redeblumen der Erde enthält, vollständig — die Logik, 
denn sie bekämpfte die Ketzerei erfolgreich — die Musik, denn ihre Stimme musste harmonisch 
sein, da sie dem vollkommensten Ohre, dem Jesu Christi wohlgefiel — die Arithmetik, denn sie 
berechnete die Jahre, die von Abraham bis zum Messias verlaufen waren — die Geometrie, denn 
sie löste das Problem des Ezechiel, die Maasse des Tempels und der Stiftshütte betreffend — die 
Jurisprudenz, denn man erkennt einen geschickten Advokaten daran, dass er vor einem gerechten 
Richter gegen einen listigen Widersacher einen verzweifelten Process gewinnt: nun, die Sache 
des Menschengeschlechtes war eine verzweifelte, die heilige Jungfrau hat sie vor Gott, dem gerech- 
testen und aufgeklärtesten aller Richter, vertheidigt und hat sie gewonnen gegen den Teufel, 
einen verteufelten Widerpart — — diese Madonna konnte die Nachfolgerin auch der Göttin der 
Weisheit und die Patronin der hier aufgestapelten Bücherschätze werden. Vor der Kirche stellte 
Bernini 1 667 auf dem Rücken eines Elefanten einen kleinen Obelisken auf — die von dem stärksten 
aller Thierc getragene Weisheit der Argypter sollte abermals ein Symbol der Kraft wahrer Weisheit 
sein — man will, dass dieser Obelisk zugleich mit dem auf der Piazza della Rotonda von dem 
berühmten und berüchtigten Isistcmpcl stamme, dem Iscum - et - Serapeum, dessen heiliger Bezirk 
sich bis zur Minerva ausgedehnt hat. Hier, „in Isidis casto" wäre der Schauplatz der sechsten 
Satirc des Juvenal zu suchen, hier hätte die Erzählung von Paulina und Decius Mundus gespielt, 
die aus Josephus in die italienischen Novellen übergegangen Ist: 

Meide das Heiligthum dort, wo die Niloüschc Kuh thront, 

Buhlcrin war sie dem Zeus. Buhlinnen wirbt sie tarn Dienst — 

man darf wohl annehmen, dass böse Zungen über diesen geheimnissvollen Dienst mehr verbreitet 
haben, als wirklich dahinter steckte. Auch die Gründung des Iscum -et- Serapeum, will sagen 
eine Neugründung des mehrmals eingerissenen, wird von Einigen dem Domitian zugeschrieben; 
gewiss ist, dass der ägy ptische Gottesdienst, dessen Mittelpunkt der Isistempel war, seit den Zeiten 
Domitian's (Vespasian und Titus brachten hier die Nacht vor ihrem Triumphe zu) einer 
immer steigenden Beliebtheit genoss, und dass ihn erst das aufkommende Christenthum langsam 
verdrängen konnte. Endlich richtete Domitian auf dem Marsfeldc für Wettläufe, Wettfahrten und 
VY ettrennen ein Stadium ein, dessen Form und Umfang in der heutigen Piazza Navona, nach 
dem Pctersplatze dem grössten in Rom (250,25 m lang, 54,6 m breit) erhalten ist; der Name 
Navona, durch Umschreibung mit der Prät>osition in gebildet und aus Nagona In agone her- 
vorgegangen, erinnert an die einst hier abgehaltenen classischen Agonen, die noch heute nicht 
völlig ausser Gebrauch gekommen sind. Den Eingang des Stadiums schmückte vielleicht die 
ausgezeichnete Marmorgruppe, welche, obgleich sie sich durch keinen homerischen Vers belegen lässt, 
nach Viscontis Vermuthung den Menelaus darstellt, wie er den Leichnam des Patroclus von der 
Erde aufhebt (die Schultern des letzteren zeigen angeblich die Wunde, die er dem Homer 
zufolge im Rücken von Euphorbos erhielt, bevor der Stoss in den Unterleib von Hector's l^anze 
sein Leben endigte) — und, nachdem sie Jahrhunderte lang zu Boden und auf dem Bauche gelegen 
hatte, wo dann der breite Rücken des Menelaus bei schmutzigem Wetter als Trittstein diente, 1501 
in verstümmeltem Zustande von der Strasse aufgelesen und an der stumpfen Ecke des Palastes 

128 



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Orsini, gegenwärtig Draschi aufgestellt ward. I>urch alle diese und andere öffentliche Gebäude, 
deren Zahl sich unter den späteren Kaisern noch vermehrte, wurde der freie Raum immer mehr 
eingeschränkt und das Marsfeld nach und nach bis unmittell>ar ans Ufer zurückgedrängt. Als Augustus 
die Stadt in Quartiere theilte, machte er die grosse Hälfte desselben zur neunten Region, während 
er den östlichen, an den Hügeln anliegenden Strich zur siebenten Region schlug; jene ward nach 
dem Circus Flaminius , diese nach der Via Lata , ihrer westlichen ■ Grenzlinie genannt. Das war 
das Lager des Kriegsyottes, wo ciast die blutige, weltdurchsausende Lanze llog, und auf dem sich 
allmählich das bunte, ironisch gefärbte, mit tausend Reminiscenzen verquickte, halb antike, halb 
mittelalterliche, aber immer grossstädtische Leben des modernen Roms entfaltete. 

Es überstrahlte Alles; es war so jjross, dass Rom selbst nur wie ein Anhängsel dazu 



erschien — bis im Laut 
der Jahrhunderte, was 
Jahrhunderte gebaut 
hatten, langsam wieder 
einsank, und diese mit 
Tempeln und Säulen 
bepflanzte Ebene, diese 
schimmernde Marmor- 
stadt sich wieder in ein 
Feld und in einen Sumpf 
verwandelt«, nicht un- 
ähnlich jener Palus Ca 
prae, wo Romulus mit 
den Rossen seines Va- 
ters Mars unter Blitz und 
Donner gen I limmel ge- 
fahren war. Ruinen- 
stadt ohne Gleichen ! 
Erhabene Wüstenei! 
Aus deren Schutte die 
alten Götter wie schlum- 
mernde Kinder aus 
ihrem Bett hervorsehn 
— die nur noch das 




heilige Gras des Mars 
oder Dornen und Di- 
steln trägt, um einen 
Ketzer zu verbrennen. 
Und doch, das Mars- 
feld verödete nicht wie 
Palatium und Komm: 
zu ihm zog sich die 
übriggebliebene Bevöl- 
kerung hinab. Absuch- 
ten sie den Schutz des 
Gottes, der darüber wal- 
tet, nisteten die moder- 
nen Römer eng zusam- 
mengedrängt in der 
verschütteten Wunder- 
welt, in den Resten 
der Säulenhallen, in den 
alternden Palästen : Gas- 
sen bildeten sich, zwi- 
schen Trümmern zu 
Trümmern führend, 
deren ursprüngliche Be- 
stimmung ganz abhan- 



den kam: Tempel waren zu Kirchen, Mausoleen zu Burgen, Circusse zu Reperbahnen 1 ), Theater 
zu Schmieden geworden, und an der Stelle, wo die Gruppe des Menelaus mit dem Leichnam 
des Patroclus unbeachtet lag, auf der Via in Parione legte sich gegen Ende des 1 5. Jahrhunderts 
ein Schneiderlein ein Kleidergewölbe an, wo sich die Professionisten und die kleinen Leute zu 
versorgen pflegten. Der Meister hiess Pasquino; er war ein lideles Haus und mitsamt seinen 
vielen Gesellen ein grosser Spötter, sein Laden in jener journallosen Zeit eine Art Redactionsbureau 
für die guten Witze und die pikanten Anecdoten und die Klatschereien der StadL Andere sagen, 
er sei ein Schuhlltcker gewesen, wir würden ihn eher für einen Barbier nach Art des spanischen 
Figaro gehalten haben. Mit seiner scharfen Zunge schonte er keinen Papst und keinen Cardinal. 
Trotzdem erschien ein Handwerker der Regierung zu unbedeutend, um sich ernsthaft mit ihm und 



') So der Circni l'Uuninius, de» «ich dre Seilet xa Ihrer Wcrk.lllle »mcnnlKti, und 
S. CMcrim de" eWI acht. 



deucn Trimmern eine nach tlieier Zuuft \>e 



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seinen Einfallen zu beschäftigen, und deshalb schoben gelegentlich auch andere Leute ihre Anecdoten 
dem Meister Pasquino in die Schuhe, wenn sie eine ungestraft in Umlauf bringen wollten: Pasquino 
war der allgemeine Zungensündenbock. Er starb, aber das sarkastische Feuer, das in der Hölle des 
römischen Schneiders gelodert hatte, brannte lustig weiter, und da gerade um diese Zeit, ihm 
gleichsam vor der Nase, der Sturz auferstand, dessen originelle Missgestalt eine unleugbare 
Wahlverwandtschaft mit dem wackeren Meister zu haben schien, glaubte das Volk, Pasquino's 
Seele sei in diesen Sturz gefahren, nannte ihn Pasquino und schrieb fortan auf Rechnung des 
steinernen Pasquino, was es aus dem Munde des lebendigen zu vernehmen gewohnt gewesen war: 
es fand die „Pasquinoli" an seine Brust geheftet, sie schienen ihm wie den Heiligen die Papier- 
streifen auf alten Gemälden zu entströmen. So entstand die lachende Pasqui na ta, ein Ableger 
der antiken Satira, und der volkstümliche Pasquillo, ein speeifisch römischer, römisch classisch- 
biblisch-historisch-kosmopolitischer Kladderadatsch, respective der Schulze des Kladderadatsch, indem 
die Rolle Müllers zuweilen ein anderer Geist, Marforio, übernahm, dessen Bekanntschaft wir auf 
dem Capitole machen werden, ab und zu sogar noch der Abate Luigt und die Madama Lucrezia, 
ebenfalls alte marmorne Stammgäste des Marsfelds aufzutreten pflegten. I3ie Franzosen machen 
sich Luft mit Chansons, die Italiener mit Pasquinaden. 

Merkwürdiges Fragment ! Iis bewegt sich nicht, es lebt ; es hat keine Augen noch Ohren, 
es sieht und hört Alles; seine Nase ist bis auf den letzten Rest verschwunden, aber es spürt und 
wittert wie ein Polizeispion. In ihm wohnt nicht die Seele des armen Schneiders, die Seele des 
römischen Volks durchdringt es und belebt es, und durch seinen Mund haben Sannazaro und 
Poliziano und Ariost geredet; es kennt die heilige Schrift besser als Padre Tosti, es hat mehr 
darin gelesen als der Papst, der das zehnte Mal unwissend ist, wie Paulus schreibt, und es 
schleudert seine Blitze mit überraschender Präcision in Sprüchen aus dem alten und aus dem 
neuen Testament. Hütet euch vor ihm! Der alte Pasquino ist ein mächtiger Kritiker: tausend 
stolze und wichtige Gesichter hat er einst erbleichen, tausend erröthen ') machen. Wer wagte es 
ihn zu stürzen? Im Jahre 1592, unter dem Pontilicat Gemens' VIII, sollte er zerstückelt und in 
den Tiber geworfen werden. Die Prälatur hatte ihn verurtheilt, die Cardinäle Pietro und Cinzio 
Aldobrandini, Nepoten des Papstes, schworen ihm den Tod — wer erhob seine Stimme für ihn? 
Torquato Tasso! der grosse und unglückliche Tasso ! Er sagte zum Cardinal Pietro: „Tastet ihn 
nicht an! Dem Staube Pasquino's würden Frösche ohne Zahl entkriechen und am Ufer des Flusses 
quaken Tag und Nacht." Tasso's Worte wurden dem Papste hinterbracht, er zog ihn zur Rechen- 
schaft. „Ja, ja, seligster Vater", antwortete der Dichter, „wenn die Statuen nicht übel reden sollen, 
so müssen die angestellten Beamten auch nicht übel thuen (Se la vostra Beatitudine vuol che le 
statue non favellino male, faccia che gli uomini ch'ella jione nc' governi operino bene). Wenige 
Tage darauf verkündete es Pasquino: Die Poesie hatte die Satire gerettet 

Besonders stark war Pasquino im Auffinden und im Anbringen von Bibelstellen. Ein 
Papst hatte in seinem Wappen einen Weiastock. Desselben Papstes Glück hatte ein Fürst ge- 
gründet, gegen den er sich sehr undankbar benahm. Pasquino sagte: 

PlanUvi vineaiu, et feat lalmisrum. 

Das heisst: ich habe einen Weinberg gebauet und wartete, dass er Trauben brächte, aber 
er brachte Heerlinge. Der Papst war empfindlich getroffen; er versprach demjenigen eine 

l'< Er hat alirr .Dich einmal vurarogesagt, «laut ne nicht erruten werden. In dem franruiiscben Nalioualconcil von 1681 war der 
fnrpxr Errbnchuf r'rancoit de Harlai mit besonderem Eifer für die Unabhängigkeit der Gallicanischen Kirche vam Italigen Stuhle eingetreten. 
Da erxhirn in Korn eine Medaille, des PrthUea darstellend, wie er vor dem Heiligen Vater auf da Knie«! lag. l'mijadno stand dabei und 




ansehnliche Belohnung, der ihm den Urheber der Satire nennen wollte. Den nächsten Morgen 
fand man ebendaselbst folgende Afliche: 

Jssias. Cap. 5, I. 

Diese Taktik wurde, weil den Päpsten nicht zu trauen war, gemeiniglich befolgt Ein 
ander Mal hatte der heilige Vater den Tabak besteuert oder die Steuer darauf erhöht. Eines 
schönen Morgens konnte alle Welt, ich weiss nicht ob am Fussgestell Pasquino's oder an den 
Mauern des apostolischen Palastes selbst, den 25. Vers vom 13. Capitel des Buches Hiob lesen: 

Com» foliuro, quod vcnlo rapitur, obstendis potentiam tuain, 
et »lipulam siccaiu persequeri»? 

Zu deutsch: Willst du wider ein fliegendes Blatt so ernstlich sein und einen dürren Halm 
verfolgen f — Der Papst, dem man es hinterbrachte, befahl, dass man die Worte stehen lasse, und 
sagte . es würde ihm Vergnügen machen, den Autor kennen zu lernen, der ein geistreicher Mann 
sein müsse. Des Wunsches ward er gewährt, denn bald darauf hatte sich der Autor unter- 
schrieben, nämlich: 

Job. 

Nun Hess der Papst aussprengen, er würde dem Satyriker ein glänzendes Honorar zahlen, 
wenn er sich entdecken wollte; der aber, durch gewisse Präcedenzien gewitzigt, machte sich 
nächtlicherweile auf und schrieb neben den Namen Hiobs: 

gratis. 

Und so mochte der gute heilige Vater bersten vor Aerger, er bekam ihn nicht heraus. 

Man sagt in Italien, ein Papst bekomme nimmer die Wahrheit zu Gesicht, ausgenommen 
wenn er das Evangelium lese. Wahrlich, das Evangelium hat ihnen Pasquino des Oeftern vor- 
gehalten, er verfolgt sie noch im Tode mit seinen Bibelstellen. Gemens VIT. hatte sich durch 
den Genuss von Melonen und Pilzen, die er übermässig liebte, ruinirr, er nahm einen neuen Arzt 
an, einen gewissen Agnolo, der ihm eine neue Diät vorschrieb; das beschleunigte seinen Tod. 
Die Römer, die darüber wenig trauerten, hingen das Porträt des Arztes an die Statue des 
Pasquino und schriclven den 29. Vers des 1. Capitcls vom Evangelium Johannis darunter: 

Eccc Agnus l)ci, 

cccc qui tollit pcrciMum mundi. 

Siehe das ist Gottes Lamm, welches die Sünde der Welt hinwegnimmt — was an die Grab- 
schrift für die Mutter des Herzogs von Orleans erinnert: Hie jacet otium, hier liegt der Müssig- 
gang. L'oisivete, heisst es, est la mere de tous les vices. 

Aber Pasquino machte auch seine eigenen Witze: Welches Ist der Superlativ, fragte er 
einmal, zu dem es keinen Positiv gibt? — Der Papst, antwortete er, den man den heiligsten 
Vater (santissimo padre) nennt und der doch oft genug nichts weniger ist als heilig. Er sprach 
auch nicht immer I^tein, er sprach nicht immer gelehrt, er sprach die „Volgar Lingua." Nament- 
lich, wenn er sich mit Maribrio unterhielt; aber gelegentlich redete er auch seinen Liebling, den 
heiligen Vater, italienisch an. Als Pius VII. nach dem Sturze Napoleons wieder in Rom einge- 
zogen war, crliess er eine Verordnung, wonach alle, die unter der kaiserlichen Regierung gedient 
hatten, entlassen und jeder Anwartschaft auf eine neue Stelle verlustig erklärt wurden. Den 
nächsten Morgen stand auf dem Piedestal Pasquinos: 

Padrc santo, padie santo, voi l'avcte unto 
e iM)i 1'ahbUmo leccalo, 

das heisst: Heiliger Vater, heiliger Vater, du hast es geschmiert und wir haben es geleckt, oder 
mit einem uns gewöhnlicheren Bilde, du hast die Suppe eingebrockt und wir haben sie gegessen. 

'3' 



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Ganz aus derselben Zeit (1814) stammt folgender Dialog, den Pius VII mit Ludwig XVIII. zu 
Pasquinos Küssen führte: 

Ludwig. Heiliger Vater, wie hast du doch einen Usurpator krönen können? 

Pius. Was willst du, mein lieber Sohn ? Du fehltest. 

Ludwig. Aber mit meiner I^gitimität , heiliger Vater , herrsche ich auch , wo ich fehle. 

Pius. Aber mit meiner Infallihilität , lieber Sohn, habe ich Recht, selbst wenn ich fehle. 

Wie hinter dem alten Schneider, so verbargen sich auch hinter seinem Torso oft genug 
die eminentesten Personen, ja Glieder des heiligen Collegs, die seine Hülfe namentlich bei Ge- 
legenheit von Conclaves in Anspruch nahmen. Unter den zahllosen Pasquinaden , mit denen 
Alexander VI. überschüttet ward, befanden sich genug, die ohne Zweifel auf seinen unversöhn- 
lichen Gegner, den Cardinal Giuliano della Rovcrc, den späteren Julius II. zurückzuführen sind; 
nahm er sich doch ein andermal gar nicht erst eine Pasquinade vor den Mund, sondern nannte ihn 
offen „papa marrano c simoniaeo e traditore." Hin Jahrhundert später, im Jahre 1669, sprach 
man in Rom davon, den Cardinal Giovanni Bona zum Papst zu machen. Pas<|uino erklärte 
augenblicklich : 

Papa Mona est oratio incongma, 

d. h. Papa Bona ist (weil Papa männlich) ein Genusfehler; der schlagfertige Cardinal antwortete 
sofort mit folgendem Distichon: 

Vana volciccismi non tc connubet imago: 
End j>ai>A bunub. si Bona |japa foret. 

Abgesehen von der sonderbaren Metempsychose, durch welche sie zum Krben des Witzes 
eines Schneiders geworden war , lebte die antike Marmorgruppe auch als solche fort ; das heisst 
nicht als die Gruppe des Menelaus mit dem Leichnam des Palroclus, denn dafür erklärte sie 
erst Visconti, sondern als die des schwarzen Klitos mit dem .schwerverwundeten Alexander oder 
des Spiculus mit einem sterbenden Pechler oder des Hercules mit dem nemeischen Löwen oder mit 
der Hydra, oder wofür man sie sonst hielt; ja, in dieser ursprünglichen Kigenschaft pflegte sie 
bei Processionen, die hier vorüberkamen, z. B. lx:i den päpstlichen Krönungszügen, namentlich 
auch am 25. April zu Marci wie eine Puppe angezogen, mit Karben bemalt und allegorisch 
ausstaflirt zu werden. Ihr Schicksal ist wohl das seltsamste, welches jemals eine Mannorftgur 
gehabt hat Ein unvergängliches Meisterwerk, die höchste Stufe hellenischer Kunst bezeichnend, 
dem Torso des Hercules im Belvedere zu vergleichen und noch in seiner Verstümmelung von 
einem Bernini einem überalpischen Krcmdcn als das vollkommenste Kunstwerk Roms genannt — 
zu des Kremden Befremden so genannt, er wollte Bernini fordern, weil er glaubte, dass sich der 
Künstler lustig mache über ihn — dieses Meisterwerk als Trittstein auf der Strasse, um trocken 
von Trottoir zu Trottoir zu schreiten, mit Küssen getreten im eigentlichen Sinne — ein homerischer 
Held, von dessen rechter Schulter das Wehrgehänge mit dem Schwerte herabfallt, während das 
heroische Gewand über die linke geschlagen ist, bewohnt von einer Schneiderseele. Witze im 
Ton des gemeinen Volkes reissend und Bibelstellen citirend — ein Phidias, beflickt mit Epi- 
grammen, in eine Narrenkappe gesteckt, travestirt in hundert Manieren — mit einem Wort ein 
Pasquino — welch ein beissendes Pasquill! 



h^MH- 




Das Capitol. 

L 

asquino mit seinen etwas nach der Schule .schmeckenden, aber originellen Scherzen 
''hat uns interessirt; wir sind neugierig, anch die Bekanntschaft Gevatter Marforios 
zu machen. Wo wohnt Marforio? Auf .Martis Forum'? — Wir theilen für einen Augen- 
blick diese seltsame Phantasie der Römer, die in ihren Ktymologien oft so unglücklich 
sind wie die Alten selbst; bis wir einsehen, dass es ein Forum Martis nirgends gab, und 
dass Marforio oder Marfolio, wie Pasquino, ein Personenname ist Kxistirt er doch noch 
heute: Girlos Marfori hiess ein bekannter Günstling einer bekannten Königin, der sich 
rühmte, der Sohn eines italienischen Kochs zu sein. Koch und Schneider sind treffliche 
Kumpane. Wir müssen uns also aufmachen und den Signor Marforio erfragen ; leider 
scheint er dem Volke nicht mehr recht vorgestellt zu sein, und wenn uns einmal ein Koch 
genannt wird, so ist's ein französischer. Line ganze Weile irren wir in dem verwetterten 
Gassenlabyrinth umher, endlich bringt uns unser Stern an den Palast Vidoni. Da ist er ja, 
rufen wir entzückt , indem wir an der Ecke desselben eine verstümmelte Togastatue gewahren, 
Pascjuinos Widerspiel! Ein Römer in der majestätischen Tracht des Römers! Marforio athmet 
römischen Geist, martialischen Witz! — Aber der Mann mit der Toga grinst uns an: er sei 
der Abate Luigi. — Entschuldigen Sie, Signor Abate, es war ein Missverständniss; übrigens 
haben wir auch von Ihnen gehört. Herrn Abate Luigi unsern ergebensten Gruss! Und unsern 
Mut hoch lüftend gehen wir weiter. Wir gehen bis zu Bibulus' Grab, des ehrenfesten Republicancrs — 
es lag einst dicht an der Grenze der antiken Stadt, es liegt jetzt umgekehrt an der Grenze der 
modernen — und gerathen auf den römischen Marcusplatz. Hier vor San Marco stösst uns aber- 
mals etwas von Pasquinos Sippschaft auf, eine verstümmelte Marmorbüste; aber es ist nicht 
einmal eines Mannes Büste. Madama Lucrezia unsern ergebensten Gruss! Wir haben auch von 
Ihnen gehört, aber wir suchten Marforio. 1 >en ganzen Campo Marzo . . . „Marcello } Den Marcello 
suchen Sie? Werde Sie führen", unterbricht uns ex improviso ein junger Cicerone, der eine mäch- 
tige Meeräsche in einer Reuse trägt, und ohne eine Antwort abzuwarten, läuft er mit seinem 
Fische voraus und ruft uns zu und winkt uns, und wir müssen ihm folgen, wir mögen wollen oder 
nicht. Er kommt uns vor wie der junge Tobias, der in seiner Freude, einen guten Fang im 
Tigris gemacht zu haben, zum Engel der Menschen wird. Hui! Da sind wir auf einem Platz, 
wo die I.andleute, die Frauen, die Kinder, die Esel dicht beieinander stehn — sie verdingen sich 
an die Oeconomen, sie probieren Schuhe, sie kaufen sich Nägel, sie zählen ihre Soldi -• sie lassen 
sich rasiren, sie beschlagen sich ihn; Sohlen, sie dictiren Briefe, sie essen Kuchen, sie trinken 
Limonade — die Männer tragen blaue Mäntel und spitze Hüte, die Frauen knappe weisse Mieder 
und rothe Schürzen — es sind Gruppen wie aus der Bibel, lauter heilige Familien, zum Malen. 
„Da sind wir, da sind wir", ruft unser Tobias nach dem Porticus der Octavia enteilend, und überlässt 
uns unserm Schicksal. Wo sind wir denn ? Auf der Piazza Montanara ; nun, was soll's ? Wir schauen 
uns um: an den Platz stösst, bis zur Hälfte verschüttet, eine Schmiede, eine riesige, halbkreis- 
förmige, rauchgeschwärzte Schmiede: das bläst und hämmert und dengelt und schlägt Funken 
wie beim leibhaftigen Vulkan. Und, sonderbare Schmiedewerkstätten das! Jeder Schmied hat ein 

H 

■33 



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Gewölbe von Traverün und einen Bogen, dessen Schenkel Säulen dorischer Ordnung schmücken; 
darüber erhebt sich in jonischem Stil ein zweites Stockwerk, aber mit zugemauerten Arcaden; ja, 
es folgte wol am Ende noch ein drittes und viertes Stockwerk. Eine Ruine! Kann man auch 
hineingehn? Nein, aber hinauf; in Schutt und Moder ist sie zu einem Berge angewachsen, und 
auf dem Berge abermals in vier Stockwerken ein Palast aufgeführt Er muss an die Orsini ge- 
kommen sein, da zwei steinerne Pctzchcn (orsini) an der Auffahrt Männchen machtm. Dass dies der 
Monte 5a- 



velli und die 
Ruine das 

Marcellus- 
theater ist? 
Das Theater, 
welches Au- 
gustus dem 

Andenken 
seines zärt- 
lich gelieb- 
ten, auf dem 
Marsfelde be- 
grabenen 
Neffen weih- 
te, in dessen 
unmittelbarer 
Nähe nach- 
mals die 
Thürme der 

Pierleoni 
standen, das 
endlich die 
Savelli zu 
ihrem Hor- 
ste wählten } 
Kein Zweifel, 
er ist's! Wir 
wissen, dass 
die Orsini den 
Savelli'schen 
Palast im vo- 




lJ*e \ jtderscitc de* Cipitolsplaues am den OiosXores. 



rigen Jahr- 
hundert kauf- 
ten, im ge- 
genwärtigen 
bewohnte ihn 
Niebuhr als 
preussischer 
Gesandter, 
und in der 
Nähe muss 
die Goethe- 
kneipe sein. 

Marcel- 
lus! Götter- 
begünstigter, 
frühentraff- 
ter, im Ge- 
sanguivsterb- 
licher Dich- 
ter unsterb- 
lich lebender 
Marcellus ! 
Als der from- 
me Aeneas in 
der Unter- 
welt vorah- 
nend die Ge- 
schicke Roms 
erschaute, da 
war deine ide- 
ale, jugend- 
schöne Er- 



scheinung das Letzte, was ihm auffiel ; mit deinem rührenden Bilde schloss die unabsehbare Reihe der 
sich vor ihm entringenden Heldensöhne wie mit einem Seufzer ab. So klingt dein Name auch hier, wo 
wir nicht vorwärts, sondern rückwärts geschaut haben, den silbernen Gestalten der Vorwelt nach gleich 
einem leisen Seufzer — wehmüthig, mit einem Lächeln entsagst du dem süssen Leben, entweichst du 
zum Vater Mars und mahnst uns, dass für die Blumen der Menschheit kein Bleibens hinieden ist, 
dass der Genius die Erde nur im Fluge mit seiner Helligkeit berührt und wie ein Meteor verschwindet : 

ottendent terris hiiw lanuim lata no|ue ulua 
cmc sinem. 



'34 



Ks scheint, wir haben kein Glück mit dem Marforio: er entwindet sich uns gleich einem 
Proteus. Aber ein Königreich, ein Rom für Marforio! Auf dergleichen flüchtige Schönheiten 
capricirt man sich erst recht, und das Capitol mit allen seinen Schätzen kann uns gestohlen werden, 
so lange wir ihn nicht haben. Links von der Piazza Montanara geht es nach Piazza Araceli und 
hier in drei Wegen zur alten Burg hinauf: links führt eine Treppe von 124 Stufen zur Nordspitze, 
respective zur Kirche S. Maria in Araceli (50 mi, rechts eine Rampe zur Südwestspitze, respective 
zum Palazzo Caffarelli und zur deutschen Botschaft (47,5 m), in der Mitte eine asphaltirte Cordonata, 
das heisst nicht etwa eine Treppe, auch keine flache Treppe, sondern eine statt von Stufen von 
steinernen Cordons durchschnittene schiefe Kbene zur mittleren Einsenkung, dem .inter montes' ge- 
legenen Intermontium, respective der Piazza del Campidoglio (30 m) empor. Diese Piazza del Cam- 



pidoglio ist ein Viereck 
von über j6o m Umfang, 
das drei grosse Paläste 
zu Seiten hat, den Palast 
des Senators, wir würden 
sagen , die Polizeiprae- 
fectur mit dem Glocken- 
thurmc im I lintergrund, 
links den Palast des Mu- 
seums, rechts den Palast 
der Conservatoren ; die 
offene Vorderseite oder 
Grundlinie des Vierecks 
stellen zwei Säulenjjelän- 
der dar, welche sich schen- 
keiförmig an die Balustra- 
den des Aufgangs schlies- 
sen und , rechtwinkelig, 
aber wagerecht von ihnen 
abspringend, in entgegen- 
gesetzter Richtung nach 
den Ecken des Vierecks 
laufen ; sie sind gleich, 
denn die perpendiculär 




auf die Grundlinie gefällte 
Cordonata trifft dieselbe 
in ihrem Mittelpunkte 
und halbirt sie. Am 
I Ialbirungspunkte, auf den 
Scheiteln der Winkel, 
stehen zwei antike Sta- 
tuen der Dioskuren kolos- 
saler Grösse, in halbei- 
formigen Hüten, jeder 
mit seinem Pferde, vom 
Theater des Pompcjus 
stammend ; die Füsse 
der schräg ansteigenden 
Balustraden bezeichnen 
zwei wasserspeiende Lö- 
wen von Basalt, alt- 
ägyptische Werke und 
unübertroffene Muster die- 
ses Stils (merkwürdig ist 
Bulwers Irrthum, der sie 
mit Rienzis lebendigem 
verwechselt 1 ; die hori- 
zontalen Schenkel sind 



in demselben Verhältniss, wie sie sich beiderseits und in verschiedener Richtung vom Mittel- 
punkt entfernen und den Ecken nahem , mit Bildwerken besetzt , die wie die Meilensteine sym- 
metrisch an divcrKircndcn Strassen stehn; auf die Dioskuren folgen die Trophäen des Marius, 
die Seite 109 erwähnten Cimbern, auf diese zwei Statuen aus den Constantinsthermcn, Kaiser Con- 
stantin den Grossen (CONSTANTINUM AUG.) und seinen Sohn, Constantin II. (CONSTANTINUM 
CAES.J darstellend, auf diese endlich an den Enden des Geländers zwei wirkliche antike Meilen- 
steine in Säulenform (Milliaria), von denen indessen nur der auf der rechten Seite echt ist: er 
bezeichnete mit der Ziffer 1 das Ende der ersten Meile oder, was dasselbe ist, die ersten tausend 
Schritt (Millia passuum) auf der appischen Strasse, von der Porta Capcna an gerechnet Nach 
Plutarch war es Caius Gracchus, der die italienischen Strassen nach Meilen eintheilte und die 
ersten Meilensteine i*iora< xitfooiv ayitia 101" ,«. - r " errichtete; Inschriften auf dem unsrigen 
sprechen von einer zweimaligen Erneuerung desselben durch Vespasian und Nerva. Den Gipfel 



'35 



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der Säule schmückt eine antike Metallkugcl, die nicht darauf gehört — diese beiden Meilensteine als 
„Milliaria aurea" auf das Capitol zu setzen hat selbst keine rechte Pointe, ja, bis auf die Trophäen des 
Marius, entbehrt dieser Pointe der gesammte plastische Schmuck des Platzes, der nur durch 
äussere Rücksichten , namentlich auf Pendants gerechtfertigt werden kann ; im Mittelpunkte des- 
selben steht, das heraufkommende Volk erwartend und den rechten Arm zu einem Salamalek 
erhoben, übrigens selbst zu Pferde mehr Philosoph als Cavalicr, die eherne Reiterstatue dt» 
Kaisers Marc Aurel, während eine geringfügige, noch dazu falsche Roma, die an der Freitreppe 
des Senatorpalastes in einer Nische sitzt und als Brunnenfigur über den kolossalen Bildsäulen 
des ägyptischen Nils und des römischen Tiber thront, einen fast erbärmlichen Abschluss bildet. 
Michelangelo, dem die Gestaltung des modernen Campidogüo zugeschrieben wird, wollte, um 
ihm wenigstens einen Abglanz der alten Herrlichkeit zu geben, eine Kolossalstatue Jupiters 
an ihre Stelle setzen, die besser gepasst hätte. Den Glockenthurm krönt, wie früher erwähnt, 
gleichfalls eine Roma. Dieses Ensemble von Bildwerken, die meist gar keine nähere Beziehung 



zum Capitole 
haben , auch 
sich nur zum 
Theil über die 
Mittelmässig- 
keit erheben, 
sieht echt an- 
tiquarisch-ge- 
lehrt und pe- 
dantisch - zu- 
sammenge- 
tragen aus; 
bereits auf 
Seite 33 ha- 
ben wir er- 
zählt , dass 
man auch eine 
lebendige 




Ifcr Opitufepbtt Hak« vom Setiatirotip&Uu £<*«lxti. 



Wölfin dazu 
gesperrt hat. 
Die Grösse 
des Platzes ist 
die histori- 
sche; wie er 
(im Gegensatz 
zur Peterskir- 
che) dem leib- 
lichen Auge 
grösser er- 
scheint als er 
ist, weil der 
freie Raum 
nach der Tiefe 
breiter wird, 
so täuscht der 
Name Capitol 



und die mächtige Erinnerung an den religiös-politischen Mittelpunkt des ganzen Römischen Reichs 
auch unser geistiges. Oder will es uns etwa nur in diesem Augenblicke so bedünken, wo 
wir den Marforio im Kopfe haben? Vielleicht! Thatsache bleibt, dass wir, wie wir an der Nord- 
seite heraufgekommen sind, an der Südseite wieder hinunter gehen und theilnahmlos an Marc 
Aurel vorüber den Abhang hinab zum marmertinLschen Gefängniss eilen, dahin, wo wir am 
Anfang unserer Wanderung durch das antike Rom gestanden haben. Marforio, wo bist du? Dass 
wir mit diesem Seufzer auf den Lippen wiederkehren würden, hätten wir damals nicht geahnt. 

Es ist dir, lieber Leser, wohl schon in Berlin oder sonst einer grossen Stadt des öfteren 
begegnet, dass du einen guten Freund gesucht hast, und dass dir, nachdem du seine Wohnung 
endlich mit vieler Mühe aufgefunden, der Bescheid ward, er sei unlängst ausgezogen ; ja, dass du 
nun eben wieder zu einem 1 lause zurücklaufen musstest, bei dem du vorhin vorbeigegangen warst, 
weil du seine Anwesenheit nicht ahntest. Genau so geht es uns jetzt hier, bei San Giuseppe 
de' Falegnami mit dem Marforio; in Berlin verändern die Menschen ihre Adressen, in Rom die 
Statuen. Denn denke dir, dass wir in dieser Entfernung von Pasquino gleich hinter dem Capitol 
wirklich eine „Salita di Marforio" erblicken! Und denke dir weiter, dass wir, während schon alle 



13« 



t 

I 



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unsere Pulse schlagen, an einem Häuschen gegenüber dem Carcer Mamertinus über der Thür 
eine Anzeige lesen, Marforio habe hier gewohnt, aber er sei aufs Capitol verzogen! 

HIC ALIQUANDO INSIGNE 
MARMORKUM SIMUI.ACRUM KU1T, 
QUOI) VUIjGUS (tl! MAR I IS FORUM 
MARFORIUM 
NUNCUPAVIT; 
IN CAHTOLIUM t'BI NUNC EST 
TRANSLATUM. 

Das heisst Unglück im Glücke haben ! Jetzt können wir wieder umkehren und abermals auf 
den Burgberg, wo recht viele alte Leute versorgt zu werden scheinen, steigen — und jetzt 
werden wir uns das Capitol genauer ansehen. 

II. 

In der That, wie in alter Zeit auf dem Sattel des Capitolinischen Gebirgs die Unglück- 
lichen und die Verfolgten ein Asyl gefunden haljen, so fanden im Mittelalter auf demselben Joche 
die verfolgten Antiken, Gotter und vergötterte Kaiser eine Zuflucht, indem man sie wie schwache, 
unvermögliche Leute nicht nur unter freiem Himmel auf dem Platze selbst, sondern auch in den 
anstossenden Hospizen unterbrachte; und welches Areal hätte sich wohl besser zu solchen 
Stiftungen geeignet als das capitolinische, das vom Andenken der alten Götter noch umschwebt 
war und wo ihre vornehmsten, heiligsten Tempel gestanden hatten. Wir müssen nur erst in die 
Paläste, wo auch der Marforio sein Altentheil hat, hineinsehn, so werden wir auch die paar 
Statuen vor ihnen in einem andern Licht betrachten — das ganze Capitol bildet gleichsam ein 
einziges Museum, von dem die Dioskuren und die Trophäen des Marius nur einzelne, im 
Schaufenster ausgestellte Splitter und Proben sind ; und dieses Museum hat ein historisches 
Recht, es ist tief in der Vergangenheit des Bergs begründet, die capitolinischen Sammlungen 
sind voll Sinn. In Rom hängt Alles wie im Weltganzen zusammen, es giebt keinen Zufall drin ; 
durch alle Theilc dieser merkwürdigen Stadt geht eine gewisse gebieterische Logik. 

So auch durch's Capitol. Eine alte ungeschickte Legende lässt auf ihm, im Baugrund 
des Jupitertempels , unter der Herrschaft des Tanjuinius Superbus den Kopf eines Menschen mit 
frischem und unverwestem Antlitz, den Kopf eines gewissen Tolus oder Aulus Vukentanus 
gefunden werden ; und dieses Caput Toll, in welchem man ein Symbol des Caput Mundi und der 
Hauptstadt der Welt erkannte, soll die Veranlassung gewesen sein, dass man Tempel und 
Tempelberg Capitolium benannte, während der letztere bis dahin Möns Saturnius oder Tarpejus 
geheissen hatte. Die Legende beruht auf einer erbärmlichen Volksetymologie , wie eben eine 
solche in unserer Zeit zur Anlehnung an Campus und der Umgestaltung des Wortes Capidolio 
in Campidoglio geführt hat Aber soviel ist richtig, dass der Käme Capitolium wirklich mit 
Caput und Kopf zusammenhängt, indem er etwa soviel wie Koppenfels bedeutet; ja, in einem 
figürlichen Sinne kann man sagen — Menschenkopf steckt in dem kleinen Capitol wie im römischen 
Boden überhaupt, Kopf für alle sieben Hügel, Kopf, viel Kopf. 

Dass ein Berg mit einem Kopfe verglichen wird , ist etwas Alltägliches : der Vergleich 
lag hier besonders nahe, weil das Capitol nach allen Seiten steil, am steilsten gegen Westen und 
Südwesten in die umgebenden Sümpfe abfiel; hier wo gegenwärtig das deutsche archäologische 
Institut und das protestantische Hospital, die Casa Tarpca steht, hat man den Tarpejischen 
Kelsen (Rupe.s Tarpeja) zu suchen, von welchem die Staatsverbrecher herabgestürzt zu werden 
pflegten; obgleich die Abschüssigkeit des Terrains im Ganzen durch Anhäufung von Schutt und 

■ 

•37 



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Trümmern, Häuseranbau und Abbröckclung des Gesteines selbst erheblich vermindert worden ist. 
gibt es doch im Garten des Hospitals noch eine Stelle, wo die Felswand in einer Höhe von 
ungefähr 20 m senkrecht abstürzt, und welche "man den Fremden als Rupe Tarpea zeigt. Im 
Alterthum mochte der Hügel in seinem gesamten Umfang (925 m) solche schroffe, unersteigliche 
Mauern zeigen ; denn eine auffallende Bergkuppe bleibt er immerhin. Finsam und trotzig ragt 
er in die Höhe: auch vom Quirinal, der ihm im Nordosten gegenüber steht und mit dem er 
ursprünglich mittels eines breiten Rückens zusammenhing, ist er gegenwärtig durch ein enges 
Thal und das darin liegende Trajansforum geschieden, im Osten trennt ihn das Forum des 
Augustus und die heilige Strasse vom Esquilin, im Südosten die Tiefe lies Forum's vom Palatin, 
im Süden das Forum Boarium vom Aventin; seinen südwestliehen Fuss, genauer den schmalen 
Uferstreifen, der das Marcellustheater und den Kohlmarkt (Forum Olitorium) trug, bespült der 
gelbe Tiber. Aber dieser dominirende, eiförmige Kopf ist wiederum nicht einfach, sondern, nach 
Art einer gekrümmten Hantel, in zwei Köpfe und einen Hals, sozusagen in ein Geköpf gegliedert — 
vielleicht dass der Begriff Capit-oli-um etwas dergleichen bedeutete: ein Kopf und zwar der 
höhere sitzt an dem nordöstlichen Fnde der länglichen Masse auf, ihn krönt die Kirche und das 
Franciskanerkloster von S. Maria in Araceli; ein anderer Kopf sitzt am südwestlichen , ihn 
bezeichnet der Palazzo Caffarelli ; der 1 lals oder Busen ist die Piazza del Campidoglio. Die Südost- 
höhe, welche an den südwestlichen Gipfel anstösst und die deutschen Institute trägt, führt den 
Namen Monte Caprino oder Geissl>erg, derselbe ist ein Pendant zu dem Namen Kühweide (Campo 
Vaccino), welchen das Forum führte, und ein Beleg, dass auch das Capitol wiedergeworden ist, 
was es in vorgeschichtlichen Zeiten war — ein wildes, struppiges Gebirg, einst golden; Virgil 
hatte diese Worte gerade umgekehrt. 

Aurea nunc, ulim JwUilllU hurrida dumih. Aen. 8,34s. 

Fragen wir nach dieser topographischen Uebersicht, wie sich die glänzenden Gebäude 
vertheilten, welche den Berg im Alterthum bedeckten, so erhalten wir folgende merk- 
würdige Gleichungen : 

Franrivcanerklosler = Ilurg (Am) 

S. Maria in Ära Ceti = Miliue tMoivcta) und Tempel der Mutvgöttin ijuno Moneta) 
Piaita del Campidoglio = Freistätte (Asylum) 
Scnatorpalast — Staatsarchiv (Taliularium) 
Protestantisches Hospital — Rirhtstatte (Rupo TarjKrja) 
Palast Caffarelli — Jupitcrtcmpel (Capilolmm). 

Die Burg, deren Name Arx, italienisch Arce zu der näheren Bestimmung ,in Ära Ccli' 
wahrscheinlich die erste Veranlassung gegeben hat, war das älteste unter diesen Gebäuden. 
Schon vor der Frbauung der Stadt mochte der Hügel eine Cultstätte und von den an seinem 
Fusse wohnenden Hirten befestigt gewesen sein ; als Romulus gegenüber, auf dem leicht zugäng- 
lichen Palatin das viereckige Rom gegründet hatte, befestigte er ihn systematisch : diese jähen 
Felsen waren an sich schon stark; durch künstliche Festungswerke wurden sie in eine wahre 
Citadelle umgeschaffen. Sie ist eng in die älteste Geschichte Roms verwebt. Um Ueberläufer und 
Flüchtlinge anzuziehn und dadurch die Bevölkerung der neuen Stadt zu mehren, eröffnete Romulus 
unter den Fichcn, die den Rücken zwischen den beiden Gipfeln sperrig bestanden, eine Freistatt 
(Asylum); worauf er die benachbarten Stämme aufforderte, sich mit seinen Römern durch die 
Bande der Fhe zu verknüpfen. Man wies ihn verächtlich ab: gründe, so hiess es, auch für die 
Frauen eine Freistatt. Romulus erwiderte nichts, aber als bald darauf die Feste des Gottes 
Consus, die sogenannten Consualia, abgehalten wurden und die Nachbarn sich mit ihren Frauen 
und Töchtern dazu eingefunden hatten, liess er die letzteren während der Spiele greifen und .die 

>3S 



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.Sabinerinnen rauben'. Die schwer beleidigten Gäste erklärten ihm den Kriege der Sohn des 
Mars schlug sie nach einander aufs Haupt und brachte die Waffen Acrons, des Königs der 
Cäninenser, als Khrcnbcute (spolia opima) dem Jupiter Feretrius dar, welchem er auf demselben 
Capitol einen Tempel aufgerichtet hatte. Nur mit den Sabinern von Cures hatte er einen schweren 
Stand. Unter ihrem König Titus Tatius belagerten sie die Capitolinische Burg, deren Commando 
dem römischen General Tarpejus anvertraut war. Dieser Tarpejus hatte eine Tochter Tarpeja, 
die ihr Vaterland verrieth und dem Feinde ein Thor der Festung öffnete: als Preis hatte sie 
gefordert, was die Sabiner am linken Arme trügen — goldene Spangen. Aber an demselben 
Arme trugen sie noch etwas Anderes: eingelassen warfen sie ihre Schilde auf die Verräthcrin, 
sie unter ihrer F-ast erdrückend; und zum Andenken an Tarpeja wurde der südöstliche Abhang 




Du Cm|Hlel: Frcittrpp« .W» ScMturetij»!«.!»« mit Arm St — Aufcwig tum Minrte C«pri»o. 



des Burgfelsens, wo auch ihr Grab war, fortan der tarpejische genannt und zur Richtstätte für alle 
Verräther, die Cassius und Manlius ausersehn ; dieselbe Execution hatte man in Delphi, wo die Ver- 
brecher von den Phaedriaden, und in Athen, wo sie in das Barathron gestürzt zu werden pflegten. 
Der Umstand, dass ihr an demselben alljährlich Todtenopfer gebracht wurden, legt die von 
Schwegler gegebene Erklärung nahe, dass Tarpeja ursprünglich eine alte, an dieser Stätte verehrte 
I.ocalgotthcit gewesen und die Sage entstanden sei, weil sich neben jenem Grabe ein allzeit offenes 
Thor befand. Noch heute glaubt «las Volk, dass im Innern des capitolinischen Bergs, umgeben 
von unermesslichen Schätzen, die schöne Tarpeja schlafe, aber dass, wer zu ihr gelangen 
wolle, unrettbar verloren sei; es ist die einzige antike Legende, die sich bis auf unsere Tage 
erhalten hat. Hinrichtungen fanden bis in's Mittelalter auf dem Tarpejischen Felsen, zu Rienzi's 
Zeiten auf dem Capitolsplatze selber statt; an der Treppe des CapitoLs stand ein Löwenkäfig 

l}9 



und ein Madonnenbild, vor welchem die Missethatcr das Urtheil vernahmen, und die Glocke, mit 
welcher der Tod des Papstes verkündigt und während des Carnevals das Zeichen zum Anfang 
der Maskerade im Corso gegeben wird, läutete auch für die armen Sünder. Arnold von 
Brescia wurde schwerlich auf dem Capitol verbrannt, wohl aber am 39. August 1354 Fra 
Monreale hier mit dem Schwert gerichtet, ja Rienzi selbst am 8. October desselben Jahres von 
Checco del Vecchio erstochen. Im Jahre 148S übertrug man die Richtstätte auf die Piazza 
di Ponte Sani' Angelo, in unserm Jahrhundert wieder auf die Piazza de' CerchL Auf demselben 
Capitol empfing man die Triumphatoren und krönte man, promovirte man die Dichtet, zum Beispiel 
den Petrarca. II n'y a qu'un pas du Capitole ä la Roche Tarpeienne. 

Es ist wahrscheinlich, dass diese älteste Hurg auf dem südwiwtlichen Gipfel, mithin 
auf eben der Seite stand, wo man den Tarpejischen Felsen sucht, und dass sie erst später auf 
den nordöstlichen verlegt ward. I>och thut man wohl, sich durch solche Wahrscheinlichkeiten nicht 
verwirren zu lassen, sondern unverbrüchlich an der Thatsache festzuhalten, dass sie die grosse 
Zeit hindurch auf dem nordöstlichen Gipfel stand, und dass Arx und Ära Celi identisch sind. 
Hier hörte Manlius, des Capitols Ruhm und Opfer, die Gänse der Juno schnattern. Auf dem 
südwestlichen Gipfel ward späterhin der Tempel des Jupiter, das römische Nationalheiligthum, 
gleichsam das Capitol auf dem Capitol, errichtet. 

Der alte Tarquinius begann den etruskischen Bau, der, vom stolzen Tarquinius vollendet, 
und 507 v. Chr. eingeweiht, dreimal durch Keuersbrunst zerstört und dreimal nach dem alten 
Grundplan, aber in immer grösserer Höhe und in immer grösserer Pracht, zuerst durch Sulla 
und Quintus Lutatius Catulus (69 v. Chr.), das zweite Mal durch Vcspasian (70 n. Chr.), das dritte 
Mal durch Domitian (83 n. Chr.), wiederhergestellt ward. Sein Areal war fast quadratisch, 
60 m lang, 56. m breit Es enthielt drei parallele und unter einem Giebel vereinigte Zellen: 
die des Jupiter (CeUa Jovis) in der Mitte — 

media emi seilet aede deus (0»id, « fonto IV, 9, 3»^ 

links die der Juno — 

Jupiter Optiniui Maximus. Juno Regina et Minerva lUviu» III, 171, 
rechts die der Minerva — 

pröüimos Uli tarnen oerupavit 

Pallas honores (tforu, Od. I, ■>, 19); 

zu seinem Bezirke (Area Capitolina) gehörten überdies die uralten Tempel der Venus Erycina, 
des Jupiter Feretrius und der Fides, der Göttin der Treue, nebst vielen anderen Caiiellcn und 
Heiligthümern. Eine dreifache Reihe von Säulen trug den Giebel, eine doppelte bildete auf beiden 
Seiten eine Colonnade; die der Stadt abgewendete Rückseite hatte keine Colonnade. Die Statue 
Jupiters bestand lange Zeit aus Thon und ward von Zeit zu Zeit mit Mennige angestrichen; der 
Gott sass auf einem goldenen Thront;, daher ihm die Triumphatoren, wenn unten im Kerker die 
gefesselten Könige, oben die schneeweissen Stiere abgeschlachtet wurden, den Lorherzweig in den 
Schoos legen konnten. In diesem merkwürdigen Gebäude concenlrirte sich der ganze römische 
Gottesdienst: mit Opfern auf dem Capitol begann und endete jede wichtige Staatshandlung ; in 
den capitolinischen Kellcrgewölben wurden, bis sie im Jahre 83 v. Chr. mit dem Tempel ver- 
brannten, die Sibyllinischen Bücher aufbewahrt ; dorthin blickte „pro rostris" jeder Redner, dorthin 
richtete jeder Altgläubige seine Gebete. Die Peterskirche der altrömischen Welt erhielt sich bis zur 
Plünderung durch die Vandalen, welche die vergoldeten Erzziegel raubten (455); seitdem ent- 
schwindet sie unserer Kunde. Gegenwärtig sind nur noch einige alte Quaderfundamente im 
Garten des Palazzo Caffarelli erhalten, welche dem Tempel des Capitolinischen Jupiter um so 
zuversichtlicher zugesprochen werden können, ab im November 1S75 bei Erdarbeiten im 

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Gartenhofe das benachbarten Conscrvatorenpalastes nebst anderen Resten derselben Substruction ein 
Säulenfragment zu Tage kam, welches auf eine korinthische Säule von 2,05 m Durchmesser 
schliessen lässt : eine so kolossale Säule kann nicht wohl einem andern Gebäude angehört haben als 
dem Jupitertempel. Die Einführung der korinthischen Säulenordnung anstatt der tuscischen war 
die einzige Neuerung, die man sich beim erstmaligen Wiederaufbau zu Sulla 's Zeit gestattete; die 
Säulen wurden damals, wo gerade Athen erobert worden war, den unvollendeten Tempel des 
Olympischen Zeus entnommen. Diese paar Steine sind minder geeignet, uns eine Anschauung 
von dem berühmten Capitoiium zu verschaffen, als ein antikes Relief, welches auf der Treppe 
des Conservatorenpalastes an der Wand des kleinen Hofes eingemauert ist Es stammt von 
einem Triumphbogen Marc Aurels. Der Kaiser opfert dem Jupiter Capitolinus, dessen Tempel 
im Hintergrunde erscheint; in der Mitte des Giebelfeldes ist Jupiter zwischen Juno und Minerva 
zu bemerken. Obgleich die PerxjMxtivc nicht sehr treu beobachtet ist, so erkennt man doch 
alle wesentlichen Züge des Gebäudes, nach seiner vierten, domitianischen Gestalt : die korinthischen 
Säulen und die drei Zellen unter einem Giebel, respective drei, sofort auffallende, Thürcn. Wer 
mit den Alten lebt, weiss sehr wohl, dass es eine constante Praxis der griechischen so gut wie 
der römischen Künstler war, den Ort der Handlung und alias Accessorische in einer gewissen 
herkömmlichen Manier vielmehr anzudeuten als auszuführen; und dass sie sich durch diese 
Praxis von den neueren Schulen, wo die Scenerie bis ins Detail ausgemalt zu werden pflegt, 
wesentlich unterscheiden. 

Das Capitol war eine Schöpfung des berühmten Volkes, welches Italien in alter und neuer 
Zeit die höheren Elemente der Civilisation vermittelte: die Tarijuinicr, wahrscheinlich selbst Etrusker, 
hatten es ihren Landsleuten in Accord gegeben. Die gesammte römische Cultur wurde bisher 
nur als ein Ableger der etruskischen betrachtet; jedenfalls lernten die Reimer von Etrurien viel, 
unter anderem auch die Zeitrechnung, die genauen Gesetzen folgte. Auf die Etrusker ist mithin 
auch eine altertümliche Gewohnheit zurückzuführen, die auf eine sehr frühe, mit der Schrift noch 
unvertraute Periode hinweist , und welche man aus Hochachtung für dieses Alter auch später 
beibehielt. Nämlich jedes Jahr an den Iden des September (13. September) in die Seitenwand 
des Jupitertempels einen bronzenen Nagel (Clavus annalis) einzuschlagen, um so die Zahl der ver- 
gangenen Jahre zu bezeichnen. Sie muss ausgesehen haben wie der Stock am Eisen, das Wahr- 
zeichen von Wien. 

Jupiter, Juno und Minerva bildeten sozusagen die antike Dreieinigkeit ; auch diese Zusammen- 
fassung war etwas Ktruskisches , die etruskischen Tempel scheinen in der Regel drei Zellen für 
drei verschiedene Gottheiten enthalten zu haben. Ein einfaches Tempelchen derselben Trinität, 
dessen Erbauung dem Numa zugeschrieben ward, stand auf dem Quirinal: man nannte es der 
Analogie wegen, aber nach dem capitolinischen Tempel, gleichfalls Capitoiium, und zum Unter- 
schiede das alte (Capitoiium vetus). Diese beiden Capitole meint Martial, wenn er zu einem 
esquilinischen und aventinischen Hausbesitzer sagt, er habe Aussicht auf den neuen und auf den 
alten Jupiter: 

Esquiliis domus «l, domus est übi tolle t)iliiae; 

lade novum, veierem prospidh inde Jovem (MulM. Ep. Vtl. JJ). 

Gegenwärtig möchte man abermals den capitolinischen Jupiter den alten und den neuen 
Jupiter den Herrn von Keudell nennen : Ascanio Caffarelli , ein Page Karls V., erbaute im sechs- 
zehnlen Jahrhundert den Palazzo Caffarelli, und dieser Palast, auf Jovus heiligem Grund gelegen, 
ist Sitz der deutschen Botschaft; durch das archäologische Institut und das protestantische Hospital 
wird diese ganze Seite des Capitolinischen Berges Deutschland vindicirt. Es ist wahrlich ein 
seltener, tiefbedeutsamer Zufall, dass auf der ehrwürdigsten und höchsten Stelle Rom 's die deutsche 

M 



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Fahne weht, dass unser Volk in gewissem Sinne heute noch die Siebenhügelstadt beherrscht. Bei 
jedem andern Schriftsteller klänge das wie Phrase: ein deutscher braucht vor so stolzem 
Ausdrucke nicht zurückzuschrecken, denn Rom war unser, es ist die Hauptstadt des deutschen 
Reichs gewesen nicht blos Jahre, nicht blos Jahrzehnte, nein Jahrhunderte lang; unsere Kaiser 
hiessen römische Kaiser so gut wie dieser Marc Aurel. Herrscht doch Deutschland noch in den 
Romanen über halb Europa. Die Loose, die im Schoos der Zukunft liegen, sind dunkel; doch 
wir wollen an diese dominirende Stellung und an den .Novissimus Jupiter 4 des Capitols keine 
Augurien, sondern nur Reminiscenzen knüpfen. Und da wir gerade den Marc Aurel genannt und 
von einer neuen Seite, als Vorgänger unserer Kaiser, kennen gelernt haben, so möchten wir auch 



diesen philosophischen 
Fürsten noch einmal 
betrachten. 

m 

Wir haben schon 
einmal darauf aufmerk- 
sam gemacht, dass den 
Römern bei einer Rei- 
terstatue das Pferd das 
Wichtigste zu sein 
scheint ; sie nannten 
auch diese einfach nach 
letztcrem, und zwar im 
Mittelalter irrthümlich 
(diesem Irrthum ver- 
dankt sie ihre Krhal- 
tung) Caballus Constan- 
tini, in neuerer Zeit Ca- 
vallo del Campidoglio. 
l.'nd doch ist dieses 
Pferd nichts weniger als 
schön, sondern ein kräf- 
tiger, breiter, etwas 
schwerer Gaul ; aber es 
hat etwas Individuelles 



und der Ausdruck des 
Lebens ist bewunderns- 
werth. Nach ihm mo- 
dellirte Andrea del Ver- 
rocchio in Venedig das 
Pferd des Bartolomeo 
Coleone, Leonardo da 
Vinci «las Pferd des 

Herzogs Francesco 
Sforza. Der Marc Au- 
rel ist würdig und ein 
.schönes Beispiel der 
Kaiserporträts in Feld- 
hermtracht und im Au- 
genblick der Anrede 
(Allocutio) an die Sol- 
daten. Daher die gleich- 
sam sprechende Bewe- 
gung des Arms; eine 
abgeschmackte Sage, 
die Gregorovius um- 
ständlich erzählt und 
nach der die Statue das 
Denkmal eines Vater- 

landvertheidigenden 
Bauern war, lässl die 
Hand zur Erinnerung 

daran ausgestreckt sein, dass er den feindlichen König damit gefangen genommen hatte. Die 
Statue Ist ehern, mit Spuren von Vergoldung, das aus einem antiken Fragment verfertigte Posta- 
ment von weissem Marmor; es hat einen grossen Vorzug vor unsern thurmartigen Gerüsten — 
die angemessene Höhe. 

Sie gestattet auch den Kopf des Reiters zu betrachten : ist derselbe doch schon als solcher 
ziemlich hoch. Im Jahre 966 liess der Papst Johann XIII den Stadtpräfecten Petrus bei den 
Haaren nackt am Marc Aurel aufhängen, worauf er wieder abgenommen und rücklings auf einen 
Esel gesetzt ward. 

Das Pferd des Capitols war ursprünglich ein Pferd des Forums, dann ein Pferd des Late- 
rans; im zehnten Jahrhundert wurde die Statue als Abbild Konstantias auf dem lateranischen Felde 




Statue des Marc Aurel. 



aufgestellt, wo der „AposU-lgleiche" bei Lebzeiten gewohnt, wo er die Mutter und das Haupt aller 
Kirchen gegründet hatte. Als sich Rienzi am t. August 1347 im Lateran zum Ritter schlagen und 
in der Taufkapelle Konstantias des Grossen von allen Flecken der Sünde reinigen Hess, floss bei 
dem verschwenderischen Festmahl, welches die Feier des Tages beschloxs, aus dem ehernen Nüstern 
des Rosses vermittels zweier hindurch gelegter I.eitungen Wein und Wasser: zwischen den Hinter- 
backen bemerkt man noch das Loch, durch welches die bleiernen Röhren hineingesteckt wurden. 
Dergleichen Improvisationen aus dem Schlaraffenland waren im Mittelalter nichts Ungewöhnliches: 
auch bei der Krönung des deutschen Kaisers gaben die öffentlichen Brunnen Wein statt Wassers, 
und als Herzog Ulrich von Würtemberg im Jahre 1511 mit der Prinzessin Sabine von Baiern 



Hochzeit machte und 
nicht weniger als sieben- 
tausend Gäste in Stutt- 
gart waren, sprang eben- 
falls aus zwei Brunnen- 
röhren Tag und Nacht 
rother und weisser Wein. 
Die Aufstellung auf dem 
C'apitol erfolgte im Jahr 
1538 unter der Leitung 
des Michel Angelo. Be- 
reits olum erzählten wir, 
dass der Tribun hier- 
selbst ein paar Jahrhun- 
derte früher seinem 
Wahnsinn zum Opfer ge- 
fallen war. Das Ross, 
das an seinem Ehren- 
tage funkelnden Wein 
in Strömen ergossen hat- 
te, trabte mitleidlos und 
mit eisernem Huf auch 
über die Blutspur des 
grausam Ermordeten. 

Statuen, die so 
alt, so gut erhalten und 




Der S4t)T ikl I'iuIil'Ic» im ("apiloüiuwlieii Museum (S. 14$.) 



ohne jemals unter dem 
Schutt vergraben zu wer- 
den , beständig unter 
freiem Himmel aufge- 
pflanzt gewesen, ja. von 
einem Platz zum andern 
gewandert sind , schei- 
nen mehr als Statuen zu 
sein : sie werden gleich- 
sam zu lebendigen, aber 
übermenschlichen Mit- 
bürgern der Stadt, zu 
unbeweglichen Zuschau- 
ern ihres Geschicks, zu 
viclcrfahrenen Zeugen 
ihrer Vergangenheit Ks 
ist gleichsam schwer, 
sich diesen „bronzenen 
Gast" als ein blosses 
todtes Bildwerk vorzu- 
stellen — als ob er den 
Untergang des Reichs, 
die neue Ordnung der 
Dinge, die Greuel der 
Völkerwanderung, die 
ganze grosse, tragische. 



erschütternde Geschichte dieser Stadt bis zu dem Jahre, wo man ihm die italienische Tricolore 
in die Hand gab {1847), nicht gesehen habe. Vor seinen Augen sind alle Päpste, die kleinen wie 
die grossen, die guten wie die bösen vorübergegangen und gestorben; er zählte die deutschen 
Kaiser, die nacheinander und in langer Reihe über die Alpen stiegen und sich, wie fascinirt durch 
den Zauber Italiens, die römische Krone holten j er hörte die Kanonen des 20. Septembers donnern 
und Bixio's Bomben vor dem Vaticanc platzen. Marc Aurel war ein stoischer Philosoph, er hat bei 
Lebzeiten vortreffliche Selbstbetrachtungen angestellt Wahrlich, in der Philosophie wird er seit- 
dem Fortschritte gemacht haben, und die Selbstbctrachtungen, die er auf dem .Caballus Constan- 
tini' angestellt hat, müssten interessant zu lesen sein. Sie sind leider noch inedirt 



»43 



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IV. 



Doch es ist Zeit, das» wir in den linken Seitenpalast eintreten und dem Capitolinischen 
Museum einen Besuch abstatten, wo die Kaiser und die Philosophen gesammelt und, wie wir uns 
oben ausdrückten, gleich armen, kranken und verkrüppelten Leuten untergebracht sind. Wie traurig ! 
Aber das ist der Sinn aller römischen Museen, welche, was Statuen, Reliefs und Sculpturen aller 
Art betrifft, die ersten Europa 's bilden, und unter denen die im Vatican, im Lateran und auf dem 
Capitol die berühmtesten sind. Die Marmorbilder stehen da wie Menschen, die sich nicht mehr 
nützlich machen können auf der Welt, von ihrem ursprünglichen Standort losgerissen, gleichsam 
ihrem Wirkungskreis entfremdet, ohne Bedeutung und ohne Beziehung zu dem Platz — nur 
gesammelt, um sie vor dem gänzlichen Untergang zu retten. Sie gehören nicht zur Gegenwart, 
sie leben nicht mehr mit uns, sie v(a-köqM!rn nicht mehr einem entzückten Volke in grandioser 
Bildlichkeit seine Erinnerungen und seinen religiösen Glauben. Nur der Gelehrte richtet sinnend 



und forschend ein kaltes 
Auge auf sie und prüft ihre 
Attribute und diagnosticirt 
sie und setzt ihnen Arme 
und Füsse an und operirt 
sie und stützt sie und heilt 
sie wie ein Arzt; während 
sich der Kunstfreund theil- 
nahmsvoll über die hinwel- 
kende Schönheit beugt und 
mit nassem Blick ihre Auf- 
lösung erwartet. Giebt es 
auch Krankenwärter in dem 
Spital? Genug; sie heissen 
Cusioden. 

Der greise Marforio 
ist der erste Kranke, den 
wir im Hospitale treffen: er 
liegt gleich im Hofe an dem 




Im that Brom, (5. ms . 



Brunnen, dem Eingange ge- 
genüber, eine Muschel in der 
Hand. Das ist der Koloss, 
welcher dereinst als Gott des 
deutschen Rheins auf dem 
Forum unter dem Pferde 
Domitian's und nachmals am 
Fusse des CapitolinLschen 
Hügels dem Carcer Mamer- 
tinus gegenüber gestanden 
hat. Die Aerzte haben ihm 
den rechten Arm, die linke 
I land und den rechten Fuss 
ergänzt. Alter Freund, da- 
hin ist es mit dir gekommen ? 
Wo sind nun deine Schwan- 
ke? Deine Lieder, deine 
Blitze von Lustigkeit? Ist 
jetzt keiner da, der sich über 



dein eignes Grinsen aufhielte? Hat dich Sixtus V, unter dessen Puniihcat du hierhergebracht wurdest, 
endlich lahm gelegt ? — Mitunter musste Pasquino erst gefragt werden, wenn er etwas Gescheites 
sagen sollte; und der Frager, der seinen schlummernden Witz weckte, hiess eben Marforio. Sixtus V. 
war der Sohn eines Bauern; er musste Schweine hüten; seine Schwester wusch. Als Papst erhob 
der Schweinehirt die Wäscherin zur Herzogin. Eines Tages frag Marforio seinen Gevatter, warum 
er kein reines Hemd anhabe. Was soll ich machen? antwortete Pasquino, meine Waschfrau ist 
eine Prinzessin geworden! 

l'oine Imj da Carc? l-i mU UumLiLa 

* ■! 11, -1' .1.1 ' TL I] ' 

Der Papst war wüthend , aber , ein Meister in der Kunst der Verstellung, machte er bekannt, er 
würde dem Autor das Leben und obendrein eine Prämie von zehntausend Scudi schenken, wenn 
er sich nennen wolle- Der Thor ging in die Falle und Sixtus hielt sein Versprechen, liess ihm aber, 
„damit er nie wieder so scandalöse Sachen schriebe 4 , die rechte Hand abhauen. Mit der Wäsche 
wurde Herr Sixtus oft gehänselt. Fr hatte das Volk wiederholt durch seine Strenge und durch 



144 



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den Druck seiner Auflagen erbittert. Hin andermal hing- also Pasquino ein nasses Hemd /um 
Trocknen auf: es war ein Sonntag; Marforio fragte, warum er nicht warte, bis der Sonntag vorüber 
sei Ich habe keine Zeit zu verlieren, antwortete Pasquino, morgen rr.uss man am Ende das liebe 
Sonnenlicht bezahlen! 

Und doch hat Marforio die geistreiche Conversation gelegentlich noch in unserm Jahr- 
hundert fortgesetzt Als Bonaparte Italien, ein undankbarer Sohn, die werthvollsten Codices und 
Kunstwerke, die einzige übergebliebene Glorie weggenommen hatte, fragte Marforio schläfrig: 
Pasquino, was ist für Wetter? Hu, antwortete er, ein Hundewetter (wörtlich ein spitzbübisches, 
un tempo da ladri) ! — Und ein paar Tage darauf fragte er abermals : Pasquino ! Ist's wahr, dass 
alle Franzosen Spitzbuben sind ? — Nicht alle, aber ein guter Theil: 

Tum. no; nu Li ort a - parte. 



Nun lebe wohl, Mar- 
forio. vielleicht dass du 
noch auf dem Capitol 
der Bruder Lustig bist 
und mit deinen artigen 
Einfallen in einsamen 
Stunden das Kranken- 
haus erheiterst *) 

Dil hast ein zahl- 
reiches Auditorium — 
fast das ganze römische 
Volk, den Brutus und 
Marius, die Kaiser vom 
ersten bis zum letzten, 
ja sogar schöne Frauen. 

Der Brutus ge- 
hört zur Neuen capi- 
tolinischen Sammlung 
im Conscrvatorenpalast 
wo er nebst der Wölfin 
im Zimmer der Bronzen 
steht: wir nehmen ihn 
ein Fragment sein könnte. 




A^ifj'io», lientshlrn «In Gtnn*n*cu». 



mit in unsere Gallerie 
herüber. Gemeint ist 
Lucius Junius Brutus, 
der grosse Republika- 
ner, der die Tarquinier 
vertrieb und mit dem 
Schwert in der Hand 
die Ehre der römischen 
Frauen rächte : schon 
damals wurde ihm auf 
dem Capitol in der 
Mitte der sieben Kö- 
nige eine Statue er- 
richtet , von welcher 
dieser schöne und cha- 
raktervolle Kopf mit der 
ehernen Stirne und dem 
liefen Feuerblick, den 
überhangenden Augen- 
braun, den felsenfesten 
Kinnladen , der gebo- 
genen Nase allenfalls 



Das Gesicht ist mit einem bürstenförmig abgestutzten Bart bedeckt und 
gehört jedenfalls einem Römer aus der Zeit vor den punischen Kriegen an. Die Augen sind von 
Elfenbein eingefügt Der starke Hals ist auf eine metallene, mit der Toga bekleidete Brust 
neueren Ursprungs aufgesetzt; sie ruht auf einer Säule von Porta santa. Der Kopf des Mannes, 
der seine eignen Söhne standhaft hinrichten sah, trägt den Charakter des Schrecklichen; in der 
Schreckenszeit der französischen Revolution wurde diese Büste von der Section Marat den Depar- 
tements zugeschickt. 

Das Wort „barbatus", bei den Rumänen soviel wie Mann schlechtweg, war bei den lateinischen 
Schriftstellern synonym mit patriarchalischer Einfachheit; denn seit dem Jahre 300 v. Chr., wo 
der erste Barbier nach Rom kam, trug man keinen Bart mehr, die Bildnisse aus dem letzten 



*) Obgleich der Miribrw in gruiuitigea» StUe cehtl'lei »ntl »"'er *li« extet» itlivtfucben Werke de» Allerthnmr in Rum gekört, 
so haben wir doch Toegerogem. »1» von nt>ch härterem Kiinwiwerth, tlep S»lyr «le* Pnnürle* nitruheldm, Uie betfe 'Irr erbetenen Kei4ikcn (lUter 
dreiisigt aaii wahrscheinlich eoeefiUs in einem Krumen niiFgtMeltl. 



•45 



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Jahrhundert der Republik erscheinen fast durchgängig bartlas; erst Hadrian liess sich den Bart 
wieder wachsen, um die Muttermale in seinem Gesichte zu verbergen. Um dieselbe Zeit begann 
die Toga ausschliesslich Mode und im Gegensatz zum griechischen Mantel das eigentliche National- 
gewand zu werden — der Metisch hat nie ein majestätischeres Kleid getragen : weit und harmonisch, 
in eleganten Falten über die kalten Bilder ausgegossen, welche dieses Volk uns von sich 
gelassen hat, die blendende Weisse durch den breiten Purpurstreif der Tunica gehoben, trägt die 
Toga mehr als etwas dazu bei, unsere Vorstellungen von dem römischen Ernste, von der römischen 
Würde, von der .gravitas Romana' zu befestigen. Daher denn auch Marius, jener grimmige Feld- 
herr, den sich wohl Niemand mit glatten Wangen und glattem Kinne denkt, barbiert und im 
Friedensgewand erscheint. Es existirt im grossen Saal des Capitolinischen Museums eine männ- 
liche Togafigur, die man für den Marius erklärt ; wir geben ihn in einer Büste, die sich im Museo 
Chiaramonti (Riquadro XXI) wiederfindet, sie steht dort auf einer Löwentatze. Der Kopf ist 
ausdrucksvoll und lebenswahr, die Nase dagegen nichts weniger als römisch. Das wäre also der 




Morhn. Die jüngere AgripTtCd, Mllltrr N'ero'i. Meift.-ilin.-i. 



Besieger der Cimbern und Teutonen; das wäre der Gewaltige, der zu Minturnae hingerichtet 
werden sollte, aber dessen blitzende Augen und dessen Donnerstimme der Henker zu ertragen 
nicht vermochte. Du wagst es, Mensch, den Gajus Marius zu tödten! — „Ich habe mir immer 
gewünscht," sagt Kosinsky, „den Mann mit dem vernichtenden Blicke zu sehen, wie er sass auf den 
Ruinen von Karthago — iüt wünsch ich es nicht mehr." 

Nichts interessanter und nichts lehrreicher, als solche Personen, von denen man viel gehört 
und gelesen hat, endlich einmal mit Augen zu erblicken und das Studium der Geschichte durch 
reale Anschauungen zu beleben. Das Capitolinische Museum bietet eine vortreffliche Gelegenheit 
dazu ; man glaubt sich in Castan's Panopticum ; die Sammlungen von Büsten berühmter Männer 
des Alterthums, die sich in dem sogenannten Philosophenzimmer (Stanza de' Eiloson) und in dem 
Kaiserzimmer (Stanza degli Impcratori) befinden, sind die vollständigsten der Welt, die Benennungen 
zwar im Einzelnen manchem Zweifel unterworfen, aber doch im Grossen und Ganzen durch Münzen 
sichergestellt. In chronologischer Ordnung hat man die Büsten der Kaiser, ihrer Gemahlinnen und 
Anverwandten vor sich, eine Herrscherreihe von drei Jahrhunderten und Typen jeder Art — der 
hohen Regentenweisheit und der wahnsinnigen Selbstvergötterung, der Milde und der frevelnden 

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Tyrannei, der Majestät und der niedrigen Gemeinheit Wer erinnert sich nicht an die schönen 
Männer und Frauen aus der Julischen Dynastie, an die genialen Züge des ersten Caesars, an 
das unergründlich tiefe Gesicht August's, an die makellose Schönheit des stolzen Weibes, welches 
ihn beherrschte ,• an den herrlichen Germanicus und an seine hochherzige Gemahlin, die kühne und 
mit Mannestugenden geschmückte Agrippina, die mitten im Kaiserzimmer auf einem Sessel ruht und, 
das Muster einer römischen Matrone, in faltenreichem Gewand, voll Sitte und voll Anstand einen 
so auffallenden Contrast zu ihrer entsetzlichen Tochter und Namensschwester, der Mutter des 
Nero, bildet ? Wer hätte nicht mit Neugierde die reizende und üppige Poppaea Sabina betrachtet, 
welche den Nero zur Ermordung seiner Mutter verleitete und selbst von ihm während ihrer 
zweiten Schwangerschaft durch einen Fusstritt getödtet ward? Sie ist unbedingt eine der 
schönsten Frauen in der ganzen Sammlung, man weiss, dass sie auf ihren Reisen beständig eine 
Heerde von Eselinnen mit sich zu führen pflegte, um sich in ihrer Milch zu baden. Ihre Büste, 
aus einem einzigen, aber verschiedenfarbigen Marmorblock gefertigt, ist am Kopfe weiss, die 




Ott SKrbcn'lf Fechter. 



bekleidete Brust hat violette Flecke und Adern. Nicht weit von ihr steht, kenntlich an ihrem 
gekräuselten Haarputz, die berüchtigte Messalina. 

Augustus liebte bekanntlich den Virgil und den Horaz; bei Tafel pflegte er in ihrer 
Mitte zu sitzen. Nun, Virgil hatte kurzen Athem und Horaz eine Thränenfistel ; Augustus sagte 
daher im Scherz, er befinde sich zwischen den Seufzern und den Thränen: Ego sum intcr 
suspiria et lacrymas. Er sitzt zwischen den Seufzern uud den Thränen noch im Steine, 
obgleich die angebliche Büste des Virgil nach Visconti eine mythologische Person vorstellt, da 
die Fülle langherabwallcnder Locken dem römischen Costüme gänzlich widerspricht. 

Viele dieser Büsten sind Muster einer geistreichen Portraithildnerei , namentlich die des 
Galba und der überaus fein charakterisirte Basaltkopf des Caligula. Ich habe niemals eine 
Physiognomie gefunden, welche das Wesen einrr historischem, praktischen, prosaischen, ironischen, 
menschenbeheiTSchenden und menschenverachtenden Persönlichkeit besser ausgedrückt hätte, als die 
Vespasians, dem die Regierungsgewalt mittels der Urkunde in der Stanza del Fauno, der nachmals 
von Rienzi gefundenen und erklärten Lex Regia übertragen ward ; sie verleugnet auch den Geiz des 
alten Mannes nicht, der sich nicht scheute auszusprechen, was heutzutage kein Staatsmann wagen 
würde, Geld sei immer gut, möge es kommen, woher es wolle : make money, my son ; if you can. 

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honestly, if not — makc money, my son; niemals die Gcfrässigkeit und den Charakter der rohen 
Materialität deutlicher ausgeprägt gesehen aJs auf dem Gesicht des Vitellius; dieser römische Kaiser 
hat ein so langfleischig herabhängendes Unterkinn, wie es nur der Gärtner Kahle besessen haben 
kann. Goethe sagt, Geschichte lese sich von Rom aus ganz anders als an jedem Ort der Welt; ander- 
wärts lese man von aussen hinein, hier glaube man von innen hinaus zu lesen. Er hätte dazu 
setzen können, anderwärts habe man den blossen Text, in Rom eine illustrirte Ausgabe desselben. 
Das Capitolinische Museum ist ein historisches Prachtwerk ohne Gleichen. 

In der Mitte des Philosophenzimmcrs sitzt der Consul Marcus Claudius Marcellus, der 
sich durch seine Thaten im zweiten punischen Kriege den Namen des Schwertes der Römer 
erwarb, auf seinem curulLschen Stuhle; in eben demselben Zimmer befindet sich eine Büste des 
Asinius Pollio. Man gedenkt dabei einer historischen Anecdote. Man sagt in Frankreich von 
einem Ignoranten , der auf einem Katheder sitzt , er stelle das Wappen der Stadt Bourges dar 
(qu'il represente les armes de Bourges); dieses Sprichwort hat gegen die Söhne der alten 
Stadt ein ärgcrJichcs Yorurtheil erweckt. Und doch ist es durch Wcglassung eines einzigen 

später vergass man den Namen 
Asinius, das i war auf dem Bild 
nicht deutlich mehr zu lesen: man 
las nur Asinus. Das Andenken 
an den wahren Sinn erlosch mit 
dem Andenken an das geschicht- 
liche Ereigniss, und der hochge- 
bildete Feldherr verwandelte sich 
im Sprichwort in einen Esel, der 
auf einem Lehrstuhl sitzt. 

Stammte vielleicht der 
Gallier aus Bourges, der schwer 
verwundet, mit niedergesenktem 
Haupte, im Ausdrucke des 
Schmerzes auf seinem Schilde 
sitzt und der, unter dem Namen 
des sterbenden Fechters (Gla- 
diatore moribondo) bekannt, eine der vorzüglichsten Antiken Roms repräsentirt ? Den Gallier 
kennzeichnet die lange, mächtige Statur, die schwielige Haut, das gedrungene Gesicht, der 
Knebelbart, das Struppige Haar und das schnurartig aus Goldfäden gedrehte Halsband (torquis), 
welches auch römischen Soldaten (milites torquati) als Auszeichnung gegeben, aber ursprünglich 
von fremden Nationen, namentlich Persern und Galliern, getragen ward. Er ist dem Tode nahe: 
die Wunde, aus welcher sein Leben dahinströmt, erscheint unter der rechten Brust; die Muskeln 
erschlaffen, um seine Lippen spielt ein letztes Zucken ; das linke Bein ist ausgestreckt, das rechte, 
auf welches sich die linke Hand stützt, krampfhaft eingezogen, der rechte Arm hält den Ober- 
körper nur mit Mühe aufrecht — noch ein Augenblick, und dieser kräftige, gemeine, aber durch 
sein Schicksal und bitteres Leiden geadelte Körper sinkt entseelt auf seine selbstgewählte Bahre 
und ist eine Leiche. Ein mächtiger Vermittler ist der Tod, er heiligt auch den Geringsten; und 
sein Eintritt hat auch bei unbekannten Personen etwas tief Ergreifendes. Wer ist dieser Mann, 
den uns eine realistische Kunst mit erschütternder Wahrheit im Momente der Agonie vor Augen 
führt ? Ist er, wie der Name besagt, als Gladiator im Duell oder auf dem Felde der Ehre als 
Soldat gefallen ? I lat er die tödliche Wunde von fremder Hand empfang™ oder endet er abseits 
• 

148 



Jota entstanden. Caesar hatte 
Bourges 52 V. Chr. erobert und 
den Asinius Pollio zum Statthalter 
ernannt Die Stadt wurde von 
den Galliern belagert, während 
der Statthalter krank darnieder 
lag. Schon drohte sie der Feind 
im Sturm zu nehmen, da liess 
sich Asinius auf die Wälle tragen, 
um den Muth der Soldaten durch 
seine Gegenwart anzufeuern. Er 
sass da auf seinem Sessel wie 
hier Marcellus; und .Asinius in 
cathedra* blieb Sieger. Man 
malte ihn in dieser Stellung und 
betrachtete das Bild als das 
würdigste Stadtwappen. Aber 




vom Schlachtfeld durch Selbstmord, den Tod der Gefangenschaft vorziehend und sein treues Horn 
«erbrechend? Sehr ansprechend ist Nibby's Vermuthung, dass diese Statue, die gewöhnlich der 
Fergamenischen Schule zugeschrieben wird, zu den auf Seite 43 erwähnten Sculpturen gehörte, 
welche den Giebel des augusteischen Apollotempels schmückten, und in denen, nach Properz, der 
Sieg der Griechen über die Gallier auf dem Parnass vorgestellt war. Von denselben stammtauch 
die sogenannte Gruppe der Arria und des Paetus in der Villa Ludovisi. Der Titel Fechter oder 
Gladiator sollte geändert werden: er gibt zu einer ganz falschen Vorstellung Anlass. 

Oer Schild (clipeusj, auf welchem man ausser dem zerbrochenen Hörne auch noch das 
Schwert bemerkt, ist gross und oval, auf dem Rande: eine mäanderförmige Verzierung. Die schöne, 
unter der rechten Brust verwundete Amazone, die wir als Gegenstück zu dem sterbenden Fechter 
bringen, eine Nachahmung der Amazone des Polyklet, hat auch einen Schild, aber einen sichel- 
förmigen, an einen Baumstamm angelehnt, während sie mit dem linken Fusse einen Helm berührt ; 
ihre Waffen sind die Streitaxt und der Bogen; der Köcher hängt an der linken Hüfte. Sie ist in 

Kinbrüstige be- 
kommen. Die Bild- 
hauer haben den 
Amazonen dem- 
gemäss auch wirk- 
lich meist die 
rechte Brust ab- 
geflacht , sei es 
dass sie dieselbe 
bekleidet oder ent- 
blösst darstellen. 
Und doch beruht 
jene Fabel wahr- 
scheinlich nur auf 
der willkürlichen 
Ausdeutung eines 
kaukasischen 




Tauben auf cioer Wasaenrhile iMotaJb;. 



Amazonen tracht: 
einer kurzen Tu- 
nica und der Chla- 
mys. Die Griechen 
erzählten bekannt- 
lich, den Amazo- 
nen sei die rechte 
Brust ausgebrannt 
worden , damit 
sie ihnen nicht 
hinderlich beim 
Spannen des Bo- 
gens sei, eben von 
der weggebrann- 
ten Brust hätten 
sie den Namen 
Amazonen, d. i. 

Fremdworts, soviel wie Mond; sicher gehörten die Amazonen zu dem Cultus der grossen 
asiatischen Mondgöttin, welche die Griechen mit ihrer Artemis identificirten , und ihr halb- 
mondförmiger Schild, welcher Pelta heisst, bezog sich eben auf das lunare Wesen der 
streitbaren Jungfrauen. 

Doch genug von Helden und Heldinnen und lautem Waffengeklirr < Ich erinnere mich, dass 
Shakespeare irgendwo von einer weissen Taube inmitten eines Schwarmes schwarzer Raben spricht 
Ein paar weisse Tauben flattern auch durch die Rabenschwärmc des Capitolinischen Museums, 
um! mit ihrem friedlichen, idyllischen Bilde wollen wir diese historische Gallerie beschliessen. Zwar 
wäre es leicht auch sie derselben organisch einzufügen und den vier wilden Tauben zu vergleichen, 
welche bei den aegyptischen Krönungen, als Sinnbilder weitreichender Herrschaft nach den vier 
Weltgegenden ausfliegen; aber wir ziehen es %or, sie in ihrer naiven, gedankenlosen Freiheit 
zu belassen. Ein antikes Mosaik stellt vier auf einem Wassergeiasse sitzende Tauben vor: 
es ist überaus fleissig ausgeführt und aus lauter natürlichen Steinen verfertigt, die so klein 
sind, dass hundert und sechzig auf einen Quadratzoll kommen. Das anmuthige Werk, die 
Nachbildung eines Originals von Sosos, wurde, auf einer weissen Marmorplatte in den Fuss- 
boden eines Zimmers eingesetzt und von gröberen Mosaiken umgeben, in der Villa Hadrians 



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I 



bei Tivoli gefunden — wo hätte es anders gefunden werden können? hs ist die liebliche 
ländliche Ruhe nach dem Drang der Staatsgeschäfte und den aufregenden Scenen einer 
mächtig bewegten Welt. 



Das Capitol ist ein grosser Typus : als Centrum der Staatsreligion und als feste Burg hat es 
den Städten des Ostens und des Westens zum Vorbild gedient, sein Name klingt heute noch am 
Rhein und an der Rhone, in den entfernten Pyrenäen, ja, jenseit des Weltmeers wieder. Vielleicht 
dass es nur ein zufälliges Zusammentreffen ist, wenn in jenen Gegenden, z. B. in Toulouse, der 
Municipalrath , ja der einzelne Schöffe Capitoul genannt wird, da dieser Titel mit Capitulum zu- 
sammenhängen kann; aber unzähligemal haben die Städte das hohe Rathscollegium wirklich und 
unmissverständlich als ihr Capitol betrachtet, und keinen andern Namen führt das schöne Gebäude 
der Vereinigten Staaten zu Washington, in welchem die Kongresssitzungen stattfinden — in 
moderner Form die bewussteste und grossartigste Wiederherstellung des berühmten Heiligthumcs. 
Wer möchte sich nicht vor diesem Weltwort, vor diesem capitolinischcn Ansehn beugen? Es 
wird dauern, so lange es eine europäische Cultur und eine römische Tradition im Leben der 
Menschheit gibt 

Das Capitol ist ein Typus — ganz Rom ist einer ; seine Kaiser und Kaiserhäuser, seine 
classischen Institutionen sind mustergiltig für eine Welt gewesen; kein Ort, wo man nicht einen 
Palast, ein Forum, ein Pantheon, ein Colosseum, ein Amphitheater, ein Tivoli fände — wie 
man sagt, dass jede französische Stadt ein kleines Paris, so kann man sagen, dass jede 
europäische Stadt ein kleines Rom repräsentire : Die alte C a p i t a 1 e hat ihnen allen mit elementarer 
Gewalt ihren Stcmi>el aufgeprägt 

Darauf beruht der unvcrwelkhche Reiz und der bildende Einlluss dieser Stadt. Der 
sterbende Sokrates malt im Phaedon seinen Schülern die Seligkeit eines höheren Lebens aus — 
jenes Lebens, wenn die unsterblichen Seelen wie Fische, die über die Oberfläche des Wassers 
schnellen, auftauchen aus dem Dust der Atmosphäre und die herrliche Erde reiner und heller 
betrachten werdea Sie erscheint gleich einem Prachtball : sie ist nicht mehr wie hinieden zerfressen 
und verdorben, sondern eitel Glanz und Schimmer, wie Edelsteine und lautere Malerfarben glühn — 
dort oben, sagt der scheidende Weise, ist der wahre Himmel, das wahre Licht und die wahre Erde. 

So in Rom, wo gleichfalls ein helleres Licht leuchtet und eine goldenere Sonne aufgeht als 
im düstern Norden. Wie unser Tag nur als ein Abglanz des römischen und das Farbenspiel 
unserer Natur nur als ein Widerschein der italienischen aufgefasst werden kann, so sind unsere 
Schöpfungen und unsere Einrichtungen zum grossen Theile nur Spiegelbilder und abgeblasste 
Copien der glorreichen Originale, die in diesem Boden wie platonische Ideen geschlummert haben. 
Einmal geschlummert haben; das alte Rom ist nur einmal dagewesen; das deutsche, das christ- 
liche selbst nur eine schwache Reminiscenz desselben. Wir haben die ewige Stadt durch- 
wandert: inskünftige werden wir nur ihren eignen Schatten und die schwankende Erscheinung 
der grossen Gedanken sehn, die einst in ihr zu vollem, unvergesslichem Ausdruck gekommen sind. 



V. 




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'^Hierschiff tun! AmboD» der hasüLci von 5, Maria i> Ära -Ceti, 



ZWEITER HAUPTTHE1L. 

Wanderung durch das altchristliche Rom. 




Santa Maria in Ara-Celi. 
I. 

» ist Weihnachten in Rom und das Fest des berühmten, unvergleichlichen Christkindes 
auf dem ( apitol. In einer Krippe, zwischen Ochs und Esclcin liegt es, und vor 
ihm kniet inbrünstig betend die Madonna, während der heilige Joseph, auf seinen 
Lilienstab gestützt , in andächtiger I laltung zur Rechten steht. Die Engel und die 
himmlischen Heerschaaren fehlen nicht, die lobsingen und sprechen: Ehre sei Gott in der 
M he und Friede auf Erden und den Mensrhen ein Wohlgefallen: die Hirten kommen 
eilend, denen der Heiland geboren ist; und ein glänzender Komet leuchtet, ein unverkenn- 
barer LeitStem, den drei Weisen. Es ist Weihnachten, aber es ist kein blosses Fest wie 
anderwärts; es ist nicht die späte Feier eines welthistorischen Geburtstags, nicht das 
liiMl.Him eines Kreijjnisses , das vor zweitausend Jahren stattgefunden hat. Das Wunder 
ereignet sich von Neuem, es ist heute noch Weihnachten in Rom. Siehe, jene himmlischen 
Heerschaaren kommen leibhaftig und wirklich angezogen: in Jacken von Schaffell, mit Dudclsack 
und Schalmei steigen die Hirten von ihren Bergen paarweise nach Bethlehem hinab und blasen 



'S' 



dem .Santo Bambino' das Wiegenlied; der ewige Vater streckt in Wolken ruhend die gelassene 
Hand aufs Capitol hernieder; und tausend kleine Engel schweben leichtbeschwingt und holdselig 
auf und ab, und treten vor die Krippe, und loben Gott deutlich und vernehmlich, und fangen an 
von ihrem göttlichen Brüderchen zu predigen und zu weissagen und draussen auf den Strassen 
mit gläsernen Trompeten das Evangelium zu verkünden -- lieblich und hell tönt es durch 
die heilige Nacht — 

Wa» liegt doch in d«n Kröpelin? 
Wer «1 das schone Kindelin: 
K« ist das liebe lesulin — — 

doch, was will jene hochbetagte Greisin, die tief unten am Horizont in grauer Ferne auftaucht 
und mit ausgestrecktem Finger gebieterisch auf die heilige Krippe deutet? — 

Majestätisch und hehr und geisterhaft erscheint sie — um ihre Locken wallt ein durch- 
sichtiger Schleier — ihre Augen blitzen, in schönem Wahnsinn rollend, hinauf zum Himmel und 
hinab zur Erde — und neben ihr steht ein Schatten in kriegerischer Rüstung und blickt unverwandt 
auf das neugeborene Kind und staunt. 

Das Ist der Kaiser Augustus und das ist die tiburtinische Sibylle — sie weist dem 
Allmächtigen den künftigen Weltbeherrscher sie führt den Unsterblichen zum wahren Gott und 
zum wahren Gottessohn — dem gottbegeisterten Dichter gleich, offenbart sie seinem zweifelnden 
Gemüth die grossen Rathschlüsse des Schicksals und die geheime Saat der Dinge — zeigt ihm, 
wie in diesem Augenblick eine Gestalt des Lebens altgeworden ist, und mit Christi, des I Iimmels- 
kindes, Zukunft eine neue, seligere Ordnung anhebt 

Ultima Cymaei »eml iani camunw aet-iA : 
Magnus ab integro sacclorum nasciiur ordo: 

Bekanntlich haben christlich.; Schriftsteller diese Verse, mit denen Virgils vierte Ekloge 
beginnt, als eine messianische Weissagung gedeutet; die fromme Auslegung setzte sich so fest, 
dass der grosse Zauberer mitsamt der Sibylle den alttestamcntlichen Propheten gleichgestellt und 
, als ein Vorläufer der neuen Aera in die katholische Liturgie aufgenommen ward. 

Die Sibylle träumt nimmer von einem Imperium, sie ist von einem abstracteren Gott ergriffen 
— ihre alten Bücher, die auf dem Capitol verschlossen wurden, sind verbrannt, sie bringt eine 
neue Märe — — und Augustus wirft sich anbetend zur Erde nieder; er steigt auf den Capito- 
linischen Berg und richtet dem himmlischen Sprössling auf dem uralten Göttersitz einen himmlischen 
Altar auf, einen heiligen Opferherd, den eine Stimme von oben als den des Gottessohnes bezeichnet : 

HAEC ÄRA FILII DH EST, 
daher er eigenhändig aufschreibt, dass es der Altar von Gottes Erstgeborenem sei: 

ÄRA l'KIMlKiKNITl I )KI ; 

der Altar hiess fortan 1 limmelsaltar oder Ära Coeli , und er steht noch in der Cappella Santa, 
unter dem Altare der heiligen Helena, im Querschiffe der schönen, Unserer lieben Frauen 
geweihten Kirche des Capitols, die von ihm den Namen Santa Maria in Ara-Celi führt. 

Sculpturen auf der Vorderseite des beregten Denkmals stellen den Kaiser Augustus, welcher 
der heiligen Jungfrau eine Krone darbringt, und ein Agnus I>ei vor; auf einem Sockelbilde unter 
der .Disputa' in der Stanza della Segnatura sieht man die Sibylle selbst, wie sie dem Augustus 
ihre prophetische (iaht; mittheilt und die Mutter Gottes zeigt. Nach einer andern Version der 
schönen Legende tritt statt der tiburtinischen Sibylle die delphische Pythia ein, die. das letzte 
aller Orakel, dem Kaiser gebeut dem hebräischen Knahen Platz zu machen. Nur Historiker, die 

IS* 



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I 
I 



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von der Bedeutung der Volksetymologie und dem unberechenbaren Einfluss sprachlicher Annähe- 
rungen auf die Sagenbildung keine Ahnung haben, finden diese Legende in Widerspruch mit der 
Annahme Nicbuhrs, wonach ,in Ara-Celi' aus ,in Arce' hervorgegangen ist Die Legende widerspricht 
nicht nur nicht der niebuhrschen Etymologie, sie setzt sie vielmehr voraus — würde sie voraussetzen, 
denn mit apodiktischer Gewissheit lässt sich diese Art der Entstehung freilich nicht behaupten. Sie 
ist aber schon deshalb wahrscheinlich, weil der Ausdruck Ära Coeli' statt ,Ara Christi' oder 
,Ara Filii Dci' an sich etwas Auffallendes, ja Unpassendes hat und füglich nur durch Anlehnung an 
einen andern vorausgehenden erklärt werden kann ; als ein solcher bietet sich Arce, vielleicht Aredia 
weit ungesuchter dar als etwa der von Gregorovius vorgeschlagene „Aureo Coelo," Das Wort 
Arce beruht keineswegs auf einer willkürlichen Voraussetzung, kommt vielmehr nel>en dem 

orientalischem Costüm 
unter dem scharlachro- 
then Mantel) — die äl- 
teste Kirche von ganz 
Rom und der Himmels- 
allar der erste christliche, 
ja, so zu sagen ein vor- 
christlicher Altar sein ; 
der Sohn Gottes schnell 
wie Caesar siegen und 
noch bei Jovis Lebzeiten 
das Capitol ersteigen, die 
Weltherrschaft mit ihm 
theilend. Obgleich wir 
wissen, dass er sich lang- 
samer Bahn gebrochen 
hat, und dass die Kirche 
der christlichen Himmels- 
königin durchaus nicht 
in das augusteische Zeit- 
alter zurückreicht, so ha- 
ben wir sie doch zum 
Ausgangspunkt unserer 
Betrachtung wählen und 

den Wanderstab da einsetzen wollen, wo wir ihn am Ende des ersten Haupttheils niederlegten, weil 
uns dieser legendarische Altar mit seiner heidnisch-christlichen Geschichte gerade zu Passe kommt : 
wie ein mythischer Grenzstein liegt er in der Mitte zwischen zwei grossen Aereti und bildet, an der 
l'ebergangsstelle aufgerichtet, wenn ich mich so aasdrücken darf, die Schwelle des Christenthums, 
Zudem ist die Kirche, von der ein Cardinal den Titel entlehnt, aber deren Patronat wie billig dem 
römischen Senate zusteht, wirklich früher Gründung: schon um 882 wird das Kloster S. Maria in 
Capitolio erwähnt, und man darf annehmen, dass es bereits Jahrhunderte zählte; das Kloster setzt 
die Klosterkirche natürlich voraus. Das ergibt also immerhin eine recht alte Kirche ; und dem wider- 
spricht auch die Bauart derselben nicht: alterthümlich, gothisch angehaucht, erinnert sie an die 
ernste, würdige Form einer christlichen Basilica, wie sie sich allmählich aus der antiken Basilica 

0 Vnmt Altar Ut Uli Alu Ar» ähnlich mMmmtugtu^n, wie Adler au» t'rfelau; n bedeutet die Hohe Ar» oder deu Hoch-Altar, 
eine TMliJop, wie ueiw mau »aiji, „Heiliger St. Florian" oder „l.irl.ct iiier Mumien". Iter Golhe vetJetuichte du Kreanlauit «luicl, opfei 
itatte, der tafdMkM d»r«h Tem|<(l*lt. 

tn 

'5J 



gebräuchlicheren Kocca 
heute noch hin und wie- 
der im Sinne von Burg 
und Burgberg vor; zum 
Beispiel heisst Arce eine 
bekannte Stadt Ln der 
Provinz Cascrta, welche 
von einem alten uner- 
steiglichen Castelle ma- 
lerisch überragt wird. 1 ) 

IL 

Der Legende nach 
würde die Basilica von 
Santa Maria in Ara-Celi, 
wo man die Figuren einer 
Sibylle und des knieen- 
den August us zu Weih- 
nachten auch wirklich 
vor der Krippe aufzu- 
stellen pflegt (letztere 
kraft eines sonderbaren 
Anachronismus in halb- 




Hau|<lcinc*nc der Kirche S. Maria ja Ara-Celi 



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herausgebildet hat, und ist nur hier und da durch Zuthaten und Zierrathen im neueren Geschmack 
entstellt. Als Konstantin der Gross«! das Christenthum zur Staatsreligion erhob, verwandelte er 
mehren: alte Basiliken in gottesdienstliche Gebäude: die Rathhäuser, die Börsen, die lauten Geschäfts- 
lokale hallten jetzt von frommen Gebeten wieder : Basitica, sagt Ausonius zum Kaiser Gratianus, 
olim nrgoliis J>tcmi, nun< VOtti pro Ina salulc Utsctptis. Ihr Plan, den wir auf Seite 4 angegeben 
haben, der oblonge, durch zwei Säulenstellungen in drei Schiffe getheilte und durch eine halbkreis- 
förmige Apsis abgeschlossene Raum war diesem Zwecke vollkommen angemessen, indem sich die 
Gemeinde in dem breiten Mittelschiff versammelte, die Priesterschaft in den reservirten und 
erhöhten Sitzungssaal zurückzog, in dessen Centrum unter einem Tabernakel der Altar zu stehen 
kam; er wurde daher im Ganzen und Grossen auch in der Folge bei neuen Kirchenbauten beibehalten 
und nur insofern modificirt, als man das Mittelschiff zu einer unverhältnissmässigen Höhe emporführte, 
mitunter auch vor der Altartribüne ein yuerschiff von der Höhe und Breite des Mittelschiffs anbrachte, 
wodurch einerseits im Grundrisse die heilige Gestalt des Kreuzes, andererseits der ganze Innenraum 
vor seinem Abschluss noch einmal in grossartiger Ausbreitung erschien. Daher kommt es, dass auch 
das Wort Basilica bei den Kirchensehriftstellern jener Zeit gleichbedeutend mit Kirche ward, und 
in Rom die alten, nach diesem Plan gebauten Kirchen bis auf den heutigen Tag Basiliken heissen. 
Ks gibt ihrer dreizehn, die in zwei Klassen zerfallen, nämlich in: 

Ii die fünf alten oder I lauptbasiliken i'Basiliche Patriarcali) 

1. San Giovanni in I.ateiaiu>, die älteste, von Consiantin gegrumtet Hast Ihm (JonstantinianaX 

2. Satt IVuo in Vahrann, aus Konslantiimrhcr Zeit. 

3. San l'aoln sulla via OriieflM, etwnfalU ans ConMantiniseJier /eil. 

4. Santa Maria Maggiote (Basilira l.ilieriana). 

5. San Lonme Mm delte mura; 

man merkt sich diese Patriaichalbasiliken, tlie an ihre ursprüngliche Bestimmung unter anderm 
dadurch noch erinnern, dass sie wie Gerichtshöfe den ganzen Tag offen gehalten und nie geschlossen 
werden, wie die Zeichen des Thierkreises oder wie die Parzen, mit Hülfe eines lateinischen Distichons: 

Parins, Virgo, Petrus, Laurentius atque Joanne». 
Hi |>atriarehatus minien in utl>e MMOL 

Hl die acht kleinen Basiliken (Llasilic.be Minoril 

1. Santa Cmrc in Cenisalemme llasilira Sevtnriana'. 
San Sehartiano. 

Die beiden vorgenannten pflegen nebst den fünf alten von den Pilgern vorzugsweise aufgesucht 
und daher mit ihnen unter dem Namen der Sieben Kirchen (Sette Chiese) zusammengefaßt zu werden. 

.1. Santa Maria in Trastevere. 

4. San l.oren*o in Damaso. 

5. Santa Maria in Cosmedin. 

6. SS. A|KMoli. angeblich ebenfalls von Costanün erbaut, daher Costantiniana dei SS. XII Apostoli genannt. 

7. San Pietio in Vincoli .Ilasibea Kudoxiana). 

S. San demente, das vcrbidlniislivüsMg treueste Bild <ter baulichen Hesrhaflenheit und inneren Kinriehtung 
einer altrhristlirHeii HaMlica gewahrend- 

Bereits bei diesen alten Namen wird dem I.eser auffallen, was sich bei allen römischen 
Kirchennamen wiederholt : dass die nähere Bestimmung, mag sie? nun vom Orte oder vom Krbauer 
oder von einer Reliquie oder sonst einem I leilthum hergenommen sein, regelmässig mit Hülfe der 
Praeiiosition 1,1 hinzu gefügt wird. Dem Volke erschien das Merkmal gewissermassen als die 
Basis, auf welcher das ganze Gebäude ruhte. Santa Maria in Trastevere bedeutet eine Marien- 
kirche in Trastevere ; San Lorenzo in Damaso bedeutet eine von dem heiligen Papst Damasus zu 
Khren des heiligen Laurentius gestiftete Kirche : San Pietro in Yincoli, lateinisch in VinculLs, bedeutet 

'54 



eine Peterskirche, welche die Ketten (vineula) des Apostels in einem Reliquienschrein vcrschlicsst 
Genau so ist der Titel der Kirche gebildet, von der wir ausgegangen sind : Santa Maria in Ara-Celi. 

üben dieselbe vertritt eine dritte Klasse von Basiliken, zu welcher man ausser ihr etwa 
noch San Martino ai Monti, San Vincen«> ed Anastasio bei den Tre Fontane, Santa Sabina, San 
Crisogono, Sant' Agnese fuori le mura und andere rechnen könnte, das heisst, von altcrthümlichen, 
den ursprünglichen Charakter sehr treu bewahrenden, stil- und stimmungsvollen Kirchen. Schon 
die Vorderseite imponirt uns durch eine gewisse ]>alriarchalische Würde und Einfachheit Während 
man die Basiliken innen mit prachtvollen Mosaiken zu schmücken pflegte, entbehrte ihr Aeusseres 
jeder Dekoration, nur die in grossen Dimensionen ausgeführten Fenster brachten einige Abwechselung 
hinein. Indessen Iw-gann man später den oberen Theil der Facade mit Musivgemälden zu belegen, 

de' Monti, entwarf einen 
Plan zu einer ihrem Cha- 
rakter entsprechenden 
Ausschmückung der Fa- 
cade , insbesondere ei- 
ner Wiederherstellung 
der Mosaiken; derselbe 
kam nicht zur Ausführung, 
obgleich der Cardinal 
Consalvi testamentarisch 
eine Summe zu diesem 
Zwecke hinterlassen hat- 
te; eine dem Charakter 
nicht entsprechende Vol- 
lendung wurde durch 
Overbeck verhütet Die 
drei Eingänge hat die 
l'amilieder Mattei, deren 
Wappen (ein geschach- 
ter, balkenweise geseil- 
ter Schild, auf dem ein 
gekrönter Adler sitzt) am 
mittleren erscheint, kunst- 
voll mit Marmor verklei- 
den lassen. L'eber dem 

Hauptportal wölbt sich ein Zirkclbogcn, in dem Reste eines Marienbildes zu bemerken sind; die 
Seitenportale haben Spitzbogen, und im Rahmen derselben Reliefs der Evangelisten Matthaeus und 
Johannes. Von Piazza Araceli hinauf führt eine hohe, 15 m breite Freitreppe, deren 124 Marmor- 
stufen dem Tempel des Gottes (Juirinus auf dem (Juirinal entnommen sind ; die Kosten zu derselben 
wurden von dem Almosen bestritten, welches die Kirche erhielt, als das in ihr verehrte Marienbild 
bei der Pest von 1 34S in Procession herumgetragen wurde. Es ist dies eine der grossen Treppen 
iScalonii in Rom und ein Pendant der Spanischen, welche vom Spanischen Platz nach S. Trinita 
de' Monti geht und 125 Stufen hat aber, obgleich vor der Ära Coeli, nicht mit der Scala Coeli, 
der Himmelsleiter zu verwechseln, nach welcher eine Marienkirche bei den Tre Fontane benannt ist 
Eine andere Treppe führt vom CapilolsplaUe zu einem Seiteneingange empor, üImt welchem 
die heilige Jungfrau zwischen zwei leuchteltragenden Engeln in Mosaik erscheint. 

«55 



die untere Hälfte, re- 
spective den I lauptcin- 
gang durch einen Porticus 
auszuzeichnen. DieBack- 
steinfaeade von Santa 
Maria in Ara-Celi ist völ- 
lig kahl und nur in der 
Mitte durch ein grosses 
Fenster unterbrochen (an 
seiner Stelle Ix-fand sich 
vermuthlich früher das 
runde von durchbroche- 
ner Marmorarbeit, wel- 
ches man in der Wand 
links eingemauert sieht); 
man hat sie, die der von 
S. Maria in Trastevere 
ähnlich werden sollte, nie 
vollendet, und die Mosai- 
ken, die an der Hohl- 
kehlewirklich angebracht 
worden waren, sind wie- 
der abgefallen. Philipp 
Veit der Maler der Hirn 
melskönigi» in S. Trinitä 




iur K.rthr S Mirl. i» Ara-l eU 



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Das Innere ist wie bei jeder Basilica dreischiffig, das Mittelschiff tragen zweiundzwanzig 
antike Säulen, meistens von Granit, aber von verschiedener Ordnung, Hüne und Dicke ; die dritte 
links stammt urkundlich A Cl'BICl'LO AUGIJSTORL'M, aus den Kaiserpalästen auf dem Palatin. 
Den drei Schiffen liegt ein Querschiff vor. Da wo das mittlere Langschiff in letzteres mündet, 
ist nach herkömmlicher Weise eine grosse Bogenwölbung von der einen Wand zur andern 
geführt, welche auf vortretenden kolossalen Säulen ruht und an den Pfeilern, mit denen die Säulen- 
reihen schliessen, sowie an den Seitenwänden des Querschiffs ihr Widerlager findet ; dieser Bogen 
hetsst, indem man einen heidnischen Namen auf Christi Sieg über den Tod anwandte, der 
Triumphbogen {Arco trionfale) : durch ihn zieht gleichsam der triumphirende Erlöser in das Aller- 
heiligste ein, wo sein Sieg im Sacrament des Altars gefeiert wird. Vor diesem Sanctuarium, in 
dem länglichen Viereck , welches sich , von Schranken umgeben und für die niedere Geistlichkeit 
bestimmt, in das Schiff der Kirche hineinerstreckt, gleichsam einen Chor vor dem Chore bildend, 
müssen eigentlich die beiden Pulte stehn, die man Ambonen nennt : hohe, durch Trep)>en zugäng- 
lich gemachte Bühnen für Vorleser und Redner, eine an der Nordseite für das Verlesen und 
Erklären der Evangelien und eine an der Südseite für die Episteln. Diese Ambonen, die allmählich 
in die Kanzel zusammengezogen worden sind, spielten bei der Ausschmückung der Kirchen eine 
wichtige Rolle und wurden prächtig, anfanglich mit Mosaik, später mit Schnitzwerk bekleidet. Sie 
fehlen auch in unserer Basilica nicht, aber im Jahre i 560 unter Pius IV. wurde alles umgeworfen, 
die halbzirkelige Tribüne zerstört und ein neuer, länglich-viereckiger Chor erbaut, worauf man im 
Jahre 1580 unter Gregor XIII. den alten Chor im Hauptschiffe vernichtete und den Fuss- 
boden ausbesserte; und nun wurden die beiden Ambonen, Werke der bekannten Künstlerfamilie 
der Cosmaten, hinter die beiden Pfeiler des Triumpfbogens verschlagen, ausserdem die Stürkc falsch 
zusammengesetzt, sodass sie weder den richtigen Platz, noch die richtige Gestalt behalten haben. 
Auf dem Ambon des Evangeliums, vom Haupteingange links, ist wie auf vielen Denkmälern des 
italienischen Mittelalters, ein Adler gebildet, der eine Kidechse in den Klauen hält: am Pfeiler über 
ihm erscheint der Grabstein der Königin Katharina von Bosnien, die 1 461 in Rom starb und sterbend 
ihr an den grossen Mohammed verlorenes Reich dem Papst vermachte, llcberhaupt ist die Basilica 
ein wichtiges Mausoleum : sie enthält die Grabdenkmäler vieler ausgezeichneter Männer, von denen 
wir einige bereits Seite 108 namhaft gemacht haben, und, kenntlich an dem singenden Rosenstocke 
zwischen rothen I^öwen und den rothen und goldenen Balken darunter, die Grüfte der edlen, an 
Cardinälen und Päpsten reichen Familie der Savelli. Ja, sogar manche Deutsche ruhen auf Ara- 
' Celi, an grauen Leichensteinen stehen bairische und elsässer Rittersnamen, und neben den Hüten 
der Cardinäle lehnen auch die Helme und Schilde eines Ekbert Krech und eines Eberhard von 
Erlach an ihren Sarkophagen. Sic sind vor mehr als einem halben Jahrtausend in dem Strassenkampf 
vom 26. Mai des Jahres 131a gefallen, als Heinrich VII. von Luxemburg über Barrikaden und 
Leichen in den Lateran zur Kaiserkrönung schritt, und die Kaiserlichen sich des Capitols 
bemächtigten. Es scheint, seitdem die Lebenden nicht mehr triumphirend zu Capitole steigen, 
tanzen sie hier den wirbelnden Todtcntanz, der auch eine Siegesfeier, auch ein Triumphzug ist. 

Und doch, es fehlt auf Ara-Celi nicht an wirklichen, eigentlichen, antiken Triumphatoren. 
Hast du, lieber Leser, die alterthümliche Decke der Münchener Bonifaciuskirche, die vergoldeten 
Balken-, Hänge- und Sprengwerke gesehn? Das Gespärre bleibt meist sichtbar bei einer alten 
Basilica. Das Dach von Santa Maria in Ara-Celi sieht weniger stilvoll aus. Die Seitenschiffe 
sind gewölbt, das Mittelschiff trägt eine Holzdecke, die kassettirt und mit Trophäen und kriege- 
rischen Hmblemen reich geschmückt ist. Sie wurde vom .Senatus Populusque Romanus - der heiligen 
Jungfrau nach der berühmten Seeschlacht von Lepanto (7, Oct. 1571) gestiftet, als die von Spanien, 
dem Papst und der Republik Venedig ausgerüstete Flotte die weit stärkere Seemacht der Türken 

10 



geschlagen hatte. Befehlshaber der zwölf päpstlichen Galeeren war Marcantonio Colonna gewesen, 
unil zum Lohne durfte der mittelalterliche Ritter förmlich und rite triumphiren. Bei seiner Rück- 
kehr ging ihm der Senat entgegen und begleitete ihn unter dem Beifallsrufen und dem Jauchzen 
des Volks auf's Capitol zur Audienz des Papsles und in die Basilica von Ara-C.'cli, allwo er seine 
Trophäen niederlegte und der Mutter Gottes eine silberne Schnäbel-Säule (Columna Rostrata) mit 
einem I leiland auf der Spitze weihte- So hatten seine Väter dem Jupiter ihren Lorbeerkranz 



gespendet, so hatten sie 
im Tempel des Jupiter 
Feretrius die „Spolia 
opima' aufgehangen. Die 
Colonna sind ein altes 
Geschlecht; sie rühmen 
sich ihrer Abkunft von 
den gefeierten Helden 
der römischen Republik, 
denen die Columnae Ro- 
stratae weiland selbst 
errichtet worden waren. 
Als Napoleon in Rom 
war, speiste er mit einem 
Colonnesen. Kr fragte: 
Ist es wahr, mein Fürst, 
dassSic von den Duilius 
abstammen? — Sire, ant- 
wortete der geistreiche 
Edelmann , es sind an 
zweitausend Jahre her. 
dass man's bei mir zu 
Hause erzählt (on le 
prt-tend dans ma famillc 
depuis deux mille ans). 
Dieselbe Anekdote gilt 
von den Fürsten Massimi 
alle coloroie. den Nach- 
kommen des Fabius 
Maximus Cunctator. 

In früheren Zei- 



ten hatte Rienzi nach 
seinem Siege über die 
Colonna den silbernen 
Kranz, mit dem er 
sich ob dieses Sieges 
schmückte, und seinen 
stählernen Commando- 
stab der heiligen Jung- 
frau in derselben Kirche 
und in demselben Sinne 
dargebracht. 

III. 

Zu Jerusalem, im 
Garten Gethsemane ste- 
hen sieben alte Oel- 
bäume, die aus Jesu Zeit 
stammen und Zeugen 
seiner Passion gewesen 
sind : der Erlöser hat sie 
einst in tiefer Herzens- 
angst umklammert und 
gesegnet, daher sie, ob- 
wohl vor Alter gebor- 
sten und umfangreichen 
Ruinen gleichend, grünen 
und blühen und köstliche 
Früchte tragen ; ein 
freundlicher Francisca- 
ner, selbst ein (ireis, 

wartet und pflegt der Greise; er friedigt sie ein, damit sie keine unberufene Hand beschädigt, 
er umdämmt sie mit Steinen, damit sie nicht auseinanderfallen. Ihre Oliven werden eingelegt 
und um hohen Preis besondere nach Spanien verkauft, das aus ihnen gewonnene Ocl ist beinahe 
unbezahlbar, die Kerne verarbeitet man zu kostbaren Rosenkränzen. Es sind die Patriarchen 
der Pflanzenwelt und des heiligen Landes heiligste Bewohner; obwohl man der malerischen Oclhäume 
im Oriente, namentlich in Griechenland, für welches sie charakteristisch sind, viele sieht, so machen 
sie doch nirgends einen so ehrwürdigen, feierlichen Eindruck wie in Gethsemane. 

l'rsprünglich waren es acht Oelbäume, einer ging im Laufe des sechzehnten Jahrhunderts 
ein. Aus seinem Holze schnitzten die Lateiner, die Gethsemane ihrerzeit käuflich erworben 




IIa» Chntlkind — Gwi Hambinv. 



157 



hatten, in einer Länge von 60 cm ein Christkind und überliessen es an das grosse Kloster von 
Santa Maria in Ära -Coli auf dem römischen Capitol. Die Statuette wurde, in seidene Windeln 
gehüllt und mit Perlen und Edelsteinen geschmückt, als höchster Schatz, als heiliges Kiml (Santo 
ßambino) in der Sacristei der Kirche aufbewahrt, zur Weihnachtszeit in der Krippe ausgestellt 
und fast täglich wie das Sanctissimum zu Kranken und Sterbenden getragen, die durch seine 
Berührung ihrer Leiden und des Lebens selbst genasen. Im Jahre 1848 kam es sogar zu Pferd 
und Wagen. Die längst gefürchtetc Revolution war ausgebrochen: eine Provisorische Regierung 
erklärte die Herrschaft des Papstes für abgeschafft und das Volk verbrannte die päpstlichen 
Karossen. Eine darunter war besonders schön und künstlich: dem Triumvir Armellini that sie 
leid: er schenkte sie dem Christkind. Als dann Pio Mono zurückkehrte und anspannen lassen 
wollte, hatte er keinen Wagen: er fragte, wo seine Equipagen hin wären: die einzige, die noch 
übrig ist, hiess es, hat gegenwartig der Herr Christus im Gebrauch. Nun, sie seinem Herrn und 
Meister wieder zu nehmen, daraus machte sich der Nachfolger Petri ein Gewissen ; er sagte : Lasset 



dem Papste, 
was des Pap- 
stes, und Göl- 
te, was Gottes 
ist — und er 
fuhr diesen 
Tag nicht aus 
— und da- 
für konnte das 

Christkind 
nach wie vor 
ausfahren und, 
von einem 
Franciscaner 

begleitet, 
seine Kran- 
kenbesuche 




I'lpiüicher G&lawageo. gegenwärtig ii» llettue dw heiligen Kinde». 



oder aüf dem 
Corso eine 
,Trottata' ma- 
chen : wenn 
man einen Ga- 
lawagen kom- 
men und ei- 
nen weisssei- 
denen Zipfel 
zum Schlag 
heraushängen 
sah, wich man 

ehrerbietig 
zur Seite und 

stieg aus, 
wenn man 
selbst in einer 



Droschke sass, und betete knieend an. genau so, als ob man dem heiligen Vater selbst begegnete, 
der in Rom immerhin mehr gilt als das heilige Kind. 

Ausser ihm bewahrt die Basilica in dem Tabernakel des Hochaltars das obenerwähnte 
wunderthätige Marienbild, welches dem Evangelisten Lucas, dem trefflichen Madonnen maier, 
zugeschrieben wird. Diese beiden Kunstwerke sind der charakteristische Schmuck von Ara-Celi. 
Das heilige Kind ist nicht unschön: mit seinen grossen Augen, mit dem Ernst, der sich in seinen 
bedeutenden Zügen spiegelt, mit dem Schrecken, der sein Herz bei dem Gedanken an seinen 
heiligen Beruf zu ergreifen scheint, erinnert es, in der schönen Krippe auf den Armen seiner 
holdseligen Mutter ruhend, an den Knaben der Sixtinischen Madonna, und unwillkürlich wiederholt 
man die tiefsinnigen Verse Schopenhauers: 

Sie lrl|(t zur Well ihn — und ci schaut entsetzt 

In ihrer Greuel unselige Verwirrung — 

In ihres Tobcns wilde Raserei — 

In ihrer Krankheit nie geheilten Schmerz — 

In ihrer Liebe nie gestillte Sehnsucht — — 

Entsetzt — — doch wählet Muth und Zuversicht sein Aug, verkündigend 
Schon der hrlumng selige ("•eaUshcit — — 
• 

.58 



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man müsste denn vorziehen, mit einem seiner Landsleute solche witzige und gewählte „Legenden" 
nachzuerzählen wie die, dass sich einmal eine Engländerin in den Bambino verliebt, dass sie ihn 
aus der Kirche entfuhrt und an seine Stelle einen „Wechselbalg" gelegt, das heilige Kind aber 
selbst den Rückweg gefunden und den nächsten Tag mit gebogenem Knie an der Thüre von 
Ara-Celi gestanden habe. 



IV. 

Am hohen Neujahr, wenn die Krippe um den Stern und die fremdartigen Gestalten der 
drei Könige bereichert wird, Nachmittags gegen 4 Uhr, ist in Ara-Celi grosse Procession. Das 



Christkindchen wird von 
einem Prälaten in der 
Kirche herumgetragen, 
dann draussen auf der 
Plattform hoch empor- 
gehoben und der glau- 
bensvollen Menge, wel- 
che über die breiten 
Stufen der Treppe aus- 
gegossen ist , gezeigt. 
1 lirrauf wendet sich der 
Bischof nach links und 
präsenlirl den Santo 
Bambino abermals dem 
Volke, das auf dem C.v 
pitolsplatze den verwun- 
dert dreinschauenden 
Marc Aurel umdrängt. 
Die Ceremonie hat für 
den Nordländer wenig 
Erbauliches aber die 
Frömmigkeit und die 
glühende Begeisterung 
der andächtigen Ge- 
meinde verleiht ihr ein 




< llicfc < i»lh-nr da Kr<tu£»a£s von S. Miri» in Ära Cell. 



eigenes Interesse Je Tai 
touche ! rief mir ein fran- 
zösischer Priester mit 
strahlenden Augen zu. 
Was den Eindruck noch 
steigert, ist die merk- 
würdige Facade, zu de- 
ren Füssen die heilige 
Handlung vor sich geht, 
gleichsam die Folie der 
Erscheinung Christi auf 
der Höhe des Capitols. 
Diese hohe, alterthümli- 
che backsteinerne Wand 
mit den drei kleinen 
Thören oberhalb der un- 
ermeßlichen, aus antiken 
Marmorstufen aufgebau- 
ten Treppe, die wie eine 
Himmelsleiter bis zu den 
Wolken reicht — schroff 
und schmucklos von einer 
reichen Architectur, von 
grünen Baumgruppen 
und üppigen Lianen ab- 



gehoben — dieses Emblem von Strenge, von Armuth und von Grösse frappirt die Phantasie 
wie das schlichte, aber in seiner Schlichtheit erhabene Gewand des Mönches, der hinter der Thüre 
steht. Die christliche Himmelskönigin trägt eine andere Krone als die lebensfrohe Juno: sie 
trägt die Krone der Demuth, die Majestät der Bettelorden: sie kleidet sich in ihre Farl>e und 
Livree — in tiefes Braun.* 

Die Kirche gehörte ursprünglich den Benedictinern; im Jahre 1250 ertheilte sie Innocenz IV. 
den Franciscanern, deren Orden vor einigem Jahrzehnten aufgekommen war : in die römische Burg 
zogen mindere Brüder ein, und auf der antiken Münzstätte liess sich eine Schaar barfüssiger 
Bettler nieder, geführt von einem Abte, dessen Gel>ot, wie das eines Generalissimus, 

vom letzten fernen Poilen, 
Der an die Dunen blanden hürt den Uelt, 



'59 



I 



Ikr in der Krsch fruchtharc Thaler weht. 
Bis iu der Wache, die ihr Schilderhaus 
Hat aufgerichtet an der Kaiscrburg, 



in allen Kapiteln und Kustodeien seines gewaltigen I leeres herrschte. An I leiligkeit dem Mutter- 
haus von Assisi nachstehend, ist das Kloster von Ara-Celi dem Range nach das erste der zahl- 
losen Gebäude, die das kreuzweis übereinander gelegte Armepaar bezeichnet (ein Kreuz zwischen 
dem nackten Arme des Erlösers auf der einen und dem bekleideten Arme des heiligen Franciscus 
auf der andern Seite, beide Hände mit den heiligen fünf Wundenmalen bedeckt, wie man es nennt, 
stigmatisirt, ist das Wappen der Franciscaner) ; denn in ihm residirt der General der Franciscaner, 
das alleinige Oberhaupt der europäischen, aller bischöflichen Gerichtsbarkeit entzogenen Gesell- 
schaft — residirt er jetzt rungsversuchen entgegen, 
noch, wo das Kloster auf- H für Aufrechterhaltung der 



aus dem Franciscaner - Orden hervorgegangen. War es ein Wunder, wenn sie im Vatican eine 
gewisse Anhänglichkeit an das Capitol bewahrten? 1 Trotz der zahlreichen und heftigen Kämpfe 
in seinem Innern behauptete sich der junge Orden Jahrhunderte lang in der Gunst des Volks 
wie des römischen Hofes; jenes drängte sich zu seinen Predigten und Beichtstühlen und seinen an 
Ablässen und Reliquien reichen Kirchen, dieser überschüttete ihn förmlich mit Vorrechten aller Art. 

Bei der Procession hat man Gelegenheit, den Convent zu sehen, der noch zu Anfang 
des vorigen Jahrhunderts über 7000 Manns- und 900 Frauenklöstcr mit etwa 1 25000 Mönchen 
und 20300 Nonnen zählte: in ihren dunkelbraunen Kutten, in ihren runden Kapuzen, Sandalen 
an den Füssen und um den Leib einen Gürtelstrick, der in eine Geissei endet — in langen 
Barten, bald steinalt und gekrümmt unter der Last der Jahre, bald noch hochaufgerichtet und 
zum Kampf mit einer Welt gerüstet — Gesichter, auf denen die Leidenschaft und die verhaltene 
Begierde und die glühende Askese tiefe Furchen gezogen hat, und andere, die voll Resignation, 




Goltuicln; (.CTridore im Ktosur v«o S. Marn in Ari-Oli. 



alten Zucht und Strenge 
gewirkt. Zu den Neuerern 
gehörte unter anderen der 
von Dante (Paradiso XII, 
134) erwähnte und in 
Ara-Celi begrabene Ge- 
neral Matteo d'Acijua- 
sparta: l Jnola fuggc{ 1287). 
Und viele Generäle des 
FrancLscanerordens sind 
wieder Cardinäle. ja Päp- 
ste geworden und von 
Ara-Celi auf den heiligen 
Stuhl gestiegen, zum Bei- 
spiel I lieronymus von As- 
coli als Nikolaus IV., Fran- 
ciscus von Albissola bei 
Savona als Sixtus IV., 
Felix von Montalto als 
Sixtus V.; ausser ihnen 
noch zwei Päpste, Alexan- 
der V. und Clemens XIV., 



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voll Frieden, geläutert in da» aufgelöste Spiel des krummgewundenen Lebens hinabblicken — 
alle von einem fremden, fanatischen, finstem, drohenden Geist beseelt — so dcülircn sie zu zwei 
und zwei an uns vorüber, an uns, mit denen sie nichts mehr gemein, von denen sie längst 
Abschied genommen haben, unter denen sie wie Todte, perinde ac cadavera , wandeln. Wer 
ist, dem nicht die entsagende, charaktervolle? Gestalt eines Mönches Respect einllösste? Hin 
Mensch, der das Glück des Lebens seinen Zwecken zum Opfer bringt, wird immer Be wunderung 
verdienen, selbst wenn diese Zwecke nicht nach unserem Geschmack sein sollten. Die FrancLs- 
caner bauen die Krippe in S. Maria in Ära - Celi, in der zweiten Capelle des linken Seitenschiffes, 
wie sie das zu Weihnachten in allen ihren Kirchen, z. B. auch in San Francesco a Ripa thun: 
der heilige Franciscus brachte diese Sitte auf, er war der erste, der im Jahre 1123 zur Feier 



des Christfestes eine so- 
genannte Hütte (Capan- 
nuccia)oder Krippe (Prc- 
sepio) errichtete und die 
Geburt Christi mit Fi- 
guren aus Holz oder 
Pappe plastisch dar- 
stellte; wer weiss, ob 
diese Liebhaberei nicht 
der Grund gewesen ist, 
dass dasgerade zu Weih- 
nachten vielbesuchte 
Kloster den Francisca- 
nern übergeben ward. 
Die kleinen Reden (Ser- 
moncini), welche von Kin- 
dern, Knaben und Mäd- 
chen mit offenbartr An- 
spielung auf die lob- 
singenden Engel des 
Evangeliums , in Rom 
wie anderwärts, vor den 
Krippen gehalten wer- 
den, meist sehr monoton 
gehalten werden, daher 




Ziehbrunnen im Klirtfcrr v\ro S. Moria in An Cell 



es von einem schlechten 
Declamator sprichwört- 
lich heisst : ,J>ar du recili 
il sermonäno" — sind 
selbst in protestantischen 
Ländern nicht ganz aus- 
ser Gebrauch gekom- 
men: auch bei unsern 
Bescheerungen ist es ja 
Sitte, dass die Kinder 
ein Lied oder etwas 
Aehnliches aufsagen. 
Lächerlich, was Leute, 
die nicht mit eignen Au- 
gen sehn, mit katholi- 
schen Gebräuchen nicht 
vertraut sind und, trotz 
eines langen Aufenthal- 
tes in Italien, ihre Vor- 
urtheile über den Cha- 
rakter der italienischen 
Nation nicht ablegen, 
von diesen simpeln Kin- 
derpredigten alles zu er- 
zählen wissen. 



An das Kloster stösst ein Landhaus, welches durch einen oberirdischen Gang mit dem 
Venezianischen Palaste verbunden ist, so dass man von einem zum andern gelangen kann, ohne 
die Strasse zu berühren; dieses Landhaus, Eigenthum der Päpste und Appartamento del Papa 
genannt, wurde unsern Mönchen gleichfalls zuertheilt ; von den Corridoren und namentlich von der 
Loggia hinter dem zweiten Hofe rechts hatten sie eine schöne Aussicht auf das alte Rom und 
den gegenüberliegenden Quirinal, zumal auf den hochragenden mittelalterlichen Thurm, in welchem 
die Phantasie der Pilger den Palast Octavians erblickt«;, auf dessen Zinnen Nero zum Brande 
Roms Zither gespielt haben soll, und der sich eben von hier aus besonders prachtvoll ausnimmt. 
Paul IV. machte und Sixtus V., einer ihrer allen Herren, bestätigte die Schenkimg. Was für 
Träume mögen auf dieser Loggia geträumt, was für weitaussehende Pläne geschmiedet worden sein ! 
Denn es ist kein Zweifel, in der Geringsten Einem, der diese Ixiggia ahnungsvoll betritt, steckt 



161 



das Zeug zu einem dreifachgekröntem Haupte, einem Vater der Fürsten und Könige: die Haupt 
Stadt der Welt, die er zu seinen Füssen liegen sieht, kann er wohl einmal in seinen Ifettelsack 
einstecken — si fanno di questa pasta. 

Jener Sixtus V., der Sohn eines armen Bauern und durch Vermittlung eines Oheims in 
ein Franciscanerkloster aufgenommen, aber den ehrgeizigen Sinn frühe auf die höchsten kirchlichen 
Würden gerichtet, ertrug Fntbehrungen aller Art. Fr lebte von Wasser und Brot, er meinte 
bescheidentlich. Wasser und Brod genügten zum Glück des Menschen: 

l'ani* et aqua, 
Vtta lical». 

Und bei Wasser und bei Brot erreichte er die Tiara, und, wie er noch in der Wahlcapelle 
den Stab, der ihm zur Stütze diente, wegwarf, so warf er gleichsam seinen Bettlermantel und 
seine Betüermaximen weg, er sagte mit jenem Innocenz, dem die Regel der Franciscaner mehr 
für Schweine als für Menschen geschrieben schien, Wasser und Brot sei ja nur ein Hundeleben: 

A.pu M i«uik, 
Vita ranis. 

Man erzählt sich in Italien von den Kapuzinern, dass sie mit ihren Novizen den Kloster 
thurm besteigen und ihnen dort das Feld zeigen, das sie hinführo bestellen, das Land, das 
sie am Bettelstab durchwandern, als fromme Bettler machen sollen. Sie sagen zu ihnen: 
Unverschämtheit! Sfacciataggine ! Und Alles ist Fuer. 

Ob sie in Ara-Celi mit ihren Novizen auf die Loggia treten? — 

V. 

Die tiburtinische Sibylle zeigt dem Kaiser Augustus den künftigen Weltbeherrscher: der 
Weltbchcrrscher ist das Jesuskind, das zu Bethlehem in einer Krippe liegt, aber eine flimmernde 
Krone trägt : man hat diese Legende als eine der tiefsinnigsten des Christenthums gepriesen, und 
die Sibylle mit ihrer Vision vor unsern eignen Augen den Vorhang weggezogen. Und doch giebt 
diese Legende dem unbefangenen und philosophischen Betrachter der Weltgeschichte viel zu denken : 
es ist viel dabei zu erinnern, viel einzuschränken, manches .Granum salis' ilarauf zu streun: ja, 
die tiburtinische Prophetin hat kaum Recht 

Nicht Christus ist der Herr der Welt geworden, sondern der Apostel Petrus; ein neues 
Weltreich nicht aus Nazareth, sondern aus Rom hervorgegangen; die mächtige Kirche, welche 
dieses Weltreich darstellt, heisst nicht die christliche, sondern die römisch katholische. 

Nur im Orient führt der Christ den Namen Nazarener. 

Wir erzählten oben, wie das heilige Kind zu einem päpstlichen Galawagen kam. Die kleine 
Geschichte XtcsiUA einen eminent symbolischen Charakter. Wer in Rom bisher mit Vieren fuhr 
war der Papst. Christus, der mit seinen Aposteln barfuss durch's heilige Land gezogen ist, kann 
froh sein, wenn er sich eben mit aufsetzen darf ; eigentlich geht er betteln mit einem Bettelmönche. 

Freilich pflegen sich die Päpste nur Christi Statthalter zu nennen: der wahre Herrgott 
wohnt im Himmel, sie vertreten ihn auf Erden. Aber liegt die Sache etwa so, wie sie recht 
häufig liegt — dass der Minister mehr als der Souverain bedeutet, der Haushofmeister grössern 
Aufwand macht als der gnädige Herr? Nicht ganz: der angebliche Herr hat eine Herrschaft 
nie gehabt: er hat als armer Zimmermannssohn gelebt, er Ist als Zimmermannssohn gestorben: 
Herrschalt und Königreich haben sich die klugen, beharrlichen , kühnen Gouverneure ganz allein 
erworben und befestigt. Ein seltener Stem führte sie wie die drei Könige nach Rom, nur mit 
dem Unterschied, dass Kaspar, Melchior und Balthasar schon Könige waren, Petrus und Paulus 

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erst welche werden wollten : heimlich und leise schlichen sie auf den wackeligen Wcltenthron und 
machten einen bequemen Bischofsstuhl daraus; sie sagten: das alte Möbel ist ja niemand etwas 
nütze, es knackt an allen Ecken und Enden, lasst es uns! Wir wollcn*s ja nur, um fein fromm 
drauf zu beten! — Und ich wiederhole: ohne dieses geschickte, bewunderungswürdige Manöver 
wäre die Secte der Christen in den Wüsten des Morgenlands verschollen; ohne die römische Fusion 
würde heutzutage kein heiliges Kind in Gold und Silber strahlen, wie es geschieht, weil man ihm 
Titel und Ehren aus Politik beliess. 

Ereilich ist auch Petrus nicht gleich von Anfang gross, vielmehr gleich Christus ein armer 
Märtyrer gewesen. Allerdings, aber er galt für den unmittell>aren, greifbaren, eigentlichen Gründer 
dieses Stuhls; er hatte von Christus die Schlüssel des Himmelreichs erhalten und dann einen 
Riesenschritt damit gethan, indem er mit seinem Schlüsselbunde auf den sieben Hügeln klingelte 
und klirrte: als erster romischer Bischof trug er die Weltherrschaft in sich als wie in einer Nuss, 
während Christus noch gar keine Anwartschaft darauf besass. 

Wir haben oben den HimmeLsaltar einen Markstein genannt, der die Grenzscheide zwischen 
Heidenthum und Christenthum bezeichnet. Wir werden jetzt noch etwas Anderes in ihm finden: 
den Grund- und Eckstein, auf dem Christus seine Gemeinde bauen will. Man weiss, dass er damit 
den Apostel Petrus meint, und dass dessen hebräischer Name Kcphas zu dem göttlichen Wortspiel 
Veranlassung gegeben hat ; der Eelser, der sich nachmals sein Capitol auf dem Vatican und sein 
Palatium im Lateran gemacht hat, passt vortrefflich auf den römischen Koppenfels. Die Welt- 
kirchc, welche auf diesem Steine steht, wird jetzt noch nicht in ihrer vollen Pracht erscheinen ; nichts 
destoweniger aber hebt mit ihm ein Gebäude an, welches, himmelweit von Nazareth entfernt, in Rom 
eine neue selbständige Reichsidee verkörpert und, allmählich ausgebaut, langsam zu einer stolzen, 
der alten Welthauptstadt nicht unwürdigen Höhe anwächst 



Santa Pudenziana und Santa Prassedo. 



o ist es denn nicht mehr wie billig, dass wir, nachdem uns im Vorigen der Heiland 
geboren worden ist, gegenwärtig zusehen, wie sein grosser und glücklicher Nachfolger, 
der heilige Petrus, ankommt; und dass wir Sanct Peters Bethlehem und die petrinische 
Krippe in der ewigen Stadt aufsuchen. Auch ist dieselbe eine ungleich realere, denn 
während das Jesuskind nur im Bilde, sozusagen im Altweibermärchen auf dem Jupitersberg 
erscheint, lässt die allkatholische Sage den Petrus, wie den Paulus, in Person den Boden 
Roms betreten, eine Gemeinde stiften und fünfundzwanzig Jahre lang (42—67 n. Chr.) des 
Ol Hirtenamtes walten. Freilich ist auch dies geschichtlich nicht unanfechtbar, der erste der 
|S| unter Petrus Namen im neutestamentlichen Kanon enthaltenen Briefe weist vielmehr auf Babylon 
& als seinen späteren Aufenthalt hin, und der römische Klerus scllwt kann sich den entgegen- 
T stehenden chronologischen und historischen Bedenken nicht veischliessen : unter dem Druck 
der neueren Wissenschaft und Zeit musste der Papst im Februar des Jahres 1X72 eine öffentliche 
Discussion katholischer Priester mit waldensischen Geistlichen über die Frage gestatten, ob Petrus 
jemals in Rom gewesen sei. Dafür lebt die Tradition vom ersten römischen Bischof, der, in 
Nachbildung des Todes Jesu am Kreuze, auf der Höhe des Janiculums mit den Füssen nach oben 

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gekreuzigt worden ist, ungeschwächt und unerschütterlich im Bewusstsein der Gläubigen fort, und 
sie ist «lern Philosophen oft mehr werth als die versiegelte und verbriefte Wahrheit der Cieschichte, 
weil er in ihr den mythischen und sinnbildlichen Ausdruck einer höheren , wahreren Wahrheit 
unterscheidet Ob Petrus jemals in Rom war? Müssige Discussion! I>eren Resultat für die 
grossen Thatsachen der Kirchengeschichte genau so gleichgültig ist, wie für die römische des Romulus 
Existenz. IX;m Geiste und der wirkenden und schaffenden Kraft nach ist Petrus wahrlich 
dagewesen, des steht die Peterskirche ein augenfällig Zeugnis*. Auch hier gilt es, wie der 
Prophet der romantischen Schule sagt, in Märchen und Gedichten zu sehn die ewigen Welt- 
geschichten, und die, welche den L'rfeLscn wie Kpheurankcn umspinnen und umwinden, wollen wir 
hier an alten heiligen Bildern in alten heiligen Kirchen andächtig ablesen. 

Es sind in der That die ältesten und altrrthümlkhstcn unter den dreihundertvierundsechzig 
Kirchen des heiligen Roms. Im neutestamentlichen Kanon befinden sich bekanntlich zwei Briefe 
des Apostels Paulus an seinen früheren Reisebegleiter Timotheus, in welchen er ihm, dem der- 
maligen Bischof der Gemeinde zu Ephesus, Anweisungen zur rechten Führung seines Amts crtheilt 
Im zweiten dieser apokryphen, angeblich von Rom abgelassenen Briefe :Kap. 4, 21) wird 
ein gewisser Pudens 1 llm'-ii,;!, der den Timotheus grüssen lässt, erwähnt Der war ein römischer 
Senator und Hausbesitzer, und in seiner Wohnung, die in dem Thal zwischen Viminal und 
Esr|uilin, im Vicus Patricius lag, der heilige Petrus abgestiegen. In ihr stiftete der Fürst der Anstel 
nachmals selbst das erste Gotteshaus zur Versammlung der Gläubigen: das heisst, irgend ein grösserer 
Raum in Pudens' Paläste wurde zu einem Betsaal hergerichtet , wie ihn kleine Gemeinden, die 
noch keine eignen Kirchen haben, z. B. die Mucker, die Baptisten, die Deutschkatholiken gelegent- 
lich auch bei uns benutzen, Dieser pudentianische Betsaal wäre also die Wiege des aposto- 
lischen Amts gewesen: hier hätte Petrus gepredigt, hier das heilige Opfer dargebracht; hier, in 
der noch heute erhaltenen, besonders verehrten und zu den Seelenmessen privilegirten Kapelle, 
ein echter, umimstösslicher, hölzerner Himmelsaltar gestanden 

Der Senator Pudens war (wie Aquila, der Gefährte und Gehülfe des Apostels Paulusi 
verheirathet mit einer gewissen Priscilla, die ihren Glauben mit dem Tod bekannte und nach 
welcher die Katakomben an der Via Salara benannt sind; sie stellten das Frbbegräbniss der 
angesehenen Familie des chrisüichen Rathsherrn dar. Pudens und Priscilla hatten vier Kinder, 
zwei Töchter und zwei Söhne, jene Pudentiana und Praxedis, diese Novatus und (nicht mit dem 
ersten Bischof von Ephesus zu verwechseln) Timotheus mit iNamen. Sie vergrösserten das väter- 
liche Haus und bauten ein Bad, die Thermen des Novatus an; und wie ihre Eltern den Apostel 
Petrus, so nahmen sie Jusünus den Märtyrer gastfreundlich darin auf. Damals, es war im 
Jahre 14a, sass der heilige Pius auf dem Stuhle Petri; von ihm wurde das Bad in eine förmliche 
Kirche verwandelt und diese auf Bitten der Praxedis dem Andenken ihrer verstorbenen Schwester 
Pudentiana gewidmet. So entstand in vorconstantinischer Zeit die erste Pfarrkirche und der 
Titulus Pudentianae, welcher, was nicht befremden kann, ursprünglich auch einen Titulus Pudentis 
in sich schloss; der letztere war wiederum, des Verdienstes wegen, welches sich der heilige Pastor 
der Bruder des Papstes Pius und ihr erster Pfarrer, um die Stiftung der Kirche erworben hatte, 
zugleich ein Titulus Pastoris. Der Ausdruck Titulus verlangt zunächst eine Erklärung; die 
Definition, welche Gregorovius gibt, trifft nicht das Wesentliche. Einige römische Kirchen 
hiessen Tituli, andere nicht Nämlich nur die Parochialkirchen , in welche eine bestimmte Ge- 
meinde eingepfarrt und mit denen eine Pfarrstelle verbunden war, die mithin dem angestellten 
Geistlichen den Titel eines Pfarrers (Parochus) einbrachten. Als Hauptkirchen der Stadt, um die 
sich Alles wie um Thürangeln (cardincs) drehte, hiessen sie zugleich Ecclesiae Cardinales und die 
an ihnen angestellten Pfarrer, im Gegensau zu den gewöhnlichen Presbytern oder Priestern, 



164 




Presbyteri Cardinales, woraus das Wort .Cardinal' entstanden ist: die römischen Cardinäle sind 
ursprünglich nichts Anderes als römische Pfarrer, ihrer waren an ein Viertelhiuidert: von Papst 
Marcellus (308 — 310) wird erzählt, dass er in Rom fünfundzwanzig 1 Tituli, quasi Dioeceses» 
stiftete; die Päpste Sylvester, Damasus. Innocenz creirten je einen neuen Titel, so dass zur Zeit 
Alexanders III. {1159 — ti8i) von achtundzwanzig die Rede ist. Der römische Kirchenhistoriker 
Caesar Baronius, der im sechzehnten Jahrhundert lebte, denkt an eine andere Etymologie, Er 
sagt, man habe die Gotteshäuser als Christi Eigenthum mit einem Kreuz bezeichnet, und dieses 
Kreuz sei der ursprüngliche Kirchen- Titulus ge wesen , analog dem Titulus fiscalis, durch den man 
Staatseigenthum kenntlich zu machen pflegte. Doch ist diese Bedeutung des Wortes Titulus zum 
mindesten eine ungewöhnliche: im Alterthum verstand man darunter ein Täfelchen, auf welchem 



geschrieben stand, dass 
das Haus zu verkaufen 
oder zu vermiethen sei, 
und das man an das Haus 
hing, genau so wie man 
dies in Italien noch heut- 
zutage thut; wenn das 
Haus vermiethet werden 
soll, so bedient man sich 
in Rom sogar noch der 
antiken Formel : EST 
I.OCANDA, deren ich 
hin und wieder an einem 
dergleichen Titulus an- 
sichtig geworden bin, und 
von der die moderne? 
„Appigionasi" nur die 
l 'ebersetzung ist. l'n- 
nöthig zu bemerken, dass 
daher das italienische 
Wort I .ocanda für I Ier- 
berge oder Gasthaus 
kommt. Man nannte das 
^ntitkre faires suf> titu- 




Akot l'urul Sur.« IAidenrtuu. 



/«w. 44 An solche Täfel- 
chen denkt man zuerst, 
wenn es sich um Titel 
handelt, die gleichsam 
die I läuscr selber tragen, 
und deshalb scheint es 
natürlicher, letztere den 
Menschen und den Car- 
dinälen zu belassen, wel- 
che sie bis auf den heu- 
tigen Tag von den alten 
Pfarrkirchen entlehnen. 
I )ie Kirchen, welche keine 
Tituli waren, hiessen Dia- 
ronien oder Bethiiuser 
(Oratoriaj. 

Derselbe Unter- 
schied besteht in der mo- 
hammedanischen Welt 
zwischen den grossen und 
eigentlichen Versamm- 
lungshäusern , welche 
Dschamien, und den klei- 
nen Bethäusern, welche 



Moscheen genannt werden. Die meisten gottesdienstlichen Gebäude, die der Abendländer im 
Orient zu Gesicht bekommt, sind eigentlich keine Moscheen, sondern Dschamien. 

Die Kirche der heiligen Puden tiana wäre also unter den achtundzwanzig Pfarrkirchen die 
älteste gewesen. Pudentiana ist ein Patronymikon , und es sieht fast so aus, als ob ursprünglich 
die Kirche selber so geheissen habe : man nannte sie Ecclesia Pudentiana, das heisst, Kirche des 
Pudens, personihrirte aber dann das Beiwort und bildete aus Pudentiana eine Sancta Pudentiana, 
eine Tochter des Pudens und eine Schwester der Praxedis heraus. Auch der heilige Pastor, ihr 
erster Pastor, könnte nur auf einer mythologischen Yerpersönlichung beruhen: das Wort Pastor, 
soviel wie Hirt, findet sich als llebersetzung des griechischen MMpf» (F.pheser 4, 11) bereits im 
kirchlichen Alterthume, allerdings vorzugsweise für Bischof ('JM*mht*c)> Jedenfalls muss es be- 
fremden, dass alle Glieder der Familie Pudens ihre eigenen, selbständig™ Namen führen, und nur 
die eine Tochter mit dem des Vaters gerufen wird. 



1G5 



II 



Diese ehrwürdige, durch das Andenken des ersten Bischofs und des ersten Kirchenvaters, 
des fast apostolischen Justinus geheiligte Kirche, deren Langhaus in der That auf den Gewölben 
eines antiken Palastes ruht, wurde bereits Ende des vierten Jahrhunderts unter dem Pontificat 
Siricius' von den Presbytern llicius und Leopard us erneuert, und bei dieser Gelegenheit die Tribuna, 
welche dem Hause des Pudens unmittelbar entnommen scheint, mit ausgezeichneten Mosaik- 
gemälden geschmückt, wohl den schönsten und ältesten von ganz Rom, die uns als Illustration 
zum HaUU dt» Pudens dienen und über die wir, da sie unsere erste Probe jener feierlichen Reste 
des christlichen Alterthums sind, zunächst etwas im Allgemeinen sagen müssen. 

Die Kunst, nicht mit flüssigen Farben, sondern mit festen Körpern zu malen, die man 
aneinander reiht. Jedermann doch mindestens durch einen Manschettenknopf bekannt, stammt 
wahrscheinlich aus dem Orient: die ersten deutlichen Spuren linden sich indessen bei den Griechen, 
welche die Fussböden und Wände musivisch auszulegen pflegten. Diese Anwendung Hegt offenbar 
am nächsten: jedes Strassenpllaster , ja jedes Parquet und jede Mauer ist ja gewissermassen ein 
natürliches Mosaik. Nach damaliger Sitte warf man beim Essen die ungeniessbaren Bestandteile, 
die Knochen, Gräten, Schalen, Steine und Hülsen einfach auf die Krde, wie der Schah von 
Persien ; der Fussboden eines Speisesaals sah nach beendigter Mahlzeit und ehe ausgekehrt ward, 
aus wie ein Schlachtfeld; gemäss der genreartigen, auf Augentäuschung berechneten Richtung 
der antiken Malerei, wählte also der Pergamenische Künstler Sosos diese Ueberbleibsel zur Nach* 
ahmung auf dem Mosäikfusslioden im Speisesaal des Königs von Pergamon und schul das 
sogenannte ungefegte Zimmer («bdf t«ä V wta^, welches auch bei den Römern beliebt gewesen zu 
sein scheint; 1833 wurde ein solches „Asaroton" auf dem Aventin gefunden, welches man in der 
Gemäldesammlung des Lateran an der Eingangswand des ersten Zimmers mit Interesse analysiren 
wird. Die Römer scheinen überhaupt an der Kunst der Mosaikmalerei besonderes Wohlgefallen 
gefunden zu haben : sie brachten sie zur höchsten Vollendung und unterschieden nach der Technik 
eine Menge Arten „Pavimenta". zum Beispiel, das „Pavimentum sectile", welches aus verschieden- 
farbigen, regelmässigen Marmorstückchen zusammengesetzt war, so dass das Ganze ein System 
geometrischer Figuren darstellte, man denke an den Fussboden von Santa Croce in Gerusalemme, 
der aus Dreiecken von Serpentin, aus Sechsecken von Pavonazzetto und aus Würfeln von Porphyr 
besteht; das „Pavimentum tessellatum", welches man in den Thermen des Caracalla sieht, 
ebenfalls mit verschiedenfarbigen, aber ausschliesslich viereckigen Marmorstückchen ausgeführt; 
das „Pavimentum vermiculatum", die höchste, der Malerei am nächsten kommende Gattung, in 
welcher belebte und unbelebte Gegenstände nach Form und Farbe nachgeahmt wurden; zu ihr 
nahm man kleine verschiedenfarbige, aber nicht vollkommen viereckige Marmorstückchen, deren 
Fuss man in eine Schicht starken Kittes bettete. Und zwar bildeten die Tälelchen nicht wie 
vorhin parallele Reihen, sondern sie folgten den Umrissen und Farben des dargestellten Gegen- 
standes, was, in der Entfernung gesehen, den Eindruck eines Knäuels um einander geschlungener 
Würmer (vermiculi) machte. Zu dieser Gattung gehört das capitolinische Taubenmosaik, doch 
gewinnt man hier, wo die Steine nur die Grösse eines Stecknadelkopfes haben, jenen Eindruck 
minder deutlich. 

Eine besondere Ausbildung erfuhr die Mosaik durch das Christcnthum, ja mit ihm trat sie 
gleichsam in eine neue Phase ihrer Entwickclung, welche etwa vom vierten bis zum zwölften 
Jahrhundert reicht, da sie später, durch die Frescomalerei verdrängt, nur noch in einzelnen Fällen 
zur Anwendung kam. Den ersten Anstoss dazu, die Wände der christlichen Kirchen innen und 
aussen mit Mosaiken zu belegen, gab das byzantinische Kaiserthum. In Byzanz setzte man 



166 



an die Stelle Her griechisch • römischen Marmormosaik die Glasmosaik , zu welcher kleine, 
in der Masse gefärbte, somit larbehaltende Glaswürfel genommen wurden; mit solchen bunten 
Glasstiften führte man reiche, erhabene Gruppen, riesige, würdevolle Gestalten mit bedeutsamen 
Geberden und ruhig niederfliessenden Gewändern, und zwar, wie das in der byzantinischen Malerei 
gang und gäbe, auf goldenem Grunde aus; der Goldgrund wurde ebenfalls mit durchsichtigem 
Glasfluss überzogen, so dass eine ebenso glänzende wie dauerhafte Composition zu Stande kam. 
Diese byzantinische Glasmosaik mit grossen Figuren von Heiligen auf goldenem Grunde wurde 
dann von Byzanz aus wieder im weströmischen Reich verbreitet, indem Eleven der Pflanzschule 
nach den italienischen Städten reisten, die coastantinopolitanischen Ateliers bestellte und unbestellte 
Arbeiten in die Provinzen sandten, wohl auch abendländische Künstler nach dem Oriente reisten, 




um in Byzanz oder in den Klöstern von Thessalonich und aut dem Berge Athos ihre Studien zu 
machen; in Venedig, in Ravenna, in Rom fand man in der byzantinischen Glasmosaik ein heiliges 
Mittel, die Wände, die Altarnischen, die KupjM-ln, die Fanden der Kirchen zu verzieren ; und sie 
ist es, die uns in dem Helldunkel der alten Basiliken so geheimnissvoll und so feierlich anmuthet — 
die untermischt mit einer tiefsinnigen Symbolik, von Andacht und Frömmigkeit getragen, der 
geängsteten Seele einen höheren Tag und eine bessere Welt erschliesst — die den unbefangenen 
Beschauer noeh heute, hier in Santa Pudenziana wunderbar ergreift , wie damals, als sie einer 
entstehenden Gemeinde ihre Apostel und ihre Märtyrer, ihre Religion und ihren Glauben, ihren 
Trost in diesem und ihre Hoffnung in jenem Leben magisch verköq»erte. 

Fs gibt wenig Werke der christlichen Kunst, über deren Alter die Kritik so uneinig 
gewesen wäre , wie über die herrlichen Mosaiken in der Apsis von Santa Pudenziana ; sie hat 
zwischen dem Ende des vierten und dem Fnde des neunten Jahrhunderts geschwankt Das 



«er 



frühere Datum ist fast ohne Zweifel das correetere. Allerdings hat das Gemäkle, wir wir es 
jetzt sehen, durch spätere Restaurationen zu sehr gelitten, als dass wir darüber aburtheilen 
könnten. Aber die bemerkenswerthe Würde der Comi>osition , die Grossheit der Behandlung, 
die Richtigkeit der Perspective, die edle Zeichnung, der majestätische Faltenwurf — das 
alles sind Eigenschaften einer frischen, auflebenden Kunst, welche die classischen Traditionen 
des Heidenthums mit einem neuen Geiste durchdrungen hat In späteren Mosaiken stehen die 
Gestalten isolirt und starren gedankenlos ins Leere, hier bilden sie eine durchdachte, wahrhaft 
malerische Gruppe voll Mannigfaltigkeit, voll Bewegung, voll individuellen Lebens. Selbst wenn 
die Kirche erst der Zeit nach dem Siricius (390) angehören sollte, so würden doch ihre Mosaiken nicht 
später zu setzen sein; man müsstc sie dann für Copien eines Siricischen Werkes halten. Das Gemälde 
stellt Christus dar, der einen Halbkreis schliesst; den Halbkreis bilden die Apostel in römischen 
C-'ostümen; zwei sind durch moderne Reparaturen zu Grunde gegangen. Jeder einzelne Apostel sitzt 
vor einem offenen Portale, gleichsam innerhalb eines halbmondförmigen Kreuzganges mit einem Ziegel- 
dache, über welchem sich die Zinnen und Dome des himmlischen Jerusalems erheben (Gsell-Fels erklärt 
die letzteren etwas naiv für „Häuser des* damals noch prächtigen Vicus Patricias"). Sanct Peter und 
San« Paul sitzen zu beiden Seiten Christi. Hinter ihnen und Märtyrerkronen über ihre Häupter haltend, 
stehen zwei weibliche Figuren von ungemeiner Würde und Schönheit, vermutlich Praxedis und 
Pudentiana, nach Garrucci Personiricationen des Juden- und I Icidenchristenthums. Keiner hat einen 
Heiligenschein ausser Christus, und zwar ist dessen Nimbus /.irkeirund, ohne das sonst eingezeichnete 
Kreuz. Der I leiland sitzt auf einem reichgeschmückten Throne, seine rechte Hand ist segnend aus- 
gestreckt, in der linken hält er ein aufgeschlagenes Buch, auf welchem die Worte zu lesen sind ; 

DOMINUS CONSERVATOR KCCLESIAK PUUENTIANAE. 
Hinter seinem Throne ist auf dem Gipfel eines Berges ein grosses, mit Edelsteinen besetztes Kreuz 
aufgerichtet, und in den Wolken, welche den Hintergrund bilden, sieht man die Symbole der vier 
Evangelisten in grossen Dimensionen: den Menschen, den Löwen, den Ochsen und den Adler. 
Es sind dies die vier fabelhaften Thiere, welche nach der Vision des Ezechiel (Kap. !, 10) und 
der Offenbarung Johannis (Kap. 4, 6) den Stuhl der göttlichen Majestät umschweben: Matthäus 
hat den Menschen, weil er sein Evangelium mit Christi Geschlechtsregister beginnt und seine 
menschliche Abstammung erzählt: Markus den Ixiwen , weil er Jesu königliche Würde betont, 
oder auch weil sein Evangelium mit einer schrecklichen Verfluchung aller Ungläubigen schliesst 
(Kap. ifi, 16); Lucas den Ochsen, weil er bei Christi Priestcramt und Opfertod verweilt; Johannes 
den Adler, weil er sich mit Vorliebe in Christi göttliche Natur versenkt. 

L'eber den Nimbus, den wir vorhin um das Haupt des Erlösers messen sahen, müssen wir 
noch einige Worte verlieren. Ursprünglich verstand man darunter den Nebeldunst, in welchen die 
Dichter ihre Götter, wenn sie auf der Erde erscheinen, einzuhüllen pflegen, gleichsam einen dünnen 
Schleier, vom Glänze der Himmlischen durchschienen und ihre Person umgebend, ohne sie zu ver- 
hüllen. Da indessen die Darstellung einer so umfangreichen Hülle auf einem Gemälde Schwierig- 
keiten gemacht haben würde, so nahmen sich die alten Künstler frühzeitig die Freiheit, den 
Nimbus auf conventioncllc Weise anzudeuten, indem sie ihren Gottheiten einen Lichtkreis um die 
Häupter zeichneten. So entstand die Glorie der heidnischen und der christlichen Götter, die man 
mitunter von einer um den ganzen Körper messenden Aureole, dem alten Nimbus, unterscheidet. 
Viele Culturhistoriker leiten den Heiligenschein von etwas Anderem, nämlich dem sogenannten 
Mondchen (turioxos) der Griechen her; so hiess eine runde Metallscheibe, die über dem Haupte 
einer im Freien stehenden Hildsäule angebracht war, um sie vor den Unbilden der Witterung 
und dem Unrath der Vögel zu schützen ; doch ist wohl dieses Mondchen ein zu profanes Attribut, 
als dass es stehend und auch ohne Noth aus Gewohnheit belassen worden wäre. 

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III. 



Um durch Läuten von Glocken den Beginn der kirchlichen Functionen anzuzeigen und die 
Gemeinde zur Theilnahme an denselben einzuladen, legten die ersten Christen bei ihren Basiliken, 
und zwar von deren Masse getrennt, Glockentürme (Campaniii) an, wie die Muselmänner Minarete 
bauten, auf denen der Mueddin mit langgedehntem Gesänge die Gläubigen zum Gebete ruft. Es 
sind thurmförmige Gebäude mit quadratischer, runder oder vieleckiger Grundfläche, mehreren all- 
mählich abnehmenden Stockwerken, der Glockenstube, wo die Glocken hängen, (cella campanaria > 
im obersten. 

Neben dieser nächsten erfüllten die Glockentürme auch noch die weitere Bestimmung, 

den und zu charakteri- 
stischen Wahrzeichen 
des städtischen Häuser- 
meers zu machen. 

Die römischen 
Glockentürme sind wie 
die venetianischen durch- 
gängig viereckig; ihn: 
Stockwerke äusserlich 
durch mannigfaltige Ge- 
simse geschieden. Jede 
einzelne Abtheilung zeigt 
eine bestimmte Anzahl 
zusammenhängender Bo- 
gen, mit oder ohne Säu- 
len; manchmal bemerkt 
man oben einen Balda- 
chin oder eine Nische, 
worin eine Madonna 
steht ; Medaillons von 
Porphyr, Serpentin und 
andern Gesteinen sind 
in die backsteinernen 
Wände eingelassen ; ein 

flache? Dach auf der Spitze. Derart die Glockentürme von San Lorenzo in I.ucina, Santa 
Maria in Cosmedin, SS. Giovanni e Paolo, Sant' Fusebio, Santa Maria in Trastevere und Santa Croce 
in ( ierusalemme; derart der von Santa Pudenziana, einer der ältesten {7. Jahrhundert). 

Er ist auf unserem Holzschnitte hinter dem Kloster der Augustinerinnen sichtbar, denen 
Pius VII. die Pudentiana 1S15 übergab, nachdem ihr altes Kloster unter der französischen Re- 
gierung bei der Ausgrabung des Trajansforums zu Grunde gegangen war; gebaut haben es die 
Bernhardiner, welche die Kirche vor ihnen besassen. Nehen ihm bilden wir noch das alte Marmor- 
Portal der Kirche ab, dessen Gebälk sich auf zwei Säulen, mit spiralförmig gewundenen Kanne- 
lirungcn erhebt. Sein Fries ist mit erhobenen Arbeiten, sowie mit den Brustbildern des Pudens 
und Pastor und denen der Pudentiana und Praxedis, in der Milte dem des Heilands unter dem 
Bilde des Lamms geschmückt Dies Portal bildet den einzigen Eingang der Kirche; um zu ihm 
zu gelangen, durchschreitet man einen kleinen Vorhof. das bei alten Basiliken gewöhnliche Atrium, 

H 

,69 



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dem Wanderer in der 
Ferne auf den ersten 
Blick das Gotteshaus und 
die Wohnungen der Men- 
schen anzuzeigen. Der 
neue Zweck, das Bedürf- 
nis« nach reicher Pracht- 
entfaltung und noch häu- 
figer die Nalionaleitel- 
keit, trieb die Glocken- 
türme zu einer unge- 
messenen Höhe empor, 
einer Höhe, welche die 
Vernehmlichkeit des Ge- 
läutes keineswegs stei- 
gert, da man dieses viel- 
mehr von niedrigen Thür- 
men besser hört, die aber, 
verbunden mit einer ge- 
schmackvollen Decora- 
tion , nicht wenig dazu 
beiträgt, diese schlanken 
und luftigen Monumente 
zu eigentümlichen Zier- 




und in dieses hat man wieder von der Via Urbana auf fünf Stufen hinabzusteigen, weil die Kirche 
gleich dem Pantheon unter «lern Niveau de» Strassen bodens liegt. 

IV. 

Die Kirche der heiligen Praxedis steht nicht weit von der ihrer Schwester, der heiligen Puden- 
tiana. Sic ist ebenfalls am Esquilin und im Umkreis jener Thermen gelegen, die Bruder Xovatus 
angelegt. Nicht minder zählt sie zu den ältesten römischen Basiliken; derselbe Pius, welcher die 
Pudentiana schuf, gründete hier ein Oratorium, welches bereits im vierten Jahrhundert erwähnt, im 
neunten unter Paschalis I. in eine Kirche umgestaltet ward. Innocenz III. üherliess sie 1198 den 
grauen Mönchen des Ordens von Vallombrosa; sie ist immer noch interessant, ob sie gleich der 
heilige Carlo Graf Borromeo, weiland Cardinal von Santa Prassede, vielfach verschönert hat. 

Gleich beim Eintritt in das Hauptschiff machen wir die Bekanntschaft der heiligen Praxedis. 
Wir treffen die Jungfrau in einer frommen Beschäftigung, nämlich wie sie das Blut der Märtyrer 
sorgfältig mit einem Schwämme aufsaugt und in einem Brunnen sammelt; auf diese Weise ist auch 
das Blut des heiligen Januarius von seiner alten Tante gesammelt worden. Die Kirche ist drei- 
schiflig, vierundzwanzig antike Granitsäulen korinthischer Ordnung, von denen acht in Pfeiler ein- 
geschlossen sind, begrenzen den Mittclraum; wir treten in das linke Seitenschiff ein: an der 
Vorderwand finden wir eine Granitplatte eingemauert, auf der die Jungfrau zur Kasteiung ihres 
Leibes zu schlafen pflegte. Auf der blossen Krdc zu liegen und das sündige Fleisch auf harten 
Stein zu betten, war eine gewöhnliche Form der christlichen Ascese: das erzählt Hieronymus 
von sich selbst, das erzählt Paulinus von dem heiligen Martin von Tours; derselben L'ebung 
befliss sich das weibliche Geschlecht, Gregor von Nazianz berichtet, wie .seine Schwester Gorgonia 
ihre zarten Glieder auf den Boden streckte, und Hieronymus rühmt seine Freundin Paula, die 
selbst in schwerem Fieber die Bequemlichkeit eines Bettes verschmähte und es vorzog , auf der 
rauhen Krdc zu schlafen, ohne andere Unterlage als eine Sackleinwand. Also Praxedis, die 
Tochter des Senators Pudens. Vielleicht dass sie sich auch, um an den Leiden Christi theil- 
zunehmen und die Glieder zu tödten, die «auf der Frde» sind, der freiwilligen Geisselung unterzog. 
Um mit Christus gekreuzigt zu werden, brannte sich der Ascet das Kreuzesmal mit glühendem 
Fisen ein, schleppte er ein schweres Kreuz von Holz, stand er mit ausgebreiteten Armen gleich 
einem Gekreuzigten; um mit Christus und den Aposteln gegeisselt zu werden, peitschte er sich 
mit Ruthen, mit Riemen und mit Ketten. Im Weitergehen sehen wir das Instrument mit Augen, 
das dem Geiste der Jungfrau in Augenblicken der Fkstase vorgeschwebt haben mag. In der nach 
ihr genannten Cappella della Colonna, der dritten Capelle rechts, befindet sich die Säule, an der 
Christus gegeisselt worden ist; im Jahre 1223 hat sie der Cardinalpriester von Santa Prassede, 
Johannes Colonna, päpstlicher Legat in dem Kreuzzuge unter Honorius III,, wie ein redendes Wappen, 
aus dem heiligen Lande nach Rom gebracht- Dieses Denkmal der Passion des Heilandes besteht 
aus Jaspis und hat eher die Form eines Candelabers als einer Säule. Die Capelle, von Paschalis 
erbaut und ursprünglich dem heiligen Zeno geweiht, dessen Reliquien hier au i bewahrt werden, führt, 
weil sie für besonders schön gilt, den Namen Paradiesgärtlein (Orto del Paradiso): ihr Portal 
bilden zwei Säulen von weiss und schwarz geflecktem Granit um! ein antikes Marmorgesims, auf 
welchem eine antike Marmorvase steht ; dahinter ist ein bogenförmiges, mit einem metallenen Gitter 
verschlossenes Fenster, welches Mosaik-Medaillons in zwei parallelen Reihen umgeben. Die äussere 
enthält die Brustbilder des Heilands und der zwölf Apostel, die innere die Brustbilder der Jungfrau 
Maria und rechts und links die: Portraits der Familie dt» Pudens, zunächst der vier Geschwister. 
Es sind theil weise wahre Caricaturen. 

170 



Die Innenwände dieses Paradieses sind durchaus mit Mosaiken auf Goldgrund geschmückt, 
doch stehen sie, die etwa dem zehnten Jahrhundert angehören, trotz ihres barbarischen Glanzes, 
in Zeichnung und Ausführung weit hinter den Mosaiken der Tribüne und am sogenannten Triumph- 
bogen zurück, die aus der Zeit Paschalis I. stammen und denen von SS. Cosma und Damiano 
fast sclavisch nachgebildet sind. Letztere, die wir bereits auf Seite 21 erwähnten, müssen wir. 
zur richtigen Würdigung der gegenwärtigen, nothwendiger Weise anziehen. Die Kirche der heiligen 
Cosmas und Damianus hatte Felix IV« im sechsten Jahrhundert erbaut und zu gleicher Zeit das 
Gewölbe der Tribuna an Stirn und Laibung mit Mosaiken ausgeschmückt, deren Gegenstände der 
Offenbarung entnommen waren. Es sind die folgenden: 

a. an der Stirn 4ts GtUüUiu (fälschlich Triumphbogen genannt). Christus, unter dem 




Innern vun Santa IVatwIc. 



Sinnbilde des Lammes, ruht auf einem reichgeschmückten Stuhle, vor dem man das Ruch mit 
sieben Siegeln liegen sieht Ihm zu beiden Seiten stehen die sieben Leuchter, während vier schöne, 
lichte Engel aus einem röthlichen Gewölk aufschweben und die vier ezechielschen Thiere tiefsinnig 
und räthselhaft dareinschauen (zwei davon, Ochs und Löwe, sind gegenwärtig durch Seitencapellen 
verdeckt). Unten an den Gewölbschenkeln fallen die vierundzwanzig Aeltesten anbetend vor dem 
nieder, der auf dem Stuhle sitzt, und bringen dem I Icilande ihre Kronen dar (von ihnen sieht man 
nur noch rechts und links einen Arm mit einer Krone 1. Das sind die alten, brillanten Illustrationen 
zu dem vierten und fünften Capitel der Oftenbarung. 

b. an dtr Laibung da GewStbtS, An der Innenfläche erscheint in der Mitte Christus im 
Typus der Abgarusbilder , aber colossal und in majestätischer Würde und mit einem goldgelben 
Gewand von einfach grossartigem Faltenwurf bekleidet Ein runder I Iciligcnschein mit eingezeich- 
netem Kreuz umrliesst seine edlen Züge, sein langlockiges Haar, das in der Mitte gescheitelt ist, 

17« 



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den kurzen, gespaltenen Bart. Die Rechte erhebt er segnend, in der Linken hält er eine Rolle; 
über ihm bemerkte man ehemals einen Lorbeerkranz mit einem Kreuze, den die Hand des ewigen 
Vaters herunterreichte; am Schlussstein das Monogramm /^Ci' (Offenbarung i, 8.) Ein Sinn- 
bild des Gekreuzigten und Wiederauferstandenen ist der Phönix, der strahlend und sternenhell 
von der verwandten gleichnamigen Palme auffliegt; zu der durchgängigen Verbindung des Phönix 
mit dem Palmbaum hat der griechische Name <P«m$, der das eine wie das andere bedeutet, wohl 
die nächste Veranlassung gegeben. Rechts und links von Christus stehen. Kronen in den Händen, 
die beiden Heiligen Cosmas und Damianus, die ihm von den grossen, sie weit überragenden Apostcl- 
fürsten Petrus und Paulus zugeführt werden: schaudernd, aber zuversichtlich und gottselig nahen 
sie sich dem Heiland. Neben «Uesen Paaren und unter zwei schwanken Dattelpalmen sieht 
man am Rande des Bildes rechts den heiligen Theodorus (S. THEODORL'Sk links den Papst 
Felix IV. (S. FELIX PAPA), der seine Kirche getragen bringt; ihre Füsse werden vom Jordan 
(JORDANES) bespült. 

Unterhalb dieser grossartigen Composition steht auf dem Berge, dem die vier Paradieses- 
ströme entspringen, aufrecht und von einer Glorie umgeben das Lamm, dem von beiden Seiten, 
aus Jerusalem und aus Bethlehem, je sechs andere Lämmer, die Apostel, entgegenwallen. Unter 
dem Gewölbe liest man eine Inschrift in lateinischen Distichen, deren erstes wir auf Seite 20 
citirten und welche die Dcdication des Papstes Felix enthalten; er widmet die Kirche den Märtyrern- 
Aerzten als ein des Bischofs (Antistesj würdiges Geschenk, um sich selbst damit einen Platz im 
1 limmel zu erwerben : 

Aula Ihn dam radial «|i«t'»na mctaltis, 

In <|uac plus fidei lux pretiosa miestt. 
Martyritws Mcdicis populo spes ctrtt saluiis. 

Vcnil cl cx saciu «cv« hunurc Iul-us. 
OUulil bM donum Mb Anlerne dipmm 

Mit diesen Mosaiken von SS. Cosma e Damiano wollen wir nun die noch mannigfaltigeren 
von Santa Prassede zusammenhalten. Sie gliedern sich in die 

1) Mosaiken des Triumphbogens. Hier sieht man am Seheitel das neue Jerusalem 
(Offenbarung, Cap. 21, 2\ ül>er dessen Zinnen zwischen zwei Engeln der Heiland thront Er hält 
die Weltkugel, auf der sich das heilige Kreuz erhebt; einen solchen Globus haben schon die 
römischen Kaiser in den Händen, mit dem Kreuze combinirt, ist er zu einem Symbol der christ- 
lichen Weltherrschaft und als Reichsapfel zu einem Reichskleinod geworden. Von rechts und links 
kommen Männer auf den Heiland zu, die der Nimbus als Heilige kennzeichnet, und bringen ihm 
zum Zeichen des im rechten Kampfe erhaltenen Sieges ihre Märtyrerkronen dar. Vier Engel stehen 
wie Pförtner an den Thoren der heiligen Stadt, die Schaaren der Seligen einlassend, die in hellen 
I laufen herbeiströmen, das Lamm Gottes zu preisen. Unter ihnen, zu beiden Seiten des Bogens, sind 
die Gläubigen vorgestellt, die, in weissen Kleidern und Palmen in den Händen, dem Sohne Gottes 
Heil zurufen (Offenbarung Cap. 7, 9). 

2) Mosaiken der Tribüne. 

ti. an der Stirn des Gasölba. Ueber dem Schlussstein des Gewölbes erscheint auf dem 
.mit Edelsteinen geschmückten Stuhle: zwischen den sieben Leuchtern, vier Engeln und den sym- 
bolischen Bildern der Evangelisten das Lamm. An den Schenkeln sieht man die vierundzwanzig 
Aeltesten, die ihre Kronen vor dem Stuhle des Lammes niederlegen (Offenbarung Cap. 4, 10). 

/'. an der Latiung des Gewölbes. In der Milte steht der Heiland mit einer Rolle; eine 
Hand, zur Andeutung des ewigen Vaters, hält einen Kranz über sein Haupt wie über das eines 
Triumphators. Ihm zu Seiten erblicken wir Petrus und Paulus, Praxedis und Pudentiana, den 

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Tribuna und Mosaik von SS. Cosma e Damiano. 




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heiligen Zeno und (durch einen viereckigen Nimbus als eine lebende Person bezeichnet) den Papst 
Paschalis, welcher diese von ihm erbaute Kirche gleich einem Opfer darbringt. Rechts und links 
am Rande erheben sich zwei Palmbäume; auf dem links sitzt als Symbol der Auferstehung, einen 
Nimbus um den Kopf, ein Phönix. Den Vorgrund bildet der Jordan (JORDANKS), der als Sinn- 
bild der Taufe zu Füssen der Gruppe fliessL Der darunter befindliche Streifen enthält zwei Züge 
von je sechs Lämmern, die aus je zwei Städten auf ein Lamm zulaufen: es sind die zwölf Apostel, 



die aus Jeru- 
salem und 
aus Bethle- 
hem zu Chri- 
stuskommen; 
der allerun- 
terste eine In- 
schrift in la- 
teinischen, 
nicht ganz 
correcten He- 
xamctem.be- 
sagend, dass 
Pasrhalis, in 
der Hoff- 
nung, sich da- 
mit die ewige 
Seligkeit zu 

verdienen, 
hier der gott- 
wohlgefäüi- 
gen Praxedis 
eine strah- 
lende Aula 

aufgebaut 
und eineMcn- 
ge zerstreu- 
ter Reliquien 
— von 2300 
Heiligen — 
unter ihren 




Ijfc C.ppslU d«lk Cal 



Mauern nie- 
dergelegt 
habe: 

hminal aula püs 
variis dwnrata 
roetaflis 

Praxedis doinino 
super aethra 
ptacenrix h<i> 
norc, 

lVntifkis summi 
studio Pücha- 
us aluinni 

Sedh Apnstoli- 
rjie, itastim qui 
corpora con- 
dcnn 

l'lunuu xanrtn- 
rumvuhter hatx. 
mnenia ponit, 

l-rrtus ut his Ii- 
men lucicaiut 
adire polurum. 

Mehrere 
Male be- 
merkt man 
das Mono- 
gramm des 
Paschalis { 
Ostertag). 

Unter 
allen römi- 
schen Kir- 
chen ist Santa 
Prassede an 



Mosaiken wohl die reichste- Nirgends, Venedig und Ravenna ausgenommen, finden wir von der musi- 
vischen Decoration in einem und demselben Gebäude so ausgiebig Gebrauch gemacht Nicht nur 
die gewohnten Stellen, die Apsis und der Triumphbogen, sondern auch eine Seitenkapclle, ja sogar 
noch ein zweiter Bogen, der das Schiff durchkreuzt, Ist mit diesem glanzenden Schmucke über- 
zogen. Die Wirkung ist eine imposante, vom Kunstwerth und Charakter der dargestellten Gegen- 
stände unabhängige. Werden die Augen nicht bezaubert, so werden sie wenigstens geblendet, 
und erst nach einer Weile gewahren wir die Schwäche und die geringe Feinheit des Werks, 
überrascht uns plötzlich der Verfall einer gesunkenen Kunst 

In Santa Prassede erfolgte im Jahre 1 1 18, am Feste der Heiligen (1 1. Juli), der gewaltthätige 



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Angriff der Frangipani auf Gelasius II, als dieser Papst im Lesen der Messe begriffen war. 
Der unglückliche Greis entfloh, während des wüthenden Kampfes, unbemerkt zu Pferde und wurde 
des Abends gefunden, wie er kummervoll und einsam vor Sanct Paul auf dem Felde sass. 

V. 

Ich eile von der schönen Erde hinab in jenes feste Haus. Wo steht es? An der uralten 
Strasse, auf der die Sabiner ihr Salz vom Meere holten, der Via Sataria Nova, ausserhalb der 
Stadt, zwischen dem ersten und dritten Meilensteine, liier, im Schooss der grünen Erde, ist die 
Schlafkammer der Familie des Pudens, das Coemeterium der Mutter, der heiligen Priscilla. 
O, freundliche Benennung ! Trostreiche Religion ' Seit Christus von den Todten auferstanden ist, 
gibt es keinen Tod und keine Stätten des Todes mehr: sein bitterer Name ist ausgelöscht, er 
heisst Schlaf. I^ie Verstorbenen schlummern, denn sie werden bald aufwachen; sie ruhen sanft 
und selig, sie liegen als in Betten, sie verträumen die lange Nacht, bis der Tag im Osten jjraut. 
Darum werden die christlichen BegräbnisspläUe Schlummcrstätten oder mit einem griechischen 
Worte Coemeterien genannt - SV« iu'cäi;i mi »J itlni^mc ««i inavüa xtifuvm afi r»;/> r >,«ri niiü 
xof/iü»iai xui kh^m'cIohji iSanct Chrysostomus, Homilien LXXX1). 

Die christlichen Friedhöfe, nach jüdischer Sitte in unterirdischen Räumen und nach Art 
eines Bergwerks angelegt, sind ursprünglich alle Privateigenthum gewesen. Die wohlhabenderen 
Gemeindeglieder wurden auf eigenem Grund und Boden , in der Familiengruft beigesetzt, die 
ärmeren, wie der Herr Jesus selbst, in den Villen oder auf den Feldern reicher Bürger, vermögender 
Matronen, die den christlichen Glauben angenommen und ihr Grundstück zur Bestattung ihrer 
christlichen Brüder hergegeben hatten. Diese Armen friedhöfe trugen gewöhnlich die Namen der 
Donatoren, ohne dass sie gerade ihre Gebeine hätten enthalten müssen, da die reichen Leute eben 
zu ihren Vätern versammelt wurden; wenn von den Coemeterien des Praetextatus, des Pontianus, 
der Lucina, der I>omiti'la, der Cyriaca die Rede ist, so bedeutet das nur, dass das Areal 
ursprünglich zu den Gütern des Praetextatus, des Pontianus, der Lucina. der Domitilla und der 
Cyriaca gehört hatte. Doch konnte es auch vorkommen, dass jene Familiengräber selbst nrweitert, 
der Gemeinde überlassen und in Todtenstädte umgewandelt wurden, deren erste Bürger und 
Stammgäste die Besitzer wirklich waren : dann bedeutet der angehängte Name eine eigentliche und 
|>ersönliche Anwesenheit; derart sind zum Beispiel die Katakomben der heiligen Caecilia. die späteren 
Callistus-Katakomben, deren Schlüssel das edle Geschlecht der Caecilicr bewahrte, und die Grüfte der 
Priscilla, wo zunächst die Särge der Senatorin, ihrer Kinder und Kindeskinder gestanden haben, 
in denen aber allmählich auch eine zahlreiche Clientela gebettet ward. Wenn sich endlich unter 
den Gräbern das eines berühmten Heiligen, eines ausgezeichneten Märtyrers befand, so wurde das 
Coemeterium wohl auch nach diesem betitelt, zum Beispiel das der Domitilla nach Petri Tochter 
Petronilla und den heiligen Nereus und Achilleus, das der Priscilla nach dem heiligen Silvester 
und Marcellus; so dass der Eigenname, welcher bei einem Coemeterium als nähere Bestimmung 
zu stehen pflegt, einen dreifachen Hinweis enthalten kann — entweder auf den einstigen Grund- 
besitzer, oder auf den ursprünglichen Insassen, oder auf den vornehmsten Blutzeugen, der darin 
aufgenommen worden ist. Bei den Callistus-Katakomben hat es eine besondere Bewandtniss: sie 
erinnern an ihren früheren Inspector. 

I>ic Katakomben der heiligen Priscilla gehören zur zweiten Kategorie: ihr Kern war das 
Erbbegräbnis (Cubiculum) der Familie, in deren Hause wir mit dem heiligen Petrus eingekehrt 
sind. Ein quadratfürmiger Raum, im Stil der Titusthermen mit Stuckarbeit bekleidet, mit Portraits 
und Inschriften bedeckt, die in Vermillon und in griechischen Lettern auf Täfelchen (Alba) 

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aufgetragen sind (Cappella greca). Während wir anderwärts in zwei Soldaten die Märtyrer unter Nume- 
zian und vielleicht den Tribun Claudius vermuthen dürfen, erkennen wir hier gleich unsere Freunde und 
1" reundinneti von oben wieder : das Cocmcterium steht im innigsten Zusammenhange mit den beiden 
Kirchen, bildet sozusagen ihre unterirdische und ewige Succursale. Die anmuthigen, etwas in die Länge 
gezogenen Gestalten der beiden Schwestern, die heilige Praxedis (SCA PRAXEDE) und die heilige 
Pudentiana (SCA PVDAN . . .) begegnen uns abermals, jede von beiden trägt ihre Märtyrerkrone 
auf dem Ann ; in der rechten I Iand, zwischen Mittel- und Zeigeringer, hält die eine ein Kreuz, die 
andere eine Säule. Es liegt nahe, in dieser Säule das Urbild derjenigen zu sehen, an der Christus 
gegeisselt, und die nachmals als heilige Beute in die Praxediskirche übergeführt worden ist; man 
müsste dann, um einen Zusammenhang zu finden, gemäss unserer obigen Ausführung, annehmen, 
dass die Jungfrau bei Lebzeiten selbst dieser Reliquie einen besonderen Cultus, wenn auch nur im 
Geiste gewidmet habe. Erinnern wir uns indessen, dass ein italienischer Gelehrter nicht ohne Grund 
beide Figuren für Allegorien und für Personificationen der Kirche des Judenchristenthums i Ecclesia 
ex circoncisi- 
one) und der 
Kirche des 
l leidenthums 
(Ecclesia ex 
gentibus) ge- 
halten hat. und 

combiniren 
wir damit die 

Thatsache, 
dassdieeherne 
Schlange, wel- 
che Moses in 
der Wüste zur 
Abwehrgegen 
den Guinea- 

Ambrogio steht eine Granitsäule mit der ehernen Schlange auf der einen und eine Granitsäule 
mit dem Crucifix auf der andern Seite; der interessante, aber sicher falsche Götze wird noch 
heute von den lombardischen Müttern gegen Wurmkrankheiten angerufen. Es wäre also nicht 
undenkbar, dass die Säule, welche Praxedis in der I Iand hält, das alttestamentliche Pendant zum 
christlichen Kreuze, sie selbst auch hier die Gemeinde der Beschneidung vorstellen sollte. Die 
Namen, an sich schon einigermassen mythisch, könnten später, als man die Allegorie nicht mehr 
verstand, hinzugeschrieben worden sein. 

Zwischen den beiden Schwestern steht ihr Hausfreund, der Apostel Petrus, in einer eigen- 
thümlichen, dem gewöhnlichen Typus nicht entsprechenden Gestalt. Die frühesten Bilder, welche 
wir von diesem Apostel haben und welche sich auf Glas in den Katakomben finden, zeigen ihn 
als einen grossen kräftigen Mann mit kurzem und krausem Haupt- und Barthaar, rundem, nicht 
sehr edlem Gesicht, langer platter Nase und gewölbten Augenbrauen. Die Laune des Künstlers 
hat hier einen bartlosen, sanftmüthigen jungen Mann mit Kappe und Stola aus ihm gemacht, ihn 
aber durch das unzweideutige und alte Attribut der beiden Schlüssel als den Nachfolger Christi 
charakterisirt. Mit den Schlüsseln erscheint Petrus schon auf den frühesten Denkmälern der 
christlichen Kunst, oft wird auch die l'ebergabe der Schlüssel selbst dargestellt. Eine Marmor- 
gruppe von Giovanni Battista della Porta, welche diese wichtige Scene im sechzehnten Jahrhundert 

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Alle Makrei. Kl'.akomhcn <ler h«li£en PristilU. 



wurm aufrich- 
ten lirss, ein 
offenbarer Fe- 
tisch, von den 
alten Christen 
als Symbol des 
Heilands, und 
die Säule, auf 
welcher der 
Fetisch thron- 
te, als Symbol 
des Kreuzes 

aufgefasst 
ward. Im Schiff 
der Mailänder 
Kirche Sant' 



abermals wiederholt, schmückt die oben erwähnte Capelle, in welcher Petrus Messe gelesen 
haben soll, neben der Tribuna von Santa Pudenziana. 

Die Katakomben , welche sich an dieses Cubiculum anschliesscn , gehören nicht zu den 
typischen. Die pudentianische Familiengruft war in Puzzolanerde gebohrt und ein solcher Grund 
zur Anlage eines Friedhofs nicht geeignet, das Erbbegräbniss selbst nicht katakomben gerecht, 
nämlich nicht in den Fels gehauen; sondern künsüich aufgemauert Puzzolanerde ist ein bröckeliger 
vulkanischer Tuff, welcher bei Pozzuoli, unweit Neapel, gefunden wird, aber an der ganzen 
südwestlichen Seite der Apertninen in grossen Massen vorkommt; er besitzt die Eigenschaft, bei 
einfacher Vermischung mit gelöschtem Kalk einen hydraulischen Mörtel zu geben. Diese Frdc 
war schon den alten Römern bekannt, welche sie Pulvis Puteolanus oder schlechthin Pulvis 
oder (wie sie denn zumeist aus reichhaltigem Eisensand besteht i Arena nannten: die Sand- oder 
Puzzolangrulwm Messen Arenaria. Nun dieses Wort Arenarium spielt in den Acten der Märtyrer 
eine grosse Rolle; einmal über das andere liest man, dass ein Heiliger in arenario oder juxla 
arenarium oder ad arenas oder in cryplis areuariis begraben sei ; weil denn Arenarium so viel wie 
Friedhof zu bedeuten, das System der Sandgruben auch eine gewisse Aehnlichkeit mit dem der 
Katakomben zu haben schien, so kam man auf den Gedanken, die christlichem Katakomben seien 
nur Erweiterungen verlassener Puzzolangruben gewesen. Aber das war eine falsche Ansicht: 
verlassene Puzzolangruben haben höchstens in Zeiten der Verfolgung als gehirime Eingänge zu 
den Katakomben gedient , aber überdies in keinem Zusammenhang damit gestanden ; Arenarium 
ist in den Märtyrcracten wahrscheinlich nur ein allgemeiner Ausdruck für Grubengebäude und 
Hypogäen überhaupt, keineswegs für Puzzolangruben speciell. Die Bedeckung der römischen 
Ebene, speciell der linken, die meisten Katakomben enthaltenden, Tiberseite ist fast gänzlich 
vulcanischen Ursprungs, und diese vulcanischen Gesteine sind von verschiedener Zusammensetzung 
und ungleichem Alter. Wir wollen nur drei Gattungen namhaft machen, die vorzugsweise in 
Frage kommen: die ebenerwähnte sandige Puzzolanerde (pozzolana), den harten, als Baustein 
gebrauchten Tuff, zu dem z. B. der Travertin und der Peperin gehört (tufo litoide) und den 
körnigen Tuffstein (tufo granuläre, auch capellaccio). Nun die Puzzolanerde war für den Grubenbau 
zu locker, der harte Tuff zu spröde: das richtige Element allein der körnige Tuffstein, der 
Weichheit, Solidität und Resorptionsfähigkeit vereinigte. Katakomben wurden daher gewöhnlich 
im Bereich des kömigen Tuffsteins angelegt; nur ausnahmsweise kommt es vor, dass sie die I.agcr 
des harten Tuffs und der Puzzolanerde berühren. Wo das letztere der Fall ist, da werden 
Pfeiler, Versätze, Strcbemauem, Thürstöcke, Widerlager, kurz alle Arbeiten eines complicirten 
Grubenausbaues nöthig, durch welche das lose Gestein abgehalten wird, die hergestellten Räume 
zu verschütten. Eben diese Arbeiten bemerken wir an den Katakomben der Priscilla, die man 
voreilig in eine Puzzolangrube hinein und nachträglich mit Mauersteinen ausgebaut hat Die 
heilige Priscilla liegt wirklich in arenario, aber eben damit weicht sie von der Regel ab. 

Wir werden daher nicht die Priscillakalakomben wählen, um die innere Einrichtung dieser 
merkwürdigen Stätten zu studieren, sondern in ihnen nur die Gemahlin des Pudens und die Mutter 
der beiden Schwestern suchen, denen wir in diesem Capitcl näher getreten sind. Und doch 
begegnet uns in ihren Gallerien noch eine andere Mutter, eine heilige Mutter, die wir noch unzählige 
Mal und in allen Glorien des Himmels wieder sehen werden, an der wir aber hier nicht ohne 
Verehrung vorübergehen dürfen, weil sie uns das erste Mal erscheint: das ist die Mutter Gottes. 
Dort oben am reich geschmückten Plafond erblicken wir die älteste Maria. Ein Frcsco von 
vortrefflicher Zeichnung und besonderem Adel stellt die Verkündigung dar, ein zweites gleich werth- 
volles eine heilige Familie. De' Rossi setzt das schöne Werk, dessen anmuthige Freiheit so 
lebhaft gegen die Armuth und die Steifheit der späteren Fresken absticht, in eine frühe Periode, 




etwa in die Zeiten Trajans oder Hadrians. Die heilige Jungfrau, eine jugendlich kräftige Gestalt, 
deren grosse Augen eine eigentümlich seelische Tiefe haben, überhaupt gleich den anderen 
Figuren nicht ohne einen gewissen fremdartigen Ausdruck im Gesicht, aber ohne Nimbus, sitzt, 
mit Tunica und Pallium bekleidet, auf der rechten Seite und drückt mit halbentblössten Armen das 
nackte, ebenfalls nimbuslose Kind an ihre offene Brust; vor ihr steht ein junger Mann, der über 
die nackte Schulter ein Pallium geworfen hat, in der Linken eine Rolle haltend und mit dem 



Zeigefinger der aus- 
gestreckten rechten 
1 land auf die Jung- 
frau und einen Stern 
am Himmel deu- 
tend. Man denkt 
zunächst an Joseph, 
und der Gedanke 
ist insofern nicht 
unpassend, als die 
Conventionelle grei- 
senhafte Darstel- 
lung des heiligen 
Pflegevaters . so 
sehr wir auch da- 
ran gewöhnt sind, 
einer späteren Pe- 
riode angehört. Da- 
gegen erkennt De' 
Rossi in dem jungen 
Mann einen Pro- 
pheten des alten Te- 
staments, etwa den 
Jesaias, der in einer 
göttlichen Vision 
den sehnlich erwar- 




Aelte&tc tJ&rsteUung der Mutter Gotte^ neben Ihr der Prüpnei Jntklat. 
ui Jen Kltakamh« der bctli^ert tVnuIU 



Malerei 



teten Messias und 
den Stern von Beth- 
lehem erschaut. 

Gian Batti- 
sta de' Rossi, der 
berühmte christ- 
liche Archäolog, ist 
es, der jenen Stern 
auf dem alten Bilde 
entdeckt und nach- 
gewiesen hat; er 
gleicht selbst einem 
Jesaias; und wir soll- 
ten der ansprechen- 
den Auslegung 
nicht beitreten, die 
uns in Katakom- 
bennacht die Scene 
von Ara-celi wieder- 
holt i lOenn der 
weissagende Jesa- 
ias stimmt ja das- 
selbe Lied an, wie 
dort die Tihurti- 
nische Sibylle, und 
wie an der Decke 



der Sixtinischen Kapelle die hebräischen Propheten neben den heidnischen Sibyllen aufstehn, 
um die einen wie die anderen den Heiland und das tiefe Mysterium zu verkünden, so thun 
sie es schon im christlichen Grabgewölbe. Wer die Sonne und die Stern«: lieh hat, muss 
jetzt hier hinabgehn: der Bergmann in der Grube heisst das Grubenlicht seinen Stern — ist 
der Christ kein Bergmann? 



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San Paolo fuori lc Mura. 
I 

et heilige Paulus ist nächst <lem heiligen Petrus der gewaltigste Apostel des 
Gekreuzigten, ja, er steht ihm last ebenbürtig gegenüljer. Kr vertritt das Heiden- 
christenthum , wie jener das Judenchristenthum. Aus den Briefen des Paulus wissen 
wir, dass Petrus auch nach dem sogenannten Aposteleonvent dal>ei blieb, das Evan- 
^'■liuin nur den Juden zu predigen, und bei einem Besuche in Antiochien auf Andringen 
■ Irr alteren engherzigen Apostel jeden Verkehr mit den dortigen 1 leidenchristen abbrach, eine 
Wankelmüthigkeit, um derentwillen ihn Paulus mit scharfen Worten zur Rede stellte. Von 
[f \ jenem Streite zu Antiochien datirt die Trennung des Paulus von seinem Missionsgehülfen 
^ Barnabas, der auf Petri Seite getreten war. und seine bewusste, vorurtheilsfreie, aber durch 
ununterbrochene Kampfe erschwerte Wirksamkeit l'eberall verkündete Paulus Juden und 
* Heiden das Wort vom Kreuz als den alleinigen Heilsweg — aber auf Schritt und Tritt folgten 
ihm seine Gegner nach, und mehr als einmal gelang es ihnen, seine I loffnungen zu Schanden zu machen. 
L'm den kleinasiatischen Gemeinden näher zu sein, wählte er Ephesus zu seinem Hauptquartiere, 
bis ihn das Herz drängte, zu den armen Christen in Jerusalem zu gehn und ihren tieferschütterten 
Frieden durch Thaten der Liebe wiederherzustellen. Er besuchte nur noch die macedonischen und 
griechischen Gemeinden und trat dann im Krühjahre 59 die beabsichtigte Reise an; bei seinen 
Heidenchristen hatte er Liebesgaben gesammelt und dachte sie persönlich zu überbringen. Aber 
als er den Tempel zu Jerusalem betrat, machte sich der Volkshass gegen den Abtrünnigen, gegen 
den Verächter des mosaischen Gesetzes in gewaltsamer Weis«: Luft. Von dem Judcnrhristen 
verlassen, wo nicht verrathen, fand er um den Preis seiner personlichen Freiheit Schutz bei der 
römischen Obrigkeit. Der Statthalter Felix, der ein Lösegeld haben wollte, hielt ihn zwei Jahre in 
Caesarea gefangen; er appellirte an den Kaiser: Porcius Festus, der Nachfolger des Felix, schickte ihn 
nach Rom. Im Frühjahr 62, nach einem Schiffbruche bei der lasel Malta, kam Paulus in der 
Welthauptsladt an, allwo er zwei Jahre hindurch, wenn auch als Gefangener, das Evangelium 
verkünden durfte. Dann trat, im Juli 64, die Neronische Christenverfolgung ein, welche Paulus 
schwerlich überlebt hat. In der judenchristlichen l'eberlieferung erscheint er unter der Maske des 
falschen Apostels Simon, des sogenannten Simon Magus, welchem der echte Ajtostel Simon, Petrus, 
von Land zu Land nachzieht, um ihn zu bekämpfen und schliesslich in Rom, wo der Magier gen 
I limmel zu fahren versucht, auf das Schmählichste zu entlarven. Die ganze Geschichte des Simon 
Magus, wie sie aus verschiedenen Quellen stückweise zusammengesetzt werden kann, ist nichts 
als eine Parodie der Lebensgeschichte des Paulus. 

Gegenüber dieser antipaulinischcn Sage kam in der altkatholischen Kirche die entgegen- 
gesetzte auf, dass beide Apostel friedlich vereint die Gemeinden zu Antiochia, Korinth und 
Rom gestiftet und zuletzt gemeinsam unter Nero, am Peter- Paulstag (Natalis Apnstolorum 
Petri et Pauli, 29. Juni), den Märtyrertod erlitten hätten. Sanct Peter, der Apostel der Beschneidung 
und Sanct Paul, der Heidenapostel, sie galten fortan als die beiden Hauptapostel, als die beiden 

17! 



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I 



grossen Apostelfürsten fPrincipes Apostolorum), als die beiden Säulen der Christenheit. Die 
Zusammenstellung ihrer Porträts auf Gläsern, auf bronzenen Medaillen, auf Mosaiken und auf Sarko- 
phagen erfolgte schon in den frühesten Perioden der christlichen Kunst, ja, sie findet sich noch 
heute auf dem Siegel des Papstes, welches den Brcvcn in rothem Wachs, den Hullen in Blei, und 
zwar den letzteren in Rechts- und Ehesachen an einem hänfenen, in Gnadensachen an einem gelb- 
und rothseidenen Bande angehängt wird, dem sogenannten Fischerring (Annulus Piscatorius). Auf 
dem Avers befinden sich die Bildnisse der Apostel Petrus und Paulus, auf dem Revers steht der 
Name des regierenden Papstes. Dieses Siegel wird von dem Cardinalkämmerer (Magister Camera« 
Papalis) aufbewahrt, nur vom Papste oder in seiner Gegenwart gebraucht und nach dem Tode 
desselben vom Cardinalkämmerer zerbrochen. Fischerring heisst es, weil der Apostel Petrus vor 
seiner Berufung ein Fischer war, 

Seinen Typus habern wir ol>en kennen gelernt: Paulus erscheint gewöhnlich kleiner von 
Wuchs und ein wenig gebückt. Fr ist kahlköpfig, sein Barl lang und spitz, sein Gesicht oval, 
das Auge feurig, mit niedrigen Augenbrauen, die Nase gerade und lang, die ganze Physiognomie 
Vornehmer und feiner als die des Petrus. Auf den frühesten Kunstwerken nimmt Petrus die rechte, 
Paulus die linke Seite ein, später wurde die Ordnung häutig umgekehrt, ja die umgekehrte 
Ordnung ward zur Regel, namentlich auf den päpstlichen Bullen. Auch vor der Peterskirche steht 
der Apostel Petrus links, Paulus rechts. Wie dem Petrus die Schlüssel, so giebt man dem Paulus 
das Schwert bei, weil er mit dem Schwerte hingerichtet worden ist; erst später sah man in diesem 
Attribute eine Hindeutung auf die einschneidende Kraft der paulinischen Dialektik. Das spanische; 
Kloster l.a Eisla rühmt sich dieses Richtschwert zu besitzen. 

IL 

Etwa eine Viertelmeile vor der Porta Osticnsis, an der linken Seite der Stras.se steht eine 
kleine Kapelle, die sogenannte Cappella della Separazione. Sie bezeichnet die Stelle, wo Petrus 
und Paulus von einander Abschied nahmen, als sie zu sterben gingen. Dieser Moment ist ül>cr 
dem Hingang der Kapelle auf einem kleinen Basrelief dargestellt, und in italienischer Sprache 
nach dem (bekanntlich untergeschobenen) Briefe de» heiligen Dionysius Areopagita liest man, was 
die Apostel bei dieser Gelegenheit zu einander sagten. Paulus sagte zu Petrus: Friede sei mit 
dir, o starker Felsencr, Hirtc der Schafe Christi! — Petrus sagte zu Paulus: Zeuch hin in Frieden, 
du starker Prediger und Hort unseres Heiles! Darauf traten sie die letzte Reise an, Petrus 
nach dem Circus des Caligula am vaticanischen Hügel, wo er gekreuzigt ward, Paulus nach dem 
engen, wasserreichen Thale links von der Via Ostiensis, welches der Salvischen Familie (ad Aouas 
Salvias) gehörte; hier beugte der müde Sendbote, an eine weisse Marmorsäule gebunden, seinen 
Nacken dem Schwerte des Henkers. Wie gesagt, erfolgte die Kreuzigung Petri und die Ent- 
hauptung Pauli an einem und demselben Tage, dem 29. Juni des Jahres 67 unter Nero. Der 
abgeschlagene Kopf des Paulus that der Legende nach drei Sprünge, und wo er aufsprang, 
brach jedesmal eine Quell« köstlichen und gesegneten Trinkwassers hervor. Diese drei Quellen, 
le Tre Fontane wurden künstlich gefasst und mit einer Kirche, .Sa« I'aolo alle Tre I'ontane (i) 
überbaut: das Thal der Tre l-'ontane war den ältesten Christen heilig, hier wurden angeblich 
10,204 Märtyrer, die den Bau der Thermen des Diocletian zu Ende geführt hatten, darunter 
der heilige Zeno, am 9. Juli des Jahres 296 ergriffen und getödtet; daher auch die Reliquien 
des heiligen Mönches Anastasius, der in Persien, und des heiligen Diaconus Vinccntius, der an 
demselben Tage (22. Januar, 303), in Spanien den Märtvrertod erlitten hatte, hierher ül>ergeführt 
unil aut dem ehrwürdigen, durch das Blut so vieler Bekenner und des Apnsiels selbst gerötheten 

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Acker begaben wurden; drei Tage später fiel das Fest der Bekehrung Pauli (25. Januar). 
Den beiden im Tode vereinigten Heiligen Vincentiu-s und Anastasius zu Fähren erbaute Papst 
Honorius 1. im Jahre 630 an dieser Stelle eine Kirche, SS. Vincenzo td Anastasio {2), die von 
aussen noch ein vorzüglich altertümliches Ansehen hat; namentlich sind die Fenster, welche aus 
Marmorplatten mit kleinen runden Oeffnungen bestehen, ganz im Charakter des früheren Mittel- 
alters; die Glasscheiben wurden vielleicht erst in späteren Zeiten eingesetzt. Das zu dieser Kirche 
gehörige Kloster, die Abbadia delle Tre Fontane, übergab Innocenz 11. 1140 dem heiligen Bern- 
hard mit einigen Mönchen des von ihm gestifteten Cistercienserordens ; und weil dem heiligen 
Bernhard dereinst in der unterirdischen Kapelle nebenan, beim Seelenmesselesen, eine Leiter 
erschien, auf welcher die Fngel die durch sein Gebet aus dem Y egefeuer betreiten Seelen zum 
Himmel führten, so wurde ül>er jener Kapelle eine Kundkirche erbaut, welche den Namen der 
Maria zur Himmelsleiter, Santa Maria in Scala Coeli (3) erhielt. 

Nach aUedem stehen in dem malerischen Thale drei Kirchen und ein Kloster zusammen, 
doch waren sie bisher der ungesunden Lage wegen fast ganz verlassen. Die Malaria hauste hier 
und die drei Quellen waren reich an pernieiösem Wechselheber : 

Mkmi el nova fcbriuin 
TVrri» inculiuit <:uhur«. 

Daher wurde das gefährliche Kloster im Jahre 1 86S dem Zweige der Cistercienser überlassen, 
dessen eigentümlicher Beruf es von jeher gewesen ist, unfruchtbare Gegenden anzubauen und im 
harten Kampfe mit einer widerspenstigen Natur den Wüsten Brod und dem Tode Lehen abzu- 
ringen — den französischen Trappisten. Diese Bauern-Mönche machten sich muthig daran, das 
versumpfte Land zu entwässern, die Baulichkeiten trocken zu legen und der interessanten Stätte 
ihre alte Bedeutung zurückzugeben; und führten dabei einen Baum ein, der vermöge seines 
wunderbaren Wachsthums , der Brauchbarkeit seines Holzes und der aromatischen Ausdünstung 
seines blaugrünen Laubes in Italien wie in Aegypten eine förmliche Mission zu vollziehen scheint : 
sie nahmen umfassende Anpflanzungen des sogenannten Fieberhcilbaums (Fucalyptus globulus) vor. 
Die australische Myrte ist ein gigantisches Gewächs: sie kommt, wenn sie dieselbe nicht über- 
trifft, der californischen (Jeder, dem Mammuthbaume, nahe. Mit dieser zweifelhaften Ausnahme 
übertrifft der Eucalyptus an Dimension jeden Baum der Welt, und da der Stamm bis zur Höhe 
von 30 m fast immer astfrei ist, so kann man sich einen Begriff von seinem Werth als Werkholz 
machen, zumal das letztere eine fast unverwüstliche Härte und Dauerhaftigkeit besitzt. Im Jahre 
1855 wurde für die Pariser Ausstellung ein Bret von 50 m Länge. 52 cm Breite und 15 cm Dicke 
hergerichtet, aber nicht expedirt, weil es von keinem Schiff»; aufgenommen werden konnte. Dabei 
ist der Wuchs dieses Baumes so rasch , dass er binnen sechs Jahren eine Höhe von 20 m und 
einen l Jmfang von 1 20 cm zu erreichen vermag. Schon das verleiht seiner L'ultur für den holz- 
armen Süden eine hohe Wichtigkeit; eine noch höhere sein wohlthätiger Finfluss auf gewisse 
atmosphärische Miasmen. Seine Blätter sind reich an ätherischem Oel, und indem er durch 
dieselben viel Sauerstoff ausscheidet, trägt er in sumpfigen, lieberschwangeren Gegenden zur 
Reinigung der Luft bei. Und das hat er eben bei den Tre Fontane gethan ; die gesundheitlichen 
Verhältnisse sind bereits jetzt wesentlich bessere. Die schlechte Luft (aria cattiva) ist verschwunden, 
seit 1873 kein bösartiger Fieberfall mehr vorgekommen. Zufolge dessen hat die italienische 
Regierung die Aufzucht des Fucalyptus im Grossen angeordnet und aus ihren Baumschulen schon 
viele tausend junge .Stämmchen gratis zur Anpflanzung in der Campagna abgegeben. Auch 
anderwärts, in Spanien und in den (österreichischen Küstenländern werden grosse Hoffnungen auf 
diesen Baum gesetzt; nur ist es noch zweifelhaft, ob er hier den Salzgehalt des Bodens ver- 
tragen wird. 

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Im Jahre 1643 erhielt der Cardinal de Lugo aus Peru die erste (Chinarinde, und damals 
lernte man in Rom das souveräne Fieberheilmittel kennen, welches nun als Polvo de los jesuitos 
weitere Verbreitung fand. Vielleicht dass man auch noch einmal nach Jahrhunderten des Augenblicks 
gedenkt, wo die Trappistcn bei den drei Quellen des Apostels Paulus den ersten Fieberheil- 
baum pflanzten. 

III. 

Der Leichnam des Apostels Paulus wurde von der frommen Matrone Lucina aufgehoben, 
aul dem unterirdischen Gange, der von den 'Ire Fontane zur Paulskirehe führt und den die Mönche 
von St. Paul am Feste des heiligen Anastasius (22. Januar) in Procession durchziehen, in ihr an 
der Via Ostiensis gelegenes Landgut zurückgebracht und in den Gründen desselben, angeblich 
Puzzolanjjruben (in dieser Gegend grub man Puzzolanerde vorzüglicher Qualität) beigesetzt. 
Papst Sixtus II. liess am 29. Juli 258 die Reliquien des Paulus und die des Petrus in einem 
Cubiculum der Katakomben von San Scbastiano bergen, doch wurde der apostolische Leib 
später der ursprünglichen Gruft an der ostiensischen Strasse wieder zurückgegeben, wo er fortan 
uugestört verblieb. Das war das „Sepulcrum Pauli Apostoli in praedio Lucinae", schon in den 
ersten Jahrhunderten ein heiliger Wallfahrtsort und ein Gegenstand ewiger Verehrung für die; 
Christen, die von allen Enden der Welt nach Rom strömten, um die Trophäen, das heisst die 
Gräber der Apostel. Sanct Peters im Vatican und Sanct PauLs an der Strasse nach Ostia zu 
besuchen. Der Legende nach erbaute Constantin der Grosse über dem letzeren eine Basilica. die 
dritte Hauptbasilica, so alt wie die l'eterskirche und einst grösser und prächtiger als sie : San Paolo 
fuori le Mura , das heisst . ausserhalb der Stadtmauern, lateinisch extra murin. Im Jahre 386 
trugen die Kaiser Valentinian II., Theodosius und Arcadius dem Stadtpräfecten Sallust vermöge 
eines (noch erhaltenem Rescriptes auf, anstatt der alten Basilica eine neue, grössere und schönere 
aufzultauen, wie es die Heiligkeit des Ortes und die zunehmende Menge der Gläubigen erheische. 
Diese alte berühmte Theodosianische Paulskirche bestand als die sehenswürdigste aller alten 
Basiliken dank der Tüchtigkeit des ursprünglichen Baues um! der Sorgsamkeit der Benedictiner, 
welche wahrscheinlich schon von den frühesten Zeiten hier wohnten, vierzehnhundertfünfundfünfzig 
Jahre, nämlich bis zur Nacht vom 15. zum 16. Juli des Jahres 1823, wo (durch Unvorsichtigkeit 
eines Bleideckers, der seine brennende Kohlenpfanne auf dem Dache stehen gelassen hatte) 
Feuer auskam und in fünf Stunden fast das ganze herrliche Denkmal des christlichen Alter- 
thums zerstörte. Es war ein Unglück und ein Verlust, mit keinem Theater- oder Kirchenbrande 
der Neuzeit im Entferntesten zu vergleichen. Nur die Mosaiken der Tribüne und einige Monumente 
blieben erhalten. Pius VII., der einst in dem hiesigen Kloster Mönch gewesen war, lag krank 
darnieder, als die Post vom Brande der Paulskirehe durch alle Lande ging: er war eine Woche 
vorher (6. Juli | aut dem Marmorboden seines Zimmers gefallen und hatte den Schenkel gebrochen: 
er starb einen Monat später {10. August), ohne die Trauerkunde zu vernehmen. Der einundachtzig- 
jährige Greis, der sein Geschick mit unerschüttertem Gleichmuth getragen hatte, würde wahrlich 
bei diesem Schlag weinend zusammengebrochen sein. 

Leo XII., der am 2S. September den pä|>stlichen Stuhl bestieg, setzte sofort eine Commission 
von Künstlern und kirchlichen Autoritäten ein, die den Neubau begutachten sollte. Ks wurde 
beschlossen, an Plan und Verhältnissen der alten Kirche nichts zu ändern. Nun lud eine Encyelica 
alle Bischöfe ein, in ihren Sprengein Sammlungen zu veranstalten: mittels dersrlben und eines 
jährlichen Zuschusses von 50000 Scudi, den die päjjstliche Regierung selber leistete, wurde die 
Kirch«: in d n issig Jahren wieder aufgebaut. Gregor XVI. konnte 1840 Querschiff und Hochaltar, 

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Pius IX. am 10. December 1S54, im Beisein der hundertsiebenundsechzig zur Proklamation des 
Dogmas der unbefleckten Kmpfängniss erschienenen Prälaten, die ganze Kirche einweihen. Die dem 
Til>er zugewendete Facade mit dem Atrium war noch im Entslehen, aber das Innere erglänzte 
trotz Theodosius und würdig eines ockumenischen Konciles. 

Bekanntlich trägt die grösste protestantische Kirche der Erde und das schönste Denkmal 
neuerer Baukunst in England, die Londoner Kathedrale, ebenfalls den Namen des Paulus ; bekanntlich 
brannte die Londoner Paulskirche ebenfalls in der grossen Eeuersbrunst vom September 1666, 
welche 460 Strassen mit 13200 Häusern und 89 Kirchen in Asche legte, gänzlich nieder, worauf 
sie nach dem Muster der damals vollendeten römischen Peterskirche unter Wren's Leitung 
(si monumentum quaeris, circumspice) wieder aufgebaut ward. Bis zur Reformation stand auch die 
römische Paulskirche unter dem Schutze und der Kürsorge der Könige von England, daher man 
an der alten Kirche Über dem Seiteneingang den Orden des blauen Hosenbandes sah. 



IV. 

Kennst Du der TiUrmUndungcn Weg? Ihn krönt des Paulus Titel, 
Wo links der Klus* das gtune Ufer gtlrteti 

Königlich ist die Pracht der Sliittc : sie weihte ijn guter Herscher, 
Austrcitend nMI erhabener Verschwendung 

Gold und Kdclgcstcin aber Dach und Gebalk, damit c< leuchte 
Feierlich wie Glut des Sonnenaufgangs. 
Säulen von parUchem .Marmor die strahlende Decke 
Gleich Hiromelspfeilern, vierfach ist die Reihe. 
TauKOdbfbig, in mächtigem Schwung enuteigt des ] 
So blinkt im Blumenflor die PrUhlHfMaa. ') 

Mit diesen begeisterten Versen malt der christliche Dichter Prudentius, welcher die Theodosi- 
anische Basilica in ihrem ersten jungfräulichen Glänze schauen durfte, nur zu anschaulich sein 
Entzücken : Sie rinden sich unter seinen Gedichten auf die christlichen Märtyrer (Liber ntgi torf&rmr), 
im zwölften Hymnus, welcher im Maasse der vierten Ode des Horaz 66 Verse zum Lobe der 
Apostel Petrus und Paulus (Petri et Pauli apostoloruml enthielt. Prudentius könnte sie heute 
noch niederschreiben, denn die Paulskirche steht wieder, wie sie einst gestanden ; ob sie gleich von 
ihrer stillen Gross«! und ihrer einfältigen Pracht Manches verloren hat. Es bleibt ein Genuss, in 
die Paulskirche zu gehen, über diesen spiegelglatten Kusshoden zu schlüpfen, sich in diesem 
lichten Säulenraume zu verlieren, ahnungsvoll in den Anblick dieser wunderbaren Mosaiken zu 
versenken, die den frommen Geist der ersten Jahrhunderte innig und unverfälscht ausstrahlen. 
Hier ist Alles, Religion und Luxus, tiefer Ernst und weltliche Schönheit, historische Weihe und 
moderner Glanz und Geschmack und Reichthum — wenn in der Welt etwas geeignet ist, dem 
Pilger einen Begriff von der Majestät der speeifisch christlichen Kunst zu geben, so ist es die 
stille, abgelegene Basilica des Apostels Paulus, die man betritt wie einen Ballsaal, in der man 
verweilt wie in einer Gemäldegallerie und die man verlässt wie ein Hciligthum. 

'1 Im Original laulcu ilar liurmaoMcn Sinn*«!, »eiche an« <M j;n«*cm A*clallucraitcli«i Vcr»c und .Iran MMaMMaM jambi.chen 

1*«* ilis tilahim Pauli <ia »errat Oitimis 
Ob dnpl amuä cear.it.rn •biumn; 
Regia iwmpa loci est: iräiceps bem 
riauiit |ur ruagnU anilxium Uilentii- 
ISracteolis trabibui auWeait, nl l 
Lux ess*l iotni, cco. jubar all ort«, 
Subdidk et pariju fulaic larjuc-inbes i 
I>istinguil iltic '|uoi |UH<iqus ordo. 
Tum camnius hyalo ioaigni taric i 
Sit prau vcrriu rloribi. rcniileuL. 



i*a 



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3 



Ein bedeckter Säulengang (Porticus) führte im frühen Mittelalter vom Thore nach der 
Kirche und ein Säulonvorhof, mit einem Springbrunnen iCantharus) geschmückt, umgab die Vorder- 
seite nach dem Tiber zu. Das gegenwärtige Atrium ist heute (23. Febr. 1882) noch nicht vollendet: 
es stehen, abgesehen von den Mosaiken, nur die zehn Säulen der Vorhalle und die vierkantigen 
Pfeiler zu beiden Seiten; noch ist Alles durch Gerüste verdeckt; die bronzenen Thürcn, die im 
Jahre 1070 auf Kosten des Consuls Pantaleone Castelli in Constantinopel verfertigt und in Jahre 
1S-3 wieder aufgefunden wurden, befinden sich noch im Kloster. Unvorbereitet, von der Seite, 
durch das „Atrium posticum" gelangen wir in den Tempel. O. Wunder! O, Freuden und Wonnen 
des himmlischen Paradic-ses, ahnten wir solch eine märchenhafte Pracht ? Sind wir in eine Walhalla, 
in einen Feenpalast getreten ? Hat jener Nero, der einst die Henker nach den Tre Fontane sandte, 
in seinem goldnen Hause ein Prunkgemach gehabt, wie es jetzt »1er Apostel Paulus hat? — 

1 20 m lang, (io m breit, j 3 m hoch, von achtzig Säulen getragen, fünfschiltig entfaltet sich 
der imposante Raum. Die Säulen sind von Granit aus den Brüchen von Montorfano bei Baveno 
am Eago Maggiore, die Basen und die korinthischen Kapitale von earrarischem Marmor: die Säulen 
der alten Kirche, gleichfalls achtzig, waren antiken Bauten entnommen und aus weissem und pfauen- 
blauem Marmor. Zwei colossale Säulen, je 3200 Kilogramm wiegend und gleichfalls von 
Montorfano stammend , stützen den 1 4,7 m weiten Triumphbogen ; am Eingang stehen zwei und 
am Tabernakel de_s I lochaltars vier durchscheinende Säulen von orientalischem Alabaster, die der 
Vicekönig von Aegypten. Mehemed Ali. für die Paulskirche gesteuert hat. mit Basen von Malachit, 
die ein Geschenk dos Kaisers Nicolaus von Russland sind. Die Decke des Mittelschiffs ist 
cassettirt ; auch die der alten Basiüca war ursprünglich mit vergoldeten Platten, wahrscheinlich von 
Bronze, bekleidet, später zeigte sie den offenen Dachstuhl. Mittel- und Querschiff erhalten Eicht 
durch 66, die Seitenschiffe durch 40 Bogenfenster. Den Fusstioden bilden gegenwärtig schimmernde 
Marmorfiiessen, der der alten war grösstentheils mit Bruchstücken von antiken Denkmälern und 
Inschriften gepflastert. Im Hintergründe öffnet sich das Grab, wo der Ix-ichnam des Apostels in 
seinem Sarge ruht, der Kern des ganzen Prachtbaues; es ist reich mit edlem Serpentin und 
dunkelrothem Marmor ausgelegt, und über ihm erhebt sich das schöne, beim Brande zerschmetterte, 
aber wieder genau zusammengefügte Sacra meiitshäuschen (Ciborium). Man nennt diese unter- 
irdisch*; Grabstätte, wie in allen alten Kirchen, weil sie einen heiligen Bekenner und Blutzeugen, 
einen Confessor Fidei enthält, Confession (Confessione). 

Da steht er, der Apostel -Märtyrer, am Autgang zum Querschiff in colossalor Grösse; ihm 
gegenüber steht sein College Petrus. Alles deutet darauf hin. dass Petrus und Paulus gleichsam 
nur zwei Sriten eines Wesens und ein Papst in zwei Personen sind ; in den apokryphen Nachrichten, 
die unter dem Namen der Acten des heiligen Sylvester bekannt sind, wird sogar erzählt, dass dieser 
Papst die Gebeine der zwei Apostel getheüt und jede der beiden nach ihnen benannten Basiliken 
eine Hälfte erhalten habe; aus dem Felsen Petri wurden gleichsam zwei Säulen zum Triumph- 
bogen der Kirche herausgehauen, davon heisst die eine Paulus. Daher sieht man gerade hier an 
dem Fries über den Säulen der drei mittelsten Schiffe und im Querschiff eine Folge von Porträt- 
medaillons der Päpste in Mosaik, von dem heiligen Petrus bis auf unsere Zeiten, mit dem Namen 
derselben und der Zeit ihrer Regierung. Sie sind in den Ateliers des Vaticans angefertigt worden, 
mit einem Durchmesser von 1,5 m; wenn wir einst die päpstliche Mosaikfabrik besuchen, wo auch 
die Meisterwerke der italienischen Maler für die Peterskirche nachgeahmt werden, werden wir sehen, 
was das für eine mühsam«; Arbeit ist, und dass ein Mosaikarbeiter zur Vollendung eines einzigen 
Gemäldes oft so viel Jahre braucht, als Petrus auf dem heiligen Stuhle gesessen hat — fünf- 
undzwanzig. Dieser merkwürdige Fries würde offenbar besser für Sanct Peter passen, wenn eben 
nicht Sanct Paul gleich Sankt Peter wäre — wenn wir nicht schon am Triumphbogen der 



.«3 




Paulskirche die beiden Apostelfürsten, welche die Stadl Rom beide als ihr«: Schutzheiligen verehrt, 
als unzertrennliche Gefährten neben einander sähen. 

Die Mosaiken desselben, theils noch die alten, theils gut ersetzt, stammen aus dem fünften 
Jahrhundert, wo sie im Auftrag der Galla Placidia, der Tochter Theodosius des Grossen, 
Schwester des llonorius und Arcadius, ausgeführt wurden, gehören demnach zu den ältesten. 
Sie illustriren abermals in sinnvoller Weise das vierte und fünfte ("apitel der Offenbarung Johannis. 
Wir sehen das Brustbild des 1 leilands, welcher unter dem Bilde des guten Hirten einen Kreuzstab 
fuhrt; unter ihm halten zwei Kngel eine Inschrift, auf die Aula des Theodoras und Honorius be- 
züglich: ein Strahlenkranz spielt in Regenbogenfarben um ihn (Offenbarung Cap. 4, 3). Zu l>eiden 
Seiten des Erlösers erscheinen die vier symbolischen Bilder der Evangelisten auf Goldgrund und 
unter denselben die vierundzwanzig Aeltesten, welche ihre Kronen darbringen, um sie Jesu zu 
Küssen zu legen. Die zwölf dem I leiland zur Rechten erscheinen mit bedecktem, die anderen zwölf 
zur Linken mit unbedecktem Haupte: zwölf der vierundzwanzig sind Judtm, das heisst Krzväter 
und Propheten, die zwölf anderen Christen, das heisst Apostel; nun. Jedermann weiss, dass man 
in der Synagoge (wie Mösts sein Angesicht verhüllte, als er sich mit Jehovah unterhielt) den Hut 
aufbehält, in der christlichen Kirche (nach des Apostels Verordnung; abnimmt An den Schenkeln 
des Bogens aber stehen unsere beiden Päpste — rechts Petrus und links Paulus. 

Die Inschrift darüber besagt, dass Theodosius die durch den Leib des Weltlehrers i docloris 
mundi) geheiligte Aula angefangen, Honorius vollendet habe; 

THKOIHWICS CKP1T, l'KRI KCIT HONORIUS AULAM, 
OOCTORIS HUND! SACRA TAM CORPORE PAULI. 

An dem Tabernakel des Hochaltars wird der Apostel nach den Worten der Schrift (ApOCt 9, 15) 
als das aaserwählte Gcfiiss oder Rüstzeug bezeichnet: 

IT KS VAS KI.ECIION1S. 

Hin Gcfass oder Blumentopf bildet daher auch in der christlichen Symbolik die Hieroglyphe des 
Apostels Paulus, zum Beispiel auf den bronzenen ITiürflügcln der Peterskirche. 

Die Tribüne, von noch grösserer Spannung, besteht aus kleinkörnigem Marmor mit edlem 
Serpentin ; vier Säulen von violetter Rreccie tragen ein Karnies von weissem Marmor. Die 
Mosaiken blieben vom Brand verschont: unter Honorius III. angefangen, unter Nicolaus III. 
vollendet, stammen sie aus dem dreizehnten Jahrhundert. 

Man sieht in der Mitte der I.aibung den Heiland mit dem Buche auf dem Throne und 
vor ihm knieend, in ganz kleiner Gestalt, den Papst Honorius III. Dem Hrlöser zur Rechten stehen 
Paulus und Lucas, zur Linken Petrus und Andreas; zwei Palmen an den Knden. Im Streifen 
darunter erscheinen, eingerahmt von Palmen, die zwölf Apostel; in ihrer Mitte bemerkt man das 
Kreuz und einen Altar, auf dem die Passionswerkzeuge liegen und den zwei Engel umschweben. 
Unter dem Altar, ganz klein und Palmen haltend, die fünf unschuldigen Kindlein iSanti Innocenti). 
deren Reliquien diese Kirche ursprünglich bewahrte; rechts und links zwei Achte, die vor einem 
erhöhten Kreuze knieen. Inschriften nennen den Honorius als Stifter. Benedict XIV. 0/47) a ' s 
Restaurator der Mosaiken. Unter ihnen steht der marmorne Bischofsstuhl. 

I>as war die Zeit der Erhebung der italienischen Malerei in der romanischen Kunstepoche 
und wenn man will, eine dritte Periode der Mosaik, in welcher zugleich die sogenannte Cpsmaten- 
arbeit aufkam. Eint; Nebenart der Glasmosaik und eine ornamentale, stark orienlalisirende Specia- 
lität. Man zerschnitt und zersägte antike Marmorfragmente in kleine regelmässige Stückchen, 
welche geometrische Figuren bildeten, stellte sie zu Mustern nach Art des .Pavimentum sectile' 
zusammen, hob ihren Glanz durch larbige Glaspasten und Goldplättchen und überzog mit dem 

,s 4 



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bunten Schirmeke Altäre un 1 Tabernakel, Amboncn und Bischofsstühle, Thürpfosten und Grab^ 
denkmäler; namentlich füllte man damit auch die Windungen der zierlich gedrehten Säulchen, 
welche die Osterkerzen trugen oder das Gebälk der Kreuzgänge in den Klöstern stützten. Eben 
der Kreuzgang des Benedictinerklosters , welches an die Paulskirchc stösst , ist reich an solchen 
Decorationsmotiven: die kleinen, bald geraden, bald schön gewundenen Marmorsäulen, auf welchen 
die Bogenstellungen ruhen, sind so wie das Gebälke mit farbiger Mosaik- und Steinarbeit aus- 
gelegt, welche viel zu dem heiteren, eleganten Aussehen dieser klösterlichen Hallen beiträgt. Es 
scheint, dass jene musivische Decorationsmalerei zünftig betrieben wurde und in einzelnen Familien 
erblich war; von einer derselben, der römischen Eamilic der Cosmaten (Famiglia dei Cosmatii Ist 
die Benennung des ganzen Genres hergenommen. 

In der zweiten Kapelle des linken Querschiffs, der sogenannten Cappella del Crocilisso, 
unter dem Krucilix, welches mit der schwedischen Heiligen Brigitta geredet haben soll, befindet 
sich auch ein Mosaik, ein musivisches Madonnenbild; und vor ihm legten am 22. April 1541 
Ignaz von Loyola, Jakob Laynez und Pierre Lefevre das vierfache Gelübde des Jesuitenordens 
ab, indem sie zu den drei gewöhnlichen Gelübden der Keuschheit, der Armuth und des blinden 
Gehorsams gegen die Oberen noch das vierte fügten — ihr Leben dem beständigen Dienste Christi 
und der Päpste zu widmen, nur dem Herrn und dem römischen Hohenpriester, als dessen irdischem 
Stellvertreter zu dienen, so dass, was ihnen immer der gegenwärtige Papst oder einer seiner Nach- 
folger m Sachen des Heils und der Verbreitung des Christenthums befehlen, in welche Länder 
er sie immer entsenden möge, sie ohne Verzug und Entschuldigung, soweit es in ihren Kräften 
liege, Folge zu leisten gehalten sein wollten. So entstand die Gesellschaft Jesu, gleichsam eine 
letzte paulinische Gemeinde. Ob Paulus den Schwur des heiligen Ignatius gehört f Ob sich 
Jesu strengster Nachfolger segnend über den neuen Missionär geneigt und zu seinem Werk bekannt 
hat? Prüfet, so schrieb er einst an die Thessalonicher, prüfet Alles und das Beste behaltet 



I>ie Paulskirche ist eine tlcr fünf Patriarchalkirchcn und hat wie San Pictro in Vaticano, 
Santa Maria Maggiore und San Giovanni in Laterano die goldene Pforte oder heilige Thür 
[Porta Sancta), deren Pfosten aus einem röthlich-gelben Marmor bestehen müssen; dieser Marmor 
führt eben davon den Namen Porta Santa. Sie ist durch eine Mauer verschlossen, auf welcher 
sich ein metallenes Kreuz befindet, das man aus Andacht zu küssen pflegt, und wird nur bei 
Jubiläen, an dem vorausgehenden Weihnachtsabend von einem eigens dazu bevollmächtigten 
Cardinal (Cardinale legato a latere) geöffnet; dann bleibt sie offen stehn bis zum nächsten 
Weihnachten, wo sie wieder vermauert wird. So wurden im alten Rom die Thüren des Janus- 
tempels aufgethan und geschlossen. Pfarrkirche ist Sanct Paul erst seit dem Jahre 1 708 ; bis 
dahin war die römische Paulskirche gleich der londoner, die bis heute keine Pfarrkirche und daher 
so wenig besucht ist nur eine Filiale und zwar der Kirche Santa Maria in Cosmedin, welche, auf 
Piazza dclla Bocca di Verita gelegen, so zu sagen ihre städtische Wurzel bildet Wenn 
man von der Stadt nach der Paulskirche hinausfährt, kommt man bei Santa Maria in 
Cosmedin vorbei; und wenn man von der Paulskircke direct in die Stadt zurückkehrt, läuft man 
unfehlbar in den stillen Hafen ein, den ein altertümlicher , 36 m hoher Glockenthurm gleich 
einem Leuchtthurme bezeichnet In diese alte Mutterkirche, an deren Pforten wir bereits einmal 
(auf Seite 96) nach einem ausserrömischen Ausflug gestanden haben, müssen wir jetzt hinein- 
schauen, wenn wir das grosse Bild des Paulus in Rom, welches im gegenwärtigen Capitel vor 
uns aufgerollt worden ist, vervollständigen wollen. 



V. 



ISS 




Sic erhebt sich in den Ruinen eines antiken Tempels, dessen Zelle mit einer Saulenstcllunx 
umgeben war (Sx 1 5). Diese Säulen, gegenwärtig in ilie Wände des Gebäudes eingeschlossen, sind 
von römischer Ordnung, aus weissem Marmor und mit Zierraten ülierladcn. Schon in den frühesten 
Zeiten der Oberherrschaft des Christenthums, der Sage nach unter dem Pontiiicat des Dionysius 
(259—268), war in dem zerfallenden Tempel eine kleine Marienkirche, die altertümliche Krypta 
unter dem Prcsbyterium , errichtet worden, an deren Stelle unter Hadrian I. {772 — 795) die 
jetzige, grössere trat: 11,5 x 33 m. Sie gehörte ursprünglich der griechischen Colonie an, 
nächst der jüdischen der ältesten in Rom, (an sie erinnert noch der Vicoto della Greca in der 
Nachbarschaft), und führte als griechische Nationalkirche den Namen Santa Maria in Schola Graeca: 
bereits Anastasius bezeichnet sie als Santa Maria in Cosmedin. Cosmedin (KuofiiStor) hiess ein 
Kloster und darnach eine ganze Vorstadt in Constantinopel, dieselbe, welche heutzutage den Namen 
von Mohammeds Fahnenträger und Waffengefährten, den Namen Ejub -- Hiob trägt, und 
nach diesem byzantinischen Kloster, dessen Mönche sie vermutlich bedienten, wurde eine 
Kirche in Ravenna, eine zweite in Neapel und als dritte im Bunde unsere römische l>etitelt Das 
Volk nennt unsere Kirche und den Platz davor Bocca della Veritä. 

Durch Mariens Mund wird allerwegs die Wahrheit kund: Bocca della Veritä heLsst wörtlich 
Mund der Wahrheit. Was ist das für ein Mund? Eine antike Brunnenmaske, die sich seit dem 
Jahre 1632 in der Vorhalle befindet: wenn wir das überdachte, durch vier vorspringende Säulen 
gebildete Vestibulum, recht«, von dem Springbrunnen Carlo Bizzaccheri's, durchschreiten, so sehen 
wir an der Decke ex voto die Kinnbacken eines grossen Seethiers hangen und an der Seiten- 
wand links die Kinnbacken eines steinernen Tritons lehnen: die letzteren sind es, durch welche 
die Wahrheit kund wird. Eine Maske. Brunnenleitungen und Dachtraufen omamental mit 
marmornen oder thönernen Masken (personae) abzuschließen, sodass das ablliessende Wasser von 
einem lebendigen Wesen ergossen zu werden schien, war eine naheliegende, durch die Sprache, 
welche die Oeffnungen von jeher mit Mündungen vergleicht, selbst gerechtfertigte Sitte : gewöhnlich 
wählte man zu solchen Wasserspendern nach dem Vorgange der alten Aegypter I.öwen, weil die 
Sonne zur Zeit der Nilüberschwemmung im Zeichen des Löwen steht, doch liess man auch Rosse, 
Delphine, Drachen, Tritonen, Silene und Ganymede speien, ja die letzteren ihr Wasser gelegentlich 
nicht durch den Mund, sondern vermittels eines anderen Apparates von sich geben, welcher ziemlich 
genau den Hahn eines Fasses darstellt Nun, das in unserer Halle lehnende Alterthum, eine 
runde Platte, aus welcher man das bärtige Gesicht eines Tritons herausgearbeitet hat, ist ein kolossales 
Specimen einer derartigen Mündung, sie besitzt einen Durchmesser von 1,65 m; durch die Löcher 
an den Seiten sind die Niete hindurchgesteckt worden, zu dem aufgesperrten Maule kam die 
Flüssigkeit heraus. Den Meergott kennzeichnen die Hummerschcren — es riecht hier alles nach 
Seeluft: Leviathan vor uns, Leviathan über uns, Leviathans draussen; ich weiss nicht, ob das zur 
Erinnerung daran sein soll, dass die verfallene und verschüttete Kirche das sechzehnte und sieb- 
zehnte Jahrhundert über inmitten eines undurchdringlichen Sumpfes und sozusagen im Meere gelegen 
war. Das kam daher, weil die alte Maske fortan nicht den Lauf des Wassers, sondern den Gang 
des Rechtes regulirte. Das groteske Steinbild regte die Phantasie der Menschen an: sie hielten 
es für ein Zauberwerk Virgils oder für einen Götzen, der auf dem Hereulesaltar , der benach- 
barten Ära Maxima gestanden: und damit die antike Gewohnheit combinirend, zum Schwur den 
Altar zu berühren, auf den Altar, wir würden sagen, auf die Hostie oder auf's Evangelium zu 
schwören (tangere aram), fabelten sie, man habe dieser Maske bei gerichtlichen Eidesleistungen 
die Hand in den Rachen stecken müssen und sie im Meineidsfallc nicht wieder herausziehen können, 
das Gesicht sie dem Lügner abgebissen; daher nun das letztere als ein Prüfstein der Wahrheit 
betrachtet und Bocca della Veritä genannt ward. So habe das Bild, fügte man hinzu, alle Mein- 

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eide angezeigt, die im alten Rom geschworen wurden, endlich aber durch ein ungerechtes Urtheil 
seine Wunderkraft verloren. Mastro Grespino hatte seine Frau der Untreue angeklagt und die 
Khebrecherin sollte ihre Unschuld beschwören. Sie vermass sich dessen auch und hätte die 
falsche Hand sicherlich im steinernen Mund gelassen, kam aber leichteren Kaufes davon. Als 
sie nämlich schwören wollte, kam der Geselle , mit dem sie sich vergangen hatte, auf sie zuge- 
laufen und spielte wie Brutus den Wahnwitzigen. Kr umarmte und küsste sie, als ob er den 
Verstand verloren hätte. Da seht den Narren! rief die Frau, auf seine List eingehend; mit 
Ausnahme meines Mannes hat mich Niemand berührt als er! — Und sie legte ihre Hand in das 
marmorne Gottesurthcil. Der Mund gab ihr die I land zurück und galt seitdem , obgleich er im 




S. Mari* ia Comteikii, 



Grunde nicht gelogen und die Krau nicht falsch geschworen hatte, für entzaubert: sein Prae- 
stigium war hin. 

Wahrer Mund und icinc Hand. 
Wandern durch alle Stadt* und Land. 

Im Innern erinnert uns Vieles an den griechischen Ursprung dieser Kirche: gleich am 
Thürsturz gewahren wir Cosmedin. Hier sieht man symbolische Reliefs — Christus unter dem 
Sinnbild des Lammes, «He vier ezechielschen Thiere, zwei Tauben, deren eine, wie die Menschen- 
seele auf der Eitelkeit dieser Welt, auf einem Drachen sitzt, und die Hand Gottvaters, welche 
zwei Schafe, Christi Schafe, segnet. Sothaner Segen geschieht nach griechischem Ritus, so 
dass nicht die drei ersten Finger, sondern der Zeige-, Mittel- und Kleinfingcr in die Höhe, 
Daumen und Goldfinger dagegen zusammengehalten werden: das soll die Dreieinigkeit zwischen 
Alpha und Omega bedeuten. Beim Eintreten bemerken wir den schönen Mosaikfussboden. 
Ein ,Pavimentum Sectile', wie wir es auf Seite 166 beschrieben haben, aber die besondere 
Species, welche man alexandriner Arbeit (Opus Alexandrinum) nennt, dadurch unterschieden, dass 

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Linien und Figuren nur zwei Farben, zum Beispiel Roth und Schwarz auf weissem Grunde, haben; 
seit Alexander Severus nahm man gewöhnlich lacedämonisehen Marmor und Porphyr dazu; 
unweit vom Haupteingange ist eine Porphyrplatte, welche mehrere Meter im Durchmesser hat- 
Nuii diesen Mosaikfussboden, eins der schönsten Werke der Art in Rom, hat ein gewisser Kämmerer 
Alphanus der Maria und der Weisheit, der Sophia von Konstantinopel stiften wollen (1123): 



Von demselben Alphanus, dessen griechischer Name mit dem lateinischen Albanus 
identisch scheint, rühren die zierlichen, in Marmor ausgelegten Ambonen her; er schenkte der 
Kirche, die er wie ein Kabinet mit lauter Pretiosen und Nippsachen ausstaflirte und in der er 
auch begraben ward, einen alabasternen Leuchter für die Osterkcrzc, dessen Postament ein Löwe 
mit seinen Pranken mutant und gegenwärtig anstatt des Leuchters eine gewundene Cosmaten- 
säule krönt; er schenkte ihr eine antike Wanne um die Altartischplattc darauf zu legen; er 
schenkte ihr den kunstvollen Bischofstuhl, der, mit zwei Löwenköpfen geschmückt, auf zwei 
halbrunden Stufen hinter dem Altar steht — fronte sub adversa gradibus sublime tribunal tolütur, 
sagt unser Prudentius : ein solcher Stuhl oder Thron #e»io 4 - i>ip%X»i) heLsst Cathedra und # daher 
eine Kirche, an welcher ein Bischof seinen Sitz hat, eine Cathedrale (Ecclesia Cathedralis). 
Lieber ihm bewahrt man endlich in einem Schranke, der nur l>ei besonderen Feierlichkeiten 
geöffnet wird, ein letztes Andenken an Konstantinopel und an die t erne, ewig junge Heimath, 
die „o»(>«i!t ' tUXt'ti" : ein verehrtes Marienbild , einst von byzantinischen Griechen vor den Bilder- 
stürmern nach Rom geflüchtet und im vorigen Jahrhundert als ein ausgezeichnetes Kunstwerk, ja 
als das vollkommenste Gemälde der heiligen Jungfrau angesehen. 

Ks fehlt also in der griechischen Kirche nicht an griechischen Reminiscenzen : aber die 
Panama von Kosmidion ist eine Römerin, die Theotokos eine Deipara geworden, und die „Maria 
in Cosmcdin" vertritt an dem Apostel Paulus Mutterstelle. Dieses Verhältnis» der beiden alten 
Basiliken gibt Anlass zu mancherlei Combinationen. Der Apostel Paulus ist der Hort und der 
bevorzugte Liebling der Protestanten: mit seiner logischen Conser|uenz, seiner spitzigen Dialektik, 
seinem Predigertalent, seiner Emancipation von Petrus, ja mit seiner eigenen Bekehrung sagt er 
ihrem Wesen ganz besonders zu, und in Rom selbst, an der Via Nazionale, haben sie ihm eine 
evangelische Paulskirche gegründet. Umgekehrt ist die Jungfrau Maria gleichsam der Ausdruck und 
die Verkörperung der schönen, innigen, frommen, heiligen katholischen Kirche, die auf den Felsen 
Pctri gegründet ist. Es drängt sich einem daher unwillkürlich der Vergleich der paulinischen 
Filiale mit der protestantischen Kirche auf, die sich von der römischen Marien - Pfarrkirche 
abgezweigt und ausserhalb der Mauern, fuori le Mura, angesiedelt hat. Wie Petrus Jerusalem, 
so ist Paulus Rom abtrünnig geworden. Der Simon Magus besitzt einen starken Zauber — sogar 
im Tode mag man nicht von ihm lassen : auf dem Wege zur Paulskirche, am Paulsthore und an 
dem Berge, wo die „Vasa electionis" liegen, gewahrten wir den Friedhof der Protestanten. 

Die Parallele ist zu anziehend, um sie nicht noch etwas zu verlängern. Wir erzählten 
oben, dass Pius IX., nachdem er am S. December 1854 das Dogma der unbefleckten Empfängnis* 
verkündet halle, am 10. December mit seinen Prälaten in die Paulskirche zog, um den neuen Pracht- 
bau einzuweihen. Mit ihm war gleichsam die Jungfrau Maria, unter deren unmittelbarem Schutz 
er zu stehen glaubte; mit ihm der Geist der Jesuiten, unter deren Einfluss er so Grosses errungen, 
deren Stifter hier die vier Gelübde beschworen hatte. Nun eben diese Madonna wird mit Bezug 
auf ihre unbefleckte Kmpfängniss in der christlichen Symbolik als der feurige Busch bezeichnet, 
der mit Feuer brannte und doch nicht verzehret ward 12. Mrsc, Cap. 3, 1). 

Die PauLskirche war allerdings kein solcher Busch gewesen. 



ALFANUS TIBI HKRI KECIT VIRGO MARIA 

BT (iKNBTKIX RKGLS Sl.'MMI l'ATKIS ALMA SOI'HVA. 




San demente Romano. 
L 

uellen unserer Religion, freudehell und wie Sternenblickc entspringen sie dem Felsen ! 
— Am 29. Juni des Jahres 67 waren die beiden grossen Apostel hingerichtet worden: 
am 30. Juni bestieg der heilige Linus, als Nachfolger Pctri, den bischöflichen Stuhl. 
Er regierte die römische Kirche dreizehn Jahre und drei Monate lang, bis zum 
23. September des Jahres 80, wo er auf Befehl eines gewissen Satuminus den 
Märtyrertod erlitt ; auf den heiligen Linus folgte der heilige Cletus, welcher unter 
Domitian während der zweiten Christenverfolgung das Ixben lassen musste 
(26. April, 90); nach dem heiligen Cletus endlich kam der heilige Clemens, um 
das Jahr 30 n. Chr. in Rom geboren und daher Romanus genannt, der vierte 
Bischof dieser Stadt und der dritte nach dem heiligen Petrus, Inhaber des heiligen Stuhls neun 
Jahre, cilf Monate und zwanzig Tage lang vom Jahre 90 bis zum Jahre 100, Märtyrer unter 
Trajan, am 23. November 102, im dritten Jahre der Regierung dieses Kaisers. 

Die hervorragende Stellung, welche der erste Clemens, einer der Apostolischen Väter, 
in der Reihe der Päpste einnimmt, die Bedeutung seiner Schriften, welche fast gleichen Anselms 
wie die heilige geniessen, ja von Einigen geradezu den kanonischen zugezählt worden sind, 
veranlasst uns, zunächst das I-egendarium aufzuschlagen und die Acten und Passionen nachzulesen, 
wo sein l,eben beschrieben ist und deren Sammlung von ihm den Ursprung genommen hat 

Als die verfolgte Kirche ihren Glauben mit dem Blute besiegelte, trugen die Christen 
alle Nachrichten über den Tod der Märtyrer aufs fleissigste zusammen. Jede einzelne Gemeinde 
schickte, wenn ein Bekenner seinen Dualen erlag, Briefe an andere Gemeinden; und zu diesen 
Briefen kamen noch verschiedene weitere Documente, namentlich die gerichtlichen Protokolle, die 
sogenannten Akten oder Acta, die Acta Apostolorum, die wir die Apostelgeschichte nennen, und die 
Acta Sanctorum überhaupt. Sie enthielten nicht nur alles, was die Märtyrer und ihre Richter während 
der Verhandlung ausgesagt hatten, sondern auch die Reden derjenigen, welche bei der Hinrich- 
tung ihrer Brüder zugegen gewesen waren, um ihnen Trost einzusprechen und sich selbst auf den 
Tod vorzubereiten. Aus diesen Briefen und diesen Acten wurden dann die I-eidensgeschichten 
der Märtyrer, die sogenannten Passioncs, zusammengestellt, welche jede Kirche aufbewahrte, um 
sie am Jahrestag ihres Todes zur Erbauung vorzulesen. So entstanden die sogenannten Legenden, 
das heisst, die Leben und Tod der Märtyrer betreffenden Lesestücke, und eben von Sanct 
Clemens wird erzählt, dass er während seines Pontificates sieben Notare, die Protonotarii Apostoliri, 
eingesetzt habe, um die Acten der Märtyrer zu sammeln und zu registriren, wodurch jene Marty- 
rologia entstanden, die nachmals zu so ungeheurem Umfange angeschwollen sind. 

Clemens war Sohn des Patriciers Faustus und der Mattidia; der ausgezeichnete Kirchen- 
historiker Tillemont will einen Juden aus ihm machen, doch ist das um so weniger wahrscheinlich, 
als er, wie wir oben bemerkten, constant den Beinamen eines Römers führt Schon in früher 
Jugend nahm er den neuen Glauben an: seine Bekehrung beschreibt er selbst in vierundzwanzig 
Capiteln oder Homilicn eines Buches, welches, unter dem Titel 'Mnftuan in's Griechische 

■ 

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übersetzt, ein Supplement der Apostelgeschichte bildet (Homiliae Clementinae). Der junge Clemens 
macht eine Reise in den Orient, er sieht dort verschiedene Jünger Christi und den heiligen Petrus, 
den wahren Apostel, der seine liebe Noth mit dem falschen Apostel, dem Magier Simon hat; durch 
ihn lernt er Christus als den richtigen, schon in den Erzvätern erschienen Propheten, das 
Christenthum als das echte Judenthum, die Heidenchristen nur als Proselyten des Thores kennen ; 
mit Sanct Peter kehrt er endlich gelauft nach Rom zurück und hilft ihm die katholische Kirche 
gründen. Hin Schüler des Apo6telfürsten und ein Mittelsmann zwischen Juden- und Heidenchri- 
stenthum, wird er lA'Aw'^i) von Paulus in seinem Briefe an die Philipper als einer seiner Mitarbeiter, 
als einer von denen erwähnt, die mit ihm über dem Evangelio gekämpft haben und deren Namen 
im Buche des Lebens verzeichnet sind (Cap. 4, 3). Die Unterweisungen, die er von den beiden 

Theodora, der wunder- 
baren Art wegen, wie 
der heilige Clemens den 
Nachstellungen ihres Ge- 
mahls, des dem Kaiser 
Domitian befreundeten 
Sisinius entging. 

Ein Beweis sei- 
ner pastoralen Klugheit 
ist der berühmte Brief, 
welchen er in griechi- 
scher Sprache an die 
Korinther schrieb; er ist 
von jeher als ein Juwel 
der Kirche betrachtet 
und auf eine unmittel- 
bare göttliche Inspiration 
zurückgeführt worden. 
Ein römisches Gemeinde- 
schreiben, vom heiligen 
Pontifex im Namen der 
Römer abgelassen , um 
in der von Parteien 
zerrissenen korinthischen 

Gemeinde die kirchliche Ordnung herzustellen (A. D. 96). Einige Schismatiker hatten, von 
Neid und Eifersucht getrieben, wackere Priester verleumdet und verhetzt und sie schliesslich 
vom Amte weggebissen; daher hält ihnen Clemens in seinem Briefe die schlimmen Folgen der 
Zwietracht und den armen Verfolgten zum Trost das Beispiel der grossen Apostelfürsten vor, die 
ebenfalls von ihren Neidern unzählige Angriffe zu erdulden hatten, aber endlich die Krone des 
Martyriums erlangten ; er erinnert sie an tausend Auserwähltc , die sich durch die Bosheit 
der Zeit hindurchgerungen, und an zwei ausgezeichnete Frauen Danais und Dircc, die trotz 
schwerer Anfechtungen nicht vom Glauben Hesse» und, schwache Geschöpfe, glorreich 
triumphirten. Die Korinther aber ermahnt er zum Frieden, zum Gehorsam und zur Unterwerfung 
unter ihre gesetzlichen Oberhäupter. Dieser Brief, mit schöner, viereckiger Uncialschrift, ohne 
Spiritus Accente und Wortabtheilung auf Pergament geschrieben, genoss von Anfang an einer 
so hohen Verehrung, dass er bei den christlichen Versammlungen öffentlich vorgelesen wurde, 

190 



Ajvosteln aus ihrem eig- 
nen Munde empfangen, 
die leuchtenden Vorbil- 
der, welche er mit eig- 
nen Augen gesehen hatte, 
prägten sich seinem Her- 
zen so tief tan, da.ss sie- 
ihn nach der Aussage 
des heiligen Irenaus sein 
Leben lang nicht ver- 
liessen. In ihre Fuss- 
tapfen tretend, regierte 
er die ihm anvertraute 
Kirche als ein treuer 
llirte, liess er sich die 
Bekehrung der Ungläu- 
bigen und die Einigkeil 
seiner Gemeinde mit un- 
ermüdlichem Eifer ange- 
legen sein. Unter den 
Seelen, die er dem Chri- 
stenthum gewann , ge- 
denkt die Legende na- 
mentlich der frommen 




Vrtiilmbnn nl 



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nicht blas in der korinthischen Gemeinde, an die er gerichtet war, sondern auch in vielen anderen. 
Man kann ihn heute noch im Britischen Museum zu London lesen; er findet sich in dem Alcxan- 
drinischen Codex, jener wichtigen Bibel-Handschrift, welche der Patriarch zu Constantinopel Cyrillus 
Lucaris 162S dem Könige Karl I. von England zum Geschenke machte (A). Minder berühmt, 
minder authentisch und nur bruchstückweise erhalten ist ein zweiter Brief des Clemens an die 
korinthische Gemeinde in demselben Codex. 

Clemens krönte sein Pontificat durch das Martyrium: Trajan verbannte ihn angeblich auf 
die Halbinsel der Dardanellen, den Thracischen Chersones, wo er um das Jahr 102 in's Meer 
gestürzt ward. Als Märtyrer ist er immer verehrt worden ; unter den heiligen Blutzeugen, deren 
die Kirche seit den ältesten Zeiten beim Messcanon Erwähnung thut. ertönt auch der Name 




Setteoeingug ran S. Ckmte an der Latemutrasvr 



Clemens. Er selbst hatte seinerzeit in seinem väterlichen Hause am Abhang des Caelius ein 
Oratorium gehabt, wo heimliche Convcntikcl abgehalten, geistliche Gespräche geführt und die 
Leviten beherbergt worden waren, und diese kleine, keimhafte Kirche beim Scheiden seinen 
christlichen Brüdern hinterlassen. An der Stelle des clementinischen Oratoriums, wenn man vom 
Colosseum zum Lateran geht, links und halbwegs auf der grossen, von Sixtus V. erbauten Via di 
Sin Giovanni in Laterano erhebt sich die ehrwürdige und alte Basilica, in welcher die Christen- 
heit den Apostolischen Vater anruft, in deren Mauem der Patriciersohn unter Tiberius das Licht 
der Welt erblickte und der seine Gebeine acht Jahrhunderte später zurückgegeben wurden, seine 
Wiege und sein Grab. Im Jahre 867 brachten die beiden Slawenapostel, Cyrillus und Methodius, 
die wunderthätigen Reliquien des heiligen Clemens, die im Schwarzen Meere aufgefunden und in 
Südrussland bestattet worden waren, von den Ufern des Dnjcpr auf einer langen Pilgerfahrt nach 
Rom, allwo sie der Papst Hadrian II. in der Confession der Clemenskirche bergen und den 



191 



Hausbesitzer wieder in sein Haus einsetzen Hess (sedi suac restituit). Der Bibliothekar Anastasius 
wohnte der Feier der Ueberführung bei; er beschreibt sie in einem Briefe, der das Datum vom 
i. April des Jahres 874 trägt; der Constantinus Philosophus, von dem er spricht, ist identisch 
mit Cyrillus, der 869 in Rom starb und selbst ein Grab in San demente fand. So ruhte der 
verbannte Römer endlich in der Vaterstadt und im römischen Vaterhause von den Stürmen des 
Lebens und den Stürmen des Todes aus : hac jacet, konnte eine alte Inschrift am Chore vermelden, 

Hac jacet ecelesia Gemens sanctissimiu, »ei|UOf 
Quem diu ceUivit; 

diese seine Kirche hatte bereits Jahrhundertc bestanden. Der heilige Hieronymus gedenkt ihrer 
schon im Jahre 39 j, fünfundzwanzig Jahre später hielt der heilige Papst Zosimus eine Synode in 
ihr ab, Gregor der Grosse stiftete das anliegende Kloster und predigte darin; seit jener Zeit 
gehörte sie zu den Titeln, das heisst den Haupt- und Pfarrkirchen Roms, die wir oben als 
Cardinalstitel namhaft gemacht haben. Factisch ist sie samt dem Kloster im Besitz der irischen 
Dominicaner, welche von San Sisto Vecchio der schlechten Luft wegen hierher zogen. Aber 
Sant demente erweist sich als ein vielfaches Gebäude. 

IL 

Ein Wunderkind hat einmal gesagt, wenn es in Rom den Ausgrabungen zusehe und 
der Spaten des Arbeiters den aufgehäuften Schutt durchsteche, erscheinen ihm die einzelnen 
Streifen verschieden gefärbter Erde wie die Jahresringe, an denen man das Alter eines 
Baumes erkenne, wenn die Säge ihn mitten durchgeschnitten habe, oder wie die Kohlenlager 
und die Formationen, aus denen die Erdkruste zusammengesetzt sei, und die wir in umgekehrtem 
Vcrhältniss zu ihrem Alter zu Gesicht bekommen. „Kaum einen Fuss tief unter der Erde zieht 
sich, wie im Bergwerke, ein Gang, eine breite Schicht von Asche und Kohlen hin ; das sind die 
Spuren, die Robert Guiscard zurücklitss, als er nach Rom kam, um Gregor VII. gegen Heinrich IV. 
zu schützen. Tiefer dringt der Spaten ein; er durchsticht sechs Jahrhunderte und eine dunkle 
Schicht giebt Zeugniss von der Plünderung des Vandalen Geiserich. Noch ein paar Spatenstiche, 
und nur schmale Streifen grauen Staubes wechseln mit neuen Kohlenlagern. Mit diesem schwarzen 
Griffel hat sich Alarich in das Gedenkbuch Roms eingeschrieben. Nun aber folgt die dichteste 
Lagerung von Asche und Kohlen. Das ist der Brand, den Nero angefacht hatte, um, das 
Flammenmeer vom hohen Thurme überschauend, sich das Lied von Troja's Zerstörung vorzusingen. 
Wir sind angelangt auf dem alten Pflaster; rcissen wir es auf, durchstechen wir einige Zoll 
republicanischer Erde, welche die Zeiten Sullas und der Gracchen mit Blut getränkt haben, und 
wir treffen auf die letzte Kohlenschicht, das Zeugniss des gallischen Brandes." 

Ich wüsste gar kein anschaulicheres Beispiel für diese historische Schichtung aufzutreiben, 
als San demente Romano, wo, wie in Rom die Städte, die Häuser und die Gotteshäuser, über- 
einander lagern, und wo wir mit unserem Spaten alle Perioden der römischen Geschichte eine 
nach der anderen durchstechen. Durch die Ausgrabungen, welche der Reverendus Dominus 
Joseph Mullooly, Prior der irischen I.X>minicaner, seit 1858 mit eben soviel Eifer als Erfolg und mit 
Unterstützung der gesamten christlichen Welt veranstaltet hat, ist unter San Clemente ein dreifaches 
Stockwerk zu Tage gekommen, zunächst ein altchrlstliches, dann ein kaiserliches, zu unterst ein 
republicanisches ; wenn wir gleich einem Bergmann in den Schacht von San demente fahren, so 
treffen wir im Gesenke zwei Mauern, die im rechten Winkel aneinander stossen, mächtige Tuffstein- 
Quadern, die am Caelius selbst gebrochen worden sind, sorgfaltig behauen und gelugt, den servi- 
anischen zu vergleichen, rcpublicanische Fundamente; daran schliessen sich Baufragmentc aus 

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Chor von San demente. 



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der frühen Kaiscrzeit, backsteinemen Materials : drei zusammenhängende Räume, feucht, gleich einem 
Tiefbau mit unterirdischen Wassern angefüllt ; der erste, an dem noch die Reste schöner Stuccatur- 
arbeit ja, in Relief Hippolytus und Phaedra sichtbar sind, mag das Oratorium des Clemens gewesen 
sein, die beiden anderen gehörten zu einem Mithras-Heiligthum : Mithras ist sozusagen der persische 
Christus, ein Gott der Sonne und des materiellen und geistigen Lichtes, dessen Dienst mit mancherlei 
auf die Reinigung der Seele bezüglichen Mysterien in der späteren Kaiserzeit (Heliogabalus war 
selbst ein Sonnenpriester) zu höchster Achtung und weitester Verbreitung gelangte: unbefangene 
Alterthumsforscher haben ihn nicht ohne einigen Grund für die Hauptquelle der christlichen 
Dogmen und Cerimonien gehalten. Ausserordentlich häufig werden wir in den Museen des 



INVICTO MI- 
THRAE) gewid- 
met sind. Nun wie 
Mithras den Stier, 
so opferte Chri- 
stus das Lamm, 
mit dem er sich 
selbst verglichen 
hat; und wie das 
christliche, so fand 
das persische, ver- 
mutlich gleich- 
falls verpönte 
Opfer in unterir- 
dischen Räumen, 
in Höhlen und 
Gräbern (Spelae- 
is) statt, Bildern 
der von Helle und 
Finsterniss be- 
herrschten trüg- 
lichen Sinncnwolt: 
eben das clemen- 
tinische Mithras- 
heiligthum , wo 
man neuerdings 
eine Statue des 

Gottes gefunden hat, ist eine künstliche, mit kleinen porösen Steinen bekleidete Felsengrotte, 
mit einem Altar im Hintergrund und zwei kleineren davor: im Hause des römischen Bischofs 
hat man eben auch den Mithras, sei es nun mit, neben oder im Gegensatz zu Christus 
angebetet und erst spät, nach dem constantinischen Friedensedicte fahren lassen. Damals, im 
im vierten Jahrhunderte war es wohl, dass man auf dem Quaderbaugrund der republicanischen 
Zeit in wechselnden Lagen von Tuff- und Backsteinen eine christliche Basilica aufführte, deren 
Tribüne über das Oratorium des heiligen Gemens zu stehen kam; und nachdem sie im eilflen 
Jahrhundert bei der Plünderung Roms durch Robert Guiscard ein Raub der Flammen geworden 
war, legte am Anfange des zwölften Paschalis II. (1099 — 1118) auf ihren Trümmern und mit 
theilweiser Benutzung der verschont gebliebenen und heraufgeförderten FJemente, zum Beispiel 



Vatican und an- 
derwärts einen 
schönen, orienta- 
lisch gekleideten 
Jüngling mit phry- 
gischer Mütze und 
fliegendem Mantel 
auf der linken 
Schulter sehen, 
der auf einem nie- 
dergeworfenen, 
nebenher von al- 
lerlei Gethier ge- 
quälten Stiere 
kniet und ihm ei- 
nen Dolch in den 
Nacken stösst ; 
dieser, der stier- 
opfemden Sieges- 
göttin nachgebil- 
dete Jüngling ist 
Mithras, der un- 
besiegbare Gott 
der Sonne, dem 
diese Denkmä- 
ler oft ausdrück- 
lich (DEO SOLI 




Inner« von S. ClmcMe. 



des Chors und der Ambonen, einen Neubau an. welcher nun als Oberkirche der alten L'nter- 
kirche entgegengesetzt werden konnte. Diese zweite und obere Kirche San demente war im 
achtzehnten Jahrhundert abermals in tiefen Verfall gerathen, so das Clemens XI. (1700—1721) 
auf eine durchgreifende Wiederherstellung denken musste; aber er verfuhr dabei mit einer 
Mässigung und mit einer schonenden Pietät gegen das ehrwürdige Denkmal des christlichen 
Alterthums, die um so wohlthuender wirkt, je mehr andere alte Basiliken durch ungeschickte 
Restaurationen verballhornt worden sind, ja, der wir einen ungetrübten Einblick in die früheren 
Gotteshäuser überhaupt verdanken Die Basilica des zwölften Jahrhunderts steht in ihrer alter- 
thümlichen, keuschen Schönheit heute noch, und sie ist es, die wir zunächst in Augenschein 
nehmen wollen, indem wir links in der Via di San demente vor das Zechenhaus der Clemen- 
tinischen Grube treten und unserer Methode gemäss von oben nach unten fahren. 

DL 

Man erinnert sich aus dem Religionsunterricht , dass der salomonische Tempel in drei 
Haupttheile, den Vorhof, das Heilige und das Allerhciligste gegliedert war; und man irrt wohl 
nicht, wenn man annimmt, dass diese Gliederung, die sich bei den aegyptischen Tempeln wiederholt 
und die auf eine stetige Steigerung und Rectification des eintretenden Volks hinausläuft, auch auf 
das System der christlichen Basiliken neben der heidnischen Urform von Einfluss gewesen ist: 
die hebräischen Synagogen sind keine Nachbildungen des jerusalemer Nationalhciligthumes, weil 
dasselbe nach dem Begriffe der Juden ül>erhaupt nicht mehr als einmal existiren kann, wohl 
aber uaserc Kirchen, in deren geringster die Gottheit und das Sanctissimum gegenwärtig ist. 
Sie haben alle, kleine Tempel, einen Vorhof, ein Heiliges und ein Allcrheiligstes : der Vorhof, 
wie dort mit einem ehernen Meere, dem sogenannten Cantharus geschmückt, heisst Atrium, 
das Heilige entspricht dem Schiff der Kirche, wo die Gemeinde versammelt ist, das Allerhciligste 
dem hohen, für die Priester reservirten und zur Feier des Altar ■ Sacraments bestimmten Chnrc. 
Namentlich das Atrium, das in früheren Zeiten für ein wichtiges, unerlässliches Glied einer ordent- 
lichen Kirche galt, aber in dem Plan der heidnischen Basiliken nicht enthalten war, scheint uns 
in dieser Hinsicht ausschlaggebend ; allerdings läge es eben so nahe an eine Entlehnung desselben 
vom römischen Privathause zu denken, dem ja ebenfalls und ursprünglich ein Atrium, und zwar 
mit einem Bassin in der Mitte, vorgelegen hat. Die Häuser der Götter müssen der Natur der 
Sache nach im Wesentlichen den Häusern der Menschen gleichen. 

Das ist das Schöne an San Demente, dass hier alle jene Stufen in ihrer Gesamtheit 
übersehen werden können. Wenn wir auf die (Juerstrasse treten, so haben wir zunächst das alte 
Portal der Kirche vor uns. Durch ein vorspringendes Quadrat von vier antiken Granitsäulen, 
die oben je zwei und zwei durch stumpfe Giebeldächer verbunden sind, wird ein Vestibulum 
gebildet Durch dasselbe gelangen wir in ein zweites grösseres (Juadrat, den Vorhof oder das 
Atrium, welches von einer vierseitigen Säulenhalle (Quadriporticus) umgeben und mit Marmorfliesscn 
gepflastert ist. In der Mitte steht das Becken, an dem sich der Gläubige, ehe er in die Kirche 
geht, die Hände, die Füsse und das Angesicht waschen soll: ein heller Brunnen, singt Paulinus von 
Nola, plätschert in den heiligen Hallen, mit seinen Fluthen die Eintretenden zu reinigen: 

Canllunw, inträntunxjuc manu* bvat anuic inimstro 

K|>. 3J xd Nj|ikiu«o f«Tenini; 

auch hier wurde das Wasser mitunter von grotesken Gestalten, von Bocche di Veritä und von 
Löwen ausgespieen, man erinnere sich nur an das Bassin, welches Justinian vor der Sophienkirche in 

'94 



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Constantinopel errichtete und das daher I^öwenquell {Mntifm] genannt wird. Weil bei unseren 
Kirchen das Atrium fehlt, sind die Weihkessel in den Schiffen angebracht. Wer von der kirch- 
lichen Gemeinschaft ausgeschlossen war, musste im Hofe bleiben, auch die Armen lagerten wohl 
in den Hallen des Atriums, der Liebesmahle (Agapae) harrend, wie sie noch heutzutage an 
den Thüren der Kirchen herumzulungern und dienstfertig den schweren Vorhang aufzuheben 
pflegen : die wirklichen und activen Gemeindeglieder traten in das Innere und zwar zunächst in den 



sogenannten 
Narthex (iL 
Nerbice), das 
heisst, einen 
für die Ka- 
techumenen 
und die noch 

nicht zur 
Messe zuge- 
lassenen Pro- 
selyten be- 
stimmten 
Vorraum, 
endlich in die 
richtige Kir- 
che ein. Die- 
selbe hat drei 
Schiffe, aber, 
als eine echte 
Basilica, kein 
Querschiff; 
ihre Länge 
beträgt 4 2 m. 
Das Mittel 
schiff, 1 1,5 m 
breit , wird 
durch sech- 
zehn antike 
Säulen und 
zwei Pfeiler 
von den Sei- 
tenschiffen 




Ambra der Epistel in S. demente. 



geLrennt, un- 
ter denen das 
rechte, 3,5 m 
breit , den 
Männern, das 
linke, 5,85 m 
breit , den 
Frauen ein- 
geräumt war. 
Der Dach- 
stuhl wurde 
bei der Wie- 
derherstel- 
lung unter 
Clemens XI. 
mit einer (la- 
chen vergol- 
deten Decke 

bezogen. 
Aber nur die 
eine Hälfte 
der Kirche- 
Stand der 
ganzen Ge- 
meinde offen : 
die hintere 
gehörte dem 
Clerus . und 
zwar wiede- 
rum zuvör- 
derst der nie- 
deren Geist- 



lichkeit, die sich wie in einem chemischen Processe, gleich einem Sublimate von der flüchtigen 
Masse abschied. 

In dem Parallelogramme, welches die Kirche bildet, wird durch massive Marmorschranken 
ein neues, concentrisches Parallelogramm ausgeschieden, der Chor, welcher, isolirt und unzugänglich, 
mit jenem nur unten an der Grundlinie, da, wo diese von der Mittel- oder Altarlinie in rechtem 
Winkel geschnitten wird, durch eine viereckige Pforte communicirt ; mit dieser Pforte correspondirt 
otarn an der gegenüberliegenden Seite eine kleinere, durch welche man in eine neue Abtheilung, 
das Presbyierium, gelangt ; die Grundlinie des letzteren fällt mit der oberen Schmalseite des Chors 



'95 



zusammen, geht aber rechts und links noch über sie hinaus, rjuer durch die Breite der Kirche; 
die Schranken, welche sie bezeichnen, sind mannshoch. Ausser durch Marmorwände sind diese 
beiden Räume, Chor und Presbyterium, auch durch Stufen vom Vorderraum geschieden ; der Chor 
liegt eine Stufe höher als das Schiff, das Presbyterium drei Stufen hoher als der Chor. Die aus 
viereckigen Marmorplatten zusammengesetzten Schranken sind mosaicirt, übrigens einfach orna- 
mentirt; man bemerkt an ihnen hier und da zwischen zwei Kreuzen ein Monogramm, welches 
Johannis' gelesen und neuerdings auf Johann Vitt {S72 — 882), den Restaurator des Chors, bezogen 
wird. Wir sagten schon, dass der Chor samt dem Mosaikfussboden alexandrinischer Arbeit aus 
der alten, vorpaschalischen Kirche stammt. An den beiden Langseiten des Parallelogramms steht 
links der Ambon oder die Kanzel des Kvanyeliums, achteckig, mit Treppen zu beiden Seiten, vor 
ihm eine gewundene Säule, Trägerin der Osterkerze ; rechts der niedrigere viereckige Ambon der 
Epistel, mit einer TrepjH? und einem dem Altar zugewendeten Lesepulte; ein zweites, dem Volke 
zugewendetes Pult davor war für die Sänger bestimmt 

An den Chor grenzt also das Presbyterium oder Sanctuarium, wo die höhere Geistlichkeit 
sitzt: es ist nicht nur durch Wände, nicht nur durch Stufen, sondern auch, gleich dem jüdischen 
Allerheiligsten, durch Vorhänge den profanen Blicken entzogen; denn schrecklich, 



Inmitten desselben, nach Osten gekehrt und erhöht, steht über den Reliquien des Apostolischen 
Vaters der neue Hauptaltar, mit einem alten Ciborium oder Tabernakel aus Paschalis' Zeit bedeckt ; 
es ist von weissem Marmor und wird von vier Säulen getragen, deren zwei von Pavonazzetto und 
deren Capitälc vergoldet sind. I linter dem Altar, am Gewölbe der Apsis erhebt sich, von weissem 
Marmor und über vier Stufen erhöht, der Bischofstuhl oder die Cathedra, laut Inschrift (Anastasius 
Presbyter S. Clementis hoc opus fecit) im Jahre no8, unter Paschalis 11. von einem Cardinalpriester 
dieser Kirche Namens Anastasius errichtet. So sehr Ist alles in dieser Kirche aus den ersten 
besten Fragmenten zusammengesetzt, dass sogar die Marmorplattc, welche den Sitz bildet, zwei 
grosse antike Buchstaben zeigt. Rechts und links schliessen sich an den Bischofstuhl die Marmor- 
bänke der Domherren an; dahinter und ebenfalls durch Balustraden geschieden, waren 
reservirte Logen, rechts für Mönche, links für vornehme Frauen (Matroneum). In den Ecken an 
den beiden Pfeilern, die sich an die Tribuna anschliessen, stehen zwei einfache Schaubrodtische; das 
gothische Häuschen an der Wand rechts von der Tribuna, ein sogenanntes Paslophorium, hat der 
Inschrift nach ein anderer Cardinalpriestcr von San demente, Jacobus, ein Neffe Bonifatius' V11L 
uoö gestiftet. 

Wie anderwärts ist die Tribuna mit musivLschen Arbeiten geschmückt ; sie gehören der Zeit 
Paschalis', dem Anfange des zwölften Jahrhunderts, mithin dem Ende der zweiten Periode an und 
gliedern sich in die Mosaiken 

1 ) an der Stirn des Gewölbes. Hier sieht man oben in einem Medaillon den I Iciland und 
die vier Evangelisten unter den Bildern der Offenbarung; darunter links die heiligen Paulus und 
I-aurentius, rechts die heiligen Petrus und Clemens; unter Laurentius den Propheten Jesaias, unter 
Clemens den Propheten Jeremias; zu allerunterst endlich am Fuss links Bethlehem, die Stadt der 
Geburt, rechts Jerusalem, die Stadt des Leidens und der Auferstehung Christi. 

2) an der Laibung des Gewölbes. Aus einem Weinstocke, dessen Zweige sich in schnecken- 
förmigen Windungen über die Innenfläche ausbreiten, schiesst ein Krucilix empor, auf dem 
zwölf Tauben gebildet sind, Johannes und Maria stehen ihm zu Seiten. Zwischen den Zweigen 
bemerkt man die vier Kirchenväter, welche den Stuhl des heiligen Petrus tragen: Augustinus, 



wie ein frejjenwiirt'jcei 0<M, 
Krglanjit durch des (Icuölbc* I'uistcmtwc 
In Klaiiiniensi Krif: das Unaussprechlich«. 



196 




Ambrosius, Athanasius und Johannes Chrysostomus ; ausserdem unzählige Menschlein und Vogelein. 
Dem grünenden und blühenden Kreuzesfuss entspringen die vier Ströme des Paradieses, von 
welchen zwei durstige Hirsche trinken; rechts und links sitzen zwei Pfauen; ganz oben erscheint 
ein«: perlmutterartig schillernde Glorie, aus welcher eine Hand hervorragt. Die Pfauen sind 
Symbole der Unsterblichkeit und der Auferstehung, die Hirsche der Menschen, die nach dem 
Sacrament der Taufe schreien, die zwölf Tauben der zwölf Apostel; der Weinstock versinnbildlicht 
die Kirche, die unter dem Gesetze verdorrt und unter dem Kreuze gedeiht — 

Ecclesiam Christi viti simitabimus isti. 
Quam lex arenteiu, Md cjux fach nuenlcra, 

wie leoninische Verse sagen. Den Saum bilden zwei der inneren Wölblinie parallele Streifen; der erste 



enthält das Gotteslamm 
und die Apostcllämmcr, 
der zweite, später über- 
malte, dieselbe Gruppe, 
aber in ihrer wirklichen, 
menschlichen Gestalt. 

Neben diesen mu- 
sivischen enthält die 
Kirche auch eigentliche 
Gemälde, die Fresken, 
womit der toscanische 
Maler Tommaso , kurz 
Maso und pejorativ Ma- 
saedo genannt, ein früh- 
reifes Genie, unter Mar- 
tin V., im Auftrage des 
Cardinaltitulars Gabriele 
Condolmer, nachmaligen 
Eugens IV, die Kapelle 
links vom I laupteingang 
geschmückt hat: da sie 
der Hauptsache nach die 
Passion Christi zum Ge- 
genstand haben, so nennt 




i'\f»nliru,ibc Mk'l 



man die Kapelle „la Cap- 
pella della Passione". Ob- 
gleich kunstgeschichtlich 
nicht ohne Wichtigkeit, 
stehen sie doch an In- 
teresse den merkwürdigen 
Malereien und den un- 
gleich älteren Fresken 
nach, welche an den 
Wänden der Unterkirche 
langsam bleichen und 
deren schlummernde Far- 
ben wir jetzt in tiefer 
Grabesnacht mit dem 
Grubenlicht wecken wol- 
len, indem wir auf breiter 
Marmortreppe , von alt- 
christlichen Inschriften ge- 
leitet, von der Sacristei 
zur ersten Strecke hin- 
untersteigen — o, al- 
ler, unterirdischer Cle- 
mens und ihr verzauber- 
ten Bilder und Schemen 



früher Jahrhunderte, Geister des Bergs, wir grüssen euch, Glück auf! — 

IV. 

Nicht ohne Spannung bereiten wir uns, während die Custoden ihre Fackeln anzünden, 
vor, die mysteriösen Hallen zu betreten, die uns wie ein verschüttetes Pompeji des Christen- 
thums gemahnen ; die acht Jahrhunderte lang den Augen der Menschheit entzogen gcw<rsen sind ; 
wo Gregor VII., der gewaltige Papst, die letzte Messe gelesen hat Eine unterirdische Cultus- 
stätte scheint an sich nichts Ausserordentliches: die Märtyrergräber, über denen man die christ- 
lichen Kirchen anzulegen pflegte, die sogenannten Krypten, wurden gar oft zu umfangreichen 
Kapellen mit zwei und drei Schiffen erweitert, auch sie pflegten durch Treppen vom Langhause 
aus zugänglich zu sein. Aber die alte Kirche, welche 5 m tief unter dem Tempel des heiligen 



•97 



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Gemens langsam modert, lässt sich mit einer Krypta nicht vergleichen, weil beide Gottes- 
häuser niemals gleichzeitig in Gebrauch gewesen sind. Sie war nicht eine integrirende Kapelle 
der oberirdischen Basilica, sondern selbst eine Basilica, ja, die großartigere , breitere und 
weitere Basilica, die beim Neubau des zwölften Jahrhunderts gänzlich abgethan und wie ein 
Todter mit Erde zugedeckt ward. Eben darum verschwand sie nicht von der Bildfläche der 
Stadt, sie sank unter sie hinab und dadurch wurde sie der Nachwelt fast unversehrt erhalten. Es 
ist. als hätte der Ex - Cardinal von San demente , Paschalis, in einer Periode, wo der Krieg tag- 
täglich ein Monument des Alterthums oder der christlichen Kunst in Asche legte, zu sich selbst 
gesagt — da ist auch noch so eine schöne, rechtschaffene Basilica vom alten Stile. Bleibt 
sie stehn, so geht die Zeit unbarmherzig über sie hinweg und lässt keinen Stein auf dem anderen. 
Ich will sie cinbalsamiren wie eine Mumie; ich will sie verstecken wie ein köstliches Samenkorn. 
Ich will sie wie einen Schatz im Schooss der Erde bergen, dass sie? künftige Geschlechter, wenn 
ich einst lange todt bin, sehen und bewundern mögen; dass -einmal im neunzehnten Jahrhundert 
ein gelehrter Ire oder ein wissbegieriger Sohn Deutschlands in Rom an der Eateranstrasse eine 
Unterkirche von San Clcmente finden, des Apostolischen Vaters denken und seinen l-andsleutr-n 
daheim von ihm erzählen könne. 

Dann wird er auch meiner denken des armen, des unseligen Paschalis wird er denken, 
der von Heinrich V., dem Rächer seines Vaters, in die Grube gebracht ward — er hat kein 
Denkmal in Rom — sein Denkmal sei San demente. 

Und er sargte den alten Clemens ein; er liess die marmornen Pilaster und die herrlichen 
Säulen stchn. die Vorhalle und die drei Schiffe zu markiren; er befahl den Estrich zu kehren, 
damit es ordentlich aussehe, wenn der Ire herunterkäme; und die Wände, aus denen heilige, 
bedeutsame Gestalten in Eülle und in bunter Pracht quollen, rückte er /.urecht, Kunstwerke erhaltend 
die, verschiedenen Epochen angehörig, um sieben und mehr Jahrhunderte auseinander, eine reiche, 
complete Gallerie altchristlicher Gemälde constituiren. 

Bedeckt mit ihnen sind sowohl die Umfassungsmauern des Gebäudes als auch diejenigen, 
in welche man bereits vor Paschalb die Säulen des linken Seitenschiffes eingeschlossen hatte. 
Das waren alte Einbauten gewesen ; neue machte Paschalis selbst, um seine Oberkirche zu stützen, 
zu letzteren gehören zum Beispiel die Füllwände zwischen den Säulen des rechten Seitenschiffes 
auf welchen die Ausscnwand, und die langen Mauern, auf denen die rechte Säulenreihe der 
Oberkirche ruht. Durch die Risse des Abputze* hindurch gewahrt man hier und da ein unregel- 
mässiges, aus schlechtem Material hergestelltes und mit antiken Bruchstücken versetztes Mauer- 
werk. Noch andere Einbauten datirrn aus der allerneuesten Zeit, der Zeit der gegenwärtigen 
Ausgrabungen: sie sind an der weissen Tünche kenntlich. 

Wie sich das Auge an das flackernde Grulwnlicht gewöhnt, treten die Bilder mählich aus 
ihrer Dunkelheit hervor. Gleich zitternden Phantassmen, gleich den unsichern Schemen einer Zauber- 
laterne schweben sie hin und her, tauchen sie auf und nieder, nahen sie uns, entfliehen sie uns, 
zerfliessen sie, erstarren sie, bald lieblich und bald strenge, bald wohlbekannt und heimlich, bald 
räthselhaft und befremdlich. Seltsames Bilderbuch! Die Zeit, die Feuchtigkeit hat manches Blatt 
darin vernichtet und unkenntlich gemacht, aber grosse Abschnitte haben sich auch wunderbar 
erhalten. Die hageren, langgestreckten Proportionen, die einfachen, kräftigen Farben, die harten 
Contouren, die gelben Fleischtöne, die grellen Lichter, alle jene Erzeugnisse einer rohen, primi- 
tiven, byzantinischen Kunst dringen hier auf uns ein wie die unverwüstlichen Bewohner der aegyp- 
tischen Königsgräber, als ob sie gestern geschaffen, gestern auf die Wand geworfen worden 
wären. Sic erregen nicht immer unsere Symj»athic, und doch rührt uns die Macht und Kraft der 
jungen Kirche, die Tiefe ihrer Andacht, die Strenge ihrer Entsagungsseligkeit Es liegt ich weiss 

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nicht was Altjüngferliches in diesen Figuren; aus ihnen spricht eine gewisse unfrohe Resignation: 
das I-cbcn gab sich ihnen offenbar nicht leicht Aber dafür athmen sie durchweg jene tiefe 
Grundansicht, die das Christenthum mit der platonischen Philosophie gemein hat und die der 
antiken Freude am Dasein so schroff entgegentritt: — dass man die Welt und was in ihr ist, 
nicht lieb haben soll — dass diese schöne Sinnlichkeit, die uns umgiebt, und der hohe Tag mit 
allen seinen Wundern nur ein Betrug und der wesenlose, verführerische Abglanz einer dahinter- 
stehenden unsichtbaren, ewigen Sonne Ist — dass wir hinieden nicht leben, sondern sterben, täglich 
sterben sollen, dass wir Krankheit und Alter nicht als Feinde fürchten, sondern als Freunde 
begrüssen müssen, die leise und Schritt für Schritt unser unsterbliches Theil von den Fesseln 
des Leibes losmachen, bis es der Tod, der grosse Wohlthäter, endgfltig befreit. 

Es kommt in kunstgeschichtlichen Werken nicht selten vor, dass die Gemälde nicht 
beschrieben, die dargestellten Gegenstände als bekannt vorausgesetzt, dagegen über Entstehung, 
Stil , Manier , Schönheit und Nichtschönheit viele Worte verloren werden : es ist dies keine ganz 



gerechtfertigte und 
unanfechtbare Me- 
thode. Denn nicht 
nur dass der Inhalt 
des Bildes keines- 
wegs für Alle, na- 
mentlich nicht für 
ungelehrte Leute 
wie unsereins ver- 
ständlich ist : ein 

philosophischer 
Kopf wird die Kunst 
überhaupt nur als 
ein instruetives Bil- 
derbuch betrachten, 
das ihm die Wirk- 
lichkeit und die 
ewigen Dinge im 




,cl Marli IlimnulfitirL 



Spiegel zeigen soll 
und über dem er 
den flüchtigen, un- 
bedeutenden Bild- 
ner ganz vergisst. 
Der Künsdcr selbst 
muss hinter seinem 
Zweck, dem Kunst- 
werk, wie ein Gott 
hinter seiner Welt 
verschwinden, und 
wir können ihm 
keine höhere Ehre 
anthun, als wenn 
wir ihn ignoriren ; 
es erscheint uns 
kleinlich, seine Per- 
son in den Vorder- 
dauernden Gestalten 



grund zu stellen und uns lieber mit seinem ephemeren Wesen als mit den 
zu beschäftigen, die er mit seinem Pinsel nachahmt Sogar wie, ob er sie besser oder schlechter 
nachahmt wird uns bis zu einem gewissen Grade gleichgültig sein, weil wir ja durch die Nach- 
ahmung wie durch ein Glas nach dem Originale sehn und uns das Bild nur zum Zeichen dienen 
lassen, mit dessen Hülfe wir uns des Urbildes erinnern: wenn uns das letztere überhaupt in's 
Gedächlniss gerufen wird, sind wir schon zufrieden, wohl wissend, dass auch der höchste Meister 
hinter der Natur zurück bleibt und dass, wie Theseus sagt, „das Beste in dieser Art nur Schatten- 
spiel und das Schlechteste nichts Schlechteres ist, wenn die Einbildungskraft nachhilft" 

Wir werden daher auch hier, bei den Fresken der Gementinischen Unterkirche, wenig 
nach der formellen Schönheit, die Vielen zweifelhaft ist wenig nach der Zeit der Entstehung, über 
welche die Ansichten getheilt sind, dagegen desto mehr nach den inneren Motiven, die ihnen zu 
Grunde gelegen haben, nach den heiligen Themen, von denen sie eine Variation bedeuten, mit 
einem Worte nach den grossen und ewigen Gegenständen fragen, und sie mit Rücksicht auf den 
heiligen Gemens, der von Rechtswegen in ihrem Mittelpunkte steht, nach der Geschichte der 
Stoffe selbst, folgcndcrmassen ordnen : 



'99 



i) Darstellungen aus der Hcilsgcschichte (dem heiligen Clemens vorlaufende 
Periode). Zu ihnen rechnen wir. abgesehen von dfen alttestamentlichen Scenen, zwei bemerkenswerthe 
Bilder der Mutter Gottes. 

a) Maria mit dem Kinde, in einer Nische des rechten Seitenschiffes. Die Madonna 
sitzt unbeweglich, starr, sphinxartig auf dem Throne, en face oder im Vollgesicht, lothrecht unter 
ihr, auf ihrem Schoosse das Jesuskind, welches eine Rolle in der Hand hält, gleichfalls im Voll- 
gesicht Sie hat ein glänzendes, reich mit Edelsteinen besetztes Diadem (man könnte die kleinen 
runden Scheiben auch für Goldmünzen halten, die im Orient bis auf den heutigen Tag zum Schmuck 
verwendet werden), darum herum einen zirkelrunden Nimbus; in dem des Christkindes befindet 
sich als charakteristisches Zeichen seiner Göttlichkeit ein Kreuz. Man hält es kaum für ein Kind : 
sein Antlitz hat etwas eigentümlich Altes und Betagtes; die Madonna trotz der grossen Augen 
und trotz des kleinen Mundes keine hohen Reize, namentlich keine Wärme. Es ist keine Mutter 
mit ihrem Kind, es ist eine aufgeputzte Leiche, die mit kraftloser Hand einen jugendlichen Greis 



umfasst Wir kön- 
nen das Bild, das 
man in das neunte 
Jahrhundert setzt, 
als eine rechte 
Probe des byzan- 
tinischen Stils und 
des byzantinischen 
Kürpertypus be- 
trachten. 

b) Maria 
Himmelfahrt 
(Assumptio, X&ljtf- 
01 { d i. Maria Schlaf). 
Der Glaul>e an die- 
ses Wunder grün- 
det sich auf eine 
Legende, die Gre- 



S Ckmcnlc: Angeblich« Evodia, 



gor von Tours zum 
ersten Mal erzählt, 
gefeiert wurde es 
seit dem achten 
Jahrhundert Die 
Mutter Jesu starb 
angeblich im 63. 
Lebensjahr, am 15. 
August des Jahres 
48 nach Christus, 
welchen sie in ih- 
rem 1 5. Jahre ge- 
boren hatte, zu 
Jerusalem; hier wird 
ihr Grab noch heute 
im Kidronthal ge- 
zeigt, lezteres des- 
halb von den Chri- 



sten Marienthal (Wädi Sitti Maryam) genannt. Die Apostel, die an diesem Grabe standen, hörten drei 
Tage lang über ihm eine himmlische Musik und fanden, als sie Thomas, der bei dem Begräbniss 
gefehlt, den Leichnam zeigen wollten, Lilien statt desselben. Die daraus gezogene Folgerung, dass 
Maria zum Himmel aufgefahren, genauer in den Himmel aufgenommen worden (assumpta) sei, ist 
durch die Kunst so gut wie dogmatisirt worden; und das Frcsco, welches sich an der Wand der 
Vorhalle links befindet, vielleicht die älteste Darstellung davon. Es wurde im neunten Jahrhundert, 
auf Befehl des Papstes Leo Pv r . (SANCT1SSIMUS DOM LEO [Qi:A]RT[US] PP ROMANUS) 
ausgeführt welcher der unmittelbare Vorgänger ihrer Heiligkeit der Päpstin Johanna war; der grüne 
viereckige Nimbus, welcher ihn umrahmt ist, wir wissen es, ein Zeichen, dass er bei Lebzeiten, 
mit andern Worten, dass das Bild in der Zeit von 847 — 855 gemalt ward. Ein schlechtes 
lateinisches Distichon darunter, das kein Klassenlehrer ungerügt durchlassen würde, 
QUOI) HAKC PRAG CUNCTI8 SI'I.KNDRT MCTCRA DRCORK. 
COMPUNKKK HANC STCIH.'It'i'R AKSHVTKK ECCE LKO 

besagt zum Ueberfluss ausdrücklich, dass der Papst, richtiger der Priester 1 Presbyter) Iveo diese 
glänzende Composition habe ausführen lassen, l-eo, wie Clemens ein geborener Römer, befestigte den 



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Vatican und schuf die sogenannte I.costadt (Civitas l-eonina); 84g erfocht seine Flotte bei Ostia 
einen glänzenden Sieg über die Sarazenen, und dieser Steg ist der Gegenstand einas Wandgemäldes, 
das wir in den päpstlichen Wohnzimmern des alten Vaticanischen Palastes antreffen werden (Stanza 
dell' Incendio). Kr, der viele Kirchen in Rom baute, restaurirte auch die Gementina. 

Draussen auf dem Brachfeld ist ein offenes Grab; darum herum stehen die versammelten 
Apostel, ihrem Staunen durch ebenso bezeichnende wie verschiedenartige Geberden Ausdruck gebend. 
Bedeckt mit einem weiten Mantel, welchen sie mit ausgebreiteten Armen emporhebt, die Augen 
gen Himmel gerichtet, wo sie ihren Sohn in einer Glorie von vier Engeln und einer elliptischen 
Aureole sitzen sieht, schwebt die Madonna auf-, die Scene hat ein -Leben und eine Bewegung, 
die in nichts an die byzantinische Kunst erinnert. Dem Papste Leo entspricht rechts der heilige 
Vitus (SCS VITUS), welcher als Erzbischof der alten Stadt Vienne und Primas von Gallien den 
Arianismus niedergeworfen hatte; unfern, neben einer Kreuzigung Christi, erblickt man das Portrait 
des heiligen Prosper (f 463), den Leo der Grosse (440 — 461) aus Marseille berief, um mit 



Augustinus die Irr- 
lehren der Pela- 
gianer (von der 
menschlichen Frei- 
heit und unserem 
auch durch den 
Sündenfall unver- 
lorenen Besserungs- 
vermögen) zu be- 
kämpfen; er ist be- 
waffnet mit seiner 
Chronik, welche sich 
an die des Hiero- 
nymus anschliesst, 
und mit seinem 
didaktischen Ge- 



S, ClettKQlc- Mdaalichcr K.i|< 



tis^ : die Ingrati 
sind diejenigen, wel- 
che die göttliche 
Gnade (gratia) nicht 
anerkennen , die 
Anhänger des gif- 
tigen, von der briti- 
schen Schlange 
(dem britischen 
Mönch Pclagius) 

ausgespieenen 
Dogmas, 

ijuod ptetifem vnmuit 
rolulicr sermone ISri- 
unnus. 

Eis scheint, als habe 
Leo IV. mit diesen 
Anathema csto M imt- 



dichtc „de Ingra- 

Compositionen allen Ketzern der Zeit ein unvergängliches, monumentales 
gegenschleudern wollen. 

2) Darstellungen aus der Legende des heiligen Clemens (Clementinische Zeit.i. 

a) Zwei Köpfe natürlicher Grösse, ein männlicher aus dem vierten und ein weiblicher 
aus dem fünften Jahrhundert, wohl die ältesten Fnsken unter allen, der eine auf einem Stück 
dicken Bewurfes, der andere auf einem dünnen und glatten Abputz, durch welchen man die Mauer- 
fläche hindurchsieht, haftend. Die Frau, an der man die Spuren eines Heiligenscheins bemerkt, 
Lst ein rechter Typus einer römischen Matrone, mit schwarzen Augen, gewölbten Augenbrauen und 
niedriger Stirne, wie man sie heute noch unter dem Volke findet; der Mann gleichfalls ein echter, 
adlernasigcr , starkhalsiger , kurzgeschorener Römer; er erinnert an den Brutus, doch ist das 
Kinn runder und das Auge sanfter und gedankenvoller. Seine Kleidung scheint die der guten 
römischen Zeit, die Farben sind sorgfältig abschattirt Warum könnten das nicht die Eltern des 
heiligen Gemens sein? In der Matrone will man bald Titus' Mutter, Domitilla, die Gemens 
zum Christenthum bekehrte, bald Evodia oder Syntyche erkennen, deren Namen der A|iostel Paulus 
in seinem Briefe an die Philipper mit dem des heiligen Clemens combinirt (Cap. 4, j). 

b) Die Episode Sisinius, die interessanteste, am meisten charakteristische und 



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am hosten erhaltene Nummer in der ganzen Serie, auf einem dicken und breiten Pilaster des 
Hauptschiffes, ganz nahe beim Hochaltar zu sehen, aus dem eilften Jahrhundert stammend. Es 
sind drei Fresken in drei Streifen über einander. 

". Die Inthronisation. Sanct Peter (SCS PETRUS) setzt den heiligen Clemens, 
(SCS CLEMENS PP), dem seine Vorgänger, die Päpste Linus i LINUS) und Cletus (CLKTl'Si 
zur Seite stehen, feierlich auf den bischöflichen Thron (inthronizat dementem). Dieser Streifen 
ist zur Hälfte zerstört; ohne die Unterschriften würden wir kaum das Sujet errathen. Das PP, 
welches wir bereits oben bei Leo IV. fanden, ist vielleicht eine Abbreviatur von Pater Prior oder 
Pastor Primarius oder von Papa selbst, jedenfalls deutet es die papstliche Würde an ; mit einem 
einfachen P bezeichnen sich ja bis auf den heutigen Tag die evangelischen Pastoren. 

ß. Die Vertreibung des Sisinius. Wir sehen in eine Kirche hinein, die, unter 
Anspielung auf die sieben läge der Woche oder auf die sieben Gaben des heiligen Geistes, mit 
sieben Lampen erleuchtet ist; die, welche über dem Altar hängt, hat selbst wieder sieben Dillen, 
unterscheidet sich aber durch eine ampelartige Form von dem siebenarmigen Leuchter, den wir 
auf Seite 26 abgebildet haben. Es ist Messe: auf dem Altar liegt das aufgeschlagene Messbuch 
(Missale), daneben steht der Kelch (Calix) und das Hostientellerchen (Patena); der heilige Clemens 
(SCS CLEMENS PAPA) celebrirt, das Pallium auf der Schulter und bekleidet mit einer Casula, 
die ihm vorn bis an die Knie reicht und ihn gleich einem Häuschen (casula) isolirt, gleich einer 
Hütte deckt; der Künstler hat den Moment gewählt, wo sich Clemens zum Volke wendet, die 
Arme ausbreitet und, das zum Abtrocknen der Hände und der heiligen Gefässe dienende Handtuch 
(Manipulum) über die linke Hand, zwischen Daumen und Zeigefinger geschlagen, ausruft: Friede 
sei mit euch ! Pax Domini sit Semper vobiscum ! — in welchem selben Momente der Heide 
Sisinius (SISlNV), den eine fatale Neugierde in den Tempel getrieben hat, erblindet und er- 
taubt. Seine Schritte sind unsicher, ein junger Diener leitet ihn, von Schrecken erfasst, hinaus. 
Seine Frau, die fromme Theodora (TEODORA), eine hübsche, gelungene Figur, sieht dem 
Vorgang mit gleichgiltigen Augen zu. Links vom Altar kommen zwei Diaconen und zwei 
Bischöfe, ausgezeichnet durch ihre Hiltenstäbe (Peda) und Weihrauchgefässe haltend, mit der 
Tonsur versehen, die im Jahre 633 auf der Synode zu Toledo allen christlichen Geistlichen 
gesetzlich vorgeschrieben worden war: sie stellen Seiner Heiligkeit die Stifter des Gemäldes, die 
Donatoren vor, welche, elegant gekleidet, halb so klein als die übrigen Personen, Kränze getragen 
bringen. Eine Inschrift, welche sich über dem Arabeskensaume hinzieht, stellt sie auch uns vor, 
sie heissen Beno de Kapiza und Maria: 

KCO HKNO DK KAPIZA CUM MARIA L'XORK MKA PRO AMOKK DOMINI KT BKATI W.KMKNTIS 

da der Raum nicht mehr reichte, wurde das Ende des Satzes, dass es Beno de Rapiza 

malen liess, in Säulenform und ohne Vocale, ja mit Weglassung einzelner Consonanten, in rechtem 
Winkel an den letzten Buchstaben von CI.F.MENTIS angehängt: 

Plin]C(c|R|c| F|c'C(iJ; 

ein andermal liest man bei Gelegenheit derselben Formel nicht FEG, sondern FEGT, die dritte 
Person des Vcrbums zur ersten Person des Pronomens (EGO;, eine Freiheit, die der Klassenlehrer 
abermals einem heutigen Tertianer roth anstreichen dürfte. Der Name „Beno de Rapiza'" , etwa 
„Benno von Rübenfeld", weist auf das eilfte Jahrhundert ; in der lliat kennt eine vaticanische Hand- 
schrift, das Register der Benedictincrabtei Farfa einen begüterten Bürger dieses Stadtviertels und 
dieses Namens aus dem Jahre 1080. Die Costümc sind griechisch, die Köpfe durch die Bank 
recht ausdrucksvoll, die Gruppen auf das verständigste angeordnet Die ganze Scene hat eine 
gewisse Aehnlichkeit mit der Vertreibung Heliodors in den Stanzen des Rafael. 

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j>. Der Betrug des Sisinius. Das Gemälde am SockH ist fast r>och merkwürdiger, 
und an den Inschriften könnte unser Klassenlehrer Studien „de vulgari eloquio" machen. Si-sinius 
befahl seinen Schergen, dem Pfaffen die Kehle zuzuschnüren: statt seiner und durch ein 
Wunder irregeführt, greifen sie einen marmornen Säulenschaft Der Heilige ist durch das Portal 
entkommen: man sieht oder hört nur noch, wie er ihnen zürnend nachruft: 

DURIT1AM CUR] HS VESTRIS (sie) SAXA TKARRK MF.RV1STIS 

das heisst etwa: O, du hartherzige Bande! Du verdienst Steine zu schleppen. Die beiden 
Schlepp heissen Cosmaris und Albertel. ALBKRTEL TRAI, Guter Albert zieh! ruft COSMARIS, 
sich umwendend, in seinem Vulgärlatein; er zieht selber aus Leibeskräften, indem er das Seil 
über die linke Schulter geworfen hat; hinten steht ein dritter Sclave und bemüht sich die Last 



an der Basis mit einem 
Stricke aufzuheben : er 
sieht ängstlich zum Him- 
mel auf, weil es gar 
nicht fleckt: Plage dich 
nur, sagt die spottende 
Legende, plage du dich 
nur hinten mit dem 
schweren Pfahle ab, du 
Aas (Caruncula): 

FALl IT. DKRBTOCO U) 
PALO CARVONCKI.I.K 

man wird über ihre 
Derbheit nicht erstau- 
nen, wenn man den Si- 
sinius (SISINIUM , ein 
interessantes Beispiel für 
das Ueberhandnchmen 
des Accusativs) rechts 
selber schelten hört: 
KII.I DE1.K PVTE TRA1TR 
das heisst; Ihr Huren- 
söhne, zieht! — Man 
sieht, diesen Künstlern 
kam es auf drastische 




S. demente: Kpitodc Sttioiiu. 



Wahrheit und auf die 
Sprache des Volkes an. 
Die Stellungen der drei 
jungen Sclaven haben 
viel Leben und viel Ko- 
mik ; jugendliche Gestal- 
ten gelangen den christ- 
lichen Malern gemeinig- 
lich besser als alte, 
Frauenköpfe besser als 
Männerköpfe, Gewand- 
figuren besser als nackte. 

Ihre Ausdrucksweise 
mag befremden , aber 
man muss bedenken, 
dass die Legende des 
heiligen Clemens popu- 
lär geworden war und 
dass sich das Volk nach 
der Andacht zuguter- 
letzt an diesem Säu- 
lentransport wie an ei- 
ner niedrigen Posse er- 
götzen mochte. 

Wir|benutzen den 



Anlass, welchen uns das Mittelbild bietet, hier beiläufig die für den katholischen Priester zur 
Celebration des Hochamts vorgeschriebenen Gewänder zusammenzustellen. Es sind die folgenden : 

I. l>cr Amictus ein viereckiges, weMsleinenes Turh, auch Humerale und Ephod genannt, ein Bild de» Wach- 
samkeit gegen den Versucher. Der Priester kusst es, legt es sich erst auf das Haii]>t, dann um den Hals, mit den 
Worten: Importe, »online, capiü meo galeam salutis ad cxpugnandos dubolkos inrurtus. 

II. Die All ii, ein linnenex Hemd, das Symliul der Reinheit, angezogen mit den Worten: Ifcalba nie. Donünc, 
et munda cor meum, nt in sanguinc agni dcalliarus gaudit» perfniar sempitemri. 

III. Das Cingulum, eine weissseidene Schnur, mit welcher da* Unterkleid gegürtet wird, K.mblcm der Keuschheit : 
Ptaeringe me, Domine, dngulo puritatis et exstingue in liunbis meb humorem libidinis: ut mancat in me virtus con- 
tinentiae et rjutium. 

IV. Das Manipultim, ein Handtuch. Der Priester kusst das cingewichnete Kreux und legt es um den linken 
Arm mit den Worten: Merear, Donüne, portale manipulum rletus et doloris: nt cum exultarione reeipiam merec- 
dem laboris. 



203 



V. Die Stula, eine weissseidene Rinde, ilie, im Ende mit drei Kreiwen versehen, kreiuwcisc Uber beide Schultern 
ml che Brust herabhängt, ein Bild der Rechtfertigung (."hnsti. daher der Priester, indem er sie kiisst und umlegt, 
Gott bittet, er »olle ihm das durch die Silnde der ersten Eltern verlorene Kleid der Unsterblichkeit wiedergeben : Redde 
mihi. Domine, stolam immonalitati«.. rniam perdidi in praevaricatione primi parentis : et pMk indignus arced» ad luum 
lacrum mystcrium, merea» tarnen gaudium «empitcmuni. 

V. Die Carola, das olwnte, mit einem grossen Krem geschmückte Kleid, mit einem Schiit* in der Mille, 
durch welrhcn der Kopf gebleckt wird, ähnlich einem Poncho, oder rirituget einem Joche, daher der Priester beim 
Anlegen desselben folgende Formel braucht: Herr, der du gesagt hast, mein Joch ist sanft und meine Last ist leicht, 
gieb nur deine Kraft, dass ich beides würdig tragen möge (Doiiiine. qui divisti, Jugiim meum suave est et onus meum 
leve : far at istud portarc sie valeam, quod consequar tuam gratiam. Amen}. 

VI. Da* Palbum, ein handbreiter, weisswollencr Kragen, der von den Bischöfen Uber den Ornat gelegt wird. 
Ein Streifen hangt Uber den Rücken, ein »weher längerer Uber die Brust; auf Kragen und Streifen sind sechs Kreuxc 
vom schwarzer Seide aufgenäht. Dieser Schmuck vcrsinnlnldlirhi die Verbindung der Bischöfe mit dem heiligen Stuhle, 
er wird mit dem, der ihn erhalten hat. begraben: »ir werden auf ihn nimckkniiunen , wenn wir die geweihten (HM 
der heiligen Agnes sehen, aus 
deren Wolle er gewebt wird. 



c) Das Wun- 
der am Grabe des 
heiligen Clemens. 
Der Leichnam des hei- 
ligen Clemens war nach 
Cherson gebracht, hier 
beigesetzt und über dem 
Grabe ein Altar errich- 
tet worden, lieber dem 
Altar erhob sich ein 
Tabernakel, gedeckt mit 
groben Ziegeln, wie die 
Kirchen von Ravcnna, 
und mit Gardinen ver- 
hängt, die symmetrisch 
zurückgeschlagen sind ; 
an der Mauer ist der 
Anker befestigt, den man 
dem Heiligen an den 
Hals band, als man 
ihn ertränkte; drei Lam- 



S. Clement«: Wunder am Grabe tlei heil. Clemens. 



pen, Sinnbilder der theo- 
logischen Tugenden, hän- 
gen in vier Arcaden. 
Den Altar verschlang 
das fischreiche Schwarze 
Meer, mit ihm einen 
Knaben (PVER), der 
beim Feste des Heiligen 
zurückgeblieben war. 
Das Jahr darauf, als 
sich die Fluth zurück- 
gezogen hat, findet die 
betrübte Mutter, eine 
Witwe (MVLIER VI- 
DVA), das verloren ge- 
glaubte Kind unversehrt 
an den Stufen des Al- 
tars sitzen : sie kauert 
sich zu ihm nieder, 
es streckt ihr die Aertn- 
chen entgegen ; sie drückt 
es an ihr Herz, esschmiegt 
sich an sie ; es lebt, lebt 



herrlich errettet, und der Clerus von Cherson (CERSONA), der, angeführt von seinem Bischof, 
dazu kommt, wird Zeuge des grossen Wunders. 

... KR BOGE LACKT RKPKTIT Qvi l'REVIA MATER, 
meldet der darunter gesetzte Hexameter. Dieses höchst bemerkenswerthe Krcsco hat nebst einem 
zweiten darüber, welches den Bau des Grabes durch einen Engel darstellte (. . . TVMVLV PARAT 
ANGLS ISTVM) abermals HerrBeno de Rapiza und seine Familie gestiftet: sie ist um das Mcdaillon- 
bild ihres Patrons gruppirt: links steht der Vater (BENO), rechts sein Söhnchen Clemens 
(PVERVLVS CLEMENS), neben letzterem die Mutter (DOMMA - DOMINA MARIA), links von 
dem Donator sein Töchtcrchen (ACTILIA), links von letzterem die Grossmutter (GE . . .); alle 
bringen Kerzen und Kränze Auf dem Schild unter dem Medaillon steht kreuzförmig ein 
gereimter (leoninischer) Hexameter: 

ME PRECE QVKKENTES ES'IUlE NoQVA CAVKNTES 



204 



das heisst: wendet Euch mit Eurem Gebet an mich und seid dann vor Schaden bewahrt; auf 

dem Votivtäfelchen rechts die offizielle, bereits erwähnte Widmung: 

f IN NOMINE UNI ECO HKS»» l>K KAHZA ¥ AMÜRK 
BEAT1 CLEMENTS ET RBDEMPTIONE AMMEB PINGERE PECtT, 

das heisst : Im Namen des Herrn. Ich, Bcno de Rapiza, habe das dem heiligen Clemens zu Liebe 

und um meiner Seelen Seligkeit willen malen lassen. Alles kostbare, für den Sprachforscher wie 

für den Kultur 

historiker 




un- 
schätzbare Do- 
cumente. 
3) Darstel- 
lungen aus 
angrenzen- 
den Legen- 
den, die dem 
Stoffe nach 

verwandt 
sind und ülx-r 
die Gregor 
der Grosse in 
der Kirche 

gepredigt 
haben mag 
(der clemen- 
tischen nach- 
folgende Pe- 
riode). Aus 

d<-r Fülle der 

selben haben 
wir die nach- 
stehenden 
ausgewählt: 
a) Legen- 
den der 
heiligen 
Aegidi- 
us, Bla- 

Witwe, die ihrer Angst einen recht offenen Ausdruck giebt (man bemerkt dies Zeichen der 
Trauer auch bei der Mutter des heiligen Alexius), hat eine Gräte verschluckt und ist dem Ersticken 
nahe : der heilige Bischof rettet ihn vom Tode. Noch jetzt wird er deshalb vom Volke als einer 
der vierzehn Nothhelfer, der sogenannten Yierzchnhciligen bei Halsweh angerufen. 
f. Ein Wolf, der ein Ferkel im Rachen hält, durch einen Acanthusblättersaum vom vorigen 

geschieden. Symbol der unreinen Seele, die in der Gewalt des Teufels ist 
3. Anton in us (S. ANTONIN VSi, Märtyrer unter Diocletian in Nicomedia, der Hauptstadt Bithy- 

niens, deren Kirche auf kaiserlichen Befehl zerstört ward, t 4- Mai 303. Verstümmelt, 
f. Daniel (SCS DANIHHLj in der Löwengrubc, im Gebet und mit ausgebreiteten Armen 



1-cgrmUriictic !>*f«!clluB£»ti I» tief tnlrrkiiifcr vun S. Ormrotr. 



sius und An- 
toninus, an 
den Seitenflä- 
chen desselben 
Pfeilers , wel- 
cher die Epi- 
sode Sisinius 
enthält, aus dem 
neunten Jahr- 
hundert. 

«. Aegidius 
•SCSEGIDIVSi, 
in F rankreich 
Saint Gilles, von 
Geburt ein Grie- 
che, Einsiedler 
an den L'fern 
des Gard , t 
1. Sept 721. 
Verstümmelt. 
,i. Blasius (S. 
BLASIVS), Bi- 
schof von Seba- 
ste in Kappado- 
cien , Heiliger 
und Märtyrer 
unter Licinius, 
f 3. Febr. 3 1 6. 
Ein Knabe, der 
einzige Sohn 
einer reichen 



205 



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zwischen zwei Löwen stehend , die ihm schweifwedelnd die Küsse küssen, beliebtes Vorbild 
Christi, der zur Hölle gefahren ist. Während der Prophet sonst nackend erscheint, trägt er 
hier das elegante und halb kriegerische Kostüm der byzantiner Ritter im neunten Jahrhun- 
dert Der alte Minister der babylonischen Könige hat eine Tunica, einen prachtvollen Gürtel, 
einen gestickten Brustlatz; seine langen, enganliegenden Acrmcl sind mit kurzen Falbeln besetzt, 
Spitzenmanschetten umschliessen das Handgelenk: die spindeldürren Beine stecken in kostbaren 
Kothurnen. An seiner Person ist wahrlich nicht viel zu holen und man begreift die Gier der 
C- fünf I~öwen darunter schwer, welche im Begriff sind zu ihm hinaufzuspringen. Die gezähnte 
Schönleiste mit den Blumenketten zwischen beiden Tafeln ist überaus reizend, 
b) Legende des heiligen Alexius, des sogenannten Gottesmannes (dci^puiiT»i rof- Omw), eines 
Römers, t 17. Juli 418, begraben in der alten Kirche seines Namens auf dem Aventin, welche 
an der Stelle seines Vaterhauses steht. Er lebte zur Zeit Bonifatius' I. und zeichnete sich schon 
in seiner Jugend durch Wohllhätigkeit aus; er ist Patron der Bettler. Nachdem er lange Zeit 
als F.insiedler im Heiligen Lande gelebt, kehrte er in das elterliche Haus zurück, wo er, 
unerkannt und 
von den Haus 
genossen ver- 
schmäht , gute 

Werke voll- 
brachte. Erst 
kurz vor seinem 
Tode gab er sich 
zu erkennen. Auf 
diese 1 lauptbe- 
gebenheiten sei- 
nes Lebens be- 

Pilgerstecken und mit der Reisetasche aus dem Heiligen Lande heim: sein Vater, der 
berittene Senator Euphemianils (EVFIMIANVS) nimmt ihn in seinem Palast unter die Zahl 
seiner Diener auf, am Fenster steht seine Braut, die er, tief von der Vergänglichkeit der 
Welt und ihrer Lust ergriffen, am Hochzeitstag verlies* , um in Wüsten zu fliehn. Sieb- 
zehn Jahre bleibt er im Vaterhaus, gleich einem Odysseus das Gnadenbrod essend und unter 
einer hölzernen Treppe schlafend. 

ß. Alexius liegt auf dem Sterbebett, auf einer Matte an der Hausthür : Bonifacius I. (BONIPHA- 
TIVS) kommt, gefolgt vom römischen Clcrus, den Heiligen zu segnen, auf den ihn eine Stimme 
vom Himmel aufmerksam gemacht hat 

y. Der Papst hat eine Rolle gelesen, die der Sterbende in der Hand hält, seine Autobiographie: 
Eltern und Braut erkennen und beweinen den geliebten Todten ; er liegt jetzt in einem Bett, 
bedeckt mit einer Steppdecke, auf die griechische Kreuze und Tauben in Medaillons gestickt 
sind. Zwei schlechte leoninische Hexameter resümiren das Ganze: 

KON PATER AGNOSUT, MISERER1QVE SIBI POSCIT; 
PAPA TENET CAKTAM, VTTAMQVE KVNTIAT ARTAM. 

Die Legende vom heiligen Alexius, ein schönes Beispiel der christlichen Selbsterniedrigung, 
ist im Mittelalter sehr beliebt gewesen und viel besungen worden; am bekanntesten die mittel- 
hochdeutsche Dichtung, welche Konrad von Würzhurg für «wei baseler Bürger lieferte. Aus- 
führlich behandelt sie Goethe in seinen Briefeti aus der Schweiz; Cardinal Wiseman brachte sie 
auf die Bretter. Unsere Fresken sind von Blumengewinden umgeben, durch welche Vögel flattern; 

20f, 



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ziehen sich drei 
Bilder am dritten 
Pfeiler des Mittel- 
schiffes , die wie 
auf Sarkophagen 
neben einander ge- 
stellt sind; sie stam- 
men aus dem elf- 
ten Jahrhundert. 

a. Alexius (S. 
ALEXIVS) kehrt 
unerkannt mit dem 



über ihnen der Rest eines Heilands, dem die beiden Erzengel, Gabriel (S. GABRIEL) und Michael 
(S. MICHAEL) Weihrauch streuen ; neben letzteren steht links der heilige Clemens, rechts der 
heilige Papst Nicolaus (S. NYCOLAVS). 

c) Legende des heiligen Libertinus, Mönchs im Benedictinerkloster zu Fondi, f 591. 

«. Der Abt von Fondi wirft sich vor Libertinus zu Füssen, der eine unverdiente Züchtigung 
mit unglaublicher Demuth hingenommen hat. Dieser geduldige Libertinus war 
Officicr gewesen. 

ß. Libertinus erweckt in Ravenna ein Kind von den Todten auf. 

y, Libertinus überträgt einer Schlange die Bewachung des klösterlichen Gemüsegartens: 

Begrift von 




S. Clement«: Ijegcude de» heiligen LlljcfttMU. 



dem interes- 
santen Mate- 
rial zu geben, 
welches die 
spät entdeckte 
Basilica dem 

Kirchenhisto- 
riker, dem Ro- 
manisten, dem 

Sittenschilde- 
rcr und Men- 
schenkenner in 
den dunkel- 
stenZeiten bie- 
tet; es ist bei 
weitem nicht 



als nun der 
Dieb kam, 
machte ihn 
die Schlange 
dingfest und 
pfiff dem Li- 
bertinus, wel- 
cher ihm sagte, 
er solle hin- 
füro nicht steh- 
len , sondern 
sich im Kloster 
holen, was er 
brauche. 

Ich habe 
versucht, dem 
Leser einen 

erschöpft Man wird mir die knappe, systematische Form zu Gute halten: es gilt hier nur zu 
sehen und zu lernen. 

V. 

Am Feste des heiligen Clemens, am 23. November, dem Tage, wo der Winter nach dem 
Sprichwort der Italicner einen Zahn ansetzt (Per San Clcmentc il verno mette un dente), ausser- 
dem am 1. Februar und am zweiten Fastenmontag wird die Unterkirche beleuchtet: wie in 
den ersten Zeiten des Christenthums wogt dann in den finsteren I lallen eine andächtige Menge 
auf und ah. Der Tag vorher, der 22. November, ist der Gedächtnisstag der heiligen Caccilia, 
an ihm findet die Beleuchtung der Callistuskatakombcn statt: Blätter sind gestreut, Teppiche 
gelegt, lilicntragcnde Engel schweben von Sarg zu Sarg durch die grausenden Gallonen: im 
tiefen Schoosse der Campagna, an palmenreicher Gruft ertönt das Requiem. Die Fremden wandern 
von der heiligen Caecilie zum heiligen Gemens, der an die hundert Jahre älter ist als sie; denn 
man setzt das Martyrium der Jungfrau in das Jahr 230. 

Wir werden es, treu der Geschichte, umgekehrt machen und nun zum Sebastiansthor hinaus 
auf die appische Strasse schreiten : es ist unser erster Kirchhofgang. Das wunderbare Feld grünt, 
von den herbstlichen Regen erquickt, wie die beblümte Flur, wo die Proserpina geraubt ward; 
ein mildes Licht iiiesst versöhnend und lieblich um die Hügel, Christus zieht mit seinen Aposteln 
unsichtbar über den stillen Gottesacker, der voller Beine liegt Ach, möchten wir mit Jean Paul 



-°7 



ausrufen, vor der Seele, in welcher sich der Morgenthau der Ideale zum grauen, kalten Landregen 
entfärbet hat, und vor dem Geiste, dem auf den unterirdischen Gängen dieses Lebens die Menschen 
nur noch wie dürre gekrümmte Mumien auf Stäben in Katakomben begegnen, und vor dem Herzen, 
das verarmt und verlassen ist und das Niemand mehr erfreuen will — vor allen diesen bleibst 
du, o liebreiche Natur, mit deinen Blumen und Bergen und Quellen treu und tröstend stehen, 
und der Unglückliche erhebt die nassen Augen, damit sie hell und weit auf deinen Frühlingen 
und auf deinen Sonnen ruhen 1 



ffir^frv Die Callislns- Katakomben und die heilige Caecal ia. 

iäj 1 

» U* err , wo gehst du hin? Domine, quo vadis? — So fragte Petrus den Heiland, als er 
ge^vt »' ihm auf unserer Strasse, da, wo sie sich gabelt, begegnete. Der immer wankel- 

" müthige Apostel wollte fliehen; die Christenverfolgung hatte begonnen: ihm bangte • 
Ri vor dem Tode. Aber Christus antwortete: Ich komme nach Rom, um mich abermals 
kr. uzigen zu lassen: venio Romam herum crucitigi. Petrus kehrte um. 

Christus hat angeblich seine zwei Fusstapl'en (piante) auf Marmor zurückgelassen, der 
M.in befindet sich in der Sebastianskirche, und über einer Nachbildung desselben, am 
jSai* Orte der Begegnung, steht die kleine Kapelle Domine-quo-vadis. 

Dergleichen Fusstapfen sieht man viele, zum Beispiel eine des rechten Kusses auf 
dem Oelberg, an der Stelle, von welcher der Erlöser auffuhr: es sind in Wahrheit Grabplatten, 
in den Katakomben und anderwärts gefunden und wahrscheinlich zum Dank für die glückliche 
Vollendung der irdischen Pilgrimschaft gestiftet. Auch die Tafel, welche in San Sebastiano auf- 
bewahrt wird und an der sich die schöne, von Ambrosius erzählte Legende in die Höhe gerankt hat, 
stellt nichts Anderes vor: die siebente Basilica ist über einem der Hauptfriedhöfe erbaut, den 
ersten Katakomben, die seit dem fünfzehnten Jahrhundert „ad Catacumbas" hiessen und von 
welchen dieser unerklärte Name auf alle christlichen Coemeterien übertragen ward. Die Gegen- 
wart einer solchen Grabplatte hat also nichts Auffälliges. 

Wechsel der Zeit! Jetzt ging Sanct Peter an Christi Stelle nach Rom hinein, sich kreuzigen 
zu lassen. Todt und gekreuzigt, zog er abermals zum Capuaner Thor hinaus, um seinen Ver- 
folgern zu entgehn : er wurde nebst Paulus in den Katakomben beigesetzt : und abermals begegnete 
ihm der Herr und abermals machte er Kehrt und über seinem Grabe erstand die Peterskirche — 
und hundertmal hat Petrus Rom verlassen wollen und hundertmal ist er wieder umgekehrt — 
und wenn er heute dem Pilger begegnete und den Pilger fragte : Domine, quo vadis ? 1 lerr, wo 
gehst du hin? — und wenn der ihm antwortete: Ich fahre nach Rom — nach Rom, wo du 
gekreuzigt worden bist ! — möchte er wohl das Herz haben, fortzugehn ? Und wie viele Pilger 
sind es! Sieht man doch hier auf der appischen Strasse nicht Christi, sondern der christlichen 
Völker Fusstapfen, die stromgleich, als ob die Menschheit auf der Wanderung wäre, zur heiligen 
Caecilie und „ad Catacumbas" wallen. 

Etwas weiter, fünfundzwanzig Minuten vom Thore, rechts, wo vier Cypressen ein grandioses 
Monument beschatten, erreichen wir den Eingang zu dem Coemeterium Callisti; das Monument 
war ein christliches, gehörte indessen nicht zu den eigenüichen Callistus-Katakomben, sondern zu 

208 



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einem Seitenquartier der grossen Todtenstadt, das in ihren Verband erst später aufgenommen 
wurde. Jene gingen, wie wir schon früher angedeutet, aus der Familiengruft des alten Sena- 
toren-Geschlechtes, der Clarissimi Caecilii, hervor, deren an Caecus anklingender Name Veran- 
lassung gewesen ist, dass man die Heilige zu einer Blinden und zur Patronin der Blinden machte. 
In diese ihre Kamiliimgruft wurde die heilige Caecilia, vornehmer Leute Kind, gebracht: wenn 
wir bei San demente nach seiner Kalendernachbarin, beim römischen Bischof nach der römischen 
Dame fragen , so werden wir unfehlbar auf den appischen Weg , in das Cubiculum (lentis 
Caeciliac und in die enge Zelle gewiesen, aus der zwar schon zu Caeciliens Zeiten ein christlicher 
Friedhof, mehr noch, ein kleines christliches unterirdisches Rom hervorgesprosst sein mochte, 




Einging xu den C*Uiuiukaukont>cn. 



die aber noch immer als solche fortbestand, ja, die erweitert und durch einen Schacht dem 
Tageslicht erschlossen, heute noch fortbesteht 

Von Niemandem, dem es auf eine elegante Fuhrung ankommt, wie dem modernen Petrus, 
dessen Bekanntschaft wir bei Domine-quo-vadis machen und der uns an der Schwelle des Fried- 
hofs veranlasst, kehrt zu machen. „Ei, ei", sagt er, quo vadis, Domine? „Die Römerin 
ruht auch in Vaters Hause; wie Gemens aus Rassland, so ist Caecilia vom Lande in die Stadt 
zurückgekehrt." — „»Es scheint"", antworten wir, „„die Heiligen hier beschreiben einen Zirkel: 
und wo wohnt die Caecilia?"" — „Sie wohnt in Trastevere." — „„Man sieht noch etwas von 
ihr?"" — „Man sieht ihr ganzes Haus: es ist die Kirche Santa Cecilia." — „„Wer hat sie 
geweiht ? uu — „Der heilige Mann, der ihr Leben geleitet hat." „„Papst Urban?"" „Der- 
selbe." — „„So wäre Caecilia doch erst unter Alexander Severus und nicht schon unter Marc 

209 



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Aurel gestorben, wie Fortunatus sagt?"" — „Halte Dich, mein Sohn, an die Legende, die Dir die 
Kirche in Trastevere erzählt." 

Und «ras erzählt uns diese? 

Folgendes erzählt sie. Es war eine reine Jungfrau, schön, adelig und gottbegabt. Mit 
vielen ihrer Verwandten hatte sie den christlichen Glauben angenommen, während ihre Kitern 
noch dem donnernden Jupiter und der Juno Regina opferten. Und sie kannte nicht allein den wahren 
Gott, der über den Wolken thront, sie diente ihm auch auf eine neue , wundersame Art — sie war 
sehr musikalisch: Tag und Nacht sang sie geistliche, liebliche Lieder und spielte Orgel dazu; sie 
erfand das herrliche, volltönende Instrument Wer erinnert sich nicht des berühmten Gemäldes 
in der Pinakothek zu Bologna, das ein seltener Feuergeist durchdringt? Was die Verklärte in 



der niedersinkenden Hand 
hält, ist eine kleine Orgel. 
Sic blickt zu den Sphären 
auf, die ihrem Spiele lau- 
schen, denn mit ihm ent- 
zückte sie selbst die 
Engel ; es gewann ihr die 
liebe eines Seraph, der 
das Paradies verschmähte, 
um liei ihr zu weilen. Ti- 
motheus, heisst es in der 
erhabenen, von Händel 
componirten Ode auf den 
Caecilientag, Timotheus 

raüed a mortui to Ihc »kies, 
she tirought an angel down. 

Drydeu, iMrundcr't Feuc. 




Vorfallt von Suttm Cecill» in Trattrrrrr 



jungen Edelmanne, zu 
verloben. Die gehorsame 
Tochter fügte sich, aber 
Gottes Schaaren wachten 
über ihrer Unschuld. In 
der Brautnacht flehte sie 
ihren Bräutigam an, er 
möge sie nicht berühren, 
sie sei nicht seine, sie sei 
Braut des Himmels, sie 
gehöre nicht den irdi- 
schen Freuden an. Und 
wie sie bat, zertheilten 
sich die Wolken, ein lich- 
ter Engel schwebte flam- 
mend nieder und hielt 
ihnen beiden eine Märty- 
rerkrone hin. Der Jüng- 
ling staunte : die Lust der 
Entsagung , die süsse 
Schwärmerei der Religion 
ergriff ihn: er befragte 
den alten Bischof Urban, 
auf welchen sich Caecilia 



An dieser himm- 
lischen Liebe hatte Cae- 
cilia genug, sie wollte als 
Jungfrau sterben; anders 
dachte ihr Vater, der 
Senator, der sie zwang 
sich mit Valerian, einem 

berief: er empfing mit seinem Bruder Tiburz das Sacrament der Taufe. Beide Brüder erlitten den 
Märtyrertod zugleich mit dem Amtsrichter Maximus, der mittlerweile von dem wunderbaren Mädchen 
bezaubert worden war ; Caecilia begrub sie alle drei auf dem Friedhof des Praetextatus gegenüber 
den Callistuskatakomben an der appischen Strasse links, dem sogenannten Coemeterium SS. Tiburtii, 
Valeriani et Maximi (14. April 230). Das Brautpaar erblicken wir auf den Mosaiken der Tribüne, 
in einer Tracht, wie sie im neunten Jahrhundert bei den höheren Ständen Mode war. Valerian 
trägt einen weissen Mantel über einer grünen Tunica mit kostbarer Stickerei; Caecilia ein Kleid 
und ein Peplum von Goldbrocat; die Märtyrerkronen, die ihnen der Engel brachte, halten sie in 
Händen. Auf den Weg sind Blumen gestreut und zwei Palmen mit schwellenden Früchten, 
Sinnbildern ihrer Verdienste, reichbeladen, bewohnt vom Phönix, wölben sich zu einem Triumph- 
l>ogen über sie. 

Auch Caeciliens Leben war bedroht: sie konnte es retten, wenn sie Christus abschwor 



210 



und zu den alten Göttern ihres Hauses betete: sie hielt fest am Glauben, Sie setzte sich an 
ihre Orgel; noch einmal verkündete sie das Lob des Herrn in wunderbaren Weisen, dann zer- 
brach sie das Pfeifenwerk und machte sich bereit. Der Praefcct Almachius befahl, man solle sie 
in ihrem eignen Hause, in dem Badezimmer, das heute eine Kapelle der Kirche bildet, auf gute 
Art verbrennen oder ersticken. Umsonst den nächsten Tag fand man sie gesund und munter: es war 
ihr in ihrem Bade so wohl wie einem Fisch im Wasser. Da wurde beschlossen, sie dem Scharf- 
richter zu übergeben: seitdem Paulus' Haupt unter dem Schwerte gefallen war. galt das immer, 
wenn den Märtyrern sonst nicht beizukommen, für das letzte, unfehlbar anschlagende Mittel. Es 
schlug auch bei der heiligen Caecilie nicht fehl, obgleich der Henker seine liebe Noth mit ihr 
hatte : mit aller seiner Geschicklichkeit und Kraft bekam er das schöne I laupt nicht ab, und erst drei 



Tage später, 
freiwilligver- 
liess das Le- 
ben die ge- 
knickte Blu- 
me und zer- 
flossklingend 
in der ewigen 
Harmonie. In 
goldgestick- 
tem Kleide, 
bedeckt mit 
einem seide- 
nen Schleier, 
das blutge- 
tränkte Lin- 
nen zu Füs- 
sen, also wur- 
de sie in ei- 
nen Sarg von 

Cypressen- 
holz, mit die- 
sem in einen 

Marmorsar- 




Vakfiftoui and CftttdlU- Mosaik U Suli Cedll* ia Trateverc 



kophag ge- 
legt und aus 
derHerberge 
hinaus zu 
ihrem Bräu- 
tigam ins fe- 
ste Haus ge- 
tragen (Cae- 

cilienfest, 
23. Novem- 
ber ?3oj. Der 
heilige L'r- 
ban begrub 
sie; sechs Mo- 
nate später 
ging er selbst 
zur Ruhe; er 
ward mit an- 
dern heiligen 
Männern un- 
fern von Va- 
lcrian, Tibur- 
tius und Ma- 
ximus in den 



Katakomben des Praetextatus beigesetzt, die im vierten Jahrhundert auch den Namen Coeme- 
tcrium SS. l'rbani, FelicLssimi, Agapiti, Januarii , Quirini führen (25. Mai, 231). 

Was vergangen, kehrt nicht wieder, aber ging es leuchtend nieder, leuchtet's lange noch 
zurück. Sechs Jahrhunderte schlief Caecilia, gleich einer süssen, in harten Felsen gebannten 
Melpdie ; dann wachte sie wieder auf. Einst, erzählt der Papst Paschalis 1. von sich selbst, einst, 
es war an einem Sonntag in der Morgendämmerung während der Frühmette, sass ich betend in 
Sanct Peter vor dem Grab des Apostel fürsten. Ich hatte gestern in den Katakomben die 
Reliquien der Bischöfe ausgehoben und auch nach den Gebeinen der heiligen Caecilie geforscht, 
aber nichts gefunden. Bekümmert schlummerte ich ein: wahrscheinlich, dass sie mir Astolf, der 
kriegerische Longobardenkönig, bei der Belagerung mit weggenommen hatte. Da erschien mir 
die Selige im Traum. Der stille Glanz der Ewigkeit wob um ihre reinen Züge und sie sprach : 
Was härmst du dich, Paschalis ? Ich bin nicht weit Gestern, als du in die Papstgruft hinabstiegst. 



311 



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bist du bei mir vorbeigegangen. Getröstet erhob ich mich; ich begab mich wieder zum 
Friedhof des heiligen Callistus, suchte in der Nähe der Papstgruft, suchte unverdrossen : und hinter 
den Bischöfen, an der Wand entdeckte ich ein Brustbild des Erlösers, ein Portrait des heiligen 
Urban, die Figur der Jungfrau selbst und darunter in der niedrigen rechteckigen Nische den 
kostbaren Sarkophag. Da lag sie unter ihrem seidenen Schleier, in dem goldgestickten Kleide, das 
blutige Linnen zu Füssen, noch jetzt eine rührende und engelgleiche Schönheit. Vorsichtig liess 
ich sie aufheben, nach Rom in die Kirche tragen, die ich neu gebaut hatte, und in der Confession 
an der Seite ihres gottseligen, gleichfalls wiedergefundenen Bräutigamcs betten (8n). 

Es vergingen acht Jahrhunderte: an der Neige des sechzehnten, 1599, erklang abermals 
der Name Caedlia: Gemens VIII. licss ihren Sarg zum zweiten Male öffnen. Und wunderbar! 




Di« heilige Cacril», iwKlrltlrt tot Strfiin» M*<lernc 



Unschuld und Herzensreinheit feit Menschen noch im Grabe, sie lässt die irdischen Leiber nimmer 
verwesen noch vergehn! I3ic holde Leiche lag anmuthig und sanft, wie sie in den Callistus- 
Katakomben lag, wie sie im Jahre 230 auf ihrem Todtenbette lag — zu Boden auf der rechten 
Seite, das schuldlose, untrennbare Haupt abgewandt und verhüllt, die geschlossenen Knie ein 
wenig eingezogen, die Arme von sich gestreckt und starr als wie in tiefem Schlafe, eine marmor- 
blasse Maid — es war, als horte man ihren Bräutigam, den seligen Valerianus, in der Volks- 
weise klagen: 

Weiss bist du, mein Mägdlein, k.innst nicht wdmet mehr sein, 
Warm lieh ich dich, mein Mägdlein, kann nicht NIMM mehr Mit: 
Ars sie 1odt »rar, mein Magillcin, war viel »erwer «e mich, 
Und ich liebt' sie. ich Armer, viel »timKT dann noch — — 

Aber der fromme Papst Gemens, der eben durch ein Wunder von schwerer Krankheit 
genesen war, wollte nicht, dass dieser Anblick, dieses liebliche Schweigen, dieses junj^fräuliche 

21: 



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Sterben der Menschheit verloren ginge. Kr legte den gebenedeiten Letb in einen silbernen 
Schrein von tausend Pfund Gewicht, doch der Bildhauer Stefano Maderno, der bei der ( )cffnung 
des Sarkophages mit vielen Koryphäen der Wissenschaft zugegen gewesen war, musste ihm die 
marmorblasse Maid in Marmor wiederholen, und in weissem Marmor liegt sie (prorsus eodem 
corporis situ) in der Nische unter dem Hochaltare, ein rührendes Bild weiblicher Anmuth, weib- 
licher Ergebung, weiblicher Heldengrüsse, zart und hingeseufzt wie zitternder 1 larfenton, unfassbar 
wie ein Hauch. 

II. 

„Gehe", so sprach die heilige taecilie zu ihrem Bräutigam Valerianus in der Brautnacht, 
„gehe auf die appische Strasse bis zum dritten Meilensteine: dort wirst du arme Bettler rinden, 
welche die Reisenden um milde Gaben bitten. Ich habe ihnen immer gegeben und sie kennen mich 

einen Wachsstock und 
beim Generalvicar auf der 
Via della Scrofa, bei der 
„Commissione delT Arche- 
ologia Sacra" eine Ein- 
trittskarte holen, die übri- 
gens neuerdings nicht mehr 
gefordert zu werden pllegt. 

Die Via della Scrofa 
hat ihren Kamen von einer 
steinernen Sau (scrofa), 
die daselbst eingemauert 
ist. Dieses Thier, das 
Mutterschwein von Alba, 
welches dem Aeneas die 
neue Stätte seiner Nieder- 
lassung anzeigte, spielt in 
der Urgeschichte eine grosse Rolle, man sieht es häufig abgebildet; die römischen Münzen hatten 
vor der Wölfin, die erst auf Quadranten des fünften Jahrhunderts erscheint, auf der Bildseite 
eine Sau. Sie mag uns hier als ein Symbol der Roma Subterranea und des neuen Reichs 
erscheinen, das im Innern der aufgewühlten Erde gegründet ward. 

In den Gräbern, die der Todtengrälwr Diogenes (DIOGENES. FOSSOR. IN. PACE. 
DEPOSITl'S. OCTABV. KAI. ENI US. OCTOBRIS) mit den Eben m mner rechten Hand und 
den Schlägeln, Hämmern und Hebeln um ihn herum beim Scheine des Grubenlichts gewühlt hat: 
er war ein Christ, auf seiner Tunica bemerkt man die griechischen Kreuze, welche, aus vier 
grossen Gamma's (T) zusammengesetzt, unter dem Namen Gammadia (payitfte) bekannt sind; 
Tauben, Sinnbilder des Glaubens, sitzen über ihm, sogar das Geleucht, das er in der linken Hand 
an einer Kette trägt, hat Taubenforrn ; er ist in den Katakomben begraben, die wir eben besuchen 
wollen, und wir entnehmen ihnen sein Portrait. 

Er hat brav gearbeitet, der alte Maulwurf Diogenes: er hat ein vielstöckiges Labyrinth 
von Schächten abgeteuft — er hat an den Wänden unabsehbare Grakstelten und tausend 
Kämmerchen eingehaucn — er hat mit Eisen und Schlägel ganze Gewölbe und Kirchen 
ausgehöhlt. 

M 

213 



wohl. Grüsse sie und 
sprich: Uaecilia schickt 
mich, ihr sollt mich zu dem 
heiligen Greise L'rban 
bringen, ich habe ihm et- 
was zu bestellen." 

Man sieht, der hei- 
lige Stuhl stand damals 
in der Roma Subterranea, 
und wie Valerian im Jahr 
230 von der heiligen Cae- 
cilia zu den Katakomben 
hinausgeschickt worden ist, 
so werden auch wir jetzt 



in 1 raste vi 



re unsert 



Reise 



in die Unterwelt antreten 
und uns nur noch vorher 




Der TiiiHcuctMiei |)li>£mx. 



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Die Stollen oder Gänge, welche meist sehr eng, durchschnittlich 0,8 m breit sind , heissen 
Ambulacra; die Grabstellen, länglich - viereckige Nischen ungleicher Grösse, welche durch Stein- 
platten oder Terracottentafeln geschlossen wurden, heissen l-oculi ; die kapellenartigen Räume, zu 
denen sich die Corridore erweitern und die mit der Zeit als Versammlungsorte des Cultus benutzt 
zu werden pflegten, theils Familien-, theils MärtyrergrüUc, den Oertern eines Bergwerks zu 
vergleichen, heissen Cubicula. 

Die Cubicula sind durch Sarkophage ausgezeichnet, welche an der Hinterwand, der Thür 
gegenüber in einer Nische stehen. Diese Nische ist entweder viereckig, in Form den Loculi ent- 
sprechend, doppelt so hoch als der längliche, in den lebendigen Felsen eingehaucne oder an der 
Wand aufgemauerte Sarkophag, dessen schwerer Marmordeckel einen Tisch bildet: dann nennt 
man ein solches Grab ein Tischgrab (Sepolcro a mensa, Table-Tomb). Oder die Nische ist oben 
halbkreisförmig abgeschlossen und der freie marmorne Sarkophag von einem Triumphbogen über- 
wölbt: dann nennt man ein solches Grab ein Bogengrab (Arcosolium). Letzteres ist die häufigere 
und die ältere Form. 

Meistentheils dienten die Sarkophage zu Altären, doch finden sich auch besondere Altar- 
tische. Zur Abhaltung des Gottesdienstes mussten natürlich in den kellerartigen Räumen Lampen 
und Kerzen angezündet werden, und dieser Gebrauch erhielt sich auch später in den Kirchen, 
um so mehr, als in ihnen noch immer ein mystisches Dunkel herrschte; und wenn seihst in den 
hellen protestantischen Gotteshäusern bis auf den heutigen Tag heim Abendmahl die Altarkerzen 
brennen, so ist das eine Erinnerung an die römischen Katakomben und an die Zeit, wo die ersten 
Christen ihre heiligen Mysterien in Gräbern zu feiern pflegten, 

Auf diese Weise wechseln also im System unseres Friedhofs Nischen mit Sarkophagen, 
Reihen einlacher Wandschränke mit möblirteti Zimmern, G rabsteilen , die gleichsam gar keinen 
Raum einnehmen , sondern in den Ulmen und Stössen der Stollen selber ausgespart sind, mit 
Grabcapellen und wirklichen Grüften ab: es ist dies beiläufig das System aller italienischen 
Campi Santi. 

Wenn wir uns den stehenden und alten Vergleich der Friedhöfe mit Coemeterien oder 
Schlummerstätten zu nutze machen, so gelangen wir zu einer besonders klaren Anschauung der Sache. 
Fin Jeder von uns hat wohl einmal die Kajüte eines Schiffes gesehen. An den Seitenwänden 
derselben rechts und links unil reihenweise übereinander befinden sich die sogenannten Kojen, in 
welche die Fassagiere hineinsteigen, wenn sie zu Bette gehen. Die Gänge in den Katakomben 
entsprechen ziemlich genau einer solchen Schiffskajüte: man wolle lieber an die zweite als an die 
erste denken, weil sich die Kojen in der zweiten unmittelbar nach der Kajüte zu öffnen. Die Koje 
ist die Grabnische, der Passagier, der darin liegt, der Todte, der aus dem kleinen Sterbebette 
in's grosse Bette aller Menschen getragen ward, der rothe Vorhang, den der Schläfer vorgezogen 
hat, die Marmorplatte, hinter welcher der Pilgrim "in pace rei|uiescit\ Die Grabcapellen dagegen 
entsprechen den Schlafstuben, weicht; der Passagier bewohnt, wenn er an's Land kommt und in 
einem Wirthshaus einkehrt, die Sarkophage, die darin stehen, unsern Betten und Bettstellen; und 
da sie nicht frei und unbedeckt an der Wand, sondern in viereckigen oder bogenförmigen 
Vertiefungen in der 1 linterwand stehen, so können wir diese Vertiefungen mit unseren Alkoven 
vergleichen: das arabische Wort 'al-kubbe', welches dem Fremdwort zu Grunde liegt, bedeutet 
ursprünglich ein gewölbtes Gemach, und das stimmt trefflich zu einem Arcosolium. Zuweilen 
wurden auch an den Wänden der Schlafstuben noch Kojen und Bettschränke ausgebrochen, so dass 
beide Methoden combinirt erscheinen, und das ist eben bei der berühmten Kammer der Fall, 
welche, nur durch einen Corridor von der Caecilischen Familiengruft getrennt, die erste Erweiterung 
derselben, das erste Entwickelungsstadium der kleinen Zelle darstellt; die im zweiten und dritten 



214 




Jahrhundert die Metropole des entstehenden Kirchenstaats und das Centrum der päpstlichen 
Administration gewesen ist; und in welcher der geistliche Herr der Welt in tiefer Abgeschiedenheit 
damaLs sitzen und arlieiten mochte, als die heilige Caecilia ihren Bräutigam Valerianus zu ihm aul 
die appische Strasse schickte, sprechend: „Mein Lieber, gehe zum Capuancr Thorr hinaus bis zum 
dritten Meilensteine. lOort wirst Du Arme finden, die um Almosen bitten. Ich habe ihnen immer 
gegeben und sie wissen um mein Geheimnis*. Sie werden Dich führen und zu dem heiligen Greise 
l rban bringen ; mein Freund, lass dir rathen, habe die Sonne nicht zu lieb und nicht die Sterne, 
folge ihnen ins dunkle Reich hinab." 
Das war die Papstgruft. 




s. Marl« i* Tra»ls*crc. 



Die unmittelbaren Nachfolger Petri waren in den unterirdischen Thon- und Sandgruben 
des vaticanischen HügcLs hinter dem neronischen Circus, auf seiner Märtyrerstätte begraben 
worden ; diesen alten Begräbnissplatz nennt man die Memoria Petri Apostoii ei scpulttirae 
episcoporum in Vaikano. Als derselbe aber gegen Ende des zweiten Jahrhunderts durch 
kaiserliche Neubauten bedroht zu werden anfing, cedirte die vornehme Familie der Caecilier 
der christlichen Kirche in der Nähe ihres Erbbegräbnisses ein Stück Land , um daselbst einen 
Friedhof, zunächst eine Ciruft für die römischen Bischöfe anzulegen. Es war im Jahr 1 98 : auf 
dem heiligen Stuhle sass eben Zephyrinus, und der übergab die Sache einem gewissen Calli- 
stus, einem etwas anrüchigen Patron, einem Schwindler, der, als Diener eines reichen Christrai 
eine IX"positenbank gegründet, Bankerott gemacht hatte, durchgegangen, arretirt und zur Stampf- 
mühle verurtheilt, aber auf Fürbitte der armen Kunden begnadigt worden war; aus Dankbarkeit 

«S 



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1 



ward er fromm und ein Antisemit, dafür abermals vor Gericht citirt und zur Deportation nach 
den sardinischen Hütten- und Bergwerken verurtheilt, aber bald darauf auf Fürsprache der Mai- 
tresse des Kaisers Commodus, der schönen und christenfreundlichen Marcia, abermals begnadigt; 
worauf ihm eben Zephyrinus die Stelle eines Friedhofsinspectors gab. Dieses Amt, zu welchem 
ihn die in Sardinien erworbenen Kenntnisse vorzüglich befähigten, verwaltete der geschickte 
Mann recht gut; nach Zephyrinus' Tode (217) erwählte ihn ein Theil des Presbyteriums zum 
Papst, während ein anderer den heiligen Hippolytus als Candidat aufstellte: als solcher nahm 
er den Namen Calixtus') an; er war ein eifriger l'nitarier und Gegner der später orthodox 
gewordenen Lehre vom Logos als zweiter Person der Gottheit, welche Hippolytus vertrat; in 
diesem Sinne hatte er schon die Fresken der Sacraments- Krypten in unsern Katakomben 
coneipirt, die vorzugsweise von johanneischen Anschauungen getragen werden. Im Jahre 223, 
am 14. October. wurde er das Opfer eines Volkstumultes in Trastevere; er flüchtete in ein 
Haus, die gegenwärtige Kirche San Callisto, wurde aber ergrimm, gesteinigt und in den noch 
heute sichtbaren Brunnen geworfen. Der Nähe wegen brachte man ihn nun gar nicht einmal 
in seine Katakomben, sondern in das Cocmetcrium Calcpodii an der Via Aurclia, der grossen 
Küstenstrassc , welche Rom auf der Höhe des Janiculums verliess. Wie jener konnte er sagen: 

Sic vos non vobis mcllifkatis , aj«», 
Sir viis non vuliis ntdtfu'atis , ilvck. 

Während seines PontiiicaLs erbaute er in Trastevere, über einer zu Christi Geburt hervor- 
gebrochenen Erdölquelle , dem symbolischen Vorbild des welthistorischen Ereignisses, die uralte 
Basilica S. Maria in Trastevere, die Oelheim (Fons Oloi) genannt wird. Unsere Abbildung 
zeigt den Platz vor dieser Kirche, den ein Springbrunnen schmückt, und die Vorderseite der 
selben; in der Hohlkehle bemerkt man ein altes Mosaik, die Mutter Gottes, zwei Bischöfe und 
die zehn klugen und thörichten Jungfrauen des Evangeliums (Matthäi XXV, 1) darstellend; in den 
Händen der vier Bildsäulen auf der Ballustrade das päpstliche Kreuz. 

Doch zurück zu der Schöpfung, durch die der Name Callistus vorzugsweise jKipulär 
geworden Ist und die er seinerzeit durch das Oratorium S. Callisli in arenariis auszeichnete. Ich 
weiss nicht, wie er sich das .Cubiculum Pontificium' gedacht, ob er es zunächst nur für den regie- 
renden Papst, für Zephyrin, bestimmt, oder ob er von Anlang an alle Päpste darin hat unterbringen 
wollen. Als eine unregelmässige, 3,5 m breite, 4,5 m lange Capelle enthielt die Papstgruft 
offenbar ursprünglich nur einen einzigen Sarkophag, der wie gewöhnlich an der Rückwand in 
viereckiger Nische hinler dem Altartische stand, und dieser den Leichnam des Papstes Zephyrinus, 
an dessen Stelle sj>äter der des heiligen, in den Praetextatus- Katakomben niedergemachten 
Papstes Sixtus oder Xystus kam (6. August 258). Jedenfalls hat man die Gruft erst in der Folge, 
als man noch andere Päpste zu begraben hatte, auch zu ihrer Aufnahme eingerichtet. Man tiefte 
zuvörderst unten je zwei Nischen für neue Sarkophage auf ebener Erde aus, und als auch diese 
nicht mehr reichten, half man sich, an den Wänden aufwärts gehend, mit einfachen, weiten, durch 
breite Bänder von einander getrennten Bettschränken in Form der Loculi. Wir haben schon bemerkt, 
dass dieselben wie Schmarotzer auch in andere Grüfte unorganisch eingedrungen sind. Wir 
zählen ihrer zwölf (2 x 2 x 3). Auf Bruchstücken vierer zum Verschluss dienenden Marmorplatten 
lesen wir noch in griechischer Schrift die Namen vierer Päpste des dritten Jahrhunderts, der 
Bischöfe ('Eni**«™); 

1) Die onpruneliche Form ist oh« Zweifel fkji— - KtOmit, et«. *> .icl wie ««, Seh.*. Atu CUUu« wurde, lade, 
da» i wie bei Uli«c (flytsa) oder wie bei Xy*tt» (SUtu) in , auuutcte, ( »lli.i«. fMW* n* MMH| Call», Kelch, OdkWU. 
Audi im Ponugiesi.chen uad S,.»niicheu Badet ei» lVt« t .u K ,Ur. lulrioi*hcn » In » M*tl , ,Uk* «inmt r. dort die Au.«nradw rilio l»cUe» 
Zi-Knluutes, hier eiaei hloaea Hauche» i» (.nun. IM« - Mcvdu, |«.rt. NA* - FmW). 

216 



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Anten« {\JS}TEPSO. 
Mim (+.1B\l\...1S0Q, in «rt-i 
Lucius (\.I\01KIC\, enrtc.RdhC rechts. 
Kulyrhianis (KrrrX[USOC\), creic 

Dagegen wurde der Papst Cornelius (f 253) in den Krypten der Lucina, einem ursprünglich 
selbständigen, aber nachmals mit den CallLstus- Katakomben verbundenen Cocmeterium, zu welchem 
das Monument am Eingang gehört, und Papst Eusebius ff 3°9) m ^ ner eigenen Grabkammer der 
Callistus - Katakomben (Area III) beigesetzt, was damit zusammenhängen mag, dass beide in 
der Verbannung starben, ihre Leichname erst später nach Rom gebracht und nun von Verwandten 
reclamirt wurden. Der letzte in dem Cubiculum Ponlificium bestattete Papst war Miltiades oder 
Melchiades, mit dem zugleich die erste Periode des Papstthums schliesst (f 3>4)- 

Nach den vornehmsten unter den genannten Päpsten und Märtyrern, zu welchen noch der 
hervorragende Kirchenlehrer und Gegenbischof des Callistus, Hippolytus, gerechnet werden muss, 
führt der ganze Friedhof in alten Zeiten den Namen Coemeterium Lucinae Zephyrini Callisti Hip- 
polyt, und vom Papst 
seit dem vier- Damasus zu 
ten Jahrhun- ^<*S^ ^Oo >v Ehren Sixtus' 
dert die Na- ^ ' ( ' Pn0 ^ 
sti; S. Caed- zierlichen Un 

sti etComclii. /V^r^ '^f lwn ' we ' cne 

Eine schöne ff im* ' \ MV ' " S ' '"' 

metrische In- ff/m v -"^lS T * )er Pni,oca " 

schrift an der ^^u^^hb Iiis eigens für 

Rückwand, \ V die römi- 

gegen Ende sehen Epita- 

des vierten " 0nlhMj . yulmi ^ Amaoümm _ phia erfand. 

Jahrhunderts den Literae 

Damasinae, geschrieben, lässt uns keinen Zweifel, dass wir in der That „inter episcopos", „ad S. Sixtum 
et S. Cacciliam" stehen: wir würden es schon aus den Gebelen und Ausrufungen, den sogenannten 
Proscinemen (jifOi-xr»'w<rer<*) entnehmen können, die auf dem Wege dahin in fast verwirrender 
Menge von andächtigen Pilgern an den Wänden eingeritzt worden sind. 

MIC 1ATKOR DAMASUS VOl.lU MKA CONDERB MK.MHKA, 
SKD CINKRES TIMC1 SANCTOS VKXARK l'IORUM. 

Wenn der Priester, an dem vierbeinigen Altartische stehend, tief von seines Amtes I leiligkeit 
durchdrungen, die Mysterien des neuen Glaubens feierte und in dem finstern Räume an den Gräbern 
der ersten Bischöfe ein Volk auf Knien lag; wenn die Lampen brannten, die Wände von 
Marmor schimmerten , und die Pfeiler der unterirdischen Kirche ein fernes, übersinnliches, höheres 
Gottcsrcich zu tragen schienen, wie majestätisch, wie gross, wie unter der Erde überirdisch mag 
sie gewesen sein, die Papstgruft ! — Gegenwärtig steht sie leer wie eine längst geräumte Wohnung ; 
die Loculi klaffen gleich ungemachten Betten, gleich ausgenommenen Nestern dem Eintretenden 
entgegen: abgebrochene Säulen, Fragmente von Marmorschranken, kümmerliche Reste von Krag- 
steinen und Pilastern liegen wüst und unordentlich umher: der Stuck, der die kahlen Tuffwände 
überzog, ist abgefallen, der Altar umgestürzt, der Bischofsstuhl in Trümmern — so schauerlich wie 



217 



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in dieser Papstgruft muss es aussehen, wenn dereinst Gottes Sturmwind über die Lande fährt, die 
Riegel des Todes aufgerissen und die Leichen wie Spreu auf der Tenne gefegt und geworfelt 
werden - wenn die Berge auseinanderliefen, tlie Gräber, von Jehovah's Hauch befruchtet, kreissen 
und Krd und Himmel in Feuer und Rauch zergehen — wenn die allmächtige Posaune des Welt 
gerichts erdröhnt — — 

IV. 

Was ist das für ein Klan«? Welch eine bezaubernde Melodie! Wer erklärt mir das 
ausserordentliche, unerhörte Wunder? — 

Zwischen Bäumen, die sich zu ihm neigen, eine Leier in der linken Hand, mit dem 
rechten Kusse Tact schlagend, sitzt ein junger Mann: er trägt eine phrygischc Mütze und einen 
losen Kittel, enganliegende Beinkleider, hohe Schuhe; und die wilden Thiere stehen um ihn herum 
und lauschen : Löwen, Tijjer, Pferde, Füchse, Schlangen, Schildkröten, Pfauen und andre Vögel - 
die drei Naturreiche drängen sich um den schönen Wunderknaben, von seiner Töne Macht gefesselt, 
von seiner Stimme Lieblichkeit überwunden, in seiner Harmonien goldnen Strom verloren — es ist, 
als ob der Gesang der Sphären über ihm stille stände, um ihn nicht zu stören 

Und er spielt ihnen auf und sinjjt ihnen von dem tiefen Mysterium — von dem himmlischen 
Frieden und dem neuen Jerusalem mit schaudernder Hand fährt er über die Saiten und greift 
unbekannte herrliche! Accordc und hebt an: 

Wie wird'» »ein, wie wiid's sein. 
Wenn irh sich' in Salem fini- 
ta dir Stadt der goldnen (iasvn 
Herr, mein Colt, ich kann» nicht fassen. 
Wa» da» nird iut Wutine »ein! 

Siehe, da schlagen die Todten in ihren Betten die müden Augen auf; von den süssen Tönen 
geweckt, regen sich die bekränzten Schläfer und stützen sich auf und horchen — und der 
Sänger fährt fort: 

Paradies, l'aradics, 
W ie i»t deine Frucht 10 »ü»»! 
Unter deinen l-i'iH.'nstaumtn 
Wird um. sein, ait oh wir träumen. 
Illing uns. Herr, ins Paradies! — 

Er hält abermals inne: das Licht des Himmels blüht auf seinem Angesichte, und wer es erblickt, 
in dem zergeht die Qual der Erde — es ist kein irdischer Tonkünstler, es ist ein Künstler über 
alle Künstler — tts ist die selige Erfüllung der Weltgeschichte-, tias Wort des I .ehensräthseJs — auf 
solchen Spielmann weisen stumm und bedeutend lausend silberne Gestalten, die zurück in dämmernder 
Feme stehen, die wie unbewusste Boten um ihren Meister schweben, in denen er sich gleichsam 
rückwärts spiegelt — die jetzt im Chor in seinen Gesang einstimmen, wenn er zum dritten 
Mal beginnt: 

Soiacs Lieht, «usves Licht, 
Sonne, die durch Wolken (»rieht! 
O, wann ueid ich dahin komnu-n, 
l>as* ich dort mit alten Frommen 
Schau dein holdes Angesicht — — 

Das ist Orpheus, der Vorläufer Christi, und wir haben ein Bild beschrieben , welches die 
Decke eines Cubiculums in den Callistus - Katakomben schmückt: der mythische Sänger, der mit 
den Klängen seiner Leier Löwen und Tiger bezaubert, füllt das achteckige Mittelfeld des Plafonds, 

218 



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Deckengemälde aus den Callistus- Katakomben. 



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die acht darum herumliegenden Trapeze enthalten abwechselnd Paradieseslandschaften und vor- 
bildliche Scenen aus dem alten und dem neuen Testament. Der Orpheus ist das einzige Sujet, 
welches die christliche Kunst der classischen Mythologie zu entnehmen wagte: der Rest war 
verpönt, die allen christlichen Schriftsteller wurden nicht müde, sich über ihre angebliche Unreinheit 
zu verbreiten. Bereits in den frühesten Zeiten wurde C.)q»hcus 1 Gahe, die wilden Thiere zu 
zähmen. Steine und Bäume zu bewegen und gleichsam das Universum zu elektrisiren , als typisch 
für die Allmacht des Evangeliums betrachtet, welches die Stürme und die wüsten Leidenschaften 
des Menschenherzens sänfligt, die haderndem Parteien beschwichtigt und versöhnt und die gesammte 
Menschheit zu einem gemeinsamen friedlichen Bund vereinigt. Die Sage von Orpheus galt für 
eine Illustration der Worte Christi: Wenn ich erhöhet werde von der Krde, so will ich sie alle 
zu mir ziehn (Evangelium Johannis XII, 32) und für eine Parallele zu den bekannten Prophezeiungen 
des Jesaias, denen die gleiche Symbolik zu Grunde liegt: Die Wölfe werden bd den Lämmern 
wohnen, und die Pardel bei den Böcken liegen. Hin kleiner Knabe wird Kälber und junge I-öwen 
und Mastvieh mit einander treiben (Jesaias XI, 6 0. LXV, 25}. Daher spielen die Kirchen- 
schriftsteller, Gemens Alexandrinus, Gregor von Nyssa, Chrysostomus, I .actanz u. s. w. gern auf 




DkMIMMitMtaOlK o™i«. ■ «> , — 

Alle Malerei ja den CaJIislu* - Katxktimben. 



den orphischen Mythus an, wie sich eben dieselben oft auf die mystisch-theologischen Dichtungen 
über den Ursprung der Götter und die Entstehung der Welt berufen, welche den Namen des 
Oqiheus trugen. Ks kann uns daher kaum überraschen, wenn der Gegenstand eine Zeitlang bei 
den römischen Christen recht beliebt war. Das gegenwärtige Deckengemälde, das wir auf unserer 
Tafel gebracht haben, ist die beste Darstellung davon; mit unbedeutenden Variationen findet sich 
dasselbe Süjct noch häufig, z. B. an einem Arcosolium, gleichfalls in den Callislus-Katakomben, 
das wir umstehend abbilden, und in der Capelle der vier Evangelisten in den Katakomben der 
heiligen Nereus und Achilleus, wiederum an der I>ecke- In Marmor ist uns nur eine einzige 
Ausführung bekannt, nämlich an einem Sarkophag, den man in Ostia entdeckt hat, in Mosaik 
oder in Miniaturen keimt 

Auf dem erwähnten Sarkophage entspricht dem Orpheus ein Tobias oder ein Fischer: die 
alte Kunst stellt sowohl Christus selbst als auch seine Schüler gern als Menschenfischer dar, und 
einen solchen glauben wir auch auf einem der vier, biblische Geschichten enthaltenden Trapeze 
zu erkennen (i). Die Auferweck ung des Lazarus (j) ist eine andere, vielbehandelte Scene des 
neuen Testaments: wir begegnen ihr in Katakomben und in Kirchen, in der Malerei, der Mosaik 
und der Plastik, auf Grabplatten und auf Sarkophagen. In frühen Darstellungen dieses grossen 
Ereignisses erscheint Lazarus als eine kleine, mumienähnliche Figur, mit Binden umwickelt, das 
Haupt mit einem Tuch umwunden, nur das Gesicht unbedeckt; auf unserem Bilde sieht er fast 

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wie eine Schmetterlingspuppe aus. Vor diese Figur, die aufrecht am Eingang eines kleinen Temjwls 
steht, tritt der Herr und berührt sie mit einem Stabe; in einigen Fällen erhebt er die Hand nur 
zum Segen nach lateinischem Ritus, in noch anderen legt er sie dem Lazarus aufs Haupt Kur 
auf gallicanischen Sarkophagen liegt der Todte ausgestreckt auf dem Boden Entgegen der Bibel 
geben die Künstler dem Grabe Flügclthüren (die hier wie die Platte an einem Secrctär zurück- 
geschlagen sind), während es in Wahrheit mit einem Steine verschlossen war; übrigens ent- 
spricht auch die Gruft, welche man heutzutage in el-Azariye oder Bethanien zeigt, keineswegs 
einer jüdischen Grabanlage. 

Man liebte es in jenen frühen Zeiten alt- und neutestamentliche Süjets, zwischen denen irgend 
eine reelle oder scheinhare Analogie obwaltete, nebeneinander zu stellen, und so entspricht auf 
unserem Gemälde dem Christus, der den Lazarus auferweckt, ein Moses, der einen Kelsen mit 
seinem Zauberstab berührt (3). Unverkennbar ist die äusserliche Achnlichkeit beider Vorgänge ; 
aber man fand auch eine innerliche heraus. Das Wasser, welches aus dem angeschlagenen Kelsen 
quoll, war ein Vorbild des Taufwassers und der göttlichen Kraft und Gnade, welche aus 
dem Christusfclscn entsprang; noch in unseren Bibeln wird 2. Mose XVII, 6 als eine Parallel- 
stelle zu 1. Corinther X, 4 cilirt. Christus kommt hier in eine gewisse Collision mit Sanct Peter 
und in der That wird nicht nur dem Moses meist die traditionelle Physiognomie und Tracht des 
Apostels gegeben, sondern auch die Gefangennahme des letzteren mit der Tränkung Israels 
combinirt. Das letzte der vier historischen Trapeze endlich zeigt einen Daniel in der L~>wengrube, 
über dessen Bedeutung wir eben, auf Seile 205, gesprochen haben (4). 

V. 

Wenn die Heiden beteten, so streckten sie beide Hände (duplices ad sidera palmas) stehend 
gen Himmel aus, eine schöne und verständliche Geberde. Die Christen beteten anders; sie standen 
auch, breiteten aber die Arme aus, ohne sie zu erheben — ne ipsis quidem manibus sublimius 
elati-s sed temperate ac probe elatis, wie Tertullian sagt. Noch heute giebt daher das römische 
Messbuch dem celebrirenden Priester folgende genaue Vorschrift: CeMrans exttndit manus ante 
fiectus, i/o ul palma im ins manu* rttpiciai altera* ei digitit tmud juneiis, guorum sumtuitas 
humerorum altiludimm dis/aiitiniinfut non txttdat: </uod in omni exltnsitmt manuum ante pectus 
stn<atur. S/ans autem, ul sitpra exleusis nutniiiis, dicii Oraliimem. 

In dieser Stellung sind in den Katakomben Männer wie Frauen vielfach gemalt vielleicht, 
dass die letzteren einmal die christliche Kirche symbolisiren sollen, gewöhnlich sind es Porträts 
der Todten, den Photographien zu vergleichen, die man hin und wieder an den Denkmälern der 
Campi Santi trifft, daher auch oft mit Halsbändern und Schmucksachen überladen, nicht um ihren 
Keichthum in diesem Leben, sondern um ihre Glorie und Herrlichkeit in jenem anzudeuten ; Jung- 
verstorbenen gab man wohl einen flüchtigen Vogel als Attribut. Man nennt sie Oranti oder Betende. 

Wir reproduciren eine derartige Orantin ; links von ihr stehen die drei Männer im feurigen 
Ofen, in phrygischer Mütze, kurzer Tunica und Beinkleidern, gleichfalls betend, Vorbilder unserer 
eignen von den Flammen der Hölle erlösten Seelen; rechts sehen wir die Geschichte des Propheten 
Jonas, die einen sehr beliebten Typus für Christi Auferstehung abgiebt. Sie zerlallt in drei, zu 
einem compendiösen Bild verbundene Scenen: 

a) Der splitternackte Prophet wird ins Meer geworfen und von dem grossen Fisch ver- 
schlungen. Derselbe ist eine Art Seeschlange mit langem Hals, starkem Kopf, grossen Ohren 
und geraden Hörnern; er gehört nicht sowohl zu der Gattung der schwarzen Walfische, als 
vielmehr zu dem Geschlechtc der Pistrices, er ist eine Pistrix. 

220 



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b) Jonas wird von dem Fisch ans Land gespieen. Brehm, welcher nicht wie Scheffel an 
einen Walfisch, sondern an einen Haifisch denkt, sagt, ein ähnlicher Fall solle in der That ver- 
bürgt nämlich ein von einem Haifische verschlungener Matrose wieder ausgespien worden sein, 
nach dem der Capitän den Räuber mit einer Kanonenkugel zum Tode getroffen hatte-. 

c) Jonas liegt, auf den linken Arm gestützt, scheinbar bekümmert, in seiner Kürbislaube, die 
wie eine Weinlaube aus einem I-attenspalier besteht IXr Kürbis ist thatsächlich der schnellwachsende 
Wunderbaum (Ricinus communis), der in Oberäj;ypten jedes Bahnwärterhaus beschattet. 

Mit anderen Worten: unsere süsse schlafende Schwester wird auferstehn — ihre Anima 
pura et munda wird, gleich den drei Männern erlöst, gleich Jonas und gleich Christus vom 
Tode befreit, ins Paradies eingehen — sie wird das ewige Leben haben, den fromme Wunsch 
erfüllend, den ihr ihre Verwandten in unzähligen Variationen nebst einem X au ** s Grab 
geschrieben haben: VIVAS IN DEO. 

Was soll er anders bedeuten, als dass unser Dasein nicht mit dem Tode aufhört und dass 
die Grüsse dieser Erde auch auf das zukünftige Leben übertragen werden können — dass wir 
gleich den Pfauen, die mit ausgebreitetem Schweife so häufig die I.aibungen der düstern (je wölbe 
füllen, prachtvoll aufsteigen und unsere goldaugigen Räder schlagen werden. 

Wie man auf unseren Tafeln Truthähne, Fasanen und andere Vögel aufputzt, indem man 
sie in einen Laib Brot bettet und die Flügel mit den Federn und den radförmig ausgebreiteten 
Schwanz daransteckt, so servirte man schon im Alterthum den gebratenen Pfau mit all seinem 
Federschmuck. Der Pfau feierte mithin bei Tisch seine Auferstehung, ja er schien geradezu einer 
Art Unsterblichkeit zu gemessen : man balsamirte ihn nämlich öfters ein, indem man ihn mit aroma- 
tischen Kräutern füllte, wo er dann Jahre lang aufbewahrt und Jahre lang von der schönsten Dame 
unter Trompetenschall auf goldner Schüssel aufgetragen werden konnte. Das geschah allgemein 
bei grossen Banketten zur Zeit des Mittelalters, aber es geschah wahrscheinlich bereits znr Zeit 
der Ofellus und der Hortensius, und es mag darauf die bereits von Augustin erwähnte Sage 
zurückzuführen sein, dass das Fleisch des Pfaues nicht verwese: Quis enim nisi Deus creator 
omntum dedit cami pavonis mortui ne putresceret? — Am Ende hängen wir doch ab von 
Creaturen, die wir machten; so mochten schon die alten Aegypter an eine Fortdauer nach dem 
Tode glauben, weil sie diese Fortdauer künstlich herbeizuführen pflegten. Jedenfalls galt der 
Pfau, so wenig er sich sonst mit der christlichen Weltansicht vertrug, frühe für ein Symbol der 
Unsterblichkeit, der Auferstehung und der himmlischen Herrlichkeit, daher noch Hans Memling den 
Engeln Pfauenfedern in die Flügel setzte; er ward ein zweiter Phönix. 

Dem Dichter Ennius erschien der Vater Homer im Traume und eröffnete ihm, er sei ein 
Pfau geworden (memini ine fieri pavum). Es war dies wohl eine pythagoreische Vorstellung: 
als Symbol das gestirnten Himmels und der Juno, der Himmelskönigin , war der Pfau das 
rechte Thier, Homers Genius zu herbergen und zu hausen. Vielleicht dass er in den christlichen 
Katakomben geradezu den gestirnten Himmel vorbedeuten sollte, der an den Gewölben der 
ägyptischen Königsgräber prangt. Vielleicht dass des Christen Seele gleich dem Homer in den 
nächtlichen Pfau eingehen sollte, dass sie eins seiner tausend Au^en. eine Feder an seinem 
glänzenden Schweife zu werden hoffte. 

Naturam expellas furca, tarnen usque recurret. Steigt in Gräber hinab, entsagt dem Licht 
des Tages, verjagt den Pfau der Juno aus Haus und Hof und aus eures Herzens Kammer, er 
kehrt flugs zurück; und wie ihr den Schein der Kerzen, die auf eurem Altar brennen und 
die Gluth eurer Weihrauchfässer vom Sonnenlicht geborgt habt, so schlägt der HimmeLsvogel 
Über den Särgen sein königliches Rad, das Sternenzelt abbildend, dessen Anblick uns stärkt wie 
eine Heimat und über dem ein guter Vater wohnt 

i« 

221 



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Santa Maria in Domnioa und San Lorenz/) fuori le Mure. 



^ ' nschri ^ ten ""^ anderwärts wird dem Leser der Anklang ans Griechische, die Fülle 
;'A '■ griechischer Formeln und griechischer Namen aufgefallen sein, die cinigermassen an 

'JfcWfXßm. das massenhafte Eindringen französischer Elemente in unser Deutsch erinnert In der 
PW^V' That man man, um sich in dem altchristlichen Rom zurechtzufinden, ebensoviel Griechisch 
;jpf verstehn als Lateinisch. Die griechische Sprache ist ursprünglich die des Neuen Testaments 
und der römischen Liturgie gewesen, mindestens wurde sie in den frühesten Zeiten ebenso 
B häufig angewandt wie die lateinische, überwog sogar, entartend und Vocale und Diphthong«: 
|| verwirrend, in den Krypten. Da liest man einmal überlas andere: Elfim 001 ijf», Friede 
sei mit dir, oder £i,if«i< h xrgitf, magst du leben im Herrn, oder Xfunis pttü nur, Christus 
cl, sei mit dir, oder Ifäfti, sei getrost; da findet man unter den „y**" 1 bald eine 

% BUntt, bald eine 'Khtif, bald eine My«*,, bald eine 3mt<nU*%, bald eine süsse Glyco 
die Namen Praxedis, Callistus, Theodora, ja die der drei ersten Päpste: Petrus, Linus, Cletus 
waren alle griechisch; ja, wie bereits der antike Wunsch: Sit tibi terra levis, sei dir die Erde 
leicht eine griechische Quelle hatte, so sind auch viele lateinische Redensarten der christlichen 
Acra nicht einheimisches Gut, sondern Uebersetzungen aus dem Griechischen gewesen, das 
fiquiscat in pac? geht dem } üvinui<atv lv »l^iy, das jtolite dolcre fiarentes, hoc fai iitndum fuit 
dem ,tti) Xvnoi, Uxvor, oiJtlj <i&«rmo;', das prvas in dctt dem parallel, und unter 

nationaler Maske verbirgt sich ein fremdes Blut. 

So mag auch die Bezeichnung des Sonntags als des Herrcntags von Osten gekommen sein. 
Wer heutzutage in Griechenland reist, der Ist sicher, die Bekanntschaft irgend einer A'ig(«x^ zu 
machen, wie er in Italien nicht selten einer Domenica begegnet : beides sind Sonntagskinder. Der 
Sonntag heisst nach der wohlbekannten Stelle (/r* I» nnifuat lv »gMMj jßfff) auf grie- 
chisch $ xi-fiax!) fotfa, und es ist wahrscheinlich, dass dieser Ausdruck zunächst nur den ersten 
Tag der Woche bedeutet hat; er wurde dann von den Römern in Dominica dies übersetzt. In 
gleicher Weise entsprechen sich die beiden Frauennamen AYgi«^ und Domenica, zwischen denen 
ein dritter in der Mitte steht: Cyriaca. 

So hiess eine heilige Frau, die in der Geschichte der alten Kirche oft genannt wird. Sie 
lebte um die Mitte des dritten Jahrhunderts und besass ein Haus auf dem Hügel Coelius. In 
diesem Hause pflegten sich damals die Christen zu versammeln; in ihm war es, dass der heilige 
Laurentius, der erste unter den sieben Diaconen der Kirche, und als solcher mit der Verwaltung 
der Kirchengüter betraut, die letzteren, um sie nicht in feindliche Hände fallen zu lassen, vor 
seinem Martyrium unter die Armen austheilte, eine bekannte, durch die Kunst vielfach, z. B. von 
Fiesole in der vaticanischen Laurentiuscapdlc verherrlichte Scene. Besagtes Haus scheint mithin 
eine der sieben Diaconiae gewesen zu sein, das heisst, eins jener Locale, in welchen die Diaconen 
an die Armen Nahrungsmittel und Almosen auszutheilen pflegten, und die zu diesem Zweck mit 
einer Halle, sowie mit einem Oratorium versehen waren: diese sieben Diaconien mit ihren sieben 



Die ConTession von San Lurcnzo fuori le ruura. 



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Diaconen entsprachen den sieben kirchlichen Regionen, in welche Fabianus 838 das christliche 
Rom cinth« Ute; die Superintende nt hatte ein Archidiaconus, dessen Amtswohnung nachweislich 
neben Cyriaca's Hause stand. Nachmals wurde die Diaconie Cyriaca, respective das Oratorium 
derselben, zum Range einer Kirche erhoben, was, als sie keinen Zweck mehr hatten, auch mit 
den übrigen geschah : solcher Diaconatskirchen giebt es vierzehn, deren jede einem Cardinal- 
Diaconus zugewiesen ist: und es wird uns nun, nach dem Obigen, erklärlich sein, warum man diese 
der Maria gewidmete Kirche Santa Maria in Domnicu = Dominica betitelte. 

Dass die Person der heiligen Cyriaca nicht gleich der heiligen Pudentiana ein blosser 
Mythus sei, dafür spricht die Thatsache, dass auch ihr Martyrium vom 7. Juli 2S2 bekannt ist 
und dass es Katakomben der heiligen Cyriaca gibt, in denen sie ihrer/cit nebst dem heiligen 
Laurentius beigesetzt wurde. Neben dem Beinamen ,in Domnita' fuhrt die Marienkirche auch den 
,della Navicella', weil in der Vorhalle einst ein marmornes Schiffchen, eine Navicella aufgestellt 
war, vennuthlich von einem Seefahrer ex voto aufgestellt war, denn Votivschiffe sieht man noch 
heute in italienischen Hafenstädten, zum Beispiel an der Riviera, vielfach in den Kirchen an der 
Decke hängen : abhanden gekommen und vergessen, wurde es kurz vor der Wahl Leo's X. in 
Stücken aufgefunden, als ein besonderes < )men, als das Schiff des Aesculap gedeutet und nach 
seinem Muster ein neues angefertigt, welches noch auf dem Kirchhof steht. I^t» X., der als 
Cardinal Archidiaconus von S. Maria in l>omnica gewesen war, erneuerte die Kirche überhaupt; 
um 820 hatte das Paschalis I. gelhan, derselbe Paschalis, den wir als Gründer, resj>cctive 
Restaurator der Caecilien- und der Praxediskirche kennen. Die lateinischen Hexameter unter den 
Mosaiken, mit denen er die Tribüne schmückte, wollen besagen, dass sie nach seiner Wieder- 
herstellung wie Phoebus strahle, wenn er die Schatten der Nacht vertreibe: 

ISTA IM)MVS MÜDEM FVBRAT CONFRACTA RV1N1S 
NVNC RVT1I.AT JVUTER VARI1S DKCORATA UETALLIS 
KT DBCVS ECCE SVVM SHiENnfiT CEV PHOEBVS IN ORBG 
yvi post fvrva i'vu.vr tktrae veeamina sijctis 

VIRCO MARIA TIBI I'ASCIIAI.IS l'RARSVL HOHBSTV8 
CONOIOIT HANC avi.am i.aktvs per saecia manknham. 

Die Mosaiken selbst sind im Stil derer von S. Cecilia gehalten; sie zerfallen wie gewöhnlich in 
zwei Compositionen, nämlich in die 

a) an der Stirn des Gewölbes. Christus sitzt, die Füsse auf dem Firmament, 
zwischen zwei Engeln und den zwölf Aposteln; unten an den Schenkeln stehen in vergrößertem 
Massstabe zwei Propheten, die auf ihn hinzudeuten scheinen. 

b) an der Laibung des Gewölbes. Das Centrum nimmt nicht Christus, sondern 
{das erste Beispiel dieser Modificalion) die Mutter Gottes ein: sie sitzt auf einem Throne und 
hält kein Kind, sondern einen Zwerg auf dem Schoosse, welcher den Segen ertheilt Engel 
stehen rechts und links in Rotten aufgereiht, vor ihr kniet, als Lebender durch einen viereckigen 
Nimbus bezeichnet, Paschalis und küsst ihr den rechten Fuss, den er mit beiden Händen fasst: 
das Knien wird ihm sauer. Auf dem Boden blühen Blumen, zwei Topfgewächse bilden, der 
inneren Wölblinie folgend, die halbkreisförmige l'mrahmung; am Scherte), wo die Stengel 
zusammentreffen, bemerkt man das Monogramm: |£ 

c 

II. 

Wenden wir uns nun von der Diaconie zum Diaconus, von der heiligen Cyriaca zum 
heiligen Laurentius, der aus Spanien gebürtig gewesen sein soll, den man aber vielmehr für 

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einen Sohn der alten lateinischen Stadt Laurentum halten sollte. Jedenfalls war er römischer 
Bürger, arm an irdischen, reich an himmlischen Gütern, den seine ausgezeichnete Begabung, mehr 
noch eine grosse Herzensreinheit bereits in früher Jugend dem Papst Sixtus (257—258) empfohlen 
hatten: er ernannte ihn, wie gesagt, zum Archidiaconus. Eben als solcher ward er ein Gegen- 
stand der neuen Christenverfolgung, die ihren Anfang unter Valerianus genommen und die es 
speciell auf die Geistlichkeit, auf die Bischöfe, die Priester und die Diaconen abgesehen hatte: 
ein Rescript an den Senat ordnete an, dass sie samt und sonders ohne Aufschub aus dem 
Wege geräumt werden sollten; waren erst die Hirten fort, so hoffte man schon auch die Heerde 
zu zerstreuen. Sixtus II. kam zuerst an die Reihe : er wurde nebst vier andern Geist- 
lichen in den Katakomben des Praetextatus in dem Augenblick verhaftet, wo er vor der knieenden 
und sich dreimal bekreuzigenden Versammlung beim Anschlagen des Mcssglöcklcins die Hostie 
emporhob. Als man ihn zur Hinrichtung abführte, folgte ihm Laurentius; wo gehst du hin, mein 
Vater, sagte er traurig, ohne innen Sohn? Warum nimmst du, 0 hoher Priester, deinen Diener 
nicht mit- Wodurch hat er es verdient, dass da ihn znrüeklässt ? Ihn ich dem rechter Dia- 
conus, würdig das Blut unseres Herrn Jesu ansziilhei/en, so zeige mir's. — Nein, antwortete 
Sixtus, nein, mein So/in, ich lasse Dich nicht zurück, aber dir stellt ein heisserer Kampf bevor: 
wahrlich ich sage dir, in dreien Tagen wirst du mir nachfolgen (6. August 258). 

Noch an demselben Tage zeigte sich der Anlass, die Prophezeiung des sterbenden Papstes 
zu erfüllen. Laurentius sass still zu Hause, da pochte es an die Thür. Ks waren zwei Schergen, 
die der Praefect, Cornelius Saecularis, abgesandt. Vor ihn wurde der Waconus geführt; er 
sagte : Es ist mir zu Ohren gekommen, dass Ihr Pfaffen in Huren Kirchen viele Sehatze und 
Aleiuodieu habt; Ihr braucht hei euren Functionen goldene und silberne de fasse. Ihr seid reich 
und eure Glaubensgenossen wetteifern, euch mich reicher zu machen. Gieb sie heraus, deine 
Schätze! I>et Kaiser braucht Geld, er braucht Geld für die Soldaten; du tiehst, wie gnädig 
ich gegen dich gesinnt bin, weiter soll dir nichts geschehn! . Iber schaffe die Kirchenschätze! — 
In Wahrheit, erwiderte Laurentius, die Kirche hat viel Reich th inner und grosse Sehätze; gebt 
mir zwei 'läge Zeit, so werde ich sie euch bringen. 

Und , nicht unähnlich jener Cornelia , die ihre Kinder als ihren alleinigen und höchsten 
Schmuck bezeichnete, brachte er ihm die Armen der Gemeinde die wahren Schätze der Kirche 
— die Blinden, die Lahmen, die Krüpjiel, die Witwen und Waisen, denen nach des Krlösers 
Wort das Himmelreich gehört. 

Das sind, so sagte er zu dem verdutzt dreinschauenden Praefecten, das sind unsere 
goldenen und silbernen Gcfässe, unsere Perlen und Edelsteine: das Gold, das du begehrst, ist 
nur ein verächtliches Metall, ungezählter Sunden Anfang; das wahre Gold ist die Seele, die 
täglich wie die Sonne l'crgotd geht; ich habe mein Wort gehalten. 

Unter seine Armen hatte I-aurentius vorher wohlweislich vertheilt, was er in der Kasse 
hatte, ja, er schonte nicht einmal die heiligen Gefasse, sondern machte sie zu Geld und 
verschenkte den Erlös. 

msi'KRsrr, dedit pavperibvs, 

also steht auf dem offenen Buch geschrieben, das der Märtyrer als Diaconus in der Hand 
zu halten pflegt 

Der Praefect schäumte vor Wuth ; er Hess ihn peitschen ; und da Laurentius darum seine 
Rede nicht besserte, befahl er, ihn in dm Thermen der Olympias (San Lorenzo in Paneperna) 
nackend auf einen eisernen Rost zu legen und langsam zu verbrennen. Es war dies eine nicht 
ungewöhnliche, unter dem Namen Catasta bekannte Art der Hinrichtung: ein Rost hiess eigentlich 
Craticula, Diminutiv von Crates, und daher spricht man gewöhnlich von der Graticola di San Ix>rcnzo, 

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Tabernakel über dem Ha^uptallar von San Lorcnzo fuori le mura. 



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doch darf man solche Craticula nicht mit der Crates verwechseln, die ebenfalls zu Executionen diente : 
das war eine Hürde, die man über den Verbrecher warf und mit Steinen beschwerte (sub cratc 
necari). Laurentius wurde also nicht wie Stephanus gesteinigt, sondern wie ein Stück Fleisch auf 
einem Rost gebraten: die Legende sanetionirt diesen unwürdigen Vergleich, indem sie ihn dem Meiligen 
in den Mund legt. Mit übel angebrachtem Humor sagte er nach einer Weile: Au/ der einen 
Seite bin ich braun, Wtndti mich! Und abermals nach einer Weile rief er dem Tyrannen zu: 
Mm bin ich durchgebralcn, du kanmf anjangen zu essen. Endlich erhob er seine Augen gen 
Himmel, betete inbrünstig zu Gott, dass Rom, seine geliebte Adoptiv- Vaterstadt, bekehrt werden 
möge, und entschlief- Etliche Senatoren, Glaubensgenossen, trugen den verkohlten Leichnam auf ihren 
Schultern in die Katakomben der heiligen Cyriaca an der Strasse nach Tivoli (Via Tiburtinaj, 




S. 1. .f. i. ilMX lc n. in.. 



auf den sogenannten Ager Veranus: das Martyrium fiel auf den 10. August 2$&. Sixti und 
Laurentii waren die grossen Erntefeste der römischen Kirche: noch heute werden am 10. August 
in der Campagna die Stoppeln verbrannt, speciell ist es der Emtetag für die Nüsse. Am 
10. August 1557 siegte Philipp 11. I>ei Saint Quentin, und deshalb machte er dem heiligrn 
Laurentius (San l-orenzu el Real de la Vittoria) einen monumentalen Rost, den Escorial, dessen 
vier Eck -Pavillons die Füsse, dessen (Juergcbäude die Stäbe, dessen Seiten den Rahmen des 
Rostes bilden, während die Kirche den Griff darstellt. Das Original existirt auch noch; es ist 
2 m lang und bildet die Hauptrelitjuie der uralten Titularkirche San I.orenzo in Lucina, von 
welcher jederzeit der älteste Cardinalpriester den Titel entlehnL 

Die qualvolle Hinrichtung eines römischen Bürgers war nichts Kleines: sie ist von Prudentius 
besungen und vielfach abgebildet worden. Wir bringen eine sehr alte Darstellung des Martyriums, 
die sich in der Vaticanischen Bibliothek auf einer hlriernen Medaille aus dem fünften Jahrhundert 

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findet. Der Märtyrer liegt auf dem glühenden Roste, ein Henkersknecht hält ihn an den Füssen 
fest; ihm gegenüber sitzt, ein Scepter in der Hand, irinen I«orbcrkranz auf dem Kopf, auf einer 
Sella Curulis der Praefcct, vor letzterem steht ein Beamter : über dem Haupte des Heiligen bemerkt 
man das Chrisma oder das Monogramm Christi (-f-), rechts, zwischen Alpha und Omega, in 
weiblicher Gestalt, die Seele, die ihn verlässt, mit ausgebreiteten Armen aufsteigend und gekrönt 
von Gottes Hand, welche einen Kranz herabreicht. Die Medaille wurde für eine Laienschwester 
Namens Successa (SVCESSA VI VAS j ausgeführt, dit| sie umhängen und an der massiven Oese 
tragen wollte : auf dem Revers sieht man sie , wie sie mit einer Kerze vor das korbartige , oben 
mit Henkeln versehene, aber offene Grab des heiligen Laurentius tritt. 



III. 

Auch wir treten jeut vor das Grab des heiligen Laurentius vor den viereckigen Schrein, 
in dem seine Reliquien nebst denen des andern grossen Diaconus, des Collcgcn Stephanus, auf- 
bewahrt werden, und der, von einem metallenen Gitter umgeben, wahrscheinlich mit dem Korbe 
auf der Medaille gemeint ist. Ueher ihm erbaute Constantin der Grosse an Ort und Stelle, 



ausserhalb der Mauern 
(foris muros) eine Basilica. 
eine der fünf Patriarchal- 
und eine der sieben Pilger- 
kirchen, die im Jahre 578 
von Pelagius II. neu ge- 
baut, dann unter Hono- 
rius III. im dreizehnten 
Jahrhundert durch Verle- 
gung der Front und An- 
fügung eines Langschiffes 
viel wie begraben werden 




von Grund aus verändert, 
auch später noch oft re- 
staurirt ward, zuletzt unter 
Pius IX., der sie mit neuen 
Gemälden schmückte, die 
ältere zugeschüttete I Iälfte 
ausgrub und daneben, Ka- 
takomben auf Katakomben, 
den Campo Santo der Stadl 
anlegte. .Andar a San 
Lorcnzo' heisst in Rom so 



es ist ein Feld nicht erst seit gestern heilig, ein Acker voll alter 
verdorrter Beine, wer zu Lorenz geht, der findet gute Gesellschaft aus dem dritten Jahrhundert 
und eben den Stephanus des Westens, dessen Kirche unmittelbar und unauflöslich mit dem grossen 
römischen Friedhof zusammenhängt. Man erzählt, dass De Rossi dereinst draussen in der Cam- 
pagna in eine Katakombe hinabgestiegen, irregegangen und auf gut Glück unter der Erde weiter- 
gewandert sei, um einen Ausweg zu entdecken: auf einmal vernahm er zu seinem Erstaunen 
Kirchengesang und Orgelspiel : er kam näher und näher, stiess eine morsche Thüre auf und stand 
— in der Basilica von San Lorenzo. 

Wie ein Todcsengcl, wie ein Wegweiser und Führer der Seelen, ein chrisdicher Psycho- 
pompös beschreitet er die Säule vor der Kirche, begrüsst er die ankommenden 



omn« una manet nox 



el calcanda ümd via i.autenti. 
Seine Basilica ist also eine richtige Katakombenkirche, sie ist als ein altes, stetig erweitertes 
und verschönertes Cubiculum und als eine grosse Krypte zu betrachten, in der die kleine, anfängliche 
jetzt Confession genannt wird : die Kirchen der ersten Jahrhunderte sind alle entweder aus Haus- 
capellen oder aus solchen Gräbern hervorgegangen, erst später ward dieses Verhältnis umgekehrt 
An der Facade über der Vorhall«! sind die Gründer und Plleger von San Lorenzo, die Constantin, 
die Pelagius , die Honorius , die Pius in mosaikartigen Malereien auf Goldgrund dargestellt : Pio 
Nono trägt als letzter die Basilica auf der Hand Diese Facade gleicht dem Titel eines Buchs, 



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auf dem mehrere Autoren als Verfasser namhaft gemacht sind : jeder hat ein Stück davon 
bearbeitet — Pelagius schrieb den ersten Haupttheil, Honorius den zweiten: jenem gehört die 
hintere Kirche mit den zwölf korinthischen Säulen, diesem die vordere mit den zweiundzwanzig 
angleichen Säulen an ; und ihre Werke sind zu einem complicirten Ganzen malerisch und wundersam 
verschmolzen, so dass man in der Kirche wie in der Luchsburg bei Alexandersbad die Stulen 
hinauf und hinuntersteigt, sich in den Jahrhunderten versehend. Die pelagianische Lorenz-Kirche 
liegt nicht wie die Basilica von San demente unter dem Bau des Honorius, sie schlicsst sich 
an denselben an, es ist keine Unterkirche, sondern eine Hinterkirche : dabei aber hat sie doch ein 
(j, 8 m) tieferes, erst durch Treppen zugängliches Niveau, welches eben das Niveau der alten 
Krypte ist, und in ihr selbst, in ihrem Mittelschiffe ist wieder bei dem Umbau des Honorius in 



Krcnrguig <Iet Klinten S. Ijmmn} fnvri le i — k . 

halber Säulrnhühe eine Kstrade gelegt und ein Chor eingerichtet worden, zu dem neben der Confession 
rechts und links sieben Stufen hinanführen. Sie, urprünglich selbst eine und zwar eine dreischiftige. 
ausnahmsweise mit einer Kmporc versehene, also zweistückige Basilica, bildet jetzt das Sanctuarium 
der Vorder-Basilica, in welchem noch, nur verkehrt, der alte Triumphbogen mit den alten Mosaiken, 
frühen byzantischen Stiles (5 79) stehen geblieben ist — die Figuren, von denen wir auf unserer 
Tafel eben noch vier Küsse M'hcn, auf der einen Seite l.aurentius und Pelagius, die Sanct Peter 
dem Heiland zuführt, auf der andern Seite Stephanus und Hippolytus, die durch Sanct Paul vor- 
gestellt werden, haben wenig von ihrer Ursprünglichkeit bewahrt : AUes trägt Weiss, Christus sitzt 
auf der Weltkugel, Bethlehem und Jerusalem, seine Wiege und sein Grab, stützen die ganze 
bemerkenswerthe Composition. Dagegen wurden die beiden alten Ambonen, die mit Porphyr 
und Serpentin in musivischer Kinrahmung belegt sind und von denen der des F.vangeliums mit 
dem löwenhaltenden Adler so einfach, wie reizend ist, nebst dem gewundenen , lüwengetragenen 



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Osterkerzenleuchter in das Mittelschiff der Honoriuskirchc übertragen. Auf dieser originellen 
Verschmelzung zweier heiliger und reicher Basiliken zu einem einheitlichen Bilde, welches durch 
die bereits erwähnte Empore mit den zierlichen Säulen, den kunstvollen Archivolten, dem aus antiken 
Fragmenten zusammengesetzten Gebälk in seltener Weise gehoben wird, beruht der überraschende 
Ajiblick dieser Kirche und ihr unerschöpflicher Reichthum an malerischen Perspectiven, den wir 
mit drei Vollbildern zur Geltung bringen wollten. Uebrigens ist sie wie wenige, nebst dem 
anliegenden Klosterhofe ein Sammelsurium von allerhand Raritäten und Antiquitäten, eine Kumpel- 
kammer voll verstaubter Sarkophage, voll antiker und mittelalterlicher Trophäen und Bildwerke, 
Batrachier und Saurier, anziehend für den Gelehrten, anregend für den Laien und doch mitten 
in seinem Glänze, auf einer seiner heiligsten Stellen an das Fragmentarische, an das Epigonenhafte 
des christlichen Roms erinnernd. 




Sant.' Agnese fuori le Mura und die Agnese - Katakomben. 

L 



um 21. Januar, Vormittags sieht man Jung und Alt, Arm und Reich durch die Porta 
Pia hinaus in die Campagna, auf das schneebedeckte Sabinergebirge zu, die alte Via 
Nomentana entlang und in der Richtung der gleichnamigen Aniobrücke ziehen. Da 
■ folgen sich die fürstlichen Equipagen und die einfachen Droschken in langer Reihe, 
JL und dazwischen hindurch drängen sich die Schaaren der Fussgänger, der Spiel- 
leute, der Marketender und der Bettler. Wo geht es hin ? Wollen sie eine Wallfahrt 
nach Mentana unternehmen ? Wandert die Plebs abermals auf den Möns Sacer aas ? — 
ht nach Sant' Agnese , am 21. Januar ist das Fest der heiligen Agnes, in der 
alten Kirche, die Constantin der Grosse über dem Grabe des jungfräulichen Lammes 
auf Bitten seiner Tochter Constantia gegründet hat, der man übrigens dieses hohe Alter 
nicht gleich ansieht, werden heute zwei wirkliche Lämmer feierlich gesegnet. Auf dem 
Altäre liegen sie, rosenbekränzt und mit seidnen Bändern geschmückt, wunderbare, lebendige 
Symbole: nach dem Hochamt vollzieht der Abt von San Pietro in Vincoli ihre Weihe, worauf 
sie einem Würdenträger vom Lateran übergeben werden, der sie dem Papste bringt: der heilige 
Vater bestimmt ein Nonnenkloster, in dem sie auferzogen werden sollen, gewöhnlich das Kloster 
des Jesuskindleins (Bambin Gesü), gegenüber S. Pudenziana. aber auch das von S. Lorenzo in Pane- 
perna, oder die Kapuzinerinnen: eins von ihnen kommt (agnos vivos volunt vorare et in pariete 
pictos adorare!) am nachfolgenden Charfreitag auf die päpstliche Tafel. Aus der Wolle beider 
aber werden die bereits erwähnten Pallien gewebt. Das Pallium, ein weisswollener Kragen, der 
um die Schultern gelegt wird, bis zum vierten Jahrhundert ein ausschliessliches Abzeichen der 
rumischen Bischöfe , erinnert an die Pflicht des guten Hirten , die verirrten Schafe nach Jesu 
Beispiel „mit Freuden auf seine Achseln zu legen und heimzutragen": dem guten Hirten werden 
wir in den anliegenden Katakomben wiederholt begegnen. Da die Bischöfe diese Pflicht von 
Petrus überkommen haben, dem Christus seine Schafe zu weiden ausdrücklich anbefahl, so werden 
die Pallien am Vorabend vor dem Feste Pctri auf seinem Gral«; niedergelegt und hierselbst vom 
heiligen Vater den abendländischen Erzbischöfen verliehen. 

Obgleich das von der Kirche Alles in einen überraschenden, tiefsinnigen Zusammenhang 



228 



gebracht ist, so muss man doch bekennen, dass gerade die Pointe des Ganzen, die Lämmerweihe, 
auf einer irrigen Voraussetzung beruht, nämlich auf der, dass der Name Agnes mit dem lateini- 
schen Worte Agnus eine etymologische Verwandtschaft habe. Die heilige, von allen Kirchenvätern, 
namentlich aber vom heiligen Ambrosius gefeierte Agnes wurde wie Caecitia um das Ende des 
dritten Jahrhunderts in Rom geboren, und zwar gleichfalls in einem vornehmen, aber christlichen 
und frommen I lause. Kaum zwölfjährig, wurde das schöne Mädchen von vielen Seiten zur Ehe 
begehrt, unter Andern von einem gewissen Simplidus, dem Sohne des Präfecten Symphronius. 
Aber sie, die sich als Christi Braut betrachtete, schlug jeden Heiratsantrag aus und blieb auch 
auf ihrem Kopfe, als der Stadtpräfect selbst ein gutes Wort für seinen Sohn einlegte. Damals 
(303) wüthete gerade die fürchterliche Christenverfolgung des Kaisers Diocletianus, und so kam 
es, dass die eigensinnige Jungfrau als Christin angeklagt und vor Gericht geschleppt ward. 13er 
Richter war der abgewiesene Vater selbst: er versuchte es im Guten und im Bösen, mit 
Drohungen und Bitten, Ketten und Schmeichelein, er konnte sin nicht dahin bringen, ihren Glauben 

stehend, vor 
den unheiligen 
Opferflammen 
der Venus be- 
zeichnete sie 
sich mit dem 
Kreuze. Da 
wollte ihr der 
Tyrann das 
Allerschlimm- 
ste anthun : 
er sagte, er 
würde sie, um 
ihren Starrsinn 
zu brechen, 
von zwei Sol- 
daten nackt in 

ein Bordell abführen und daselbst prostituiren lassen. Gesagt, gethan. In jenen Gemächern an 
der Piazza Navona, über denen gegenwärtig die Stadtkirche Sant' Agnese steht und wo 
Algardi die Begebenheit glücklich in einem Basrelief geschildert hat, in den Gewölben des 
domitianischen Stadiums wurde die heilige Agnes der Schande preisgegeben. Umsonst : ihr goldnes 
Haar wuchs und umfloss sie wie ein Kleid: Niemand wagte sie zu berühren: und als sich ihr 
Simplidus mit frevlem Mutti- näherte, ward er von einem Blitz getroffen und geblendet — er wäre todt 
liegen geblieben, wenn nicht Agnes für ihn gebetet und ihm das Augenlicht zurückgegeben hätte. 

Symphronius bebte vor Scham und Zorn : er sollte das Mägdlein nicht zwingen ! Ks ward 
zum Tod veruriheilt. Nimmer ging, wie Ambrosius sagt, eine Braut vergnügter zu ihrer Hochzeit, 
als die heilige Jungfrau zu ihrer Hinrichtung. Das Volk staunte, ein Wesen, ein Kind zu sehn, 
das ein kaum angefangenes Leben so ruhig fahren liess; der Scharfrichter, den man kommen 
lassen musste, weil die Flammen nicht verfingen, der Scharfrichter konnte es nicht über's 
Herz bringen, sie zu tödten — „was zögerst du. Hinker,'* rief sie, indem sie das geneigte Haupt 
erhob, „was haltst du die Braut auf, dit in die Arme des Bräutigame* fliegt? Henker, kannst du 
keine Lilie knifken* Bleicher Henker, zittere tu'dtit* — und zitternd und bleich knickte der Henker 
die Lilie: sie ging ein am 2 1. Januar 304 und wurde an besagter Stätte, an der Via Nomentana 

M 

229 



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zu verleugnen, 
den heidni- 
schen Got- 
tern zu opfern 
und eine Sa- 
crijicata, eine 
Lapfa zu wer- 
den, wie man's 
nannte, oder 
sich auch nur, 
gleich den Li- 
Mlatiei,d\xrch 
eine falsche 
Bescheinigung 
(Clibellus) zu 
retten: an ih- 
ren Altaren 




S. Agnes« fuori it raun. 



auf einem kleinen Kamiliengrundstücke (pracdiolumi begraben, wo wenig Tage darauf noch eine 
andere heilige Jungfrau die Palme des Martyriums erlangte: Emerentiana, die Milchschwester der 
heiligen Agnes, die, als sie an ihrem Grabe betete, %'on den Heiden gesteinigt wurde (23. Januar 
304). Ihre Ruhestätte ( Cocnuterium S. Apietis in ejusdem agello) ist der Kern der berühmten 
Agneskatakomben, wie die Caeciliengruft der Kern der Callistuskatakomben war. 

Nun die gebenedeitc Jungfrau, welche die Kirche als ein Muster christlicher Sittenreinheit preist 
und der auf einer alten Glasmalerei zwei Tauben den doppelten Kranz der Keuschheit und des 
Martyrium reichen : 

■ luplcx coron» c*< prentita m.utvri 

l"niJtmliu«. Ftriiteph. XIV, J — 



diese unschuldige Agnes, die 
noch auf den Brettern als 
ein Typus mädchenhafter 
Schüchternheit und Naivetät 
fortlebt, hiess eigentlich nicht 
Agnes, sondern Agne, heisst 
sie im Gregorianischen Kanon 
noch, und dieser Name, das 
griechische V/jrrö , bedeutet 
die Keusche und die Reine 
— man möchte behaupten, 
dass derselbe nicht zufällig, 
sondern auf die Bildung der 
l-egende von Kinfluss gewe- 
sen sei. Mit Agnus, Lamm 
hat er nichts zu thun, diese 
Beziehung gründet sich nur 
auf die äusserliche Aehnüch- 
keit der beiden Worte. In 
Südeuropa wächst einStrauch, 
dessen bitterlicher Same den 
Geschlechtstrieb unterdrücken 
soll, dessen Zweige die 
Vestalinnen in ihren Händen 




trugen, die Priesterinnen der 
Ceres in ihre Betten legten, den 
man noch heute in den Klöstern 
des Orients zu „Mönchspfef- 
fer" benutzt: der sogenannte 
Keuschbaumoder dasKcusch- 
lamm. Diese Verehrung der 
aromatischen Vcrlwnacee, die 
dichte, ausgedehnte Gebüsche 
an den Flussufern bildet, hat 
keinen andern Grund als den, 
dass sie im Griechischen den 
Namen fiyvoi führt: dieses 
ätto; verwechselte man mit 
(S/M»» keusch, und schrieb 
deshalb als Fürklärung das 
lateinische castus bei, woraus 
im Mittellatein die taulologi- 
sche Benennung .Agnus ca- 
stus' entstand : diese über- 
setzten wir wiederum, weil 
wir Agnos mit Agnus ver- 
wechselten, in Keuschlamm. 
Die AralMtr nennen die 



Pflanze „Hand der Maria." — Das Keuschlamm, das der heiligen Agnes als Sinnbild gegeben wird, 
erinnert nur zu stark an die Kette von Irrthümem, die um den zierlichen Strauch herumgclegt ist. 



II. 

Noch köstlicheren Samen bergen wir trauernd in der Erde Schooss, heisst es in der 
Glocke; der Dichter denkt dabei an die Auferstehung. Wir können denselben Vergleich in einem 
etwas andern Sinne machen. Der begrabene Märtyrerleib scheint recht eigentlich ein keim- 
kräftiges Samenkorn zu sein, das aufgeht und Wurzeln schlägt. Wie eine junge Pflanze durch- 
bricht er die Erde, treibt er einen Stengel hervor, wächst er auf zu einem Baume; wie eine 
Pflanze schickt er tausend weit verzweigte Wurzeln abwärts. 

Der Baum ist die Basilica, die über ihm ersteht, die sich über ihm wie eine Krone wölbt, 

J30 



an der die Mosaiken wie goldne Früchte hängen, aus der der Glockcnthurm herauskommt wie 
ein Ast: die Wurzeln sind die Gräberreihen, die sich unter der F.rde wie Fasern von einem Stock 
ausbreiten. Die C.ampagna war der Acker, auf den der Same des Christenthums gestreut ward 
— er steht jetzt voller Bäume: diejenigen, die sie steckten, thaten es unter Thränen und in 
Hoffnung — wie der Araber die Dattel nicht erntet, die er pflanzt. 

So Sant' Agnese. Sie ging auf unter Constantin dem Grossen; unter Honorius I. (625 



— 638) war 
sie bereits 
ein stattli- 
cher Kirchen- 
baum — ei- 
ne dreischif- 
fige Basilica 
mit sechzehn 
antiken Säu- 
len und Em- 
poren wie 
San Lorenzo; 
damals wur- 
de die Tri- 
buna mit Mo- 
saiken ge- 
schmückt, 
welche die 
heilige Ag- 
nes zwischen 
zwei Päpsten, 

Hoiiürius 
(PRAESVL 
HONORIVS 
HA FC VO- 
TA IHCA- 
TA DEDIT) 
und Symma- 
chus darstel- 
len: sie hat 
eine violette 
Tunica, einen 




Kaukottbcn Ton S. Agne*«. 



goldgestick- 
ten Purpur- 
streif (latus 
ciavus) mit 
weissem Sau- 
me und eine 
Krone auf 
dem Kopf, — 
dieses starre 

Prachtge- 
wand, diese 
steife Stel- 
lung , diese 
geraden Fal- 
ten, die nur 
durch dunkle 
Streifen, die- 
se rothen 
Wangen, die 
durch plum- 
pe Tupfen 
angedeutet 
sind , alles 
das stimmt 
nicht sehr zu 
dem anmu- 
thig<m Bilde, 
das wir uns 
von dem drei- 
zehnjährigen 
Kinde ma- 
chen und un- 



ter welchem sie ein Tintoretto und ein Domenichino verewigt hat. Die Hand des ewigen Vaters, 
wdche der I leiligen ihre Krone aus den Wolken herabreichte, haben neuere Restaurationen gleich 
dem Schwert, welches als eigentliches Werkzeug ihrer Marter zu ihren Füssen lag, verschwinden 
lassen ; statt des letzteren bemerkt man zwei ausschlagende Flammen, die wohl eine Anspielung auf 
den ihr anfänglich zugedachten Feuertod sein sollen. Unter lnnocenz VIII. (1484 — 1491) fing 
der alternde Baum bereits an hohl und morsch zu werden, und in unserem Jahrhundert konnte 
man sich nicht einmal mehr ruhig auf seine Aeste setzen: am J5. April 1855 nach dem 
Hochamt brach Pius* IX. mit seinem ganzen Gefolge durch den Boden der Seitenhalle 



*3" 



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durch und stürzte, ohne Schaden zu nehmen, in einen Keller. Damals wurde die Kirche zum 

Und sie streckte ihre Wurzeln tief in den Grund hinein, indem sich das kleine Coemeterium 
S. Agnctis im Laufe der Zeit mit dem Coemeterium S. Nicomedis und dem ausgedehnten Coeme- 
terium Ostrianum verband ; die gesamte Anlage führt im vierten Jahrhundert geradezu den Namen 
Coemeterium majns {ad Nymphas S. Pelri oder Fonlis S. Pein i), während wir sie schlechthin die 
Katakomben von Sant' Agncse nennen. Sic sind nicht anders eingerichtet als die Callistus- 
Katakomben, aber durch ein typisches Beispiel einer sogenannten Kirche ausgezeichnet; sie 
veranlasst uns, noch einmal auf jene Räume zurückzukommen, die wir als Cubicula kennen gelernt 
haben. Die letzteren hatten im Allgemeinen kleine Dimensionen und konnten nur eine beschränkte 
Anzahl von Personen fassen. Doch findet man auch Hallen und Gemächer von grösserem Umfang, 
die nach der Meinung der römisch-katholischen Autoritäten von vornherein für gottesdienstliche 
Versammlungen bestimmt gewesen sind. Padre Marchi erfand sogar, ohne damit durchzudringen, 
eine entsprechende Nomenclatur, indem er die kleineren Grüfte Cryptae, die grösseren Ecclesiae 
betitelte. Er stützte sich dabei hauptsächlich auf die Agnes-Katakomben, wo im Jahre 1842 eine 
hervorragende Ecclesia entdeckt ward. Dieselbe umfasst fünf quadratische, 2 m lange und 2 m breite 
Gemächer, welche mit Einschluss der Durchgänge zusammen eine Länge von 13 m haben; das 
letzte ist 2 m, die übrigen sind 4 m hoch. Sic liegen in einer Elucht, werden aber durch ein 
quer durch laufendes Ambulacrum in rechtem Winkel geschnitten und in zwei Abschnitte, von 
No. 1—2 und von No. 3 — 5 zerlegt, so dass die Proportion des goldenen Schnittes (3:5) 
entsteht; No. 2 und No. 3 hängen übrigens nicht unmittelbar, sondern durch einen Corridor 
zusammen, welcher von dem Ambulacrum zunächst geschnitten wird, wie man aus folgendem, 
ungefährem Schema sieht: 



Nummer 1 und 2 sollen für die Frauen, Nummer 3 und 4 für die Männer reservirt, die 
beiden Kammern diesseits (a und b) Vestibüle gewesen sein; Nummer 5, durch einen Bogen, der 
auf stuckirten Säulen ruht, geschieden, war das Sanctuarium, an dessen Rückwand die Cathedra, 
der aas dem Tuff ausgehauene Bischofsstuhl stand; an ihn schlössen sich rechts und links Stein- 
bänke an, die an den Seitenwänden hinliefen und Sitze für die Geistlichkeit abgaben. Hinter 
dem Bischofsstuhl und hinter den zwei Chorbänken öffnet sich je ein Arcosolium, in dessen 
Laibung kleine Loculi für Kinderleichen ausgebrochen sind ; die Mauern darüber enthalten gleich- 
falls Reihen von Loculi. Keine Spur eines Altars: der Bischofsstuhl verschliesst das Arcosolium 
durchaus und lässt keine Benutzung des Sarkophages zu. Daher glaubt Marchi, dass der 
Altar tragbar gewesen sei. Das Ganze ist ohne jede Malerei und bis auf ein marmornes Tafel- 
werk, von dem sich noch eine Spur erhalten hat, völlig schmucklos. Das Resultat der Forschungen 
des gelehrten Vaters ist das hocherfreuliche, dass die beiden Geschlechter auf besonderen Treppen 
und besonderen Corridoren zur Kirche gingen und dass dieselbe vor Anfang des dritten Jahr- 
hunderts gebaut sein müsse, die Basis derselben indessen zu unsicher, als dass man seine Annahme 
für mehr als eine Hypothese halten könnte. 

Und hoffen, dass er aus den Särgen erblühen soll zu schönerm I.oos. Ich bin der YVein- 
stock und ihr seid die Reben, sagt der Erlöser (Evangelium Johannis XV, 5), ein Weinstock ist 
das älteste Sinnbild, welches die christliche Kunst angewendet hat, und in Santa Costanza, in 
dem Mausoleum jener Constantia , auf deren Bitten Sant' Agnese gegründet ward , ein paar 
Schritte von unserer Kirche, sieht man eine Weinlese musivisch dargestellt: der mächtige Sar- 
kophag der Prinzessin, der jetzt im Eingangssaal des Valicanischen Museums steht, hat, weil auch 




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auf ihm eine Weinlese gehalten wird, seinerzeit den Titel „Grabmal des Bacchus" erhalten. Die 
Weinlese ist ein Symbol der Todesernte, d<-S Martyriums, bei welchem das Blut des Bekenners 
wie der Wein aus der gekelterten Traube fliesst; der Weinstock das Symbol der Kirche, die 
unter dem Kreuze aufwachst und deren Zweige sich über die Welt ausbreiten. Wohlan! Christas 
hat das ganze Gebäude seiner Religion mit einem Gewächs verglichen; und wir sollten es im 
Hinzeinen nicht können? — 

III. 

An den Mosaiken der oberen Kirche bemerken Kunsthistoriker eine bedeutende, das Empor- 



kommen des 
Heiligendien- 
stes bezeich- 
nende Ab- 
weichung 
von der bis- 
herigen Sitte, 
die, dass Ag- 
nes die Stelle; 
Christi ein- 
nimmt und 
von der Gott- 
heit sozusa- 
gen nur eine 
1 land übrig 
geblieben ist. 

Vielleicht 
haben die 
Künstler ge- 
dacht , dass 

Christus 
unten in den 
Katakomben 
schon oft ge- 
nug gemalt 
ist. Das eine 
Mal auf dem 
Schoossesei- 
ner Mutter 
am Plafond 
eines Arco- 
soliums , in 




ArvutuliuB Bit docoi Krrjcugnnaiile Oer Unllff UtXIci. Knukuiaton tun S. Aj-hi^c. 



steifer, sym- 
metrischer, 
byzantini- 
scherManier, 
ähnlich wie 
in San de- 
mente, etwa 
aus dem Jahr 
400 — das 
Kind steht 
in Viertelli- 
gurvorn, be- 
kleidet mit 
einer blauen 
Tunica , die 
Mutter da- 
hinten , in 
grüner Tu- 
nica und ei- 
nem Pallium, 
das ihr auf 
die Arme 
fällt, das 
Haupt mit ei- 
nem Schleier 
bedeckt, den 
Hals mit ei- 
ner Perlen- 
schnur um- 
wunden, in 
Stellung ei- 
ner Beten- 



den, beide sind ohne Nimbus, aber das heilige Monogramm (X) blickt sie von beiden Seiten an; 
übrigens steht es abermals nicht ganz fest, dass es wirklich die Jungfrau Maria mit dem Kinde 
ist — das zweite Mal, und zwar nicht blos einmal, sondern wiederholt als guter Hirte. Dieses 
Bild , gleich dem Weinstock eines der frühesten und wichtigsten Symbole, hat für uns hier eine 
besondere Bedeutung und deshalb wollen wir es zum Schlüsse kurz analysiren. 

In allen Gegenden, wo das Hirten- und Nomadenleben vorgeherrscht hat, ist auch der 



*33 



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Vergleich der irdischen und der himmlischen Könige mit Hirten traditionell geblieben: man liest 
ihn im Homer, in den Psalmen und in den Propheten; Jesus wendet ihn auf sich selbst und 
sein Verhältnis* zur Menschheit an (Evangelium Lucae, XV, 4, Johannis X, 12); und deshalb 
gaben ihm die ersten Zeiten vor allen anderen, mit Ausnahme des vom Weinstocke, den Vorzug. 
Es entstanden drei Typen des guten Hirten: einer, wo er mit Orpheus verschmolzen ist; ein 
zweiter, wo er das wiedergefundene Schaf auf den Schultern trägt, mit aufgeschürzter 
Tunica und Mantel (Penula), eine unbedingte Wiederholung des Hermes Kriophorus, sehr allgemein 
zu finden; ein dritter, wo er einen Stab in der Hand hält und von einem Hunde begleitet ist, 
minder häufig. Seit dem fünften Jahrhundert verschwindet der Typus, obwohl Constantin der 
Grosse Statuen des guten Hirten auf den constantinopolitaner Plätzen hatte aufstellen lassen. 

In den Agncskatakombcn herrscht der zweite Typus vor, mit mannigfachen Modifikationen. 
Bald bläst er die Schalmei (Syrinx), bald steht er betend zwischen zwei Bäumen; bald blicken 
zwei Schafe zu ihm auf, bald hebt er ein Umm auf der einen Seite auf die Höhe , während er 
die Mutter auf der andern Seite melkt : einen Schemel (Seabellum) und eine Gelte oder ran Melkfass 
(Mulctra) hat er gewöhnlich am Arme oder an einem Baume hängen oder vor sich stehen. 

Wenn die ersten Herbstregen im Oetobcr gefallen und mit dem Brande der Sonne auch 
die Fieberdünste verschwunden sind, wenn das üppig henorschiessende Gras alle Höhenzüge 
überkleidet, dann steigen aus den schneebedeckten Abruzzen und vom Hochland Umbriens und 
der Sabina die Schäfer mit ihren Heerden in die römische Campagna herab. Dann sieht man 
die guten Hirten leibhaftig und wie sprechende Symbole, in Schaffelle gekleidet bei Sant' Agnese 
vorüberziehn. Wir haben oben erfahren, wie innig der Zusammenhang dieses Sinnbildes mit der 
Kirche der Heiligen Ist, und dass aus der Wolle ihrer Lämmer das Pallium gewebt wird, welches 
der katholische Bischof nach dem Beispiel des guten Hirten auf seine Schultern nimmt, das er 
zurück zum Schafstall und zu seiner Heerde trägt, das er mit Hülfe wachsamer Schäferhunde, 
der Dominicaner, der Dömim CetfUS dem Rachen des Wolfs entrissen hat. O, Campagna, 
wunderbarer Boden! Buch voll Gleichnisse, Bühne voll wandelnder Schatten, selbst ein Bild der 
Kirche und der Erde, wer denkt dich aus.' Wer durchdringt deine mystische Vorbedeutung? 
Es ist, als ob das Lamm, das dort rosenbekränzt auf dem Altar seiner Schutzpatronin liegt, tiefsinnig 
aufstünde und sagte — ich bin nur ein armes, unschuldiges Thier, aber hinter mir steht ein 
Universum. Du siehst mich an und kannst mich nicht begreifen. Die Welt ist eine Geheim- 
schrift, lies sie ; sie ist ein uraltes Räthscl, gehauen in einen ewigen Felsen, versuche seine I.ösung ; 
und wenn du dich den ganzen Tag damit herumgetragen, wichtigen Sinn herausgelockt, sehnsuchts- 
voll und einsam darüber gebrütet hast, lege dich am Abend nieder mit der Hoffnung, dass <lir 
die heilige Agnes oder ein befreundeter Gott im Traum erscheinen und das Wort nennen werde, 
an das du so fest geglaubt hast! — 




234 



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San Giovanni in Later&no. 

Santa Crocc in Gerusalemrae — Sanu Maria MagKiore. 




I 

* Koma nobilis, Oll is et domina, 
Cllfftctanim urliium cxccUcntissirna, 
Kosen manynim sanguinc rubca, 
Anb et virginum lilüs CMdU*: 
SaluU'in dirimit* tibi per omnia. 
Te benedicirous, salve per saccula! 

in hoc signo vinces! — Ausgekämpft ist der Kampf, ausgelitten das Mass des Martyriums, 
ausgefüllt der Kreis der zehn Christcnverfolgungen. Friede sei mit euch! Der süsse 
Friede kam, und in dem langen, schweren Streite hat das christliche Kreuz den Sieg 
davongetragen , es ragt flammend und triumphirend auf dem Pol der Erdkugel in die Höhe : 
der Kaiser, dem unter diesem Zeichen Obmacht verhirissejj worden, hat es mit eigner 
Hand begeistert aufgepflanzt Nun kehren sie heim, die unter Thränen hinaus getragen 
worden sind: die Märtyrer, die diesen Boden mit ihrem Blute geröthet haben, die heiligen 
Jungfrauen, die ihn gleich weissen Lilien beglänzen, erheben sich aus den Gräbern, 
den Katakomben und ziehen schaarenweise, wie Geisterkarawanen in die Stadt ein, wo 
sie sorglich bettet — der Erlöser selbst schwebt von einer Mauer des lateranischen Palastes 
glorreich und majestätisch auf und ergreift Besitz von seinem Jerusalem, weiht das Zion des neuen 
Bundes, stiftet die allgemeine, apostolische, römische Kirche, die Bischofskirche und die National- 
kirche der Römer und der Menschheit, die aller städtischen und irdischen Kirchen Haupt und Mutter. 

OMN1UM URBIS Kr ORBIS KCCI.ESIARUM 
MATER KT CAPUT 

heisst — wovon die tiburtinische Sibylle in ihrer Entzückung träumte;; was jener Kriegsknecht 
ahnte, da ihm das Scepter des sterbenden Tiberius vor die Füsse rollte und er es wie einer 
Zukunft Vorhang wallen sah; worum der heilige Bekenner auf dem glühenden Roste flehte, es 
ist erfüllt, das alte Rom die christliche, die heilige Stadl geworden, die der Pilgrim, wenn er sie, 
an Ruinen gelehnt, betrachtet andächtig grusst und anruft — 

Ewige Stadt, der Welt Hirtin und Htiterin, 

Rom, aller Städte ruhmvolle Königin, 

Von rosefarbenem Märtyrerblute roth 

Und dem jungfräulichen Lilienflor umloht — 

O, v»elbc»undcrte, nie aufgewundene : 

Gesegnet seist du durch cbe Jahrhunderte! — 

Man darf annehmen, dass diese welthistorische Wendung der Dinge durch politische 
Rücksichten herbeigeführt worden war: Constantin hatte viele Gegner und Nebenbuhler, und es 
lag nur in seinem Interesse, sich die zahlreichen christlichen Unterthanen geneigt zu machen. 
Die legende drückt das so aus, dass ihm bei seinem Zuge gegen Maxentius, angeblich bei 
Andernach am Rheine, ein flammendes Kreuz am Himmel mit der Aufschrift: IN HOC SIGNO 

*3S 



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VINCES, und in der Nacht, dir der Entscheidungsschlacht voranging, ein Engel mit dem Befehl 
erschienen sei, die Schilde seiner Soldat™ mit dem Monogramme Christi zu bezeichnen : wir haben 
bereits unter dem Triumphbogen gestanden, welcher den Sieg vom 27. October des Jahres 312 
verherrlicht und den man als einen Triumphbogen des Kreuzes selber betrachten kann. Im 
nächsten Jahre, 313, sicherte der Triumphator dem Christenthum mit I.icinius durch ein olficiclles, 
zu Mailand erlassenes Edict umfassende Duldung zu und räumte bei dieser Gelegenheit dem der- 
maligen Bischof Miltiades oder Melchiades den grossen und herrlichen, von Juvenal und Capitolinus 
erwähnten Palast am Ostabhange des Coelius, die Domus 1-ateranorum zur Wohnung ein, speciell 
den Flügel, den sdne Gemahlin Fausta inne hatte und der den Titel Domus Faustae führte. Dieser 
Palast war seit den Zeiten Neros kaiserliches Eigenthum und hatte, wie der Name besagt, 
ursprünglich den Lateranern, einer allrömischen Familie, gehört; mit den übrigen Gütern des 
Geschlechtes fiel er an die Krone, als Nero den Consul Plautius Lateranus, der sich gegen ihn 
verschworen, hinrichten liess, und kam nur vorübergehend, unter Septimius Severus, wieder in 
die Hände der rechtmässigen Besitzer. /// domo Faustae in Laterans wurde bereits am 2. October 
313 unter Miltiades ein Cond! gehalten und der Bischof Donatus wegen ungerechten Gerichts 
verurtheilt; in domo Faustae in I^iterano wohnten die Päpste fast tausend Jahre lang, nämlich 
bis zum Jahre 1305, wo sie ihren Sitz nach Avignon verlegten und in die „babylonische Gefangen- 
schaft" zogen; nach ihrer Rückkehr wählten sie den Vatican zur Residenz. 

Im Jahre 324 war Constantin Alleinherrscher des römischen Reichs geworden, und in 
demselben Jahre sollte er durch eine besondere Führung veranlasst werden, sein Werk zu besiegeln 
und das Christenthum zur Staatsreligion zu erheben. Die Geschichte will, dass Constantin der 
Grosse, zwar längst Christ und bekehrt, aber noch Katechumen. das Sacrament der Taufe 
erst in seinem vierundsechzigsten Lebensjahre, auf dem Todtcnbette von einem arianischen Bischof 
empfangen habe; der Glaube an die sündenvergebende Kraft der Taufe, welcher nur der 
Märtyrertod, die Bluttaufe gleichgeachtet wurde, bewog viele, dieselbe so lang«; als möglich 
aufzuschieben. Wir müssen uns an die Legende halten, welche die nachfolgenden Jahrhunderte 
beherrscht hat, ohne die das christliche Rom gar nicht verstanden werden kann, die auch den 
Kern der Sache am geschicktesten formulirt. Also die Legende erzählt, dass der Kaiser eben im 
Jahre 324, dem fünzigsten seines Lebens, an einer hitzigen Hautkrankheit schwer daniedergelegen 
habe. Sein Leibarzt verordnete ihm animalische Bäder: der Patient sollte sich täglich einmal in 
das warme Blut gesunder Kinder einbringen lassen: und zu dem Ende ward beim lateranischen 
Palaste ein marmornes Badebassin (Baptisterium) erbaut Da hatte der Kranke eine Vision. Geh 
zum heiligen Sylvester, hiess es; statt in das Blut unschuldiger Kindlein tauche dich in das 
Wasser, womit der Täufer die Sünden der Menschheit abwäscht, so wirst du des Aussatzes 
genesen. Constantin gehorchte, er liess sich in dem Bassin taufen, in dem er hatte ein Blutbad 
nehmen wollen, der Aussatz wich von ihm, und aus Dankbarkeit erliess er, entschlossen, das 
Christenthum in allen I-anden einzuführen, an seine Unterthanen eine zweite (von Eusebius ins 
Griechische übersetzte) Botschaft, durch die er sie aufforderte, dem alten Aberglauben zu 
entsagen und den wahren Gott anzubeten; und machte dem römischen Bischof, seinem geliebten 
Bruder (dilecto fratri) den Kirchenstaat oder Petri Erbgut, das Patrimonium Petri nebst der 
päpstlichen Tiara zum Geschenk, während er selbst eine allgemeine Kirchenversammlnng nach 
Nicaea berief und persönlich den Vorsitz derselben führte (325). 

Nun brauchte sich das ChrLstenthum nicht mehr in Katakomben zu verstecken: in 
oder neben dem bischöflichen, weiland lateranischen Paläste ward eine Basilica, eine erste 
öffentliche, christliche Basilica gegründet, die Basilica Lateranensts. Geweiht war sie vermuthlich 
von Anfang an Johannes dem Täufer, dem Constantin der Grosse auch anderwärts, zu Ostia, 



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Albano, Neapel und Constantinopel Kirchen baute, unter dessen unmittelbarer Protection die 
anliegende Taufkapelle stand und der als die Personincation der 'laufe Constantins und der 
Bekehrung Roms aufgefasst werden konnte; doch führt sie in alten Zeiten auch den Namen 
Erlöser- oder Heilandskirchc (Basilica Salvatoris), weil sie an die wunderbare Heilung des Kaisers 
durch die Taufe erinnerte und eben diese Heilung eine sinnreiche Beziehung auf die Heilung 
und Rettung der ganzen Menschheit durch den Weltheiland darbot Als Sergius III. am Anfang 
des zehnten Jahrhunderts den eingestürzten Tem|>el aus gänzlichem Ruine neu erhol), machte- er 
den johanneischen Titel offiziell, und Johanneskirche, San Giovanni in Laterano, heisst die 
Constantinische Basilica bis heute, wie die Taufkapellc San Giovanni in Fontc heisst; am Geburts- 
tage des heiligen Vorläufers ist das Haupttest der Kirche, und nur ein Misversländnis hat 
wieder den Täufer mit dem Evangelisten verwechseln und beide Johannes als ihre Schutzheiligen 
verehren lassen. 

Ks ist charakteristisch, dass es unter den eigentlichen 1 lauptkirchen der Stadt keine einzige 

(Santa Maria 

Maggiore) 
allerdings zu 
den Patriar- 
chat - Basili- 
ken gehört 
Diese 

letztere, nicht 
blos die grös- 
ste, sondern 
auch die äl- 
teste Marien- 
kirche in Rom 
und höchst 
wahrschein- 
lich in der 
christlichen 

Welt, stammt dennoch aus nachconstantinischcr Zeit: Papst Liborius baute sie im Jahr 351 auf 
der Stelle des K«|uilins, wo am Morgen des 5. August, gemäss einem vorhergegangenen 
Traumg<:sichte, frischer Schnee lag; zum Andenken an so wunderbaren Schneefall, nach dem sie 
auch Maria im Schnee (S. Maria ad Nives) heisst, lässt man noch jährlich zur Kirmes beim 
Hochamte und bei der Vesper weisse Blumenblätter von der Decke regnen, wie sie bei den 
Passionsspielen in Oberammorgau Manna regnen lassen. Sixtus III, der die Kirche 435 erneuerte, 
nannte sie S. Maria Mater Dei, weil sie der Mutter Golfes angehören sollte: die Gottosmutter- 
schaft der heiligen Jungfrau war eben auf dem Concil zu Ephesus, im Jahre 430 zum Dogma 
erhoben worden. Damit mag es zusammenhängen, dass man die echte Krippe des Jesuskindleins 
aus dem heiligen Lande in diese Kirche brachte (S. Maria ad Praesepe). Aber vor der Krippe, 
die nur eine Reliquie in der Kirche bildet, war ein anderes, vornehmeres Heilthum aufgefunden 
worden und theilweise nach Rom gekommen, ein Heilthum, das selbst eine Kirche werth war — 
das Kreuz, an welchem Jesus gehangen hatte, und es führt uns in die Nähe des Laterans und in 
die Constantinische Familie zurück. 

Am 3. Mai des Jahres 327 hatte Hei na, die Kaiserin -Mutter, in Jerusalem, das heilige 
Kreuz erfunden (Inventio Sanctae Crucis). Unt r I ladrian war jede Spur von Golgatha vertilgt, 

m 

»37 



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und unter den 
dreihundert- 
vierundsech- 

zig römi- 
schen Kir- 
chen über- 
haupt nur 
eine und die 
andere Chri- 
st uskirche 
gibt , dass 
man dage- 
gen achtzig 

Marienkir- 
chen zählt 
und die grös- 
ste darunter 




S, Cnxc i» eKTiMl^intiii-, 



der Boden erhöht und ein zwiefacher Tempel des Jupiter und der Venus darauf errichtet worden. 
Zugleich mit der Annahme dc_s Christenthums lasstc Constantin den Kntschluss, die heiligen Stätten 
von jenem Greuel zu säubern, und dieser Entschluss ward durch seine Mutter Helena, die im Alter 
von neunundsiebzig Jahren nach Palaestina reiste, und den Bischof Macarius ausgeführt. Mit Gottes 
Hülfe und unter Anleitung eines gelehrten Hebräers, eines gewissen Judas, nachmals unter dem 
Namen Quiriacus getauft, entdeckte man den Platz, schaffte die Erde weg, und in einer Reihe 
nebeneinander erschienen die drei Kreuze. Auch das Täfckhcn mit der in drei Sprachen, Hebräisch, 
Griechisch und Utcinisch abgefassten Inschrift (JESVS NAZARENVS REX 1VDAE0RVM), 
welches Pilatus an das Kreuz Christi anheften lassen hatte, fand sich. Doch war es vom Stamme 
losgerissen und die Aufgabe demnach schwierig, das Kreuz Christi von denen der beiden 
Schacher zu unterscheiden. Zum Glück kam Macarius auf einen sinnreichen Gedanken. Eine junge 
Jcrusalemerin lag am Tode, zu ihr brachte man die drei Kreuze. Die beiden ersten hatten nicht 
die geringste Wirkung, als die Kranke aber das dritte berührte, genas sie augenblicklich. Das 
war das rechte! Kreuz. Ein Stück davon wurde in Silber gefasst und dem Macarius übergeben, 
der es in Jerusalem behielt, der Rest nebst den Nägeln an den Kaiser expedirt. Da sollte sich, 
wie einige Väter sagen, die Prophezeiung des Sacharja (Cap. XIV, 20) erfüllen. Einen der 
Nägel legte Constantin als Eiserne Krone (Corona Ferreai um seinen Helm, aus einem zweiten 
ward ein Zaum für sein Ross geschmiedet; was vom Kreuze selbst noch übrig war, wurde zum 
Theil in eine Bildsäule Constantins auf dem gleichnamigen Forum in Constantinopel eingeschlossen, 
thcils, so namentlich die triglotte Inschrift, von der Kaiserin nach Rom gebracht und in der 
Kirche niedergelegt, die sie noch vor ihrem Tode innerhalb der Umfassungsmauern des Sessoriums 
im Jahre 328 stiftete (ßan'/üa Sanctat Crucis in Hürnsalem). Ausserdem hatte Helena auch die 
achtundzwanzig Marmorstufen der Treppe eingepackt, die zur jerusalemer Landpllegerschaft führte 
und die der schmerzenreiche Erlöser hinaufgestiegen war: diese heilige Stiege kam in den 
bischöflichen Palast am Lateran (SS. Sa/va/ore delle Scale Santi). 

Es ist wahrscheinlich, dass Constantin der Grosse an den heiligen Stuhl keine andere 
Schenkung gemacht hat, als die des Patriarchium Lateranense und dass sich der Kirchenstaat von 
damals in Wahrheit auf die Laterankirche reducirt. Nichtsdestoweniger, auch nicht ohne ein 
höheres historisches Recht, hat die Christenheit den Anfang des neuen Weltreichs vom Jahr 324 
datirt und (da das Zweigöltersystem in der römischen Geschichte hergebracht ist) in Constantin 
dem Grossen und seiner Mutter Helena ein drittes römisches Gründerpaar gesehen. Wie die tteiden 
geistlichen, gleich Saul und Jonathan „im Leben einigen und im Tode nicht getrennten" Brüder, 
Petrus und Paulus, auf die beiden leiblichen Brüder, Romulus und Remus, die Erbauer der ewigen 
Stadt gefolgt sind, also folgten wieder auf Petrus und Paulus der Kaiser Constantin und die 
Kaiserin-Mutter Helena, die Apostclgleichen \'l^.4lloXToUtl). Die irdischen Reste der beiden Apostel- 
fürsten befinden sich zur Hälfte in Sanct Peter, zur Hälfte in Sanct Paul, aber ihre heiligen Häupter 
sind in der Lateranbasilica. Wer denkt hier nicht an das Caput Toli vom Capitol, «las diesen 
Hügel zur Weltherrschaft praedestinirte ? Ks will symbolisch andeuten, dass die Constanlinlsche 
Kirche das Haupt, das neue Palatium und Capitol der Erde zu werden vorbestimmt war. 



An neun Jahrhunderte sind vergangen. Das Haus der Lateraner Ist nachgerade zu einer 
kleinen Stadt und einem Jerusalem hochheiliger Orte angewachsen : es umschliesst Tempel, Klöster, 
Oratorien, Taufbrunnen und apostolische Paläste: aber das Heiligthum unter den Heiligthümern, 
das Sancta Sanctorum oder das Allerheiligste ist die päpsüichc Hauscapelle, die auch nach dem 



11, 



238 




berühmten Leviten, dem heiligen Laurentius, ernannt wird; sie hat zwar noch nicht die glänzende 
Ausschmückung erhalten, die ihr Nicolaus III. geben wird, aber sie ist schon lange das unnah- 
bare, nur dem Hohenpriester vorbehaltene Palladium der Stadt 

Sie enthält die angesehensten Reliquien — die Häupter der Apostelfürsten und das nicht 
von Menschenhänden gemachte Portrait Christi; zu ihr, die im ersten Stocke gelegen Ist, führt, 
wir wollen es so annehmen, die heilige Trepj>c vom jcrusalemer Praetorium, die der Erlöser 
kummervoll erklomm, als er zu Pilatus ging, auf deren Absatz er, ecce homo! als ein ergreifendes 
Bild menschlichen Jammers stand. 

Ist es nicht, als ob er jetzt noch oben stände? In dem wunderbaren Bilde, das der 
Evangelist gemalt hat, das zu vollenden Engeischaaren vom Himmel herniedergeschwebt sind, 




San Giorauii 1-itcraou. 



scheint Christus selber gegenwärtig; er steigt sie noch immer hinauf, die achtundzwanzig Stufen, 
und die Millionen, die ihm knicend nachfolgen, erkennen das Haupt voll Blut und Wunden, o 
sehet, welch ein Mensch ! 

Nicht von Menschenhänden gemacht oder, wie die Griechen sagen, «V'P".'""',i<<>- Es 
gibt zwei Bilder Christi, denen dieses Praedicat zukommt und die, wenn man der Lebende 
glauben dürfte, die ältesten und authentischsten auf der Welt sein würden: das Abgarus- und 
das Veronicabild. Das eine wie das andere ist gewissennassen als ein übernatürlicher Zeugdruck 
zu betrachten, zu dem Christi eigenes Antlitz die Form geliefert hat. Ersteres entstand so: 
Abgarus, König von Kdcssa, ein Freund des Augustus, hatte von dem wunderthätigen Arzte 
Jesus in Judäa gehört und ihn, da er an den Füssen litt, brieflich zu sich eingeladen, aber von 
dem Herrn eine abschlägige Antwort erhalten. Da schickte er einen Maler nach Jerusalem, der 



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den Sohn Gottes abnehmen sollte; doch der war nicht im Stande, die überirdische Klarheit, die 
um den Messias leuchtete, zu ertragen. Um ihm aus der Noth zu helfen, nahm Jesus sein Gewand, 
hielt es vor sich und drückte sein Gesicht in dem Stoffe ab: den Abdruck, tö <innxnna/i«. schickte 
er nach Edessa. Dieses Bild kam am 16. August des Jahres 944 nach Constantinopel und 
taucht später in Italien, unter andern auch in Rom, in der Kirche San Silvestro in Capite wieder 
auf; sie gehörte in der That Basilianern an, die während des Bilderstreites von Constantinopel 
nach Rom geflüchtet waren. Ks stellt Christus in der Blüte jugendlicher Kraft und Schönheit, 
mit hoher Stirnc, klaren Augen, gerader Nase, gescheiteltem Haar und dichtem braunem gespal- 
tenem Barte dar. Das sehr verschiedene Veronicabild, das den leidenden, dornengekrönten 
Erlöser zum Gegenstande hat und das uns in Sanct Peter gezeigt werden wird, ist ebenfalls 
einem Stück Zeug, dem Schweisstuch der Veronica, eingedrückt — einer mythischen Personifikation 
des wahren Bildes (Vera Icon). Das sind also zwei Acheiropoieta , und ihnen zählt denn bereits 
Anastasius auch das Bild in Sancta Sanctorum zu, doch scheint es, dass sich der gelehrte 
Bibliothecar die Begriffe nicht völlig klar gemacht hat Denn offenbar muss man darunter 
Naturbilder verstehn, die gar nicht künstlich gemalt, sondern nach Art von Photographien oder 
Lichtdrucken mechanisch hervorgebracht worden sind: eben darauf beruht der unvergleichliche 
Wert derselben. Bei dem Bild in der päpstlichen Hauscapelle will die Tradition dagegen, 
dass es von dem Evangelisten Lucas gemalt und von Engeln retouchirt worden sei. Lucas war 
bekanntlich ein Maler, und ihm soll nicht blos Christus, sondern auch Maria und Petrus und 
Paulus gesessen haben: die Lucas'sche Madonna befindet sich in Santa Maria Maggiore, in der 
Kapelle der Eamilie Borghese. Allen Respect vor dem Pinsel des Evangelisten! Aber wenn 
auch sein Portrait an Heiligkeit und Treue den beiden Originalabdrücken nahe kommen sollte, 
so ist es doch immerhin ein Werk von Menschenhänden, respective von Engelshänden, keine 
unmittelbare Reproduction — es ist nebenbei gesagt, ein Werk von byzantinischen Händen, viel 
jünger als der Christuskopf, der sich in den Callistus - Katakomben findet und der für die 
gesamte christliche Malerei den Typus gegeben hat. 

Vor diesem Christusbild, das an Christi Statt in der Kapelle Santa Sanctorum hängt, 
kniet Innocenz III., der Stellvertreter Christi: er hat eben den heiligen Stuhl bestiegen und 
die dreifache Krone aufgesetzt bekommen: er ist in feierlicher Proeesston auf weissem Zelter 
den grossen Strassenzug des Papstweges endang von Sanct Peter zum Lateran geritten: in der 
Laterankirche hat er, angesichts des ehernen Caballus Constantini, von seinem Thron Besitz 
(Possesso) genommen. Hier wohnt er, hier wurzelt er: in Sanct Peter ist er der geistliche Herr 
der Welt, im Lateran ist er Bischof ; dort gebietet er ,,(>rbi", hier „Urbi". Stadt und Land sind 
eins; aber die Stadt ist das mystische Emblem, das ihm die Weltherrschaft erst verspricht- 

Der neue Papst steht auf, um in dem grossen Six:iscsaal, dem Triclinium Majus, das Fest- 
mahl einzunehmen; er setzt sich an eine separirte Tafel, in die Tribüne, wo der Heiland in Mosaik 
gebildet Ist, wie er seine Jünger mit der apostolischen Gewalt aussendet, wo er dem Papst 
Silvester die Schlüssel des Himmelreichs und dem Kaiser Konstantin das Kreuzhanner übergibt, 
wo Petrus Leo III. die päpstliche Stola und Karl dem Grossen die Fahne reicht: in einsamer 
Grösse übersieht er, von Fürsten und Königen bedient, wie ein Gott seine Tischgesellschaft — 
er wirft einen Blick auf das ererbte Weltreich, und über seine Stirnc; zieht der kühne Traum des 
Papstthums. 

Dieses Weltreich heisst die Kirche : es ist in der Lateranbasilica vorgebildet und inbegriffen 
— sie ist ein Titel über alle Titel, sie verleiht ein Scepter über alle Sccptcr, in ihren Hallen hängen 
wie im Tempel zu Jerusalem die Wagschalen des höchsten Richters, in welche die Loose der 
Menschheit geworfen werden. 



240 



So sitzt er am Webstuhle der Zeit, der grosse Weber, und wirkt Gottes Kleid : Geheimnis- 
voll und mit wichtiger Miene gehen die Praelaten aus und ein — Brevcn und Bullen, an 
denen das bleierne Siegel hängt, werden von Kanzlei zu Kanzlei getragen — Eilboten satteln, 
um nach allen Richtungen der Windrose zu fliegen — Legaten und Nuntien ziehen aus, Schicksale 
und Kronen in den Taschen — Bannstrahlen zucken wie Blitze in einer Gewitterwolke — man hört 
hier das Herz der Weltgeschichte schlagen, man sieht hier die Länder der Erde zu seinen Füssen 
liegen, man athmet hier eine Luft von lehnsherrlicher Majestät 

Voll von diesen Gedanken legt sich Innocenz nieder und schläft ein; während seines 
Schlummers hat er eine seltsame Vision. 

Wohl twhl d.Lt Haus gezimmert <in<l gefUgt, 

Dock iirh, m wankt der Grand, auf dem wir hauten I 




UltrtlipUu lu... dl S. Coi»oni U> LaLeriaa.) 



Es däucht ihm, die Kirche von San Giovanni in Laterano falle ein, wie sie vor ein paar 
hundert Jahren eingefallen war: ihre Mauern schwanken, sie neigen sich drohend über ihn, sie 
stürzen wie von einem Erdbeben erschüttert — da stemmt sich noch zu rechter Zeit ein Mönch 
dagegen, ein fremder, unbekannter, geringer Mönch, und hält den sinkenden Tempel in seinem 
Kalle auf. 

Innocenz fahrt voll Schrecken in die Höhe: er sieht zum Fenster hinaus: da steht das 
Haus der Kirche fest gegründet und gezimmert, und nichts wankt und schwankt. Er sinnt dem 
Gesichte nach und über dem Sinnen schläft er abermals ein und hat zum zweiten Male einen 
bedeutenden Traum. 

Abermals bricht über ihm der Lateran zusammen , und abermals stützt ihn ein fremder 
Mönch mit seinen Schultern, aber ein anderer ab vorhin. 

i 

241 



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Den nächsten Tag Hessen sich zwei Männer bei ihm melden, zwei sonderbare Schwärmer, 
ein Umbrer und ein Spanier, Franz von Assisi und Domingo de Guzman: sie kannten einander 
nicht, aber der eine wie der andere wollte einen Bettelorden gründen; selbander fingen sie an, 
sich für das evangelische Leben zu begeistern, selbander predigten sie die apostolische Armut, 
die apostolische Strenge und Einfalt in dem apostolischen Palast, selbander hielten sie sich berufen, 
unter die sich senkende Kirche wie Strcl>epfeiler unterzutreten — das waren die beiden Mönche. 

Da ergriff den Papst das Zusammentreffen der Dinge und er ward die himmlische 
Fügung und den göttlichen Fingerzeig gewahr. Er liess sich überreden, und bei dem berühmten 
Concil , das vom 1 1 . zum 30. November des Jahres 1215 in der Laterankirche abgehalten 
ward und /u welchem 482 Bischöfe, 900 Aebte und Prioren, Gesandte aus aller Herren Ländern 
und die bedeutendsten Zeitgenossen, im Ganzen 22S3 Personen erschienen waren , in einer der 
glänzendsten Versammlungen des Katholicismus bestätigte er die beiden Bettelorden der Francis- 
caner und der Dominicaner, dass sie das schwankende Ansehn der Kirche wieder befestigten — 
— wir würden diese Episode nicht herausgegriffen haben, wenn sie nicht ausdrücklich an den 
Lateran anknüpfte und wenn nicht auf zwei Gemälden, die den Traum des Papstes zum Gegen- 
stände haben, von Giotto und von Fiesole, die Laterankirche als die Kirche liguriite. 

DL 

Das hat sich sehr geändert. Am rt. Mai 1308, gleich nachdem die Curie nach Avignon 
übergesiedelt war. ging die Basilica und das gesamte Patriarchium Lateranense durch einen 
unglücklichen Zufall in Hammen auf ; die Kirche ward wieder aufgebaut, um 1360 abermals vom 
Feuer verschlungen und abermals aufgebaut zu werden, aber der Palast blieb eine Ruine und 
eine öde Brandstätte, völlig unbewohnbar. Als daher Urban V. im Jahre 1367 die ewige Stadt 
l>esuchte, als Gregor XL im Jahre 1376 definitiv nach Rom zurückkehrte, mussten sie wenigstens 
vorläufig den am entgrgrngesetzten Pole gelegenen, übrigens gleichfalls trostlos aussehenden 
Vatican beziehen: ganz Rom wird von den leichtern jener Zeit unter dem Bilde einer betrübten, 
in Schutt und Asche wehklagenden Witwe dargestellt Nachdem sich die Päpste nun einmal 
weggewöhnt hatten, kümmerten sie sich auch nicht mehr um das 1 laus, in dem sie gross gewachsen 
waren, und erst Sixtus V. liess im Jahre 1586 die Ruine schleifen und durch Domenico Fontana 
einen neuen Palast aufführen. Derselbe, der noch gegenwärtig steht, ist bedeutend kleiner als der 
alte und schliesst das Gebäude der Scala Santa, welches bei dem grossen Brande verschont 
geblieben war, aus; es erhebt sich, als der einzige Rest des Constantinischen Patriarchiums, isolirt 
und aus dem Zusammenhang gerissen, an der Ostseite dtrs Platzes, dessen Aussehen, wie das so 
vieler anderer, durch Sixtus V. und seinen getreuen Baumeister bestimmt ward; sie schmückten 
ihn auch, da die Aufrichtung das Vaticanischen glücklich gelungen war, mit einem Obelisken, 
dem grössten Monolith der Erde, der Nadel des aegyptischen Königs Tutmes HL, welche, an 
viertausend Jahre alt, an eine Million Pfund schwer, 32 m, mit Postament 47 m hoch, ursprünglich 
vor dem Sonnentempel zu HelioiH>lis stand, im Jahre 357 n. Chr. nach Rom kam und hier den 
Girat des Circus Maximus bezeichnete; sie bauten in der Stadt eüien wahren Wald von Obelisken 
auf, einen dritten setzten sie auf die Piazza dcl Popolo und einen viert™ vor S. Maria Maggiore. 
Der Lateran wurde wohl wiederhergestellt, der Lateranpalast gleichwohl nicht mehr benutzt, sondern 
1693 in ein Waisenhaus verwandelt, 1843 zu einem Museum eingerichtet. Auf dem Platze, wo 
einst der sausende Webstuhl der Zeit gestanden hat, herrscht jetzt tiefe Stille, der päpstliche 
Hofstaat hat sich nach dem Vatican verzogen, und nur am Himmelfahrtstage, wenn der heilige 
Vater vom Balcon der Basilica herab dem Volke den Segen ertheilt, wird es auf ihm lebendig: 

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der Neugewählte nimmt noch immer Besitz vom Lateran, aber er besitzt ihn nicht mehr — ich 
meine „besitzen" im eigentlichen Sinne, denn nebst dem Vatican und Castel Gandolfo hat der 
l^ateranische Palast durch das Garantiegesetz vom 13. Mai 1871 das Privilegium der Exterri- 
torialität erhalten. 

Wenn man die Stadt Rom als einen Kreis betrachtet, so kann man sagen, dass die Päpste 
ihre Residenz von einem Punkte der Peripherie: auf den andern verlebt haben. Und zwar auf 
den gegenüberliegenden Punkt der Peripherie, denn wenn man vom I.ateran zum Vatican eine 



gerade Linie 
zieht, so geht 
sie durch den 

Mittelpunkt 
des Kreises. 
Die gerade Li- 
nie, der Durch- 
messer des 
Kreises , ist 
die Via Papa- 
Iis, auf wel- 
cher sich der 

papstliche 
Krönungszug 
bewegt. Inncr- 
halbder Kreis- 
fläche habc;n 
die Päpste nie 
gewohnt, denn 
der viel jün- 
gere Quirinal 
war nur eine 
Sommerresi- 
denz. 

Nur die 
I .aterankirchc 
selbst bewahr- 
te ihre Grösse 
und ihren ehr- 
würdigen, 
über alle an- 
eine Zuflucht in ihren Mauern linde. Sie ist vornehm und angesehn wie alter Adel — sie ist 
auch conservativ wie alter Adel und hält unverbrüchlich an den ererbten Institutionen, an 
ihren heiligen Familientraditionen fest. Nicht dass sie äusserlich dieselbe geblieben wäre; o, 
keine Basilica ist so viel Unglücksfällen, so viel Veränderungen ausgesetzt gewesen als die 
Lateranbasilica : Der Bau Sergius III. zerstörte die Kirche Constantins, und auf den Funda- 
menten des Sergius -Baus erhob sich zwischen den Jahren 1560 — 1746 etwas ganz Fremdes, 
ganz L'nconstantinisches. Seit dem fünfzehnten Jahrhundert ward die Basilica erneuert und reich 
geschmückt, 1650 im Innern durch Borromini barock umgestaltet; 1754, unter Clemens XII., 




Hdlif« Treppe ISS. Siltaiorc Jtlle Scale San«). 



dem übergrei- 
fenden Primat. 
IhrClerus ging 
bei der glän- 
zenden Fron- 
leichnamspro- 
cession vor 
dem der Pe- 
terskirche; sie 
sprach kein 
anderes Geljet 
als das Gebet 
des I leim ; in 
ihr wurde beim 
.Agnus Dei' 
das ,da nolris 
pacem ' weg- 
gelassen, weil 
sie selbst ein 
Jerusalem und 

der ewige 
1-rx-de war: 
ursprünglich 
hatte sie, als 
ein unverletz- 
liches Asyl, 
nicht einmal 
Thüren , son- 
dern einfache 
Vorhänge, da- 
mit männiglich 



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einem Corsini, erbaute Alessandro Galilei die neue Facade und die schöne Capelle Corsini. 
Sie ist völlig modemisirt; nur der Hauptaltar mit dem gothischen Tabernakel besitzt nebst 
einigen Monumenten ein relatives Alter, er stammt aus der Zeit Urbans V., der die Basilica nach 
dem zweiten Brande im Jahre 1360 wieder aufbaute und in jenem Tabernakel die bis dahin in 
Sancta Sanctorum verwahrten Häupter der Apostelfürsten niederlegte; ausserdem stehen manche 
Reste der altern Seryius'schen Kirche in dem schönen Klostcrhofe, der mit seinen gewundenen 
und mosaicirten Säulchen an Farbe und an eigentümlichem Reiz nur dem der Paulskirche ver- 
glichen werden kann; wie jener gehört er dem dreizehnten Jahrhundert an. Man sieht in ihm 
den alten bischöflichen Stuhl und viele interessante Reliquien — einen ehemen Hahn, der die Nach- 
folger Petri an die Schwäche der menschlichen Natur erinnern sollte (KT GALLVS CANTAVIT), 



die Säule, welche sich, 
„was die mehr als stei- 
nernen Herzen der Juden 
nicht gethan", in Jerusa- 
lem bei Jesu Tode in 
zwei Hälften spaltete 
(KT PKTRAR SCTS- 
SAK SVNT) und das 
Mass Christi in Form 
eines steinernen Tisches. 
Schade dass sich unter 
diesen Raritäten der 
marmorne Nachtstuhl 
(Sella stercoraria) nicht 
findet, der in der Vor- 
halle der Sergius'schen 
Basilica, vor der heiligen 
Thüre stand und auf den 
sich der Papst bei der 
Besitznahme niederlassen 
musste, um der irdischen 
Gebrechlichkeit einge- 
denk zu sein : Kr hebet 
auf den Dürftigen aus 




Bnpincii im KlwmriKir «Ic« Lilcrstu- 



dem Staube nnd erhöhet 
den Armen aus dem 
Koth, dass er ihn setze 
unter die Fürsten und 
den Stuhl der Khren 
erben lasse (SVSCITAT 
DK PVLVKRK KGK- 
NVM KT DK STKRCO- 
RK KR1GIT PAVPK- 
REM, VT SKDKAT 
CVM PRINCIPIBVS KT 
SOUVM GLORIAE 
TKNKAT, 1. Sam. II, H; 
PS.CXIIL7). Der Sessel 
war antik und ursprüng- 
lich ein Badestuhl, ähn- 
lich dem aus Rosso an- 
tico, der im Pio-Cle- 
mentinischen Museum, im 
Gabinetto dcllc Maschere 
aufbewahrt wird. 

Man nennt sol- 
che Hallen Kreuzgänge, 
nicht etwa, weil sie 



selbst kreuzförmige Gänge gewesen wären, da sie vielmehr den vier Seiten eines Quadrats 
entsprechen, sondern, weil sich der Kreuzhang, d. h. der feierliche l'mzug der Mönche mit 
dem Kreuze zur Andacht an den hier befindlichen Gräbern durch sie hindurchbewegte (tat. 
claustrum, it. chiostro, franz. cloltre). 

Der ganze Lateran steckt in dem alten Kreuzgang, Johannes der Täufer hat äusserlich 
fast nichts von seiner früheren Herrlichkeit und Würde als die Mosaiken der Tribüne und den 
Leoninischen Porticus behalten — und doch weht in dem complicirten Werke später, weit aus- 
einander liegender Restaurationen noch der fromme, conservative Geist der ersten Jahrhunderte: 
bis auf den heutigen Tag gilt es von der Lateranbasilica , was Abälard von ihr gerühmt hat, 
dass sie allein unter allen Kirchen der Stadt die alte Ordnung 'des Gottesdienstes, das alte Officium 
und die alte Liturgie unverfälscht bewahre, was nicht einmal die Peterskirche thue; noch heute 
wird in ihr am Sonntag vor dem Hochamt unter dem Gesänge der Litanei in Procession gegangen, 



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noch heute bei der Seelenmesse der Name des Verstorbenen genannt, noch heute am Johannis- 
abend das Gewürznäglein eingesegnet: die Gewürznelken (Chiodi di garofano), in welche sich 
die anwesenden Geistlichen theilen, haben eine unverkennbare Beziehung auf das Würz- oder 
Johannisfeuer, in welches man von jeher aromatische Kräuter und Weihrauch geworfen hat. 1 

Und noch heute werden am l.atcran, zu San Giovanni in Fönte die Ungläubigen getauft 
— aus dem Brunnen, in dessen Wassern Constantin der Grosse und in Constantin dem Grossen 
das Heidenthum untertauchte und des unheilbaren Aussatzes genas, steigt alle Jahre am Ostcr- 
sonnabend die wiedcrgelxirene Schaar der Neophyten, der bekehrten Juden, Türken und Heiden in 
weissen Kleiden) auf : ascendit grex dealbatorum de lavacro. In Gestalt der Osterkerze . gleich 
der Feuersäule, die das Volk Israel durch's Rothe Meer geleitet hat, geht ihnen Christus voran 
und empfängt mit ihnen von Täufers Händen das heilige Sacrament: der I-ateran ist noch immer 
die Stätte, wo der Vorläufer das Mcssiasreich ankündigt und das alternde Erdenrund verjüngt. 

Die stille Woche ist vorbei, sie war nicht nur still, sie war auch dunkel wie das Grab. 
Die Sonne der Welt ging unter, sie versank weinend „in Tenebris"; die christliche Kirche ver- 
hüllte sich und schwieg. Charlreitagsruhe und Charfreitagswehe lag bleiern auf der Natur, das 
Universum schien sich in ein Castrum doloris zu verwandeln, in dem der Candelaber mit den 
fünfzehn Kerzen brannte: die fünfzehn Kerzen erloschen eine nach der andern und durch die 
Finsterniss erklang das Miserere. Kine lange Nacht, lang, hing und sternenlos — da endlich 
graut der Morgen des grossen Sabbats, das himmlische Licht erneut sich und kehrt sieghaft wieder, 
und, wie das jungfräuliche Feuer der Vesta, muss es frisch angefacht und der verborgene» Quelle 
rein entnommen werden. 

Aas hartem Stein wird der Himmelsfunken herausgeschlagen, ein Häuflein Kohlen in Brand 
gesteckt und die Gluth in einer Pfanne zum Tempel hineingetragen. Hier ist die Geistlichkeit 
versammelt: der Diaconus in weisser Dalmatica nimmt ein Rohr, an dem drei Lichter, Sinnbilder 
des drei Welttheile bescheinenden Lvangeliums, befestigt sind: er senkt das Rohr, zündet das erste 
Licht an und singt: 

I Almen Chröti! 

Kr geht bis in die Mitte des Schiffs und zündet das zweite Licht an: 

I.umen < hnMi I 

er kniet an den Stufen des Altars nieder und zündet das dritte Licht an: 

I.umcn Christi! 

Mit diesem , Lumen Christi' wird endlich die grosse Osterkerze, der Cereus Pasqualis, ange- 
brannt, der gleich dem auferstandenen Christus neben dem Altar aufgepflanzt ist, der gleich dem 
Leibe des Erlösers fünf Wunden und fünf Weihrauchkörner hat, und der die ganze Osterzeit 
hindurch beim Gottesdienste brennt, bis zu Himmelfahrt, wo er während des Hochamts nach dem 
Evangelium ausgelöscht wird. Zugleich werden alle übrigen Kerzen und Lampen der Kirche 
angezündet und Strahlen der jungen Sonne auch der Gemeinde mitgetheilt. Es ist bekannt, zu 
welchen Unruhen, ja zu welchem gottlosern Scandal das Fest des heiligen Feuers zu Jerusalem 
in der Grabeskirche alljährlich Anlass giebt 

Die Osterkerze ist das Licht, welches die Welt erleuchtet: sie erleuchtet alle Heiden; der 
Taufquell, nach dem die Neubekehrten wie Hirsche nach frischem Wasser schreien, wird durch 
sie erschlossen, durch sie geweiht, durch sie aus den Tiefen der Erde hervorgelockt. Statt 
crrvHS desidtrnt ad fontes aquarttm — unter dem Gesänge diesem Psalmen ziehen die Täuflinge 
in die Constantinische Taufkapelle, lange Zeit die einzige innerhalb der Mauern, in das mächtig 
cmj>orstrebende, von acht Porphyrsäulen getragene Octogon und hinab in das Bassin, auf dessen 
Grunde ein basaltenes Becken steht. Das ist der Taufstein: an ihn tritt der Generalvicar, wie 

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Johannes an den Jordan, taucht die Osterkerze in das Wasser, theilt das vergottete Nass mit 
der rechten Hand in Kreuzesform, es nach den vier Weitgehenden führend, sprengt davon auf 
die Gemeinde und auf die Häuser der Stadt, giesst das Chrisina und das Katechumencnöl hinein, 
und dann tauft er Constantin den Grossen und Constantin den Kleinen im Namen des Vaters 

und des Sohnes und des heiligen Geistes, Amen Rom ist abermals eine christliche Stadt 

geworden, es entsagt dem Teufel und allen heidnischen Werken und Gezierden, und es beginnt 
die Feier des heiligen Abendmahls, welches heute alle Gläubigen, mit Ausnahme der Kxcommu- 
nicirten, geniessen müssen. Man nennt das ,pigliar pasqua' oder .rendere la pasqua'. 

In aedt curiae ment, quae S. Joannis in Laterano inscribitur, pasrhali redeunte ItuiMa, 
satra de altari libavi — also lautet das darüber ausgestellte Zeugniss. 



Das Fest Johannis des Täufers steht in einem bemerkenswerthen Gegensatz zu den 
Festen anderer Heiligen, weil bei letzteren der Totlestag, als der Geburtstag ihres besseren 
Selbst, gefeiert zu werden pflegt, während bei Johannes wie bei Christus und der Maria der 
wirkliche Geburtstag zu seinem Rechte kommt Am 24. Juni, zur Zeit der Sommersonnenwende 
wird gleichsam das Sommerweihnachten begangen; in der Mittsommernacht ist grosser Blumen- 
markt auf dem Lateranplatz; in der ,Notte di San Giovanni' muss alles fröhlich sein. 

Trotz des Mondscheins ist es dunkel: das Auge der Nacht verbirgt sich hinter den 
Mauern der ehrwürdigen Kirche, deren Thürme und Bildsäulen sich grell gegen die klare 
Luft abzeichnen. Rechts ragt der Obelisk stumm und in steinerner Ruhe in die Höhe, er blickt 
unbeweglich auf das nächtliche Phantasiestück, das er so oft gesehn hat, seinen eignen Sommcr- 
nachtstraum träumend. Denn ihm zu Füssen geht's lustig und lärmend zu : auf der Erde, die heute 
wunderbar und wie fiebernd mit allen Bäumen rauscht, wird bei Lampenscheine ein Bacchanal 
gefeiert; über das Glacis, das sich zur Aurelianischen Stadtmauer sanft hinabsenkt, braust und 
irrlichtclirt und tollt es. Der Täufer hat seine Messe: überall sind Verkaufsbuden improvisirt. wo 
Blumen und Sträusse feilgehalten werden: die ganze Atmosphäre ist mit dem Arom von Lavendel 
und Thymian geschwängert, und die auf und abwogende Menge trägt sich mit Knoblauchdolden, 
um die bösen Geister abzuwehren. Rundherum Tische, an denen Schnecken gegWMfl werden, deren 
Saison beginnt : Augenkranke und Unfruchtbare, denen sie bereits Plinius empfiehlt, nehmen sie „per 
devozione" in ungeraden Zahlen zu sich. Hier und da ist ein Holzstoss angezündet, um einen 
„Spaccio di vino" zu erleuchten; um einen Hirten, der malerisch, mit brennender Kienfackel in 
der Mitte steht, tanzt es den Ringelreihn, die Guitarre und die Mandoline klingt — alle-s 
schwärmt, alles schmaust, alles schwelgt, der ganze Platz dreht sich wie im Wirbel, nächtlicher 
Zauber spukt in tausendfacher Laune — da schimmert das Morgenroth über den Sabiner Bergen, 
die Tische und Bänke werden weggeräumt, die Menge verliert sich und löst sich wie eine 
Schaar von Elfen in dünne Luft auf: dafür wird's in der Laterankirche lebendig, die Glocken 
läuten und die Frühmesse des Johannistags hebt an. 

Als ob der heilige Vorläufer abermals seine Stimme in der Wüste erschallen Hesse und 
predigte: Bereitet dem Herrn den Weg! — Denn es unterliegt keinem Zweifel, dass diese 
nächtliche Johannisfeier gleich der Feier der Walpurgisnacht ein Stück Abgötterei ist, das in's 
Christenthum hineinragt, und dass das versammelte Volk da draussen nach alter Sitte zu alten 
Göttern betet - — zu jenen Göttern, die das bekränzte Jahr über die Erde führen, zu den Göttern, 
welche die vorgeschriebene Reise mit Donnergang vollenden, zu den Göttern, deren Segen uns, 
durch die Himmel wehend, hehr und ahnungsvoll umwittern. 



IV. 



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Kunst zeigt (Capitolinischcs Museum). 




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Wie am ersten Mai der Einzug des I-enzes und der Sturm und Drang des Frühlings 
Veranlassung gegeben hat, des einäugigen Wodans und des Wüthenden Heeres zu gedenken, so 
mag es am vierundzwanzigsten Juni die Sonnenwende, die linde Sommerluft und das geheimniss- 
volle Waldwcben gewesen sein, was unsere Väter überrascht und ihre Aufmerksamkeit heraus- 
gefordert hat. 

Kbcaso zweifellos ist es, dass jene alten Götter unter dem Kinflus.se des Christenthums zu 
Teufeln und ihre Bekenner, die Heiden, zu Zauberern und Hexen herabgesunken sind. Dass 
die Johannisnacht, wie bei uns die Walpurgisnacht, in Rom für die Periode gilt, in welcher verwunschene 
Kulen ihr unheimliches Wesen treiben, haben wir bereits auf Seite 78 zu erzählen Gelegenheit 



genommen. Auf dem fels- 
bedeckten Scheitel des 
Brocken erinnert man 
sich der Zeiten, wo die 
Sachsen dem Wodan Ge- 
fangene opferten und 
Rosse schlachteten; aus 
dem hier gepflegten ( Wet- 
terdienst entwickelte sich 
dann, als das Christen- 
thum obsiegte, die lue- 
tische, mit Spukgeheim- 
niss untermischte Sage. 
So mögen die alten 
Römer am I lügel Coelius 
ihrem Mars und ihrem 
Apollo geopfert haben, 
und diejenigen, die daran 
festhielten , später als 
I lexen und 1 lexenmeister 
verschrieen worden sein. 
Der Gedanke an eine 
Wechselbeziehung zwi- 
schen Ketzerei, Heiden- 
thum und Zauberei ist 
schon in den ersten christ- 




Anlike I\jftraMsulii« da SophoVla, (Mi 
GrcguriailBm L*lcranenK.) 



liehen Jahrhunderten auf- 
getaucht ; der erste 
Ketzer, welcher 385 zu 
Trier unter Maximus, dem 
Gegenkaiser Gratians, 
den Tod durch Henkers- 
hand erlitt, der spanische 
Bischof Priscillian , war 
auch der Zauberei be- 
schuldigt. 

Ks ist männiglich 
bekannt, dass dann die- 
sen I lexen und diesen 
Zauberern der Process 
gemacht und dass nach 
gerade der Bekenner des 
Heidenthums von den 
Christen verbrannt wurde 
wie vorher der Bekenner 
des Christenthums von 
den Heiden. 

Man achte, wie 
merkwürdig der Spiess 
im Laufe der Zeiten um- 
gekehrt worden ist. Wie 
lange wird es dauern, 



dass derselbe Laurentius, der auf dem Roste gebraten worden ist, selbst einen Rost über die 
Kohlen stellt, um einen Ketzer darauf zu legen, dass der Märtyrer martert und dass der Heide 
für seinen Glauben leidet 



Das Museum Lateranense wurde 1 843 von Gregor XVI. gegründet und für Altcrthümer 
bestimmt, die im Vatican und auf dem Capitol keinen Raum hatten; der Palast ist feucht und 
ungesund, und da es die Menschen nicht konnten, .sollten die Statuen drin wohnen. Pius IX., der 
Nachfolger Gregors der Zeit und der Nachfolger des Damasus dem Geiste nach, fügte 1857 
eine Sammlung altchristlirher Sarkophage- und Inschriften, ilie Ausbeute von de Rossi's und P. 
Marchi's Katakombenforschungen hinzu. Die beiden Kategorien sind getheilt: das Profan- Museum 



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Ijcfindet sich im Erdgeschoss des Palastes, das christliche Museum im ersten Stocke; neben 
letzterem, welches auch viele Kopien von alten Fresken enthält, befindet sich eine moderne 
Gemäldcgallcric, darin das Portrait Sixtus V. als Papst und als Kardinal. Das gregorianische 
Museum ist eins der drei grossen römischen, sein Cabinetsstück die antike, 1838 in Terracina 
gefundene Portraitstatue des Sophokles, die würdig aufzustellen es hauptsächlich angelegt 
ward; in ihm, möchte man mit der Iphigenie sagen, in ihm hab ich seit meiner ersten Zeit das 
Muster des vollkommnen Manns gesehn. Aus «lern christlichen Museum bringen wir die sitzende 
Statue des heiligen Hippolytus, die Winckelmann für das beste bekannt«? Beispiel der frühchrist- 
lichen Bildhauerkunst erklärt ; man setzt sie in »las sechste Jahrhundert. Der angesehene Kirchen- 
lehrer sitzt in würdiger Haltung mit dem Philosophcnmantel bekleidet auf einer Kathedra; der 
rechte Elbogen ruht auf einem Buche, das er in der linken Hand hält, die rechte Hand ist auf 
die Brust gelegt Da er sich durch Verbesserung des Ostercyclus um die Feststellung des 
Kirchenjahres verdient gemacht und sein vom Jahre 222 bis zum Jahre 333 reichender Canon 
Paschalis einige Berühmtheit erlangt hat, so ist derselbe an der Stuhllehne eingegraben worden; 
auf der andern Seite steht das reichhaltige Verzcichniss seiner Schriften. So bemerkt man neben 
dem Sophokles eine runde Büchse, die seine Tragödien enthält (Scrinium, Capsa). 

Diese beiden Männer, der eine im profanen der andere im christlichen Museum, der griechische 
Dichter und der altkirchliche Schriftsteller, zwei beiderseits hüchbedeutende Persönlichkeiten, sie 
stehen da wie die Repräsentanten zweier Welten und zweier Weltansichten. Der eine mit sich 
gelbst un d mit der Natur in l'ebcrcinstimmung, der andere mit der Natur zerfallen und ein 
christlicher Weltüberwinder — der eine harmonisch ausgebildet und entwickelt, ergeben in das 
Schicksal und heiter, in edler, stolzer Männlichkeit über die Knie schreitend, der andere die Spuren 
geistiger Kämpfe im Angesicht, gedankenvoll auf seinem Stuhle sitzend und in Lieberzeugungstreue 
die Hand aufs Herz gelegt der eine die Menschheit mit der leichten Grazie eines edlen Geistes 
grüssend, der andere sie voll tiefen Ernstes auf das Jenseits und auf ein besseres Dasein weisend 
— der eine ein lebensfroher Mensch, der andere ein Fremdling auf Erden, der etwas Höheres 
als das Leben hinter dem Leben sucht 

So ist das 1 leidenthum und so das Christenthum. Wer möchte leugnen , dass die Welt- 
ansicht eines Hippolytus eine tiefere und gewissermassen eine vornehmere ist als die eines 
Sophoklirs ; und wer möchte anderseits leugnen, dass sie gegenüber seiner urwüchsigen Gesundheit 
einen schmerzlichen Zug und jene leise Traurigkeit besitzt, die, wie der Wolkenflor um die 
Kuppe des Mont Blanc, so häufig um die Stirnen der edelsten Geister schwebt Die antike 
Welt ist krank, krank und enttäuscht wie Hamlet, darum wird sie christlich. Sie ist sehr gebildet 
und hat viel gelitten, darum wählt sie eine entsagende Religion, die in Wüsten flicht. Alle 
Völker thuen das, wenn der goldne Traum der Jugend verllogen ist, der Buddhismus beruht 
auf ganz ähnlichen Anschauungen. Und allemal stehen sie dann geistig hoher, aber sind auch 
kränker; junge Nationen können derlei Philosophie zwar annehmen, aber niemals aus sich erzeugen, 
sie besitzen dazu viel zu wenig innere Geschichte. Wie!' Sollte eine trübe Resignation, eine 
wehmüthige Weltflucht das Vollkommenere sein ? Sie bezeichnet eine höhere , nicht die letzte 
Stufe der Entwickelung. Wenn einst ein durchgebildetes Geschlecht sich mit der Natur versöhnen 
und, vom Christenthum durchgeistigt und geadelt, zur schlafenden Antike sagen sollte: Steh auf! 
Verkläre dich und erwache! - - dann würde das Weltall, wenn es sich selbst empfinden könnte, als 
an sein Ziel angelangt, aufjauchzen und den Gipfel des eigenen Wesens und Werdens bewundern. 

Es wäre verjüngt es wäre wiedergeboren, es erstünde ein neuer Sophokles, schöner, 
erhabener und milder als zuvor. 

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JUL 1 1977 



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94305 



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