Skip to main content

Full text of "Paedagogium : Monatsschrift für Erziehung und Unterricht"

See other formats


Paedagogium 


Google 


Digitized  by  GoOgIc 


Digitized  by  Google 


Paedagogium. 


Monatsschrift     ." "  — 

6  t<^>f  i 


Erziehung  und  Unterricht. 


von 


7.  JalirgaBg,  1883. 


>>  40K» 


Leipzig 
Verlage  von  Julius  Klinkhardt 
1883. 


Digitized  by  Google 


* 


Mitarbeiter  des  fünften  Jahr^^an^es. 


Friedrich  Aacher.  .Major  i.  I'.  in  Leoben,  f   S.  276. 
R.  Blnhm,  Sprachlehrer  in  Leipzig.   S.  639.  739. 

I>r.  Friearich  Ditteg.  S.  18. 202.  282.  H31. 394. 446. 452. 455.  611. 518.  587.  705.  706.  758. 

Dr.  Dronke.  Gymnasialdirector  in  Trier.   S.  606. 

Fr.  Frieaicke.  Rector  in  Freicuwftlde  a.  O.    S.  720. 

F.  Fii-«-li.  Lfhrtr  iiiul  Rtdarteur  in  Klageut'urt.    S.  134.  199  etc. 

A.  Goerth,  Schnldirector  in  InBtfibnix-    S.  459. 

H.  GroSe.  Lehrer  in  Halle.   S.  251. 

A.  Grimirh.  Schulrath  in  Lfibau.    S.  85.  163.  222. 

Chr.  ilaniaiiu.  Srniiuarlehrer  in  ilamhorg.    8.  299. 

•T.  HuNclmiidt,  Lehrer  in  Unna.   S.  2(^4. 

M.  Jahn.  Lehrer  in  Leipzi^^.    S.  523. 

E.  .Tonlftn.  I>>hr<ir  in  Wien.  S.  117. 

Dr.  Alfr.  Kattcrield  in  Strasburg.    8.  476. 

I>r.  H.  KelVrHtein.  .Seminarlehrer  in  Hanibgrg.    S.  647. 

A.  Klfin-schinidt.  Seniinarlebrer  in  Bentheim.    8.  1.  302.  424« 

Frau  S.  Kndi,  .Sprachk-hrfrin  in  Breslau.    8.  440. 

Th.  Landmann,  Rector  in  Schwetz.    S.  643. 

F.  Uihr.  Prof.  in  Triest.   8.  295. 

L.  .Mitten/wey,  Lehrer  in  Leipzig.   S.  615. 

Dr.  Mohr  in  W^\ry.bu^K^   S.  203. 

K.  MoiBl,  Lehrer  in  Außig.   S.  605. 

H.  Morf.  Seminardirector  in  Winterthur.   S.  545.  627.  673. 

Dr.  Muggenthaler  in  München.   S.  207. 

W.  Na^cl  in  Wien.    8.  63.  :il5.  373. 

Dr.  K.  Pilz  in  Leipzig.   8.  5.35. 

Dr.  ü.  l'reil)  in  Kimig^ber^.    8.  245.  395. 

O.  Schier.  Lehrer  in  Brünn.    8.  51.  108. 


—    IV  - 

F.  Srtilink.rt  in  Wi,-n.    S.  t%.  m\.  fflO 

Pr.  Paul  N  linuiim  in  Miiiiclieu.    .S.  564. 

Dr.  Frit/  .S-lmlt/o.  ['ruf,  iu  Dreaden.   S.  67.  1H9. 

Dr.  J.  H.  Sehwiiker.  Prof.  in  Budapest.    S.  29. 

H.  Tiemann,  Rector  iu  Bt^rleburir.    S.  707. 

Tb.  VeriiiUekeii.  Semiiiarilirector  i.  P.  in  Graz.    S.  2. 

Hngo  Weber.  Lehrer  in  Leipzig.    8.  306.  358. 

Fr.  T.  Werder.  Rertor  in  Esons.    S.  267. 

Dr.  F.  Will.guitzer,  VM.  iu  Wien.   S.  191. 

Übenlies  die  Fachreferenten  des  ..Literaturblattes"  und  die  (  orrespondenten  der 


Inhalt 


a.  H>ch  der  R^ihenfolga  ▼arxeichnet. 


Aufruf.    KleiiiHclimidt   1 

Die  ersten  Einilrii(-ke.  Venmleken    .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  ,  2 

Erziehung  zur  Gewissfinbaftigkt  it  um!  Pflichttreue.    Dittea  18 

Die  Rertlschulfrage  in  Ungarn.    8cli  wicker  29 

Die  Beileutung  der  Neu.schulc  für  Ü.stent'ich.    Schier  51.  108 

Ehre,  dem  Ehre  gebürt.    Nagl  63 

Kritik  der  (Tei.stcrseherei.    Schult/e  67.  139 

Wichtige  Grenzen  im  Volkxsohulunterrichte.    Grttüich  Hö.  1(>3.  222 

Der  achte  allgiMneiiie  ü'jterroiohische  Lehrertag  in  Reicheoberg.   Jordan  .    .    .  117 

Päilagogi.<i.lie  Rund^rhau.    I'Yisch  134 

Fordert  die  Mathematik  ein  besonderes  Talent?  189 

Orthographi.sche  Übungsbüclier.   Willomitzer  191 

Clerioale  Volkssohriften.    Sclilinkert  196 

Der  dreizebute  deutach-amerikanische  Lehrertag.   Friach  199 

yachrichten  und  Glossen.   Dittea  202 

I>ie  "Wjilitigkeir  der  Ideenassnciation  für  die  l'ädaguyik.    ^luhr   203 

Eine  Schulrede  auf  dem  Münchner  Rathhause.   Muggenthaler  207 

Die  Kntnniiilogie  in  der  Schnlp.    PrpiB  245 

Uber  »leg  (  «ingres.s  fllr  Handfertigkeitsunterricht  und  Hausfleisi^  in  Leip7.ig 

(1882i.    Große  251 

Dem  Andenken  Dieaterwega.    Hufschniidt  264 

Die  Individnalitat  und  ihr  Einflu.sg  anf  Erziehung  und  Unterricht,   v.  Werder  267 

Worin  liegt  der  Kernpunkt  aller  Erziehung?    .\.'irher  276 

Die  Ikdeutnng  der  Lehrervereine  in  unaerer  Zeit.    Ditte.*;  282 

Zur  Sprachenfrage.    Mähr  295 

Der  selhstständige  AnMdiauungsunterricht.    Hamann  299 

FortlüldungHschnle  und  Leben.   Weber   306.  358 

Lehrer,  Banenial)pnde  und  Volksstudien.   Nagl  315.  373 

Die  Sprachenfrage,  mit  besonderer  Bpzielinng  a<»f  T/ehrerhildung.    Dittes    .    .  331 

Die  I'berbilrdung!jfrage  nnd  die  Volksschule.    Kleina«  hmidt   352.  424 

MittheiluDgen    aus   dem   libenileu   Schiilverein   Rheinland.s   und  We-stfalena. 

Hnfschmidt  386 


-   VI  - 


Ehre,  dem  Ehre  gebiirt.   Schlinkert  391 

Zorn  Reicheuberger  Lehrertaj^^e.   D  3^ 

Österreichiachea.   D  ^  3{M 

Die  Wurzel  der  IdPülitat.    Preiß   3H;^ 

Sprachnntorricht.    Krüh  440 

Bemerkungen  /n  einer  pädapnglgohen  Pgvchol(M?ie.    Dittes  44f> 

Friedrich  Archer.  I'itte.s    .  .    .    .  .    .    .    .  .  .  .  .  .  .  ,  ,  .  ,  ,  ih2. 

Pädagogiache  Rundscbaa  455 

Fromme  Wünsche.  Goerth  .  ,  ,  .  ,  .  .  .  .  .  .  .  .  ,  ,  ,  ,  ,  ,  459 

Roger  AachaiDs  pädagogische  Ansichten.   Katterfeld  476 

Etwas  vom  Nebeiisiitze.  ^toilil  605 

Blicke  in  die  Literatur.    Dittes  511 

P&tlu^rogische  Rundachan  618 

Die  y.wei  Arten  des  Geilankeiilaufe.    Jahn  ■'>-3 

Da.s  Elternhaus  und  die  pädagi^gisehc  Preise.    Füz  535 

Fraueubilder  iiu.'»  Pe.-talo/-zig  Leheuskrels.  Mörf  .  .  .  .  :  .  =  545.  627.  673 

Bremer  Tage.    Schnunm  564 

Über  den  gegenwärtigen  Stand  der  deutJjchen  t^ädagogik.    Dittea  .....  587 

Über  die  Pflege  des  W^ahriieitsainnea  in  der  Schule.   Drenke  606 

Die  ersriehliche  Bedentung  der  Klöi^ter.    Mittenzwey  615 

Eine  französiache  Stintinp    über  das  höhtire  UuterrichtBweBen  Deutachlands. 

Blnluii  .  .  .  .  ^  =  .  .  t  ■  •  .  .  .  .  .  .  t  .  .  .  .  t  .  .  632 

Die  Reti.^ort Verhältnisse  der  höheren  Mädchenschulen  in  Preußen.  Landmann  .  üiU 

Schule  und  Leben  in  ihren  gegenseititren  .\nt'(irderungen.    Ket'erstein  ....  647 

Vor.'^chläge  zur  Volksbildung.   Schlinkert  68t» 

Heinrich  Schaamherger  705 

Chritstian  Liebermann  :  706 

Die  moderne  Naturan.'icliauung  und  der  bibli.sche  Kcligionsunterrichr.  Tiemami  ■  707 

Streiflichter.    Frieaicke   .    .  .    .    .    .  .    .    .    .    .    ■  720 

Znr  Furdening  dea  framtösischen  Unterrichts,  insbesondere  auf  Realgymnaaien. 

Bluhni — 2  2  2  s  I  t  i  I  s  I  X  s  s  f  X  i  I  t  E  ■  I  I  I  I  I  73t» 

Pädagogische  Rundschau  744 

.'ichlus?-wurt  zum  fünften  Jahrgange.    IHtte.s  758 


1).  Lorsch  geordnet. 

I.  Zur  anthropologischen  Grundlegung. 

Bemerknngen  zu  einer  pädagogischen  Psychologie   446 

Blicke  in  die  Literatur  (Metaphysik,  Darwinismus,  Freiheitalehre)   511 

Die  ersten  Eindrücke   2 

Die  Individualität  und  ihr  Einflnss  auf  Erziehung  und  Unterricht   267 

Die  Wichtigkeit  der  Ideenassociation  für  die  Pädagogik   203 

Die  zwei  Arten  des  Gedankeuluufea  '   523 

Die  Wurzel  der  Idealität   395 

Kritik  der  Geiaterseherei  67.  139 

Fordert  die  Mathematik  ein  besonderes  Talent?-   189 


n.  Zar  Oeiddcbte  «ler  Enfelmng  und  des  Ui)teni«ht«i. 

Koger  AMibMug  pldigogiache  Aniiditen  476 

Eine  Schulrede  auf  dem  MOnchener  Bathhftltte  207 

Pie  erziehliche  Bedeutunj?  der  Kloster   f?15 

Fraaenbilder  ftus  Pestalozzis  Lebenskreiä  545.  627.  673 

nL  Zur  allgemeiiien  PSda^fogik. 

Aufruf   1 

i  ber       teleoiogiKhe  Futtdamentalprinciii  der  allgemeinen  Pädagogik   .   .   .  514 

Worin  Uegt  der  JEimpniikt  aller  Endehung?  S76 

Endehung  rar  OewineDhsfkigkdt  und  Pflidittreiie  18 

C'ber  die  Pflege  de«  Wahrheitsainnes  in  der  Schale  *  .  .  606 

D:\s  Kltemhaua  und  die  pädegogisehe  Prewe   535 

i?treiflichter  720 

Schale  und  Leben  in  ihren  gegenseitigen  Anfordemngen  647 

Vonebligtt  rar  TolksbiMang  689 

Lehrer,  Bauemabende  und  Volktotadlen   315.  :M'\ 

Fortbildi]n<,'«äcbnIe  und  Leben  3Ü6.  '-^'yX 

Clericale  Volksschriften  •   .   .   .   .  liHi 

IV.   Über  Unterricht,  Unterricbtsanütaltea  und  ächalentehang. 

Die  Bfdenttincf  der  Neuschule  für  (Österreich  51.  108 

Wichtige  Grenzen  im  Volksschalunterrichte  86.  222 

Die  ÜbeybQfdungsffoge  und  die  ToUcncbnle                                     362.  484 

Der  eelbetetlodige  AmebautingranteiTlcbt   899 

Keligionäuuterricht   516 

Die  nuMleme  Naturannchauung  und  der  bibli.Hche  Keligiousuntcrricht  ....  707 

Sprach  IUI terricbt   440 

Ortbographiscbe  Übnngsbttcber   191 

Etwas  Tom  NebenntM   505 

Zur  Forderung  des  fran7.Usi.schen  Unterridile   739 

Die  Entomologie  in  der  Schule   245 

Fromme  Wunsche   459 

Di«  Bedeutung  der  Lebrerveieine  in  aneefer  Zeit   888 

Die  ^raebenfrage»  mit  besonderer  Begebung  auf  Lebrerbüduog   331 

Ehre,  dem  Ehre  gebOrt                                                                   03.  391 

Zur  Sprachen  frage   295 

Eine  französische  Stimme  über  dm  höhere  Unterrichts we-nen  DetiUtehlandH  .    .  639 

Die  Bealscbulfragc  in  Ungarn   29 

Die  BeewrtTerbiltnisae  der  bOberai  HUdcbenachulen  in  PtenBen   643 

Y.  Zar  Cbnrakteriatilc  des  gegenwärtigen  Scbulwesens,  Zeitgeachiebttiebcs. 

Über  den  gegenwirtigen  Stand  der  deatscben  Pidagogik  S87 

I>er  iichte  allgemeine  «etcrreicbiadie  Lehrertag  in  Beichenbeig  ....    117.  394 

Ik-r  drei/*  hnte  deutsch-ammkaniThe  LehnTtac;'  138.  199 

Über  <b-u  l'ongress  f\lr  Hiiiidt'frtiprkeirsuiuerrieht  und  Hntiifleiö  in  Leipzig (1882)  2.''il 
Mitihcüungen  aus  dem  liberalen  Sehulverein  Rheinlands  und  Westfalens    .   .  3b6 

Bremer  Tage  564 

Dem  Andenken  Diesterwegs  264 


—  vm  — 

Friedrich  jUeh«r  452 

Hdnridi  Sdnnmbargflv  706 

Christian  Liebennann  706 

P&dagogiäche  Bmuduhaa:  Amerika  138.  518.  519.  757 

Belgien  457 

DeatMUMid.  .    131  186.  WS.  456.  fifiO.  751.  758.  764 

Fnaknieb  m  466.  619 

Italien   137.  519.  748 

Österreich    ....   136.  137.  138.  394.  4ö6.  521.  756 

Portugal  13Ö 

RoMluid   135.  744 

Sdiweis  137.  «».  681.  764.  765 

Spanien  - ......  135 

Ungarn  202 


UlteimtiiiTblaitt. 

A Iphabetiftches  Vcnti'ichni«  der  Autoren  i  rr>>p.  Iii  raas^obrr  rArx  Tit»rl>  derjenigen  Wt  rkc,  weicht-  im 
VorliegeitieB  J^hifang  recensirt  sind.   Die  Ziffeni  bfieiolmeB  die  Nammi-m  des  Lit«ratarblatt«ra. 

AndrS  11.  Ärztliches  Outachten  8.  A'^maint  12.  Bagatta  2.  Bechtel  2. 
Becker  12.  liehreua  4.  Benecke  (2)  7.  Biese  8.  Böhme  7.  Breitiuger  7.  Brock  11. 
Buschn^ann  y.  Coordea  (2)  3.  Dörfler  3.  Dunger  6.  fietUtr  8.  Fischer  8.  Frauer  3. 
Geirtbeck  11.  OemiMieli  11,  Godai  10.  OSck  7.  Qrob  8.  Gro6  5,  d'Haxgnes  8. 
Hanmaim  8.  Hiuelmann  10.  Hayeek  2.  Hirt  6.  Hoffinaan  10.  Eoftauuin  12. 
Ilumrael  9.  Hunzlker  7,  Jarz  8.  Jonas  11.  Israel  1.  Klein  5.  Kluge  11.  Knaner  2. 
Köhler  2.  Kohlrausch  8.  Kohn  2.  Kreb-äi  2.  KriPCf^r  4.  Krone.«?  5.  12.  Lehmann  9. 
Leisner  10.  Libansky  1.  Lyon  t>.  Aiaier  10.  Mang  5.  Marten  8.  Henard  12. 
Meyer  12.  Nadler  10.  Netteeheim  2.  Nenratli  1.  Nuteer  1.  Ordli  9.  Oster- 
reieliiMfae«SefaiiIwe8ett9.  FBdagogiadm  Jahibach  12.  Paz6.  F1ms2.8.  Po1toniy(2}3. 
Polack  7.  Projectionskiinst  9.  Rank  9.  Richter  6.  Riugger  11.  Rissniann  7. 
Robolsky  (2)  9.  12.  Rotlie  2.  Rotter  6.  Schäfer  3.  Schles.Hing  3.  Schnu  rz  7. 
Schmidt  ö.  Schmid-Schwarzenberg  8.  Scburig  1.  Seviu  1.  SeyflEEurth  7.  Storme  9. 
Standaeher  10.  Theden  8.  TSppel  (2)  9.  12.  Trampler  4.  11.  TraamtUler  4. 
Umlauft  9.  12.  Walsch  7.  Weber  1.  6.  Wdam&nn  2.  WerahoTen  (2)  9.  12. 
Wiemaun  12.  Wübrand  6.  WisMil  der  Gegunrart  7.  Zeppenfeld  12.  Zimmer- 
mann  ö. 


.  kiui^  .-.  Ly  Google 


Aufruf. 

Vm  StmiMtiHtluvr  A,  S3HnMihmidt-Bat$käm, 

krOmmt  mch  hmg  in  dtunpfeD  Wehen, 
Wie  Wahnsinn  ninrmelt's  in  den  Völkermassen; 
Erstickte  Wutl»  und  furclitgeliibintcs  Hassen 
Kanu  ratend  plötzlich  wieder  auferätelien. 

Drum  auf,  bevor  das  Grüssliche  gescliehenl 
Was  soll  das  kläglich  matte  Gehenlassen? 
'  Den  Geist  der  Zukunft,  mttsst  Ihr  jetzt  schon  fassen, 
In  einem  andern  Lichte  künftig  gehenl 

Der  Roheit  wird  die  Bildung  nnr  znm  Damme: 
Befreit  die  Geister,  die  gefesselt  schlafen, 
Veredelt,  was  siek  trBge  willst  im  Scfakunmel 

Der  Völkerfrieden  ist  der  Znkmift  Hafen, 
Drum  dfimpft  des  Volkerhasses  rohe  Flamme 
Und  seid  nicht  Iflnger  kalter  Selbstsacht  Sclavent 


Pmddg&^nm.  5.  J&hrg.  Heit  L 


1 


Die  ersteB  £iAdräcke. 


Ijregenüber  den  Erortenm^en  des  Hcrni  liouai  Uber  ,^md  alle 
Menschen  gleich  bildungsfähig?"  ^Paedag.  III,  4)  halte  ich  mich  an 
folgende  Erfahnin^ssätze: 

1.  Den  Mensclien  sind  verschiedene  Anlagen  oder  Fälligkeiten  au- 
geboren, d.  h.  diu  Aulagen  des  A  sind  nicht  gleich  denen  des  B. 

2.  Die  Anlagen  des  A  sind  wiederum  unter  sich  ungleich,  und  der 
Grad  ihrer  Entwiclielung  oder  Aasbildang  hängt  bei  nonnalen 
Zuständen  ab  ytm  d«r  Enidiimg,  aber  noeli  mehr  tob  daiLebens- 
▼erhiltnisseii  des  IndiTidniims,  insbesondere  Ton  den  Emflflssen  in 
der  Jugendzeit  Hiezu  sollen  die  folgenden  lüttheQungen  Belege 
liefern. 

Wie  k(taintea  die  Menschen  gleiche  Anlagen  haben,  wenn  nicht 
zwei  Indi^dnen  einer  nnd  derselben  Basse  Töllig  gleich  sind?  Wir 
mögen  Ufllionen  G^esichter  anter  einander  Tergleichen,  Jedes  wird  Tom 
andern  versehieden  sein. 

Die  Ansidit,  dass  im  Grande  alle  Kensdien  gleich  begabt  seien 
nnd  alle  Schuld  des  Missrathens  Einzelner  der  verkehrten  Erziehnng 
znr  Last  falle,  entbehrt  jeglichen  Grandes.  Der  Mensch  ist  ein  Kind 
der  Natur  und  der  sittlichen  Mächte,  die  auf  ihn  einwirken.  Mittel« 
mäßigkeit  ist  das  verbreitetste  Los,  aber  .^ie  dient  in  der  ^\  eltonlnuiig 
wie  der  Mörtel  in  einem  Bauwerk  oder  wie  das  J<^lwerk  in  einer 
Stickerei 

Die  ganze  Fortentwickelung  der  Natur  ist  in  erster  Linie  bedingt 
durch  die  Eigenthümlichkeit  des  Individnums  und  die  Yersrhiedenheit 
seiner  l'ingebung.  Bei  Vernunft wesen  kommen  die  krtrperliclieu  Zu- 
stände dabei  nicht  in  dem  Grade  in  Betiacht,  als  mau  gewübnlich 
glaubt,  denn  ich  habe  Mensclien  gekannt,  die  mehr  oder  weniger  ver- 
krüppelt waren,  aber  iiire  geistige  Eni  Wickelung  ließ  niclit-  zn 
wünschen  übrig.  In  ähnlicher  Weise  bildet  sich  auch  ein  Sinn  um  so 


—  3  — 


besser  aus,  je  unvollkommener  ein  anderer  ist.  Wir  ueUmen  das 
z.  B.  wahr  bei  Blinden  und  laubstummen. 

Niedere  Geschöpfe  werden  abgerichtet,  höhere  werden  erzogen. 
Aber  selbst  die  Abrichtang  stützt  sich  nicht  auf  blos  mechanische 
Wirkung,  sondern  auf  das  Verstiindnis  des  Thieres.  Wie  das  Thier 
erst  stndirt  sein  will,  so  noch  mehr  der  jtmge  Mensch,  bevor  die 
Ausbildung  beginnt  Je  frfiher  diese  eintritt,  nm  so  besser,  aber  ohne 
jede  Überqiannmig  der  Krifte.  Mit  Zunahme  der  Betfe  wachsen  die 
Anfbrdenmgen. 

In  der  Thierwelt  ist  der  Umstand  unverkennbar,  dass  in  der 
Jugend  die  Charaktereigenschaften  noch  schlummern  und  erst  in  Ver- 
bindung mit  der  Außenwelt  und  dem  geweckten  Egoismus  des  Indi- 
viduums hervcHTtreten.  Am  dentlichsten  sehen  wir  dies  bei  den  Banb- 
thieren.  Auch  die  Charaktereigenschaften  des  Kindes  schihmmem,  und 
je  nach  der  angeborenen  Eigenart  entwickeln  sie  sich  durch  ihre  Um^ 
gebung,  durch  Leitung  und  Erziehung  während  der  ersten  Jahre. 
Sache  des  Erziehers  ist  es  zu  beobachten  und  frühzeitig  darnach 
zu  handeln.  Bei  Thieren  und  bei  Menschen  ist  die  Gewohnheit  eine 
starke  Macht,  darum  ist  die  Gewöhnung  ein  so  bedeutender  Factor 
in  der  Erziehung.  Lässt  man  den  Begehrungstrieb  ei^tarken,  so  wird 
es  immer  schwieriger,  die  Enthaltsamkeit  zu  pretligen. 

Die  Eindrücke  der  Außenwelt  werden  bei  der  Einziehung  zn  wenig 
beachtet.  „Wir  alle",  nagt  Goethe  i  Eckermann  III,  252),  „sind  coilec- 
tive  Wesen,  denn  wie  weniges  h;»bf'ii  und  sind  wir,  das  wir  im 
reinsten  Sinne  unser  Kigenthum  neanen!  Wir  müssen  mII^  riupiangeii 
und  lernen.  Selbst  das  größte  Genie  würde  niclit  weit  kusumeu,  wenn 
€8  alles  seinem  eigenen  Innern  verdanken  wollte.  Ich  habe  Künstler 
gekannt,  die  sich  rühmten,  keinem  Meister  gefolgt  zu  sein,  vielmehr 
alles  ihrem  eigenen  Genie  zu  danken  zu  haben.  Die  Narren!  Als  ob 
sich  die  Welt  ihnen  nicht  bei  jedem  Sclii-itte  aufdi'ängte  und  aus  ihnen 
trotz  ihrer  eigenen  Dummheit  etwas  machte!  Und  was  ist  denn  über- 
haupt Gutes  an  uns,  weon  es  nicht  die  Kraft  und  Neigung  ist,  die 
Mittel  der  Anftem  Welt  an  uns  heranxuziehen  und  nnsem  höhem 
Zwecken  dienstbar  zu  machen?" 

Eraehang  ist  Entwickelang  zum  Humanismus.  Dabei  gibt  ans 
die  Entwickelnngslehre  Darwins  die  deutlichsten  Fingerzeige.  Die 
Bildung  and  das  Fortschreiten  der  Sprache,  die  allmähliche  Entwicke- 
Inng  der  geistigen  Kräfte  and  der  moralischen  Eigenschaften  des 
Menschen  wSre  ohne  ftußere  Einwirkungen  und  gesellige  Anregungen 
nicht  möglich  gewesen. 

1* 


Digitized  by  Google 


—  4  — 


Von  der  Familie  und  Schule  m  In uit  ej.  zu  wenig  beachtet  zu 
^Vl'r(len,  (iass  geraile  die  ersten  Eiinh  iu  ke  auf  den  jungen  Mensclifn. 
auf  seine  Charakterbildung  und  seine  sittliche  und  geistige  Kichtuiig 
einen  großen  Einfluss  haben. 

Nach  dem  dritten  Lebensjalire  «•^•eitert  8icli  bekanntlieh  der 
Verkehr  des  Kindes  mit  der  Außenwelt,  und  mit  der  Zutmhme  der 
Eindrücke  wächst  auch  die  Kraft  sie  aufzunehmen.  Vieles  ver- 
schwindet zwar  wieder  unbemerkt,  aber  anderes  wirkt  auf  die 
Eichtung  des  Gemüthes  nnd  Wfltens  ein,  nnd  darum  müssen  die 
Eindrücke,  welche  yon  der  ümgebimg  kommen.  Überwacht  nnd  ge- 
leitel werden.  Und  dabei  kommt  viel  anf  die  Gespielen,  auf  die 
Dienstboten  nnd  die  Eltern  sn*  Bei  vielen  bequemen  Mflttem  ist  es 
Mode  geworden,  die  Kleinen  dem  ersten  besten  Eindsmädchen  oder 
Iiarlirenden  GonTomanten  za  ftberlassen.  Wenn  wir  das  tadeln,  so 
sagen  wir  gar  nichts  Nenes.  Schon  in  Piatons  Vertheidignng  des 
Sokrates  lesen  wir:  „Lieber  EiaUias^,  sprach  Sokrates,  „wenn  Deine 
beiden  Sdbne  Fullen  oder  Kälber .  wftren,  so  hätten  wir  wol  einen 
Anfseber  fiir  sie  zn  nehmen  nnd  zn  dingen,  der  sie  schön  und  gut  in 
der  ihnen  zukommenden  Tug:end  machen  sollte.  Dieser  aber  wftrde 
wol  entweder  ein  Bereiter  oder  ein  Landmann  sein.  Da  sie  aber  nun 
Menschen  sind,  wen  gedenkst  Du  da  als  Anfeeher  für  sie  zu  nehmen? 
Wer  ist  einer  solchen  Tugend,  wie  die  menschliche  nnd  bOrgerliche 
ist,  kundig?" 

Je  jünger,  desto  empfänglicher  für  Alles;  darum  sagt  auch  der 
große  ^fenschenkenner  Shakespeare  in  seinem  Hamlet  (1.  'Vi:  ..T^nd  in 
der  Friili,  im  frischen  Thau  der  .Tujrend,  ist  jrift'irer  Anhauch  am  pre- 
fiihrlichsten."  Jeder  Landniann  bestätijrt  dirs,  da  rr  erfaliren  liat, 
dass  FHihlinfrstr(iste  eine  ofanze  Ernte  veniicliten  k<".n?ien.  und  jt^der 
(i'ärtner  weilV  wiv  dif  \\'ürmchen  im  Mai  die  unent wickelten  Kosen- 
knospeu  verzehren,  indem  sie  sich  gerade  in  das  liei'z  der  jungen 
Triebe  setzen.    Im  Menschenleben  gescliieht  Ahnliches. 

Die  Einwirkung  der  Umgebung,  der  Außenwelt  ist  ein  bedeutender 
Faktor  in  der  Erziehung.  Man  sagt  zwar,  die  Eltern  erziehen  ihre 
Kinder,  allein  es  ist  eine  unbestreitbare  Erfahrung,  dass  die  Umgebung, 
die  Bekannten  und  Freunde  mindestens  eben  so  viel,  oft  noch  mehr 
dazn  beitragen,  nnd  zwar  nach  der  guten  oder  Übeln  Seite  hin.  In 
großen  Städten  sieht  man  abschreckende  Beispiele,  z.  B.  man  benutzt 
die  Kinder  für  den  kleinen  Hansierhandel  mit  Blnmen  nnd  dergl.; 
man  stellt  sie  in  Kinderbazaren  in  anßergewöhnlicbem  Anf^ntz  hinter 
die  Verkanfstische,  man  lässt  die  Kleinen  in  Kindertheatem  anftreten 


—   5  — 

und  driUt  die  ansehtüdi^n  Geschöpfe  fttr  das  Komödienspiel  und  für  • 
SdumsteUangen,  die  zur  Eitdkeit  den  Grand  legen.  Ist  denn  die 
Frfihreife  eine  Wolthat  für  Kinder?  —  Wie  ich  diese  Kinder  bedaueret 
so  finde  ieh  es  ebenso  lächerlich,  wenn  man  die  Knaben  in  gewissen 
Insütnten  mit  ihren  Degen  und  Uniformen  einhergehen  sieht  Jeder 
Vor&bergeheQde  denkt  sich:  Was  sich  die  wol  einbilden?!  Es  kommt 
dadurch  nui-  ein  leerer  Standeshochmuth  in  ihre  Köpfe,  ähnlich 
dem  asiatischen  Eastengeiste.  Mir  ist  immer  das  altdeatsebe  Sprich- 
wort  eingefallen:  „Als  Adam  hackt'  und  Kva  spann,  wo  war  damals 
der  Edelmann?^  Auf  den  Zufall  der  Geburt  hat  niemand  ein  Recht 
stolz  zu  sein;  jeder  soll  sich  durch  seine  Leistungen  das  Recht  ver- 
dienen, in  der  Gesellschaft  etwas  zu  gelten.  In  Großstädten  dringt 
überhaupt  auf  Kin<ler  zu  vielerlei  ein.  In  jeder  Hinsicht  sind  die 
Kinder  am  besten  daran,  welche  j^^etTilirt  werden  in  Feld  und  Flur, 
Wald  lind  WiesH  und  so  in  der  freien  Natur  ihre  Anschauungen  und 
Voriitellungeu  erweitern  und  sich  duiuber  in  der  Muttersprache  aus- 
sprechen lernen.  Laube  in  seinen  „Erinnerungen''  schreibt:  ..Ich 
finde  es  vurtiieilhaft  fiir  jeden  jungen  Menschen,  in  beschränkten 
Landstädtchen  aufzuwachsen,  wo  Ackerbau  und  Gewerbe  \uiheiTScht. 
Er  bleibt  der  Natur  uaha;  er  gewinnt  wirkliche  Einsicht  in  die  Be- 
dürfnisse des  einfachen  Menschen,  in  die  Fähigkeiten  und  Fertigkeiten, 
welche  erforderlich  .sind  zum  Kampfe  ums  Dasein.  In  die  große 
Stadt  mit  größem  Gesichtspunkten  kommt  er  spätei*  zeitig  genug,  und 
er  kommt  dann  mit  einer  sehr  wertvollen  organischen  Grandlage  in 
die  große  Stadt^ 

Wir  wissen  wol,  dass  die  Menschen  nicht  nach  Belieben  ihren 
Wohnort  wählen  kOmienr  allein  das  ändert  nichts  an  der  Wahrheit 
des  oben  Gesagten« 

Da  die  Pädagogik  eine  Eifahnmgswissenschaft  ist,  so  wollen  wir 
eine  Reihe  von  Beispielen  hier  vorführen.  . 

Man  darf  die  Wiege  großer  Männer  und  deren  Umgebung  nicht 
unbeachtet  lassen,  wenn  nicht  wesentliche  Elemente  in  ihrer  späteren 
Entwickelang  unverstanden  bleiben  sollen.  Auch  der  alemannische 
Dichter  Hebel  hängt  an  seinem  Hausen  und  Schopflieim  im  Wiesen- 
thal des  badischen  Oberlandes,  als  ob  es  nichts  zweites  den  Art  auf 
der  Erde  gäbe.  J.  Paul  Friedrich  Richter,  der  in  seiner  „Levana- 
sinnige  Aussprüche  über  Erziehung  gibt,  verlebte  seine  Kindheitsjahre 
in  dt  in  Dörfchen  Joditz  bei  Hof  im  Voigtlande.  Sicherlich  ist  diesem 
Schriltsteller  die  Vorliebe  zum  idyllischen  Leben  und  dit^  gelungene 
iächilderung  solcher  ^nen  aus  den  Eindrücken  erwachsen,  die  dieser 


Digitized  by  Google 


■ 


—   6  — 

ländlich  flchOne  Aofentluilt  nnvertilgbar  seiner  Kindeaseele  gab.  Er 
selbst  sagt  :  „Die  Oberreize  einer  groflen  Stadt  sind  lllr  die  schwache 
Eindaeele  ein  Trinken  gebrannter  Wasser.  Sein  Leben  erschöpft  sidi 
an  ihm  in  der  Enabenzeit,  und  er  hat  nun  nach  dem  Größten  nichts 
mehr  zn  wOnschen  als  höchstens  das  Kleinere,  die  Dorfschaften.  Er 
mnss  in  der  Stadt  nm  den  warmen  ErdgOrtel  seiner  elterlichen 
Freunde  nnd  Bekanntschaften  die  grOfiem  kalten  Wende-  und  Eis^ 
sonen  der  ungeliebten  Menschen  ziehen,  welche  ihm  unbekannt  be- 
gegnen und  für  -  die  er  sich  so  wenig  liebend  erwftrmen  kann  als  ein 
Schiffvolk,  das  vor  einem  andern  Schiffvolk  begegnend  vorübersegelt« 
Aber  im  Dorfe  liebt  man  das  ganze  Dorf,  und  kein  Säugling  wird  da 
begraben,  ohne  dass  j^er  dessen  Namen  nnd  Krankheit  weiß."  Da- 
gegen sind  freilich,  je  nachdem  man  einen  Beruf  wählt,  die  Ent- 
behrungen nicht  zu  vergessen,  die  den  strebenden  Oeist  in  der  Ab- 
geschnitteiiheit  von  Hilfsmittfln,  Anschauungen  imd  Um^ansr  belasten. 

Das  Kindesleben,  besonders  auf  dem  Lande,  befindet  sich  noch 
im  naturgemiißen  Zustande.  Auerbach  sagt  bei  der  Charakteristik 
des  Dorfkiudes  Heliel  i  ..Sclirift  und  Volk"  S.  ',V2):  „Wenn  wir  den 
Satz  im  Auge  behalten,  dass  der  Menschengeist  individuell  den  Bil- 
dungsgang der  gesammten  Menschheit  durchlaulen  und  dessen  Ergeb- 
nisse in  sich  verarbeitet  haben  muss,  so  mögen  wir  im  Leben  des 
Dorfkindes  ein  lebendiges  Abbild  der  ersten  Stufe  menschheitlicher 
Entwickelung  erkennen,  ^'"ir  k?innen  es  als  die  in  jedem  Einzelnen 
wiederkehrende  Stufe  des  Patridrchentliums  bezeichnen.  Hier  ist  noch 
der  unmittelbare  Zusammenhang  mit  der  Natur,  mit  Pflanzen  und 
Thiereo.  Bes<Miders  hingezogen  fllhlt  sich  das  Kind  zu  den  Thieren; 
es  trägt  seine  eigenen  Empfindungen  auf  sie  flher  nnd  dichtet  ihnen 
wie  den  stummen  Umgebungen  die  Menschennatiir  an.** 

Wir  erinnern  hier  mit  A.  Hmnböldt  an  die  mefar&eh  sich  wieder^ 
holende  Er&hning,  dass  oft  sinnliche  Eindrücke  und  znfftllig  schei- 
nende Umstände  in  jnngen  Gemflthem  die  ganze  Richtung  eines 
Kenschenlebens  bestimmen.  Kindliche  Freude  an  der  Form  yon 
LSndem  und  eingeschlossenen  HeereUt  wie  sie  auf  Karten  dargestellt 
sind,  der  Hang  nach  dem  Anblick  der  sttdüchen  Sternbilder,  dessen 
onser  HimmelsgewQlbe  entbehrt,  Ahbildungen  von  Palmen  und  liba- 
noüschen  Cedem  in  einer  Bilderbibel  können  den  frühesten  Trieb  nach 
Reisen  in  ferne  Länder  in  die  Seele  pflanzen.  Darum  ist  es  gar  nicht 
gleichgültig,  welche  Anschauungsmittel  und  Jugendschriften  den 
Kindern  in  die  Hände  gegeben  werden. 

„Niemand  glaube  die  ersten  Eindrücke  der  Jugend  verwinden  zn 


Digitized  by  Google 


—   7  — 


können.  Ist  er  in  einer  löblichen  Freiheit^  umgeben  von  schönen  und 
edlen  Gegenständen,  in  dem  Umgange  mit  guten  Menschen  aufge- 
wachsen, haben  ihn  seine  Meister  das  gelehrt,  was  er  zuerst  wissen 
musste,  um  das  Übrige  leicliter  zu  bereifen,  luit  er  gelernt,  was  er 
nie  zu  verlernen  braucht,  wurden  seine  ersten  Handlungen  so  geleitet, 
dass  er  das  Gute  künftig  leichter  und  bequemer  vollbringen  kann, 
ohne  sicli  irgend  n-twas  abj^ewT^lmen  zu  müssen,  so  wird  dieser  Mensch 
ein  reineres,  vollkommeneres  Leben  führen  als  ein  anderer,  der  seine 
ersten  .higendkräfte  im  Widei-stand  und  im  Irrtlnim  zugesetzt  hat. 
Ks  wild  so  viel  von  Erziehung  gesprochen  und  geschrieben,  und  ich 
sehe  nur  wenig  Menschen,  die  den  einfachen  aber  großen  lie^rriff,  der 
alles  Andere  in  sich  schließt,  fassen  und  in  die  Ausführung  ubertragen 
können/ 

Auch  an  anderen  Stellen  bestätigt  Goethe  die  große  Wirkung 
dei*  ersten  Eindrücke.  Im  väterlichen  Hause  befanden  sich  italienische 
Ansichtoi  und  BOder.  „Diese  Gestalten'',  sagt  er,  „Mckten  sich  Üef 
bei  mir  ein.'*  Später  zog  es  ihn  mächtig  nach  dem  Lande  der  Ettnstler. 
Bei  der  Grofimatter  ergötzte  sieh  Gtoethe  oft  an  einem  Puppenspiele. 
»Dieses  anerwartete  Schauspiel'',  sagt  der  Dichter  des  Faust,  „tog 
die  jungen  GemAther  mit  Gewalt  an  sich;  besonders  auf  den  Knaben 
machte  es  einen  sehr  starken  Bindruck,  der  in  eine  gro6e  lang* 
dauernde  Wirkung  nachklang."  In  dem  Hanse  seiner  Tante  fimd 
Goethe  eme  Bibliothek,  in  welcher  eme  Übersetzung  des  Homer  war 
mit  Enpfem  im  franztfaisGlien  Theatersinne  geziert.  „Diese  Bilder", 
sagt  er,  „verdarben  mir  dermaßen  die  Einbildungskraft,  dass  ich  lange 
Zeit  die  homerischen  Helden  mir  nur  unter  diesen  Gestalten  ver- 
gegenwärtigen konnte." 

Bei  Schiller  hat  das  in  seinen  Dichtungen  niedergelegte Freiheits- 
geföhl  in  der  Earlsscbnle  sich  entwickelt,  denn  Dmck  erzeugt  Ge- 
gendruck. 

Der  Gnethesche  Satz:  Niemand  glaube  die  ersten  Eindrücke  seiner 
JugpiK^  verwinden  zu  können*',  bewährt  sich  auch  an  B.  Auerbach. 
Die  ErinnemiiG"  an  die  einfacli  ländlichen  Sitten  seiner  Heimat,  an 
die  vollen  ^r^uschen,  die  herrli  lie  Natur  fies  Landes  hat  seinem 
\Vt  -rii  ein  fiir  allemal  Ziel  und  Richtung  gegeben,  und  woliin  er  seinen 
Wantlerstab  auch  später,  geistig  und  räumlich  betrachtet,  richtet«, 
wie  viel  er  aucli  beobachtet,  gelerut,  gedacht  und  gedichtet  hat,  was 
außerhalb  dieser  Sphäre  liegt:  sein  wahiea  ursprüngliches  Wesen  ruht 
doch  nur  hier,  und  ob  er  auch,  getragen  von  der  modernen  Bildung, 
seinen  Herd  im  Mittelpunkte  des  deutschen  Nationallebens,  in  Berlin, 


Digitized  by  Gc) 


—  8  — 


aufg'esdilag'pn  hat,  so  führt  ihu  <l(»ch  der  .Soininer  jedes  Jahr  zum 
Schwarzwahle  zurück,  damit  das  heilige  l-euer,  das  ilm  ertiillt  und 
uus  erwärmt,  nichts  von  seiner  Reinheit  und  seinem  Glänze  \erlieie. 

Für  die  Geötalten,  die  Fritz  Reuter  ischüdert,  ist  dei-  (iruud 
gelegrt  in  den  ei-süen  Kindrücken  seiner  Heimat.  Nur  liat  er  diese 
Anschauungen  auders  verwertet  als  die  beiden  Dorfkinder  Hebel  und 
Auerbach.  Jn  der  Heimat  waien  die  Kernwurzeln  des  Lebens  und 
Dichtens  dieser  drei  Männer.  Ähnliches  kann  man  von  dem  steier- 
inArkischen  Volksdichter  Rosegger  sagen. 

Als  bekannt  darf  angenommen  werden,  dass  Schmeller,  der  Sohn 
einee  amen  Korbflechters  ans  dem  oberpftlzlaeben  Städtchen  Tirsdien- 
reath,  in  en^  und  dttrftigen  Verhftltnissen  anfffracliSi  und  während 
seiner  Knaben-  nnd  Jflnglingsjahre,  ja  zum  Theü  selbst  noch  in  einem 
spätem  Lebensalter,  mit  Noth  und  Beschränktiieit  an  kämpfen  hatte, 
und  wie  sehr  gerade  diese  Verhältnisse  dam  haben  beitragen  müssen, 
eine  Individnalität  wie  die  Schmellers  in  anyerräekbarer  Weise  zur 
selbstbewusstenEntwickelmng  ihrer  geistigen  nnd  sittUchen  Kräfte  zu 
treiben. .  Wer  möchte  aber  leugnen,  dass  wir  in  ihnen  selbst  die 
ersten  Keime  zu  dem  zu  suchen  haben,  was  er  später  auf  den  Gebieten 
mundartlicher  Sprachfoi-schung  nnd  Pädagogik  Eigenthümliclies  ge- 
leistet, wenn  wir  liören  \\ie  er,  ein  echter  Sprosse  des  Volkes,  dessen 
Sitten  und  Sprechweise  er  fär  immer  lebendig  in  sich  aufgenommen, 
schon  als  achtjähriger  Knal)e  zu  J^berg  bei  Pfaffenhofen,  wohin  sein 
Vater  zwei  Jahre  nach  des  kleinen  Andreas  Geburt  übergesiedelt  war 
(1787),  unter  des  letztem  Aufsicht  eine  Art  Schule  hielt,  indem  er 
eine  Anzahl  Kinder  aus  den  benachbarten  Dorfgemeinden  im  Lesen 
und  Schi'eiben  unterriclitete.  das  er  selbst  bei  seinem  wackem  Vater 
erlernt  hatte.  Unstreitig  war  damit  seine  künftige  Bestimmung  ent- 
schieden nnd  der  Weg  vorgezeicimet,  auf  dem  er  zu  ihr  zu  gelaugeu 
hoffen  durfte. 

Der  berühmte  Ki^finder  der  Locomotive,  Stephenson,  war  der 
8ohu  eines  Heizers,  konnte  weder  lesen  noch  schreiben,  aber  in  der 
Heizkammer  war  er  aufgewaclisen,  und  wohin  sein  Blick  tiel.  s;Ui  er 
IMiiii[)\verke  und  Maschinen.  Von  Natur  war  er  nu[  klarem  Geiste, 
luii  i Energie  und  Ausdauer  begabt.  Und  die  Eisenbahnen,  die  jetzt 
um  den  ganzen  Erdki-eis  sich  ziehen,  verdanken  dem  Scharfsinne  dieses 
Hannes  ihi-e  .Entstehung.  Und  welchen  Einfluss  üben  sie  auf  den 
Verkehr  und  das  VOlkerleben  ans! 

Die  ersten  Kindrftcke  haben  ihre  Vortheile,  aber  auch  Ihre  Nach- 
theile. Das  alhmfHUie  Anschanen  theatralischer  Vorstellungen  ist  bei 


i^iyui^cd  by  Google 


—  9  — 

K.  V.  Holt  ei  fiir  das  ganze  Leben  entsclieidetld  gewesen.  Seine 
Sdumspieler-Tborheiten  siinl  In  !;irch  geweckt  worden.  Und  nun  gar 
unsere  Kindertheater!  Man  lese  darüber  a.  a.  Fritz  Eeuters  ,.Sehurr- 
Murr"  S.  174  fg.,  wo  er  sagt:  ,.Ks  '/\U  ^^av  kein  untrüglicheres  Mittel, 
um  unwahre  Vorstellungen  in  der  Seele  eines  Kindes  zu  ei*zeugen, 
als  ein  schlechtes  Theatei".  Sinnige  Kinder  versenken  sich  in  diese 
falscl»^^!^  Vorstellungen  und  träumen  sich  zum  Schaden  ihres  Gemüthes 
in  eine  uiinihige  Welt  hinein;  lebhafte  Kindel-  üinchen's  den  schlechten 
Schauspielern  nach  und  ihr  Charakter  kann  zeitlebens  einen  Bei- 
sreschmack  davon  belialtt-n.  denn  in  der  Kindheit  ist  der  Assiniilatious- 
process  ein  sehr  energisclier,  und  die  äuLtern  Kindriicke  gehen  rasch 
in  Fleisch  nnd  Blut/'  Freilich  trilit  es  einzelne  gesunde  Naturen, 
welche  nadithoilige  Jugendeiudrucke  verwinden,  allein  —  Semper 
aliquid  liaeret. 

\\"ei  I  ii  las  Tieben  ei*ziehen  will,  muss  aucli  das  Leben  beachten. 
Darum  sind  lui  den  Leluer  und  Erzieher  die  Bekenntnisse  berühmter 
Personen,  die  Biographieen  bedeutender  Männer  sehr  lehn*eich.  Man 
lese  z.  B.  die  ,..)ugenderinnerungen"  von  Karl  Fr.  Klöden  (Leipzig,  bei 
Gfimow  1874);  Arndt,  „Eiimienmgen  ans  dem  ftnfiem Leben**  (Leipzig, 
bei  Weidmann  1840);  Schillers  Jugendjahre;  Jugendeiinnemngen  eines 
.alten  Mannes  (Berlin,  bei  Hertz);  „Ans  der  Jugendzeit**,  Lebenserinne- 
rangen  von  Ad.  Stahr;  „Das  Buch  merkwnrdiger  Kinder,  Lebensbilder 
ans  der  Jugendzeit  und  den  Entwickdung^aJnen  merkwOrdiger 
Menschen**  (Leipzig,  Spam^);  Jngenderinnerungen  Ton  Emst  Bietschel 
(Leipzig,  Brockhaas)  n.  t.  a. 

Um  die  Macht  der  ersten  Eindracke  darznlegen,  mögen  außer 
den  obigen  Beieinelen  hier  noch  einige  gestattet  sein, 

Über  den  bekannten  Geographen  Earl  Bitter  lesen  wir  in  dem 
Lebensbilde  von  Krämer  (Halle  1864),  von  welcher  Wirkung  die 
Schale  in  Schnepfenthal  gewesen  ist  flir  die  Bichtang,  die  ^ein  Geist 
später  genommen  hat.  Hier  können  wir  lernen,  was  „Heimatkunde" 
ist.  Die  natürlichste  Methode  ist  diejenige,  welche  das  Kind  zuerst 
in  der  Wirklichkeit  orientiit  und  zu  fixiren  sucht  auf  der  Stelle,  wo 
es  lebt,  und  dasselbe  .sehen  lehrt.  Ks  war  auch  der  Gnmdsatz  dei* 
Pestalozzi'schen  Schule  in  Herten,  duicli  Selbstbeob.-Kditung-  des  Nächsten 
zur  Krkenntnis  des  Ferneren  vorzudringen,  in  Schnepfenthal  lernte 
ßitter  die  Grundbegi'iffe  in  der  Natur  selbst  auf  Spaziergän^i^en  und 
Fußreisen;  man  beschneb  und  zeichnete  das  Ge.>eliene;  man  las  Keise- 
besolireibungen,  dii*  ja  erst  durch  die  Philantliropisten  der  Jugend 
zugänglich  gemacht  wuiden.   Man  denke  z.  B.  an  Campe's  jEU>binson. 


—    10  — 


Fflr  den  Pftdagogea  und  Geographen  Bitter  war  es  ein  Qlflek,  dass 
er  GatBnmdis  und  Salzmann  zn  Lehrern  hatte  und  sp&ter  mit  Pesta- 
lozzi in  Verkehr  trat  Ein  Vorzogr  der  Bildnngsweise  jener  Zeit  war 
es,  dass  es  ilir  weniger  darum  zu  thun  wai*  mit  Stoff  zu  ttborffillen, 
als  vielmehr  die  körperliche  und  geistige  filastidtät  aberhanpt  zn  be- 
wahren nnd  zu  stählen.  Daher  sind  die  meisten  jener  Männer  mehr 
oder  weniger  Autodidakten;  sie  mussten  sich  ihre  Bahn  selbst  brechen 
nnd  ihre  Bestrebungen  trag«i  den  Stempel  des  Frischen  und  Unmittel- 
haren,  während  bei  uns  so  vieles  nach  der  Schablone  geht  und  des- 
wegen auch  trotz  aller  materiellen  nnd  formellen  Überlegenheit  so 
matt  und  verwascheu  ausfallt. 

Ich  habe  schon  früher  hervnrcrelioben,  dass  zu  den  ersten  Ein- 
drücken auch  das  Pflanzenreich  i:  »  hürt,  das  dem  heimatlichen  Roden 
eigenthünilidi  ist.  In  der  Fremde  vermisst  man  diesen  gewohnten 
Anblick  überall,  deim  tief  haftet  die  Sitte  und  Beschättig-ung  der 
Heimat,  und  innig  verwoben  ist  mit  dei-  heimatlichen  Luit  uu<l  Sitte 
die  Prtanzenwelt.  Und  das  ist  ein  Wink  für  die  Lehrer  der  Volks- 
schule, diese  Kenntnis  vor  allem  in  der  ihr  anvertrauten  Jugend  zu 
wecken  und  zu  pflegen.  Vai  ilds  Ausländische  oder  Exotische  liegt 
die  Neigung  ohnehin  in  uu^erm  deutschen  \'ulke,  diku  immer  weiter 
schweifen  wiU,  während  das  Gute  so  nahe  liegt.  Bei  Schliemann  und 
den  ÄfHkareisenden  treten  andere  Rttcksichten  auf 

Was  wir  vom  Geographen  Bitter  gesagt  haben,  findra  wir  in 
verwandter  Biehtung  auch  bei  Perty  bestätigt,  dessen  „Erinnemngen 
ans  dem  Leben  dnes  Natnr-  und  Seelenforschers**  nnlflngst  erschienen 
sind  (Heidelberg,  bei  Winter  1879).  Max  Perty  verbrachte  seine  Jugend- 
jahre in  Bayern.  In  TOlz  empfing  er  den  ersten  Schulunterricht  und 
dort  erwachte  in  ihm  die  liebe  zur  Natur,  indem  er  Pflanzen  sam- 
melte nnd  Obstbinme  veredelte.  In  der  Folge  seigte  es  sieh  auch  bei 
ihm,  daas  das  Studium  der  Natur  einen  veredelnden  Eänflnss  auf  das 
menschliche  Gemttth  fibt,  mehr  als  jedes  andere  Lehrfach. 

Auch  die  eigenthümliche  Richtung  des  deutschen  Gelehrten 
H.  Leo  wurzelt  in  den  ersten  Jugendeindrücken,  die  er  in  dem  Buche 
„Meine  .Tugendzeif*  schildert.  Den  Mittelpunkt  bildete  das  Leben  in 
Wald  und  Feld.  Ans  Weiden  wurden  Flöten  gemacht,  Bii-ken-  und 
Birnblätter  zum  Blasen  benützt,  Haferstengel  zu  Pfeifchen,  Strohbander 
wurden  aus  Halmen  geflochten,  Körbchen  und  Stilhlchen  aus  Binsen, 
Beeren  wurden  gesammelt  in  Körbchen,  die  aus  abgeschälter  Birken- 
rinde gemacht  und  mit  Dornen  zusammengesteckt  waren;  V('>rrMl  wurden 
gelangen;  mit  den  Kühlem  zog  mau  zu  den  Keilern,  mit  den  Weibern 


i^iyuu-cd  by  Google 


1 


—  11  — 

und  Mädchen  sammelte  man  Lanb,  sdinitt  Gras,  dieUe  Holz  etc.  etc. 
„Es  war  ein  so  reidies  Einderleben,  wie  es  die  Knaben  wolhabender 
Familien  in  der  Stadt  niemals  gewinnen  können."  Das  alles  hatte 
einen  bleibenden  Einflnss  anf  ihn  nnd  hat  viel  zur  Ausbildung  seines 
absonderliehen  Wesens  beigetragen.  Leo  bekennt:  „Noch  kann  ich 
nicht,  ohne  einen  seligen  Schauer  zu  empfinden,  durch  ein  Tftnnicht 
gehen:  es  ist  als  legten  sich  alle  Engel  meiner  Jugend  lockend  und 
ziehend  an  meine  Seite  und  wollten  mich  wieder  zu  sich  holen." 

Dass  die  ersten  £indr&cke  einen  großen  Ehifluss  haben,  ist  un- 
bestreitbar. Da  aber  auch  noch  andere  Momente  mitwirken,  so  kann 
man  sich  nicht  wundem,  wenn  dieselben  £inflttsse  auf  verschieden 
geartete  Personen  auch  verschieden  wirken.  Ein  ganz  anderer 
Charakter  ist  unter  ähnlichen  Verhältnissen  der  bekannte  Dichter  und 
Patriot,  E.  Moritz  Arndt,  geworden.  Auf  diesen  hatte,  bei  höheier 
Begabung,  die  freie  Natur  und  das  Christenthnm  mehr  veredelnd  ge- 
wirkt als  bei  Leo.  Wir  müssen  uns  hier  flann't  bf^ni^iiren,  auf  seine 
auch  «reschiehtlich  bedeutsamen  ,,Krinncruugeu''  iiiiizuweiseTi  (Leipzig 
Weidmann  1840;.  Mit  derbem  Humor  erzählt  Anult  seine  .lug-end- 
streiche,  über  die  man  bei  gesunden  Naturen  nicht  so  streng  zu  Gericlit 
sitzen  sollte,  denn  nicht  selten  sind  sie  Vorboten  tüchtiger  Charaktere. 
In  dieser  Beziehung  gelten  mir  Arndt,  Laube  und  Fritz  Reuter  als 
wahlverwandte  Männer.  Aus  allen  dreien  ist  ti*otz  alledem  etwas 
Tüchtiges  geworden,  und  wir  Deutsche  können  sie  mit  Stolz  die 
iinsrigen  nennen.  Wer  Sinn  fiii-  echten  Humor  hat,  der  lese  nur 
Reuters  Leben  in  seiner  Vaterstadt  Stavenhagen,  und  man  wird  dann 
auch  die  kleine  Hlihe  nicht  scheuen,  mit  seinen  plattdeutschen  Schriften 
sich  bdca&nt  m  machea 

Dass  auch  bei  Eilnstlem  die  Jngendeindrftcke  michtig  eingewirkt 
haben,  ist  aus  vielen  Biographieen  zu  entnehmen,  und  wir  wüssten 
es  auch  bei  Leuten  ans  den  untern  StSnden,  wenn  ihre  Erlebnisse 
an^Seteichnet  wiren.  Nur  xweien  unserer  Eflnstler  wollen  wir  noch 
eine  kurse  Betrachtung  widmen. 

Wilhebn  Eanlbach,  der  geniale  Zeichner  weltgeschichtlicher 
Ereignisse,  hatte,  wie  viele  grofie  Männer,  keine  goldene  Jugendzeit, 
Sein  ganzes  Wesen  hat  sich  unter  dem  Eindruck  der  j&ühesten  Er- 
lebnisse oitfiiltet  Von  dlliftigen  Eltern  in  Arolsen  (Waldeck)  ab- 
stammend, ward  er  bald  von  einem  Orte  zum  andern  verschlagen, 
denn  es  waren  die  Eiieg^jahre  zu  Anfang  dieses  Jahrhunderts.  Das 
beste  geistige  Erbe  empfing  er,  wie  Goethe,  von  seiner  Mutter,  die 
den  hungernden  Knaben  durch  schöne  Erzählungen  erheiterte.  Sie 


Digitized  by  Gc) 


_   12  — 


war  der  tröstende  Mittelpunkt  der  wandernden  Familie,  Die  Kupfer- 
stiche des  Vaters  trug  Wilhelm  von  Hof  zu  Hof,  um  einige  Lebens- 
mittel zu  sammeln.  Eine  Zeit  laug  brachte  er  bei  einem  reichen  Bauern 
in  Westfalen  zu,  in  diesem  alten  Sachseiiland,  wo  Wittekind  einst 
seine  Streiter  gegen  Karl  den  Großen  führte,  wo  der  ^eniiauische 
Geist  sich  trotzijj  zur  Wehr  setzte  gegen  dm  ueueu  Glauben,  wo  die 
Hun»  '^stalten  jener  Zeit  noch  heute  im  Miiiide  des  Volkes  leben. 
Davuii  erziihlteu  die  Männer  dem  wissbegierigen  Knaben  nnd  hier 
empfing  er,  wie  er  seiiiüt  gestand,  die  ersten  Keime  zu  jenem  gewal- 
tigen Bilde,  auf  dem  sich  Wittekind  an  Karl  ergibt.  So  manches 
Meisterwerk  Kanlbachs  sind  Erinnerun^^en  der  sogenannten  rothen 
Erde.  Ein  (Jlück  für  ihn  war  es,  dass  er  von  Cornelius  ia  die  Maler- 
akademie zu  Düsseid  >il  aulü(-iiii.iiiaen  wurde.  Hier  legte  er  den  Grund 
zu  semer  künftigen  Künstlergrölie.  Die  missliche  Lage  seiner  Eltern 
hatte  aber  eine  gewisse  Herbheit  in  ihm  zui-ücl^elassen,  und  erst  in 
München  zeigten  sieh  Lichtpunkte  .in  seinem  Leben.  Eaulbachft  Zeieh- 
nimgeii  ans  dm  letzten  Jahren  seines  Lebens,  z.  B.  „Der  deutsche 
heilige  Michel'*,  die  nKinderprocession^  vl  a.  ennnem  an  Holiörei  den 
Sohn  des  Tapezierers  nnd  königlichen  Kammerdieners.  „Der  Blitz  des 
Witzes  —  wie  Karl  Grfin  in  seiner  Cnlturgeschichte  sagt  —  fiüirt 
gemeiniglich  ans  den  niedem  Schichten  der  Dienstbarkeit  empor. 
Liyins  Andronicns  nnd  Terenz  waren  Sclaven,  Plautus  em  armer 
Bauer,  Hofiiarren  belehrten  manchen  Fürsten,  Figaro  rasirt  den  Grafen 
Almavira,  Moliöre  geißelt  die  Thorheiten  des  Adels,  der  Kirche  nnd 
des  Hofes." 

Auf  anderm  l?oden  stand  die  Wiege  Tizians,  der  aus  einer  vor- 
nehmen Familie  in  Cadore  stammt,  das  im  venetianischen  Alpenlande 
in  einer  reichen  nnd  wunderheiTlichen  Natur  liegt.  Ernst  F(.r>ter 
schreibt  darüber:  „Vor  uns  steigt  die  Pyramide  der  Landschaft,  der 
Monte  Rito,  in  bläulichem  Glänze  mit  den  dunkelbewaldeten  Abhängen 
empor;  links  unter  uns  im  tiefen  Thale  rauscht  die  Piave.  g^rüne  Ufer 
umspülend,  und  begrenzt  in  der  Höhe  von  gewaltijren,  in  allen  Trmen 
spielenden  Dolomitmauem.  ^^'elch  eine  Fai-benfülle  ummnbt  uns  mit 
Himmelsbläue  und  leuchtenden  Wolken,  mit  kraftig  gesundem  und 
warmem  Waldesgrün,  in  scharfen  «THL^ensätzen  und  harmomschen  n>er- 
gänsren  zu  den  in  Sehneeglanz  erblassenden  Felsenmass^n'  Kine  g'anz 
Tiziauische  Landschaft!  Und  wohin  w  ir  gehen  nnd  wohin  wir  sehen  — 
jeder  Schritt,  jeder  Blick  weckt  Krinnerunfren  an  (hegenden,  die  uns 
aus  .den  Gemälden  Tizians  bekannt  sind.  Aber  es  sind  nicht  nur  die 
landscliaftlicheu  Hiutergi'Uude,  die  er  hier  geschöpft,  es  ist  die  Tiefe 


Digitizcü  by  Google 


—   13  — 


und  Kraft  der  Färbung  überhaupt,  die  er  in  dieser  Umgebung  gleich- 
sam wie  mit  äev  Muttermilch  eingesogen,  so  dass  man  meinen  könnte: 
hier  konnte  jeder  ein  Tizian  werden  —  vorausgesetzt  freilich,  dass 
er  den  Farbensiuii  de^-^elben  mit  auf  die  Welt  gebracht."  Nicht  blos 
die  Umgebungen,  aiieli  die  kirchlichen  Eindrücke  und  Lebensverhält- 
nisse waren  bei  Tizian  ganz  anders  als  bei  unserm  TCanlbach.  Dies 
zeigt  sieli  auch  in  den  biblischeu  Bildern  Tizians  verglichen  mit  den 
hisU)risichen  des  Kaulbach. 

Unter  allen  Einflüssen,  die  auf  Gemüth  und  Geist  der  .Tugend 
wirken,  ist  die  persönliche  Einwirkung  und  der  Umgang  oft  ent- 
scheidend für  das  ganze  Leben.  Das  weiß  jeder  Denkende  von  ssich 
selbst,  denn  jeder  hat  das  mehr  oder  weniger  erfahren.  Wie  viele 
von  uns  haben  sich  einem  Lehrer  oder  Freunde  eng  angeschlossen. 
Um  schließlich  eines  Grazer  Kindes  zu  gedenken:  Welchen  Einfluss 
ittrte  Vrot  Schneller  auf  dm  1876  verstorboiat  StBatimann  und  Ge- 
lehrten Antoo  Prokesch-Osten  ans!  „Schneller'',  sagt  Prokesch  sdbst, 
^wDsste  die  Jugend  za  endehen;  er  vai>  von  heiterem  Wesen,  voll 
Anregung  in  jedem  Worte  nnd  Blicke.  Durch  ihn  wurde  in  nns  ein 
Wettlanf  nach  aUem  Edlen  nnd  Schönen  geweckt  Seine  groBe  Kraft 
war  seine  Einfachheit,  seine  Milde,  seine  GUbe,  in  jedem  das  seinem 
Wesen  Verwandte  anzuregen.  Ich  war  nichts,  nnd  so  erscheine  ich 
mir  oft,  wenn  ich  an  meine  Kindheit  znrackdenke.  Er  nahm  die 
Knospe  nnd  legte  die  Blfttendeckel  ansehmnder  nnd  hieß  mich  blühen 
und  wachsen.  Ihm  danke  ich  alles."  —  Ist  das  nicht  ein  schönes 
Vorhild  für  uns  Lehrer?  Und  erhebt  es  nicht  nnsem  Bemf^  von  einem 
so  aasgezeichneten  Manne,  wie  Graf  Prokesch-Osten  war,  eine  solche 
Anerkennung  unseres  Berufes  zu  vernehmen?  —  Die  Befieiungskriege 
gegen  Napoleon  führten  auch  Prokesch  in  die  Reihen  der  steierraär- 
kischen  Kämpfer,  dam  keiner  seiner  Grazer  Schulkameraden  blieb 
daheim.  Da  fugte  es  sich,  dass  er  in  Jena  auch  mit  Goethe  in  Be- 
rührung kam.  Der  las  dem  jungen  Oftieier  aus  seinem  östliclien  Divan 
vor.  ihm.  dem  künftigen  Orientalisten  Prokesch,  zubenauut  Osten.  80 
geht  vieles  an  uns  vorüber,  dessen  Tragweite  wir  erst  später  erkennen. 

Zu  df'n  vielen  einflnssreicheii  Factoren  in  dfr  KT-ziehuntr  gehören 
auch  frühe  Oewöhnnng  und  dir  (  ts<(ii  ]''in\virkimgen  aut  das  Ge- 
dächtnis. Bezeichnend  für  die  iieiieutuug  des  (Gedächtnisses  ist 
es,  dass  nach  der  grieehischen  Mythe  die  iMuseu  d.  h.  die  Sinnenden 
das  Gedächtnis,  die  Erinnerung  (Muemosynei  als  ihre  Mutur  ver- 
ehrten. Das  Erinnerungsvermögen  ist  eine  der  geheimnisvollsten 
Fähigkeiten  des  geistigen  Lebens  und  ist  selbst  dem  hohem  Thiere 


Digitized  by  Google 


—   14  — 

eigeu.  Nimmt  beim  Menschen  in  vorgeiückten  Jahren  das  Gredächtnis 
ab  (das  Namengedächtnis  znent),  so  haften  trotsdem  die  Erinnemngen 
der  Jugendzeit  mit  unwandelbarer  Stirke  weiter;  naa  erzfthlt  ndt 
Voriiebe  die  Jugendstreiche,  die  ersten  Liebeshftndel  und  Begebnisse, 
nnd  selbst  lange  nicht  mehr  gehOrte  Melodien  nnd  Ausdrucke  des 
Matterdialektes  tauchen  bei  Gelegenheit  wieder  anf ,  denn  sie  waren 
anfgeschrieben  auf  eine  reine  TafeL  Diese  lautem  Jngendeindrihäe 
sind  fflr  das  spätere  Leben  von  nnschfttEbarem  Werte,  indem  sie  f&r 
die  Neigungen  nnd  selbst  den  Lebensbemf  bestimmend  einwirfcoi.  Die 
harmlose  Jagendzeit  gleicht  dem  Jngendparadiese  der  Menschheit,  von 
dem  ans  die  Sagen  der  Völker  berichten. 

Ist  das  nicht  ein  Wink  für  Mütter  und  Erzielier.  alle  Über^ 
reizongen  der  Phantasie,  alle  bdsen  Beispiele,  Roheit  und  Ungerechtig- 
keit von  den  Kindern  fem  zu  halten?  Zwar  hat  die  Jogeod,  oft  zum 
Glücke,  einen  leichten  Sinn,  aber  immer  bleibt  etwas  haften.  Von 
Kltem  nnd  Erziehern  wird  das  alles  zu  wenig  beachtet.  Die  Leiter 
der  Kirchen  Gesellschaft  haben  von  jeher  eine  g^rosse  Äfenschenkenntnis 
bewiesen,  indem  sie  diese  Neigunj,'  der  jiigendliclieu  Men.scliennatur  in 
ihre  Dienste  nahmen.  Der  Cuitus  der  Volksreligionen  mi'l  das  Symbol- 
wesen ist  dafür  ein  deutlicher  Beweis.  Namentlich  k;iiiii  Ii»  päpst- 
liche Kiiche  nicht  früh  genug  die  Jugend  zu  ihrem  Kii  U*  iiThiim  ge- 
wöhnen, und  was  machen  sie  hentziita^e  noch  für  Anstrenguugen, 
um  die  Jugenderziehung  und  die  Volksschule  in  ihrer  Haud  zu  be- 
kalteul  Sie  wissen  wol:  Warum?  In  m  \reit  es  pädagogische,  wirk- 
lich religiö.se  Motive  sind,  werden  btuui  und  Schule  mithelfen,  nicht 
aber  für  llerrsclierzwecke. 

Mit  der  jugendlichen  Gewöhnung  steht  d&&  Gedächtnis  in  enger 
Verbindung.   Die- Erfahrung  lehrt  Folgendes. 

Was  in  früher  Jugend  aufgenommen  ist,  haftet  am  l&ngsten  im 
Gedächtnisse,  und  miäUige  Begegnungen  sind  es,  welche  die  Erinnerung 
wieder  wecken. 

Nathan  fragte  den  Tempelhetm  um  seinen  Namen.  Dieser  ant^ 
wortete:  Kord  Yon  Staufen.  Der  Name  machte  den  Nathan  nachdenk- 
lich (n,  7);  er  rerglich  den  Wuchs,  Gang  und  die  Stimme  und  sprach: 
„Wie  solche  tiefgeprftgte  Bilder  doch  zu  Zeiten  in  ans  schlafen  können, 
bis  ein  Wort,  ein  Laut  sie  weckt!" 

Jngenderinnemngen  kommen  zuweilen  wie  ein  fiettnngsengel; 
man  denke  z.  B.  an  Faust  Als  er  die  Schale  an  den  Mund  setzt, 
Temimmt  er  Glockenklang  und  Chorgesang  „Christ  ist  erstanden"  etc. 
„An  diesen  Klangt  spricht  Fauste  „von  Jng^d  auf  gewdhnt,  ruft  er 


Digitized  by  Google 


—   15  — 


auch  jetzt  zurück  mich  in  das  Leben."  —  „Dies  Lied  verkündete  der 
Jugend  iiiuntre  Spiele,  der  Frühlingsfeier  freies  Glück;  Erinueiuug  hält 
mich  nun,  mii  kiadlicheni  Gefühle,  vom  letzten,  ernsten  Schritt  zurück." 

Tm  Alter  tauchen  oft  Erinnerangen  aus  der  Kiiullieit  aiü.  Z.  H. 
der  deutsehe  Dichter  Chamisso,  der  iu  jungen  Jahren  aus  Frankreich 
nach  Deutschland  fliehen  musste,  sagt  in  dem  Gedichte  „Schloss  Boncourt": 

Ich  tffum'  fth  Kind  mieli  sortteke 

und  schüttle  mein  greises  Haupt: 

wie  sneht  ihr  mich  heim,  ilir  TUldcr, 

die  l&ü'j;  ich  ver<rps-pn  'geglaubt ! 

Klüden  erzählt:  „Im  8.  Lebensjahre  machte  icli  (Ji*  erste  Eeise, 
und  mit  frischesten  Sinnen  fasste  ich  die  Eindrucke  aul.  Mein  Vater 
hatte  einen  Schein  auf  Vorspannfuliren  erlialteu;  der  Theergeruch  der 
Kiidvi  war  mir  sehr  angenehm,  und  wo  ich  ihn  etwa  jetzt  noch 
athme,  ti-eteu  nur  älteste  Reisebüder  vor  die  Seele." 

Iii  seinen  , Jugenderinnerungen"  erzählt  Ernst  liiets>chel  (S.  42): 
„Am  Morgen  eines  Pfingstfeiertages  musste  ich  für  meinen  Vater  anf 
einer  Wiese  im  Walde  einm  Strauß  wdfier  OrehUeen  holen,  die  er 
sehr  liebte  und  an  deren  Geruch  er  sich  ergötzte.  Trotz  eines  6e- 
vitters  mod  der  Sehen  davor  war  doch  die  ernste  Stimmung,  welche 
sie  hervorbringen,  die  Lost  and  der  Schauer  an  den  gewaltigen  Ei*^ 
echeinongen  der  Atmosphäre  fOr  mich  ein  eigner  Beiz;  die  Sonntags- 
stille  in  der  Flnr  und  aof  dem  Felde,  der  festliche  Hintergrond  des 
Tages  erregten  in  mir  einen  Zustand  von  ahnungsvoller  Beklommen> 
hett,  dass  mir  Worte  fehlen,  die  unbestimmten  Bilder  dieser  Seelen- 
bewegung  zu  beieiehnen  und  ihnen  Änadmck  zu  geben.  Es  hinterlieft 
dieser  Jforgen  danea  so  bleibenden  Eindruck  in  mir,  dass  sein  Bild 
mit  vollster  Gregenwärtigkeit  mir  vor  die  Seele  tritt,  sobald  ich  solche 
weiße  Orchideen  rieche." 

Oft  haftet  Geringfügiges  sehi-  lange  im  Gedächtnisse.  Holtei  er- 
zählt in  den  „40  Jahren"  1,  90:  „Manche  Begebenheit,  die  auf  mein 
ganzes  Dasein  von  größtem  Einfluss  war,  verdanke  ich  oft  nur  einer 
Neben erinnemng  an  die  Straßen,  Bäume  etc.  Ich  bin  sicher,  dass  ich 
lOUO  Jalire  alt  werden  könnte,  ohne  die  Trödlerbude  zu  vergfessen. 
vor  der  mir  ein  Mitschüler,  die  scliönste  Centifolie  in  der  Hand  lial- 
tend.  entgegen  rief:  Weißt  du  schon,  die  Königin  ist  todt  ?  Beschwören 
kann  ich,  da.ss  icli  mein  Leben  lang  nicht  von  dei-  vi elbetra werten 
i?'ürstiü  habe  reden  hören,  ohne  dabei  un\*iHktirlicli  an  eine  volle  Kose 
zu  denken,  uud  dass  mit  der  Rose  auch  jedesmal  die  Trödlerbude 
sammt  ihrem  Kleiderkram  \ or  meiner  Einbildung  sich  darstellt.  Der 
Abmarsch  der  französischen  Truppen,  die  Bildung  der  Büigerwachen, 


Digitized  by  Gc) 


—   16  — 

der  WiVtlereinzug:  preußisclier  Soldaten,  die  feierliche  Eiusetzung 
der  Stadtverordneten  (in  Breslau):  dies  alle??  sehe  ich  lebhaft  nnd 
empfinde  die  dadurch  veranlassten  knabeiiiialten  Enegiuigen  wieder, 
wenn  ich  nnr  der  l*lätze  gedenke,  wo  ich  mich  im  Gewülüe  umher- 
trieb  und  begeistert  aus  vollem  Halse  mit  schrie."* 

Solche  Erfahrungen  könnten  Eltern  und  Lehrern  auch  A\  inke 
geben  für  die  Behandlung  des  jnngen  Volkes.  Wolthaten,  aber  auch 
empfindliche  Kränk mi^^en  haften  tief  im  jugendlichen  Gedächtnisse. 
Ungerechtigkeiten,  Ausbrüche  von  Jähzorn  verges.sen  die  Kinder  nicht 
so  leicht.  Über  das  unaufhörliche  Verbieten  und  Warnen  sagt  der 
vielerMrene  Holte!,  üaa»  es  liäufig  die  ookliigen  Lehren  und  Verlial- 
ttingsbefeiüe  besorgter  Eltern  und  Endeher  sind,  durch  welche  junge 
Leute  anf  den  Weg  gefilhrt  werden,  von  dem  all'  jene  Mandate  de 
zurückhalten  wollen«  »KOchte  doch  jeder,  dem  die  Jagend  anvertrant 
ist,  sich  gefiüligst  sm  seiner  eigenen  Jugend  daran  erinnern,  wie 
wenig  Verbote  bei  ihm  Terschlugen;  möchte  er  doch  daran  denken, 
dass  im  gntmflthigsten  £inde  ein  Antrieb  nach  dem  Verbotenen  waltet'* 
Der  Vortheil  oder  Nachtheil  der  ersten  Eindrücke^  wie  er  sich  in 
Bezog  auf  Sitte,  Charakter  und  Geistesrichtung  geltend  macht,  zeigt 
sich  auch  im  ersten  Unterrichte.  Nichts  ist  verderblicher  als  das 
tändelnde  Vielerlei,  als  der  sogenannte  spielende  Unterricht,  wie  er  in 
yerkOnstelten  Einderg&rten  hie  und  da  vorkommt.  Hieher  gehören 
auch  die  pädagogischen  Calfactereien  der  Kechenspiele,  Geographie- 
spiele und  dergleichen.  Ähnliche  Nachtheile  bringt,  es,  wenn  Elemen* 
tarlehrer  über  die  ersten  Elemente  zu  schnell  hinweg  eilen  und  Ein- 
drücke auf  Eindrücke  häufen.  Diesen  geben  wii*  zu  bedenken,  was 
£&ckert  in  der  ., Weisheit  des  Brahmanen"  (XIII,  5ö)  ««agt: 

„üem  unbesclirieb'nen  Blatt  des  Gpi«rf>«  in  dem  Kinde 
scUreib  uuledäclitig  nicht  zu  viel  eiu  zu  gesschwinde. 

Zwar  wird  nie  voll  «Us  Blatt,  st«ta  neu  sn  Aberscbteibeot 
doch  keine  Schrift  80  fest  winl  siU  die  erKtr  )>!<  iben. 

Ja  keine  Kiiii'^t  ventin?  sie  völlig  wejf/iiu  i?i  Iild  : 
wa^  mau  auch  drüber  schreibt,  sie  schimmnt  diiich  daiswiächeu. 

Du  üelber  müg&it  eioüt,  wauu  spätre  i^chriiten  schwinden, 
erloMh'ne  Xiodenilg'  im  Heizen  wiednr  finden.***) 
Aofinerksame  Eltern  nnd  Lehrer  können  ans  gewissen  Neigungen 
der  Kinder  vieles  lernen  nnd  oft  sogar  auf  den  kfinftigen  Bernf 

*)  Beherzi|,'euavvei  te  iirlahrungen  ttnden  sich  in  Kellners  Aphuri^meu  Nr.  1;  über 
den  ersten  Schulgang  in  AnerlMcha  ,,Ziir  guten  Stande"  1,184;  bei  KISden  In  den 
itJngenderimienuigen'*  S.51— 63;  bd  £.  M.  Arndt  in  seinen  ..Erinnerungen  aus  dem 
äußern  Leben*  S.  9 — 14.  Die  hh  ins  .iVller  im  (jedächtni?'se  baltende  Macht  der 
ersten  Liebe  «ei  für  jeden,  den  e«  betnfit,  das  letzte  argumentum  ad  liomiueui. 


Digitized  by  Google 


s<'l!li»-ßen.  Gewöhnunj>'  und  das  Beispiel  wii  ken  Inliitig  mit.  Wie  oft 
kommt  t's  vor,  dass  der  Sohn  dem  Berute  des  Vaters  folj?t,  weil  er 
von  .hisrt'nd  auf  seine  Thätigkeit  gesehen  hat.  Auch  in  andfru  Fällen 
hat  das  Bel^i»iel  eine  große  Macht.  Wird  z.  B.  ein  Kind  nicht  stehlen 
lernen,  wenn  es  sieht,  dass  die  Eltern  fremdes Kigenthuin  nicht  achti-n? 
Das  aUes  leitet  uns  auf  den  Grundsatz  hin:  Principiis  obsta!  d.  h.  dnin 
Anfange  stelle  dich  entgegen,  wehre  solchen  Aniangeu!  Des  Stehlens 
Anfang  ist  die  Lüge,  und  auf  die  ei-ste  Lüge  gehört  —  wie  das 
Sprichwort  sagt  -  ein  Backensti'eich,  eine  Maulschelle.  Luther  sagt 
mit  Recht:  die  Lüge  ist  ein  Schneeball:  je  länger  man  ihn  fortwälzt, 
um  so  grösser  wird  er. 

Was  die  Bentfewahl  tmbetrifft,  so  findeii  vir  in  manchen  Selbst- 
biographien gnte  Winke.  Z.  B.  in  seinen  ^ngenderinnernngeii**  sagt 
der  berOhmte  Plastiker  RBietschd:  ,^as  erste,  vas  ans  der  fHUiesten 
Kindheit  im  Bevosstsein  meiner  Erinneningen  geblieben  ist,  war  ein 
Wolge&Uen  an  kleinen  Bilderchen  and  Holzschnitten.  Was  ich  fiud, 
das  nnr  iigend  einer  Gestalt  Ton  Menschen  oder  Thieren  Shnfich  war, 
sammelte  ich  nnd  klebte  es  in  ein  altes  Bach.  Ich  yersachte  selbst 
auf  der  Schiefertafel  za  xdchnen,  was  mich  interesairte.  Im  sechsten 
.Tahre  malte  ich  eine  li^nde  Koh  mit  Wasserfarben.  Es  blieb  bei 
mir  das  Interesse  für  Zeichnen  und  Bilder  anhaltend  rege.**  Das 
schreibt  derselbe  Künstler,  der  später  die  Lessing -Statue  in  Braun- 
scbweig,  das  Gtoethe-Scliiller-Standbild  in  Weimar,  das  Lather-Denkmal 
in  Worms  nnd  andere  Meisterwerke  t^eschaflfen. 

Verbreitet  und  alt  ist  das  Sprichwort:  „Was  ein  Haken  werden 
will,  krümmt  sich  bei  Zeiten";  es  meint  nicht  den  künstlichen  Haken, 
sondern  den  gewachsenen  hakenartigen  Ast  des  Baumes.  Vür  Künst- 
ler und  Techniker  ist  es  ein  großer  Vorteil,  wenn  ihre  gestaltende 
Phantaiäe  und  ihre  Werktliätigkeit  in  frülien  .Jahren  genähi't  wii'd, 
und  wenn  sie  nicht  zu  lange  auf  den  Schulbänken  zu  sitzen  gezwungen 
sind.  Es  ist  aucli  eine  alte  Krfaitning.  dass  für  «resunde  Talent 
eine  harte  Jugend  eher  von  Vortlieil  ist,  da  sie  um  den  Schwachen 
erdrückt  oder  verkümmert,  den  Starken  abei"  stählt  und  vertieft.  fcJehr 
wirksam  ist  es,  recht  friüi  ins  praktische  Leben,  in  die  Werkstatt 
einzutreten  und  die  primitivsten  Forderungen  der  Technik  zu  allereret 
erfüllen  zu  lernen.*) 

*)  über  unser  thpnrpti'^iri'ndes  Unterrichtssystem,  diw  die  Vorbereitungen  znin 
Berufe  «bermäßi^'  in  ilie  Länge  zielit,  vetgl,  u.  a.  Fr.  Pecht  iu  der  Beilage  zur 
A.  .yig.  Zeitung  Xr.  33  (1882). 


8 


B»iel»]ig  nur  €l«wi88eihalti^keil  nd  Fflickttnie.'^ 

Von  i>r.  J^l^jiifijiyitoAitfilM^^^^ 

nicht  einem  unserer  Leser  dfirfte  es  unbekannt  Bein,  welches 
nngebeaere  Ungl&ck  sich  am  8.  December  1881  mit  dem  Brande  des 
Bingtheaters  an  Wien  ereignet,  und  welchen  Ausgang  der  durch  diese 
Katastrophe  Teranlaaste  Ftwess  genommen  hat  Wenn  mt  diesen  der 
pAdagogLwfaen  ErOrterong  scheinbar  femliegenden  ZwiBchenfall  miserer 
Zeitgeschichte  in  diesen  Blättern  m  bleibendem  Qedftehtais  regiatriren, 
so  geschieht  es  in  der  ErwSgnng,  dass  derselbe  für  die  öifentliche 
Moral  nnd  fttr  die  OlfenÜidie  Erziehimg  sehr  ernste  Fingeizcage  darbietet 
Enrs  nach  Abschfaiss  des  erwähnten  Frocesses  (am  17.  Hai  1882) 
brachte  eine  der  größten  Wiener  Zeitungen,  die  „Nene  freie  Pl^esse^, 
einen  Epilog  an  der  abgreschlossenen  Tragödie,  welcher  den  ans  der 
letsteren  sich  ergebenden  Warnungen  nnd  Lehren  Ausdruck  verlieh 
nnd  uns  Teranlasst,  den  allgemeinen  Betrachtungen  über  das  Tor 
unseren  Augen  vorübergegangene  Ereignis  eine  pädagogische  Wendung 
zn  geben.  Ist  auch  die  erschütternde  Episode,  auf  die  wir  mit  Ent- 
setzen zurückblicken,  an  sich  ein  rein  dsterreiehisches  Ereignis,  so 
hat  man  doch  aiicli  in  anderen  Ländern  Ursache,  die  an  einem  be- 
stiiiiiiitpn  StRatskürper  aufgebrochene  Wunde  als  Waniungszeichen  zn 
betrachten.  Ihr,  die  ihr  in  eurem  eigenen  Lebenskreise  an  alten 
Schäden  ki-ankt,  aber  durch  die  Geduhl  und  Langmuth  des  Schick- 
üals  bisher  vor  Unheil  bewalirt  worden  seid,  hütet  euch  vor  sorgloser 
Selbstzufriedenheit  und  träjrem  Beharren  in  alter  Gewolinlieit:  und 
ihr,  die  ihr  in  eurem  (itiiieinwesen  Talent  und  Tüclitigkeit,  Pflicht- 
ti'eue  und  Gewissenhaft  igkeit  zu  Ehren  gebmcht,  sehet  zu,  dass  diese 


*)  IMeaer  Artikel  war  sdioii  unllioiiAtHu  gwehrielflDt  murte  aber  utRlWwicirt 
auf  andere  Mamnei^  biiker  mrllehgeetellt  wenleii.  Olnrol  nun  die  Veranlaeanng 

desselben  bereits  der  Vei^ntrtnlieit  angehfirf.  dflifte  doch  sein  wesentlicher  Inhalt 
noch  heute  von  allgemeinem  intercsse  sein.  Übri^^ns  hahpii  sich  neuertiinfirs  aber- 
mals EreigniBse  zugetragen,  welche  aat  die  hier  behandelte  Endehungsautgabe  oach- 
drncUieh  lunweiien.  D. 


Digitized  by  Google 


19  — 

unerlässlichen  Stützen  der  öffentlichen  Wolfahrt  nicht  erschüttert, 
nicht  :r«  lirnchen  werden,  und  verg-esset  nicht,  daSvS  sie  ein  imi;randel- 
bares  undament  nur  durch  die  öffentliche  Erziehung  erhalten 
können! 

Das  Urteil,  mit  welchem  der  durch  den  Brand  des  Ringftheiiters 
Veranlasste  Process  zum  Abschlu&s  kam,  war  ein  müdes.  Von  den 
Angeklagten  wurde  die  Mehrzahl  freigesprochen,  die  Minderzahl  zu 
niäßij?en  Strafen  ^'erurtheilt.  Wol  hatte  die  sorgfältig  gefahrte  Unter- 
snchnntr  ein  hohes  Maß  \1elseitinrpr  Verschuldung  constatirt;  aber  im 
Hinblick  aiit  die  bei  der  Katastrophe  gegebeneu  Umstände  und  Ver- 
hältnisse und  auf  die  maßgebenden  Bestimmungen  des  Strafgesetzes 
sahen  sich  die  Richter  veranlasfit,  die  Omen  obliegende  persönliche 
Ahndang  in  engen  Schranken  zn  hatten.  An  diesen  Saehveiiialt  nnn 
schloss  sich  der  oben  erwähnte  Zeitungsartikel  an,  den  wir  ans  der 
Eingangs  bezeichneten  Erwägung  hier  (mit  Weglassung  des  fOr  nns 
nnd  unsere  Leser  UnwesentUchen)  mittheüen,  nm  an  ihn  einige  päda- 
gogische Bemerkungen  cn  knüpfen. 

Je  fehlbaiei'  die  menschliche  Gerechtigkeit  iu  tauaeud  traurigen  FlÜleu 
«idt  crviesen  hat,  defto  behutsamw  «ül  Bie  angewendet  sein  —  dieee  Er- 
wägaug nmw  ans  beruliigen,  wenn  ans  die  Auswahl  der  Schuldigen  und  das 
Maß  der  znerkannt^ii  Strafen  gering  zu  sein  scheint  im  \'t'rg'U'ichc  zu  dem 
namenlosen  Jamuier,  den  jener  Tag  des  Unglücks  über  Hunderte  von  Familien 
gebracht  hat. 

Der  Gerechtigkeit  ist  also  Genflge  geechelien.  Können  wir  aber  damit 
diea  dftstere  Capitel  Wien^  —  nein,  österreichischer  Geschichte  befriedigt 
schließen?  Gehen  wir  nnn.  nachdem  der  Vorhang  über  dein  letzten  Act  der 
Tragödie  hiuabgerollt  ist.  gleichgiltig  lieiin  und  denken  nicht  melir  daran,  bis 
vielleicht  neuerdings  ein  Trauerspiel  aus  „furchtbarem  Versäumnisse"  sich  be* 
gibt?  Es  ist  nieht  wbl  vetgeaieD,  daee  das  Gericht  nur  das  persönliche  Ver* 
schulden,  das  HnJI  IndividneUer  Verantwortlichkeit  in  den  Bereich  seiner  6e- 
urtheilnng  zti  ziehen  hatte;  was  jenseits  dieses  rinkroises  liegt,  das  wird  von 
seiner  Jadicatur  nicht  ergriffen.  Aber  gerade  die  nnpersiinlichen  l"ii'a(  heu  der 
Katastrophe,  das  Verschulden,  welches  nicht  dem  Kiuzehien,  sondern  der  AU- 
gemelnheie  snr  lAst  fiült,  Jene  llSagel  vnserer  gesellschaftlichen  Organisation, 
unseres  öffentlichen  Geistes,  unserer  staatlichen  und  commnnalen  Institutionen, 
für  die  keine  bestimmte  I'erson  verantwortlich  ereniaclit  werden  kann  und  an 
denen  wir  doch  .Mle  mitschuldig  sind  -  ■  gerade  das  ist's,  was  dieser  turcliter- 
liche  Process  mit  so  grausamer  Deutlichkeit  oä'enbarte,  und  dafür  gibt  es  keinen 
«ideni  Bichtenprach  als  dei\jenigen,  den  unser  eigenes  Gewissen  fUlt,  keine 
andM«  Sflhne,  als  die  miTerzügliche,  entsddOBsrae,  werkthätige  Reform. 

Gestehen  wir  es  aufrichtig,  die  Flammen  des  Ringtheaterbrandes  haben 
fürchterlich  in  das  mangelhafte,  rostige  Getriebe  unserer  öffentlichen  Verwal- 
tung und  nicht  blos  in  dieses,  sondern  in  die  hässiichen  und  nur  zu  gern  ver- 
lehwiegenefi  Eigenschallen  nnaeres  ganzoi  Yolkacharakters  hiaeingeleiiditet, 

2* 


Digitized  by  Gc) 


—   20  — 


Was  vnr  in  den  ersten  Stunden  nach  dem  Unglöclce  instincriv  ahnten,  das  hat 
die  gerichtliche  Verhandlung,  die  erbarmungslose  Zerpliederuiig  aller  Einzel- 
Ursachen  and  die  Untersuchong  ihres  ZusammenlmDgeg  nur  zu  sehr  bestätigt. 
Es  hat  sich  gezeigt,  daas  wir  alle  Anstalteii  und  Einriehtniigen  beritieiit  welche 
der  mcnsdiUdie  Geist  ersonnen  hat,  um  große  Brandkatastrophen  zu  TeihDten, 
oder  wenn  sie  dennoch  eingetreten  sind,  das  Treben,  das  Ei^refithnm  nml  die 
k5rperliche  Sicherheit  vor  ihnen  zu  schützen,  und  dass  alle,  uusnahmsios,  im 
eutscheidenden  Augenblicke  versagten.  Von  der  veralteten  Feuerlösch-Ordnung 
ans  dem  Jahre  1817  aogefluigeD  Us  hinah  wa  den  pflidktTergeneiieii  Arbeitern, 
welche  zechten,  statt  ihren  Dienst  zu  versehen,  hat  sich  alles  unzureichend, 
vernachlässigt  erwiesen.  In  der  Theaterleitung,  in  dt^r  Fe^eT  welii.  im  Sidier- 
heitsdienste .  überall  fehlt''  es  an  zweckmäßiger  Anurdiiunt?  und  noch  nit  lir  an 
pflichttreuer,  gewisseuhaiter  DurchTührnng.  Niemand  war  zur  rechten  Zeit  am 
rechten  Platze,  niemand  that  vollkommen  seine  Pflicht  Jener  Commonal- 
Beamte,  der  die  Anordnung  des  BQrgenneisters ,  die  Theaterleitung  zur  Eer> 
stellnnfT  dpi- Sicherheits- Vorkehrungen  zu  verhalten,  unbefolgt  ließ,  steht  würdig 
jenem  Urbane  des  Stadtbanamtes  znr  Seite,  das  bei  der  Nachrieht  vom  Brande 
sich  gemüthlieh  einem  Tramwaywagca  anvertraute,  um  zur  üiiglücksHtätte  zu 
fahr«D.  Welchen  Begriff  erhilt  man  Ton  der  Organisation  desPoliseidienstes, 
wenn  man  aus  der  Processverhandlung  etfthrt,  dass  der  Polizei-Beamte,  welcher 
die  Oberleitnnnr  dt  r  Rielierheit.'-vorkehrunpren  anf  dem  Brandplatze  fiilnte,  durch 
Zufall  benacliriehtifrt.  aus  einer  Privat i,'esellschatt  heraus,  ohne  eigentliche 
Verpflichtung  in  diese  Function  trat!  Hätte  er  sich  anderswo  befunden  oder 
bfttte  ihn  dieNaehrieht  nicht  erreicht,  io  wSre  wahrscheinlich  ein  gans  ander»» 
Tielleicht  anch  niemsmd  an  seiner  Stelle  gewesen,  dt  r  Zufall  «itschied  über 
eine  so  Avicliti^e  Anitsfnhmng:.  Und  jenes  mninose  ^.Alle.s  ist  «rerettet  I".  welclies 
die  Hanptursaciie  war.  dass  fast  ?ar  nichts  gerettet  wurde  —  selbst  die  ge- 
richtliche Untersuchung  liat  nicht  ergeben,  wer  dessen  Urheber  war.  So  mangel- 
haft ist  die  Organisatien  des  Sidherheit»>  nnd  Feaerwehrdi^urtes,  dass  k^e 
Person  bezeichnet  werden  kann,  welche  die  stricte  Verpflichtung  traf,  sich  da- 
von  zu  überzen^ren.  ob  noch  Menschen  in  dem  brennenden  Schanspielhause  sieh 
befanden.  Und  weil  es  eine  solche  Person  nicht  gab,  traute  einer  d<  r  Angabe 
des  andern,  und  niemand  besaß  die  Gewissenhaftigkeit,  auch  nur  der  Wahr- 
heit geaM  za  gestehen,  dass  ihm  nicht  bekannt  sei,  ob  Menschen  noch  der 
Rettung  hedfirflig  sden. 

Man  klagt  so  oft  den  Pessimismus  als  die  österreichische  Erbki-ankheit 
an,  welche  die  frische  hoffnuns-sfrendipre  Thatkraft,  deren  es  zu  jedem  Frfolpe 
bedarf,  nicht  autkomraen  lässt  —  hier  sieht  man  die  Wurzein  des  Übels  zu 
Tage  Üegem  Wie  aoU  der  01anhe  an  nns  sdfast  erstarken,  wenn  wir  die  pri- 
mitivsten Anfordenmgen  an  die  Verwaltoag  so  nfllUt  sehen;  wie  sollen  wir 
nicht  Pessimisten  werden,  weun  das  einzigemal,  wo  wir  dem  Optimismus  nns 
hiuffaben,  es  sich  so  fürchterlich  rächte!  Einer  (l*  r  rtheidiger  in  dem  Processe 
bemerkte  mit  Recht,  das  Maß  der  Verantwortlichkeit  jedes  Einzelnen  für  das 
entstandene  Unglück  sei  ein  gewisses  Durchschnitts-  and  Hittelmaß,  richte  sich 
nach  dem  allgemein  üblichen  Grade  vonPflichterfBllnng,  den  man  bei  der  Mehr- 
zahl der  Pereonen,  die  in  gleichen  Verhältnissen  sich  befinden,  nachwei n 
kann.  Daran  aber  lie«>^t'.s.  Das  Mittelmal!  der  Gewissenhaftigkeit  steht  bei 
uns  überall  tief  unter  der  Mittelmäßigkeit.   Wenn  wir  eine  Pflicht  zu  erfüllen 


Digitizcü  by  Google 


—  21  — 


haben,  sind  wir  weit  weniger  aaf  die  Erreichung  des  Zweckes  bedacht,  um 
desst^?)  willpn  wir  vpr].flichtet  sind,  als  darauf,  nns  für  den  Fall  zu  „decken", 
wenn  jeuir  Zweck  lücht  erreicht  wird.  Auch  dort,  wo  wir  MissstUnde  und 
U^el  vcrmuthen,  scheuen  wir  regelmäßig  die  Untenttchnng,  weil  wir  die  £nt- 
declniner  fBiehten,  die  xm  zur  Abttdlnng  det  Schlechten  verpflichten  wfirde. 
Der  Zn&U  spielt  bei  uns  eine  größere  Rolle,  als  irgendwo  in  einem  Gemein* 
w<^'«^ti .  das  anf  strammer  Disciplin  nnd  Pflichtei  fiillunff  anfgebant  ist  W*m* 
weüJ,  wie  viele  Institntionen  and  Anstalten  zur  Erreichung  der  Staatszwecke 
wir  besitzen,  die  innerlich  ebenso  mangelhaft  und  vemaclüttssigt  sind,  wie  die- 
jenigen, wdcbe  beim  RfngthwttCTiimnde  sidi  so  sdilecht  bewShrt  haben!  Wer 
weiß,  welches  Unglück  noch  kommen  muss,  nm  ans  ftber  andere  Zweige  des 
öffentlichen  Dienstes  die  Au9*en  zu  f»ffn'^n.  Mit  Schandern  denken  wir  daran, 
wenn  in  einer  (refahr.  die  den  Stjiat  selbst  bedroht,  Mängel  zu  Tage  treten 
würden,  wie  diejenigen,  welche  dieser  I'ruceäs  aufgedeckt  hat. 

Das  moralisdie  Yerdiet,  welches  sich  «u  der  dreiwtehentUehen  Verband- 
hmg  ergeben  hat,  lautet  tausendmal  strenger  als  das  gerichtliche  Vrtbeil;  es 
trifft  uns  alle  ansnalinislos,  die  ^vi^  —  jeder  in  seinem  Kreise  —  uns  des 
mangelnden  Ernstes.  dp<*  zn  leichten  Sinnes  in  der  Erfüllung  nnserer  staat«- 
bäi*gerlicheu  PÜichteu  aiikla^eu  müssen.  So  oft  ein  öffentliches  Unglück  ans 
der  fehlenden  Pffichttfene  efaimlner  entsteht,  sind  wir  alle  mitscbnldig,  well 
wir  es  geschehen  lassen,  dass  das  Durchseimitännaß  der  Sorgfalt,  welche  wir 
imserf^n  Obliefrenheiten  angedeihen  laKsen.  so  tief  herab^^inkt.  Exempla  trahunt. 
Wir  sind  im  Punkte  des  Pflichtgefühls  viel  zu  naehsieiiti^  j^eiren  nnsnnddem- 
gemäß  anch  gegen  andere.  Das  sollten  wir  aus  dem  Kiugtheater-Processe 
lernen.  Wenn  wir  dieses  Übd  der  NacUBssigkeit,  des  GewttbrenlassenSi  des 
Leichtsinns  nicht  ausrotten,  so  kann  der  Brand  jeden  Tag  an  einer  andern 
Stelle  wieder  ausbrechen  und  noch  zahlreichere  und  noi  Ii  ^r  lilimmere  Opfer 
fordern,  östeireich  hat  darüber  schon  die  bittersten  Erfahrungen  zu  ver- 
zeichnen, und  sie  spiegeln  sicli  alle  in  dem  harten,  aber  treffenden  Worte  jenes 
sarkastischen  Deputirten,  weicher  den  Ringtheaterbrand  ein  —  „Civil -EOnig- 
grlts**  geoannt  hat 

Das  also  war  des  Pudels  Kern.  So  sieht  der  „Öffentliche 
Geist ^  ans,  dessen  wir  uns  in  unseren  Tagen  eifrenen.  Woher 
stammt  er?  Etwa  aus  der  vielgeschmähten  „Neuschule die 
kaum  geboren,  irieder  umgebrackt  werden  soll?  —  Diesmal  haben 
selbst  die  Ärgsten  Verfolger  derselben  nicht  gewagt,  sie  für  fremde 
Sünden  verantwortlich  zu  machen.  Es  wäre  ^ne  allzu  offenbai*e  Ent- 
stellung der  Wahrheit  gewesen.  Denn  keiner  von  allen,  deren  Nach- 
lässigkeit, Leichtsinn,  Pflichtvergessenheit  und  Gewissenlosigkeit  mit 
dem  tragrischen  Erei^is  in  Zusammenhang  gebracht  ^vf>rf!pn  konnte, 
halte  seine  Moral  in  der  Neuschule  geschöiift;  auch  Avar  nicht  alizu- 
sehen.  wie  man  diesem  die  „unpersönlichen  Ursachen",  das  „Versclml- 
den  der  Allgemf'iTiheit",  die  „Mängel  des  Öffentlichen  Geistes"  und  die 
„Kelller  unsei'er  staatlichen  und  communalen  Institutionen"  zur  Last 
legen  könnte.    Aber  man  hat  es  auch  weisUch  unterlassen,  den  zu 


Digitized  by  Google 


—  22  — 


Tage  getretenen  Schaden  anf  seinen  wahi*en  Ursprung,  auf  das  alte 
firziehnngs-  und  BUdnngssrstem  zorfickznfübren.  Und  so  müssen  wir 
denn  diese  im  Epilog  der  Tragödie  gelassene  Lücke  ausfüllen,  indem 
wir  constatiren,  ilass  die  Greneration,  deren  moralisches  Bild  der  obige 
Artikel  zeichnet,  in  jener  8chnle  lieranfz-ewachsen  ist,  welche  in  der 
Glanzzeit  des  Krnmmstabes  und  Polizeisäbels  blühte.  Nun, 
„an  ihren  Früchten  sollt  ihr  sie  erkennen",  und  wenn  ihr  sie  erkannt 
habt,  dann  ft-agt  mrh:  nh  ein  rechtschaffimer  Mensch  wollen  kaun^ 
(lass  die  Nenschule  \en'athen  und  verkauft  und  die  alte  Dressui- 
maschinerie  wieder  hergestellt  werde.  Wollt  ihr  die  alle  Versumpfung 
conüierviien,  so  kehrt  zurück  in  die  Kuechtschati ;  wollt  ihr  ein  bes- 
seres Geschlecht,  so  schreitet  vorwärts  zur  Freiheit! 

Allein  da  handelt  es  sich  keineswegs  blos  um  die  „Xeuschule", 
unter  der  niciu  ja  bis  heute  nur  die  Vulksschulc  versteht  und  ver- 
stehen kann.  Es  handelt  sich  vielmehr  um  unser  gesammtes  Bil- 
dnngswesen  nnd  hesonders  om  jene  alten  Lehr-  und  Erziehungsst&ttenr 
denen  bis  jetzt,  trote  ^elfUtiger  Yersnehe,  eine  dmchgreüSande  V^ov 
jüngimg  niclit  gelungen  Ist,  eine  Teijüuguug  ihres  G^tes  und  Wesens, 
welche  nothwendig  ist,  wenn  sie  einen  heibameren  Einfluss  auf  die 
moralisdie  yer&ssang  der  Gesellschaft  und  anf  die  G^estaltitng  der 
OlTentiiehen  Angelegenheiten  ansOben  sollen,  wenn  sie  namentfich  jenen 
Genieiiisinn,  Jene  Gewissenhafl^kett  und  Pilichttreae  in  die  Gemflther 
der  Jugend  pitonzen  sollen,  deren  Uangel  so  schmerzlieh  beklagt  wird, 
nnd  deren  VoiheiTScbAft  die  wichtigste  Bedingung  aUer  socialen  Wol- 
fahrt  ist  Die  „intelligenten  GhuBsen'*  und  »leitenden  Kreise"  unserer 
Gesellschaft  rekrutiren  sich  aus  jenen  höheren  Bildungsinstituten, 
welche  der  Autorität  des  Staates  unterstehen,  vom  Staate  regulirt 
und  controlirt,  mit  weittragenden  „Berechtigungen^  ausgestattet,  großen- 
theils  auch  errichtet  nnd  erhalten  werden.  Die  meist  begünstigten 
und  einflussreichsten  unter  ihnen  sind  die  Gymnasien  nnd  ünivei-sitäten. 
Aus  ihnen  geht  die  Mehrzahl  derer  hervor,  welche  Kraft  ihi-es  Amtes 
die  ötfentliche  Gewalt  ausüben  und  den  öffentlichen  Geist  bestimm^ 
sind  auch  die  meisten  jener  Männer  hervorgeg-angen,  auf  welche  in 
letzter  Instanz  die  „unpersönlichen  Ursachen"  der  bewussten  Katastrophe 
zurückweisen,  und  welche  in  erster  Linie  getroö'en  werden,  wenn  der 
citirte  Zt  lUingsartikel  zn  dem  Kesultate  kommt:  „Niemand  that  voll- 
kommen seine  Pflicht**,  und:  ,,Das  Mittelmaß  der  Crewissenhaftigkeit 
steht  bei  uns  überall  unter  der  JMittelmäßigkeit." 

In  der  That  ein  keineswegs  schmeichelhaftes  ürtheil  über  unsere 
„höheren,  leitenden,  intelligenten,  clas>sisch  gebildeten*  Kreise!  Wol 


Digitized  by  Google 


—  23  — 

ist  die  ihnen  zu  Tlieü  gewordene  Beleuchtung  eine  g:relle,  der  über 
sie  gefiUlte  Spruch  ein  schroffer.  Aber  verkennen  dürfen  wir  nicht, 
dass  in  unserer  höheren  Bildung  ein  Bestandtheil  bisher  bei  weitem 
nicht  genug  betont  und  gepflegt  worden  ist,  und  gerade  ein  sehr 
wichtiger,  ja  der  wichtigste  Bestandtheil:  die  ..Tutellig-enz",  und  noch 
dazu  oft  eine  ziemlich  ungesunde,  ist  überschätzt,  und  die  ^foralität 
ist  als  N'el»pnsache  behandelt  worden.  Dieses  Deficit  wiid  von  spe- 
ciellcu  l?'a(  liiii  ianem  des  höheren  Schulwesens  selbst  vldlin  h  hervor- 
gehoben und  Iteklant.  indem  sie  zugleich  den  richtig*  n  (t*  si(  liispunkt 
Ztti'  Ausgleicliuti^'-  aufstellen.    Mit  Recht  bemerkt  nin  ge- 

wiegter Kiitiker  des  heutigen  GymuHsiums*):  „Das  Verdienst,  welclies 
sich  eine  Schule  um  die  Jugend  erwirbt,  der  Wert,  den,  sie  ftir  die 
Ge^llschaft  hat,  hängt  von  dem  Grade  des  sittlichen  Einflusses  ab, 
den  sie  auf  das  Wollen  und  Handeln,  auf  den  Oharakter  ilirer  Zög- 
linge übt....  Auch  unser  Gymnasium  wii'd  lohnende  Früchte  seiner 
Bildungsarbeit  nur  dann  erzielen,  wenn  es  die  sittlichen  Kräfte  ge* 
nftgend  übt,  dasGemath  und  den  Wülen  der  Zöglinge  veredehid  bfldet,** 
Nun  möge  ngestandea  sein,  dass  die  HehrzaJd  muerer  Sdiiil- 
niimar  diese  Ansdunmog  theile  und  auch  toh  »nfMjditigem  Eifer 
für  das  sittliche  Gedeihen  der  Jugend  beseelt  sei.  Allein  es  fragt 
sich,  ob  die  richtigen  ICittel  Ar  diesen  Zweck  in  Wirksamkeit  gesetzt 
werden,  nnd  da  mnss  oifenbar  nicht  aUes  com  besten  bestellt  sein, 
sonst  wSre  das  bezeichnete  Gebrechen  in  der  Bildung  nnseier  höheren 
Gesellschsitsdiassen  nicht  erklärlich,  selbst  wenn  man  die  anBerhalb 
der  Schule  liegenden  Ursachen  desselben  in  AwaniiUg  bringt  Und  in 
der  That  luuin  man  nicht  verkennen,  dass  sowol  die  Substanz,  als 
auch  die  Form  unserer  höheren  Bildung  der  sittlichen  Entwickelung 
gro6e  Schwierigkeiten  bereitet.  Was  die  erstere  betrifft,  so  soll  nicht 
behauptet  werden,  dass  die  in  unseren  Schulen  lieimischen  Disciplinen 
und  Bildnngsstoffo  an  sich  der  moralischen  Veredelung  der  Zöglinge 
hinderlich  oder  nachtheilig  seien.  Aber  es  kommt  auf  die  Behandlung 
und  anf  die  Stellung  an,  welche  man  der  Lehrsubstanz  angedeihen 
lässt.  Und  da  tritt  uns,  wenn  wir  von  allem  MinderAvichtigen  und 
allen  Einzelheiten  absehen,  thr  <'apitale,  alt  herkömmliche  und  hart- 
näfkifr  festgehaltene  Inihtmi  entgegen,  dass  die  classische  Bildung 
zu-leich  die  beste  Schulung  des  sittlichen  Gefühls,  des  Willleus 
und  Charakters  sei.  Erst  vor  wenig  Jahren  stelltt  ein  hervor- 
ragender Professor  an  einer  deutschen  Hochschule,  indem  er  bei  feier- 


*)  Czdkala:  Sollen  uu>»ere  tiynuiasien  bleiben,  wie  iie  auxdi 


Digitized  by  Google 


—   24  — 


lieber  Gelegenheit  die  Streitfrage  behandelte:  ob  auch  für  Mediciner 
die  Gymnasialbildung  und  besonders  das  Studinm  der  lateini!>chen 
Sprache  nnd  Literatur  nothwendig  sei,  die  Behauptung  auf,  dass  iliese 
Frage  bejaht  werden  müsse,  und  zwar  besonders  deshalb,  weil  die 
alten  (.'lasisiker  uiient^H-hrlich  seien  zur  sittlichen  Vorhildnnof  der 
kiiüi'tifren  Medieiiier,  namentlich  in  Hinsicht  der  wj-^scn h aftigkeit 
und  Pflichttreue,  da  pich  einem  der  classischen  Bildung  entbehrenden 
Arzte  kein  Patient  unbesorgt  anvertrauen  kiinne.  Wäre  diese  seltsame 
Meiumi^^  richtig,  müsste  also  der  kiinftig-e  deutsche  Ar/t  nnd.  der 
Analogie  zufolge,  wo!  auch  der  künftige  deutsche  Beaiiitt  mil  jeder 
andere  deutsche  Jüngling,  der  sich  zu  einer  verantwortlichen  höheren 
Lebensstellung  vorbei-eitet,  erst  nach  Rom  und  Athen  in  Erziehung 
gehen,  um  nicht  blos  ein  gelehrter,  sondern  auch  ein  rechtschaf- 
fener, gewissenhafter  und  pflichttreuer  Mann  zu  werden:  so 
müsste  die  deutsche  Nation  eine  sehr  mangelhafte  sittliche  Anlage  in 
sich  tragen  und  ihrer  Natur  nach  mehr  zur  Barbarei  als  zur  CiTili- 
satkm  bimBfllgen.  Idi  wOaste  sieht,  irorauf  wir  ab  Natioo  Bodi  stolz 
jK&n,  und  mit  welchem  Bechte  wir  einen  Ehrenplatz  unter  den  Cnltor- 
Tölkern  beanspruchen  könnten,  wenn  es  mit  all  den  Tielgepriesenen 
deatschen  Erbtngeaden  so  gar  schlecht  bestellt  wftre»  dass  wir  nöthig 
hätten,  nns  bei  den  doch  gerade  in  Sachen  der  Moral  keineswegs 
mustergutigen  Grieehen  und  Bömem  sittliches  Gefflhl  zu  holen. 
Ein  so  schmachToIles  Selbstbekenntnis  würde  in  Montenegro  und  Bul- 
garien ebensowol  wie  in  Ftankreich  und  England  den  ftnßersten  Un- 
wiUen  henrormfen;  auf  ebier  deutschen  Hochschule  konnte  es  ein 
deutscher  Professor  wie  eine  harmlose  Kleinigkeit  vortragen.  Aber  die 
alle  „dassisch  Gebildeten''  einverstanden  seien.  Das  wäre  abo  unser 
oft  so  pompOs  verkündeter  NationaJstolz?  Wir  wären  eine  so  elende 
Basse,  dass  wir  —  trotz  unserer  deutseben  Nationalliteiatur,  trotz 
unserer  Kanl  und  Fichte,  nnserer  Lamäag  und  Schiller  und  aller 
anderen  Zierden  unserer  Nation  —  ans  nns  selbst  heraus  zu  keiner 
rechtschaffenen  Gesinnungs-  und  Handlungsweise  gelangen  könnten, 
dass  wir  gewissenlose  Arzte,  untreue  Beamte,  pflichtvergessene  Lehrer, 
selbstsüchtige  Rabulisten,  falsche  Priester,  iihe!  hauj)t  schlechte  Menschen 
werden  müssten,  wenn  wir  nicht  in  der  classischen  Bildung**  den 
Zauberquell  aller  Tnirfcüd  besäßen?  —  Wenn  nur  nicht  trotz  alle-i- 
classischen  HildmiLi  las  sittliclie  Gefühl  so  oft  verkümmerte!  — 
ist  alui  leicht  begreiflich.  Denn  lange  Jahre  dauert  es,  ehe  der 
Kiiahe  durch  das  Außenwerk  der  alten  Sprachen  in  den  Geist  der 
alten  Literaturen  eindringt,  und  erst  gegen  das  Kndt  der  Gyumasial- 


Digitizcü  by  Google 


—   25  — 


zdt  lernt  ein  Bruchtheü  der  auf  die  Uiiiversit&tsstadieii  sich  Torbe» 
idtenden  Jflnglinge  sich  so  weit  in  einen  griechischen  oder  römischen 
Autor  versenken,  dass  er  eine  tiefere  Anregung  des  Gemütlislebens  aas 
ihm  empfangen  kann.   Und  dann  ist  es  noch  immer  nicht  die  dem 

deutschen  Jüngling  zuträglichste  Geistesnahrung,  was  ihm  aus  der 
'griechisch-römischen  Literatur  entgegentritt.  Die  Humanität  in  ihrem 
wahren  Wesen  war  dem  ,,cla8sischen"  Alterthum  fremd;  die  Tugenden 
desselben  bestehen  vor  einer  geläuterten  Ethik  nicht  die  Probe.*) 
Dazu  kommt  der  Gegensatz  einerseits  des  heidnischen,  anderseits  d^ 
republikanischen  Geistes  zu  unseren  cliristliclien,  In  zif  hentlich  monar- 
chischen Satzungen,  welcher  Widerspruch  oft  genug  in  allfr  Nacktheit 
hervorlritt,  wenn  von  Männpin,  die  bei  jeder  Gelegenli*  it  ihren  con- 
servativ-kirchlichen  Staii  li  iinki  liervorkehren,  odei-  im  devotesten  8er- 
vüismus  ereterben,  der  modernen  Jugend  die  Herrlichkeit  der  antiken 
Seelengrr>ße  und  der  alten,  übrigens  sehr  zweifelhaften,  Glaubens-, 
Gewissens-  und  politischen  Freiheit  gepriesen  wird.  Unsere  Jünglinge 
sollen  sich  für  griechische  und  römiselie  Institutionen  und  Ideale  be- 
geistern, dabei  zugleich  viel  leeres  Pathos  als  echten  Mannessinn  nnd 
nationale  Beschränktheit  als  die  höeliste  Blüte  des  Menschenthums 
hinnehmen  nnd  darcli  all'  das  gute  Patrioten  im  Sinne  des  heutigen 
Staats^stems  mid  gute  (Juristen  fan  Sinne  der  hensehenden  Kirche 
▼erden.  Wohm*  soH  da  eine  faste  nnd  harmonische  Gemflths-  nnd 
WiUensrer&SBnng  kommen?  Zom  Glück  hissen  sich  viele  Jünglmge 
nicht  in  diffieile  Grftbeleien  ein;  sie  nehmen  geduldig  hin,  was  man 
Ihnen  bietet,  nm  in  rohigem  Sehritte  nnd  ohne  Unfiül  den  vorgeschrie- 
benen Bfldttngsgang  m  absolviren.  Manche  aber  gerathen  in  bedenkliche 
Skrupel,  ja  in  Russland  schreiben  scharfblickende  Männer  den  zer- 
setienden  Nihilismus,  den  sie  im  Grunde  als  einen  moralischen 
Bankerot  betrachten,  zu  einem  guten  TheÜ  auf  Becfanung  des  wider- 
spruchsvollen, das  sittliche  Bewosstsein  erschütternden  Systems  der 
höheren  Bfldung.  Nun,  auch  hier  gilt  es,  mit  mliigem  Gleichmuth 
Ursachen  und  Wirkungen  auf  das  richtige  Maß  zurückzuf&hrai  und 
dem  übertriebenen  Lob  gegenüber  den  übertriebenen  Tadel  zu  meiden. 
Aber  gewiss  ist,  dass  die  „classische  Bildung*'  nicht  zugleich  als 
moralische  Erziehung  füi*  unser  Zeitalter  gelten  kann,  und  dass  da, 
wo  man  dies  ^lennoch  glaubt,  die  eigentlichen,  die  naheliegenden,  volks- 
thfimücheu  und  wirksamsten  Mittel  der  Gemüths-  und  Willensbildung 


*)  Vgl,  beMnutes  Julius  Schwaies:  Die  Demokimtie.  Leipstg,  bei  Dnncker  und 
Hamhlot. 


Digitized  by  Gc) 


—   26  — 

gering  gfescbätzt  und  zur  Seite  gedrängt  werden  müssen,  dass  nament- 
lich der  berrliehe  Bildungsscbatz  unserer  eigenen  Nationalliteratur 
nicht  gehörig  gewürdigt  und  verwertet,  wenn  auch  vielleicht  als  un- 
erlässlicher  Lehrgegenstand,  so  doch  nicht  als  ein  Erziehiing:sfactor 
ersten  langes  sjfs'liätzt  und  in  \\'irksamkeit  gesetzt  wird.  Möge 
man  also  den  wirklichen  Wert  der  classischen Bildung  im  allgemeinen 
wie  in  speciell  fachlicher  Hin^iicht  nur  immer  mit  aller  Klarheit  aus- 
einandersetzen und  Verth  eidigen;  möge  man  aber  ablassen,  eine  Art 
Zaubermittel  für  Alles  in  ihr  zu  erblicken  und  (laiiiber  zu  ver- 
säumen, was  sonst  noch  noth  thut.  \\'o  es  sich  um  eile  Bihlung  des 
sittlichen  (Tefühls  und  eines  rechtschaffenen  Willens  handelt,  da  vermag: 
der  gutt;  Genius  des  eigenen  Volkes  und  die  persönliche  Fiiluuug  des 
jungen  Mensclien,  besonders  die  stille  Macht  einer  edlen  Mutter,  wäre 
sie  auch  nur  ein  schlichtes  deutsches  Bauernweib,  weit  mehr,  als  die 
gauze  vuruehme  Gesellschaft  der  Sophokles  und  Demosthenes,  der 
Cicero  und  Horaz  sammt  Genossen.  Möge  man  also  die  Bildung  des 
Gewissens  md  des  Pflicht  geffllils  unserer  gesammten  Jugend 
weder  aas  Athen  und  Rom,  noch  sonst  woher  ans  der  Fremde  holen 
wollen,  sondern  sie  ans  dem  naTerdorbenen  sittlichen  Bewnsstaein 
unserer  eigenen  Nation  nnd  ans  dem  reichen,  herrlichen,  nnersetsUchen 
Schatze  unserer  eigenen  Nationalliteratnr  den  nachwachsenden  Ge- 
schlechtern fiberliefeml  — 

Was  zweitens  die  Form  onserer  höheren  Bfldnng  betrifft,  so 
mangelt  ihr  jenes  Mafi  Ton  Geistesfreiheit,  welches  die  unentbehrliche 
Vorhedingnng,  das  nnersetsUche  Lebenselement  aller  sittiiehen  Ent- 
wickelnng  ist  Echte  Gewissenhaftigkeit  und  wahres  Pflichtgefühl 
erwächst  nur  auf  dem  Boden  persönlicher  Selbstständigkeit,  die  ans 
der  eigenen  Überzeugung  vom  Werte  des  Guten  and  aus  der  spon- 
tanen, individuellen  Hingebang  an  das  Gute  Begeisterung  schnpft.  eine 
feste  Richtsclmur  und  ausdauernde  Kraft  empfangt.  Die  Knechtung- 
der  Geister  aber,  das  Schablonislren  und  Uniformiren,  Gängeln  und 
Drillen  untergräbt  die  Wurzel  aller  Rechtschaffenheit.  Ich  habe  diese 
Wahrheiten  scb')n  so  lange  und  so  oft  in  Wnrt  nnd  That  bekannt, 
dass  ich  sie  gern  eiumal  iu  fremdeu  Worten  wiederhole,  welche  mich 
des  Vüi-wmfes  überheben,  als  ob  ich  immer  nur  meiner  subjectiven 
Meinung  Ausdruck  verliebe.  Der  bereits  oben  citirte  ^»chulmanu  be- 
merkt: .Jh'v  Buchstabe  tudtet,  der  (Teist  macht  lebendig-.  Was  alle 
Erziehungsbestrebun^en  unserer  Schule  lähmt  und  des  Erfolges  ])ei-aubt, 
das  ist  der  in  derselben  herrschende  l'onnalif-iiiii^- ;  und  die  schlimmste 
und  gelahrlichste  Form  desselben  ist  der  Formalismus  der  Pflicht- 


Digitizcü  by  Google 


—   27  — 


aaffassnng.  So  lange  unsere  Lehrer  das,  was  sie  thun,  nnr  thnn, 
weil  68  Torgeschrieben  ist  und  im  Prognunm  steht  ,  so  lange  unsere 
Lehrer  nnr  darauf  bedacht  sind,  sich  wegen  des  Examens  mit  dem 
Lehrbuch  und  dem  Programm  formell  abzufinden,  kann  es  und  wii*d 
es  nicht  besser  wei'den,"  Er  erbh'ckt  in  der  ,.g:eisttödtenden  Eoutine", 
in  dein  ..demonilisireiulen  FormaJismus''  der  Sehiüarbeit  eine  „arge 
Versiindiguuj,^  an  der  Jugend",  eine  Untergrabung  des  inneren  Ptlu  Ut- 
gertili]<,  eine  Schädigung  des  gesammten  Gemüths-  und  Willenslebens 
und  1«  zeichnet  es  als  die  vri^^htifrste  Aufgabe  aller  Bildungsarbeit,  riu 
ikii  jugendlichen  Herzen  die  Keime  des  Guten  und  Rechten  mit  sorg- 
samer und  liebender  Hand  zu  hüten  und  zu  pfl^en/ 

Aber  für  solche  Herzensangelegenheiten  hat  unsere  Zeit  keine 
Zeit  und  kein  Verständnis;  die  üffeutliche  Meinung  ist  der  Verinner- 
lichnng  und  Vertiefung  der  Bildung  abhold,  sie  will  alles  veräußer- 
lichen  und  veiHachen,  auch  das  Beste  am  Menschen,  den  sittlichen 
Willen,  das  Gewissen,  den  Charakter.  So  tritt  denn  auch  in  unserem 
Bfldnngswesen  das  innere,  aus  spontanem  Interesse  f&r  ideale  Zwedce 
und  ans  freudiger  Hingebung  an  das  Wahre,  Schöne  nnd  Gute  ent- 
springende Leb^  mehr  nnd  mehr  in  den  Hintergrund,  nm  einer 
äußeren  Erledigung  vorgeschriebener  Pensa  Flata:  sn  machen.  Es 
handelt  sich  nicht  darom,  ob  die  ZOglinge  mit  Lust  und  Liebe,  mit 
freier  Selbstthätigkeit  nnd  BegeisteniBg  an  der  Klftrong  ihres  Ver- 
standes, an  der  Veredelnng  ihres  Qemikthes  und  Emens  arbeiten,  ob 
also  ihre  ganze  Persönlichkeit  ei&sst  und  gehoben  werde,  sondern 
dämm,  ob  der  Lehrplan  nnd  die  sonstigen  Reglements  pQnktHeh  befolgt 
werden  und  zur  Dnzehflihnmg  gelangen,  ob  alle  Ldirer  nnd  Schiller 
die  sorglich  zugeschnittene  Unifbnn  der  Geister  angelegt  haben  und 
allenthalben  volle  Fügsamkeit  an  den  Tag  legen,  ob  sämmtliche  Papiere 
in  Ordnung  sind  und  alles  geleistet  wird,  was  mit  Augen  und  Ohren 
controlirt  nnd  formell  constatirt  werden  kann.  Lehi^er  und  Schüler 
leiden  gemeinsam  und  in  gleichem  Maße  unter  dieser  mechanischen 
Routine  des  Schulwesens.  Die  persönliche  Initiative  ist  lahm  gelegt, 
alles  muss  sich  der  Instruction,  der  Schablone  ffigen.  hervorragend«' 
Talente  und  eharakteristische  Indi-vidualitMen  finden  keinen  Spiekauui, 
was  nicht  in  das  approbirte  3IaU  passt,  wird  gereckt,  beschnitten, 
ausgeschieden,  alles  Thnn  und  Lassen  wiid  von  außen,  niclit  von  innen 
bestimmt,  von  positiven  Vorschriften,  nicht  von  spontanen  Motiven, 
und  wird  gemessen  an  geschriebenen  Gesetzen,  nicht  an  den  Aus- 
sprüchen des  Gewissens,  selbst  der  (rlaube  und  die  Keligionsübungen 
unterliegen  der  Verordnung  imd  dem  Commando.    So  will  es  der 


Digitized  by  Gc) 


—  28  — 


heutige,  aller  sittlichen  Kraft  und  daher  aller  autonomen  Cultur- 
tliätigkeit  entbehrende  Zeitgeist:  alles  soll  „vei-staatlicht"  werden,  selbst 
die  Wissenschaft,  die  Pädagogik,  die  Gedankenwelt,  die  Moral,  das 
Gewissen,  d&s  PHichtgefühl.  Die  Person  ist  uidits  melir,  die  Verant- 
wortlichk»'it  vor  dem  inneren  i'orum  des  eigenen  sittlichen  Bewusst- 
seins  hön  auf,  die  Gewissenhaftigkeit  wird  antiqiürt.  die  Instruction 
und  die  ilir  entsprechende  Werkgerechtigkeit  \<f  alU  s,  die  tormale 
Legalität  ei^^etzt  daü  Pflichtgefiilü,  und  das  Versinken  in  die  luiecht- 
schaft  macht  sichtliche  Fortschritte. 

Wenn  wir  den  besten  Theil  aller  Tngendbildung,  die  etliisclie 
Seite  der  menschlichen  Natur,  des  lebenskräftigen  Kernes  verlustig 
gehen  lassen  und  das  Heil  suchen  in  dem  Formalisiren  und  Mechani- 
sii'en  des  Thuns  und  Lassens,  dann  darf  es  uns  nicht  Wunder  nehmen, 
wenn  so  viele  Menschen  ihr  Gewissen  nicht  in  sich,  sondern  außer 
sich  haben,  wenn  sie  in  ihrem  Herzen  keine  warnende  and  mahnende 
Stimme  vernehmen  imd  immer  nnr  fragen:  was  werden  die  Leute 
sagen?  oder:  wie  lautet  meine  Instruction?  oder:  was  muss  ich  thnn, 
um  fftr  alle  FftUe  meine  Person  yor  meinem  Yorgesetsten  oder  Tor 
dem  Gerichtshof  zu  decken?  Es  darf  uns  nicht  Wunder  nehmen,  wenn 
ein  öffentlicher  Function&r  auf  die  Frag^:  warum  er  nichts  gethan, 
um  namenloses  Ung}flek  zu  verhllten,  gelassen  antwortet:  seine  In- 
stmetion  habe  fttr  diesen  Fall  keine  Weisung  enthalten. '  Hören  wir 
denn  einmal  auf  mit  allen  BemUntetungen  unserer  Schäden  und  sprechen 
wir  nicht  mehr  von  „unpersönlichen  Ursachen",  wo  doch  alles  von 
Personen  abhängt  Beachten  wir  doch  wieder  den  alten  Wabrspmch: 
Lasst  uns  besser  werden,  bald  wird's  besser  seini  Geben  wir  in  Sachen 
der  moralischen  Erziehung  die  bloße  Dressur  ad  hoc  auf,  pflegen  wir 
die  Gewissenhaftigkeit  und  das  spontane  Pflichtgeihhll  Entschlagen 
wir  uns  dem  Wahne,  dass  diese  edlen  Kleinodien  unserer  Jugend  schon 
von  selbst  zufallen  werden,  wenn  wir  nur  die  classische  Bildun<r  und 
den  bui-eaukratischen  Formalismus  in  Wirksamkeit  setzen.  Bilden  wir 
vielmehr  das  sittliche  Bewnsstsein  nn^prer  Jugend  an  den  edelsten 
Blüten  des  eigenen  Natlooalgeistes  und  im  Sinne  freier  Hingebimg  an 
das  Gute! 


Digitized  by  Google 


Die  Realschullra^e  in  Ungarn. 

Vom  iVo/.  Dr.  J,  U.  Sehwieker-Btidaput, 

Die  Frage  über  Wesen  und  Bedeutung  der  Realschule  im  Or<^^a- 
nismus  des  öffeQÜicheu  Unterrichtswesenä  uud  für  die  menschliche 
Culturarbeit  id  Staat  und  G^Ilscbaft  beschäftigt  seit  geraumer  Zeit 
aidi  in  Ungarn  nicht  bk»  die  dgentUehan  Barnim  nnd  Fachkreise, 
Mndem  ist  Gegenstand  allgemeiner  Diseoflsion  in  der  Presse,  im 
Parlament  nnd  im  Schöße  der  Begierang  geworden.  Dass  diese  Dis- 
cQssioa  im  wesentlichen  sich  mit  denselben  Fragepnnkten  be&sst»  die 
ancfa  im  übrigen  gebildeten  fioropa,  hisbesondere  in  Österreich  nnd 
Dentachland,  bei  der  Bealschnlangelegenhdt  znr  Sprache  gekommen» 
liegt  in  der  Natnr  der  Sache  selbst»  nicht  mindor  in  der  cnltnreUen 
Gemeinsamkeit  nnd  in  dem  lebendigen  geistigen  Verkehre,  den  Ungarn 
mit  seinen  westlichen  Nachbarn  nnterhftlt  Nichtsdestoweniger  besitzt 
dieRealscholfisge  hierlands  ihre  charakteristisdien  Eigenthttmlichkeiten, 
aof  welche  wir  im  Verlaufe  unserer  Dai-stellung  hinweisen  werden. 

Was  zunächst  die  geschichtliche  Seite  der  Frage  anbelangt,  so 
ist  die  Eealschule  in  Ungarn  ebenfalls  wie  in  Östeneich  eine  Frucht 
jeoer  radicalen  Studienreform,  welche  die  Monarchie  dem  Jahre  1849 
zu  verdanken  hat  Auch  in  Ungarn  wurden  die  Realschulen  auf  Grund 
des  österreichischen  ..Organisationsentwui'fos"  ins  Leben  genifen,  wobei 
wir  allerdings  niclit  übei-sehen  wollen,  dass  l'ngarn  mit  der  im  Jahre 
184B  gegründeten  Realscliule  in  Pressburg  den  übrigen  Theilen  d(^r 
Monaicbie  in  der  Erhcbtong  idealistischer  Lehranstalten  voran- 
gegangen war. 

Die  Realf?chulen  begegneten  in  Ungarn  aulanglich  nur  geringen 
Sympathien;  man  sah  in  ihnen  fremde  Scliöpfungen  eines  vom  poli- 
ti.stlieu  und  nationalen  Gesichtspunkte  perhorrescirten  Regierungs- 
systems;  betrachtete  sie  als  Factoren  der  Entnatioualij^ilUUg  oder  als 
die  Verbreiter  eines  dem  altübererbten,  liebgehegten  Lateinertlium 
feindlichen  Realismus,  der  von  e!n7,elnen  Parteien  sogar  als  verderb- 
licher Materialismus  declariit  wuide,  uud  was  dergleichen  außerhalb 
der  Sache  liegende  Anfeindungen  mehr  waren. 


Digitized  by  Gc) 


Dessenungeachtet  gediehen  die  Realschulen  auch  in  Ungarn;  denn 
sie  kamen  auch  hier  einem  tiefempfundenen  Bedürfnisse  entgeg-en. 
Den  Beweis  liefert  die  wachsende  Vennehnmg:  der  Anstalten  nnii 
die  steigende  Frequenz  dei'selben.  Dfnn  bis  zum  Jahre  18H()  betrug 
die  Zahl  der  Realschulen  in  Un^^ain-JSiebeubüi-gen  (ohne  Kroatien, 
Slavonieii  und  die  MilitfiroTt^n/p)  17,  die  im  Jahre  1861  einen 
Schülerstaud  von  2543  aufwiegen.  Infolge  der  nationalpolitischen 
Reaction,  die  mit  dem  20.  Octuber  18üü  iu  üngaru  eintrat,  wurden 
mehrere  Real^cimlen  aufgelassen  oder  in  Gymuaüieu  verwandelt. 
Audi  im  Lehrplane  fanden  einige  Abänderungen,  namentlich  in  der 
Richtung  der  Unterrichtssprache  sowie  der  ausgedehnteren  Berfiok- 
sichtigung  der  vaterländischen  Geographie  und  Geschichte  >tuti,  .illein 
im  großen  und  ganzeu  blieb  die  Organisation  der  ungarischen  Real- 
schule unverändert.  Dieser  Conservatismus  bewahrte  sie  zugleich  vor 
jenen  bedenklichen  Reform-  und  UmgestaltnnggT^mclieB,  denen  die 
migariseheii  Oynuiaeieii  seit  1860  ausgesetzt  waren  und  die  Mer  eine 
ruhige  continnirliche  Entwiekelnnf  immöglieli  machten. 

Ifit  dem  materiellen  Anftcbmmge  mid  mit  der  indostrielleii  Be- 
wegung, welche  in  Ungarn  nach  dem  Jahre  1867,  seit  der  Wieder- 
hersteUnng  des  selbstetftndigen  nngarischen  Verfassungalebens,  allent- 
halben bemerkbar  wnrde,  nahm  aneh  die  Ndgong  für  das  Bealsehnl- 
weaen  abermals  in  bedeutender  Weise  seu.  Die  Anzahl  der  realistischen 
Lehranstalten  stieg  auf  34  und  die  Frequenz  im  SchuQahre  1874/5 
auf  8066  Sehfller.  Gegen  1861  hatte  die  Zahl  der  Realschulen  sich 
gerade  verdoppelt,  die  Frequenz  aber  gar  um  5543  Schüler  zugenommen. 
Wfthrend  im  Jahre  1861  auf  eine  Realschule  durchschnittlich  149Sch0ler 
kamen,  war  im  Jahre  1874/5  die  durchschnittliche  Frequenz  einer 
Realschule  238  Schüler.  Auf  eine  Classe  kamen  im  letztgenannten 
Jahre  im  Durchschnitt  49  Schüler.  Diese  starke  Frequenz  trat  bei 
einzelnen  Lehran-^talten  in  o^eratlezu  unerträglicher  Weise  zu  Tage, 
Es  gab  Realschulen,  die  z.  B.  im  Jalire  1872  3  vou  566,  569,  576, 
ja  selbst  von  904  Realschülern  besucht  wurden.  Selbstverständlich 
mnssten  dann  die  sechs  n'>i-malen  Classen  hier  dni-ch  Parallelabthei- 
lungen «nif  10 — 12  vermehrt  werden,  so  dass  man  im  'Trunde  D  ippel- 
Anstalteu  erhielt.  Nun  ist  es  alM'i-  udem  Scbnlmavme  klar,  dass  die 
En-ichtnng  von  Parallelclassen  immer  eine  Ansiiilte  von  zweifelhaftem 
Werte  bleibt.  Die  uugarischen  Realschulen  litten  somit  bis  zum  Schul- 
jahre 1874  5  an  Übervölkerung. 

Um  so  interessanter  erscheint  dann  die  plötzliche  Wendung,  die 
nach  diesem  Schuljahre  eintrat.  Nichts  veranschaulicht  diese  Perij)etie 


—  31  — 


deiitli<*lier  als  folgende  Ziffernthatsacheu.  So  waren  die  Kealschnlen 
Üngains  schon  im  Jahre  1875  '>  nur  von  7197  Schülern  besucht, 
d.  h.  der  Absturz  gegen  das  Vorjahr  betrug  889  8(!hüler  =  11"  „. 
Im  Schuljahre  18877  sank  diese  Zahl  auf  ßr)81  herab;  also  von 
1875__1878  hatten  die  Kealschnlen  1555  Si  liiilei-,  d.  h.  19"/o  ihrer 
>rHximaIlrequenz  eingebüßt.  Und  diese  Kiickbewegun^  schritt  noch 
weiter  vor,  s<»  dass  am  Schlosse  des  Schuljahres  1880,1  nicht  nui*  die 
Anzahl  der  Realschulen  auf  2*>  z  u  uckgegangen  war.  sondern  ihr 
Schülerstand  nur  noch  5427  zählte.  Die  Ditterenz  gegen  1875  beträgt 
darnach  bei  den  Anstalten  8,  bei  den  Schuitin  ::^659,  oder  32,8"V,. 
Wenn  im  Jahre  1875  auf  eine  Classe  durchschnittlich  49  Scliüler  ent- 
fielen,  80  war  jetzt  die  durchschnittliche  Classenfrequenz  auf  26  ge- 
sinken.  Eämeliie  Lehnuutalteii  sind  thatsftddidi  von  ginzUeto  Ent- 
Tölkenmg  bedrolit  So  hatte  z.  B.  die  0!)errealschttle  za  Lentschan 
im  Jalure  1880/t  in  .allen  aeht  dassen  zosammen  blos  82  Schflier,  in 
der  sechsten  Classe  saßen  gar  nur  4  Sehfiler;  die  siebenclassige  Ober- 
realsdiiile  za  Nagy-EAUö  zKhlte  in  Snnuna  62  SchfQer,  die  achtclaasige 
Oberrealsehlde  za  Sz^ely-üdTarhely  115  Schüler  n.  s.  w, 

Angesichte  dieser  Thatsaohen  wurde  von  verschiedenen  Seiten 
her  der  Itnf  nach  gSozlicher  Anfhebnng  nnd  Beseitigung  der  Beal- 
schnlen  lant  and  selbst  in  amtliehen  Kreisen  gab  man  die  BefBrehtong 
knnd,  die  Pealscholen  werden  am  Schülermangel  zu  Grunde  gehen. 
Die  prindpiellen  (regner  der  Realschule  ergriffen  freudig  die  Gelegen- 
heit, um  den  Kampf  gegen  die  verhasste  Anstalt  mit  vermehrter 
Heftigkeit  aufzunehmen.  £8  hielt  schwer,  in  dem  entfesselten  Wider- 
streite der  Meinungen  den  anbefangenen  Blick  zu  bewahren.  Und 
doch  war  dies  nothwendig,  wenn  die  Angriffe,  welche  feindselige 
Leidenschaft  oder  Beschränktheit  gegen  die  Realschulen  gerichtet, 
abgewehrt  und  dem  Tjjinflp  eirto  bi  if^nkliche  Schulkatastrophe  einspart 
bleiben  sollte.  Der  ungarische  Cultus-  und  Unterrichtsminister.  August 
Trefort,  verschloss  sicli  den  oberwahnten  '1  Imtsachen  keiiies\v«^irs. 
auch  war  er  nicht  abgenei<rt,  die  Kt^al><^liulfr«'jH  abennnls  eiriLreliend 
zu  verhandeln  und  etwaige  Abänderungen  an  der  kaum  abgeschlossenen 
Reorganisation  dieser  Lehranstalten  vorzunehmen:  doch  ließ  er  sich 
von  den  antirealistischen  Sturmern  und  Drängern  keineswegs  tbrt- 
reißen.  sondern  brachte  (allerdings  nicht  ohne  Mühe)  die  Bewegung 
wieder  in  ein  i  uliigeicb  L  ahrwasser. 

Worin  liegen  nun  die  Ursachen  des  rapiden  Rückganges  in 
der  Realschnlfreqaenz  seit  dem  Jahre  1874/5?  Man  hat  in  dieser  Be- 
ziehung auf  die  volks  wir  tschaft  liehe  Krise  des  Jahres  1873  hin- 


Digitized  by  Google 


—   32  — 


gHvvit^seii  und  bt-tont.  (la^<  lurch  dieselbe  die  iüdus[iieiieii  und  tech- 
nischen Berufsarteu  eiueu  iibenius  Ijarten  Stoß  erlitten  haben,  infolge 
dessen  der  früliere  Zndrane^  auf  allen  Stufen  dieser  Erwerbszweige 
vei^stdiwunden  sei.  D&s  ist  ohne  Frage  j^anz  richtig,  und  wii-  sehen 
den  Beweis  hiefur  auch  in  der  seither  ebenso  frai)pauten  Steigerung 
der  Gymnasialfrequeuz  und  der  damit  verbundenen  Zunahme  der 
Candidaten  ftir  die  gelehrten  Beru&kreise.  Der  Latinismus  feiert  seit 
1875  in  Ungarn  seine  Mheren  TrfDmphe  wieder.  Uan  bedenke  nnr, 
dass  z.  B.  im  Jahre  1874  die  Frequenz  der  ongaiizdieii  Gymnasien 
anf  26373  Sdittleni  stand,  wSbrend  sie  sedis  Jahre  vorher,  im  Jahre 
1868  die  Hohe  von  35227Sch1Uem  eingenommen  hatte;  im  Jahre  1881 
war  jedoch  die  Gjmnasialfreqaenz  abermals  anf  35288  Schiller  gestiegen, 
itberschritt  sonadi  das  bisherige  Maximum  von  1868  um  so  mehr,  als 
in  den  pablidrten  amtiichen  Answeisen  die  Nachrichten  über  vier 
Gymnasien  fehlten.  Ebenso  ttberzengt  ein  Blick  auf  das  Wachsthnm 
der  Frequenz  an  den  Facnltäten  der  Üniyerait&ten  jedermann  von 
dem  abermals  vorwiegenden  Drängen  der  ungarischen  studiienden 
Jugend  nach  den  gelehrten  Bemfm). 

Und  dennoch  erklArt  die  volkswirtschaftliche  Katastroplie  von 
1873  und  deren  Consequenzen  doch  nur  theüweise  den  rapiden  Ab&U 
in  dem  Bealschulbesuche.  Ein  weit  stärkerer  Grund  liegt  unserer 
Überzeugung  nach  in  jener  Reform  der  Realschulorganisation, 
die  im  Jahre  1875  ins  Leben  getreten  ist  und  der  ungarischen  Real- 
schule eine  ganz  eigenthümliche  Gestalt  verliehen  hat 

Dass  eine  irriindliehe  Reform  der  Realschulen  Ungarns,  die,  wie 
erwähnt,  im  wesentlichen  noch  die  Einrichtung  des  östeiTeichischen 
Oro-anisationsentwurfes  vom  Jahre  1849  hatten,  vonn«»ihen  war,  unterlag 
keinem  Zweifel.  Alle  die  Mängel  und  Gebrechen,  welche  man  in 
Österreich  gefühlt  und  erkannt  hatte  und  die  dort  ebenfalb  eine  Um- 
gestaltung dieser  Leliranslalten  herbeigeführt  hatte,  —  alle  diese 
i'helstande  traten  auch  in  Ungarn  zu  Tage.  Die  unglückliche  Ver- 
quickung der  Ziele  einer  allgemeiuen  Vurbilduiiy  l'üi-  das  höhere 
wissenschatt liehe  Studium  mit  der  Berücksichtigung  praktischer  Zwecke 
ffu*  das  gewerbliche  Leben  hatte  den  Realschulen  eine  zwiespältige  Auf- 
gabe gestellt,  die  ihnen  infolge  dieser  Gtetheiltheit  der  Interessen, 
AnsprOche  und  Strebongen  die  concentrirte,  einheitliche  Lehrthätigkeit 
wesentlich  erschwerte,  ja  in  mancher  Hinsicht  unmöglich  machte.  IMe 
nAchste  Cktnsequenz  dieser  differenten  Lefarziele  war  die  Aufimhme 
zahlreicher  Lehrftcher,  von  denen  einige  (wie  Baukunst,  Zoll-  und 
Monopolordnung,  Buchhaltung,  Maschinenlehre,  Modelliren)  mit  den 


j  . .  ..  y  Google 


—   33  — 

Zwecken  dner  aUgememen  "wiaaeiigchaftlichen  yorbildmig  im  grellen 
Wlderspmcbe  standen. 

Ans  soteber  Uisehnng  der  allgemeinen  nSt  der  FachlifidQng  ging 
dann  die  Überlastung  der  Realschulen  mit  realistischem  Lehrmaterial 
hervor,  nnd  da  fiberdies  fBar  die  BewUtigoDg  dieses  massenhaften 
ünterriehtflstoies  hlos  sechs  Jahre  aaberanmt  waien,  so  mnsste  Jede 
einaehie  Glass«^  mit  Lehrgegenstlnden  nnd  Woehensttmdaa  Übennlftig 
bedaebt  irerden,  mn  die  Vorschriften  des  Lehrplanes  auch  nnr  AnBerlich 
erfüllen  m  können.  Von  einer  gründlichen  Behandlung  des  Lehr- 
stoffes, von  einer  entsprechenden  snceessiven  VorfÜhrang  und  ange- 
messener Wiedeiholong,  Anwendung  und  Einübung  desselben  konnte 
dabei  mir  wenig  die  Rede  sein.  Die  Schüler  hatten  vollauf  zu  thun, 
am  den  Stoff  nur  halbwegs  im  Gedfichtnisse  zu  behalten;  klare  Einsicht 
nnd  Erkenntnis  der  vorgetragenen  Lehrgegenstände  war  höchstens 
Ausnahmetalenten  möglich,  ein  liebevolles  Versenken  in  die  Unterrichts- 
materie jedoch  selbst  diesen  verwehrt,  da  die  Masse  des  fortwährend 
zuströmenden  Stoffes  jedes  geistige  Verweilen  bei  dem  Gebotenen 
ausschloss.  Diese  Üherbürdung  wurde  noch  durch  die  Thatsache  ver- 
schlimmert, dass  namentlich  der  rpalistisclie  Theil  des  Unterrichts  mit 
bedrückender  Wucht  den  Realschuilelirplan  belastete.  Physik,  Chemie, 
Technologie,  Warenkunde,  Mathematik,  Maschinenkunde,  Ranknnde, 
Bauzeichnen,  Modelliren  —  wo  blieb  da  noch  Raum  für  die  idealistisch 
humanen  Studif ntai-lier?  In  der  That  spielten  auch  die  Sprachen  sowie 
die  ^eographisch-historischeu  Fächer  im  alten  Kealschullehrplan  eine 
Wührhafte  Aschenbrödel-Rolle.  Endlich  gesellte  sich  /.u  all  diesen  Übeln 
noch  die  bedenkliche  Ei*scheinung,  dass  die  Kealschülei  mit  ihren 
sechs  Classen,  also  angehende  Jünglinge  von  16  Jahren,  uni*eif  an 
Geist  und  Körper,  zum  wissenschaftlichen  Studium  an  die  technische 
Hochsdnile  zngelassen  wnrdOL  Allerdings  snehte  man  hkr  diirdi  das 
qTovbenituugsjahr"  die  ünznUngliehkelt  der  YorbÜdiiiig  einigermaBen 
abzostellen;  allein  dieses  PalÜatmnittel  war  schon  deshalb  nnzurdchend, 
weil  die  „akadenusche  Iiehr-  und  Lernfiraiheit'*  an  der  technischen 
Hochschnle  eine  strengere  Emwirkmig  auf  die  Hörer  sowie  eine  fort- 
laufende Controle  ihrer  Thfttigkeit  nicht  gestattete,  oder  die  Hoch- 
schule mosste  Ton  ihrer  wissensehaftMchen  Höhe  anf  ein  tieferes 
NiTsan  herabsteigeiL 

Es  war  deshalb  gereehtfiertigt,  wenn  der  jetzige  ungarische 
Unterrichtsrainister,  A.  Trefort,  gldch  nach  Übernahme  seines  Amtes 
im  Jahre  1872  die  Realschulfrage  zum  Gegenstande  eingehender  Be- 
lathnngen  machen  lieft,  nm  auf  Grund  derselben  eine  Reorganisation 


Digitized  by  Google 


—    34  — 


dieser  LehranBtalten  zu  bewerkstelligen.  Diese  Reformen  bestanden 
wesentlich  in  Folgendem:  der  sech^hrige  Lehrcnrs  der  Bealschnle 
wurde  auf  acht  Jahre  anogedehnt,  die  alte  Gliedemnsr  in  Ober-  nnd 
Unterrealsdinlen  anflselassen,  an  deren  Stelle  trat  die  üntersdieidong 
in  „TollstfindJge^  nnd  „mvoUstftndige''  Bealschnlen;  ans  dem  Lehr- 
plane  schied  man  die  sogenannten  ,)prakti8che&**  Fftdier:  Zell-  und 
Wechselkunde,  Buchhaltung,  Ban-  nnd  Masehinenknnde,  Technologie 
und  technische  Chemie,  ModelHren,  gänzlich  aus;  führte  dagegen  das 
Französische  neben  dem  Ungarischen  nnd  Deutschen  als  dritte  lebende 
Sprache  ein,  gab  den  geographisch-historischen  Fächern  eine  größere 
Aosdehnnng  nnd  beschi*änkte  die  matliematisch-naturwissenschaftlichen 
Disciplinen,  damit  auf  solche  Weise  der  Charakter  der  Realschule  als 
einer  alljö^e  meinen  wissenschaftlichen  Vorbereitnng'  für  die  technische 
Hochschule  gewonnen  werde.  Endlich  sollte  eine  streng:e  Maturitäts- 
prüfung am  Schlüsse  d»^s  ganzen  Kealschullehrcuises  nicht  blos  die 
würdige  formelle  lieemiigung  dieses  Ourses  kennzeichnen,  soTvIprn  aucli 
die  ertorderliche  Keife  des  Jünglings  zum  Abgang  aul  die  Hoch- 
schule coustatiieu. 

Um  die  Leser  einigermaßen  über  das  Wesen  des  neuen  Real- 
schullehrplanes,  der  mit  dem  Schuljahre  IHTä^ü  ins  Leben  trat,  zu 
Orientiren,  geben  wir  im  Nachstehenden  die  offlciell  vorgeschiiebenen 
Lehrziele  mit  Angabe  des  wöchentlichen  Stuudenausmaßes  in 
jeder  Classe. 

1.  Geschichte.  Lehrziel:  Xenntiiis  der  Geschichte  der  Griechen  und 
BSmer,  bmakm  dieMlboi  auf  die  GMtaltimg  dei  nodmenLebeaB  tob  Einllitts 
gewenn. 

Kenntnis  derjenigen  Epochen  der  modernen  Geschichte,  ans  velchea  der 
gegenwärtige  Zustand  der  ('tiltnrnationen  verständlich  wird. 

Eenntais  der  Cultnrgeschichte  Ungarns,  mit  besonderer  Berücksichtigung 
der  socialen  YeriilltniRae  und  der  Gesetzgebung. 

Wlfcheatliches  Stundenaasmag;  L — ^UL  Claase  je  2,  IV.  Classe  4,  V.^Yin. 
ClasBe  je  3  Stnndra;  zusamnten  22  Stunden. 

2.  Ungfarische  Sprache  nnd  Literatur.    Lehrziel:  Bewnaste  tad 

mündliche  Keiintuis  der  Graiuinatik  und  F;llü^koit  des  Schülfrs,  über  Gegffn- 
stände,  welche  in  den  Kreis  seiner  Erf:ihrun^r  und  seiner  Studien  fallen,  mit 
Klarheit,  Präeision  und  stilistischer  tiewaiidtheit  zn  sprechen  und  zu  schreiben. 

Auf  die  Lectüit;  von  Literaturwerken,  auf  die  Erörterung  der  ästhetischen 
Ftmdamentalbegrüre  und  die  Theorie  derKonstgattimgeik  dchstfitaEendeEenatnis 
der  Entwickeliuig  der  ungariedten  Literatur. 

Stondenausmaß:  I.  und  II.  Classe  je  5»  III.  nnd  IV.  Classe  je  4,  V.  bis 

VII.  Classe  je  ;^  MIT.  Classe  5  Stunden,  ztisammcn  32  Stimden.    In  der 

VIII.  Classe  kommen  zwei  Woohenstonden  auf  „Philosophische  Propttdeatik'*. 


Digitized  by  Google 


-  35  - 


3.  Deatsohe  Sprache  nnd  Literatur.  Lehrziel:  Auf  genaue  Kesntnis 
iirv  Orammatik  g'ej^riuKietes  VeiHtiiminis  der  bedeotendorai  clwinchen  EnieHg' 
oisse  der  neueren  deutschen  Literatur, 

Beiiihigang  des  Schülers,  über  einen  dem  Bereiche  des  Unterrichts  eilt« 
lonuneDen  Gegenatand  In  dentselier  Sprache  correet  und  prlUds  zn  sdireil)«! 
und  zu  sprechen. 

Standenansmaß:  L  daese  4,  II.— V.  CImm  je  3,  VI. — VIII.  Clasee  je  2, 

zusammen  22  Stunden. 

4.  Französische  Sprache  und  Literatur.  Lehrziel:  Auf  gründlicher 
Kenntnis  der  Orammatik  rahendee  Ventindnis  der  dasitediffli  Wake  der 
neueren  französischen  Literatur. 

Die  Fähigkeit  des  Schülers,  einen  ungarischen  Text,  der  einen  dem  Unter- 
richtskreise  entnommenen  Gef^enstand  behandelt,  fehlerfrei  ins  Franz?5sische  zu 
Sbersetzen  und  Fertigkeit  des  SchUlers  im,  mäadlichen  Gebrauche  der  fran- 
sOflJtdwn  Spndie. 

StnndenaQsmaA:  IL — V.  dasae  je  3»  VL — Vm.  Classe  je  2,  znaamnen 

18  Stunden. 

5.  Geographie.  Lehrziel:  Gründliche  Kenntnis  der  pliysischen  und  poli» 
tischen  Verhältnisse  der  Erde,  mit  besonderer  Rücksicht  auf  Ungarn. 

Stundeuausmaß:  I. — VIIL  Classe  je  2,  zusammen  16  Stunden. 

6.  Natnrgeaehiehte.  Lehnciel:  Auf  Anschainimf  md  Vergleiehtuig  ge-. 

jriiin^lete  systematische  Kenntnis  der  wichtigeren  Tlüer-  und  Pflanzeagrapfieil* 
Kenntnis  der  Eigenschaften  df>r  wichtifreren  ^Iiner;>.li>n  nrvl  Gesteine,  ebenso 
der  Bestandtheile  und  der  periodisclieii  Eatwickeliuig  unserer  Erdrinde,  mit 
beetMiderer  Rücksicht  auf  die  Verhältnisse  Ungarns.  Elemente  der  Physiologie 
dea  Kenechen. 

StiDulenansmaß:  L  Ca«Me  3,  IL  und  V.  Claaie  je  2,  VL.md  VIL  je  3 

und  VIIL  2  Stunden.  :!nsammen  15  Stunden. 

7.  Physik.  Lehrziel;  Kenntnis  der  auf  Grund  von  Experimenten  erkenn- 
baren und  mit  HUfe  der  elementaren  Mathematik  formnlirbaren  Gesetze  der 
NalnrawlieiDiuigen,  dabei  aneh  bcaondere  BertdEsiditigmig  der  iriehtlgereiL 
kosmischen  Erscheinungen. 

Stundenansni  Aß:  HL  Clane  4t  IV.  Glasie  2,  VIL  Olaaae  4  VIIL  Claaee  ö, 
zusammen  Ib  >tuiiiien. 

8.  Chemie.  Lehrziel:  Eingehende  Kenntnis  der  Elemente  und  derjenigen 
intetenanterai  Veritindm^n,  wddie  in  der  Natur  vorkomnien  oder  Int  fe- 
wShalichen  Leben  YÖn  Wichtigkeit  sind. 

StundenansmaB:  rV.-GUsae  3,  V.  Claaae  2,  VL  Claaie  3,  VIIL  Ciaaae  2» 
zusammen  10  Stunden. 

9.  Mathematik.  Lehrziel;  Sicherheit  und  Gewandtheit  in  der  Ausführung 
der  Seehnungsoperationen  imd  Geschicklichkeit  in  der  Anfldenng  der  Praxis 
entlehnter,  allerlei  Verhältnissen  angepasster  Aufgaben. 

ZnsaninienliRnffentle  Kenntnis  der  Lehren  der  elementaren  Mathematik  und 
bis  zu  einem  gewissen  Grade  Selbständigkeit  in  deren  Anwendung. 

Stundenausmafi  I.  Classe  4,  IL — IV.  Classe  je  3,  V.  und  Yl.  Classe  je  5, 
yn.  Claase  4  nnd  Vm.  Claaie  3,  anaammen  SO  Standen. 

10.  Geometrie  nnd  geometrisches  Zeiclinen.  Lehrziel:  Genane 
Kenntnis  der  Orondan^aben  der  eonstmctiven  Planimetrie  nnd  Projectiona- 

8» 


~   36  — 


lelire  und  deren  Anwendang  auf  Schatten-  und  perspectiviaelie  GonitnietloiMiD 
sowie  anf  rirlitiprfs  Abbilden  knnstindnstrieller  Objecte. 

Stundenausmaß:  1.  Clawe  4,  U.  Cla«8e  3,  III.— V.  Ciasse  je  2,  Vl.Claase 
3,  VU.  und  Vin.  Oasse  je  2,  naanuiieii  20  Stunden.  . 

11.  FreihaBaieieliBeB.  Von  der  n.  Oasse  an  mit  2,  IIL—V.  Glaaw 
mit  je  4,  VI.— Vm.  Classe  mit  je  2,  znsammen  16  Standen. 

12.  Turnen     L— VIII.  Classe  je  2  Stunden,  zusammen  16  Stunden. 

13.  Reli^^iousiehre.  In  jeder  Classe  eine  Stande  w5chentlich,  zusam- 
men 8  Stunden. 

Darnach  betragen  die  wöchentlichen  Lehr.<tnnden  in  den  einzelnen 
C'lassen  (ohne  das  Turnen)  25 — 80,  mit  dem  Tunieu  27 — 32  Stunden; 
die  Gesammtzalil  der  wöchentLiulien  Lehrstunden  an  einer  achtclassigen 
Realscliule  ist  245  Stunden.  An  dem  achtclassigen  ungarischen 
Gymnasium  machen  die  Lehrstnnden  in  den  einzelnen  Classen  ohne 
das  Tomen  24,  24,  26,  27  ,  28  ,  28,  30  und  90  Stnnden  Ans;  dazu 
komBunk  dann  noch  Je  zwei  Stunden  Tnmnnterriciit  in  jeder  Classe. 
Dem  Bdigioosonterrielite  sind  am  Gynmasinm  elf  Stnnden  gewidmet 
Die  Gesammtsahl  der  wOchentliclien  Lehrstnnden  an  einem  ToUstSn- 
digen  Gymnasium  betrflgt  288  Standen»  also  nm  12  Stnnden  weniger 
als  an  der  ReaLachnle. 

Diene  Bemlschalreform  wurde  bei  ihrer  Einfftliniiig  mit  den  zn- 
Tersichtlichsten  Holfonngen  begrüBt;  aber  die  Stimmung  Snderte  steh 
bald.  Die  auf fiüllge  AbnaJmie  in  der  Frequenz  der  Bealschnlen  ent> 
zfindete  auch  in  Ungarn  Ton  nenem  den  Streit  für  und  gegen  diese 
Lehranstalten:  die  Gegner  halten  die  Bealscbnle  einfach  fSr  über- 
flüssig und  prophezeien  ihr  den  Untergang  schon  infolge  dee  Schü- 
lermangels,  —  eine  Ansicht,  die  von  selten  der  Freunde  des  Beal- 
schulwesens  ebenso  heftig  bekämpft  wird.  Anf  solche  Weise  wurde 
der  „Krieg  um  die  Realschule"  in  der  ungarischen  Lehrerwelt  wie 
in  den  Kreisen  der  Tagespublicistik  geraume  Zeit  hindurch  mit  "rroßer 
Erbitterung  geführt.  Di«'  Eltern  schauten  dem  wenig  erbaulichen 
Schauspiele  mit  Verblüffung  zu,  und  die  Eealschüier  flüchteten  je 
länger  je  mehr  ans  ihren  T.ehranstalten.  Tm  endlich  dem  vielen 
Gerede  auf  den  (iiiiiid  zu  kommen,  berief  Minister  Trefort  im  Jahi'e 
1879  und  1881  Knqar'ten  von  Fachmaiiuern,  um  die  wirklichen 
Mängel  im  Realschulwesen  kennen  zu  leruen.  Der  Minister,  welcher 
bei  diesen  Beratliungen  persönlich  den  Vorsitz  führte,  legte  den  Ver- 
sammelten eine  Reihe  von  Fragen  zur  Discnssion  vor,  wie:  „Soll  das 
Latein  als  obligater  Lehrgegenstand  aucli  in  den  Realschulen  Ungarns 
eingeführt  werden?  Gibt  es  unter  den  jetzt  bestehenden  Realschulen 
sülche,  die  entweder  zn  Gewerbeschulen  loder  zu  Gymnasien  umge^ 


Digitizcü  by  Google 


-  37  — 

staltet  weiden  sollten?  Wäre  nicht  aach  das  Englisclie  als  Lehr- 
gegenstand  in  die  Bealsehnle  aafimieliiiien?  Auf  welche  Weise  kita- 
ten  mit  der  Realsdmle  praktisehe  Fachcorse  yerbnnd«i  werden?* 

Eine  nicht  minder  eingehende  Discassion  über  die  rerBchiedenen 
Gesichtspunkte  bei  der  Ldsnng  der  Realschnlfrage  entspann  sich  im 
Schöße  der  Unterrichtscommission  des  ungarischen  Abge- 
ordnetenhauses, welche  in  dem  ersten  Monate  des  Jahres  1882  den 
Torgelegten  Gesetzentwurf  über  die  Regelung  der  Gymnasien  und 
Realschulen  behandelte  und  zur  Vorberathnng  eine  Anaahl  von  Fach- 
IDännern  ei-n^elaiien  hatte. 

Wir  werden  in  unserer  weiteren  Erörterung  an  diese  Discussion 
insofern  anknüpfen,  als  wir  die  hierbei  vorgebrachten  Beschwerden  und 
BemänereliiiiiJ:»  n  einer  objectiven  Kritik  unterziehen  und  daran  unserer- 
«eits  eiiiifrc  Vorschläge  zur  Abstellung  tler  vorhandenen  Ubel- 
.stände  anknüpfen.  Auf  solche  Ai  t  hoffen  wir,  den  geehrten  Lesern  ein 
deutliches  Bild  von  dem  Stande  der  Realschulfrage  in  üngam  zu  bieten. 

Unsem  principiellen  Standpunkt  w  ollen  wir  sclion  hier  am 
Eingange  unserer  Erörterungen  dahin  kennzeichnen,  dass  wir  die 
Realschule  ilirer  Entstehung  nach  als  ein  nothwendige.s  Product 
der  modernen  wissenschaftlichen  Entwickelung  und  des 
technisch  commerciellen  Lebens  betrachten  und  hinsichtlich 
ihrer  Organisation  die  Ansicht  vertreten,  dass  diese  Lehranstalten 
ongeaehtet  'einseilner  Mliigd  md  Gelnedien  dennodi  im  gaazea  anf 
der  richtigen  Basis  ruhen  und  in  ihren  LehniBien  wie  in  den  Lehr- 
mitteln das  Ehttsprechende  getoden  haben.  Jede  nfitiliche  Beform 
mnss  daher  von  diesem  gegebenen  Thathestande  aasgehen  oder  sie 
Terliert  sieh  In  Utopie  nnd  wird  mehr  schaden  als  nfltien.  Die  Bealr 
aehnbeform  in  üngam  vom  Jahre  1876  hat  sieh  Ton  dieser  Qe&hr 
nicht  dorehans  fem  gehalten. 

Was  TOr  allem  die  anfälligste  ftofterliehe  Erseheinong  hn  nngari« 
sehen  Realscbniwesen,  den  rapiden  Bflckgang  in  der  Freqnens 
betrifft,  so  haben  wir  schon  erklärt,  dass  dieser  von  der  Volkswirt- 
sehaftlichen  Krisis  von  1873  und  deren  Folgen  nur  theüweise  be^^irkt 
worden  sei.  Ein  gewichtiges  Motiv  zum  Verlassen  der  Realschule 
liegt  nämlich  in  der  neuen  Organisation  dieser  Lehranstalt 
selbst.  Andere  Gründe  fußen  in  dem  Charakter  des  Volkes  sowie 
in  den  Anschauungen  der  Gesellschaft  in  Ungarn. 

Die  Ausdehnung  des  Realschulcurses  von  sechs  auf  aclit  Jahre 
entsprach  ohne  Zweifel  dem  dringlichsten  Bedürtnisse  und  den  be- 
gründetsten pädagogisch-didaktischen  Forderungen,  ebenso  war  die 


.  kj  i^  .  j  i.  y  Google 


—   88  - 


Yereinfachuiig  des  Lelirzieles  der  B^alschule  als  einer  wissenschaft- 
lichen Vorbereitungsanstalt  för  das  technisch -commercielle  Stiidinm 
ein  Act  bester  Einsicht,  umsoinehr,  als  die  Verqaickung  mehrerer 
Lehizielt'  einer  Unterrichtsanstalt  jederzeit  zum  Nachtheile  gereichen 
muss.  Allein  diese  Reform  stellte  zugleich  erhöhte  Ansprüche  an 
Eltern  und  SchtUer.  Zwei  Jahre  mehr  Schulzeit  ist  für  viele  Familien 
oft  <^ine  Frage  von  höchster  Bedeutung,  die  noch  an  Wichtigkeit 
gewinnt,  «sobald  man  die  Lebensaussichten  erwägt,  welche  an  die  Er- 
füllung der  höheren  Anspiiirlie  geknüpft  sind.  I'nd  da  musste  jeder 
Vater  sich  ^^agen,  da.ss  die  Aassichten  tiir  die  "RKilschulabiturienteii 
weit  geringer  seien  als  für  den  ab^(»lvirTen  LTyiiiiias.ialzögling.  Denu 
jener  hat  blos  die  technische  H  (  lix  hule  und  einige  Fuclischulen 
(Berg-  und  Foi'stakademie,  lainlwiitMliiiftliche  Akademie)  vor  sich; 
während  dem  Abiturienten  des  U ylliLLa6lu]Ii^  öuiiimtliclie  Hoch-  und 
Fachschulen  (auch  das  Polvtecliiükumj  geöffnet  :<ind.  Also:  Gleiche 
Anzahl  der  Jahrgänge,  gleiche  strenge  Anforderungen  in  Bezug  auf 
Lehrstoff  und  Lehrziel  and  ebenfiills  die  Maturit&tsprttfang  am  Schlüsse 
des  Lehrcnzses  und  dann  in- dem  Zntiitt  za  den  irisBenschaflüchen 
^adifiik  strwie  'in  den  LebensansBichten  eine  so  groBe  Verschiedenheit 
—wie  konnte  da  für  Eltern  und  Schtaer  die  Wahl  zweifelhalt  bleiben? 

Aher  der  BQckgang  in  der  Bealsehnlfreqnenz  liegt  auch  zum 
gntoi  Theil  in  dem  Charakter  des  Volkes,  das  momentanen  Imprea- 
aionen  zu  viel  nachgibt»  sieh  vom  Augenblicke  mid  dessen  Erfolge  za 
zehr  beeinflassen  Iftflst  Von  1869—1873  drSngte  man  sich  nach  den 
Fleisehtöpfen  der  tecbnisch-eommercieUen  Lanfbahn,  die  Ära  der 
„höchsten  Fmctificirang**  tief  ein  Jagen  nach  materiellem  Gewinn  nnd 
-hohen  Q&gen  henor.  Als  dann  die  Beaction  eintrat,  da  wandte  man 
dem  bisherigen  Lieblingskinde  ebenso  rasch  den  Kücken.  Fnd  an 
diesem  Gesinnungswechsel  ist  nicht  blos  die  große  Menge  betheiligt; 
-man  begegnet  ihm  auch  in  höheren  Kreisen.  Wir  berufen  uns  in  die- 
ser Beziehung  nnr  auf  den  bezeichnenden  Umstand,  dass  bis  zum  Jahre 
1874  das  ungarische  Polytechnikum  das  Schoßkind  unserer  Legislative 
bildete.  Man  war  dieser  Hochschule  gegenüber  in  der  Yotirung  neuer 
Lehrstülile  freigebig  bi'<  zum  Übermaß.  Seitdem  aber  konnte  die 
technische  Hochschule  ganz  ohne  ihr  Yerschuidea  von  aUedem  so 
ziemlich  das  Gegentlieil  erfahren, 

Ddcli  auch  in  unserer  Societät  wurzelt  das  Übel  dieser  Mode  in 
Schulsaclien.  Nacli  wie  vor  herrscht  das  „Lateinerthum"  vor;  die 
Sucht  nach  öffentlichen  Ämtern  liat  im  Gefolge  des  volks^wirtschaft- 
lichen  Niederganges  keine  Abnahme,  sondern  vielmehr  eine  riesige 


cd  by  Googl 


—  39  — 


Zunahme  ertahi  r  ii.  Für  Tauseiule  von  Familien  ist  tlie  Aufsicht,  dass 
der  Sülin  ^I^  aiDter"  werden  kann,  ein  liebgehegtes  Ideal,  dem  man 
schwere  materielle  und  geistige  Opfer  bringt;  letztere  namentlich  in 
jenen  zahllosen  Fallen,  wo  dem  Jungen  Talent  und  Neigung  für  das 
gelehrte  Studium  mangeln.  Auf  dem  Wege  durch  das  Gyiinuusiuüi 
hoöt  man  zu  diesem  ßeamtenideal  zu  gelangen.  Man  bedenkt  nicht, 
dass  dieses  angebliche  Ideal  in  der  Wirklichkeit  sehr  düstere  Seiten 
hat  imd  dass  ferner  im  Lanib  des  Gymnasialciirses  zahlreiche  Jttng- 
Unge  wol  der  materiell  prodnchreaden  Volkskraft  entzogen  werden, 
ohne  jedoch  die  geistig  schaifenden  Kreise  za  vezmehren.  Es  sind  dies 
jene  TansaMfe,  die  es  Us  zur  Absolvining  von  6  oder  6  Classen  des 
Gymnasiums  bringen,  nm  dann  entweder  wegen  Mangel  an  Subsisten^ 
mitteln  oder  wegen  Mangel  an  Talent  nnd  Neigung  die  Fortsetzung 
des  Stndinms  an^ben  mflssen.  Die  statistischen  Nachweise  beiengen 
es,  dass  nur  etwa  18—20  %  der  in  die  erste  Classe  eingetretenen 
Sdiltter  bis  in  die  achte  Classe  des  Gymnasinms  gelang^eni  also  nahezu 
SO  Proc^t  faäea  im  Laufe  des  Gnzses  ab.  Was  geschieht  ndt  diesen? 
Ein  Theü  gdit  allerdings  zu  praktischen  Beschäftigungen  über;  aber 
das  gilt  nur  von  jenen,  die  etwa  blos  1—2  oder  höchstens  vier 
Classen  des  Gymnasiums  besucht  haben.  Wer  darüber  hinausgekom- 
men ist,  der  „schämt"  sich  einer  Rückkehr  zur.  materiellen  Ai'beit 
Diese  „Lateiner"  mit  5— ö  G>Tnnasialclassen  liefern  dem  „geistigen 
Proletariate"  die  meisten  Rekruten;  sie  vermehren  in  ei'sclirecklich 
zunehmender  Weise  die  Winkelschrciber  und  Stellenjäger  aller  Art, 
werden  der  Gesellschaft  zur  Last,  dem  Staate  zui'  (-Jefahr.  Durcli  den 
Rii'  k^ang  in  der  Reaischulfirequenz  hat  nun  diese  ("la-se  einen  nam- 
haften Zuwachs  erfahren.  Die  Realscliule  hält  den  S  luiler  stets  mehr 
in  den  Kreisen  der  prHklit>eli*-n  Ht  i  ulsarlrn,  sie  lenkt  dieselben  nicht 
in  (lein  Maße  wie  das  (Tyninasiuoi  von  der  materiell  produciieuden 
Lel>ensbeschäftigung  ab;  sie  geht  nicht  von  Haus  aus  auf  d^  land- 
läntige  Ziel  los,  „Herren"  heranzubilden;  und  deshalb  erscheint  die 
Realschule  (abgesehen  von  ihm-  suusügen  wichtigen  Aufgabe)  in 
Ungarn  auch  als  ein  uothwendiges  Gkigengewicht  angesicht^j  der 
„lateinischen"  Societät  und  deren  Präpouderauz,  welche  dieselbe  heut^ 
wie  ehedem  in  Ungarn  behauptet 

Wenn  nun  die  Bealsehnle  f&r  unsere  GeseUschaft  und  flir  dio 
Lebensbedingungen  des  modernen  Staates  eine  Nothwendigkeit  ist; 
wenn  man  dieser  Lehranstalt  angesichts  der  wieder  erstarkenden 
teefanisch-commerddlen  ThAtigkeit  im  Lande  nicht  entrathen  kann  nnd 
die  Bealschule  somit  eine  bedeutsame  culturelle  Mission  zu  erfüllen 


Digitized  by  Gc) 


—  40  — 


hat:  s<j  frag't  t-s  sich,  aut  weiche  Weise  dem  Tli,  l  ih^r  abnehiiieii  lt  n 
Frequenz  gesteuert  und  wie  diese  Lehranstalt  wiedt-i  n\  dt-in  Ansehen 
des  Publicum^  imd  damit  zugleich  in  dem  Erfolge  ihrer  Wirksamkeit 
rehabilitirt  werden  kiinnte.  An  Vorschlägen  und  Ret« )nnau trägen 
aller  Art  hat  es  allerdings  nicht  gefehlt;  aber  diese  empfohlenen 
Maßregeln  können  grüßtentheilä  der  allgemeinen  Anwendung  nicht 
angerathen  w^erden. 

In  erster  lonie  gedenken  wir  jenes  pädagogischen  Badicalismus. 
der  mit  dem  Scheine  des  FenereiüBrs  ftr  wahre  hnnunilire  Bildung 
des  Volkes  den  Bealschnkn  flberhsnpt  den  "Krieg  erklirt  and  derai 
giodidM  Aufhebung  Terinngt»  diesellwin  deslIaterialtBmns  heschnldigt 
nnd  in  seinem  Zdotismns  so  weit  sich  yetirrt,  dasa  er  dksen  Leiir- 
ansUlten  Jedwede  Fähigkeit  cnr  Ertfaeflnng  einer  allgemeinen  Bildung 
abspricht,  ja  denselben  sogar  einen  antinationalen  Charakter  beizolegen 
sacht,  infi>]ge  dessen  die  SehtUer  in  den  Realschulen  nicht  einmal 
som  richtigen  Yetsttadnisse  der  NationaUiteratnr  gelaagen  kflnnten. 
Wie  es  Fanatiker  der  Bealsdrale  gibt^  die  daa  Gymnaainm  als  ,ffiber- 
wnndenen"  Standpunkt  in  die  pädagogische  Bompelkammer  werfen 
möchten:  so  hat  auch  das  Gymnasium  seine  leidenschaftlichen  Ver- 
tbeidiger,  yon  denen  das  alte  Sprichwort  güt:  ^Herr,  behüte  mich  vor 
meinen  Freonden;  vor  meinen  Feinden  will  ich  mich  selber  schätzen 
JeneBehaaptnng,  dass  ohne  Kenntnis  des  Lateinischen  und  Griechischen 
eine  allgemeine  humane  Bildung  nicht  möglich  sei,  ist  der  Ausfiuss 
einseitiger  Auffassung  oder  absichtlicher  Verkennung  der  Wirklichkeit. 
Eine  Widerlegung  oder  nähere  Wiirdigiuig  Terdient  dieser  Standpunkt 
nicht  im  mindesten. 

Mit  den  Ojinnasial-Fanatikern  gelien  eine  Strecke  weit  auch  jene 
»SchwSrnier,  die  ihr  pädagounsches  Ideal  in  der  einheitlichen  Mit- 
telschule erblicken.  Gymii;i>iiim  und  Realschule  >ind  dieser  Richtung 
zufolge  beklagenswerte  Zeichen  der  Spaltung  in  den  hoher^^n  Schichten 
der  Gesellschaft,  die  durch  den  zwiefachen  Bildungsgang  von  euiander 
mehr  nnd  mehr  getrennt  werden,  bis  endlich  eine  unüberbrückbare 
Kluft  entsteht.  ..Mit  ganz  verschiedenen  Bildungsstoffen  (heisst  es 
von  dieser  Seile i,  luii  ganz  verscliiedenen  Sprachen  und  Literaturen 
empfängt  die  Jugend  ganz  verscliiedene  Seelen,  und  Einheit  des  Be- 
wusstseins,  des  Empfindens,  der  gesammten  Lebensanschauung  einer 
Nation  ist  eine  hochwichtige  Sache,  die  man  nicht  leichtsinnig  an& 
Spiel  setsen  darl'  Gewiss  sind  das  gewichtige  Momente^  nnd  kein 
emster  Pftdagog  oder  PoUtiker  wird  dieselben  außer  acht  hssen 
dOriiBiL   Aber  ebenso  sidier  ist  es  auch,  dass  die  Fordernng  der 


Digitized  by  Google 


—  41  — 


höheren  Einlieitsschule  unaasf&hrbar  ist  Diese  ünansführbarkeit  beruht 
jedoch  meiner  Ansicht  nach  keineswegs  blos  in  dem  Chai*akter  der 

tl)erf^a!igspenodf'  unserer  Zeit,  sondem  sie  wurzelt  im  Wesen  der 
gesammten  neiizt  itliclien  Ent^kelunf^:  der  europäischen  liesellschaft 
überhaupt.  So  wie  das  Interesse  an  Hellas  und  Eom  fortdauern  ^vird. 
so  lange  die  menschheitliche  Cultui-  den  jetzigen  Charakter  beibehält; 
ebenso  erheischen  die  GeistesschStze  der  moflemen  Literaturen  und 
der  Naturwissenscliatten  wuiiliji^^eiide  Anerkennung'  und  thatsachliche 
IV]  iii  ksichtigung.  Je  weiter  dit-  (  ultur  fortschreitet,  desto  umla.si,en- 
der  werden  diese  Schätze,  so  dass  schon  um  des  äußerlichen  Umfanges 
willen  eine  angemessene  Scheidung  nothwendisr  erscheint  Allein  auch 
die  Vertiefung,  Aufarbeitung  im  l  Weitertüliruug  des  Cultwproce&sejs 
verlaugt  gebieterisch  die  i  litiiuug  der  geistigen  Arbeit,  und  aus  diesen 
principiellen  Forderungen  entspringt  die  vei-schiedeue  Richtung  de*. 
Idealismus  nnd  Kealismus,  die  jedoch  beide  im  Humanismus  ihre  Ver- 
einigung finden. 

£s  ist  nimlicli  nur  VonuthBÜ,  wenn  IwbAvptet  wird,  Gjumasiiini 
nndBealflchnle  stSnden  wie  zwei  feindfidie  BrQder  einander  gegenüber, 
die  keinen  gemeinsamen  BaUhnmgspnnlLt  haben.  Jm  Gegentheilt 
Beide  Arten  von  Mittelschnlen  liaben  mcht  blos  den  ideellen  Unter- 
gnmd  gemeinflchaftlifib,  daas  bdde  nach  aUgemem  wissenscbaftlicher 
Yorfaereitnng  streben  mid  sonach  YotstnüBii  des  eigentlidien  gelehrten 
Sfendioms  sind;  sondern  sie  besitien  in  ihren  Bildnngsstoffen  noch 
weitere  gemeinsame  Momente.  Da  ist  Yor  allem  die  Beligions*  nnd 
Sittenlehre,  dann  die  nationale  Sprache  nnd  Literator,  die  (beschichte 
nnd  Geographie  sowie  auch  «n  gntee  Stück  der  mathemala8ch*natar- 
wissenschaftlichen  Disciplinen,  welche  den  Schülern  am  Oj-mnasium 
und  in  der  Bealschnle  die  gleichen  BildungsqneUen  zufuhren.  Wie 
kann  man  da  von  einer  wachsenden  Spaltung  und  zunehmenden  Kluft 
unter  den  gebildeten  Classen  der  Gesellschaft  sprechen:  namentlich 
wenn  man  erwägt,  dass  auch  die  Realschule  jederzeit  auf  die  gescliicht- 
liche  £Qtwickelimg  ihrer  Lehrfächer  angemessene  Kücksicht  nehmen 
moss? 

Die  pinitMtirte  „einheitliche  Mittelsdtule"  ersclj^int  ül)erdies  als 
ein  verwerlliciies  Product  jenes  Geistes ,  der  im  (!asernentiiuni ,  in 
der  völligen  Nivellii-ung  der  Societät  sein  Ideal  verehrt.  Diesen  Geist 
perhorresciren  ^\ir  ganz  entschieden;  denn  er  beruht  auf  einer  falschen 
Voranssetzuns:  und  beabsichtigt  den  Umsturz  und  die  Zerstörung  aller 
orgaiiischtu  liütlun^en  in  der  menschlichen  Gesellschaft,  die  nach  dem 
Recepte  des  gleichmachenden  Communismus  von  der  culturellen  Höhe 


Digitizcü  by  Google 


—   42  — 


auf  die  geistige  nnd  materielle  Aimut  der  gleichmäßigen  Impotenz 
herabgedrückt  werden  soll.  Erst  müssten  diese  Schwärmer  oder  Um- 
stürzler die  lueiiscliliche  Natur  von  Grund  aus  umgestalten  und  jedwede 
individuelle  Eigenart  im  einzelneu  wie  bei  ganzen  Völkern  beseitigen, 
und  dann  dürften  sie  hoffen,  dass  ihre  atopistischen  Projecte  in  Er- 
follnng  gehen. 

Weil  unserer  Überzeugung  zul-dire  eine  Lehranstalt  linni-  Be- 
stimmung nur  dann  am  sichersten  genügen  kann,  sobald  sie  blos 
einerlei  Lehrziele  verfolgt  und  nicht  mit  denselben  Mitteln  ver- 
schiedene, oft  heterogene  Zwecke  erreichen  will:  darum  sind  wir 
für  die  Beibehaltung  der  getrennten  Lehran^^talten,  des 
Gymnasiums  und  der  Realschule,  womil  jedoch  nicht  gesagt  sein 
wül,  dass  diese  beiden  Mittelschularten  mit  einander  gar  keine  Be- 
rührung und  Gemeinschaftlichkeit  haben  sollen.  Wie  das  gemeint  ist, 
werden  wir  weiter  unten  nodi  nfther  andeoten. 

Den  Intentionen  der  „Annflbenmg'*  oder  gar  „YenKshmelzung*' 
des  Gymnasitmui  und  der  Bealschnle  kommt  auch  jener  Yorscfalag 
entgegen,  daas  unter  die  LehrgegenstSnde  der  Bealschnle  awsh  die 
lateinische  Sprache  aoftnnefamen  sei  Dieser  Vorschlag  &nd  anch 
in  den  ungarischen  Bealschnl-Enqulten  sovie  in  der  Untonichtscom- 
mission  des  rachstftglichen  Abgeordnetenhauses  beredte  Vertheidiger, 
deren  Änsschten  jeden&Us  Beachtong  verdienen.  Doch  ihre  Ar» 
gnmente  haben  ans  Ton  der  Yortrefflichkdt  ihrer  Meinung  nicht  &her- 
zeugen  können.  Das  Latein  wird  gefordert,  damit  der  „Bealist"  nicht 
aller  Einwirkung  des  antiken  Classicismus  entbehre;  femer,  damit  f&r 
die  modernen  Sprachen  eine  wissenschaftliche  Basis  gewonnen  werd^ 
und  endlich  um  den  Übergang  der  Schüler  aus  der  Eealschule  ins 
Gymnasium  leichter  zu  ermöglichen,  eTentaell  den  BealschtUern  selbst 
einzelne  Facultäten  an  der  UniversitÄt  zu  eröffnen. 

Wir  schätzen  die  hohe  Bedeutung  des  Studiums  der  lateinischen 
Sprache  ganz  wol  und  wissen  ebenso  die  Motive  zu  würdigen,  welche 
zu  diesem  Vomhlage  bewogen  haben.  Nichtsdestoweniger  sind  wir 
g(  Iren  die  Aufnahme  des  Latein  in  die  Realsehale  und  zwar 
gerade  im  Interesse  eines  fruchtbaren  Lateinunterrichts  selbst  Mnn 
vergisst  nämlich  nur  zu  oft,  dass  das  Latein  am  Gymnasium  keines- 
wegs blüs  ein  Lehrgegenstand  überhaupt  ist,  sondern  dass  diese 
Ijprache  "viehnehr  in  engster  Verbindung  mit  dem  Gesammtorganismus 
des  Gymnasiums  und  insbesondere  noch  in  sehr  naher  Beziehung  zu 
dem  Griechischen  steht,  mit  dem  es  gemeinsam  eine  Hauptstütze  des 
gesammten  Gymnasialunterrichts  bildet.    Der  erziehliclie  und  uuter- 


Digitized  by  Google 


—  43  - 


richtliche  Einfluss  des  Latein  beraht  also  keineswegs  in  dem  blofien 
Lehren  dieser  DiscipUa,  sondern  wesentlich  in  dem  beherrschenden 
Charakter,  den  Latein  nnd  Griechisch  am  Gymnasium  besitzen.  Kann 
man  an  der  Healschole  dem  Latein  dieselbe  Stellung  geben?  Gewiss 
nicht,  oder  man  macht  aus  der  Realschule  einfach  ein  GymT)«sinm. 
In  der  Kealt^chule  bleibt  das  Latein  jederzeit  eine  exotische  PHanze, 
ein  Treibhausgewächs,  dem  der  iebengebende  Boden  im  Schuloi  ganismus 
und  die  befruchtende  Gesellschaft  des  Griechischen  mangelt.  Denn, 
man  beachte  es  wol!  das  Latein  für  sich  allein  ist  keineswegs  das 
charakteristische  Kennzeichen  des  Gj'mnasiunis,  oder  es  sinkt  dieses 
zur  ))lußen  Lateinscliule  hei'ab  und  verliert  seiu  eigentliches  Wesen 
und  .^eiue  Bedeutuug  als  hnnuinistische  gelehrte  Schule  auf  Grund  alt- 
classischer  Bildungsmittel. 

Das  Latein  in  der  Realschule  verdirbt  in  solcher  Weise  auch  das 
GymuasiiLm;  denn  wenn  tlie  Realschüder  bloße  I^ateinkenntnis 
genügt,  um  ihn  zur  Maturitätsprüfung  an  einem  Gymnasium  und  somit 
zun  Besuche  der  Uniyersitftt  snzulassen;  dann  werden  ja  die  meisten 
StniUreiiden  nAch  dieser  Bealsdnde  mit  Latdn  strömen,  nm  dem 
StndimD  des  Gziecbischen  zu  entgehen.  Kein  ESnstchtiger  kann  aber 
das  Bedenkliche,  ja'GeflUuüehe  dner  solchen  Entwickelnng  fllr  nnseie 
gelehrten  Bemftarten  yerkennen. 

Die  HotiTirong,  daas  Latein  an  der  Bealselinle  jiothwendig  sei, 
nm  einen  tfUditigen  üntemcht  im  Französischen  nnd  eyentneU  im 
Englischen  ertheileii  in  können,  ist  ebeniUls  nicht  sticbhaltig.  Denn 
-einmal  handdt  es  sich  an  der  Bealschnle  (wie  am  Gymnasiom)  keines^ 
wegs  nm  einen  strengwissenschaftUchen  Unterricht»  etwa  nach  sprach- 
vergleichender Methode,  sondern  vor  allem  nm  die  Elemente  der 
Wissenschaften,  hier  der  Sprachen,  nnd  nm  deren  sofortige  schulmäßige 
Anwendung.  Wie  wäre  aber  femer  an  der  Realschule  mit  Latein 
beim  fianzOsisohen  Unterrichte,  der  fiist  gleichzeitig  mit  dem  Lateinischen 
begonnen  werden  müsste,  eine  Vergleichung  möglich,  da  ja  den  Schü- 
lern beide  Sprachen,  die  Mutter  sowie  die  Tochter,  noch  fremde  Dinge 
sind?  Im  weitem  Unterrichte  muss  aber  ihauptsächlicli  die  Lecttire 
nnd  die  iu  den  behandelten  Musterwerken  enthaltenen  Gedanken  und 
Idrt  11  1  erucksichti^  sowie  die  praktische  Gewandtheit  iu  der  münd- 
lii  hi  ii  iuhI  sclu'ü'tlichen  Handhabung  der  ninilri  iK  ii  Sprachen  angestrebt 
Werden.  Da  ist  fiir  eine  tiefereehende,  \'.  is^rn<(■haftliche  Sprachver- 
gleichung kein  Raum;  blos  geiegentiiche  Hinweise  entbehren  aber  des 
unteiTichtlichen  ^\'ertes. 

Es  ist  jedenfalls  bezeichnend,  dass  man  auch  in  Preußen,  wo  das 


Digitized  by  Google 


—  44  — 


Lateiu  in  den  Realsclmlen  erstei-  Ordnung  obligatorisch  ist,  heute  sich 
ernstlich  mit  der  Frage  beschäftigt,  auf  welche  Weise  die  Realschule 
von  diesem,  ihrem  Wesea  tremden  Lehrgegenstande  beireit  werden 
könnte. 

Zorn  8clilu;is?e  geiViikeii  wir  noch  des  Vorschlages,  den  Lehrcurs 
der  ungarischen  Realschule  von  acht  auf  sieben  Jahrgänge  zu 
reduciren.  Die  Vertreter  dieser  Abänderung  berufen  sich  auf  die  Er- 
faliruug  in  Österreich,  wo  die  Realschulen  gleichfalls  nur  aus  sieben 
Jahresclassen  bestehen  und  Befriedigendes  leisten.  Wir  glauben  in- 
dessen niclit,  dass  eine  solche  Redncirung  des  Realschulcurses  diesen 
Lehranstalten  m  l  iigarn  zum  Heile  gereichen  würde.  Die  Gründe 
hiervon  liegen  vor  allem  in  der  Unmöglichkeit,  den  zum  Wissenschaft- 
^dm  Stadium  an  der  technischen  Hochschale  and  in  den  andern 
wissenschaftlichen  Fachschoien  erfofderUchen  vorbereitenden  Lehrstoff 
in  kürzerer  Zeit  eingehend  so  behaadelB  nnd  fruchtbar  in  Terarbeiten; 
um  diesen  Ldustoff  nnr  ftoBerlich  m  1)eiwingeii,  mffaBen  anch  in 
ÖsteReidi  die  ▼Ochentlichen  TJntarrichtsstanden  hoch  angesetzt  und 
die  SckOIer  somit  überbüi'det  werden.  Aber  mit  siebaehn  Jahren  er- 
hängt der  Jüngling  anch  nur  selten  jenen  Grad  der  geistigen  Reife, 
der  Ihn  mm  Stadium  an  der  Hochschale  beOldgt  Die  Folge  dieser 
Thatsache  offenbart  sich  wieder  darin,  dass  die  Hochschnle  eine 
Stufe  herabsteigen  and  in  ihrem  „Vorbereitangs''-  oder  „allgemeinen'^ 
Corse  das  nachholen  muss,  was  die  allzu  beschränkte  Mittelschale 
TersAnmt  hat.  Endlich  erheischt  aach  die  Rficksicht  auf  die  gleiche 
Stellang  der  Kealschnle  mit  dem  Gymnasinm,  dass  beide  Mittelschnl- 
arten  dieselbe  Classenanzahl  haben. 

Wir  sind  deshalb  ganz  entschieden  für  die  Beibehaltung  der 
selbständigen  Realschulen  ohne  Latein,  doch  mit  weiterer 
Berücksichtigung  der  modernen  Sprachen  und  Literaturen;  wir  lehnen 
die  Anbahnung  einer  „zukünftigen"  einheitlichen  Mittelschule  als  un- 
praktisch, ntnpistisc!! .  ja  als  social  bedenklich  ab  und  erkennen  die 
Existenzbereclii  iLMiim^  uiii  den  gleichen  Wert  der  Realschule  mit  dem 
Gymnasium  in  der  Eniwickelung  und  in  denBedinsnin?en  d»»?  m  ulemen 
Lebens  an.  Darum  sprechen  wir  der  Realschule  die  gleiche  \\  iclitig- 
keit  zu,  stellen  sie  mit  dem  Gymnasium  auf  dieselbe  Stufe,  fordern 
aber  auch  von  ihr  die  gleiche  Dauer  des  Lehrcurses  sowie  dieser 
entsprechende  Leistungen. 

Mau  hat  in  Ungarn,  wie  erwähnt,  die  abfallende  Frequenz  der 
Realschulen  zum  Anlass  genommen,  um  den  Fortbestand  dieser  Lehr- 
anstalten überhaupt  in  i  lage  zu  stellen.    Dabei  wurde  den  reorgani- 


Digitized  by  Google 


—  45  - 


sirten  Bealschulen  auch  der  Vorwurf  der  geringen  Leistungsföhij^keit 
gemacht  Wir,  die  wir  für  die  Beibehaltimg  und  Foitentwickelong 
der  Bealscholen  das  Wort  ergriffen  haben,  betrachten  es  als  weitere 
Pflicht,  auch  die  Reformen  anzudeuten,  die  unserer  Ansicht  nach 
mit  diesen  Lehranstalten  vorzunehmen  sind,  damit  dieselben  ihi*er 
Bestimmung  entsprechen.  ZunAchst  rnttssen  wir  jedoch  eine  allgemeine 
Bemerkung  vorausschicken. 

In  wenig  Ländern  Europas  werden  so  viele  Lehr-  und  Unter- 
richtspläne geschmiedet  als  in  Ungarn-,  von  jedem  neuen  Plane  er- 
wartet man  Wunderdinge,  und  bleiben  diese  aus,  dann  treibt  di«'  T'n- 
geduld  zu  neuer  Umgestaltung,  zu  neuen  Entwürfen.  So  erging  es 
öeit  1861  unsern  Gymnasien,  so  soll  es  auch  den  Realschulen  ergeiien. 
Noch  hat  der  Lehi'plan  von  1875  keinen  achtjährigen  Lehrcurs  voll- 
ständig durchgemacht,  noch  kennt  somit  niemand  authentisch  die 
unterrichtlichen  Erfolge  dieses  Lehrplanes,  und  schon  steht  die  Revision, 
ja  die  „völlige  Umarbeitung"  dieses  Lehrplanes  wieder  auf  der  Tages- 
ordnung der  pädagogischen  und  publicistischeu  Discussiou.  Gegen 
diese  Ungeduld,  gegen  dieses  fortgesetzte  Plänemachen  und  Revidiren 
BiiiaB  man  ganz  entschieden  Einsprache  erheben.  Unterricht  and 
Eniebiuig  sind  keine  Hlse,  die  ttber  Nadit  ans  dem  Boden  schießen; 
zn  ihrer  Ansgestaltong  bedaif  es  der  Zeit,  der  Gednld  nnd  Stetigkeit 
Je  tmbnlenter  hier  die  Kenenmgen  nnd  nVerbesserongen'*  auftreten, 
desto  wderblidier  Triiken  sie.  Wir  haben  gegen  wiederholte  nnd 
eingehende  Berathnngen  nnd  Besprechungen  der  bestehenden  Lehr- 
einrichtongen  nichts  einauwenden;  allein  dem  Worte  darf  hier 
nicht  sofort  die  That  folgen.  Ideen  nnd  LehrpMne  mOssen  erst 
ansreifen,  ehe  man  sie  richtig  henrtheflen  kann.  Vm  betrschte  doch 
den  Consenratismns  anf  dem  Gebiete  der  Schnlorganisation  in  andern 
Lindem!  Dort  dnldet  man  lieber  eine  Reihe  notorischer  ÜbelstAnde 
in  der  Besorgnis,  eine  Yorzeitige  Beseitigung  derselben  könnte  auch 
dem  bestehenden  Guten  zum  Nachtheil  gereichen.  Und  dann!  Wo 
gibt  es  in  der  Welt  eine  durchwegs  vollkommene  Schulorganisation? 
Wo  besteht  ein  makelloser  Lehrplan  V  Welches  ist  die  „allein  richtige** 
L^methode?  Nur  das  relativ  Beste  kann  hier  das  Ideal  sein. 

Damit  ist  auch  schon  der  Standpunkt  gekennzeichnet,  von  dem 
aus  die  nachfolgenden  Keformvorschläge  beantiagt  werden.  Diese 
Vorschläge  streben  keineswegs  eine  „radicalC  oder  auch  nur  eine 
-tiHtu-^»  liende"  UmgestaUnntr  des  jetzie-en  ungarischen  Realschul-Tjehr- 
plaüe.>  an:  vielmehr  geht  U  ren  Absicht  blos  dahin,  jene  Hindernisse 
und  Schwierigkeiten  anzudeuten,  ,'nach  deren  Wegräumung  die  Real- 


Digitized  by  Google 


—  46  — 


schale  Ungarns  Licht  und  Luft  erhalten  soll,  um  sodann  im  edlen 
Wetteifer  mit  der  älteren  Scliwesteranstalt.  mit  dem  Gymnasium,  die 
geistifj-e  Rinofbalin  betreten  zu  krmneu.  Denn  bis  jetzt  sind  die  Be- 
dingungen der  Wirksamkeit  auf  bfiden  Seiten  niclit  gleichmäßig  ver- 
theilt: deshalb  ist  auch  die  Forderung  an  die  Realschnlf.  dass  sie  mit 
dem  Gymnasium  erfolLTpirli  eoncurrire,  nnier  den  heutigen  Verhält- 
nissen eine  harte,  ja  eine  üüerrüliljarf^  /'iirniithnng. 

Tn  erster  Linie  wünschen  wir  deshalb  die  Herstellung  der 
völligen  Gleichheit  in  der  äußeren  Stellung  von  Gymnasium 
und  lieaUchule.  Diese  Gleichheit  erlitt  nämlich  arge  Schädigungen 
infolge  der  beliebten  Einigungsversuche,  die  eine  völlige  Beseitigung 
der  Kealschule  in  Aussiebt  nahmen.  Die  Realschule  wurde  als  ein 
thatsächliches  Übel  betrachtet,  dessen  angebliche  Schädlichkeit  mau 
dadurch  zu  mildem  suchte,  dass  man  dem  Realschüler  den  Übertritt 
ans  Gymnasiom  möglichst  erleichterte  and  dem  Realschulabitorienteti 
gestattete,  durch  eine«  Naehtrag8*l£atarität8prQfuug  am  Gymnasiiim 
aein  nnyOUstindiges  Zeugnis  der  Beife  za  ergftnzeii.  Zumeist  konnte 
dies  durch  eine  Fmfong  nur  aas  Latein  geschehen;  das  Griechisehe 
wurde  dem  Examinanden  in  der  Begel  eriasseo.  Diese  Grenzver- 
raeknng  soll  aufhören.  Bealschule  sowie  Gymnasinm  shid  selbständige 
Hittdschulcurse,  die  ohne  gegenseitige  Verqmcknng  in  verschiedene 
Biehtongen  des  wissenschaftlichen  Lebens  anslanfen.  Man  lasse 
jedwede  Verlockung  der  RealschtUer  nach  dem  Gymnasinm  beiseite; 
man  lehne  seihst  ein  fiwmltsliTes  Stadium  des  Lateüt  in  der  Beal* 
schale  ab,  weil  dieses  Stadium,  namentlich  in  den  Oberdassen,  kein 
günstiges  Resultat  ergeben  kann.  Wer  Latein  an  der  Obeirealschale 
mit  Erfolg  betreiben  will,  muss  die  sonstigen  ReaLschulfächer  ver- 
nachlässigen, oder  er  bilrdet  sich  eine  Last  auf,  die  ihn  zu  Boden 
drücken  muss.  Und  nun  gar  Latein  und  Griechisch!  Also  weg  mit 
dem  Uinüberschielen  auf  das  Gebiet  des  Nachbars!  Jede  Lehran- 
stalt Terfolgc  einzig  und  allein  nur  das  ihr  g'esteckte  Ziel! 

Das  humanistische  Lehrmaterial  an  der  Realschule  steht 
gegenwärtig  noch  immer  hinter  dei*  blasse  des  mathematisch- natur- 
wissenschafthVh-technisclien  Lehrstoffes  in  empfindli^'her  Weise  zurück. 
Scheidet  man  nämlich  die  Gegenstände  der  ßealsclnile  in  die  Gruppe 
der  ethisch -humauitären  (Keligiun,  Geschichte.  Spracbf'm  und  in  die 
der  mathematisch- naturkundUeh-techiii^chen  Fächer  \  Geographie,  Natur- 
geschichte, Physiiv,  Chemie.  ]\Iathematik,  geometrisches  und  Freihand- 
zeichnen), so  entfallen  auf  die  erste  Gi*upi>e  von  der  Gesammtzahl 
der  Lehi-stundeu  blos  99  Stunden  =  43  *  2 "  o,  auf  die  zweite  aber  127 


Digitizcü  by  Google 


—   47  — 


Stunden  =  56  *  8 "  u-  Diesem  Überwiegen  des  materialen  Lehrstofies 
kann  abgeholfen  werden  einmal  dordi  die.  Verringerung  des  Materials 
and  der  Lebratanden  fttr  die  realistiseb-tecbniscben  Fftcber  und  dann 
daich  die  entsprechende  Yermebrung  der  etloech-humanitSren  Iiehr- 
gegensUnde.  In  dieser  Besiehang  niaeb^  vir  anf  den  besondem 
Umstand  anfinerksam,  dass  in  den  prenfiiscben  Realscbnlen  in  jeder 
dasse  (mit  Ansnabme  der  Prima,  d.  L  der  obersten)  blos  zwei  Standen 
wtebentlicli  für  das  Zeichnen  ansgesetst  sind,  während  in  den  angarischen 
Bealschalen  dem  geometrischen  and  Freihaadsefchnen  in  Jeder  Classe 
4—6  Standen  in  der  Woche  gewidmet  werden.  Man  kann  trotzdem 
nicht  behanptCBi,  dass  die  Realschalea  Ungarns  bessere  Zeichner  er* 
ziehen  als  die  Bealscliolen  in  Preußen.  Die  prenßische  Bealschale  erster 
(hdniing  hat  viw  Sprachen  als  obligatorische  Lehrfacher,  ebenso 
werden  an  den  meisten  Realschulen  in  Österreich  vier  Spraclu'n  ge- 
Idurt;  die  angarische  Realscliule  hat  blos  drei,  und  auch  diese  sind 
spftrlicher  mit  Lehrstanden  bedacht.  Unserer  Ansicht  nach  könnt«  in 
fielen  Realschulen  Ungarns  der  Unterricht  im  Französischen  schon  in 
der  ersten  Realschiilclasse  beginnen,  da  in  den  Städten  die  Schüler 
häufig'  die  Kenntnis  der  ungarischen  und  der  deutschen  Sprache 
scliou  von  der  Elementarschule  oder  vom  P^Iternhause  her  mitbringen. 
W'rniirer  als  vier  Stunden  in  der  Woche  sollte  jedoch  in  den  vier 
imit  i  u  (  'lassen  t  inor  Sprache  nicht  gewidmet  sein.  Von  der  fünften' 
rlasse  an  l>egiuue  der  Unterricht  im  Englischen,  respective  im 
Italienischen,  denn  diese  letztere  Sprache  ist  für  die  commerciellen 
Verhältnisse  Ungarns  wichtiger  als  das  Englische.  In  den  vier  oberen 
Classen  könnte  der  Unterricht  im  Ungarischen,  Deutschen  und  Fran- 
zösisclit-n  auf  je  drei  Lehrstunden  in  der  Woche  beschränkt  werden, 
um  dadurch  für  das  Englische  re^ipective  Italienische  die  erfoixierlichen 
vier  Stunden  zu  gewinnen,  ohne  die  Schüler  unangemessen  zu  über- 
bürden. Anch  wOide  es  sich  empfehlen,  den  Religionsunterricht  in  den 
anteren  CSassen  aaf  je  zwei  Standen  in  Het  Woehe  sn  erhoben.  Wird 
dagegen  der  ZdGhennnterricht  auf  zwei  Standen  herabgesetzt»  so  hfttte 
man  im  schlimmsten  FaUa  iasgesammt  eine  Erhöhung  der  Wochen- 
standen  (ohne  Tomen)  aaf  28—29  in  den  anteren,  aaf  32  Stunden  in 
den  oberen  ChMsen.  In  FrenSen  beträgt  das  Hinimam  (ohne  Tomen) 
30  Standen  in  der  Woche. 

Darch  diese  obligatoriacke.  Aufnahme  von  vier.  Sprachen 
mit  reicher  Literatnr  wllre  der  Bealschale  neben  Religion,  Geschichte 
and  ^osophischer  PropAdeatik  (in  der  Vin.  Classe)  ein  entsprechen- 
der ethisch-hamanistiscber  Lehrstoff  geboten,  der  den  rein  realistischen 


Digitized  by  Google 


—  48  — 


Fächern  die  Balance  halten  und  den  Realschüler  vor  einseitiger  Ent- 
wickelimg:  bewahren  würde.  Der  Vorwurf  des  liaterulismiis  könnte 
den  Realsclmlen  nicht  mi'!ir  g'emacht  werden. 

Zur  AutVechterhaltuug  des  Anselien.s  der  Realschulen,  zur  ent- 
s>]»rechenden  äußerlichen  Abschließong  und  zur  besseren  Sicheruns:  des 
behandelten  Lehi"stotf»^s ,  sowio  zum  wirkunersvolleu  Ansporn  tr.tL^er, 
zur  beruliigendeu  Belohn iiiiL'  ileiüiger  fechuler.  endlich  als  ein  treüiicher 
Maßstab  zur  Beurtheiiuug  der  Leistnng:sfähigkeit  der  einzelnen  Lehr- 
anstalten ist  am  Schlüsse  des  Realschulcmiitis  die  strenge  Maturitäts- 
prüfung für  die  Abiturienten  beizubehalten.  Aber  nun  erhebt  sich 
die  8ch^\^e^ige  Frage  nach  der  „Berechtigung*'  dieser  füi*  „reif  er- 
idiU'teu"  Realschulabiturienten. 

Die  ganze  Realschul -Misere  hat  von  dieser  „Berechtigungs- 
frage ihren  Ausgang  genommen,  wie  wir  das  schon  weiter  oben 
erörtert  liabeii.  Wie  wire  da  am  hdfen?  Aof  zweierlei  Art  Yor 
aUem  wolle  man  nidkt  ttlmeken,  dass  das  Qyranaaimn  dcb  einee  be- 
sonderen PiiTilegiums  erfrent  Wir  meinen  den  ansaehliefllichen  Zutritt 
nach  den  vier  oder  fünf  Facnltftten  der  UniversitAt  An  diesem  wol> 
erworbenen  Frivileginm  wollen  aneh  wir  nicht  rfltteln;  wol  aber  das- 
selbe durch  ein  anderes  Privilegium  balandren.  Hit  dem  prakAiachen 
Sehulmanne  und  Pädagogen  Heim  Viehoff  worden  wir  nftmlich  als 
gerechtes  Pendant  dem  Gymnasfal-Privilsgium  gegenüber  die  Forderung 
auüfttellen:  »Zur  Immatriculation  in  die  technische  Hoch- 
schule  oder  eine  wissenschaftliche  Fachakademie  (Berg-, 
Forst-,  landwirtschaftliche  Akademie  u.  s.  w.)  ist  die  Beibringung 
eines  Haturitätszeagnisses  von  einer  inländischen  Real- 
schule erforderlich.'' 

Man  übersehe  doch  die  Billigkeit  nicht!  Wenn  das  G.vmnasium 
die  entsprechendste  Vorbereitung  für  die  T'niversität  ist,  so  kann  sie 
doch  diese  Aufgabe  nicht  auch  für  das  l^olj'technikum  erfüllen.  Wäre 
sie  dies  im  stände,  dann  leugnet  man  ja  die  Exist«nzberechtignnsr  der 
Realschulen  überhaupt;  dann  wäre  ess  allerdinj^^s  weit  gerechter  und 
vernünftiger,  diese  Realschulen  einfach  abzuscliatl'en,  denn  sie  wären 
eine  ttbei-flüssige  Institution.  Wie  soll  ferner  eine  heilsame  Conciirrenz 
dort  möurlich  sein,  wo  dif  eine  Anstalt  nebst  einem  ausschließlichen 
Privilegium  auch  noch  das  uu^a'>chmälert<'  Anrocht  auf  alle  übrigen 
höheren  Gebiete  der  Studien  und  der  öffentlichen  Dienststellung  besitzt, 
indessen  die  andere  Lehranstalt  sich  mit  einem  enpr  umgrenzten 
Terrain  begnügen  muss?  Da  sind  Wind  und  S(june  sehr  ungleich  ver- 
theilt und  von  einei'  Gleichberechtigung  imd  somit  auch  von  einer 


Digitized  by  Google 


—   49  — 


Gkicli  Wertigkeit  imd  gleicher  Lelstungsiäliigkeit  kauu  billiger  Weise 
Dicht  die  Rede  sein. 

Neben  dem  Privilegium  zum  Besuche  des  Polytechnicums  und  der 
technischen  Fachacademien  verlangen  wii  liir  die  Realschulabiturienten 
respective  für  die  absolvirten  Techniker  etc.  nach  gewisse  Be- 
günstigungen in  jenen  Zweigen  des  höheren  Staatsdienstes, 
die  XBnJIdist  auf  den  Besitz  grilndliclier  Kenntnis  der  modernen  Sprachen, 
diim  der  Mathematik  und  Natnrwissenachaften  basirt  sind.  Wir  Ter- 
stehen  darunter  den  Finanz-,  Baa-,  Post-,  Telegraphen-,  ZoQ-  etc. 
Dienst,  aowol  in  der  MBnipolation  als  in  der  eigentUdien  Administration. 

EndUcJi  fragt  es  sieh,  ob  nieht  anch  die  mathematisch-natvr- 
wissenschaftlielie  Facnlt&t  an  der  ünivenitftt  den  Realschnl- 
aUtnrienten  zogSogfich  gemacht  werden  konnte.  Eline  solche  FacnltAt 
besteht  dermalen  in  Ungarn  erst  an  der  Elansenbmger  Uniyersit&t; 
aber  im  wesentUehen  ist  sie  andi  an  der  Bndapeater  üniversltät 
bereits  thatsächlich  (wenn  auch  nicht  formell)  Torhanden.  Wie  wir 
Ibidem,  dass  die  Lehrer  der  modernen  Sprachen  in  den  Bealschulen 
ihren  Bildnngsgang  durch  das  Gymnasium  nehmen  sollen:  so  würde 
es  eine  gegenleistende  gerechte  Conoession  an  die  Realschulen  sein, 
dass  man  ihre  Zöglinge  für  das  mathematisch -naturwissenschaftliche 
Lehramt  an  Realschulen  und  Gymnasien  zulässt  und  ihnen  somit  auch 
den  Zutritt  znm  naturwissenschaftlichen  Fachdoctorat  an  der  UniTersitftt 
gestattet 

T^m  die  Entvölkerung  in  einzelnen  Realschulen  iiint anzuhalten, 
empti*  lilt  sicli  unserer  Ansicht  nach  ein  (lojipi'ltes  Vorgelien.  In 
<f>IcliMi  kU'iiiriTii  Sf;if|h'ii,  ■\vo  Gynmasiiim  iitnl  Iioalsclnile  getrennt 
nebeneinander  be>l.eheii,  könnt eu  diese  beiden  Leliiahstalten  in  ihrem 
Unterbaue  (etwa  bis  zur  dritten  Classe)  mit  einander  verV)un(len  und 
überhaupt  einer  einheitlichen  Direction  untergestellt  werden;  nur 
müsÄte  dann  für  den  Keal-  respective  für  den  Gymnasialcursus  ein 
besonderer  scientifif?cher  Leiter  fungiren,  wie  solches  z.  B.  an  den 
evaiigelisclien  Realschulen  in  Hermannstadt  und  Ki'onstadt  der  i*  aU 
ist.  Das  andere,  was  wir  empfehlen,  bestände  in  der  örtlichen 
Verlegung  der  schwach  besuchten  Healschuten  an  Orte  mit  größerer 
industrieD-mercantfler  BeyOlkerung.  Was  sollen  die  Realschulen  in 
solchen  abseits  gelegenen  Orten  wie  D^va,  Szätely,  Ud?arhely,  Magy- 
Killö  ete.,  wo  das  betreffende  SchfUerpublicum  nahezu  gftnzlich  fehlt? 

Was  schließlich  die  in  Anregung  gebrachte  Verbindung  praktisch  er 
Fachenrse  (für  Handel,  Landwirtschaft,  Forstwesen,  Berghau  etc.) 
mit  den  Bealschnlen  anbelangt»  so  ließe  sich  diese  Idee  namentlich  in 


Digitized  by  Google 


—  50  — 


den  Provinzialstädteu  eriiÄtlich  in  P^rwagung'  zii  lit  n  »iiie  nähere  Er- 
örterung dieser  Frasre  "wiu'de  nns  jedoch  fTu  lirMnal  zu  weit  führen. 
Nur  80  .sfi  ei  iiHiPrt,  dass  unserer  Ansiiehi  nach  diese  practiscUeu 
Lehrcurse  den  allgeineiaen  Classen  nicht  parallel  gehen,  sondeni  sich 
denselben  nachfolgend  anschlieBen  sollen.  Immerhin  könnt« 
aber  in  der  obersten  Classe  der  Realschule  der  Unterricht  schon  mit 
Rücksicht  auf  die  etwa  vorhandenen  practischen  Curse  geleitet  wei*den, 
wie  wii-  denn  auch  in  Bezug  auf  die  obersten  G^'mnasial classen  eine 
entsprechendere  fachliche  Gruppirung  der  Lehrgegeustände 
als  empfehlenswert  betrachten,  ohne  jedoch  damit  die  im  Jahre  1869 
von  Baron  EötTOfl  in  Antrag  gebrachte  strenge  Trifiucation  zu  be- 
ftrwmien.  Dass  flbrigens  diesem  Antrag  ein  geeonder  Gedanke  zn 
Grunde  liegt,  steht  unseres  Erachtens  anfter  ZweiftL  Schon  die 
pädagogische  Forderung  der  BertteksiditigQng  der  IndiTidnaUtftt  des 
Zöglings  recbtlBrtxgt  dieselbe;  es  kommt  nur  auf  die  richtige  Anwen> 
dang  und  DorchftUimng  an. 

In  Somma:  Wir  plaidiren  ftlr  keine  «radicale'*  Beform  des 
ongaiischen  Beolschnlplanes,  Bondem  witauchen  die  dringlich  ge- 
wordene Abhilfe  und  Begelang  innerhalb  des  vorhandenen 
Bahmens  und  mit  möglichster  Schonung  des  Bestehenden. 
Wol  aber  empfehlen  sich  entschiedene  Maßregeln  zur  Herstellung  der 
Gleichwertigkeit  von  Gymnasium  und  Realschule  und  zur 
Ermöglichong  einer  ehrlichen  Concurrenz,  die  anter  den 
heutigai' Verhältnissen  nicht  stattfinden  Joinn. 


Digitized  by  Google 


X  Die  Bedeatuip  der  Neiueliiile  für  Osterreieh. 

Von  Otto  Sekier-BHinn, 
I. 

K  eine  andere  Institution  im  Staate  ist  mit  dem  Gesammtieben  des  \'oikes 
80  innig"  verknüpft,  wie  die  Schule.  Dadurch,  dass  sie  die  Grandla^e  für 
unsere  gcsammten  l^üi-gerlicheu  Einrichtungen  bildet,  wirkt  jede  Verituderunsf 
ihi-es  We;ieD8  auf  aUe  Verhältnisse  znrück  und  erzeugt  eine  tie%eliende  Be- 
wegung,  die  aoeh  in  die  Ueiostea  und  entlegenatea  Orte  dringt. 

So  geschah  es  aneh  bei  ans,  als  dnrdi  dae  Oeeeta  Tom  14.  ICai  1869  die 
öffentlichen  Unterrichtsanstalten  ihres  nnzeitgemflßen  und  unhalthar  gewordenen 
Charakters  entkleidet  worden»  um  sich  den  Forderongen  moderner  Cnltor  an- 
zupassen. 

Wlhrend  Tm  der  cdneii  Sdte  alles  gesdialii  vm  der  nMten  Sch5pfang  die 
mSl^eliate  Veitrdtiiiig  und  StabülUtt  an  geben,  wnrdoi  von  der  anderen  Seite 

die  größten  Anstrengungen  gemacht,  das  Einwurzeln  derselben  zu  verhindern. 
Beiderlei  Bestrebungen  fanden  im  Volke  aufhahmsföhigen  Boden.  Denn  abge- 
sehen davon,  dass  die  bei  einem  großen  Theile  der  Bevölkerung  noch  herrschende 
geistige  Uomfindigkeit  klares  firkemien  ets^wert  und  das  bklle  Wort  anderer, 
bei  denen  man  eine  hlShere  Einstellt  voransaetst,  maßgebend  ist  Ar  Annalime 
oder  AblehnoDg  des  Neuen,  herrschen,  insbesondere  bei  den  Unbemittelten, 
zwei  ganz  verschiedene  Meinungen  über  den  Wert  der  Schule.  Die  einen 
wollen  ihren  Kindern  eine  höhei-e  Bildung  geben,  um  deren  künftige  Existenz 
zu  Terbessem,  und  diese  betrachten  die  neue  Schale  aU  Fördeningsmittel  zar 
DurchfOhrung  ibrer  Alwiebt  nnd  bringen  ihr  die  voUste  Sjrmpatliie  entgegen; 
die  anderen  hingegen  kOnsttl  nicht  frühzeitig  genug  die  piiydsche  Arbeitskraft 
der  Kinder  ausnützen,  und  denen  ist  die  Si  hule  ein  ^geschworener  Feind  ihrer 
Interessen.  —  Die  Schwierigkeit  der  Lage  wurde  noch  vermelirt,  als  »ich  auch 
die  politischen  Parteien  der  Schale  bemächtigten  und  Volksveitreter,  gegen  die 
Intentionen  ihrer  Wfthler,  eine  Einrichtnng  beldlmpften,  deren  Nfitzlichlceit  sie 
doch  anerkennen  müssen. 

NfX'h  ist  der  Widerstan  d  ir^'p^en  die  Nenschule  nicht  ganz  srehrochen  ;  aber 
Dank  den  zalilreichen  .'Schritten  und  öffentlichen  Vorträgen,  die  sich  bemühten, 
das  Volk  aufzuklären  und  auf  sein  walires  Interesse  aufmerksam  zu  machen, 
Ist  nielit  mehr  ansuehmen,  dass  sich  die  M%]oritftt  dw  BevDlkemng  von  einer 
Sache  abwenden  urerde,  von  der  sie  nnr  das  Beste  an  mrarten  hat. 

4» 


Digitized  by  Google 


—   52  — 


Aach  die  folgende  Abhandlmigr  will  zur  Würdigrmg  unserer  Schulretbrin 
beitragen;  aber  sie  beabsicbtigt  nicht,  die  Schwidien  dee  G^inen  zn  benfltcen 
und  Beine  VorwttrflB  eingehend  n  ividerlegen  oder  sich  mit  den  Yorthdlen  zu 
betchifUgeiif  die  dem  Einzelnen  ans  dem  GennsRe  eines  höheren  Unterrichtes 

mvarhsen.  Es  soll  vielmehr  dargelegt  werden,  wie  bedentnTi<r«voll  ein 
gehobenes  Schnlweseii  für  die  verschiedenen  Momente  des  staatlichcu  Lebens 
ist,  nnd  demgemäß  habe  ich  namentlich  die  Tollstftndig  entwickelte  Volk»- 
sdmle,  inabfltonden  die  Knabeii-Bttzgenefaidey  im  Äuge. 

Wenn  es  mir  gelingt,  bestehende  InthSmer  zn  beheben  und  die  Widitig>>- 
keit  einer  <^j-r  s'n>fl«rfiir«f^n  Scliripfuiis-en  iins^rer  Zeit  ins  rechte  Lidlt  ZU 
setzen,  so  ist  der  Z^'eck  meiner  J:>örterangen  erreicht. 

n. 

Eine  Keihe  von  l  ugiüekslUUen,  die  Österreich  in  seinem  Innersten  er- 
schütterten, legte  alle  Schwächen  des  staatlichen  Organismns  bloß  nnd  zeigte 
aUe  FeUer,  die  begangen  wurden. 

t^erall  erscholl  der  Evf  nach  Fortschritt  nnd  Bildung,  auf  allen  Gebieten 
des  StaatsleWns  griff  man  zn  Rpformen.  tiefeinjrewurzelte  Übel  wnrden  entfernt, 
Xeuerung-en  eingeführt,  und  der  Patriot  lioflPte  das  Beste  von  der  Zuknnft. 
Alle  Bestrebungen  waren  jedoch  wertlos,  su  lange  die  Umgestaltung  eine  blos 
SoBerUche  war  nnd  nicht  einer  im  Volksbewnesttein  tidi  vollzidienden  Um» 
bildnng  entsprang. 

Es  zeißrte  sich  daher  iVw  Xotbwendigkeit .  die  allgemeine  Bildung  zn 
heben,  was  nur  möglich  war,  wenn  mau  ihre  Basis,  die  VoUtsscbole,  um-,  oder 
besser  gesagt,  neugestaltete. 

Die  Beferm  wnide  beediloasen  und  ansgeflUnt.  Vermehnuig  dea  Unter- 
riebtaatoffes,  nm  den  gdtoderten  YeriiJUtniBsen  der  Gegenwart  Bechnnng  zn 
tragrcn.  Yemiehmng  der  Unterrichtszeit,  nni  das  Mehr  des  Stoffes  zu  verarbeiten 
und  um  das  Kind  länger  der  geistig  und  sittlich  hebenden  Einwirkung  der 
Schule  zu  überlassen,  eine  strengere  Überwachung  des  Schulbesuches,  damit 
alle  dea  üntorichtea  theilhaftig  würden,  Heranziehang  der  BevOIkenmgt  deren 
Titalate  Intereaaan  mit  Her  Sehnte  zaaammenhftiigen,  dagegen  LodMen  von  d^ 
Aufsicht  der  Kirche,  die  der  modernen  Bildung  stets  feindlich  gegenüberstand 
nnd  gegenüberstehen  wird,  endlich  Verbessernng  der  materiellen  Existenz  des 
Lehrers,  der  seine  ganze  Zeit  der  Schule  widmen  soll,  —  das  waren  die 
Geaiditspnnkte,  die  den  Geaetzgebem  znr  Bichtsclmiir  dienten  nnd  die  in  dem 
riiliBilielien  Oeaetze  Tom  14.  Mai  1869  Anadrnck  fknden.  Ea  wurde  aanctionirt, 
trat  ins  Leben,  und  —  mit  demselben  Tage  begann  andi  achon  der  olTiNie  nnd 
geheime  Kampf  gregen  dasselhe. 

Um  die  verloren  gegangene  confessionelle  Schule  zuriiekzuei"obern,  wurde 
gegen  die  confessionslose  unter  der  Bevölkerung  Stimmung  gemacht;  die  ver- 
schiedensten Schlagworte  wurden  anegegeben,  nnd  kanm  hatte  sieh  eins  abge> 
nützt,  so  tauchte  ein  nenea  anf  nnd  jedesmal  ein  aoldies,  dsis  auf  die  schwSchate 
Seite  des  Individuums  zu  wirken  berechnet  war.  „Die  Schule  ist  zn  thener", 
«die  Schulzeit  ist  zu  lang",  „die  Schule  entchristlichf,  die  neu  «niundenen 
Elternrechte,  die  schon  wissenschaftlicher  gehaltenen  Klagen  über  ,.zu  viel 
Unterricht  nnd  zn  wenig  Erdehang",  Uber  die  materialistiBcbe  Sehnle  n.  s.  w.. 


Digitized  by  Go  ^v,.^ 


—  63  — 


alle  dieüe  Schlag woi  te  üaueu  uui  deu  einen  Zweck,  das  kaum  begouaene  Werk 
ZU.  onter^raben. 

Es  ist  zweifellos,  daaa  dloSehiüg^ietzgebung  die  Fordeiiuig«&  ddr  wiflieii- 

schaftlicheii  Pädagogik  vereinen  mnss  mit  <!.  ii  Bedürfhissen  der  Allgemeinheit 
und  des  Staates,  und  dass  sie  die  von  der  Tiieorie  gegebeneu  Ideen  den  that- 
eäclilicheu  Verbältnissen  anzupassen  hat.  Die  BedUrfiusse  der  Allgemeinheit 
flndm  Huren  Audnick  in  SlIiBntlielieii  Meinung.  So  wtiMohenawert  es  nim 
itl,  daas  die  Organisation  der  Schule  mit  der  öffentlichen  Meinung  Qbereia* 
ßtinimp,  so  folgt  hieraus  doch  nocb  lange  nicht,  dass  sich  ihr  die  Gesetzgebung 
unterordnen  müsse.  Demi  die  Quellen,  denen  die  öffentliche  Meinung  entspringt, 
sind  nicht  immer  lautere,  sehr  oft  fehlt  die  richtige  Einsicht^  Sondehnteressen 
verlangen  BerBckaichtiguiig,  und  weldie  StebHitit  hUten  die  Eniehung8> 
«nstalten  überhaupt,  wenn  Jedem  Wunsche  n«digegeben  würde? 

Bedarf  es  daher  schon  reiflicher  Erwägung  und  eingehenden  Studiums, 
wenn  eine  fortschrittliche  Änderung  des  Bestehenden  vori.'-euomnien  werden 
soll,  80  ist  um  so  melir  strenge  Prüfung  und  weise  Zurückhaltung  da  geboten, 
WO  es  ildi  dämm  hudelt,  das  Oaltuideal  herabaodrttekeiL 

Nur  die  zwingendste  Nothwendigkeit  kann  einen  solchen  Schritt  recht- 
fertigen, der  jedoch  immer  bedenkliche  Folgen  haben  muss.  Denn  welches 
'\'prTi-auen  kann  das  Volk  einer  Gesetzgebung  entgegenbringen,  die  nicht  ziel- 
bewusst  das  für  nothwendig  Erkannte  durchzuführen  bestrebt  ist,  sondern  durch 
Experimeiite  nndi  dem  Bichtigen  weht?  Am  alleimnigsten  TCfdient  jedoch 
die  sogenannte  SIfonUiohe  Meinung  eine  Berilcksichti^:nng,  warn  sie  nidit  der 
Wille  der  Mehrheit,  stmdem  nur  eines  kleinen  TheUes  ist,  dem  es  sich  übrigens 
ni'ht  nm  Verbesserung  des  Unterrichtswesens,  oder  nm  eine  durch  die  Ver- 
haituisse  gebotene  Erleichterung  handelt,  sondern  um  die  Ki^reichung  selbstischer 
Zwecke. 

Neben  diesen  Angretfem  finden  deh  anek  noch  einseitige  Tiieoretikur  nnd 

socialistische  Gleichmacher,  die  nicht  nur  die  jetzige,  sondern  die  Schule  über- 
haupt zn  erschüttern  snchen,  und  so  wird  das  stattliche  Schiff,  dessen  Auslaufen 
im  Jahre  1869  mit  so  findigen  Hoffnungen  begrüßt  wurde,  auf  allen  Seiten 
von  StOrmen  nmtost  und  von  Ge£shren  bedroht,  aus  denen  es  nur  der  gesunde 
Sinn  der  Bevölkerung,  der  troCi  aller  Einfifisteningen  nnd  Agitationen  doch 
meist  das  Richtige  m  trsiBn  weiß,  retten  kann. 

Khc  ich  nnn  anf  den  eigentlichen  Gegen*' f  . mfi  meiner  Betrachtung,  auf  die 
Bedeutung  der  Schule  für  den  modernen  Staat,  ubeigehe,  dürfte  es  am  Platze 
sein,  die  wichtigsten  AusfsUle  gegen  die  Schule  in  Kürze  zu  widerlegen. 

m. 

Oft  genug  schon  wui'deu  Stimmen  laut,  welche  wol  die  Exiäteuzuuthwendig- 
keit  höherer  Büdnngsanstalten  anerkennen,  den  elementaren  nnd  mittleren 
Unterricht  aber  von  der  Familie  besorgt  wissen  wollen  und  in  dem  Bestehen 
der  Volksschule  einen  Beweis  dafür  sehen,  dass  das  Hans  der.Erziehuugspflioht 
nicht  nachkomme. 

Angeuommeu,  dmn  iu  jeder  Familie  die  materiellen  Mittel  auäi-eichten, 
dass  fener  ein  Mitglied  derselben  die  erforderliche  Zeit  nnd  den  guten  Wütoi 
besUci  das  Eislehnngageschllft  zu  besorgen,  so  wftre  doch  erst  sn  erweisen,  ob 


Digitized  by  Google 


—  54  — 


€8  liierzii  beiUiigt  sei  :  müBste  Vorsorge  getroffen  werdeu,  da«8  dieser  Pflicht 
andi  iMMiigekoimntii  wiirde,  und  du»  nicht  WUlkllr  oder  T8flc«hrte  Am&amgea 
B«8iiltate  li^erteUf  die  man  dnreh  dieErziehnng  eben  Ttnneiden  woDte.  Unter 
den  günstigsten  Bedingungen  bliebe  das  Kiml  noch  ininier  dem  Zufalle  über- 
lassen, und  dazu  ist  nicht  nur  der  einzelne  Keusch,  sondern  aach  die  bereits 
erreichte  Gesammtcnltur  viel  zu  kostbar. 

Andere  geben  iwar  die  NoÜiweBd^eit  der  Schule  wcdlen  ale  aber 
dnadntniten  in  der  Zeit,  der  afo  dech  unbedingt  bedarf,  nnt  ihr  Leihniel  n 
eneiehen.  Ldirziel!  Wer  steckt  diee?  Der  einsettne  Xenidi,  eder  eine  OotpO" 
ration,  oder  die  Schule  selbst? 

Jede  Zeit  hat  ihr  eigenartiges  GeprJ^e  und  bestimmt  mit  mierbittüciier 
Iffotbwendigkeit  die  H9he  des  geistigen  and  aittli^eaSdiirerpnnktes  des  Volkes. 
Da  gibt  es  kein  Fellachen  nnd  Ifarkten,  nnd  Terechltaet  Dur  aach  alle  Tbttren 
nnd  Thore,  die  Hochflut  des  Geistes  dringt  durch  die  Fugen.  Diese  zwingende 
Gewalt  nicht  zu  erkennen  oder  nicht  zu  verstehen,  beweist  eine  geistige  Knn* 
sichtigkeit,  die  von  jeder  Führung  des  Volkes  ausschließen  sollte. 

Aber  nicht  der  Bestand  der  Schulen  und  die  Dauer  der  Schulzeit  allein 
sind  es,  die  Angriffe  lienromifen:  anch  Lehrmethode  nnd  Lehiplan  werflen  oft 
sehr  a})fUllig  beurtheilt,  ja  geradem  für  verwerflich  erklärt.  „Die  Schule 
rn r!it(  t  ZU  Tid  nnd  endeht  sn  wenig*,  das  ist  ein  beliebtes  Schlagwort 
unserer  Zeit. 

Die  gesanuute  Erziehung  des  Menschen  theilt  sich  in  die  Ausbüduug  der 
VerstandeskrAfte  nnd  die  Ftthrang  des  GefUdes  nnd  Willens.    So  lange 

durch  die  aUgenidnen  Verhältnisse  an  den  Intelleet  des  Individuums  geringe 

Anforderungen  gestellt  %Mirden.  konnte  die  Familie  p^inz  p\t  beide  TTieilc 
vereinen.  Als  jedoch  im  Laufe  der  Zeiten  die  Ansprüche  an  die  \'crstnnde8- 
entwickelung  wuchsen,  musste  eine  Trennung  eintreten.  Die  Schule  ist  eine 
Fhieht  der  Cnltnr,  nnd  bat  dieser  dnreh  die  Befriedigimg  des  TJnterriehts- 
bedfirftiisses  in  erster  Linie  zu  dienen,  während  sie  die  Erziehung  im  •  i  ^  t  rn 
Sinne  des  Wortes,  wenn  anch  nicht  tüs-^  l.li.  ßli  h.  so  doch  zum  größten  I  lu  iJe 
dem  Hause  uberlassen  muss.  Die  Hanptamgabe  der  Schule  wird  immer  der 
erziehliche  Unterricht  bleiben.  Bezüglich  der  Gemüths-  und  Willensbüdnng 
fliUt  die  MSte  BoUe  dem  fl^nse  sn.  Aber  gerade  Jene  Fanüien,  die  dafür  «m 
wenigsten  thnn,  die  die  Xinder  als  nothwendiges  Übel  betrachten,  deren  Ans* 
bildung  man  der  eig-enen  Bequemlichkeit  wejEren  so  viel  als  m^g'Iich  Fremden 
fiberlftsst,  und  die  oft  das  wenige,  wa.«  die  Schule  erreichen  kann,  wieder  ver- 
derben, gerade  die  sind  es,  die  am  lautesten  schreien  und  ihre  Ft-hler  anderen 
in  die  Schnhe  sdiieben. 

^Unsere  Kinder  werden  zu  Materialisten  erzogen",  lautet  ein  anderes 
Klagelied,  da»  so  oft  angestimmt  wird.  da.s.s  man  glauben  sollte,  schon  von  dar 
ersten  Classe  an  werde  Büchners  ..Kraft  nnd  Stolf"  als  Lesebuch  benutzt. 

Es  ist  lüclit  zu  leugnen,  dass  ein  gewisser  nüchterner  Hauch  unsere  Zeit 
dnrehwebt;  aber  so  arg,  als  es  gemadit  wird,  ist  es  denn  doch  nicht.  Wenn 
man  sich  heute  mit  dem  ideellen  Lohne  allein  nicht  begnügt,  nnd  für  Mine 
Arbeit  auch  eine  materielle  Anerkennnng  beanf^pmcht,  so  ist  man  damit  im 
Rechte,  so  lange  nicht  das  Verlangen  in  Gewinnsucht  ausartet.  Wenn  ferner 
die  Wissenschaft  die  materialistische  Forschungsweise  als  fruchtbare 
Methode  acceptirt,  so  ist  sie  auch  im  Bechte;  denn  alle  nnaere  Erkenntnisse 


Digitized  by  Google 


—  Ö5  — 


vei-üaukeu  wir  der  BeobachUtDg  und  4er  IndactioiL  Aber  weder  das  eine  uoch 
dag  andere  tangüt  die  Schule,  igt  fiberdleg  noch  lange  kein  Xaterialigmiis,  und 
es  igl  m  n  Terwimdeni,  «te  aolehe  BdkanpliagcB,  wie  die  oUge^  ani^eetdlt 

werden  können.  Soll  dieselbe  vielleicht  dadurch  begründet  werden,  dass  der 
heutige  Lehrplan  dem  bflrgt^rlichen  Leben  besser  ang:(<pa8st  ist,  als  der  alte, 
und  dass  jetzt  auch  die  £lemente  der  Naturwissenschaften  gelehrt  werden? 
Möglich,  dMS  dies  eis  (Inmd  engelfthrt  wird;  aber  damit  ist  nur  bewieaen, 
daes  eft  I«eiite  ttber  Dinge  reden  md  auch  sehiellieii,  die  sie  sieht  Terstehen, 
and  mit  solchen,  die  so  naiv  sind,  nicht  zn  wissen,  dass  die  Theorien  des 
Materialismns  mit  der  Tendenz  der  Schule  im  diametralen  Gegeoaatze  steheBf 
kann  man  nicht  streiten. 

Leider  gibt  es  der  Besserwiaser  vmi  den  ▼enchiedenaten  Sorten  nur  zu 
vide,  and  Politik,  Krieglttimtng  ond  Sdnde  konnten  strittig  werden  am  die 
Ehre,  welche  von  ihnen  durch  Unberufene  mdir  misriiandelt  wird.  Die  Schule 
!;isst  sie!)  übrigens  gerne  jede  Kritik  srpffillen,  so  lange  es  der  Aner^^ifer  mit 
der  iustitotion  selbst  ehrlich  meint  und  die  Hebung  des  Unterrichtes  im  Auge  hat. 
Ea  gibt  aber  Behauptungen,  die  entweder  einer  Unklarheit  im  Denken  ent> 
springen,  oder  eine  direete  Irreffihrong  bezwecken. 

Dahin  gebOrt  auch  die  Beschuldigung:  „Die  Nenschule  entf^mdet  die 
Kinder  der  Kr^li^rinn  "  TMp  Gründe  dafür  —  fehlen.  Oder  gibt  es  deren  doch? 
Die  Schule  ist  heute  conffssionslos,  nntersteht  nicht  mehr  der  Oberaufsicht  der 
Kirche,  der  Lehrer  ist  nicht  melir  verpflichtet,  ReUgionsanterricht  zu  ertheilen, 
und  aneh  ABdengftnUge  werden  nun  Lehramte  zngelagaoi.  Wird  aber  durch 
diese  Thati>achen  der  Beweis  für  obige  Besclml  lli^nnt:  erbracht?  —  Jede  posi- 
tive R  ligion  richtet  ihr  Ang^enmerk  darauf,  den  ^ftnschen  für  ein  künftiges 
Leben  vorzubereiten  und  seine  Handlnngs-  und  Denkungsweise  mit  der  theo- 
logischen Weltanschauung  und  den  daraus  flieBendeu  Glaubenslehren  in  Ein- 
UaBg  an  bringen.  Die  Soirale  dagegen  Helltet  sldi  auf  Zwecke,  die  nodh  im 
irdischen  Dasein  erreicht  werden  sollen ,  sie  lehrt  die  Gesetae  der  materiellen 
KSrperwelt  und  berpitpt  ihren  Zögling  für  das  bürg-erliche  Leben  vor.  Diese 
beiden  Gebiete  haben  daiicr  nicht?  mit  eiii;uider  gemein,  und  es  heisst  Ihr 
inneres  Wesen  verkennen,  wenn  mau  gestattet^  äm»  eine  Erziehung  die 
andere  beelnflvait  Aber  ea  ist  eine  direele  Unwahriieit,  daaa  nnser  Sebnl< 
gesetz  und  die  anf  deraselbeii  mhende  VoUDUchnle  der  rdigiOsen  Bnielinng 
hinderlich  sei. 

Die  Schule  als  riit^rrichtsanätalt  tritt  femer  in  vielfache  Beziehung  zu 
den  verschiedenen  Einrichtungen  des  socialen  Lebens.  Es  wäre  Selbstüber- 
hebung, wenn  de  vermeinte,  ganz  allein  eine  ideale  Generatien  beranriehen 
und  dnrch  diese  neugestaltend  In  die  gegebenen  Lebensformen  eingreifen  zn 
k?5nnen.  Sie  hat  ihr  Äußerstes  gethan  und  entspricht  vollkommen  ihrer  Be- 
stimmung, wenn  sie  die  mühsam  erworbenen  GeisteRsr hJltze  bewahrt  und  durch 
deren  Verbreitong  einen  stetigen  Fortschritt  aot  dem  Boden  des  Bestehenden 
anbahnt.  In  der  Etreichung  dieses  Zieles  ist  de  von  inBeren  Verhftltnlssen 
und  von  ihrer  inneren  Einrichtiing  abhSngig;  je  mehr  diese  jenen  entspricht, 
je  mehr  beide  übereinstimmen,  desto  segensreicher  die  Erfolge.  Und  von  diesem 
Ciesichtspunkte  aus  wenden  wir  ans  nun  zn  dem  Einlluss  einer  gehobenen 
Schule  anf  die  wichtigsten  Momente  des  staatlichen  Lebens. 


.  kjui^.o  l  y  Google 


—  68  — 


Weder  den  Unbilden  der  Elementf  noch  feindlichen  Angriffen  konnten  die 
kleineren  Gemeinfiehaften,  die  auf  Gnmd  der  natürlichen  Znsauiineagehürigkeit 
entstanden,  auf  die  Dauer  erfolgreich  widerstehen,  und  ea  mosste  zur  Bildung 
grSBenr  GemeiiiBehaften  fesehritten  werden.  Sollte  aber  das  Znsammenleben 
du  Medliches  bMbea,  ao  mmaften  die  Pflichten  und  Rechte  der  Einzelnen  ab- 
gegrenzt werden:  es  entstanden  Gesetze.  Sollte  es  ein  ei-sprießliches  werden. 
80  musst«  eine  Theilung-  der  Arbeit  eintret^ni.  Diese,  sowie  gegenseitiger 
^einnngsaastausch  erzeugten  eine  höhere  üeistesbüdung,  die,  oraitrunglich  nur 
im  Besitze  weniger,  sich  immer  mehr  veibreitete.  Eine  Vereinigung  unter 
festen  NomieD  war  nothwendig,  um  die  Coltiiraitwiekelang  za  wkiMn,  und 
nun  erst  konnte  die  Auffassung  der  Gemeinschaft  allmählich  zum  modenien 
Staatsgedauken  fortschreiten.  Eine  ^waltip'e  Geistesarbeit,  ein  Jahrhunderte 
langes  Eingen  nach  Klärung  der  Begriffe  kusiete  es,  ehe  sich  aus  der  mehr 
oder  wen^er  nftO^eii  Yeninigung  der  jetzige  zielbewniste  Staat  eiit> 
«ieicelte. 

Der  moderne  Staat  ist  die  äußere  Form  für  das  innere  Wesen  des  Volkes: 
er  hat  Leben.  Ehre  «nd  Vermögen  seiner  B&r;?er  zn  slelicni,  "NVolstand  nnd 
Aufklärung  zu  verbreiten  und  findet  seinen  Ausdruck  in  den  Gesetzen,  durch 
die  er  die  aUgemeinen  Hensehenrechte  erhalten  und  vertheidigen  wilL 

Diesen  Zweek  zu  erfftllsn,  sowie  das  große  ProUem  zu  16««,  die  Freiheit 
und  eigenartige  Entwickelung  des  Individuums  zn  wahren  und  zugleich  mit 
der  Idee  d«^r  pinlieitlichen  Gemeinschaft  in  Übereinstimmung  zu  bringren,  ist 
dem  Staate  uur  möglich  auf  Grund  der  Sittlichkeit  und  des  geistigen  Fort- 
•chlittoi  seiner  Angehörigen.  Er  ist  also  mehr  als  nur  „eine  höhere  Potenz  von 
Naehtwftehter",  mehr  als  eine  aodalistiaelie  ArbeitavertiidliingamasdiineT  er  iet 
ein  sittlicher  Organismus,  der  desto  mehr  Lebenskraft  gewinnt,  je  mehr  er  die 
beid^^n  Fundamentalbedingungen  seines  B'^standf^s  .stHrkt.  ^'iek's  und  Großes 
ist  hierfür  schon  geschehen.  Ein  üanptmomeut  liegt  in  der  vollzogenen  Ande- 
rung  der  Staatsform. 

Bildung  nnd  U<inX  kSnnen  nnr  da  feste  Wund  ftnneni  w  die  ErfUlnng 
Yon  Pflichten  Ans]inich  gibt  auf  die  AusSbinv  Bechtem,  wo  jeder  berufen 
ist,  nach  dem  MaBr  s  iner  Krilfte  dem  Ganzen  mitzuarbeiten  und  an  öfient- 
lichen  .tUigelegenheiteu  theiizun»'hnien.  Ohne  diese  Gnindbedin|g;un^  sind  alle 
Cultnrbestrebuugen  hohles  Blendwerk.  Achtung  und  Liebe  des  Stiles,  also 
echter  Patriotiamos,  iat  nnr  da  sn  finden,  wo  jeder  Bürger  das  Beeht  nnd  die 
Pflicht  hat,  an  der  F&rdsmng  des  Ganzen  mitzu \\  irkrii. 

Wi'-  einzelne  homogne  Part ikflrluMi  erst  dauw  einen  Kfirper  peben,  wenn 
sie  durch  Mulecularkräffe  verbanden  sind,  ebenso  geben  die  neben  einander 
lebenden  Menschen  erst  dann  ein  Volk,  wenn  sie  auf  dem  Boden  der  uatüi  lichen 
Verwanditaehalt  nnd  des  Staates  dnx«h  das  gemeinsame  Band  der  anf  die  Er- 
reichung eines  Zieles  gerichteten  Arbeit  sannuneagehslten  werden;  Stände  nnd 
Nationen  trennen  sich  aber  schroff  von  einander,  wenn  nicht  durch  gpemeinsame 
Interessen  und  eine  gemeinsame  Thätigkeit  das  tür  ein  einheitliches  Wirken 
so  nothweudige  gegenseitige  Verständnis  erzeugt  wird.  Und  das  \'ulk  verlangt 
naeh  einer  solchen  Tiifttlgkait  Versagt  man  ihm  die  Theilnahme  am  St«ats> 
leben,  so  dringt  man  es  zum  gewaltsamen  Umstone  des  Bestehenden,  oder  das 


Digitized  by  Google 


—  57  — 


au  sicli  v-olthätig-e  Trieblebeu  wird  zur  Sucht  uai'li  materiellem  Gemiss.  die 
dann  von  selbst  zu  geuieiaem  Egoismus  fuhit.  Das  Volk  vei-siiikt  nach  und 
nach  in  geistige  nnd  rittliche  Stnmplhdt)  Ehre  nod  Freihat  werden  ihm  leere 
Namen,  Uneigennfitzigkeit  güt  als  Unverstand  (nder  ist  ein  Esel,  der  bei  der 
Klippe  steht  nnd  nicht  fiisst"),  nnd  die  heilig-sten  Güter  der  Menschheit  er- 
st  heinen  wertlos,  während  den  gi'Obstcn  sinnlichen  Genüssen  nachgejagt  wird. 
Der  b^taat  fordert  vom  Einzelnen,  dass  er  sein  Interesse  dem  des  großen  Ganzen 
naterordae»  und  er  foraert  dies  mit  Becbt  Opferwilligfcdt  «ad  Selbstverieng«' 
vnag  lassen  sich  aber  nicht  decrellren,  sie  mfissen  finlwIUiff,  aas  der  ÜIkw* 
zengnng  ihrer  Nothwendigkeit  hervortreten,  sonst  werden  sie  nur  mit  Wider- 
streben geübt  und  wenn  m?5g^lich  g^anz  versag.  Zu  rechtem  Gemeinleben  muss 
aber  der  Menscli  erzogen  werden,  und  die  Schule  schon  bat  das  Jünd  für  das* 
selbe  TwnbereHmi.  Hit  dm  ^nilbesnah  begiimt  Hr  das  Kind  das  Itfentliche 
Leben.  Zn  dem  Gehersam,  mit  dem  es  die  Liebe  der  Eltern  veiynlt,  gesellt 
sich  ein  nenes  Motiv  der  Tliättgkeit:  die  PflichterffUltmg.  In  der  Schule  heißt 
es  zum  ersten  Male  sich  einem  Fremden  unterordnen,  seine  Wünsche  und  Be- 
gehmngen  mit  denen  in  verschiedeuartigen  Verhältnissen  aufgewaclisener  Mit- 
sch&ler  in  Einklang  bringen,  und  den  Willen  gewöhnen,  sinnlicheu  Einflüssen 
an  ^derstehm.  Hier  lernt  das  E2nd  die  Leiden  nnd  Frenden  anderer  theilen 
nnd  die  Eigenliebe  durch  die  Nächstenliebe  einschränken;  hier  lernt  es  das 
Gesetz  achten  nnd  als  heiligfes  Gut  schätzen,  gilt  es  ja  doch  für  alle  gleich! 
Rechnet  man  noch  dazu  die  sittliche  Kräftigung,  die  durch  das  LemenmUssen 
erzeugt  wird,  und  das  Bestreben,  es  den  Altersgenossen  an  Pfliclitert'iUlnng 
wenigstens  gleiehmdran,  so  wird  man  wol  angeben,  dass  dieSchnle  an  sidi  als 
Übergang  und  Vorbereitung  für  das  Leben  in  der  Gesellschaft  durch  nichts 
ersetzt  werden  Icann.  Man  wird  sich  aber  anch  nicht  der  Einsiclit  verschließen 
dürfen,  dass  es  geradezu  ein  Verbrechen  an  der  Allgemeinheit  ist,  das  Kind 
frühzeitig  dieser  Einwirkung  zu  eutzieheu,  noch  vor  dem  Eintritte  jener  Periode, 
die  snmeist  bestimmend  ist  Ittr  die  kOnfUgen  Lebensansehannng«L 

Wirkt  die  Schule  schon  durch  ihre  blos  äußere  Einridltnng  in  so  bedeu- 
tungsvoller Weise,  so  geschieht  dies  in  noch  viel  hflherem  Grade  durch  die 
methodische  Ansbildung  der  \'er8tandeskrflfte.  Die  Sittlichkeit  des  Individuums 
fußt  auf  der  Erkenntnis  und  Unterscheiduug  des  Guten  und  Böäeu  und  auf  der 
richtigen  WertscUttznng  der  Güter.  Sie  ist  eine  Forderung  des  Gemlithes,  die 
nnabhängig  von  äußeren  Einflüssen  im  Hienschen  als  vernünftigem  Wesen 
wurzelt,  aber  eist  lurch  die  Erziehung  zu  ihrer  vr  ll.  n  Entfaltung  kommt 
Die  Unterscheiduug  des  Guten  vom  Bösen  geschieht  nicht  instinctiv,  sondern 
durch  Überlegung,  entspringt  also  dem  Denken,  welches  sich  nur  an  eiupiriseheit 
BegittÜBD  entwickdn  kann;  die  Wertschitzung  der  Güter  seist  Erkenntnisse 
TuranSf  welche  die  Willensrichtung  zu  bestimmen  im  Stande  sind  Je  zahl- 
reicher und  enveiterter  die  ^^»l•stelIungskreise  sind,  und  je  richti^ei-  die  Vor- 
stellungen mit  einander  verknüpft  werden,  desto  mehr  wii'd  sich  der  Mensch 
d^  Ulm  innew  ohuenden  Sittengesetzes  bewosst. 

Die  Attsbildnng  des  Ihtelleets  dorch  den  Unterricht  soll  beim  ZQglinge 
die  Lust  an  der  Erkenntnis  hervorrufen  und  ihn  unmittelbar  für  die  Principien 
der  Sittliciikeit  vorbereiten,  indem  sie  den  Geist  für  Belehrnn^  empfiinjj^lich 
lind  zum  Nachdenken  fiihig  macht.  Die  Anleitung  zur  Sittlichkeit  setzt  jedoch 
voraus,  dass  der  Mensch  das  Woigefailen  am  Guten  in  sich  trüge  uud  dass 


Digitized  by  Google 


-   B8  — 


(lipsps  ^Volir»' fallen  entwickelangs-  und  bildnngisfllliigr  es  kann  also  die 
pessimistische  Behaaptnng,  der  Mensch  sei  von  Xatnr  böse,  nie  und  nimmer 
zur  Grundlage  der  EMehnng  gemacht  werden. 

Der  Staat  hat  der  horanwaehaendeii  Generattoi  die  Mittel  an  bleteD,  sich 
sittlich  bilden  zu  können,  ist  verpflichtet,  die  Sittlichkeit  zu  erhalten  und  ZB 
fSrdem.  und  bererhtiirt,  j^do  \'f?'lt*tzung  derselben  zn  alinden. 

Frühere  Zeiten  waren  der  Ansicht,  die  Moialität  d^  Volkes  könne  nur 
durch  die  Religion  geweckt  und  gefordert  werden,  ohne  zn  erkennen,  dass 
BeUgion  und  Horal  neben  einander  und  nicht  durch  einander  bestehen.  Zwar 
wird  in  der  ( hristliclH  n  ^lünil.  deren  Idee  die  Heiligkdt  firt,  durch  die  Er- 
kpnntnis.  dass  aüc  I'flichten  göttliche  Gebote  sind,  das  moraüsohe  Gesetz  der 
einzige  Bestinimunfrsjrrund  des  Willens:  die  Ktliik  wird  nicht  als  Lehre  auf- 
gefasst,  glücklich  zu  werden,  sondern  sich  der  Glückseligkeit  würdig  zu  machen, 
nnd  dadurch  Ist  und  Ueibt  sie  das  Tonllglidiste  IDttel,  dar  pfülosofiiiseben 
Moral  leichteren  Eingang  und  grdSere  T^breitnnp  an  Tetsehaffon.  Aber  dieser 
schöne  und  erhabene  Gedanke  ging  nur  zn  bald  nnter  in  leerem  Fo^mendi^^^st. 
Fanatismus  und  Beschränktheit  verbanden  sirh  zu  dem  Bestreben,  den  Glauben, 
der  sich  doch  aal'  das  Übersinnliche  richtet,  als  Grundlage  jeder  Wissenschaft 
mit  irdischen  Zielen  aaznaehen;  »an  wollte  von  dem  Befolgen  gewisser 
Satzungen  den  Bestand  dea  Staates  and  der  menschlichen  Gesellschaft  abhSngig 
machen,  ächtete  moderne  Cultur  und  fand  in  jeder  frischeren  «"Ttn.ste.orpfrting 
eine  Gefährdung  der  Sittlichkeit.  —  Es  ist  ferner  eine  Eig-enthünilichkeit  iles 
Christenthums,  dass  das  Fembleiben  von  den  staatlichen  und  nationalen  Auf- 
gaben als  ein  besonderes  Zeichen  religiöser  Qettainung  gilt.  Mit  der  Entwickelnng 
der  modernen  Staatsform  ist  wol  dieses  VonirCbeil  xnm  gtfiflten  Theile  gefallen, 
nnd  es  besteht  heute  nnr  noch  dort,  ^v^  uns  —  am  empifaid]ich.«ten  trifft. 
Bei  allen  VRlkem  steht  der  PriestPr  auf  nationalem  Boden,  nnr  beim  katho- 
lischen Deutschen  nicht,  und  während  er  bei  allen  anderen  seineu  Eiufluss  auch 
in  natitMukn  Angelegenlieiten  geltend  macht,  wird  bei  nna  diese  Ferdeninf 
des  realen  Lebens  einfach  ignerirt,  nnd  Seelsorger  nnd  Gemeinde  stdien  sich 
in  dieser  Beziehung  fremd  gegenüber. 

Alle  diese  Ursachen  zusammen  erzeugten  oinp  Reaction.  die,  wie  die 
meisten  Gegenströmungen,  weit  über  das  Ziel  hiuau&schoss.  Im  Übereifer  der 
AnfUflmng  wollte  man  dem  Volke  Jede  Bellglon  nehmen  nnd  gab  ihm  Steine 
statt  Brot  Jeder  Mensch  hat  das  Bedlirftiis,  sich  von  Zeit  an  Zeit  ans  dem 
Staube  des  Alltäglichen  zu  erheben,  an  ein  Gnttliehes  anzuknüpfen  und  ein 
höchstes  Gut  anzustreben.  Dieses  Bedürfnis  kann  nur  durch  die  Religion  be- 
triedigt  werden.  Sie,  die  vertrauensvolle  Ergebung  in  ein  höheres  Gesetz,  das 
dem  Amen  in  schweren  Standen  Trost  nnd  StQtse  bietet,  ist  ihm  nicht  nnr 
Torbereitong  Ars  kflnltige  Leben,  sondern  auch  sefaie  FbfloBO|ihie  nnd  Poesie. 

Der  Noth wendigkeit,  das  sittliche  Moment  neben  der  Religion  zu  pflegen, 
wurde  unser  Schulgesetz  gerecht  durch  die  Bestimmung:  „Die  VoUuschale  hat 
zur  Aufgabe,  die  Kinder  sittlich-religiös  zn  erziehen.^ 

In  der  heutigen  gehobenen  Schule  arbeitet  anch  profimes  Wissen,  nnd 
zwar  einig«  Zweige  dfreet,  andere  Indireet,  an  der  etblselien  Erstehung  mit. 
Durch  die  Schilderung  und  Verherrlichung  menschlicher  Tugenden,  durch  die 
Zeichnung  großer  Cliamkt^r«',  die  in  uneigennütziger  Gesinnung  ihre  Kräfte 
dem  Dienste  der  Menschheit  weihten  oder  im  Kampfe  liir  das  Recht  ihr  Alles 


Digitized  by  Google 


—  59  — 


einMtsten  «sd  bingaben,  kommt  der  Zögling  za  der  Einelcht,  welch  hobor 
Wert  in  der  PfliehterfUlIung  liegt  ,  Bewmidcaiiiig  mä.  Verdmuig  werden  Jbm 
nbgenöthigt,  und  er  schafft  sich  GniTidsfltze. 

Nicht  minder  wichtig  ist  der  Einfiass  der  ästJietisdicn  Erziehung.  Die 
Sinne  bind  die  Cauäle,  durch  welche  wir  Emdrucke  von  außen  empfangen,  um 
dae  An%ea«!nniem  nach  den  fndivfdoelleo  Anlagen  geistig  m  Terarbelten.  Die  Eiv 
fcrachiuig  der  Dinge  und  der  sie  beherrscfaenden  Oeset/v  diente  ursprünglich 
zur  Erreichnnp  n  nl^T  Zwecke;  mit  der  fortKchreitenden  Entwickelung  des  In* 
tellects  emancijiirte  sich  der  Geist  immer  mehr  von  den  rein  materiellen  Vor- 
stelluiigeu  und  erhob  sich  zur  Specnlation.  Das  Verlangen  nach  harmonischer 
Anordnung  des  Ihn  Umgebenden  wedcte  Im  HouchMi  daa  SdiQnhdtflgefQbl  nnd 
enengfte,  durch  sich  immer  ttelgremde  Verfeinerung  nnd  Abstraction,  das  Ver» 
lanpren  nach  innerer  Harmonie,  dem  Grunde  der  Sittlichkeit.  Durch  eine  Eeihe 
scheinbar  unbedeutender  Vorgilnge.  deren  Einwirkung  man  auf  den  ersten  Blick 
kaum  zu  erkennen  vermag,  wird  der  Sinn  tür  Schönheit  geweckt  und  gebildet; 
er  ringt  nach  EinünM  nnd  wixtt  auf  den  inneren  ffinn  cnrÜdL  So  IKsat  sich 
s.  B.  naehwelBai,  wie  mit  der  snnehmendai  BeinllclilHit  die  LanteilEeit  der 
Gresinnung  wächst,  und  es  liegt  ein  hoher  Sinn  darin,  dass  man  an  festlichen 
Tagen  auch  festliche  Gewänder  trägt.  Die  Entwickelung  der  Einbildungskraft 
hat  immer  einen  Vorsprung  vor  der  der  Vernunft,  und  wie  beim  Individuum, 
•0  tritt  anch  bei  den  VSJkem  firüher  daa  Verlangen  nach  Befriedigung  des 
OefUilea  fUr  daa  SehOne  ond  Oute  ein,  als  der  Drang  nadi  Wahrheit.  • 

Damit  ist  aber  auch  der  Weg  gegeben,  den  man  einzusclilagen  hat,  um 
Hilf  die  erfolgreichste  Weise  veredplTi<l  auf  das  Volk  einzuwirken  Tf  nach 
meinem  Giarakter  wird  die  Kunst  entweder  eine  Anregung  zur  Gemüthsvertie- 
ftog  sein,  oder  die  Form,  in  der  man  ihm  die  Horalgeoetze  darzubieten  bat. 
Der  Orientale,  durch  sein  CUma  und  den  Dnek  einer  despotischen  Regionuig 
verweichlicht ,  will  alles,  was  er  zu  besitzen  wünscht,  mühelos  erwerben:  ihm 
wird  man  daher  die  Sittenlehre  in  poetische  Formen  kleiden:  beim  Germanen 
dagegen,  der  den  Wert  eines  Gutes  bestimmt  nach  der  Anstrengung,  die  ihm 
dessen  Erreichung  kostet,  und  der  das  Sittengesetz  als  kategoiischen  ImperatiT 
anlfiMst,  iit  die  Kanst  daa  HeRerfrenende,  Gemttthbildende.  Unter  allen  Vei^ 
bMtniswn  aber  bleibt  die  Pflege  der  Poesie,  der  scbSnen  Feim  und  der  Mnsik 
ein  Hanpt^rfordemis  der  allgemeinen  Volks>tiMnng;  d*^nTi  mit  dem  Wolgefallen 
an  dei-  edlen  sinnlichen  Schönheit  steht  die  Liebe  zum  Guten  im  innigsten  Zu- 
sammenhange. Eine  Förderung  in  dieser  Richtung  ist  um  so  nothwendiger,  als 
die  StrSmnng  nnswer  Zeit  ToriierrBdiend  realiatiBch  ist  nnd  leicht  znr  Eän« 
sellii^t  fuhren  kOnnte,  würde  ihr  nicht  durch  eine  entsprechende  Oemfiths- 
büdnng  das  Gleichgewicht  gelt  alten. 

Anerkennung  gebührt  nicht  nu?-  lUiniruigen.  der  ein  bedeutendes  ^^'crk 
schafft,  sondern  auch  dem,  der  die  Hindernisse  beseitigt,  die  der  Ansfühmng 
entgegmstanden. 

Eine  allgemeine  ethische  ^dung  ist  unmöglich  bei  einem  Volke,  daa  in 
Aberglauben  und  Vonirth^ileTi  versunken  ist  Wo  man  jeden,  auch  den  un- 
scheinbarsten Vorgang,  zu  dessen  Erklärung  der  gemeine  \'er8tftnd  niclit  aus- 
reicht, als  Ausüuss  einer  höheren  Hacht  ansieht;  wo  man  Menschen,  Thieren, 
Saeben,  Ja  aetbat  Zahlen  Krlfte  znaehreibt,  die  anf  tmaere  Handinngen  oder 
Oeacbi^e  beetimmand  einwirken  kSnnen:      liegt  es  nnr  sa  nahe,  jede  Ver- 


Digitized  by  Google 


—  60  - 

antwortnng'  für  sein  Thun  alilehnen  zn  wollen  niid  eigene  Thätigkeit  und  An- 
stTfiiigiing:  möglichst  zu  vt-nueiden.  Ein  Blick  aut  die  ninhamedanischen  Lftnder 
oder  auf  ansere  „gute,  alte  Zeit*"  (in  der  übrigens  noch  der  größere  Theii  der 
fiewnkAnuig  steckt)  tMlenehtet  das  ebenC^esagte  so  voUstSadlg,  daas  ca  keiner 
Worte  mehr  bedarf.  Damm  Dank  den  Fortechritten  der  Natarwiasenschaften  and 
der  Geographie,  die  den  Suinjifboden  der  rnsittliclikeit  trocken,  legen  und  Vor- 
nrtheile  rerstftmi,  denen  nur  zn  viele  zum  Opfer  gt-fallen! 

Ist  denn  aber  die  Schnle  das  einzige  Mittel,  die  Sittlichkeit  des  Volkes 
n  heben?  Daa  einzige  wol  nicht»  aber  daa  wichtigste.  Man  Innn  dnrch  Yer^ 
breitiing  gnter  Bücher  nnd  UldeDderZdtsehriften,  dorch  Abhaltung  öffentlidier 
Vorträge,  Theater  u.  s.  w.  nicht  Maasen  belehren  und  geistig  veredeln,  wenn 
iliiu'n  da«  N'vrständnis  für  das  Gelesene  oder  Gehr.rte  fehlt,  oder  wenn  sie  gar 
lücbt  ie.<^en  künnen.  Kann  ein  onwissende»  V  olk  durch  die  Werke  großer 
Diditer  angeregt  werdm,  hat  ea  dnen  Sinn  für  Ennat?  Die  groflen  mumer 
Italiens,  die  in  Knnst  mid  Wlssensehaft  tiehtnnggebend  waren  llr  gansEnropa, 
blieben  ohne  den  geringsten  Einflass  auf  ihre  Landslente.  Und  auf  welcher 
sittlichen  ^tnf»'  st»'lit  di^»  gT<"Qere  Masse  des  Volkes!  Konnten  doch  Polizei, 
geiätliclieä  und  v\  eitiicUtä  Kegiuient  das  Völlig  bis  jetzt  noch  nicht  einmal  zur  — 
Beinlicbkeit  bringen. 

Sichtige  VorsteUmigen  geben,  snm  Denken  anleiten,  Wahres  vom  Fatochen 
nnteischeiden  lehren,  ist  mit  weniger  Muhe  verbunden,  aber  von  bleibenderer 
Wirkung  nn<l  ein  weit  verdienstvolleres  Werk,  als  ftngstUcbe  Bevormnndnng 

und  I  berwachung. 

Zum  Schutze  des  Einzelnen  und  im  Interesse  der  Allgemeinheit  erlftsst 
der  Staat  Gesetie  nnd  betrant  er  seine  Organe  damit,  die  genaue  Befolgnng 

derselben  zu  aichem.  Das  erstarkte  OerechtigkeitsgefOlil  unseres  Jahrhnndflrts 

forderte  eine  Befreinnar  des  Jnstizverfahrens  ans  der  Erstarrung  veralteter 
Formen,  Unabhängigkeit  des  Ri(  hters  und  eine  Kecht^prechnng  unter  der  Theii- 
nähme  des  Volkes.  Männer,  aus  dem  \olke  hervorgegangen  und  seine  An- 
achannngen  tfaeOend,  soUmi  ohne  Yoreingenommenheit,  nnr  nach  ihrer  Ober- 
Zeugung  den  Wahrspruch  über  Schuld  und  Kicht^hnld  abgeben.  Eine  solche 
Institution  srtzt  eine  gewiss»»  Hühe  des  allgemeinen  ^iftlirlikeitfigefnhlcs  bereits 
voraus,  wie  sU-  anderseits  es  anregt  nnd  fordert.  ^Vilt'  nothwendig  es  ist.  dat^ 
geistige  Niveau  des  ganzen  Volkes  zu  heben,  beweisen  die  Verhandlungen,  bei 
denen  oft  Widerqnüche  in  den  Bechtaanschannngen  der  versdiiedenen  Vertranen»' 
männer  hervortreten.  Die  divei^enden  Ansichten  lassen  darauf  schließen,  daas 
eine  einlieitliche  Auffassung  fehlt  und  dass  sich  im  Lehrplane  unserer  Schulen 
eine  Lücke  vorfindet.  Und  dem  ist  so.  Die  zehn  Gebute  enthalt^m  wn!  oine 
Reihe  wichtiger  Vorschriften;  aber  es  gibt  auch  eine  grofie  Anzahl  von  ir  uüen, 
die  sieh  nicht  so  ohnew^ters  nach  ihnen  entscheiden  laasen.  Der  Jnristiach 
noth wendige  Sats:  Unkenntnis  des  Gesetzes  entschuldigt  nicht,  ist  psychologisch 
unrichtig;  denn  man  kann  niemand  für  zurechnungsfähig  erklären  nnd  für  seine 
Handlungen  verantwortlich  machen,  dem  die  richtigen  Vorstellungen  fehlen  nnd 
der  sie  nicht  zu  verknüpfen  weiB.  Kein  Stand,  keine  Gemeinschaft  bestraft 
eine  Handlnngr  oder  Unteriassong,  wenn  aie  nidit  vorher  ansdrficlülch  als  Ynv 
gehen  oder  Verbrechen  bezeichnet  nnd  allen  Ifitgliedem  verboten  wurde.  In 
der  Familie,  in  der  Schule,  beim  Militär,  in  der  Kirche  etc.,  Oberall  bestehen 
feste  Normen,  and  im  bürgerlichen  Leben  sollte  die«  nicht  n5tliig  seinV  Wie 


Digitized  by  Google 


—   61  — 


würde  sich  die  Zahl  jener  Fälle,  die  alljilhrlich  in  den  Gorulitssillcn  zur  Ent- 
scheidung kommen,  vei  niindero.  wenn  die  schwankenden  Begriffe  im  Volke  hin- 
reichend Terdenüicht  würden  1  Wenn  man  bedenkt,  welch  unentwickelte,  oft 
Undiaeh«  Aiifliefat«ii  so  Tiele  Qber  Hansrechtr  gdMime  SdiadloBhaltniig,  Wache- 
beleidi^^uncr  u.  b.  w.  haben.  Und  daas  es  polittsdie  Veigehen  gibt,  deren  sich 
der  sittliclistt' Mensch  schuldig  machen  kann,  so  wird  man  wnl  einsehen,  was  in 
dieser  Eichtuug  uoth  thnt.  Alle  Einwände,  die  ge^en  einen  derartigen  Unterricht 
vorgebracht  werden  können,  sind  leicht  zu  widerlegen.  Jedenfalls  bringt 
der  Sciilller  der  oberen  ClMsen  einer  soldien  Belehrung:  mehr  VenUlndnis  ent* 
gegen,  als  viele  Becraten,  denen  die  Kriegsaitikel  Torgetragen  und  erkUbi 
werden,  nnd  diese  Behauptung,  dass  die  Aufzahlung  und  Specialisirung  der 
einzelnen  \'erbrechen  auf  die  Moral  nachtheilig  wirken  würde,  ist  bei  reiferen 
Schülern  nnstichhaltig. 

Wie  bdm  Vemnnftmenschen  Geist  und  Gewissm  nntrennbar  sind,  so  ist 
andi  die  innige  Verbindong  der  Volksseele  mit  den  Beditsgesetnen,  dem  Tolka- 
gewissen,  ein  Postulat  des  Cultnrstaates,  und  je  mehr  dazu  beigeti'agen  wird, 
den  Zusammenhanj?  voll  ins  Bewn.sstsein  treten  zu  lassen,  desto  seltener  wird 
das  Strafgesetz  zur  Anwendung  kommen.  Dass  kann  aber  nur  durch  den 
Unteiridit  gesehehm.  Es  ivlre  sehr  leicht  m  bewerkstelligen,  und  wir  wollen 
hoffen,  daas  es  andi  daan  kommt,  dasa  man  einen  Ansang  ans  dem  Civil-  nnd 
Strafrechte  nnd  einen  Abriss  unserer  Verfassung  als  ünterriehtsgegenstand 
einfährt.  Denn  auch  über  die  Ptli'^hten  und  Rechte  desBürg-ers  im  constitutio- 
nellen  Staate  soll  der  Kuabc  i^ciion  ausreichend  belehrt  vverüeii;  er  braucht 
beides,  um  sp&ter  seine  Stellung  in  der  Oesellschaft  zu  verstehen;  außer 
der  Schnle  lernt  er  venig  mehr  nnd  selten  gründlieh,  dämm  besorge  es  die 
Schnle. 

Wol  übernehmen  die  Zeitunfir'^n  diespu  Theil  der  Helelirnns'.  Aber  ab- 
gesehen davon,  dass  dies  systemlos  und  oft  in  selir  trüber  Tendenz  geschieht, 
muss  ein  gewisser  geistiger  Fond  da  sein,  wenn  das  Bedürfiüs  einer  Zeitung 
gefühlt  nnd  ihr  Inlialt  yerstandm  werden  soll  Die  moderne  Staatsform  brachte 
da«  gesammte  Zeitnngswesen  zu  ungeahnter  Hniie.  Wie  ein  warmer  Regen  aaf 
die  f^antt  n,  so  wirkte  die  freiheitliche  Gestaltung  auf  Ht  T^nrnalistik,  und  wenn 
einst  Liebig  den  Verbrauch  an  Seife  als  Maßstab  für  die  liolie  derCultnr  annahm, 
so  kann  heute  hierfür  die  Entwickelung  der  Presse  als  Kriterium  gelten.  Aber 
neben  dem  Weisen  wü^dist  ancü  ünkrant  Derselbe  Boden  uBhrt  gesinnnngs- 
tüchtige,  wahrheitsliebende  Blätter,  die  ihre  Aufgabe  voll  erfiwwn  nnd  würdig 
durchführen,  wip  ancli  charakterlose  Journale,  die  unbekümmert  um  Recht  tuid 
Volkyw'ol  aus  den  verschiedenartii^ten  Ursachen  gegen  das  Pestchende  Sturm 
lauten,  oder  durch  Sophistereien  alles  beweisen,  wofdi'  sie  —  bezahlt  werden. 
Gegen  die  Beeinflnssnng  dnrch  eine  solche  Fresse  kaim  das  Volk  nnr  geschfttit 
werden  durch  eine  gründliche  Belehruufj  über  seine  Pflichten  und  Rechte.  Der 
Mangel  an  Theihiahnie,  den  die  Bevölkerung  im  allgemeinen  der  Ausühnng: 
eines  ilirer  seliönsiten  Rechte  entgegenbrinj^t ,  ist  nnr  daraus  zu  erklären .  da^s 
sie  sich  über  den  Umfang  und  die  Tragweite  desselben  nicht  hini'eichend  klar 
ist,  wodurch  sie  nie  ans  ihrer  Unmündigkeit  heranskommt  und  jeden  For^ 
adiritt  sdbst  verliindert.  Kann  an  einen  solchen  aber  überhaupt  nur  gedacht 
werden,  wenn  man  das  Wenige,  was  die  Schule  bis  jetzt  bietet,  anch  noch  Ter* 
kurzen  will  ? 


Digitized  by  Google 


—  62  — 


lüt  eiiie  Gemeinde- Autonomie  denkbar  ohne  die  Kenntnis  der  nothwendigsten 
positiven  Gesetze?  Enlwedor  wird  sie  ein  Unding,  mit  dem  niemand  was  rechtes 
umfiogMi  w«I6,  oder  eine  Caricatnr  auf  dM  SelbstbestlmnniiigBredit,  ein 
Deckmantel  fdr  Selbstsucht  und  Dummheit. 

Der  Politiker  kann  nicht  blos  mit  Idealen,  sondern  er  mnss  anch  mit  con- 
creteu  Factoreu  recJinen  nnd  darf  uui"  das  anstreben,  was  auf  Gruud  der  ge- 
gebenen Verhältnisse  enreiehbar  ist,  sonst  verwickelt  er  sich  in  unlösliche 
Schwierigkeiteil.  Er  ist  daher  oft  in  der  Erreiehnng  leinee  Zieles  gebindert, 
weil  er  g-eswnngen  Ist,  seine  UaSregeln  den  nnsicheren,  nicht  gekllztu  Begriffm 
des  ^'olkes  anzupassen 

Österreich  wäre  heute  der  erf<te  Staat  in  Europa,  wenn  Josef  U.  ein 
polilibch  reifes  Volk  voi^efuudeu  hätte! 

(Schloss  folgt.) 


Digitized  by  Google 


Ehre,  dem  Ehre  ^biri 

Van  WUNMA  yagl-Wim, 

U. 

Wir  habeu  im  letzten  Jnlihefte  unter  der  gleichen  Aafschrift  über  das 
pSdagroGTische  Wirken  des  Gelderner  Kreissclnilinspectors  Ii.  Klein  bt^richtet 
und  ans  dessen  literarischen  Arbeiten  drei  Hanptsfltze  zur  Beherzi^uni?  tür  die 
Lehrerschaft  hervorgehoben:  Der  Schulmann  soll  sich  wissenschaftlich  furt- 
irtUurend  TenroUkommnen;  er  soll  traditen,  ein  „weltlicher  Apostel  desYolkeB'' 
zu  sein,  in  dessen  Mitte  er  hineingestellt  ist;  und  endlich  soll  er.  w<mi8g1idi, 
mit  der  hölieren  'ti  lelirten-  und  Schulwelt  in  Contact  zu  bleiben  suchen. 

Hente  werden  wir.  un  der  Hand  dieser  drei  Grundsatze,  Hbor  die  TliRtig- 
keit  eines  wackeren  Dorfschulmeisters  reden,  der  in  einem  abgelegeneu 
Winkel  der  Welt  bei  braver  Pfliditefffttllting  grau  geworden.  Und  in  einer 
zwanglosen  Reihe  von  weiteren  Forts^asangen  vollen  wir  durch  Bilder  aus 
dem  wirklichen  Leben  der  Geg:enwart  jenes  Ideal  einer  Lehrerschaft, 
wie  es  uns  vorschwebt,  zui-  Dai-st^ellmig  bringen,  indem  wir  die  zerstreuten 
und  verlorenen  Perlen  echter  Scholmanustüchtigkeit  aus  den  verschiedensten 
Gegenden  nnd  den  veraolitedenet«!  Teriiftltniflsen  m  dnem  Jnweleoknuize 
felhen. 

Leopold  Hinker.  so  heißt  der  Soluspieler  in  unserem  heutigen  kurzen 
Au^tze,  wurde  am  10.  November  180'^  in  Oberfxi'i'nhach  nilchst  Haabs  an 
der  Thaja  in  Niederosterreich  geboren,  machte  am  L  August  1820  zu  Horn 
leine  PrftpBrnndenprfifknig,  am  2.  und  3.  Aign8tl824  Beine  Lehrei^fiAing  nnd 
diente  seit  1.  Jalil836  als  Schnlprovisor  nnd  seit  31.  JiUi  1839  als  definitiTer 
Schullehrer  in  Sebenstein,  —  ohne  jemals  einer  Aushilfe  bedurft  zu  haben  — 
"bis  in  die  Mitte  des  Jahres  1877,  seit  welcher  Zeit  er  in  einem  netten,  ein- 
fachen Häuschen  im  ruhigen  Genüsse  seiner  Pension  und  bei  voller  Frische  des 
Geistes  nnd  KOrpers  seinen  Eiinnennigen  lebt,  ein  Patritfreh  mter  sdnen 
Banenit  deren  fast  aller  Erzieher  et  ist 

Das  niederösterreichische  Dorf  Sebenstein,  in  einer  Verengung  des 
Pittenthaies  gelegen,  ist  seit  zwei  Jahren  ein  neuer  Anziehungspunkt  für  die 
"Wiener  Touristen  und  Sommerfrischler  geworden,  seitdem  die  Wieu-Aspaoger 
Bahn  dieses  Thal  der  Residenzstadt  näher  gerückt  bat  SeMneBestanratioas- 
gebftnde  sind  im  Entstellen,  fiberaU  begegnet  man  stidtisdi  gekleideten  Damen, 
Olliciereiif  Equipagen  —  nnd  in  den  lauschigen,  laubbcw  ölbten  Terrassen  eines 
Bererlianges  trifft  man  wol  aucli  den  emsig;  beschilft ig-ten  KünstU^r,  d»'r  <]\f'  von 
der  jenseitigen  Berglehne  .herüberragende  alte  \  est«  und  das  dazwischen- 
liegende malerische  Thal  mit  dem  schattigen  Schlossparke,  dem  Dorfe  und  dem 


—  64  — 


altertümlichen  Kircldeiu  auf  die  Leinwand  zanbert,  —  ein  herrliches  Land- 
schaftsbild I  *)  Da  ring  es  noch  vor  drei  Jahren  viel  lanpweilippr  m.  Elende 
morsche  Hütten  and  Häaschen  standen,  wo  sich  heute  das  laftige  Bahngeleise 
zieht,  kein  Fremder  war  in  dem  vereinaamten  „Neste''  an  sehen,  Oduenkarreu 
ond  Pflüge  das  einzige  Fnlurweik»  das  einem  in  den  Gassen  des  Doffts  be- 
gegnete. Auch  die  f&rstUche  Familie  hielt  sich  nur  zeitweilig  im  Orte  auf, 
und  trat  anch  dann  mit  den  Einwohnern  kaum  in  Bernhrnnj;:.  9o  waren  denn 
der  Pfarrer  und  der  Schnlmeister  die  einzigen  geistigen  Sterne  für  das  ver- 
lassene Baneruvölklein. 

Wir  werden  hieraos  entnehmen,  dnsa  die  oben  erwlhnte  dritte  Forderung 
des  Geldemer  Kreisschnlinapectors,  «Ue  Lehrerschaft  mj%e  mit  der  höheren 
Unterrichtswelt  in  stetem  r...!tnct  Ideiben,  fiir  nnsfin  Hink  er  allerdinps  nner- 
fiülbar  war.  Er  hatte  iu  seinem  idyllischen  Schui^pieugel  gar  nicht  <n>lcgen- 
heit,  nur  irgendwie  mit  höher*  gebildeten  Personen  in  Verbindung  zu  treten. 
Zwar  waren  die  wiederholt  sidi  ahlSsenden  Pfiorrer  afcademlseh  gebildet,  — 
aber  gerade  diese  ügiirirten  als  des  Schnlmeisterleins  moralische  OberhAnpter 
und  waren  in  der  Regel  nicht  geneigt  mit  ilirem  .Messner*'  —  das  war  ja 
damals  der  Lt  lirer  aof  dt  m  Laude  — ~  besonders  intiin  zu  werden,  übrigens 
interessirt  sich  ein  Landpfairer  ulinehiu  meittt  für  ganz  andere  Dinge,  als  für 
wissoiBchafltliehe  nnd  p&dagogische  Fragen. 

Desto  getrener  und  ehrenvoller  hat  Hink  er  die  beiden  ersten  der  ge- 
dachten Fordcrnnpen  etTiillf.  In  i-iner  Zeit,  wo  der  Lehrer  noch  als 
Handwerker  galt,  tler  den  Kindern  mit  dem  .Stocke  da.s  Le<«'n  und 
Schreiben  einzudrillen  hätte,  hat  er  sich  im  Wissen  uueimüdlieh 
selbst  vervollkommnet  Mancher  seiner  Collegen  wttrde,  hBtte  man  ihn 
hiezn  aufgefordert,  geantwortet  haben:  ,.Ja,  woher  soll  ich  die  zum  Selbst- 
«tndinm  nothwendig-on  Bücher  nehmen,  da  icli  nur  250  fl."*"*!  jiUiilichen  Gehalt 
beziehe  uud  davou  mit  nu'iuer  Familie  kaum  leben  kannV"  Hiuker  lieh  sich 
aber  die  Bücher  aus,  wo  er  deren  bekommen  konnte,  machte  sich  Excerpte  und 
stellte  sieh  so  eine  Ideine,  ganz  nette  Bibliothefc  zosammen.  Schreiber  dieses 
dürft.-  die  Excerpte  dürchsehen  und  wunderte  sieht  mit  welch  richtigem  Tacte 
das  Nothwendigste  ans  allen  I)iscii»linen  herausgehoben  nnd  wie  ordentlich  eS 
zusammengestellt,  wie  säuberlich  und  lein  alles  ireschrieben  war. 

Iu  dieser  etwa  16  Buch  Papier  starken  selbstgeschriebenen  Bibliothek 
traf  ich  znnttchst  eine  „Übersieht  des  menschlichen  Wissens",  nach  vedv 
schiedenen  Eintheiltmgsgrfinden  (theoretische  und  empirisdie  Disciplinen  etc.); 
bpfregnete  einer  Lo^ik,  einem  „ Vollständijjren  Lehrbuch  der  Eechen- 
kun'^f".  udriii  auf  arithmetischem  —  nicht  algebraischem  —  Wege  alle 
Kt^chnuiigsurten  vom  Addiren  bis  zum  Badiciren  mit  der  5.  luid  6.  Wurzel 
gelehrt  werden,  nebst  ^er  grofleu  Anzahl  von  Bdspiden,  die  alle  Hinker 
mit  nnerrnttdlichem  FkiB  dnrehgerechnet  hat  Femer  «ithllt  diese  kleine 
Bibliothek  „Physikalische  s'*,  „Mathematisch  -  Astronomisches'', 
„Gleichung  der  Zeit",  „Geschichtliches  Uber  die  Astronomie'*, 


*)  So  traf  ich  den  bekannten  Wiener  Haler  Schubert,  einen  lieffen  des 

OompoDiäten.  Uber  der  Abnahme  von  Sehenstein. 

**)  Bis  zum  Jahre  1S*)2  l)t  tru^  Hink<r-i  .T.-ilirj^elialt  alles  in  allem,  samnit  um- 
gerechneten Naturalien,  248  fl.  22  Ki^  obwol  er  geprüfter  uud  de&nitiver  Lelirer  war! 


j  .  .  ..  y  Google 


„Vom  Kalender'',  etwas  tber  Meteore »  Cometen,  Feuerkugeln;  ..I>ie 
Hun^erjalm-  uikI  fruchtbarfn  Jahrp  von  1807 — 76"  n.  dcrffl.  Femer  viel 
Gesc  Ii  ich  t  liches:  ..Die  pr?Jtpn  Menschen".  ..Alte,  Cultiirvölker",  ..Die 
7  Weltwunder".  Viele  Biographieu  von  Philosophen,  Füi-steu  und  hervorragen- 
den Hianeni  aller  Völker  mä  aller  Zeiten.  „Lebenawefse  der  alten 
Dentschen"  u.  s.  f.  —  bis  herab  zu  Josef  II.  und  dem  Wiener  Congress. 
Dazn  alphabetische  und  chrnnnlnL''ischf'  Übersichten  nnd  Gencalo^^ien. 
Eine  kleine  Geographie,  enthaltend:  ..Innere  nnd  fiiiUm"  Hesohaffenheit 
der  Erde",  „Erdbeben",  „Wasserhosen",  „Lawinen",  Übersicht  der  Städte, 
der  GeMrgre,  der  Flttese  und  Seen,  der  schDnsten  Kireben,  faScbsten 
Thürme  nnd  größten  Glodten;  die  alten  and  nenen  Mänzgattungen  der  ver- 
X  hieilenen  Staaten  Europas,  ihre  Fmi-echnung  etc.  Sprachliclies:  ..Gnind- 
i  '^^^ehv  der  lateiniBchen,  italienischen,  französischen,  englischen,  ungarisctien  und 
böhmischen  Aassprache."  „Die  Alphabete  der  Erde."  Deutsche  Sprach- 
lehre: WorUehre,  Satdehre,  Beehtsdireibnng,  achriftliGhe  AlfBitse, 
Poesie  (,rWannn  iat  der  Dichter  natzlich?"),  Vermehre» l)iclitnng:sarten.  Dam 
eine  Sammlnng  poetischer  LesestUcke.  Hink  er  hat  sogar  selbpr  eine  Volks- 
hvmne  gedichtet:  ,,Gelegentlich  des  Attentats  auf  Kaiser  Franz  Jos^L  am 
2'  März  1853." 

Dan  Hinker  trots  dieser  eifrigen  Besdi&ftigung  mit  denWlneiiBfliiaften 
den  praktisclien  ^nn  nicht  verlor,  beweisen  anderweitige  Anineichnnngen 

von  seiner  Hand.  So  eine  29  Folioseiten  starke  SprichwOrtersammlung 
ant«r  dem  Titel  ..Volksweisheit  und  Lebens^klny-lieir  '  femer  , .Denksprüche", 
„Wahlsprttche  von  Kaisem",  „Lebensphilosophie-  etc.  Allgemein  Nütz- 
liebes:  GesnndheiftswnaBerwid  Wacholderbeeren,  Behandlang  vernnglttekter 
Personen  n.  dergL  m. 

Dass  ein  Lehrer,  der  in  dieser  W^eise  wissenschaftlicli  und  moralisch  vor- 
bereitet und  voll  EitVr  tur  die  Saclie  der  Bildnns:  und  Aufklitruns:  in  die 
Schnlstube  tritt,  in  den  Kindern  ein  ganz  anderes  Geistesleben  erwecken  wird, 
als  ein  kalter  Schalmietling,  dessen  Wünsche  und  Gedanken  ganz  anderswo 
sind  als  bei  asiner  Bemftarbeit,  der  mit  OewaltmaBregeln  den  ihm  ISngst 
schal  gewordenen  Lehrstoff  in  die  Kinder  schnellstens  hineinopeiiren  will,  oder 
die  Kinder  g:an/  gehen  ISsst",  —  leuchtet  wo]  eii? ,  wh\  Hinkers  Verdienst 
Ist  am  so  größer,  als  er  in  einer  Zeit,  wo  der  Lehrerstaud  in  Österreich  in 
tiefe  Verrohung  und  Entartung  gesunken  war,  sich  dauernd  auf  der  sittlichen 
snd  geistifen  HShe  seines  Bwafes  erhielt. 

Aber,  obwol  Hinker  bis  in  sein  vierundsiebzigstes  Lebensjahr  ganz 
allein  den  Schul-  nnd  früher  anoli  noch  den  Kirchendienst  versehen,  Tag  für 
Tttg  vor-  und  nachmittags  bei  circa  KK)  Kindern  Unterricht  halten  musste. 
so  vrdjrea  doch  dieKi'äfte  des  scheinbar  schwachen  Männchens  damit  noch  nicht 
endiSpft,  dass  er  an  Hanse  emsig  studirte  nnd  in  der  Sehnle  den  Kindern  ans 
dem  Scliatze  seiner  Kenntni»e  mittheilte.  Seine  Thätigkeit  erstreckte  sich 
auch  über  die  Schulstube  hinaus  —  er  war  ein  Rathfreher  der  Gemeinde 
in  allen  wichtig-en  Angelegenheiten,  ein  wahrer  ,..^l)os1el  des  \'olke.s",  wie 
Klein  sagt.  Ilet  allen  hervorragenderen  Anlässen  in  dem  Dürfe,  ub  nun  ein 
Bach  m  regnUren  oder  ^e  Brildte  sn  banen  war,  wurde  er  in  die  „Com- 
mission"  gezogen.  Da  ordnete  er  eine  Erbediaftaangelegenheit  durch  ein  ein- 
isches  Gesnch  an  das  Besirkagericht,  dort  setste  er  dnreh  eine  Schrift  beim 
Fvdaitasiiin.  ft.  Jthif.  Reit  L  ^ 


Digitized  by  Google 


—   66  — 


Magistrate  in  Wien  das  bedrohte  Eedit  eine«  Bauers  durch,  und  Ähnliches  mehr. 
Als  ob  er  in  »pinenr  Eigrenthuni  wRre.  »o  sorgrte  er  im  Dorf.\  dass  ja  kein  alter 
Gegenstand  von  historischem  oder  künstleriächem  Werte  verloren  gehe  oder 
vernichtet  werde.  Als  im  Jahre  1844  in  der  Doifkirche  neue  Fenster  einge- 
schnitten wurden,  warf  der  uiTerstlndlge  Glaser  die  5  alten  Glasbilder 
schonungslos  in  seinen  Korb  arasammen;  Hinker  aber  hat,  ihren  Wert  ahneiHl, 
dies^'iben  ..oilipr^^  -  "ü-  Iiinjren  in  ihrer  alten  Fassnngr  noch  etwas  zusammen 
—  von  dieneui  lilaskurbe  we^g^euumuieu  und  sie,  ohne  aut  das  Gezänk  de« 
Glasers  zn  achten,  in  der  Sakristei  sorgfältig  verwahrt*',  und  als  die  Kirche 
1849 — 53  reetanrirt  wnrde,  setite  man  die  alten  Glasgemftlde  wieder 
ein.  Sie  tragen  den  Namen  Rudolf  Otto's  von  Liechtenstein,  eines 
Urenkels  des  berühmten  steierischen  Sii  nirf  vs.  und  sind  niindesten« 
aOÜ  Jahre  alt.  Hätte  man  doch  in  allen  Döilern  und  zu  jeder  Zeit  solche 
achtsame  Schulmeister  gehabt! 

Das  oomUnirte  Interesse  Hinkers  an  seiner  Dorfjpemeinde  nnd  am  Alter» 
thnm  blieb  niebt  ohne  Frucht.  Diese  schätzbare  Frucht  ist  eine  handschrift- 
liche ..rhrt)nik  des  Dorfes,  der  Ber^-Veste,  der  Kirche  nnd  der 
Schnle  Sebenstein.  vertagst  und  geschrieben  auf  üi  und  glaubwür- 
diger und  urkundlich  nachgewiesener  Geschichtsquellen  von 
Leopold  Hinker,  Schnllehrer  in  Sebenstein.  1875."  „Josef  FeH's 
gedruckte  Ausgabe"  wnrde  diesei-  Chronik  zu  Grunde  gelegt  Wir  kUnnen  n&a 
hier  nirht  auf  di»'  näheren  Details  dieser  Arbeit  einlassen,  besrnüiren  nns  viel- 
nielir,  die  P'achnuüiner  auf  dieselbe  aufhierksam  gemaeht  zu  tiaben.  Wir  er- 
wälinen  nur,  da^  die  Burg,  um  1(^  erbaut,  eine  reiche  Geschichte  hat,  und 
dass  das  Gapitel  „fiber  die  Schnle*'  viele  interessante,  oft  dSstere  Streiflichter 
auf  die  friihere  Lage  der  Lelirer,  besonders  in  den  ersten  Decennien  unseres 
Jahrhundert«,  wirft.  Eine  elii-onologif^che  Tafel,  von  17119 — 1809  reichend, 
ehie  „Häusf  rbHsehreibunp"  vom  2.  November  1809  und  eine  t'bersicht  über 
die  i>chuler/,ahl  an  der  Dortschale,  von  1835 — 76,  sind  der  Chronik  als  wert- 
voller Anhang  beigegeben. 

Wir  glauben,  dass  diese  stille  nnd  elIHge  ThStigkeit  eines  Dorftchnl- 
nieistn^  keiuer  weiteren  Interpretation  unsererseits  bedarf.  8e.  Majestät  der 
Kai.ser  hat  dem  elirwürdie^en  Greise  zur  l'ensionirung  das  silberne  Verdienst- 
kreuz  mit  der  Krone  verliehen.  Wie  aber  im  allgemeinen  bei  der  Umgebung 
eines  H^isdien  selbst  die  geringsten  Schwachen  eher  wabiguMMunen  werden 
als  die  grttfiten  Vorzüge,  so  hat  Hinkers  Name  bei  der  boMMiiliarten  Lehrer^ 
Schaft  nicht  überall  den  verdienten  Klang,  ja,  man  findet  den  bescheidenen, 
aber  ernsten  Greis  eher  „eingebildet''  als  verdienstvoll.  Wir  aber  können 
ihm  nur  Recht  geben,  wenn  er.  im  Hewnsst^ein  seiner  gut  verwendeten  Lebensr 
adt  nnd  seiner  ideslerm  Bichtung  nicht  gemeiittdHiftliche  Sache  maeht  ndt 
jenen  seiner  Standesgenossen,  welchen  eine  allabendliche,  3 — 4  stilndige  „Zer- 
strenong''  im  Gasthans  mehr  Bedürfnis  ist,  als  die  edle.  *  rnsteGeistestliätigkeit. 
Hinker  hat  viel  gearbeitet  und  —  wenn  sich  alle  Lehrer  anf  dem  Lande 
an  ihm  ein  Beispiel  nehmen  —  uucii  mehr  geleistet! 


VatiBtirortliober  BedMtenr:  M.  8t«iB.  Baehdruduni  Jnliua  Klinkhardt,  Latpcif. 


.  j  . .  ..  I  y  Google 


Kritik  der  (ieistersekereL 

Mach  iMMmel  Kant«  Schrift:    „TrXume  eines  6eisteraek«n,  erlftvttrt 

durch  TrÄnme  der  Metaphysik.- 

I 

Einleitiing. 

Im  o.  Buch  Mose,  Cap.  18,  Vers  10—13,  heißt  es:  „Dass  nicht 
anter  Dir  gefunden  werde,  der  seinen  Sohn  oder  Tochter  durchs  Fener 
gehen  lasse,  oder  ein  Weissager,  oder  ein  Tagewähler,  oder  der  auf 
Vogelgeschrei  achte,  oder  ein  Zauberer,  oder  Beschworer,  orler  Wahr- 
sager, oder  Zeichendenter,  oder  der  die  Todten  frage.  Denn  wer 
solches  thut,  der  ist  dem  Herrn  ein  Grenel,  imd  um  solcher 
Greuel  willen  vertreibet  sie  der  Herr,  Dein  Gott,  vor  Dir  her." 
Im  Sinne  dieses  (.-rebnte«?  verbannt  Saul,  so  lange  er  ein  Mann  Gottes 
ist,  aUe  Zauberer  aus  dem  Lande;  als  fv  :iljer  gefallen  ist,  begibt  er 
sich  heimlich  zu  der  Hexe  von  Endor  und  lasst  sie  den  Geist  Samuels 
heschwören,  um  ihn  über  die  Zukunft  zn  befragen.  So  verwirft  schon 
das  alte  Testament  mit  klaren  Worten  den  Unfuj?  der  Geist  erseherei, 
weicher  das  mensohlii  he  Gemiith  den  {»hantastischen  Zügellusigkeiten 
der  G^espensterfui'cht  zum  iiaube  werden  lässt. 

Weil  in  -der  Gdsterseherei  der  Mensch  den  lichten  Pfad  natürlich- 
caualer  Erkfflmtirig  verlässtf  auf  dem  aUein  die  Menschheit  znr  HOhe 
dner  objectiven,  wfaseiiseliaftlidionfirftssnng  derEradieinangen  empor- 
Uonun,  vid  in  die  Abgründe  mittelalterliclien  Zanberwesens  znraek- 
fiBt,  80  mnss  jeder  Yersach  dar  Wiederbelebong  der  Geisteraelierei 
ab  ein  Verbreclien  gegen  miser  Cnltmrleben  betrachtet  nnd  mit  der 
gannen  Wncht  atttUcher  ESntrQstang  bekftmpfb  und  abgewiesen  werden. 
Es  ist  ein  schlimmeB  Zeichen  der  Zeit,  wenn  selbst  Ton  MAnnem, 
doren  Geschäft  sonst  die  Gtespenster  Terschencliende  Wissenschaft  IM, 
die  Qeisterseherei,  oder  wie  man  es  heute  Tomehm  nennt,  der  Spiri- 
tismus, betrieben,  gefördert,  Ja  als  ein  neuer  Qnell  höherer  Offenbarung 
gepfüsen  wird.  Solche  Verirmngen  stellen  sich  würdig  den  Ver- 

*)  Gehalten  am  12.  Januar  1882  im  „G^einntttzigieii  Verein**  zu  Dresden. 
PsAifOsiBiB.  6.  Jahf«.  Heft  II.  Ö 


Digitized  by  Google 


—   68  — 


^ftndigangen  .gegen  den  Geist  der  Henscfaheit  an  die  Seite,  welche 
einen  Lessing  brandmaricen,  weil  er  den  Geist  wahrhaft  dnldsamer 

BeMgiösität  gepredigt  habe,  und  welche  in  Goethes  Faust  nur  eine 
„antichristliche  Lüge''  finden,  da  es  FaoBt  „an  der  Gottesfurcht  fehle^ 
wdche  aller  Weisheit  Anfang  ist",  und  Faust  ,,den  geöflheten  Annen 
seines  auferstandenen  Heilands  den  RQcken  drehe**.  Angeekelt  von 
solchen  Ausgeburten  unphilosophischer  Geistesleere,  die  glvi  liwol  ilir 
Publicum  finden,  muss  man  sich  selbst  immer  wieder  an  den  Werken 
der  fn*oßen  Genien  unseres  Volkes  erquicken  und  amlere  an  die 
Quellen  peistig-er  Erfrischung  hinanfüliren.  Wir  pflegen  zu  unserer 
leiblichen  Kriifti^ninjj:  (iebirgsreisen  zu  unternehmen:  unsere  <rroß«'n 
Denker  und  Dichter  sind  «:eisti£re  Riesenber2:e,  welche  ihr  Haupt 
bereits  im  <i:oldi;reu  Ätherglanz  baden,  wenn  unten  im  Thal  noch  tietVs 
iJuiikel  herrscht,  und  noch  im  Piirpurlichte  glühen,  wenn  unten  die 
Nacht  bereitb  wieder  eiuL^- tu .  ,  iien  ist;  die  stählende  Luft,  weklie  sie 
umweht,  weitet  die  Brust  d«ier,  die  sie  aufsuchen,  und  die,  welche 
in  ilir  athraea,  geue&en  vou  den  giftigen  Ansteckungen  der  Niede- 
rungen der  Geistlosigkeit. 

Auch  die  GeLsterseherei  ist  von  einem  der  grüßten  unter  unseren 
großen  Denkern  bereits  mit  kräftigen  Bannsprüchen  belegt  worden. 
Der  mittelalterlidie  Nekromant  erhob  gegen  finstere  M&chte^  sie  zu 
beschworen,  sein  Zanberbneh.  Auch  wir  besitzen  schon  lange  ein 
Zanberbnch,  das  alle  Geister  bannt»  nnr  mit  dem  Untei-schied,  dass  es 
gegen  tollen  Wahn  nicht  unsinnige  Zaubersprüche  wendet,  sondern 
ihn  mit  dem  Sonnenlichte  kritischer  Erkenntnis  verscheucht  Dieses 
Zanberbneh  ist  Immanuel  Kants  Schrift:  „Träume  eines  Geister^ 
Sehers,  erläutert  durch  Träume  der  Metaphysik**,,  klein  zwar 
dem  Umfang,  aber  reich  dem  Inhalt  nach,  denn  sie  bietet  alle  Haupt- 
gedanken dner  Kritik  der  Geisterseherei  dar,  und  mit  Becht  sagt 
yon  ihr  Karl  Bosenkranz,  einer  der  Herausgeber  äet  Kantischen 
Werke:  „Wenn  man  Kants  so  wol  geschriebene  und  so  wol  begrün- 
dete Abhandlung  liest,  so  möchte  man,  angesichts  der  Aufregung,  die 
in  unserer  Zeit  ähnliche  Zerrbilder  der  absoluten  ^^'ahrheit  gemacht 
haben,  den  einfachen  und  wolfeüen  Wiederabdruck  so  classischer 

Schriften  als  Gegenmittel  wünschen,         denn  solche  Dinge  sollten 

endlich  auch  einmal  für  aUenud  geschrieben  sein  können.*"*) 


*)  Dem  Wunsche  Boteakraiis*  ist  Obiigens  in  neuester  Zeit  genügt  worden, 

insofern  die  Eantiacbe  Schrift,  herausgegeben  von  Karl  Kehrbach,  in  der  Beclnm- 
schen  üniversalbibliuthek  für  wenige  Groücben  na  haben  ut. 


Digitized  by  Google 


—   69  - 


IL 

Die  Entstehung  der  Schritt. 

Die  Yeranlassimg  zur  Ab&ssnng  der  Schrift  erwnclis  Kant  aus 
einer  Erscheinung^,  welche  ihrer  Zeit  ein  ungewöhnliches  Aufsehen 
hervorrief.  Man  sieht  im  und  am  sogenannten  Aufklärongszeitalter 
gewöhnlich  mehr  das  Licht,  welches  gebracht,  als  die  Finsternis, 
welche  verjag-t  wurde.  l^iV  Voraussptzung:  drr  Aufkläning-  der  Geister 
ist  aber  otfenbar  die  Dunkelheit  derselben  mid  wenn  man  nicht  be- 
denkt, dass  gerade  im  Zeitalter  der  Aufklärung  die  3felirzahl  der 
Zeitgenossen  sieh  noch  in  geistii^er  Nacht  befand  —  waren  doch  erst 
kura  vorher  die  letzten  Hexen  verbraunt  — ,  so  würde  es  iinprkläj-lieh 
seiu,  warum  <rerade  in  diesem  Zeitalter  zwei  der  är«^sten  <ieisterselier 
an  ihrem  zahlreichen  und  gläubigstauueuden  Publicum  den  Satz:  „Die 
Welt  will  betrogen  sein"  —  wieder  einmal  zur  Wahrheit  machen 
konnten.  Es  war  der  im  Jahre  1743  zu  Palermo  geborene  Abenteurer 
Giuseppe  Palsamo.  der  unter  dem  Namen  eines  Grafen  Cagliostro  als 
Geisterbeschwörer  ziiiiittl  die  vornehme  Welt  Kuropas  in  starrende 
Bewunderung  versetzte.  In  Rom  als  Freimaurer  zu  lebenslänglichem 
Kerker  verurtheilt,  starb  er  im  Jahre  1795  im  Fort  S.  Leon.  Sein  Thun 
nnd  Träbm  gab  Schüler  doi  Anstoft  zu  seinem  nnrollendelffli 
Bernau  „Der  Geisterseher^  und  Goethe  den  Stc^  au  seinem  Schau- 
spiele:  „Der  Großcophta."  Aheat  der  ».Erzgeisterseher  und  Erzphantasf* 
war  diesmal  kein  feuriger  Südländer,  sondern  ein  Mann  des  kflhien 
Nordens,  Emannel  von  Swedenborg,  der  im  Jahre  1688  zu  Stock- 
holm als  der  Sohn  eines  Bischof  von  WestgotUand  geboren  wurde 
und  bis  xum  Jahre  1772  lebte.  Es  muss  gleich  Yorausgeschiekt  werden, 
dass  Swedenborg  sich  darin  durchaus  zu  seinen  Gunsten  von  Cagliostro 
unterschied,  dass  letzterer  ein  abgrfeimter  Schwindler,  ersterer  dagegen 
ein  im  guten  Glauben  sich  selbst  betr&gender  Schwärmer  war,  dessen 
sittlicher  Charakter  im  übrigen  unanfechtbar  ist  Nachdem  er  sich 
in  seiner  Jagend  dem  Studium  der  Mechanik  und  Physik  gewidmet 
hatte,  wurde  er  im  Jahre  1716  beim  schwedischen  Bergwerkscollegium 
als  Assessor  angestellt.  Als  sich  aber  das  Täterliche  Erbt  heil  des 
theologischen  Sinnes  immer  stärker  in  ihm  regte,  gab  er  sein  Amt 
auf,  um  sich  ganz  seinen  theologischen  Grübeleien  in  die  Arme  werfen 
zu  können.  Diese  brachten  ihn  bald  zu  dem  Glauben,  dass  er  in 
ununterbrochenem,  innig:em  Verkehie  mit  Geistem  stehe,  welche  ihm 
fib^r  <lie  verb(n'j,'('nsten  (Geheimnisse  des  Jenseits  und  Diesseits  die 

zuverlässigsten  Aufschlüsse  gäben.   In  seinen  Werken  veröffentlichte 

5* 


Digitized  by  Google 


—   70  — 

er  diese  Nachiichten  aus  der  Geisterwelt  und  erwarb  flieh  damit  eine 
große  Anhängerschaft  Die  Swedenborgianer  bildeten  sogar  eine 
religiöse  Secte,  welche  noch  heute,  besonders  in  England  und  Amerika» 
Bestand  hat. 

Haaptsächlich  drei  Gescliichten,  welche  über  Swedenborg  im  Um- 
lauf waren,  riefen  das  lebhafteste  Interesse  des  Publicoms  wach.  In 
Stockholm  war  der  holländische  Gesandte,  ein  Herr  von  Marterille, 
gestorben.  Ein  Goldschmied,  namens  Oon,  überreichte  der  Witwe 
eine  Kechnung  über  ein  geliefertes  Silbersei'vice.  Die  iran.  welche 
die  Pünktlichkeit  ihit-  Mannes  in  Geldangelegenheiten  kannte,  war 
fest  überzeng't,  daKs  die  Forderung  des  Goldschmieds  längst  befrlirhen 
war;  iiiiirsveii  konnte  die  C,>uittuT)'^  nicht  aufweisen.  In  ihrer  \  er- 
iegeülieit,  lia  eis  sicb  um  eine  l>edeuteude  Summe  handelte,  wendet  sie 
sich  an  Swedenborg  mit  der  Bitte,  bei  seinen  Geistern  darüber  Xacli- 
forschnng  anzustellen,  und  dieser  theilt  ihr  schon  nach  wenigen  Tagen 
mit,  dass  der  von  ihm  befragte  Geist  ilirt.^  Alaune»  ein  geheimes  Fach 
eines  Schrankes  in  einem  Zimmer  des  oberen  Stocks  als  den  Ort  be- 
zeichnet habe,  wo  die  Quittung  eingeschlossen  liege.  Alles  fand  sich 
so,  wie  Swedenborg  es  beschrieben  hatte,  und  der  Betrüger  konnte 
heaehämt  und  abgefertigt  werden.  Die  Königin  yon  Schweden,  welche 
Ton  der  G«schickfte  hörte,  berief  Sw6denb<«g  m  sieh  und  legte  ihm 
eine  Frage  tot»  wekhe  wter  den  Lebenden  Bienaiid  außer  ihr  beant- 
irorteii  konnte.  Swedenborg  erhielt  tos  seinen  Oeisteni  die  richtige 
Antwort  nnd  brachte  sie  der  stannenden  Königin.  Ak  Swedenborgf 
von  liondon  kommend,  in  Gotheaborg  gehAdet  war,  folgte  er  der 
Binladnng  eines  ihm  befrenndeten  Eanfmannes  zn  einer  AbendgeseU-* 
schalt  In  derselben  gevftth  er  ^(Madich  in  heftige  Erregung  nnd 
meldet  den  Anwesenden,  ^e  ihn  bestfirst  um  die  Ursache  seiner  Yer- 
indenmg  befragen,  dass  hi  (dem  60  Meilen  entfernten)  Stockhohn 
soeben  eine  Feuersbrunst  ausgebrochen  sei.  Er  beschreibt  den  Fort- 
gang des  Brandes,  der  den  ganzen  Stadtthett  Sildennefan  in  Asche 
lege  nnd  —  seine  Mittheilungen  werden  zwei  Tage  später  durch 
einen  von  Stockholm  kommenden  Courier  bestätigt. 

Bei  dem  Aufsehen,  welches  jene  Visionen  Swe<lenborgs  hervor- 
riefen, konnte  es  nicht  ausbleiben,  dass  Kant,  der  damals  schon  be- 
rühmte Philosoph,  von  seinen  Freunden  um  seine  Meinung  über  diese 
seltsamen  Vorgange  befragt  wurde.  In  einem  Briefe  an  Fräulein 
Charlotte  von  Knobloch  berichtet  er  dieser  Dame  die  obigen  Ge- 
schichten, wie  er  sie  gehört  habe,  ohne  ein  ml  gütiges  IMheil  darüber 
zu  fiUlen.   „Ich  warte'S  schreibt  er,  „mit  behusucht  aoi  das  Bach, 


i^iyui<-cd  by  Google 


—  71  — 


da»  Swedenborg  in  London  herausgeben  will.  Es  sind  aUe  Anstalten 
gemacht,  dass  ieli  so  bald  bekomme,  als  es  die  Presse  Terlassfla 
haben  wird.''  £r  gibt  endlich  sieben  Pfand  Sterling  für  die  Werke 
Swedenborgs  aas,  liest  sie  nnd  schreibt,  um  das  Drängen  seiner 
Freunde  zu  stillen,  im  Jahre  1766  jenes  Schriftchen,  in  dem  sich 
heiterster  Humor  und  durdidring'ender  Scharfsinn  g-egenseiti":  über- 
bieten. Ein  Vorbericht,  der  sehr  wenig  für  die  Ausführung  ver- 
spricht, sagt  uns  gleich,  was  wir  in  dem  Büchlein  zu  erwarten 
haben:  „Da  es  ebensowol",  schreibt  Kant,  „ein  dummes  Vorortheil 
ist,  von  vielem,  das  mit  einigem  Schein  der  Wahrheit  erzählt  wird, 
ohne  Gnind  nichts  zu  ghiubeu,  lals  von  dem,  was  das  gemeine 
Gerücht  sagt,  oiiue  PHifnng  alles  zn  glauben,  so  ließ  sich  der  Ver- 
fasser dieser  Schrift,  um  dem  ersten  Vorurtheil  auszuweichen,  zum  Theil 
von  dem  letzteren  fortschleppen.  Er  bekennt  mit  einer  gewissen  De- 
müthigung.  dass  er  so  treuherzig  war,  der  Wahrheit  einiger  Er- 
zählungen von  der  erwähnten  Art  nachzuspüi'eu.    Er  fand  —  

wie  gemeiniglich,  wo  man  nichts  zu  suchen  hat  — •  er  fand 

aklits.  Nun  ist  dieses  ^wol  an  sich  selbst  schon  eine  hinlängliche 
ürsaehe,  etn  Buch  m  Bchretben;  allein  es  kam  noeh  da^nige  hlnzo, 
was  beaeheldenett  Yerfossern  schon  metannalen  Bflcber  abg ednmgen 
liAt,  das  nngestttme  Anhalten  bekannter  und  unbekannter  Freonde. 
Überdem  war  ein  groftes  Werk  gekauft,  und  welches  noch  seUfanmer 
ist,  gelesen  worden,  nnd  diese  Mflhe  sollte  nicht  Terloren  stin.  Daraas 
entstand  ntin  die  gegenwärtige  Abhandlung,  welche,  wie  man  sich 
schmeichelt,  den  Leser  nach  der  Beschaffenheit  der  Sache  völlig 
befriedigen  soll,  indem  er  das  Tomefaxuste  nicht  verstehen,  das  andere 
nicht  glanben,  das  übrige  aber  belachen  wird.** 

m. 

Die  Theorie  der  Geisterseherei 

Um  zunächst  die  Theorie  Swedenborgs  kennen  zu  lernen,  machen 
wir  „die  ekstatische  Reise  ein^  Schwärmers  durch  die  Geisterwelt" 
mit.  Kant  wird  dabei  unser  Führer  sein;  manche  sarkastische  An- 
merkung hei  s^-in*'!!  Erklärungen  werden  wir  ihm  allerdings  zugute 
halten  müssen,  \\tnn  '^iele  Schriftsteller,  meint  Kant,  darin  (rroßes 
geleistet  haben,  dass  sie  bei  der  Ausar))eitting  ihrer  Werke  ihren 
Verstand  nicht  anwendeten ,  so  hat  Swedenborg  in  dieser  Bexi' huu^r 
jedenfalls  da?  Größte  gclnisirt.  Ariost  erzählt.  |in  der  Mondeuwelt 
standen  Flaschen,  angefüllt  mit  der  Vernunft,  welche  manche  Mensclien 
auf  der  Erde  verloren  haben;  wenn  dem  so  ist,  meint  Kant,  so  ist 


Digrtized  by  Google 


—   72  — 


Swedenborgs  Flasche  jedenfalls  ganz  voll.  In  fleckigen  Marmor  und 
Tropfsteingebilde  kann  man  alles  Mnp^liche  liineinphantasireB ;  aber 
man  erblickt  darin  nur  die  Phantasien,  welche  man  selbst  schon  im 
Kopfe  trug.  So  hat  auch  Swedenborg  nur  die  Phantasien  geschaut, 
welche  bereits  in  seinem  Kopfe  spukten.  Seine  Werke  bilden  acht 
Quartbände  —  „voll  ünsinn".  Al)er  Kaut  will  „die  Quintessenz  des 
Buches  nur  auf  weni^ti  Tropfen  luuigen*';  der  Leser  wird  ihm  dafür 
dankbar  nein,  wie  jener  fieberkranke  Patient  es  s»^inem  Ar/te  dankte, 
dass  er  ihm  nur  die  Rinde  vom  Cliinabaum  zu  verschlucken  gebe, 
während  er  ihn  doch  leicht  hätte  zwingen  können,  den  ganzen  Baum 
aufzuessen. 

Seine  Gesichte  tlieilt  Swedenborg  in  drei  Classen  ein:  erstens 
in  solche,  welche  er  hatte,  als  er  vom  Körper  befreit  war,  d.  h.  sich 
in  einem  Znstande  zwischen  Schlafen  und  Wachen  befand  und  in  die- 
sem die  Geister  nidit  blos  sab  und  hörte,  sondern  sogar  ftthlte; 
zweitens  in  solche,  die  er  Iiatte,  als  er  vom  Geiste  entfOhrt  wnrde; 
in  diesem  Zustande  geht  er  s.  B.  anf  der  Straße,  ohne  sieh  über  seinen 
Weg  sn  irren,  sieht  aber  gleichwol  im  Geeiste  ganz  andere,  ferne, 
fremde  (Segenden,  Menschen  nnd  Ereignisse,  als  sich  in  seiner  unmit- 
telbaren NShe  finden;  drittens  in  solche,  die  er  täglich  im  Wachen 
hat,  wo  er  die  Geister  in  ihrem  Thnn  nnd  Treiben  fortwährend  schant 
nnd  beobachtet 

Wie  kommt  es  aber,  dass  allein  Swedenborg  von  diesen  Gesichten 
heimgesucht  wird,  während  doch  andere  Menschen  nichts  davon  vez^ 
spüren?  Diese  Frage  beantwortet  seine  Theorie.  Nach  dieser  stehen 
alle  Menschenseelen  als  Geister  mit  dem  gesammten  Geisterreiche  in 
Yerbindnng,  wie  umgekehrt  dies^  mit  d&i  Menschenseelen,  und  diese 
letzteren  werden  in  all  ihrem  Thnn  und  Denken  fortgesetzt  von  den 
Geistern  beeinflusst,  wie  andererseits  die  Geister  in  ihrem  Denken 
nnd  Handeln  auch  von  den  Menschen.  Aber  beide  Theile  wissen 
davon  gar  nichts.  Die  Menschen  glauben  alles  nur  aus  sich  und 
ihrem  eigenen  Antriebe  zu  vollbringen,  und  die  Geister  befinden  sich 
in  demselben  W  ahne.  Diese  T^nkenntnis  ihres  wahren  Zustandes  auf 
beiden  Seiten  hat  s^mpn  Grund  darin,  dass  das  Innerste  der  Men- 
schen nicht  aufgetliiin  ist.  Das  Innerste  der  Menschen  ist  dunkel 
und  verworren;  so  vennogeu  die  Mensclien  nicht,  die  Geister  zu 
schauen.  Und  die  Geister  können  nichts  in  de«  Mensclien  schauen, 
weil  in  der  Menschenseele  alles  dunkel  ist.  So  wissen  beide  nichts 
von  einander,  obgleich  beide  tortgesetzt  in  Wechsehviikung  stehen. 
Anders  aber  gestaltet  sich  das  Verhältnis  bei  Swedenborg. 


Digitized  by  Google 


—  73  — 


Er  ist  vom  Himmel  als  der  einzige  unter  allen  in  besonderer  Weise 
besrim'Iet,:  «ei?i  Innerstes  ist  anftrethan.  So  schaut  er  in  seiner  Seele, 
wie  tiie  Ueisler  auf  dieselbe  einwirken,  d,  h.  er  schaut  in  ilir  lif- 
Geister  selbst.  Und  umgekehrt:  da  seine  Seele  hell  und  klar  ist,  so 
vermögen  auch  die  Geister  in  ihr  alles  Menschliche  und  Weltliche  zu 
sehen  und  zu  lesen;  sie  sind  daher  ebenso  begierig,  in  der  Seele 
Swedenborprs,  der  also  nach  heutigem  spiritistischen  Ausdrucke  ein 
Mediuia  ist,  die  Geheimnisse  der  Menschenwelt  zu  entdecken,  als  er, 
von  ihnen  sich  die  Käthsel  des  Geisterreichs  lösen  zu  lassen. 

Warum  aber  schauen  die  Geister  die  Welt,  und  die  Menschen 
die  Geister  nidit  nnmittelbar  an?  Warum  mOssen  die  Geister  erst  in 
den  Seelen  der  Menschen  und  dnrcb  diesdben  sich  Beldurang  veiv 
schaifen?  Und  wamm  kann  ein  Mensch,  wenn  er  wie  Swedenbotg 
erleachtet  ist,  die  G^ter  auch  nnr  in  dem  Innersten  seiner  Seele 
schanen?  Die  Geister  sind  immateriell,  die  Welt  ist  materiell; 
beide  Ulden  zwei  Gegenefttee,  welche  sich  vOUig  ausschließen  und 
zwischen  denen  keine  unmittelbare  Verbindang  stattfindet  Der  Mensch 
aber  steht  in  der  Mitte  als  ein  Mittleres  nnd  daher  als  Yeimittler, 
insofern  er  seinem  Körper  nach  der  materiellai  Welt,  seiner  Seele 
nach  der  immateriellen  Geisterwelt  angehört  So  ist  es  klar,  dass 
kein  Mensch  mit  seinen  materiellen  Augen  die  Geister  sehen  kann, 
sondern  sie  nnr  innerlich,  seetisch  zu  schauen  vermag.  Und  ebenso 
leuchtet  es  ein,  dass  die  Geister  nicht  materiell  erscheinen  und  die 
materielle  Welt  unmittelbar  wahrnehmen  können,  dass  sie  vielmehr 
nnr  in  den  menschlichen  Seelen  durch  ihre  Einwii*kungen  auf  dieselben 
sich  den  Menschen  olFenbaren  und  alles  Weltliche  auch  nur  durch 
das  Medium  der  menschlichen  Seelen  erfahren  können,  natttrlirli  mich 
nur  dann,  wenn  eine  Menschenseele,  wie  die  Swedenborgs,  in  ihrem 
Innersten  aufiorethan  ist.  Und  gleichwol,  so  erklärt  Swedenborg  weiter, 
koanen  die  Geister  in  den  Menschenseelen  nicht  in  ihrer  ureigensten 
Wesensfoni)  ftscheinen,  sondern  auch  nur  in  solchen  Formen,  weiche 
der  Mens  heil seele  ei«:enthümlich  und  geläufig  sind.  So  haben  die 
Geister  an  sich  nicht  etwa  Menschengestalt  oder  reden  eine  mensch- 
liche Sprache  oder  wohnen  in  materiellen  iiaunieu,  und  doch  erschei- 
nen sie  in  Swedenborgs  Seele  in  Menschengrestalt,  unterhalten  sich  mit 
ihm  in  schwedischer  Sprache,  und  er  schaut  sie  wandelnd  üi  Gärten, 
Arcadeu  und  Gallerien  als  iu  ihren  Wohnsitzen,  obgleich  sie  deren 
an  sich  doch  nicht  innehaben. 

Jede  menschliche  Seele  nimmt  schon  bei  Lebz^ten  des  Körpers, 
wie  jeder  Geist,  einen  genau  bestimmten  Fiats  in  der  Geisterwelt  ein, 


Digitized  by  Gc) 


74  — 


nng-eaciitet  die  Menschen  von  dieser  ihi>  i-  '^omeinschaft  mit  der  Geister- 
welt nichts  %vissen.  Damit  ist  aber  nii  ht  i:  -  s  igt.  das5  Menschen,  welche 
auf  Erden  unmittelbar  7ii?jammen  leben ,  deshalb  auch  in  der  (Tt-)>irr- 
wt'it  Nachbarn  wären.  Dort  köimeu  sie  J^ich  vielmehr  f2:anz  lern  J?teheii. 
denn  nicht  auf  räumliche  Verhältnisse  k  unrnt  es  im  Ileiche  des  Tni- 
materieUen  an,  welche  auf  dasselbe  ulierhaiipi  keinen  Bezner  lial»en, 
viehnehr  ledigrlich  auf  die  innere  Verwandtschaft  der  Seelen.  Die  sich 
hier  räumlich  nahe  stehen,  kuunen  sich  dort  ganz  fem  sein,  während 
ein  Bewohner  Indiens,  wenn  er  mir  nur  seelenverwandt  ist,  dort  mein 
Nachbar  ist  Innere  Seeleiiihnlichkeit  wird  dort  wie  rftamliche  Nähe, 
geistige  YenehkdeiilMit  wie  rftnmlidie  Feno  emptmAea.  Welcben 
bestimmteii  Plitz  dne  Seele  in  der  Geisterwelt  eimümmt,  das  erkeimt 
sie  erst,  wenn  sie  im  Tode  ihren  sterblichen  Leü)  verlassen  hat 

Aach  der  Verkehr  der  Geister  untereinander  ist  ein  rein  geisti* 
ger  und  immaterieller.  Die  Geister  schnuen  und  lesen  ohne  stoffliche 
Organe  oder  stoffliche  Yennittehingswege  alle  ihre  Vorstelhmgen  un- 
mittelbar ineinander.  Ein  Geist  braucht  a.  R  nur  in  dem  GedAcht- 
nisae  eines  vom  Satnzn  staaunenden  anderen  Geistes  in  lesen,  um 
sieh  über  die,  auf  jenem  Qegtam  herrschenden  Verhiltnisse  m  nnter- 
richten,  als  wäre  er  selbst  dagewesen. 

Immer  diejenigen  Geiste,  welche  durch  ihre  innere  Sedenm- 
wandtschaft  sich  nahe  stehen,  bilden  eine  relativ  in  sich  abgeschlo.^^f^ene 
Gruppe  oder  Gesellschaft,  nnd  zwar  erscheint  eine  solche  Oesellschaft 
Swedenborg  äußerlich  untei  der  Gestalt  eines  menschlichen  Organis- 
mus; die  einzelnen  Geister  bilden  p^ewissermaßcn  die  Glieder,  welche 
den  Geistergesellschaftsleib  zusammensetzen.  Alle  diese  einzelnen,  aus 
Einzelgeistern  liestelienden.  geisterhaften  Menschengestalten  setzen  sich 
abni-  wif'denim  zu  einer  einzigen,  unendlich  riesenhaften  Gesammt- 
g«  i>t(  riiirM^i  h,  norestalt,  zu  dem  _[?r>ilUHn  Menschen**  zusammen,  in 
weichem  jede  Alenschenseele  und  jeder  (reist,  wie  etwa  jeder  Stein  in 
einem  riesigen  Thnrme,  ihren  festen  umi  unverrückbaren  Platz  ein- 
nimmt, „eine  ungeheure  und  riesenmäLUge  Phantasie**,  meint  Kant, 
r.za  welcher  sich  vielleicht  eine  alte  kindische  Vorstellung  ausgedehnt 
hat.  wenn  etwa  in  Schulen,  um  dem  (Gedächtnis  zu  Hilfe  zu  kommen, 
ein  ganzer  ^^"clttheiI  unter  dem  Bilde  einer  sitzenden  Juiigirau  und 
dergleichen  den  Lelirlingeu  vorgemalt  wird." 

Das  ist  in  der  Kürze  die  Theorie  Swedenborgs,  and  ich  mfe  aiit 
£ant:  „Ich  bin  es  mtde,  die  wildai  Himgesphiste  des  ärgsten  Schwiiv 
mers  nnter  allen  an  eopiren,  oder  solche  bis  za  seinen  Beschreibungen 
^m  Znstande  nach  dem  Tode  fortansetaen."  Kant  hat  aber  dabei 


Digitized  by  Google 


noch  eine  andere  und  sehr  berechtigto  Bedenklielikeit  „Denn'*,  sagt 
er,  „obgleicli  ein  Natnrsanmiler  unter  den  piftpaiirten  Stücken  thie- 
rischer Zeugnngen  nicht  nnr  Mdcbe,  die  in  natfliUdier  Form  gebildet 
gind,  sondern  anch  Hissgeburten  in  seinem  Schranke  au&tellt,  so  mxm 

er  doch  behutsam  sein,  sie  nicht  jedermann  und  gar  zu  deutlich  sehen 
zn  lassen.  Denn  es  könnten  nnter  den  Vorwitzigen  leichtlich  schwangere 
Personen  sein,  bei  denen  es  einen  schlimmen  Eindruck  machen  dürfte. 
Und  da  bei  meinen  Lesern  einige  in  Ansehung  der  idealen  Empfängnis 
ebenso wol  in  anderen  Umständen  sein  mögen,  so  würde  es  mir  leid 
thun,  wenn  sie  sich  hier  etwa  woran  sollten  versehen  haben.  In- 
dessen, weil  icli  sie  doch  gleich  anfang's  grewarnet  habe,  so  st*'!if'  ich 
für  nichts,  und  hoffe,  man  werde  mir  die  Afonrlkälber  nicht  aufbürden, 
die  bei  dieser  Veranlassung  von  ihrer  ü'uchtbaren  Einbildungskraft 
mdehten  gebor*' n  wrnlon." 

Kant«?  Kritik  dvi  dt  istei  st  hcrt  i  zei  tallt  der  Haui>lsai  he  nach  in 
drei  Theile.  Zuerst  stellt  er  sicli  viillijjr  auf  den  dog-matischen  Stand- 
punkt, welcher  das  Bestellen  einer  Gemeiuschalt  zwischen  Geisterreich 
und  Menschenwelt  als  sicher  bewiesen  annimmt,  und  entwickelt  die 
Conse(iLiL'iizen,  die  aus  einer  solchen  Gemeinschaft  eiitspiinsren  müss- 
ten.  Diese  Consequenzen  erweisen  sich  aber  am  Ende  als  Ungeheuer- 
bchkeiten,  welche  gegen  die  dogmatischen  Begriffe  einer  weisen  und 
göttlichen  Weltregiemng  selbst  Terstoßen,  so  dass  damit  die  Annahme 
einer  sdcfaeii  Gemeinschalb  sieh  als  mgereimt  herausstellt  (Bednctio 
ad  absoninm}.  Nnn  erst  wendet  Kant  sveitens  seine  eigenthfimliche 
kritisehe  Methode  an;  er  nntersneht  den  Begriff  eines  Golstes  nnd 
-wiift  die  Frage  anf ,  was  wir  thatsftchlicfa  von  dem  Wesen  eines 
Geistes  wissen  md  wissen  können.  Unser  wirkliches  Wissen  —  so 
lautet  das  Ergebnis  der  Untersuchung  ist  nnd  bleibt  hier  gleich 
Null,  80  dass  damit  die  vorher  noch  beibehaltenen  dogmatischen  An- 
nahmen ttber  das  Wesen  der  Geister  sieh  nunmehr  anch  als  inhalts- 
leer erweisen.  Endlich  aber  drittens  weist  Kant  nach,  dass  man 
inr  Erklftmng  der  Geisterseherei  ttberhanpt  gar  nicht  einmal  nöthig 
habe,  die  objective  Existenz  von  Geistern  anzunehmen,  dass  vielradir 
die  thatsächlich  vorkommende  Geisterseherei  sich  aus  rein  subjectiven, 
physiologischen  und  psychologischen  Zuständen  des  geistersehenden 
Individuums  ableiten  lasse,  womit  die  Geisterseherei  als  eine  ])sycho- 
logische  Thatsache  lediglich  aus  immanenten  Gründen  ihre  natürlich© 
Erklärung  findet,  ohne  dass  man  zu  <?eheinmisvollen  Einflüssen  räthsel- 
hafter,  transscendenter  Wesen  zu  greifen  braucht. 


Digitized  by  Google 


—   76  — 


IV. 

Die  dogfiDatische  Widerlegung  der  Geister  seh  er  ei 

Den  Nachweis  der  Ungereimtheit  der  Geiüiterseherei  vom  dogma- 
tischen Stanilpuiikt  aus  enthält  der  Abschnitt,  welcher  die  Uberschrift 
trägt:  ^Ein  Fragment  der  geheimen  riiilosophie,  die  Gemeinschaft 
mit  der  Geisterwelt  zu  eröflftien." 

Ximmt  man  eioinal  das  Dasein  einer  alles  umfassenden  Geister- 
welt an,  so  ist  es  nicht  nothwendig  geboten,  die  Theilnahme  an  der- 
selben nur  auf  die  Seelen  der  Menschen  zu  beschranken;  vitlmthr 
stellt  sicli  nichts  der  Wahrscheinlichkeit  eni^^egen,  dass  in  dieser 
Geisterwelt  das  Geistige  aller  beseelten  Wesen,  also  auch  der  Thiere 
und  Pflanzen  enthalten  ist.  Ei*st  unter  diesem  Gesichtspunkt  erweitert 
sich  der  Begriff  eines  Geisterreiclis  za  einer  wahrhaft  einheitlichen 
Gemeinschaft  aller  Geister. 

Wo  aber  befindet  sich  diese  Geisterwelt?  Man  sagt,  im  Himmel, 
und  pflegt  dabei  in  Gedanken  diesen  Himmel  länmlich  über  sich  zu 
verlegen;  dieser  volksthtimlichen  Vorstellung  liegt  indessen  eine  ganz 
falsche  Annahme  zu  Grunde.  „W^enn  man",  sagt  Kant,  „von  dem 
Hünmel  als  dem  Sitze  der  Seligen  redet,  so  setzt  die  gemeine  Vor- 
steilluiig  ihn  gerne  Uber  sich,  hoch  in  dem  nnenneBslichen  Welträume. 
Um  bedenket  aber  nicht,  dass  unsere  Erde,  ans  diesen  Gegenden 
gesehen,  anch  ab  einer  von  den  Sternen  des  Himmels  erscheine,  nnd 
dass  die  Bewohner  anderer  Welten  mit  ebenso  gutem  Grunde  nach 
uns  hinzeigen  können,  und  sagen:  Sehet  da  den  Wohnplatz  ewiger 
EVeuden  und  einen  himmlischen  Aufenthalt,  welcher  zubereitet  Ist, 
uns  dereinst  zu  empfongen.  Ein  wunderlicher  Wahn  n&mlich  macht, 
dass  der  hohe  Flog,  den  die  Holltanng  nimmt,  immer  mit  dem  Begriffe 
des  Steigens  verbunden  ist,  ohne  zu  bedenken,  dass,  so  hoch  man  auch 
gestiegen  ist,  doch  auch  wieder  sinken  müsse,  um  allenfkUs  in  einer 
andern  Welt  festen  Fnß  zu  bissen.  Nach  den  angeführten  Begriffen 
aber  wfirde  der  Himmel  eigentlich  die  Gleisterwelt  sein,  oder,  wenn 
man  will,  der  selige  Theil  derselben,  und  diese  würde  man  weder 
über  sich  noch  unter  sich  zu  suchen  haben,  weil  ein  solches  immate- 
rielles Ganze  nicht  nach  den  Entfernungen  oder  Nahheiten  gegen 
körperliche  Dinge,  sondern  in  geistigen  Verknüpfungen  seiner  Theile 
untereinander  vorgestellt  werden  muss,  wenigstens  die  Glieder  der- 
selben sich  nur  nach  solchen  YerhiUtnissen  ihrer  selbst  bewusst  sind.** 
Mit  einem  Worte,  die  Verhältnisse  und  Beziehungen  eines  materiellen 


Digrtized  by  Google 


—    77  — 

Baumes  darf  man  auf  das  Greistonreißh,  welches  als  ünmaterieU  allen 
Bestimmnngep  des  Stofflichen  entnommen  ist,  dnreliaiiB  nicht  ttbei^ 
tragen. 

Ist  denn  aber  ttberhaiipt  die  Existenz  einer  Geisterwelt  sicher 
bewiesen?  DarauSt  dass  wir  denken,  sie  existire,  folgt  nocli  nicht» 
dass  sie  existirt.  Auch  ist  der  Gedanke  der  Existenz  eines  Geister- 
reichs für  die  Menschen  keineswegs  ein  absolut  nothwendiger  Gedanke, 
den  jeder  vne  eine  angeborene  Idee  an  verlierbar  haben  müsste,  denn 
Tiele  Menschen  hegen  den  Glauben  an  das  Dasein  einer  solchen  Geister^ 
weit  gar  nicht.  Aber  wäre  diese  Idee  auch  eine  für  alle  Menschen 
noch  so  nothwendige  —  die  Existenz  eines  dieser  Idee  entsprechenden 
Seins  wäre  auch  damit  noch  nicht  bewiesen.  Nothwendiges  Denken 
und  nothwf'Tidi^res  Sein  außerlialb  des  Denkens  decken  sich  keines- 
wegrs.  \\'enn  ich  mii'  in  meiner  Phantasie  auch  noch  so  deutlich  einen 
Engel  vorsteile,  so  folgt,  daraus  noch  nicht,  dass  auch  außerhalb 
meiner  Phantasie  ein  wirklicher  Kno-el  existirt.  sowenig  wie  die 
Existenz  t  iiies  Ceiuaincn  oder  einer  Sphinx  an<  dem  «redachten  Be- 
frritfV  Jri>elben  sich  er^iltt.  Aus  dem  bh^Üen  Gedankenbild  einer 
Geisterwelt  ist  das  Dasein  derselben  also  in  keiner  Weise  schon  zu 
erschUeßen.  Die  thatsäcliliche  Existenz  einer  (reisterwelt  ließe  sich 
nur  aus  der  unmittelbaren  Anschauung  und  Erlahrun;:^  derselben 
beweisen,  und  so  nuiss  demnach  die  Frage  aufgeworfen  werden: 
Gibt  es  Erfahrung-sbeweise  für  das  Dasein  einer  Geisterwelt 
und  für  das  Bestehen  einer  Gemeinschaft  zwischen  Geisterreich  und 
Menschenwelt  ? 

Sichere  Erfahrungsbeweise  wären  nui-  die,  durch  welche  jederzdt 
allen  Menschen  die  Existenz  der  Geister,  über  allen  ZweiM  erhaben, 
klar  nnd  deutlich  asur  Anschauung  gebracht  werden  könnte.  Die 
meisten  Kenschen  shid  aber  weit  davon  entfernt,  jemals  Geister  gesehen 
zu  haben  oder  zu  sehen.  Einige  Menschen  aber,  welche  behaupten, 
Gebtererscheinnngen  gehabt  zn  haben,  können  nicht  als  nnantastbare 
Er&hmngszeugen  gelten,  zomal  nachweisbar  so  h&nfig  Sinnestänschong 
nnd  Betrag  auf  diesem  Gebiete  'sich  geltend  macht  Wenn  alle  Men* 
sehen  fortwiHhrend  mit  der  Geisterwelt  in  Verbindung  stehen,  so  moss 
der  Umstand,  dass  die  Geisterseherd  nicht  eine  ganz  allgemeine  nnd 
gewöhnliche  Ertahrangsthatsache  ist,  sogar  sehr  befremden,  nnd,  wie 
Kant  sagt,  „das  Außerordentliche  betrifft  fast  mehr  die  Seltenheit  der 
Eischdnongen  als  die  Möglichkeit  derselben."  ErfahmngsbeweiBe  aus 
unmittelbarer  Anschanung  lassen  sich  also  nicht  erbringen,  und  Kant 
versucht  daher,  eiuige  eigenthümliche  Thataachen  aus  dem  Bereich 

m 


Digitized  by  Google 


—   78  — 


des  menschlichen  Denkens  und  Wollens  als  Beweise  philosphiseher. 
Art  für  das  Dasein  der  Geisterwelt  geltend  zn  machen. 

Es  tritt  uns  zunächst  eine  Thatsache  aus  der  Sphäre  des  mensch- 
lichen Verstandes  entgegeiL  Wenn  jemand  etwas  als  wahr  oder  als 
falsch  erkannt  hat,  so  gibt  er  sich  nicht  damit  zufrieden,  diese  iCr- 
kenntnis  nur  für  sich  still  im  Busen  zn  wahren;  vielmehr  waltet  in 
ihm  der  unwiderst^üiche  Trieb,  auch  anderen  seine  Gedanken  mitzu- 
theilen.  Es  ist  ihm  auch  nicht  gleichgiltig,  ^ie  andere  dieselben 
beurtheilen,  sondern  er  sucht  Zustimmung  und  wird  schmerzlich  im 
Innern  bewegt,  wenn  diese  ihm  verweijrert  wird.  Dies  zeigt  deutlich, 
dass  kein  einziger  Menschengeist  ein  für  sicli  allein  Selhststfindiges 
imi\  in  sich  Abgeschlos;senes  ist,  noch  dasH  er  sich  als  ein  solclies 
unabhängiges  Wesen  fühlt  —  \ielmehr  i<!t  er  ini'1  tTihlt  sich  abhänsrii? 
von  allen  übrigen  Menschens'eisteni.  '^n  sind  deiiinach  die  einzelnen 
Mensrhen sreifter  wol  nur  Theile  eines  ü»-i>!i^'en  (ranzen,  welches  wir 
als  den  allirenHM'nen  iiif  usclilichen  Verstand  bezeichnen  künuen. 
T^nd  wenn  nun  diese  Ertaluungsthatsache  die  Existenz  eines  allgemei- 
nen Zusammenhanji^s  aller  Menschen geister  walirscheinlich  macht,  sollte 
man  da  nicht  berechtigt  sein,  auf  einen  noch  weiter  gehenden  Zu- 
sammenhang aller  Geister  überhaupt,  d.  h.  auf  die  Existenz  einer 
Geisterwelt  schließen  zu  dürfen? 

Fast  noch  stärker  tritt  dieselbe  geistige  Thatsache  im  Gebiete 
des  sittlichen  Willens  und  des  Gewissens  hervor.  In  all  unserem 
moralischen  Thun  und  Lassen  fühlen  wir  uns  jederzeit  abhängig  von 
der  Billigung  und  Missbilligung  unserer  Mitmenschen.  Wer  hfttte  die 
eiserne  Stirn,  sich  aliein  als  das  einzige  Gesetz  der  Benrtheflnng  seiner 
Bondlnngea  anzosdien?  Jeder  fBrchtet  und  scheut  die  Stimme  der 
MenscheEwelt.  Der  Menschengeist  steht  mithin  im  moralischen  Ge- 
biete ebensowenig  wie  im  inteUectneUen  nnr  anf  sieh,  sondern  erweist 
sich  anch  hier  als  ein  abhängiges  Glied  in  der  Kette.  Aber  die  Hin- 
veismig^  anf  einen  Znsammenbang  mit  einer  jensdtigen  Geisterwelt  ^ 
scheint  gerade  im  sittlichen  Gebiete  noch  viel  dentlicher  heryonm-' 
treten  als  im  Felde  des  Verstandes.  Denn  hat  ein  Mensch  auch  in 
tiefeter  Terborgenheit,  ond  vOUig  sicher  vor  Entdeckong  durch  Men- 
scfaenwitz,  eine  schlechte  That  begangen  —  eine  fiirchtbare,  geheime 
Macht  in  seinem  Innern,  sein  Gewissen,  erhebt  gleiehwol,  laut  und 
nnerstickbar,  ihre  Stimme  und  spricht  ihr  Verdammnngsnrthefl  ans. 
Woher  dieser  Wehemf  Aber  ihn  in  seiner  tiefet^  Seele?  Dentet  ihr 
itthselhaftes  Wesen  nicht  anf  einen  geheimnisvollen  Ursprung,  ihre 
Geisterstimme  nicht  auf  eine  Geisterweit  hin,  welche  alles  sieht  ond 


9 

Digitized  by  Google 


—   79  — 


bSft»  und  deren  Einflüsse  kein  Menacb  sich  jemals  zu  entziehen  ver- 
mag?  Aus  der  Existenz  des  Gewissens  scheiiit  also  ein  hober  Wahr- 
scheinlichkeitsbeweis  für  das  Bestehen  einer  moralischen  Einheit 
aller  geistigea  Wesen,  einer  Gemeinschaft  xwiaclien  Geister-  mid 
HeBBchenwdt  zn  erwachsen. 

Ein  dritter  philosophischer  Beweis  für  das  Dasein  eines  Geister- 
reichs könnte  endlich  noch  in  dem  (Jmstande  gefunden  werden,  dass 
allein  dnrch  die  Annahme  desselben  jener  ungeheure  Widerspnich 
einen  Ausg'leifh  fände,  welcher  am  meisten  g:eeio:net  ist,  den  Zweifel 
an  der  Herrschaft  einer  gerechten,  moralischen  Weltordnung  zu  er- 
wecken. Tausendfach  zeigt  die  Erfahrung,  daSvS  der  Gute  in  diesem 
Lebeu  eine  Fülle  des  Leidens  7A\  erfragen  bat,  der  Böse  dagegen  im 
t'berfluss  des  Glückes  sehwinmiT.  Si  lilrsse  sich  an  diese  Menschen- 
welt als  (ii  len  Foilsetzüiig  t  ine  l-reisterwelt  an,  kunnte  in  dieser 
jene  Ungerechtigkeit  des  irdischen  Daseins  zum  Austrag  gebracht 
werden  und  als  Geist  jeder  den  gerechten  Lohn  oder  die  gerechte 
Su-afe  fmden.  Die  Gottheit  muss  aber  gerecht  sein  und  Gerechtigkeit 
üben;  in  diesem  Leben  otfenbart.  sich  die  gijttliche  (Terechtigkeit  viel- 
fach nicht.  So  muss  es  ein  Geisterleben  geben;  so  fordert  der  Be- 
grift'  eines  gerechten  Gottes  das  Dasein  eines  Geisterreichs  und  das 
Hineuiragtu  der  Menschenwelt  in  dieselbe. 

Ohne  Zweifel  würde  es  den  Hotfnungen  des  menschlichen  Ge- 
müthes  die  höchste  Befriedigung  gewähren,  wenn  derartige  Erör- 
terungen von  dem  Bechte  Gebrauch  machen  könnten,  strenge  nnd 
unangreifbare  Bewdae  m  Min,  Aber  Saat  Hlbet  beaeidinet  «e  ab 
Vennitbuigen  und  Verracbe»  die  „von  der  Efidens  ireit  genug  ent- 
ÜBrnt"  sind.  Jenes  geistige  ond  nnralische  Abbftngigkeitsgefihl  beweist 
thatsftehlioh  nnr  doi,  aneb  in  allen  Übrigen  menscUidien  Angelegen- 
heiten lierrortretendeo,  nnaerbrechbarenZnsanuncBhang  der  Menschen 
nnterainandsr,  der  sich  aber  ans  rein  immanenten  nnd  ganz  natOi^ 
liehen  Unaehen  sdion  TaUkommen  ableiten  UM,  nnd  an  dessen  Er^ 
kUrung  es  der  mystischen  Begxilfe  eines  «»aligemeinen  Menschen- 
geästea**  (der  doch  eben  nnr  ein  abstracter  Begriff  in  unserem  Denken 
ist,  da  in  Wirklichkeit  nnr  die  einzelnen  Mensefaen  nnd  Mensehen- 
gttster  existaren)  oder  gar  eines  i&bemat&rliicben  Zusammenhanges  mit 
ganz  anderen  als  menscUidien  Oeistern  nicht  bedai£  Was  aber  die 
Nothwendigkeit  eines  Ansgieichs  zwischen  den  menschlichoi  Handlungen 
nnd  einer  gerechten  Weltordnung  anbetrüft,  zo  Iftsst  sich  das  Bestehen 
dieser  absolut  gerechten  Weltordnnng  erfahrungsmäßig  bekanntlich  nicht 
beweisen,  wie  die  Existenz  des  Pessimismus  lehrt  und  seine  Theorie 


Digitized  by  Google 


—  80  — 


darlegt,  und  80  könnte  es  anch  wol  sein  (so  wenig  man  es  wünschen 
möchte),  dass  es  eine  gerechte  Weltordnung  überhaupt  gRv  nicht  gftbe 
und  also  ein  Aasgleich  thatsädüich  nie  zu  Stande  käme,  da  alles  nur 
nach  mechanischen  Ursachen  und  ohne  moralische  Zwecke  in  der  Welt 
geschähe.  Die  Hoffnungen  des  Menschengemüthes  würden  dadurch  zwar 
gfeknickt  und  zertreten;  was  kümmert  sicli  aber  der  Sturm  auf  dem 
Ocean  um  die  Me?ischenlierzeTi,  welche  in  dem  vou  ihm  zersehlag'eMeu 
Schitie  zittern  und  zagen,  bis  das  nasse  Grab  ihrem  Pochen  ein 
islnde  macht? 

Mit  den  dogmatischen,  empirischen  und  philosophischeTi  Re weisen 
für  die  Existenz  der  Geisterwelt  sieiit  es  also  in  \\'alii  li(  it  mi-;>]irh 
aus.  Die  Annahme  derselben  ist  also  lediglieh  Sache  des  «ilaabens. 
Setzen  wir  «gleich wol  voraus,  sowol  das  I)asein  der  Geisterwelt  als 
auch  ihre  <Ten)eii)schaft  mit  der  Menschenwelt  sei  bewiesen,  wie  wür- 
den sich  nun  die  »Deister  zu  der  mat*iriellen  Welt  und  den  Menschen, 
und  umgekehrt  die  Menschen  zu  den  Geistern  verhalten,  und  welche 
segensreichen  Folgen  würden  für  die  Menschen  aus  ihrem  Verhältnis 
zu  den  Geistern  entüpiingeu  ? 

Im  Sinne  der  dogmatischen  Lehre  von  Geist  und  Materie  ;au 
welelier  selbst  wir  jetzt  natürlich  keine  Kritik  zu  üben,  die  wir  viel- 
mehr, da  sie  die  Voraussetzung  der  geisterseherischen  Theorien  bildet, 
selbst  hier  nur  in  ihren  Consequenzen  zu  entwickehi  haben)  bilden  das 
'  ÜnstoffKche  ind  das  Stoffliche  zwei  sich  völlig  anascblieSende  Gegen- 
sätze, welclie  nicht  in  natürliche  Wecbselwjrknng  and  G^einschaft 
treten  können.  So  yermOgen  denn  auch  die  immateriellen  Geister  von  den 
materiellen  Dingen  der  Welt  nichts  wahrzunehmen  oder  anf  dieselben 
emznidrken,  ivie  umgekehrt  alles  HaterieUe  nicht  anf  die  Geister  zn 
wirk^  oder  von  ihnen  Einwiiknngen  zu  erleiden  yennag.  So  ständen 
denn  die  stoffliche  nnd  die  nnstoffliche  Welt  eigentlich  in  yöUiger 
Gldchgiltigkeit  nebeneinander,  wenn  nicht  der  Mensch  als  das  merk- 
wärdige  Mittelwesen  gescbalfen  wäre,  welches,  als  zogleich  körperlich 
und  seelisch,  Geist  nnd  Stoff  in  sich  znr  Einheit  yerhSnde  und  den 
Übergang  von  dem  einen  znm  anderen  darstellte:  in  seiner  Seele,  die 
gewissennafien  ein  Gemischtes  ist,  steht  der  Mensch  in  Verbindung 
mit  dem  Geistigen  und  dem  Körperlichen.  So  können  denn,  wie  bereits 
Swedenborgs  Theorie  entwickelte,  auch  nur  in  der  menschlichen  Seele 
und  durch  dieselbe  die  Geister  von  den  Dingen  d^  Welt  etwas  er- 
schauen und  auf  sie  und  durch  sie  hindurch  unter  Fmstäuden  jiuch 
auf  die  übrigen  Dinge  Einwirkungen  ausüben.  Nach  all  diesen  Vor* 
Aussetzungen  unterliegt  nun  aber  das  wechselseitige  Sichbeeinflossen 


Digitized  by  Google 


—   81  — 


zwischen  Geistern  und  Menschen  offenbar  der  Beschränkung:  dass  die 
Geister  alle  dictjenigen  Yorsteliangeii  in  der  menscMichen  Seele  nicht 
zu  erschauen  und  zn  verstehen  yermOgen,  \v  p1(  sich  auf  rein  ma- 
terielle Dinge  beziehen,  und  dass  omgekehrt  die  Menschenseele,  da  sie 
gemischter  Natur  und  gleichsam  nnrein  ist,  die  absolut  immateriellen 
Anschauungen  der  Geister  nicht  in  sich  aufzunehmen  vermag.  Die 
Gedanken  der  Geister  in  ihrer  vollen  Reinheit  und  Ursprünglichkeit, 
in  ihrer  %s'aliren  Gestalt  und  Bedeutung"  ■würde  der  Mensch  also  doch 
niemals  verstehen  können.  Die  Einwirkuns:  der  Geister  vermittelst 
ihrer  Gedanken  auf  die  menschliche  Seele  lässt  sich  also  nur  so 
fleiiken,  dass  die  reinen  immateriellen  Ideen  der  (icister  zwar  selbst 
nicht  in  die  Seele  eintreten,  dass  diese  Ideen  aber  verwandte,  nach 
menschlicher  Art  o-eniisrhte.  materiell -immaterielle  Phantasievorstel- 
lungen erwecken,  die  sich  zu  den  reinen  Ideen  der  Deister  wie  an- 
deutende Symbole  verhalten,  und  aus  denen  der  Mensch  nur  erst 
zu  errathen  und  zu  erschiielien  hat,  was  eigentlich  die  (Deister 
meinen  und  wollen.  Wie  z.  B.  die  Zeit  otlenbar  kein  Fluss  ist  und 
wir  sie  uns  doch  unter  dem  Symbol  eines  stetig  dahinrauscheuden 
Flusse^s  versinnbildlichen,  wie  also  die  i*eine  Idee  sich  hier  in  ein 
Bild  kleidet,  welches  uns  eine  Seite  des  Wesens  der  Zeit  zur  An- 
schauung, wenn  auch  nicht  zum  klaren  Besriiffe  bringt,  so  würden  in 
ähnlicher  Weise  die  Ideen  der  Geister  in  den  Meuschenseelen  bildliclie 
Vorstellungen  erregen,  welche,  wie  Umschreibungen  und  Einkleiduii<,^eu, 
ungefähr  das  aiisdrttcken,  was  die  Geister  den  Menschen  zum  Be- 
wBsstseia  bringen  wollen.  So  wttrde,  wenn  die  Gdster  in  unserer 
Sprache  zn  reden  scheinen,  dies  doch  nicht  ihre  wahre  Sprache  und 
nidit  das  wahre  Vehikel  ihrer  Gedanken  sein;  es  wflrde  nicht  ihre 
eigene  und  wahre  Gestalt  sein,  wenn  sie  der  Seele  in  Menschenform 
erschienen;  es  wQrde  nicht  das  wahre  Bild  der  Geisterwelt  sein,  wenn 
sich  die  Verhältnisse  derselben  als  herrliche  Garten,  Arcaden  und 
Gallerlen  darstellten.  Anders  Iflsst  sich  die  Weise  der  Mittheilnng 
von  Seiten  der  Geister  an  die  Menschen  nicht  denken,  nnd  als  der- 
artig stdlt  sie  ja  anch  Swedenborg  dar. 

Hier  sind  wir  aber  mit  Kant  an  den  Punkt  gelangt,  wo  die  ein- 
fhche  Frage:  was  non  wirklich  ErsprieAliches  fOr  den  Menschen  ans 
dieser  Art  yon  MittheÜungen  erwachsen  wflrde?  die  Sackgasse  sehoi 
Ifisst,  in  welche  die  Gdsterseherei  sich  verrennt.  Denn  es  leuchtet 
ohne  weiters  ein.  dass  unter  so  bewandten  Umständen  eine  klare 
nnd  deutliche  Erkenntnis  der  wirklichen  Verhältnisse  der 
Geisterwelt  niemals  gewonnen  werden  kann.  Denn  was  für 


Digitized  by  Google 


—   88  — 


Vorstelluiigen  infolpre  von  Geist^  rtMii Wirkungen  in  der  Meuchenseele 
auch  auftauchen  mögen,  es  sind  und  bleiben  doch  immer  nur  andeu- 
tende Symbole,  gewissermaßen  nur  Darstellungen  in  Bilder-  und 
Knotenschrift,  deren  wahren  8inn  wir  nicht  entzillern  können,  weil 
uns  der  Schlüssel  dazu.  d.  h.  der  reine  Sinn  für  das  wahrliaft  lin- 
matf'rielle  völlig  fehlt.  Was  hellen  uns  dcniniich  alle  jene  vieldeutigen 
Orakelsprüche  und  versiegelten  Offenbaiungen,  die  in  unsere  Seele 
hineintönen?  Xiemand  kann  uns  die  Gewfihr  treben,  dass  wir  die  rich- 
tig« Lösunc  L-'cliuiilni  liahen.  So  stHr/cn  sn-  ims  nur  in  rathli,»-)--. 
EÄthen,  lü  endloses  Zweil»'ln,  in  sichele  l  ugewi^vliMit  Liuein  und  ver- 
wirren die  Seele,  anstatt  >ie  zu  erlenebten.  Dinrli  lenirtis-e  Geisfer- 
einflüstei'ungen,  selbst  wenn  ihr  Vorkuunueii  bewiesen  wäre,  v.iid  aiso 
das  wahrhafte  Erkennen  und  sichere  Wissen  des  Mensi*hen  nicht  um 
eines  Haares  Breite  geftirdeit.  Und  wenn  wir  nun  unter  diesem  Ge- 
sich[si)Uiikte  der  Vermehrung  und  Erweiterung  des  menschlichen,  nach 
irgend  cinei  itiebuiiig  iiin  nützlichen  Wissens  die  Ergebnisse  der 
C-reisterseheri'i  untersuchen;  ^veun  wir  z.  B.  Swedenborgs  Werke  selbst 
darauf  hin  ansehen,  was  bieten  sie  uns  Fürdersames?  Kauts  Autwort 
lautet  zerschmetternd  genug:  Acht  Qnartanten  voll  Unsinn!  Und  wenn 
wir  etwa  den  modernen  Spiritismus  fragen,  welches  nur  irgendwie 
der  liflMehhflit  nichtige  and  neoe  Ergebnis  er  gelitfert  Übe?  Nicki 
eine  Tbetedie,  die  nmwre  Erkenntnis  oder  unsere  Moral  oder  nnsere 
materielle  Lebenslage  gefilrdert  lifttte,  ist  ans  Ihm  erwacfasent  nidit 
ein  geistreicher  Oedanke  ist  ans  diesem  Gedsterreicli  zu  nns  gelangt 
Entweder  oiBanharen  sich  jene  spixits  in  läppischen  Spielereien,  wie 
wenn  sie  einen  Abdruck  Ton  ihren  FnfisohieiL,  die  flbrigens  den 
menschlichen  vollkommen  gleichen,  pablieiren»  oder  in  grobem  Unfog, 
wie  wenn  sie  Tische  nnd  Stuhle  aerbrechen,  oder,  in  trivialen  Ant- 
worten aaf  triviale  Fragen.  Wenn  sie  etwas  Wtlidiges  vorbringen, 
sind  es  fast  immer  Ciftate  ans  der  Bibel;  mn  diese  sn  eriialten,  be* 
dürfen  wir  aber  offenbar  nicht  erst  der  Bnchstslnr-  ondSchreibAbmigen 
nnd  der  hftnligai  orthogrsphischen  Schnitzer  jener  sptrits.  Nichts, 
was  sich  nur  im  geringsten  einer  von  den  Menschen  auf  natürlichem 
Wege  im  Gebiete  der  Wissensdialt,  Ktmst  nnd  Technik  gemachten 
Entdeckung  an  die  Seite  steUen  liefie,  haben  uns  jene  spirit^^  verkün- 
det, und  wenn  wirklich  Geister,  nnd  nicht  blos  der  spiritistische 
Taschenspieler  in  solchen  Manifestationen  sich  enthüllten,  so  hätten 
wir  es  demnach  sicherlich  mit  Wesen  zu  thnn.  die  einerseits  keine 
reinen  Geister,  sondern  irgendwie  materielle  Wesen  wären,  anderer- 
seits aber  in  jeder  Hinsicht  ihrer  Beschaffenheit  nach  tief  unter  dem 


Digitized  by  Google 


—  83  — 


MensdieiL  stftndea,  imd  an  die  miai  sdne  kostbare  Zeit  nicht  ver- 
Bcbwenden  soUte.  Und  als  solehe  elende  Gdster  sollten  wir  uns  die 
TerUfirtan  Seelen  nnaerer  abgeschiedenen  Lieben  denken?  Ltotening, 
Lftstemng! 

Aber  nicht  nur  nützt  somit  diese  ganze  Geisterseherei  nichts,  es 
sei  denn  dem  betrBgerischen  BeschirOrar,  der  damit  Geld  yerdient  — 

sie  schadet  sogar  empifindlich  deiif'n,  welche  ihren  Qt&st  darauf  wen- 
den. Denn  ihre  Seelen  werden  in  Verwimin^  fresetzt,  insofern  sie  in 
abei^läabische  Voretellungen  und  Gespensteilurclit  verfallen,  sich  der 
Klarlieit  ihres  Denkens  durch  mystische  Grübeleien  berauben  und 
jeglichen  Abei-glauben,  dessen  Bekämpfung  jedem,  mit  den  Folgen 
wütlieuden  Wahnes  bekannten  Menschen  Pfliclit  ist,  wieder  erwecken 
and  nähren,  denn  nichts  steckt  mehi*  an  als  der  Wahn*  So  bereiten 
sie  dem  geistigen  Fortschiitte  der  Menschheit  Hemmung  und  Hindernis. 
Sie  selbst  aber  werden,  wenn  sie  es  nicht  schon  sind,  Erzphantasten, 
da  sie  sich  in  Träumereien  verlieren,  deren  stetic^e  Wiederkehr  die 
Oe<n!i<l!ipif  des  Geistes  wie  des  j^esainmten  Nervenlebens  durch  Über- 
leizunj^  um!  Aufregung  untergrabt.  So  kommt  ihre  Seele  und  ihr 
Körper  aus  dem  normalen  Gleichgewichtszustände,  und  die  Gefahr  der 
Verriickung  bis  zum  Wahnsinn  tritt  deshalb  nahe,  ,.weil",  wie  Kant 
!«agt.  .,Vorste)hni-eii,  die  ihrer  Natur  nach  fremd  und  mit  denen  im 
leiblichen  Zustande  des  Menschen  unvereinbar  sind,  sich  hervoi-drängea 
und  üV)el^epaarte  Bilder  in  die  äußere  Empfindung  hereinzieheu,  wo- 
dmch  wilde  Chimäreu  und  wunderliche  Kratzen  ausgeheckt  werden, 
die  in  langem  Geschleppe  den  betroffenen  Sinnen  vorgaukeln."  Es 
kann  nicht  ausbleiben,  dass  solche  Phantasten,  welche  sich  der  Herr- 
fich&ü  des  Verstandes  entziehen,  um  im  Zauberreiche  einer  zügellosen 
i'hautasit!  ihre  Krutt  mit  bacchantischen  Orgien  zu  vergeuden,  zer- 
rüttete Nervenkianke  werden,  denn  im  Zustaude  voller  Gesundheit 
leidet  kein  Mensch  an  Geisterseherei,  und  dass  sie  nun  wirklich  von 
Hallucinationeu  and  Visionen  heimgesucht  werden,  Erscheinungen  des 
erkrankten  NervoisgratemB,  welche  sie  nun  aber  erst  recht  für  Mani- 
festatimen  dor  Geisterwelt  ansehen.  Ein  Gittck  ist  es  also  wahrlich 
mcfat,  an  und  nnter  Geisterselierei  zn  leiden,  welche  zu  Verrttcknngen 
des  Geistes  nnd  Erkranknng^  des  Körpers  führt,  ohne  doch  im  ge- 
ringsten den  Verlast  nnschätzharer  Gesundheit  durch  eine  Vermehrnng 
nnaerer  Erkenntnis  zn  vergfiten.  Mit  Becht  sagt  daher  Kant:  „Wenn 
indeaaen  die  Vortheile  nnd  Nachthefle  ineinander  gerechnet  werden, 
die  demjenigen  erwachsen  können,  der  nicht  allein  IQr  die  sichtbare 
Welt,  sondern  anch  fdr  die  nnsichtbare  in  gewissem  Grade  organisirt  ist 


Digitized  by  Google 


—  84  - 


(wofero  es  jemals  einen  solchen  gegeben  bat),  so  scheint  ein  Greschenk 
von  dieser  Art  demjenigen  gleich  za  sein,  womit  Juno  den  Tiresias 
beehrte,  die  ihn  zuvor  blind  machte,  damit  sie  ihm  die  Gabe  zu  wds- 
sagen  ertheileu  ktonte.  Denn,  nach  den  obigen  Sätzen  zu  nitheflen, 
kann  die  anachanende  Kenntnis  der  andern  Welt  allhier  nnr  erlangt 
werden,  indem  man  etwa»  von  demjenigen  Verstände  einbüßt,  welchen 
man  für  die  gegenwärtige  nuthig  bat.  Ich  weiß  auch  nicht,  ob  selbst 
gewisse  Philosophen  gänzlich  von  dioser  harten  Bedingnnfr  frei  sein 
sollten,  welche  so  fleißig  und  vertieft  ihre  metaphysischen  Gläser  uaeh 
jenen  entlegenen  Gegenden  hinrichten  und  Wunderdinge  von  daher  zu 
erzählen  vrissen,  zum  wenigsten  missgünne  icli  ihnen  keine  von  iliren 
Entdeck  im  Ofen;  nur  besorg-^  ich:  dass  ihnen  irgend  ein  Mann  von  gutem 
Verstaiiile  und  wenig  F«  im- keit  eben  dasselbe  dürfte  zu  verstelioTi  tu n. 
waü  dem  Tycho  de  Brahe  sein  Kutscher  antwortete. als  jt-ii-  i  iii-  inte, 
zur  Nachtzeit  iiacli  den  Stei-neu  den  kiirzeäteu  Weg  faliren  zu  können: 
Guter  Herr,  auf  den  Himmel  mögt  Ihr  Euch  wol  verstehen, 
hier  aber  aut  der  Erde  seid  Ihr  ein  Narr." 

Angenommen,  so  lautet  also  der  Schluss  aus  dieser  ei-sten  Unter- 
suchung, die  Existenz  der  Geisterwelt  nnd  dei  (Teistergemeinschaft 
wäi'e  bewiesen,  was  sie  niclit  ist.  so  ist  doch  irgend  welclier  Nutzen 
der  Geisterseh-erei  für  Theorie  und  Praxis  des  ^lenscheugesclilechts  in 
keiner  Weise  abzusehen,  wol  aber  springen  deutlich  die  Schädigungen 
henror,  welche  der  Gesundheit  der  Seele  wie  des  Leibes  daraus  er- 
irachsen  können  nnd  in  den  meisten  Fällen  wirklicli  erwachse  Selbst 
der  oitbodoxeste  Gläubige  darf  niclit  zngeben,  dass  «dche  Zwecke  im 
Plane  eines  weisen  regierenden  Gottes  liegen  kOnnen,  noch  dass  die 
Gottheit  eine  neue  Qffenbarongsquelle  ans  so  sumpfigem  Boden  her- 
Torsiekem  Eeße,  nachdem  sie  einen  Bronnen  lauterer  Of^bamng 
bereits  ans  dem  Felsen  der  Bibel  hat  entspringen  lassen. 

(ScUiitt  folgt.) 


Digrtized  by  Google 


Wichtige  (irenzen  im  Volkssclialanternchte. 

Fo»  8Mm^  Ä,  €MUUeh'LobaH. 

Wie  auf  anderen  (TiebifTHU,  sd  haben  auch  auf  dem  der  Schule 
die  Grenzl»e>iinnnunjE!;en  iliren  hMhen  Wert.  Gerade  deshalb,  weil  es 
unserer  Zeit  auch  nicht  gelungen  ist,  solche  allenthalben  mit  Sicherheit 
zu  zeichnen,  weil  verscliiedene  von  außen  kommende  Einwirkunofen 
die  Grenzlinien  verwisclien,  schwanken  wir  hin  und  her  zwischen  den 
BildunjTsmitteln,  dem  Bildungsstoffe,  der  Bildungszeit;  daher  kommt 
an  dbu  höheren  Anstalten  zum  Theil  die  Uberbürdung,  das  Vielerlei 
und  der  Rangstreit.  Hielte  mau  bei  Gymnasien  und  Realschulen  die 
Unterscheidung  fest,  dass  jene  für  die  Berufe  idealen,  wissenschaft- 
lichen Charakters,  d.  i.  für  solche,  die  in  der  religiös-sittlichen,  intel- 
lectaeilen,  ästhetischen,  socialpoUtiachen  Förderung  des  Menschen  ihre 
,  Aufgabe  finden,  diese  f&r  die  hGherai  Berufe  materiellen  Charakters, 
d.  h.  fOr  solche,  die  es  mit  der  Gestaltung,  Verarbeftnng:,  Verwertnng 
der  Materie  zu  thon  haben,  die  allgemeinen  Bfldnngsgrundlagen  legen 
sollen,  80  würde  sich  aneh  eine  deutlichere  Sonderung  der  Bildangs- 
elemente  ergeben;  das  Latein  z.  E  würde  in  den  Bealscbnlen  kein 
Heimatsrecht  erlangen,  anderseits  würden  Mathematik,  Natnrwissenr 
Schäften  die  eigentliche  SphSre  der  Gymnasien  („die  gelehrte  Schule 
hat  in  der  Welt  des  Geistes  und  im  Worte  üire  Heimat")  nicht  zu  sehr 
zu  beengen  streben.  Machte  man  dann  wieder  einen  festen  Strich  zwischen 
Bealscholen  L  und  n.  Ordnung,  stellte  man  den  ersteren  die  Aufgabe, 
für  die  technischen  Hochschulen,  letzteren  die,  für  den  gewerbtreibenden 
ond  indostriellen  Stand  die  allgemeinen  Bildungsgrnndlagen  zu  legen, 
betrachtete  man  die  Realschulen  II.  Ordnung  nicht  als  noch  nicht 
ausgewachsene  Realschulen  I.  Ordnung,  so  würden  dieselben  mit  be- 
schränkterer, aber  fester  umgrenzter  Aufgabe  frischer,  gesünder  und 
frachtbarer  arbeiten.  Aber  nicht  blos  für  die  höheren  Anstalten  ist 
die  Frage  der  Gebietsbegrenzung  von  größter  Wichtigkeit,  —  auch 
für  die  Volksschule.  Ich  nehme  mir  jetzt  vor,  die  Grenzen  des 

6* 


Digitized  by  Google 


—  86  — 

ünterri(  ht.<  in  der  Volksschule,  aber  nicht  blos  hinsichtlich  des  Ziele«, 
sondern  auch  In'nsichtlich  der  Zeit,  der  Unterrichtszwei^,^e  und  des  in 
ihnen  zu  belumdehiden  Stuffes  aufzusuchen,  sowie  wichti^re  (ireuzlinien 
zu  zeichnen,  welclie  man  V»ei  der  Stoffbehandlung  einzulialten  hat. 

Zunächst  Micke  ich  hinaus  nach  dem  T'nterrichtsziele,  das 
unserer  Vi)lk>s(  liule  gesteckt  werden  soll.  wiss  ist  es  noch  niclit 
si 'lit-i  und  «renau  umgrenzt-  Die  AnschHiuiniii  ii  dariiber  y^elien  aus- 
eiuauder.  Hier  will  man  die  LuterrichtszweiKe  auch  der  einl'achen, 
niederen  Volksschule  noch  erweitern,  Geometrie,  Zeichnen,  Turnen, 
weibliche  Handarbeiten  anfügen;  dort  fordert  man,  sie  solle  sich  aul* 
,  Religion,  Lesen  und  Schreiben,  Rechnen  und  Gesang  beschränken. 
Hier  sucht  man  die  nothwendigen  Kenntnisse  und  Fertigkeiten  noch 
durch  solche,  die  an  sich  äls  wünschenswert  erscheinen  könnten,  zu 
ergänzen:  dort  ist  man  bestrelit.  die  Ziele  in  den  wenigen  Fächern 
noch  herunterziidriickeu,  indem  man  die  gesummte  Unterrichtszeit  auf 
6  Jahre  beschränkt  wissen  will.  Die  Motive  fttr  die  Forderung  der 
Herabsetzung  des  Unterrichtszieles  sind  ftü*  die  einen  pädagogischer^ 
fttr  die  anderen  fendal-hierareliisdier  Art  Die  letzteren  erwarten, 
wie  sie  sagen,  ym  dner  Qber  das  Nothdttrftigste  hüiausgehenden 
Bfldong  de»  niederen  Volkes  keine  guten  Folgen  fttr  Kirche»  Religion, 
Staat,  woliei  sie  freilicli  im  Gmnde  nicht  an  Staat  nnd  Religion 
denken,  sondern  hlos  ihr  fendal-hierarchisches  Interesse  im  Auge 
haben,  oder  sie  machen  den  Anwalt  der  schwerheUsteten  Gtomeind^ 
des  amen  Mannes,  der  seine  Kinder  hald  zun  Ilütrerdienen  hranche. 
Die  ersteren  meinen,  dnrch  den  Antritt  der  anderen  Fächer  nnd  die 
damit  gegebene  Erweitening  des  Unterrichtszieles  werde  eine  Ober- 
bOrdong  der  Kinder,  eine  ZerspUtterong  der  Kraft  herbeigeftthrt  nnd 
somit  die  Enreichnng  des  Zieles  in  dem  Nothwendigen  nnd  Wichtigen 
unwahrscheinlich  gemacht  Soviel  ist  daraus  ersichtlich:  es  tiiut  eine 
Grenzbestimmung,  nnd  zwar  zonächst  die  i3estimmnng  des  Unter» 
richtszieles  der  Volksschule  noth. 

Dazu  gehört  vor  allem  eine  klare  und  richtige  Fassung  der 
Volks  sc  hulidee;  denn  allein  nach  der  Idee  einer  Anstalt,  niemals 
nach  dem,  was  an  sich  zu  wissen  und  zu  können  n&tzlich  und  wün- 
schenswert ist,  hat  man  ihr  UnteiTichtsziel  zu  gewinnen. 

Seit  Pestalozzi  geht  das  Schlagwort:  ..Die  Volksschule  ist  die 
Stätte  der  allgemeinen  Menschenbüdung  —  für  alle  Kinder  des  Volkes" 
durch  die  pädagogischen  Kreise,  allein  dieser  hohen  Auffassung  der 
Volksschule  tritt  doch  immer  wieder  hie  und  da  die  niedrige  entgegen, 
dass  die  Volksschale  die  eigentliche  Anstalt  für  die  Kinder  deijeuigen 


Digitized  by  Google 


—   87  — 


Classen  sei,  die  von  der  Hand  in  den  Mund  leboi;  der  Begriff  „Volk" 
ist  dann  in  niederem  Sinne  gebranclit  Allein  man  hat  ein  Rechte  aicb 
die  höhere  Auffi&ssnng  za  hewabren.  Wol  ist,  ide  w  noch  sehen  , 
werden,  unter  gewissen  (stsdtischen)  Verhältnissen  die  Oliedening  der 
Volksschnle  m  niedere  und  höhere  eine  herechtigte,  so  dass  also  dann 
aneh  in  der  Begel  eine  Scheidung  der  Kuider  nach  Stand,  Bent^ 
besonders  nach  Vermögen  der  Eltern  eintreten  wird;  damit  ist  aber 
die  höhere  Volkssclmk'  der  Volksschulidee  noch  nicht  entr&ckt  Wol 
werden  diejenigen  Kn;iben,  die  einen  höheren  Beruf  ergreifen  wollen, 
wegen  des  Erlemens  fremder  Sprachen  meist  mit  dem  10.  oder  11.  Jahre 
der  Volksschule  entnommen,  allein  die  Elementarbildung  hat  diese 
ihnen  doch  geboten,  nnd  jede  höhere  Anstalt,  welche  die  Zöglinge  in 
erwähntem  Alter  aufnimmt,  wird  doch,  bis  auf  die  fremden  Sprachen, 
der  Volksschulidee  in  den  ersten  Jahren  noch  dienen  müssen.  Vor 
allem  aber  ist  zu  erwäfjren,  dass  in  den  Volksschulen  auf  dem  Lande 
keine  Scheidung  der  Kinder  nach  Stand,  Beruf  und  Vermögen  der 
Eltem  eintritt:  sie  wandern  alle  in  die  Räume  derselben  Schule. 

Pie  Volks.^chule  die  Stätte  der  allgemeinen  Menschen- 
bild ung!  Es  kommt  darauf  an,  in  dieses  Wort  einen  rechten  Inhalt 
zu  Lrießen.  Das  ist  der  Sinn  die  Volksschule  soll  nicht  eine  Stätte 
Unsoliderer  Berufs-  und  Fachbiklunj^  sein,  sondern  vielmelir  die  breite 
Baüii  bieten,  auf  welciie  sich  jede  besumlere  Berufsbildung  zu  stützen 
hat.  Sie  soll  alle  Kinder  des  Volkes  auf  gemeinsame,  dem  Wesen 
des  Men seilen  eutsprechende  Bildungsgrundlagen  stallen,  sie  durch 
Herausbildun-r  des  Allgemeinmenschlichen  aufeinander  erziehen;  sie 
fcoU  iii  den  Kindern  lebenskräftige  Grundlagen  der  allgemeinen  Men- 
schenbildung legen,  oder,  da  alles  Erziehen,  alles  Bilden  blos  daiituf 
aiigeleg:t  sein  soll,  den  Zögling  zur  Selbstständigkeit  emporzuheben; 
sie  soll  als  ihre  Aufgabe  ansehen,  die  Kinder  zur  selbststäudigen  Er- 
reichung ihrer  allgemeinmenschlichen  Bestimmung  heranzubilden.  Das, 
was  den  Menschen  zum  ilenschen  macht,  mag  er  in  einem  Berufe 
oder  Stande  stehen,  in  welchem  er  wolle,  was  ein  jeder  braucht  zu 
einem  menschenwürdigen  Sein  nnd  Wirken,  in  jedem  Kinde  des  Volkes 
zu  begründen,  das  ist  die  Aufgabe  der  Volksschule.  Was  macht  aber 
den  Menschen  sum  Menschen?  Was  ist  die  Bestimmung  jedes  Menschen? 

Es  kann  kein  höheres  Ziel  für  den  Menschen  geb^,  als  eine 
wahrhaft  christliche  Persönlichkeit  zu  werden,  die  da  wurzelt  in  dem 
Olauben  an  Gott,  die  erfüllt  ist  vom  Frieden  Gottes  in  allen  Be« 
drängnissen  der  Welt,  die  in  der  Liebe  zu  Gott  die  Freiheit  und 
Ehiergie  des  Willens  gewinnt,  die  ewig  giltigen,  heiligen  Gebote  Gottes 


Digitized  by  Google 


—  88  - 


im  Leiten  mehr  imd  mehr  zu  erfüllen,  die  da  mehr  und  mehr  sich 
verklärt  nach  dem  Vorbilde  Jesu  Christi.  Ein  Mensch  Gottes  zu 
werden,  zu  allem  guten  Werke  gescliickt  —  das  Ziel  ist  dem  Könige 
und  Kaiser  ebenso  gesteckt,  wie  dem  einfachsten  Hanne.  Zu  diesem 
Ziele  emporzof&hren,  oder,  mit  anderen  Worten,  wahre  fieligiosität» 
christliehe  Frömmigkeit  in  die  Kinder  211  pflanzen,  sie  in  ihnen  m 
pflegen,  so  dass  sie  dann  im  Leben  weiter  wandeln  in  den  Wegen 
Gottes  and  jenes  hohe  Ziel  nicht  aus  den  Aogen  verlieren  —  das 
wird  demnach  die  erste  Aufgabe  der  Volksschule  sein.  —  In  jenem 
nnsetm  höchsten  Lebensziele  liegt  eigentlich  alles  andere,  was  dem 
Menschen  als  Aufgabe  gestellt  ist,  eingeschlossen.  Denn  mit  der  Liebe 
ist  die  selbststtchtigfe  Isolumng  nicht  vereinbar;  sie  treibt  uns  zn  den 
Organismen  der  menschlichen  Gesellschaft,  die  nns  nmschliefien,  zu 
Familie,  Gemeinde^  Staat  nnd  Volk,  Kirche,  Menschhdt,  um  aJs  leben- 
dige Glieder  in  ihnen  zu  stehen  nnd  zu  wirken.  Ein  lebendiges, 
nützliches  Glied  dieser  Gemeinschaften  zu  sein,  ist  die  Bestimmung 
jedes  Keuschen;  denn  ohne  lebendigen  Anschluss  an  diese  Gesellschafts- 
kreise kann  weder  das  Ganze  noch  der  einzelne  bestehen.  Die  Wirk- 
samkeit in  diesen  Lebensgemeinschaften  hat  sich  aber  fiii'  jeden 
Menschen  an  einen  besonderen  Bemf  zu  knüpfen,  der  sich  aus  seinen 
individuellen  Anlagen  heraussetzt.  Demnach  hat  die  Volksschule  ihren 
Kindern,  will  sie  dieselben  der  allgemeinmenschlichen  Bestimmung 
entgegenführen,  den  rechten  Gemeingeist  einzupflanzen,  ihn  aber 
auch  mit  der  erforderlichen  Einsicht  sowie  den  allgemein  nothwendigcn 
Kenntnissen  luid  Fertigkeiten  auszuiüsten,  welche  jeder  braucht,  um 
ihn  fruchtbar  bethätigen  zu  können.  Die  Volksschule  hat  somit  auch 
die  Grundlagen  zu  geben  fiir  jede  besondere  Beruf sbildun<r  nicht 
blos  in  ethischer  Hinsicht,  suiideiii  auch  in  Bezug  aufs  Wissen  und 
Können.  —  Endlich  ist  jeder  ilensch  in  Beziehung-  iresptzt  zur  Natur, 
ist  er  ja  selbst  ein  D«)i>pchveseii.  das  nacli  der  einen  Seite  au  die 
Natui"  geschl(»ssen  ist.  Zur  HerrscliatT  iil)cr  die  Natur  ist  der  Meusch 
bestimmt.  Kr  s.dl  die  Natur  in  ihren  (Tcstaltungen.  Gescliöpfen,  im 
Walteii  ivi'älie  mehr  und  mehr  erkennen  lei'nen.  in  dem  Werke 
deu  güuliciien  Meister  finden,  si(di  an  der  Natur  erfVeueu,  ihre  Schönheit 
erfassen  und  empfinden,  sie  aber  nicht  aberErliiubiscli  fürchten;  ei'  soll 
sie  in  seinem  i>ienste  veiwenden.  aber  seine  Herrschaft  nicht  miss- 
'l)rauc]ien.  Lud  wohin  wir  blicken,  tritt  uns  des  Menschen  erfolg- 
reiches Ringen,  sich  die  Natui-  dienstbar  zu  machen,  von  dem  ein- 
fachsten Berufe  an,  der  mit  roher  Haud  die  Materie  bearbeitet,  bis 
zur  Kirnst,  die  in  ihr  Ideale  verköi*pert,  entgegen.    Es.  kann  kein 


Dlgitized  by  Goosle 


—  89  — 


Zweifel  sem,  ein  gemüthvolles  Vei-ständnis  der  Natur  und  ihre  Beherr- 
schung muss  die  Volksschule  in  ihren  Kindern  anbahnen,  wenn  sie 
dieselben  der  allgemelnm^ischlichen  Bestimmung  entgegenführen  will. 

Nicht  za  fiberaehen  ist,  dass  die  Volksschule  blos  übernehmen 
kann,  Grundlagen  der  allgemeinen  Menschenbildnng,  einschlieBlich  jeder  , 
besonderen  Berufsbildung,  zu  legen;  damit  wird  ihre  Aufgabe  be* 
schränkt.  Aber  diese  Gnmdli^n  sollen  lebens-  und  triebkräftig  sein; 
auf  denselben  soll  der  heranwachsende  Mensch  vermögen,  selbststiindig 
der  E^rfüllung  seiner  Bestimmung  weiter  nachzustreben.  Thorheit 
wäre  es  fteilich.  wenn  nifin  meinte,  die  Volksschule  könnte  allein  und 
unhedinsft  bei  jedem  Kinde  die  gesteckten  Ziele  erreichen.  Sie  ist 
und  kann  blos  sein  ein  mächtiger  Eraehungsfactor  neben  ancb^ren. 
Das  Leben,  da«  Haus,  die  Kindesnatur  —  das  ist  eine  bekannte 
Sache  —  vermag'  ihr  manchmal  solche  vSchranken  entgefxenzusetzen, 
da^^  >ii^  11  eil  nicht  iiIm  i  vdnden  kann  und  folglich  weit  hinter 
dem  geileckTt  ii  Ziele  zui'ückbleibt. 

Die  Volksschulidee,  das  Ziel  der  Volksschule  im  allcremeinen, 
haben  wir  so  umgrenzt.  Die  \'olkss(hule  verfügt  nun  bekanntlich 
nicht  blos  über  das  eine  Erziehungsmittel,  den  Unterricht;  auch  die 
Zucht,  die  Gewöhnuni^  zum  sittlichen  Handeln,  die  Pflege,  die  Um- 
schirmun^'  nnd  Tnisorgung  der  Kinder  in  ]eil)licher  Hinsicht  ist  ihr 
mit  iiberfreben,  aber  freilich  nur  in  sehr  beschränkter  Weise;  der 
Schwerpunkt  ihrer  erziehlichen  Thätigkeit  fällt  auf  den  Unterricht. 
Ist  das  nun  das  Unterrichtsziel  der  Volksschule,  lediglich  die  Kennt- 
nisse und  Fertigkeiten,  welche  der  ihr  gestellten  Gesammtaufgabe 
entspredieo,  zu  Termittehi,  also  „Bereidierung  des  Wissens",  »An»* 
bildnog  der  Intelligenz'*  in  gewissem  Giade  md  Termittdang  gewisser 
„techmscher Geschicklichkeiten'?  Es  wird  nnserer  Schule  der  Vorwurf 
gemacht,  dass  wir  uns  immer  noch  in  der  „rationalistische"  Ein* 
seitigkeit  befinden  oder  in  dieselbe  wieder  zurQckgesunken  wäreu, 
auf  die  Bereicherung  des  Wissens  und  die  intellectuelle  Seite  das 
ganze  Gewicht  legten.  Hit  Unrecht;  denn  gerade  die  moderne  Pftda- 
gogik  ist  von  der  Erkenntnis  getragen,  dass  die  Untemchtsaufgabe 
durchaus  viel  tiefer  gefiisst  werden  mflsse;  freilich  ist  das  Werk  der 
modernen  Pfidagogik  viel  schwerer  als  das  rergangener  Zeiten,  weil 
sie  eine  unermesslich  reiche  Überlieferung  zu  verarbeiten  und  mit 
einem  jeden  Tag  sich  mehr  anhäufenden  WiasensstolKe  zu  rechnen  hat 
Das  ist  eine  volle  Überzeugung  unserer  Tage,  wenn  auch  die  Praxis 
gewiss  oft  hinter  der  Idee  zurückbleibt:  der  Unterricht  hat  gewisse 
Einsichten  und  Fertigkeiten  zu  vennittebi  und  die  Denkkraft  auszu- 


Digitized  by  Google 


—   90  — 


bilden,  aber  das  ist  seine  höchste,  von  jener  untrennbare  Aiifjrabe.  der 
Zucht  die  Hand  zu  reidien,  auf  die  Heraül)ildun<r  "diristlicher  Ge- 
sinnunj2^tüchtifrkeit,  aul'  die  Bildung  eines  wahrhaft  sittlichen,  alsn 
auf  Frr»tnniig-keit  basirenden  Willens  hinzustreben  und  Kenntnisse  un<l 
Jb'ertiirkeiteü  diesem  in  den  Dienst  ^teilen;  denn  das  Paulinisohe  Wort 
].  Cor.  IH,  1  und  2  bleilit  wahr,  und  \vir  umschreiben  »'s  blos.  wenn 
wir  (mit  Schleiermarheri  sag^en:  Die  Intelliirenz.  Wi-U  h»-  sich  niclit  in 
den  Dienst  chribtlicher  Sittlichkeit  stellt,  das  Wissen,  das  nicht  im 
iebensfrischen,  sittlichen  Haniltln  >eine  Fi-ucht  briuL'-t,  hat  keinen 
wahren  Werth,  ist  vielmehr  fiii-  den  Besitzer  wie  fiir  seine  Mitmenschen 
verderblich.  Aber  ist  damit  das  Ziel  des  Volksschulunterrichts 
nicht  zu  iioch  freschraubt?  Verlangt  man  damit  vom  Unterrichte  nicht 
überhaupi  La  mögliches?  Ist  nicht  die  Grenze  seines  Einflusses  da, 
wo  sich  die  Vursteliuugswelt  scheidet  von  der  der  Gefühle  und  Stre- 
bungen? Wenn  man  den  Unterricht  in  seinen  Einwirkungen  so  ein- 
flchr&nken  wollte,  so  müsste  man  die  Einheit  der  Seele  und  die  rege 
Wechselbeziehimg  zwischen  den  emzelnen  SeelenzastSndeiL  leugnen-, 
solcher  Auffiusmig  des  seelisclien  Lebens  huldigt  aber  wol  niemand 
mehr.  Gewöhnlich  unterschätzt  man  die  Bedeutung  des  Unterrichts 
fUi'  die  Bildung  des  Charakters,  des  Gemflths  und  Willens,  während 
er  ohne  allen  Zweifel  hierbei  ein  Haupt&ctor  ist  Der  sittliche 
Charakter  ist  di^fenige  Gesinnongsbeachaffenheit,  nach  welcher  der 
Mensch  consequent  nach  sittlichen  Grundsätzen,  die  wieder  einem 
obersten  sittlichen  Grundsätze  (dem  der  Liebe  zu  Gott)  untergeordnet 
sind,  sich  entschlieBt  und  handelt.  Ein  Charakter  ist  also  ohne  sitt- 
liche Grundsätze,  ohne  einen  obersten  praktischen  Grundsatz  gar  nicht 
denkbar.  Nun  ist  es  freilich  wahr,  dass  die  Einsieht  in  die  Richtigkeit 
der  Lebensregdn  uns  noch  nicht  die  Sicherheit  ihrer  Anwendung, 
die  Energie  eines  consequenten  WiUens  gibt,  dass  viehnehr  „die  prak- 
tischen Grundsätze  ihre  l£acht  auf  das  Wollen  erst  durch  wirkliche 
und  wiederholte  Bestimmung  dieses  letzteren  sich  erwerben"  müssen, 
allein  die  Erkenntnis  der  wahren  sittlichen  Grundsätze  ist  unbedingt 
erforderlich,  und  das  ist  eben  die  Aufgabe  des  Unterrichts,  den  Zög- 
lingen die  Einsicht  in  dieselben  zu  vermitteln,  die  ethischen  Grund- 
sätze in  voller  Stärke  dem  Bewusstsein  einzuprägen,  sie  dem  obersten 
sittlichen  Grundsatze  einzuordnen  und  das  sittliche  Urtheil  zu  bilden. 
Ferner,  ein  sittlicher  Charakter  soll  sich  zeigen  im  ?esinnnngstüchtigen 
Handeln  gep^enübei-  Gott,  g-eg^enüber  den  eng^eren  und  weiteren  Kreisen 
der  Menschheit,  im  rechten  Verhalten  auch  zur  Natur;  selbstvei-ständlich 
ist  ein  rechtes  Handeln  nur  dann  denkbar,  wenn  ich  eine  Einsicht  in 


Digitized  by  Google 


—   91  — 


die  Objecte  meiner  sittlichen  Beziehungen  habe,  und  so  müssen  wir 
wieder  unsere  Zuflucht  zum  Unterrichte  nehmen,  der  in  diesei*  Hinsicht 
der  Ansbildong  des  Charakters  wichtig-e  Dienste  leisten  kann  und 
muss.  Um  meiner  etliischen  Aufgabe,  in  die  aach  meine  staatsbürger- 
liche und  meine  Bera£spflicht  eingeschlossen  ist,  zn  genügen,  brauche 
ich  eine  Summe  von  Kenntnissen  nnd  Fertigkeiten,  die  eben  auch  nur 
der  Unterricht  vermitteln  kann;  auch  die  Fertigkeiten  des  Lesens, 
Schreibens,  Rechnens  hahen  ihre  Bezielmng  zur  ethischen  Idee  des 
Menschen.  Wir  können  noch  weiter  jrehen.  T'^nzweifelhaft  empföngt 
der  Wille  mäehtif^e  Anregiinofen  vom  (4enuitlie  aus;  religiöse,  sittliche, 
synipaTlictisflie,  ästiietische  Gefühle  haben  ihr*'  Ivedeutsame  Einwirkung 
auf  Kill  Schließung  und  That.  Verraöclite  nun  der  Unterricht  auf  das 
(iemiith  einzuwirken,  so  würde  er  auch  die  sittliche  Charakterbildung 
beeinilusseu,  und  er  vermag  es.  Der  rechte  Unterricht,  der  auch  vom 
re<'hten  Lehrgreisto  und  Lehrtone  getrairen  ist.  lileibt  in  seinen  Ein- 
wiikuugeu  nicht  vor  den  Thoren  des  (ieniüthei>  stehen.  Nach  christlich 
biblischer  Anschauung:  erwächst  alles  wahrhaft  sittliche  Leben  auf 
dem  Gmnde  des  religiösen  Glaubens,  der  Glani)e  abei  k<»inmt  aus 
dem  l^vaugelium  ins  Herz.  Aber  auch  durch  andere  Zweige  kann 
der  Unterricht  Gemüthsbande  z\\nschen  dem  Kinde  und  Gott,  den 
Mitmenschen  (Heimat,  Vaterland  et<*.).  ja  auch  der  Natur,  in  der  sich 
der  Schöpfer  spiegelt,  schlingen.  Ks  steht  iu  seiner  Macht,  das  Wol- 
gefallen  am  Guten,  das  Missfalleu  am  Bösen,  also  sittliche  Gefühle, 
in  dem  Kindesherzen  zu  erregen.  Er  vermag  anch  auf  die  Aushüdung 
deg  isthetisehen  Sinnes  einzuwirken;  damit  führt  er  die  Kindesseele 
SDgleldi  veg  yon  eüier  egoistischen  Aufbssung  der  Außenwelt,  trdht 
die  rohe  Begierde  ans  dem  Hetzen  nnd  haucht  ihm  die  Freude  an 
edlen  Genüssen  ein.  Kommt  nun  dazu,  dass  der  Lehrer  heim  Unter- 
richte, falls  er  die  rechte  Methode  anwendet,  irieUS&ch  direct  die 
Willensthätigkeit  des  Kindes  in  Anbruch  nimmt,  dass  jede  Anregung 
mr  Selbettb&tigkeit,  cur  selbststftndigen  Losung  einer  Aufgahe  oder, 
Gewinnung  einer  Erkenntnis,  zur  gespannten  Aufmerksamkeit,  die 
Wecknng  des  Interesses,  der  Freude  am  sicheren  Fortschreiten  auch 
die  Willenshildung  heeinflusst,  so  kann  es  keinem  Zweifel  mehr  unter- 
liegen, dass  dem  Unterrichte  auch  in  der  Volksschule  keine  unlösbare 
kafjgßbe  gestellt  ist,  wenn  wir  von  ihm  verlangen,  er  solle  die  Kinder 
zu  cfaristlich-sittlicher  Gesinnungstttchtigkeit,  Charakterhaftigkeit  mit 
erziehen.  Das  Unterrichtsziel  der  Volksschule  ist  demnach  nicht  be- 
sondere  Berufs*  und  Faclibildung-,  sondern  sie  soll  die  allgemeinen 
Grundlagen  gehen  lUr  jeden  Beruf.  Das  Unterrichtsziel  der  Volks* 


Digitized  by  Google 


—  92  — 

schule  prellt  nicht  darin  auf,  gewisse  Einsichten  und  Fertigkeiten  den 
Kindern  des  Volkes  zu  vennitteln,  welche  den  oben  dargestellten  Zielen 

des  Mensclu  n  entsprechen,  sondern  durch  Vermittelung  von  Einsichten 
und  Fertigkeiten  und  die  damit  verbundene  Einwirkung  auf  die  Ver- 
nunft, Gemüth  und  Willen  soll  der  Unterricht  die  Kinder  zu  christ- 
licher Frömmigkeit  und  Gesinnungstüchtigkeit,  zum  rechten  Gemein- 
geiste und  dessen  Bethätigung  in  den  verlieh iedenen  Bernfsfonneii,  zur 
rec-liten  A\iffas!«nn?  der  ^Nator  und  zum  rechten  Verhalten  ihr  gegen- 
über erziehen  helfen. 

Das  ist  das  Unterrichtsziel  im  allsremeinen. 

Nach  der  (-ireii/^e  desselben  wird  sich  nun  auch  die  Abirrenzung 
der  T'nterriclitszweig^e,  ihrer  Sonderziele  und  ihres  Stofes  riehteiu 
allein  hierb»»i  kommt  die  Unterrichtszeit  bedeutsam  mit  in  Fraire. 
Anch  hinsu  htiicU  dieser  ist  es  nöthig,  in  unserer  Zeit  die  Grenzen 
zu  zeichnen. 

Wie  bekannt,  wird  in  einigen  Staaten  von  einer  Partei  gegen- 
wärtig darauf  hingedrjinprt,  die  Unterrichtszeit  der  Volksschule  von  8, 
beziehuuiifsweise  7  Jaln^ii  auf  ti  Jahre  zurückzuschrauben.  Wir  kr)unen 
uns  dessen  gewiss  freuen,  dass  solche  Rückschrittsffedauken  nicht 
überall  Anklang  finden,  dass  sie  z.  B.  in  der  sächsischen  Landes- 
vertretung nicht  aufgetaucht  sind,  dass  hier  vielmehr  die  weitere 
Dnichfuhrung  des  Volksscbulgesetzes  vom  26.  April  1873  einen  festen 
Bfiekbalt  findet,  dass  nieht  nur  nicht  an  eine  Verkflnong  der  acht- 
jährigen Schnlzeit  gedacht,  sondern  ▼ielmehr  anch  die  Fortbfldungs- 
schnle,  die  sich  auf  die  Volksschnle  anfbaut,  gehalten  nnd  getragen 
wird.  Die  psychologische  Erfohnmg  steht  fest,  dass  gerade  mit  dem 
12.  Jahre  im  Kinde  eine  bedeutsame  Entfiiltnng  der  geistigen  Kritfte 
beginnt,  dass  „die  Kraft,  mit  Begrüfen  sich  zu  beschfiftigen,  das 
Streben  nach  logischer  Gewissheit  nnd  die  Vemunftfilhigkeit  für  das 
Reich  des  Göttlichen  wachst,  dass  das  Gemfithsleben  sich  yertieft,  der 
Bück  in  die  Zukunft  sich  wendet  und  der  Wille  energischer  wird**, 
aber  gerade  der  festen  Leitung  bedarf,  um  nicht  in  Willkftr  auszuarten. 
Der  Erfiihmngssatz  steht  feiner  fest,  dass  wir  nur  mit  Anstrengung 
aller  Krftfte  und  trenester  Arbeit  bei  achtjfthiiger  Schulzeit  einen 
solchen  Abschluss  der  Bildung  in  religiOs-ethischer,  intellectueller  und 
technischer  Hinsicht  erreichen,  nach  welchem  wir  hoffen  können,  bei 
der  Mehrzahl  der  Kinder  wirklich  lebenskräftige  Grundlagen  fÖr  die 
Zukunft  gelegt  zu  haben;  immerhin  ist  in  den  Fortbildungsschulen 
die  Erfahrung  zu  machen,  dass  bei  einem  großen  Procentsats  die 
Arbeit  der  Volksschule  zu  wenig  andauernde  Erfolge  erzielt,  zu  wenig 


Digitized  by  Google 


—   93  — 


dgene  Triebkraft  ent&ltet  hat.  Sollten  wir  uns  mit  sechsjähriger 
Scholzat  begnfigen»  so  müssteii  wir  mit  den  bdden  letzten  Jahren  bei 
allen  Zweigen  die  ErOnong  wegweriien.  Wer  sich  den  ganzen  Anfban 
des  Unterrichtsstoffes  vergegenwärtigt,  wird  dem  zustimmen.  Z.  B. 
beim  Hecbnen  ist  es  erst  in  dem  7,  und  8.  Schuljahre  mOglich,  die 
bfirgerliehen  Becbnnngsarten  zu  ttben.  In  Naturkunde  mflsste  Physik 
und  Anthropologie  nebst  Gesundheitslehre  ganz  wegfiiUen,  in  Geographie 
kirnen  wir  nicht  Ober  die  Yateriandskonde  hinaus.  Im  Deutschen 
wfire  durchaus  nicht  die  erforderliche  Sicherheit  des  schriftlichen  Qe- 
daakenausdmckes,  die  Fertigkeit  in  den  filr  das  praktisdie  Leben 
nothwendigen  schriftlichen  Arbeiten  zu  erreichen.  Die  religiöse  Bil- 
dung der  Kinder  wttrde  durch  den  Wegfall  der  beiden  letzten  Schul- 
jahi-e  besonders  geschädigt  werden.  Alle  die  Schreckbüder,  welche  * 
dem  ruln<ren  Bürger  vorgehalten  werden,  die  man  ans  angeblich  zu 
viel  Schulbildung  emporsteigen  liisst.  sind  pure  Thorlieiten,  wenn  man 
sie  nicht  als  schlimmere  Gebilde  bezeichnen  soll  Geiahren  für  den 
Staat  sollen  ans  der  sogenannten  Übermasse  an  Schnlbildnng  erwachsen, 
die  Socialdemokratie  wol  gar  ihre  Nahrung  aus  ihr  ziehen,  als  wenn 
nicht  gerade  die  Volksschule  die  Anffrabe  hätte,  das  Denken  auch  des 
niederen  Volkes  so  weit  aufzuhellen,  dass  es  nicht  zum  Spielballe 
selbstsüchtiger  Parteiftilirer  werde  und  Hirngespinsten,  die  nimmer- 
mehr Wirklichkeit  erlang:en  können,  nadijage;  als  wenn  es  nicht 
gerade  die  Aufgabe  der  V^lks  ( imlr  wäre,  Frdmmifä^keit,  Gemeinireist. 
Vaterlandsliebe,  presetzlichen  Sinn  m  die  Herzen  der  Kinder  zu  pflanzen, 
Gesinnungen,  die  jener  vatei  landslosen  Partei  fehlen.  Auch  solche 
Stimmen  hört  man:  „die  Schule  mache  die  Jugend  wol  klüger,  aber 
nicht  besser",  wenn  sie  nidit  gar  der  Schule  bei  den  sittlichen  Ge- 
brechen unserer  Zeit  eine  Hauplischuld  zumessen,  als  wenn  nicht  die 
Versumpfung  von  Haus  und  Leben  aus  die  Jugend  erfasste.  die  Schule 
dagegen  oft  ganz  allein  gegen  den  niedrig-sinnlichen,  verlotterten  Geist 
des  Lebens  ankämpfte.  Jeder,  der  ehrlich  ist.  muss  bekennen,  dass 
er  der  Schule,  wenn  solche  von  tüchtigen  Lehrern  geleitet  wnrde,  gar 
viel  verdankt.  Es  möchte  sicli  nur  jeder  ernstlich  fragen,  ob  es  nicht 
gar  oft  die  in  der  Schule  eingeprägten  Grundsätze  gewesen  sind,  die 
sich  noch  beim  Manne  in  der  Stunde  der  Yersuchung  alft  mfichtig  er- 
wiesen; es  möchte  sich  ein  jeder  fragen,  ob  es  nicht  die  religiösen 
VorsteUnngen,  welche  die  Schule  gegeben  hat,  sind,  die  am  Iftngsten 
ausdanem,  die  sich  oft  selbst  dann,  wenn  im  Kopfe  das  Freidenkerthum 
regiert,  ein  Pl&tzchen  im  Herzen  bewahrt  haben,  ob  nicht  mancher 
nach  einem  durchbrausten  Leben,  wenn  er  zerrüttet  und  zerstört  ist. 


Digitized  by  Google 


—   94  — 


die  Glocken  der  Jugendkirclie  wieder  hört,  80  dass  er  versucht  zu 
glauben,  zu  beten,  wie  damals,  als  er  zu  den  Füßen  seines  Lehrers 
saß.  Wie  jeder  Lehrer  sich  seiner  hohen  Verantwortlichkeit  bewusst 
bleiben  muss,  so  möchte  auch  im  Volke  nicht  der  Glaube  an  die  sitt- 
iiehe  Macht  der  Schule  untergraben  und  zerstört  werden.  —  Wenn 
man  dann  auf  die  pecuniäre  Nothlage,  die  wirtschaftliche  Verarmung, 
die  schon  übermäßige  Belastung  der  Gemeinden  hinweist,  so  würde 
eine  solche  Lage  der  Dinge,  wenn  sie  wirklich  aUenthalbeu  vorhanden 
wäre,  wol  eine  Einschränkuug  auf  das  Noth wendige  fordern,  ein 
Sparen  übei*  das  Nothwendige  hinaus  aber  gerade  auf  dem  Gebiete, 
wo  es  sich  um  Heranbilduni,'-  des  küiil'ti^en  Geschlechts  handHt.  wäre 
niclit  zu  verantworten  und  würde  sicli  auch  gerade  in  wirtsrlisifflicliHr 
Hinsicht  rächen.  Nur  ein  sittlich -kräftiges  CTt'.M:hlet'hi .  iait  klin-m. 
scharfem  Urtlieilt^.  mit  praktiselu'Ui  Siime  und  fester  Selbstzucht,  kaun 
auch  auf  wirtschaftlichem  Gelaeie  etwas  leisten.  Übrifrens  kaun  man 
oft  die  Be()])aclitung  machen,  dass  zum  Geuuss.  zum  Tanz,  Hrantwein, 
Bier,  Tabak  in  niederen  Kreisen  der  Groschen  nicht  fehlt,  während 
es  als  Unmöglichkeit  hingestellt  wird,  ein  Schulbuch  zu  ei-schwingen. 
Noch  auf  eins  muss  man  iiin weissen:  \\'elches  Lus  erwartet  die  Kinder, 
wenn  sie  zwei  .Talire  früher  der  Volksschule  entzogen  werden?  Die 
Fabriken  etc.  werden  sich  dir  er  erbarmen.  An  dem  Seminare,  das 
ich  fi'üher  leitete,  war  eine  Armenschule-,  die  Schulstunden  waien  die 
glücklichsten  Stunden  der  armen  Kinder. 

Der  Volksschuiunterricht  darf  nicht  mit  dem  12.  Lebensjalure 
schon  abgesehhwsen  Verden;  aber  ihn  fiher  das  14.  Jahr  anszndehnen, 
dagegen  spricht  besonders  die  Nothwendigkeit,  dass  nnnmehr  gerade 
für  die  Jagend,  welche  mehr  mit  der  physisdien  Kraft  nnd  der  Hand- 
geschicklichkeit im  bargerlichen  Leben  schaffen  und  wirken  soll»  die 
besondere  fieni&bildnng  zu  beginnen  hat.  Und  es  steht  fest,  dass 
flieh  mit  ach^fthriger  Schnhseit  die  Volksschniidee  yerwirklichen  Uisst 
Damit  ist  natürlich  nicht  ausgeschlossen,  dass  sich  die  Fortbildongs- 
schnle  in  der  Weise  wie  in  Sachsen  und  Württemberg  an  die  Volks- 
schule ansetze;  sie  bindert  ja  eine  bemfliche  Ausbildnng  nicht,  sondern 
ergfinzt  nnd  nnterstfitzt  sie  vielmehr. 

Wie  wir  so  in  der  Ansdehnnng  des  Unterrichts  Ar  die  einfache 
Volksscbnle  beim  14.  Jahre  einen  Einschnitt  machen,  so  ist  aach  die 
wöchentliche  Unterrichtszeit  fest  zn  begrenzen.  Hier  ist  uns 
die  Grenze  f,a  zeichnet  durch  gewisse  praktische  Lebensverhältnisse, 
durcli  die  Leistungsfähigkeit  der  kindlichen  Natur  und  die  Nothwen- 
digkeit, anch  den  anderen  Erziehnngsmitteln  und  Erziehnngskreisen 


Digitized  by  Google 


—   95  — 

den  gehörigen  Baum  fftr  ihre  Einwirkiing  zu  belassen.  Die  praktischen 
Lebensverhältnisse  führen  in  größeren  Städten  von  selbst  zur  Theilnng 
in  niedere  und  höhere  Volksschulen.  Im  sächsischen  Volksschal- 
gföctz  werden  einfache,  mittlere  und  höhere  Volksschulen  geschieden; 
die  letzteren  übei-schreiten  die  achtjährige  Schulzeit,  greifen  über  die 
der  Volksschulidee  entsprechenden  Zweige  hinaus  und  lassen  sich  als 
Knabenschulen  im  Grunde  von  den  Realschulen  II.  Ordnung  nicht 
unterscheiden.  Wir  lassen  diese  höhere  Volksschule  jetzt  außer  acht 
und  verstehen  unter  höheren  Volksschulen  nur  solche,  welche  eine 
größere  Stundenzahl  ansetzen  knnnen,  ohne  dass  sie  iil'er  den  Rahmen 
der  Volksschule  hinaiis^reifeii.  In  einzelnen  Städten  ist  aus  edlem 
Humanität ssretiihl  der  Versuch  gemacht  worden,  für  die  Kinder  aller 
Cla&sen  einen  gleichen,  ausgedelmteren ,  g:anztäf?if,'en  Unterricht  zu 
geben.  Allein  solche  Versn^^he  sind  gescheitert  und  werden  stets 
sflieitern  an  der  Macht  der  Lebensverhältnisse.  darf  nie  die 

M'  LdiclikcU  abgeschnitten  werden,  dass  bevorzugte  i\räfte  ans  den 
Ninl.  i  Hilgen  in  die  Hohe  steiften  —  in  ihnen  liegt  ja  ein  verjiinfrender 
BruDiiquell  der  Volkski*aft  — ,  abei-  die  Nothwendigkeit  fiir  ganze 
Volksclassen,  die  Jugend  frühzeitig  zum  J^roterwerbe  heranzuziehen 
und  an  die  physische  Arbeit  zu  gewülinen,  kann  nicht  aufgehoben 
werden.  Wenn  man  es  nun  niclit  als  unberechtigt  bezeichnen  kann, 
dass  vermögende  Eltern  für  ihre  Kinder  Volksschulen  mit  mehr  Unter- 
richt wünschen,  in  denen  also  auch  der  Volksschulidee  ausgibiger 
gedient  werden  kann,  so  ergibt  sicli  ebeu  in  mittleren  und  größeren 
Städten  eine  Theilung  der  Volksschule  in  niedere  und  höhere;  selbst- 
yerst&ndlich  bleibt  auch  der  höheren  Volksschule  die  Aufgabe,  das 
AUgem^meiiseUiclie  an  den  Kindern  heransnibildfin  und  damit  auch 
ein  Band  am  sie  nnd  die  Kinder  ftrraerer  Eütem,  die  künftigen  Volks- 
genossen, zu  schlingen.  Ich  habe  Übrigens  die  Erfohrung  gemacht, 
dass  in  Stidten,  in  denen  es  neben  der  niederen  eine  h&here  Volks- 
sehnle  gibt,  wolhabendere  Eltern  öfters  wol  ihre  SOhne  in  die  höhere 
Schule  schicken,  aber  nicht  die  Tochter,  weil  sie  meinen,  fftr  sie  sei 
die  in  der  eingehen  Yolksschnle  gegebene  Bildung  ausreichend.  Wenn 
unsere  Bealschulen  IL  Ordnung,  wie  es  jetzt  beabsichtigt  ist,  noch 
mehr  als  bisher  zu  allgemeinen  Vorbfidungsanstalten  f&r  den  gewerb- 
lichen und  industriellen  Stand  gestaltet  werden,  so  könnte  es  wol 
geschehen,  dass  in  solchen  St&dten,  wo  neben  der  Realschule  eme 
höhere  Yolksschnle  besteht,  diese  die  Schfiler  ihrer  oberen  Classen  an 
jene  abgibt,  freilich  Toraosgesetzt,  dass  das  Schulgeld  an  den  Beal- 


Digitized  by  Google 


—  96  — 


schulen  (zur  Zeit  60 — 80  Mark)  bedentend  ermäßigt  wird.*)  —  Die  ^ 
einfache,  niedere  Volkssdnile  wird  sich  auf  halbtägigen  UnterriL-ht 
beschränken.  Die  wöcheulliche  Stuinienzahl  steigt  in  den  einfachen 
Volksschulen  unseres  Latides  gewöhnlich  in  folgender  WeLse  auf: 
1.  und  2.  Schuljahr:  12  <n\ivWn.  B.  und  4.:  14  bis  Ifi,  o.  und  fi.:  1«. 
7.  und  8.:  20.  außer  Turnen  und  weiblichen  Handaibeiien,  welche 
Zweige  in  der  Uberclasse  je  2  Stunden  in  Anspruch  nehmen.  In 
einer  Reihe  von  einfaclien  Schalen  geht  der  weibliche  Handarbeits- 
untenicht  schon  im  5.  und  6.  Schuljahre  an.  Man  wird  zuffeben 
müssen,  dass  damit  eine  (Jberlastung  der  Kinder  mit  Stunden  nicht 
.siattiiiidet;  das  richtige  Maß  wird  getroffen  sein.  In  den  sogenannten 
mittleren  Schulen  winl  dap^egen  öfters  das  rechte  Maß  überschritten; 
sie  gleiten  also  iii  die  Bahnen  der  hüliereu  Bildungsanstalten  hinein. 
Wenn  eine  mittlere  Volksichule  für  die  Elemeuturclasse  mehr  als 
16  (bis  20!)  Stunden  ansetzt,  so  ist  dies  falsch.  Auch  für  das  2.  Schul- 
jahr reicht  diese  Stundenzahl  noch  aus.  Das  3.  Schuljahr  braacht 
fiber  20  Lehrstonden,  das  4.  fübet  23  (ansBcUiefllicli  weiblicher  Hand- 
arbeiten) nicht  hinauszugehen,  und  in  den  letzten  4  Schayahren  ge- 
nügen 28— SO  (einsclilieBlich  Tarnetis  nnd  ▼eiblicher  HandBrb»[ten). 
Die  Überlastung  mit  Unterrichtszeit  bringt  natürlich  anch  eine  Über- 
lastnng  mit  Unterrichtsstoff,  oft  auch  noch  init  hAosUchen  Arbeiten 
nach  sich.  Die  Folgen  solcher  Überbflrdung  sind  allbekannt,  jeder 
Lehrer  ist  sidi  derselben  bewnsst,  wenn  er  sich  anch  Ton  der  Über- 
bardnngsmanie  unserer  Zeit  nicht  loszoreifien  yermag.  Idli  habe  als 
Direetor  mehrerer  Anstalten  immer  die  Eriahrang  gemacht,  dass  alle 
Hahnnngen  nnd  gemeinschaftlichen  Berathschlagnngen,  die  sich  auf 
die  Entlastung  der  Zöglinge  bezogen,  nicht  nel  Fmcht  hatten-,  es 
dauerte  gar  nicht'  lange,  so  bewegte  sich  alles  wieder  in  den  gewohnten 
Gleisen.  Es  kann  blos  geholfen  werden  mit  Verringernng  der 
wöchentlichen  Stundenzahl,  und  die  ist  von  oben  zu  verfugen.  Eine 
große  Stundenzahl  beizubehalten,  aber  die  häuslichen  Arbeiten  so  gut 
wie  ganz  wegfallen  zu  lassen,  hat  das  Bedenkliche,  dass  damit  ein  Mittel, 
selbstständiges  Streben  zu  entwickeln,  aus  der  Hand  gegeben  wird. 

Nun  würde  noch  die  Abgrenzung  der  Unterrichtszeit  fttr  die 
einzelnen  Unterrichtszweige  in  der  (einfachen)  Volksschule  zu  erfolgen 
haben.  Diese  setzt  allerdings  eine  Darlegung  der  Unten  ir Ii t -zweige 
überhaupt  voraus.  Ich  will  sie  aber  doch  hier  als  Brücke  zu  dem 


*)  Der  Staat  g^ibt  den  Gemeindw  bedintende  Znsehflnft,  so  du»  ebe  Vennu- 
derang  des  Schtügeldea  möglich  iat. 


Digitized  by  Google 


—   97  — 


letzten  Punkte  meiner  Auseinandersetzung  dienen  lassen.  In  der 
sächsischen  einfaclien  Volksschule  theilt  man  die  Unterrichtszeit  auf 
die  einzelnen  Fächer  gewöhnlich  so  ein:  1.  und  2.  Schuljahr  Stunden 
biblische  Geschichte  und  Anschauungsunterricht,  6  Stunden  Lesen  und 
Schreiben,  ^ ,  Stunden  Rechnen,  - Stunden  Singen.  —  3.  und  4.  Schul- 
jahr: 3  Stunden  biblische  Geschichte.  5  Stunden  Deutsch,  2  Stunden 
Schnnschreiben,  3  Stunden  Rechnen,  1  Stunde  Gesang,  2  Stunden  Rea- 
lien (Naturbescliieibung  und  Heimats künde).  Bei  14*  .,  Stunde  werden 
•■'  4 stündige  Lectionen  genominen:  4  Stunden  biblische  Geschichte, 
6  ^  4  Stunden  l>(Mitsrh.  4  ,  Stunden  Rechnen,  2  ''  ^  stunden  Schön- 
schreiben, 2  '',«ütundeu  liealiei!.  -  ,  Stunden  Gesang.  -  mul  0.  Schul- 
jahr: 4  Stunden  ReUgion  (biblische  »Tcschichte  mit  Bibelle^cn  und  Kate- 
chi>mus),  5  Stunden  Dentsch,  2  Stunden  Schönsclireibeu,  3  Stunden 
Rechnen.  1  Stunde  Gesang-,  3  Stunden  Realien  '(xescliichte,  Geographie, 
Naturgbüchiclite).  Außerdem  2  Stunden  \\  >  lUliche  Handarbeiten.  — 
7.  und  8.  Schuljahr:  4  Stunden  Religion  (^biblische  Geschichte  mit 
Bibeliesen,  Katechismus),  5  Stunden  Deutsch,  1  Stunde  Schönschreiben. 
4  Stunden  Rechnen  und  Geometrie,  i  Stunde  Gesang,  3  Stunden  Realien, 
2  Stunden  Zeichnen;  dazu  Tui  iien  und  weibliche  Handarbeiten. 

Die  Abgrenzung  der  Unterrichtszeit  bei  den  einzelnen  L'nterrichts- 
zweigen  hat  natürlich  die  größere  oder  geringere  Bedeutung  eines 
Zweiges  im  Lichte  der  Volksschulidee,  seine  besondere  Art  im  Ver- 
hiltDis  zur  Anffassangs-  und  AneignungskraA  des  kindlichen  Geistes 
in  Betracht  zu  ziehen.  Ich  glaube,  dass  die  angegebene  Gliedening 
eine  richtige  ist  Eine  Meinungsverschiedenheit  trat  in  Bezug  auf 
die  Zahl  der  BeMgionsstnnden  zutage;  die  Vertreter  der  Kirche 
wQnschten  in  den  Oberdassen  statt  4  Stunden  5.  Nonmehr  ist  aber 
die  BeiBrchtung,  es  werde  durch  eine  Vermindenmg  der  Stundenzahl 
(von  6  auf  4)  der  Beligionsunterricht  in  seinen  Erfolgen  beeintr&chtigt 
werden,  wd  allenthalben  geschwunden.*)  Die  Erfolge  des  BeUgions- 
untorichts,  soweit  sich  solche  flberhaupt  beobachten  lassen,  sind  seit 
1675,  seit  welcher  Zeit  die  Zahl  der  Beligionsstunden  yerringert 
wurde,  durchaus  nicht  zurftckgegangeu.  Bei  einem  rechten  Aufbau 
des  gesanunten  BeligionsnnterriGiits,  bei  einem  ih>mmen,  leligids- 
erwirmten  nnd  katechetisch  geschickten  Lehrer  ist  die  Stundenzahl 
Tollständig  ausreichend;  ein  lljermaß  beeinträchtigt  gerade  beim 
Beligionsunterrichte  die  erbauliche  Wirknng,  am  meisten  bei  einem 


*)  Überhaupt  hat  sieh  das  Verblltnis  xwMeii  den  Tertretem  der  Shdie  und 
der  Schule  recht  wfreulkh  gestaltet 


Digitized  by  Google 


-  - 


Lehrer,  dem  der  rechte  Lehrgeist  für  den  Beligionaunterricht  fehlt 
Ein  solchei'  wird  bei  5 — 6 stündigem  Unterrichte  wol  Definitioiira, 
Spräche  etc.  empauken,  aber  die  Kinder  in  religiöser  Hinsicht  xmath 
mehr  schädigen;  er  wird  ein  äußerliches  Werk  fertig  bringen,  das 
blos  dem  oberflächlichen  Blicke  genügt.  Erwägt  man,  dass  an  jedem 
Tage  der  Unterricht  mit  Gesang  und  Gebet  eröfihet  und  geschloissen 
wird,  dass  auch  die  übrigen  Unterricht szweige  viele  relij^iöse  und 
ethische  Momente  enthalten,  die  sie  zur  Bildung  der  k'in  ler  wirksam 
zu  machen  haben,  dass  der  Gesangunterricht  die  H.ilit-  seiner  Zeit 
aul  ' ']n>ral<?es{infr  verwendet,  erwägt  man.  dass  die  Kiiuler  vom  11., 
beziehungsweise  12.  Lebensjahre  au  auch  zum  Kirclienl  tMirhe  anzu- 
halten sind  und  im  letzten  halben  Schuljahre  ein  zweistündiger  Coufir- 
mandennnterricht  eintritt,  so  wird  man  zugeben  müssen,  dass  ein 
Aiersüintliger  ReliR-ioiisunterricht  in  den  Oberclassen  vullkouuueu  aus- 
reichend ist,  ja,  dass  es  geradezu  bedenklich  sein  würde,  über  dieses 
Maß  hinauszugehen.  Zu  beklagen  aber  ist  es,  dass  es  in  der  Regel 
nicht  möglick  ist,  mehr  Zeit  für  den  Gesangunttrricht  zu  gewinnen. 

Bei  der  Abwägung  der  Stundenzahl,  welche  für  die  einzelnen 
Unterrichtszweige  anzusetzen  ist,  habe  ich  die  Zweige,  welche  ich  der 
Volksschule  zuweisen  zu  müssen  glaube,  schon  aulgezählt.  Es  wird 
aber  nun  noch  nachzuweisen  sein,  dass  die  Abgrenzung  der  Unter- 
richtszweige damit  richtig  erfolgt  ist.  Dabei  ist  geboten,  gMch 
das  Ziel  der  einzelnen  Zweige  und  ihren  stofflichen  Inhalt  mit  fiast- 
smetzen;  es  ist  aber  hierbei  nicht  meine  Absicht,  zn  sehr  ins  SpecieUe 
zu  gehen,  sondern  nur  die  wichtigsten  Grenzlinien  zn  zeichnen.  Anf 
die  Stoffbehandlnng  werde  ich  BflcksiGht  nehmen,  da  wo  mir  die  Er- 
fkhrung  gezeigt  hat,  dass  man  öfters  Grenzen,  die  dnznhalten  sind, 
nicht  genügend  beaditet 

Man  sollte  eigentlich  meinen,  seit  den  Tagen  Pestalozzis  könne 
über  die  ünterrichtszweige  der  Volksschnle  kein  Zweifel  mehr  sein, 
aber,  wie  schon  oben  bemerkt,  werden  in  unserer  Zeit  Tersdiiedene 
Anwehten  darüber  laat  Während  manche  die  Bealien,  Zeidmen, 
Geometrie  yon  dem  Stondenplane  der  Volksschnle  weggestrichen  haben 
wollen,  wollen  andere,  ohne  dass  hu  der  confessionell  gemischten  Be- 
Yölkemng  zwingende  Gründe  vorliegen,  den  Beligionsonterricht  ans 
der  Volksschnle  Yorbannt  haben.  In  unseren  Landen  findet  der  Turn- 
nnterricht  nnr  mühsam,  unter  dem  grüßten  Widerstande  der  Land- 
bevölkerung, Eingang  in  den  Dorfschulen.  Anfangs  setzte  man  einen 
ähnlichen  Widerstand  dem  Unterrichte  in  den  weiblichen  Handarbeiten 
entgegen. 


Digitized  by  Google 


—  Ö9  — 


Die  üntemchtszweige  sind  ans  der  Idee  der  Volksacfanle  aliza- 
kiten.  NebemsSchlidie  Zweige,  ohne  die  eine  Anitalt  anch  ihrer 
Idee  genfigt»  sind  ihr  nicht  anfisazwingen,  znnutl  wenn  die  Überlastong 
der  Zöglinge  an  sich  schon  vor  Augen  liegt 

Der  Unterrichtsstoff  mass  ebenfalls  nach  dem  Ziele  der  Volks- 
schule wie  nach  der  kindlichen  Fassungskraft  und  der  verwendbaren 
Zeit  begrenzt  werden.  Gerade  für  einen  befiUugten,  wissenschaftlich 
weiter  strebenden  Lehrer  ist  die  Versuchung  gegeben,  den  Umfang 
des  UnterrichtsstoffiBS  in  weit  nnd  zn  tief  zu  bemessen,  md  sich  dabei 
yon  dem  eigenen,  wenn  auch  wissenschaftlichen  Interesse  leiten  zn 
lassen.  Das  ist  auch  eine  Art  Egoismus,  und  jeder  Egoismus  rächt 
sich.  In  der  Volkssclmle  darf  der  Unterricht  nach  Stoffauswahl  und 
Belianiliung  den  elementaren  Charakter  nicht  verlieren,  handelt  es 
sich  doch  blos  darum,  lebenskräftige  Grundlagen  zu  legen.  Außerdem 
ist  fiir  manche  Zweige  die  verAvendbare  Zeit  so  kui*z  bemessen,  dass 
dadnrch  dem  Ijfltrf'r  eifrentlicli  die  Schranken  für  den  Unterrichtsstoff 
ileuTlich  geiiiii,'  uülgerichtüt  sind;  dennoch  kann  er  in  der  Auswahl 
immer  no^'li  liir  und  da  iiber  die  rechten  Linien  schreiten.  Ist  das 
üuterrichLsziel  der  Volksschule  darin  gefunden  worden,  die  Kiiuh'r 
zu  christlichen  Pei-srmliciikeiten  erziehen  zu  lielfen,  die  befähigt  sind, 
den  allgemein  mensciilichen  Lebensaulgaben  nach  deu  fri\her  ange- 
gebenen Beziehungen  zn  geniigen,  so  müssen  selbstverständlich  die 
Momente,  welche  daiaiil  hinwirken,  stets  in  den  Vordergrund  treten. 
Nebensächliches  darf  nie  mit  dem  Wesentlichen  in  gleiche  Linie  ge- 
stellt wt  rden.  Alle  die  Moment-e,  welche  das  Gedächtnis  unnüthig 
belasten,  gewiss  binnen  kurzer  Zeit  wieder  vergessen  werden,  ohne 
einen  Fiuiken  Lebenskraft  au  die  ^'eruuiüi,  das  Gemüth,  oder  den 
Willen  abgegeben  zu  haben,  ohne  im  praktischen  Leben  sich  irgend- 
wie branchbar  zu  erweisen,  müssen  wegbleiben;  nuincher  Stoff  wird 
blos  zu  geben  sein,  am  nnmittelbar  anf  Gemfith,  Phantasie  zn  wirken, 
ohne  dass  man  die  Absicht  bat,  ihn  bei  den  Kindern  zn  einem  ezsp 
minirbaren  Wissen  zn  machen.  —  Diese  Sätze  wird  der  Lehrer  bei 
jedem  ünterrichtszweige^  nnd  zwar  in  jeder  Lection,  als  maßgebend 
Anerkennen  müssen. 

Als  höchstes  Ziel  sofawebt  der  Volksscfanle  die  religiös- ethische 
Bildung  der  Kinder  vor;  nm  diese  soll  sich  alles  andere  lagern.  So 
kann  darüber  eui  Zweifel  nicht  sein,  dass  der  Beligionsnnterricht 
das  Herz  alles  Unterrichts  in  der  Volksschule  sein  mnss,  von  dem  aas 
ancfa  Ober  die  Übrige  Unterrichtsarbeit  die  rechte  Weihe  strömt^  und 
ZD  dem  alles  das  ans  dem  übrigen  Unterrichte  wieder  hindrüngt,  wa.*« 

P«daffoci«B.  ».JiJiif.  H«ft  II.  7 


Digitized  by  Google 


4 


—  100  — 


das  Menschenkind  emporhebt  zu  seinem  Hotte  rnid  en^ärmt  für  dag 
£dle  und  Gute.  Die  Aufgabe  de.«^  Keligionsuntenichts  kann  keine 
andere  sein  als  die:  christliche  Heligiosität,  christlich-religiöses  Leben 
(denn  darin  finde  ich  die  wahre  Religiosität)  in  die  Kinderherzen  za 
pflanzen,  die  Kinder  zu  lebendigen  Gliedern  des  Reiches  Gottes  erziehen 
zu  helfen.  Der  aber  ist  blos  ein  lebendiges  Glied  des  Reiches  Gottes, 
der  eine  rechte  Erkenntnis  desselben  (seiner  Ge.-<  Iii»  hte  und  Lehre) 
hat,  der  sich  das  Heil  gläubig  angeeignet  hat  und  im  nriien  Leben 
der  Liebe  ((l»'r  Hotte«-  und  Menschenliebe)  wanrlelt;  daraus  t-r^ribt 
sich  noch  deuilieher  als  Zweck  des  Helio^ionsunterrichts:  eine  leben- 
dige (selbstverständlich  dem  Standpunkte  der  Kinder  ents})recheude) 
Erkenntnis  des  Kelches  (iottes  (seiner  Geschichte  und  Lehre)  zu  ver- 
mitteln, auf  (4rund  desselben  den  ^ilauben  nn  Gott  und  das  Leben 
der  Liebf  m  wecken,  zu  nähren  und  zu  plle;,^en.  Weil  nun  die  Oflfen- 
banmgsthateu  (tottes  das  Grundlegende  der  ehri^Jtlichen  Religion  sind, 
die  Otfenbaninirslelire  sich  erst  an  jene  auM  hlieiU.  \veil  es  lemer  ganz 
luid  gar  der  kindlichen  Fassungskraft  entspricht,  wenn  die  Lehre 
erst  in  Form  der  Geschichte,  in  der  Foriii  concreten  Lebens  aultritls, 
su  liat  der  biblische  Geschichtsunterricht  den  Anfang  zu  machen. 
Auf  den  Oberstufen  schließen  sich  die  Geschichten  mehr  und  mehr 
zui-  Geschichte  der  Eutwickelung:  des  Reiche«  Gottes  zusammen,  ver- 
bunden mit  Bibellesen  und  reicherer  Heranziehung  v  ai  Ijchr-  und 
Erbauungsabschnitten  der  heiligen  Schrift.  Die  Krone  des  biblischen 
Geschichtsanteirichts  bleibt  aach  für  die  Volksschule  die  Vertiefmig 
in  das  Lebensbild  und  in  das  Evangelinm  Jesu  Christi,  das 
den  Kindern  iE  nrsprünglicher  Gestalt,  also  in  der  heiligen  Schrift 
ans  nnd  ins  Herz  gelegt  werden  soll.  Hier  fließt  aach  die  Qoelle,  ans 
der  dem  Lehrer  immer  wieder  jEHsches  Lehen  in  den  sogenannten 
„Katechiamnsimterrieht"  hinftberströmen  soll,  in  den  Unterricht,  der 
auf  den  Oberstufen  die  HieQsIehre  auf  Grund  der  heiligen  Schrift  im 
Lichte  des  Bekenntnisses  der  kirchlichen  Gemeinschaft^  welcher  die 
Schule  hex.  das  Kind  aagehdrt,  in  dnem  gewissen  inneren  Zusammen- 
hange geben  solL  Die  in  dem  biblischen  Geschichtsunterricht  zer- 
streut gegebenen  Lehren  mflssen  sich  zuletzt  f&r  die  Kinder  zu  einem 
zusammenhangenden  Ganzen  ordnen,  und  gewiss  hat  die  Kirche,  der 
sie  angehOrmi,  auch  ein  Recht,  zu  fordern,  dass  die  Heüslehre  den 
Kindern  der  Volksschule  in  der  Form  ihres  Bekenntnmses  Termittelt 
werde.  Selbst  wenn  das  kirchliche  Bekenntnis  einer  Beform,  einer 
Neubildung  bedürft iir  wäre,  so  wäre  doch  gewiss  niclit  die  Schule,  am 
allerwenigsten  die  Volksschule,  der  Platz,  wo  man  damit  zu  beginnen 


Digitized  by  Google 


—   101  — 


h&tte.  Die  Yolksscbnle  darf  den  Grand  der  kircUichen  Gemeinschaft 
nicht  untergraben,  sondern  soll  ihr  lebendige  Bansteine  zufuhren;  von 
der  Kirche  ist  wieder  zu  Terlangen,  dass  sie  den  Grund,  auf  dem  sie 
rohen  soll,  Jesus  Christus  und  sein  Wort,  selber  nicht  aufgibt,  und 
ihre  Aufgabe,  zum  Reiche  Gottes  za  erziehen,  ihre  Glieder  und  die 
noch  außer  ihr  Stehenden  zu  wahren  Christen  zu  maclien,  nicht 
ans  dvii  Ansäen  verliert;  dann  n  icht  sich  die  Volksschule  und  Kirche 
von  selbst  die  Hand;  dann  ist  auch  ein  äußerlicher  Confessionalismus 
Ton  selbst  abgewiesen.  Man  könnte  nun  allerdings  meinen,  es  müsste 
der  Religionsunterricht  in  der  Oberclas.se  auch  die  wichtigsten,  beden- 
timgs vollsten  Ereignisse  der  Kirchengeschiclite,  soweit  sie  dem  Ver- 
ständnis der  Kinler  naliegefiihrt  werden  können,  erzählen  und  bd- 
sprechen;  aliein  dies  wird  man  dem  weltgeschichtlichen  Unterrichte 
zu  überlassen  haben.  Die  größten  kircheng-eschichtlichea  Ereignisse 
bilden  ja  auch  Hölie-  und  Wendepunkte  der  Weltgeschichte.  Dagegen 
h  iT  selbstverständlich  das  Kirchenlied  seine  ]  Stelle  im  Rsliglons- 
unterrichte. 

Damit  liabin  wir  sclioa  einige  Grenzlinien  des  jUnterrichts- 
stoffes  gefanien;  wir  wollen  aber  den  einzelnen  Zweigen  des  Religions- 
unterrichts noch  etwas  näher  treten.  Es  fragt  sich  zunächst,  ob  man 
als  Vnrcursns,  wie  minclie  wollen,  die  Behandlang  einer  Reihe  vou 
M  ii  i  1)1  u  an  ilen  Religionsunterricht  anschließen  solle.  Ich  habe 
nur  daiabi'i  tollende  Ansicht  gebildet:  Allerdings  ist  ivor  Beginn  des 
biblisclien  Geschiclitsunterrichts,  insbesondere  in  den  Landschulen,  ein 
Vorcursus  nöthig,  um  erst  die  Möglichkeit  eines  Verständnisses  der 
in  neuhochdeutscher  Sprache  erzählten  biblischen  Geschichten  zu  be> 
wirken  und  nm  erst  die  Sprache  der  Kmder  etwas  zn  »ntfessehi; 
allein  diesen  vorbereitenden  Dienst  leistet  der  Anschanangsontenicht 
ganz  gut  Unzweifelhaft  ttbt  das  Märchen,  „die  Poesie  dea  Tranmes^, 
einen  unendlichen  Zanber  anf  die  Eindesnator  ans;  gewiss  liegen  „in 
nnsern  dentscben  Hftrchen  religiös-sittliche  Komente  wie  GoldkSrner 
▼erstrent,  die  des  Kindes  Gem&th  aufhebt  nnd  sammhlt**,  aber  ich 
kann  mich  nicht  dafiftr  erw&rmen,  einen  l&ngeren  Mftrchencnrsns  als 
Unterbau  für  den  biblischen  Geschichtsunterricht  zn  legen.  Das  Kind 
erkennt  anf  dieser  Stufe  im  Mftrchen  schon  den  Widerspruch  mit  der 
Wirklichkeit;  es  wUl  bald  ernsteren  Stofi^  [zumal  das  Kind,  bei  dem 
das  Hans  schon  den  ICSrchen^ähler  gemacht  hat  Durch  die  An- 
knüpfung einer  Reihe*  von  moralischen  nnd  religiösen  Betrachtungen 
an  das  Hftrchen  geht  gerade  der  Schmelz  der  Dichtung  nnd  ihre 
Wirkung  verloren.    Nach  meiner  Erfiibrung  stehen  die  biblischen 

7* 


Digitized  by  Google 


—  102  — 


G«ficbiclit6ii  Bach  einem  meb^ere  Wochen  gegeboMn  Anschsmiiig»- 
unterrichte,  wenn  tie  recht  aufigewfthlt  und  entidt  Pferden,  dem 
KindeogeirtB  nicht  sn  hoch;  die  MfachMi  verdan  hn  Anschanimgs- 
nntemchte  splter,  wenn  der  Winter  draußen  weniger  Anaehanunget 
bietet,  als  Poesie  des  Ilanaes  erzSJüt,  ohne  aber  lingere  Betrachtungen 
an  dieselben  anzuschließen.  —  Natärlioh  ist  nun  der  biblische  Ge- 
schichtsstoff  auf  die  einzelnen  Stufen,  entsprechend  der  Entwickelung 
des  kindlichen  Geistes  und  unter  Beachtung  des  Zweckes,  der  dem 
Unterrichte  vorschweben  soll,  zn  vertheilen.  Hierbei  thut  es  noth 
eine  Grenzlinie  hinsichtlidi  d^  Zieles,  welches  dem  biblischen  Ge> 
achichtsnnterrichte  in  den  vier  ersten  Schuljahren  gesteckt  werden 
soll,  hervorzuheben:  Der  Hauptzweck  desselben  is^t  nicht  gedächtnis- 
oder  blos  vei-standesmässige  Aneigiiung^  des  biblischeu  Geschichts- 
stoffes, sondern  die  religiös-sittliche  Bilduus-  und  Krbauun^ 
der  Kinder,  anschauliche  Yermitteiung  christlich-religiöser  Krkfnnt- 
nif.  Weckung  und  Pflege  des  religiös-sittlichen  Lebens  und  zugleich 
di^  (Tewiniiung  eines  festen  T''nte!•bane^;  für  die  in  den  Oljerclassen 
zu  gebt  itdi  üyjjtcmati seile  Heil>lehie  i  ivatechi-iiui-uTitf'nicht )  wie  für 
die  Gescliicht«  des  Reiches  Gottes.  —  Ks  werden  >it  Ii  innner  noch 
Lehi^r  finden,  tlic  da  meinen,  das  \\  icliiigste  sei  gt  tlian,  \venn  sich 
die  Kinder  die  biblischen  Geschichten  wortgetreu,  nacii  dem  bibli>  In  n 
Geschichtsbuche,  angeeignet  liaben  und  dieselben  wiederei z^ihleu 
können;  denen  ist  eben  zu  sagen,  dass  sie  sich  das  Ziel  viel  zu 
niedrig  gesteckt  haben.  \^  ol  sollen  sich  die  Kinder  die  biblischen 
Gescliiciiten  sicher  aneignen,  auf  dass  sie  feste  Stützpunkt«  religiöser 
Anschauungen  und  ethischer  Grundsätze  bleiben;  sie  sollen  auch  zum 
Nacherzählen  der  biblischen  (beschichten  angebalten  werden,  weil  darin 
ein  Pr&&tein  für  die  Auffassung  derselben  gegeben  ist,  allein  der 
Hanptcweck  des  biblischen  Geachichtsunterrichts  liegt  in  der  Ver^ 
mittelang  des  religiös -ethischen  Gewinnes.  Und  wenn  der  Lehrer 
die  Kinder  mit  wörtlichem  Memonren  der  taibilischeii  Gescliichten 
plagt,  ao  wird  die  Wirkung  derselben  auf  das  Gemftth  in  Frage  ge- 
stellt; man  nuiBS  auch  hier  eine  indiTidnelle  Art  der  Wiedergabe,  in 
gewisfifiD  Grenaen  natflriicht  gelten  lassen;  Kemstellen,  besonden 
wichtige  Anssprftche  mflssen  wortgetren  wiedergegeben  werden.  — 
Der  Satz,  daas  der  bibüsche  Geschichtsiinterricfat  den  Katechismns- 
Unterricht  mit  nntaibauen  solle,  wird  nach  dem,  was  darflber  schein 
oben  gesagt  worden  ist,  keine  AnfiBchtmig  finden.  Gerade  dadnrch 
bekommt  der  Katecbiamnauntenicht  den  Untergrund  oonereten  Lebens; 
dem  Lehrer  sind  damit  die  Dedactionsquellen  der  im  Eatechismus- 


Digrtized  by  Google 


—   108  — 


mtemchte  an  behandehideii  Bei^e  wie  aacb  die  Hlvstrationeii  m 
den  Geboten,  Olanbenwätzen  etc.  alleathalben  gegeben^  so  da»  man 
denken  aoUte»  es  mflaate  dem  Lehrer  dann  leicht  werden,  die  EUppe 
der  zn  abstracten  Behandlimg  des  Katechiamos  za  vermelden.  Die 
Gebote,  der  I  Artikel  (mit  Lnthersdier  E^rUfirnng),  der  n.  und  HL 
Artikel  (ohne  Lnthersche  BrkUmng),  das  Vatenmser,  die  Einaetsimga> 
-Worte  bei  den  beiden  Sacramenten  Taufe  und  Abendmahl  kOnnen  im 
Anschlass  an  die  biblischen  Geschichten  zor  Besprechung  kommen,  die 
natürlich  ganz  einfach  gehalten  sein  rauss  (zu  yergL  Wangemanns 
Handreichung  beim  Unterrichte  der  Kleinen  in  der  Gotteserkenntnia; 
Beitrajr  zur  Methodik  der  Volksschule  I  und  ]I  von  Grüllich),  Ebenso 
sind  selbstverständlich  Sprttclie  imd  passende  Ldederstrophen  anzuftlgen. 

Der  Auswahl  der  biblischen  Geschichten,  welche  Bartko*)  in 
seinem  biblischen  G^schichtsbuche  für  die  vier  ersten  Schuljahre  ge- 
troffen hat,  nebst  Sprftchen  (ihre  Zahl  kann  allerdings  noch  ermäßigt 
werden;  hie  und  da  ist  ein  Spruch  für  die  Stufen  zu  hoch),  Strophen, 
Katecliismusabschnitten,  stimme  ich  im  wesentlichen  bei;  wir  haben 
in  unseren  Schulen  damit  l)isher  gut«  Erfalirunjren  gemacht.  Wns 
die  Erzähl-  und  liesprerhuno^sweise  der  biblischen  Geschn  htm 
anlangt,  so  liet^pn  <i(  Ii  auch  hier  wichtige  (trenzlinien  zeichnen.  Um 
nur  etwas  vorzuhebeu,  .so  bin  ich  bei  dem  Erzählen  der  biblischen 
Gescliichtrii  zAvei  Extremen  beg-ej^net;  ich  habe  Lehrern  zugehört, 
die,  allerdings  nach  Wiedemannscher  Weise,  viel  zu  sehr  vom  Bibel- 
texte abwichen,  anderen  wieder,  die  auf  allen  Stufen,  auch  auf  den 
untersten,  sich  viel  zu  eng  an  die  Bibelfonn  hielten.  Beides  ist 
falsch.  Anf  der  untersten  Stute  hat  man  im  Sinne  der  ausiliaalichen 
Darstellungsweise  der  Bibel  auszumalen;  die  Gedanken,  Gefühle  der 
handelnden  Personen  liat  man  in  der  Erzähluii^^  laii  ans  Licht  treten 
zu  liLSseu,  aber  der  biblische  Grundstock  muss  trotzdem  dui'chleuchteu; 
Kemstellen  darf  man  nicht  verändern.  Es  ist  dies  nicht  so  schwer, 
als  es  anf  den  ersten  Blick  aussieht  Man  nimmt  die  Geschichte  in 
Bibelform  vor  und  setzt  nun  an  den  Gmndiiss  die  weitere  Ausfüllung 
an,  indem  man  die  IGttelglieder  der  einseliien  Momente,  die  manch- 
mal fehlen,  ergänzt,  sich  selber  die  Situation,  Mottre,  Emplhidnngen 
der  handebiden  oder  leidenden  Personen  klarlegt  Auf  der  Mittelstufe 
hllt  man  sieh  mehr  an  den  Bibeltezt  (etwa  in  der  Form  des  Bart- 
ko'schen  Buches);  Einscbiebungen,  Übeibrfteknngen,  ümAudernngen 
sind  aUerdittgs  auch  hier  noch  nOthig;  Sache  der  Besprechung  ist  es 


*)  EneUeneii  bei  ScItntalMr  in  BftatMii. 


Digitized  by  Google 


danD,  das  psycliologiBcfae  Band  zwischen  den  einzelnen  Momenten 
anfznsuchen,  Stimmnngcn  fler  Personen  auszumalen  etc.  —  Worauf 
bei  der  Besprechung  das  Hauptgewicht  zu  legen  ist,  geht  ans  dem 
Zweck,  wie  er  für  den  biblischen  Geschichtsunterricht  umgrenzt 
worden  ist,  von  selbst  hervor,  der  ethische  Gewinn  duri'  unbedingt 
nicht  dem  Zufall  preisgegeben  werden.  Niemals  dari  aber  die  Be- 
sprechung in  eine  yerwässernde  Breite  gehen;  je  jünger  die  Kinder, 
desto  kürzer  muss  sie  sein.  Oft  enthält  eine  Geschichte  eine  Reihe 
von  religiös-ethischen  Beziehun  ti:en ;  sie  berücksichtigt  man  mit,  aber 
am  Schlüsse  muss  sich  der  Hauptfredanke  klar  und  hell  herausheben 
und  in  einem  Spruche  oder  in  einer  Strophe  sosrleich  auch  eine  feste 
und  bleibende  Form  gewinnen.  —  Tretiliclip  Anweisung:  gibt  Leutz 
in  seinem  Buche:  Anleitung  zur  Be)iRn<Hung  biblischer  Geschichten 
(Tauberbisrhofsheim,  T.anjrsche  Buchhand hmsrl 

üich  die  biblische  Geschichte  (nebst  Bibelleseni  auf  der 
Oberstufe  aufbauen  soll,  ist  oben  schon  kiir-/  anoretleutet  (zu  vergl. 
Beitrag  zur  Meth(Mlik  II,  S.  4.  u.  5\  Hinsichtlich  der  Stoffbe- 
grenzung will  ick  nur  darauf  hinweisen,  dass  das  alte  Verfahren, 
das  sich  lange  in  unseren  Schulen  breitcreniacht  hat.  ganze  biblische 
Bücher  mit  den  Kiiuiern  durchzulesen  foft  auch  leider  ganz  uit  cliauitich, 
ohne  Erklärung),  in  der  Neuzeit  wol  überall  beseitigt  ist.  Es  sind 
ausgewählte  Stellen,  in  Verbindung  mit  der  biblischen  Geschichte,  zu 
lesen,  und  zwai*  erscheint  es  mir  als  richtig,  wenn  die  beiden  Ober- 
stufen (10 — 12.,  12 — 14.  Lebensjahr^  sich  so  in  den  BibelstoÜ  theileu, 
dass  auf  der  erstgenannten  die  historischen  Abschnitte,  bei  der  letzteren 
die  Lehrabschnitte  vorwiegend  sind.  In  früheren  Zeiten  gab  es  eine 
sogenannte  Fsalmendasse  (10—12.  Lebensjahr),  in  weldier  der  ganze 
Psalter  gelesen  wnrde;  das  Verfaliren  war,  wie  ich  mich  ans  meiner 
Jugendzeit  erinnere,  ganz  mechanisch;  wenn  die  Psalmen  dennoch 
einen  Eindrack  machten,  so  lag  dies  einerseits  an  der  ihnen  ein- 
wohnend^ sich  oft  von  selbst  geltend  machenden  Kraft  religidser 
Poesie,  andererseits  an  der  besonderen  Empfänglichkeit  eines  Kindes- 
gemflfbs.  Interessant  ist  der  Aussprach  des  berOhmten  Bildhaaers 
Bietsehel  in  seiner  so  trefflichen  Selbstbiographie  (S.  10):  „Ich  erinnere 
mich  keiner  Anregung  ans  dieser  Schnlzeit.  Nor  wenn  wir  in  den 
Psalmen  lasen,  filhlte  ich  mich  bisweOen  in  ehier  besonderen  Gemflths- 
stnnmnng,  die  mir  einen  wehmflthigen  Eindmck,  wie  Heimweh,  zarflck- 
lieft;  besonders  brachte  dies  Gef&hl  der  137.  Psalm  hervor:  An  den 
Wässern  zu  Babylon  etc.  Die  nnbeschreibliche  Seelentraner  und  Sehn- 
snchtf  die  darin  ausgesprochen,  versetzte  mich  jedesmal  in  eine  tief  ele- 


Digitized  by  Google 


—   106  — 

« 

gische  Stünmang,  >vdche  sich  in  der  VorsteUnng  vouBüdeni  des  Morgen- 
Itfkdes  erging,  erzeugt  durch  die  fremden,  scbOnen  und  ndr  wunderbar 
Torkommenden  Namen  der  Volker,  Stftdte  und  Berge,  durch  die 
extravaganten  Schildemngen  der  Natur  die  Bitten  nm  Untergang  der 
Feinde  (?),  zuletzt  nnd  mit  einem  Worte  dnrch  den  hoehpoetischen 
Schwung  dieser  Gesänge." 

Han  erkennt  daraus  wieder»  daf^s  die  Psalmen  ihre  Stelle  im 
Religionsunterricht  haben  müssen,  aber  das  igt  das  Richtige,  die 
schönsten  anszn wählen,  sie  in  die  Geschichte  zu  verflechten,  so  da^ 
die  in  ihnen  zn  Tage  tretenden  Gefühle  etc.  schon  durch  die  Lebens- 
laofe,  in  der  sie  gedichtet  worden  sind,  mit  ihre  Erklärung-  finden;  sie 
werden  um  so  mächtiger  wirken  (zxl  Yerg\.  Beitrag  zur  Methodik  II 
S.  IHi  Beim  neuen  Testament  wird  hinsichtlieb  der  Lehrabschnitte 
auf  die  Bergpred  i*rt  und  die  Gleichnisse  des  Herrn  der  Schwer- 
punkt zu  legen  .sein.  I  berzeugt  habe  ich  luicli,  ilas.s  es  richtig  ist. 
auf  der  Oberstufe  die  Lehrtliätigkeit  des  Herrn  in  einem  bestimmt 
ten  inneren  Zusammenliange  zu  geben,  also  nicht  durcli  den  chronn- 
btgi.sclieii  Gang  sicli  ängstlich  leiten  zu  lassen.  Dem  Katechis«mus- 
imterrichte  reicht  man  am  besten  dadurch  die  Hand,  dass  man  im 
ganzen  den  Gang  der  Heilsordnung  sich  als  Faden  dienen  VAsst:  dabei 
verleiht  mau  der  Besprechung  noch  mehr  Leben,  wenn  mau  einzelne 
Ereignisse  oder  Handlungen  des  Herrn,  die  sein  Wort  zur  That 
machen  oder  die  Veranlassung  bilden  zum  belehrenden  Worte,  in  die 
Zusammenstellung  einflicht.  Die  Gleichnisse  des  Hen  u  giiedei  t  man 
sich  demnach  auch  nach  folgender  Idee:  Anfang  des  Reiches  Gottes. 
(Wie  komme  ich  in  das  Reich  GK>tte8?  Wie  kommt  es  zu  mir?)  — 
Gaben  des  Reiches  Gottes.  (Was  erhalte  ich  im  Reiche  Gottes?)  — 
BewiUinmg  dier  Reich^genossen.  (Wie  habe  ich  mich  als  Glied  des 
Reiches  Gottes  zn  verhalten?  Wie  nicht?)  —  Entfaltong  (Mischung) 
und  Vollendung  des  Reiches  Gottes.  —  An  das  Lebensbild  des  Herrn 
an  die  Darstellong  seines  Lebens  nnd  seiner  Lehre  mnss  sich  die 
Behandlung  von  den  Abschnitten  der  Apostelgeschichte  anschUefien, 
welche  die  erste  Entfaltung  der  christlichen  Kirche,  der  Torbüdlichen 
apostolischen,  charakterisiren.  Für  Besprechung  einer  Reihe  ron  Ah- 
schnitten  aus  den.  apostolischen  BriefiBn  bleibt  bei  der  biblischen 
Geschichte  auf  den  Oberstufen  keine  Zeit  flbiig;  es  wird  aber  daftlr 
bei  dem  EatecbisinusunteErichte  gesorgt;  sie  lehnen  sich  auch  hier 
besser  an  als  dort. 

Was  nun  den  Katechismusunterricht  anlangt,  so  ist  zunächst 
hervorzuheb^  dass  derselbe  nach  den  beiden  Stufen  Tom  10.— 12. 


Digitized  by  Google 


106  — 


und  Tom  12.  bis  zum  14.  Lebensjahre  der  Kinder  seinen  Stoff  nebst 
Behandlung  zu  modificiren  hat;  er  ist  auf  der  L  Stufe  selbstverständ- 
lich in  einfacherer  und  beschränkterer  Weise  zu  geben  als  auf  der  II. 
Auf  der  1.  Stufe  sind  blos  die  ersten  drei  Hauptstücke  (ich  habe 
immer  den  Lutherschen  Katechismus  vor  Aogen)  zu  behandeln;  anf 
der  z\\'e!ten  treten  die  Sacramente  hinzu.  —  Hinsichtlii'h  der  Curse 
hat  man  in  unseren  Schulen  geschwankt.  Anfangs  verthnüto  man 
den  Katechisnuisstoft  auf  zwei  Jahre;  es  hat  sich  aber  im  h  und  nach 
herausfresteilt,  dass  es  besser  ist,  in  jedem  .Tabre  den  ^^anzen  Kate- 
clüi<Hms  durchzuiielinien,  nur  mit  verschiedi  iu  i  i  !eionun[r  des  1,  und 
2.  Theil:i  (d.  h.  des  1.  Hauptstücks  und  1.  Artikels,  dann  des  2.  Ar- 
tikels etc.).  Es  weitlen  dadurcli  die  Leluer  übrigens  auch  genüthiRt. 
sich  im  Stoffe  melir  zu  l)eseh ranken.  Es  ist  eine  Erfahrungsthat4>aclie, 
dass  die  meisten  Lehier  die  Neigung  haben,  be^ondei-s  die  Behandlung 
der  Gebote  in  nicht  zu  billigender  Weise  zu  zerdehnen.  Mau  kann 
das»  (Gewissen  der  Kinder  auch  ohne  Herlteiziehung  aller  möglichen 
Lebensverhahiiisse  hinreichend  schäilen,  dass  es  im  späteren  Leben 
über  das.  was  das  Sittengcsetz  im  einzelnen  Falle  viMlanirt,  sicher 
ist;  durch  die  breitspuri^a^  Behandlung  wii'd  die  Wirkung  eher  ge- 
schwächt. Die  Katechismuserklarungen,  die  katechetischen  Bearbeitun- 
gen des  Ki^techismos,  von  denen  w  eine  große  Zahl  haben,  sind 
meistens  yiel  zn  weitschichtig  and  ausgedehnt,  so  dass  es  mimOglieh 
ist,  den  in  ihnen  gegebenen  Stdf  za  bewältigen;  issst  sich  der  Lehrer 
Ton  ihnen  ins  Schleppten  nehmen,  so  konunt  er  gewiss  nicht  «n  dem 
Ziele  an,  das  ihm  gesteckt  ist  Der  Lehrer  hat  sich  also  die  Qrenz- 
ünien  ftlr  semen  Stoff  eng  »i  sieben,  sich  stete  an  fragen:  Was  ist 
Yon  religiöser  Bedeatnng?  Was  wirkt  dauernd  fort  im  Leben?  Was 
entspricht  der  Auffossungsgabe  der  Kinder?  Bios  did  treifendsten 
Beispiele  ond  Lebensbeziehnngen  hat  er  heibeimziehen,  die  biblischen 
Geschichten,  welche  er  als  Dednktionsqnellen  oder  als  Blnstrationen 
Terwerten  will,  sorgsam  ansanwählen,  sich  in  den  Worten  knapp  an 
halten,  dabei  Aufelds  lenchtendes  Beispiel  (in  seinen  Eatechiamns- 
predigten)  Tor  Augen  zn  haben,  der  bei  allw  Etae  doch  zugleich 
yerständlich  und  erbaulich  ist  Bei  jungen  Lehrern  habe  ich  öfters 
den  Fehler  gefunden,  dass  sie  beim  Eatechismusuntcrrichte  (ebenso 
wie  bei  katecbetischen  Unteiredungen  fkber  Sprüche)  die  biblischen 
Geschichten  in  viel  zu  ausführlicher  Weise  heranziehen,  sie  wol  von 
den  Kindern  erst  ganz  erzählen  lassen,  w&hrend  e.s  doch  blos 
darauf  ankommt,  ein  Hauptmoment  zu  verwerten;  der  biblische  Ge- 
schichtsuntemcht  muss  auf  den  früheren  Stufen  den  Jkatechismus- 


Digitized  by  Google 


—    107  — 


mtemcht  so  vorb€feitet  haben,  dass  man  blos  ansnschlagen  braucht« 
um  die  religiös-ethischen  Momente,  die  man  bei  letzterem  braucht, 
wieder  zum  Bewosstsm  zn  führen.  Bei  einer  fehlerhaften  Verwertung 
der  biblischen  Geschichte  zieht  sich  eine  katechetische  ünterredang 
ganz  nnnatfirlich  in  die  Lftnge,  und  es  entsteht  ein  verschvommmenes 
Ganze. 

Zuletzt  noch  ein  Wort  über  den  religiösen  Memorirstoff,  über 
die  zu  erlernenden  Sprüche  und  Lieder.  Sicherlich  hat  hier  eine 
feste  Grenzlinie  nothgethan.  Das  sächs.  Ministerium  des  Cultus  und 
öffentlichen  Unterrichts  hat  im  Einvernehmen  mit  dem  Laiidescon- 
sistorium  eine  solche  gezogen.  („Der  religiöse  ^lemorirstoff  für  die 
evangel.  Volksschulen  des  Königreichs  Sachsen."  Dresden,  Huhle.) 
Man  könnte  hier  zwar  die  gegen  Kegulative  gewöhnlich  erhobenen 
Bedenken  der  Einschnürung:  etc.  auch  wieder  geltend  machen,  allein 
die  Thatsache,  dass  damit  an  den  Kindern  eine  W'olthat  geübt  worden 
ist,  sie  von  nierbttrdttng  bpfivit  worden  und  alle  Collisionen  zwischen 
den  Vertretern  der  Schule  und  Kirche  gehoben  sind,  liegt  offenbar 
vor  Augen.  Wenn  nun  schon  auf  den  Unter-  und  Mittelstufen  Sprüche 
Liederstropben  aus  dem  ..religiösen  Memorirstoflfe"  an  die  bildischen 
Geschi(li(Hn  angetugt  wurden  sind,  s<>  ist  die  Aneignung  desselben 
den  Kindern  sehr  erleichtert,  und  e.s  ist  zu  hotlen,  dai>s  sie  Sprüdie 
und  Lieder  mit  ins  Leben  hinausnehmen  und  diese  eine  religiö.s- 
ethische  Macht  in  den  verschiedenen  Lebeuülageu  ausüben,  voraus- 
ge.«etzt  natüiüdi,  dass  der  Lehrer  sich  nicht  gegen  besseres  Wissen 
hinsichtlich  der  Behandlung  der  Sprüche  und  Lieder  die  Grenzlinie 
falsch  f;ez()geü  d.  h.  sich  mit  mechanischem  Kinprägen  derselben  be- 
gnügt hat.  Oft  ist  mir  hier  aufgefallen,  dass  Lehrer  die  erbauliche 
Macht  des  Liedes  zu  wenig  im  Religionsunten-ichte  selbst  verwerten, 
dass  sie  zu  wenig  solche  Strophen  herbeiziehen,  die  den  GrefiUilen, 
Gesinnungen,  welche  sie  gerade  erzeugen  wollen,  den  besten  Ausdruck 
yeiieihen  wttrden.  Manche  dagegen  haben  dies  nicht  TersAurat,  und 
es  ist  gewiss  nur  als  richtig  anzuerkennen,  wenn  ein  Lehrer  z.  B. 
beim  1.  Crebote,  nachdem  er  vom  Gottvertrauen  gesprochen  hat,  seine' 
Unterredung  mit  dem  Gesänge  schließt:  »Auf  Gott  und  nicht  auf 
meinen  Bath  etc.''  Femer  ist  mir  dies  nicht  als  richtig  erschienen,  dass 
man  bei  Sprftehen  gewdhnlich  vergisst,  anf  den  Propheten,  Apostel  etc., 
Ton  dem  sie  herrühren,  mit  hinzuweisen;  Öfters  nämlich  bekommt  dadurch 
der  Spruch  für  die  Kinder  sofort  einen  conereten  Hintergrund;  ich 
erinnere  nur  an  den  Spruch  „Ob  ich  schon  wanderte  etc.** 

(Fortsetstuig  folgt.) 


Digitized  by  Google 


ADie  BedeiLtuis  der  Keisehiüe  für  dsterreieL 

Vm  Oito  SeMgr-BniMH. 

(Schliws.) 
V. 

Die  Entstehnno"  eines  Staates  ist  nicht  von  Willkür  odor  ZatlUligkeiten 
abhänprip.  Keine  n«)(  h  s*^  große  Gemeinschaft  trägt  die  Bür]t,'s*chafT  festen 
liestaudeii  in  sich,  wenn  die  Vei-einigiuig  nicht  auf  Grund  einer  uothweudigen 
Idee  erfolgte. 

Worin  dieselbe  auch  wurzeln  laß^y  welea  ee  nationikle  Bestrebungen, 

cnlturelle  Aufgaben,  Handelsinteressen  etc..  immer  lunss  ?ie  im  \'()ider2mnde 
stehen  und  sich  einer  besonderen  Fliege  erfreuen;  denn  mit  iluein  We^^falle 
hört  die  Existeuznothwendigkeit  und  Existenzberechtigung  des  Staates  auf,  es 
sei  denn,  daas  sie  Jm  Laufe  der  Z^ten  diun^  eine  andwe  ersetzt  wflrde.  Im 
Hittelalter  war  die  Aasfibnng  jeder  Antoritftt  an  physische  Macht  gebunden 
nnd  daher  auch  die  Bildung  des  Kirchenstaates  historisch  notlnvendig.  Als 
sich  abi  r  mit  der  Veilir-  itun^r  der  Tiitelli^en?:  die  Herrsehaft  des  Geistes  immer 
mehr  erweiterte,  t^chwaiid  die  Noilineudigkeit  und  mit  ihr  die  Berechtigung 
des  weltlicheu  Besitzes  der  Kirche,  umsomehr  als  das  Verlangen  nach  einem 
italienischett  Nationalstaate  immer  drängender  wurde. 

Wie  aber  jede  Kraft  an  eine  Materie  gebunden  ist,  so  ist  auch  der  funda- 
mentale Zwfck  aufs  innisrste  verknüpft  mit  .sciiMin  Trflgrer,  dem  staatsgründen- 
den Volksstamme,  von  dem  i-i-  mir  irftietint  wt  idtii  kann,  wenn  dieser  dnrrh 
Degeneration  die  BelUhigang  zur  Duiciiiulirung  des  leitenden  Gedankens 
verliert 

(Vsterreicb  verdankt  seine  Existenz  bestimmten  Cnlturbestrebungen.  Um 
die  Errungenschaften  d»  s  Westens  gegen  den  Andi'ang  der  rohen  und  batba- 
risfhen  Nachbarn  zu  schiitz»  !!.  wnrde  fine  selbststilndige  Gemeinschaft  unter 
den  Babenbergem  gegründet.  Diese  meiir  passive  Mission  wich  jedoch  unter 
den  Habsbiugani  bald  der  tamierai,  Üiai  Osten  dnndi  doHtsdie  Xraft  vaA  Bfl- 
dang  für  die  Qvüisation  vormbereiten  und  ihr  schliafilicfa  saanfobren.  Und 
diese  Aufgabe  besteht  noch.  Nur  durch  die  Pflefre  alles  dessen,  v  den 
Menschengeist  veredelt,  was  modernes  Recht.^ireriilil  und  Achtung  der  Mensclu  n- 
würde  verbreiten  und  befestigen  kann,  ist  unser  ^Hterland  im  Stande,  dem 
hoben  Zwecke  zu  entsprechen,  der  es  geschafien,  und  aus  sich  jene  erfolg- 
verq>rediende  Kraft  za  scbfl|>fen,  der  es  sn  dess^  Dnrchftthrong  bedarf!  Seine 


Dlgitized  by  Google 


—   109  — 

vortheilbaften  geographischen  und  klimatischen  Verhältnis»,  welche  Ackerbau, 
Bergbau,  ludustrif*  nnd  HiinJel  so  sehr  begrünstigen,  seine  ansirezeichneto  Lap:e 
zwischen  den  drei  großen  enropUisehen  Völkerfarailien.  wodurch  es  allen  An- 
regungen von  den  verscläedeusteu  Seiten  zugänglich  ist,  und  im  Geuuütie  aller 
VonSge,  die  der  physischen  Vermischiuig  der  Rassen  entspringm,  ist  ihm 
schon  von  der  Nator  alles  gegeben,  was  eine  imposante  Kraftentwickeinng 
ermög-liilit.  Aber  es  leidet  darnntcr.  dass  !m4i  die  Parteien,  die  in  constitn- 
tionellen  Staaten  nothwendigerwelse  entstehen  müssen,  sich  nieiht  nicht  nach 
politischen  Ansciiauaugen,  sondern  nach  Nationalitäten  gruppiren,  sich  mit 
großer  Leidenschaft  befehden  und  In  gftnzlicber  Yerkennnng  des  Geeammtwoles 
das  Parteiinteresse  hoher  stellen  als  das  Staatsinterasse. 

Dadurch  wird  auch  die  Schule  sehr  sebww  geschädigt.  Von  einer  rein 
humanitären  Institution  wird  sie  zum  Spielbnlle  der  Parteien  degradirt,  und 
ohne  Kücksicht  auf  ihre  fortschrittliche  Entwickolmig  ist  sie  das  Versuchsfeld 
nationaler  Bestrebungen,  oder  wird  snr  Befriedigung  ephemerer  WUnsche  ganz 
preisgegeben  I 

Jede  Nation  hat  das  Kecht  zu  fordern,  dass  der  ethlsehe  Gedanke  der 
KatirmalitUt  anerkannt  werde,  hat  das  Recht  auf  eifyenartige,  nngehemmte  Ent- 
wickelung  und  somit  darauf,  dass  ihre  Sprache  und  ihre  Sitten  berücksichtigt 
werden.  Aber  im  Interesse  des  Ganzen  müssen  sepaiatistischen  Aspirationen 
nnSbevsdireitbare  Grenzen  gesetzt  werden;  denn  der  Staat  hat  seinerseits  das 
Recht  zu  forden],  dass  nicht  durch  einseitige  nationale  Erziehung  seine  innere 
Kraft  geschwFU  ht  nii  !  ^ein  Pestand  g-efUhrdet  werde.  Mfichten  doch  die  Na- 
tionen nicht  immer  auf  ihre  Rechte  pochen,  auf  wirklich  bestehende  oder  ein- 
gebildete, sondern  sich  auch  öfter  ihrer  Pflichten  erinnern,  die  sie  gegen  die 
hShere  Einheit  „Staat**  haben! 

Anf  da*  Basis  dentscher  Ansehavnagen  wurde  ans  dem  Osterreichischen 
Staatenbunde  ein  Einheitsstaat,  das  Deutschthum  gab  der  Gemeini^chaft  den 
Charakter,  deutsche  Kraft  und  Intelligenz  hob  .sie,  und  wenn  der  Deutsche 
verlangt,  dass  iluu  auch  fernerhin  die  Führung  überlassen  bleibe,  so  stützt  er 
seine  Ansprilehe  nicht  auf .  sogenannte  historische  Rechte,  seodem  auf  die  Er- 
kenntnis nnd  das  Bewosstaein,  dass  die  Staatsidee  mit  ihm  anft  engste  ver* 
hon  den  seL 

Darum  lie?t  es  im  eig-ensten  Interesse  Österreichs,  dass  die  deutschen 
Schalen  nii'güchst  vermehit  werden,  und  dass  an  den  Schulen  mit  anderer 
l  ut^iTichtssprache,  wo  es  nur  thunlich  ist,  das  DeuLbche  obligatorisch  gelehrt, 
^ler  aneb  wirklidi  gelehrt  werde.  Nnr  so  kann  die  geistige  AbgeseUessen» 
heit  angehoben,  können  die  Errun^i-uschaften  der  Cultur  allen  Peichstheilen 
zug-nncrlich,  kann  ein  Einerehen  in  die  Entwickelung  des  Gesaninitreiches  nnd 
eine  zielbewusste  Theilnahme  an  allen  öt^Vulüchen  Ang-elegenheiteu  emöglicht 
werden.  Damit  wird  jedoch  keine  Kntnationalisirung  beabsichtigt;  im  Gegen- 
theile,  denn  das  nationale  Leben  entfhltet  sich  nm  so  frachtbringender,  je 
mehr  Geiatesquellen  dem  Volke  erschlc^sen  wnden.  Frtther  wurde  auch  in 
Deutschland  die  Wissenschaft  nicht  in  der  Muttersprache  gelehrt  :  die  Forsclrnnp-f:- 
resultate  der  Engländer,  Frar)7o«^»'n  und  Italiener  wurden  und  neiden  noch 
heute  bereitwilligst  aufgenommen,  ihre  Sprachen  haben  sicli  eine  dauernde 
Stellung  an  dentachen  Schulen  gesichert,  and  sind  deshalb  die  Dentschen  vi4- 
leidit  keine  Nation? 


Digitized  by  Google 


Nicht  nur  der  einzeioe  Meiuch,  aadi  der  Staat  aLs  Ui^anismus  ist  ab* 
häogig  von  KatnrgcsetieiL  Er  entsieht»  trachiet  aicb  «i  eriialten  mid  zft 
kritfUgen,  und  kämpft  im  wfaie  EziiteiiE. 

Ben  Maßstab  ffir  die  Znftilir  an  Kraft  geben  die  Staat. "^einnahmen,  die 
im  unmitteni  tnni  Zusaminonhange  mit  dem  Wolstande  d^^r  I'.  w  ilnifr  sff'lien. 
Dpt  Reichthum  eines  Landes  liegt  in  der  (jewiunang  der  Trodiicte  des  Bodens, 
in  der  Industiie,  welche  den  Wert  dee  BohmaterialB  TergrOßert,  and  im 
Handel»  welcher  die  Ware  ht  IJader  aauetat,  wo  eie  eben  hIttiMen  Werth 
haben  ab  am  Erzengangsorte. 

Diese  Grundfesten  är<i  Volkswnlstandes  bernheu  auf  der  Arbeit,  die  im 
Laufe  der  Jahrhundeite  immer  mehr  und  mehr  durchereistigt  warde.  und 
einen  ötaudponkt  erreicht  hat,  wo  die  Intelligeaz  die  pliysiscbe  Thätigkeit  do- 
ndnirt  Die  hentigen  VerUUtnlne  bdeiieliten  es  anlh  hellate,  daae  der  Laad- 
mann,  der  Gewerbtreihende  and  der  Kaufmann ,  der  seiner  Arbeit  nieht  das 
nöthige  Verständnis  entfrofrenbrina-t  ,  der  nnffthig^  ist .  mit  dei-  Zeit  furtzri- 
schreiten,  sich  unrnf^erlith  im  Coneurrenzkampfe  behaupt  Mi  kanu.  In  dem  Augen* 
blickei  da  mao  die«  erkannte,  war  der  Staat  verpflichtet,  dorch  UebOBg  des 
Sehnlweaena  aaf  die  geistige  Büdnng  der  BevOlkernng  fVrdenid  einnwirtMi, 
wenn  er  eich  nicht  aelbet  schädigen  wollte. 

Die  Schule  als  Erziehnngsanstalt  kann  sieh  Jedoch  mit  einer  speciellen 
Fachbildung:  nicht  befassen,  und  man  kann  sie  nicht  des  Charakters  einer 
allgemeinen  Bildungsstätte  entkleiden,  am  sie  zur  Befriedigung  von  Sonder^ 
interessen  zu  missbrauchen.  Sie  kommt  den  Forderangen  des  priÜLtisohen 
Lehens  himrelchend  dadurch  entgegen,  daaa  sie  den  Lebiplaa  der  jeweiligen 
Lage  aceomiMdirt;  aber  sie  verliert  den  Ansprach  darani;  den  Menschen  eniehen 
zu  können,  wenn  sie  »ich  vor  der  Begründung  einer  allgemeinea  fiildvng  vom 
U(ilit8t5;principe  allein  beherrschen  lässt. 

Die  Bildang  als  solche  ist  nicht  eine  Summe  von  unverbundenem,  uuzu- 
aaaoanenhängendem  Wiam,  sondern  ein  Besnltat,  welches  dnreh  geistige 
Operationen  aus  den  einzelnen  Kenntnissen  als  Functionen  gewonnen  wird.  Je 
nach  dem  Grade  der  Bildung  seliafft  sich  der  ilensch  Gesichtsiurnkte,  von 
denen  aus  er  sieh  in  der  ilin  tniifrehenden  iiliysisehen  und  geistigen  Welt  orien- 
tirt,  am  sich  ihr  nach  seinen  Verhältnissen  anzupassen.  Je  höher  der  Stand- 
punkt ist^  von  dem  ans  der  einzelne  das  Gesammtleben  flbereiehtr  desto  besser 
wird  er  sich  in  seine  Lage  an  finden  wissen,  nnd  desto  mehr  Wahrscheinlich* 
kdt  hat  er,  seine  Existenz  zu  verbessern. 

Die  Ansammlang  großer  Capitaüpü  in  den  Tländen  weniger  erzenste  Con- 
centrationen  des  Grundbesitzes  und  industrieller  Unternehmungen,  die  uatur- 

gemäß  eine  große  Zahl  von  Arbeitskräften  erfordern,  tind  mit  denen  der  kleine 
konom  odw  OesctAftsmann  nidit  conenrriren  kann.  Dieser  ümstand  sdiuf 
eine  Abhängigkeit  der  Arbeitsnehmer  vom  Arbeitsgeber,  die  stellenweise  so 
drückend  wurde  ««»Irr  ils  sf»  drückend  darg^estellt  wurde,  dass  auf  Grund  einer 
überspannten  Anschauung  vom  ^Eechte  der  .Arb.  it"  vieler  Orten  der  Wunsch 
entstand,  dur(  h  t  ine  Änderung  in  der  Zusammeoseizung  der  menschlichen  Ge- 
seUschaft  dies  peinliche  Verhiltnis  anfisnheben.  Es  entstsnd  der  Soeialiamnsr 
eine  neue  Form  fKr  den  alten  Kampf  zwischen  Bemittelten  und  Unbemittelten. 


Digitized  by  Google 


~  III  — 


Luge  gtiung  yendikMn  man  si«  Ii  (lag:egen,  die  Existenz  dieser  Art  YOUk  Be- 
strebiinfen  anznerkennen :  aber  Ne^ationt-n  be\v(ns»'ii  iiidits  niid  bessern  nichti, 
und  wer  sicli  heate  noch  p*'ß:»'n  die  Aucrkeunimg  der  socialen  Fragre  wehrt, 
der  versteht  die  Gegenwart  nicht  Wir  befinden  ans  schon  niiu<^u  in  der 
LBrang  des  aodalai  Problems,  ond  die  baben  aieb  vkwtot  gettnsdit,  die  iie 
nur  a«f  gewaltsame  Weise  tta  mOglieh  hielten;  demi  auf  diesem  Wege  wfiide 
die  Lage  des  Arbeiters  ebenso  wenig  aof  die  Daner  sich  bessern,  als  es  laOg^ 
lieh  war.  dnrch  einen  Dmck  von  ob»^!i  di»'  Beweirung'  ni»'derzuhalten. 

Die  Lüüuug  der  socialen  Frage  konnte  und  kann  nur  allmählich  nnd  durch 
die  GeeeUsohaft  selbst  auf  der  Basis  geistiger  Ansbildong  und  praktischer 
Anerkennaiig  weseatUch  gleidier  Beefate  fBr  alle  erfidgeiL  Wird  die  BUdang 
erhöht,  so  leral  der  Arbeiter  edlote  Genüsse  kennen,  es  wird  sein  geistiges 
GesiditstVld  erweitert,  fr  findet  lohnend*  ir  Arbeit  und  bat  die  Aussicht,  mit 
der  Zeit  seine  Lag-e  zu  verbessern:  dann  werden  auch  die  socialistischen  Cie^en- 
sätze  gemildert,  und  eine  Jvi'ankheit,  vor  der  heute  nocb  viele  die  Augen  angst- 
lieb  TerseUieBen,  beut  durch  den  Proeess,  der  dcih  langsam  aber  stetig  im 
Qrganisnius  vollzieht.  Welcher  Untemehied  in  der  Lsge  des  Arbeiters  heute 
and  vor  fünfzig  Jahren! 

Der  Wert  und  die  hohe  Bedentnniar  der  Xatorwisseoschatteu  wurde  be- 
reits früher  hervorgehoben,  ebenso  die  Nutüweudtgkeit  ihrer  Verbreitung,  die 
anverkeanbar  ist,  wenn  man  den  SÜnflnia  berflckaiohtigt,  den  die  Kenntnis  nnd 
riehtige  Anwendong  der  Natntgesetie  aaf  alle  Vorkommnisse  des  phymsehen 
lad  wirtschaftlichen  Lebens  ausüben. 

Die  Vennebrun ^  der  Bevölkerung  geschieht  ungrleich  rascher,  als  die  Ge- 
treide- nnd  Flei&chproduction  zunehmen  kann,  wodurch  eine  Störung  des  Gleich- 
gewichtes zwischen  Erzeugung  und  Bedarf  zom  Theil  bereits  eingetreten  ist 
nnd  mit  der  Zeit  an  Intensitit  immer  annehmen  wird.  Diese  StSmng  kann 
nur  behoben  werden,  wenn  dnrch  die  volle  Verwertung  der  Resultate  a^^ri- 
cultur-chemif5cher  Forschungen  die  Ertra^sföliiirk-'i»  des  Bodens  aufs  höchste 
gebracht,  und  dieQualitilt  des  frezüc.liteten  Vielies  bedeutend  verbes.sört  wii'd. — 
Dnrch  sinnlose  Devastatiou  der  Wälder  und  Trockeuleguug  der  Teiche  wurde 
eine  nnheihroUe  YerKndemng  nnseres  Klimas  hervorgerufen;  dnrch  diese  traa- 
rige Erfishmng  belehrt,  war  der  Staat  geawnngoi  diesbezügliche  Gesetze  zu 
erlassen,  be?  denen  jedoch,  wie  bei  allen  Gesetzen,  auf  ein  versUlndnisvolles 
Eingeben  iu  dieselben  erst  dann  gerechnet  werden  kann,  Venn  die  Geaammt- 
heit  von  deren  Nothwendigkeit  durchdrungen  ist  Die  Hedicin  lehrt,  dass  es 
leichter  sd,  Krsnkhdten  an  vermeiden,  als  an  heilen.  Der  grMte  Thdl  derselben 
fiadet  seine  Unaeheia  einer  maagelbaften  EraBhmng,  in  schlechten  Wohnungs- 
verfaältnissen  und  einer  übermäßigen  Anstrengung  des  Körpers.  Die  verkehr- 
ten .\nsichten,  di«^  über  den  Wert  der  verschiedenen  Nahrungsmittel  herrschen, 
machen  es  nothweudig,  viele  der  hohen  Bedeutung  zu  entkleiden,  die  ihnen 
lUseÜüeii  angemessen  wird,  and  wieder  «äderen  aa  ridttiger  Anerkenanng  an 
TerhelftD.  Tritt  an  dieser  KenntnÜB  noch  jene  vom  Stoffwechsel  nnd  der 
chemischen  Verilndemng ,  die  durch  die  Zubereitung  hervorgemfen  wird,  80 
ist  auch  der  Minderbemittelte  im  Stande,  dnnh  richtige  Ernilhrung  das  Ver- 
brnnchte  zu  ersetzen.  So  lange  terutr  nicht  die  Erkenntnis,  das-s  Mangel  an 
irittcher  Luft,  sowie  Unreiulichkeit  und  ÜbeifUllung  der  Wohnung  vom  scUld- 
lidistan  Einflnsse  anf  die  Gesundheit  sfaid,  in  alle  Schichten  der  Bevölkemng 


Dlgltized  by  Google 


—   112  — 


gredrangen  ist,  f^n  laiig*^  ist  nicht  zn  mvarton.  da?s  »iie  Xachtlieile  li^s  en?en 
BeisammenwohneiLs  in  «it  n  Städten  bebobeo  werden,  und  alle  Bemühungen  von 
Samt&ts-Comoussionen  und  humanitären  Vereinen  bleiben  erfolglos,  wenn  sie 
nicht  eiii  auf  Yentftndnis  bttirtes  Entgegenkommen  Ibden.  Die  wahrhaft 
•chrecIceiMmgende  Zahl  Tom  Menachenleben^  die  dadurch  Ternlehtet  werden« 
dan  Kinder  frühzett^  zn  schwerer  oder  einseitiger  Arbeit  verwendet  werden, 
und  die  empörende  Rücksichtfilosigkeit,  mit  der  die  norh  nnentwickelte  Arbeits- 
kraft auf  Kosten  der  Gesundheit  ganzer  Generationen  ausgenützt  wird,  hat 
wol  schon  zu  sehr  viel  Lamentationen  und  rtthrenden  Vortrftgen  Anlass  gegeben, 
eine  praktische  Abhilfe  na  aehafliBa  ist  aber  nnmOglichi  wenn  das  Volk  nicht 
über  die  traurigen  Folgen  gründlich  belehrt  wird,  nnd  dnreh  das  Gesetz  der 
Anstritt  ans  d>'r  Scbnle  so  Innsre  hinausgeschoben  wird»  daoB  der  Beginn  der 
physischen  Arbeit  in  ein  reiferes  Alter  fiillt. 

Wohin  wir  auch  blicken  mögen,  überall  weiden  au  die  Arbeit  die  höchsten 
Anfordemngen  gestellt  Eb  ist  gewiss,  dass  dnrdi  Scholen  allein  keine  Li- 
dnstiie  geschaffen  werden  kann,  aber  die  bereit«  bestehende  wird  durch  sie 
erhoben  und  gekiüftij^  und  entwiVkelt  sich  nm  9-0  tredeililicher ,  je  ni'dir 
Wissen  nnd  t  ine  je  höhere  ästhetische  Auffas>una:  d»'r  einzeln»'  in  das  aitszn- 
ubende  Gewerbe  hineinträgt.  ::^elb8t  der  kleine  Kaufmann  braucht  heute  eine 
aasreiehende  Kenntnis  der  nattenal-Qkonondsdien  Oesefcie,  mnss  die  Wechsel' 
Wirkung  kennen  swischen  Nadilinige  nnd  Angebot,  ElfeeÜTgeschllt  nnd  Specn- 
lation  etc.  und  muss  in  dem  Maße  geistig  thfttig  sein,  als  die  complicirten 
Verkehrs-,  Handels-  und  CreditverhiUtni^s.-  .  ine  irWißere  Refn?anikrit  verlangen. 
Lud  wie  soll  die  Landbevölkerung  verständnisvoll  mitwirken  bei  der  Lösung 
der  gebietarisch  anftretenden  Agrarfragen,  bei  landwirtschaftlichen  Associa- 
tionen, Boden-'HeUorationen,  Verbessening  des  Sanitätswesens  o.  s.  w.,  wenn 
sie  diesen  Bestrebungen  keine  Einsicht  entgegenbringt? 

Das  all» s  kann  freilich  die  Schnle  nicht  lehren,  aber,  wie  bereits  oben 
erwähnt,  dnn  h  den  I'nterricht  wird  der  Geist  für  Belehmns"  empftnsrlich  und 
zum  Nachdenken  laiu;^  gemacht,  und  der  hohe  Wertik  der  erweiterten  Schule 
besteht  darin,  dass  rie  in  den  Terschiedensten  Richtungen  positives  Wissen 
begrOndet.  —  Je  höher  die  geistige  Entwidtelnng  des  Individuums  ist,  desto 
selbststilndiger  wird  es.  desto  mehr  handelt  es  nach  eigener  Einsicht  und  be- 
freit es  sich  von  fremden  ^leinnngen,  die  es  sonst  prufnurslos  annehtnen  müsste. 

Der  beliebte  Satz:  Wissen  ist  Macht,  ist  nur  insofern  wahr,  als  das 
„Wissen**  ein  „K5iinen"  begr&ndet;  der  Sats  aber:  Unwissenheit  ist  Schwäche, 
ist  unbedingt  wahr,  denn  um  au  „kSnnen",  muss  man  vorerst  „erkennen". 

Es  ist  demnach  eine  fundamentale  Bedingung  für  das  Gredeihen  nnd  die 
Kräftignnix  dt  s  Staat licht-n  Orsranisnms.  dafiir  zu  sorgen,  daps  dnrch  allgemeine 
Verbreitung  von  nntziichen  Kenntnissen  das  Gesammtwiis&eu  und  damit  Auf- 
klftmng  ni^  Wolstand  wachsen.  Die  Vermehrung  der  Staatseinnahmen  erfolgt 
von  selbst,  wenn  der  FrivatbcsitK  im  Werte  steigt,  und  wenn  dem  Volke  die 
Mittel  geboten  weiden,  den  friedUdien  Kampf  auf  dem  Weitmartie  mit  Erfolg 
dnrchznf&hren. 

VIL 

Der  Grad,  in  welchm  dies  der  Staat  erreidit,  ist  nicht  nur  maßgebend 
für  den  Wolstand  seiner  Bfirger,  sondern  auch  für  sein  Verbftltnis  m  anderen 


Digitized  by  Google 


—   113  — 


Staatpn.  für  seine  Machtstellang.  Sieht  er  sich  eretiöthii^t ,  die  Übergriffe  eine* 
anderen  zurückzuweisen  und  sein  cnites  Kecht  oder  die  liüchsten  Güter  der 
Keuschheit  zu  vertheidigeu ,  dann  zeigt  es  sich  am  klansten,  inwieweit  es  iiiin 
gdimgeii  ist,  sein  dg«nefl  Ihteresae  m  wahren;  denn  Kraft  kann  tkSi  nnr 
dann  ftnflcm,  wonn  sie  wirklich  vorhanden  ist.  Heute  iet  der  Xrieip  nidit 
mehr  ein  Abwägen  roher  Kräfte,  sondern  neben  der  Befähigung  der  Führer, 
der  Anzahl  und  militärischen  Ausbildung  und  Bewaffnung  des  Heeres  bestimmen 
Intelligenz  und  tiuanzieller  Wolstand  des  Gesammtreiches  den  Erfolg,  und  die 
Oflichichte  zeigt  es,  dass  gerade  cnltiirell  hoch  stehende  Völker  im  Kriege 
relativ  die  mdtte  Kraft  heweleen.  Dnreh  die  Binfthron^  dar  allg«nieinen 
Wehrpücht  und  durch  die  hohe  Entwickelung  der  Industrie  und  des  HandoU 
werden  die  Kriege  seltener,  aber  in  ihrer  Wirkung  energischer.  Es  gibt  lieute 
keinen  Stand,  der  nicht  Wehrpflichtige  unter  seinen  Mitgliedern  zählte.  Durch 
Einberufung  derselben  werden  Stockungen  auf  allen  Gebieten  der  geistigen 
vnd  phyaiBChen  Artieit  ersengt,  nnd  erst  nach  jaiuwlangem  angestrengten 
Schaffen  Itiinnen  alle  Lücken  geschlossen,  alle  Störungen  aufgehoben  werden. 
Bei  dem  reiren  \  erkehre.  der  zwischen  den  verschiedenen  Staaten  herrscht, 
hat  jeder  Kries:  selbst  für  den  Sieger  Nachtheile:  denn  abgesehen  von  den 
enormen  Ausrüstnngskosten,  die  nie  voll  ersetzt  werden  können,  abgesehen 
TOB  den  HenBchenverlnsten,  hat  jede  materielle  Schwächung  des  Gegners  eine 
Verminderang  der  Handelsheziehni^fen,  Ahnahme  dnr  indns^eUen  Emogninet 
und  dadurch  eigene  Sdifldigimg  rar  nothwendigen  Folge. 

Um  aUe  Ohel,  die  der  Krieg  mit  sich  hringt,  auf  ein  Minimnm  zn  redn- 

ciren,  muss  alles  aufgeboten  werden,  um  durch  eine  rasche  Niederwerfung  des 
Gegners  die  ins  Völkerleben  so  tief  einqrpit't'nden  Efdsuden  nach  Thnnlichkeit 
abzukürzi'n.  Zu  diesem  Zwecke  uiuäi»  die  militärische  Ausbildung  jedes  Ein- 
zelnen mügliclitit  gesteigert  werden,  eine  Forderung,  der  entgegensteht,  dass 
durch  eine  ISngere  Dienstzeit  die  Stenerkraft  des  Volkes  zn  sehr  angrapaant 
wild,  nnd  der  prodncirenden  Ariieit  an  viele  Kttpfe  nnd  HBnde  entgehen.- 

Beiderl^  Ansprüchen,  dem  des  Soldaten  nnd  dem  des  NationaUikonomen, 

könnte  entsprochen  werden .  wenn  der  Grund  der  militärischen  Erziehung  Schon 
in  dn-r  Schule  gelegt,  nnd  für  eine  weitere  Ausbildung:  {reeiirnete  Vorsorge  ge* 
troflen  würde.  Das.  was  man  von  einer  Sdiule,  in  der  die  militÄrische  Er- 
ziehung nicht  besonders  betont  ist,  in  dieser  Richtung  billig  erwarten  kann, 
geschielt  ohnehin  schon  jetzt  Erinnerungen  an  rtthmliche  kriegcrisdie  Erfolge 
werden  mit  patriotischer  Pietät  gepiegti.  der  Geist  wird  mm  Denken,  der 
Wille  zn  pflichtniilßijrer  Unterordnung  erzogen,  der  Körper  durch  Turnen 
geschmeidig  und  kräftie:  {gemacht.  Ein  ausgedehnterer  Sprachunterricht  ptrhert 
richtige  AofEassung  und  genaue  Wiedergabe  des  Gehörten,  das  exacte  \\  issen 
fördert  Frftdsion  nnd  Kluh^t  im  Ansdmcke,  dnreh  die  Natarwissenschaften 
wird  das  nOthige  Verstftndnis  für  die  Belehmngen  in  der  Walfentechnik  an> 
gebahnt,  Geometrie  und  Zeichnen  legmi  den  Gmnd  für  die  Elemente  der 
Terrainlehre.  Wie  vortheilhaft  konnte  alles  das  ftir  die  einheifli«  ))*>  Aus- 
bildung des  Heeres  ausgenütjct  werden,  wenn  auf  den  in  der  Solksschule 
gelegten  Fundamenten  planmäßig  weitergebaut  würde.  Aber  zwischen  dem 
Anstritte  ans  der  Sdinle  nnd  dem  Eintritte  ins  Heer  liegt  eb  langer  and 
gerade  sehr  wichtiger  Zeitraum.    Wflrden  die  Mittel  geftraden,  in  dieser 


Digitized  by  Google 


—   114  — 


Zwischenzeit  den  Jüngling  forUnbüdea,  so  erdelte  man  £rtiiilg6|  die  der  AU- 

gemf'inhf  it  zngute  kämen. 

lu  keinem  zweiten  Staate  Euiapas  vereinigen  die  Völker  au  viel  luilitä- 
riacbe  Beanlagiug  in  sieh,  wie  ia  ÖiteiTeieh.  Die  Zihigkeit  de»  Denteeben, 
die  Findigkeit  des  Slaven  nnd  Komanen,  der  Ehu  dee  Ungarn,  werden  in  so 
frlücklichen  Miisclmng^vprhälriii^-si'Ti  üirgends  anir»' troffen,  nnd  befähigen  das 
Heer  zu  Jeder  Art  von  Kriegfühnmg ,  nmsoniehr  als  viele  kriegerische  Fertig- 
keiten als  Volksspiele  betrieben  werden.  Aber  in  den  heutigen  Kriegen  ent- 
•ebeideii  nidit  alleiii  WsffMifBhning  uid  physisdier  Math,  denn  sie  kommen 
nur  in  maigw  entscheidenden  Momenten  nur  Geltung;  dagegen  sind  es  hanpt- 
sftchlich  die  geistigen  nnd  moralischen  Factoren,  die  d»  n  Krfulg  sichern,  und 
an  die  daher  große  Anforderungen  gestellt  werden.  Ungesäumtes  Erscheinen 
auf  erhaltene  Ordre,  selbstlose  UnteroMnung,  gewissenhafte  Befolgaug  des 
BefSddee  nnd  verständiges  Eingehen  in  den  Geist  desselben,  Ansdaaer  im  Er- 
tragen von  physiseh«!  Anstrangnngen  nnd  Selbststindigkeit  im  Entschlieflen 
werden  heute  von  jedem  Soldaten  okne  Dnteitdiied  den  Ondes  verlangt  Und 
welch  hohe  Bedeutung  haben  sie  auch  d  um  noch,  wenn  die  Entscheidung 
gefallen  ist!  Waren  alle  Bemühungen  veigebeiis,  konnte  trotz  des  prüUten 
Opfermotlies  kein  günstiger  Erfolg  errungen  werden,  dann  bemächtigt  sich  dt« 
Heeres  nnr  in  Iddit  jene  Niedeigeadilngenlieit,  die  es  onAhigr  madit,  sich  Je 
wieder  xa  erheben,  wenn  nicht  ao  viel  moralische  Kraft  Torhandtti  i«t,  nm  im 
Unglücke  stanininfr  /n  Vtleihen  nnd  auch  zu  Zeiten,  wo  alle  Bande  der  gesell- 
schaftlicheu  Urduung  gelöst  zu  sein  scheinen,  nur  uui  die  Stimme  des  Pflicht- 
bewusstseiüs  zu  hören.  Waren  jedoch  die  Anstrengungen  durch  den  Sieg 
gelohnt,  so  macht  aieh  das  Verlangen  geltend,  fOr  alle  Leiden,  Entbdirungen 
nnd  Strapanen  entneUldigt  za  werdoi  dnrdi  Sache  an  dem  Qegaw,  dnrch 
Beuteroachen,  dnrch  Befriedigung  der  Begierden,  was  zn  den  größten  Un- 
menschlichkeiten führt .  wenn  nicht  dnrch  Hnmanitnt ,  Selbstverleugnung  und 
Ordnungssinn  die  entfesselten  Leidenschaften  zum  Schweigen  gebracht  werden. 
In  beiden  Fällen  sind  es  nnr  die  moralischen  und  geistigen  Eigenschaften  des 
Heeres,  die  den  Anasohlag  geben. 

Wird  der  Schule  Qelegenheit  geboten,  diese  bleihend  sa  begründen  nnd 
kräftig  zn  entwickeln,  so  sind  damit  die  Vorbedingimgen  geschaffen,  denen 
ein  modenie.s  Heer  fiitsiireclieu  miiss.  und  ist  die  sicherste  Garantie  geboten 
f(ir  die  Waliiuug  vuu  Österreichs  Machtsteiiuug  uud  lui*  die  glückliche  Lösaug 
seiner  edtnrellen  lOsiion. 

VITL 

Wir  sind  am  Hude.  In  groüeu  Zügen  wurde  daigrestellt,  wie  die  Schule 
als  Unterrichts-  und  Erziehungsanstalt  die  Girnndlage  tiü*  die  einzelnen  Homente 
dee  staatlichen  Lebens  schafft. 

Als  dem  Tolke  die  Geset^bnncr  zurttokgegeben  wurde,  da  legte  man 
auch  die  Schule  in  seine  Hände,  in  der  Überzeagtmg,  dass  es  mündig  genug 
sei,  seine  Interes^^fn  zu  verstehen  und  zn  wahren.  Dem  ist  aber  leider  nicht 
überall  so,  und  mau  kann  sich  der  AValimehmung  nicht  vei'schlielien ,  dass  die 
Masse  des  Volkes,  insbesondere  der  I/andbevölkerang,  auch  am  Ende  des 
19.  Jahrhunderts  noeh  immer  das  groBe  Kind  sei,  das  sich  von  jedem  führen 
laset,  der  ihm  das  richtige  Steckenpferd  vorreitet. 


Digitized  by  Google 


Die  Errungenschaften  wütetet  Zeit  verdanken  wir  einem  Jahrhunderte 
langten  KainptV.  den  dtT  f^ebildetf»  Mittflstrmd  gr^^fülirt  hat  und  nocli  ftilirt. 
Die  Gründang  der  8tädte  war  schon  au  uiid  für  sich  ein  Fortschritt,  der^aber 
erst  seine  rechte  Bedentoi^g  erhielt  durch  die  eigenaitige  Entwickeloug  des 
geistigen  Iiebeos  Ui  denaelbeiL  Der  QeirarUleiA  enengte  Betebthimi,  Hnideto-  * 
Terbindimgeii  mit  den  entfemtoBteii  Orten  «riMben  die  Aoachaniiiigen  fiber  die 
engen  Grenzen  der  Alltäglichkeit,  das  Gefühl  der  Zusammengehörigkeit  festigte 
sich,  und  das  Verlanp^en  nacli  bttrererlicher  und  politischar  Freiheit  wuchs. 
Waren  schon  im  Mittelalter  die  Städte  ein  Damm  gegen  feudale  und  hierar- 
chische Beetrebungen ,  so  sind  sie  es  noch  weit  mehr  in  unseren  Tagen,  wo 
de  als  SItee  der  Intelligenz  und  9animet|MUikte  des  Gapitale  ttber  aUe  Krtfte 
zu  humanitftrai  Bestrebungen  verfügen,  und  eine  kräftig  entwickelte  Oflant- 
Mche  Meinung  auch  heim  Miuderg^bildeteii  Pin*-  »fewisse  politische  Reife  erzeugt. 
Sie  würde  man  \  ergeben8  von  der  Raiin  des  Fortschrittes  abzudrängen  ver- 
suchen; denn  sie  verstanden  und  versteheo  es,  der  allgemeinen  Eutwickelung 
eine  danemde  Grundlage  za  geben,  indem  sie  Gelegenhdt  bieten,  sich  um- 
fassende Kenntnisse  zu  erwerben,  und  Einrichtungen  schaffeo,  durch  welcln 
jedem,  aucli  dem  Ärmsten,  das  Wissen  znerän^lich  gemacht  wird.  Dadurcli 
entstand  zwischen  den  Städtebewohnern  und  der  Landbevölkerung  eine  Kluft, 
die  sie  einander  immer  mehr  entfremdet,  die  keine  Interessengemeinschaft 
heetefaen  läatt,  nnd  einer  allgemeinen  eoltarellen  Entwickeiong  auf  gleicher 
Baaln  entgegenarbeitet.  Und  dieaa  Kluft  soll  noch  orwdtert  wwdtti  durch  ein 
HerabdrUcken  der  Forderungen  an  die  allgemeine  Volksschule?!  — 

Geschieht  dies,  so  leidet  in  erster  Linie  die  große  Gemeinschaft  darunter, 
denn  mit  der  Uerabmiuderung  des  pflichtmäßig  anzueignenden  Schulwissens 
linkt  anch  die  allgemeine  Volhabildong. 

Das  gewaltige  Geseta  des  Kampfes  vms  Dasein  behenscht  nicht  nnr  die 
Natur,  sondern  anch  die  Gesellschaft,  nnd  ist  es  auch  das  Gesündere  nnd 
Kräftigere,  das  ans  dem  Kampfe  siegreich  hervorgelif  s*^'  ist  es  doch  nur  ein 
trauriger  Trost  für  dei^euigeu,  dei*  unterliegt,  insbeäuudere  dann,  wenn  er 
weiß,  dass  die  Ursache  der  Niederlage  außer  ihm  gelegen  ist. 

MSflpen  di^enigen  die  tranrlgen  Folgen  einer  vernaddlsslgten  Schul- 
bildnng  verantworten,  die  das  Volk  In  seiner  Besdirtinkthdt  belassen  woltetti 
nm  es  in  ihrer  Gewalt  zu  behalten! 

Welch  armseliges  Vergnügen,  über  Dumme  zu  herrschen! 

Noch  enthält  die  Luft,  in  der  die  Massen  leben,  zu  viele  Veranreinigungen, 
um  den  gOtUichen  Fnnk»i  der  Menschenwflrde  voll  und  rein  erscheinen  an 
lassen:  aber  der  Process  der  Umbildung  hat  bereits  begonnen,  nnd  bald  wird 
das  Licht  der  Aufklärung  hell  nnd  strahlend  alle  Schichten  dnrchdringsnt 
Möchte  es  nur  bald  geschehen! 

Wir  leben  in  einer  ernsten  Zeit.  Durch  den  mächtigen  Aufschwung  der 
yatnrwissMischaftsii  mi  die  tedusbcbe  Vwvrartnng  ihrw  Besnltate  wnrdmi 
die  Sdiwlerigkeiten  des  Weltverkehrs  anf  ein  Minuwnm  redncirt,  nnd  hier- 
dnrch  alle  Lebensverhältnisse  vom  Grunde  aus  umgestaltet.  Auf  allen  Ge- 
bieten menschlichen  Schaffens  herrscht  eine  fast  fieberhafte  Thätigkeit,  auch 
in  der  geistigen  Welt. 

Der  Autoritätsglanbe  wurde  grüBtentheils  zn  den  Todten  gelegt,  und  eine 
Behanptnng  wird  hente  erst  dann  für  zottssig  erklftrt,  wenn  sie  bewiesen 

P»dH|ogiHB.  &«J«bis.  fl«ft  11.  8 


Digitized  by  Google 


—   116  — 


A     ^      werden  kann.  Diese  an  sieb  bereclitif^te  Forderung  ist  aU-r  iiiclit  übei  all  iluicli- 
s-»  7^    führbai".    Der  Sucbt.  alles  beweisen  zu  wollpti.  s-leichgiitig  ob  da.*  Material 
l'*  '-k    V     hierzu  gegeben  ist  oder  nicbt,  und  der  Negation  alles  dessen,  was  nicht  zu 
bev^aen  ist}  entspringt  jene  Aftarwdsbeft,  welche  in  UnbUdiing  und  Ifalb- 


*>      X*  büdimg  den  anfbafamBAhjgstai  Boden  findet   Dumm,  Bfldia;  —  aber  keine 

*  I     ^     "-1  halbe!  Zwanzig  angefangene  Stickereien,  von  denen  jede  ein  Meisterwerk  wer» 

4^  d''Ti  k'Cinte,  geben  nicht  finmnl  einen  fertigen  Tabakbentel :  wo  Halln  erstan- 

i     *  deues  neben  Unverstandenem  das  geistige  Auge  uutaliig  iiiadit.  klar  ^u  stehen, 

% '  ^''^^    iw  da  entwickeln  sich  Dummheit  und  Arroganz  zu  ihrer  höchsten  Blüte  und  er- 

'y             ^  lengen  Unsnfriedenbeit  nnd  nnberechtlgte  WUnaehe.  Sei  daa  geistige  Qeaiebte- 

i«^  ÄN         '  ^d  gTofl  oder  klein ,  so  sei  es  doch  abgeschlossen ;  denn  durch  die  Lücken 

i  tritt  jenes  Contaginm  bereini  dem  die  krankhaften  Aoaw&chae  onserer  2Seit 

*  \  entspringen. 

*  .  v  Haben  wir  darum  Ursache,  mit  dei  jetzigen  Gesammtsituation  onzufi  ieden 

^   ^     K    :  Gewin  nicbt,  denn  keine  UmbUdnng  der  geMHacbaftlichen  Einrieb^ 

*  >  ^  ^  ^  ^    ^  ttmgen  vollzieht  eich  eo  ganz  glattweg,  nnd  die  Gescbichte  lehrt  uns,  dass  die 

r           ^  großen  Umwälzungen  frülierer  Tage,  die  noch  dazu  an  wirklichem  Erfolge 

'              >^  ^^i^  hinter  der  jetzigen  zurückstehen,  von  ganz  anderen  Folgen  begleitet 

1^  »  ^^«J^  waren.    Aber  die  sind  entschieden  im  üni-echte,  die  bei  jeder  Kleinigkeit  die 

^  *  altfii  Zeiten  lurfickeeluien,  imd  bei  jedem  Torwitiigen  Aussprache  eines  unreifen 

>^  f  Schwttsers  an  derZnknnft  der  Hensehbeit  venweifeln,  statt  sieb  zu  erinneni, 
dass  ja  der  Mensch  ein  bildungsbedurfttges  Wesen  sei,  nnd  daas  es  Pflicht 

*  _      '^^  eines  jeden  ist.  der  ein  Übel  erkannt,  andere  davor  zn  bewahren. 

*  \  -  '  gioüe  Keichthnm  an  Kenntnissen  vennehrt«  die  Einsicht  In  die 
'  '  Mängel,  die  uns  anhaften,  und  in  die  Schilden,  imter  denen  wii*  zu  leiden 
\               \  haben;  aber  er  neigte  uns  auch  VorsOge,  die  wir  besitzen,  nnd  ließ  er  die 

,  ^<  ^  Wunden  erkennen,  so  wies  er  auch  die  Mittel,  sie  an  h^en.    Bildung,  Arbeit, 

V*  «     ^    \  P^icbtertiillung  und  Knt<;ag-nng  sind  die  Bedingongeo  des  Erfolges,  aber  firei- 

^  N            ^  lieh  nur  daim,  wenn  sie  Geui^^innrut  werden, 

♦'"^   ^    ^  Denn  nicht  die  Großthaten  einzelner  Mäiuier  sind  für  die  allgemeine  Ent- 

'               i  Wickelung  maSgebend,  sondern  die  stille  Arbdt  des  Volkes,  die  nnanflUlig 

^     ^  <  ^.  geschieht ,  und  deren  Besoltate  man  nicht  im  einzelnen  merkt    Ffir  sie  sind 

^     IJjn  die  gehobenen  Geistepschiitze  der  Ptt-in,  dt-r  ins  Wasser  f;illt.  nnd  dessen 
Bewegung  in  immer  weitere  Kreise  dringt,  bis  sie  sich  der  ganzen  Masse 

<  mitgetheilt. 

Mit  tansoad  nnd  aber  tansend  Fftden  ist  diese  Bewegung  an  die  Sdinle 

N  gebnndtti,  nnd  m8gen  nach  hti  einbrediender  Dnnkdheit  die  NachteQlen  sich 


X 


N    <    In    hervorwagen:  die  dunkeln  Gestalten  werden  T»schwind«k  beim  ersten  Schim- 


|y    mer  des  jungen,  goldeaen  Tages!  — 


l   

— /  .-öl*— y!^.  --^ 


^         ^/t«. /  J^jU ^^//^ ÄjL,J  a    0ß  ' 


4 


^/i  ^.St^'^;/«/r  ^L^^J^'^^^Cn^,  ^  ^^^*«<^y^igiti2ed  by  Google 


Der  YUL  allgemeine  Ssterreieluselie  Lehrertag  in  Reickenbeig. 


er  VIII.  allgemeine  üsterreicliisiche  Lehrertag,  welcher  am  3.,  4.  und 
5.  AngQSt  in  Reichenberg  stattfand,  nimmt  in  der  Reihe  der  österreichischen 
Ldireitafe  eine  harrorragende  Stdlimg  ein.  Schon  die  lange  Leidenageadkiehte, 
die  derselbe  dnrehziim&elieii  halte,  ehe  er  noeh  daa  LkM  der  Welt  erblickte, 

hebt  ilin  ans  der  Reihe  seiner  Vorgänger  ab.  Zum  erstenmale  seit  dem  Be- 
stände dieser  Institution  wurde  nbor  die  Bp/pirlmnng:  .  :a1!  ^-emeiner  öster- 
reichischer Lehrertag"  eine  Discussion  erörtnet,  zum  ersteumale  wurde  den 
leitenden  Factoren  der  Vorwurf  gemacht,  sie  hätten  nicht  das  Recht,  einen 
«allgem einen"  Lehrertag  elnzabemflBn,  am  allerwenigsten  wttren  die  Wiener 
CoUegen  daan  bemfen. 

Eine  wtn'tere  Discussion  rief  die  Wahl  des  Ortes  hervor.  Es  rej^ete 
Artikel  in  den  pädagogischen  Fachblätteni,  die  ein  Fiasco  voraussagten,  und 
viele  Stimmen  ließen  sich  in  gleichem  Sinne  vernehmen.  Sie  haben  sich,  zu 
nnaerer  Frende  and  anr  Ehre  der  OatemieldMhen  Lehreraebaft  kOnnen  wir  es 
eoaatatir«i,  gründlich  getftnacht:  der  Vm.  allgemeine  Ssteireichisdie  Lehrer- 
tag nahm,  trotzdem  er  an  der  llnßersten  Nordi^renze  des  Reiches  stattfand, 
einen  glänzenden  \'erlauf,  er  war  sd  zalilreich  besucht  wie  die  anderen,  und 
die  Stimmen,  die  dort  laut  wurden,  werden  niclit  weniger  an  die  Stellen 
dringen,  wohin  sie  gerichtet  waren,  ab  die  andwer  Lehrertage. 

Leider  war  ea  der  letxte  ,,a]]^meine  tetendehtecfae  Lehrertag^,  den  wir 
in  Reichenbergs  gastlichen  Mauern  abhielten;  denn  der  „allgemeine  öster- 
r.-ie)MS(  Iie  Lelirertag:"  wurde  daselbst  zu  Grabe  getragen;  dentsch-Ttster- 
reicluücher  Lekiertag  sr>ü  künftig  die  Versammlung  heißen.  Es  ist  jedenfails 
bezeichnend,  dass  gerade  in  der  Zeit  der  Völkerversöhnong  diese  Entzweiung 
dar  Saterreiehiachen  Lehreradiaft  an  Tage  treten  mnaate;  noch  mehr  an  denken 
gibt  derümatand,  dass  dieae Entzweiung  stattfand,  nachdem  man  früher  aller- 
orten die  Idee  vertreten  und  vertheidigen  höite,  das»  die  Pädagogik  mit  der 
Politik  nic'lits  zu  thun  habe,  und  dass  man  dabei-  die  Lehrertape  nicht  zu 
politischen  Kundgebungen  benutzen  lassen  werde.  Man  hatte  auch  emstlich 
gehoAl,  der  aUgemdne  ItaterreidiiBche  Lelirertag  in  Beichenberg  werde  ancb 
yon  Collegen  (echischer  Nation  besucht  werdw;  man  täusdite  aich,  ja  die 
cechischen  Collegen  blieben  nicht  nur  fern,  sie  veranstalteten  zur  selben  Zelt, 
«l-'V  allgemeine  nsterreicliische  Lehrertafr  in  Reiehenber^^  stattfand,  einen 
ceciuschen  Lehrertag  in  Pilsen ,  um  es  auf  diese  \V  eise  den  cechischen  Collegen 
möglichst  schwer  an  machen,  nach  Beichenberg  an  kommen.  So  kam  es  denn. 


Von  Ed.  crofHian-Tftm. 


Digitized  by  Google 


—   118  — 


dasj.  jene  Elemente  unter  der  d»  ntsc  h-nst.  rn  icliischen  Lt  hn  rschaft,  die  sdK.u 
lange  auf  eine  günstig*  Geleg-enheit  warteten,  sich  von  den  anderen  Nationen 
loszusagen,  diesen  tlir  sie  selir  passenden  Umstand  benutzten,  um  die  8cliei- 
dmig  m6glicli«t  efliKtToll  ia  Seena  sn  wtieiL  Die  Geachieiite  gelang  voUkov- 
fflfiii,  und  unter  dem  bnoeeiiden  BeiAIIntarme  von  mehr  als  fttnftdiiünindert 
Lehrern  wurde  der  „allgemeine  österreichische  Lehrertag^  eingeeargt  und 
der  „deutsch -f^sterreiclüschf'*'  zur  ^Velt  geboren. 

Die  Sache  voLIzüg  sich  &o  rasch  und  unvorhergesehen,  dass  es  denjenigen 
Httunem,  die  etwa  entgegengesetzter  Meinung  waren,  gar  nicht  möglich  wurde, 
irgend  eine  Einwendung  an  machen;  andern  war  eine  Oppoaition  bei  der  Süm- 
numg  der  Versammlnng  weder  rathsam  noch  nätzlich. 

Übrigens  hat  die  ganze  Angelegenheit  keinen  praktischen  Wert.  Da  sich 
die  6echischen  Collegen  ohne  jeden  vemnnfTi«ren  Grand  abgesondert  liaben.  tli«- 
deutscli-üsterreicliischen  Lehrer  also  that^ächlich  allein  Theilnehmer  au  den 
Veriundlnngen  waren,  vnd  ea  wahradieinlieh  auch  in  Zaknnft  geweaen  wlren, 
80  hat  der  Beschlosa  weiter  keinen  Einflnss  auf  die  äußere  Oeataltnng^  der 
Ssterreiclüsclieii  Lelircrtagre.  Sie  werden  auch  in  Zukunft  sein,  was  sie  in  der 
Vergangenheit  gewesen,  glänzende  Beweise  fiii-  den  Erust.  den  Pflichteifer, 
die  Berufsüebe  und  den  unerschütterlichen  Glauben  au  den  endlichen  Sieg  der 
gnten  Sadie  nnd  an  den  Untergang  der  rerderUlchen  BinÜttase  anf  die  Volke- 
bildong  nnd  Sitte. 

Der  VIII.  allgemeine  österreichische  Lehrertag  in  Reichenberg  bekam 
noch  ein  ganz  besonderes  Relief  durch  die  außerordentliclio  Theilnahme,  welche 
die  Bewolmerschaft  diei»er  so  herrlichen,  reichen  nnd  lortschrittsfreundlichen 
Stadt  demselben  entgegenbrachte.  Alle  Theilnehmer  des  Lehrertages  waren 
von  der  FrenndUcbkeit  der  BevUlkernng  anf  daa  angenehmate  fiberraaeht;  man 
merkte  ea  sogleich,  Beichenbei^  wird  mit  Recht  eine  Schulstadt  genannt,  denn 
das  Interesse  der  Bewohn ^^r  lüsst  darauf  achlieAen,  daaa  für  ünteiricht  and 
Erziehung  14 ervorragend«    «eieistet  wird. 

Die  Lehrer  Osterreichi» ,  die  in  lieicheuberg  Gastfreundscliali  genossen, 
die  sahen,  mit  welcher  fVeode  man  dort  die  GBste  begr&ftte,  sie  in  die  Familien 
aofoahm  nnd  für  alle  Bedürfnisse  derselben  in  einer  geradezu  bewunderanga- 
würdigen  Weise  sorgte,  werden  die  Festtaf^e  wol  stets  im  Gedilchtnisse  belial- 
ten  und  oft  mit  Vergnügen  und  hei'zlicher  Dankbarkeit  zurückdenken  an 
Beiehenbcrg  und  seine  wackeren  Bewohner. 

So  war  denn  der  Vm.  allgemeine  ttotenelchis^e  Lehrertag  nach  dicoer 
Richtung  hin  vollkommen  gehu^en,  die  Wahl  des  Vmammlnngaortes  war  eine 
glückliche,  nnd  alle  jene,  welche  dem  AVieuer  Centralcomit^  über  diese  Wahl 
Vorwürf»'  machten,  haben  fine  Genusrthunujr  wenig:er  zu  verzeichnen. 

Trotz  des  andauernd  schlechten  Wetters  hatten  sich  nahe  an  2t)UU  Theil- 
nehmer in  Reichenberg  eingefunden:  die  meisten  waren  wol  aus  dem  nördlichen 
Böhmen  erschien«!,  doch  waren  auch  die  anderen  KronUnder  durch  zahlreiche 
Delegirte  vertreten.  Wir  sahen  CoUegen  ans  Mähren,  Schlesien.  Nieder-  und 
Oberösterreicl».  Salzburg,  Tirol  und  \  niarlberg,  Steiermark,  Kiirnten.  Ancli 
aus  i^eutsehland  waren  einige  G;iste  erschienen,  die  sich  freut«ii.  mit  den 
öster  reichist  heu  Coilegen,  die  so  niutliig  lur  die  höchsten  Interessen  dtrMeusch- 
beit  einsteben  and  gegen  die  reactionttren  Bestrebungen  der  Zeit  Front  machen» 
einige  Tage  an  verjeben. 


Digitized  by  Google 


—  119  — 


Am  3.  Angmtf  abends  fun  7  Uhr  versainmdteB  ikdi  die  Th^elimer  in 

den  ^erUmnigen ,  aber  doch  nnznlftnglichen  Sälen  des  Schützenhauses,  um  die 
WM  do*  Bnreans  tind  der  Verhandlnngi^thf^mf'n  ffir  rlie  Hanptvpi-snmmlnn»' 
vorzunehmen.  Herr  Oberlehrer  Katschinka  aus  Wien  wurde  zum  \  orsitzeu- 
den  gewählt,  Herr  Dr.  Joh.  Elger  aas  Beicheoberg  und  UerrB.  Planer  ans 
Wien  nntentOtxten  ilm  in  der  Leitung  der  Yerhandlnn^en. 

Herr  Olierldtrer  Katsdiinks  begrüßte  die  Versammlung  and  hob  be- 
sonders hervor,  dass  es  die  über  unser  Reichs- Volksschulgesetz  hereingebrochenen 
Tage  der  Noth  nnd  Gofahr  sind,  welche  nns  liior  zusammengerufen.  Pflicht 
der  Lehrer  sei  es,  heilige  und  unabweisbare  PÜicht,  energischen  Protest  zu 
«rbeben,  wo  sie  grlnnben,  daes  dieees  Qeietx  in  GefSahr  steht. 

Der  Bui^ermeister  der  Stadt  Reichenberg,  Ritter  von  Ehrlich,  begrüBte 
darr^nf  die  Wrsaniiiilung  im  Namen  der  Stadtg<nneinde.  Seine  treftliohen  und 
tnr  die  anwesenden  Gäste  sehr  erhebenden  Worte  fanden  allgemeinen  Beifall, 
besonders  die  Versicherang,  dass  die  Bevölkerung  einer  so  hervorragenden, 
gewerbe-  nnd  indnstriereioiien  Stadt  den  hohen  Wert  der  VoUcssehnle  kennt 
nnd  cn  sch&tsen  weifi;  dass  ihr  die  neoen  Schnigesetse  lieb  nnd  thener  fsiror- 
den  nnd  sie  jederzeit  mit  aller  Kraft  für  dieselben  einstehen  werde.  Die 
Ber5]k*  rnno-  wiiimoht  vor  allem  die  Festigang  und  niliige.  freiheitliche  Fort- 
entwickeliuig  dieser  Gesetze,  zum  Heile  des  gesammten  österreichischen  Vater- 
landes, das  wir  stets  hochhalten  nnd  schirmen  wollen  mit  allen  Krftften.  Die 
Bewohnersehalt  einer  Stadt  der  Arbeit,  wie  es  Seichenberr  ist,  weifl  den 
ebenso  ehrenvollen  als  schweren  Beruf  des  Lehrers  voll  zu  würdigen  und  hat 
auch  nie  dem  redlichen,  selbstlosen  und  aufopfenideii  Wirken  eines  tüchtigen, 
braven  Lehrers  <lie  Anerkennung  versa;»t,  I)ie  Stadt  hat  auch  keine  Opfer 
gescheut,  um  die  Volksschule,  die  Grundlage  aller  Volksbildung  und  Volks- 
«rziebong,  zn  heben  nnd  zn  ftrdem.  Stets  war  in  nnserer  Stadt  ein  inniges 
Zusammenwirken  von  Schale  nnd  Ransj  denn  nor  durch  dieses  können  die 
hohen  Ziele  der  NOlksschiile  erreicht  werden.  Möge  die  Volksschule,  wie  das 
Elternhaus,  auch  nie  dei  Ausbildung  des  Geraüthes  vergessen  .  .  .  Die  großen 
Opfer,  die  freadig  von  Land,  Stadt  and  Reich  für  das  Volksschulwesen  gebracht 
werden,  werden  alle  klein  ersehelnen  gegen  die  Frilchte,  welehe  die  Volks- 
sehnle  ttVgt  and  in  noch  erhdhterem  Maße  tragen  wird  bri  mhlger,  nngestSr- 
ter  Fortentwickelang.  Dass  die  Schule  blühe  nnd  gedeihe,  liegt  zum  größten 
Theile  in  der  Hand  der  Lehrer,  und  ich  glanbe  die  volle  Überzeugnng  aussprechen 
sa  därfen,  dass  unsere  gesammte  Lehrerschaft  nur  ein  Gedanke  beseelt:  im 
QeüKte  nnd  Sinne  nnserer  Volksschnlgesetze  zn  wirken  mit  aller  Kraft  and  Liebe. 

Unter  stürmischem  BeüUl  sdiloss  der  Redner,  nnd  nachdem  nodi  Dr.  Elger, 
Obmann  des  Reichenberger  Ortsausschusses,  die  Versamnlnng  herzlich  begrUt 
hatte,  wnrde  zur  Wahl  des  Prflsidinras  für  die  Verhandlungen  des  T.elirertacfes 
geschritten.  Nach  dem  TietVrate  des  Herrn  A.  Ch.  Jessen-W'ien  wurden  ins 
Präsidium  gewählt:  zum  1.  Präsidenten  Franz  Bobies,  Bürgerschaldirector, 
Wien,  nun  2.  Präsidenten  Franz  Bndolf,  Bflrgersdinllehrer,  Beicfaenberg, 
zum  3.  Präsidenten  Oberlehrer  Katschinka-Wien;  zu  Schriftführern:  Frans 
Wiohtrei-Wien.  Benjamin  Plnner-Wion.  Reinliold  Erben-Reichenberg  und 
Friedrich  Legler-Reidienberg.  Hierauf  referirte  Herr  Jessen-Wien  über  die 
Themen,  welche  Gegenstand  der  Berathangen  in  den  Haaptversammlangen  sein 
iollteiL 


Digrtized  by  Google 


—   120  — 


Es  war  ffir  das  Wienor  Caitralcomit^  keine  leichte  Sache,  ans  der  Fiat 

der  eingr^'saiKlten  Themen  eine  erste  Wahl  zu  treffen.  Wer  die  ver^rhjVtlpnen 
Themen  einer  uüliereu  Prüfung  unterzieht,  wird  sich  sagen  iiuistieu,  daää  manche 
davon  geradezu  brennende  Fragen  sind,  welche  in  nächster  Zeit  zur  LOenng 
konunai  mflneik,  wie  s.  B.  dielVage  Aber  die  duich  das  aeae  VolkeachiilgeeetB 
geschaffene  Institution  der  Orttschnlräthei  ftruwdie  über  Schule  und  Presse. 
Gerade  letzteres  Thema,  sn  nnscheinbar  es  sich  aticli  zeig-t.  un.l  so  viel  aucli 
darüber  schon  geschrieben  und  gtsjmx  hen  wurde,  sollte  einmal  Ges-^nstand 
der  Verhandlung  eines  österreichischen  Lehrertages  sein.  Es  ist  ja  bckautii, 
welch  rtdeaTon  maaehe  der  politiedien  Blätter  aaseUagen,  wenn  von  Schidea 
and  Lehrern  die  Bede  ist;  man  weiJI,  mit  wie  wenig  Verständnis  manche 
Blätter  von  Pildafjo^ik  reden,  und  wie  leichtsinnig  sie  über  die  Schule,  die 
Lelirer  und  deren  Thiitipkeit  aburtheilen.  Solrhem  grewissenlosen  Treiben 
gegenüber  wäre  ein  enei^ischer  Protest  der  österreichischen  Lehrerschaft  voll- 
ständig  am  Platze, 

Aach  die  f^age  nadi  den  Wahlrechte  der  Lehrer  ist  eiae  hvenaendev 
denn  es  ist  ja  bekannt,  wie  verschieden  die  dem  Lehrerstande  angehörenden 
Staatsbürger  in  dieser  "Richtung'  hehanH^lt  werden.  Di»'  Fmce  bedarf  dringend 
der  Tjosung,  denn  die  politischen  Rechte  des  Lehrers  müssen  endlich,  soll  er 
sieh  nicht  immer  als  Paria  tulilen,  anerkannt  werden. 

Das  Thema:  Selhetliflfe  der  Lehrer  warde  fBr  dne  Nebenversammlnng 
aagesetst;  allein  man  weiB,  was  das  sagen  will.  X  '  uveisammlungen  sind 
zumeist  ntir  von  solchen  Lehrern  besucht,  die  sich  für  das  dort  5mr  ^'erhandlnng 
kommende  riienia  spcciell  interessiren;  fiir  die  Sache  der  Selbsthilfe  aber  RoUte 
endlich  —  ich  sage  endlich,  weil  schon  eine  stattliche  Beihe  fehlgeschlagener 
Venoche  vorliegt  —  die  gesammte  Lehrraschaft  Österreichs  sich  iateressiren. 
Man  darf  den  Ideallsmas  aicht  so  weit  treiben,  dass  man  jeder  materieilea 
Frage  aus  dem  Wege  geht,  man  darf  ihm  auch  nicht  das  Glück,  den  Friedwi 
oad  die  Ruhe,  ja  die  Existenz  hunderter  von  Colle^en  ohne  Grund  opfern. 

Man  möge  sich  doch  andere  Kürperschatten  ansehen!  Sie  liaben  aUe  ihre 
Yonehasa-  and  UnterstStzongscaasen,  sie  kOnnen  dfirftigen,  unglöcklichea  Col* 
legen  hellSDnd  aater  die  Anne  gretfim  aad  manchen  Siakoidea  halten.  Nar  die 
Lehrer  haben  nichts  dergleichen,  sie  müssen  sich,  weaa  sie  Hilfe  nöthig  habeB» 
an  ander»^  Institute  wenden;  wie  sie  dabei  wegkommen,  ist  liMfbT  nur  zu 
bekannt,  i'aher  sollte  das  Thema  der  Stdbsthilte  einmal  an  die  Ktilie  kommen. 

So  gäbe  es  noch  eine  Menge  von  Themen,  die  der  l^ehandlung  aut  einem 
Lehrertage  wert  wiren;  alleia  die  Wahl  war  schwierig,  deaa  die  gegenwSrtige 
Zeit  drängte,  die  überall  ihrTTauiit  emporstrecluaideBeaction  zwang  das  Wiener 
Centralcomite,  besonders  solch«  Themen  ins  Anire  zu  fassen,  die  es  ermöglichen, 
gegen  die  retrograden  Bestrehune-en  der  (i egenwart  energisch  zu  protestiren. 

Dazu  eignete  sich  nun  das  erste  Thema:  Die  Vor-  und  Fachbildung 
der  Volkssehnllehrer,  gaaa  hmmäim.  Ebenso  das  swette,  gaaz  aaaiittel' 
bar  ans  der  Zeit  heraasgewachseae:  Die  SchalgesetEaoveUe;  aach  das  Thema: 
Die  Bezirksschulaufsicht,  war  ein  zeitgemäßes  und  gestattete  Bestrebungen  zu 
beleuchten,  die  dahin  zielen,  unsere  G^istHchkeit  wieder  zu  den  alleinigen 
Vorgesetzten  der  Schule  zu  machen.  Das  i  üema:  Weiche  Forderungen  müssen 
hinsichttidi  der  inneren  Ent Wickelung  an  nnsere  Yolksscbule  gestellt  werden? 
konnte  leider  —  wegen  Erkraaknng  des  Bdierenten  —  nicht  mr  Verhaadbiag 


Dlgitized  by  Google 


—    121  — 


kommen,  was  darom  liedanerlieli  ist,  weil  doeh  unseren  leitenden  FersOnlich- 

ke'.ten  einmal  gesagt  werden  soll,  dass  von  einer  Entwickelung  unserem  Volks- 
schul Wesens  keine  K  ^  sein  kann  bei  den  fortwährenden  Stdmngen,  die  anf 
dasselbe  hemmend  tfuivvirkeu. 

AIb  weitere  Veiliandlungsgegenstliiide  wvrden  noch  das  Beferat  des  Herrn 
Wiebtrei  ftbo*  das  nene  Gowerbegesets  und  „die  Gründung  eines  aUgemeinen 
teterreichiscken  Lehrearbnndee"  aofesetxt 

Für  'lie  Xpb<>nver«!ammlungen  worden  gewählt:  1,  Die  Bürgeisclmlf:  2. 
Die  KmdergiUten ;  3.  Die  confpfsionellp  PrivatRchnle:  4.  Die  Selbstliilfe  der 
Lehrer  und  5.  Die  Hegeluug  der  Cjuiiiquenualzulagen  der  Lehrer. 

Damit  scUoss  die  VorversanmiliiDg. 

Die  t  rste  HauptTflnammluug  fand  Freitag,  den  4.  Anirnst  in  den  prächtig 
geechmHckteii  und  frrossen  KUomen  des  ansserhalb  der  Stailt  im  Gebi»'tp  der 
Gemeinde  Paulsdori  gelegenen  ..rolosseums"  statt.  Herr  Oberlehrer  Anton 
Katschinka-Wien  begrüßte  al«  Obmann  des  Wiener  vorbereitenden  Comites 
die  Vmammliing  und  erstattete  sodann  Berieht  über  das  Resultat  der  in  dar 
VerTezsammlnng  Torgenomnienen  Wahlen.  Unter  lautem  Beifsll  stimmte  die 
Ver^-nnimlnnfr  diesen  Wahlen  zu,  die  in  das  Bureau  Gewählten  nahmen  ihre 
Plätze  ein  und  der  Vorsitzende,  DirerTor  Franz  Bnbies-Wien.  ertlieilte  znnärhsl 
das  Wort  dem  Obuianne  des  Localaubsciiusses  in  Keiclienberg,  Herrn  Dr.  Eiger, 
welcher  die  Yenammlnng  mit  folgender  Rede  begrüßte: 

^Heine  hochverduten  Herren  und  Damen  I  Ich  habe  Sie  berdta  gestern 
in  der  Vorversammlung  im  Namen  des  Reichenberger  Localaanchnsses  anfii 
beste  begrüßt  und  habe  Sie  alle  und  jeden  einzelnen  von  Tlm^^n  auf  das 
herzlichste  willkommen  geheiiien:  ich  wiederhole  diesen  Willkoimiisgruß  auch 
heute  mit  gleicher  Freude.  Ich  habe  Sie  gestern  ferner  die  „Gärtner  in  Öster- 
reiehs  Jugendgarten'*  genannt,  und  welch'  erhabene  Hission  haben  Sie  als  selche 
xn  erfiillen!  Ihnen  anvertraut  die  Mutter  ihr  Liebstes,  ihr  Kind  —  dasganae 
gT'iße  Keicli  den  jugen  d ] i chen  Nachwnclis.  damit  .^ie  das  Kind,  die  Jn- 
gend  durch  Wissen,  Bij  i hl-  und  Aufklärung-  aus  dem  Thale  der  Finsternis  in 
die  lichten  Hohen  der  i^reiheit  und  des  Foilschritts  geleiten;  damit  Sie  den 
einfachen  Natunnensehen  nun  gesitteten  charaktervollen,  intdligenten  Welt- 
menschen  umgestalten!  In  IhreHKnde  ist  es  gegeben,  in  die  leicht  empfkbig^ 
liehen,  zarten  Kinderherzen  jenen  Samen  zu  streuen,  welcher  nicht  nur  den 
peif5Tig:en.  ftondern  aucli  den  materiellen  Fnrtschiitt  in  der  menschlichen  Gesell- 
schaft zur  Folge  hat,  zum  Segen  und  zum  Heile  des  Staates.  Je  weiter  und 
je  ttefer  £tte  in  aOei  eindringen,  was  der  Schule  frommt,  derto  ergiebiger  wird 
Ihr  Wirken,  desto  grSfier  und  erflrenUcher  werden  die  von  Urnen  bei  der 
Vfdksbildtmg  enielten  Resultate  sein!  Das  ist  ja  eben  der  edle  Zweck  der 
LehrertagT.  dass  Sie  — -  die  Lehrer  und  die  Kveinule  der  Srhnle  —  zusammen- 
konuneu  zui'  geuieiu^ameu  Berathung,  zum  ge^euifeitigreu  Austausch  ihrer  Er- 
fahrungen, zur  Aufnahme  neuer  Ideen  und  VortheUe,  zum  Wole  der  Schule. 
Damm  ohlii^  Ihnen  die  schwere,  aber  ehrenvolle  Aufgabe,  im  Geiste  der 
Neuzeit,  im  Geiste  steten  Fortschritts  die  Schule  immw  melir  und  mehr  zu 
liefen  und  jenen  Bestrebungen  mannhaft  und,  wenn  es  sein  mnss.  mit  alkn 
trei.  r/lichen  Mitteln  entj;:eg-enzutreten,  welche  den  vorwärts  strebenden  Zeiger 
au  onserer  Neuschnle  zurückschrauben,  die  Schule  auf  das  Niveau  der  früheren 
VittdmftUgkeit  sorfididittngen  möchten.  —  Ich  wei6,  dass  Ihre  Zeit  kostbar 


Digitized  by  Google 


—  m  — 


nnd  kna])|)  benit'ssuMi  ist  :  ich  halte  es  dahor  für  irohot'Ti.  mich  kurz  zu  fassen 
und  wiins»  h<'  nur.  der  Lehrertag  möge  Ihnen  und  mit  Ilinen  dem  Staate«  nn» 
and  unserer  Jugend  zom  Segen  gereichen!  '  (.Lebhafte  Beifalhmfe.) 

Hierauf  begrüßte  der  Vofriteende  die  Vemmiiilfing,  spneh  der  Stadt 
Beiehenbeitr  den  Baak  ana  ftr  die  freundliche  Avtaakm  «nd  daa  liebevolle 
Entgegenkommen  von  Seite  der  BOi^rschaft,  die  anf  jede  Weite  ihren  Sjrmpa* 
thieu  für  die  Beßtrt  hinit^tMi  "icr  Lelirersrhafl  Ausdruck  gibt. 

Der  Voraitzende  ertheilte  nun  dem  Refer-enten  über  das  »?rst»^  Thema:  „Die 
Vor.  und  Fachbildung  des  VolksschuUekrers",  Herrn  Franz  B<»hia-Znaim,  das 
Wort. 

Ks  war  vonknaauseben.  dass  sich  fiber  dieses  Thema  eine  lebhafte  Debatte 
entspinnen  würde,  und  denjeuiy^en.  welche  den  Organismus  der  Lehrertagsver- 
handlnngen  etwas  genauer  kennen,  war  es  von  vornherein  klar,  dass  diesi  s 
Thema  allein  genügt  hätte,  die  erste  Hauptversammlung  vollkommen  auszu- 
f&llen. 

Es  muss  hier  übrigena  gesagt  werden,  dass  man  jedeamal,  was  die  Zahl 

der  anfgrestellten  Themen  anbelangt,  entschieden  zu  viel  thut.  Das  würde  an 
and  liii*  sich  nichts  schaden,  ulier  man  kennt  die  Cngednld  srdch  erroßer  Ver- 
sammlungen, die  gerne  dorch  ächlussrnfen  einen  zu  tief  gehenden  Redner  unter^ 
breehen,  weil  ihnen  bei  der  B^andlung  einea  Themaa  ai&en  die  folgeiniea 
vorachweben,  die  anch  noch  abgethaa  werden  rallaaen.  Diese  Ungeduld  ist  der 
Sache  selbst  nicht  förderlich.  SpecietI  dem  Thema:  Die  \'or-  und  Fachbildung 
des  Volkssehnllehrers  hat  sie  insofern  freschadet.  als  mehi  ere  Uedner  auf  da.s 
Wort  verzichteten,  lediglich  des  Umstaudeij  weg^en,  weil  die  Zeit  für  eine  all- 
aeitige  Elrörterung  des  Gegenstandes  nicht  hinreichte.  Der  Referent,  Herr 
Fr.  BShm-Znaim,  holte  andern  noch  etwaa  writ  aoa;  es  Ist  doch  nicht  nnbedingt 
nütig  die  ganze  Geschichte  der  Lehrerbildung  zu  recapituliren.  wenn  man  über 
die  Zukunt't  derselben  reden  will;  als  VorTr.tjr  in  einer  Lehrerhildunirsnnstalt 
mag  80  etwa.s  am  Platze  sein,  für  den  Lehiertas:  ist  es  zu  vit-i.  Hit-r  heißt 
es  —  schon  um  der  Debatte  möglichst  viel  Raum  zu  gewähren  —  knapp  und 
bfindig  die  Gedanken  an  formnliren,  nicht  aber  daranf  anamgehen,  selber  alles 
zu  sagen  und  ffir  die  Debatte  nichts  ihrig  sn  lassen.  Ifon  erspart  aich  da- 
dnrch  anch  annnirenehme  Enttäuschun^-en. 

Der  Referent  unterschied  drei  Perioden  in  der  (ieschichte  der  Tiehrei- 
bildung  in  Österreich.  Er  feierte  Maria  Theresia  als  Begründerin  der  Bii- 
dnngsststten,  ihren  groAen  Sohn  Josef  IL  als  Vollender  der  begonnenen  fiefor^ 
men,  ging  dann  anf  die  Zeit  der  politischen  SehnlverfiMsnng  flbert  gedachte 
der  französischen  Revolution  und  ihrer  weitgehenden  Folgen,  erinnerte  an  die 
freiheitlichen  Be.Htrebnngen  des  Jahres  1848  nnd  an  den  Aufschwung,  den  das 
Unterrichtswesen  von  da  ab  nahm,  schilderte  den  dej)rimireaden  Einfluss  de^s 
0>Qcordates  und  endlich  die  Ereignisse,  denen  wir  in  Österreich  das  neue 
VolltBBchnlgeseta  verdanken. 

Redner  führt  nun  aus,  dass  die  gegenwärtige  Lehrerbildung  eine  unge> 
nügende  sei,  und  hebt  all  die  Xachtheile  hen'or.  die  ttir  die  Leiner  daraus 
resultiren.  Er  führt  aus.  da.ss  der  geringen  \ Orbildung  we^en  die  Lehrer 
uieht  jene  Achtung  genieüen,  wie  sie  ihr  Stand  verlangt;  jeder  erhebe  sich 
anm  Bichter  nnd  Kritiker  des  Lehrers»  jeder  glanbe  über  die  Arbeit  des  Leh- 
rers nnd  den  Erfolg  derselben  nrthdlen  an  kSnnen.  Redner  weist  anf  die 


Digitized  by  Google 


—  123  — 


absprecheiidMi  Urtheile  einiger  VoUnrertreter  bin  —  Fürst  Alfred  Lieclit«n- 
stt'in  —  nm  seine  AnsfOhrnntrpn  zu  hesrriinden.  Es  ist  f?plb?!tver8tÄndlich, 
liass  Fürst  LiechtenstPin  die  Lehrer  iiiclit  tadelt,  weil  sie  Dummköpfe  —  aon- 
dem  weil  sie  ilim  zu  gescheit  sind  zum  Sclirecken  seiner  Partei. 

Beltoent  erörtert  nan  noeh  weiter^  dasB  aneh  die  Faefabildmig  eine  nnge- 
Dtigende  sei  und  ftilirt  die  Annprfiche  einer  Beihe  liervoiragender  Pidagogieii 
an,  die  derselben  Überzeognng-  Ausdruck  geben. 
Schließlich  stellt  Referent  folgenden  Antrao-: 
Der  VIIL  allgem.  österr.  Lehrertag  fasst  folgende  Kesuiutiun: 

Es  i^  diewteenschaftUcheimd  Fachbildung  des  Lehrers  za  tremmi. 
ft)  Ab  Vorttadlen  für  die  Faehlillditiig  ist  das  absolvirte  Realgymna- 

siam  erforderlich.  m 

c)  Die  Fachbildung  erstreckt  sich  blns  ;uif  die  pftda^er'^sri^chen  Discipli- 
nen,  ist  zweijährig  und  in  Lehrerbiidunpsanstalten  und  pädagogi- 
schen Senünaren  an  Universitäten  zu  päegen.  (Beide  Anstalten 
haben  denselben  Lebtplaa  und  Lehrgang;  letastere  sind  Mnsteranstalten 
für  die  Lehrerbüdnngsanstalten.) 

d)  Die  Lehrerbildungsanstalten  sind  an  Eang  den  theologischen  Fach- 
anstalten eleich^nstellen.  als  Hauptlehrer  nur  die  tüchtigsten,  wissen» 
schaftUch  und  pädagogisch  gebildeten  Mauuer  anzustellen. 

t)  Die  Haapdefarer  beddien  ein  höheres  Odialt  als  die  Hittelschnl- 
lehrer. 

f)  Der  Staat  hat  die  Aufgabe,  zur  gründlichen  wissenschaftlichen  Aus- 
bilduns:  bewährter  Volksschullehrer  Stipendien  zu  gründen  und  vor- 
zügliche Lehrkräfte  wenigstens  zwei  Jahre  an  Universitäten  zu 
schicken. 

Znr  Debatte  ergrilT  nim  das  Wort  Herr  P.  Pape- Wien;  derselbe  ist  in 

der  Hauptsache  mit  den  Ausfühmngm  des  Referenten  einverstanden,  er  findet 
die  Vor-  und  F  i -hbildung  ebenfalls  unzureichend.  Nur  sei  er  mit  der  Art  und 
Weise,  wie  der  Keferent  die  Sache  «reregelt  wissen  will,  nicht  eiüverstandeu. 
Heferent  wUl  das  Gymnasium  oder  die  Realschule  als  Vorstufe;  dem  könne 
Bum  aas  dem  Omnde  nicht  beistimmen,  weil  ja  beide  Anstalten  ganx  yerschie- 
den  von  einander  sind  und  verschiedenen  Zielen  zustreben.  Es  würde  nicht 
gut  ni''"j-ltf  h  '^ein.  hierauf  die  Fachliilduiif?  der  Lehrer  zu  basiren.  Für  die 
Vor-  und  Fachbildung  seien  daher  ganz  selbstständige  Anstalten  zn  errichten; 
dieselben  sollen  sechs  Jahresstufeu  haben.  Vier  Jahre  sollen  der  Vorbildung 
ind  swei  der  eigentliehen  Fachbildang  gewidmet  sein.  Die  lateinische  Sprache 
soH  obUgatoriseher  Lehigegenstand  sein^  nnd  aneh  die  modwnen  Sprachen 
ssUen  ausreichend  gepflegt  werden. 

Seine  Rede  jripfelt  in  foljrendeni  Antrabe: 

Der  VIII.  allgem.  österr.  Lehrertag  woUe  beschlieBen: 

1.  Die  Vor-  und  Fachbildung  werde  an  defselbea  Anstslt  ortheat. 

2.  Dieselbe  nmfiuse  6  Jahre. 

3.  Das  vollendete  14.  Lebensjahr,  sowie  die  absolvirte  8classig:e 
Volks-  oder  Bürgerschule  ^enügre  als  Bedingung  für  die  Aufnahme. 

4.  Die  lateinische  Sprache  werde  zum  ubligaten,  die  französische  Sprache 
zum  uicht  obligaten  Lehrgegeustand  erhoben. 

5.  Dem  Lehrer  werde  die  Hdglicbkeit  der  Fortbildong  geboten. 


Digrtlzed  by  Google 


_   124  — 


Nnn  erprriff  Herr  Dr.  Friedrich  Dirt»*- Wim,  von  der  Versamminnjgf 
stürmisch  Wgrüßt,  das  Wort.  Er  betont,  cLass  er  sich  vorderhand  weder  für 
die  Ansichtea  des  Uerm  Beferenten,  noch  für  die  des  Ilerni  Pape  aussprechen 
woUe,  da  es  stell  in  der  gegenwärtigen  Zeit  olmebin  nidit  dämm  handeln  VSwaie, 
einen  Neubaa  ao&alBliren,  sondern  darum,  das  Alte,  an  dem  allerorts  grer&ttelt 
werde,  zn  sicliorn  und  zu  befe.*tig:pii.  E?;  g-plte  vnr  allem  jene  Bestrebnn^en 
mit  aller  KuerKie  zurückzuweisen,  die  dahin  abzielen,  die  Lehrerbildung  mehr 
und  iiielir  herabzudrücken,  einzuschränken,  zu  verkiirzen.  Die  bekannte  Schul- 
gesets-Novelle  hat  solche  Tendenzen.  Hier  sei  alles  darauf  geridit^  das  Be> 
stehende  zurückzaschrauben,  einzuengen,  zn  verkürzen.  Anffallettd  sei  anch 
der  merkwürdige  Umstand,  dass  nirgends  in  der  Novelle  von  der  deutschen 
Sprache  die  Rede  sei,  auch  nicht  von  dpntsrher  Literatnr.  was  noch  bedenk- 
licher erscheine  als  jene  Bestimmung  der  preubischen  Regulative  von  1854, 
wdche  TOB  den  sogenannten"  deatsi^n  dassikem  (Lessing,  Goetbe  und 
Schiller)  redete.  Die  Novelle  sei  daranf  angelegt,  mit  einem  minder  gebUdet«ft 
Lehreratande  zn  rechnen;  aber  eine  möglichst  gründliche  Bildang  des  Lehrers 
sei  eine  unal> weisbare  Xothwendiirki'it.  Das  pinRr-itiije  ^'prlan^ren  mnsikalisc  lier 
BetUhigung  »ei  ein  AusselilieÜeu  vieler  tüchriirer  .1  iiiiirlinge  vom  Lehrberuf. 
Die  Forderung,  dass  ein  Schulleiter  di«t  Btliiliiguiig  zur  fcirtheilung  des  Keli- 
gimisontenichtes  nachwmsra  müsse,  kSnne  zn  Ungebenerlichkdten  flUiren;  sehr 
bedenklich  sei  auch  die  Bestimmung,  dass  einer  Lehrperson,  deren  Leistungen 
nicht  entsprechend  seien,  das  BefUhigungszeugnis  entzogen  werden  kSnne; 
dadurch  würe  der  Lehrej-  der  Willkür  ]>n'is^eprebpn. 

Redner  t'urdert  die  VerüamQÜuug  auf,  sich  entschieden  gegen  jede  beab- 
sichtigte Besefarttnknnf  auszusprechen,  imd  beantragt  folgoide  Besolntion: 
,,r>er  VlIL  allgemeine  iJsterreichische  Lehrertag  erblickt  in  te  Bestrebungen 
[der  Schulgesetz-Ni'velle'.  die  Lehrerbildung  zu  verkürzen,  zu  beschränken  oder 
durch  einseilige  Bestimmungen  einzuene-en.  eine  frroße  Gefithr  fitr  die  Schnle. 
Auderi>eits  ist  er  der  Ansicht,  dass  jedes  urdnuugsmäßig  erworbene  Lehrbef  älii- 
gungszeugnis  als  eine  unanfedtttmre  Urkunde  der  abeolvirten  Lehierbüdmig 
SB  gelten  habe.* 

Professor  Tomberger- Wiener-Neustadt,  welcher  infolge  der  AusfQlirongeB 
der  Vorredner  aufs  Wort  verzichtete,  legte  dem  Präsidium  folgende  Thesen  vor: 

1.  Die  Lelirerbildung  knüpft  an  die  in  einer  achtclassisren  Volkt>-  oder 
Bürgerschule  erworbenen  Kenntnisse  an,  beginnt  mit  dem  14.  Lebens- 
jahre und  dauert  6  Jahre. 

2.  Die  ersten  4  Jahre  der  Lehrerbildung  sind  der  wissenschaftlichen 
Ausbildiina:  d«  i  Zöglinge  gewidmet,  die  letzten  zwei  vonngsweise  der 
päda^'-ogi  seilen. 

3.  Die  lateinische  Sprache  ist  obligates  Lehrfach,  die  französische 
ein  unobligates. 

4.  Nach  Vollendung  der  Lehrerbildung  ist  es  den  ZSgUngen,  welche  ein 
Zeugnis  der  Beife  mit  Auszeichnung  erhalten,  gestattet,  die  Universitit 

zu  besuchen. 

Da  aber  diese  Thesen  mit  denen  des  Uerm  Pape  ziemlich  ubereinstimmen, 
andererseits  im  Interesse  dw  Zeit,  vendehtet  der  Antragstellor  auf  die  Begrün- 
dung seiner  Thesen.  —  Dasselbe  that  anch  Dr.  Piek- Wien. 

HeiT  HQfler*Wien  verlangt,  dass  an  den  Universitftten  eine  pttdagegiscfae 


Digitized  by  Google 


—    i2u  — 


Facnltät  errichtet  werde,  damit  die  Lehrer  zn  jeii<  r  TTähe  modernen  Wissena 
e^^fiihrt  worden,  die  sie  k  fl'ihigl.  in  den  Geist  der  Werke  unserer  Forscher 
und  Uenkf  i-  einzudringen,  l'ic  Lelirtrliildnng'  müsse  dem  weitest  fortgeschrit- 
t«nen  Zeit^iste  entsprechen,  and  dazu  reiclien  die  Forderungen  des  Referenten 
md  des  «weiten  Herm  Redners  nicht  ans.  Bedner  stellt  nnn  seine  Ab&n* 
demagsantrSge  zn  den  Thesen. 

Hierauf  ergreift  Professor  Fuß-Wien  das  W'ort  und  I  t  i;  rundet  zuuiichst, 
weshaH»  fi  als  Mittelschullehrer  das  Wnrt  ergreife,  und  gibt  spiner  Fronde 
Ansdruck^  da»*  unter  den  Volks-  und  büi^erschuUehrern  sich  Stimmen  erheben, 
welche  eine  gründliche  Bildung  des  Lehren»  fordern.  Diese  sei  schon  daram  noth* 
wendicT«  damit  die  Lehrer  eine  feste  Onindlage  haben,  nm  sieh  weiter  fortbilden 
m  kÄmen.  Er  wfinscht  die  Einführung  der  lateinischen  Sprache  als  unab- 
weisbare Grundlage  aller  formalen  Bildunjr  Es  sei  drin^rend  trebritt?n.  da^s 
die  ^esammtp  T.obrorsohaft  einmntliiir  iliro  Stimme  erliebe  und  der  Forderung 
am  \  ertielung  der  Bildung  Ausdruck  ^^ebe. 

Dr.  Friedrich  Dittes  und  Heir  P.  Pape  hatten  sich  iniwischen  ni  einem 
gemeinsamen  Antrag  geeinigt.  Derselbe  wnrde  von  der  Vttsauunlnng  einstim- 
mig angenommoTi.    Er  lauTot: 

,,Dio  alls-cmeine  oslerreieliisclie  Lflirfrvorsammlniifr  erblickt  in  den 

Bestrebnngeu ,  die  I^ehrerbildong  zu  verkürzen,  zu  beschränken  und  durch 
einseitige  Besthnmnngen  einzuengen,  eine  große  Gefahr  fttr  die  Schnle,  ist  im 
Gegenthcil  der  Ansicht,  dass  eine  Verlftngemng  der  Zeit  der  LehmbUdnng 
um  zwei  Jahre  und  eine  Erweiterung  und  eine  Vertiefung  des  Unterrichts, 
namentlich  in  syirnobli'  li-literarischer  Hinsicht  dring« nd  geboten  sei:  tVrnor  ist 
sie  der  Ansicht,  dass  jedes  ordnungsmäßig  erworbene  Lehrbef.ihigungäzeugnis 
als  eine  onanfechtbare  Urkunde  der  absolvirten  Lehrerbildung  zn  gelten  habe.'* 

Damit  war  die  Debatte  Uber  das  erste  Thema  beendet,  nnd  nnn  eignlf 
Herr  Holczabek-Wien  das  Wort  znm  zweiten  V«  rhandlungsthema: 

„Aus  welchen  Gründen  können  .die  Lehrer  dtr  Schulgesetz-Novollc  in 
ihrer  Oanzo  nicht  znstinimen?"  Referent  sprach  in  glänzender  Rede  ein  ge- 
radezu vernichtendes  Urtheil  über  die  Gesetzes-Novelle,  welche  das  Eeichs- 
Volksschnlgesetz  anfhebe  nnd  in  keiner  Weise  ersetze,  da  sie  anf  Prineiinen 
beruhe,  die  diesem  Gesetze  entgegengesetst  seien,  weldies  fibrigens  Iftng^t  (ihne 
allf  Scli\vicriykoit«'ii  duiclitjcfiilut  sriii  k?1nnte.  wenn  man  v<m  vomhcroin  den 
uöthigen  Ernst  und  di»-  nütlii^-o  Knergie  an  diese  Arbeit  j.'-owendet  hiitto.  Die 
„Novelle'*  sei  eine  Concession  an  jene  Kreise,  welche  die  „Concordatsschuie" 
wflasdHm,  die  die  Nensehnle  hassen,  weil  der  Staat  die  AnlUdit  führt,  weil 
sie  confessionslos  ist,  weil  sie  der  Geistlichkeit  entrückt  wnrde.  Die  Novelle 
befriedigt  auch  nur  jene  Kreise,  denen  Volksbildung  und  Anfkläiunar  ein 
Gronel  sind,  die  der  Ansicht  sind,  dasa  dem  Bauer  und  kloiriou  Hiiru-cr  \\  i«sen 
schädlich  sei.  Man  scheue  kein  Mittel,  um  die  öffeniliciie  Meinung  ü^^er  die 
Nensehnle  zn  täuschen,  und  in  Blättern  und  Blättchen  „filrs  Volk"  werden 
derselben  die  wnnderlicfasten  Dinge  nachgesagt. 

Referent  L.  sprarli  nun  in  scharfer  und  überzengender  Rede  die  einzelnen 
Paragraphen  der  Novelle,  besonders  diejenigen,  welcli.  dt  rsi  ll  en  das  Merkmal 
der  RtactiuM  aufilrüokon.  nnd  bewies,  dass  —  trotzdem  die  Bürgerschide  an- 
scheinend recht  gut  in  dem  Entwürfe  bedacht  sei  —  die  ganze  Novelle  ein 
schadhafter,  anf  Sand  gestellter  Bau  sei.  Mit  einem  kraftvollen  Appell  an  das 


Digitized  by  Google 


—   126  — 


H^"l•rpnha^s.  den  treuen  Tfnrt  «ler  Schule,  sihln^^s  der  Refmnt  seine  AusAh- 
raugen  und  empfahl  folj^ende  Kesolation  zur  Annahme: 

„Der  am  3.  August  1882  abgehaltene  Lehrertag  fühlt  sich  vor  allem 
TCfpflichtet,  allen  den  sablrekhen  Gemeinden  nnd  CofporatioiMn,  die  aidi  gegen 
die  Sdralgesetz-Noyelle  nnd  für  die  Beibeludtong  des  Beidw-VolkBacfanlgMetue 
vom  14.  Mai  1869  ausgesprochen,  den  innigsten  Dnnk  ansziidracken.  (Bravol) 
Tndpm  diese  LehrerversninnihiTifi'  v.:}<^h  wie  vor  in  d^r  stptijren  Dnrchfiihmn? 
des  Kt»ich8-Volk88chulge»ety.es  eiue  der  wertvollsten  Grundlagen  zur  Förderung 
allgemeiner  Volksbildung  and  mit  dieser  zur  Wolfahrt  des  Staates  erblicktt 
dagegen  dnrch  die  Sdralgeeetag-Novelle  die  ftrteefareltende  Entwickelnng  dee 
Volksschulwesens  gehemmt,  die  Grundprincipien  des  Reichs- Volksschulgesetzes 
he<«eitigt.  der  Lehrstoff  in  nnbf  ^riiiKlt  tt  r  Weise  vermindert.  A\o  8j:ilirii?o  Sdiul- 
pdicht  zur  Ausnahme,  die  HjiUiriL,'»»  zur  Regel  gemacht  und  eiue  streng  cou- 
fessionelle  Sdiule  angebahnt  werden  möchte,  so  sieht  sich  der  achte  allgemeine 
Qstemicliische  Lehrertag  sowel  wu  pOdagogisch-didaktlschen,  wie  ans  patrio- 
tischen Gründen  veranlasst,  dem  lebhaften  Wunsche  Ansdmck  zu  verleihen  .- 

Das  h'ili.'  Hf irenhaus  m^ire  rtnch  Uber  diese  ganze  Schulsresetz-Novelle 
zur  Tagesordnung^  übergehen  (Bravol),  wie  es  srint^rzcit  die  Aufhebung  der 
8 jährigen  Schulpflicht  zu  seinem  Ruhme  und  des  \'aterlandes  Ehre  (Bravo!) 
m  idederliolteii  Malen  abgelehnt  häV*  (Bravo!) 

Unter  stfirmischem  BeifUl  wnrde  diese  Besolntion  einstimmig  angenommen; 
es  erhob  sicli  bei  der  Gegenprobe  keine  einzige  Hand,  und  somit  war  das  Ur- 
thpil  (\pr  österreicbischen  Lehrerschaft  fiber  diese  Novelle  ein  geradezu  ver- 
nichtendes. 

Nachdem  die  Zeit  schon  zu  weit  vorgerückt  war,  konnte  man  nicht  mehr 
daran  denken,  noch  einen  weiteren  Q^nstand  znr  Yerluuidlnng  m  bringen, 

und  es  wnr<Ii-  liiet-mit  die  erste  Hauptversammlung  geschlossen. 

Die  zweite  Hauiifver«:ammlnn;r.  vi  1  flu?  Siunstag-  den  5.  Aninist  stattfand, 
wurde  mit  dem  Referate  des  H^rni  Franz  Wichtrei-Wien  über  ..Das  neue 
Gewerbegesetz  im  Lichte  der  Schule"  eröfEnet.  Der  Referent  l)K?grün- 
dete  die  Aulstellnng  dieses  Themas  mit  der  Forderung,  dass  die  GrundsStse 
des  Schulgesetzes  auch  in  anderen  Gesetnen  nun  Ausdrucke  kommen  müssen, 
m\ä  dnrf'h  den  TTinwei.s  daranf.  dass  Bestimmungen  der  alten  Gewerbeordnung, 
welche  treffen  das  Scluiliresetz  verstnßen,  in  das  nme  O^werbegesetz  aufgenom- 
men wurden.  Der  §  80  desselben  gestatte,  dass  Kinder  im  Alter  von  10 — 12 
Jahren  war  geweibliehen  Arbeit  T^fwendet  werden  dfitfen,  wenn  sie  cdnen  Er- 
laabnisschein  des  QemdndeTorstandes  beirobringen  imstande  sind.  Kinder 
von  12 — 14  Jahren  können  selbst  diesen  entbehren  und  verfallen,  wenn  die 
Eltern  es  verlana^pu.  schonung'slo.s  der  Arbeit.  Die  Ausinütznnt,'  d<  r  kfirp^r- 
lichen  Kraft  der  Jagend  sei  ein  Hohn  auf  unsere  Cultui-.  Der  Referent  be- 
gründet sodann  die  von  ihm  aufgestellten  Thesen  in  sehr  scharfer,  logischer 
Wdse  nnd  schlieBt  seine,  ott  von  BeifkH  nnterfaroehenen  AusflUvungen  damit» 
dass  er  der  Hoflfianng  Ausdruck  ,  i  Meh,  es  werde  der  VIIL  allgemeine  öster- 
reichische T.ehrertnc,  falls  er  die  Thesen  annähme,  wesentlichen  Antheil  daran 
haben,  wenn  das  alte  deutsche  Sprichwort  wieder  zu  Ehren  komme:  „Hand- 
werk hat  goldenen  Boden." 

Zur  Debatte  ergriifen  das  Wort  die  Herren  Binstorfer-Wien,  Flscher- 
Xailimdorf  und  Jessen-Wien.   Ersterer  woUte  von  „Kinderarbeit''  flberhaupt 


Digitized  by  Google 


—  127  — 


uichts  Ydasen  nnd  begründete  seine  Ansicht  in  warmer,  fiberzeug«iider  Sprache. 
Fischer  meinte,  die  Schnle  hätte  auch  die  Pflicht,  andere  als  blos  pewerbliche 
Interessen  zn  fördern,  and  Jessen  poleini&irte  gegen  den  zu  idealen  Standpunkt 
Binstorfers;  man  mftsse  auf  dem  Boden  bldbefi,  auf  dem  ein  Erfolg  überhaupt 
nOtrlidi  sei.  Durch  miEig«  und  nicht  sa  lange  wtthrende  Arbeit  weide  weder 
die  Aufgabe  der  S(  huIi-  noch  die  Gesundheit  der  Kinder  gefthrdet,  die  trenrige 
Lege  vieler  Arbeiter  aber  wesentlich  veibe-spi  t. 

Es  werden  sodann  die  Thesen  des  Kefereuten  in  folgender  Fassung  an- 
genommen: 

1.  Schale  und  Gewerbe  stehen  in  maonigfaefaer  Wechselbesiebuig;  folge- 
richtig müssen  auch  die  gesetdichen  Grnndlftgen,  auf  denen  Sohiile  aowol  als 
auch  Gewerbe  sich  aufbauen»  im  Zmammenliaage  itehen,  sich  gegenseitig 
bedingen  und  ergänzen. 

2.  Die  gewerbliche  Frage  kann  nicht  allein  auf  dem  Wege  socialer  Or- 
ganisation ihrer  LOsnng  zugefOlirt  werden«  sie  ist  in  enter  Unie  efa^  Bil- 
dnngnfirage. 

3.  Volks-  und  Bürgerscliule  berücksiclitigen,  soweit  damit  nicht  die  all- 
gremcine  Aufgabe  der  Volksschule  tangirt  wird,  in  allen  Untenichtsdisciplinen 
die  gewerblichen  Interessen.  Eine  zielbewusste  Verullgemeinerung  der  gewerb- 
lichen Schulanstalteu  (gewofbliehoi  FortUldnngsschulen,  Fachschulen  etc.)  im 
Aii««>Mii— a  an  die  Vollndiale  ist  eise  Forderang  der  Zeit 

4.  Das  gewerbliche  Schulwesen  etdn^  ein  Beichs-Gewerbeschulgesetz. 

5.  Die  Errichtung-  von  Bildnngsrursen  an  den  bf^sr -henden  k.  k.  Staats- 
gewerbeschnlen  für  Lehrer  gewerblicher  Schulanstal i  t  u  i^t  eine  wesentliche 
Vorbedingung  des  Gedeihens  des  gewerblichen  Schuiweäeus. 

6.  Den  Zeugnissen  der  gewerblichen  Sehnlanstalten  mnas  eine  eriiShteie 
Bedeutung  eingeräumt  werden.  Die  Alhdtsbtteher  haben  eine  Auskunft  über 
die  SchHlvt  rhiiltnisse  des  Hilfsarbeiters  zu  enthalten.  Die  Freisprechung  eines 
Lehrlings  darf  nicht  erfolgen,  wenn  d»  ist  Ibt  sich  überhaupt  mit  keinem  Zeug- 
nisse über  den  B^uch  einer  gewerblichen  Lehranstalt  ausweisen  kann  —  iuso- 
ten  dies  nfigüch  war  ^  oder  wenn  in  dem  Zeugnisse  sdn  sittUehes  Betragen 
als  Gerwerbescfafller  mit  „nicht  entepraehend"  bemiehnet  ist 

7.  Eine  Hauptaufgabe  der  gewerblichen  Genossenschaften  ist  die  Pflege 
Forderung  und  Gründung  gewerblieli<M-  S<  hulanstalten. 

8.  Die  Kinderarbeit  in  den  Fabriken  und  gewerbUcheu  Unternehmungen 
moss  auf  das  nothwendigste  Hall  beaehxflnkt  werden.  Kinder  vor  vollendetem 
14.  Lebeni^ahre  dürfen  an  refelmSüjgai  gewerblichen  Beschftfkignngen  nidit 
lierangezogen  werden. 

9.  Jeder  Lehrling  hat  sich  l»ei  seiner  Aufnahme  in  die  I.»  hre  mit  einem 
Zeuguisüe  auszuweisen,  aus  dem  ersichtlich  ist,  dass  er  feeinei  ^c]mipllieht  Ge- 
nüge geleistet  hat;  dein  Lehrherm  ist  es  nicht  gestattet,  ohne  Beibringung 
dnes  solchen  einen  Lehrling  anfiranehmen. 

10.  Kinder,  welche  /.um  Besnche  der  Schule  verpflichtet  sind,  dürfen  in 
Fabriken  nur  dann  beschäftigt  werden,  wenn  sie  in  der  \'ulksschule  oder  in 
einer  von  der  Schnlanfsichtsbehürde  genehmigten  tschule  und  naeh  einem  von 
ihr  genehmigten  Lehrpian  einen  regelmäßigen  Unterricht  von  miudesteni»  drei 
Standen  tftglich  genieBen.  Die  Arbeitszeit  darf  seehs  Standen  per  Tag 
nicht  Bbenteigeo. 


Dig'itized  by  Gov)^;;k 


—   128  — 

« 

11.  Für  Erriclittinsr  von  Fabrikss«  linUn  muss  in  anps-iebi^ron-r  W*"ise 
vor^esorj^t  w^nlfii.  Auf  »iein  Verordnan?s\veg-e  sind  uiul'assende  liestiiinimngren 
üb«!-  Kniciituug,  Uiiterriclitszeit,  UntHtrichlsdauer,  Lehrziel,  Lehiplan,  Scliui- 
disdplin  etc.  zu  erlMwn. 

12.  Den  Gewerbe-  und  FabrikioBpectoren  werde  auf  das  Xacbdrficklichste 
Eor  Pflicht  geinnchf.  ihre  Anfmprksnmkeit  dem  i>liysis(lien  und  geistigen  Wole 
der  Kinder  der  Arbeiter  und  der  arbeitenden  Kinder  zuztnvenden  und  .sorg- 
lichst die  die  Schale  betreffenden  Bestimmungen  der  Gewerbeotxinung  zu  über- 
wacbeii. 

13.  Das  HanBiroi  und  FeUbieten  von  Waran  dordi  sehnlpiUehtig«  .Kinder 

ilt  untersagt  (Hausirpatent). 

Director  Kop«»tzky-Wi(»n  referirte  hierauf  über  da.s  Thema:  „Gründung 
eines  allgemeinen  österreickischen  Lehrerbandes.**  Es  scheint,  dass 
dieses  Thema  die  Seeschlange  der  Qsterreicbiscben  Lebrertage  werden  soU. 
Schon  etnigemale  ISuste  dw  Oetemichlsche  Lehrerkag  aber  dasselbe  Thema 
Beseblnse,  ohne  dass  bisher  ein  praktisches  Besnltat  zu  Tage  gefördert  worden 
wäre.  Hoffentlich  gelingt  diesmal  die  Gruixlung  ih'^  T.ehreibundes  und  die 
Frage  versciiwindet  von  der  Tagesordnung  unserer  Lehrertiige. 

Der  vom  lieferenten  Kopetzky- Wien  begründete  und  zur  Annahme  vorge- 
legte Statnten-Entwnrf  lantet: 

§  1.  Der  Allgemeine  österreichisehe  Lehrerbnnd  hat  seinen  Sitz  in  Wien 
und  besteht  ans  den  sieii  demselben  ansehließenden  einzelnen  Landes-Lohn^r- 
vereintfu.  sowie  aus  jenen  iiuderen  Lelirervereinen,  denen  keine  Gelesrenlieit 
geboten  ist,  durch  einen  Landes-Lehrerverein  dem  Allgem.  österr.  Lehrerbuude 
anmigehlbfen. 

Der  Allgem.  Osterr.  Lehrerbnnd  stellt  sich  die  FSrderang  des  Sehnl» 

Wesens  überhaupt,  insbesondere  aber  das  einheitliche  Zusammenwirken  zur 
geistigen  Fortbilduns"  und  zur  Wahrung  der  Standesintere^sen  der  österreichi- 
schen Lehrerschaft  zur  Autigabe.  Zu  diesem  Zwecke  linden  statutenmäßige 
Versammlungen  statt. 

§  2.  Der  Eintritt  der  eincelnen  Voelne  in  den  Allgera.  Osterr.  Lehrer' 
bnnd  erfolgt  auf  Anmeldung  bei  dem  Ausschusse  desselben.  Der  Austritt 
aus  dem  Bumb-  s^e^clneht  ei)»'.vt  'b  r  lurch  srhriftliche  Meldung  oder  stillschwei' 
gend  in  den  statut-'ninäßig  festgesetzten  Fällen. 

§  3.  Jeder  dem  Allgem.  osterr.  Lehrei  buude  beigetretene  Verein  bat  das 
Beeht  der  Wahl  Ton  Yertreteni  mr  Beschickiing  der  DdegiitenTemauninogr 
welche  in  der  Begel  allljUiriichf  spAtestens  alle  2wei  Jahre  einmal  in  Wim 
SUttfindet. 

Jedes  Mitglied  eines  dem  Allerem,  österr.  Lehrerbnnde  augehörenden  Ver- 
eines hat  das  Recht,  an  der  Generalversammlung  des  Bundes,  welche  je 
nach  Bedttrfiiis  Jedes  Jahr  odo*  Jedes  zweite  Jahr  einmal  in  einem  Orte  der 
im  Beicbsrathe  Tertretenen  Lftnder  stattfindet,  mit  beratboider  und  besehlieSen- 
der  Stimme  theilzunelimen. 

HinirP2r''n  hat  jeder  beißet tetene  Verein  die  Verpflichtung,  die  von  der 
Deiegirten Versammlung  bestimmten  Jahresbeiträge  binnen  acht  Wochen 
nach  Empfang  der  Aufnahms-Urhnnde  einzusenden,  widrigenfalls  der  Verein 
als  stillBchwelgend  ans  dem  Lehrerbnnde  ausgetreten  betraditet  werden  mflsste. 

Das  Verein^jahr  beginnt  mit  dem  1.  Jftnner. 


Digitized  by  Google 


129  — 


§  4.  Jeder  dem  Allgem.  öpterr.  LolirerVmii(ie.  beigetreten*^  V'  rt  iji  w.'Uilt. 
wenn  seine  Mitgliederzahl  anter  2UU  steht,  einen  Vertreter;  Vereine,  weicht; 
200 — 500  Mitglieder  zählen,  wfthlen  zwei  Vertreter;  jeae  Vereine,  deren 
MitgUederzalü  sich  zwischen  ÖOO  nnd  1000  hewegt«  wÜiImi  drei  Vertretw. 

Auf  Vereine  mit  1000 — 2000  Mitgliedern  entfallen  sechs  und  auf  alle 
äbrigeri  Vereine,  deren  Mitgliederzahl  2000  iiluTsclirpitf't.  zehn  Dele^nite. 

Die  Zusammenkunft  dieser  Vertn^ter  bildet  die  Delco^ii  ton  Versammlung. 
Jeder  Delegirte  hat  sich  mit  einer  bciirittlichen  Bestätigung  des  hetreffeuden 
Vereines  Aber  seine  Wahl  ansznwelsen  und  von  seiner  bezathenden  und  be» 
schließenden  Stimme  persönlich  Oebranch  zn  machen;  eine  Stellvertretung 
findet  iiii  lit  statt.  Pie  Di  K'irirtonver5!ainmlnng,  welche  auch  den  Bundes- 
anssrhuss  \v;11ilt,  ist  nur  dann  besrhlussialiijjr,  wenn  von  der  Zahl  der  dem 
Bunde  angehöiigen  Vereine  wenigstens  eiii  Drittheil  vertreten  ist.  Die  Be- 
■chlfiase  im  Ansschosse,  soirie  in  der  DelcgirtenTersammlong  werden  mit 
absoluter  H^oritftt  gefasst.   Bei  Stimmengleiehheit  ist  der  Antrag  geftiUen. 

Dringende  Fälle  berechtigen  den  Bundesansfichnss  znm  sofortigen  Ein- 
schreiten gegen  iiachherigre  Genehmigung"  der  Delegirtenversamnilnng. 

§  5.  Die  Leitung  und  Nertretung  des  Bundes  besorgt  der  Bundesaus- 
schnss.  Derselbe  besteht  aus  dem  Vomtzenden,  dessen  zwei  Stellvertretern, 
drei  So^ftfRhremi  einem  Casaier  nnd  vier  Anssduissmltgliedem. 

Der  Cassier  flbemimmt  die  Geldbeträge  und  legt  der  Delegirtenver^ 
Sammlung  die  Belege  über  die  Verwendung  derselben  vor.  Die  Delegirten- 
versaniinloug  prüft  die  Bechnnngen  durch  zwei  von  derselben  gewäiilte  Se- 
V  isoreu. 

Der  Ansschnas  ratwirft  die  GesddUtsordnnng.  Die  FnnctioiUlre  werden 
in  jeder  zweiten  DdegirtenvenammliiDg  neu  gewfthlt.  Die  Austretenden  sind 
wieder  wählbar. 

Der  Uundesaus.'icliuss  besorgt  die  Vorarbeiten  zur  Delo^irt«>n- 
and  Generaiversammlung  und  bestimmt  Ort,  Zeit  und  Dauer  der- 
selben, S&mmtiiehe  Mitglieder  des  Ausschusses  verwalten  ihr  Amt  als  Ehren- 
amt nnd  beadehra  keinerlei  Honorar.  Jedoch  gebttrt  ihnen  ffir  ihre  im  Ver* 
einshiteresse  gemachten  Reiseauslagen  Ersatz  aus  der  Vereinscasse. 

Jedes  vom  Vereine  ansfreliendo  SchriftetUcli  ist  vom  Vorsitzenden  nnd 
einem  Hchril'ttührer  zu  unterzeichnen. 

§  6.  Anträge  auf  Abänderung  der  Statuten  müssen  wenigstens  vier  Wo- 
ehen  vor  der  Delegirtenversammlnng  dem  Bundesansschasse  angezeigt  werden. 
Die  Beschlüsse  über  solche  AntiäL'^e  sind  nur  dann  giltig,  wenn  mindestens 
zwei  Drittheüe  der  änwesenden  Mitglieder  der  Delegirtenversammlnng  dafQr 
stimmen. 

§  7.  Etwaige  Streitigkeiten  von  Vereinsmitgliedeni,  die  aus  demVereins- 
verhUtnlsse  entstehen,  werden  durch  ein  Schiedsgericht  gesehliditet.  Zn  die- 
sem Zwecke  wählt  jede  der  streitenden  Parteien  zwei  Mitglieder,  welche  sich 
ein  fünftes  Mit^^ied  zum  Obnuuine  bestellen.  Gegen  den  Aussprach  des Schieds- 
gehcht.s  o^ibt  es  keine  ISfrutiing. 

§  8.  Bei  Auflösung  des  Vereins,  die  nur  dann  stattfinden  kann,  wenn 
sie  von  der  Delegirtenversammlnng  mit  Zweidrittel-Uajoritftt  beschlossen  wird, 
bestimmt  dieselbe  die  schlieBliche  VerwNidDng  des  Vereinsvermdgena. 

Herr  Planer- Wien  ergrüT  an  dem  Thema  das  Wort,  sog  sein  dem 


Digitized  by  Google 


—   130  — 


Central-«  "lüift^  eingesandtf^s  Thema:  ..DiV  Znkuurt  der  Lehreitage"  herein  und 
schlag  eiuij^e  Thesen  de-^selltoii  zur  Aiiuahme  vor: 

1.  Das  Fortbestehen  der  alltremeinen  österreichischen  Lrhrortag^e  ist  eine 
wesentliche  Bedingimg  tör  das  Gedeihen  der  österreichischen  Volks- 
imd  Burgerschole,  eltt  mflntlMlU'lidies  Hittä  snr  Hd»iiiig  des  StaadM- 
bewoMtseii»,  der  materiellen  und  eodalen  SteUnog  des  Lehrstaiidee. 

2.  Es  ist  wünschenswert,  dass  sicli  ein  allgemeiner  österreichischer  Leh- 
rerluind  oonstitnir^  lU-m  alle  Lanii«'s-  und  die  größeren  Lehrervereine 
als  Zweigverbiuduugen  angehören  uiögeu  und  dessen  Hauptversamm- 
lungen die  Fortsetzung  der  Lelirertage  bilden  sollen. 

3.  Bis  zur  Constttnlrung'  des  allgemeine  Osterreichisdien  Lehrerfanndes 
sollen  die  Lehrertage  von  zwd  sn  zwei  Jahren  in  eine  der  grOUeren 
Städte  Österreichs  einberufen  werden. 

Kedner  beantragt  femer  noch,  die  Versammlung  wolle  das  Wiener  Cen- 
tial-Cuiuitö  mit  der  Aufgabe  betrauen,  unter  Anwendnni^  aller  gesetzlich  zu- 
lässigen Mittel  die  behördliche  Genehmigung  der  Statuten  des  Lehrerbuudet» 
aumstreben,  sowie  dassäbe  zu  beanftragen,  aaeh  in  Znknnft  die  LehrerCage 
einroberafen.    Alle  diese  Anträge  werden  angenommen. 

Herr  Krantmann-Wien  stellt  den  Antrag:,  die  Versammlung  möge  beschlie- 
ßen, dass  es  in  den  Thesen  des  Herrn  Planer  statt  allgemeiner  österreichischer 
Lehrertag  heilieu  möge:  „Allgemeine  Vei-sammluugen  deutscher  X<ehrei:  in 
Ostoveidi^,  da  deb  ja,  wie  die  firfehrung  lehrt,  an  d«i  sogemnnten  allgemd- 
nen  OetaTeichisehen  Lehrertagen  nnr  Dentsche  bethesligen. 

Bei  der  hierauf  folgenden  Abstimmung  wurden  die  Bezeichnungen  „Denlach> 
österreichischer  Lehrertag"  und  „LteutsLli-österreichischer  Lehrerbund"  mit 
gruüer  Majorität  angenommen  und  ebenso  der  Staiutciieatwurf  —  der  nun  frei- 
lich manche  Andei-ung  hatte  erfahren  müssen  —  genelimigt.  Auch  wurde 
dem  Wiener  Central-Comitö  das  Mandat  aar  DnrcbfShning  der  gefiusten  Be- 
schlÜJBse  ertheilt. 

Zum  letzten  Thema,  weldit  s  auf  der  Tagesordnung  stand:  „Die  Bczirks- 
schulaufsieht**,  sprach  Kefer»  nt.  Frisch-Kiagenfurt.  leider  schon  vor  einem  etwas 
müden  Publicum.  Er  besprach  zunächst  die  Eigeusclxaltfu,  die  ein  Schul- 
iuspi  etor  haben  soll,  bedanert,  dass  diese  Fnnctionllre  hftnflg  ans  dem  Kreise 
der  Geistlichen  und  Mittelschullehrer  entnommen  werden,  welche  einerseits  für 
die  Volksschule  nicht  das  nötliige  Verständnis,  andererseits  auch  nicht  die 
nöthige  Selbstständigkeil  besitzen.  Daraus  erkliiren  sieh  eben  auch  die  Schä- 
digungen der  Schule  seitens  dieser  Institution,  mit  welcher  nicht  experimentirt 
werden  sollte.  Besonders  schildlich  wirke  das  ProTisorinm  im  Amte  eines 
Inspeetors,  nnd  et  sei  daher  dasVeriangen  nach  stftndigen  liispectoren  ans  dem 
Kreise  der  Volksschullehrer  ein  gerechtfertigtes,  nicht  blos,  weil  Landtage  and 
Gemeinden  sie  h*  r*  its  oft  genug  verlangt  haben,  sondern  aueh  darum,  weil 
dadurch  dem  Pej^ueleu  der  clericalen  Partei,  sich  wieder  der  Schulaufsicht 
zu  bemächtigen,  ein  Riegel  vorgeschoben  werde.  —  Es  werden  folgende  vom 
Beferenten  aniigestellte  Thesm  einstimmig  angenommen: 

1,  Die  Besirlcsschnl aufsieht  kann  ihrer  Angabe  in  vollem  Umfange 
nor  dann  gerecht  werden,  wenn  die  TrBger  derselben  mit  einer  tttch« 


Digrtized  by  Google 


—   131  — 


tigreu  allgemeiiieri  Bildung  eine  Torsftgliche  praktiacke  nnd  theore- 
tische Berufsbilduiis-  verbinden. 

2.  a)  Unter  Wahrung  dieses  (irund-satzes  sind  die  Bezirksschulinnpec- 

toreu  ausschließlich  dem  Ki'eise  der  Volksschulen  und  Leh- 
rerbildnngsaiiBtalten  m  entaehmen. 
b)  Dm  BeBirkesehulinspectorat  darf  nicht  als  Nt  beiianit  ver- 
sahen werden:  es  sind  vielmehr,  ^^leicliwic  es  in  dcii  Xadihiirstaaten 
mit  Erfolg  f!:eschehen  ist.  ständige  Bexirksschu  1  i  ii s pc (  t  oren 
cinzosetzen  nnd  den8eli)en  solche  Bezüge  anzuweisen,  dass  »ie  ihrem 
wichtigen  Bernfe  ganz  anzogehSren  in  der  Lage  sind;  an  letsterem 
Behnfe  sind  ihnen  auch  Hilfskräfte  znanweisen,  welche  sie  von  den 
Schreibgeschäften  na<:h  Möglichkeit  zu  entlasten  haben. 

3.  So  lansr^  d:»s  {mrenwn rtige  Provisorium  besteht,  ist  es  nothwen- 
dig,  dass  bei  Ernennung  der  Bczirksschnlinspectoren  in  allen  Ländern 
heitfanmte  Zeitrftnme  festgesetzt  und  eiugcUalten  werden. 

Damit  war  das  Programm  des  VIIL  allgemeinen  SsterrelchiBchen  Lehrer- 
tages  erledigt,  nnd  nachdem  der  Vorsitzende  Worte  des  Dankes  und  der  Freude 
nWr  den  wiinlifireii  X'crlaiif  flf-r  \'«'rh;'Tif]1nn^'pn  gesprochen,  schloss  er  mit  einem 
i^uf  ein  frohes  \Vieden»eheu  beim  neunten  Lebrertage''  die  Versammlaug. 


In  den  Neben  TCrsa  mm  1  Uli  gen  wurde  verhandelt:  über  die  Kinder- 
gSrten,  Uber  die  BUrgerscholen,  über  die  eonfessionelleu  Privatschnlen,  Uber 
die  Dienstaltenoulagen  der  Lehrer,  Aber  die  Selbstiülfe  der  Lelirer,  fibor  die 
Herstellung  physikalischer  und  chemischer  A]ii>ai  ;üi .  Obwol  auch  diese  Ne* 
benverhandlungen  mancln  s  Inr.  ressante  und  Li  Urreiche  darboten,  können  wir 
doch  —  wegen  dt-r  Knappbeii  des  uns  zur  \  ei-fiigung  slchendt  ii  Kanmef!  — 
nicht  auf  sie  eingehen-  Glücklicherweise  dürfte  unserem  Bericlit^i  binnen 
kuner  Zeit  von  anderer  Seite  eine  aUen  Ansprfichen  genfigende  Etgftnnmg 
Iblgtai,  von  welcher  die  Leser  des  Pädagogiums  jedenfalls  Notiz  erhalten  werden. 

Hervorheben  wolU-n  wir  ubt-i-  nochmals,  dass  der  Verlauf  der  Reiclien- 
berger  Lehrervcrsnnnnluntr  im  ^'^roßcn  and  ganzen,  namentlich  wenn  man  die 
Ungunst  der  Zeitverhäitnisse  erwägt,  als  ein  sehr  glücklicher  bezeichnet  wer- 
den mnss.  Es  waren  nnvergeasliche  Tage  ffir  alle,  die  sie  mit  erlebt  haben, 
und  scfaieltt  auch  der  Same,  der  dort  gestreut  wurde,  nicht  gleich  in  Halme, 
reifen  anch  für  ma  keine  Früchte  aus  dieser  Saat  —  sie  ist  trotzdem  nicht 
vergeblich  »-ewesen  -  -  die  Zukunft  wii  d  ei-nten,  wo  wir  gesäet. 

Osterreich»  Lehrer  kennen  das  Wort:  „Wir  können  warten'*,  »ie  haben 
e«  oft  bewiesen,  so  energisch  sie  auch  protestirt  haben  gegen  sündhafte  Verschlep- 
pung«! der  enisteeten  Angelegenheiten;  Österrdchs  Lehrer  mögen  kttnlüg  die 
Worte  des  Mannes,  der  so  viel  zur  Gestaltung  unseres  Schulwesens  beigetragen, 
als  ^Torto  führen,  jene  Worte,  mit  denen  der  Hann  seine  Bede  am  Keichen- 
berger  Lehrertage  schloss: 

„Nie  abwärts  und  rüt^kwärta,  stets  aufwärts  und  vorwärta!*' 


PMac«vism.  &  Jtbts.  Baft  II. 


Digitized  by  Google 


4 


Die  LehrmittelaiLSStelliuig  des  Lehrertages. 

Beim  DorehidirMteii  der  Bimilichlraiteii  des  k.  k.  01ier>BealgymnaniiiiM, 

in  welchem  die  sehr  reichhaltige  und  sehenswerte  Lehrmittelsammlung  unter- 
gebracht ist,  ^llt  »'S  z!it>r«t  Hntrenehm  anf,  dass  zahlreiche  Aasstellnngsobie^te 
von  Lehrpersoneu  selbst  hergestellt  sind,  ein  Beweis,  mit  welcher  Liebe,  Be- 
geisterung und  Hingabe  die  österreiehischen  Lehrer  ihrem  Berufe  sich  «idmen. 

In  der  AttssteUiuig  sind  vertreten:  Die  Spiel>  und  BesehftftigiUigigwbeii 
des  Kindergartens,  die  Ansduuiiiiigsmittel  der  Volks-,  Bflrger*  uid  Mittdseluile 
und  der  LehrerbildunjErsanstalt. 

K-  ist  hier  selbetverständlich  nicht  inöglith  alle  ausgestellten  Objecte 
eingehend  zu  besprechen,  und  dies  ist  wol  auch  uiclit  uüthig,  weil  ja  viele  der^ 
selben  UngsC  beim  Untenidit  beniltxt  werden,  «adi  bei  anderen  AnssteHnngen 
schon  xn  seben  waren.  Wir  müssen  ans  im  wesentlichen  anf  nene  Erschei- 
nnngen  und  auf  weniger  bekannte  Objecte  beschränken. 

Zunächst  sind  es  die  von  Henn  (Jnstav  Trnpka.  Lehrer  in  Prossnitz,  mit 
großem  Fleiße  und  Verständnisse  gearbeiteten  Pläne  und  Karten  für  den  hei- 
uatacoBdliehen  Unterricht,  die  nnsere  Anfmerksamkelt  ÜMseln.  Der  VeiHuser 
ffthrt  den  ganzen  Stoff  dieses  Unterrichtig<^;enstandes  in  sanber  anf  Nator* 
papier  gezeichneten  Karten  vor.  Dieselben  werden  auch  von  Schül^  anf 
stigmographischen  Blättern  entvA'Tfpn.  Vom  Pinne  des  Schulzimmers  ans- 
gehend,  kommt  er  —  fortführend  out  denSi  hüiern  zeichnend  —  zur  Karte  der 
Umgebung  de»  Schulortes  und  dann  der  de«  Kruulandes,  von  dem  dann  poli- 
tische, Flnss-,  Gebirge-  nnd  Eisenbshn-Kaiten  entworfen  werden.  Sdir  ia^ 
•  structiv  sind  die  Karten,  die  Entwickehingsgeschichte  der  Ssteneichisch-nnga- 
rischen  Münar<  liie  darstellend.  £s  sind  deren  dreisehn,  und  sie  reichen  bis  in 
die  neueste  Zeit  iierauf. 

Für  weitere  Kreise  interessant  und  lehrreich  dürfte  die  Arbeit  der  Wie- 
ner Indnstilelehrerin,  des  FrilnlelnB  Luise  Frokesch  sein. 

Es  nt  dies  dne  Oolleetion  irystttiiatisch  geordneter  weibUdier  Handarbd- 
ten,  welche  den  bei  diesem  ünterrichtsgegenstande  einzuschlagenden  Lehi^iang 
von  der  T.  his  zur  VITT,  flasse  der  Volks-  und  Burg^ersrhnlen  in  sehr  instruc- 
tiver  Wt;i&e  darstellt.  Lehiiitoß',  Lehrziel,  Zeiteintheidung,  Material  etc.  für 
Jede  Arbeit  und  kurze,  gründliche  Anleitungen  über  den  Beginn  derselben  ist 
auf  je  dn«r  Taföl  (ffir  jedes  Sdiuljahr)  ersichtlich  gmacht 

Sehr  .'sehenswert  sind  auch  die  mit  großem  Fleiße  ausgeflllirten  Schulwand- 
t^ifeln  tur  den  botanischen  Fnterric  ht,  welche  von  dem  Frager  Lebror  F.  feil- 
ner  zur  Ausstellung  gebracht  wurden. 

Femer  begegnen  wir  den  Original-Kindergartenspielen  von  Carl  Schelluer, 
wdeher  seit  einer  Beihe  von  Jahren  nnomüdUdi  bestrebt  ist,  Neues  und  Ontes 
für  den  Kindergarten  zn  finden  nnd  hensnstoUen. 


Digrtized  by  Google 


—    133  — 


Sehr  interessant  ist  die  in  einem  Saale  überaiohtlieh  zniammeiigMtellte 
Lehrniittplsammlung  einer  Volks-  und  Rürgerschiilo.  Diese  Sammlung  wurde 
ans  den  inventarien  der  Commanalschulen  Reichenbergs,  der  protestantischen 
Schule  daaelbsti  der  Maö'ersdorfer  und  Liebenauer  Schule  zusammengestellt. 
El  wird  freükh  noch  lange  wUtren,  bis  jede  Schule  in  Österreich  sich  einer 
aoifiliea  MoBternaniinlnng  erfireaen  wird. 

In  einem  zweiten  Sttle  befinden  sich  die  an  den  Wien*  i  \'oIk8-  und  Bür- 
gPT>;r}\ulon  in  Verwendung  stehenden  Lehrmittel;  auch  College  Dom  hat  seinen 
Zeichen-Apparat  zur  Demonstration  der  perspectiviachen  Erscheinungen  hier 
aasgestellt. 

Die  aehfoen  Kaxtenwerlw  Yim  Artaria  ft  Comp.,  die  Karten  dea  Prof. 
Trampler,  die  wo!  eimdg  dastehen,  lisgen  hier  anf  and  finden  nngetbeilten 
BeifalL 

An  den  Wänden  des  (.'orridors  behnden  sicli  die  Wandtafeln  für  den 
Haudarbdts-Unterricht  von  M.  Godei,  eine  fleiflige,  originelle  und  gewiss  ver- 
dieiMtUcIie  Aibelt,  die  kdnfir  Hiddiansehnle  IMilen  sollte.  (Verlag  von  Jolina 
KUnUiarat) 

Sehr  hübsch  präsentirte  sich  der  Zeichensaal,  in  dem  der  geaanunte  LebT' 
apjparat  der  Lelirerbildungsan^italt  zur  Scliau  fre-^tellt  war. 

Es  wäre  noch  manches  anzuführen,  manches  verdiente  eine  eingehendere 
WürdigODg  —  aber  weder  UeBeu  uns  die  bewegten  Tage  der  Lehrerversamm- 
Inner  die  nSfUge  2ett  sn  einem  grOndlicheren  Stndimn,  noch  ancb  afeiinde  ans 
jet^  der  nöthige  Raum  zn  Gebute,  alles  nach  Gfebtir  zu  wfirdigen.  Eines 
MaJines  aber  mfissen  wir  schlieülich  nodi  gedenken,  eines  Mannes,  der  keine 
Miiiie,  keine  Zeit,  keine  Kosten  gescheut  hat,  um  die  liehrmittelsammlung 
seheiiswert  zu  gestalten,  des  Hemi  Gymnasialdirectors  Wolf  in  Reichenberg, 
dem  allaa  Lob  nn^  die  dankbarste  Anerkennung  geblirt 


9» 


Digitized  by  Google 


Pädagogische  KundscliaiL 


Vm  Jhramz  FrUch- Klagenfurt. 

Wach  sende  EltMiU'nt.irhildiing  in  El  sass-Lnt  liringeu.  Die  offi- 
cicllen  Answeise  über  den  lUMnngsstaud  der  Ereatzr  uinsrhaftPii  aus  di^m 
Beiclislaade,  welche  dem  deutschen  Heere  eingereiht  werden,  constatiren  einen 
stetig  waehBenden  FortBchritt  WUmnd  noch  im  Emtigahre  1876/77  5 
der  elnas-lotliringtaslieB  Beeroteo  aller  Scbnlbildnnsr  entbdirtflitt  ateUt  aich 
diese  Zahl  nach  dem  letzten  Anawela  (ttber  1881  82)  nur  noch  auf 

Schnlflüchtlinge.  Während  H.s>i.Mi  .m'i  •  achtjährige  Schul  pH  ieht  ein- 
g'etnhrt  hat.  ist  die  Dauer  derselben  im  (Ti-oßlu  rzo^hum  Weimar  und  in  Baiern 
nur  auf  7  Jahr«;  üonnli*t.  In  den  hessischen  Gegenden  nun,  welche  an  die 
letatgenannteii  Lander  grenaen,  weügt  aich  nicht  selten  die  Encheinnng,  daaa 
die  jungen  Leuti'  nach  Vollendung  des  siebmten  Schuljahi'es  bei  baii Tischen 
oder  V  •  irr  n  ischen  Bauern  in  Dienst  treten,  um  anf  diese  Art  der  ächniinft  ein 
Jahr  früher  zu  entgehen. 

(reschichten  huh  Hiinchcu.  Die  Uanptütadt  an  der  Isar  i»t  im  Beätze 
vmi  IBnf  ^nltanaehnlen,  neben  desM  aneh  conÜBiBiMielte  Sehnkn  beatehm. 
Jedem  Vater,  der  Anstand  nahm,  seine  ^der  in  eine  simnltane  Anstalt  an 
sehicken,  stand  seit  jeher  der  Weg  der  Dispens  offen,  von  oincm  »Mir"  ntlirhen 
Zwanc  Vf^nnte  also  nie  die  Rede  sein.  Gleichwol  war  des  Gezotf  is  dt  r  clori- 
calen  Sladlväter,  die  seit  einiger  Zeit  die  Herrschaft  üben,  kein  Ende,  und 
Anfang  April  d.  J.  beschloss  der  Stadtmagistrat,  vom  Schuljahre  1882,83  ab 
die  Simnltanschalen  gSosdich  an  beseitiget  Da  geschah  es  nun,  dass  die 
k.  Kreiaregiening  unter  dem  25.  Jnli  dem  Antrage  des  ^lagistrates  die  Be> 
Rtatie-nn?  versagte.  Das  einzige  Zngrständnis,  das  sie  machte,  besteht  darin, 
das«  tortau  auch  das  Einschreiten  nni  die  vorhin  erwähnt*-  LMspens  in  Wegfall 
kommt.  —  Dieser  Fall  zeigt  wieder  deutln  Ii  die  schwankende  Banis,  auf  welche 
die  Si&nlehuiditangen  hi  soldien  LSndern  gestellt  sind,  wo  entweder  gar  kein 
oder  nur  ein  Ifickenhaftes  Schalgesetz  besteht  nnd  Üeser  Mangel  dardi  den 
Apparat  der  Administration,  durch  Verordnungen,  Erlässe  u.  dgl.  ausgeglichen 
werden  muss.  (^Iricklicherwpi««e  cribt  es  in  Mtlnchen  noch  Leute,  welche  gegen- 
über der  clericaien  Majorität  der  iTemeindevertretung  ihre  Unabhängigkeit  zu 
behaupten  verstehen :  bei  Eröffnung  des  neuen  Schuljahres  haben  die  Simultan- 
schnlen  ein  so  ansehnliches  Schülercontingent  erhalten,  dass  ihr  Bestand 
geaiehert  ist. 

riiarakteristisch  für  die  geistige  BefJlhto'nnjr  der  erwähnten  Majorität  ist 
der  von  ihr  nenerlich  «refassfe  Beschluss,  bei  Ernennung  der  städtijsehen  Ober- 
lehrer lediglidi  das  Dienstalter  der  Candidaten  in  Betracht  zu  zielien.  Ein 


Digitized  by  Google 


—    ISö  - 

Erlaas  der  k.  Krein^enuig  oonigirte  jedoch  dieaes  Ptlndp,  indem  derselbe 
betonte,  dnoe  aneh  die  BefMugang  der  Bewerber  in  Bedinong  gebracht 

werden  mässe. 

Papierene  Bestimmungen.  Das  österreichische  Keichsvolksschnlgesetz 
vun  1869  euthait  die  Bestimmnng,  dass  nach  je  drei  Jahien  in  jedem  Lande 
eine  sogenannte  Landeelehrerconferenz,  d.  L  eine  Versammlong  von  Abgeord- 
neten der  amtlichen  Bedrkaoonftmnnen,  nnter  dem  Vorsiti  ^es  LandesBehnl- 
inspectors  stattsvfhiden  habe.  Dir  Auft2:abe  dieier  Vei'sammlnngen  besteht 
darin,  über  die  von  der  Landesschulbehörde  vorgelegten  Fragen  Gutachten  ab- 
zugeben, fiht  r  die  .Mittel,  welche  das  Volksachulwesen  fördern,  zn  herathen, 
femer  übtr  jene  Angelegenheiten,  welche  Rechte,  Pflichten  und  \  eriiaitniKse 
der  Lehrerechaft  betreffen.  —  ht  Bdhmen  fühlt  man  sieh  jedoeh  nicht  vw- 
anlaast,  diese  gesetzliche  Bestinunnng  zn  achten.  Die  erste ,  1875  in  diesem 
Lande,  und  zwar  in  zwei  Versaramlnngen  (deutsch  und  czechisch)  abgehaltene 
Conferenz  hat  iiilmlicli  bis  heute  keine  Nachfolge  bekommen.  —  Noch 
charakteristischer  sind  die  Dinge  in  Triest,  wo  vor  wenigen  Wochen  die 
ernte  BedrhseoiiftteBs  da- Lehrer  der  dortigen  italienischen  Schalen  stattfand, 
obsdion  §  45  des  Beichsvolksschiilgesetaes  ▼orsdirdlbt,  dass  in  jedem  Schnl- 
beark  mindestens  einmal  jährlich  eine  solche  Conferenz  abzuhalten  ist. 

Kine  gnte  Einrieb tnng.  Die  .Stadt  Gera  liat  tine  „Nnvitllt"  zu  ver- 
^icluien,  die  der  (lesuiidheit  der  dortisren  Schuljugend  förderlich  sein  wird. 
Sie  besteht  dai  iu,  daüs  den  Kiuderu  während  der  Freiviertelstunde  gegen  vor> 
her  gelöste  Marlcen  ein  Q]m  MOch  verabMgt  wird;  arme,  schwadiliche  Kinder 
erhalten  diese  Erfrisehnng  uiu  tit^eltlich,  anf  Rosten  der  Stadt. 

Erbauliches  ans  Kussland.  Wie  elend  es  mit  der  Schulbildung  im 
absoluten,  heiligen  Russlaud  Jiente  noch  aussieht,  beweisen  einige  trockene 
Zahlen,    im  Gouvernement  Kostroma  wachsen  ^  Gouvernement 

Sanara  93"/„,  im  Gonvememwt  Tambow  92^3  *7o  sllmmtlidier  Kinder  ohne 
jeglichen  Unterricht  aof;  die  stolze,  vielthfiimige  Zarenstadt  Moskau  schickt 
kaum  12  "/of  j&  selbst  die  „moderne"  Hauptstadt  Fetmfsbnrg  nnr  41 ''/o  dmr 
Kinder  zur  Srlnile. 

Spanien,  SVic  vor  kurzem  eine  j^roße  \'ersamnilnnf?  schwedist-iier Lehrer 
dadurch  geehrt  wurde,  dass  der  König  an  derselben  theilnahiit,  und  wie  vor 
Jahresfrist  der  GroBheraog  von  Baden  der  in  Karlsruhe  tagenden  allgemeinen 
deutschen  Lehrerversammlung  doreh  ttnger<'  Zi  it  anwohnte,  so  begab  sich  auch 
derKünig  von  Spanien  in  den  unlängst  zu  Madrid  abfrehaltcnen  Lt  liiercongress 
und  gab  in  einer  Rede  sein  lebhaftes  Intere.*ise  für  das  Schulwesen  kund.  Er 
sprach  die  Versicherung  aus,  dass  er  bestrebt  bein  werde,  Spaniens  Lehrer  aul' 
dieodbe  Stnfe  der  Bildnng  und  Besoldung  zu  bringen,  anf  der  sidi  die  der 
fibrigen  NationmEnropas  befinden,  and  betonte  sdilidtlidi,  dass  nach  seiner 
festen  Überzeugung  die  Unwissenheit  schlimmer  sei  als  die  Scla- 
V,. !vi  — -  Auf  dem  erwähnten  Congress,  an  dpss^-n  Berathungen  sich  ntbon 
\  olksschullehreni  zahlreiche  Gelehrte  bctheiiigtcn,  hatte  sich  auch  der  be- 
rühmte spanische  Tribun  Dr.  Emilie  Castelar  eingefiinden.  Er  hielt  am  Schluss- 
tage eine  ungemein  wirksame  Bede  voll  sttdUndiM^en  Feners.  Sein  Thema 
■war  „die  Erziehung  der  Kind(»r".  Er  feierte  die  erziehliche  Macht  der  Kutter, 
deren  Lieiie.  Zilrtliehkeit  und  heilijsre  Tnspiration,  die  allein  von  der  Mütterlich- 
keit verlieben  wird,  der  Mann  niemals  zu  ersetzen  vermöge.    Castelar  ver- 


Digitized  by  Google 


—   136  ~ 


abschent  die  Barbarei  der  Lehrer;  „d^  Lehrer'S  mft  er  mit  Emphase,  „der  in 
der  einen  Hand  die  Ruthe,  in  der  andern  die  palmeta  (das  znm  Schlagen 
diencüdö  Liüeal)  hält  —  er  ist  der  letzte  Abglanz  des  absolutea  Xöüigs  und  des 
verflachten  Inquisitors,  darum  verabscheue  ich  ihn  *.  Aber  vor  dem  Wirken 
deB  nditio  Lehren  emirffaide  er  bohe  Verehmnir;  er  erUirte,  keine  der 
materiellen  Belohnung  und  der  moralischen  Unterstützung  so  würdige  Arbeit 
70  kennen,  wie  es  diejenige  eines  ^faTiues  ist,  der  die  neuen  Generationen 
liebevoll  auf  die  Kämpfe  des  Lebens  vorbereitet.  Aber  es  tJiut  auch  noth, 
dass  bei  der  Erziehung  des  Kindes  die  EigenthUmlichkeiten  des  Landes,  in 
dem  e«  lebt»  sein  Temperaraant  imd  Mine  Äidegea  in  Betracht  gezogen  werden, 
de«  man  ihm  einen,  tieferen  nnd  arten  FkmiUeneinn,  liebe  mir  Knnet  ein- 
pflanze, dass  man  es  aber  fem  halte  von  Intoleranz  und  Fanatismus.  ,,I.ehret 
das  Kind  dass  jeder  religiflse  Glaube  ohne  MoralitÄt  nichts  gilt,  dass  das 
ScapuLier  i^eiu  Sicherheitsbriei  für  die  Sünde  ist;  erweclit  in  ihm  das  rege 
Bewnsstsein  der  Pflicht;  flößt  ihm  die  Liebe  zu  der  Wissenschaft  ein,  den 
Wnneeh,  mi  wieeen,  die  Oberaengnnfl:  von  der  NfltsUdikeit  der  Kenntniaae; 
fiberzeugt  es,  dass  der  größte  Gennss  des  Menschen  im  Wirken  des  Guten 
besteht."  —  Tliat^ächlich  lieginnt  man  in  Spanien  dem  \'olksunterriclite  alle  Auf- 
merksamkeit zu  widmen.  Soeben  lie^  ein  Deciet  vor.  weiches  die  Einrichtung 
der  Kleinldnderschulen  regelt,  au  welchen  uor  geprüfte  Lehrerinnen  wirken 
sollen,  die  ihre  AttabUduDy  in  einem  beaonderen,  mit  der  Narmalachnle  in 
Hadrid  TerimndenaiCnniiB  erlangen  k9nnen.  Es  werden  in  demselben  folgende 
Gegenstände  gelehrt:  1.  Die  Elemente  der  Physiologie  und  der  Psychologie  in 
ihrer  Anwendung  auf  die  Erziehung  der  kleinen  Kinder;  leitende  Grundsätze 
von  Fröbels  Methode  nnd  Angaben  Uber  die  Einrichtung  von  Kleiukinder- 
schnlen  in  den  andern  Ländern  und  über  das  daselbet  befolgte  UuterrichtaF 
verfiüiren.  2,  Die  Elemente  der  Natnrwiaaenaehaflen  mit  beaonderer  Berück- 
aiehtigung  der  Belehrungen  über  die  Dinge  (lerons  de  chose)  und  der  Anwen- 
dung dieser  Wissenschaften  in  df  ii  Knndarbeiten.ini Gartenbau  und  bei  den  Spielen; 
Fertigkeiten,  welche  den  Kindern  k>eigebracht  werden  können.  3.  Allgemeine 
Lrruiidsätze  der  Moral  und  des  Rechts  zu  demselben  Zweck  nnd  miLLeis  des- 
adben  Verfbbrena.  4.  Spanische  Sprache,  mit  Spraeb-  nnd  Anbatafibnngen. 
5.  Gesang.  6.  Franzöeisdie  Sprache.  7.  Praktische  Übungen  in  allen  Fftclmn 
aowol  in  der  Glaase  ala  mit  den  Schüleni  der  Übangaaebole. 

Der  erate  Frfibel'aebe  Kinder|;arten  in  Portugal  wnrde  am 

20.  April  c.  in  Llnabon  uiter  Beisein  dea  königlichen  Uausministers  eröffnet 
Die  Zahl  der  angemeldeten  Kinder  war  ao  groft,  daaa  kaum  die  Hälfte  der- 
selben  aufgenommen  werden  konnte. 

Krankreich.  In  allen  romanischen  Ländern  wird  namentlich  in  jüngster 
Zeit  der  kilrperlichen  Erziehung  alle  Anfmerksauikeit,  zugewandt,  und  dabei 
wird  woi  auch  —  wir  gedenken  vor  allem  der  französischen  Sdiulbataiilone, 
die  an  Elementar-  nnd  Hittelaefaiilen  mit  Bewilligung  des  PtSHeeten  errichtet 
werden  können  —  übers  Ziel  geschossen.  Aber  jedenfalls  ist  der  Emst,  mit 
dem  man  epeciell  in  Frankrtifb  (Iptu  'I'urnttnterricht  die  W>ge  ebnet,  der  Be* 
aclitung  wert.  So  hat  das  Ministerium  des  öffentlichen  Fnterriclites  die  Ver- 
tilgung getroffen,  dass  für  jene  Lehrer,  welche  mit  dem  Turnen  nicht  vertiunt 
Bind,  während  der  Ferien  an  allen  Lehrerseminaren  besondere  Guiee  abgehalten 


Digitized  by  Google 


—   137  — 


werden.  Die  Freqaentanten  derselben  erhalten  lireie  Wohnung  und  Yerpftepmg 

und  die  Wr^itting^  dor  Roisckoste?!. 

Italien.  An  die  italieni»  in  \  »Iksschnllphrerschaft  erging  vor  koi-zem 
von  Mailand  ans  die  Aufforderung^,  \ ei-einiguugen  za  bilden,  die  in  gegen- 
seitige Verbindmig  treten  aollea  —  Ende  September  d.  J.  ftmetionjiie  nun 
erstenmale  ein  vom  Miniiter  BaceeUl  erftindfflier  Appnrat  zur  Anspomong  des 
Elirg:eiz»s  der  Gymnasiasten.  Dersolbp  hrstcht  in  einer  Prüfangs-Commission. 
vor  welcher  sich  <liejpiiip-en  Absolventen,  denen  die  Matoritätsprttfting  erlassen 
wurde,  zu  einer  bekannt  gegebenen  Zeit  einfinden  können,  um  sich  einer 
„Wetl|iirilfluig^  Ml  unterziehen.  Diese  nrnfasst  die  Anfertigung  eines  itaUe- 
nisehen  Anftatses,  dessen  Thema  unmittelbar  vor  An&og  der  Clansor-PrfiAmg 
ans  einer  Anzahl  von  Stoffen,  die  vom  Examen-Oolleginm  festgesetzt  woideit 
•Inrrli  flns  Los  bestimmt  wird.  .  Die  besten  Arbeiten  v^rri'Mi  durch  goldene 
.Medaillen  oder  Diplome  aosgezeichnet»  welche  den  Siegern  l'eierlich  Überreicht 
werden. 

Sehweis.   Während  in  Österreich  nnd  Dentsdüand  den  Bealaehnl-Abt« 

turienten  das  Studium  der  Medicin  nicht  sngttnglich  ist,  kOnnen  nach  der 
schweizerischen  Prüfungsordnnnjü;  für  .Ärzte  vom  Jahre  1880  und  dem  im 
darauffolgenden  Jahre  publtcirten  Anhang  hierzu  die  Schüler  solcher  höheren 
Lehranstalten,  deren  Abgangszeugnisse  zum  Eintritt  in  das  eidgenössische 
PoljteebnieiDn  berechtigen  nnd  welche  iwei  fremde  neuere  Sprach«!  treiben, 
bei  don  Eintritt  in  daa  tntUehe  Stndiun  nnd  Examen  von  der  Kenntnis  des 
Griechischen  dispensirt  werden.  Es  ist  demnach  den  Abiturienten  deutscher 
Realirj'Tnnasien  (früherer  Realschulen  T.  Onhnniir)  vollsn'lndi^  die  Möglichkeit 
geboten,  sich  dem  Stadium  der  Medicin  aul  den  schweizerischen  Hochschulen 
zu  widmen. 

Vom  Sehttlweaen  Nen-Österreiehs.  In  der  bosniaehen  Abtheilang 
der  Ausstellung  in  Triest  war  andi  eine  atatiattoche  Übersicht  Aber  die  Sdinl* 

Verhältnisse  Bosniens  nnd  der  Herzegowina  exponirt.  Danach  gibt  es  dort 
zusammen  637  Schulen.  Das  Realgr}Timasium  in  Serajewo  hatte  im  Schul- 
jaiire  1881^82  117  Schüler,  darunter  einen  nicht  unansehnlichen  Fercentsatz 
Mnhnmedaner.  Der  Sehnlbeaneh  Uaat  natftrlich  nodi  recht  viel  zu  wünschen 
fttnrigy  atdit  doch  aelbat  im  Beairk  Sen^jewo,  der  iext  weitana  besten  Sehnl- 
beaneh ausweist,  die  Zahl  der  aehnlfthigett  aar  Zahl  der  achnlbcanehenden 
Jagend  im  Verhältnis  2-7:1. 

Zar  Schrit'tenfrage.  In  der  Schweiz  macht  sich  mit  einiger  Zeit  eine 
Bewegung  bemerkbar,  welche  die  successive  Entfernung  der  sogenannten 
dentaehen  Schrift  erstrebt  So  traf  nnUüigat  der  Regiemngsrath  von  Solothnm 
eine  \'erfagung,  welche  fiir  den  Dmck  aller  neuen  Lehrmittel  die  .\nti(iua- 
sdirift  und  die  allmiihliche  hlinflUirang  der  Lateinschrift  als  Schreibschrift 
in  die  Priniarschuh'  anordnet. 

Eine  weiüe  Schreibtafel.  Nach  der  Meinung  vieler  Faclimänner  ist 
dne  keineawega  nebrairitahliche  Mitnrsaehe  der  annehmenden  Korzaichtigkeit 
d«r  Schn^ngend  in  Aet  Verwendung  der  achwarzen  Handtafeln  zu  suchen. 
Nunmehr  wird  von  manchen  Lehrervereinen  eine  weiße  Tafel  empfohlen,  die 
in  Pilsefi  (Böhmen)  ans  einem  harten,  steinartiffen  Material  hergestellt  wird. 
Sie  i&t  mir  einem  Kähmen  versehen,  das  Beschreiben  kann  mit  jeder  Art  von 
Bleistift  geschehen,  zum  Verwischen  dient  ein  gew5hnlieher  fenehter  Schwamm; 


Digitized  by  Google 


^-   188  - 

sie  ist  nnzeri»reclilich  und  verhlltnismftfiig  billig,  20—30  Kreuzer  9.  W. 

per  Stück. 

Erziehongr  zur  Arbeit.  Am  ö.  November  d.  .T.  wnrdo  in  einer  Volks- 
schule des  Bezirkes  der  Stadt  Wieu  eine  vou  dem  liumHiiitäreD  Vereine 
nZvkunft"  gegriindete  KnabenbeschAftigungs-Anstalt  erlMbet.  Wir  w&DMheii 
Glück  und  werden  niclit  verfilmen,  ftber  die-za  «rlutfendea  Etfolge  dieses 
menschenfreundlichen  I'ntornplimens  zu  berichton. 

Der  IH.  deutsch-amerikanische  Lehrertag.  In  den  letzten  Jnli- 
tagen  c  empfing  die  ^.Eönigin  der  Seen'',  das  im  Laufe  dieses  Jahrhundert« 
am  tüaem  «mseligen  Orte  m  einer  Stadt  von  weit  Aber  hnnderttaiMend  Ein- 
wohnern emporgewaciieene  Bnffalo  im  Staate  Xew-Tork,  die  Angeli5tigen  des 
dent^h'amerikaaiadieii  Ldirerbundes,  welclie  sich  zum  dreizehnten  Male  ver- 
sammelten, nm  dem  i^iliönen  Ziele  des  IJnndes  nüher  zn  kommen,  das  in  der 
Pflege  der  deutücLeu  Sprache  und  Literatui-,  in  der  Eiul'üliruug  der  iiatar- 
gemäüeu,  entwickelnden  Lelirweise  iu  die  Schulen,  in  der  Erziehung  wahrhaft 
repnblikaaieelier  StaatsbOrger,  sowie  in  der  Wahrong  der  geistigen  und 
materieUen  Inte  ressen  der  Lebrer  besteht.  Die  Thätigkeit  dieses  Bandes  ist 
eine  erfoltp-eiche:  denn  znnz  abiresehen  von  den  wnltliiltifren  Anregunji^n. 
welche  die  Lehrer  aus  seineu  Bemthungen  empfangen.  ])et'intlnssen  sfinp  Be- 
schlüsse die  Maßnahmen  der  Schnlbehörden  and  lenken  die  Autmerksumkeit 
deae  Bevlflkenuig  auf  das  Gebiet  der  Erziehong  nnd  des  Unterrichtes;  ihm  ist 
anch  wesentlich  die  Entstehnng  nnd  die  glficklicbe  ^twickethug  des  nationalen 
deutsch  -  amerikanischen  Lehrerseminars  in  Milwaukee  zu  danken.  Daher 
frenen  wir  uns  über  den  glücklichen  Verlauf  der  dreizehnten  Versammlung  der 
Vorkämpfer  „nicht  etwa  für  einen  deutsch-amerikanischen  Nativismus,  sondern 
für  die  Erhaltung  und  Pfli^e  der  deutschen  Sprache  neben  der  englischen", 
einer  Yersammlnng  der  ,^formatoren  der  alten  engliechen  Abrichtiings- 
methode".   Näheres  in  der  nSclisten  Nummer. 


Veraiitwcirtlicbor  Uvdsct«!»;  M.  Üteio.  BucbtUiu-kiToi  Julina  Kliiiktiardi,  i^iptii;. 

» 


Digitized  by  Google 


Kritik  der  Geisteräelierei. 

Xach  Immanaei  Kants  Schrift:   ^Träume  eines  Geisterseher«,  erläutert 

durch  Träume  der  Metaphysik."* 

JSm  Vwimg  WM  Frof.  Dr,  JTritz  Sehuitze-Dradm. 

(ScUttlB.) 

V. 

Die  kritische  Widerlegnngf  der  GeistersehereL 

Bisher  haben  w  die  Existenz  von  Oeistem  nicht  bles  onbewieBea 
vonusgesetzt,  sondern  auch  g^than,  als  ob  das  Wesen  der- 
selben  nns  ganz  genau  bekannt  wäre.  Jetzt  aber  ist  die  neue, 
kritische  Frage  anfimwerfen,  ob  wir  denn  Aber  das  Wesen  der  Geister 
wirklich  so  genau  nnterzichtet  sind,  dass  wir  es  mit  Sicherheit  in 
seinen  Merkmalen  bestimmen  können.  Was  ist  denn  ein  Geist? 
Was  wissen  wir  Genaues  ttber  das  Wesen  eines  Geistes?  Dies  Pro- 
blem ist,  wie  Kant  sagt,  „ein  verwickelter  metaphysischer  Knoten, 
den  man  nach  Belieben  auflösen  oder  abhauen  kann."  Dom,  fthrt  er 
fort,  „wenn  alles  da^enige,  was  von  Geistern  der  Schnlknabe  her- 
betet, der  große  Hänfen  erzählt  imd  der  Philosoph  demonstrirt,  zu- 
sammen genommen  wird,  so  scheint  es  keinen  kleinen  Theil  von  unse- 
rem Wiswn  anszumachen.  Nichtsdestoweniger  getraiio  ich  mich  zu 
behaupten,  dass,  wenn  es  jemand  einfiele,  sich  bei  der  Frage  etwas 
zn  verweilen:  was  denn  das  eigentlich  für  ein  Ding  sei,  wovon  man 
unter  dem  Namen  eines  Geistes  so  viel  zu  verstehen  glaubt,  er  alle 
diese  Vielwisser  in  die  beschwer! icliste  Verlegenheit  versetzen  würde. 
Das  methodische  Geschwätz  der  hohen  Schulen  ist  oftmals  nur  ein 
Einverständnis,  durch  veränderliche  Wortbedeutungen  einer  schwer 
zu  lösenden  Frage  auszuweichen,  weil  das  bequeme  und  mehrentheila 
vernünftige:  Ich  weiß  nicht,  auf  Akademien  nicht  leichtlieh  gebort 
wii'd." 

weisen,  dass  es  immaterielle  Geister  gibt,  können  wir.  wie 
sich  bei'eits  herausgestellt  hat,  ebensowcniir.  wie.  dass  es'  keine  a^ibt. 
Aber  da  jedermann  das  Wort:  Geist  und  Geister  im  Munde  führt 

Padagof^nm.   :*.  Jahrg.  Heft  III.  '  10 


Digitized  by  Google 


—    140  — 


nnd  dasselbe  in  tausenden  Ton  ErzShlimgen  tmd  Geschichten  eine  so 
große  Bolle  spielt,  so  md  man  doch  wenigstens  wol  feststellen 
können,  ob  man  eine  klare  Vorstellong,  und  welche  Vorstellnng  man 
mit  diesem  Worte  verbindet 

Nun  tritt  uns  bei  dem  Begriff  „Geist^  sogleich  eine  große  und 
sogar  nnfiberwindliche  Schwierigkeit  entgegen.  Sine  klare  und  dent^ 
liehe  Vorstellang  kann  man  sich  offenbar  nur  von  einem  Gegenstände 
bilden,  der  tmserem  Bewnsstsein  als  eine  erfahnmgsmftßige  Anschauung 
in  Zeit  nnd  Raum  entgegengetreten  ist.  Angenommen,  man  verlangte 
von  uns,  dass  wir  uns  eine  klare  Vorstellung  von  einem  3fanne  mach- 
ten, von  dem  wir  niemals  etwas  gescl  ii  hätten,  so  wftre  das  nnmOg« 
lieh.  Aber  doch  hättt-ii  wir  dabei  den  Vortheü,  zu  wissen,  dass  dies^ 
Mann  als  ein  Mensch  die  allgemeinen  Eigenschaften  eines  Menschen 
haben  mtisste,  dass  er  also  menschliche  Gestalt.  Sinnesorgane,  Glie- 
der u.  s.  w.  besitze.  Die  Geister  aber  sind  uns  als  erfahrungsmäßige 
Anschanungen  in  Raum  und  Zeit  niemals  gegeben,  noch  können  sie 
als  immaterielle  Wesen  es  jemals  sein.  Als  soldip  immaterielle  Wesen 
hal)eTi  sie  auch  nicht  irgendwelche  Eigenschaften  des  Materiellen,  mit- 
hin auch  nicht  die  Gestalt  nnd  Beschatfenheit  der  Menschen,  noch 
irg-end  eines  materiellen  Wesens.  Wie  könnten  wir  uns  also  eine 
klare  Voistelluug  von  ihnen  bilden?  Jede  arn^chauliche  Form,  unter 
der  wir  sie  vorstellen  könnten,  wäre  eine  l  (»n)i  aus  der  materiellen 
Welt  in  Zeit  und  Kaum,  als"  keine  i-orin  für  die  iinuiateneilen  »Teister. 
Eine  anschauliche  Vorstellun^i  von  ihnen  ist  also  durchaus  unmöglich, 
und  wir  mussten  daher  st.hon  zufrieden  sein,  weuu  wir  wenigstens 
einen  widersi.ruchstreien  und  gesicherten  Begriff  von  ihnen  gewinnen 
könnten.    Das  eben  wollen  wir  nun  versuchen. 

Hinsichtlich  der  Begrittsbestimmung  der  Geister  ist  aiau  darin 
einverstanden,  dass  dieselben  inimattrielle,  mit  Vernunft  begabte 
W^esen  sind.  Auch  die  Menschen  sind  vernunftbegabte  Wesen,  und 
wir  könnten  uns  also  die  Geister,  insofern  sie  denkende  Wesen 
wären,  nach  der  Analogia  der  uns  bekannten  Menschen  wol  vorstellen» 
Was  shid  sie  aber  als  immaterielle  Wesen?  Was  bedeutet  das 
Wort  „immateriell**? 

Hachen  wir  uns  zunächst  klar,  was  wir  unter  „materiell**  ver- 
stehen. Einen  Block  Eisen  nennen  wir  ein  matedelles  Ding.  Welches 
sind  nun  die  allgemeinen  Eigensehalten  dieses  StDckes  Materie?  Der 
Block  erfiUlt  erstens  einen  bestimmten  Banm  und,  solange  er  den- 
selben einnimmt,  kann  nichts  anderes  in  demselben  Baume  liegen. 
Als  rftomlich  hat  er  zweitens  irgend  eine  Fignr  und  Gestalt;  er  ist 


Digitized  by  Google 


—   141  — 


.  entweder  eine  Kogel  oder  ein  Wflifel  oder  eine  Walze  n.  dgl.  m. 
Drittens  leistet  er  je  nach  seinem  Gewichte  einen  gewissen  Wider- 
staad, der  allemal  nur  dorch  eine  größere  Kraft^  als  er  selbst  ausübt, 
überwunden  werden  kann.  Dieses  G^ewicht  ist  der  Ausdruck  seiner 
Schwerkraft,  und  Schwerkraft  zu  besitzen,  ist  also  seine  vierte  Eigen- 
schaft. ITfinftens  endlich  ist  er  nndurchdringlich;  es  ist  unmöglich, 
dass  etwas  dorch  ihn  hindurchgehe,  ohne  dass  seine  Tlieile  aus  dem 
Wege  weichen  mfissten;  ein  Keil  z.  B.  kann  nicht  diuch  ihn  hindnrch- 
getrieben  werden,  wenn  nicht  so  viele  seiner  Theile  heraus  und  bei- 
seite geschoben  wei-den,  als  der  Keil  für  sich  selbst  Raum  nöthig  hat. 
Ranmerfiillnn^,  Gestalt.  Widerstandskraft,  Schwerkraft  und 
Undurchdriuglichkeit  sind  also  die  allgemeinen  Eigenschaften  des 
Materiellen. 

Die  (Teister  als  immaterielle  Wesen  würden  also  keine  dieser 
Eigenschaften  besitzen,  und  um  den  Begriff  des  Im  materiellen  zu  bil- 
den, müssten  "wir  also  in  allen  Stücken  das  Gegeutheil  jener  mate- 
rielleu  Eigensclialieu  setzen.  Sehen  wir  zu,  ob  wir  auf  diesem  Wege 
feineu  klaren  Begritf  in  unserem  Denken  eneichen.  Die  Geister  als 
immaterielle  Wesen  wüiden  erstens  nicht  den  Raum  eifüllen.  Wenn 
also  z.  B.  auch  noch  so  viele  Geister  in  einem  Zimmer  wären,  so 
würde  dadurch  doch  den  darin  befindlichen  materiellen  Dinj^en  nicht 
der  f^erinirste  Raum  weggenommen  werden.  An  derselben  Stelle  und 
in  ileiiisell)en  Rauiue  also  z,  B.,  in  welchem  der  Block  von  leisen  liegt 
und  an  welchem  nicht  zugleich  irgend  ein  auderos  materielles  Ding 
z.  B.  ein  Stück  Holz  sich  betindeu  kann,  würden  gleichwol  unzäh- 
lige Geister  sich  befinden  können,  ohne  dass  deshalb  ein  einziges 
Eisentheüchen  Platz  zu  machen  und  verschoben  zu  w^tlen  brauchte. 
Ich  frage  nun,  ob  wir  uns  das  Idar  nnd  dentlich  denken  können, 
etwa  wie  den  Satz,  dass  2  mal  2  gleieh  4  Ist;  ob  wir  uns  vorsteUen 
können,  dass,  wo  etwas  liegt  nnd  stdit,  zugleich  ein  anderes  liegen 
nnd  stehen  kann?  Es  widerstreitet  vielmehr  aller  unserer  Vorstel- 
longsfahigkeit,  und  kein  Mensch  kann  sich  von  der  Eigensdiaft  im- 
materieller Wesen,  nicht  Baum  zu  erffillen,  einen  klaren  Begriff  bilden. 

Das  immaterielle  Wesen  erf&llt  keinen  Raum;  somit  hat  es  keüie 
Grenzen  im  Baum,  keine  rftumttcben  Grenzen  d.  b.  keine  Figur  und 
Gestalt  Die  immateriellen  Geister  sind  also  durchaus  gestaltlos.  Das 
ist  nicht  so  zu  Terstehen,  als  ob  sie  wie  Proteus  ihre  Glestalt  nur 
fortgesetzt  wechselten,  nein,  Gestalt  haben  sie  Qberhaupt  nicht.  Die 
Vorstellung  „Gestalt*  nnd  alles,  was  mit  ihr  zusammenhangt,  passt 
nur  auf  materielle  Naturen,  nicht  auf  die  Geister.  Da  wir  Menschen 

10» 


Digitized  by  Google 


—   U2  — 


aber  uns  jedes  Wesm  unter  irgend  einer  Gestalt  vorstellen  müssen, 
so  k(")nnen  wir  mithin  ein  gestaltlo«?es  Wesen  uns  in  keiner  Weise 
denken;  wir  können  uns  also  auch  von  immateriellen  (feistem,  da  die- 
selben gestaltlos  sein  miisseii,  keinen  klaren  Begrilf  bilden.  Und  hier 
tritt  uns  auch  nuch  ein  tundamt'ntaler  (-ri-nnd  gegen  die  Mr»gliehkeit 
jeder  Erscheinung  von  Geistern,  selbst  wenn  dieselben  existiren  soll- 
ten, entgegen.  Da  sie  ohne  jede  Gestalt  sind,  su  können  sie  den 
Menschen  oHeubar  unter  keinerlei  Gestalt  erseheinen.  Erschienen 
aber  wirklich  Geister  als  Gestalten,  so  wären  sie  eben  keine  Geister 
mehr,  sondeni  materielle  Wesen  wie  der  Mensch,  die  als  solche  in 
das  gewöhnliche  zoologische  System  gehörten,  mithin  auch  alle  Wesens- 
eigenschaften der  Materie  theilten  und  demnach  auch  in  ihrer  Form 
nicht  ewig  und  unvergänglich  wären. 

Als  immaterielle  Wesen  hätten  die  Geister  drittens  keine 
Widerstandskraft  Nan  kann  auf  materielle  Dinge,  welche,  als  solche, 
Einwirknngen  widersteihen,  jede  Einwirkong  nnr  ansgeftbt  werden 
durch  einen  grSfieren  Widerstand,  als  sie  seihst  leisten,  welchem  sie 
selbst  nicht  gewachsen  sind.  Sie  wiiken  also  nnd  empftuig^  Wir- 
kungen nur  dnreh  Widerstände  d.  h.  dnrch  Druck  und  Stoß,  wodurch 
die  Theile  der  Materie  in  Bewegung  gesetzt  und  somit  verfindert  wer- 
den. Ein  Stück  Elisen  s.  B.  Termag  ich  nnr  ni  bewegen  nnd  zu  for« 
men,  wenn  meine  Widerstandskraft  d.  h.  meine  Druck-  und  Stoßkraft 
großer  ist  als  die  seinige  mir  gegenüber.  Wer  flberhanpt  keine 
Widerstandskraft  besitzt,  kann  also  audi  nicht  drflcken  und  stoßen, 
mithin  auf  die  Materie  nicht  einwirken.  Da  nun  die  immateriellen 
Wesen  keine  Widerstandskraft  besitzen,  so  ist  es  auch  klar,  dass  sie 
nicht  die  geringste  Einwirkung  auf  materielle  Dinge  ausfiben  kdnnen. 
Wenn  der  moderne  Spiritismus  seine  spirits  nicht  blos  Schreibfedem, 
sondern  Tische  und  Stühle  bewegen  Usst,  so  können  diese  spirits 
keine  immateriellen  Geister,  müssen  vielmdir  Wesen  mit  Muskeln, 
Fleisch  und  Blut  sein,  als  welche  sie  denn  auch  oft  genug  entlal•^'t 
worden  sind.  Umgekehrt  würden  die  Geister,  da  sie  einer  matenMl  n 
Einwirkung  nicht  unterh'egen,  von  materiellen  Wesen  andi  nidit  den 
geringsten  Einiluss  erfahren.  Also  würde  auch  kein  Medium  jemals 
auf  sie  einwirken  können. 

Die  Geister  sind  viertens  nicht  mit  Schweikraft  begabt  Wenn 
sich  also  auch  Millionen  Geister  auf  eine  noch  so  kleine  ^\'ageschale 
setzten,  sie  würden  dieselbe  doch  niclit  um  eines  Haares  Breite  sinken 
machen.  Es  ist  also  nickt  abzusehen,  wie  man  sich  die  immaterielien 
Geister  denken  will. 


Digitized  by  Google 


—   143  — 


Die  Geister  sind  endlich  fünftens  nicht  nndurehdringlich.  Wir 
worden  mhig  dnrch  sie  hindurchgehen,  ohne  etwas  von  ihnen  zu  mer- 
ken*); aber  aneh  sie  wfirden  nichts  von  uns  merkeUf  da  das  Mate- 
rielle^ ans  welchem  wir  Menschen  gemacht  sind,  fttr  sie  gar  nicht 
ezistirt  nnd  sie  durch  dasselÜe  hindurchdringen,  als  ob  es  gar  nicht 
wSre.  Die  materiellen  nnd  immateriellen  Dinge  verhielten  sich  in 
dieser  Bedehnog  also  ganz  gleichgiltig  zn  einander  und  wftren  fttr 
einander  gar  nicht  da. 

Ans  alledem  ergibt  sich,  dass,  wenn  die  Menschen  Ton  Geistern 
als  von  sicher  festgestellten  Wesen  sprechen,  von  deren  Beschaffen- 
heiten sie  genau  Bescheid  wflssten,  sie  einen  doppelten  Fehler  be- 
gehen, n&nlieh  erstens  den,  dass  sie  Existenzen  annehmen,  deren  Da- 
sein nicht  bewiesen  werden  kann,  nnd  zweitens  den,  dass  sie  ein  Wort 
Im  Munde  f&hren,  mit  dem  sich  weder  eine  deutliche  Anschauungs- 
Torstellung,  noch  ein  klarer  Begriff  verbinden  lässt.  Denn  der  Begriff 
.Geist  als  immaterielles  Wesen"  setzt  sich  aus  lauter  negativen 
Eigenschaften:  unräumlich,  gestaltlos,  Widerstands-  und  schwer- 
kraftlos, nicht  undurchdringlich  —  zusammen,  welche  alle  in  unserer 
Erfahrungswelt  nicht  vorkommen,  aus  denen  wir  mithin  ebensowenig 
einen  positiven  Begriff  bilden  können,  als  wir  aus  nodi  so  vielen 
Nullen  eine  Eins  zusammenzusetzen  vermögen.  Wenn  man  also  den 
Namen  ..Geister"  ausspricht,  so  denkt  man  sich  entweder  überliaupt 
nichts  Khires  dabei  (und  in  diesem  Falle  sind  die  meisten  Menschen), 
oder  wenn  man  sich  etwas  Klares  dabei  denken  will,  so  sieht  man 
sehr  bald  ein,  dass  das  Wort  etwas  bezeichnet,  was  man  sich  nicht 
denken  kann.  Aber  so  geht  es  dem  Menschen  hänfig:  was  er  von 
Jugend  auf  immer  wieder  gehört  hat,  das  spricht  er  nach,  als  ob 
etwas  daran  wäre,  und  er  etwa'^  daran  hättf  Bricht  aber  das  Ta^-es- 
licht  der  Kritik  endlich  an,  so  verwandelt  sich  wie  im  Märchen  sein 
vermeintliches  Gold  in  wertlose  Steine.  „Denn",  sagt  Kant,  ..wovon 
man  frühzeitig  als  ein  Kind  sehr  viel  weiß,  davon  ist  man  sicher, 
späterhin  und  im  Alter  nichtü  zu  wissen,  und  der  Mann  der  Gründ- 
lichkeit wird  zuletzt  höchstens  der  Suphiste  seines  Jugendwahns. 


*)  Die  Tolkstb&mlicbe  Anscbauang  macht  sich  die  Durchdriuglichkeit  der  Üei- 
tfear  dadureh  kbr,  dus  ae  die  0«iitw  tm  Luft  bestehen  Utat  Aber  Luft  ist  in 
damtelbeti  Siime  imdiiididifaiglich  wie  Ssen,  beutst  ferner  die  migeiieaerste  Wider* 

Stands-,  Druck-  and  Stoßkraft,  kurz  Ist  Stoff.  Auch  die  YorsteUung.  Geister  seien 
wie  Schatten,  erklärt  nichts.  Denn  der  Schatten  ent«iteht  nur,  wn  das  Lkht  auf 
seinem  Gange  durch  einen  festen  Körper  gehemmt  wird,  und  ist  also  an  die  Körper- 
welt und  üire  Bedingongen  gebunden. 


Digitized  by  Google 


—   144  — 


Geister  als  immatenelle  Wesen  sind  erstens  in  ihrer  Existenz 
nicht  bewiesen,  zweitens  sinnlich  onwahmehmbar,  drittens  begrifflich 
nicht  denkbar.  Gleichwol  könnte  es  immaterielle  Wesen  m  sich 
geben,  nur  daaa  unserer  Erkenntnis  ihr  Dasein  wie  ihr  Wesen 
Tellig  verschloesen  wSre.  Non  möchte  man  sich  vielleicht  der  Hoff- 
nung hingeben,  wegen  der  Verwandtschaft,  die  zwischen  der  mensch- 
lichen Seele  und  den  Geistern  bestehen  soll,  vom  Wesen  der  ersteren 
aus  das  Wesen  der  letzteren  erschließen  zu  können,  denn  das  Wee^ 
unserer  eigenen  Seele  -«ird  uns  doch  wol  völlig-  bekannt  sein,  weiß 
doch  iPflpr  Schulknabe  nach  seinem  Katechismus  ihre  Eigenscliaften 
an  den  Fintrern  aufzuzählen.  Wie  in  so  vielen  Fällen  ist  leider  auch 
hier  (li<'  kritische  Wissenschaft  nicht  so  irlücklich  wie  der  Schnlknabe. 
mv\  weun  sie  auch  zahllose  Äußerungen  und  Erscheinungsweisen  der- 
]*  nigen  Kraft  heolKiclitet  hat.  <1i>  wir  Seele  nennen,  so  haben  gerade 
ihre  ange^itrenir traten  Forsch ungeii  gelehrt,  dass  wir  das,  was  die 
Seele  ihrem  eigenthümlichen  \S  esen  nach  an  sich  ist,  nicht  wissen 
können. 

Die  voiksiimmiiche  Vorstellung  hält  die  Seele  für  ein  immate- 
rielles Wesen,  das  im  Körper,  und  zwar  im  Gehirn,  seineu  Sitz  hat. 
Hier  nimmt  die  Seele  die  tele^aphischen  Berichte  aus  dtjr  Außenwelt 
vermittelst  der  Nenen  in  Finpfang  uud  ertheilt  auf  demselben  Wege 
wieder  an  die  Muskeln  ihre  Befehle  über  das,  was  zu  thun  sei.  Das 
Verständnis  dieses  sclieinbar  so  einfachen  Vorganges  scheitert  aber 
sogleich  besonders  an  drei  Schwierigkeiteu.  Das  \\'eseu  des  Immate- 
riellen, also  auch  der  immateriellen  Seele  entzieht  sich,  wie  wir  be- 
mts  gesehen  haben,  völlig  unserer  Erkenntnis.  Auch  durch  Selbst- 
heobachtong  lässt  sich  hier  kein  erlenchtendes  mid  erläntemdes  Er- 
gebnis gewinnen,  weil  die  Seele,  solange  sie  mit  dem  Körper  verhim- 
den  ist|  also  während  des  ganzen  Lebens,  dorcfa  das  Materielle  getrttbt 
und  TeromeEinigt  sein  soll,  so  dass,  was  wir  anch  an  ihr  nnd  in  ihr 
beobachten  mögen,  wir  gldchwol  das  reine  Wesen  des  Immateriellen 
in  nnserer  Seele  nie  entdecken  können. 

Kennen  wir  aber  das  Wesen  der  immateriellen  Seele  nicht,  so 
können  wir  zweitens  offenbar  anch  nicht  sagen,  wie  das  Immaterielle 
nnd  also  die  Seele  wirkt,  nnd  erst  recht  bleibt  es  uns  drittens  yer- 
borgen,  wie  sie  non  gar  anf  das  ihr  ganz  entgegengesetzte  Materielle, 
den  Körper,  wirken  soll,  mit  dem  sie  dodi  ihrem  eigensten  Wesen 
nach  ganz  nnd  gar  nichts  gemein  hat  Gtoide  dieser  letzte  Pnnkt 
führt  uns  aber  anch  noch  in  eine  Reihe  begrifflicher  Schwierigkelten 
hinein.  Wenn  die  Seele  einen  Sitz  im  Körper,  also  im  Baam  hat,  so 


Digitized  by  Google 


—   145  — 

muss  sie  selbst  räumlich,  also  materiell  sein;  wo  lileibt  ihre  Immate- 
rialitilt?  Wenn  sie  von  dem  mateiiellen  Körper  Eiiiwirkung^en  em- 
pfänsrt  nnd  selbst  aut  dieseu  pj"n Wirkungen  Hnsübt.  so  miiijs  sie  doch 
einen  Reriilirung^puiikt  mit  dem  materiellen  K  ipftr,  also  mit  der 
Materie  ulurlianiit  haben;  eine  Berülu-img  alit  r  kann  nur  zwischen 
räumlichen  und  materiellen  Erscheinungen  stattfinden;  also  muss  sie 
selbst  ein  Räumliches  und  Materielles  sein;  wo  bleibt  also  ihre  Im- 
materialität?  Wäre  sie  aber  materiell,  so  wäre  sie  kein  Geist; 
ist  sie  aber  ein  Geist  nnd  also  immateriell,  so  wissen  wir  nicht, 
was  sie  ist.  Wie  wollcü  wir  also  von  dem  uns  unbekannten  Wesen 
der  Seele  aus  das  uns  unbekannte  Wesen  von  Geistern  erschließen? 

Aber  ist  nicht  \'ielleicht  auch  die  ganze  Vor.su  Ihmgsweise,  dass 
die  J5eele  uui*  an  einer  Stelle  im  Körper  ihren  Sitz  habe,  falsch  und 
den  Thatsachen  der  Erfahrung  widersprechend?  Unser  Bewnsstsein 
wenigstens  sagt  uns  nichts  davon,  dass  die  Seele  im  Körper  nur  an 
einem  Orte  sitze;  vielinebr  fUiien  wir  ans  beseelt  im  ganzen  KOrper 
nnd  an  allen  Punkten,  wo  wir  emptnclen.  „Ich  wlizde  ndeh  also", 
sagt  Kant,  „an  der  gemeinen  Elrfiahrang  halten  nnd  Toriftnfig  sagen: 
wo  ich  empfinde,  da  hin  ich.  Ich  hm  eheaso  unmittelbar  in  d^ 
Fingerspitze  wie  in  dem  Kopfe.  Ich  bin  es  selbst^  der  in  der  Ferse 
leiktet  nnd  welchem  das  Herz  im  Affecte  klopft  Ich  fühle  dea 
schmenhafteaten  Eindmck  nicht  an  einer  Oehimnerve,  wenn  mich 
mein  Leichdorn  peinigt,  sondern  am  Ende  meiner  Zehen.  Keine  Er- 
fiüimng  lehrt  mich,  einige  Theile  meiner  Empfindung  von  mhr  fOr  ent- 
fernt zn  halten,  mein  nntheilbares  Ich  in  ein  mikroskopisch  kldnes 
Plfttaschen  des  Gehirns  zn  Tersperren,  am  Ton  da  ans  den  Hebezeug 
meiner  Körpermaschine  in  Bewegung  zn  setzen,  oder  dadurch  selbst 
getroffen  zn  werden.  Daher  wQrde  ich  einen  strengen  Beweis  ver» 
Ungen,  um  dasjenige  ungereimt  zu  finden,  was  die  Schullehrer  sagten: 
meine  Seele  ist  ganz  im  ganzen  Körper  nnd  ganz  in  jedem  seiner 
Theile."  In  ähnlichem  Sinne  lehrt  die  neuere  physiologische  Psycho- 
\o'^u\  Beseelung  sei  Überall  da,  wo  sich  Nenrensnbstanz  findet.  Aber 
alle  Physiologie  kann  uns  dorli  damit  auch  nur  sagen,  wo  Seele  sei, 
nicht,  was  Seele  sei;  und  die  Erfahr ungsthatsachen  lehren  wol,  dass 
misere  Seele  im  Leben  ebenso  abhängig  ist  vom  Körper  wie  dieser 
von  jener,  kurz,  dass  sie  uns  in  aller  Krfahnmg  stets  als  eine  voll- 
endete Einheit  entgegentreten  —  wie  aber  diese  Einheit  zu  den- 
ken sei,  daniber  schweigen  die  Acten  einer  vorsichtigen  Wissenschaft 
von  der  6eele  gänzlich. 

Wir  wissen  also  von  unserer  eigenen  Seele  nicht,  was  sie  isU 


Digitized  by  Google 


146  — 


noch  wie  sie  wiikt.  Wir  wi^tst  n  uiclit.  aiit  welche  Weise  sie  mit  dem 
T^örper  verbunden  ist,  noch  ob  und  wie  diese  Verbinduntr  sich  lüsen 
wird.  Es  ist  somit  auch  la^anz  unmöglich,  vom  Wesen  unserer  Seele 
aus  einen  bündigen  Sclihiss  auf  das  Wesen  der  Geister  zu  ziehen; 
beider  innerste  Eijrentliiinüichkeiten  sind  uns  völlig-  dnnkel.  ^Wer**^ 
sagt  ivHiit,  ,,ini  Besitz  leicliterei  Mittel  ist  die  zu  dieser  Einsicht  führen 
können,  der  versage  seineu  Unterricht  einem  Lelirbegierigen  nicht,  vor 
dessen  Augen  im  Fortschritt  der  Untersuchung  sich  öfters  Alpen 
erhebeiif  wo  andere  einen  ebenen  und  gemächlichen  Fufisteig  vor  sich 
sehen,  den  sie  fortwandeni  oder  zn  wandern  glauben." 

VI. 

Die  physiologische  und  psychologische  Widerlegang 

der  Geisterseherei 

Die  Untersnchnng  hat  Inäier  gelehrt,  dass,  wenn  man  auch  eine 
Oeisterwelt  und  eine  Gemeinschaft  derselben  mit  der  Ifenschenwelt 
als  thatsichlich  bestehend  Toraossetzt,  die  Geisterseherei  dennoch 
m  üngereimtheiten  sowol  hinsichtMch  der  Geisteigesichte  wie  des 
Geistersehers  fBhren  würde.  Aber  es  stellte  sich  bei  genauerer  Pr&fong 
femer  herans,  dass  die  Existenz  der  Geisterwelt  weder  ans  der  Er- 
fhhrong  noch  ans  ToninnftbegrüFeii  bewiesen  werden  konnte,  noch  dass 
wir  irgend  welche  Idars  nnd  yemnnflgemAfie  YorstelUing  7on  dem 
Wesen  der  Geister  m  besitcen  imstande  waren.  Dazn  kommt  nun 
aber  schließlich  noch  (nnd  das  ist  &8t  der  Hauptpunkt  in  der  Zurück- 
wdsung  des  objectiven  Wertes  der  G^eisterseherei),  dass  die  meisten 
sog.  Geistererscheinnngen  sich  auf  völlig  natürliche,  physiologische  und 
psychologische  Weise  aus  dem  Zustand  des  geistersehenden  Sabjectes 
selbst  erklären  lassen.  Hat  man  diese  Erklärung  gefunden,  so  wird 
sofort  klar,  dass,  wenn  anch  immerhin  eine  immaterielle  Geisterwelt 
existiren  sollte,  was  an  sich  nicht  unmöglich  wäre,  die  sog.  Geister- 
erscheinnngen keineswegs  yon  ihr  herrühren,  sondern  ans  ganz  anderen 
Quellen  entspringen. 

Viele  Geist^rerscheinungen  führen  sich,  "wie  g-enügenci  bekannt  ist. 
einfach  auf  Betnig  zurück.  Schlaue  Schwindler  wissen  den  mystischen 
Hang  des  Publicums  auszulteuten  und  macheu  dabfi  solange  ilir  (Geschäft, 
bis  ein  glücklicher  Zufall  oder  ein  kritisch  prülender  Forschei-  ihnen 
die  Maske  vom  Gesicht  reißt.  In  seinem  unvollendeten  Hornau  ..Der 
Geisterseher"  hat  Schiller  den  Betrug  und  die  Entdeckuu?  de>  Helruges 
auf  diesem  Gebiete  meisterhaft  und  für  aile  Zeiten  leseus%vert  geschildert, 
und  es  kann  tili-  den  Zweck  der  Autklärung  darüber  nicht  genug  die 


Digrtized  by  Google 


—   147  — 


wiederholte  Lesnng  dieses  Werkes  anempfohlen  werden.  Deraiiige 
Betrügereien  waren  s^chon  lange  und  nicht  blos  in  den  Tempeln  der 
Alten  an  der  Tagesordnung,  und  noch  heute  werden  viele  Gläubige 
durch  geschickt  ausgeführte  Taschenspielerkunststücke  und  infolge 
ilirt  r  l  okenntnis  mit  den  Gesetzen  der  Chemie  und  Physik  hinter- 
gangen  *  > 

Aber  auch  der  ehrliche  Selbstbetrug  spielt  hier  naturgemäß  eine 
große  RoUp  hei  allen  denen,  welche  mit  dem  Wesen  und  den  Gesetzen 
ihrer  ei.^.  ik  ii  menschlichen,  physiologischen  und  psyeholo^schen  Orp^a- 
iii sitioii  iu(  ht  bekannt  sind.  Als  Beispiel  dafiir  will  ich  nui-  die  sog. 
(.Tei.-^terschrilt  erwähnen.  Man  legt  vor  sich  hin  auf  den  Tisch  eine  Si-Inefer- 
tafel  oder  ein  Stück  Papier  und  darauf  schreibgerecht  die  Hand  mit  einem 
Schreibstift.  Man  blickt  nun  unverwandt  auf  den  Stift,  stundenlaug,  am 
besten  spät  am  Abend,  wo  sich  des  Menschen  bereits  eine  neiTöse  Ab- 
bpaiiiiung:  bemiiclitigt  hat.  Vielfach  muss  man  das  Experiment  erst 
mehrere  Tao^e  hintereinander  wiederholen,  ehe  der  gewünschte  Erfolg 
erreicht  wii'd.  Endlich  aber  entwickelt  sich  ein  halb  unbewusster,  wie 
traumhafter  Geisteszustand,  in  welchem  die  Hund  zuletzt  mechanisch 
sni  vsolu-eibeu  becriiint  und  zwar  das  schreibt,  was  man  als  Antwort  auf 
seine  innerlich  gestellte  Frage  zu  erhalten  wünscht.  Wer  den  pliysio- 
.  logisch-psychologischen  Mechanismus  des  Nervensystems  kennt,  wer 
die  Zustünde  des  sog.  Traomhandebs  (das  wnndei*gierige  Volk  gebraucht 
dafür  den  Namen:  Moiidaaelit)  und  des  Hj^pnottsmns  beobachtet  und 
analysirt  hat,  erkennt  darin  nnr  eine  den  genannten  Eracbeinungen 
analoge  Äußerung  des  Meehanisrnns  unseres  Seelen-  und  Nervenlebens; 
die  Spiritisten  aber  erkl&ren  den  Vorgang  dadurch»  dass  Geister  sich 
der  Hand  das  Maischen  bemächtigten  und  das  Geschriebene  mithin 
eme  Kundgebung  aus  dem  Geisterreich  sei.  Ein  sehr  ehifii<6her  Ver- 
such beweist  aUerdings  sogleich,  dass  Geister  bei  diesem  rein  subjec^ 
tiven  und  psychologischen  Process  nichts  zu  schaffen  haben:  der  Zustand, 
in  welchem  die  Hand  schreibt»  tritt  nämlich  niemals  ein,  wenn  sich 

*>  V<'ii  br>ch<teTn  WrrtP  ist  in  (lie.-ier  Bezieliiini,' ein  socIxmi  prscliiciit'nt's  eiigliM-lie* 
fiucb  „Die  lkkeuutuiä:4e  eiueä  Mediums".  (CunieiiäioQä  uf  a  Medium,  Luud*»u,  Griftitb 
Famui,  188S.)  Der  YMfiwier,  ein  janger  Theologe,  aehildert  darin,  wie  er  in  gutem 
Okohen  aa  die  Wahrheit  der  apifitiatiMhen  Erscheinungen  sich  dem  SpiridnUM  gWS 
hingegeben  und  dadurch  das  Yertranen  eines  berühmten  Spiritisten  so  sehr  pewonnen 
habe,  dass  dieser  ihn  nach  und  nach  in  alle  Creheimnissp  «seiner  Knnsr  einwdhte. 
£s  stellte  sich  zuletzt  heran«,  dass  alles  auf  Betrug  und  Schwindel  beruhte, 
und  XU  bewundern  ist  nur  die  Mubclüidt  der  Uittd»  duieb  wekke  dM  PuUicum 
betrogen  wird.  Wir  eind  im  Begriff;  eine  dentscbe  Übenetzung  dieses  nach  eilen 
BicbtuiigeD  bin  TSUig  nnfIdirendMi  Bacbes  Tonrabefuiten. 


Digitized  by  Google 


—   148  — 


der  Experimentirende  die  Augen  verbunden  hat.  Dann  mag  dei-selbe 
jahrelang  sif/^f*Ti,  und  seine  Hand  schreibt  doch  nicht,  weil  die  nöthige, 
den  hypnotisctieii  Zustand  herbeiführende  Reizung  durch  den  Gesichts- 
sinn fehlt.  Wenn  wii'klich  Geister  schrieben,  konnte  es  ihnen  sicherlich 
ebenso  einerlei  sein,  ob  der  Orakelsuchende  mit  einein  Tnd\  vor  den 
Augen  dasitzt,  wie  ob  er  in  .Stiefeln  oder  Schuhen  den  Versucii  an- 
stellt. Sonderbaie  Geister,  welche  sieh  dureh  ein  Tascheatach  ihrer 
Kraft  berauben  und  ins  Bockshorn  jagen  lassen! 

Wanim  werden  aber  in  dieser  Hinsicht  die  Lhut.  i  dcuso  leicht 
1h  1]  aL'fii.  als  sie  sich  hier  U-icht  und  «jeni  selbst  betiu^tür'  Sie  sind 
doch  sonst  auf  ihi'en  Vortheil  gut  bedacht.  Kant  hat  aucli  hier  das 
Biclitij^e  schon  ausgesprochen.  Wenn  wii"  die  Geisterseherei  lu  der 
Wage  der  vernünftigen  Untersuchung  wägen,  so  wiegt  sie  sehr  leicht; 
aber  es  gibt  noch  eine  andere  Wage,  in  der  sie  so  schwer  wiegt, 
das.s  alle  vernünftige  Untersuchung  gegen  sie  niclit  aufzidcommen 
vermag:  die  Wasre  der  Hoffnung  und  zwar  der  Hoffnung  anf 
Unsterblichkeit.  Diese  Hott'uung  ist  es,  welche  die  Alenschen 
immer  wieder  verführt,  sich  dem  Hange  der  Geisterseherei  und  dem 
Glauben  an  die  Objectivität  derselben  lunzugeben.  Denn  in  der  Unsterb- 
lichkeitshoffiiuug  laufen  die  tiefistai,  natürlichen  Interessen  des  Menschen 
sDsammeB.  Jedes  Wesen  Bebändert  yof  der  Vemichtong  seines  Daseins 
zurück.  Ist  nun  aber  der  Tod  einmal  uiTemieidüdi,  so  werden  dock 
seine  Sdiredcen  dnrch  den  Gedanken  gebrochen,  dass  er  der  An&ng 
eines  neoen  Leibens  ist.  Und  welch  eines  Lebens,  wenn  dort  in 
erhöhtem  und  geUntertem  Mafie  alles  Ghite  und  Liebe  wiederfindet, 
das  man  hier  verliert,  nnd  wenn  dort  aUes  gerecht  ausgeglichen  wird, 
das  man  unverdient  hier  leiden  mnsste.  Und  wenn  jenseit  des  Grabes 
unsere  Lieben  noch  leben,  warum  sollten  sie  nicht  auch  mit  uns  noch 
in  Verbindung  treten,  uns  warnen,  helfen  und  trösten  können?  Das 
alles  scheint  denjenigen,  der  nicht  tiefer  in  den  Gegenstand  eindringt, 
so  natflrlieh  und  selbstverstAndlich,  dass  er  all  die  sich  hier  auf- 
thiirmenden  Widersprüche  und  Unmöglichkeiten  nicht  bemerkt  und  in 
Erwägung  zieht.  Und  da  er  wflnscht  und  hofft,  dass  es  so  sei,  so 
sieht  er  und  er&hrt  er  nun  auch  in  tansenderlei  Anzeichen,  was  er  zu 
sehen  und  zu  erfahren  wünscht  und  hofft.  Aus  diesem  Motiv  heraus 
werden  also  die  Geistergesichte  immer  wieder  und  zwar  so  lange 
entstehen,  als  jene  Hoffnungen  überhaupt  die  Menschen  erfüllen;  und 
wird  also  dagegen  kein  Rath  der  Vernünftigen  helfen.  „Wenn",  sagt 
Kant,  „die  Ausraittelung  der  aufgegebenen  Frage  nicht  mit  einer  schon 
vorher  entschiedenen  Neigung  in  Sympathie  stünde,  welcher  Vernünftige 


Digitized  by  Google 


—  U9  — 


wfirde  wol  nnschlfissig  aefn,  ob  er  mehr  Möglichkeit  darin  finden 
sollte,  eine  Art  Wesen  anzunehmen,  die  mit  allem,  was  ihm  die  Sinne 
lehren,  gar  nichts  Ähnliches  haben,  als  einige  angebliche  Erfiüirungen 
dem  Selbstbetrnge  und  der  Erdichtung  beizumessen,  die  in  unseren 
Fällen  nicht  ungewöhnlich  sind.  Ja,  dieses  scheint  auch  fiberhaapt 
von  der  Beglaubigung  der  Geistererzählungen,  welche  so  allgemeinen 
Eingang  findeii,  die  vornehmst«  Ursache  zu  sein,  und  selbst  die  ersten 
Täuschungen  von  venneinten  Erscheinungen  abgeschiedener  Menschen 
sind  vermuthlich  aus  der  schmeichelhaften  Hoffnung  entsprungen,  dass 
man  noch  auf  irgend  eine  Art  nach  dem  Tode  nhrU^  sei,  da  dann  bei 
nächtlichen  Schatten  oftmals  der  Wahn  die  Sinne  betrog-,  nnd  aus 
zweideutigen  Gestalten  Blendwerke  schuf,  die  der  vorhergehenden 
Meinung  gemäß  waren,  woraus  ianu  endlich  die  Pliilosophen  Anlass 
nahmen,  die  Vemunftidee  von  Geistern  auszudenken  und  sie  in  Lehr- 
veif;) --uuL'  zu  bringen.  Man  sieht  es  auch  wol  meinem  anmaßlichen 
Lehrl)t  ^Ti  iti"  von  der  (Teistergemeinschaft  an,  dass  er  eben  diesellte 
Richtüüg  nahm,  in  die  die  allgemeine  Meinung  einschlägt.  Denn  die 
Sätze  vereinbaren  sich  sehr  nierklicli  nur  dahin,  um  einen  BegriÖ'  zu 
gebfeu,  wie  der  Geist  des  Menscheu  aus  dieser  Welt  herausgehe, 
d.  L  vom  Zustande  nach  dem  Tode;  wie  er  aber  hineinkomme,  d.  i. 
von  der  Zeugung  und  Foitpflanzung,  davon  erwähne  ich  nichts,  ja 
sogar  nicht  einmal,  wie  er  in  dieser  Welt  gegenwärtig  sei,  d.  i.  wie 
eine  uumaterielle  Natur  in  einem  Körper  und  durch  denselben  wii'ksam 
sein  könne;  alles  um  einer  sehr  gültigen  Ursache  willen,  welche  diese 
ist,  das  ich  hievon  insgesammt  nichts  verstehe,  und  folglich  mich  wol 
bfttte  bescheiden  können,  ebenso  unwissend  in  Ansehung  des  kttnftigen 
Znstandes  sn  sein,  wofern  nicht  die  Fart^chkdt  einer  lieblings- 
meinuug  den  Grfinden,  die  sich  darboten,  so  schwach  sie  auch  seht 
moebten,  zur  Empfeblung  gedienet  b&tt&^  Betrog  nnd  Selbstbetmg 
ist  also  hier  dem  Menschen  so  lieb  nnd  stinunt  so  sehr  mit  seinen 
Interessen  nnd  Hoifiinngen  fiberem,  dass  er  nicht  nmr  selbst  an  keine 
Kritik  denkt>  sondern  eine  Kritik  wol  gar  frevelhaft  findet*)  Schon 
in  die  zarte  Seele  des  Kindes  wird  der  hierher  gehörige  Gedanken- 
kreis bineingegraben,  verwächst  mit  den  innersten  Gedankenworzeln 
und  erlangt  so  eine  alle  fibrigen  Ideen  beherrschende  Macht  im 
menschlichen  Yorstelinngsleben«  Hierbei  macht  sich  nun  aber  ein 
pqrchologisches  Gesetz  geltend,  auf  Gnmd  dessen  dann  die  schein- 


*)  Auch  hieifBr,  tad  wie  die  ftpbitbtjflehen  Gaukler  sieh  diesen  Umstand  >n 
iifitee  tn  machen  triaien,  gibt  Jenes  obeoerwllmte  mgUsdie  Werk  nhheicbe  Belege. 


Digitized  by  Google 


—  160 


baren  Erfahmngsbe^se  für  die  Existenz  von  Geistern  bereitwillig 

eintreten. 

Es  ist  nämlich  eine  Thatsarlip  unseres  Seelenlebens,  da-s  unser 
(leist  allemal  nur  das  wahi--  und  in  sirli  aufnimmt  (peri  iiiirt  und 
appercipirt  I,  wozu  verwandte  VorstelhiiiL'-en  er  schon  in  sich  trä^^t.  Die 
Ideen,  welche  als  die  hauptsärhliclisten  und  herrschenden  in  uns  wohnen, 
bestimmen  unbewusst  in  allen  1^ Mlleri  die  Richtung  unserer  Auftnerk- 
samkeit;  nach  ihrer  Anweisung  bemerken  wir  TorzTig"SA\ « is»  nur  das 
ihnen  Verwandte  und  übersehen  das  von  ihnen  Abw  i,  liende.  So 
sehen  wir  in  allen  Fällen  nicht  alles,  sondern  iiiMiirr  nur  einiges, 
und  dieses  einige  nicht,  wie  es  an  sich  ist,  sondern  wie  es  uns 
erscheint.  Wir  sehen  daher  auch  Welfach  nicht  blos.  was  ist,  sondern 
unsere  Stimmungen,  Gefühle,  Wünsclie  und  Ideen  an  den  Dingen  und 
in  die  Dinge  hinein.  Ein  Kaufmann  bemerkt  in  einer  von  ihm 
besuchten,  fremden  Stadt  vor  allem  die  geschäftlichen  Zustände.  Der 
Künstler  sieht  davon  nichts;  aber  die  Kunstwerke,  welcher  jener  über- 
sah, stehen  klai"  in  seinem  Bewusstsein.  Der  Parteieiferer  hat  ein 
scharfes  Auge  für  aUes  seiner  Partei  Entsprechende;  für  das,  was 
den  Bestrebungen  seiner  Partei  widerspricht,  und  sei  es  an  sich  das 
Bechte  and  Wahre,  fehlt  ihm  jedes  Verslfindnia.  Der  MSnch  sieht 
in  dem  Tropfeteingebilde  einen  Priester  mit  dem  Keleh;  ein  Garn- 
hrmusjünger  phaiitasirt  sehien  Gott  mit  efaiem  Becher  hinein.  Eben 
dies  Geseta  Tunerea  Vorstellungslebens  mnss  man  sieh  klar  machen* 
nm  zn  verstehen,  wmm.  der,  welcher  ganz  yon  dem  Glanben  an 
Geister  eri&Ut  ist,  nun  auch  wirldich  mit  Leichtigkeit  überall  Beweise 
ftr  seinen  Glanben  und  für  die  Wirksamkeit  der  Geister  findet  und 
die  Geister  selbst  sieht  So  halten  WQde  das  Schreien  der  Wasser» 
vQgel  im  Sumpfe  fttr  Stimmen  der  Geister.  So  liefern  das  Edio  nnd 
das  Heulen  des  Windes  im  Walde^  die  Wolkengestalten  am  Himmel 
nnd  die  Irrlichter  im  Moraste  Beweise  für  die  Existenz  von  Geistern, 
als  deren  Änfienugen  oder  Erscheinangen  jene  betrachtet  werden. 
Die  Vertreter  dieser  wilden  Denkart»  welche  alles  im  Sinne  ihrer  Ein- 
bildungen anfi&sst  ,und  jeder  natürlichen  Erklfimngsart  unzugänglich 
ist,  kann  man  auch  unter  clTilisirten  Völkern  zu  Millionen  finden. 
Der  abergläubische  Bauer  wiU  es  nicht  wahr  haben,  dass  der  Wind 
im  Schornstein  heult,  es  mnss  ein  Geist  drin  spuken,  und  aus  Furcht 
vor  seinem  Wahngebüde  wagt  er  nicht,  sich  durch  Selbstschaa  eines 
Besseren  zu  belehren. 

Unter  dem  Druck  eines  derartigen  Vorstellungskreises  entstehen 
nun  zunächst  eine  Menge  Yop.  Illusionen,  welche  den  Wahn  der 


Digitized  by  Google 


—   151  — 


Geistei-seberei  bestätigen  und  bestärken.  Unter  Illusion  vei-stebt  man 
eiBe  Sinnestäuschung,  in  \velcher  unter  dem  Einfluss  eines  im  Menschen 
gerade  herrschendeo  Ideenkreises  ein  tbatsächlich  vorhandener  Gegen« 
stand  anders  aufgefasst  und  gedeutet  wird,  als  er  in  Wirklichkeit  an 
und  für  sich  ist.  Ein  in  Zürich  weilender  Fremder  bekommt  dort  die 
Nachricht  von  dem  plötzlichen  Tode  eines  von  ihm  innig  geliebten 
Freundes.  Da  sieht  er,  während  er,  schmerzlich  bewegt  nnd  lebhaft 
mit  der  Erinnerung  an  den  Abgeschiedenen  beschäftigt,  gegen  Abend 
am  Seeufer  wandelt,  die  Leiche  seines  Freundes  leibhaftig  auf  den 
Wf'llen  des  Sees  in  der  Dämmerung  herantreiben.  Granen  übertallt 
ihn,  aber  die  nähere  Untersuchung  zeigt  ilim.  nh  er  der  vermeint- 
hchen  Leiche  sich  in  einem  Boote  nähert,  nur  ein  treibendes  Stück 
Balken.  In  dieser  selben  Weise  illusionirend  werden  viele  Geister- 
süchtigre  zn  ( istprsiHitig'en.  Schon  die  Lesefibel  berichtet  als  war- 
11' iidt  -  Beispiel  die  Ge-(  hirlitr  der  in  HuiiderttauseTulen  von  Exernphirrii 
verbreitt^ten  Magd,  welrhr  im  Harjxluukel  des  Kellers  ein  aufp:ehäng'tes 
weißes  Tuch  für  ein  (^espenst  ansiflit,  wie  denn  Bäume  im  Waldes- 
dunkel und  Nebelstreilen  im  Mondesliclit  dergestalt  häufig'*  in  der 
Phantasie  zu  Geistern  wui*den.  Die  Voraussetzung  zu  diesen  Geister- 
illusionen ist  also  einmal  der  geistergläubige  Vorstellungsuntergnind 
und  andererseits  eine  aulgeregte  nnd  nervöse  Stimmung,  wie  sie  die 
Emüdung  des  Abends  und  bei  Nacht  oder  nach  großen  Anstrengungen 
mit  sich  bringt. 

Noch  mehr  als  solche  Illusionen  geben  aber  dieHallucinationeu 
Anlass  zur  Entstehung  und  Ausbildung  des  Geisterglaubens.  Haben 
wir  es  in  der  lUusion  nur  mit  einer  Täuschaug  eines  Sinnes  zu  thun, 
m  liegt  der  HaUndnatien  dne  vizkHche  Erkrankung  eines  Sfames- 
nerven  zu  Grunde.  Das  Gesetz  der  sog.  spedflschen  Energie  der 
Simie  besagt,  dass  jeder  Nerv,  durch  welcherld  Beis  er  auch  getroffen 
werden  möge^  doch  immer  nur  die  Äußerungen  von  sich  gibt,  welche 
seine  eigenüittmliche  Function  bilden  oder  zu  seiner  Sondematui* 
gehören.  So  kann  der  Gehdruery  auf  jede  Art  von  Beizung  immer 
nur  durch  Tonempfindungen,  der  Sehnerr  immer  nur  durch  Licht- 
empfindungen antworten  u.  s.  Es  sei  nun  z.  B.  der  GehOmeiT 
krankhaft  gereizt,  so  sind  GehOrsempfindungen  davon  die  Folge.  Die 
Reizung  ist  eine  rein  innnerliche,  ans  dem  Organismus  des  Leidenden 
stammende,  sie  entshringt  z.B.  aus  einem EntzOndungszustande;  gleich- 
wol  empfindet  der  Erkrankte  TOne,  wie  Töne  ttberhaupt  empfunden 
werden,  als  ob  sie  etwas  Äußeres  seien  und  von  aufien  stammten. 
Das  Ohrensausen  und  Ohrenklingen  gehört  bereits  zur  Classe  dieser 


Digitized  by  Google 


Hallucinationen.  Diese  Sinnesphantasmen  nehmen  iinn  aber  in  ihrer 
Steigerung  und  unter  der  Mitwirkung  des  Vorstellim2:sinhalts  des 
Leidenden  die  peinlichsten  Formen  an:  der  Patient  glaubt  verworrene 
Stimmen  und  Rufe  zu  hören,  aus  denen  er  Worte  und  iSälze  herans- 
zuklauben  sich  bemüht,  wie  man  aus  Tropf^^teineebilden  bestimmte 
Gestalten  erdichtet.  Er  ^eräth  dadurch  in  die  anyrstlichste  En-egung. 
Da  er  aber  den  inneren  und  rein  subjectiven  Grund  der  Erscheinung 
nicht  kennt,  so  sucht  er  die  Ursache  außer  sich  und  verfallt  nun 
meistens,  von  l'nruhe  und  Schlaflosigkeit  tre(]uält.  auf  die  Meinung, 
es  seien  unsichtbare  Wesen,  Geister,  die  ihn  riefen,  verfolgten  und 
peinigten.  So  .setzt  er  die  (Deister,  au  welche  er  bereits  glaubte,  als 
Grund  für  die  rein  piiysiologische  Krankheitserscheinung,  und  diese 
Krankheitserscheinung  wird  somit  ihrerseits  wieder  als  Beweis  tür 
das  Dasein  von  Geistern  angesehen  und  verstärkt  den  Glauben  an 
dieselben,  ohofleich  sie  in  diesem  f  ulle  nicht  gesehen,  sondern  nur  ge- 
hört werden.  Aber  die  Gesichtshallucinatiouen  lassen  die  Geister 
auch  sichtbar  vor  das  Auge  treten.  Die  Ursache  der  Gesichtsphan- 
tasmen  ist  eine  krankhafte  fidzimg  der  Sehnerven.  Es  werden  z.  B. 
dnnkle  Pimkte  (dk  sog.  monehes  Tolantes)  tot  den  Angen  schwebend 
gesehen«  wie  sie  auch  jeder  Gesunde  an  heUkn  Sommertagen  oder 
nach  längerem  Sehanen  in  grelles  lacht  an  sich  beobachten  kami,  wie 
sie  aber  in  Nervenkrankheiten  sich  in  großer  Fülle  mit  störender 
Peinlichkeit  einstellen.  Eine  alte»  kranke  Fran  bezeichnete  mir  diese 
dnnklen  Pankte,  welche  vor  ihren  Angen  anf-  und  abschwebten,  sich 
näherten  tmd  entfernten,  verschwanden  nnd  auftanchtenf  ansdrUckUch 
als  ihre  i^Geisterchen",  die  sie  quälten,  und  die  sie  in  ibzon  Geister- 
glanben  ganz  besonders  bestfirktaL  So  siebt  der  am  delirium  tremens 
Leidende  diese  schwarzen  Punkte  als  Hfinse,  Käfer  and  Ungeziefer 
anderer  Art,  welches  ihn  umgibt,  über  die  Dielen  des  Zimmero  läuft 
und  an  ihm  oder  anderen  umherkriecht,  so  dass  er  sieh  bem&ht,  die 
Phantasmen  zu  ergreifen  und  fortzuschleudm.  Diesen  krankhaften 
Hallncinationazuständen  kann  jeder  Sinn  unterliegen,  und  man  redet 
daher  auch  von  Gefühls-,  Geschmacks-  und  Geruchshallucinationen,  in 
denen  aus  inneren  Beizungen  heraus,  ohne  dass  aufierhalb  des  Orga- 
nismus eine  erregende  Ursache  vorhanden  wäre,  eigenthümliche  Ge- 
fühls-, Geschmacks-  und  Geruchsphautasmen  sich  einstellen. 

Treten  solche  Hallucinationen  dauernd  auf,  so  lieirt  eine  ernsti» 
Erkrankung  des  Nervensystems  überhaupt  vor,  und  es  erhebt  sich  die 
Gefahr  einer  vollständigen  Geistesverrückung.  Hier  stellen  sich  nun» 
indem  das  ganze  körperliche  und  geistige  Wesen  des  Menschen  in- 


Digitized  by  Google 


—   153  - 


folge  grofter  Störangen  und  Erregangen  ans  dem  Gleichgewicht  ge- 
rftckt  wirdt  die  Visionen  ein,  welche  nun  nnmittelbar  im  Sinne  des  • 
Geisterglanbens,  als  ob  sie  von  objectiv  existirenden  Geistern  stamm- 
ten, erldBrt  nnd  somit  als  stärkster  Beweis  für  das  Dasein  von  Gel« 
Stern  angesehen  werden.  In  der  Vision  werden  Gestalten,  ja  ganze 
Torgänge  in  leibhaftigster  und  lebenswahrster  Form  wie  obJectiT  nnd 
außerhalb  des  Wahrnehmenden  von  dem  Visionär,  abf^r  auch  nur  von 
diesem  gescliaut,  ohne  dass  doch  eine  objective  äußere  Erscheinang 
Torbanden  wäre,  da  nur  eine  krankhafte  Erregung  des  Siibjects  in 
diesem  die  Täuschung  veranlasst.  Solche  Visionen  sind  mitiiin  als 
subjective  Krankheitserscheinungen  thatsächlich  vorhanden  —  keines- 
wegs aber  sind  die  g^eschanten  Ersrheinnnc:en  -^drkliche  Dinge  außer- 
halb des  Visioniirs.  vielmehr  ledig:lioli  innere  Pliantasievorst«lltm|ren, 
die  sich  mit  «ololiei-  Lehliafti'Tkfnt  dem  Erkrankten  aufdrän^Q,  dass 
sie  so  deutlich  w  ie  äußere  Dinge  geschaut  werden. 

^^'ie  ist  es  aber  mö^^-lich,  dass  rein  innerliche,  subjective  Phantasie- 
Vui-stel hingen  in  dieser  gewissermaßen  veränBerlichten  Form  zur  An- 
schauung gelangen?  Es  würde  zu  weit  führen,  und  wir  müssten  eine 
ganze  Reihe  erkenn tnistheoretischer  Erörterungen  und  eine  genaue 
Beschreibung  des  Baues  und  der  Functionen  unseres  Nervensystems 
geben,  wollten  wir  diese  Frage  liier  allseitig  und  gründlich  beant- 
worten.*) Es  uiuss  liier  genügen,  an  einigen  Beispielen  zu  zeigen, 
dabfi  thatsächlich  rein  innerliche  Voigänge  in  unserer  Seele  viel- 
fach wie  objective,  äußere  Dinge  gest'haut  werden.  Es  ist  doch  wol 
keine  Frage,  dass  alles,  was  uns  der  Traum  bei  geschlossenen  Sinnen 
vorgaukelt,  aus  rein  innerlichen  Vorstellungen  besteht;  und  doch  trln- 
men  wir  so  lebhaft,  dass  wir  diese  inneren  Bilder  wie  in  plastischer 
Wirklichkeit  aufier  nns  sehen,  nnd  wir  uns  beim  Erwachen  oftmals 
erst  bestunea  missen,  oh  wir  es  mit  ehiem  Traum  oder  der  Wirklich- 
krit  zn  thnn  haben.  —  Wir  betrachten  aufmerksam  längere  Zeit  eine 
Figur,  a.  B.  ein  weißes  Tenfelchen,  welche  anf  schwarzem  Gmnde 
gemalt  ist  Dann  wenden  wir  nnsere  Angen  davon  ab  nnd  richten 
sie  anf  eine  weifie  Flflche,  etwa  die  Decke  des  Zimmers.  Jetzt  sehen 
wir  plOt^Ueh  anf  dieser  weiBen  Fläche  klar  nnd  dentlich  ein  schwai^ 
xes  Tenfelchen.  Das  Gesichtsbild  dieses  schwarzen  Tenfdchens,  das 
sog.  Nachbild,  ist  offenbar  nur  in  unseren  Augen,  denn  anf  die  weiße 
Decke  ist  ja  nichts  davon  gemalt^  nnd  doch  erblicken  wir  das  Bild 


*)  Mm  eehe  Nkben»  daraber  in  metner  ,4%il<woptiie  der  NatarwitseiiMliait", 
Bd.  U,  Bog.  IV  n.  DL 


Digitized  by  Google 


—   154  — 


als  ein  völlig  anfier  uns  seiendes.  Wir  schanen  an  einem  warmen, 
dnnstigen  Sommerabend  voll  und  kräftig  in  den  eben  am  Horizont 
untergehenden,  feurig'  strahlenden  Sonnenball.  Nun  wenden  wir  die 
Augen  auf  die  Felder  und  Wiesen  ringsum  und  werden  jetzt  auf  und 
über  denselben  feurige  Kugeln  rollen  und  fliepren  sehen,  welche  ?:anz 
plastisch  und  objectiv  außer  uns  erscheinen  und  doch  nur  Rfi/bilder 
innerhalb  unseres  Wahniehnuing-soro:ans  sind.  Hier  erklärt  sieh  aul" 
ganz  natürliche  W  eise  eine  Erscheinung,  welche  in  früherer  Zeit  oft- 
mals zu  abergläubischen  Fabein  Anlass  gegeben  hat.  Ks  wird  häufig 
erzählt,  jemand  habe  besehen,  wie  ein  Marien-  oder  Heiligenbild  ans 
seinem  Kalmn  n  >ti'  l;>  ii  und  durch  die  Kirche  geschwebt  sei.  bis  es 
im  Halbdunkel  derselben  verschwand.  Der  fromme  Beter  brauchte 
nur  lange  genug  inbrünstig  und  aufmerksam  das  Bild  l)et rächtet  und 
dann  die  Augen  davon  ab-  und  auf  die  weißen  Kirchenwände  hin  ge- 
wendet zu  haben,  so  schwebte  ihm  dort  das  optisclie  Nachl)ild  wirk- 
lich vor  Augen,  nur  dass  die  Erscheinung  eine  rein  innerliclie  war 
und  die  Heilige  selbst  ungerührt  in  ihrem  Rahmen  blieb.  Deraitige 
Visionen  werden  abei*  auch  ohne  eine  von  auLien  kommende  Reizung, 
lediglich  vuu  innen  heraus  durch  Krkraiikangszustände  des  Gehirns 
hervorgei'iifeü.  Gehirnerweichung  hat  häufig  ziu*  Folge,  dass  nicht 
blos  die  äußeren,  wirklich  vorhandenen  Gegenstände  ungeheuer  ver- 
größert und  in  seltsamen  Farben  schimmernd  gesehen,  sondern  dass 
aneh  rein  innerliche  PhantasiebQder  als  Süßere  Erscheinugen  ge- 
schaut werden.  Der  Vidonftr  pflegt  in  solchen  FftUen  allerdings  fiist 
immer  nnheflbar  in  Irrsinn  za  Terfollen. 

Virionen  sind  also  keineswegs  Gesichte  Ton  wirklich  aoBorhalb 
des  Tisionftrs  Toriiandenen  Wesen  nnd  Dingen,  sondern  innere  Phan^ 
tasiehflder,  welche  wie  im  Tranm  (die  Vision  ist  eine  Art  nngesnnden 
nnd  abnormal  Tranrnzostandes)  objectiv  and  plastisch  erscheinen  and 
infolge  von  Üherreiasong  and  Erkrankung  des  Nervensystems  ein- 
treten. Setzt  sich  diese  Erkrankung  danemd  fest»  so  verftUt  d^  - 
Viaion&r  dem  Wahnsinn  nnd  dem  Lrenhaos.  Sie  kann  aber  infolge 
gewaltiger  Enregongen»  grofier  Oberanstrengongen  und  ErschOpiongen 
vorttbergehend  auch  bei  sonst  Gesunden  eintreten  nnd  bezeichnet  dann 
den  Gipfelpunkt  der  nervösen  Beiznng.  Es  kann  deshalb  auch  jeder 
sonst  Gesunde  Visionen  künstlich  in  sich  herbeiführen;  taugliche  üiüttel 
dazu  sind  aUes,  was  Überreiznng  nnd  Erschöpfung  des  Nervensystems 
heiToi-zurufen  vermag.  Der  junge  Indianer,  der,  wenn  er  mannbar 
wirdf  den  Schntzgeist  seines  Lebens  zu  entdecken  sucht«  begibt  sich 
zu  den  schauervoUen  Grabstätten  seiner  Ahnen,  &stet  nnd  kasteit 


Digitized  by  Google 


—  155 

und  legt  sich  nachts  zwischen  den  unheunlichen  HQgeln  zum  Schlafen 
nieder.  Infolge  der  körperlichen  Abspannung  einei-seits  und  der 
Phantasieüberreizung  andererseits  stallen  sich  bald  im  unruhigen 
Traumschlftf  die  gewünschten  Hrscheinungen  ein.  Dieselben  Mittel 
der  Ascese  wendeten  die  Neuplatoniker  des  Alterthums  und  die  Mönche 
des  ^littelalters  an^  um  den  Himmel  otfen  zu  sehen.  GewalUge  äufiere 
und  innere  Kämpfe  und  erschöpfende  Aufregungen  sind  vorangegangen, 
ehe  Paulus  auf  seinem  Wege  nach  Damaskus  von  seiner  Vision  heim- 
{»•esucht  wird.  Sd  kann  der  sonst  nerv^enstarke  Kriesrer  nach  langen 
Stiapazen,  aul  nächtlicher  Wacht  mit  Mttdinrkeit  und  Abspannung 
kämpfend,  plötzlich  zum  Visionär  werden,  wie  der  durch  lanore?*,  nächt- 
liches 8tiuliren  erreg-te  und  ersch(»{>fte  Gelehrte  plötzlich  den  'r»'ufel 
vor  sich  schaut  und  sein  Tmtenfass  nach  der  Ki-soltfiimn«^  schleudert. 
Besonders  in  Zeiten,  in  den^^n  mnn  ♦•iTu^rseits  die  eaasalen  Zusammen- 
hänge des  NHturjxesclielie!i>  nini  si  ine  ( resetze  nicht  kennt  und  daher 
alles  Uli*  iklärlich  und  ..ubernatui  lielr'  findet,  andeiei-seits  die  Phan- 
tasie niul  das  leidenschaftliclie  Gemuihsleben  des  •  Miiusclieu  in  dem- 
selben Maße  liöher  waltet,  als  strensfes  logisches  Denken,  gesellschalt- 
licher  Zwang  luid  Selbsterziehung  diese  zu  Ausschreitungen  geneigten 
Seelenkräfte  noch  nieht  <2:ezligelt  haben,  müssen  Visiunen  häutiger  ein- 
treten als  in  unseren  Zeiten,  wo  strengere  Züt^eluug  den  Geist  in 
den  Schranken  größerer  Mäßigung  hält  und  die  Wirksamkeit  der 
Polizei  sich  selbst  gegen  die  Gespenster  richtet.  Und  solange  man 
ferner  von  dem  natürlichen  Ursprung  der  Visionen  aus  der  Erregung 
unseres  Nerveor  nnd  Seelenlebens  nichts  wusste,  konnte  es  nicht  ans- 
bleiben,  dass  Visionen  för  objectiv-wkliche  Erscheinungen,  das  Ge- 
sehene selbst  aber  f&r  Eondgebungen  von  Geistern  oder  fOr  Geister 
selbst  gehalten  worden.  So  mussten  die  Visionen  vor  allem  dazu  bei- 
tragen, den  Ghiuben  an  eine  Geisterwelt  za  erwecke  nnd  zn  be- 
fisstigen. 

Alle  sog.  Geistererscheinnngen  erklären  sich  demnach  anf  natnr- 
gemäfte  Weise  entweder  ans  verbrecherischem  Betrog  oder  aas  ehr- 
licher Selbsttftoschong.  Biegenigen,  welche  ans  der  letzteren  Qoelle 
stammen,  bemhen  einerseits  anf  den  Wirkungen  des  geiaterglftnbigen 
Vorstellongskreises,  andererseits  auf  den,  aus  der  physiologischen  nnd 
psychologischen  Einiichtong  unseres  Nerven-' und  Seelenlebens  hervor- 
gehenden Erscheinongen  der  Illit§ion,  Hallncination  und  Vision.  Wenn 
anch  anf  Gmnd  der  heutigen  genaoeren  Kenntnis  der  Vorgänge  im 
Nervensystem  unsere  Erklärungen  im  einzelnen  von  denen  Kants  ab- 
weichen, so  hat  doch  anch  dieser  schon  in  seiner  Schrift  über  die 

Mtofcciim.  5.  Jabi«.  H«ft  III.  H 


Dig'itized  by  Goo^^Ie 


( .( rselierei  oiiien  Ansatz  zu  einer  völlig  psychologischen  Erklä- 
nui^>«weise  gemacht  und  sogar  das  HaiipteoMicht  anf  eine  ^olclic  p-^- 
legt.  Die  Worte,  mit  denen  er  seine  dahin  zielenden  KWirterungeu 
abschlii'lU,  siud  su  witzig  und  zutreflend,  dass  wir  i^ie  dem  Lesser 
nicht  vorenthalten  dürfen:  „Die  Folge,  die  sich  aus  dit  sen  Betrach- 
tungen ergibt,  hat  dieses  Ung-elegene  an  sich,  dass  sie  die  tiefen 
Vermuthungen  des  vorigen  Hauptstücks  ganz  entbehrlich  macht,  und 
dass  der  Leser,  so  bereitwillig  er  auch  j^ein  mochte,  den  idealiselien 
Entwüifen  desselben  einigen  iieilall  eiiizuiauiiii  ii,  dennoch  den  Berrritf 
vorziehen  wird,  welcher  mehr  Gemächlich  keil  und  Küi-ze  im  Entschei- 
den bei  sich  fuhrt,  und  sich  einen  allgemeineren  Beifall  versprechen 
kann.  Dean  aofierdem,  dass  es  einer  Temünftigen  Denkungsart  ge- 
mäßer m  aeln  aebeint»  die  Gründe  der  ErklAnmg  aus  dem  Stoffe  her- 
zimehment  den  die  Er&hnmg  nns  darbietet,  so  ftnfiert  sieh  noch  dazu 
anf  dieser  Seite  einiger  Anlass  zum  OespOtte,  welches,  es  mag  nnn 
gegrOndet  sein  oder  nicht,  ein  krftftigeres  Mittel  ist  als  irgend  ein 
anderes,  eitle  Nachforschungen  zorackznhalten.  Denn  aof  eine  ernst- 
hafte Art  über  die  Hirngespinste  der  Phantasten  Auslegungen 
nuushen  zu  wollen,  gibt  schon  eine  schlimme  Vennnthnng,  und  die 
Philosophie  setzt  sich  m  Verdacht,  welche  sich  in  so  schlechter  Ge- 
sellschaft betreffen  Iftsst  Zwar  habe  ich  oben  den  Wahnsinn  in  der- 
gldchen  Erscheinnng  nicht  bestritten,  ^ehnehr  ihn,  zwar  nicht  als 
die  Ursache  einer  eingebildeten  Geistargemeinschaft,  doch  als  eine 
aatflrliche  Folge  d^selben  damit  verknüpft;  alldn  was  fDr  eine  Thor- 
heit  gibt  es  doch,  die  nicht  mit  dner  bodenlosen  Weltweisheit  kGnnte 
in  Einstimmung  gebracht  werden?  Daher  verdenke  ich  es  dem  Leser 
keineswegs,  wenn  er,  anstatt  die  Geisterseher  fiir  Halbbfirger  der 
andern  Welt  anzusehen,  sie  kurz  und  gut  als  Candidaten  des  Hospi- 
tals abfertigt,  und  sich  dadurch  alles  weiteren  Nachforschens  überhebt. 
Wenn  nun  aber  alles  auf  solchen  Fuß  genommen  wird,  so  muss  auch 
die  Art,  dergleichen  Adepten  des  Geisterreichs  zu  behandeln  von  der- 
jenigen nach  den  obigen  Gegriffen  sehr  verschieden  sein,  und  da  man 
es  sonst  nöthig  fand,  bisweilen  einige  derselben  zu  brennen,  so  wird 
es  jetzt  genug  sein,  sie  nur  zu  purgiren."  Und  in  der  That,  heuti- 
gentages  behandelt  man  den  unverbesserlichen  Geisterseher  im  Irren- 
hause in  ähnlicher  Weise,  wie  Kant  anih-^ntet.  Beruhigung  und  Heini- 
guüg  des  autgeregten  Blutes  und  Herstelhmg  eines  rerrelrechten  Stoff- 
wechsels sind  hauptsächlich  die  Mittel,  durch  weh'he  dem  Geistt  rseher. 
weuu  nicht  etwa  infolge  von  Gehimzerstörungen  die  Heilung  liber- 


Digitized  by  Google 


—   157  — 


hanpt  omnQglich  ist»  der  rechte  Blick  f&r  die  Wirklichkeit  wieder 
erOi&iet  und  ihm  das  Oeisteronge  geschlossen  wird. 

Es  unterliegt  also  keiner  Frage,  dass  alle  Geisterseherei,  die  sich 
nicht  nnmittelbar  anf  Betrog  xnrüekf&hrt)  in  das  Gapitel  der  Geistes- 
stGmngen  gehört  Geisteraeherei  ist  Symptom  eines  gestörten  Seelen- 
lebens, sei  nnn  die  St5rang  nnr  eine  rasch  yorftbergehende,  oder  seUe  sie 
sich  daaemd  fest,  so  dass  damit  der  Visionär  ans  der  Beihe  der  Ge- 
sonden  in  die  Bftome  des  Irrenliauses  hineingeschleudert  wird.  Kit 
Erklärung  geschieht  gleicbwol  weder  dem  Glauben  an  eine 
\\  elt  des  iminateriellen  Geistes  noch  dem  Glauben  an  die  Unsterblich- 
keit eines  immateriellen  Geistes  Abbruch.  Man  muss  sich  im  Gegen- 
tlieil  klar  machen,  dass  dieser  Glaube  in  seine]-  Eeinheit  mit  der 
Geistei-seherei  gerade  nicht  zusamnlenbestehen  kann,  dieselbe  vielmehr 
ausschließen  muss.   Denn  zwei  Fälle  sind  m^)^li('!i: 

Der  eine:  Es  gibt  wirklich  immaterielle  Geister.  Dann  können 
sie  als  immateriell  mit  der  Materie  in  keinem  Zusammenhange  stehen 
und  somit  auch  unseren  materiellen  Sinnen  nicht  erscheinen.  no<-]\  anf 
unsere  mit  der  Materie  verboudeue  Seele  irgend  welche  Einwirkung 
ausüben. 

Der  andere:  Geister  werden  gesehen  und  üben  Kinwirknn<^en 
auf  materielle  Dinge  htmI  Wesen  aus.  Dann  sind  aber  diese  Geister 
keine  imnuit eriel  1  f  u  (iei-ter.  sondern  materielle  Wesen  wie  die 
Meusciien.  Dann  sind  sie  in  W  ahilit  it  das,  was  sich  das  Volk  unter 
seinen  Gespenstern  vorstellt.  Dann  gehüreu  sie  aber  in  das  System 
der  Zoolofrie,  wie  der  Mensch,  nur  mit  dem  Xaclitheil,  dass  ihre  Exi- 
stenz unter  den  zoologischen  Existenzen  die  schleclitest  bewiesene  ist, 
und  sind  weit  davon  entfernt,  die  immateriellen  Geister  eines  reinen, 
geistigen  Glaubens  in  dem  Sinne  des  Spruches:  „Gott  ist  ein  Geist" 
zu  sein;  sie  sind  vielmehr  Wesen  eines  heidnischen  Aberglaubens  und 
fuhren  die  Anhänger  desselben  in  alle  Irrwege  der  Gespenster! dicht 
und  des  Hexenspuks  zurück.*)  Die  Grundlage  eines  solchen  Spiritis- 
mus ist  also  in  Wahrheit  die  materialistische  Weltanschauung,  wie 
ich  dies  an  einem  anderen  Orte  schon  dargelegt  habe.**)  Der  reine 
Glnnbe  an  den  wahrhaft  immateriellen  Geist  Bcfaließt  die  Geeister- 
seherei  mithin  ans,  denn  diese  erniedrigt  die  Greister  zn  Gespenstern. 


*;  Hao  vergleiche  aucli  hierüber  die  fc^r/^abluiigeu  des  obeu  geuaoutea  engli- 
adun  Werices. 

**)  \  gl.  meme  Schrift:  Die  Gnmdgedaiiken  des  MateiuUsmiu  und  die  Kritik 
decselbeiu  Leipdg,  QttnthtiB  Vertag.  8.  74  f. 

11* 


Dig'itized  by  Goo^^Ie 


Diese  antireli^öse  Entwürdigung  des  Geistigen  müssen  sich  jene  zar- 
ten und  empfindsamen  Seelen,  welche  so  gerne  noch  in  einem  unmit- 
telbaren Verkehr  mit  ihren  abgeschiedenen  Lieben  stehen  möchten 
nnd  die  Beweise  für  diesen  Verkehr  in  tausenderlei  ^Zeichen^  finden, 
einmal  gründlich  klar  machen;  sie  müssen  sich  vorhalten,  dass  sie 
durch  ihre  Geistei*stichtelei  und  Geistereeherei  ihre  verklärten  Lieben 
in  Wahrheit  zu  ruhelosen  Gespenstern  herabsetzen;  sie  müssen  ein- 
sehen, (lass  sie  damit  in  die  barbarische  und  roheste  Vorstellunirs- 
weise  verp^ancrener  Jahrtausende  ülier  das  Wesen  des  Geisti«:eu  zurück- 
fallen, und  weit  entfernt  von  einer  Tdt  alisiruiitr  des  Geistisren,  viel- 
mehi'  die  Sfinde  der  Matcrialisirunir  gegen  den  G<'ist  begehen  —  und 
sie  werden  die  Wurde  des  Geistigen  höher  achten  als  die  kleinen 
und  im  Grunde  >t  Ibstsüchtigen  Wünsche  ihres  Herzens  und  nicht  jene 
nach  diesen  beurf heilen,  sondern  diese  durch  die  Betrachtunsr  jener 
im  Zügel  lullten :  sie  werden  von  der  Majrie  und  Zauberei  ablassen, 
welche,  wenn  auch  in  abgeschwächter  Fnnn.  irleichwol  bei  ihnen  be- 
sieht, wenn  sie  in  geheimnisvoller  Weise  uui  iiumaterielle  Geister  ein- 
zuwirken suchen  oder  Einwirkungen  von  ihnen  zu  empfangen  bekehren. 
Das  allein  Geziemende  ist  hier,  mii  der  Hoffnung  aul  die  Zukunft  die 
Selbstbesi  heidung  für  die  Gegenwart  zu  verbinden.  Man  sagt  wol, 
es  sei  eine  gemüthsbefriedigende,  poetische  Vorstellung,  die  Gei- 
ster der  verstorbenen  Lieb^  sich  nahe  nnd  mit  freundlicher  Fürsorge 
für  die  HinterUiebenfln  beschäftigt  zq  denken;  aber  wenn  eine  poe- 
tische VorsteUmig  eine  unwahre  ist^  so  ist  sie  dn&ch  eine  TSoschong; 
sein  Gemiith  aber  mit  einer  T&nschnng  befriedigen,  heißt  Gift  för 
Brot  empfangen,  nnd  dass  die  geisterseherische  Torstellnngsart  wirk- 
lieh  Gift  ist,  zeigt  sich  an  ihren  Folgen,  der  aberglftnbischen  Vei^ 
rflckong  des  Geistes  nnd  der  Verkehntng  eines  reinen  Geistesglanben 
in  Aberglanben.  Zu  welchem,  selbst  mit  ünsittlichkeit  nnd  Verbre- 
chen gepaarten  Hexensabbath  die  Geisterseherd  oftmals  gef&hrt  hat*),^ 
zeigt  die  Geschichte  deijenigen  Secten,  welche  die  Gdsterseherei  als 
den  Hauptinhalt  ihres  religiösen  Dienstes  betrieben  nnd  damit  TieliS^h 
beim  Staatsanwalt  und  im  Zuchthaus  anlangten.  Ist  eine  VorsteUnng, 
die  in  solcher  Prosa  endet,  eine  poetische?  Echte  Poesie  ist  Wahr- 
heit, aber  nicht  Wahn  und  Lüge.  Oder  haben  gerade  unsere  großen 
Dichter  der  Geisterseherei  das  Wort  geredet? 

Drei  hauptsächliche  Ergebnisse  hat  die  genauere  Zergliederung 
der  Geisterseherei  geliefert:  Erstens  war,  die  Thatsächlichkeit  der 

*)  MftD  veigleicb«  jenes  englische  Werk. 


Digitized  by  Google 


—   159  — 


GeistargemeiDscliaft  und  der  G«Jsteraeherel  vorausgesetzt,  kein  irgend- 
wie erspriefilicher  Nutzen  fttr  die  Menseliheit  in  den  Einwirkungen 

der  Geister  auf  die  Menscheoseelen  zu  entdecken,  wol  aber  zeigten 
sich  bedenkliche  Schftdigungen,  wie  Verwinimg  nnd  Zerstörung  der 
geistigen  und  körperlichen  Gesundheit.  Zweitens  war  aber  die  Exi- 
stenz der  Geister  weder  bewiesen  noch  beweisbar,  ja  es  wurde  klar, 
dass  wir  weder  wissen,  was  ein  Geist  ist,  noch  die  Möglichkeit  be- 
sitzen^  uns  einen  positiven  Begriff  von  einem  Geiste  zu  bilden.  Drit- 
tens aber  zeigte  sich,  dass  alle  Geisterseherei  sich  auf  sehr  natür- 
lichem, [»hysinlogischem  und  psychologischem  Weo^e  erklären  ließ,  und 
dass  deshalb  Geisterseherei  ent-  und  bestehen  kann,  ohne  dass  irgend- 
welche Geistergemeinschafl  ihr  zu  (Triinde  zu  liegen  braucht  Nur 
die  Unwissenheit,  der  Aberglaube  und  die  stillen,  aber  keineswegs 
ide.tlei)  noch  religiös  berefhtijxten  Begehrungen  des  Menschen,  den 
8(  liieiei  Geheinmisses,  der  über  dem  Jenseits  und  dem  Leben  nach 
dem  Tode  liegt,  vor  der  Zeit  zu  lüften,  können  immer  wieder  den 
Untug-  (les  S]tintismns  aufkommen  lassen.  Aber  wir  wiederliol«  n  < -  : 
Jeder,  dem  der  fj:eistige  und  sittliche  Fortschritt  des  Menschen- 
geschlechts wirklich  am  Herzen  liegt,  hat  die  eniste  und  unerlässliche 
Pflicht,  solchen  Unfug,  wo  immer  er  auftauchen  möge,  kräftigst  zu 
bekanipten,  ebenso  wie  die  Unhaltbarkeit  derjenigen  Lehren  nachzu- 
weisen, welche,  täuschend  und  unwahr,  die  Geisterseherei  reclit- 
fertigen  sollen.  Wir  meinen  hier  besonders  die  neuerdings  aufge- 
tauchte Lehrmtmuiig  vom  \  lei  dimensionalen  Raum  uud  den  vierdimen- 
sionalen  Geistern.  Es  würde  zu  weit  führen,  wollten  wir  diese  Theorie 
hier  entwickeln,  nachdem  wir  dieselbe  bereits  einer  aDsTührlichen  Be- 
handlung unterworfen  haben,  worauf  wir  hiermit  verwiesen  haben 
wollen.*)  Es  sei  aber  Terstattet,  hier  wenigstens  die  Schlossworte 
des  betreflfenden  Capitels  ansifllhreik,  welehe  die  Folgen  des  spiritisti- 
schen Wahnes  fllr  die  Wissenschaft  wie  f&r  die  Praxis  des  Lebens 
darlegen:  „Welchen  Gewinn  aber  hat  endlich  die  Natnrwissenschaft 
von  jenen  Baumspecidationen  nnd  besonders  von  jenem  Tierdimenno- 
nalen  Baume  nnd  den  darin  spukenden  Gespenstern?  Alle  natflrliche 
Wissenschaft  wird  dnrch  den  Spiritismns  in  Wahrheit  ani^ehoben, 
weil  dnrch  denselben  das  Gesetz  der  natarlichen  Cansalit&t  aufgehoben 
ist.  Denn  alle  Natnrerscheinnngen,  welche  wir  bisher  nach  rein  me- 
chanischen Gesetzen  erklärt  haben,  und  wobei,  wenn  wir  die  richtig 


*;  Vgl.  meuie  „FUlosophi«  der  NatttrwisBeiueh>ft",  Bd.  II,  Capw  V:  Zeit  nnd 
Baym;  intbeMnden  S.  138  t  and  a  150. 


Digitized  by  Google 


—   160  — 


prefundenen  Gesetze  in  richtiger  Weise  zu  mechanischen  Erfindungen 
und  Hilfsmitteln  fiir  den  Menschen  verwendet  haben,  wir  niemals  ge- 
täuscht sind  —  all  diese  Naturerscheiniinfren  kr»nnen  herrühren  von 
jenen  „spiiits"  oder  von  ihnen  gekreuzt  und  g^est  »rt  w  erden,  so  dass 
keine  unserer  Erklärungen  richtig  zu  sein  ^naucht,  vielmehr  jede 
falsch  sein  kann,  weil  die  natnrleitenden  Potenzen  launische  Geister 
sind,  deren  Willkür  ins  Unerniesslielie  t^el^'n  kann.  VAne  jrranenhafte 
Vorstellung,  w^-il  sie  den  GlanlH'n  des  M<iisclien  an  eine  feste  Natur- 
und  Weltordnuiig  zerstOreu  müs>ie,  wenn  sie  Herrschaft  über  ihn  <re- 
wttnne;  das  Vertrauen  zu  der  Kraft  seiiic.->  lorscheudeii  (Geistes,  da  ja 
ibtch  alles  falsch  und  trügerisch  sein  kann,  vernichten  und  damit  auch 
'bV  Energie  seines  Wullens  und  Einwirkeus  auf  die  Natur  lalim  legen 
liiusste!  Der  Rückfall  in  neuplatonische  Dämonenlehre  und  mittelalter- 
lichen Hexenglauben  wäre  damit  \  ollzuj,^en  und  die  Wissenschaft  ver- 
nichtet  Und  welche  Folgen  würden  sich  für  diis  prak- 
tische Leben  ergeben!  Wenn  ein  Eisenbahnunglück  oder  ein  Dieb- 
stahl oder  ein  Mord  geschehen  wäre,  mit  welchem  Eechte  wfirde  mau 
noch  nach  mzuverlässigen  Weicbenstellem  oder  naeh  Bieb^  und 
lIGidem  tom^m  UmMA?  Absolut  imbelangbare,  vi^düoeitaioitRle 
Ursachen  k$nnten  den  Fall  Teranlaaat  haben!  Wie  kOimte  man  noch 
Too  sittlicher  Verantwortlichkeit  reden,  wenn  jeder  Unsittüche  sich 
anf  eine  zwangm&ftige  N()tbigung  zn  unsittlichen  Handlungen  von  sel- 
ten unsichtbarer  Mächte  berufen  kannte?  Nicht  blos  alle  Theorie, 
sondern  auch  alle  Praxis  und  Moral  wäre  anwideminich  vernichtet'* 

vn. 

Geisterseherei  nnd  kritische  Philosophie. 

An  dem  Leitftden  der  Eantischen  Schrift  „Träume  eines  Greister- 
Sehers"  sind  Yon  uns  die  Hauptpunkte  der  Kritik  der  Geisterseherei 
entwickelt  worden.  Denn  was  Kant  im  besondem  gegen  Swedenborg 
Torbringt,  gilt  ja  aUgemeln  gegen  die  Geisterseherei  äberhaupt.  So 

wie  den  Anhängern  derselben  im  allgemeinen,  musst«  natürlich  auch 
den  Swedenborgianem  im  besondem  die  Schrift  Kants  ein  Dom  im 
Auge  sein,  und  es  kann  also  nicht  wunder  nehmen,  wenn  d^  Sweden- 
boi^ianer  Tafel,  den,  allerdings  vergeblichen,  Versuch  gemacht  hat» 
der  Eantischen  Abhandlung  die  Spitze  abzubrechen.  Kants  Brief  an 
Fräulein  von  Knoblocb,  meint  Tafel,  drücke  sich  milder  über  Swedea> 
borg,  ja  fast  zustimmend  ans.  Wenu  sich  nun  beweisen  ließe,  dass 
der  Brief  späteren  Datums  als  die  Schrift  wäre,  so  würde  daraus 
heiTorgehen,  dass  Kaut  sein  Urtheü  über  Swedenborg  in  günstiger 


Digitized  by  Google 


—    161  — 


Weise  gelodert  und  sich  selbst  gewissermaften  za  Swedenborg  bekebrt 
hfttte.  So  will  denn  Tafel  beweisen,  dass  der  Brief  ans  dem  Jahre 
1768  staoime,  wahrend  die  Schrift  yom  Jahre  1766  sei.  Die  ganze 
Darlegung  Tafeis  ist  eine  dnrchans  gekftnstelte  und  fiUlt  in  sich  selbst 
zusammen.  Wir  wollen  hier  zur  Widerlegung  nur  zwei  Thatsachen 
hervorheben.  Schon  daraus»  dass  Kant  in  dem  Briefe  schreibt,  er 
habe  die  Werke  Swedenborgs  nocli  nicht  gelesen,  während  er  in 
der  Schrift  ausdrücklich  mittheilt,  er  habe  sie  gelesen,  geht  deutlich 
herror,  dass  die  Schrift  später  geschrieben  ist  als  dei-  Brief.  Aber 
aoch  andere  Daten  im  Briefe  beweisen,  dass  derselbe  einige  .lahre 
vor  der  Schrift  verfasst  ist.  ich  will  hier  nur  eins  anführen,  das 
allein  schon  völlig  durchschlägt.  Der  Brief  ist  an  Fräulein  von  Knob- 
loch crerichtet.  Diese  verheiratete  sich  am  22.  Juli  1764  an  einen 
Hauptmaim  von  Klingspom.  Wenn  Kant  also  an  Fräulein  v(in  Knob- 
loch schrieb,  so  muss  der  Brief  vor  dem  Juli  1764  verfasst  sein, 
denn  von  diesem  Tixgt  an  hieß  die  Dame  Krau  von  Klingsporn.  Der 
Brief  kann  also  nicht  ei*st.  wie  Tafel  fabulirt,  176K  entstanden  sein. 

Aber  sell)st  wenn  wii-  derartige  genau«'  Beweise  nicht  be.säl5en, 
die  L'anze  spätere  Philosopliie  Kants  würde  Zeui(nis  ableiten,  dass  Kant 
seiuM  Meinimsr  über  iSwedenborjr  nicht  verändert  hat.  denn  Kants  «jre- 
sanuiite  PhiJosophie  ist  die  r^n'iÖt^  und  vielseitif^ste  Zurückweisuiii^ 
iiiler  Geisterseherei  iiberliaui)t,  und  das  Studium  derselben  das  wirk- 
samste Mittel,  sich  von  geisterseherischen  Aiiwaudiungeii  tlir  innner 
zu  befreien.  Indem  icli  darauf  liinweise,  komme  ich  kurz  noch  aut 
eine  andere  Seite  der  Kantischeu  Schrift  zu  sprechen.  Der  Titel  der- 
selben sagt:  ..Träume  eines  (reistersehers,  erläutert  durch  Träume 
der  Meiapliysik."  Was  hat  die  metaphysische  Philosophie  mit  der 
Geisterseherei  zu  thun?  Gerade  dureli  Kant  hat  die  Philusuphie  eine 
gewaltige  Umwandlung  erfahren:  sie  ist  aus  einer  dogmatischen 
eine  kritische  geworden.  Das  Streben  der  dogmatischen  Philosophie 
war  darauf  geiiditet,  ttber  Dinge  etwas  aosssgen  zu  wollen,  welehe 
ganz  außerhalb  des  lüreises  unserer  Eifahrongs-  imd  ErkenntnismOg- 
lichkeit  liegen:  nämlich  fiber  die  göttlichen  nnd  jenseitigen  (transsoen- 
deuten)  Dinge.  Kants  kritisclie  Philosophie  besehrftnkte  alles  Forschen 
anf  das  nns  allein  zugängliche  Erfohrungsgebiet.  Kant  that  nnn  in 
seiner  Schrift  nicht  blos  die  Geisterseherei,  sondern  die  dogmatische 
Philosophie  zogleicfa  ab.  Die  Geisterseher  und  dogmatischen  Phüo- 
sophen  sind  darin  verwandt,  dass  sie  zn  sehcE  wähnen,  was  nicht  nnd 
wo  nichts  za  sehen  ist  Alle  dogmatisch-metaphysische  Philosophie 
ist  phüosophiBcbe  GeisterseliereL  Eben  diese  philosophische  Geister- 


Digitized  by  Google 


—    162  — 


geherei  wird  aber  von  Kants  loitischer  Philosophie  auf  allen  Gebieten 
Überwunden  nnd  yemichtet  Hinsichtlich  des  theoretischen  Er- 
kenn ons  meint  man  erforschen  und  wissen  zu  kdnneD,  was  jenseit 

aller  Ei  f  ibrnngs-  und  Erkeimtnismö^chkeit  liegt;  so  gibt  man  dog- 
matiä(-}ie  Hirngespinste  über  das  Transscendente  für  Walirlieit,  Visio- 
nen fiir  Bealitäten  aus.  Diese  Geistersehorei  auf  theoretischem  (Ge- 
biete vernichtet  Kant  in  seiner  „Kritik  der  reinen  Vernunft",  und 
sein  Grundsatz  lautet:  „Alle  Erkenntnis  von  Dingen  aus  bloßem,- 
reinem  Verstände  (hIvt  reiner  Vernunft  ist  nichts  als  lauter  Schein, 
und  nui-  in  der  Erfahrung  ist  Wahrheit."  Wie  Kant  im  theoretischen 
Gebiet  den  Menschen  auf  seine  eigenen  Füße  und  die  ihm  allein  zu- 
gänf^liehe  Erkenntnisbahn  stellt,  so  thut  er  es  auch  im  Felde  der 
Moral.  Anch  hier  macht  er  deu  Menschen  selbststandiur.  indem  er 
alle  moralisclie  Oeisterseherei  vernichtet.  Der  Men.^cli  auf  dem 
dogmatischen  ^Standpunkte  haudeli  moralisch  aus  ^'iircht  vor  außer 
ihm  liegenden  Machten  seiner  Phantasie  und  ans  iiuttnnnjr  auf  die 
Erlangung  von  jenseit  allt^r  Kifahrung  liegenden  <-iinern.  Kant  fiihrt 
in  seiner  ^Kritik  der  praktiscia^n  \  ernnnft"  den  Men^^fben  auf  das  in 
seiner  eigenen  Brust  von  Natur  lie^-ende  Sit(enf?<-stn/  als  seinen  Leit- 
stern zurück,  auf  die  \virklichen  Bewego^riinde  aller  Sittlichkeit,  an- 
statt der  nur  in  seiner  visioiiiiivii  Phantasie  eingebildeten.  Uiul  end- 
lich in  seiner  ,.  Religion  innerhalb  der  Grenzen  der  bloßen  Veruuult" 
setzt  er  an  Stelle  der  religiösen  Visionen  des  Dogmas  die  Realitäten 
einer  naturgemäßen  Vernunftreliirion.  Seit  Kopeinikus  hörte  die  Gei- 
Jsterseherei  auf  dem  Gebiete  der  äußeren,  materiellen,  seit  Kant  hörte 
sie  auf  dem  Gebiete  der  inneren,  geistigen  Natur  auf,  und  man  sah 
immer  deutlicher  ein,  dass  nicht  die  Geister,  wol  aber  dar  Geist  mäch- 
tig sei  in  der  Welt  So  ist  es  denn  auch  der  Geist»  der  die  Oeister 
bannt»  nnd  je  mehr  man  deshalb  Geist  sftt,  nm  so  weniger  whrd  man 
Geister  sehen. 


Digitized  by  Google 


Wichtige  GreiiEeii  in  YolkssebnlniteiTielite. 

Von  SdkiOram  A,  MmM^-LSbmt. 

(Fortseizuug.) 

Neben  d  en  Religionsuttterricht  tritt  sofort  der  Sprach- 
unterricht, in  den  deutschen  Schulen  also  der  deutsche  Sprach- 
unterricht (Sprechübungen,  Lesen,  Stil  nebst  Schön-  und  Recht- 
schreiben, Sprachlehre),  nicht  blos  deshalb,  weil  ein  gewisses  Sprach- 
verstündnis  und  eine  gewisse  Sprachfertigkeit  für  das  bürgerliche 
Leben,  für  jeden  Stand  und  Beruf  unentbehrlich  ist,  sondern  auch 
deshalb,  weil  die  Sprache  ein  g-eistig-es  nnd  Rittliches  Band  tiir  die 
Volksgenossen  bildet,  weil  wir  aus  dem  kostbaren  Schreine  unserer 
Literatur  wunderbare  Schätze  tüi-  das  Gemüth  auch  des  ärmsten 
Kindes  unseres  Volkes  zn  entnehmen  veruiög-en,  die  es  adeln  und 
befrhlcken,  Schöpfunjren  edier  volkslhümiiclier  PrOsa  nnd  Poesie,  die 
den  Kiii  lHrü  die  Lii  1  zur  Heimat,  zum  Vaterlande  und  Volke,  die 
Freutie  an  der  Natur,  edle,  tromme  und  heilige  Gesinnungen  einhauchen, 
nnd  weil  gerade  durch  dif^^^en  Unterricht  den  Kindern  die  Möglichkeit 
jifooteii  wii'd,  den  geweckten  Trieb  zur  eigenen  AV'eiterbildung  zu 
b«  friedigen.  Der  deutsche  Spi  .i  lumtf  rriciit  in  der  Volksschule  wird  die 
Autgalie  haben,  die  Kinder  sowol  zum  Verständnis  als  auch  zu  rich- 
tigem mündlichen  und  schriftlichen  (iebrauch  der  hochdeut-schen Sprache 
—  mit  der  <Trenzbestiniii)ui!g ;  „im  Bereiche  der  in  dem  Anschauuiigs- 
uiid  Erfalirungskieise  der  Kinder  wie  der  im  allgemeinen  Wissen 
liegenden  Gegenstände"  —  zu  befähigen,  zugleich  aber  Herz  und  Sinn 
durch  Einfühlung  in  die  volksthümliche  Literatur  cu  veredeln  nnd 
den  Trieb  zur  eigenen  Weiterbildung  dnrdi  LectOre  zn  wesk&L 

Die  LeetHre  soU  unzweifelhaft  auch  in  der  Volksschule  eine 
bedentsuoe  Bolle  spielen,  aber  freilich  stecken  sich  gerade  hier  noch 
manche  Lehrer  in  praxi,  gegen  besseres  Wissen,  ihr  Ziel  viel  zu  eng. 

Zunächst  ist  es  von  Wichtigkeit,  dass  die  Lesebttcher  ihren 
Inhalt  dem  angegebenen  Ziele  des  Sprachunterrichts  entsprechend  aus- 


Digitized  by  Google 


—   164  — 


gewählt,  in  der  Auswahl  die  rechte  Grenze  eingehalten  haben.  Das» 
auch  in  dieser  Hinsicht  heutzutage  die  Grenzlinien  immer  noch  nicht 
scharf  gezeichnet  sind,  wird  der  leicht  erkennen,  der  sich  Mähe  gibt, 
Reihe  aus  der  Masse  unso^  L*  seliilcher  anzusehen.  Ton  Fibeln 
gibt  es  eine  wahre  Sintflut;  es  scheint  wirklich  so,  als  wäre  es  ein 
unendlich  schweres  pädagogisches  Problem,  den  Kindern  die  Anlange 
des  Lesens  beizubringen;  aus  allpii  Ecken  nnd  Enden  machen  sich  — 
auch  unberufene  —  Eh  mentarlrlner  daran,  die  T^ösung  des  Problems 
durrli  eine  neue  Fibel  zu  bewerkstelligen.  l>abei  schwankt  man  hin 
und  lu  r  zwischen  der  analytisch-synthetischen  (Normalwort- >  und  der 
synthetischen  (vom  einzelnen  Tiaut-  und  Lautzeichen  ausgehenden^ 
Methode.  Man  wird  mit  beiden  Methoden  zum  Ziele  kommen:  mair 
dem  also  sein;  aber  das  halle  ich  für  falsch  und  ITir  eine  Uljersclirei- 
tiing  der  dem  ersten  Tjesetmterricht  zu  sackenden  (Frenzen,  dass  mau 
oft  gleich  von  Anfang  aa  Auschauungs-  und  Leseunterricht  zusammen- 
ketten will.  Bei  dem  letzteren  wird  die  Leseschwierigkeit  der  Laut- 
zeichen iunuer  das  entscheidende  Princip  der  Auswahl  bleiben  müssen; 
der  Gang  des  Anschauunsrsunterrichts  kaim  danach  unmöglich  bestimmt 
werden.  Erst  danu.  wenn  die  Kinder  zusammenhängende  Lesestücke  zu 
lesen  vermögen,  wird  die  Auswahl  dieser  dem  Anschauungsunterrichte 
die  Hand  zu  bieten  haben.  Was  dann  die  anderen  Lesebücher  anlangt, 
80  ist  bekannt,  dass  manche  ihren  Stoff  vorwiegend  nach  dem  Gnmd- 
aatze,  dem  Unterrichte  in  den  Bealien  Dienste  in  leisten,  zusammen- 
gesetzt haben.  Das  Lesebach  zum  Mittelpunkte  des  Bealnnterrichts 
zu  machen,  ist  gewiss  nicht  richtig;  einerseits  liegt  dann  die  Gefahr 
vor,  dass  der  Bealiennnterricht  seine  eigenartige  Kefhode  anflgibt, 
andererseits,  dass  den  Lesestflcken  der  dem  Realnnterrichte  entspre- 
chende Charakter  ao^edrttckt  wird,  das  Lesebnch  sich  mehr  zn  einer 
Sammlung  von  Lesestficken  gestaltet»  die  Pädagogen  gefertigt  und 
zusammengeschweißt  haben,  statt  dass  es  solche  enthalten  soll,  die 
dem  Geiste  und  der  Feder  der  bedeutendsten  volksthflmlichen  Schrift- 
steller entsprossen  sind;  ein  „gnter  Pfidagog**  kann  man  bekanntlich 
sein,  ohne  ein  „guter  volksthümlicher  Dichter  and  Schriftsteller^  zu 
sein.  Durch  die  Lectfire  wollen  wir  den  Kreis  der  Kenntnisse  unserer 
Kinder  erweitern,  die  Denkkraft,  das  Sprachgefühl,  die  Ausdi-ncks- 
wdse  ausbilden,  vor  allem  aber  wollen  wir  die  Kinder  in  den  Schatz 
unserer  volksth&mlichen  Literatur  einführen,  edle  nationale  Gemfttbs- 
und  Denkweise,  wie  sie  von  den  besten  Männern  des  Volkes  gegen- 
über Gott,  Familie,  Volk  und  Vaterland,  Menschheit  und  Natur -zum 
schönen  Ausdrucke  kommt,  einpflanzen  und  nähren,  so  dass  dann  auch 


Digitized  by  Google 


—   165  — 


als  eine  weitere  bldbeiide  Fracht  die  Lost  an  guter  Lectftre  berror- 
geht^  Diesem  Ziele  entsprecbend  sind  die  Lesestttcke  eines  Volks- 
sdrallesebaches  anszawftblen.  Es  werden  sich  dann  also  in  demselben 
ancfa  genog  Schildeningen  von  Ländern,  Völkern  etc.  finden,  die  dem 
Realimterrichte  die  Hand  reichen.  Bilder  dentschen  nnd  fremden 
Lebens,  wichtiger  Ereignisse  aas  der  Veigangenheit»  SchÜdernngen 
großer  Männer,  Bilder  yon  Land  nnd  Leuten,  Schilderungen  unseres 
Waldes,  unserer  Gebirge,  Flüsse,  der  heimischen  Pflanzen  und  Thiere, 
Gedichte,  welche  die  deutsche  Natursinnigkeit  athmen,  das  Volkslied 
und  das  volksthflmliclu^  Lied,  Märchen  und  Sagen  —  das  ist  die 
schöne  Welt,  aus  der  das  Volksschullesebach  seinen  Lehrstoff  zu 
nehmen  hat.  Die  Lesebücher  von  Jtitting  und  Weber,  die  in  den 
meisten  Schulen  unseres  Landes  eingeführt  sind  (Wohnort  und  Heimat 
—  Vaterland  —  Weite  Welt,  wie  sie  sich  spiegelt  in  edlen  deutschen 
GeisteniX  haben  meiner  Ansicht  nach  im  pranzen  dem  Inhalte  die  rechten 
Grenzen  jrefreben,  wenn  auch  liie  und  da  für  die  Oberstufen  ein  Lese- 
stück nacli  Form  und  Inhalt  zu  scliwer  ist. 

Wie  mau  mit  Freuden  die  Thatsache  anerkennen  nniss.  dam  viele 
Lehrer  über  Aufgabe  und  Methode  des  Leseunterriclite.s  völli^^^  im 
Klaren  sind  und  in  diesem  Fache  vortrett'liche  Erfolge  erzielen,  so 
lässt  sich  anderseits  nicht  in  Abrede  stellen,  dass  sich  manche  der- 
selben, wie  schon  Itemerkt,  das  Ziel  des  Leseunterrichtes  zu  niedrig 
stecken,  ^\'ol  in  allen  Landen  dürlie  man  noch  Lehrer  finden,  die 
sich  mit  der  Krzielung  mechanischer  Lesefertigkeit  begnügen,  die  sich 
so  gut  wie  gar  nicht  mit  der  Erklärung  von  Form  und  liduilt  be- 
st  haui^en,  so  dass  weder  die  Form  vorbildlich  für  den  Ausdruck,  noch 
der  lubalt  veredelnd  auf  das  Gemiith,  überhaupt  geistbildend  wken 
und  somit  auch  nicht  ein  recht  verständnisvolles,  geschweige  gemflth- 
volles  Lesen  erreicht  werden  kann;  sie  halten  es  auch  nicht  fÖr  nöthig, 
vonolesen,  obwol  der  Klang  der  Sprache  hocbbedeutsam  ist,  mdem  er, 
wenn  er  nftmlich  dem  Geiste  des  Wortes  und  dem  GemQthe  des 
Schriftstellers  entspricht,  durch  das  Ohr  in  die  Seele  dringt,  Leben 
weckt  und  die  Auffassung  der  Fonn  und  des  Inhaltes  zugleich  er- 
leicbtert.  Andere  fangen  wol  an  zu  erklüren,  aber  lassen  sich  von 
dem  Inhalte  des  Stückes  verflihren,  weit  abzuschweifen;  oft  werden  sie 
durch  ganz  nebentilehliche  Züge  entführt,  und  sie  machen  unnOthigei^ 
weise  geschichtliche,  geographische  etc.  Ausflüge;,  die  Wirkung  des 
Lesestückes  wird  damit  natürlich  ganz  und  gar  geschwächt,  die  Form 
In  ihrer  Beziehung  zum  Inhalte  kommt  gar  nicht  zur  Beachtung* 
Wünschenswert  wfire  es,  dass  auch  der  Volksschnllefarer  nach  ffilde- 


Digitized  by  Google 


—    166  — 


brandflcher  Forderung  es  TeimOehte,  das  ümerste  Leben  der  Sprache, 
wie  es  sicli  in  Bedoisarten  und  Bedewendnngen,  in  Bildern  regrt  nnd 
gestaltet,  hie  und  da  bei  der  Besprechung  eines  Stückes  ans  Licht  zu 
zif  hen.  Jedenfalls  muss  man  dem  liehrer  rathen,  die  Hildebrandsche 
S(  hi  ift  Vom  deutschen  Sprachunteirichte  in  der  Schule  —  Leipzig, 
Jul.  Klinkhardt)  zu  studiren;  auf  jeder  Seite  werden  ihm  Anwendungen 
geboten  und  Weitblicke  eröffnet,  selbst  wenn  er  sich  sagen  mnss,  er 
könne  den  gestellten  Forderungen  nicht  allenthalben  nachkommen.  — 
Wieder  andere  Lehrer  denken  bei  der  Erklärung  eines  Lesestückes 
sofort  an  die  {^ammatische  Besprechnn«:  vmd  saugen  mit  den  trockenen 
Fragen  nadi  Satzgeo-enstand  et(\  dem  Stücke  selbst  das  Leben  aus. 
Andere  endlich  verjressen  so^rar  das  «rewiss  eng'jresteckte  Ziel,  ein  laut- 
rifhtit^'-es  Lesen  zu  erreicluMi;  selbst  umtiutet  vom  Dialect.  verlieren 
sie  das  GeliTtr  fiir  die  Schwächen  der  Dialectanssprache.  die  sich  in 
die  des  Nt'ühochdeutschen  eindrän^'fMi.  (jiewiss  \<t  »^s  also  nöthig,  das*» 
sich  jeder  Lehrer  das  Ziel  des  Leseunterrichts,  ^^1e  angegeben,  nicht 
aus  dein  Gesichtskreise  sehwinden  läsü.t.  Eine  Art  guter  Zwani:  nach 
der  rechten  Bahn  lios-f  meiner  Ansicht  nach  in  dem  Verfahieu,  in  der 
Regel  au  diis  Lesestuck  eine  sclirittliche  Übung  (sei  es  als  selbst- 
ständige Arbeit  der  Kinder,  sei  es  unter  fester  Leitung  des  Lehrei*» 
—  je  nach  dem  Standi>uukte  der  Kinder;  aiizukuüplen.  welche  sich 
zur  Aufgabe  macht,  den  Haupt iiili.ilt  des  Gelesenen  in  einigen  Sätzen 
zu  fixiren;  es  wird  dadurch  wenigstens  bewkt,  dass  über  den  Inhalt 
des  Stückes  nicht  hinweggegangen  wird. 

An  den  Leseuntenicbt  schließt  sich  das  Einprägen  und  Her- 
sagen von  Gedichten.  Der  Zweck,  den  man  dabei  verfolgt,  besteht 
natürlich  nicht  Mos  in  einer  Bede-  nnd  GedächtnisAbong,  sondern 
Inhalt,  Form  nnd  Klang  soll  anf  die  Seele  nnd  ihre  Sprache  bildend 
nnd  veredelnd  einwirken.  Das  bedarf  keiner  weiteren  Anseinander- 
setzong,  aber  das  mnss  man  hervorheben,  dass  der  Lehrer,  welcher 
die  Kinder  nicht  erst  zum  Er&ssen  des  Gedichts  bringt,  welcher  sich 
selbst  nicht  bemfiht,  den  rechten  Ton  in  seinen  Vortrag  za  legen,  and 
die  Kinder  ein  Gedicht  herplappem  oder  herschnorren  Iftsst,  keine 
Idee  hat  von  dem,  was  er  eigentlich  erreichen  solL  Sodaim  ist  noch 
am  betonen,  dass  man  in  der  Zahl  der  auswendig  za  lernenden  Gedichte 
Ka6  za  halten  hat,  um  die  Kinder  nicht  za  fiberbfirden.  Also  anch 
hierin  die  rechte  Grenze! 

Damit  ist  der  Übergang znr Besprechung  der  Übungen  im  münd- 
lichen Ge  lankenausdruck  gewonnen.  Hier  ist  das  Ziel  der  Volks- 
schule nicht  za  hoch  gesteckt,  wenn  man  verlangt,  dass  sie  „einestheils 


Digitized  by  Google 


—    167  — 


auf  Beinheit  and  Deutlichkeit  der  Aussprache,  andemfheils  auf  Richtig^- 
keit,  Sicherheit  und  Ordnung  des  mtindlichen  Gedankenausdruckes" 
hinwirken  soU.  Freilich  wird  dies  Ziel  nicht  von  allen  Lehrern  scharf 
genug  im  Auge  behalten.  Manche  legen  überhaupt  zu  wenig  Gewicht 
auf  die  Redeübungen;  denen  möchte  die  Hüdebrandscbe  Forderung 
fort  und  fort  ins  Ohr  klingen:  „Dies  Hauptgewicht  sollte  auf  die 
gesprochene  Sprache  gelegt  werden;  auf  allen  Stufen  des  Unterrichts 
sind  das  Olir  und  der-  Mund  als  Hauptträger  der  Muttersprache  zu 
behandeln,  das  Auge  und  die  Hand  in  die  ihnen  gebürende  dienende 
Stellung  zurückzuweisen."  —  Andere  Lehrer  halten  zu  wenig  auf 
Torrertheit  der  Aussprache.  Es  ist  zuzugeben,  dass  die  Lehrer, 
um  eine  gute  Aussprache  in  hochdeutscher  Form  zu  erzielt  m  besonders 
auf  denTKirfem  wegen  der  herrschenden  Mundart  mit  gr(il5en  Schwierig- 
keiten zu  kämpfen  haben.  Wol  stehen  Mundart  und  hoclulentschc 
Form  nicht  im  absoluten  Gegensätze,  aber  doch  kann  es  nicht  leicht 
werden,  das  Kind,  das  sieh  ^r^'wüllnlieU  im  „Werktagskleide*'  bewegt, 
auch  SU  au  das  „Sonntagskleid"  zu  gewöhnen,  dass  es  sich  in  dem- 
selben frei  und  nnbeengt  gibt;  die  Gedanken,  die  aus  seinem  Inneren 
hervorquellen,  wuUeii  sich  ganz  natürlich  in  der  Form  der  eigent- 
lichen Muttersprache,  d.  h.  der  Mundart  zu  Tage  ringen.  Die  vor- 
liegende Schwierigkeit  zugegeben,  habe  ich  doch  zu  oft  zwischen  den 
einzelnen  Schulen  unter  ganz  gleichen  Verhältnissen  Vergleiche  an- 
gestellt, um  sagen  zu  können,  dass  es  dem  Lehrer,  welcher  selbst  gut 
spricht,  der  consequent  in  allen  Stunden  auf  correcte  Aussprache  hält 
und  besonders  aucli  den  Gesangunterricht  hierfür  mit  in  den  Dienst 
zieht,  wol  gelingt^  der  gestellten  Au%abe  zu  genügen.  —  Es  ist  sodann 
unzweifdhaffc  nothwendig,  die  Kinder  an  ein  zusammenhängendes  Aus- 
sprechen ihrer  Gedanken  zu  gewöhnen;  das  ist  nicht  blos  für  die 
DenkbiMung  von  hohem  Werthe,  sondern  darin  wurzelt  auch  ein  guter 
SUL  Die  Mittel,  welche  der  Lehrer  nach  diesem  Ziele  hin  anzu- 
wenden hat,  sind  bekanntlich:  das  Antworten  in  vollständigen  Sätzen 
(das  findet  allerdings  auch  Gegner;  ihre  Einwendungen  sind  jedoch 
nur  berechtigt,  wenn  es  ins  E2ztrem  getrieben  wird),  das  Nacher^hlen- 
lassen,  das  zusammenfassende  Wiedergeben  dessen,  was  entwickelt 
worden  ist,  das  freie  Sichaus^iirechenlassen  über  etwas  Erfahrenes, 
Erlebtes  etc.  Manche  Lehrer^  zerstören  durch  ihr  fortwährendes  Da- 
zwischen&hren  mit  Fragen  die  Ausbildung  des  Redeflusses;  das  Kind 
wird  dadurch  In  Stocken  gebracht;  es  kann  seinem  Gedankengange 
nicht  folgen  und  wird  aus  seiner  Bahn  gedrängt.  Am  wenigsten  kann 
sich  bei  solchem  Verfishren  die  individuelle  Art  des  Ausdrucks  büden. 


Digrtized  by  Google 


—   168  — 


Für  die  Stiiäbttngen  wird  das  Ziel  nicht  zu  weit  und  nicht  zu 
eng  gesteckt  sein,  wenn  man  fordertt  die  Kinder  dahin  zu  fuhren,  das» 
sie  vermög-en.  ihre  Gedanken  in  verständiger  Weise  und  einfacher, 
spraclirichtiger  Form  (wenigstens  ohne  gi-obe  ortliographische  Verstöße  j 
mit  einfacher,  regelmäßiger,  deutlirlipr.  frelänfiger  Schrift  —  nieder- 
zust'hieiben,  insbesondere  auch  die  Aulsatze,  welche  das  praktisch 
bürgerliche  Leben  von  jedem  fordert,  zu  fertigen. 

Recht-  und  Sciiönsclireibeii  ist  so  mit  dem  Unterrichte  im  Stil 
in  engste  Verbindung-  g-esetzt.  Wenn  i<  h  hinsichtlich  der  Keclitschrei- 
biing-  durch  die  f^enun-kung  in  der  Parantliese  das  Ziel  etwas  niedriger 
gesteckt  habe,  so  sielie  icli  dabei  auf  der  'J'liatsaclie  bisheriger  Er- 
fahrung, tlass  ich  Kiuder,  welche  aus  der  einlachen  \  ((Iksschule  mit 
vollständiger  Sicherheit  in  Rechtschreibung  und  interpuuctiüu  hinaus- 
gehen, bisher  nicht  gefunden  habe,  wo!  aber  solche,  die  wenig  Fehler 
machen.  Ein  nothwendiges  Übel  bleibt  es,  dass  wir  uns  mit  der 
„Schale"  so  abmühen  müssen.  Hildebrands  Malinunü:  wird  zu  beachten 
sein,  die  Schale  nicht  höher  als  den  Kern  zu  stellen. 

Was  die  Schönschrift  anlangt,  so  kann  das  angegebene  Ziel 
erreicht  werden.  Ich  habe  in  meinem  Bezirke  das  Verfahren  ein- 
geschlagen, dass  bei  den  Spedakonferenzen,  d.  i.  bei  den  Confereozen, 
za  denen  sich  die  Lehm  gleichartiger  (2  cl,  4  cl.,  5  cl,  6  cl)  Schuten 
einfinden,  jährlich  auch  die  Probeschriften  (und  Probesekhnongenj  der 
Obmlaase  mit  vorgelegt  irerden.  Zu  diesem  Verfahren  bin  ich  da> 
dorch  veranlasst  worden,  dass  man  unserer  Volksschule  hie  und  da 
den  Vorwurf  machte,  sie  vemachlAssige  jetzt  das  durchaus  Wichtige 
(z.  B.  auch  das  Schonschreiben)  Aber  dem  Minderwichtigen.  Es  hat  sich 
gezeigt,  dass  die  Leistungen  im  Schönschreiben  nicht  nur  nicht  zurück- 
gegangen, sondern  bessere  geworden  sind  und  dem  gesteckten  Ziele 
entsprechen.  Zierscbriiten,  Kanzleischriffc  haben  wir  freilich  aus  der 
Volksschule  hinansgewiesen.  Die  Kinder  hierin  zu  üben,  ist  nicht 
Sache  des  Volksschulunterrichts. 

Rechtschreibung,  Schönsclirift  gehören  zur  Schale,  die  man  aber 
deshalb  nicht  als  gleichgiltig  wegwerfen  darf.  Als  Hauptsache  ist 
anzusehen,  die  Kinder  dahin  zu  führen,  dass  sie  befähigt  werden,  ihre 
(bedanken  in  verständiger,  geordneter  Weise,  wenn  auch  in  einfacher 
Form,  zum  schidftlichen  Ausdruck  zu  bringen.  Zu  einer  ge\nssen 
Selbstständigkeit,  Gedanken  zu  finden  und  auszudrücken,  haben  die 
Siilübungen  auch  die  Kinder  der  Volksschule  heranzubilden.  Daraus 
ergeben  sich  von  selbst  wichtijre  Grenzen  fnv  die  Auswahl  der 
Themata,  sowie  iui*  d^  Verfahren  bei  der  Bearbeitung  derselben. 


Digitized  by  Google 


—   169  — 


Solche  Aufgaben,  die  fiber  dem  S;tandpimkte  der  Kinder  liegen,  bei 
(leren  Lösung  der  Lehrer  alles  in  sie  hineintragen  muss,  taugen  nichts. 
Solche,  die  sich  auf  das  Gelesene,  auf  den  übrigen  Unten'ichtsstof 
beaehen,  haben  in  verschiedener  Hinsicht  ihren  Wert,  aber  doch 
muss  der  Lehrer  darauf  hinwirken,  dass  sich  die  Arbeiten  über  die 
bloße  Reproductiou  erheben;  er  muss  in  geschickter  Weise  Anregung 
geben,  dass  sich  nach  und  nacli  Gedanken  von  dem  Eigenen  des 
.'^{•hülers.  was  er  dabei  rrefunden  liat.  mit  anzuschließen  wagen.  Die 
Aufgaben,  welche  den  Schüler  nothigen,  Selbsterfahrenes  und  Selbst- 
beobachtetes zu  berichten,  entsprechen  jenem  Ziele  am  besten;  sie 
diirfen  also  dundiaus  nicljt  fehlen.  Hat  man  die  Kinder  zur  Selbst- 
thäti^-keit  im  schrill  liehen  Gedankenausdrucke  hennizubilden,  so  ergibt 
^ich  nun  ferner  für  das  Verfahren  bei  den  Stiliiinmgen,  dass  es  nicht 
richtig  ist,  die  Kinder  auf  allen  Stufen  fortwährend  Satz  für  Satz. 
Wort  für  Wort  zu  leiten,  sondern  der  strengeren  Führung  muss  die 
freiere  folgen,  bez.  mit  ihr  wechseln.  Wieder  über  die  rechte  Cirenze 
hinaus  könnte  man  schreiten,  wenn  man  die  strengere  Fülirung,  bei 
welcher  nicht  blos  die  Gliederung,  soudürn  auch  die  Sät^^e  gemeinsam 
gefunden  werden,  ganz  wegwerfen  wollte.  Sie  ist  jedenfalls  (auch  mit 
vegen  der  Rechtschreibung)  auf  den  Mittelstufen,  aber  auch  noch  auf 
der  oberen,  berechtigt,  wenn  sie  nur  in  rechter  Weise  stattfindet 
Auch  bei  der  strengeren  Führung  muss  man  die  Kinder  zum  Finden 
der  Gliederung  der  Gedanken  wie  d^sAnadmcks  anregen  and  anleiten; 
unter  versehiedenen  Ansdracksformen  lAsst  man  die  beste  —  der  Klang 
wirkt  hier  mit  entaeheidead  —  wählen.  Der  Erreichimg  des  gesteckten 
Zi^es  arbeitet  die  Benutznng  solcher  Sprachhefte  von  Seiten  der 
Kinder  entgegen,  in  denen  die  Lösung  stilistischer  Aufgaben  bequem 
skizzirt  ist;  denn  dann  haben  die  Kinder  nichts  mehr  mit  dem  Finden 
Ycm  Gliederung  und  Gedanken  zu  thun,  sondern  ihre  Aufgabe  besteht 
blos  darin,  die  Schlagwörter  in  S&tzen  zusammenzuffigen.  —  Zu 
beachten  ist  auch  bei  der  Volksschule^  dass  man  die  Kinder  gewöhnt, 
über  die  Fonn  der  Sfttze  das  Ohr  mit  entscheiden  zu  lassen. 

Ein  schlechtes  Zeichen  für  eine  Oberclasse  ist  es,  wenn  die  Kinder, 
sobald  sie  einmal  mehr  selbstständig  arbeiten  sollen,  verlegen  an  den 
Federhaltern  kauen.  Der  Lehrer  freilich,  der  auch  sonst  nicht  die 
Kinder  an  ein  freies  Aussichherausgehen  und  zusammenhängendes 
Sprechen  gewöhnt,  wird  das  den  Stilübungen  gesteckte  Ziel  als 
zu  hoch  bezeiclinen.  Hildebrand  sagt:  „Reden  und  reden  und  \v'ieder 
reden,  und  reden  lassen  unermüdlich,  und  reden  von  Dingen,  die 
4m  Kind  völlig  fassen  kann,  ja  die  seine  stets  empfängliche  Seele 


Digitized  by  Google 


—   170  — 


gleichsam  voll  machen,  reden  auch  von  der  (testalt  und  Farbf,  die  in 
der  Kinderseele  sich  an  die  Weltdinge  von  selbst  rnisetzen.  und  das 
berichtigen:  das  allein  ist  der  rechte  Durchgang  zum  Schreiben:  das 
allein  ist  der  Boden,  aus  dem  ein  Stil  rrwaebsen  kann,  das  allein  der 
We?.  auf  (lein  am'li  die  huclideiitsclu^  S,\utax  aus  der  volksmaßisren. 
kindlichen  sich  heraus  entwickehi  läs^t.  Auf  dem  Wege  würde  aht-r 
mit  dem  Stile  zugleich  noch  vielmehr  mir  wachsen:  eine  fraiize.  trii?t:he, 
volle,  klare  Seele,  die  sich  und  die  Welt  am  rechten  Ende  anzufassen 
lernte."    A.  a.  0.  p.  76. 

Endlich  ist  noch  der  Unterricht  in  der  Sprachlehre  zu  um- 
grenzen. Die  Zahl  der  Pädagogen,  welche  die  Sprachlehre  ganz  und 
gar  aus  den  Unterrichtszweigen  der  Volksschule  ausgewiesen  haben 
wollen,  wild  zusammengeschmolzen  sein.  Früher  legten  die  \  erthei- 
diger  des  grammatischen  Unterrichts  in  der  Volksschule  viel  Gewicht 
auf  seine  fomalbfldnide  Kraft;  die  Gegner  aber  behaupteten,  es  bilde 
viel  mehr,  ftber  die  Sache»  den  Inhalt  nachzudenken,  als  über  die 
Sprachformen.  Diesem  Einmufe  kann  man  entgegenhalten,  dass  das 
Nachdenken  Ober  den  liilialt  durch  den  grammatischen  Unterricht  ja 
gai'  nicht  beseitigt  werden,  letzterer  auch  nicht  blos  die  Form  an 
sich,  sondern  diese  in  Bedehnng  zum  Inhalte  ins  Auge  fassen  soll; 
allein,  wie  schon  Mher  bemerkt,  ist  die  Frage^  ob  ein  Unterrichts- 
zweig fonnalbüdende  Kraft  habe  oder  nicht,  durchaus  nicht  entscheidend 
für  die  Aufnahme  desselben  in  denUnterrichtsorganismus  einer  Anstalt 
Es  kommt  in  vorliegendem  Falle  nur  darauf  an,  ob  die  Sprachlehre 
für  die  Vermittelung  des  Sprachverständnisses  und  der  Sprachfertig- 
keit ndthig  sei  Man  muss  dies  behaupten.  Es  ist  wahr.  Das  Yer^ 
stAndnis  eines  Lesestückes,  wie  es  in  der  Volksschule  zu  erzielen  ist, 
hängt  ab  theils  von  der  Bekanntschaft  mit  dem  Sprachmaterial,  den 
Worten,  theils  von  der  richtigen  Beziehung  derselben  aufeinander,  und 
es  ist"  zuzugeben,  dass  das  Verständnis  des  mit  einem  \\'orte  ver- 
bundenen BegiüTes  oder  in  Worten  ausgedrückten  Qedankeus  vor 
allem  ans  dem  übrigen  Untenichte  erwächst .  und  dass  man  die  Kinder 
zum  Verständnis  eines  Lesestückes,  der  Beziehung  der  Wörter  und 
Sätze  aufeinander  auch  ohne  grammatischen  Apparat  führen  kann;  aber 
jedenfalls  vermag  der  grammatische  Unterricht  \ielfach  das  \\*(»rt Ver- 
ständnis (Wortbildnntrslehreli  und  das  Aulfasseu  der  Bezieliuuir  von 
Sätzen  und  Wörtern  aufeinander  zu  erleichtern.  Vor  allem  aber  ist 
derselbe  uidhi^'  zur  Erzieluujr  eines  cnn-ceten  »chril't liehen  Ausdrucks. 
Es  ist  allerdiiiL's  riclitiii.  dass  dureh  Ht-ivicherung  des  Geistes  mit 
Gedanken,  durch  \  eriemerung  desseibeu  üüeihaupt,  duich  vieles  Leseu 


Digitized  by  Google 


—   171  — 


Sprechen  und  Schreiben  eine  grofte  Gewandtheit  im  Ansdmcke  ersielt 
werden  kann,  allein  das  so  angebildete  Sprachgefühl  -wird  doch  nicht 
Tor  spraehliehen  Fehlem  schützen,  am  wenigsten  bei  schiiftlicher 
DarsteUoDg  (Interpunction,  Bechtsehreibungl).  Nnn  hat  man  aber 
auch  hesonders  die  Volkssehnlyerhfiltnisse  ins  Ange  za  fassen.  Hier 
fiehlt  olfenhar  die  Zeit,  nm  die  Kinder  so  genftgend  za  ttben,  dass 
ihnen  das  Sprachgef&hl  allein  ein  sicherer  Führer  werden  konnte 
sodann  ist  nicht  za  Übersehen,  dass  der  Dialect,  den  das  Kind  aafier 
der  Schale  fortwShrend  h<(rt  and  spricht,  ehi  mächtiges  Hindernis 
für  die  feste  AngewChnqng  nenhochdeatscher  Formen  bildet  Die 
Gnunmatik  ist  also  beim  deutschen  Spmehontemchte  in  der  Volks- 
schale  onentbehrlicli,  aber  ft-eilich  kommt  es  zunächst  auf  die  rechte 
Ahsteckang  des  Zieles  und  rechte  Umgrenzong  des  Stoffes  an,  dann  ' 
aber  auch  auf  Einhalten  der  rechten  Grenzlinien  im  Unterrichtsver^ 
fahren  selbst.  Zweierlei  steht  sofort  fest:  Die  Gnunmatik  kann  in 
der  Volksschule  blos  eine  dienende  Stellung  einnehmen,  der  gi*amma- 
tische  Unterricht  hat  nur  das  zu  bieten,  was  unbedingt  nöthig  ist, 
um  das  angfecfebene  Ziel  des  deutschen  Sprach  nnterrichts,  Sprach  Ver- 
ständnis und  Sprachfertigkeit  in  (ier  gesptzt<'ii  Beschräukunir,  zu 
erreichen.  Sodann  k^m^^  es  sich  beim  l'^i  ;i;ii!iiatischen  Unterrichte 
durchaus  nicht  IpfÜfrlicli  um  Venuitii  Iuhl:  der  Kenntnis  von  ge^vissen 
SpracherschHiiiiin^'rii  vir.  handehi.  s  indern  um  Übung  in  der  richtigen 
Anwendung;  (iei>t;ll»en.  Also  wird  das  Ziel  des  ^rammatisohen  Unter- 
richts nicht  zu  eng  und  nicht  zu  weit  gesteckt  sein,  wenn  wir  safi:tin: 
er  hat  die  Kenntnis  der  8pracligesetze,  soweit  solche  zum  Ver- 
ständnis von  Gehörtem  oder  Gelesenem  oder  behufs  eines  riclitigen 
mündlichen  und  schriftlichen  Gedankenausdruckes  unbedingt  noth- 
wendig  ist,  zu  vermittehi  und  deren  fiebere  Anwendung  nitnidlich  und 
schriftlich  möglichst  zu  üben.  Vun  einem  tieferen  wissenschaftlichen  Ein- 
dringen in  den  Sprachbau  kann  gar  nicht  die  Rede  sein;  soweit  die 
Grammatik  lediglich  dem  formalen  Bilduugszwecke  dienen  wollte,  hat 
sie  kernen  Raam  in  der  Volksschnle;  wo  die  Ansbfldnng  des  Sprach- 
geOhls  für  richtigen  mündlichen  und  schrütlichen  Gedankenausdruck 
als  aasreichend  erscheint»  bedarf  man  nicht  des  grammatischen  Unter- 
richts. IHe  Unterscheidang  der  Wortarten  und  ihre  Anwendung  in  den 
wichtigsten  Formen  ist  für  Orthographie  und  Stil  nothwendig,  aber  da- 
mit hrancht  man  den  Kindern  der  Volksschale  nicht  etwa  fiber  die  ver- 
sdiiedeoe  Bedeatang  der  emzefaien  Casus  Erörterungen  za  geben,  die 
Unterscheidang  zwischen  starker  nnd  schwacher  Declbation,  starker, 
schwadier,  gemischter  Ooiyagation  etc.  zu  besprechen.  Nothwendig  ist 


Digitized  by  Google 


^   172  — 


sodann  selbstverstämllich  auch  die  Behandlung  der  Satzlehre,  nothwen- 
dig,  weil  sie  das  Verständnis  von  Sprachstucken  erleichtert,  das  von  Wort- 
arten vermittelt  und  allein  die  rechte  Sicherheit  in  der  Interpunction 
gibt;  aber  eben  nach  diesen  Oesielit^pnnkten  ist  aueh  das  Erforderliche 
aus  der  Satzlehre  auszuwählen.  Kndlieh  ist  auch  die  Wortl^ilduncrs- 
lehre  nach  ihren  wiciiti^sten  Punkten  zu  behandeln,  weil  sie  fnr  t\n< 
Wortverständnis  und  die  Keelitschri  ii  iniL^  wichtige  Dienste  i».i>i'  t. 
Auch  hierbei  ist  der  elementare  Standi^unkt  zu  bewahren.  Der  Lelir*i 
freilich,  welcher  mit  der  gt  ^chiehtlicheu  Kntwickelnng  unserer  Sprache 
so  vertraut  ist,  wie  Jlildebrand  es  wünscht,  und  sich  damit  zugleich 
eiuen  sciiarfeu  Blick  tnr  die  Mundart  und  iliren  Zusaramenhansr  mit  der 
hochdeutschen  Form  erworben  hat,  der  wird  in  den  genannten  Theilen 
der  Sprachlehre  manche  auch  tür  die  Kinder  dei*  \'oIks8chule  verständ- 
liche, lebeu-svoUe  Beziehungen  zwischen  Mundart  und  Hochdeutsch,  in 
einzelnen  Wortgestaltungen  wie  Redewendungen  hinter  der  auf  den 
ersten  Blick  gleichgiltigen  Form  den  Sprachgeist,  den  lebensvoUen 
Inhalt  aufdecken  können.  Es  ist  jedoch  nicht  von  einem  jeden  Volks- 
schnllehrer  eine  solche  Kenntnis  der  deutschen  SpmcfawiMischaft  za 
▼erlangen;  des  ist  aber  allerdings  von  ihm  n  forden,  dass  er  der 
Hondart,  die  ihn  nmgibt,  ein  achtsames  Ohr  schenkt  nnd  dass  er  sich 
von  solchen  Anregungen,  wie  de  Hildehrand  gibt  (S.  80  if),  er&ssen 
Uset,  nm  hinter  den  Formen  unserer  Sprache  den  webenden  Sprach- 
geist  zn  suchen. 

Was  nnn  das  Yer&hren  beim  grammatischen  Untemcht  anlangt, 
so  ist  man  ftber  den  wichtigsten  Sats,  von  der  Erscheinung  ausau- 
gehen,  das  Gesetz  finden  zn  lassen,  die  Anwendung  zn  fiben,  allent- 
halben einig;  ich  mOchte  nur  in  anderer  Hinsicht  einige  GrenzUnien 
ziehen,  die  mir  als  wichtig  erscheinen.  Es  gibt  zonAchst  Methodiker, 
welche  den  grammatischen  Unterricht  lediglich  an  das  Lesebuch,  an 
die  Fom  des  Lesestückes  anleimen  wollen.  Ich  halte  dies  deshalb 
nicht  ffir  z\('eckmäßig,  weU  die  Lesest&cke  in  dem  Lesebuche  nicht 
nach  grammatischen  Gesichtspunkten  zusammengestellt  sind  und  auch 
nicht  zusammengestellt  sein  dürfen,  und  weil  also  die  Auswahl  der- 
jenigen Stücke,  welche  die  zu  behandelnde  Spracherscheinnng  hin- 
reichend klar  hervortreten  lassen,  sehr  schwer  ist,  und  daim,  weil  der 
Lehrer  in  (lefahr  kommt,  die  grammatische  Zergliederung  auf  Lese- 
stücke anzuwenden,  die  sie  nicht  vertragen,  ohne  dass  die  Wirkun? 
aufs  Gemüth  ai)Lreschwächt  \\  ird,  sowie  die  sachliche  Besprechung  der 
grammatischen  nachzustellen.  St-lii-  viele  Lehrer  würden  an  dieser 
Ijüippe  scheitern.   Ich  halte  es  dahei*  lüi'  wünschenswert,  daäs  die 


üiyiiizeü  by  GoOgle 


—  173  — 

Kmdei-  einen  Leitfaden  in  den  Händen  haben,  der  ihnen  neben  Muster- 
sätzen, besonders  ausgewählten  Lei^estücken  auch  ÜbungsstofiF  bietet 
nn<l  (ÜH  LM'wonnenen  crammatischen  IN  frihi  :^u<Hmmenstellt.  Allein  zu 
weil  gegangen  wünU'  es  sein,  wenn  sich  ilt-r  Lelirer  .sclavisch  ans 
Sprachheit  hielte,  im  gramiruirist  Ix  ii  T^nterrichte  niemals  aul'  Form 
und  Inhalt  der  Lectttre  Rucksicht  nehmen  und  die  Kinder  blos  den 
jm  Sprachhefte  angegebenen  Übunjrsstoff  verarbeiten  laüsen  wollte. 
Das  Sprachheft  mag  dem  Lehrer  den  Gang  vorzeichnen;  gewöhnlich 
k.tiiii  er  auch  von  dem  daselbst  angegebenen  Musterstücke  ausgehen, 
er  wil  d  auch  öfters  den  Übungsstoflf  des  Heftes  mündlich  otler  schriftlich 
▼einarbeiten  lassen  kfinneu  —  gerade  für  die  häusliche  Arbeit  ist  auf 
den  Mittelstufen  eine  solche  Anlehnung  erwünscht;  aber  es  darf  die 
Beziehung  zur  Leetüre,  zum  flbrigen  Unterrichte  und  zum  Leben 
dmchaiis  nicht  Tetabsänmt  werden.  Der  grammatisclie  Untenicht  muss 
den  Gedankeninlult,  veleho'  dem  Kinde  in  den  fibrigea  Unterrichts- 
zweigen,  in  den  BeaGen,  in  der  Lectflre  geboten  wird,  sodann  im 
Leben  selbst  sich  entgegendrftngt,  in  seinen  Übungen  verarbeiten 
lassen;  letactere  nehmen  dann  die  Selbstthätigkeit  des  Kindes  mehr  in 
Ansprach,  und  die  geistige  Kraft  wird  concentrirt  (Zn  vergL:  Ein 
Einblick  in  die  Volksschnle  nnter  Beachtung  wichtiger  Zeitfragen  von 
OrtUlich.  Anhang.)  Was  die  LectQre  insbesondere  anlangt»  so  wird 
man  also  beim  grammatischen  Unterrichte  oft  den  Inhalt  benQtxen, 
nm  ihn  in  entsprechende  Form  gieflen  zu  lassen;  manchmal  werden 
sich  aber  auch  Muster s&tze  bieten,  die  man  ganz  gut  für  den  gram- 
matiscfaen  Zweck  auch  ihrer  Form  nach  verwenden  kann.  Selbstver- 
st&ndUch  hat  man  die  Grammatik  bei  Erklärung  eines  Lesestttckes  so 
weit  herbeizuziehen,  als  dies  zur  Vermittehing  des  Vei-ständnisses 
nöthig  ist.  Endlich  ist  es  zweckmäßig,  von  Zeit  zu  Zeit  ein  Lese- 
stück  überhaupt  nach  grammatischen  Gesichtspunkten  zu  betrachten, 
«ioestheils  deshalb,  um  die  Kinder  zn  prüfen,  inwieweit  sie  sich  in 
den  Spracherscheinungen  zurechtfinden,  anderntheils,  nm  ihnen  auch 
die  innere  Beziehung  zwischen  Sprachinhalt  und  Sprachform  zum  Be- 
wusstsein  zu  bringen.  Die  grammatische  Besprechung  eines  Lesestückes 
darf  sich  nicht  damit  begnügen.  Satzglieder,  Wortclassen  aufsuchen 
zu  lassen  (das  ist  das  irewölinliclic  langweilige  Verfahren),  sondem 
man  nuiss  sicli  bemiilien,  den  lundem  zum  Bewnsst<eiTi  zu  itringen, 
dass  gerade  die  Hinzufiigung  dieses  oder  jenes  Satzgliedes,  die  An- 
wendung ilieser  oder  jener  Form,  die  Znsamnienzieliung  von  Sätzen 
etc.  nöthig  nder  zweckmäßig  sei,  um  den  ( 'fhüiken  zum  guten  und 
correcten  AuäUiuoke  zu  'jringen.   Jedenfails  muss  den  Kindern  die 

12* 


Digitized  by  Google 


—   174  — 


Spraciilünn  immer  im  Dienste  eines  lebensvollen  Inlialts  erscheinen; 
in  dieser  Weise  ist  es  allerdings  mö<^lich,  ein  Lesestück^  z.  B.  ein 
Gedicht  grammatisch  zu  behandeln,  ohne  dass  man  zu  fürchten  braucht, 
es  werde  seine  Wirkunj^  auf  das  Gemüth  zerstört  oder  abgescliwäeht. 

Dass  als  drittes  Hauptfach  der  VoUcsschuh-  das  Rechnen  hinzn- 
treten  muss,  darüber  bedarf  es  kaum  eines  Wortes.    Die  (^rößtult  hre 
iüt  ein  Theil  der  Weltkuiide,  und  die  Fertigkeit  mi  Kechnen  ist  für 
jedermann  unentbehrlich  im  bürgerlichen  Verkehre  und  in  der  beruf- 
lichen Thätigkeit.  Damit  ist  aber  auch  zugleich  die  Grenze  des  Redien- 
Unterrichts,  sein  Ziel  für  dieVolksschule  bestimmt:  „Durch  den^hen- 
OBteixicht  aoUen  die  Kinder  daliingelnBelit  worden,  dass  flie  im  Stande 
sind,  die  Bedmungsaufgaben  des  gewObnlichen  bürgerliclien  Terkehis 
nnd  Lebens  mit  VerstSudniB,  Sicherheit  nnd  Fertigkeit  zn  lösen."  — 
Mehr  nnd  mehr  gewinnen  die  Thieme  und  Schlosaer'schen  Rechenhefte 
in  den  Scholen  unseres  Landes  Eingang,  nnd  ich  bin  anch  der  Ober- 
zengnng,  dass  sie  in  ihrem  Aafbaa  trefftich  angelegt  sind  nnd  die 
Grenzen,  welche  der  Volhsschnlnntemcht  eich  im  Rechnen  zu  ziehen 
hat,  richtig  ftingffhalten  haben;  insbesondere  ist  hervorzuheben,  dass  sie 
die  Bmchrechnung  von  unten  an  In  der  dn&chsten  Weise  unterbauen, 
und  dass  sie  das  der  Yolksscfaule,  anch  nach  Diesterw^,  fremdartige 
Verfahren,  nach  Flroportionen  zn  rechnen,  ausgewiesen  haben,  vielmehr 
die  Regeldetriao^saben  nach  dem  Schlüsse  über  die  Einheit  lösen 
lassen.   Die  Ansätze  bei  den  bOrgeriichen  Kechnungsarten  sind  von 
durchsichtiger  Klarheit;  mtlndliches  nnd  schriftliches  Rechnen  geht 
immer  Hand  in  Hand.  —  Nur  an  eine  Grenzlinie,  die  zu  beachten 
wichtig  ist,  möchte  ich  noch  erinnem.   £s  ist  ja  allgemein  bekannt, 
dass  Fragen  zunichst  an  die  ganze  Claase  zu  richten,  Aufgaben  dei* 
ganzen  Classe  zu  stellen  sind,  nicht  von  vornherein  blos  ein  Kind 
in  Thätigkeit  zu  setzen  ist.    Aber  gerade  beim  Rechenunten-ichte 
gerathen  sehr,  \iele  Lehrer  über  die  rechte  Grenze  hinaus  und  in  den 
Fehler,  dass  sie  zuletzt  blos  diejenifren  Kinder  die  Aufgaben  vorrechnen 
lassen,  welche  sich  durch  Emporlialt'n  der  Hand  L'-meldet  nnd  die 
Lösung  richtis:  g'egeben   liaben.     Kine  Keihe   Kinder  sinken  bei 
diesem  Vertalirpii  nacli  und  nach  in  volle  Theilnahmlosigkeit  und 
Untliätigkeil.   Gerade  beim  Rechenunterrichte  imiss  der  Lelirer  darauf 
lialten.  dass  jedes  Kind  zur  'rhäti^jfkeit  herl/ei^>'/oi;en  werde;  es  geht 
auch  oft  <:auz  leicht  an,  die  Lösung  einer  Aufgabe  aul  mehrere  Kinder 
zu  vertheilen. 

An  das  Kechnen  schließt  sich  der  geometrische  Unterricht. 
Da»  sächsische  Volksschulgesetz  hat  diesen  Zweig  in  den  Unterrichts- 


Digitizeü  by  Google 


—   175  — 

organisniiis  der  Volksscbale  aafgenommen  und  bestimmt  sem  Zid  in 
folgender  Weise:  „Der  Unterricht  in  der  Formenlehre  hat  die  ftlr  des 
gewöhnliche  Leben  nOfhige  Kenntnis  rSnmlicher  C^rOfien  sowie  einige 
Fertigkeit  im  Constmiren  nnd  Berechnen  derselben  sn  vermitteln.  Er 
hat  in  anschaolich  entwickelnder  Weise  die  Linien  nnd  Winkel,  die 
gradlinigen  ebenen  Figuren,  deq  Kreis  nnd  die  bekanntesten  KOrper 
unter  Ausschluss  wissenscbafUidier  Beweise  zu  hehsndeln."  —  Es 
fragt  sieh  nnn,  ob  der  geometxische  Unterricht,  in-  der  angegebenen 
Ziel-  nnd  StoflFbeschzftnknng,  mit  Becht  nnter  die  Unterrichtssweige 
der  Volksschnle  aaiig;enommen  worden  ist  Grflfe,  der  die  Heranbil- 
dang  der  Jugend  zn  Gottesfurcht,  bürgerlichem  Gemeingeist  nnd  prak- 
tischem Sinne  als  den  Zweck  der  Volksschnle  hinstellt,  sagt  über 
das  letztgenannte  Ziel:  „Der  praktiBche  Sinn,  wie  er  in  der  Schule 
angeregt  and  gebildet  werden  soll,  bezieht  aich  auf  das,  was  alle 
b&rgerlichen  Berafe  mit  einander  gemein  haben,  und  zeigt  sich  in  der 
Neigung  zu  praktischen  Beschäfti^nn^en  und  in  der  Befähigung,  nicht 
nor  allgemeine  Kenntnisse  mit  Leichtigkeit  anf  praktische  Gegenstttnde 
anzuwenden,  sondern  auch  über  die  gewöhnlichen  Erscheinungen  im 
Leben  überhaupt  richtig  zu  urtheilen.  Alle  Berufsthätigkeit  im  all- 
gemeinen gi'iindet  sicli  aber  auf  mathemalische  und  naturkundliche 
Kenntnisse,  die  zugleich  in  den  Stand  s»'tzpn,  pine  richtige  Ansicht 
über  viele  alltägliche  Kr.scheinungen  und  Veriuiltnisse  im  Leben  zu 
gewinnen.  imA  auf  die  Fertigkeiten  des  Schreibens  und  Zeichnens." 
Über  dir  (ieiuiietrie  Ha<rt  er  dann  Fnlo^endes:  „Nur  in  wenigen 
Volksi>cliulen  lindet  sich  die  Raumgrößeiiltlire  oder  die  Geometrie  ah» 
Unterricht scre^enstand  eingeführt.  Und  doch  ist  dieser  Theil  der 
Mathemaiik  nicht  allein  geistbildend  und  bei  angemessener  Behandlung 
für  die  Schüler  anziehend,  sondern  auch  für  das  praktische  Leben 
im  allgemeinen  und  für  gewisse  Berufsarten  insbesondere  ao 
wichtig.  Deshalb  rechnen  wir  ihn  zu  den  wesentlichen  Lehrgegen- 
ständen  in  der  Volksschule.  Durch  ihn  soll  der  Foruiensinn  der 
Schüler  gebildet,  die  richtige  Beurtheüung  vieler  Dinge  in  der  Natur 
und  im  Leben  erleichtert,  Gewerbe  und  Künste  gefördert,  der  Schüler 
geistig  gebildet  und  für  das  Leben  um  so  brauchbarer  werden."  Uan 
hat  Gräfe  beizustimmen.  Soll  die  Tolkssehalei'rffin  Verständnis  fttr 
die  Natur,  filr  die  rftumliehen  Dinge  überhaupt  (auch  einen  Sinn  ftlr 
die  Gtotaltnngen  der  Kunst,  die  uns  Gebilde  allerorten  vor  das  Ange 
stellt)  anbahnen,  so  hat  die  BaumgrOßenlehre,  die  sich  mit  Krhellung 
der  Banmobjecte  nach  Form  nnd  GrOße,  mit  ihrer  Sch&tzong,  Messung, 
Berechnnng,  Constmetion  besehSltigt,  die  den  Süin  für  regelm&Sige 


Digitized  by  Google 


—    176  — 


Fonnea  aiubildet»  gewiss  in  dem  ünterrichtaorgiuiisiniiB  der  Volks- 
schide  einen  Platz  zu  linden.  Noch  meiir  lenehtet  dies  ein,  wenn  wir 
uns  daran  erinnern»  dass  die  Volksschnle  die  Gmndlageii  legen  soll 
iUr  die  Terscbiedenen  Berufe;  denn  es  bedarf  keiner  weiteren  Ans- 
einandersetsong,  dass  eine  ganze  Beihe  Ton  Berufen  geometrische 
Kfniitnisse,  die  Fertigkeit  im  Abmessen,  Schätzen,  Berechnen  von 
Fläclitn.  Körpern,  im  Construiren  mit  Lineal  and  Zirkel,  alle  den 
Sinn  für  Accuratesse  und  Sauberkeit,  den  der  recht  ertheilte  geome- 
trische Unterricht  zugleich  mit  aosbUdet»  QOtbwendig  brauchen.  Neben- 
bei m5ge  noch  darauf  hingewiesen  werden,  dass  eine  Reihe  geome> 
trischer  Begriffe  (Fläche,  Linie,  Winkel,  Quadrat,  Kreis,  Centrura  etc.) 
in  dem  «rewöhnlichen  Verkehre  häufis:  vorkommen,  und  dann,  dass  die 
Kenntnis  solcher  den  Kindern  auch  bei  anderen  Unterrichtszweiffen 
der  Volksschule  zu  statten  kommt;  endlich,  dass  der  geometrisclie 
Unterricht  besonders  dem  Zeichenunterrichte  eine  unterstützende  Hand 
zu  reichen  vermag.  So  kann  es  keinen  Zweifel  unterliegen,  dass  der 
geometrische  Unterricht  der  Volksschule  zugehörig-  ist,  aber  freilich 
blos  in  der  oben  angegebenen  Beschränkung  nach  Ziel  St<<tf  und 
Behandlun<>:.  Sehr  viele  Lehrer  richten  sich  nach  der  „Ueonieirie  der 
Volksischule''  von  Pickel  (tlir  Lehrer  —  Eisenach,  Bacmeisterj,  aber 
unter  Beschränkung  auf  das  Minimum,  mit  Ausscheidung  dessen,  was 
nach  dem  Vorworte  für  einfache  Volksschulverhältnisse  überschlagen 
werden  kann.  Eine  elementar-anschauliche  Behandlunc^sweise  ist  von 
Pickel  consequent  durchgeführt;  der  Lehrer  wird  allenthalben  gemahnt, 
die  Selbstthätigkeit  der  Kinder  im  Beobachten,  Messen,  Schätzen,  Con- 
struiren, Berechnen  in  Anspruch  zu  nehmen;  die  Aufgaben  sind  prak- 
tischer Art  Wenn  der  Lehrer  anfierdon  noch  Kehn  Geometrie  mH 
benntst»  so  kann  er  gewiss  den  Kindern  der  Volksschnle  einen  Ünter^ 
rieht  eräieilen,  der  Interesse  weckt  und  g&nstige  Erfolge  erzielt.*) 
Leider  liegen  nnn  aber  die  YerfaUtoisse  in  vielen  einihchen  YoUes- 
schnlen  so»  dass  das  dem  geometrischen  Unterrichte  gesteckte  Ziel 
Immer  noch  in  hoch  ist  Die  Lösung  von  Constnietionsaa^ben,  das 
Umgefaenlemen  mit  Ziricel  und  Linesl  ist  gewiss  eine  ganz  wichtige 
Seite  des  geometrischen  ITntemchts»  allein  es  ist  an  manchen  Orten 
wegen  Armftt  der  Eltern  nicht  mO^^,  die  Beschaffiing  von  Winkel 
und  Zirkel  Ar  die  Hand  jedes  Kindes  durchzusetzen.  Dann  bleibt 
nichts  flbrig,  als  wenigstens  an  der  WandtaM  die  Kinder  fleifiig  mit 


Eben  ist  enehieiieii:  „Gttoiii«trie  für  dmftcbe  Yclkttclnileii^  toh  Hittenzwey 
(40  Pt      Leipag,  JuUns  KlinklMidC). 


Digitized  by  Google 


—   177  -~ 


Zirkel  und  Lineal,  bez.  Winkel  umgehen  zn  lassen;  aber  das  Ziel  für 
den  geometrischen  Unterricht  wird  doch  nicht  in  solcher  Weise  er- 
reicht, wie  es  sein  möchte.  An  anderen  Schulen  (2  cl.,  3  cL,  in  denen 
blos  1  Lehrer  wirkt)  ist  es  nnm?^«:!ieh,  für  den  g-eometrischen  Uiiter- 
richt  eiiie  besondere  Lectiou  anzusetzen.  Dann  bleibt  kein  anderer 
Ausweg-  übrig,  als  beim  Zeichenuntenichte  den  Kindern  die  Kenntnis 
irertmetriscUer  Gebilde  fljinie,  Winkel.  Zirkel)  nebenbei  zu  vermitteln 
und  lachen-  und  Kürperberechnungeu  wie  es  in  den  Thieme-  und 
Sehl osserschen Heften  g:eschieht,  an  den  Rechenunterricht  anzusclii  «  lit  n. 
Dies»  ist  ein  Nothstand;  allein  wenn  blos  3  Stunden  liir  den  Rechen- 
unterricht  wöchentlich  verfügbar  sind,  kann  nicht  1  Stunde  davon  ganz 
für  den  geometrischen  Unterricht  verwendet  werden. 

Au  vierte  Stelle  setze  ich  den  Gesaugunterricht,  nicht  die 
Realien.  Der  rechte  Gej^angunterricht  vermag  eine  weit  tiefere  Ein- 
wirkung auf  die  Veredlung  des  Volksgeinüths  und  Volkslebens  auszu- 
üben als  die  Realien.  Ei-  dient,  ganz  abgesehen  von  seiner  hygienischen 
Bedeutung,  der  Idee  der  Volksschule  ganz  besondere;  er  ist  flir  die 
Pflege  der  Religiosität,  des  Gemeingeistes  und  für  die  edle,  gemüth- 
volle  und  stniuge  Auffassung  der  Natur  von  aafierordentliGher  Bedea- 
tnng;  gerade  im  Geaange  luan  der  Unterricht  leichter  als  in  einem 
«ndmn  die  Tiefen  deB  Gemüths,  den  Kern  des  Menschen  er&asen; 
in  Ihm  wird  einer  edlen  Doppehnacht,  der  Poesie  nnd  Musik,  der  Weg 
auch  in  die  Niederongen  des  Volkes  erOffiiet)  um  die  Gemeinheit  nnd 
Hoheit  in  Gesinnung  und  Wort  za  vertreihen.  Oben  ist  schon  darauf 
hingewieeen  worden,  dass  der  Gesangunterricht  auch  wichtige  Dienste 
zur  Bildung  und  Verfeinerung  der  Aussprache  zu  leisten  Termag. 

Die  Volksschule  hat  unzwelfeihaft  die  Verpflichtung,  im  Volke 
einen  wahrhaften  Lehensgesang,  ehien  kirchlichen  und  volksthtlmlichen,  zn 
eneugen.  Daza  gehört,  dass  der  Gesang  hi  den  Bäumen  der  Volksschule 
nicht  Terklinge,  sondern  dass  ihn  die  Kinder  nutndunen  ins  Leben,  ins 
Hans,  in  die  Küche,  in  Freud  nnd  Leid,  zur  Arbeit  wie  zur  Erholung; 
dazu  gehört,  dass  sich  die  Kinder  nicht  blos  einen  Schatz  Ton  Cho- 
rälen, Kirchen-  und  Volksliedern  für  die  Dauer  eingeprägt,  sondern 
auch  die  Fähigkeit  und  den  Sinn  erlangt  haben,  sich  neue  gute  Lieder 
anzuejgnOL  Wenn  der  Ge>!angunterricht  der  Volksschule  nicht  Lust  und 
Liebe  zum  Singen  nnd  damit  einen  empfänglichen  Sinn  füi*  die  Kunst 
der  Töne  überhaupt  zu  wirken  versteht,  so  hat  er  sein  Ziel  nicht  ei  - 
reicht.  Es  ist  deshalb  als  Aufgabe  des  Gesangunterrichts  in  der  \'olks- 
schule  zu  bestimmen ,  einen  fönten  kirchlichen  und  volksthinn liehen 
Lebensgesaug  zu  erzeugen,  damit  zugleich  religiösen  Sinn,  die  Liebe  zum 


Digitized  by  Google 


—  178  — 


Vaterlaiule,  die  Fi-eade  an  edler  Geselligkeit  und  an  der  Natur  zu  pfleg-en. 
und  die  Fälligkeit,  neue  Lieder  sich  anzueignen,  den  Kindern  zu  vermitteln. 

Dies  das  Ziel.  Manche  Lelirer  stecken  es  sich  freilich  niedriger 
oder  verfalireu  wenigstens  so,  dass  von  einer  Erreichung  jenes  Zieles 
nicht  die  Rede  sein  kann.  Falsch  ist  es,  wenn  nicht  gleich  vom 
Schuleiiitiitt  des  bjährigen  Kindes  an  der  Opsangunterrichi  seine 
besonderen  luilbstündigenl  Lei  ti  ^iHn  erhält,  soudeni  iilu*  gelegentlich, 
in  Verbindung  mit  dem  Anschauungsunterrichte,  einige  Liedchen  ge- 
lernt werden;  gerade  die  ersten  Schuljahre  sind,  wie  tüchtige  Gesang- 
lehrer bezeugen,  für  die  Entwickelung  des  Tonsinnes  von  höchster 
Bedeutung.  Wenn  sich  sudann  Lehrer  mit  bloßem  Liedersingen  be- 
gnügen, also  nicht  neben  dem  Liedercursus  einen  systi  Uiaiischen  Übungs- 
cursus  von  Aiilaug  au  ciuheigchen  lassen,  so  werden  sie  die  Kinder 
nie  zu  einem  reinen  und  guten  Gesänge  bringen.  Der  systematische 
Cursus  soll  durch  dynamische,  rhythmische,  melodische  L^ungen  nach 
einem  festen  Stufengange  einesthetls  „eine  gewisse  Einsicht  ins  Ton- 
wesen,  das  Auffassen  von  Tonverh&ltnissen,  das  Festhalten  und  Wieder- 
geben deraelben**  üben,  das  GtMr  yerfeineni,  die  Stimme  bUden,  den 
Ton  veredehi,  andemtheüs  die  Kinder  aneh  in  die  Notenspnehe  ein- 
führen, damit  der  Geeangonterricht  in  seiner  Arbeit  erleichtert  und 
das  Kind  befiUugt  verde,  sich  spätor,  nach  der  Schale,  nene  Lieder 
anzueignen.  Schütze,  Lohse  und  viele  andere  ICethodiker  fordern 
diese  sp^stematischen  Übongen  unbedingt;  sie  weisen  andi  nach,  dass 
es  lüsch  sein  .vfirde,  den  systematisdien  Corsas  nicht  gieidi  mit  den 
6j8hxigen  Kindern  zn  begümen,  sich  liier  Uos  auf  das  Gehörsingen 
von  Liedern  zu  beschrfinken.  IHe  Melodien  der  meisten  Kinderiieder 
Ugen  hl  yerschiedenflü  Stimmrcgistem,  die  besonderer  Ansbfldnng  be- 
dürften;  die  Kinder  Terf&gten  in  diesem  Alter  noch  ttber  einen  geringen 
Tonumfang;  derselbe  mfksse  systematisch  erweitert  werden  —  der  Ton 
der  Stimme,  wenn  diese  auch  gesund  sei,  bedürfe  einer  regelrechten  Aus- 
bildung; es  sei  nicht  möglich,  beim  Liedersingen  den  Kindern  zugleich 
den  Rhythmus  mit  fassbar,  auf  Athmnng,  Mnndstellung  etc.  anfinerksam 
zn  machen.  Von  Schütze  (Ev.  Schulkunde),  Lohse,  (Der  Gesangunterricht 
in  der  Seminarschule  zu  Plauen),  Brähmig  (Kleine  praktische  Gesang- 
schule), Göthe  (Gesangschule).  Hauer  (Acapella-Gesang)  u.  a.  sind  ange- 
messene systcmatischeÜbungen  zusammengestellt.  Ferner  siiid  (üf  Tielu'er, 
welche  die  Kinder  blos  im  Chore  singen  lassen,  den  Einzelgesang  nicht 
pflegen,  auf  einem  Irrwege;  sie  lassen  sich  dadurch,  dass  ih'v  (Tior- 
gesang  wenigstens  leidlich  L'-eht.  in  eine  Täuschung  ü'>pr  den  eigent- 
lichen Stand  der  Classe  einwiegen.  Lässt  man  die  Kinder  dann  einzeln 


Digitized  by  Google 


—    179  — 


amgen,  sa  treten  UftgHche  Besnltate  sm  Tage;  eine  Beihe  von 
Kindern  liaben  sich  der  Melodien  nidit  bemftclitigt»  zeigen  weder  Gehör 
noch  Stimme.  Ein  Lehrer,  dar  den  CSiorgeeang  nicht  anf  die  Pflege  des 
Einzelgesanges  stfltst,  bedenkt  nicht,  dass  doch  der  Chorgeaang  nicht 
gat  klingen  kann,  wenn  die  einzelnen  sdilecht  singen,  nnd  er  erwSgt 
nicht«  dass  jedes  einzelne  Sind  den  Gesang,  einen  liederschatz  mit  in 
Sehl  Leben  hinaoanehmen  solL  Endlich  zieht  sich  ancb  der  Lehrer, 
welcher  verabsftnmt»  die  schönsten  Lieder  nach  Text  nnd  Melodie  ein- 
zuprägen, seine  Aufgabe  beim  Gesangunteirichte  zu  eng;  wenn  die 
Kinder  blos  ans  dem  Liederbuche  singen  oder  blos  die  erste  Strophe 
gdent  haben,  so  ist  es  nichts  mit  dem  Lebensgesange,  dw  erzeugt 
werden  solL 

Für  die  sächsischen  Schulen  sind,  ebenso  wie  die  zu  lernenden 
Kirchenlieder  (22)  die  Choralmelodien  (35)  vorgeschrieben.  Die  Aus- 
wahl und  Begrenzung  ist  gut,  zu  wünschen  ist,  dass,  nm  den  Kirchen- 
liederschatz im  Volke  zu  e/halten,  beim  Gottesdienste  öfters  gerade 
die  Lieder,  welche  die  Volksschule  auch  nach  dem  Texte  eingeprägt 
hat,  gesungen  werden.  —  Kür  das  Volkslied  gibt  es  eine  Reihe  vor- 
treflflichei-  Sammlungen,  z.  B.  flas  „Löbauer  Liederbuch"  (2  Hefte, 
erschienen  bei  Schlimpert  in  Meißen),  Göthes  Gesangschule  (in  8  und 
in  2  Heften)  etc.  — 

Leider  können  für  den  Gesangnnterricht  nicht  in  jeder  Classe 
2  Stunden  wöchentlich  gewonnen  werrleti;  er  ninss  sich  meist  auf 
1  Stunde  beschi-änken,  wozu  ailerdüigs  der  Erottuungs-  und  Schluss- 
gesang beim  Unterrichte  noch  hinzutritt.  Es  ist  aber  sehr  anzuer- 
kennen, dass  es  viele  Lehrer  gibt,  die  freiwillig  ihre  Kinder  nocli 
außer  der  Schulzeit  zusammenrufen,  um  mit  ihnen  zu  singen,  und  die 
Kinder  kommeu  gern;  sie  singen  niit  Lust  Ich  habe  eine  Reihe 
Schulen  (besonders  in  der  Südlausitz),  die  Treffliches  leisten,  neben 
anderen,  in  denen  der  Gesang  nicht  befiiedigt;  die  Schuld  liegt  weniger 
an  der  Begabung  der  Kinder,  als  am  Lehrer.  Eine  wahre  Freude  ist 
es,  wenn  man  des  Abends  dnrcb  ein  Dorf  geht  nnd  die  Kinder  yor 
den  Thftren  singen  hört,  oder  dort  auf  dem  Teiche,  wo  sie  das  Ver- 
gnügen des  SchÜttschulifUurens  unterbrechen,  nm  einen  hflbschen  zwei- 
stimmigen Gesang  ertönen  zu  lassen.  Diese  Freude  habe  ich  öfters 
empfanden,  nnd  ich  habe  dem  braven  Lehrer  dafür  gedankt.  Das 
oben  angegebene  Ziel  f&r  den  Gesangnnterridit  ist  Ihm  nicht  zu  hoch 
gewesen. 

Mit  den  bisher  genannten  Fächern  haben  wir  die  Grenze  der 
Unteirichtszweige  der  Volksschule  noch  nicht  erreicht  Wir  mflssen 


Digitized  by  Google 


—   180  — 


zunächst  noch  Geographie,  Geschichte  und  Naturkunde  in  die 
Einfriedigung  hereinnehmen.  Mit  denjenigen,  welche  meinen,  diese 
Zweig'«  würden  schon  beim  Leseunterrichte  jrenÜKeiul  mit  behandelt 
werden  können,  brauclicn  wir  uns  nicht  des  Weiteren  mehr  ausein- 
anderzusetzen. Das  Lesebuch  hat  andere  Zwecke  als  einen  Leit- 
faden tiir  die  genannten  Unte?  T-ichtszAV'ei«?e  abzntre^'i  ii,  und  jedes  der- 
selben verlangt  seine  besondere  Methode,  weuu  ein  Erfolg  ei^zielt 
werden  soll. 

Die  Basis,  auf  der  sich  der  Unteniciit  in  den  Realien  aufbauen 
soU,  lijt  der  sogenaiititt  Ausi'hauungsuuterricht.  Wenn  man  den  letz- 
teren in  eine  solche  Beziehung  zu  den  Ri*alien  setzt,  so  denkt  man 
an  den  Stoff,  welchen  der  Anschanunj^unterricht  zu  behandeln  hat, 
daran,  das^»  er  Anschauungen,  d.  h.  klare  VorsteUuny:en  von  räum- 
lichen oder  zeitlichen  Objectcn,  Dingen  oder  Begebenheiten  zu  ver- 
mitteln hat.  Erwägt  man  aber,  dass  der  Anschauungsunterricht  fÖr 
die  Anschauung  den  Kindern  anch  das  rechte  Wort  geben,  im  An- 
schluss  au  die  räomliclieii  und  leitlidMB  Objeete  die  Sprache  der  Kin- 
der bilden  und  entfesaela  80II,  nnd  dass  dies  dnrehani  nicht  Uoe  als 
ein  Nebenzweck  aofgefasst  werden  daz^  so  erkennt  man,  dass  der 
AnschannngsuiteiTicht  aaeh  mit  dem  Sprachunterricht  in  der  imdgstea 
Verbindung  steht  £s  würde  deshalb  eine  emseitige  Anl&ssnng  des 
Anschanangsnnterrichtes  sein,  wenn  man  ihn  den  Realien  oder  dem 
deutschen  Sprachimterriehte  allein  —  als  Basis  oder  Wonel  —  zor 
weisen  woUte.  Man-  konnte  andi  noch  hinzoAgen,  dass  im  Worte 
und  Begriffe  „Anschanmig'*  der  Hinweis  auf  die  Bedeatnng  des  An- 
sebaanngsmiterrichts  iOr  die  Entwickelmig  der  Sinne  deutlich  sa  er* 
kennen  sei,  und  dass  bei  rechter  Auswahl  und  Behandlung  der  An- 
schauungen unzweifelhaft  anch  gemftthbildend  anf  die  Kinder  einge- 
wirkt werden  könne.  Diese  vielseitige  Aufgabe  des  Anschauungs- 
unteiTichts  lässt  sich  mit  seinem  Namen,  der  allerdings  an  Unbestimmt- 
heit leidet,  decken;  aber  mit  dieser  Darlegung  ist  die  Nothwendigkeit 
des  Anschauungsunterrichts  f&r  die  Volksschule  nicht  erwiesen.  Diese 
gabt  aus  folgenden  Erwägungen  hervor.  Unzweifelhaft  hat  der  Volks- 
schulunterricht an  den  geistigen  Standponkt»  den  die  in  die  Schule 
eintretenden  Kinder  in  der  Regel  einnehmen,  mit  seiner  Arbeit  anzu- 
knüpfen. Das  ganze  geistige  Leben  des  Menschen  kommt  bekanntlich 
im  Verkehr  mit  der  Außenwelt,  die  durch  die  Canäle  der  Sinne  in 
seine  Seele  einzudringen  versucht,  in  Khiss.  Da  kann  es  nun  keinem 
Zweifel  unterliegen,  dass  beim  Hjährigeu  Kinde  dieser  Vfrk»  Ur  schon 
äußerst  lebhaft  gewesen  ist;  es  hat  viele  Wahmehmongeu  iu  seiner 


Digitized  by  Google 


—   181  — 

Uagebmig,  in  Hans,  Garten,  Feld  etc.  gemacht;  aUein  zum  großen 
Thefle  sind  diesellieii  UDklar,  verwisclit  nnd  nicht  tief  haftend,  beson- 
ders dann  nicht,  wenn  sich  das  Haus  wenig  oder  gar  keine  ICtthe 
gegeben  hat,  die  Wahraehmongen  den  Kindern  zu  Anschauungen  zn- 
sammenznfllgen.  Es  miiss  demnacli  als  durchaus  richtig  und  natur- 
gemäß erscheinen,  dass  die  Volksschule,  ehe  sie  in  die  Welte  schrei^ 
tet,  an  die  Vei*säumnls  des  Hauses  anknOpft»  sich  niülit,  die  Eindrücke, 
welche  das  Kind  yon  seiner  Umgebung  schon  empfangen  hat,  zu  sich- 
ten, die  Wahmehmnngeil  stn  klären  und 'zu  Anscbauunofen  zu  js:estalten 
—  also  Anschauungsunterricht!  Der  Volksschulunterricht  wird 
nun  selbstverstilndlicli  nicht  dabei  stehen  bleiben  kennen,  blos  solche 
Objecte  zu  behandein,  die  das  Kind  schon  walirn:enümmen  hat,  sondern 
er  hat  sich  seinen  Stoff  überhaupt  aus  dem  Anschauunp-skrcise  des 
Kindes,  ans  dem  Kreise,  der  seinen  Sinnen  nahe  liegt,  also  aus  Haus, 
Garten,  Feld,  Wiese,  Wahl  auszuwählen.  Der  Anschauun^'-sunterricht 
ist  also  deshalb  sdion  berechtig',  weil  es  g-anz  richtifj;  ist.  die  erste 
EntwickeliniL'-  de>  Lt  i stiren  Lebens  der  Kinder  dnrch  Vermittelung 
entsprechemh-r  Anscliauun^^en  aus  ilirer  Umgebung  zu  f()rdern.  Darin 
liegt  des  Anscliauungsunterrielits  erste  Aufgabe,  und  el)en  deshalb, 
Weil  er  seinen  Stoff  aus  der  Unip:ebung  des  Kindes  nimmt,  aus  der 
Xator,  aus  dem  heimatkundlichen  Gebiete,  aus  dem  Leben  im  Hause  etc., 
bereitet  er  zugleich  den  Realnnterricht  vor.  -  Geistige  und  sprach- 
üche  Entwickelung  hängt  al)er  untrennbai  zLi>ammen;  nicht  blos  durch 
den  Standpunkt  der  Kinder,  welchen  sie  in  Bezug  auf  den  Denkinhalt 
einnelimen,  wird  die  Nothwendigkeit  des  Anschauungsunterrichts  bo- 
grilndet,  sondern  auch  doi'ch  den  in  sprachlicher  Hinsicht  Wer 
oft  Gelegenheit  gehabt  hat,  in  Landsdinlai  eben  anilBrenommene  Kin- 
der zn  beobachten,  der  wird  nicht  blos  erkennen,  wie  viele  von  den 
tagtäglichen  Erscheinungen  nnbeobechtet  an  ihnen  vorfibergegangen 
sind,  sondern  anch,  wie  weit  sie  in  ihrer  sprachlichen  Entwickelung 
znriteksteheD,  wie  ihnen  oft  das  rechte  Wort  für  die  Oly'ecte  der  Um- 
gebung fehlt,  oder  wie  sie  mit  ihm  keinen  rechten  Inhalt  verbinden. 
Dorf  nnd  Dorf  ist  allerdings  hierin  anch  verschieden;  in  Fabrikdöiv 
fem,  wo  Vater,  Mntter,  die  älteren  Geschwister  in  die  Fabrik  gehen 
nnd  die  jingeren  Sinder  fiut  ganz  sich  selber  überlassen  sind,  ist  es 
nicht  zn  verwnndein,  wenn  die  Schale  die  Kinder  anch  hl  sprachlicher 
Hinsicht  auf  einon  sehr  tiefen  Standpunkte  findet.  Noch  ist  zn  er- 
wflgen,  dass  die  Kinder  meist  den  Dialect  mit  in  die  Schule  bringent 
also  auch  noch  nicht  für  die  Unterrichtssprache  reif  sind.  Woran 
knttpft  sich  nun  aber  die  erste  Sprachentwickelnng?  Doch  an  die 


L/iyiii^ü<j  by  Google 


—   182  — 


Umgebniig  des  Kindes;  also  Ansehaamigeii  za  vennittebi  und  mit 
ihnen  das  rechte  Wort  za  yerbinden  —  das  ist  natsrgemftft  —  des- 
halb Anschannngsnnterrichtl  Er  hat  die  erste  ^^ra4sh]idie  ESnt- 
vickelnng  des  Kindes  im  Änsddnss  an  entsprechende  Anachannngen 
zn  ßrdenL  Dass  ist  die  zweite  Hanptan^^abe  des  Anschannngs- 
Unterrichts;  dnrch  LSanng  dersdben  steht  er  auf  dem  Gebiete  des 
deutschen  Sprachnnterrichts  and  macht  die  Kinder  itberhaupt  für  alle 
sonstigen  Zweige  onterrichtsfähig.  —  Dass  nnn  der  Anschannngs- 
nnterricht  auch  die  Sinne,  die  Beobachtungsgabe  auszubilden  vermag 
und  auch  ausbilden  soll,  ist  selbstverständlich,  wie  es  auch  keiner 
weiteren  Auseinandersetzung  bedarf,  dass  er  eine  gemüthbildende  \^'fr 
knng  auf  das  Kind  auszuüben  vermag  und  deshalb  auch  ansftben  soü 
So  hätten  wir  die  Berechtigung  des  Anschauungsunterrichts  in 
der  Volksschule  nacli^e^nesen  imd  sein  Ziel  umgrenzt.  Aber  freilich 
ist  es  hier  aucii  notliig,  Grenzlinien  hinsichtlich  der  Stoff  aus  wähl 
und  Stoffbehaiidlnng  zu  ziehen.  Eine  ir-nize  Reihe  Methodiker  des 
Klemeutarunter! irlits  schreiben  über  ihre  i?lbein  ^Vereinigter  An- 
srlianuns's-.  SrluvMl-,  LMSh^-Cnterricht."  Ich  kann  inif]!.  wie  schon 
friiher  Iteiiicrkt,  inii  ciiiei-  ^  tlriion  Ziisamnipnschweißunf^  des  Anschau- 
ungsunterrichts  mit  dem  ersten  LeseiiiüeiTichte  diin-liaus  nicht  be- 
freunden; ich  liabe  anch  bis  j^tzt  keine  Fibel  grefiimien,  der  es  ge- 
lungen wiire,  in  'ihrfu  Nurnuilu  ortern  oder  den  durch  Bilder  dar- 
gestellten Gegenständen  einen  Gang  aufzustellen,  der  dein  eines  rech- 
ten Anschauungsnnterrichls  entspräche.  Da  springen  sie  von  Hut  zu 
Bett,  von  Tisch  zu  Ofen,  von  Esse  zu  liose,  von  Rose  zu  Rad,  von 
Rad  zu  Haus  etc.,  oder  von  ^lühle  zu  Säge,  von  Säge  zu  Rose,  von 
Eose  zu  Vogel,  von  Vogel  zu  Wagen  etc.,  von  Theilvorstelhiug  zur 
Gesammtvorstellung;  während  der  Behandlung  dieser  Gegenstände 
vergeht  die  Frühlingszeit  mit  ihrem  Leben  in  Garten,  Wiese  und 
Feld,  mit  ihren  Anscfaaunngen,  die  dem  Kinde,  das  sich  jetzt  am  lieb- 
sten dranlten  nmhertummelt,  ikü  Interessanter  sind  als  der  Hnt  oder 
die  Säge.  —  Einleitmigsweise  bat  man  die  Kinder  mit  der  Schule 
und  ihren  Gegenständen,  die  gerade  fBr  sie  schon  wichtig  werden, 
bekannt  zu  machen,  aber  damit  sich  recht  kurz  zn  ihssen;  dann  aber 
schnell  hinaus  in  den  Garton,  auf  Wiese  und  Feld,  um  einzelne  Blu- 
men, Thiere,  den  Gfirtner,  den  Landmann  in  seiner  Arbeit  aniScu- 
suchen,  und  wenn  dann  im  Winter  die  Natur  draußen  die  reiche  Welt 
ihrer  Erscheinungen  in  die  weiße  Decke  bttUt,  das  Leben  des  Men- 
schen sich  mehr  in  den  Bflnmen  des  Hauses  abspielt,  da  behandelt 
man  vorzugsweise  das  Haus,  läßt  die  Poesie  des  Mlircbens,  welche  ja 


Digitizeü  by  Google 


—  183  — 


nacli  alter  Sitte  jrerade  um  den  trantpn  Herd  sich  th'ängt,  ilire  Fäden 
spiimen,  übergeht  aber  auch  nicht  die  I  hierwelt  des  Hauses  etc.  Den 
Inhalt  der  Normalwörter  oder  die  r^eo-en stände  der  ßiidei*  braucht 
mau  dagegen  blos  ganz  kurz  zu  besprechen;  man  wird  zusehen  müs- 
sen, die  Kinder  so  schnell  wie  möglich  im  Lesen  zu  fördern,  di  uii  das 
ist  besonders  iii  wenig  gegliederten  Landschulen  durchaus  ni>thig  — 
da  gilt  es,  sobald  wie  möglich  die  ersten  Schwierigkeiten  nn  Lesen 
zu  übervsmden,  weil  noch  andere  Abtheüungen  als  die  Elementar- 
abtheiluug  zu  bedenken  sind. 

Und  nun  noch  einige  Grenzlinien,  welche  der  Lehrer  bei  der  Stoff- 
behaudlung  beachten  mnss!  Kr  hat  iich  zu  liiiten,  bei  der  Besprechung 
der  Auschauungsgegenstände  zu  viel  zu  geben,  schon  ganz  in  die 
naturgesdüclitUche  Art  der  Beschreibung  hineinzukommen.  Nur  das 
ohne  großes  Suchen  sich  Ergebende  ist  hervorzuheben.  Femer  ist 
die  tfodcene  DarateUmig  hier  gar  nicht  am  Platze,  mndem  viehnehr 
die  sinnige,  lebensroUe,  poetische  Anflkssnng,  die  anch  den  todten 
Gegenstands  Leben  einhaucht  (Heinemann,  Handbuch  des  Anschannngs^ 
Unterrichts,  gibt  hierzn  vielfiiche  Anregung).  Die  Poesie,  wie  sie  der 
Kindeanator  entspridit,  mnss  sich  durch  das  Ganze  hindnichranken; 
auch  das  frische  Lied,  in  dar  Singstunde  gelernt,  darf  an  passender 
Stelle  nicht  fehlen.  Die  emzelnen  Gegenstände  dfiifen  sodann  nicht 
wie  einzehie  unverbundene  Pfeiler  dastehen,  sondern  von  einem  Gegen- 
stande zum  andern  sind  Brücken  zu  schlagen,  so  dass  ttberaU  an- 
muthende  Gesammtbilder  entstehen.  Und  noch  etwas  in  sprachlicher 
Hinsicht!  Wol  soll  der  Lehrer  hier  den  An&ng  machen,  die  Sinder 
zur  hochdeutschen  Sprachform  hlnüberzuführen,  aber  er  würde  die 
rechte  Grenze  überschreiten,  w^enn  er  die  Mundart  sofort  unsanft 
zurückweisen  wollte.  Ich  habe  oft  die  Bemerkung  gemacht,  dass  die 
Kinder,  wenn  sie  beim  Anschauungsunterricht  aufthauten,  indem  sie  in 
ein  bekanntes  und  ihnen  liebes  Gebiet  geführt  wurden,  plötzlich 
lebendig  zu  erzählen  und  zu  reden  anfingen,  aber  im  Dialect; 
natürlich  wäre  sofort  die  Rede  verstummt  und  die  Freude  der  jun- 
gen Seele  gedämpft  worden,  wenn  man  den  Gebrauch  der  Mundart 
verboten  hätte.  Die  Überleitung  hat  allmählich  und  vonucktig  zu 
geschehen. 

Wi]-  grellen  weiter.  Wenn  die  Volksschule  ihre  Kinder  zu  wah- 
ren Menschen  und  zu  lebendigen  Gliedern  des  Volkes  erziehen  will, 
so  kann  «'in  Zweifel  darüber  nicht  entstehen,  dass  sie  ilinen  die  Kr*Ie 
als  Sc]i,Liij)l;it/  menschlichen  Lebens  und  Wirken^  und  vor  allem  Hei- 
mat und  Vaterland  beschi-eiben  und  darstellen  musä>.   Zugleich  ist  der 


Digitized  by  Google 


Wert  des  geographischen  Unterrichts  fiir  die  ethische  Biiduii^^  des. 
Menschen,  welche  die  Volksschule  vor  allem  im  Auge  zu  behalten  hat, 
nicht  zu  unteisciiaizen.  Der  Heimatskunde,  mit  welclier  der  geo- 
graphische Iliiterricht  beginnt,  ist  nicht  bl<»s  die  Aut^rtbe  gestellt,  die 
geop-raphi- i  tirn  '  ■  i  undbegriffe  anschaulich  zu  vermitteln  und  das  Kar- 
tenverstaudnis  anzubahnen,  sondern  sie  soll  auch  das  Herz  der  Kin- 
der für  die  Heimat,  fiir  ihre  Fluren  und  ihre  Bewohner.  tVir  ihre 
Sitten  etc.  erwärmen.  Unsere  Zeit  mit  ihren  Verkehrs-  und  Frei- 
zügigkeitsverhältnissen ist  dazu  ang«  liiau.  den  Meuscheu  leichter  dem 
heimatlichen  Boden  zu  entnehmen;  umsomehi'  ist  es  geboten,  in  der 
Jugend  die  Liebe  zur  Heimat  und  die  Achtung  vor  ihr  za  wecken 
nnd  za  nähren.  In  der  Heimatsliebe  liegt  ein  sittlicher  Halt  f&r  den 
Menseheii  anch  in  der  Fremde;  sodann  wurzelt  in  ihr  die  Tateiiands- 
liebe.  —  Wie  die  Liebe  znr  Heimat»  so  kann  der  weitere  geogra- 
phisehe  Unterricht  die  Liebe  zum  Vaterlande«  nicht  .bloe  za  den 
Bergen,  Willdem,  Fluren,  sondern  vor  allem  zn  den  StAmmen,  die 
sich  an  den  Bergen  nnd  in  den  Ebenen  lagern,  erwecken  and  pflegen. 
Indem  der  geographische  Unterricht  die  Wechselwirknng  zwischen 
Land  nnd  Bewohnern  darstellt,  erzieht  er  die  Kinder  für  den  Eintritt 
in  dieselbe;  indem  er  sie  hinüberf&hrt  über  die  Meere  in  ferne  Erd- 
theüe,  schUngt  er  nm  sie  nnd  die  übrige  Menschheit  ein  Band.  Anf 
der  Wandemng  Aber  die  Erde,  sei  es  in  dem  hohen  Norden,  sei  es 
durch  Wflsten  and  Steppen,  an  die  groß^  StrGme  Afrikas  etc.,  be> 
gegnet  der  Unterricht  kflhnen  Forschem,  die  ihr  alles  einsetzen  för 
die  Wissenschaft,  f&r  Aa&cfaließong  neuer  Wege;  ein  Hinweis  auf  sie 
wird  anch  die  Knaben  der  Volksschnle  mächtig  erregen  nnd  begei- 
stern. Aus  der  Beleuchtung  der  wunderbaren  Gestaltung  und  Be- 
schaffenheit unseres  Wohnplatzes,  aus  einem  Blicke  ins  gi-oße  Weltall 
erkennen  die  Kinder  auch  die  Größe,  Miyest&t  nnd  Weisheit  des 
Schöpfers.  Der  sreopfraphische  Unterricht  vermag  auch  das  Bibeiwort 
zu  bestätigen:  Die  Himmel  erzählen  die  Ehre  Gottes  etc.  —  Über  die 
volle  Berechtigimir  des  ireooraphischen  Uuten'ichts  in  der  Volk«;schule 
kann  also  kein  Zweifel  sein.  S.  ine  Aufgabe  wird  sem:  Auf  dem 
(Trunde  der  Heimatsknnde  der  Kinder  in  t'arbenlrischen,  gemüthlich 
anregenden  Bildein  i;enaner  mit  Land  und  Leuten  des  fengeren  und 
weiterem  V;H»'rlandes  und  Kurnpas,  mit  dem  Wichtisrsteu  der  außer- 
europäischt-n  i-.rdtliMÜe  und  des  Veriiitltuisses  der  Knh-  zu  den  ande- 
ren Hinimelskr>ri»eru  bekannt  zu  machen  —  unter  Au^:schiu^s  alles 
(ies>eu,  was  id»rr  die  Fassungskraft  der  Kinder  hinaustreht  oder  das 
Gedächtnis  uunüthig,  oluie  iigeud  einen  Eutzen  beiastet. 


Digiiizeü  by  Googl 


—   185  — 


Das  Ziel  wird  richtig  sein,  aber  freilich,  ob  es  sich  alle  Lehrer 
80  omgreozen,  ob  sie  mit  vollem  Bewnsstsein  ihm  zustreben,  ob  sie  die 
rechten  Grenzen  bei  der  Stotfauswahl  im  einzelnen  und  bei  der  Stoff- 
behandluiig-  einhalten,  das  ist  eine  andere  Fraire.  —  Was  zunächst 
die  Heiiiiatskunde  anlansrt,  so  habe  ich  die  Erfahrung  gemacht, 
dass  die  meisten  Lehrer  \\o\  die  beiden  trst»'n  Aufgaben  derselben 
'.'inscliatüiche  Vermitteluiig"  (h'r  <i:eugTai)hischen  (iriindbei^ritiL'  und  An- 
bahuung-  des  Kartenverständnisses)  im  Auge  btdialten.  aber  die  dritte: 
die  Liebe  zur  Heimat  zu  idle^^en  und  das  (Temüth  dabei  zu  erwärmen 

—  nicht  «:eiuigtnd  bedenkeii.  Ich  halie  auch  mitunter  solche  Lehi-er 
gefunden,  die  da  iiiemteu,  sie  hätten  der  Anschaulichkeit  genüget, 
wenn  sie  die  Heimat  in  Stundenkreisen  auf  die  Wandtafel  getragen 
hatten.  Da  standen  die  Berge  der  Umgebung  aufgezeichnet,  aber  in 
\\  irklichkeit  hatte  der  Lehrer  sie  den  Kindern  nitdit  gezeigt,  trotzdem 
dass  es  bh»s  des  Aufstiegs  auf  einen  '  L  Stunde  entfernt  gelegenen 
iiugt  l  bedurfte,  um  die  Kinder  das  inächtige  Panorama  des  heimat- 
lichen Ländchens  tiberschauen  zu  lassen.  Da  war  auch  das  1*/« 
Stunde  entfernte  Städtchen  richtig  eingetragen,  aber,  man  sollte  es 
kaum  glauben,  eine  ganze  Reibe  Kinder  waren  noch  nicht  ans  dem 
engomsclilosBenen  Thale,  in  welches  sich  das  heimatliche  Dorf  hinein- 
schmiegte,  hinausgekommen,  und  der  Lehrer  hatte  nicht  daran  ge- 
dacht, dnmal  an  einem  i^ien  Nachmittage  mit  der  Einderschar 
hinansflsawandem,  um  Heimatskonde  —  nicht  an  der  Wandtafel  — ^ 
sondern  in  der  lebendigen  Wirklichkeit  zu  treiben.  Solche  Waade- 
ningen  dürfen  nicht  nntotleiben;  zn  einigen  bleibt  jedem  Lehrer  Zeit. 

—  Wenn  der  Lehrer  Interesse  an  der  Heimat  erwecken  will,  so 
darf  er  auch  nicht  an  den  Stätten,  die  nmrankt  sind  von  geschicht- 
lichen Erinneningen  oder  auch  von  Sagen,  an  der  Bdne  dort  aof  fel- 
siger Höhe,  an  den  Klostermanem,  an  dem  Friedhof^  an  dem  Krie- 
gerdenkmal etc.,  ait  dem  einsamen  Waldquell,  aus  dem  auch  die  Sage 
mit  sprudelt,  vorübereilen,  sondern  er  muss  erzählen,  die  Einder  ver^ 
den  ianschen,  und  die  Heimat  wird  sieh  voll  und  varm  in  ihr  Herz 
drängen.  —  Wie  manchem  Lehrer  felüt  es  an  poetischer,  sinniger 
Au£Eassung  und  an  dem  malerischen  Wort,  und  doch  kommt  so  viel 
darauf  an!  Da  wird  der  Bach  besprochen,  alles  genau  bestimmt  und 
<k'finij*t;  das  rechte  und  linke  Ufer,  das  Bett,  die  Quelle,  die  Mündung, 
al>er  wie  trocken  I  Da  ist  kein  Wandern  an  dem  Bache  entlang,  der 
sich  wie  ein  Silberfaden  durch  grüne  Wiesen  hindurchwindet,  an  der 
Mühle  dort  im  Waldthale  vorüh(  r.  hinauf  zu  der  frischsprudelnden 
i^uelle.    Da  wird  die  Lage  de»  Waldes  bestimmt,  wol  auch  über  seine 


L/iyiii^ü<j  by  Google 


—   186  — 


BedeutiiML^  L'-^sprocheii.  aber  nichts  oder  doch  zu  wenig  regt  sich  im 
Lehrer  von  der  deutscht  n  W'aldlust  und  Waldsiuingkeit  et^.  1  ^as  Lese- 
buch von  Jütting  „Woiinort  un  i  Tleimat"  l»ietet  so  viel  des  Popti- 
fchen  in  der  Auffassung:  der  Heimat;  der  Lelu'er  müsste  es  meiner 
Ansicht  nach  so  raachen:  sicli  erst  den  Stoff,  den  er  beliandehi  will, 
rein  sachlicli  zurechtlegen,  dann  aber  sich  <lurch  die  Poesie  des  Lese- 
buchs zui'  sinnigen  Auffassuntr  und  Behandlung  des  Heimatkundli<dien 
anregen  lassen.  —  Alsu  umn  darf  sich  bei  der  Heimatskunde  d^a 
Ziel  nicht  zu  niedrii,^  stecken. 

An  die  lieimatskuude  schließt  sich  nach  einem  ürieiitirenden 
Überblicke  über  die  Erde  und  Europa:  die  Betrachtung  des  engeren 
und  weiteren  Vaterlandes.  Der  bei  der  Stoffauswabl  zu  beach- 
tende GmiidMitz  ist  ohea  schon  angegeben.  Man  mathe  nur  nidit 
den  Kindeni  zu,  sich  solchen  'Stoff  zn  merken,  der  höchstens  zeitwei- 
ligen Wert  hat,  der  unbedingt  nicht  im  Gedichtnisse  bleibt,  sondern 
nnrettbar  wieder  verloren  geht  Die  meisten  LeitfiUien  kOnnen  die 
Lehrer  irreltUiren.  Da  werden  z.  B.  vom  Erzgebiige  eine  ganze  Beihe 
Ton  Bergen  mit  Angabe  der  Höhe  angezahlt,  wShrend  es  genflgt,  die 
Hdhe  des  Fichtelberges  in  runder  Zahl  und  die  Dorchschnittshöhe  des 
Gebirges  zn  merken;  da  sollen  die  Kinder  sich  einprftgen,  welches  der 
südlichste  nnd  der  nördlichsteBergSachsens  ist,  der  am  weitesten  westlich, 
am  weitesten  Ostlich  liegt  —  dann  aUe  Flüsschen,  die  von  links  oder 
rechts  in  die  Elbe  mtlnden — welche  Städte  ttber  600  m  hoch  liegen  etc.  — 
die  mitüere  Jahrest^peratnr,  die  B^enhöhe  wie  viel  Tage  mit 
Niederschlägen  etc.  Es  ist  doch  offenbar,  dass  dies  alles  im  Gedftcht- 
nis  der  Kinder  nicht  haften  bleibt.  Die  Bedeutung  der  Gebirge  und 
Flüsse,  der  13odenbeschaffenheit,  des  Klimas  für  die  Bewohner,  die 
Bewohner  nach  Charakter,  Gewerl^eiß,  Kunst  etc.  in  fiischen  Bildern 
zu  schildern,  blos  die  Hauptorte  gewerblicher,  industrieller  etc.  Thätig- 
keit  aufzusuchen,  di(^  politische  Eintheilung  und  eine  leicht  verständ- 
liche Darstellung  der  Kegiening  und  Verwaltung  des  (engeren)  Vater- 
landes zu  geben  —  das  ist  die  Aufs:abp.  Icli  habe  jetzt  Sachsen  im 
Auge;  in  anderen  Staaten  wiü'de  in  ahnlicher  Weise  delleioht  eine 
Provinz  zu  iw  li:,nfl»  ln  sein.  —  Nun  führt  der  geo«rrai)liisclie  Unter- 
rieht das  Kind  hinaus  ins  weitere  Vaterland,  also  in  unseren  Schu- 
len zur  Betrachtunfr  Deutschlands.  Sehr  viele  Lehi-er  richten  sich 
in  der  Stottauswahl  nach  Hümmels  kleiner  Krdkunde;  im  «rauzen 
ist  dieser  r.eitfaden  tiir  die  Vfdksscliule  recht  gut  zu  verwenden,  aber 
auch  hier  niuss  der  Lehrer  den  Stoff  noch  oft  nach  dem  angegebenen 
Ginindsatze  besclu-äukeu.   Mehrmals  habe  ich  die  Erfahrung  gemacht, 


Digitized  by  Google 


—   187  — 


dass  die  Lehrei-  die  politische  Geographie  allzusehr  hinter  der  physi- 
schen züiiicktreteu  ließen,  obwol  die  letztere  ja  einen  «rröUeren  Nach- 
druck zu  bekommen  hal,  haben  sieh  die  (Trenzlinie  für  Hhku  Stoff 
zu  eng  gezogen,  indem  sie  über  den  Bergen  und  Flüssen  die  Bewoh- 
ner zu  leichthin  abthaten.  Wenn  wir  den  Kindern  z.  B.  vom  Schwarz- 
walde erzShlen,  da  wllen  vir  sie  nicht  blos  in  die  Waldespracht  ver- 
setzen,  sondern  wir  sollen  sie  auch  dem  Treiben  des  Schwanrwäkllers 
im  Walde,  anf  den  Bergbäcben,  in  den  Rebenh&geln  nnd  dem  Ge- 
hämmer in  den  Thalmnlden  lauschen  lassen;  wir  sollen  mit  ihnen  in 
die  Hätten  mit  ihren  weit  bervorragenden  Schindeldftchem  —  den 
plätschernden  Brunnen  vor  der  ThQre  —  treten,  sie  die  krftftigen, 
naturwüchsigen,  frommen  Schwaben  achten  und  lieben  lehren.  Und 
wenn  wir  mit  den  Kindern  hinunterwandem  zur  Nordsee,  da  haben 
wir  ihnen  nicht  blos  von  den  Fluten  des  dentschen  Meeres,  yon  dem 
DOnenringe  zu  erzählen,  sondern  vor  allem  vom  Kampfe  zwischen  dem 
Meere  und  dem  deutschen  Küstenstamme,  den  Friesen,  die  „niemals 
müde  geworden,  unter  Strom  und  Strnm,  Eis  und  Wogen  um  den 
heißgeliebten  Boden  der  Heimat  zu  kämpfen,^  den  sachkundigen 
Lootsen,  den  flinken  und  kräftigen  Matrosen,  die  auf  Kani&hrera  aller 
Nationen  die  Meere  dui'chfurchen,  und  dem  Landin  mne,  der  hinter 
den  schützenden  Deichen  die  Marschen  bebaut.  Wenn  wir  von  der 
rauhen  Rhön  erzählen,  so  werden  wir  nicht  blos  von  der  Ode  spre- 
chen, die  auf  ihr  ruht,  sondern  auch  von  den  armen  Leuten,  die  bei 
aller  Annut  doch  zufrieden  und  genügsam  sind.  Im  Fichtelgebirge 
denken  %vir  nicht  hlos  an  die  dichten  Waldungen  und  an  die  (Quellen, 
die  nach  den  4  Himnielsg-e^'enden  herabrausch en.  sondern  wir  suclien 
auch  den  armen  Mann  im  Walde  auf,  er  Gras  sammelt  oder 

Baninpech  anskrat/f.  Holz  fallt,  harte  (^ranitblöcke  zerschlägt  und 
sich  dabei  vielleicht  als  den  reichsten  Mann  tiäuint.  dem  nur  noch 
der  letzte  Schlüssel  zu  seniLiü  Keichthume  leiilt";  denn  die  >age  ver- 
heizt dem  Bewohner  des  Fichtelnrebirges  die  Wiedererstehun^^  ver- 
sunkener (loldscliätze.  So  wii'd  der  sreotcrapbische  Unterricht  die 
Herzen  der  Kinder  ihrem  Volke  zulührtiu  können.  Und  zu  solcher 
Darstellung  bleibt  Zeit,  wenn  das  Überflüssitre  wearcrelassen  wird. 
Wir  haben  in  Kutzims  und  Riehls  Schriften  einen  (^uell,  au>  dem 
sich  der  Lehrer  W  ärme  und  l^'risclie  lür  die  Darstellung  von  Land 
und  Leuten  —  auch  in  der  Volksschule  —  schöpfen  kann. 

Der  geographische  Unterricht  wird  natürlich  in  der  Volksschule 
aof  die  Betrachtung  des  Vaterlandes  den  Nachdruck  legen  mflssen, 
aber  ans  den  oben  angegebenen  Gründen  mnss  Aber  diese  Grenze 

Motmi.  6.Jalisff.  H«ftin.  18 


Digitized  by  Google 


—   188  — 

hinauBgfegangen  werden.  Mit  Becht  kam  man  noch  betonen,  das» 
in  nnserem  Jahrhondert  die  rflumliehen  Entfemmigea  ziuamnieii- 
geschrumpft  sind  nnd  die  VOlker  in  einem  Wedmelverkefare  stehen, 
der  es  nahe  leg^t,  auch  dem  schlichten  Hanne  dee  YoUlcs  einen  Über- 
blick  fiber  andere  LAnder  nnd  andere  Erdtheile  zn  geben.  Jedes 
Zeitongsblatt,  das  Notizen  bringt  ans  feinen  Landen,  bringt  auch 
dem  gewöhnlichen  Manne  das  Bedfirfiiis  geographischer  Kenntnisse. 
Eom  Bewnsstsein. 

(SchlllM  folgt) 


uiyiii^üd  by  Google 


Fordert  die  Mathematik  ein  besonderes  Taknt? 

Von  Dr.  M,  O. 

So  großeo  Interosae  ich  schon  auf  der  Schule  an  der  Mathomatik 
hatte,  so  blieb  mir  dieselbe  doch  lange  Zeit  diejenige  Wissenschsft, 
m  der  ich  am  wenigsten  leistete;  Ja  die  ganze  Classe  war  schwach 
in  diesem  Fache,  mit  Ansnslime  des  Einen,  der  firOher  von  einem 
Frivatlehrer  matbematlschen  Unterricht  genossen  hatte.  Wir  anderen 
waren  in  der  Mathematik  immer  die  „DommkOpfe",  wie  unser  Mathe- 
Biaticas  ans  zu  tituliren  pflegte;  glaubte  er  ja  auch  immer,  dass  nur 
wenige  tta  diese  Wissenschaft  pr&destinirt  seien,  und  nur  zn  oft 
mnssten  wir  von  ihm  hören^  dass  es  glücklicherweise  noch  einige  we^ 
sige  geborene  Mathematiker  gäbe,  welche  überall  ohne  Zuthun  des 
Unterrichtes  ihr  Talent  entfalteten,  Basirend  auf  solcher  Anschauung 
war  natürlich  auch  sein  Unterricht  ein  der  Pädagogik  hohnsprechen- 
der, woher  es  kam,  dass  wir  Schüler  in  der  Mathematik  fast  nichts 
leisteten.  Wir  waren  uns  auch  schon  damals  der  Ursache  unserer 
Schwäche  bewnsst;  wir  fühlten,  dass  für  die  Mathematik  nicht  eine 
besondere  Anlage  erforderlich  sein  könne,  wir  konnten  nicht  begreifen, 
dass  so  \iele  gerade  f!ir  diese  Wissenschaft  ein  besonderes  Talent 
yoraussetzten,  d^  ja  diese  Üisciplin  obligatorisch,  also  für  alle 
Schüler  bestimmt  war.  Der  Mathematicus  war  die  personificirte 
Maschine:  von  Methode  hatte  er  keine  Spur,  an  Entwickelung  der 
Lehrsätze  dachte  er  uiclit,  er  besaß  überhaupt  nicht  im  mindesten 
die  Fähigkeit,  sich  des  Mathematikers  zu  entkleiden  und  zu  der  Fas- 
sungskraft seiner  Schüler  hinabzusteigen.  Ja  er  musste  sich  von 
ein<»m  seiner  Schüler  sagen  lassen,  dass  die  Classc  mehr  leisten  würde, 
wenn  liir  Lehrer  mehr  leistete,  (iewiss  ein  schweres  Wort,  welches 
aber  beweist,  dass  wir  jungen  Leute  das  Uetiihl  hatten,  mathema- 
tische Kenntnisse  seien  nicht  von  besonderer  Begabung,  sondern  viel- 
mehr vom  Geschicke  des  Lehrers  abhängig,  was  auch  eclatant  be- 
wiesen wurde,  nachdem  wir  in  den  Oberclaasen  einen  anderen  —  Qott 
sei  Dank  hesseren  —  Lehrer  erhielten,  einen  klaren  Eop^  von  feinem 

13* 


L/iyiii^ü<j  by  Google 


—   190  — 


pä(la<^oj^sch^n  Takt,  einen  Manu,  ileiii  man  es  anmerkte,  dass  er  in 
seiner  Wissenschaft  fest  und  in  st  int-m  Bcrule  glücklich  war.  Durch 
seine  Metliode  u  ui  den  wir  lürmlich  electnsirt  und  tiaben  das  Ver- 
säumte glücklicherweise  nachgeholt:  wir  säninitlichen  Dummköpfe  mach- 
ten ein  gutes  uiatla  matisches  Kxaiuen,  und  ein  Drittheil  der  (  I.isse 
wandte  sich  theils  der  praktischen,  theils  der  theoretischen  Mathema- 
tik mit  Erfolg  zu.  Woher  war  auf  einmal  die  besondere  Anlage  zur 
Mathematik  gekommen,  die  mis  allen  g^dilt  liatte? 

Als  Verfiisser  dieses  seine  Lehrerearrf öre  begann  nnd  seine  Gas- 
sen sehr  niedrige  mathematische  Leistungen  aufwiesen  —  sein  Vor- 
gänger war  wegen  Liederlichkeit  seines  Amtes  entsetzt  worden  — 
kannte  er  keinen  lebhafteren  Wnnsdi,  als  den  Versneh  zu  wagen, 
wenn  irgend  thnnlich,  sSmmtliche  Schiller  zu  berücksichtigen,  nm  yidi- 
Idcht  ein  Gegenstfick  zn  dem  schablonenhaften  Unterrichte  seines 
fiilheren  Lehrers  zn  liefern:  nach  Verlauf  Yon  beinahe  zwei  Jahren 
war  es  ihm  gelungen,  seine  Classen  ans  Ziel  zn  bringen,  allerdings 
mit  dadurch,  dsss  er  freiwillig  vielen  NachhiUüBunterricht  ertheüte. 
ünd  noch  ein  Beispiel.  Bei  der  Miterdehnng  zweier  Engländer  hatte 
ich  den  einen,  bereits  26Jfthrigen,  in  der  Mathematik  zur  UniTersität 
vorzubereiten;  ich  sah  mich  genOthigt,  trotz  Oegenstrebeos  der  Ange- 
hörigen, den  Unterricht  mit  den  ersten  mathematischen  Lehrsätzen 
zn  beginnen,  und  habe  nach  längerer  Zeit  doch  das  dVuc'k  gehabt, 
dass  mein  Zoirlin«:  mit  Verständnis  die  elementare  Mathematik  be- 
herrschte und  in  Cambridge  das  Examen  bestand,  für  weiches  ihn 
andere  Lehrer  nicht  hatten  vorbereiten  können. 

ist  möglich,  dass  manche  Leser  sich  nicht  von  der  Anschauung 
werden  frei  machen  können,  dass  zur  Mathematik  wirklich  eine  be- 
sondere Anlage  erforderlich  sei.  Verfasser  dieses  ist  1/injrst  über  die- 
sen Punkt  hiüwe^i:  •  r  wpiB  allerdinsr"«  sehr  wnl,  dass  man  nicht  ans 
jedem  einen  Gauti  niaciien  kann-,  aber  er  liat  hmm-  seinen  Unterricht 
mit  der  Voraussetzung  begonnen,  dass  alle  Zöglinge  für  den  mathe- 
niatischen  Unterricht  beftihifrt  sind,  nnd  dnss  man  sie  alle  auf  an- 
nähernd gleiclies  Niveau  bringen  kann,  wenn  man  nur  individuell  zu 
untenicliten  (lelegenheit,  Zeit  und  Lust  hat.  Uud  diese  Voraussetzung 
hat  sich  dem  Verlasser  bis  jetzt  immer  als  richtig  ei'wiesen. 


üiyiiizeü  by  Google 


Orthograplusclie  Fbrnigsbücher. 

Von  Fn^.  Dr.  r.  »iUouUtxer^WUn. 

Die  offideUen  ScltiiIorthogniphie&,  haben  eine  (pm  stattliche 
Beihe  von  orthographischen  LeitCftdeOt  Lehrgftngen,  ÜbiugsMichem 
n.  a.  Schriften  za  Tage  gefördert»  die  sich  als  Ziel  setzen,  die  in  den 
amtlichen  Begelbücliern  enthaltenen  Normen  in  eine  schnlgerechte 
FassoQg  and  methodische  Anordnung  zu  bringen,  hie  und  da  mih  durch 
historis(  lie  Rückblicke  zu  erklären,  oder  sich  blos  darauf  beschränken, 
den  für  die  Einfthnng  der  „neuen  OrÜiograpliie"  erforderlichen  Dictir- 
stoff  dem  Lehrer  an  die  Hand  zu  geben.  Die  Schnelligkeit,  mit  der 
die  weitaus  meisten  der  genannten  Bttcher  anf  den  Marlct  geworfen 
wurden,  erklärt  es  zum  Theil,  dass  nur  wenige  stren?rpn  Anforde- 
rungen entsprechen,  und  dass  sich  eine  Menge  Dictirstotf  in  ihnen 
gleichmiißifr  wiederholt.  Die  Leichtigkeit  endlich,  mit  der  sich  aus 
unserm  Sprichwörtersrhatze  eine  große  Anzahl  eiiitach  g'ebildeter,  in 
sich  abgesfliln^sHTier  Sätze  ftnilnTi  la.sst,  mag  die  Ursache  sein,  dass  in 
fast  allen  L  buugj>bücheru  liauptsachlicli  oder  wol  gar  ausschließlich 
Sprichwörter  zur  Einübung  der  r)rthogra])hie  beransrezofreii  sind,  jedeii- 
lalls  em  Maii!j>d;  d^nn  abo-c-t  hen  davon,  dass  das  twi'j'M  \\'ie<lerholt'n 
von  Klus:heii.->rfgeiii  uikI  ^itit  nsprüchen  der  Jugend  eintönig  und  lan«^- 
weüig  werden  muss,  ist  aucli  die  Form  der  gebrachten  Sprichwörter 
eine  bildliche,  scliwer  verständliclie,  und  der  in  ihnen  enthaltene  Kern 
als  das  letzte  Glied  einer  langen  Ertahningsreilie  liegt  zumeist  jenseits 
des  geistigen  Horizontes  der  Kinder.  Was  uns  Erwachsene  am  Sprich- 
wort Gelallen  finden  lasst  —  dass  wii-  in  einem  kurzen  Satz,  in  einem 
treffenden  Bilde  eine  wiederholt  gemachte  Erfahrung  präcise  wieder- 
geben können  —  das  ist  für  die  Jugend  kein  Bedürfhis. 

Drei  yon  den  uns  vorliegenden  Übungsbüchern  stützen  sich  anf 
die  Österreichische  Schnlorthographie:  Petzel,  Botb  nndStejskal. 
P«tiel:  „2104  gleich-  nnd  ähnlichlantende  Wörter  nebst  ihrer 
Anwendung  in  Sfttsen«  (Troppau,  Volprecht,  1880,  8^  126  S.X 
enthalt  theils  vom  Ver£uner  selhetgebildete,  theüs  ans  nnsem  Dichtem 


Digitized  by  Google 


—   192  — 


entlehnte  Sätze.  Der  Lebrer  wird  neben  manchem  Gaten  in  dem 
Boche  auch  viel  ünbraachbozes  &iden,  da  Schttler  wol  nur  dann  die 
„ähnlich** -lautenden  WOrter  „befiehlt  und  beflUilt,  enthielten  und  ent- 
Üfillten,  entronnen  und  entthronen**  etc.  nniiehtig  nachschreiben  werden, 
wenn  der  Lehrer  diese  WOrter,  sei  es  geflissentiich  oder  nicht«  schlecht 
ausspricht  Es  gibt  andere  Dinge  im  orthographischen  Unterricht» 
die  wichtiger  sind  und  deren  Einttbong  dnrch  Aufiiahme  solcher  nnd 
ähnlicher  ZnsammensteUnngen  geschädigt  wird.  —  Beth:  » Ansffihr- 
liches  orthogr.  Übungsbuch"  (Prag,  Tempsky,  8^  60  S.),  gmppirt 
WQrter,  die  naoli  (lersenicn  Regel  geschrieben  werden,  und  knüpft 
daran  kleinere  Dirtate.  E.s  ist  ganz  zweckmäßig«  bei  Einprä^g 
ähnlichlautender  Wörter  diese  in  Sätzen  vorzuführen,  aus  denen  die 
▼erschiedene  Bedeutung  derselben  klar  zu  Tage  tritt  Eins  vermissen 
wir  auch  hier:  eine  besondere  Rücksicht  auf  solche  Wörter,  die  gerade 
österreichische  Schüler  vermöge  ihres  heimatlichen  Dialectes  unrichtig 
SU  schreiben  pflegen;  dagegen  ist  die  Regel  von  der  Schreibung  des 
g  in  Wörtern  wie  Zug,  Krujr  n.  w.  ftir  fisterreiehische  Scluilen  über- 
flüssig. —  Stejskal:  „Dictirbuch'-,  ^^\'ien.  Klinkhardt,  1882.  S% 
136  S.)  begleitet  Schritt  für  Schritt  das  östemichische  ..Rep^elbnch'* 
( Wien,  Schulbftcherverlag)  und  zeichnet  sich  besondei-s  in  seiiH-m  ei-jiitt-n 
Theil  durch  ebenso  praktisch  als  geschmackvoll  gewählte  Sätze  aus,  die 
den  Wissensgebieten  der  Schule  entnommen  sind  nn<i  das  in  den  andern 
Stunden  Gelernte  von  verschiedenen  Statulpuukteu  aus  behandeln  und 
zusammenfassen.  W^ir  ma«  !i>'n  besonders  anf  die  den  Scliluss  der 
einzelnen  Übungen  bil  1<  iideii  klrinen  Beschreibiuiij;en  etc.  aufmerksam, 
die  in  zusammenhängenden  Sätzen  den  eingeübten  Stoü  noch  einmal 
vorfiihren.  Die  Fabeln  (S.  119  ff.)  dürften  sieb  auch  zu  Dictateu  bei 
der  Aufnahmeprüfung  der  Schttler  ins  Gymnasium  eignen.  —  Schließ- 
lich mag  auch  ein  Büchlein  genannt  sein,  dn^  nur  mittelbar  zu  den 
orthogi-aphischen  Übungsbüchem  in  Beziehung  steht^  das  „ausführ- 
liche orthographische  Wörterbuch"*  von  Hfittich  und  Vetter 
(Tempsky,  Prag,  1881,  151  S.).  Es  enthält  nicht  weniger  als  22,000 
Wörter  in  der  österreichischen  Schreibung,  ist  also  viel  reichhaltiger 
als  das  im  Scholbfleherverkg  erschienene;  der  Dmck  ist  sehr  sorgf- 
ältig (S.  132  die  fehlerhafte  Schreibung:  Tieger).  Seltener  gebrauchte 
Wdrter  nnd  Fremdwörter  sind  erklärt  nnd  anch  manche  gnunmatisehe 
Bemerkungen  emgeflochten.  Dadurch,  dass  die  Fremdwörter  mit  latei- 
nischen  Lettern  gedruckt  sind,  hat  sich  ein  Nachtheil  heim  Gebrauch 
des  Buches  ergeben;  es  ist  nfimlich  nicht  ersichtlich,  ob  im  Fremd- 
wort ein  SchlusB  -s  gesetzt  wird  oder  das  sogenannte  huige  s. 


üiyiiizeü  by  GoOgle 


—   193  — 


Die  nach  der  preußischen  Selmlorthop^raphie  abgelai>sten 
Leitfäden  sind  weit  zahlreicher,  iu  der  Vurfülirung  des  LehretoflEes 
unter  einander  oft  recht  verschieden,  dagegen  in  den  Übungssätzen 
häufig  um  so  ähnlicher.  Wii-  greifen  aus  der  groBea  Menge  nnr  die 
wichtigst«!  mud  eigenartigsten  heraus. 

Berlin  („Leitfaden  ftlr  den  Unterricht  in  der  Orthugra- 
phle.**  Mafl^bnrg,  Friese,  94  Seiten)  prOft  die  W<irter  anf  ihre 
Lant-  respedire  Hörschwierigkeit,  gruppirt  sie  danach  nnd  ftbt  sie 
in  znmeiBt  selbstgebildeten  S&taen  ein,  die  freilich  manchmal  aem- 
lich  inhalt8l<^,  auch  zu  flflchtig  zn  Papier  geworfen  sind.  Wörter 
wieEebsweib  werden  doch  in  keiner  Schnle  einge&bt —  »"Dit  deutsche 
Schnlorthographie",  Regeln  nnd  Wörterverzeichnis  (Lahr, 
Schanmbnrg,  1881,  lOi  S.),  enthalt  als  besonders  erwähnenswert  ein 
praktisch  gearbeitetes  Gapitel  Uber  die  Schreibimg  der  EVemdwOrter. 
—  Feehner-Engelien  (^Ühnngsstoff,**  Berlin,  Schnitze,  1881,  8^ 
136  S.)  ist  f&r  Schulen,  in  denen  der  orthographische  ünterricht 
systematisch  betrieben  wird,  sehr  geeignet  Nicht  blos  die  Hegeln  sind 
übersichtlich  und  lassen  sich  dem  Gedächtnis  leicht  einprägen,  auch 
die  Dictate,  die  von  Zeit  zn  Zeit  als  Wiederholungen  eingeschaltet 
sind,  entsprechen  vollkommen.  Viele  der  Sätze  sind  in  andere  Übungs- 
bücher übergegangen.  Sprichwörter  werden  von  den  Verfassern  gern 
und  oft  herangezogen.  —  Friesieke  („Lehr-  und  Übungsstoff  für 
den  orthois^raphischen  Unterricht,"  Freienwalde,  Draeseke,  188U, 
8  10'?  S.)  nimmt  den  Dictirstolf  selbst  ans  dem  ^Fanst".  Auf  jede 
Übung  folgen  ein  bis  zwei  reicbhaltige  Dictate,  am  Sehhiss  jedes 
Capitels  eine  größere  Anzahl  zusammenhäiigeTiflfr  Wiederholungen. 
Die  Vorrede  enthält  praktische  Winke  über  die  Art,  orthographische 
Dictirübungen  und  Correcturen  rationell  vorzunelinieu.  —  (»ehrig 
(^.Orthographisches  Übungsbuch,*'  Neuwied  und  Leipziir.  1881, 
Heuser,  kl.  8"  69  S.)  bildet  zumeist  selbst  die  Sätze  und  liebt  es,  in 
ein  und  demselben  Satze  recht  \iel  orthographisches  Mateiial  zusammen- 
zudrängen. Auffallend  bleibt  das  vom  Verfasser  an  unrichtiger  Stelle 
und  sehr  liäufig  gesetzte  Ausrufiseichen  (z.  B.  Wörter,  welche  Namen 
für  Dinge  sind,  heißen  Dingwörter!).  Anch  sonst  finden  sich  einige 
Unrichtigkeiten  (z.  B.  S.  2;  Diphthong  oder  Doppellaut,  S.  21:  in 
„nannte**  iüt  das  e  des  Stammes  iu  a  „umgelautet"').  —  Hufschmidt 
(„Methodischer  Lehrgang  für  den  Unterricht  im  Bechtschrei- 
ben/  Essen,  Bftdeker  1880,  95  S.)  ist  originell  gearbeitet.  Das  Bftdi- 
Idn  kbrt  dk  Bechtsebreibong  in  drei  Stufen:  1)  nadi  der  Ansdiauung, 
3)  nach  der  Analogie,  unter  Zuhilfenahme  der  BdmwSrter,  3)  nach 


Digitized  by  Google 


—    194  — 


BegelB.  Eine  Klippe  aehdnt  auf  der  zweiten  Stnfe  kann  sn  umgehen. 
£8  ist  nimiidi  nnr  za  yeriockend,  dass  die  Kind»  aof  die  Lantglddi- 
hdt  nnd  nicht  zugleich  anch  aof  die  Bnchstabengleiehheit  der  Beim* 
vOrter  achten  und  dann  natflrlieh  fiehlerhalt  schreiben.  Sehr  hübsche 
S&tze  begleiten  die  Theorie.  Die  Zosamnenstellang  der  nAosnahmen 
von  den  Begeln'*,  femer  der  „Wörter,  deren  Schrelbnng  doreh  die 
Schnlorthographieverordnong  festgestellt  worden**,  istwegenihrer Brauch* 
barkeit  bereits  Ton  andern  Leitfilden  nacbgedmckt  worden.  —  KwHith 
(«Schriftliche  nnd  mflndliche  Übungen  zur  Erlernung  der 
Orthographie  und  Interpnnction,*'  Berlin,  Springer,  1880,  92  S.) 
ordnet  die  Dietate  nach  der  orthogrsphiscfaen  Schwierigkeit  and  Ter- 
Undet  auf  interessante  Art  den  orthographischen  Unterricht  mit  dem 
grammatischen.  Seltsam  ist's,  dass  er  das  Aasrufzeichen  nicht  be- 
handelt,  weil  —  passende  Übungen  sich  nicht  finden  ließen,  und  das 
Semikolon  nicht,  weil:  die  einfache  Schule  sich  mit  der  Regel  wird 
begnügen  müssen,  dass  vor  „denn"  ein  Semikolon  zn  setzen  ist.  — 
Mover.  Johannes,  („Lehr-  und  Übungsbuch,"  Hannover,  Meyer, 
1880,  8",  60  S.)  ist  für  die  Hand  der  Schüler  hpstimnit,  enthält  neben 
den  Retreln.  Beispielen  und  einigem  l'bimgsstoff  ein  für  die  Schule 
gerade  noch  ausreichendes  Wortorvei  /  'irlmi'*.  Desselben  Verfassprs 
.,Mptl)odischer  Leitfaden-'  fl.eipzi*;.  Dun.  LS81.  8",  107  S.^  ist  an 
Dictirstott'  ziemlich  reich;  ein  ;rr<»Üer  Theil  der  Satze  und  inaiub«^ 
ZusammenstellunL"  i>T  anderen  Biicliern  iwie  theilweise  auch  angegeben 
istj  entlehnt;  be;jouders  zahkeieh  er.-(  heiueu  8prichwr.rtpr  und  Sen- 
tenzen ans  den  Classikem.  Meyer  \ erlheilt  den  Lrln  t  »ff  auf  drei 
Stufen:  auf  der  ersten  brinja^t  er  Wörter,  deren  Schreibiuiu  sicli  diu*ch- 
wegs  auf  Regeln  stützt,  aiit  der  zweiten  Ergänzungen  dieser  Regeln 
und  die  dazugehöriircn  Ausnahmen,  auf  der  dritten  orthoerraphische 
Eigenthiimlichkeiten  unserer  Schrift  nnd  die  Interpunctionslehre,  aiil 
der  vierten  endlich  lehit  er  die  Schreibung  der  gebräuchlichsten  Fremd- 
wörter. Ungenau  ist  das  S.  66  über  die  Zusammenziehung  Gesagte, 
S.  71  und  72  wiederholt  sich  eine  Beihe  von  Sätzen  unter  den  „Bei- 
spielen^ nnd  in  dem  „Oktal**.  —  Nestii  („Der  naturgemäße  nnd 
bildende  Bechtschreibunterricht**,  Siegen,  Montanns,  1880,  8^ 
84  S.)  enthält  als  Eüdmtnng  dn  Gapitel  fibar  ^reine  nnd  dentliehe 
Ansspraehe  des  Hochdeutschen**,  das  vol  mannigfache  Znsätce  -wird 

▼on  Sch&leni  mit  bestimmten  nialeclr 
läileni  wird  benntst  werden.  Man  vergleiche  &  B.  den  Abschnitt 
Uber  die  Ausqiniche  des  s«  in  welchem  sehr  wichtige  Angaben  fiBfalen. 
Nostiz  Terhindet  den  orthographischen  üntenieht  mit  dem  gramma- 


üiyiiizeü  by  Google 


—   195  — 


tischen  iind  stilistischen.  Der  eingesclilaprene  uiütliodische  Weg  verdient 
Bt-aclitung.  —  Reinmuth  („Lehr-  und  Übiing:sbucli  für  den  Unter- 
richt in  der  deutschen  Orthoüpie  und  Orthographie,"  Weiii- 
heim,  Ackcrmami,  1882,  8",  95  S.)  fasst  den  orthoepischen  Unterricht 
tiefer  als  Nostiz.  In  den  Regeln  schließt  er  sich  an  die  „deutsche 
Schulorthographie**  an,  die  Beispiele  sind  geschickt  ausgeTtthlti  znineist 
MHwtständig  fUr  orthograpliische  Zwecke  gebildet  und  weniger  den 
WissensgeUeten  der  Sehlde  als  dem  Leben  entnommen.  —  Willens 
(Anleitung  znm  Eecht schreiben,  Hannoyer,  Hahn,  1880, 8^  87  S.)  * 
&8st  die  Regeln  zuerst  in  ein  paar  Hauptregeln  zusammen,  zn  deren 
Ergftnznng  und  Erläuterung  Kebeniegeln  hinzutreten.  Zahlreiche  Hin* 
weise  auf  das  Alt-  und  Hittelhochdeutsche  und  kritische  Bemerkungen 
sind  eingestreut,  die  das  Bttchlein  weniger  lllr  Schiller  als  Ar  Lehrer 
geeignet  erschien  hissen.  Derselbe  Vet&sser  verOiFentlichte  1882 
auch  eine  „Vollständige  Lehre  Ton  der  Interpunetion  im  Deut- 
schen, FransOsisehen  und  Englischen**  (Emden, Haynel,  8*,72S.X 
die  schon  deshalb  Beaditung  verdient,  weil  sie,  bisher  das  einzige 
Werkchen  über  das  genannte  Gebiet,  eingehend  gearbeitet  und  durch 
zahlreiche  Übungsaufgaben  helegt  ist.  —  Wirth  (Langensalza,  Gressler) 
ftberlässt  es  dem  Lehrer,  wie  er  den  im  Buche  behandelten  „Dictir- 
BtoflP*  am  vortheilhaftesten  vertheilen  will.  Er  bringt  h&ofig  Wörter, 
deren  Schreibung  erst  in  einem  nachfolg-enden  Paragraphen  gelehi*t 
wird,  und  sucht  den  daraus  entstehenden  NachtheU  dadurch  abzu- 
schwächen, dass  er  diese  Wörter  an  der  Tafel  vorschreiben  lässt 
Die  Cbung.«;sätze  sind  gut  verwendbar. 

Zum  Schlüsse  sei  nocli  ;nif"  zwei  Bücher  wpTiiirstons  liin^ewiesen, 
aul"  den  ./'omm<Mit :ir  zur  preußischen  Schulürtliographie''  vou 
W.  Wilmanus  (Berlin,  Weidmann,  S**.  218  N.j,  der  die  Kifj^entliiiuiliili- 
keiten  der  preußischen  Schnloi-tlion:raj)hien  Lreirenüher  ihren  Geg-neru 
auf  wisseu^ichaftlicher  Basis  /n  rechtt'ertijreu  sucht  und  das  weitaus 
beste  ist,  was  in  dieser  Hinsiclit  iniblicii't  worden,  auch  für  jene  lesens- 
wert, die  nach  einer  andern  Orthogi-ajdiif»  schreiben,  und  dann  auf 
das  „Vollständige  orthn^raphisclie  W  orterbuch"  von  l>uil«'n 
(Leipzig,  Bibliugraphisches  Instilut,  187  S.),  welches  die  Schreibung 
uud  die  Angaben  wichtiger  gi-ammatischer  Eigenschaften  vou  last 
28,000  Wörtern  euilüüi.  ein  Pendant  also  zu  dem  österreichischen 
Wörter vei'zeichuis  vuu  Hüitich  und  Vetter. 


Digitized  by  Google 


€l«ri€ale  Yolksselirifteii. 

Von  Pranz  SehHnkert'Wtm. 

Das  Forschen  in  der  ri  il  t  Rüstkammer  biotot  keinen  angenehmen 
Heiz.  Kf*  miifis  ja  stets  mit  \S  iderwiJleu  erfüllen,  weim  man  den  Apparat  der 
süi>eu  Lüge  und  l'rummeu  Hinterlist  durchblickt,  welcher  dazu  dient,  den  nai- 
ven Eindeireratand  des  Volkes  m  tftatthen.  Und  doch  ist  et  fibr  den  Volka* 
freund  notlnvtnxli:^,  dass  er  die  Waffen  kenne,  mit  ^feLcken  gegen  die  heilij^ten 
G'ntt'V  lies  \  olke,s  gekämiift  wird;  wie  sollte  er  denn  sonst  seine  Pflitlit  zn 
t  rtnilen  im  Stande  sein  und  die  lutereaseu  seines  Volkes  wider  zerstörende, 
schädliche  Einflüsse  wahren  können? 

Diesmal  mOchte  ich  ans  all  dem  Rtstzenge,  dessen  man  sieh  im  Kri^ 
wider  die  Aufklärung  bedient,  eine  Waffengattung  li>'i  \ erziehen,  die  mehr 
Verderben  bringt,  als  vergiftete  Pfeile:  ich  meine  die  clericalen  „Volks"- 
Schriften. 

£s  ist  ein  taktisches  Kanststückcheu,  im  Dunkel  vorzugehen  und  so  ge* 
rftoschlo«  als  mOglich  m  handeln.  Anf  diese  Wdse  entziehen  sich  die  Opni« 
raiden  der  Sffentliehen  Beaditiing,  nnd  wenn  wir  hiennit  dk  Anlage  und  Wir> 
kung  gewisser  „Volk>  ^'  hriften  kurz  besprechen,  so  verbinden  wir  damit 

keinen  anderen  Zwoi  k,  als  •  hrliche  Volksfrennde  aufni<'rk';an!  m  marlien  nnd 
zu  ersprießlichen  Vorkehrungen  gegen  jene  verderblichen  Kiullüäüe  anzulegen. 
So  weit  das  Volk  auf  Uterarischem  Wege  zugänglich  ist,  wurde  es  von  cleri- 
ealer  Seite  mit  Beschlag  belegt;  es  konnte  dies  nm  so  leichter  gdingcn,  als 
gerade  jene  Irfmte,  welche  auf  genannter  Seite  stehen,  die  Eigenheiten  des 
Volkes  kennen  nnd  dessen  Sohwriclien  in  ihrer  Art  auszunützen  verstehen. 
Die  Geschäftsleute,  w  eh  hf  unter  den  Bauern  mit  Dmrk«arhen  hau'^irpn  gehen 
oder  diese  auf  Märkten  in  Buden  feilhalten  („Bildelki-Hiuei  i,  sind  zum  Über- 
flnsse  mit  Dmoksohriften  versehen,  dvreh  welche  die  Volksverdnmmnng  syste- 
matiRch  betriebsin  wird.  Uanchmal  ist  dieser  oder  jener  Pater  als  \'(  i'fassw 
genannt;  aber  wenn  dies  auch  nicht  der  Fall  wäre,  konnte  über  die  l'njve- 
nieuz  dieser  Tractälchen  kein  Zweifel  best^  luMi.  Da  gibt's  In  ilsame,  beschau- 
liche Andachten,  lehrreiche  Berichte  über  irgend  ein  Wunder,  das  sich  in 
himmelblaner  Gegend  zugetragen;  Prophezeiungen  Aber  den  bevorstehenden 
Untergang  der  Welt;  Schilderungen  von  schreckliclien  „Gottesgerichten*',  von 
Wettern,  Morden,  Bränden,  Rflnbereien  n.  derl.  m.  Das  Zeug  ist  wolfeil  und 
rindet  viele  Käufer,  das  macht  wol  nichts;  aber  es  findet  auch  viele  Gläubige, 
und  das  ist  schlimm.  Im  Gemüthe  des  Bauers  macht  sich  die  religiöse  Furcht 
Mhr  lebhaft  geltad.  Jose  Sduriften  wiiAen  nm  In  dieso'  Sichtung  ein ;  sie 
sind  daranf  berechnet,  einzttschflchtem.   Als  Ursache  des  göttlichen  Zornes 


Digitized  by  Google 


—    197  — 


wird  der  Übennath  der  MeDsehen,  die  liberale  ZeitstrOmiinff  —  mit  eiDem 
Worte  aUet  das  hingestellt,  was  das  Selbstbewiisstsein  kräftigen,  die  Willen»- 
st.lrke  anregen  könnte.  Dadurch  wird  das  MisstrainMi.  die  >Iutblosigkeit  des 
Bauers  und  seine  Feindseligkeit  gegen  die  (Je.sellsrhatt  verschärft:  indem  so. 
jede  freiere  Keguug  niedergehalten  wird,  bleibt  der  Üauer  in  seiner  Uubeholfen- 
heit  mid  ibigstUehkelt  jenen  ansgreliefert,  die  sicli  als  gütige  Vermittler  swi« 
sehen  ihm  und  den  bSsen,  strengen,  ttberirdiadiai  Uftchten  geriren.  Kan  nennt 
die  so  Epearteten  literarisclien  Erzen^issr  kurzweg  ..Stidelsrhriften"  und  iiillt 
sie  kfinei"  iiüheren  ^Vürdigung  wert;  difse  Beliandlmifr  verdienen  sie  jeduch 
nicht,  wenn  man  die  Thatsache  in  Betracht  zieht,  dass  srie  gewöhnlich  den 
ganzen  litentrisehen  HanMcbate  des  Banem  ansmadien  nnd  daher  einen  tief- 
greifeDden  Sdiad«i  Twarsadmi.  Do*  Bauer,  der  ländliche  Gewerbsmann  fiihlt 
manchmal  das  Bedürfnis,  sich  in  freien  Stunden  selbst  eine  anregende  Unter- 
haltung zu  verschaffen  oder  sich  autodidaktisrh  fortzubilden.  Nun  werden  ihm 
lauter  Schriften  in  die  Hand  gespielt,  die  seine  Bildung  und  sein  Wissen  nicht 
fSrdem,  sondeni  Um  in  die  geistige  Nacht  nnd  FinateniiB  anrftekbannen.  Be^ 
sonders  schädlich  wirken  die  perlodüch  erschdnenden  „Volk8"-S(9mften  ditter 
Sorte.  Ich  erwähne  hier  nur  die  beiden  Monatsblätter:  ,, Press vereins-Bote 
der  Diöcese  St.  Poltfri-'  „Der  Volksbote,  illustrirtes  Monatsblatt  zur 
AiitTdärung  und  Belehrung  des  christlichen  Vülkeü".  Das  erstere  erscheint  in 
Xi  eros,  ist  beiläufig  l^/^  Bogen  stark,  hat  eine  ^/^  Bogen  umfassende  illustrirte 
Beüagie  „Der  Kinderfrennd"  nnd  kostet  jShrlieh  70  Nkr.;  werden  zwei  Exem- 
plare anter  einer  Adresse  bezogen,  so  kostet  jedes  nnr  50  Nkr.  Jede  Num- 
mer dieses  Blattes  enthält  einen  allgemein  gehaltenen  politisdien  Aufsatz, 
irgend  eine  fromme  Geschiclite.  Berichte  über  die  \'or2:äüge  im  politischen 
Leben,  die  sich  namentlich  durch  überraschende  Verdrehungen  und  verbltilfende 
Entstellongen  anszelchnen.  NBher  aof  den  Inhalt  einzugehen,  ist  Aberftfissigr. 
ifier  Kisderfreund"  enthält  kleine  Gedichte,  belehrende  Aufsätze,  die  manch- 
mal granz  annehmbar  sind;  Tväthsel  fPrei.srätlist'l  sind  ein  beliebter  Köder). 
Das  granze  ist  aber  von  einer  süßlichen,  verdummenden  Fnimmelei  durehtrilnkt. 
die  namentlich  im  „Flaadei^lätzchen",  das  ein  „Eiudertrennd"  regelmäi>ig  in 
jeder  Kummer  hUt,  dentlidi  mm  Dorchbradi  gelangt  Nebenher  werden  die 
Kinder  mm  Propagiren  gedrült,  was  wol  der  Moral  nicht  sehr  förderlich  ist 
Auch  zu  Geldsaramlungen  für  Vereinszwecke  (angeblich  für  den  „Verein  der 
Kindheit  Jesu"  )  werden  sie  ans^eleitet.  über  die  Verbreitung  des  „Pres.'jvt  r- 
eins-Boten"  sainmt  Beilage  berichtet  das  1.  Heft  des  VIII.  Jahrganges  (Jänner 
1881):  „la  4000  Exemplaren  wandert  der  ,FreasvereinB>Bote'  hinaiu  Aber 
Berg  und  Thal,  tritt  ein  in  die  elnlbdie  Htttte  des  schlichten  Laadmanna,  so- 
wie in  das  staatliche  (sie)  Haus  des  Bürgers  und  wird  mit  Sehnsucht  erwartet 
und  mit  Freude  gelesen.  Welchen  Segen  aber  dir  „Kinderfreund"  bereits  ^e- 
stiitet,  entzieht  sich  der  Offen tlichkeft,  die  Früchte  davon  werden  später  offen- 
bar werden.  Doch  es  soll  noch  nicht  genug  sein.  Hehr  als  100  Pfarreien 
nnaerer  DiScese  sind  noch,  in  welchen  auch  nicht  ein  Exemplar  seinen  Ein» 
gang  findet.  Soll  das  so  bleiben?  0  nein!"  Dieser  Bericht  mag  auch  an* 
nlihf'md  richtig  sein.  Hin  .'^clinlleiter  .'^ebickte  mir  eine  beträchtlifbe  Anzahl 
von  Exemplaren,  die  er  „contiscirte",  nachdem  sie  an  mehreren  Orten  von  den 
Pfarrern  unter  die  Ei  wachsenen  und  die  Sciiuljugeud  vertheüt  worden  waren. 
Beinahe  jede  Nnmmer  enthUt  zom  Scblnsse  anter  dem  Titel:  „Fir  den  ^Preas- 


L/iyiii^ü<j  by  Google 


—   198  — 


verttüuboten'  der  Biöcese  St.  Pölten  sind  eingegangen"  ein  Vetzeichnis  der 
eingefran^Tti-  n  (Ttlder,  und  es  ist  erstaunlich,  was  von  diversen  ..bischöfliclipn 
Gnadeu"  und  ..Hochwürdeii",  sowie  von  Landieutea  aufgewendet  wird,  am  die 
Welt  mit  heilsamen  Lehren  zu  beglücken. 

}4)er  Volksbote^*  (encheint  in  Wien,  gwu^ibrig  60  Nkr.)  stimmt  im  In- 
halte und  in  der  Anlage  n  it  dem  ^^PrQWQveinBboten"  überein;  er  zeichnet 
sich  aber  vor  demselben  durch  einen  frefJiUigen,  volksthOmlidien  Stil  aus.  In- 
da} hindern  uns  Raumrücksichten,  in  eine  weitere  Besprechung  »^inziiffehen. 

Diese  Schriften  sind  nun  nicht  nui*  durch  ihren  eigenen  iuhalL  der  Bü- 
dnnir  feindlicb,  aondem  aie  wirken  anch  durch  die  LSetenug^  nnd  Sdindl^ 
hungen  gegen  alle  aalklftrenden  BiMiinjrs^chriften.  So  wird  das  Vertrauen  in 
liberale  Sdiriften  erschfUtert.  im  11.  Heft  des  VIII.  .Talirpan?es  des  ..Press- 
vereinsboten" steht:  „Ebenso  ist  es  die  Anfarabe  der  katholisclu  n  Kirche,  vor 
den  Uterarischea  Giftpflanzen,  d.  L  vor  schlechten,  rdigionsfeindlichen,  sitten- 
losen BflUdienit  Schriften  und  Kalendern  zu  warnen;  nnd  wenn  sie  es  dorch 
ihre  SeelsorKsr  thot,  so  verlangt  es  die  Pflicht  des  Gehorsams,  dass  wir 
nns  davor  hüten,  sie  weder  kaufen,  noch  lesen."  Namentlich  richtet  er  an 
seine  Leger  die  „innigste  Bitte":  Kaufet  vor  allem  keine  schlechten  Kalan- 
der.''*' Als  „Giftpflanzen  oder  schlechte  Kalender"  bezeichnet  er  unter  an- 
den  den  „NiederOsteR«le)iisehen  Volkskalender'^  ,43ieser  Kalender  bringt 
nnter  dem  Titel:  „„Unsterbliche  Gedankt  Kaiser  Josef  II."*'  eine  wahre 
Flut  von  Schmähungen,  Besdiimirfhngea,  Verachtnngen  über  Religion,  Einte, 
Priestertlinra,  so  dass  jedermnii*!  wirklich  ein  gntes  Werk  vollbringt,  wenn  er 
dieses  Machwerk  in  den  Ofen  steckt." 

Um  dem  Verderben,  das  durch  diese  schändlichen  „Volkse-Schriften  aus- 
cestrent  wird,  Einhalt  zn  thnn,  müssen  nun  endlich  energische  HaSregeln  er* 
griffen  werden.  Die  Uberale  Presse  hat  die  Aufgabe  zv  erfttllen,  durch  wahr- 
haft volkfithumliche  Public.itiorieii  den  atifkläreiiden,  versöhnenden  Ideen  Ein- 
gang in  die  Kindlichen  Bevüikerungskieise  zu  verschaffen.  Sollte  sich  denn 
gai'  kein  liberalt«  i^rovinzblatt  finden,  das  bereit  wäre,  eine  für  die  unter- 
sten Schichten  der  Ijsndlente  berechnete  Beilage  oder  Monatsschrift  heraus- 
zugeben?  In  der  Anlage  hKtte  man  sidt  nnr  genau  an  die  clericalen  „Volkse- 
Schriften  zu  halten;  der  Inhalt  aber  musste  natürlich  ein  edlerer,  freisin- 
nigerer sein.  —  Man  will  die  clericalen  Wühlereien  vornehm  ignoriren,  und 
wenn  sie  einen  Ertbig  erzielen,  dann  wirft  umn  die  Schuld  auf  die  Irregelei- 
teten. Wamm  aber  tritt  man  nicht  ans  der  Passivität  herans  und  venncht 
es  emstlich,  das  Volk  zum  Lieht  nnd  rar  Wahrheit  m  lühren? 


Der  13.  deutsch-amerikanische  Lehrertag.  1^^^^. r/y^^^^- 

In  der  ersten  Hanptversammlinig  referirte  naehBrletUgnng  der  Formali« 
tSten  Herr  G,  Bambergcr-Ncw-York  über  die  nArbeitsschnle*',  also  fiberein 

Thema,  nb<»r  das  fast  ^gleichzeitig  von  den  in  Kassel  versammelten  Lolirorn 
DentSflilands.  freilich  iiiit  einem  andern  Resultate,  verhandelt  wurde.  Die  Frage 
des  Haiidiertigkeits-Uüterrichtes  ist  Übrigens  von  deuti»ch-amerikam8cbeu  Schul- 
nft&nem  nicht  erst  diesmal  ventilirt  worden^  schon  seit  einem  Jahre  Amctionirt 
nfimlich  ein  vom  Lehrerbund  ernanntes  ständiges  Comit^,  welches  statistisches 
Material  zosammenzatrafren  hat,  und  schon  längere  Zeit  fehlt  es  auch  nicht  an 
praktischen  Versuchen,  auf  deutsch-amerikanischer  Seite  so  wenig,  wie  auf 
anglo-amerikauischer,  wenngleich  hinzugefügt  werden  muss,  dass  letztere 
I.  B.  in  St.  Lottis  sofort  die  letzten  Gonseqttenzen  zog  und  mit  den  Scholen 
ToUgtftndige  Tischler-  oder  Schmiedewerkstätten  in  Verbindung  setzte,  indes  die 
Dentgrhen  Amerikas  mehr  jener  Richtung  sich  zuwandten,  welche  in  dem  Ar- 
bf'itsnnterrichle  eine  Ergänzung  des  Turnens,  eine  Gymnastik  der  Hand  erblickt. 
Bambergers  Vortrag  beschäftigte  sich  mit  der  praktischen  Durchführung  des 
Arbeitsuiterridttes.  Die  ▼on  ihm  aufgestellten  Thesen  wurden  mit  geringen 
Ändeningen  aooeptirt,  so  dass  nnn  folgende  Thesenreihe  als  das  Votum  des 
deotsch-araerikanischen  Ldnertages  anzusehen  ist: 

1.  Aufgabe  der  Schule  muss  sein,  die  harmonische  Entwickelung  des  g-anzen 
Menschen  im  Ziigling  zu  fördern;  es  soll  die  Erkenntnis  erweitert,  ge- 
steigert und  gefestigt,  der  Wille  geregelt  und  der  Sinn  fttr  das  Schöne 
gepfl^  werden. 

2*  Die  Arbeit  ist  als  neuer  wichtiger  Factor  zur  Erreidmng  dieses 
Zweckes  in  'die  Schnle  einzuführen. 

Die  Arbeit  dient  a)  der  Erkenntnis,  indem  dnrc  h  das  SchatTen  der  Geren- 
stände  und  an  den  Gegenständen  die  Eigenschaften  dtr  Dinge  und  die  Gesetze 
ihres  Wirkens  am  deutlichsten  nnd  hestimmtesten  dem  Schaffenden  mm  Be- 
woBstseln  kommen. 

Die  Arbeit  dient  b)  der  Entwickelung  und  Regelunj^  des  Willens,  indem 
durch  sie  die  Festigkeit  der  Entsdiließnng,  die  Aasdauer  und  überhaupt  die 
Freude  am  Handehi  selbst  gesteigert  wiid. 

Die  Arbeit  dient  c)  der  Entwickelung  des  Formensinnes  nnd  der  Bildung 
des  Geschmackes,  indem  einmal  das  Bewnsstsehi  der  Form  durch  ihre  Über^ 
tragung  auf  wirkliche  Gefren«tUnde  an  Bestimmtheit  gewinnen  muss;  dann  aber 
der  Sinii  für  die  Schönheit  der  Formen  durch  die  Auswahl  der  Gegenstände, 
die  dem  jungen  Arbeiter  zur  Nachbildung  empfohlen  werden,  gefördert  wird. 

3.  Die  Hand  (?)  soll  den  Geist  und  der  Geist  die  Hand  leiten. 

*)  YeigL  die  Torige  Kmmnsr  des  »Pädagogium". 


üiyiiizeü  by  GoOgle 


—   200  — 


4.  Die  Arbeit  80II  den  Tunmuteniclit  ergäiizt-n,  eine  (avinnastik  tur  liaiid 
nsd  Auge  s^. 

5.  Die  Arbeit  und  die  Sclmlwerlutfttte  miissen  sittlidi  auf  die  Kinder 
wirken  tind  sie  schuii  früh  zn  frefrf'nseitiorer  Freundliclikt'it  and  g€lll^« 
Samern  Arbeiten  und  Handeln  befiihigeu  und  heramsieiieu. 

6.  Die  Arbeit  soll  einen  Aosgleicii  zwischen  der  körperlichen  und  geistigen 
Thftt^keit  bieten,  eifttediend  und  belebend  anf  Aea  Unterricht  wiilEeo. 

^  7.  Die  Bchnlwerkstfttte  iat  dem  Erzielwr  tat  beawren  Erk^tnis  des 
Zög!in»:s  iiöthiij:  und  zeichnet  schftrfw  den  Weg  vor,  dra  et  seinen 
Zögling  zu  tüliren  hat. 

8.  Durch  die  Arbeit  in  der  Schale  soll  dem  Kinde  früh  Achtang  vor  der 
Arbeit  und  dem  Arbeiter  eingeflISAt  werden. 

9.  Durch  die  Arbeit  adiaffen  wir  dem  Kinde  nieht  nur  geistige,  londeni 
auch  materielle  Vortheile. 

10.  Durch  die  Einführung  der  Arbeit  in  die  Schule  wird  die  «ociale  Hebung 
der  Maj»8e  augebahnt.  Das  zur  Arbeit  tüchtig  gemachte  Volk  wird 
den  Aufgaben  des  Lebens  selbstständiger  nud  selbetbewusster  gegen- 
über stehen. 

Hierauf  legte  das  Comitö  für  Pflege  des  Deutschen  einen  Bericht  vor, 
dessen  Keniimukte  folg-ende  sind:  Obwol  das  Coniit»'^  der-Ansicbt  ist.  das.s  der 
Unterricht  mit  dtr  Muttersprache  begonnen  und  <lie  Einspraehifrkeit  bis  zu  dem 
Zeitpunkte  eingehalten  werden  soll,  da  der  Schüler  geläuüg  zu  le^eu  und  die 
Dinge  «einer  Umgebnng  richtig  anMsndrBcken  vmteht,  to  m9g«  dennoch  in 
Anbetracht  des  Umstandes,  dass  die  Gesetze  der  verschiedenen  Üuion-Staatra 
nur  die  enuflische  als  rntt-rriclitssprachc  gestatten,  Pelnilen  aber,  in  denen  nnr 
d(  uts<  h  jirelchrt  wiid,  nicht  zuläsaig  sind,  der  Unterricht  gloidizeitig  in  beiden 
Laudessprachen  beginnen. 

Die  Sehnlbehllrden  mögen  angedehts  der  Wichtigkeit  der  Elementardasse 
für  die  Fondimng  des  Deatschen  die  Stellen  der  filementarlehrer  als  Ehren- 
posten betrachten  und  dafür  durch  Anweisung  möglichst  hoher  Gehalte  die 
geeignetsten  Kräfte  zu  erhalten  und  zu  gewinnen  suchen.  —  Das  Comit*'  erklärt 
zwar  für  sein  Theü  die  Normalwörter-Methode  für  die  beste,  doch  legt  es  der 
Wahl  der  Methode  keiiM  zu  gjoJSe  Wichtigkeit  bei,  wenn  die  Elementailehrer- 
stellen  in  obiger  Weise  besetzt  sind.  Man  lasse  die  Lehrluftfte  die  Methode  nach 
ihrer  Individualität  wählen. 

Ein  Vortra<r  des  Vorsitzenden  Schur i cht -Chicafro  wies  nach,  dass  die 
Behandlung  der  vorcolunibischen  Geschieht«  und  der  altindischea  Mythenschätze 
in  der  amerikanischen  Schale  von  großem  erziehenden  Einflnss  sein  mösste. 
Die  gehaltvolle  Bede  führte  za  dem  Beschlnssy  es  sei  im  Sinne  der  Sdrarichtr 
^^chen  Darlegungen  durch  einen  Ausschu.ss  bis  zum  nächsten  Lehrertage  ein 
für  die  Schuljuf^end  berechnetes  Gescliichtsbuch  auszuarbeiten. 

In  der  2,  Hauptversammlung  referirte  eine  Dame,  Fräulein  C  e  1  i  a  Dr.rntr- 
Cincinnati,  über  den  ,,gelegentlichen  '  Unterricht,  worunter  sie  die  Belehruiife' 
über  allerhand  wissenswerte  Dinge  versteht,  „die  im  Lelircnrsiis  nicht  enthalten 
sind".  In  der  Debatte  felilte  es  nicht  an  Stimmen,  welche  vor  Verflachnng 
warnten,  aber  die  Mehrzahl  der  Redner  erklärte  ihre  Freundschaft  zu  einer 
liChrweise,  bei  der  es  sich  wol  weniger  um  die  Aufstapelung  einer  bestimmten 
Summe  von  Details  handle,  als  vielmehr  darum,  eine  Anregung  zu  eigenem 


Digitized  by  Google 


—  201  — 


Nachdenken  und  Beobachten  zu  geben,  den  Kindern  (Teschiuiick  an  guter  Lec- 
t&re  and  nutzbringender  Verwendung  der  freien  Zeit  beizubringen.  In  diesem 
Sinne  waide  Midi  eine  Beaolation  bMddoflwn. 

Für  mitere  Kreise  d&rfte  noch  die  Erwühnong  eines  in  der  3.  Versamm- 
lung vom  nnnmchri^en  Redactenr  des  Rnndesnrg-anes.  der  ,,Erzie]iung8-Bliitter'", 
erstatteten  IJeric  hts  von  Interesse  sein,  weicher  das  amerikanisdie  Kindprgarten- 
wesen  zum  (iegeustande  hatte.  Hailmann-Detroit  constatirt«  das  erfreu- 
licfae  Factum,  daas  jenseits  des  Atlantic  die  FrSbetsaehe  erfirenUche  F^rtsehiltte 
macht,  welcher  von  den  deatschen  wie  englischen  Elementen  gleichmäßig  herbei« 
gpfnhrt  wird.  Dort  und  da  entstehen  nanüiafte  Vereine,  welche  eine  wirksame 
Propaganda  zu  Gunsten  der  Kindergärten  entfalten,  z.  H.  die  Bostoner  American 
Fioebel  Union,  welche  die  Schriften  FrSbels  wacker  verbreitet.  Damit  dem 
Lichte  jedoch  ancb  der  Schatten  nicht  H^e,  mnirte  der  Beriehteratatter  aneh 
des  ümstaades  erwfthneo,  dass  Versndie  gemacht  wefden,  die  KindetgSrten  in 
den  Dienst  des  rdigilfsen  Dogmas  m  stellen. 

* 

Es  ist  heb  Tollstbidiges  Büd,  das  wir  hier  yon  den  Arbeiten  des  13.  dentsdi- 
amerikanischen  Ldumtages  entworfen,  aber  auch  die  wenigen  Striche  werden 
erkennen  lassen,  dass  auf  dem  jung-fnlnlicli»Mi  Boden  des  freien  Amerika  eine 
Saat  zu  koinien  ber^innt,  deren  Samen  aus  Europa  liiuüberKeholt  wurde,  nnd  die 
dereinst  dem  duiclt  keine  nationalen  Zwistigkeiten  gest4)rten  freien  Vulke  zuiu 
Segen  gereichen  wird. 


Digitized  by  Google 


K«€hriolitei  und  Glossen. 

In  der  Schweiz  erfolgte  am  26.  Novbr.  d.  J.  die  Volksabetiiomung  über 
dea  BeschlnaB  Bnndeantha  Tom  14.  Jmii  betreffimd  die  ataatliehe  Leitnng 
d«s  FiiBiinmtenichts  uod  die  Ansteüiuig  eines  eidgenOeriicheii  Scholsecrelftn. 

Das  Resnltat  war  höchst  tmerfireolich,  indem  die  Propositionen  des  Biindesraths^ 
mit  301352  gregen  ir)7'221  Stimmen  abjrelehnt  wnr«L'ii.  AlliMii  Air-oli-Mm'  naoh 
hat  die  Coalition  des  besohrankteu  Kantönligeistes  mit  dem  uubescluüukteii 
Ultniuiontauismus  den  fortschrittlichen  Plan  des  Bandes  zu  Falle  gebracht 
Verlftnfig  ürt  aleo  den  in  der  Celtnr  znrttdtgebUebenen  Kantonen  der  Schweis 
die  Antonomie  des  Unventaadea  gewalirt.  Anf  wie  lange?  — 

Der  ungarische  Unterrichtsminister  hat  in  einem  Erlass  die  Lehrer 
anfgefordert,  gegen  da«!  nnmiiCicrc  Branntweintrinken,  welches  namentlich 
unter  der  slovakischen,  ruilienischeu  und  rumSlnischen  Bevülkernns:  in  btMlr<>h- 
lichem  MaUe  um  sich  greife,  mit  allen  Kräften  anzukämpfen,  sowol  im  ScLul- 
nnterrichte  als  im  Verkehr  mit  dra  Erwadisenen.  -~  Dto  Litention  des  Mini* 
sters  verdient  alle  Anerkennung,  und  die  Lehrer  werden  nebst  all  ihren  an- 
deren Oblicif.  nlieiten  wol  auch  noch  eine  neue  nach  Knlften  erfüllen.  Aber 
bi'trctfs  der  Truiiksncht  werden  sie  allein  nicht  viel  ausriclitcn,  7,umal  viel»- 
Branntweiutrinker  ihre  Kinder  gar  nicht  in  die  Schule  schicken  und  wol  auch 
in  eigener  Person  deaBekehmngsversnehen  der  Lehrer  schwer  angänglich  sein 
dürften. 

Ans  einer  Provinz  Preußens  erhalten  wir  folgende  Mittheilung: 

all.  wo  ein  .strebsamer'  Kreisschulinspector  regiert,  haben  sich  die  Landlehrer 
wie  die  Schafe  zusaninient reiben  lassen,  um  bei  den  kin  liHchen  und  politischen 
Wahlen  nach  dem  Willen  des  hochmügeuden  Herrn  zu  stimmen.*'  —  Eine 
lifihne  Erweiterung  des  Thierreiehes,  die  man  selbst  dem  strebsamsten  Sehnl* 
inapector  kaum  zntranen  sollte.  Wenn  schun  die  Weisen  des  heidnischen 
Alterthums  die  Achtung  der  ^fenschenwürde,  selbst  im  Kinde,  proclamirten,  s<) 
sollten  docli  wnl  attch  christlich  fromme  Schalinspectoren  ihre  Lehrer  nicht  wie 
Sciiafe  behandeln. 


VeranlwortUchcr  Kcdacteur:  M.  8u>in.  Bacbdructcrni  Juliu»  Kltiikhardt,  LeiiwiK. 


Digitized  by  Google 


IKe  Wie1iti|;keit  der  Ideenassoeiation  für  die  PIdagogik. 

Von  Dr.  Mohr-WürJ^urg. 

U  nsere  Deiiktliätigkeit  vollzieht  sich  bisweilen  in  Form  logischer 
Schlüsse,  häufiger  aber  nur  in  Ideeuassociationeu.  Kein  Mensch  besitzt 
eine  Gedankenwelt,  die  allenthalben  logiseh  klar  ausgebaut  ist;  viel- 
mebr  liestelit  der  Inlialt  onseros  Qdates  zumeist  ans  verwebten  Ge- 
dankencomplezen,  die  sich  so,  wie  sie  historisch  entstanden  sind,  ab> 
gelagert  haben,  und  nur  nach  mancher  Seite  hin  ist  der  logisch  streng 
Schlieflende  Verstand  durchgebrochen  und  hat  ihren  Zusammenhang 
zerrisseu.  Allen  ZufiÜlen  der  Er&hrung  und  allen  Vomitheileii  sind 
wir  bei  mangelhafter  logischer  Controle  des  Verstandes  preisgegeben, 
und  so  leideii  wir  fhst  alle  an  gar  manchen  fiist  nntrennbar  geworde- 
nen Ideenassociationen,  die,  ohne  durch  ein  höheres  Bedttrfiiis  gerecht- 
fertigt zu  sein,  aller  Logik  spotten.  Welche  Macht  muss  nun  erst  bei 
nnentwii^elten  Menschen,  in  denen  die  Thfttigkeit  des  Denkvermögens 
kanm  erwacht  ist,  die  Ideenassoeiation  besitzen!  Offenbar  lilsst  sich 
hier  hauptsächlich  nur  durch  Segelung  der  Assodationsbildung  mit 
Hilfe  der  Gewohnheit,  der  Anune  der  Erziehung,  etwas  erreichen. 

Die  Gesetze  der  Ideenassoeiation  lassen  sich  auf  zwei  zurück- 
führen:  auf  das  der  zeitlichen  Gemeinschaft  und  das  der  Gleichheit 
Dem  ersten  zufolge  suchen  alle  zeitlich  zusammenhangenden  Vor- 
stellangen  einander  heiTorzurufen,  mi'^^en  sie  nun  plciclizeitig  gewesen 
sein  oder  dne  zeitlich  ablaufende  Keihe  gebildet  haben.  Hat  man 
öfters  einen  Bettler  mit  einem  Hunde  gesehen,  so  vermisst  man,  wenn 
man  später  nur  eines  dieser  Wesen  wahrnimmt,  das  andere.  Ein  paar 
T«jne  eines  Liedes,  das  man  frülier  gehört  hat,  erinnern  sofort  an 
das  ganze  Lied.  Das  zweite  Gesetz  drückt  aus,  dass  eine  Vorstellung 
Hi'if  tViilierp  gleiche  wiederzubeleben  sucJit.  ?Iat  man  eiü  Kxfmplar 
einer  seltein  ii  Pflanze  einmal  lietrachtet,  ^o  erinnert  ein  zwei(es  .sofort 
an  jenes.  Üride  (li-.-^t,  tze  krauen  sich  vereiniireTi .  iüdeni  eine  Erschei- 
nung zunächst  eine  gleiche  und  dann  die  mit  Uicöeu  zeitlich  zusammen- 

Psdigogiiua.  A.  JAhrg.  HtA  IV.  14 


—   204  — 


hängenden  erweckt.  Acht4ät  man  bei  der  Betrachtung  einer  Pflanze 
auch  auf  das  Terrain,  welchem  sie  ansrehort,  so  wird  man  durch  eine 
zweite  seihst  wenn  ihr  Standort  i  in  anderer  ist,  an  den  der  ersten 
mit  (  riiiiii'i  t.  Kiu  Fall  lu  >  umIhh  r  Wrkrmpfunfr  beider  besetze  ist 
die  Association  nach  der  Aljnliclikeit :  ähnliche  Erscheinung-en  infen 
einander  hervor,  indem  zunächst  das  Gleiche  durch  das  (bleiche  und 
sodann  die  mit  dem  Gleichen  zusammenhänfrenden  be^<«nderen  Zfi^e 
erweckt  werden.  Sieht  man  eine  Pflanze,  die  einei  bekannten  ähnlich 
ist,  60  fallt  zunächst  das  Gleiche,  z.  B.  der  Blüte  auf.  «lie  damit  ver- 
bundenen Besonderheiten  aber  lassen  das  Ganze  nicht  gleich,  sondern 
uui-  ähnlich  erscheinen. 

Diese  Thatsachen  sind  für  die  Pädagogik  von  großem  Werte. 

Schon  die  niedere  SchiübUdiiiig  betrachtet  das  „  geistlose  Aaf* 
sagen"  von  Memorirtem,  d.  h.  die  MoBe  Beprodnction  des  nach  dem 
GeBßiii  der  Gleichheit  nhd  der  zeitlichen  Oemeinschaft  Assocärten 
nicht  als  ihre  eigentliche  Aufgabe.  Nicht  durch  mechanische  Nach* 
ahmung  wird  der  Geist  geweckt  and  gefördert,  sondern  dorch  Anf- 
mnnterong  zur  Sdbstthätigkeit  Indsm  er  Ähnlichkeiten  au&ncht, 
natOrlieh  anfangs  nnr  in  Bingen,  wo  eine  klare  Anschannng  mdglich 
nnd  nicht  durch  compUdrte  oder  gar  ahstracte  Verhältnisse  der  Über- 
blick  erschwert  ist,  wird  das  Prodnctionsvennögen  rege  nnd  kann 
sich  entfiilten.  Gewiss  soll  der  Geist  nicht  zn  firflhzeitig  oder  vor- 
wiegend  auf  die  gleichen  nnd  Ähnlichen  Verknfipfhngsforroen  des  Mannig- 
fachen gerichtet  sein.  In  erster  Linie  sind  die  concreten  Thatsachen 
in  ihrem  ganzen  Zusammenhange  nnd  dann  erst  die  allgemeineren 
Ähnlichkeiten  der  Dinge  zu  beachten.  Vernachlässigt  man  ersteres, 
so  wird  sehr  bald  das  Gedächtnis  in  demselben  ^laße,  als  es  sich  für 
die  allgemeinen  Beziehungen  zwischen  den  Dingen  sch&rft,  för  die 
concrete  Reihenfolge  der  Erscheinungen  und  Vorgänge  schwächer  wer^ 
den.  Vernachlässig^  man  aber  letzteres,  so  wird  man  zuletzt  einen 
verwickelten  Thatbestand  nicht  einmal  mehr  festhalten,  geschweige 
denn  veretehen  können,  da  man  nicht  die  herrschenden  allgemeinen 
Gesicht«!puiikte.  die  auf  der  Beobachtunp:  der  Ähnlichkeiten  beruhen, 
aufzufinden  gelernt  hat,  wodurch  allein  eine  Übersicht  möp-lich  wird. 
Daher  sind  Prtanzpnbp5?timmungen  für  den  jugendlichen  Geist  ungemein 
bildend,  da  er  hier  auf  dem  Weg'e  der  Anschannng  Älmlidikeiten  auf- 
zusuchen und  unter  be&tinnuit  (  lassen  zu  bringen  hat. 

Ähnlich,  aber  scliwiei  i  j»  i-  sind  sprachliche  Übungen;  denn  be- 
stimmte Fälle  unter  dein  An-  liein  nach  ganz  willkürliche  und  logisch 
oft  schwer  unterscheidbare  formen  des  Öpracbgebrauchs  zu  biingen, 


Digitized  by  Google 


_   205  — 


ist  ein  sehr  abstractes  and  oft  wegen  des  ZusanuneiiflnsseB  mehrerer 
etnachläglicher  Regeln  sehr  complicirtes  Geschäft,  das  anfiiiigs,  eben 
weQ  es  mit  der  Welt  der  wirklichen  Dinge  direct  nicht  zusammea- 
hftngt,  nur  dorch  Weckung  des  allgemeinen  Wissenstiiebes  Interesse 
einflöfit.  Man  mnss  aber  hier,  und  noch  mehr  in  realen  Disciplinen, 
nicht  nui'  eine  Überladaag  des  Geistes  mit  Kenntnissen,  die  bloßer 
Memorirstoff  sind,  sondern  auch  ebensosehr  eine  Überanstrengung  ver- 
meiden,  um  nicht  die  Productionskraft  zu  ersticken.  Mangel  an  Pro- 
dnctionskraft  im  weiteren  Sinne  dieses  Wortes  ist  das  charakteristische 
Merkmal  der  Dummheit.  Sie  kann  die  Folge  einer  Vernachlässigung 
von  Seiten  der  Natur  sein,  aber  ebensogut  auch  die  einer  verkehrten 
Bilduno^snietliode,  die  sieh  lediglich  an  die  Assimilationskraft  der  au 
die  Schulbank  gebannten  Jugend  wend^'t.  II  uiflg  ist  die  Dummheit 
nur  ?eisti£re  Beschränktheit,  die  vermöge  UMiiiinstig-er  äußerer  Um- 
stände nicln  über  den  Baauki'eis  einer  Hrmli<  ln'ii  Vorstellungswelt 
liinansgekommen  ist  und  nun  vor  jeder  neuen,  freitideii  Idee,  mag  sie 
auch  noch  so  einfach  sein,  stutzt  oder  überliaupt  lui-  alle  coniplicir- 
tereu  uud  abstracteren  Verhältnisse  kein  Verständnis  hat.  Die  Dumm- 
heit zeigt  sich  als  geistige  Unbeholfenheit,  die  in  der  Schwerfälligkeit 
der  Association  ihren  (Tiiind  hat,  wie  sie  sich  in  dem  Unvermögen, 
eine  Anzalil  znsanimenu:ehr)riger  Dinge  rasch  zu  erfassen,  festzuhalten 
und  schnell  zu  reproducii'eu,  kundgibt,  also  vor  allem  ni  ikm  ^laugel 
au  Auflfassungskraft  und  Schlagfertigkeit.  Vorgebeugt,  beziehentlich 
abgeholfen  kann  dem  Übel  nur  werden  durch  gi'ündliche  Schulung  der 
jugendlichen  Geister,  namentlich  dnreh  Einleitung  asahlreicher  vad 
correcter  Gedankenassociationen. 

Der  PSdagog  vermag  nichts  ohne  Antorität  Wie  im  absoluten 
Staate  betrachtet  man  auch  in  der  Schule  die  Disciplin  als  ein  Hanpt- 
effordemis«  Häufig  fiiast  man  sie  sogar  nicht  als  ein  Mittel  zum  Zweck» 
sondem  als  einen  Selbstzweck  auf>  Vielen  scheint  nicht  der  Bespect, 
sondern  nur  die  Furtht  zu  genügen.  Aber  zur  Entfaltung  der  Geistes- 
krlfte  gebOrt  eine  gewisse  Freiheit,  die  man  gewähren  mnss  und 
kann,  sobald  die  Autorität  gesichert  ist  Lust  und  Interesse  sind  die 
p^chischen  Hauptbedingnngen  der  Bildung  von  Ideenassodationen. 
Das  ist  eine  unumstößliche  psychologische  Wahrheit.  Wird  der  Schul« 
zwang  nicht  als  unerbittlicher  und  nachdrücklicher  Sporn  des  Bildungs- 
triebes, sondern  als  druckender,  lähmender  Alp  empfunden,  so  liegt 
die  Gefahr  nahe,  dass  sich  die  Freiheit  des  Geistes  auf  Nebenwegen 
zum  Schaden  der  noi  malen  Entwickelung  Bahn  bricht.  Sehr  interessant 
sind  darum  für  den  Pädagogen  Beobachtungen  der  Jugend,  wenn  sie 

u* 


Digitized  by  Google 


—   206  — 


sich  frei  weiß,  besonders  da,  wo  sie  unzweifelhaft  mit  Lust  ihren  Geist 

bethätigt:  bei  Spielen.  Hier  offenbart  sich  immer  das  ganze  Naturell 
des  jugendlichen  Chai*aktei's  deutlicher  als  in  der  Schalstube.  Wie  oft 
kommt  es  vor,  dass  ein  Individuum,  das  in  der  Schule  als  vollendeter 
Dummkopf  gilt,  hier  Geistesgewandtheit,  Lebhaftigkeit  der  Gedanken- 
a^sociation  und  selbst  einen  gewissen  Scharfsinn  bekundet!  Sollte  dies 
nicht  manchen  Pädagogen  rerauJa-ssen,  die  Hand  aufs  Herz  zu  legen 
und  in  seinen  ürtheilen  über  die  Fähigkeiten  der  Schüler  vorsichtig 
zu  sein?  Zwn  weni«rsten  ist  danach  zu  streben,  in  der  Schule  selbst 
ein  Gleichgewicht  zwischen  dem  Respect  vor  der  Ant'  iität  und  der 
Kr»  ilicit  des  Individuums  herzustellen.  In  der  Ven  iiii^unL''  und  Aus- 
l_''l*  ir!iunfc  dieser  beiden  (iegensätze  zeif^^t  sich  (ier  Meister.  Die&e  Ver- 
einigunii-  und  Ausgleichung-  ist  aber  Sache  des  pädagogischen  Tactes 
und  des  praklischeu  Geschickt.s,  die  durch  das  tiefste  theoretische 
Verstäüdiiis  nicht  ei*setzt  werden  kuiau  n.  Darum  gilt  in  der  That  in 
der  Pädagogik  das  Wort;  Die  Erfahrung  ist  die  beste  Lehrmeisterin. 
Aber  die  ICi  luhrung  wird  wertvoller,  wenn  sie  nicht  von  der  urwüch- 
sigen, blindlings  zusanimengeraftten ,  nüt  herkömmlichen  Vonirtheilen, 
traditionell  vererbten  Redensarten  und  kmzsichtigeu  Maximen  durch- 
setzte Psychologie  des  naiven  Bewusstseins  abhängig  ist,  sondern  von 
einer  wissensdiilllieli  gelftoterten  Kenntnis  der  psychischen  Welt  Nur 
dttrfen  Psychologie  und  Pftdagogik  nicht  emander  fremd  hleiben,  sie 
mOssen  viehnehr  in  lebendiger  Wechselwirkimg  za  eina^ider  stehen. 


Digitized  by  Google 


^  Eine  Schnlrede  anf  dem  Mtinchener  Rathhanse  1780. 

Beitrag  aur  Geschichte  <les  l'nterriclitswesens  im  18.  Jahrhundert. 

Von  Dr.  MuggetUi*4Uer-'Mündun. 

L 

OfT  alte  Kaiupt  der  beiden  Schwerter,  des  geistlichen  und  des 
vveltiichen,  ist  auch  heute  noch  nicht  beigelegt;  im  Grunde  bildet  er 
vielmehr  das  Thema  der  Weltoreschichte,  und  wenn  als  abschlieiiende 
Versöhnung  am  Ziele  der  Zeiten  Kin  Schafstali  und  Ein  Hirt  in  Aus- 
sicht gestellt  ist,  so  haben  wir  heute  kaum  das  Gefühl,  dieser  idylli- 
schen ünitormirunfi:  schon  nalie  zu  sein.  Auch  Görres,  sonst  vieles 
glaulh-nd,  g-lanbt^  dies  nicht,  wenn  er  sterbend  der  Welt  zum  Ab- 
schied sa^te:  „Der  Staat  regiert,  die  Kirche  protestirt."  Kiu  ZLl^talid 
uder  eine  Praxis,  mit  der  freilich  der  Stifter  der  Friedensreligiou  selbst 
sich  kaum  einverstanden  erklären  ▼Qrde;  verwies  er  doch  so  deutlich 
auf  die  Theorie  halbirender  Vermittelimg  in  dem  8eh(inen  Mahnwoite: 
don  Kaiser  m  geben,  was  des  Kaisers,  und  Gott,  was  Gottes  ist  Ein 
W(tartch6D,  Aber  welches  das  Gras  Ton  mehr  als  1800 Jahren  gewachsen 
ist,  mag  nun  aUndings  schon  ans  dem  Gedächtnis  geschwunden  sein, 
nnd  jeden&Us  ist  es  eine  geschichtliche  Thatsache,  dass  von  jeher  der 
sanfte  Johannes  und  der  streitbare  Panlns  nm  die  Vorhenschaft  auch 
imerhalb  der  Kirche  rangen,  und  dass  letzterer  fut  immer  die  Ober- 
hand gewann  and  dami  die  Streitaxt  anch  gegen  den  Staat  kehrte, 
Za  den  verachiedenen  Streitobjecten  gehört  namentlich  die  Schale; 
der  «junge  Schnlherr^  Staat  nnd  die  „alte  Schnhnntter'*  Kirche  machen 
sich  gegenseitig  dsa  EÜgenthnmsrecht  an  der  Jagend  streitig,  und 
schon  die  Zähigkeit  nnd  Heftigkeit  des  Kampfes  lässt  auf  ein  tief- 
liegendes Motiv  sohlfe^^en.  Anf  den  Schultern  der  Jugend  ruht  die 
Zukunft  —  sagt  der  Bector  zum  schmeichelhaften  Abschied  den  Abitu- 
rienten; nur  mit  der  Jugend  hat  man  auch  die  Zukunft  und  damit 
die  Weit  in  der  Hand,  und  gründliche  Pläne  und  Versuche  jedweder 
Brobening  setzen  immer  bei  der  Jagend  ein,  mit  den  Alten  ist  nichts 


L/iyiii^ü<j  by  Google 


—   208  — 


mehr  anzufangen.  Kinder  sind  noch  nicht  fertige,  noch  nicht  heetunmte, 
flondern  bestimmbai'e  Menschen,  aus  ihnen  ist  noch  alles  zu  machen, 
daher  der  ronsseaukranke  Weither  Goethes,  dem  alle  Determmirtheit 
nnd  Selbstdetemiiiiiniug  ein  Greuel  ist,  gerade  in  den  Kindern  noch 
die  reine,  allem pföngliche  Natur  ehrt  und  sie  küsst,  „auch  wenn  sie 
ein  Rotznäschen  haben"*.  Dass  nun  die  PotenziaHtät,  welche  die  Natur 
im  Kinde  gibt  und  bietet,  zur  Actualität  gerufen  werden  muss  —  wie 
Aiiftotples  sagren  i;^iirde  —  dass  also  das  Kind  gebildet,  erzogen  werden 
muss,  darüber  sind  sich  aiieh  jene  br  iden  streitenden  Theile  klar.  Aber 
das  Wozn?  ist  der  streitij^e  Pnnkt,  der  von  iJittes  trefflich  präcisirt 
wird:  ,.I)er  Lehrer  ist  Pädagog,  der  Planer  Theolog.**  Dem  Staate 
muss  es  um  harmonische  Ausbildung  aller  im  Menschen  iie^^endcn  An- 
lagen, eben  um  Humanität  zu  thun  sein;  die  Kirche  aber  will  mit  j»rin- 
cipieller  nnd  ein^eifiyer  Accentnimng  des  religiösen,  ja  conlt\-^>ionellen 
I'lniit-nts  getreue  Kmdei',  Gläubige  sich  eraehen.  W'i.^sen  und  Pa- 
triütiümui»  gehen  nur  nebenher;  daher  denn  auch  das  tiefe  .Schweigen 
über  die  Nothweudigkeit  specieller  Geistesbildung  in  jenen  Zeit^jn,  wo 
die  Kirche,  im  Centrum  d^  Vßlkerdaseins  sitzend,  (ttr  ein  Jenseits 
erzog  und  mit  ihrem  credo  quia  absurdum  die  Stufenleiter  mensch- 
licher Geistesentwickelung  und  Cultui'  umstürzte,  den  Verstand  mit 
seinem  Wissen  zu  miterst  stellte  und  den  zu  oberst  stellenden  „Armen 
im  Geiste**  selig  pries. 

Clemens  Alezandrinos  preist  einfach  die  Kinder  als  die  „Blmnen 
des  Ehestandes",  nnd  ftber  ein  Jatartanaend  verging,  bis  die  gesonde 
Grobköniigkeit  im  Kirehenrocke,  P.  Abraham  a  St.  Clara,  beifügte: 
„Gat,  aber  die  Blumen  müssen  mozAnnet  werden  mit  Bnthen  nnd 
Stecken,  sonst  kommt  eine  jede  San  darfiber.*  Damit  war  wenigstens 
anf  die  Nothwendigkeit  einer  pflegenden  Gftrtnerhand  hingewiesen; 
aber  diese  piegende  Hand  selbst  fehlte  noch,  nnd  das  Blfimiein  des 
dentschen  Kindes  konnte  schon  deshalb  nicht  gedeihen,  weil  es  nicht 
in  dentsches  Erdreich  seine  Wurzeln  senkte.  „Ifan  gruVs  mit  allen 
den  Würzlein  ans,  nnd  trog's  an  einen  andern  Ort,  da  grünt  es  nicht 
weiter  nnd  blüht  nicht  fort**,  mOchte  man,  Goethe  modifldrend,  sagen. 
Die  Schnfirbmst  des  scholastischen  Latinismus,  der  nach  dem  Lehr- 
plane der  Jesniten  die  ausgesprochene  Absicht  hatte,  „die  Jugend  Ar 
die  Zwecke  der  alleinseligmachenden  Kirche  zu  erziehen",  machte 
selbst  im  Hörsaale  der  Hochschule,  in  der  Brust  des  Gelehrten  einen 
echt  deutschen  Athemzug  lange  unmöglich,  und  noch  1709  kann  z.  B. 
H.  A.  Francke  klagen:  „£s  gibt  wenig  studiosi  theologiae,  die  einen 
deutschen  Brief  irecbt  orthogiaphice  schreiben  können.''  Friedrich 


Digitized  by  Google 


—   209  — 

der  GroBe  nannte  d«i  dAOUiJjgen  Kanzleistil  „etwas  verteafeltes",  er 
selbst  sorgte  als  Frotector  franzSstrender  Verbüdnng  fttr  die  Unter- 
drUekung  alles  dentsehen  Wesens.  Ekhof ,  dem  Vater  der  deutschen 
Scbanspidkunst  ond  Zeitgenossen  Lessings,  wird  spedell  zum  Rahme 
angerechnet,  dass  er  nicht  blos  mit  eigener  Namensunterschrift  seine 
Gage  abzuquittiren  imstande  war,  während  die  übrigen  Schaospider 
mit  dem  Kreuzlein  des  Analphabeten  abqoittirten,  sondern  dass  er 
sogar  orthographisch  schreiben  konnte. 

Von  wem  siollte  das  deutsche' Kind  damals  auch  deutsch  lernen? 
Vom  „ Schullehrer nicht,  denn  einen  solchen  ^nh  es  noch  nicht  in 
einer  Zeit,  wo  zwar  Lessing,  Schiller  und  Goethe  schon  am  Eingange 
standen,  ja  am  deutschen  Bildungswerke  bereits  arbeitet<»n,  von  einer 
Vorbildung  der  Dorfschulmeister  aber  noch  keine  Rede  war,  die  Schul- 
meisterei  \ielmelir  nur  als  ein  „bloßes  Zubehör  des  Küster-  und  Messner- 
amtes" l)etrachtet  wurde;  galt  es  doch  schon  als  eine  sehr  belang- 
reiche \>rbesserung,  als  z.  B.  die  würtembergische  Kirchenordnung 
fl750^  bt  -uinmte;  ..Damit  sich  die  Schulmeister  dem  Schuldienste  besser 
widmen  können,  >oll(  n  -sie  vom  Biittpl-  und  Fbirscliiitzendienst  frei 
>eiii.  als  welcher  weiier  dem  mnraliseiicu  Ansehen  noch  der  Berufs- 
erlülliing  eines  Schulmeisters  souderlicli  zuträglich  sein  kann."  Ein 
kurlüi-stlich  brandenburgisches  Patent  vom  Jahre  1740  verordnet: 
„Zu  Küstern  und  Schulmeistern  dürfen  auf  dem  Lande  außer  Schnei- 
dern, Leinewebern,  Scimiiedeu,  Kademachern  und  Zimmerleuten  keine 
andern  Handwerker  srenommen  werden",  und  noch  im  Schulplan  von 
1736  heißt  es:  „Ist  der  Sciiulmeister  ein  Handwerker,  kann  er  sich 
ohnehin  nähren;  ist  er  keiner,  so  wird  ihm  erlaubt,  sechs  Wochen 
des  Jahres  auf  Tagebhn  sa  gehen.^  Elattich  pflegte  daher  su  sagen*. 
qWer  das  Weltglück  haben  will,  der  muss  Forstmeister  oder  Stall- 
meister werden,  nur  nicht  Schulmeister.'*  Sechs  Wochen  des  Jahres 
auf  Tagelohn!  Das  waren  die  Ferien  des  Schulmeisters  im  18.  Jahr- 
hundert, und  ein  Blick  auf  diesen  verflossenen  CoUegen  kann  den 
Scholmeist^  des  19.  Jahrhunderts  wol  etwas  tröstlich  stimmen,  ob- 
gleich hente  nach  hundert  Jahren  gepriesenen  Fortschritts  dem  Schul- 
lehrer  der  Korb  nicht  viel  niedriger  hängt  «Essen  ist  die  groBe  Noth 
der  Weif*,  sagte  schon  Fischart  im  16.  Jahrhundert,  nnd  ein  andere 
mal  meint  er:  «Erst  der  Magen,  dann  der  Kragen,  dann  die  Ideale." 
Beim  SchnUebrer  scheint  man  indes  diese  normale  Leibesconstitntion 
des  Menschen  nie  vermnthet  zu  haben.  Wfire  nach  Schopenhauer  die 
Menschengeschichte  nur  „der  lange,  schwere  mid  verworrene  Traum 
der  Menschheit'*,  so  würde  auch  der  Schulmeister  mit  andern  Menschen- 


L/iyiii^ü<j  by  Google 


—   210  — 

kindem  sich  glftcklicli  gefühlt  haben,  da  e»  sich  eben  nur  um  einen 
„verwoiTenen  Traum"  handelte;  so  aber  sWren  in  der  Tbat  Hunger 
nnd  Durst  den  Menseben  beständig  ans  diesem  Traome  und  bringen 
ihm  das  Leben  erst  recht  zu  hellem  Rowusstsein.  Schopenhaner  selbst 
fasst  sein  Princip  als  „hungriger  Wille  zu  leben'*,  und  insofern  sind 
freilich  die  Schullehrer  sämmtlich  Schopenhauerianer,  denn  ^Heißhunger 
ist  die  Schulkrankheit,  welche  Lehrer  haben",  sagt  Jean  Paul;  er 
konnte  es  wissen,  er  war  selbst  Schulmeister  und  stand  als  solcher 
,.M*el  von  dem  ans.  was  man  im  Leben  un.freheizte  Öfen  und  einen 
iinfresatrio-ten  Matrt  n  nennt";  ..selbst  die  schwarze  Suppe  als  Mittag- 
stürk isst  der  Schulmeister  erst,  nachdem  er  stundenlange  actlve 
Prügelsu])i>en  aus<retheilt." 

Dass  unter  soldieu  Umst;!n<|pn  von  einer  Miilienden  Vitlksschnle. 
von  einem  rechten  deutschen  Llementaninterrielite  niclit  die  Kcde  sein 
konnte,  ist  selbstverständlich.  W  ar  es  ja  doch,  als  ob  der  Deutsche 
überhaupt  gar  nicht  deiitseli  zu  reden  brauchte,  ja  sich  seiner  Mntter- 
spiacLe  schämen  müsste.  Als  Thomasius  1688,  mit  allem  Bestehenden 
und  Hergebrachten  brechend  und  seine  Schiffe  hinter  sich  verbrennend, 
eine  \'orlesung  in  deutscher  Sprache  ankündigte  und  die  Ankündigung 
selbst  in  deutscher  Sprache  an  das  schwarze  Brett  anschlug  —  ».vor- 
her war  dasselbe  noch  nie  durch  die  deutsche  Sprache  entweiht  wor- 
den", bemerkt  ironisch  sein  Biograph  — ,  da  lud  er  durch  diese  Ketzerei 
den  ganzen  Hass  der  alten  Gelehrtenzunft  auf  sich,  nnd  als  einige 
jüngere  theolegiadie  Docenten  zn  Leipzig  später  in  Untersnehong  ge- 
zogen wurden,  da  bildete  der  Umstand,  daes  sie  &  la  Tbomasins  Toi^ 
lesongen  in  deutscher  Sprache  gehalten,  einen  Hauptanklagepunlct 
Die  „Wiederherstellung  der  eigenen  Hnttersprache  in  ihre  Bechte** 
erklärte  Thomasius  selbst  als  Lebensprogramm,  nnd  obwol  den  Wert 
der  altclassischen  Sprachen  anerkennend,  wollte  er  doch  das  absolute 
Begime  derselben  stiirzen,  denn  „viel  ungegrQndet  und  unnütz  Zeug 
werde  mit  lauter  Latein  in  die  Oemflther  der  Lehrlinge  eingeprägt.^ 
In  gleicher  Weise  verlangte  Leibniz  eine  Beschränkung  des  lateini- 
schen Unterrichts,  mahnte  „nicht  so  viele  Zdt  mit  bloäem  Lateinredeu 
zu  Terbranchen*S  —  aber  alles  umsonst!  In  Pommern  schärfte  1700  eine 
Kirchenordnung  ein:  ,.Die  Praecei)tores  sollen  mit  ihren  IMscipuIis  alle 
Wege  lateinisch  und  nicht  deutsch  reden,  als  welelies  an  sich  leicht- 
fertig und  bei  den  Kindem  ärgerlich  und  schädlich  ist.''  In  Olden- 
burg wurde  1703  ein  altes  Schulgesetz  erneuert,  welches  verfügte: 
„Die  Schüler  der  1.  Classe  sollten  in  der  Schule,  außer  der  Schule, 
in  der  Kirche  und  an  allen  Orten  Uiteinisch  sprechen  nnd,  wenn  sie 


Digitized  by  Google 


—    211  — 

« 

dagegen  handelten,  gestraft  werden.**  Und  wenn  man  sich  da  nnd 
dort  mit  Thomasins  nnd  Leibniz  fftr  eine  Bedadrnng  des  lateinischen 
and  griechischen  Unterrichts  anssprach,  so  geschah  dies  nicht,  nm 
dafür  die  Muttersprache  zn  Ehren  zu  bringen,  sondern  anfe  Leben 
beifiglicbe,  sogenannte  praktische  Eenntnisset  besonders  Religion  und 
Iforalitas"  noch  stftrker  zu  berficksichtigen.  Selbst  der  berOhmte 
Qothaer  Gdehrte  und  Staatsmann  V.  L.  von  Seckendorf  sagt  in  seinem 
»Christenstaaf*:  „Ein  großer  Yortheil  wftre  es,  wenn  man  mit  Er- 
sparung  rider  anderer,  oft  sündlicher  und  eiteler  AniFwendung  nnd 
Kosten  gar  andeie  Schulen  für  die  Kinder  insgemein,  zur  Lemnng 
der  dorchgehends  noth wendigen  Stücke,  sowol  in  catechesi  als  wegen 
Lesens,  Schreibens  und  Rechnens,  und  wieder  andere  Schulen  für  die- 
jenigen hielte,  die  beym  Studiren  bleiben  wollen.  In  jenen  gemeinen 
Schulen  sollte  gar  kein  Latein  oder  dergleiclien  etwas  gelehret,  hin- 
gegen viel  mehr  von  der  Religion  und  der  Gottseligkeit  und  guten 
.Sitten  getrieben  werden;  aus  solchen  gemeinen  Schulen  kennen  dann 
christliclie  und  nützlicli  unterwiesene  Hanswirte  und  auch  Soldaten 
hervorgehen,  denn  diesen  allen  ist  das  Latein,  so  sie  in  den  Sclmlen 
erschnappen  und  darülter  die  Zeit  mit  Yersänmniss  mehrerer  und  nötlii- 
ger  TTifoi  niati(»n  m  (rottes  Wort  und  ehrbaren  Sitten  verdrießlich  hin- 
bringen, mcUls  niii/ Fast  ein  volles  Jahrhundert  hindurch  blieb 
Leibniz'  und  Thumasins"  Fdi'derunjr  uiifjchört.  Selbst  die  berühmte 
sächsische  Füi'stenschule  Ptorta  Iiielt  alle  Ausarbeitunp:en  in  deutscher 
Sprache  in  stolzer  Classicität  ferne  bis  ins  19.  Jahrhundert,  und  in 
dieser  Schule  wtirde  Klopstock  erzo^ren,  und  der  kUnftisre  Reformator 
der  deutscheu  Sprache  und  Literatur  niusste  als  scheidender  Abitu- 
rient seine  so  warm  aus  deutscher  Seele  gesprochene  Rede  lateinisch 
halten.  Auch  Goethe,  der  nie  eine  Volksschule  besuchte  und  doch 
mit  gerechten  Stöbe  Ton  sidi  sagen  konnte:  „Eines  bracht*  ich'  der 
Heisterschaft  nah'  —  deutsch  zn  schreiben",  ttberarbeitet  Shnlich  wie 
Schiller,  Klopstock  u.  a,  seine  Doctordissertation  „mit  einem  tttchtigen 
Lateiner^  —  wie  er  sagt  —  und  wie  wenig  er  mit  seinem  deutschen 
Herzen  bei  der  undentschen  Sache  war,  gesteht  er  selbst  in  einem 
brieflichen  Sedzer  an  einen  Freund:  „Da  draußen  lassen  die  Straft- 
borger  Jungen  ihre  Drachen  fliegen,  ich  aber  sitze  in  dumpfer  Stube 
nnd  pOssle  an  meiner  lateinischen  Dissertatio." 

Heute  ist  die  Hochschule  der  Hort  der  Wissenschaft,  der  freien 
Winenschaft,  damals  aber  war  von  einer  solchen  nicht  die  Rede^  denn 
„das  Gesetz  der  Trägheit  ließ  auch  auf  den  Universitäten  den  alten 
Schlendrian  selbst  dann  noch  fortbestehen,  als  durch  Männer  wie 


Digilized  by  Google 


—   212  — 


Thomasins,  Fi«iicke  n.  a.  und  durch  die  Stiftung*  neuer  UniTersit&ten 
in  einem  freieren  Geiste  der  Anstoß  snm  Besseren  gegeben  war" 
(Biedennann).  Die  Lässigkeit  nnd  Beqnemliehkeit  der  Pn>fessor«n, 
grober  Eigennutz  nnd  der  beschrSnkte  Pedantismos,  der  das  Wissen 
lediglidi  als  eine  Sache  todter  Oelehrsamkeit  betrachtete  —  das  waren 
sehwer  zn  Überwindende  Hemmnisse  einer  gedeihlichen  Entwickelnng 
des  Universitfttswesens.  Der  Theolog  CaipxoT,  ein  Zeitgenosse  Speners» 
brauchte  ein  volles  Jahr  znr  ErklSrnng  der  mten  drei  Gapitel  des 
Propheten  Jesaias;  ein  anderer  verwendete  volle  vierzehn  Jahre  zur 
Erklärung  Virgils;  nicht  selten  reichte  daher  die  ganze  Studienzeit 
nicht  hin,  eine  Vorlesong  zu  Ende  zu  hdren;  „andere  Professoren 
täuschten  das  Interesse  ihrer  Zuhörer  auf  die  entgegengesetzte  Weise, 
indem  sie  in  jedem  Halbjahr  neue  Vorlesungen  ankündigten,  sich  auch 
dafiir  bezahlen  ließen,  aber  die  angefangenen  nicht  zu  Ende  führten". 
Alle  Regierungsrescripte,  die  zur  Abstellung  dieses  Missbrauchs  (z.  B. 
in  Wittenberg  1728,  1735,  1740),  besonders  auch  von  wegen  der  tiber- 
mäßig langen  Ferien  (!)  ergingen,  waren  erfolglos.  T»<-r  Nepotismus 
spi»']T»'  auf  den  Universitäten  eine  bedenkliche  Rolle;  J.  J.  Moser  ward 
da  hu  Ii  von  Tübingen  verschenclit  („ich  hatte  dem  Herni  Kanzler 
Pfali  dreimal  al)geschlagen,  eine  Person  aus  seiner  Freundschaft  zu 
heiraten:  das  ließ  er  mich  eudlieh  entgelten",  J.  .7.  Moser  in  seiner 
..Lebensgeschichte,  von  ilim  seihst  beselirieben"  S.  17"»:  von  Leipzig 
i>l  bekannt,  dass  dort  die  Carpzovs  ein  förmliches  Familienmouopol 
der  Lehrstülile  tTir  ihre  zalilreiche  Sippschaft  hatten;  und  Gottsched 
erzählt  aus  seiiK  i  akadtiniiacheu  Krfakrung,  wie  ia  Leipzig,  gegen 
die  Ansicht  der  eigentlichen  Anstellungsbehörde,  durch  einen  wieder- 
holten unmittelbaren  Cabinetsbefehl  jemand  zum  Professor  in  einem 
Fache  ernannt  wurde,  der  selbst  eingestanden,  da^s  ihm  die  Be- 
fähigung hiezu  fehle.  Der  Hörsaal  des  nicht  dictirenden  Professors 
blieb  leer;  „schwarz  auf  weiß"  wollten  die  Studenten  die  Lehrs&tz^ 
des  Professors  nach  Hause  tragen.  Dieser  geisttödtende  Formalismus 
verscheuchte  natOrlich  alle  lebendigeren  Köpfe  ans  dem  Hörsaale;  da- 
her der  8tndent  Goethe  den  Besneh  der  Vorlesungen  alsbald  einstellte, 
um  bei  Leben  und  MUdchoi  in  bessere  Schule  zu  gehen,  und  Lessing  yer- 
fbhrte  von  der  Schwelle  des  Hörsaales  weg  seine  Committtonen  zn  einem 
gesünderen  Spaziergang.  Dieselbe  Undeutachheit  wie  in  den  Schulen 
heiTschte  im  Leben,  im  öffentlichen  Leben;  die  Franzosen  beherrschten 
BtUme  und  Salon,  Lessing  hat  in  seiner  Hamburgischen  Dramaturgie 
die  Entscheidungsschlacbt  gegen  diesen  deutschen  Erltfeind  geschlagen, 
und  wenn  man  damals,  wo  die  Gebfldeten  Deutschlands  französirt  waren 


Digitized  by  Google 


—   213  — 


und  Voltaire  mit  anf  dem  preußischen  Throne  safl,  im  Salon  nicht 
deitedi  epreehen  durfte,  um  .nicht  ungebildet  zu  erscheinen,  so  bat 
Lesaing  in  seiner  deatscben  „Minna  t.  BanÜLebn"  dieses  Framsosen- 
thiun  in  beiBendster  Satire  illustrirt  im  Glttcksritter  Biocaut,  der  die 
deutsche  Sprache  für  ein  „arm  Sprak,  ein  plump  Sprak**  erkUrt  und^ 
sieh  yerwondemd,  dass  Ifinna  nicht  französisch  rede,  von  dieser  lareff- 
lich  heimgeschickt  wird:  „Hein  Herr,  in  Frankreich  wttrde  ich  fran- 
zösisch za  sprechen  suchen.  Aber  wamm  hier?  I(^  hOre  Ja,  dass  Sie 
mich  verstehen.  Ünd  ich  weide  Sie  gewiss  auch  yerstefaen.  Sprechen 
Sie  also,  wie  es  Ihnen  beü^f*  (TV,  2).  Die  Berliner  Polizei  verstand 
Lessing  und  verbot  die  Aufflkhrang  des  Stücks;  als  aber  dasselbe  in 
Leipzig,  Hamborg,  Wien  n.  s.f.  mit  Begdstering  aufgenommen  wotden, 
^  musste  man  das  zodringUche  deatsche  Fräulein  auch  in  Berlin 
über  die  B&hne  gehen  lassen,  und  zehnmal  nacheinander  verlangte  man 
dasselbe 'zu  sehen. 

Gerade  auf  dem  Hintergrunde  ihi-er  undeutsclien  Vorbildung,  der 
ündeutschheit  ihrer  erziehenden  Umgebung  treten  die  (Jestalten  eines 
Klopstock,  Lessing,  Schiller,  Goethe  desto  stärker,  weil  originaler 
heraus,  und  das  macht  sie  eben  zu  unsterblichen  Helden,  weil  sie  rler 
Zeit  mehr  gaben,  als  sie  von  ihr  empfingen,  ja  einer  undeutschen  Zeit 
ihre  Deutschheit  wieder  zurückgaben;  wir  nähren  uns  noch  heute  von 
den  Brosamen,  die  von  der  reichbesetzten  Tafel  dieser  Herren  fallen 
und  sind  wol  für  lange  noch  die  Kärrner,  die  zu  thun  liaben,  wenn 
die  Könige  bauen,  ünd  vdc  sehr  gerade  dnrcli  diese  Heruen  unserer 
zweiten  classischen  Literaturperiode  der  deiusrlie  Geist  zu  reger 
Selbstthätigkeit  erwachte  und  die  Fessel  dfs  sdiolastischen  Latinis- 
mus abwarf,  beweisen  folgende  Zahlen;  <  >  <  rsrliii  uen: 

246  lateinische,    116  deutsche  Schriften 
11)16    461        „  270       „  „ 

1714    209         „  219       „  „ 

1716    162         „  396       „  „ 

1780    198  1917       „  „ 

Trotzdem  arbeitet  man  noch  heute,  wo  wir  mit  der  angetretenen 
Erbs^hatt  schon  lange  wuchern,  einem  unmittelbar  bildenden  Einfloss 
unserer  eigenen  classischen  Autoren  auf  die  lernende  Jugend  blind 
eifernd  entgegen,  warnt  z.  B.  die  stndirende  Jugend  der  Ifittehichulen 
vor  Goethes  Werther,  wo  der  «jAtheist^,  der  iJ^antheisf*,  der  „Feind 
des  Chtistenthums'*  den  Selbstmord  predige  nnd  verherrliche;  wie  weit 
wahrer,  pädagogischer  nnd  heilsamer  wSre  es,  der  Kunst  ihr  Recht 
werden  su  lassen,  also  das  Kunstwerk  kflnstlerisch  aii&n&ssen  und 


Digitized  by  Google 


_    214  — 


m  sagen:  wenn  ihr  es  so  macht  wie  Werther  und  mit  euerer  Phan- 
tasiet  in  jugendlichem  ünendlichkeitsdrange,  eigensinnig  und  eigen- 
willig foii»tflrmt,  ohne  die  Schranken  des  Lebens  zu  respectiren,  ohne 
mit  eorem  Geiste  thfttig,  arbeitend  irgendwo  einzusetzen  im  Leben, 
also  in  einem  sog^nnten  Berufe  euch  zu  bestimmen,  was  alles  Werther 
nicht  getban  hat,  dann  ergeht  es  euch  eben  wie  Werther,  dann  gdit 
ihr  zu  Grunde»  denn  dies  hat  Werthers  Selbstmord  zu  bedeuten. 

Jedes  Kunstwerk  ist  symbolisch,  als  Ganzes  und  in  seinen  ein- 
zelnen Theilen;  jedes  Kunstwerk  ist  die  sinnlich  wahiiiehmbare  Dar- 
stellung eines  Idealen,  und  wie  der  gothische  Dom  mit  seinen  spitz 
zulaufenden  Theilen  und  Theilchen  die  himmelweisende  Tendenz  des 
Christentums  den  Sinnen  wahrnehmbar  machen,  bedeuten  soll,  ebenso 
soll  —  nach  Goethes  ausdrücklicher  Erklärung  —  Werther  nur  die 
plastische  Darstellunpf  der  "Wahrheit  sein,  dass  absolute  Phantastik, 
der  Fiebertraum,  als  Einzelner  das  All  sein  zu  wollen,  der  Tod  des 
Menschen  ist.  Goethe  selbst  hat  diese  Krankheit  durchgemacht,  aliei- 
glücklich  sich  daraus  gerettet^  und  ,.du.  irute  St  t  le,  die  du  eben  «leii 
Drang  fühlst  wie  vr.  lass  das  Büclilein  dMin^n  Fi-ennd  sein ,  wt-nn 
du  aus  Geschick  odei-  eitrener  Sclmld  kenu-n  näheren  inulen  kannst", 
lautet  das  Motto  au  der  Spitze  des  Konians.  Has  ist  iistlietische  und 
Efeschichüif  he  Wahrheit,  und  nur  B»'>c:hrankilieit  oder  Fanatismus 
k.uiu  dieselbe  igaoriren  und  es  vorzielien,  anstatt  dem  Kinde  dem  (t^- 
brauch  des  Messers  zu  lehren,  demselben  die  Jierilhrung  desselben  zu 
verbieten;  und  das  Kind  rührt  das  Messer  doch  an,  dieses  noth wendige 
Instrument  der  Cultur  —  der  Wilde  entbehrt  es,  isst  mit  der  Hand 
—  und  verwundet  sich.  Kaum  sind  es  zwei  Deceuiden,  dass  man  den 
17 — 19jährigen  Gymnasiasten  nicht  mehr  blos  die  membra  disjecta 
der  classisehen  Autoren  unserer  Literatur  in  einer  pensionatsfthigen 
Mustersammlung  servirt,  sondern,  wenigstens  das  ganze  Köi-perglied 
eines  Dramas  u.  dergL  ihm  vorsetzt»  und  als  malvae  levantes,  als  ver- 
dauungbefördemdes  Compot,  eine  entsprechende  Commentimng  und 
Interpretirung  daneben  setzt  Und  wer  hier  der  Erttcke  bedarf^  dem 
greift  der  Allerweltsinterpret  Dflntzer  unter  die  ArmOi  Dttntzer  der 
z.  B.  feinsinnig  meint,  man  sollte  lieber  sagen:  „mit  dem  Gürtel,  mit 
der  Haube  reiBt  der  schöne  Wahn  entzwei''.  Nach  don  Satz  vom 
gr&nen  Holze  mttssen  sich  dann  freilich  auch  die  blinden  EÜferer  gegen 
einen  „entchristlichenden"  Schiller  und  Goethe  zu  dem  ja  gar  wissen- 
schaftlichen  Verstämmelnngsgeschftfte  doppelt  berechtigt  fühlen,  und 
in  einer  erst  vor.  einigen  Jahren  erscliienenen  Auswalil  von  Classikem 
für  Gymnasien  n.  a.  ist  die  Stelle  in  Schillers  Glocke:  «Die  sie  liebend 


Digitized  by  Google 


—   215  — 

ihm  gebar**  gestriclieii  nnd  dafür  eingesetzt:  „Denen  Mntter  sie  stets 
war**;  natfirlidi  deduüb  damit  der  aehtzehiulUirige  Gymnasiast  ans 
seinem  naiven  Glauben  nicht  £^e,  von  einem  Storche  hereinexpedirt 
nnd  nicht  von  einer  Mntter  „geboren"  worden  zu  sein. 

Wenn  die  Altväter  unseres  modernen  deutschen  Geisteslebens  in 
solcher  Weise  behandelt  nnd  verstümmelt  werden,  so  ist  dies  nicht 
blos  eine  unheilige  Verletzong  des  Patriotismus,  ein  sündiger  Versuch, 
die  Quelle  zn  verstopfen,  aus  der  gerade  uns  Deutschen  ein  ganz 
Europa  imponirender  BUdungsstrom  geflossea  ist  und  fließt,  sondern 
auch  der  Tod  der  Wissenschaft;  denn  diese  wird  dann  zum  platten 
Referenten  der  Dinge  in  ihrer  oberflächlichen  Erscheinung,  und  dann 
dachte  auch  jener  Docent  der  Medizin  wissenschaftlich,  der  seine  Vor- 
lesung begann:  ^ Meine  Herren!  Die  Schwann:ersch;ift  ist  eine  Erschei- 
nung, die  anch  den  alten  Griechen  und  Römern  schon  bekannt  war» 
wie  uns  weniL-^stens  ihre  Schriftstelh  r  berichten." 

Angesichts  solrher  trüber  Krsclieinungen  kann  nnr  Guetlies  Wort 
trösten:  ,J)ie  Wt-li  soll  nun  einmal  niclit  so  rasch  zum  Ziele;  immer 
sind  die  rück. wart s  schiaubendeu,  retardirenden  Dämoüeu  da.  so  dass 
ei  zwai'  im  ganzen  vorwärts  geht,  aber  srlir  lanfj^sam."  Auch  die 
Ableitung  des  Wi.ssenso:utes  und  Bilciungsschatzes  in  die  unteren 
Schichten  des  sogenannten  Volkes  geht  einen  sehr  langsamen  Gang, 
trotzdem  bereits  Goethe  nnd  Schiller  die  aristokratischen  Sdn-anken, 
die  bis  dahin  dem  literarischen  Leben  gesteckt  waren,  von  innen 
heraus  durchbrochen  und  Literatur  und  Wissen  als  Gemeingut  des 
Volkes  erklärt  nnd  behandelt  haben.  Wir  meinen  zwar,  die  Volks- 
bOdmigsfrage  werde  erst  von  ans,  heute  richtig  erkannt,  und  blicken 
dann  etwas  stolz  hinab  auf  andere  Jahihnnderte;  aJlmn  schon  die  mit 
Sitz  und  Stimmen  ,,r6ckwftrts  schraubenden  D&monen''  in  unseren 
Bulainentai  dfirften  uns  etwas  bescheidener  stimmen,  nnd  auch  ein 
tieferer  Blick  in  das  Torige  Jahrhundert,  den  uns  die  in  großen  Zügen 
zeichnenden  Literatur-  und  Cnlturgeschichten  nicht  ermöglichen,  kann 
heute  vor  Selbstüberhebung  schützen  und  gibt  Antwort  auf  die 
gewiss  nicht  unhiteressante  Frage:  wie  stand  es  focUsch  um  Volks- 
schule und  Elementarunterricht,  und  wie  dachte  man  theoretisch  über 
dieselben  zn  jener  Zeit,  wo  bereits  Lessing,  Schiller  und  Qoethe  das 
deutsche  Geistesleben  in  sein^  tiefsten  Tiefen  erschütterten  und  wol- 
thuend  aufregten? 

u. 

„Die  Ursachen  des  Verfalls  vom  Ansehen  der  Schul- 
lehrer in  Bayern''  ist  der  Titel  einer  Bede,  welche  Ludwig 


Digitized  by  Google 


Fronhofer,  kurf&rstlicher  H  trat  Iis-  und  Schuldeputation  >>fretär 
(später  Mitglied  der  Akademie  der  Wisseuschaften),  1780  in  München 
hielt,  „als  in  Gegenwart  der  kurfürstlichen  gnädigst  aiifge.stellten 
gfeistlichen  Rathsschuldeputation  und  der  Abgeordneten  des  Stadt- 
magistrats  die  hiesigen  Trivialsclmlkinder  den  16.  September  1780 
öffentlich  auf  dem  Ratlihause  beschenkt  worden  sind."  Der  Redner 
beginnt  gleich  jganz  andei*»  als  der  heutige  reactionäre  Parlamentarier 
am  "Referentenpulte:  „!^o  oft  ich  den  erhabenen  <Tpflanken  Schule 
denke,  ebenso  oft  ergreift  mich  ein  heiliger,  ehrfuichtsvuller  Schauer, 
beinrtlip  dem  gleich,  den  man  fühlt,  wenn  man  sich  den  geweihten 
Tempeln  der  Gottheit  nähert.  Auch  die  Schulen  sind  T*  ihi'pI.  niid 
die  Lehrer  der  Schulen  sind  der  Tenii)el  Priester"  i^varen  aber  danials 
zugleich  Schneider  oder  Leineweber).  ,.im  Heiligthume  der  Gottheil 
versammelt  sich  eine  ganze  gläubige  Gemeinde  zum  Gebete,  von  da 
aus  erwartet  sie  innerliche  Salbung.  Segen  und  die  Erfüllung  all  ihrer 
oft  unzähligen  Wünsche.  In  den  Schulen  versammelt  sich  die  Hoff- 
nung einer  ganzen  Nation,  die  Blüte  des  Menscheugeschlechts,  deren 
Ausreifung  zur  gesunden,  dauerhaften,  gemeinnützlichen  Frucht  Regent 
uud  Altar,  der  Haus\ater  und  die  Hausmutter,  der  Feldherr  uud  die 
Rathsversammlung,  der  Ritter  und  der  Gelehrte,  der  Handwerker  und 
der  Bauer  (!)  mit  gleicher  sehnsuchtSToller  Begierde  entgegensehen, 
während  der  fleißige  Lehrer  wie  ein  emsiger  Grftrtner  des  zarten 
PflAnsdieii  gehdrig  wartet  und  wol  fiberlegt,  wie  sehr  von  seiner 
schOpferisehen  Hand  das  kflnftige  Wol  oder  Welie  eines  ganzen 
Landes  abhänge.  Aas  diesem  Gesicbtsptinkte  betracbte  ich  die  Schu- 
len, und  so  betrachtete  sie  schon  lange  vor  mir  die  ganze  vernünftige 
Welt.  Wie  gerecht  ist  also  meine  Ehrforeht,  nnd  wie  vieler,  wie 
grofier,  beinahe  nnbeschrlnkter  Achtung  sind  diejenigen  würdig,  denen 
dies  wichtige  Geschäft,  die  Erziehiing  nnd  Bildung  der  Jngend  anver- 
tränt  ist!'*  Dieses  schöne  nnd  tiefe  Verständnis  von  der  Bedentnng 
der  Schule,  des  Schulunterrichts  und  der  Lehrer,  ausgesprochen  vor 
100  Jahren,  kann  heute  wie  eine  Anklage  klingen,  wo  der  Eampf 
um  die  Schule  und  um  die  Sehullehrer  wieder  so  unheilig  schon  seit 
Jahren  entbrannt  ist.  Die  Riickbemfung  auf  Anschauung  und  Stellung 
früherer  Zeiten  in  der  Schulfrage  wird  durch  diese  Schnhrede  sicher 
Lügen  gestraft  Dass  Fronhofer  bei  seiner  Anschauung  von  Schule 
und  Schulunterricht  auch  dem  Schulmeister  eine  finanziell  gesicherte 
und  dadurch  gesellschaftlich  würdigere  Stellung  \indidrt,  ist  selbstver- 
ständlich: „Aber  ach!  eben  die.  welche  so  viel  Achtung  verdienen,  sind 
gerade  am  wenigsten  geachtet.  Seit  langer  Zeit  gehört  ein  großer 


Digitized  by  Googl( 


—  217  — 


Theü  Ton  ihnen  nicht  etwa  unter  den  yomehmeren  Bfirgerotand,  nein, 
sondern  beinahe  unter  die  geringste  Classe  des  Volkes,  und  der  vor- 
jfibrige  Redner  bei  eben  der  Feierlichkeit  hatte  wol  Eecht,  wenn  er 
uns  seufzend  an  die  Grabschrift  erinnerte:  Hier  liegt  Hans  EnoUer, 
Tagwerker  und  Schulmeister.  Man  mag  heute  noch  alle  Städte  und 
Märkte  durchkreuzen,  und  man  wird  fast  von  allen  Sorten  Handwerker, 
Bierbrauer,  Bäcker,  Schreiner  und  Schmiede,  nui*  aber  keine  Schul- 
lehrer als  Kathgeber  und  Bürgermeister  antreffen.  Woher  diese  Herab- 
würdigung 

Fronhofer  gibt  drei  Giiinde  an  und  thut  dies,  ,.nm  die  Aufmerk- 
samkeit des  Publicums  auf  diesen  wichtigen  Ge<(enstaud  zn  ei  re^en". 
Man  ueunt  das  Geld  den  nervus  renim  gerendai  inn,  und  Goethe  meint 
einmal:  ,.Geld  ist  immer  eiue  sch(»ne  Sache,  wenn  etwas  ab^ethan  werden 
Süll-;  und  so  sieht  aiicli  Fronhofer  die  Haupischuld  vom  Verfall  des 
Ansehens  der  Schullehrer  in  der  litut<'  «geradezu  wie  eine  Irouie  auf 
den  Magen,  diesen  ^  uLkn  Imperator  des  menschlichen  Lebens  klingenden 
Dotirung.  ,.\Vo  soll  die  Hochachtung,  wo  das  Ansehen  solcher  Leute 
herkommen?  Der  Mann,  der  von  HO.  •20.  10  oder  4  Gulden  jährlicher 
Schuleinnahme  —  man  glaube  meinen  Worten,  es  ist  Thatsache  —  sich 
und  eine  zahlreiche  Familie  ernähren  soll,  muss  nothwendig  das  Schul- 
wesen Temaclilässigen  und  nach  dem  Pfluge,  dem  Weberstuhle  oder 
einem  andern  Oewerbe  gieifen,  wo  er  nicht  gar  betteln  oder  ver- 
hungern will;  nnd  noch  glfteklicli  ist  er,  wenn  er  dnreh  Kenntnis  eines 
Handwerks  oder  als  Spielmann  bei  Kirchweihen  nnd  Hocbseiten  seinen 
kflmmeriicben  Unterhalt  findet.^  Sodann  führt  Fronhofer  an,  wie  ent- 
wfirdigend  z.  B.  das  kindische  „Herumtrommefan  der  Schnfaneister  behn 
GregorilSeste",  besonders  aber  das  sogenannte  „Ansprtttschen"  ist»  das 
geradezu  ,,zn  einem  Innung»-  nnd  Handwerksgebrancfae"  geworden  ist 
«Und  die  Scbnllebrer  geben  dieses  Ansprfltschen  nicht  anf,  denn  es 
ist  für  sie  eine  Finanzqnelle  (1),  aber  welch  lächerliche  Prostitution 
ist  es  fbr  einen  Lehrer,  wenn  er  bei  der  Ankunft  längerer  Ferien 
oder  mehrerer  Festtage  seine  Schule  an  dem  Vorabend  nicht  anders 
als  mit  der  schönen  Ceremonie  und  dem  herzlichen  Spaße  entläst,  dass 
alle  Kinder  £opf  für  Kopf,  nachdem  sie  einen  kleinen  Tribut  erh^gt, 
durch  eine  vor  den  Eingang  der  Schule  gesetxte  Bank,  worauf  der 
ehrenfeste  Schul voi'steher,  bewaffnet  mit  dnem  waschschlegelförmigen 
Holze,  sitzt,  auf  allen  vieren  durchkriechen  und  einen  derben  Schlag 
auf  die  Hosen  bekommen,  wobei  dann  natürlich  viel  Staub,  Gcsdirei 
und  Tumult  erhoben  wird",  und  Fronhofer  fugt  bei,  dass  auch  die 
Weiber  der  Schulmeister  an  der  Herabsetzung  ihres  Mannes  getreulich 


Digitized  by  Google 


—   218  — 


arbeiten  und,  um  kleine  Gaben  und  Geschenke  von  den  Kitern  wie 
eine  ßeute  zu  erhaschen,  oft  keine  Thorheiten  und  niedertrfichtigen 
Mittel  sparen." 

^So  wird  die  Würde  des  Lehrers  mnthwiUig  in  den  Staab  ge- 
treten^, nnd  die  ganz  naheliegende  Fojge  —  und  zugleich  die  weitere 
Ursache  des  Ter&Ils  des  Ansehens  der  Scbuhneister  in  Bayern  —  ist 
die  „geringe  Ehrfurcht  selbst  der  SchOler  gegen  den  Lehrer/'  Schon 
die  prekäre  Bildung  des  Schulmeisters  konnte  nicht  dazu  beitragen 
den  Schulkindern  Bespect  einzuflößen:  Jch  habe  Lehrer  gesehen,  die 
von  vielen  mittelmäftigen  Schfilem  in  aller  Art  Kenntnissen  weit, 
himmelweit  ttbertroffen  wurden»**  Die  Folge  war,  dass  der  Schul- 
meister n^&L  nOthigen  Respekt  mit  Rathen  und  St&bchen  fruchtlos 
OTZwang'',  allein  das  verfehlte  wieder  die-  Wirkung,  denn  „der  häufige 
Gebrauch  der  Ruthe  verleitete  den  Mnthwillen  der  Knaben  vielmehr 
so  weit,  selbst  f^willig  Schläge  zu  begehren  und  in  die  Wette  zu 
zanken,  wer  stehenden  Fußes  auf  einer  Hand  mehr  Streiche  aushalten 
könnte;  und  diese  nämlichen  Jungen  werden  sich,  meint  Fronhofer, 
„einst  als  Männer  der  jugendlichen  Streiche,  womit  sie  ihren  Schul* 
meister  geneckt,  in  großer  Gesellsi  liaft  auf  Kosten  der  Ehre  desselben 
belustigen,  und  ich  kenne  in  der  Thal  Männer,  welche  mit  der  drolligsten 
Attitüde  und  Geschicklichkeit  alle  P'ehler  und  Unarten  ihrer  ehe- 
maligen Lehrer  haarklein  nachspotten,  auf  manche  Stunde  die  Lang- 
weile von  einer  ganzen  Tafel  wegscherzen  und  so  durch  g-esunde  Er- 
schütterung des  ganzen  Zwerchfells  allerseits  f  iiu'  recht  gute  Verdauung- 
hervorrufen." Es  scheint  als»»  der  damalige  Schulmeister  als  liajazzo 
in  privaten  wie  in  ötirntliclien  Kreisen  tigurirt  zu  haben,  kann  tloch 
Fronhofer  sagen:  ..Dei'  Lelirer  wird  bieilurrh  t'ahnla  urbis  et  orbis 
und  der  Stntl'  der  Unterhaltung  bei  (iastniahlt  u  :-aü'  Landhäusern  und 
in  -  Prälaturen;  dadurch  geschieht  es,  dass  man  reibst  in  Schauspielen, 
weuu  je  ein  Schulmeister  vorzustellen  war,  ihn  jederzeit  so  albern  wie 
möglich  auftreten  ließ,  welcher  schlimuie  (iebrauch  sich  leider  bis 
jetzt  noch  aul  den  Bühnen  erhalten  hat." 

J)a.  die  Herabsetzung  des  ehrenvollen  Schnlstandes  nun  einmal 
eine  geschehene  Sache  ist,  so  bauen  selbst  die,  welche  die  ersten  son 
sollten,  das  verlorene  Ansehen  Aviederherzustellen,  noch  immer  auf 
diesen  Grund,  und  so  habe  ich  das  größte  Recht,  meine  dritte  und 
wichtigste  Ursache  der  Herabwürdigung  der  SchuUeute  in  der  obrig- 
keitlichen Geringschätzung  derselben  zu  suchen.  Die  vei-schiedenen 
Obrigkeiten  tahren  fort  einen  Schullehrer  geringzuschätzen,  so  zwar. 


Digitized  by  Google 


—  219  ~ 


dass  ich*8  bei  mancliem  Gtiiichte  einem  auch  noch  so  geübten  Lehrer 
nicht  rathen  möchte,  die  Dreistigkeit  zu  begehen  uud  sicli  dem  ge- 
ringsten Schreiberjungen  im  Range  gleichzuhaltcn.  Gott  weiß,  wie 
hart  er  fiir  so  einen  Frevel  bestraft  würde.  Der  gemeine  Mann  aber, 
der  die  meist  unwürdige  Begegnung  seiner  Obrigkeit  gegen  die  Lehrer 
sieht,  glaubt  sich  dann  ebenso  viel  erhiubea  zu  können;  er  schaut 
seinen  Dorf-  uud  Marktschulmeister  blos  über  die  Achsel  an.  und  ein 
guter  Vieharzt  ist  ihm  freilich  ein  viel  wichtigeres  (^c^ciiöpf  als  der 
.Sitt^'nai-zt  seiner  Kinder.*'  Nicht  blos  der  weltliclieii  <  'lirigkeit  liest 
Frouiioter  den  Text.  ,.Ich  begieUe  unter  den  Obrigkeitcu,  besonders 
auf  dem  Lande,  auch  die  Pfarrherren,  und  diese  ganz  vorzüglich,  mit 
ein.  ^\  euu  von  mancheu  Gerichten  die  Schulleute  zehnniHl  unwürdig 
behandelt  werden,  so  werden  sie's  von  den  Pfarrern  dreüu^ni  d ;  denn 
es  ist  beinahe  Schuldigkeit,  dajss  der  .Schulmeister,  zumal  wenn  er 
auch  Messner,  Organist  oder  Kantor  zugleich  ist,  ein  geprägter  Diener 
des  Pfarrers,  iui  Pfarrhofe  wie  in  der  Kirche,  sein  müsse.  Da  liilft 
demi  der  theure  Manu,  für  den  die  Jugend  des  Dorfes  Ehrfurcht 
tragen  soll,  Heu  auflegen,  Vieh  füttern,  sattelt  seiner  Hochwürden 
das  Reitpferd,  holt  Wasser,  trägt  Speisen,  wenn  Gäste  da  sind,  und, 
wie's  kömmty  maeht  er  auch  mitunter,  wenn  andere  Spftfie  fehlen,  bei 
der  TtM  den  Schalksnarren  und  beim  Schießen  nnd  Pferderennen  den 
Pritschmeister.  Und  so  geht  denn  noch  alles  fgat  and  der  Lehrer 
genießt  dafür  die  Protektion  des  Seelenhirten.  Thnt  er  aber  nicht  all 
das»  ums  man  gern  sieht,  gntwillig,  wehe  ihm  dannl  In  der  Kirche, 
Sakristei  und  Schule  wird  man  sofort  Alles  an  ihm  zn  tadeln  wissen; 
er  wird  nirgends  mehr  recht  haben;  man  wird  ihm  sein  ohnedies  ge- 
ringes und  kammerliches  Brot  auf  allerhand  Art  schmälern,  ihn  öffent- 
Heh  henmtermachen  nnd  keine  Schimpfwörter  yon  erster  Extraktion 
sparet  wol  aaeh  im  heiligen  Eifer  hie  und  da  mit  der  flachen  Hand, 
besonders  fidls  er  murren  sollte,  seinen  Ohren  einen  kleinen  väter- 
lichen Verweis  nachdrücklich  eiiqtrfigen;  man  wird  endlich,  wenn  auch 
dies  nichts  yerfilngt,  ihn  ordentlich  verklagen,  die  Gemeinde  und  Ge- 
richte wider  ihn  in  Harnisch  bringen  und  dafür  sorgen,  dass  er  ent- 
weder noch  aus  Gnade  zur  Erbauung  der  Jugend  öffentlich  im  Stocke 
sitzen  muss  oder  aber  mit  Weib  und  Kind  gejagt  wird.  Wagt  er's 
dann  etwa  sich  höheren  Orts  zu  beschweren,  wie  kann  er  da  bis  zum 
Ausgang  des  Prozesses,  ohne  betteln  zu  müssen,  ausharren  oder  seine 
ünschoid  wider  das  Gewebe  von  falschen  Inzichten  und  falschen 
Vorspiegelungen  retten?  Man  mache  nüi*  nicht  den  Einwurf,  ich  habe 
hier  ein  zu  schwarzes  Gemälde  entworfen.  Ich  antworte  hierauf  weiter 

PadAfoglaa.  6.  Jduf .  Heft  IV. 


Digitized  by  Google 


—  220  — 


nichts  als:  ich  habe  das  Kpsaltat  von  so  \'ieleii  Prozessen,  die  ich 
eatsteheii  und  verhandeln  gesehen,  geliefert. 

Auch  gegen  die  Gemeinden  und  Gemeindevoisteher  erhebt  Fron- 
hofer  bittere  Anklage:  ,.An  manchen  Orten,  da  Gemeinde  gehalten 
wird,  gehen  als  die  letzten  im  Range  der  Schul-  und  der  Wasen- 
meister. An  ln  wärts  ist  der  S'dnillehrer,  altem  Herkoiuiiiit^u  u>*niaß. 
zugleich  Betteirichter  und  Nacht waclii er.  und  erst  jüngst  liat  dei- 
Schulmeister  von  einem  nahen  Orte  angehalten,  ihn  doch  einmal  von 
der  beschwerlichen  Last  der  Bettelrichter-  und  Naclitwächterstelle  zu 
befreien.  Die  Magistratspersouen  eines  benachbarten  Städtehens  traten, 
als  man  ihrem  wackeren  Lehrer  einen  ansehnlichen  Gehalt  ausmachte, 
kopfschüttelnd  zusammen  und  wunderten  sich  höchlich,  dass  man  einem 
Schulmeister  soviel  gebtii  k«>nne.  Bei  Besetzung  der  Schulämter,  da 
beobachtet  man  ein  zünftiges  Herkommen,  auch  der  Schullehrer  rauss 
eine  Prüfung  bestehen  —  bei  anderen  Zünften  beifit  man  es  Stack- 
machen  —  ein  YorgeschmAck  aber,  wie  dei%]aichai.Prflftangen  anasa- 
fidlen  pflegen,  mögen  zwei  Aufgaben  sein,  die  vor  etlichen  Jahren 
irgendwo  einem  Kandidaten  vorgelegt  wnrden.  AnsdemChnstenthome: 
Frage:  „Warum  hat  Gott  seine  Gebote  auf  steinernen  Tafeln  gegeben?** 
Antwort:  „Weil  man  die  Gebote  Gottes  so  fest  halten  soll,  als  der 
Stern  hart  ist**  Ans  der  Bechenknnst:  „Exempel:  eine  Stadt  hat 
179  HAnser,  in  jedem  Hans  seynd  9  Stiegen,  jede  Stiege  hat  11  Staffeln, 
anf  jedem  Staffel  aeynd  3  Bentel,  in  jedem  Beutel  8  bayerische  Thaler, 
7  Vienmdzwamdger,  9  Siebaiehner,  13  BatSEen,  11  Groschen,  5  Erenzer. 
Wieviel  aeynd  nun  Heller  in  der  Stadt?"  Ist  das  nicht  allerliebst? 
Und  haben  die  Lehrer  dann  ihr  Stnck  gemacht,  dann  bekommen  Lente 
die  Anflicht  über  sie,  die  ohne  die  geringste  Einsicht  in  Schnlsachen 
sind,  oft  nicht  einmal  des  Lesens  imd  Schmbens  kundig  sind,  aber 
dennoch  dem  Lehrer  kalt,  hart,  anfahrend  begegnen." 

Damit  eilt  Fronbofer  dem  Schlüsse  zu  und  glaubt  „hinlänglich 
gezeigt  zu  haben,  wo  man  die  Quellen  der  Entehrung  des  Schulmannes 
au&uchen  müsse:  der  Lehrer  selbst  darf  es  an  muthigem  Streben  nicht 
ermangeln  lassen,  das  verlorene  Ansehen  wieder  herzustellen;  und  auf 
der  anderen  Seite  müssen  es  die  Obrigkeiten  thun,  und  zwar  dadurch, 
dass  sie  eine  Vernachlässigung:  der  Tultur,  besonders  des  Landvolkes, 
heben;  dass  sie  von  dem  Vorurtheile  zurückkommen,  der  Bauer  dürfe 
uiclit  viel  lernen,  und  es  könne  sohin  leicht  jeder  abgelebte  Knecht. 
T.fiqMai,  Schuster.  Schneider.  Weber  \i.  s.  f.  einen  Landschulmeister 
abgeben:  dass  durch  Verbe^v, ,  ^i^^j^  Unterhalts  und  Charakters  auili 
würdige  Leute  Schiiibedieu:!tungen  suchen,  und  nicht  Stümper  nach 


üiyiiizeü  by  GoOgle 


_  221  — 

SchulHiDtern  greifen,  weil  sie  anders  nicht  fortzukommen  wissen";  and 
Fronhof  er  wag-t,  schüchtern  und  um  Entschuldigung  bittend,  den  An- 
trag zu  stellen,  „den  Schulmeister  an  Stelle  eines  Aktuars  bei  einigen 
Vorfallen  zu  gebrauchen  oder  aber  auch  als  Prokurator."  Fronhofer 
hofft  sicher,  dass  sein  heißer  Wunsch  nach  Hebung  der  Schulbildung 
in  Erfüllung  yehen  werde:  „Haben  wir  doch  in  hiesigrer Stadt  und  da 
und  dort  aut  dem  Lande  schon  jetzt  treffliche  Schnllt  Im  r.  Der  Eifer- 
sucht wegen,  die  reo^e  werden  kannte,  will  icli  (iiesn  \\  ;ickern  Mäuner 
ungenannt  lassen."  Aber  Einen  nennt  er  doch:  „Aber  dich,  ehrlicher 
Ulrich  Reisner!  Dich  muss  ich  laut  der  Welt  preisen,  dich  unter  den 
andern  ausheben  und  dem  Vaterlaude  sagen,  dass  es  an  dir  ein  noch 
nngekauutes  Kleinod,  ein  Feldveilchen  besitze,  das  im  niedrigen  Moose, 
nicht  vom  stolzen,  hohen  Stengel  herab,  sttßen  Wolgeruch  ausdüftet! 
Sei  stolz.  Vaterland!  sei  stolz,  kleines  Städtchen  Aichach,  auf  diesen 
deinen  Lehrerl  Er,  der  Mann  ohne  alles  Studium,  er  vormals  ein 
simpler  Handwerker  und  Sauerbäcker,  übernimmt  die  Schule,  ti*otzdem 
die  darbenden  Kinder  so  oft  um  Brot  zu  ihm  aufwinseln  und,  während 
er  nüt  der  größten  Dflrftigkeit  kämpft,  wird  er  einer  der  besten 
Lehrer.'*  Am  ScUois  preist  Fhinliofer  den  „unvergessliehen  Viter 
MaTiTiiiliim  Joeef  als  den  Yerbesserer  des  Sdinlwesens^*,  dessen  großes 
Yaterherz  viele  Summen  hiefllr  opferte,  und  „welches  ebenso  große 
Taterherz  hat  nicht  Jetst«  wo  ganz  Dentsehland,  ja  ganz  Europa,  sieh 
dasSehnlwesen  zum  wichtigsten  Staatsgeschilfte  gemacht  hat«  für  eben« 
dieselbe  Jugend  unser  angebeteter  Karl  Theodor  —  nicht  etwa  erst 
Ton  ihm  ererbt  ntm  —  vorlingst  besessenl  Hier,  meine  Lehrer! 
heften  Sie  den  BlidL  auf  das  verehningswQrdigste  Bild  dieses  großen 
Belohners  Ihres  EifersI  Hier  sehen  Sie,  V&ter  und  Mfttter!  und  nun 
hin  mit  mir  zum  Throne  des  Tateis,  Lehrer,  HÜtem,  Kinder!  Des 
besten  Taters,  dessen  Andenken  in  den  Herzen  der  Bürger  noch  ein- 
g^pmb^  sein  wird,  wenn  die  Schriften  so  vieler  prahlender  Denkmäler 
längst  zu  Kalk  und  Staub  geworden  sind,  wenn  die  Welt  längst  ver< 
gessen  hat,  dass  es  einst  Alezanders  und  Cäsars  gegeben." 


Digilized  by  Google 


Wicbtige  Grenzen  im  VolksscholaDtemchte. 

Vm  SdMlrath  A.  GrülUeh-LöbaH. 
(ScUoss.) 

^un  der  Gescbichtsanterricliti  SoUtan  wir  den  Kindern 
UDseree  Volkes  die  Gesehiebte  entsidien  wollen,  die  Geschichte,  die 
den  Menseben  mit  den-  G^escfaicken  der  Menscbbeit  und  seines  Volkes 
erst  recht  verwebt,  diese  gewaltige  Lehnneisterin  mit  ihren  hoben 
«nregenden  Vorbildern  und  abschreckenden  Beiqiielen, '  diese  Quelle 
enister  religiöser  Aufilnssnng  unserer  Geschicke,  die  Quelle  der  Vater- 
landsliebe nnd  emes  reiferen  politiscben  ÜrtheHs? 

Wahre  BeligioBitftt»  innige  Frömmigkeit  in  die  Herzen  der  Kinder 
zu  pflanzen,  zor  Lösung  dieser  Au^be  der  Volksschule  Termag  gewiss 
der  rechte  Geschichtsunteiricht  viel  beizutragen.  Nach  cbristlicber 
Anüiusnng  der  Weltgescbi(^te  ist  die  Grundidee,  welche  sich  in  dem 
Gange  der  Weltgeschichte  verwirklicht,  verwirklichen  scdl,  das  Beicb 
Gottes.  Znr  VerwirUichnng  dessen  arbeitet  sowol  das  freie  Thon 
der  Menschen,  als  auch  das  weltregierende  Walten  Gottes.  Das  Ein- 
gi  eifen  Gottes  kann  theils  absolut  sein,  theils  l&sst  er  seine  Gedanken- 
kräfte auf  dem  Wege  bewusster  Aneignung  in  die  ilcnsehen  ein« 
strömen.  Die  religiöse  Betrachtung  der  Geschichte  erkennt  also  in 
deren  Entfaltung  göttliche  Ideen  und  Ziele,  göttliche  Kräfte,  göttlich 
bestimmendes  Walten.  Freilich  ist  es  nicht  möglich,  die  Jugend  der 
Volksschule  in  diese  tiefere  Oeschielitsbetraehtunp'  vollständig  einzu- 
führen, allein,  es  tribt  (loch  frenug^  Ereignisse  und  Entwickeiungen  der 
WeltjLCeseliichte,  bei  dt  iieii  auch  den  Kindern  der  Volksschule,  ebenso 
gut  wie  bei  der  besondfien  heiligen,  ;iltti\>itamentlichen  Geschichte 
das  Walten  und  Eingreifen  (Rottes,  ein  göttlicher  Weltplan,  der  8ieg 
der  göttlichen  Kräfte  znni  JUnvnsstscin  prebracht  werden  kann;  z.  B. 
l)ei  Ah'xander  dvm  'ii-otieTi  bei  der  Ausbreitung  der  niniischen  Herr- 
schaft über  die  daiHal>  bekannte  Erde,  bei  der  ^'^^euduug  Christi  (ditü>e 
steht  natürlich  im  Mittelpunkte  der  Weltgeschichte),  der  Zerstörung 


Digitizeü  by  Google 


223  — 


Jernsalems,  der  Völkerwandemng,  dem  ZuBammenbincli  des  RGmer- 
reichs  unter  dem  Volke  der  Zakmift,  der  Beformatioii  (Entdeekangen), 
bei  dem  Kampfe  zwischen  Philipp  n.  and  Elisabeth  (Armada) ,  den 
Niederländern,  bei  Napoleon  I.  nnd  -Napoleon  HL  —  Damit  hängt 
nnii  aucli  Bedeutung  des  Geschichtsmiterrichts  für  die  Bildung  des 
sittlichen  Urtbeils  und  Sinnes  zusammen.  Auf  der  einen  Seite  ver«- 
mag  er  den  Kindern  al) schreckende  Gestalten  der  Selbstsucht  zu  zeigen, 
an  deren  Sohlen  sich  der  Fluch  heftet,  Völker,  die  durch  eigene  Schuld 
?on  der  Höhe,  welche  sie  in  Zeiten  sittlicher  Kraft  erraicht,  herab- 
sinken f Griechen,  Römer  ~  in  unserem  eigenen  Volke  haben  wir 
Perioden  der  Schmach  und  tiefsten  Erniedrigung,  aber  auch  größter 
Erhebung;  das,  was  den  Kindern  auf  dem  Boden  der  heiligen  Ge- 
schichte im  Volke  Israel  oft  zum  Hewusstsein  ofebracht  wird,  tritt 
ihnen  mich  anf  dem  der  Weltgeschichte  entgegen).  Auf  der  anderen 
Seite  bietet  der  (Teschichtsiinterriclit  eine  Fiille  von  herrlichen  Beispielen, 
edlen  ( Gestalten .  Grolitliaten  von  einzelnen  und  Völkern,  die  das 
jugeni11i'"he  Herz  zu  ergreifen  und  zu  l)ei2:eistern  vermönr-en:  er  lehrt 
die  sittliche  (iröße  aucli  in  den  Männern  l)e\vundern,  die  im  Kampte 
mit  feindliclien.  äußerlich  iibcrleirenen  Gewalfen,  trotz  \'crfolirunfr  und 
Tod  die  sittliche  Idee  nicht  aut'jreben  und  sie  gerade  dadurch  über 
ihren  Scheiterhaufen,  ihr  Kieuz  und  Grab  hinweg  zum  Siege  bringen. 

Die  Volksschuh*  soll  den  rechten  Gemeingeist,  der  mit  Vaterland; 
Menschheit  und  Kirche  zusammenschließt  und  sich  diesen  Kreisen  in 
den  Dienst  stellt,  in  die  Kinder  hineinpttanzen.  Dass  hierzu  der 
Geschichtsunterricht  wesentlich  beizutragen  vermag,  bedarf  gewiss 
gar  keiner  weiteren  Aoseinandersetzung.  Nur  dies  möge  hervor- 
gehobeD  werden:  Gtotde  bd  der  Art  unserer  politischen  Yerftssung 
und  Verwaltung,  die  nnr  dann  erst  segenbringend  wirkt»  wenn  sie  sich 
stützen  kann  anf  die  Einsicht  nnd  das  gesunde  ürthefl  anch  des  ge- 
wöhnlichen Hannes,  gerade  bei  den  Gefahren,  welche  ans  den  Niedenmgen 
des  Volkes  aufsteigen  fttr  die  Gestaltungen  des  socialen  Lebens»  bei 
dem  Andi^ngen  solcher  Machte,  die  durch  die  Presse  n.  s.  w.  anch 
in  die  niederen  Schichten  des  Volkes  eindringen  nnd  allen  idealen, 
nationalen  und  TaterUtndischen  Sinn  verdrängen  mochten,  nnd  anch 
bei  der  politischen  Lage,  die  uns  leider  nicht  hofliBn  lässt,  das  Schwert 
lange  beiseite  legen  zu  kOnnen,  hat  der  Geschichtsunterricht  in  der 
Volksschule  seine  hohe  Bedeutung.  Waffenftbong  allein  macht 
unser  Heer  nicht  siegesgewaltig,  sondern  der  Geist  der  Vaterlands* 
Bebe,  der  in  jedem  einzelnen  Krieger  wohnt;  und  die  rechte  Vater- 
landsliebe ist  auch  der  beste  Schutz  fhr  die  inneren  Gefahren. 


Lxiyui^uu  by  Google 


—   224  — 


So  haben  vir  toi  Gcflcbichtsiinterridite  auch  in  der  Volksechnle 
eine  Stelle  gesichert;  er  entspricht  der  Yoltaschnlidee.  Nun  aber  ist 
sein  Ziel  an  nmgmseo.    Ich  bestimme  es  so:  Die  Angabe  des 

Geschichtsonterrichts  in  der  (dentsehen)  Volksschule  besteht  darin, 
die  Kinder  mit  dem  Entwickelongsgange  der  Menschheit,  insbesondere 
aber  dem  des  deutschen  Volkes,  wie  er  sich  unter  göttlicher  Leitung 
ToUsogen  hat,  in  einzehien,  aber  doch  zusammenhängenden,  die  wichtige 
sten  Gestalten,  Ereignisse  und  Cnlturzustände  anschaulich  umfassenden 
Bildern  bekannt  zu  machen  und  dabei  besonders  den  religiös-aitUichen 
nnd  TaterlAndischen  Sinn  zu  bilden. 

Dazu  machen  sich  noch  einige  Bemerkungen  nöthig. 

Unstreitig  wird  auf  die  vaterländische  Geschichte,  also  in  der 
deutschen  Volksschule  auf  die  des  deiitsrlien  Volkes,  der  Nachdruck 
zu  leg^en  sein;  aber  wollte  man  sich  darauf  beschränken,  so  hätte  man 
auch  tür  die  Volksschule  die  Grenze  zu  enc  gezogen.  iTanz  abgesehen 
davon,  dass  di^  r-ieschiclite  des  Alt<  i  iluims  eine  i-ülle  verwertbarer 
ethisrher  Moniriite  bietet  nnd  dns  Int*  rr->e  der  Kinder  fesselt,  scliwf'bt 
die  beschichte  des  deutschen  Volkes  ohne  sie  in  der  Luft.  ebLii>o 
wie  die  des  Reiches  Gottes,  in  dessen  (Trundlej^ung:  die  Vrdker  des 
Alterthnms  allenthalben  verflochten  sind;  und  haben  wir  als  Ziel  der 
Volksschule  hingestellt,  die  Grundlagen  allgemeiner  Menschenbildung 
zu  geben,  i^u  durfte  es  dem  wol  nicht  entsprechen,  wenn  wir  iu  der 
Volksschule  die  erste  ^ruiidleg:ende  Periode  der  Menschheitsentwickelung 
ganz  übergehen  wollten.  Nur  ein  Nothstand  könnte  dies  rechtfertigen 
d.  h.  wenn  der  einfachen  Volksschule  nicht  genug  Zeit  übrig  bliebe; 
jeden&lls  aber  mOsste  dann  die  biblische  Geschichte  eine  Ergänzung 
bieten,  und  der  deutschen  Geschichte  wird  wmigstens  eine  Einleitung 
Torausnigehen  haben,  welche  die  Lage  der  Welt  sur  Zeit  des  Auftretens 
unserer  Vorfthren  in  knnen  ZQgen  seiebnete.  Aber  auch  im  Mittel- 
slter  und  in  der  Nenieit  kann  sich  der  Geschichtsunterricht  in  der 
Volksschule  nicht  ganz  auf  die  deutsche  Geschichte  beschränken,  und 
swar  aus  mehreren  Gründen  nicht  Die  Entwickdnng  des  deutschen 
Volkes,  eine  ganxe  Reihe  wichtiger  Ereignisse  deutscher  Geschichte 
sind  ndt  der  anderer  Völker  eng  verflochten;  m  dem  Lsnde  der  Mitte 
haben  sich  ja  die  Völker  Euroiws  so  oft  getroffen.  Sodann  haben 
auch  andere  Völker  grofie  Gestalten  hervoigebracht  und  GroBes  ge- 
than  Ar  die  Menschheit  und  ihre  Entwickelung,  also  auch  Ar  die 
unseres  Volkes  mit.  Ich  erinnere  nur  an  die  Entdeckungen  am  Auf- 
gange der  neuen  Zeit  Femer  ist  daran  zu  denken,  dass  unser  Volk 
mit  den  Cnlturrölkeni  der  Gegenwart  im  lebendigsten  Verkehre  steht 


Digitized  by  Google 


—   226  — 


und  daas  in  diese  Bezieliung  hentzntage  auch  der  einfiiciiste  Mann 
hineiiigesogen  wird  (durdi  die  Presse,  den  Handel  etc.). 

Deshalb  mtae  es  nicht  richtig,  wenn  man  die  Geadlichte  anderer 
Volker  ganz  flbergehen  wollte;  aber  seibetverotindlich  kOnnen  nnr 
einzelne  wichtige  Momente,  d.  h.  solche ,  die  Ar  nnser  Volk  oder  die 
ganze  Menschheit  (das  Beich  Gottes,  för  die  Oultnrgeschichte)  Ton 
hervorragender  nnd  allgemein  yerstftndlicher  Bedentnng  sind,  hervor- 
gehoben werden.  Wie  z.  B.  ein  Columbus  nicht  übergangen  werden 
kann,  so  auch  nicht  die  Elisabeth  von  England  (Philipp  n.)t  6in 
Peter  der  Große,  ein  Washington  (Gründung  der  Vereinigten  Staaten); 
ein  kurzer  Bück-  nnd  Vorblick,  der  sich  an  solche  Gestalten  knttpft, 
genOgt  dann  zar  weiteren  Orientining. 

Ans  der  obigen  Umgienzmig  der  Aufgabe  des  Geschichtsunteiv 
richte  geht  von  selbst  hervor,  dass  auch  die  allerwichtigsten  fii'eigniBse 
der  Kirchengeschichte  einznllechten  sind.  —  Eine  weitere  Frage  hin- 
sichtlieh der  Stoffbegrenznng  würde  die  sein,  ob  der  Gesehichtsanter- 
ridit  aneh  die  Geschichte  des  engeren  YaterUndes  oder  einzelnen 
Stammes  zu  beachten  habe.  Sie  ist  unbedingt  zn  blähen,  aber  vnter 
der  Einschränkung,  dass  blos  die  wichtigsten  Momente  (Gestalten, 
Ereignisse)  zu  bedenken,  und  zwar  in  rlie  Volksgeschiclite  einzuflechten 
sind.  Wenn  recht  behandelt,  eben  im  Bahmen  der  Volksgeschichte 
nnd  im  nationalen  Sinne,  SO  wird  die  Stammesgeschichte  niemals  das 
große  Ganze  schwächen,  sondern  nnr  stärken,  el)e!iso  wie  die  Gliede- 
rung tmsores  Heeres  nach  Landsmannschaften  dasselbe  nicht  schw&cht, 
sondern  stärkt. 

Die '  Stofinragrenzong  ist  abei*  noch  weiter  zn  verfolgen.  Der 
Geechichtsanterricht  der  Volksschule  kann  blos  einzelne  Bilder 
geben,  nnd  zwar  von  den  wichtigsten  PersOnliebkeiten,  Ereignissen 
und  Culturzttständen,  in  denen  der  Entwiekelnngsgang  der  Menschheit, 
insbesondere  des  deutschen  Volkes  deutlich  zu  Tage  tritt.  Einestheila 
ist  zn  einer  ansf&hrlicheren  Betrachtung  die  Zeit  uielit  vorlianden, 
andemtheils  entspricht  diese  Beschränkung  auch  der  kindlichen 
Fassungskraft  Diese  Bilder  sollen  Scliildemngen  von  handelnden 
Persönlichkeiten  und  Ereignissen  sein,  aber  auch  von  Culturzoständea, 
von  Lebensverhältnissen,  Einrichtungen  des  Volkes,  Erfindungen.  Un- 
zweifelhaft bringt  die  Jugend  den  gewaltigen  Pei*söuliclikeiten.  die  für 
eine  Zeit  bestimmend  auf  ein  Volk  einwirken  und  im  Mittelpunkte  der  ge- 
schichtlichen Be\veg:ung  stehen,  den  frroßen.  weltbewegenden  That»Mi  der 
einzelnen  wie  der  Völker  das  meiste  Interesse  entgegen.    Auf  diese 


Digitized  by  Google 


—    226  — 


Seite  der  Geschichte  ist  jedenlalls  das  Hauptgewicht  zu  legen,  allein 
die  Schildeimng  von  CulturzustAnden  darf  nicht  vollständig  fehlen. 
Oft  werden  durch  sie  erst  die  folgenden  weltgeschichtUchen  Um- 
wandlungen klar,  und  auch  die  großen  Männer  erwachsen  ja  aus  dem 
Leben  ihres  Volkes;  andererseits  lagern  große  Ereignisse  auch  wieder 
gewisse  ( 'lüturzuständo  ab.  Wenn  man  aber  meinen  solltp,  das  ciiltnr- 
(rescliichtliche  Element  biete  den  Kindern  der  Volksschule  zu  wenig 
Interesse,  so  ist  zu  bemerken,  dass  das  Interesse  nicht  felilen  wird, 
wenn  der  Lehrer  ansrlniulieli  und  lebensvoll  darstellt  und  die  lebendige 
Beziehung  zur  (regen wart  nh-ht  verabsäumt.  Solche  I^ezielmngen  sind 
übrigens  nicht  schwer,  werden  aber  oft  von  den  T,e!)rern  nicht  be- 
dacht. Unser  Vaterland  ist  z.  B.  reich  an  Denkmalern  aus  dem 
Mitielalter;  der  T^ehrer  hat  sie  in  Abbildungen  den  Kindern  vor  das 
Auge  zu  halten,  wt-nn  er  von  mittelalterlicher  Baukunst  redet;  er  hat 
sie  autnierksau»  zu  machen  auf  neuere  Gebäude,  die  im  mittelalterliehen 
Bausiii  erriclitet  sind.  Wenn  ich  sage,  dass  manche  Lehrer  solche 
Verknüpfungen  von  Vergangenheit  und  Gegenwart  vergessen,  so  beniht 
dies,  auf  eig^ner  Erfahrung.  Ein  Lehrer  sprach  z.  B.  mit  den  Kindern 
über  den  Kölner  Dum,  über  die  Spitzbogen,  im  Vergleich  zu  den  Rund- 
bogen etc.;  er  verfuhr  auch  anschaulich,  indem  er  Spitzbogen  und 
lUmdbogen  anzeichnete,  aber  er  vergaß  dabei,  die  Kindel;  auf  4ie 
stattliche  Kiiche  hinzuweisen,  die  etwa  10  Minuten  von  der  Schale 
entfernt  eben  im  Rondbogenstil  exbamt  wnrde.  Sogar  in  nnserer 
Sprache  finden  sich  genug  Anklänge  und  Erinnerungen  an  alte  Sitten 
nnd  EiDriehtimgen,  die,  recht  benatzt,  das  Alte  dem  Kinde  gleich 
naherftcken  nnd  interessant  machen  (z.  B.  die  Namen  unserer  Wochen- 
tage, Bedensarten,  wie:  ins  Gehege  kommen  —  Spieftbfirger,  Steck- 
brief —  ans  dem  Sattel  heben  etc.  etc.).  Kunze  hat  diese  Seite  in 
seinem  nl^ehrstoff  des  elementaren  Geschichtsunterrichts"  recht  ange- 
messen ans  Licht  gesteUt.  —  Der  Beschreibung  der  griechischen 
Sitten,  der  olympischen  Spiele,  der  Lykurgschen  Gesetzgebung,  doeae 
Sduldenmg  Athens  unter  Peiikles,  der  Sitten  unserer  Vorfthren,  des 
Bitterthnms,  des  Städtewesens,  der  Eaaflente,  der  Gewerbe,  der  Bau- 
kunst im  Mittelalter,  der  Beschreibong  von  dem  Znstande  des 
deutschen  Volkes  nach  dem  BOjährigen  Kriege  etc.  fehlt  an  sich  das 
Interesse  der  Jugend  gewiss  nicht,  und  si»ll  auch  in  unserer  Jugend 
gerade  der  Sinn  für  die  Werke  des  Friedens  geweckt  nr,  1  ^repfle^t 
werden.  Um  selbst  für  die  innere  Seite  der  Geschichte  des  deutsclien 
Volkes  die  rechte  Empfindung  zu  bekommen,  muss  der  Lehrer 
„Freytags  Bilder  ans  deutscher  Vergangenheit"  mit  durchlebt  haben. 


Digitized  by  Google 


Wenn  aber  in  der  Yolksechule  auch  bloe  einzelne  Bflder  gegeben 
weiden  kQmieni  so  dfiifen  diese  doch  nicht  isolirt  dastehen,  sondern 
sie  mQssen  fiberbrttckt  worden;  es  soll  Ja  dnrch  sie  der  gescliichiliche 

Ent  wickelungsgang  ^dargestellt  werden.  Mit  jener  Stoffauswahl,  die 
in  jedem  Jahre  einige  Bilder  ans  jeder  Periode  gibt,  sie  auf  den 
folirt  nden  Stufen  ergänzt  oder  andere  neue  auftreten  Itest,  kann  ich 
mich  nicht  befreunden.  Soll  in  jedem  Jahre  der  ganze  Stoff,  aber 
immer  vertiefter  durchgemacht  werden,  so  reidit  die  Zeit  nicht  zn. 
Sollen  andere  Bilder  an  die  Stelle  der  früher  behandelten  treten,  80 
entstehen  auf  jeder  Stufe  Bruchstücke  in  verschiedener  Beleuchtung i 
das  ganze  Rilfl  der  Geschichte  wird  vprsrhoben.  Wenn  z,  B.  im 
1.  Cursus  Alexander  der  Große  ausführlich,  im  2.  Cursus  mit  wenigen 
Worten  abg-emacht  wird,  so  ist  dies  eben  eine  Verschicbim<r  des  ^e- 
schichtliclien  Bildes:  aueli  lieim  2.  Cursus  müsste  Alexander  der  Grf)['e 
die  hedeiit^ütne  Pei*söuUehkeif  bleiben,  welelic  sie  in  der  Eutwickeluüg 
des  Alterriiums  thatsärlilieli  ist.  -  }*"ol<rende  Stoff?liederung*erselieint 
mir  für  einfache  \'olksscluilen.  welche  blos  die  letzten  vier  Schnljahre 
Geschieht suni  errieht  ertheilen  können,  ganz  angeine>sen;  Im  :i  und 
4.  Schuljahre  bei  Heimat«-  und  Vaterlandskunde  Anfügung  historischer 
Notizen;  im  5.  und  6.  Schuljahre  deutsch- sächsische  Geschichte;  im 
7.  und  s.  allsremeine  Geschichte,  d.  h.  einige  Bilder  ans  dem  Alter- 
thnme.  (1  luii  vorwiegend  deutsche  Geschichte,  aber  zut'leich  auch 
Herbt-iziehiin^  von  solchen  geschichtlichen  Personen  und  Ereignissen 
anderer  Völker,  die  von  allgemeiner  und  hervorragender  Bedeutung 
sind.  —  Eine  specielle  Stott  begrenzung  habe  ich  in  meinem  Beitrage 
zur  Methodik  n,  S.  109  ff.  gegeben.  Damit  stimmt  Ennze's  oben 
crvUinter  Ldtfadrai  im  weeentUehen  über  ein;  letzterer  ist  den  Ijefarem 
sehr  m  empfehlen,  ebenso:  80  Lectionen  aus  der  deutschen  Geschichte 
tdh  Engelnuum  (Leipzig,  JoUns  Elinkhardt).  In  vielen  Schulen  unseres 
l4mdes  haben  die  Kinder  „Die  GescbicbtsbÖder  für  mehrdassige  Volks- 
schulen**  von  Damm  (&  35  Pf.  —  Leipzig,  Siegismnnd  &  Yolkening) 
'  in  den  ffibiden;  diese  sind,  mit  Weghiasung  der  spedell  branden- 
bnrgischen  Oeschichte  und  unter  Eh-gänzung  der  sächsischen,  recht 
gut  zu  yerwert^. 

So  habe  ich  Ziel  und  Stoff  des  Geschichtsunterrichts  zu  um- 
grenzen gesacht  Nun  will  ich  hinsichtlich  der  Stoffbehandlnng  noch 
emige  Grenzlinien  zeichnen,  die  mandimal  nicht  eingehalten  werden. 
Ich  habe  Lehrer  gefunden,  die,  durch  den  Gedanken  geleitet,  den 
Kindern  nicht  zu  viel  zuzumuthen,  den  Geschichtsstoff  in  zu  kleine 
Bmchstacke  theilten,  also  sehr  bald  ihren  Vortrag  mit  Recapitulation 


—   228  — 


unterbrachen.  Auf  diese  Weise  kommen  die  Kinder  nkht  zum  Genosse, 

zur  vollen  Hingebung  an  die  Sache,  die  Wirkung-  auf  Gemüth  und 
Phantasie  wird  beeinträchtigt.  Also  in  zu  kleine  Bruchstücke  darf 
man  das  Ganze  nicht  zertheilen,  aber  falsch  wäre  es  wieder,  wenn 
der  Lehrer  über  die  Spannkraft  der  Kinder  hinaus  vortragen  wollte. 
Es  gilt»  die  rechte  Mitte  einzuhalten.  Sodann  habe  ich  weiter  die 
Eifahrung  gemacht,  dass  manche  Lehrer  bei  den  fiepetitionen  Neben- 
sächliches und  Wichtiges  nicht  immer  scheiden,  manchmal  sogar  das 
erstere  mehr  betonen,  z.  B.  bei  Friedrich  dem  Großen  mehr  nach 
den  Anekdoten  fi-ajren,  die  sich  um  seine  Gestalt  gebildet  haben,  als 
nach  den  Eigenschaften,  die  ihm  den  Beinamen  des  Großen  ervnrkt 
haben,  nach  seiner  Bedeutung  für  Preußen  und  das  deutsche  Volk. 
Hi»  !  gerade  hat  man  jenes  Wort  zu  beachten,  dass  man  nicht 
ni(  im  n  solle,  alles,  was  man  den  Kindern  s:ebe,  müsse  sich  zu 
einem  f  xriTninfrliai  en  Wissen  gestalten.  Bei  den  Repetitionen  lässt 
man  die  AussciDiiiicknnü'  fallen  und  hebt  den  bleibenden  Kein  In  raius. 
Auch  füi*  die  Yulivsschule  darf  man  nicht  vergessen,  einzelnes;  unter 
allgemeinere  Gesichtspunkte  zu  ordnen  (dadurch  wird  es  erst  fest- 
gehalten) und  den  Cansalnexus,  abei'  blos  nach  den  leicht ia.^slichen 
Ursachen  und  \\  irkungen  darzustellen.  —  Kmllich  gedenke  ich  noch 
der  Jahreszahlen.  Dass  solche  überhaupt  gemerkt  wei*den  müssen, 
wenn  das  ganze  Gebäude  in  der  Erinnerung  einen  festen  Halt  be- 
kommen soll,  ist  unzweifelhaft;  aber  hinsichtlich  der  Menge  der  Zahlen 
überschreitet  man  oft  die  rechte  Grenze.  £s  genügt  für  eine  (deutsch- 
stehgiaGhe)  VoIkBSclinle,  folgende  Jahreaiahlen  einzuprägen: 


2000  AMum.    1500  Moms.   1100  Stinael  imd  SaaL   1050  David. 

1000  &lomo.  722  Wegfdhnmg  Israels  in  die  assyrische  Gefangenschaft. 
(Salmanassar.)  58s  Zerstörung  Jerasalems,  Wegfiihruiig:  des  Volkes  in  die 
babylonische  Gefangenschaft.  (Nebokadnezar.)  53t»  Kückkehr  der  Jaden. 
(Cyrus.) 


888  Lykurg.  600  Solon.  490  Schlacht  bei  Uarathon.  (Mfltiades.) 
480  Schlacht  bei  Thermopylft  und  Salamis.     (Leonidas  nad  ThemistokJes.) 

431 — 404  PeloponnesischtT  Krieg.  fPerikU-s,  Alkibiades;  Sokratcs.)  333 
Alexander  d.  Gr.  (Vorher  Philipp  von  JÜLacedonien}  338  Schlacht  bei  Chäronea.) 

3. 

753  Gründung  Roms.  509  Sturz  des  KOnjgtfaaBW,  Horn  eine  Republik. 
Um  das  Jahr  300  ianerer  Friede.    220  Srobenmg  von  Italiea  dareh  die 


L  Alte  Zelt 
1. 


2. 


—    229  — 

Römer  beendet.  218 — 201  2,  punischer  Krieg.  (Hannil»al.)  146  Untergang 
von  Karthago  und  Korinth.  44  Tod  des  Julius  Cäsar.  30  vnr  Christi  Oeljurt 
Aogustns  (Octavianns)  Kaiser  des  römischen  Keichea.  70  nach  Christi  Gebort 
Zerstörung  Jerusalems.  324  Constantin  d.  Gr. 

IL  nttelftlter« 

1.  Von  «raten  Auftreten  der  Dentschen  bis  zn  Karl  d.  Gr. 

113  ( — 101)  vor  Christi  Gebnrt  Clnibeni  nnd  Teutonen.  9  nach  Christi 

Geburt  Schlacht  im  TeutobuiT^er  "Walde.  (Aimin.)  200  Völkerbündnisse. 
{Gothen,  Franken  etc.)  375—568  Völkerwanderung.  (410  Alari  h  4  >9 
Geiserich.  der  Vandalenkönif^:  449  Anj^eln  und  Sachsen  nach  England; 
450  Attila;  500  Tbeodorich  d.  Gr.;  öÜO — 554  Untergang  der  Vandalen  und 
Ostgothen,  Jostlnian;  568  Langobarden  nach  Italien.)  496  SeUacbt  bei 
Zülpich.  (Chlodwig.)  622  Mohammed.  732  Carl  Martell  achllgt  die  Araber 
(bei  Toui-s  und  Poitiers).  Vorher  riitergang  des  Westgothenrdcliea.  755 
Bonifacios.  SOG  (768—814)  Karl  d.  Gr. 

2.  Von  Karl  d.  Gr.  bia  mm  Interregnum  =  800 — 12&4. 

843  Vertrag  zu  Verdun.  933  Heinrich  I.  besiegt  die  Ungam.  (Gründung 
der  Burg  Meißen.)  955  Otto  l.  besiegt  die  Ungam  auf  dem  Lechfelde. 
(962  römischer  Kaiöer.j  1077  Heinrich  IV.  in  Kanossa.  (Gregor  VII.) 
1096  der  erste  Kreuzzng.  (1291.)  1123  Konrad  von  Wettin  erster  erblicher 
Xaikgraf  von  MeiOen.  1190  f  Friedrich  Barbanwaa.  (Otto  der  Beiciie.) 
1268  Untergang  der  Hohenatanfen.  (Heiniidi  der  Erlanchte.) 

3.  Vom  Interregnum  bia  anr  Reformation  s=z  1264— -1517. 

1254—1273  das  Zwisebeoreicfa.   (Rndolf  ^on  Habebnrg  kommt  1273 

auf  den  Thron.  1308  Befireinag  der  Schweis.)  1415  Hnss  verbrannt. 
1423  Friedrich  der  .Streitbare,  Kurfürst  von  Sachsen.  (1409  Gründung  der 
Universität  Leipzig:.)  Hn.s.'<itenkrieg"e.  1455  der  Prinzenrauh.  (Friedrich  der 
SanftmQthige.)  1485  Theiloug  der  säclisischeu  Lande  in  die  emestinische  und 
albertinis^  Linie.  1440  Mndiing  der  Boeiidrwdcerknnst  (1453  Eroberung 
KonataatinopelB  dnrdi  die  Türken.)  1492  Entdeckung  Amerikas. 

m.  Die  neue  Zeit 

1.  Von  der  Beformation  bis  zum  weatfttlischen  Frieden  = 

1517—1648. 

10  1 1. 1483  —  18  2.  1546  Luther.  31  10.  1517  Anschlagen  der  Thesen. 
1521  Reichstag  zu  Worms.  (Carl  V.)  1525  Bauernkrieg.  Tod  Friedrichs 
des  Weisen.  (Johann  der  Beständige.)  1529  ond  1530  Bdcbstage  zu  Speier 
nnd  Augsborg.  1547  Schlacht  bei  Mfihlberg.  (Johann  Friedrich  der  Groß- 
müthlfr«  .  1  T>ie  silclisische  Kurwtirde  fällt  an  die  albertinische  Linie.  (Moritz.) 
1553  t  Moritz  '  ..Vater  Autrnst"  folgt.)  1555  Augsburger  Reliirinnsfriede. 
(Wenige  Jahre  nachlier —  1558  —  f  CarlV.)  1540  Gründung  des  Jesuiten- 
«rdens.  1588  Kampf  zwischen  Philipp  IL  von  Spanien  ond  der  EUsabetli  von 
England.  (Beide  regieren  in  der  aweiten  Hslfte  des  16.  Jahriranderts.)  1572 
Pariser  Blntbodiaeit  1618^1648  30jtthriger  Krieg.  (Kaiser  Ferdinand  n.) 


üiyiiizeü  by  Google 


—  2  m  — 


1631  Zerstörung  Magdeburg:  J^clihicht  bei  Brettenfeld  f^Johann  Geomf  L); 
1 032  Schlacht  bei  LUtsen;  1635  Friede  za  Pn«.  (Die  Lansitx  könnt  n 
äacbaeo.) 

2.  Vom  westfSlitchen  Frieden  bis  znr  Gegenwart 

1643^1715  Ludwig  XIV.    1681  Ravb  von  Straßbntg.    1683  die 

Türken  vor  Wien.  (Johann  Georg:  III.)  1640—1688  der  große  Kurfürst 
Fr.  W.  von  Brandenburg.  1675  Schlacht  bei  Fehrbellin.  1607  Auirust  .ier 
Starke,  König  von  Polen.  Um  das  Jnhr  1700  der  nordisoJie  Krieg  Peter  der 
Große.  Karl  Xn.,  August  der  Starke^  und  der  spanische  Erbfolgekrieg.  (Prinz 
Eugen.)  1701  Prenßen  ein  Königreidt  1740  Thronbesteigung  Friedrichs  IL 
ond  der  Maria  Theresia.  (Friediidi  IL  f  178a)  1756—1763  der  7jihrige 
Krieg.  f  U  10.  1758  Überfall  bei  Hochkirch,  Kurfürst  Fri.aiirh  August  IL; 
Minister  Brühl.  Hnbertusburger  Frit  dp.)  1790  f  Joseph  II.  l  in  das  Jahr 
1780  nordamerikaniseher  Unabhängigkeitskrieg.  (1775 — 1788  WashijigUm.;  — 
1789  Beginn  der  französischen  Revolntion.  1793  Hinrichtung  Ludwigs  XVL 
1804  Napoleon  L  Katser  der  Franzosen.  1805  Schlacht  bei  AnsterlitE. 
1806  Auflösung  des  deutschen  Reiches,  Schlachten  bei  Jena  und  .Auerstädt 
^'arhsen  ein  Königreich.  (Friedrich  August  il.  r  rit  rcrlitp  l  1807  Friede  zu 
Tilsit.  (Königin  Luise.)  1809  Österreichs  Erliebung.  (.Andreas  Hofer.  Schill.) 
1812  Zug  Napoleons  nach  Rnssland.  1813  der  Freiheitskrieg.  (Großgörschen, 
Bautzen,  Dresden;  16.,  17.»  18/10.  Sichlacht  bei  Leipzig.)  18  6. 1815  Schlacht 
bei  Waterloo.  1814  und  1815  Wiener  Congress.  Theilung  Sachsens. 
Ot'iitsf  her  Bund.  —  1831  Snf  ii  erhält  eine  Verfassung.  i  Kniii^  Anton  der 
Gütijfe:  Friedrich  August.)  1S48  und  1849  Bevolution.  1849  Krieg  gegen 
Dänemark.  1852  Napoleon  III.  Kaiser  der  Franzosen.  1853 — 1856  der 
Krimltrieg.  1859  italienischer  Krieg.  1861*-'1865  Bfli^erkrieg  in  Nord- 
amerilca.  1866  preußisch-österreichischer  Krieg.  1870  ond  1871  deutsch- 
französischer  Krieg.  2  9.  IS 70  Napoleon  III.  bei  Sedan  gefangen.  18  1. 
1871  Wiederaufrichtnn»-  des  deutschen  iCaiserthoms.  1854  bis  1873  König 
Johann;  seit  1873  König  Albert. 

Endlich  ist  za  den  bisher  besprochenen  Realien  noch  die  Natnr- 
kande  (Naturgeschichte,  Anthropologie  und  Gesnndheitslehre,  Natnr- 
lehre)  hinzuznfligen. 

Nach  dem,  was  früher  üljer  die  Aufgabe  der  Tolksscimle  gesagt 
worden  ist,  bedarf  es  keiner  weiteren  Aaseinanderaetzang,  dass  die 
Naturkunde  ihren  Platz  in  dem  Unterrichtsorganismus  der  Volksschule 
mit  ToUem  Becbte  einnimmt.  Nur  das  will  ich  nochmals  hervorheben, 
dass  der  naturkundliche  Unterricht,  wenn  er  im  rechten  Geiste  ge- 
geben wird,  auch  für  die  religiös-sittliche  BUdung  des  Kindes  seinen 
hohen  Tribut  leistet  Wenn  wir  den  Kindern  das  lebensvolle  Antlitz 
der  Natur  zu  entschleiern  beginnen,  so  lassen  wir  sie  ja  nur  in  das 
wunderbare  Werk  Gottes  schauen  und  fordern  sie  auf,  den  Spuren 
sefaier  Weisheit  nachzugehen.  Wir  pflanzen  ihnen  eine  hdlige  Achtung 


Digitized  by  Google 


—  231  — 


JOT  allem  Lebenden  ein  und  geben  Omen  die  rechte  Stellung  in  ihrem 

Verhalten  zur  Natnr,  sei  es  in  ihren  Geschöpfen,  sei  es  in  dem 
Wirken  ihrer  Gewalten.  Der  eigene  Leib  soll  eine  gesnnde  Wohn- 
statte und  ein  gefügiges  Werkzeug  der  Seele  sein;  der  naturkund- 
liche ünten-icht  belehrt  das  Kind  darüber,  wie  es  sicli  ihn  als  einen 
Tempel  des  Geistes  O'^sund  zu  erhalten  vermag.  Freilich,  das  ist 
Toraxisznsetzen,  dass  der  Lehrer  dui'ch  seine  naturkundlichen  Studien 
nicht  dem  Materialismus  in  die  Arme  gesunken  ist,  und  dass  sich 
nicht  ein  solcher  Sinn  in  seinem  Unterrichte  hervordrängt.  Die  Mög- 
lichkeit ist  ja  nicht  ausgeschlossen,  dass  einzelne  Lehrer  der  Grenzen, 
welche  die  Naturwissenschaft  als  sulclie  nicht  überechreiten  darf,  sich 
nicht  klar  t-t  wusst  bleiben  und  auch  viel  weiter  gehende  Consc(iueuzen 
ziehen  mochten,  als  sie  z.  B.  im  Darwinismus  liegen.  Zu  beklagen 
wurde  der  Lehrer  sein,  der  so  in  seuu  ni  reliLnöscn  8tand])unkte 
^^  Hiikend  f^eworden  wäre,  dass  er  die  Schüpluug  an  Sri  Ue  des  Jschüpfers 
seizM^;  zu  vernrtlieilen  wäre  er,  wenn  er  den  (Tlauben  der  Kinder 
Uüter^'^i  aben  und  ihnen  materialiütischen  Sinn  einpflanzen  wollte. 

K  üiig  wird  die  Umgrenzung  von  Aufgabe  und  Stoß  des  natur- 
kundli  hen  Unterrichts  in  der  Volksschule  sein.  Der  sächsische 
Xormalplau  bestimmt:  Die  Kinder  sollen  in  der  Nat u rgescliichte 
theils  mit  den  wichtigsten  Thieren ,  Pflanzen  und  Mineralien  nach 
ihren  Eigenschaften  (mit  Einschluss  der  hauptsächlichsten  physio- 
logischen firscheinungen)  wie  nach  ihi-er  Bedeutung  f&r  das  Leben 
(der  Möschen  nnd  im  Hanshalte  der  Natur  —  auch  in  ihrer  Zn- 
sammcngehürigkeit),  theils  mit  dem  Hauptsächlichsten  über  Ban  und 
Pflege  des  menschlichen  Körpers  belcannt  gemacht  (zugleich  in  ethisch, 
gemftthlich  anregender  Weise)  —  in  der  Natnr  lehre  aber  zum  Ver- 
stiUidms  der  gewöhnlichsten  und  einflussreichsten  Naturerscheinungen 
(also  besonders  aacb  der  gebräuchlichsten  Werksenge,  ui  denen  die 
Natorkrftfte  dem  Menschen  dienstbar  gemacht  sind)  angeleitet  werden. 
Der  Normalplan  hat  mdner  Ansicht  nach  das  Bichtige  getrofilen.  Für 
ganz  richtig  halte  ich  es,  dass  die  Anthropologie  nebst  Gesondheits- 
lehre  in  den  naturkundlichen  Unterricht  mit  aufgenommen  und  be- 
sonders herrorgehoben  worden  ist  Man  hat  wirklich  lange  den  Fehler 
gemacht,  ein  Langes  und  Breites  Aber  inländische  und  ausländische 
Thiere  zu  erzählen,  sehr  wenig  dagegen  vom  Menschen,  am  wenigsten 
TOD  der  Gesundheitspflege.  Das  Verkehrte  dieses  Verfahrens  leuchtet 
ohne  weiters  ein.  Eine  auf  Kenntnis  des  Baues  ond  der  Organe 
des  menschlichen  Körpers  gegründete  Anleitung,  wie  man  naturgemäß 
leben,  sich  und  anderen  die  Gesundheit  zu  wahren  und  zu  fördern 


Digitized  by  Google 


—   232  — 


habe,  ist  gewiss  bei  dem  horrschenden  Leichtsinn  und  der  unverzeih- 
liehen  Sorglosigkeit,  bei  dem  leider  noch  bestehenden  Aber-  and 
Leichtglauben  hinsichtlich  der  Gesundheitspflege  und  Behandlungsweise 
in  Krankheitsfällen,  ganz  besonders  mit  Rücksicht  auf  die  Kinder- 
pfleore.  drino^end  mithig  und  für  die  körperliche  Tüchtigkeit,  yrie  das 
kräftige  Gedeüien  des  Volkes  «ranz  bedeutsam.  Die  Aufgabe  de? 
anthropologischen  Unterrichts  wird,  wenn  wii*  sie  noch  etwas  genauer 
fixiren  wollen,  die  sein:  den  Kindern  den  Bau  des  leiblichen  Organi^j- 
mus  und  die  wichtigsten  lit'!M>nsvorir;inErf'  nelist  den  dabei  tliätigeii 
Organen  in  ansebauliclier  und  elenu-iitarei  W  eise  kenn- u  zu  lehi"eu 
und  sie  durdi  Mittheilung  der  aus  deui  Baue.^d  Leben  des  Körpers 
folgenden  (^esundheitsregeln  zu  befähigen,  seme  eigene  und  anderer 
Gesuüdlieit  aufmerksam  zu  beachten  und  zu  pflegen. 

Was  die  Stoffgliedening  in  der  Naturgeschichte  anlangt,  so  sind 
wol  alle  Fachleute  darin  einig,  dass  in  den  ersten  Cursen  Einzel- 
beschreil)ungen  unit  Vergleichungf u  i  gegeJben,  duim  aber  im  Anschlu>;> 
an  einen  Hanptrepräsentanten  die  Übjecte  in  Familien  oder  Ord- 
nungen, Classen  gruppirt  werden  sollen.  In  vielen  Schulen  unseres 
Landes  richten  sieh  die  Lelurer  nach  Hnnunels  naturgeschichtlieheti 
Leithen,  in  der  Weise,  dass  im  3.  und  i.  SchnQahie  der  Stoff  aus 
den  beiden  ersten  Gnnen  ,,des  methodischen  Leit&dena  der  Natur- 
geschichte fttr  YoUwhulen^  zugleich  unter  Benutzung  yon  B.  Vogels 
»erstem  Unterricht  in  der  Naturgeschichte'*  (Halles  Waisenhaoshuch- 
handlung)  und  Anfügung  einiger  Ifineralien  (nach  Vogel),  im  5.  und 
6.  Schuyahre  ans  Hummete  ^kleiner  Naturgeschichte  fBr  2— 4c]a8aige 
Volksschulen**  entnommen  irird.  In  letztere  sind  die  Thic^  in  Ord* 
nungoi  und  Classen^  die  Pflanzen  in  die  wichtigsten  Familien  Deutsch- 
lands gruppirt;  angelllgt  sind  die  wichtigsten  Nutzpflanzen  der 
wlirmeren  Lftnder  und  die  Besprechung  des  Lebens  der  Fflanaen. 
Man  bemüht  sich,  die  Thier*  und  Pflanzenkunde  im  5.  and  6.  Schul- 
jahre abzuschliefien,  um  fttr  Naturlehre,  Anthropologie  und  Bespreehong 
der  wichtigsten  Mineralien  im  7.  und  8.  Schuljahre  Zeit  zu  gewinn«i. 

Geklagt  wiid  allenthalben,  dass  es  an  einem  recht  brauchbaren 
Leitfaden  f&r  den  Lehrer  in  der  einfachen  Volksschule  fehle.  Soviel 
ist  gewiss»  dass  viele  Leitfäden  an  zu  viel  Systematik  leiden,  die 
meisten  an  Trockenheit,  und  dass  in  vielen  dir  Sichtung  des  noth- 
wendi^en  und  nebensächlichen  Stolfes  nicht  befriedigend  ist  Da  wird 
z.  B.  in  dem  einen  Leitfaden,  der  mir  vorliegt,  nicht  vergessen,  die 
Zahnformel  beim  Rinde,  bei  der  Katze  etc.,  die  Höhe  des  Pferdes  bis 
auf  Ceutimeter,  die  Höhe  des  Stengels,  die  Unterschiede  der  Länge 


Digrtized  by  Google 


—  233  — 


von  Stuben-  und  Scbmeißfli^ge  bis  auf  ^filliineter  anzugeben,  und  doch 
ist  es  ein  Unding,  den  Kindern  znznmathen,  dass  sie  sich  dies  merken. 
Jedenfalls  mu88  der  Jjefarer  gerade  auch  beim  natorgesdiichtliclieii 
Unterrichte  sorgsam  anssondem  nach  den  frfther  ansgesproehenes 

Grondsiitzen. 

Der  Stoff  für  den  anthropologischen  üntemcht  wird  grewiss  durch 
folg'ende  Fordprnnfr  richtifr  beji^renzt:  In  extensiver  Beziehung"  lege 
sich  der  Unterricht  die  äuBerste  Rescliränkiinjr  auf;  er  behandle  das 
Knoclieni^ysteni  etwas  ausführlicher,  das  Muskelsystem  nur  so  weit, 
als  es  zum  Verständnis  der  wichtigsten  willkürlichen  und  unwillkür- 
lichen Bew<'{rnn?en  erforderlich  ist;  ein  Hauptgewicht  aber  werde  auf 
das  GeßiÜsysteiu  und  die  Krnälirnn^,  sowie  die  Organe  der  höiiereu 
Sinne  gelegt.  Die  Schi'iftcheu  „Anthiopologie  und  Gesnndheitslelire" 
vou  \'ogel  (k  20  Pf.  —  Peters  Verlag,  Leipzig)  und  „Grundlelne  der 
Anthropolofrie-^  von  Kirchhoff  (2.  AuHagei  werden  den  Lehrern  der 
Volksschule  hinsichtlich  der  Stoffbegrenzuug  und  StoffT)ehandlung  gute 
Dienste  leisten.  Das  Schritt chen  von  Vogel  ist  ganz  kurz  gefasst; 
es  wird  aber  noch  iiiuner  mancher  Name  als  einmal  nicht  fest  haftend 
deu  Kiuderu  erspart  werden  küunen. 

Die  Mineralien  behandelt  Hummel  ebenfalls  kurzgedrängt  in  seiner 
Katurgeschichte  f&r  2 — 4classige  Schulen.  Auf  Anthropologie  wird 
M  der  01)erstnfe  (7.  nnd  8.  Schnljahr)  etwa  Jahr,  anf  Mineralogie 
^/^  Jahr,  die  fibrige  Zeit  (P Jahr)  auf  Ph3rsik  yerwandt  Für  letztere 
liat  Crüger  in  seiner  »»Natorlehre  fttr  Volkaschnlen**  im  ganzen  das 
rechte  Stoffinaft  gefanden. 

Was  die  Stoffbehandlung  betrifft^  so  will  ich  blos  hinsichtlich 
des  natnrgeschiehtlichen  Untenichts  anf  eine  berechtigte  Forderung 
hinweisen:  der  Lehrer  darf  seinen  Unterricht  nicht  auf  trockene, 
pedantische  Systematik,  die,  wie  Lüben  sagt,  z.  B.  die  Pflanzen  zer- 
gliedert und  Äe  Blätter  zermpfb,  ohne  wieder  ein  Ganzes  und  Lebens- 
volles in  der  Anschannng  an&teigen  zn  lassen,  bescbrünken;  er  darf 
aber  anch  andererseits  in  der  poetischen  Aufthssung  nnd  Darstellung 
nicht  das  eigentlich  Naturgeschichtliche  aus  den  Augen  verlieren;  es 
gilt  also,  die  redite  Grenzlinie  einzuhalten  —  jedenfalls  darf  aber  die 
natnrsinnige,  gerofttiliToU'e  Auffassung  der  Objecte  nicht  fehlen.  Soweit 
ich  Lehrer  im  naturgescliichtlichen  Unterrichte  zu  beobachten  Gelegen- 
heit gehabt  habe,  so  sind  es  wenige  gewesen,  die  es  verstanden  hätten, 
den  trockenen  Abriss  des  Leitfadens  zu  beleben,  von  vom  herein  das 
Interesse  für  den  zu  behandelnden  Gegenstand  zu  wecken,  auch  in 
der  Sprache  sich  dem  Leben,  der  Entwickelung  des  Lebens  in  der 


Digilized  by  Google 


Natur  anzupassen.  („Die  Aiis<liiukt'  wachsen,  entfalten,  entmckeln, 
ranken,  winden  etc.  sind  am  Platze;  nicht:  das  zusammengesetzte 
Blatt  Kibse  hat  eine  Ranke,  sondeni:  das  Ende  der  Blattrippe 
wächst  zur  Kanke  aus;  nicht:  die  Früchte  sind  Hülsen,  sondern: 
aus  dem  Fruchtknoten  entwickelt  sich  eine  Hülse  etc.-  —  Küiin.) 
Viele  Leiirer  einpfinden  selbst,  dass  ihnen  die  Belebung  besonders  der 
Pflanzenkunde  niiht  trelinirt:  ««ie  erklären  offen,  dass  sie  sich  freuen 
wenn  das  S^HiiniersL-meslcr  zu  Eude  geht  imd  der  natnrge<chichtliche 
Unterricht  sich  zur  Thierkunde  wenden  kann.  Mir  srlipim  fS,  als 
wenn  der  Lehrer  für  die  natiirsinnige  B  et  räch  tum.''  von  \n»v\  f. .Der 
naturgeschichtliche  Unterrieht  in  iMitiel-  und  niehrclassigeii  Volks- 
schulen —  2.  Auflage,  1880.  Leipzig,  Sieirismund  &  Volkening) 
manches  lenieu  künnte.*i  Bösel  empfiehlt  z.  B.  das  Verfahren,  in  jeder 
Jahreszeit  sogenannte  Landschaltsbilder  von  Wald.  Wiese,  Feld, 
Garten  etc.  zu  geben,  um  eine  lebendige  Anschauung  von  der  Zo- 
.  Sammengehörigkeit  und  der  Wechselbeziehung  der  Naturkörper  zu 
einander  za  erstreben.  Z.  B.  beginnt  Bösel  die  Besprechung  des 
Hamsters  so:  Bas  Getreide  ist  eingeerntet  Bald  wird  der  raube 
Herbstwind  Aber  die  Stoppelfelder  wehen.  Hi^  ond  da  werden  die 
Äcker  schon  wieder  mit  Wintergetreide  bestellt  Doch  ancb  das  wol 
für  viele  Ode  Stoppelfeld  hat  f&r  den  Naturfreund  noch  ein  ▼ielfaehes 
Interesse.  Zonächst  richtet  er  seinen  Blick  anf  die  niedlichen,  hübschen 
Blümchen,  welche  noch  Instig  zwischen  den  dfiiren  Stoppeln  grttnen 
und  blühen.  Ehr  pflückt  sich  Yerschiedene  davon;  bald  besitzt  er  ein 
schönes  Str&nßchen  (Ackerhohlzahn,  Erenzkrant,  Acker-Ehrenpreis, 
Äckerwinde,  Acker-Löweamanl). . . .  Aach  die  Thierwelt  belebt  nicht 
minder  den  abgeernteten  Acker.  Scharen  von  Tanben,  Sperlingen, 
Lerchen  und  Goldammern  lassen  sich  anf  demselben  nieder,  denn  sie 
finden  daselbst  jetzt  noch  reichliche  Nahrung  ....  Doch  was  machen 
denn  da  unten  mitten  auf  dem  Stoppelfelde  die  beiden  JiSmer  ?  Wir 
eilen  zu  ihnen.  Die  Männer  graben  die  £rde  tief  auf  etc.''  Freilich 
hat  er  in  diesen  Einleitungen  des  Guten  zu  viel  gethan.  Wenn  die 
Kinder  mit  den  Wesen,  die  bei  diesen  einleitenden  Bildern  in  ihrer 
Wechselbeziehung  aufgeführt  werden,  noch  nicht  bekannt  sind,  so 
werden  sie  mit  nnvöstäudlichem  Stoffe  überschüttet.  Im  übrigen  ver- 
steht es  Bösel  recht  wol,  das  Interesse  der  Kinder  Hlr  den  zu  be- 
handelnden Gegenstand  zu  crwe6ken,  oft  nur  mit  wenigen  Worten. 
Z.  B.  leitet  er  die  Besprechimg  des  „Goldschmiedeä"  auf  S.  176  so  ein: 

*)  Als  gttDz  T<Hrrilg^icb  sind  die  Wagn ersehen  Werke  bdsumt»  aunentlich 
bietet  .,In  der  Xatar**  treftlirhe  Besdireibuiui^ii. 


Üigitizeü  by  Googl 


—  235  — 


^Wenn  ihr  im  Friihlin^e  einmal  zwisi-l)»'n  Santfeldem  dahin  e^^nvandert 
seid,  so  wird  euch  wol  schon  alieu  ein  gmiier,  si-hilltiiiilrr.  gold- 
glatizfüder  Kater  aui^efallen  sein,  der  schnell  über  'h'u  W'tcr  dahin 
lief  und  sich  eilig  in  der  grünen  i>aat  oder  unter  einem  .Steine  oder 
Erdkloße  verbarg.  Tcli  meine  den  allbekannten  Goldschmied,  den  ich 
euch  hier  lebendig  mitgebracht  habe."  —  Die  Betrachtang  des  „Schnee- 
glöckchens" beginnt  er  (auf  S.  218)  mit  dem  Gedicht«  „Das  Schnee- 
glöckchen" von  Scheurlin  und  fährt  dann  fort:  ..Nicht  wahr,  das 
Gediclitchen  gefällt  euch?  Es  ist  auch  wirklich  so  lieblich  wie  da.s 
bescheidene  Schneeglöckchen  selbst.  Ich  habe  das  niedliche  Pilanz- 
chen  so  lieb,  dass  es  mir  leid  that,  es  mit  noch  einigen  anderen  aus 
der  Erde  zu  graben,  um  «s  mit  euch  heate  dumal  näher  za  betäubten. 
Wie  ibr  wH  bftbe  ick  nur  einige  wenige  Pfiftnzchen  mit  ässk  Wurzeln 
ttosgegraben;  von  den  ftlirigen  habe  ieh  nur  die  Blfitenst^igel  und  die 
Bttttor  abgepflückt  Ieh  werde  zwar  die  Zwiebeln  gleich  nach  den 
Scfanlstonden  wieder  behatsam  in  die  Erde  eingraben;  ich  glanbe  aber 
doch,  dm  einige  davon  sterben  etc."*  —  Bei  der  ,,Komflockenblume" 
kniipft  er  an  die  Sitte  der  Landlente  an,  Ende  Juni  das  Hans  mit 
bontfiurbigen  Kränzen  von  schünen  Feldblumen  zu  schmücken.  —  Im 
Hummdschen  Iieitfaden  beginnt  die  Schildemng  der  Eidechse  so: 
»Die  gemeine  Eidechse  wird  spannenlang.  Im  Innern  hat  sie  ein 
Knochengerllst,  rothes*,  kaltes  Blut  und  athmet  durch  Lnngen"  etc. 
Wenn  der  Lehrer  keine  andere  Form  wählen  wflrde,  so  wllide  die 
Lection  allerdings  sehr  JangweiUg  werden.  Der  Lehrer  wird  etwa 
nach  folgender  Skizze  überleiten  müssen:  „Ein  sonniger  Frühlings- 
tag lockt  uns  ins  P'reie.  Die  Pflanzen-  nnd  Thierwelt  ist  zu  neuem 
Ld)en  erwacht,  Brühlingsblümchen  etc.  Wir  lenken  nnsere  Schritte 
dort  nach  jener  Hecke.  Kleine  schuellfiiJiige  Laufkäfer  huschen 
zwischen  den  Pflänzchen  dahin  und  verbergen  sich  eilig  unter  Steinchen 
nnd  Erdklümpchen.  Auch  ein^e  Sclimetterlinge  flattern  durch  die 
Lüh.  Da  ein  Geräusch.  Ein  niedliches  Thierchen,  das  sich  sonnte, 
prächtig  schillernd,  huscht  ?anz  schnell  rechts  in  die  Hecke  hinein. 
Es  sah  graniprrttn  aus,  hatte  einen  lanj,^en,  runden  ^diwanz.  Es  huschte 
so  schnell  vorüber,  dass  wir  es  gar  niclit  genau  betrachten  konnten. 
Welches  Thierchen  mag  das  wol  gewesen  sein?"  etc. 

In  Anthropologie  und  Piiysik  Nvird  in  dei-  Regel  weit  besser 
nnierrichtet  als  in  Naturgescludite;  eine  Jbolge  davon  ist:  die  iünder 
beweisen  ein  größeres  Iiiierci-^e  dalür. 

Und  nun  noch  wenige  Worte  übei'  das  Zeichnen,  Turnen  nnd 
die  weiblichen  Handarbeiten. 

F;<^dago(nBni.  5.  Jahtg.   Heft  IV.  16 


* 


L/iyiii^ü<j  by  Google 


•  _   236  — 


Der  Zeichenunterricht  ist  durch  das  sächsische  Volksxliul- 
gesetz  von  IBT.'i  auch  in  der  einfachen  \'olksschule  einsft'tVihrt  wurden, 
und  zwar  mit  Kefht.  iXr  Zeichenunterricht  besrinut  den  Sinn  der 
Kinder  zu  öffnen  für  das  Scli<)ne  in  der  AuLlenwelt,  der  Xaiur.  wie 
auch  der  l>ildenden  Kunst,  die  uns  ja  mit  ihrer  schniückendeu  Hand 
auf  Straüeu,  Plätzen,  Friedhöfen,  allenthalben  entgegentritt,  und  deren 
veredelnder  Kraft  wir  ja  in  gewissem  Ifafie  jede  Hätte  öfiiien  möchten; 
er  bildet  den  Geschmack  und  hilft  das  Missfiülen  an  der  Boheit  der 
Form  zu  erzeugen  ;  eine  ganze  BeQie  von  Berufen  kßnneti  die  Fertige 
keit  im  Zeielmen,  eine  geschickte  Hand,  das  gute  AngeDmall,  einen 
edlen  Geschmack  recht  gut  verwerten;  der  Sinn  für  Sauberkeit, 
Symmetrie  wird  in  allen  Verhältnissen  ▼olthoend  walten.  Das  sind 
allbekannte  Dinge.  —  Es  ist  nnn  für  nns  seit  der  Einf&hrang  des 
Zeichenunterrichts  auch  in  den  gewöhnlichen  Volksschulen  eine  allge- 
meine erfi'ealiche  ErfahrangsthAtsache  geworden,  dass  die  Kinder 
aoAerordentlicb  gern  seichnen.  Das  Ziel,  darf  freilich  bei  der  geringen 
Zelt,  irelehe  anf  das  Fach  verwandt  werden  kann,  nicht  hoch  gesteckt 
werden.  Die  verwendbare  Zeit  ist  nicht  in  allen  Schulen  gleich.  In  man- 
chen zeichnen  die  Kinder  blos  die  beiden  letzten  Schn(jahre  wöchentlich 
je  2  Stunden;  in  anderen  wird  schon  im  5.  und  6.  Schuljahre  gezeichnet, 
und  zwar  wöchentlich  je  1  Stunde.  In  manchen  Schulen  zeichnen 
eine  Reihe  Knaben  freiwillig  noch  nach  dem  planmäßigen  Unterrichte; 
hierbei  kommt  alles  auf  die  anregende  Kraft  des  Lehrers  an.  In  zwei- 
classigen  Schnlen  helfen  sich  manche  Lehrer  so,  dass  sie  die  talent- 
vollsten Schüler  der  1.  Classe  mittwochs  und  sonnabends  noch  während 
des  Unterriclits  der  2.  Classe  zeichnen  lassen.  Die  besten  einfachen 
Volksschulen  haben  ihre  Kinder  unter  solchen  Verhältnissen  dahin 
gebracht,  dass  sie,  nachdem  ,.Der  kleine  Zeichner"  von  Tretau,  unter 
Weglassung  einiger  Figuren,  durchgenommen  worden  war.  eine  Reihe 
Vorlaoren  von  Herdtie  (Herdtle-Tretau- Vorlagenwerk  für  den  Elemen- 
tar-Unterricht  im  Freihandzeichnen.  Stuttn-art)  und  von  Beyt'r  (Vor- 
lagewerk, erM-hieiirii  iu  Langensalza)  grezeichnet  haben,  und  zwar  unter 
Anwendung  der  i'arbe.  Für  Mädchen  sind  aiicli  Bhimenvorlaj^fen  ge- 
geben worden.    Höher  kann  man  das  Ziel  unbeding^t  nicht  stecken. 

Das  Hineinarbeiten  in  die  rechte  Methode  hat.  wenn  ich  hier 
etwas  von  der  Entwickelung  des  Zeichenunteri  iclits  iu  unseren  Schulen 
erzählen  dart.  viel  Mühe  geniuciit.  Die  Tnpi>ten  alteren  Lehrer  hatten 
seit  ihrer  Seuüiiai-zeit  nicht  mehr  gezeichnet,  l'ni  \venig>tens  eine 
größere  Zahl  zur  Ertheiliniir  eines  befriedigenden  Zeicheuunterricht.s 
fällig  zu  machen,  wui'den  iu  den  einzelnen  Bezii'keu  an  verschiedeueu 


Digitized  by  Google 


—  237 


Centraipunkten  Zeicheueurse  errichtet,  v-plfhc  in  der  Regel  von  einem 
Seminarzeichenlelirer  geleitet  wurden.  Nunmehr  sind  auch  schon  viele 
junge,  entsprechend  vors-ebildete  Kräfte  ins  Lehramt  gekommen,  sodass 
es  in  kurzer  Frist  nicht  melir  an  nietli<Miisc]i  eesf'hultvn  Lehrera  fiir 
den  Zeichenunterricht  fehlen  wird.  Wie  schon  nlu  ii  bemerkt,  legren  die 
Lehrer  bei  den  Specialconl'erenzen  jedes  Jahres  iiire  Zeichnungen  mit 
aus;  eine  aus  der  Mitte  der  Lehrer  ?e\vählte  Commission  prüft  und 
urtheilt.  Diese  Einrichtung  ist  getrollen  worden,  um  den  jungen  Zweig 
unserer  Volksschule  recht  lebensfiisch  zu  machen.  Da  die  Leistungen 
der  gleichartigen  Schulen,  die  unter  ganz  gleichen  Verhältnissen  ar- 
beiten, nebeneinander  liegen,  so  ist  iiaUiilicli  eine  große  gegenseitige 
Anregung  geboten.  Die  erzielten  Resultate  sind  mit  jedem  Jahre  bessere 
geworden.  Einzelne  Scholen  haben  verhältnismäßig  Treffliches  geleistet; 
freüidi  gibt  es  auch  solche,  die  noch  nicht  beMedigen. 

Anfangs  wollte  sich  die  früher  beliebte  Ifethode,  Landschaits-, 
Thierhildchen  za  zeichnen,  gegenflbei*  der  strengeren,  systematisdien 
geltend  machen,  und  auch  das  Pnblicnm,  soweit  es  sieh  fttr  den  Zeichen« 
ontenicht  interessirte,  schattelte  die  EOpfe,  wenn  es  bei  Prüfungen 
die  Zeichnungen  nach  dem  kleine  Zeichner  von  Tretau  sah;  aber 
mehr  und  mehr  sind  die  Lehrer  selbst  zur  Erkenntnis  gekommen,  dass 
mit  der  erstbezeichneten  Methode  alles  System  aofhOrt»  eine  feste 
Ffihnmg  und  Schulung  nicht  erzielt  wird,  und  seitdem  die  Leistangen 
der  Schulen  Über  Tretaas  Zeichner  hlnansgefaen,  die  Herdtleschen  und 
die  prAchtigen  Beyerschen  Sachen  vorliegen,  hat  sich  die  Meinung 
auch  der  aofiethalb  der  Schule  Stehenden  sehr  geändert.  Hierbei  ist 
aber  noch  zu  betonen,  dass  sich  die  Lehrer  im  £ifer  nicht  verleideu 
hissen  dürfen,  zu  hoch  zu  greifen,  also  zu  schwere  Vorlagen  zu  geben, 
ehe  wichtige  Elemente  genügend  sicher  geflbt  sind.  Als  ein  vorzüg:- 
licher  Prüfstein  ist  die  Schneckenlinie  anzusehen.  Jedenfalls  sind  nacii 
dem  kleinen  Zeichner  von  Tretau  (Nr.  98—104  von  doi  geradlinigen 
Figuren,  Nr.  115 — 120  von  den  krummlinigen  werden  weggelassen) 
die  strengeren  Formen  der  Herdtleschen  Vorlagen  besonders  zu  üben 
und  nur  einige  Vorlag-en  aus  d^m  Beyerschen  Werke  (etwa  aus  dem 
7.  und  8.  Hefte)  an-,  bez.  einzufügen,  abei*  diese  noch  vorsichtig  aus- 
zuwählen. 

Auch  hinsichtlich  des  Gebrauchs  von  iiillsmitteln  mussteii  erst 
Grenzlinien  iresucht  werden.  Der  Begritfdes  Freihandzeichnens  schließt 
ei^'entlich  die  Benutzung  von  Hilfsmitteln  ans;  allein  die  Krtahrung 
hat  es  doch,  besonders  bei  solchen  Classen,  die  5Ü — 70  Kinder  zählen, 
als  richtig  bezeichnet,  das  Nachmessen  der  ei'st  nach  Augenmaß 

16» 


Digitized  by  Google 


236  — 


gemachten  Theilunfren  etc.  zu  gestatten.  Ist  einf  Theiliniii:  falsch 
gemacht,  so  wird  füp  ganze  Figur  verzerrt;  bei  (ien  grolj»u  Classen, 
wie  sie  «ich  in  der  einfaolien  Vfdksschule  meist  finden,  ist  aber  der 
T.ehrer  nicht  imstande,  fortwälirend  die  Correctnr  zu  überwficlH'n.  — 
lu  einig'en  Schulen  sind  auch  Vorlagen  aus  dem  IlerdtU h-  u  \\  <  i  ke 
für  BYeihand-  und  jyeometrisches  Zeichneu  gezeichnet  worden,  so  da."5s 
also  thoilweise  Hilfsmittel  benutzt  wurden.  Die  Leistungen  erfreuten 
das  Auge. 

Femer  ist  es  ja  richtig,  dass  der  Zeichenunterricht  vor\viegend 
(  lassenunterricht  sein  muss,  abtr  doch  blos  bis  zu  einer  gewissen 
Grenze.  ^\  euu  zum  Zeichnen  der  Herdtleschen  und  Beyerschen  Vor- 
lagen geschritten  wurde,  hat  sich  die  betreffende  Abtheilung,  je  nach 
der  Beiiüiigung  der  Kinder,  theileii  mtkssen. 

Endlich  m(k^te  ich  noch  besonders  betonen,  dass  wir  nns  die 
GrenxUnie  fttr  den  Zeichenunterricht  in  der  Volksschnle  nicht  zn  weit 
gezogen  haben,  wenn  wir  anch  die  bnnte  Farbe  anwenden  lassen.  Die 
Zeichnung  bekommt  dadurch  erst  ein  rechtes  Leben;  der  Geschmack 
wird  isebUdet,  nnd  die  Last  am  Unterrichte  wichet  zusehends.  Frei- 
lich muss  der  Lehrer  selbst  einen  feinen  Geschmack  fflr  die  Farben- 
zusammenstetlnng  besitzen  und  das  rechte  Auftragen  der  Farben  za 
lehren  verstehen.  Als  guter  Wegweiser  hat  den  Lehrern  gedient  die 
Farbenlehre  von  Wolter  (k  1  Hk.);  besonders  haben  sich  aber  auch 
hierfttr  die  Ausstellungen  als  lehrreich  bewiesen. 

Ich  gehe  weiter  zum  Tnrnnnterrieht.  —  Der  Ldb  soll  eine 
gesunde  Wohnst&tte  und  ein  gefligiges  Werkzeug  der  Seele  sein;  darin 
liegt  eine  wesentliche  Bedingung  zur  Erfüllung  unserer  ethischen 
Lebensaufgaben,  der  allgemeinen  wie  besonderen,  für  welche  die  Volks- 
schule heranbilden  will.  Wenn  sich  nun  der  Turnunterricht  die  Auf- 
gabe stellt,  die  körperlichen  Kräfte  mit  aller  BerficksiGhtigung  des  Chv 
ganismus  harmonisch  auszubilden,  den  Leib  zum  gesunden,  krftftigen 
Trftger  und  zum  gewandten  Diener  der  Seele  zu  machen,  so  kann 
darüber  kein  Zweifel  sein,  dass  er  der  Volksschulidee  entspricht,  also 
auch  in  den  rnterrichtsorganismu.s  der  Volksschule  gehört.  Der  Turn- 
unterricht will  aber  niclit  b]ns  indirect  auf  und  für  die  Seele  wirken, 
sondern  '  i'  «teilt  sich  zugleich  die  AH^L^•^be.  Muth,  Entschlossen- 
heit, Orduuugssiüii,  riHtnein^inn,  feste  Kinlugung  in  ein  <ianzes,  Wöl- 
fl nständigkeit  in  der  ganzen  Haltung  bei  seinen  Schülern  auszubilden, 
al<o  auch  direct  solche  Tugenden  anzubilden,  welche  jeder  ^fensch 
l)esit/.eu  und  üben  soll.  Diese  Aufgaben  hat  sirh  der  Turnunterricht 
auch  in  der  einlachen  V'olksschule  zu  stellen,  wenn  auch  freilich  die 


Digitizeü  by  Google 


—    239  — 


vorliegenden  Verhiltnisse  die  Ldenng  derselben  ihrem  Grade  nach 
sehr  eioschrftnken.  Leider  Iftsst  ee  sich  an  vielen  Orten  nicht  durch- 
fuhren, dass  das  ganze  Jahr  hindurch  getnmt  werde;  es  vtren  dazu 
Bauten  von  Turnhallen  nöthig,  die,  wenn  sie  auch  noch  so  einfach 
gehalten  wQi-den,  die  Gemeinden  zu  schwer  belasten  würden.  In  den 
meisten  Schulen  kann  blos      Jalir  geturnt  werden. 

Vs'lf  schon  oben  bemerkt,  erhebt  sich  gerade  ge^en  diesen  Zweig 
bei  der  Landbevölkerung  ein  schroflfer  Widerstand.  Bei  vielen  G^e- 
meinden  mag  der  Gedanke  der  Mehrbelastung  der  eigentlich  zur  Oppo- 
sition tivibende  sein,  und  darüber  muss  man  billig  urtheüen;  aber  doch 
wird  auch  inim»  i-  wifder  die  Ansicht  geltend  gemacht,  die  Doi-fius:«'!!«? 
bedürfe  keines  l'uruunterrichts,  sie  Iiabe  körperliche  Bewegung  genug. 
Auf  den  eisten  ßÜck  scheint  dies  richtig  zu  sein,  aber  doch  blos  auf 
den  erstf^n  Blick.  In  Weberdürferu  ist  das  Kind,  wie  jeder  weiß,  der 
in  einem  soltln n  lufgewachsen  ist,  in  niedrigen,  dumpfen  Stuben  au 
das  Spulrad  i:<  tesself,  bis  es  seinen  siüiMiauiiten  ..Ziel"  hat  fso  z.  B. 
in  der  Lausitz);  in  Fabrikdörferu  muss  das  12jährige  Kind  seine 
schulfreie  Zeit  in  f  il  l  ikräumen  verbringen.  Von  einer  Übung  der 
körperlichen  Kraft  kann  bei  solchen  Kindern  nicht  viel  die  Rede  sein. 
Anders  ist  es  allerdings  bei  Kindern  ackerbautreibender  Bevrdkn  ung. 
Sie  bewegen  sich  in  freier  Luft  und  werden  zeitig  zu  solchen  Arbeiten 
verwandt.  weUdie  die  physische  Kiati  ausbilden  —  aber  freilich  nur 
einseitig.  Durch  die  sich  im  ganzen  gleichbleibenden  Arbeiten  werden 
immer  nur  einzelne  Muskelpartien  besonders  ausgebildet,  und  in  der 
Regel  wird  keine  Raschheit  der  Bewegung  gefordei  t,  so  dass  die  bäuer- 
liche Jugend  gerade  in  der  Beweglichkeit  und  Gewandtheit  der  stSdti- 
sehen  nachsteht;  ein  allzeit  gefügiges  Werkzeug  wird  aul  jeue  Weise 
der  K5rper  nicht,  nnd  eine  gute  Haltung  gewinnt  er  auch  nicht  Man 
sehe  sich  nnr  den  Gang,  die  Haltung  der  Banembnrsche  an  —  wie 
anders  kommen  die  Leute  znrnck,  wenn  sie  ihre  MilitSneit  hinter  sich 
haben!  Hier  werden  sie  eben  gewdhnt,  den  eigenen  Körper  in  die 
Gewalt  zn  bekommen.  Außerdem  Ubersehen  die  Gegner  des  Tnrn- 
nntemchts  meist  den  vorhin  berOhrten  Nutxen  für  die  Geistes-  nnd 
Cbarakterbüdong  des  Knaben.  Übrigens  stehen  die  Eltern  in  offen- 
barem Gegensatze  zn  ihren  Söhnen,  die  sehr  gern  tarnen.  Manche 
der  gewöhnlichen  Lente  haben  freilich  gar  keinen  rechten  Begriff  vom 
Tnmnntenichte.  Sie  stellen  sich  daninter  die  Ausführung  von  gjrm- 
nastischen  Kanststflckchen  vor,  bei  denen  die  Kinder  Hals  und  Beine 
brechen  können.  Der  sächsische  Normalplan  könnte  allerdings  mit 
seiner  Begrenzung  der  Übungen  solche  Befürchtungen  zerstreuen,  wenn 


L/iyiii^ü<j  by  Google 


—   240  — 


er  bestiinint:  ..Der  Unterricht  erstreckt  sich  vorzugsweise  auf  Frei- 
und  Ordnungsübangen,  sodann  auf  Stab-  und  Springfibnngen."  Treten 
noch  Gerätübungen  hinzu,  so  dürfen  es  nur  einfache  sein. 

Die  Grenze  der  Übungen  ist  damit  richtig  fjrezoj^en.  Daraus  ist 
aach  ersichtlich,  dass  die  Zahl  der  erforderlichen  Gerätschaften  «nfierst 
gering  ist. 

Und  nun  zuletzt  noch  der  Unterricht  in  den  weiblichen  Hand- 
ai  beiten.  Wenn  ich  auch  hierin  von  den  gemachten  Ert'ahnmijen 
sprechen  darf,  auch  dieser  Zweie  hatte  erst  Anfechtungen  zu  erleiden! 
Der  Kostenpunkt,  das  Honor.n  tiir  die  Lehrerinnen,  spielte  auch  bei 
vielen  Gemeinden  %neder  eine  wichtig:«' Holle,  die  nicht  gennL--  abwogen, 
welchen  Nutzen  der  UntPiTicht  in  den  niizelnen  Hänseni  dps  Dorfei^ 
spater  schatten  werde.  Andere  wieder  meinten,  die  Volksschule  i^reile 
in  diesem  Unterrichlszweige  über  die  ihr  zukommenden  Grenzen  hinaus, 
in  die  Sphäre  der  Familie,  der  Mutter  liinein.  Sie  überlej^ten  sich 
die  wirklichen  Verhältnisse  nicht,  nach  denen  in  sehr  vielen  Familien, 
gerade  bei  den  ärmeren  StauUtn,  die  Mutter  v»  rliimii  rt  oder  nicht 
befähigt  ist.  ihre  Töchter  in  weiblichen  Handarbeiten  zu  unterrichten. 
In  reicheren  Familien  wieder  versäumt  die  Mutter  gar  oft  ihre  Pflicht, 
ihre  Töchter  in  weiblichen  Arbeiten  zu  unterweisen,  oder  die  Luxus- 
arbeiten nehmen  die  Stelle  der  Arbeiten  ein,  in  denen  sich  die  künftige 
HanrihkU*  fiben  mSchte.  Die  Volksschnle  nimmt  gewiss  im  ganzen 
mehr  anf  die  künftigB  Lebenastdlnng  des  Knaben,  auf  die  Berufe  des 
Mannes  als  anf  den  des  Weibes  B&cksicht;  omsomehr  ist  der  Untere 
licht  in  den  veibliehen  Handarbeiten,  welcher  der  kSnldgen  Haosfraa 
mcfat  blos  nützliche,  zor  Erhaltong  des  Hausstandes  daichans  nOthige 
Fertigkeiten  venoittelt,  sondern  auch  eine  Beihe  weiblicher  Tugenden 
anzubilden  yermag,  im  Organismus  der  Volksschule  freudigst  zu  begrikfien. 
Wie  hat  sich  nnn  auch  dieser  Zweig  in  unseren  Schalen  eingebikrgertt 
Bei  den  Frilftmgen  liegen  die  Arbeiten  der  U&dchen  aus;  Väter  und 
Hfttter  betrachten  sie  mit  Freuden.  Mancher  schlichte  Mann  hat  mir 
schon  gesagt:  „Wenn  ich  etwas  genäht  haben  wül,  da  braacbe  ieh'ä 
jetzt  nicht  mehr  der  Frau  zn  sagen;  die  Tochter  brmgt's  besser  als 
die  Matter. —  Die  Mahe,  welche  sich  die  Lehrerinnen  gegeben  haben, 
hat  gute  Früchte  gebracht. 

Die  Grenzlinien  fSae  den  Unterrichtsstoff  za  ziehen,  war  und  ist 
nicht  schwer.  Die  sogenannten  feinen  weiblichen  Arbeiten  (Luxus- 
arbeiten) gehören  nicht  in  die  Volksschule.  Stricken,  Nähen,  Flicken, 
Stopfen,  das  sind  die  wichtigsten  Arbeiten,  die  zu  erlernen  sind;  in 
zweite  Linie  kommen  Häkebi,  Zeichnen,  in  dritte  Linie  Sticken.  Letzteres 


Digitized  by  Google 


—   241  — 


wird  aar  den  Kindern  2a  lehren  sein,  die  in  den  nothwendigBten  weib^ 
liehen  Handaibeiten  geübt  sind.  Die  Spitze,  die  der  ganze  Unterricht 
zn  erklimmen  bat,  ist  die,  dass  die  Mfidchen  lernen,  ein  Hemd  zuzu- 
sclineiilen  und  za  nähen.  In  den  meisten  Schulen  ist  dies  Ziel  erreicht 
▼orden,  wenn  auch  nicht  bei  allen  Kindern;  anch  in  diesem  fache 
aeigen  die  einen  mehr  Geschick  als  die  anderen. 

Was  die  Methode  anlangt»  so  haben  sich  die  Lehrerinnen,  welche 
doch  zunächst  im  Unterrichten  ganzer  Classen  gar  nicht  geübt  worden, 
schneller  hineingefunden,  als  man  denken  sollte.*)  Zunächst  veifasste 
eine  schon  länger  angre^^tellte  Lehrerin  eine  kurzgedrängte  Anleitung 
(Der  Unteriiclit  in  den  w^eiblichen  Handarbeiten  von  K.  Kranse 
erschienen  bei  Schlimpert  in  Meißen).  Sodann  sind  in  den  ersten  Jahren 
Gesammtansstellungen  gehalten  worden,  zu  denen  sich  die  Lehrerinnen 
aus  (lern  ganzen  Be:/i!kH  einfanden,  um  voneinan<ler  zu  lernen.  Probe- 
lectioneu,  gemeiu^ame  üesprechunLaMi  wurden  gehalten,  bei  denen  die 
Lelirer innen  sehr  friscli  ihre  An>n  hten  austauschten,  ohne  die  parla- 
mentarischen Grenzen  zu  überschreiten.  Ich  will  nur  einige  Punkte 
erwähnen,  bei  denen  Meinungen  und  Erfahrungen  auseinander  gingen, 
also  auch  die  richtige  Linie  zu  finden  war,  theilweise  anch  jetzt  noch 
zn  finden  ist.  Icli  will  gleich  den  Auszug  aus  einem  i  rotocoll  über 
eine  gemeinsame  Besiu  ecliung.  die  sicli  au  eine  Ausstellung  von  weib- 
hchen  Handarbeiten  auschloss,  hier  anfügen: 

1.  Es  wurde  die  Frage  behandelt,  ob  beim  Stricken  die  bis- 
herige Methode,  ein  Modell  stiicken  zu  lassen,  beizubehalten,  oder  ob 
es  rathsamer  aä,  den  SehlUerinnen  an  einem  irollenen  Waachfleckchen 
die  Ani&nge  za  lehren  nnd  dann  sogleich  zn  dem  Stmm|ifB  &beiza- 
gehen.  Die  Hbjorit&t  entschied  sich  für  das  letztere;  es  wnrde  aber 
den  Lehrerinnen  freie  Hand  gelassen.  2.  Der  Gfrundsatz,  bei  den 
Ueinen  Schttlerinnen  anf  das  Stricken  einen  ganz  besonderen  Kach- 
dmek  zu  leigen  nnd  keine  häkeln  zn  lass^,  wenn  sie  nicht  yorher 
den  Strumpf  allein  nnd  sicher  in  allen  Stiicken  stricken  kOnne,  wurde 
Ton  allen  Lehrerinnen  als  richtig  anerkannt  Man  wollte  das  Häkeln 
bei  einzelnen  Schfilerinnen  lieber  ganz  weglassen,  als  das  Stricken 
irgendwie  beehoitraehtigen.  Das  Stricken  sei  weit  nQtzlidier  als  das 
Hflkeln,  nnd  die  älteren  Mädchen  lernten  letzteres  auch  spater  ohne 
grofie  Schwierigkeit  3.  Darflber,  ob  dem  Nähen  das  Zeichnen  vor- 


*)  Idi  kann  natSrlicb  jetzt  nur  tc»  den  ErHüumngvn  in  meinem  Beeirke  reden; 
•iwr  wie  die  AuMteDongen  anderer  Bezirke  bewieaen  haben,  sind  auch  aaderwirta 
gleieh  gflnatige  Beavltate  endelt  worden. 


L/iyiii^ü<j  by  Google 


—   242  — 


ausgehen  oder  folgoi  solle,  gingen  die  Heiniingeii  ansemander.  Nach 
beiden  Methoden  waren  gut«  Resultate  erreicht  worden.  Diejenigen 
LehrerioDen,  welche  das  Zeichnen  dem  N&hen  Tonuuschicken,  hoben 
hervor,  dass  die  Kinder  beim  Zeichnen  genothigt  würden,  die  vStiche 
oorrect  zu  machen;  das  sei  eine  gute  Vorschule  für  das  Nähen.  Die 
anderen  Lehrerinnen  betonten,  dass  das  Nähen  wichtiger  sei  als  das 
Zeichnen,  und  das«  diejenigen  Kinder,  welche  im  Nähen  geübt  seien, 
sich  auch  leicht  ins  Zeichnen  hineinfänden.  Den  Lehrerinnen  wui*de 
freie  Hand  gelassen,  aber  doch  die  Anregung  geboten,  durch  die  Er- 
fahrung sicli  jxenau  zu  überzeugen,  welche  Methode  die  prakiiscliere 
sei.  4.  Die  Frage,  ob  beim  NShunterrichte  erst  ein  Modell  genäht 
werden  solle,  wurde,  je  nach  der  verscliiedenen  Art  der  Schulen,  der 
verfiiijbaren  Zeit,  auch  verschieden  beantwortet.  I)ie  einen  traten  ftir 
das  Modell  ein.  Das  Nahen  dns  Modells  ermögliche  einen  ('lasscn- 
uüterricbt:  das  Mateiial  dazu  sei  aneh  ftir  arme  Kinder  leichter  zu 
beschatten ;  wenn  das  Kind  an  dem  Modelle  ci-st  mit  den  verschiedenen 
Nahten  vertraut  geworden  sei.  .>^•»  werde  das  Anfertigen  des  Hemdes 
seihst  verständlich  besser  gelingen.  Die  Gegnerinnen  hielten  ein,  dass 
doch  auch  l)eim  Nähen  des  Modells  die  Kinder,  je  nach  ihrer  Geschick- 
lichkeit, bald  auseinander  kamen,  und  dass  das  Nähen  des  Modells  zu 
viel  Zeit  in  Ansi>ruch  nehme.  Ks  sei  zweckmäßijj.  «rleicli  ins  Praktische 
einzutreten,  also  mit  dem  Siuimen  eines  Tuches  zu  beginnen.  Dadurch 
werde  Zeit  erspart  und  dem  Verlangen  der  Eltern,  dass  die  Näh.schule 
doch  hald  praktische  Resultate  zeigen  möge,  Rechnung  getragen.  Das 
Verfiihrenf  das  Modell  Ton  Zeit  an  Zeit  zur  Hand  nehmen  nnd  die 
nea  auftretende  Naht  aUemai  erst  am  Modell  aben  zu  lassen,  war  anch 
rersneht  worden,  &nd  aber  nicht  allgemeine  Znstimmung.  — Zu  diesem 
streitigen  Punkte  bemerke  ich,  dass  doch  später  yiele  Lehrerinnen 
wieder  zum  Modellnfthen  znrilckgekehrt  sind,  das  Modell  aber  in 
geringerer  Ansdehnnng,  als  wie  es  in  der  Anleitung  von  Kranse  ange- 
geben ist,  haben  anfertigen  lassen.  —  3.  Dass  als  erreichbares  Ziel  das 
Zuschneiden  und  Nähen  des  Hemdes  hingestellt  werden  mfisse,  darttber 
waren  alle  einig.  Das  Zuschneiden  mfisse,  da  doch  die  Kinder  nicht 
viele  Hemden  zu  nfthen  vermQchten,  an  Papier  geflbt  werden.  Was 
das  zu  den  Hemden  verwendbare  Material  anlange,  so  dürfe  man  nicht 
peinlich  sein.  (Die  Hemden,  welche  arme  Kinder  nfthen,  sind  allerdings 
oft  ans  verschiedenartigem  Stoffe  zosammengenftht)  —  6.  Hinsichtlich 
des  Anftrennens  von  nicht  ganz  gelungener  Arbeit  sprach  man  sich 
dahin  aus.  auch  hier  sei  (wie  bei  anderen  Unterrichtszweigen)  die  ver- 
schiedene Befähigung,  das  Geschick  der  Kinder  in£rwftgnng  zn  ziehen. 


Digitized  by  Google 


—    243  — 


Die  Leun*  und  Arbeitslust  dOtfe  num  bei  sonst  fleißigen  Kindern  nicht 
durch  zu  große  Peinlichkeit  unterdrücken;  bei  faolen,  unachtsamen 
Kindern  allerdings  müsse  man  streng  sein  nndd&rfe  ihnen  die  Liedt  rlich* 
keit,  Unsorgsamkeit  nicht  durchgehen  lassen.  —  7.  Das  Stopfen  und 
Flicken  sei  ganz  besondei-s  zu  bedenken.   Es  wurde  bemerkt,  dass 
die  Ausstellung  gerade  darüber,  ob  das  Stopfen,  Flicken  gehörig  be- 
dacht worden  sei,  niclit  genügenden  Ausweis  <rebe.    Die  Lehrerinnen 
bezengten  aber,  dass  beides  nicht  verabsäumt  worden  sei;  nur  nähmen 
die  Kinder  die  geflickten  und  gestopften  Gegenstände  gleich  wieder 
in  Gebrauch.    Diejenifren  Lehrerinnen,  welche  ein  Nähmodell  hatten 
fertigen  ias.sen,  hatten  in  demselben  auch  das  Aufsetzen  und  Einsetzen 
von  Leinwandstückeu  geübt.    Es  wurde  auch  der  Vorschlag  gemaclit, 
beim  Nähmndell  gleich  das  Wieb>^l?i  (Stopfen)  der  Wäsche  zu  lehrf?i 
Was  das  Stopfen  der  Strümpfe  anlangt,  so  liatteii  dies  uianclie  Leiiie- 
rinnen  <i:leic]i  so  f^eübt,  dass  sie  alte  Strinnpie  zertheilten.  Löclier  ein- 
scliiiitten    und   diese  nun   stopfen   ließen.  —   Bpi  Schiürevisionen 
waren  hie  und  da  Mädchen,  auch  in  den  oberen  Classen,  mit  zci- 
ri&ienen  Kleidungsstiicken  bemerkt  wurden.  Rs  wurde  als  rieht iir  an- 
erkannt, dass  die  Lehrerinnen  gerade  darauf  mit  ihr  Augenmerk  zu 
richten   und  die  Emder  vor  allem  auch  z\i  dem  1^  Ik  ken  ilirer  Klei- 
dungsstücke anzuhalten  hätt>en.  —  8.  Bei  dem  Zeiclinen  soll  der  viermal 
überlegte  Stich  festgehalten  werden  und  die  langfu  Faden  auf  der 
Rückseite  nicht  blos  liegen,  weil  die  Arbeit  dadurch  haltlos  wei-de.  — 
9.  Bei  der  Frage,  ob  die  Arbeiten  bei  Ausstellungen  gewaschen  oder 
ungewaschen  vorgelegt  werden  sollen,  stimmten  zwar  alle  Ldirerinnen 
dann  Überein,  dass  die  ungewaschenen  Arbeiten  die  Leistungen  der 
Kinder,  ihre  Sauberkeit  und  Accuratesse  besser  erkennen  ließen;  allein 
es  seien  auch  hier  je  nach  denOrtsdiaften  mehr  odw  weniger  Schwierig- 
keiten Torhanden,  Die  Mädchen,  welche  in  die  Fabrik  zu  gehen  hätten, 
brächten  ihre  Hände  nicht  so  rein,  dass  nicht  beim  Nähen  Flecken 
entständen;  die  Localitäten  seien  oft  auch  nicht  günstig.  Es  wnrde 
aber  allseitig  zugegeben,  dass  man  in  Bezug  auf  die  Sauberkeit  der 
Aibeü  nicht  genug  thon  könne.  Jedes  Kind  mflsse  sich  seinen  Platz 
▼orher  säubern;  auch  wurde  empfohlen,  abwechselnd  Mädchen  geradezu 
damit  zu  beauftragen,  die  Bänke  Yorher  zu  reinigen. 

Damit  genug.  —  So  habe  ich  die  Unterrichtszweige  der  ^^olks» 
schule  nach  der  Volksschnlidee,  sowie  den  zu  behandelnden  8totl  zu 
umgrenzm,  wie  auch  wichtage  Linien,  die  man  bei  der  Stoffbehandlung 
einzuhalten  hat,  zu  zeichnen  versucht.  Die  eingehaltene  Ordnung  der 
UnterricbtSKweige  soll  zugleich  zeigen,  dass  Beligion,  Deutsch,  Bechnen 


üiyiiizeü  by  GoOgle 


—   244  — 


und  Gesang  als  die  wichtigsten  in  den  Voixlergi-und  m  treten,  und 
dass  bei  einem  Nothstande  der  Schule  die  anderea  F&cher  znr&cktreten, 
nach  Befinden  zeitweilig  ganz  wegfallen  masaten. 

Sind  aber  nach  obiger  DarsteUnng  eine  ganze  Reihe  von  Unter- 
richtszweigen der  Volksschnlidee  erwachsen,  so  scheint  das  bedenkliche 
Vielerlei,  das  die  feste  Aneignung  des  Stoffes  und  das  Wachsen  der 
geistigen  Kraft  verhindert,  da  zu  sein.  Bei  rechter  Unterrichtsweise 
wird  die  Gefahr,  die  hierin  liegt^  wesentlich  gemindert.  Jeder  Unter- 
nchtszweipr  hat  allerdings  sein  eigenes  Gebiet^  aber  doch  müssen  sie 
sich  die  Hände  reichen:  Katerhisnins  und  biblische  Geschichte  Deutsch 
und  Kealien  ibei  Leetüre,  grammatischen,  stilistisclien  ('biiugen)  — 
TiPctüre  und  Grammatik.  Stil  —  die  K^  nli^^n  untereinander  (zu  der- 
selben Zeit  z.  B.,  wo  d»Mitsr|i-sä(lisische  Geschichte  getrieben  wird, 
kommt  in  der  treographie  Deutsckiaud  und  Sachsen  zur  Behandlung) 
—  Rechnen  und  Geometrie  —  Geometrie  und  Z.  i  laien.  Verwandte 
Voi*stel]ungen  sind  zu  verknüpfen;  die  Unterriclu^zweige  haben,  soweit 
dies  ohne  Künstelei  geht,  aufeinander  Rücksicht  zu  nehmen. 

Und  nun  möchte  ich  am  Schlüsse  zu  uieinem  Anfangfiredanken 
zurückkehren.  Ich  hal)c  am  Beginne  meiner  I)arsulluu<^  davön  ffe- 
sprochen,  dass  es  wichtig  sei.  auch  zwischen  den  eiuzchieu  Anstalten 
feste  Grenzbestimmungen  aufzuricliten;  allein  dies  wird  doch  nicht  so 
ZU  verstehen  sein,  als  dürften  sie  nicht  in  einer  inneren  Besdehung 
stehen.  Die  Tolksschole  soll  doch  die  Basis  legen;  die  höheren  An- 
stalten haben  die  Pflicht,  an  ihre  Arbeit  anznknflpfen,  und  der  Grund- 
gedanke, ans  den  Zöglingen  religiös^ttliche  Persönlichkeiten  zu  bilden, 
soll  dnrch  alle  Anstalten  hindurchgehen.  Es  wOrde  gewiss  anch  Ton 
Interesse  sein,  sn  nntersnchen,  ob  zwischen  höheren  nnd  niederen  An- 
stalten ein  rechter  organischer  Zusammenhang  bestehe  oder  ob  sie 
sich  nicht  zum  Schaden  der  Zöglinge  zn  wenig  nnterdnander  kümmerten. 

Anmerkung  des  H or.iu s^^ebers.  oliunl  ich,  wie  aus  m<^iiMT  „Schule  der 
Pädagogik',  besonders  aiw  meiner  „3IeiJHKiik  der  Volksschule"  ersichtlich  ist,  nicht 
in  aUen  Punkten  mit  Hem  Scbnh»th  GrttUieli  ftbeninatimme,  habe  kh  doch  der 
hiennit  abg^cbbwaen«!  AUuuidhiiig  desselben  mit  Vei^tkgea  Banm  gegeben,  irail 
sie  eine  urafassende  und  durchdachte  Riclitung  des  Volks^chulunterrichtes  bietet,  in 
die  Schulpraxis  oinf>s  <>Air  litn'orraffenden  Schullandes  Einsicht  gewührt  nnd  allpnt- 
halben  erkennen  lässt  ,  dass  der  Verfasser,  ein  gediegener  und  verdienstvoller  Sihul- 
numo,  die  YoUubilduug  nach  bestem  Wiseen  mid  Gewiesen  m  heben  bemtlbt  ist  und 
auch  auBerbalb  seines  Bemfdtreises  gehOrt  zn  werden  verdient  D. 


üiyiiizeü  by  GoOgle 


Die  Entomologe  in  der  Schule. 

Von  Dr.  H»  l^eiß- Königsberg  i.  Fr. 

Die  schönen  Tage,  wo  man  den  wahrbalt  clASsisdi  Gebildeten, 
d€n  Philologen  ,.von  Fach*",  daran  erkannte,  dass  er  einen  Si»atz  nicht 
?on  einer  Feldlerclie  zn  untersclieiden  vermochte,  da  ihn  eine  solche 
Kenntnis  ja  in  den  ketzerischen  Geruch  realistischer  Halbbildung  hätte 
brincen  k<mnen.  —  die  schönen  Tacre  solches  Vorurteils,  "sind  nun  zn 
Ende;  obsrleicli  ich  freilicli  n«icli  die  Ehre  hatte,  einen  höheren  Schul- 
mann kennen  zu  lernen,  df^r  ;i1Ipt)  Respect  vor  meinen  theologischen 
nnd  sonst  etwa  vorhandenen  Kenntnissen  zu  verlieren  schien,  als  er 
iri'-iiie  naturwiss.'Ti'-i'haftlifhen  Sammlungen  sah  und  erfuhr,  dass  ie!i 
sie  nielit  M  -  X  lori  aiiL  -  leirT.  i;<judei'n  die  Objecte  auch  selber  bestimmt 
nnd  geordnet  hätte.  Aber  selbst  in  die  Schranke  der  Gymnasien  haben 
doch  jetzt  ausirestopt'te  Saufrethiere  nnd  Vo-^a-l  sowie  in  Spiritus  ge- 
setzte Ii'  ]>rilfen  ihren  Weg  irefumlen,  und  Msweilen  werden  sie  sogar 
beim  naturwissenschattlicheu  Unterricht  benutzt,  während  die  Fisclie 
allerdings  leider  den  meisten  Gebildeten  noch  immer  namentlich  nur 
nach  der  verschiedenen  Art  ihrer  Zubereitung  bekannt  bleiben  werden. 
Freilicli  freute  sich  ein  junger  Arzt,  als  er  neulich  ein  hübsches 
Exemplai'  des  Feuermolches  (  Triton  igneus)  in  meinem  Aquarium  sah, 
noch  Aber  die  —  nette  Eidechse. 

Wenn  nun  auch  die  Gymnasial-Abitarienten  von  fortschrittlichen 
Bestimmungen  noch  nicht  betroifen  werden,  so  haben  doch  jetzt  nach 
der  Ordnong  der  Entlassungsprüfungen  an  den  höheren  Schulen*) 
wenigstens  die  Extraneen  an  Bealgjmnasien  nnd  Oberrealschul^  be- 
hufs Erlangung  des  Reifezeugnisses  sich  einer  Prüfung  auch  in  der 
Zoologie  zn  nnteiziefaen.  Dasselbe  ist  der  Fall  an  Realprogymnasien 
und  Realschulen,  während  für  die  EntlassungsprOfiing  an  höheren 
Bttrgerschulen  —  den  Schulen  der  Zukunft  —  direct  eine  auf  An- 


*)  y«rfDgniig  des  Königlich  FnaSiidien  Ministen  der  gefstlichen,  Unterrichts- 
nid  Uedicinal-Angelegenlieiten  vom  i7.  Hai  1882. 


—   246  — 


s'-l  imiug  begründete  Kenntnis  auch  der  Ordnungen  der  Wirbdthiere 
und  Jjuecten  verlangt  wird. 

Nun  sagt  Goethe  einmal  gelegentlich:  n^ia  Lehrer,  der  das  Ge- 
fühl an  einer  einzigen  gnten  That,  an  einem  einzigen  guten  Gedicht 
erwecken  kann,  bietet  mehr  als  einer,  der  uns  ganze  Reihen  unter- 
geordneter Naturbildungen  der  Gestalt  und  dem  Namen  nach  über- 
liefert; denn  das  ganze  Resultat  dayon  ist.  das  wir  ohnedies  wissen 
können,  das;«  das  Menscheno^ebildt'  am  vorzüfrlirhsten  und  einzigsten 
das  Gloii  liiiis  der  Gottheit  au  sich  tragt/'  Ganz  abgesehen  davon, 
dass  der  letzte  Passus  sich  nelleicht  ebenso  g-ut.  wenn  nicht  besser 
in  seiner  Umkehruug  halten  ließe,  hat  Goetli»^  j-i  im  mnzen  Kecht, 
was  die  Gemütsbildung  anlangt;  aber  der  Mensch  In-itliT  nicht  aus 
Gemüt  aUein.  und  so  hat  man  denn  heute  niclit  erst,  sondern  seit 
Jahren  erkannt.  >!ass  die  Bescliäftit,aint^  mit  den  sofrenannten  be- 
schreibenden Naturwi>>fii>Lhafteu  liii"  die  Gesammtbihlunj^-  der  Ju;,^eud 
doch  nicht  ganz  so  unfruchtbar  ist,  wie  es  nach  dem  Goethcschen 
Ausspruch  den  Anschein  haben  könnte.  Werden  die  Naturobjecte  den 
Schülern  nur  wirklich  in  die  Hand  gegeben,  su  dient  die  Arbeit  an 
ihnen,  um  das  nui  kurz  anzudeuten,  der  Ausbildung  der  Anschauunj? 
mehr  als  jede  Beschäftigung  mit  Kuuslproducten,  da  diese  oft  genug 
ihre  Felder  haben,  welche  sich  dann  das  Kind  miteinprägt,  während 
die  Natorgegenstände  an  typischer  Regehnäßigkeit,  an  Glanz,  Fart)e, 
Stmctiir  Ton  der  Emiat  nnttbertrefflich  diid  tmd  ^  bald  bleibendes 
Interesse  enreeken.  Dazu  konunt  aber  der  Wert  der  beschreibenden 
Naturwissensdiafken  in  ästhetischer  Hinsicht  wie  f&r  die  Übung  des 
analytischen  und  synthetischen  Denkens;  denn  hier  Tor  allem  lernt 
auch  das  Kind  kennen,  was  ein  System  ist,  sobald  es  dasselbe  nur 
abersehanen  kann. 

Dies  alles  ist  in  der  Neuzeit  so  oft  wiederholt,  dass  es  ftberfiftsaig 
ist,  darauf  nfiher  einzugehen.  Eins  aber  scheint  doch  betont  werden 
zu  dürfen,  nämlich  dass  fttr  alle  die  genannten  Punkte  die  Beschäftig 
gnng  gerade  mit  den  Insecten  fruchtbarer  ist  als  jede  andere,  als  z.  B. 
selbst  die  mit  Säugethieren  und  VOgeln.  Hier  werden  im  grofien  und 
ganzen  dem  Schüler  doch  wieder  Abbildungen,  d.  L  Kunstprodncte, 
vorgeführt,  da  die  größeren  Wirbelthiere  sdion  aus  Mangel  an  Baum 
in  Schulsammlungen  nicht  vorhanden  sein  können;  und  der  bestausge- 
stopfte Vogel  ist  immerhin  mehr  als  ein  aufgespießte  Käfer  Erzeug- 
nis der  Kunst,  da  er  der  Geschicklichkeit,  resp.  der  Phantasie  des 
Kürschners  anheimgegeben  i^t.  Ist  es  also  schon  in  Hinsicht  der  reinen 
Anschauung  nicht  ganz  gleichwertig,  ob  den  Schälem  Wirbelthiere 


Digitizeü  by  Google 


—  247  — 


oder  Insecteu  vor  die  Augen  gestellt  wcrrlen.  so  kommt  hinzu,  dass 
die  ßeschäftigiinf,'-  mit  der  Entomologie  das  Sehen  direct  übt.  Einmal 
sind  ja  die  untersclieidenden  Merkmale  hier  kleiner  —  manclier  wird 
?afen  fjeriugfüfriger  —  als  in  anderen  Thierclassen,  aber  eben  deshalb 
neli  I'  II  <\p  das  Allere  ganz  in  Anspruch,  so  dass  es  anf  einen  Punkt 
fest  und  be^liniiiil  "^ich  richten  h'rnt.  uiul  darum  ist  es  wol  nicht 
ohne  tiefe  BwUutunir,  wenn  v*)n  (it  u  Auatumirjaotessoreii  80  oft  dar- 
nber  geklagt  wml,  dass  die  Gymnasiasten  nicht  sehen  gelernt  haben. 
Im  Studium  der  Natur  wird  der  „gewissenhafte"  Blick  des  zukünftigen 
Arztes  mehr  j^eschärft  als  am  Horaz  und  Sophokles;  aber  jenes  Studium 
ward  und  wird  den  Gyiiiiiasiasten  leider  verkümmert,  wenn  sie  nicUt 
gar  iuii  einem  gewissen  Hochmuth  dagegen  erfüllt  werden. 

Ferner  wird  der  Schüler  wol  niemals  Säugethiere  und  Vögel 
selbst  sammeln;  höchstens  kocht  er  sich,  wenn  die  gestrenge  l^ruu 
Mama  es  gestattet,  Schädel  ab  und  sammelt  diese  des  —  Sammeins 
wegen,  was  ja  vielen  Natorea  wie  aogeboren  ist  Die  Entomologie 
aber,  nameatÜch  wenn  sie  ein  geschicktor  Lelirar  mit  der  Botanik  zn 
verbinden  versteht,  d.  h.  wenn  er  in  der  Botanik  anf  die  Inaecten 
binweist,  welche  anf  der  betreffenden  Pflanze  leben,  nnd  andermeita 
bei  der  Inaectenknnde  stets  anch  die  NShrpfianze  angibt,  —  sie  i&hrt 
da»  Kind  in  Wald  und  Flnr;  es  beginnt  selbst  zn  sammeln,  nnd,  ganz 
abgesehen  von  dem  Nutzen  ffir  die  Ge^dheit,  welchen  soldi  ein 
Hemmstreifen  mit  sich  bringt,  es  lernt,  indem  es  die  Insecten  an&ncht, 
sdien;  denn  der  Blick  ftlr  entomologische  Objecto  will  thatsächHch 
erst  geschürft  sein,  kann  aber  aneh  geschärft  werden.  Ein  Dutzend 
6ymnasial*Frimaner  nnd  -Secnndaner  fOhrte  ich  an  einen  nur  dttnnen 
Banmstamm  nnd  sagte:  ,»Hier,  an  diesem  Stamm,  sitzt  ein  Schmetter- 
ÜDg;  suchen  Sie  ihn!"  Sie  besahen  sich  den  Stamm  und  bemerkten 
das  Thier,  einen  mittelgroßen  Spanner,  erst,  als  ich  es  aufscheuchte. 
Ja,  ein  dem  Eanfmannsstande  angehörender  Bekannter,  den  ich,  als 
er  auf  längere  Zeit  nach  Italien  reiste,  bat.  mir  von  dort  Käfer  mit- 
zubringen, versicherte  mir  nach  der  Heimkehr  ganz  treuherzig,  er 
habe  in  Italien  keine  Käfer  gesehen.  Und  ich  glaubte  ihm.  Er  hatte 
in  Berlin  mit  mir  das  Gymnasium  absolvirt  und  war  dann  Kaufmann 
geworden;  Käfer  hatte  er  nie  sehen  gelernt;  der  Blick  in  die  Natur 
war  ihm  nicht  erschlossen.  Wunderte  sich  doch  einer  meiner  Studien- 
freunde, gleichfalls  ein  er1)t»'s  Berliner  Kind,  als  er  von  einer  Ferien- 
Tf'i-e  auf  die  Universität  zuiUekkelirte.  dass  in  Mecklenburc''  die  Kühe 
auch  llömer  haben.  In  der  Suppe  iiatte  er  sie  nie  gefunden  mid  auf 
der  (jouleurkueipe  wol  aus  Büffel-,  aber  nie  aus  Kohhörneru  getrunken  ^ 


L/iyiii^ü<j  by  Google 


—   248  — 


woliLT  sollte  er  sie  da  kennen?  Ihn,  der  von  vornherein  Tnrist  werden 
sollte,  hatte  die  ganze  aiißermensfhliche  Natur  wenig  intcj-f^ssirt.  Man 
vergleiche  mit  diesen  am  Huiuer  genährten  Jünglingen  in  iiirer  Blind- 
heit die  Zöglinge  eines  einfachen  Dorfschulmeisters,  dei-  in  seiner 
Einfachheit  eben  die  Liebe  zur  Natur  noch  nicht  eingebüßt  hat  und 
darum  der  ihm  anvertrauten  .Tugend  uuverkümmert  überliefeit-  Aber 
freilich  sibt  es  am  Ii  rühiuUclie  Ausnahmen  unter  den  (iyamasial- 
lehrern,  und  ich  entsinne  mich  z.  13.  mir  Freuden  uuch  heute  der 
naturwissenschaftlieh  u  Kxcursionen,  die  icli  al-  Kntxlie  unter  Leilunj? 
meines  eigenen  Lehrer»,  des  leider  so  früh  veretorbenen  Jochmann, 
machte,  und  die  mir  die  Liebe  zur  Natur  iinauslöschbar  eintiößten.  Jener 
Mann  redigirte  damals  die  .Fortschritte  der  Physik",  aber  er  botauisirte 
daneben  und  sammdte  selbst  Kifer,  —  aneh  die  kleinsten  und 
„winzigsten  *,  —  vielleicht  nnr  ans  Liebe  zu  seinen  Schftlern,  d.  h.  Qm 
sie  anzuregen-,  and  das  ist  ihm  gelungen.  Selbstth&tigkeit  also 
ist  eS|  sa  der  die  Beschäftigung  mit  der  Entomologie  vor  allem  anleitet, 
und  sie  wird  ja  beute  mehr  als  je  in  pädagogischen  Kreisen  gefordert^ 
auf  de  kommt  ja  im  Ontnde  alles  an. 

Und  auch  das  ästhetische  Bedfirfiüs  findet  bei  der  Schönheit  der 
Formen,  der  Pracht  der  Farben  gerade  in  der  Insectenwelt  mehr  seine 
Bechnnng  als  in  nnseren  höheren  Thierdassen,  wovon  jede  gnte 
Sammlang  Zeagnis  ablegt  In  intellectaeUer  Hinsicht  aber  ist  es 
ebenso  wünschenswert^  dass  man  ün  Volke  endlich  die  schädlichen  von 
den  ntttzlichen  Insecten  anterscheiden  lerne,  dass  man  die  Kflchen- 
schaben  (^tta  germanica  Fab.  nnd  Periplaneta  orientalis  L.)  nicht 
fftrderhin  f&r  Käfer  halte,  wie  es  erstrebenswert  war,  dass  man  end- 
lich Spatz  und  Feldlerche  unterscheiden  lernte.  Und  das  Systematische 
tritt  dem  Knaben  in  der  Entomologie  deiitiicher  vor  die  Aagen  als 
irgendwo,  da  ein  gut  geordneter  Studienkasten  ihn  das  ganze  System 
mit  einem  Blick  übersclianen  lässt;  ein  solcher  Blick  aber  schafft 
Achtung  Yor  der  Natur,  erzeugt  Liebe  zu  ihr  nnd  dem  aUgütigen 
Wesen,  dessen  Werke  so  groß  und  so  viel  und  so  weise  geordnet 
sind.  Und  dann  haben  die  Naturwissenschaften  also  auch  ihre  gemüths- 
büdende  Kraft,  und  wir  brauchen  Waitz  nicht  ohne  weiters  zu  glauben, 
<las.s  die  äst lietisch-religiöse  Wirksamkeit  derselben  nur  von  nmüissendera 
Studium  erreicht  werden  kann,  nnd  dass  beim  Knaben  die  Ehrfurcht 
vor  der  Natur  nicht  tief  genug  eiudriügt.  Habe  der  Lehi'er  diese 
Ehrfurcht  nur  selbei-  erst! 

Nun  ist  all  das  tiesagte  ja  durchaus  uiclit  ganz  neu.  und  weiai 
es  in  dieser  Weise  nicht  ii*gendwo  schon  gesagt  ist,  so  liat  e^»  sicher- 


Digitized  by  Google 


—   249  — 


Weh  sclion  munclier  „ß-efühlt".  Woran  liefet  es  dann  aber,  dass  in  den 
Sliidten.  be?^'>j>!lf'r.s  an  liöheren  Schulen,  die  Entomolog-ie  so  ofar  .stief- 
mütterlich bciuindelt  wird?  Einmal  wol  an  der  Interesselosii^keit  der 
naiurwissenscfinfrliflien  Lehrer,  die  vor  lanter  spectroskopischen 
rntersncliüiii-cii.  oder  vor  schwierigen  Analysen  und  Polarisationsver- 
Äueheu,  wo!  gar  vor  Vertiefungen  in  die  höhere  Mathematik  zu  so 
„kleinliclien"  Dingen  nicht  rccia  kommen,  wie  ich  denn  in  der  That 
die  Entomologen  meist  unter  anderen  Fäcliern  angehörenden  Lehrern 
gefunden  habe,  während  die  Herren  Naturforsclier  dann  gelegentlich 
in  den  Sammlungen  jener  nicht  naturforsclienden  OoHegen  saumielten. 
Nun,  dem  könnte  ja  leicht  abgeholfen  werden,  uiul  allerdings  liegt 
der  Iii  lind  auch  noch  anderswo.  Entomologische  SaniiHiuuticn.  ohne 
welche  der  Unterricht  in  der  Entomologie  nicht  möglich  ist,  sind  eine 
leicht  zerbrechliche  Ware,  und  ich  kenne  welche,  in  denen  Fühler 
und  Beine  zu  den  Seltenheiten  gehören.  Die  leiseste  Berührung  lässt 
gerade  diese  uDterseheidenden  Organe  abbrechen,  und  da  mUBsen  denn 
beständig  Erneaemngen  vorgenommen  werden.  Das  ist  kostspielig, 
wenn  der  betreffende  Ldurer  nicht  selbst  sammelt  oder  seine  Schfiler 
dazu  anhftlt,  und  letztere  werden  oft  Unbrauchbares  bringen,  die  ge- 
wünschten Objecte  aber  nicht  auftreiben  können.  So  ist  also  eine 
solche  Sammlung  in  wenigen  Jahi'en  minirt,  oder  sie  ist  ein  fressen- 
des Capital  Indessen  kann  nun  mit  Leichtigkeit  auch  diesem  Übel- 
stande abgeholfen  werden. 

Seit  einiger  Zeit  wei'den  bewegliche  Skelette  von  Wirbelthieren 
präparirt,  indem  man  die  in  den  Gelenken  an  Sehnen  und  Knorpel 
noch  zusammenhängenden  Knochen  in  der  WickersheimerConservirungs- 
ilfissigkeit  einer  Art  Gerbung  unterwirft.  Diese  Flüssigkeit  stellt 
man  auf  folgende  Weise  dar:  Tn  3()(h>  Grarnm  kochenden  Wassers 
löst  man  100  Gramm  Alaun,  25  Gramm  Kochsalz»  11  Gramm  Salpeter, 
60  Gramm  Potasche  und  10  Gramm  arsenige  Säure;  darauf  lässt  man 
die  Lösung  sich  abkühlen  und  filtrirt  sie.  Zu  10  Liter  der  färb-  und 
geruchlosen  Flüssigkeit  werden  alsdann  4  Liter  Glycerin  und  1  Liter 
Methylalkohol  hinzugesetzt.  Legt  man  nun  ein  Inscct  einige  Tage  in 
diese  Mischung,  so  bleiben  auch  nach  völligem  Trockenwerden  sämmt- 
liche  niieder  frei  beweglich,  wie  sie  es  bei  dem  lebenden  Thiere 
wart/n.  und  man  kann  z.  B.  die  fad enf()nn igen  Fühler  der  Dytiscideu 
unter  der  \ Drderbrust  liei  vorziehen  und  dann  wieder  dorthin  zurück- 
scliieben.  Ja,  ich  habe  Käfer  der  verscliiedensten  Größe,  Cerumhvx 
hei*os  F..  Sojjerda  carcharias  L..  Olterea  eiytliroeephola  F.,  \sk 
Hetaenos  sesquicornis,  weiche  bereits  vier  Jahre  lang  in  einge- 


Digitized  by  Google 


trockueteni  Zustande  sicli  iu  meiner  Samiiihmg  befanden,  drei  Tage 
lang  in  jene  Flüssigkeit  gelegt,  und  sämnitliche  Bänder  fungiren  nun- 
mehr nach  'vielen  Monaten  noch,  also  dauernd,  als  wären  die  Thiere 
heute  erst  eingefan^en.  Die  Farben  der  Insecten  leiden  nicht  unter 
der  Procedur,  nur  die  feine  Behaarung  verliert  ddi  zum  Theil,  wenn 
mau  die  Objecte  zu  lauge  liegen  iässt;  das  ist  ja  aber  auch  der  Fall 
in  Alkohol,  Äther  etc.  Freilich,  Käfer  und  andere  Insecten,  deren 
Fftrbang  von  Schlippen  herrfihrt,  wie  es  bei  Chlorophanns  viridis  L 
und  vielen  andei^en  Cnrcolionidea  der  Fall  ist,  äfkken  ja  ftberbanpt 
nicht  benetzt  werden,  wenn  man  sie  nicht  beschfidigen  wilL 

Hit  dieser  Wickershelmer  ConsenrimngsüQssigkeit  lAast  sich  also 
eine  haltbare  entomologische  Samndnng  herstellen,  imd  vieUeicht  tragen 
daher  diese  Zeflen  dazn  bei,  dass  neben  der  Lehre  von  den  Wirbel- 
thimn  anch  der  Entomologie  in  nnseren  Schnlen  ihr  geUkrendes. 
Becht  eingeräomt  wird;  denn  es  genfigt  wahrlich  nicht,  dass  nnr  der 
angehende  Forstmann  etwa  die  scbfidlichen  von  den  nfitaliehen 
Insecten  nnterschttden  lernt,  ein  jeder  mnss  dazn  Ton  der  Schnlff 
instandgesetzt  werden. 


Digitized  by  Googl 


Cb«r  den  Congress  für  Handferti^keitsimterrielit  und  Haiui- 

ileifi  in  Leijudg  (1882). 


J3ereits  am  13.  Juni  1881  faii'l  ^m'  Vriunlassmig  des  Dr.  v.  Bansen, 
des  Prof.  Dr.  Gneist,  des  Eüseubahndirtctürs  Sclu-ader  (Berlin),  des  Stadtratlw 
?.  Schenckendotff  (Görlitz)  und  des  Prof.  Dr.  Biedermann  (Leipzig)  in  Berlin 
eine  Conferenz  von  Frennden  des  HandfertisrkeitsnnterriehtB  und 
des  Hausfleißes  statt,  um  die  Grundzüge  eines  Systems  filr  den  Hand- 
tprti^'-keitsnntc^rricht   nnd    den    lilltislicheii   Gewerbefleiß   festzustellen.  Der 
Referent,  Stadtratli  von  Sclienckendurft,  begründete  ziinJlchst  foig^cnde  'I  hesen: 
„1.  Die  dentsche  Konferenz  für   HaudferügkeitsuMterncht  und  hauslichen 
(TewerbA«iß  m  Berlin  spricht  die  HoAran;  ans,  dass  die  Staatsregiemn^ 
lordemd  und  unterstützend  in  die  freie  Vereinsbewegung  eingreifen  und  dies 
besonders  dadurch  bethätigen  mficlite,  dass  sie  den  irarultVitigkeitsunterricht 
nach  und  nach,   anfänglich  eventuell  in  facuitativtr  Form,  in  den  Lehr- 
plan der  Seminare  aufaehme.     Hierbei  düi-fte  auf  eine  enge  \'erbindang 
des  HandfetÜgkeitBantenlchts  mit  dem  Zeidiennntenicbt  liinziiwirken  sdn. 
2.  Die  Leitung  des  Handfertigkeitsunteniciits  mnsa  in  der  Hand  eines 
in  den  elementaren  tec liniselien  Fertigkeiten  vorgebildeten  Pädagogen  liegen; 
ihm   zur   Seite  uiuss  tlmnlichst   für  jede   Richtung  des   Unterrichts  ein 
tüchtiger  Handwerker  8t«hen.  3.  Die  zui*  Leitung  des  Uutemchts  bestimmten 
Pldagogen  sind  gegenwärtig  am  ssweckentsprechendsten  wfthrend  der  Sommer» 
odor  Herbstferittt  in  sechswOcIiigen  Unterrichtscorsen  ansambüden.    4.  Im 
Lehrsystem  ist  derart  stufenweise  vorzugehen,  dass  anfänglich  nach  köriier- 
Udien  Vorlagen,  wie  sie  dem  Alter  angemessen  sind,  später  nach  analogen 
Zeichnungen  und  endlich  nach  eigenen  Entwürfen  gearbeitet  wird.  Parallel 
hiermit  mtiss  eine  theoretische  Anweisung  gehen,  welche  sich  mit  dem  Gebrauche 
der  Werkzengei  mit  der  Anldtnng  m  der  zweckmäßigen  Nachbildimg  der 
Uodelle  und  ZMchnungen.  mit  den  Gninilzil<<en  des  Stils,  der  Formen-  und 
Farbenlehre*,  fowie  mit  der  Materialenkund»-  befasst.    5.   Die  körperlichen 
Vorlagen  und  Zeicimungen  sind  derart  zu  wählen,  dass  sie  den  l'onnen-  und 
Hchönlieitssinn  bilden,  dass  sie  den  übrigen  Unterricht  imterstützen  und  dass 
sie  endlidit  soweit  hiwnach  moglieh,  auch  nütilicher  Art  sind.  6.  Wiewo!  es 
vortheilhaft  ist,  im  Handfertigkeitsnnterricht  die  Anleitun;^  zu  einer  thunlichst 
mannigfaltigen  Materiaibeherrschnng  an  geben,  u  dfirfeu  doch  niemals  mehr 

FMdiCPeina.  i.  Jikig.  Heft  IV.  17 


Von  Hugo  fhroMe-HaiU. 


—    202  — 


all  drei  Unterrlchtogeg^iutftnde  gleichzeitig  gepflegt  werden.    HieiM  ist 

strengstens  darauf  za  achten,  dass  die  Arbeiten  eineKWltB  technisch  fiditig 
mtd  anderei-seits  in  eorrecter,  die  Oberflächlichkeit  aasRoWioC»'^!»'?  Weise  zur 
Ausfiihruüg  gelangen.  Im  allgemeinen  dürfte  genügen,  auf  deu  Handfertip- 
keitsonterricht  wöchentlich  4  Stauden  zu  verwenden.  7.  Bei  dem  gegen- 
wttrtigen  Stande  der  Sache  empAddt  es  sich,  den  HandfoiJglceitannteni^t  im 
'  wesentlichen  znnBchat  fttr  den  letnten  Jahtgang  der  Yolkaadinle  frnchthar  zo 
machen."  — 

Im  Verlauf  der  Di  1  ith  \Miisie  die  Meinung*  ausgesprochen,  dass  man  dem 
einheitlicli  gedachten  System  des  Referenten  volle  Anerkennung  zu  zollen  habe; 
die  BeachloMfaasnng  ttber  die  voiipeechlagenen  Thesen  aei  aber  «usoaetnen, 
da  es  besser  sei,  das  eigentliche  System  zunächst  erst  auf  dem  Boden  der  Er> 
fahninia:  aufwachsen  zu  lassen.  Es  g^dan^tpu  infolgedessen  statt  der  Srhencken- 
dorft's(  hen  die  folgrendeii  Tliesen  zur  Annahme:  „1.  Die  Conferenz  erklärt  es 
tlir  ein  Bedürfnis,  dass  die  Erziehong  der  Knaben  durch  den  Unterricht  in 
den  Fertigkeiten  dw  Hand  esgftnzt  werde.  2.  Die  Ziele^  die  dabei  zn  be- 
Mgen  sind,  werden  fttr  Stadt  nnd  Land  nnd  sonst  nach  örtlichen  VerhältniKen 
verschieden  sein,  sie  sind  theils  erziehlicher,  theils  praktischer  Natnr.  .3.  Das 
zunächst  WiehtiK-ste  ist  die  AiT^bilfUmi;  \'in  g-eeioiieten  Lehrkräften  und  diese 
Ausbildung  hat  unter  Mitwirkung  tüchtiger  Handwerksmeister  und  Künstler 
zn  erfolgen."  Am  ScIüiub  der  Conferenz  worde  ein  Comit6  mit  dem  Vorort 
Bremen  nomlnirt.  Dem  Gentvalemnitä  stellte  man  die  Anigabe,  den  Zn* 
saiinnetihang  zwischen  deu  einzelnen  V'ereinen  herzustellen  nnd  eine  übersi^t 
über  das  bisher  in  Deutschland  anf  diesem  Gebiet  Geleistete  zn  bewirken. 

Der  Congress  für  Handtertigkeitsunterricht,  auf  weichen  ich 
hier  näher  eingehen  will,  tagte  am  3.  Juni  1882  unter  dem  Vorsitze  de^i 
Prof.  Biederaann  im  Saale  der  Gentralhalle  zu  Leipzig.  Ein  Bericht  über 
diese  Versammlnng  dftrfte  für  alle  von  Interesse  sein,  die  der  Sache  nicht 
theilnalunlos  grgi^nTiher  stehen,  nnd  denen  es  nm  ein  selbst  ständige?!  nnd 
unparteiisches  Urtheil  in  der  Frage  zu  thun  isCj  Die  Verhandlangen 


*'  nie  Einwände  der  Lelir'  rnchaft  q""iren  die Einfilhruriir  de-;  Schulwerkütatt,- 
Unterrichts  lassen  skh  in  folgende  drei  Hauptpunkte  zusammen  fassen:  mau 
wendet  dn,  die  Schule  sd  nrZ«t  schon  alhnsehr  mit  I<ehrgegen8t&nden  flbefbQrdet, 
als  dass  man  daran  denken  kannte,  einen  neuen  beizufügen;  auch  sollte  man  sieb 
boten,  der  jet/.t  schon  beinahe  über  ihre  Kräfte  angestrengten  Jugend  die  geringe 
Zeit,  welche  ihr  zur  Erholang  ftadbleibt,  noch  durch  den  Ärbeitsunterrkiit  su 
5ohniiileni.  Sodann  dllrfe  man  nicht  anßcr  acht  lassen,  das«  die  gegenwärtige 
Volksschule  „ihrer  Idee  gemäß  da^  reüie  geistige  Ziel  einer  allgemeinen  formalen 
Bildoog  verfolge";  durch  Einrichtung  von  Schulwerkstätten  würde  aber  „ein  neue^ 
vorwiegend  materielle»  Mumi  nt"  hineingetragen  „in  den  bisher  heiliar  geachteten  »ml 
streng  geschlossenen  Zirkel  ihrer  Geistigkeit**,  und  die  Schule  laufe  Gefahr,  „au.-» 
einer  Lehr-  und  Erziehungsanstalt  zu  einer  Stätte  der  Dressur  fUr  gewisse  Suiere 
Fertigkeiten  zu  werden*'.  Damit  hänge  aber  diittens  zusammen,  dass  der  Lehrer 
sich  gezwungen  sehen  würde,  „aus  dem  erhöhenden  Rahmen  des  rein  ^Tistiuen 
Bildungslebens  herauszutreteu";  er  , .würde  in  seiner  KiLr«'ns(lKitt  als  Lthrrr  der 
Schalwerkstätte  jedem  Handwerker  unendlich  viel  näher  gerückt  scheinen  und  mit 
den  Leistungen  der  ArbeitS8«Anle  ehier  erbarmungslosoi  KntSk  der  aUenthalben  ▼or> 
handenen  Sachverständigen  anbeinifallfn.  eiiu  r  Kritik,  die  ihre  iinhenvoUe  Rück- 
wirkung auf  seine  sonstige  Amtsthätigkeit  und  Amtstreudigkeit  nur  zu  bald  ftuftem 
wflide;  sn  der  geistigen  Bnnlldnng  und  Abspannung«  mit  wddier  jetat  der  Lehrer 


Digitized  by  Google 


—   253  — 


geben  ein  Bild  von  dem  derzeitigen  Stande  der  Angelegenheit  in 
Deutschland,  sie  zeijr**»  znglcicli  die  Grandsatze,  nach  denon  die 
bestehenden  Schulwerkstätteu  eingerichtet  sind,  und  bringen  Mit- 
theilungen Uber  die  an  den  verschiedenen  Orten  in  der  Sache 
gemachten  Erfahrungen**)  IMe  mit  dem  Ccmgresa  in  enger  Verbindnng 
stellende  Ausät<  nu:)<^  von  Schul  werkstattsarbetten  bot  des  Lehrreichen 
«ine  {rroße  Fülle.  Sic  erewithrte  in  ihr<pr  Vielgestaltig'kcit  nicht  nur  ein 
in«tructives  Bild  von  den  verschiedeoen  Bestrebungen,  die  auf  dem  Gebiete 

oft  hart  t;>-nu<r  kämpfon  raÜ8se,  wttrde  sich  noch  phy.si.Hche  und  moraliK^he  Beugung 
jresellen"  \Kifimann).  —  Nach  einem  Vortrage  von  S€in.-Dir.  Buetc  (Neuzelle)  über: 
..Die  Stellung  der  Seminare  zu  den  Bestrebungen  der  HausfleiBvereine"  nahm  der 
4.  brandenburffische  Seminarlchrertag  zu  Frankfurt  a.  <1.  ().  (2.  und  H.  Oi  t. 
1882)  fast  einstimmig  folgende  Resolution  an:  ,4>ie  Versammlung  verkennt  nicht 
den  Wert,  der  in  der  Anei^ung  einer  bestimmten  Handfertlgkeft  lii^^;  sie  yer^ 
wahrt  sii  h  J  1  Ii  ^ n  !:•  urgaimche  Eiiinihruni;  1  >  JT  u;  h' rtiijkeitÄunterrichts 
in  Schule  und  Seminar  und  überlftsst  die  Übungen  dem  Uauae  und  deojenigeu  An- 
staltett,  welch«  diese  Bestrebungen  berafsnlfig  pflegni  sollen.'' 

K  I  blf '(trundzüge  der  ev.  Volksschulerziehuug.  5.  Aufl.  Thoil  TT.  170)  .^iurt;  ...Tc 
ueLr  äussere  Zeit  mit  ihrer  Richtung  auf  das  Materielle  i^euei^t  ist,  der  „Erziehung 
zur  Arbeit''  nacbsiistreben ,  desto  mehr  werden  wir  nm  folgende  Punkte  gegen- 
wärtiir  halten  niilesrn.  1.  Die  Volksschule  kann  den  Kreis  ihrer  ohnehin  schon 
zahlreichen  UutcTricht.sgciftnt)tände  nicht  durch  solche  Fiicher  vergrUßern,  deren 
HUdang8wert  nicht  außer  allem  Zweifel  steht.  2.  Insbesondere  fOr  Aneignung  von 
Fertigkeiten,  die  einer  l)e>rirnmteu  Berufsbüdunir  nnireh«ren,  li;it  sie  wc!  r  Z"it 
noch  Kraft.  3.  Es  ist  im  Hinblick  auf  unsere  Zeit  und  noch  mehr  im  Hinbiiuk 
anf  die  Kindesnatnr  bedenklich,  schon  den  Sinn  der  Kinder  auf  Erwarb  und  Geschäft 
zH  richten.  4.  Es  ist  ein  Vergehen  an  der  ganzen  Menschheit,  wenn  den  Kindern 
die  Zeit  zum  Spiel  verkftrzt  wird,  wenn  schon  sie  mit  verdienen  helfen  sollen,  und 
jiei  es  auch  nur  einen  Theil  ihres  eigenen  Unterhalte^.  Eine  .\rbeit,  die  nicht  zu- 
gleich erziehende  Bedeutung  hat,  ist  ein  Missbranch  des  Kindes  (Beschäftigung  in 
Fabriken)." 

•  Tirl.  'lie  auf  Quellen.-^tudien  lieruliende,  treffliche  Sihrift  von  R.  Rißmaiin 
(„Geschichte  des  Arbeitsuuterrichts  in  Deutschlaad".  Qotba  1882).  Dieselbe  will 
den  <3«gttem  des  Aibeltsonteniehts,  die  nicht  müde  werden,  ihn  als  etwas  a1»olnt 
Neues  und  Unerhrirtc?  darzustellen,  den  Niuhweis  liefern,  dass  Ijen  its  seit  liini,'er 
als  zwei  Jahrhunderten  zahlreiche  Päd^ogen  und  Volksfireunde  bestrebt  gewesen 
fffaid,  die  Handarbeit  in  den  Kreis  der  Sraehungsmittel  einsureihen.  Die  Freunde 
-ler  ■?:\'-]if  ün  rhr.'  sie  durch  eine  Darstellung  der  auf  die?™  (Tpbictc  bereits  <je- 
M  liehenen  Bi  sti  t  h  iiiiren  von  Irrpt'aden  und  Ihnwegen  behüten.  —  Man  vergleiche 
die  Verhandluii<,'en  des  (4.)  ,,>Deutschen  Lehrertages"  zu  Kassel  (1882). 
In  dem  Refi-rat  Ul)»  r  den  ..Arbeitsnnterricht  in  der  Volksschule"  findet  sich  folgende 
Stelle:  „Eine  sulche  Fordtruni^  hielie  doch  den  eigentlichen  Lehrberuf  gründlich 
rerdunkeln  und  liefe  darauf  hinaus,  ans  den  Iidurer  ein  „Mädchen  fttr  füU  s'\  l  iue 
Caricatur  des  vorigen  Jahrhunderts  zu  machen.  Wird  man  doch  bei  il* m  bloßen 
Gedanken  an  diesen  so  vielseitig  gebildeten  Lehrer,  der  in  der  Schule  den  Bakel 
zu  schwingen  und  als  Cantor  das  Brautlied  zu  singen,  der  als  Küster  die  Kirche 
SU  kehren,  die  Glocken  au  schmieren  und  dem  Pastor  üm  Uandtoch  an  halten  hat; 
der  in  Bienen-,  Obst-  und  anderer  Cnltnr  ein  Meister  sein,  der  am  1.  Dee.  als  Volks- 
und  Viehzäliler  und„in  neuerer  Zeit  andi  iils  .^iiareassenimchhalter  fnniriren  soll,  und 
der  nun  noch  zum  Überfluss  auf  des  Handwerks  goldenem  Boden  mit  kunstgerechtem 
8a1to  mortale  (rl&nzen  mOcbte,  —  wird  man  doeh  bei  diesem  Oedanken  unwUUtttr- 
lich   f  riTincrT   ;n    Iii  alre  Zeit,   d  :  ' vnttor  Schusti-r  und  Hand.-ichuliumclier 

auf  dem  Katheder  thrunteu."  Ein  Redner,  der  für  die  Sache  eintrat,  wurde  durch 
SehlnaBmft  und  Unnihe  in  seinen  Ao^hrangen  unteibroGhen.  Von  anderer  Sdte 
wurde  gesagt:  „Wir  wollen  uns  weder  über  die  Nützlichkeit,  noch  über  die  Schäd- 
lichkeit des  Haadfertixkeitüunterrichts  ein  Urtbeil  erlauben.  Viele  unter  uns 
sind  wol  «neb  nieht  In  der  Lage,  darttber  ein  Urtheil  abgeben  an  k9nnen.** 

17* 


DIgitized  by  Google 


—  254  — 


des  Handfertigkeitsuntenichfs  bisher  zn  Tape  ei-pti^ten  sind,  sondern  legie 
durch  ihre  überraschende  HeichLaltigkeit  auch  Zeugnis  davon  ab,  wie  stark 
zur  Zeit  das  Bestreben  fdr  diese  Beform  unseres  Erziehongsweseus  hervortritt. 

L  y«rh«iidliiiig6ii  des  Congrestes. 

Redactenr  Dr.  Lamneis  (Branen)  «ntatt^  ao  erster  Stelle  Bericht 
ftber  die  Thätigkeit  des  Ceutralconiit^s  im  Jahre  1881  und  bemerkte 

n.  a.,  dass  die  Sailif  ihren  jrutcn  Foi-tijang  nehmt'.  wf>nn  man  anoh  fino  <«'!ir 
lautf  und  unifasseude  Thätigkeit  nicht  habe  entwickeln  wollen  und  künnen; 
uiaii  sei  vun  der  Meinung  aasgegangen,  dass  dies  keine  Reform  sei,  der  eine 
stttrmiaehe  ood  Iddenechaflliche  Agitation  gedeme,  sondera  daaa  viehnehr 
durch  praktische  Versuche  und  dnrch  Discussionen  Aber  die  Sache  immer 
weitere  Kreise  mit  der  Tdee  bekannt  <remacht  würdfii  und  so  selbst  finden 
könnten,  inwiefern  sie  ihren  Bednrfnisst  n  jErenü^e.  Man  ^abe  deshalb  sfilrhen 
Orten,  die  den  Arbeitsunterricht  tür  Knaben  einzufühi'eu  beabsichtiguu ,  Lt  hr- 
krfifte  zu  verschaffen  ge«aeht(2.  B.OSttingen).  Redner  theUte  fentrar  mit,  dass 
im  vorigen  und  in  diesem  Sommer  deutsehe  Lehrer  das  berfilmte  819^-S«ininar 
zu  Nääs  in  Schweden  (unter  Diicctoi-  S'alomotr)  iK-sucht  hlltton  nnd  nncnts-elt- 
lich  ansq-ebiblt't  worden  seien,  dass  auch  in  Osnabrück  ein  Lehrcm>^us  zur  Zeit 
abgehalten  werde,  und  dass  weitere  Curse  in  Norddeutschland  vorbereitet 
wflrden.  In  Straßbntg  erscheine  die  Sache  dauernd  gesichert,  in  Sflddeatsch- 
land  dagegw  sei  noch  wenig  gethan;  nnr  in  Pforsheün,  Wftnbnrg  md 
Asehaffenbarg  werde  die  Angelegenheit  mit  viel  Energie  betrieben.  Es  sei 
nicht  die  Absicht  des  Comites  jrewesen,  im  Sturm  die  deut «<  !!♦■  ^Minle  zu  er- 
obeni  und  auf  die  Schulbehörden  in  dieser  Richtung  einzuwii  kcii ;  der  Wunsch 
des  Comites  gebe  vielmehr  dahin,  gewissermaßen  eine  große,  über  ganz  Deutsch- 
land anigedehnte  Veranchsetatiott  herznstellen,  ans  deren  Ergebnissen  nud 
Unternehmungen  dieUnterrichtspraxiasieh Fingeraeige  entnehmen 
k;>nne;  Schulen  und  Schulverwaltnniren,  T.ehrer  und  Eltern  der 
Schulkinder  möchten  dann  selbst  zasehen,  was  für  sie  in  der 
Sache  stecke. 

Hieranf  trat  man  in  den  sweiten  Punkt  der  Tagesordnung  ein,  In  die 

Darstellung  der  verschiedenen  Formen,  welche  die  Idee  des  Hand- 
f»'rti;ckeitsnntprrit  ht s  bishei-  irt  fiiiiden  hat.  Oberlehrer  Dr.  W.Gütze 
(Leipzig)  sprach  über  die  Gesichltipunkte.  nach  welchen  die  Leipziger 
Schülerwerkstätte  geleitet  wiid.  Einleitend  wici»  er  aus  der  Geschichte 
des  Handarbeitannterriehta  nach,  dasa  der  oft  nachgesprocbene  Sata,  dass  die 
Idee  des  Arbeitsnntenit  hts  (  ine  speoißscb  nordische  sei,  auf  Irrthum  beruhe.*) 
Ratke,  Comenius.  A.  U  Fnncke,  Rousseau,  Basedow,  Salzmann.  Pistalozzi. 
Fröbel.  hnbt  ii  den  Wert  riicses  I  nterrichts  als  Erziehungsmittel  schon  erkannt.**) 
Prof.  Biedermann  hat  in  seiner  Schrift  „Erziehung  zur  Arbeit"  bereits  im 


*)  Vergl.  Verhandlungen  des  Cuu^esse^  für  Uandl'ertigkeitsantezricht  und  Han&- 
lleiß  am  8.  Jon!  1882  in  Leipzig,  heraus^ageben  von  Dr.  W.  GOtz«.  Gera,  lasleib 
und  Riety-schel  1882., 

**)  Ueasiuger,  Über  die  Benutzung  deä  bei  Kindern  tbätigen  Triebes,  be* 
whftftigt  zu  sein  (1797).  Die  Ekmilie  Werthheim  (1798).  —  Blaache.  WerkstKtte  der 
Kinder,  A  Theile  (1800—1803). 


Digitized  by  Google 


—   255  — 


Jalire  1852  auf  den  Wert  des  Arlieitsimterrichts  hinofewieseii*'):  Eittiiifister 
Klauson-Kaas  ist  em  im  Jahre  1878  auf  der  Wiener  Ausstellung  für  tUe 
Sache  eingetreten.  Das  Institut  von  Bauat  iu  Zürich  lässt  seit  30  Jahren 
praktiidie  Arbeiten  in  den  dasaen  anfertigen;  die  Arbeitaaclinle  der  Stadt 
8alsnngeB  L  Th.  besteht  aeit  1840;  die  SSillenche  Ersiehnngaaehalet  das 
Barthsche  Erelchnno^äiustitut  in  Leipzig  und  die  Stoysche  Anstalt  in  Jena"**) 
zeigen,  dass  der  Handfertigkeitsnnterricht  nicht  neuerdings  von  Dflnemm  k  und 
Schweden  bei  uns  eingeführt  wurde.  Seit  dem  Jahre  1873  ist  allerdings  die 
Frage  der  Erziehung  zor  Arbeit  in  Deutschland  von  neuem  auf  die  Tages- 
ordnmiff  geaetat  «erden,  ^amm  klopft  die  Arbeit  immer  von  n^nem  iriednr 
an  die  Pforten  der  Schule,  Einlass  begehrend  als  Erziehungsmittel  zur  sitt- 
lichen Ttichtigkeit,  und  endlich  y\irr\  es  doch  einmal  lieißen:  .  /^Vp^  da  an- 
kk»pfpt.  dem  wird  aufgethan."'*  Aiier  eine  Begründung  des  Arbt  ii.suuterrichtji 
ii»t  heute  und  unter  uns  nicht  mehr  nöiltig.  Nicht  über  da«  Ob  wollen  wir 
berathen,  sandem  Uber  das  Wie.*'  —  Ans  dem  Berichte  des  B^erenten  Uber 
die  Leipziger  Schülerwerkstätte  heben  wir  folgende  Sfttie  hervor.  Die 
Leipzigpr  Schul erwerkstAtte  wollte  keine  bloße  Rescliilfrionngsanstalt  sein, 
si"  >v(»llte  nicht  nnbeanfisichtigte,  verwahrloste  Knahen  durch  die  Jt-rtende, 
luati  der  Arbeit  der  Verwilderung  entziehen,  so  segensreich  dieser  Dienst  au 
und  (Br  sieh  ist.  Ganz  ansgesehlossen  hat  die  Leipziger  SehSlerwerkstatt  die 
directe  Vorbildnng  für  das  Handwerk.  Entsprechend  der  formalen  Geistes- 
bildung  erstrebte  man  hier  eine  formale  Handbildung.  Die  Schülerwerk- 
statt  will  ihren  ZJtglingen  eine  Bildung  des  Auge.s  und  der  Hand  mit  aut  den 
Lebensweg  geben,  die  etwa  analog  ist  der  allgemeinen  Bildung,  welche  die 
Volksschule  ihren  Sehflkm  übermittelt  Die  Sdiflierwerkstatt  vfll  also  nicht 
Handwerker  vorsehnleD,  sondern  sie  will  allgemein  dieOesehicklicbkeit  pflegen» 


*)  Oeorgens,  Der  Arbeiter  anf  dem  praktwehen  Ensiehnngsfelde  der  Gegen- 
wart (1856).  E.  Schwah.  Die  Arh.-itsschule  ( 1873).  r;t  i:ii«  r  t\cn  Arbeitxunterrichts 
waren  Grftfe  („Deutsche  VolksschulCiA.  Dieaterweg  („Rheiu.  Bl&tter"  46),  W.  Lauge, 
Freihofer  in  Sehmids  EncyklopSdie  m  (1.  Avfl.). 

*♦)  „Wir  legen  deshalb  so  großen  Wert  auf  diese  Art  von  Schulbildung,  weil 
^ie  erstlich  dem  TOD  frtth  d  Ulv  bi»  abends  7  Ukr  mit  wenig  Unterbrechung  nur 
gei.<tig  b^bäftigten  Knaben  sozusagen  ein  nat1lrlieh«i  Bedflrftais  ist;  dann  ist  sie 
zweiten.**  ein  trt  ftiiche.s  Mittel,  der  Eiiisritii^kt  it  imst  r-  r  irrgt'nw.'irtiiri  ii .  nur  auf 
Intelligenz  hinarbeitenden  Schulbildung  vorzubeugen.  Eier  lernt  mancher  uu&erer 
Z^linge,  der  fHlber  unbeholfen  nnd  täppisch  war,  im  Oebrauehe  »einer  Httnde  und 
Finger,  eine  .\rt  von  Arbeit  und  Kunst,  die  jeden  ttirdert  und  mancliem  ixaiiz 
besonders  nützlich  werden  kann.  Hier  lernt  auch  gar  mancher  Knabe,  der  vurher 
keine  Ahnnng  von  der  Fertigung  und  Schwierigkeit  technischer  Arbeiten  hatte,  die 
Arhr-it  wftrdigeu  und  diejenlLren  richtiir  schätzen,  deren  Lebensaufgabe  auf  solche 
Arbeiten  gestellt  ist.  briitens  i.st  sie  scbou  vielen  ein  mächtiger  Impuls  zur  An- 
•treagung  vnd  zum  Flei0e  geworden,  während  dits  iWr  Sihuie  im  engeren  Sinne 
bij^her  ganz  unroüglich  gewesen  war.  Viertens  wird  hier  Kunstininn  und  Geschmack 
gebildet,  indem  je<ler  die  eignen  Arbeiten  mit  rien  Arlieiten  «einer  Kameraden  und 
mit  dem  3Iuster  vergleicht.  Flluften.<4  endlich  ist  sie  die  beste  Vorbereitung  zu  einem 
gesunden,  kräftigen  Schlafe.  Wir  haben  flber  Schlaflosigkeit  unserer  Zöglinge,  die 
iiäufig  ebensowoi  die  Folge  verkehrter  Erziehung,  als  auch  die  Quelle  mancher  da« 
Knaben-  und  Jünglingsalter  beschleichenden  Krankheiten  und  Laster  ist.  ülxrhaupt 
nicht  zu  klagen,  am ,  wenigsten  aber  nach  einem  von  uusem  ZögUagen  an  der 
Drechael-  oder  Holielliüik  angebraehtea  Akend.^  (Credner,  Die  Stoysche  Enidiongs- 
schnle  an  Jena  1869.) 


L/iyiii^ü<j  by  Google 


—  256  — 


den  praktischen  Blick  anerziehen  —  sie  will  der  Erzielmng  dienen.  —  Nun 
enUteht  die  Frage:  Welche  Arbeiten  sollen  die  Schüler  verfertigen?  Hier 
stehen  sich  noch  zwei  Aniiehten  unvermittelt  gegenüber.  Die  Vertreter  der 
dBen  Bidktuig  legen  den  Hauptwert  aof  das  Arbeiten  an  sieh,  nnbdc&mmert 

um  die  Arbeit,  die  dabei  fertig  wird,  unbekümmert  darum,  ob  die  hergestellten 
Gegenstände  im  bilnslichen  Leben  des  Fchfllers,  bei  seinen  Spielen,  oder  als 
Ansfhaunngsmittel  in  der  Sehnle  Venvendunt,' tincU-n  ( A  n hiin^er  der  SchiilRr- 
werkbtätte).  Die  Freunde  der  reinen  Schulwerkütatt  dagegen  wollen 
entweder  nnr  oder  dodi  vorwi^gvnd  solche  Oegenstlode  fertigen  lassra,  welche 
nüt  dem  Unterricht  in  inniger  Beziehung  stehen,  \\f1('lH>  den  Unterricht  er- 
läuteni.  den  Scliüler  von  der  praktisclien  St-ite  her  für  denselben  interessiren. 
(Dieser  Gegensatz  ist  auch  erkennbar  in  der  Leipziger  Aussiellnng,  vgl.  nnten.  i 
Dass  man  in  erster  Linie  solche  Dinge  anfertigen  lässt,  die  mit  der  Schale  in 
Yerhindnn^  stdien»  dOrfte  aas  p^chologischen  Grilnden  nothwmdig  sein.  Die 
Freonde  derNfitdkiikeitBgegenstftnde  tänschen  sich  viell^eht,  wenn  sie  meinen, 
der  Knabe  interessire  sich  für  die  Dinge  der  Hauswirtschaft  mehr  als  für 
Arbeiten,  die  mit  dem  Schiilleben  in  Zn'^nmmenhang  stehen.  Ein  anderer  Grnnd 
für  die  Wahl  pädagogisclier  Arbeitsstotte  dürfte  darin  zn  suchen  sein,  dass 
der  jetzigen  Schfilerweticstätte  (die  Knaben  von  ▼ersehiedenem  Alter  nnd  ans 
yersehiedenen  Schulen  an  freien  Nachmittagen  beschüftigt  nnd  nnr  dne  Vor- 
stnfe  zur  eigentlichen,  oi-ganisch  mit  der  Schule  verbundenen  Schulwerkstiltte 
sein  will),  wenn  sie  solelie  Nützlidikritsarbeiten  vnrherrsdu'n  la^st .  zwei 
Feinde  erwachsen:  die  Gewerbetieibeuden  nnd  die  Lehiei.  Die  eitleren 
werden  nicht  ohne  Grund  die  Concun'enz  fürchten,  die  letzteren  können  mit 
Becht  sagen:  Das  gehSrt  nicht  in  die  Sehnle.  Wir  verlangen  eine  onpuiisehe 
Verbindung  der  Handbildnng  tait  da*  Erziehung  des  ganzen  Menschen.  Dabei 
Ist  die  Schule  nJitliig,  dartim  muss  der  Arbeit.sunterrieht  in  den  Dienst  der 
Erziehnngsschnle  treten.  Der  Werkstattsnnterricht  wird  aber  auch  dtr  Schule 
Dienste  zu  erweisen  imstande  sein.  Er  vermag  die  Wirkungen  des  Autochaunngs- 
nnterricht»  verstärken  cn  helfen,  denn  er  ist  ein  durch  die  Selbstthätigkeit  des 
Kindes  gesteigerter  Anschauungsunterricht;  er  fugt  zn  den  bisherigen  Mitteln 
der  L\'produ(  tion,  der  schriftlichen  nnd  mündlichen  Wiedergabe  des  im  Unter- 
lichie  behandelten  .Stoffes,  ein  neues  hinzu,  die  Reproduction  durch  die  prak- 
tische Arbeit.  Steht  so  die  Leipziger  Schülerwerkstätte  mit  der  Schiüe  in 
enger  Vertiindnng,  to  meht  sie  anf  der  ando«  Sdte  anch  dem  Hanse  dnrch 
Anregung  zn  kleinen,  praktischen,  dem  Lelien  unmittelbar  dienenden  Arbeiten 
zu  Hilfe  zu  kommen,  strebt  also  zum  HausfleiB  hinüber.  Sie  steht  zwischen 
^clüib'  und  Haus.*)  —  Für  den  Fortschritt  des  Untmirhts  i^t  die  Schwierig- 
keit des  Materials  und  der  Arbeit  maßgebend.  Es  wird  von  kloinen  Knaben 
zaerst  in  Papier,  dann  in  Pappe,  sodann  (in  den  mittleren  Classen)  in  Holz, 
anf  den  oberen  Stufen  in  Metall  (das  vielleicht  wegra  des  physikalischen 
UnteiTielits  durch  einige  Glasarbeiten  zn  ergilnzen  ist)  gearbeitet.  Daneben  tritt 
noch  das  ilodelliren  anf,  das  die  ästhetische  Seite  de.s  Arlieitsunti  i  riolits  hervor- 
hebt. —  l*ie  gewonnenen  ResnltJite  sind  in  den  Lehrercurüen  tsehr  günstige 
gewesen.    Der  Satz,  da*s  die  Leluer  der  Schülerwerkstatt  feindselig  gegen- 


*)  G5tBe ,  Die  Erginzung  des  Schvlantenichts  durch  inüctisehe  Besohiftiguiig. 
Leipzig  1880. 


üiyiiizeü  by  GoOgle 


—  267  — 


über  stehen,  ist,  so  aligemein  ausgesproclieu,  ganz  entsclüetleu  uuwahr.  Mit 
weniger  Befiiedigmig  kann  man  auf  die  Schüler  curse  sehen.  Die  anfgenommenen 
Schüler  haben  sich  swar  lebhaft  für  die  Arbeiten  interessirt  und  wirklich 
etwaa  gelernt  Die  Betlteilignng  war  aber  eine  geringe',  was  in  der  Über- 
Mninnor  der  Schüler  höherer  Lehmnstalten  durch  Schularbeiten  und  in  (lprKn«t- 
spieligkeit  des  Unterrichts  (18  Mk.  jiro  Jahr)  für  viele  Elteni  seinen  CTruiul 
liat.  Eä  milsste  damit  begouutiu  werden,  dieüeu  UuterricLt  den  VoIk»t»chülei'n 
nnentgelflich  (wie  z.  B.  in  GQrlita)  sa  ertheilen*  —  Welche  sind  nnn 
weiter  in  dieser  Angelegenheit  eümiBchlagen?  Es  ist  mnächst  zn  wünschen, 
dass  die  bestehenden  SchülerwerkstÄtten  znr  ErgSnznng  des  Schulunterrichts  und 
als  Ersatz  für  die  in  der  Kamilie  fehlende  praktiiiche  Beschäftigung  weiter 
gepflegt  und  onterstätzt,  dass  sie  vermehrt  werden.  Sodauu  musste  mau  in 
dem  einen  oder  anderen  Seminare  den  Verstich  machen,  den  Werkatattsonter- 
rieht  in  den  Unterrichtsplan  aufzunehmen.  Wenn  nnn  erst  ans'dem  Seminar 
Lehrer,  die  für  den  ITandfertigkeitsnnterricht  vorgebildet  sind,  hervorgehen, 
dann  sollte  man  drittens  die  praktisch»'  Beschäftigung  in  die  Volksschule 
hineinzabringen  suchen.  Dieser  Werkstattunterricht  könnte  sich  unmittelbar 
an  ta  bbherjgen  Anwrhannnggnaterricht  aiiBehUeien  (dae  Lnen  mid  Sehretbcn 
kAnnte  vieUeieht  ans  der  Elementarclaase  in  das  aweite  Schn^ahr  veilegt 
werden).  Zeit  dazu  würde  man  gewinnen  kennen.  Dadurch  nämlich,  dass 
man  den  kindlichen  Geist  auf  den  unteren  Stufen  reifer  werden  Ifts^st  durch 
eigene  beüiäüguug,  wii-d  die  Aufuaiuue  des  schwierigeren  UnterriehtastotteH 
in  den  höheren  Classen  voraussichtlich  schneller  und  intensiver  von  statten 
gehen.*)  Bd  dem  ▼otgesehlagenen  WinlHhrnngaverBnche  des  Arbeitsonternehts 
in  die  Vollusdinle  vrilide  das  Material  so  einfach  und  billig  wie  möglich  ge> 
nrtminen  werden  müssen  (zunächst  Papier  nnd  Pappe);  die  Schnlsfeabe  selbst 
müsste  zuerst  als  Schnlwerkstatt  dienen. 

Der  zum  zweiten  Berichten»tatter  bestellte  Dr.  E.  Barth  (Leipzig)  sprach 
todann  in  der  Hauptsache  über  die  Einrichtung  der  Schnhrerkstatt**)  (die  es 
mit  dnem  elassenmafligen  Arbeitsnnterrieht  an  thnn  hat,  an  dem  grleichalterige 
Knaben  derselben  Schule  theilnehmen),  ^v;ll!l  4  ikI  Dr.  Götze  vorzugsweise  die 
Schüler  Werkstatt  im  Auge  hatte.  Kedner  glaubte  bei  seiner  Betrachtung  ab- 
sehen zu  können  von  den  sog.  Hansfleißbestrebuneen  (m  denen  sich  vorzugs- 
weise Erwachsene  betheiligeuj  und  von  der  Kuckäiehtnahme  auf  Internate 
(Bewahranstalten,  Peaslonate,  Waisenhivser  q.  s.  w.);  den  wissensdiaftlichen 
Nachweis  über  die  Nothwendi^keit  dea  Schnlwerkstattunterrichts  meinte  er 
gleieUhUs  nnterlaasen  an  kOnnen,  trvtidem  es  noch  Lente  gibt,  welche  jene 


*)  „Ich  bin  der  festen  Überzeugung",  schreibt  ein  auf  3Üjähriiri'  Praxis  /.urück- 
biickeu^  Füdagog,  Fr.  Beust  in  Zürich,  „dass  der  auf  Auflchauung  und  Bandarbeit 
in  muerem  Sinne  gegründete  ünterricbt  neben  allen  anderen  Yontigen  das  Mittel 
bietet,  ein  volles  Jahr  Schulzeit  /u  ei  siiim  ii  f!),  oder  in  der  gleichen  Zeit  ihn  Kindern 
ein  Wissen  und  Können  im  geben,  daa  selbst  bei  einer  um  ein  Jahr  verlängerten 
Sehutoeit  ebne  uberbttrdnnf  der  Schiller  nicht  enddit  werden  kSnnte.  Ich  bäte  es 
Lrenidezu  für  uniiir);rlich,  auf  irgend  einem  anderen  Wf^re  f?'  das  zu  leisten,  was  wir 
leisten;  nur  in  dem  uiecliauischen  Lesen  und  in  der  SchönBchrift  rücken  wir  laug- 
«araer  vor  ab  andere  Schulen.**  (Vg^.  „yerhandlnngen**  etc.  S.  19.) 

..Er/i(  hiui-r  scliule  voD  Buth,  1882,  No.  11*'  (Leipzig,  Beichardt).  (Vgl.  auch 
„Verhandlungen^'  S.  20  if.) 


üiyiiizeü  by  Google 


—  258  — 


Not h wendigkeit  bei»treiten  (Joh.  Meyer,  der  Uandfertigkeitanterricht  and  die 
SclHde  1881,  B«rUn).  „Die  Schnlwerkitatt  ist  ein  dienendes  Glied 
im  Schalorganisuns,  nlclits  mehr,  abear  anch  nichts  weniger,  oder  ufe  dies 

K.  Michelsen  in  seiner  Schrift:  „Die  Lelir-  und  Arbeitsschule  zu  Alfeld 
(1852)"  aiisrlriickt:  ..Die  T.phr?<f'hnlo  rvfrjvrt,  die  Arbeitsschule 
hilft."*)  Nachdem  Refei'ent  darauf  hingewiesen  halt«,  d»sA  jede  Erziehnngs- 
schole  zwei  Zwecice  habe:  einen  allgemeinen  Ensiehongszweck,  der  die 
sittlieli-religiSse  Chara1cteri>ildnng  in  fdeb  schllefttf  vnd  einen  Sondensweek, 
welcher  für  den  Beruf  vorbereiten  roilss,  forderte  er  auch  für  die  Schnlwerk- 
statt.  iliiHK  sie  beiden  Zwecken  e-erf^rbt  werde  und  zwar  in  der  eiirenthiimlichen 
Weise,  alfe  sit-  sich  au  ditf  bddeu  andern  secuudären  L'ntenicht*>fächer  (Geo- 
graphie, Culturgeiichichte ,  Mathematik,  Naturwissenschaften  und  Zeichnen) 
ansehlieSe,  intern  de  dieselben  ngSmse  nnd  f5rdere  imd  erst  za  wsihrlialt  er- 
ziehenden rnterrichtsgegenständen  mache.  Die  Schul  Werkstatt  dürfe  deshalb 
nirht  s«dtlie  Arb«'iten  an  die  Spitze  stellten,  die  nur  dem  Leben  dienen;  diese 
Gi'fenständt'  würden  keine  dominirtnde  Stellunfr  beansprncht'u  kf'innen.  Damit 
Solle  nicht  genagt  sein,  dass  nun  ausschlielilicli  tsukhe  üegenstüude  anzufertigen 
seien,  welche  die  andern  UntenichtsdiBciplinen  verlangten.  Denn  der  Knabe 
blicke  auch  schon  während  der  Erziehungsperiode  hinaus  ins  Leben.  Auch 
habe  die  Schulwerkstatt  die  Aufgabe,  auf  die  Berufsbildung  hinzuarbeiten,  was 
bei  Volksscbnleni  ttiit  dfm  12.  .Tnlire  zw  geschehen  habe.  Von  da  an  gewinne 
die  Werkstatt  ein  ganz  anderes  Ansehen;  sie  werde  sich  weniger  an  die 
andern  Untemehtsftoher  anschlietai  (dodi  dlife  ifo  sich  aicbt  fsolirsii)  und 
trete  mit  dem  Leben  in  rege  Verbindung;  sie  wode  dann  einen  Ansbliek  zn 
nehmen  haben  auf  die  Industrie  des  Landes  oder  Bezirks,  in  welchem  sich  die 
Scbnle  befinde,  fxler  in  höheren  Srhnlen  auf  die  speciellen  Bernfsfordcning'en 
des  Mediciners,  Mathematiker!»  n.  dgL  —  Nachdem  Redner  nuch  nachgewiesen, 
dass  mau  die  Einführung  des  Werkstattunterrichts  ans  Furcht  vor  Über- 
bfirdnng  der  Schüler  nicht  unteiiassen  solle,  da  derselbe  ja  anders  anftrete 
als  der  theoretisdie  Unterridit  und  »  in«-  an^-^enehme  Abwecliselung  der  ThÄtig- 
keit  schaffe,  dass  ferner  ^■in  <  la.s8enmäüi:;t  r  I  nterrieht  in  der  Handarbeit  recht 
gut  möglich  sei.  wenn  man  die  Sache  recht  anlange  und  der  Lehrer  das  nfUhige 
didactische  Geschick  besitze,  beantwortete  er  die  Frage:  Woher  nehmen  wir 
Lehrer  ffir  den  neuen  Unterrichtsgegenstand?  fi^DB  ist  feststehend;  dieWerk* 
>tartslehrer  mflssen  pädagogisch  gebildete  Ifinner  sein.  Wollt)>  man  /.  B. 
den  Fnterriclit  von  Handwerkern  eitheilen  lassen,  so  würde  man  bald  Gefahr 
laufen,  dass  derselbe  seinen  erziehensrhen  Cliarakt^'r  verlöre,  er  würde  ins 
Handwerksmäßige  übergehen.  Über  das,  was  zu  treiben  ist,  würde  dann  nicht 
die  Pädagogik  zn  entscheiden  haben,  sondern  das  Handwerk.  Es  mfissen  des- 
halb Centralbildungsanstalten  für  Werkstattlehrer  efn|erichtet  werden,  die  in 
Verbindtmg  mit  akademisch- pädag-oo;! sehen  Seminaren  stehen.  Sind  die  letzteren 
nicht  vorhanden,  so  sehließe  man  einstweilen  die  neugegründete  .\nstall  an 
bestehende  \  olksscbutseniinare  an,  deren  es  sehr  tüchtige  gibt,  in  denen  mit 
groBem  Pleiße  nnd  beachtenswertem  Gocbiek  gearbeitet  wird.  Iba  darf 
iiborzengt  sein,  vreaa  ein  solcher  Ansehlnss  vermittelt  wird,  wird  sieh 
der  Werkstattsonterricht  nicbt  nnr  feinhalten  von  äSLem  Unpädagogischen, 

*)  Die  zweite  Autlage  der  »chrift  erschien  1881  ^Uiidesheiu,  Oersieuberg). 


Digitized  by  Google 


w   259  — 

6oivl«^n(  wird  auch  sehr  bahl  eiiM»  Aü./.alil  von  Lehrern  in  (Ia<  T  ;nnl  hinnas- 
gehen,  Nvelche  den  neuen  UnterrichtsKf^enstÄnd  nicht  niii'  theoretisch  richtig 
aufgefasst  haben,  sondern  ihn  auch  i>raktisch  zu  handhaben  verstehen.*) 

Stadtntli  Y.  Schenkeodorff  betonte  in  aeineiii  Berichte,  daas  er  bei  aller 
sachlichen  übereinsfcbnmang  insofeni  in  der  Ausfülirang  einen  etwas  abweichen- 
den Standpunkt  ßregvniibcr  den  beiden  Vorrednern  einnehme,  als  er  nicht  in 
erster  Linie  die  «Schule,  sondern  das  jjraktische  Leben  ini  Auge  habe.  Man 
bilde  die  heutige  Generation  vorwiegend  geistig;  die  Könnensseite,  die  tech> 
niache  Fertigkeit,  die  AuUldmig  dee  Willens  nun  Gebranch  der  Glieder  bleibe 
meist  nnberücksichtigtk  Überall  zeige  sich  Ungeschicklichkeit  und  Mangel  an 
praktischem  Sinn:  dem  Handwerk  und  der  Industrie  \vürden  violfnrh  nnvor- 
gebiidete  Elemente  ^rnc-efülii-t.  Die  ausübenden  Lehrer  und  höheren  Schulver- 
waJtungen  könne  mau  lür  dieses  falsche  Erziehongspiincip  nicht  verantwortlich 
machen;  dasselbe  sei  aher  mit  allen  gesetsllchen  Uittdn  zu  bekftmpfen.**)  —  Über 
die  Gfiriftier  Handfertigkeitasehnle,  die  nadi  den  dargelegten  Onmdafttaen  ein- 
gerichtet ist,  machte  der  Referent  folgcaide  Hittheiluugen.  Die  Schule  wurde 
von  einem  besonderen  Verein  für  Handfertiarkeitsuntcrricht .  der  die  erforder- 
lichen Mittel  dazu  aufbringt,  im  MHrz  1881  etiiiluet  und  hat  sich  zunächst 
einijährigc  Curse  zum  Ziel  gesetzt.  Der  dirigirende  Lehro*  wurde  auf  Kosten 
der  Commune  seiner  Zeit  in  Emden  ansgebildet;  das  Local  wnrde  von  der- 
selben kostenfrei  fjewährt.  Der  Verein  zählt  ca.  200  Mitglieder,  die  jährlich 
etwa  ]4(H)  Mk.  BeitrUg^e  lipfnu.  Die  S  IuiIp  selbst  besteht  zur  Zeit  ans 
8  Abtheiluugeu  zu  je  15  rij^  ilnt  Innern :  eiiu-  derselhen  int  aas  Lehreni  zu- 
sammengesetzt Der  UntenicliL  wird  im  Modellii-eu  iu  Thon,  iiu  liohsbild- 
sdmitsen  und  in  der  Fapeteriearbeit  erthdlt  Jeder  Schiller  lernt  das 
Modf'llireii,  die  Hälfte  derselben  übt  dann  noch  die  Holzschnitzerei,  die  andere 
Hälfte  die  Papeterieai  Vf  it;  wr  nhentlich  wechselt  der  Schüler  mit  seinen  beiden 
Unterrichtszweigen  ab.  Für  jeden  derselben  ist  dem  Dirigenten  je  ein  tüchtiger 
Handwerksmeister  zur  Seite  gegeben,  deren  Aufgabe  es  ist,  die  Schüler  anzu- 
halten, bei  Ansfflihrung  der  Handgrilfe  technisch  richtig ,  sowie  ttberhanpt  plan- 
mäßig und  sparsam  arbeiten  zn  lernen.  Die  Untenichtszeit  beträgt  für  den 
<*iuzelneu  Schüler  4  Stunden  wöchentlich.  Vorläufig  haben  nur  13jährige 
Knah»'n  ( 1.  und  2.  C'lasse  der  \"<ilks.srliule)  in  die  Werkstatt  Aufnahme  gefunden: 
Schulgeld  wird  von  denselben  nicht  gezahlt;  ja,  es  verbleiben  denselben  die 
angefertigten  Gegenstände  all  Eigenthnm.  Die  Kinder  sind  augensdieinUdi 
mit  großer  Liebe  bei  6jbr  Sadie  und  besnchen  die  Schale  daher  g^.  Der  sieh 
anfänglich  in  gewerblichen  Kreisen  von  Görlitz  fülilbar  machende  Widerstand 
gegen  den  Handf^rfiirkpitsuntcrricht  ist  überwunden,  da  man  sieht,  dass  die 
Schale  nur  formeil  bildende  Ziele  im  Auge  hat  und  eine  Concuirenz  von  dieser 
Seite  nieht  an  firchten  ist 

In  der  fiber  die  drei  gehörten  Vortrage  erttlfoeten  Debatte  wies  Dr,  Birch- 


*)  Barth  «ad  Nicderlqr,  Die  Scbulwerkstatt.    Mit  103  erllut.  Abbildungen. 

«Leipzig  1881.) 

Nach  einer  HIttheilung  fm  Lämmer»  beim  Scfalvm  des  Handfertigkeits- 

riir-ii-  für  T. t'brer  in  Dresden  (20.  Ainr."'i  ist  Aussicht  vorlmnden,  dass  in  den 
Semiuarieu  (le.s  Keichslandes  der  Arbeit.suiiterricht  eingeführt  wird.  Frankreich  will 
demniehst  ein  Centraiseminar  fttr  Handferti^keitsnnterricht  enriditen. 
**)  T.  Sehenkeadorff,  Der  piakt,  üntemcktt  Bie^n  1880. 


Digilized  by  Google 


260  — 


Hirsch  leid  (Dresden)  darauf  hin,  das»  es  nicht  richtig  sei  zu  beliaupteu, 
Schweden  sei  von  Dänemark  wob  mit  der  Idoe  des  Handfertigkeitsnnterhchto 
befrachtet  worden  und  KlaiiMn-Eus  habe  die  Sache  «ach  in  Schweden  erat 

angreregt*)  Als  ein  neues  Argument  za  Gunsten  des  AtheitninteiTidits  fahrte 

Redner  sodann  die  in  der  Blindenanftalt  zn  Dresden  gewonnene  Erfahrnn?  an, 
dass  notorisch  nur  die  bis  12  Jahre  alten  Kinder  sich  gelehrig  in  der  An- 
eignung von  teclmischeu  Fettigkeiten  zeigten,  man  bisher  alsu  uieist  die  beste 
Zeit  fBr  die  Ambildnng  von  Kund  nnd  Äuge  onbenntct  gelaieen  hebe.  Lämmer s 
rühmte  gleich  dem  Vorredner  die  Liberalität,  mit  der  Schweden  die  Angäben-  . 
heit  in  Deutscliland  jederzeit  nnterstützt  habo.  Schnldirector  Eunath 
(Dresden)  beiiiorkte.  dass  das  Dresdner  System  des  Handft  rtigkeiLsunterrirhts 
geeignet  sei,  die  bicli  gegenüberstehenden  Ansichten  von.  (iörlitz  and  Leipzig 
nt  vemdttdn  ;  gegen  den  Vorwnif  der  Theilnahmaloeigkeit  in  der  Frage  de» 
WoloBtattsiinterrichts  glaubte  derselbe  die  Lehrer  in  Schutz  nehmen  zn 
müssen.  Oberlehrer  Gelsliom  (Zaljern)  beriditete  über  den  Verlauf  dt-r 
ähnlichen  Be??trebuiic,'('ii  im  iieieiislaude.  Derselbe  nahm  selbst  an  dem  Emdener 
Corsas  theil  ;  ant  seinen  Vorschlag  wurde  in  Straßboiig  probeweise  eine  Knaben- 
bandAtbdtaedittle  eingeriditet;  Leiter  dmelben  wnrde  em  Theündimer  des 
Emdener  Gnrms,  der  Lebrar  Fischer  ans  Kettwig  a/R.  (gelernter  Tischler, 
der  spnt«  r  'i  Jahre  ein  Lehrerseminar  besuchte,  sein  Lehrerexamen  bestand 
und  seit  20  . Jahren  praktischer  Lehrer  ist).  Das  Arbeits!'»' i),  ein  dem  T  v  'eum 
gehöriger  schöner  Saal,  ist  versehen  mit  12  Hobelbänken.  6  Drehbänken  und 
einem  groAen  Tisch  für  Hobssclinitzarbeiten  nebst  einer  recht  voUständtgen 
Atiswahl  Yon  Werkeeng  für  Tischlerei,  Drechsdn  nnd  BdssdudtseiL  Die 
Kesten  wurden  aufgebracht  vom  Volksbildung^verein  and  der  Stadt  StnBbniig, 
▼orwiegend  jedoch  vom  Bezirk  und  der-  Laiidt  srep'iernn'r.  5  (^urse  ztl  je 
12- — 15  Schülern  wui'deu  eingerichtet;  3  Cui-se  besuchten  .Schuler  höherer 
Schulen,  2  Curse  Elementarschuler.  Die  Schüler  mussten  mindestens  12  Jahre 
alt  smn  nnd  in  Beaddinng  anf  Fleiß  nnd  Betrage  von  ihren  Lehren  enpfiiblen 
Rein.  Die  Schüler  der  höheren  Schulen  zahlte  10  UIl  ffir  das  Halbjahr,  die 
andern  erhielten  den  rütcrridit  auf  Wunsch  nneiir'j-''^tlich  (  wöchentlich  wurden 
2x2  Stunden  ertlieilt/.  Das  Hauptgewicht  Ui^r  aut  lloI/,arbeiten.  Die  Curse 
fanden  Anklang.  Lehrer  Fischer  ist  jetzt  dauernd  nach  StraGburg  über* 
genedelt  nnd  setzt  den  Unterricht  In  diesem  Sommer  in  abermaligen  5  Cnnen 
fort.  —  Schenckendorff  meinte,  dass  er  gegenüber  dem  Dr.  Götze  für  jetzt  den 
Handwerker  im  Handfcrtiirkeit«nnterrjrht  noch  nicht  entbehren  könne,  sp.'lter 
werde  das  wol  anders  werden.  Zu  dem  Standimukt  von  Barth  (der  den  Hand- 
fertigkeitsouterricht  nur  als  uuterrichtUche  üuterstützong  für  die  übrigen 
Ftdmr  Imben  wolle)  befinde  er  sich  in  vollem  Gegensatse.  Der  letsctere  warnte 
nocluials  davor,  Haoidwerker  als  Lehrer  auznsteUen,  weil  dadurch  der  Werk- 
Statts-Gedanke  leicht  in  falsche  Bahnen  gelenkt  werde;  er  bemerkte  femer.  es 
sei  nicht  seine  Meinung,  dass  der  Workstnttsnnterricht  etwa  sein«-  voll»-  Selbst- 
ständigkeit einbüßen  solle.  Derselbe  habe  wie  jede  andere  Schuldisciplüi  eine 
gewisse  Selbstständigkeit,  seuien  eigenen  Bhythmn^  soeosagen  seine  eigene  Blnt- 
wilrme,  mit  der  er  in  den  Dienst  des  Ganzen  trete.    Oberlehrer  Krnsche 


*)  SalomoD,  Arbeitsschale  und  Voiksschale  (aus  dem  Schwedischen  Ubeisetxt^ 
Wittenberg  1881, 


Digitized  by  Google 


—   261  — 


iLeipzigl  sprach  gegen  das  Nebenherlaufen  dt  s  Hamlfcrtig^keitsunteiTichts  als 
einzelne  selbsutändige  Scholdisciplin  und  zeigte,  dsm  bereits  Sulzer  1 745  diesen 
Unterricht  empfohlen  hat  („Vemiuiftige  Gedanken  über  Erziehung  und  Unter- 
weisung der  Eindvr'').  Director  Vota(E11)ei!feld)  aoehte  die  AnfinerkMinkelt 
des  C^utral-Comitte  auf  die  WaiMnliftiuer  und  BettongdiAiiBer  za  riditen.  — 
Xachdem  die  Versammlung  erklärt  hatte,  dass  das  Central-Comitö  und 
d»  r  sreschäftsftihrende  AiissclmsB  in  Bremen  in  bisheriger  Form  weiter  be- 
surhea  sulle,  gchloes  Prof.  Biedermann  den  Congress  mit  einei'  lebendigen 
Ansprache.*) 

IL  Ansstellnag:  toh  Schul werkstattsarbeiten. 

Die  im  Kaiseraaale  der  Centralballe  und  seinen  Nebenrftiim«i  nntw- 

eebrachte  Ausstelluner  von  Wt  rkstattsarbeiten  war  ans  allen  Theilen  Dentach- 
laivh.  sowie  aus  der  Schweiz  und  aus  Schweden  beschickt  worden.  Die  Ver- 
bindung des  Congresses  mit  der  Ausstellung  war  ohne  Zweifel  für  die  Au8> 
einandenetsnng  der  Tenchiedenen  Standpunkte,  sowie  fllr  die  Agitation  änilerst 
ftndifbar.  Da  ein  Tollea  Bild  von  dem  Fortgange,  den  die  Bewegonf  für  den 
Arbeitsunterricht  durch  die  Leipziger  V«>rsammlung  genommen  hat,  nicht  zu 
gewinnen  ist  ohne  eine  Mittlieihm^  über  diese  Aus.stellunf,',  —  die  der  Sache 
mehr  Freunde  gewonnen  liuljeii  soll  als  die  Versammlang  selbst  —  so  fügen 
wir  einen  knrzoi  Bericht  bei. 

Beim  Eintritt  in  den  Saal  emi^incr  den  Besnefanr  eine  in  Glaaklsten 
ausgelegte  Zusammenstellung  der  Litteratnr  ftber  den  Arbeitennter- 
richt  in  chronologischer  Ordnung,  die  manchem  willkommen  gewesen  aein  mag 
^das  Verzeichnis  findet  sieh  in  den  ..Verhandlnnj^en  etc.**      H'2  ff  ). 

Die  Schweiz  war  auf  der  Ausstellung  durch  sehr  interesnaute  geo- 
graphieehe  Werkfltattsarbeiten  ans  dem  Institut  von  Fr.  Benst  in  Hottingen 
bei  Ztirieh  Ycrtreten.**)  Dieselben  waren  insofern  von  Bedeutung,  als  sie 
den  engen  Znsammenhanpr  zwischen  der  Seliiileneise.  dem  mittels  der  T.anb- 
«Ige  beigestellten  Schithtenreliof  nnd  der  Karte  deutlich  aufzeigen.  Auf  diese 
Weise  muss  der  Schüler  die  Karte  verstehen  lernen.  Außerdem  zeichnete  sich 
diese  Ansstellmig  noch  dadurch  ans,  da»  sie  die  Höglichl^t  eines  Oassen- 
unterrichte  in  der  Scbnlwerlmtatt  nachwies.  Von  den  in  dassoi  von  25 — 35 
S'eliülerii  ausgeführten  Arbeiten  sind  Karten,  Reliefs  und  ein  Globus  ausgestellt. 
Hieran  scliloss  sich  die  ebenfalls  geofrraphisehe  Ans.stellung  des  Instituts  Von 
Gust.  Wiget  in  Korschach,  welche  Reliefs  umfasste.***) 

Die  Leipziger  Ansstellung  zerfiel  in  mehrere  Unterabtheilnngen.  Sie 
wollte  damit  aeigen,  welchw  vielseitigen  Ent£dtnng  die  Idee  des  Arbeits- 
nntenichts  föhig  ist.  Die  vier  Abtheilungen  wurden  gebildet  durch  Arbeiten 
an?  dem  Tanbstummeninstitnt.  der  liarthschen  Erziehungsschule, 
der  Kealschule  1.  Ord.  und  der  Leipziger  Schülerwerkstatt.  —  Vom 
Taabstummen-Institut  zu  Leipzig  waren  Laubsäge-  und  Papparbeiten 
anagcftellt,  welche  neigten,  wie  der  Handfertlgheitsunterricht  in  den  Dienst 


*)  „Xorrlwosi  '  ^Zeitschrift),  herau«fr(  i^plieii  von  Lammen.  Organ  des  Central- 
COmitte  (ttr  Uaudfertigkeitsonterridit.  fL 

Beust,  Das  Bdkf  üi  der  SehaJ«.  ZDi^  1881. 
•*•}  Wiget,  Der  Ueine  BeUef-Aibelter.  Znricb  1881. 


Digilized  by  Google 


—   262  — 


derartiger  Anstalten  zu  htellen  ist.  Die  Bai  thsi  In^  Erziehungsschulf'  bot 
Prohfn  von  Arbpiton  ans  der  Kloineiitarclassc,  die  von  Kindern  von  6 — 8  Jahren 
in  Papier  angefertigt  waren.  Die  von  der  ßealscliale  ausgestellten  Gegen- 
stände waren  von  ebiselnen  Schülern  gefertigt,  ohne  nmnittelbare  Avfricbt, 
m»deni  daheim,  zum  eignen  Vergnügen.  Die  AiMBtelhinff  der  LeJpsiger 
Schüler  Werkstatt  sonderte  sich  in  2  Gmppen:  in  der  einen  waren  die 
Arbeiten  nach  den  vier  verschiedenen  WerkstattHcnrsen  sroordnet  (Papp-,  Holz-, 
Metaliarbeiten  und  Modeliirenj,  die  andere  Gruppe  gliederte  die  Arbeiten  un- 
abhängig Tom  MaMal  nadi  den  SelraldiacipUnen,  mit  denen  sie  inTerbindnn; 
stehen.  (Vgl.  den  AnaateUnngsberieht  von  Dr.  GOtne.) 

Ans  der  Sehfilerwerkstatt  des  Gemeinnfitzigen  Vereins  zn 
Dresden  warfii  je  eine  Gruppe  von  SchlUerarbeiten  in  Holz  und  in  Pappe 
ausgestellt,  wrlrlu-  tb-n  beJnljrtr-n  rnterritiitsipaner  ei-kennt-ü  la»s<n.  Die 
Görlitzer  Handteriigkeitsschnle  war  nach  drei  Kichtungen  vertreten, 
in  Holzarbeiten,  Papeteriearbeiten  vnd  im  HodelUreD.  Strasburg  hatte 
Draht-  ond  Holaurbeiten  eingesandt;  Pforzheim  bot  Arbeiten  der  Knaben- 
arbeitsschnle  und  der  Werkstatt  des  Gynitiasiums  (Holzarbeiten);  die  vier 
Arbeitsschulen  des  Krpisf*»  Waldenburg  (Schlesien):  Ober-Waldenburg'. 
Dimiliau,  VVüste-Giersdort  und  Gottesberg  hatten  Laubsäge-,  Tischler-  und 
Drechslerarbeiten,  Schnitzereien,  Bürsten,  Korbmacher-  md  Pappa^bäten 
geschickt.  Von  der  Arbeitsschnle  so  Salznngen  waren  Hobd-,  Sdinitz-, 
Dredisel-,  Laubsllir.-  und  grobe  Flechtarbeiten  eingegangen.  Osnabriick, 
das  Cranz  auf  dem  IJ'xli'n  dos  .« hwcdischen  Slöjd  stt  lit.  hatte  außer  Kilchen- 
geräthen  auch  SciiatuUen,  Eahmen  u.  s.  w..  sowie  SchnitzarlHMten  ausgestellt. 
Von  dem  Lehrer  Biemanu  (Breiuen)  war  ein  Auszug  ans  dem  Lehrgange 
des  SlSjd-Seminars  m  NttSs  in  Schweden  znr  Einsieht  TOigdegt  Das 
St  Peti  i  Waisenhaus  in  Bremen  ergänzte  die  Avsstdlonir  dnrch  Gegen- 
ftUtub',  wie  sio  Hansfleiß  in  geschlossenen  Anstalten  zu  erzeugen  vermas"  Korb- 
flechtereien, Bürsten.  A  usb'w-parbf'iten.  LaulisHjrc-  uml  Pajtitarbeiteu).  Auf  dem 
Bod^  des  Hau^rteilies  htaml  die  Schule  des  Werk-  und  Armenhauses  zu 
Hamburg,  die  anf  den  Erwerb  angewiesen  ist  Endlieh  hatte  Director 
Salomen  ans  dem  Seminar  zu  Nääs  eine  Modellsammlung  nebst  reicher  Werk- 
zenganastattong  gesendet,  die  zun  Geschenk  Ittr  die  Dresdner  Schalwerkstatt 
bestimmt  ist. 

„Übej*8chaut  man",  so  sagt  der  Leiter  der  Leipzig-er  Schiiii  i  Werkstatt 
am  Schluss  seines  Berichtes,  „mit  einem  Blicke  alle  die  Bestrebungen,  von 
deren  Bestehen  der  Congress  fBr  Handfertigkeit  vnd  Hansfleifi  zn  Leipzig 
lebendige  Kunde  gab.  so  kommt  einem  von  selbst  der  Wunsch  in  die  Sede, 
»'S  niöchtf  doch  (Mullich,  endlich  all  diot^n  sich  fTPi\viI]ii;  in  Bt^voeTinsr  setzen- 
dtn  Krätten  ireliii^t  n.  die  Erkenntnis,  dass  es  noth  tlno-.  der  heranwachsenden 
Jugt;ud  nicht  blus  eine  Summe  von  Kenntnissen  beizubringen,  sondern  sie  durch 
die  Arbeit  zu  starken  widerstandafiüiigen,  sittlich  tttehtlgen  Charakteren  zn 
erziehen,  in  die  That  umzusetzen;  mSehte  es  gelingen,  nnsere  mit  Lehrstoffen 
überfüllte  Schub' von  manclienj  \Visspnsqtialm  zu  riitladm  und  die  überbürdeten, 
in  den  oberen  (lassen  oft  schon  blasirten  Schüler  in  jutrendfiitvehe.  lebens- 
frohe, die  W'i'll  mit  gebunden  .Muutn  erfassende  Jungen  umzuwaudelii;  müclite 
die  Erziehung  zur  Arbeit,  die  ehte  nationale  Frage  Ist  Ton  ungeahnter 


Dlgitized  by  Googb 


—   263  — 


Tra^eite,  eudlich  eine  Wahrheit  werden  zum  äegen  iUr  mucr  geliebtes 
\aterlaad!"  — *} 

*)  Die  Theiltiehmer  an  dem  Haudfertigkeits-Curgus  in  Dresden  (Sommer 
1888)  haben  Tolgende  Thesen  aufgestellt: 

1.  Der  H;iu<lferTii,1<  itsuntorricht,  dessen  Verbindung  mit  der  Jagenderziehnm; 
jithon  seit  .JahrhuiKlt  rteu  von  den  hervomgendaten  Pädaufo^eu  wiederholt  erstrebt 
^Vörden  ist,  ergänzt  die  bisherige  Ausbildung  der  mäimliehen  Ju^'end  zu  einer  harmo- 
nischen und  widmet  neben  stetem  Verfolg;  der  tlir  die  JnjEfendbildiiiii^  f«  ststchenden 
Ziele  dem  gewerblichen  und  socialen  Leben  eine  erhöhte  Anfmerksaiukeit  und  Pflege. 

S.  Die  Bedetttug  iet  Handfertigkeitsunterrichts  liegt  darin,  daai  er 

a.  dem  «nsrelKvreneu  SchafFenstrit  li  sein  Recht  gibt, 

b.  fortwähnud  in  Anschauung  wur/cind  Interesse  erregt,  damit  die  Lem- 
lust  steigert  und  die  siebere  und  schnelle  Erfassung  des  Unterricht«- 
8tofiiB8  fördert, 

e.  cur  Bfldiin^  des  Cluunkters  wesentlich  beiträgt  und 
il.  für  das  bür>,'t'rliche  Leben  wiitschiUtlicIi  tüchtig  maicht. 

3.  Filr  die  Lebrweiäe,  den  Lebi^pang  und  die  Lehixieie  iat  lediglich  dad  eigene 
Wesen  und  die  Angabe  des  Handfertigkeitsunterrichts  mafigebend  (!). 

4.  V<  r  H.iiidfe'rtigkeitsnntenricht  muss  an  die  Prin«  iiiicn  <lo^  Frrihflschen  Kinder- 
gartens sich  anschlietien  und  die  ganze  Schulzeit  fortgehen.  £ä  iät  wUuscheQüwert, 
dMs  den  Knaben  nach  der  Entlassung  ans  der  Sehnte  Oelegenhelt  geboten  werde, 
an  dem  Handfertigke'itsnnterricht  theilnehmon  zu  k(5mien. 

5.  In  Volksschiikn  und  in  höhereu  .ScLuleu  kann  bei  veisiliicdcutju  Lutenichts- 
flehem,  namentlich  beim  Unterricht  im  Zeichnen,  in  Mathematik,  in  Geographie  und 
Xnttirknnde  der  Hnndferti^eitanntfirricht  mit  Erfolg  fSa  die  Unterriehtasweeke 
nutzbar  gemacht  werden. 

In  gesclüossenen  Erziehungsanstalten  ist  der  HandfertigheilSttUteirieht  hervor- 
ragend als  Erziehungs-  und  l'nterrichtämittei  uueutbehriicb. 

6.  Die  Einrichtung  von  WerkstÄtten  ftlr  den  Handfertigkeitsunterricht  ist  als 
ein  dringeiidfs  und  allgemeines  Bedürftiii«  zu  bezeichnen. 

7.  Jüt  Rüclcsicht  auf  die  Stellung  de«  Haudfertigkeitauntenichte  zu  dem  äohul- 
natemehte  empAehlt  sieh  dkl  BtnlBiining  des  Handfertigkeitsnateitiehte  in  den 
SchnUehrerseminnren  und  anderen  Lehierbudungsauetalten« 


i^iyuu-cd  by  Google 


Dem  Andeiken  Diesterwegs. 

war  im  Juli  des  Jahres  1880  —  aeeludg  Jabre  nach  derÜbenlcde- 
laag  0ieBterwegv  von  Elberfeld,  wo  er  2.  Bector  der  lateinischen  Sdinle 
gewesen  war,  nach  Mürs  als  Director  des  neaerricliteten  Schallehrerseminars 

—  als  f;i(  h  ein  Theil  seiner  noch  lebenden  Mörser  Schüler  in  dem  Orte,  wo  sie 
zu  seinen  Füßen  gesessen,  versammelten,  um  nocli  einmal  gemeinsam  das  An- 
denken ihres  geliebten  Ldtrara  o&d  FrraDdes  ra  Meaen.  Ea  waren  Greise  —  - 
der  Jüngste  aflhlte  68»  der  Uteste  79  Jahre,  —  aher  sie  sehflttelten  sich  bei 

der  Begegnung  und  beim  Abiichiede  mit  der  alten  Herzlichkeit  und  Treue.  welcJie 
in  ihnen  die  g'leirhe  Liebe  zu  ihrem  Bildner  entzündet  hatfp,  (^ie  TTnul.  und 
der  (ilauz  dei-  Jugend  erglühte  in  ihren  Augen  von  neuem  Wi  dem  Uedankeu 
an  den  thenem  Heimgegangenen. 

Wehmfithlger  Emst  war  die  Gnmdstimwiang  der  Vetsammliuig.  Wenn 
aber  im  Hin-  und  Herwegen  der  Unterhaltung,  wie  das  nicht  anders  sein  konnte, 
auch  heitere  Erinnerungen  vor  ihre  Reele  traten,  dann  konnten  die  Alten  anrh 
noch  jubeln  und  sich  freuen,  wie  Jünglinge;  und  wenn  sie  der  Kilmple  gedaciiteu,  an 
denen  sie  mit  ihrem Lehrer,odertÜr denselben theilgeuummeu.dannschwellte  wieder 
thatkrftftige  Begeistemag  ilire  Brost  und  madito  sich  Lnft  in  kernigen  Werten. 

Der  älteste  der  Anwesenden,  einer  der  ersten  Mörser  Schüler  Diesterwegs, 
früher  Lehrer  in  Elberfeld,  jetzt  als  Emeritns  in  I'erlin  lebend.  Wilhelin  lUn^k- 
mann,  war  aus  der  Metropole  heriiber?ekümmen  und  berichtete  über  die  Ber- 
liner Diestenvegstütuiig  und  andere  Ehreuerweisnngen,  welche  an  der  Spree 
dem  groBen  Pftdagogen  und  Volksfrennde  nach  selnonTode  m  theU  geworden 
sind.  Dadurch  wurde  das  Pro  ject  eines  Diesterweg-Deokmals  in  Körs,  welches  frü- 
her auf  Hindernisse  gestoßen  war,  \vieder  anj^ere^rt  und  von  neuem  diseutirt,  nnd. 
nachdem  sich  die  Anwesenden  des  freundlichen  Entgegenkommens  der  Stadt  Mors 
\  ersichert  hatten,  beschlossen,  die  Verwirklichung  des  Gedankens  zu  versuchen. 

Die  zur  Zeit  der  Venammlung  noch  lehwden  MSrser  Schiller  Diesterwegs 

—  Ton  142  noch  49  -  -  konnten  sich  sofort  sagen,  dass  ihre  Mittel  zur  Grfin- 
dnng"  eines  Denkmals  nicht  liinreiehen  wiii'den.  Aber  es  widerstrebte  ihnen 
auch,  jsich  um  Beistand  an  das  jjroüe  ruhlieum  zu  \ven<len.  Drieflicbe  Anfracren 
und  Mittheilungen  von  Berliner  Schülern  und  anderen  \  erelirem  Diesterwegs 
überzeugten  den  bestellten  engeren  Anssehnss  des  Comit^s  bald,  dass  es  ge- 
lingen werde,  das  Werk  mit  ihrem  Bdstande  m  stände  sa  bringen.  Es  wnrde 
ein  Aufruf  beschlossen  und  den  bekannten  Verehrern  des  theuem  Heimgegangenen 
übersendet.  Die  Stadt  Mörs  war  den  Bestrebungen  des  Coniiti^s  durch  Über- 
lassung eines  schonen  Platzes  in  den  Aulagen  der  Stadt,  dem  neuen  Seminar- 
gebäude gegenüber,  und  dnrch  Bildung  eines  JüocaioomitÄi  freundlich  zu  Hilfe 
gekommen,  und  ein  Hitglied  desselben,  Herr  ApothdLsr  Henckell,  hatte  die 
Fittirung  der  Casse  übernommen. 

Nicht  lansre  nachher  traf  das  Unternehmen  ein  empfindlicher  Schlag,  indem 
Um  durch  den  Tod  eines  sehr  thfttigen  Auäi»chut>t)mitgliede8,  des  emehtirten 


Digitized  by  Google 


—   265  — 

Lehrers  Dickiiiiinn  in  Düsseldorf,  eine  tüclitigfe  Kraft  entzog-rn  xvtml*'  Außer 
ihm  sind  vor  der  K^Ttigstellung'  des  Denkmals  Jiorl;  ;'-w<  i  rmdoji"  1>S()  m  >1  >ns 
Anwesende  heiiugegangea.  Doch  ist  es  geiuiigea,  daa  Weik  zur  Auäiuiirung 
SQ  Mögen,  und  es  ist  am  7.  October  1882  enthüllt  worden. 

Heiterer  Himmel  und  milde  Luft  beg&nstigten  die  Feier.  Schon  der  Vor- 
abend versainmelte  xich^  Festtheilnehmer  in  den  ^lauern  der  Stadt  Mürs.  Ein 
kleiner,  aber  besonders  trnulicher  Kreis  .sammelte  sieh  um  die  bereits  ange- 
kommeueu  Söhne  und  \  ti-w  audten  des  thenren  Heimgegaugeueii  im  H«Hel  Unerkens. 
Anwesend  waren  o,  a.  drei  S5hne  Dleelerwegef  Sanitfttnath  Dleeterweff  in 
Wiesbaden,  SaBiaterath  Dietterweg  in  Bbeadorf  bei  Hagdebnrg  und  Morita 
DiesterH-es'.  Buchhändler  in  Frankftirt  am  Main,  ferner  Bergrath  I^iesterweg 
ans  Neuwied  und  Stadtsehnlinspeetor  Diesterweg  in  Berlin.  Der  zu  den  Ber- 
liner Schülern  Diesterwegs  geluireode  Seminarlehrer  a.  D.  A,  Böhme  über- 
bradite  der  Familie  herzliche  Grüße  and  GlückwQaaehe  aoa  Berlin. 

Am  7,  October  gegen  12  Uhr  atellten  sich  die  Festgenossen  in  der  Kliie 
des  alten  Seminargebäudes  zum  Festznge  auf,  wekhttr  sich  von  hier  aus,  die 
Seminaristen  nnd  die  Glieder  der  Friinili''  !Me<:tenvejrs  voran,  unter  den  Kinn^ren 
der  Mörser  Capelle  zum  neuen  .Senünargebaude  bewegt*-,  dem  gegenüber  das 
Denkmal  errichtet  ist  Jeder  Theiluehmer  am  Zuge  trug  eine  »chwanB-weiß- 
rothe  SehleifiD  mit  dem  Namen:  „A.  Diesterweg*'  anddemWaUsprache:  „ScfaUeS 
an  ein  Ganses  dieb  an!" 

Nachdem  am  Denkmale  der  Seminarchor  eine  Motette  vorgetragen  liatte, 
hielt  Langenberg  aus  Bonn,  einer  der  Mörser  Schüler  und  der  Biograph  Diester- 
wegs, die  Weiherede.  Er  entwarf  in  kräftigen  Zügen  ein  Bild  des  Gefeierten, 
seines  Lehens,  SchaiTens  nnd  Leidens.  Lantlos  lauschte  die  grolle  Verssrnmlnng. 
Bei  den  Sdilu.-swiji-ten  sank  die  Hülle  des  Denkmals  and  die  adeln  Züge  des 
L^-hrers  der  Lelirer  zelteten  sich  d(«n  Blicken  der  Versammelten.  Die  sehr 
gelungene  Büste  uns  Krz.  eine  Nachbildung  derjenigen,  welche  lYofessor  Wolff 
für  das  Grabdenkmal  Diesterwegs  auf  dem  Matthäikirchhofe  in  Berlin  her« 
gestellt  bat,  steht,  mit  dem  Antlits  der  Stadt  KOrs  zugewendet,  anf  einem  hoben 
Soekel  ans  rothem  Sandstein,  auf  dem  die  Zahlen  1820 — 18B2  eingegraben 
sind,  die  Zeit  der  Wirksamkeit  Diesterwe??;  in  Mörs  angebend.  T>a8  Ganze,  anf 
einer  Erhöhung  stehend,  passt  vortrefflicli  zu  der  Umgebung ;  mit  einem  Worte : 
Das  Denknml  ist  gelungen  und  eine  wahre  Zierde  der  Stadt.  „So  war  erl" 
hSrte  man  von  allen  sagen,  welche  Arn  im  Leben  gekannt 

Nachdem  die  SeminiuiBten  noch  einen  Gesang  vorgetragen,  sprach  der 
älteste  Sfdin  Diesterwegs  tiefgefühlte  und  zu  aller  Herzen  dringende  Wort»'  des 
Haukes  im  Namen  der  FamihV  des  Gefeierten.  In  vielen  Aujren  sah  man 
Thronen,  als  er  an  die  Abschiedsrede  seines  großen  \  aters,  gehalten  im  Früh- 
ling 1832i  erittnerte  nnd  ans  danelben  die  innigen  ^Vorte  des  Segens  Vibet  die 
gnte  Stadt  HSre  vorlas.  Hieranf  erfolgte  die  Übergabe  des  Denkmahi  an  die 
Stadt  Mörs  durch  Lehrer  Hufschmidt  aus  Halver  in  Vertretung  seines  Vaters, 
des  dnrch  Krankheit  verhinderten  Lehrers  Hufschmidt  in  Unn  r  Zum  Schlüsse 
nahm  Herr  Bürgermeister  Kautz  dxs  Wort  und  sprach  namens  der  Stadt 
MSrs  den  Stiftern  des  Denkmals  nnd  dem  Görnitz  herzliehen  Dank  ans  für  das 
sehüne  Oesehenk,  welches  sie  der  Stadt  in  diesem  Denkmale  gemacht.  Er  ermahnte 
in  ergreifenden  Worten  die  Versammelten,  in  des  Gefeierten  FuBtapfen  zu 
treten  nnd  seine  Bestrebangen  nach  Kräften  za  fttrderiL   Zogleich  versprach 


i^iyuu-cd  by  Google 


—  266  — 


er  im  Namen  (l(*r  Biirsrprsi  liatt  der  Stadt  M'ör^,  flns  Dpnkmal  als  »  in  heiliges 
Vennächtnis  fiir  alle  Zeiten  zu  »cliützen  und  zu  bt^walueu.  Zwei  Lukel  des 
Gefeierten,  Sohne  des  SaaHatsnitlui  Diesterweg  von  Wiesbnden,  hielten  wihread 
der  Feier,  an  den  Stiifen  des  Denkmals  stehend,  zwei  prachtvolle  Kränze  und 
le^en  diese  nach  Beendij^mcr  der  Feier  am  Denkmale  nieder.  —  Tiirpr  den 
Klängen  der  Mnnik  bewegrte  sich  nun  der  Zug  zum  Gasthot  Brucklehen,  mo 
ein  Festmahl  etwa  00  Personen  bis  zum  Abend  vereinigte.  Toaste  der  ver* 
echiedeniten  Art  helehten  die  Oesellsehaft  Langenberp  brachte  das  Hoch  aof 
den  Kaiser  ans.  Dieftterwegr  habe  —  so  begann  der  Trinksprnch  —  Deutsch- 
land eine  ijTftße  Znkunft  verheißen,  aber  er  habe,  da  er  18G0  uns  so  plötzlich 
entrissen  wuide,  nur  die  Jloi^enröthc  def  neuen  Deutschland,  nicht  aber  die 
deutsche  Einheit,  welche  er  schon  in  mmar  Jugend  ersehnt,  genüiant.  Ei*  sei 
ein  dorch  nnd  dnrdi  patriotfiniier  Hann  gewesen,  was  dordi  seine  AnfiAtfe  Iber 
Nationalersiehiing  n^  Patriotiamos  bezeugt  werde.  Wir,  die  wir  die  Trämne 
unserer  Jugend  in  Erfüllung  gehen  sahen,  haben  gerechten  Grund,  des  Mannes 
zu  gedenken,  welcher  heute  die  deutsehe  Einheit  darstellt.  Das  sei  der  Kaiser. 
Jubelnd  stimmte  die  Festversaumilung  in  das  ausgebrachte  Hoch  ein,  und 
stehoid  wnrds  die  Kaiserhy mne  gesungen.  Dann  toastete  KearHaffth  ans  Vsniaiekd 
bei  HSrs,  einer  der  jttngsten  HSraer  Schfilor  Diesterwegs,  aaf  die  Fantilie 
Diesterweg.  Dr.  Diesterweg  aus  Ebendorf  bei  Magdeburg  sprach  den  Dank 
der  Familie  aus.  die  sich  durch  das  Denkmal  sowie  durch  die  pr^nze  Feier  liuch- 
geehrt  tühle.  Herr  8ladl8chtilinspector  Dr.  Diesterweg  aus  Berlin  brachte  der 
Stadt  Mörs  und  ihrer  braven  Büigerschaft  ein  Hoch.  Der  erste  Beigeordnete 
der  Stadt,  ApotiiekerHenckell,  deasan  verstorbener  Vator  an  den  ersten  Schttlen 
Diesterwegs  pehr.rt  hatte,  wünschte  den  noch  lebenden  Schülern  Diesterwegs 
einen  freundlichen  I,ebensabend.  Von  den  iil'riir*"i  Toasten  env.lhneji  wir  nur 
noch  deu  Böhme's  auf  den  ältesten  noch  lebenden  Scliüler,  Böckmanu,  und 
denjenigen  des  Kectors  Bartholomäus  in  Hanau  auf  den  ältesten  noch  lebenden 
Collen  Diesterwegs,  den  Mosikdireetor  Eric  Jedem  wurde  ein  telegrapbiscber 
Graß  übermittelt. 

Sehm  am  Mfunren  di  s  Festtasre.''  waren  viele  Glückwunschschreiben  und 
Telegramme  fin're'radi'eu,  zu  denen  während  der  Tafel  immer  neue  kamen. 
»Sie  alle  iiaumuii  zu  machen,  würde  zu  weit  gehen,  einige  aber  glauben  wir 
doch  erwähnen  m  mfiasen.  Der  Semlnardirector  a.  D.  S^üin,  Nachfolger  Diester- 
wegs in  Mörs,  wünschte  dem  Feste  den  besten  Verlauf  und  bleibenden  Segen 
fiir  die  \'rdksschule.  Ein  Schreil)en  des  ^fasristrats  in  Siegen,  welihem  drei 
Ph<itographi<  n  des  Oehnrtslianses  von  Di»'sterweg  beitrefütft  waren,  sprach  den 
Dank  der  Stadt  Siegen  aus  lur  die  Ehre,  welche  ihrem  grollen  Mitbürger  er- 
wiesen worden.  Anflerdem  gedenlcen  wir  noeh  der  Zosehrift  des  Diesterwegs 
Vereins  in  Wien  and  der  .Telegramme  vom  Lelirerverein  Coocordia  imFOrsten- 
thum  Birkeufeld  und  von  Meyer  in  Lübeck.  Eine  Mt  iiüe  von  (Gedichten  waren 
eingegangen,  konnten  alter  leider  nicht  znm  \  ort  rag  kommen,  da  für  viele 
Festgeuosseu  die  Stunde  der  Abreise  gekommen  war. 

Das  Fest  war  in  der  herrlichsten  Weise  verlaufen,  von  Iceinem  Misston 
getrübt  Jeder  Thettnebmer  wird  gehobenen  Herzens  die  Haaern  der  gast- 
lichen Stadt,  die  so  vieles  zum  Gelingen  des  Ganzen  beigetragen,  verlassen  haben. 


VenintwortJichci  Redacteoi:  M.  Stvin.  Bnchdrackmi  Julia«  Elinkhardt,  Leipzig. 


/ 


i^iyui<-cd  by  Google 


Die  IndiTidiuilitit  und  ihr  Einflnsg  auf  Erziehing 

«nd  Unterrieht 

Vm  Sectcr  JV.  von  Werder -Eama. 

.D»  Eiod  tat  «  d>«  hol»  Giad.  von  AnschaamigB-  und 
SpwMshkeimtmwen  za  bringen,  ebe  es  veniflnftig  ist,  ob  lesen,  oder 
aadi  nur  bndistabifiren  za  lebren",  sagt  Pestalom  and  «Meßt  daran 
die  Foiderong  an  die  Erzteher:  ^Erweitert  den  Kreis  der  Anschaaung 
eorer  Kinder  immer  mehr!"  Und  in  d«r  Einleitonn^  zur  „Abendstunde 
eines  Einsiedlers**  stellt  Pestaknad  als  Ansgangsponkt  aller  Erdehnng 
und  alles  Unterrichts  die  An^be  hin:  „das  Wesen  der  ZQglinge  zu 
edbisehen**.  Uedoreh  bezeugt  der  Altmeister»  dass  die  Erziehung 
Kenntnis  des  Geisteslebens  Toransaetzt,  als  dessen  eine  Seite  die  In- 
dividnalitöt  zn  belarachten  ist  Den  B^riff  derselben  klar  za  legen 
and  ihren  Einfloss  aof  Erziehung  und  Unterricht  nachznweiseii,  soll 
im  Nachfolgenden  unsere  Aufgabe  sein. 

Noch  in  jetziger  Zeit  hört  man  Kl{^;en  von  den  Lehrera,  dass 
die  Erziehung  und  der  Unterricht  nidit  immer,  auch  bei  redlichem 
Eifer  und  angestrengter  Thätigkeit,  den  erwünschten  Erfolg  haben, 
und  fra^rt  man  nacli  den  Ursachen,  so  erhält  man  die  Antwort:  ..Wer 
kann  im  Massenuuterriclite  auch  nur  annähernd  den  Forderungen 
der  Pädagnrnk  nachkommen?-  Und  während  ein  anderer  PT  widcrt: 
^Wenn  irli  wwv  die  Dummköpfe  hinaus  hätte ereifert  sich  ein  drit- 
ter iibt'i  dit'  \  i(  Im  Ausartungen  und  bösen  Streiche,  mit  denen  er  zu 
kÄmpteii  hat.  Vaw  vierter  rühmt  auch  wol  die  .Stadtschulen  im  Gegen- 
satz zu  den  Lami.siihulen  mit  den  Worten:  „Wenn  meine  Kinder  auf 
einen  anderen  Hoden  gefallen  wären,  so  kRnnte  ich  wol  mehr  er- 
reichen.*^ —  So  der  Landlehrer.  —  Aber  aiu  h  die  I>t'lirer  der  städti- 
schen Volksschulen  bezeugen  mehr  oder  minder  den  unbefriedigenden 
Erfülo:  ihrei-  Bemühungen;  und  wenn  wir  einen  Blick  in  die  höheren 
Schulen  werfen,  in  welchen  doch  meistens  die  Mängel  und  Ubelstände, 
welche  ein  frohes  Oedeihen  der  Volksschule  hindern,  wegfhllen,  so 
weiden  w  ei^ennen,  daas  sich  auch  hier  im  VerhSltnis  zn  den  For- 
derungen ein  Backstand  ergibt   Ja,  Öfters  hOrt  man  anch  solche 


Lphrer.  die  uur  wenig'e  oder  sogar  nur  einen  Schüler  zn  unterrichten 
liaben,  über  den  zu  langsamen  Fortschritt  des  kindlichen  (Geistes 
klagen.  Daraus  ergibt  sieh,  dass  der  kindliche  Geist  sich  nicht  so 
leicht  formen  lässt  wie  Thon  und  Wachs,  sondern  dass  die  Individuali- 
tät eine  Kraft  ist,  welche  bald  hemmend  bald  fördernd  die  Bfldang 
beeiniliiflst,  so  dass  wir  nicht  nur  die  Bildungsfilhigkeit,  aondeicii  auch 
die  Schranken  der  Bildsamkeit  anerkennen  müssen.  Man  kann  sich 
hierbei  auf  folgende  ErMrungen  berufen. 

Gar  mancher  SehQler  wird  thats&cbliefa  nicht,  was  die  Eniehnng 
bei  ihm  erstrebt  hat  Diese  Er&hnmg  best&tigt  sich  alle  Tage  von 
neuem.  Man  vesfe  nnr  einmal  einen  Blick  in  die  Straüyistalten,  and 
man  wird  staunen»  dass  so  viele  Menschen  yom  rechten  Wege  abge> 
wichen  sind;  man  lese  mit  Anfmeiksamkdt  die  Zeitungen,  und  man 
wird  finden,  dass  aneh  noch  hente  viele  Menschen  trots  guten  Unter- 
ridits  und  gater  Eraiehnng  vom  Ziele  der  allgemeinen  Menschen- 
bildnng  abweichen.  Das  beweist  nichts  weniger  als  Mangel  an  Bild- 
samkeit  bei  dem  ZOgling;  vielmehr  möchte  man  hier  der  Erziehung 
die  Schuld  geben,  wenn  sie  etwa  Widersprüche  in  sich  schioss  oder 
ihre  Mittel  unzureichend  waren,  oder  der  Wille  nicht  ausreichende 
Kraft  besaß.  In  vielen  Fällen  ist  sogar  die  Ungeschicklichkeit  des 
Lehrers  in  der  Kunst  der  Erziehung  wie  in  der  Methodik  Schuld  da- 
ran, dass  dem  Schüler  auch  nicht  das  Leichteste  gelingt.  Und  die 
Lehrer  sprechen  über  sich  selbst  das  Urtheil.  die  da  ssigen,  dass  einige 
ihrer  Schüb-r  sich  aueli  die  allereinfachsten  Klementarkenntnisse  in 
gewissen  1^  acliern  nicht  erwerben  können,  weil  ihnen  dazu  die  Fähig- 
keiten fehlen.  So  sehen  wir  also,  dass  in  gewisser  Weist^  die  Schran- 
ken der  BildstnikHit  dureli  mangelnde  PHege  und  Fürsorge  drv  Er- 
wachsenen ver>ciiuldet  werden.  Aber  auch  bei  einer  treuen  Fürsorge, 
beim  Gebrauch  der  rechten  Mittel,  beim  Eingreifen  eines  energischen, 
thatkiäftigen  Willens,  bei  der  Ausfühnmg  eines  wol  erwogenen  Pla- 
nes und  bei  aller  Gescliicklichkeit  und  Kenntnis  in  psychologisch- 
methodischer Hinsicht  müssen  wii-  deunocli  eine  Grenze  der  Bihl^ain- 
keit,  wie  auf  dei*  andern  Seite  eine  in  der  geistigen  Natui-  und  Be- 
gabung liegende  Begttnstignng  der  Bildung  anerkennen.  Denn  die 
Knnst  and  der  Wille  des  Lehrers  mOgen  noch  so  weit  reichen,  der 
eme  Zögling  ist  doch  &ber  einen  gewissen  Orad  der  Bildung  nicht 
hinaus  zn  heben,  anch  wenn  seinerseits  die  größten  Anstrengungen 
gemacht  werden,  während  ein  anderer  mit  leichter  Mühe  bei  dem- 
selben Unterrichte  zu  viel  höheren  Standpunkten  sich  erhebt.  Und 
dazu  tritt  noch  em  anderer  Unterschied:  der  eine  Schüler  konunt  mit 


Digitized  by  Google 


—  269  ^ 


größerer  oder  geringerer  Leichtigkeit  an  sein  Ziel,  während  ein  an- 
derei"  nur  mit  großer  Anstrengung  und  unter  großen  Schwierigkeiten 
auniiheind  das  Ziel  erreicht;  ja  derselbe  Schüler  kommt  in  einer 
Disciplin  mit  gennger  Mühe  weiter,  während  eine  andere  ihm  viel 
Soh\\i*'i  iL'-kriteii  bereitet.  So  sehen  wir  denn,  dass  in  der  nrsprüng- 
Ueh'U  Natur  des;  (-»eistes  oft  Begünstigungen,  oft  Schranken  der 
Bildung  liegen,  und  das  scheint  zti  be^\nrken,  ,,dass  in  dem  einen  Fall 
ein  gi'ößeres.  in  dtin  andern  ein  geringeres  Maß  von  Bildung  eiTeichi 
wird,  und  zwar  bald  mit  geringerer,  bald  mit  größerer  Leichtigkeit 
imd  Ki'aftanstrengnng.'* 

Zu  einem  ähnlichen  Resultate  ist  man  auch  noch  auf  einem  an- 
deren Wege  gelangt.  Die  Erfahrung  hat  nämlich  gezeigt,  dass  Kinder, 
▼eiche  unter  gleichen  Bildungseinflüssen  aufgewachsen  sind,  sich  den- 
noch Terschieden  entwickelt  haben,  go  dass  sogar  bei  Kiutam  Ton 
gldchen  Elteni,  ja  bei  ZiriUingsgeschwIsteni,  welche  unter  gleichen 
Lebensverhftltniseen  erzogen  shid  —  wobei  doch  gleiche  oder  wraiig- 
«tens  sehr  fthnUcfae  ^Idnngsresiiltate  tdeh  ergeben  mflssten  — >  daae 
auch  bei  diesen  Kindern  ganz  ungleiche  Besnltate  entstehen,  nnd  dass 
solche  Kinder  sieh  suletat  auch  aoHerordentlich  rerschieden  aeigen. 
I^ese  Verschiedenheit  entsteht  also  nicht  durch  ungleiche  YerhiUtniase, 
in  welchen  die  Kinder  herangebildet  werden,  sondern  sie  muss  auf 
organischen  Verschiedenhelten  beruhen,  welche  einw  bestinunten  Thft- 
tigkeit  günstig  sind,  und  durch  welche  die  Naturankgen,  die  indivi- 
duellen Anlagen,  bedingt  werden.  Wenn  man  nun  auch  gesagt  hat, 
dass  das  innere  Leben  des  Zöglings  ursprünglich  keine  feste  Gestalt 
und  Kichtung  hat,  sondern  erst  durch  äußere  Einwirkungen  ausgebil- 
det wird,  so  muss  man  doch  auf  Grund  dieser  Erfahrung  bekennen: 
„Der  Geist  muss  schon  vor  der  Geburt  eine  feste  Bestimmtheit  ange-, 
nommen  haben,  die  hei  allen  späteren  Einflüssen  bald  hemmend  bald 
begünstigend  mitwirkt  und  zuletzt  sogar  an  ihrem  Theil  über  den 
Erfolg  des  ganzen  Lebens  entscheidet.  Diese  feste,  ursprüngliche 
Bestinimtlieil  des  Geistes  nennt  man  nun  Anlage,  Naturanlage,  Jndivi- 
dnalität,  denn  Gott  hat,  wie  John  Locke  sinj-t,  jeder  Menschenseele 
ein  eiurenthümliches  Gepräge  eingedrückt,  das  nicht  getilgt  oder  diu'ch 
ein  anderes  ei-setzt  werden  kann.''  Hiernach  ist  also  die  Individualität 
die  natürliche,  im  Organisnuis  begründete  Anlage. 

Dies*  Anlage  erschöpft  nun  aber  den  Begriff  der  Indi^ndnalität 
nicht.  .Aiaii  hat  bmerkt,  dass  gewisse  Arten  sich  zu  benehmen,  zu 
iülilen.  zu  denken,  zu  handeln  sich  bei  den  Menschen  gleichbleiben 
vom  frühesten  bis  zum  spätesten  Alter,  dass  also  nicht  nur  gewisse 

18* 


.  kj  i^  .  j  i.  y  Google 


Ei^enthiinilirlikeiten  im  menschlicheu Kürper  bis  in  das  späteste 
Ait«*r  liesteheii  bkibrn,  sondeni  dass  anch  constaiit«  ffeistifre  Züge 
sich  au  (lern  Mensclien  bemerkbar  niacheu  vvähreiKi  »eiiiei-  ganzen 
Lebenszeit;  ja  dH?is  sich  sogar  diese  Züge  im  >{päteni  Alter  immer 
mehr  vei*starken  imd  deutliclier  hervortreten.  Uud  cüese  Erscheinung 
ist  doch  höchst  merkwüidig.  Denn  der  Mensch  erleidet  in  seinem 
Leben  die  verschiedenartigsten  Einwu  kungen,  sehr  wechselvolle  Schick- 
sale treten  an  ihn  henui  und  hinterlassen  die  mannigfaltigsten  Lin- 
drücke. Sein  Vorstellungskreis,  und  mithin  sein  Denken,  Fudileu  uud 
Wollen,  seine  Gnmds&tze  und  seine  Bildung  wechseln  oft  im  stärksten 
Matte  unter  den  Binwiriamgen  der  Ld)ensyerfaiUtni88e,  so  dass  man 
nicht  glauben  aoUte,  dasa  es  conatante  geistige  Zuge  gebe.  Die  Ep> 
fiüirnng  aber  lehrt  dieaea.  Nach  ilir  bleibt  eme  jedem  Individnom 
eigenthttaalicheArt  zu  denken,  an  wollen  nnd  an  handeln  während  sei- 
nea  ganxen  Lebens  unter  den  verschiedensten  Teihftltnissen  dieselbe 
nnd  bildet  den  Grundzag  des  Charaktera,  ja  dieser  wird  immer  st&v 
ker  unter  den  Einllflssen  derWdt  nnd  tritt  immer  beatimmter  hervor, 
8»  dasa  Goethe  mit  Becht  sagen  konnte: 

„Es  bildet      TUent  äeli  in  der  StiUe, 
Sieh  ein  Chankter  in  dem  Stiem  der  Welt'* 

Der  n^trom  der  Welt**  kann  die  individaellen  Eügenschaften  wol 

bis  zu  einem  gewissen  Grade  verdunkeln  nnd  verhfill^,  aber  sclüiefi- 
lieh  brechen  sie  doch  durch  alle  Hullen  wieder  unveränderlich  durch, 
und  man  erkennt  immer,  dass  sie  sich  erhalten  haben.  An  diesen 
Zogen  erkennt  man  in  späteren  Jahren  einen  Menschen  als  denselben 
wieder,  an  ihnen  erkennt  ein  Jugendfreund  den  andern  wieder,  wie 
verschieden  sich  auch  ihre  Bildung  unter  den  Einwirkungen  ihrer 
Lebensverhältnisse  gestaltet  hat,  wie  weit  sie  auch  rätunlich  nnd  zeit- 
lich von  einander  getrennt  waren. 

Die  Seele  hat  aber  keinen  ursprünglichen  Inhalt  nach  John  Locke's 
Grundsatz:  Nihil  est  in  intellectu,  quod  mm  i>rius  fuerit  in  sensn.  Der 
Inhalt  entsteht  also  in  der  Seele  erst  <lurcli  »bis  Lfbeii.  wonn  auch  zum 
Thcil  schon  in  dem  fi-i'ilu^sUdi  Alter  des  Kiude>  und  wu'd  bedingt  durch 
dii'  l'nigel)mig  desselben,  so  dass  er  sicli  je  nach  den  individuellen  Da- 
seiiisverliältnissen  verschieden  gestalten  muss.  r>enn  jede  Umgebung 
bietet  eine  gewisse  Menge  von  Vorstellungen  dar,  die  in  anderer 
Umgebung  nicht  erzeugt  werden;  so  entsteht  für  jedes  Kind  ein 
eigenthümlicher,  aus  der  Umgebung  entsprungener  Gedankenkreis,  und 
als  nothwendige  Folge  entstehen  hieraus  eigentliümliche  Phantasien, 
Gefühle  und  Strebungen.  Hierdurch  enthült  die  Anlage  einen  Zusatz, 


Digitized  by  Google 


—   271  — 


weleher  in  den  ältesten,  ans  der  ümgebnng:  im  frOhesten  Kindesalter  ent- 
springenden Forstellangen  und  den  daraas  sich  entwickelnden  ander- 
weitigen bewnssten  Geisteszoständen  yoti  l)estiminter  Realität  besteht. 

Die  Umgebung  wirkt  nun  tlieils  durch  bestimmte  Örtlichkeit, 
theils  durch  bestimmte  Gesellschaftskreise.  Es  bilden  sich  also  bei 
dem  Kinde  gewisse  Züge  ein^eits  durch  Gestaltung  des  Aufenthalts- 
ortes, in  welchem  es  seine  Jugend  verlebt,  anderseits  wirkt  aber  auch 
das  T.phfn  der  Menschen,  deren  Pflege  es  von  frühester  Kindheit  an- 
vertraut wii-d,  bestimmend  auf  die  Bildung  seines  inneren  Trebens  ein. 

Zuvörderst  erhält  also  das  innere  Leben  des  Kindes  eine  be- 
stimmte Gestalt  durch  die  Beschaffenheit  seines  Anfeiithaltsortes.  Denn 
da^  <  ^ f  i s ( esieben  wird  sich  verscliieden  jrpst-altrii.  jf  nachdem  der 
Mensch  auf  einer  Insel,  oder  aul  eineia  ('oiuiueiue  lieranwächst,  je 
nachdem  er  in  Gebirgsgegenden  oder  in  uuabsehbai-en  El>enen,  unter 
einem  heiteren  Himmel  oder  in  einer  düsteren  Landschaft  seine  Jugend 
verlebt.  Selbst  die  Stadt,  das  Dorf,  Haus  und  Hof  Straßen  und 
Spielitlatzc  koinineu  liier  in  Betracht  und  bewirken,  dass  in  dem  Ge- 
dankenki-eise  des  Kindes  (inalitativ  verschiedene  Vorstellungen  sich 
ausbilden,  aus  welchen  dann  wiederum  eigenthümliche  Phantasien  und 
Geisteszustände  hervorgehen.  Wie  verschieden  müssen  daher  die  Vor- 
stellungen eines  Kindes  auf  dem  Dorfe  and  eines  in  einer  Großstadt 
sein!  Hier  .febleii  Idcht  die  elementarsten  Begriffe  der  Hdraatkonde. 
Ein  Haus  gldeht  dem  andam  und  hebt  sich  darum  nicht  stark  genug 
henror,  die  Hftnser  stdien  in  zusammenhängenden  Reihen,  und  es 
Inld^  sich  deshalb  hei  dem  Kinde  nicht  so  leicht  dleEinzelyorstellang 
des  Hanses,  Hof  und  Garten  existiren  In  Gioßstftdtmi  fast  nicht,  es 
fehlt  an  geeigneten  Spielplätzen,  die  Kinder  mitten  in  der  Stadt  sind 
von  der  freien  Natur  viel  zn  weit  entfernt,  die  Erscheinungen  drän* 
gen  sich  in  zn  großer  Vielheit  und  Kannigfaltigkeit  auf,  wogegen  auf 
der  anderen  Seite  in  gewisser  Beziefanng  ein  geisttödtendes  Einerlei 
herrscht  Durch  alles  dieses  wird  die  ursprüngliche  Anfinerksamkeit 
ftr  die  Objecto  der  Heimat  geschwScht  und  der  Mangel  macht  sich 
nachher  bei  allen  geistigen  Processen  ffthlbar. 

In  ähnlicher  Weise  wirkt  aber  auch  der  Gesellschaftidueis  auf 
die  Entwickelung  des  kindlichen  Geistes.  Das  Kind  gehört  einer  be- 
sonderen Gesellschaft,  einem  besonderen  Stande,  einer  besonderen 
Familie  an.  Die  Nachbara,  die  ersten  Spielgenossen,  die  Oonfessionen, 
der  Rffentliche  Verkehr,  überhaupt  alle  Kreise,  in  denen  es  empor 
wächst,  beeinflussen  das  Kind  unwillkürlich.  Die  Fol^p  d.ivnu  ist. 
dass  die  Gewohnlieiten,  die  in  seiner  nächsten  Umgebung  herrschen, 


^  272  — 


die  Art  des  geselligen  Verkehrs,  feinere  oder  gröbere  Sitten,  Vorurtheile, 
welche  sich  in  solchen  Verhältnissen  bilden,  Überfluss  des  Reichthums 
und  Mant^el  der  Armut,  dass  alle  diese  Momente  die  Entwicklung 
des  kindlichen  Geilstes  beg^ünstigen  oder  beschränken. 

Nachdem  wii-  nun  gesehen  haben,  dass  die  Individualität  sich  auf 
die  ang-eborene  und  erworbene  Anlage  nründet.  so  fmjren  wir  jetzt: 
Welchen  Kiafluss  hat  die  Indiridualität  auf  Kr/jt-lüuiL-^  und  Unterricht? 
Die  ei>ie  Forderung,  die  hier  an  d<ii  L«  ln  er  herantritt,  ist  die:  er 
soll  die  Individualität  seinem  >i  liulers  erlurschen  und  dann  nach  dessen 
besonderen  i?'äliigkeiten  Eiv.it  hung  und  Unterricht  einrichten,  John 
Locke  sagt:  „Berücksicliiiguug  kann  die  Individualität  nur  in  der 
rnvaterziehung,  nicht  in  der  öffentlichen  Schule  finden."  Dies  soll 
uns  jedoch  nicht  al)schrecken  von  dem  Streben,  die  IndiM  luilitaten 
unserer  Schüler  festzustellen,  es  müssen  nur  um  so  gi-ößeie  Anstren- 
gungen gemacht  werden.  Zu  diesem  Zwecke  genügt  nicht  allein  die 
genaue  Beobachtung  der  Schiller  beim  Unterrichte  und  bei  der  Arbdt, 
wo  te  WiUe  des  ffindes  unter  den  Witten  dss  Lehrers  gsbengt  ist, 
sondeni  der  Lehrer  nrass  die  Kinder  nnch  in  den  f>ejstDnden  nnd 
beim  Spiei,  wo  sidi  ihre  Sigensrt  am  nnbefongenston  tud  am  unge- 
hindertsten m  erkennen  gibt,  anfinerkaam  beobachten.  Das  Spiel 
bietet  viele  Anhaltspunkte  snr  FeststeUnng  der  IndiTidnalit&t»  und  es 
sollte  dcomacfa  viel  mehr  als  Yasbet  Ton  den  Erziehern  gewürdigt 
werden.  Der  Lehrer  beachte  xnerst,  ob  das  Kind  spielt  oder  nicht. 
Ein  nidit  spielendes  Kind  ist  eine  bedenkliche  Erscheinmig,  weü  sich 
im  Spiel  das  geistige  Leben  zuerst  zu  erkennen  gibt  Der  Ldirer 
wird  dann  auch  er&hren,  womit  das  Kind  ^ielt,  und  welche  Spiele 
es  liebt;  er  wird  besonders  achtgeben  auf  die  Art  und  Weise  wie 
das  Kind  spielt  und  wii'd  daraus  auf  dessen  Charakter  schliefen 
können.  Er  wird  dann  auch  in  späterer  Zeit,  wenn  die  ernste  Arbeit 
des  Leinens  begonnen  hat,  das  Spiel  nicht  hindern,  noch  es  dem 
Kinde  durch  Nichtachtung  der  Arbeit  entwerten.  Rosenkranz  sagt 
luerüber:  „Ohne  Respect  vor  der  Arbeit,  welche  die  Autorität  des 
Erziehers  auflegt,  entwertet  man  dem  Zöglinge  das  Spiel;  nnd  ohne 
ihm  Kaum  und  Zeit  zum  Spiel  zu  ir'>nnön,  hindert  man  die  Individuali- 
tät des  Zögiiu^,^s,  sich  unbefant^en  zu  erschließen  und  ihi-e  Ei-lindsam- 
keit  schöpferisch  zu  ei'proben,'*  Drittens  abei-  nniss  der  Lehrer  bei 
P  I  ststellnnjr  der  ludividualit.lt  mit  dem  eiterlicheu  Hause  in  Verhin- 
•  iuii^  trtften.  Hier  wird  man  auch  einer  Reihe  von  Miterzieiieni  be- 
gegnen, welche  auf  das  Kind  einwirken  und  dessen  Individualität  mit 
bestimmen.   Der  Lehrer  wird  dann  erfahren,  dass  die  (remeinsamkeit 


Digitized  by  Google 


der  Lebensweise,  der  Sutten,  der  Urthelle  und  Vomrtlieile  eine  Gldeh- 
artigkeit  der  Neigimgeii  erzeugt»  und  dass  dieEigeEtiiUmlichkeiten  der 
Kinder  zum  guten  Tlieü  Birkungen  der  ÜDgelrnng  sind,  welche  das 
Kind  schon  beeinflusste,  bevor  es  der  planmäßigen  Erziehung  nnter^ 
sogen  wurde.  Jedoch  mnss  der  Erzieher  sich  hüten,  auf  Grund  un- 
zureichender  Erfahmngen  eine  feste  geistige  Bestimmtheit  anzundunen. 
Uan  ist  sehi*  liäufig  geneigt,  das  Kind  für  unfähig  zu  halten,  wo  es 
nur  gi'ößerer  Anstrengung  bedarf,  um  ihm  eine  Sache  klar  zu  legen, 
ja  die  Beschränktheit  des  Geistes  ist  öfters  erst  eine  Folge  der  fal- 
schen Methoden  und  der  unrichtigen  Behandlung  der  Kinder,  ^vie  wir 
schon  oben  gesehen  habeir  Jedenfalls  muss  die  Individualität  der 
Kinder  stets  respectirt  werden,  sofern  sie  mit  dem  Ziel  der  allge- 
meinen  Afenschenbildung  haimonivT.  Schl^^iermarlicr  sagt  darüber: 
„]»ie  Kr/ithung  kann  die  nrspi  iingliche  Anlaice  nicht  umgestalten, 
«üese  Jieötimmtheit  nicht  völlig  auHieben;  sie  hat  dalier  die  doppelte 
Aufgabe,  den  Einzelneu  als  persönliche  Eigentlittmlichkeit  darzustellen 
und  ihn  auszubilden  in  der  Ähnlichkeit  mit  dem  größeren  moralischeu 
Ganzen,  wozu  er  gehört."  Daher  soll  der  Unterricht  von  dem  An- 
schannngskreise  der  Kinder  ausgehen;  denn  was  das  Kind  vor  aller 
Erziehung  ist,  soll  für  diese  der  Ausgangspunkt  sein,  so  dass  also  der 
Individnaiitätskreis  der  Keim  ist,  aus  dem  sich  der  ganze  Mensch 
entwickeln  muss.  Damm  stellt  auch  Niem^er  die  Forderung:  „Wecke 
und  blldfi  jede  dem  Zöglinge  als  Mensch  und  als  Individuum  gegebene 
Anlage  und  Fähigkeit'*  ,,Sta]idpunkt  des  LebenB,  Individualbestim- 
ninng  des  Menschen'*»  so  klingt  es  aus  der  „Abendstande  eines  Ein- 
siedlers'*, „du  bist  das  Buch  der  Natur.  In  dir  liegt  die  Kraft  und 
die  Ordnung  dieser  weisen  FiKhrerin,  und  jede  Schulbildung,  die  nicht 
auf  Grundlage  der  Menschenbildung  gebant  ist^  (tthrt  irre.** 

Der  Lehrer  soll  sich  stets  der  DidiTidnalit&t  anschliefien,  wenn 
es  der  Elndehungssweck  erlaubt;  das  ist  oberster  ChimdsatK.  Neben 
einer  gleichmäßigen  Leitung  aller  Schttler  im  allgemein  Menschlichen 
hat  also  die  Erziehung  di»^  Aufgabe  zu  individualisiren,  also  jedes 
Kind  nach  sdner  Eigen thümüchkeit  zu  behandeln.  Die  Überfüllung  der 
Schuldassen  ist  allerdings  ein  großes  iündemis  fär  die  Krreiclmng 
dieses  Zweckes,  nnd  der  Lehrer  ist  nur  durch  genaue  Beobachtung 
und  eingehende  Menschenkenntnis  dazu  fähig. 

Er  rnuss  an  alle  Schüler  seiner  Classe  dieselben  Forderungen  so- 
wol  in  sittliclier  als  auch  in  intellectneller  Hinsicht  stellen :  die  Höhe 
der  Forderung  Helltet  sich  nach  d^r  durchschnittlichen  Fähigkeit  und 
Begabung  der  ^hiüer.   Darum  hat  dei*  Lehrei*  sich  wol  zu  hüten, 


—  274  — 

das  Tempo  des  l'nterrichts  zii  Gunsten  einzelner  fähiger  Schüler  zn  be- 
yrhlpiinigen.  Aber  wie  soll  nian  dieselben  beschäftigten?  Während 
(iit  Schwächeren  noch  mit  der  Einübuno^  \\M  Einprägung  des  Stoffes 
zu  thun  haben.  Imt  der  Lelirer  die  fiihiirci  i  ii  Srliüler  zu  tn'ieii  Ar- 
beiten, welche  aber  immer  in  drni>rll)t  n  <  TeJankenkivisH  sich  b^wi^u^t  n. 
auzuluiltt  Ii.  Der  Lehr»  i  li:u  abei  auch  mit  irtiduld  und  Billigkeit  die 
EntWickelung  der  Schwaclieru  zu  beurtheilen  und  sie  mit  Liebe  und 
Freundlichkeit  anzuleiten.  Wünsche,  denen  nichts  entgegensteht,  müs- 
sen berücksichtigt  werden;  und  niemals  darf  man  ohne  ürund  indivi- 
duellen Neigungen  und  GewobiilK  iten  unschuldiger  Art  entgegeu- 
treteu,  mui».s  ihnen  vielmehr  fordernd  entgegenkommen.  Niemals  soll 
der  Lehrei-  zu  einer  die  Individualitat  untergrabenden  Nachahmung 
ii6thig<aL  Bei  der  mündlichen,  sowie  bei  der  schriftlichen  Darstellang 
mius  das  Kind  freie  Hand  haben  and  nach  seiner  Aasdnidciw«iw 
yei&hren  dfbfen,  weü  sonst  su  sehr  das  ägtm  DaikSD  mid  FQblea 
durch  Phrase  eratickt  wird.  Überall  hat  individuelles  Gepräge  eineii 
eiguktfaQinlichea  fieis,  einen  nicht  za  nnteraehfttsendea  Wert  Und  die 
Enriehnng  bat  darum  schon  in  der  frühesten  Zeit  des  Kindes  ftr  die 
Befestiflfiing  aller  gntea  Seiten  der  IndividnalitAt  za  wtgsä. 

In  den  Elementardassen  bat  der  Lehrer  die  Aufgabe,  dnrdi 
Stoffe»  die  einen  nmationalen  Geist  athmen,  ftr  die  Entwiekehmg  des 
nationalen  G^tes  zu  sorgen;  immer  aber  mnss  er  sich  dem  kindlichen 
Anscbanangskmae  anschlielten  und  Tom  Nahen  zun  Entfernten  gehen. 
Alles  Fremde  nnd  dem  Kinde  Entlegene  moss  auf  seinen  Heimatskreis 
zurückbezog^  w^rdnii  auf  sein  engeres  oder  weiteres  Vaterland;  es 
ist  auch  nicht  genug,  dass  das  Kind  das  Fremde  und  Entlegene  sich 
aneigne,  es  mnss  es  auch  durchdenken  and  nach  seinen  geistigen  An- 
lagen und  Fähigkeiten  bearbeiten.  Dies  ist  nor  mOglich,  wenn  in 
allen  Fächern  die  Arbeiten  und  Übungen  an  die  individuellen  An- 
schauungen anknüpfen  und  so  der  Zögling  in  dem  Gedankenkreise 
bleibt,  der  ihm  jetzt  angemessen  ist. 

Bei  aller  Berücksichtigung  der  Individualität  dai-f  der  Lehrer 
aber  nicht  den  allgeinHinen  Zweck  der  Menscbenbildung  vergessen. 
Die  Erziehung  darf  daher  den  Zögling  nicht  ganz  und  gar  seiner 
Individualität  überlassen;  der  Menscli  soll  nicht,  wie  Goetlie  sr^gt,  ein 
Narr  auf  eiirne  Hand  werden,  oline  von  Mitwelt  oder  Vuiwell  zu 
lernen.  Dai  um  liat  der  Lelirer  wol  zu  prüfen  und  zu  überlegen,  wel- 
ches Berechtigte  in  der  Eigenart  des  Kiudes  er  zu  pflegen,  welches 
Unberechtigte  er  zu  unterdrücken  hat;  sein  Bestreben  muss  immer 
dahin  gehen,  die  Mängel  der  Anlagen  seiuer  Zöglinge  durch  die  Kunst 


Digitized  by  Google 


—  276  — 

der  Eniehong  md  dnreii  die  Weise  des  Unterriclitg  so  weit  ausza- 
gleldien,  als  mSgUch  ist  Die  Methode  darf  niemals  zu  einer  Manier 
^werden,  was  dann  geschieht,  wenn  „ttber  den  Eigenheiten  eines  ein- 
zelnen Falles  das  All?pmeine  ans  den  Augen  verloren  wird.  Die 
BcUinunste  Art  von  Manier  ist  es  aber,  wenn  Uber  den  Eigenheiten, 
Absonderlichkeiten,  Liebhabereien  der  Tndivi<lualität,  über  den  Vor- 
ort heilen  des  Standes,  über  den  Einseitigkeiten  und  Beschränktheiten 
der  Confession,  der  Nationalität .  über  den  Particularismus  der  Stam- 
mesgemeinschaft  das  Allgenieinmenschliche  und  Allofemeinnothwendige 
verfre^^sen  oder  versäumt  wii-d  "  Daraus  erfjibt  sich  aber,  dass  die 
Kr/iVInnifr  in  tjrewissen  Fällen  gegen  den  individuellen  Geist  auftreten, 
dif  Individualität  nach  veiNclnedenen  Seiten  hin  bekämpfen  muss. 
Tiif  ]  l)(  j  HILLES  der  Lehrer  alM  i-  genau  prüfen,  welches  P^igenliiiiiiilit  he 
uiiveiaiulerlich  ist,  und  weiches  dui'ch  den  KinÜuss  der  P^rzieliung 
Uli  1  des  I  ntenichtä  umgestaltet  werden  kann;  er  muss  genau  inüfen, 
wit-  weil  er  nachgeben  darf,  ohne  die  allgemeine  Lebensbestimmung 
zu  schädigen,  und  er  muss  auch  wissen,  von  welchem  Punkte  an  jener 
Indivi(hialismus  zuiu  siindlichen  Eigen wiileu  uu^ciitci. 

i-  ur  die  Maßnahmen  der  Zucht  hat  aber  auch  der  Lehrer  fleißig 
die  Gemüthsbeschaffenheit  der  einzelnen  Kinder  zu  prüfen.  Bei  eini- 
gen Kindern  genügt  ein  Blick,  um  sie  zur  Aufinerksamkeit,  Ordnung, 
Arbeitsamkeit  anzatreiben,  ^M^end  b4  anderen  kaum  Worte  der 
«rasten  Eflge  nad  des  Verweises  dieses  vermögen.  Das  eine  Ehid 
folgt  ivillig,  das  andere  ist  eigensinBig  and  hartnflddg.  Einige  wach* 
sen  heran,  den  edlen  Pflansnn  gleich,  und  der  Lehrer  hat  nnr  nfithig, 
ihnen  nNahrong  der  Weisheit'*  zn  bietea,  und  sie  anzohalton,  sich 
nicht  zn  ftbereilen,  auf  dass  sie  nicht  vor  der  Zeit  ennatten;  sndere 
Kinder  sind  schwer  von  Begrüfen,  nnd  der  Lehrer  mnss  sich  herab- 
lassen zu  ihrer  Sebw&cbe,  sie  errnnthigen  nnd  ermuntern,  auf  dass  sie 
nicht  muthlos  werden. 

Am  meisten  Fürsorge  und  Pflege  bedOrfisn  aber  die  Kinder  der 
Armut  nnd  der  Notb,  weü  sich  bei  diesen  gewöhnlich  die  allerver* 
wickeltsten  und  verworrensten  Geistesznstände  bilden.  Der  Lehrer 
mnss  bei  diesen  Schülern  vor  allen  Dingen  seine  Ungeduld  behei-rschen 
und  es  wird  seinem  Berufe  die  rechte  Schaffensfreudigkeit  erhalten, 
wenn  er  öfters  an  das  treffliche  Wort  Friedlich  Rückerts  denkt: 

..Soll  trafen  mit  (TtMinUl  dein  Lehrliui^-  LernbejicliwcrJeii, 
äu  mtuuit  du  Lehrer  selbst  nicht  ungeduldig  werden. 
Denn  Schwens  hal  «n  tlmti  der  Lehriing      d«r  Lehicr, 
Dfts  l«khter  dudi  Oedidd,  durch  Ungeduld  wird  echwerer.** 


Digitized  by  Google 


Worin  liegt  der  Kernpunkt  aller  Erzieliiuig? 


Vm  frtedrM^  AittAer-Leoben. 

Die  Kl  •Ziehung:  des  Kindes  ist  ein  so  umfangreiches  Gebäude, 
das  Material  zu  dem  großen  Baue  ist  so  vielfaltig,  das  GefUge  mit- 
tin ter  ein  so  kimstliches,  dass  man  sich  nicht  wundem  darf,  wenn 
gewissenhafte  Kitern,  die  ihre  Kinder  auf  das  Beste  erziehen  motiiten, 
über  die  grolie,  in  ihren  Augeu  kaum  zu  bpwaltiirende  Aufgabe  er- 
schrecken nnd,  indem  sie  vergebens  nacii  einem  eiulieitlich^  und  ein- 
fi&chen  Principe  suchen,  sich  erfoljjrlos  abmühen. 

Und  doch  läs^t  liich  da^  ganze  Erziehnngsgeschäl't  aiii  einige 
wenige  Gnmdsätze  zurückführen,  ja  es  gibt  einen  Cardinalpunkt  aller 
Erziehung,  der  —  wenn  er  als  leitendes  Princip  nur  immer  fest- 
gehalten vird  tasi  ganz .  allein  in  natürlicher  Folge  wm  Ziele 
einer  attfidum  Eraehnng'  fUmn  ranee.  Uan  gelao^ft  zn  dieeemPnnkte, 
wenn  man  sich  fragt,  welche  höchste  An^be  sich  die  Erziehung 
stellen  kann  nnd  solL  Soll  sie  bloe  einen  trefflichen  Menschen  und 
BHarger  heranbflden,  oder  soll  de  mehr  als  das,  soH  sie  ancfa  einen 
glttcklichen  Menschen  schaffen  hdftn»  einen  Menschen»  der  schon  beim 
Eintritte  in  das  selbststindigB  Leben  die  Elemente  in  sich  trSgt»  die 
ihm  jene  sichere  Beglftcknng  verbfiigen,  die  sich  der  Mensch  dem 
Anfieren  Geschicke  geeienUber'  in  der  eigenen  Brost  an  schaffion  ver- 
mag? ünd  wenn  dies  als  hScfaste  An^be  erkannt  nnd  erihsst  wird, 
welche  anderen  Elemente  konnten  es  sein,  die  die  Erziehung  zu  bieten 
hat,  als  jene,  aus  denen  sich  die  nöthige  moralische  Kraft  aufbaut, 
mit  der  allein  sich  dieser  Zustand  der  Be^liickun^  und  Befriedigung 
erlüUttpfen  lässt?  Da  hätten  wir  also  den  i'arüualpunkt  aller  £ir- 
ziehung:  die  Erziehung  zur  moralischen  Kraft,  Die  Elemente 
dazu  sind:  ein  einfaches  "Wollen  des  Guten  und  Rechten  und  dazu  als 
Zweites  eine  in  Enthaltsamkeit  und  Selbstbeherrschung  geschulte 
gf'i«ti<7e  Kraft,  um  auch  zu  können,  was  man  will.  Wenn  die  Kr- 
zieiiuug  beides  dem  jungen  Menschen  ins  Leben  mitzugeben  vermag, 


Digitized  by  Google 


^   277  — 

dann  darf  sie  ihm  auch  das  glttcUicliate  Prognostiken  stellen.  Da 
von  den  beidfln  Elonentfln  das  zweite  das  weitans  sefa^erigere  ist, 
so  hat  die  Erziehung  hierfür  die  größten  Anstrengungen  zu  machen, 
und  ein  eigenes  Stadium  darauf  zu  richten,  den  ZOgUng  Enthaltsam- 
kdt,  Selbstverieuguang  und  Selbstbeherrschung  zu  lehren.  Denn  ohne 
Selbstuberwindung  und  SelbstbeheiTSchung  gibt  es  kein  kräftiges 
Wollen.  Wie  willfahrig  auch  der  Zögling  der  sorgsamsten  Führung 
zum  Rechten  und  Guten  folge,  wie  bereitwillig  er  sich  zeige,  diesen 
Weg  immer  zu  gehen:  in  den  Lagen,  wo  es  auf  Bethätigung  ankömmt, 
wird  ihn  die  Kraft  verlassen,  wenn  er  nicht  gescliult  ist  in  der  Herr- 
schaft über  sich  selbst.  Mit  dieser  erst  überwindet  er  seine  Schwä- 
chen, sie  allein  macht  ihn  erst  frei,  hilft  ihm  Maß  halten  in  allem 
und  jedem,  in  seinem  Wollen  und  Handeln;  aul'  ihr  beruht  alle  mora- 
lische Kraft.  So  kann  man  denn  nicht  lunhin.  hierin  d<»n  Kpnipimkt 
alier  Erzieliung  zu  erkeimen;  denn  aus  ilim  keimen  und  sprielieu  dann 
die  edelsten  Bluten  und  Früchte  1*  i  Im  Ziehung;  aus  ihm  erhebt  sich 
der  freie  moralische  Mensch,  entwickelt  sich  dei*  vollendete  Charakter. 

Der  Gang,  den  die  ErzieJiuug  hierfür  zu  nehmen  hat,  ist  bald 
bezeichnet;  er  hält  gleichen  Schritt  mit  der  Entwickelnng  des  Kindes 
und  macht  alle  Stadien  von  der  ersten  Gewohuiuig  zur  Enthaltsamkeit 
bis  zu  der  zur  Gewohnheit  gewordenen  Selbstbehen-schung  durch. 

Merkwürdig  ist  es,  dass  schon  die  aUerersten  Kindeijahre  eine 
Art  V<»liereitiing  Uein  Meten.  Sie  liegt  darin,  dass  gerade  dem  kld- 
nen  Kinde,  das  mit  seinem  nngemesseuen  Begehrungsvermögen  nach 
allem  Terlangt,  was  ihm  die  Sinne  reizt  (es  langt  nach  Hesser  and 
Schere,  and  hebt  die  Hftndcben  nun  Monde  und  mochte  andi  diesen 
haben),  die  meisten  Wünsche  versagt  werden  mftssen.  Das  Kind  er- 
fihrt  dadurch  schon  in  frühester  Zeit  eine  hftoflgeBeschrinlning  seines 
Verlangens,  lernt  ein  Verweigeni  seiner  Wunsche  ertragen.  Wenn 
dies  aoeh  noch  gedankenlos  nnd  ohne  Bewnsstwerden  geschieht,  er* 
leichtert  es  dem  Erzieher  doch  das  Oeschftfl,  wenn  er  alsbald  bemüs- 
sigt  ist,  auf  Grund  des  Gehorsams  die  Sdbstverlengnnng  des  Kindes 
aufzufordern.  Hiemit  Angt  aber  schon  die  eigentliche  Scholong  zur 
Selbstbeherrschung  an.  Das  Kind  unterdrückt  nun  aus  r;r  hni*8am  (sei 
dieser  durch  Güte  oder  Strenge  zuwege  gebracht)  seine  Wünsche  nnd 
lernt  sich  dem  Willen  des  Erziehers  untei-werfen.  Non,  wo  der  eigent* 
liehe  Bau  der  Erziehung  nach  allen  Richtungen  auf  dem  festen 
Gnmde  des  Gehorsams  beginnt,  werden  die  Anforderungen  an  die 
Selbstverleuf^niung  und  die  i'bungen  darin  immer  gewählter  und  em- 
pfindlicher. Der  Erzieher  bat  die  Anlagen  und  die  vorherrschenden 


Digitized  by  Google 


—  278  — 


Triebe  des  Kindes  erkannt,  und  verfolgt  mit  aufinerksamen  Augen  die 

Neigungen,  die  ans  den  letzteren  henrorgehen.  Indem  er  die  guten 
fordert»  die  schlimmen  zu  hemmen  eocht,  findet  seine  Kunst  Inun^ 
Gelegenheit,  den  doppelten  Zweck  zu  verfolgen :  den  Glehorsam  des 
Kindes  einerseits  zur  Erreichung  guter  Eigenschaften  zu  nützen,  an- 
dererseits aber  blos  als  Mittel  zur  Übnng-  in  Selbstverleug-nung  und 
Enthaltsamkeit  zu  gebrauchen.  Noch  appellirt  er  nicht  an  ein  freies 
Wollen  des  Kindes,  sondern  fordprt  blinden  mechanischen  Gehorsam 
von  dem  noch  einsichtslosen  Wesen,  und  belügt  sich  damit,  das  Kind 
'/II  l^hr^n.  diesen  Druck  zu  ertragen,  der  nnr  ein  Vorlänfer  ist  des 
Drui  ke^.  dt-ii  das  Kirui  rinst  als  erwachsen  aus  eizfiirr  Knitl  zur 
Bemeisterun^  seinei'  seilist  auszuüben  haben  wird  (da-v.>  die  Praxis  des 
blinden  Gehorsams  mit  Vorsicht  und  mit  Maß  getibt  werden  muss, 
versteht  sich  von  selbst;  der  Freudigkeit  der  Kindesnatur  dart  kein 
Eintrag  geschehen). 

Der  tJberf,^ang  vom  blinden  Gehorsam  zu  dem  zweiten  Stadium 
des  Gehorsams,  zu  dem  aii-:^  Hinsicht  (ungefähr  zur  Zeit,  wenn  das 
Kiud  anfängt,  Lelire  und  Unterricht  zu  genießen)  ist  auch  zugleich 
der  Übergang  zu  einer  dem  Kinde  mehr  zum  Bewusstsein  und  tum 
VerBtftndntB  gebrachten  Entbaltsamkeit  Der  ganze  Znsdmitt  des 
Lebens  sei  auf  EinfteUieit,  Abhärtung  und  Mftftigkeit  gerichtet; 
Luxtts,  verfeinerte  Lebensweise,  anBeigewöhnlicheVergn&gnngen  seien 
nur  gestattet,  gleichsam  nm  sie  m  kosten,  und  nm  sie  dann  leichten 
Mntiies  wieder  entbehren  sn  können.  Für  die  Enthaltsamkeit  soll 
eine  Art  Ehrgeiz  im  Kinde  geweckt  werden,  das  ist  der  rechte  Stand- 
punkt; dann  wird  es  aneh  nicht  iishlen,  dass  das  Kind  in  dem  Mafle 
als  es  an  Einsicht  gewinnt»  anch  selbststftndige  Proben  von  Enthalt- 
samkeit abaulegen  vennag. 

Auf  diese  selbststiadigen  Proben  ist  mit  der  Zeit  das  grttBte  Ge- 
wicht am  legen.  Denn  alles  Mühen  des  Erziehers,  seinen  Zögling  Ent- 
haltsamkeit zu  lehren,  wAre  vergebens,  wenn  dieser  sie  nicht  selbst- 


ständig bethätigen  könnte.  Enthaltsamkeit  muss  mm  sich  ja  selbst 
auferlegen  können.  Für  die  ersten  Versuche  solcher  Proben  müssen 
Zeit  und  Gelegenheit  besonders  gut  gewählt  werden,  um  des  Erfolges 
sicher  zu  sein;  denn  das  Gelingen  der  ersten  Versuche  gibt  dann  den 
Muth  zu  weiteren.  Die  ersten  Versuche  müssen  dalipr  geschickt  ge- 
leitet werden.  Der  Anlass  dazu  kann  immerliin  vom  Erzieher  frewählt, 
die  nöthige  Anregung  immerhin  gegeben  werden,  die  Ausführung  aber 
muss  ein  fmwiliiger  Act  und  ganz  das  Verdienst  des  Zöglings  sein. 
Auch  verschlägt  es  nichts,  wenn  dieser  sich  anfangs  vielleicht  durch 


Digitized  by  Google 


—  279  — 

ein  etwas  un^autore«?  Motiv  znr  Ausfühnmg  bestimmen  Insst,  allenfalls 
durch  den  Hintergedanken,  daniit  ruifienveitiaen  (-rewmn  zu  erreichen; 
wemi  nui*  die  ninm^ntane  Entsagung,  die  er  sieh  auferlegt,  eine  em- 
pfindliche ist,  und  der  Act  der  Selbstüberwinduno'  freiwillig  vollzogen 
wird.  Mit  der  Zeit  kann  mau  ja  zu  immer  rein»  rrn  und  verdienst- 
volleren Proben  schreiten.  Hat  der  Zögling:  nur  einmal  .seine  jiin^e 
Kj-aft  meinst  II  i'-elernt  im  Kampfe  mit  seinen  Begierden,  und  das  wol- 
thueude  Geluhl  der  Befriedigung  einmal  gekostet,  das  man  nach  jedem 
Siege  über  sich  selbst  empfindet,  so  wird  er  immer  williger  für  neue 
Versuche  werden. 

Wie  dann  dieser  Weg:  zur  Selbstbezwingung  durch  weitere  gut 
geleitete  Übungen  geradehin  zu  verfolgen  ist,  bis  endlich  dem  Zög- 
Uoge  eine  gewisse  Herrschaft  über  sich  selbst  zur  Gewohnheit  ge- 
worcton  ist«  moss  der  Eonst  des  Erziehers  überlassen  bleiben.  Doch 
sind  es  nur  immor  Obnngen,  die  ml  beitragai  lamm  lur  Krflftignng 
deB  Wülens,  demselben  aber  nicht  den  eigentlichen  ImimLi  zn  geben 
vermögen.  Die  eigentliche  Nahmng  nnd  Stfirkung  erhält  die  wach* 
gernftne  Kraft  dnreh  die  edle  geistige  Bildung,  die  dem  jungen  Men- 
schen mtheil  vitd,  durch  die  Ablenkung  von  niederen  sinnlichen 
Begierden  und  Einfohrong  in  das  Beicb  des  Schonen  und  Guten,  vor 
allem  aber  durch  die  Begeisterung  für  Wahrheit  und  Recht,  die  un- 
miterbxoclien  in  die  junge  Seele  g^flanzt  ▼erden  musa.  Denn  die 
Begeistening  f&r  Wahrheit  und  Becht  ist  es,  die  nicht  nnr  das  Un- 
redit  an  andern  verabschent,  sondern  der  beste  Schutz  und  Schirm 
für  die  dgene  Reinheit  der  Seele  ist.  Sie  ist  fö,  die  der  moralischen 
Kraft  jene  St&rke  verldht,  durch  welche  diese  als  si<  :rorin  aas  allen 
Oonflicten  hervorzugehen  vermag.  Der  Mittel,  diese  Beg^eisterung  an 
wecken,  gibt  es  so  viele,  und  die  Empfönglichkeit  der  Jugend  fthr 
Begeistening  überhaupt  ist  so  groß,  dass  es  nicht  schwer  werden  wird, 
die  junge  Brust  durch  Woit  und  That,  durch  Beispiel  und  Vorbild 
auch  hierfür  zu  entflammen. 

So  stehen  denn  die  Einsicht,  das  Wollen  und  <lie  Kraft,  das  auch 
zu  können,  was  man  will,  in  eng-ster  Wechselwirkun<r.  Als  Resultat 
dieser  We(  h.<elwirkung  ergeben  sich  die  (iruudsätze,  entwickelt  sich 
der  Charakter. 

Grundsätze  und  t  iiarakter  sind  zwar  erst  die  Attribute  des  er- 
wachsenen Menschen;  auch  haben  erstere  eig:t'ntli(h  nur  Wert,  wenn 
sie  aus  eigener  freier  Überzeugrung  im  Menschen  entstehen.  Aber 
F'rziehung,  Lehre  und  Beispiel  können  viel  dazu  helfen,  dass  der 
junge  Mensch  früher  als  sonst  zu  sittlichen  Grundsätzen  gelange. 


.  k)  i^  .  j  i.  y  Google 


—  280  - 


Vielleiclit  auch,  dasü  er  zum  Tlieil  (liejeriigeu  freiwillig  adoptirt,  die 
kiv  an  seinem  Erzieher  verelueü  ^elenit  hat.  Jedenfalls  hat  die  Kr- 
ziehiuig  darüber  zu  belehren,  wie  nothwendig  <Tiimdsätze  zu  fassen 
sind,  wie  ersprießlich  es  sei,  nach  den  wichtigsten  Seiten  des  Lebens 
hin  ein  gewisses  all«remeines  Wollen  festzuhalten,  das  eine  Aji  Richt- 
schnur oder  N'oriu  tUr  unsere  Handlungen  im  Besonderen  abgeben 
kann. 

In  dmn  ehtheitlicbeiL  Gepirftge  dieser  Gmndsfttee  und  in  der 
kräftigen  und  consequenten  Dnrchf&hmng  derselben  liegt  dann  das, 
was  man  Charakter  nennt  Ohne  krftffciges  Wollen  gibt  es  keinen 
Chankter.  Sind  die  Gmndsätxe  sittlich,  hasiren  sie  auf  Yernnnft 
nnd  Gewissen,  so  ist  es  auch  der  Charakter.  Eän  sittlicher  Chankter 
ist  aber  die  höchste  BlQte  edler  Henachheit  Wird  er  anch  je  nach 
den  leiblichen  nnd  geistigen  Anlagen  des  Menschen  nnr  mflhsam  er- 
worben, nnd  ist  er  anch  erst  das  Ergebnis  angestrengter  nnd  nnans- 
gesetzter  Arbeit  an  sich  sdbst  im  Kmph  ndt  den  Wechselfilllen  des 
Lebens^  so  ist  er  doch  vor  allem  and  zumeist  das  Besnltat  der  Er* 
Ziehung,  die  dem  Menschen  in  der  Jugend  zntheil  geworden  ist 
Nicht  als  ob  von  der  Erziehung  gefordert  würde,  in  der  ihr  anTer> 
tränten  Jugend  der  Gesellschaft  schon  fertige  Cliaraktere  zu  ftliergeben. 
Die  Erziehung  kann  und  soll  den  Charakter  nur  vorbereiten  und  zwar 
dadurch,  dass  sie  die  Jugend  lehrt  zn  wollen,  das  Gnte  und  Rechte 
zu  wollen,  es  selbststdndig  zn  wollen,  nicht  blos  aus  Gehorsam  zn 
üben.  Wenn  es  dem  Erzieher  gelingt,  seinen  ZdE^ling  auf  den  Stand- 
])unkt  zu  bringen,  da.«s  dieser  selbst  die  Xuthwendio-keit  einsieht: 
wollen  zu  müssen,  und  er  die  Kviü't  ilazu  in  ihm  zu  weckten  ver- 
mag, dann  hat  er  genug  geleistet.  Feuchtersieben  sagt:  y.kh  muss 
wollen,  ich  will  müssen.  Wer  das  Eine  begreifen,  das  Andere  üben 
gelernt,  der  liai  die  ganze  Diätetik  der  Seele."  Denn  in  du -em:  „ich 
will  müssen"  liegt  die  Beherrscluin^^  des  Selbst.  Mit  dieser  Heherr- 
.^chuiig  ist  aber  der  feste  Grund  zum  (  harakter  ;^ele<j^t.  der  auf  iler 
Bahn  des  einmal  als  richtig  und  sittlich  Krkannten  fortschreiten  wird. 
Mit  jedem  Schritte,  den  er  auf  dieser  Bahn  tliut,  wird  sich  der  Cha- 
rakter mehr  festigen.  Je  mehr  .\nlass  ihm  bef,'egnet.  Widerstreben- 
des zu  thuü,  um  sich  im  Guten  zu  erhalten,  desto  lebhafter  wii-d  die 
Freude  an  seinem  Wollen,  am  Kampfe  und  am  Siege  in  ihm  werden, 
und  desto  fester  und  ruhiger  wlid  er  in  sich  werden.  Die  eigentliche 
Schule  ffir  den  Charakter  wird  aber  das  Ld>en  selbst  sein.  Die 
WechseliSlle  desselben  werden  dem  in  die  Welt  Tretenden  erst  voll- 
ends die  Gelegenheit  zur  SelbstprQfhng  (seiner  Krifte  sowol  wie 


Digitized  by  Google 


I 


—   281  — 

Wollens),  zur  Selbsterkenutnis  uud  zur  Ei*starkung  in  der  Tu- 
gend bilden.  „Es  bildet  ein  Charakter  sich  im  Strom  der  Welt." 
Wie  hoch  dann  auch  die  Wogen  gehen  ni5gen.  er  wird  ein  Fels  in 
diesem  Jistronie  stehen  und  seiner  Aufgabe  als  Mensch  und  Bürger 
dieser  Welt  gerecht  werden;  er  vvii-d  aber  hieiiu  auch  das  grüßte  dem 
Menschen  zugemessene  Glück  finden:  ein  reines  Bewusstsein  und 
sellMterworbene  Sedenndie; 


.  k)  i^  .  j  i.  y  Google 


Die  Bedeutnng  der  Lehrervereine  in  unserer  Zeit.*) 

Von  Dr.  ty^edrich  IHHsä, 

Geehrte  Vei^aiiiiuhiiiü:! 

Mit  Vergnügen  bin  ich  der  fieimdlicht^n  Einladung  gefolgt,  ht^ute 
in  Ihrer  Mitte  zu  erscheinen,  weil  es  mir  ein  Herzensbedürfnis  ist, 
Ilu'em  jungen  Vereine  auf  seinem  ersten  Schi  it te  (Tinrk  zu  wünschen. 

Seit  es  überhaupt  Lehrervereine  gibt^  halben  sich  dieselben  als 
äußerst  wirksame  Mittel  zur  Hebung  und  Fürderimg  des  Schuhvt'>t'ns 
er\Yie.seu.  Besonders  wichtig  werden  Lehrervereine  an  (^rten.  wo 
eigenthümliche  Schwierigkeiten  der  Schule  enigegeustehen,  vvuraul 
soeben  Ihr  Herr  Obmann  hingewiesen  bat,  und  unter  Zeitverhältuissen, 
welch«  dem  Schulwesen  eines  ganzen  Landes  Hinderaisse  und  Ge- 
Inhren  bereiten.  Unsere  Zeit  ist  nnn  allerdings  im  gaaien  genoamien 
der  gedeihliehen  Entwickelang  der  Schale,  namentlieh  der  Volks- 
schule, nicht  besonders  günstig.  Diese  soll  ein  Ort  dei*  Rohe,  ein  Asyl 
des  Friedens  sein.  Sie  kann  nnr  gedeihen,  wenn  sie  nnbefimgen,  on- 
behelligt  Yon  fremdartigen  EinÜflssen,  den  ewigen  Angaben  der  Bil- 
dung nnd  Endehang  des  Menschengeschlechtes  nachgehen  kann.  Nnn 
aber  suchen  in  onserer  Zelt  die  gegenwärtig  schroffer  denn  je  hervor- 
tretenden politischen  Parteien  anch  die  Schule  zum  Tnnunelplatz  ihrer 
Bewegungen  zu  machen.  Femer  treten  oonfessionelle  Forderungen,  die 
man  befriedigt  glaubte,  neuerdings  wieder  heftig  h^or.  Es  kommen 
dazu  die  in  solcher  Schrof!lieit  frülier  nicht  bekannten  nationalen  Be- 
strebungen, welche  gleichfalls  den  Frieden  des  Schnllebens  zu  stören 
drohen.  Dazu  treten  femer  die  socialen  Spannungen,  die  Gegensätze 
der  Interessen  der  Volksclassen,  der  Berufsstände,  insbesondere  die 
schreienden  Contraste  zwischen  reich  und  ai-ra,  so  dass  die  Idee  auf- 
taucht, man  mflsse  die  allgemeine,  einheitliche  Volksschule  fallen  lassen 

*)  Vortrag,  gelialtcu  am  20.  November  1882  zur  Eröffnung  des  Lehrarvereiaii 
im  X.  Wiener  Oemdndeberirke. 


Digitized  by  Google 


—   283  — 


und  ITir  die  ärmeren  Hassen  ein  fprintreres  AusmaL)  dw  Bildung  fest- 
setzen. Ks  greilt  der  sociale  iii  unisatz  hinüber  aiii'  die  beiden  großen 
Pai  tifi»  des  Reiches,  auf  Stadt  und  Land,  indem  man  auch  hier  nicht 
mehr  den  Satz  gelten  lassen  will,  dass  et»  eine  für  alle  Tlieile  des 
Staates  ^jleiche  Grundbildunj^  geben  müsse,  wenn  auch  mit  unwesent- 
lichen «etlichen  Modificationen.  —  Kurz  von  allen  Seiten  sehen  wir 
von  außen  her  der  \  uiksschule  Schwierigkeiten,  Hindernisse,  Gefalu-en 
entgegentreten. 

Dazu  konimen  aber  noch  Missstande,  die  in  der  Volksschule  selb.st 
geleji?en  sind.  Es  ist  nicht  zu  verkennen,  dass  sich  in  ziemlich  weiten 
Kreisen  eine  gewisse  Verstimmung  unserer  neuen  Volksschule  gegen- 
flber  kundgibt.  Es  beruht  diese  Missstimmung  anf  mehrbchen  Ur- 
aa/dien*  Vor  allem  aof  einer,  die-  aUmtlialben,  wo  man  an  die  Orga- 
nisation der  Volksschnle  geht,  gleichmäfiig  vorbanden  ist,  nämlich  auf 
der  Thatsache,  dass  ja  die  menschUche  Entwickelung,  die  physische 
wie  die  geistige  nnd  moralische,  langsam  von  statten  geht,  weQ  es 
die  menschliche  Natnr  so  will,  nnd  dass  ancb  die  Volksbildung  diesen 
langsame»!  Gang  anhfilt,  einen  ziemlich  groBen  Zeitratun  in  Anspruch 
nimmt,  nnd  dass  die  Früchte  der  Volksschulthfttigkeit  nnr  sehr  all- 
mfthlich  reifen, —  wie  E5nig  Friedrich  IL  von  Preußen  sagte,  „erst« 
in  90  Jahren  wahrnehmbar  werden".  Das  passt  nun  aber  nicht  in 
unsere  Zeit.  Heutzutage  hat  man  zu  allen  Dingen  zu  wenig  Zeit 
Kan  ^vill  auf  nichts  warten,  die  Erfolge  jedes  Untemelimens  sollen 
schnell  hervortreten;  das  ist  fhr  die  Volksschule  ein  ungünstiges 
Moment,  weil  selbst  eine  stetige,  ausdauernde  Arbeit  erst  in  Jalir- 
zehnten  auf  diesem  Qebiete  /ii  deutlichen  Erfolgen  fuhren  kann. 

Es  kommt  femer  noch  hinzu,  dass  ohne  Zweifel  in  der  Durch- 
fuhrung des  österreichischen  Reichs  -  Volksschulgesetzes  erhebliche 
^Tissjirriffe  gemacht  worden  sind,  namentlich  der,  dass  man  den  Ge- 
meinden hin  und  wieder  größere  Opfer  anferlegt  hat,  als  unumgänglich 
nothwendig  war,  und  daduich  eine  iMissstimunint^  selLsf  bei  schul- 
freundlichen Elementen  hervorgerufen  hat.  Diese  I  ]  >  In  iniiiiir  trat 
namentlich  bei  der  Herstellung  der  Volksschulgebäude  iiud  auch  bei 
der  inneren  Ausstattung  derselben  zu  Tage.  Und  diese  Schullast 
musste  in  Osterreich  um  so  driu'kender  werden  —  trotz  der  großen 
Bereu  Willigkeit,  welche  von  Seite  vieler  Gemeiuden  an  den  Tag  ge- 
legt worden  ist  — ,  sie  musste  den  Gemeinden,  Bezirken  und  Ländern 
um  so  tli  Ui  kender  werden,  als  man  in  unserem  Staate  den  ausnahms- 
weisen  Versuch  machte,  den  Grundsatz  duichzufiihren,  der  Staat  .solle 
und  dürfe  nichts  thun,  um  den  Gemeinden,  Bezirken  und  Ländern  die 


* 


Digitized  by  Google 


—   284  — 


Schiillast^n  zu  erleichtern.  Das  ^var  ein  Beginnen,  welches  in  der 
Schulgejscliichte  einzig  dasteht,  und  man  kountt;  voraussehen,  dass  es 
keine  guten  Früchte  tragen  werde.  Nirgends,  wo  man  bislier  von 
Seite  des  Staates  die  Volksschule  organisirt,  ihr  Gesetze  und  staat- 
lidie  Qrguie  gegeben  bat,  nirgends  hat  man  von  Seite  des  Staates 
der  Yolkssdude  in  einem  solchen  Falle  die  materielle  ünterstflltsimg 
verweigert  fn  allen  deutschen  Ijftndem,  in  England,  Schweden, 
Dfinemark,  Holland,  Frankreich,  in  der  Schweiz  n.  s.  w.  leistet  der 
Staat  ganz  bedeutende  Beititge  za  den  SchuDasten,  fiberall  da,  wo 
die  Gemeinden,  resp.  die  kleineren  TheQe  des  Beidies  nicht  die  Mittel 
haben,  um  den  Gesetzen  nachzukommen.  Nun,  die  m  Österreich  be- 
liebte Verweigerang  der  Staatshilfe  war  ohne  Zweifel  ein  höchst 
nachtheiliger  MiBSgii£ —  Es  kommt  hinzu,  dass  man  bei  Durchdrang 
der  adilaihrigen  SchulpÜicht  nicht  die  genfigende  Behutsamkeit  an 
den  Tag  gelegt  hat.  Man  hat  die  achtjährige  Schulpflicht  selbst  an 
solchen  Orten  plötzlich  eingeführt,  wo  man  nur  schwache  Lehrki*äfte 
hatte,  welche  nicht  geeignet  waren,  die  8  Jahre  fruchtbringend  zu 
benutzen.  Wenn  man  auf  die  alten  Ldirkrftfte,  die  binnen  4  oder 
6  Jahren  ilu-e  geistigen  Schätze  völlig  ansgegeben  hatten,  oder  auf 
•  nnreifV  Ijehrkräfte,  welche,  wenn  ae  auch  mehr  Kenntnisse  hatten^ 
nicht  selten  den  erforderlichen  Takt  vermissen  ließen,  wenn  man  auf 
solche  Kräfte  angewiesen  war,  dann  hätte  man  etwas  behutsamer 
mit  der  Durchführung  der  achtjährigen  SchulpÜicht  sein  sollen,  weil 
ja  die  Eiittfin^^chnng,  das  Ausbleiben  bedeutender  Besoltate  zu  einer 
Missstimnuing  fiilireu  mnsste. 

Drittens  ist  ohne  Zweilei  dem  fachinäuuischen  Elemente  in  der 
übterreichischen  Schulreform  weitaus  nicht  der  genügende  Spielraum 
geboten  worden.  Ich  will  mich  heute  über  dieses  (lebrechen  nicht 
wtjiter  Verbreiten,  halte  es  aber  für  eine  ganz  unbestreitbare  Thal- 
sache. —  Weim  aus  der  Volksschule  das  werden  soll,  was  man  von 
ihr  gehofft,  so  wd  die  Zukunft  in  dem  erwähnt eu  1  unkte  viel  nach- 
zutragen haben,  d.  h.  aus  der  Lehrerschalt  selbst  viel  mehr  Kräfte 
zur  Leitung,  Beau&ichtigung  und  Organisation  der  Volksschule  Heran- 
ziehen mflssen. 

Sie  sehen.  Missstände  zahbeicher  Art,  äußere  wie  innere,  drücken 
unsere  Schule.  Dazu  kommt  noch  ehi  großes  Übel,  das  die  G^eeeüsdiaft 
im  ganzen,  und  daher  auch  die  Schule  trifit:  das  ist  die  täglich  mehr 
und  mehr  fortschreitende  Verarmung  der  Beydlkerung  und  des  Staates 
mit  ihr,  wodurch  die  Aussicht  immer  mehr  schwindet,  dass  für 
die  Bealisimng  der  Erziehungsideale  in  Osterreich  dk  nOthigen 


Digitized  by  Google 


i 


—   285  — 

materiellen  Mittel  beschatvt  w erden  können.  Wir  haben  von  unserem 
großen  Beiche  erst  einen  Theil  mit  Volksschulen  versorgt,  und  heute 
ist  es  eine  unbestrittene  Thatsache,  dass  Osterreich  unt^r  allen  Ciil- 
turstaaten  nahezu  die  letzte  Stelle  einnimmt,  wenn  man  auf  die  Volks- 
bildung blickt.  Nicht  nur  Deutschland,  die  Schweiz,  die  skandinavi- 
schm  Staaten,  Holland,  sondern  auch  Frankreich  nnd  England  sind 
heutig«  n  Tages  bezüglich  der  Volksbildung  Osterreich  weit  voraus. 

Das  zuletzt  erwähnte  Momeiif  ih^v  Besorgnis,  die  fortschreitende 
Verarmung  der  lievülkeruug,  ist  bestmdtrs  deswegen  bedenklich,  weil 
nicht  nur  die  materiellen  Mittel  der  Volksscliule  entgehen,  sondern 
weil  auch  zu  allen  Zeiten  der  Niedergang  des  \Volstandes  einer 
Nation  der  Vorbote  iles  eintretenden  Rückschrittes  der  Cultur  war. 
Natürlich.  —  Die  Armut  tührt  nothwendigerweise  zur  Vernachlässigung 
der  Geistesinteressen,  weil  ja  einmal  die  menschliche  Natur  es  so  mit 
sich  bringt,  dass  vor  allem  die  physischen  und  dann  erst  die  geistigen 
Bedürfnisse  befriedigt  werden  müssen.  Es  stellt  sich  also  iufulge 
der  Verarmmig  der  Bevölkerung  von  selbst  eine  Art  Reaction,  eine 
passive  Beactioii  ein,  ein  Stillstand  in  der  BQdimg,  der  auf  diesem 
Gebiete,  wo  es  sieh  ja-  um  naehwaehsendeGeaeratioiien  handelt^  ohne- 
weiten  sich  als  BAckschritt  zeigt  Auf  diesem  fruchtbaren  Boden 
des  unwillkQrlidien  KAckschrittes  gedeiht  dann  Yortrefflich  die  plan- 
mäfiige,  absichtliche,  berechnete  Beaction. 

Es  ist  nun  keinem  Zweifel  unterworfen,  dass  hie  und  da,  in  ein- 
zelnen GeseOsehaftskreisen  reactionfire  Tendenzen  sich  bereits  wieder 
kundgeben*  Ich  brauche  darauf  nicht  näher  einzugehen,  da  ich  Ihnen 
neue  Thatsachen  nicht  yorfllhren  köunte. 

Besser  wird  es  sein,  warn  wir  zur  Klärung  der  Situation  und 
wo  möglich  zu  unserer  eigenen  Beruhigung  eine  kurze  Umschau  halten, 
um  zu  erkennen,  wie  sich  denn  in  früheren  Zeiten  und  in  anderen  Län- 
dern die  Reaction  auf  dem  Schulgebiete  gezeigt  hat.  Wir  werden  dabei 
finden,  dass  zwar  Wachsamkeit  und  Festigkeit  erforderlich  sind,  um 
die  rückgängige  Bewegung  des  Schuhvagens  aufzuhalten,  werden  aber 
auch,  denke  ich,  durch  einen  solchen  allgemeinen  Blick  auf  das  Wesen 
der  Reat  tiun  wenigstens  die  Beruhigung  gewinnen,  dass  vrir  gegen- 
w.Trtifr  in  Osterreich  noch  keineswegs  in  ägyptischer  Finsternis  be- 
gritl'eii  sind,  dass  es  vielmehr  Zeiten  und  Länder  gegeben  hat,  wo  es 
wt'it  schlimmer  ausgab  als  jetzt  bei  uns.  Zur  Muthlosigkeit  haben  wii- 
noch  keine  V»'ranlasMiiig. 

^Vas  (lenkt  mau  sich  überhaupt  unter  Reaction,  namentlich  auf 
dem  Schulgebiete?  Dem  Wortlaute  nach  bedeutet  es  Kuckbeweguug, 

19* 


Digitized  by  Google 


—  286  — 

—  die  iTegemiclitune:  '^vi^tu  den  Foitsifhritt,  das  Bemühen,  die  l'ort- 
scltrittliche  Geisteslie\ve<>-img'  zu  hemmen,  vieUeidit  veraltete  Zustünde 
wieder  hei'zu.:stellen.  Wenn  wir  dem  Grundgedanken,  idi  nxW-hte  ^agen 
dem  Vordersätze  der  Keaction  Ausdnick  geben  wollen,  so  diiifie  er  in 
dem  Ausspruche  eines  französischen  Königs  gefuud.  ii  weiden,  welcher 
sagt:  „L  Ktat  c'est  mui!"  „der  Staat  bin  ich!*^  Denn  hierin  drückt 
sich  eben  die  Meinung  aus,  dass  jeder  Wille,  der  iu  den  Individuen, 
welche  den  Staat  bilden,  wurzelt^  gebrochen  werden  könne  durch 
einen  einzigen  maßgebenden  Willen,  wie  er  im  absoluten  Staate 
besteht  Natflriicherweise  kann  aacb  im  absoluten  Staate  das  Staate- 
oberhaupt nicht  allein  die  ganze  Bewegung  der  Geister  überwachen, 
er  braucht' dazn  Orgaue,  Beamte»  wie  das  auch  im  constitntioneOen 
Staate  der  Fall  ist;  nun  ttbertrSgt  sich  d^  Grundsatz:  „der  Staat 
bin  ich!"  »»der  Gesammtwille  hat  in  mir  sein  Centrum'',  —  m  den 
Zeiten  der  Reaction  sehr  leicht  auf  die  Beamtenschaft  Die  Beamten- 
schaft glaubt  dann  hAufig:  der  Staat  sind  wir!  —  alles  andere  ist 
nur  Object  unserer  Obhut,  dne  frek  Bewegung  darf  nicht  sein  ohne 
unser  Wissen  und  unseren  Willen.  Es  kommt  dann,  wie  es  ja  historisch 
ist,  die  Keinung  znm  Ausdrack:  der  ünterthauenyerstand  ist  nicht 
imstande,  sein  Wol  und  die  Mittel  und  Wege  zur  Förderung  des- 
selben richtig  zu  erkennen.  Es  kommt  also  die  Theorie  vom  „be- 
schrftnkten  UnterthaneuTerstand''  zur  Geltung;  es  tritt  das  Streben 
zutage,  alles  zu  überwachen,  weil  man  Misstrauen  hat,  es  könnte  et- 
was gegen  das  Staatswol  vorfallen.  Namentlich  zeigt  sich  dies  auf 
dem  Gebiete  der  Schule;  ganz  natürlich,  weil  ja  das  Gebiet  der  gei- 
sti2:en  Bildung,  also  die  <rf'sammte  Schale,  von  der  Elemeutarclasse 
bis  zur  Universität,  dasjenige  Gebiet  ist,  wo  die  ^-ößte  geistige  Be- 
wegung- stattfindet.  Darum  wenlen  namentlii-li  die  S^flnüen  und  ins- 
besondere die  Lehrerseminai'e  in  reactionären  Zeiten  einer  sehr  stren- 
gen Contrule  unterzogen.  Hiervon  ein  kleines  Heispiel.  —  Es  ist 
Ihnen  allen  der  verdiente  ^t:huimann  Ernst  Heutschel  bekannt, 
besonders  duicli  seine  Leistungen  auf  dem  Gebiete  des  methodischen 
Rechen unterriclites  und  des  Gesanges;  eine  durchaus  raaUvulle  Per- 
sönlichkeit. Dieser  schrieb  1826  —  er  war  Seminarlelu'er  inWeiiien- 
fels  —  uu  einen  Freund:  „Gott  sei's  geklagt!  Die  demagogischen 
Teufel  spuken  jetzt  überall.  I>u  kannst  fjar  nicht  glauben,  wie 
drückend  es  für  uns  ist,  dass  man  jetzt  überall  ir'einde  der  ötfentlichen 
Wolfahrt  wittert.  Wollen  wir  einmal  mit  den  Seminaristen  im  Freien 
spielen,  oder  einen  Ausflug  unternehmen,  oder  beim  Kaefahausegehen 
vom  Botanisiren  ein  lied  durch  die  Vorstadt  singen,  —  es  sieht  alles 


Digitized  by  Google 


—    287  — 


demagogisdi  ans,  und  HarniBch  ist  darin  anfterordentlich  Ängstlich." 
—  Natfirlicb.  Die  Lehrerbildung  ivird  in  Zeiten  der  Beaction 
gering  geschätzt  und  emgeengt,  lediglich  alB  eine  mechanische  An- 
gelegenheit betrachtet,  als  Abrichtung,  nicht  als  freie  Ehtwickelung» 
basirt  auf  Überzengottg  und  Einsicht  —  sondern  eben  als  Dressur, 
und  zwar  zu  einem  doppelten  Zwecke:  einerseits  zur  handwerks- 
mäßigen Ansfibung  der  Berufspllichten  (man  meint»  zu  denken  habe 
der  Lehrer  gar  nichts,  er  soll  einfach  nach  dem  ihm  gegebenen  Re- 
cepte  sein  Tagewerk  verrichten),  anderseits  zu  einem  unbedingten, 
blinden  Geliorsatn,  zur  absoluten  üntenverfung  unter  seine  Vor- 
gesetzton in  und  auÜer  dem  Dienste.  Auf  ei^entÜrhe  Berufsbildung 
legt  man  weni^  Wert,  weil  man  in  reactionären  Zeiten  überhaupt  die 
Bildung  nicht  liebt,  nnd  also  aucli  nicht  die  Tüchtigkeit  des  Lehrers 
in  •'finem  Berufe.  Dem  eiiispnVIit  <lann  auch  die  Bchandlunfr.  die  der 
Lehrer  von  Seite  sein*  i' ^'m-i:»  set/icu  erfährt.  Diese  ist  in  rea  et  innreren 
Zeiten  immer  eine  hernsciie,  barsche,  gerin^schätzig-e;  man  beliebt  da 
ge\S("ilinlich  den  Ton  einzulmlten,  den  ein  strenirer  Corporai  gegenüber 
einem  ungeschliffenen  Recruten  für  nothwendig  lindet.  Aber  nicht 
blos  das.  Weil  man  den  Lehrer  durchwegs  und  in  jeder  Beziehimg 
iu  dei  (Gewalt  haben  will,  so  erkundigt  man  sich  (^seitens  der  Vor- 
gesetzten; um  alles,  was  den  Lehrer  angeht;  man  will  wissen,  was 
er  denkt  oder  nicht  denkt,  sagt  oder  nicht  sagt,  will  oder  nicht  will, 
wer  seine  Verwandten  sind,  ob  er  Geld  hat  oder  keines,  n.  s.  — 
weil  man  immer  eine  Handhabe  sncht,  nm  an  ihn  heranzukommen  und 
ihn  m  gängeln.  Das  geht  dann  bis  zur  fi^mitiehen  Ansknndschaftereif 
ZOT  Spionage;  man  fhigt  die  Lehrpersonen  oft  gegenseitig  aus.  Das 
hat  weiter  den  Erfolg,  dass  ein  gewisses  Dennndantenthom  sich  heran- 
bildet, dass  einzahle  Lehrpersonen  sich  beliebt  zu  machen  suchen  durch 
Zuträgereien,  die  oft  auf  Entstellnngen  hinauslaufen.  Es  hat  das  die 
weitere  traurige  Folge,  dass  das  Vertrauen  unter  der  Lehrerschaft, 
dass  Offenheit  tmd  CoUogiaUtät  schwindet,  daiär  aber  Misstrauen  plats- 
greift»  Heuchelei  und  Verstellung  hervortritt  Dieses  ftthrt  dazu,  dass 
sich  Tide  vom  öffentlichen  Leben  znrflckziebfln.  Man  sieht  dies  be- 
sonders im  VerfhUe  der  Lehrervereine  in  solchen  Zeiten.  Die  Ver- 
sammlungsorte werden  leer,  es  harren  nur  noch  wenige  aus  und  diese 
wenigen  haben  zum  Theil  keinen  ^luth  mehr,  mit  der  Sprache  heraus- 
zurücken. Sie  denken  sich:  wer  weiß,  wie  mein  A\'ort  gedeutet  wer- 
den könnte,  vielleicht  ist  doch  ein  Spion  da,  der  mir's  übel  auslegt. 
Auf  solche  Weise  müssen  die  Lehrervereine  zurückgelien  und  sich 
zuletzt  ganz  auflösen.  Selbst  „allgemeine"  Versammlungen  werden 


Digitized  by  Google 


—   288  — 


schwach  besucht  nnd  damit  schwindet  eines  der  besten  FortbUdnngs* 
mittel  ftir  den  Lehrstand. 

Dasselbe  zeigt  sich  auch  im  Xiederprangc  der  pädagogischeii 
Blätter:  sie  verlieren  an  Aboimenten,  naiiieiitlich  wenn  sie  eine  frei- 
sinnige Kichtung  v»  ifoleren;  denn  dir  Lectiire  dir  Lehrer  winl  über- 
wacht; man  fragt,  welche  Zeitschriftf^ii  und  Bücher  sie  lesen,  man 
sucht  dann  den  Lelirern  die  misslielii:*  Lectiire  zu  entzirlirii  und 
ihnen  eine  andere  zu  uctroyiren,  etwa  ein  amtlich  hergestelltes  Blatt, 
in  welchem  ihnen  gesa^^t  wird»  wie  sie  denken,  fühlen  und  handeln 
sollen.  Es  kctnnnl  dazu,  dass  auch  der  innere  Wert  der  pädagosisrheu 
Blätter  sinkt,  denn  gerade  die  frischesten  Kräfte  sehen  sich  am 
meisten  überwacht  und  werden  endlich  eingeschüchtert,  wenn  häufige 
Confiscationen  vorkommen.  Sehr  oft  tritt  dann  der  Fall  ein,  dass 
die  Verfasser  von  Artikeln,  welche  Schul-  und  Lehrer  Verhältnisse  zum 
Gegenstände  haben,  den  Herausgeber  bitten,  ja  nicht  ibi*en  Namen  zn 
nennen;  sie  wollen  anonym  bleiben.  Man  moss  diesen  Wunsch  auch 
erfUlen,  denn  die  besten  Lehrkräfte  kämen  sonst  in  Gefiabr,  ans  ihren 
Posten  verdrängt  zn  werden.  NatQrlicfa  sucht  man  die  Lehrer  in 
Zeiten  der  Beaction  auch  zu  Dingen  zn  benutzen,  die  eigentlieh  nicht 
ihres  Bem&s  sind»  'vras  namentlich  in  neuerer  Zeit,  seit  der  con- 
stitntionellen  Ära,  nicht  selten  yoriconunt  Da  werden  die  Lehrer  be- 
sonders bei  Wahlen  als  Agenten  der  Begieningspartei  benutzt  ond 
penOnlich  dazu  gedrängt,  dass  sie  die  „hohm  Orts**  beliebten  Candi- 
daten  anf  ihre  Wahlzettel  schreiben.  Es  kommt  selbst  vor,  dasa  die 
Herren  SchnUnspeetozen  die  Lehrer  wie  Schafherden  an  die  Wahlurne 
treiben,  damit  sie  da  einen  Beweis  ihrer  ,JiOyalität"  geben. 

Das  sind,  soweit  ich  es  erlebt,  die  wesentlichsten  Merkmale  und 
Äultemngen  der  Reaction.  Die  letzte  Spitze  derselben  tritt  darin 
hervor,  dass  die  Lehrer  die  Lust  zur  Fortbildung  verlieren,  weil  anf 
die  innere  Tüchtigkeit  kein  Wert  gelegt  wird,  und  weil  es  olmehin 
bei  manchem  die  Bequemlichkeit  der  menschlichen  Natur  mit  sich 
bringt,  nicht  mehr  zu  thun,  als  nothwendig  ist.  Der  Trieb  zur  Selbst- 
vervollkommnung sinkt  auffallend  nnd  mit  ihm  auch  die  Tüchtigkeit 
in  der  Schule  und  jede  Begeisterunf?  für  den  Beruf.  Das  Endresultat 
ist  dann  natürlich  ein  unglückliches  für  die  VollLSschale  iielbst^  sie  geht 
rasch  rückwärts. 

Ich  habe  vor  mir  eine  AlOiandhrn«:,  welche  ans  d-  ]  ;i  llcrneuei>len 
Zeit  stammt  nnd  die  vielleicht  mancher  der  Auwelt n.u n  in  einiger 
Zeit  gedruckt  lesen  wii-d.  Sie  hat  einen  hochverdienieu  ilt  utschen 
Schulmann  zum  Vertasser.   Er  schildert  die  Nachtheile,  welche  die 


i^iyuu-L.ci  by  Google 


—    289  — 

Schule  selbst  erfiUirt  direli  dsE  Druck  der  Beactaou  auf  den  Lehrer^ 
stand,  indem  die  Bem&tttchtigkeit  desselben  znsdiends  sinkt  Er  fußt 
bei  seinen  DarsteUnngen  anf  gans  beetimmtai  Tbatsachen.  Ich  kann 

es  mir  nicht  versagen,  Ihnen  aus  dieser  Arbeit  schon  jetzt  eine  kleine 
P  trtie  mitzutheilf  ii.  Der  Verfiusser  hat  nachgewiesen,  wie  die  neue 
Keaction  den  Ved'all  der  inneren  Schulthätigkeit  herbeiffthrt  und  ans 
mit  Wehmuth  auf  jene  schöne  Zeit  zurückblicken  lässt,  wo  der  herr- 
liche deutsche  Pädagog  Dinter  einen  maßgebenden  Einflnss  ansabte. 
Da  fiLhrt  er  fort: 

^Dinter.  Yator  Dinter,  kehre  wieder!  Wir  brauchen  Deinen 
GeLst,  Deinen  Feuereifer,  Deine  Meisterschaft,  Deine  hiuj^ebende  ideale 
TJebe  für  die  Jugend,  für  das  edle  Werk  der  Erziehung  und  des 
Uiiterriclits.  Mit  kalten  Kevisoren,  mit  „Männern  vom  grünen  Tisch** 
oder  mit  Ins;pector< n,  dir  den  Lelirei  lediglich  nach  seinem  politischen 
und  religiösen  (Tlaubensi)ekenntuis,  w (  inuLHifh  mch  dem  (Jrade  seiner 
humlischenDemuth  und  Gutugigkeit  beurtheiieii,  kann  uns  nur  selilecht 
gti»Ijtnt  sein. —  Dinter  schläft  und  die  Zeit  ist  eine  andere  geworden. 
Es  ist  niemand  da,  der  den  tüchtigen  Lehrer  mit  Freudenthränen 
umarmt  uud  ihn  seinen  „lieben  Sohn"  nennt.  Jetzt  heißt  es:  Da  tritt 
kein  anderer  IVu  ilin  ein,  auf  sich  selber  steht  er  da  ganz  allein. 
Solche  Zeit  ist  freilich  dazu  augethau,  den  Charakter volleu,  tüchtigen 
Lehrer  von  den  schwankenden  und  unbrauchbaren  Kiementen  zu 
scheiden.  Aber  sie  steDt  dafür  sehr  schwere  Angaben.  Der  redite 
Lehrer  mnss  verzichten  lernen  anf  die  Anerkennung  sehier  Arbeit 
durch  das  PnUieum,  auf  die  Anerkennnng  seiner  Vorgeeetsten,  ja 
nicht  selten  anf  die  der  eigenen  Collegen.  Das  Publicum  benrtiieilt 
ihn  nach  dem  Sdiein,  nach  Laune,  nach  Torgefiissten  Meinungen,  ver- 
ketzert nicht  selten  sdne  besten  Bestrebnngen;  seine  Vorgesetzten 
sind,  bis  anf  wenige  Ausnahmen,  in  der  Lehrfcnnst  Dilettanten,  haben 
nur  m  oft  nicht  einmal  genügende  tiieoretische  Studien  in  der  Päda- 
gogik gemacht,  um  sich  in  ihrem  ürtheüe  auch  nur  ein  wenig  ttber 
das  von  Laien  erhebe  m  kOnnen;  unter  den  Lehrern  selbst  begegnet 
er  seinen  besten  Bemfihnngen  gegenüber  Gleichgfltigkdt  und  nur  zu 
oft  widerlich  hochtönenden  Phrasen.  Wie  kann  er  unter  solchen  Um- 
ständen sich  die  so  noth wendige  Berufsfreudigkeit  bewahren?  — 
Es  gibt  da  nur  ein  Mittel:  Strebe  darnach,  in  deinem  Berufe  ein 
Meister  zu  werden;  ordne  alle  deine  Bemühungen,  alle  deine  Studien 
diesem  einen  Ziele  unter  und  schatfe  dir  so  eine  ideale  Welt!  Gib  jeden 
Gedanken  auf,  von  irgend  jemand  anerkannt,  aucli  nur  recht  verstan- 
den zu  werden^  gewöhne  dich  daran,  das,  was  du  als  recht  und  gut 


—  290  — 


erkaimt  hast,  lediglich  um  des  Rechten  und  Gnten,  nm  des  heiligen 
Ideal»  willen  zu  thim.  Solrh  ein  Streben  wird  dir  die  rechte  Selbst- 
achtung nnd  damit  die  rechte  Lebensstütze  geben.  Kannst  du  nur 
einen  bescheidenen  Grad  von  Meisterschaft  t^rringen,  so  lenie  dich 
bescheiden.  Aber  bedenke  Riickerts  s(*hön«*s  Wort:  ..Wenn  die  Rn«!e 
seihst  sich  schmückt,  schmiu-kt  sie  auch  den  Garten."  Sind  dir  hi'here 
Gaben  verliehen.  .<o  nimm  thiitigTheil  an  den  Bestrebunp^en  der  Besten 
deines  Standes;  aber  erwai'te  von  deinen  Ideen  nirlit  «ntjenhlirkliche 
Wirkung-.  W  irf  sie.  nach  Scliillers  Wort,  „schwei^'end  m  dit-  uii'-ndliche 
\\  elt  und  holte,  diu«  der  ruhige  Rhythmus  der  Zeiten  die  Eutwickeiung 
bringen  wü*d." 

Nnn,  Sie  sehen,  dass  sehr  herbe  Wahrnehmungen  den  Mann  tief 
vei"Miiuint  haben  müssen.  Ich  glaube  auf  llire  Zustimmung  reohiieu 
zu  können,  wenn  ich  es  ausspreche,  dass  wir  derzeit  in  unserem  Lande 
zu  so  trüber  Auffassung  der  Verhältnisse  noch  keine  Veranlassung 
haben,  und  eine  derartige  Resignation,  wie  sie  in  den  citirten  Worten 
zum  Ausdruck  kommt,  eine  Verzichtleistung  auf  Anerkeimuug  von 
irgend  dner  Seite,  von  Seite  der  Eltern,  Kinder,  Vorgesetzten  nnd 
GoUegen,  eine  derartige  Resignation  vird  von  nns  gegenwärtig  noch 
nicht  gidPordert  Noch  gibt  es  wackere  Collegen,  denen  Sie  Ihr  Hen 
Mhen  nnd  mit  deiuBn  Sie  Ihre  Gedanlran  oifen  anstanachen  können. 
Wir  mflssen  anch  anerkennen,  dass  dasBildnngsbedüiflds  nndBQdonga- 
streben  nnd  daher  die  Wertschätning  der  Bildungsmittel  Jetzt  in  weit 
graBer^  Kretsen  Fofi  g^ust  hat^  als  vormals.  Wir  dOrfen  auch 
nicht  verkennen,  dass  es  ttberall  eine  Anaahl  wirklich  schnlfreond* 
lichor  Männer  gibt,  die  in  Vereinen  zoaaninientreten,  nm  der  Be- 
völkerung in  Ihrem  Streben  nach  Bildung  unter  die  Arme  zu  greifen. 
Auch  dieser  Bezirk  hat  solche  Hftnner. 

Also,  gar  so  düster  sieht  es  bei  uns  bis  jetzt  noch  nicht  aus. 
Dennoch  haben  die  Lehrer  alle  Ursache,  dem  drohenden  Rückachritt 
mannhaft  entgegenzutreten.  Ein  Hanptmittel,  um  die  Lelirer  oben  zn 
halten,  um  das  Sinken  des  Lehrstandes  zu  verbäten,  sind  die  Lehrer* 
vereine.  Ein  solches  Mittel  wird  auch  der  neue  Verein  sein,  den 
Sie  geschaffen  haben.  Er  ruft  allen  Collegen  und  Colleginnen  dieses 
Bezirkes  zu:  „Gebt  den  Sonderg-eist  auf,  hütet  euch  vor  Vereinsamung, 
sammelt  euch,  schließt  euch  ans  (4anze  an,  lebt  im  (Tanzen,  arbeitet 
mit  dem  Ganzen  zn  eig-ener  Hebunir  und  mv  llebuns:  der  ('oHes'en!" 
Hier  sollen  alle  üfemeinschaftlich,  friedlich,  orten  tür  die  Forderung 
der  Schxilinteressen  nnd  des  Lehrer.staudes  eintreten  Ks  i-t  da  anch 
die  beste  Gelegenheit,  ilass  die  Lehi'kräfte  sich  selbst  gegenseitig 


Digitizc'ü  L,  .  .t)0_c 


—   291  — 


kennen  lernen,  was  sehr  notliwendig  ist.  Denn  erstens  lernt  man  vor 
allen  Diejenigen  kennen,  die  nicht  hieher  kommen.  Da  werden  Sie 
gleich  wissen:  auf  die  können  wir  uns  nicht  verlassen;  wir  werden 
sie  künftig  mhig  ihres  Weges  gehen  lassen  und,  wenn  sie  sonst  ihre 
Pflicht  thun,  ihnen  alle  Achtung  erweisen.  Für  die  Gesammtinteressen 
aber  können  vdr  sie  nicht  in  Anspruch  nehmen.  —  Sie  werden  dagegen 
auch  Diejenigen  kennen  lernen,  welche  kommen.  Sie  werden  ermessen 
können,  wozu  Sie  diesen  oder  jenen  {gebrauchen,  zu  welchem  Ehren- 
amts Sie  ilin  besonders  verwenden  können,  und  wenn,  wie  ich  voraus- 
sehe, in  Zukunft  das  tachmJinnische  Element  einen  weiteren  Spielraum 
erlangt,  so  werden  Sie  wissen,  wer  Ihres  Vertrauens  wünli?  ist 

Der  Lehrei  vfM'ein  ist  zweitens  ein  Ort  der  Sammlung,  der  Kuhe, 
der  Zurückgezügeiiheit  von  den  Tagesütreitigkeiten.  Es  ist  nicht  gut 
gethan,  wenn  sich  der  Lehrer  zu  ^iel  in  die  Tagesfragen  vertieft, 
besonders  in  die  Parteikämpfe.  Das  muss  unbedingt  nachtheilig  wir- 
ken. Es  bringt  ihn  um  die  Gemttthsruhe  uud  um  die  Unbefangenheit 
des  Urtheilij,  und  es  müsste  nothwendigei'weise,  wenn  der  Lehrer 
einen  schroffen  Parteistandpunkt  einnehmen  wollte,  in  einem  Tlieile 
seiner  Schulgemeinde,  selbst  bei  den  Eltern  seiner  Schüler  ein  Gegen* 
«atz  gegen  ihn  hervortreten.  Die  Eltern  würden  sieb  Öfter  in  Gegen- 
watt ihrer  Kind«*  gegen  ihn  aussprechen,  der  Lehrer  wfirde  einer 
Kritik  ansgesetst  sein,  die  ihm  nicht  Tortheilhafb  wftre. 

Der  Lehrer  soll  nicht  etwa  seine  Überzengung  nnterdrttcken,  er 
soll  theOnehmen  an  dem  Schicksal  des  Volkes  nnd  an  den  Staats- 
ereigniasen;  nnr  in  mhiger  nnd  olgectiTer  Weise.  Seine  Hanptpolitik 
ist  die  Büdnng  der  Jagend.  Selbst  in  großen  Principienfiragen  der 
Pädagogik  braucht  er  nicht  allzn  eifrig  yorzngehen.  Üs  muss  ja  nicht 
jeder  Lehrer  ein  Vorkämpfer  werden;  denn  das  ist  immer  g^hrlich 
nnd  mUhsam,  —  YieUeicht  mhmyoll,  aber  es  ffihrt  oft  zum  Schiffbruck 
Ein  Lehrer,  der  in  jungen  Jahren  steht,  der  noch  viel  wirken  kann, 
handelt  weder  klug  noch  tugendhaft,  wenn  er  der  Welt  seine  Dienste 
entoeht,  indem  er  durch  Übereifer  seine  Stellung  vei*schei;:t  Wir 
irissen,  dass  viele  große  Bahnbrecher  auf  dem  Gebiete  der  Volks- 
endehuug  in  ihrem  Lebenslaufe  gescheitert  sind.  Denken  Sie  z.  B. 
an  Comenius,  Pestalozzi,  Graser,  Stephani,  Diesterweg.  Sie  stießen 
auf  die  Ungunst  der  allgemeinen  Zeitverhältnisse,  auf  Gleichgiltigkeit 
<ler  Bevolkenin;»-,  oder  auf  directe  Reaction  der  ^Miielitliaber.  Der 
Kam]if  zwisdien  Licht  nnd  Finsternis  ist  ja  uralt,  ^\'ir  eliren  die 
Männer,  welclie  sich  im  Dienste  des  Lichtes  gcopfei  t  haben,  denn  ilire 
Verdienste  sind  unermesslich  und  ouendlicL   Aber  diese  Verdienste 


.  k)  i^  .  j  i.  y  Google 


—   292  — 


kommen  nur  dann  zur  Verwii-klichung;  wenn  liinter  den  Führern  eine 
feste  Garde  steht,  die  in  Berufstrene  und  Pflichteifer  ihre  schwere 
Aufgabe  löst.  Und  dieser  feste  Kern  muss  von  Seite  der  Lehrer- 
schaft gebildet  werden.  Von  bahnbrechenden  Actionen  aber  gilt  daa 
Wort; 

..Eiue^  «cUickt  »ich  uicbt  für  alle, 

Bebe  jeder,  wie  er*«  tivibe, 

Sehe  jeder,  wo  er  bleibe. 

Und  wer  «teht«  Am»  er  nicht  fiille/' 

Jeder  recLtschaffene  Mensch  wiid  für  seiue  heiligsten  Idecu  uu- 
veiTückt  eintreten,  wo  sich  Zeit  und  Gelegenheit  bietet;  aber  nicht 
ÜDJner  ist  die  rechte  Zeit  und  Gelegenheit  vorhanden.  Sagt  ja  selbst 
der  Stifter  des  Ghrlstenthiinia:  yßad  Ung  wie  die  Schlangen,  aber 
ohne  Falsch  wie  die  Täuben!**  Behutsam,  yorsichtig,  kein  tollkOhnes 
Ezponiren,  keinen  nutzlosen  Sehüfbrnch!  Die  Lehrerschaft  hat  haupt- 
sftchlich  damit  zn  thnn,  dass  sie  die  Ermngenschaften  unserer  Vor- 
gftnger,  unserer  Bahnbrecher  bewahre,  verwirkliche  und  verbreite^  in 
ihrem  Sinne  wirke,  im  Sinne  des  Höchsten,  waa  wir  Menschen  erzielen 
können,  im  Sinne  der  Hnmanitftt  Mit  diesem  Sinn  f&r  alles  Grofie^ 
Schone,  Wahre  und  Gute,  welcher  in  Ihrem  Vereine  gepflegt  und  ge- 
hoben werden  soll,  namentlich  durch  die  Einkehr  in  die  besten  Werke, 
welche  auf  dem  Felde  unserer  Bemfswissenschaft  und  unserer  Na- 
tionalliteratur  geschah  worden  sind,  mit  dieser  humanen  Richtung, 
die  in  jedem  Lehrervereine  vorherrschen  muss,  weil  ja  Menschen* 
büdnng  das  ewige  Ideal  der  Lehrerschaft  ist,  mit  dieser  Richtung 
verträgt  sich  ganz  wol  ein  anderes  Moment:  die  Pflege  des  rechten 
Nationalsinnes,  welche  eben&Us  eine  Au%abe  Ihres  Vereines  ist.  B<  i 
jedem  Lehrer  handelt  es  sich  um  die  Bildung  der  Kinder  seines  Vol- 
kes, und  diese  Bildung  kann  nicht  anders,  als  durch  nationale  Cultur- 
elemente  geschehen.   Heil  dem  Volke,  in  dem  Nationalität  und  Homa* 

■ 

nität  vereinbar  sind! 

Wir  Deutschen  haben  keine  Ursache «  das  Hervortreten  unseres 
Nationalsinnes  zu  beargwöhnen,  da  wir  mit  Recht  behaupten  könnpTi, 
dass  in  den  besten  Männern  unseres  Volkes  gerade  die  Humanität  zur 
schönsten  Rlntp  L'elangt  ist.  Wenn  ^vir  die  Leistungen  unserer  grt>l>en 
Denker,  Dichter  und  Meister  auf  allen  «ieläeten  der  Kunst  und  Wissen- 
schaft ins  Auge  fassen,  erkennen  wir  den  unermesslichen  Schatz,  dt^n  die 
Menschheit  ihnen  verdankt.  l'n<l  »lass  wir  darauf  st"lz  sind,  dass  wir 
diesen  Schatz  wahren  nnd  uns  gey^en  jede  Herabsetzung^  wehreu,  das  darf 
ans  niemand  verargen,   ich  brauche  darüber  an  dieser  Stelle  kein 


Digitized  hv  (lOOgle 


—   293  — 


Wort  WBL  yerlkrai.  Der  dfintsche  Lehrer  mttsste  das  Edelste  verleii|;nen, 
wenn  er  nicht  begeistert  wftre  für  die  nationale  Sache.  Und  in  ihr, 
in  dem  Vennftchtnis  nnserar  großen  Vorfahren,  in  dem  Schatze  unse* 
rer  NationalbUdung,  Andet  ngleich  «ich  jeder  Lehrenrerein  den 
besten  Quell  der  Fortbildung.  Ohne  solche  Fortbildung  müsste  die 
Tüchti2-k(«it  des  Lehrers  rasch  und  tief  sinken.  Die  Begeisterung, 
die  Mutter  aller  persönlichen  Vollkommenheit,  würde  erlöschen  und 
mit  ihr  jede  hilhere  Auffassung  des  Berufes.  Selbst  in  der  Berufs- 
praxis, in  df'v  Methode  des  Unterrichte  milsste  ein  Rückgang  erfolgen. 
Denn  wer  nicht  mehr  selbst  etwas  lernt,  verliert  die  Geduld  mit  den 
Kindern,  weil  er  vergisst,  wie  schwer  es  ist,  sich  etwas  geistig 
anzueignen.  Darum  ist  die  Selbstbildung  sogar  in  nietliodiseher 
Beziehung  der  Quell,  aus  dem  immer  aufs  neue  dem  Lehier  Kraft 
^tspriugt. 

In  welcher  Richtung  die  Fortbildung  zu  pflegen  sei,  darüber 
brauchp  ich  Ihnen  keine  Rathscldäge  zu  ertlieilen.  Kin  Lehrerverein 
kann  Jahrhunderte  arbeiten,  ohne  je  fertig  zu  werden.  Hieraus  ent- 
springt zugleich  die  weitere  Bedeutung  eines  Lehrervereines  fiir  die 
Hebung  des  Berufseifers,  denn  woher  entspringt  dieser?  Doch  aus 
der  Einsicht,  dass  man  einem  guten  Werke  dient,  und  solche  Einsicht 
kann  dem  nicht  entgehen,  der  sich  um  seiner  eigenen  Forthfldung 
willen  in  die  Werke  der  edelsten  Geister  versenkt  Und  endlich,  was 
eboifhlls  in  nnserer  2Seit  wichtig  ist»  dient  jeder  Lehrerverein  zor 
moralischen  Haltung  und  Hebung  des  Lehrstandes.  Im  Kreise  seiner 
Genossen  mskt  jeder  seine  bessere  Seite  zu  pflegen,  das  Gemeine 
schweigt,  und  die  innige  Hingebung  an  die  Hochbilder  alles  mensch- 
lichen Strdbens  mnss  eine  sittliche  Kraft  ansftben.  Dies  ist  in  miseren 
Tagen  deshalb  besonders  wichtig,  weil  man  bei  dem  Bestreben,  die 
Tolluedinle  za  drflcken,  anch  sehr  gerne  an  den  Lehrern  mfikelt. 
Han  sacht  sie  herahznsetsen,  wo  sich  nnr  Gelegenheit  findet«  tun  die 
Schule  zu  schfldigen.  Hieraof  mnss  alle  Achtsamkeit  verwendet  wer- 
den. Jeder  Lehrerverein  kann  aber  zur  Wahrung  des  sittlichen 
Charakters  und  einer  ehrenhaften  Haltnng  des  Lehrstandes  vieles 
beitragen. 

Ich  kann  hier  nicht  unterlassen,  einen  Ausspruch  Diesterwegs 
zn  dtiren,  welcher  lautet:  ,4Cein  persönlicher  Makel  darf  an  uns  haf- 
ten, mit  festen  Augen  müssen  wir  unseren  Gegnern  stets  entgegen- 
treten können.  Mögen  sie  unsere  tT)erzeugung  angreifen  und,  wenn 
sie  es  vermögen,  ^\iderlegen;  an  unserem  Charakter  sollen  sie  sich 
stets  vergeblich  versuchen.'' 


—   294  — 


Mit  diesen  Andeutungen  glaube  ich,  geehrte  Versaminlang,  die 
Wichtigkeit  und  Aufgabe  eines  Lehrer?ereines  skizzirt  zu  haben. 
Und  weil  ich  von  der  hohen  Bedeutung  eines  solchen  Verbandes  uber- 
zeugt bin,  begrüße  ich  mit  Freuden  diesen  jnng-en  Verein.  So  legen 
Sie  denn  getrost  die  Hand  an  den  V^ai^j  und  streuen  Sie  hoffnunpfsv«ll 
die  Saatkörner  einer  besseren  Zukunft  aus.  Wenn  auch  manches  unter- 
geht, ohne  zu  keimen:  ein  Theil  wird  aufgehen  u&d  Uttsendtaltige 
Früchte  bringen  tiir  das  nachwachsende  Gesrlih m  lit. 

Und  darum  ein  herzliches  „Glückauf"  ilueui  ueueu  Verein! 


Digitized  bv  C(>nn| 


Zur  Sprach entrage. 

Vm  Frof,  F.  Mühr-Ttkst, 

Artikel  XIX  der  (teterreicbischen  Staatsgiimdgesetze  spricht  in 
muEweideatigeii  Worten  die  Gleichberechtigang  aller  in  den  im  Reichs- 
rathe  vertretenen  Ländern  im  Gtetnranche  stehenden  Sprachen  am. 
Es  ist  femer  im  Geiste  der  Zeit  und  -wahren  Hunanitat,  dass  man 
den  Bestrebungen  eines  Volkes  in  seiner  sprachlichen  Entwickelnng 
nicht  nur  keine  Hindemisse  in  den  Weg  legt^  sondem  dieselben  vol- 
wollend  befördert  Aber  ffir  diese  Hnmanität^  fftrdieGldchberechtagiiB^ 
besieheo  denn  doch  Grenzen.  Oder  sollte  es  jemandem,  dem  ein  un- 
parteiisches und  leidenschaltsloses  Urtheil  noch  nicht  abhanden  gekom- 
men, beiMen  za  behaupten,  dass  irgend  eine  Sprache  in  Österreich 
die  Bedentong  der  deutschen  habe?  Sie  ^wird  in  österreieh  von 
8  Millionen,  in  Dentschland  von  über  40  Millionen  Menschen  gesprochen, 
die  Millionen  Deutschen  ungerechnet,  welche  Uber  den  Erdkreis  zer- 
streut sind.  Wo  sind  in  unserem  Vaterhmde  andere  8  Millionen,  welche 
einer  einheitlichen  Schriftsprache  sich  bedienten?  Denn  der  Czeche 
versteht  den  Slovenen,  der  Pole  beide  schwer,  sie  haben  keine  ein- 
heitliche Schriftsprache,  keine  einheitliche  Literatur.  Zudem  sind  die 
Deatsehcn  über  «ranz  Osterreich  verbreitet,  man  findet  deren,  man  mag 
hinkommen,  wohin  man  will-  Sie  .«sind  die  Yerkehrsmittel  /wisclipn 
den  Sprachstämmen  Cisleithaniens.  Hätte  alier  die  deutsche  .Sprache 
keinen  anderen  Vorzug  als  den,  dass  sie  die  Schatzkammer  alles 
menscliüchen  Wissens  i.st,  so  dass,  wer  Dcutscli  versteht,  die  Litera- 
turen aller  Ländei-  und  Zeiten,  die  wissenscüaltlichen  Werke  aller 
Nationen  bemitzen  kann:  so  würde  sie  sich  schon  dadurch  deu  natür- 
liehen  Vurrau^^  vor  allen  an  lereu  gesichert  haben.  Und  dieser  natür- 
liciit^  Vorzug  ist  es,  der  ihr  bei  aller  Anerkennung  der  Gleichberechtigung 
nicht  benommen  werden  kann,  der  ilir  gelassen  werden  muss,  der  sich 
nun  und  aimmer  wegstreiten  lässt. 


—  296  — 


Wenn  man  IUI  11  Icii!  l)t'Uts(  lien  nichts  mehr  einräumen  will.  fil<  ^h-n 
aiKlnrn  in  ( )>ierieii*h  vorkommenden  Sprachen,  so  begeht  iiiaii  einen 
Vei  siui]  geo:en  die  Natur  und  kaim,  wenn  mau  eine  künstliche  Gleich- 
heit iierstelleu  wäl,  dies  nur  mit  Zwang:8mitteln  erreichen. 

Es  ist  wol  \  ()llkomraen  gerechtfertigt,  dass  dem  V'olksschüler  die 
Lehrgegenstände  zunächst  in  seiner  Muttersprache  beigebracht  werden. 
Aber  es  ist  thßricht  und  zeugt  von  nationalem  Vorurtheil,  die  deutsche 
Sprache  von  dem  Unterrichte  auszuschließen.  Warum  soll  dem  Slaven 
die  Gelegenheit  benommen  sein,  die  im  Verkehre  so  nützliche  deutsche 
Sprache  wenigstens  in  den  Elementen  kennen  2a  lernen,  diunit  er  sie  dann 
im  Leben  wäta  ttben  kOnne?  Warun  soll  es  nifilit  otligatoxisch  sein? 
UnTerstaod  nnd  Bequemlichkeit  leimen  nicht  selten  anch  die  Erlernung 
der  nfltzUchsten  Düige  ab.  Di  den  gebildeten  Glassen  sorgen  wol  die 
Eltern  frdwiUig  daf&r,  dass  ihre  Kinder  das  Dentsehe  erlernen,  die 
Verpilichtnng  ist  also  mehr  eine  Maßregel  Ar  die  ftnnem  imd  weniger 
einsichtsvollen.  Man  kann  nnr  staunen,  wnn  man  manche  Agitatoren 
sich  so  ereifiBm  sieht  nnd  hört  gegen  den  obligatorischen  üntemcht 
des  Deutschen  an  anderaspradiigen  Schulen,  da  doch  hftnfig,  ja  in  der 
Regel  die  Kinder  in  mehreren  modernen  Sprachen  zugleich  nnd  xwar 
bereits  in  der  zartesten  Jngend  mtterrichtet  werden.  Wo  übrigens 
kein  moralischer,  kein  dnrch  locale  Verhältnisse  gebotener  Zwang  ob> 
waltet,  da  siebt  man  nichtdeutsche  Schüler  zahlreich  in  deutsche 
Schulen  strömen.  Hier  in  Tiiest  besteht  eine  deutsclie  Kiuii  envolks- 
schule  nnd  eine  deutsche  Mädchenbörgerschule.  Gleicli  nach  ihrer 
Eröfinnng  musste  die  erstere  eine  Snccursale  haben  und  beide,  die 
Haupt-  und  die  Succursalanstalt,  kommen  alle  Jahre  in  Verlegenlieit, 
Raum  tur  die  andrängende  Schuljugend  zu  finden.  Die  Mädchenschule 
schreitet  mit  iliren  Parallelen  jährlich  weiter  nnd  hener  ist  die  5.  Classe 
bereits  in  zwei  Abtheilungen  j?"etheilt.  Und  das  «reschieht  in  einer 
Stadt  wie  Triest,  elie  italienische  Srlmlen  znr  YertTii^ung-  stellt,  also 
den  UnteiTicUt  in  einer  so  lincU  entwickelten  nnd  mit  einer  schönen 
Literatur  ansfrestaTtet^Mi  Sinadie  ertheilt.  Und  das  geschieht,  trotzdem 
an  dm  beiden  deutschen  Ansiaiieii  ein  jährliches  Srhnl«reld  von  fl.  10 
entiichtet  wird,  während  die  städtischen  italieuischen  Schulen  kein 
Schulgeld  einziehen.  Solche  Umstände  sprechen  mit  deutlicher  Sprache! 

Das  Gj'mnasium  hat  den  Zweck,  den  Schüler  für  die  Universitäts- 
stndien  vorzubereiten.  Ks  leuchtet  somit  ein.  dass  an  diesen  Schulen 
der  wissenschaftliche  Gesichtspuiiki  jeiienlalls  der  wichtigste  ist.  Der 
Studirende  soll  also  in  einer  Sprache  uutemchtet  werden,  welche  in 
sich  die  reichsten  Elemente  enthält,  dessen  Geist  und  Gemüth  mit 


Digitized  by  Google 


.  —   297  — 


Kenntnissen  zu  bereichern,  zu  bilden  ind  za  veredeln.  Und  zwar  soll 
er  die  Sprache,  in  der  dies  geschehen  miiss,  gründlich  und  gut  kdmi^ 
Denn  sonst  fehlt  ihm  die  Ausdauer  und  die  Lust,  die  entlegenen 
(Quellen  der  Wissenschaft  und  literarischen  Schöpfungen  aufzusuchen. 
Er  versinkt  unverraeidlicli  in  Obei-flächlichkeit  und  Roheit.  Soll  also 
die  Unterrichtssprache  im  den  österrciclii^flien  Mittelschulen  die  deut- 
sche sein?  Man  zeioc  mir.  etwa  die  italienische  fiii"  italienische  Ge- 
genden ausgenommen,  eine  geeignetere!  Denn  damit  eine  Unten'ichts- 
spraclie  aiirli  die  richtigen  ResnltRt»'  eizielen  könne,  muss  sie  selbst 
eine  hoiie  Stute  der  Entwickeiuuj4  eiien-hl  liaben.  Bevor  dieses  der 
Fall  ist.  muss  sie  sich  bescheiden  und  an  ihrer  Ausbildung  nach  guten 
Vorbildern  ail  iten.  Oder  brauchte  es  nicht  Jahrhunderte,  bis  die 
deutsche  Spraciie  sich  der  lateinischen  ebenbürtig  und  endlich  über- 
legen zeigen  konnte?  Erst  naclidein  sie  eine  gehaltvolle  Literatur, 
eine  von  den  größten  Geistern  auf  allen  Gebieten  ausgebildete  Form 
gewonnen  hatte,  setzte  sie  sich  au  die  St^ille  der  iruiieren  lateinischen 
Schulsprache. 

Sollen  also  die  davischen  Anstalten,  die  bereits  bestehen,  rück- 
gängig gemacht,  beseitigt  werden  und  an  ihre  Steile  Anstalten  mit 
dentscher  ünteniclitseprache  treten?  Ein  aolclier  Wunsch  wftre  thö- 
richti  weil  yoUfconimen  vergeblich.  Der  Zweck  meiner  Zeilen  ist  nur 
4er,  anf  die  Nachtlieile  hinznweisen,  die  in  der  Folge  sich  noch  meh- 
ren können. 

Man  wiederholt  immer  und  laut:  die  Unterrichtssprache  soll  die 
Muttersprache  sein,  dem  Deutschen  mdge  als  Culturelement  eine  Stelle 
emgerftumt  weiden.  Wer  jemals  an  nichtdeutschen  Anstalten  gewirkt 
hat,  weiA,  wiewenig  mit  dem  auch  obligatorischen  Untenicht  des  Deut- 
schen en-eicht  wird:  denn  das  Wort  „obligatorisch"  ist  noch  nicht 
gleichbedeutend  damit,  dass  etwas  gelernt  werden  müsse,  etwas  wirk- 
lich gelernt  werde. 

Die  Kenntnis  des  Deutschen  ist  an  Anstalten,  wo  es  nicht  Schul- 
sprache ist,  eine  geringe,  wo  nicht  Privatunterricht,  die  Familie  oder 
der  Umgang  helfend  und  unterstützend  eingieifen.  Man  macht  diese 
Erfahrung-  seit  lanpfcr  Zeit  und  kann  sie  heutzutage  besonders  an 
Universitäten  machen.  Das  sprachliche  Zart i^etiihl.  die  Rede  und  Schritt 
mit  gewissenhafter  .\ng-T5tli(thkeit  und  Genauigkeit  zu  pHejiren,  das 
Schams^efiihl.  sie  zu  verunstalten,  weicht  immer  mehr  einer  sorg-losen 
Ungenirllieit  im  Ausdrucke.  Ks  handelt  sich  nur  nncli  darum,  Woi'te 
zu  machen,  um  da>  U  ie  kümmert  man  sich  nicht  mehr  viel. 

Ist  hingegen  das  Deutsche  Schulspi  ache,  so  wixd  es  vollkommener, 


üiyiiizeü  by  GoOgle 


—   298  — 


theils  durch  Theorie,  theils  duirli  die  Praxis  erhirit.  ■während  dip 
Landessprache,  z.  B.  das  Slavisclie  r»der  Itiüienische,  durch  den  Ver- 
kehr im  Orte,  in  dei-  F'ainilip  eine  ausji:ipbi<,'e  Pfle<re  erhält.  Die 
Till'  »l  ie  in  dei-  .'^i'liuie  reinigl  (iie  Sprache  von  allfiüligeD  Schlacken 
UHil  fiüirt  mit  Leiciiti|i^keit  zur  Keuutnis  der  Literatur.  Man  loacht 
hier  in  Triest  täglich  diese  KrfahruniBr. 

Man  arbeitet  von  melireren  Seiten  —  es  sind  dies  in  der  Regel 
sehr  beredte  und  rticksichT.<los  energische  Wortführer  —  dahin,  auch 
die  deutschen  Gymnasien  Krains  zu  slovenisiren.  Mau  versucht  es, 
dem  Drängen  der  Natiuualeu  nachzugeben,  l'aralielclasseu  mit  deut- 
scher und  slavischer  L'nterrichtsspi-ache  auch  in  Krain  einzuführen. 
Man  will  diese  Parallelclassen  bis  zur  Y.  des  Gymnasiums  fortfahren. 
Und  was  wird  dann  sein?  Werden  die  deutschen  nnd  slayisclien  SehtUer 
dann  vereinigt  gleichen  Schritt  halten  kdnnen?  Mit  nichteo. 

Im  Eflstenlande  ist  die  Eünftlhrmig  dieses  Systems  bisher  an  dem 
Widerstande  der  Landesschnlrftthe  gescheitert  Die  Stadt  Triest  wiU 
und  kann  als  Handels-  nnd  Weltstadt  Yon  dem  Slorenischen  nichts 
wissen.  Die  Triester  haben  genng  andere  Sprachen  zn  lernen,  nnd  sie, 
welche  dorch  Schüfe  mit  den  fernsten  Meeren  nnd  dnrch  Eisenbahnen 
mit  den  entlegensten  Lflndem  verkehren,  wissen  mit  einer  Sprache 
nichts  anzn&ngen,  die  höchstens  ihrGedAditnis  beschweren,  ihnen  sbor 
den  Weltverkehr  nicht  erleichtem  nnd  keine  für  den  gebildeten  Han- 
delsmann so  ^richtigen  literarischen  nnd  sprachwissenschaftlichen  Schfttse 
zuführen  würde. 

Wir  sehen  somit,  das  Streben  der  kleineren  Nationalitäten  geht 
nicht  aus  der  Natur  der  VerhäUni  >e,  viebnehr  ans  einem  eitlen  Drange 
hervor,  es  den  andern  gleichzutlmn,  und  wo  nicht  künstliche  Mittel 
in  Anwendung  kommen,  da  werden  ihre  Fortschritte  sehr  gering  sein. 


üiyiiizeü  by  Google 


» 


Der  selbst^stäiidige  Anschanungsanterricht 

Vm  Seminartehuüdirer  Chr,  Hamann- ManAurff, 

Molt.i: 

.Die  Aaeikenniuig  dar  Aaacltaauiig  al*  des  abMlaten 
Fandiaent«*  «ller  EikennteU  Ift  der  obonte  Gnuid- 
Mtx  da  Unterriclito.'* 

!Eis  kann  nidit  meine  Absieht  seh,  allgemeine  Betrachtungen 
tibet  einen  Gegenstand  anzustellen,  üto  dessen  Wert  nndBereehtigimg 
heutzutage  wol  schwerlich  irgend  etwas  Nenes  gesagt  werden  kann. 
Denn  für  alle  Zeiten  hat  onser  Altmeister  Pestalossi  in  dem  alsUotto 
gefwahlten  pädagogischen  Kemspmch  das  Wesen  und  die  Bedeutmig 
des  Ansehanangsnnterrichts  gekennzeichnet  ,,Die  Anerkennnng 
der  Ansehaniing  ist  der  oberste  Gnmdsatz  des  Unterrichts,'*  das 
heißt  nichts  anderes  als:  Der  Unterricht  soll  stets  mid  unter  allen 
Umstanden  von  der  Ansehanong  aasgehen  und  zu  Anschannngen 
führen.  FoJg^ch  ist  aller  Unterricht  rechter  Art  sowol  hinsichtlich 
seines  Ausgangs-  als  seines  Zielpunktes  Anscliauungsmiterricht;  folg-- 
lich  ist  dieser  der  allein  berechtigte.  —  Neben  dieser  weiteren  Fas- 
song des  Begriffes  „Anschauungsunterricht"  besteht  indes  noch  eine 
engCTe.  Unsere  Sclmlterminologie  bezeiclmet  bekanntlich  mit  diesem 
Ausdruck  einen  bestimmten  Theil  des  deutschen  Sprachunterrichts, 
nämlich  denjenigen,  vorzugsweise  auf  der  rnterstufe  gepflegten,  wel- 
cher vorbereiten  und  den  Gruiul  legen  soll  zur  Erreichung  der  beiden 
( "ardinalziele  alles  Untemchts  in  der  deutschen  JSprache:  tlbermitt- 
lin>''  des  Sprachverständnisses  und  der  Sprachfertigkeit.  Diesen 
ri<>|)l>elten  Zweck  erreicht  der  Anschauungsunterricht  durch  zwei 

Mittel: 

erstens  dadiirdi.  dass  er  die  vorhaiideueii  Auschfiuungen  und  dem- 
geiii  ii;  den  tirworbenen  Sprachbesitz  reinigt  und  klärt; 

zweitens  dadm  ch,  dass  er  neue  Anschauungen  und  die  ihnen  ent- 
^rechenden  Sprachlüniiea  übermittelt,  also  den  Anschauuugs- 
kreis  erweitert,  den  Wortvorrath  bereichert. 

fMagogituD.  SwMuf:  Heft  V.  20 


Digitized  by  Google 


—  300  — 


Dieses  Zwietachf'  ist  die  Aufgabe,  deren  Lösuiitr  dein  Anschaunng^- 
unterrichte  i.  e.  S.  obliegt.  Wenn  das,  so  erliellt  daraus  von  selbst 
die  Berechtigung,  ja  die  Notbwendigkeit  desselben. 

„Aber',  kann  man  mir  entgegnen,  ,,das  in  diesen  beidm  S?irzpii 
Fixirt«'  ist  ja  der  Zweck  jedes  UntHrrichtsfaehes:  was  bedürten  wir 
dazu  noch  einer  hesondernDiBciplin?  Haben  wir  doch  <»1inebin  eher  zu 
viel,  als  zu  weni?!  f'nd  wird  nicht  auüerdeni  lieiitzutage  jed^r  ver- 
btändige  Öciireib-l^caeuiilerricUt  in  (b'v  Weise  ertheilt,  dass  man  über- 
all von  der  Anschauung  eines  Bildes  oder  Gegenstandes  au^sgeht?* 

In  der  That,  solche  Einwände,  und  sie  werden  bekanntlich  von 
nandiafter  Seite  erhoben,  srlieineu  auf  den  prst^^n  H!i<"k  nicht  so  gar 
unberechtigt  zu  sein  und  erfordern  .jedeiii'alU  t-iiie  W  idt-j  legung.  Als 
Versuch  einer  sob-lien  lui^tet  sich  auch  das  Xachfolgende  den  Lesern 
dar.  Voraus  sei  liemerkt,  dass  der  Verfasser  an  einem  Orte  und  einer 
Lehranstalt  wiikt,  wo  dt^m  selbstständigen  Auschauungunterrichte  st-in 
Recht  gewahrt  geblielien.  Anders  in  Preußen,  in  dessen  Schulen  durLh 
den  Satz  der  »»Allgemeinen  Bestiiumiuigen"  vom  15.  Octb.  1872:  „Die 
LT)ungen  im  mündlichen  Ausdrucke  erfordern  keinen  abgesonderten 
üntenicht;  sie  bereiten  vielmehr  den  Schreib-  und  Leseunterricht  vor 
und  begleiten  flm  auf  seinen  weiteren  Stofen" —  diesem  Gegenstande, 
soweit  dersdbe  voriier  als  selbststftndige  Disciplin  bestanden  (was  bei- 
spielsweise in  Schleswig^Holstein  bis  zu  der  Annexion  der  Fall  war), 
der  Mhere  Charakter  genommen  wnrde.  Indessen  darf  uns  natfir- 
lieh  das,  was  in  dieser  Bedebnng  jetzt  zn  Recht  besteht  oder  nicht 
besteht,  weniger  kfimmem  als  die  Frage:  Welche  pädagogische 
Berechtigung  mflssen  wir  dem  genannten  Unterrichtsfach, 
als  einer  fftr  sich  bestehenden,  selbstständigen  Disciplin  zn- 
erkennen? 

Unter  denAnhängm  des  ausschließlich  combinirten,  mithin  unter 
den  Gregnem  des  selbstständigen  Anschanongsuntenrichts  ist  einer  der 
hervorragendsten  Seminardirector  Dr.  Kehr  in  Halberstadt  Was  er 
in  seinem  bekannten  und  weitvei*breiteten  Buche  „Die  Praxis  der 
Volksschule"  itber  diesen  Gegenstand  sagt,  ist  folgendes: 

„Ein  isülirt  stehendor  Anätihanuiig.'snnterricht.  neben  dem  der  Sprachnnterrirlit 
flir  sich  be.stehend  einliergeht,  ist  weder  im  Wesen  d<;r  Kindesnatur.  uiK-h  im 
Wesen  des  ersten  ruterrichts  begründet.  Ans  diesem  tirunde  gibt  es  anch  in 
un^terer  Uutcrditöse  keinen  gesonderten  Au^bauaugsunterricht,  sondern  einen  Axif 
aqgcnaaute  NonnalwOtter  gegrSodeten.  Tereinigten  Spreeh-Schreib-Lete-Gemig» 
imtenicht/* 

Vorstehende  zwei  Sätze  enthalte  alles,  was  Dr.  Kehr  hier  in- 


Digitized  by  Google 


—  301  — 

betreflf  seiner  Stellung  zu  der  Frage  verlauten  lässt  *)  In  der  That 
recht  wenig.   Doch  sehen  wir  uns  dieses  Wenige  etwas  näher  an. 

Zunächst,  was  bedeutet  die  iiestiminunu::  „Ein  Anschauungs- 
unterricht, neben  dem  der  Sprachunterricht  für  sieh  beste- 
hend einhergeht"?  Nach  meiner  Aufladung  kann  und  soll  dab  so 
wenig  p'scheheiK  als  etwa  der  Ln-animatisclit'  oder  literaturkundliclie 
Fnterriclit  tiebeu  dem  .Sprachinit*  1 1  irlit  finli*  i  •reht;  denn  auch  der 
Sfll>>t-r;iiiditre  Anschauungsunten  iVliT  ist  tiu  Glied,  ein  orjranischer 
Tkeü  des ,  Sprachunterrichts.  Das  erliellt  zur  Grenttge  schon  aus 
den  oben  gegebeneu  Begriffsbestimmungen.  Aucli  (Traihnaun,  dessen 
Hauptwerk:  „Anleitung  zu  Denk-  und  Sprechübungen"  als 
Wahrhaft  epüchemachtud  und  grundlegend  auf  dem  Gebiete  des  An- 
fechauimgsunterrichts  erscheint,  bezeichnet  denselben  „als  den  ersten 
Sprachunterricht,  welcher  die  Kinder  mit  den  Dingen  der  Außen- 
■welt,  ihren  Eigenschaften  nnd  gegenseitigen  Verhältnissen  bekannt 
macht  und  Omen  Gelegenheit  gibt,  darftber  richtig,  bestimmt  nnd  dent- 
Ui^  spreefaffii  zn  kömien.^  Dass  aher  GraSmann  ein  entschiedener 
Tertreter  des  selbststindigen  Anschannngsnntenichta  ist,  bedarf  kaum 
hervorgehoboi  za  werden.  AnfhUend  ersdiefait  es  fireUich,  dass  Kehr 
m  seiner  kPauos  der  Yolksscbnle",  anstatt  seme  gegnerische  Stellung 
in  dieser  flir  den  Elementamntenicht  doch  anfierordentlich  vichtigen 
Sache  nflher  zn  begründen,  sich  damit  begnflgt,  nur  eine  doppelte,  knrz 
abweisende  Behanptang  anfenstellen,  nimlich: 

„Ein  nnabhSngiger  Anschannngsnntenicht  ist 

1.  nicht  im  Wesen  der  Kindesnatnr, 

2.  nicht  im  Wesen  des  ersten  Unterrichts  begründet." 

Dass  dieser Kdir'sche Satz  niclit  etwa  ein  Grundsatz  ist,  wenig- 
stens nicht  insofern,  als  er  keines  Beweises  bedarf,  folgt  sicher- 
lich schon  aus  der  That^ache,  dass  namhafte  Autoritäten  auf  päda^o- 
gisdiem  G^ebiete  denselben  nicht  als  richtig  anerkennen.  Vielleicht 
wäre  es  sogar  möglich,  dass  selbst  eine  Nicht- Autorität  —  auf  die 
Gefahr  hin,  sich  zu  „vermessen"  —  genaa  das  Gegentheil  behaupten 
könnte,  also: 

1.  Der  selbststäudige  Anschattiiugsnaterrichl  ist  allerdings  im  Wesen 
der  Kindcsnntnr  bogrfindet. 

Selbstverständlich  soll  nun  dieser  Satz  nicht  etwa  al>  ein  Grund- 
satz angesehen  weiden,  umsoweniger,  als  ich  der  Meinung  bin,  dass 

*  Anderswo  hat  Kehr  «ich  ausfiibrlicher,  wenn  anoh  v/omg  gründlicher  ver- 
nehmen lassen.  S.  ..Der  «leuuclie  Spracbantenicht  im  ersten.  Schuyahr"  Ton  Kehr 
ood  Scillilubach.  Aufl.   S.  83. 

20* 


Digitized  by  Google 


—  S02  — 


derselbe  sich  beweisen  lässt.  Um  liit  rzu  \vi'nii:st<us  den  Versuch  zu 
inachen,  gilt  es  vor  allen  Diiuj^tn  t^iiie  Krage  zu  beantworten,  nämlich 
die:  Welches  ist  das  Knieriuiu  für  ein  im  Wesen  der  Kindes- 
natur begründetes  rnterrichlsfach?    Die  Antwort  lautet: 

„Inhalt  und  Form  des  betretenden  Unterrichtsfaches  mnss  das 
Kind  interessireu,  und  es  niuss,  ind(Mn  es  das  kindliche  Interesse  er- 
weckt, einen  bildenden  Eiutluss  in  toruialer  wie  in  materialer  Bezie- 
hung auf  den  Geist  des  .^claikt>  ausüben.'* 

Es  jrllt  nun  zu  untei*sucheu,  ob  ein  in  unserem  Sinne  ertheilter 
Anschauungsunterricht  dieser  Cardinalforderung  gerecht  zu  werden 
vermag.  Was  die  erste  fYage  betritft:  „Vermag  der  sdbetständige 
Anflchauangsimterrieht  nach  Inhalt  ond  Form  das  Kind  zn  interes' 
siren?**  —  so  kSnnte  ich  mich  vielleicht,  tun  mir  die  fieantwortang 
mdirlichst  leicht  zn  machen,  damit  begnügen,  an  die  "^-fidirung  der- 
jenigen Collegen  zu  appelliren,  die  —  wie  ich  seihst  —  die  Sache 
jahrelang  t^aat  Emst  nnd  emsigem  Bemühen"  getrieben  haben.  Indes 
—  die  Gh)gner  haben  auch — nnd  zwar  entgegengesetzte  Erikhmngen 
gemacht  Hdren  wir  nnn  Herrn  Dr.  Kehr  selbst  Er  sagt*): 

„YieUeicht  ist  meine  Antipathie  gegen  einen  von  den  andern  Un- 
temchtsgegenstftnden  abgesonderten  Anschannngsnntemcht  in  dem 
Umstände  begr&ndet,  dass  ich  in  meinen  Kindeljahren  den  sogenannten 
selbstst&ndigen  Anschanongsonterricht  jilaDenzel  nnd  Grafimann  reich- 
lich genossen"  (man  soll  allerdings  auch  des  Gnten  nie  zu  reichlich 
geniefien!)  „und  mich  bei  den  „Denkübungen"  in  einer  Weise  ge- 
langweilt habe'*  ya  freilich,  dann  gehen  die  Denkübungen  gar  leicht 
in  —  ^hlafUbnngen''  über!),  „die  mir  diese  Art  des  Unterrichts  für 
immer  zuwider  gemacht  hat;  —  vielleicht  li^t  der  GruM  auch  darin, 
dass  ich  den  ..systematischen"  Anschauungsunterricht  als  jimger  Leh- 
rer selbst  treübt,  aber  dabei  (vielleicht  infoljp'P  meines  Ungeschii  kesi 
so  wenig  Erfreuliches  geleistet  habe,  dass  ich  mich  dafür  absolut  nicht 
begeistern  kann  etc.*' 

Inbeziig  auf  den  letzten  von  ihm  angeführten  (irund  seiner  ..Anti- 
pathie*' deutet  der  geehrte  Herr  \'ert'asser  selbst  an,  das*  derselbe 
keinen  Anspruch  auf  Stichhai tio-keit  niaehen  kann.  Der  ,Junge  Leh- 
rer' begeht  ja,  was  jeder  von  uns  l)rivitwi]lig»t  zugestehen  muss, 
hundeil Missgrilfe,  ehe  eres  zu  ir<:en(l  welcher Meistf^rs<haft  Iningtuud 
„Erfreuliches  leistet",  inberhaupl  ist  nach  meiner  Erlitlu  ung  gerade  der 
junge  Lehrer  nicht  der  beste  Elementariehrer.  —  Ebensowenig  aber 


*)  Dar  deuUcbc  Sprachunterricht  im  erüteu  Schuljahre  S.  83. 


Digitized  by  Google 


—   303  — 


kann  der  erste  Grund,  dass  nftmlicli  dem  Geg;iier  des  selbBtständigen 
Anscbannngsimterrichts  in  seiner  Kindheit  die  Sache  verleitet  worden, 
als  triftige  anerkannt  werden.  Es  ist  eine  alte  Wahiheit,  dass,  wenn 
Jetnandem  in  da*  Kindheit  eine  Snppe  —  nnd  wftre  sie  noch  so  gnt 
—  einmal  gründlich  versalzen  worden  ist,  er  sein  Lebtag  kein  Ge- 
lallen  an  ihr  findet.  Andere  liahcn,  wie  gesagt,  andere,  entg^^gen- 
gesetzte  Erfahmngen  g:pniaclit.  Viele,  frlaiibe  icli,  werden  es  mir  mit 
Vergnügen  bestätigen,  dass  ein  ausschließlich  auf  angemessene  Denk- 
nnd  Sprechübungen  abzielender  Anschauungsunterricht  die  Kleinen 
nicht  minder  interessirt,  als  jedes  andere  Farli  W^-mi  du  mit  einem 
schönen  Bilde  oder  irgend  einem  passenden  Naturobjticte  in  der  Hand 
vor  sir-  hiiit littst,  wie  glänzen  da  ihre  Auf>:pn,  wie  beleben  sich  da  die 
Gesichtsziij,''e  aller!  Mit  welchem  Vergnügen  erzllilen  sie  dir,  was  sit* 
Mb<5t  etwa  schon  von  der  Sache  wissen!  Wie  g^eni  und  willig  nehmen 
sie  aber  auch  das  Neue  von  dir  an;  wie  treuen  sie  sich,  dass  ihre 
mangelhaften  Vorstellimgeii  berichtigt  nnd  TervoUständigt  werden, 
da-««?  nach  nnd  nach  ihre  anfanjrs  mir  lallende,  schwach  stammelnde 
^Sprache  in  con'ecteren  und  krattigeren  Lauten  erklingt!  Und  wenn 
«lann  die  Forderung  an  sie  ergeht,  Rechenschaft  zu  ^eben  über  das 
Erlernte,  die  einzelnen  kurzen  Resultatsätze  zusammeuzutassen  und 
iilsu  zu  zeigen,  was  sie  schon  wissen  und  können  —  wer  unter  uns 
hätte  dann  nicht  oft  zn  seiner  Herzensfreude  es  erlebt,  mit  welchem  ♦ 
fröhlichen  Eifer  jedes  sich  vordrängt,  wie  jedes  so  gerne  zeigen 
mochte,  dass  es  bereits  etwas  leisten  kann,  wie  eins  das  andere  zu 
fibertreffisD  sndit?  Wer  daa  gesehen  nnd  eriebt,  gewiss,  der  weit  anch, 
ob  dieser  Unterricht  das  Kind  m  interesshren  vermag. 

Doch  abgesehen  von  der  Erihhrongf  der  immerhin  nnr  eine  snb- 
jective  Beweiskraft  znerkannt  wird,  ergibt  sich  für  ans  diese  Gewiss- 
hdt  auch  ans  der  Sache  heraus.  Das  Kind  selbst  kommt  dem  Leh* 
rar  bekanntlich  mit  dem  lebhaft  empfiindenen,  wenn  auch  nicht  klar 
bewossten  Bedfiifhis  entgegen,  die  noch  nngeordnete,  verwoirene 
Welt  seines  Geisteslebens  kUren  nnd  neu  anbanen  zn  lassen,  nnd  anf 
geradestem,  sicherstem  Wege  geschieht  dies  eben  dnrch  den  unab- 
hingigen  Anschannngsanterricht.  Dieser  allein  kann  durch  einen  der 
Eindesnatnr  angemessenen  systematischen  Fortschritt  Klarheit  und 
geordnete  Erkenntnis  schaffen.  Ich  wage  zu  behanpten,  dass  nichts 
das  Kind  mehr  interessirt  als  ein  srdrber  Anschauungsuntemcht,  weil 
derselbe  das  dem  kindlichen  Geiste  Naheliegende,  die  Kinderwelt  selbst 
zum  Object  hat,  ihn  in  dieser  Welt  lieimisch  zu  machen  sucht,  damit 
er  sich  mit  Bewnsstsein  in  derselben  bewege;  weil  dieser  Unterricht 


Digitized  by  Google 


—   304  — 


das  Kind  zu  dem  Interessantesten  leitet,  was  überbaapt  fttr  den  Men* 
sdiengeist  existirt:  zar  Erkenntnis  der  Wahrheit. 

Ans  dem  Gesagten  erbellt  auch  schon,  dass  ebenfalls  die  zweite 
Frage,  ob  ein  in  unserem  Sinne  ertheilter  Anschaunngsimterricht 
seinen  bildenden  Einfluss  in  formaler  wie  in  materialer  Beziehung  ausübe, 
durchaus  zu  bejahen  ist.  Der  Anschauungsunterricht  leitet  und  übt 
die  Seil  iiier  im  loo:ischeu  Denken,  im  correct^n  Sprechen;  er  bereichert 
ilu"  ]H>sitives  Wissen,  indem  er  sie  hineinfuhit  m  die  Welt  <wr  Kr- 
schriiiiDi^pu:  also  kommen  beide  Bildongsprincipien  vollständijj:  zu 
ihrem  Eeehte. 

Die  zweite  These,  welche  der  Kehr'schen  gegenübtirzustelleu  ist, 
lautet : 

2.  Der  selbstRtändi*s^e  Ansehauiuigsiuiterricht  ist  im  Wesen  des 
ersten  l'nt4»rrichts  begründet. 

Wenn  das  Wesen  jedes,  also  auch  des  ersten  Unten-ichts  darin 
besteht,  dass  derselbe  uui'  der  Basis  eines  berechtigteu  Unterrichts- 
materials die  formale  Bildung  des  Schülers  erstrebt,  so  dürfte  sich 
bereits  aus  dem  Vorhergehenden  der  Beweis  dieser  Behauptung  au- 
gesucht ergeta.  IndM  bin  ieli  aueh  der  Meinung,  daas  sich  ganz  be- 
sonders aus  dem  Wesen  des  ersten  Unterrichts  die  Berechtigung  des 
selbststftndigen  Anschanungsuntefrichts  nachweisen  lAsst  Um  hierzu 
»  den  Versuch  zu  machen,  gestatte  ich  mir,  zonftchst  einen  denselben 
Gegenstand  behandelnden  Passns  aus  der  »Erziehungs-  und  Unter- 
richtslehre**  von  Dr.  Fr.  IHttes*)  an  diese  Stelle  zu  setzen.  Der- 
selbe lautet:  „Was  das  Eind  bereits  vor  der  Schulzeit  ao^fasst  hat, 
und  was  ihm  während  der  Schalzeit  vom  Leben  her  zuHieflt,  musa 
der  planmäftige  Unterrieht  reprodndren  und  gehörig  zum  Bewusstsein 
bringen,  vergleichen  und  sondern,  nOthigenfalls  berichtigen;  er  mnss  es 
aber  auch  ergänzen  durch  Herbeiführung  aller  derjenigen  Anschauungen^ 
welche  dem  Kinde  noch  gänzlich  mangeln  und  doch  unentbehrliche 
Grundlagen  der  Erkenntnis  sind.  Daher  ist  es  jeden&lls  zweckmäßig, 
den  gesummten  Unterricht  durch  Anschaunngs-,  Denk-  und  Sprech- 
übungen einzuleiten.  Es  wird  denselben  zwar  neuerdings  vielfach  die 
Berechtigung  auf  eine  selbstständige  Behandlung  abgesprochen,  indem 
man  meint,  sie  durch  eine  methodiscli  richtige  Betreibung  aller  si)e- 
ciellen  Unterrichtszweige  ersetzen  zu  ktinut  u.  1  )ies  dürfte  aber  schwer- 
lich i  ccht  ireliniren,  wie  schon  daraus  hervorgeht,  dass  es  am  Anlange 
des  plaumäliigen  Unterrichts  aus  mehrfachen  Grüudea  geboten  erscheint. 


♦)  m.  Aufl.   S.  »3  u.  84. 


Digitized  by  Google 


—   305  — 


deu  ^^'all^nehmungs-  und  Gedankenkreis,  sowie  die  Sprachfertigkeit 
der  Schüler  einer  möglichst  vollständigen  lievue  m  unterwerfen.  — 
Wenn  Anschauungs-,  Spredi-  und  Denkübungen  nnr  gelegentlich  und 
nur  zu  speciellen  Zwecken  angestellt  werden,  so  ist  keine  Bürgschaft 
vorhanden,  flass  die  wichtigsten  allgemein  menschlichen  Grundauffas- 
sungen säuinitlich  beiilcksirhtio^t,  festgestellt,  geordnet  und  sprach- 
lich richtig  bezeichnet  werden,  nicht  aber  bios  etliche  immer  und  immer 
wiederkehl  en." 

Wir  sehen  also,  dass  auch  dieser  Schulmann  einer  selbststjindigen 
Stellung  des  Anschauungsiinti-rrichts  das  Wort  redrt.  weil  er  t^l  -  n 
als  eine  Hauptaufgabe  des  ersten  Unterrichts  die  metlioüisch  geord- 
neten Anschauungs-  und  Denkübungen  betrachtet. 

Weiter  noch  als  Dütes  ging  vor  50  .Tahi'en  Pestalozzi,  welcher 
kurz  und  biindiä,''  erklärt:  „Das  Kind  ist  bis  zu  einem  hohen  Grade  von 
Auscliauungs-  und  Sprachkenntnisseu  zu  bringen,  ehe  es  veruuultii; 
ist,  es  lesen  oder  auch  nur  buchst abiren  zu  lassen."  —  Mögen 
immerhin  auch  die  äußersten  Conseqnenzen  dieses  Satzes  in  unserer 
Zeit  durch  die  seither  sehr  yervoUkommnete  Lesemethode  modiflcirt 
weiden,  so  bldbt  derselbe  naeh  unserer  Ansicht  doch  insoweit  in 
Kraft,  als  es  nofhwendig  erscheint,  dem  ersten  Schulalter  besondere 
ABscbiBUgsstiuideB  am  reserviren.  Eben  weil  der  Anschauungsunter- 
richt Ar  die  Fondamentalbildnng  so  ungemein  wichtig  ist,  was  selbst- 
redend auch  Ton  Kehr  anerkannt  wird,  und  weil  das,  was  durch  diese 
Disciplin  erreicht  werden  soll,  nicht  Mittel,  sondern  Selbstzweck  ist, 
eben  deswegen  müssen  wir  eine  gewisse  Anzahl  eigner  Stunden  dafür 
haben  und  eben  deswegen  genfigt  es  nicht,  wenn  der  Anschauungs- 
nntemcht  nnr  in  Combination  mit  Lesen  und  Schreiben  ertheilt  wird. 
Lesen  und  Schreiben  sind  fflrs  Erste  nur  mechanische  Fer- 
tigkeiten, die  als  solche  ihrem  Wesen  nacb  mit  dem  Au> 
schauungsunterrichtH  i.  c.  s'  nichts  gemein  haben.  Allerdings 
sollen  auch  diese  Fertigkeiten  nicht  durch  einen  dürren,  geisttödtendeu 
Mechanismus,  sondern  auf  anschaulichem,  rationellem  Wege  übermittelt 
werden.  Hier  heißt  es:  der  Lehrer  soll  das  eine  thun,  aber  auch  das 
andere  nicht  lassen;  er  soll  einen  anschaidichen  Sehn  ib-  und  Le<e-. 
daneben  aber  auch  einen  möglichst  iruchtbaren  AnschauungsunteiTicht 
ertheilen. 

Der  selbstsiändigeAmichauuugsuuterricht  ist  eiiie>ii»thweudigkeitl 
*)  Vgl.  auch  Dittea,  Methodik  der  VolkMchole,  S.  143. 


Digitized  by  Google 


Fortbüdiuigsschiile  and  Lebei.*) 


Vm  Hugo  Webeir'Leiptig, 

Indem  leb  mich  aiuelüeke,  Urnen  einen  Vortrag  9ber  HFortbfldnngMehiile 
nnd  Leben''  zu  halten,  nmss  ic!i  im  voraas  bemerken,  <I:).ss  sich  derselbe  enge 

an  ein  von  mir  heraus-ri  i^cbfius  l.ohr-  und  Lesebach  für  Fortlnldnnsi^schTilpn 
anschließen  wird.  Ich  glaube,  dai'ch  einen  solchen  Anschluss  am  besten  das 
Goethe'sche 

pGrau,  tbeurer  Freund,  ist  alle  Theorie 
and  grün  des  Lebens  goldner  Baum'* 

behpr/iiien  7:n  können.  Die  ztMtiremäßcste  Frage  der  Pädagoprik,  tlio  nach  dem 
rechten  Lehrstoffe,  wird  auf  dit  sf  Woisp  finsrelinnder  bernliil.  Fr('ili(  Ii.  meine 
Erörterougen  werden  sich  zunächst  und  zumeist  auf  die  ländliche  Fortbildougs- 
ecbnle  bodehen.  leh  boffe  aber,  dass  ^e  mir  diesen  ümstand  T«raeUtea  wer- 
dim,  wenn  Sie  bedenken,  dass  allgemeine  ErOrterongen  ttberSchnlen  zu  keinem 
klaren  Hildf  von  ilirer  Aufgabe  und  Wiiksamkeit  füliren,  dass  gerade  bei  1  t  • 
protenKartigea  Charakter  dor  Fortbildungssrhnlpn  fint^  Species  heransgegriiitn 
werden  muss,  dass  ich  mich  zutiillig  eingehender  mit  der  ländlichen  bescliäl'tigt 
babe,  dass  mancber  allgemeine,  auch  für  stUdtisofae  FortbUdnngssdialen  beber- 
zigenswerte  Gedanke  sich  dabei  ergeben  dürfte,  nnd  dsss  anf  alle  FBUe  anch 
auf  diese  Streiflichter  fallen.  Und  indem  ich  Sie  heute  einmal  hinausführe 
auf  d;i<  Dorf,  erinnere  ich  Sie  daran,  da????  das  Dorf  die  Hrimat  der  meisteu 
nntei-  ihnen,  die  Stätte  Ihrer  Jugendzeit  und  fröhlicher  Ferien-  und  heiterer 
SommerfMsditage  ist,  dass  von  den  Ofirfisni  ans  immer  wieder  frfsehes  Blot 
in  die  Stftdte  fließen  mnss,  wran  diese  nicht  in  Blasirtheit  versinken  sollen, 
dass  wir  alle  ein  Interesse  daran  haben,  da.«ij<  dor  Kern  drs  ^'tdki der  anf 
dem  Lande  sitzt,  körpnrlirh  nnd  s^eisMET  frisch  hli  iVie.  siieh  sittlich  hebe,  wirt- 
schaftlich gedeihe  und  zu  diebem  Zwecke  in  der  rechten  Weise  gebildet  werde. 

Das  Buch,  auf  das  ich  mich  beziehen  werde,  betitelt  sich:  „Lehr-  and 
Lesebuch  für  ländliche  Fortbildnngsschnlen.  Zugleich  als  Volks- 
buch  herausgegeben"  (Lelpa%,  KlinkhardtV  An  die  Bearbeitung  desselben 
ging  ich  höchst  nnt^-ern.  Aus  verschiedenen  Gründen  hatte  ich  mir  vorgenom- 
men, auf  dem  (lebiote  di  i  Lesebucliliteratur  nichts  mehr  erscheinen  zu  lassen. 
Jedoch  bei  dem  Übergänge  des  mit  Dr.  Jütting  herausgegebenen  Lesebuches  für 
Volksschulen  an  den  jetaigen  Verleger  hatte  ich,  vidleicht  alimrasdi,  verqiroeben, 

*)  Vortrag,  gehalten  im  Leipziger  Lehrervereia. 


Digitized  by  Googl 


—   307  — 


)eiieft  Werk  dnreh  entsprechende  Tlioilt>  für  Foi  tiiiMuns-^^schnlen  ei^gttnzen  ra 
woll«»n.  Dieses  Vpr'<|>rt^'1ipn  musste  icli  wol  mU-r  übel  einzulJisen  snchen. 
Dazu  kanion  noch  chnüide  tlrmunternn^^en  von  anderer  Seite.  Gleichwol  f^nj? 
ich  nur  nach  langem  Zögern  tmd  mit  vielen  Bedenken  an  diese  Arbeit.  War 
aie  doch  fttr  «ine  Schale  lieetiiiiint,  die  iiirenSchwur|Ninktand  damit  die  nSthige 
Stiibilität  noch  nicht  an  allen  Orten  gefunden  hat  und  vielfach  noch  hent« 
nach  den  geeignetsten  T.ehrstoffcn  nnd  Lehrmitteln  sudif.  Zwar  habm  der 
vorzügliche  offlcielle  LehiTplan  und  Schriften  wie  „Der  l  nferrirht  in  di  r  säch- 
gtschen  Fortbüdungsscbttle"  von  Sclmlrath  Grüllich  dem  Henimtasten  vorlUutig 
ein  Ende  gesetzt  nnd  Onmdafttse,  Gegenat&ode  nnd  Methode  dieses  Untenlehts 
klar  vorgezeichiD-t.  aber  auch  die  Bestinunongen  des  allgemeinen  Lehrplanea 
sind  narli  i-i£>-eiit'n  Worten  desselben  nnr  pr-Tceiitive  Vorsrlirift^^n.  Diroctivnor- 
men.  welche  dem  wt-iteren  Entwickelungsgaiiire  des  FHrtbildunjrsunterrichts 
wol  Ziel  and  Riciitung  geben,  jedoch  im  einzelnen  Falle  die  Üahn  zu  freierer 
Bewegung  nach  MaBgnhe  loealer  Verhältnisse  ond  Bedftrfliiase  mOflichst  offen 
lassen.  Es  ist  dies  ein  eharakterisUaches  Zeichen  toh  der  weisen  Einsicht 
der  sächsischen  Schnll)ehörde  nnd  zugleich  ein  dankenswerter  Beweis  des  Ver- 
tranens  für  die  Lehrer,  deren  Ermessen  man  möglichst  freien  Sitit  hauni  lassen 
will,  damit  sie  ihre  FortbUdungsscholen  den  speciellen  VerhältniöütMi  ilires  Ortes 
atanpassen  ftmli^ea.  Damit  ist  aber  aoi^eidi  dun  ICannigfaltigkdt  dieser 
Schnlgattnng  gegeben,  welche  die  Beschafftog  einheitüdMr  Lehrmittel,  onter 
denen  ein  zweckmäßiges  Lesebach  in  ei-ster  Linie  stehen  dörfte,  außerordent- 
lich eri^elnvert.  Dalu^r  rrkHlrt  sich  wol  anch.  abg-fsehen  von  der  Kürze  des 
Be»teUeuä  dieser  Schulen,  der  Umstand,  dass  das  (Vebiet  der  Literatur  des 
Fortbildnngsanterrichts  noch  eins  Ton  den  wenigen  ist,  auf  dem  eher  von  einem 
Mangel  als  von  einer  ÜberflUe  der  Prodnction  gesprochen  werden  kann.  Die 
BedHrfiliss«  diest  r  Schulen  sind  eben  so  Terschiedenartig,  die  SchiUer  selbst  so 
verschieden w*'rTiL%  vorbildliche  Ar-b*>ifen  noch  sn  «selten,  dass  vielen  zu  ge£sUen 
nidlt  nar  schwer,  bonderu  geradezu  schlimm  ist. 

Zu  diesci'  Schwierigkeit,  in  keinem  Falle  allen  localen  Bedttrfnissen  gerecht 
werden  an  können,  kommt  noch  eine  andere,  welche  ans  dem  Mangel  an  ftber> 
einadmoiender  Auffassung  des  Zweckes  eines  Sehnllesebuches  hervorgeht  Ich 
habf*  £r*^nug  Gelegenhe  it  i^ehabt.  zu  •  rfuhren.  dnss  die  Lehrer  schon  an  ein 
Lesebuch  fllr  Volksschulen,  deren  Aufgabe  zierulicli  klar  ist,  die  widersprechend- 
sten Anforderungen  stellen,  noch  vielmehr  mus«  dies  der  Fall  sein  da,  wo  es 
sich  um  die  noch  fai  voller  Entwidcelvng  stdiende  Fortbildongsschole  handelt 
Macht  sich  docli  ohn«  liin  tT'  t  ade  in  der  Lesebnchfrai^e  t-'m  merkwürdiges  Aus« 
einanderpehen  nnd  Weiterfließen  der  Meinungen  autnillifr.  Nif  lit  nur  die  fort- 
scbreitt'iid«'  Wissenschaft,  anch  die  wechselnden  Strümungeu  im  ürtentlichen  Leben 
gelten  hier  Impulse.  Ich  selbst  muss  gestehen,  dass  ich  die  1872  in  der  Preis» 
sehillt:  ^Die  Pflege  nationale  Bildung  dnrdi  den  Unterricht  in  der  Mntter- 
S|>raclie"  ansführlich  entwickelten  GrundsStae  vielfsch  im  Laufe  der  Zeit  modi- 
ficii-t  habe  nnd  nicht  mehr  g»r\7.  anfrecht  erhalte.  Um  aber  »las  Auscinandcr- 
geheu  d«  r  Ansichten  über  den  Zweck  zu  illustriren.  will  ich  nur  erwahiien. 
dass  in  unserem  Heimatlande  ein  Lesebuch  ttir  bortbüdongsschulen  ei'schien, 
daa  die  Leetttie  ganz  anf  das  Gebiet  der  Literatnrknnde  liinttberlenken  wollte 
ond  das  den  Sdifilem  nmflntende  praktische  Leben  ganz  übersah,  und  ein 
anderes,  das  wiederum  die  idealen  Gesichtspankte  vollständig  verlengnete. 


Digitized  by  Google 


—  308  — 


ol'gU'irli  fft  praktisch  war  bis  mr  Düngerstättf  liiii.  Dass  die  Wahrheit  mehr 
naeh  der  Mitt«  hin  liej^t,  hat  die  ziemlich  allgemein  eriuigte  Einfdhmng  eines 
dritten  gezeig:t.  Dieses  vierte  woUca  Sie  nur  als  einen  Versuch  betrachten, 
dem  Ideale  etwa»  naher  sa  kommeii.  lat  doch  die  Sache  wichtig  gennff»  um 
es  zu  recfatfertigeii»  dan  mditere  Köpfe  darüber  nachdenken  and  die  LOnng 
dw  Anfisrabo  versmohen. 

inhezug  auf  die  allgemeiiuMi  (Grundsätze  kann  üh  inith  knrz  fassen. 
Sie  resulüren  aus  der  Anffassung  der  Fortbildungsschule  als  Erziehungt-autyUU 
und  dlirften  mit  de^jenigen,  die  im  ,Jjdirplane*'  kiradj^egeben  worden  aindt  im 
weaentUchen  äbereinaünimen.  Das  vorliegende  I.esebiuli  siu  ht  dm  dort  ans- 
gesprofhenen  Fnrdernngen.  das«?  ..es  den  Geist  der  Soliüler  mit  W  i.ssensstoff. 
namentlich  nns  dem  Gebiet«-  der  Realien,  bereichern,  religiös,  sittlich,  ästhetisch 
hebend  und  tordernd  eiiiHirken,  neue,  anregende  Stoffe  bieten,  die  poetische 
Literatiir  mr  Pflege  des  Sinnes  fBr  das  SehSne  und  Edle  nioht  laintenanaetzen» 
den  Lesetrieb,  den  Hauptquell  der  eigenen  Fortbildung,  anregen,  die  Leeefertig- 
keit  hebten  uikI  da.-^  Vi  rstUndnis  der  Schriftsprache  fTirdem  müsse*'  mnfrlicbst 
gere<  lit  zu  werden,  erhält  aber  dabei  sein  eigenthiimliches  Gepräge  durch  den 
Eintluss  eines  Grundsatzes,  der  zwar  im  „Lehrplane"  bei  der  Stelle  über  das 
Leeebnch  nicht  mit  besonderer  Betonnng  nosgesproehen  wird,  wol  aber  sich 
durch  den  gesammten  Lehrplan  als  rother  Faden  zieht.  Es  ist  das  alte  ,.Noa 
Rcholae,  sed  \itae  discimus",  das  in  der  Fortbildnti^sschule  sich  noch  weit  mehr 
Geltung  zu  verschatten  hat  als  in  der  ^'olksfschule,  das  hier  jreradezn  das  Leit- 
motiv sein  muss,  weshalb  ich  es  auch  in  Ermangelung  einer  \'urrede  auf  den 
Titel  gesetzt  habe. 

Zwar  sollen  die  Fortbüdnngasehnlen  vor  allem  die  aUgemeine 'Bildung 
befestigen  und  ergänzen,  aber  das  muss  und  kann  geschehen  mit  besonderer 
Heziehiin£r  «b «  I  nterrichts  auf  das  bürgerliche  und  berufliche  Leb'^n. 
Damit  soll  keineswegs  gesagt  sein,  dass  Schuhmachern  und  Schneidern,  Gerbern 
und  Fftrbem,  Schmieden  nnd  Schlossern,  Webern  und  Wirkern  ete.  eine  beson- 
dere Berflcksichtigang  ihrer  bemflichen  Bfldongsbedflrfiiisse  einzoräomen  sei 
Das  wfirde  ganz  dem  allgcmieinen  Charakter  unserer  Fortbildungsschulen 
widei-jsprechen.  Diese  kßnnen  und  dürfen  nicht  Specialfortbildnngsschnlen.  etwa 
eine  Art  Fachschulen,  sein  un*l  werden.  Höchstens  wird  mau  in  gr»i^n 
Städten  mit  der  Zeit  daran  denken  können,  in  besonderen  Classen  diejenigen 
Schfiler  zo  yereinigen»  welche  gleichartige  oder  Terwandte  Gewerbe  eriemen. 
Hingegen  die  Ikzugnahme  auf  das  bürgerliche  und  bis  zu  einem  gewissen 
Gr.nlf  ancli  auf  das  berufliche  Leben  ist  in  unseren  allgemeinen  Fortbildnngs- 
schuleu  nicht  allein  nnr  möglich,  sondern  auch  noiüwendig.  Der  Mangel  einer 
solchen  Bezugnahme  unf  das  praktische  Leben  ist  eine  der  Hauptursachen  der 
unleugbaren  Thatsachen^  dass  der  passtve  Widerstand  in  vielen  VolkdcreiBen 
g^lpen  die  obligatorische  allgemeine  Fortbildungsschule  noch  fortdauert  nnd  dass 
gewerblielie  \%  rbände  dahin  dräniren.  dieselbe  njöglichst  zu  Fachst  Imlen  umzu- 
bilden. Beidt  l?i'8trebnn£»^en,  sowoi  die  auf  Aufhebung  als  die  auf  Umbildung 
gerichtete,  können  nur  durch  Erweckung  besserer  Überzeugungen  von  dem 
Zwecke  unserer  Fortbildongsscholen  nnterdrflekt  werden.  Denn  wenn  auch 
Fachschulen  den  einen  Zweck,  die  wirtschaftliche  Hebung  der  onteren  Clanen 
niit  zu  bewirken,  erreichen,  so  dürfte  doch  dabei  der  andere  —  und  er  ist  der 
Hauptzweck  —  die  sittliche  Hebung,  dabei  Eiubofie  erleiden,  da  sich  bei 


DigitizecJ  bv  (^.nnr>\c 


—  309  — 

Fadischalen  die  materiellen  Interessen  zu  sehr  in  den  Vordergrund  drängen. 
Eine  Anfbebtnis'  abri-  wHre  ein  Rückschritt  in  unseren  Bildnnfrshcstrebiineren 
überhaupt  und  käme  nur  volksfeindlichen  Elementen  zugute.  Ks  gibt  nun 
dmnftl  in  uiuerem  gegenwärtigen  Coltiirleben  «Ine  Reihe  von  BUdnngsstoffen, 
die  Innt  nedi  BerttckriditigaDg  eehreiett,  die  aber  von  der  Yolktee^vte  niefat 
berücksichtigt  werden  können,  weil  dort  weder  die  Zeit  noch  die  Verständnis- 
mhig^keit  vorhanden  sind,  die  daher  der  Fortbildnngsschiile  zugewiesen  werden 
müssen. 

Ans  diesen  Erwägungen  ensächst  aber  eine  besondere  Verpflichtung  bei 
der  Heraoegabe  eines  Lehr^  und  Lesebnehns  für  Fertbildungascinilen.  Es  miiss 

demselben  ein  solcher  Inhalt,  eine  solche  Fassung  und  Anlage  gegeben  werden» 
dass  auch  dem  eiiifatlieii  Verstände  der  Eltern  und  Lehrherren,  sobald  sie  das 
Buch  zur  Hand  iiehnun  —  und  das  peschieiit  erfahrungsgemäß  in  den  meist 
bücherannen  Familien  unserer  mittleren  und  niederen  Stände  sehr  oft  — ,  die 
ÜbeniengiBig  von  der  ZweekmftlHgk^  Nfitzüehkett,  Ja  absoloten  Nothwendig' 
kdt  nnaerer  allgemeinen  FortbUdungsschnkn  einleuchtet.  Ja,  es  muss  geradezu 
'Iriltin  prestrrht  werden,  dass  der  Hansvater,  der  Knecht,  der  Aibeitf  ?-.  <\<*r 
Meister,  der  Geselle  etc.  es  recht  oft  in  die  Hand  nehmen,  tun  es  mit  zu  lesen, 
lüt  Recht  bemerkt  Scliulratli  Grüliich  („Der  UuteiTicht  etC  j:  „Da«  Lesebuch 
Mü  nieht  blos  für  den  Fortblldongsantenicht  dienen,  sondera  seinra  EinJInss 
über  die  Seiinle  hinana  erstrecken  und  auch  die  derselben  Ittngst  Entwachsenen 
noch  zum  Lesen  mit  nTireg^en."  Und  sehr  wahr  ist,  was  einer  der  „Gutacht- 
lichen Berichte",  auf  denen  der  ufhcielle  Lehrplan  fuöt,  bemerkt:  ..Namentlich 
tlir  die  Verhältnisse  der  einfachen  ländlichen  Fortbildungsschule  ist  ein  geeig- 
netes Lesebach  ganz  nnentbebrlich,  nnd  dieses  mfiteste  mehr  noch  als  die  bisher 
ersehienenen  zugleich  ein  Haus-  und.  Volksbuch  sein."  Deshalb  linden  Sie 
auf  dem  Titel  die  Worte  „zugleich  als  X'olksbuch  herausgegeben",  ob  mit  vol- 
lem Hechte,  mög^enSie  selbst  entscheiden.  Freilich,  dieser  JJestiiiimuag  entgegen 
wirkt  der  an  vielen  Orten  bestehende  Usus,  eine  Anzahl  von  Exemplaren  als 
Schnllnveatar  annkaofen,  sie  nach  der  Schnle,  wenn  nicht  gar  nach  jeder  Un- 
toriebtsstllttde,  dem  Schfiler  abzufordern  und  in  den  Schulschrank  oinsttScUie- 
ßen.  Man  sollte  wol  meinen,  da.'*?^  dem  Fortbildungsschüler,  der  in  den  meisten 
Fullen  schon  einen  Verdienst  hat,  die  Ausgabe  für  sein  Lehr-  uud  Lesebuch. 
im  tur  den  denkbar  niedrigsten  Preis  gegeben  wird  —  hier  beispielsweise 
19  Bogen  Ar  1  H.  —  ziunimnten  seL  GehlM  es  doch  entschieden  mit  mr 
Anlisabe  dieser  Schule,  die  jungen  Leute  aur  Einsicht  an  bringen,  dass  der 
Xensch  anch  geistige  Bedürfnisse  hat  und  ßlhig  sein  muss,  zu  Gunsten  der 
IctzterPTi  sich  einmal  materielle  Geiiiisse,  denen  bekanntlich  anoh  die  Fort- 
büduugisächüler  schon  nachhängen,  zu  versagen. 

Schon  im  Eingange  habe  ich  anf  die  nothwendige  und  thatsSehliche 
Verschiedenheit  unserer  Fortbildnngssdialen  hingewiesen,  aber  bei  aller 
Mannigfaltigkeit  zerfallen  sie  doch  in  zwei  Hauptgruppen,  in  ländliche  und 
städtische,  oder,  indem  wir  die  wesentlich  industrielle  Besclillftijninffswei.-e 
unserer  Bevölkerung  ins  Auge  fassen,  in  ländliche  nnd  gewerblicite. 
Leider  bezeichnen  auch  diese  Ausdrücke  nicht  ganz  treffend  die  thatsllchlichen 
VerhUtniwe.  Wir  haben  IndustriedSrfer  und  Ackerbanstlldte,  aber  wie  fai 
jenen  sogleich  nebenbei  Landbau  getrieben  wird,  so  in  diesen  nebenbei  Industrie. 
Zndem  erweckt  der  Ausdruck  „gewerbliche  Fortbildungsachnlen"  zu  sehr  die 


.  ki.i^cd  by  Google 


—  310  — 


VorKtellunp  von  Faolischalen ;  für  ..ländlicli»  "  Foitliildnnsrssrlinlen  ..Limlwiit- 
schaftliche"  7.n  sagten,  cclit  p!ifn«"\venig  an.  d:i  man  darunter  Ackerbauschuien 
verstehen  würde.  Ich  habe  dalier  den  Ausdruck  ,4ändlich"  xorgeztygea  und 
versteh«  anter  „IftDdlioheii  Fortbildvogsschuleii'*  eolehe  in  Torzogswetee 
Ackerbau  treibenden  Dörfern  nnd  in  demjenigen  Lnndstidten,  wo  der 
Ackerban  neben  dem  Kleinjfewerbe  die  Hände  beschäftigt.  Die  Anschananj^. 
da^s  die  FnrtbiMnn£rssihnlp  den  vf^i-^rhiedenartigen  looal*"n  Bfdtirfni'iSiMi  ver- 
ständnisvull  entgegenkommen  müsse,  um  sich  mehr  nnd  mehr  zu  consoiidiren; 
ist  bei  dm  skKndisehen  Berathongen  wttliread  des  Landtages  1879/80  nieiu> 
fsch  xnm  Ansdmck  gekommen  nnd  Aieli  von  der  königlichen  StaaUregiemng' 
vertreten  worden.  Die  letztere  äußerte  sieh  n.  a.  folgendermaßen:  „Die Fort' 
bildungsschnle  mns-  ♦mim-  sranx  versrhiedene  »ein  in  Sfüdt*  n  und  in  Dörfern, 
verschieden  in  gruik  n  Miulttu  und  in  kleinen,  verschieden  in  Dörfern,  welche 
hauptsächlich  von  einer  dem  Ackerbau  obli^enden  Bevölkemng  bewohnt  sind, 
nnd  in  D9rfem,  deren  BevSikemn^  wesentlich  mit  bidostrie  beseUUfUgt  ist" 
(Lehndan.  ]iair.  15.)  Daraus  folgt,  daas  ein  fBr  alle  FortbÜdnngsschulen  be- 
rerlnu'ti's  l,fM'liuoli  narh  keiner  Seit hin  ranz  jrenlieen  kann.  da«s  es.  bei  aller 
t  bereinstitrHauiiir  in  ^^ewissen  allj^emeinen  Theilen,  ein  besonderes  geben  muss 
für  das  Land  und  eins  für  die  Stadt.  Eine  weitere  Scheidung  dftrfte  vielleicht 
wftnsehenawert,  aber  ans  verschiedenen  Grftnden  nicht  gnt  mSglich  sefai.  Das 
Tortiegmde  ist  das  fSr  Iftndliche  Verhlltni»se  liestinnnte. 

Xietnnnd  wird  leuprnen  können.  dn<!s  das  ..Land''  üe]h(it  in  unserem  von 
Industrie  so  durcli^t  tztPii  Sachsen  noch  sein  t  is»  ntiiiiinlii  lit?s  Gepräge  hat,  das 
in  mehr  als  einer  Beziehung  von  dem  stAd tischen  sich  unterscheidet  Hier 
pnlsirt  noch  ein  ^^nartiges,  stilloree,  langsameres^  vom  Weltgetriebe  weniger 
ber&hrtes  Leben ^  das  die  Sprache  einllKh  mit  Landleben  bezeichnet:  hier  trillt 
mau,  wenigstens  strichweise,  nocli  patriarchalisch t  s  Familienlebe  n  in  Ban^m- 
hnnfpm.  2T*'>6*'rf  Kiiifachheit  in  der  Lebensweise,  naive  Anschauungen,  unge- 
künsteltes Beuehmen,  natürliche  Einfalt,  einen  durch  die  tägliche  Arbeit  ver- 
mittelten vielseitigett,  innigen,  wenn  anch  nicht  mit  klarem  Bewusstsein  em- 
pfundenen Verkehr  mit  der  Natnr,  im  allgemeinen  frömmere  Oerfnnnng.  wenig- 
stens mehr  Kirchlichkeit.  zäheres  Festhalten  am  Althergebrachten  und  an  der 
Volkssitte,  aber  neben  dem  Lichte  anrh  tiefe  Sfdiatten.  M:\nches  Laster,  wie 
Spiel-  und  Trunksucht,  mancher  Charakterteiiler.  wie  (^fn>bheit  und  Boheit 
Oeiz  nnd  Geldprotzenthnm,  manche  ^dvngsmängel,  wieÄberglanhenndStreit» 
sncht,  Selbitsncht  nnd  Beschrtnktheit,  manches  sociale  Gelireehen,  wie  Ammt 
nnd  Bettelei,  leichtsinniges  Schuldenmachen  nnd  Halsabschneiderei,  findet  man 
auf  dem  Lande  anssreprilctfr.  Fnd  da  di«^  natürlichen  nml  socialen  Lebens- 
bedingungen w  esentlicit  andere  sind  als  in  der  Stadt,  so  ist  auch  die  Gedanken- 
welt der  DSrfler  wesentlich  anders.  Im  Hitne  des  Banem,  der  hinter  dem 
Pfluge  herschr^tet,  Uber  sich  die  singende  Lerche,  der  durch  des  Kornes  he- 
wegte  Wogen  wandelt,  in  Hans  und  Hof  wie  ein  unumschränkter  Gebieter 
schaltet  nnd  waltet,  d.  s  Kneehtes,  der  im  Stalle  d^ft  Viehes  wartet,  tnlnmend 
in  der  Scholikeüe  des  Wagens  sitzt,  des  Kuhjungen  auf  der  Weide,  des  Dorf* 
handwerkers,  des  Schmiedes  nnd  Stellmachers,  d^  Schneiders  nnd  Schnh- 
machers,  des  Hanrers  nnd  Zimmermanns,  deren  Leben  aaf  dem  Dorfe  mit  an 
die  Scholle  geknüpft  ist,  des  TagellShners.  dessen  Existenz  vom  Gutsherren  ab* 
hängt,  kreisen  andere  Vorstellungen,  energisch  zwar,  aber  in  einem  weit  engeren 


i^iyuu-cd  by  Google 


—   311  — 

Horizonte,  machen  sich  besondere  Interessen  geltend,  re^m  sich  mich  Art  und 
Orad  andere  üefiilile.  Daraus  folgt  aber,  dass  auch  ilir  Bildiintrsbedürtnis 
ein  anderes  ist  nach  Umfang  and  Inlialt.  Ist  doch  daü  Leben  aller  Dürfler 
eoneentrirter;  bei  den  meisten  spielt  es  sich  in  den  engen  Grensen  der  Heimat 
ab;  wo  sie  ihres  Daseins  Kreis  begonnen,  da  vollenden  sie  ilm  in  dar  Begel 
nach:  Widinort  nnd  Heimat  sind  ihre  eigentliclK-  Welt. 

Die.^es  Leben.  die«e  Welt,  au  der  die  jungen  Leute  ;iut'  dem  Lande  nach 
der  Conäimation  viel  mehr  theilnehmeu  als  früher  and  als  die  der  Stadt,  in 
klaren  Bildern  vor^nftthren,  es  ilirem  Verständnisse  yollends  anf- 
anschließen,  es  von  Idealen  Gesichtspunkten  za  belenchten  and  zu- 
gleich die  Beziehungen  der  Heimat  zn  Vaterland  und  weiter  Welr 
t  rkenneii  zu  lassen,  ist  nach  unserer  AuAassung  die  Hauptaufgabe  der 
i*  ortbüduugsschule,  zumai  der  auf  dem  Lande.  Nicht  einseitige  Vermelirung 
des  Wissens,  soodem  Stftrknng  der  sittUchen  Krftfte  im  Volke  ist  ilir  letates 
ZieL  Damm  hat  sie  vom  Leben  auszugehen  nnd  nicht  von  der  Wissenschaft;  von 
dieser  hat  sie  ans  dem  Gebiete  der  Natur,  Cultur  und  Literatur  nur  das  heran- 
zuziehen, was  zum  einfachen  Ven-tändnisse  des  Lebens  in  Familie,  Gemeinde 
und  Staat  nöthig  ist.  Indem  sie  sich  auf  das  Naheliegende,  Nuthwendige  und 
Unerllsdidiebeschrliikt)  wirkt  sie  intensiyer  nnd  nnmittelbarer  iarwirtsebalt- 
licbe  nnd  sittliche  Hebung  des  Volkes.  Die  VolksechnlenuNir  immerhin  Lenuehnle 
nein,  hier  mag  man  für  die  Schule,  d.  i.  die  Fortbildungsschule,  lernen,  sich  aus- 
rüsten, mit  Verständnis  undGedltchtniskraft,  mitFähifrkeitt  n.  Kenntnissen  undFer* 
UgkeiteOi  damit  dann  in  der  Fortbildungsschule  um  ho  besser  ans  dem  Leben 
fftra  Leben  gelehrt  und  gelernt  werden  könne.  Geschieht  dies,  so  wird  die 
Folge  sein,  dass  jeder  seine  Lebensstellung  und  damit  anch  sdnen  Pflieh> 
tenkreis  klarer  erkennt  und  allen  Lebenserscheinungen  gegenüber  sich  denken* 
der  verhält.  Erkennt  sich  aber  dann  jedt  r  als  ein  nothwendiges  Glied  in 
dem  wandervoileu  Organismus  der  menschlichen  Gesellschaft,  sieht  jeder 
ein,  dass  der  Bestand  dersdben  an  die  sittliche  Weltordnnng  gebunden 
ist,  flililt  jeder,  dass  er  snr  Anfirecbterhaltnng  dieser  mit  verantwortlich  ist, 
so  wd  die  weitere  Folge  ein  „heißeres  Bemühen"  sein,  still  und  nnersehlafftr 
nnd  sei  es  im  kleinsten  Wirkung-skreisc.  die  höchste  Kraft  zu  ent- 
ialteu,  seines  Berufes  treu  zu  warten,  s^  ine  Pflicht  voll  und  ganz 
zu  thun.  "Wer  mit  dieser  sittlichen  Kraft  ausgerüstet  ist,  wird  sich  auch 
wirtschaftUeh  heboi,  an  innerer  Zufriedenheit  gewinnen  nnd  dadurch  wiederum 
sittlich  heb^  So  vollzieht  sich  »  in  Kreislauf  der  sittlichen  Kraft,  der  zur 
Stärkung  derselben  in  aimlichrr  Weise  beitrlis-t,  wie  der  Kreislauf  des  elektri- 
schen Stromes  um  »  inen  Eisenkern  zur  Verstärkung  de*;  Kickt lumapnetismus. 
Der  Eisenkern  aber,  um  den  die  sittlichen  Volkskräfte  zn  ihrer  eigenen  Kräf- 
tigung energischer  Icreisen  mSssen,  ist  der  Kern  des  Christ^thnms,  die  Liebe 
XU  Gott,  der  dadurch  zu  erzengende  Ethomagnetismus  aber — die  Nächstenliebe. 

Soll  nun  die  Frti-tliildungsschule  nach  dieser  Richtung  hin  mit  arbeiten, 
s*»  bedarf  sie  nicht  nur  vorzüglicher  Lelirer.  sondern  auch  zweckmälJiirer  Lehr- 
mittel. Zu  diesen  ist  vor  allen  das  Lesebuch  zu  rechnen  j  denn  in  der  Fort- 
bildungsscfanle  mnss  lesend  gelernt  werden,  nnd  awar  nicht  nur,  um  m(fg- 
lichst  die  Selbstthätigkeit  anzuregen  und  das  selbsttigene  Erfiusen  der  Bil- 
dungsstofTe,  die  Methode  der  Selbstfurtbüdunf^  zn  zeigen,  sondern  auch,  um  der 
Jilrmildnng  und  Gedankenlosigkeit  vorzubeugen,  die  sich  so  leicht  bei  Schüleru, 


u\'^ui^c6  by  Google 


—  312  — 


die  lie.s  Tages  über  tüchtig  körtierlich  arbeiten  müssen,  einstellt,  wenn  ihnen 
nur  vorgetragen  wird. 

Wu  nun  im  aIUremeiii«B  den  Inliftlt  aabetrifit,  m  mam  das  Lesebodi 
diis  oben  an?edeutete  Leben  mit  seillMlLiclit-lliidSclMtteineitwi  widerspiegeln, 
das  volle  Mciisriieiilebon,  das  ja  interessant  ist,  wo  man  es  anch  ivTrk-p.  riieriii. 
im  Strome  der  Welt,  liefen  Hildungsstoffe,  die  namentlicli  tnr  In  t'haraktei- 
bildung  höclist  wertvoll  sind,  für  den  schnlmäfiigen  Gebrauch  ireiiicü  vieliacli 
ent  noch  bearbeitet  werden  müiieiL  Für  die  Tolkiediiile  afnd  die  metoten 
noch  nicht  braachbar,  weil  erst  auf  der  spfttem  Stoll»  des  Fortbüdnngssdnil- 
nnteniclits  die  nrithiffen  Erfahrnngren  und  das  wünschenswerte  eigene 
Interesse  dem  reifenden  Verständnisse  entfretr^nkonmien.  Diese  Lebens- 
bilder sind  möglichst  den  besten  Schriften  unserer  volksthtunlichen  Literatur 
in  entlelinent  nnd  bat  der  Heransgeber  nur  dann  mit  eigeoeD  Arbeiten  bes. 
Unuurbeitiingen  einzvtreten,  wenn  sich  bei  sorgftltiger  Umsdian  ein  swedkent- 
sprechender  Anfsatz  nicht  finden  lässt.  Eine  weitere  Forderang:  an  ein  Lese- 
bach für  Fortbildungsschulen  ist,  dass  nicht  nur  der  Inhalt,  sondern  anr  h  du- 
Sprache  volkstümlich  sei,  dass  schon  die  Form  des  Inhalts  auf  den  Willen  des 
fikdifllers  e&iwirice.  OaliBr  flndw  sie  die  Gapitdftbersdmften  in  Form  tod 
kategorisehen  Imperativen,  die  aidi  im  Willen  des  Scbfilers  sn  Onud- 
Sätzen  gestalten  sollen.  Das:  ,. Piene  treu,  fleißig  und  ehiiich!"  muss  sich,  um 
ein  Beispiel  anznfiiliren.  dnreli  den  Einfluss  der  Leetüi-e  und  des  Lehrers  in 
ein:  „Ich  will  treu,  fieiliig  und  ehrlich  dienen!"  verwandeln.  Keine  Charakter- 
bildnng  ohne  Erzeugung  von  Grundsätzen;  sie  sind  das  Enochengerüst  det» 
Charakters.  Da  abcf  die  Charakterbildnn^  bei  jungen,  mir  Ifäimtiehkeit  «ich 
entwickelnden  Leuten  die  Hauptsaclie  ist,  so  sind  die  Lesestücke  hier  nicht 
nach  den  üblichen  Kategorien  der  LehrfJtcher.  sondera  nacli  sittlichen  Gesichts- 
punkten zu  wählen.  Um  endlich  sicher  zu  sein,  dass  aus  dem  zn  schildernden 
Leben  nichts  Wesentliches  wegbleibe,  sind  sie  zugleich  mit  Eücksicht  auf  die 
Lebenskreise  so  wlUilen  and  so  ordnen,  die  den  SchfUer  eoneentriseh 
uiiiu^eben.  die  der  Virfksschtülinterrieht  mit  ihm  zwar  schon  dui'chwandet  t  iiat, 
di*'  b'nitliildungsschule  aber  noch  einmal  von  höheren  sittlichen  und  docli  zu- 
gleich praktischen  Standpunkten  betrachten  muss.  Dabei  gilt  es.  Sorge  zn 
tragen,  dass  das  Wichtigste  ans  dem  Gebiete  der  Wissenschaften  zur  Wieder- 
holung und  Ergllonnir  komme,  dass  der  Lehrer  Anknfipftmgspunkte  sn  weite- 
ren Darstellungen  linde  und  Ton  Lesestfick  za  Lese^ttck  geistige  Brficken 
schlagen  könne. 

Aus  alledem  folj^t,  da«s  das  vorliegende  Lesebuch  nicht  nur  eine  lose 
Summlang  von  brauchbaren  Lesestücken,  sondern  ein  Buch  mit  einem  durch- 
gefQhrten  Oedankengange  sein  will.    Indem  ich  Sie  OTSuche,  es  unter  meiner 

Führung  durchzugehen,  wird  sicli  nicht  nur  der  nach  meiner  unmaßgeblichen 
Meinung  für  die  eiiifai  Iien  Fortbildnng-sschulen  anf  (h  m  Lande  nöthis:e  Lehr- 
und  Lesestoff  —  mit  Aus<?ehln8s  des  Kechneus  —  eingeben,  sondern  auch  da», 
was  der  Lehrer  ergUn/.eud  liiiiiiuzubnngen  hat. 

1.  Das  Leben  in  der  Fortbildongsschde* 

1.  Die  Furcht  des  Herrn  ist  der  Weisheit  Anfang.  Da  bei  dem 
Rptriehe  <Ip>  Fm  rbildnnsrsschnlunterriohts  diejenigen  Lehriresenstflnde,  die  au- 
<lerwäits  schon  eine  Fliege  finden,  wegzulassen  sind,  so  hat  auch  der  Heligioos- 


.  j  .  d  by  Google 


—  313  — 


Unterricht  auf  dem  Lehrplanp  keine  Stellt»  fiTiden  Tünnen:  denn  die  aus  dfr 
Volksschale  eiitlastseueii  Knaben  Huden  in  dem  öftentlichen  GottesdieubUi,  be/.. 
durch  katecbetische  Unterredangen  in  der  Kirche  hinreichend  Gelegenheit  zur 
EriMHum^.  Gleidiwol  darf  aneh  in  dArFortUldnngMcInile  dto  rdigitae  Weihe 
nicht  ganz  fehlen.  Nr.  1,  ein  classisches  Schulgehet,  und  Nr.  2,  Wanderung 
ins  T.f^«»n.  flfirfti-n  daher  zweckmäßig  einleiten.  Unter  Nr.  2  Hnden  '^irli,  wie 
an  anderen  Urten.  die  ei-sten  Hinweise  auf  früher  im  Volksechnllesdl.iu  he  ge- 
lesene Gedichte,  Erzählungen  etc.,  die  wieder  in  Erinnerung  gebracht  werden 
SDlltti,  damit  aie  nicht  dem  gSndidien  Vet^peesen  anheimfallen,  nnd  mtweilen 
alt  Ausgangspunkte  benutzt  werden  können. 

2.  Merket  iuif.  da.s.s  ihr  lernet  und  khier  werdet!  Mit  die.ser 
Salomouisclien  Mahnung  soll  der  Lehrer  au  der  Hand  der  Lesestücke  3 — 7 
die  Schüler  zur  P^insicht  bringen,  dass  nach  Sokrates  zum  Anfange  aller  Weis- 
heit auch  die  Erkenntnis  gdiSrt,  dass  man  nichts  wisse.  Hier  ipüt  e«  auf  die 
großen  Reiche  des  menschlichen  WissoiS  hinzuweisen,  die  Schüler  von  der 
Manicelhaftig'keit  ihrer  Hildun-^  drastisrh  zu  üljerzeugen.  auf  den  Weil  und 
die  zw  e(  k mäßigste  Art  des  Lesens  und  Übens  anfmerksam  zu  macheu.  den 
Nutzen  der  Fortbildungsschule  und  die  wol wollenden  Absichten  der  Regierung 
danndegen,  die  Yomrteile  darüber  za  awstreora,  die  gesetzlichen  Bestimmun- 
gen, sowie  die  Schul-  und  Strafordnung  Tonsnleeen  nnd  zu  erläutern  nnd  die 
VorzH^e  größerer  Bildung,  die  daraus  her\'orgehende  größere  Achtung  und 
Wert.«iehiltznn«:  vnn  5?eitp  der  Mitmensclien,  sowie  den  davon  abhängigen  höhe- 
ren iTenuss  aui  Leben,  darzuthun.  Wenn  der  Lehrer  als  eine  allgemein 
geachtete  Pers6nUehkeit  tber  diese  Dinge  mit  seinen  Schillem  spricht  —  nnd 
es  ist  das  allein  sdion  ein  groierNntBen  derFortbÜdongaschnle,  dasa  wöchent- 
lich wenigstens  einmal  eine  sittliche,  gebildete  Persönlichkeit  mit  den  jungen 
Lent»'n  vrvkt  lur  —  wenn  er  ihnen  \'ertranon  nnd  Liehe  entgegenbrinj^rt.  die 
l»ekanutlich  wieder  Vertrauen  und  Gegenliebe  erzeugen,  wenn  er  ilinen  unter 
allen  ümstttnden  Wirde  und  Emst  zeigt,  besonders  guten  Schillem  bei  aller 
gebotenen  Zorflckhaltnng  eine  gewisse  Frenndlichkeit  nnd  Theilnahme  als  Lohn 
ffir  ihr  gesitteteres  Betragen  zu  erkennen  gibt,  so  werden  rfcli  bei  ihnen  auch 
sicherlich  bald  Lemlnst,  Strehsatukeit  nnd  Interesse  in  dem  wünschenswerten 
Grade  einstellen  —  oder  es  niüi»ste  alle  Erfahiung  lügen.  Besonders  noth- 
wendig  eneheint  mir  noch,  dass  der  Lehrer  zu  Anfange  des  Schuljahres  mit 
seinen  Schfllem  das  Lesebuch  durchblättere,  um  sie  im  voraus  auf  die  I<ehr^ 
stoire  aufmerksam  zu  machen,  mit  welchen  sie  sich  beschäftigen  werden.  Das 
werkt  das  hir-  r»'>se  der  Sehiiler,  ermuntert  zur  Selhstth'Sti^keit.  rsv^t  ihnen 
dttö  Ziel,  orientiit  sie  nnd  überzeugt  sie,  dass  sie  nicht  nur  Nüthwendigei*. 
sondern  auch  Neues  lernen.  Nr.  4  enthält  Sprichwörter,  die  das  Schulleben 
widerspiegeln.  Bäne  Erklärung  und  Anwendung  derselben,  namentlich  zum 
Ausdrucke  für  Lob  und  Tadel,  möchte  ich  besonders  empfehlen.  Auch  der 
größte  Flegel  hat  nochRespect  vor  dem  Spriolnvurtc;  er  fühlt,  dass  ilnn  damit 
eine  allgemein  anerkannte  Wahrheit  aus  dem  Munde  des  Volkes  strafend  ent- 
gegentritt. Überhaupt  sind  mit  Bedacht  in  alle  Theile  des  Buches  Spricli- 
wSHergruppen  eingestreut  worden.  Es  ist  sehr  zu  beklagen,  dass  die  Sprldi- 
wörter  immer  mehr  ins  ^  i  l  ssen  kommen.  Da  die  meisten  erst  durch  Lebens* 
erfabrung  recht  verständlirli  wrnli  ii  und  diese  ira  Jünglingsalter  verhältnis- 
mäßig eine  größere  ist  als  im  Knabenalter,  so  hat  auch  die  Fortbildungsschule 


Digitized  by  Google 


—   314  — 


eine  noch  giülitfie  V  erpüiclitung  als  die  \  olkf»8chuie.  die  Spricliwürtei"  wieder 
in  den  Kond  des  Volkes  mrttdunif&hren.  Nr.  7  gibt  einige  aur^nde  Bei- 
spiele  lernbegifrig^er  Jttnglinge.  Der  Lebrer  wird  diese  Beispiele  ans  dem 
Scliatze  seiaes  Wissens  zu  vermehren  haben  und  nanientlicti  auf  das  Jugend- 
leben ..sen)st{rpmachter  Leute**  liinwt  isen  müssen.  Hiichst  ungern  verachtete 
ick  z.  1>.  aut  eine  Biogi-aphie  Franklins.  Jedoch  bei  dei*  leidigen  Rücksicht 
auf  den  Baum  and  Preis  eines  derartigen  Bnelics  Idttte  sie  nur  knapp  gehalten 
werden  kOnnen;  eine  kna^M  bfilt  aber  an  ihrer  Wirksamkeit  viel  ein.  £a 
werden  dalier  die  Schiller  auf  die  VolksbibUotheken  zu  verweisen  lein,  in  denen 
mau  wol  kaum  vergeblidi  nach  einer  Biographie  Franklins  fragen  dfirfte. 

(Schlnss  folgt.) 


Digitized  by  Google 


Lehrer,  Banemabende  und  Volksslndien, 


£m  ollener  Briet  an  ei*stei*e. 
Tod  WUHbata  Jfagi'Wkn. 

Wenn  (h'V  Schlnss  unseres  letzten  Aufsatzes:  „Unsere  Banemwelt  nnd 
die  .^tndien  iUier  Sjiraclie  imd  Wesen  des  Volkes"*)  ein  Programm  zur  luan- 
gnii'nalmie  und  Verwertung  dieser  Studien  für  die  nächste  Zukunft''  ent- 
bifllt»  to  war  damit  nicht  etwa  gemeint,  es  mUe  nun  die  Lelnenclialt  sofort 
■inl  ohne  wdten  an  die  ihr  zugedachte  Aufgabe,  die  Veraostaltiiiig  von 
„Banern:t>if'nrlt>n"  ^ehen.  Es  werden  vielmehr  noch  mancherlei  Hindemisse 
früher  zn  I  fwilltipren  sein.  Anch  insofern  bedarf  der  obige  Ausdruck  „in 
nächster  Zuicouft**  einer  iurgän^^ung  und  Berichtigung,  als  die  „Baaernabende" 
nicht  etwa  blos  den  Anfang  nnd  Aafachwnng  des  gepaarten  voUcathlni* 
lidien  Wirlcens  mid  Forschens  sein,  sondem  unter  steter  Verbeoserong  und 
Ansbildniif:  dei*  anf  den  Tianemabenden  beobachteten  Unterhaltungs-  und  Beleh- 
rungamethode  immerfort  beibehalten  werden  und  somit  auch  ein  eigen  es 
Ziel  für  sich  bilden  sollen.  Damit  aber  der  Eifer  and  die  Kraft  der 
Lefanr  in  Venaataltiing  solch«» Abende  nicht  eriahae  und  damit  dw  Stoff  an 
denselben  nidit  enehSpft  werde,  mnss  noch  eine  Reihe  weiterer  Veranstal« 
tungen  getroffen  werden,  die  wir  in  dem  gegenwärtigen  Aufsätze  ebmiklis 
be^rechen  wollen.    Wir  haben  somit  heute  die  Fragen  zu  beantworten: 

Welche  Hinderui&se  ätellen  sich  der  Veranstaltung  von  läudlidien  Unter- 
haltoogsabeDden  entgegen,  welche  Bedeutung  liaben  diese  Hindernisse,  und  wie 
sind  sie  zn  flberwinden? 

Welche  SteUong  nehmen  diese  Unterhaltangabmte  ond  mit  ihnen  die 
Lehrer  in  der  gesammten  litemriseh-volksthiimlichen  Bewegung  ein  nnd  welches 
ist  der  Zweck,  Umfang  nnd  die  üliederang  der  letzteren? 

W^ir  gehen  an  die  Beantwortung  der  ersten  Frage. 

I. 

Die  Mehrzahl  der  heutigen  Lehrfi-  liiUt  unsern  wit^derholten  Anfforde- 
rau^eu  in  stiller  Kps er ve  praiiz  K*'\viss  die  Meinunir  <'ntK«'l?«'n :  ..Eine  sidchc  Thä- 
tigkeit,  wie  die  Verauäiahung  von  Uuterliultuugsabeuden  auf  dem  Lande,  ge- 
hört nicht  xn  nnserem  Banfe,  ja,  steht  mit  demselben  nicht  ehimal  in  rechtem 
Zusammenhange."  Diese  Ansicht  ist  für  uns  ein  großes  Hindernis.  Aber 
schon  da*  Umstand,  dass  d«r  ganae  Plan  der  „Batumabende"  in  seiner  Zweck? 

•)  Ptedagogium  FV.  S.  44  und  5».  95. 
P*dAgogiam.  &.  Jahrg.  Htft  V. 


Digitized  by  Google 


—  316  — 


mäßigkeit  jedem  Leser  zunächst  unmittelbar  einleacbtet,  und  erst  die  Er- 
wägung der  näheren  Verhftltiiiase  der  Lehrerwelt  in  Bezug  auf  Bildung, 
sociale  Stellung  ele.  etc.  in  Oun  Bedenken  über  die  pnkttoehe  AneflUirbariLeit 

des  Planes  wachmfettf  l&sst  uns  ahnen,  dass  wir  es  hier  mit  eiu  'iti  uatÜr* 
Ii  -fi'-n  Krf-irtlt^rnis  zu  tlinn  liabfii.  dem  sich  küngtliche  Hiinicrnisse 
ent^t^tif ii.stelleii.  Dem  klar  iiiul  richtig  Denkenden  ist  doreh  diese  Ahuiuig 
auch  schon  der  Schlnss  nahe  gelegt  :  Das  natürliche  Erfordernis  soll  mit  Eifer 
verwirkUcht,  die  kttnetUdien  HindernisM  an  jeden  Preis  beseitigt  werden. 
Diese  Ahnung  —  welche,  weil  sie  etwas  Unmittelbares  ist,  sidi  sllen  ftat 
gleichmäßig  anf  liifngt  —  ist  es  anch.  wHchf*  st^lbst  jene  von  oinor sofortigen 
offenen  Erklärung  ijeK^en  nnseren  Plan  abhält,  die  im  Herkömmlicheit  gar  zu  tief 
befangen  sind  und  daher  das  Neue,  mit  den  gegenwärtigen  Gewohnheiten  des 
Lehrerlebens  nicht  Stimmende  des  Planes  and  damit  diesen  selbst  swfickweliett 
milssen.  l  ud  hiermit  glaube  Ich  die  Stimmung  des  weitans  grSBeren  Theiles 
der  Lehrer  ilnn  neuen  Anrp^nsrn  ffPE'enülH^r  erratli^^n.  hoffp  aber  auch,  den 
Standpunkt  £r«'oroben  zu  haben,  von  dem  aas  diese  Lehrer  ihre  Stimmung  be- 
ortheüen  sollen. 

Wir  kSnnen  nns  aber  hier  selbstvemUbidlieh  nicht  mit  Ahnnngen  be* 
gnflgen,  sondern  wir  mAnen  neigen,  dass  eine  umfassendere  Wirksamkeit  der 

Lfhrpr  dem  Volke  grgcntibpr.  wir  i  »  sich  z.  B.  in  Banerabeiiileii .  VortrüsTPn. 
auch  Abfassnno;  kleiner  \'olksschritten  etc.  betliätigeu  kann,  in  der  That  ein 
natürliches  Erfordernis  ist.  Es  existirt  ein  Stand,  der  für  die  reit* 
giSaen  Bedttrfliisse  des  Henschenf  von  der  Gebnit  Us  amn  Tede^  tm  sorgen 
hat,  —  der  Priesterstand.  Hat  aber  das  Volk  nicht  anch  geistige  Bediif* 
nissf  rein  weltlirher  \atur?  Kann  der  Geistliche  diese  befriedigen,  kann  er 
z.  B.  über  die  staatlirhen  Pflichten  des  Büi^ers.  über  Landwirtschaft,  Bota- 
nik etc.  von  der  Kanzel  herab  in  sachgemäßer,  ei-schöpfender  Weise  sich  er- 
gehen? —  Ja,  wendet  man  ebi,  n  aD  diesen  KenntalneB  wird  iet  6mnd  in 
der  Sehnle  gelegt,  dem  Kinde  beige1a«eht,  und  ein  jeder  soll  sieh  Zeit  seines 
Lebens  in  den  weltlichen  Kenntnissen  und  den  gesellschaftlichen  Tugen- 
den —  worunter  wir  ni'^bt  T'nterlialtnngstalent.  sondern  Eignung:  zur  Erfül- 
lung der  Pflichten  des  gewerblichen  und  geschäftlichen  Verkehrs  verstehen  — 
weiterbilden.  Wer  that  dies  i^ber?  In  den  Stftdten  liest  man  Zeitungen  und 
Bomane,  auch  sonst  ntttaliche  Schriften  und  Bfteher,  ist  also  wraigstens  be* 
strebt,  die  weitliehe  Bildung  zu  vervollkommnen.  Es  fällt  nieht  unter  mein 
Tliema,  zn  er?>rtpm.  inwifMvpit  das  gemeine  Stadt-  und  Fabriks%'olk  in  diesem 
Streben  auch  glücklich  und  mit  Erfolg  belohnt  ist.  Aber  das  Landvolk 
thnt  zu  seiner-weiteren  weltlichen  Ausbildung  auf  geistigem  uud 
moralisehem  Gebiete  erfahrenermaBen  nach  dem  schulpflichtigen 
Alter  nichts  mehr.  Das  Landvolk  ist  daher  in  diesen  beiden  Hinsichten 
ganz  hohl  und  eitel,  nnd.  da  es  auf  reli{?i()8eni  Boden  tortwälirend  An- 
regung" empftlngt,  so  ist  es  kein  Wunder,  wenn  der  Bauer  schließlich  von  dem 
religiösen  Überschuss  auch  auf  weltliches  Gebiet  hinüberpüauzt,  wenn  er  x..  B. 
lieber  geweihte  „Palmsweige'*  unter  den  Dachfirst  steckt»  als  sein  Hans  asse' 
enriren  Iftsst,  wenn  er  seiner  milcharmen  Enh  lieber  Weihwasser  etagieSt,  als 
das  Futter  Jindert. 

Wenn  die  fortschreitende  Cultur  auch  nicht  eine  stets  höher«»  An«bildunir  des 
Verstandes,  eine  —  was  wir  besonders  betonen  müssen  —  stets  größere  iSchulung 


Digitized  by  Google 


—   317  — 

und  KiMügung  des  WOleu  und  des  ArbeitsBinnes  erfordern  würde  und  dar 
BanerastBiid  ohne  getotige  «&d  dttUdiA  Hebno;  neben  dieser  Cnltiir  imd  ihren. 
steetUdMa  wie  socialen  Anfbfderangen  noch  zur  Noth  inithinken  könnte  — 
natürlich  nnr  als  Paria  —  so  mii««tf'n  wir  dorli  nn  sich  schon  eine  solche  Ver- 
aachlässig'un^  der  weltlicheo  Erzieliuug  des  Bauernstandes  als  unverzeihliche 
Sünde  an  so  vielen  menschlichen  Individuen  mit  dem  ganzeu  Aböcheu,  deäd^n 
usere  Seele  Waäg  ist,  Terwerfen.  Mir  bnben  sogtr  „Gebildete^  in  Wien, 
wenn  ich  ihnen  von  der  Znrückgebliebenheit  nnd  Verbildong  des  Landvolkes 
erzitlilte.  die  schändliche  Antwort  gregeben:  „Ja,  diese  Leutel  kennen  in  ihrer 
Zurückgebliebenheit  nichts  Besseres  nnd  deshalb  fühlen  sie  ilu*  geistiges  und 
moralisches  Elend  nicht  so  stark."  Solche  „Gebildete'*  verwechseln  wol  aach 
aorttckgebiiebenheit  mit  natnrlidnai  Umutand,  nnd  läppische  Idyllennuusher 
besttzken  dnrch  ihre  abgeechmaekten  Machwerke  die  Intelligenz  in  der  nn> 
gpuehmen  Übei'zengTing'.  dass  es  da  draußen  beim  Landvolk  ohnehin  nichts  zn 
bessern  ^äbe,  indem  selb»  »!  die  Unwissenheit  und  „Naivetät"  beinahe  woler 
bekäme  als  uns  die  Biidung^.  Diesem  Irrthom  g^enüber  behaupte  ich,  dass 
der  MeuBoh  mit  «einem  geistigen  nnd  littUdira  TheQe  ebenae  in  einer  iteten 
BewegnniT  begriffen  ist,  wie  mit  seinem  körperlichen,  dass  daher,  wo  Icein 
Fortschritt  gemacht  wird,  nothweudig-  ein  Rückschritt  eintritt,  dass  also  die 
ZüTÜPkgebliebenhcit.  insoweit  eine  solche  zu  constatiren  ist,  schlechter  ist 
als  ein  ursprünglicherer  Zastand.  Die  Anlage  des  Au&atzes  hindert 
mich,  dteen  Gedanken  Mer  des  Weitoreo  amniflUmn;  ieb  man  daher  den 
Leeer  dringend  bitten,  seineneit  ehie  grOBere  Ahhandlang  an  leaen,  betitelt 
»Eän  fehlerhafter  Volkscharakter'S  welche  bis  ins  Detail  die  Schäden  der  Ver- 
nachlÄssigunsr  an  den  Einwohnern  eines  niederösterreichiseben  Gebietes 
darlegt  und  welche  ich  ebenfalls  in  diesen  Blättern  veröffentlichen  wilL  Bedenkt 
man  nun,  dass  T«B  den  36  Hillionen  Oateneichem  22  Millionen  Laadlente 
rind,  ae  dürfte  ee  wol  aneh  im  Intereeae  dee  Staate«  nnd  derlntdUgennedn, 
das  Landvolk,  welches  notorisch  durch  BQcher  nnd  Schriften  nicht  zur  Eni- 
wickinng"  seiner  Anlag^en  bewogen  werden  krinn,  dnrch  persönliche  Ein- 
wirkungen zu  heben,  ähnlich,  wie  auch  seiu  religiöser  Sinn  fortwährend  durch 
persönliche  Einwirkungen  in  Predigt  und  Beichtstuhl  selbst  bei  den  Erwachse- 
nen noeh  geoUirt  wird.  Und  wenn  nnr  erat  eine  entaprechende  Aniahl  über 
die  Landbezirke  zerstrenter  gebildeter  Männer  von  dem  Bewusstsein  getngeB 
sein  wird,  ihre  Sache  sei  ps  die  weltliche  Bildung  des  Landvolkes  zu  ver- 
mitteln, auch  die  Erwachseneu  noch  fortwährend  zur  bessejen  Entwicklung 
der  vorhaudeuea  körperlichen  und  geistigen  Anlagen  anzuregen  —  dann  sind 
wir  «cihon  anf  dem  riehtigen  Wege,  dieBanemadiaft  endlich  aneh  einmal  vor- 
wärts zn  bringen  und  das  seit  vidleieht  mehr  ala  einem  Jahibnndert  an  ihr 
VeMÄnmt*'  allmählich  nachzuholen. 

Fragen  wir  jetzt:  Welches  soll  denn  nun  diese  „Anzahl  gebildeter  Män- 
ner"',  dieser  Staad  von  Volksbildnern,  um  concreter  zu  sprechen,  »einV 
Soll  etwa  der  Staat  einen  nenenVolkabildnenlaadoonatitnirennndbeaolden?  Daa 
wird  gewiss  nicht  geschehen.  Nur  einem  der  bereite  bestehenden  Stande  kann  diese 
Anfjrabe  jotgetheilt  werden,  und  unter  diesen  kann  nnr  wieder  vom  g-eistlichen 
und  vom  Lehrerstande  die  Rede  sein,  weil  ja  nur  ilue  An^rehüriffen  gleich- 
mäßig über  das  ganze  Land  vertheilt  sind.  Ich  habe  aber  schon  anderwärts 
dargelegt,  daaa  der  Geiatliche  mr  Veranataltnng  von  Unterhaltung»-  nnd  Be* 

21* 


Digitized  by  Google 


—   318  — 


letmuigBalieiHl«!!  wealgsteiu  iweh  kstholiMlMii  BegtilRni  sidi  aidit  herbeir 
iMsen  kann. 

Somit  bleilit  nur  der  Leliierstand  übrig.  Und  brancht  ea  denn 
diesen  Umweg,  um  einzuselien.  dase  derienige,  dt  r  die  Jugend  bildet,  auch  bei 
den  Erwachsenen  noch  fortwährend  nachhilft,  wo  sie  dessen  bedürfen?  Ist  es 
dorn  gKt  80  achwierifr  und  g«r  w  Tid  yariangt  tob  denLebrem,  daas  aiesidi 
SonntegB  oder  Samstags  eine  Stunde  lang  in  angemessener  Weise  mit  ihren 
Baupi-n  anterlialten,  diese  Unterhaltung  leiten  und  bieten,  wenn  ihnen  —  wie 
wir  später  nilher  erörtern  werden  — schon  der  Stoff  tur  diese  Unterhaltunj^en 
zxa  Aoswabi  zugeschickt  wird?  Diese  geringe  Mühe  steht  ja  in  gar  keinem 
VeriiSltnis  fo  dem  Nntsen^  den  sie  dem  Lehrerstande  bringt.  9o  ofk  werden 
Klagm  tantv  dass  man  keine  vollkommene  Methode  ausfindig  machen  kBone, 
um  den  Kindern  dauernd  und  fürs  Leben  den  Lehrstoff  beizubringen.  Man 
lerne  also  erst,  die  Erwachsenen  zum  freien  Besuch  der  Unterhaltungsabende 
heranzuziehen,  indem  man  auf  das  Angenehme  und  Anziehende  in  Bei- 
bringung des  Wissens  und  der  sittlichen  BegriiTe  das  nSthige  Gewicht 
sn  legen  sich  gew5hnt,  und  man  wird  dami  andi  den  nndam  gegentther 
am  eine  richtige  Methode  nicht  im  Zweifel  sein.  Diese  Wahrheit  sollte 
man  di-n  Lehrern  jeden  Tag  vnrpredigen.  Aber  nieht  allein  die  Me- 
thode in  der  Schule  wird  eine  lebendigere  und  fruchtbarere  werden.  —  auch 
die  öffentliche  Geltung  des  Lehrers  in  der  Gemeinde  wird  eine  ungleich  höhere 
sein,  wenn  derselbe  in  fthniieher  Weise,  wie  d»  Priester  die  religiöse,  die 
weltliche  Bildung  anch  den  Erwadisenen  berufsmäßig  vermifetett,  wenn  er  als 
dieser  Vermittler  allgemein  an^^rl<annt  ist.  Wir  wol]pn  hier  noch  nicht  aus- 
führen, wie  viel  dabei  die  persönliche  Durchbildung  des»  Lehrers  gewinnen  moss, 
weiai  er  das  gesammte  öffentliche  IVeiben,  den  ganzen  Lebensgaug  jedes  ein- 
Mthien  stndirt  und  flberwaeh^  um  ihn  richtig  beebiHnaeeo  mt  können,  —  wlh- 
rend  noch  heute  Schulmeisterlein  als  das  unpraktischeste  Ding  der  Welt  be> 
trachtet  wird,  I  i  -  vn  Leben  draußen  zu  gar  nirht.<  taugten  kflnnte.  Wir  wollen 
aucli  niclit  ausiuiiren.  wie  sehr  sich  der  Nachwuchs  an  jungen  KrJlften  qua- 
litativ bessern  mOsste,  wenn  der  Lehrerstand  zu  dieser  ihm  naturgemäB  ge- 
bärenden Höhe  des  Bemfes  erhoben  würde.  Gar  mancher  würde  es  voniehen, 
ein  solcher  angesehener  Apostel  des  Volkes  zu  sein,  statt  im  engen  staubigen 
Lehrzimmer  einer  undankbaren  G^mnasialjugend  todte  Sprachen  ra  tradiren! 

Es  ent!5tiindt'  in  den  Dorfgemeinden  eine  heilsame  Oncurrenz  zwischen 
dem  geistlichen  und  dem  weltlichen  Volksbildner.  Freilich  anfangs  würde 
nnd  wird  dieselbe  mitunter  gehlssig  ansfallen,  wie  es  in  der  Segel  geschieht, 
wenn  ein  Neues  neben  dem  Alten  sich  zu  Bedeutung  erhebt.  Ist  aber  derB^ 
ruf  de.s  Lehrers  in  dieser  neuen  Geltung  durch  die  Gewohnheit  panctionirt, 
dann  hört  auch  gewis.'i  die  Gehässigkeit  auf.  und  Pfarrer  und  Lehrer  wer- 
den mit  vereinten  Kräften  im  stände  sein,  das  geistige  und  sittliche  Leben 
der  G«mehide  zur  höchsten  Blüte  zn  bringen. 

Daa  einseitig  gdstliche  BeeinÜnssen  der  Dwfbewohner  bringt  ohndün 
mancherlei  Nachtheile  mit  sich.  Der  Landgeistliche  wird  nicht  controlirt  und 
hat  leider  nicht  immer  die  Gewissenhaftigkeit,  auf  dem  Gebiete  der  weltlichen 
Dinge,  die  er  in  die  Predigt  aoihimmt,  sich  mit  Strenge  an  die  Wahrheit  zu 
binden.  Welche  Gcsddohtsfilsdbnngen,  entnommen  ans  kritQdoaenErbanungs- 
büehem  für  Betschwestern,  werden  da  oft  vorgetragen!    Wie  werden  die 


Digitized  by  Google 


—  319  — 

Intentionen  maBgelMiider  PersönlicUceften  oft  entstellt  und  das  Volk  gegen  sie 
oecupirt!  Und  doch  ist  die  Versachnng,  auf  diese  Gebiete  überzugehen,  tUr 
den  Dorl^tanrer  am  so  größer,  als  die  Zuhörer  dergleichen  sonst  uii^nds  zu 
bOren  bekommen  und  daher  hier  begierig  aofiiehmeiL  Ist  aberjemand  im  Dorfe, 
bei  welchem  die  Leute  diese  Dinge  rabiger  und  riditiger  zu  bOren  bekommen, 
dann  mos«  sich  solch  ein  nnbedachteamer  Prediger  auf  einmal  gt^Aerer  Ge- 
nauigrkeit  b»  fleißt^n.    Ja.  fl^r  T.p!ir»'r  diese  weltlichen  Gegenstände  zum 

eig:entlichc;u  tiegenstand  siines  Vortrages  machen,  sie  daher  nmständlicher, 
genauer  und  mit  mehr  Interesse  behandeln  kann,  so  wird  der  Prediger,  dei- 
darfak  «nrflekbleiboi  muB,  de  nieht  mehr  m  ftnSeriieben  Put»-  nnd  ZugmitMn 
seiner  sonst  oft  so  leeren  Predigton  Terwenden  kOnnen,  sondern  gezwungen 
M'in.  wirklich  religi5se  Erbaanng  zu  predigen,  und  so  die  Starke  seines 
Vortrages  im  rein  Geistlichen  zu  suchen,  wie  der  Lehrer  im  "N\'eltlichen. 
So  iüt  mau  tu  ja  in  den  größereu  Städten  schon  li]lug8t  gewolint,  und  gewiäü 
nicht  zum  Naditheile  wahrer  BdigioBitSt  nnd  wahrer  Bildong. 

Also  hinweg  mit  dem  Vonirtheil,  als  ob  der  Lehrer  zu  d«  i  m  n  imä  er- 
innerten Thätigkeit  nicht  berufen  sei.  Die  bisherige  Gewohnheit,  die  Ei-zie- 
hung  im  »Seminare,  die  Mf^innng  der  Menschen,  —  dies  sind  alles  lauter  wichtige 
Factoren,  aber  sie  sind  keine  Naturgesetze.  Die  Verletzung  eines  >>utiir- 
gesetnes  milssto  sieh  allerdings  rSeh^  dnrdi  Verwimuigeii  nnd  NaehtheOe 
aller  Art  Auch  die  menaehliche  Gesellschaft  hat  ihre  Naturgesetze, 
durch  deren  innner  genauere  Beobachtung  sich  die  Menschen  dem  Ideale  der 
Gesellschaft  zu  nähern  haben.  Ein  soiclie«  Naturgesetz  ist  es  aber  auch.  dass 
der  weltliche  Lehrer  ein  Becbt  hat,  die  Unwissenheit  zu  bannen,  wo  er  sie 
tiiflt,  ob  in  Kindern,  ob  in  ErwacfaseoML  Und  so  lange  die  Lehrer  noeb  ge- 
ttsseBtUdi  anrttckbleibeB  hinter  der  AnslUlnng  dieses  ihres  Beehtes,  so  lange 
haben  sie  an  den  Strafen  zu  leiden,  die  ein  verletzte  s  Naturgesetz  eben  nach 
skh  zieht:  sie  s:ehen  sich  von  der  Menge,  die  ste  geistig  ))eh»'rrscheu  könnten 
und  sollten,  nicht  hoch  genug  geschätzt  und  geachtet,  während  ihi-e  Aufgabe, 
die  Erziehung  der  Majorität  der  Oesellschaft  für  das  Leben,  gewiss  eine 
edlere  und  erhabenere  ist,  als  etwa  die  Endehnng  fttr  eine  elnnhie,  oft  ganz 
einseitige  oder  abetracte  Berufsart;  sie  sehen  ihre  wirklich  anstrengende  Arbeit 
auf  einem  doch  so  nothwendigen  Gebiete,  wie  die  Schulerziehnng  ist,  im  Ver- 
hältnis zu  anderen  Lehrständeu  und  überhaupt  Bernfsarten  nicht  hinlänglich 
belohnt.  Hat  doch  der  Taglöhner  einen  größeren  Tagesverdienst  als  der 
üntorlehrer.*)  Die  Schuld  hieran  ist  die,  dass  die  Lehrer  sieh  nieht  ihre 
natnrgemäße  öffentliche Gditnng an  erringen  vermögen,  da  sie  hinter  dem  Ideal 
eines  wahren  Volksbildnercorps  noch  zu  weit  zurückstehen,  —  weil  sie  noch 
in  ihrer  Zaghaftigkeit  und  trägen  Plattheit  das  Naturgesetz  ihres 
Berufes  misshaudelu. 

Wie  kann  also  ein  Lehrer,  der  von  seinem  Berufe  hoeh  nnd  edel  denkt, 
ohne  einschränkendes  Vomrtheil,  —  wie  kann  ein  solcher  sagen:  .Tcli  habe 
meinen  Schulorgainsations-Entwurf  und  meinen  Lelirplan;  ttbw  das  hinaus  ist 
selbst  das  Streben  schon  ein  Unsinn!"'? 

Da  schüttelt  mir  nun  einer  den  Kopf  und  meint:  Wie  wird  man  aber  die 


*i  In  England  tte^  der  Oehalt  der  VolkMdinUehrer  von  1000  iL  Ins  auf 
mo  a  YgL  Ftodsgoginm  IV.  S.  501. 


j    -d  by  Google 


—   820  — 


Erwachspiion  danernd  an  diese  »Baneraabende"  binden  können?  Wie  wird 
man  vesrkiudmi,  da«8  mnthwillige  Personen,  wie  es  deren  ja  besonders  in  wein- 
erzeugenden  Gegenden  immer  gibt,  durch  unzeitige  Späüe  und  Posaeostäck* 
leil  die  Beinflhitng«ii  des  Lehren  vereit^?  Es  gehOrt  ja  sdimi  efai  gtmm 
Herrechertalent  dazu,  nm  hier  die  richtige  Methode  heramtsoflnden 
und  einznhaltt-n!  —  Wir  sehen  also,  dass  die  Verlegenheit  nm  eine  pas- 
sende Methode,  mit  den  ürwaehsenen  zu  verkehren,  sie  an  sich  zu  fes- 
seha»  ein  zweites  Hindernis  ist,  das  der  Verwirklidinng  unserer  Ideen  ent- 
gegensteht. 

Gegen  evenlndle  httbische  Streiehe  moss  abv  emikdi  die  OiwiglEeit 

angerufen  werden.  Es  ist  gar  nicht  zu  bezweifeln,  dass,  wenn  die  Leitung 
der  ^nn'/m  Angrelepenheit  in  den  Hünden  vertrauenswürdip'r  patriotiseher 
Männer  ruht,  der  ^taat  sich  bewegen  lassen  wird,  die  gute  Sache  in  seinen 
Schntz  ni  nehmen  und  mnthwülige  insvtten  ide  Störungen  von  Amtshaad- 
longen  strenge  sn  bestralbn.  Eine  negative  Seite  der  gesaehten  Hetbede 
Wftre  somit  klargestellt,  es  handelt  sich  aber  mehr  um  die  positiven. 

Es  wird  für  den  Lelirer  eine  wesentliche  Erleicht^nin?  sein,  dass  ihm 
der  Stoff  zu  den  „Bauernabenden"  zugeschickt  wird  von  einem  Coiuite,  das 
von  vornherein  auf  passende  methodische  Abfassung  und  Anordnung  des  Yor- 
tragsstoffes  Bedadit  nimmt  and  anch  die  nMhigea  Studien  macht,  um  dies  mit 
Erfolg  tliim  zu  kennen.  Aber  i«i«>ftrhto  iwlrd  auch  auf  den  richtigen  metbo- 
di.«clieu  Takt  des  T-^lirers  noch  so  manches  ankommen,  einerseits,  weil  er 
ja  iü  der  Wahi  aas  dem  Zugesandten  sieh  selbst  überlassen  bleibt,  und  üher- 
haupt^bei  der  praktibchen  Ansfähiuug  vei-schiedeue  Dinge  auftauchen  kön- 
nen, die  dem  Comil4  seibat  bei  der  reellsten  tfaeoretiscben  Yerarbeit  entgangen 
sind,  und  andererseits,  weil  dem  Lehrer  durchaus  und  priadpieU  die  Frei- 
heit gewahrt  werden  soll,  ^nn^!l^n|?ig  vom  Comite  Selbstverfasstes  oder  sonst 
Taugliches  seinen  Bauern  mitEuiiieUeu,  was  er  eben  nach  den  speciellen  localen 
Verhältnissen,  Sitten,  Charakterschwächen  etc.  d&r  notii wendig  findet  Wir 
glauben  also  hier  dnige  mediodisoiie  Winke  geben  au  müssen. 

Vor  allem  wird  unabweicblich  der  Grnndsats  festgehalten 
werden  mftssen:  Das  .^ns-enehme  mit  dem  Nützlichen  zn  paaren. 
Es  ist  ein  Naturgesetz,  dass  das  wahrhaft  Nützliche  zugleich  auch  wahrhaft 
angenehm  ist:  Der  normale  Appetit  des  Magens  verlangt  stets  datyenige,  was 
dem  S6rper  just  zntrilglich  ist,  und  eben  in  ficrQi^alchtigung  dieses  Yer* 
langens  liegt  zugleich  die  hOdiste  Annehmlidikeit  beim  Genosse  der  Speisen. 
Eine  Kenntnis  oder  eine  Reihe  von  Kenntnissen,  die  der  Geist  zn  seinem  nor- 
malen Ausbau  bedürfte,  die  ihm  aber  lange  vorbehalten  werden,  werden  mit 
heißem  Wunsche  verlangt,  und  die  Befriedigung  dieses  Wunsches  —  ein  Ober- 
ilftdilicher  mag  ihn  Neugier  nmmen  —  ist  angenehm.  Irgend,  eine  That,  eise 
Entschlieftmig  der  Gemeinde  wire  sdum  llagst  nothvendig  gewesen,  manfthlt 
allgemein  das  Bedürfnis  danach;  legt  sich  nun  einer  mit  enei^schem  Willen 
drein  nnd  veranlasst  die  Gemeinde  zn  raschem  Entschlnss,  «*>  übt  er  zugleich 
eine  wolgefällige  Handlung  ans,  ob  er  gleich  ziemlich  rauh  und  derb  dabei 
ist.  Bin  ich  lange  elneriei  Gefühlen  nachgehangen  nnd  war  ich  in  Gefahr, 
darin  au&ngehen,  so  wirkt  deijeaige  woitlAtig  und  angenehm  auf  mich  ein, 
der  endlich  dnmal  andere  Geftthle  in  mir  wachruft.  Und  so  ist  das  Nützliche 
wie  das  Angenehme  immer  vereinigt  bei  der  Erfüllung  eines  wirklichen  ße- 


Digitized  by  Google 


—   321  — 


dürfnigses.  —  Ich  weiß,  es  gibt  genup  Beispiele,  diiss  geradf  das  Nützliche 
unanirf^nphm  ist,  aber  alle  diege  setzen  einen  almonnen  Grund^iustand  voraus: 
Krankiieit,  verzogener  oder  aasgearteter  Charakter  etc.  Der  uonuale  Mensdi 
aber  darf  seinen  Geffthlen  und  seiner  kBiperiichen  Empfindung  tränen,  da  ihm 
dkM  von  der  Natnr  als  Cmlrale  für  das  Niltsliche  und  Richtige  beigee«lien 
sind,  und  glücklich  der,  bei  Weichau  diese  controlirenden  Factoren  aDieitig 
gleich  lebhaft  tind  erregbar  sind! 

«Ja,  —  aber  die  Bauersleute  »ind  eben  abnorm,  aonat  brauchte  mau  sie 
ja  nicht  zureeht  m  richten?!"  Wenn  ich  einen  Menschen  „abnam"  nma», 
to  heifit  das»  er  hat  canen  gewissen  Procentsatz  Abnormes  an  sich.  Würde  das 
Abncnne  fiher  das  Normale  überwiegen,  so  könnte  ein  solcher  Mensch  moralisch 
wie  physisch  gar  nicht  existiren.  Bei  den  Ranci-slenten  ist  aber  die 
physische  und  auch  die  moralische  Existenz  noch  immer  müglieli,  das  Nor- 
male dahei'  im  ganzen  und  großen  noch  immer  stärker,  wenn  auch  in  vielen 
Einxelheiten  das  Abnorme  Oberwindet.  Auf  jenes  hat  daher  der  YeUcs* 
büdner  pädagogisch  zu  fMen,  nicht  auf  dieses.  Das  Abnorme  ist  zudem  in 
Terschipflencn  Menscht  ii  nnd  selbst  in  dem  nllmlielien  Menschen  bei  verschie- 
denen Zeitrü  und  Veriiaitnissen  so  verschieden.  dai?s  es  ^ar  nicht  als  verläss- 
liche Grundlage  für  ein  piklagogiscbeH  System  dienen  könnte.  Also  das, 
was  im  gansen  am  hesten  gefallt,  den'  meisten  Zuzug  hat,  Ist  das 
Rlehtigste  fflr  den  Vortrag,  womit  aber  nicht  gesagt  ist:  das,  was  am 
lautesten  gepriesen  wird,  weil  ja  das  intliümliohe  Urtheil  einzelner  maß- 
gebender aber  abiioi-mer  Fer*<)nlichkeiten  oft  viele  g'cdankeTilnse  oder  unehrliche 
Nachbeter  tiudet.  Der  Lehrer  muss  daher  streben,  das  walirhaft  Gefallende 
auch  noch  an  aodersn  Kennzeichen  zu  errathen,  tun  nicht  vom  Gerede  und 
iaBerlichen  Treiben  Irrender  und  Irregeleiteter  selbst  verfülirt  zu  werden.  Er 
mnss  im  Mienenspiel,  in  der  durch  den  Vortrag'  erweckten  S:tiinniuii<j:  der  Zu- 
hörer erkennen,  ob  derselbe  ein  richtiger  war.  Ist  der  Lelirer  st  lh.it  reif, 
durcht^ebildet,  so  kann  er  sich  zumeist  auf  sein  eigenes  Ciefallen  verlassen. 

Hat  dne  Sache  im  ersten  Vortrag  gefallen,  deren  Fortsetzong  im  zweitoi 
aber  nimmer,  so  soll  das  dem  Lehrer  ein  Wink  sein,  das  bereit«  ein  anderes 
Bedürfnis  dringlicher  ist,  als  das  dtirch  den  ersten  Vortrag  einigermaßnn 
gestillte  oder  geminderte  nach  dieser  betreffenden  Saclie.  Diesem  Wink  muss 
gefolgt  werden«  Es  bandelt  sich  ja  nicht  um  die  erschöpfende,  systematische 
Barstellnng  dieses  Gegenstandes,  sondern  nm  dessen  stüdtweise  Ühersetcnng 
ins  BIgenthnm  der  ZnhVrer  nnd  damit  ins  Leben.  Der  nttchste  Vortrag 
wird  daher  schon  wieder  einen  andern  Gegenstand  zn  behandeln  habot, 
nnd  erst  nach  längerer  Zeit  s«dl  die  Reihe  wieder  von  vorne  ht  trinnen. 

Überhaupt  ist  die  Abwechslung  in  allem  höchst  notkweudig,  und  in 
onbedentendsten,  äoAerlichsten  Dingen  oft  am  allemothwendigsten.  Wenn 
das  Ange  des  ZnbSrtts  inuner  dasselbe  Pnhiieam  sidit,  sein  Ohr  immer  den 
nimllchen  Ton  im  Vortrage  hSrt,  —  so  macht  das  dnen  ermfldenden  Eindruck. 
Der  Lehrer  wird  dah^r  manrhma!  nur  Milnner  zulassen,  so  z.  1<  wpüti  eine 
Erörterung  oder  tendt  nziüse  Erzilhlung  über  geschlechtliche  Dinge  uothwendig 
wird.  Um  nur  Frauen  zuzula^eu,  muss  er  sich  des  vollen  Vertranens  der 
Gemeinde  sieher  sein,  sonst  wird  er  lAeherlich.  üm  Ahweehslnng  in  die  Vor- 
ttngnweise  hineinzubringen,  soU  er  öfter  einen  benachbarten  Collegen  einladen, 
einen  Vortrag  zn  Imlten.   Besonders  viel  Abwechslung  kann  in  den  musika- 


Digitized  by  Google 


—   322  ^ 


iischen  Theil  der  „BaaernabPTide"  gebracht  werden,  indem  bald  ein  ernstes. 
"  bald  ein  heiteres,  bald  ein  trauriges  Lied,  bald  einstimmig^,  bald  mehrstimmig, 
bald  von  Kindern,  bald  vun  Erwachsenen  gesungen,  oder  wol  auch  verschieden- 
«rtige  Instnunentalmtuik  gemacht  wird. 

Wenn  diese  „BaaenwbeBde^  in  dmLMidfeneiindtti  erüffiiet  werden,  wird 
es  hofüiiktUch  anfangs  jedesmal  sdir  viele  Theilneluner  geben,  denn  das  Nene 

hat  ja  immer  nnd  überall  groBe  Anziehungskraft.  Dann  dürfte  aber  bald  eine 
län^erp  Zf^itjwnode  folg-en.  in  wrlchcr  der  Reiz  der  Neuheit  vei-soltwniHlen.  <Ue 
Überzeugung  von  der  Nützlichkeit  und  dem  Werte  der  Institutiou  aber  noch 
nicht  tief  genug  eingewurzelt  ist,  der  Besuch  daher  sehr  schwach  ansfallea 
dürfte.  Es  wSre  eine  ünldn^eitf  wollte  man  in  dieser  Periode  den  Lenten 
diese  ünterhaltungsabende  gleichsam  anfhSthigen  und  trots  ftmoi  Besuches 
dieselben  dmh  regelmäßig,  z.B.  alle  "Wochen  oder  alle  14Taiare.  veranstalten. 
Ist  der  Besuch  schwächer,  so  soll  man  sie  seitenei'  abbalteu,  nur  niemals  über 
mehrere  Monate  fortschieben,  weil  das  einem  gänzlichen  Aufgeben  des  Institu- 
tes glidie  nnd  dasselbe  in  den  Angen  der  ÖflTnitiiclikeit  m  seiir  discreditiren 
mUsste.  Erst  mit  steigender  Frequenz  der  Bauemabende  soll  der  Lehrer  wieder 
aaf  deren  Öftere  Wiederholnng  bedacht  sein. 

Am  schnellsten  wird  es  vorwärts  gehen,  wenn  er  sich  bemüht,  getreu  nach 
dem  Vollcscliarakti-r.  besonders  wie  er  sich  an  den  jünfreren  Leuten  von 
20 — 30  Jaliren  ausprägt,  sich  zu  richten.  Dieser  ist  freilich  oft  in  benach- 
barten Qaaen  schon  ein  verschiedener.  Überall  soll  daher  der  Lehrer  seine 
Dorflente  beobaehten,  auf  dem  Felde,  Im  Hanse,  in  der  Kirche,  anf  der  Oasse; 
er  soll  sich  Idar  werden,  ob  sie  z.  B.  fromm,  oder  bigott,  oder  heucUerisdl 
ofliT  (ItM-h  irreligiös  sind;  ob  sie  sich  gerne  pla^n  bei  harter  Arbeit,  nm  nur 
das  l'enkea  zu  ersparen;  ob  sie  Iiiteresst-  am  Staats-  oder  Gemeinde wesen 
haben;  ob  sie  im  Verkehre  lebhaft  offenherzig,  oder  kühl  reservirt  sind;  ob  sie 
gome  streiten  und  ranfen,  oder  lieber  mnfBen  «nd  sich  heimlichen  Schaden  ni> 
fügen;  ob  sie  mehr  Interesse  für  Heilkunde,  oder  Geographie ,  Oder  niuunels* 
kuüde  etc.  haben,  ob  sie  auf  landwirtschaftlichem  Gebiete  gerne  Belehrung 
auüekmen  und  dieselbe  auszunützen  versuchen,  oder  ob  sie  stan  Wim  Alten 
bleiben,  —  und  was  derlei  Eigenschaften  nucb  mehr  üud,  die  ui  liuer  tau- 
sendDUtigen  Schattining  erst  den  Volkseharakter  eino*  Gegend  ausmachen. 
Und  hat  er  hiebe!  die  wahren  Bedftrfhisse  des  Volkes  ermittelt,  dann  wird  er 
grewis«?  niTf^h  Passendes,  Nützliches  nnd  zugleich  Interessantes  zum  Vortra^ps- 
stoiT  für  seine  Unterhaltungsabende  auszuwählen  oder  zu  schaffen  verstehen 
und  sich  zahlreichen  Be-suches  eifi-euen. 

Eine  solche  Ertahrenheit  in  der  Beeinflussung  der  Erwachsenen  wird  ohne 
Zweifel  vom  günstigsten  Einfluas  sein  sof  dieUnteniehtsmethode  inderSslHiIe. 
Ja,  es  klingt  dieBefaanptnng  wenn  andi  ktthn«  so  deeh  nicht  nnwahrscfaeinUeh, 

dass  nur  auf  dieser  Arena  der  allgemeinen  Volkserziehung  der  schon 
so  lange  bestehende  Kampf  nm  die  rieht ig-e  Sehiümethode  erst  endgiltig  aus- 
gekämpft werden  kann.  Drei  Gründe  sprechen  hiefur.  Erstens  ist  vor  den 
Erwachsenen  die  Nothwendigkeit  größer,  eine  m^lichst  lebensvolle 
Methode  sn  sndimi  nnd  einznhslten;  sonst  gehen  einem  die  Lente  dayon,  nnd 
haben  Becht  dabei  Die  Kindesnatur  ist  nachgiebig,  wird  durch  den  drohen- 
den Schulzwang  an  ihrer  wirksamsten  Beaction  gegen  Veigewaltigongen  ver- 


Digitized  by  Google 


—  323  — 


hindert,  und  um»  aieh  ith»  Meh  mit  unrichtigerer  Behandlong  alrtbiin  laaien. 

Die  Methode  an  den  .,BanpnialMMidon"  wird  aber  nicht  blos  loltPTi«vf»ll  pein 
mössen  der  Form  nach,  indem  alle^j  Lehrhafte  möglichst  in  den  Mantel  der 
Unterlialtiuig  gehiillt  wird,  sondern  anch  dem  Stoff  nach,  indem  nur  Der« 
artiges  geboten  wirdf  was  wirklichen  Wert  An  Leben  hat,  so  dass  alle  scho- 
lastischen Spitzfindigkeiten  and  aller  Ballast  wegftUt  Dann  käme  dasrömisoihe 
Vitae  (1i?rpnfinm  (  fürs  Leben  lerne")  endlich  einmal  zu  Ehren,  nachdem  es 
unter  ewi^^t  i  Xiclitl  i  folg-uiier  -so  alt  geworden.  Zweitens  darf  man  sich  die 
Natur  des  Kinder  gewisser  Eigentliümliclikeiteu  wegen  von  derjenigen  der  £r- 
wMhseneit  nidit  m  lesgelBst,  so  muiMiAngig  nnd  yenefaieden  denken,  dus  man 
jene  venteben  und  bebandeln  könne,  ohne  aach  diese  zu  kennen.  In  den 
Erwachsenen  liefen  nllp  jene  Eig^'nsf haften  bereits  entwickelt  vor,  die  in  Kin- 
dern kanm  als  zarte  Keime  bemerkbar  sind;  wer  diese  erkennen  und  richtig 
behandeln  will,  muss  erst  jene  Eigenschaften  der  Erwachseneu  kennen  und  zu 
behandeln  Tentehen.  Ich  xweifle,  ob  die  MdmaU  der  Lelmr  genug  theore> 
tische  Menschenkenntnis  besitzt.  Dessen  aber  bin  ich  fewiss,  das  sie  prak- 
tisch die  Erwachsenen  —  also  die  Menschen  sdileolitweg  —  nicht  zn  behan- 
deln nnd  zn  beeinflussen  geübt  haben.  Dieser  Maugel  muss  nnn  wenimTi^er 
Grandsatz  uns  nicht  getäuscht  hat^  nothwendig  auch  in  der  Kindt  i  t  i  /u  hung 
immer  fiUklbar  bleiben,  so  dass  erat  nach  denen  Behebung  die  endgiltig  richtige 
Sehnimethode  praktisch  ftberall  erzielt  werden  kann.  Die  Henschennatar  ist 
eben  durch  all'  ilire  zeitweiligen  Erscheinungen  hindnroh  ein  untheilbares.  in 
sich  gegliedertes  und  geschbissenes  Ganze:  und  wer  sich  nicht  getraut,  die 
ganze  zn  erfassen  nnd  nnr  nach  einem  Theile  oder  einer  Erscheinung  der- 
setboi  (also  z.B.  der  Kindesnatnr)  greift,  der  wird  bald  die  tranrtge  Benm^ 
kong  maehen,  dass  «t  gar  nichts  in  den Hhnden  behaltMi kann.  Ein  dritter 
Grund,  warum  die  „Bauemabende"  dem  Lehrer  die  richtigste  Methode  im  Un- 
terrirht  und  besonders  in  der  Erziehung  der  Kinder  nahelegen  müssen,  ist  die 
Unreitheit  und  Zuriickgebliebenheit  der  Bauern.  Der  Grieche  nannte 
die  Kinder  „paedes"  (daher  „paedagOgos"  „Kindererzieher"),  aber  aach  die 
Sdaven  nannte  er  „paedes^,  ob  sie  alt  oder  jong  waren.  Das  Unreife  des 
Charakters,  wie  es  sich  an  den  Sclaven  in  Ermangelung  der  Freiheit  darstellen 
mnsste.  und  daher  die  gleichm'll'i?»'  Behandluner  '1er  Kinder  und  Sclaven  gab 
wol  Anlass  zu  dieser  gemeinsamen  Bezeichnung.  Auch  unsere  Bauern  sind 
im  Vergleich  znr  geistigen  Höhe  des  Jahrhunderts  unreif,  sind  znrttek- 
geblieben,  sind  Kinder,  wenn  anch  Jost  nicht  kindlich.  Sind  doch  selbst 
die  Kinder  nicht  alle  kindlich.  Und  wenn  die  Bauern  —  bei  ihrer  vielsei- 
tigen Znrückgebliebenheit,  die,  so  weit  eine  solche  eben  vorhanden  ist.  bekannt- 
lith  noch  schlimmer  ist  als  der  kindliehe  Urzustand  —  auch  nicht  viele  \'or- 
zöge  mit  der  Kindesnatui  gemein  haben,  so  haben  sie  doch  viele  Gebrechen 
nad  Sehwlehen  mit  fiir  g«n^  Angst  vor  der  fremden  Antorftät  Ins  aar 
Erstickung  jeder  Einwendung,  ttnd  geheime  Unabhängigkeit  des  Herzens  von 
dieser  Autorität  zeigt  der  Bauer  wie  das  Kind.  Rach.sucht,  die  sich  aber  aas 
Scheu  vor  den  strengen  ^'orboten  nicht  ans  Ttigesücht  wagt  und  sich  daher 
in  tdeinlichen  Dingen  Genugthuuug  verschaö  t,  zeigt  sich  beim  Bauer,  wie  heim 
venogenen  Kinde.  Wir  kannten  noch  geistige  Korsslchtigkeit,  Willensschwlche 
und  ein  Dutzend  anderer  Vergleichspunkte  anfuhren;  aber  die  gegebenen  An- 
deatongea  dttiften  schon  genfigen  sn  wigen,  dass  der  Lehrer  bei  BekftmpAing 


—   324  — 


bäncrIiclH  r  Gebrechen  so  nuuMha  bnoofabar»  ErüMmiig  fttr  die  Buhanfflimg 

der  Kinder  machen  wird. 

„Gerade  diese  Zariickgebliebenheif,  höre  ich  einwenden,  „dieaer 
entstellte  Charakter  des  Banernvolkes  in  vielen  Gegenden  ver- 
leidet einem  Jede  directe  BeechiftiirttBff  mit  solchen  Lenten."  In 

Mtmde  eines  Mannes,  der  znr  VolksbQdonß:  berufen,  ist  das  die  Sprache  der 
schändlichsten  Fei^fheit,  die  sich  ay«»!  noch  nnter  dem  Mantel  der  Noblesse  ver- 
bergen möchte,  als  wäre  es  gar  eutwuj-digend,  an  r^cUese  Leute"  mit  edlen  Ab- 
sichten heranzntretoi.  Wenn  die  blnerliclie  Znrfickgeliltabnli^t  m  eoleher 
Igncvirang  berechtigt,  dann  dflrfto  man  wol  auch  ein.  6jilnige»  Kind  nicht  in 
die  Schale  schicken,  weil  es  zn  anwissend  ist.  Übrigens  ist,  wie  schon  oben 
betont  wnv'le.  trotz  dieser  Zarückf^ebliebenheit  in  nnseren  B;meni  fiberall  noch 
80  viel  üesiindeb  und  Normales,  dass  der  Volkstreund  daiin  Anknüptnngspuukte 
zu  einer  richtigen  Weiterbildung  finden  kann.  Wenn  ich  aher  reeht  nrtbeüe, 
io  ist  obige  Einwendung  nur  ein  gaos  obetüIeUicher  Ansdmek  flbr  etwas 
anderes,  was  dahinter  steekt.    Und  dahinter  steckt  zweierlei. 

Man  fBrchtet.  ein  solrhr  r  Wrkehr  mit  den  Bauern,  besondei-s  auf..Bf»nem- 
abenden"  schädige  das  Ansehen  des  Standes.  Ich  {flanbe  aber,  es  kann 
durchaus  aichis  Bänkelbäugerisches  darin  liegen^  weuu  der  Lehrer  unter  der 
Aatorittt  nad  dem  Schutse  des  Staates,  als  Organ  eines  wissenschaftUehen 
Vereines,  ohne  Entlohnung  seitens  derZohllrer  („Entr^e"),  seine  Baaem  nnter* 
halt,  aber  im  ünterhältlichen  stets  die  Gesetze  der  (wahren  —  nicht  der  fana- 
tischen oder  pharis&isch-betschwesterlichen)  Sittlichkeit  einliiUt  nnd  eine  edle 
Tendenz  befolgt.  Der  Lehrer  kauu,  um  das  Ansehen  seiner  „BHuernabeude'^ 
noch  an  erfatnien,  Je  nach  HOg^ehkelt  noch  yerschiedene  HÜftmittel  anwenden. 
Hat  er,  was  in  Weingegenden  nicht  selten  der  Fall  ist,  etliche  muth willige 
Bnrschen  im  Orte,  die  in  ihrer  derben  .Art  einer  jeden  Unbesonnenheit  t'ihic: 
sind,  so  soll  er  sieh  zu  den  ei-sten  I  ntei  haltnnirpn  von  der  Behörde  einen 
Gensdarmen  zum  Statisten  ausbitten;  das  wird  den  richtigen  Eindruck  auf 
selche  Bnisdien  gewlcs  nicht  Terfehlen.  Den  Pfarrar,  Bllrgsrmeister.  die  Oe* 
meinderilthe  nnd  senstige  Honoratioren  des  Ortes  soU  er  so  oft  wie  möglich 
zum  Erscheinen  bowepen.  ohne  jedoch  wegen  ihrer  (?eg:enwart  den  vnlk^thüm- 
lichen  To?i  und  Chai-akter  seines  Vortrages  anch  tuir  im  (u-rini^sten  zu  äodeni 
oder  abzuschwächen.  Er  soll  es  anter  UmstiLnden  vermeiden,  in  Gasthäusern 
diese  Verwammlimgen  m  vennstalten:  das  Schulgebinde,  seihet  ein  geeigneter 
Fiats  im  Freien  ist  oft  viel  ehrenhafter.  Und  wenn  troti  alledem  hin  nnd 
wieder  spöttische  Witze  über  das  neue  Unternehmen  laut  werden,  so  ist  das 
nicht  hoch  anzuschlagen.  Die  Griechen  pflegten  von  jedem  vollen  Becher, 
bevor  sie  ihn  zum  Munde  führten,  einige  Tropfen  auf  die  Erde  zu  giel>en.  So 
mnss  auch  jeder,  der  einen  größeren  Enderfolg  erzielen,  etwas  Bedeutendes 
dnrehsetien  will,  anerst  einiges  in  der  CffentUchen  Meinung  verlieren,  sieh 
mancherlei  Spöttisches  nachsagen  lassen.  Wer  dies  nicht  ertragen  kann, 
gleicht  dem  Geizhals,  der  anf  einen  Gnlden  ««icheren  künftig^en  \utzen  ver- 
siditet,  damit  er  nur  momeutau  den  Groschen  nicht  ans  der  Hand  lassen  darf. 

Es  ist  überhaupt  ein  Grundfehler  aller  gebildeten  und  halbgebildeten  und 
hsUwnstladigea  Meoschendassen  der  hentigen  Zeit^  dass  sie  die  Ehre  ihres 
Standes  alle  im  Cavaliermfttigen  Sachen.  Di*  eleeranteste  Kiddang  an 
tragen»  nicht  an  Fnft  gehen  an  mUssen,  ftherall  noble  Trinkgelder  aasstnnen  an 


.  kj ui^  .  j  Ly  Google 


können,  möglichst  „distinct"  zu  erscheinen,  von  dem  ganeinen  Volk  sich  bestens 
znrückznziehe»  und  äberhanpt  recht  zimperlich  —  und  ich  mfichte  beinahe 
sagen  überirdisch  —  sich  zn  stallen,  das  erwirbt  Ansohen.  ^tals  „stündps- 
l^^äßes  Betragen",  nnd  dieses  wird  als  die  QueUe  der  Ehre  von  dem  Schwann 
solcher  lieherliclier  „Gebildeter"  mit  der  etrengaten  und  ernttesten  Ge- 
wiesenhaftigkeit  eidtivirt.  Kaaa  der  Gitvaliery  anf  Gnad  der  ihm  in 
concreter  Fonii  überliefert  »  ti  T.pistnngen  seiner  Eltern  undAbnpti.  allpr  eierenen 
Lreistungen  sich  entschlag-eii  und  blos  dem  Verbrauch  seiner  Habe  leben.  80 
mag  er  es  tiiuu.  Auf  wem  immer  aber  die  Pflichten  einet»  thätiguii  Berufes 
tt^en,  der  würde  durch  dieee  vielMttfNi  Bfleksiditeii  der  Noblene  Dor  ge> 
Undert  aein.  Dm-ch  fruchtbares  Wirken  soll  der  Mensch  nach  Ehre  und 
Achtung  seitens  der  Mitwelt  streben,  nicht  durch  •  iiM-  fade  Zurückzielierei  nnd 
An^vtandsucherei.  Wenn  aber  der  Lehrer  dips  n  unseren  Cavalieren und  ge- 
lahrten Professoren  es  an  ,,Nobles8e"  uaciuuaclieii  und  sieh  hochnäsig  über  das 
Velk  lÜDWegfletiea  weUte,  so  gliche  er  «ol  —  mde  mir  der  Verg^ch  nicht 
fibel  genommen  —  dem  Sdineter,  der  rieh  anf  einmal  aeUbnen  wUrde»  Sehnhe 
und  Stiefel  zn  machen.  Liept  doch  die  ganze  Bedentuni?.  Ehre  nnd  Gr3ße  des 
Lehrerberufes  int  Verkehr  mit  dem  Volke,  in  dessen  Erziehuug  und  richtiger 
Becinfltusung,  so  da«8  der  Lehrer  gerade  nach  dieser  Hinsicht  einzelne  Opfer 
nnd  MflheBi  md  ivtren  afe  aneh  etwas  nngewohnter  Art,  nicht  adieien  boU. 
Und  aind  nnsere  Lehrer  nnr  «rat  wahre  VolkanAnner  nach  dem  ganaen  natttr- 
lichen  Umfange  ihres  Berufes  —  dann  wird  man  es  wol  sehen,  wer  mehr 
öffentliche  Ehre  und  Achtung  genieAt,  sie  oder  die  GaTaliere  nnd  gewisse 
Professoren. 

AnBer  d«r  Undischen  Furcht,  das  Ansehen  des  Standes  preiszugeben, 
ateekt  aber  noch  etwaa  anderes  hinter  Jenem  Hinweis  auf  die  Znrttekgehliebea- 

heit  der  Bauernschaft.  Die  meisten  Lehrer  ftthlen  ein  gewisses  Befremden 
schon  bei  dem  bloßen  Gedanken,  so  ohne  weitere  Ceremonien  mitten  nnter 
Bauern  zu  sitzen  und  dabei  die  Aufgabe  zu  haben,  sie  zu  unterhalten  und  zn 
beiehren.  Ein  Gefühl,  als  ob  er  zwischen  Himmel  und  Erde  schwebe,  eine 
fortwShrende  Angat,  rieh  in  den  Augen  der  rohen  und  nngexllgelten  ümgebnng 
zn  blamiren,  müsste  dmn  Yeranstalter  ehiea  Bolchen  Unterhaltungsabends  un- 
abliisüig-  f}:?s  H«^r7  zusfimmenschnttren.  Diese«  Befremden  benilit  aber  auf 
•einer  Unkeuutnis  des  Volkes,  und  zwar  in  dnjiinlter  Weise.  Erstens 
thut  man  wenigstens  UDserem  uiederösterreichischeu  Volke  unrecht  und 
Terkennt  ea,  wenn  amn  ea  für  ao  roh  nnd  aflgelloa  aimehen  mdehte,  dasa  eine 
gesittete  Unterhaltung  mit  ihm  unmSgllch  wftre.  Da  müssen  wir  entschieden 
Tin  Onnsten  der  Ranem  einstehen  und  bürgen.  Und  sollte  es  hin  und  wieder 
eine  seltene  Ausnahme  geben,  einen  oder  zwei  imbesonnene  Burschen,  denen  der 
firgüte  angerichtete  Schabernack  der  liebste  ist,  so  könnte  uiau  ihnen  ja  iu  der 
oben  angedeuteten  Welse  wirksam  begegnen.  Aber  schon  an  sich,  wenn  ate 
auch  keine  solchen  Ihlachen  Voraussetzungen  mit  sich  brftchte,  müsste  diese 
Unkenntnis  des  V^'lkes  und  Wilksthiimlichen  in  den  Lehreni  jerns  Befremden  ' 
erzea^n.  Denn  nur  auf  f  inem  bekannten  Gebiete  kann  ich  mich  mit  Sicher- 
heit nnd  Selbstvertraueu  bewegen.  Und  wenn  die  Lehrer  das  Dorfleben  auch 
in  aeincn  Suderen  ümrlsaen  kennen,  so  haben  sieh  doeh  diewenlgatendieMttlie 
genommmi,  die  inneren  Motive,  das  ganze  Denken,  Fühlen  und  Streben  der 
Banem,  sowie  dieBeaiehungen  dieser  innereuMotiTe  au  den  anderen  Erscheinungen 


—   326  — 


des  y{:inernlehen8  zu  Verfolgen  und  sich  darüber  Klarheit  zu  verschaffen.  Daher 
also  slammt  zum  grrf^ßten  Theile  das  Unbehagen,  von  dem  sich  «Ii»- 
Lehrer  mitunter  schon  beim  bloüeu  Gedanken  au  die  ,3äaemabeude"  ergriffeu 
fflUen.  Haben  sie  nnr  ent  angefimgw»  tidi  in  der  nnten  betproehenn,  von 
einem  vollMwiBSenacluiftUdien  Vereine  anznr^renden  und  zu  überwadienden 
Weis»'  don  fharakterzilg-en.  den  Ausdrucksweisen .  den  Rccht&ansehannng^n.  ' 
den  Freuden  und  Leiden,  tiberhaapt  dem  granzen  Lt-ben  und  Treiben  des  Volkes 
eine  emsige  Aufmerksamkeit  zu  widmen,  so  wird  hich  von  äeibei*  in  ihnen  mit 
d«m  Btaigoiden  Litereaaa  am  Yolkathmn  aadi  das  Vwlangen  regen,  dvrdi  die 
Ton  One  hier  beiprodienen  Mittel  anft  Yoik  einen  direoten  EinfloM  an  ge* 
wiimen. 

Die  Unkenntnis  des  Volkes  ist  überhaupt  das  gT^ßte  und  am  .sdiwei-steu 
zu  b^itigende  Hindernis  für  die  \'erwirkiichuug  der  in  diesen  Zeilen  behan- 
delten Idee.  Es  ist  traurig,  daee  ea  erst  noch  dieser  Idee  bedarf,  nm  die  Notli- 
wendigkdt  emer  grändlichen  Kenntnis  des  Volkes  für  den  Lehrer  darznlegm. 
Die  Bedürfnisse  der  Schule  hUtten  eine  empfäns^lichere  Intelligenz  schon  längst 
auf  diese  Nothwendigkeit  aufinerksam  maclion  können:  ist  doch,  bevor  der 
letzteren  nicht  (ienüge  geleistet  wird,  ein  wirkliches  \'er8tändnis  des  Kindes 
nnd  der  daaeelbe  beitinuaendea  EinflüiBe»  md  Mnnit  andi  eine  Verwertung 
unserer  tbeoretiech^pftdagogischoi  Fortadiritte  rein  oamOg^ich.  £b  wandert 
uns,  dass  nicht  schon  längst  in  den  Lehrerbildungsanstalten  der  verschiedenen 
Länder  das  Studium  des  VoUucharakterB  dee  betretenden  Lande«  eine  stellende 
DiscipUn  geworden  ist 

Weil  die«  aber  nicht  der  Fall  ist,  weil  der  Charakter  nnd  die  Ver- 
hUtnlne  de»  Volkes  wissenschaftlich  noch  gar  nicht  genügend  dnrchforecht 
und  klargestellt  sind,  so  mfissen  wir  uns  schon  bequemen,  mit  dem  Vorhandenen 
zu  rechnen,  so  wenig:  ^s  uns  aocli  befriedig-en  maer.  TM"  Mt  hrzahl  der  Jj>h- 
rer  in  den  einzelnen  Ländern  besteht  aus  Einheimisciien;  deuu  die  Volk»- 
sdiallehrer  werden  nicht  so  leicht  aus  ihrem  Heimatslande  versetzt,  wie  die 
Lehrer  an  den  Mittelscfanlen.  Darin  mtlssen  wir,  bei  dem  gegenwftrUgen  nie- 
drigen Stande  der  w  1 s e n  s  c  Ii  a  f  t Ii c h e n  \'olkskenntnifly  einen  für  uns  günstigen 
Umstand  rrkriiTifn.  Denn  der  Einheimi^-fh<'  hat.  wenn  auch  keine  r»^elite  klare 
Kenntnis  des  \  olkes.  so  docli  eine  bestiimute  Summe  bewusster  und  uubi?- 
wusster  i^-falirutigen  über  das  \  ulksieben,  woraus  sich  ein  gewisser  Sinn  uud 
Hang  für  letaterea  ergibt  Dieser  Sinn  wird  durch  das  Seminar  nicht  be- 
nommen oder  zerstört,  da  hier  die  Studienzeit  nicht  eine  so  lange  und  auch 
der  Studiengang  nicht  ein  so  c  lafisisch  erhabener  oder  grammatisch  pedantischer 
ist.  wie  an  m4nchen  sonstigen  Lehranstalten.  Au.«  diesem  Grunde  hat  ein 
nicht  einheimischer  Lehrer  oft  mehr  Verstäiidniä  für  das  Vulk  al«  eiu 
akademisch  gebildeter  Einheimiseher.  Mehrere  Jahre  Praxis  auf  dem  Lande 
kOnnen  doch  andi  nicht  verfließen,  ohne  dass  der  Lehrer  hin  und  wieder  eine 
tiefere  Bcobachtnnj?  über  das  NOIk^rleljen  macht  und  weiiig-stens  zu  etlichen 
üesultaten  dabei  gelangt,  die  als  Ankniiptun>(.spuiikte  für  weitere,  eingrehendere 
Studien  dienen  küunten.  Uud  so  ist  denn  immerhin  Hoft'uung  vorhanden,  dass 
anch  nach  TenKunten  dnsehlägigen  Vorstadien  im  Seminar  die  Hajoritftt  der 
Lehrer,  unterstützt  und  geleitet  von  dem  mehrerwthnten  \'ereine.  im  volks- 
th'inilichen  Wirken  und  Forschen  einen  Anfang  wag'en  dürfe.  Um  ihnen 
wenigstens  auf  einem  der  nuthwendigsten  Gebiete  ein  Muster  voneolegen,  aoa 


Digitized  by  Google 


—  S27  — 


welchem  zn  ersehen  wftre,  welche  Einzelheiten  bei  der  Erforschnuff  nndBeefn- 
flnssnng  des  Volkslebens  von  Bedentimg-  sind,  so  h&hf'  ich  die  eing:anp:s  citirte 
Abhandlang  „Ein  lehJerhafter  Voikscharakter^'  zusammeügest<^llt.  Auch  eine 
grammatische  Darstellung  der  n.-Ö.  llnndart,  von  meiner  Wenigkeit  verfasst, 
jft  unter  der  Presse,  doch  ist  diese  Arbeit  mehr  als  Qnellenwerk  IBr  eine  ganz 
neue  systematische  Gesammtgrammatik  der  Ssterreich-baicrisehen  Mundarten, 
denn  als  eine  methodische  AnleitOBg  tarn  Dialeetstudioai  für  Laien  «ifiBii- 
fassen. 

Aber,  wird  man  mir  einwenden,  Sprache  und  Eigenheiten  des  Volkes  sind 
doch  fn  den  Tersehiedenen  Oegnnden  oft  sehr  Tenehleden,  nnd  die  Lehrer 

werden  fortwälirend  gewechselt  und  versetzt;  kaum  bleibt  einer  2 — 3  Jahre 
:mf  demselben  Platze.  Wie  soll  er  da  eingehende  Beobachtungen  machen  oder 
gar  Zusammenstellungen  solcher  liefern  könneUi  wenn  er  kaum  Zeit  hat,  seine 
Dorfleute  kennen  zu  lernen? 

Diese  Efnwendnngr»  die  m»  In  derTliat  mehrseits  gemacht  wurde,  Ist  aber 
nicht  so  triftig,  als  es  auf  den  ersten  Anblick  scheinen  möchte.  Denn  erstens 
sind  ja  vieli-  Lt^brer.  besonders  di*'  Oberlehrer,  lange  Jahre  hindurch  auf  der- 
jielben  Station.  Wenn  iiingegeu  der  grüßte  Tbeü  der  jüngeren  Lehrer  alle  2 
bi£  3  Jahre  den  Qrt  seiner  Wirksamkeit  wechselt,  so  geschieht  dies  auch  nicht 
mm  «»dwHehen  Naelitbea  nnseres  Planes.  Denn  so  ganz  verschieden  sind 
die  VerhftllnlsBe  In  den  einnlnen  Gegenden  wenigstens  nnseres  Kronlandes 
(X.-ö.)  nicht,  dass  nicht  sehr  viel  Genieinischaftliches  vorhanden  wärOi 
Auf  diesem  gemeniscliaftlichen  Hintergrund'^  mm  werden  dem  wandernden 
Lehrer  die  Unterschiede  der  diversen  Gegenden  desto  greller  auffallen  und 
nm  SO  sicherer  zv  seiner  Wahmehmnngr  gelangen.  Und  ist  die  ganze  Volks- 
ftmehnn;  nnr  erst  so  weit  Toi^geschritten,  dass  die  wichtigsten  Gmndelemente 
des  Volkslebens  nach  den  verschiedenen  Richtungen  hin  festgesetzt  sind,  dann 
nimmt  der  Lehrer  bei  seinon  Wanderungen  diese  Orundkpnntiii>i  srlion  mit, 
und  die  paar  Jaiire,  durch  die  er  mdi  auf  einem  und  demselben  i'obteu  auf- 
hält, sind  gerade  lang  genug,  um  auf  diesen  Gruudton  die  in  der  betreffenden 
G«gend  henseiiendett  Detailschatten  anftntragen.  Und  weil  so  dieselbe  Gegend 
an  mehreren  anfelnander  folgenden  Lehrern  mehrere  Berichtmtatter  über 
ihre  Verhältnisse  finden  kann  und  wird,  so  gelangen  dieselben  aus  verseb je- 
den en  Darstellungen  nur  zu  größerer  Anschaulichkeit  —  Um  aber  die  Grund- 
elemente des  VoUcslebens  festzustellen,  braucht  man  blos  2  oder  3  Gegenden 
nlber  zn  dnnihlbnehen  nnd  das  Oemeinsame  sn  ftdren.  Und  hiefDr  dürften 
die  saftttglich  zur  Verfügung  stehenden  Kräfte  wol  ausreichen.  Allerdings 
wird  diese  erste  Feststellnng  der  Grundelemente  durch  nachfolgende  Detail- 
forschnngen  vielfarli  ergiinzt  und  berichtigt  werden  müssen;  das  ist  aber  ein 
Process,  der  sich  in  allen  Wisseiiiicbaften  wiederholt 

Andere  werden  wieder  ftttgen,  ob  >  denn  der  Schlflssel  snm  Verstttndnis 
des  Volkdebens  wirklich  so  schwer  zu  finden  sei?  Es  müsste  ja  etwas  Leich- 
tes «ein.  so  eint'iiltige,  nn£re})ndete  Leute  zu  ergründen  bis  in  ihr  Innerstes 
hinein,  auch  ihre  einfarlien  äußeren  Verhältnisse  wären  bald  registrirt.  — 
wozu  braucht  es  also  hiezu  vieler  Vorbereitungen,  vieler  Studien  und  Uberhaupt 
des  Kraftanftrandfls  so  vieler  gebildeter  HSnner? 

Wer  so  fragt,  hat  gewiss  mit  dem  Landvolk  sehr  wen%,  mid  da  nur  als 
lockerer  Tonzisi  oder  SommerfHschler,  verkehrt.  Sonst  mfisste  er  wol  beilftnfig 


Digitized  by  Google 


—  328  — 


die  T'!i>K'recht-nbark('it  -Ut  BHn*»ni.  ihr  T^urückzicliHi  vor  Fremden,  ihre  Doppel- 
(»eiiigkeit  iu  ihrer  religiösen  Tugeudsamkeit  ciuei-seite  und  ihnem  heitulichen 
platten  Egoiamos  andererseits  bemerkt  haben  und  zor  Einsicht  gelangt  sein» 
daM  man  es  gerade  M  der  ZnrflekgebUebenhelt  und  Verfeflding  dee  Lanir 
Volkes  mit  einer  ReiJie  von  Faetecen  n  tiinn  hat,  die  dnrchschaat  iid  be> 
kämpft  werden  wollen,  wenn  man  es  rirlitia:  b»Hirtheileu  und  beeinflnfisen  will. 
Ein  normal  üebildeter  ist  weit  durchsiolitigt'r  als  der  Bauer^  der  seine  Natür- 
lichkeit bald  aus  Verschmitztheit,  bald  aus  l'alt>cher  Religiosität  und  öiiiUchkeit 
lad  noch  aas  andern  Orttnden  verbirgt  nnd  bemftntelt. 

„Vtie  Lehrer  auf  dem  Lande  sollen  die  Erwachsenen  durch  Bauern* 
abeude""  belehren,  »Thelien.  nnterlialten.  Die  Lehrer  in  den  Städten  und 
Märkten  haben  keine  (felegenheit  zu  glüicher  Wirksamkeit.  Al.s<»  tritt  eine 
ungleiche  Belastung  des  Lehrerstaodes  in  der  Stadt  und  auf  dem  Laude  ein, 
eolMdd  dieee  Idee  dnrchgefBhrt  wird.**  So  kann  ein  femeree  Bedenten  lauten. 
Ohwol  dieses,  selbst  wenn  es  gans  richtig  wäre,  noch  immer  keinen  hinliüi;^* 
liehen  Grund  abieeben  könnte,  dass  die  Baupni  .sich  .selbst  überlas.sen  bleiben 
sollten,  so  wollen  wir  doch  näher  auf  dasselbe  eingehen.  —  Es  ist  zunächst 
unrichtig,  dass  die  Lehrer  in  größeren  Märkten  und  in  Städten  nicht  eine 
Umliche  Wirknmkeit  nt  ontfUten  in  der  Ltge  wlren:  wad^  aie  knnoen  Vor^ 
trilge  für  das  Volk  veranstalten;  und  da  b<»  dem  StadtToIk  die  Übenwngnng 
von  der  Xothwendigkeit  auch  einer  weltlichen  Bildung  schon  tiefere  Wurzel 
gepchlagen,  so  haben  es  die  städtischen  Lehrer  dabei  noch  insofeme  leichter, 
als  sie,  zur  Anziehung  von  Zuhörern,  nicht  so  sehr  auf  das  Unterhaltende 
liedaclit  m  sein  tenodien  wie  die  Landlehrer.  Vtatilige  woden  gewiss  nnch 
in  inT  SiMät  vea  groflem  Nntsen  sein,  Ja,  das  Stadtvolk  wird  momentan  viel 
lebendiger  beeinflusst  werden  können,  als  das  conservative,  vielfach  apathisehe 
und  ]an'j:«amere  Landvolk.  Der  Gmnd.  warum  ich  gerade  dieses  letztere 
so  stark  betone,  liegt  aber  nicht  etwa  blos  darin,  dass  ich  zufällig  dessen  Be- 
diirfiiisae  genauer  kenne  als  die  des  Stadtvolks,  sondern  in  folgenden  drei  Vm- 
Btlnden.  Entans  gew&htt  das  LaadTolk  gerade  infolge  seines  ooiiserTativen 
Sinnes  die  vetilsdichste  Oarantie,  dass,  wem  ihm  einmal  eine  edlere,  bessere 
Richtnnp  f^ep^ben  \vMr»?fn  ist,  es  in  dieser  n?ri  sm  sieljerer  verharrt,  wähn^ini 
das  den  verüchiedensteu  Einflüssen  stets  unterworfene  Stadtvolk  schon  morgen 
über  Bord  werfen  kann,  was  man  ihm  heute  beigebracht.  Zweitens  kann  das 
sdhetstSodigw  lebende  Landvolk  onabhinglgtf  in  derdngesehlagenmRiditBnff 
sich  entwickeln  nnd  wird  auf  Qmnd  seiner  freien,  menschenwürdigeren  Lebens- 
weise weit  sicherer  in  dieser  Richtung  echte  Blüten  der  Bildung  treiben  und 
entfalten  als  die  abhängigen,  vielfach  zu  Masichinen  erniedrigten  Falniks- 
arbeiter,  die  in  den  Städten  meistens  die  Majorität  bildea.  Drittens  wiio,  da 
sich  das  Stadtvolk  fortwlhrend  ans  dem  Landvolk  ergänzt,  mit  der  Hebon^ 
des  letzteren  auch  jenes  Allmihli^»li  geht>beu  werden.  -  aber  niemals  umgekehrt : 
nnd  jene  Zähigkeit,  mit  welcher  schon  der  In  iniu  -  Bauer,  in  städtisdu- 
hältuisse  versetzt,  nur  äußerst  lang-sam  und  uie  vuUständis:  seine  läudlichen 
Eigenheiten  aufgibt,  wird  dann  erst  von  Wert  nnd  Bedeutung  sein,  wenn 
sie  dnrch  das  Bewnsstaein  einer  besseren  Bildung  gestirict  nnd  veridirt  wird. 
Ich  möchte  noch  viertens  hinaoaetzen,  dass  in  nnserer  Honardiie  das  liand« 
Volk  dem  Stadt vulk  numerisch  weit  ilberle£ren  ist.  —  wenn  ich  nicht  speciell 
Niederösterreich  im  Auge  hätte,  wo  das  Landvolk,  besonders  wegen  der  volk- 


üiyiiizeü  by  GoOgle 


—  329  — 

reichen  Hauptstadt,  in  einem  tingünstigeren  Zahlenverh^1tniä.«te  steht.  —  Wäh- 
rend wir  uou  einersieits  nur  die  größere  Nothwendigkeit  von  Vortrags- 
abenden für  das  Landvolk  aussprachen,  deren  Nützlichkeit  aber  auch  fürs 
Stadtvolk  von  tornherein  aDarkennen,  nnd  Mdiin  kelneswogs  eine  nnglekslie 
y3«ktötnn^  -  dt-r  Lehrer  nnf  dem  Lande  und  in  der  Stadt  nrgiien  wollen, 
vermitteln  diesflbt-n  V<>rtrf\ers-  und  rntpHialtungsabende  geradezu  einen  Aus- 
gleich nach  einer  anderen  Hinsicht,  in  der  heute  der  Landlehier  dem 
städtischen  nachsteht.  Dieser  heitert  sich  bei  den  mancherlei  Unterhaltungen 
■nd  Ziimnm«iikttnften,  wie  Bie  In  Tolkrefchen  Orten  eben  an  der  Tageeerd- 
Bnn^  sind,  zeitweise  aus,  ..ISat  seine  GcUlen  anshüpfen",  —  während  in  den 
entlegenen  Dörfern  der  Lehrer  von  Innrer  Weile  \  erzt  hrt  wird.  In  Hinkunft 
soll  er  Rieh  vor  dies^-r  in  der  vorgeschlagenen  Weise  schützen;  er  wird  es  ver- 
mögen, ohne  sich  besondei's  dabei  auzuätreugeu,  da  er  ja  von  einem  lachlicheu 
Vereine  nnd  nllmShlieh  wd  snck  von  tfichtigeren  ErKflen  im  Dorfe  selbet 
tmterstfitzt  werden  wird. 

..Woher  wissen  »Sie  denn  so  gewiss,  dass  diese  Bauernabende  thatsiiclilich 
zur  H  ■V.img  des  Landvolkes  beitragen  können?  Man  macht  ja  stets  die  Be- 
merkimg, dabti  die  Landleute  von  allem  Höheren  und  Ungewohnten,  was  ihnen 
gesagt  wird,  gewShnUeh  nlebts  im  Qedftehtnis  belialten.  Wie  oft  wird  man 
ihnen  da  alle  einzelnen  Dinge  Totsagen  müssen,  bis  sie  ein  solches  Quantum 
Wissen  beisainnien  haben,  dass  von  einer  Hebung  ilirer  Geistesbildung  die 
Rede  sein  kann!"  Wer  so  spricht,  der  zeigt  nur,  dass  er  von  diesen  Baueru- 
abeuden  einen  allzu  kath^ermäßigeu  Begriff  hat.  Es  handelt  sich  ja  nicht, 
alle  Banem  der  Reihe  naeli  für  eine  Staataprüfiing  vonsnbereit«i.  Ffir  eine 
aolelie  mnss  freilicli  joiea  zufällige  Wiasensquantum  zusammeomaltraitirt 
werden,  wie  es  —  ohne  mit  den  Forderungen  der  Psycliologie  sich  viel  herum- 
zubalgen —  hochgelehrte  Doctoren  und  Commissäre  vorzuschreiben  für  gut  l)e- 
fondeu  haben.  Auf  den  „Baueruabeadeu''  wird  es  allerdings  keine  hungrigen 
Candidaten  geben,  die  Sngatlieh  jede  Silbe  des  Vortrages  mitatenographin». 
D»  liat  kein  Vortrag  eoien  an%ebnnaolitea  UtaMtUefaen  Wert»  aondem  jeder 
wird  von  selber  auf  den  natürlichen  Wert  reducirt.  Ich  will  durch  ein  Gleich- 
nis klarlegen,  was  ich  hier  vom  pädagogischen  Standpunkte  unter  dem  natür- 
lichen Wert  eines  V  ortrages  verstehe.  Wer  in  eine  weite,  tinstere  Gnibe 
Wasser  aof  einen  bestimmten  Paukt  scb&ttet,  ohne  m  wissen,  ob  dieser  Punkt 
der  ti^Me  ist,  wM  dodi  nicht  Terla&gen  wollen,  dass  das  Wasser  auf  diesem 
Pnnkte  stehen  bleibe!?  Derselbe  ist  vielleicht  nur  feucht,  und  das  Wasser  ist 
in  einen  tieferen  Ort  abgeronnen.  Eine  solche  finstere  Grube  ist  tlir  die  meisten 
Gebildeten  die  geistige  nnd  seeUsclie  V  erfassung  des  Mannes  aus  dem  Volke. 
Ein  geharnischter  Aufklärer  bemerkt  nun  z.  B.,  da^  dem  Bauer  irgend  eine 
bestimmte  Kenntnis  mangelt,  weiB  aber  nicht,  ob  demsdben  nicht  eine  noch 
weit  nothwendigere  Kenntnis,  eine  weit  primärere  Ansehanvng  fehle, 
d.  i.  er  fixirt  einen  gewissen  Punkt  in  der  finsteren  Grube.  So  gießt  er  denn 
das  Wasser  seiner  Belehrung  auf  diesen  Punkt,  —  allein  es  rinnt  ab  in  eine 
tiefere  Stelle,  und  wenn  nun  Meister  Aufklärer  mit  dem  Bauer  das  obligate 
Examen  lialten  wül  —  so  findet  er,  dasa  er  „rein  nmsonst  geredet  liabe".  Und 
doch  hrt  er  sich.  Wenn  der  Anfkittrer  beim  Beden  nur  irgendwie  das 
Interesse  des  Bauers  rege  getnacht  hat.  so  hat  dieser  dabei  gelernt.  Und 
je  näher  jener  mit  seinem  Vortrag  das  dringendste  Bedürfnis  des  Baners 


üiyiiizeü  by  Google 


—  330  — 

getroften  liat.  desto  mehr  hat  letzterer  davon  protitirt.  desto  jiielir  liat  er  von 
dem  objectiveu  üekaii  des  Vortrage«  auf  seine  subjective  Verfassung  pi-ojicirt; 
md  ivire  Mch  der  Stoff  dm  Vortrages  fVr  das  snltfectiTe  BedürfkiiB  dM 
Bauers  ein  gfanz  abstraser  gewesen,  so  hat  dieser  vielleicht  nur  das  Mienen- 
und  Geberdenspiel  des  Gelehrten  an f  sich  wirken  lassen  nnd  tiut  Interesse  „aach 
einmal  g'sehen,  wie  ein  solcher  gescheiter  Herr  thnt,  wann  er  was  erzählt.** 
Etwas  bat  er  dabei  immerbin  profitirt,  nnd  nächstens  merkt  er  sich  dann 
■ebiOB  etwu  Wichtigeres.  Interesse  an  etwas  imd  snbjectiTeB  iimeres  Be- 
dfirfiiis  nadh  etwas  sind  ja  pädagogisch  gleichbedeutend.  —  Man  wird  daher 
diese  finstere  Orube  des  bJtnerlichen  Geistes  beleuchten  miisKpn.  nm  in  ihr  alle 
die  größeren  und  kleineren  Bedürfnisse  iler  l^uemseele  kennen  zu  lernen,  und 
wenn  man  diesen  Bediirtnissen  Reclinang  trägt,  wenn  man  das  vorbringt, 
was  den  Baner  interessirt  nnd  nir  durch  gesehiekta  AneuMmderreihttiig 
«ndBeliandlnny  des  Interessanten  anf  ein  bestinimtesZiel  losstenert,  dann  wird 
man  gewiss  auch  die  Erfahrung  machen,  dass  sich  Bauern  auch  etwas  merken 
kfmnen.  Und  nun  wird  jeder  verstehen,  was  irh  sa^en  will  mit  der  Behaup- 
tung: Der  interessante  Vortrag  bat  einen  natürlichen  Wert,  der 
aninteressante  kann  nur  einen  künstlichen  haben.  Wenn  man  daher 
anch  nieht  Inunw  jost  das  jeweilig  dringendste  Bedttrfiils  des  Bauen  dnrch 
einen  Vortrag  zu  stUlen  in  der  Lage  ist,  —  wenn  man  nur  sein  Interesse 
reare  erhalten  kann,  so  darf  man  am  Erfolg  nicht  zweifeln.  Und  der  Land- 
lehrer wird  doch,  entweder  aus  eigener  Sammlung,  Beobachtung  und  Produc- 
tivitftt,  odMT  ans  dem  ihm  von  dem  Fachvereine  zukommenden  Kateriale,  so  viel 
Interessantes  anf  geistigem  nnd  moralischem  Gebiete  aisammenihideD,  dass  er 
seine  Banem  damit  unterhalten,  d.  i.  geistig  nnd  sittUeh  beeinflussen  kann. 
Und  wenn  er  von  dem  Lite^essanten  immer  dasjenige  aussncht.  was  auf  ein 
bestimmtes  Gcistesg-ebiet  gehört,  oder  eine  bestinunie  nioralisilie  Tendenz  hat, 
so  ist  er  sogar  in  der  Lage,  seine  Gemeinde  zu  einem  bestimmten  geistigen 
oder  sittliehen  Ziele  an  leiten.  Und  wenn  der  Lehrer  auch  nieht  das  ge> 
sammte  Wissen,  soweit  es  —  gegen  die  heutige  Auffassung  der  „Gebildeten*' 
—  aiuh  dem  Bauer  als  Hausvater,  Landwirt.  Gemeinde-  und  Staatsbürger 
nnd  Menschen  noth wendig  ist.  dnrch  \  orträge  zum  fertigen  Eigenthnm  sHner 
Zuhörer  machen  kaua;  wenn  er  nur  die  Gmndzüge  dieses  Wissens  seinen  Bauern 
beigehraeht  nnd  fürs  flbrige  anr^iend  anf  sie  gewirkt  hat,  so  genBgt  das 
vollkommen.  Es  wird  sich  von  selber  in  den  Landleuten  das  Bedürfnis  nach 
Leetüre  einstellen,  da.s  ihnen  heute  so  frriindlieli  fehlte  und  es  werden  dann  die 
Volksbibiiotheken,  wie  sie  Schlinkert  zusammenatellti  ihrefiolle  spielen. 

(Schimm  lülgt.) 


Vcmatwtntliehvr  Bedtetew:  X.  Stein.         Bnebdrackmi  Jnüic  Kllaklitrdt,  Leipaif. 


Digitized  by  Googl 


1 


Die  Spraelieutrage,  jnit  betM^nderer  Beuehung  auf 

Lehrerbildnnj^.*) 

Fon  Dr.  Friedrich  IHttes. 

Sebr  geehrte  VersanuDliing! 

Das  Thema,  welches  ich  mit  Zustimmung  Ihres  verehrten  Ver- 
einsvoi-standes  gewählt  habe,  lautet :  Die  Sprachenfrage,  mit  besonderer 
Beziehung  auf  Lehrerbildung.  T)a  (li<^se.s  Thema  ziemlich  all^remein 
und  infolge  dessen  ziemlicli  imbesfimmt  gefas.st  ist.  so  erachte  ich 
es  für  iiutliwendig.  einige  Bemerkungen  darüber  voi'auäzaschicken,  in 
welchem  sinne  es  err»T'tert  werden  soll. 

Den  Anlass  zur  W  ahl  (le,s  Themas  bot  mir  die  Ki-innerung  an  die 
erste  Verhandlung  der  Reichenberger  Lelirerversammlung,  der  ieh 
selbst  beiwohnte.  In  Rücksicht  auf  die  knrzucnit  ssene  Zeit  sah  ich 
mich  dort  veranlasst,  meine  Ausführungen  auf  einen  einzigen  Punkt  zu 
beschränken,  nämlich  auf  die  Begiüudung  der  dringenden  Nothwendigkeit  , 
wenigstens  die  gegenwärtige  Höhe  der  Lehrerbildung  zu  behaupten 
und  jedem  drohenden  Rückschritte  auf  diesem  Gebiete  entgegenzu- 
treten. Von  anderer  Seite  wurde  jedoch  aach  hervorgehoben,  dass  eine 
Erweiterang  derLehrerbfldimg  geboten  sei;  mehrere  Redner  forderten 
insbesondere,  dass  die  lateinische  Sprache  ein  integiiroider  Bestand- 
theil  der  Lehrerbildung  sein  roasse^  and  es  wurden  in  diesem  Sinne 
ancb  Besolntionen  beantragt.  Da  ich  nun  der  Ansicht  nicht  beipflichten 
konnte,  dass  das  Lateinische  ein  obligatorisches  ünterrichtsfach  Im 
Lehrerseminar  sein  müsse,  :es  aber  für  onmOglich  hielt,  in  der  Icnapp 
zugemessenen  Zeit  eine  Entgegnung  auf  die  vorgebrachten  Motive 
dorchznf&hren,  so  schlug  ich  vor,  statt  der  speciellen  Empfehlung  des 
Lateinischen  nur  im  aUgemeinen  auszusprechen,  dass  eine  Erhöhung 


Voitnff,  gehalten  im  pSd.  Veieiii  „Dittes**  zu  Seehshaus  bei  Wien,  am  14.  De- 

ceiuber  1882. 

PuMkgofiiiiii.   5.  Jahrg.   Hirft  VI.  22 


Digitized  by  Google 


—   3S2  - 


der  Lehrerbildung  besonders  aach  in  sprachlicher  nnd  litera- 
rischer Hinsicht  wünschenswert  sei,  so  dass  also  die  Frage,  ob  zn 
diesem  Zwecke  gerade  das  Latein  in  die  Seminare  eingeführt  werden 
müsse,  Olfen  blieb  und  einer  weiteren  Erörterung  liiertiber  nicht  vor- 
gegriffen ANnirde.  leb  befürchtete,  dass  sonst  zn  Gunsten  des  Lateinischen 
ein  übereilter  Beschluss  «^efosst  werden  möchte  und  zwar  schon  deshalb, 
weil  ja  eine  große  Anzahl,  neileicht  die  meisten  der  in  Reichenberg 
versammelten  Volksschullehrer  der  lateinischen  Sprache  nicht  kundig 
wann,  weshalb  sie  den  ihnen  empfohlenon  Bildungszuwachs  nicht  wol 
zurückwt  isen  konnten,  woil  siV  Ix^fürchten  mussten.  mau  werde  ihnen 
die  berücliti^^te  Selbst iibfrhebuug"  vorwerfen,  als  ob  sie  besser  wissen 
wollten,  was  zu  ilirtin  Berufsstudium  erforderlich  sei. 

mm  in  Aussieht  steht,  dass  die  Lehrerbildungsfrage  auf  dem 
nächsteü  ösl^rreicliisclien  Lehrertage  nochmals  und  gründlicher  behandelt 
werden  wird,  so  lialte  ich  es  «lu  der  Zeit,  dass  in  den  Lehrervereineu 
die  Fra-;e,  ob  Latein  o('er  nicht,  erörtert  und  geklärt  und  somit  der 
n;o  hst*iU  allgeineim'ii  Wrsaumiluug  vorgeai'beitet  werde.  Allerdings 
IM  diese  Frage  keine  bloLJe  Schulfrage,  sie  ist  eine  Frage  der  Volks- 
bildung überhaupt,  eine  (  nlturfrage  im  vollen  Sinne  des  W  ortejs.  eine 
Frage,  welche  vuu  Schulmännern  allein  nicht  erledigt  werden  wiid 
und  soll,  an  deren  Beantwortung  vielmehr  auch  die  Eltern,  namentlich 
abei*  die  Mitglieder  der  Sehnlbehörden  nnd  der  Pariamente  sich  be- 
theiligen müssen,  weil  ja  Änderangen  im  Unteniehtsplane  der  Lehrer- 
bildnngsanatalten  nnr  auf  dem  Wege  des  Gesetzes  geschehen  können.  - 

Schon  ans  dem  Omnde,  dass  jeder  Vater  sich  die  Frage  stellen 
kann  nnd  soll:  „Welche  Bfldnng  setze  ich  bei  dem  Lehrer  Torans,  dem 
ich  mein  Kind  anvertranen  will?"  —  werde  ich  unser  Thema  nicht 
als  eine  reine  SchnUfrage,  sondern  als  eine  allgemeine  Cnltorfrage 
behandeln,  an  deren  Lösung  fi^ch  der  Lehrerstand  ein  hervonragendee 
Interesse  hat  und  in  erster  Linie  mitzuwirken  berufen  ist  Hiermit  ist 
auch  schon  gesagt,  dass  ich  das  Thema  nicht  im  Smne  emer  brennenden 
Tagesfrage  auffasse,  zumal  ja  dieser  Verein  in  erster  Linie  ein  päda- 
gogischer Fachverön  ist,  welclier  sich  nicht  duich  die  vorübergehenden 
Wogen  des  Tagesstreites  bestinmien  lassen  darf,  sondern  viehnehr 
durch  einen  tieferen  Blick  in  die  Culturgescliicbte  leitende  GMchts- 
punkte  gewinnen  soll. 

Dass  ich  mich  hinsichtlich  der  Lateinfrage  in  ihrer  Beziehung  zur 
Lehrerbildung  im  wesentlichen  negativ  verhalte,  habe  ich  schon 
angedeutet.  Daraus  ergibt  sich  auch,  dass  ich  nicht  darauf  ausgehen 
kann  und  will,  diese  Frage  heute  zui*  Entscheidung  zu  bringen.  Viel- 


Digitized  by  Google 


* 

~   333  — 


mehr  ist  zu  wünschen,  dass  nach  mir  ein  anderer  Eedner  aultiete, 
welcher  liie  entgegengesetzte  Ansicht  vertheidiVt,  dass  dann  eine  Debatte 
folge,  "woranf  schließlich  fiiip  Rpsnlntion  i^elasst  werden  könnte.  Aus 
<liesen  Bpir.*^rk untren  krniii*  ii  sie  entneJiiiieii,  dass  ich  nicht  den  Anspruch 
t^rlu  oe,  meine  Ahm  lit  u  alii^emein  augeiiommen  zu  selieii.  Ich  lege 
dieselhen  zur  Prütuü^  vor.  bin  aber  bereit,  sie  zn  verthei(li?en. 

Nun  orestatt^n  Sie  niii-,  sofort  aul  das  Thema  einzugehen.  Ich 
werde  mich  dabei  aul  dasjenige  Sprachgebiet  bescliränken,  welches  in 
nnsf»rer  abendländischen  und  besonders  in  dei-  deutschen  Cultur  die 
iiauptrolle  spielt.  So  \iel  steht  fest,  dass  die  Sprache  in  jeder  Cultur 
von  der  größten  Wichtigkeit  ist.  Die  errungene  Bildung  im  allge- 
meinen, die  Gesammtheit  von  Kenntnissen,  moralischen  Grundsätzen, 
Beligions-  and  Bechtsbegriffen,  techniseben  Fortschritten,  Knnstau- 
achaaungen  n.  s.  w.,  welche  dne  Nation  besitzt,  drücken  sich  zwar 
nicht  blos  in  der  Sprache  ans,  sondern  anch  in  Bauwa>ken,  Sitten, 
GnltnaformeD,  staatüchen  Einrichtungen  u.  s.  w.,  am  nmfikssendsten  ond 
bestimmteeten  aber  doch  in  der  Sprache,  welche  namentlich  als  Schrift- 
sprache znm  Anfbewahrnngsort,  zun  D6p6t  des  Cnlturscbatzes  wird 
and  dann  Idterator  heißt  Hieraof  hanpts&chlich  beruht  die  große 
Wichtigkeit  der  Sprache  für  die  Erhaltung,  Verbreitung  und 
Fortpflanznng  der  Cultur. 

Wmiden  wir  uns  non  zu  der  Frage,  ob  eine  fremde  Sprache  und 
insbesondere  eine  alte,  namentlich  die  lateinische,  im  BÜdungswesen  eines 
modernen  Cnltarvolkes  wichtig  genug  sei,  um  deren  Erlernung  auch  den 
Lehrern  der  Volks jugend  auferlegen  zu  können,  imd  weifen  wir 
behufs  historischer  Orientinin<r  zunäclist  einen  Blick  auf  die  uns  so  oft 
als  Muster  vorgehaltenen  ..classischen  Völker*'  des  Alterthums,  so  stoßen 
wii-  zunächst  auf  die  Griechen.  Da  bemerken  wir  denn,  dass  im 
griechischen  Bildungswesen  fremde  Spraihen  keine  nur  einiq:ermaßen 
erhebliche  Rolle  gespielt  haben.  Vollends  gar  von  iliren  Kinderlehrem 
die  Kenntnis  einer  fremden  Sprache  zu  verlangen,  ist  den  Griechen  nie 
in  den  Sinn  fjekdnnnen.  Sie  waren  überhaupt  nicht  der  Meinung,  dass 
zu  einem  gebiblptcn  Menschen  die  Kenntnis  einer  fremden  Sprache 
gehöre:  und  doch  hab^n  sie  ohne  ;fllen  Zweifel  ihre  eigene  Sprache 
jranz  vortrett'licb  zu  ul  *  ii  inifl  zu  bilden  verstanden.  Ks  ist  in  keiner 
Weise  na(Onv<  i'.l  ;ir,  ila-s  PerikK  s.  Pindar.  Sophokles.  Sukr.itt--..  Piaton, 
Aristotele.s,  I  )M[iiM>tli*-iies  und  die  sonstigen  Haupttrii<i:er  der  hellenischen 
Natiouulcultur  enn  fVeuide  Spraclie  verslanden  hätten.  Es  würde  den 
Griechen  sehr  sonderbar  vor<j:ekoinmen  sein  (und  es  ist  anch  keine 
Spur  davon  vorhanden),  wenn  jemand  üeiiauptet  hätte:  es  kann  niemand 

23* 


Digitized  by  Google 


eine  aUgememe  Bildung  erlangen,  der  uicbt  eine  fremde  Sprache  ge- 
lernt hat.  Es  gab  in  Athen  auch  keine  Lehrer  för  fremde  Siaachen, 
wenigstens  keine  solchen,  die  eine  her\'orragende  Rolle  im  BUdnngs- 
■wesoTi  g-pspielt  liätten.  obwol  man  leicht  Lehrer  fiir  alle  Wissenschaften 
und  Künste  finden  konnte,  fiir  die  griechische  Sprache  und  Literatur, 
für  Rhetorik,  Poetik,  Mathematik,  Musik,  Philosophie,  Politik  u.  s.  w. 
Hieraus  ergibt  sich  mindestens  soyiel.  dass  zur  sicheren  Erlernung 
und  znm  freien  Gebrauch  der  Mutterspraclie  eine  fremde  Sprache  nicht 
erforderlieh  ist.  Pie  Griechen  haben  sich  nicht  einer  fremden  Spiache 
als  Mittel  bedient,  nm  ihre  eigene  Sprache  mustergiltig  zu  gestalten 
und  überhaupt  eine  holie  (  nltiirstufe  m  erreic  hen.  Ja,  ich  bin  uber- 
zengrt.:  wenn  sie  die  Maxime  eriun<iea  und  beioigt  hätten:  ein  {rebildcter 
Mann,  ein  Politiker,  ein  Beamter,  ein  Kedner,  Phihisopli.  Maiiieiiiatil<^er,. 
Dichter  u.  s.  w.  müsse  Ägyptisch,  oder  Phfinicisch,  oder  Hebräisch, 
überhaupt  eine  fremde  Sprache  lernen,  um  etwas  Kechtej»  zu  werden, 
so  wliidt  die  griechische  Sprache  und  Tnltur  nicht  jene  Hölie  erreiclit 
haben,  die  sie  in  der  That  erreicht  liaL  Dies  ist  ja  ganz  natürlich. 
Denn  es  wiixl  t-in  außerordentliches  Quantum  von  Bildungskraft  luui 
Bildungszeit  verbraucht,  um  eine  fremde  Sprache  zu  erlernen.  Diese 
Kraft  und  Zeit  geht  aber  der  spontanen,  selbetthätigeu  Entwickeiung, 
der  den  Völkem  "wie  den  Didividaen  eingeboroien  ProdnctiTitftt  ver- 
loren; es  tritt  nothwendigerweise  in  allen  Geistern  von  mittlerer 
B^abnng  eine  halbe  Erschöpftang  und  LSlunnng  dadnrcli  ein,  dass  sie 
eine  lange  Beihe  von  Jahrein  die  Hanptkraft  und  die  meiste  Zeit  anf 
das  Erlemen  der  fremden  Sprache  yerwenden  mfissen.  Es  steht  fest: 
wer  zu  Tiel  lernen  mnss»  kann  nicht  viel  denken,  nicht  viel  selbstthätig 
sein.  Wenn  man  also  behauptet:  die  Deutschen  kOtinen  nicht  einmal 
ihre  Mattersprache  recht  yersteben  ond  gebrauchen  lemeu,  geschweige 
denn  eme  nSUgcmeine  Bildung**  erlangen  ohne  das  Uittel  einer  fremden 
Sprache,  so  ist  das  eine  sehr  anfechtbare  Behauptung.  Man  mfisste 
dann  wenigstens  beü&gen|:  ja  freilich,  ein  so  geniales  Volk,  wie  die 
Giiech/en  waren,  sind  wir  I>eutschen  nun  eben  nicht,  uns  fehlt  es  an 
der  natürlichen  Begabung.  Ob  dieses  demtithigende  Selbstbekenntnis  — 
welches,  nebenbei  bemerkt,  mit  unsere:-  Nationalehre  schwer  vereinbar 
sein  dürfte  —  gerechtfertigt  sei,  möchte  ich  denn  doch  bezweiteln, 
80  unumwunden  ich  auch  anerkenne,  dass  die  Hellenen  eine  höchst 
begabte  Nation  gewesen  sind.  Aber  ein  ünicum  aller  menschliclien 
VoUkommenlieit  waren  sie  denn  doch  nicht,  und  wir  Deutlichen 
sollten  nicht  vergessen,  dass  unsere  Nation  auch  gro^  Geister  herror- 
gebracht  hat. 


Digitized  by  Google 


—   335  — 

Gehen  wir  nm  zn  den  Römern.  Bei  diesen  Iftsst  sich  Capital  - 
schlagen  zur  Empfehlung  einer  fremlen  Sprache.  Die  Römer  haben 
allerdings  erst,  nachdem  sie  bereits  ihre  rahmroUsten  Thaten  gethan 
hatten,  die  griechische  Sprache  in  ihr  Bildangsvresen  aufgenommen. 
Es  wnrde  seit  dem  zweiten  pnnischen  Kriege  gebrftnchlich,  dass  die 
Tomehmen  Roms  Griechisch  lernten;  auch  die  Kinder  der  Großen  nnd 
Reichen  lernten  es  schon,  mngefähr  so,  wie  bei  uns  die  Kinder  der 
„besseren  Stftnde'  französisch  lernen.  Nan  ist  aber  die  Frage:  ob 
hieraus  für  die  Verehrer  der  fremdsprachlichen  Bildnng,  besonders  fftr 
die  Vertreter  des  Lateins  in  der  Lehrerbildung,  viel  resnitirt  Bedenken, 
wir  Folgendes.  £s  begann  bereits  der  Verfall  des  römischen  Staates» 
als  man  zu  dem  Culturoiittel  einer  fre  u  I  n  Sprache  griff,  nnd  es  ist 
siclier,  dass  die  importirte  fremde  Bildung  den  Niedergang  des  römi- 
schen Reiches  nicht  aufhielt,  sondern  beschleunigen  half.  Die  Zer- 
setzong  des  Volkes  in  zwei  sehr  verschiedene  Classen,  in  eine  gelehrte 
nnd  eine  ungelehrte,  mit  entgegengesetzten  Anschauungen  und  Interessen, 
konnte  den  Auflöstmifsprocess  de'^  Gemeinwesens  nur  befördern.  Hierzu 
kummt  ein  anderer  Uiustatul,  der  für  unsere  Fra^e  von  groUer  Wichtig- 
keit i«!t:  die  fremde  Sprache  nämlich,  welche  die  Römer  lernten,  war 
keine  alte,  keine  todte,  es  war  eine  lebande,  eine  fiir  jene  Zeit  mo.lerne, 
die  halbe  Welt  beherrsrlien  le  Sprache.  Im  ganzen  Uaikrcis  de^  Mittel- 
laeeres,  nicht  hlos  im  Stillen  Huropas,  sondern  auch  im  Westen  Asiens 
and  im  Nnrden  Atrik;is  wurde  grieelii^ch  gesprochen  und  geschrieben. 
Welch  eine  Kille  die  grifchisL-lia  Sprache  dam  ils  als  Sprache  des  intema- 
tionalcu  Verkehi*s  und  der  Weltcultur  spielte,  erkennen  Sie  daraus,  dass 
das  Grieclilsche  selbst  zur  Sprache  des  (yhristenthuras  wurde,  dass 
insbesondere  die  S-hriflen  des  neuen  Testamentes  iu  dieser  Sprache 
abgefasst  werden  miissteu,  weil  die  Apostel  und  Vertreter  des  Christen- 
tbums  nicht  anders  als  durch  sie  ihre  Mission  erfäUeu  konnten.  Es 
ist  demnach  eine  ganz  andere  Sache,  wenn  die  Römer  Griechisch 
lernten,  als  wenn  hente  die  Deutschen  Lateinisch  lernen.  So  thörichi 
waren  die  BOmer  niemals»  dass  sie  behauptet  hätten,  man  müsse,  nm 
ebi  gebildeter  Mann  zn  werden,  Sanskrit  oder  sonst  ehie  alte  (todte) 
Sprache  temen. 

Wenden  wir  nns  nnn  zu  unserem  eigenen  Volke.  Schon  die  alten 
Deutschen  waren  nahe  daran,  die  rOmische  Sprache  in  sich  au&unehmen. 
Es  war  in  der  Zeit  kurz  vor  und  nach  Christi  Gtebnrt,  als  ihre  Groften 
bereits  halb  romanisirt  waren,  indem  sich  unter  ihnen  mit  dem 
römischen  Heeresdienste  auch  die  lateinische  Sprache  verbreitete. 
Selbst  der  berühmte  Chemskerfftrst  Armimns  machte  die  rdmische 


Digitized  by  Google 


—   336  — 


WaBdlnng  der  genDanischen  Fflrsten  mit.  Allem  das  Volk  stieB  das 
fremde  Element  von  sieh.  Als  nftmUch  die  Römer,  namentlieh  Vams 
nnd  seine  Beamten,  mit  aller  Energie  daran  gingen,  den  Deatseben 
auch  das  rOmische  Reeht  aufiEndrftngen  nnd  sie  zn  nöthigen,  in  der 
rOmiachen  Sprache  vor  römischen  GeridttshOfen  ihre  Streitigkdten 
entscheiden  zn  lassen,  da  empOrte  sich  das  deutsche  NationalgeliUil, 
nm  die  fiOmer  zn  Tertreiben.  Das  sprachliche  Moment  wst  eine  Hanpt- 
Ursache  des  Anlhtandes  der  Chemsker  nnd  ihrer  Stammverwandten 
gegen  Bom,  and  der  glflcküche  Kampf  unserer  Vorfahren  gegen  die 
BOmer  hatte  den  Erfolg,  dass  der  erste  Ansatz  des  Lateinischen  ans 
dem  Herzen  Deutschlands  verschwand. 

Einige  Jahrhunderte  später  vollzogen  sich  jene  gewaltigen  Be- 
wegungen, die  unter  dem  Namen  der  Völkerwanderung  bekannt  sind, 
und  welche  die  Anfänge  der  deutschen  Poesie  und  damit  auch  die 
alte  deutsche  Sprache  aul  das  tiefste  erschütterten.  Das  Dui'cheiu- 
anderstürmen  der  Völker  war  für  die  vorhandene  deutsch-nationale 
Cultur,  deutsch-nationale  S|)ra(  he  und  Dichtung  nachtheili^;  die  alten 
Sagen,  des  heimischen  liodens  verlnj?ti<r.  Terstummten.  um  erst  in 
später  Erinnerung  theilweise  wiedei-  aufzutauchen.  Zu  dieser  Wandlung 
des  alten  Geraianenthnms  trug-  ferner  der  Umstand  wesentlich  bei, 
das.s  gerade  in  der  Zeit  der  Vlilkerwandenin^  ein  neuer  Factor,  das 
Christen t hu ui,  in  der  abendländischen  Cultur  eine  entscheidende 
SteUung  gewann.  Dabei  ist  es  im  br.rhsten  Grade  folg'enschwer  Ge- 
worden, dass  das  Christenthuni  zu  den  Deutschen  von  Rom  aus  und 
in  römischer  Gestalt  «rekonmien  ist.  Als  der  Frankenkünig  Chlodwig 
ziun  Christenthume  und  zwar  zum  Katholicismus  übertrat,  machte  er 
sich  von  Rom  abhäug^ig,  und  schon  liiermit  wnirde  zu  jenem  i^eltsamen 
politischen  Gebilde  der  Grund  gelegt,  welches  unter  Karl  dem  Großen 
zur  E2ntfiiltung  kam  und  nachmals  zu  dem  für  unsere  Nation  so  ver- 
hängnisvoUen  „heiligen  römischen  Bdche  deutscher  Nation**  sich 
ausprägte.  Zwar  haben  Karl  d.  Gr.  und  einige  seiner  Nachiblger, 
namentlich  Heinrich  L,  den  deutschen  Geist  aufrecht  zu  erhalten 
gesucht:  es  sind  auch  auf  Betrieb  des  ei-steren  und  dann  durch  die 
l^e  Thätigkeit  national  gesinnter  Männer  die  aus  alter  Zeit  stammenden 
deutsehen  Dichtungen  gesammelt,  beziehentlich  wieder  hergestellt  nnd 
aufgezeichnet  worden,  nnd  das  poetische  Schaffen  hat  namentlich  zur 
Zeit  der  Hohenstaufen  herrliche  *  Bifiten  getrieben.  Allein  das  Ab» 
hangigkeitsverhftltnis,  in  wdchem  Deutschland  zu  Bom  stand,  machte 
sich  immer  f^barer  und  führte  allmählich  zu  einer  bis  auf  die  Wurzeln 
dringenden  Schädigung  des  deutsch-nationalen  Lebens.  Als  der  lange 


Digitized  by  Google 

I 


—   337  — 

und  schwere  Kampf  zwischen  KuserÜinm  und  ^pstthum  scUiefilich 
mit  dem  üntergange  der  Hohenstanfen  nnd  mit  dem  Triumphe  des 
rDmisehen  Pontifex  endigte,  da  tnt  die  Schmach  der  deutscheu  Nation 
in  ihrer  ganzen  Größe  hervor.  Die  Bemühungen  Karls  des  Großen 
für  deutsche  Sprache  und  Bildung,  für  Erhaltung  vollcsthttmlicber 
Dichtung  und  für  Begründung  einer  nationalen  Literatur,  ebenso  die 
schriftstellerischen  und  poetischen  Leistungen  jener  wackeren  Männer, 
welche  im  Sinne  des  großen  Kaisei's  fortgewirkt  und  schließlich  die 
ei"ste  Glanzperiode  unserer  Sprache  und  Literatur  herbeigeführt  hatten, 
diese  Bemühungen  und  Leistunp:en  fanden  keine  Wertschätzung  mehr 
und  geriethen  in  Vergessenheit,  weil  der  zu  vollem  Siege  gelangte 
Romanismus  den  volksthümlichen  Bildunofsschatz  verdunkelte,  die  Nation 
ihi-er  Eigenari  und  ilirem  g-eistipren  Eibgut  entfrenidere.  W'ol  fand 
im  Ansfratiire  des  Mittelalters  di«'  deutsche  Sprache  um!  I'n<-ie  hie 
und  da  noch  in  den  Werkstätten  und  Zunfthäusern  der  Hui'^^er  /uilucht 
und  rrirfre.  Aber  im  ganzen  war  das  nationale  Bewusstsein  auf  das 
tietsie  gesunken.  Der  Ritterstand  hatte  seine  Ideale  verloren  und  der 
edlen  Dichtkunst  entjiagt,  um  in  Liistem  zu  versinken -oder  im  Kaul»e 
seine  stärke  zu  zeigen.  Der  Priesterstand  war  römisch  gewurden  im 
Glauben,  in  den  Sitten,  in  den  Gefühlen,  in  der  Sprache.  W'n  sollte 
da  deutscher  Sinn  und  deutsche  Sprache  eine  Stütze  finden V  —  Wol 
bildete  sich  ein  neuer  socialer  Körper:  es  entstand  im  Anschluss  au 
die  Universitäten  eiu  eigener  Gelehrtenstand.  Aber  auch  er  hatte 
keinen  Sinn  für  deutsches  Wesen,  wurde  vielmehr  ein  neuer  Unter-- 
drflcker  desselben.  Nation&lgef&hl  war  ihm  fi-emd,  und  auch  seine 
Sprache  war  nicht  die  deutsche,  sondern  die  lateinische.  Diese  wai* 
mm  auf  dem  ganzen  Gebiete  der  höheren  Interessen  zur  Alleinherr- 
schaft  gelangt:  sie  war  die  Sprache  der  Kirche,  des  Staates,  des 
Becbtes,  der  Wisseaschafl,  der  Schule.  So  ist  es  b^gireifUch,  dass  man 
der  hitdniscfaen  Sprache  eine  ganz  eminente  Wichtigkeit  beilegte,  nicht 
wegen  ihres  inneren  Wertes,  sondern  weil  ihr  durch  die  äußere  Gewalt 
der  geschichtlichen  Ereignisse  die  Herrscherrolle  zngefiülen  war.  Und 
so  konnte  ee  auch  geschehen,  dass  man  sich  aUmShlich  daran  gewöhnte, 
der  lateinischen  Grammatik  eine  BildnngBkraft  zuzuschreiben,  welche 
jeder  durcbgebihieten  Grammatik  überhaupt  eigen  ist,  aber  jener  aUein 
beigelegt  wui-de,  so  lange  man  keine  andere  kannte,  und  so  lange  die 
lateinische  Sprache  der  Schlüssel  zu  aUen  hervorragenden  Stellungen 
war.  Damit  war  für  die  deutsche  Sprache  die  Zeit  der  tiefsten 
Schmach  gekommen.  Sie  sank  in  Verachtung  nnd  Verwildeiimg,  wie 
das  arme  Volk,  welches  sie  noch  redete;  und  wie  jene  ihres  vormaligen 


Digitized  by  Google 


—   338  — 


Keichthuntö  an  Formen  tmd  literarischen  Schätzen  verlustig  ^ug.  so 
wurde  aucli  dieses  seiner  Habe,  seiner  Freiheit,  seiner  Menschenwärde 
beraubt.  Die  römische  Sucht,  der  alle  leitenden  Kreise  verfallen  wai-en, 
und  die  eine  Reihe  nümiieicher  Kaiser  so  schwer  gebüßt  hatten, 
lastete  schließlich  am  schwersten  auf  denen,  die  keine  Schuld  an  ihr 
hatten,  auf  jenen  gedrückten  Classen,  die  am  Ende  des  Mittelalters 
fast  noch  allein  dag  deutsche  Volk  ausmachten.  Was  war  ihm  noch 
geblieben?  \'i<"ht  einmal  tlas  heimische  Recht;  anch  dieses  üel  alhnählich 
der  römischen  Sucht  zum  Opfer.  Die  deutschen  Kechtsbücher  wurden 
verdrängt,  um  jenen  Satzungen  Platz  zu  machen,  welche  in  dem 
Mustei-staHte  des  deutschen  Reiches  prejjrolten  iiatten.  Und  so  mussTe 
das  deui>clje  \  ulk  niclit  mir  ^ein  ang-estaiiimte>  Hecht  vergessen,  es 
durfte  nicht  einmal  wisstu,  welches  neue  Hecht  man  ihm  anfh^^thijarte, 
da  es  die  Sprache  desselben  nicht  verstand.  So  weit  war  es  also  mit 
unserer  Nation  zur  Glanzzeit  des  Ronianismus  gekounuen;  zerrissen  in 
eine  Reihe  schroti  geschiedener  Stände  ging  ein  jeder  seinen  selbst- 
süchtigen Interessen  nach:  Ritter,  Priester  und  Gelehrte  rechneten 
sich  nicht  mvfiv  zum  Volke  und  wai*en  eine  schwere  La«t  des^aelbeu; 
nur  der  Bürgerstand  hielt  sich  mit  Noth  auf  dem  Roden  deutsch- 
nationaler  Büduug;  die  breiten  Schiditen  der  kleinen  Lente  aber  waren 
von  allen  yeilassen  mid  gedrückt,  eine  politisch,  geistig  und  physisch 
unfreie  Masse,  aller  Bfldnng  und  jedes  eriiebenden  Einflnsses  bar, 
„Das  Volk**,  sagt  Lnther  ebenso  ivahr  als  drastisch,  siebte  dabin  wie 
das  liebe  Vieh  nnd  nnvemttnftige  Sftne.^  — 

Endlich  trat  in  diesen  trostlosen  Znstftnden  eine  Wendong  ein. 
Zwm  bedeutsame  Factoren  wirkten  znsaaunen,  nm  dem  sieehen  Geistes- 
leben einen  neuen  Aufschwung  sn  verleihen:  der  Humanismus  and  die 
Kirchenreibrmation.  Indem  die  halb  der  Vengessenheit  anheimgefallenen 
Classiker  der  Börner  und  besondeis  der  Griechen  wieder  ans  Licht 
traten  nnd  ein  eifriges,  oft  begeistertes  Studium  auf  sich  zogen,  lernte 
man  vor  allem  zum  Unterschied  von  dem  vielfach  verdorbenen  mittel- 
alterlichen Latein  das  ursprüngliche,  echte  Latein  wieder  kennent 
gewann  man  aber  anch  aus  den  Schriften  der  Altrömer  nnd  in  noch 
reicherem  Maße  and  edlerem  Gepräge  aas  der  Literatur  der  Hellenen 
eine  Geistesnahrungt  welche  über  den  engen  Kreis  der  clericalen 
Bildung  hinaus  in  allgemein  menschliche  Sphären  führte.  So  wurde 
für  die  Gelehrsamkeit  wenigstens  ein  weiterer  und  freierer  Standpunkt, 
eine  frischere  Triebkraft,  eine  schönere  Form,  ein  reicherer  Gehalt 
gewonnen,  l^nd  nachdem  der  deutsche  Geist  durch  ein  trenides  Klement. 
durch  den  mittelalterlichen  Romanismus,  fast  ert<)dtet  wai*,  so  dass  er 


j  .  .  i.y  Google 


—    339  — 


ans  eigener  Kraft  sich  kaum  wieder  an&urichteii  yemochte,  war  es  ein 
nnseliätzbares  Olflck,  dass  ihm  durch  ein  anderes,  Unfalls  firemdest 
aber  besserea  Element,  diircli  den  hnmanistisclien  Classidsmus,  neues 
Leben  eingehaucht  wnrde. 

Was  ftraer  dia  reformatorischen  Bewegungen  anf  kircUichein 
Gebiete  betrifft,  so  können  wir  dieselben  getrost  als  eine  Beaelion 
des,  glticklicherw'eise  unverwustliclien,  daher  anch  nie  völlig  er- 
loschenen ,  dentsch-nationalen  Gefühls  gegen  deo  Romanis- 
mns  beaeichnen.  Denn  die  schreienden  ^Lissstände  der  Kii-che  und 
besonders  das  ungeheuere  Überhandnehmen  der  Unmoralität  waren 
keinpswegs  Früchte  des  Christenthums ,  sonrlcrn  des  römischen 
Geistes.  Gegen  diesen  war  denn  aucli  die  deutsche  Reformation 
gerichtet,  um  der  so  vielfach  entsteUten  Wahrheit  und  dei*  so  tief 
gesunkenen  Sittlichkeit  wieder  aufzuhelfen.  Zu  diesem  Zwecke  aber 
musst«  man  das  deutsche  Volk  aufrulen,  und  dazu  bedurfte  man 
der  deutschen  Sprache.  So  that  denn  Luther  den  großen  Wurf, 
dass  er  die  Rihfd  übersetzte,  um  sie  seiner  pan/^n  Nation  in  die  Hand 
zu  legen,  eint  I  Im!  von  der  höchsten  iiedeutuii;^ .  nicht  blos  zur  Er- 
neuerung des  kirchlichen  Lebens,  sondern  auch  zuriiebungdes  deutschen 
Nationalgefilhls  und  der  deutsch-nationalen  Bildung. 

Doch  dem  neuen  Aufschwünge  folgte  bald  ein  neuer  T^ückirang, 
und  die  Leistungen  des  Humanismus  wie  der  Deformation  eni^in  ai  licn 
^recliten  Erwartungen  nur  in  beschränktem  .'\Iaße.  Nachdem  aiv  auf 
deutsc  hem  Boden  eine  feste  Position  gewonnen  hatten,  klang  ans  ihnen 
ein  Ton,  der  weder  volksthümlich  noch  volksfreundlich  war.  Schon 
im  16.  Jahrhundert  sehen  wir,  dass  die  Geistlichkeit,  nachdem  sie 
sich  eine  neue  Kirche  gebildet  hatte,  ihre  Hanptkraft  auf  dogmatische 
Spitzfindigkeiten  und  theologische  Zftnkereien  verwendete,  die  das 
Volk  nicht  Terstand,  und  die  niemandem  zum  Heile  dienten.  "Dme 
geistlichen  Kämpfe  waren  aber  llir  das  Gemeinwesen  um  so  nach- 
theiliger, als  sie  anch  von  Seite  des  Staates  für  außerordentlich  wichtig 
gehalten  wurden.  Die  Fürsten  und  Minister  hielten  einen  Streit  Aber 
die  Natur  Christi  oder  über  das  Abendmahl  illr  eine  Staatsaction 
ersten  Banges.  Auch  dieser  Wahn  wnr  ein  Erbstflck  aus  dem 
altrOmischen  Reiche,  wo  ja  Glaubens-,  Priester-  und  Cnltussachen 
als  wichtige  Staatsangelegenheiten  gegolten  hatten.  Es  ist  also 
begreiflich,  dass  die  römisch  gebildeten  Juristen  und  Staatsmänner 
Deutschlands  mit  anderen  heidnischen  Traditionen  anch  das  Staats- 
kirchenthum aus  ihrem  dassischen  Hnsterreiche  in  die  moderne  Welt- 
ordnung herabemahmen;  aber  besser  wäre  es  gewesen,  wenn  die 


Digitized  by  Google 


—  340  — 


Obrigkeiten  sich  weniger  am  theologische  Handel  und  mehr  mn  Volks- 
bildnng  gekflnifflert  hätten. 

Auch  die  Hiunanisten,  ihrem  Namen  wenig  EIhre  machend,  erwiesen 
sich  keineswegs  als  Fteande  und  Statzen  volksthfimlicher  BÜdnng. 
Nachdem  sie  sich  in  ilirem  Latein  nnd  Griechisch  festgesetzt  hatten, 
erblickten  sie  darin  ihr  Lebenselement,  in  welchem  sie,  abgesondert 
vom  Volke,  eine  gelehrte  Znnft  bildeten,  die  deutsches  Wesen  hoch« 
müthig  verschmähte.  Die  Spmche  der  Wissenschaft  und  der  höheren 
Schulen  blieb  nach  wie  vor  die  lateinische ;  denn  der  Gelehrte  schämte 
sich,  deutsch  zu  spi  *^ -li^n.  und  hielt  es  für  einen  Eingriff  in  die  My- 
sterien der  Wissenscliaft,  aus  dem  Schatze  der  Weislieit  auch  für  das 
Volk  etwas  auszumünzen.  Jedermann  war  bereit,  das  „o^emeinc  Volk" 
in  Anspmrh  zn  nehmen,  ^venn  er  Mittel  bednrfte.  um  sich  über  das- 
selbe zn  erheben.  Weder  Fürsten  noch  Priester  noch  Ritter  waren 
in  diesem  Punkte  spr«Hle  prewesen.  I'nd  auch  die  Jünger  der  Gelehr- 
samkeit naliiiicn  bereitwillig  das  Brot  ans  den  schwieliovü  Händen 
des  ..«renieinen  Mannes"*,  der  vielleicht  ihi-  Vater  oder  Hrudei  war. 
bis  sie  nach  zehn-  oder  zwanzig-jährijrem  Studium  iu  der  Lage  wart  u. 
sicli  ihres  Herkommens  zu  überhel»en  und  als  classisch-humaiiisti.scii 
gebildete  Herren  mit  Geringschätzung  auf  den  „Pöbel-  hinabzublicken. 
Wie  kuniite  sich  da  eine  einheitliche,  von  gleichem  Geiste  und  gleichen 
Interessen  durchdrungene  deutsche  Nation  bilden?  —  Die  KJutt  zwischen 
Gelehrten  und  Volk  war  wieder  so  breit  wie  am  Ausgange  des 
Mittelalters.  Und  so  erwuchs  weder  ans  dem  Homanismns  noch 
ans  der  kirchliehen  Bewegung  ein  lehenskrftftiges  Ferment  der  natio- 
nalen Cnltor. 

Die  Folge  war,  dass  die  Änfönge  der  Volkssehnlen,  wie  sie  ün 
16.  Jahrhundert  hervortraten,  nicht  zn  gesunder  Entwickelung  kamen, 
sondern  bald  wieder  siechten  nnd  verkilmmerten.  Die  G^eistlichen 
sahen  in  den  Schulen  nur  Hilfeanstalten  der  Eirehe,  die  Gelehrten  nur 
Pflanzstätten  des  Latinismus;  dass  sie  zur  wirtschaftlichen,  geistigen 
und  moralischen  Hebung,  zn  wahrhaft  menschlicher  Veredelung  der 
ganzen  Nation  dienen  sollen,  diese  Idee  konnte  damals  nicht  durch- 
dringen. Die  Pfarrer,  welche  die  Anseht  Aber  die  von  ihren  Hess- 
nern,  beziehentlich  Eflstem,  besorgten  Schulen  fürten,  legten  nur  Wert 
auf  Katechismus  und  Eirchengesang,  allenfalls  noch  auf  das  Lesen, 
sofem  es  kirchlichen  Zwecken  diente.  Bei  den  Katholiken  blieb  in 
der  Hauptsache  Alles  beim  alten,  erhielt  sogar  der  Latinismus  und 
Ronianisnins  in  dem  .Jesuitenorden  noch  eine  neue  und  mächtige  Stütze, 
und  bei  den  Protestanten  kam  das  Wort  auf:  „Die  Fibel  und  die  Bibel, 


Digitized  by  Google 


—   341  — 

was  drüber,  ist  von  Übel.*'   Dazu  kam  der  Druck,  den  die  Gelehilen 

auf  iVAS  Bildungswesen  ausübten.  Sie  verlangten,  dass  jede  nur  einiger* 
maßen  ansehnliche  Schule  das  Latein  lehre  (vom  Griechischen  pflegten 
sie  sich  selbei-  meistens  zn  dispensiren),  und  so  mussten  in  den  Städten 
selbst  diejenigen  Knaben,  welche  später  Schneider,  Schlosser  a.  8.  w., 
überhaupt  Handwerker  werden  wollten,  sich  an  dem  ihnen  auf- 
irczwnngenen  fi-emden  Element  abarbeiten.  Diejenigen  Stadtschulen  > 
aber,  welche  den  volksthttmlichcTi  Aiiftraben  und  Bedüifnissen  Rechnung 
tragen  wollten,  drückte  nuiu  zu  Privatscliiih  n  herab,  und  weil  sie  auch 
dann  nocli  deii  Lateinscluilpn  im  \\'e<re  zu  stehen  schienen,  wurden 
sie  von  Jeu  uelelirlen  mit  den  Sclniuibnamen  ..WiTikelschulen",  ,.Lum- 
peubchiüen"  l)ele<rt,  damit  allei-  Welt  kund  wurde,  dass  deutsche 
Bildung  nichts  tauge.  Ist  es  nun  zu  verwundern,  wenn  infolge 
der  Verachtung  und  Verwahrlosung,  welche  auf  dem  (bnitM-hen  Volke 
lastete,  jene  tiefe  Kntwiirdignng  und  Verwilderung  eintrat,  welche  sich  ' 
dann  im  dreißigjäh rijren  Kriege  mit  allen  ihren  Schrecken  utienbarteV  — 
Leider  müssen  wir  gestehen,  dass  in  dieser  Zeit  unser  eigenes  Volk 
von  keiüeu)  anderen  an  Koheit  und  Bestialität  übertroffen  wurde.  Wer 
daran  zweifelt,  der  nehme  den  Sittenspiegel  zur  Hand,  welchen  (Tiini- 
melshansen  in  seinem  „Simplicissimus'*  seinen  Zeitgenossen  vorgehalten 
hat,  und  der  anch  ffir  nns  noch  höchst  beachtenswert  ist.  Hit  Ent- 
setzen ersehen  wir  daraus,  in  welche  Tiefen  der  Schande  und  des 
Elendes  die  dentsche  Nation  versunken  war,  nachdem  man  ihr  die 
Worzeln  nrwflchsiger  Gesittung  abgegraben  hatte. 

Als  nnn  die  Schmach  Deutschlands  abermals  den  höchsten  Grad 
erreicht  hatte,  erhob  sich  in  einigen  edlen  Männern,  die  dem  bösen 
Dftmon  nicht  erlegen  waren,  das  patriotische  Gef&hl  zu  einer  kräftigen 
Reaction  gegen  das  verderbliche  System  der  Entnationalisirung.  Sdion 
wtiiiend  und  sogleich  nach  dem  dreißigjährigen  Kri^e  macht  sich 
da^  Bestreben  geltmd,  durch  die  Pflege  der  deutschen  Sprache  und 
Po^e  der  gesunkenen  Nation  wieder  aufzuhelfen.  Aber  auch  der 
beste  Wille  konnte  rdurch  dieses  Mittel  allein  keine  große  Wirkung  * 
henrorhiiBgen.  Denn  was  können  einem  Volke  die  literarischen  Ilei- 
stungen  auaerwählter  Kreise  frommen,  wenn  diesem  Volke  die  elemen- 
tarste Vorbildung  fehlt,  um  die  Weckrufe  seiner  ITühi-er  zu  verstehen, 
und  wenn  keine  (,'anäle  vorhanden  sind,  um  die  wieder  erschlosseneu 
Quellen  der  Bildung  den  ^fassen  zuzuführen?  —  Auch  einzelne  Fach- 
gelehrte ermannten  sich,  um  die  Wissenschaft  dem  Treben  nähoi*  m 
bringen,  so  insbesondere  Christian  Thomasius,  A.  H.  Krancke,  Leilmiz; 
der  erstere  hatte  sogar  die  unerhörte  Kühnheit,  als  Professor  an  der 


.  kjui^.o  l  y  Google 


—   342  — 

Universitftt  Leipzig  (gegeu  Ende  des  17.  Jahrhanderte)  Vorlesungen 
in  dentscher  Sprache  zn  halten. 

Da  wurde  aber  die  Gelehrtenznnft  von  einer  furchtbaren  Elnt- 
rQstnng  ergriffen.  Sie  sah  in  der  Anwendung  der  deutschen  Sprache 
eine  Sch&ndong  des  Heiligthnms  der  Wissenschaft  Die  Pdbelsprache 
an  der  Hochschule  —  wohin  sollte  das  ffthren?!  —  Thomsons  wurde 
auf  das  heftigste  angefeindet;  ja  er  mnsste  die  Universität  und  die 
Stadt  Leipzig  Terlassan,  um  d^  Yerhaftong  zu  entgehen.  £r  wanderte 
nur  einige  Meilen,  nach  Halle  in  Preußen,  und  das  Iiatte  den  heÜ- 
sameu  Erfolg,  dass  König  Friedrich  I.  von  Preußen  in  Halle  eine  neue 
Universitlit  errichtete  und  dort  der  deutschen  Sprache  und  dem  deutschen 
Geiste  eine  Pflegestätte  bereitete. 

Bedenken  Sie  wol,  meine  Herren  und  T>amen,  dass  dies  keine  Klei- 
nigkeit war.  Es  ist  von  welthistorischer  Bedeutung  geworden,  dass 
•  die  brandenhurgischen  Fürsten,  die  HohenzoUern,  zu  gelegener  Zeit 
und  öfter  als  einmal  den  deutschen  Grist  zu  würdigen  wussten  und  au 
die  Spitze  der  nationalen  Bewegung  traten.  — 

Freilich  drang  in  dt  i-  Gidehitenwelt  zur  Zeit  des  Thomasius  die 
deutsche  Richtung  noch  nicht  durch.  Zu  Ende  des  17.  und  zu  Anfang 
des  18.  Jalirhiinderts  findüt  sich  in  den .  Schnlordnung"en  noch  immer 
(Ii»;  BestinuiuinfT.  es  sei  in  den  Gymnasien  strenL'  darauf  zu  selicn, 
dass  die  Schüler  nur  lateinisch  sprächen,  in  und  außer  dem  Unter- 
richte. Deutsch  zu  sprechen  galt  als  eine  Scliaude  und  als  ein  Ver- 
gehen. Kann  es  uns  nun  Wunder  nehmen,  wenn  unter  solchen  Ver- 
hältnissen zu  der  alten,  rümischen  Ausländerei  eine  neue  kam.  nämlich 
diu  franzilsische?  —  Wenn  inau  von  maßgebender  Seite  uuaulhörlich 
sagt:  Mit  uns  Deutschen  ist  nichts,  ohne  Latein  können  wii-  kein  ge- 
bildetes Volk  werden  —  wie  soll  sich  da  ein  nationales  Ehrgefühl 
bilden  und  eritalten?  —  Als  aber  die  Vornehmen)  in  Deutschland 
einsahen,  dass  die  römische  AusUnderei  für  sie  nicht  mehr  recht 
passe,  das  bloße  Deutschthum  aber  verachtet  war,  so  ergaben  sie  sich 
einer  anderen  Ausländerei,  die  ihnen  mehr  zusagte.  Zur  Zeit  Lud- 
wigs XIV.  &S8te  nun  die  französische  Auslinderm  Fuß  an  den  f1b»ten- 
höfen,  in  der  Aristokratie  und  im  yomehmeten  BQrgerstande  Deutsch- 
lands. Wie  weit  diese  gallische  Sacht  um  sich  grifl^  zeigt  der  berOhmte 
Historiker  Schlosser,  indem  er  sagt:  «SoTiel  galt  französische  Sprache 
und  Gewandtheit^  dass  jeder  fhuizösische  Barbier  in  Deutschland  Marquis 
hiefi,  und  dass,  während  der  deutsche  Doctor  den  Sang  eines  Hof- 
kutschers hatte,  der  französische  Sprachmeister  holKhig  war  und  mit 
den  gnftdigen  Herren  wie  mit  seinesgleichen  umging.**  Und  Lessing 


Digitized  by  Google 


—   343  — 


gdftelt  die  Modethorln  it  i Liier  Zeit  in  seinem  ersten  Lustspiele,  wo 
er  einem  Bedienten  die  Worte  in  den  Mund  legt:  „Ich  niuss  meine 
Schande  gestehen:  ich  bin  nur  ein  Deutscher.  Aber  ich  habe  das 
(jl&ck  gehabt,  mit  verschiedenen  Franzosen  nmgfelien  zu  können,  und 
da  habe  ich  denn  so  ziemlich  gelernt,  was  zu  einem  rechtschafienen 
Kerl  gehört.    Ich  glaube,  man  sieht  mir  es  auch  g:leich  an."  — 

Das  ist  die  Schmach,  weiche  aus  der  fast  tausendjährigen  I  nter- 
drückung  des  deutsch-nationalen  GefRhls  hcrvrfrehen  musste.  P'reilich 
haben  die  Philologen  anf  fliese  neue  Ausländeroi  Avacker  geschmäht, 
weil  sie  der  ih?'!o:en.  die  allein  lierrsrlien  sollte,  roTiciirronz  machte. 
Sie  vergaßen  aber,  dass  sie  selber  i\ns  l  'bel  vorbei  titfi  hatten.  Wenn 
einmal  in  einem  Menschen  das  perxuilicüe  Ehrgeluhl  abg-estumpft  ist, 
und  wenn  er  Peine  Selbstbestimmung  weggeworfen  hat,  so  wird  es 
ihm  uicht  schwer  werden,  seinen  Herrn  zu  wechseln;  und  wenn  eine 
Nation  sich  selbst  verachten  gelernt  hat:  waium  sollte  sie  nicht  aus 
dem  römischen  Joch  in  das  französische  kriechen? 

Die  althergebrachte  und  tiefgehende  Schädigung  des  deutschen 
Nationalbewusstseins,  die  in  der  Geschichte  keines  Volkes  des  Alter- 
thums und  der  Neuzeit  ihres  Gleichen  findet,  ist  auch  die  Ui-sache, 
iranm  bis  anf  den  heutigen  Tag  die  Deutschen  gegenflber  fremden 
Nationen  sich  so  schmelzbar  zeigen.  Überall,  wo  die  Bentschen  Grenz- 
nachbam  oder  Staatagenossen  anderer  Nationen  sind,  geben  sie  ihr 
Volksthuui  theüveise  oder  gftnzlich  auf.  In  Elsass-Lothringen  werden 
sie  Franzosen,  in  SUdtirol  Italiener,  in  Ungarn  Magyaren  n.  s.  w.  Das 
ist  nicht  löblich,  aber  begreif  lieb.  Abgesehen  von  politischen  Komenten 
hat  doch  jeder  einigörmaften  ebrliebende  Mensch  den  Wunsch,  zu  einer 
Nation  zu  gehören,  die  Selbstachtung  besitzt.  Wenn  also  der  Deutsche 
zu  anderen  Völkern  konunt  nnd  vorher  nicht  gelernt  hat,  sich  selbst 
zu  achten,  weil  ihm  im  eigenen  Vaterlande  die  Verachtung  des  volks- 
thftmlichen  Elementes  überall  entgegengetreten  ist,  nun  aber  den  na* 
tionaien  Stolz  der  Franzosen,  Italiener,  Mag}'aren  u.  s.  w.  wahrnimmt, 
so  muss  er  sich  sagen;  Ich  möchte  auch  zu  einer  Nation  gehören,  die 
Ebrgeftthl  besitzt  und  aus  sich  etwas  zu  machen  weiß. 

Das  sind  die  verhängnisvollen  Folgen,  welche  aus  der  Geschichte 
unseres  Volkes  entsprungen  sind.  Nun  ist  allerdings  die  Franzosen- 
sucht des  18.  Jahrhunderts  ziendich  schnell  verschwunden,  theils  da- 
durch, dass  einig^e  hervorragende  Ä[änner,  besonders  Tjessing.  sie 
bekämpft  haben,  tlieils  aber  aueh  nnd,  wie  ich  glaube,  weit  mehr 
durch  ein  anderes  Monu'Ut.  Die  Bekämpfung  des  rix-Is  durch  Schrift 
nnd. Rede  würde  meines  Krachten»  nicht  viel  gehoileu  haben,  weuu 


.  kj  i^  .  j  i.  y  Google 


I 


—   344  — 

uicht  eine  politische  Ursache  entscheidend  iJHt«;ewirkt  hiitte  SoviV  1 
ii*h  iiiicli  entsinne,  ist  dieses  MomeTit  noch  uirpfends  in  dem  hier  iii 
Hh? rächt  kommenden  Znsammenliüuge  gewürdigt  \V(t?-d('iL  \vH-;balb  ich 
in<-\]]r  Ansicht  der  rriHnntr  Hnheim^^ebe.  I^as  verhält uij^ma Ii i>(  rasche 
VeiM-h winden  der  >  rauzusensucht  erklärt  sich  meines  Krachtens  haupt- 
sächlich aus  den  Spannungen,  Feindseligkeiten  undKrief,^en.  die  zwisclien 
Deutschland  und  rankreich  gespielt  haben.  Indem  nämlich  die  beiden 
Völker  sich  gegenseitig  als  Erbfeinde  betrachteten,  traten  sie  auch 
culturell  in  (TPgensatz  zu  einander.  Was  die  Römer  den  Deutschen 
Übles  L^ethau  hatten,  das  war  schon  lange  her,  und  luau  hatte  es 
verschmerzt;  daher  konnte  auch  die  römische  Ausländerei  sich  noch 
halten,  als  die  französische,  infolge  unmittelhar  gegen wäiiiger  Ereig- 
nisse, bereita  gebroehen  war.  Nach  wie  vor  wurde  unter  den  D^itadieD 
die  Maxime  fortgepflanzt:  es  gibt  keine  rechte  BUdong  ohne  Latein, 
obwol  nunmehr  allerdings  aneh  einige  frei  denkende  Philologen  diesen 
Wahn  bekämpften.  Ich  erinnere  an  einen  der  aosgezeiclinetsten  unter 
ihnen,  an  KOchly.  Dieser  sagt:  »Die  lateinische  Sprache  war  einst 
die  Sprache  der  Gebildeten  ftberhaapt  —  sie  ist  es  nicht  mehr.  Die 
lateinische  Sprache  war  dann  die  Sprache  aller  Gelehrten  —  sie  ist 
es  nicht  mehr.  Die  lateinische  Sprache  war  soletat  die  Sprache  der 
altclassischen  Philologen  —  sie  ist  es  nicht  mehr.  Was  ist  sie  also 
jetzt  noch?  Sie  ist  die  Sprache  der  Scholastik,  d.  i  deijenigen  Scbol- 
Weisheit  und  Stabengelehrsamkeit,  welche,  selbstzufrieden  and  hoch- 
müthig  von  der  frischen  Gegenwart  in  Wissenschaft  und  Leben  sich 
abschliefiend,  an  dem  Vermächtnisse  vergangener  Jahrhunderte  zehrt 
und  von  einer  neaen  Jagend,  einer  neuen  \\  elt  nichts  wissen  will, 
sondern  sie  entweder  vornehm  ignorirt,  oder  dummdreist  verschmäht 
nnd  verwünscht"  —  Nun,  jeder  Kenner  der  lateinischen  Spi-ache  und 
Literatur  M-ird  unbedingt  zugeben  müssen,  dass  deren  relativer  Wert 
heute  liei  weitem  nicht  mehr  so  groß  ist  vrie  vormals,  weshalb  es  sich 
nicht  mehr  reclittertis,'en  lassen  würde,  ihr  znm  Zwecke  allsrcmeiner 
Bildung  noch  das  gleiche  .Mati  von  Zeit  und  Kraft  zu  widmen.  Nun 
hat  man,  um  dem  Latinisnnis  eine  neue  Stütze  zu  Keben,  die  Be- 
hauptung autgestellt,  das  Studium  ih  r  rr.niischen  Spraclie  habe  einen 
irroßen  moralischen  Wert.  Es  würde  dadurch  (h\<  sittüchi  l'ruusst- 
sein,  besonders  das  Ptlirhtgetlilü  und  die  (7e\vi.-sM-ühHifi*ikeil  in  aus- 
gezeichneter Weise  genährt,  wogegen  z.  H.  einem  Arzte,  der  niclit 
durch  die  lateinische  Schule  gegangen  sei,  keiu  ratieut  mit  Beriihiguug 
anvertraut  werden  könne.  Wenn  nun  wirklich  das  Latein  ein  so 
wii'ksames  und  unersetzliches  Mittel  zui-  sittlichen  Veiedeluug  des 


Digitized  by  Google 

I 


—   345  ^ 

Menschen  wäre,  so  müsste  man  es  auch  dem  deutschen  VolksschuUelirer 
augedeiheii  lassen,  der  doch  ohne  Zweü'el  Pflicht f!:etiihl  und  Gewissen- 
haftigkeit in  ))<>hem  Maße  bedarf.  ^Venn  ich  mir  aber  den  moralischen 
Uehalt  der  i  ii  im  hen  Nation,  der  nimischen  Cultur  und  der  römischen 
Literatur  verge<»'eawÄrti<j:e  und  mich  überzcufren  niiiss,  daj^s  dieser 
(Telialt  unter  dem  Niveau  der  Moral  unserer  eigenen  Nation  stritt: 
dann  kann  ich  die  Behauptung,  wir  Deutschen  seien  eine  s<i  elende 
Kass^.'.  dass  wir  trotz  unserer  Lessing  und  Schiller,  unserer  Kant  und 
Ficlitv  und  all  unserer  übrigen  Geisteslieroen  keine  rechtschaffenen 
Menschen  werden  könnten,  falls  wir  nicht  durch  die  römische  Schule 
gingen,  um-  als  eine  unerhört hitamie  bezeichnen.  Eine  derartige 
Schmach  hat  noch  niemals  eine  Nation  über  sich  ergehen  lassen.  Man 
hfttte  Ähnliches  in  Athen,  in  Korn  behaupten  sollen!  Man  sollte  es 
heute  in  Paris  oder  aneh  in  Montenegi  o  behanpten!  —  Wer  seiner 
Nation,  nachdem  er  seihst  auf  ihre  Eosten  etwas  geworden  ist,  zum 
Dank  dafür  den  ärgsten  Schimpf  anthut,  der  würde  in  jedem  Lande, 
wo  nicht  der  römische  Götsendienst  bis  zur  Selbstentwürdigung  ge- 
diehen ist,  hinausgeworfen  werden,  und  dies  mit  ToUem  Bechte. 

Nun  fingen  Sie:  wie  ist  es  denn  möglich,  dass  der  Bomanismos 
und  Latinismus  selbst  heute  noch  einen  so  verblendenden  Zauber  aus- 
flben  kann?  —  Ich  ghiube,  dass  sich  dies  zunächst  psychologisch 
erkläroi  lässt,  nämlich  aus  der  stump&mnigen  Gewohnheit,  aus  dem 
trägen  Hangen  am  Alten,  Hergebrachten,  also  aus  einem  Oharakter- 
znge,  der  zwar  zum  Glücke  nicht  allgemein  ist,  selbst  in  einer  Nation 
nicht,  auf  der  so  lange  eine  lähmende  Tradition  gelastet  hat,  der  aber 
doch  weit  verbreitet  ist  Schiller  kennzeichnet  diesen  Charakterzng, 
indem  er  yom  Menschen  sagt:  „Die  Gewohnheit  nennt  er  seine  Amme* 
Weh  dem,  der  an  den  würdig  alten  Hansrath  ihm  rührt,  das  theure 
Erbstück  seiner  Ahnen!  Was  gi-au  vor  Alter  ist,  das  ist  ihm  göttlich. 
Nicht,  was  lebendig,  kraftvoll  sich  verkündigt,  das  ganz  Gemeine  ist^s, 
das  ewig  Gestrige,  was  immer  war  und  immer  wiederkehrt  und  morgen 
erilt.  weil's  heute  hat  j^ej^olten.  Sei  im  Besitze  und  du  wohnst 
im  Kerht."  —  Nun,  der  Komanismus  und  [.atiuismus  sitzt  seit  einem 
Jahrtausend  auf  dem  Thione  der  deutschen  Hildnnjrsstätien:  warum 
sollti'  er  weichen?  Er  meint,  tür  nlle  K\vi<;keit  die  Dictatur  über 
unsere  Naiioiiah  ultur  ersessen  zu  haben,  .no  d;t>s  ihm  ein  überkom- 
menes und  unantastbares  Keclit  zustehe,  die  üen-schaft  über  die 
(ieister  zu  fuhren.  Das  ist  die  Hauptstütze  der  ..elassischeii  i^ildung''. 
Auch  der  ausgezeichnete  englische  Philosoph  Herbert  Sptiictr  fasst 
die  Sache  so  auf.   Ei'  sagt:  „Die  Menschen  putzen  die  Geister  ihrer 


Digitized  by  Google 


Kinder,  wü'  ilue  Körper,  nach  der  li^^rrsehenden  Mode.  «Teradt;  wie 
sich  der  Oritioko-Tndianer  erst  mit  l^'arbe  bescliniierf .  bevor  er  seine 
Hiitte  verliisst,  iii  I  t  mit  Rücksicht  aul'  iigeiid  welchen  uumittelbai'en 
Nutzen,  sondern  weil  er  sich  ohne  sie  schämen  würde:  so  besteht  man 
auch  darauf,  einen  Knaben  in  Latein  und  (Trierhisch  zu  drillen,  niclit 
wegen  des  inneren  Wertes  dieser  Sprachen,  sondern  dfunit  iiiclit  der 
Knabe  durch  seine  Unkenntnis  derselben  in  Missaclmiug  komme,  damit 
er  eine  standesgemäße  Erziehung  habe,  dieses  Zeichen,  welches  eine 
gewisse  gesellschaftliche  Stellung  andeutet  und  ein  daraus  folgendes 
Ansehen  einlnringt."  Bei  ans  mnss  man  hinzofikgeni  aneh  Ämter  und 
Einkommen.  Denn  ver  dvreh  das  eksslsclie  Joch  vS&at  bindnrehgeht, 
kann  gar  viele  Posten  nicht  erreichen.  —  Spencer  kommt  scliließlich 
zu  folgender  Ansicht:  ,^In  allen  seinen  Wirkongen  ist  Lernen,  was 
Dinge  bedeuten,  heilsamer  und  fkuchtbringender,  als  Lernen,  was  Worte 
bedenten.  Sei  es  fttr  die  geistige,  oder  sittliche,  oder  rdigiGse  Er- 
ziehung: das  Studium  der  umgebenden  Erscheinnogen  ist  dem  Studium 
von  Sprachlehren  und  Wdrterbachem  weit  überlegen.** 

Daraus  nun,  dass,  wie  ich  schon  bemerkt  habe,  die  lateinische 
Sprache  m  unserer  Zeit  ffir  die  allgemeine  Bildung  nicht  mehr  die 
Bedeutung  hat,  wie  vormals,  folgt  für  mich:  dass  in  der  Bildung  von 
VolksschuUehrem  das  Lateinische  nicht  soviel  wert  ist  wie  die  Zeit, 
welche  ihm  gewidmet  werden  mfisste,  um  es  einigermaßen  gründlich 
zn  erlernen.  Denn  wenn  wir  uns  fragen:  was  kann  man  yemünftiger- 
wdse  von  einem  Volksschullehrer  fordern?  so  muss  man  antworten: 
er  soll  Bildner  und  Erzieher  der  Kinder  des  Volkes  sein.  Nun  liegt 
es  schon  im  Begriffe  der  Volksschule,  dass  dieselbe  vor  allem  die 
Muttersprache  und  das  nationale  Element  zu  pflegen  hat.  Es  kann 
ja  nicht  anders  sein.  W  ir  müssten  sonst  ücrailezu  alle  pädasrogischeu 
und  methodischen  Grundsätze,  alle  Normen  unseres  ßerules  ver- 
leugnen. Die  VolksschuU'  kann  m\v  eine  nationale  sein.  Da  heißt  es: 
„Ans  Vaterland,  ans  theure  ^(  hließ"  dieli  anl  Hier  sind  die  starken 
Wurzeln  deiner  Kraft.-'  Wenn  dem  nun  so  i.st,  so  kann  auch  für  die 
Lehrer  im  wesentlichen  keine  andere  Bildung  gedeihlich  sein,  aLs  ilie 
nationale.  Freilich  werden  die  vornehmen  Philologen  sagen:  eine 
solche  Bildung  wolle  nicht  viel  bedeuten:  denn  in  ihren  Augen  ist 
es  etwas  Geringes.  ..nur  ein  Deutscher-  zu  sein,  nach  ihrer  Mei- 
i»uug  uniss  der  „wahrhaft  Gebildete"  römisch  gestempelt  sein.  Es 
wÄre  aber  sehr  heilsam,  wenn  die  Leute,  welche  so  denken,  statt 
immer  wieder  im  Cicero  zn  wühlen »  sich  ein  wenig  in  Eant's  oder 
Fichte's  Werke  verti^n;  wenn  sie,  statt  änmer  den  Horas  m  rer- 


Digitized  by  Google 


—   347  — 


herrlichen,  iu  die  Werke  von  ScbtUer  oder  Qoetlie  grOndlicher  ein- 
drftngen.  Vielleicht  würden  sie  dann  erkennen,  dass  die  Schöpfungen 
des  deutschen  Geistes  denn  doch  etwas  mehr  bedeuten  als  s&mmt  liehe 
Opera  der  classischen  Römer.  Unter  competenten  und  unparteiischen 
Richtern  kann  ja  kein  Zweifel  sein,  dass  die  deutsclie  Cultur  und  Li- 
teratui-  in  allen  Beziehungen  hoch  über  der  römischen  Mit  Wo  man 
das  neg:entheil  behaui)tet,  kann  dies  nur  ans  i  Linoi  anz  oder  Zunftdünkel 
grescheheD.  W'enii  also  die  deutsche  Literatur  einen  so  großen,  für 
das  Individuum  geradezu  unerschöpflichen  Hildungsschat«  darbietet, 
wie  kann  man  denken,  dass  die  deutsclien  Leluerbildungsaiist alten 
jemals  in  Verlegenlieit  koniuien  kannten,  woher  sie  das  geistige  liini 
für  ihre  Zöglinge  zu  nehmen  hätten V  Niclit  nnr  für  allgemeine  liil- 
dung,  auch  ttir  das  Studium  aller  Facliwissenseliaften.  der  (Grammatik, 
Naturwissenschaft,  Mathematik,  (Tesehichte.  (ipdgraidiie  n.  s.  w.  gibt 
es  vorzügliche  deutsche  Werke  in  Fülle,  wiihrend  es  eine  offenktuidige 
That-SAche  ist,  dass  die  Römer  in  allen  Wissenschaften  schwache  An- 
fönger  geblieben  sind.  Man  darf  daher  dem  Deutschen  nicht  zumuthen, 
<lass  er  seine  heiuuscheu  Büdungsschätze  gering  achte  und  zui-  Seite 
schiebe,  um  den  längst  erschöpften  Scluiften  der  Römer  den  Vorzu;^ 
zn  geben.  ■ 

Ich  bin  demnach  der  Meinung,  dass,  so  lange  IBr  die  Lehrei*- 
Uldmig  der  gegenwartige  Bahmen  nnd  besonders  nur  ein  vieijfibriger 
CnrsDS  besteht,  sie  eine  dnrchaas  nationale,  bei  nns  also  eine  deutsche 
sein  mfisse.  Und  wenn  es  gelingen  sollte,  den  Bildongscnrsos  auf 
sechs  Jahre  sn  verUngern,  dann  bleibt  selbstverständlich  inuner  wieder 
die  Hauptsache:  1)  ein  grOndfiches  Erlemen  der  elementarischen  Wis- 
senschaften, die  der  Lehrer  in  der  Schule  zn  verwerten  hat;  2)  eine 
mOgliehst  grOndliche  Vertiefting  in  den  allgemeinen  nationalen  Bil- 
dnngssehatas;  3)  eine  gründliche  pädagogische  und  schnhnftnnische 
FachUldong.  Dazu  kann  und  soll  aber  in  dem. sechsjährigen  Cnrsns 
auch  eine  fremde  Sprache  treten,  weil  eine  solche  zur  wissenschaft- 
lichen Beleuchtung  der  Muttersprache  wesentlich  beiträgt,  nicht  etwa 
znr  praktischen  Beherrschung  dei*selben  und  zur  Erhöhung  der  Sprach- 
?ewalt.  Eher  das  Gegentheil  dürfte  eintreten;  denn  die  gewaltigsten 
Redner,  von  denen  die  Geschichte  weiß,  haben  nnr  die  Muttersprache 
gekannt.  Nicht  die  Sprachki-aft  wird  gehoben  durcli  ein  fremdes  Idiom, 
wol  aber  das  wissenschaftliche  Vei^ständnis  der  Muttersprache  und  die 
elementar-philosophische  Bildunir,  welche  mit  Sprachstudien  an  sich 
verbunden  ist.  Zu  wünschen  ist  ancli,  dass  dem  Lehrerstand  mittels 
einer  fremden  S))raclie  ein  neuer  Zugang  zu  huhei'ei'  Bildung  und  zui* 

rcdacoginm.  6.  Jahrg.  Heft  VI.  jgS 


Digitized  by  Google 


—   348  — 


steten  Tbeilnahm  •  an  den  Cultiirfortaeiiritteii  der  Menschheit  geöffnet 
werde.  Diesem  Zwecke  kann  aber  nnr  eine  moderne  Culturspracho 
dienen;  welche?  dies  lässt  sich  nicht  in  abstracto  bestimmen,  es  häniji 
von  verschiedenen,  namentlich  von  örtlichen  Umständen,  von  etlmo- 
gr  iphischen  Verhalt  nisten  und  Beziehungen  ab.  Jedenfalls  muss  es. 
vom  päda2:no'igchen  Standpunkte  aus,  eine  solche  Spr-i  li.  .sein,  die  an 
und  für  sieh  wert  ist,  gelernt  zu  werden,  eine  solche,  die  weit  verlireitet 
ist.  die  von  einer  hochcultivirten  Nation,  von  fielen  Millionen  Ge- 
bildeter sreKsprtM'hen  wird,  die  also  ein  wicht?[r*'s  Organ  ist  für  den 
internationalen  Verkehr,  der  in  der  moderaen  Welt  eine  so  große 
Bedeutung  hat  und  daher  auch  dem  Lehrer  nicht  verschlossen  sein 
soll.  Bei  einer  solchen  ^\  ahl  ist  dann  auch  die  Möglichkeit  gegeben, 
die  fremde  Sprache  wirklich  und  viUliof  zu  erlernen,  während  dies  bei 
einer  todten  Sprache  nicht  m  gleichem  Muße  der  Fall  ist.  Heute 
lernt  uieinaud  mehr  vollkommen  das  Lateinische,  weil  es  unter  deE 
Lebenden  keine  maßgebenden  Master  und  Förderer  mehr  hat,  sondern 
fldMm  längst  eine  todte  Qpzadie  igt,  die  nldit  mit  der  Zdt  fortge* 
schritten  und  daher  auch  nicht  im  Stande  ist,  die  heutige  Cnltnr  an 
umspannen  und  dmi  Stfom  derselben  za  lenken.  Wollte  man  sie  rar 
EtflUlitng  dieser  Function  gehörig  aasweiten,  so  würde'  sie  aofbOren, 
ciceronianisch  und  classisch  ra  sein,  womit  ja  das  Ideal  des  La- 
tinismus xerstfirt  wfire.  Wer  aber  eine  moderne  Coltorsprache  (Fran- 
zaeisch,  Englisch,  Italienisch)  lernen  will,  derkaim  leicht  dnrehaas 
zuYeriilssige  und  allseittg  bewanderte  Meister,  wirkliche  Original- 
komer  derselben  ünden  und  zudem  sicher  sein,  dass  er  ein  rareiehen- 
des  Oefilft  und  einen  adäquaten  Ausdruck  ftr  die  moderne  WeltbÜdung 
gewinne. 

Für  die  deutschen  Lehrerseminare  Österreichs  wfirde  wol  in  den 
meisten  Fiillen  als  fremde  Sprache  die  französische  zu  wählen  sein, 
in  den  südlichen  Ländern  vielleicht  die  italienische.  Bexüglich  der 
kleineren  Nationen:  der  Slowenen,  Kroaten,  Czechen,  Polen,  Ruthenen. 

Rumänen,  Magryaren  u.  s.  w.  bin  ich  der  Meinung,  dass  sie  vernünf- 
tigerweise, d.  h.  im  Interesse  ihrer  eigenen  Bildung  und  Wolfahrt. 

in  erster  Linie  nui*  die  dentsche  Sprache  wählen  können.  Ich  stelle 
mich  hier  lediglich  auf  den  Standpunkt  des  gesunden  Menschenver- 
standes und  dei-  Pädap-o«rik,  ohne  mich  um  die  Tagespolitik  kümmern, 
nnd  da  ist  es  mir  unbcL^rei flieh,  wie  die  Lehramtscandidaten  der 
kleineren  Nationen  des  Eeiche:j  der  deutschen  Sprache  eine  andere 
vorziehen  könnten. 

Was  soll  aber  mit  dem  Lateinischen  wei-denV  Ich  vei-kenne  uicbt» 


Digitizeü  by  Google 


—  a4y  — 


du8  aach  dieses  nodi  immer  einen  gewissen  Wert  hat  und  wflrde 
mcbts  dagegen  haben,  dass  es  die  Lehrer  lernten,  ja  noch  zehn  Sprachen 
dazu,  wenn  ich  nicht  vOaste,  dass  die  meaaehUche  Capadtftt  aieonlich 
enge  Grensen  hat  Alles  Nützliche  zn  lernen,  ist  non  einmal  nicht 

möglich,  und  dämm  stimme  ich  dem  Grundsätze  Spencer's  zu,  dass 
man  sich  fragen  müsse:  „Welches  Wissen  hat  den  größten  Wert?** 
Weil  nun  das  Lateinische  hente  bei  weitem  nicht  mehi*  die  vormalige 
Wiehtigkeit  hat,  ja  vielt  in  anderen  an  Bildungswert  naelist«ht,  so 
kann  ich  ihm  in  der  Lehrerbildung  keine  herrschende  Rolle  zuer* 
kennen,  zumal  es  leicht  die  Wirkung  thun  könnte,  den  deutschen 
Volksscliullehrei'stand  halb  und  halb  zu  entnationalisiren.  Tch  möchte 
es  nicht  erlel)en,  dass  auch  dieser  mit  iiochmüthiger  oder  mitleidiger 
Geringschätzung  aut  die  eigene  Nation  und  auf  die  Volksjugend  herab- 
blickte,  indem  er  sich  in  dem  Gedanken  wiegte:  ich  stehe  hoch,  denn 
ieh  bin  latinisirt;  aber  ich  will  mich  mit  Selbstverleugnung  zum  ge- 
meinen Volke  hinablassen.  Es  stünde  denn  1  n  a  zu  hetürchten.  dass 
ilie  zum  Cultns  römischer  Ideale  angeleiteten  Lehrer  sicli  dem  Volks- 
geiste entfremdeten,  und  dass  sie  sich  nicht  mehr  recht  glücklich 
fühlten,  ,.nur  deutsche"  Kinder  belehren  und  erziehen  zu  sollen.  Lassen 
wir  unser  Volk  deutsch  sein,  ehren  wir  uns  selbst  dadurch,  dass  wir 
deutsche  Biliiiiiig  ehren  und  jeder  anderen  vorziehen,  sowie  dadurch, 
dass  wir  deutsche  Kinder  und  deutliche  Väter  ah>  ■  unseresgleichen 
anerkennen,  dass  wir  uns  ihnen  mit  ganzem  Herzen  anschließen,  dass 
vir  keine  Scheidewand  errichten  zwischen  nns  und  ihnen,  als  wären 
die  Ldirer  ans  anderem  Hdse^  als  die  Schaler  und  deren  Eltern. 

Ich  will  also  in  keinem  Falle  obligatorisches  Latein  in  der  Lehrer- 
bildnng,  weil  es  an  sich  Ar  eine  solche  Stdlnng  nicht  wertvoll  genug 
ist,  nnd  weil  es  den  Yolkslefarer  nicht  blos  seinem  wesentUehsten  Stu- 
dinm,  sondern  auch  seinem  eigentlichen  Berofe  nnd  seiner  wshien 
Mission  entfremden  mochte.  Darfiber  darf  nie  ein  Zweifel  aofkommen, 
dass  der  dentsche  VolksscbnUehrerstand  dem  dentschen  Volke  gehört 
und  demgemftß  im  dentschen  Bildnngswesen  sein  Lebenselement  zn 
«kennen  hat  Nur  ans  Opportnaitätsrttcksichten  kann  ich  fklr  eine 
kleine  Goncession  an  das  Lateinische  stinunen.  Ich  betrachte  nAmlich 
die  gegenwärtige  Situation  unserer  Cultur  als  ein  Übergangsstadium 
zwischen  der  bisherigen,  römisch  gefärbten  Bildungs weise  und  einer 
neuen,  MdikUch  liberalen  and  freien,  in  der  Wurzel  echt  nationalen, 
in  der  Krone  wahrhaft  humanen  Büdungsweise.  Anf  die  Dauer  dieses 
Übei*gangsstadiums  nun  wäre  ich  dafür,  dass  in  den  Oberclassen  der 
LehrerbiidQngsanstalteQ,  falls  sie  einen  sechsjährigen  Cursus  erhalten,  ein 

23* 


Digitized  by  Google 


—   360  - 

tiiclit  obligatorischer  Unterricht  in  der  lateinischen  Sprache  gegeben 
würdr .  ;ni  welchem  aber  nur  diejenigen  Zöglinge  theünehmen  dürften, 
die  in  allen  Hanptfitobeni  gute  Fortschritte  aufweisen.  Solche  Zög- 
linge können  in  einem  zwei-  bis  dreijährigen  Corsns  soviel  Latdn, 
lernen,  dass  sie  dann,  wenn  auch  mit  Benutzung  von  Hilfsnnitteln.  die 
ihnen  in  deutschen  Werken  begegnenden  lateinischen  ('itate  sich  selbst 
übersetzen  und  erklären,  dass  sit-  mich,  wenn  sie  wollen,  ihre  Stadien 
in  irgend  einer  speciellen  Richtung  fortsetzen  können. 

Aber,  wie  gesagt,  als  einen  wesentlichen  Bestandtheil  uiiNeif^r 
heutigen  Cultur  und  als  obligatoiisclies  Farli  lu  der  Lehrer^ikluIlg 
kann  ich  das  Lateilu^c|le  nicht  anerkennen.  L  berhaupt  meine  ich 
dass  es  nunmehr  an  der  Zeit  sei,  die  liberschwengliclu'  Verherrlichung 
des  Römertliums.  die  ja  nur  auf  Kosten  unserer  selbst  geschieht,  t;iid- 
lich  aufzugeben.  Die  Römer  haben  nichts  hinterlasiien ,  was  noch  tiir 
uns  vun  positivem  Werte  sein  könnte,  nichts,  was  im  Leben  der  Ge- 
genwart als  treibende  oder  heilende  Kraft  wirken  könnt«,  sie  haben 
uns  auch  keine  Buchdmckerkunst,  keine  Dampfmaschine,  keine  Lo- 
<omotive,  keine  Eisenbahn,  keinen  elektiischen  Telegraphen,  kein 
Mikroskop  und  kein  Fernrohr,  kein  Gas-  und  kein  elektrisches  Licht 
kinterlaflsen,  nicht  eimnal  ein  Heilmittel  in  demjenigen  Gebiete,  in 
welchem  sich  ihr  Genie  un  glänzendsten  gezeigt  haben  soll,  in  der 
Staatsknnst,  in  der  Gestaltung  des  politischen  Gemeinwesens.  Wenn 
die  BOmer  wirklieb  so  unübertrefflich  weise  Gesetzgeber,  Juristen 
nnd  Staatsmänner  gewesen  sind,  wie  man  oft  behauptet,  so  soQen 
uns  doch  endlich  ihre  Lobredner,  namentlich  die  Herren  Philologen, 
aus  ihrer  lateinischen  Schatzkammer  den  Schlflasel  zur  LOsung  des 
socialen  Bftthsels,  die  Antwort  auf  die  sociale  Frage,  das  Heihnittel 
fOr  die  sociale  Krankheit  zukommen  lassen.  Aber  meines  Wissens 
sah  es  in  der  römischen  Welt  noch  schlechter  aus,  als  in  der  unsrigen, 
und  so  fiirdite  ich,  dass  uns  die  Apostel  des  Glassicismus  nichts  zu 
sagen  haben  W^tp  ^ie  aber  schweigen  müssen,  sobald  es  sich  nm 
eine  rettende  That  handelt,  su  mögen  sie  audi  schweigen,  vo  es 
gilt,  die  Grundlinien  unserer  Nationalendehnng  zu  bestimmen.  Sie 
mögen  uns  nicht  femer  mit  der  wahrheitswidrigen  Anpreisung  ihrer 
classischen  Bildung^  behelligen,  als  ob  ohne  dieselbe  unsere  ganze  Cultur 
zu  Grunde  drehen  müsste. 

H<"tren  wir  denn  auf,  rückwärts  zu  blicken;  blicken  Mir  vr)i\v;irts. 
w«'i  ten  wir  das  römische  Joch  von  uns,  vertiaucu  wir  uns  selbst,  tvpt.'ii 
wii-  muthig  in  die  (icj^enwai't  ein,  um  aus  ihr  eine  schönere  Zukuiilt 
zu  gestalten!  Lassen  wir  die  Todten  ruhen,  die  ans  nicht  hellen 


Digitizeü  by  Google 


—   351  — 


könuen,  die  auch  selbst  niemals  die  Anmafimig  hatten,  die  Hüter  unseres 
Heiles  sein  zu  wollen.  Wenden  wir  uns  an  die  Lebendigen,  blicken 
wir  um  uns,  helfen  wir  nns  selbst,  denn  anders  kann  uns  überhaupt 
nicht  geholfen  werden:  verwerten  wir  unsere  eigenen iHilfsmittel,  ziehen 
wir  unsere  eigene  Intelligenz  und  vorzüg'lich  unsere  ang'estammten 
Tugenden  zn  Rathe.  um  die  (Tcgenwart  von  ihren  Grebrechen  zu  beil^^n. 
und  ei-ziehen  wir  aus  unserer  Jugend  ein  besseres  Gesclilecht  für 
bessere  Zeiten,  eine  gedieo-en«'  und  selbstbewusste  Nation!  Dies  können 
wir  abpj-  nur  durcli  volkstUüraliche  Rilduugsmittel,  und  eben  deshalb 
iiiu>s  aucil  die  Leluerbildiing  auf  den  Boden  unserer  nationalen  Cultur 
gestellt  werden. 

Wenn  wir  in  diesem  Sinne  den  Lehrerstand  für  die  deutsche 
Jncrenil  hcraubüden,  dann  winl  dieser  Lehrerstand  seine  Mission  klar 
trla^sen  und  freudig  erfüllen;  er  wird  keine  bloße  Phrase  h<>ren.  sondern 
die  Stimme  seines  eigenen  Gefiihlti,  seiner  eigenen  heiligen  Liebe  ver- 
nehmen, wenn  ihm  der  Dichter  zuruft:  „Ans  Vaterland,  ans  theure, 
sichließ^  dich  an,  das  halte  fest  mit  deinem  ganzen  Herzen!" 


L/iyiii^ü<j  by  Google 


Die  llbtTbürdim^sfrage  und  die  \olk88chQle. 

Von  Seminarlekrer  A,  KUinatAmidtr-BtnAam, 

Die  Überbürdung  der  Schüler  in  höheren  Lehranstalten  dürfte 
katun  zu  leugnen  sein.  Denn  wohin  y^r  hr.ren,  überall,  namentlich 
aus  den  Kreisen  der  Eltern,  dieselben  KJajE^eii.  wohin  w'w  sehen,  überall 
derselbe  so  wol  gemeinte  und  doch  so  gefillirliche  \\  etleü'er  der  Lehrer 
einander  zu  überbieten,  worunter  die  körperliche  Kraft  und  geistige 
Frische  der  Jugend  Gefahr  laufen.  Ein  vergleichender  Blick  auf  die 
Lehrpläne  dieser  Schnlkategwie  in  den  versddeden^  dentsdien  und 
enrapüscfaen  Staaten  beweist,  dass  man  einander  hinsichtlich  der 
Menge  des  za  behandelnden  Lehrstoffes  förmlich  den  Rang  abzolaniien 
sucht;  aogenscheinlich  treibt  z.  B.  aneh  Frankreich  entschieden  in 
diesem  getthrlicben  Strome.  Humboldts  Wort^  man  mnthe  der  heutigen 
Jugend  einen  wahren  Straußenmagen  zu,  wenn  man  verlange^  sie  soUe 
die  Überf&lle  von  Lehrstoff  verdauen,  womit  sie  „genudelt"  werde,  bat 
leider  wenig  Beachtung  geftinden;  und  doch  kam  diese  vernichtende 
Kritik  aus  dem  Munde  eines  geistig  hochbedeutenden  Mannes,  dessen 
Name  sogar  in  den  mSchtigsten  Bereisen  mit  wahrer  Hochachtung  genannt 
wurde,  der  in  der  Gelehrtenwelt  selbst  ffir  einen  wissenschaftlichen 
Stern  erster  GrGße  galt  und  heute  noch  gilt  Häufig  vergisst  man 
bei  Veruitheiiiing  jenes  Systems  jedoch  ganz,  dass  das  praktische 
Leben  selbst  mit  der  unablässigen  ungestümen  Forderung,  seine  reakn 
Interessen  berücksichtigt  zu  sehen,  mächtig  mit  auf  jene  genilu  liche 
Gestaltung  der  Dinge  hindrängte;  nun  abor  mrA  alle  Schuld,  alle  Ver- 
antwortung für  das  entstehende  Unheil  den  Behörden  und  den  Lehrern 
zugeschoben.  Und  doch  folgen  die  letzteren  gar  häutig  nur  widerwillig 
dem  ynn  aiißen  geübten  Drucke,  doch  verschließen  sieh  alle  Besonnenen 
unter  ihnen  dei*  Erkenntnis  keineswegs,  dass  jede  Uberbürduug  der 


lyui. 


;d  by  Google 


—  353  — 


Schüler  sich  in  bitterer  Weise  räclieu  muss.  Ks  ist  eine  l'^ngeredi- 
tisrkeit,  wegzuleu^^ien.  dass  diirrh  die  Forflerini<rPn  des  Tiigeslebeiis, 
wie  sich  dieselben  nanientlicli  in  unjserer  Tcigespresse  krystallisiit'n. 
eine  Meng»*  von  Lelirstoft"  in  die  Lehrpliine  der  hrdieren  ljt'liranstalt«'ii, 
oaineutlich  der  Realschulen,  Mitlelschiilen,  höhereu  Bürgerschulen  und 
sogar  in  tliejeiiigen  der  Gymnasien  und  Seminarien,  allmählich  hinein- 
gezwängt wurde,  der  im  Interesse  größerer  Vertiefung  und  gründ- 
licherer Durcharbeitung  besser  weggeblieben  wäre.  Gerade  diese 
Tlmtsache  beweist  wieder  in  iiiitlallender  Weise,  dass  wii-  in  einem 
Zeitalter  der  Unruhe,  der  Gährung,  der  Unklarheit  leben.  Wenn 
man  die  erbitterten  Klagen  vieler  Tagesblätter  über  die  in  den  höheren 
Scholen  herrschenden  Miasstlliide  wieder  und  wieder  liest,  rnnss  man 
sich  sagen:  etwas  Wahres  mnss  in  dieser  Fttlle  Ton  Anklagen  stecken, 
and  dann  ftUt  einem  das  ironisch-wehmüthige  Wort  des  Wands- 
becker Boten  em:  „Wir  treiben  viele  Künste  nnd  kommen 
weiter  von  dem  Ziel.*^  Daher  kann  es  anch  nnr  gebiUigt  werden, 
dass  die  prenfiisehe  Untemchtsverwaltang  nnlüngst  eine  zweckm&ftigere 
Oigamsation  der  hdheren  Scholen  voigesEeichnet  hat 

Hinsichtlich  der  Volksschule  kann  von  einer  Überbfirdang 
nnr  in  gewissem  Sinne  die  Bede  sein;  sie  änitert  sich  hier  nicht 
m  Übetladong  der  SchfUer  mit  geistiger  Arfodt»  worunter  Gerät  nnd 
£5rper  glelchmäflig  leiden,  wenigstens  dürften  Missverh&ltnisse  solclier 
Art  zu  den  Seltenheiten  zfihlen.  Unsere  Volksschnyngend  ist  im  all- 
«remeinen  noch  so  gesund  und  frisch,  wie  ehedem;  wo  dies  nicht  der 
Fall  sein  sollte,  trSgt  bestimmt  nieht  die  Schule  allein  die  Schuld 
davon.  Wol  aber  kann  eine  Überfülle  von  Lehrstoff,  welche  die 
betr.  Gesetze  und  Verordnungen  jetzt  fast  allerorten  vorschreiben,  nicht 
abgeleugnet  werden.  Gerade  die  strebsame  Lehrerwelt  hat  lange  Zeit 
mit  allen  erlaubten  Mitteln  auf  diese  Gestaltung  dei-  Dinge  hinfre- 
drängt.  und  steht  nun  mitunter  ratlilos  vor  einem  bedenklichen  fait 
acrompli,  weil  jeder  verstandige  Volksschullehi  er  sich  sagen  muss,  dass 
eine  Durcharbeitung  der  vorgesL-hrit  benen  Peusa  mit  großen,  grolieu 
Schwierigkeiten  verknüpft  ist.  Und  die  bleibenden  Erfolge  des  T'nt»  r- 
richtesV  Nicht  selten  smd  sie,  wa;»  nanientlich  in  den  Forthililiiti^ 
schulen  zu  Tage  tritt,  erschreckend  gerinj^;  sicher  ist  ungenügende 
Durchdringung  und  Einübung  des  Stottes  die  Haui)tui"sache  des  Übels. 
Trotzdem  braucht  nach  unserer  Überzeugung  kein  wesentlicher  Punkt 
von  dem  vorgeschriebenen  Lehrstofte  zu  tallen,  ja,  wir  würden  eine 
Veränderung  nach  dieser  Richtung  hin  für  beklagenswert  halten-  Dem 
ganzen  Nothstande  kann  auf  einfache  und  durchg»  eilende  Weise  Abliilte 


.  k)  i^  .  j  i.  y  Google 


—   3Ö4  — 


geschatft  weideu,  weiui  man  l)ehen!igt,  was  der  Herausgeber  des  I*ä- 
dagogiums  den  Lehrern  scUou  \nederholt  und  nachdrücklich  ins  Ge- 
wissen gerufen  iiai:  ..Sichtet  die  Lehrstoffe!"  Hier  haben  wir  den 
Hinweis  auf  die  Wurzel  und  auf  die  lieiiuug  alles  Übels.  Die  Lehrer 
selber  machen  sich  unnützerweise  das  Leben  schwer,  indem  sie  eine 
Unsamnie  von  wertlosen  Details,  von  unnützen  Kleinigkeiten  mit  in 
den  Unterridkt  hineinziehen  und  ihnen  genau  dieselbe  Bedeutung  bei- 
messen, wie  den  wirklich  wertvollen  Hauptsachen.  „Wenig,  aber  gut!" 
Wie  oft  wird  dieses  schGne  Wahrwort  vergeesen!  Gesetze  und  Verord- 
nungen über  den  Lehrstoff  von  Schnlanstalten  mflssen  ihrer  Natur 
nach  dehnbar  sein,  dem  eigenen  Denken,  dem  selbetstAndigen  Ennessen 
des  Lehrers  einen  gewissen  Spiebanm  lassen,  wenn  anders  dessen  IM^ 
tigkeit  nicht  in  «inen  geistlosen  Mechanismus,  in  eine  maschineomftSige 
Handwerkerarbeit  ausarten  soll.  Die  Schulbehörden  wollen  bestimmt 
nicht,  dass  der  Yolksschnllehrer  zu  weit  aushole  und  sich  in  Begionen 
Teriiere,  wohin  ihm  seine  Schiller  nicht  zu  folgen  vermögen.  Jeder 
verstftndige  Scfaulinspector  wird  bei  Beyisionen  voUstftndig  zufrieden 
sein,  wenn  die  Kinder  die  Hauptsachen  klar  erkannt  haben,  sicher 
wissen  und  mündlich  wie  schnftlich  möglichst  selbststftndig  zu  venverten 
verstehen.  Nicht  die  Masse  des  eingelernten  T^nterrichtstoflfes  ist  dem 
erfahrenen  Revisor  das  Merkmal  und  der  Prüfstein  fiir  die  Güte  des 
Unterrichtes,  sondern  die  Denksicherheit  und  sprachliche  Gewandtheit 
der  Schüler.  Wenn  also  die  Volksschullehrer  sich  unter  einander 
gleich  den  Lehrern  mancher  höheren  Schulen  bezüglich  des  Umtanges 
des  behandelten  Stoifes  zu  Überbielen  »suchen,  wenn  sie  meinen,  des 
Guten  darin  gar  nicht  genug  thun  zu  können,  sr»  sind  sie  M\m-  die 
Ursache  ihrer  BedWingnis  und  ihrer  Misserfolg^e.  sie  selber  trai: -u  die 
Verantwortung  dafür,  wenn  ihr  schönei-  Berul'  sie  nicht  beinetJifrt. 
Freilich  muss  dabei  immer  vorausgesetzt  werden,  dass  die 
Schulaufseher  erfalirene  Schulmänner,  Leute  vom  Fach  sind, 
welche  Flunkereien  und  Sjiiegelf echtereien  klar  durch- 
schauen lind  genau  wissen,  wortiuf  es  in  unseren  Volks- 
scliulen  ankommt.  Suchen  sie  das  Ziel  der  Lehrerthätigkeit  in 
glänzenden  l'ai-aden,  im  Brilliren  der  Schüler  mit  eingelernten  Kennt- 
nissen, denen  das  klare  VersLäudnis,  die  Gruudbedingung  der  freien 
Verwertbarkeit  fehlt,  dann  ist  ein  gewissenhafter  und  verständig 
arbeitender  Lehrer  in  übler  Lage;  seiner  schonbar  geringeren  und 
dennoch  solideren  Erfolge  halber  wird  er  verkannt  and  miasachtet 
werden,  wo  Wertschätzung  für  ihn  so  wOnschoiawert  und  wichtig 
wäre.  Dann  heitt  es,  sich  mit  philosophischer  Ruhe  wafihen  und  die 


Digitized  by  Google 


—   355  — 

pädagogische  iljerzen^^Dg  nicht  der  äußeren  AnerkeTmimg"  opfern.  Alle 
einsichtsvollen  Erzielter  sollten  einniüthig'  darin  zusammenstehen,  dass 
Denkfähigkeit  und  Können  die  besten  Resultate  des  Unterrichtes 
sind,  nicht  todtes  Wissen.  Es  linden  sich  leider  Volksschullehrer,  welche 
eine  Ehre  darin  suchen,  ihren  Unterricht  möglichst  abstract  zu  ertlieilen 
und  demselben  ein  gelehrtes  Mäntelchen  umzuhängen;  sie  discreditiren 
dadurch  nicht  allein  sich  und  ihren  Stand,  sondern  t^nch  diejenigen 
Schulbehörden,  welche  im  Sinne  der  modernen  Pädagogik  thätig  sind, 
and  denen  es  ebendeswegen  nicht  an  erbitterten  Feinden  fehlt.  Lehi-eni 
dieser  Art  gebtirt  von  allen  Seiten  entschiedene  Zurechtweisung,  nicht 
allein  von  oben,  sondern  auch,  wenn  sie  in  Collegenki'eisen  sich  breit 
zu  macheu  üuchen,  von  den  Berufsgenossen;  denn  sie  verletzen  die 
Itegeln  ihres  Standes,  der  seiiie  Bedeutung  wie  seine  Kunst  gerade 
in  der  geistbildenden  Methode  sucht  Man  verstehe  mich  nicht 
falsch;  ich  hin  ti«f  von  der  Überzeugung  durchdrungen,  dass  das  bildende 
Moment,  welches  im  Stoffe  steckt,  der  Methode  an  Wert  yollstftndig 
ebenbürtig  ist;  ebenso  nnmnstOfilich  fest  steht  mir  aber  die  Überzeugung, 
dies  der  grOftte  Thdl  der  dem  Lehrstoife  immanenten  Kraft  verloren 
gebt,  wenn  er  nicht  verarbeitet,  nicht  geistig  verdaut  werden 
kann.  Ein  Überachnss  an  Lernstoff  gleicht  dem  Mehr  an  körper- 
licher Nahmng,  welches  der  Mensch  bei  nnmäBiger  Lebensweise  zu 
sich  nimmt:  er  beschwert  den  Geist  als  sch&dlicher  BaUast,  schwScht 
md  hemmt,  anstatt  zu  kräftigen  und  dies  namentlich  infolge  der  Ver- 
wirrung und  Unordnung,  welche  die  Unklarheit  stets  im  Gefolge  hat. 
Unter  allen  Umständen  gilt  daher  hinsichtlich  des  Lehrstoffes  Alt- 
meister Groethes  Wort  für  den  wahren  Volksschullehrer:  ,-In  der  Be- 
schränkuno^  zeigt  sich  erst  der  Meister";  natürlich  darf  diese 
weise  Besclu'änknng  nicht  in  Beschränktheit  ausarten.  Die  Lehrer- 
schatt  sollte  stets  der  Thatsache  eingedenk  bleiben,  dass  jede  Erwei- 
temno-  des  Lehrplanes  sie  selber  und  zwar  g:anz  direct  und  unmittel- 
bar triftt.  indem  sie  dadurch  mit  Arbeitsmaterial  belastet  wird,  welches 
sie  unmö^'-jich  ausreichend  verarbeiten  kann.  Dass  geistige  t'beran- 
sitrengtmg  des  Lehrers,  zumal  wenn  ihr  der  schönste  Lohn,  der  solide 
Erfolg,  fehlt,  auch  nachtheiliir  auf  seinen  Ktirper  und  auf  seine  gesamte 
dienstliche  Thätigkeit  wii-ken  niuss,  kann  wol  nicht  zweifelhaft  sein. 

bo  klar  diese  Verhältnisse  auf  der  Hand  liegen,  finden  sich  den- 
noch Lehrer  (und  oft  sind  es  die  strebsamsten  Leute,  mitunter  fi*eilich 
auch  Streber!),  welche  meinen,  mau  müsse  entweder  das  bereitjs  vor- 
geschriebene Material  erweitern  oder  neue  Lehrstotl'e,  welche  ihnen 
hödist  wissenswert  und  für  das  praktische  Leben  bedeutungsvoll  er- 


.  ki.i^cd  by  Google 


—    356  — 


acbeinen,  iii  den  Lehrplan  einfügen.  Da  soll  Haudfertigkeitsunterrieht 
A  la  Olansson-Kaas,  Anthropologie  nnd  G«8undheitslehre,  Gartenbau, 
Haus-  und  Liindwirtsrhaftslehre ,  Technologie  und  Warenkunde,  (rt- 
setzesknndf  und  Nationalökonomie  und  Gott  weiß,  was  nocli  alles, 
gelehrt  werden;  hat  man  (l(»cli  mMierdings  tV>T-mliche  Waffen-  und  Kxer- 
cierübungt-n  in  Schulen  einirefülirt,  und  in  f  raukreicli  drillt  ninn  srlion 
die  Srhull»uV>en  mit  ScbieLuibuupren  für  den  Revanchekrieg-.  Voiii  Leiirer 
Verlaufet  mau  aulierdt'Ui  nt-»ch  t*iue  Menge  außerdienstlicher  Ireiwilliirt-r 
und  uneulgeltlioher  Vei  richtungen:  er  soll  Scliulspai  t  assen,  Thierschuu- 
vereine  u.  dtri.  einric  luen  und  sich  immer  und  überall  als  firmer  Tau- 
sendkünstler bt'wäkien.  Hier  ist  Gefahr  im  Nachgeben.  Die  Kuhe. 
die  stille  Sammlung,  die  be&iuunene  Stetigkeit,  welche  nun  einmal  als 
Grundpfeiler  erfolgreichen  Lehrerwirken^  anzusehen  sind,  müssen  iu 
solch  krauser,  zersplitterter  Thätigkeit  verloren  gehen.  Unsere  Volks- 
schalen sind  bisher  streng  genommen  noch  nirgends  überbiudet:  wenn 
man  den  Geist  der  Gesetze  und  Verordnungen  richtig  eriksst  und  hin- 
sichtlich des  Lehistolfes  weise  Beschrftnknng  übt,  kann  letzterer  noch 
bewältigt  und  In  fruchtbringender  Weise  verarbeitet  werden.  Aber 
die  Üb^bflrdnng  kann  und  muss  kommen,  wenn  die  gesetzlichen  Be- 
stimmungen fiüseh  ausgelegt  werden,  indem  man  die  Kinder  mit  Stoff 
ttberlastet  oder  zu  den  zahlreichen  Lehrgegenstinden,  welche  bereite 
vorgeschrieben  sind,  noch  neue  fügt  Mit  dem,  was  in  dieser  Hinsicht 
bereite  normirt  wurde,  scheint  uns  das  jinfimte  Maß  dessen  gegeben 
zn  sein,  was  die  Volkasehnle  bewitttigen  kann.  EÜne  Erweiterung  ver- 
trägt der  Lebrplan  absolut  nicht  mehr;  wenn  Neues  gelehrt  werden 
soll,  muss  Altes  ausgeschieden  werden.  Indes  mfissen  wir  immer  der 
Thatsache  eingedenk  sein,  dass  wir  doch  nicht  alles  Wissenswerte 
lehr^  können,  dass  der  Umfang  des  Lehrstoffes  viehnehr  constant  ein 
mäßiger  bleiben  muss,  dass  es  aber  keineswegs  wünschenswert  ist.  in 
der  Schule  alles  zu  lehren,  was  für  das  Leben  wichtig  ist  und  geist- 
bildend wii'ken  kann.  Muss  denn  die  Schule  iu  dieser  Beziehung  alles 
thun?  Soll  nicht  auch  dem  Jünglings-  und  Mannesalter  ein  Theü  der 
geistigen  Ausbildung  überlassen  bleiben?  Kann  die  beste  Schule  ein 
abgeschlossenes  Wissen  und  Können  mitgeben?  Muss  sie  nicht  voll- 
ständif^  zufrieden  >ein,  wenn  sie  den  Schüler  so  entlflsst,  dass  er  be- 
fähigt ist.  sich  selber  weitii  zu  bilden,  und  wenn  er  den  Triel»  zur 
Fortbildung  mit  liinausnimmt  ins  buntlipwe<i'te  T-ebenV  \\"enn  es  die 
Gestaltung  unserer  Zeitveiiialtnisse  wirklich  iiniliweiidig  macht,  dies 
und  jenes  neue  Wissenso:el)iet  methodisch  mit  der  Jugend  zw  dm»di- 
wandern,  so  thue  man  {lies  in  den  gegenwärtig  fast  allerorten  be- 


Digitized  by  Google 


—   357  — 

stellend«!!  Fortbildnngsschnlen;  hier  erscheint  das  Wiederkäuen 
des  bereits  in  der  VoUcsschoIe  behandelten  Stofies  sogar  hOcbst  nacli- 
theOig,  weil  das  Interesse  der  Schiller  dafttr  nicht  gewonnen  werden 
kann.  Nene,  namentlich  Ar  das  praktische  Leben  wertvoDe  Lehrgegen- 
stftide  hingegen  werden  die  Fortbildnngsschtiler  schon  an  sich  anregen, 
auch  wenn  dieselben  nur  als  eine  wirkliche  Erweitening  des  bereite  in 
der  Volksschule  vorgeführten  Materials  erscheinen.  Aach  in  den  Fort- 
bildungs-,  Volksbildnngs-,  Handwerker-,  Gewerb- Vereinen,  deren  Besuch 
meist  Jedermann  freisteht,  ist  die  lebensvolle  and  praktische  Behand- 
lang jener  Stoffe  nicht  allein  gerechtfertigt,  sondern  sogar  höchst  wün- 
schenswert. Die  Volksschule  aber  hat  hinreichend  mit  dem  zu  thun, 
was  ihr  bei  eits-  zur  Verarbeitung  übei'wiesen  ist;  die  Lehrer  derselben 
werden  mit  unnützer  Arbeit  überbürdet  werden,  wenn  man  ihnen  zu 
den  bereits  voro^eschriebenen  Pensen  neue,  ihnen  noch  dazn  nieist  fremd- 
artige, bestimmt  Da  sie  wahrsrheinlich  ohnehin  nur  Buk  hstücke, 
mitunter  \v^)l  noch  dazu  von  recht  fragwürdigem  Werte,  zn  in-hi^n  ver- 
möchten, ei'seheint  die  in  Rede  stehende  Xi  inTunp-ssiirlit  doppell  verwerf- 
h'ch.  Die  Schule  würde  al)e]-  auch,  wenn  sie  jenem  Amlriiiiren  nachgäbe, 
ganz  aus  dem  Rahiaen  ihrer  naturgemäßen  Tliiitigkeit  heraustreten, 
ihrer  eigentlichen  Aufgabe,  welche  in  der  allgemeinen  Menschenbildung 
besteht,  voUstÄndig  nntreu  werden.  Ihrem  ganzen  Wesen  nach  darf 
sie  keiner  besonderen  Partei,  keinem  speciellen  Benife,  keiner  herrschen- 
den Mode  dienen;  sie  trägt  ihren  Zweck  in  sich  selber  und  soll  in 
dem  Streben  nach  Erfiillnng  desselben  die  Schüler  befäldgeu,  später 
cdn  nu^isehenwilrdiges  Dasein  za  ftthren;  was  darüber  hinausgeht,  ist 
Tora  Übel. 

(Sdünw  folgt) 


Lxiyiii^üd  by  Google 


Fortbildnn^sschnle  und  Leben. 


Fo»  Hugo  }reber-Leiptijf, 

IL   Da»  Leben  in  Hau»  nnd  Hof. 

3.  Herraehe  weise  in  hftnsliehen  Kreiae !  An  der  Hand  der  Lehr- 
atflcke  dieses  Cai^tela  soll  der  Lehrer  ein  schSnes  ideales  Familienleben,  die 
Bedingungen  einer  traten  Ilaasordnang-  nnd  Hanshaltun^,  die  Eigen-schaften 
eines  charaktervollen,  iitn«!«  htigpen  Haasvaters  und  einer  S4)rg8ani  waltenden 
Hanslrau  and  die  .Schieckbiider  einer  liederlichen  Wirtschaft  besprechen. 
Die  „Inschriften  fiir  die  Herrenstnbe**  sollen  m  anregendoi  Bemerkungen 
Uber  die  Pfliehten  der  Herren  Gelegenheit  geben. 

4.  Diene  tren,  fleiüig  und  ehrlich!  Aus  der  Herrenstube  geht's  in 
die  Gesindestube:  dttui  unter  rlen  Sclinlpin  der  Fortbildun^sschnlt'  sind  ja 
auch  Dienstboten.  Eine  besondere  Behaadlun^  der  l'Aichten  nnd  Verbältuisse 
der  Dienstboten,  insbesondere  der  obengenannten  drei  Cardinaltugenden,  die 
jede  dienende  Person  mindestens  als  Prtdieate  in  den  Zeugnissen  des  Dienst- 
buches aufweisen  soll,  ist  darum  sehr  angezeigt;  sie  lUsst  sich  am  besten  an 
Nr.  12  anknüpfen,  an  dip  «jrhfSne  Darstellung-  ans  ..Tli  (l«n-  Knt>rhf'  von  Jere- 
mias Gotthelf,  auf  dessen  Schritten  bei  dieser  Gelegeulieit  nachdiücklich  auf- 
merksam zu  machen  ist  Sehr  zweckmäüig  dürfte  auch  bei  diesem  Capitei 
das  Vorlesen  nnd  ErlSntem  der  G-esindeordnnng  sein,  wie  sie  in  der  Begel 
jedem  Dienstbuchc  vorgedruckt  ist.  Die  Mensdiliclikeit  gegen  Hausthiere  sdiil- 
•l.'i  t  Xr.  13,  willirend  Nr.  14  die  Sympathie  zw  erwecken  sm  lit  für  jeno  .irmon. 
HUt'  dem  Laml«'  nicht  spUph  an/.utretienden  HHtrjnniren.  die  nnr  von  einer 
Schlechtnau  Mutler.  abei>  von  keinem  Vater  wissen  und  darum  von  Kindesbeinen 
an  sieh  bei  fremden  Lenten  herumschlagen  mttssen.  Die  „Lischriften  filr  die 
Gesindestnbe"  halten  die  nachgewiesenen  Pflichten  nochmals  in  Form  des  Spiich- 
wortes  vor.  Als  scliriftliche  l^bungen  schließen  sich  an  die  letzten  Cajtitel  z.  1 5. 
Oesnche  um  Dienstboten,  Stellnneen,  Zeugnisse  etc.  T'ni  ni«  lit  wieder  darauf 
xuriii  kkomuieu  zu  müssen,  will  ich  gleich  hier  ausspreclieu,  dass  auch  die  schrift- 
lichen Übungen  sich  "thnnlichst  auf  die  LebensverhUtnisse  bexiehen  müssen, 
die  gerade  der  Erörterung  unterzogen  werden.  Eins  muss  auch  hier  iaunw 
wiodor  in  das  andere  gi-eifen.  .So  sind  auch  die  strafgesetzlichen  Bestiminnngen 
im  Anlianire  ni^ht  für  sich  zu  beh?indpln,  «snndeni  bei  Oelpfrenlifit  lu-ranziiziehen. 
Bei  diei^eni  Capitei  z.  B.  ist  auf  die  Siiateii  aufmerksam  zu  machen,  welche 


Digitized  by  Google 


—   369  — 


TKeDstlK)ten  treffen  können,  wenn  sie  Zngthiere  ohne  Anfidcht  stehen  lassen, 
»\x\v''h  Fahrlässigkeit  einen  Brand  veninaclien,^  Tbiere  qnftlen  oder  misahan« 
dflu  etc.  etc.  • 

5.  Ehre  Vater  und  Matter!  Von  der  Oeeindestube  gehen  wir  im 
Aassngsatflbehen.  Wer  auf  dem  Dorfe  gdebt  hat  nnd  lebt^  wird  wissen, 
dass  das  Verliftltnis  zwischen  Eltern  nnd  Kindern  nach  der  übei^abe  des  He» 
sitzthnnts  IrJder  sehr  oft  ein  ttnerfivii1i(  ),es  ist.  An  -^Mlrhpn  wnnden  Punkten 
des  Volkslebens  darf  die  Fortbildungsschule  nicht  vui  übergehen .  hat  sie  docli 
dif  Verpflichtung,  gerade  die  sittlichen  Gebrechen  aufs  Korn  zu  nehmen,  soweit 
sie  dnrdi  Beleluiuig  Terbesserlieh  sind.  Wran  Nr.  16 — 20  etwas  dasn  bei- 
trageni  dass  die  in  so  manchem  Auszagsstübchen  ertönenden  Kla^ren  und  Senf- 
zer  verstummen  und  die  kindli<  lie  Pietät  vor  den  Elteni  und  dem  Alter  über- 
haupt zunimmt,  so  haben  sie  ihren  Zweck  erfüllt.  Bei  diesem  Capitel  sind 
die  gesetzlichen  Bestimnamgeii  über  „Enterbung"  und  .,vilt«*ilielie  Gewalt'*  auf 
Sftte  290  berbeinniebeii. 

6.  Bewahre  deine  Gesundheit!  Das  ist  ein  sehr  wichtiges  Capitel, 
anf  das  uns  schon  bei  einer  Wainlerniiy  durch  die  Wohnräume  (1<  s  DHrflei-s 
die  Nase  hinwei«f.  liliidliche  Bevölkerung,  die  in  gesnndlieitürlicr  Be- 
ziehung unter  den  günstigsten  Bedingungen  leben  könnte,  da  es  ilu*  au  inscher 
Lnfty  krBlUger  Bewegung  und  Oel^nbeit  anr  Abhftrtnnjgr  nicht  feblt,  ist  bei- 
weitem nicht  so  gesund,  als  man  erwarten  sollte.  Gesundheitspflege  ist  meist 
eine  ganz  unbekannte  Sadie.  Was^ser-  nnd  Luftsdieu  zienilii  li  hänflg  anzn- 
treflFen;  schleichende  Krankheiten  \  enuiclililssi^^t  man  so  hinjre,  >tis  sie  zu  un- 
heilbaren chronischen  Übeln  werden;  hei  acuten  holt  man  den  Arzt  sehr  oft 
an  spftt  oder  wendet  sieh  wol  gar  an  Qnadisalber  nnd  Knipfliseher.  Ja,  es 
kann  behauptet  werden,  dass  manehes  Leben  auf  dem  Dorfe  nnr  aus  ünTOl'^ 
stAud  zu  Gnmde  geht.  Hier  gilt  es  daher,  eine  Menge  Vonirtheile  wegzu- 
rHnmen  nnd  anfenklären.  immer  wieder  auf  die  Nnthwrmdig'kpit  der  Lüftung 
der  Wohn-  nnd  SchlatVäume,  auf  den  Wert  eines  guten  Trinkwassers,  auf  die 
tfwedoniffigite  nnd  »igleicli  billigste  Art  der  IMbrong,  aof  den  gana  rda- 
tivea  Ntttaen  der  künstlichen  Getriüike,  auf  das  HeOisame  des  Wascbens  nnd 
Badens,  auf  die  Bedeutung  der  Reinlichkeit  für  die  Gesundheit  überhaupt,  kurz, 
auf  <He  hygienischen  Grundsätze  hinzuweisen,  deren  Beaclitnng  unsere 
iTtsundheit  bewahrt.  Xr.  21  —  26.  die  von  diesen  Dingen  handeln,  müssen 
natürlich  auch  Tiel&ch  vom  Lehrer  ergänzt  werden.  Nr.  27,  das  die  widi^ 
tigsten  Segeln  der  Krankenpflege  bietet»  dibrfte  den  Witschen  der  Ärzte 
entsprechen,  die  auf  dem  Lande  sehr  oft  ilbCT  mangelhafte  oder  ganz  verkehrte 
AnsfRhmng"  ihrer  Verordnnnjreü  /n  klasren  haben.  Xr.  2'^  behandelt  die 
Saniariterdienste  bei  vorkommenden  Unglücksfällen.  Ikvor  die  nenerdings 
ins  Leben  gerufenen  Samariterschulen  sich  auch  auf  das  Land  verpflanzen,  hat 
ea  noch  gote  Wege,  und  doch  ist  es  gerade  liier,  wo  man  meist  von  der  ärzt- 
lichen Hilfe  soweit  entfernt  ist.  sehr  nothwendig,  das»  \'erunglückten  di<*  erste 
Hilfe  in  der  zweckmässigsten  Weise  zntheil  wird.  Bei  den  „Fit  rcitten  für  Ge- 
sunde und  Kranke**  möge  der  Lehrer  nicht  versäumen,  auch  anf  die  l  rsacheri 
der  sich  in  erschreckender  Weise  mehi-enden  seelischen  Störungen  auf- 
merksam an  maeben,  dnrcb  welche  olfmhar  die  Zunahme  dar  Selbstmorde 
mit  bedingt  ist.  Die  Verwerflichkeit  derselben  ist  mit  allen  m<^Uchen  Grün- 
den darznthnn. 


u\'^ui^c6  by  Google 


—  360  — 


7.  Sei  arbeitsam  und  wirtscliaftlic  Ii !  in  einer  vi  istaudlicheii  und 
zugleich  aninuthigen  Form  werden  Wer  in  einer  längei-en  Keilie  von  Lese- 
stflcken  die  aUgemeinsten  BegrUfe  der  Yolkswiitseluilt  namentlich  von  Arbeit 
und  Capital,  erörtert.  Küi  g^roßer  Theil  der  sittlitlieii  Gebrechi  ti  wunelt 
in  den  wirtschaftlichen  N<)th.<trui(i.»n.  aus  denen  sich  das  deutsch»'  \'i>lk  mit 
aller  Energie  lu  lunszuarbeiten  hat.  Da  in  vjplen  Fällen  die  Nothstiünlc  wieder 
auf  Mängel  im  Volkscharakter  ztuück/.utiihren  sind,  so  muss  die  Fortbil- 
dnngBBchide>  so  oft  sie  kann,  auf  die  Nothwendigkeit  einer  noch  größeren  Ar- 
beit^mkeit  nnd  Btthrigkeit,  bernflidien  Tüchtigkeit  und  Geschicklichkeit,  auf 
die  Tugenden  der  Beharrlichkeit  und  Strebsamkeit,  des  Fleißes  und  der  Spar- 
sarak»  it.  der  Ehrlichkeit  und  Rf^dlichkpit.  der  Pünktlich k-^it  und  Ordnuntr  dnrch 
Führung  von  üeschafts-  und  Haushaliuugsbüchera,  aut  die  Solidität  im  Ue- 
eehlltilebett,  auf  die  Yerftchtliebkeit  des  Geises  nnd  der  Venchwendnng,  der 
rerschiüdeten  Armut  and' Bettelei,  auf  das  ThSrichte  des  „Billig  nnd  eclilocht" 
und  anch  auf  din  VWrt  einer  klugen,  verständigen  Hausfrau  für  wirt- 
schaftliclies  Wölb*  linden  hinweisen.  !>ie  aus  unserem  Sprich wörterschatzi- 
gebotenen  Wirutchattaregela  sind  hierbei  zu  verwerten.  Die  Überzeugung, 
dais  Belelimiigen  Uber  WirtaflliKMidikeit  hacbat  aeitgemäß  «ind,  iit  wol  all- 
gemoin  vorbanden,  abw  die  UntorlaaBiuigssfinde  ist  noch  aUgemeiner.  Zwar 
ssncht  man  neuerdings  die  Tugend  der  Sparsamkeit  mehr  zu  pflegen,  aber 
m:in  irrt,  wenn  man  das  .Mitral  znr  Hebung  des  Sparsinncs  in  drr  Volksschule 
angeglieierten  Sparcassen  gefunden  zu  haben  glaubt.  Zum  Ulück  hat  die 
Wtiifttige  Erfindung  der  Spammken  daa  nnerqnidtUebe  Tbana  der  äcbul- 
eparcasaen  so  siemlich  von  der  Tagesordnnncr  verdrlngt.  Der  Erfinder  ^  wer 
ist  es?  —  verdiott  ein  Denkmal  von  selten  der  Lehrer,  aber  auch  eins  vom 
Volke.  Dajreüren  dürfte  «lic  Fortbildungsschule  das  rechte  Feld  zur  l'f!  '«^'  i»  ! 
Sparsamkeit  sein.  Die  Fortbildungsschuler  sind  viel  mehr  als  die  \ dlks-schuki 
in  der  Lage,  etwas  Selbstverdientes  zu  sparen,  sind  infolge  ihrer  größeren 
Lebeneerfkhnuig  und  Reife  fBr  wirtachaftlidie  Bereefannngen  nnd  ErQrfeenmgen 
viel  fUhiger  und  mit  der  Notb  des  Lebens,  dem  zwingendsten  Motive  nr 
Sparsamkeit.  viel  hekanntpr. 

Wie  mancher  ist  schon  von  Haus  und  Hof  getrieben  worden,  weil  er  voui 
Creditw  esen  nichts  verstand,  wie  mancher  wurde  plötzlich  zum  armen  Manne, 
wral  er  Versieb  er  nn^en  nnterlieB,  wie  mancher  wurde  bankerott,  weil  er 
die  Vortheile  der  Barsahinn  u  nicht  einsah,  leichtsinnig  Schulden  machte,  sieb 
mit  Wik  herern  und  auf  Wechsel  einlieli,  keine  Bücher  führte  nnd  w1irc  es 
ein  einfaeiics  Hanshaltungsbuch  (S.  298),  keine  Berechnung  der  Selbst- 
kosten anstellte  (S.  299)  oder  dabei  die  (reneralkosteu  nicht  berücksichtigte 
(S.  74  nnd  299).  Es  dürfte  daher  wol  gebilligt  werden,  daas  in  den  Nr. 
HO— 44  aUe  diese  Dinge,  theils  entwickelt,  theils  zui-  weiteren  Ausffthrung  daidi 
den  Lehrer  angedentct,  zur  Sprache  kommen.  .Tu.  der  I.chrer  wird  sich  ums 
Volkswol  verdient  machen,  wenn  er  die  wirtschaftliclien  Fehler  {rfhfiris: 
geilielt  und  unter  Umständen  auf  ailgeuiein  bekannte  Fälle  wirtschaftlichen 
Niederganges.  Bankerotts  etc.,  mit  der  gebotenen  Vonicht  und  Btldcsiebt  natür- 
lich, hinweist  Aof  alle  Fftlle  wird  er  aber  »ir  Verhtttung  de.s  Elends,  der 
Sorge.  de.<<  Unglücks  etc.  mit  hritniirpii.  wenn  er  seinen  Schülern  die  wirt- 
M'haftlichen  Lehren.  Tiiüeuden  nnd  (irnndsätze  verständlich  zu  machen  sncht. 
i>azu  ist  nicht,  wie  man  vielfach  vorgeschlageu  hat,  eiu  voUstäudigei*  Abris»" 


L.  .  .  L  y  Google 


—   361  — 


der  Volksv  Ii  t«jchaft  nöthig:,  weni^fst^^ns  anf  dem  Lande  nicht.    Hi^r  gilt  es 
vor  allem,  wirtschaftlichp  (TmndsUtze  einzupflanzen,  um  allj^emeiiK'  Schilden 
im  Volksleben  mit  heilen  zu  hellen.    Eine  volle  Eintüliruag  iu  die  Lehren  der 
CKktercneiliriiiig-  und  Ofiterbeweernngr  ist  ttbenUes  nicht  nur  m  seliwierig,  son« 
dem  anch  zn  /citraiibeiiil. 

8.  Pflt'ge  dein  Vieh!  Dieses  ('a)i^tel  fiihrt  uns  in  »leii  Stall.  Das«  in 
den  Nr.  45  -47  Pferd  und  Rind  als  die  nützlichsten  Hausthiere  besondere 
l>ar8t<dlung  gefanden  haben,  erklärt  sich  von  selbst.  Eine  Behandlang  aller 
Hausthlere  vom  soologiaclieii  Standpunkte  kann  nicht  mehr  die  Aütgnbe  det 
Fortbildangssehnle  sein.  Hanptsache  ist  hier  vielmehr  eine  Darlegung  der 
all^reineiiieii  Regeln  über  die  Pflege  der  Haasthiere  und  eindringliche  Ermah- 
nungen zur  menschliche»  Hehnmlhmjr  derselben.  Eingrehendere  Erörterungen 
über  Vielizucht,  Rasse,  Anfzucht,  FUtteraug,  Alilcliproductiun  etc.  gehören  in 
laDdwirtsebafUiche  Scfatden,  zn  welchen  unsere  FortbUdnogsscbnlen  bei  aller 
Berwkiichtignng  landwirtschafUidker  Interessen  sich  nie  entvidceln  IcSnnen 
und  dürfen.  Doch  dürfte  es  zeitgeniUO  sein,  zu  einer  vermehrten  Hühner-  und 
Lapinzucht  Anregiins'  zn  geben,  dio  sich  in  vielen  Fullen  ohtie  zu  groBe 
:Scliwierigkeiteu  einführen  lUsttt,  wie  Franki  «  u  h  iceigt,  und  zu  einer  besseren 
und  billigeren  Ernährung  des  Volkes  mit  beitragen  kilnnte.  Wenn  Dentseh* 
iand  seine  Leistungen  erhfthen  wül.  und  das  mnss  es  bei  dem  immer  schwi«»* 
riger  werdenden  Kampfe  der  Vrdker  ums  Dasein,  so  muss  es  anf  Mittel  sinnen, 
Sil  Ii  he??sf>r  zu  erniUiren.  sonst  reibt  en  sieh  körperlich  und  sreistip  auf.  An- 
zi»i«'hen  de«  drohenden  \  «rlalles  liegen  schon  vor,  z.  B.  in  der  weit  verbreiteten 
Nervositttt.  Die  größere  Arbeitekraft  der  Engländer,  Nordamerikaner  and 
Fnaaotm  erklSit  sich  ans  der  besseren  BmlUimng. 

9.  Pflege  den  Garten!  Der  Wert  eines  gut  gepfle;;ten  Gartens  für 
die  Han.shaltung,  zur  Belebung;  des  S(liöiiheiis!<iiMie>.  der  Hiiu-lichkoit  und 
Behaglichkeit  im  tränten  Heim  ist  unbestritten.  W  er  unsere  Dörler  dureh- 
waudert  und  sie  daraufhin  ansieht,  wird  freilich  finden,  dass  da  noch  manche.s 
za  bessern  ist.  Welch  wolthnendea  Eindruck  madit  nicht  ein  Dorf»  dessen 
Hänser  mit  sorgsam  behanddlten  Obstbaumen,  anmuthigett  Blnmengftrtchen  und 
üppigen  (ieniiisehf^ptpn  umgeben  sind.  Und  oft  hat  nur  ein  finzisres  jmtes 
Beispiel  Nacheiferuug  geweckt.  Wie  berufen  dazu  eist  lieint  der  (Jurten  des 
Lehrer?«,  der  Schalgarten.  Ja,  durch  rationellere  Ausnuuuug  der  Gärten  ist 
nicht  nnr  Geld  zu  erhalten,  sondern  auch,  namentlich  in  der  Nahe  grttß^vr 
Stftdte,  Geld  zu  verdienen:  außerdem  könnte  dadurch  auch  die  Ernährung  ge- 
hps^sert  werden.  Be(|neiiili<likeit,  Unverstand  und  Ge.s(iiinafkli»>ie:keit  siindis^on 
in  Hezutr  auf  (iarteucultur  iiueh  iilierall.  Noch  steht  nianeliei-  Weg  und  man- 
ci»er  Hügel  ohne  Obstbaum!  Wer  freute  sich  nicht,  wenn  er  heute  das  Gott- 
loihachal  durchwandeit,  Aber  die  rdchbepflannten  Höhen  und  Halden,  wo  ehe- 
dem nnr  Oestrttpp  und  Unkrant  wucherte.  Und  das  ist  geworden  dureh  die 
Anregung  eines  einzigen  gemeinsinni.t  n  Mannes.  Auf  diesem  Gebiete  könnte 
sich  noch  mancher  Landsebnllehrer  zum  Wolthäter  seiner  Gemeinde  machen 
Hat  er  doch  die  beneidenswerte  Geiefjeniieit,  zugleich  Volkslehrer,  Pionier  und 
Triller  der  gemeimifitzigen  Bestrebungen  auf  dem  Lande  sein  zo  können.  Dar- 
nm  hat  die  Fortbildungsschule  in  den  Krds  ihrer  Unterweisungen  auch  thun* 
liehst  die  Zucht  und  Veredlung  der  Obstbäume,  deren  Satz  und  weitere  Pflege, 
lien  Gemfiseban  und  die  Blamencnitar  za  ziehen  und  dorch  Zeicbnnngen  den 


Digltized  by  Google 


—   362  — 


Siim  tui'  hübsche,  getiüiige  GarteuaLlageii  zu  erweckeu.  Hienui  reiht  ücli  die 
Bi«ieiimcht,  die  wieder  Melit  w«rtoi  aoUte.  Kr.  48 — 51  bieten  zor  Behand- 
Inng  dleaer  Dinge  Stoff  dar.  Sollten  aber  viele  liebrer  neb  zur  Uaterweiraiip 

in  diesen  praktischen  Dingen  nicht  fUliig:  tindtMi,  m  niüsste  Sorge  getragen 
werden,  dnss  Wanderlehrer  ftder  sinn«t  dazn  b^'tuhigte  Lentp  für  «io  eintreten 
können.  i:^evor  man  dem  Volke  zei^t,  wie  sich  jeder  durch  üandlertigkeits- 
nntenieht  seinen  LSffel  selber  admitien  klfnne,  Milte  man  ihm  viduebr  zeigen, 
was  es  tbttn  kSnnte,  nm  vor  allem  etwas  mdir  anm  LMTdn  zu  babcn. 

irr.  Das  Leben  in  Feld  und  Flur. 

10.  Bebaue  sorgsam  den  Acker!  üier  lag  eine  gruüe  Vei-suchuug 
nahe,  an  weit  in  das  Facligebiet  der  Landwirtacbaft  hineinzngehen :  jedoch 

Hclion  die  schuldige  Rücksicht  anf  die  anderen  Berufsclassen  angehürigen  Schftler 
verbot  flies.  Sollte  J^hIocIi  in  irgendeinem  Orte  eine  eingehendere  Behandlung 
des  Arkf-rbattes  als  lokales  Bedürl^is  empfunden  werden,  so  musa  sich  der 
Lt'hrer  an  die  Seite  294  aufgeführte  Literatur  halten.  Im  Lesebuche  konuteu 
aelbetverstflndlicfaerweise  nnr  die  dnftchsten  nnd  allfrenieinaten  Lehren  aoa 
Phjsik,  Chemie  und  Mineraloyrit-  <'ntwickelt  werdni.  ab»  r  mit  B<'ziehung^  auf 
den  Acki  rLau.  An  rein  bot^niscln  ii  Stoffen  ist  im  Lesebuche  nirlits  nnfirf''- 
minunt  ii  wdnlt'ij,  theils  weil  in  der  R»  ir»  !  die  VolksHchule  da*  Nöthigste  schon 
gebot«?i>,  tlieils  weil  weder  Monograpliieii  noch  systematische  Betrachtungen 
ntltadich  genng  sind,  nm  die  so  Itostbare  Zdt  der  Fortbildomsasdittle  zu  ver* 
schwenden.  Die  Cultnrgewächse  kennt  übrigeu^  du  Landmann  meist  hin- 
reicheml  inid  oft  bpsser  als  der  Li'Iiicr.  ('liorliaupt  hat  der  natui-geschichtliche 
ITuterriL-ht  auf  dieser  Stufe  sokhe  ^t;uidinuikte  zu  s'fu innen.  v<in  deiipn  t*iu 
gi-öHere«  Feld  überschaut  werden  k;um,  nicht  KinzeUu  iit'ü,  iK)ndein  Naturcow- 
plexe  an  betraebten,  mn  dann  das,  was  Ar  das  Leben  am  wichti^fsten  ist.  ber- 
anszugreifen  und  ..dem  Mittelpunkt«^  zn  nähern,  in  dem  wir  wallen  und  weben 
müssen"  (Pestalozzi).  Luft  und  Wa.-sei  .  Licht  und  Warme  als  die  BedinsTina-^^n 
alles  Waclisthums.  den  Kreislauf  der  Stoffe,  insbesondere  <iie  W  iikun '_''  !)  ,ies 
Sauer-,  SUck-,  Kohlen-  und  Wasserstoffes,  der  KuhlensUui'e  und  de»  .Uumuaiaks 
im  Hanshalte  der  Natvr  darmdegen,  die  Erde,  die  bebant  wird,  nach  ihrer  Ent- 
stehung und  Znsammensetzung  zu  scbüdem.  die  Xothwendigkeit  der  DAnguu«r 
verständlich  zu  machen,  das  ist  der  wesentlidio  Inhalt  dieses  Capitels.  Außer- 
dem musste  auch  auf  die  Abhiiiigigkeit  des  Ackerbaues  von  dem  Ewigen,  auf  seine 
Bedeutung  für  die  Cnltur  und  das  gewerbliche  Leben  hingewiesen  werden, 
nm  so  auch  religiSse  nnd  wirtschaftliche  Gesichtspunkte  zn  gewinnen.  Anf 
Nr.  58  möchte  ich  ganz  besonders  aufmerksam  machen  mit  der  Bittt*.  zu  ver- 
surhen.  ob  nicht  die  in  dem  Gedichte  p^schilderte  schöne  Sitte  der  Schwei/, 
nach  welcher  JüngUuge  bei  Mondenschein  freiwillig  den  gereiften  Acker  der 
Witwen  und  Waisen  im  Orte  schneiden,  auch  bei  uns  einzubürgern  seL 

11.  Hege  den  Wald!  Die  Bedentang  des  Waldes  im  Hanshalte  der 
Natar  ist  so  Jllar  und  anf  der  andern  Seite  die  Neigung,  den  Wald  kui-zsichtig 
abzuschlagen,  und  die  Wiederaiiftoi-stung  zu  venmchlässigen .  in  bäuerlichen 
Kreisen  so  allgemein,  dass  ihnt  w<d  ein  besonderes  Capitel  gewidmet  werden 
musste.  Zugleich  bietet  sich  hier  eine  schickliche  Gelegenheit,  auf  die  Feinde 
nnd  Freunde  des  Landmanns  in  derThierwelt  einen  Blick  m  ynaeteOf  den  Nntcen 
der  Vi^I  im  Haushalt^  der  Natnr  hervonsnhebra,  den  Sehaden  des  Ungeziefer- 


Digitized  by  Google 


—   363  — 


fraßes  zw  beleuchten,  hinzuweisen  auf  das,  was  vt^rtüs^  nii<l  wasfrchegt  wenlpii  nniss. 
Wenn  die  IMlze  als  allgemeines  VolksnHhnnittt  l  t  inpfohlen  werden,  so  hat  das 
freilicli  zur  \  oraossetzuug,  dass  der  Lehivr  die  essbai-en  Pilze  seiner  Heimat 
nXbtr  prrBndlich  snvor  kennen  lerne,  nm  Sathgeber  sein  m  kdnnen.  Bei  dem 
KinHussr  des  Waldes  auf  das  deutsche  GemIttluleiHni  dniftoi  die  sciilSnsten 
deutschen  Waidliedfr  lupi  nirlit  fehlen. 

12.  Beobachte  das  Wetter!  Bei  der  Wichtigkeit  des  Wassers  tVir  alle 
landwirtschattliche  ThUtigkeit  ist  liier  nicht  nur  auf  die  meteorologischen  \'ui-gänge 
hüuRiweiwnf  sondern  an<^  aber^lftnblMlien  Hebrangen  in  Bezog  anf  das  Wetter 
entgegenzutreten,  anzudeuten,  wanini  dio  wissenschaftlichen  WettexiRQgnoeen 
die  relativ  ricliti^fsten  und  darum  verlässlichsten  sind.  Anregungen  zur  Ver- 
wertung deö  (ieuossenBchaftsprinoips  sind  hier  am  Orte.  Man  sollte  dasselbe 
auf  dem  Dorfe  nicht  nur  zur  gemeiuschaftliclien  Be.schatfnng  theurer  landwirt- 
•ebafUldier  KaacUnen,  «mdem  anch  dum  anwoiden,  aicli  in  krltiflchen  Z^t» 
auf  allgemeine  Kosttn  die  Witternngsan^isichten  zur  Verhütung  von  allgemeinem 
Schaden  reolitT"!  itin  •( !( erapliispli  zu  verschaffen.  Die  wiederholende,  bez.  er- 
gänzende lieliaudluug  des  Thermo-  mid  Barometers,  die  Ursachen  und  Ei-schei- 
unngen  von  Wind  und  Wetter,  der  Elektricität,  des  Blitzableiters  etx;.  wird  sich 
hier  leicht  aoschliefien  lamen. 

lIV.  Da«  Le;ben  In  der  Gemeinde. 

l  'A.  Lebe  iu  Frieden  und  hm  Li  acht!  Obwol  der  Laudmaon  mehr 
ala  der  Städter  anf  gnte  Naehbarschait«  anf  gegenseitige  Hilfe  im  Unglttck  etc. 

angewiesen  ist,  so  lehrt  doch  die  Erfohrung,  dass  auf  dem  Dorfe  ProceasMicht, 
llass.  Niedertracht,  Stolz,  geringschätziges  Herabsehen  auf  Minderbeffütei-te. 
Starrsinn,  Rechthaberei  >  tc.  die  Eintracht  sehr  hSnti«'  stören,  and  «lass  von  man- 
cher Dorfglocke  leider  nicht  gesagt  werden  kann . 

„Zur  Eintracht,  /.u  herziimii^f  rtt  Vereine 
Wr^rtinmelt  sie  die  H<'V)ciidt'  (tt-meine." 
Die  Stücke  07 — 72  sollen  daher  etwas  dazu  beitragen,  die  Gesitiiiangen  der 
Freundschaft  zu  beleben,  Stolz  und  Starrsinn  an  mindern,  die  Verträglichkeit 
and  gegenseitige  Hilfebereitschaft  zn  eriiShen. 

14.  Sei  prenieinsinnig  und  gemeinnfitziü;!  Das  Interesse  am  Wole 
des  (ranzen,  die  Opferwillif^fkejf  für  allgemeine  Zv  erke  mit  einem  Worte  der 
Cri'meinsinu  ist  im  allgemeinen  iu  den  Landgemeinden  noi-ii  sehr  wenig  ent- 
wickelt.   An  vielen  Orten  hat  das  Lnthersche  Wort: 

..Wenn  der  Buiu  r  iiii  lit  inn-<i. 

Rührt  er  nicht  Hand  noch  Fiiü  * 
heute  noch  Berechtigung,  wenn  auch  nicht  geleugnet  werden  soll,  dass  es  anch 
in  dieser  Beriehong  im  ganzen  besser  geworden  ist  Die  Fortbildnngsschnle 
hat  darum  auch  die  Pflicht,  den  jungen  Leuten,  die  immer  mehr  so  vollberech- 
tijrten  fiemt^ind<»g:liederii  heranwarhsen,  einen  Einblick  in  die  (Tf>me!ndpver- 
waltung  zu  gewähren.  Es  wird  dies  recht  gut  geschehen  können  an  der 
Hand  den  Artikela:  «Die  CFemdnde,  ein  Staat  im  kleinen^  (Nr.  74).  Dabei 
sind  die  Protokolle  Aber  Gemeiwleangelegenheiten  anf  Seite  300  mit  heranzn- 
ziehen.  Nr.  7?)  stellt  die  Wahrzeichen  eines  gut  verwalteten  Doifes  anf:  gute 
Brnnn*»n,  reinliche  Straßen.  Blitzableiterund  Versichernnpri^tafeln  an  den  HUnsei-n, 
geräumige  Schule  etc.  etc.  Nr.  7ü  schildert  das  ptUchtgetrene,  segensreiche 
Waltmi  efnea  mmteilulten  OemelBdevorstaDdes.   Bei  der  Schwierigkeit,  in 


Digitized  by  Google 


i 


~   364  — 


manchen  Orteu  zur  Übemaliuie  vuo  üemeindeämtera  geschickte  und  Wreite 
Uftmier  zu  finden,  hnt  die  Fortbildungaadmle  das  VenUeDstUclie  geiueümütjdger 
Tldttig'lceit  henroniih«lMn  und  noch  Anieituig  xnr  Abtoniig  von  iMhirdMelien 

»Schreiben  za  geben,  wenigstens  den  iutelligentestoii  SchOlern.  Nr.  77  und  78 
zt'ia-Hii,  wie  ein  armes,  wirisrhaftlioh  verkommenes  Dorf  durch  die  :remein- 
nUtzige  Thätigkeit  einei»  Arztes,  EitterguUsbesitzers,  GeistUoheu  und  Lehrers 
nn  dnem  woUinbenden  sn  werden  Tennag.  Zur  wdteren  LeotOre  dieea*  Alt 
mntt  den  Scbfllmi  da«  „Goldmacherdorf  von  Zflchokke  nod  die  anf  Sdte  294 
genannte  volkswirtschaftliche  Literatur  anempfohlen  werden.  In  solchen  Spie- 
;ii  Ibildeni  müssen  die  Schüler  sehen,  welche  zw»  f  kni:UM£reii  Einriohtim<jpn  für 
ihren  Wolmort  noch  wünschenswert  sind,  wit;  das  Wul  des  einzeini;u  von  dem  des 
Ganaen  albhaogt  und  naigekehrt,  und  Aufgabe  dee  Ldiren  wiid  ea  dabei  «ein« 
dnreh  Hinweiae  auf  die  eoncreten  VetliUtttiaae  dee  Ortes  das  Litttease  am  Ge- 
mejndewol  wachzurufen  und  das  Denken  auf  Verbesserungen  anzuregen. 

Von  einem  fstrehsamen,  tüchtig  durehgebildeten.  taktvoll  zu  Werke  gehen- 
den Lehrer  kann  auf  deui  gesammten  Gebiete  der  Volkswoliahrt  eine  segensreiche 
'  FiUle  von  Anregungen  ausgehen,  zumal  wenn  er  sich  mit  Geoinnungsgeuoasen 
verbindet,  mit  Collegen,  Qeiatlichen,  Förstern,  gebadeten  Landwirten  etc.  Maiw^her 
T-ehrer  hat  da.s  schon  bewiesen.  Xi<  lit  Stadtlehrer,  Landschullelii*  r  sind  es. 
welche  ilrutsrhe  Dichter,  wie  AHerbadi.  Zschokke.  Srhaumberger  ett .  zw  Ilt  ld.  n 
gemeiiuiütziger  Thätigkeit  in  ihren  Dichtungen  gemacht  haben.  Schon  mancher 
iiftt  dadureii  aldi  die  Aehtnng  seiner  Gemeinde  in  einem  hohen  Gnde  erworl»en 
und  ein  bleibendee  Gedächtnis  im  i^egea  gestiftet;  denn  noch  liat  onaer  Volk 
ein  dankbares  Herz  fiii  <li«  Männer,  die  bemüht  sind,  seine  Lage  zu  verbessern. 
Der  Lehrer  gehöre  zu  ihnen!  Es  versteht  sicli  von  si'lhst,  dass  seine  Hauptarbeit 
in  dei-  Schulstube  stattzulinden  hat,  aber  keiner  wird  behaupten  können,  dass 
ilim  Iceine  Stande  bleibe  aom  Nadtdenicen  Uber  daa  Wol  aeiner  Gemeinde,  aar 
Betliei%nng  an  der  FSiderang'  desselben,  zum  Besadie  der  Sitsnngen  gemein- 
nützt^er  Versammlungen,  landwirtschaftlicher  Vereine  etc.  Thue  deine  I*flirht 
tren  und  gewissenhaft  in  dor  Sehnl^.  und  du  bist  ein  aehtungswt  rter  St  hul- 
lehrer,  den  die  Behörde  und  Gemeinde  zu  .schätzen  wissen  wird;  rege  die  Grün- 
dung von  Sparcaasen,  VolksMbUotheken,  Weibnachtsbeschernngen  für  Arme  an. 
halte  belehrende  Vorträge  an  Winterabenden,  sorge  für  Einffllirang  von  Hand« 
fi  rtigkeifi^n,  wenn  die  Vt  i  liiUtnisse  deintT  f  ienitMudt-  p<5  wnnscheuswert  und 
Miü^rlicli  machen,  pflege  den  Volks»:resang,  sei  ein  Mustt  r  duirb  dein»'n  Wandel 
und  dein  Familienleben,  sei  ein  besonnener  Erldärer  und  Kathgeber  iu  poli- 
tischen Dingen,  ein  Tiiger  aller  gemdhntttaigen  Ideen,  dwen  Vatblg  deiner 
Gemeinde  von  Nntaen  sein  Icann,  sei  und  bleibe  ein  treuer  Freund  aller,  die  an 
deinen  Füßen  q-esespen  und  dn  bist  nudir.  ein  ^'olkslclirer.  ein  Volks- 
freund, t  ili  \  u  1  ks  wt»i  t  Ii ilter,  der  sich,  gehoben  von  der  allgemeinen  Wert- 
schätzung, iu  seinem  Berufe  glücklicher  fühlen  wird  als  der  Lehrer  in  der  Stadt, 
vu  sich  so  viele  in  seine  Aufgabe  theüen,  wo  bevwxngte  St&nde  ihn  in  den  Hin- 
tergrund  dillngen.  wo  der  Lehrer  nicht  einmal  mehr  Schollehieri  sondern  nur 
norli  n.isseiil»  lirt'V  ist.  kein  seHiststilndiir  >';iuendt's  Wesen,  nur  ein  Polyp  im 
Koralienst'M'kr.  \\>>  der  ^chr^ne Tag  eineä  silbernen  Jubilftaius  unbeachtet  vorfiber- 
geht  und  kaum  no<:ii  einer  das  goldene  erlebt. 

Nr  79  zeigt,  wie  ein  durch  FleUt  und  Thlti^keit  reich  gewordener  I^aad- 
werker  fiir  seinen  Wolmort  «am  Wolthätm*  wird.   Lmdw  ransste  ans  Mangel 


Digitized  by  Google 


—  365  — 


all  Kaum  von  weiteren  Beispielen  .sulelu  r  (leDuinniUzifrkeit  abfrm»hen  werden. 
Gerade  in  onseren  Tagen,  wo  ein  einzelner,  bejj^ünstigt  durch  das  Oluck,  reicli 
'wevdMi  kann  —  gibt  es  dodi  In  dem  nicht  ttberreichen  Preußen  e.  B.  ftber 
1600  llarkmillionäre  —  ist  es  nöthig,  auf  die  verdienstlichen,  hochsinnigen  Acte 
der  Sehen knno-pn  und  Stiftangen  hinzuweisen,  durch  welche  das  oft  über 
Itebüi  und  Hedarf  auigeUäufte  Vermügen  auf  dein  W  ege  des  Oemeinsinnes 
der  Allgemeinheit  wieder  zugute  kommt  England  und  Amerika  Ubeiti-etteu 
uns  in  diesem  Pnnkte.  Das  Heer,  in  welchem  der  ÜbergMcIdiehe,  Überreiche 
znr  Versöhnung  der  Götter  seinen  Ring  y.n  werfen  liat,  ist  das  ai-me  Volk, 
das  Menschenmeer.  Durch  WolthÄtigkeit  wird  dem  grestrongen  Glücke  der  rechte 
Zins  und  Zoll  gezahlt  and  zugleich  der  Neid  und  Groll  der  Armen  in  Dank  and 
Segen  vei' wandelt. 

15.  Betrage  dich  gesittet!  Nr.  80—86.  Hier  ist  dem  Lehrer  Gelegen- 
heit geboten,  sichnlber  die  Pfliclit  der  Men8chenfreundliclik<'it.  das  An^^eiielime 
der  Artigkeit  und  Höflichkeit,  das  llässliche  der  Grobheit.  Flegelei  und  Benirelei. 
das  Abschenliche  der  Gemeiiilieit  iind  Koheit.  der  Meusclien-  nnd  Thierciuälerei, 
das  Verbrecherische  des  Baumtreveis,  der  Schändung  vuu  Deukuiaiern  und  An- 
lagen, das  Sdiandbare  der  Unkensdilieittte.  attasEOsprecheii,  nnd  xwar,  je  nach 
Cmstfinden,  mit  dem  Brusttone  der  aittUchen  Entrnstnag,  wie  Johaimes  der 
TUnfer,  oder  mit  der  Lielte  eines  .Toliannes  des  .TiinjTfTs.  der  den  Verirrten 
nachgeht,  aU'  unter  vier  Augen  väterlich  ermahnt,  mit  der  bewegten  Stimiue  de« 
Herzens  auf  die  sittlichen  Gefahren  des  Lebens  aufmerksam  macht  Sind  sie 
doch  meist  seine  Mheren  Schiller,  die  er  gründlich  kennt  von  Jagend  anf,  die 
mit  Liebe  an  Ihm  gehangen;  diese  Liebe  ist  aneh  sicher  noch  vorhanden,  sie 
gibt  sieh  nur  scheuer.  Sollte  man  nicht  meinen,  es  niüssi-  dem  Lehrer  nnf  dem 
Lande  leicht  sein,  der  Rohei  der  Gesinnung  Herr  zu  werden  und  ^^esittete 
Meui»chen  zu  bildend  Ja,  wcuu  nicht  der  böse  Geist  aus  so  vielen  Poren  des 
4flFentlichen  Lebens  trotz  der  desinflcirenden  Wirkung  nnserw  Lehren  ins 
HerK  der  Jugend  eindrängen! 

10.  Werde  kein  Spieler  und  Trhikerl  Spiel-  und  Trunksucht,  die  so 
oft  Schlägereien,  Beleidigungen.  Verbrechen  etc.  in  ihrem  Gefolge  haben,  sind 
zwei  Laster,  die  leider  auf  dem  Dorfe  verhält uismäßlg  stark  auftreten.  Sie 
rauMten  als  gemeine  Volksgebrechen  gana  Iwsonders  in  einem  Kapitel  anfb 
Korn  genommen  werden,  da  sie  vieles  Herzeleid  und  manches  wirtschaftliclie 
Elend  vej-schulden,  die  Menschen  entsittlichcji  die  Zucht-.  Kranken-,  Armen- 
nnd  Irrenhäuser  iibervölkern,  das  Familiengliick  ruinireu  und  Arbeitsscheu  und 
Vagabondenthum  erzeugen.  £ä  wiid  nicht  genügen,  dass  der  Lehrer  nur  die 
betrelTenden  Lesestllcke  lesen  Ittsst;  er  mnss  sich  mgleidi  lebhaft  an  die  Efaisidit 
und  Erfiihrnng  des  Sehfllers  wendmi  and  diesen  ^ebsschaden  des  Volkswols 
nirht  nur  vom  sittlichen,  sondern  auch  vom  familiftrmt  nnd  volkswirtschaftlichen 
Gesicht.^pimkte  beleuchten. 

17.  Heilige  den  Feiertag!  Das  Gemiitb  des  Laudmanncs  ist  im  allge- 
meinen sinrOder  nnd  weniger  entwickelt  als  dem  Stldter,  aber  die  Empfln* 
düngen  sind  meist  tiefer  und  wahrer.  Die  harte  Arbeit  gibt  ihm  wenig  Anlass 
nn  !  Htsst  ihm  weniir  Zeit.  "Reflexionen  zn  machen  und  Empfind ting-en  n  u)r/n- 
hängeu.  während  der  Städter,  meist  schon  durch  seineu  Beruf  zu  j^rölierer 
geistiger  Thätigkeit  gezwmigen,  zahlreiche  Anregungen  durch  Theater,  Kunst, 
Unterhaltung,  YortrSge,  LectBre  eihUt,  die  der  Landmann  entbehren  mnss.  Daher 

84« 


Digitized  by  Google 


—  366  — 

fällt  die  Pflege  des  QfimtttlislebeuK  auf  dem  Dorfe  fast  allein  der  Kirche  za; 
daher  ist  dtt  kjtciiHdie  Leben  tdet  mcfa  viel  reger  als  in  der  Stadt,  mmal 
wenn  der  Geistlidie  die  feligiSe^  Bcdlliiliiase  seiner  Gemeinde  richtigr  schfttztt 

ans  dem  Leben  für  das  Leben  predigt.  In  vielen  Orten  gehurt  der  r^'srlni^ßig^*' 
Kirchenbesuch  anchznr  frommon  Sitte:  wenn  es  anders  ppworden.  dann  ist  iiirht 
die  so  oft  augekia^e  Schule  scltuld.  Es  möge  die  Kirche  nnr  an  Stelle  der  Dogniatüi 
aus  dem  in  ihren  FttBen  qnelknden  Lebenshom  Waaeer  sehBiifen  and  ea  mit  den 
LeboBBtropfen  der  vnvnfifliigliehen  reinen  Lehre  Jesn  in  Wein  Terwanddn,  das 
Mehl  dentsrhen  Geistes  mit  dem  f  aiu  i-t<M>f'  des  Christ«  nthnms  rrrmeng^n. 
Solcher  Wt'in  und  solchps  Lebensbrot  würden  dns  ^*olk8leben  .«littlicii  rt's:t  iit'nr»»n. 
Ich  vndiH  aus  eigener  Krfabnmg,  dai»  Laudleut«  uft  stundenweit  gehen,  am  die 
anregenden  W<Hrte  einee  ecbtoi  Volkspredigers  za  httren.  Predige  nnr  wie  ein 
Jidiannea  der  Tinte,  imd  daa  Volk  lllnft  dir  nach  his  in  die  Wfiste!  Nadi 
dem  Berichte  des  Landescunsistoriums  staml  der  KirchcnVicfHich  in  einem  ge- 
raden Verhältnisse  zur  Güte  der  Predigt.  Oft  sind  die  Landbewohner  weithin 
eingepfarrt,  aber  es  ist  ibuen  dneli 

..ein  sprger  iiaus-  iiiii  Feiertag 

Zn  wandeln  dun  Ii  diß  Waldenaeht. 

Dimli  In  «her  Eichen  Kr»>nenpracht. 
Durch  Wifeienf^ründt'  bruiinenfrisch. 
An  jai^r  Erlen  schlankem  Ua^ 
Zu  wandeln  zw  des  Herren  Tisch." 

Die  Fortbildiingsiichule  gibt  keinen  Religionsunterricht,  hat  aber  die 
Pfli(  ht.  bei  jeder  Gelegenheit  auf  den  Segen  kirchlichen  Lebens  hinzuweisen, 
und  vor  Feiertagen  namentlich  an  der  Hand  der  im  Leaehnehe  «Ziehenden  reü- 
glSeen  Gedidite  reli|^8eea  Leben  nn  pflegra.  Daaa  Schilleii  »l4ed  von  der 
Glocke"  nicht  fehlen  durfte,  ist  leicht  zu  begreifen.  Knüpfen  sich  doch  alle 
wichtigen  Acte  des  Porflebens  noch  an  das  Glockens-elatitp;  hier  tönt  «^s  norli 
jeden  Abend  wie  ein  eihesegen  über  die  weite  Flui-,  so  dass  es  das  ermüdete 
Ohr  des  Städters  wie  ein  poetischer  Hanch  anweht  Die  „Gloeke^  ist  m>  recht 
ananihenten;  manche  S^t«inen  atnd  katechetisch  an  dnrehdenken.  So  z.  B. 
im  Hinblicke  anf  die  Gedankenlosigkeit  und  den  Mangel  an  Sinnigkeit: 

„Da«  ist's       wa^^  den  Menschen  zieret 
Und  dazu  ward  ihm  der  Vertätand. 
DaSi  er  nn  tie&ten  Mensen  f^i  m  r 
Was  er  er>*(lmfFt  mit  feiner  Hand. 

oder  gegenüber  den  Klagen,  d;iss  der  Hauer  ein  rechtes  ^Plackholz"  sei, 

..Arbeit  i.-l  dci»  Bürgers  Zierde, 
•Segen  ist  der  Mühe  Preis. 
Ehrt  den  Könip  seine  Würde, 
Ehret  ihn  der  Hände  Fleiß!  ' 

oder  angesichts  der  rdnen  Geldheiraten  auf  dem  Derfi»: 

„Dntm  prüfe,  wer  sieh  ewig  bindet 
Ob  .«<ich  das«  Herz  znm  Herzen  findet 

Die  Glocke  Viiet'  t  :in(  h  vortreffliche  Gelegenheit,  auf  ideale  Lieb.'  hinzuuei^fn. 

die  im  aligemeineu  auf  dem  Lande  seltener  angetroffen  wird,  da  Sinnlichkeit 

und  Speculation  hier  eine  größere  Bolle  spielen. 

18.  Ehre  die  ^odten!  Der  Weg  zor  Kirche  f&hrt  anf  dem  Dorfe  meist 

aber  den  Friedhof}  denn 


Digrtized  by  Google 


—    367  — 


..Friedlich  I)(.rf'  Xacli  altfr  Sitte 

Hast  da  noch  dein  Kirchieiu  steh'u 

In  des  RtUlen  "Htain  lOtte. 

Wo  zur  Kuh'  die  Todtrn  v;d\n.  — 

Zwischen  Krens  und  Leicheusteiue 

Zieht  die  Sduur  ba  Gottaahans." 
Auf  dem  Kirclibofe  st«ht  nnd  geht  der  Landmann  vor  and  nach  dem  Gottes- 
di.Miste:  hier  qnillr  auch  d:is  harto  O-Piniltli  anf:  hier  wird  jedes  weich  nnd  (mu- 
jitänglich  nud  za  sUUen  Betrachtungen  über  Leben  und  Tod  angeregt.  Hier 
ist  der  Ott,  wo  da  amdi  den  stolieiteii  B^ner  «inniAl  weinen  flehst  —  lam, 
der  Kirchhof  ist  auf  dem  Dorfe  eine  rechte  PAeffestItte  des  GemflOsIelwis. 
Und  außerdoin  herrscht  liier  noch  die  schöne  Sitte,  dass  die  Nachbarn  das  Grab 
graben,  «las.s  <lie  Freunde  den  Frennd  auf  den  eisrenen  Schultern  zur  ewigen 
Euhe  tragen,  dass  bei  jedem  B^räbnisse  aus  jedem  Hanse  wenigstens  eins 
dabei  ist,  dass  womöglich  alle  der  Leiehe  noeh  einmal  ins  Angesicht  sehen 
wollen,  weil  es  ffir  ihr  einfiiehes  Ctomltth  9in  sehltaer,  rlhrender,  ja  heiHger 
Anblick  ist.  In  den  Sitten  des  Volke.s  Hegt  eine  tiefe  Poesie,  die  nicht  ab- 
.*?terben  davi.  und  ein  fnichtbarer  .Stoff'  /nr  GemQthspflege.  den  sich  kein  Land- 
schallehrer  entgehen  lassen  darf.  Die  Lesestoffe  dieses  Capitels  bilden  daher 
anch '  anaseUieBlieh  Poesien,  die  ohne  breite  Behandlung  der  Lehrer  seinen 
Schfilem  nnr  empfinden  lassen  mOge.  Solcher  Weihestnnden  kann  anch  die 
FortbildiiDg-sschuIf  nicht  entbehren,  wenn  sie  erziehen  will.  Die  ixihesten 
unserer  Schüler  sind  raeist  solche,  welche  die  liebe,  weiche  Hand  der  Mutter 
oder  die  sti*enge,  harte  des  Vaters  nicht  gefühlt  haben,  weil  der  Tod  sie  ihnen 
m  früh  entriss.  Weise  sie  nnter  Tier'Angen  an  ihre  Gtftber,  dass  sie  da 
bessere  \'(>rsätze  fassen  —  nnd  dn  kannst  sieher  sein,  dass  deine  Worte  einen 
tiefen,  heilsamen  £indmck  hinterlassen! 

V.  Das  Leben  im  Staate. 

19.  Werde  ein  guu  r  Staatsbürger!  Das  Riickert'sche 

..Wie  trmß  dn  fUr  dich  seist,  vorm  Ganzen  bist  du  nichtig: 
Doch  als  des  Ganzen  Glied  bist  da  als  kleiiutes  wichtig", 
dai>  :.ScUUler8che 

.Jiumcr  strebe  zum  Ganzen,  und  kannst  da  »elber  kein  GaosM 
Weidoi,  93»  dienendQü  Glied  schlieft*  an  ein  Ganses  dksh  an.** 

und 

„Aas  Vaterland,  aus  themre  schließ'  dich  an  etc.*' 
sind  die  (Trundgedanken  dieses  wichtigen  Capitels.    Haben  doch  die  zutage 

tretenden  llrst-i  bnneren.  an  dem  Staatslel)en  gewalt.«  yn  rütteln,  ihren  Grund 
in  der  maagelnden  Einsicht,  dass  der  Staat  ein  woli^e^iiederter,  durch  stetige 
Entwickelung  gewordener  and  nur  auf  (iem  Wege  stetiger  Entwickeluug  voll- 
kommen^  an  geataltendMr  Organismus  ist.  Belehmngnn  Aber  Entstehnng,  den 
Zweck  und  die  Wolthateu  des  Staates  gehSren  daher  sn  den  posittven  Mitteln 
der  Bekämpfung  8taats*;2:eralirliclu  r  I'eiidenzen.  Dass  zur  Exemplificati'^'n  P!!ie.s 
geordneten,  verfassung-smälligen  Staatslebens  Saclisen  gewählt  worden  ist,  werden 
i^ie  selbstverständlich  linden.  Den  Wert  der  Landesverfassung,  die  Klünpfe 
nm  dieselbe  von  selten  der  Edelsten  im  Volke,  die  Bechte  nnd  Pflichten  des 
8taatsbnr|rei-f< ,  die  Wirksamkdt  der  einzelnen  Ministerien,  der  Haushalt  des 
Sr<ntt's  und  das  damit  zasaramenhilncren  le  Steuerwesen,  müssen  einer  -^prechnng 
unteraogeu  werden;  sie  gewilhit  einen  Einblick  in  den  wundervollen  Bau  des 


Digrtized  by  Google 


—  368  — 


Staates,  it"  'l:ts  TreinandergreitVTr  tller  Tnferespen  nnd  ei-zeugt  die  unbedingt 
nöthigre  Achtung^  vor  Kegienuig  nnd  Gesetz  und  das  Pflichtgefühl  lerepenüber 
dem  Staate,  das  auf  dem  Lande  bei  der  Selbsteinschätzimg  des  Eiukomuiens 
sehr  w«nig  rege  ist  YleDeicht  Hefte  sieb  avch  tob  Mlten  FortbUdinigB- 
fichole  etw.-is  für  die  richtige  AnffassiiDg  des  E^kommenB  tlum,  ftber  dM  in 
Iftndlicheii  Kreisen  sehr  unklare  Begriffe  herrschen. 

Eine  weitere  Materie  ist  die  Rei i'h s Verfassung.  Die  politische  Gleich- 
gUUgkeit  in  der  Masse  des  deutschen  Bürger-  nnd  Bauernstandes  resnltirt  ans 
dem  Mangd  ao  poUttsclK»!  Interesie,  dieses  wieder  ans  dem  Ifongel  an  poli' 
tisehem  Wissen  und  Verstehen.    Wo  soll  das  a1»t'r  herkommen,  da  man 
nirgendwo  und  nirgemlwanii  den  .Tnngling  in  die  Elenit-nte  lUe.ses  Wissens 
«'inführt  ?  Sollte  nicht  der  Mensch  und  die  menschiiehe  Gesellschaft  das  w  ichtis^te 
Object  unseres  Denkens  sein?  Die  Bomirtheit  des  l'hilisters,  der  nicht  einmal 
melir  kannegießert,  der  StampfUon  des  harmlosen  ikrbeiters,  das  fUsehe  BMr 
sonnement  des  Sodallstear  das  lladie  mancher  GeUldetsein wollenden,  das  eigen* 
nütziirt*  der  Interessenvertreter  —  sind  Bildnnsrsmängel.  Die  ixilitiseht-  Bildung 
eines  Deutschen  ist  meist  nui*  eine  Folge  des  Zufalls  oder  des  Berufs,  ein  I'rn- 
dnct  einseitigen  Zeitimgslesens,  zusammenhangsloser  Vorträge,  wenn  nicht  gar 
plannASiger  Irreffthrnng.  jedenfSrils  aber  nangelhaft.  Wie  soll  ein  Staatsbüi^ger 
ftir  seine  Rechte  einstehen,  wenn  er  sie  kaum  kennt?  Wie  kann  er  seine 
Pflichten  erfüllen,  wenn  sie  ihm  nie  planmäßig,  d.  h.  in  einer  Schule,  voreehalten 
worden  sind?  Wie  kann  er  ein  lebhaftes  Interesse  an  den  Wahlen  haben,  wenn 
er  dri-eu  Wichtigkeit  nicht  begTeitt,  von  der  ^Vahl  und  ihrem  Modus  nichts 
Klaves  welßi  nldit  Aber  seine  Nase  binans  poHtiseh  selbststRndig  denken  kann? 
Maas  da  nieht  die  Masse  eine  Beute  der  Agitation  werden?  Im  Interesse  der 
Kirche  fordert  der  Staat,  dass  der  Kateehismos  bis  auf  daK  Komma  in  den 
Schulen  gelernt  werde,    (^nr !  Wo  ist  aber  der  Kateclüsmus.  der  im  Int<  rt  sse 
des  Staates  die  Rechte  und  ii^dichteu  des  Staatsbürgers  lehrt  und  über  die  Func- 
tionen de«  Staates  nnteiriditet?  In  Frankreich  haben  swei  fiübere  Cnltus* 
minister*)  sellter  solche  Katechismen  sogar  ftir  die  Volksschulen  ausgeatbeitety 
Katechismen,  die  in  das  Gemeindn-  tind  Staatslehen  planvoll  einführen  nnd  den 
Beweis  liefern,  dass  diese  Materien  an  sieh  tür  die  reifende  Jugend  hoi  ih  r 
rechten,  anschaulichen  Behandlung  nicht  zu  schwierig  sind,  in  Franiu*eich,  wo 
die  Tortreinidien,  sdralnaSigen  Darstellnngen  dw  Volkswirtschaftslehre  von 
Rapet  nnd  Maorlce  Block  erschienen  sind,  in  Frankreich,  das  jetzt  flbwhanpt 
riesige  .Anstrengungen  auf  dem  Giliiete  des  Schnhvesens  macht  und  uns  rw 
übeillii^eln  droht,  wenn  ihm  alles  das  gelingt,  was  es  in  der  Schule  dnrciiführen 
will.     Allerdings  fehlt  ihnen  oft  die  zähe  Energie  in  der  Durchführung, 
ans  dag^en  fehlt  leider  noch  vielfiwh  der  gnte  WiUe.   Wdyentanden,  es 
bandelt  sich  hier  nicht  um  politische  und  so(  iale  Räsonnements  in  der  Schale^ 
sondern  nnr  um  t  hfruiitti-luiig-  der  Fundam»  n t a Ibegriffe. 

Auf  allgemeine  Zustimmung  glanbe  ich  bei  dem  Lesestücke  rechnen  xii 
düifeu,  das  von  der  Rechtspflege  handelt  und  den  Weg  eines  Processes  nnd 
den  Vorgang  ehier  GerichtsTerbaadlnng  darlegt,  weniger  aUgemem  dfirfte  sie 

♦)  Ich  erinnere  hier  nur  au  Paul  Berta  „Linstraction  civique  ä  1  ecoie"  in 
welcher  e.s  in  der  Vorrede  heiBt:  „C^tait  une  noaveantö  ü  j  a  peu  «Fannees.  et  r'oit 
aajonrd'hni  uu  Heu  commun  de  dire  qu'on  ne  i>eut  continner  4  Üever  daos  figno» 
rauce  de  ses  devoirs  et  de  i»es  droitti  uu  penple  souverain. 


Digrtized  by  Google 


-s-  369  — 


bei  deni  Artikel  „Die  Feinde  der  gesellschaftlichen  Oidiiong''  sein. 
Tnd  <\r,eh  ht  es  orenide  in  unseren  Tagen  nnerlä^slich ,  den  jungen  Lenten  die 
Irrlehren  des  ScieialiHniUK  bloBsralegen  und  das  Utopien  des  Volksstaates  als 
Nmwmis  lieherlicb  sn  mach««»  ihr  Denken  auf  dem  Feld«  ra  fibm,  sof  welcfaem 
uan  sie  sp&ter  verfahren  will,  in  der  Gedankenwelt,  wo  das  Denken  schon  un- 
ge^nnd  geworden  ist.  Haben  wir  nicht  alle  gelesen,  dass  oft  ein  HaiiptTii  staudtheil 
der  Volksvei"samnilnngen  nnreife,  dämme  Jungen,  lialliwüchsige  Bursche  gewesen 
sind?  Nnr  dnrch  p<»itive  Mittel,  durch  tiefere  Anregung  des  Denkens  und  durch 
ÜlmBir  deaaelben  «i  ganz  praktiedien  8toiien  ans  dem  Gebiete  des  M enschenlebene, 
nicht  dnrch  Prohibitivmaßregeln,  wird  ee  geUngen,  die  Fermente  zu  beseitigen» 
welche  das  dumpfe  Giihreu  in  den  Volksmassen  hfrvorrnffii.  Die  FortbiMnngS* 
t^ehule  hat  danun  auch  nach  dieser  Bichtung  hin  eine  zwar  schwere,  aber  dank- 
bare Aufgäbe. 

20.  Werde  ein  braver  Soldat!  ffier  genRgten  die  Ufttheflong  der 

wichtigsten  Bestimmuiipi  ii  der  Wehrordnnng,  einige  Hinweist'  auf  di»  Hfliditen 
des  tNildateii.  auf  di»-  Vorzüge  dfi-  allgemeinen  Wehrpflicht  und  auf  die  Strafen. 
\v»'kh«'  diejeiii»:t  n  treffen,  die  sich  der  Wehrpflicht  entziehen,  und  einige  Bilder 
aus«  dein  Soldatenleben. 

21.  Stell  dich  möglichet  in  der  Welt  nm!  In Ifindlichen FortUldangs- 
sdmlen  luuin  dem  GeUete  der  Realien  nnr  wenig  Zeit  gegönnt  werden,  zumal 
wenn  man  das  eine,  was  noth  thut,  ein  bessen  s  Verständnis  des  Mfnschenlebens. 
nicht  ^vieder  hinten  ansetzen  will.  Anch  dieses  Lcsehnch  muss  sich  ans  verschie- 
deneu tiriinden  auf  dem  Gebiet«  der  Geographie  und  Geschichte  beschränken. 
Überdies  sind  die  Lehrer  meist  got  in  dieeen  Dingen  xa  Hanse  nnd  kSmien  ans 
ihrem  eigenen  Wis-sensschatze  schöpfen,  zudem  thut  die  moderne  Volksschule  sclioil 
hierin  ihr  M'igliches  und  endlich  sind  Gesf  liirhte  nnd  Geographie  solche  Wissens« 
gebiete,  auf  denen  sirh  ein  strebsamer  Schüler  auch  ohne  Lehrer  durch  gute 
Lecture  aui>  Volksbibliotheken  (S.  294)  heimischer  machen  kami.  Damit  aber  die 
Lelurer  einige  Anknflpfongspnnkte  finden,  an  die  aieli  ein  Helireres  anschlieflen 
Itat,  ist  eine  Reihe  gen^-i  apliis(  lu  r  Rüder  geboten  worden.  Von  einem  Wander- 
lied e  an.«vj?«dieiid  (121 ),  wird  der  \\  andt^rbursche,  nachdem  er  Abschied  genommen 
vom  Elt«  rnhause(  122).  zuerst  mit  der  Landwirt.schaft,  den»  Bergbau,  der  Industrie 
und  dem  Handel  und  Verkehr  eines  Slusterstaates,  Sachsens,  bekannt  gemacht, 
damit  er  für  die  volkswirteeiialtliebe  Thtttiirkeit  eines  Landes  seinen  BUek 
sf  liiirft-.  dann  diu%h  das  liebliche  Thttringen  geführt,  weiter  nach  der  unwirt- 
lichen Rhön,  dem  Prototyp  jener  ami'  H  Mtitteldeutschen  Gebirgslandschaften, 
wo  die  Bevölkerung  in  viel  kärglicheren  V  erhältnissen  lebt  als  der  Proletarier 
der  Stadt,  aber  dennoch  bescheidener  und  zufriedener  it^t  als  dieser,  femer  nach 
Bayern,  um  Idar  Land  nnd  Lente  kennen  zn  lernen,  Idnein  in  die  Alpen  nnd 
von  da  den  Rhein  Itinab,  den  interessantesten  nnd  s(  liöusten  Strom  Deutsch- 
land.-. T'hlands  Lied  vom  Töchterlein  der  Wirtin  siiigt  ud.  nm  auch  einmal 
wieder  Gelegenheit  zu  haben,  die  jungen  Leute  auf  ideale  Liebe  aufiuerksam 
sn  machen,  dann  nach  Essen,  um  Krupps  kolossale  Schöpfung,  Dentschlauds 
grMtcs  IndastrieetabliSBenient  kennen  xn  lernen  nnd  zn  zeigen,  wem  es  bei 
rastlosem  Streben  nad  ScliafTen  und  bei  vaterlicher  FÜTSOl^ge  für  seine  Arbeiter 
auch  ein  von  Hanse  ans  einfa'  lier  Ü  nm  >niniren  vermag.  Dann  geht  es  in 
einen  Marsehhof,  um  ein  Bild  uorddeut^chuu  Bauernlebens  zu  gewinnen,  nach 
Hamburg,  wo  sich  der  Weltverkelir  aufthut,  und  endlich  an  der  Nord-  nnd 


Digitized  by  Google 


—  370 


(»8t.scekü^t*>  «MttlHui^.  Km  kehrt  der  \Vauderbar»cli  wieder  .lieiui  aus  dem 
Iremdeu  Land''. 

Es  folgt  nun  eine  CharakteriaUk  der  wiebtigaten  V81ker  '£ai-opa8.  an  dem 
spätere»  politischen  Ultheile  einige  Unterlagen  zu  geben,  eine  .Schilderung  der 
Wuiidfi  di>  Verkehrs,  der  L<>(  onuif iv.'.  des  Dampfschiffes.  >\o»  Gotth:ud-Tnn- 
nels,  dt  )  Pai  IHcbahn,  des  Suex-Canals,  dch  Telegraphen,  und  endlich  ein  Blick 
hinaus  in  «Ih.s  Weltall. 

22.  Lies  fleiftig  deines  Volkes  Geschichte!  Aach  in  diesem  Gapitel 
konnte  nnr  eine  beschränkt«  Anzahl  Bilder  geboten  werden,  nnd  wird  es  dem 
I,(  hrer  obliegen  von  Stück  zn  Stück  die  Verbindungsbi  iu  k» n  zu  j^<Iila»rt'n.  Eine 
kurze  Geschichte  des  Ackei'baues.  eine  Kaiserwahl,  t-im  mitit  ■ -'f- rlkh«'  BautM  ii- 
gtiichichte,  das  mittelalterliche  StädteweMii,  der  I>aufrn»iau<i  im  Iii.  .lahrli.. 
die  I>5ifer  nach  dem  SOjfthr.  Kriege,  Friedrich  des  Grofien  Ffirsorge  fBr  9tm 
Land,  des  Vaterlandes  :rruLUe  Diebter.  Freiheir  von  Stt'ins  ThÄtlgkeit^  des  Volkes 
Erliebnnir  1^1 Kri»  ^rsbilder  ans  di-n  Befreiungskrit  g-en .  das  Streben  narli 
jjiilieit  utiil  t  iii>'  L'aistrllung  d<26  deutsch-französisclien  Krieges,  das  sind  die 
geüdiichtliiilifu  Stulle,  die  in  ländlichen  Fortbildungsschulen  im  N'ordergiunde 
Interesses  stebea  dürften. 

2.'5.  Lerne  die  (iesetze  keiiinn.  denn  Unkenntnis  der  Ge.set  z»^ 
schützt  nicht  \  <-r  Strafel  Kin  hf  hnt  von  jtliti  die  Schule  als  die 
.\nstalt  betrachr*'f  und  behandelt,  welrbr  tüi  dit-  Kirche  erziehen  soll.  Aach 
nachdeui  die  .Schule  im  wej>entlichen  Stuat^anätalt  geworden.  i>t  das  so  ge- 
blieben. Das  SdwHrsaeti,  da»  ein  Staatagaseüs  ist,  beanllivgt  die  Schnle,  den 
anfWachsenden  (leschlechte  dic^jeiügen  Religionskenntnisse  und  Glanbenalehren 
zu  vennitteln.  die  zu  einem  guten  l'rotestanten.  Katholiken  etc.  srehören,  nnd 
die  Kirche  selbst  nimmt  niemand  als  selbst  «ständig»'«  Gli««d  anf.  das  im  Contirman- 
denunteiTichte,  der  die  religiöse  Erziehung  der  Schuljugend  conti-olirt,  nicht  dar- 
aathm  vermocht  hat,  daas  er  die  «iohtigaten  Lehren  nnd  Vorsebriftcm  der 
Kirche  kennt.  Ottenbar  liandelt  die  Kirche  klttg  ond  weisse.  Was  thut  hin- 
gegen dci  st:tat  im  Interesse  seiner  eigenen  Erhaltung,  soiii'  i  eigenen  Oi"dnang? 
N  iel  zu  wenig  und  das  alles  nur  mittelbar.  Wenn  aber  die  .Schule  in  erster 
Linie  Staatsbürger  erziehen  soll  und  der  Staat  von  den  Staatsaugeli5rigen  Gf>* 
horsam  gegen  die  Ijandesgesetae  veriaagt,  so  Culgt  doch  daraas  dieVerplUch- 
tung,  in  gleicherweise  wie  die  Kirche  Sorge  zu  tragen,  d  i;-s  «Ii«  zugleich  in  die 
lii  ofn'  Leben-gemeinschaff  d»  .s  Staates  Eintretenden  auch  die  V  el•^JlssnIl^^  dio  Ein- 
richtungen und  Cfcsetze  dieses  Gemeinwesens  kennen  lernen.  Wer  Gehorsam 
gegen  die  Landesgesetze  verlangt,  muss  auch  fUr  Kenntnis  derselben  sorgen. 
Di^fegen  si^eint  man  sich  der  Heinnng  hinangeben,  es  werde  die  Sittenkbre 
der  S<  linle,  die  übrigens  dnrcb  dogmatischen  Unterricht  zur  Zeit  sehr  an  dip 
Wand  gedrürkt  i^t.  es  werde  die  Einprflgniig  des  KatecbismuM  und  einer  ziem- 
lich groÜen  Anzalil  von  Sprüclieu  und  Liedern  im  jülgemeinen  »dn«  geseUuiiUJige 
Lebensführung  der  künftigen  Staatsbüi*ger  herbeifülu-en.  Die  Erfahnmg  spricht 
leider  dagegen.  Der  grSBte  Tbeil  des  heranwachsenden  Gesddechtes  tritt  mit 
dem  14.  Jahre  in  das  bürgerliche  Leben,  steht  von  da  ab  mehr  oder  weniger 
selbstständiir  da.  steht  niitrr  den  Staatsgesetzen  —  nnd  kennt  si*^  nicht,  ja.  der 
Sinn  mul  Trieli.  sie  kennen  zu  lernen,  ist  nicht  einmal  vorUandeu.  Zwar  ist 
mancher  Mensch  in  einem  dtmlden  Drange  des  rechten  Weges  sich  bewnsst, 
viele  bandeln  infolge  ihrer  gnteo  ErEiehang  und  Büdnng  so.  dass  ihnen  ein 


Digitized  by  Google 


—  371  — 

iV.iiriict  mit  <l<  iii  Strafjtre.setze  erspart  bleibt:  aht  r  sc]utn  ein  Blick  in  unsere 

Zeitongren.  die,  »tatt  pusitiv  (resetzeakande  im  \  oikf  zu  verbreiten  und  zur 

Sittlichkeit  su  endehen,  sich  gewiHealw  darin  gefdlen,  alle  SellwtiiMrde,  Ver* 

brechen ,  \'ergeheu  und  GerichtSTeritaDdlniigiNi,  oft  feuilletonigtiBch  pikant  zu 

beri«  litf^ii.  lehrt,  dass  ein  grorpr  Tlu  il  M<'ii->ch('n  strauchelt  und  dem  Strafir«  >etze 

vertiillt.  «It'sseii  Netze,  Fui>angeln  und  Schlafjtiscii  niis  nun  einmal  iibei-all 

umgeben  müssen.  Sicher  sind  viele  darunter,  die  nur  aus  inangelnder  Kenntnis 

die  geaetadiehen  Bcstinmiuigen  aiwrttatAn;  manche  wlrdan  mflckgesdinckt 

Htm  vor  dem  Verbrechen,  hätten  aie  die  H6he  der  Strafe  «dcannt.  Es  ist  aber 

heilige  Ptlicht  des  Staates,  Gesetzesüberti-etuugeu  zu  verhindern,  und  nicht  nur, 

wenn  sie  erfolgt  sind,  zu  bestrafen.    V^r^r  Hestrtifre  verliert  die  Elire  und  wird 

oft  gleicligiltiger  gegen  das  Gesetz  als  vorher;  es  verliert  die  Sti*afe  ihre  ab- 

sehreekende  Wirknngr  dnreb  Wiederholnngr,  Miastranen  gegen  die  Boehtspflege, 

eine  sittlidie  Ahstompfung  tritt  ein .  und  die  Gefahr,  aaf  dem  ahachfiatigen 

Wege  immer  tiefer  zu  sinken,  wächst.    Das  beweist  die  Erfahrung.  Darum 

i^it  es  eiiu'  Aufgabe  der  Volkserziehun^.  durch  Gesetseskuade  die  ersten 

JH^hritte  liui  Verhüten  zu  suchen,  gemilü  dem  Worte: 

„Bewahre  tot  dem  ersten  Schritte, 
Mit  ihm  sind  seh  <ii  die  andern  Tritte 
Zu  einem  nahen  Füll  ^atban." 

Freiiicii,  der  Gehui-saui  gegen  die  Landesgesetze  setzt  außer  Keuutnis  derselben 
aoch  den  Willen  Torana,  sie  an  befolgen.  Nnn  sollen  zwar  Enlehnng  und 
UHdnns:  den  Sinn  für  Geeetadlchkeit  vedcen,  Achtung  vor  d^  Gesetze  ein* 

flößfii.  (las  GewisüeMi  schärfen;  abei-  bei  vielen  Menschen  wird  das  leider  nicht 
ent  irht.  l»ei  andern  verwischt  die  Welt  mit  ihrer  Lust  nach  und  narh  A\p  sitt- 
lichen Kindrücke  aus  der  Scliulzeit,  die  oft  nur  gedächtnismäßig  aufgeuoninieuen 
guten  Lehrai  treten  in  der  Stunde  der  Venochnng  zu  wenig  ins  Bewnsstsein 
—  kurz,  bei  einem  großen  Thdle  der  Uenschen  musä  die  Furcht  vor  Strafe 
den  Willen  erzeugen,  das  Oesetz  zu  haiton.  Danini  darf  die  Volkserziehung 
nicht  mir  immor  allein  auf  die  ewigen  Strafen  hinweisen,  soiulcru  mns?  anoh 
die  niithige  Fnrcht  vor  Verletzung  der  Gesetze  durch  \  orhaltung  der  ange- 
drohten Strafen  einflVBen.  ÜnaittUehe  Angriffe  auf  Kinder  haben  sich  beispiels- 
weise iu  neuei-er  Zeit  in  erscbreckmider  Weise  gemehrt .  Ich  bin  gewiss  dass 
niaiu  lies  Vtirbrechen  dieser  Art  nnterblieben  wäre,  wenn  die  Betreflfeudtn  \ orher 
^e^^u^'.'it  hätten,  dass  es  anter  Umständen  mit  Zuchthaus  bis  10  Jahren  he- 
sti-aft  vrird. 

In  luiseieii  constitutiouelleu  Staaten  ist  der  Bürger  übrigens  berufen. 
thcOaniMibmen  no  der  Oeaelsgebang  als  Wfthler  oder  Abgeordneter,  an  der 

Rechtspflege  als  Oeadiwomer,  SchSffe,  Amtsvorsteht  r,  Zeuge,  Friedensrichter, 
an  der  Verwaltnnfr  als  fTemeinde vorstand.  Schulze.  Kichtpr  etc.  Auch  dit  se 
l  mstUnde  fordern  zu  einer  unten'ichtliclieii  Beliandlung  der  Cresetzeskunde,  in 
Kurtbildungsschulen  wenigstens,  auf.  Kt  chtssinn,  BechtsgeMil,  Verti-auen  zur 
Bechtepflege  wlirde  sich  jedenfells  erhöhen.  Bei  den  alten  Griechen  und  lUJmem 
war  die  ganze  Erziehung  auf  Achtung  vor  den  Staatsgesetsai  basirt  E&i 
i-Timisdit  r  Knabe  mnsst*»  zuerst  das Zwülfta felgesetz  auswendig  lernen:  es  wird*» 
ilmi  Hogar  Gelegenheit  geboten,  den  lieden  und  Verhandlungen  im  Senate  bei- 
zuwohnen. Sittlicher  Ernst,  Sitteuzucht,  Achtung  \  or  dem  Alter,  Männerwfirde, 
gMvtsIicher  Sinn  waren  die  Folgen  solcher  Nationalersiehong. 


Digitized  by  Google 


—   372  — 


Diese  Gedanken  haben  mich  hewog-en,  in  diesem  Capitel  1.  die  allge- 
uieinen  Bestimmangen  des  Strafgesetzbaches  aaizat'ühren;  2.  die 
Obrigkeit  alt  Wiebterin  der  heiligen  sehn  Gebote  darzutellai,  and 
um  dieselben  die  wichtigsten  Etnzelbestlnimuigen  des  StraIjs'esetBbndies,  mit 
Ausschluss  derjenif^en,  gegen  welche  zu  sündigen  der  Landmann  kaum  Gelegen- 
heit hat,  7M  cmpitiren.  um  zugleich  darztithtin.  dass  die  Staatsgesetze  auf  dem 
Grunde  des  göttlichen  Sitteugesetzes  stehen,  dass  eiu  wolgeordnetes  Staats- 
Ifben  das  Abbüd  der  hShem,  sittlichen  Weltordmug  sein  wiUi  3.  die  wft^- 
tigsten  Bestfanmiingen  Über  Freixftgigkeit,  ünterstfitsnngswohnaitz, 
Gewerbebetrieb,  Arbeiterverhaltnisse  nnd  Lehrlingswesen  darssn- 
Ueten. 

24.  Surge  für  deine  Weiterbildung!  Keine  Schule  kann  die  IUI' 
dong  dnes  Hensdien  abschließen,  anch  die  FortbÜdnngssdrale  nleht.  Die 
Weiterbndnng  vnterbleibt  aber  oft  nnr  ans  dem  Gmnde,  weil  viele  sieh  den 
Bildnngsmitteln  gpffcntilifr  rathlos  sehen  und  weil  öfftiitlirlif  Ilpiliotheken  noch 
an  vielen  Ort^^n  felilen.  Da,  wo  solche  v«rlinTiden  sind,  wissen  wiederum  viele 
nicht,  was  sie  bei  ihrem  gänzlichen  Mangel  bibliographischer  Keimtuisse  vei- 
langen  sollen.  Damm  hielt  ich  es  für  aweckmüBig,  ans  dem  Gebiete  der 
Landwirtsehaft,  des  Gewerbes  nnd  der  Volkswirtschaft,  der  Geschichte  und 
Geographie,  der  Natunvissenschaften  nnd  der  Nationalliteratur  diejenigen 
Schriften  nntniiaft  zn  raachen,  die  in  keiner  Volksbihlinthek  auf  dem  Lande 
fehlen  »(»Ilten.  Preis  und  Verlag  wurden  mit  angegeben,  um  dadmxüi  die 
ChUndnng  von  VolksMbliothdcen  m  erleichtern. 

.  25.  Verlerne  nicht  den  Gebrauch  der  Feder!  Dieses  letzte  Capital 
ist  gnnz  praktischer  N  irm .  Es  enthUlt  Stilfibniijrrii.  ■^^nst♦^^  zu  Rechnungen  nnd 
Anfrriiirt^ii.  (^nittnn2r*Mi,  Sihnidscheinen,  Zf'iiirnis>.en.  Haushai  Mm  srs-.  Lohn-  und 
Bestellbüchern,  Kosteiiber»*chnuugen,  Verträgen,  Protokollen,  Brieten.  Tele- 
grammen, Vellmaditen  nnd  Eingaben  an  Behörden,  außerdem  Postalisches. 

Ich  bin  am  Ende.  Ist  <lt  r  Zw.ck  des  besprochenen  Bik  li<  .s,  vei^sm  lisweisp 
zu  '/.(il'^vn.  in  wclcliHr  Weise  d<  r  rntfii  u  lit  tl.  r  .  infaclicii  lätidliilit  u  Fcrrhil- 
dung*5schule  ^emilß  den  Worten  des  allgenu  im  ii  I.t  liritlan»  s  vor  allt  iu  ;uu  das- 
jenige, „was  praktisch  wichtig  ist.  was  dem  reifenden  \  erständnisse 
der  Schttler  entgegenkommt  nnd  was  ihr«  Charakterbildung  an 
fördern  vermag",  einzugehen,  ans  dem  Leben  für  das  Leben  zu  lehren 
balip.  so  war  dfr  Zweck  difses  Vortrages,  das  ti.lHittMu^  und  (Jt-furderte  zn 
bt'gi  iindtii.  Urwägungcu  über  die  zweckmäßigste  Gestaltung  der  t<»rtbildungs- 
sclmlen  sind  aber  uuei'liUslich,  so  lange  sie  noch  nicht  wahrhaft  dem  Leben 
dienen,  ihren  Nntsen  noch  nicht  ttbenengend  genng  davgethan  nnd  die  zu 
einem  gedeihlichen  Wirken  für  das  Volkswol  so  nothwendige  allgemeine  An» 
erkennnng  noch  nicht  geftinden  liaben.  • 


Digitized  by  Google 


Lelirer,  Baiemibende  und  Volfesstiidien« 

Ein  offener  Brief  an  erstere. 
VoD  WUHbtUa  jragi-  Wim, 
(Seblun.) 

"Rs  Ifrittc  srar  nicht  dieser  langeu  Erörterung^  bedurft.  \\m  zu  zeigen, 
dx<s  periudiscii  wiederkehrende  „Baaernabende^  auf  die  Bildung  des  Landvolkes 
eine  groBe  Eiiiirirkiu^  äbeii  mfinen.  Der  Hinweis  aof  die  Kanzel  hätte  gpe* 
ufigen  WStkUffa,  ^Der  Pfiorer  predigt  nnr  einmal'*  in  der  Woche,  nnd  tnigt 
man  einen  beliebigen  Bavert  ynva  er  ans  der  Kirche  geht:  „Wie  hat  denn  der 
Herl'  Pfarrer  gepredipl?**  —  so  wird  tr  antworten:  ^Sehön  war's,  das  weiß 
ich;  aber  was  er  alles  gesagt  hat,  das  kann  ich  mir  nicht  so  ermerkeu",  und 
er  wird  vielleidit  noeb  den  anaeiiein^d  bedentiingaloeen  Zusatz  madie&:  «Es 
ist  für  einen  jeden  'was  dabd  fvwtMA,  ein  jed»  hat  sieh  hOnnen  'was  draus- 
nehmen.**  Und  trotzdem,  welcher  Kenner  unseres  bigotten  Banemvolkes  winde 
r.n  behaupten  wagen,  dass  das  Fredigen  ohne  Kinflus«  anf  dieses  geblieben 
wäre  ? 

Wir  haben  nun  auf  die  gewichtigeren  Einwendungen,  wie  sie  von  den  Be- 
nrtheileni  unseres  Voncblages  voraussichtlich  gemacht  werden  oder  bereits 

gemacht  worden  sind,  Antwort  gegeben.  Wir  sagen  uns  zwar,  da.s8  von  den 
>,^«ori(l(T8  hasenherzig'oii  Zanderem  nnd  philif^terklng'pn  Knpfsrbfittlern  so  manche 
weitere  Bedenken  erhoben  w^erdeu  dürften,  —  anf  die  alle  wir  onmüglich 
erwideni  k6nnen.  Sagt  doch  schon  das  Sprichwort:  „Ein  Narr  kann  mehr 
fragen,  als  sehn  Gescheite  zu  beantworten  im  Stande  sind.'' 

Auf  eine  Schwierigkeit  nmss  ich  ator  norli  f  ins:(  hen,  die  sich  zwar  kaum 
in  eüie  ausdrncklich«^  Einwendunt^  fbnnulii  t .  di»  mir  alicr  uns  den  Gesichtern 
vieler  Lehrer  kalt  und  abschreckend  entgegenstarrt.  Es  ist  mir,  als  wünb- 
rieh  hinter  diesen  Gesichtern  so  etwas  abspinnett  wie:  „Es  ist  alles  ganz 
richtig,  es  mfisste  am  End'  gehen,  wenn  man  wollen  thät',  —  aber, 
ich  weiß  nicht,  —  ich  könnt'  mich  zu  einer  solchen  G  schitlit  halt 
gar  nicht  entschließen."'  Eine  derartige  Stimmung  entspringt  nur  aus 
Trägheit,  Geistesarmut,  Willensschwäche  nnd  Mnthlosigkeit.  Diese  Trägheit 
mHiste  zum  Lächeln  stlmmai,  —  wenn  sie  nicht  leider  so^verbreitet  wftre  unter 
unserem  Lehrerstande.   Ich  gestehe  gern,  dass  ich  mich  in  der  Wiener 


Digrtized  by  Google 


—   374  — 


TiPhrerscIia fr  nitcli  dieswr  Hinsicht  wonig^r  tinirrt'schtu  habe,  und  über  sie 
spreche*  ich  kein  Urtheil  aus;  leb  glaube  aber,  dass  sie  recht  tüchtig  und  taug- 
lich ift.  Audi  imt^  d«n  Landlehrern  Ittbe  idi  viele  wukeartt  edle  und  offm- 
gimiige  Mftaner  geAudeOt  welche  dem  gansen  Stande  zur  Ehre  gereichen  und 

s|H*rielI  uns  zu  gruten  Hoftnungren  berechtigen.  Ich  würde  mich  aber  einer  er- 
hännlirhon  Schon f?irT)in'»  i  scliitldiß'  maclien  nni\  don  5?rhpin  der  ?»*'lb*«ttJln?rbung' 
ant  mich  ziehen,  wenn  ich  es  nicht  gestehen  wollte,  dass  die  Mehrzahl  der 
heatigett  LAttdlekrer  in  dieser  BBWftrdigen  Trägheit  befMgem  ist. 
£8  that  mir  leid,  tber  einen  m  grofien  Thefl  elnee  Standes,  den  idi  m>  sehr 
scliUtze  and  dessen  Bedeutung'  ich  so  hoch  ansriilage.  ein  solches  deprimiren- 
de.s  l'rtheil  anssiirrclion  rix  müsisen.  und  ich  würde  mich  freuen,  wenn  mich  ?e- 
luaud  des  Irrthums  üUt  i  ttihreu  sollte.  Aber  es  int  leider  so.  Und  eben  weil 
diete  IMglnlt  so  allgemein  TcrtKreit^  ist  «nter  den  Luidlelireni,  so  nAsK» 
wir  nach  deren  ürsachen  fragen,  da  einem  Übel  desto  eher  xn  begegnen  oder 
aosznweichen  ist.     genauer  man  es  ki  init. 

Vor  Einführung  d«"  neneii  Schulgesetze  stand  es  mit  den  materiellpu. 
geistigen,  ja  selbst  den  sittlichen  \  erhältnisseu  der  Lehrei'welt  höchst  kläglich. 
In  einem  Tolkreielien  Markte  NiederOsterreichs  worden  ein  halbes  TIsaseBd 
Kmder  in  ein  kleines  Schnlhans  mit  vier  Zimmern  zusammengepfercht.  Den 
UuteiTicht  in  den  vier  Classeu  ertheiltcn  vier  Lclirer.  der  ObtMlchic!  crtheilte 
nur  Privatnntenncht.  Diese  vier  Lehm  wuhntcn  zusamuK  ii  in  ciiu  ui  Ziinin.  r, 
das  ihnen  der  Überlehrer  in  seinem  separaten  „Stöckl"  einrüumle,  und  or- 
hielten  von  dieeon  täglich  das  IfittagsmahL  Sonst  bekamen  als  nichts,  nicht 
einen  Pfennig  Gehalt.  Als  im  Jabte  1867  ein  nsmar  Oberiehrer  berufen 
wurde,  konnte  das  Lelirerquartett  es  als  fiiic  Aufbesserung  betrachten .  dass 
eiiit  ni  Jeden  statt  des  Ititta^^^mahles  und  t^nartieres  20  fl.  Monatsgehalt  tr-'- 
zahii  wmtlen!  — In  einem  Dorfe  musste  der  Lehrei'  jeden  Tag  iu  ein  anderes 
Banemhans  znr  Koet  gehen,  und  wenn  die  betreffende  BSnerin  vidleicht  ein- 
mal  etwas  Besseres  kochen  wollte,  hieß  es:  ..Ah.  heat'  kommt  ja  der  Lehrer, 
kochen  wir's  lieber  morgen."  Außerdem  erhielt  der  Lehrer  in  dit  scni  Borft* 
ncK'h  jlthrlieh  10  fl.  nnd  2  Paar  liuiK  iu-  Unterhosen.  In  einem  andern  Port-' 
war  der  Lehrer  so  sclüecht  gestellt,  dass  er.  um  mit  seiner  Familie  leben  zu 
kennen,  fOr  den  Knopffabrikanten  des  Nachbardorfes  arbeitete,  wobei  erw8client> 
lieh  4  fl.  verdiente.  Han  kann  sich  denken .  welche  KrSfte  ond  Talente  sich 
zu  einem  solchen  Stande  dni'chschiiittlicli  entschlossen  haben!  Es  ist  Uberflüssig, 
zu  der  Bildung  der  damaligen  Lehrer,  den  Mängeln  ilii  er  Praxis,  ihrem  iu  der 
Armut  degeuerirten  Charakter  noch  specielle  Beispiel«'  zu  bringen,  die  .«schwere 
Zeit  ist  Ja  noch  zn  frlach  in  aller  Erinnerung. 

Ans  der  Cnltm-geschichte  ersehen  wir,  dass  die  einzelnen  Stände  g*^ 
wfliiiilich  nur  dann  in  immer  bessere  Zustände,  endlich  zn  einer  Blüteperiode 
ejij|">i irehinü'  ii .  wenn  sie  i>elber,  durch  ihre  eigenen  Leistungen,  eine  stets 
höhere  .Stute  der  Bedeutung  erklimmen.  So  wuchs  der  Handwerkerstand  des 
Mittelalters  dorch  seine  inneren  Einrichtungen  ans  sich  selber  zn  der  noch 
hentp  bewunderten  HrQBe  empor.  So  erhoben  sich  die  dentschen  Städte  nnd 
ihie  Bürger  dun  h  ihren  Handel,  ihre  SdiitTahrt.  ihr»'  gegenseitigen  Wr- 
bindnngen  zu  einer  i)f>litischeu  Macht.  .S>  gelangte  durch  die  stetigen  \  er- 
beiiserungen  der  Tat-  ik.  die  aus  den  Köpfen  tüchtiger  Feldherren  entsprossen, 
dnrch  zweckmIUlige  Ansplannng  der  Evolatiunen  seitens  guter  Exerdermeister, 


Digltized  by  Google 


—  375  — 


dordi  NcugtbtiUtuüg  der  Schusswafleii ,  ziinit  ist  vou  tUelitigeu  Offifiemi  aus- 
gehend, durch  Veimfachaug  der  Moutiueii  und  des  Gepäck«  nach  den  Yor- 
«cfaUgMi  erfhlireDer  IDlitHrpraktiker  du  Hflitflr  aai  sich  selber  zu  seiner 
heutigen  Bedeutung.  Ahnlich  hat  sich  der  Stand  der  Gelehrten,  dfrciust  der 
Rjrtprstnnil  und  schon  seit  uiulenkbareu  Zeiten  '!<-r  Priest^i-stand  durch  die 
eigenen  Leistimgeu  und  aus  eigenen  Kräften,  üelbstveratändlich  anf  Grund 
seiner  natürlichen  Berechtigung,  zu  hoher  Geltung  emporgesclnvuugen.  Und 
nur  diese  selbsterworbese  Bedentmigr  eines  Standes  Icann  eine 
wahrhaft  gesunde  sein. 

Fragen  wir:  liat  sich  der  alte  Lelnerstnn»!  mich  von  selber  zu  den  li<  u- 
tisren  Verhältnissen  empurgearbeitet  V  Hat  ei  duich  neine  großartige  päda- 
gogische  Praxis  der  Mitwelt  ünponirt;  in  den  Gemeinden,  auf  Grund  des 
EewQBStseins  dnem  edlm  Bemfe  an  dienen,  liartnftckig  Front  gemaoht  gegen 
Cnterdrfickung  und  Herabwürdigung;  hat  er  Vereine  geschaffen,  die  mit  Mnth 
für  die  Standessache  erekilnipft  lilltten  u.  s.  w.?  Wir  haben  ilnßerst  wenig 
Dt^rartiges  aus  der  alt«n  »Schulära  zu  verzeichnen.  So  wenig  eine  hungernde, 
zersprengte  Armee  eine  Sdüacht  gewinnt,  so  wenig  wnsste  sieb,  wenigstens 
inösteiTeich,  der  allNi  Folgen  des  Fanperismos  nnd  der  physischen  Ent- 
behrungen  verfaHene,  demoraUsirte  Lehrerstand  selber  zu  helfen.  Es  war  ein. 
bloßes  Glück,  dass  eine  Schar  freisinniger  Politiker  ans  Staat, sruder  ^je- 
Uingte,  die,  theils  auf  Grund  eigener  Einsicht,  theils  dem  Auslande  nachahmend, 
die  Lehfendbafl  mit  den  neuen  YerUUtnissen  gleichsam  beschenkte. 

Die  Lehrer  haben  sich  also  nicht  etwa  im  Bingen  um  ein  höheres 
Los  in  der  Willenskraft,  dem  ünternehmungssüine,  im  Gemeingeist,  in  der 
höheren  Auffassung  und  der  krättigen  ^'crtretung  ihrer  Standesinteimsen  g^eöht, 
nein,  —  sie  haben  vielmehr  einen  Vorschuss  geschenkt  bekommen, 
anf  Grand  dessen  sie  nun  alles  das  naohtrag»i  klhmen,  wsa  sie  iMher  ver- 
kamt, in  dem  die  materielle  Nothlage  alle  Lust  an  einer  frieren»  liBheren 
Thätigkeit  erstickt  hatte.  Aber  gerade  weil  der  Übergang  aus  der  alten  in 
die  neue  Schulperiode  ein  so  nnor^ranischer,  Jlnßorlich  herbeigeführter  war 
wirkt  der  alte  in  der  klUglichsten  Armut  erwachsene  Geist  der  Lehrersciiult 
nodi  lange  nach,  jener  gedrockte  plebejische  Sinn,  der  aidi  vor  jeder  nnge» 
wohnten,  wenn  anch  noch  so  edeln  nnd  ersprieBUchen  Untemehmn^r  sun  Ofen 
zurttekzieht  und  vor  allem  dit^  öffentlichkeit  wie  das  Feufr  schonet!  Dies*M- 
Geist,  besser  Geistesmangel  zu  nennen,  dieses  Vermüchtnis  aus  dtr  Uber- 
lebten, aber  noch  nicht  innerlich  erstorbenen  Schulära  ist  die  llauptnrsache 
jener  sdialoi,  hohläugigen  Apathie,  jener  entsehlvssleeren  Trägheit,  die  bei  so 
manchen  Lefarem  selbst  der  bestgemeinten  Anregung  entgegengähnt. 

übrigens  sind  anch  heute  die  materiellen  Verbnitnissc  der  Lehrer  noch 
immer  keine  gliinzendon.  Zwar  kann  »ich  der  Lehrer  in  der  Stadt  durch 
Liectionen  Einiges  hinzuverdienen,  aber  gerade  diese  LecUoneu  vei-zehren  dir 
Ar  die  edlere,  höhere  Arbeit  fkreie  Zelt,  —  nnd  woin  ein  solcher  Lehrer  andi 
Jenen  lebhafteren  Sinn  nnd  Sluth  hat,  der  mit  einer  besseren  pecuniftren 
Situation  ininier  verbunden  ist.  ^o  wird  es  bei  ihm  docli  an  tl,atsöclili<  heii  höheren 
I^eistangen  fehlen,  tür  die  er  ja  keine  Zeit  hat.  Der  Lehrer  auf  dem  Lande 
liat  just  soviel  Geliaii,  dass  er  sidi  noch  einen  eigenen  Herd  gründen  und 
aaauttt  Familie  knapp  leben  kann.  Das  Bttcberkanfen  mnss  er  sehen  als  Aber- 
nissigen  Lnxns  beträchten,  er  kann  kaum  einem  fiidilichw  Verein  beitreten, 


Dlgitized  by  Google 


-   376  — 


«lenii  die  Mitglietkehait  ist  mit  mancherlei  kosispieligeii  Fahrten  und  Bei- 
u-agsleistungen  etc.  verbanden,  —  und  za  Haoae  in  seinem  von  aller  Welt 
v^rgoaBeneD  Dorfe  emfßatgt  er  «adi  keinerlei  Anregfunir:  Woher  wüte  flim  da 
Muth  und  Eifer  (Ar  eine  höhere  Thäti^keit  erAvachsen?  Man  kann  also  den 
heutijfen  Zustaml  unserer  T^ehior.  beisonders*  anf  di  in  Lainle.  dahin  chaii»kt*»ri- 
sireu:  Sie  hind  gegen  früher,  was  ihre  niaierielle  Lage  und  ihre  bürgerliche 
Stellimg  anbelangt,  persanlich  geborgen;  aber  alles  Weitere  fehlt:  derinnere 
Wachatboni,  d>  I.  dn>  thfttige  Streben  nach  Erhöhnngr  und  Krflitignnff  dw 
Standea,  ferner  die  Mittel,  dieses  Streben  zQ  nfthren,  endlidi  «ich  die  Be- 
ireist'"-""" welche  diese  Mittel  fv<f't7.cn  könnte. 

ick  kauu  nicht  behaapten,  da<»b  es  mit  Hilfe  der  tüchtigereu  Geister  unt«f 
den  Lehrern  gelingen  wird»  das  Fener  der  Begeisterung  zu  erwecken  für  die 
Hebnng  dea  Lehrerbemfea,  fBr  die  allaeitige  Gewinnung  dea  ihm  von  Natnr  an- 
gewiesenen Einflusses  anf  die  mensrliliche  Gesellschaft  ,  für  die  Losung  jener 
hüchwirhtiatn  Aufgaben,  deren  liundertjähriirp  Vemachlftssigung  den  Fluch 
der  Znriickgebliebenheit  und  Entartung  auf  so  viele  menschliche  Seelen  geladen 
hat.  Aber  ich  hoffe  es,  and  bin  in  dieser  Hoffnung  nnersehdtter* 
lieh.  Ich  bofliB  es,  weil  sich  diese  Begeisternng  einstellen  mua 
wenn  nur  erst  den  Lehrern  die  volle  Einsicht  in  ihre  Aufgaben  einerseits  und 
in  unsere  Cultnrvprhfiltnissf  andererseits  aufaregangen  is^t.  —  Was  das  Pecn- 
lüUre  anbelangt,  so  wird  man  speciell  zur  \'eranBtaltung  der  Banemabend« 
das  lüaterial  den  Lehrern  nnentgeltlich  zugänglich  rnadim,  ond  ihnen  tber- 
hanpft  anch  als  HitgUedem  dea  nnten  besprochenen  Veraines  thonlichat  alle 
Kosten  ersparen,  so  dass  sie  mit  dem  geringstem  Aufwand  an  Geld  imd 
Mühe  eine  der  wichtigsten  natürlichen  Aufgabi  n  des  Lehrerstandea  in  Angriff 
nehmen  können.  Und  aut  diese  Weise  gedenken  wir  jene  starre,  geistöde 
TrHgheit  eines  großen  Theiles  der  Lehrerschaft  dennoch  besiegen  m  kffnnen. 

Aber  nidht  gar  za  schnell!  Hfttten  wir  anch  diese  ersten  Sd«naea.  weldie 
sich  die  Trägheit  gleichsam  um  den  ganzen  Lehrerstand  als  solchen  gezogen 
hat^  ei-stieiTü'n  und  treten  wir  jetzt  an  die  einzelnen  Lehrer  heran,  nm  sie  zur 
Mitwirkung  aufzufordern,  —  so  wird  »ich  die  Trägheit  neuerdings  in  jedem 
einzelnen  aar  Wdir  setaeiL  Allerdings  wird  es  rtthmlicfae  Ansnahmeo  geben, 
aber  die  meisten  werden  sagen:  „Ja,  wamm  soU  deim  grad'  ich  anfknijpen? 
Es  nutzt  ja  ohnehin  nichts,  wenn  ich  ganz  allein  solche  ,.  „Bauemabende" 
lialtr  und  sonst  keiner  meiner  Collegen  in  der  Umgebung."  Das  ist  eben  wie- 
<ler  die  .Sprache  der  alten  unverbesserlichen  Zaghaftigkeit:  „Es  nutzt  eh' 
nichts."  Gerade  in  einer  trügen  Umgebung  ist  die  Rtthzigkdt  eines  Einiebien 
wie  die  Oase  in  d^  Wttste,  wie  ein  noch  glfthender  Funke  in  der  todten  Asche. 
Dieser  Funke  ist  vom  giiißten  Wert:  er  mnss  fleißig  angefacht  und  genährt 
werden,  soll  der  w-irmpiide  Brand  ent.«tehen.  r>;'s  Beispiel  wini  wirken: 
und  wenn  sich  auch  eine  solciie  vereinzelte  Kjalt  anfangs  —  oder  vielleicht 
längere  Zeit,  bis  aie  Naehalimer  gellinden  hat  —  gleichsam  yeilaaaan  ond  pceiS' 
g^ben  fühlt,  so  weiß  sie  ja,  dass  liinter  ihr  ein  Verein  bcgeiataiter  Mtnasr 
steht,  welelier  gleichsam  der  gemeinsame  Herd  tür  alle  diese  zeratreuten 
Fnnken  ist,  und  welcher  nirht  ermüden  wird,  immer  wieder  aufs  neue  die 
Leiirerschaft  anzuregen,  anzuleiten  und  zu  ermuntern,  bis  die  Sache  der  Volks- 
veredlnng  endlich  vorwftrta  schreitet.  Und  dier  wird  ja  an  keinen  Lehrer  eine 
Antfordemag  ergehen,  bis  nicht  dieser  Verein  sidi  aetiv  eonstitnirt  hat.  Wem 


Digitized  by  Google 


—   377  — 


^ic■h  Übrigens  von  den  5000  Lehrern  Nipdorösterreichs  nur  200  über  daa  ganze 
Land  zerstreute  KräiU.'  luelden  —  von  denen  Bich  immerhin  noch  ein  jeder  in 
•einer  ntcluteD  Umgebung  verdiiMlt  Mhen  luum  —  so  sind  de  für  das  Ge- 
deihen des  Planes  schon  xahlreieh  genug.  Ja,  fSr  mehr  würde  der  Verein  an- 
tliuglich  gar  nieht  im  Stande  sein,  einen  thats&chlich  firnditbarea  Hintet^grand 
abzugeben. 

II. 

Wir  haben  die  Bedenken  und  Hindeniisse  besprochen »  welche  sidi  der 

\'er\virklit  linnp  unserer  Vorsrlilfifre  entgegenstellen.  Wir  gehen  nun  an  die 
Beantwortung  der  zweiten  Frage,  die  wir  uns  eiiif^aiigs  gestellt  haben:  „Welche 
!>ielluug  nehmen  diese  Uuterhaltungsabende  und  mit  ihnen  die 
Lehrer  in  der  gesammten  literarisch •volltsthamlichen  Bewegung 
ein  und  welches  ist  der  Zweck,  Umfang  and  die  Gliederung  der 
letzteren?  —  Bevor  wir  diese  8i>ecielle  Fragre  beantworten,  halten  wir  es 
tür  ersprießlich,  uns  erst  die  sociale  Stellung  der  Lehrerwelt  im  mensch- 
lichen Leben  überhaupt  noch  nüher  zn  rücken,  als  dies  durch  die  bia- 
herigen  zerstreuten  Andeatnngen  geschehen  ist 

Wir  haben  vor  zwei  Jahren  die  Reihe  unserer  Aufsätze  eröffnet  mit  einem 
Artikel  über  die  Klnft  zvvisdien  Intelligenz  und  Volk,  und  hahen  die  diver- 
girenden  Wege  vt  iehnet.  auf  welchen  beide  fortwandein,  wenn  sie  nicht  in 
steter  Wechselwii  iciuig  stehen.  Wir  iiaben  gesagt,  dass  die  Intelligenz  und 
mit  ihr  die  sogenannten  besseren  Classea  in  an  abstracte,  onnfitae  Gebiete  des 
Wissens  und  der  Thfttigkeit  hinfibergerathen ,  wenn  sie  sich  nicht  fortwälirend 
au  de«)  "^'"Iksg'eiste  crntirh  t  i-rn ;  nnd  dass  das  Vnlk  in  den  Ahf^rund  der 
V«rrt»hiintr  und  Entartung  versinkt,  wenn  ihm  nicht  stet«  ^,'^ei.stjge  Lalaing  und 
Erhebung  von  der  Intelligenz  zufließt,  wenn  ihm  nicht  die  gemeinbrauchbaren, 
geistigen  Emingenschaften  derselben  mitgetheüt  werden.  Wir  haben  gesehen, 
daa».  wenigstens  hierzulande,  diese  Wechselwirkung  zwischen  Intelligenz 
nnd  Volk  nicht  oder  doch  in  viel  zu  i^-eringem  Maße  hesteht.  nnd  dass  beider- 
seitige Verirrungen  davon  die  natürli*  !i  •  K<i!ee  waren  und  sind. 

Wer  soll  uun  diese  Wechseiwakmii^  v ermitteln V  und  wie  soll  es  ge- 
schehen? 

Der  Lehrerstand  ist  dieser  Knotenpunkt,  der  die  Intelligenz  und  das  Volk 
aufs  eu^tc  verknüpfen  soU  :  der  die  Errungenschaften  der  Intelligenz  dem 
\'olke  überuiitti'U .  aber  auch  des  letzteren  Rednrfnisse  beobachtet,  und  nur 
datyenige  zu  lehren  sich  herbeilässt,  was  wirklich  für  das  \  olk  von  Nutzen  ist, 
allen  anderen  Ballast  aber  ans  der  Schale  hinauswirft  Dadarch  wird  er  nnr 
der  gemeinmltsigen  FroductivitUt  der  Intelligenz  einen  continuirlichen  Ab- 
fln*<8  verschaffen  Tinr  diese  befördern,  nnd  auf  diese  Art  eine  Käckwirkong 
dit&  volksthumliciien  Elementes  auf  die  Intelligenz  erniiiirlieiien. 

Datih  die  Lelaeischafl  in  der  Tliut  ein  soleher  Knolenpunki  ist  und 
nicht  eigentlich  nnd  gftndich  an  der  einen  oder  der  andern  der  beidmi  groBen 
Menschengrnppen  gehört,  erhellt  st  hon  daraus,  dass  diese  letzteren  in  ihrer 
Ansartnnp  den  Lehrerstand  gleichmüßig  a?it'eiiiden.  Die  Gelehrtenwelt 
hat  dir  Neigunjr  sich  auf  abstnicte  Wissensgebiete,  ganz  ohne  Zusammenhang 
mit  dem  Leben,  ganz  oluie  idealen  und  praktischen  Zweck,  zu  veriri*eu;  und 
eigenthllmlidi,  gerade  in  emer  soldien  Yerlming  IHhIt  sie  sich  grofi,  erhaben, 


Digrtized  by  Google 


—  378  — 


unerreichbar  und  s<  luiut  mit  »ohlecht  Vfrhfhltfnn  Df^sp*^*  r  attf  die  Lehr<*r  li*»r:il). 
die  sich  im  Staube  einer  irdischen  Wii-klichkeit  walzen  müssen.  Und  mit  dem 
Gddirleii  stfamneii  dann  der  Jmlil,  dm*  WeMuetf  der  6«Cilliehe  tt^rrtn.  wdl 
lie  all«  zn  jeoem  in  die  Schule  gegaofen.  Wenn  aber  die  Lehrer  in  dieeer 
Weise  von  obenher  §rerini^  gresehätzt  nnd  al»  g:ar  nicht  zur  Intelligenz  ffehöri? 
betrachtet  werden,  so  rechnet  sie  das^'«lk  darum  norh  nirht  zn  sich,  sondern 
beU-achtet  sie  als  au^edi-ungene  Steuerverzehrer:  und  wenn«  wie  in  der  alteu 
Ära,  die  Gemeinden  den  Ldirer  sn  erlialteii  habtin^  dann  Ündet  dteaer  wol  oft 
genug  Gelegeoheit,  nach  deren  Opferwüligkeit  zn  taxirat,  wie  wenig  er  eie 
auf  seiner  ^iie  hat.  —  Das  .«iii«!  allerdincrs  latift  r  Ansnahmsverhaltnis.s»>.  aber 
doch  solche,  denn  B'nvi  iskratt  innewohnt,  da  sie  thatettclilich  (nnd  nicht  imr 
so  selten^  statine  limden  iiaben. 

ÜRt  aber  der  Lehrerstand  tin  coleher  Knotenpankt  der  OeeeUBchaft  nnd 
hat  er  beide  Theüe  derselben  auf  sicli  einwirken  xa  lassen  nnd  nmgekehrt  aneh 
auf  sie  wieder  einzuwirken,  so  ist  klar,  dass  sein  Charakter  ein  inöirHch  nni- 
ver«nilfr  srin  muss:  der  Lehrer  mnss  die  hervorrasr^ndm^n  'i'ujrend^'n  des 
einen  wie  des  andern  Tlieiies  in  sich  vereinigen  und  das  Bild  eines  ailseiti}; 
veUkommen  vereirten  Renschen  dantellen.  der  naeik  allen  Biditongen  das 
Leben  versteht  und  ins  Leben  taiisrt.  Und  wenn  zur  Bildnng^  nach  heotigen 
Bestien  iielist  der  8peri>H<'n  Fachkftnitnis  bei  allen  Ständen  eint*  ^t^wiss»^ 
allpemeiue  \  t  rsirtheit  verlaugt  wird ,  weil  man  einsieht,  da.«??  nur  der  nniv»*i  - 
selle  Mensch  vollkommen  genannt  werden  kann,  so  ist  der  Letirer  iusoferue  in 
einer  gMiddieherea  Lage  als  alle  Übrigen  Stiade,  weil  dieser  ünivemliBnina 
schon  sein  ei^i^entliches  Fach  ist.  Der  Lehrer  soll  daher  l)edaeht  nein,  in 
jeder  Tieziehung,  an  Creist,  Ciemüth  und  Körper  dns  Bild  eines  gesunden  Men- 
schen zu  sein;  nichts  schickt  sich  für  den  Lehrer  weniger,  als  gewi.sse  ein- 
seitige Schmllen  nnd  Standesmarotten,  wie  man  sie  z.  B.  bei  verhockten  Ge* 
lehrten,  bei  alten  Feldweb^  etc.  oft  beohaditen  kann.  So  gehOrt  die  Hans- 
wni*Rtfignr  des  „alten  Schulmeisterl  eins"  längst  nater  das  rostige  Eisen,  (ve* 
bildet,  gescheit,  flink,  heiter,  aufrichtig.  entsoJilossen.  willens?tark.  nidit  ohne 
edlen  Stolz,  Hochi^inn  nnd  äußerliche  Correctheit.  soll  der  Lehrer  ein  Musterbild 
fttr  hoch  und  nieder,  ein  wahrer  Apostel  aller  natürlichen  Tugend  sein, 
wie  der  Priester  der  Ubernatttrlichen.  • 

In  diesem  üniversalismus.  nidlt  einseitig  im  NachJiiFen  der  I'rotessoivn 
nnd  im  GeltdiitseinwollHn .  ebensowenig  im  .\nfe»h<»n  ins  (remeine  und  Pöbel- 
hafte, hat  der  l.ehrprstand  seine  Grf»ß»'  und  Bedeutung:  zn  snrhen.  Kr  kamt 
sich  nicht  aul  eine  einzelne  Seite  schlagen,  um  auf  dt'i'selbeu  (iröfieres  zu 
leisten»  weil  er  dnrdi  seinen  Beruf  fortwährend  aadh  allen  übrigen  Seiten  hin 
in  Anqirneli  genommen  wird.  Ihirch  ein  solches  ein.seiti^r»  s  Wirken  und  \  or> 
gehen  wird  er  also  wenig  crewinnen  ;>iH>r  —  weil  er  den  Talisman  derLelirer- 
schaft.  seinen  l  iüversalismas  darauf?t'jfpben.  nnendlich  viel  verlieren. 

Erst  nachdem  wir  diesen  Universalismus  hiulftnglich  betont  haben,  können 
wir  darangehen  zn  zeigen,  wie  sieh  die  Lelirerschaft,  dieser  Kitt  der  beiden 
großen  Mensebendanen,  der  Intelligenz  nämlich  nnd  des  Voikes,  der  einen  nnd 
dem  andejTi  gegenüber  z«  ht  iu  luvH  ii  habe 

Wie  dem  Volke  gegenüber.-'  Inwieweit  imt  sie  sich  von  diesem  in 
ihrem  Wirken  und  Weben  beeinflussen  zu  lassen,  und  wie  hat  sie  umgekehrt 
selbes  zn  beeinflnssenV 


Digitized  by  Google 


—   379  — 


Der  Lphrer  itiiisk  vor  allem  iJoi)nlär  seiu.  Wir  nutersciieiden  eine 
innere  nitd  eine  äuMcre  i^opolarität.  Nacii  beiden  soll  der  Lehrer  unaufhörlidi 
slnbett.  Jene  lieetebt  darin,  daes  er  das  ihn  umgebende  Volk  dtudi  nnddnrdi 
kennt  and  in  allen  Details  richtig  m  benrtheilen  weiß;  ja,  er  soll  mit  dem 
Manne  ans  dem  Volke  in  Anschauungen  und  Erfahrungen  gleich8ani  g-:\nz 
identisch  sein,  zwei  Untenschiede  ausgenommen:  insofern  er  iiiimlich  nicht,  wie 
dicMii-,  unter  schwerer  Häodearbeit,  unter  gänzlichem  geistigen  und  physischen 
Aufgehen  in  diese  Anechaanngen  nnd  Erfuhnuigen  m  denwnwn  gdangt,  wm* 
dem  nur  durch  freie  Beobachtung;  und  zweitens,  insofern  er  nicht  alles  Volks» 
thümliclie  Inlligl.  sondern  nnr  das  Gwtv  davon  wirklich  in  sidi  aufnimmt,  das 
Schadhafte  aber  vei  urtheilt.  Der  Lehi-er  soll  im  Stande  sein.  alleBethäti^nneren 
des  Volkalebens  nach  den  verachiedensten  Richtungen  tiin,  also  den  Chaiakter, 
die  BeditsanBdiaQnngen,  die  Sitten  imd  Oebittnche,  die  Anedn^kewriee  dee 
Vulkeg  etc.  nicht  nur  im  Detail  nnd  nach  den  inneren  Motiven  richtig  zu 
Vfohju'liten.  Kondem  ancli  rorrert  anfznzeiclmen.  Den  logisolicii  ZusaimiM  nhang 
und  die  wLssenschaftliclu'  }5e!?riiiidniisr  ili»>ser  Benbachtungen  haben  dann  die 
gelehrten  Psychologen,  Jarittten,  CulturliiKUiriker  etc.  hei'zustellen,  welche  ihrer- 
Mlte  wieder,  wegen  ihrer  einMltigen  Yertiefluicr  in  ein  faestimmtee  Wh»»»' 
gebiet,  zur  richtigen  Beobachtung  des  Volkalebens  meist  angeeignet  sind. 

Di»^  ilnßere  Popnlaritüt  des  Lehrers  besteht  darin,  dass  derselbf  n11;2  ''iii«'iu 
als  Freund  des  X  olkeis  }i;i\t,  dass  er  —  unter  Wahmng:  der  HochsrhiUznng-  und 
Achtung  gegen  seine  Pej-»oii  —  wie  ein  üüugeborener  de»  Dorfe»  oder  OrU«, 
WO  er  eben  wirict,  beti«ehtet  und  b^iaodät  wixd.  Obwol  diese  KniSere  Po|hi* 
lurität  ohne  die  innere  pinc  sdial»'  Geckerei  ist,  deren  Widerwärtigkeit  man 
an  einzelnen  Dorfcaplänen  beobachten  kann,  so  ist  sii  I  ii,  mit  <\ov  i:ineren 
vereint,  von  erröCtein  Wert,  weil  sie  dem  Lehrer  (h-n  iMnduss  aut  seine  Ge- 
meinde sidieii.  Diese  äußere  Popularität  erwiibt  sicli  der  Lehrer  daduich. 
dasB  «r  das  Gate  des  Volkscharakters  nnd  -Lebens  durch  thatsleh]i«dies  Mit- 
thnn  nnd  auch  ötlers  in  Worten  anerkennt,  die  Sch&den  nicht  allzuscliroff 
mul  wi.niö£?lieh  dnrrh  Anrufung  nnd  Heiziehnng  der  guten  Seiten  <}f"  \'"!ke:« 
bekämpft,  nnd  l>e.snnders  g-ewistse  unbedeutende  Äußerlichkeiten,  an  denen  uU 
des  Volkes  Seele  hängt,  um  der  letzteren  willen  nicht  geringschätzig  behandelt. 
In  der  Sprache  soll  er  dnrdi  mOg^chst  volksthllmliehes,  dialeettr^aditeeHoeh- 
deutsch,  in  der  Kleidung  dnrch  mftßigen  Anstand  nnd  im  ganzen  Benehmen 
fltiirh  Offenherzigkeit,  Freundlichkeit  und  iieobachtune  1*1  bestehenden 
Sitten  und  Gebräuche  den»  \ülke  nahe  bldben,  —  aber  auch  ängstlich 
Jene  Gemeinheit  tlieheu,  die  zuletzt  allen  Unterschied  zwischen  Lehrer  und 
Baoer  verwisdien  würde. 

Wir  brauchen  uns  nun  nicht  lange  bei  der  Frage  aufzuhalten,  wie  der 
^L,ehrer.  mit  dieser  inneren  nnd  änneren  Popularitilt  ;in';a'enisti't .  das  Vidk  l»e- 
einflussen  kann.  Es  ist  ottenbar,  dass  er  in  der  >>chule  die  Kinder  riciitiger 
behandeln  wird:  er  wird  wissen,  wofür  die  Kinder  von  Hause  aas  Interesse 
witbringQO,  was  er  daher  lebhiAer  an  betonen  hat»  um  Üure  Aofinerksamkelt 
zu  fesseln;  er  wird  wissen,  welchen  Fehlem  und  SchwXdien  er  an  begegnen 
hat,  er  ^vird  fins-  \'prtr;Hicn  der  Kinder  zu  sich  wrt  k-i  pr  wird  die  richtigen 
Lese-  nnd  Lelirstotie,  weiche  den  dringendsten  Bedurtnissen  seiner  Umgebung 
entsprechen,  auswählen  können,  kurz  —  um  alle  diese  Einzelheiten  zu  ftber^ 
gehen  —  er  whrd  eine  tflcfatigere  Endehnng,  einen  tüchtigeren  Unterrieht  an 

MnasiaaB'  »-J>ln)r>  Heft  VI.  ^ 


Digitized  by  Google 


—  380  — 


geben  vtruiögen.  Wie  er  auch  fBr  die  Eiwacbseneii,  welche  ebenfalls  noch 
fortwahrender  Belehninjsr.  geistiger  Lubun^  nnd  Hehimpr.  nberlianjit  höherer 
weltlicher  Einflüsse  bedürfen,  eine  segen»reidie  ThHtigkeit  entfalten  kann, 
wurde  bereite  oben  Mufttlurlich  genug  bespiocheiL  —  Aae  dem  Qansen  aber 
erhellt,  wie  nothwendig  es  wftre,  dftsa  in  denLehrerseminarien  die 
Volksknudt'  als  ständiger  Lehrgegenstand  vorgetragen  würde. 

Wir  sTflu'ii  nun  an  die  zweite  Discns.siou:  Wie  hat  sich  der  Lehrerstand 
gegenüber  den  üeleluten.  der  höheren  UnteiTichtswelt,  überhaupt  der  Intelli- 
genz xa  verlialten? 

Reden  wir  zaeret  Ton  dem  dieabeilig:lid«i  fal sehen  V«4mlteji  maa^r 
Lehrer.  Es  gibt  Lehrer,  die  sich  an  die  Gelehrten  in  der  Weise  anschließen. 
(Ins»  si»'  :iu(  h  Gelehrte.  ..Professoren",  sein  wollen.  Und  es  «ribt  wieder 
andere,  welche  ttich  ak  Verächter  aller  .Akademiker"  brüsten  und  gkubeu, 
die  Gelehrten  seien  asn  gar  nicbte  nntz  auf  der  Welt  mit  Auer  einsdtigen 
Bildung^  und  »ich  von  ihftea  nur  das  Geringste  holen  zu  woUen,  sei  eitel  Thor- 
heit.  weil  ja  diese  gelehrten  Hennen  auch  ihrerseits  den  Lehrerstand  verachten, 
rnd  so  imwahr<»ch«»inlich  es  auf  den  ersten  Anblick  aussieht,  so  wahr  ist  es. 
da«s  die!»e  zwei  entgegengesetzten  Irrthiimer  sich  wechselseitig  bedingen  und 
nfthren.  Denn  wttrden  nicht  viele  Lehrer,  die  eigentUche  Aufgabe  and  GrtUle 
ihres  Standes,  die  in  jenem  UniTwaaliamiis  besteht,  verkennend  nnd  vergessend, 
sich  auf  die  r^clt  hrten  und  Professoren  hinüberspielen,  auf  ein  Gfbict  also,  wo 
.-ie  noth wendig  an  Leistung.sfilhigkeit  zurückstehen  und  j^o  die  (icnngschiitzung 
der  eigentlichen  Gelehrten  auf  sich  ziehen  müssen,  so  könnten  andere  Lehrer 
nieht  ürsache  find^,  ilber  die  Vei*achtong  ihres  Standes  seitens  der  akadenüsdi 
gebildeten  Intelligeuz  Klage  zu  führen.  Wenn  die  Lehrerschaft  auf  ihrem  be- 
rufsmäßigen Boden  naturgeniliß  sich  entwickelt,  si  \::\nn  .^i»'  hn  ihrer  hohen 
natüi'lichen  Bedeutung  nur  hohe  Achtung  und  Wiudiguiig  finden. 

Also  nicht  im  gänzlichen  Aufgehen  in  die  höhere  sogenannte  Intelligenz 
und  andi  niebt  im  gSnzllchen  AbechUefien  von  ihr,  sondern  im  richtigen 
Verkehr  mit  ihr.  unter  Wahrung  der  eigenen  Selbstständigkeit,  wird  der 
Lehrei-stand  seint-  B.  i  ufsatit -  t'  i  l.w.  n.  Bevor  wir  diesen  ..liditigen  Verkehr  ' 
schärfer  begrenzen,  miissen  wir,  um  nieht  missverstanden  zu  werden  oder  das 
Misstrauen  der  Lelirer  zu  wecken,  erst  über  die  „Intelligenz",  speciell  über  die 
hier  in  Beti-acht  kommende  Gelehrten-  nnd  höhere  üntenrichtswelt  eine  Ueine 
Anfklftrung  geben.  Wie  wir  ein  zurückgebliebenes  Volk  haben,  sd  haben 
wir  ;tn(l«'if;i>eiti*  —  dies»-  (»"'gonsätze  bcdiiigi'n  i^u-h  ja  xnm  gr(»ü»"ii  Theil 
»•inr  zu  w  eit  vorgeschrittene  Gel  "lirtenwelt,  freilieh  auf  einem  falschen 
Wege  \  orgeschritten.  In  einer  Art  kruukliaften  W^issensficbcr  befangen,  fragen 
sie  sich  bei  ihren  ..Leistungen"  nicht  m^.  ob  dieselben  denn  anch  einen 
Zweck  haben,  sei  »  s  in  der  Hebung  und  Veredlung  des  Geistes,  sei  es  im  ' 
materiell -praktischen  Nutzen.  So  sind  denn  durch  solche  Wissenskrämer  dit* 
meisten  unsenr  Wij^«ensf;lchei-  mit  einem  ifeisttödtendeu  Ballast  übcrlegirt 
worden,  der  sie  aus  dem  Bereiche  des  mit  der  Wirklichkeit  der  menschlichen 
Veridtltnisse  immer  «ng  verkn&pften  wahren  Geisteslebens  in  ein  irreellee, 
iior  dem  Namen  nach  ..ideale.s",  todtes  Gebiet  hinausge.schleudert  hat,  von  wo 
aus  sie  nun  auf  die  gesunde  Entwicklung  der  Gesellschaft  keinerlei  niitzlii  hen 
Kinfluss  ni.'hi  iiliru  können.  Und  doch  sind  es  gerade  diese  so  ertr)dteten 
Wibseubtikhci .  wt  kdie  so  viele  junge  Leute  von  der  gesunden  Arbeit  herüber- 


Digrtized  by  Google 


—   381  — 


ziehen,  weil  de  —  wenn  man  sich  durch  eine  zeitwcilij^c  ;ujketi8chp  Ver- 
l»'n2^nngr  seiner  ganzen  Lebensphilosophie  zu  ihnpn  himinn  !it^earb<Mtt't  li.it  -  - 
fine  „sichere",  nicht  mehr  unter  der  Controle  des  socialen  Lebenn  ätehend«-. 
daher  auch  durch  irreellen  Betrieb  und  durch  etwaige  Aüssgriffe  nicht  mehr  zu 
verliermde  „Beniftvtelliiiig"  bieten.  Und  doch  ahid  gerade  diese  Gelehrten  die 
arregaatesteu ,  unnahbarsten  und  eingebildetsten,  weil  sie  in  ihrem  irreellen 
st*»m-  und  körpt  rlosf^n  Gedank('nlumnif»l  mit  ihren  Einbildun^rn  nir;r<^nds  an- 
sToß«>n  krmueu,  wie  dies  mit  ähnlichen  Marotten  demjenigen  sofort  passiren 
mSsste,  der  sieh  auf  dem  reellen  Boden  des  menschlichen  Lehens,  sei  es  auch 
nur  anf  dem  geistigen  oder  mendiMhen,  bewegt 

Es  ist  wol  aelbstTerstftndlich,  dass  wir  unsere  Lehrer  nicht  auf  diet$e 
^i}>P«>  verweiaen  Icfonen.  Es  wOre  ja  bei  ihr  aneb  gar  nichts  Brandibares 
za  holen. 

gibt  aber  auch  edle  Wissensmänner.  die  unr  das  echte  Gold  brauch- 
tNtrer  Weisheit  und  Wissensehaft  mttnsen.  Zwar  sind  es  nieht  immer  gerade 
df^enigm,  welche  das  ..gr5Bte''  Wissen  haben.  Ihre  Speicher  sind  nicht 
immer  so  voll  gepfropft;  :xhrr  doch  sind  sie  schätzb.irer  als  dif  Sju'icher  des 
Narren,  der  sie  mit  w»  rtlosüm  Geröll  und  Kieselsteinen  angeschüttet  hat.  — 
nnd  hatte  er  sicii  gleicli  bei  der  H^beischaflhng  dieses  Materials  bis  zum  Blut» 
«diweiB  geplagt.  Es  gibt  Gelehrte»  welche  bei  all*  ihrem  Wirken  nnd  Schaffen 
daranf  bedacht  sind,  dass  sie  der  Gesellschaft,  deren  Brot  sie  essen,  wieder 
etwas  /nriickleisten  müssen;  nnd  wenn  ihr  Firf!  ^in  «sngpnanntcs  hnrnrines 
ist,  m  wissen  sie,  dass  dasselbe  nnr  dem  Bedüituisse  nach  geistiger  ßrhebnng 
and  Labung,  nur  einem  idealen  nnd  frohen  Strebm  der  Menschen  sein  Ent- 
stehen nnd  fbrtan  andi  seine  Existenxbereditigiuig  verdankt  nnd  daher  jede 
asketische  Selbstpeinignng  seiner  Jünger  ansschließen  soll.  Auf  diese  Gelehrten, 
die  mit  dem  Lehen  vertrant,  von  edler,  praktisrltpr  Gesinnung  und  ürflänterten 
Anscbanangen beseelt,  menschenfreundlich  nnd  zugänglich  sind,  weit  sie  eben 
Branchbares  mitnuth eilen  haben,  verweisen  wir  die  Lehrerschaft,  mit 
ihnen  soll  sie  einen  natnigemißen  Vwkehr  nnterhalten. 

Fragen  wir  wie<ler:  Wie  hat  sie  dnb(  i  dieso  nflr-hTten  anf  sich  einwirken 
so  lassen,  und  wie  soll  nmgekchrt  sie  anf  jene  einwirken? 

Die  Lehrer  sollen  den  Gelehrten  gegenüber  empfänglich  sein.  Sie 
noUen  deren  flertige,  gemdnnfitzige  Errungenschaften,  sei  es  dnrch  persSnlichea 
Verk^r»  sei  es  dnridi  Bftcher,  gerne  nnd  fivndig  übernehmen,  nm  sie  in  Tolks- 
thönilicher  Methode  dem  Volke  nberli»  fem  zn  komit  ii.  J^ie  ^uUen  nher  auch 
—  ivlmn  sich  gerade  in  die  Details  der  geleiu  ten  ünttfr-suchungen  einzulassen  - 
über  den  Gang  der  Wissenschaften  überhaupt  stets  unterrichtet  sein,  auch 
wenn  sie  nieht  alles  in  dw  Schule  oder  in  Sffentliehen  Vortrigen  weitergehen 
kennen.  Denn  manches»  was  der  gemeine  Mann  nicht  braucht,  mnss  der 
I^ehrer  wissen,  nm  das,  was  jener  braucht,  ihtii  riclitiger  und  zweckmilßiöt  r 
beibringen  zu  künnen.  Atirh  nm  seiner  selbst  willen  soll  er  den  Verkehr  mit 
Gelelirten,  oder  g^te  Bücher  suchen,  am  durch  kräftige  Anregungen,  durch 
wfseensdiafUich-praktische  V(»sehläge,  durch  überraschende,  neue  Resultate 
stets  bei  regem  Oetotedeben  erhalten  zu  bleiben,  denn  gerade  der  Lehrer  ist 
lu'i  seinem  oft  eintönigen,  abweelislnngslosen  Treiben  in  Gefalir.  im  S'nitipfe  der' 
Alltilglicbkeir  allen  Esprit,  allen  Muth  nnd  Sinn  fdr  das  Höhere  einzubüßen, 
beim  ABC  und  iünmaleins  zu  verknöchern. 

25* 


Digitized  by  Google 


—   382  — 


Umgekelirt  wird  und  mvm  auch  die  Lelu*ei'\velt  aut  deu  iielehrtenatand 
efnen  alieblich«!!  Etsflius  Qbeo.    Wenn  die  Lehm*  bd  thier  Ffinorge  für  die 

Mengre,  für  die  Öffentlichkeit,  demjenigen  Resultaten  g:elehrter  Fonehoni^  eine 

weite  Verbri-itung  geVx-n.  wvldip  entweder  einen  praktisdien  oder  einen  idealen 
Wert  haben,  allen  todten  Wissenskrani  aber  in  seiner  Vergessenheit,  in  der  »t 
von  verlorenen  Ueiehrten  erzeugt  worden,  beiaasen,  dann  wird  gai-  bald  j«'iie» 
edle  WlsBeiit  welchem  dnrch  die  Bemlihangen  ^ee  rBhrigen  Lehrentandes  ein 
großes  Absatzgebiet  offen  steht,  allein  das  Öffentliche  Interesse  behemchen, 
und  die  rsendnwissenschafr.  die  t\onh  hente  vielfafli  keck  ihr  Hanpt  erhebt, 
wird  eiuschrunipt'en  und  ersterben.  .So  werden  die  Lelirer  ein  stets  einlirL- 
tt'rndes,  controlirendes  Element  für  die  Gelehrten  weit  als  «solche  bilden: 
aber  auch  der  eisxeliie  Odehrte  kann  im  Verkehr  mit  don  Lehrer,  der  fort- 
während mit  dem  Volke  zn  ernsten  Zwecken  verkehrt,  an  persönlicher 
Xatiirlirhkeit  gewinnen,  die  ihm  bei  einem  einseitigen  idealen  Streben  ^tt 
abhanden  kommt;  selbst  mit  dem  A  olke  verkehren  kann  nicht  jeder  (Telehi-te, 
weil  er  sich  von  demselben  leicht  eine  unrichtige  Vorstellung  macht,  es  miss- 
versteht und  anstatt  natürlicher  dnrdi  den  Umgang  mit  gemefnen  Lenten 
oft  nur  kindischer  wird. 

\\  ir  hnben  in  großen  Strichen  die  sociale  Stellung  und  Bedetitnng  der 
Lehrer  hingeworfen.  Wenn  dieser  Stand  auch  dem  WoIp  und  dem  Gedeihen 
der  Menschheit,  der  intelligenten  wie  der  gemeinen,  dient,  so  igt  er  doch  kein 
dienstbarer«  iratwgeOTdneter  Stand;  er  fibt  ja  andrersdts  wieder  einen  beatim* 
menden,  gestaltende  Einflus«  auf  die  andern  Menschenclassen  aus,  er  ist  duh^ 
von  Natur  aus  .so  souverän  wie  jeder  andere  Stand.  Ja,  wenn  sich  die  Lehrer 
als  eine  feste,  unabweichlich  den  Principien  ihres  Berufes  treue,  mui-alisrb 
tüchtige  Kürperschaft  zwischen  die  Intelligenz  und  das  \'ulk  hinein  legen,  danu 
müssen  sie  eine  in  ihrer  Art  beinahe  s windende  moralisdie  Macht  anf  die 
Intelligenz  und  das  Volk  ausüben,  dann  mnss  unsere  Cttitnr  alle  ihre 
Krebsschäden  Ins  werden,  es  magr  da  gehen,  wie  es  wolle.  E.s  ist 
freilich  erst  eine  Aaltrabe  unserer  Zeit,  ein  solches  starkes  berulhtnnie». 
selbstbtäudiget)  Lehrerthum  zu  schaffen,  —  die  Vergangenheit  hat  keinen  Sinn 
dafür  gehabt.  In  der  Lehrerschaft  selber  aber  müssen  sich  die  Triebe 
zu  diesem  Waclistlinm  regen,  und  ohne  ihr  kräftiges  Wollen  könnte 
nie  jene  Zukunft  lierbeis^t-tnhi-t  werden,  in  welcher  daf  eben  angedeotete  Ide^ 
zur  vollen  Wirklichkeit  wird. 

Erst  nach  dieser  Erörtermig  •  über  die  sociale  Stellung  der  Lehrer  gehen 
wir  an  die  Beantwortong  nnserer  thematischen  Frafe,  Indem  wir  ganz  einfach 
das  Programm  de.s  mehrerwähnten  volkswis-senschaftUchen  Vereines  mittheilenr 
naeh  desiien  factischeni  7ii«:nnnienfreten  die  in  di^'^-r  Abhandlung  bi.«sher  ans- 
geetprochenen  Ideen  ver\s  irkiidit  werden  sollen.  W  ir  würden  dieses  Pi-ogranmi 
noch  nicht  veröffentlichen,  wenn  uns  nicht  daran  gelegen  sein  müsste,  die 
Lehrer  ztt  ttberzengen,  dass  der  ganze  Plan  wol  dorchdadit»  ohne  viele  Muhe 
ausführbar  und  anch  gut  vorbereitet  ist.  DerLdmr  wird  im  einzelnen  selVier 
selten.  da.ss  di'-  .Vnfpuben.  die  nach  dem  Vereinsproerramm  den  Lehr«  ni  zuf.illen. 
deren  aUgeuiein  culiui-eller  und  socialer  Autgabe  ganz  enlspi-echen.  Aneli  wird 
die  Stellung  und  Beziehung  der  „Bauemabende^  zn  den  Übrigen  volksthümlich- 
literariHchen  Ttestrebnngen  ans  dem  Programm  ersichtlich  sein! 


Digltized  by  Google 


—  383  — 


Prognnii 

des  demologischen*)  Vereine»  ffir  NiederQBterreieh.**) 

Zweck  des  Vereiaes.  Durchforscliang  des  iiiederösterreichischea  Volke- 
lebene  naeli  allen  Btehtnngen.  Geistii^,  mofaUeehe  nnd  wirtediaftliche  Hebung 

dee  Volkes,  besondeie  dee  Landvolkes.  Anregung  der  Lehrei  wt  It  zu  frncht- 
bar-'v  vrtlkstliümlicher  Thätigkeit,  zoiii  Ei  trphpn  oiner  hölu-i'oii  c.ulturellen  Be- 
deutuug.  Fijrderung'  des  volksthümlichtii  .Sinnes  innerhalb  der  hülicren  G-esell- 
schaftskreise,  Ausbau  und  (ieltendmachaog  solcher  Wissensdisciplinen,  welche 
eof  die  Volksmenge,  die  mit  ilirer  Hftnde  Arlieit  den  Oeiehrten  »i  eeln^r  gei- 
stigen Arbeit  frei  hält,  wieder  eine  heilsame  Rfiokwirknng  ftben,  lei  es  nnn  in 
maieneller  o  Inr  idealer  Weise. 

Umfang  und  (Uiederuiig  de.s  \'eieine>>.  Der  \'erein  be.stelit  aus 
,.correäpoudirendeu"  und  .,\virklicheu  Mitgliedern".  Zu  ersteren  aind 
besonders  die  Ober  das  gnnne  Land  verbreiteten  Lebrer  in  Anssieht  genommen, 
sind  aber  selbetverstKndlich  aueb  andere  Gebildete  willkommen.  Zu  wirk- 
lichen ilitffliedern  ei^rn^n  sich  nnr  solche  Kräft<^,  welche,  gleichgültig,  ob  sie 
humanistisch  oder  realistisch  gebildet  oder  Lehrer  sind,  dnrch  literarische 
Publicatioueu  —  oder  wenigsteuä  durcli  gründliche  Bildung  und  spezielle  Selbst- 
4inidification  fSr  täa  gewisses  Fadi  der  gesammten  Volkswiisensebaft  —  die 
Oaraatie  bieten,  dass  sie  ein  solches  mit  Erfolg  zu  betreiben  im  Stande  sind. 
Die  wirkliehen  Mitglieder  theilen  sich  in  zwei  Gruppen:  in  die  „üTil'pre"  nnd 
in  die  „innere  Abtheilung*'.  Ei-stere  darf  als  Vorbereitnn?  für  die  letztens 
angesehen  werden;  denn  während  jene  —  einen  „Dirigenten  -  an  der  Spitze 
—  nnr  das  Techniscbe  zu  besorgen  hat»  beschäftigt  sieh  diese  mit  der 
dgentlichen  Lösnng  der  Vereinsaufgaben.  Sie  theilt  sich  wieder  in  die  ..wis- 
senschaftliche" nnd  in  die  ,jonriin!istische  Section''.  Die  wssensch ält- 
liche Section  gmppirt  sich  in  eine  Reüie  von  „Fächern":  Volksreligion  (dazu  . 
Aberglauben,  Glaubensmissverständnisse  etc.),  Volkssprache  (Dialect),  VolkS' 
Psychologie  (Volkacharakler  in  abstrseto),  Volkslieder,  Volkssagen,  Volksbücher, 
Vi.lksgebi-anche  und  -Sitten.  Volksschauspiele.  \'(ilksnuisik,  Rechtsanschauungeu 
dt'>  Vf.Ikes,  Volksheilinittel,  Landwirtschaft  etc.  Jedem  Fache  steht  ein  ..Fach - 
meist  er*****)  vor.  dem  je  nach  dem  Umfang  des  Faches  nnd  je  nach  der  Viel- 
tUtigkeit  und  Variation  des  Gegenstandes  in  den  einzelnen  Landesgegenden 
wieder  eine  grMere  oder  geringere  Anzahl  von  ,,Fachmftnnern''  b^gegeben 
sind.  Es  steht  dem  Fachmeister  frei,  in  seinem  Fache  je  nach  Bedüi-fnis  noch 
einn  weitere  Anzahl  von  üntergrnppen  zu  bilden.  Pie  jonrnalistische  Section 
bat  nur  einen  „Fachmeister"  nebst  einer  entsprechenden  Anzahl  von  „Fach- 
aHnnem'*. 


*'  !Vr  Ausdruck  „volkswisaenscbaftlich'*  wird  als  ein  phonetisch  alba  scbweicir 

und  uubequeuier  mit  „demologisch"  ersetzt. 

**)  TTnsere  Kitite  reichen  sonBcbst  nnr  für  NiederUetanieh  ans.  Bs  wurde 

nas  aber  die  grüßte  Fkende  bereiten,  wenn  sieb  in  andern  Lindem  BbftBgb^^  Veraine 

cuostituirtüt  muebten. 

••*)  Ich  glanbe,  die  Namen  der  Männer,  welche  diese  Posten  einnehmen  werden, 
jetzt  noch  bei  mir  behalten  zu  KoUen.  So  vi-1  darf  ich  indcn  wol  sagen,  das«  eg 
mehrere  sehr  herrorrsgende  wisieusohaftlichc  und  pädagogische  Größen, 
mit  emer  Reihe  von  andern  ebenfsUs  Ihehtlkdttigen  nnd  ncbgMilMteaKrlften  sind. 


Digitized  by  Google 


384  — 


Als  Huupl  des  ganzeu  Vereines  laugiert  eiii  von  den  wiiklicLeu  Mitglie- 
dern mit  Stimmenmehrheit  auf  5  Jabi-e  gewählter  „Obmann". 

Der  Betrieb  des  Vereisea.  Es  wird  ein  mnAnglidies,  nach  FBchem 

lubricirte»  „EinschreibebQch"  ausgearbeitet.  Jeder  Fachmeister  besoi-gt 
die  Special-Rubricinmg  seines  Fache.s  durch  charakteristiselie  Titol  oder 
Fragen,  aud  gibt  im  Kopf  der  Bubiik  eine  kleine  Anleitung  darüber,  was  für 
BeobachtUDgen  nnd  Erfahmngen  in  dieselbe  find  in  ihre  Unterabtheilnngen  ein- 
zutragen seien.  Dieses  Einsehreihebnch  wird  von  der  ftoBeren  AbCheflnng  des 
Vereines  in  vielen  Exemplaren  aufgelegt  nnd  an  alle  Schulen  des  Kronlandes 
gratis  verscmlot.  Jede  8chn!e  !iat  für  die  Conpervirung  des  BtK  In  s  zu  liaften. 
Aach  Privatpenioneji  erhalten,  aber  uui'  gegen  Entgelt,  auf  \  erhmgeu  ein 
Exemplar  dieses  Einscbreibeba^es.  Die  einselBeK  Fachmbriken  kSnnen  leicht 
von  einander  abgdOst  werden,  so  dass  man  jede  derselben,  sobald  sie  voUge> 
schrieben  ist.  separat  an  die  än0eje  Abtheilung  schicken  kann,  um  wieder  eine 
iH-nr.  leere  dafflr  zw  Hekoinnu-ü.  Wer  nine  solelie  Facfirnbrik.  mit 
brauchbaren  Beobachtungen  vollgeschrieben,  eingesandt  hat,  er- 
hält den  Titel:  correapondirendes  Mitglied.  Die  eingesandten,  vollge- 
schriebenen Fachmbriken  werden  in  der  tnllmn  Abthetlnng  nach  Gegenden  nome* 
rirt  und  geordnet,  das  in  ihnen  sich  Wiederholende  mit  dem  Rothstift  markirt  und 
dem  betieffenden  FacliiiH  istpr  übercpbeii.  Dieser  stellt  mit  seinen  Fachnjännem 
auf  üruud  dieser  EinlUufe  und  sonstiger  Erfahiungen  seinen  Fachgegenstand 
systematisch  dar,  und  in  jedem  Jahre  hat  ein  anderer  Fachmeister  (od^  einer 
seiner  FaehmftnnerJ  «ine  solche  DarsteUnng  in  dem  id^lbriieh  heransanigebenden 
Jahrbuch  zu  .veröffentlichen.  .'Selbstverständlich  .sind  w  eitereu  Publicationeu 
der  Farhlcnt>'  kfinerk'i  Schranken  gesetzt.  r>ir'  Fachmänner  und  -Mfi^^Tpr 
halten  auch  öflentliche  X'orträge,  um  so  das  Interesse  des  Publicums  fui-  die 
Sache  an  bdebm  imd  dem  Yoein  vielleicht  aodi  pecnnilr  damit  zu  di^en. 
Anch  geschlossene  Sitrangen  wnden  von  Zeit  sn  Zelt  gehaltm,  die  Besnltate 
gegenseitig  ausgetauscht,  damit,  wo  die  Fächer  ineinander  greifen,  sieh  die 
Fachmänner  untei. stützen  »tr.  Was  die  letzteren  in  wissenschaftlidur  Fonii 
feststellen,  mündlich  oder  sciirittlich,  haben  die  Mitglieder  der  jonrualistisclien 
Seetkm  volksthfimlich  an  verarbeiten,  oder  doch  znr  Richtschnur  bei  der 
volksthfimlichen  Darstellung  ilirer  sonsther  geholten  Stoflfe  za  nehmen.  Sie 
schreiben  lehi'hafte  Abhandlungen  über  wissenschaftliche  oder  praktische  Themen 
in  dem  von  mir  bereits  anderw  ilrts  bi  sprocheuen  „dialerts"edr\cht('n  Hochdentsch". 
ebenso  Erzählungen  mit  piis.sender  Tendenz,  und  wenn  Talente  dazu  vurhandeu 
rind,  mdgen  tüe  aidi  andi  an  die  Bearbdtmig  kurzer  Dramen  heranwagen, 
deren  Attffflhrnng  nicht  umständlich  ist.  Von  dieser  Section  resp.  ihrem 
Fa(  liinpister  ist  auch  eine  5Ii*n;itschrift  zu  redigireu.  welche  die 
tStorte  zu  den  ländlichen  l  iittrlialtiiugen  enthält,  so  dass  etwa  4 — 5  fertig 
ausgeiubeitete  „Bauemabende"  saniuit  Liedei-  mid  Notenappaiut  mit  je  einem 
solehoi  Hefte  kommen.  Selbstverständlich  müssen  diese  Stoffe  nicht  lanter 
Originalproducte  dei'  ^'ereinsjoul-nalisten  sein,  es  kSnnen  und  sollen  ja  anch  die 
bt-reits  vnili;iii<lt'iieii  Vulks-  und  Dialrrtsrliritttn  ansfrobentet  wrrdim.  In  alb  m 
aber  sind  die  Kathsciüiige  der  w  issoiisrhalrliclu'ii  Faolunilmier  dabei  zu  liearhteu. 
weil  ja  diese  das  Volk  und  dessen  Bedürfai&i.c  nach  den  verschiedene  Rich- 
tungen hin  und  in  den  venchiedoiMi  Gegenden  gunan  kennen.  Pftdagogische 
nnd  methodische  BathschUge  der  Faehmftnner,  ^richte  Aber  Vereinflangelegen> 


Digitized  by  Google 


—   385  — 


heiton  kSniMii  noch  angefügt  wei*deu.  Andi  diese  llonatsachrift  soll  den 
Sdnden  NiederBsterrelehs  —  abor  vmVkaAg  auch  nnr  dieseii  —  gratis  znge- 
Btellt  werden.  Endlich  haben  die  Corres pondirenden  Mitglieder» 
vor  allen  die  Lehrf-r,  welchen  aus  der  Hiiöfien  Abtheilung;  diesi^  Monatsschrift, 
zoj^ht,  wo  thuulich  die  in  ihr  ausgearbeiteten  „Baneruabende''  prak- 
tisch auszofähren. 

B^r  Obmanii  gibt,  von  dm  Hitglledem  der  änfteren  Abtheilnng  unter- 
stützt, al^ährlich  ein  „Jahrbnch"  herans,  in  welchem,  außer  der  ubenei- 
wähnten  Facharbeit,  ein  ausfülirlirlier  Bericht  enthalten  ist  über  das  Gebaren 
dee  Vereines,  über  hervorragende  Leistungen  einzelner  correspondireuder  oder 
wirklieher  Kitglieder;  auch  Nachrufe  au  verstorbene  Angehörige  des  Vereines, 
mit  biographischen  ^daseo,  femer  Danksagungen  fttr  FOrdemng  des  Vereines 
etc.  werden  in  diesem  Jahrbnche  Platz  finden. 

Wir  behalten  das  NUhere  norh  bei  nn?.  Wt  il  die  Kosten  zur  Förderung 
der  Vereinszwecke  nicht  allzugi-oK  sind,  da  sich  die  Monatsschrift  und  das 
Jahrbndk  bei  Ihrem  das  groBe  Pabiicum  interesssirenden  Inhalt  holEnitlleh  tob 
selber  halten  werden,  und  somit  nur  das  Euisdireibebadk  nnd  ein  Local  f&r  die 
äußere  Abtheilung  bestritten  werden  müssen  —  die  speciellen  Fachkanzleien 
können  bei  den  betreffenden  FarhnieTf?tem  sein  nnd  weil  andrerseits  zu  er- 
warten steht,  dass  die  hochwichtige  patriotis«:he  «Sache  dieses  Vereines  von 
Aafang:  aa  weritthfttlge  üntentitzung  tind»  irird,  nnd  dan  die  FadmOnner 
andi  dnidi  (MEentildMViwtrBge  niditünerkleckliches  «ererben  ktonen,  so  darf 
von  vornherein  auf  alle  Geldbeiträge  seitens  der  VereinsmitgUe- 
der  verzichtet  werden. 


Ich  habe  nun  mit  diesem  dritten  Aufsätze,  den  ich  dem  „Pädagogium'* 
«inreihe,  eine  Idee,  die  mir  von  Anfiing  an  vonehwebte,  immer  klarere  For- 
men in  mir  annahm  und  mir  schon  beim  zweiten  Anftatze  in  ihrem  g:auzen 
Cmfange  und  ihren  Einzelheiten  bewusst  war,  zur  vollstanditrcn  Darstellung 
gebracht  Wesentlich  Neues  werde  ich  in  Zukunft,  über  diese  Idee  hinaus, 
nicht  mehr  bringen:  es  gilt  jetzt  an  dem  Ausbau  lud  der  Verwirklichuug  der- 
selben aa  arbeiten«  nnd  an  diesen  Zwedren  werde  ich  bei  ndnoi  werten  Lesern 
wol  noch  Öfter  vorsprechen  müssen.'*) 

*)  Kkiuert^  Cui)k!i>pundeuzen  mit  der  Lehrerschaft  werde  kli,  wo  uüthi^,  Jurcli 
die  in  Wien  en;diein<mde  „Deutsche  Zeitunier'"  fOhren  unter  der  Rubrik  „Zur 
Krziehniiir  d-  .s  Bau ern stnndes*'.  Diesp  Rubrik  befindet  sich  entweder  unmittel- 
iiar  uach  dt5u  Lvitartikd  oder  unter  den  vermischten  Nachrichten.  —  Ich  mns« 
i^chliefShch  den  Leser  bitten,  die  ganze  Abhandlung  noch  ein  zweites  Mal  zn  dnrdi- 
blättern,  denn  erst  jetzt  wird  ihm  im  ersten  Theile  manehM  gsnz  Uar  weiden,  was 
ihm  b«'im  ersten  Lesen  ii«oli  S<;hwieri)^l£eiten  macht«-. 

Anmerkung  des  Herausgeber^:.  Dos  auf  ti.  875  über  die  ü.stcrr.  Lohrer 
der  alten  Ära  ausgesprochene  (^rthcil  'liittte  denn  docii  zu  allgemein  und  zu  hart 
sein.  Wir  können  dies  hier  nicht  näher  na<'.hwf»i«en.  wollen  aber  doch  daran  ♦■rintiem. 
dass  gerade  Lehrervereine,  Lelirerversammluugeu ,  Lehrerzeituntfcn,  kurz  Kund- 
gebungen des  Lehrerstandes  zur  HerbeifÜhrnng  der  nt-uen  Ära  wesentlich  mitgewirkt 
haben.  Im  Üloigea  bedarf  es  wol  fttr  die  Leser  de«  Pädagogiums  kaum  der  Ver- 
•«ichenug,  dass  der  Verftsser  des  vorstekenden  Artikels  ein  aufrichtiger  und  weifc» 
thfttiger  Fresnd  des  Lebrentaades  ist. 


Digrtized  by  Google 


Mittheilinj^eii  aus  den  Ut»eraleu  iSckuivereiii  Kheinbmdä  aad 

Westfalens. 

Deutende  SehnlmliiiMr  baben  schon  Tor  Uager  Zeit  dem  Gedanken  Aiudnick 

ju^egeben,  dass  das  Schulwpspn  in  unserer  Zeit  nur  ilurdi  die  Betheilignug  der  (?e- 
bildeten  aller  Volksclassen  einer  deu  L^ultarTerkältuiikjüu  eut«prechenden  Gestaltuni^ 
eatgegengefühi  t  wenleD  kiiune.  Deshalb  iflt  die  Begründung  eines  libenüen  Schuir 
vereias  für  Rheinland  und  Westfalen,  ati  wf^'  heni  sich  je«ler  BAiger  betheiligen 
kann,  von  den  Lehrern  sowol       vuu  ScliuiirfUinleu  überall  freudig  begrQfit  worden. 

Da  bisher  iu  diesen  Blättern  Ober  den  rheinisch-westfälisehen  Schulverein  noch 
nicht  berichtet  wurden  ijit,  m  glaube  ich  nicht  bexweifeln  zu  dOrfen,  daw  d«n 
Leidem  die  folgenden  Mittbeilnngen  erwttnacht  Min  werden,  nud  ieh  werf»  ^/Sm 
ant  die  Ent^tehnnip,  Entwickelang  irad  bisherige  Thttigkeii  des  Vereiu  dncn 
kunsen  BUckblick. 

IMe  Bildung  des  Ubenüen  Sehulvereiai  wvhie  am  14.  Not.  1880  in  einer 

kleinen  Yer>;ininilnnir  liberaler  Männer  zu  Elberfeld  angeregt  und  zur  weiteren  Er- 
wägtuig  den  Herren  IWes^cir  JOrsren  Bona  Jleyer  -  Bonn,  GjTnaaialdirector 
Sefimelser^Hamni.  Oberlehrer  Het/t  r  Hagen.  Beigeordnetem  Ernst-Elberfeld  und 
•Stadtverordnetem  Ilmnapohn-Küin  iil)erwiesen.  Diese;*  Comite  entwarf  ein  Statat 
und  berief  eine  grotitsre  Versammlung  auf  den  9.  Jan.  1881  nach  Köln. 

Das  entworfene  Statut  wnrde  in  dieser  Versammlung  en  bloc  angenommen. 
In  demselben  wird  der  Zweck  des  Ver^ns  in  folgenden  Worten  ausgesprochen: 
„Durch  Veranlassung  von  Berichten  und  Gutachten,  .sowie  durch  Beiq)rechungen 
seiner  ^[itglieder  zur  Antkläning  über  <!!••  )'.e(liirfiiis>f  einer  freisinnigen  Entwicke- 
lujiff  unseres  gesammten  Schul wewns  beizutragen,  denigemifi  praktische  Eeformen 
hendmfflhren,  insbesondere  aneb  auf  die  Oewinming  einee  entspieebendea  Sebal' 
geaetzei»  vorbereitend  liiiizuwirken."    Weitere  Bestimmungen  sind: 

Die  Mitglieder  iial^eu  einen  jährlichen  Beitrag  von  niindesteuf  Mark  zu 
xahlen. 

Di*  Leitung:  <ies  Vereins  hat  ein  Ton  der  GeneralTersammlnng  gewitiiter  Vor- 
stand vuu  b  i^IitglitHieru. 

Den  jetzigen  Vorstand  bilden: 

Professor  .f.  B.  Meyer-Bonn.  Statltverordneter  L.  F.  Seyffardt- Krefeld, 
Stadtverordneter  .1.  ilamspohu-KöLn,  Gymna.sialdirector  Schmelzer-Hanuu,  Buch- 
drackereibesitzer  W.  Gtoi  ir  i- B<>nn. 

£in  Ansschoss  Ton  13  Miteliedeiu  uuterstätat  den  Vorstand. 

Am  1.  Mai  1881  fand  in  KBIn  die  1.  OenenÜTemmnüung  des  Vereins  statt 
Der  Verein  7ählte  754  Mitglieder.  Di»-  in  !<  r  (  i.^nenil Versammlung  Erschienenen 
nahmen  das  vStatut  an  und  erhoben  den  i»roviionH<  iieu  Vorstand  und  Ansschora  sum 
dednitiTen. 

Aus  seinen  Bemthungen  ging  das  folgende  Prugramra  hervor: 

1.  Daä  ganze  Bildungi^wesen  des  Volkes«  mu.Hä  als  Angelegenheit  staatlicher 
Pflnorge  und  Leitung  angesehen  werden. 

2.  Tn  den  Schulen  des  Stante»  muss  auf  die  Angehörigen  TersebiediUier  Beligion 
und  t^iutctüsion  glcichuiüßig  KUcksicbt  genommen  werden. 

Efaie  Sntfenroi^  des  BeügioiisnnterrichteB  aiis  der  Sdinle  ist  nicht  n  entreben. 


Digrtized  by  Google 


—  387  — 


3.  Die  Aufsicht  ül>er  (las  gesaminte  ScbuiweMCii  inuss  der  Stnat  durch  ihm  allein 
iiiit«reteheiide  technisch  wrgtAmbBt»  Beamte  fllhieu. 

4,  Das  VolksschulwespiT  mtiss  auf  (irandlai^e  dn  allgemeinen  staatlichen  Schul- 
g6äetz{e:ebanir,  wesentlich  ah  Augelesrenheit  der  bUrj^eiiicheii  Gemeinden  an^resehen 
wenle«. 

i).  Bei  den  höheren  Lehranstalten  ist  die  Aufhebunju:  der  zum  Theil  noch  be- 
stehenden tTnterttcheiduugeu  derselben  nach  der  Confesision  zu  erstreben  und  darf  bei 
der  Allste  11  Ulli;  der  Leftcir  «II  deoMlbon  Biir  die  pMagogisehe  oiii  wiMaBMd»ftliolM 
Büdmi^eutächeidett. 

6.  Die  ümTenitäten  halMii  bei  Beraftinir  ihm'  Lehrer,  von  jeder  eonftariaiieneii 
Berfuksii  htiijuui,'  fiti,  uur  ilas  Infcrcssf  der  "\^T:8ensihiitten  ins  Antre  zu  fas.sen; 
jede  !;k:iuiiälerung  ihrer  Lehrfreibeit  dnrch  Berücksichtigung^  kirchlicher  Ansprilche 
oder  durch  Wtwirkmijpr  Irinhlidia'  Autoritftten  bei  den  Berafttnireii  l«t  nnbedlncrt 
IQ  verwerfen. 

Die  /weite  Generiilveisümmlung  fand  am  30.  Dctober  18Ö1  /,u  Dortmund  »taat.  lu 
dendben  bildete  die  Sdiuhuifsichtsfrage  den  Haupt^ei^enfitand  der  Verhandlongeil. 
Gymno^naldirector  Schmelzer-Hamm  leitete  dieselben  dorcli  einen  Vortng  ein,  »ob 
welchem  ich  mir  einige  Gedanken  anzuführen  erlaube: 

..Wenn  niüii  sa<ft;  DasZif  l  dt-r  V(dks-<ehule  ist  die  Erziehung  religiöser  Menschen, 
oder  Mch:  der  BeUgionaunterrichi  drückt  unserer  VoUuschuie  den  charakterietischen 
Stempel  auf.  m  mm»  ich  dem  widerapreclien.  Der  Stnndenzahl  nach  seluni  Ubentri^ 
der  (iputschf  riitenicht  über  da.**  Doppelte.  Und  wer  wird  denn  ein  14jfihri^^r^  Kind 
einen  sitUich-religiüseu  Memtcheu  nennen?  Dos  Hauptgewicht  der  religitoen  Is^ehoutj^ 
liefet  in  der  Famute  and  in  der  Kirche.  Dies«  aber  sucht  die  Laifc  der  Sehlde  auf- 
Tnbnrdcn.  Der  deiit.achp  r^nterrii  lir  ist  in  der  Volkaschile  die  Hanptiache,  er  allein 
kami  den  .SchiUer  autlj  befliliiuen  tHr  di<*  Kirche. 

Der  Kf'ligionsnnterriclit  iil)or  ist  cm  eminent  wichtiger  TheO  der  Lehrerthfttig'« 
keit.  Er  ^oll  die  Dirortivp  für  alle  Lebenskref><p  c^ben  \m\  mii?s  also  voiv.ugsweise 
belelaeud  sein.  Ein  Kiiul,  das  von  seinem  Iteli^iüuslchrtr  jeden  Tag  eine  Stunde  in 
erbaulicher  Spannuug  gehalten  würde,  erschlaffte  in  seinem  religiösen  Gefülü.  Er- 
iNMiing  ist  ein  Sonntagagericht,  keine  Werlitagsspeiae.  Weiterhin  soll  sich  der 
Religionsnnterridit  in  der  Sehnle  Ton  allen  streitigen  Mcmienten  fem  halt«n :  man 
darf  d.is  Kind  nicht  in  GeireiiHatz  briniren  zu  andern  Kindern,  oder  /.n  .•'eintMi  Kitern. 
Wenu  confessiüuelle  Streitfragen  in  der  Schule  rorkommeu  sollen,  so  wird  die  Kirche 
die  SehnlaaÜrieht  fordern. 

Eü  ist  iii(  hr  fintliii,',  das*»  wir  die  Geistli  ii  von  der  Schulanfsielit  alisolut  eut- 
t'emeu;  aber  uur  die  fachmännisch,  nicht  die  blon  theologisch  gebildeten  t^iiid  zu  ge* 
hranchen.  Namentlich  sollte  der  Staat  die  5k;hule  wahren  und  schützen  vor  jener 
Sorte  Vfin  (."ei^tlifdien.  dif  '•i  l!  auf  kirchlichem  und  i(oIiti«chem  frebiete.  und  nicht 
gerade  zur  Ehre  uiuserer  Ivtliirion,  geltend  machen.  Was  sind  d»is  für  Gedanken, 
wem)  ein  geistlicher  Herr  sich  wundert,  das»  die  Kinder  in  der  Krankheitsgeschichte 
des  KönigB  Hiäkias  nicht  Bescheid  wissen,  während  ihnen  du  Leben  eine«  Herder 
bekannt  m  ?  Solche  Gedanken  fdnd  schamlos. 

In  der  Localschulaufsielu  stehen  sieh  zwei  Ansichten  scharf  gegenüber:  „Nur 
der  GeistUohe  kann  sie  ausüben",  und:  „Sie  ist  Überflüssig  nnd  schädlich.'*  Mittel- 
wege jdnd:  Xhi  ttbertrage  die  Loealinspeetlon  einem  Mterni  Lehrer,  nnd:  Man  ver- 
kleinere  die  Kreisschulinsjn  ■  ti  >ti^Ii  zirke. 

Die  Kreisschulinspection  lordert  einen  ganzen  ilauu  und  zwar  zugleich  einen 
solchen,  der  durch  die  Volksschule  hindurchgegangen  ist." 

Die  dritte  Generalversammlung  beschäftigte  sich  mit  der  Ül)crbflrdtmg8fiage.  E.h 
lagen  über  diese  11  verschiedene  gedruckte  Referate  vor,  meist  die  höheren  Schulen 
lietreffend.  Sie  sind  wie  andere  Schriften  des  Vereines,  welche  ic  Ii  am  Schlüsse  nennen 
will,  im  Buchhandel  zu  haben.  Für  die  nächste  in  Hamm  iu  Westfalen  .stattflii- 
dflnde  yertammluug  wurde  der  Kel igionsunterricht  in  der  Volksschule  auf 
die  Tiis'  sordnnng  gestellt. 

Der  Vorsitxende,  'vxifessor  Mever^Bonu  eröffnete  die  Yerhaudlnngen  mit  Mit- 
theüongen  Uber  Vereinig  ^.gelejBr«iheiten.  Die  ^Sahl  der  Mitglieder  des  Vereins  ist 
auf  9Ü0  ge<ttiegen  nnd  in  stetem  Wacliseu  l)egriffen.  Die  Referate  «Imt  „ÜberbUrdnng 
der  Schüler"  sind  au  verschiedene  Ministerien  versandt,  und  aus  Berlin,  Dresden, 
Dumstadt  rind  bereits  nutimmeiule  Antworten  eingegangen.  Zu  dem  IXesterweg^ 


Digitized  by  Google 


—   388  — 


Deukmal  in  lUfn  hat  <ler  Verein  5()  M.  beigesteuert  luid  zur  ESnweihuiif;  ein  ächieibeu 
iUH  r^niidt.  nm  »eiue  daukbure  Yecdiruiig  fStt  den  Vorkimpfer  «iuer  bthn  ScImliNit' 

»icktluu^  m  documentiroii. 

Die  Frühlingstver^^inmlnnttr  im  Jahre  188^^  soll  in  Elberfeld  abgdudten  weiden. 
Von  Jauuar  d.  J.  ab  wird  eine  Mouatüi.sclirift  des  Verein»  ersebeiuen. 

An  die  Jlittheilun^en  anknüpfend,  spricht  der  Vorsitzende  noch  über  die  trauriare 
Tbatsache,  dass  nnsere  Reijierunv:  i«i  der  Schulinsneotii>usifrai»e  den  Ultramontanen 
und  Orthodoxen  eo  aetur  zu  willen  sei,  und  beweist  durch  mehrere  Citttte,  da»  der 
^tnat  fieine  Heehte  v91%  anheben  tnM«w«.  wenn  er  die  BSmlinse  befriedigen  wofle. 

fl*^nf>(lif'  Keiehszeituiitr  z.  H.  hat  ra<le/.n  L:t^.%ift,  ein  ('nlf u>iiimi>ttr  sei  fiir 
die  Katbuliken  ein  Luxus,  da  ihr  t'uliuäiuiuiäter  in  Korn  sitze  und  seine  Organe  in 
den  Bischöfen  habe.  Vm  so  kriftjger  mtbrne  der  Verein  fBr  die  staatiidte  Sciral- 
iaspection  wirken. 

Zu  dum  Thema:  „über  den  Keli^uutfuuterricht  in  derbchuie  *  lagen  Illeben  vi>u 
(b  ei  Referenten  vor,  Ton  Gymnanal-Director  Schmelaer,  Seminarlelirer  Dr.  BC§e  nud 

Profefwor  M»'ver. 

Wir  la».scu  dieselben  hier  folueu. 

1.  1.  Die  unter  Staatsaufsicht  stehenden  Schulen  mUsiseu  den  Reli:;iun!iantenicht 
beibehalten,  suwul  die  Volksiwhnien,  als  auch  die  höheren  Schulen  mit  wenigsten» 
2  Stunden  wöchentlich. 

2.  Da.«*  Oliject  ist  die  Sittenlehre  und  die  tilaubeu!tleltre,  soweit  sie  die  erster»* 
bedingt.  Das  confeasiunelle  Moment  ist  mdglichüt  wenifc  zu  betonen,  «L  b.  der  Kate- 
chinnus  hOrt  anf,  Lelnlnich  in  sein. 

'^.  Ih  r  Keü^iuusuuterricbt  iiit  von  n'nt  in  Lehrer  der  .Scliule  und  nicht  von  eineia 
aulSerhall)  der  Sciiule  stehenden  Geistlichen  zn  erthcilen. 

4.  Die  confessionellen  Unterscheiduiurslebren  sind  dem  rnterrichte  der  Kirche 
xuznweis«-!!.  lUi  Einrichtung  de*<elh<  u  leiben  si.  h  Staat  und  Schule  nicht  zu  krtm- 
ntern,  auch  die  Theilnabme  an  demsellveii  nicht  /.u  erzwingen.  Die  i^rdnuiu;  ilie^^^o 
Unterrichtes  Int  Sache  der  freien  Kirche. 

II.  1.  Religionsunterricht  i^t  der  Schule  unentbehrlich,  weil  hannauL<«c:he  Eut- 
Wickelung  aller  (ieistesanlauen  ihre  Aufgabe  ist. 

2.  I  »t'i  l{eligionsnnterricht  imisu  aber,  wie  alle  Unlerricht.stacher.  vor  ;il!<  ii  Piugeu 
nach  auerkannten  pädagogtschen  Urundüätzeu  ge»taltet  werden,  damit  eine  wirklich 
frnchtbare  Entfaltnni^  der  retigiUaeii  Anlage,  sowdt  dae«eUie  dnidi  ftuBere  Anord- 
nungen bedingt  ist.  möglich  werde;  Hanptvorbedingiiiig  dafttr  bleibt  immer  der  aoA 
richtig  religio«  geatimmte  Ijchrer. 

3.  Daher  niht  betreA  des  Beliginnsontemcbts  die  Au%abe  der  staatUchen  Ge> 
setzgebiinir  darin,  zu  >r,r<r*:-ii.  d;ts<  dir  (Te!<biltnnj|^  des  £eligionmmtcnidits  nach  pä- 
dagügi.schen  (irundnät/en  geschehen  kann. 

4.  Weil  es  aber  zum  Zweck  segensvoller  L«isimg  die.'<er  Aufgabe  ertorderlich  ist 
dass  Staat  und  Kirche,  welch  let/terc  «ich  bisher  das  allein  entscheidende  Wort 
darüber  zugeschrieben  hat.  daln  i  Haml  in  Hand  gehen,  .so  ist  es  eine  Lebensaufg.il>«' 
des  Lil)eraliHmus,  durch  aufrichtiges  nnd  kraftvolles  Eintreten  in  die  kirchlichen  Ent- 
wickelun^eu  uuj^erer  Tage,  daiauf  hinzuwirken,  da»  die  Kirche  <h-gane  bekommt, 
welche  nicht  aU  Herren  dt^s  Glauben.^,  sondern  ah  Diener  am  Wort  bereit  sind,  mit 
dem  Sta.it.  dt-r  al«  chri-tlirlicr  Sf:i:it  minde.sfpi)s  i:].  i(  hl)erechtigt  aneh  in  dieser  Frasv 
neben  der  Kirche  dasteht,  vertrauem^voU  zuhaounemsuwirken. 

in.  1.  Erziehiugr  snr  RelijErion  nnd  religißse  Unterweisung  gehören  nothwendig 
zur  Vollendniiir  iiii  ii-<rlili(  her  l'ildnng. 

2-  Ob  die  l^Ürsorge  f&r  die  besondere  religiöse,  Unteiweisung  von  der  Slaatsschule 
zu  übernehmAtt  ist,  oder  besser  dem  Hause  und  der  li4ligion.sgemeinde  Uberhi^<u 
bleibt,  hängt  von  den  befl<nidereii  Verhftltnissen  der  örtlichen  und  zeitlichen  Jleli- 
gionszustäude  ab. 

Bei  Wesentlich  uni^emischtem  IJ«  liiiions-  uml  < 'onteüsionsbestiinde  dtrr  B«f- 
völkerung  ist  es  unbedenklich,  der  Staats.«- hu le  auch  die  FürsorL'O  für  die  religH*«e 
lluterweisuug  zu  überlassen,  so  lange  nicht  innerhalb  der  Religious-  und  Cuufe<iiäon.«^> 
•jt  uieinde  Uneinigkeit  des  (ilaabena^  die  firiedlicbe  (iemeinachaft  der  Kinder  im  Cb- 
terrichte  stört. 

4.  Zur  Zeit  religiöser  Friedfertigkeit  ist  auch  bei  gemischtem  Beligions-  nnd 
Coufessionsbestaade  der  BevBlkerang  eine  allgemeine  Rellgionspflege,  bestehend  in 


—   389  — 


j^meinMmer  Scbaiandacht  und  ia  reUgiteer  Unterweisung:,  die  da.H  Genieinsauie  der 
GUmbena*  und  Sittenldin  hervorhebt  und  die  UnterBcheidougslehreu  der  Bcligiuneu 
oder  Confedäionen  dem  Untenicbte  der  Kirchen  flberliut,  mOgiidi  und  pSdng^giech 

zweckinä6ig. 

5.  Bei  stark  gendeditem  BeÜgione-  oder  Confessiongbeetande  d^  BevOlkerui^ 

und  in  Zeiten  roliinösen  ünfried(»n!«  und  I'artti/.ankcÄ  kann  nls  fiiie  rirhtiüc  Staats- 
schule gelten  nnr  diu  Simultaii^hule  mit  eiuem  iilieu  irt>ni einsamen  weitlichen  und 
einem  je  nach  der  Religion  oder  Confession  getrennten  Ktligionsunterricht  Unter 
i^olchen  Verhältnissen  und  zu  solchen  Zeiten  eine  weiter:;i'lii  iulc  RcriKksiclitiirury: 
der  Religions-  und  Confessionsanterächiede  in  der  Staats-  und  <temeinde»chnle  ver- 
hingen  und  befördern,  h«iSt  dag  wahre  Intereaae  des  Staates  und  der  nationalen 
Volkabüdong  Terkenneo. 

6.  PQr  die  AnsfRhrun?  diese«  Princips  der  Simultanschulbildnng  ist  es  gewiss 
l  ädatroirisch  an»  Ijesteii.  \wim  der  l>etreflfende  cdnlVssionelle  Religionsunterricht  in  den 
Händen  ciueü  religiös  und  pftdagogitich  entsprechend  Toi;gebildeten,  der  Scinüe  ange> 
bOricen  Lehrers  liegt;  es  steht  aber  auch  nichts  im  We^.  denselben  einem  autmalb 
der  Schule  stt  hciidcii  Gt-istlicheu  anzuvertrauen,  subald  1  r  i  U  r  (]•>  <, I'nterricht  im 
Auftru{;e  der  St;uitäbehüidc  uut^r  Zustimmung  der  ihm  wi^^eset^teu  Kirchenbehürde 
aimdimen  und  srlmlpianmäßig  ertheilen  will.  Jedoch  darf  dte  llieilnBhme  an 
diesem  UnterriLhtf  in  dt  i  Staatsschule  immrr  nur  facultativ.  niemals  obligatorisch  sein. 

7.  Wird  die  Ausfuhrung  dieses  Priutips  iniolge  einer  gesteigerten  religiösen 
Farfeeimcbt  im  Volke,  oder  infolge  eines  Machtspruches  von  Staat  und  Kirche  6chwia% 
oder  unmöglich,  so  gibt  es  für  die  Staat ssi  Im le  keine  andere  klaiT  Lösung  der  PHt- 
stehendeu  Wirren,  als  die  Ausscheiduny:  iks  Heligionsunterri<  lites  vom  Sohuluutti- 
richte  und  die  Überweisung  des  ei'steren  au  die  Filrsortje  der  Familien  und  Religions- 
gemeinden.  Thun  diese  aisdanu  ihre  Fflicbt,  so  enthält  eine  solche  Lösung  de« 
Zwistes  Uber  den  Beligionsanterrieht  in  der  Staatsschule  keinerlei  Grund  zur  Besor^is 
um  dio  Krhaltiiuir  der  Rcliirion  im  Volke,  wie  dies  <]'.<■  j uliIm.-i  i^ix  lie  Krfalirunir  vieler 
Zeiten  und  Völker  und  durchweg  bisher  die  Eneiehuug  der  Juden  unter  den 
Giristen  besengt. 

Zur  Tl-tViediguug  der  dennoch  bei   dieser  Lösuug  uiu  ntrirltii  und 

beUcukliLh  bleibenden  ist  es,  um  jedf  ii  ^lt^viM^^ensdru€k  zu  vermeiden,  ratü.iam  und 
b«;i  Feststellung  einer  dnrdii^eitruikn  Staatsaufsicht  unter  einem  klar  bestimmten 
Schulgesetz  auch  durchaus  nnbedi  iikli(  b .  dem  Privatschuhve^ea  neben  dem  Staat«* 
Schulwesen  einen  begrenzten  irtitii  .Siji»  Irauni  /u  gestatteo. 

Der  liberale  Schulvcrein  hat  bis  heute  folgende  Schriften  herausgegeben,  welche 
Ton  Karl  Geoj^-Bonn  dnioh  den  Buchhandel  können  belogen  worden: 

1.  Die  VenamBlnag  rar  BQdnng  des  Ubenlea  Sehnlvenins  ant  9.  JTannar  1881 
zu  Köhl. 

2.  Die  1.  Generalvenammlung  des  Vereins  am  1.  Mai  1881  su  KOln. 

'   I'ie  2.  Generalversammlung.   Dortmund,  den  30.  Ottnber  1S81 
4.  Die  EutwickeluDg  des  Simiütaitschulwesens   iu   der  Stadt  Kreleld.  Von 
L.  F.  Seififardt. 

ö.  Die  Behandlunir  der  Schule  auf  den  letafeen  Provinzial-Synoden  Bheinlands 
und  Westfalens.   Von  Professor  J.  B.  Meyer. 

6i  Die  YoUnschuU-  <  unfessionell  oder  eonfesnouloi)  nnd  die  SehoUnspection. 
Von  Pastor  Anler  iu  Montjoie. 

7.  Die  Schulüberbürdungsfraire.    11  Referate. 

H.  Die  Schulüberbttrdnngsfrage.    Beiträge,  zusammengestellt  von  J.  B.  Meyer. 

über  die  SchuÜnspection  hat  der  liberale  Schuhrerein  auch  eine  Schrift  von 
Pastor  Anler  in  Monljoie  TevSffentlieht,  welehe  ihrer  Entsehicdäiiheit  w^en  und, 
weil  «ie  von  linoni  Geistliehen  der  evangelischen  Kirche  henfthrt»  gani  Deeondere 

Beachtung  verdient. 

Nachdem  Äuler  nachgewiesen  hat,  dass  die  eonfessionslose  Schule  die  eonfessio' 

nelle  bald  verdränßrnn  werde, 

1)  weil  die  Kutstehung  tnid  geschichtliche  Entwickeluug  darauf  hinweise; 

2)  weil  die  gesetzliche  Knf wii  kelung  dieser  Frage  bei  uns  dafür  spreche: 

3)  weil  der  rechte  Begriff  und  die  Au%abe  sowol  der  Sehnle  als  der  Kirche  e» 
fordere; 


Digitized  by  Google 


—  390  — 


4 1  weil  die  Ublea  Folgen  der  confeMionellen  Schule  xu  dieser  Lfemig  der  Frage 

dränge;  »agt  er: 

.')^  Die  Bfuiitwurrutig  der  Frage  narh  der  Scliulinsi»<'(  tioii  nviltf  sidi  aus  «Iciii 
üeMgten  lM»t  von  selbst.  Zaerat  erinuere  ich  nucli  eiiuual  daran,  dass  wir  in  PreuBeu 
uoch  kein  Schulgeseti  und  keine  wlbststlndig  wgmuSxte  Oorporftilon  dar  Wiaten» 
Schaft  haben.  Du.-  thut  uns  vor  allem  nnth,  damit  die  Scliule  lU-in  venlerliliehou  Eiii- 
fluas  wecbiielnder  VerwaltungsaTHndsütz*'.  den  kircblicheit  und  jjulitischeu  Stxoiuuugen 
entzogen  intdt*  Überhaupt  mlUf.  mvhi  ein  Hinister  das  Schulwesen  in  der  Hand 
haben;  wie  kann  z.  B.  ein  Jori-t  Materielle  der  Sf. Imlorg-anrntiifii  bestimmen? 
Wir  inösäten  einen  Unterrichtj»rai  h  iiahcti,  auf  dem  Wege  der  Legislatur  ins  Leben 
irerufeu.  sacroaanct  wie  ein  oberster  Gerichtshof;  und  wie  dieser  von  Juristen  go» 
bildet  wirtl,  t«o  ntQäste  er  von  sachverständigen  Pädagogen  und  festen  fireieu  llännem 
gebildet  aein:  ein  jurwtisches  Mitglied  hatte  die  rechtliche,  ein  Medianer  die  ge- 
tmndheitliche  Seite  zu  leiten. 

Die  Locnlflchulinspection,  die  OrtaadialauMcht  wOndchte  ich  »ulQs^oben.  Die 
Scindvorsteher  stehen  nur  in  einem  nittelbaren  Verhiltnifl  inr  Sehnte,  rind  meint 
nicht-s  als  Statisten.  Darreg'^ii  j**»!!  Lncali^fhiilinsp*  i  t<«r  lUs  der  »nniirtt-lhari'  V..r- 
gesetzte  aoftreteu;  er  soll  mit  gt  rini^t  r  H^'.-ir.hräukuog  dieselben  Kecbte  und  i^chten 
haben,  wie  der  Xreisschnlinapectur.  Z\sar  sagte  Falk  am  l.'>.  lUn  1876:  ..Den 
Local.sehulinspectnr,  der  ans  den  nicht  jtäiLiiirdgischen  Kreisen  irenonmi"n  wird, 
l&llt  angleich  weuiger  eine  sachliche  Bcautsichtigung  des  Uiitcrriehts  ^ur  I'üicUt, 
als  \iehuehr  daranf  in  halten,  dass  die  gegebenen  Inleren  Nonnen  überall  inne- 
'jroLalttn  werden,  dass  vor  allen  Dingen  dafür  gesorgt  wird,  dass  die  Kinder 
iiüükilicli  in  die  Schule  kommen,  dass  nicht  unnütze  Dispensationen  vom  Unterricht 
eintreten,  daas  die  vermi»;rt  ii!^iechtlichen  Angelegenheiten  ihren  rtij;t  liiidiiiireii  Gang 

Sehen:  ungleich  weniger,  ich  wiederhole  es,  itat  er  sich  nm  innere  Angel^enheiten 
er  Sehtde  an  b(>k11n)nlem^'  WIre  dem  so,  dann  hStten  die  Loealinapeetomniehts 
als  ihm  ("'orpnraNr  (k  in  iler  Haml  zn  halten;  ich  denk»'  Hh  «lie.Ht'  Äußcrlirlik-fiteu 
künute  ein  Bürgermeister  am  besten  sui^gen,  besser  ak  wir.  Ist  unsere  Au%abe 
aber  die  snent  angegebene,  so  tritt  mir  ein  viel  wichtigeres  Bedeidten  entg^n. 
r>ie  S!ohulc  ist  ruterrichtHan-stalt,  und  die  nenrrf  Pädaffr^nk  ist  «  ine  zu  <*Toße  Wis- 
senschaft, ali«  das»  sie  als  Anhängsel  der  Tlie»»loine  könnte  bt  liandelt  wonii-n.  rn<l 
wer  sie  selbst  theoretisch  studirt  hätte,  hier  gilts:  Grau. -Freu u«l,  ist  ;ille  Tlie.irie. 
grün  nur  de«  Lebens  >;oMiior  Baum:  ins  Wasser  nm»-  ut-r  -  1  wiuimeii  will,  in  die 
Schule,  wer  das  Unteirichteu  vei^tehtii  will.  Und  wer  uu  ht  uuturrieiteu  kann,  wie 
wiU  der  eine  Schule  revidiren?  wie  will  er  die  amtliche  Thätigkeit  des  Lehrers  Übei^ 
wachen  ?  wie  will  er  den  inneren  Betrieb  der  Schule  heartheilen?  Wer  luspector  sein 
will,  mu3.<(  wissen,  wie  es  in  der  Sehnle  gemadtt  wird;  er  mvm  dem  Lehrer  in  Wort 
und  Beispiel  ein  .Muster  .sein,  ihm  überlegen  sein  an  pädagntrisclier,  sjieciell  didak- 
tischer i^ahrung.  Tadeln  ist  leicht»  Beasemiachen  achweri  kann  er  dies  nicht,  «o 
ist  sein  Lob  nnd  sein  Tadel  ohne  Wert,  sein  gaases  Amt  sweeklos.  Sind  die  Pre> 
diirer  und  Seelsorger,  selbst  die  eifrigen  und  ausgezeichneten .  anr h  en  ipso  t!^  •hTiL'-r  pjv 
dagogen  liiid  SihulinÄpeetoren"'  Sind  in  uu-^erer  Bibliothek  gute  p^agugische  Werke 
vertreten,  sind  sie  änfgesi  hnirten.  studirt,  in  die  Praxis  übersetzt  ?  Ich  bekenne  mich 
hierin  al;*  vornehmer  Sünder,  obwol  ich  1'  Jahre  i)raktis(  h('r  Elementarlrhrer  war. 
Darum  haben  die  Lehrer  nicht  so  nnrecht.  weiuj  .sie  siigcu:  die  Geistlichen  verstehen 
nichts  von  der  Schtüe,  und  wenn  sie  theoretisch  und  praktisch  gebildete  luspectofon 
verlangen.  Ks  gibt  ja  Ausnahmen,  aber  Ausnahmen  stoßen  tue  ßegel  nicht  an. 
Daram  hat  Luther,  der  dem  Geistlichen  die  Leitung  der  Schule  in  Anssicht  stellte, 
ein  tiefes  Verständnis  auch  für  diese  Fraise  an  den  Tag  uele^irt.  wenn  er  verlangte. 
ämt  der  Geistliche  vor  seinem  Amtsantritt  lU  Jahre  lang  in  der  Schale  geweeeu 
sein  sollte.  Bei  den  SiebenbllriBrer  Sachsen  nnss  heute  noeh  Jeder  OeistKche  an  einer 
Mittelsehnli'  eine  Reihe  voti  .Tahrou  e^i^wirkt  hahen.  bevnr  er  ein  Pfarramt  efhilt.  — 
Nein,  wir  Geistliche  taugen  lüclit  zu  diesem  Amte  (zur  Schulaufächt^. 


Digitized  by  Google 


Ehre,  den  Ehre  gebürt 


Von  frmiz  Sc'Minkert-M'ieu. 

Tn  rauher  Gegend,  engnnisclilnssen  von  hiinniehagt^nden  I^henzügen  der 
norischen  Alpen,  abgeschieden  von  jedem  unmittplbar  anregenden  Verkehre  — 
so  lebt  der  Scholleiter  von  Lassing  an  der  Meudling  (N-.ö.),  Ed.  Ig.  Freun- 
thaller,  seinem  ndhevoUeii  Berufe.  Und  doeh  ist  es  ihm  gelangen,  sich 
l^eistig  frisch  zu  erhalten,  da  &e  seine  Umgebang  sQm  Gegenstande  eingebender 
Studien  maclite,  ZU  deren  Verwertung  sieh  ihm  aUwit  in  befriedigender  Weise 
Gelegenheit  bietet. 

Als  Sohn  eine«  Schallehrers  wai*  er  schon  von  Jugend  auf  ttir  den  päda- 
gogischen Bemf  bestimmt.  Theils  in  Wien,  theHs  In  St  PSlten  genoes  er 
sdne  Erziehung;  aUein  die  vielen  Unbilden,  die  sein  alter  Vater  in  damaliger 
Zeit  seinei-  freisinnigen  Idcfn  lialbpr  als  Lehrer  zn  erdulden  hatte,  konnten 
nicht  dazu  beitiagen,  ihn  flir  die.sen  Stand  zu  erwärmen.  Daher  widmete  er 
sich,  nach  vergeblichen  Versuchen,  seine  Unlust  zu  überwinden,  dem  Studium 
der  Hsndelswissenschaften.  Da  kam  endlieh  das  Jahr  1868  nnd  mit  ihm  die. 
theflweise  Befteinng  der  Sdinle;  nun  entschloss  er  sich,  den  Lieblingswnnscli 
seiner  Eltern  m  erfüllen:  er  ergritf  den  Benif  def;  Lelirers.  Im  Jahre  1874 
kam  er  als  Srliulleitei-  an  di<'  einklasiiige  Schule  in  Lassing. 

Während  sieioer  Lehrthätigkeit  war  es  ihm  möglich  gemacht,  sowol  die 
Banem  des  Flaehlandes,  als  anch  jene  des  Gebirges,  welche  sich  von  enteren 
sehr  merklich  unterscheiden,  grttndlich  kennen  stt  lernen.  F.r  sammelte  ein 
überans  reiches  Material  zur  Darsf ellnnj?  des  Volkscharaktors. 
der  Denk-  nnd  Redeweise  des  Volkes,  welches  er  bereits  theiiweise 
schriftstellerisch  verwertete,  worüber  sich  1'.  K.  Kosegger,  der  bei-ufeuste 
Bichter  in  diesem  Fache,  Im  2.  Hefte,  VIL  Jahrgang  seines  „Heimgartm''  sdir 
lobend  ond  anerkennend  atissprach.  Die  von  Frennthaller  im  ,3t.  Pöltener 
Woohenblatte"  verriffentlichten  ..Geschichten  ans  dem  Tlocligehirge*'  reprilsen- 
tiren  eine  Reihe  vun  bunten  Bildern,  durch  welche  das  Banei  iileben  eine  treffende 
lUustriruiig  rrführt.  Der  Leser  lernt  hier  den  Bauer  kennen,  wie  sich  derselbe 
sowol  in  alltflglichMi  Lagen,  als  auch  in  anBeigewilhnUchen  VerhUtnissen  be- 
nimmt; besonders  wichtig  erscheinen  die  Anftchline,  die  Frennthaller  In 
erstewr  Beziehung  gibt,  da  man  darans  den  wahren  Charakter  de«  Bauers, 
wie  er  sich  im  nonnalen  Zustande  ergibt,  kennen  lernt.  Die  Geschichten  bieten 
durch  den  Einblick  in  die  Intimitäten  des  bäuerlichen  Lebens,  den  sie  gewähren, 
ebiea  eigenartigen  Bein;  man  IHhlt  sich  diesen  Leuten,  die  trota  altor  lObig^ 
viele  anziehende  Eigenhelteii  besitzen,  nfthergerflckt  nnd  empfindet  mit  Behagen 


Digitized  by  Google 


_  392 


4ir  fitViscIn'iiiIr  \Virkiin;r  ihrer  Gesellschaft.  Gerade  ans  diesem  Grunde 
liiucliicu  wir,  wenn  es  gestattet  ist,  dem  Autor  den  freand&cliattUcUen  Itath 
geben,  noch  mdir  Song&It  aaf  dieSdiIldening  nad  Begrttndnng  psychologischer 
Vorgftoge,  sowie  auf  die  nAhere  Beediteibiiiig  und  ErUInmg  tod  Sitten  und 
Gebräuchen  zu  verwenden:  es  wird  ihm  um  so  leichter  werden,  uns  zu  folgen, 
al.«  ja  die  novellistischen  Anforderungen  bei  derartigen  Geschichten  in  den 
Hintergrund  treten.  Dabei  kann  es  wol  uoth wendig  werden,  von  dem  Gange 
der  eigentlidten  Handtnng  abrawekweifen,  um  allgem^e  Beflexioiiai  «asm- 
steUen;  wenn  dieselben  aber  ventindlg  angebracht  werden,  eileidet  der  Wert 
der  Erziilüung  keineswegs  einen  Abbruch.  Wir  erinnern  hier  nur  an  B.Auer- 
bach's  „Dortffegrliirhten"",  in  welchen  viele  Stellen  vorkommen,  die  als  arlück- 
liehe  Belege  füi*  unsere  Ansicht  angeführt  werden  könnten.  In  Freunthaller's 
•Geechiditen  bietet  sich  oft  die  günstige  Gelegenheit  an  derartigen  Bemerknngen ; 
eo  aam  Bebpid  lieBen  sich  an  das  VerhSltnis  des  „Sfeelnliofers**  zn  seinem  Weib, 
seinem  Kinde  nnd  zu  den  Dienstboten,  zum  Nachbar,  viele  interess.inte  Be- 
obachtungen knüpfen.  ..Steinhofer  ".  der  jeder  fremden  Meinung  sein  dumm- 
trotziges:  „Der  Stoauhofer  hat's  gesagt  und  dabei  bleibt's"  entgegensetzt,  kann 
ja  als  Typus  einer  ganzen  Schar  unserer  starrköpfigen ,  geldprotzigen  Oebiigs- 
baaem  gelten.  Das  G^ienstfick  zu  Ihm  bildet  dn*  milde,,  biedere  „Hochaoer"; 
die  ContrasU^  wären  näher  auszuführen.  Auch  könnten  die  Bctrachtnn^jen  seiner 
leichtsinnigen  Gattin  anlUsslieh  feiner  plötzlichen  Erkrankung;  von  alliremeinen 
Gesichtspunkten  au»»  eingehender  erläutert  werden.  Wenn  \>ir  diese  Anfor- 
denmgen  stellen,  so  geschidit  dies  nur  in  derübmseugung,  dass  Frenn thaller 
dnrch  seine  Kenntnis  des  Yolksthnnis  in  den  Stand  gesetzt  ist,  denselben  zn 
entsprechen. 

Dieser  \'orzno-  bet'lhiirt  ihn  auch  zn  sehr  beuelitenswerten  Vorschlägen 
betreti»  der  Hebnng  des  Volkes,  namentlicli  wa»  dessen  iUldungsbedürfmsse 
jabelangt.  Im  Besonderen  m6chte  ich  hier  anfinerksam  machen  anf  die  An- 
r^inngen,  welche  er  gelegentlich  einer  Lehrerconferenz  zu  Gaming  (X,-Ö.)  in 
einem  Vortrage  über  die  Bedeutuni:  des  Dialectes  in  der  Volksschule 
gab.  Wenn  es  aue!i  immer  das  iiohe  und  nnveiTückbare  Ziel  des  Lelirers 
bleiben  mnss,  seinen  .Scltülem  die  gründliche  Kenntnis  der  Schriftspmche  bei- 
zubringen, 80  ist  der  Landschallehrer  doch  gezwungen,  anf  die  Ifnadart  Rfieic* 
siclit  zu  nehmen.  ..Das  Landkind  spricht  und  kennt  nnr  seine  Unttersprache, 
den  Dialcit",  sagte  Freunthaller.  „Per  Lehrer  mnss  nun  wol  oder  übel 
die  Heimatssprache  de.s  Kindes  kennen  und  erst  auf  Grundlaire  deix  lben  anf- 
uiid  weiterbaueu.  —  Die  Heimatssprache  ist  der  rechte  Schlüssel  zam  Herzen 
des  Kindes  —  zn  den  verschlossenen  Kammern  seiner  Anlagen.  Das  Volk 
liebt  seine  Unndart,  in  sie  gießt  es  sein  Leid  und  Wehe,  in  der  Mundart 
drückt  ej:  seine  Lnst.  seine  Frende  ans!  Damm  darf  der  Lehrer  nie  die  Ün- 
voi"sichtigkeit  begelieii.  Kindern  oder  aucli  Erwachsenen  gegenüber  die  Mund- 
ai  t  eiue  gemeine,  garstige,  bäuerische  u-  dgl.  Sprache  zu  schelten.  Der  solche» 
thm,  weiß  nicht  den  grolkrtigen  Einllnse  der  Mnndart  anf  richtiges  Spredien, 
Schreiben  und  Singen  zu  .sclilUzen.  P.(  im  Stndinm  der  Grammatik,  der  Rhe- 
torik nnd  dp>  Volkslieih's  i»«  niit7.i'  dei-  Lehrer  den  Dialect;  im  \'olksni'de.  nm 
da.*»  Gemüt,  in  der  (rrammatik,  um  den  Verstand  anzuregen.  Per  Lehrer 
dictire  in  der  Mundart  ein  Wort  einen  Satz,  djmn  lasse  er  ihn  in  die  Schrift- 
sprache iiberseüsen,  nnd  umgekdirt.   Der  Lehrer  pflege  die  volkstbllmlichi» 


Digitized  by  Google 


893  — 


Poesie  nnd  die  volksthfimliclie  Prusa;  die  Kinder  sollen  erkennen  lernen,  dass 
aocli  das  Alltägliche  einer  pm»tischen  'S'erklÄrung  fUIiig  sei.  Das  festi!»t  dn>  S(  !bst- 
bewnsstsein,  steigert  die  Freude  an  der  Muttersprache,  erhöht  den  Patriotisuius. 

—  Wenn  der  Bauer  eine  Rede  halten  soll,  so  ist  er  ein  geschlagener  Mann.  Dem 
mU  Torsiebeiigt  werden.  Die  im  dreizehnten  nnd  vierzehnten  Lebens» 
jaiire  stehenden  SchUler  sollen  knrz«  Aureden,  Ansprachen 0.  d^rLim 
Dialectp  und  im  volkötliinnlifln  n  Hochdeutsch  h-tlfen  lernen.  Diese 
f  hangen  miissiteii  aher  wöchentlich  wenigstens  einmal  vorgenommen  werden. 

—  Man  wird  mii'  einwerfen,  die  Hnndart  bahe  in  der  Volksschnle  nichts  zn 
adinflisn,  sie  loelcere  die  Disdplin.  Oar  nicht  wahr  ist  es!  Die  Mnndart  regt 
die  Kinder  mächtig  an  zur  gespanntesten  Aufmerksamkeit,  denn  sie  iRt  es 
allein,  die  schnell  fassbar  macht,  veranschaulicht,  versinnlicht.  Das  Kind  lässt 
sich  nun  einmal  ulcht  am  Kockkragen  zur  Höhe  ziehen  —  mau  mnss  es  sanft 
beim  Anne  nehmen  nnd  anf  Umwegen  hinangeleiten." 

Die  AasAlurnng  des  treffiidien  Verschlagest  in  der  Volksschnle  rhetoriacbe 
Übnngen  zn  ▼eranstalten,  möchten  wir  allen  Landschnllehrem  vritnustens 
empfehlen. 

Frennthaller  ist  auch  nach  Kräften  bestrebt  in  seinem  engen  Umkreise 
dirch  prtUttisdie  Unternehmungen  den  Bildaugsgrad  2a  fördern.  So  hält  er 
im  iienrigren  Winter  einen  fkwiwilligen  Fortbildnngscnrs,  nm  den  Leuten 
ein«'  pründiichere  Ausbildung  im  Rechnen  zu  ermöglichen.  Für  unser Gebirgs- 
volk.  liiiiicrn.  ITolzkneclitr.  Köhler  vtr.  ist  dies  von  großem  Nutzen,  nnd  d;i 
sie  die  so  erworbenen  Kenntnisse  ailsogleich  im  tilglichen  Leben  verwerten 
kSnnen,  werden  sie  dadurch  fSr  Bildnngshestrebangen  fiberhaupt  gewonnen. 

Hiermit  konunra  wir  anf  das  Verhältnis  eines  strebsamen  Lehrers  zn 
seiner  Hingebung  zu  sprechen.  In  unseren  (Tebirfrsscfrcndt  11  Ist  der  Lehrer 
IT»  üeser  Beziehung  nicht  besser  daran  als  anf  dnü  ll;u:hen  Lande,  in  ver- 
kehi-^reicherea  Gegenden.  Das  V  olk  setzt  alleu  Neuerungen,  besonders  wenn 
es  dabei  auch  seine  eigenen  Gdsteskrftfte  in  Anspruch  nehmot  soll»  einen  ge> 
wisMn  Widerstand  entgegen;  der  Lehrer  mnss  es  sidi  gthHtm  lassen,  woui 
seine  humanen  Bestrebungen  nicht  gleich  von  Erfolg  begleitet  sind.  Auch 
hab»^n  die  Leute  ans  der  „guten  alten  Zeit"  viele  Gi*undsätze  herüber  genom- 
men; sie  woUeu  es  nicht  fassen,  dass  Lehi'er  und  Messner  zweierlei  PersSn- 
liehkdteo  sind,  nnd  dnss  enterer  heutzutage  denn  doch  nicht  melur  von  Bauers 
Gnaden  zn  leben  braucht  Da  gibt  es  denn  aHerhand  Anfeindungen  und  lOn- 
dereieii  .  an  den  Lehrer  tritt  die  Pflicht  heran,  all  die.sen  ^[is.slichkeiten  mit 
Buhe  und  Mäßigung  zu  begegnen.  El'  ist  seiner  Umgebung  an  Bildnnsr  nnd 
Einsicht  überlegen,  er  darf  sich  durch  Kleinlichkeiten  in  der  Aosübnng  seines 
Berufes  nicht  irre  machen  lassen.  Vor  allem  aber  liat  sich  der  Lehrer  zu  be* 
fleiflen,  dass  seine  Th&tigkeit  im  engsten  Wirkungskreise  — >  in  der  Scbnlstnbe 

—  von  durchaus  (rtinsti<?em  Erfolge  begleitet  ist.  Diese  Erfolge  zwingen  zur 
A(htnn<„'.  sie  gewinnen  dem  Lehrer  das  Zntranen  .seiner  rm^ebung.  und  er 
wird  dann  weniger  Widerstreben  fluden,  wenn  er  seinen  pädagogischen  Besti  e- 
bungen  auch  eine  grS6ere  Ausbreitnug  gibt  und  seinen  Beruf  als  „Apostel  des 
Volkes-  voll  erfüllt. 

Unser  Zweck  ist  erreicht,  wenn  wir  durch  diese  bescheidenen  Zeilen  einer- 
seits zum  Weiterstreben  aut  der  eingeschlagenen  Bahn  ermuntert,  anderseits 
/u  gleichem  Thun  angeregt  haben. 


Digitized  by  Google 


—  394 


Zum  Keielieiibergcr  Lelirerta^:e.  In  dem  B»^iichT»>.  wpiriuMi  (Ih-ü 
„Pädagfogiain"  |^\',  S.  117  iL)  über  dieseu  wichtigen  Cougre&s  brachte,  wurde 
im  Hin1iUi±  anf  deo  sehr  nmHuigniehcii  Stoff  bemerkt:  „Glftdclidier  Weite 
dSifte  unserem  Berichte  bimien  knner  Zeit  von  anderer  Seite  eine  allen  An- 
sprüchen grenügrrnJe  Er^itnznne:  folgren,  von  welcher  die  Lesn-  des  Padasrn^ium» 
jedenfalls  Notiz  erhalten  werden;-  Diese  Ergiluzung-,  eine  vollständij^e  Dar- 
stellnng  der  Reichenbei^er  Verhuudiiuigen,  ist  nau  tsri>chieuen.  Sie  tUiirt  deu 
Titel :  „Stenographische  PiDtolLolle  Uber  die  Verhandinngen  in  den  Haupt-  ond 
Neben versamnilongen  des  VIII.  allgemeinen  österreichischen  Lehrertagpes";  ein 
schöner  Rand  von  2f)3  S. .  mit  außemrdentlichei-  Sur^falt  hergestellt,  wofür 
nanientlicli  dem  Herrn  Planer  Julias  Ergenzinger,  der  die  mühevolle  Redactioo 
mit  der  größten  Ausdauer  durchgefulut  hat,  Anerkennung  und  Danlk  gebärt. 
Auf  dieie  verdienstliche  und  wertvolle  Arbeit  anfinerkaam  za  machen,  halten 
wir  dnrehaiiB  noch  nicht  für  verspätet,  da  das  „Pftdagoginm'*  nicht  blos  fBr  die 
Gegenwart,  sondern  anch  für  ilie  Zukunft  arbeitet,  die  angezeigten  Protokolle 
aH»>r  al.s  eine  wicht  ii^e  Quellenschrift  zui*  Schulgeschiclite  nocli  für  »päte  Zeiten 
Bedeutnng  haben  werden.  Wir  bemerken  daher  noch,  dass  dm  Buch  vuu  dem 
„Vorstand  des  dentschen  Laadedehrerverein  in  BQhmen  an  Beicsbenberg''  be- 
aog«!  werden  kann  und  awar  für  den  äußerst  geringen  Preis  von  30  Kreuzer^ 
dem  nnr  nrkh  da.><  Porto  zugeschlagen  wird.  Nielii  nnr  für  österreichische, 
sondern  für  alle  Lehrer  dentscher  Zunge  bieten  diese  ^tenogi^phischen  Proto- 
kolle eine  interessante  und  lehrreiche  Lectnre,  die  gerade  unter  deu  heutigen 
VerhSltniSBen  jeder  regsame  Schulmann  sich  verBchaffoi  sollte. 

ftstirnMclilsehes,  Am  19.  und  20.  Februar  d.  .1.  kam  im  Henvnhanse 
die  vou  der  Itesrierung  eingebrachte  Schoigesetsaioveile  zur  V  erhandlung.  Diese 
hat  den  Zweck,  einige  Hauptbestimmangen  des  Beichsvolksschnlgesetzes  vom 
14.  Kai  1869  abanlndem.  Namentlich  sollen  sehr  bedentende  t^rleichteraagen'* 
im  Schulbesuche  und  in  Erfüllung  der  adilj^hrigen  Schnlpflidit  eintreten  nnd 
die  Schulen  selli.'^t  wieder  einen  .scharfer  ausgeprä^en  confeFwinnellen  Charakter 
erhalten,  daher  dem  Eintlu.s.s  der  .  Kirche"  einen  bifiteren  Zugang  gewähren, 
besonders  durch  Änderung  des  Prutungsreglements  und  der  Anstellnngsberech- 
tignng  der  Lehrer.  Der  Unterrichtsminister,  Banm  Conrad  v.  K\  besfeld»  be- 
hauptete iwar,  die  Niivrlle  habe  keine  re«ctionäre  Tendenz.  Dass  dieselbe 
aber  die  Nensdnih'  der  altt-n  Kircheuschule  wieder  niUn  r  lirini,'^t.  ist  außer 
Zweifel  und  wurde  auch  von  der  clerical-feudalen  Minorität  des  Hen-ü'nhatisi^s 
bestätigt.  Diese  nahm  sich  der  Novelle  sehr  lebhaft  an;  sie  erklärte  zwar, 
dass  darin  ihre  Ideale  noch  keineswegs  errdeht  seien  nnd  dass  rie  sich  vorbe* 
halten  mfisse,  bei  gelegener  Zeit  mit  weitei^ehenden  Fordei-nngen  henoizn- 
treten,  verhehlte  aber  ni  hr  ihre  hbhaftt  Befriedigung:  über  die  vorläufig  ge- 
botene Absehlasrszahlung  iiud  nahm  die  Novelle  mit  Freuden  an.  —  Nun  hat 
noch  das  Abgeordnetenhaus  zu  sprechen,  welches  vermöge  seiner  gegeuw&rtigeu 
ZttsanmiensetBinig  otm  Zweilbl  im  Sinne  des  Hwrenhavsea  stimmen  wird.  Je» 
denfalls  smd  gegen  den  im  Werke  begriffenen  Rückschritt  Vernunft  gründe 
einstweilen  wirkungslos  nnd  der  österreicliischen  Lehrerschaft  steht 
eine  ernste  Probe  ihrer  Weisheit  und  ."^tandiiaftigkeit  bevor.  Wir 
werden  dem  sich  nun  entfaltenden  Schauxpiele  mit  regem  .\utheil  folgen. 


Vmutwwiilifiher  Umittitw.  M.  8t«iii.         Bttcbdrnokere!  Jnlivt  Ktink]i«rdt»  Leipti;. 


Digitized  by  Google 


Die  Wurzel  der  IdeaUtät. 

Vm  Dr.      FreUm^ESrngAers  l  iV. 

jVIilteti  in  den  i-auscheuden  Stidiming-eii  unserer  Zeit,  die  meiir 
Bnd  mehr  eiueui  crassen  ^raterialismus  in  die  Arme  eilt,  sollteu  alle 
unsere  Schulen  ilir  lioln.s  Ziel  darin  sehen,  die  Felsen  im  Meere  OT 
bilden,  an  denen  die  Wogen  sich  brechen,  ohne  sie  doch  iu  iliren  Gnmd- 
festen  m  erschüttern,  hervorzustrahlen  aus  der  schäumenden  Brau- 
dung als  die  LeaehtÜiftnue,  von  denen  heBes  Licht,  Licht  der  Idealität, 
Iii  die  dunklen  Finten  hinab^nillt,  nm  die  KUppea  in  kenngekhnem,  an 
denen  schon  eo  manches  hoibungsvolle  Dasein  scbmUilich  zersclielltei 
als  Warten  dasostehen  nidit  jener  unklaren,  rasch  aoflodemden  und 
daber  ebenso  schnell  eilOschenden  Begeisterung  für  blendende  Erschei* 
Hangen,  sondern  der  wahrhaft  reinen,  erhabenen  und  danim  anch 
stetigen  GeflUdsetregung  fSae  die  hOdiste  Idee,  die  Idee  des  Guten,  in 
der  nach  Aristoteles^)  wie  der  ahsohite  Zweck,  so  auch  die  abaolnie 
Form,  d.  h.  Wahrheit  und  Schönheit  sich  darstellt 

Ist  dem  Plato  die  Idee  des  Guten,  der  Typus  der  Vollkommenheit, 
das  Ursprüngliche,  aus  welchem  die  Dinge  stammen,  und  in  welches 
die  Erkenntnis  zurückgeht,  das  über  alles  Erhabene,  aber  freilich  auch 
das  ihm  selbst  Unbekannte,  das  ihn  bis  an  sein  Lebensende  nicht 
rnhf n  hV6,  seine  geniale  Oonception,  die  Tdeenlehre,  zu  grestaltf n  imd  zu 
modeln,  bis  er  in  jenf  r  Tdee  des  Guten  die  Einheit  in  der  Mannigfal- 
tigkeit als  Einheit  der  Harmonie  fand-),  so  stallt  Anstoteles  den  Zweck- 
VM^eriff  an  die  Spitze  seines  Systems  und  bestimmt  als  sein  htW-hstes 
l^rincip*)  den  schöpfe]  i^  luu  Begntt  der  Welt,  der  von  (-rott  ausgeht; 
Gott  ist  Endzweck  aud  als  Endzweck  das  Gute  und  Wahie.^)  Und 

V  XetaphjB.  I,  &  pag.  963  a.  3L  e£  PliTa.  II,  3  u.  7.  —  *)  VgL  n.  AblmdL 

»Aristoteles'  Stellung  zur  pUton.  Ideeulehre" ,  PiÄgr.  WricMO  1876,  8.  11.  —  ' 
«)  TO  Ti  f}y  tlvni  :to<:hot:  —  *)  „Ari«tot.  St«Uiliig  etc."  a  22. 


Digitized  by  Google 


—    396  — 


der  Stagirit,  bo  gexiDg  er  voj^  der  IdeeDlehre  denkt,  beilihrt  sich  denn 
doch  acUießUch  mit  Phto,  wenn  er  seinen  Gott,  den  er  als  Energie 
und  Ewigkeit  der  Vernunft  anffosst,  dessen  Leben  er  mit  der  theo- 
retischen Freude  vergleicht,  die  auch  uns  zutheil  wird,  zwar  nicht 
(He  Matene,  aber  doch  die  Einheit  in  der  Mannigfaltigkeit  der  Dinge, 
die  Taxis,  die  Harmonie  der  Dinge  aus  sich  erschaffen  lä^ist.')  Wir 
unsererseits  erkennen,  dass  jede  Idee,  die  in  uns  geistige  Gestalt  ge- 
winnt, aus  Gott,  dem  Urqaell  aller  Walirheit,  stammen  muss.  wenn 
andei-s  nnsere  Liebe  zur  Idee  Reinheit,  Festip^keit  und  schöpferische 
Kraft  erhalten  soli.  und  langen  daher  bei  Gott  als  der  Wurzel  aller 
Idealität  an.  Ohne  wahre  Religriosifät .  ohne  innere.  ihre>  VK'eseuü 
sich  bewnsste  Frömmigkeit  ist  daher  Idealität  nicht  mö^licli.  wie  au- 
derer^^eit^  alk-  Idealität  bis  zu  dem  letzten,  reinsten  Quell  dei-  Ideen 
emporsteigen  muss.  Ist  aber  Gott  .'»ell).st  und  unsere  Liebe  zu  ihm 
das  Fundament  aller  Idealität,  «>o  ist  au  sich  klar,  dass  alles,  w{i> 
mus  der  Liebe  Gottes  entfremdet,  uns  auch  von  der  Entfaltung  wahrer 
Idealität  zurückhält;  denn  niemand  mag  die  Wurzel  eines  Baumei» 
untergraben,  ohne  dass  der  Wipfel  welkt;  und  ebenso  klar  ist  es,  dass 
alles,  ms  nns  Yon  den  niederen  Trieben  nnd  dem  hastigen,  gieiigen 
Haschen  nach  materiellem,  vergänglichem  Oenoss  freimadit,  nns  anch 
der  höchsten  Idee,  d.  h.  dem  lehenspendenden  Born  aller  Idealitftt  ent- 
gegenleitetf  der  selber  die  Wahrheit  und  das  Lehen  ist;  denn 

Au  dem  Leben  heraus  «lad  der  Wege  swei  dir  geOfliet: 
Zam  Ideale  führt  einer,  der  «adve  sam  Tod. 

Damm  ist  dann  aber  eben  jene  reine,  nnbeschrinkte  Idealit&t  anch 
nicht  mehr  etwa  nur  eine  wAnschensweite  Zugabe  zu  unserer  son- 
stigen Geistesbüdong,  sie  mnss  vielmehr  so  gänzlich  in  sich  den 
Scblnssstein  unserer  gesammten  Geistesentwicklung  bilden,  dass  wir 
nnr  mit  Schmeraen  zu  erkennen  vermögen,  wie  jede  Verldknunerong 
ihrer  vollkommenen  Durchbildung  in  uns  eine  Verkürzung  der  ur- 
sprünglich in  uns  «yele^eu  Begabung  und  damit  ein  Zurückweichen 
von  unserem  vollen  Lebenszwecke  ist;  denn  freudiges  VoilgenUs^e  dürfen 
wir  ja  nur  empfinden,  wenn  wir  bestainlii^  tind  un.*^  selbst  «:etren  sind, 
wenn  wir  alle  KräftH  laiaii  ^rtzen,  dasjenige  Edle,  w.^^  cinina!  irr'tt- 
licher  Beschliiss  in  uns  bedungen  hat,  auch  zui  Keile  zti  /zeitigen. 
Weuu  dann  auch  die  ij'rüchte  nicht  stets  und  sogleich  der  Ai  t  au>- 
fallen,  wie  wir  sie  erwarten,  so  sind  e^  doch  immerhin  Erüchte  einer 
höhereu  Empfindung,  uud,  wie  Goethe  sagt,  die  allseitig  erzt-ugende. 


')  Metaphj».  XII.  10. 


Digitizcü  by  Google 


r 


—  897  — 

lebeanlllirende  Nator  kann  and  soU  von  der  ewigen  göttlieh«!  Kraft 
der  Liebe  nodi  ttbertrofüBn  werden. 

Nur  da,  wo  die  Jugend  aus  diesem  QaeU  aller  Idealität  ihre 
geistige  Nahrong  empftngt,  wird  in  haimonischer  Weise  die  dem 
Mensehen  eigene  freiheitliolie  Anlage  ü1>er  die  selildpfrigen  Klippen  der 
WQIkQr  und  inhalteloseD  Ungebondenheit  hinweg  sa  dem  Verlanget! 
und  der  Kraft  sittlicher  Selbstbestimmung  geleitet,  nnr  da  die  that- 
sftchliche  Gebandenhelt  des  Qeistes  mit  jener  Entwicklung  in  schön- 
stem Ebeomaß  von  innen  heraus  gelöst  werden,  nur  da  wird  dann 
endlich  jener  Emst  nicht  fehlen,  ohne  den  in  der  Welt  nichts  möglich 
ist,  und  über  dessen  ^raiigel  doch  selbst  von  berufenster  Seite  so  (tfi 
laute  Klagen  geführt  werden;  denn  thatsächlich  ist  ja  freilich  leider 
auch  unter  denen,  die  wir  dm-  sfebildeten  Classe  zuzurechnen  i)tlegen, 
eigentlich  nur  A\'enig'  lebpii>kräitiger  Emst  zu  finden;  mit  einer  Art 
Sellistvertheidigung  s'f^lit  ii  !>ie  Welmehr,  sozusagen,  o^ecren  Arbeit  und 
(jreschäft.  gegen  Kunst  und  Wissenschaft  und  selbst  gegen  iln'^ 
gnügungen  zu  werke;  sie  bewältigen  sie,  ohne  Lust  und  Liebe,  die 
wahren  Merkzeichen  gesegneter  Thfttigkcit.  zu  empfinden,  blos  um  sie 
los  zu  werden,  so  dass  einem  bei  Beubaciitung  ihres  Treibens  unwill- 
kürlich jener  jungi  Engländer  einfällt,  der  in  Rom  aliends  in  einer 
Gesellscliait  seelenvergnügt  und  sehr  mit  sich  zufrieden  ei-zählte,  dass 
er  doli  glücklich  sechs  Kirchen  und  zwei  Gallerieu  „beiseite  ge- 
btuht  habe". 

So  wird  dann  aber  auch  Erdehnng  nur  Idealitftt  nnd  Eraiehnng 
zur  Hnmanitftt  nicht  Terschieden  voneinander  sein.  Und  was  ktonte 
€8  fßr  ein  höheres  Ziel  Ar  den  Menschen  geben  als  Hnmanitftt!  Denn 
unter  trener  Wahmng  aller  besonderen  Anlagen  des  Einzelnen,  unter 
be84J]id%erBerttcksichtigang  der  Ansbildong  der  allgemeinen  Freiheits- 
beslammnng  wie  der  Auf  Lfenng  nnd  Beseitigung  der  Oebnndenheit  des 
Geistes  wird  der  Mensch,  am  Quell  der  Idealitftt  gespeist,  je  mehr  und 
mehr  zum  vollendeten  Bilde  dessen  werden,  was  er  ?on  Gott  zu  wer- 
den bestimmt  und  befähigt  ist,  ohne  dessen  Verkörperung,  wie  Rückert 
sagt,  sein  Friede  nicht  voll  ist.  Er  wird  vor  allem,  auf  die  Idee 
schauend,  zur  Klarheit  des  Verstandes  gelangen,  Klarheit  aber  nöthigt 
zur  Einsicht,  Einsicht  verschattt  Duldung,  und  Duldung  ist  die  einzige 
Vemiittlenn  eines  in  allen  Kräften  und  Anlagen  thätigen  Frie<lens; 
er  wird  ferner,  indem  seine  EiubiMun£rskraft  sich  an  den  Ideen  läutert 
und  zui"  Idealuat  gewöhnt.  Reinheit  der  Anschauung  und  Sitte  erwer- 
ben: denn  <lie  Kinl)ilduiig  darf  dureh  die  Erziehung  nicht  l>eseitigi. 
sie  mu»s  vieluiehr  durch  sie  geregelt  werden,  indem  man  ihr  frühzeitig 

26« 


Digrtized  by  Google 


—   398  — 


edle  Bilder  Tarfthrt  und  «of  diese  Weise  Lust  am  8eb(hieii,  amWabren 
und  Gnteo  und  somit  Bedürfnis  des  Vortrefflichen  erzeugt.  Was  hilft 
es,  sagt  Qoetlie«  die  Sinnlichkeit  zu  zähmen,  den  Verstand  zu  bilden, 
der  Vernunft  ihre  Herrschaft  zu  sichern,  die  Einbüdongskraft  lauert 
als  der  mächtigste  Feind,  sie  hat  von  Natur  einen  unwiderstehlichen 
Trieb  zum  Absurden,  der  selbst  in  gebildeten  Menschen  heftig  wirkt 
und  g-ejren  alle  Cultur  die  angestammte  Roheit  fratzenliebender  Wilden 
mitten  in  der  anständigsten  Welt  wieder  zum  Vorschein  bringt.  Wei* 
dann  aber  Klarheit  des  Verstandes,  Anschaulichkeit  in  seiner  Finbil- 
duns^skraft  envoi-htüi  hat,  der  wird,  da  er  das  Gute  klar  und  deutlich 
erkennt  und  seine  Wirkung  anschaidich  sich  vergegenwärtigt,  auch 
Energie  des  Willens  besitzen,  and  wie  Vollkommenheit  die  Norm  des 
Himmels  ist,  so  muss  vollkommenes  Wollen  die  Norm  des  Menschen  sein. 

Ist  der  Mensch,  —  und  nur  ideale  Gesinnung  macht  ihn  r«f 
dazu,  --  mit  diesen  drei  Cardinaltugendeu ,  Klarheit  des  Verstandes, 
Reinheit  der  Anschauung  und  Energie  des  Willens,  ausgei'üätet,  so  ist 
er  nicht  blos  ftir  alle  BedOräiisae  des  alltäglichen  Lebens  vorbereitet, 
eo  ist  er  (llr  ein  wahres  Leben  gewappnet;  denn  er  bat  fftr  den  Vktat 
desStaates  nnd  des  Vateriandes  sitülehelöngabe,  Püichtgefnhl,  Seibelr 
Verleugnung  nnd  txene  Arbeitsanikeit  erwerben,  er  Ist  nothweadig  ein 
Jflnger  der  edlen  Freiheit  des  Denkens,  der  idealen  Wissensdiaftlieh- 
keit  geworden,  die  aUeni  ein  Volk  grolt  sn  maeben  vennag.  Der  kam 
denn  aneh  getrosten  Hnthes  forUMnen  in  munittelbater  Beachtnng  der 
eisernen  Pflicht  des  Ttges,  jederzeit  datf  et  nngeschent  die  Beinbeit 
seines  Henens  und  die  Sicherheit  seines  Geistes  dabei  prikfen,  und 
athmet  er  dann  in  freier  Stande  auf,  so  gewinnt  er  auch  gewiss  eine 
richtige  Stellung  gegen  das  Erhabene,  dem  wir  uns  anf  jede  Weise 
verehrend  hingeben  mflssen,  da  wir  in  ihm  ja  zu  aUem,  was  wir  sind, 
haben  und  vermögen,  die  wahre  Basis  wissen,  kurz,  er  ist  dem  ver- 
gänglichen, endlichen,  vielfach  entstellten  und  zerfressenen  Tagesleben 
gegenüber  vorbereitet  tür  das  Leben  in  Gott  und  mit  Gott,  liir  ein 
ideales  Ringen  nach  den  hfichsten  Giitein,  die  der  >r«^nsrhhpit  denkbar 
und  heilsam  sind,  nach  Güteni  des  Geistes  und  des  fJnzens,  Schätzen, 
die  allein  Motten  und  Rost  nicht  fressen,  dw  all*  in  durch  ihren  Be- 
sitz wahre  Befriedigung  gewähren.  Denn  so  nm\  m  der  Liebe  zu 
Gott,  in  der  Freiheit  Gottes  und  des  eigenen  Wesens  und  deslialb  in 
der  Freiheit  von  der  Sünde  erzogen,  kann  der  Mensch  zum  Frieden 
mit  sich,  mit  der  Menschheit  und  mit  Gott  gelangen,  da  um  der  im 
Hinblick  auf  die  Idee  des  Guten  zur  Idealität  erzogene  Mensch  wahr- 
haft sittlich  got  ist,  und  nor  der  SSttlich-gate  inneren  Frieden  hat, 


Digitized  by  G( 


—  399 


während  innerer  Unfriede,  ZdrfaUenheit  mit  sich  imd  der  Welt  den 
B^n  aufreibt.'^ 

"Wenn  nun  alier  die  Macht  der  Idealität  so  ^roß  und  tiott  die 
Wurzel  aliei-  Idealität  ist,  so  ist  nicht  blos  jedes  Unterrichtsfach  für 
die  Belebung  der  Idealität,  so  viel  in  seinem  Bereiche  möglich  ist,  zu 
verwenden,  so  muss  sich  vielmehr  der  Lehrende  selbst  dem  Quell  der 
Idt'üiitut,  Gott  und  dem  Öottesbegritf,  so  nahe  als  möglich  bringen,  um 
von  ihui  iiüs  lebennährende  Speise  an  seine  Schüler  ansÜieilen  zu  können. 
Und  wit  nicht  die  cliristliche  Erbauung  alleiu  Sache  des  Religions- 
nntenichtes  ist,  wie  durch  denselben  auch  die  verständnisvolle  nnd 
dem  sonstigen  BUdnngwtaiide  dar  hShmi  dasaen  eutspreckendeüber' 
eignung  und  Ekitwickelung  unserer  Glutbenslehnn  enielt  werden  soU^ 
denn  Entwickelimg  aDdn  ist  Leben,  so  ist  es  anch  Pflicht  des  n^ch 
dttB  Gtottesbegiiff  Forschenden  Im  Hinblick  «nf  die  Entwickeliingr  Aller 
Beligion  seine  An^be  sn  Ktoen. 

Sb  ist  ein  wahres  Worti  das  da  besagt:  ^Wer  fremde  Sprachen 
nicht  kennt,  weifi  nichts  von  sehier  efgenen";  ähnlich  aber  verhält  es 
sich  anch  anf  dem  Oebiete  der  Beligion.  Freilich  ist  von  einem  Nicht- 
tkeologen  nicht  zu  verlangen,  dass  er  alle  Religionen  aufe  genaueste 
kennen  solle,  nnd  auch  der  Kanaeltheolog,  dessen  Hauptaufgabe  die 
'*^«^^^f»n>g  seiner  Gemeinde  ist,  mag  sich  mit  der  Kenntnis  seiner  Dog^ 
m&tik  nnd  der  Dogmengeschichte  begnügen,  der  Lehrer  jedoch,  vor 
allem  der  Religionslehrer,  wird  sich,  mW  er  anders  wahre  Idealit&t 
erzengen, einen weiterenBlickver8chaffen  uiul  in  rclisrions-philosophisrlieni 
Verfahi  pn  einen  festen  Gottesbegritf  zu  winm  ii  trnchten  müssen.  Kiir 
diese!)  Zweck  genügt  dann  aber  nicliT,  dass  wir,  wie  Theodor  Verna- 
It^ken  thut*),  für  die  uulogeriimiiischen  \  rdker  nur  die  alten  Jnder, 
tur  die  Semiten  die  alten  Israeliten  ins  Auge  fassen,  sondern  man 
muss  sich  den  historischen  Verlauf  der  Rntwickelung  aller  Religion 
bis  zum  christlichen  ^rouoLheisums  hin  vergegen\s  artigen. 

Allerdings  Ist  ja  die  gesammte  (Teistesentwickelung  beider  Völker- 
stämme, der  Arier  und  Semiten,  eine  durchaus  entgegengesetzte.  Im 
Gegensatz  zu  jenem  behaiTte  der  semitische  Stamm  in  der  abstraoten 
Sphäre  nnd  rsn;  deshalb  danach,  auf  religidseaQeUele  ehieiabetraete 
fänbdt  heransmbflden,  nvie  denn  aUe  drei  monotheistischen  Religionen 
TOD  diesem  Stamme  ansgingen.  Wo  dann  der  Monotheismns  inner- 
halb dieser  Stämme  selbst  wieder  in  abgeschlossenster  Enifaltnng  am 

')  Vgl.  besonders  die  treffende  Darstellung  des  Seelenzustandes  der  Bilsen  bei 
AiMt  Eth.  Nie.  IX,  4,  p.  1166  b.  7  ff.  — *j  W.  Schräder,  Verfassnng  etc.  S.  17.  — 
^litt  Ftedagog.  1688,  H.  6^  a  885  ff. 


Digitized  by  Google 


weitesten  Spielranm  gewann,  also  im  Islam,  <la  baf  <-v  '^icli  dnrcliaus 
nicht  so  entwickelunfrsfahitr  cezeigt,  als  da,  wu  die  and»  rr  Seite,  die 
zugleich  den  Keim  des  ionereten  in  sieh  tniiL'",  siidi  ilnn  bt^iV'^'^^'^lte, 
wo  dais  orientalische  Keis  aul  Iden  ai; sehen  l!>taiüui  geplropit  wuixle. 
Aus  beiden  Strömungen,  aus  der  innigen  Durchführung  des  Geistigen 
und  Natürlichen  bei  den  Ariern  nnd  der  Ausbildunisr  des  abstract  AU- 
genieinen  bei  den  Semiten,  ging  erst  die  Cultur  der  Welt  hervor. 
Wenn  wir  aber  bei  den  historisch  erscheinenden  Religionsweisen  der 
Arier  und  Semiten  als  bei  unserem  Ausgangspunkte  stehen  Uefben 
wollten,  80  vfirden  wir,  eo  gnmdTerscliieden  beide  auch  sind,  und 
80  sicher  ans  ihrem  Zvsammenihiss  erst  ein  Strom  des  Lebens  ent> 
stand,  doch  nnserer  Ei^enntnis  damit  gewiss  keinen  Vorschnb  leisten ,  da 
es  Sache  wahrer  geistiger  Erkenntnis  ist,  von  Anfingen  ansangdicn. 
Die  aUgemefai  henschenden  Religionen  der  gesammten  arischen  nnd 
semitischen  Volker  haben  sich  aber,  wo  das  licht  der  Qeschidite  «of 
sie  ftUt,  von  der  nntersten  Stufb  des  rdigiOsen  Bewnsstsefais  bereits 
zu  höherer  Gestaltnng  fortentwickelt,  und  was  vor  diesem  Stadium 
der  Etttwickelung,  auf  dem  wir  sie  antreffen,  etwa  liegt,  das  hü]\m  sie 
selber  in  Dunkel  -,  denn  wie  die  heiligen  Bücher  der  Juden  die  Uradt 
im  Lichte  des  bereits  durchgefühlten  Monotlieismus'  schildern,  so 
beurtheilen  die  heiligen  Schiiften  der  Jnder  die  Vorzeit  nach  ihrem 
eigenen  Standpunkt,  so  lassen  endlich  auch  die  uralten  Traditionen 
der  Clünesen  die  nrältesten  Zeiten  im  chinesischen  Lif^hte  ei-s(iieinen. 
Nun  liegt  die  (Quelle  aller  Religion  im  mensohlii  hen  Ijeiste.  Blicken 
wir  daher  in  d^r  (^esrhirhte  der  M^nschlifit  au^  \irc]\  dem  Erwarh^n 
des  Menscheiigeisles  aus  den  I^aiideii  di-r  Xatiir.  au-  iIhiü  (rebunden- 
sein  an  seine  Basis,  so  finden  wir.  dass  <ia  der  Geist  überhaupt  zu- 
nächst nur  formell  gesetzt,  da.ss  das  Menschengeschlecht  aiu  der  un- 
tersten Stufe  seiner  Entwickelung  sicli  ^^eines  eigenen  Geistes,  ganz  wie 
das  Kind  ini  zailesten  Alter,  noch  so  wenig  vollbewusst  ist,  dass  es 
ihn  als  selbstständig  aus  dem  Körper  heraussetzt,  weil  es  glaubt^  dass 
derselbe  im  Trtnme  den       yerlisst,  nm  eigenmächtig  etwa  anf  die 
Wanderang  oder  anf  den  Fischftng  zu  gehen.  So  entsteht  denn  im 
Menschen  der  Glanbe  an  Geister  in  der  gaoaen  Natnr,  die  efaizige 
Form  des  religiOBen  Lebens  bei  den  Natonrölkem,  das  erste  trikbe 
Henrorlenchten  der  Ahnnng  höherer  Mächte.  Einar  richtigen  Erkenntnis 
der  Natur  ermangelnd,  nnfUiig  daher,  die  natttrlichen  Ursachen  für 
die  gewlHinMtai  Erdgnisse  des  Leb^  oder  Verändemngen  d^ 
menschlichen  Natnr,  für  Erdbeben,  Yei^nstenmgen,  Stürme  und  Un- 
wetter wie  fBr  Trämne,  Krankheiten  nnd  TodesAlle  sn  entdecken. 


Digitized  by  Google 


—   401  — 


trotzdem  abtr  nach  dem  er-^fFn  Erwachen  des  Geistes  durch  seine 
natürlicheu  Anlagen  auf  eine  ihm  eiiiieuchtende  Klarlegimg  jener  den 
Erscheinungen  zu  Grunde  lie^renden  Ursachen  hingedrängt,  sclireibt 
der  Mensch  eben  alle;*,  was  ihn  ^laiker  berühit,  unsichtbaren  Wesen 
oder  Mächten  zu,  die  er  nirn  nach  A^i'logie  seines  eigenen  geistigen 
Bewusstseins  gestaltet,  und  so  siel»t  er,  da  alle  Dinge  auf  ihn  ein- 
wirken können,  in  allen  auch  Leben  gleicli  seinem  Leben,  in  allen 
Gegenständen  der  äußeren  Welt  Geister,  die  seinem  eigenen  Geiste 
tlmdieiid  fthülidi  tthen  mid^  diesen  nur  insofem  übertreffen,  als  sie 
dem  Natnrmenseben  noch  nnverstfindÜdier  oder  gehejinoisvoUer  sind 
als  sein  eigenes  Selbst.  Also  dn  innerer  Drang  gleichsam'),  das  im 
menschliehen  Geiste  liegende  Bedfirfbis,  ittr  jede  Erseheinnng  nnd  Be^ 
gebenheit  eine  Ursaehe  oder  dnen  Urheber  zu  erspihen,  flhrt  anf 
dieser  Entwickehmgsstnfe  die  Menschen  znerst  zu  religiiSsen  Empltai- 
dnngen,  nnd  dasn  tritt  dann  das  hhidliche  Unvermögen,  die  Gegen- 
stAnde  der  sinnlichen  Wahmehmnng  anders  als  beseelt  zn  denken. 
Auch  ihnen  wird  daher  Wfllensth&tigkeit  nnd  menschliche  Empfindlich- 
keit beigelegt.  Bei  den  Karenen,  einem  rftnberischen  Volksstamm  in 
den  Waldgebirgen  von  Unterbirma  und  Britisch-Birma,  der  nach 
Äußrem,  Sprache  und  Gewohnheiten  den  ürbewohnem  von  Hinter- 
indien zugereclinet  werden  muss,  hat  jeder  Gegenstand  seinen  kelah, 
seinen  Geist;  Messer  und  Beile  besitzen  ebenso  wie  die  Bäume,  alle 
anderen  Pflanzen  und  selbst  die  *^teine  ihren  gesondeiten  kelah,  und 
der  Geist  vom  Reis  winl.  faUs  Ki'ankiieit  die  Felder  heimsucht,  ebenso 
wie  Se^-le  (ie>  kianken  Menschen  durch  zauberische  Formeln  und 
Cereiiiomen  zurückgeruten.-)  Bei  den  Dajakeu,  der  T"^rbevülkerung  auf 
Boiueo,  hat  ebenfalls  nicht  blos  der  Mensch  einen  Geist,  dessen  Aus- 
tritt ans  dem  Körper  den  Tod  veimrsacht,  sondern  auch  Thiere  und 
Gewächse  und  alle  Gegenstände  haben  ein  semnngat  oder  semnngi 
genanntes  Seelenwesen;  kränkelt  der  Keis  auf  den  Feldern,  so  wird 
auch  hier  der  Reisgeist,  der  semnngat  padi,  durch  Opfer,  die  ihm  in 
Gestalt  von  Nahmngsmltteln  dargebracht  verdoi,  dnrch  Feste,  die 
man  ihm  veranstaltet,  gebeten,  in  die  absterbenden  Pflanzen  zurflckza- 
kdiren*);  denn  er  schweift  ja  eben  tni  nmher  wie  etwa  die  Seele 
eines  trilnmenden  oder  üi  Fi^ierphantasien  liegenden  Menschen.  Me 

')  Pe^^chel,  „Völkerkunde",  Aufl.  S.  255.  —  -)  Mason.  „Karens  '.  Jonm. 
A«.  Soc.  Bcntral..  1S65.  IT,  202;  Cross  im  Jouni.  Amer.  Oriente!.  Soc.  IV.  309,  vgl. 
Xrow  in  Jouru.  Ind.  Archip.,  I,  340,  Drouke,  ,rB«itrtige  zu  einer  Seeleulelire",  Progr. 
Tiiat  1881,  S.  8,  28  ff.  —     8p«uer  St.  Jobo,  JMe  ia  th«  fomta  of  the  IVur 


Digitized  by  Google 


—  408  — 


diese  Geister  aber  sind  bioiie  Abstractiouen  des  rein  tünuell  gesetzten 
Geistes  und  eütüpreclieu  der  noch  leereu  lu(ii\niualität  de^  Menscheu; 
alles  Greistige  liegt  noch  in  den  Banden  der  Natur,  des  rein  sinnlichen 
Menschen,  das  mensehlidie  SellwtbewiisstBeiii  ist  noch  innerhalb  der 
BAtflrUchen  Sphftre  gleichsam  ventedit;  dem  wtr  haben  tmyiätft  d«i 
ainnlkheQlfoittchea  tot  qhb,  der^oeh  imFleisehe  kbt"^)  Eine  Bureik 
bildong  der  Natnrbasis  und  des  Geistes  ist  noch  nicht  gesellt,  es 
bemeht  vielnidir  die  reine  Willkttr  dee  leb;  der  Gott  erscheuit  ab 
Naturmacht,  das  innere  Leben  als  Begierdelebeii,  das  Denken  als  noch 
getriibte  Imagination,  nnd  da  nun  die  theoretische  Seite  ginalieb  der 
praktischen  entaiiricht,  so  können  die  Güster  in  jedem  beSeliigen  Dinge, 
das  dnrch  sie  zauberische  Kraft  erhAlt  nnd  aosObt,  dem  Heischen  sich 
darstellen.  In  diesem  Geisterglauben  haben  wir  den  Fetischismus-)  oder 
Fetischdienst,  die  roheste  Art  des  Pantheismus.  Eine  objectir  all- 
gemeine gottliche  Macht  wird  noch  nicht  erkannt:  es  herrschen  nur 
bestimmte  Mächte  der  Geister,  aber  eben  als  Geister  der  Natur,  daher 
mit  natürlichem,  nicht  geistigem  Wirken,  und  eben  deshalb  sind  diese 
Geister  auch  in  einer  Mehrheit  vorhanden,  nicht  aber  so.  dass  sie  sich 
gegenseitig  ergänzen,  »oudem  gewöhnlich  stehen  sie  sogar  in  feind- 
licheni  Geö'eiisafz  zu  einander.  Nach  den  Berichten  Oldfields'^»  ist  die 
Zahl  de]  iibernatuiiiclien,  fres[tensterhaft  gedachten  West-ii  n.iiuentlich 
groli  bei  den  Austrahiegeni;  uiclu  nur  der  Himmel  ist  vou  ilinen  er- 
füllt, sie  bevölkei  ii  audi  die  ganze  Oberfläche  der  Krde;  jedes  Dickicht, 
die  meii-ten  Gewässer  und  namentlich  alle  felsigen  Orte  sind  zum  Ent- 
setzen der  Australueger  von  biisen  Gteistem  bewohnt.  In  iihnlicher 
Weise  wird  jede  Natuierscheinung  für  das  Werk  von  Dämonen  ge- 
halten, deren  keiner  fireondüch  geartet  ist,  sondern  wie  das  Leben 
dieser  Stftmme  voller  Widerwärtigkeiten  aller  Art  dahinfliegt,  so  sind 
aocb  ihre  gSttlichen  Wesen  sftmml^  von  dem  Streben  beseelt,  dem 
annen  Schwanen  alles  nur  erdenkliche  Obel  manfllgen;  namentlich 
trachtet  der  DSmon  Kein  danach,  die  trihunenden  Anstiilier  an  er- 
wQigen.^)  Anch  der  vom  Schmanae  aatte  nordamerikaniBche  Indianer 
wird  ja  von  den  Geistern  geqnftlt^^)  wie  der  bOse  „Na^  anf  dem  Hagen 
dea  Karenen  hockt,*)  aber  wenn  wir  anch  solche  Jncnbi,  Succabi, 
Kachtmaren  und  Alpe  oder  Vmnpyre  auf  den  Antillen,  in  Lappland 
und  dem  liindnischen  Tantra  wie  in  Afrika,  auf  Neuseeland  und  Samoa 
wiederfinden,  so  tritt  doch  das  Bösethon  der  Geister  nirgends  so  grell 

')L  Korinth.  11,  14;  ctBöm.  VIII,  5—8.  —  *)  Von  demportug.  Worte  teiu^**, 
ZMdwf.  —  *)  In  Tr.  m  8oe.  m,  M&  —  BMkhofne,  ,,Aiwtn]ia«,  H6;  Grey, 
t,AiiftrBltt*%  H,  837.— •)  8choolcnft,]]id.  Trib.  m.986.  —  ^ lUaoa, «Kweai".  Sil. 


Digitized  by  Google 


—  408  — 


hervor,  wie  in  der  \  orstelluiifr  (Im-  Austialier,  die  sich  veranlasst 
fühlen,  jährlich  .sogar  die  aut^eliaiiiipu  (4('i>ter  der  im  letzten  Jahre 
Vei"storbenea  aus  ihrer  Mitte  auszutreiben,  ^^'ol  haben  aiicl»  die 
Al^nukius  in  Nordamerika  zahlreiche  böse  Dämonen,  die  sie  niehi 
furcliten  als  lieben,  aber  doch  findet  Schoolcraft*)  den  eig^entlichen  Grund- 
zug ihrer  Religion  in  dem  Glauben,  das.s  die  ^mnzc  i>ichtbare  und  un- 
sichtbare Schöpfung  von  verschiedenen  Ordnungen  böswilliger  oder 
freondUcher  Gdster  Tieaeelt  sei,  welche  die  tägliche  Handlungen  des 
Mcnachen  und  sein  encUichee  Geschiek  bestimmen,  in  Aostralien  da- 
gegen iitdk  IdDdiseheFareht  dasVorhemcfaende,  imd  erst  in  Neu-Süd- 
Wateg  und  in  Queeniitend,  also  an  den  bevorzugten  Gnltnrstreifen  Anstra- 
iSens,  begegnen  wir  denKoradschi  oderLeaten,  welche  den  Schauder  vor 
der  Ffastemis  und  ihren  Uftchten  so  weit  abgestreift  haben,  dass  sie 
auf  den  Gräbern  Verstorbener  eine  Nacht  auszuharren  wagen.*) 

Wie  der  Causalnexos  in  der  Äußeren  Natur  und  im  inneren  Leben 
auf  dieser  niedrigen  Stufe  der  Entwickelnng  noch  dnrdiaas  unerkannt 
Weibt,  80  bilden  auch  Träume  Motive  im  Leben.  Der  Mensch  be- 
trachtet das  im  Traum  Gesehene  als  wirklich  seiend  und  fühlt  sich 
verpflichtet,  die  im  Traun  erhaltenen  Aoftrlge  sn  Tollbringen.  Trftiunt 
der  Ii-okese,  er  werde  von  den  Feinden  gefangen,  so  muss  das  not- 
wendig in  Erfnilnng  gehen;  er  lässt  sich  daher,  um  drohendem  Unheil 
vorzubeugen,  von  seinen  Freunden  fan^n  und  peinigen.  Besonders  ist 
zwar  dieser  Glaube  au  Träume  bei  den  Polarvöikem  ausgebildet,  wo  ja  das 
Traiiiuh  l'en  von  der  Natur  selbst  gefordert  wird,  aber  auch  bei  Homer 
rtiiciea  wii  11  h  Ii  ri*  ii  (ilaulK  U.  der  Tiaunie  lieilig  hält;  und  Täuschungen 
durch  Trauuibildei  wu5«ie  sicli  das  liomme  Gemüth  leicht  zu  erklären: 

Denn  an  sind  zwo  Pforten  der  hiltigeu  Trautugebilde, 
Di^  von  Elf^bein,  and  jen'  aus  Hörne  gefertigt. 
Welche  nun  gähn  ms  der  Pforte  gewUiffeiMe  BIfenbeiitee, 

Solche  täuschen  den  O^tt  durch  walirheitloHe  Verkllndnng; 
Aber  die  nti«       Konves  js^Pijlätteter  Horte  hpruisu:ehn, 
Wirklichkeit  deuten  sie  an.  wenn  der  .Sterl  lu  li^ n  »-iiH^r  sie  schauet.^) 

Da  nun  aber,  subjectiv  betrachtet,  das  'I  ri^^ltlHlicn,  die  Begierde 
und  deren  Befriedisrung,  der  mit  der  Anschauung  verwickelte  Vei-stand 
Ausgangspunkt  tiu-  die  objective  ßetraclituug  der  Dinge  ist,  und  da 
roW  Völkerschaften  bei  ihrem  productionslosen  Leben  Zeit  genug 
haben,  ihren  Begierden  nachzuhangeti  und  die  seltsamsten,  phantastischten 
Combinationeu  zu  bilden,  so  setzt  nun,  bei  mangelnder  Erkenntnis  der 


')  „Algic.  Bes."  I,  41;  „Ind.  Tiih."  m,  327;  vgl  Weite,  HI,  191;  BneMOf, 
«Olcaäqiae^  m,  488.  —  «)  Faeehel  e.  e.  0.  363.  —  ^  Odjae.  XIX,  66»  IL 


Digitized  by  Google 


—  404  — 

geordneten  MiU'hte  in  der  oVijectiveii  Welt,  die  Begierde  oftmals  in 
ganz,  biiuii  iei-  Kgoität  sieh  sell)>i  ah  wimschend,  sofort  aber  auch  als 
gebieitiude  Macht,  und  so  entsteht  der  Glaube  au  Zauberei,  an  ein 
Einwirken  dei*  menschlichen  Begiei-den  auf  die  äußere  Natur,  and  das 
Ist  das  Sdiamaneiithnm')  ^  eine  arge,  aber  in  diesen  Anföngen  doch 
auch  wieder  noch  arglose  Tftnsebnng. 

Von  dieaem  Glaaben  an  Zauberei  ist  aber  der  Geistergrlanbe  dnrck> 
m  nicht  an  trennen.  Freflich  tritt  derselbe  in  der  Erschehiinig  ge- 
wShnlioh  ganz  in  den  Hiiitergnind,  und  er  ist  daher  von  den  Bericht- 
erstattern nicht  immer  mitfiberiiefert,  so  dass  die  Meinung  sich  bilden 
konnte»  die  Zauberei  werde  als  solche  ohne  den  Binflnss  höherer  Geister, 
also  ohne  einen  Ghtnben  an  geistige  Milchte  von  jenen  Vdlkem  an 
sich  getrieben,  wie  Hei-odot  a.  B.  sagt'),  bei  den  Negern  sei  jeder  ein 
Zauberer;  aber  so  gewaltig  auch  das  Begierdeleben  den  einzelnen  be- 
herrscht, so  steht  doch  der  eigentliche  Zauberer,  sei  es  nun  der  so- 
genannte Medicinmann  der  Eothhäute  in  Nordamerika,  der  Angekok 
der  Eskimos  oder  der  sibiiische  Schamane,  der  Piaje  tPiai,  Paye) 
Sadamerikas  oder  dei'  M^angra  Stldafnkas,  in  den  Augen  der  (41äu- 
hiorcw  iU)erall  unter  d^ni  Eintiuss  eines  höheren  Wesens,  das  ihn  durch 
Sendung  eines  (Tennis  zu  seiner  Zauberei  b^fälii^t. 

Aber  der  einmal  in  der  Entwickeluug  begrilteiir;  ]\lt^ii-rliMiigeist 
blieb  auf  dieser  naiv  kindlichen  Stufe  nicht  stehen.  Endlich  wird  eine 
allgemeine  Ordnung  in  der  t)bjectiven  Welt  erkannt;  allerdings  noch 
nicht  in  concreto  als  volles  System  der  kosmischen  Mächte,  sondern 
noch  oft  mit  willkürlicher  Durchbrechung  derselben,  aber  es  schwindet 
doch  die  blinde  Willkiir  des  einzelnen  gegenüber  der  höheren  Macht 
Dieser  Standpunkt  findet  sich  in  der  altchinesischen  Religion  vertreten, 
wie  sie  in  khig  ttberUefert  ist,  und,  wenn  wir  von  der  spiteren 
Ausbildung  auf  die  Periode  der  ersten  £nt&ltung  zorQckblickeo,  auch 
in  Indien  und  annähernd  dann  bei  anderen  YOIkem,  z,  B.  bei  den 
alten  Azteken  in  Mexiko.  In  der  indischen  Religion  ist  wie  in  der 
chmesischen  das  Unbedingte  zonftchst  als  Substanz  gefiust,  hier,  indem 
als  allgemeinste  gdttUche  Macht  an  die  Spitze  der  ganzen  Anschanung 
der  thian,  der  Himmd,  oder,  wie  man  auch  sagt,  der  schang-ti,  der 
obere  Kaiser,  tritt,  wihrend  die  ganze  Natnr  von  Oeistera,  den  sclnn, 
belebt  bleibt  und  den  '^f  *  I -n  der  Ahnen  gehuldigt  wird,  dort,  indem 
man  als  die  hdchste  Einheit,  die  weltbeherrschende  Macht  VÄrunas 


Entstanden  %m  framtuia,  der.  indisehen  Beseichniiiig  flUr  bnddbietteeke  Ein- 
siedler. — «)  n,  aa  , 


Digitized  by  Google 


—  405  — 

betrachtet  imd  in  ihm,  dem  AH  umfassenden.  ursprün£rlic)i  dtii  lidclisttiu 
der  dewas,  derGrötter,  das  Pnncip  alles  \\  eniens  und  Lebens,  vereinte. 
Wird  nun  drittens  gar  die  göttliche  Or  lnuiiir  der  Welt  nach  Ana- 
logie der  ZweckbestininuinL-  anfgefasst,  so  werden  auch  allmählich  ge- 
wisse Gesetze  der  Weit  erkannt,  welche  der  Mensch  sich  aneignet, 
lind  denen  er  sich,  sobald  er  sie  in  sein  Selbstliewnsstsein  hineinnimmt, 
auch  beugt.  Während  auf  dem  Standpunkt  der  Zauberei  der  Mensch 
Macht  hat  Uber  seine  Götter,  während  auch  der  Kaiser  von  China 
nodi  Gdster  anstellt  und  absetzt,  wird  auf  diesem  höheren  Stand- 
punkt «ine  ünteroidnnng  nOtiiig.  So  ist  es  in  der  altariadieii  Nator* 
religion  der  Iranier  vnd  in  der  altsemitischen  Weise  der  Gotlesrer- 
eihnincf  der  FaU;  erstere  offenbart  uns  den  (Manken  der  Cntemd* 
nnng  in  ihrer  daalistlselien  Ansdhaanng  vom  Kampf  der  Elemente, 
letztere,  die  bal^lonisehe  xnmal,  in  ihrer  astrologischen  Weltanschatt- 
voig»  Eine  snbjective  Freiheit  ist  in  diesen  Beligionen  an  nnd  ftr 
flieh  und  xnnfidist  dnrchatiB  nielit  gesetzt;  dieselbe  bildet  sich  Tielmehr 
erst  spAter  aus,  wie  denn  sowol  in  den  JUteaten  arischen  Behgions- 
bflchem,  in  den  Weda-hymnen,  und  besonders  vom  Rigweda  zn  den 
Brahmanas  und  Upanischads,  als  auch  im  Zendavesta,  der  heiligen 
Schrift  der  Parsen,  den  ehrwürdigen  Übeiresten  der  uralten  fieligions- 
bucher  der  alten  Iranier,  bedeutende  Fortsdiritte  von  der  ursprftng- 
lichen  Basis  ans  zu  vollkommeneren  Formen  sich  zeigten,  da  eben  die 
arische  Relig-ion  die  Tendenz  hat,  die  Moralitüt  auszubilden,  ein 
Streben,  welches  bei  den  alten  semlttschen  Beligionen  weniger  zu 
Tage  tritt. 

Wenn  nämlich,  wie  gesagt,  in  der  chinesischen  nnd  altindischeu 
Religion  das  Unbedingte  als  Substanz  gefasst  ist,  so  tritt  docli  die 
Zweckbestimmung,  die  erst  zur  menschlichen  Thatkraft  luhit,  hier  wie 
dort  nur  oberflächlich  hervor,  und  die  inneren  Gegensätze  der  Prin- 
cipien  sind  ebenfalls  noch  ganz  in  abstract  allgemeiner  Weise,  nicht 
aber  in  concreto  als  ein  Kampf  entgegengesetzter  Mächte  in  der  Wirk- 
Udikeit  gefasst  Und  hier  macht  mm  die  GmBdanachammg  der  alten 
Lranier,  die  Lehre  des  Avesta^,  einen  ungeheoren  Fortschritt,  indem 
zwar  die  snbstantielle  Bestimmnng  des  Absolnten  noch  festgehalten 
wird,  aber  der  Dnalismns  der  Princiiden  im  Kampfe  des  Daseins  her^ 
vertritt  nnd  als  die  Aa^iabe  des  Menschen  daa  Eingehen  in  diesen 
Kampf  znr  Oberwindnng  nnd  VerkUrong  der  Natur  hingestellt  wird. 


*}  Bed«staid  Ar  Dogmadk  und  Mmol  ihid  nancatlieli  Tk»*  c.  28—63,  der 
ilt«m  Theo  des  ZendaTerta. 


Digitized  by  Google 


—  406  — 


I 


Der  höchste  (iott,  der  (üe  Weh  erschatit  ii  hat  und  noch  erhält, 
das  durchaus  ideal  gefasste  Princip  des.  Li(!ift  >,  des  Klaren.  Guten 
und  Zweckmäßig:en,  ist  Ahui*amazda  (Orniuzd.,  der  segeuüpendende 
und  heilige  Geist,  ilini  ist  in  Gedanken.  Worten  und  Werken  Anra- 
maiüj'u  (Ahrimanj,  der  büse  Geist,  entgegengesetzt.  Beiden  stehen 
ihre  Diener  im  Kampfe  zur  Seite,  und  Pflicht  des  Menschen  ist  es, 
dnrek  W«]iriiafUgkeit  und  Eefllgkeit  in  Gedanken,  Worten  nnd  Wer- 
ken mm  endlichen  Siege  des  gnten  Prindpes  rnftznirirken.  Beide 
entgegengesefcste  Ittciite  sind  ans  der  nnt»rwia8enfldiaftlieh*etiiiMliea 
Betnektong  derWelt^  ans  der  pniktiscben  Seite  der  Lebeneansdiantuig 
an^nommen,  aber  solch  ein  GegeneatK  ^derspricht  doch  der  Forde- 
rong  der  Yemonft  nach  Einhot,  nnd  so  bildete  sich  in  der  apiteren 
Epoche  des  Parsisnnis  die  Lehre  ans  von  einem  Urprincip  der  Dinge, 
der  unendlichen  Zeit,  man  akerene;  aber  dies  abetract  gefosste  Wesen 
ist  kein  eigentlich  göttliches  Princip,  sondern  nur  ein  religions-phüo- 
sophischer  Begiitf,  wie  der  ziTan  akerene  denn  auch  nicht  geopfert 
wurde.  Der  thats&chliche  Dualismus  aber  zeigt,  dass  das  Natftriiche 
vom  Geistigen  hier  noch  nicht  wahrhaft  geschieden  ist;  denn  so- 
bald das  Geistige  über  der  äußeren  Welt  steht,  fallt  der  eigentliche 
I  Dualismus.  Kein  Wunder  ist  es  daher.  da.*vs  "\dr  im  Bundeliescli  ernste 
iSpeculationen  über  den  Dualisiims  linden,  die  zur  Einheit  hinstreben. 
Idolatrie  verband  sich  mit  dem  Dienste  des  idealen  Ahuramazda 
schlecht erding-s  nicht,  und  die  gottestlirii>rli>hen  Handlungen,  die  nicht 
in  Tempehi  vun  xMeiischenhändeu  vollzugeii  wurden,  bestanden  in  Ge- 
beten, Lustrat ionon,  andächtigem  Lesen  des  Avesta  und  in  Opfern  von 
reinen  'ikieienM.  Blumen.  Früchten,  Milch  und  Rauchwerk,  die  man 
theiis  dem  Ahuraaiazda  selbst,  theils  dem  heiligen  Feuer,  dem  Sohne 
des  höchsten  Gottes,  oder  der  Sonne,  dem  Auge  des  höchsten  Gotlds, 
auchwol  dem  Monde,  der  Erde,  den  Gewässern  und  Winden  zn  Ehren 
darbrachte  nnd  aeUiBt  temhxte;  denn  Spebe  der  Gottheit,  wie  hi  den 
Wedas,  and  sie  nicht  mehr. 

Das  Leben  erhielt  durch  die  Lehre  vom  Kampf  der  Principien 
nnd  der  Theihialune  des  Bfenschen  an  diesem  Kampf  natürlich  eine 
hohe  moralische  Fdrdemng,  nigteich  aber  auch  eine  praktische^  thltjge 
Biditnng;  gegenüber  dem  Qnietismns,  der  höchsten  Form  der  indischeo 
Beligion,  nnd  dem  Streben  nach  Eihaltnng  dee  Gldchgenidites,  wie 
es  hl  China  herrschte,  dient  hier  Ackeitan  und  Tiehmcht,  FanuUen- 

*)  AUe  wtM«!,  liobuebendn,  kri«eltmd«ii  TluMe  galten  ftr  OMckOpfe  im 
Abrimait 


Digitized  by  Google 


—   407  — 


letien  vBd  Oenossaucluift  dem  gdUlidien  Zweck  der  Yerklftning  der 
Katur. 

Andere  gestaltete  sich  der  nicht  za  verkennende  Fortschritt  in 

den  semitischen  Religionen. 

Der  Fetischismus,  jener  blinde  Geisterglaube,  ist  bis  auf  gelinge 
Überlebsei  überwunden  zu  fler  Zeit  ,  wo  die  ersten  Strahlen  der  Ge- 
schichte das  tnranisch-knschitische  VöllierpHini<(  h ' '  im  Norden  des 
persisrlien  ^feerbiisens  beleuchten,  jenes  Vrilkergedräiigt  .  aus  wek'liem 
'i--tli('li  vitti!  Tigris  in  Susien,  wo  das  turaiiische  Element  lie  Ober- 
hand gewann,  das  Königreich  Elam,  westlich  vom  Grenzstrom  aber 
ans  den  beiden  Sumir  und  Akkad  genannten  Nationen  das  erste  Chal* 
däerreich  sicli  be^ündete.  In  letzterem  trug  das  knschitisch-semi- 
tische  Element  den  endlichen  8ieg  davon;  von  der  turanischen,  zu 
crassem  Aberglauben  neigenden  Religion  blieben  liauptsächlich  die 
astrologischen  Anschaunngen  ftbrig,  während  die  magischen  Bräuche 
eines  finsteren  Sehanutnenthiunsy  wie  wir  es  heute  noch  bei  aahhreichen 
fianisefa-tatarisehen  Stämmen  wiederfinden,  mehr  nnd  mehr  yerschwan- 
den.  In  der  aasyrisch-habyknischen  Beligion  nnn,  wie  sie  sich  ans 
tttren  gegebenen  Prämissen  im  Lanfe  der  Zeit  entwickelte,  war  die 
Gnindaaschaamig  die  von  einem  götUichen  LehenBprocess:  Der  Gott 
der  Hobe,  nrsprllng^eli  als  Soime  oder  als  himmlisckes  Fener  ange- 
schaut, zeugt  mit  der  Erde  alles  Leben;  in  diesem  geschieht  daher 
alles  nach  dem  Entscheid  der  Gdtter,  welche  ihren  Willen  durch  den 
regelmäfiigen  Gang  dei*  Planeten,  die  als  Dolmetscher  und  Bemther 
mit  relativ  höherer  Macht  übereinander  stehen,  den  Sterblichen  offen- 
baren. Die  oberste  männliche  Gottheit,  das  Princip  des  Lebens,  ist 
Bei,  der  „Hen  ":  ihn  hielten  altere  Erklärer  falschlich  für  den  Satnm; 
die  (Triechen  nannten  ihn  nacli  Diodors  Bencht-)  Zeus,  die  Römer 
Jupiter  oder  13elus;  seine  ursprüngliche  Bedeutung  aber  gibt  uns  Ma- 
crobius  in  den  Satumalien ^'i .  nnd  nach  ihm  ist  B»^l  die  Sonnp,  dass 
ihn  Geseiiius  mit  Recht  als  den  domimis  solnris  bezeielnieit^.  Kr.  der 
Vater  und  die  Leuchte  der  Götter,  der  iSchöpl'er,  der  Herr  der  Länder, 
der  Fürst  des  Alls,  der  „Asur**,  d.  i.  der  Gütige,  ist  das  allgemeine 
zeugende  Princi]i  in  1er  Natur  und  im  Menschenleben.  Ihm  zur  Seite 
steht  die  3Iylitta,  wie  iierodot^)  sie  nennt;  dieser  Name  ist  entstan- 
den aus  bi-lit  (bi-^-li-it),  d.  i.  „Herrin**,  er  bezeichnet  also  die  BelUs. 


HalöTy,  „üiM«rvaUou8  critiqnes  nur  les  prüteuüuü  Tuurauieus  de  k  Baby- 
looie"  in  Jovn.  Aiia«.  Juni  1874,  v.  dageg.  E.  Sahvate  in  dwZdtidir,  4.D«atMh. 
HingeiiL  G«Mllicai.  1876,  S.  1.  ff.  —  *)  H,  8  und  9.  ~  *)  I,  28.  —  *)  I,  181,  IM. 


Digitized  by  Google 


—   408  — 


Diese  ist  sar-rat  nabUai*  ili,  die  Königin  aller  Götter,  sie  ist  bilit 
matat,  Herrscherin  der  Länder,  Erstgeborene  des  Gottes  Ann,  Mutter 
der  Gntter  und  Besieg^erin  der  Feinde,  Gebieterin  des  Kampfes  und 
der  Sclilaclit,  Der  Obelisk  Salnianassars  Z.  12  bezeichnet  sie  al*; 
Biltuvhi-ir-ti  Bü  um  ili.  als  „Beltis  dip  «Temahlin  des  Bei,  die  Mutter 
der  Götter",  mit  der  alsn  Bei  alle  ^rzeuel-. 

Zu  f^iM^Hii  lundt'ii  Hauptgülteiu  kanieii  nun  die  lnnl  Piant*lcü  als 
I)oinietsclit'i  des  ahrv  die  Sterblichen  verhän^t^n  Schicksals,  der  Jupiter 
oder  Merodacli.  die  Venus  oder  Istar,  der  Mercur  oder  Nebo.  der  Mars 
oder  Nergal  uud  der  Saturn,  der  Kaiwan  oder  Kewan  der  Kt-ilinschril- 
teiit  und  neben  diesen  Planetengöttern  wui'de  dann  auch  der  Mondgott 
Sin  verehrt,  der  namentlich  in  Mesopotamien  seinen  Cult  gehabt  zu 
haben  scheint,  während  Bin  als  Gotl  der  AtnuM^hfire,  des  Sturmes  und 
Uniratters  gilt  und  «ndere  Gottheiten  das  Pantheon  vervollBtSadigen. 

Je  mehr  nun  aber  die  ursprüngliche  Anscbannog  von  einem  Lebens- 
process  gegenflberdem  offenbar  auf  arischem  Einllass  bemhenden  Licht« 
coIt  zorOcktrat,  mnsomehr  schwand  Bei  als  Gott  der  belebenden 
Sonne  ans  dem  religiösen  Bewnsstsein,  er  ward  m  einem  Gittterftrsten, 
nnd  eine  besondere  Gottheit  der  Sonne,  Ssmas,  trat  neben  ihn,  wäh- 
rend sich  die  Yerehmng  gleichzeitig  mehr  and  mehr  den  lenchtendea 
Gestirnen  &berhanpt  nnd  besonders  den  Planeten  anwandte,  Beltis 
selbst  zur  Astarte,  zur  Stemenkdnigin  wurde. ') 

Freilich  war  der  Dienst  namentlich  der  Beltis  mit  argen  Au.«;- 
Schweifungen  verbunden-),  die  Prostitution  ihr  geheiligt,  zahllose  Opfei 
dampften  in  prächtigen  Tempeln  vor  den  Götterbildern  in  ihrem  Blut, 
aber  doch  ist,  was  uns  hier  zumeist  angeht,  die  Voi*stellung  von  einem 
g-öttlichen  T.ebensprocess  mit  all  ihren  Consequenzen  kein  geringer 
Fortschritt,  und  d^^r  astrologische  (iedanke,  dass  de-r  Lauf  göttlich 
Vjeseelter  (4estirne  Einliuss  hal)e  auf  das  Schicksal  der  Menschen,  ist. 
wenn  auch  immerhin  Aberglaube,  so  doch  ein  so  erhabener  Aber- 

*)  fieltis  ist  nieht  ideiitiBch  mit  der  Astait«;  aber  freilich  wurde  in  den  orien- 
tAliflchen  Rt'Iii^lonpn  Unrch  die  Berührung  und  das  Ineinanderfließen  der  Völker  mit 
ihren  verschiedene n  An^tchanungen  die  alte  Vorstellung  von  einem  ZeoürunirspnwM 
combinirt  mit  dem  Dienste  der  Lichtgottbeit,  da  ja  eben  als  das  zeugende  Princip 
die  lowditenile  Sonne  betrachtet  wurde,  und  so  ward  daan  das  geblrende  nriodp 
gar  leicht  ebeofUb  sur  Lichtgottheir .  zur  StenMokBajgin,  aur  Mondgottin,  wie  ja 
der  Mond  alf*  Gestirn  der  Xatht  doiu  Tagesirostim  zur  Seite  isteht.  Nur  auf  diese 
Weise  konnte  Mylitta  /tir  Mondgöttin  werden;  denn  der  M nnd  ist  in  keinem  Systeme 
ursprünglich  Allgebärehn;  er  ist  Astarte,  Stemenkilnigin,  eben  nur  da,  wo  nickt  der 
sengende  Lebenq^neeis,  sondern  das  -Liehtpriaeip  als  das  OöttUehe  verehrt  wird.  — 
*)  Jakobe  „Termisehte  Schriften'V  VI,  80. 


Digrtized  by  Google 


—  409  — 


glaube,  dass  er  sich  selbst  bei  hocheiiriüsh'teii  Völkeiu  und  bis  in  die 
neneste  Zeit  bat  erhalten  können.*) 

Anch  die  Mittelsemiten  der  phönizisch-kanaanitischen  Stämme 
dienten  der  scliaffenden  Naturki*aft  und  den  Liehtraäcbtett  des  Him- 
mels, docli  gelangt  bei  ihnen  trotz  der  dnrcligehenden  Verwandtschaft 
mit  der  babylonischen  Religion  besonders  in  Plicinizien  und  Syrien  eine 
bestimmt  sinnliche  Richtung  zur  Herrschaft,  wahrend  das  astrologische 
Klement  fast  gänzlich  zurücktritt,  und  wie  die  Autfassung  der  Üott- 
ht'it,  so  blieb  auch  der  Cult  ein  dnrcliweg  sinnlicher.  GiHtHchen 
Mn^hten,  lohe  man  als  dem  natürliclien  Dasein  feimiselig  dachte, 
dieuie  man  mit  der  schärfsten  Ascese.  mit  fSeibst Verstümmelung  und 
Menschenopfem,  den  Göttern  der  Zengung  und  Geburt  dagegen,  da 
diese  dem  menschlichen  Leben  günstig  ^ol•ge^>t^llt  werden  mussten, 
mit  zügelloser  Ausschweifung,  die  sich  lun  so  wollüstiger  gestaltete, 
je  üppiger  das  Leben  in  den  reichen  Seestädten  wurde.  Der  obei*ste 
Gott,  das  männliche,  zeugende  Frincip  in  der  genmmtm  Natnr,  ist 
hier  Baal,  der  «.Herr",  der  Baal-Sanm  (Baal  Sebamigim,  Herr  des 
Hiininela),  der  Sonnengott-),  und  nur  eine  andere  Form  dieses  Baal 
tat  Melkarth,  der  ,,8tadtk6nig'',  ihm  verwandt  der  Adonis,  der  sich 
wiedenim  mit  dem  Osiris  der  Ägypter  aofe  engste  berührt.  Das 
weibliche  Oomplement  des  zeugenden  Baal  ist  die  Aschara,  die  Baaltis 
von  Byhlos,  die  ,.Spendarin  des  Segens^,  nnd  sie  entspridit  der  baby- 
lonischen Ifylitta  wie  der  Berat  (d.  i  Cypiesse),  der  Venus  dee  Libanon. 
Wie  alle  diese  Gottheiten  hat  sie  voi-wiegend  tellurische  Bedeutung; 
denn  überall,  wo  die  Sonne  oder  der  Himmel  als  das  männliche  Prindp 
erscheint,  ist  die  Gebärerin  naturgemäß  die  mütt Gliche  Erde.  Aber 
die  phönizisch-kanaanitische  Religion  hat,  wie  die  assyrisch-babylo- 
nische, mehrfache  Änderungen  durch  fremden  Einfluss  erfaliren,  und 
namentlidi  wurde  auch  hier  wieder  der  ältpiv  pi-aktisch»'  Lebensprocess 
zwischen  Sonne  und  Ki-dp  durch  das  alhnahiiche  Eindringen  der  von 
den  Ariern  entwickelten  Lichtreligion  idealer  gestaltet,  und  so  wurde 
wie  aus  Baal  der  Lichtgott,  aus  Aschera  die  Aschtlnaeth,  die  Astarte, 
die  Himmels-  und  Sternenkönigin.  Sie  erhielt  demnach  bald  den  Mond, 
bald  den  Planeten  Venus  zum  Substrat  und  wurde  mit  zwei  Hürnern 
dai-ge{»tellt,  während  das  uralte  Symbol  der  phönizisch-s3'rlschen  Aschera 

Vgl.  im  aUgemein«!! Ifoiiry,  „La  inagie  et  Ptslrologie  dann  laiitiquite  et  au 
mojen-Äge.  2.  e<l.  Paris  löftfi;  Chnfitian,  „Histoin^  <1"  la  iiiagie  t  tc"'  Paris  1870; 
Uenatnger,  „ÜUer  ältere  und  neuere  Astrologie  *,  Berlin  1872,  und  W.  Företer  m 
der  Sainmlang  popul&rer  astronom.  Mitllwil.  Beiliii  1870,  S.  12.  —  ^)  VgL  Vltntm 
„Poeneli»**  T.  2  und  dum  BeUenoMiiu  AbhAndL  IL  &  88;  Orewer,  „Symbolik",  II,864ir. 


Digitized  by  Google 


—  410  — 


ein  Baumst&mm  iint  abgebtutzter  Krone  als  Zeichen  der  zeugenden, 
befruchtenden  Natiirkiaft  ist. 

Nf'bpii  diesen  Iwiden  Gottheiten,  d^r  durcli  Baal  repräst^ntülen 
männiiclien  und  der  in  der  Ascliei'a  angt^srliaute'ii  weibiiolit^ii  Marhr 
Lebensprocesses,  haben  wir  hier  nun  abernorli  ine  dritte  zu  betrachien, 
welche  eine  ganz  besondere  Stellung  innerhalb  des  phönizisch-syrischen 
Götterkreises  einnimmt.  Der  gewöhnliche  Name  dieses  dritten  Gott«s, 
dei'  später  mit  dem  Baal  allerdings  paralleli^u  L  wild,  ist  Moloch,  d.  i. 
„König**  -j  die  Ammoniter  uenuen  ihn  Milkom  oder  Malkam,  auch  Molech, 
die  Hoabiter  Kemos,  Kamos')  und  Ariel,  d.  L  „Feuer  Grottes,  heiliges 
Feaer".  Dem  Fdndp  nacli  ist  dieeee  gIHtliche  Wesen  von  der  An- 
flchanong  dee  Baal  dnrchailB  Tendiieden.  Seine  Grnndbedeittang  geht 
ans  dem  Colt  wie  ans  dem  Namen  klar  hervor:  er  ist  das  himnUiscbe 
Feaer,  aber  doeh  nieht  in  demSinne^  wie  daaaeKbe  in  dem  altaiischen 
(iraniaelien)  Cnlt  als  Licht  imd  Uanifestatloii  dea  Guten  auftritt,  eon^ 
dem  mehr  in  der  Wdae  des  indischen  Gottes  Siwa  gedacht  Wie 
dieser,  der  Patron  derBfkfier  und  derAscese,  derHahadewa»  der  hoch 
oben  auf  dem  Himalaya  thronende  Herr  der  fievge,  der  nicht  selten 
mit  der  Feuerflamme  in  der  Hand  dargestellt  vird,  zerstörend,  aber 
zugleich  auch  reinigend  und  befruchtend  wirkt,  so  ist  aucli  Moloch 
als  schöpferisch  hervorbringende,  aber  auch  auflösende  und  heiligende 
flacht  gedacht.  Diese  iMißersemitische  Herkunft  des  Gottes  beweist 
uns  ganz  besonders  der  Name  der  Opfei-stMte  Thopheth  im  Tlial  Hinnora 
bei  Jerusalem,  da  derselbe  allein  im  Arischen  eine  geniiirrTiilt'  Kiklfi- 
rung  findet,  wo  im  Persischen  taften,  teften  ...tTiziindeir'  bedeutet,  und 
wir  wissen,  da.ss  namentlich  in  jenem  Thai  Hinuom  die  Jndeu  dem 
finstem  Moloch  mit  Menschenopfem  dienten. 

Was  endlich  die  Siui<,  niittMi  anlangt,  so  geht  aus  all  den  freilich 
oft  lückenhatten  Überliefeningen  henor,  dass  auch  bei  den  Bewohneiu 
der  arabischen  Halbinsel  der  Gedanke  eines  Lebensprocesses  an  der 
Spitze  der  religiösen  Ideen  st^ind.  Oskar  Peschel*)  stellt  allerdings 
noch  die  Behauptung  auf:  „Vor  dem  Auftreten  ihres  Propheten  lagen 
die  Stfiame  der  anü>ischen  Halbinsel  noch  in  den  Fesseln  dea  Fe- 
ti8chwahns^  und  ihst  so  sieht  freilidi  die  Sache  ans,  irenn  wir  die 
Religion  jener  Stftrame,  loegnissen  tob  dem  EntwicUnngsgange  des 
religiösen  Gedankens  ttberhanpt,  lediglich  nach  den  spftrlich  fließenden 


')  I.  Bflgg.  ZI,  7;  n  Bagg.  XZm,  17;  Jocbu  XLVni,  7  et  JiiM.  XI,  U, 
Die  ElQnnol«eie  i«t  niuieher.  ~  *J  a.  a.  0.  &  310. 


Digitized  by  Google 


—  411  — 


einheimischen  Quellen  beurtheilen  wollten,  abpr<;c1ion  die  Alten*)  liefern 
reichliches  Material,  welches  uns  hesser  belehren  kann,  und  namentlich 
hat  Ludolf  Krehl  in  seiner  Habilitationsschrift -i  liicht  über  die  vor- 
islamischen Araber  verbreitet.  Was  nini  tlen  Namen  der  männlichen 
(roitheit  anlaugt,  welcher  Orotal,  Ürotalt,  Orotalat.  Urotal  und  ürotalt 
überliefert  wir«!,  so  erklärt  ihn  Movers  in  sei^iPTii  tieiüitren,  leider  oft. 
nnkrili.M  heil  W  eikc  ')  als  .>"t  uer  (^ottes  ',  Indi-m  er  statt  der  g-ewöhn- 
liehen  Lef^arteu  Orotel  einsetzt.  Krelil  s{>rielit  sich  ^eg'en  solche  An- 
naljiue  aus;  wir  werden  aber  auch  die  M-harfsinuige  Cuiijectur  dieses 
Gelehrten,  der  ans  dem  Zusammenhange,  in  welchem  der  Name  er- 
scheint, Nurallah,  d.  i.  „Licht  Gottes",  die  Sonne,  folgert,  entbehren 
köimen  und  OrotaJ  für  Orotallah,  „Feuer  f4ottes",  erklären  dürfen, 
denn  nur  allah,  nicht  aber  die  Fem  el  ist  ein  allen  arabischen  Stänunen 
eSgener  Besits,  und  um  einen  solchen  handelt  es  sieh  hler.^)  Wir 
glauben  aber  nnserer  Annahme  nmaomehr  folgen  xn  dfixfan,  als  die 
Vergleichnng  der  semitischen  ReUgionen  ergibt,  dass  es  sieh  in  dem 
mftinlichen  Frindp  stete  sonSchst  nm  das  schöpferische  Element  des 
Himmels,  dann  der  Somie  handelt«  wflhrend  erst  mit  dem  Vordringen 
arischer  Anschaanngen  die  Lichtgottheit  in  den  Voidergnmd  des  re- 
figfSsen  Bewnsstsems  tritt  Die  weibliche  Hanptgottheift  der  Araber 
ist  Alilat  (Alitta,  Alitat).  F.  Hitzig  lässt  bei  seiner  Vorliebe  für  das 
Indische,  wie  er  auch  Orotal  aus  dem  Sanskritwort  ürddha  oder  urddhYa« 
d.  i  aufrecht,  mit  Bezug  anf  das  Symbol  des  Gottes,  den  Phallus, 
erklärte'^),  diesen  Namen  wiederum  aus  dem  Indischen  stammen,  und 
doch  ist  Alilat  offenbar  nichts  anderes  als  das  arabische  al-llähat,  ..die 
rTebärerin*' sie  ist  demnach  das  empfangende,  mütterliche  Lebens- 
prineip,  aber  doch  zunächst  nicht,  wie  Krehl  sa^t  •  |.  die  Idee  des  be- 
fruchteten und  die  irdische  Welt  befrnclitenden  Mondes,  ob^rleicli  sie 
auch  hier  uachm&ls  in  hiji^ariti»$chen  Inschriften  mit  diesem  identi- 
ficin  wurde. 

Neben  diesen  beiden  iiauptguttheiteu  verehrten  die  Araber  nun 
anch  die  Gestirne,  und  zwar  hatte  jeder  Stamm  seinen  besonderen 
Lichtgenius.   So  berichtet  Al-Dimischki**):  „Die  Himjariten  verehrten 

*)  Heradot  m.  8;  Aniu  Exped.  Atettadri  VII,  flO;  Stmbo  ed.  Hdnek«,  p.  tOSS, 

C.  741;  nriL,'tiio8,  cont.  Celsom  V.  §  H7;  Philostorg-iug  ed.  Gothofred.  Lugd.  1G43, 
III,  4.  —  '/  „Relitjinn  der  rnrisliuiiischfn  Araber",  Leipz.  ^.  ..Die  Phöai» 

rit  r* .  I.  337.  —  *)  Vgl.  tlsiander  in  der  Zeitschr.  d.  Dent8ch-JIort,ieiiia»«l.  iteseilsch. 
Bil.  VII,  S.  468  ff.  —  ^)  „Urgeschichte  and  Mythologie  der  PhUistäer  ',  Leipz.  1846, 
9  II»,  8.  aea;  ef.  I  144,  8.  888.  —  •)  Hwidot  I,  181.  -  a.  a.  0.  &  48.  — 
•)  V«L  OnrolMni  rfii»  Stehler  «od  der  Saabinniii",  Petenhf .  1886,  H,  404  ff. 

fmiaga^tmm.  6.  Jüatßag.  HeftVn.  27 


Digitized  by  Google 


—   412  - 


anfangs  die  Sonne,  traten  dai-aut  aber  zum  Judentlium  über  wie  der 
iStanim  Kinana.  welcher  ehemals  dt^ii  Mond  anfrebetet  hatte;  die  Stämme 
Lahm  und  Gudam  beten  den  Stern  Jupiter.  Asad  den  Merciir.  Taj-ni 
die  Hyaden,  Kais  den  Sirius,  Tajj  den  Canopus  an.'"  Einlache  Steine 
und  Büunu'  whi  -mi  die  Denkmäler  diesei-  hiniinlisrhen  r-rottheiten. 

Mit  der  Auha>sunf2:  der  ijüttlic'lie!!  \\  -  Itordnuim  nach  AnaluLrie  d^i 
Zvveckbestimmun|2^,  mit  dem  Bewusstseiii  der  nothwendio'^-n  Unterord- 
nung uuier  das»  von  den  Götteni  den  Sterblichen  bestiiiiniie,  gleiclisam 
in  den  Sternen  g-eschriebene  Geschick  war  nun  aber  auch  der  Uber- 
gangspauki  zu  der  waki'halt  gottlicheu  lieligion  bereit:«  gegeben,  wu 
der  Henfich  der  Natur  nach  den  Inhalt  des  Göttlichen  und  der  irdi* 
sehen  Entwickelimg  erftsst,  und  ab  solche  Übergangsstadien  charak* 
teriiiren  sieh  namentlich  die  Fortbildung  der  arischen  in  der  altnor- 
disdien  Beligion  md  die  sp&teie  Entfaltung  der  ägyptischen  Gottea- 
Terehrung;  denn  auch  im  Nilthal  war  Osiris  nrsprfinglich  das  minn* 
liehe,  Isis  das  weibliche  Lehensprincip.  Einige  G^elehrte  rschnen  auch 
den  grieehischen  nnd  rSmisehen  Cult  zo  den  Natnrreligionen  und  haben 
recht,  was  den  Aosgangsptmkt  anlangt^  aber  vOUig  unrecht  in  Besag 
auf  die  spätere  Entwickelang;  denn  sowie  der  Gott  in  mensefalicher 
Gestalt  erkannt  ist,  ist  auch  der  objective  Xaturbf)den  gewonnen;  anf 
dem  bloßen  Naturboden  dagegen  erscheint  der  Gott  immer  als  Natur* 
macht.  So  wurde  im  Alterthnm  die  gewaltige  Macht  der  Sonne  in 
den  meisten  Religionen  als  oberster  Gott  angesehen;  sobald  niui  aber 
der  Gott  nicht  mehr  in  äußerer  Xaturgestalt  erscheint,  sobald  diese 
Seite  umg-estaltet  wird,  hört  die  Xatnrro!i£rion  auf.  Die  Griechen 
hatten  allerdings  mehrere  Götter,  die  aus  der  Sonne  henorgegaiigen 
waren:  Helios  erhielt  sich  dem  Nameiniaeli  als  Sonut'im'i'tt,  aber  Apollo 
und  Paii  wnrd*'!!  uiiiy:ei)ii(iet.  Hei  den  Römern  ist  Satnmu«;  auf  dir 
Sonne  zuriiek/.ululu'en,  aber  man  erkennt  dies  ursprüngliche  Element 
kaum  norh  in  der  spätertsu  An.schauung,  etwa  in  «Iru  Mythen?  iu  Syni- 
büleu  und  Festen,  hier  speciell  in  den  Saturnalien,  welche  als  die* 
solis  invicti  bei  der  winterlichen  Sonnenwende  gefeiert  wurden. 

Die  zweite  Hauptstufe  religiösen  Glaubens  stellt  daher  die  Ent- 
wickelung  des  Geeistes  dar,  der  aus  der  blinden  Natur  zu  einer  con- 
creteren,  in  sich  erflillteren,  allgemeineren  Sphäre  sich  erhebt.  Die 
natürlichen  Elemente  des  Traumlebens  ^  der  Empfindung,  der  mannig- 
fachen Anschauung  bereichem  das  allgemeine  Bewusstsein,  und  die 
Natursphäre  wird  nun  eineiseitB  in  das  Innere  des  Selbstbewusstseins 
aufgenommen,  dies  selbst  aber  gewinnt  andererseits  eine  höhere  Allge- 
meinheit, wie  es  Ja  in  der  Natur  der  Sache  liegt,  dass  auf  diesem 


Digitized  by  Goo<?Ie 


—  418  — 

Eutmckelungs^ange  beide  Seiten  gegenseitis^  sich  tiinleru.    E^  l)ilflet 
sich  nun  auch  der  einheitliclie  (bedanke  au»;  da^  i>eukeii  wird  <?eset'/t, 
und  dadurch  erst  eutsttjlieu  wiiklich  allgemeine  iSpliären,  als  da  sind 
allgemeine  Natur<,'^e3etze,  allgemeine  Principien  für  das  menschliche 
Verhalten,  so  dass  die  Gesellschaft  nicht  mehr  blcs  nach  \\'illkiir  und 
Neigung  zur  Societät  geregelt  wird,  sondern  durch  feste  Gesetze,  — 
es  bildet  sich  das  Recht  aus.   Aber  ein  Bruch  mit  der  Xatm  tiiulet 
nicht  statt,  der  Gedanke  wird  noch  nicht  in  abstracto  gesetzt,  es 
bildet  sieh  vidmelir  zmüteliat  nur  das  gdatige  iBdividinim  ans,  ohne 
dass  gleich  der  Geist  in  seiner  Mgemeinheit  hervortritt  Unter  einem 
geistigen  Individnum  aber  yerstehen  vir  die  zur  Geistigkeit  verklärte 
natOtliche  Basis,  die  jedem  Lidividnnm  zu  Grunde  liegt  So  erhebt 
sich  also  anf  der  Basis  der  voransgesetsten  Natnrreligion  in  geistiger 
Oestaltang  eine  Mehrheit  endlicher  G(}tter;  yerkl&rt  ans  NaturmAchtent 
eifllUt  mit  geistigem  Gehalt,  bilden  sie  eine  Reihe  verklärter,  endlidier 
Geister,  und  je  mehr  der  Gedanke,  der  in  der  Naturmaeht  die  Ein- 
heit sah  und  erfasste,  sich  geltend  macht,  um  so  geringer  ht  die  Zahl 
dieser  Gteister,  je  mehr  noch  die  vom  Gedanken  ungezügelte  Phantasie 
herrscht,  um  so  reicher  ist  der  GötterlLreis.    Auf  diese  Weise  finden 
wii"  die  frühere  Naturbestimmtheit  zur  geistigen  Form  der  mensch- 
lichen Gestaltung  aufgehoben  bei  den  Griechen,  Etruskeni,  Römern 
und  (Germanen,  Villkern.  die  wir  freilich  erst  in  einem  späteren  Sta- 
diuai  ihrer  nationalen  Entwickeluug  kennen  lernen.    Aber  —  und  das 
darf  niemals  aus  dem  AuEre  frehissen  werden  —  nicht  durch  einen 
Briicli  mit  der  Xatui-  entstanden  jene  Götter,  nicht  durch  eme  reine 
Erhebung  des  (Teistes  in  abstracto,  sondern  vielmehr  durch  eine  all- 
mähliche Verklärung  und  Umbildung  der  Naturbasis.    Aus  den  alten 
Natursymbolen,  aus  der  Zeugung  aller  Dinge  aus  ilütiuiel  und  Erde. 
Zeus  und  Hera,  wurde  bei  Homer  ein  obei*stes  himmlisches  Königspaar, 
in  welchem  man  nun  durchaus  nicht  mehr  die  zeugende  Einheit  von 
Hünmel  nnd  Erde  erkennt,  aber  jene  Momente  der  Zeugung  wurden 
dann  später  zu  laebesahentenem  nnd  oft  sogar  anstelligen  Mythen 
Und  wenn  sich  Zeus  in  einen  Stier  verwandelt,  nm  die  Europa  zn 
raaben,  .80  erklftrt  sich  ja  diese  Metamorphose  ans  der  ursprünglichen  , 
Darstellung  des  Gottes  als  Stier,  wie  sie  anf  Kreta  sich  fhnd,  nnd 
dem  entspricht  es,  dass  auch  Moloch,  der  Feuergott,  als  Stier  v^hrt 
wurde.  Aber  die  zu  Gmnde  liegenden  Momente  erhielten  fiberall  aU- 
mlUiUch  eine  ganz  andere  Deutung;  Zeus  ist  den  Späteren  nicht  metu* 
dag  Wesen  der  fruchtbaren  Zeugung,  das  im  Stier  sich  offenbart,  son« 
dem  er  ist  der  Stier  nur  in  vorftbergehendei*  Hülle.    Auch  Apollo 

27* 


Digitized  by  Google 


—  414  — 


Vbiiiert  seine  sinnliche  Bedeutung  und  wiid  Gott  der  "Reinheit,  der 
Verkläi'theit,  des  W  issens^,  Hauptquell  der  Orakel,  Fulner  der  Musen; 
er  steht  freilich  immer  iiocJi  in  Zusainmenbaiig  mit  dem  SonnenlicliL,  aber 
.  er  ist  doch  so  völlig  verändert,  dass  man  kaum  noch  den  Sonnengott 
in  ihm  erkennt  Nur  gewisse  Qottheiteii  bebielteii  offener  üire  Natnr- 
Mentung,  da  aid  «Uro  bastuoint  in  ihrem  gamenWeMn  lag,  ah  da» 
Bio  adi  li&tte  verwiaehen  können,  wie  Poseidon,  der  ErdnmgOrter, 
Demeter,  die  Fmehtbore,  in  deren  HythnB  das  Snmenkoni  in  der  Ge- 
stalt der  Persephone  mgmnde  geht,  und  Baocbos,  der  Gott  den 
Weins  vnd  seiner  Freuden.  Aber  alle  worden  doeh  jetzt  als  verkUrte 
Hensehen  angesdiant  Hegel  hatsehr  sehdn  dieSage  Ton  derS^ihinx 
and  dem  ödipns  anf  diese  Umgestaltung  gedeutet:  Die  Sphinx,  ein 
Ungeheuer,  zusammengesetzt  aus  Löwe  und  Mann,  erst  später  ein  ge- 
flügelter Löwenkörper  mit  Kopf  und  Bnist  einer  Jungfrau,  im  böo- 
tischen  Mythus  l'ochter  des  Typhon  und  der  Schlange  Echidna,  er- 
scheint unter  den  Griechen  und  stellt  das  bekannte  Bäthsel  vom 
Menschen;  Ödipus  löst  es,  und  die  Sphinx  stürzt  sich  vom  Felsen  bei 
Theben  in  den  Abgrund,  —  ä.  h.  die  Griechen  bilden  die  Natursym- 
bole  in  eine  reine  Menschengestalt  um  und  entrinnen  damit  dem  Un- 
geheuerlichen eines  früheren  Stadiums  ihres  Daseins.  Xini  finden  sich 
allerdings  auch  bei  den  (TÖtzendienem  in  Asien  nein  n  den  Thier- 
gestalten auch  menschliche  Bilder,  aber  zumeist  MeiiM  liengesinlten  mit 
Thierköpfen  oder,  wie  bei  den  Chinesen,  in  tiatzenhafter  Verzenimg; 
bei  den  Griechen  dagegen  ist  es  die  schöne  Menschen^^estalt,  die  den 
Gott  repräsentirt,  und  Weniges  nur  erinnert  an  die  alte  Naturbasis, 
von  dei'  aus  die  Verklärung  sich  vollzog;  dahin  gehört  der  Adler  des 
Zeus,  der  bis  in  den  Äther  sich  erhebt,  der  Schwan  des  Apollo  als 
Thier  des  li^tes,  das  Beiwort  der  Hera  ßoßmf,  die  kuhängige,  da 
sie  in  Argos  als  Kuh  daigestellt  ward  wie  Zeus  anf.  Kreta  als  Stier, 
und  das  Epitheton  der  Athene  yXmnißmf,  dieenlenSngige,  wie  ja  denn 
bis  in  die  spftteste  Zeit  des  HeOenenthunis  die  Eule  das  ihr  geweihte  Thier 
blieb,  und  wie  die  ihrer  Torklärten  Pereonification  zu  Grunde  liegende 
Natorkraft  oienbar  ursprünglich  in  Eulengestalt  verehrt  wurde.  Aber 
das  giiechische  Bewnsstsein  in  seiner  Hlllteneit  war  ttber  sokhe  An- 
Behauung  erhaben,  und  der  gelluterten  Vorstellung  von  der  Gottheit 
entspradi  denn  auch  wiederum  die  Moralität.  Die  Griechen  haben  die 
sittliche  und  staatliche  Freiheitsform  in  ihren  kleinen  Staaten,  wo  es 
der  Natur  der  Sache  nach  am  leichtesten  ging,  in  vollkommenster 
Weise  ausgebildet.  Wie  das  ganze  Volk  aber  in  viele  kleine  mehr 
oder  weniger  seibstständige  Theile  zerfiel,  so  bildete  sich  nun  auch, 


Digitized  by  Google 


—  416  - 

nachdem  eiiimal  die  Vielheit  der  Xaturkräfte  zu  ofoistigen  Indivifitu'.n 
erhoben  war,  eine  neue  Vielheit  der  Gatter,  indem  jede  Volksindivi- 
dualität sich  den  (iutt  narh  ihrer  Weise  gestaltete,  eine  Vielheit, 
welche  außerdem  durch  tlie  von  Ifs^  alen  Ki^enthümlii  liknnen  abliän- 
gende  Ausbildung  der  göttlichen  Gestalten  in  ihrem  \\  aclisthuni  noch 
unterstützt  wurde;  denn  ursprünglich  ist  dieser  individuelle  Standpunkt 
nothwendig  polytheistisch.  "VMrdnun  später  wiederum  die  ganze  Reihe 
dieser  göttlichen  Wesen  zu  einer  einheitlichen  Gesammtheit  im  Volka- 
mythus  verbunden,  so  ist  ihre  Zahl  zwar  eben  gemäß  der  abweichenden 
IbdiTidmlitSt  derSt&mme  bedeutend  großer  geworden,  aber  stets  maa» 
man  bei  Betrachtang  solch  eines  GOtterhimindB  festhaHeOt  da»  trotz 
der  Uannigfaltigkeit  der  Gestaltungen  der  Geist  des  Individmuns  nie 
ohne  die  Natnrbasis  gefiust  ist,  und  dass  gar  ^1  versdiiedenen  In* 
dividnen  dieselbe  Natnrbasis  m  Grande  liegen  kann  und  liegen  mnss, 
da  die  Form  des  Geistes  nicht  gleichsam  dnrdi  einen  Strang,  son* 
dem  dnrch  aUmihliehe  YerkUrong  TeracliiedeDer  Seiten  gewonnen  ist 
Bei  den  Bömem  itaiden  ^wir  zwar  eine  etwas  andere  Form  ridi- 
giteer  Anschauung,  die  der  altarischen  n&her  verwandt  ist,  wie  ja 
denn  auch  die  lateinische  Sprache  dem  Sanskrit  nflher  steht  als  das 
Griechische,  aber  das  ist  leicht  erklärlich;  die  Römer  waren  weder  so 
geistreich,  noch  so  schdpferiBch  in  der  Freiheit  des  Bildes,  fler  Sitte 
und  Sprache  wie  die  Griechen,  sondern,  vorwiegend  praktischer  Natur, 
erhielten  sie  in  ihrer  Anschauung  mancherlei  alte  arische  Elemente, 
viip  flen  Geister-  und  Genienglauben,  der  bei  den  Griechen  äußerst 
Seiten,  einmal  itei  Hesiod,  auftritt,  in  Italien  aber  gerade  ganz  ge- 
wöhnlich ist.  I>ie  Koine!-  dpr  besseren  Zeit  waren  voller  liialkraft, 
daher  jedocli  auch  weniger  bevorzugt  durch  Schöpfungen  der  Plian- 
tasie  als  iuder  Praxis  des  Staats-  und  Rechtslebens,  deshalb  aber  auch 
wieder  zum  geraeinen  Aberglauben  mehr  geneigt,  während  ihre  Reli- 
gion aller  poetischen  Ausschniiickung  und  einer  tieferen  Speculation 
entbehrt.  Im  wesentlichen  freilich  ist  der  Standpunkt  der  latinischen 
Gottesverehrung  von  dem  der  griechischen  durchaus  nicht  verschieden. 
Anch  bei  den  Latinem  sind  die  GUtter  eine  Mehrheit  geistiger  l^di- 
vidnen,  nnd  nor  in  alten  Sljrmboleii  findet  sich  weniger  eine  Erinne- 
rung als  dne  AnnAhmng  an  die  alte  nnd  ursprüngliche  Anschannng, 
wie  X.  R  in  der  Formel,  „per  Jovem  lapidem'*,  die  beim  Schwur  ge- 
brancfat  wnrde  und  an  die  malte  Verehrong  des  Jnpiter  nnter  der 
Gestalt  eines  Kieselsteines  erinnert,  wie  Mars  in  der  Gestalt  eines 
Speeres  angebetet  wnrde,  und  wie  sich  das  heilige  Feuer  im  Cult  der 
Vesta  Us  in  die  spftteste  Zeit  erhielt  Indessen  verloren  sieh  die 


Digitized  by  Google 


—  416  — 


Römer  andereiseit>  gar  baKi  in  das  Unschöne,  in  das  dem  idealen 
Fremde.  Während  der  von  der  Phantasie  befruchtete  Geist  des  grie- 
chischen Volkes  Gottheiten  für  alles  Erhabene  nnd  Schöne  schuf,  suchten 
und  landen  die  Römer  göttliche  Gestallen  tür  alles  Nützliche,  aber 
keinen  höheren  idealen  Boden.  So  hatten  schließlich  Kuh-  und  Pferde- 
stall ihre  besonderen  GOtter,  die  Befrachtung  der  Herden  stand  unter 
der  specieUen  Leitung  eines  eigenen  gdttlichen  Wesens,  Ossdpaga  machte 
die  Knochen  der  Neugeborenen  fest,  Statilinns  nnd  Statina  lehrten  die 
Kinder  hinfen,  Tabnlinns  lehrte  ^e  sprechen,  Jngatinns  stand  den 
Heiraten  vor,  Rnbigns  nnd  Knbigo  hielte  den  Bost  von  den  Saaten 
letn,  nnd  nnter  den  Tugenden  fimden  die  dementia,  die  Concordia, 
die  Fides,  anter  den  Gl&cksgtttem  Victoria,  Salus,  Felicitas  und  Fe- 
cnndia  ihre  Verehrung,  v&hrend  gleichzeitig  Payor  und  Pallas,  die 
Gottheiten  des  Schreckens  nnd  der  Furcht,  anc:erufen  wurden.  Auf 
diese  Weise  aber  gewann  dann  endlich  auch  gerade  die  römische  Religion 
eine  Bescliaffenheit,  die  ein  wirkliches  religiöses  Bedürfnis  in  keiner 
Hinsicht  belnedigen  konnte;  die  geistigen  Individuen  entbehrten  zum 
größten  Theil  jedes  idealen  Gehaltes. 

Trat  nnn  schon  in  diesen  polytheistischen  Religionen  des  geistigen 
Individuums  eine  Gottheit  als  Regent  an  die  Spitze  der  ^rroßen  J'rhar 
der  Götter,  so  tliat  die  geistige  Eiit\Nickelung  der  Menschheit  iv>  <l*^r 
monotheistiMhen  Keligion  iiocli  einen  Schritt  weiter  nach  vor^^art:^. 
Aber  man  ist  oft  vnVl  zu  freigebig  mit  dem  Prädicat  ..Monotheismus^ 
umgegangen.  Bei  dem  fornienfrohen  und  schraiheilssiniiigen  Volke 
der  Griechen,  wo  die  l'hantasie  nicht  in  das  Willkürliche  schwärmte, 
sondern  ästhetisch  disciplinirt  war,  strebte  ja  allerdings  der  philoso- 
phierende Gedanke  schon  frtthzeitig  über  die  bunte  Beihe  der  Götter- 
gestalten des  Volksmythus  dem  Hcmothdsmns  entgegen,  nnd  der  Olymp 
der  Poesie  £uid  gar  bald  einen  Gipfel  in  dem  „Vater  der  Götter  und 
Menschen**,  aber  eine  ausschlieBliebe  Einheit  war  damit  nicht  erreicht^ 
nnd  nur  einer  solchen  gebfirt  der  Name  des  Honotheismus.  Auch  den 
Buddhismus  hat  man  so  beseicbnet,  da  er  ein  nnitarisehes  Element  in 
sich  trägt,  da  dn  allgemeiner  Monismus  auch  den  indischen  BeUgions- 
systemen  zu  Grunde  liegt,  nnd  noch  F.  G.  Welcher  will  die  alte 
arische  Keligion  als  Monotheismus  gelten  lassen,  indes  der  Weg,  wet* 
eben  die  indogermanischen  Völker  einschlugen,  um  das  Ziel  des  ein- 
heitlich  gefassten,  in  einem  gleichmäsigen  Verhältnis  zur  mannigfaltig 
gestalteten  Welt  stehenden  Gottesbegriifes  zu  eneic  lien.  um  Vielheit 
und  Einheit  im  Gottesbegrift'  zu  verbinden ,  führte  wohl  zu  einer  hikh- 
sten,  aber  doch  nicht  zu  einer  ausschließenden  £infaeit,  nicht  zu  dem 


Digitized  by  Google 


—  417  — 


einen  und  alleinigen  Gott.  Als  im  indischen  Bnilmiaismus  der  ur- 
sprüngliche Polytheismus  der  Naturreligion  tiberwunden  wurde,  ge- 
langte allerdings  in  einem  pantheistischen  Honismas  der  Gfddanke  der 
Tia^piMiftii»  ZOT  Herrschaft,  und  die  Selmancht  des  menschlichen  Gemftthes 
nach  einem  gegenwärtigen,  der  Welt  innewohneaden  Gott  iand  ihre 
Befiiedignng,  aber  der  von  den  Ariern  gewonnene  Gottesbegriff  ent- 
behrte doch  voniäunlich  so  sehr  aller  Lebendigkeit  nnd  FQlle,  dass 
schon  im  Bnddhismos  jenes  unpersönliche  Allems,  das  den  Namen 
Brahma  trag,  in  das  Nichts  nmsehkgen  konnte,  so  dass  wir  hier  in 
der  Tfaat  vor  einer  orsprOnglich  atheistisch  gemeinten  Beligion  stehen. 

Erst  dem  semitischen  Hebräerstamm  war  es  vorbehalten,  zu  dner 
ausschließlichen  höchsten  Einheit  zu  «^t^langen.  Die  alttestaraentliche 
Tradition  verlegt  nun  diesen  Monotheismus  sofort  in  die  Älteste  Zeit 
desMenschengeschleclits;  aber  schon  der  rnistand,  dass  die  Juden  noch 
zu  und  selbst  nach  Davids  Zeiten  ihre  Theraphim,  Penaten  in  Men- 
schengestalt, als  Orakelgötzen,  als  Spender  des  häuslichen  Glückes 
und  Wollebens')  im  Hause  bewalirten,  dieselben  Götter,  die  einst 
Kahel  ihrem  Vater  stahl,  muss  uns  bedenklich  machen,  und  mein-  n<u'h 
bezeugt  flie  Thatsaehe,  dass  wir  im  alten  Testamente  lilutige  Upfer, 
Weihranch,  das  heilige  Zelt,  später  deu  Tempel  als  Wohnung  Gottes 
anti  eöen,  wie  auch  hier  uothwendig  eine  niedi-igere  Form  der  Gottes- 
Terehruüg  voraufgegangen  sein  mnss.  Vom  Standpunkt  eines  reinen 
Monotheismus  sind  alle  jene  Elemente  unbegreiflich,  —  er  hätte  sie  nie 
aus  sich  herausgesetzt,  —  aber  sie  blieben  im  Volksbewusstseiu  liai'ten, 
als  der  Gedanke  sich  bereits  zu  einer  höheren  Form  der  Anschauung 
des  Odttlichen  emporgeschwungen  hatte.  Soldie  Überlebael  finden  wir 
in  allen  Religionen  nnd  nicht  zum  wenigsten  im  Christenthnm.  Aach 
hei  den  Slaven  nnd  Oennanen  erhielt  sich  ja  das  Bewnsstsein  nm  die 
alten  heidnischen  Donnergötter,  nur  trat  an  ihre  Stelle  gewöhnlich 
Elias  als  Bringer  des  Regens'),  nnd  sdbet  die  Jungfrau  Maria  wurde 
in  diesen  G^edankenkreis  gezogen,  die  in  altslavischen  Gedichten  den 
Beinamen  die  „Feurige"  (ognjana)  trügt  und  Blitz  und  Donnerkeil  er- 
hält, wahrend  Elias  nur  den  Donner  und  der  heilige  Thomas  „das 
Siegel  der  Wolken"  führen.')  Gerade  diese  Reste  Uterer  Anschauungen 
sind  es,  die,  im  klaren  Bach  der  Geschichte  wie  vorsündflutliclit-  Ver- 
gteinerungen  mitfortgeführtf  oftmals  erst  den  Unterschied  zwischen  der 

*)  J.  Sara.  XIX,  13—16;  EzecliuXXI,  26;  Zach.  X,  2,  cf.  Ewald,  „Isxuelit.  G«8ch." 
I.  9.  372;  m,  S.  107.  —  ^  I.  Begg.  XVIX,  1;  XVni,  41.  46wBr.  d.  Jacob.  17. 
—  3)  Vuk  Stepbauoviö  XaracjU  tiSrp«k«  narodne  pjeame  k  HeicegoTine",  Wksn  186ft, 
2  cf.  II,  1. 


Digitized  by  Google 


—  418  — 


historischen  und  der  vorhisioribcheu  Religion  zu  eiueui  dieücndeu  zu 
machen  Teimügeu,  und  so  ist  es  auch  hier. 

Als  AbrahMD  ür  in  Chaldtfla  Toritoft,  dioite  et  mü  stinfiiiiStaBiD, 
m  i€li  an  anderer  Stelle*)  glaiibe  geniert  an  haben,  dam  Kamm,  d.  h. 
dem  Planeten  Satnm.  Hier  weise  ich  nar  noch  daiaof  hin,  daaa  aacb 
Tadtos  Ton  diesem  ursprOnu^chen  Satnmdianat  der  Juden  etm»  weift% 
der  nach  Arnos,  dem  ältesten  unter  den  alttestamentliehen  Propheten, 
der  Colt  der  Jnden  während  der  WftBtenwandemng  gewesen  ist;  denn 
Küan^  ist  durch  andere  Pmiktation  aas  Kaiwan  oder  Kewan  ent- 
standen. Ja,  auch  das  weihliehe  Gomplement  zu  diesem  Gotte,  die 
alte  kanaanitische  Aschera^  lässt  sich  nachweistti;  denu  wie  die  Erx- 
Tftter  dem  Gott  heilige  Steine  errichten,  so  pflanzen  sie  heilige  BAnme. 
Abraham,  aus  Ägypten  surückgekehrt,  lässt  sich  unter  den  Eichen  von 
Mamre  bei  Hebron,  einer  nraltm  Cultusstätte,*}  nieder,  und  sein  Gott 
ist  offenbar  noch  derselbe,  welcher  auch  dem  Abimelech.  dem  Könige 
von  Gerar  in  Philistaea,  im  Traum  erscheint.*)  Fand  Al)ialiaui  bei 
Hebron  die  heiligen  Eichen  vor,  so  pflanzte  er  die  Tamarisken  zu 
Beerseba  an  der  heiligen  Quelle,  opferte  daselbst  und  n^f  den  Xamen 
seines  Gottes  an.*)  Und  wie  hier  Isaak  einen  Altar  errichtete'),  s*o 
war  Beerseba  noch  zur  Zeit  des  Propheten  Auios  ein  vielbesuchter 
\V  alifahrtsort.**)  Jakob  hat  später  zu  Lus  eine  Offenbarung  Gottes, 
nda  nahm  er  den  Stein,  den  er  zu  seinen  Häupten  ^>:elej;?t  hatte,  und 
setzte  ihn  als  Mal  und  ^ss  Öl  oben  darauf.  Und  er  nannte  den  Na- 
men selbiges  Ortes  Bethel   Und  Jakob  gelobte  ein  Grelübde 

and  sprach:  Wenn  Gott  (pluralisch:  Elohim)  mit  mir  ist  nnd  mich 
behfltet  auf  diesem  Wege,  wetehen  ich  siehe,  und  mir  Brot  gibt  n 
essen  nnd  Kleider  anzusehen,  nnd  ich  glfieUieh  sorftckfcehre  am 
Hanse  meines  Vaters,  so  sott  Jehova  mein  Qott  sein,  nnd  dieser 
Stein,  welchen  ich  als  Mal  gesetzt  habe,  soll  ein  Gotteshaus  werta."*) 
Er  errichtet  also  keinen  Altar,  sondern  stellt  einen  Stein  anf  als  Mal, 
und  das  ist  ein  heiliges  Mial,  ehi  heiliger  Stern,  da  er  ihn  mit  Öl 
salbt  nach  uralter  Sitte  der  Araber.  Auch  spricht  er  hypothetüMh: 
Wenn  Gott  (nämlich  der  mir  hier  erschien)  (Ar  mich  sorgt,  so  soll 
Jehovft  mein  G^tt  sein,  und  dann  soll  dieser  Stein  ein  Hans  des  £1 
(fieth-Ei)  werden;  so  spricht  aber  offenbar  nur  jemand,  der  ans  einer 

')  \  gl.  Hilgeutehb  „Zeitschrift  f.  wis8en»chaJtl.  Theologie",  IBSi.  6.  210  II  — 
«)  Twjit.  Eist.  \.  4.  et  Dio  Caas.  XXXVli,  19;  Hendot  II,  88.  —  Am«  V, 
86.  —  ')  Tgl.  meinen  AnfMte  in  <let  ^taelir.  Ar  wineneehallL  Theologie",  1888. 
S.  3ö3.  —  Gen.  XX,  3.  —  •*)  Gen.  XXI.  29  fif.  —  ')  Oen.  IZVI«  85.  —  •)Aiiim 
V»  ö;  Vm,  13  £L  —  ")  Gen.  XXVm,  18  ä. 


Digitized  by  Google 


—  419  — 


Mehrheit  von  Göttin  itm  (Elohim*  (  ine  Auswahl  treffen  nuk-hte  und 
uua  seine  Elohim  utü  die  Probe  .stellt,  um  den  rechten  El  herauszu- 
finden. Frenule  tjrötter  und  die  Ohninge  des  sjTischen  Götzeiirüenstes 
vergräbt  Jakoh  dann^)  unter  der  Eiche  zu  Sichern  -,  unter  dieser  Eiclie 
aber  finden  wir  noch  zur  Zeit  Josuas  die  heili<2^e  Lade,  das  Stammes- 
heUigthum/'j  und  sie  führt  den  charakteristischen  Namen  der  ^^'ahr- 
sagereiche.^)  Hier  fand  die  Nationalversammlung  statt,  und  noch  in 
der  Bichteradt  Tmumnelteii  sich  hier,  an  heiliger  Stätte,  die  Bürger 
Yon  SidumzagemeinsehaftBcberBerathinig.')  —  Abermals  stellt  Jakob 
sodann  einon  heiligen  Stein  sn  Bethel  auf;  Weiht  ihn  mit  Öl  und  bringt 
sein  Tiankopfer  darauf  dar.*)  Bethel  aber  ist  gleichMs  zur  Zeit  des 
Arnos  Coltasstätte.  Fremde  Götter  m  mtfemen,  befiehlt  auch  Josoa 
am  Ende  seines  Lebens,  als  er  einen  Bnnd  mit  dem  Volke  schließt 
nnd  einen  Stein,  dsr  alle  Worte  Jefaoras  gehOrt  hat,  als  Zeugen  unter 
der  Eiche  am  Heüigthnm  Jehovas  aufiitellt.  Diese  Eidie  ist  die  Aschara, 
an  deren  altsemitischen  Dienst  durch  weibliche  Hierodulen  nicht  blos 
die  Zauberpriesterin  zu  Endor,  sondern  auch  die  Prophetin  Hulda  er- 
innert, die  noch  zu  Josias  Zeit  in  Jerusalem  Orakel  Jehovas  ertheilt; 
denn  mehr  und  mehr  war  die  männliche  Gottheit,  der  Kewan-Jahveb, 
der  für  so  heilig  galt,  dass  man  nicht  einmal  seinen  wahren  Namen 
auszusprechen  wagte"),  in  den  Vordergrund  getreten,  der  Gott,  den 
bildlos  zu  verehren  der  in  ägyptischer  Prie^^terweisheit  ei-zog^ene 
Mose  am  Sinai  e^ebit^tet.  Aber  wie  er  selbst  zur  Abwcln-  iregeu  den 
öuineawurm  die  eherne  Schlange  als  Symbol  der  ht-ileaden  Natui'- 
kraft  errichtet,  die  nacbnmls  erst  Hiskia  zertrümmert'),  so  bleibt  der 
hebräische  Monotheismus  noch  lange  Zeit  nach  seinem  Tode  ein  umuuig- 
fach  getrübter.  Jehova  ist  zunächst  nur  der  ausschließliche  Hort  des 
Hebiäürlltumes,  ein  Schutzgenius  von  größerer  flacht  als  die  Götter 
der  übrigen  Nationen;  das  beweist  der  Lobgesang  Moses*),  das  be- 
weist femer  das  Wort,  welches  Jephtha  dem  AmoriterkOnig  Sihon  ent- 
bietet: „Nicht  wahr,  was  dir  Kamos,  dein  Gott,  in  Besitz  gibt,  das 
nimmst  dn  äa?  Und  so«  was  Jehova,  unser  Gott,  uns  in  Besits  ge- 
g^ien,  das  nehmen  wir  eint"*)  Hatto  ferner  schon  Aaron  sofort  nach 
der  prtchtigen  Theophanie  am  heiligen  Berge,  als  Mose  allzu  lange 
▼eraog,  em  Stierbild  angefertigt^  wdches  den  Satnm,  den  Einen  Gott, 
der  das  Volk  aus  Ägypten  heraafjgeftthrt  hatte,  darstellte,  so  folgte 

Gene»  XXXV,  2  fl.  —  -7  Josua  XXXIV.  26.  —  Judd.  IX,  37.  —  ')  Judd. 
IX,  6  vgl.  Movers  a.  a.  0.  I,  581.  —  »)  Gen.  X3LXV,  14  £  —  •)  VergU  dMn  PMchel 
».  a.  0.  10&  —  Kran.  XXI,  6  ft  cf.,IL  Begg-XYIil,  4.  -  «)  fiiod.  ZV,  11.  — 
•)  Judd,  XI,  84  et  PMchel  a.  a.  0.  m. 


Digrtized  by  Google 


—   420  — 


ilim  darin  nicht  blos  (Tideoü'},  houdeni  auch  Micha,  der  Mann  vom 
Gebirge  Ei»hraini.  trieb  Bilderdienst- K  und  noch  zur  Zeit  Davids  wurde 
das  Schwert  (Juliiiths  hinter  dem  Stierbüd  ^Ephod)  im  Heili^lmm  zu 
Nob  aufbewahrt.  Als  es  zur '1  lifütinpr  des  Reiches  kommt,  da  ludert 
unter  den  Parteikämpfen  das  alt  nationale  Bewujistbein  iu  den  zehn 
Stämmen  wieder  auf,  und  Jerobeam  weiß  seinen  jungen  Thron  nicht 
besser  zu  stAtzen,  als  dadoreh,  dam  er  den  echt  volkstJiflnilich^  Büßt- 
dienst  wieder  211m  dffentlichen  Cult  erbebt,  Aseheren  pflanzt  und 
Priester  ans  allem  Volk  anstellt*),  —  offenbar  eine  Beaction  gogea 
idealere  Forderungen,  die  man  im  Reiche  Jnda  stellte;  noch  lange 
aber  galt  der  Bilderdienst  bei  der  grofien  Menge  niigend  Ar  G^tien- 
dienst^),  und  fromme  Könige,  wie  Jehn,  vertilgten  wol  die  BUdsftolen 
des  Baal,  aber  nicht  die  nationalen  Stierbilder.*)  Erst  Josia  entfernte, 
um  den  Worten  des  nnter  sdner  Begiening  im  Tempel  aofiBfefiindenea 
Gesetzes  zu  genügen,  wie  alle  Götzenbilder,  so  aneh  die  Höhen  und 
Äscheren,  Stierbüder  and  Theraphim,  TodtenbesehwDrer  nndaUe  ^klagen 
Männer^. 

Inzwischen  aber  hatte  sich  der  hebräische  Geist  auch  mehr  und 
mehr  geläutert.  Jehova,  der  Füi*st,  der  Herr  der  Heerscharen  seines 
Volkes,  dem  er  als  heiliges  Feuer  in  der  Rauchsäule  voraufgezojs-en 
war,  hatte  nach  dem  Willen  der  Nation  in  dem  Könige  einen  irdischen 
Stelivertretei*  erhalten,  und  da  hatte  der  Theoki-at  Saniut-l  in  schwert-r 
Zeit  das  denkwürdige  Wort  gefunden .  dass  Gott  am  (Tehorsam  mehr 
Gefallen  habe  als  am  Opfer*).  Damit  aber  war  der  Blick  auf  die 
innerlich  geistige  Sphäre  des  Menschen  gerichtet^  und  ilire  Pflege 
ward  das  Werk  der  von  Samuel  begründeten  Prophetenschulen.  Hier 
lenite  der  Geif^t  sich  als  allgemeines  einheitliches  Wesen  erfassen,  als 
Vernunft,  die  yich  selbst  erkennt,  und  so  wurde  das  allgemeine  Wesen 
des  Menschen  vom  Selbstbewusstsein  ergriffen,  der  Mensch  als  Mensch, 
d.  h.  als  yemttaftiges  Wesen.  Dieses  Wesen  aber  setzte  dann  notfa- 
wendig  anch  seinem  einheitlichen  Selbstbewosstsein  entsprechend  die 
Vorstellung  von  Gott  in  reiner  monotheiitiscfaer  Form.  Es  wird  nun 
nicht  mehr  Uos  ein  Gott  der  Zahl  nach  als  Hort  seines  Volkes  ange- 
nommen, sondern  die  aosschliefiliche  Einheit  wird  jetzt  dahin  aus- 
gebildet^ dass  es  neben  Gott  keine  andern  Götter  geben  kann.  Parallel 
der  gesanunten  geistigen  Entwickelimg  geht  also  der  Kampf;  in  welchen 
begeisterte  Propheten  durch  einen  mehr  nnd  mehr  erstarkenden,  per- 

')  Judd.  VIII.  -21.  -  -1  Judd.  XVII,  5  cf.  XVIII,  17—22.  —  )  I.  fi«gg.  XII 
28  ir.  cf.  n.'fiegg.  XXm,  IÖ.  —  *)  Je^tJ«.  XXX,  22  cf.H4M.III,  4.  —  ^)0.Bflgg. 
X,  28  ff.  —  •)  I.  Reg«.  XV,  22. 


Digrtized  by  Googl 


—  421  — 

snnlich  und  transscendent  gemeinten,  mit  aller  Energ-ie  j?ef?5rderten 
Theismus  den  alten  Volksglauben  und  den  immer  wieder  eindringenden 
stammverwandten  Polytheismus  der  Xatm-religion  i'iberwanden:  p-eiiau 
ptHtülel;  —  ib  iDi  den  pi'oßen  ( it^  hiuken  eines  o-eläuTt-rteu Monotheismus 
konnte  nm-  die  das  walahalt  Kine  setzende  Vernunft  durch  sich 
selbst  erreichen,  er  ist  das  Produet  wahrer  gottmenschlicher  Thätig- 
keit,  der  fortvschreitenden  ?>ziehung  der  Vernunft  bis  zu  der  Fähig- 
keit hin,  das  Eine  wahrhaft  zu  denken. 

Dies  eine,  intelligente,  freie  geistige  Priucip,  dieser  Schöpfer,  l^i- 
halter  und  Begierer  der  Welt,  dieser  persönliche,  Uber  die  Welt  eben 
80  eriiabene  wie  lebendig  ihr  nKhe  und  sie  durchweg  bedingende  Gott, 
ist  nim  nicht  mehr  jener  Jehova,  der,  local  begrenzt,  mit  Jakob  nach 
Ägypten  hinabsieht^),  der  durch  Hose  anf  dem  Sinai  an  gegebene  Yer^ 
sprecfaongen  erinnert  werden  mnse'),  der  nie  yergibt>  sondern  die  Sttnden 
der  TAter  heimsncht  an  Kind  nnd  Kindeskind,  dnrch  Opfer  aber  ge- 
neigt gemacht  werden  kann,  —  jetzt  ist  Gott  allgegenwSrtig,  nnd  selbst 
anf  den  Flügeln  der  Morgenröte  kann  niemand  ihm  entrinnen*);  der  Gott 
von  dem  der  Psalmist  sagt :  „Ob  ich  schon  wandere  im  Unstern  Thal, 
fürchte  ich  doch  kein  rniilück,  denn  du  bist  bei  mir",^)  er  bedarf  nicht 
mehr  der  menschlichen  Mahnung;  und  nach  Jeremias  soll  es  jetat  nicht 
mehr  heißen:  „Die  Väter  haben  Heerlinge  und  saure  Trauben  gegessen, 
und  den  Kindern  sind  die  Zähne  danach  stumpf  geworden"^),  sondern 
jeder  ^nll  für  seine  eigenen  Sünden  büßen;  aber  nicht  an  dem  Tode 
des  Frevlers  hat  dieser  Gott  liint'ort  \^'olg^elallen,  sondern  an  seiner 
Umkehr'*),  dieser  Gott,  der  da  satt  hat  die  Brandopfer  von  Widdern 
und  das  Fett  der  Mastklilber,  der  keine  Lnsl  Imr  nm  Blut  von  Stieren 
nnd  Lämmern  und  Bocken,  dem  Kauchwerk  ein  Greuel  ist,  der  den 
Seinen  zuruft:  „Waschet  euch,  reiniget  euch,  schaffet  eure  bösen 
Werke  mir  aus  den  Auo:en»  höret  auf  zu  freveln!"^  —  Worte,  die  an 
den  Mahnruf  des  Täufers  in  der  Wüste  erinuei  ii:  „Auilert  euren  Simi; 
denn  das  Himmelieich  ist  nahe  herbeigekommen!"  Und  wenn  Sirach'*) 
die  Semen  ermahnt:  „Vergib  deinem  Nächsten  die  Beleidigung,  dann 
werden,  wenn  da  bittest,  auch  deine  Sflnden  erlassen",  so  betet  Jesns: 
„Vergib  uns  unsere  Schuld,  wie  wir  vergeben  nnsem  Schnldigem." 

Aber  wenn  das  alte  Testament  die  Gottheit  als  Wesen  in  der  ob- 
jeetiven  Natnr  nnd  im  Menschenleben  anffasst,  nnd  der  Hosaismns 
daher  hauptsächlich  die  Einheit  des  religiösen  nnd  socialen  Menschen, 

(Jene*..  XLVI.  4.  -  ^  Exod.  XXXII,  9— U.  —  »)  Ps.  t'XXXVIII,  7  ff.  - 
*)  Ps.  XXIII.  4.  —  »)Jerem.XXXI,  29  f.  —  «)  Ezech.  XVIII,  20  S.  —  ')  Jesaj.  I, 
10  ff.  —  *)  Siiach  XXVm,  2. 


Digitized  by  Google 


—  422  — 


die  Identität  dei  Lebeus»  uud  der  Lehre  betont,  die  oirgrends  fiir  sich, 
sondern  jederzeit  als  Gresetz  auftritt,  welckes  das  ^aiize  Lriteii  be- 
herrscht, 80  schreitet  das  ( 'hristeutliiuu  diesem  Standpunkt  gegenüber 
fort  bis  zu  einer  hüheren  Einheit  des  göttlichen  Priucips  and  der 
menschlichen  Intelligenz  in  der  hellenistischen  Lehre  von  der  Mensch» 
werdnng  der  götUkben  Veniitiift,  des  Logos,  und  daher  ei^sibt  sidi 
dem  hier  aaeh  erst  eine  concretereAnfbflsimg  der  meDsehliehoL  Nalar 
und  ihres  Verhältniflses  za  Gott  Es  wurde  doreh  diese  heilenistisdie- 
Logoslehre  ein  ganz  anderes  EUement  des  Glanbensleljens  im  G^egen* 
sata  zom  Gesets  gewonnen;  denn  obgleich  Panlns,  ndt  den  Lehren  dir 
damaligen  nenpythagoriscfaen  Philosophen  Tertrant,  das  Wort  Logos 
nicht  gebraneht,  sondern  Synonyma  dafür  setzt,  beraht  in  der  That 
doch  seine  ganze  Anschannng  von  dem  erhöhten  Christus  und  dessen 
bnmanenz  in  der  Gremeinde,  seine  Lehre  von  der  Rechtfertigung  and 
vom  Glauben  auf  der  Logosidee,  durch  welche  das  Christenthnro  über- 
haupt erst  aus  den  Grenzen  einer  bloßen  jüdis(:lien  Secte  heraustrat 
Ist  schon  in  den  Worten  des  Matthaeus:  ,.Wo  zwei  oder  drei  ver- 
sammelt sind  in  meinem  Namen,  da  bin  ich  mitten  unter  ihnen'"),  die 
Immanenz  des  erhöhten  Christus  deutlich  aus<?esprochen.  so  finden  wir 
bei  Paulus  und  im  Johannesevangelium  eine  noch  viel  tipfrrc  Auf- 
fassun?  dieser  urchristlichen  Lehre,  Paulus  erblickt  in  dem  erhöhten 
Christus,  der  nach  dem  Brief  an  die  Philipper'-)  ..Herr**  geworden  ist, 
eine  göttliche,  allgemein  walten  l»^  L'^tistii,^^  Macht:  und  wie  Christus 
die  eranze  Fülle  göttlicher  Macht  in  sich  vereint,  so  eilulit  er  alle 
(iiLiubi(gen,  die  seinen  Leib,  die  Glieder  im  einzelnen  bilden,  während 
er  selber  das  Ganze  ist')  und  in  jedem  Gestalt  gewinnt.  Sf>mit  ist 
denn  seine  Erscheinung  nicht  eine  eiiunalige  \'ereinigung  des  Menschen 
mit  Gott,  sondern  sie  ist  bei  uns  bleibend;  die  Menschwerdung  hat 
eine  durch  den  C^eist  vermittelte  Fortdauer.  Ebenso  aber  hat  der 
Vei^isser  des  'JohanneseTangelinms*)  den  leihtthten  und  TerhUrten 
Chzistus  als  geistiges  Lebensetoment  in  den  Glinbigen  an^eCuat 
Christus  mnsste  sterben,  wie  das  Samenkorn  in  der  Erde  stirbt,  um 
Frucht  zn  bringen;  denn  erst  dnrcfa  seinen  Tod  konnte  der  Trteter 
kommen,  der  die  GlAnbigen  in  die  Tolle  Wahrheit  fHhrt,  welche  die 
Jtinger  damals  noch  nicht  fiusen  konnten.  Wie  der  Vater  im  Sohn 
ist,  so  der  Sohn  in  den  Seinen,  und  diese  alle  sollen  eins  sein,  ver^ 
bunden  durch  das  gemeinsame  ESnheitsband,  so  daas  krane  Schranke 

V  XVIII,  20.  —  n,  8  u.  9,  der  Name,  der  über  alle  Isamen  ist,  mx 
,Mfto«^\  —  •)  Col.  H,  9.  *)  Vgl  m.  Bepetitor.  d.  enng.  BdigioiuiuiteRM^t^ 
Beriin  1879,  S.  SIL 


Digitized  by  Google 


—  423  — 


mehr  zwischen  den  Gläubigen  und  (iott  sstaitttiidet.  Der  Geist,  den 
Chiistus  auf  Knien  weckte,  ist  o-iitrliolie  Macht,  ist  nicht  ver^i  );ieüen 
von  dem  erhöhten  Christus  und  zugleieli  GuU.  Diese  Emlieii  des 
Vaters,  des  Sohnes  und  des  (jeistes  tritt  sreracle  bei  Johannes  am 
schärfsten  hervoi-.  so  in  dem  Beispiel  von  dem  Weinstock  und  den 
R«ben*X  so  in  di  ii  Worten:  „Wer  mich  liebt,  der  wird  mein  Wort 
halten;  und  uieiu  Vater  wird  ihn  lieben,  und  wii'  werden  zu  ihm 
kommen  und  W'ohnung  bei  ihm  machen.  Wer  mich  aber  nicht  liebt, 
der  hält  meine  Worte  nicht  Und  das  Wozit  das  ihr  höret,  ist  nicht 
mftiB,  sondern  des  YSitera,  der  mich  gesandt  hat  Solches  habe  ich  zu 
euch  geredet,  da  ich  noch  bei  ench  bin.  Der  Beistand  aber,  der  hei« 
lige  Geist,  welchen  der  Vater  senden  wird  in  meinem  Namen,  selbiger 
wird  each  alles  lehren  und  euch  an  alles  erinnern,  was  ich  ench  ge- 
sagt habe^"*)  Eins  ist  im  andern,  keines  ohne  das  andere,  nnd  so  ent* 
stand  Ton  der  Dreieinigkeit  ans  dann  die  christliehe  nitfttSi  die  gUn- 
Mge  An&ahme  des  Lebensprincips,  wodurch  der  GULnbige  den  Glanbens- 
inbalt,  d.  i.  Christnm,  in  sein  eigenes  Leben  nimmt  nnd  somit  Träger 
des  göttlichen  Geistes  wird. 

Sind  wir  aber  nach  imserm  bess6i*en  Theile  nunmehr  Träger  des 
göttlichen  Geistes,  ist  die  Wurzel  aller  Ideaütftt  in  ans  gelegt,  so 
kann  es  keine  höhere,  dem  göttlichen  Willen  gemäßere  Pflicht  fiir  uns 
geben,  als  dahin  zu  streben,  dass  aus  jener  Wurzel  auch  in  uns  ein 
leben ^kiättiger  Baum  entsprösse,  der  mit  seinen  Zweigen  unser  ganzes 
Leben  beschatte;  denn  zur  Gottähnlichkeif*),  fiir  die  wir  erschaffen  sind, 
fuhrt  nur  die  Erziehung  zur  Idealität.  Uud  dass  diese  wahre,  un- 
bes(  hr.inkte  Idealität  an  unseren  Schulen  nie  verkümmern  möge,  das 
walle  Gott. 


•)  ZV,  1^  —  ')  XI Y,  23—26.  ^  '}  Vgl.  Gm.  I,  27  mitdwo^«^«»«!?  »«^ 
bei  Piato. 


Digitized  by  Google 


Die  Oberbnrdaiigsfrage  und  die  \  oiksschiile. 

Fön  SmiiuulArer  A.  KMnwehmMt'SemMm. 

Sobald  wir  allgemeine  Menschenbildung  als  Zweck  der  Volks- 
schale anerkennen,  müssen  wir  auch  zugeben,  dass  sich  der  Untemcbt 
in  (liVst'r  Anstalt  seiner  pranzen  Natur  nach  und  namentlich  in  betreff 
der  Stoti  wjdil  ienem  Zwecke  unterzuordnen  habe.  Dann  diirten  wir  aber 
zunächst  mit  allem  Grunde  verlangen,  dass  jeder  liegenstand.  welcher 
auf  ein  Plätzchen  im  Lehrplane  Anspruch  macht,  für  alle  Kinder  ohne 
Ausnahme  Bedeutung  haben,  dass  er  bei  allen  Interest-e  er- 
wecken müsse.  Was  soll  aberz.  B.  die  eingeheudereiBehandluno;  der 
Technologie  dem  künltigen  Bauern  nützen?  Dieser  oder  jeuer  Gegen- 
stand liat  wol  eine  tiefgehentle  Bedeutung  für  ihn,  das  GeÄammtjrebiet 
gewiss  nicht.  W  elchen  Wert  haben  Garten-  und  Obstbau,  sowie  Land- 
wtschaftslehre  für  den  einstigen  Handwerker,  der  vielleicht  das  ganze 
Jahr  hindurch  in  der  engen  Werkstatt  einer  dumpfen  GroSstadtatraAe 
hockt?  Was  sott  er  mit  mflhaam  erworbenen  Kamtnissen  ans  diesen 
Wissensgebieten  anfangen?  HAtte  man  nicht  die  Zeit»  welche  darauf 
verwandt  wnrde,  Ueher  für  Gegenstände  verwerten  sollen,  welche 
jedem  ohne  Ausnahme  nothwendig  sind?  Was  er  gelernt  hat,  kann 
ihm  bei  Unterredungen  fiber  jene  Stoffe  höchstens  Material  zu  nn- 
nfltzen,  eingebildeten,  meist  sogar  recht  sinnlosen  Schw&tzereien  liefern. 
Ähnlieh  ist^s  mit  den  übngen  Gegenständen,  welche  wir  früher  be* 
aseichneten.  Als  selbstständiges  Unterrichts£ach  kann  keiner  von 
ihnen  einen  Platz  im  Lehrplane  beanspruchen;  sie  schaden  dann  mehr, 
als  sie  nützen,  weil  sie  im  Lehrer  Fachkenntnisse  voraossetzen,  welche 
er  nicht  hat,  weil  Dinge  behandelt  und  mühsam  eingedrillt  werden, 
die  niemals  und  nimmer  Gegenstand  des  Schulunterrichtes  sein  können. 
Der  Unterricht  kann  die  Schüler  z.  B.  niemah»  befähigen,  des  Arztes,  des 


Digitized  by  Google 


—  425  — 


Kechtsgelehrten,  des  fachmännisch  gebildeten  Kaufmannes  zu  entbehren. 
Schon  flaraus  geht  hervor,  dass  Dinge  jener  Art  mir  nebensächliche 
Bedeutung  haben  können,  dass  siV  liinter  wicht i^^eien  zurückstehen 
und  sich  hinsichtlich  desjenigen  Stottes.  weh  her  tür  alle  Menschen 
gleichen  Wert  hat  ;ni  i»Msseuder  Steile  in  andere  Fächer  ein- 
Scliieheii  las.seu  miiss^en. 

Zweitens  müssen  wir  verlaugeu,  dass  das  aiis2:ewälilte  Unter- 
riciitsmaterial  allen  Kindern  gleich  zugänglich  sei.  d.  Ii.  allen 
gleich  verständlich  gemacht  werden  kiiniie.  Welch'  unentschuldbarer 
Missgrill  würde  es  aber  z.  B.  sein,  dem  Kinde  der  gi'oßen  Städte  aus 
dem  höheren  Beamtenstande  Vorträge  über  Landwirtschaft  und  solche 
Tbeile  der  Hattswirtsehiift  zu  halten,  wofür  ihm  die  aUeraiiififtehsten 
Gmndlagen  des  Verständnisses  fehlen!  Oder  des  Lftngem  mid  Brei* 
teren  Aber  Garten-  nnd  Obstbau  vor  solchen  Kindern  za  sprechen, 
welche  kaum  einigemale  im  Jahre  einen  Garten  sn  Gesicht  bekommen! 
Die  ÄllgemeinTerständUchkeit  erscheint  flberbanpt  durch  zwei  Factoren 
bedingt,  nftmlich  durch  die  Natur  des  Stoffes  selbst  und  durch  die 
Methode,  welche  die  Eigenart  desselben  erfordert  Nicht  aUe  Unter- 
riditsstoffe  sind  gteich  verständlich  und  in  depjenigen,  welche  zur  Be- 
sprediung  in  der  Volksschule  geeignet  erscheinen,  gehen  viele  Partieen 
wiedtf  weit  Aber  das  Verständnis  der  Kinder  hinaus,  weshalb  in  den 
letzteren  eine  sorgsame  Äuswald  unerlässlich  ei-scheint.  Die  Lehr- 
methode bedingt  die  Verständlichkeit  insofern,  als  sich  der  Lehrer  der 
Denk-  und  Anschauungsweise  des  Kindes  anbequemen,  sich  in  seinem 
Anschaunngskreise  bewegen  muss. 

Drittens  müssen  die  Unterriehtsgegenstände  dei'art  tre- 
w;ihlt  werden,  dass  sie  das  Seelenleben  des  Ziiirlings  nach 
allen  Kichtungen  hin  iiintässen  und  beemllusseu.  Will  man 
im  Schüler  den  wahren  Menschen  zur  Ausbildung  bringen,  ihn  zui- 
Humanität  im  edelsten  und  schönsten  Sinne  des  Wortes  erziehen,  so 
müssen  bei  der  iStoiimissvahl  namentlich  diejenigen  Gegenstände  be- 
rücksichtigt werden,  welche  die  mei.sten  humanistischen  Elemente  in  sich 
bergen.  Auch  die  Lehrmethode  ist  bezugs  dieses  Punktes  unendlich 
vvichtig,  denn  dieselbe  kann  ejnzehne  Entwiekelnngsrichtmigen  des 
Seelenlebens  bevorzugen  und  ihnen  dann  zum  Übergewichte  veriielfen; 
dann  geht  die  Harmonie,  das  schöne  Gleichmaft  des  Gesammtlebens 
verloren.  Verwerflicher  noch  erscheint  die  systematische  Nichtbeach- 
tung der  einen  oder  anderen  Entwickelungsrichtung.  WbUen  wir 
Einseitigkelten  dieser  Art  vermeiden,  so  mftssen  die  humanistiseheii 
Eüemente  im  Unterrichte  ttberwiegen,  denselben  gewissermaßen  tragen 


Digitized  by  Google 


-  426  — 


und  verklnreii.  Dann  aber  wirkt  der  T.elnpr  hucIi  wahrhaft  er- 
ziehend' das  Hrillireu  durch  neue  Lt^lir>iune,  deren  Fremdartigkeit 
den  UnversiHiKi  bltüdet.  das  Etitjctliaschen  mittelst  meihudisidier  Kün- 
steleien vermögen  dies  uifiuals  und  erscheinen  eben  deshalb  als  entschie- 
den verwerflich.  Nur  der  veredelnde  Einthiss  des  LeUrstotTes  .ml  die 
Seelen  der  Kinder  verleiht  dem  Leruuiatt-rial  Berechtigung  und  Wert. 
Überhaupt  steht  im  Volksschulanterrichte,  was  wir  bereits  andeuteten« 
das  Wie?  yoDkommeii  gleichberechtigt  nebea  dem  Was? 

Diese  EigenthttmUcbkeiteii  des  Lehrstoffes  bflden  den  eharaktoi- 
sirenden  ünterscUed  der  Volksschale  gegenüber  der  Fach-  oder  Be- 
rnfsschnla  Denn  letitere  mass  ihr  Haaptaugenmerk  natntigeaiaS 
auf  Art  ond  Umfang  des  Stoffes  richten;  der  praktische  Nntses 
des  Gelernten  ist  deshalb  in  Anstalten  dieser  Kategorie  mafi-  nnd  aas- 
schlaggebend,  wShrend  die  Volkssdinle  jenen  Qealchti^mikt  aller* 
dings  nicht  nnterschfttsen,  ihn  aber  erst  in  zweiter  Unie  als  entsefaei- 
dend  ansehen  darf.  Damit  kommen  wir  zu  dem  alten  Streite:  for- 
male oder  materiale  Bildung?  Für  die  Volksschnle  muss  diese 
Frage  dahin  beantwortet  werden:  ausschließlich  weder  die  eine 
noch  die  andere;  die  formale  Bildung  soll  yorzngsweise  er> 
strebt,  aber  durch  die  materiale  ergänzt  werden.  Letztere 
darf  nif'ht  vorhen-schnn,  denn  an  Kenntnissen  und  Fertigkeiten,  welche 
der  niat^rialen  l^üdnng  ang-ehören,  kann  auch  ein  j^feistit»-  roher  Mensch 
reich  sein.  Ks  waiv  daher  absolut  verwerflich,  wenn  unsere  Volks- 
schulen nur  dahin  streben  wollten,  die  Kinder  für  Welt  und  T.eben, 
für  die  (Teschäfte  des  künftii^en  Berufes  brauchbar  zu  ma- 
cheu. Das  rtilitatsprineip  ist  mit  seiner  Kinst  itigkeii  und  Flachheit 
nichts  anderes  im  V'olksschulleben,  als  ein  crajiser  pädagoffischer  Ma- 
teriuli.>.uuis.  dem  {gegenüber  die  Lehrer  an  dem  jetzt  ziemlicii  allgemein 
zur  Anerkennung  gekommenen  Grundsätze  festhalten  müssen:  formale 
Bildung  am  rechten  Materiale!  Ihnen  moss  die  Zeit  viel  zu  edel, 
müssen  die  Kinder  viel  an  beilig  sein,  als  dass  sie  einem  nnUarsn 
Experimentiren  cnneigen  dOrftan,  wohin  ein  ansscUienieb  anf  |iarak* 
tische  Tüchtigkeit  absielender  Unterricht  doch  endlich  flOiren  mfisste. 
Deshalb  also  weise  Auswahl  in  Besag  anf  die  an  behandetaidett  Stoff», 
aber  aneh  weise  BeschrSnknng  im  ümfhnge  derselben,  d.  h.  mit  an» 
deren  Worten:  weise  Answahl  innerhalb  der  gewählten  Oegenstiade, 
Bevorzugung  des  Notbwendigsten  gegenüber  dem  Minderwichtigoi, 
Ausscheidung  alles  dessen,  was  die  Fassungskraft  der  Schüler  über- 
steigt oder  den  einseitigen  Forderungen  der  praktischen  NütsUchkeit 
dient 


Digitized  by  Google 


—  427  — 


Nan  findet  sich  aber  gegenwärtig  eine  nicht  kleine  Anzahl  von 
Wissensgebieten,  die  von  so  eminentem  praktischen  Werte  sind,  dass 
jeder  gebildete  ÄTensch  mit  den  Elementen  derselben  vertraut  sein 
mnss,  obwol  sie  aiKlt  ifn  Wissenschaften  pfeg^nttber  an  allg'emeinera 
Werte  vielleicht  nicht  unbedeutend  ziu-iickstplien;  hierzu  rechnfMi  wir 
vor  allem  eint-  Anzahl  der  friHuT  anfgezählten  Gegenstände:  Anthro 
pologie,  <LTt3tiiiidlieiLslelire,  (reselzeHkunde,  Volkswirtschaftslehre,  Waren- 
kunde, Technologie,  Garteubau,  Haus-  und  Land  wirtschaftsieh  re  et**. 
Es  fragt  sich  nun,  ob  diese  Matenen  als  Untenichtsstoffe  in  den 
Lelirplan  der  Volksschule  aufgenommen  werden  dürfen,  wie  häufig  mit 
großer  Emphase  namentlich  von  Vertretern  der  hierbei  interessirten 
BemCskreise  verlangt  wird. 

Ab  Dem  fldbitstftndige  Fächer  können  dieselben  unmöglich  noch 
einen  Hate  finden:  die  Schule  liat  keine  Zeit  m  itarer  Behandlong, 
den  meisten  Lelireni  lohlt  die  VorbOdnng  und  infolge  davon  die  Be- 
fiOiigang  ta  dner  fimehtliringenden  ünterweisang,  aneb  dllifken  nene 
AnsprOehe  das  Haft  ihrer  Kraft  ttbersefareiten,  in  den  meisten  Ffillen 
aoch  die  Bescfaaftang  der  nnabweialMur  nofhwendigen  Lehr-  nnd  Lern- 
mittel ein  Bing  der  Unmöglichkeit  sein;  die  genannten  G^^nstftnde 
können  daher  höchstens  hier  und  dort  gelegentliche  Berflcksieh- 
tignng  ihiden,  insofern  nämlich,  als  die  wichtigsten  Partien  dar> 
aae  in  andere  Unterrichtsfächer,  die  ihnen  ihrer  Natur  nach 
verwandt  sind,  eingefügt  und  möglichst  innig  mit  denselben 
verknüpft  werden.  Wollten  wir  ihnen  Selbstständigkeit  einräumen, 
so  mfissten  wii*  mehr  oder  weniger  auf  die  künftige  Lebensthfitigkeit, 
auf  die  einstige  Tüchtigkeit  im  praktischen  Beiufe  hinarbeiten,  würden 
damit  aber  den  Zweck  der  Volksschule  vollständig  verfehlen.  Zudem 
ki'mnen  wii-  ja  selten  wi.«:sen.  welcher  der  verschiedenen  Berufsaiten 
sich  der  Zögling  dereinst  wicimen  wird;  auch  düifteu  die  Kinder  durch 
die  Mai>se  fremdaitigen,  zum  Theil  höchst  abstracten  Stoffes  geistig 
überlastet,  in  ihrer  Gesundheit  geschädigt,  in  ihrem  Gemöthsleben 
schwer  beeinträchtigt  werden,  indem  man  ihre  Heiteikeit  und  ihren 
Frohsinn  untergräbt.  Sonach  mOsste  der  angerichtete  Schaden  den 
problematischen  Nutzen  weit  überwiegen. 

Dazu  kommt  aber,  dass  man  nnter  allen  VerfaUtniasen  doch  nur 
das  Verstflndnis  fttr  jene  Gegenstände  anbahnen,  niemals 
aber  eine  gediegene  Fachbildung  darin  zn  geben  vermag, 
weil  dasa  weder  Zeit,  noch  XrSfle,  noch  Ifittel  vorhanden  sind.  Von 
einer  allseitigen,  grOndliehen  Dnrchbildnng  kann  hinsichtlich  dieser 
Stoffe,  wie  das  In  der  Natur  der  Verhültoisse  liegt,  niemals  die  Bede 


Digitized  by  Google 


—  428  ^ 


sein.  Das  oberfläcliliche  Nippen  und  Naschen  an  einem  so  bnntfarbiisfen 
Allerlei,  das  Pftischen  in  alle  möglichen  "Wissenschaften  unl  prak- 
tischen Thätigkeiten  ei-zielt  aber  nur  aiiti^t'lilasene  Hohlheit,  unprak- 
ti?3clies  Wesen,  Abneigung  gegen  eniste,  ^ilide  Arbeit,  nnd  darin  cre- 
rade  ruht  der  Fluch  der  dilletirenden  Vielwisserei ,  \n  liibi  i  sich 
Grillparzer  in  seüiem  bekannten  Epigramm  so  ironisch  au;.g<LS})rochen 
hat:  „Jetzt  gilt  in  unsrer  Welt  des  Lichts:  von  allem  etwas  und  von 
jedem  nichts."  Zieht  man  außerdem  in  Betracht,  dass  viele  jener 
Lehrfacher  noch  im  Stadium  der  Kindheit  stecken  oder  in  einer  fieber- 
haft rasch  polsirenden  £ntwickelang  begriffen  sind,  von  dsem  Ab- 
flchhuBe  darin  also  nicht  gesprochen  Verden  kann,  nnd  macht  man 
sicli  die  mannig&chen  in  der  Natur  des  Stefibs  begrOndeton  Hieaun- 
nisse  Uar,  so  mnss  jedem  iMsonnen  orfeheilendfln  Lehrer  einJenclite«, 
dass  nnr  'Faebanstalten  in  jener  lebliaft  ftnetnirendfin  Bewegung  den 
rothen  Faden  feetsohalten  nnd  jene  natililichen  Sdiwierigkeiten  m 
Überwinden  TermOgen.  Ancli  wttrden  Lehiplan,  Lehnppant  ete.  der 
Seminarien  total  umgestaltet  werden  müssen,  wenn  dieVolksBchnllehrer 
befähigt  werden  sollten,  guten  Unterricht  in  jenen  Lelixstoien  n 
ertheilen« 

Die  meisten  jener  Lehiobjecte  besitzen  femer  nicht  f&r  alle  Kin- 
der den  Reichen  h<dien  Wert«  welchen  man  ihnen  andichtet;  viele  tou 
ihnen  erhalten  erst  Bedeatong,  wenn  sie  vom  Hanse  nachdr&ckUch 
nnterstfltzt  werden  (Gesnndheitsldire,  Gartenbau,  Hans-  nnd  Land- 
wirtschaft, Handfertigkeitsnnterricht  etc.).  Nnr  einzelne  TbeQe  darin 
sind  fttr  iÖnder  wertvoll,  viele»  liegt  weit  über  dem  geistigen  Horizont 
derselben;  nicht  allein  die  unbedingt  nothwendige  Vorbildung,  die  für 
manche  Fächer  (Bechtakunde)  zweifellos  eiforderliche  Lebenserfahntng, 
sondern  auch  die  praktische  Grundlage,  welche  gleich&Us  meist  ge* 
fordert  werden  muss,  fehlt  ihnen. 

Derartiger  Unterricht  ber&eksichtigt  aber  auch  nnr  die  Forderungen 
des  praktisdien  Leben«;  das  liomanislMie  Elem^t,  das  der  wnliren, 
edlen  Henschlidikdt  Dienende  tritt  natamothwendig  in  den  Hinter- 
grund. Damit  geriethe  die  Schule  aber  auf  eine  sddefe  Ebene,  denn 
beständig  würden  neue  Lehrfächer  Aufbahme  in  den  Lehiplan  for- 
dern, sogar  nach  Landsdiaften  und  Örtlicfakeiten  wfirde  sieh  Jiierin 
eme  Verschiedenheit  der  Anforderungen  geltend  machen.  Gonsequen- 
terweise  mfisste  ein  Tollständiger,  stufenmäßig  g^liedert«r  Unterri^t 
in  den  beregten  Fächern  das  InteUectuelle  den  übrigen  Entwickekmgs- 
riehtnngen  des  Geisteslebens  gegenüber  bevorzugen,  somit  einseitig 


Digitized  by  Google 


~  429  — 


und  für  die  VoUcBSchnle  nnstattiiaft  werden,  weil  er  nicht  harmonisch 

«srziehend  zu  wirken  vermag:. 

Berechtigung  haben  demnach  nur  diejenigen  Thcile  der  oben  erwähn- 
ten Wissensgebiete  in  der  Volksschule  resp.  ihrer  Erweiterung,  der  Fort- 
bildungsschule, welche  den  voi-stehend  aufgestellten  Anfordernngen 
<>ntsprechen.  Dies  dürfte  aber  vorwiegend  bei  denjenigen  der  Fall 
sein,  welrhe:  1)  zum  Yerständnis  der  Cregeuwart  unbedingt 
uothwendig  erscheinen  und  deren  Nichtkenntnis  im  Leben 
Schaden  bringen  würde.  Demnach  müsste  in  erster  Linie  bei  der 
Stört iiu.N wähl  das  Zweckmäßige  und  Praktische  berücksichtigt,  aber 
auch  der  eine  Gegenstand  dem  anderen  gegenüber  bevorzugt  werden. 
Einzelheiten  aas  der  Anatomie  z.  B.  sind  ftr  Kinder  wertlos,  unend- 
lich wIditigiBr  etseheinen  di«  Gtosetae  der  Phyiiobgie  und  die  wesent- 
lich daraus  resnltirenden  der  Gesnndheitsldire.  Blofier  DeflniUons- 
mid  Zahlenkram  ist  TerderUicher  BaUast;  nur  das  aus  dem  Tollen 
Menschenleben  Herausgegriffene  ist  dem  Kinde  wUich  interessant» 
denn  es  beOhigt  den  werdenden  Menschen,  seine  Umgehung,  zn  ver- 
stehen and  sich  fKraktisch  dann  an  bethfttigen,  sowie  das  sich  von 
selber  bietende  Anschannngsmaterial  zur  Fortbildnng  zn  benutzen. 
2)  Nur  das  darf  aus  den  in  Bede  stehenden  Wissensgebieten  gelehrt 
werden,  was  anschaulich  gemacht  werden  kann,  möge  die  Ver- 
ansehanlichang  mittelst  besonderer  Lehrapparate  oder  auf  Grundlage 
g^ewonnener  und  von  den  Kindeiii  taglich  neu  zu  macheudei*  Er&hrungen 
erfolgen.  Ohne  Anschauung  ist  aller  T^nten-icht  todt,  ganz  speciell  muss 
es  aber  derjenige  in  solchen  noch  sowenig  im  Volke  heimischen  Wissen- 
schaften sein.  Vorgeführte  Gesetze  müssen  an  praktischen  Beispielen  aus 
dem  Leben  verdeutliclit.  Technologisches  muss  durch  eingehende  Be- 
trat Ii  tuiig  der  wirklichen  l>inge  erläutert  und  befestigt  werden  etc.  Gerade 
d»_'s wegen  erscheint  das  lieute  noch  &o  beliebte  .Systematislren  im  Volks- 
schulunterrichte höchst  verwerflich,  deuu  es  kostet  viel  edle  Zeit,  die 
weit  besser  verwendet  werden  könnte.  3)  Dürfen  nui*  soviel  neue 
Stoffe  in  den  Unterricht  aufgenommen  werden,  als  in  Ruhe  bewäl- 
tigt werden  kOnnen,  wenn  das  Nothwendige  gebüreud  durch- 
gearbeitet und  befestigt  ist  Damit  beschrSnkt  sich  der  Kreis  des 
Neoau&onehmeiidfln  auf  ein  Minimnm,  ihr  die  meisten  Schulen  sogar 
derart,  dass  nur  kleine'  BmchstAcke  gelegentlich  Bertlcksiehtigung 
^deii  kOoaeii.  Nur  wenn  wertloser  Stoil^  welcher  jetat  noch  in  großem 
Umfange  tractirt  wird,  ausgeschieden  werden  kann,  darf  Neues  an 
seiBe  Steile  gesetzt  werden.  Eine  Sichtung  der  Lehrstoile  nach  dieser 
Bichtang  hin  steht  in  der  pädagogischen  Presse  noch  aus.  Unter  allen 

28* 


Digitized  by  Google 


—  430  — 


Umstünden  werden  Religion,  .spräche  und  Rechnen  in  der  Vcdks- 
schuie  Hanptleliriresfenstände  bleiben;  daran  i-eiben  ^ich  die  übrigen, 
jetzt  in  ganz  Deutschland  ziemlich  gleichmaliig  norniirten.  von  denen 
wol  kaum  irgend  einer  den  in  Rede  stehenden  gegenüber  als  entbehr- 
licli  und  weniger  wichtig  bezeichnet  werden  könnte.  —  ^^  ii  kiich  er- 
ziehend kann  aber  der  Unterricht  in  den  ans  den  fraglichen  J'ächeru 
ausgehobenen  Stoffen  nur  dann  wii-keu,  wenn  4)  eine  uatdrgeraäüe 
Verbindung  dieser  Stoffe  mit  den  übrigen  Unterrichts- 
gegenst&nden  möglich  Ut,  wenn  er  mtt  anderen  Worten  in  lifln 
DieDst  derselben  tritt  Sobald  jene  Verbindnng  fehlt,  tritt  das  be- 
trelFaide  neae  TJntmchtBol^ect  atif  Kosten  der  ttbrigen  aenwIatSDdig 
auf  nnd  sofort  entsteht  die  QeUhr  der  YemachUssiinuig  des  Not- 
wendigeren. Sobald  es  sich  nicht  in  den  Dienst  des  Gesammtonter^ 
richtes,  namentlich  des  Spraehnnterrichtes,  stellt  and  verwandten 
Fllchem  nnterordnet,  ist  dessen  Streichung  eine  unabweisbare  Noth- 
wendlgkeit 

Als  Resultat  unserer  Betrachtungen  d&rfen  wir  jetzt  hinstellen: 
Die  Aufnahme  neuer  Lehrstoffe  in  den  Lehrplan  der  Volks- 
schulen ist  eine  Unmöglichkeit  und  führt,  sobald  man  jene 
Stoffe  als  selbstständige  Fächer  behandeln  will,  zur  Über- 
bürdung des  Lehrers  und  der  Kinder.  Einzelne  Theile  der 
empfohlenen  Wissensgebiete  haben  jedoch  einen  hohen  geist- 
bildenden und  praktischen  Wert  und  dürften  deshalb,  wo  Zei t 
und  Verhältnisse  dies  gestatten  ,  im  organischen  Anschlüsse 
an  verwandte  Kacher  und  sich  diesen  unterordnend,  Herück- 
sichtigung  verdieuen;  dann  muss  aber  weni^rer  wertvoller 
Stoff  aus  den  betreffenden  bereits  allgemein  eingeführten 
Fächern  ausgeschieden  werden,  um  die  Gefahr  einer  Uber- 
bürdung  und  die  daraus  erwachsenden  Ubelstände  zu  vermeiden. 

Nun  noch  einige  Worte  über  die  Bedeutung  resp.  Berechtigung 
einzelner  Fächer  und  Fertigkeiten. 

In  erster  Linie  lateressiit  uns  der  Tielbesproehene,  vielgerähmte 
und  ebensoviel  geschmfthte  Bandfertigkeits-  oder  ArbeftsanfeRiekt 
welcher  yon  Schw&rmem  als  das  Lttanngsmittel  des  socialeo  "PtMttaa, 
als  die  UniTersalmediein  gegen  aDe  ge8e]]schsltliehe&  Schaden  ange- 
priesen wird  und  in  besondoren  Schulwerkstätten  gepflegt  werden  aelL 
Die  eigentliche  Heimat  derselboi  haben  wir  in  Schweden  an  snehen, 
wo  sie  unter  dem  Kamen  SlOjskols  bereits  ziemlichen  Eingang  ftaden; 
in  Deutschland  macht  neuerdings  ein  dänischer  Bittmeister  a.  D. 
Clansson-Kaas  für  die  Idee  der  Arbeitsschulen  Propaganda  und  hat 


Digrtized  by  Google 


—  4SI  — 


einen  lebhaften  Widerstreit  der  Meiimn^n  hinsichtlich  der  von  ihm 
vertretenen  Sache  hervorgerufen.    (4roße  Vereine,  namentlich  Hand- 
wtikri--.  A'i.lk^l>il(liiiigs- Vereine,  erklärten  sich  begeistert  dafür,  ein- 
zelne Behörden  schlössen  sich  ihnen  an,  man  rief  abgeschlossene  Lehr- 
cnrse  ins  Leben,  ^^elche  theils  nach  den  Ansichten  des  erwähnten 
Dänen  eine  ganze  Reihe  von  technischen  Fertigkeiten  (Schreinera, 
Korbflechten,  Drechseln  etc.  etc.)  lelu-en,  theils  nur  in  einzelnen 
Fertigkeiten  und  Handwerken  ausbilden  wollten.  Es  lässt  sich«  Indu- 
Btfybttdrke  aBBgenommen,  ntebt  ableugnen,  dass  m  wnerar  Jugend, 
namentlick  auf  dem  Lande  zurWinteirsEeit,  meiat  an  einer  geregelten 
hMiehen  Thfttigkeit  fehlt;  denn  mancherlei  früher  eifrig  hetriebene 
and  gewinnhringiBnde  Beacfalftigangen  (s,  B.  das  Spinnen)  aind  jetzt 
aiaterieU  geiadesa  wertloe.  Infolge  dieses  Umstandes  treiben  sich 
die  Kinder  viel&eh  lärmend  und  ünfng  yerilbend  anf  den  Gassen  nm- 
hnr,  der  Schale  entwachsenes  junges  Tolk  sammelt  sich  am  Wirts- 
tiscfae;  dadurch  entsteht  Hang  zum  Müfiiggange,  Widerwille  gegen 
angestrengte  Arbeit;  diesen  Nachtheilen  würde  vorgebeugt,  zugleich 
aber  den  Eltern  eine  oft  sehr  erwfinschte  Beihilfe  fUr  Erhaltung  ihrer 
Familie  geschafft,  wenn  man  den  Xindem  die  Möglichkeit  gäbe,  sich 
in  einer  gewinnbringenden  praktischen  Thatigkeit  auszubilden  und 
dieselbe  während  der  freien  Zeit  auszuüben;  deslialb  müsse  die  Volks- 
M-1inle.  meinen  manche  Lehrer,  namentlich  aber  viele  begeisterte  Volks- 
heiniile.  jene  erwünschte  Möglichkeit  gewähren.  Zudem  hotft  man,  die 
Wahilieit:   „Handwerk  hat  gohlt  iiPii  lioden"  im  Volke  wieder  mehr 
zum  Bewuisstsein  zu  bringen  und  den  Kindern  «Iis  W  ahl  des  künttigen 
Berufes  zu  erleichtem,  sie  vor  gefahrliclien  Missgnifen  in  dieser  Be- 
ziehung bewahren  zu  können.  Den  wiiklich  humanen  Bestrebungen 
von Clausson-Kaas  lag  aber  in  allereret«r  Linie  der  Wunsch  zu  Grunde, 
die  ländliche  Bevölkerung  gewi:5ser  Districte  aus  einem  stumpfsinnigen 
Schnapstrinkerleben  während  des  Winters  herauszureißen,  welches  Be- 
streben seine  Jflnger  dahin  erweiterten,  flberhanpt  den  Oefthren  des 
XftßiggangesTOnDbeugen.  Nun  uisst  sich  aber  durchaus  nicht  leugnen, 
dass  eine  ganie  Beihe  anderer  Unterrichtsf&cher  mit  dem  Handfertig- 
keitsunterrichte  Tollstfindig  gleichwertig  sind,  und  dass  man  ihnen 
folgerecht  die  Aufhahme  in  den  Lehiplan  der  Volksschulen  nicht  veiv 
sagen  darf,  wenn  sie  jenem  Gegenstande  gewfthrt  wird.  Daan  kommt 
aodi,  dass  sich  die  Schule  mit  Obemahme  der  Verpilichtnng;  Werk- 
stttten  der  gedachten  Art  einzurichten,  in  den  Dienst  vorwiegend 
materieller  Interessen  stellen  und  somit  des  idealen  Charakters  ent- 
kleiden würde,  welcher  ihr  allein  erfolgreiche  Wirksamkeit  veiiMirgen 


Digrtized  by  Google 


—  432  — 


kann.    Eine  vollständige  Verrtickung  ihres  seitherigen  Schwerpunktes 
würde  die  Folge  sein,  sie  wurde  mechanische  Abrichtung  erstreben, 
wo  sie  allgeinein  harmonische  Geisttiübildiuig  bezwecken  aolL  Will 
sich  die  Schule  nicht  selber  schwere  Gefahren  bereiten,  so  darf  sie 
sich  nicht  willenlos  den  Laimea  des  Zeitgeistes  fibei^Mea,  da  tS»  sonst 
niemals  »ns  den  Schwaakniigen  imd  derUniuhe  hemiskoimBeii  wQide, 
welche  den  Tod  ibrer  Erfolge  bedeuten.  Der  Ghenkteriuhiger  Stetigkeit 
ginge  ihr  wloien,  Uam  und  Bastlos^elt  worden  ihre  der  stillen 
Sammlimg  geweihten  Binme  erfüllen,  efaie  materialistische  Bichtnng 
ihr  Leben  stOren,  vielleicht  gar  befaensehen.  TJnansbleiblieh  wire 
damit  eine  VetTlngening  derGesammtieistnDg  infblge  der  anentschuld- 
baien  ZerspUtterong  Terknttpft,  wie  YeroachUssignng  des  (Geistigen 
die  Folge  des  materialistischen  Getriebes  sein  mOsste.  Die  ernste 
Arbeit,  welche  auch  die  Schulwerkstätte  fordern  mnss,  wenn  sie  kdne 
nutzlose  T&adelei  treiben  will,  wflrde  bald  genng  zeigen,  dass  sie 
keineswegs  so  unübertrefflich  geeignet  ist,  Lust  zur  Arbeit  zu  erwecken, 
wie  dies  von  ihren  Verehrern  behauptet  wird.   Sicher  wäre  auch  die 
Entstehung  des  Hanges  in  den  Schülern,  sirli  mit  Spielereien  zu  be- 
schäftigen und  in  Äußerlichkeiten  Wesen  und  Wert  der  "^(  hnle  m 
suchen,  nicht  zu  vemeiden.    T"nd  vne  wollte  man  in  Schul werksuiitt  ii 
Massenunterricht  ertheilen.  di  r  gegenwärtig  doch  allgemein  als  allein- 
l>erechtigte  Fonu  im  Volksschulunterrichte  anerkannt  ist,  der  z.  B. 
im  Handai-beitsunterrichte  nach  der  Schallenfeldschen  Methode  mit  trefi- 
liebstem  Erfolge  ausgenützt  werden  kann?  ^^'eder  in  den  schwedischen 
Werkstätten,  noch  in  den  besonderen,  neben  der  Schule  bestehenden 
Cursen  nach  C9an&son-Kaas'schem  Muster  würde  dies  möglich  aein. 
Wie  schwierig  dfiifte  sidi  feiner  die  Angelegenheit  der  efaistigenBemfiB' 
wähl  gestalten,  wenn  jedem  SdilÜer  hierin  schon  in  der  Schnlwerk* 
st&tte  vollständig  freie  Hand  nnd  beliebiges  „Umsatteln"  gestattet 
würdet  Dam  kommt  endlich  noch,  dass  die  ganae  Angelegenheit 
nicht  organisch  ans  dem  Leben  der  Schale  henutagewschsen  ist,  son- 
dern kfinsüich  in  sie  hineingetragen  wurde,  also  als  Unnatur  beieichnet 
werden  mnss.  Der  grOßta  Übelatand  wäre  aber  die  nichtawttrdige  Ab- 
hancrigkeit,  in  welche  die  Schale  durch  Werkst&tten  der  beregten  Art 
industriellen  Unternehmern  gegenüber  gerathen  würde,  denen  die  Lie- 
ferung des  erforderlichen  Rohmaterials  sowol,  wie  dsc  Vertrieb  der 
tertigen  Waren  zufallen  mfisste  und  die  ganz  naturgemäß  einen 
maßgebenden  Einfluss  nach  der  jedesmaligen  Lage  des  Geschäftsmarktes 
auf  die  Schule  ausüben  würden.  —  Wie  die  Sehlde  selber,  würde  auch 
der  Lehrer  durch  Kinfuhrong  der  ScUulwerkstätten  geschädigt  werden. 


Digitized  by  Google 


« 


sein  Ansehen,  das  in  gewissen  Ki-eisen  ohnehin  gering  ist,  müsste  em- 
pfindlich Schaden  leiden;  denn  er  vennöchte  doch  war  klägliches  Stflek- 
werk  2a  lieibni,  wdckeB  die  Kiitik  alter  Saekverstandigen,  den  Spott 
der  Niehtsaebrerstfindigen  henuuforcleni  würde.  Die  Leute  vom  Fach, 
welche  in  Clanason-Kaas'schen  Corsen  Unterricht  in  einzelnen  Hand- 
werken ertheüten,  luiben  schon  mehrfoch  ironisch  bemerkt,  es  sei 
eigenüicfa  doch  recht  nnnllts,  dass  sie  anf  ihre  Ansbüdiing  ao  viel  Zeit 
verwendet;  dnreh  Veranstaltungen  dieser  Art  kOnne  man  ja  in  4—6 
Wochen  fertig  werden.  Feiner  dfitlte  dw  Ldirer  in  den  Augen  dßt 
Menge  noch  mehr  znm  Handwerker  herabsinken,  als  dies  ohnehin 
leider  der  Fall  ist,  wovon  natürlich  wieder  Missachtung  die  Folge 
wäre,  welche  auch  dem  Gedeihen  der  Schule  gewiss  keinen  Vorschub 
leistet  Endlich  lüde  sich  der  ohnehin  übergenug  belastete  Lehrer 
eine  drttckende  Bürde  materieller,  ihn  von  seinem  eigentlichen  Berufe 
abziehender  Sorgen  auf,  deren  lästiges  Gefolge  geistige  wie  k^lrper- 
liche  Abspannung-  sein  müssten.  Die  Lehrerkieise  verhalten  sich  ans 
allen  Rn8:efuhrten  Gi  iiuden  meist  ablehnend  in  dieser  Angeiegeiiheit, 
g-iußeifc  A  '  i  Sammlungen  haben  sogar  energiscii  dagegen  Front  ge- 
macht, der  hessische  Lehrerverei n  nach  einem  Referate  von 
Ziepprecht-Cassel  auf  seiner  Jahresvei-sammlung  am  2.  October 
1879;  gleich  bestimmt  erklärte  sich  derPosener  Proviuziallehrer- 
V  er  ein  am  lü.  October  desselben  Jaln  es  nach  einem  Vortrage  von 
Gärtig-Fosen  in  demselben  Sinne.  Corporationen,  Qetasiaämw-^ 
sCfinde  et&  hingegen  wirken  unter  Aufbietung  aller  nur  erdenkbaren 
Mittel  hftnilg  nach  der  entgegengesetzten  Bichtnng  (so  z.  B.  auf  An- 
regung des  Stadtratiies  Ton  Sckenckendorff  in  GOrlits).  Auf 
Grund  viel&cher  Petitionen  entsandte  der  preuitische  Oultus- 
ininister  von  Futtkamer  unter  FOhrung  der  Geh.  Rfithe  Dr. 
Schneider  und  Lflders  eine  Commiaaion  sur  Besichtigung  der  in 
den  akandipayitthen  LSndecn  heatehenden  Schulen  und  Einrichtungen 
ifir  den  Unterricht  in  der  Hausindustrie  nach  Dänemark,  Nor- 
"wegen  und  Schweden,  um  die  erzielten  Erfolge  an  Ort  und  Stelle 
zu  prüfen.  Der  Rath  Brandis  beim  katholischen  Consistorium  zu 
Osnabrück,  ein  Mitglied  der  obenerwähnten  Commission,  sprach  sich 
nach  seiner  Rückkehr  vor  einer  größeren  Versammlung  dabin  aus, 
dass  in  ganz  Dänemark  keine  Schule  nach  dem  Clausson-Kaas'schen 
System  bestehe,  und  dass  außer  Laubsägerei  dort  kaum  eine  eigent- 
liche Hansindustne  betriebeu  werde.  Die  scdiwedische  Arbeitsschule 
sei  ^ariz  sellissttiindis'  und  habe  namentlich  durch  die  Uüteborger 
Aui>taU  und  die  Abraliauiäonsche  Stiftung  zu  Nääs  Bedeutung. 


Digrtized  by  Google 


—  434  — 


TnibstiimiiMDlehrar  Thiemeyer,  w«lefa«r  «a  dem  Cmsiis  nadi  dem 
System  duusoii-Kaas  in  Emden  theOnebm,  eowie  BürgeiineiBter 
Brflning  tod  dort  berichteten»  dMS  die  Aiteiten  der  Theiliiehmer 
Aber  Nacht  Ton  nHeioasebiiinnchen^,  nämlich  den  mitemchtenden 
Mflisteni,  fertig  gemadit  worden  seien.  Sehr  begeistert  spnch  sieh 
ein  Asgeimeoge  der  achvediachen  Eilbige,  Dr.  Birch-Hirschfeld  in 
Dresden,  Ar  die  Arbeitaschnlen  «ns,  betonte  aber  ganz  richtig,  dass 
die  Eigenthümlichkeiten  Schwedens  (lange  Winter,  dOnne  BevOlkenmg, 
wenig  entwickelte  Industrie)  die  B^ntwickelnng  des  Arbeitsontenichtes 
wesentlich  begftnstigten.  Im  preußischen  Abgeordnetenhaase 
erstattete  der  vom  Cultosminister  beauftragte  Commissar  Geh.  Ober« 
r^ernn^rath  Dr.  Schneider  auf  ergangene  Anfrage  Bericht  über 
den  Erfolg  seiner  Sendung.  In  Dänemark  besteht  danach  gar  keine 
Verbindunc'  der  Haiistieißbestrebungen  mit  der  Volksschule;  sie  gehen 
theüs  von  Privaten  aus,  theils  werden  sio  xm  einem  besonderen  Vereine, 
dem  Husflidselskfi>i.  gepflegt.  Die  1^  „Mmuiir  verhält  sieh  zuwartend; 
die  Geiiii  iuilt;u  suwol,  wie  die  >  ■iinnaidir  eciionen  verlialten  ^^icl\  ab- 
lehnend. Die  erzielten  Erfolge  fuhrteu  eine  volUländige  Enttäu.*<chung 
der  hochge.spannten  Erwartungen  herbeL  In  Schweden  steht  die  An- 
gelegenheit günstiger;  dort  widmen  ihr  Behörden,  Zeitschriften  etc. 
großes  Interesse.  In  Göteboi  g  ideiben  die  Kleinschuleu,  für  Kinder 
von  7 — 9  Jahren,  die  Abendschulen  für  Kinder  yom  13.  Lebens- 
jahre ab,  soirie  die  Mittelsdnden  Ar  die  HanaHeiftbeBtrebQngen 
anfier  Betracht  Vit  dem  Euitritt  in  die  Yolksschnle  werden  die 
Knaben,  welche  Ualen,  Holarbeitfln,  Strohflechten,  Papparboten, 
Schlosserei  und  Schmieden  erlernen,  auch  fikr  den  Sldjd  schal- 
pflicfatig.  Sie  werden  alle  earsorisdi  dorch  aUe  Handwerke  ge- 
führt,  dann  dflifen  sie  ein  bestimmtes  w&hlen.  Aibeitshist  and  regeL- 
m&lliger  Schulbesuch  sind  entschieden  vorhanden;  Snbsellien,  Schal- 
gerftthe  etc.  waren  sämmtlich  Ton  ihnen  selbst  gearbdtet  In  Nftis 
hat  ein  Heir  Abrahamson  mit  seinem  Keifen  Salomonson  eine 
Beihe  von  Häusern  hergegeben  und  darin  auf  eigene  Kosten  einSlöjd- 
seminar  hergerichtet,  worin  16  junge  Männer  in  eii^&hrigem  Cursas 
als  Slöjdlehrer  ausgebildet  werden.  Dieselben  bekommen  vollständigen 
Unterricht  in  der  Pädagogik,  Methodik,  den  gewöhnlichen  Unterrichts- 
gegenständen der  Volksschnle  und  namentlich  vortrefflichen  Zeichen- 
unterricht, auf  dessen  Basis  Handarbeit  gelehrt  wird;  grundsätzlich 
beschäftigt  man  sirb  bisher  nur  mit  Holzarbeit  TTischlerei  und  Drechseln); 
Kauptgrnndsatz  ist,  die  Kinilt  r  dahin  zu  füln\ii,  dass  sie  gute,  .saulrer«» 
Arbeit  machen,  die  Erwerbstahigkeit  bteht  ei-st  in  zweiter  Linie.  In 


Digitized  by  Google 


—  436  — 


eio^enen  mit  dem  Seminare  verbundenen  Übnn^scliulen  leraeu  die 
Kiiuler  Handlertij^keit  und  bekommen  zugleich  Schulunterricht.  Für 
VolksscliuUehrer  ist  ein  küi*zerer,  vierwöchentKcher  Cui'sus  eingefühi't, 
in  velcliem  die  bereits  im  Schuldienst  angestellten  Zöglinge  35 — 50 
«iidkdie  Hamhjittimgsgegeiistiade  fertigen  lornen.  Da  Scbflkr-  ud 
Stundenzahl  in*  den  sehwedischea  Sclnilen  weit  geringer  ist  als  in 
Dentaelilandt  sollen  die  Lehrer  später  den  Versncfa  machen,  die  Kinder 
in  den  freien  Stunden  in  Handarbeiten  za  nnterriditeii.  Dr.  Schneider 
schUeAt:  nWieverBchieden  aber  auch  unsere  Eindrücke  waren,  flberall 
haben  wir  bei  Lehrern  nnd  Kindeni  die  Lost  an  der  Sache  gd^inden. 
Über  alles  haben  wir  uns  aber  übersengt»  dass  man  in  Schweden  selbst 
ZOT  Zeit  noch  aof  dem  Boden  des  Experiments  steht,  dass  man  feste, 
sichere  Erfolge  noch  nicht  hat.  dass  man  auch  in  der  Wahl  zwischen 
dem  materiellen  und  formellen  Lebrzweck  noch  nicht  zur  vollen  Klar- 
heit gekommen  ist,  und  dass  man  noch  nicht  genan  zu  bestimmen 
vr&i6,  wie  man  den  Bestrebungen  eine  feste  Gestalt  zu  geben  hat. 
Wenn  die  Seminare  die  Aufnahme  in  ihren  Lehrplan  wtUischen,  so 
dart'  ich  daran  erinnern,  dass  das  Seminar  in  Schweden  einen  vier- 
jährigen Cnrsus  und  darauf  verzichtet  hat.  Organisten  jiuszubilden. 
Wennxrir  uns  iiiiii  fragen;  AVas  können  wir  in  der  Sache  tluni'^  so  ist 
die  erste  Autwort,  li«^  mau  allerdings  auch  anderwärts  gegtl un  hat: 
Das  eine  steht  fest,  zu  einem  obligatorischen  Lehrgegenstand  kann  man 
die  Sache  bei  uns  nicht  machen.  Wie  wolwollend  man  sich  der  Sache 
gegenüber  auch  verhält,  so  dürfen  wir  nicht  vergessen,  dass  wir  von 
den  Anforderungen,  die  wir  an  die  Volksschule  iu  unserer  Nation  bis 
jetzt  gestellt  haben^  nicht  nachlassen  dürfen.  In  keinem  Falle  dürfen 
wir  zageben,  dass  dem  Keligionsnntenrichte,  dem  Unterrichte  in  der 
vaterUndischen  Gesdiidite,  d«r  Einftthmng  der  Kindear  in  die  Matter» 
spräche,  knra,  der  Lehr-  nnd  liemarbeit,  dnrch  welche  die  Schale 
unsere  Kinder  jetzt  Ar  ihren  Ehitritt  in  das  Leben  bef&higt«  Zeit  ge- 
kSrzt  werde.  Das  geht  mcht»  nnd  ich  glanbe»  wir  dürfen  den  Ersatz 
fikr  das,  was  wir  anheben,  von  der  Einrichtnng  nicht  erwarten. 
Andenraeits  aber  gUabe  ich  allerdings,  dass  die  Sache  möglich  nnd 
aosfUtrbar  ist,  dass  sie,  aUerdings  in  einem  von  nnserem  Vaterlande 
wesentlich  verschiedenen  Lande,  feste  Gestalt  gewinnt,  dass  sie,  richtig 
betrieben,  die  allgemeine  Bildung  fördern  kann,  and  dass  sie  Seiten 
hat,  mit  welchen  man  sieh  befreunden  muss,  so  dass  freiwillig  von 
Privaten  oder  Gemeinden  gemachte  Versuche  nicht  nur  eine  entschieden 
wolwollende  Beachtung,  sondern  vielleicht  aucli  eine  Forderung  seitens 
der  UnterrichtsverwaltuDg  werden  erwarten  dürfen,  dass  aller  Grand 


Digrtized  by  Google 


—  436  — 


dazu  yorliegt»  dieser  Bewegung  in  den  Nachbarstaaten  eine  stetige 
und  aofinevkaame  TheOnaihme  zu  bewahren.** 

DasB  die  wicbtigsten  Punkte  der  Anthropologie  nnd  Gesnnd- 
heitslehre  im  Volkflsdralonterfiehte  mflgÜchste  Berücksiehtigimg  ver- 
dienen,  oracfaemt  wok  kaum  einem  einaiehtsrollen  PSdagogen  noch  frag* 
lieh.  Naeh  Goethe'a  Avnprach  ist  das  Wichtlgate  fttr  den  Ifenachen 
der  ICenadi;  Leib  nnd  Seele  bedingen  aber  ihr  Wolbefinden  gegen- 
seitig und  damit  die  gesunde  Haltung  des  gesaaunten  Otganisrnna» 
weshalb  natHrlieb  das  körperliche  Leben  die  sorgsamste  Beachtong 
nnd  Pflege  von  Seiten  aller  Erzieher  erfordert  Die  Agitation  der 
Ärzte  auf  Einfährang  des  gedachten  Unterrichtes  wurde  von  Ver- 
nunft und  Erfahrung  so  nachdrücklich  unterstützt,  dass  diesem  Fache 
allerorten  bereits  ein,  wenngleich  vielfach  noch  recht  bescheidenes 
Plätzchen  gestattet  ist.  Dass  der  Untenicht  in  Anthropologie  und 
Gesundheitslehre  nicht,  wie  eifrige  Fachmänner  eins  ifig  verlangen, 
vollständig  unabhängig  und  in  beträchtlichem  Umfange  gegeben  wer- 
den kann,  ergibt  sich  ans  den  gesamniteii  Verhältnissen  unserer  Volks- 
schule; auch  ersclu  iiit  eine  derartige  Gestaltung  weit  weniger  wüchtigf 
als  die  Einrichtung  geeigneter  Veranstaltungen,  dui'cU  welche  die 
Eltern  eingehender  mit  dem  einflussreichen  Gegenstande  bekannt  ge- 
macht werden.  Der  in  Rede  stehende  Unterricht sgegenbiiinJ  lehnt 
sich  vielmehr  naturgemäß  an  die  Naturgeschichte,  zum  Theil  auch  au 
die  Physik  (Gesetze  der  Capillarität,  der  Endosmose  etc.)  an;  aus  dem 
ei'stgenannten  GeUete  kann  eine  Masse  wertlosen,  alemlicli  allgwnein 
tractirten  Stoffos  (namentlich  Über  die  niederen  Thiarfonaent  Aber 
nutzlose  ünkrinter,  füb&r  abstracto  mineralogische  Dinge)  ohne  Nach- 
fheü  weggelassen,  alle  Kilnunelspalteiei,  sahUoser  Definitionskram 
kann  unbedenklich  über  Bord  geworfen  werden.  Wer  sich  fBr  Speeial- 
fScher  besonders  interessht,  wird  im  späteren  Leben  durch  Vereine, 
Bildiotheken  etc.  reichlich  Oelegenheit  zur  Erweiterung  seiner  Kennt- 
nisse finden.  In  dem  ausgewählten  anthropologischen  Material  mnss 
wieder  das  Wichtigste  und  Nothwendigste  be^mders  betont  werdoB, 
da  ja  hauptsäclilich  praktische  Rücksichten  die  Einführung  des  neuen 
Lehrgegenstandes  empfehlen.  Daher  kann  der  anatomische  Theil  un- 
bedenklich auf  den  knappsten  Umfang  beschränkt  werden ;  es  ist  in  der 
That  ziemlich  gleicligültig,  ob  die  Kinder  die  säramtliclien  Kopfknochen, 
die  doch  nur  werr^n  des  darunter  liegenden  Gehirnes  wichtig  sind, 
kennen  oder  niclii;  und  wieviel  Zeit,  wieviel  Mühe  verwenden  manche 
Lehrer  auf  solclie  nutzlose  Details,  in  dnwn  sie  -^tet  ken  ]»k'iben.  so 
dass  die  unendlich  wichtigere  Physiologie  und  die  Uaiuit  verknüpfte 


Digitized  by  Google 


—  437  — 


liesuiulheitslehre  schließlich  recht  knapp  wegkommen !  Der  Lehrer  hat 
idch  i:lt-i<  heriTiHßen  davor  zu  hiiteu,  da ss  er  zu  viel  Stoff  gibt,  den^ie^l♦^n 
kimsllicii  aiübauscht,  um  sich  und  seinem  Unterrichte  ein  rei  hies 
Ansehen  zu  geben,  dass  er  sich  nicht  lächerlich  macht,  namentlich  in 
den  Augen  der  Fachleute,  da^s  er  nicht  etwa  den  Arzt  ersetzen  will, 
den  er  mir  unterstützen  soll.  Seine  Hauptaulgabe  ist,  den  Kindern 
2U  zeigen,  dass  man  doich  geregelte,  vernünftige  Lebensweise  Krank- 
lietten  mbengen  and  das  Wolbeflnden  des  Körpers  erhalten  kann. 
Unter  alten  Umstftoden  aber  Vtefl»  ünterrklit  in  Antbropologie 
nnd  Qesnndlieitslelire  ein  Haapttlieil  des  natorgesdiiditUchen,  welchem 
er  tndi  dam  seinem  gansen  Wesen  nach  innig  verwandt  ist»  dass  er 
am  besten  nnter  Znlulfetiahnie  von  Modeflen  nnd  Frftparaten  ertheilt 
werden  lonn,  wSluend  AbbQdnngen  nnr  in  zweiter  Linie  (namenfUch 
}m  Znsaiiunensteilnngen  nnd  Bepeätionen)  Wert  babeo. 

Die  Seehtsknnde  als  Lebrgegenstand  in  der  Volksselinle  soU  den 
künftigen  Staatsbürger  Aber  seine  hauptsftchUcbsten  Bechte  und 
Pflichten  im  Staatsorganismus  aufklären.  Unseren  gegenwärtigen 
inneren  politischen  Verhältnissen  Beebnnng  tragend,  hat  man  nament- 
lich die  Elemente  des  Verfassnngs-  und  Verw&ltangsrechtes  in 
die  Lehrpläne,  nnd  zwar  ttberwiejjfend  in  diejenigen  der  Fortbil- 
dunpssrhulen,  aufgenommen;  ob  andere  Rechtsgebiete  nicht  dieselbe 
Bede utu IIS,'  haben  und  nicht  mindestens  gleicbwichtig  sind,  mögen 
Juristen  von  l^ach  beantworten.  Kechtskenutnisse  sind  für  jeden 
Staatsbürger  heutzutage  äiilierst  wertvoll,  weil  sowol  das  Gedeihen 
der  Gesaramtheit,  wie  das  Wol  des  Einzelneu  durch  sie  getordert 
werden  kann,  auch  lässt  sich  das  ethische  Moment  in  ihnen  für  den 
formalen  Untenicht  trefflich  verwerten;  Gegenstand  des  Volksschnl- 
unterrichtes  kann  die  Rechtskunde  aber  tiieils  aus  den  ti  ühei  tVir  andere 
Gebiete  angegebenen  Gründen,  theils  wegen  der  Schwierigkeit  des 
Stoffes  nicht  werden.  In  äßt  Fortbildongssehnte  dagegen  daif  dieser 
Gegenstand  einen  eigenen  Plata  beanspruchen,  znmal  hier  die  größere 
geistige  Beife  der  Schiller  nnd  namentlich  die  aOmJUilich  in  der  Be- 
rnbmng  mit  dem  praktischen  Leben  gesammelten  Et^dmugen  dem 
Iidirer  die  Arbeit  bedeutend  erleiditem.  Von  der  VoIkswirtsehaflS' 
lehre  gilt  dasselbe. 

Warenkmde  md  Technetegie  als  ihrem  Wesen  nadi  dem  Volks- 
schnlnntenkfate  vollständig  fremde  Dinge,  welche  rein  materiellen 
Interessen  dienen,  mftssen  entschieden  znrttckgewiesen  werden,  mögen 
aber  gelegentlich  da  und  dort  in  passender  Weise  berührt  werden 
(VerfäLschang  der  wichtigsten  Leböismittel,  DarsteUnng  besonders 


Digitized  by  Google 


—  438  — 


wichtiger  Producte,  z.  B.  der  Flachsfaser  etc.V,  doch  daii  der  Lehrw 
hierin  nie  zu  weit  js^ehen.  \  ortrefflich  eignen  sieh  Stoffe  dieser  Art 
zu  stilistischen  Bearbeitungen. 

Gartenban-,  Hans-  und  Landwirtschaft  haben  einen  hohen  All* 
gemeiiiwert,  und  der  üntenieht  darin  vermag  das  Wol  der  GeBumtF 
heit  wie  des  Einielneii  nicht  allein  in  materieUer  Hinsicht  m  ftrdem, 
sondern  aneh  das  hlnsliehe  Behagen  an  erhffhen,  den  FamlliiBMimi  a 
kriftigett,  den  Trieb  zom  ehrliebea  Enrerb  sn  stirken  vnd  die  Frende 
über  nfttaliche  BethUtignng  Utr  das  Wol  anderer  im  ansgedefantesten 
'  Maße  an  verleihea.  Er  übt  daher  neben  der  ftnfterlichen  aneh  eine 
aitüiehe,  Wirkung,  eine  Fülle  woltfaätiger  Folgen  kann  dnrch  ihn  6e- 
meingnt  werden.  Aber  auch  für  sie  bleibt  der  Schule  kein  Baam, 
aneh  sie  können  nnr  gelegentUcht  nnr  flüchtig  berührt  werden;  ein 
eigentlicher  stufenmäßiger  Unterricht  würde  wertvolle  Zeit  auf  Kosten 
anderer  wichtigerer  Fächer  fortnehmen,  von  der  eig^tUchen  Schul- 
arbeit abziehen.  Verführerisch  ist  der  Betrieb  dieser  Wissenschaften 
in  der  Schule  ohne  Frage,  der  materielle  Zug  der  Zeit  begünstigt 
ihn,  das  Interesse  der  Eltern  und  Behörden  kommt  ihm  entgegen,  obwol 
er  dem  Wesen  der  Volksschule  fremd  ist.  Aber  Nebendinge  eignen  sich 
am  besten  zu  pfldagogiselien  t  hinkereie?i.  welche  die  Aufmerksamkeit 
der  Inieie.^-t  ni(  !i  von  der  Hauptsache  ;il  lenken,  was  in  nicht  seltenen 
Fällen  Absicht  und  Wunsch  der  solciien  Humbug  Treibenden  sein 
mag.  Höchstens  darf  die  Schule  besondere  Theilnahme  durch  gelegent- 
liche Anregung  fttr  jene  Wi.ssens-  und  Arbeitsgebiete  •wecken,  z.  B. 
ihre  Zöglinge  in  den  Pausen  zur  Ptlege  eines  Schulgartens,  einer  Baum- 
schule anleiten,  für  einen  eigentlichen  Untenicht  hat  die  Volksschule 
bei  der  ohnehin  bereits  vorhandenen  bedeutenden  Belastung  mit  Lehr- 
stoff absolut  keine  Zeit,  denn  sobild  das  Lemmaterial  nicht  weise 
beschrünkt  wird,  ist  die  Überbürdnng  ohnehin  fsctisch  bereits  vor- 
hsnden.  Im  Lehrplan  der  Fortbildongsschnlen  dagegen  dürften  die 
gedachten  Fieber,  namentlich  in  gewissen  Gegenden,  weit  eher  Auf- 
nahme yerdienen. 

SpedeOe  Waffen-,  Ex  er  der-  und  SchieÜübnngen  gehören 
durchaus  nicht  In  die  Yolksschale,  die  eine  Statte  des  Friedens  sein 
soll;  derartige  Versuche  sind  Spielereien  ohne  militärischen  Wert. 
Wie  thöricht,  wenn  die  städtische  Behörde  in  Paris  die  dortige 
Schuljugend  in  Bataillone  von  je  600  Köpfen  mit  4  Compagnien  ein- 
theilt,  dieselben  mit  Gewehr,  Gürtel,  Säbelbajonnett,  wollener  Bluse, 
dunklen  Hosen  und  einem  Barett  ausstattet,  wobei  rorläufig  allei- 
dings  nur  die  11 — ISjährigen  Knaben  berücksichtigt  werden.  Wir 


Digitized  by  Google 


—  439  — 


dürfen  uns  wniuleni,  dnss  di^  tVanzösisclien  Schulmänner  nicht  ein- 
müthig  f:c(reii  diesen  Schwindel  H Knit  maclicu,  welchen  man  in  DeutBch- 
land,  namentlich  in  militärischen  Kit;i.-eii,  doch  nur  beläciielt.  ..Wus 
wird  die  Schule  noch  alles  leisten  sollen  und  leider!  auch 
■wollen!"  ruft  die  „Allgemeine  Deutsche  Lehrerzeitung'*  bei 
Besprechung  der  Paiadc  des  von  Dr.  Wehrmann,  Lehrer  der  latei- 
nischen Hauptschule  der  i  raucke'schen  Stit'timg  in  Halle,  gebildeten 
Schülerbataillons  aus. 

Je  klarer  die  Yolkaadmle  ihre  Aufgabe,  die  allgemeine  Menscfaoi' 
bildong,  erkennt,  je  trener  sie  ihrem  eigentlicbeii  Berufe  nachkommt» 
desto  mfichtiger  und  nachhaltiger  vermag  dieselbe  ins  Leben  dnzu- 
greÜiBn.  Man  mache  zum  Beweise  der  ünmQf^hkeit  immerhin  den 
Yomch,  neue  Untenichtsgegenstände  in  ihren  Lehrplan  emzufügen; 
der  Erfolg  wird  «eigen,  dass  man  sich  gefthrlichen  Blnsionen  hingab. 
Die  Lehrer  machen  sich  verdienter,  wenn  sie  passende  h&usliche  Be- 
scfafiftignngen  der  Kinder  einbfirgem,  einen  gnten  Beul-  und  ganx  be- 
sonders einen  guten  Schreib-  und  Zeichenunterricht  ertheilen,  wenn  sie 
sich  redlich  bemühen,  die  Fortbildangsschulen  lebensfähig  zu  machen, 
als  wenn  sie  phantastischen  Idolen  nachjagen  und  ihr  Heiligthum  durch 
weltliches  Gretriebe  und  materialistische  Bestrebungen  selbst  entweihen! 


Digitized  by  Google 


SpraehVBtorrieht. 

Vm  Frau  8,  JErttft-Sirtrf««. 

„meht  Ut  Lctor  AMpUntn  hit  8tUt»  iniohtetj 
Keine  Zaabemtbe  hat  Wfittcn  in  OlftCB  TttTTlMnlt 
I)ic  Spracbc  lut  et  getban.  Sie, 
Die  fmSe  OMBUoria  4ar  Mmwbcii,*' 

Herder. 

E»  werde  Licht!  sprach  Gott  der  Aiiiuächtig«.  Und  es  ward  Licht I 
Ohne  Sprache  wSre  kein  lidit,  keinGlfick;  nidit  Hackt,  noch  Herrlich« 

kdt    Oline  Sprache  würde  das  Daaein  aller  Beize  bar  sein  —  das  Leben 

nicht  des  Lebens  wert. 

Aber  —  was  ist  denn  die  Sprache? 

Die  Antwort  auf  diese  Frage  würde  wol  sehr  verschieden  aosf&llen,  je 
nach  Beruf  und  Ainidit  der  Eiiuelnen.  Dem  Feldiiemi  wire  die  Sptadie  dae 
mttel  znni  Commandiren;  dem  GeistliclMn  nun  Predifen;  don  Aiste,  Tttord- 
nnngen  nnJ  ^'erhalr^:ur5reopeln  zn  geben. 

Was  uns  Ix'trirtt.  so  halten  wir  die  Walirlieit  für  eine  einige,  nntheiibare. 
die  unabhängig  vun  Sondeiinteressen ,  auf  alle  Fälle  anwendbar  sein  moss. 
Und  so  würden  wir  sagen: 

Die  Sprache  ist  das  unmittelbare  Heraodeben  des  Ichs,  des  eigensten 
Seins  des  Mensclien.  .sie  ist  die  Kn-8tallisatii>n  '«I  r  \  it  lmehr  das  Echo  seiner 
Innenwelt  —  die  erste  Vertreterin  der  redenden  Ivanst. 

Während  die  bildenden  Künste  ohne  Kunstmittel  (die  Malei-ei  ohne  Far> 
ben  nnd  Palette;  die  Ban-  und  BÜdhsneitaut  ohne  HeiÜel  and  Gestdn)  nn* 
ansfQhrbar  sind,  —  entströmt  die  Sprache  der  menschlichen  Seele  frei  nnd  nn< 
abhäns^ig-.  ivv\  l:iPRt.  wie  der  diii-ch  Vt'rbrcnnuTi?  si<-h  verflücIiteBde  Diamant» 
nur  die  Erinnerung  an  gröiiere  oder  geringere  Sdiünlieit  zurück. 

Diese  Schönheit  ist  in  der  Begel  ein  treues  Gepräge  von  der  Bildung»- 
etnfe  nnd  dem  Charakter  des  Sprechenden;  denn  ebenso  Tenehieden  wie  die 
Charaktere  müssen  anch  nothwendig  die  Ansdmcksweisen  der  Individuen  sein. 
Daher  kr>nnen  wir  bei  einiger  Beobaehtung  leicht  wahrnehmen,  dass  jeder  s^ine 
eigene  Sprache  redet,  und  dass  die  edle  Sprache  in  innigem  Zusammenhange 
mit  veredeltem  Gemtttho  steht  Da  aber  jede  ^'eredlung  in  der  Liebe  wur» 
zeit,  so  Vin  das  sicherste  tfittd  snr  Erwerbnns  dner  menschenwürdigen 


Dlgitized  by  Google 


—  441  — 


Sprach«^  die  Befolgung  des  hSchaten  und  Utesten  Getutes:  Liebe  deinen 
l^ächsten  wie  dich  selbst. 

Wer  irgendwie  an  der  Richtigkeit  dieser  Bebaaptnng  zweifeln  sollte,  der 
könnte  die  Bestütigimg  dendben  viellkcli  In  den  Annahm  der  Uensehett'  und 

Völkerkunde  finden.  Oder  was  sonst,  wenn  nicht  Nftchlten*  nnd  Taterlands- 
liebe  hätte  wol  zn  allen  Zeiten  und  in  allen  Landen  jene  begeisteniflrn  Reden 
veranlasst,  die  todesmntliip^e  FrPÜK  itskämpfer  schufen  und  schlichte  Bürger 
und  Bauern  in  Ueidcnsöhne  uunvandclten?  —  Wir  erinnern  hier  nur  an  die 
Beden  eines  Demeethenee,  Cloero,  Mirabean,  Beaeonafleld  und  d«r  sroBen,  noch 
Jetzt  lebenden  Patrioten  ganz  Europas.  —  Indes  dürfen  wir  ja  gar  lüdit  soweit 
gelifnl  Um  zu  erkennen,  dafs  die  hochherzige  Idee  nur  durch  das  entspre- 
chende W(»rt  verkörpert  werden  kann,  genügt  es,  irgend  ein  classisches  Werk 
aufzuschlagen.  Beispielsweise  wollen  wir  Lesaings  Nathan,  Schillers  Don 
Caries,  Geetbes  Iphigenia  und  seinm  Tasso  erwllhnen. 

Wer  jedoch  trotzdem  noch  glauben  könnte,  auch  Heuchler  und  Lügner 
seien  dei-  schönen  Sprache  fähig,  der  werfe  einen  Bliek  in  den  ..Faust". 

In  diesem  Universalwerk  spricht  (.Tt>ethe  seine  Meinung  über  die  Sprache 
unzweideutig  aus,  indem  er  Helenen  die  Worte  in  den  Mund  legt  (Thl.  IL  S.  35 7j: 

wUii-schte  Unft'rricht.  warum  die  Kede 
Den  Mauas  mir  seltsam  klang,  seltsam  uud  freundlich.' 
Ein  Ton  scheint  sich  dem  andern  zu  bequemoi, 
Und  hat  Ein  Wort  zum  Ohre  lidi  gesellt, 
Ein  andre«  kommt,  dem  eisten  liebrakoeen.** 

nSo  sage  denn,  wie  sprech'  ich  auch  ao  schüu?" 

Und  Attst:  iJDw  ist  gar  leicht^  ee  mtus  vom  Hersen  gehn.** 

Denselben  Gedanken,  wenn  auch  anders  ausgedrückt,  linden  wir  bereits 
im  fliBtea  Thefle  des  „Fan st",  Dialog  mit  Wagner. 

19* aast  „Wenn  Ihi^s  nieht  AUt,  ihr  werdet'«  nicht  eijagen, 

Wenn  es  nieht  au.s  der  Seele  dtiagt» 
Und  mit  urkrttftigem  Behagen 
Die  Henen  aUer  Hifier  awGigt'* 

Und  dann: 

„Doch  werdet  ihr  nie  Herz  zu  Herzen  schaftea, 
Wenn  es  euch  nicht  Ton  Bexaen  gebf 

FeDMr  S.  26: 

^Das  Pttgament,  ist      der  heil'ge  Bronnen, 
Woraus  ein  Trunk  den  Dnrst  auf  ewig  stült? 
Erquickung  hast  du  nicht  gewonnen. 
Wenn  sie  dir  nieht  aus  ei^er  Seele  quillt." 

Deutlicher,  wahrlich,  konnte  unser  großer  Dichter  »eine  innerste  Über- 
sengnng  i^t  amqHnBclieiL  Und  dennodi  —  Jacotot  sagt:  Niemand  ist  mehr 
blind,  aJs  der,  wekliOT  nicht  sehen  wHI;  —  dennoch  ertlieileii  irir  immer  noch 

den  Sprachunterricht  ans  der  Gramniatik,  dem  Knochengferüst  der  Sprache. 

Aber,  wenn  nicht  in  hergebrachter  Weise,  wie  sonst?  So  hört  denn, 
meine  Verehrten,  alle,  die  Ihr  die  Gröüe  unsera  Wolthätei-s,  die  üröße  Pesta- 
locnis  anerlceimt.  Ihr  wisset,  dass  der  onsteibücheKfaidM^enid  die  Xrsiehung 


Digitized  by  Google 


—  442  — 


der  auäcliuldigeu  Westen  ia  die  Häude  der  Mutter-  gelegt  wissen  wollte.  Ohne 
Zweifel  ging  er  von  der  Ansicht  aus,  dass  die  Mutterliebe  ebenso  unerBetelicii, 
wie  uverKleleUieh  Mi. 

Möge  es  mir  hier  gestattet  adii,  ^e  Wort  elnee  der  trenesten  Anhlnger 
PeetaloszlB  einzaaehalteit  ünser  hodivOTduterChriBtiMiGottli^Sdiols  pflegte 

zu  sagen:  Wonn  man  ein  Mntterlierz  vprbrfnnen  und  die  Asche  in 
den  großen  Ocean  werten  würde,  so  könnte  man  dennocli  sicher 
sein,  dass,  ungeachtet  der  Fluten  des  Weltmeeres,  die  einzelnen 
Thenehen  -aieli  wieder  zu  einem  Gänsen  znsammenflnden  wtrden. 

Pestaloszi  war  ein  tiefer  Kenner  des  menscUidien  Herzet  er  hatte  die 
Meoschennatnr  beobachtet;  ihre  geheimen  Regungen  belanacht.    Sein  Streben 

Vipstand  \Ttnv^lunlich  darin,  den  Mensehen  zum  Menschen  zu  ei-ziehen:  zw  oinem 
Wesen  mit  iitenselilieheiu  Denken,  Empfinden  und  Handeln.  Er  hat  das 
Verfalireii  der  Mutter  als  erste  Sprachlehi-erin ,  weil  naturgemäß,  gebilligt 
nnd  anerkaont,  dass  ein  Kind  in  den  drei  ersten  Lebensjahren  erstannlich, 
nnendlich  viel  lernt 

Eine  junge  Frau,  ihren  Säugling  im  Arm,  promenirt  im  Garten  oder  in 
einem  Zimmer,  das  Ordnung  nnd  Zufriedenheit  athrnet.  —  ^'or  jedem  Gegen- 
stande bleibt  sie  einige  Zeit  stehen  und  nennt  alle  mit  Nameu.  Dasselbe  Ma- 
növer wiederholt  de  immer  nnd  immer  wieder  mit  nnerschöpflicher  und  uner« 
mfidticlier  Gednld  md  Ansdaner.  Das  Kind  Jandizt  nnd  jolwlt;  es  si^pelt 
vor  Freude  und  streckt  die  kleinen  Händchen  mit  Verständnis  enftgegem«  — 
Aber  —  obschon  seine  Sprachorgane  alle  normal  gebildet  sind,  vermag  e«  nnr 
unarticulirte  Laute  hervorzubringen.  Doch  die  Liebe  der  Mutter,  die  furtwirkt 
nnd  Wolthaten  spendet  irie  die  StrsMn  der  alles  belebenden  Sonne,  erwftrmt 
allmiUich  das  kindlldie  Hen  nnd  entsündet  den  darin  gchlnmmemden  gOtUiehen 
Funken.  Die  zarte  Bifite  der  Kindesliebe  erschließt  sich.  Das  Auge  des  ge* 
liebten  Wesens  wird  lebendig:  es  sieht.  Die  Zunge  löst  sieh  imd  die  über 
alles  beglückenden  Laute:  Mama,  Papa,  ertdnen  von  den  rotiigen  Lippen.  — 
Von  Tage  zu  Tage  8|aieht  das  fflnd  mehr;  es,  maeht  im  Sptedien  Riesenfort- 
sehritte.  Und  wenn  es  in  dieser  Zelt  richti|r-g«toitet  nnd  gehfltet  wird»  dann 
erzieht  es  sich,  sozusagen,  wie  von  selbst.  —  —  Die  sorgsame  Mutter  fuhrt 
ihr  Kind  soviel  als  möglich  ins  Freie.  Dort  lenkt  sie  seine  Aufmerksamkeit 
auf  die  duftende  £ose,  die  in  voller  Üppigkeit  prangt;  auf  den  hohen  Baum, 
dessen  Schatten  sidx  weithin  Uber  die  seimige  Ebene  breiten,  anf  dmi  kOnig- 
liehen  Schwan,  der  mit  Uigestät»  do«sh  mild  und  sanft  ftber  die  seäimmemde 
Wasserfläclie  dahing:leitet.  Alles  dient  ilir.  den  Sinn  des  Kindes  für  die  Reize 
der  schonen  Natur  empfilnc^üeh  zu  macheu:  hier  eine  muntere  Vogelsclinr.  die 
bunte  Käferwelt,  eine  Kaupe,  eine  Schnecke  j  ja,  selbst  ein  Thautropteu,  m 
welchem  das  Büd  der  Sonne  dch  wiederspiegelt.  Jeder  efanetne  Natnrgegen- 
stand  wird  ihr  zum  Mittel,  das  Gemütfa  des  Kindes  zn  beleben,  nnd  es  mit  ehr* 
farchtsvollcr  Liebe  zum  liöchsten  Wf<<;en  zu  oftUett,  dnich  dessen  Willen  aUe 
jene  harmonisclien  Gebilde  entstanden  sind. 

Als  Pestalozzianern  genügt  es  uns  niclit,  blos  Notiz  davon  zn  nehmen, 
wie  eine  Mutter  den  ersten  Sprachunterricht  ertiieüt;  wir  müsseu  auch  zu  er* 
forschen  suchen»  waran  so^  nnd  nicht  andern  Dass  ihre  Methode  eine  kicht 
fassUehe,  nntnigemftße  ist,  wiid  niemand  in  Abrede  stellen.    Ja,  man  wird 


Digitized  by  Google 


—  443  — 


f^ogar  znp^'stehc'n  iiiüßSfn,  dass  die  Mutter  seit  Menschenj^edenken  praktisch 
ausgefulirt,  waä  die  grüßen  FliUo8opliea  als  Theorie  aufgestellt  haben. 

In  Anbetradkt  der  piakttachen  Art  dar  Matter  entstellt  die  Fhige:  Wie 
wurde  ele  wol  verfthren,  um  Kindern  im  schnlpfliehtlgen  Alter  eine  richtige 
Anschauung  z.  Ton  der  Bedentnng  der  Wörter  nnd  deren  Elnthdlang  in 
Classen  zn  ^ben? 

Sie  würde  wahrscheinlich  damit  begimitu,  zusagen:  Neune  mir  die  Namen 
deiner  Brflder. 

„Frlts,  Carl,  Joseph.** 

Schreibe  diese  Namen  nieder.    Gntl  die  Namen,  die  da  hier  an^^eschrie- 

ben,  sind  also  MeiiKchen-  oder  Pi'i-sonennamen.  ~  -  Jetzt  SClireibe  mir  die Ktinen 
einiger  Sachen,  die  du  liier  iui  Zimmer  siehst,  auf. 
„Schrank,  Tisch,  Bach." 

Dies  sind  also  Namen  für  Sachen  oder  Sachnamen.  Personennamen  wie 
Sachnamen  nehmen  in  der  Sprache  als  Wörter  die  ettte  Stelle  ein  nnd  heißen 

deshalb  Hauptwörter.  —  Und  luin  betrachte  deine  Brüder  genauer,  und  auch 
die  Sarlien  flip  du  eben  genannt  liast.  Sage  mir,  welche  besondere  Merkmale 
du  an  üiuen  wahrnimmst.  Welcher  von  deinen  Brüdern  ist  groß,  welcher 
klein? 

„Fritz  ist  gro0,  nnd  Carl  ist  klein." 

Wa«  bemerkst  dn  an  Joseph? 
„Joseph  ist  schwächlich." 

Schreibe,  was  wir  hier  besprochen,  anf  und  unterstreiche  die  WlMer: 
groß,  klein,  sdiwSehlich.   Wie  aha*  ist  der  Schrank? 
,,Der  ist  hoch." 
Und  der  Tisch? 
..Dpr  Tisch  ist  rund." 
Und  das  Buch? 
„Das  Bneh  ist  Tierecki^.** 

Schreibe  dies  anf,  nnd  nnterstreiche  dieWOrter:  hoch,  rand,  viereckig. — 

Nun,  siehst  dn,  die  Wörter»  die  dn  hier  unterstrichen,  bezeichnen  die  Eigen- 
schaften der  Sachen,  wi«»  die  Wfirtor  groß,  klein,  schwächlich  Eigenschaften 
von  Personen.    Und  deshalb  Iieißen  sie  Kig-enschaftswörter. 

Jetzt  sage  mir,  was  deiae  Brüder  thun. 

»Fritz  schreibt,  Carl  Üesti  nnd  Joseph  spielt.** 

Schreibe  das  anf,  nnd  nnterstreiche  die  WSrter:  sehreibt,  Uest,  sidelt. 

Da  diese  Wörter  zur  Bezeichnung'  von  Thätigkeiten  dienen,  so  werden  sie 

Thatigrkeitswörter  genannt.  Femer  wünsche  ich  zu  ^vissen,  welcher  von  deinen 
Brüdern  steht,  welcher  sitzt,  und  welcher  weder  steht  noch  sitzt. 
„Fritz  steht,  Carl  sitzt,  Joseph  geht  fort.** 

Sdurdbe  das  anf,  nnd  nnterstreiehe  die  WOrtor:  steht,  sitzt,  geht  Diese 
WSrter,  dte  «iBenZnstand  ansdrtteken,  werden  ZnstandswSrter  genannt  —  Da  nnn 

durch  Tlifltif^rkeits-  nnd  Znstandswörter  nicht  nur  Thäti^keit  nnd  Zustand,  .son- 
dern aucli  die  Zeit  bezeichnet  wird,  inwelclier  etwas  geschieht  oder  stattündet, 
so  werden  sie  Zeitwörter  genannt.  Wenn  wir  z.  B.  sagen:  er  schreibt,  liest, 
spielt  oder  steht  sitzt,  geht,  ao  boieiehnen  wirdamitf  dass  dies  sieheben  jetzt 
in  der  gegenwärtigen  Zeit  antrügt  Um  die  Vergangenheit  anszndrttcken,  wttr- 

FiBflifftCiwD.  5.  Jthi«;  Belt  Vit  29 


Digitized  by  Google 


—  444  — 


den  wir  sa^^:  er  schrieb,  las,  spielte,  er  stand,  saä,  ging;  tun  die  zukimiiige 

Zeit  zn  bewidiiifln:  er  wird  aobreibeii,  wird  lemi,  wird  Bpieton.  Wh 

verstehen  wir  also  unter  HMptwSrtera? 

..Dif'jenigren  Wörter,  die  zur  Bezeichming  von  Poraonen oder  Sadien dienen.'^ 
W'm  verstehen  wir  unter  Eigrenschat'tswörtem? 

„Diejenigen,  welche  znr  Bezeichnung  von  Eigenschaften  angewendet 
wttden.'* 

Und  WM  TttBtehen  wir  onter  ZeitwSrt«ro? 

„Solche,  welche  entweder  die  Zeit  nnd  die  Thfiticfkeit  einer  Person  be- 
zeichnen, oder  die  Zeit  und  den  Zastand,  in  welchem  sich  eine  Person  oder 
Sache  befindet." 

IHe  Hntter  widdertiolt  mit  dem  Kinde  das  ebmaH  Eriemte  mit  dereelben 
nnemdiöpf  lieben  Gedald  wie  Mher  mit  dem  Sftngling.  Sie  wiederholt  fort- 
wahrend, hoi  jeder  Gelegenheit,  bis  sie  nberaengrt  sein  kann,  da.ss  ihr  Lieblins: 
klare  I3e<^'üie  von  Personen  und  »Sachen,  von  Eigenschaften,  Thätigkeiteu  und 
Zuätiiudeu  hat;  denn  dann  ist  sie  auch  sicher,  dass  er  die  drei  verschiedenen 
Arten  ven  BegrifbwSrtem  riebtiy  aniuwenden  wisien  wird.  —  In  Slinlielier 
Weise  werden  die  BeztehnngewQrter  dnrehgenooimen.  So  lernt  daa  Ktnd  all- 
mählich;  aber  was  es  einmal  lernt,  fürs  g-anze  Leben.  — 

Wenn  es  sich  um  die  dentsche  Sprache  handelt.  d^^Tin  lülerdings  sind  die 
Übnngen  im  Decünireu  uuerlä«slieh.  Aber,  sobald  die  Mutter  den  Unterricht 
im  FnuuäMaehen  beginnt,  wird  sie  sieli  liftten,  ihn  dnreli  Dedinatioa  n  er- 
schweren, zumal  eine  solche  in  jener  Sprache  dodhi  gainicht  existirU  In  Bezn^ 
auf  die  Wortclassen  fdg;t  .sie  den  deutschen  Benennungen  die  französischen  bei: 
sie  sucht  dem  Kinde  einen  khiren  (  berhlick  übi-r  das  Wesen  nnd  die  Bedeutung 
des  Verb  zu  geben,  wie  über  die  Cui^ugatiou  dei»üelbeii,  die  sie  dann  tüchtig 
fiben  iBaat  —  Wfthrend  dieser  Zelt  ist  ale  alMr  andi  fttr  sich  sdbtt  nidit  nn- 
tiiätlg  geblieben.  Sie  ist  Autodidakt.  Ifanches  Lehrbuch  nimmt  sie  dnreh« 
um  ihrm  geliebten  Kinde  das  Lernen  zn  vereinfachen  und  zu  erleichtem. 

In  den  Grammatiken  von  Xoel  un<i  Chapsal.  Ploety  ,  Mätzner  tindet  si»^ 
manchen  schätzenswerten  Autschluss  iu  Bezug  auf  Formeu-  und  Satzlehre,  wäh- 
rend sie  sich  durch  Lesaint's  TraitAde  la  prononelatlcn  frani^idBe  Klarfadt  tber 
die  Aussprache  verschafft,  durch  Barbieux'  Antiharbarus  über  veraltete  und 
ungeeignete  Ausdrücke.  Eiidli'li  ^Ariht  ihr  aucli  Wailly's  Wörterbuch  nicht 
fremd.  Die  darin  enthaltenen  Conjugationsinningen  erscheinen  ihr  als  eine  Er- 
leichterung des  Unterrichts,  da  der  berülimte  Lexikograph  elf  Grundverben  an- 
nimmt, nach  denen  alle  übrigen  coqjngirt  werden,  wodurdi  die  Zahl  der  nn* 
regelmäßigen  anf  ein  Minimum  zusammenschmilzt.  —  Die  Mutter  übt  mit  dem 
Kinde  die  Verben,  lehrt  es  die  abgeleiteten  Zeiten  ans  den  Stannnzeiten  .selb«f 
bilden,  und  fügt  dem  abzuwandelnden  Verb  nach  und  nach  erst  »'in  Regime. 
aUmählich  mehrere  bei,  —  Das  Kind  erlaugt  durch  diese  Übungen  nicht  iiui 
die  wflnsehenswerte  Zangenfertigket;  es  erlernt  auch  spielend  die  Mdnncr  der 
Sätze,  nnd  die  vom  Deutschen  abweichende  Wortstellung.  Im  stetigen  Fort' 
schreiten  werden  zwei  Verben  auf  einmal,  demnarh  }fan]'t-  nnd  beigeordnete 
Sätze,  oder  Haupt-  und  untergeordnete  Sätze  miteinander  geübt,  wobei  das 
Kind  die  Indicatüf-  wie  Subjonctüregeln  praktisch  erlernt,  und  zugleich  für  die 
Bedentnng  dar  verschiedenen  Wortclassen  das  nSthlge  Verst&ndnis  eriangt 

Da  die  Hntter  mit  ihrem.  Kinde  nicht  nnr  die  bejahende,  sondern  aaeh 


Digitized  by  Google 


—  445 


die  verneinende  und  fragende  Form  der  VerV'f'n  übt,  sn  i'^t  es  ilir  leicht,  von 
der  Conjogation  auf  die  Conversation  überzugeiieu.  Das  Kind,  das  sich  iu  der 
firemden  Sprache  anszadrficken  vermag,  wird  durcU  die  Freude  darüber  zu 
neuem  Flel0  eminthigt — Sobald  ee  abvt  hinlSiiglich  die  Befelii  praktisch  gefibt 
hat»  gibt  ihm  die  Mutter  auch  eine  Grammatik  in  die  Hand.  "Was  darin  iteht, 
■pr^^rf  sich  das  Kind  mit  Leichtigkeit  eiti,  da  ihm  faat  alles  l)erelts  aus  den 
tj  bangen  bekannt  ist.  Die  Mutter  ist  unermüdlich  im  Wiederholen  mit  dem 
g^eliebten  Wesen,  und  sucht  sich  durch  Fragen  zu  überzeugen,  dass  Klarheit  in 
dem  kleuieD  KOpfdieo  yortiaiiden  eeL  Sodann  nraw  sich  das  Khtd  im  Ana« 
lysiren  der  Sätze,  Satztheile  und  Wörter  schriftlich  und  mündlich  fibcn.  — 

Wir  sehen  also,  dass  das  mütterliche  Verfahren  nicht  zn  v*'r;H  hten  wSre. 
Im  Classcuunterrichte  wird  ^  ft^ilich  nur  sehr  beschränkt  austuhrbar  sein. 
Einen  viel  ausgedehnteren  Gebrauch  können  aber  Privatlehrer  von  demselben 
naehen.  Diesen  steht  die  Macht  und  onbegrenzte  Freiheit  der  Ihdividuali- 
sininf  zur  Seite,  und  ihnen  Klanben  wir  snrafcn  m  dürfen:  Frfifet  Alles! 
das  Beste  behaltet! 


Digitized  by  Google 


Bemerkongen  zu  einer  pädagogischen  Psychologie 


Von  Dr.  Friedrich  IHtUs, 

XJnfier  „Literatarblatf  hat  leider  nicht  genug  Baum,  um  alle  An* 
forderoDg«!!  an  dasMlbe  befiiedignoi  xn  kSimm.  Wenn  wir  «ndi  anf  die 
Beqmehonir  onbedealendflr  Artikel  des  BUcbomarktes  gern  yerzichten,  so 

bleibt  doch  noch  iinnitr  eine  kaum  zu  bcwJlltifcnil«'  !^^enB:^•  nener  Schriften 
übrig,  von  denen  wir  unseren  Lesern  Nachricht  geben  möchten.  Und  da  wir 
hierbei  nicht  mit  der  vielfach  üblichen  Flüchtigkeit  und  Oberflächlichkeit  ver* 
fidiren  wollen,  so  Ahlen  wir  nur  n  oft  die  UnznlSnglichkeit  deo  ffir  die 
UtenriMlie  Revne  ans  zn  Gebote  stehenden  Baomes.  Unsere  Leeer  werden 
fs  daher  nicht  niisshillig:fn,  wenn  wir  für  diesen  Zweck  dann  nnd  wann  das 
„Pa-daR^ogiuiii"  selbst  in  Ansprucli  nehmen,  zumal  wo  es  sich  am  Bücht-r 
handelt,  welche  sich  mit  besonders  wichtigen  Gegenständen  bescliäftigen  tiuti 
eine  nnsffllirliche  Beeeneion  erheiadien.  Ein  solcher  Fall  ist  es  andi» 
wddier  nns  Twulnsst»  die  folgende  Anseige  nnd  Bequreebnnir  an  dieser  Stelle 
eradkeinen  ra  lassen. 

Psychologie  als  Gmndwissenschatt  der  I^Jldag-ogrik.     Ein  Lehrbuch 
für  Seminaristen,  Studireudü  und  Lelaer  von  Max  Jahn.  Leipzig 
1883,  Frohbei^.  157  S.  2  Mark. 
Die  Psychologie  als  Leitsteni  der  Fidagogik  soll  nach  .Ansteht  des  Ver- 
fasssers  eine  d(»p|Hlte  Aufirahe  lösen.    ^Znnäclist  hat  sie,  durch  hinreichende 
Erfahrnns  unterstützt,  den  Erzieher  über  die  wirkliche  Natnr  nnd  Beschaffen- 
heit des  Zögliogii  autzuklürt:Q  uutl  an  einer  genügenden  Anzahl  von  Beispielen 
alles  TonenfOlumi,  was  im  Kinde  dine  hesondere  Endehnngednfliine  enpor- 
wftehst  Sodann  aber  muss  sie  zeigen,  wie  das  natürlich  Gegebene  zn  benntaen 
sei,  um  di»-j*Miif?T'n  Tiihalte  und  Formen  des  Seelenlebens  entst»*hen  zu  la««''n, 
welche  den  ideuscheu  über  jenes  Erste,  blos  Naturwüchsige,  erheben  und  ihn 
vervollkommnen.  In  letzterer  Hinsicht  ist  es  besonders  wichtig,  dass  der  Pädagog 
die  Bedingungen  genan  kennt,  unter  denen  es  dem  ZQgling  mOglich  wird,  ca 
diesem  vollkommneren  Bewnsstsein  fortzuschreiten.^ 

Ge?en  dif»sc  Grundsätze  lässt  sich  kaum  eine  befcriindete  Einwendung 
erheben,  und  auch  die  Durchführung  derselben,  wie  sie  in  dem  vorliegenden 
Buche  niedergelegt  ist,  verdient  im  Ganzen  alle  Anerkennung.  Verfasser  bat 
den  ganzen  Beichtfanm  des  menschUchea  Seelenlebens  ttbenriditUeh  vorgefQhrt 
nnd  allenthalben  die  pädagogischen  Beziehungen  der  iNjchischen  Vorginge  und 
üebilde  aufgedeckt»  dabei  einen  genetisch  entwickdnden,  leicht  faeslichen  Vor> 


Digitized  by  Google 


—  447  — 


trair  f'ingehalton  und,  dem  propädentiscln  n  Zwrrk?»  feines  Buches  entsprechend, 
die  idealen  Ziele  aller  menschlichen  Entwickelung  und  Bildaug  au%ezeig:t. 
Aach  Bein  Stil  ist  correct  und  fließend,  sein  ganzes  Buch  zeogt  von  vielseitigen 
Voratndleii,  anster  DeDkartwit  und  Mrgrfältigem  Helft  in  der  Aosirbeitoiig. 
Wenn  dasselbe  sonach  besonderer  Beachtung  wert  ist  und  als  Leitfaden  fiush- 
licher  Stndien  in  die  anf  dem  Titel  bezeichneten  Kreise  eingeführt  zn  werden 
Anwartschaft  hat.  so  hJllt  es  Referent  für  geboten,  einige  Stellen  hervorzu- 
heben, in  welchen  nach  seiner  Ansiclii  der  \'erfasä«r  nicht  ganz  das  Kichtige 
getroffiBn  hat,  damit  daa  Bneh  fVr  eine  nene  Auflage  noebmab  revidirt  werde. 
SeRMt?evsttndlieh  kann  Referent  nichts  wdter  fhan,  ala  aeine  Ansicht  der  des 
Wrfas^ers  ^g-entibei-zast eilen;  dieselbe  anzunehmen  oder  abmletmeB,  bleibt 
natürlich  dem  Ermessen  des  letzteren  anheimpestellt. 

Um  jedoch  vor  allem  die  Disposition  de«  vorliegenden  Lehrbaclies,  wenigstens 
den  Ornndalkgeii  nach,  darsidegen,  bemerlceB  vir,  da»  daaselbe  nach  einer  .Aber 
die  Grenzen  de«  Körperlichen  und  Geistigen,  fiber  die  Wissenschaften  der 
Physiologie,  Ptycbophysik  und  Psyclioloe-ip.  i\hpv  die  Bedentnng  der  letzteren 
fUr  die  Pädagogik,  sowie  über  die  Quellen  uad  Hilfsmittel  der  Psychologie 
orientirenden  Einleitung  erstens  das  Sinnesleben,  zweitens  das  Vorätellungs- 
leben  innerlialb  dea  peyehiiehen  Keebasismns,  drittena  die  höheren  Bewnatt* 
seinsweieen,  viertens  die  Willensbildung  behandelt  und  fünftens  theoretiacüie 
Sfttae  über  das  Wesen  der  Seele  und  ihre  Enfwtckelnng  anfsf<  Ht 

Da  der  Herr  Verfasser  nicht  etwa  der  sogenannten  Metaphysik  als  einer 
voEfeblichen  Wlwenschaft,  mit  anderen  Worten  nidit  wilUcOriielier  Specolation, 
Maden  der  Erfabrnngr  nnd  Tonnigawelae  der  Selbstbeobachtung  die 
Führerschaft  auf  psychologischem  Gebiete  zuerkennt,  womit  Referent  ganz  ein* 
verstanden  ist,  so  dürfte  auch  über  streitige  Punkte  eine  Verstnndignng  wol 
za  erzielen  sein.  Indem  wir  nun  auf  einige  aoffiftllende  Stellen  des  Baches 
tingelwn,  mflaaen  wir,  mn  nieht  aUn  weitllnflg  n  weiden,  im  vorana  anf  eine 
erschSpfende  Attfflhmng  alles  mangelhaft  Ersehtinoiden  versichteni  wobei 
wir  aber  der  Ansicht  sind,  dass  von  den  hervorzuhebenden  Punkten  ana  eine 
omfassende  Revision  der  vorliegenden  Lehrschrift  vorzunehmen  sei. 

S.  11:  „Jeder  besonders  gearteten  Emphndung  wird  immer  ein  be- 
sonderer inSever  (1)  Vorgang  ent8pre<^e&.*'  ES  kann  auch  ein  innerer^ 
blos  subjeetiver  Yoi^ng  sein.  „Der  Lichtstrahl,  der  bei  450  Billionen 
Schwing:nng-en  gesehen  wird,  heißt  roth.  Haben  wir  die  Empfindung  des  Orange, 
ist  die  Schwingnngszalü  472"  etc.  Eichtiger:  Die  Empfindung,  welclie 
bei  400  Biil.  Schw.  entsteht,  ist  die  des  Rothen;  ist  die  Schwinguugszahl  472, 
so  haben  wir  die  Empfindung  des  Orange  etc.  Überhanpt  ist  der  ganze  hier 
in  Betraeht  kommende  Abschnitt  (§  8)  nicht  besonders  gelangen  and  einer 
Umarbeitung  bed'iirftig.  IMp  Darstellung  des  „psychopliysischen  Gesetzes" 
ist  breit  nnd  unklar  und  schließt  mit  dem  geradezu  horreiulen  Resultat:  ^Nimmt 
der  Reiz  um  das  10-,  100-,  1000-,  10000 fache  zu,  so  die  Empfind  an  g  um 
das  1-,  2-,  3-,  4fitche.''  Überdies  dflrfte  dem  psychophysisohen  Oesetze  in 
einer  pädagogischen  Psychologie  kein  hoher  Wert  zukomuien,  da  die  ganze 
Pgychophysik  denn  doch  noch  lange  kein  untrügliches  Evangelium,  vielmehr 
noch  sehr  subjectiv  und  problematisch  ist  und,  was  liier  noch  besondei-s  betont 
worden  muss,  bisher  für  die  erziehliche  Praxis  so  gat  wie  nichts  geleistet 
hat  —  Dass  die  Dellnitlon  nnd  üntersdieidnng  der  Begriffia  „Walunehmnng*^ 


Digitized  by  Google 


and  „Anschauung"*  (S.  21 1.)  weder  dem  Sprachgebrauch  euuprechend  noch  klar 
ist,  sei  nur  nebenbei  bemerkt,  da  die  Sache  keine  principielle  Bedeutung  bat. 

S.  23:  »Wir  MflMeD  aas  mit  der  Annahme  iMmldgen,  da»  die  Sede  die 
angeborene  Fähigkeit  besitzt,  räumlich  anzuschauen.''  Dieeea  „Müssen'* 
entspringt  nicht  ans  psvcholrvisrischen  Tbatsachen,  sondern  aus  einem  durchaus 
unbegründeten  Dogma,  auf  weiches  wir  weiter  unten  zu  sprechen  kommen. 
Übrigens  sollte  der  ganze  hier  beriktte  Abiehnitt  (§  13)  wegen  seines  sehr 
problematischen  und  praktisch  nnfrnchtbaren  Inhaltes  glailieh  ums«' 
arbeitet,  namentlich  auch  stark  gekürzt  werden. 

S.  42:  „Man  nennt  nnn  im  allgemeinen  die  Eifenthüralichkeit  der  Vor^ 
stellongea,  über  sich  hinauszu wachse  und  in  Bewegung  und  Handlung  über- 
zugehen, das  Streben,  vnd  die  Vorstellnagen  selbst  Strebnneen." 
Eine  gUudieh  Tofehlte  Definition.  „Das  Übendchhlnansgehen"  nnd  „Ubo^ 
gehen'*  der  Vorstellungen  findet  sdilecliterdings  niemals  und  nir^^ends  statt,  ist 
eine  volleudtn«-  contradictio  in  !\dje(  to,  die  im  wirklichen  Sein  and  Geschehen 
des  SeeleulebeDü  keinerlei  Anhalt  findet.  S.  43:  „Überhaupt  sind  unsere  Vor- 
steUnngen  immer  (!)  tm  einer  Anaahl  Gefthlen  begleitet  und  amsdiwSmt." 
Eefaieswegs.  Was  sollte  aadh  ans.  dem  Unterrichte^  ans  dem  Stndinm,  ans 
Forschung,  ans  der  lereistig-en  Prodnction  werden,  wenn  es  «rh  verhielte?  ■ — 
Ebenda  wird  gelehrt:  „Dass,  ehe  ein  Streben  entsteht,  immer  erst  eine  Vor- 
stellung bewusst  sein  mnss."  Keineswegs.  Das  Streben  ist  im  Gegentheil 
üa»  Yiel  laimitiyere  Fem  des  Seelenlebens,  sls  das  Vorstellen.  Verfwer 
selbst  erkennt  dies  ja  an,  indem  er  ftttflUirt:  ,3Ad<^t  man  jedoch,  dass  sdion 
das  nen^borenc  Kind  iiacli  Xnlirung'  verlangrt.  ohne  vorher  Milch  g:esehen  zu 
haben,  oder  Nahrnng'  Uberhaupt  vorstellen  zu  können,  so  leu'^litet  »mü,  dass 
nicht  jedes  Streben  vou  betitimmten  Voratelluugeu  ausgeht.  2s  ur  dunkle,  unbe- 
stimmte Empfindungen  md  Gefühle  sind  in  solchen  FBUen  die  Veranlaasuig 
des  Stzebens.  Man  nennt  solebe  elementare  Vorginge  im  Seelenleben  Triebe." 
—  Gmi7.  ri  hti^,  aber  es  ist  der  directe  Widerspruch  rnm  Vorigen  und  die 
Deposttcduung  der  Vorstellungen  aus  der  Herrschaft,  die  ihnen  soeben  erst 
zugesprochen  war.  S.  44:  „Die  befriedigten  Triebe  lassen  Erinnerungen  zurück, 
nnd  kehren  diese  als  Strebnngen  wieder,  so  sind  sie  denn  Begehrnngen." 
Ziemlich  richtig.  Xun  folgt  aber:  „Anterdem  bleibt  noch  aufrecht:  jede 
beliebifj^e  Vorstellung  kann  znr  Belehrung  werdf»n  -  r>i'>«**s  „Außerdem"  ist 
eine  ganz  unorganische  Zuthat  zu  der  richtigen  Theorie,  eiue  durchaus  fremd- 
artige Ingredienz  mm  wirklichen  Sein  nnd  Geschehen.  Es  ist  nicht  wahr, 
daas  Jede  beliebig  VonteEnng,  z.  B.  die  eines  Quadrates  oder  einer  WindmfiUOr 
zu  einer  Begehrang  werden  könne.  Die  Vorstellung  wird  überhaupt  niemals 
etwas  anderes,  als  was  sie  ist;  sie  hat  keineswegs  die  Eigenthümlichkeit.  ..über 
sich  hinaus  zu  wachsen"  und  in  etwas  anderes  „überzngehea"|  sie  bleibt  stets 
VotateUnng.  Aach  hier  gelten  die  Sit»:  AsA  nnd  A  nicht =B.  Der 
IiTtham  aber,  dass  das  Streben  ans  den  Vorsteilnngen  entspxinge,  bemht 
darauf,  dass  die  Vorsteilnngen  häufig  als  Weckungsmitt  el ,  als  Reproductions- 
hilfen  anf  Triebe  und  affective  Seelengebilde  wirken;  in  diesen  und  in 
ihnen  ganz  allein  liegen  die  Motive,  d.  h.  die  bewegenden  Kiftfte  des  ge- 
sammten  WlUenslebens  von  den  ersten  Elementen  an  bis  sn  den  hOeksten 
Formen.  Bein  objective,  intellectaelle  Seelengebüde,  eben  Yorstellnngea,  sind 
niemals  Wurzeln  eines  ttber  sie  hinansgefaenden  Strebens;  nor  sabjectire, 


Digitized  by  Google 


—  U9 


affective  Seelengebilde,  also  Empfindungen  (angenehmer  oder  onangenehiiier 
Art),  wie  theils  tdum  im  nengebMeiitti  Kinde  ans  denen  Lebenazaständen 
entspriDgen«  tbeiis  ans  den  annnebr  beginnenden  Infleren  Einwirknng«i  and 

dem  weiteren  inneren  Leben  hervorgehen,  sind  Quellen  der  Begehrungen  and 
Abneig^ongen.  Dies  weiter  auszuführen,  kann  nicht  Anfgabe  einer  Reoension 
sein.  Aber  hervorheben  müssen  wir  nochmals,  dass  die  Täuschong,  der  falsche 
Sekeizi,  es  seien  die  Voretellnngeu  eigentliche  Hotoren  Im  Bereiehe  de« 
Willendebens,  daher  rOliit,  da^  dieselben  in  der  menschlichen  Seeleiietttwlddiini^ 
allmälilirh  mit  affectiven  (?eljil(len  finid  Kräften)  sich  (derart  assorüren  nnd  ver- 
schmelzen, das»  sit^  dann  dii  sc  eigentlichen  Tri<  bkrätte  wecken,  reproduciren, 
aaslösen,  in  Wirksamkeit  setzen  können,  was  deshalb  in  so  umfänglichem 
Mtße  geechieht,  weil  die  Dinge  and  Vorzüge,  welche  auf  den  Ueaachea 
wirken,  nicht  blos  geistige  Abbilder  in  ihm  hervorrufen,  sondern  hftnflg  aach 
zugleich  .sein  Wol  nnd  Welie  Ijc einflössen,  also  Enipfindungszustände,  snb- 
jeetive  \'erändernne:en,  persönliche  Erfahrungen  in  ihm  erzengen,  die  sich 
dann,  oft  von  Vorstellungen  wieder  erregt,  als  bestimmte  Begehrungen  und 
Widerstrebfnngen  reprodadren. 

Unaer  Verfasser  fährt  fort:  „Überhaupt  adielnen  die  Begehrungen  den 
Gefühlen  parallel  zu  laufen,  indem  das  Angenehme  (Gefühl)  begehrt,  das 
Unangenehme  verabscheut  wiid."  So  ist  es.  Nun  kommt  aber  wieder 
ein  Calscber  Zusatz:  „Die  Erfahrung  zeigt  jedoch,  dass  oft  auch  manchem 
<Angenehm«i  wldentrebt  nnd  maaehes  Sehlechte  (adl  wol  heUm:  Unangenehme) 
begehrt  wird.  Man  hat  sich  also  zu  hüten,  allgemein  das  Angenehme  ab 
Grund  des  Bej?'  hrt  n«,  I  is  I  ii  tüi^^mehme  als  Grund  des  Verabschenens  anzn- 
Rehen."  Hier  liegt  wieder  eim  liinschung  vor.  Begehrt  wird  immer  nur 
das  Angenehme,  verabscheut  immer  nur  das  Unangenehme,  im  Kinde,  wo 
wegen  Hangela  an  Erfahrnngen  and  Erlnnernngen  noch  keine  Beflexion 
cntwiektit  ist,  zeigt  sich  dieses  unabänderliche  Gesetz  des  positiven  und 
negativen  Strebens  ^tpts  rein  nnd  nnverhüUt.  Der  falsche  Schein,  da.ss  dii'ses 
Gesetz  dann  bisweilen,  eben  nur  bisweilen,  ins  Gegentheil  umschlage,  entsteht 
dadurch,  dass  der  Mensch,  eben  infolge  gemachter  Erfahrung  nnd  reiflicher 
Abwtfuig  deeeeUf  waa  Ihm  Angenehmes  nnd  Unang^hmee  widerlahren  kann, 
auf  eine  Annehmlichkeit  verzichtet,  nm  sich  durch  diesen  Verzicht  eine 
größere  Annehmlichkeit  zu  sichern,  oder  eie  f  iel  fem  zu  halten,  dnrch 
welches  die  momentan  erreichbare  Annehmlichkeit  überwogen  werden  würde; 
oder  daaa  .er  ein  Übel  aof  sich  nimmt  (sich  vielldeht  den  heftigsten  Schmerzen 
untenleht),  am  einem  grMeren  Übel  (etwa  dma  Tod  odo-  der  BBSle)  an  ent- 
gehen, oder  eines  Glückes  (z.  B.  der  Gesundheit  oder  ewigen  Seligkeit)  theil- 
haftiezn  werden,  welches  den  momentanen  Schmerz  zu  überwiegen  verspricht. 
Der  Mensch  kann  sich  dabei  irren,  weil  die  bereits  gemachten  angenehmen 
oder  schmendidien  Erfahrungen  keine  dnrehaos  sicheren  Ratbgeber  Ar 
Seine  Entschliefiungen  sind;  dasa  aber  diese  Entscliließungen  Jederzeit  aas 
dem  Begehren  de.s  Angenehmen  nnd  ans  dem  Widerstreben  ge^ren  das  Fnan- 
geuehme  hervorg-ehfii .  int  auUer  allem  Zweifel.  —  Der  Schlnss  zn  den  bisher 
angeführten  Stelleu  lautet:  „Erwähnt  sei  vorläutig  noch,  dass  die  Gefühle 
nnd  Strebungen  die  oatHiUch*  gegebene  Grandlafe  nnd  das  llaterial  dnd, 
welches  der  Erziehtf  hauttaen  mass,  am  daaOemüth  und  den  Charakter 
za  büdea."   Sehr  gnt,  gana  dnywataaden.   Aber  damit  ist  ja  eben  die  obige 


üiyuizeü  by  Google 


—  4Ö0  — 


Überscliätzuug  der  \'or8tellaiigen  im  Bereiche  der  WiUensbildmig  widerrufen. 
MBge  also  der  alte  und  leider  noch,  immer  umgehende  Iirthnm,  du»  die 
Tugend  ein  Wissen  nnd  also  lehrbar  sei,  endlich  euunal  gliiilich  ver- 
geh win  de  ii.  In  dem  vorliegenden  Buche  hat  sich,  wie  fi»^r  zuletzt  anpeftthrte 
Sat2  bezeugt,  die  Praxis,  d-  h.  hier  die  pädagogiitche  Anwendung  der  J?8ycho- 
logie,  abermals  als  kräftiges  Bemedium  gegen  eine  falsche  Tl^rie  bewährt. 

Nim  noch  einlgea  Andere.  S.  74:  ,,Lilb]ge  der  EinilMdihdt  nnd  EtadMit 
der  Seele  hängen  alle  Zostftnde  derselben  untereinander  eng  zusammen,  so 
dass  trotz  d^^r  A'ielheit  derselben  doch  nur  ein  Bewnsstst'in  sich  bildet  nnd 
diese  Einheiliiciii^eit  auch  in  seiner  zeitlichen  Entwickeiung  im  Einzelnen  nnd 
im  Oanaen  beibeliilt"  S.  75:  „Infolge  der  TOnfaiJthiiit  der  Sedn  iat  jeder 
Bewnastaeinidnhalt  fBr  ridi  bcatefaend,  nnd  kein  VorstelInngMet  kann  die  Bolle 
eines  anderen  vertreten.  Da  aber  zugh  i<  h  jeder  Zustand  beharrt  nnd  sich 
wieder  geltend  zu  machen  sucht,  so  werden  die  Vorstellungen,  durch  die 
gleichzeitige  Geltung  verschiedener  Gesetze  zu  Kräften,  womit  wir  aber 
meinen,  dass  die  Vorstelltuigen  einander  dringen  nnd  drtteken«  nm  bewtust  m 
bleiben  oder  wieder  bewusst  zu  werden."  S.  146  ff.  wird  dann  die  angebliebe 
Einfiu-liheit  der  Seele  näher  bestimmt.  Bewiesen  soll  sie  durch  die  „einheit- 
liche" Ichvorsteilung  werden.  Jede  Art  von  fiiLumiichkeit  wird  der  Seele 
abgesprochen,  es  gibt  in  ihr  keine  Theile,  kein  Hier  und  Dort,  kein  Oben  und 
Unten,  addeeliterdinga  nichts  Stoffliehes,  de  Ist  eben  ein  abaolnt  dnlkcbci  ud 
nnrftnmUehee  Weaen.  Doch  wird  als  wahrscheinlich  angenommen,  „dasa  sie 
vorschiedone  Angriflsp'inivt-  im  'n  him  finden  kann".  —  Das  alles  ist  dem 
Kelerenten  vollkommen  uubegreitlicli.  Wie  sollen  in  einem  derartiicen  Wes<^n 
zahlreiche  Zustände  verschiedener  Art,  viele  Bewosstseinsinlialte  in  strenger 
Sondemng,  eine  beliebige  Menge  von  scharf  beatimmten  VorsteUva^CQ  ent- 
stellen nnd  bestehen,  untereinander  „znsammenhllngen,"  sich  ..dnin^en  und 
drn'kpii"  ktinnen?  ^Vie  ist  in  dem  absolut  Einfadien  und  Raumlosen  über- 
haupi  ein  Vielfaches,  ein  Zusammenhang-,  eine  Bewegung  denkbar?  —  Die 
Ichvorätelluug  beweist  hier  gar  nichts,  intibeboudere  beweist  sie  nicht  im 
mindiaten  die  Einfisehheit  der  Seele.  Denn  sie  ist  nvr  formal  dnheiflieh, 
ihrem  Inhalte  nach  aber  tausendfach  verschieden.  Eine  Gesammt-Ichvor- 
«tellnner  mit  constantem  Inhalte  existirt  überhaupt  in  Wirklichkeit  nicht,  sie 
ist  eine  bloße  Abstraction,  ein  Denkact,  der  Aber  das  psychische  Sein  nichts 
entscheidet.  Weil  aber  mit  aller  Gewalt  die  Seele  zu  einem  „einfochen  Wesen" 
geatampelt  werden  mnas,  ao  bleibt  ea  freilieh  aneh  gm  nnerklirbar,  wie  ain 
im  Stande  sein  k5nne,  ,4'äumlich  anzaschanen'^  (s.  oben),  wenn  nicht  etwm 
die  nachträglichp  Hypothese,  dass  sie  von  einem  Piinktf^  df's  Orhirtf«  znm 
andern  springen  könne,  das  Häthsel  lösen  soU.  Aber  diese  Hypothese  lultt 
keineswegs  ans  der  Verlegenheit;  denn  in  einem  abaolnt  ranmkaen  Weaen, 
welche  Evolntionen  man  denuNlben  aneh  gestatten  mSge,  hat  eine  Baamvor- 
Stellung  überhaupt  keinen  Platz,  kann  eine  solche  schlechterdings  nicht  m 
Stande  kommen.  Dies  dennoch  annehmen,  heißt  einen  absoluten  AViderspnich, 
ein  unbegreifliches  Wunder  setzen.  Ja,  eine  solche  Seele,  wie  sie  hier  ange- 
nommen wird,  ist  flberfaanpt  zu  gar  nidita  tn  gebianchen,  am  allerwenigsten 
snr  AaibteUnng  irgend  eber  FUyebologia;  ale  'iat  ein  UoBea  Oadankandtoy»  noch 
dazu  ein  undenkbares  Gedankending,  ein  reines  Nichts,  bei  dem  alle  Psycho- 
logie volUunnmen  nnmDglich  ist»  der  todte  Funkt  aller  pajrchologiwhen  Unter« 


Digitized  by  Google 


—  451  — 


sachnne'.  Wird  eine  solche  dennoch  unternomm^^n.  so  f^esdiieht  in  directem 
Widerspi-uch  mit  der  Seeienhypothese  und  von  ganz  anderen  Grundlagen  aus. 

Referent  weift  recht  wol,  dass  diese  Me  und  lebloBe  Seele,  die  auBge- 
BprodieiiennaSeii  keinerlei  Anlafe  oder  Kraft  hat,  die  nicht  empfinden  und 
'wahrnehmen,  nichts  empfangen  und  nichts  produciren  kann,  dass  diese  voll- 
kommen nichtige  Seele,  nicht  von  Herrn  Jahn  erfunden,  sondern  da«^s  es  die 
Herbart'sche  Seele  ist;  aber  Herr  Jahn  hätte  sie  nicht  adoptiren  sollen.  Sie 
paant  dnreluHU  aleht  in  eeiiM  F^ehologie.  Überimnivt  eoHle  er  nw  daaeiben» 
ivdl  er  ja  praktiaolie  Zmeke  verlDilgty  AHea  anwnamn,  „worftber  eich  bie 
jetzt  nichts  Gewisses  sagen  lässt,"  wie  er  selbst  (S.  152)  bemerkt.  Er  hat 
sich  ja  die  Erfahrung,  besonders  die  Selbstbeobachtung,  zur  Richtschnur 
gewiUüt:  was  sollen  also  Dogmen,  die  nicht  nur  in  der  Erfahrung  gai-  keinen 
Halt  baben,  eondem  mgar  ndt  dem  gannen  emiMcben  Seetenlebeii  (uid  ein 
anderes  kennen  wir  nicht)  in  vollem  Widenapniche  Bteben? 

Referent  hofft,  dass  das  vorliegende  Rnch,  seinem  eigenen  Princip  geniflß, 
eine  gründliche  Umarbeitung  erfahren  werde,  was  nicht  schwer  sein  wird,  da 
das  Bach  die  Keime  d^  Kichtigen  selbst  da  in  sich  enthält,  wo  ftberkommeue 
InthUmer  Uire  Schatten  weiftn.  JedenfaDs  kann  es  nicht  bleiben,  wie  es  ist, 
da  es  an  inneren  Widersprüchen  leidet.  Dieselben  müssen  auf  die  eine  oder 
.•iTidfMT  Art  beseitigt  v-crdon,  wobei  zugleich  solclie  Partien  des  Buches,  dip 
ktti-z  und  daher  ungrüudüch  ausgefallen  sind,  einer  tieferen  Durcliarbeitung 
unterzogen  werden  können.  Wir  erwähnen  hier  namentlich  das  Gapitel  von 
den  „reUgidsen  GeAlilen  ond  Venttellangen"  (§  46)  und  die  Ertrtenuig  ttber 
das  Ethische,  welche  sich  im  wesentlichen  auf  die  Nennung  der  Herbart'idieii 
..Ideen''  beschränkt.  woTnit  dorh  sehr  wenig  gethan  ist  znninl  di  -'^  I  loen  wegen 
ihres  zum  Tlieil  sehr  anleclitbaren  Inhaltes  und  wegen  ihres  mangelhaften 
Gefiiges  keineswegs  als  endgiltiges  Fundament  der  Sittenlehre  gelten  können. 

Oodi  Her  glanbt  BefMraot  sebie  Bemerkmigen  abfaredien  zu  soUtti,  da  sie 
ohnehin  weitläufiger  ausgefallen  sind,  als  es  bei  Eeoensloiien  Brauch  ist.  Sollte 
i^fimnrh  eine  weitere  Motivirun<r  der  r^usg-psjiror-h'^nP!!  Ansichten  und  eine 
Esemi)litication  der  vorgeschlagenen  N'erbesserungen  nothwendig  erscheinen, 
so  müsst«  er  auf  sein  eigenes  „Lehrbuch  der  Psychologie"  verweisen. 


Digitized  by  Google 


Friedrich  Iscker. 


Von  Dr.  lYieilrld^  DUts»» 

Am  7.  Februar  d.  .7.  vcrscliicd  im  73.  Lt'ht'nsjrilin  df^  k.  k.  Major  i.  P. 
Friedrich  Ascher,  ein  treu'T  Ff  »'urul  und  verdienter  Mitarbeiter  di*'«pr  Zeit- 
schrift. Unsere  Leser  kenneu  ihn.  Djls  Pädagugium  liat  sieben  Anikei  voa 
ihm  TerSfltatlieht,  deren  Titel  und  Fundorte  wir  hier  snaammenitelleB:  Dto 
Seele  der  Mädclieiierziehang  (I,  S.  700  ff.).  Die  Erziehung  zum  Gehorsam 
(IT,  150  tt).  Die  Erziehnng  zur  Liebe  (II,  583  ff.).  Welche  Eigenschaften 
soll  der  Erzieher  besitzen?  (III,  421  ff.).  Über  den  iüüliui»s  der  Eltern  auf 
die  Berutswahl  ihrer  Söhne  ^^lli,  658  ff.).  Über  weiblichen  Erwerb  und  weib- 
Hdie  Thfttigkeit  (IV,  238  ff.).  Werin  liegt  der  Kemponkt  aller  Errieluu«? 
(V,  276  ff^) 

\\\)\  in  den  meisten  nnserer  Leser  wird  sich  die  Frage  erhoben  haben: 
Wie  kam  ein  .Milirilr  dazu,  als  pädagogischer  Schriftsteller  aufzutreten?  — 
Die  Antwort  >Yird  i^ich  aus  der  folgenden  biographischen  Skizze  ergeben. 
Friedrieli  Ascher,  Sohn  eines Kanftnanna,  wurde  am  23bllail810  saWien 
geboren.  Der  Knabe  zeigte  frühzeitig  einen  starken  WInenstrieb  und  dabei 
ein  sehr  lebhaftes,  zinn  Mnthwillen  hinneigendes  Temperament.  Leider  ver-stand 
der  Vater  nicht,  die  Eigenart  seines  Kindes  richtig  zu  beurtheilen  und  der  Aua- 
bildung  desselben  die  passendste  Biehtnng  zu  geben.  Er  meinte,  die  Haupt* 
sadie  sei,  dassd«-  ji^pBodUcheÜbermath  gesllgeltwerde,  ondm  diesem  Zwecke 
brachte  er  seinen  Sohn  in  ein HilitSrerziehimgshaas.  Oft,  sehr  oft  hat  Fried- 
rieh Ascher  diese  Maßregel  fäeines  Vatei-s  als  einen  Miss^ff  beklag^t,  d'ir  li 
den  er  einem  Berufe  zugeführt  wurde,  ^der  seinen  Neigungen  nie  entspracii 
nnd  noch  weniger  im  Stande  war,  dem  tiefen  Drange  nach  wiasewscJiafflicher 
Thfttigkeit,  der  Ihm  von  jeher  innewohnte,  m  genügen."  Und  s^  Scriin,  Dr. 
Ludwig  Ascher,  Advocat  in  Leoben,  fügt  hinzu:  „Er  selbst  pflegte  von  sich 
immer  zu  sagrn.  dass  er  weit  besser  zum  Professor,  als  zum  Officier  gepasst 
hfttte.  Ich  glaube,  dass  das  Bewosstsein,  selber  das  Opfer  einer,  wenn  auch 
wolgemeinten,  aber  doch  verfthlten  Brdefanng  gewesen  n  sein,  in  üim  das 
Nachdenken  ttbw  das  Erziehnngswesen  m&chtig  fSrderte.*  Doch  «rst  im  lei' 
feren  Mannesalter,  als  .''eine  eigenen  Kinder  und  dann  seine  Enkel  ihm  täglich 
Geleg:enheif  nnd  Anlass  zu  erziehlicher  BethÄtigung  boten,  wurde  die  Pädagogik 
ein  stehender  Gegenstand  seines  stets  regen  Nachdenkens  und  Schaffens,  ein 
Gegenstand,  dem  er  rieh  ans  eigenster,  stets  wachsender  Neigung  von  Jahr  tn 
Jahr  immer  ausschließlicher  widmete  und  bis  an  sein  Ende  das  höchste  Literesee 
zuwendete.   Im  Jahre  1875  war  er  alsMiyor  in  den  Bnhestand  getreten  nnd 


Digitized  by  Google 


—  453  — 


sammt  Gattin  von  WiPii  nach  Leobeu  zu  semem  oben  ppnaTinten  Sohne  über- 
gesiedelt Dort  kbie  er  in  den  schönsten  Familienverhäituissen,  geliebt  und 
faoehgesehltst  nicht  nur  tob  d«n  Seinen,  Mmdern  auch  von  einon  groBen  Kreise 
treuer  Freunde,  zoftieden  und  glücklich  im  Umgange  mit  edlen  Menschen  nnd 
in  nngescbwächter  Geisteskraft  Die  beiden  letzten  Winter  verlebte  er  bei 
-seiner  Tochter  Hermine,  Zeichenlehrerin  in  Währingr  bei  Wien,  welche  den 
Eltern  die  treueste  Pflege  widuiete.  Wie  der  Verstorbeue  mit  der  Tochter 
doxdi  den  edektenSeetenbondveAntpft  war,  eohing  er  auch  mit  groderZirt' 
lichkeit  an  der  treuen  Gattin,  und  es  war  rührend,  wie  er  mir  bei  seinen  letzten 
Besuchen  ihm  tiefen  Kammer  um  die  leidende  Lebensgefährtin  ausdrückte. 
Am  27.  November  1882  ward  sie  ihm  entrissen,  was  ihm  so  m  Herzen  ging-, 
dakss  er  sich  nicht  mehi'  erholen  konnte.  £r  eutfichlief  in  den  Armen  seiner 
Toehter,  nnd  im  bmachbarteii  Gerefhof  fuid  er  eeine  letite  Bnheatttte. 

Wenn  Friedrich  Atelier  in  seinen Lebensometftnden  dentUche  Hinweise 
anf  die  Pädagogik  fand,  so  gaben  ihm  anderseits  seine  persönlichen  Eigen- 
schaften den  inneren  Beruf  zu  dieser  höchsten  aller  menschlichen  Wissenschaften 
und  Künste,  Frühzeitig  brach  in  ihm  eine  ideale  Geistesrichtong  durch.  Als 
jnnger  Ottder  widmete  er  seine  HvBeetonden  am  Uelieteii  der  Malerei  nnd 
Dichtkunst,  deren  Werke  ihm  hohen  Genua  bereiteten,  nnd  in  denen  er  sieb 
selbst  nicht  oline  Glück  versuchte.  Allmählich  zo?  er  dann  auch  die  Wissen- 
schatten, besonders  Mathematik,  Astronomie,  Physik,  Weltgeschichte  nnd  Li- 
teratur in  den  Bereich  seiner  Lieblingsbeschäftigungen,  indem  er  einereoita 
•elbat,  meiit  anf  antodidaktlachem  Wege,  immer  tieftr  in  sie  eindrang,  ander- 
seits in  diesen  Disciplinen  Unterricht  ertheilte.  Hierzu  kam,  dass  Friedrich 
Ascher  mit  einem  seltenen  Maße  von  Menschenkenntnis  und  einem  eminenten 
Blick  für  Lidividaaiitäten  ausgestattet  war,  dass  er  ein  warmes  Herz  tlir  die 
Leiden  nnd  Frendem  seiner  Mitmenschen,  ein  leUmltesOeflibl  fllr  wahre  l!hre, 
bebe  Begdsternng  IQr  alles  Onte  nnd  Rechte,  innige  Liebe  in  seinen  Kindern 
und  Enkeln,  heitere  Gemfttlisnrhe,  dahoi  aber  einen  festen,  männlichen  und 
ernsten  Charakter  besaß.  .So  kannten  ihn  alle,  die  ihm  niUier  standen,  so  trat 
er  auch  mir  im  brieflichen  und  persönlichen  Verkehr  entgegen.  Wer  soUte 
sweifUn,  daas  dn  soIcberMann,  obwol  niebt  ans  Anderem  Benfe  nnd  nach  den  , 
Regeln  der  Zunft^  so  dodi  kraft  seines  inneren  Wesens  nnd  ▼ermOge  der  hei- 
ligen Bande  der  Natur  ein  gnny.eT  und  echter  Piidnirnrr,  ein  Pftdafrog'  von  Gottes 
(Tnadon  gewesen  sei?  —  Er  war  zwar  nicht  in  In  heute  üblichen  und  von 
vielen  fUr  allein  giltig  gehaltenen  Weise  geprüft  und  approbirt;  aber  er  hat 
lieb  in  nnanfeebtbarer  Weise  legitimirt  dnreb  die  scb9n^  Erfolge  seiner  pft- 
dagogisdien  Praxis  im  eigenen  Hanse  nnddtirch  seine  literarisehenLdstnngNL 
Nnr  Aber  die  letzteren  geziemt  sich  hier  noch  ein  Wort. 

Sein  pädaffogisches  Erstlingswerk  waren  die  ..Briefe  an  meine  Toch- 
ter", ursprünglich  nur  dem  durch  den  Titel  bezeichneten  Zwecke  gewidmet, 
dann  aber  umgearbeitet  nnd  1873  der  (Hfenflidikeit  ttbei^eben  (Wien  bei 
Gerold^  2.  AnfL  1878).  Der  bedeutende  Erfolg  dieaerPnblicatiou  ermutlilgte 
Ihn  zu  weiteren  literarischen  Arbeiten,  von  denen  wir  außer  den  Eingang:«« 
envHhnten  Aufsiltzen,  noch  anführen:  „Briete  au  meinen  Sohn.**  Anlei- 
tung zui  Selbsterziehung  (Berlin  1877,  Berggold);  „Die  Erziehung  der 
Jngend."  Ein  Haadbncb  Ar  Eltern  nnd  Emeber  (ebenda  1874, 2.  Anfl.  1877) ; 
a Allgemeine  Ornndsltae  der  vorbeugenden  nnd  correetionellen 


Digitized  by  Google 


I 


—  454  — 

Erziehung'*  (Wien  and  Leipzig  IHÖO,  Klinkhardt).  Hierzu  kommen  zwei 
VolksBchrifken:  ,,Dat  Kind  des  Arbeiters'*  (Prag  1B76,  Dentseher  Yenis 

zur  Verbreitung  gemeinnütziger  Kenntnisse)  und:  ,,Wie  soll  der  Arbeiter 
heiraten?"  (Gra^.  Sttnermlirkisclior  Vulksbildungrs- Verein).  Überdies  lieferte 
Asrhcr  noch  mehrere  Aufsätze  in  verschiedene  Zeitschriften.  In  den  letzten 
Monaten  seines  Lebens  arbeitete  er  an  einer  Schrift  unter  dem  Titel:  „Kr- 
siehnniramaziineii";  vlelleidit  kttnnea  wir  einmal  du  UnterissseBe  Bradip 
stück  dieser  letzten  Arbeit  TerSlFentlielum. 

Für  heute  nehmen  wir  von  unserem  wn^keren  und  liebenswürdigen  Freunde 
Abschied.  Gewiss  war  er  einer  der  besten  Manuer  seinerzeit.  Sein  Andenken 
^^u'd  mm  uuvergesfilicli  bleiben.  Müge  es  zeugen  von  der  heliren  Gewalt,  mit 
welcher  die  Idee  der  EnieliiiDg  jeden  ergreift  und  ftithAlt,  der  die  ewigen 
Fnndunente  menschlicher  Wfiide  nnd  Wdfkhrt  sucht! 


üiyilizeü  by  Google 


Pftda^ogisclie  Rindscluiü. 


Cilturfortscliritte  in  tirotttuiUiateB.  lu  Frankreich  sind  laut  officiellea 
Atwwctoen  im  Trienniiitt  1878—1861  an  Selralldlineni  8688  nea  gebaut,  8989  vepa- 
rirt  nnd  erwoitert,  12510  mit  besserem  Mobiliar  uiitl  Leliriippnrat  versebon  worden. 
Die  Ko6t«n  dieser  UeiKteüuDgen  belieteusicU  auf  2Uül>47  714  Francs  und  sind  tbeils 
von  den  Gemeinden,  theils  von  den  Departements,  theils  vom  Staate  getragen  wor> 
den-  Da  nenerdings  Jnlts  Ferry  wieder  Minist frjir&sident  und  Unterrichts- 
minister geworden  ist,  so  erwarten  alle  Freunde  des  Fortschrittes  das  Beste  von 
der  weiteren  Entwiekelang  der  Volksschule  in  Frankreich.  —  Auch  in  England 
nimmt  die  'Schulreform  einen  höchst  günstigen  Verlauf.  Während  im  Jahre  1870  ca.  12000 
geprüfte  Volksschullehrer  wirkten,  zählt  man  deren  jetzt  mehr  als  34000,  und  die  SchOler- 
zahl  hat  sich  in  dies«  iji  Zi  itraum  von  1900000 auf  4  Millionen  vermehrt.  —  In  Öst  er- 
reich ist  leider  die  DorchfÜhrung  des  SchnlgeMtaes  in  mehreren  Provinzen  niemals 
mit  fochten  Bmste  betrieben,  in  andefen  durdi  den  fortwtiirand  wacbMNiden  Steuer* 
druck  ffbr  beeintrSchtia;-t  worden,  in.  l  die  gcixfiiwrirtige  Constellatiim  eröffnet  trübe 
Aassiebten.  Es  fehlt  fttr  die  Yolküäcbuleu  an  (idd,  und  die  herrschende  Strömung 
ist  dem  Anftebwunge  der  Tolksbildiiii^  entgegen. 

Am  dem  («rossherzo^ham — scUroibt  mau  um:  „Mit  den  Lehrern  des  Landes 
kann  ich  mich  im  aUgememen  nicht  besonders  befreunden.  Eine  groiie  Zahl  derselben 
sind  Kopfhänger  und  Pieti.sten,  die  übrigen  zeigen  meist  nur  ein  schwaches  Interesse 
an  der  nationalen  Hebung  unseres  Schuilebens  und  an  der  freien  Entwfckelung 
unserer  Nation.  Ancb  die  aelbstthätiije  Fortbihlnnc:  der  Lehrer  ist  eine  c^anz  ufringe, 
wod  von  pidagogiichen  Zeitschriften  findet  man  in  der  Begel  nur  die  ^Wurstblätter'*. 
D»bei  ist  ei  meifcwttrtUg,  dass  das  »Terbrritetste  poUtiwbe  Blatt  dn  Oigaa  mit 
demokratischer  Tendenz  i'?r." 

Das  vorstehende  Urtheil  ist  otYenbar  kein  gUustigcH.  Vielleicht  ist  es  etwas 
zu  generell  gehalten,  indem  es  jener  wackeren  Männer  nicht  gedenkt,  welche  sich  ale 
riiliniliebe  Ausnahmen  von  der  dunkeln  und  apafhi.schen  Masse  abheben.  Es  soll  uns 
Freude  machea,  wenn  jemand  zu  obigem  Bilde  ein  schöneres,  uüt  mehr  Licht 
liefern  kann,  vorausgesetzt,  dass  e.s  naturgetreu  sei.  Bringt  es  vorbildliche  Züge 
ane  einem  musterimft  ratwickelten  Schnileben,  so  kann  dies  nur  von  Nntsen  sein. 
Allein  ftlr  jetst  nvas  zugegeben  werden,  dass  die  LehrerRchafk  des  frap^liehen 
Landes  im  tranzen  ein  ziendicb  bes« baiiliches  I'  »  '  iii  fT;>irt,  nach  außen  bin  sehr 
wenig  von  sich  hören  lässt  und  so  zu  der  Vennuthung  Anlass  gibt,  dass  sie  an 
den  eUgemeinett  Intereesen,  Idealen  nnd  Sorgen  der  dentseben  Nation,  insbesondere 
an  den  ciroßen  Fraijen  der  deutschen  Schule  und  der  deutschen  Lehrer  wcniß'  An- 
theil  nehme,  „ätrebe  zum  üanzen!*'  Zn  einem  Reich  der  Mitte  ist  ein  Qroäherzog- 
thnm  denn  dodi  ni  Uein,  in  einem  Abdera,  wie  wir  boiffen,  in  gro8. 


Aus  München.  Hier  hat  im  Frühling  1881  eine  Anzahl  von  Menschenlreuudeu 
einen  Verein  unter  dem  Namen  „ Knabenbor t"  ins  Leben  genifen,  welcher  die 
lebhafteste  Anerkennung  und  eiingste  Nachahmung  verdient.  Er  hat  den  Zweck: 
schnlpHicbtige  Knnben  «nbemittdter  Ettem  wihnnd  eines  Theiles  dar  ednüfiden 
Zdt  doTcli  geeignete  Penmien  in  bestimmten  Locnlen  na  beMiAiclitigcii,  nfttdicli  au 


Digitized  by  Google 


—  456  — 


beschäftigeu,  uder  iu  Verstand  und  Gemütb  anregender  Weise  zu  unterlulttu.  lue 
Knaben  sollen  hierdurch  an  Gehorsam,  Ordnung,  Thfiti^keit,  gute  Sitten  und  Rein- 
lichkeit gewnlmt  iinil  vur  den  Einflüssen  nachtheiliger  GeselLschaft  bewahrt  werden!"* 
—  Der  Verein  zahlt  bereit»  Uber  GOÜ  ordentliche  Mitglieder,  von  denen  jedes  einen 
Jahresbeitrag  von  niindeätens  1  Mark  entrichtet.  Das  wolihätige  Wirken  des  Vereins 
kommt  DMuentUch  solchen  Knaben  su  Gnte,  deren  Elten  genöthigt  und,  w&hrend 
des  gsnzen  Tages  fem  von  ilimn  Hefan  nnd  ütrm  X^indeni  i^bät  obzalie^n. 
Am  24.  Mai  \SSl  eröffnete  «ler  Kmhenhort^  mit  '>0  Z*1glingen  seine  erste  Aii:.talt, 
TiUkenätraße  Nr.  48,  Als  Erzielitr  wnrde  Herr  Lehrer  Uampp  angestellt,  über 
deesen  bisherige  Wirksamkeit  nar  RQhmliche«  rerlautet. 

Die  Knaben,  im  .^Iter  von  6 — 13  Jahren  stehend,  finden  während  äcr  schul- 
freien  Zeit  in  der  ihueu  vom  Verem  bereiteten  Stätte  Unterkunft,  Autsicht,  Be- 
schäftigung und  angenehme  Unterhaltung.  Bei  gUnstiger  Wittemng  machen  sie 
mit  ihrem  Erzieher  AnaflQgo  in  die  Umgebuiiju;  Münchens,  in  der  Stadt  selbst  be- 
suchen sie  zu  ihrer  Belelirung  Ausstellungeu  und  gewerbliche  Etablissement«:  da;* 
städtische  Freibad  and  ein  städtischer  Tunmal  sind  ihnen  zur  Benutzung  /iiirüuu- 
ticku  Im  ÜMse  selbst  finden  sie  nebst  Erholung  und  heiterem  Spiel  luich  Anleitung 

arbeiten  u.  s.  ^v.  Puneorn  v.irl  der  Ge>;inir  und  amli  TnstnunentalniU'^ik  floißig 
gepflegt.  Dabei  erhalten  die  Kinder  in  der  Anstalt  Brot  und,  soweit  es  die  Vereine 
mittel  ermi^tichen,  auch  KkMiuig.  Ihr  Betragen  ist  im  ganzen  «ehr  sufriedea- 
fitelletid  und  liei^sert  sich  nnter  dem  Einflüsse  der  An?«taU  zrisehend'':  diese  wirkt 
mit  besonderem  Eifer  auch  auf  Fleiß  und  löbliche?  Verhalten  ilirer  Zugünge  in  der 
Schale  hin.  Körperliche  Züchtigungen  trendet  sie  ui'ht  an:  ihr  stärkstes  Disci* 
pünarmittel  ist  zeitweilige  An^schließung  aas  der  Anstalt  ,  welches  in  den  wenigen 
Fällen,  iu  denen  es  bisher  zur  Anwendung  kommen  musste,  .sehr  günstig  gewirkt  hat. 

Eüne  Anzahl  Bürger  Mtlnchens  haben  als  besondere  Fretude  und  (iunner  die^e« 
löblichen  Untemebmens  denselben  mancherlei  UnterBttttnmg  und  Förderung  ange- 
dellien  lasten.  Und  gewin  Terdlent  der  „Knahenhort**  die  Tolbte  Sympathie  aller 
3Ienscheiifrfun<le ,  da  er  der  sittlichen  Entartung,'  der  JuLreiid  in  der  : 
Weiüe  ent^gen tritt  und  die  allseitige,  besonders  die  muraiiscbe  Erziehung  deri>elbcn 
mit  rühmlicher  Einsicht,  Kraft  und  ündgenntttsigkeit  Ärdert.  Am  16.  November 
1882  hat  er  bereits,  abermals  mit  5f)  Z«irlineeTi,  seine  zweite  Anstalt  eröflhiet 

Gehet  hin  und  thut  dogleiehen!  rutVn  wir  den  Menschenfreunden  in 
anderen  Städten  zu.  Dabei  empfohlen  wir  als  Kathireber  das  Vereinsblatt  dee 
..Knahenhort'".  welches  unter  gleichem  Titel  (,.K  nabcnhort  -'i  seit  Beginn  diesem 
Jahre.s  am  ersten  jeden  Monats  erscheint,  nicht  nur  über  das  eiirene  Wirken  be- 
richtet, sijudeni  auch  Nachrichten  von  verwandten  Vereinen  in  anderen  Orten  gibt 
und  fOr  den  geringen  Betrag  von  1  Mark  80  TL  hallyftbrUch  bei  allen  Poataastalten 
und  Bnehbandlangen  abomnrt  werden  kam. 

stimme  eines  Kroaten  über  die  deutsche  iSpraehe.  Baron  Jovanovic,  Fehl- 
manehaU^Lientenant,  Statthalter  und  MUittrk>>mm«ndant  von  Dalmatien,  hatte  den 

ihm  unterstehenden  Beamten  empfohlen,  sich  im  internen  Dienstverkehr  der  deut- 
schen Sprache  zu  bedienen.  Dies  hatte  in  manchen  slavischen  Krt'i.sea  Miss- 
etimmung  erregt,  infolge  deaen  Jovanovic  gesprächsweise  äußerte:  „Es  kann 
mir  nicht  in  den  Sinn  kommen,  als  Germanisati-r  aufzutreten.  A1>er  ich  «lenke  mir. 
jedes  Staatswesen  muss  dof;h  eineStaatssprache  haben,  ein  alli^enieines,  einheit- 
liches Verständiirnngsniittel,  and  man  sollte  glauben,  das^  dies  in  ( t>tcrreich  denn 
doch  nur  die  deutsche  Sprache  sein  könnte.  Nicht  aus  NationaliUUa»,  aondcrn 
«na  ütUititsrUclD^bten  habe  feb  den  Beamten  den  Oebraneb  der  dentaehen  Spvaebe 
einj)fohlen.  Die  Muttcrsijrache  jedts  Einzelnen  in  Ehren!  Aber  jeder  höher  gebüilete 
Mensch  kann  bei  den  heutigen  Lebens-,  Bildungs-  und  Verkebrsverbftitnissen  mit  der 
kroatiBcben  oder  czechiachen  Sprache  allein  niebt  anareichen.  Er  mms  doch  «ne 
der  großen  "Weltsprachen  kennen,  und  da  ist  die  deutsche  durch  q-crigraphis-rhe; 
ethnosrapbischc,  politische  Verhältnisse  und  durch  unsere  ganze  Bildungs>entwicke- 
Inng  die  nichatliegende."  Sehr  richtig. 


üiyiiizeü  by  Google 


^  457 


Am  Bekien.  Hit  besonderer  Heftigkeit  wUthet  nun  acliou  seit  Jahren  der 
Schnlkanpf  m  Belgien,  wo  mefa  der  Clwns,  in  tonen  Beitrebangen  gescMtrt  durch 

den  Artikel  17  der  Con-Titutinn  von  1830  („Der  Unterricht  ist  frei  "Ii,  vön-<t!iinlig  ztim 
Herrn  «1er  Schale  aufgc-^ciiwiiugeii  hatte.  Wol  fand  schon  im  J.  1842  eineTheilun^ 
der  SchulanÜsicht  in  eine  hOrgerliche  und  geieUiehe  statt,  jedoch  vemiochtc  diese- 
Tn>»titntion  Jen  kirchlicLon  Eitiflusa  nicht  wesentlich  zu  schmälern.  Das  wurde  erst 
anders  infolge  des  ans  4ö  Artikeln  bestehenden  Schulgesetze«,  welches  im  J.  1879 
itadi  hefUgmiparliUMeutarisclii  n  Debatten  angenommen  wnrdeund  welches,  abgesehen 
-von  anderen  zweckmäßigen  Änderungen,  die  geistliche  Oberaufsicht  beseitigte.  Die 
confessionslose  belgische  Staatsschule,  welche  den  Religionsunterricht  der  Fünorge  der 
F;imilifMi  und  der  Geistlichen  liberläs.st.  jedoch  den  letzteren  eine  Käumliehkeit  zur 
Yeri&gnng  stellt,  ^damit  sie  darin,  sei  es  vor  oder  nach  den  Classenstunden,  den  die 
J9dinle  beenebenden  lOndem  Ibrer  KiKhengenetnde  den  BeKgionsnnteiri ebt  ertheHen 
kennen"  —  lit  <  S't  uit,-  rlml,  lüdet  seit  ihrer  Existenz  den  Gegenstand  der  leiden- 
ackaftUchsteu  Augriile  seitens  des  t'auatisirten  C'lerus,  und  es  ist  ein  Gebot  üerNoth- 
wemdjgkeiti  dass  die  Staatsgewalt  endlich  diesen  Umtrieben  gegenüber  Energie  ent- 
faltet. Es  wurde  eine  Untersuchutiers-rommisston  etnß:e8ct7t.  welche  die  Vergehen 
der  gegen  die  Staatsachuien  nnd  deren  Lehrer  agitirend<^u  Priester  zu  untersuchen 
beauftragt  ist. 

Das  im  Januar  d.  J.  vorgenommene  Zengenverhör  bietet  einen  zn  charakteristischen 
Beitrag  zur  Schulgeschichte,  als  dass  wir  davon  nicht  Notiz  nehmen  sollten.  Es 
kamen  bei  deui  Verhör  haarsträubende  Ding»-  zu  Taire.  Kin  gewöhnliches  Blittel, 
die  Kinder  vom  Besuch  der  Staatsschalen  abzuhalten,  ist  die  Yerweigemng  der 
Saeramente,  im  Fdle  der  Etkrankmig  der  Eltern  aneh  der  Sterbesaeramente.  In 
den  Predi::ten  wird  mit  l  m  inverblttmtesten  Hasse  und  Fanatisnuts  treffen  die 
„.Schulen  uitue  Gott"  uud  die  „Ketzer",  welche  diet^elben  besucheu,  lüi>gezogeu.  Die 
streitbarsten  Priester  stellt  der  Ardeuner  Distriet.  Dir  Auftreten  ist  wirklich  empOrend. 
Ein  solcher  Prötre  modele  ist  der  Pfarrer  von  Arville.  Seine  Vernehmung  fand  unter 
groftem  Zudrange  des  Publicunis  statt.  Die  Kraltauädrücke  aus  seinen  Predigten, 
welche  von  den  Zeugen  r.u  Protokoll  gegeben  wurden,  la^n  an  dra-otischer  Bild- 
lichkeit nichts  zu  wUnschen  tlbrig.  „Die  Liberalen  sind  Schweine  in  Menschengestalt : 
die  liberalen  Zeitungsschreiber  können  mit  ihren  Bastarden  zu  Markte  ziehen;  die 
OomnumaLschuien  sind  Rendezvousidätze  für  Lehrer  und  Lehri  rinuen"  —  und  ähnliche 
Bedebltlten.  welche  von  der  Kanzel  heruntergestoben  sind,  gehören  noch  za  den 
«arteren  Wendungen  dieses  Dorf-Boeeuet.  Die  meistoi  Elogen,  welehe  er  den  welt- 
liehen  Lehrern  von  dieser  St(dle  aus  an  den  Hals  geworfen  hat.  sind  so  stark,  dass 
die  Zeugen  bemerken,  sie  könnten  mit  Hücksicht  auf  die  Anwei^enheit  der  Damen 
unter  den  Zuhörern  die  Ausdrildce  unmöglich  wiederholen,  welche  dieser  würdige 
Mann  in  der  Kinlie  vor  der  cunzen  fJetneinde,  vor  Frauen  im  Bei.sein  ihrer  Eander 
ausgestoßen  habe.  Unter  andenu  wird  uucii  angegeben,  er  habe  in  einer  Predigt 
gCMgt,  die  Lehrer  der  Umgegend  hätten  die  Worte  au.sgestoßen:  „Nieder  mit  Gott, 
nieder  mit  Christus!'*  Hieraus  entwickelt  sich  folgendes  kleine  Verhitr,  das  wir 
wörtlich,  wie  es  im  ProtocoU  steht,  mittheilen  wollen: 

Herr  Scailquin,  ein  Mitglied  der  (.'ommissiun,  fratit  den  Priester:  ..WeMie  Lelirer 
sind  das  gewesen!^  Sie  wertkn  auf  der  Stelle  vorgeladen  werden,  wenn  dieses  Factum 
walir  ist:  bei  uns  straft  man  raeksiehtslos  die  Scbnldigen  und  verateekt  die  i>etits> 
friiw  nicht." 

Der  Pfarrer;  „Das  Jiat  mir  ein  Amtsbruder  gesagt.** 

(Er  kann  natOrlich  keinen  jener  Gotteslästerer,  welche  die  scheatlicbe  Blas- 
phemie ausgestoßen  haben  sollen,  namhaft  machen.) 

Herr  Scailquin:  „So,  Sie  beschuldigen  Leute  einer  ha.-senswerteu  That,  um  die 
Menge  gegen  sie  anfinistacheln,  und  vur  dem  Kiehter  wa<:(  n  Sie  keine  bestimmte 
Angabe?  Ist  ds«  nicht  eine  Feigheit  ?  Sie  haben  die  Ehre  aller  Lehrer  der  Umgegend 
»n^^ffen;  dieselben  wenlen  »ich  Genugthunng  zu  verschaffen  wissen."* 

In  der  Anweiidnniir  der  zum  Zweck  filhrenden  Nüttel  srlieint  die  bel<,M.sflie  ricist- 
üchkeit  sich  einePädago^  zurecht  gemacht  zu  haben,  welche  wirklich  fUr  muster- 
haft gelten  kann.  Der  P&rrer  von  Bogery  (C^ton  Vieit-Salm)  xoA  vide  seiner 
AiutsTiriider  haben  ft*i  von  der  Kanzel  den  Kindern  aneinpfnhlen.  ihren  Eltcni  nicht 
zu  gehorchen,  wenn  dieselben  sie  in  die  Communalschule  schicken  wollten.  Sie 
sollten  sich  lieber  schlagen  laasen  als  nachgeben.  Als  bei  diesen  Worten  des  wtlidigen 


Digitized  by  Google 


—  458  — 


Ton  Rogery  eitt  lelMO  Miflnran  dvroii  die  YflniinmluDg  der  Ändicht  igen  uing, 
rief  derselbe  VdU  der  Kanzel  beraT).  ,,weim  jemand  protestiren  wolle,  so  köunc  er  e> 
tbon".  Darauf  sagte  eiu  Einwohner,  Namens  Solheid:  „Herr  Püunrar,  eine  ^Iclie 
Ifonlt  me  Sie  da  lehrai,  brauchen  unsere  Kinder  nicht"  Ein  aaderinnal  rief  der 
Priester  aus:  „Wozu  der  viele  Unterricht?  Das  ist  711  crr\T  mehtn  n&tze.  Napoleon  L 
hat  mit  einer  Armee  vou  Unwisaeudea  die  gröüteu  J^rfolge  erzielt  uad"  —  hier 
kommt  des  Pndela  Km.  —  Juäa  FBnk  hftt  «•  m  leieht  gehabt,  enii  YoOc  tu 
ret,'ieren." 

Im  Auj^st  V.  J.  hat  da«  belgisclie  Untf-rrichtsniinisttriuni  angwrdnet.  das«  mar 
Erlangung  eines  VulksscbnlinspectorateH  die  AltleiruiijLj  einer  PrUlong  erforderlich  sei. 
Dieselbe  lunfiwst:  1)  eine  «ebiiftUche  Arbeit  äber  eiu  pftdagogiMhes  Thema;  2)  ein 
nnndliches  Examen  hesttglich  der  Pädagogik.  Methodik,  des  T^terrichtsgesetsei  und 
der  Ausfühning-svt-rorduungeii.  sowie  der  Lebrpliiiie  Ctr  V  und  Kleinkindt-r- 
i>chulen,  welch'  letztere  nach  Fröbel'schen  Urundsfttzen  eingerichtet  sind;  3;  eine 
Erpdrohungr  des  Oandidaten  in  der  Sohnlpnuds,  indem  denene  die  Insp^tion  einer 
St'bule  vnr/tnifbmen  und  hierl\bcr  Bcrifbi  za  erstatten  hat.  Wer  zn  dieser  Prüfung 
zugelass(:Q  ütiiu  will,  niu^ä  mind^tcus  das  Volksschollelurer-ZeugBi«  besitzen  und  eine 
wemi^tens  achtjährige  praktische  Thätigkeit  als  Lehier  in  einer  Vo]k»>  ederlCttet- 
echule  oder  einem  Ldirerseminare  nadiw»  i?en. 

Diese  beii^ische  Einrichtung  verdient  Ix'sonders  in  äolclien  i^taaten  Beachtung, 
wo  e-^  in  dan  Belieben  des  Unterrichtsiiiinisters  gestellt  ist,  lYiirrer.  ApotlMikeir, 
üolM^  La&dwirte  und  andere  Dilettanten  za  Scbu^iqtectoren  aa  ernennen. 


▼■mtvorUicber  RalMtov:  iL  9M 


BMkdriHktfei  Jaliaa  Kliakbatdt,  Laipdg; 


üiyilizeü  by  Google 


Fr«ini6  WfinMhe. 

Von  Director  A.  OiHtrth"  In»terburjf. 

Wir  haben  in  onsemi  Stande  viel  treoe  und  fleUtige  Arbeiter; 
aber  nach  meinen  Beobachtungen  und  Erüfthrnngen  nur  wenige,  diei 
ndi  Heister,  Eflnstler  nennen  dttrfen.*)  Der  Gnind  dafür  liegt 
meiner  Anaicht  nach  nicht  in  dem  liangel  an  Talenten,  sondern  dam, 
dsss  das  Streben  nach  Kflnstlerschaft  an  den  maßgebenden  Stellen  an 
wenig  gepflegt  nnd  von  den  Lehrern  selbst  nicht  genügend  ge- 
wünlijrt  wird. 

Es  steht  außer  Frage,  dass  wir  das  rechte  erziehliche  Unter- 
richten eine  Kunst  nennen  dürfen.  £s  ist  eine  praktische  Kunst» 
ähnlich  der  des  Arztes.  Sie  stützt  *^ich  auf  Psyclmlogie  (in  Ver- 
bindung- mit  Physiologie),  ferner  auf  die  allgemeine  Päda^oLnk, 
welche  den  Zweck  der  Erziehun*?  iintersucht.  um  ans  diesem  mir  ililfe 
psychulogisclier  Deductionen  die  ;illLifiin'inen  Mittel  im^l  .Mctlioiieu 
ahznleiten,  welche  für  diesen  Zweck  am  sichersten  und  kralligsten 
zu  wirken  versprechen,  endlich  auf  die  angewandte  Pädagogik, 
"die  vuu  der  Didaktik  und  Schulkiiu(i«'  im  einzelnen  handelt.  rOiese 
beiücksichtigt  die  besonderu  Verhältnisse  der  Zöglinge  und  der  Er- 
zieher, verfolgt  ins  einzelne,  welche  Bildungsmittel  füi*  bestimmte 
Zwecke  ansnwenden  sind  and  in  welcher  Art  der  Unterricht  in  den 
dniefaien  Disdpllnen  ertheilt  werden  soll  —  Methodik.) 

Wer  sich  als  Lehrer  Meister  (Künstler)  nennen  will,  mnss  sieh 
hl  aU  seuiem  Thon  nnd  Lassen  auf  diese  theoretischen  Studien  stützen 
können,  also,  dass  er  stets  weifi,  was  er  thnt,  dass  er  jeden  Schritt 
mit  Gründen  ans  den  genannten  Wissenschaften  an  rechtfertigen 


^  '  Ich  spreche  nur  von  Ostpreußen  und  einem  Theile  von  WestprouBen,  Währen«! 
meiner  30  jähriuLii  Anitsthätigkeit  habe  ich  in  Kiiui^sbt  rir.  DmiziL'.  Klhinc.  Mi  rn.  l, 
In?'terburg,  Tilsit  und  in  mehremi  kleinen  Stiiiltcii.  sowie  auf  dem  Lande  in  ilasurcn, 
Littaaen,  im  Samlande,  im  peut>.  Oberlaude  mehr  aln  300  Lehrer  persönlich  kennen 
gcknt,  habe  die  mdsten  nnteirichten  Mren  und  mich  mit  »llen  flbw  Untenicht 
und  Bnicbiiiig  miterlttlten. 


Digitized  by  Google 


—  460  — 

vtMiniijr.  Kr  nm--  -icli  im  Lfiiife  der  Jahre  durch  jiiaktisolie.  aui 
jeue  Stiiiiieii  ge.^tutzte  Krliiliruugea  pädaj^og-ischen  Tuet  erworben 
haben,  der  ihn  in  den  Stand  setzt,  bei  stiueui  Haudeiu  das  Richtige 
augenblicklich  ohne  Überlegung  zu  trelleu. 

Zur  Meisterschaft  gehört  feruei*,  daas  der  Lehrer  sichei'  und  ge- 
wandt die  Frageknnst  handhaben  könne  und  imstande  aei,  selbst 
in  großen  Ciassen  anfier  der  Bdbe  za  fragen,  ohne  ein  Kind  za  Uber- 
sehen.  £r  mnss  dabei  gnte  Disciplin  halten,  die  IndividnaUtat 
seiner  ZOglinge  berücksichtigen  und  bei  seinen  Fragen  die  sehwichetn 
und  trägem  l^chtUer  ganz  besonders  ins  Ange  fassen.  Endlich  moss 
^  Terstehen,  bei  jedem  beliebigen  Stoif,  mag  derselbe  sieb  selbst  auf 
das  Gebiet  ganz  abetracter  Begriffe  erstrecken,  anschaalich*)  zn 
unterrichten  und  die  Kinder  so  anzuregen,  dass  ihnen  der  ünter^ 
rieht  leicht  fasslich  tind  interessant  wird.  Die  höchste  Meister- 
schaft dürfte  dem  zuzusprechen  sein,  der  solch  einen  Unterricht,  ge- 
stützt auf  Kenntnis  der  Kinder,  ihrer  Sprache  und  Anschauungsweise, 
genau  jeder  Altersstufe  anzupassen  vermap-.  Ich  meine,  selbst 
ein  Laie  muss  zugestehen,  dass  wir  berechtigt  sind,  einen  Belnif,  der 
snlclie  Anfonb'ninqi'en  stellt,  als  eine  praktisdie  Kunst  zu  bezeichnen. 
Worin  liegt  es  denn  beg^nindet,  da^s  das  Sireben,  darin  Meisterschalt 
zu  erringen,  wie  ich  oben  l)>  Itaiii  trte,  von  Fachmännern  selbst  nicht 
genügend  gewürdigt  wird?  Der  Hauptvoi-wurf  trifft  meiner  Erfahi  ung 
nach  die  akademisch  gebildeten  Lehrer.  Noch  heutzutage  gilt  ilie 
alte  Klage,  da^s  die  Gymnasiallehrer  in  der  Mehrzahl  es  fast  unter 
ihrer  Würde  halten,  sich  mit  Pädagogik  abzugeben-,  dass  sie  der  An- 
sicht sind,  das  Hanptverdienst  des  OjrmnaslaUehrers  sei  nach  sehun 
Stadien  resp.  literarischen  Leistnngea  ahzomessen.  Sobald  ich  mit 
ihnen  Aber  Lebrkunst  sprach,  habe  ich  stets  die  Antwwt  ethalten: 
„Ich  brauche  nur  tfichtiges  Wissen  and  Uaren  Vortrag;  alles  flbrige, 
was  zom  dassennnterricht  erforderlich  ist,  lernt  man  duch  Tradition; 
man  arbeitet  sich  ein.^*^    Unter  diesen  Umstanden  sind  die 


*)  Hierin  and  in  der  damit  zueanunenbingenden  Fngebildang  steckt  die  Uaapt* 
aDforderung  der  pnktüchen  Lehikniiit.  Anechaidichee  ünterrichten  Hart  sieh  niebt 
durch  Hegebi  erleraea,  ist  TORngaweüe  Seche  des  Tdente.  Walm  Lebier  wenlen 
■lieh  Tersteben. 

**>  Um  die  Herren  in  iUrer  Aiuiicbt  zu  besULrkeu,  trägt  weseutUcb  der  Um- 
etaad  vid  bei,  daes  Ide  aar  Seonnda  Haaptgewiobt  auf  SpiadikeiuitDiBie,  naneatlkb 
in  Latein  iind  Orieebisch  gdegt  wird.  Da  ftr  £eie  Büdplinen  GflanuttatOceii  ud 

AorgfäUu;  creordnete  ÜbuDgsi^tQcke  in  reicher  Zahl  vorbanden  !<ind.  so  muss  darin 
auch  der  aag^hickteftte  Lehrer  £rtrftgiiches  leiaten,  aobald  er  fleiiig  atuwendig 


üiyitizeü  by 


—  461 


Priina  und  Secunda  meistentheils  gut  versorgt.  Die  Lehrer,  welche 
in  diesen  Classen  unterrichten,  sind  reich  an  gediegenen  Kenntnissen 
und  arbeiten  sehr  tleißig,  um  die  inngen  Leute  durch  ilire  \'orträge 
zu  wissenschaftlichen  Studien  anzuregen  und  zu  berfiliigen.  Aber  auf 
den  rhissei)  von  der  Secunda  abwärts  sieht's  desto  trauriger  aus.  Die 
Vortrage  allein,  mfigen  dieselben  noch  so  klar  und  geistvoll  sein, 
reichen  da  nicht  aus.  Wenn  bei  diesen  Knaben  nicht  die  rechte 
Ünterrichtskunst  angewandt  wird,  so  kann  auch  von  rechter  Vorbil- 
dung keine  Rede  sein.  Der  Unterricht  in  den  Sprachen  muss  zu  einem 
Drillen  auf  Sprachfurmeu,  der  iu  Kechuen  und  Mathematik  zu  einem 
mechanischen  Einüben  von  Regeln  und  Lehrsätzen  herabsinken.  Uni 
die  dabei  nothwendig  entotebende  LangeweUe  und  ünlnst  zn  bekämpfen, 
mnse  man  zn  Zwangsmitteln  aller  Art  greifen  und  in  bedenklicher 
Weise  den  Ehrgeiz  anstacheln,  Bekanntlieh  beginnt  anf  der  Secnnda 
die  Anstalt  sich  zn  lichten.  Eanm  ein  Sechstel  sämmtlicher  Schiller 
«rrdcfaen  diese  Giaase,  kaum  ein  Acbtei  die  Prima.  Die  Herren 
meinen,  es  habe  den  andern  an  der  ffir  den  Gljmnasialiinterricht 
erforderlichen  Begabung  oder  an  dem  -rechten  Fldfi  gefehlt  Das 
mag  theil weise  richtig  sein-  aber  gar  viele  Jungen  h&tten  durch 
besseren  Untemcht  zu  tüchtigen  Primanem  und  Secundanem  erzogen 
werden  können.  Ich  bin  nicht  dagegen,  dass  die  HeiTen  an  ihre 
SchfUer  höhere  Anforderungen,  als  an  die  anderer  Schulen  stellen; 
aber  erst  mögen  sie  mir  zeigen,  dass  sie  die  echte  Lehrkunst  ange- 
wandt habeq.  das  zu  bilden,  was  in  den  Knaben  bildungsföhier  ist. 

Dieser  Forderung  gegenüber  pflegen  die  Herren  dar;iiii  hinzu- 
weisen, dass  fiir  das  (Tymuasium  ein  besonderer,  der  so- tiiiuiiite 
wissenschaftliche  Unterricht  erforderlich  sei,  der  Elementariiiitmicüt 
sei  fiir  Element^irscliulen,  oder  för  solche,  die  nicht,  wie  Gymnasien 
und  Realschulen,  zu  wissenschaftlichen  Studien  vorbereiten. 

Das  ist  ein  ganz  gefälirlicher  Irrt h um.  ]>ie  menschliche 
Seele  ist  in  dem  Elementarschttler  ebenso  angelegt,  wie  in  dem  Schüler 
des  Gymnasiums;  sie  entviekelt  sich  bei  allen  Kindern  ohne 
Unterschied  nach  gleichen  G-esetzen,  darum  sollen  sie  alle,  möge 


leroen  llstt,  daa  Gdmt«  fleUig  ttberhOrt  und  tüchtig  dnttbt  (ptnkl).  Du  hat  ni 

dar  Meinung  verftUirt,  as  klme  auf  das  „Wie"  gar  nicht  au.  In  ähnlicher  Weise 
meineti  viele  Eltern,  der  erste  Unterricht  im  Lesen  und  Schreiben  sin  keine  Knnsr. 
<ia  ja  manche  ItienstniSdchen  die  Kleinen  zu  fertigem  Lesen  und  erträglichem 
.Schreiben  zu  bringen  vermügeu.  Wenn  man  Rindern  die  Nase  zuhält  und  sie  zum 
SehlnefeeB  iwlngt»  kanimt  die  Nahnuig  freiUeh  vaOi  in  den  Hagen,  und  der  geannde 
Oiganiamoa  hilft  aieh  dann  von  lellMt  weiter.  Aber!  — 

30* 


Uigitized  by  Google 


—  462  — 


der  Lelirstoft'  noch  verschicdim  sein,  mit  ein  und  derselben  Kunst 
unterrichtet  werden.  Die  Methode,  bei  welcher  sich  der  Schüler  des 
Gymnasiums  kng"wei]t,  wird  denselben  Widerv^^illen  beim  Elenientar- 
schüier  erregen;  diej» nji^^i,  welche  diesen  mit  Lnst  und  Streben  ertiilll 
und  rasch  fördert,  mu^s  auch  dem  Gymnasiasau  ersprießlich  sein, 
mag  gelehrt  werden,  wiis  man  wolle. 

Wie  Goethe  von  der  Dichtkunst,  darf  man  auch  von  unserm  Bei  ule 
tragen:  Es  gibt  nur  Eine  Erziehungs-  und  Unterrichtskunst; 
alles  übrige  ist  nur  Annäherang  und  Schein.  Damm  moBS, 
aoU's  bees^  werden,  die  Zeit  kommen,  dass  jeder  Lehrer  ohne 
Unterschied  seine  wahre  Ehre  darin  sncht,  sieh  dieser  Ennst 
zu  befleißifen  und  in  der  Ansttbang  derselben  Heistersehaft 
zu  erlangen. 

OegenwArdg  stOSt  diese  Ansieht  bei  den  GymnaaiaUehrem  ftst 
flberall  anf  WiderspHieh.  Daher  geschieht  auch  noch  nichts  für  die 
80  sehr  nothwendige  Einrichtung  praktischer  pädagogisdier  Seminare 
an  TTniveraitäten.  In  der  letzten  großen  Conferenz,  die  am  28.  Mai  1876 
in  Bonn  Ton  Professoren  vnd  akademisch  gebildeten  Lehrern  abge- 
halten wurde,  hat  man  die  sehr  ventonftigen  nnd  zeitgemäßen  Vor- 
schläge des  Collegen  Nohl  verworfen  und  hiichstens  den  Bemühungen 
des  Herrn  Professor  Stoy.  der  bekanntlich  in  Jena  ein  Seminai'  für 
das  Studium  der  Theoi  ie  der  i  >ziehaDg8-  und  Unterrichtskuust  leitet, 
einige  Aufmerksamkeit  gesiiipnkt. 

Es  ist  damals  von  Prolessoren  und  Dirt-iiuieii  geradezu  eiklärt 
worden,  man  halte  eine  praktische  Vorbereitung  für  den  Beruf  geradezu 
fiii-  überflüssig;  „das  Handwerksmäßige  lerne  sich  leicht  während  des 
Unterrichts  selbst  und  das  Künstlerische  lasse  sich  nicht  lehren." 

Die  Folgen  solcher  Ansichten  sind  verhängnisvoll  selbst  für  das 
Volksschnlwesen.  Bekanntlich  werden  —  wenigstens  hier  in  Ost- 
preußen ^  za  Seminardirectoren  ond  Seminar-Oberlehrern  nor  Theo- 
logen bernfen.  Ist  za  erwarten,  dass  diese  Henen,  wehshe  mit  der 
Oymnasialbildang  jenen  gefiUirlichen  Irrthnm  eingeeogra  haben,  plötz- 
lich ganz  anderer  Ansicht  werden  und  nnn  für  Elementarschulen  und 
Gymnasien  ein  und  dieselbe  Kunst  verlangen  sollen?  Dazu  wSre 
durchaus  erforderlich,  dass  sie  vorher  jahrelang  an  Elementanchulen 
mit  ganzer  Hingebung  gearbeitet  und  durch  diese  Besehfifdgung,  ver- 
bunden mit  theoretischen  pädagogischen  Studien,  einen  ganz  neuen 
Menschen  angezogen  hätten.  Das  mag  ja  hie  und  da  vorkommen; 
aber  immerhin  werden  diese  Wenigen  auf  das  Ganze  zu  wenig  £infiiiss 
ausüben. 


Digitized  by  Google 


—  463  — 


Wo  ich  iiiii  jent^n  SeiiiiiiKilMln  bni  über  obiges  Thema  «gesprochen, 
liabeu  .Sie  t^tets  die  Kopte  geschüttelt  und  au  dem  Inthum  von  der 
für  (Tvinnasieii  allein  ersprießlichen  „wissenschaftlichen  Methode*'  fest- 
gehalten. Da  diese  Herreu  an  den  Lehrerseminarien  nur  den  höheren 
Unterricht  zu  erteilen  haben,  so  bleibt  die  praktische  Ausbildung  für 
den  Lehrberuf  den  seminaristisch  gebildeten  Seminarlehrern  überlassen. 
Der  Director  ertheilt  swar  den  Untenicht  in  Pädagogik;  aber  die 
Leitung  der  Obangesdude  und  der  Lehiproben  der  jungea  Leute  liegt 
doch  vorsngsweiae.iii  der  Hand  der  im  Elementarimterriebt  er&hreneE 
Lehrer.  Diese  bringen  den  jangen  Lenten  eine  Menge  nfktdiclier 
EimstgrifiB'bei;  aber  es  feblt  dabei  die  rechte  Verbindaag  der  Praxis 
mit  der  Theorie.  Die  jungoi  Elementarlebrer  liabea  eine  gewisse 
handwerksmflfiige  Bontine;  aber  von  einer  einheitUehen  auf  die  Wissen- 
Schaft  gestützten  Durchbildnng  ist  bei  ihnen  keine  Rede.  Wie  ganz 
anders  liegt  die  Sache  da,  wo  an  der  Spitze  ein  Meister  steht,  der 
die  ganze  Ausbildung  selbst  leitet  and  durch  seine  eigenen  tUchtigen 
Lehrproben,  die  sich  an  die  theoretischen  Vorträge  anschließen,  den 
jungen  Leuten  die  rechte  Richtung  zu  geben  und  zugleich  die  nöthige 
Wärme  dafür  einzuhauf-hen  vermag'.  Bei  dem  gegenwärtigen 
Staiifle  der  Ausbildung  akademischer  Lehrer  wird  man  für 
die  Elementarlelirer-Seminare  auf  solche  Leiter  wol  noch 
lange  verzichten  müssen. 

Wir  haben  eine  bessere  Zeit  gehabt.  AIh  Herbart  und  Dinter  in 
Königsberg  in  Pr.  wirkten,  als  die  Lehrerseminarien  von  Männern 
geleitet  wurden,  die  zu  FülJen  Pestalozzis  gesessen  hatten,  ist  hier 
in  Ostpreußen  unter  den  Volksschullehreni  uud  den  akademisch  ge- 
bildeten Oberlehi*ern  ein  reges  Streben  zu  finden  gewesen.  Ich  habe 
in  meinem  J&nglingsalter  eke  Menge  alter  Lehrer  ans  Jener  Zeit 
kennen  gelernt  Die  Veteranen  ans  Dinter's  Schale  verstanden  in  den 
Eeligionsstonden  meisterhaft  zu  catechtsiren  und  handhabten  in  jeder 
andern  Stnnde  die  Fragektinst  in  einer  Wetse,  dass  jedes  Lehrerherz 
erfreut  nnd  com  Nacheifern  angespornt  ward&  Namentlich  stehen 
nur  noch  die  Hftnner  tot  der  Seele,  die  Dintei:  »als  sehie  Söhne*^ 
hezeicfaftet  and  stets  mit  dem  traotichen  ffDa"  angeredet  hatte.*) 


•)  Zur  Zeit  der  kirehüchen  uni  <^f  iitlichen  Reactiou  im  .lahi-f  IHM  zoq;  oiiu^ 
<}cflellschaft  vou  Ziun.«« Wächtern  durch  die  i'rovioz,  um  llberall  aut  diese  Lehrer  nud 
4ie  fireisiniügea  Geistlicbea  zu  fahoden.  Sie  erklärteu,  wie  ich  selbst  gehört  habe, 
die  DinteNdie  ffibel  „«b  gvtt  m  Bnttentapier"  und  Terboten,  wie  die  in  donselbea 
Jahre  eiwiheinenden  „Regulative"  das  Catecbisiren.  Seit  der  Zeit  ist  du  Streben« 
•ich  zum  Hdster  ia  der  Fngekanst  anmbildeii,  hat  ganz  eingeschlafen. 


Digiii^uG  Ljy  Google 


—   464  — 


Mit  Stolz  darf  ich  zu  diesen  Mänuera  meinen  zu  frnlk  vei-storbeneQ 
Vater  zählen. 

Die  Junger  Herbart's  waren  überall  l)estrebt,  dessen  psycholo- 
gische Forschungen  und  pädagogische  Ansichten  bei  iliiem  Unter- 
lichte  zu  v^*weiten  und  denselben  zu  einer  Kunst  zu  machen.  Ein- 
zelne derselben  haben  in  Königsberg  and  in  aadem  Stidten  Vofsehnlen 
f&r  Gymnasien  gegründet  nnd  die  jangeren' akademisch  gebildeten 
Lehrer,  welche  damals  oft  jahrelang  ohne  Anstellung  privatisiren 
mussteUf  fOr  ihren  qAteren  Bemf  vikrdig  vorbereitet  Ich  habe  mit 
alten  Oberlehrern  gesprochen,  die  in  ebier  dieser  Anstalten,  der  des 
Oberlehrers  Castell  in  Königsbetig,  ihre  Vorbildnng  genossen  hatten. 
Die  Ittnner  verstanden  ihre  Evnst  Jetxt  wevden  die  jungen  Leute 
nach  bestandenem  Examen  pro  facultate  doceiuli.  durch  welches  sie 
nnr  das  Maß  ihres  Wissens  bekundet  haben,  flugs  einem  Gymnasium 
oder  einer  Realsdiale  überwiesen,  um  sich  dort  „einzuarbeiten".  Die 
hochgel&hrten  Herren  in  Bonn  haben  die  These  des  Heim  Professor 
Meyer  angenommen,  in  der  es  heißt;  ..Die  Can<üdaten  sind  vom  Pro- 
vinzial-Schulcollegium  passend  befundenen  Schulen  zuzuweisen,  deren 
Lehrercullegium  es  übernimmt,  die  juns'en  Leute  ^välll•pnr^ 
eines  ein-  oder  zweijähris^en  Cursus  durrli  colleL'-irHi'if'h»' 
Anlt'itung,  Beratung  und  Aufsicht  in  die  Si'hulpraxi.s  einzu- 
führen.'' Der  Vorschlag  ist  so  sehr  th«irickt,  dass  jeder  I.ait-  den- 
selben verlachen  mnssi  abei-  dennoch  wird  bis  zm-  Stunde  d;unacli 
gehandelt.  Freilich  wiid  der  Candidat  dem  Director  der  Anstalt 
überwiesen;  aber  ich  möchte  wiü&en,  wo  solch  ein  Manu  lüe  Zeit 
hernehmen  sollte,  den  jungen  Mann  gehörig  einzuschalen.  So  &ber* 
nimmt  diese  Arbeit  in  der  That  das  Collegium,  fUls  der  Candidat  es 
nämlich  ftr  nOthig  erachtet»  sich  bei  den  GoQegen  Baäis  zu  erholen. 
Was  fftr  ein  Besnltat  solche  „Anleitung"'  gibt,  wird  steh  jeder  leicht 
denken  können. 

Es  ist  darum  an  der  Zeit,  ernstlich  zu  fordern,  dass  an  allen 
Universitäten  pädagogische  Seminare  gegründet  nnd  mit 
denselben  Übnngsschnlen  verbunden  werden,  welche  Knaben 

bis  zur  Obertertia,  resp.  Secunda  eines  Gymnasiums  oder 
einer  Realschule  vorbereiten.  Man  übergebe  diese  Schulen  der 
Leitung  eines  tüchtigen  praktisch  erfahrenen  Schulmannes,  der  ftn  i\k 
rechte  UnteiTichts-  und  Erziehungsknnst  inneren  Beruf  besitzt,  und 

stelle  ihm  Männer  zur  Seite,  die  mit  ihm  in  demselben  Sinne  arbeiten 
wollen.  Man  lasse  niemand  zu  dem  Examen  pro  facultate 
docendi,  der  nicht  &n  solchen  Schulen  praktisch  gearbeitet. 


üiyitizeü  by  GoogU 


—  465  — 


an  den  Conferenzen  theilgenoinnien,  die  rechten  theoretischen 
und  praktischen  pädagogisclien  Studien  iremacht  hat  Das 
Juum  die  rechte  „Saat  für  die  bessere  Zeit"  geben. 

Die  Elementarlehrer  haben  Lehrerseminare,  in  denen  sie  ange- 
leitet werden,  giit«n  Unterricht  zu  ertheilen,  sich  zur  Meisterschaft 
auszubilden.  Aber  sie  treten  vm  niangrelhaft  vorgebildet  in  den  Beruf. 
Aach  die,  besten  haben  nur  ein  beschränktes  Maß  positiver  Kenntnisse 
mi  mflsaen  zunächst  sehr  tüchtig  arbeiten,  um  die  L&cken  in  ihrem 
Wissen  anssiflUen.  Dies  geschieht  jetzt,  nachdem  nnser  Tortrelflicher 
Minister  Falk  die  FrttAmgen  für  das  „Mitfcel8chnl>Lehramt<*  nnd  die  pro 
rectorata  an  Volka»  und  Mittelsehalea  eingerichtet  hal^  in  erfrenUcher 
Weise.  Aber  es  ist  Irain  Wender,  dass  sie  ttber  solchen  Arbeiten  das 
Streben,  in  ihrer  Amtsth&tig^eit  Meisterschaft  ni  erlangen,  yernaeh- 
Ussigen  nnd  sich  damit  begnügen,  ileiBig  das  ihnen  vorgeschriebene 
Pensum  einzuüben.  Das  rechte  Streben  nach  Heisterschaft  erfordert 
schriftliche  Ausarbeitungen  behufs  Ausbildung  in  der  Fragekunst; 
erfordert  oft  schriftliche  Vorbereitung  für  einzelne  Lehrstnnden,  Aus- 
züge aus  den  einschlägigen  wissenschaftlichen  Bücheni,  Correcturen, 
Vergleiche  üircs  Thuns  mit  dem  anderer  Lehrer,  Verarbeitung  neuer 
Ideen,  die  man  ans  o:iitpn  pädagogischen  Werken,  oder  aus  guten 
Fachschrilteu  studii  t.  Anlcpfiing  von  Notizbüchern  und  andere  Arbeiten, 
die  sehr  viel  Zeit  und  ilit^  irnnze  Hingabe  an  den  Beruf  verlangen. 
Es  ist  dalier  eiklarüch,  dass  sie  die  Anforderungen,  weiclie  das  „Wie** 
d«ö  Unterrichts,  die  eigentliche  Kunst  betrelieu,  um  des  nächsten 
Ziels,  nm  des  hölieren  Examens  willen,  noch  zurückstellen.  Ist  dies 
Ziel  erreicht,  so  veigisst  man  nur  zu  leicht,  dass  „aufgeschoben  nicht 
Mfgehoben^'  sein  sollte. 

Ich  erhebe  diesen  Vorwurf  nicht  gegen  alle  Lehrer  ohne  Unter- 
schied; aber  wenigstens  habe  ich  fast  überall  gefhnden,  dass  die 
schwierigste  nnd  wichtigste  Seite  des  Unterriehtens,  die 
Ausbildung  in  der  Frageknnst,  über  Gebttr  yernachlftssigt 
wird.  Je  Alter  ich  werde,  desto  mehr  betrübt  mich  diese  Eilahrung; 
denn  ich  weiß  nur  zu  genau,  wie  sehr  bei  solcher  Veroachlilssignng 
unsere  herrlidie  Kunst  zu  einem  mehr  oder  weniger  handwerksmftßigen 
Beibringen  von  Kenntnissen  nnd  Fertigheiten  herabsinken  muss.  Kein 
Lehrer  kann  der  Fragekunst  entbehren:  denn  selbst  der  Professor, 
welcher  in  Oberclassen  höherer  Lehranstalten  wissenschaftliche  Vor- 
träge zu  halten  hat,  bedarf  mindestens  der  Gewandtheit,  durch  Fragen 
zu  priifen,  wie  das  Vorgetragene  anfgefaast  ist,  nnd  wird  sich  oft 
genöthigt  sehen,  zn  entwickeln,  statt  abzufragen  und  zu  dodren  und 


Digitized  by  Google 


—   466  — 


die  passiven  Geister  durcli  Fias:eii  zum  Nachd»  aki-n  un<l  zur  Splbsr- 
thätigkeit  anzuregen.  Mau  bedenke  dwh:  Ein  2\ai  r  kann  mehr  tragen, 
als  zehn  Klage  beantworten  können,  und  andererseits  ist  die  Wissen- 
schaft gerade  durch  klng  gestellte  Fragen  so  mächtig  gef?")rdert  worden! 
lu  Unter-  und  Mittelcbissen  richtet  sich  der  rechte  Eiiul^^  des  Unter- 
richts im  wesentlichen  nach  dem  Grade  der  Aosbildong,  den  der 
Lehrer  in  dieser  seiner  Hanptkuist  eirddit  hat.  Ditettanten,  weiche 
sich  darin  nicht  geübt  haben,  mögen  noch  so  eifrig  arbeiten:  sie  er- 
reichen nor  Scheinresnltate,  welche  swar  nicht  selten  die  nrtheilslose 
Menge»  ja  selbst  unei&hreiie  Bevisoren  blenden,  aber  der  rechten  Ent- 
wickelmig  des  kindlichen  Geistes  nie  zuträglich  sehi  Mnnen. 

Um  diese  Knnst  meisterhaft  anssuftben,  bedatf  man  einer  besondere 
glttchlichen  intelleetaeUen  nnd  speeiflich  pidagogMien  Begabung. 
Es  gehört  ferner  dam  ein  klares  Erfhssen  nnd  Verarbeiten  des  Lehr- 
stoffs; pädagogischer  Taet,  nm  für  jede  Altersstufe  den  passenden 
Stoff  und  die  passende  Form  ansznwfihlen;  die  Gewandtheit,  die 
Fragen  jeder  besonderen  Classe  und  zugleich  Imld  den  schwächerok 
bald  den  stärkeren  Kindern  anzupassen,  und  endlich  Geist,  nm  mit 
Hilfe  der  Fraj^en  dr-ri  Stotf  <r*M*st bildend  zu  verarbeiten 

Die  allseineinen  Anforderungen,  welche  man  bei  der  1-  l  a^resteliuna: 
beachten  ■^oll  -  dif  Kniij-e  soll  lodt^ch  bestimmt,  der  Hilduno:s>tul"e 
der  Kinder  augeiuessen,  spraclirichtijr.  kurz,  ohne  l'oppelsinn  sein,  soll 
keine  unnützen  Zusätze  briiio:en.  die  Kinder  nioht  zum  Antworteu  mit 
Ja  oder  Nein  verleiten  etc.  —  dürften  Faclmiännern  wol  bekannt  seiu; 
auch  wird  jeder  Missen,  in  welcher  Weise  er  eine  Antwort  beauTzeu 
Süll,  um  die  i^chiiler  vom  Irrthum  zur  Erkenntnis  der  Wahrheit  zu 
fuhren.  Aber  dennoch  will  ich  eine  Forderung  näher  beleuchten,  weil 
idi  nor  zu  gut  weiß,  wie  oft  gegen  dieselbe  gesündigt  wird. 

Es  ist  die  Fordemng,  dass  jede  Frage  logisch  bestimmt  zn 
stellen  ist. 

Wer  logisch  bestimmt  fragen  will,  mnss  genfigende  Kenntnisse 
in  der  deutschen  Grammatik  besitzen  nnd  die  wichtigsten  Gesetze 
der  Logik  kennen.  Ohne  diese  Kenntnisse  wird  er  nie  wissen,  wann 
er  eben  Fehler  madit,  nnd  seine  Knnst  nie  mit  Bewnsstsein  ansflben. 

Wie  oft  werden  Fragen  nach  dem  Grunde  falsch  gestellt!  üm  nm* 
ein  Beispiel  anzuführen:  Man  übersieht  so  oft,  dass  die  Prftposition 

vor  einen  Sachginind,  die  Präposition  aus  einen  Beweggrund  einleitet. 
Man  zittert  TOr  B'reude,  vor  Schreck  (die  Natui'macht  überwältigt 
den  Willen),  man  läuft  aus  Feigheit,  arbeitet  aus  Liebe  zur  Sache 
(Feigheit  und  Liebe  sind  innere  Antriebe  zum  Thun).   Wer  darüber 


I 

üiyitizeü  by  GoOglc 


—  467  — 


nicht  klar  kaan  nach  solchen  Gründen  Tiicht  licbtii.^  tragen.  Und 
doch  sind  gerade  die  Fragen  nach  den  (xrimden  (ier  Krscheinungen 
(•der  Thatfii  die  bildendsten,  weil  sie  am  meisten  die  Rerrritte  klären 
und  die  Kinder  gewolineü.  6iets  nach  (Trimden  zu  iursclitn.  Die  rechte 
Bildung  hängt  nicht  von  dei"  Fülle  positiver  Kenntnisse,  sondern  von 
der  Kraft  ab,  die  meisten  und  vielseitigsten  Erscheinnngen  um  uns 
her  am  schärfsten  und  tiefsten  zu  begründen.  Das  Studium  der  Logik 
ist  neben  dem  der  Grammatik  nothwendig,  ui«  über  da&  \V  eseu  der 
Begriffe,  Urtheile  und  Schlüsse  Klarheit  zu  erlangen. 

In  Bezog  auf  logische  Bestimmtheit  -wird  gesündigt 
1.  bei  Fragen  (Ergänzungsfragen)  nach  dem  Snbjeet  oder 
Object.  Die  bekannte  und  beracbtigte  Frage:  Am  Anfonge  acbiif 
wer,  was?  (die  Kinder  sollen  antworten:  Am  Anfimge  sehnf  Gott 
Hinunel  nnd  Eirde)  gibt  in  ihrer  Unbestimmtheit  den  Typns  für  eine 
nnzllilige  Ansahl  ähnlicher  Znmntlnuigen,  die  an  Kinder  gestellt  wer- 
den. (Z.  B.  Was  hfingt  im  Thnime?  wer  ging  alle  Jahre  nach  Jeru- 
salem? was  nmgibt  uns?  was  ist  das  Wort  hier?  was  ist  es  nicht?) 
Die  Logik  verlangt,  dass  man  bei  solchen  Fragen  außer  dem  Ober- 
begriff des  Snbjects  noch  denjenigen  Prädicatsbegriff  setzen 
soll,  der  dem  Subjecte  allein  zukommt.  Die  Frage:  Welche Thiere 
(Oberbegriff  zu  Fisch)  atlimen  durch  Kiemen?  ist  logisch  bestimmt; 
die  Frage:  Welche  Thiere  leben  im  Wasser?  ist  unbestimmt,  sobald 
man  als  Antwort  ,,Fisclie"  haben  Avill,  weil  der  Pr&dicatsbegriff  (im 
Wasser  lebeuj  auch  andern  Thieren  zukommt. 

Es  wird  femer  gesündigt 
2)  bei  Fragen  nach  dem  l'rädicat.    Die  Logik  verlangt, 
das»  jede  Frage  nach  dem  Prftdicat  das  Snbject  enthalten  soll^ 
zugleich  aber  noch  ein  anderes  Prädicat  als  das,  welches  man 
in  der  Antwort  hören  will. 

Das  Pkftdicat  kann  ein  Snbstantirprftdieat  oder  ein  A^ectiy- 
prädicat  oder  ein  Yerbalprädicat  sein. 

Bei  Fragen  nach  dem  Snhstantivprttdicat  hOrt  man  nnzfthlig  viel 
Definition s-  oder  IdentitAtsf ragen,  hei  denen  den  Seh&lem  zu- 
gemnthet  wird,  den  Begriff  des  Snbjects  zn  deflniren.  Was  ist  ein 
Gewölbe?  Was  ist  eine  Schlucht?  Was  ist  ein  Jünger?  Sobald  bei 
ErkUlmng  eines  LesesUlcks  oder  mitten  im  Vortrage  ein  Begriff  vor- 
kommt, der  den  Kindern  unverstAndlich  zu  sein  scheint,  pflegen  solche 
Fragen  selbst  in  Unterclassen  herausznplatzen.  Ein  Blick  auf  die 
^f^liwierigkeit,  eine  gute  Definition  zn  geben,  sollte  doch  endlich  über- 
zeugen, dass  es  Thorheit  ist,  solche  Denkoperationen  von  Kindern  zn 


Digitized  by  Google 


—   468  — 


fordei-n.  Auf  die  Frage:  Wk.«.  i;.t  eine  Stafielei?  liürte  ich  ein  Kind 
antworten:  „Eine  Staffelei  ist  wo  ein  Winkel  steht."  So  lächer- 
lich eine  solehe  Antwort  erscheint,  vermag  sie  doch,  eineo  aofinerk- 
samen  Lehrer  auf  das  Sichtige  hinaaweisen.  Es  sind  Diodich  gar  viel 
Begriffe  den  Kindern  klar,  wenngleich  sie  nicht  die  Ersit  besitzen, 
dieselben  zn  deflniren.  Wer  sich  ttbersengen  wiU,  fiUire  sie  im  Geiste 
an  einen  Ort,  wo  sie  das  fragliche  Ding  gesehen  haben  kennen,  stelle 
Fragen  nach  einzelnen  Theilen,  nach  dem  Gebrauche,  den  charakte- 
ristischen Merkmalen,  so  dass  ans  den  Antworten  der  Oberbegriff 
und  der  specifische,  der  Artnnterschied  (Wesen  der  Definition) 
hervortreten,  und  sei  zofineden,  wenn  die  Kinder  statt  einer  Definition 
jene  Fragen  richtig  beantworten  and  zusammenfusen  können.  Nor 
in  Oberdassen  darf  man  die  Kinder  anhalten,  sich  in  Definitionen  zn 
versuchen. 

Bei  Fragen  nach  dem  Adjectivprädicat  wird  den  Kindern  zu- 
gemuthet,  auf  die  lofrij^ch  ganz  unbestimmte  Frage:  Wie  ist  ein  Ding? 
Sdloit  mit  einem  ganz  bestimmten  Adjectiv  zu  antworten  Wie  ist 
(Tott?  heilig,  gerecht)  und  man  schilt,  wenn  das  Kind  eine  ändert- Eig«»- 
^(■liaft.  als  (lit*  erwartete,  nennt.  Möire  sich  doch  endlich  jeder  Lehrer 
sorgfältig  bemühen,  die  verlangte  Eigenschaft  so  scharf  zu  be.-^liui- 
men,  dass  bei  richtigem  Denken  und  Wissien  in  der  Antwort  keine 
andere  genannt  werden  kann.  Ks  ist  falsch,  zu  fragen:  Wie  sind 
die  Seilen  eines  gleichschenkügen  Dreiecks?  Es  muss  heißen:  Wie 
verhalte  sie  sich  huisichts  der  Linge  zu  ehiander?  Es  ist  falsch,  zn 
fragen:  Wie  war  die  Schlacht?  (nnentscbieden);  es  moss  heifien: 
Welchen  Ausgang  nahm  die  Sehlacht?  Es  ist  fiüsch,  zn  fragen:  Wie 
war  der  Knabe  Jesns  zn  seinen  Eltern?  Es  mnss  belBen:  Worin 
zeigte  sich  der  Knabe  als  guter  Sohn? 

Man  mnss  sich  als  Läirer  lange  nnd  sorgfiütig  Üben,  nm  stets 
solche  Umschreibnngen  nnd  Bestimmungen  schnell  nnd  sicher  herans- 
anfinden.  Hinc  illae  lacrymae! 

Am  schlimmsten  steht's  bei  Fragen  nach  dem  Verbalpr&dlcat. 
\\  eil  in  solchen  Fragen  ein  anderes  Prädicat  gebraucht  werden  mnss, 
als  das,  wdches  in  der  Antwort  gegeben  werden  soll,  so  macht  man 
sich's  nur  zu  bequem  und  gebraucht  die  farblosen  Prädicate  sdn,  haben, 
werden,  sollen.  kHnnen,  am  liebsten  thun.  Was  konnte  er,  was  hatte 
er.  was  that  er  da?  hört  man  überall  fragen,  ohne  dass  dei-  Fi^age- 
steller  daran  denkt,  dass  auf  solch  eine  Fra^^e  tausend  ver- 
schiedene Antwort  eil  mMy:lich  sind.  Zuweilen  sind  solche  Fi'agi  ii 
nicht  incon-ect;  —  es  kann  ja  beim  Erklären  der  Geschichte  von 


Digitized  by  Google 


—  469  — 


«dnem  bestimmten  Tliuii  <iie  Reile  sein  —  aber  sie  sind  nicht  g-eist- 
"bildeud.  -wtfil  sie  die  Kinder  zinn  g-edankenloseii  Wiederholen  des  ^e- 
dächtnisiiialii^  Eingeprägten  verleiten.  Um  geistbildeiid  zw  verfalirt-n, 
soll  man  das  in  der  Antwort  verlanj^te  Tliun  in  der  Fratze 
.  dnrch  einen  Oberbegriff  ausdrücken  nnd  die  Kinder  da- 
durch veranlassen,  daraus  aul  den  verlangten  Artbegriff  zu 
schließen. 

G^etzt,  man  bespricht  die  Erzählung  von  dem  Mäuschen,  das 
lidm  Spiel  Tom  Fels^  ftlit  und  einen  sclilaf<uiden  LOwen  erweckt 
Der  Lowe  packt  sie  mit  seiner  t^clitbaren  Tatze.  Die  Fragen:  Was 
tbat  das  Uäischen?  Wobin  fiel  sie?  Was  that  daranf  der  LOwe?  sind 
st  amperhaft,  wenngidch  die  Kinder  die  Antworten  durch  Bathen 
finden  werden. 

Das  HerahMen  vom  Felsen  kann  unter  den  Gattungshegriff: 
UnlUl  erleiden,  Unglück  baben,  yon  Missgeschiek  betroffen  werden; 
die  Thätigkdten:  den  LOwen  erwecken,  mit  der  Tatze  packen  kOnnsE 
unter  die  Gattungsbegriffe:  in  G^efahr  gerathen,  Zorn  zeigen  ge- 
bracht werden.  Demgemäß  müssen  die  Fragen  heißen:  Welchen  Un- 
fall erlitt  die  Maus  beim  Spiel?  In  welche  Gefahr  gerieth  sie 
dnrch  den  Fall?  Wie  zeigte  der  Löwe  seinen  Zorn  über  die 
Stönin^?  (Selbstverständlich  sind  noch  andere  Gattun^sbegritte  zu- 
lässig.) Solche*  Fragen  müssen  geistbildend  wirken,  da  sie  die  Kinder 
anleiten,  stets  den  Artbegriff  dem  Gattungsbegi'itf  unterzuonlnen. 

Es  klingt  unglaublich,  was  in  diesem  Punkte  gesimdigt  wiid. 
Man  fragt  entweder  ganz  nnbestimmt.  oder  gebraucht  Wendungen,  die 
klar  denkende  Kinder  in  die  grüßte  Verwirrung  bringen  miissen.  M.ai 
vereuche  eiuinul  die  nachstehenden  Fragen  selbst  zu  beantworten  und 
vei'gleiche  damit  die  von  dem.  Fragesteller  erwartete  Antwort*): 
Was  nahm  ei-,  als  er  auf  die  Erde  fiel?  (Er  nahm  ScfaadenQ 
Wenn  sollen  sieh  die  Menschen  Assen?  (In  Geduld!) 
Worin  sollen  wir  uns  nicht  muthwillig  begeben?  (In  Ge&hr!) 
Was  sollen  wir  za  Gott  ftsaen?  (Vertranent) 
Was  thnt  das  Glas,  wenn  mau  darauf  schlägt?  (Es  springt!) 
Was  thnn  die  Seiten  einer  I^yramide?  (Sie  laufen  spitz  zusanunenl) 
Was  geschidit,  wenn  wir  die  Luft  einathmen?  (Die  Lungen  er- 
weitem sich!) 

Wo  steht  der  Hirsch  hi  der  Bibel?  (bn  Psabn!  Wie  der  Hirsch  etc.) 


*)  Alle  diese  Fragen  habe  ich  mllMt  v«i  Lthfem  atdlen  bi^ren.  Ick  konnte 
«i«  kidar  um  öm  Himdatfiiche  veimdirenl 


Digitized  by  Google 


—  470  — 


Was  fuhr  aus  Jesus,  als  er  am  Ki*euze  hing?   (Die  Seele!) 
Was  liat  Gott  auf  die  Erde  gelegt?   i^Einen  Fluch!) 
Was  hat  der  Hase?  (Furcht!) 

Was  thun  die  Verben  auf  cer?  (Sie  nehmen  vor  a,     u  eine  c^dille 

ziim  c!) 

Als  die  Schlange  Eva  die  verbotene  Frucht  zeigte,  was  that  sie  da 
mit  ihr?    (Sie  verlockte  sielt 

Wenn  ich  voran^rehe  und  du  kommst  hiuteitl!> m.  was  thust  du  dann? 
K.  Ich  komme  hinterdrein.   L.  Benkel,  du  lulgst  mii-  nach. 

Was  heißt  also  Jesu  nachfolgen?  (In  seine  Fußtapfen  treten!) 
Die  Sache  würde  lächerlich  sein,  wenn  sie  nicht  gar  so  traurig 
wäre!  Wie  nft  habe  ich's  erleben  müssen,  dass  Kinder,  welche  auf 
solche  tlnhichte  Fragen  die  Anwort  schuldig  blieben,  gesc)iirapft.  ja 
mit  Ohrteigen  tractirt  wurden!  Den  stümperhaften  Fi-agestellern  fehlt 
es  entweder  an  Schärfe  im  Denken  —  sie  vermögen  nicht  scliarf 
und  siclier  die  Art  der  Gattung  unterzuordnen  —  oder  au  der  rech- 
ten Lust,  sich  dieser  Mühe  zu  unterziehen  und  sich  dui'ch  sorgfältige 
Vorbereitung  und  Übung  zu  vervollkommnen. 

Der  Eifolg  ist  bei  solchen  Lectionen  traurig  genug.  Die  Kinder 
setzen  mangelhaften  Fragen  ein  beharrliches  Schweigen  entgegen,  oder 
sie  legen  sich  auis  iiiithen.  Eins  ist  so  nachtheilig  wie  das  andere! 
Denn  jenes  führt  zu  geistiger  Stumpfheit  und  Trägheit,  dies  zoi"  Zer- 
fahrenheit im  Denken;  ein  Übel,  dem  gerade  die  begabteren  Kinder 
am  meisten  ansgeBetast  sind.  Man  erwäge,  wie  seliver  die  geistige 
Entwickdong  eines  Kindes  beeintrftchtigt  werden  moss,  wenn  es 
8  Jahre  hindurch  tagts^lich  4—5  Standen  lang  dnreh  solche  unlogische 
Fragen  gemartert  wird.  Es  ist  ein  wahres  Gl&ck,  dass  die  Kinder 
in  der  Theilnahmlosigkeiti  in  dem  passiven  Widerstand  ein  Mittel  be- 
sitzen, sich  der  daraus  erwachsenden  Ge&hr  zn  entziehen.  Dieselbe 
ist  in  der  That  bedeutender,  als  der  Laie  zu  glauben  geneigt  ist, 
während  andererseits  der  (Gewinn,  den  man  durch  correcte  Fragen  er^ 
zielt,  nicht  hoch  genug  ansreschlagen  werden  kann.  Wer  kennen  ge- 
lernt hat,  welch  herrliche  Erfolge  ein  klar  denkender,  fragegewandter 
Lelirer  selbst  bei  einfachen  Dorfkindem  erzielt;  wer  beobachtet  hat, 
wie  unter  Leitung  eines  solchen  Mannes  sich  dumpf  und  stumpf  drein- 
schauende Kinder  im  Laufe  auch  nur  eines  Jahres  in  frische,  mun- 
tere, strebsame  Buben  und  Mädchen  vei*wandeln:  der  wird  meine 
Ford^'i  iiii^-.  dass  sich  jeder  Lehrer  iu  diesei-  <-  in  -r  Hauptkuost  sorg- 
fältig schule,  wahrlich  nicht  für  überflüssig  halten. 

« 


Digitized  by  Google 


—  471  — 

Man  hört  in  Lehrerkreiseu  und  namentlich  in  Lehrervereinen  so 
oft  das  Wort  „Liebe"  betoneu.  Es  sind  nur  zu  oft  bloße  Plrrnsen. 
Den  deutlichsten  Beweis  dafl\r  haben  in  Leipzig  jeiu'  ^miki  Lehnu- 
geliefert,  als  sie  einiiiüthig  foi'derten,  der  Staat  solle  ihnen  das  Recht 
geben,  ihren  ^.geliebten"  Jungen  in  majorem  Dei  gloi'iam  straflos  den 
Rucken  noch  kräftiger  als  bisher  durchzubleuen  I  Die  rechte  Liebe 
des  Lehi'ers  suil  eine  ideale,  d.  h.  eine  auf  Ideen  gegründete 
Liebe  sein.  Deren  erstes  Gebot  heißt:  Gieb  der  Jugend  das  Beste, 
das  du  mit  Aufopferung  aUer  deiner  Kräfte  zu  geben  vermagst.  So 
opfere  dich  auch  -wirklich!  Ordne  alle  deine  Anstrengungen  dem 
einen  Ziel  unter,  dich  znm  vollendeten  Heister  in  deiner  Kunst  aus- 
zubilden. Ein  Gelehrter  sein,  ist  eine  gar  sehttne  Sache;  venu  man 
dies  Ziel  aber  nur  aof  Kosten  echter  Schnlmeisterschaft  erreichen  kann: 
so  BoU  man^s  aufgeben,  oder  nicht  lAnger  Lehrer  bleiben.  Wer  voUends 
ohne  solche  Studien  zu  maefaen  die  redite  Ausbildong  in  seiner  Kunst 
um-  ans  Bequemlichkeit  oder  aus  Leichtsinn  unterlässt,  der  mOge  mir 
doch  ja  nidit  einreden  wollen,  dass  er  echte  Liebe  besitze. 

Der  gjpaunmte  Unterricht  lässt  sich  nach  2  Richtungen  sondera. 
Nach  der  einen  Richtung  haben  wir  die  Aufgabe,  ein  bestimmtes  Mafi 
positiver  Kenntnisse  beizubringen  und  Fertigkeiten  (Lesen,  Schreiben, 
Rechnen,  öingen,  Zeichnen  etc.)  eitiztiübrTi:  nach  der  andern  sollen  wir 
der  J^eele  durch  Ideen  die  Richtung  nacli  dem  Idealen,  dem  P2wigen 
geb^n  und  den  Geist  der  Kinder  mm  scliarfen  RegiTifcn,  l^rtlieilen  und 
Schiielieu  ei-ziehen.  Ohne  Hüte  der  Jb'ragekun-t  ai  tt  i  ilie  erste  Rich- 
tung in  eine  geistlose  Dressur,  in  ein  Einpauken  und  Abrichten 
aus.  während  da^  Ziel  der  zweiten  Richtung  gar  nicht  erreicht 
werden  kann.  Jene  Dressur  bringt  immerhin  einen  gewissen  Gewinn; 
die  Ausbildung  zum  scharfen  ürtheilen  und  Schiielieu  wird  aber  durch 
Stflmperei  nicht  nur  nicht  g^rdert,  sondern  in  bedenklicher  Weise 
gehemmt. 

In  allen  Standen  sollen  wir  bemttht  sein,  den  Kindern  neue  Be- 
griffe SU  gd»en  und  die  ihnen  gelAufigen  mit  Inhalt  zu  flUlen.  Die 
Begriffe  sollen  stets  durch  Anschauung  gekUbt  und  befestigt  werden. 

Die  Begrifl^dung  anschanlich  zu  vermitteln,  ist  eine  unserer 
wichtigsten  Arbeiten;  denn  mit  dem  klaren  Begriff  ist  zugleich  das 
analjtisciie  ürtheil  klar  gegeben. 

Begriffe  bilden  wir  im  Geiste  der  Kinder  entweder  durch  Eni* 
Wicklung  (aus  der  Summe  der  Merkmale)  oder  durch  Zergliederung, 
indem  wir  den  gegebenen  Begriff  in  seine  Merkmale  zerlegen.  Dem- 
gemäß haben  wir  die  Pflicht,  uns  in  Entwicklungs-  und  in 


Digitized  by  Google 


—  472  — 


Zerjrlipderung^sfras-en  zu  üben.  Es  gehört  ferner  dazu,  dass  wir 
uns  zur  Befestigung?  des  Dureligenommenen  in  Repetitionsfragen, 
und  lim  das  Wissen  uud  Künneu  zu  erforschen,  in  Examinations-  « 

fra2:en  uiten. 

Die  scliwerste  Übung  ist  die  in  Entwickluugsfragen.  Diese 
zeigen  den  eigeutlichen  Meister.  I'ra  richtig  entwickeln  zu  können, 
muss  man  imstande  sein,  jede  Frasre  correet  und  lügii?ch  bestimmt 
zu  stellen.  Ferner  braucht  man  dazu  ein  eigeuthümliches  Denken: 
das  Denken  in  dialogischer  Form.  Der  Lehrer  muss  jede  Alt- 
wort,  welche  er  endelen  will,  selbst  nicht  nnr  ToUatfindig  klar,  sondern 
«ach  in  der  der  Classe  entsprechenden  Form  Im  Geiste  Tor  sich  haben; 
sonst  kann  er  die  Fragen  nicht  klar  und  prfidae  steUen.  (Der  An- 
filnger  thnt  dämm  got,  sich  vor  der  Frage  die  Antwort  ganz  genau 
zu  formnliren.)  Dabei  mnss  er  streng  planmftAig  zu  Werke  gehn, 
io  dass  Nebenfiflgen  and  fiüsehe  Antworten  ihn  nicht  Yerleiten,  den 
Fäulen  der  EntwicUnng  m  Terlieren.  Er  mnss  femer  dabei  alieHanpt- 
regebi  eines  anschaulichen  Unterrichts  —  gehe  vom  Nalien  zum  Femen, 
vom  Bekannten  zum  Unbekannten;  gib  nie  zuviel  auf  einmal:  erst  die 
Sache  nnd  dann  ihre  Weise  etc.  —  sorgsam  befolgen,  nie  den  logischen 
Zusammenhang  zwIscIh  n  dem  Ganzen  und  den  Theilen  aus  dem  Auge 
verlieren,  stets  richtige  Beispiele  und  passende  Vergleiche  bei  der  Hand 
haben  und  dabei  lebhaft  und  interessant  fragen. 

Wann  hat  der  Lehrer  in  dieser  Weise  entwickelnd  zu  unter- 
richten? Im  allgemeinen  da,  wo  die  Vorstellnngeu  der  Kindel  \  ^^r- 
wickelt,  unklai",  ohne  Urdnimg  vuriuinden  sind;  wo  sie  also  zu  klart-n, 
deutlichen  Vorstellungen,  festen  IJegritfen,  bestimmten  Urtheilen,  un- 
zweifelhaften Schlüssen  vereinigt  und  geklftrt  werden  sollen.  Dies  ist 
nöthig,  sobald  mau  in  Oberclasjsen  das  Thema  zum  deutschen  Aul- 
satz bespricht;  ferner  bei  Erklärung  von  Gedichten,  bei  Entwick- 
lung sittlicher  und  religiöser  Begriffe  in  den  Religionsstnnden,  beim 
üntenicht  in  Physik  und  fast  in  allen^tanden  beim  Unterricht 
in  der  deutschen  und  in  fremden  Sprachen.  Wer  den  gramma* 
tischen  Unterricht  konstgerecht  ertheQen  wü],  mnss  verstehen,  Begriffe 
2U  entwicketo;  wer  die  Lectttre  recht  behandeln  wiU,  moss  verstehen, 
bei  dunkeln  oder  beachtenswerten  Stellen  dnreh  Entwicklnngsfragen 
znm  Yerstlndnis  zu  fthren.  S(Mist  geht^  aUe  liebe  Tage:  diül,  drill, 
driU:  Vocabeln  überhören,  Regeln  lernen,  übersetzen,  retrovertireai  ond 
höchstens  wml  hie  und  da  eine  magere  Sacherklämng  hinzugefügt. 

Um  in  der  Fragekunst  eine  hohe  Stufe  zn  erreichen,  bedarf  es, 
wie  oben  gesagt  wurde,  eines  angeboren«!  Talents;  aber  immerhin 


Digitized  by  Google 


—  473  — 


darf  man  von  jedem  Lehrer  fordern,  dass  er  sidi  in  Zer?] i>d enm ir!<- 
frairen  ^wie  sie  heim  Aisfragen  einer  biblisriieii  (ieiscliichte  oder  eines 
L^sestücks  vorkümmeu)  geübt  liabe,  und  dass  die  Fragen  überhaupt 
nicht  zu  grob  gegen  die  Forderung  logischer  Bestimmtheit 
verstoßen.  Die^  Ziel  kann  und  soll  jeder  Lehrer  duich  tleiüige 
Übung  eiTeichen, 

Wie  hat  man  dies  anzustellen? 

Das  beste  Mittel  ist:  einige  Jahre  hindurch  schriftliche 
Ausarbeitungen  zu  machen.  Man  fängt  mit  Zergliederunj^fragm 
an,  zerlegt  ein  Lesestück,  dessen  Inhalt  man  abfragen  will,  in  Fragen 
und  Antworten  und  bemüht  sich  überall  den  Forderungen  an  logisclie 
Bestimmtheit  gerecht  zu  werden,  namentlieh  sorgsam  die  reeliten  Gat- 
tnngsbefrritfe  aufzufinden.  Und  wenn  man  wöchentlich  auch  nur  eine 
Ausarbeitung  macht,  so  genügt  dieselbe  schon,  um  in  einigen  Jahren 
eine  ziemliche  Gewandtheit  zu  erwerben.  Daneben  mache  man  sicli's 
zur  Pflicht,  in  allen  Stunden  auf  sicli  zu  achten  und  sicli  liei 
falschen  Fragen,  oder  bei  mangelhaft  und  zu  gesucht  gebildeten  Gat- 
tungsbegriffen recht  tüchtig  sich  selbst  zu  kritisiren.  Gar  bald 
wird  das  pädagogische  Gewissen  so  scharf,  dass  man  mit  Freude  nach 
Hause  eilt,  wenn  die  Arbeit  einmal  recht  geUmgen  ist;  dagegen  nagen- 
den Umnafh  empfindet,  warn  man  sich  vieler  Fehler  und  Ünklarbeiten 
schuldig  gemacht  hat.  Allmählicfa  stellt  man  sich  schwerere  Aufgaben 
und  versncht  sich  in  der  Behandlung  von  Beschmbnngen,  Fabefai»  zu* 
letzt  in  der  Entwicklung  von  Begriffen  und  verhfillten  Wahrheiten. 
Nach  aolchen  Voriibung^en  —  yorausgesetzt,  dass  sie  5 — 6  Jahre  fleißig 
ausgeführt  wurden  —  genügt  zur  Frftparation  auf  eine  schwierige 
Stunde,  dass  man  sich  den  Hauptgedankengang  nach  Ober-  und  Unter- 
abtheilungen klar  macht  und  dazu  die  Beispiele  und  Vergleiche 
wählt  Das  Suchen  nach  Beispielen  oder  historischen  Belegen  stört 
die  Stande  und  kann  die  rechte  Wirkung  oft  ganz  aufheben. 

Es  gibt  sehr  wenig  i^Lehrer  von  Gottes  Gnaden":  es  thut  daher 
jeder  gut,  sich  mehr  auf  semen  Fleiß,  als  auf  sein  Talent  zu  verlassen. 
Die  Kunst  ist  laag,  das  Leben  kurz:  man  veniume  nichtt  recht  Mh 
anzufangen.  Stillstand  heißt  Bftckschritt;  denn  man  gewöhnt  sich  nur 
zu  leicht  an  die  gar  bequemen  schlechten  Fragen  und  verftUt  in  einen 
Schlendi'ian,  der  in  der  That  „haarsträubend"  genannt  werden  darf. 
Er  besteht  darin,  dass  der  Lehrer  statt  der  Frage  die  Antwort  halb 
gibt  und  die  Schüler  veranlasst,  das  Fehlende  zu  ergänzen.  Dadurch 
wird  bei  den  Kindern  jenes  Widerliche,  gedankenlose  Zusanunenschrden 


Digitized  by  Google 


—   474  — 


erzeugt,  das  jeden  Fortschritt  hemmt  luui  jede  Zucht  uiiinüglich  macht.*) 
Der  Unterricht  nimmt  dann  folpfendeu  Veilauf: 

L.  Abraham  war  ein  —  (K.  im  Chor:  Schäfer). 

L.  Das  ist  ja  falsch.   Er  war  ein  —  (K.  sind  still). 

Ii.  Na,  Diffimköpfe,  heraus  damit!  Ibr  war  ein  Patri  —  (£.  Far 
triarch). 

L,  Dies  Wort  ist  ein  Sab  —  (£.  Subject). 

L.  Falsch!  Es  ist  ein  Snbstan  —  (K.  Substantiv). 

L.  Bichtig  nnd  kein  Ad  —  (E.  A4jectLT). 

L.  Der  Stechh^  ist  eine  —  (E.  Röhre). 

L.  Die  sieh  nach  oben  —  (E.  erweitert). 
Es  sollte  sich  endlieh  jeder  Lehrer  in  den  Grand  seiner 
Seele  schämen,  in  solch  stümperhafter  Weise  Einder  unter- 
richten und  erziehen  zn  wollen.  Solch  eine  Frageweise  ist  eine 
Schande  für  onsere  Zeit  und  verdient  den  härtesten  Tadel.  Der  alte 
Dinter  pflegte  Lehrer,  die  sich  in  solch  einer  Weise  an  der  Jugend 
vei*sündigten,  mit  den  Worten:  Sie  Scelenmörder!  aus  der  Thür  zu 
weisen.  Dinter,  „Vattir  Dinter'',  kehre  wieder!  Wir  brauchen  deinen 
Geist,  deinen  Feuereifer,  deine  Meisterschaft,  deine  Inn^rehende,  hh;}^^ 
Liebe  fi^r  die  Jugend,  fiir  das  edle  Werk  der  Erzielumg  und  dts 
Unterrichts.  >rit  kalten  lievü^oren,  mit  ,.Maunern  vom  grünen  Tisch**, 
oder  mit  Inspeciureu.  die  den  T.elirer  lediglieh  nach  seinem  politischen 
und  religiösen  Glaubensbekenntnis,  wuuiüglich  nach  dem  (^rade  seiner 
hflndischen  Demuth  und  (refügigkeit  beurtheilen,  kann  uns  allen  um- 
schlecht  gedient  sein. 

Dinter  schläft,  und  die  Zeit  ist  eine  andere  geworden.  Es  ist 
niemand  da,  der  den  tüchtigen  Lehrer  mit  FreudenthrSnen  nmaimt 
und  ihn  ^seinen  lieben  Sohn**  nennt  Jetzt  heißt  es:  Da  tritt  kein 
andrer  ftr  ihn  ein;  auf  mch  selber  steht  er  da  ganz  aUein.  Solebe 
Zeit  ist  freilich  dazu  angethan,  die  charaktenroUen,  tüchtigen  Lehrer 
von  den  schwankenden  und  unbrauchbaren  Elementen  scharf  za  schei- 
den. Aber  sie  stellt  dafiir  sehr  schwere  Aufgaben.  Der  rechte  Lelirer 
mnss  Terzicbten  lernen  auf  die  Anerkennung  seiner  Arbeit  durch  das 
Publicum,  auf  die  Anerkennung  seiner  Vorgesetzten,  ja  nicht  selten 
auf  die  der  eigenen  CoUegen.  Das  Publicum  benrtheilt  ihn  nach 
dem  .Schein,  nach  Laune,  nach  vorge&ssten  Meinungen,  verketzert 
nicht  selten  seine  besten  Bestrebungen;  seine  Vorgesetzten 
in  der  Lehrkunst  bis  auf  wenige  Ausnahmen  Dilettanten,  haben  nur 


*)  £>a8selbe  Unheil  wird  durch  Jft>  and  Neiiifiragen  herbeigeführt. 


Digitized  by  Google 


SU  oft  nicht  einmal  genügende  theoretische  Studien  in  der  Pädagogik 
gemacht,  nm  siidi  in  ihrem  Urtheil  anch  nur  ein  wenig  über  das  von 
Laien  erheben  za  kOnnen*);  unter  den  Lehrern  selbst  begegnet  er 
seinen  besten  Bemühungen  g^^fiher  Gldchgütigkeit  and  nnr  zu  oft 
widerlich  liochtönenden  Phrasen. 

Wie  kann  er  unter  solchen  Umständen  sich  die  80  nothwmdige 
Ber n  f s  fr e  u  d  i  g  k  c  i  t  bewahren  ? 

Es  gibt  da  nur  Ein  Mittel:  Strebe  darnach,  in  deinem  Be- 
rufe ein  Meister  zu  w*  r  le^n;  ordne  «ille  deine  Bemühungen, 
alle  deine  Studien  diesieui  einen  Ziele  unter  und  schaffe  dir 
90  eine  ideale  Welt.  Gib  jeden  Gedanken  auf,  von  irj^end  jemand 
anerkannt,  aüch  nur  recht  verstanden  zu  werden;  gib  den  in  der 
Jugend  so  verzeihlichen  Gedanken  an  Zuneigung  oder  Gegenliebe 
seitenü  deiner  Schüler  oder  Schülerinnen  ganz  auf;  gewöhne  dich  daian, 
das,  was  do  als  recht  und  gut  erkannt  hast,  lediglich  um  des  Rechten 
imd  Güten,  nm  des  heiligen  Ideals  willen  zu  tbna  Solch  ein  Streben 
wird  dir  die  rechte  Selbstachtung  und  damit  die  rechte  Lebens- 
stfltze  geben.  Kannst  dn  nnr  einen  bescheidenen  Grad  von  Meister* 
achaft  erringen,  ao  lerne  dich  bescheiden.  Bedenke  Bttckert's  sch^tnes 
Wort:  Wenn  die  Bose  selbst  sich  schm&ckt,  so  schmflckt  sie  anch  den 
Oarten.  Sind  dir  höhere  Gaben  verliehen,  so  nimm  th&tig  Theil  an 
den  Bestrebungen  der  Besten  deines  Standes;  aber  erwarte  yon 
deinen  Ideen  nicht  augenblickliehe  Wirkung.  Wirf  sie  nach  Schiller's 
Wort  „schweigend  in  die  unendliche  Welt  und  hoffe,  dass  der  ruhige 
Kliythmus  der  Zeiten  die  Entwicklung  bringen  wird".  Wenn  die 
Wirklichkeit  zu  rauh  an  dich  herantritt,  so  lerne  die  große  Kunst, 
dich  „vor  der  Welt  ohne  Hass  zu  verschließen",  lerne  nach  des  er- 
habenen Schiller  Beispiel  ^das  Schlechte  als  Naturbedinguug  des  Guten 
respectii*en'*. 

Mögen  alle  die^  Worte  nicht  bloße  „pia  deäideria"  iDieibeu! 

*)  Das«  konnlt  noch  der  ümtuid,  daai  dieser  Mugel  von  ma%e1>eiideii  PMr^ 
90uen  aa«  politischen  Grttmlen  als  unbedeuteud  aneeselieii  wird.  Der  Herr  Cultus- 
miri^tor  v.  Puttkamer  meinte  in  seiner  lit^lanntt^n  I'arlanit  iiisrede,  „die  Geistlichen 
besäßen  auch  ohne  Fachstudien  die  hiiduiig,  um  sieb  in  die  «Mysterien  des 
Volkaaclinliiikterrichts*  Mcht  Tertiefen  so  kSonen!" 


padagefffu.  ft.  Jikif .  Btft  VIU. 


31 


K  Roger  Aschams  pädagogische  Ansichten. 

Ton  Dr.  AifTtd  KuUefrfetd'Btraflmg. 

"Vergeben:»  sucht  man  in  uiisei  ii  deutschen  Lehrbüchern  der  I';M;t- 
gogik  bis  aut  die  jüngste  Zeit  nach  dem  Namen  dieses  Mannes,  Jci 
sich  nicht  ohne  Stolz  den  Schüler  des  berühmtesten  Leiirei-s*)  und 
Lehrer  der  berühmtesten  Schülerin**)  seiner  Zeit  nannt«,  der  ein  um- 
fangreiches i)ädagügisches  Werk  hinterlassen  hat,  und  der  in  seiuem 
Yaterlande  selbst  den  weisesten  Meistern  und  Lehrern  des  englischei 
Volkes  beigezählt  vird. 

Dieser  Umstand  mag  wol  darin  seine  Erklftning  finden,  dass 
Aschams  SchooUnaster  seither  nur  in  englischer  Sprache  vorlag  and 
über  ihn  selbst  —  abgesehen  von  zahhreiehen  mehr  oder  weniger 
fluchtigen  biographischen  Skizzen  —  eine  eingehendere  DarsteQimg 
seines  Lebens  and  Wirkens,  zamal  in  deatscher  Sprache,  fehlte.  Wol 
machte  1857  Kirsten  in  dem  Programm  des  hersoglichen  GjrmnasimiiB 
zn  Gotha  auf  die  pädagogische  Bedeutung  Ä.'s  nachdrlLeklich  aaf- 
merksam;  aber  wie  das  bei  solchen  Pnblicationen  meist  zu  geschehen 
pflegt,  die  Ai'beit  blieb  in  weiteren  Kreisen  unbekannt  und  konnte 
daher  auch  keine  besondere  Wirkung  üben. 

Dem  Mangel  einer  Biof^raphie.  die  dem  vorhandenen  nnd  zur  Zeit 
zugänglichen  Material  enUspiicht.  g^laube  ich  durch  mein  Buch:  „Rnirei 
Aschain.  Rein  Leben  und  seine  Werke  mit  bMsonderer  Berücksichtigung 
seiner  Berichte  über  Deutschland  aus  den  .laliit-n  lööU — 1553."  Stras- 
burg, Trübner.  1S79  —  abiieliolt'en  zu  haben. 

Vor  einiger  Zeit  ist  dauu  auch  eine  deut.sche  i^bersetzung  der 
weitaus  bedeutendsten  Schrift  Aschams,  eben  seines  Schoolmaster,  er- 
»chienen  im  IX.  Baude  der  pädagogischen  Classiker  (Wien,  Pichler  Wv. 
&  Sohn.  1881):  „Roger  Aschams  Schulmeistei*,  nebst  einer  Einleitung: 

*)  Sir  Jobu  Cheke,  Prot.  d.  griech.  äprache  in  Cambridge,  dann  Erzieher  K5oig 
Eduard  VI. 

•«)  Königm  Elimbetb. 


Digitized  by  Googl* 


—   477  — 


iL  Aschams  Lebea  und  Wirken.  Einleitang,  Obersetzang  and  Com- 
mentar  rm  Josef  Holzamer.**  In  der  Emldtung  beschränkt  sieh 
der  Heraasgeber  auf  einen  gedrängten  biographischen  Auszog,  ohne 
Qfther  anf  A.*8  Bedeutong  als  Pädagogen  einzugehen.  E2r  verweist  ein> 
&ch  anf  das  Werk  selbst,  »da  der  VerCiMser  dort  seine  Ansichten 
Ober  Erziehung  und  Unterricht  so  klar  dargelegt  hat,  dass  sie  keiner 
weiteren  Erkl&rong  bedürfen*',  und  in  der  Vorrede  auf  das,  was  in 
meinem  Bache  über  diesen  Gegenstand  gesagt  worden  ist. 

Ich  habe  aber  an  jenem  Ort  nur  in  allgemeinen  Zügen  den  Geist 
and  das  Wesen  der  pJtdagogischen  Lehren  A.'s  und  seiner  neuen 
Methode  des  Lateinlemens  zn  charakterisiren  versucht.  Ein  genaueres 
Eingeben  auf  dieselben  scheint  aber  umsomebr  geboten,  als  —  wie 
Holzamer  ricbtig  bemerkt  —  der  Sclioohnastcr  manche  Fragen  der 
Piidagogik  erörtert,  die  heute  wie  Icr  auf  der  Tagesordnung  stehen. 
Auch  eine  Untersnrhimg  der  Beziehungen  und  geistigen  Wechsel- 
wirkungen zwischen  Ascham  und  seinen  Vorgängern  Jean  Luis  Vives 
und  Ellyot,  seinen  Zeitgenossen  ljy]\  und  Mulcaster,  sowie  den  Spä- 
teren Baco  von  Verulam,  Milton  und  Lo(^ke  wäre  lohnend  und  nütz- 
lich. Ich  versaclie  in  dem  Nachfolgenden  nur  gelegentlich  eine  Ver- 
gleichung  A/s  mit  Locke  und  einigen  festländischen  Pädagogen  iu 
den  markantesten  Abweichungen  und  Übereinstimmungen. 

L  Aschams  Stellung  zur  Pädagogik. 

Von  einer  Skizzirung  seines  Lebens  und  einer  formellen  6e- 
sprechnng  der  fttr  die  DarsteUnng  seiner  pädagogischen  Ansichten  in 
Betracht  konunenden  Werke  glaube  ich  unter  Verweisung  auf  mein 
Budi  hier  absehen  zu  d&rfen.  Es  sind  das  neben  gelegentlichen  Be- 
merkungen in  den  Briefen  namentlich  der  Toxophilus  und  der  Scliool- 
xnaster.  Ein  drittes  Werk,  in  dem  er  sich  speciell  den  bei  der  Er- 
ziehung zn  berück«:ichtigenden  Leibesttbungen  zuwenden  wollte,  sein 
Book  of  tbe  cockpit,  ist  nicht  zum  Abschloss  gelangt  und  nach  seinem 
Tode  leider  veidoren  gegangen. 

Dass  er  ein  Kecht  hatte,  in  Fragen  der  Erziehung  und  des  Un- 
terrichts ein  Urtheil  abzugeben,  das  wird  ihm,  dem  langjährigen 
Lehrer,  dem  Familienvater,  niemand  ])estreit«u  wollen.  Inwiefern 
■die  gesammelten  Erfalirungen  und  eine  aus  ihnen  erwacUseiide  hohe 
T^ebensweisheit  ihn  berechtigen,  in  der  Ktühe  der  Pädagogen  einen 
hervorragenden  Phitz  einzunehmen,  wird  aus  der  Zusammenstellung 
>^(iiuer  Grundsätze  und  Anschauungen  einigermaßen  ersichtlich  werden. 

Von  der  Würde  des  Erzieheramtos  hatte  er  die  eriiabenste  Vor- 

ai*  • 


Digitized  by  Google 


—   478  — 


steUmigr.  Wie  Sokrates  glaabto  aneh  er,  dass  nieamA  sich  dn  g<Stlr 
liclueraB  Ziel  mUm  könne,  ab  deijenige,  der  sich  der  Eiaehnng  der 

Jogend  widme. 

Ob  er  gleich  alle  dem  Unterriclit  vorhergehende  Sorge  am  daa 
Kinrl  den  £item  zuweist  und  als  wirklicher  Schulmeister  mit  seinen 
Rathschlägen  nur  die  Entwickelung  vom  ei-sten  Elementarunterricht 
bis  zum  Bezieben  der  Universität  begleiten  will,  so  enthalten  seine 
Ausfiihrungen  doch  nach  beiden  Seiten  hin  mehr,  als  er  versprochen  hat 

Reginn  der  Erziehung.  A.scham  ist  der  Ansicht,  dass  mit 
(1  r  I  jziehung  schon  in  früher  Jugend  begonnen  werden  mnss.  weil 
das  Kindergemftth  fRr  alle  Eindrück*'  am  empfänglichsten  sei,  und  die 
in  der  Kindheit  erhaltenen  bei  ihm  am  festesten  haften.  „Wenn  je 
zu  einer  Zeit",  sagt  er,  „die  Natur  des  Menseben  geneigt  ist,  mehr 
als  zu  einer  andern,  das  Gute  iu  sich  aufzunehmen,  so  ist  dies  in  der 
Unschuld  der  jungen  Jahre  der  Fall,  bevor  die  Bekanntschaft  mit 
dem  BOeeii  in  flir  Warsei  gefasat  liat  Denn  das  reine,  klare  Glemfitb 
eines  lieben  kleinen  Kindes  ist  gleich  dem  friachen  Wachs,  das  am 
tanglicbaten  ist»  einen  gaten  und  schönen  Abdruck  zu  empfangen,  und 
gleich  einer  neuen,  günienden,  noch  nngebraachten  silbernen  Schtlasel, 
die  das  Gute,  das  man  hineinthnt,  anfthnmt  nnd  rein  erbUt.^ 

"Br  verlangt  die  größte  Gewissenhaftigkeit  der  Eltern  nnd  Er- 
zieher, da  Ton  ihrer  Sorgfalt  in  Beanüsicbtignng  nnd  Ldtnng  der 
jnngen  Seelen  deren  ganzes  spÄteres  (Tluck  nnd  Wolergehen  abhängt. 

Nach  Locke  werden  neun  Zehntheiie  der  Menschen  durch  die 
Erziehung  gut  oder  b5se.  Auch  Ascham  meint,  dass  es  wesentlich 
von  der  Behandlung  des  Kindes  in  seiner  ersten  Jugend  abhänge, 
was  es  dereinst  lieben  oder  hassen,  ob  es  dem  Guten  oder  dem  Bösen 
nachgehen  werde.  „Was  man  als  Knabe  begonnen,  dem  pflegt  man 
als  Mann  zu  folgen  bis  ans  (-Ji-al» "  „Wenn  ein  iunger  Baum  krumm 
-wächst,  so  magst  du  ihn,  ist  er  trst  alt  geworden,  eher  brechen  denn 
gerade  biegen.  ' 

Wichtigkeit  der  Erziehung.  Und  nicht  das  (Tlück  dt^s  Kindes 
allein  bänt^t  von  dieser  richtigen  nnd  weisen  Leitung  der  Tugend  ab. 
sondern  auch  das  Wolergeheu  der  (iesellschaft  und  das  Gedeihen 
des  Staates.  „Wo  in  der  Jugend  eine  solide  Grundlage  gelegt,  wo 
die  Kinderzvcht  nach  Temttnftigeu  Grondsätaten  geleitet  wird,  da  wird 
sich  anch  bald  das  Gemeüiwesen  in  gutem  Znstande  befinden.** 

Der  enge  Zusammenhang  zwischen  der  Endehnng  nnd  dem  Staate- 
wol  wird  von  Ascham  wiederholt  betont  Er  beruft  sich  dabei  anf 
Plato.  Niemand  aber  hat  ttber  diesen  Punkt  schöner  geschrieben  aU 


Digitized  by  Google 


—   479  — 


Luther:  „Denn  wo  in  H&iiBern  Gehorsam  nieht  gehalten  wird,  wird 
man  es  mmmermehr  dahin  bringen,  dass  eine  ganze  Stadt,  Land, 
FQrstenthnm  oder  Königreich  wol  regiert  werde.  Denn  da  ist  das 
erste  Regiment,  davon  einen  Ursprang  alle  andern  Begimente  und 
Herrschaften  haben.  Wo  nnn  die  Wurael  nicht  gut  ist,  da  kann 
weder  Stamm  noch  gute  Frucht  folgen.^ 

Erbsttnde.  Bei  der  hinslichen  Zocht  soll  man  es  nicht 'so  sehr 
snf  ünterweisang  in  dem,  was  gut  ist,  als  vielmehr  auf  Fernhalten 
der  Jugend  von  dem,  was  schlecht  ist,  absehen.  Das  erinnert  an 
Bousseaas  Plan  einer  gans  negativen  Erziehung,  welche  nicht  Tugend 
und  Wahrheit  lehrt,  sondern  das  Herz  nur  von  dem  Laster,  den  Ver- 
stand vor  Irrthnm  zu  bewahren  sucht. 

Ascham  meint  aber  mit  nichten  wie  Ronssean,  dass  alle  Sünde 
nur  von  außenlier  in  das  Kiuderherz  hinein getra^^en  werde.  Er  hat 
an  der  Erbsünde,  „an  dem  Übel,  das  dm 'Ii  Adam  über  die  Welt  kam", 
jederzeit  festgehalten.  Nach  seiner  Meinung  schlummern  die  Keime 
zum  Guten  und  Bösen  schon  von  Natur  im  Herzen  nebeneinander. 
Doch  sind  die  letzt<»ren  leichter  zu  wecken:  „Die  besten  Beispiele 
haben  nie  solche  Gewalt,  zum  Guten  anzutreiben,  wie  die  schlechten, 
eitlen  und  thürichten  es  im  Busen  vermögen.'' 

Dauer  der  Erziehung.  Die  Aufgabe  der  Eltern  und  Erzieher 
ist  es  nun,  darüber  zu  wachen,  dass  die  bösen  Triebe  möglichst  wenig, 
die  guten  möglichst  viel  Nahrung  und  Förderung  erhalten.  Die  bösen 
iD&ssen  mit  scharfem  Messer  beschnitten  werden,  sonst  schleBen  sie 
bald  üppig  empor  ond  saugen  Saft  und  Kraft  aus  der  Pfianze.  Die 
^ten  Triebe  entwickek  und  kräftigen  sich  viel  hingsamer  und  müssen 
daher  unter  möglichst  langer  Obhut  und  Pfl^  gehalten  werden. 
Daher  tadelt  es  Ascham  wiederholt,  dass  man  sich  um  die  Jngend  zu 
einer  Zeit  am  wenigsten  zu  bekümmern  pflege,  in  der  sie  am  meisten 
«iner  guten  Aufsicht  bedürftig  sei  „Es  nfttzt  nichts,  dafür  zu  sorgen, 
dass  Knaben  in  ihren  Kiuderjahren  gut  unterrichtet  werden,  wenn 
man  ihnen,  sobald  sie  in  die  lustige  Jünglingszeit  eintreten,  die  Frei- 
heit gewährt,  ?anz  nach  ihrer  Lust  zu  leben." 

Rousseans  Emil  blieb  uuter  der  Leitung  seines  Hofmeisters,  bis 
er  Vater  wurde.  Locke  verlässt  seinen  Zögling,  als  dieser  Anstalten 
macht  zu  heiraten.  Das  würde  auch  Ascham  für  passender  get'uudeu 
haben;  aber  bis  dahin  halt  er  an  der  Aufsichtspflicht  des  Vaters  f^t. 
^Vom  17.  bis  zum  27.  Jalu-e  sollen  weise  Manner  sorjrsam  darauf 
achten,  dass  die  Schritte  der  Jugend  während  dieser  selduplri^st^^n 
Zeit  durch  gute  Zucht  und  Sitten  auf  eine  sichere  Weise  gestützt 


Digitized  by  Google 


werden.^  Noch  zweimal  wiederholt  er  diese  Wtninng  nnd  nennt  das 
bezeichnete  Alter  die  gefUirlicbete  Zeit  im  Leben  eines  Mannes,  s» 
glatt  nnd  echlüpfi-ig,  dasB  es  schwer  sei,  festen  Faß  zu  fessen. 

Studium  und  Leben.  Als  die  Yeranlassnng  zu  seinem  School- 
master  bezeichnet  Ascham  wiederholt  den  Wunsch,  an  seinem  Theüe 
nach  Erftften  mitzuwirken,  „daas  bei  der  Jugend  in  England  durch 
eine  gute  Eniehnng  eine  so  feste  Grandlage  zur  richtigen  Wfirdigong 
der  Wissenschaft  gewonnen  und  ein  !iO  sicherer  Grund  f&r  die  Liebe 
zur  Bechtscbafifenheit  gelegt  werde,  dass,  wenn  sie  zur  Aosftihning 
wichtiger  Gescheite  im  Dienste  ihres  Ffkrsten  und  ihres  Landes  be- 
rufen werden,  sie  alle  Erfiahnmgen,  ob  gut  oder  schlecht,  zu  ver- 
werten nnd  iit  hti«r  zti  benutzen  wissen,  nnd  zwar  nach  der  Voischrift 
und  Richtschnur  drr  WV-isheit.  Wissenschaft  und  Tm^end." 

Rousseau  nennt  die  Erzieher  verkehrt,  welche  auch  die  Zukunft 
ihres  Zöglinjrs,  die  er  vielleicht  qrar  nicht  erlebt,  ins  Auge  fassen. 
..Seht  im  Kinde  nur  das  Kind!-"  Ascham  dagegen  meint:  ..Ein  ver- 
nünftiger Lehrer  wird  nicht  so  viel  Gewicht  darauf  legen,  was  ein 
Kind  jetzt,  sondeni  was  es  später  zu  leisten  imstande  ist.^  Seine 
Erziehung  hält  den  Blick  steL>  auf  das  spätere  praktische  Leben  fre- 
richtet.  Alle  Lehre  und  alle  Wissenschaft  gilt  ihm  nichts,  wenn  ^ie 
den  Menschen  ungeschickt  macht  zum  Verkehr  mit  andern  und  un- 
geeignet, in  der  Welt  von  Nutzen  zu  sein.  Er  ist  aber  der  festen 
Überzeugung,  dass  mit  der  Bildung  sich  auch  der  sittliche  Gehalt  de» 
Menschen  hebe.  Tugend  nnd  Weisheit  stehen  ihm  nicht  h(^her  als 
Kenntnisae  (wie  Locke),  weQ  sie  sich  seiner  Ansicht  nach  gegenseitig 
bedingen;  das  eine  ist  nicht  gut  ohne  das  andere  zu  denken.  Liebe 
zur  Bechtschaffenheit  geht  bei  ihm  mit  der  richtigen  Würdigung  der 
Wissenschaften  Hand  in  Hand.  Rechtschaffenes  Leben  und  YoD- 
kommenheit  in  der  Wissenschaft  gilt  ihm  als  ein  einiges  und  einziges 
Ziel,  dem  gute  und  weise  Väter  ihre  Kinder  zuführen  sollen,  und  mit 
allen  tüchtigen  Lehrern  stimmt  er  darin  überein,  „dass  ein  Schüler 
zu  gründlichem  Wissen  und  zu  ehrbaren  Sitten  geleitet  werden  müsse**. 

Unschuld  des  Kindes.  Doch  soll  man  sich  wol  vorsehen  in  dem, 
was  man  das  Kind  lehrt.  „Die  Jugend  ist  die  Zeit,  in  der  eine  gewisse 
l'nwi?senlieit  ebensi»  nntliwenditr  ist.  al«?  wie  Kenntnisse.  Das  bezieht 
sich  jedoch  nicht  aul  die  Keiintni?,  'der  Ptliditen  gegen  «iott.  wie  rs 
einige  halsstan'ige  Köpfe  gegen  ihr  besseres  Wissen  kuizlicli  imrh 
orten  gelehrt  haben."  Die  kindliche  Einfalt  und  Unscluild  soll  sorg- 
sam bewahrt  nud  bewacht ,  die  Phantasie  rein  erhalten  werden. 
„Schlechte  Ge<ianken  gebären  verkehrtes  Urtheil  und  gottloses  Redea 


Digitized  by  Google 


—  481  — 


ji»-lileclitt'S  Thun.  Diese  viei-  Krankheiten  zerstören  die  gute  Wissen- 
schaft, wie  sie  auch  das  Menschenleben  vergiften."  Da^  Eltern,  wie 
ihm  wol  vorgekommen,  den  gottlosen  und  lästeWichen  Reden  ihrer 
Kinder  ruhig  zuliören,  ja  gar  darüber  lacheu  können,  gilt  ihm  für 
ganz  verabscheuungswürdig. 

Studinm  und  £rfahrang.  Ascbam  erwartete,  dass  seiner 
These:  „Die  haaptsftddichBtea  Punkte  der  Endehung  der  Jugend 
sind  WlBsen  nnd  gute  Sitten** ,  von  gewisser  Seite  widersprochen 
werden  wllrde.  Dass  es  Lente  gibt,  die  ttberhanpt  weder  die  Togend 
noch  die  Wissenschaft  achten,  wigt  er  nicht  positiv  behaupten; 
nicht  gering  aber  sei  die  Zahl  solcher,  die  das  Stndinm  zwar  nicht 
ganz  nnd  gar  missbilligen,  jedoch  meinen,  dass  auch  ohne  Bflcher, 
allein  durch  das  Leben  und  die  im  geselligen  Verkehr  gesammdte 
Erfahrung  der  Jugend  die  Klugheit  und  Gewandtheit,  deren  man  im 
Jjeben  bedarf,  erlangt  werden  krmnp 

Solchen  antwortet  Ascliam,  dass  allerdings  eine  lange  Erfahrung  von 
g^rriBt'in  Nutzen  sein  kann,  aber  -  sofern  es  sich  um  elirliche  Geschäfte 
handelt  —  doch  nur  für  diejenigeu.  die  vorher  durcli  gute  Lehren  an- 
gewiesen wnrden,  von  ihren  Erfahrungen  den  i-echten  (Tebraucli  zn 
machen.  „Denn  gute  Lehren  behu  Studium  sind  die  Augen  des  Geistes, 
mit  denen  der  Mensch  sehen  kann,  welcher  Weg  der  richtige  ist," 
„Es  ist  eine  thenre  Weisheit,  die  nur  durch  Erfahrung  erkauft  wird." 
„Das  Studium  lehrt  mehr  in  einem  Jahr  als  die  Erfahioing  in  zwanzig, 
und  sie  lehrt  auch  sicher,  während  die  Erfahrung  eher  unglttckUch 
als  weise  macht  Der  läuft  arge  Gefahr,  der  dnrch  Erfhhrung  weise 
wird.  WahrUch,  die  Zahl  derer,  die  durch  Erfohmng  ohne  Stadium 
weise  nnd  glttcklich  werden,  ist  sehr  gering.  Zwanzig  gegen  einen 
gehen  dabei  an  Grande.  Und  blicket  nnr  Un  auf  das  frohere  Leben 
jener  wenigen,  ob  alt  oder  jung,  welche  ohne  Studium  nur  durch  Er^ 
ihhnmg  einige  Weisheit  und  etwas  Glück  znsammengelesea  haben,  und 
wenn  ihr  erwigt,  was  für  Fehler  sie  gemacht  und  wehshen  Gefiüiren 
sie  entronnen  sind,  dann  überlegt  wol,  ob  ihr  wollt,  dass  euer  eigener 
Sohn  auf  dem  Wege  solcher  Erfalirung  zu  Weisheit  and  Glück  gelange."* 

„Erfahrung  und  Gefühl'*,  behauptet  Konsseau,  „sind  unsere  wahren 
Lehrmeister,  und  nur  durch  bestimmte  Lagen,  in  welche  der  Mensch 
im  Leben  gerätli,  lernt  er,  was  das  Rechte  sei." 

.^^tudium  und  gute  Erziehuuf?  und  nicht  blinde  und  j?f fHinliche 
Ertahi  1111!^'*,  so  zieht  Ascham  den  Schluss,  ,,isf  fWr  n;<r)istliet^ende  und 
scimeilste  Weg,  der  die  Kinder  zuerst  zur  Weisheit,  dann  zur  Würdig- 
keit führen  wird." 


Digitized  by  Google 


—  482  — 


Oombiiilrt  man  beide  Sfttie,  so  dttrfte  man  ^1  das  Biditige  ge- 
troffen haben. 

Umgang.  A«f  gewlhlten  Umgang  und  Fernhaltaiig  schlechter 
GeseUflchalt  legt  ABcham  das  grOßte  Gewicht  „Ein  VorbOd  ist  so- 
wol  mm  Onten  vie  anch  tarn  Brisen  wertvoUer  als  awanzig  in  Btehem 
enthaltene  Lehren,**  aber  er  findet  leider,  daas  anch  die  besten  Bei- 
apiele  nie  solche  Gewalt  haben,  snm  Guten  anzntreiben,  wie  die 
schlechten,  eitlen  und  thOrichten  zom  Bösen  Teriocken.  Welche  Ge- 
walt schlechte  Gesellschaft  hat,  tUchtige  KOpfe  za  Terderben,  das 
wissen  die  weisesten  Männer  am  besten." 

Derselben  Ansicht  ist  Locke:  „Die  sogenannten  Manieren  erlernt 
das  Kind  mehr  im  Umganore  mit  gesitteten  Menschen,  als  durch  Vor- 
schriften/* Wie  Locke  warnt  aiirh  pr  nachdrücklich  (hivor.  die  Kinder 
zu  sehr  den  Redienten  anzuvertr.iueu.  Wol  kennt  er  viele  brave  und 
gesetzte  Diener.  Aber  man  brauche  nicht  erst  Terenz  und  PlautUÄ 
zu  lesen,  um  zu  eifahren,  wieviel  Niederträcliiige  es  unter  ihnen 
fabt.  ..Ihre  Gesellschatt.  ihre  Unterhaltung  und  ihre  Qberauä  reiche 
Ki  ialüuufr  in  Nicht.swiirdigkeiieu  verdirbt  leicht  die  besten  Naturen 
uud  die  wolerzogeusten  Köpfe." 

Leetüre.  Und  wie  der  Umgang  soll  auch  die  Leetüre  über- 
wacht werden.  Terens  and  Flantna  nennt  er  we^  ifftnner,  deren 
Schriften  eine  unTergleichlicbe  Quelle  flir  die  lateinische  YerlLehr»* 
Sprache  seien.  Trotsdem  erkUrt  er  ach  energisch  gegen  den  Mlss- 
branch,  der  damals  nnd  noch  lange  nachher  in  den  Schalen  mit  diesen, 
doch  wahrlich  nicht  ftr  Kinder  geschriebenen  Schriften  getrid»en 
wurde.  „Was  Plaatns  betriffl;,  so  Isase  deinen  SehfUer  lieber  spielen, 
als  alles  das  lernen,  was  in  demselben  steht,  es  sei  denn,  dass  der 
Lehrer  fällig  ist,  eine  weise  and  vorsichtige  Auswahl  zu  treffen,  gani 
besonders  hinsichtlich  des  Gegenstandes.  Der  Stoff  der  beiden  (Plantos 
nnd  Tereoz)  liegt  vollständig  im  Bereich  der  Sitten  der  goneinstea 
Menschen,  und  erhebt  sich  nicht  zu  irgend  einer  Frage  von  hSherer 
Bedeutung,  sondern  beschränkt  sich  hauptsächlich  darauf,  die  Gedanken 
und  Eigenschaften  hartherzifjer  VätHr,  thnrichter  Mütter.  vri>chwen- 
derischer  jnnc'Hr  Lentp,  listiger  Diener,  verschlagener  Kuppler  uud 
schlauer  Dirnen  darzustellen,  und  viel  Mülie  wird  darauf  verwandt, 
feine  Knitfe  aufzufinden  und  erbärmliche  Dinge  vorzuV)rin2-en .  wie  sie 
iu  London  nur  zur  Kenntnis  der  Vorst«'hei-  von  Brideweli  kommen. 
Das  ist  gemeiner  Stoff  für  jeden  Schiller,  der  später  entweder  ein 
guter  Diener  der  Religion  oder  eiu  ehrbarer  Mann  im  Dienste  seines 
Fürsten  und  Landes  werden  soll.    Mit  Ausnahme  des  Predigers,  der 


üiyitizeü  by  Google 


—  483  — 


^Iclie  Dinge  wissen  muss,  um  sie  widerlegen  zu  können,  ist  die  Un- 
lifiBseiilieit  in  ihnen  beaaer  als  üire  Kenntnis.  So  sind  Pkatns  nnd 
Terenz  hindchtiich  des  S^es  gemeinen  Malern  gleich,  die  nvr  zvr 
Hftlfte  arbeiten  und  nnr  den  schlechtesten  Theü  des  Oemäldes  madien 
können,  oder  solchen,  die  nur  den  KOiper  einer  nackten  Person  vom 
Nabel  abwftris,  aber  sonst  nidits  zn  malen  Tenrtehen." 

Ein  Warnen  vor  den  mit  so  beredten  Worten  geschilderten 
lisatem,  wie  es  msncher  Orten  in  Deutschland  dem  Lehrer  damals 
zur  Pflicht  gemacht  wurde,  wird  Ascham  für  um  so  weniger  genügend 
erschienen  sein,  nm  den  bösen  Einiluss  solcher  LectQre  m  paral^'^^ii'en, 
«Is  die  Stücke  ja  zumeist  aufgeführt  wurden,  und  z.  B.  Sturms  For- 
demng,  die  Schüler  sollten  rechte  „Roscii"  sein,  ohne  ein  Sichhinein- 
denken und  Hineinversetzen  in  die  Personen  und  Situationen  des 
Dmiüds  nicht  gut  erfülHiar  wnr  Sich  beim  Unterricht  von  diesen  so 
^gescholtenen  Schriften  ganz  loszumaclien,  vermochte  auch  Asclmni  niclit. 

Ein  ebenso  strenges  T'rtheil  fallt  er  über  dio  alt«n  Volksbücher, 
iiber  die  Sagen  von  König  Artus  uiid  seiner  Tatelrunde,  von  Tristan 
und  Isold  u.  a.  Sie  stammen  ihm  aus  einer  Zeit,  „d^^  »och  der 
Papismus  wie  ein  tiefer  Sumpf  ganz  England  bedeckte."  Sie  sind, 
nach  seiner  Ansicht,  in  Klüsteru  von  sclilechten  München  uiul  lüsternen 
Kanonikern  geschrieben  und  lehren  nur  Todtschlag  und  freche  Un- 
zucht „Im  Mbrte  Arthur  werden  diejenigen  ab  die  kOhnsten  Helden 
gepriesen,  die  ohne  jeden  Grand  die  meisten  Menschen  todtschbtgen 
und  durch  die  schlauesten  Ranke  die  strftflichsten  Ehebrttche  he- 
drehen. . . .  Was  fOit  Grillen  die  tägliche  Lectttre  eines  solchen  Buches' 
in  den  Begierden  eines  jungen  Mannes  oder  jungen  Mädchens,  die  in 
Üppigkeit  nnd  Mttftiggang  ihre  Tage  hinhringen,  bewirken  muss,  das 
können  weise  Männer  beurtheilen  und  ehrbare  werden  es  bedauern." 

Schon  zwanzig  Jahre  früher,  bevor  Ascham  so  in  seinem  School- 
inaster  klagt,  hatte  er  sich  im  Toxophilus  in  ebendemselben  Sinn 
über  den  Weit  oder  vielmehr  Unwert  der  alten  Nationalepen  ge- 
Äußeil:  ..Zu  unserer  Väter  Zeit  wurde  nichts  gelesen  außer  jenen 
Büchern  voll  erheuchelter  Ritteiliclikeit,  die  durch  ihre  Moral  nur  zu 
Todtschlag  und  Ehebruch  fuhren  können.  Sie  nur  fUr  einen  unschul- 
digen Zeitvertreib  ansehen,  ist  ein  schwerer  Tn  thnni.  Unnütze  Reden 
wirken  oft  verhängnisvoll  auf  leere,  unwisst-iidf.  jugendliche  üemüther, 
zumal  wenn  diese  schon  von  Natur  zu  üblen  Leideuschaften  hin* 
neigen." 

In  merkwürdiger  Übereiustiiumung  mit  diesen  Urtheilen  Ascharas 
iiteheu  eiu  paar  Äulieruugen  des  bekannten  Straßburger  Predigers 


üiyuizeü  by  Google 


—   484  — 


Maibach,  die  Ranmer  in  seiner  Geschichte  der  Pädagogik  I,  272  ans 
einflr  Schulprcdigt  von  1578  mittheflt  Harbach  straft  die  thOiichten 
Eltern,  welche  ihren  Kindern  „za  leaen  und  sieh  za  üben  ftrlegen 
den  Dannhfiser,  die  Melnsina,  Dietrich  von  Bern,  den  alten  Hfltenbrand,  ' 
Bitter  ans  Steyemiark,  —  also  geben  sie  der  Jngend  Anldtong  zn 
bOsen  Gedanken.**  Er  ermahnt  daher  die  Schfiler,  die  «Bnlbilcher'* 
sein  SU  lassen,  „in  denen  mehr  als  Fabelwerk,  Narrentheidig  nnd 
Merlin  nichts  sn  ünden**,  nnd  sieh  einzig  mit  den  gnten  BOchem  ab- 
zugeben, welche  ihnen  von  den  Lehrern  erklart  wfu'den.  Zn  denen 
gehörten  am  Straßbnrger  Oyrnnasium  damals  aber  mit  an  erster  Stelle 
Plaatus  und  Terenz.  Da  war  Ascham  in  diesem  Punkte  doch  con> 
seqnenter! 

Berufswahl.  Ascham  findet,  dass  nwf  diese  wichtige  An^elegen- 
lieit  zn  wenig  Sorfrfalt  verwandt  wird.  Dass  die  Wahl  des  der- 
einsti^'eu  Berufes  Sache  der  Poltern  ist,  sttzt  er  als  selbstverständlich 
voraus.  Aber  diese  handeln  oft  leichtsinnig-  und  unverständig,  daher 
ihm  eftie  Controle  des  Staates  sehr  aufgebracht  erscheint.  Er  lobt 
die  Sitten  der  „edleu  Perser",  bei  denen  in  alten  Zeiten  die  Väter 
mit  ihren  Kindern  nicht  verfahren  durften,  wie  es  ihnen  recht  dünkte, 
sondern  so,  wie  die  Staiitsraisüu,  the  judgment  uf  the  Commonwealth» 
es  für  das  beste  erscheinen  ließ.  Dieser  Unverstand  der  Eltern  Ter- 
nrsacht  im  staatticben  wie  im  bürgerlichen  Leben  yMb  arge  ünzn- 
trftglichkeiten,  denn  daher  eben  kommt  es,  dass  man  so  oft  nntSchtige 
Leute  in  yerantwortlicher  Stellong  findet,  die  zn  aOem  andern  ge* 
eigneter  sind  als  zu  dem  Amte,  das  sie  bekleiden.  Die  Kinder  sollen 
zu  dem  Bemfe  ausgebildet  werden,  zn  dem  sie  von  Natur  am  besten 
beanlagt  sind.  Diesra  zn  erkennen  ist  eine  ernste  Füicht  der  Eltern. 

Ihre  lässige  und  verkehrte  Ansfibnng  wirkt  besonders  verhängnis- 
voll bei  Bestimmung  der  Kinder  zum  Stndinm.  Das  Kind  selbst,  der 
Staat  und  die  Wissenschaft  haben  darunter  zu  leiden.  Durch  Thor- 
heit  der  Väter  und  die  Nichtswürdigkeit  der  Lehrer  würden  vielfach 
gerade  die  begabtesten  und  filhigsten  Köpfe  vom  Studium  abgehalten 
und  abgeschreckt.  Nnr  ans  diesem  Grunde  konnte  das  beschämende 
Sprirhwort  entstehen,  (hiss  die  größten  Gelehrten  nicht  gerade  die 
weisesten  Mensrlien  ■^fien. 

Die  meisten  Eitern,  sa^t  Ascham,  machen  es  bei  Bestimmung 
ihrer  Söhne  für  die  Universität  wie  uneifalirene  Kindt^i-  nin  die  Jacobi- 
zeit  mit  Äpfeln.  Sie  greifen  begierig  nach  den  rothl  ai  kigsten.  ohne 
zu  bemerken,  dass  diese  fast  allemal  von  Würmern  angefressen  zu 
sein  pflegen.    „Ich  will  von  dem  Gleichnis  aus  reiner  Bekümmernis 


Digitized  by  Google 


—  485  — 


keine  Anwendung  machen."  Er  will  aber  „offen  uud  nachdrücklich" 
auf  die  großen  Xachtheüe  binweiBen,  die  dem  Staate  und  aller  Wissen- 
scliaft  dnrdi  diesei  U&Tenttt&d  erwachseiL 

Afidiam  tadelt  nicht  nur,  er  gibt  auch  Bath,  sehr  ausgiebigen 
sogar.  Um  die  wahren  Kennzeichen  guter  Beanlagung  zmn  Studium 
festzDBteUen,  weist  er  auf  Sokrates  hin,  „den  besten  Lehrer  und  den 
weisesten  Sbnn,  den  die  Geschichte  kennt^,  und  der  folgende  Eigen- 
Schäften  an  dem  Knaben  fordert:  ewp»^  ftv^fieav,  y^fia^rf^t  ^iloreovos, 
^d'^xoos,  C^i}ir(jto(,  iptkirfluvof.  Er  erläutert  ebgehend  den  Sinn  dieser 
Worte:  körperliche  WoIgestalt>  gutes  GedAchtnis,  Liebe  zni>  Wissen- 
schaft, Lust  zur  Arbeit»  Verlangen«  TOn  andern  zu  lernen,  Dreistigkeit 
im  Fragen  und  unbegrenzte  Neigung,  sich  durch  WolveilsaltPii  Lob  zu 
erwerben.  Die  beiden  ersten  Punkte,  sagt  er,  sind  besondere  Gesclienke 
der  Xatnr,  welche  nichtsdestowenig-er  durch  gute  Zucht  vermehrt  und 
i^estärkt  werden  können;  die  fünf  andern  werden  nui*  durch  die  Weis- 
heit und  Besonnenheit  des  Erziehers  gewonnen  und  bewahrt. 

„Der  schönste  Stein'',  meint  Ascbam,  „pflegt  am  kostbarsten  ge- 
fasst  zu  werden."  Auf  physische  Beanlagung  legt  er  ein  besonderes 
(Tewieht,  „denn  sicherlich,  ein  angenehmes  Gesicht  \trbiiuden  mit 
einei-  ansehnlichen  Statur  schafft  dem  \\'issen  Geltung  und  der  Person 
Ansehen."  „Und  wie  kann  ein  schöner  Körper  eine  bessere  Verwen- 
dung finden,  als  im  Dienste  der  schönsten  Gabe  Gottes,  der  Wissen- 
schaft?'* „Aber  gewöhnlich  geschieht  es,  dass,  wenn  ein  Vater  yier 
SQhne  hat,  von  denen  drei  an  Körper  und  Geist  wolgebüdet  sind,  der 
Tierte  aber  elend,  lahm  und  missgestaltet  ist,  lispelt  und  stottert,  dass 
er  eben  diesen  letsterai  fttr  gut  genug  hftlt,  einen  Gelehrten  abzu- 
geben, und  ihn  zum  Studium  bestimmt  Aber  of  a  perverse  body 
cometb  commonly  a  perverse  mind." 

Aufgeweckte  und  langsame  Köpfe.  Bemerkenswert  ist,  was 
Aschara  Uber  die  sclinelle  und  langsame  Fassungskraft  der  Kinder, 
aber  geweckte  und  bedächtige  Köpfe  sagt.  Er  rftnmt  ein,  dass  eine 
gewisse  Regsamkeit  des  Geistes  eine  besondere  und  dankenswerte 
Gabe  Gottes  sei,  aber  seine  Erfahrung  hatte  ihn  gelehrt,  dass  unter 
einer  Schar  auffallend  geweckter  Kö[ife  immer  nur  wenige  sich  als  für 
das  Leben  sehr  gliicklieh  beanlagt  erweisen.  Die  meisten  vergehen 
und  verschwinden,  man  weiß  nicht  wohin.  Er  findet,  dass  mit  be- 
sonders leichter  und  schneller  Fai>sungski*att  gewöhnlich  Mangel  an 
Stetigkeit  und  Energie  verbunden  ist.  Solche  Köpfe  finden  an  leichten 
und  angenehmen  Studien  großen  Gefallen,  bringen  es  aber  nie  sehr 
weit  in  hohen  und  schwierigen  Wissenschaften.   Die  aufgewecktesten 


Digitized  by  Google 


—  486  — 


unter  ihnen  mögen  sehr  gute  Dichter  abgeben,  aibor  ak  weiie  Bednar 
werden  sie  sich  schverUcli  bewAhren.  ^Denn  das  weiß  ich  nidit 
nur  ana  Bttchern»  sondern  anch  aus  eigner  ErfUmmg,  dass  diejenigen, 
die  im  Alter  die  weisesten,  gelehrtesten  and  anch  die  besten  Hlaner 
sind,  in  ihrer  Jugend  darchans  nicht  immer  die  aufgewecktesten 
£5pfe  waren.**  Denn  wiangsame  Kdpfe  fassen  schwer,  behalten  aber 
sicher,  arbeiten  onTerdrossen,  sind  anfinerksam  ohne  zn  schwanken, 
beständig  ohne  Nenenmgssncht;  tragen  Schweres,  wenn  auch  mit  Mähe, 
doch  willig;  dringen,  wenn  anch  nicht  leicht,  doch  tief  in  schwierige 
Sachen  ein  und  gelangen  schließlich  zu  der  Vollkommenheit  im  Wissen 
die  man  bei  an£gew»;kten  Köpfen  erhoffen  zu  können  glaubt,  die  die- 
selben aber  nie  oder  nur  selten  eneichen."  Und  das  sind  in  der  Folge 
die  glücklichsten  MeuBchen,  und  die,  welche  in  der  Welt  am  meisten 
geschätzt  werden. 

Wo  sich  aber  Verstand  mit  Ausdauer,  Fleit)  mit  Beharrlichkeit 
und  gutem  Willen  gepaart  findet,  da  kann  man  —  >  lilieiit  er 
seine  Betrachtung  —  etwas  ganz  Außerordentliches  erwarten I 

Behandlung  des  Schülürs.  „Wa.s  immer  der  Geist  ungern 
und  aus  Furcht  lernt,  das  vergisst  er  auch  ebenso  i-asch  und  gern", 
80  lesen  wir  im  Schoolmaster  und  ebendori  au  anderei*  Stelle:  „Nach 
meiner  Ansicht  ist  Liebe  geeigneter  als  Forcht,  Freundlichkeit  besser 
als  Prügel,  um  ein  Kind  mit  Ebfolg  zu  unterrichten.** 

Nicht  immer  war  Ascham  dieser  Meinung  gewesen.  Ln  Tozo- 
philns  zählt  er  dreierlei  auf,  wodurch  des  Knaben  Leistungen  gehoben 
würden:  Bef&higung,  Ehrgeiz  und  Furcht  „Gute  Beaalagung  macht 
ihn  biegsam  wie  Wadig,  daas  der  Greiat  nadi  ^m  Wunsche  des  Lehrers 
leicht  gebildet  und  gestaltet  werden  kann;  Ehrgeiz,  so  gut  oder  besser 
als  seine  MitschQler  zu  sein,  und  Furcht  vor  dem,  unter  dessen  Zucht 
er  steht,  werden  ihn  aber  zn  rechter  Arbeit  und  Ausdauer  anspornen, 
durch  die  allein  die  vollkommene  Meisterschaft  erreicht  wenSen  kann." 

Ben  Ehrgeiz,  die  treibende  Kraft  in  den  Erziehungsanstalten  der 
Jesuiten  und  auch  von  Locke  empfohlen,  beschränkt  Ascham  im  School- 
master auf  das  zubissige  Maß  eines  Strebens,  dem  guten  Beispiel  und 
Vorbild  nachzueifern.  Die  Furcht  aber  hat  er  durcbaus  fr^'^t^ricUea. 
Wie  später  Locke  will  auch  er  die  Ruthe  und  den  Si  n  k  u  ni/lich  aus 
dem  Schulzimmer  verbannt  wissen.  Das  Schulkaus  suil  m  Wirklich- 
keit das  sein,  was  der  Name  (ludus  iiteranim)  ursprünglich  bc-iagt: 
ein  Haus  der  Freude  und  des  Vergnügens,  nicht  aber  der  Furcht  und 
Kerkerhaft  Unerschöpflich  ist  er  in  Wendungen,  um  immer  von 
neuem  und  von  neuer  Seite  die  Nützlichkeit  und  Nothw^ndigkeit  einer 


Digitized  by  Google 


—  487  — 


ftenndlielien,  bnoumen  Lehi-weise  hervorzuheben,  auf  die  Verkehrtheit 
und  den  ^ausamen  Unverstand  der  Lehrer  zu  schelten,  die  jede  Regel 
nnr  mit  dem  Stocke  einzubleuen  wüssten  und  wegen  ihrer  UnTemunft 
eigentlich  selbst  gestraft  zu  werden  verdienten;  endlich  auf  die 
achlimmeu  Folgen,  die  solchf-  Behawdlung  lui'  die  Kinder,  für  die 
Wissenschaft  und  für  den  Staat  nach  sich  zöge.  Gerade  die  besten 
Kiemente,  die  langsam  aber  sicher  fassenden  Köpfe  würden  dui*ch  die 
in  den  Schulen  liprrscliende  Sti'enge  und  Prügelwuth  am  härtesten 
betroffen.  Viele  wei  len,  sobald  sie  nur  selbstständig  werden,  die  Bücher 
tüi  iimiier  fort  und  nehmen  anstatt  der  Liebe  zu  den  Studien  gewöhn- 
lich einen  ewigen  Hass  gegen  ihre  Lehrer  und  Verachtung  der  Wissen- 
schaften ans  der  Schule  mit.  „Selbst  die  weisesten  eurer  großen 
Prügler  strafen  ehenso  oft  die  Natur  im  Kinde,  als  sie  seine  Fehler 
besaenL*  Äseham  bemft  sich  anf  Sturm  und  auf  Sokrates,  der  auch 
die  Knaben  nicht  mit  Gewalt,  sondern  spielend  nnterriehtet  wissen 
will;  denn  kein  Fre^  solle  aof  knechtische  Art  lernen  und  eine  er- 
zwnngene  Kenntnis  sei  nicht  in  der  Seele  bleibend.  Die  Bdtlehrer 
in  England  verstunden  des  Sokrates  Bath  besser  zn  befolgen  als  die 
▼erkehrten  Schulmeister.  Die  einen  pr&geln  ihren  SchQlem  durch 
Furcht  den  Hass  gegen  alle  Studien  ein,  die  andern  aber  ziehen  in 
ilmen  durch  freundliches  Entgegenkommen  und  anstftndige  Behandlung 
die  Liebe  zum  Rei.en  groß. 

Ascham  ist  der  Ansicht,  dass  Liebe  oder  Abneigung  lediglich 
Sache  der  Erziehung  sei.  ..Liebe  zum  Spiel  und  Hass  gegen  das 
Themen  liegt  nicht  in  der  Neigung  der  Jugend,  sondern  in  (Vr  Be- 
handlung, die  man  ihr  angedeihen  lässt.  Y*m  \atur  ans  kennen  die 
Kinder  k*M'nen  Unterschied  zwisclien  Spielen  und  Lernen.  ..Man  prügle 
ein  Kind,  wenn  es  nicht  gut  tanzt,  und  liebkose  es,  auch  wenn  es 
nicht  gut  lernt,  so  wird  man  linden,  dass  es  nngeni  ans  Tanzen,  da- 
gegen mit  Frenden  an  sein  Bncli  gelien  wird.  Man  prügle  den  Knaben, 
sobald  er  tseiuen  Pfeil  schleclit  abschießt,  und  behandle  ihn  üeuudlich, 
wenn  er  bei  seinen  Arbeiten  Fehler  macht,  so  wird  er  ebenso  ungern 
drauSen  im  Freien,  als  gern  in  der  Schule  sem.^ 

Als  ein  Beispiel  fOr  den  praktischen  IStkUg  dieser  Methode  führt 
Ascham  Johanna  Grey  an.  Seine  bekannte  Schilderung  eines  Be- 
fludies  bei  dem  unglflcUichen  jungen  Mädchen  wirkt  aber  wahr- 
haft beängstigend  auf  den  Leser.  So  jung  und  doch  so  alt!  Erst 
16  Jahre,  liebreizend  und  anmothig  und  begabt,  aber  alle  Frische, 
aller  Schmelz  und  alle  Naiyetät  der  Jugend  schon  so  sehr  dahin, 
dass  Tanz,  Jagd  und  jedes  Vergnügen  im  Park  ihr  nur  wie  ein 


Digitized  by  Google 


—  488  — 


Schatten  ist  gegen  das  Vergn&gen  Plato's  Pliaedon  in  der  Ursprache 

za  lesen! 

Ascham  seihest  scheint  das  Unnatürliche  einer  solchen  Begeisterung 
l'iir  den  alten  P!!iloso]>hen  empfunden  zu  haben;  wenis:stens  verwundert 
er  sich  fther  ;^n'ün(lliche  Kenntnis  des  Vergniis^ens  bei  einem  so 

jungen  vonichmen  Fräulein' .  Trotz  seines  mehrüichen  Lobes  der  früh- 
reifen Entwickelang  Eduards  VI.  und  Elisabeth*»,  war  er  im  ganzen 
doch  gegen  solche  Treil)hausl)ildnng,  namentlich  wo  über  dem  Geistigen 
das  Leibliche  zu  kurz  kam.  „Das  Studium  soll  immer  mit  ehrbarer 
Lustigkeit  and  passenden  Übungen  im  Freien  abweehselii'';  denn  die 
Hnsen  seien  wirol  Oeniea  der  Wissenaeluift,  als  des  Tanzes,  der 
FrOUichlteit  und  des  Gesanges,  üm  alle  die  ritterlichen  Efinste  and 
geselligen  Gahen  zn  fördern,  hatte  er  ja  swei  Schriften:  den  Toxo- 
phüQS  nnd  the  book  of  the  cockpit  verfosst!  Er  wei6  es  und  hat  es 
sdbst  erprobt,  dass  ein  Lehrer,  der  seine  Sache  versteht,  einem  gnt 
gearteten  SchQler  das  YergnOgen  nicht  erst  zn  yerlelden  hrancfat,  am 
ihn  bei  den  Bfichem  festzuhalten.  Barch  Güte,  Freondlidikeit  nnd 
Lob  will  der  gate  Wüle  geweckt,  der  Eifer  gespornt  Verden.  Liebe 
zu  den  Büchern,  Lust  zum  Lernen  können  nur  auf  diese  Weise  einge- 
flößt werden.  Ein  Fehler,  ein  Versehen  ist  nicht  unbeachtet  zu  lassen, 
aber  auch  nicht  strenge  zu  rügen.  Die  Erfahrimj^  lehrt,  dass  ein 
Schüler  aus  zwei  Fehlem,  auf  die  er  freundlich  aufmerksam  gemacht 
wirrl,  oft  melu*  Vorthei!  zieht,  als  aus  vier  Punkten,  in  denen  er  es 
von  uiif^etahr  richtig:  j2:etrotten  hat.  Schelten  bei  jedem  Fehler  stumpft 
den  Verstand  ab  nnd  entmuthigt  den  Fleiß.  Niemals  soll  dem  Schüler 
Grund  gegeben  werden,  sich  mit  einer  Frage  zu  fürchten  oder  zu 
schämen,  denn  dadurch  wird  er  nui  vtilulirt,  zu  unerlaubten  Hills- 
mitteln zu  greifen,  sich  und  den  Lehrer  zu  betj-ügen. 

Wenn  Ascham  diese  von  ihm  in  Anwendung  gebrachte  Lehrweise 
mit  der  damals  in  den  öffentlichen  Schalen  fiblichen  Prikgelmethode 
vergleicht,  so  ILbersieht  er  dabd,  dass  eine  Anwendung  seiner  Grund- 
sätze in  ihrem  yollen  Umfange  sich  dort  doch  kaum  als  mög^ch  er- 
weisen dürfte.  Die  Bedingungen,  nnter  denen  ein  Lehrer  in  einer 
öffentlichen  Schale  einen  Ebiflnss  anf  einen  einzelnen  SchQler  ansQben 
kann,  sind  wesentlich  andere,  als  wenn  er  ihm  im  Privatmiterricht 
gegenüber  steht,  ünd  nur  im  Privatunterricht  hatte  Ascham  seine 
Regeln  nnd  Anweisungen  anf  ihre  Durchführbarkeit  hin  erprold  .  auf 
ihn  waren  sie  aasschließlich  berechnet.  Er  Übersieht  die  große  Zahl 
der  Knaben,  anf  welche  der  Stock  einen  unzweifelhaft  grOBeren, 
dauernderen  und  heilsameren  Eindruck  macht  als  die  aller  lang* 


üiyitizeü  by  Google 


—  489  — 


müthigste  Güte  und  die  allerbestp  Lehre.  Es  steht  außer  aller  Fra^e, 
das  Regiment  in  den  Schulen  war  damals  und  ist  es  uoch  lange  f^e- 
blieben:  ein  barbarisch  strenges.  Alle  namhaften  Pädagogen  des  16. 
nnd  17.  Jahrhunderts  eifern  gegen  das  unvernünftige  Zuschlagen  und 
mahnen  die  Lebrer  zu  Geduld  und  Mäßigung.  Aschams  Ruch  ist  als 
eine  zeit^jremäße  Opposition  im  Geiste  der  Humauität  ^regen  ein  herr- 
schendes I'l)el  zu  ])etracht4in.  Demselben  ist  mittlerweile  gesteuert 
worden.  Die  mildere  iSitte  hat  die  Wucht  der  Streiche  mehr  und  mehr 
gemindert,  bis  in  unserer  Zeit  das  Gesetz  dem  Lebrer  die  Ruthe  ganz 
ans  der  Hand  genommen.  Aber  die  consequente  und  radieale  Durch- 
ffihmng  des  Humanitätspriucips,  ohne  ROcIoBicht  auf  die  thatsächliche 
Wirklichkeit  und  auf  gegebene  Verhftltnisse  bringt  mit  nichten  eine 
BrlQsnng  von  allem  ÜbeL  Bis  so  einer  gewissen  Reife  des  (Geistes, 
80  nrtbeilte  ein  weiser  Mann  eben  dieser  unserer  Zdt»  dem  yuü  pHda- 
^ogische  Erfahrung  zu  Gebote  stand,  liat  die  Erziehung  sich  haopt* 
sächlich  an  den  Kdrper  zu  halten.  Bas  war  im  Grunde  auch  Aschams 
Meinung:  ^Gott  verhüte,  dass  jeder  böse  Hang,  Unkensehheit,  Lflge, 
Stehlen,  Faulheit,  Eigensinn,  Widerspruch  und  Ungehorsam  anders  als 
durch  strenge,  tägliche  Bestrafung  beseitigt  werde."  Doch  will  er, 
wie  später  Ratich,  die  Erziehung  vom  eigentlichen  Unterricht  ganz 
trennen.  Er  greift  auf  eine  altröraische  Einrichtung,  die  ihm  aus  deu 
?>tiicken  des  Plantus  bekannt  g-eworden.  zurück  und  empfiehlt,  das  Amt 
ehies  Lehrers  (praeceptor)  von  demjenig-en  eines  Ki  ziehei-s  (paedagogus) 
zu  trennen.  Der  eine  sollte  den  Knaben  in  aller  Freundlichkeit  und 
Sanftmuth  leiiren  und  seinen  (leist  bilden,  dei"  andere  ihn  in  scharfer 
nnd  strenger  Zucht  halten,  und  über  beiden  noch  die  Aut<>rität  des 
Vaters  stehen,  als  des  obersten  Leiters  der  ganzen  Erziehunff. 

Die  Durchtuhruiig  des  Gedankens,  der  bei  Locke  in  ahnlicher 
Form  wiederkehi-t,  ist  schon  beim  Privatunterricht  an  eine  ganze  Reihe 
Ton  Yotbedingungen  geknüpft,  die  sich  nur  selten  vereinigt  finden. 
Bei  den  den  Commonschools  zur  Erziehung  anvertrauten  Knaben  liegt 
seine  Undurchf&hrbariEeit  auf  der  Hand.  Das  erkannte  anch  Ascbam 
sehr  wol:  „Wenn  heutzutage  der  Schulmeister  sowol  praec^tor  als 
anch  paedagogns  sehi  mnss,  so  wfinsche  ich,  dass  er  nicht  beide  Stel- 
lungen ineinander  vermenge,  sondern  deren  Pflichten  so  ventAndig 
erfUIe,  dass  auf  der  einen  Seite  der  Hang  anm  BOaen  nicht  migestraft 
bleibt  und  auf  der  andern  Freundlichkeit  beim  Unterricht  in  keiner 
Weise  versftumt  werde.  Er  wird  beiden  gerecht  werden,  wenn  er 
ihnen  in  verschiedenen  Zeiten  und  Oi*ten  nachkömmt,  indem  er  sich 
immer  einer  solchen  versttodigen  Mäßigung  befleifiigt,  dass  das  Schul- 


I 


üiyiiizeü  by  GoOgle 


—  490  — 

haus  iih  ein  Heiligthuui  gegen  Fuiclit  und  sehr  tüchtiges  Lernen  ab 
eine  cre\v(ihiiliche  Verzeihung  für  schlechte  Aufführung  erachtet  werde, 
wenn  das  Vergehen  an  sich  nicht  gar  zu  abscht^ulich  ist.** 

Einen  Lehrer,  der  einen  freundlichen  Charakter  besitzt  und  tiie 
rechte  Beschaffenheit  der  Natur  und  Beanlagung  seiner  Schüler  um- 
sichti}?  zu  erwägen  vermag,  der  matUoll  im  Strafen  und  zugleich 
tüchtig  und  anrcgeud  iui  Unterricht  i^t,  findet  mau  nicht  überall  und 
nieht  im  Handumdrehen.  Aber  wie  leichtsinnig  verfahren  die  Eltern 
meist  aach  bei  dieser  wichtigen  Wabl!  „Es  Ist  efa  Januner,"  klagt 
AflcluHii,  ndaes  die  Lente^  vat&r  ihnen  leider  andi  manche  sonst  recht 
yerstflndige  Menschen,  gfewOhnüch  yiel  besorgter  sind,  einen  geschick- 
ten Mann  Ar  ihre  Pferde  als  einen  t&chtigen  Lehrer  ftü*  ihre  Kinder 
ansflndig  xn  machen.  Sie  lengnen  dies  swar,  aber  in  Wirklichkeit 
handeln  sie  nicht  andere  Denn  dem  erstem  geben  sie  mit  Fronden 
ein  Gehalt  von  200  Kronentbalem  jährlich  nnd  gewahren  dem  letstem 
nnr  ungern  200  Schilling.  Gott,  der  da  im  Himmel  thront,  verlacht 
zornig  ihre  Wahl  nnd  belohnt  ihre  Freigebigkeit,  wie  sie  es  verdient; 
denn  er  lässt  es  geschehen,  dass  sie  folgsame  und  gut  dressirte  Pferde, 
aber  wilde,  missrathene  Kinder  haben,  und  so  finden  sie  schließlich 
auch  mehr  Vergnftgen  an  ihren  Pferden  als  Trost  und  Freude  an 
ihren  Kindern.** 

IT.  Die  Lehrfächer. 

„Gewisäse.  Wissenschaften-',  sagt  Asdiam,  ^.verderben  oft  awh  <rute 
Naturen,  sie  schärfen  den  Geist  der  Menschen  allzusehj-  im  i  iV'en 
einen  schlechten  Einfluss  auf  die  Sitten,  wenn  sie  nieht  maiiM-il  nai 
andern  zugleich  betrieben  wmlen  und  eine  weise  und  gute  Ver- 
wendung im  Leben  finden.**  Sehen  wir  zu,  wie  seine  pädagogische 
Wertschätzung  sich  anf  die  einseinen  Disdplinen  vertheilt 

Die  alten  Sprachen.  Das  bildende  Element  dersellien  ifaidet 
Ascham  nach  awei  Bichtnngen  hin  wirksam:  sie  schalen  nnsem  Geist 
dnrch  ihre  hohe  FormvoUendnng  nnd  erweitem  unsere  Kenntnisse  durch 
den  onvergleichlich  reichen  Inhalt  ihrer  Literatoren.  „Im  Griechischen 
nnd  Lateinischen  finden  wir  Weisheit  und  Beredsamkeit,  guten  Stof 
nnd  gute  Dantellnng  nie  oder  nur  selten  voneinander  getrennt  Denn 
alle  diejenigen  Schriftsteller,  welche  am  vollsten  sind  des  guten  Stoffes 
nnd  richtigen  Urtheils,  verstehen  es  auch  immer  am  besten,  sich  der 
passendsten  Worte,  der  jjresohicktesten  Satzbildung  nnd  des  klarsten 
und  vollkommensten  Ausdiueks  zu  bedienen."  Ihm  liegt  am  meisten 
an  diesem  bildenden,  den  Geist  zu  hohem  Fluge  antreibenden 


Digitized  by  Google 


—  491  — 


UuiLaiit^t'  mit  den  .. i  tsiKn  und  weisesten'*  iTHsellschaftern.  Nicht 
überall  war  da!iial>  suiche  verslandige  Ansicht  m  LTeitnng. 

Das  Streben  nacli  classiscliei-  Formvollendung:  in  eigenem  latei- 
nischen Stil  nnd  Ausdruck  überwog-  nur  zu  oft  das  Studium  und  die 
Wertschaizuiig  des  lulialtii  und  forderte  Caricaturen  wie  des  Eras- 
mus^ Nosoponas  zu  Tage.  Auch  die  besten  und  aufgeklärtesten  Schul- 
miiiiiar  des  IB.  Jiihriiiinderls  huldigten  dem  fiüschen  Ideale,  ihre 
SehlUo-  wie  Cicero  reden  nnd  schreiben  zu  lehren.  Unter  all  seinen 
pädagogischen  Triumphen  war  Stnrra  am 'stolzesten  darauf,  dass  er 
Plantus,  Terenz  und  i^cero  gleichsam  ans  der  Unterwelt  heraufbe- 
schworen hatte,  um  seine  SchQler  das  rechte  Latein  zn  lehren. 

Neben  solchem  Streben  konnte  dieHutterspraehe»  die  ^barbansche", 
nicht  sonderlich  gedeihen.  Bei  Sturm,  bei  Neander,  bei  Trotzendoif 
und  in  all'  den  zahlreichen  Schulen,  die  nach  ihrem  Muster  gegründet 
würdeu,  war  es  bei  Strafe  verboten,  anders  als  lateinisch  miteinuid«!' 
zu  reden.  Kein  deutsches  Wort  sollte  gehört  werden,  selbst  die 
Namen  wurden  geändert.  „Die  Muttersprache  verstummte,  und  es 
war  den  werdenden  Ciceronianern  eine  Schande  deutsch  zu  sprechen." 

Auch  Aschani  war  nicht  gleichgültig  ge-gen  die  Form;  erfreute 
er  sich  doch  selbst  eines  glänzenden  Rufes  als  feiner  lat(dniseher 
Stilist.  „Ihr,  die  ihr  kein  Gewicht  auf  den  Ausdruck,  sondern  nur 
auf  den  Inhalt  leg't  und  so  die  Zunge  vom  Herzen  trennt,  wisöt  gar 
nicht,  welclien  Schaden  ihr  der  Wissenschaft  zufügt!"  „Die  sind  nicht 
weise,  die  da  sagen:  was  liegt  mir  an  eines  Mannes  Worten  und 
Ausdrucki» weise,  wenn  der  Gegenstand  und  seine  Gründe  nur  gut 
sind.  Gute  und  ki-äftige  Speise  ist  für  gesunde  Leiber  nicht  erforder- 
licher, als  passende  und  geeignete  Worte  f&r  gute  Stoff»  nnd  schlichte 
und  Teratftndige  Ansdrucksweise  Ar  die  besten  und  gelehrtesten 
Gründe.**  Aber  er  mehit  doch,  wer  nur  das  Wissen  hat,  wird  die 
Worte  auch  schon  Ibiden.  Er  wfinschte  nicht,  dass  seine  SchfUer  wie 
Börner,  wie  Cicerones  reden  soUten,  sondern  so,  „dass  man  allezeit 
merkt,  das  Gehirn  regiere  die  Zunge  nnd  der  Verstand  leite  das  Ge- 
sprich. Unter  den  alten  Classikem  gibt  es  viele,  die  er  für  die 
reinsten  und  klarsten  Schriftsteller  hält,  die  je  in-  einer  Sprache 
schrieben,  nnd  fi^r  die  besten  Vorbüder,  ob  man  ihnen  nun  in  latei- 
nischer, italienischer  oder  englische  Sprache  naclieifei-n  wolle.  Wei* 
es  einem  Cicero  gleich  zu  machen  strebt,  brauche  dieses  weder  in 
unbedingt  ciceronianischeni  Latein,  noch  auch  in  einem  Englisch  mit 
ausländischer  Stellung  und  Bildung  der  Wörter  zn  thun.  Die  Tnii- 
tation  solle  nicht  nur  im  Griechischen  und  Lateinischen,  sondern  auch 

Pvdago^om.  i.  Jafarf.  Heft  VUI.  32 


t 


Digitized  by  Google 


—  492  — 

in  der  eigeiieu  .MiitteispiacUe  fürderu.  Klarheit  und  l)ui*chsicbtigkeit 
des  Stils,  Reichthuui  oder  Knappheit  des  Aiisdnicks,  die  Feinheit  der 
l»i8position  —  das  sei  nachzualiniful  daiaiit  habe  Cicero  seihst  es 
abgesehen  gehabt,  als  er  au  den  griechischen  Meistern  sich  herau- 
biidete  und  seiner  t  berrüUe  der  Sprache  Herr  zu  werden  suchte. 

Ascham  will  dorch  das  Latein  die  Muttersprache  nicht  ya^ 
drftngeu,  so  wenig  ine  einst  Cicero  in  Bora  das  Giieeklseiie  an  Stelle 
des  Latein  setzen  wollte.  FSr  ihn  haben  die  phiiologisdien  Studien 
dadorch  Tiehnehr  noch  einen  besonderen  Wert,  dasa  sich  ans  ihnen 
eine  segensreiche  F(trdening  nnd  Veredelnng  der  lebenden  «barbarischen^ 
i^radien  erhofEen  lieft.  Auf  eme  solche  Veredelnng  hininstreben  hielt 
er  ffir  die  Pflicht  ehies  jeden,  welches  Idiom  auch  immer  seine  Mut- 
tersprache sei  Kiemand  nnter  seinen  Zeitgenossen  hat  mehr  gethaa, 
dieser  Pflicht  gegen  die  Muttersprache  zu  genQgen,  als  er  selbst,  „döP 
Schöpfer  des  englischen  Prosastils,  der  ehrwürdige  Vater  der  eng- 
lischen Literatur."  Er  schrieb  wirklich  „englisch  fiir  Engländer**; 
er  und  seine  gelehrten  (  anibridger  Freunde  waren  es.  die  am  eifrig- 
sten die  Frage  erörterten  über  Mittel  und  Wege,  der  darniederli ehren- 
den Muttersprache  aufzuhelfen.  Sie  waren  keine  schlechiert-n  laT«^i- 
nischen  Stilisten,  als  man  sie  im  allfremeinen  anf  festläudiM;hen 
UnivcrsÜHten  und  Schulen  fand,  und  doeh  schrieben  sie  englisch  selbst 
über  gelehrte  I)inge.  Unter  ihnen  hcrrsclite  sogar  die  Ansicht,  ^da»^ 
unsere  englische  Sprache  der  richtigen  Quantität  der  Silben  und  der 
wahren  Versification  ebenso  fähig  ist,  wie  das  Griechische  oder  La- 
teinische, wenn  nur  ein  geschickter  Mann  sie  handhabt** 

Die  griechische  Sprache.  „So  wie  ein  Falke  mit  einem 
Flttgel  nicht  hoch  fliegt,  so  erreicht  eb  Mann  mit  einer  Sprache 
keinen  hohen  Grad  der  Vollkommenheit  Ja,  ich  gehe  noch  weiter 
und  behaupte,  dass  es,  wenn  auch  gerade  nicht  unmöglich,  so  doeh 
sehr  selten  nnd  wnndmrbar  schwierig  ist,  dass  jemand,  der  nicht  mit 
der  griechischen  Sprache  wol  yerixaut  ist,  in  der  lateonischen  Sprache 
sich  als  herTwragend  erweisen  kann."  Den  Beweis  für  diese  Be- 
hauptung sieht  Ascham  in  der  Tlmtsache,  dass  das  Latein  erst  seine 
volle  Ausbildung  erhielt,  nactidem  es  mit  dem  Griechischen  in  directe 
und  lebendij^e  Wechselwirkung  getreten  war,  und  dass  Cicero  selbst 
ei*st  der  vollendete  Spraehkünstler  wurde,  nachdem  er  das  Griechische 
erlernt  hatte.  Die  Bewunderer  (Mceros  nüissten,  so  meint  er,  auch  seinen 
Bilduncstj^ang  einschlagen,  wenn  sie  ihm  wii'klich  nachstreben  wollen. 

Das  (Triechische  er<»'']ifMnt  ihm  auch  deswesr^^n  s<-lir)n  von  unend- 
licher Bedeutung,  weil  last  ausschließlich  in  dieser  Sprache  alle 


Digitized  by  Google 


—  493  — 


■wahieu  (Quellen  unseres  Wissens  geschrieben  seien  und  die  vorzügf- 
lichsteii  Mittel  für  unsere  Geistesbildung  nur  durch  sie  erworben 
vrei'den  könnten.  ,X;icero  allein  und  noch  ein  oder  zwei  andeie  La- 
teiner ausgenümmeu,  besteht  die  ganze  rümische  Literatur  und  Weis- 
heit —  und  mit  ihi*  die  italienische,  spanische,  französische,  deut.<che 
und  englische  —  doch  nur  ans  zusammengeflickten  Fetzen  nnd  Lappen 
im  Vergleich  mit  jenen  sehOnen,  feingewebten  griechischen  Pracht- 
taehern.  Und  wahrlieh,  wenn  etwas  Gntee  an  ihnen  ist,  so  ist  es 
Ton  einem  jener  ehrwttrdigen  Geister  Athens  gelernt,  geboi^,  ge- 
stohlen!** — 

Die  neueren  Sprachen.  Ascham  lobt  die  Kenntnis  fremder 
{lebender)  Sprachen,  namentlich  der  italienischen,  die  er  nftehst  dem 

Griechischen  und  dem  Latein  am  meiste  liebt  und  vor  allen  sch&tzt. 
EtT  hatte  sie  während  seines  Aufenthalts  am  Hofe  Karls  V.  in  mebiv 
Jährigem  Verkehr  mit  den  vielen  Italienern  in  des  Kaisers  Umgebung^ 
gelemt  Mit  der  italienischen  Literatur  ist  er  jedoch  so  wenig  zu- 
fiieden,  wie  mit  den  in  Italien  herrschenden  Sitten.  Wnl  hat  er  die 
Werke  Alachiavell's,  Boc^fi'  oio's,  Petrarca's  in  der  Originalsprache  ge- 
I«*.sen,  aber  er  erklärt  sie  tiir  ketzerisch  und  atheistisch,  für  feind 
jeder  positiven  Kelij2:ion  und  eifert  mächtig-  ^ej;en  ihre  FHersetzunii^ 
ins  Englische.  Durch  ihre  zersetzende  Tendenz  zerstTiren  sie  nach 
ihm  die  protestÄntische  tUmrzeuf^nns-,  verwischen  tiii-  wenig  charakter- 
feste Mensehen  durch  ihre  laxe  Moral  den  Unterschied  zwischen  gut 
und  büse  und  arbeiten  dadui'ch  dem  Xatkolicismus  in  die  Hände,  auf 
dessen  Parteigänger  Ascham  die  Flut  von  Übersetzungen,  die  gerade 
damals  den  Markt  ttberschwemmten,  mrackzalQhmi  geneigt  ist  »Zehn 
Bacher  wie  der  If orte  Arthur  richten  nicht  den  sehnten  TheU  des 
^Schadens  an,  den  diese  Bücher  thon,  die  in  Italien  gesdirieben  and 
in  Englaad  flbersetst  werden  . . .  ICehr  Papisten  werden  dorch  diese 
fldilflpfrigen  B&cher  geworben,  als  dorch  alle  fmatischen  Schriften 
ans  LOwen."  Strich  Ascham  aber  MacfaiaTell,  Boccaccio  nnd  Petrarca 
ans  der  italienischen  Literatur,  wen  wollte  er  da  zurücklassen? 

Weniger  begeistert  war  er  fttr  das  Deutsche.  Er  hatte  auch 
dieses  während  seiner  Reise  begonnen,  aber  nicht  mit  derselben  Energie 
-v^'ie  das  Italienische  betrieben.  Von  seinen  deutschen  Freunden,  den 
8turm,  Wolf,  Sleideni  wird  ihm  dazu  auch  nur  weni»-  Anregung  ge- 
kommen sein.  Die  glänzten  lieber  als  Lateiner.  ,Jn  der  italienischen 
Sprache  bin  ich  jetzt  recht  gewandt,  aber  sicherlich  trinke  ich  auf 
deutsch  besser,  als  ich  auf  deutsch  rede",  schi'eibt  er  einmal  von 
Augsburg  aus. 

82* 


Digitized  by  Google 


—  4M  — 


Geschichte.  Das  Studium  der  Geschichte,  sa^.  er,  führt  ein 
ausgezeichnetes  Wissen  nnd  ein  ruhige-s  Urtheil  herbei.  Dass  er  sich 
fcelb.st  auf  diesem  Gebiete  gi'üiidlich  umgethau  hatte,  zeigen  sein 
Toxophilos  und  die  Betrachtangen  aber  die  nothwendigen  Kigensfibaf- 
ten  eines  Geechichtachreibers,  die  er  als  Eänlcitmig  seiBem  Beport  of 
GemiAiiy  voaransehiekt,  einer  der  lebendigsten  imd  geistroUstea 
historisdieii  Skisaen,  die  wir  fllr  die  Zeit  Karls  V.  bedtceo. 

Das  Drama*  Die  Leetttre  von  Dramen,  snmal  den  elasrnschett» 
hAlt  Ascham  für  aoBerordentlidi  bildend.  „Die  TragMien'*,  sagt  er, 
„sind  der  treffliebste  Stoff  yon  allen  nnd  Ar  den  Gdebrten,  Ar  jedm 
Oebfldeten,  vertheilbaiter  als  Homer,  Pindar,  Vergili  Horas,  ja  sie 
sind  meiner  Meinung  nach  an  bildendem  Gehalt  nur  mit  dem  Werken 
eines  Aristoteles,  Plato  und  Xenophon  zu  wgleichen,**  „I>er  ganze  In- 
halt der  Komödien  nnd  Tragödien  ist  eine  yoUkommene  Imitation,  ein 
schönes  lebend^^  Gemälde  des  Lebens  in  seinen  mannigfachsten  Ge- 
sTaltnng"en."  —  Pas  Aufführen  von  Stücken,  das  lateinische  Lieb- 
<  rtheater,  welches  in  den  deut.schen  Schulen  diunals  einen  sr»  wesent- 
li'  h»  ii  Theil  des  Unterrichts  bildete,  berürk.siclitipl  Asdiain  in  seinem 
Lehrplan  gai"  nicht;  wahrscheinlich,  weil  sein  SclK>olnia>ier  »  in  Privat- 
erzieher, kein  Vorsteher  einer  üfientlichen  Aii^iali  mit  giulieier  ^cliii- 
lerzahl  war.  Zu  seiner  Zeit  waren  in  Cambridge  oft  Schauspiele  auf- 
geführt AM)rden,  classische  und  neuere.  Ob  ex  selbst  daran  theilge- 
nommeu,  eriahreu  wir  nicht,  auch  nicht,  wie  er  eigentlich  über  den 
pädagogischen  Wert  dieser  Veranstaltungen  dachte.  Baco  empfiehlt 
sie,  weil  sie  Sicherlieit  des  Auftretens  nnd  Stftrknng  des  GedAchtnisses 
brüigen  \  aber  Ascliam  sagt:  „Eitle  Schauspiele,  die  den  Geist  entsOdran, 
wirken  Uüimend  anf  den  Willen  nnd  haben  einen  verdetbliehen  ESnflnss." 

Mathematik.  »Manche  Köpfe,  die  von  Natnr  ans  maftvoll  sind, 
werden  oft  dnrch  allzu  eifriges  Stadium  gewisser  Wissenschafken,  nim- 
lich  der  Musik,  ArWimetik  und  Geometrie  yerdorben.  So  wie  dkse 
Wissenschaften  den  Geist  der  Menschen  allsosebr  sehirfen,  so  i^ben 
sie  auch  einen  schlechten  Einfluss  auf  die  Sitten  aus,  wenn  sie  nicht 
maßvoll  mit  andern  zugleich  betrieben  werden  und  eine  weise  nnd 
gute  Verwendung  im  Leben  finden.  Betrachtet  nur  alle  solche  ma- 
tliematischen  Köpfe,  die  sich  einzig  und  allein  diesen  Wissenschaften 
ergreben  haben:  wie  einsam  stehen  sie  da,  wie  uiitaug-lich  sind  sie 
zum  Verkeltr  mit  anileni.  wit»  iinffeeiffuet  in  der  Welt  sich  nützlich 
zu  machen!  l»as  wird  nicht  nur  durch  die  heutige  Erfahrung  bestätigt, 
^^uHiiern  ist  schon  vor  langer  Zeit  durch  das  Urtheil  weiser  M&nner 
festgestellt  worden." 


Digitized  by  Google 


—  496  — 


Rirhard  Mulcaster  erhebt  sich  in  spinf-r  englischen  Sprachlehre 
mit  einer  j(ewissen  Krliitieruiig  gegen  die.^*  ii  Ausspruch.  Er  wirft 
Aschaiu  dabei  vor,  dass  er  „die  mathematisciien  Wissenschaften  nie 
des  Stndinms  für  wert  fehalten  liabe",  und  wundert  sich,  „wie  der 
doch  master  not  of  art  but  of  urica  »  lui  lliat  is  tlie  name!)  werden 
konnte,  which  has  not  studied  them  ear  lie  proceeded.*'  D&s^  die  * 
früheren  Biographen  Aacham  bei  solchen  Ansichten  zum  Professor 
der  Mathematik  in  Cambridge  machten,  bemht  auf  einer  Ver- 
wechselnng  mit  seinem  Bmder  Anthoiqri  mit  dem  er,  wie  schon  allein 
das  obige  Gitat  etUftriich  macht,  nicht  im  besten  Einvernehmen  lebte. 

Hnsik.  Ascham  verwirft  sie  ganz:  „Ich  habe  geftmden'',  sagt 
«r,  ,dass  Flato  nnd  Aristoteles  in  ihren  BQchem,  die  Uber  das  Staats* 
•wol  handeln,  für  die  Ernehnng  der  Kinder  Tomehmlich  vier  Dinge 
empfehlen:  Lesen,  Schreiben,  Gymnastik  and  Gesang.  Bei  der  Ge- 
legenheit verbreiten  sie  sich  weiter  über  das  Wesen  der  Musik,  nnd 
beide  kommen  zu  dem  Schlnss,  dass  jene  Art,  die  von  den  Lydieru 
geftbt  wird,  sehr  schlecht  auf  jnnge  Leute  wirke,  die  sich  der  Tugend  - 
and  den  Wissenschaften  weihen  wollen.  In  ihr  liege  eine  weichliche, 
lockernde  und  verfilhrerische  Sanftheit,  die  eher  auf  Irrwege  führe, 
denn  zur  Tugen  l  anleite.  Eine  andere  Art  Musik,  die  die  Dorier 
ausbildeten,  wird  dagejzfen  von  beiden  anfs  höchste  e-erühmt.  Die 
emplehlen  sie  als  höclist  geeignet  für  die  Erziehung  der  Jugend  zu 
'l'ugend  und  VS  eisheit,  weil  sie  kraftvoU,  ungestüm  und  kühn  töne, 
die  jugendlichen  Gemttther  mit  mannhaftem  Math  erfülle  und  zu 
kühner  That  antreibe.  Ob  nun  unsere  Balladen  und  Rundgesäuge, 
our  hallads  aud  roundä,  these  galiards,  pavaues  and  dances  so  nicely 
fingered,  so  sweetly  tuned,  mehr  der  Mnsik  der  Dorier  oder  jener  der 
lijrdier  gleichen,  wird  keinmn  Unbefangenen  lange  sweiftlhafi  sein. 
Wie  aber  anch  immer  die  Antwort  analen  mag,  so  bin  ich  sieher, 
dass  alle  diese  Instrumente:  Intes,  harps,  all  manner  of  pipes^  barba- 
tons»  sambnkes  with  other  instmments,  everj  one  which  standeth  by 
flne  and  qnick  fingering,  von  Aristoteles  verurtheüt  werden  aU  solche, 
die  nicht  erlernt  nnd  nicht  benfttst  werden  sollen  von  denen,  die  nach 
Weisheit  nnd  Tog^d  streben." 

Ascham  dtirt  anch  Galens  Wort:  Viel  Musik  verdirbt  die  Sitten 
der  Menschen.  „Mancher  mag  nun  dem  widersprechen  und  sagen: 
Mnsik  erfrischt  und  erfreut  vielmehr  das  Gemüth.  Ich  meinerseits 
meine,  sie  wirkt  wie  Honig  im  Magen:  Anfoncrs  behagt  er  wol, 
aber  bald  verträgt  man  weder  einen  tüchtigen,  nahrhaften  Bissen 
Fleisdi  noch  einen  kräftigen  Trunk  mehr.  In  gleicher  Weise  machen 


Digitized  by  Google 


—  496  — 


(lieae  Instniraente  den  Geist  nachgiebig  und  weich,  empändsÄm  und 
schlaff,  so  <lnss  er  zn  hartf  r.  angespannter  Arbeit  nnfähig  wiid.  Er 
wird  dnrch  dieses  sanfte  Gedudel  nicht  geM  harli.  sondern  entnervt, 
entmannt  und  abgestumpft,  wie  eine  schaife  Schneide  stumpf  wird, 
wenn  man  damit  Uber  den  weicheii  8ehleUMein  fSkrt" 

Gesang.  Desto  nadidi&eUieher  tritt  Aschain  ftr  da^  Oeaang 
ein.  Sowol  im  Toxopbilas  ab  im  Setioolmaster  weilt  er  auf  die  gro6e 
pädagopsehe  Bedeutang  desaelben  hin  nnd  dringt  dantnf,  dass  nuui 
üin  in  den  Schulen  weit  eifriger  pflege.  „Wenn  von  denen,  die  nea 
ZOT  Universitftt  kommen,  einer  zn  singen  gelenit  hat,  so  yerstehea 
sechs  in  der  Begel  nichts  daTon^  klagt  er  sfimend.  „Die  Natnr  hat 
uns  die  Oabe  des  Gesanges  doch  nicht  verliehen,  damit  wir  sie  nnbe- 
Tiut/.t  liegen  lassen,  sondern  damit  wir  sie  ttben  nnd  uns  ihrer  erfreuen/ 
,,Mil«  li  ist  nicht  wichtiger  zur  Erziehnng"  \on  Kindern  als  Gesang.^ 

Leibesübungen.  Ascham  will  nicht,  dass  seine  Schüler  immer 
über  den  Bücheni  liegen.  Dnrch  die  Studien  sollen  sie  weder  der 
nöthigen  Erholungen  noch  dei-  erlaubten  Verjniügungen  verluiJtijj; 
gehen.  Er  ist  kein  Feind  von  munteren),  lustigem  Wesen,  wofern  es 
sich  nur  innerlialli  ier  (Frenzen  von  rie^jetz  und  Sitte  hält.  Ei'  will 
sogai"  ein  Buch  schreiben:  Über  alle  Arten  der  für  einen  Gentleman 
l)assenden  Vergnügungen  und  Übungen,  die  mit  künterliolier  An- 
strengung verbunden,  im  Freien  und  bei  Tage  vorgenörnmen  werden 
und  entweder  eine  Yorl)ereitung  zum  Kriege  oder  eine  angenehme 
Kurzweil  für  den  Frieden  bilden.  Der  Zeitverti*eib,  sagt  er  mit  Ari- 
stoteles, soll  wie  eine  Medicin  sein,  Hedicin  aber  whrkt  dnrch  dm 
Gegensatz.  Ffkr  die  Gelehrten  werden  daher,  weil  sie  viel  sitieo, 
znnSchst  die  Obongen  in  Betracht  kommen,  die  den  ganzen  Körper 
in  Bewegung  bringen.  Das  Fkvitomen  verwirit  er  als  nicht  mehr 
passend  fOr  einen  Jünger  der  Wissenschaften;  solche  fihimgen  mögen 
für  den  Köiper  anch  ganz  gesund  sein,  aber  sie  abid  kindiadi  mid 
vermögen  den  Geist  nicht  anzuregen.  Kegel  nnd  Ballspiel  bringen 
an  heftige  nnd  gewaltsame  Bewegungen  mit  sich  und  föhren  leicht 
anf  Abwege.  Bloße  Spaziergänge  über  Land  tragen  kein  Merkzeichen 
von  Math  und  Kraft  in  sich.  Am  passendsten  Undet  er  das  Reiten 
und  das  Bogenscliießen.  Im  letzteren  war  er  selbst  Meist«r.  Durch 
Wort  und  Schrift  hat  er  es  sich  ang-elegen  sein  lasseu.  dieser  Kunst 
neue  Anhänger  zu  werben,  sie  besonders  unter  der  Jugend  populär 
zn  machen.  Der  Vortheü  der  ritterlichen  und  Leibe!?ftbungen  liegt 
nicht  allein  darin.  'l8ss  sie  den  K()ji)er  eesund,  den  Geist  Msch  er- 
halten und  gewissermaßen  eine  Vorschule  sind  ftii-  die  kriegerischen 


Digitized  by 


—  497  — 


Leistuugeii,  die  das  N  atirlaud  If  reinst  vielleicht  vou  dem  herau- 
wachsendeii  Bürger  verlangt.  Sie  isind  auch  der  beste  Schutz,  das 
beste  Gegeugewicht  gegen  Karten-  und  Wiirtelspiel,  die  (Quelle  un- 
zähliger Übel,  gegen  alles  Thun,  das  sich  scheu  in  die  Winkel  drückt 
und  das  licht  der  lieben  Sonne  schent.  — 

Beiaen*  Im  ganzen  hat  Ascham  Dichta  dagegen,  dass  die  eng* 
ÜBche  Jugend  ,,diireh  Stndiam  mid  Belsen"  flire  Weltanscbannng  zu 
erweitem  sncbe.  Er  achätst  weder  das  Wiaaeo,  das  man  dcih  in  frem- 
den LSndem  aneignen,  noch  die  Eilahrong,  die  man  dort  sammeln 
kann,  gering,  lüt  ganz  besonderem  Emst  and  Eifer  erklärt  er  sich 
aber  gegen  die  damals  fiUieken  Stndi^ireisen  nadi  Italien,  besonders 
in  einem  Alter,  wo  der  Charakter  noch  lange  nicht  genug  gefestet  ist, 
nm  den  großen,  Leib  ond  Seele  drohenden  Gefahren  erfolgreich  Wider- 
stand zu  leisten.  Das  üppigt;,  leichtfertige  Leben  in  den  italienischen 
Städten,  die  verführerischen  Künste  der  glutäugigen  Ciicen,  die  zer- 
setzenden Tendenzen  de?;  italienischen  Humanismus,  der  hochfahrende 
anmaßende  Geist  der  italienischen  Gelehrsamkeit  und  das  wüste  Par- 
teitreiben lind  Factionswesen ,  alles  <la^  stelle  den  nordischen  Gästen 
NVue,  denen  nur  wenige  zu  entgelieii  wussieii,  in  welchen  die  meisten 
in  der  einen  oder  in  der  andern  W  eise  sich  hngen.  Dann  kehrten 
sie  heim  mit  leeren  Köpfen,  verödeten  Herzen,  als  iievoiutionäre, 
Papisten  oder  Atheisten! 

Ascham  steht  mit  seinem  scharfen  Tadel  der  verderblichen  Studien- 
reisen nach  Italien  keineswegs  vereinzelt  da.  Wenige  Jahre  nach  ihm 
eiftm  Jobn  Lyly  in  seinem  Enphues,  Hsehof  Hall  in  seinen  Satyrmi 
und  noch  sp&ter  John  Locke  in  ebenso  nachdrücklicher  Weise  gegen 
diese  Untergrabung  guter  englischer  Sitte.  Ein  Jahr  lang  das  Casti* 
glione  Cortegiano  anfinerksam  lesen,  hfllt  er  Ar  zuträglicher  nnd  bilden- 
der als  drei  Jahre  aof  Belsen  in  Italien  verbringen.  Will  oder  mnss 
man  aber  reisen,  so  empfiehlt  er  Bentschland,  »wo  Christi  Lehre,  die 
Oottesfnreht,  die  Bestrafung  der  Sünde  und  die  Zucht  der  Ehrbarkeit 
in  besonderem  Ansehn  stehen." 

III.  Der  Schoolmaster. 

Der  Titel  von  Asdiams  Hauptwerk  vei-spricht  eine  neue  ,.ein- 
tache  und  vollkommene  ^Methode,  Kindern  die  lateinische  Sprache  ver- 
stehen, ^'clireiben  nnd  «j«rf'clien  zu  lehren". 

Et  hatte  genug  Vir^l- nliMit  -ehabt,  praktische  Ei  faliinugeu  auf 
tlieseni  Gebiete  zu  sammeln.  Selbst  noch  Schüler,  hatte  er  bereits 
eine  rege  pädagogische  Thätigkeit  entwickelt,  indem  er  das  eben 


Digitized  by  Google 


—  408  — 


Gelernte  jüngeren  und  schwächeren  Kanieradeü  wieder  vermiltelie.  Als 
Tut  Ol-  hatt«  er  dann  im  Laiile  der  Jahre  eine  j^anze  Reihe  tüchtiger 
Gelehrten  in  Cambridge  herangebihlet  und  die  an  ihnen  gemachten 
Beobachtangen  au  der  Königin  Elii^abeth  in  glänzendster  W  ehe  ver- 
wertet Schon  früh  trag  er  sich  mit  dem  Oedanken,  die  von  der 
gewöhnlicheii  Kethode  abweiclieiidea  GhnmfiBätze,  nach  denen  er  die 
alten  Sprachen  gelehrt  hatte,  dorch  efaie  popnllre  DarsteUong  noch 
weiteren  KreiMn  mgftnglidi  an  machen. 

Am  Abend  seines  Lebens,  nachdem  seine  Erfahnmgen  sich  durch 
viele  Jalu'e  gefestigt  und  ei*weitert  hatten,  schritt  er  au  die  Au>idh- 
rung  des  Werkes.  Er  hoffte  sich  damit  ein  Verdienst  am  sein  Vater- 
land za  erweiben.  Wir  wissen,  wie  hoch  er  den  Wert  der  Bildung 
anschlag;  die  Art  aber,  wie  sie  in  den  Scholen  den  armen  Kindern 
beigebracht  wnrde»  ersdiien  ihm  mehr  als  jftmmerlich. 

Es  ist  ein  langes  Sündenregister,  das  er  gegen  die  alte  Methode 
iur>  h'f.ld  lulirt.  Man  lerne  alles  auswendig,  aber  so,  dass  alle  Kennt- 
nisse den  Knaben  nm*  in  Zunge  und  Lippen  gebunden  blieben;  nie 
Stiegen  sie  bis  zum  Hirn  and  in  den  Kopf  and  wfitdoi  daher  bald 
wieder  ans  dem  Monde  ansgespackt  Die  Regeüi  lerne  man  allein  für 
sich  nnd  ohne  sie  an  Beispielen  zn  fiben;  die  Autoren  würden  ftfanlich 
getrennt  von  der  Grammatik  behandelt  Weder  wQide  genug  ge- 
schrieben, noch  Yonittnftig  fibersetat,  und  doch  bildeten  gmde  die 
schrifUiehen  Arbdten  das  Fundament  des  rechten  Unterrichts.  Ascfaam 
nennt  diese  Methode  ermfldend  för  den  Lehrer,  schwierig  für  den 
Schüler  und  trocken  und  unbequem  für  beide.  Der  Geist  stumpfe  ab, 
alle  Lust  am  Lernen  gehe  verloren,  da  bei  aller  Mühe  nichts  Rechtee 
herauskomme.  Denn  weder  lerne  der  SchOler  die  Worte  richtig  wählen 
und  stellen,  noch  gute  Sätze  bilden;  er  eigne  sich  vielmehr  ein  falsches 
Urtheil  über  Worte  und  Sätze  an,  und  das  sei  ein  Felder,  der  wenn 
eingewurzelt,  nur  äußerst  schwierifr  zu  beseitijren  sei.  Zu  all  dem 
kommen  die  vi»'1eu  verkehrten  Lehibüchei-,  dip  eingeführt  word»^n  seien, 
und  die  dem  öchüler  jahi'elang  den  Weg  zu  den  echten  (Quellen  vei'- 
sperrten. 

Dem  setzt  nun  Ascham  seine  neue  Methode  „der  doppelten  Vher- 
setzung**  entgegen.  „Unserer  Ansicht  nach",  sagt  er,  „eignet  man  sich 
jede  Sprache,  sowol  die  g'elehrten  als  auch  die  Muttersprache,  duich 
Nachahmung  an.  Wie  man  reden  liört,  so  redet  man  auch.'*  l)er 
küi'zest«  und  beste  Weg.  die  lateiniscln  S|>rache  zu  erlernen,  wäre 
daher  das  tägliche  and  beständige  Lateinsprec-hen.  Abei*  diese  ^Sprache 


Digitized  by  Google 


—  499  — 


ist  aus  dem  Verkehr  gfsfliwiimlen  nnr!  nur  noch  iu  Büchern  ent- 
halten. Sie  kann  daher  nicUt  mehi*  mimdlicli,  sie  mass  schiiMch  erlernt 
werden. 

Der  Nutzen  von  L  bersetzungen  ist  von  altersher  bekannt;  aucli 
in  den  Lateinschulen  werden  sie  sehr  zui  (|>ual  der  Schüler  auge- 
fertipt.  Aber  weil  es  keine  doppelte  ITbersetzuni^en  sind,  können  sie 
iui  Ijesten  FaUe  auch  nur  einfieichen  Nutzen  bringen,  der  noch  dadurch 
verringeit  wird,  dass  nicht  täglich  geschrieben  wird,  wodurch  sich 
doch  das  Verständnis  vertieft  und  das  Qedftchtnis  schürft. 

Die  doppelte  Übersetzung  erkl&rt  er,  wenn  nicht  Ar  den  einzigen, 
90  jeden&Us  Ar  den  geeignetsten  Weg  zni*  raschen  nnd  voUkommenen 
£rleraang  einer  Sprache.  Bei  fleüUger  Ühnng  werden  die  Sebfller 
sich  bald  durch  passende  Wahl  der  Worte,  dnrdi  gewandte  Bildung 
der  Sätze  nnd  durch  ein  richtiges  Gefühl  für  Stil  nnd  Sprodie  Tor- 
theilhaft  Tor  anderen  anszeichnen.  „Ich  wage  zn  wetten,  dass  wenn 
ein  Schüler,  welcher  Anlage.  Liebe,  Fleiß  und  Ansdaner  besitzt,  nach 
dieser  Methode  nur  ein  kleines  Buch  des  Cicero  nebst  ein  paar 
Briefen  übersetzen  wollte,  er  eine  bessere  Kenntnis  der  lateinischen 
Sprache  sich  aneignen  würde,  als  die  meisten  dei^enigen,  die  4  bis 
5  Jahre  damit  verbringen,  alle  Begeln  der  Qranunatik  in  den  Latein« 
schulen  NviefhM-ziikäuen. 

Di>  di)[H)(  Ite  l  bersetzung.  Worin  besteht  denn  nun  lüese 
geprie>»  iie  neue  Lelu  weise? 

..Wenn  der  Knabe",  so  beginnt  Ascbam,  „die  acht  lledetlieile  voll- 
kommen inne  liat,  soll  er  die  Substantiva  mit  den  Adjectiven,  das 
Nomen  mit  dem  Verbum,  da,s  Relativum  mit  dem  Antecedens  richtig 
verbinden  lernen."  Auf  die  Ai  t,  wie  dieser  grammatische  An&ngs« 
Unterricht  zu  ertheüen  sei,  gebt  Ascham  leider  nicht  nfther  ein.  Aber 
eben  diese  Anfibige  stand  ee>  die  Lehrern  nnd  Schölem  am  meisten 
zn  schaiRBn  machen,  nnd  Dir  die  wol  ancb  die  meisten  Schlüge  fielen* 

Nach  Einttbmig  der  Formenlehre  soll  der  Lehrer  nldit  erst  mit 
den  in  Scbnlen  Ablieben  Anleitnngai  zun  Übersetzen  ins  Lateuiische 
Zeit  verlieren,  sondern  sogleich  die  dassiker  znr  Hand  nehmen.  Der 
Anihng  wird  mit  deeroe  Briefen  gemacht,  wie  sie  von  Stnrm  mit 
Bficksicht  auf  die  Fassungskraft  der  Kinder  ansgewählt  und  heraus- 
gegeben sind.  Der  Lehrer  bespricht  zuerst  in  sorgfältiger  und  ver. 
ständlicher  Weise  Veranlassung  und  Inhalt  des  Briefes,  dann  übersetzt 
er  ihn  Wort  für  Wort  ins  Englische  und  zwar  so  oft,  bis  der  Schüler 
ihn  vollständig:  verstanden  hat;  den  Schlnss  macht  eine  gründliche 
grammatische  Analyse.  Ist  der  Lehrer  so  weit,  so  beginnt  der 


Digitized  by  Google 


—  600  — 


Scliüler;  er  übersetzt,  niul  aiialysirt  mm  ji^merseits  das  Peusuni  laug-sam 
und  mit  Bedacht,  so  dass  sic)i  zeigen  muss,  ob  er  all'  das  eben  (jelinrte 
richtig  vei-standen  uud  khu  tifasst  hat.  Darauf  soll  er  eiii  llt-ft 
nehmen  uud  allein  und  ohne  Beihilfe  das  so  duixhgenomiuene  Stück 
ins  Englische  überaetzen. 

Naelidem  hierauf  der  Lehrer  es  dnrchgeeehen  hat,  sei  es  nvn 
indem  er  ein  Wort  vergessen  oder  ein  nnrichtigee  gebraacht  oder  sich 
emer  falschen  Wortstellnng  bedient  hat,  so  mOchte  idi  doch  nicht 
wünschen,  dass  der  Lehrer  ihm  ein  finsteres  Gesicht  mache  oder  ihn 
gar  schelte,  wenn  er  nur  seine  Sehnldigkeit  gethan  und  nicht  ge- 
fiudenzt  hat»  d^  ich  weifi  ans  Eir&hmng,  dass  ein  Schüler  ans  zwei 
Fehlem,  auf  die  er  freundlich  anfineiksam  gemacht  wird,  mehr  Vor- 
theil  aieht,  als  aas  vier  Dingen,  die  er  richtig  getroffen  hat.  Der 
Lehrer  soll  ihm  sagen:  Cicero  würde  dieses  oder  jenes  Wort  ge- 
brauclit  haben;  er  würde  dieses  Wort  hier  und  nicht  dort  hingestellt 
haben,  würde  diesen  Casus,  diesen  Numerus,  diese  Person,  diesen 
Steigeningsgrad,  dieses  Genus,  diesen  Modus  oder  dieses  Tempus  an- 
gewandt haben  und  zwar  hier  lieber  eine  einfache  als  eine  zusamnit-n- 
«rest  tzte  Zeitform;  dem  Adverb  würde  er  liier  und  nicht  dort  seinen 
PlatÄ  augewiesen,  und  den  8atz  mit  diesem  Verb  und  nicht  mit  jenem 
Nomen  oder  T'articipium  geschlossen  haben." 

Ascham  nennt  dies  den  langweilig^sten  Theil  der  (Tranmiatik,  den 
aber,  nach  seiner  Methode  behandelt,  der  Lelu-er  ulme  große  Fehler 
lehren,  der  Schüler  ohne  große  Mühe  lernen  wird,  indem  der  Lehrer 
einen  so  sicheren  Führer  an  seiner  Seite,  der  Sdifller  ehien  so  ein- 
fachen nnd  leichten  Weg  vor  sich  hat  «Und  deshalb  veraditen  wir 
die  Regehl  doch  nicht,  sondern  lehren  sie  mit  Vergnügen,  weU  wir 
sie  einfuher,  TemflnfÜger  nnd  richtiger  Idiren,  als  dieses  zumeist  in 
den  Öffentlichen  Schnlen  geschieht  Denn  wenn  der  Lehrer  den  Cicero 
mit  der  Übersetaing  sdnee  Sdilllers  vergleicht^  so  soll  er  den  Schftter 
anleiten  und  lehren,  die  Regeln  seiner  Grammatik  mit  den  Beii^ielen 
in  der  jeweilit^^en  Aufgabe  in  Verbindung  zu  bringen,  bis  er  imstande 
ist,  jede  auf  dieselbe  bezügliche  Regel  selbst  in  seiner  Grammatik  an 
linden,  so  dass  die  Grammatik  stets  in  des  Sdiülers  Hand  ist  und  von 
ihm  ebenso  wie  das  Lexikon  für  jeden  vorkommenden  Fall  benützt  wird.** 

In  der  vorf^^escliri ebenen  Weise  soll  fortgefahren  werden,  bis  das 
erste  Buch  der  von  simm  ausgewiUilten  Briefe  Ciceros  und  ein  tüch- 
tiges Stück  aus  einer  Komödie  des  Terenz  gelesen  und  venirbeitet  ist. 

Aschanis  Forderung,  das  Gelesene  dem  Schüler  Wort  tui-  Wort 
ins  Englisclie  voi'zuübersetzen,  findet  sich  in  Ratichs  und  Locke's 


Digitized  by  Google 


—   601  — 


luterünearversioueu  wieder.  Sie  empfeblen  aber  nui*  ein  wiederholtes 
Abschreiben  des  Pensinns.  nicht  wie  Ascham  eine  doppelte  Ubersetzung. 
Auch  dasidie  Rejrelii  nur  ullinahlich  aus  dem  Gelesenen  entwickelt 
.  werden,  erinnert  an  die  beiden  eben  genannten  Methodiker.  Doch 
tritt  hier  ein  zweiter  charakteristiflcher  Unterschied  hervor.  Ascham 
hegiimt  mit  der  lateinischeii  Formeiilefaie  und  verlangt,  dBSs  die  Gram* 
jnatik  stets  in  des  Schmers  Baad  sei,  wahrend  jene  mit  ihr  erst  eui- 
setsen  woOen,  ureim  der  Knahe  schon  einen  gewissen  Grad  Ton  Fer- 
tigkeit im  Sinechen  erlangt  hat,  da  die  Begeln  ans  der  Sprache,  nicht 
diese  aas  jener  hervorgegangen  sei  Am  meisten  entspricht  Asefaams 
ICethode  noch,  wenigstens  in  diesen  Punkten,  der  rielnmstrittenen 
Knthardtischen. 

In  welcher  Weise  er  jedoch  beim  Unterricht  die  Grammatik  be- 
nntzte,  ist  mir  ans  seinen  obigen  Aoslassongen  nicht  y511ig  klar  ge- 
worden. Offenbar  spriclit  er  von  einem  besonderen  grammatischen 
Lehrbuche,  das  sich  in  den  Händen  seines  Schülers  befand,  mit  dem 
dieser  die  aus  dem  gelesenen  Texte  abgeleiteten  Regeln  stets  verglich  mv\ 
daf  er  wie  ein  Lexikon  gebrauchen  lernte.  Weit(  r  unten  aber  tüiirt 
er  als  ein  glänzendes  Beispiel  seiner  Methode  di'  Konigin  Elisabeth 
an,  „welche,  nachdem  sie  das  Substantiv  üeciinireu  und  das  Verbuin 
conjugiren  gelernt  hatte,  nie  wieder  eine  griechische  oder  lateimsclie 
Grammatik  in  die  Hand  nahm."  hat  sie  sich  die  gefundenen 

Regeln  doch  wol  selbst  aufzeichnen  nuii^sen?  Aber  in  welchem  Zu- 
sammeuhaug?  Sollten  sich  die  grammatischen  Excurse  doch  lediglich 
an  die  zoMig  vorliegende  Textstelle  knüpfen!  Dedination  nnd  Oon- 
jngation  sah  flbrigens  aadi  Locke  ab  intsgrirende  Bestandtheile  des 
allerersten  Unterrichtes  an. 

Von  ihm  nnd  Batich  nnd  deren  neueren  Nachfolgern  unter- 
scheidet sich  Ascham  noch  wesentUdi  dadurch,  dass  er  filr  diese 
gaitfe  erste  Unterrichtsperiode  das  Lateins  prechen  als  schftdich  Ter^ 
wirft  Da  die  Kinder  in  der  richtigen  Wahl  und  Benntznng  der 
einzelnen  Worte  und  Wendungen  noch  unsicher  sind,  gewöhnen  sie 
•  sieh  an  ein  Kandwwälsch,  das  später  nur  schwer  abgelegt  werden 
kann.  Er  weist  sehr  richtig  auf  den  Unterschied  zwischen  einer 
lebenden  und  einer  todten  Sprache  hin.  £r  bezieht  sich  dabei  auf 
ein  Wort  Ciceros:  loqnendo  male  loqui  discnnt.  Dass  Schüler  bei 
Tisch  und  im  Verkeln-  unter  sich  Latein  sprechen,  vei-wirft  er  durch- 
ans,  .Dies  i^t  nur  bloßer  Schein,  keine  Wahrheit,  wenn  es  nicht  gar 
deswegen  gt-  hitht.  um  keck  ohne  Scliam,  voreilig  ohne  Kenntnisse 
und  geschwätzig  ohne  Vei-stand  zu  sein.*"    Nur  unter  Aufsicht  dürfe 


Digitized  by  Google 


—  502  — 


da.s  gescliehen,  und  el•^t  wenn  Ihi  Schüler  einen  weiten  uud  klaren 
Überblick  über  den  ganzen  Spra*  hschatz  erworben.  Da  man  diese 
Sprache  nur  aus  Büchern  lernen  küuue,  müsse  jeder,  der  sich  ilirer 
bedienen  wolle,  erst  eine  gründliche  Kenntnis  dieser  Bücher  besitzen. 

„Findet  man*',  f&hrt  Ascham  fort,  „dass  der  Schüler  immer 
größere  Fortschritte  macht,  dass  er  seine  Lection  rascher  versteht, 
Ifiiehter  analbndrt^  sclmeller  imct  riditiger  IlbersM  als  seither,  so  gebe 
maa  ihm  lingere  Aufgaben  mm  Übersetran  nnd  lange  an«  ibn  sovol 
hinsichtlich  der  Nomina  als  auch  der  Verha  an  lehren,  was  Proprinm, 
Tranalatom,  Synonyronm,  DiTsraom  ist,  wehshes  die  Contraria,  welches 
die  bemericenswertesten  Phrases  in  seiner  Lectdre  sind.  Alsdann 
mnss  er  sieh  ein  drittes  anlegen,  in  welches  er,  nachdem  die 
Sttckftbersetzung  gemaelit  ist,  aus  jeder  Lection  bis  zn  vier  Beispielen 
nnter  jede  der  obigen  Rubriken  eintragen  rnnss." 

An  die  Briefe  Ciceros  hat  sich  mittlerweile  eine  der  leichtere 
Reden,  pro  lege  Manilia,  pro  Archia  poeta,  oder  die  drei  ad  C.  Caesa- 
rem  g"ereiht,  „Diese  Leetüre",  safft  Ascham.  ..verbunden  mit  fleißio^m 
(  hersetzen  und  pünktlich  besorgten  Eintragungen  werden  den  Schil- 
ler mit  der  Zeit  zu  einer  so  passenden  Wahl  der  Worte,  zu  so  reiner 
Satzl)ildun»  und  zu  einem  so  richtigen  Urtlieil  führen,  dass  seinem 
gewandten  Stil  und  seiner  correcten  Sprache  Lob  und  Bewunderong 
weiser  Männer  nicht  fehlen  wird." 

Ist  der  Lehrer  von  diesen  Fortschritten  befriedigt,  so  soll  er  zur 
ciusorischen  Lectüie  übergehen,  täglich  ein  Buch  Cicero  ^Episteln 
oder  Abhandlungen),  eine  Komödie  des  Tereoz  oder  Plautns.  Anch 
CSears  Gommentare  soUen  mit  aller  SoiigfiUt  gelesen  werden,  da  darin 
ganz  besonders  die  fleckenlose  Beinheit  der  latänisehen  Sprache  nnf 
der  höchsten  Stnfe  ihrer  Vollendong  erkannt  werden  kann,  endlich 
anch  einige  Reden  ans  dem  Livios. 

Die  Lectlonen  kOnnen  nm  so  nm&ssender  werden,  als  der  Schü- 
ler nicht  mehr  jeden  Tag  seine  doppelten  Übersetsongen  macht,  son* 
dem  nur  constnürt  und  analysirt,  wo  der  Lehrer  es  f&r  nSthig  er- 
achtet. Doch  muss  er  in  dem  Sammeln  und  Eintragen  seiner  sechs 
Punkte  noch  fleißig  fortfahren.  An  Stelle  der  Übersetiongen  treten 
jetzt  alle  zwei  bis  drei  Tage  wiederkehrende  Exercitien.  „Man  wähle 
selbst  nach  Gutdünken  eine  Epistel  ad  Atticum.  irsrend  eine  be- 
merkenswerte Partie  aus  seinen  Reden  oder  aus  irgend  einem  andern 
Werke  des  Cicero,  das  der  Schüler  mrioriiehst  nicht  aufzufinden  weiß. 
IiMiiii  lil)  rsi-tze  man  es  seihst  in  fiulaches.  natür1i("hes  Englisch.  g"ebe 
ilim  die  I  bersetzong  zum  Rückübersetzen  ins  Lateinische  und  gewähre 


Digitized  by  Google 


-  Ö08  — 


ihm  zugleicli  biulaiiglich  Zeit,  um  dies  mit  FleiÖ  imd  gehüriger  l  bei  - 
kguug  tliuii  zu  küimen.  Und  wie  viel  er  bei  dem  ganzen  ünterricht 
profitirt  hat,  wird  sich  jetzt  dentlicli  zeigen." 

Sind  die  Resuiiate  auch  dieser  Übungen  zufriedenstellende,  so 
bringt  Aschara  noch  eine  dritte  Art  von  Übersetzung  in  Vorschlag, 
obgleich  seiner  Keinuiig  nach  die  beiden  ersten  zur  Erlernung  der 
Sjprache  schon  Töllig  genügen  und  hinsichtlich  des  Lehrens  und  Lernens 
auch  sicherer  sind  als  diese  dritte,  bei  der  man  folgendennaflen  yetfthrt: 
„Uan  sehieibe  einen  engÜBchen  Brief«  s.  B.  an  den  Täter  oder  emen 
andern  Verwandten,  nat&rltch  dem  StandpnniLte  des  SchtUers  ent- 
sprediend,  oder  andi  eine  Fabel  oder  eine  einfache  Erzflhlnng,  nnd 
lasse  di^  ins  Lateinische  .ftbersetxen,  gebe  dabei  aber  acht,  dass  nie- 
mand dem  Knaben  helfen  kann.  Bei  der  Wahl  des  Stoffes  und  der 
Ansdrücke  halte  man  sich  im  Bereiche  dessen,  was  der  Schüler  gelernt 
imd  gelesen  hat.  Und  dann  sorget",  ruft  Ascham,  „dass  ener  Schaler 
in  dem  einen  oder  andern  Punkte  seine  Sache  nicht  besser  mache,  als 
ihr  selbst,  was  ihr  nur  dann  nicht  zu  fürchten  habt,  wenn  ihr  euch 
vorher  in  diesen  Ai*ten  des  Übei-setzens  selbst  tüchtig  geübt  haltt  I" 

Der  Schüler  ist  nun  füi*  die  Universität  reif,  und  damit  hört 
Aschams  Amt,  nach  den  in  der  Vorrede  e:esteckten  Grenzen  auf.  Die 
t'bnngeu,  die  nocli  weiter  zui'  Verfeinernne"  und  Fordeniug  in  der  tiii- 
teiniscben  Beredsamkeit  in  Anwendung  koimiieu,  und  die  er  alle  mehr 
oder  weniger  eingehend  bespricht  erklärt  er  doch,  allenfalls  mit  Aus- 
imlime  einer  vernünftigen  Imitatio,  für  die  Schule  als  nicht  geeignet 
Sie  gehören  auf  die  Univei*sitat  und  für  den  Mann  mit  entwickeltem 
Verstände  nnd  reifem  ürtheO.  Hior  kttmiffli  wir  daher  f&glich  ab- 
brechen. 

Bescheiden,  wie  er  immer  war,  nahm  er  die  Ein«  der  Erfindung 
dieses  nenen  Läupkns  nicht  für  sich  in  Anspruch:  Cicero  habe  schon 
nach  dieser  Methode  Griechisch  gelernt  Er  weiß  deren  Vortrefflich- 
keit dnrch  msnches  dassische  Gitat  za  stützen,  ermangelt  aber  auch 
nidit,  Beispiele  persönlicher  ErfiEdinuig  anzofOhreD.  Nftehst  Elisabeth 
das  gliinzendste  war  wol  ein  Page  ihres  Hofes,  der  in  der  kurzen  Zeit 
von  Weihnachten  bis  Mitte  August  wo  er  starb,  so  gewaltige  Fort- 
schritte gemacht  hatte,  wie  die  Schttlei'  in  den  common  schools  nicht 
in  sieben  Jaliren  vermöchten. 

Scliluss,  T'nl^'nir^nir  bedeuten  Aschams  Ansichten  einen  ge- 
waltigen Fortschritt  gegen  das  Alte.  Einen  besonderen  Einfluss  auf 
das  eiiL^liscli*^  Schul-  und  Frzielnino-swesen  vermochten  sie  trotzdem 
lauge  Zeil  hindurch  nicht  zu  erwerben.    Seine  Methode  des  Latein- 


Digitized  by  Google 


lerueüji  hatte  öicli  nur  im  Privatunterricht  erprobt;  aiif  ihn  war  sie. 
wie  der  Vt^rfasser  auf  dem  Titelblatt  selbst  hervorliebt,  vornehiiilich 
berechnet.  viele  Hindemisse  ihrer  Anwendung  in  den  gejscholte- 

nen  öffentlichen  Schulen  mi  Wege  standen,  musste  Ascham  selbst  melii'- 
fach  anerkennen.  Wol  erklärten  sich  unter  den  2«eitgenossen  eine 
ganze  Anzahl  tttchtiger  Sehnlmfinner,  John  Lyly,  Bichard  Mnlcaster, 
Edirazd  Grant)  Ar  aolBe  Anffossaiig  der  Einderetziehnng.  Sein  Hanpt- 
werk,  das  er  seihet  als  ein  pädagogisches  Vermächtnis  an  sein  Volk 
besetehnet  hat,  wurde  in  den  ersten  zwanzig  Jahren  nach  seinem  Tode 
mindestens  Anfioal  gedruckt.  Dann  aber  gerieth  es  in  Yeigessenheit 
und  tritt  erst  wieder  im  18.  Jahrhundert  ans  TagesUcht  Für  die  Zeit 
von  1711  bis  1869  sind  mir  zehn  yersehledene  Auflagen  bekannt  ge- 
worden, unter  denen  sich  diejenige  von  Professor  J.  £.  B.  Mayor, 
London  1863,  Bell  &  Daldy,  dueb  WissenschafUichkeit  und  Fräcision 
yortheilhaft  anszeichnet 

In  England  ist  in  jüngster  Zeit  wiederholt  in  nachdrflcklicher 
Weise  und  von  maßgebender  Seite  anf  AscJiam  und  seine  pädagogischen 
Grundsiitze  liinpfewiesen  worden.  In  1?' raukreich  hat  Loiiii.  Wiesener 
kürzlich  seine  Land^lnu,  ;iiif  Ascharas  Methode  aufmerksam  gemacht, 
der  er  ein  ganzes  <  aiiit>-l  ^Hines  Buclies:  La  jeunesse  d'Elisabeth 
d'Angleterre  (PariÄ  1878)  uidniet.  Und  seit  wir  nun  in  der  Arbeit 
Holzamers  eine  tüchtige  deutsche  Übersetzung  des  Schoolmaster  be- 
sitzen, kann  es  nicht  fehlen,  dass  dem  geistvollen,  liebenswürdigen  und 
in  hohem  Grade  selbstständigen  Pädagogen  die  verdiente  Würdigung 
auch  bei  uns  in  Deutschland  zutheil  werde. 


üiyuizeü  by  Googl 


Etwas  T^n  N^bensatxe. 


Ton  Kmraä  Moisei'Atmig. 

13 er  EntwickeluM^sgang.  den  anaere  Sprache  genommen  hat,  Ubwt  sich 
mit  geringer  ATüli^  in  eine  Analogie  ])i  Ingen  mit  dem  Entwickelangtfange,  der 
beim  Eilemeu  der  Si)rache  beobachtet  wird. 

Zuerst  spricht  das  Kind  nur  in  einzelnen  Wörtern.  Begriffe,  allerdings 
Doeh  aehr  mangelhafte  Begriffe  aind  es,  die  es  spraehUch  anm  Anadracke  bringt. 
Dem  sprachlichen  Ausdrucke  der  Begriffe  folgt  in  weiterer  Eutwickelung  der 
8prachli<*lie  Ausdruck  cles  I  rtlipilps  in  möglichst  kühner,  apodikti«»  h  r  Fonii. 
Die  spi'achliche  Formung  des  kindlichen  Urtheiles  tritt  in  der  Form  dva  Haupt- 
satzes auf.  Ehe  das  ^oßä  es  dalüii  gebracht  hat,  neben  der  Fenn  des  Haupt- 
satxes  deh  auch  in  dsst  Form  des  Nebenaaties  an  Tersncben,  mnss  eine  tiefore 
sprachliche  Schulung  eingetreten  sein.  Ungefähr  denselben  Process  machte  die 
Sprache  bei  ihrer  Eutwickelung  durch.  Vorerst  sprachliche  Bezeichnnii?  d»*r 
Begriffe,  dann  den  spi-acUUchen  Ausdruck  der  Beziehung  der  Begriffe,  diesen 
spraclilieh«!  Aiisdniok  avnichst  aber  nur  in  d^  Form  des  HanptsataEes.  Erst 
l4d  später,  bei  entwickelterem  Denicen  nnd  ausgebildeter  Sprache  tritt  die 
Form  des  Nebensatzes  auf.  Der  Nebensatz  Ist  demnach  die  jüngere  Form  des 
sprachlichen  Ausdruckes. 

Aber  der  psychologische  Process,  der  diesen  eben  dai'gelegteu  Entwickelungs- 
gang  begleitete  nnd  ermöglichte,  ist  ein  wesentlich  anderer.  Bevor  „Begriffe'^ 
gebildet  werden  konnten,  mnssten  Ürtheile  vorangehen.  Ein  Beiq»iel,  ganz 
abstr.T  t  <rt'Tv<inmen.  mag  uns  das  anscliaulich  machen.  Xelimen  wir  an,  ein 
kleines  Kind  der  Stadt  maclie  in  I5ef?leitung  der  Mutter  den  ersten  Spazier- 
gang ins  Freie.  Es  hat,  so  ueiime  ich  au,  bis  Jetzt  noch  keinen  Baum  gesehen. 
Idi  abstrahire  demnach  auch  von  einem  BUderboehe,  das  dem  Kinde  yJdldeht 
den  Baum  vorgeführt  hätte.  „Das  ist  ein  Baum'',  sagte  die  Hntter,  als  eine 
Pai»|iel  am  Wege  stand.  K .!  las  Kind  nun  ein<'n  "Regrriff  vom  BnnnieV 
Beileibe  nicht.  Am  Wege  steht  weiter  ei«  Apfelbaum.  ,.Das  ist  auch  ein 
Baum*',  spricht  die  Mutter.  Das  Kind  hat  zwar  noch  keinen  Begriff  vom 
Banme,  alter  es  ist  hnndert  gegen  eins  an  wetten,  dass  es  Jetzt  selbst  nrtheilt, 
wenn  es  eine  Fichte  sieht:  Das  ist  auch  ein  Baum.  Es  wird  mit  mehr  oder 
minder  großer  Sicherheit  dieses  ürtheü  aussprechen.  Was  berechtigt  äiw 
Kind  zu  diesem  Urtheile?  Unzweifelhaft« das  üemeinsame  dieser  Dinge. 
Ein  emporstrebender  Theil  (dtf  Stamm,  den  es  nodt  nidit  benennen  kann), 
ein  giofier  rtudlicher  Theil  (die  Kim»,  die  es  nicht  bennuien  kann),  dsis 
genügt  vorläufig.  Aber  die  göttliche  Psyclie  des  Kindes  abstrahirt  bereit». 
Mit  einiger  Nachliilfe  kommt  es  za  dem  B^riffe  Baun.  Dieser  psychologische 


Digitized  by  Google 


—  506  — 


Be^ft  „Baum*'  i£t  allerdiogs  noch  kein  „logischer'';  das  Bilden  logischer 
Begriff«  ist  nicht  Saehe  de«  IdndlicheB  Gei«tee,  es  ist  eine  TIAtigkeit  des  ge- 
reiften Verstandes,  es  ist  die  reinste  Altfstraction.     Dass  den  betfcffendea 

kinrilirlu-n  Uitheilen  soerar  Schlüsse,  allerdingE  üi  ♦'mliryonalei-  Form,  voran- 
gehf-n,  ist  bei  weiterer  Überlegung  einleochtend  and  geht  übrigens  ans  obigem 
Beispiele  hervor. 

Das  Ist  der  psychologische  Process.  Das  Urdieü,  das  sich  im  Ideineo 
KSpfchen  bildet,  sprachlich  zu  gestalten,  ist  dem  Kind«  schwerer.  Resnmiren 

wir:  Dem  Bilden  der  Pcjjriffo  p^intr  hLso  das  Vrtheilpn  vnrans.  Die  Urtheile 
wurden  ermöglicht  durch  .Scliliis*t:.  Aber  der  sprachliche  Aufdruck  der  Urtheüe 
folgt  beim  Eutwickelungsgange  im  Sprechen  dem  sprachlichen  Ausdrucke  der 
BegrUr«.  So  ▼erfallt  sieh  dl«  Saeh«.  Sobald  das  Kind  ürthette  sprachlieh 
gestalten  kann,  bildet  es  Sätze.  Dieser  Feitigkeit  voraus  eilt  der  Gedanke. 
Zuerst  der  Gedanke,  dann  dfr  Satz.  Der  SmT/  ist  also  der  spraclilielie  Ans- 
dmck  des  Gedankens.  Nun  ist  aber  der  Gedanke,  ganz  im  allgemeinen  sei 
es  gesagt,  nichts  anders,  als  die  Beziehung  zweier  Begriffe.  Daher  baat 
sieh  der  Sats  xnn&chst  anf  dem  sprachliehen  Aasdrncice  zweier 
Begriffe  auf,  die  wir  eben  S«bj«ct  und  Prädicat  nennen.  (.Snbjiciren  —  untei> 
legen,  unterstf  llen.  Subject  =  das  Untergelegte,  das  Gnindding;  pradiciren  — 
bekannt  machen,  behaupten,  zueignen,  Prädicat  =  das  Zueignuugswort.j  Ohne 
diese  swei  BeiprÜfe  Ist  eik  Sats  nnmSglich,  wdl  da*  ihn  ToraDgehaide 
Unheil  nnmög^ch  ist  Deshalb  nennen  wir  diese  zwei  Bestaadtheile  Hanpt- 
satzglieder.  Verscbwietren  kann  das  eine  oder  andere,  können  sogar  beide 
werden,  aber  im  Denken  fung^iren  sie.    (l^llipsen:  Lies!  Ich?  Feuer!) 

Aber  das  Denken  begnügt  sich  nicht  mit  der  Aufeinauderbeziehuog  zweier 
Begriffe,  kann  sidi  nldit  begnOgen,  da  ja  gewisse  ürtheDe  nnmOgUch  wina. 
Das  Urtheil  „der  Ofen  ist  warm-*  ist  in  dieser  Form  entschieden  unrichtig 
(als  allgemeines  Urtheil  anfj^efasst),  und  doch  sind  die  Hanpterfoi  ilemisse  des 
Gedankens  vorhanden.  Es  muss  eben  beißen:  der  geheizte  (Uen  ist  warm. 
Die  Denkgesetze  verlangen  die  Erweiterung  de»  Gedankens,  mitliin 
aneh  des  Satnes.  Alle  jene  SatagUeder,  dl«  neben  den  Hanptsatsgliedein  vor^ 
kommai,  am  das  Urtlieil  in  jedem  gegebenen  Falle  erst  zu  einem  richtigen 
zu  gestalten,  heißen  Nebensatzjflieder.  Sie  lassen  sich  unterscheiden  in  *i!ch*». 
welche  den  Subjectsbegritf,  und  in  solche,  welche  den  Prädicatsbegriff  richtig 
gestalten.  Der  Satz:  ,J>er  Hund  des  blinden  Bettlers  sammelt  für  densdbai 
Gaben^  hat  demnach  nnr  zwei  TheOe:  doi  Satgectsthdl  nnd  den  PridicatstheiL 
Aber  der  Subjectstheil  besteht  aofter  dem  Subjectsworte  noch  aus  Jenen  Glie- 
dern, welche  ihn  (,.Hund'')  im  gegebenen  Fall«  richtig  gestalten,  was  sich 
auch  vom  Prftdicatst  heile  sagen  lässt. 

Jeder  Satz  nun,  der,  ohne  Rflcksicht  darauf,  ob  er  blos  ans  den  Fnnd»- 
mentalbefriffen  besteht,  also  nackt  Ist,  oder  anch  NebengUeder  liat,  atoo 
erweitert  und  bekleidet  ist,  heißt  Hauptsatz,  sobald  ilim  die  Eigenschaft  inne- 
wohnt, für  sich  in  der  Rede  bestehen  zu  kennen.  Die  Schüler  fassen 
diese  logische  Eigenschaft  des  Hauptsatzes  sofort  auf,  wenn  mau  bei  einem 
Beispiel«  dl«  Frage  anhvirft:  Hast  dn  das  OefQhl  der  BelHedigungV  Sobald 
ich  aber  d«m  Satz«  dl«  Form  des  Nebensatzes  gebe,  antworten  sidioilch  die 
Schüler,  dass  sie  das  Gefrthl  der  sj»rachlichen  Befriedigung  nicht  haben,  dn^s 
sie  noch  etwas  erwarten  u.  dei^l.   Als  äußeres  Erkennungszeichen,  gleichsam 


Digitized  by  Google 


—   507  — 


als  Probe,  irilt  in  der  Praxis  die  Stellang  der  Copala,  die  man  (ich  meine  hier 
die  liilfszeitwörtliche  Copula)  stt'ts  in  den  fra^liVhon  Satz  bringen  kann,  wenn 
man  eine  der  znsanuneDgesetJSten  Zeitformen  anwendet.  Im  Hauptsatze  steht 
Mibe  immer  vor  dem  I*rildicate.  Aber  meine  Aostcht  geht  dahin,  dass  dieses 
Men  fi^ennmicazdchen  nlebt  so  betont  werde,  denn  der  Lehrer  der 
Sprache  hat  vor  allem  darauf  zu  sehen,  dass  sein  Unterricht  eine  Gymnastik 
des  Geistes  sei,  dass  seine  Schfiler  denken  lernen.  Er  mnsa  Logiker  sein  und 
IHraktische  Logiker  heranbilden. 

Jeder  Sats  nun,  dem  diese  logische  EigemAall  mangelt,  der  also  beim 
ieolirten  AoMprseben  das  Gefühl  der  MiditleiHedHgimg  Unteittsit,  ist  dn 
Nebensatz.  Als  äußeres  Kennzeichen  grüt  hier  die  Stellung  der  Copula  hinter 
dem  Prädicate.  Dass  dieses  änßere  Kennzeichen  irre  führen  kann,  geht  ans 
folgendem  Beispiele  hervor:  Man  sagt,  er  sei  verloren. 

Es  entstellt  nun  dte  Frage,  wddier  swiugcuden  Nothwendigkeit  entsprang 
der  Nebensatz?  Folgende  Betraditmig  enthilt  die  Antwort  Infolge  der 
Erweit^rniig:  des  menschlichen  Anschannn^kreises,  infolge  der  Entwickelung 
der  Wissenscliaften  nahm  der  Wortreichthum  erstaunlich  zu,  und  im  erweiterten 
Satze  mussteu  sich  demnach  die  Wörter  häufen.  Jede  Häufung  der  WSrter 
•tSrt  aber  die  Klariidt  des  Satses.  Qewallsame  Fügungen  mnssten  entstehen. 
Der  Drang,  ftr  soidie  Hlbten  mildere  Formen  zu  finden,  musste  sich  geltend 
ni:u-hen  und  so  entstand  —  der  Nebensatz.  Die  Substitnirung  eines  Begriffes 
durch  ein  ürtheü  musste  selbstverständlich  den  logisch  gleichen  Wei-t.  die 
gleiche  Rtmgstellung  im  .Satze  haben  wie  der  Begriff,  für  den  es  substitoirt 
wvrde,  sowie  ja  andi  In  der  Ifathematik,  nm  ein  ansdiaiiliebes  Beispiel  beran- 
zuzit  ht  II.  fiir  einen  Ausdruck  ein  anderer  gleichwertiger  gesetzt  werden  kann^ 
z.  B.:  Thne  das  Kr  rlite  aach  ohne  Lob  der  Mensclienl  'i'hoe,  waa 
recht  ist,  wenn  auch  das  Lob  fehlt,  das  die  Menschen  geben. 

Aas  diesem  Beispiele  folgt: 

1.  Der  für  das  Nebensatagliedsnbstitairte  Nebeasata  ist  dem  ersteren  gleicii'' 
wertig.  d.  h.  ist  das  Satzglied  z.  B.  ein  Object,  so  ist  der  hierfür  einge* 
stellte  Nebensats  ein  Objectsati  etc.  Den  Beweis  lieftm  die  Frage- 
wörtchen. 

2.  Der  Nebensatz  erhält  seinen  Platz  im  allgemeiueu  au  der  Stelle,  wo 
das  Satzglied  stand,  für  das  er  eingestellt  wurde. 

3w  Der  Nebensatz  kann  im  allgemeinen  wieder  In  das  Satzglied  Terwandelt 

werden,  tnr  wf-lrlif^«  or  eingestellt  wurde. 
4.  Übergeordnet  ist  jener  Satz,  der  das  Satzglied  enthält,  ttir  welches  der 
Nebensatz  eingestellt  wurde. 
Man  beaeiite: 

a)  Thne,  was  recht  ist,  wenn  auch  das  Lob  der  Mensehen  fehlt. 

b)  Thne,  was  recht  ist,  wenn  auch  da.s  Loh  fehlt,  das  die  Menschen  geben. 
Da  Runter  a)  der  Nebensatz  das  Satzglied  enthielt,  welches  (unter  b)  durch 

elnm  SUbenaats  vertreten  werde,  so  geht  daraus  herror,  daas  als  ttbeqieerd^ 
neter  Satz  auch  ein  Nebensata  auftreten  kann.  Sobald  für  ein  Satzglied  ein 
Nebensatz  eingestellt  wird,  haben  wir  efaie  besondere  Fcnn  des  zusammenge- 
setzten Satzes  vor  uns:  das  Satzgefüge. 

Wenn  der  Lehrer  seine  Schüler  zum  richtigen  Erkennen  und  Bestimmen 
der  RatugHediir  des  dnMien  erweiterten  Saties  gebradit  bat,  so  kann  das 
gwdie>eiim.  SuJafeiins.  AftVID.  38 


Digitized  by  Google 


Erkennen  und  Bestimmen  der  Nebensätze  durchans  keine  Sehwif^iigki  iten 
bereiten.  Nur  muss  der  Lphr<*r  dip  Schüler  ponspquent  anhaltpu.  gewigseii 
Äußerlichkeiten  und  formalen  Ert^cheinungea  kein  beäoudereä  Ge^^iclit  beizu- 
lefen.  Wenn  er  sich  aber  1m1  der  Beetimmiuifr  der  Nebeiuitm,  ab»  bei  der 
Angabe,  ob  der  Nebensatz  Subject,  Piüdicat,  Object,  BeifGgimg,  Ortsumstand, 
Zeitnnistanfi.  Weiseumstand.  CirnTifinnT^rrml  des  übergeordneten  Satzes  ver- 
tritt, mit  der  Begründung  des  betrettendeu  Urtheiles  durch  gewisse  Äußerlich- 
keiten begnügt,  so  wird  in  sehr  vielen  Fällen  der  Nebensatz  giiindfialscli 
beetlniint.  So  &  B.  iat  das  an  der  Spilw  des  Nebeniatiee  befladliche  »Fügewort' 
(ein  beziehendes  Fürwort,  ein  beziehendes  T'iußtandswort  —  Relativadverb  — , 
ein  Biudewort^  das  Steckenpferd  manches  Lehrers.  Da  müssen  die  Kinder  di» 
Fügewörter  ttii*  Subjectsätze,  Beifngesätze  etc.  lernen.  Das  ist  eitel  unnüuer 
Oedftchtoisknun  und  hat  flir  die  Bestimmung  der  Nebensätze  keine  Bedentoog, 
'  denn  dar  Beiftgesate  kann  an  der  Spitae  wo,  woher,  woliin,  wann,  weshalb  n.  s.  £ 
haben,  z.  B.  Kennst  du  das  Land,  wo  die  Ti fronen  blUhen?  (Welches 
Land?)  Ebenso:  Ich  weiß,  weshalb  dn  g-ekommen  bist.  (Was  weiß  ich? 
Object}.  Um  den  Nebensatz  richtig  beurtheilen  zu  lernen,  dürfte  sich  folgender 
Vorgang  empfehlen,  wobei  UAt  bemerke,  das«  4 — 5  Sitze  in  iet  Stm^  genfigeo. 

Wer  andt^-rn  eine  Grube  jjriibt.  der  füllt  uft  selbst  hinein. 

1.  Stelle  mit  Hilfe  des  Hauptsutzes  eine  Frage,  damit  ich  als  Antwort  den 
Nohenaatt  gdwa  kaasi  den  ich  jetzt  von  der  Tafel  wieder  weglösche!  Nsch 
welehein  Sat^ede  ftagt  man  mit  „wer?«  (ftd^).  Wessen  SteDe  w- 
tritt  also  der  Nebeasata  in  msenn  Beispiele?  Wir  heiBen  ihn  deshalb  Sab« 

jectsatz. 

2.  Ist  nun  der  Nebensatii  „wer  andern  eine  Oiiibe  gräbt"  Sal\iect  des 
HaaptsatMB,  so  braaeht  der  „Hanptsatif'  kein  Saljjeet  s«  haben.  Findest  dn 
im  HanpCsatze  ^  Sniject?  (Der.)  Wir  wollen  es  weg  lassen.   Sprich  das 

Ganze  jetxt  aus!  Seht,  es  ist  unnütz,  ist  ein  bloßes  Füllsubject.  ein  Platzhalter. 
Wir  nennen  es  Deute  wort  und  erkennen  es  auch  mit  Leichtigkeit  an  dem 
Tone.  Weil  das  Deutewort  des  Hauptsatzes  ein  Subject  ist,  so  ist  auch 
4er  von  ihm  aagedentete  Nebensati  ein  Suldiectsats. 

3.  Der  Sata:  „Wer  andern  eine  Ombe  gxttbt^  soll  in  eine  Form  gehrscht 

werden,  dai^n  er  als  „Satzglied"  erscheint,  mithin  das  Ganze  ein  einfacher  Sats 
wird.  Diese  Übung  ist  die  soll  Werste.  Aber  Geduld  überwindet  die  Schwierigkeiten 
bald.  (Der  andern  eine  (jrube  Grabende  fällt  oft  selbst  hinein.)  Die  Schüler 
iiuden  sofort,  dasb  die  einfache  Satzform  nicht  ohne  Härte  ist,  und  das  Satz- 
g^llge  in  diesem  Falle  vorniziehen  ist.  ümgekdirt  wird  der  gewandte  Lehicr 
manche  günstige  Gelegenheit  wahniehmen,  um  die  Satzglieder,  wenn  es  eben 
angeht,  in  Nebensätze  zn  vprw;in(T*'ln.  Er  bestehe  aber  immer  dai-auf.  dass 
die  Schüler  zum  Urtheüe  geuütliigt  werden,  welche  von  den  beiden  Formten 
(Nebensatzform  oder  Satzgliedform)  vonoslehen  sei,  nm  ihren  Geschmack  zu 
büden.  Diese  Verwandlnngea  und  Umwandlnngen  dnd  ansgeadchiMte  Qpreeh- 
und  Sprachnbongoi,  sie  sind  stilistischer  und  grammatischer  Unterridit  sa> 
gleich.  .\ber  es  sei  bemerkt,  dass  nicht  jeder  Nebensatz  sich  in  ein  Satzglied 
zurückführen  lässt,  ein  Beweis,  dass  die  lebende  Sprache  sich  bereits  emancipitt 
hat  nnd  Nebensfttae  als  selbstständige  Formen  (im  gewissen  Sinne)  zu  bildsa 
anftngt,  a.  B.  er  lobte  daa  Betrage  seines  Broders,  was  kann  an  billigen  ist. 


Digitized  by  Google 


—  609  — 


Ein  Lflgner  iat» 


Diesei'  Nebensatz  bezieht  sich  nämlich  auf  den  Oe<;amintin)iaIt  des 
übergeordneten  Satzes.  In  andern  Fällen  entstehen  grausame  Härten,  z.  B.: 
Der  Stein  hatte  dte  geheime  Kraft  des  Angenehmiiiacheiie  vor  Gott  n&d 
Menschen,  statt:  vor  Gott  und  Henschen  angenehm  zn  machen. 

Ich  würde  befürworten,  dass  mati  di^  T.t  lirp  von  dem  Nebensatze,  weniiarstens 
insuweit  sie  das  Erkennen  und  Bestimmen  desselben  vermitteln  soll,  nicht 
abgesondert  in  der  Volks»  und  Bttrgerschiile  behandele,  sondern  sofort  mit  der 
Leine  von  den  SatssUedem  ▼eritnilpfe  nnd  so  q^elend  des  reiehe  Material  ver- 
werte, t^rigens  ist  ja  anch  jener  üntenicht  der  beste,  der  vielseitig  bildet. 

Nehmen  wir  nn,  ä^r  T.ehrer  wolle  das  erstemal  die  Schfller  mit  dem 
Nebensatze  bekannt  macheu. 

Der  Vorgang  dürfte  sieh  etwa  fblgendermaBen  gestalten. 

„Der  Lügner  Ist  ein  erbftnnlicher  Mensch." 

Wo  ist  der  Snbjectstheil  ?   (Der  Lügner.") 

Der  Prädikatstlieil?  (ist  ein  erbärmlicher  Mensch.)  Aus  wieviel  Gliedern 
besteht  der  Snbjectstheil?  (1.)    Wieviel  Glieder  hat  der  Frädicatstheil?  (2.) 

Wir  wollen  hente  beim  Subjecte  stehen  bleiben.    Wer  ist  ein  Lügner? 

wer  lügt  (einfachste  Antwort), 
wer  die  Unwahrheit  sprieht 
wer  der  Wahrheit  nieht  die  ISkn  gibt 

Diese  Antworten,  die  natürlich  theils  von  den  Schülern  gefanden,  theils 
vom  Lehrer  gegeben  werdeni  sind  swar  stilistiseh  versehieden,  drücken  aber 
oiigef^r  dasselbe  aas. 

Noa  fragen  wir  so: 

Wer  ist  din  erhirmllcher  Meoseh? 

Der  Lügner.  (Sal^eet) 
Wer  lügt.  (S.) 

Wer  die  Unwalirheit  spriclit.  (S.) 
Wer  der  Wahrheit  nicht  die  Ehre  gibt.  (S.) 

Wir  bilden  daher  folgende  Sätze: 

1.  Der  Lügner  ist  ein  erbürolieher  Menseh. 

2.  Wer  lügt,  ist  ein  erbärmlicher  Mensch. 

3.  Wer  die  üiuvalirheit  spricht,  ist  ein  erbSü-mlicher  Mensch. 

4.  Wer  der  Walirheit  nicht  die  Ehre  gibt,  ist  ein  erbärmlicher  Mensch. 

In  welchen  von  diesen  Sätzen  machen  wir  beim  Sprechen  dne  GUeder- 
panse?  (2.,  3.,  4.)  Setie  die  Beistricbe. 

Wie  heißt  das  Snbject  des  1.  Satzes?  Wodurch  ausgedrückt?  rilauptwort.) 
Wie  heijt  das  Snbject  des  2.  5^atzes?  (Wer  lügt.)  Wer  ist  unter  „wer" 
gemeint?  (Irgend  jemand.)  Was  wird  von  irgend  jemandem  gesagt?  Das 
Snbject  des  2.  Satzes  ist  also  für  sieh  ein  Satz.   Hast  dn  das  Gefühl 

der  BelHedignng,  wenn  ich  spreche:  Wer  lügt  ?  Der  Sate  „wer  lügt'* 

kann  also  für  sicli  in  der  Hede  nicht  bestehen,  es  bedarf  noeh  eines  zweiten 
Gedankens  zur  Vervollständigung.  Lies  den  mit  ihm  verbundenen  Gedanken! 
(„Ist  ein  erbärmlicher  Mensch".)  Diesem  Gedanken  fehlt  etwas.  Gib  ein  hin- 
weisendes Fürwort  hinan!  (Der.)  Wer  ist  nnter  „der"  sn  verstehen?  Kann 
der  Satz  „der  ist  ein  erbünnlieher  Mmsdi^'  für  sich  allein  in  der  Bede 
bestehen? 

33* 


Antwort^: 


Digitized  by  Google 


—   ölO  — 


Merket:  1.  Sfttaw»  welche  fttr  sleli  io  der  Bede  bestehen  kSoneo»  faeiBen 
HanpMttze. 

2.  SMze,  ^^TIche  filr  sich  in  der  Bede  nkht  beetehen  kfinnen,  heUeo 

Nebensätze. 

Wieviel  Theilsätze  siud  also  vorhanden,  ich  spreche:  ;,Wei-  lügt, 

der  iet  ein  erUndieher  Heosch?**  Welcher  iat  der  HenpCMts?  Wami? 

^^'  'Icher  der  Nebensatz?  Warum?  Für  welchen  Aasdmdt  haben  wir  den 
NeUensii»/  erpsetzt?  (Lügner.)  Was  für  ein  Satzglied  v.ar  .Lüpfner'*?  Was 
mns.s  also  auch  der  Nebensatz  seinV  Merket:  Solche  Xehensütze.  welche 
das  äubject  eines  andern  Satzes  sind,  keiiieu  Subjectsätze.  Gib 
dem  Sfttse  ^/Ixt  Lflgner  iifc  ein  erbinDlieher  Mensch**  —  die  nagakehrte  Wort- 
folge! J^etze  jetzt  für  dM  Snbject  „Lügner^'  den  Snbjectsatz!  Der  Subject- 
satz  nimmt  also  jenen  Fiats  ein^  den  das  Snbject,  das  er  vertritt, 
inne  hatte. 

Was  steht  au  der  Spitze  dieses  Satyecteatzes?  (W^er.)  Was  steht  an 
der  8pitie  dieses  EaaptsatHS?  (Der.) 

Welches  von  beiden  wird  betont?  Welches  kann  weggelissra  werden? 
Warum?  (Weil  das  Snbject  schon  durch  einen  Nebensatz  anspedrOckt  ist.) 
Merket:  Der  Subjectaatz  bat  ein  Fügewort,  der  Hauptsatz  kann  ein  Deate- 
wort  haben.   Ähnliche  Betrachtungen  an  den  Sätzen  3  und  4. 

Nin  stelle  man  die  ketaeiwega  mehr  schwere  Ferdemnf :  Vemwhet  statt 
des  Snbjectes  in  dem  Satze  „Der  Fleißige  benutzt  die  Zeit**  einen Snbjectaatz 
zu  setzen!  f  AWr  fleißig  ist".)  .\hn1iche  Forderungen!  Oder:  Versuchet, 
statt  des  „Subjectsatzes"  ein  Subject  zu  setzen!  („Wer  mä^  ist,  verlängert 
sein  Leben"  —  Der  Mkllige  verlängert  sein  Lebra.) 

In  ähnlicher  Weise  wird  der  BeifOgeaats,  der  Ot^jectaati  etc.  behandelt. 

Ginvlssermaßen  zur  Rechtfertlgiui^  dieses  VwsaBges  apndnb  ich  folgende 
unumstößliche  .*^iUze  aus: 

1.  Wer  da  glaubt,  er  sei  vorbereitet,  wenn  er  wisse,  was  er  heute  durch- 
nehme, der  iirt  Das  „Wie**  sei  Gegenstand  genansster  VoriterelMmg. 

2.  Nicht  „durchgenommener"  Lehrstoff  ist  maflgehmid  tke  die  BeorCheflug 
der  Lehrerthfltigkeit,  S4)ndern  „verstandener". 

3.  Nicht  trocken  sei  h  r  ^rammaUsche  Unterricht,  sondern  anscliaolicb, 
lebensvoll  und  anregend. 


Digitized  by  Googl( 


^Blicke  ii  die  Literatur. 

7<m  Dr.  FrMMch  DUtm. 


Metaphysik  Ton  Steiner,  Danrimsmus  Ton  Hftckel,  Freiheitslehre  nach  Leilnii 
und  KcilMat  toh  Brivtigam,  Fandamentalprincip  der  Pftdagogik  von  Selmltt» 

Religionsunterricht  von  Preiß.) 


Vm  mit  der  Anzeige  der  r^^rihlirichen  uns  vorliegenden  Schriften  nicht 
allzusehr  im  Rückstände  zu  bleiben,  nitissen  wir  nochmals  das  ,,PsedagOgilim" 
selbst  ZQ  einigen  literarischen  Excnrsen  in  Anspruch  nehmen. 

Allgemeine  Metaphysik  zur  Begründung  einer  vemfiufügea 
Welt-  imd  Lebenmuldit  nadi  i^t,  FHm  imd  Apelt  kUr  md  ttbeto 
sichtlich  dargestellt  von  Samnel  Steiner,  Prof.  a.  D*  Keioutfk 

1882,  Santer  &  Schmidt.    104  S. 

Metaphysik  ersrln  Inf  in  nnf«erem  Zeitalter  wie  ein  , .Mädchen  ans  der 
Fremde".  Infolg«  der  phantastischen  Speculationen,  die  man  unter  ilireni  Titel 
getrieben,  hat  sie  in  der  wissenschaftlichen  Welt  ihren  Credit  und  ilu-  Bürger« 
leeht  ftat  ganx  vexkmu.  Da  ist  denn  die  Torlicfende  Scbiift,  welohe  den 
Kern  nnd  damit  die  Bedentung  der  Xetqplqnik  zn  retten  encht,  fast  als  ein 
"Wagnis  zn  betrachten,  nls  ein  Yerjttngnngsversuch,  Aber  w-  lchen  die  einen 
kurzer  Hand  den  Stab  brechen,  andere  mit  skeptischem  Lächeln  zur  Tages- 
ordnung gehen  werden. 

Indenni  hnndelt  es  sich  hier  nicht  um  Jene  dograatisohe  Metsphystk 
der  Uteren  nnd  nenmn  Scholastik,  welche  mit  Recht  fUr  veraltet  nnd  ab* 
gethan  s-ilt,  pon(!*^rn  um  die  kritische  SiVhfnn^-  nnfi  Klürung  aller  mensch- 
lichen Wissenschaft  nach  der  von  Kant  begründeten  Methode.  X'erfasser 
geht  darauf  aas,  alle  Keime  des  menschlichen  Denkprooesses  „als  gleich- 
berechtigte  Zweige  einer  nnd  derselben  Erkenntniskraft  naohzQ weisen,  nnd 
so  Jeder  einseitigen  Weltanschanttng  TOnnheugen,  besonders  aber  dem  Materia- 
lismns  nnd  dem  Unglanben  sein  Unrecht  nachzuweisen  und  eine  selbstgenflgende 
Welt-  nnd  Lebensausicht  zu  begründen".  Hieraus  ergibt  sich,  dass  Prof. 
Steiner,  wie  er  in  seinem  Bache  anch  ansdrScklich  sagt,  die  Metaphysik  als 
„Erkenntnislehre'*,  nicht  als  eine  sepaiate  Wissenschaft  mit  eigenthttm- 
Uchem  und  positivem  Gehalte,  auffasst  und  behandelt.  Im  ersten  Theile  seiner 
Schliff  f  . üiedere  Metaphysik")  sucht  er  von  der  äußeren  Natur,  durch  Klar- 
Steilaug  liuer  höchsten  Kategorien  und  obersten  Gesetze,  eine  einheitliche  und 
befriedigeiide  Tetalanflhisnng  zn  gewinnen,  wobei  er,  leerai  S|»ecnlatiooen 


Digitized  by  Google 


—  512  — 

entsagend,  an  dem  Lrifpodanken  fpsthftlt,  „dnss  du-  nirtapliysischen  Grund- 
g-edanken  nidits  aiuicrrs  sind,  als  die  allerpnH'incn  und  noiliweudi^eu  Natur- 
geaeta»,  welche  der  Physik  und  der  Mechanik  des  Himmels  zu  Grunde  liegen." 
Im  zweiten  Thefle  (der  „hSheren  Metapfeysik")  nntenncht  er  die  bdcbiteB  Ge- 
bilde (Ideen)  dee  menschlichen  OeiitesMiens.  welche,  in  Ergftnznng'  des  empi- 
iischen  Wissens,  jene  Eeg^ionen  austüllt-ii.  die  dem  pofsitivon  Erkonnrn  nn- 
zogäii|?lich  sind.  Auch  liier  lullt  Xerfasser  an  der  unverbrüchlichen  Richt- 
schnur des  menschlichen  Denkens  fest.  »»Unser  Wissen  betrifft  nor  diejenigen 
ErkenntaniflBe,  d«Mn  eine  Anechaniini^  sn  Onmde  liegt,  die  tidi  also  auf  Er> 
fahrnng  beziehen  und  die  Erfalirmigrserkenntnisse  ansmaehen'*  (Sb  87).  Die 
höchsten  Postnlate  des  moralischen  Gefühls  und  Gewissens,  die  Ideen  von  der 
Seele,  Freiheit.  Gottheit  u,  s.  w.  sind  ihm  iii«  lit  positiv«-  Dogmen,  s<^ndem 
subjective  Überzeugungen.  „Da  ihr  1:  uiwaiiriiaUeii  auf  keiner  Anschauung 
boniht,  M  ist  die  Überaengnng  von  ihrer  Wahrheit  nicht  ein  WiBsen,  aondeni 
ein  Vertrauen  auf  die  Walirhaftiglieit  unsäter  Venmnft,  d.  h.  ein  G'lavben" 
(S.  92).  „Jeder  Mensch  hat  das  Vertrauen  zn  seinem  Geiste,  dass  er  der 
Wahrheit  empHinglich  nnd  theilhaftig  sei"  (S.  99 j.  „Die  tiunsscendentalen 
Ideen  der  Seele,  Freiheit  nnd  Gottheit,  sind  sonach  di^enigen  Wahrheiten, 
welche  die  Vemiuift  als  mit  sich  selbst  übweinstimmend  eriraint  und  ihnen 
im  Vertrauen,  dass  sie  der  Wahrheit  empfftoglidb  sei,  ol^ective  BealitKt  xn- 

Allerdings  ist  nicht  zu  verkennen ,  dass  Verfa&s«r,  um  nach  links  Zarecht- 
weisnagen  in  ertheilen,  biswdlen  m  stark  nach  rechts  steuert,  nnd  daaa  er 
dabei,  wie  anch  schon  Kant,  mit  dem  nicht  genVgimd  definirten  Begiiif 

„Verntinft"  ziemlich  frei  operirt.  Allein  seine  Schrift  zeigt  nicht  nur.  dass 
er  auf  dem  l'^  arit^^iteten  (Te)netc  vfHhv  beimiscli  ist  —  die  Klarheit  und  Ge- 
drängtheit seiner  Darstellung  beNseiseii  dies  — ,  sie  ist  auch  ein  höchst  ge- 
Inngener  Leitfiiden  snr  EMIhrnng  in  den  ganzen  Complex  der  hOcimteai 
Oedanken  des  menschlichen  Geistea;  nnd  wer  Aber  ^leclalstadiNi  hinans  m 
einer  einheitlichen  Welt-  nnd  Lebensansdiaunng'  vorzudringen  strebt,  wird  in 
dem  angezeigten  BQchleiu,  das  fireilich  nicht  f&r  Anfänger  bestimmt  ist,  einen 
trefflichen  F  Uhrer  finden. 

XDie  Natnranschannng  von  Darwin,  Goethe  und  Lamarck. 
Vortrag  von  Ernst  Hftckel.  Jena  1882,  OtmtaT  Flacher.  VII 
n.  64  8. 

Dieser  Vortrag  wnrde  snm  größeren  Theüe  in  der  Versammlnng  dentseher 

Natnrforseher  nnd  Ärzte  xn  Eisenach  am  18.  September  1882  gehalten,  er- 
scheint liier  aber  nicht  mir  bedeutend  erweitert,  enjififrn  mich  mit  einer 
länf^eren  \'oiTede  nnd  emer  Keihe  von  eriäutenideu  Aumerkungeu  vensehen, 
überdies  von  einem  Brief  von  £.  B.  Aveling  begleitet,  welcher  frappante  Aof- 
sflhUaM  ttber  das  Sehicksal  des  Darwinismns  im  eigenen  Vaterlande  nnd  ttber 
englische  Denkongsart  jfibt. 

TrUf^kel  i*^t  als  einer  der  liervorragendsteu  Verehrer  und  VertV^hter  des 
Darwinismus  liiugst  bekannt,  und  schon  aus  diesem  Gmnde  musb  die  vor- 
liegende Broschüre  als  eine  wichtige  literarische  Erscheinung  beaeichnet 
werden.  Da  hier  nidit  der  Ort  istf  in  daa  Pro  nnd  Contra  der  groHen  Streit- 


üiyitizeü  by  Google 


—  513  — 


fnge  einzugrehen,  als  welche  die  Desceiulenztheoiie  ( EntwickelTing:slehre), 
wenigsteuB  in  ilireu  Consequenzen,  uoch  immer  betrachtet  werden  rnnsa,  so 
beBchrtokoi  wir  uns  auf  die  Bemerkniigeii,  welelra  snr  Ghurakteiistik  mumrer 
Vorlage  erforderlich  sind  und  von  letzterer  unmittelbar  angei'ej^t  werden.  Der 
ganze  Vortrag  liat  eine  wesentlich  historisrhf  Anlage,  indem  die  Grund- 
gedanken der  \"orläufer  Darwins,  von  den  griechischen  Naturphilosophen  an 
bis  auf  Goethe,  vorgeführt  werden.  Neben  letzterem  wird  Lamarck  am 
mtflUirlldiiteii  liecprochcii.  Als  Bcfloltat  dfewr  Gesehldite  der  Entwiekdnogi- 
lehre  ergibt  flidi,  dan  die  letztere  eigentlich  Bchou  vor  Darwin  in  der  Hanptp 
8ache  fertig  war,  nnd  das«<  Darwins  Bedeutnnir  im  wesentlichen  sich  darauf 
beschrUnkt,  zur  Descendenztheorie  durch  specielle  Beobachtungen  und 
Experimente  reichere  Belege  und  festere  Sttttxen  geliefert  an 
habend  Wie  dringend  nSth^  UMgens  selbst  in  der  „exaeten'*  Wlasena^ft 
die  größte  Vorsicht  bei  Anfetellung  allgemeiner  Urtheiie  in  welcher 
Richtung  dieselben  sich  anch  bewegen  m5gen,  darauf  weisen  die 
von  Häckel  angeführten  Äußerungen  hin,  mit  welchen  von  deutschen  Natur- 
forschem enten  Banges  der  Darwinismus  in  den  sechziger  und  siebaiger 
Jahren  aul|;enDnimen  wurde.  nNatarphiloaophisebe  Phantasien",  ,,haniik0«r 
Traum  eines  Nachmittagsschläfchens",  „haltlose  Hypothese",  „vortiberg- !  •  n  ler 
Schwindel"  und  noch  stärkere  Ausdrücke  wurden  von  den  Koi  vplüicn  der 
„exacten"  Wissenschaften,  von  berühmten  Zoologen,  Botanikern,  Physiologen, 
Geologen  n.  a.  w.  ala  Pfidicate  auf  die  Lehre  Darwins  angewendet.  Also 
nochmals:  Vorsieht  im  Urtheil  pro  und  contra!  —>  Sehr  beachtenswert  ist 
auch  folgender  Aii.sspmch  von  Häclipl  (S'.  21):  „Nichts  ist  nach  unserer  An- 
sicht der  tiefer«  Ti  nnd  ernsteren  wisticnscliaftHchen  Arbeit  so  stliädiich,  wie 
das  Schulge^nk  uuserer  großen  Universitäten  und  das  Parteitreiben  der 
wissenachalllleihen  Altademien!"  Davon  war  frelUeh  sehr  veisdiieden  das 
stille  Forseherleben  Darwins,  von  welchem  uns  Häckel  ans  eigener  Anschan- 
unp  ein  anziehendes  Bild  entwirft.  —  Bezüglich  des  püdapofriscli m 
Wertes  der  Desceudenztheorie  beschränkt  sich  Häckel  in  vorliegender  Broschüre 
auf  zwei  Funkte:  diese  Theorie  fordere  eine  genetische  Metbode  und  warne 
vor  Überbflrdnng  der  jugendlichen  Geister.  Es  Ist  uns  ganz  reeht, 
wenn  der  Darwinismus  mit  diesen  längst  feststehenden  Postulaten  der  auf 
Psycholog-ie  gej^ründeten  Didaktik  übereinstimmt.  Doch  \vir  haben  genug:  an- 
geführt, um  zu  zeigen,  dass  die  vorlieg'ende  Broschüre  zwar  gereifte  und 
denkende  Let>er  erfoi-dert,  tui-  solche  aber  in  vielen  Bezieliungeu  nicht  nur 
iateressaot)  sondezn  aneh  lebirddi  Ist. 

K  Leibnia  nnd  Herbart  ftber  die  Freiheit  des  menschlichen 
Willens.  Von  Dr.  Ludwig  Br&ntigam.  Heidelberg  1882, 
Weiß.   57  S.    1,20  M. 

Unter  den  Philosophen,  welche  auf  die  Lösung  des  Problems  der  Willens- 
freihpit  besonderen  Eifer  verwendet  und  dabei  wirkliclie  Fortsclirittc  erzielt 
haben,  nehmen  Leibniz  und  Herbart  eine  hervoiTagende  Stelle  ein.  Die  be- 
züglichen Leistungen  beider  vorzafBhren  und  miteinander  zu  vergleichen,  das 
Ist  der  Zweck  voxUegender  SdirUt  Sie  neigt  1.  die  Verdienate  LdboIaeBS 
Ithulditlieih  der  Lehre      d»Wi]lensflrelheit|  2.  die  Überelnstimmnng  Herbarta 


Digitized  by  Google 


I 


—  514  — 

mit  Leibpiz,  3.  die  Mängel  der  Leibnizi&chen  Freibeitslehrt\  4.  dio  rni-  und 
Fortbildang  derselben  durch  Herbart,  Die  Auslukrang:  dieser  Themata  be- 
aehribakt  sich  aof  dM  WeMotliche,  hebt  aber  klar  and  sdiarf  herror 
and  ist  auch  stiUstiaeh  sehr  gelungen.  Das»  der  Verfiwaer  als  Herbartiaiier 
di>  Verdienst?  seine.s  Meisters  nachdriickli  Ii  !)♦  tont,  kann  nnr  trf  liilli^-T  werden, 
zumal  er  keineswegs  jenem  überschwängliclien  Autorit&taglanbeu  liul  liirf  der 
allezeit  den  dogmatisdien  Schlnmmer  zur  Folge  hat.  Herr  Dr.  Bräutigam  be> 
merkt  Tiefanefar  am  Sehhuae  aeiner  Abhandlaag  aoadrHeUidi,  data  aadi  Heitart 
<Ua  Problem  der  Willensfireibelt  nicht  endgiltig  gelSst  nnd  wid  ti;:«  Fragen 
nnbeantwortet  gelaasen  habe,  so  dass  seine  Theorie  raanclie  Dunkelheiten  zeige. 
Dies  ist  unzweifelhaft  richtig.  Der  erste  Hauptfehler  liegt  darin,  dass  Herbart 
in  den  alten  Irrthum  verfiel,  et»  könne  eine  auf  eigenen  Füllen  stehende  Meta- 
physik geben  und  saa  dieser  ein  Licht  für  die  Paychologie  aofgehen,  obwot 
sehen  Kant  jene  alte  Afterwissenschaft  vernichtet  liatte,  aofem  es  sich  nämlich 
nm  wirkliche  Erkenntnis,  nicht  am  bloße  Meinungen  f?!i>eculationtn '  '»der 
am  sogeuaaate  praktische  Bedfirfhisse  handelt.  Niemals  wiid  die  Philosophie 
festen  Boden  gewinnen,  wenn  nicht  zwischen  wisseuschaftlichem  Erkennen 
eineraeits  nnd  bloBem  Diehtett  nnd  Glanboi  andetaeits  feate  Greosen  seaagen 
werden»  oder  dieee  Grenzen,  nachdem  sie  bereits  mit  aUer  Evidenz  gezogen 
wf^!'»^n  wie<1pr  verwischt  wpr  lni,  mäf^m  man  mit  dem  Mensen  wieder  setzt, 
w  as  maii  mit  dem  Verstände  aulgehoben  hat.  Allerdings  darf  der  letztere  nicht 
den  Ansprach  erheben,  dass  er  das  ganze  menschliche  Leben  allein  aosHUet 
aicher  aber  den,  daaa  er  in  der  Wiaaenachaft  ganz  allein  henaehe.  Man 
mnss  sich  stets  bewosst  bleiben,  dass,  wo  er  anfliort.  auch  die  Wiisenaciiaft 
anfhört,  dass  also  alles  ..Metaphysische"  von  der  PIdlosophie  und  von  jeder 
Wissenschaft  überhaapt  unbedingt  ausgeschlosseu  und  dahin  verwiesen  werden 
nmaa,  wohin  es  gehört,  in  das  Gebiet  des  (religiQeen)  Glaubens,  der  Poesie,  der 
freien  Phantaaie,  der  Knnat,  mit  einem  Werte  dahin,  wo  die  lUctatnr  deaVer» 
atnndes  zurücktritt,  um  der  Erbauung  des  Herzens  Raum  zu  lassen. 

Übrigens  sei  noch  bemerkt,  das.s  auch  die  Herhart'sche  Kthik  keineswees, 
weder  nach  ihrem  Material,  noch  nach  ihrem  Gefuge,  ein  so  vollkommener  Ban 
ist,  wie  in  der  vorliegeoden  Schrift  angenommen  wii^  Beaflgllch  ihres  eigent- 
lichen Gegenstandes  alier  mnas  die  letatete  ala  eine  gans  treffliche  LeiainnK 
beaeichnet  werden. 

KÜber  das  teleologische  Fundamentalprincip  dar  allgemeinen 
Pädagogik.    Von  Erhard  Schnlts:    MäUmtuen  L  £.  1882, 

Bufleb.    88  S.    1.60  M. 

Als  höchstes  Ziel  aller  Erziehunsr  enlt  <i^m  \'erfas8er  die  Humanität 
and  demgemäß  als  oberste  Norm  der  Pädagogik  das  „menschheitliche  Princip". 
Mit  Kant  bekennt  er:  ^IMe  Anlage  m  einma  Endehnngsplane  mnas  koamo- 
politiach  gemacht  weKden."  Daa  Kind  anaeres  Zeitalters  und  der  Zukunft 
mns^e  7nm  Weltbürger  or^ogen  werden,  zumal  die  Scheidewände  zwischen 
den  ii.inzelnen  und  Völkern  melir  und  mehr  fallen  und  der  Wechselverkehr 
immer  reger  werde.  „Will  nun  die  Pädagogik  Aasprucli  auf  AUgemeingiltig- 
keit  erheben,  so  mnss  sie  bei  Onmdlegong  ihrer  Tdeolegie  mit  dieser  That- 
aaehe  rechnen.  Ja»  sie  *mnas  sogar  von  dem  BegriiTe  der  Weltbttfgendnft»  i& 


Digrtlzed  by  Google 


—  516  — 


wplrhe  das  Kind  in  die  Geaammtheit  ihm  adäquater  Wesen  liineingestellt 
w  ird,  als  dem  umiassendsten  ihres  realen  Gebietes  als  Peripherie  ausgehen,  um 
In  QQfneentHMlwa  Krelwii  aieli  Terengeiid  alle  In  jeiMm  weiteBten  Begriffe  mit 
enthaltenen  Bestimmtheiten  festznstellen,  und  endlieh  som  Gentmm  selbst  fort- 
schreiten, um  die  dnrcli  ^'erhältnisse  und  Anlagen  gegebenen  individuellen  Be- 
dingtheiten dieses  ('entrams,  d.  h.  des  als  Endehongsolgect  vorhaadeoen  Kindes 
zu  berückBichtigen." 

Da  nun  der  menschliche  Wechselverkehr,  ein  für  die  Pädagogüi  iuai>- 
gebend»  Factum,  Rücksichtnahme  and  Anbeqaemnng  fordere,  deren  natürliches 
Motiv  nur  in  dem  Streben  naeh  dem  dgenen  Wole  der  Indlvidncii  Hegen 

kOnne,  so  erhebt  sich  die  Frage,  ob  nicht  der  Verfasser  einem  mit  der  Horal 
unvereinbaren  EudÄnKmi^mTi«  das  Wort  rede.  Hiergpsren  bemerkt  dei-selbe  mit 
Becht,  Uass  der  Eudänionismus  einer  von  dei^jenigen  philosophischen  fiegriffen 
sei,  die,  zum  Schlagwort  degradirt,  als  Popanz  benntift  «erdeni  um  alles  er- 
denkliche Verweifliehe  an  bezeichnen,  wodnrdi  mmi  sieh  aber  nkdit  an  einer 
objpctiven  Auffassung  der  menschlichen  Dinge  verhindern  lassen  möge.  „Egois- 
mus und  Eudämonigmus  sind  unbestreitbar  vorhandene  und,  gelinde  ausgedrückt, 
sogar  weit  verbreitete  Vorkommnisse,  die  sich  auch  durch  die  geistreichsten 
Sipeeolationen  aieht  eliminiren  laaeea,  mid  ndt  denen  daher  derEtUker  rechnen 
mnss,  wenn  er  nicht  den  Vogel  Strauß  spielen  will . . .  Man  mura  bedenken, 
ernst  bedenken,  dass  wir  es  nitlit  mit  'Uli prischen  Gebilden,  sondern  mit  wirk- 
liclien  ^lenschen  von  Fleisch  und  Blut  zu  thun  haben . , .  Ich  bin  entschieden 
der  Meinung,  dass  man,  was  allgemein  naturveranlagt  ist,  doch  nicht  so  mir 
nldita  dir  aidite  für  imetiiieeh  erlcISrai  kann.  Mntatie  mntandis  gilt  andi 
Wer:  Naturalia  non  sunt  turpia."  —  Das  nienschheitliche  Princip  der  Päda- 
gogik aber  wird  vom  ^'t  T  f,T=spr  fülgendermafien  forumlirt:  „Auf  das  Kind  ist 
durch  die  gesammte  Erziehung  in  der  Weise  einzuwirken,  dass  es  als  seine 
höchste  Aufgabe  ansieht,  mit  aller  Krait,  Hingebung  und  Aufopferung  für  die 
FSrdcning  and  Hebnng  des  Qeeammtvelee  der  llenieiiheit  thatig  an  eein  und 
in  diesem  Streben  sein  eigenes  Heil  and  seine  Zufriedenheit  sa  finden.'^ 

ffiermit  yweinigt  nnn  der  Verihsser  das  „religiöe-sittUehe  Frindp*'.  Er 

Hin  zwar  das  Cliristenthum  als  prHdestinirte  Weltreligion  aeceptiren,  aber  nur 
unter  der  P)  diiif^ung,  dass  das  Bild  des  historischen  Christns  „zum  Bilde  des 
Idealmeuscheu"  ausgestaltet  werde.  Diese  Auffassung  aber  ist  ..etwas  anderes, 
als  was  Confessionen  und  Secten  meistens  für  Christenthum  ausgeben.  Das 
Ohristentham  des  historiadien  Chrlstos,  das  also  im  eigentUehstea  Sinne  des 
.Wortes  Christenthnm  Chrtotf  ist,  dieses  ist  völlig  identisch  mit  der  Humanität 
im  hcJcb-^ten.  rrinsten  und  edelsten  Sinne,"  In  diesem  Sinne  nun  soll  die  reli- 
giöse Erziehung  und  nameutiich  auch  der  Religionsunterricht  praktisch  ge- 
staltet werden.  „Alles  Dogmatische  muss  in  und  nach  jeder  Beziehung  unbe- 
dingt gSaaUch  in  den  Hintergrand  treten.  Der  Schiller  ist  vielmehr,  da  er 
nnnmgängUeh  mein'  <>1  r  weniger  die  Entwickelnngsstufen  der  Menschheit 
durclüaufen  mmn.  an  der  Hand  '1er  Relis^innsgeschichte  zum  Höberen  leiten, 
er  ist  von  vornherein  zur  umfassendsten  Toleranz  zu  eraehen,  indem  er  immer 
auf  das  Gemeinsame  der  Religionen  hingewiesen,  mit  anderen  Worten,  indem 
er  immer  avf  das  an  erstrebende  ]l%nsehhettsideal  aafinerksam  gemacht  and 
znr  Pflege  einer  reinen,  aaftpfemden  Oesinnnng  aagefeaert  wird." 


Digitized  by  Google 


—  516  — 

Hierauf  erörtert  der  Verfasser  das  „Nationalprincip'S  wobei  er  zu  lolgen- 
deu  Thesen  gelangt:  „Das  nationale  Princip  der  Erziehung  darf  nie  über  jenen 
Greiupiiiikt  Usans  betont  werdm,  wo  es  aoftogti  das  memdiheittielie  oder  das 
Individualprincip  zu  schidlgeii;  es  ist  aber  anderseits  mit  aller  Energie  bis 
dahin  durchzulülupn ...  .7e  mrlir  fm  Volk  in  seinem  Gesammtcharakter  nnd 
damit  in  der  Melirzalil  seiner  einzeiueu  Angehörigen  die  idealen  Forderungen 
des  menschheitliehen  Principe  der  Erziehung  verwirklicht  hat,  je  mehr  ist  ca 
nicht  UoB  berechtigt,  sondern  sogar  ▼erpflichtet,  sein  nationales  Wesen  zu  be> 
tonen  und  dasselbe  auch  nach  allen  Bichtnngen  hin  cnltiTtrend  geltend  nnd 
einfiussreich  zn  niaclien." 

Ferner  unterzieht  der  Verfasser  die  Familie  in  ihrer  pädagogischen  Be- 
deutung einer  knraen  Betrachtung,  woranf  er  achlieftUdi  das  „Individttal- 
principe'  sfciziirt,  wobei  er  natttrUch  zu  dem  Ekgebnis  gelangt^  es  seien  ^ar 
diejenigen  individuellen  Eigenarten,  welche  der  Entwi(  Icelung  der  Gt  sammtlu  ir 
jr'iic^tig-,  7Ä\  fordern,  dag^egen  diejenigen,  welche  für  dieselbe  naobtlieiliir.  zn 
liemnitn,  eventuell  ganz  zu  unterdrucken,  ohne  jedoch  die  Existenz  des  liuUvi- 
dnnms  als  solehon  zn  geflUirden.*' 

Hiermit  haben  wir  die  Grundgedanken  der  angeaeigten  Sdirift  TOigefihit. 
Wir  siiul  dabei  relativ  ziemlich  g-enan  zu  Werke  gegangen,  weil  es  stell  nm 
einen  au  sich  bedputsamen  Gedankenkreis  handelt,  und  weil  die  hier  vorlie^t^rd»' 
Darstellung  desselben  als  Programm  eioer  allgemeinen  Pädagogik  anzub«^^iieu 
ist,  wdche  der  Yerftisser  deranichst  ansxoifihTen  gedenkt  und  anf  welche  wir 
im  voraus  aufmerksam  machen  wollen.  Zu  einer  Kritik  gegenäbtt  d^  vurge> 
führten  Principien  hat  "Referent  keinen  Anlass,  da  er  dieselben  nicht  nttr  billigt, 
sondern  seit  langer  Zeit,  ja  in,  seiner  gesammten  beruflichen  und  literarischen 
Thätigkeit  vertreten  hat.  Sie  sind  überhaupt  in  der  ganzen  neueren,  nament- 
lich der  dentschen  I^agogik,  soweit  sich  dieselbe  natnrgemSft,  d.  h.  ▼on  innen 
iMrana,  durch  unbefangenes,  rein  objectives  Denken  entwickelt  hat,  aneikannft 
nnd  maßgebend,  übrigens  nicht  nur  dem  deutschen  Nationalgeistc  homogen, 
sondern  von  allgemein  menschlifher,  unbestreitbarer,  axioniatischer  Gütigkeit, 
Sie  werden  nur  von  dei^jeuigeu  ignorirt  oder  bestritteu,  welche  die  Kernpunkte 
des  pftdagogisdieo  Gedankenkrelses  tlbertiaopt  nicht  an  fusen  vermOgeo,  oder 
diesen  Gedankenkreis  durch  firenidartige  Elemente  trüben  und  verwirren,  indem 
sie  mit  vorgefassten  Meinung"*^n  ?iti  (Ifii-'-llif-n  !ifr!iTitr*>tpn.  sptpr  dien  nnn  theo- 
logische oder  philosophische  Dogmen,  oder  politische  i'arteimaximeu,  oder  natur- 
wissenschaftliche Hypothesen,  dilettantische  Tendenzen  n.  s.  w.  Gegenüber 
Bdcben  Abimingett  von  den  eigentlichen  Grundlagen  nnd  Nonnen  der  Plda> 
gogik  ist  die  angezeigte  Schrift  als  eine  verdienstliche  Zoreditweisnng  anzu- 
erkennen ,  und  daher  begrüßen  wir  in  dem  Verfasser  einen  willkommen ►^n 
Bundesgenossen,  dessen  ausgezeidmetes  Talent  der  guten  Sache  vortreti liehe 
Diimste  leisten  wird. 

-f  Repetitorium  des  evangelischen  Religionsunterrichts.  Beaibeitet  von 
Dr.  Hermann  PrelB.  Zwdte  Anegabe.  Berlin  1882 ,  GoitaT 
Hempel  (Bernstein  md  Fhmk).  X.  n.  272  S.  4M. 

Es  gehört  nicht  an  den  stehenden  Ani|§:aben  onserer  Zeftsehrift,  den  ÜV 
liehen  Beligionsuntenicht  und  die  ihm  gewidmeten  Hilftbttcher  hi  Betraclit  an 


Digitized  by  Google 


—   517  — 


ziehen,  weil  ;iuf  diesem  Gebiete  die  Pädagogik  weni^  Spielraum  hat  .  indem  ja 
die  ganze  Lelirsubstanz  durcli  Ü"bereinkommen  /wischen  „Kirche'"  mal  ..Staat" 
fetitgeäteUt  und  den  Lehrorgaueii  als  bindende  Norm  vorgeschriebeu  ist.  So 
lange  Glaubens-  nnd  Oewismufireibeit  etne  bloße  Theorie,  datevng  nnd  Zwang 
abw  die  hemcfaende  Pnuris  ist,  kann  von  einer  nnbellBuigenen,  anf  klare  nnd 
wolgemeinte  Argumente  gestützten  Discossion  über  den  RelipnotisMiitfirirlit 
und  von  einer  walirliaft  erziehlichen  Gestaltnng  desselben  nicht  die  Kede  sein. 
Man  mag  in  der  von  den  herrschenden  Gewalten  approbiiten  nnd  dicUrten 
Bontine  hie  und  da  ehie  UeiBe  Variation  anbringen:  Ihre  Signatar  bleibt  kmer 
Octroyirun^  nud  Stagnation,  ihre  Wirkung  in  vielen  Fullen  Indifferentismos 
oder  Heuchelei.  Mit  diesen  Dinja^en  Imt  aber  die  Pildag-ogik  nichts  zu  schaffen. 
Sie  muss  es  also  ablehnen,  dem  von  anderen  Factoren  geschaffenen  und  ver- 
tretenen Systeme  Helferdiraste  zu  leisten,  weil  sie  keinerlei  Verantwortung  flir 
die  Früchte  d^aelben  ttbemehmen  luum,  insbesondere  nicht  fBr  die  onserem 
Zeitalter  eigene  Abstumpfung  der  religi^en  und  sittlichen  Oeffthle,  von  deren 
ri*sr»clien  eine  der  wichtie:^:ten  ohne  allen  Zweifel  in  (h-m  bisherig-en  T?eliirions- 
tmlen  icUte  liegt.  Dies  sind  die  Gründe,  weshalb  sich  un^er  Literatnrblatt  nur 
gelten  mit  Sdurilten  Uber  diese  Sdioldiseiidin  betet,  and  weshalb  in  den 
wenigen  FUloi,  wo  es  biihw  geschehen  ist,  jede  OmeeBsion  an  die  bestehende 
Praxis  ansgeschlof^sen  blieb. 

Wenn  wir  nun  unsere  Leser  auf  das  oben  angezeigte  Buch  aufmerksam 
machen,  so  versteht  es  sich  nach  den  vorstehenden  Bemerk uugeu  von  selbst, 
dass  es  sieh  hier  nldit  am  einen  der  gew8hnTichen  »»LeitAden''  fOr  die  ttber- 
kommene  Abrichtnngsmethode  handelt.  Herr  Dr.  PreiS  bemerkt  aosdrüc  klich, 
dass  er  kein  Lehrbuch  für  deri  Eeli^ionsunterrif  ht  "schreiben  wollte.  Der  letz- 
tere habe  die  Aufgabe,  ..das  Gemütlisleben  zu  innerer  Einheit  zu  führen", 
welcher  Zweck  nur  durch  die  „ebenmäßige  Entfaltung  aller  idealen  Interessen'', 
niefafc  aber  dareh  ein  ^tazdnes  „Lehrbnoii^  err^cht  werdim  klfame.  Das  vor« 
liegende  Repetitorium  will  vielmehr  aus  dem  Bereiche  der  gesammtenBeUgions- 
wissensohaft  diejenigen  positiven  Momente  klar  nnd  bündig  vorführen,  welche 
heutzutage  jeder  Gebildete  kennen  mnss,  wenn  er  den  sclnvebenden  confessio- 
nelleu  Sti-eitl'rageu  ein  tieferes  \'ei-ständnis  entgegenbringen  will,  und  welche 
inAesondere  allen  denen  gdSnflg  sein  mfissen,  die  BeUgkosantenicbt)  nament> 
lieh  an  hShwen  Schulen,  zu  eitheilen  haben,  oder  sich  sonst  für  dieses  Fach 
intereesiren;  es  will  daher  auch  denen,  die  :^nr  Yorbereitnnp:  anf  die  beziig- 
lichen  Prüfungen  eines  Anhaltes  bedüifeu,  eine  sichere  Stütze  sein  und  wüj-de 
sich  überdies  für  angehende  Theologen  als  Propädeutik  eignen.  Das  Buch  be> 
st^t  ans  swd  Theilen,  ehiem  historisehen  nnd  einem  literariiehett;  j^ier  gibt 
die  Geschichte  des  Christenthums,  dieser  führt  in  die  Quellenschriften  desselben 
ein  ^■e!i*;t«^(  r  ]iat  i^er  nicht  nnr  diese  ITauptpartien  im  weitesten  Umfange 
getas&t,  Sündern  deus«  Iben  auch  das  Wichtigste  aus  anderen  Zweigen  der  Ke- 
ligionswissensehaft  eingefügt.  Als  Vorgeschichte  des  Christenthnms  gibt  er  die 
Gesehlshtedes  jüdischen  Volkes;  in  der  Geschichte  der  christlieben  Kirche  gebt 
er  genauer  in  die  Lehrstreitigkeiten  der  alten  und  der  neueren  Zeit  ein.  dem 
enTsprf-chpnd  iiamentlifh  auch  in  die  Unterscheidnnpslehren  der  Confessionen ; 
aucii  die  kirchliche  Poesie  und  der  Coltu»  sind  nicht  übersehen;  die  Entwicke- 
long  des  Kirehenwesens  In  den  veisicbiedenen  L&ndem  ist  nachgewiesen,  d«n 
Znsammenbaiig  der  Rdigions*  mit  der  Wdtgeschichte  Rechnnng  getragen. 


üiyuizeü  by  Google 


—  518  — 


Ebenso  ist  im  literarischen  Tlieile  der  innere  Znsammeuliaug  dea  nenen  Testa- 
mentes mit  dem  alten  aufgezeigt,  wesUalb  ancii  von  den  Schriften  des  letzteren 
die  cUdaktilchen  und  prophetiaohen  besonders  hervorgehoben  sind;  die  nente^- 
mentüchen  Schriften  Bind  eing«h«&d  besprochen,  hienutf  uch  die  nJohtfcuKmi- 
scheii  Schriften  des  christlichen  Alterthnms,  sowie  die  verschiedenen  ttmd* 
scliriften  und  Ausgraben  der  biblischen  Bücher  angefi'ihrt  und  charakterisirt. 
Kurz,  das  Bach  gibt  Aoskaaft  über  aUe  Hauptponltte  der  ciiristlichen  Beli- 
gioonrinerndttfl.  Dabd  bewahrt  es  dm»  dardmg  vonrthfiQshMMB  md 
nnparteiischen  Staodpiuiktt  indem  es  letai  ^cff  rein  objeetiv,  ohne  nlle  nb- 
jectiven  Zuthaten  behandelt. 

Fnd  HO  ist  cB  recht,  wo  es  sich  eben  blos  nm  Beiehrang,  am  Darlegung 
de«  Factisciien  handelt.  Die  persönliche  Stellang  zu  den  liistonsch  and  lite- 
rarisch vorliegenden  GbnibennncaMBteii  maM  nach  allgenefaien  Yenmiift- 
gesetzen  wie  nach  den  Grundsätzen  des  Proteetantismns  den  freien  Kmemn 
de«  Individnama  aberiaMon  blefben. 


Der  erste  internationale  pSdajro^fscIie  Con'n*<*ss  Südamerikas  in 
BneBOS-Aires.  hi  allen  Welttheüen  erwaclit  suit  dem  letzten  Jahi-zuhut  das 
regste  Interesse  fdr  die  Hebung  der  Volksbildnng,  für  die  Yobreitnng  allge- 
mein  nfltzliclier  Kenntnisse  in  immer  weiteren  Kraben.  Bisher  waren  ee  haapt- 
sftdüich  die  germanigchen  Nationen,  die  den  anderen  mit  gewohnter  Enei^e 
vrans-ingren;  jetzt  nirhron  sich  die  Zeichen,  dass  anch  die  romanischen  ^'ölker 
die^lbe  Aolg^be  mit  Emst  und  Eifer  ins  An^t*  fassen.  Einen  Beweis  hierfür 
Udbrt  der  errte  inteniationaie  pftdagogiäche  CougressSüdainetikaa,  der  im  April 
1688  Iii  BseoM-Aires  tagte.  Vertreten  waren  die  Staaten:  ArgentlnleB,  Uru- 
guay, Brasilien,  Paraguay,  Boll  via,  San  Salvador,  Costa-Rica,  Nicaragua  und 
die  vereiiiis't^'f!  i^taaten  Südani'^rikas.  250  TheUnehmer  hatten  sich  einschreiben 
lassen,  und  die  .Sitzangen  naUtaen  zwei  Wochen  in  Ansprach.  Behandelt  wurden 
eingehend:  die  Nothwendlglteit  des  firaiea  Volksnntenrlchtt,  die  moraUsehe  Er- 
dahnng,  Belohnungen  und  Strafen,  die  Ansdehnnng  des  Lduprogramms.  g^ 
mischte  Schulen  nnd  die  besondere  BeRlhignng  der  Lehrerinnen  für  die  Leitung- 
dereelben,  8chalmateriali(Mi,  ()rg:anis;ition  und  OehUlter  des  Lehrpersonals  und 
die  Lehrmethoden.  Die  Presse  der  betlieiiigten  Staaten  sorgte  fdr  die  weiteste 
nnd  schnellste  Vcobreitong  der  Beridite,  so  daas  die  neuen  Ideen  bi»  in  die 
einsamsten  Gehöfte  (estaaeiaa)  drangen.  Die  Discussionen  der  Versaminhmg 
bildeten  das  TageseresprJlch  der  bis  daliin  für  die  Pädagf>)<ik  noch  wenig  em- 
pfänglichen Bewohner  von  Buenos-Aires,  und  mit  lebhaftem  Intert  sHe  sieht  man 
dem  zweiten  Cougresüe  entgegen,  der  fUr  den  April  1885  angesagt  ist  uud  den 
ItSberen  allgemeinen  sowie  den  gewerbllehen  Unterricht  smn  Thema  hata 
wird.  (B.  V.  d.  L«.) 


Digitized  by  Google 


—  619  — 


Der  deatsch-amerikanisdie  Lelirerbuud  schickt  sicli  zu  seiner  14.  Jalires- 
mnmaimig  an.  Dieidbe  soll  vom  31.  JoU  Itis  4.  AugfiM  d.  X  in  Chicago 
itattHttden,  wo  ihr  von  der  dentachen  Bii^rschaft  die  herzlichsten  S^nnpathien 

fntpejerfnprebracht  werden.  Das  Pro^mni  T^niules  lautet:  .jPfleg-e  der 
deutschen  Sprache  und  Literatur;  Einführung;  der  naturgemäßen, 
entwickelnden  Lehrmethode  in  die  Schulen  des  Landes;  Erziehung 
d«r  Jngend  zn  walirhaft  repnblikaniielien  Staat8bttrge?n;  Wali* 
rang  der  geistigen  nnd  materiellen  Interessen  der  Lehrer."  An 
iler  Spitze  des  Bundes  stehen  derzeit  Hermann  SclinrirliT  in  <'')n>ae:'>  iPrii- 
iident)  nnd  A.  Schneck  in  Detroit  (Secretär),  zwei  der  besten  ilämier  des 
deutsdien  Lehrerstandes  in  Nordamerika.  Zar  Versammlang  haben  bereits 
■dirae  anerkannt  tflehtlge  Bernftgenoeaai  Y<ntrtige  angeaneldfit,  so  Pro- 
fenor  Klemm  über  ,,Deat8ch  als  Unterrichtsfach  in  Lelirerseminareu",  Bam- 
berger  über  den  „Unterricht  in  der  Geographie  in  Verbindung  mir  (h^r  Ge- 
schichte", K attermann  über  einen  «J^eitfadeu  der  deutsch -amenkaiiiiichen 
G«achiehte'S  Prof.  F.  Adler  Aber  .^beitsBechnien",  Schuriclit  aber  „QemtltJit- 
bildnng  aU  ünterriditasegenitBnd^  Raab  fiber  die  „Pflichten  des  Dentaeb- 
thanis  der  Union  und  der  deutschen  Lehrer  gegenüber  der  Öffentlichen  Schule". 
Wie  man-  eielltt  versprechen  die  Verhandlunp^en  !5Phr  lebhaft  und  geliaUi  eii  Ii 
n  werden.  Die  deutsch  «amerikanischen  Lehrer  verdienen  alle  Anerkeuuuug 
fir  das  mannhafte  Eintreten  zur  Wahrung  Uirer  Nationalitftt,  Cnltnr  und 
Spaehe.  Dies  thnt  thtt  aaeh  noth;  doin  leider  ist  aneh  in  Nordamerika  das 
Deotschthum  gegenwärtig  engherzigen  Anfechtungen  ausgesetzt.  —  ^lit  der 
bevorstehenden  Versammlung,  der  wir  mit  lebliafter  Theilnahme  entgegensehen, 
soll  eine  Ausstellung  aller  Lehr-  nnd  Lernmittel  für  Kindergärten  und  Arbeit«- 
Hhnlen  yertNinden  werden.   

Nach  dem  „Report  of  the  Commissioner  of  Education**  in  \\  asliingtou 
waren  während  des  Jahres  1880  in  den  Schulen  von  35  nordamerikuuischen 
Staaten  und  8  Tarritoiien  116012  ntnnliehe  nnd  157656  weibUebe  Lchr- 
ktifte  in  'Wirksamlteit.  In  sehr  vielen  dieser  Staaten  nnd  Territorien  haben  die 
Fianea  sowol  das  passive  wie  das  active  Wahlrecht  in  Sdinlangeiegenbeiten. 

In  Italien  schwankt  die  Procentzalil  der  des  Lesens  unkundigren  Recruten 
ZAK'ischen  1437  (Turin)  und  72,71  (Messina),  durchschnittlich  ist  »ie  48,8. 
Es  wird  daher  von  den  Rrennden  der  Volkabüdonip  tief  bedauert,  dasa  in  daa 
rsteniehtabadgot  llir  1883  nnr  4,5  Umonen  Lire  eingestellt  sinl 

Frankreich.  Jensens  der  Vogeseu  besteht,  gleichwie  lu  itiilieu  und  seit 
.\agU8t  V.  J.  auch  in  Belgien,  die  Einrichtung,  dass  diejenigen,  welche  ein 
SchnUnspectorat  erhalten  wollen,  sieh  einem  spedellen  Examen  mtendehen 
mOssen.  In  Frankreich  gilt  dieselbe  Prüfung  auch  für  die  Candidaten  des 
Seminar-Lehramtes.  Auf  Grund  dei-  Iftzt»!!  derartigen  in  Pai'is  abgehaltenen 
Prüfung  erstattete  nun  der  Generaiinspector  Brouard  an  den  Unterrichtsminister 
einen  Beriebt,  welclier  nichts  weniger  als  geeignet  ist,  die  pädagogische  BU- 
dang  des  ftaazOsiscben  Lebrentandes  in  ein  gflnstigea  Liebt  m  stellen^  denn 
^■^  mnss  doch  angenommen  werden,  dass  im  ganzen  nnr  die  befUhigtesten  Köpfe 
sich  zur  Ablegong  dieser  Prttfhng  anschielten.  Der  offidelle Bericht  aber  sagt: 


Digitized  by  Google 


—  620  — 


„Das  Examen  g^bt  im  ganzen  fSut  za  denselben  Bemerkungen  Anlaat,  wie  das 
vorige.   Daa  mttndlidie  Examen  ist  fast  dnrchgehends  schlechter  geweam  als 

das  schriftliche.  Besonders  in  Psychologie  and  Mural  haben  sicli  die  Kennt- 
nisse nnznreichrmd  gezeisrt.  Eine  kleino  Anzahl  der  Candidaten  hat  richtig 
und  Idar  geantwortet,  sie  zeigten,  dass  sie  stndiit  and  begriffen  hatten,  aber 
aelbat  bei  diesen  war  der  Aoadnidt  nodi  beaduUikt,  tndcAn,  ohne  Leichtig- 
keit und  Beichhaleigkeit  Dia  Gawohnkeitt  in  lofiaeham  Gedankangaag«  ta 
sprechen,  einfach  nnd  gefällig  das  za  entwickeln,  was  man  weiß,  fehlt  allge- 
mein. Formeln  sind  behalten,  aber  man  hat  .sie  nicht  verdaat.  sie 
werden  gebraucht,  wo  sie  gar  nicht  passen.  Viele  finden  sich  so  an- 
bebagUch  auf  dem  Gebiete  der  Pqreboingie  und  der  Moral,  daa»  sie  mit  einer 
EUe,  die  lachen  macfatt  aof  daa  der  praktischen  Pädagogik  fibecgehen.  Sie 
scheinen  ;rur  nicht  za  ahnen,  dass  man  e.s  ihnen  Dank  wissen  \nirde,  wenn 
sie  sich  aiiätrt^ugten,  einen  überleört«n  Gedanken  zn  zeipren.  ilire  .<rhwa<»he 
erscheint  um  so  anstüfiigei',  als  sie  Banalitäten  über  Dinge  sagen,  mit  denen 
sie  vertrant  sein  sollten.  Gewisse  Candidaten  acheinen  über  PayckO' 
logie  nnd  Moral  noch  nichts  gelesen  zn  haben,  in  jedem  Falle  abtt* 
nichts  behalten  zu  haheii  .  ."iie  verwerh.seln  alles,  sie  widersprechen  mit  dem 
einen  6atz  dem  andern,  der  Ausdrnck  veiTiith  sie  jeden  AujerenMick.  sie 
haben  keine  klare  Idee,  sie  wenden  Wörter  au,  deren  .^mii  iiir  »ie  nichts 
Bestinimtea  hat  Es  haben  eich  Candidaten  geAinden,  die  keineaw^  be- 
kannt waren  mit  den  Ideen,  welche  w&hrend  der  Bevolation  über  Volka- 
•  erzieliung-  aufgetreten  sind,  die  wenig  oder  gar  nicht  die  schönen  Instructionen 
von  (Tuizot  kannten.  Namen.  Daten,  Citate,  Allgemeines  über  <]h'  verschie- 
denen £rziehung8tjy8teuie,  aber  nichts  Präcises  über  die  Doctrineii.  Die  Can- 
didaten haben  nicht  die  Schriflateller  gewnaat,  die  aie  leaen  aoUten,  nicht  g»- 
wusst  die  wichtigsten  Werke,  über  die  aie  imatande  sdn  aoUten  an  aprecbeii. 
sie  haben  vielleicht  kein  einziges  da\f>Ti  erlesen,  sondern  citiren  \mr.  ^vas  an- 
dere darüber  gesagt  haben."  —  Man  ersieht  hierans,  wie  nothweudig  die  in 
Frankreich  begonnene  Schalreform  ist  Übrigens  kommen  bisweilen  audi  in 
anderen  Ländern  bei  Prfiftmgen  Ihnliche  Gebrechen  sntage,  nnd  es  wbdea 
sich  deren  noch  mehr  zeigen,  wenn  alle  Schalinspectoren  nnd  Seminarlehrer 
ein  ihrem  Amte  entaprechendee  Examen  bestehen  mflaaten.  (F.  F.) 

Die  Universitlten  im  deutschen  Reiche  hatten  während  dea  Sommer^ 
aeaeaters  1882  Ibigende  Freqnena:  Berlin  3900,  Leipnlg  3111,  MBaehen  2018. 
Breslau  15f)2.  Halle  1477,  Tübingen  1401,  Wurzburg  1091,  Göttinnen  1085. 
Bonn  1061,  Heideiber?  922.  Königsberg  863,  Straßburg  823,  Marburg  7B6. 
Freibarg  721,  (ireilswald  t)ö9,  Erlangen  575,  Jena  570,  Gießen  435,  Kiel 
381,  Httnater  326,  Boatoek  217.  An  Ikat  allen  dleaeo  Anatalten  ist  die  Fr»> 
qnens  im  letstMi  Jahnehnt  bedentend  fcaUegen,  am  atlrkaten  In  StraUNirff. 
Geennken  ist  de  nur  an  der  UniTenltftt  an  Mfinater. 


Bttmisches  Recht.  Bezüglich  des  unlängst  im  „Pädagogium"  (V.  S.331fE.) 
verSffantliehten  Vortrags  Ober  die  „Spradienfrage"  achreibt  obi  ein  gewiegter 

Jurist:  „Ich  darf  versichern,  dass  mir  jedes  Wort  darin  aus  der  Seele  ge- 
sprochen M.  Der  in  der  Ge.schlchte  beisiiiello.s  dastehende  Act  der  Selbst- 
entmannong,  den  das  Volk  der  Denker  speciell  mit  der  Aufiialune  dea  römiackMi 


Digitized  by  Google 


—  521  — 


Rechtes  an  sich  vorgenommeu,  gehört  ja  auch,  wie  treffend  hervorgehoben,  in 
das  grofie  deoladie  Sttudencapitol  vom  BomaniBmiiB  und  h«t  nir  schon  so 
nindMii  StofiMoflEor  entlockt,  dar  gewftt  foa  jedon  Bechtakmidigea^  weloher 

nicht  blos  Jurist,  sondern  anch  Rechtsfreund  ist,  mitempfunden  wird.  Auf 
diesem  Gebiete  fordert  der  auf  uns  lastende  Flach  des  Bomaniamos  noch  heote 
täglich  seine  Opfer.    Gott  bessere  es!'' 


In  der  Skthweii  ]»t  die  BecmtenprAftuiir  fftr  1883  ftdgende  Rangordnung 

der  Cantone.  von  eiinstig-en  zu  mindergünstigen  und  ungünstigen  Resultaten 
hin,  ergeben:  Genf.  IJaselstadt,  Tbnrgan,  Zürich,  Schatthansen.  Obwaldeii, 
Neuenbürg,  Waadt,  Zug,  Glams,  Appenzell  A.-R.,  Solothum,  Graubünden, 
Aaigaa,  St  OaUcn,  Teisin,  Ben,  Baselland,  Sdiwyz,  Nidwiilden,  Lnaeni, 
Appenzell  L-B^  Wallis,  FnUbmrg,  üri. 


In  dem  neneston  Jahresbericht  des  freiwilligen  Arn»  iivereines  Wiiiterthur. 
an  dessen  Spitze  unser  wackerer  Mitarbeiter,  der  vielverdiente  H.  Morf  steht, 
IidBt  es  n.  a.  ^^Als  eine  weitere  ITiwdie  geringer  Arbeitsleistan^  haben  wir 
die  geringe  Übung  und  Ausbildung  der  geistigen  Kräfte  bezeichnet  Es  fehlt 
unter  den  arbeitenden  ('!;t?>  n  immer  noch  die  Einsicht  in  die  Wichtigkeit 
einer  griindlichen  Beschiüuug.  Wol  aber  dart  mau  annehmt-n,  dass  bei  uns 
unter  deueu,  die  das  entscheidende  Wort  führen,  keiner  mehi'  ist,  der  von  der 
Ansieht  ansgebt,  dem  Arbeiter  kfinnte  leieht  m  vUA  BeMsbnbmg  nothefl  werden; 
Arb^t  sei  nnn  etannal  sein  Los;  mehr  Bildung  und  Wissen  ihm  zu  geben,  ahl 
er  znr  Betreibung  seiner  Arbeit  nötlüg  habe,  nütze  ihm  nirltts,  mache  ilm  nur 
unzufrieden  und  nnglncklicti ;  ein  bescheidenes  Verbleiben  ui  i^einem  bescheidenen 
Wissenskreise  sei  die  beste  Gewähr  für  seine  Glückseligkeit.  Aber  eine  gute 
Besehnlnng,  eine  tflehtige  Oeistesbildiuig  neben  technischer  BemAansribtnng 
bewirkt  ja,  dass  der  Mensch  mehr  Interesse  an  des  Arbeit  gewinnt,  weil  der 
Geist  mit  der  H;>nd  arbeitet.  Es  ist  der  Mensch,  der  die  Würde  dei'  Be- 
schäftigung bestimmt;  nicht  die  Beschäftigung  ist  es,  welche  den  Maiistab  ab- 
gibt für  die  Wtide  des  Menschen.  Die  ErfUumng  lehrt  sattsam,  dass  der 
gebildete  Arbeiter  der  tftcbtlgste,  fleltfgsfee  nnd  gi&cUiefaate  ist^ 

Wenn  doch  in  allen  Ländern  diejenigen,  „die  das  entscheidende  Wort 
ftthren,'*  diese  Ansichten  begriffen  nnd  theilten!  Aber  da  eben  fehlt  es. 

In(hterrelek  habm  wir  soeben  das  Gegenthell  «rfthren:  Die  reactlo- 
nSre  Scbnlnovelle  Ist  aaeh  im  Hanse  der  Abgeordneten  angenom* 

men  worden.  Der  Kanm  dieser  Nunmier  irestattet  uns  nicht,  die.ses  Ereignis 
schon  hentp  genauer  zn  hf^sp rechen.  Wir  behalten  uns  einen  ausführlichen 
Bericht  vor.  Für  diesmal  nur  einige  kurze  Angaben.  Die  Tendenz  der  Novelle 
haben  wir  bereits  früher  gekennzeichttet,  (Sidie  Heft  6,  Seite  S94)  Der  Kampf 
un  dieselbe  bat  im  Abgeordnetenhattise  dieiiehn  Tage  gewährt  und  wurde  mit 
der  !tußf^5-^trTi  Vii'^driner  nnd  Enerjrie.  von  der  fWisinnigen  Partei  in  höchst 
glänzender  und  rühmlicher  Wei.se  {r^'fiihrt.  Aber  der  Au.sirang  desselben  war 
im  voraus  bestimmt.  £s  bestätigte  sich,  waa  wii-  vor  zwei  Monaten  schrieben: 
t^edenfhns  sind  g^^  den  im  Werke  begriffenen  Rficksehritt  Vernnnft- 
^rftnde  einstweilen  wirkungslos!"  ffiltten  Yernunftgründe  entschieden, 
00  wftre  die  Novelle  einstimmig  verworfen  worden.   Statt  dessen  wurden  im 


üiyuizeü  by  Google 


—  022  — 


Schluraacte  —  er  geschah  am  28.  April  —  170  Stimmen  fär,  167  Stimiueu 
gegen  lie  abgegelieiL  Dieies  dmdi  NamniMiifrnf  enielte  Eq^lmis  seigt  «Im 

für  die  Novelle  eine  M^rität  von  drei  Stimmen,  wobei  zn  bemerken  ist,  dass 
unter  den  170  Siegern  aach  jene  5  Minister  ^\ch  befinden,  welche  zneleich 
Abgeordnete  sind  und  aU  solche  selbstverstäudüch  &ar  die  Regicmngsvorlage 
▼otlrten.  Dm  «Im  ivar  der  Sieg  gegen  den  offienkandigen  Willen  der  grofleo 
Mehrheit  des  dsterrddiieeheii  VoIkeSt  ja  gegen  die  heeMre  Übenengimg  der 
großen  Majorität  des  Abgeordnetenhauses  selbst.  Wir  werden  dieses  seltsamei 
olme  Zweifel  höchst  folgenschwere  und  denk\^ürdige  Ereiieiiis  in  nue^  ren  Blattern 
allseitig  darlegen  und  wüi'digen.  Jenseits  der  Grenzen  ()8terreicks  kann  niemand 
den  gewaltigen  Eindniek  enpAndent  den  hier  der  SchuUuonpf  bewirkt  haL 
Den  Siegern  ist  bange,  die  Besiegten  sind  entrflstet,  Besonders  der  Dentechen 
hat  sich  eine  tief  gehende  Gährung  bemächtigt,  welche  lan«^e  wahren  nnd  be- 
deutsame Folgen  nach  sich  ziehen  wird.  Es  handelt  sich  in  <l«  r  That  um  ein 
Stuck  Völkergeschichte,  um  die  EIhre  und  das  Wol  eines  gruttea  Reiches  und 
vielleidit  —  nodt  om  etwas  mehr.  Noeh  ftldt  allerdinge  anm  definftiTeii  Ab- 
schluss  des  „Reorganisationswerkei"  eine  entscheidende  Kundg^bnng:  Die 
kaiserliche  Sanction.  Da  es  <^i>1i  nm  sehr  eingreifende  Ändeningen  eines 
höchst  ^iehti^-en  Re!ehs«resetzes  handelt,  da  diese  Änderungen  sogar  die  öster- 
reichische Staatsverfassung  (Gleichberechtigung  der  Confessioneu )  taugireu, 
da  es  «ndlich  evident  ist,  dass  nnr  eine  sehr  kleine  (aber  leider  sehr  miditige) 
Parteif  die  clerical-feudale,  wirklich  mit  dem  Herzen  für  die  Novelle  ist:  so 
muss  momentan  das  letzte  Sdiicksal  derselben  noch  als  nni^ewiss  gelten.  Gewiss 
aber  ist  fiir  jeden  Fall,  dass  die  Keaction  einen  Pyrrhussieg  errungen  hat>  welchen 
ihre  Helden  noch  bitter  beklagen  werden! 


Nachtrag« 

Es  Jat  geschehe.  Die  kaiserliche  SaDcticn  der  Sehnisoirdle  ist  erfolgt» 
schneller  als  erwartet  wirde.  Der  2.  Mai  ist  das  Datmn  dieses  historisehea 
Aetes.  — 


Tmatwarttlcker  Radaetnr:  M.  8ttf  ■.         Biehdraelunl  J«li«t  Kllakhftr4t,  Uifri» 


Digitized  by  Googl 


Die  zwei  Arten  dts  (iedaukeulaafs. 


Yen  Maat  Jiahm'Ltij^, 

£iii  Blick  auf  die  Vorgänge  in  unserm  Innern  lässt  gewisse 
ihnen  allen  gemeinsame  formale  Eigenthümlichkeiten  erkennen.  Wir 
finden  ziinHchst,  dass  in  uns  ein  immerwährender  Wechsel  von  Be- 
wnsstsein  nnd  Unbewusstsein  statthndet,  ferner  dass  die  bewusst- 
gewordenen  Zustände  bald  in  Verbindungen  und  Zusanimenliängren 
sich  (larstellt  n,  bald  aber  auch  gesi^liieden  bleiben,  sich  nicht  verbinden. 
Wiederum  linden  wir,  dass  in  gewissen  I-'ällon  die  Vorst  eil  uns^en  sehr  raseh 
einander  weichen,  in  andern  Fällen  jedoch  einander  Widerstand  leisten, 
und  wir  uns  Mühe  geben  müssen,  sie  zu  verdrängen.  Weiter  zeigt 
sich,  dass  ein  Gedankengang  mitunter  gewisse  (Tefiildszustätide  mit 
sich  führt,  und  dass  sich  entweder  eine  Übereinstimmung  oder  ein 
Widerspruch  innerhalb  der  einzelnen  Theile  desselben  geltend  macht. 

Alle  Eigaitbamlichkeiten  dieser  Art  lassen  sich  Haoptsache 
nach  in  zwei  Abtheüiingeii  bringen.  Einmal  nftmlich  sind  die  Inhalte 
der  psychischen  Vorgänge,  spwie  ihre  Ablftnfe  und  ümbfldungen  gänz- 
lich ohne  unser  Wissen  nnd  Wollen,  ganz  so  wie  die  Ereignisse  in 
der  Natnr  entstanden.  Das  andere  Mal  treten  den  gerade  bewusst- 
werdenden  nnd  ablaufenden  Inhalten  gewisse  über  ilinen  stehende 
Normen  entgegen,  Andern  formell  oder  sachlich  dieselben  ab  oder  for- 
dern wenigstens,  dass  ein  anderer  Inhalt  oder  ein  anderes  Verhftltnis 
der  Inhalte  stattfinden  sollte. 

Einige  Beispiele  werden  das  Gesagte  verdeutlichen: 
Die  Wahrnehmungen,  welche  uns  durch  die  Sinne  Ton  der  Sonne 
und  der  Erde  übermittelt  werden,  haben  den  Menschen  veranlasst  zn 
sagen,  die  Erde  steht  still,  nnd  die  Sonne  bewegt  sich  nm  sie.  Im 
Laufe  der  Zeit  ist  man  aber  zu  der  t^berzeuji:nn<,^  gekommen  zu 
sauren,  dass  nmirekehrt  die  Erde  sich  bewejrt,  und  für  sie  die  Sonne 
dt^r  Centralkürper  ist.  Letzterer  (Tedankenlaul,  dass  die  Erde  sich 
bewegt,   ist   ein  neuer,  dem  ersteren  entgegengesetzter;   er  ist 

Pa4««osiBiD.  b.  Jabrgtog.  IX.  Heft.  34 


Digrtized  by  Google 


—  524  — 


weni^rer  diinh  die  Sinne,  denn  die  Bewegung  der  Eli'de  hat  noch 
niemand  jeuiali^  uiit  seinen  Augen  gesehen,  sondern  auf  einem  beson- 
deren Wege  entstanden. 

Oder  nehmen  vvii-  an,  es  ^tehc  ein  Kind  odt-r  ein  Ungebildeter 
Tor  der  Statue  des  Zeus,  so  werden  beide  an  den  weißen  Marmor 
denken,  an  den  daraus  gebildeten  Eepf  mit  den  festen  Qedehtszügen; 
sie  werden  die  mftcbtige  Stirn,  die  den  reichen,  emporgewor^ien 
Lockenkranz  trfigt,  sehen  nnd  anblicken,  aber  welterirird  in  ihnen  nichts 
bemerkt  werden:  hier  ist  der  Gedankenlanf  za  Ende.  Stellen  wir 
jedoch  ehien  Gebildeten  an  die  Stelle  des  Ungebildeten,  so  steigen  m 
Ihm  noch  besond^  Gedanken  anf:  er  erkennt  das  Ebenmaß  der 
Glieder  nnd  der  Theile;  der  Kopf  versinnlicht  ihm  die  göttliche  Kraft 
und  Majestät,  und  es  entsteht  in  ihm  das  Gefülil  d-  s  Sch«»nen  und  Er- 
habenen. So  hat  sich  in  ihm  ein  nener  Gedankenlanf  gebildet,  der 
von  jenem  weit  verschieden  i>t  .  * 

Die  erstere  Art  des;  Gedankenlaufes  nun,  wie  er  in  den  Beispielen 
im  Einzelnen  vorgeführt  worden  ist,  nennen  wir  den  rein  psychischen 
oder  mechanischen,  indem  man  ihn  als  Wirkung  eines  psychischen 
3Iechanismus  denkt,  nach  welchem  sich  die  Seele  ganz  so  zu  fügen 
hat.  wie  jedes  andere  Naturwesen  sich  dem  NatuiniHclianismns  ftigt. 
Die  zweite  Art  dair^i^en,  wo  die  Inhalte  und  Verhältnisse  des  Beuusst- 
seins  durch  hrdieiv.  niclit  nuehanische  Normen.  Gesetze  bestimmt 
werden,  hezfichuet  man  als  den  normirten  Gedankenlanf 

üm  nun  die.>e  beiden  Ahtlieiluiicren  der  Seelenthätigkeit  etwas  zu 
charakierisii'en,  ist  es  am  geeignetsten,  sie  nebeneinander  zu  stellen 
und  ihre  hauptsächlichsten  Unterschiede  anzugeben.  Dadui-ch  aber  ist  es 
möglich,  das  psychologische  Material  in  einer  f&r  die  Pädagogik 
Tortheilhaften  Weise  zu  ordnen  und  für  die  pädagogische  Thfttig- 
keit  weitere  Gesichtspunkte  zn  finden.  Um  jedoch  den  Gegenstand 
nicht  zn  verwirren,  soll  hier,  weitere  Bedehnngen  zur  Fidagogik  zn 
machen,  nnterh»sen  bleiben. 

1«  Der  psychische  Vorstellungsverlanf  beginnt  im  nn* 
mittelbaren  Empfindnngs-  nnd  Wahrnehmungsbewasstsein, 
während  der  normirte  immer  eine  appercipirende  ThAtig- 
keit  Toraussetzt  Die  Ursachen  des  ersteren  wirken  an* 
bewnsst,  wahrend  der  normirte  Ablauf  sich  stets  anf  einen 
bewnssten  Vorgang  stützt 


Weitere  Bebpie!-    nthält  des  Verfuien:  .tPsyoliologio  ata Onaidwineiisehaft 

der  Pftdagogik"  Ton  §  32  aa. 


Digitized  by  Google 


—  52Ö  — 

Dieser  Unterscliied  ist  ohne  weiteres  klar.  Zam  Empfindungs- 
and  Walimehmungsbewusstsein  gehSrt  zunächst  alles,  was  durch 
äußere  Eiaft&sse,  dnrcli  die  Sinne  in  uns  entstanden  ist.  Ebenso  sind 
liierzn  zu  rechnen  alle  Reproductionen  früherer  Wahrnehmungen  durch 
gegenwartiofe.  Also  alles,  was  gesehen,  gehört,  i^esrhmefkt,  i^efiihlt 
wird,  sich  in  un^  vf^rknüpft  und  abläuft,  jjehört  zum  rein  psychischen 
Besitzthum  der  Seele.  Und  dazu  entsteht  dieses  alles  in  uns  zunächst 
nnbewusst:  die  ersten  Eindrinke,  die  da«i  Kind  empfangen  hat, 
haben  sich  von  sellist  gebildet,  von  selbst  verknüpft,  gehemmt,  repro- 
ducirt  und  sind  mit  allem  neu  Hinzutretenden  in  Verbindungen  ein- 
getreten, nni  immer  neue  Abläufe,  ^leiclisam  neue  Fäden  su  spinnen. 
\\  ii  würden  von  alle  dem  keine  Ahiumg  haben,  wenn  es  uns  nicht 
möglich  wäre,  dem  Ablaufe  der  Vorstellungen  ein  Halt  zuzurufen,  das 
einzelne  Erlebte  festzuhatten  und  zam  beetimmten  Gliede  einer  neuen 
VorsteUnngsreihe  zu  maiehett. 

Hier  in  dieeem  Fnlie  treten  dann  die  psychischen  Vorgänge  mit 
einer  appercipirendeni  Thftügkeit  yerbanden  an£  Eine  Apper- 
ception  ündet  schon  statt,  wenn  das  Kind  eine  Blome»  ein  Thier 
wiedererkennt,  oder  wenn  es  nrtheflt,  dass  die  Katze  ein  Ranbthier 
aei  Überhaupt  besteht  die  Apperception  darin«  dasfl^  die  einzelnen  nenen 
Vorstellungen  vom  Bewusstsein  festgehalten,  gleichsam  beschaut  werden, 
um  dann  in  ein  Verhältnis  zu  einzelnen  Theilen  des  reprodueirten 
Vorstellungslebens  zu  treten  und  um  schließlich  nach  erfolgter  Umformung 
in  das  rahende  Ganze  des  Vorstellungslebens  eingereiht  zu  werden. 
Das  appercipirende  Bewusstsein  «jeht  frewissennaßen,  sobald  es  thätig 
ist,  zwischen  den  einzflni  ti.  und  zwar  sowol  den  reprn  lucirten  alten, 
als  auch  den  neuen  Abläufen  der  Vorstellungen  auf  und  ab.  bildet 
die  Vorstellungen  nach  Reditrfnis  um,  nimmt  das  eine  Mnm»»nt  in  das 
antitre  auf  oder  weist  es  ai)  und  sucht  es  für  das  Bewusstsein  zu 
vernichten.  Die  Appereeption  brit-ht  auf  diese  Weise  den  Mechanismus 
des  Vorstellens,  greüt  in  den  rein  psychischen  Gedankenlauf  hemmend 
und  zci"stürend,  zugleich  aber  auch  verbessernil  ein  und  ersetzt  denselben 
durch  einen  neuen,  bei  welchem  das  Einzelne  und  Vorübergehende  mit  dem 
Ganzen  des  Seeleninhaltes  in  angemessener  Weise  verknüpft  wird. 

2.  Der  psychische  Gedankenlauf  ist  ein  von  den  Natur* 
geaetzen  des  Seelenlebens  abhängiger  und  enthält  deshalb 
eine  aubjective  Nothwendigkeit  Der  normirte  dagegen 
richtet  sich  nach  gewissen  von  der  Subjectivitftt  unabhän- 
gigen Regeln  des  ürtheilens,  Schliellens  und  Erkennens 
und  nimmt  den  Charakter  einer  Allgemeingiltigkelt  an. 


Digitized  by  Google 


—  626 


Von  allen  Vorstellungen,  die  wir  von  uns  und  der  Außenwelt 
besitzen,  ist  bekanntlkli  immer  mw  ein  gewisser,  bald  größerer,  bald 
geringerer  Theil  präsent,  der  bald  in  dieser  Verbindung  und  Abfolge, 
bald  in  einer  anderen  auftritt.  .Man  nennt  solche  Verbindungen  Asso- 
ciatiüüeiL  i><)  zeigt  es  sich,  dass  ein  ()rt,  in  den  wir  zurückkehren 
oder  dessen  wir  uns  erinnern,  auch  das.  was  daselbst  geschah,  uns 
u  iedt^r  bewusst  macht.  Die  Erinnerung  einejs  l)estimint«n  Zeitpunktes 
fiUirl  die  Vorstellung  der  Personen,  Ereignisse,  Zustände  wieder  ins 
Bewusstsein  zurück,  die  zu  jener  Zeit  wahrgenommen  wurden.  Ebenso 
weckt  ein  gesehener  Gegenstand  das  Büd  eines  flun  ühnlichen  oder 
aneh  daes  ihm  unähnlichen  auf.  Alle  dieee  innem  Eriehnisse  in  den 
verschiedensten  YerfcnflpAingen  haben  ihren  Omnd  in  der  eigenthllm- 
liehen  Beschaffenheit  des  Seelen wesena  selbst  Sie  sind  dnreh 
die  ihr  einwohnenden  Erifte  neoeeshart  Dass  gehabte  Wahmehnrangm 
Yon  neuem  an&teigen,  lieget  darin,  dass  aUes,  waa  die  Seele  erlebt» 
behairt  Dass  alsdann  dieses  Beharrende  in  gewissen  Verbtndvngen 
erscheint,  rühi-t  daher,  dass  die  Seele  ein  einheitliches  continuirlichea 
Wesen  ist.  Oft  zeigt  sich  auch,  dass  ein  und  dieselben  Zustände  nadi» 
einander  in  verscliiedenen  Zusammenhängen  ablaufen,  dass  einzelne  inten- 
aiyer  auftreten,  andere  dabei  verschwinden,  dass  aber  ancli  die  Seele  das  in 
vielen  Voretellungen  Gleichartige  herausfindet  und  festhält  Diese  Vorgänge 
können  eine  Erklärung  nur  darin  finden,  dass  in  dei*  Seele  ein  Gesetz  der 
Ausschließung  und  der  Keihenbüdung  wirkt.  Diese  Gesetze,  nach  denen 
die  Seele  unabiinderlich  thätii»-  ist,  be<linö:en  -^n  dit-  forninlen  Be- 
schaöenheiteu  des  ps^ychischen  (Tedankenlauts.  Weuu  zwei  VorüieilunLren 
von  bestimmter  Qualität  und  Intensität  in  der  Seele  zusammentretien, 
so  kann  auch  nur  eine  ganz  bestimmte  Verbindung  entstehen.  Auf 
diese  Weise  treten  die  Vorstellungen  in  zutalliire.  historische  Gruppen 
und  Keilien  zuj^ammen,  wie  es  der  jeweilige  Zusiaud  der  Seele  und 
die  sie  gerade  umgebende  Außenwelt  gebieten  und  mit  sich  bringe 

Ganz  anderer  Art  ist  der  normirte  Gedankenlan£  Noch  dn 
Beispiel  soQ  den  Gegensatz  eiliatem.  Denken  wir  nns»  jemand  habe 
die  YoisteUong  eines  Reiters;  so  ist  f&r  ihn  mit  dieser  TorsteUnng 
unzweifelhaft  aaeh  die  VorsteUnng  eines  Pferdes  Terbnnden.  Diese 
Vorstellnngsyerbindimg  ist  aber  eine  rein  znfftllige;  denn  im  Inhalte 
des  Bildes  vom  Pferde  liegt  ebensowenig  irgend  eine  Hindentang  anl 
das  Bild  einer  Person,  wie  in  diesem  anch  nicht  anf  das  Bild  einea 
Pferdes.  Außerdem  ezistirt  obige  Verbindung  auch  nur  für  den- 
jenigen, der  ein  bestimmtes  Pferd  und  einen  Menschen  dai-auf  gesehen 
hat;  denn  ein  anderer  kaitn  dasselbe  Pferd  oder  dieselbe  Person  ge^ 


•    Digitized  by  Google 


—  527  — 


«eben  haben,  nur  nicht  in  dieser  Verbindung.  Anders  gestaltet  sich 
<las  Verhältnis,  wenn  wir  mit  der  Vorstellung  des  Pferdes  die  Vor- 
stellung- vorbinden ,  dass  es  ein  orj^anisches  Wesen  sei.  Hier  ist 
das  Verhältnis  der  Vorstellungen  dmch  den  Inhalt  beider  bedinsft, 
<L  h.  durch  die  Natur  der  zu  den  Vorstellungen  g-ehörig-en  Dinge 
außer  uns.  Die  Verbindung  hört  jetzt  auf,  eine  zußillige  zu  sein; 
denn  was  durch  den  Inhalt  der  Vorstellungen  bedingt  ist,  ist  noth- 
wendig. 

Es  kommt  also  beim  nonnuten  Gedankenlaufe  außer  der  sub- 
jectiven  Noth wendigkeit,  die  dui'ch  die  innere  Gesetzmässigkeit  der 
Seele  bedingt  ist,  noch  eine  zweite,  objectiTe  Nothwendigkeit  hinzu. 

Es  fragt  sich  nim,  worin  das  Nene  besteht,  das  m  einem  blos 
psyehiieheD  CMankenlanfe  hinzutritt  und  denselben  in  einen  normir- 
ten  umwandelt?  Ehe  eine  VorsteUnng  sieh  nach  ihrem  Inhalte  richten 
kann,  muss  der  Bewnsstseinsinhalt  entstehen,  dass  ttberlianpt  etwas 
Wiridiches  da  ist  und  etwas  Wirkliches  geschieht  -Der  Mensch  darf 
nicht  bh»  die  Sonnenwiinne  fühlen,  den  Wassertropfen  herabfallen 
sehen,  sondern  er  muss  auch  wissen,  dass  die  Sonne  ein  wirk- 
liches Ding  ist,  das  Herabfollen  der  Tropfen  wirklich  geschieht 
Dann  kommt  za  diesem  Bewustsein  des  Wirklichen  das  Bewusstsein  des 
Unterschiedes  zwisclien  einer  bloßen  Vorstellung  und  des  davon  un* 
abhängigen  Wirkliclien  hinzu.  Beides  nun,  der  Gedanke  der  Existenz 
und  der  des  Unterschiedes  von  Wirklichkeit  unrl  bloßer  Vor- 
st tel  hing  oder  Umbildung  muss  zunächst  vorhanden  sein,  wenn  die 
Vorstellungen  sich  nach  iliren  Tnlmltpn  richteu  sollen.  Auf  fliese  Weise 
würde  jedoch  immerhin  noch  kerne  uorniirle  iTe  lankt  ukei i  e  zustande 
kommen,  wenn  der  Mensch  nicht  die  Vorstellungsinhalte  aufeinander 
beziehen,  miteinander  vergleichen,  sie  überhaupt  in  einem  von 
ihi*er  Bedeutung  determinirten  Zusaramenhansre  denken  könnte.  Dies 
geschieht  nun,  indem  man  über  das  als  ein  Wirkliches  bewusät  Ge- 
wordenes urtheilt  und  dadurch  eine  Elrkenntnis  von  ihnen  gewinnt^ 
und  zwar  durch  d«i  Gebrauch  von  Vmtellungen,  die  eben  aus  der  Ter» 
g^leichung  und  der  Beziehung  der  Inhalte  entstanden  sind.  Solche  neue  Vor- 
stellungen sbid  z.  B.  die  des  Ganzen  und  des  Tfaeiles,  des  Einen  und 
des  Vielen,  der  Zu*  und  Abnahme,  der  Buhe  und  Bewogung,  des  Wir^ 
kens  und  Leidens,  der  Ursache  und  Wirkung,  des  Lebendigen  und  des 
Todten.  NatttrUch  unterliegen  auch  diese  neuen  VorsteUungen,  wenn 
sie  sich  einmal  gebildet  haben,  dem  Wechsel  von  Bewusstsein  und  ün- 
liewnsstsein,  also  den  Wirkungm  des  psychischen  Mechanismus,  und 
€8  kann  deshalb  vorkommen,  dass  derselbe  die  Vorstellung  der  Gleich* 


Digitized  by  Google 


—  528  — 

heit  oder  der  Bewegung  oder  des  TheiJes  u.  s.  w.  ins  BewusÄtsein 
führt,  wo  die  Vorstellunppn  des  Ungleichen  oder  der  Ruhe  oder  des 
Ganzen  wirken  sollten.  Darum  ist  noch  nöthig.  da.ss  die  Vorstelluntren 
in  ein  solches  Verhältnis  zu  einander  gerat  hen,  in  welchem  tui-  die 
Seele  das  Bewsstsdn  ihrer  Bestimmbarkeit  dnrch  einander  d.  h. 
ihrer  Vereinbarkeit  oder  Unvereinbarkeit  entsprmgt.  Das  nim 
ut  es,  was  gerade  dadurch  geschieht,  dasa  die  Inhalte  aufeinander  wirken, 
und  durch  solche  Verhältnisse  und  Verbindungen  die  Seele  dabei  das  Be- 
wusstsein  der  ZusammengehQrigkeit  oder  aber  des  Widerstreites, 
der  gegenseitigen  AusschlieBung  des  Ton  ihr  Vorgestelltem 
gewinnt  Sobald  dies  geschieht,  hat  die  Seele  dandt  sug^h  das» 
was  man  das  Bewusstsein  des  Richtigen  oder  Nicfatrichtigen,  der 
Wahrheit  und  des  Irrthums  nennt.  Diese  Bewnsstseinsweisen  des 
Geistes  nun  gi'eifen  in  den  psychischen  Vorstellungsablanf  ein;  sie  be- 
zeichnen die  Verbindungen  als  ziilässig  und  lösen  sie  als  falsch  und 
irrig  auf  und  ei-setzen  sie  durch  neue,  nicht  blos  psychisch,  sondern 
logisch  denkbare  Inhalte.  So  bildet  sich  der  normirte  Gedanken- 
lanf.  der  also  außer  von  jener  subjectivfn  Gesetzmäßigkeit  der 
Seele  von  der  Wirklichkeit  ^h-r  IM  nee  uml  Ereignis:?e  und  von 
der  Natur  der  lo^'^i sehen  Denkgesetze  abliän<rt  und  als  soldier 
ein  objectiv  gütiger  «j^enaiml  werden  darf.  Da  ein  jeder,  dessen 
Gedanken  normirt  verlauten,  auch  immer  denselben  Bedingungen  unter- 
liegt, d.  h.  sich  immer  nach  den  gleichen  Dingen,  Ereigniss*»n  und 
Vorgängen  und  Denkgesetzen  richten  musi>,  wie  jeder  andere  Mensch, 
so  trägt  das,  was  jetzt  in  der  Seele  geschieht,  den  Charakter  der 
Allgemeingiltigkeit  an  sidL 

Freilich  kommt  die  Anerkennung  dieser  Allgemeingiltigkeit  in 
den  ebaebien  oft  wenig  zur  Geltung,  und  sie  ist  selbst  noch  in  den 
Gebieten  des  Wissens  und  Handelns  von  schwankender  Natur.  Dies 
rührt  jedoch  fiist  allein  daher,  da»  der  rein  p^chische  Gedankealau^ 
der  allerlei  Gef&hle,  Strebungen  und  Begierden  mit  sich  IQhrt,  eine 
große  Macht  im  Menschen  besitzt,  so  dass  das  NormatiTe  dea  Vor» 
stellungirlaufes  wieder  fibei-flutet  und  aus  dem  Bewusstsein  verdrängt 
wird.  Hierin  liegt  also  mit  ein  Hauptgi-und,  dass  so  wenig  Menschen 
logisch  denken  können,  und  wo  es  doch  der  Fall  ist»  gar  leicht  wieder 
Terlemen. 

3.  Der  psychische  Gedankenlauf  wird  fast  durchgängig 
von  Gefühlen  und  Befrehrungen,  von  Affecten  und  mehr  oder 
weniirer  erregten  Stininiun?en  betrleitet.  Der  normirte  löst 
sich  allmählich  von  diesen  Zuständen  dadurch  los,  dass  sich 


Digitized  by  Google 


—   529  — 


gewisse  Wertartheilfi  Aber  sie  bilden,  ans  denen  fflr  einen  neuen 
Gedankenlanf  bestimmte  Regeln  nnd  Gesetze  erwachsen. 

Wir  werden  z.  B.  von  einer  uns  bekannten  Person  beleidigt  oder 
geschAdigt.  Alsdann  bildet  sich  wol  zunächst  eine  Gedankenreihe, 
welche  die  Gefühle  der  Trauer  und  des  Kummers  mit  sich  f&tirt 
Alsbald  kehrt  aber  auch  die  Vorstellung  des  Thäters  ins  Bewnsstsein 
zurück,  lind  die  Erinnernn«]:  an  alles  früher  mit  ihm  Erlebte.  Dabei 
werden  vielleicht  Kriinkungen  ähnlicher  Art  wach  gerufen,  und  bald 
zeigt  sieh  Zoni  und  W'uth;  die  Vorstellungen  treten  lebhafter  auf, 
verstärken  si'^h,  und  RaclietreflnTiken  sind  wol  das  letzte  niied  O.i*'^*'-^ 
VorstelIuiig.«^verlanfes.  Nun  Itiiiimt  oft  eine  andere,  mehr  innere 
Thätigkeit.  Wir  fangen  au,  wie  man  zu  sagen  pflegt,  zu  überlegeu, 
uns  zu  besinnen,  indem  der  rasche  und  stürmische  Lauf  der  Vor- 
stellungen plötzlich  von  uns  gehemmt  wird.  Besonders  werden  alle 
ilin  begleitenden  Gefühle  und  Begehrungen  zurückgedraugt ,  um  das 
Tbatsächlicbe  des  erlebten  Vorfalles  frei  zu  überblidcen.  Dann,  nach- 
dem das  Eünaeine  klar  gelegt  ist,  beginnt  ein  Unterscheiden  zwischen 
dem  Für  nnd  Wider,  zwischen  den  möglichen  Beweggründen  der  That, 
zwischen  der  Wichtigkeit  nnd  Unwiehtis^eit  des  Vorkommnisses,  bis 
endlich  festgestellt  ist,  welcher  Wo*t  der  Beletdignng  zukommt  nnd 
was  für  ein  Verhalten  einzuschlagen  am  besten  sem  möchte. 

Dieses  Beispiel  iUnstrirt  obigen  dritten  Unterschied  der  zwei 
Arten  des  Gedankenlaufes.  Hiernach  stellt  sich  die  Seele  beim  rein 
psychischen  Verlauf  als  ein  Schauplatz  dar,  auf  welchem  die  ver- 
schiedenartigsten Zustünde  kommen  nnd  gehen,  mehr  oder  weniger 
zahlreich,  schneller  oder  langsamer  wechselnd.  I^tbd  treten  zunächst 
Gefühle  auf,  die  dem  Vorsteliungslauf  theils  vorangehen  und  ihn  also 
mit  hervornifen,  theils  ihn  begleiten,  tlieil.'^  ihm  uachfol«r*'n.  Das  Spiel 
der  Voi'st eilungen  führt  df»rt  Freude,  liier  Schmerz,  dort  Zutrie  lfnlieit, 
hier  Unbefriedigtsein  mit  sieh.  Der  Liebende  träumt  von  seinem 
Glück,  der  Kaufmann  von  goldenen  lierjren,  der  Seliriftsteller  von 
Ehre  und  Ruhm,  der  Beamte  von  Macht  und  Eintiuss.  Dann  zeigt 
sich  aber  auch  eine  Kette  quälender,  besorgniserregender  Vorstellungen. 
Von  einer  Grundvoi-stellung  aus  klebt  sich  die  eine  an  die  andere, 
jede  folgende  schwärzer  als  ilie  vorausgehende,  bis  schließlich  »ier 
ganze  Horizont  von  finstem  Wolken  bezogen  erscheint  Man  bezeichnet 
solches  Verhalten  unseres  Innern,  welches  den  Vorstellungen  den  Weg 
weist,  als  eine  Stimmung  des  Gemathes,  als  Gemflthssthnmnng, 
Sind  wir  hdter,  flrGhlich,  begeistert,  so  vermag  uns  nichts  zu  ärgern, 
nichts  zu  krinken;  ist  die  Stimmung  eine  düstere,  schwermflthige, 


Digitized  by  Google 


—   530  — 


Mngstigende,  dann  sind  es  Giillen  mid  Sorgen,  die  uns  quälen  nnd 
plagen.  Alie  diese  Gefühle,  Aufregungen,  Affecte,  Schwankungen  in 
der  Gemttthsstimmung,  die  mit  den  Vorstellungen  verbunden  auftreten, 
sind  rein  psychischer  Natur.  Sie  stehen  einestheils  mit  dem  Lebens* 
processe  in  engem  Znsammenhange,  indem  sie  ihren  Ursprung  zum 
größten  Theil  in  der  eigenthRmlichen  Beschatfenlieit  unseres  g-eist- 
leiblichen  Wesen.'^,  in  dem  sogenannten  indiyiduellen  Tem]!^  rnment. 
haben;  an  U  rcnseits  sind  sie  bedinget  durch  die  rmneren  Verlialrnisse, 
durch  augenblickliche  Erlebnisse,  durch  die  Um-r  uu^.  das  Wetter, 

Dann  zeigt  der  rein  psychische  Gedankenlaul  noch  die  bes-undere 
Erscheinung,  dass  nicht  nur  ein  laugsam^'rer  und  rascherer  Wechsel 
der  Voi-stellungen  eintreten  kann,  sondern  auch  einzelne  Vor- 

stellungen vor  den  andern  ein  derartiges  Übergewicht  erlangen,  dass 
dem  allgemeinen  Wechsel  eine  Schranke  gesetzt  oder  eine  beBÜnunte 
Bichtang  gegeben  wird.  Dieses  Übergewicht  eimelner  YorsteQimgen 
ist  80  zn  erklären,  dass  letzte«  sich  in  einem  hohen  Grade  der  Leb- 
haffcigkeü  nnd  Stftrke  befinden,  sich  mit  anderen  ihr  günstigen  Voi^ 
Stellungen  verbinden,  ond  dass  faierdnrch  eine  Totalkraft  entsteht» 
welche  so  begftaistigte  Vorstellungen  im  Vorstellen  trotz  aller  Hem- 
mungen aufrecht  erhftlt  Wird  z/  B.  em  Kind  von  der  Ifutter  im 
Zimmer  allein  gelassen,  und  sie  selbst  verschwindet,  so  schant  das 
Kind  unverwandten  Blickes  nach  der  Thür.  Es  sieht  und  hurt  nichts 
mehr  von  dem,  was  es  umgibt  Die  Vorstellung  der  Mutter  drängt 
alles  übrige  zurück,  und  sie  gestaltet  sich  zu  einer  selmsttchtigen 
Vorstellung,  zu  einer  Strebung,  Begehmng,  Erwartung:,  einem  Sachen 
nnd  Verlangen.  Denkt  man  sich  nnn  eine  größere  >renge  verbun- 
dener V(»rstelhingen,  welclie  im  Gemüth  zu  Begehrungen  werden,  und 
denkt  nnm  sich  wieder  jede  einzelne  in  einem  verschiedenen  Grade  von 
Lebhaftigkeit  und  Energ'ie  auftreten,  so  kann  man  ermessen,  das;«  hierin 
ein  g-roßer  Reichthuin  an  Gestaltunp^en  des  Vorstellimgsverlaules  in  jedem 
einzelnen  Falle  bejiriindet  ist.  dem  dadurch  immer  neue  Richtungen 
und  Wege  vorgezeichnet  werdeu.  Auch  diese  Zustamle,  wie  Strebun- 
gen, Begehrungen.  Erwartungen  u.  s.  w.  stellen  sich  ohne  nnser  Wollen 
und  Zuthuu  vun  selbst  ein,  sind  rein  psj-chischer  Natur. 

Wie  gestaltet  sich  nun  das  Verhältnis  der  die  Vorstellungen  be- 
gleitenden GMhle  und  Begehrangen  dsjm,  wenn  ein  normirter  Oe- 
dankenlauf auftritt?  Wir  denken  hier  an  den  zweiten  TheO  des  oben 
erwähnten  Beispiels.  Da  werden  zunächst  gewisse  Torstellungen  von 
den  Bewegungen  des  Gefühls  und  dem  MttQnen  der  ihr  zugehßrigen 
Vorstellungen  losgel5st  Dem  allgemeinen  Wechsel  des  VorsteUens 


Digitized  by  Google 


—   531  — 


vird  eine  Schranke  gesteckt,  das  aus  seinem  Gleichgewicht  gebrachte 
Gemüth  beruhigt;  es  entsteht  ein  Reflectiren,  welches^  man,  weil  es 
die  VontellimgeD  isolirt  nnd  ohne  ihren  Geillhlsanhang  erfasst,  kalt 
nennen  kann.  Bann  aber  erhält  der  Vorstellungslauf  eine  bestimmte 
Richtung.  Dies  geschieht  dadurch,  dass  zuerst  eine  Vergleichung  des 
Geschehenen  in  Rücksicht  auf  das  Mehr  oder  Weniger  des  Förder- 
lichen <)(ler  Hinderlichen  vorgenommen  wird.  Dadiiixh  bietet  sich 
de:Ti  Bp\vns<tsein  die  ^löglichkeit,  einer  von  den  Reihen  den  Vorzug 
zu  geben;  es  muss  eine  Wahl  getroÖeu  werden,  um  die  Vorstellung 
oder  Vorstelhmgsreihe,  welche  die  meiste  Befriedigung  gewälut,  zur 
Hen-schaft  gelangen  zu  lai^sen.  Dazu  kommt  endlich  der  Entschluss, 
das  Erwählte  als  Richtiges  festzuhalten  nnd  ansznfiihren.  Auf  diese 
Weise  bildet  ^di  im  Gegensatze  zü  den  die  psychischen  Gedanken- 
verbindungen begleitenden  Gefühlen  und  Begierden  ein  ruhiger  Gleich- 
math,  eine  bewnsetrolle  Geeimning  and  ein  bestlmmtee  WojQen.  Die 
Torstellangsreihen,  innerhalb  welcher  erwogen  nnd  Ar  eine  derselben 
neh  dann  entBchloesen  wird,  bewegen  sich  inuner  in  Gegensfttsen. 
Solche  Gegensatie  sind  namentlich  der  swiachen  Frende  nnd 
Schmerz,  zwischen  wahr  nnd  nicht  wahr,  zwischen  erhaben  nnd 
niedrig,  schön  nnd  hasslich,  zwischen  recht  nnd  nnrecht, 
pflichtgemäB  und  pflichtwidrig  n.  a.  m.  Ans  dem  Bewnsstsein 
dieser  Gegensätze  und  aus  ihrem  fortdauernden  Gebrauch  entstehen 
die  nonnirenden  Regeln  und  Gesetze,  die  in  den  psychischen  Ablanf 
der  Gedanken  hemmend  und  f5i*demd,  trennend  nnd  zerstörend,  Ter- 
bettemd  und  aufbauend  eingieifen. 

4.  Der  psychische  Gedankenlauf  zieht  unwillkürliche 
Bewegungen  nach  sich,  die  entweder  blos  im  Innern  ver- 
laufen oder  vermittelst  der  körperlichen  Organe  in  sicht- 
baren Handlungen  hervortreten.  Ein  normirter  Verlauf 
dagegen  findet  dann  statt,  wenn  die  Bewegungen,  sei  es 
l'los  im  Innern  oder  auch  äuüerlicli,  nach  einem  bestimm- 
teu  Zwecke  erfolgen. 

In  welcher  Weise  Vorstellung,  Gefühl.  Begierde  und  Körper- 
bewegung verbunden  auftreten,  zeigt  uns  z.  B.  die  bekannte  Erzählung 
vom  Milchmädchen,  das  zur  Stadt  geht,  um  ihre  Milch  zum  Verkaufe 
anscnbieten.  Die  GrundvorsteHnng  des  Beritzes  der  HOeh  bringt  im 
MIdehen  das  GteMtl  der  Befriedigung  hervor.  Der  weitere  Oedanke 
an  den  Wert  derselben  weckt  eine  zweite,  dritte  Vorstellnng,  eine 
bingt  sich  an  die  andere,  eine  stärker  als  die  andere,  bis  znletzt  eine 
intoe  Thätigkeit,  ein  Spmng,  dnrch  den  Gedankenlaof  hervorgemfen. 


Digitized  by  Google 


—  582  — 


dem  ganzen  Gewebe,  hier  freilich  einen  etwas  traurigen  Abschlags 
gibt  Dieser  Gedankenlaiif  im  Mädchen  ist  ein  rein  psychischer  zu 
nennen.  Hätte  sich  ein  normirter  geltend  cremacht.  so  wüi-de  sich 
das  Mädchen  gesagt  haben:  du  bist  noch  nicht  im  Be.'^itze  des  Geldes, 
du  bist  auf  dem  Wegre  zur  Stadt,  um  deine  Milch  zu  verkaufen;  nimm 
dich  in  acht,  damit  du  erlficklich  an  Ort  und  Stelle  kommst.  r>;mn 
würde  der  Spnmqr  uiiteri-lirben  sein,  die  Beine  hätten  sich  zweck- 
mäßig und  gleichmäßig  Aveiter  bewegt. 

Das  Beispiel  zeigt  in  seinem  ersten  Theile,  wie  beim  Menschen 
das  geistige  Princip  der  Seele  mit  einem  williährigeu  körper- 
lichen System  verbunden  ist,  welches  den  Antrieben,  die  in  den 
Vorstellangen  und  Bildern  der  Seele  liegen,  Folge  leistet  und  so  sor 
Vermittelung  zwischen  jenen  nnd  der  Anfienvelt  dient 

Diese  natfirliche  Art  der  Wechselwirkung  von  VorsteUmigdmif 
und  KQrpert>ewe(p]ng  ist  die  nrspring^chste  nnd  aoeh  im  Leben  vor- 
herrschend bleibende  Qnellet  ans  der  menschliches  Handehn  entspringt 
GhnuE  nnwillkflrlich  gehorcht  da  der  Körper  den  Vorstellungen, 
wenn  sie  nach  außen  wirken.  Hierher  gehört  besonders  die  Gruppe 
der  Handlungen,  die  man,  ihres  besonderen  psychischen  Effectes  wegen, 
passend  als  ein  Spielen  bezeichnet  hat. 

Beim  Spielen  treten  sowohl  angeborene,  als  auch  allmählich  dorch 
Erfahrung  und  Wiederholung  erlernte  und  eingeübte  Bewegnngen  in 
den  verschiedensten  Verbindungen  auf.  Die  Finger,'  Hände  und  Arme, 
die  Füße,  die  Augen,  ein  großer  Theil  der  Gesichtsmuskeln:  alle 
diese  Wi-richtungen  stellen  wilUalirig  der  Seele  zu  Be^ve^run^ren  viiid 
Handlungen  zu  (-iebote.  I)as  Spielen  ist  zweck-  und  regellos.  bln> 
unterhaltend  und  erheiternd,  ganz  su  wie  der  innere  rein  psychische 
Verlauf  der  Vorstellungen,  der  es  hervorrnl't.  Schon  das  kleine 
Kind  in  der  Wiege  spielt  mit  seinen  Händen  und  Füßen  und  setzt 
das  hiermit  Angefangene  Avährend  der  ganzen  Kinderzeit  in  den  ver- 
schiedensten Vai'iationen  fort.  Die  dann  ffir  die  Zukunft  wichtigste 
Art  soldber  Bewegungen  nnd  Handlungen  liegt  in  dem  Gebrauch  des 
Sprachorgans.  Auch  hier  herrscht  ohne  Zweifel  lange  Zeit  ein  Ab- 
lauf sowol  der  Vorstellungen,  als  aach  der  durch  sie  erwirkten  Be- 
wegungen des  Organs,  also  des  Sprechens,  derartig  vor,  dass  nun 
ihn  einen  bips  unwillkttrlichen  und  nur  von  softlligen  AnUtesen  ge* 
lenkten,  nennen  darf.  Dem  sieh  selbst  ttberlassenen  Laufe  der  Von- 
Stellungen  entspricht  dne  Bede,  welche  aus  dem  „Hundertsten  ins 
Tausendste"  verföllt 

Wenn  nun  aber  ein  bestimmter  Zweck  in  die  Entwickelong  der 


üiyitizeü  by  Google 


—  638 


Vorstellungen  hineingetragen  wird,  so  hört  das  Leicht  und  Unwillkür- 
liche bald  auf;  die  Bewegungen  werden  von  jenem  Zwecke  g-ebunden 
und  geregelt  (Beispiel:  die  Milch  richtig  nach  der  Stadt  zu  bringen). 
Die  Regelung  des  tredankeiilaufs  erfolgt,  indem  die  Thätigkeiten  der 
Aufmerksamkeit  und  Beobachtung,  des  Erwägens  und  der  Wahl  wirk- 
sam sind.  Diese  Thätigkeiten  erzeugen  unter  den  Vorstellungen  einen 
Druck«  welcher  sich  in  dem  Gef&hle  der  Anstrengung  bemerklich 
macht  Dieee  Anstrengung  bewirkt  im  allgemeiiien  dreierlei;  Zmi&cliBt 
rnnfls  der  Willkür  und  dem  btmten  Wechsel  des  Gedankenlanfe  gesteuert 
werden;  alsdann  ist  das  schon  Verrichtete  mit  dem  im  Zwecke  Vor- 
geieidineten  zosammenziihalten  nnd  za.  veiffldchen,  nnd  endlich  mnss 
eine  Reihe  von  Hindernissen  flberwunden  werdoit  wekhe  die  Katar 
des  Stofles  mit  sich  biingt,  an  dem  sich  die  vom  Zwecke  yorgeseieh- 
nete  Reihe  der  Bilder  und  VorsteUnngen  realisiren  soll  IMese  mensch- 
liche Entäußenmg  hat  die  Natur  des  Spielens  gänzlich  veiioren:  sie 
heiftt'Arbeit 

Die  Th&tigkeit  des  Spielens  hingt  also  zusammen  mit  dem  un- 
viUkflrlichen,  rein  psychischen  Laufe  der  Vorstellungen;  das  eigent^ 
liehe  Handeln  dagegen  ist  die  Folge  eines  bewussten  Ehitschlusses. 
Khe  die  Handlung,  die  zwecfcvolle  Thftügkeit,  ausgeftthrt  wird,  geht 
also  das  Erwägen,  Wählen  und  Beschlielten  vorher,  wobei  sich  das 
Bewusstsein  wiederum  zwischen  Gegensätzen  bewegt  Diese  Gegen- 
sätze sind  die  schon  oben  genannten  Normen  und  Gresetze  des  Zweck- 
mäßigen, des  Logischen,  Ästhetischen,  Ethischen.  Sie  geben  dem 
neuen  Gedankenlaufe  die  Richtung,  und  nach  ihnen  soll  sich  auch 
da^  Tliim  und  Handeln  des  Menschen  richten.  8ie  ssind  es,  welche 
die  Eütaußprnng  des  menschlichen  Geistes  höheren  Zwecken  unter- 
stellen und  demgemäß  auch  den  Körper  nach  Zwecken  bewegen. 

Ein  Blick  von  diesen  Unterschieden  des  rein  psychische  und  des 
normirten  Gedankenlaufes,  die  allerdings  hier  nur  in  knrzen  Zügen 
haben  ausgeführt  werden  können,  auf  die  Pädagogik  lehrt,  dass  alle 
Erziehungseintiüsse  hauptsächlich  nur  an  der  Bildung  von  Nriinen 
nnd  Gesetzen  der  oben  bezeichneten  Art  arbeiten.  Man  kann  darum 
auch  safjpen,  dass  die  Hauptaufgabe  der  Päda^^ognk  dai-in  besteht, 
den  reiu  psychischen  Vorstellungsverlauf  in  einen  normirten 
umzuwandeln. 

Gewisse  Nonnen  bilden  sich  allerdings  im  Menschen  duich  den 
Umcran^'  mit  der  Natur,  im  Verkehr  mit  den  Menschen,  bei  der  Er- 
lernung and  beim  Gebrauch  der  Sprache  von  selbst.  Die  Schwierigkeit 


Digitized  by  Google 


—  634  — 


der  Erziehung  liegt  vielmehr  darin,  die  Ansätze  zu  den  höheren 
nonnjrenden  Functionen  im  Zöglinge  zu  erfassen  und  ihn  in  seinem 
Denken,  Wollen  und  Handeln  den  logischen,  ästhetischen  und  ethischtn 
Gesetzen  zu  unterweifen  und  diese  in  ihm  zur  Herrschaft  kommen  za 
Usuea,  Je  mehr  dies  aber  gelingt,  nmsomehr  wird  sich  aas  dm 
ideenlosen,  yerworrenen,  eelbstgefftUigen,  am  niedem  irdiecliea  J>um 
hängenden,  egolstiBchen  Indivldniun'',  wie  Kant  sagt,  „eine  ao^sdüirt» 
nach  höherem  Dasein  mnthig  strebende  Persönlichkeit''  beraiulnldaL 
Oder,  mit  andern  Worten,  um  so  höher  steigt  die  Büduig  des  ISmr 
sehen  mid  am  so  gröiler  ist  sein  Fortsehritt  im  Beiehe  des  Uteskn. 


uiy  u^Lid  by  Google 


Dag  Elteraliaüs  nnd  die  pSdagogisehe  Presse. 

Vwirag,  gthaUcn  im  Sdutberverän  von  Dr.  Carl  PUz- Leipzig. 

Friedrich  Frtfbel  hat  dranal  gesagt,  die  Vmunmliiiigeti  der 
ErnehnDgmreme  aUein  reichten  nicht  hin,  die  Fraa  in  ihrem  Berofb 
als  Mutter  allseitig  m  untersttttsen;  dieeelhe  müsse  aach  mitnnter 
etwas  lesen  und  Anregung  und  Betehrong  ans  pädagogischen  Schriften 
fchOpfm.  Unter  aUen  Wünschen,  die  der  grofte  Heister  ausgesprochen 
hat,  ist  wol  keiner  weniger  herttcksichtigt  worden  als  dieser.  Freilich 
lesen  die  liebeB  Fraoen  gar  mancherlei  Wie  ein  Hyrthenst^ckchen 
gepflegt  werden  muss,  wie  ein  Kleid  nach  der  neuesten  Mode  her- 
gestellt wird,  wie  die  Gurken  am  besten  eingelegt  werden,  oder  auch 
was  der  Stadtklatsch  bringt,  das  ist  Welen  Frauen  hoch  interessant. 
Auch  mancher  spannende  und  aufregende  Roman  wii-d  flnrchgewürgt 
0(1^!-  irgend  ein  Witzblatt,  ein  Anecdotei\)äger  als  Erheit^Jigsoiittel 
beuut/t. 

Aber  eine  Zeitschrift  oder  ein  Buch  über  Erziehung  zn  lesen, 
das  kommt  manchen  Eltern  wie  eine  Strale  vor;  wenigstens  zeigen  sie 
Abneigung  oder  Gleichgiltigkeit  gegen  diesen  Theil  der  Presse.  Wenn 
ich  in  einem  Journale  etwas  Pädagogisches  finde,  sagte  mir  ein  Vater 
in  vollem  Einste,  das  überschlage  ich  gleich.  Ferdinand  Schmidt, 
der  verdienstvolle  Jugendschriftsteller,  sagt:  Wahriich,  ▼enn  wir 
Devtsehen  so  weit  wftren,  dass  unsere  Fraaen  neben  Modedonmalen 
nid  ünterhaltungsschriften  auch  das  eine  oder  andere  pädagogische 
Werk  anf  ihrem  Tische  hatten,  wir  konnten  das  als  einen  grofien 
Yonng  unseres  Volkes  in  Anspruch  nehmen.  Dieser  Zeitpunkt  scheüit 
noch  hl  nebelgrauer  Feme  zn  Uegeo.  Zeitungen  wie:  Tkx  Biei^ 
braner,  der  Friseur,  die  Bftcker-  und  Conditorzeitang,  die  Wein« 
Zeitung,  die  Schlächterzeitung,  die  Schndderzeitung^,  die  deutsche 
Tabakzeitung,  die  Milchzeitung,  Jagdzeitung  und  wie  sie  sonst  heißen 
mOgen,  finden  willige  Abnehmer,  während  die  pfidagogischen  Familien- 
schriften sich  ihre  Freunde  mit  der  Laterne  suchen  müssen  und  ein 
kümmerliches  Leben  ^ten,  womit  wir  den  gltlcklichen  Aosnahmen, 


Digitized  by  Google 


—  586  — 


die  eü  allerdiii^'S  gibt,  nicht  zu  nahe  treten  wollen.  Und  was  ist  an 
diesem  Schicksale  der  pädagogischen  Presse  im  Eltemhause  scliuld? 
Eiiie  ganze  Anzahl  Vornrtheile  und  Einwände  sind  es,  die  den  pädar 
gogisclien  Scliriften  den  Eiiilass  in  die  Familien  versperren.  Wenn 
man  nun  diese  Wuizelu  des  Übels  beseitigcu  könnte,  so  wäre  gewiss 
schon  etwas  gewonnen.  Wir  vollen  uns  daher  einige  dieser  Einwftnde 
dea  Hauses  näher  ansdien;  vklleiclit  gelingt  es  uns,  ihre  Kiehtii^t 
danatbnn  und  sie  sa  sersti^en. 

Der  gewöhnlichste  Einwand  ist:  Ich  habe  keine  Zeit  znm 
Lesen.  Und  es  ist  wahr,  die  heutige  Zeit  verlangt  viel  Arbeit 
Was  hat  eme  hrsTe  Haosfiran  nicht  alles  m  thnn,  am  Herd  in  der 
KachSt  an  der  Nähmaschine,  an  der  Wiege,  am  Wasch&ss,  in  der 
Kinderstabe,  and  wer  welä  wo  noch;  das  Hans  braucht  ja  tlberaU 
die  thätige  Frauenhand.  Aber  die  Hand  aufs  Herz!  liebe  Matter, 
hast  du  nicht  Zeit,  jeden  Tag  die  Spalten  des  Tageblattes  zu  er- 
forschen, oder  ein  Buch  zu  lesen,  das  durch  Bilder  und  andere  Dinge 
reizt?  Und  du,  Vater,  der  du  bei  deiner  Sisyphus- Arbeit  selten  zum 
Ausruhen  kommst,  bleibt  dir  ^^^rklich  nicht  ein  einzijrer  Augenblick 
frei,  welchen  du  dem  Nachdenken  über  die  Erziehuujr  derer  widmen 
kannst,  die  das  lieblichste  Band  der  Ehe  sind,  und  an  denen  du  dir 
Himmel  und  Hölle  verdienen  kannst?  Und  ansrenommen,  eine  Mutter 
käme  wirklich  niclit  dazu,  in  die  Gartenlaube  oder  in  ein  anclerf> 
Blatt  einen  Blick  zu  tiiim,  über  Behandlung,  Pflege  und  Beuaiirung 
ihrer  Kinder,  die  ja  mehr  wert  sind  als  Diamanten  und  Perlen,  sich 
zu  orieutii-en,  dazu  müsste  sie  Zeit  habeu  und  sollte  sie  sich  dieselbe 
am  Eaffeesttlndchen  absparen.  Wenn  man  Gelegenheit  hat,  ein  Kaffee» 
hränzchen  za  beobachten  und  den  ranschenden  Strom  der  weiblichen 
Beredsamkeit  bewandert,  da  kommt  man  manchmal  auf  den  Gedanken, 
dass,  wenn  man  in  einem  solchen  Kränzchen  anch  einige  Augenblicke 
aof  das  Lesen  einer  anregenden,  pädagog.  Ftunilienseitschrift  vei^ 
wendete,  die  Zeit  nicht  ganz  schlecht  verbracht  wäre.  Eine  Matter 
lieS  mir  einst  sagen,  sie  hätte  zum  Lesen  der  „Cornelia"  keine  Zeit; 
von  dem  TOchterlein  erfuhr  ich  den  richtigen  Grand:  der  Tfadi  lag 
ToU  Zeitungen,  die  alle  gelesen  sdn  wollten,  da  war  freilich  für  &n 
pädagogisches  Bktt  weder  Platz  noch  Zeit  vorhanden.  Mit  diesem 
Einwände  ist  es  also,  wie  der  Volksmund  sagt,  nicht  weit  her.  H6ren 
wir  einen  zweiten:  Ich  habe  kein  Geld  zum  Mithalten  von 
Zeitschriften.  Dieser  Einwand  ist  durchaus  zu  respectiren.  wenn 
er  aus  gänzlich  unbemittelten  Kreisen  kommt,  und  deshalb  ist  der 
Gedanke  pädagogischer  Flugblätter,  die  nur  einige  Pfennige  kosten. 


Digiii^uü  Ljy  Google 


—  587  *- 

gar  nicht  Übel.  Aber  die  iSache  lieyt  auch  hier  in  vielen  FSlIen 
anders.  Wenn  e.s  sich  um  jajoüe  bunimeu  handelte,  welche  dem  Muli)ch 
der  Presse  zu  opfern  wären,  da  ließe  sich  der  Einwand  vollständig 
halten,  aber  Erziehun^sschriften  müssen  billig  sein,  weil  sie  sonst  ihrer 
Hinneigung  zu  den  Krebsen  ganz  verfallen.  Was  will  es  sagen,  wenn 
eine  pädagogische  Zeitschrift  jährlich  4  Mai*k  kostet,  oder  wenn  der 
Preis  eines  wertvollen  eizieherisehen  Yademecom  gar  nur  1  oder  2 
Mark  beträgt.  In  einem  Leipziger  BOrgerhaiue,  in  welchem  die 
Sdiätae  des  KrOsus  wahrlich  nicht  au^ehftiift  waren,  ttanA  ich  eine 
elmige  Zeitschijft,  nnd  das  war  eine  pädagogische.  Auf  meine  ans- 
gesprochene  Verwnndemng  sagte  mir  der  Hansvater:  Sie  scheinen  sn 
yergessen,  dass  wir  6  Kinder  haben,  da  kann's  wol  nichts  schaden, 
wenn  man  hinsichtlich  der  Behandlang  derselben  die  Rathschläge 
eines  vernilnftigett  Blattes  hOrt  Und  ein  reicher  Herr,  dem  ich  rieth, 
dass  er  zum  Segen  seiner  lieben  Hangen,  die  sich  im  Charten  bei  den 
Köpfen  hatten,  ein  pädagogisches  Blatt  mithalten  möge,  antwortete 
mir:  fiir  solche  Leetüre  habe  ich  kein  Geld! 

Und  wie  unklug  ist  dies  von  den  über  Geldmangel  klaffenden 
Eitern.  Die  kleine  Summe,  die  man  au  eine  Erzielmngsschrift  wendet, 
kommt  zelmfach  wieder  heraus  in  dem  Gelingen  der  Erziehung, 
welches  liie  >chrift  f<irdert:  jedenialls  ist  das  Ueld  flir  päd.  Lectüre 
doch  nocii  l)esser  an<rewHndt,  als  für  lausend  Dinge  des  Genusses, 
des  Kleiderluxus,  der  Modethorheit,  womit  man  die  Kinder  in  ti-auriger 
Weise  bei^ltickt. 

Diese  Einwände  waren  harmloser  Alt,  aber  wir  bekommen  auch 
solche  zu  hören,  die  bitter  sind  und  das  Herz  jedes  Kinderfireundee 
verletien.  Da  heißt  es  mitunter  also:  ,Jch  bin  froh,  wenn  ich  die 
Kinder  los  1^,  das  Lehren  and  Erziehen  tberlasse  ich  der  Bonne 
und  den  Lehrern.  Die  werden  dafür  besahlt  nnd  mOgen  sich  mit  den 
Fr&chtcfa^  hemmidagai.  Wamm  sollte  ich  mich  also  mit  dem  Lesen 
einer  Schiifb  Uber  ErziehnngsmaBregeln  langweilen!  Da  lese  ich  doch 
lieber  alles  andere  als  den  pädagogischen  Senf.  Hein  Mann  schenkte 
mir  neulich  einige  B&nde  eines  solchen  Werkes,  ich  habe  sie  gleich 
auf  den  Oberboden  schaffen  lassen.^  Das  ist  fingirt  oder  zu  deutsch 
erdichtet,  werden  Sie  denken.  Nein,  das  ist  eine  reine  Thatsache  aas 
meinen  eignen  Erfahi-ungen.  Die  AVorte:  „Lasst  uns  unsem  Kindern 
leben!"  und  „Geh  fleißig  um  mit  deinen  Kindern!"  erfahren  durch 
manche  Familie  einen  wahren  Hohn.  Die  Kinder  gehören  nicht  den 
Kitem,  sondeni  ipr  Bonne,  der  Magd,  dem  Diener,  dem  Knechte. 
Wenn  dann  die  Kiuder  schlechte  Angewohnheiten  zeigen,  fluchen  wie 


Digitized  by  Google 


—  538  — 


die  Landsknechte,  oder  andere  schlechte  Worte  hören  lassen,  dann 
erschrickt  man,  aber  zu  ^l);it,  Vn<\  beschau ii^t  sich  auch  manche 
Mutter  mit  ihren  Kindern,  so  ^tschielii  ej>  vielleicht  ,  um  sie  im  Salon 
vor  (Tesellschaften  sehen  zu  lassen,  oder  sjp  im  Prahlkleide  um  die 
Promenade  zu  fiilu-en.  Die  Unarten  dei"  Kinder  zu  studii-en  und  zu 
heilen,  überhaupt  sich  mit  den  seelischen  Entwickelungen  der  kleineii 
Herzen  vertraut  zu  iiuichen,  ist  ihr  lästig:,  und  jedes  Blatt,  welches 
die  Seelenpflege  des  Kindes  behandelt,  gleichgiltig  oder  widerlick 
Doch  darüber  kein  Wort  weiter! 

Die  Einwände  spitzen  sich  indes  noch  bitterer  zu.  Mau  sagt: 
Die  ganze  pädagog.  Presse  nützt  keinen  Deut;  sie  drischt  nur  leeres 
Stroh;  Ja  es  scheint,  als  ob  die  Ittnner  recht  hftfcten,  die  da  sages: 
Je  mehr  Erziehnngsblätter  anftanchen,  je  mehr  man  ttber  EnJehing 
schreibt,  desto  sdilechter  wird  sie.  Das  ist  wahr,  wemi  man  die 
Ptesse  im  Aoge  hat,  wie  sie  nicht  sein  solL  Wemi  freflicfa  ehi 
Blatt  sich  in  trodcnen,  q^stematischen  AosemandiarsetEnngen,  in  philo- 
sophischen Dfliteleien,  oder  in  hohltOnigen  allgemeinen  Phrasen  e^ 
geht,  da  ist  die  Ahneignng  gerecht  Was  soll  eine  Mntter  mit 
solchen  Artikeln  an&ngea?  Bei  solch  gelehrtem  Texte  kann  emer 
Mntter  wol  angst  and  bsnge  werden,  nnd  sie  mOcfate  dann  mit  dem 
Dichter  rufen:  Mir  wird  Yon  alledem  so  dumm,  als  ging  mir  ein  Mühl- 
rad im  Kopfe  hemm.  Eine  sokhe  pädagogische  Fresse  f&rs  Hans 
habe  ich  natArUch  nicht  im  Sfam.  Wenn  aber  dem  Hanse  Artikel 
geboten  werden,  bei  denen  man  sogldch  sieht  wie  und  wo,  z.  B.  Wie 
sind  Nasch rr  zu  coriren  —  Soll  man  dem  Kinde  Taschenereid  gehen 
oder  nicht?  Wie  hat  man  die  erste  Lüge  zu  behandeln?  Wel  Fehler 
begebt  man  bei  kranken  Kindern?  so  wird  wol  niemand  behaoptea 
können,  dass  solche  BathschlAge  onnütz  und  vergeblich  wären. 

Nun,  fahrt  man  fort,  wenn  auch  die  pädagogische  Presse  den 
Eltern  die  besten  Rathschläge  gibt  nnd  das  Haus  sie  befnltrt.  e>:  i?t 
doch  alles  umsonst,  weil  dem  Kinde  die  Fehler  und  Tugenden  ansre- 
boren  sind.  So  bringen  nianclie  Kinder  den  Diebssinn  mit  auf  ȟ^ 
Welt,  und  man  kann  dann  die  schönsten  KiziehnnirsTesreln  an  ihneu 
erproben,  sie  stelüen  fort.  Dass  dieses  Aim»  !  ivnst-ln  richtitr  ist. 
setzen  sie  hinzu,  sieht  mau  ja  klar  dai'aus,  dass  in  einer  Familie.  av.< 
die  !)L<T(  Krziehuu^  herrscht,  neben  braven  Kindern  sich  ein  Vay:al'unti 
ztii^i,  di-r  yaiiz  und  trar  aus  der  Art  ^reschlagen  ist.  Was  den  letzten 
Einwand  bt-trittt.  so  beliaupte  ich,  dass  es  nicht  zwei  Kinder  gibu 
welche  dieseiln'  Erzieliuug  genossen  hätten.  Die  Elt«m  sind  bei 
jedem  Kinde  anders,  ihr  Verhältnis  zu  dem  einen  Kinde  ist  anders, 


Digitized  by  Google 


—  689  — 


wie  zu  dem  andern;  die  häuslichen  Verhältnisse  ändern  sich;  und 
wer  wüsste  nicht,  dass  das  erste  Kind  in  vieler  Hiiisiclit  das  bevor- 
SQgte  ist;  oftmals  auch  das  sogenannte  Nesthäkchen,  das  Ipf/te  Kind. 

Was  nnn  aber  das  Angeboreiisein  anbelangt,  so  liegt  darin  wol 
ein  Körnchen  Wahrheit,  und  gerade  deswegen  ist  dieser  Einwand  so 
gefährlich.  Es  ist  zweifellos,  dass  dem  iviii  le  verschiedene  fri-afle  der 
Eeizempfanglichkeit,  der  Lebendigkeit,  der  üeiiarrliclikeit  augt^biaen 
sind;  dem  einen  ist  ein  irewisses  Phlegma,  dem  aTideni  iiycSc  Beweg- 
lichkeiL  t^i^en;  das  eine  zeigt  von  Geburt  an  Lebendigkeit,  das  andere 
zeigt  sich  -tiimpf-  oder  schwachsinnig.  Mit  einem  Wort,  das,  was 
wir  Temperamente  nennen,  ist  mehr  oder  weniger  dem  Kinde  in  die 
Wiege  gelegt.  Aber  gerade  deslmlb  ist  die  Erziehung  von  außti- 
ordentlicher  Wichtigkeit;  gerade  deshalb  werden  Maßregein  nüthig, 
die  sich  nicht  jeder  Vater,  jede  Mutter  aus  den  Fingern  saugen  kann. 
Wie  ist  das  Kind  zu  behandeln,  dessen  niedere  oder  Vitalsiune  ttber- 
krftftig  sich  erweisen,  dass  es^  nicht  zum  Kiscfaer  wird;  wie  ist  das 
Phlegma  au  behandeln,  dass  es  nicht  zur  ausgeprägten  Fanlheit  wird; 
wie  ist  die  Flatterhaftigkeit  an  wahren,  die  ein  kleines  Quecksüber 
besltst?  etc»  Diese  Fragen  an  beantworten,  dazu  kommt  die  Fähigkeit 
nicht  un  Scblafe,  dazu  sind  die  Anregungen  der  Presse  nOthig  und  heil^ 
sam.  Ich  kann  nicht  unterlassen,  hier  ehi  Wort  ans  der  Eizi^nngslehre 
des  Mannes  zu  erwähnen,  dessen  Namen  unser  Verein  trägt:  Schieber 
sagt  dort:  Der  Urtypus  des  ganzen  individnellen  Naturells  wird  zwar 
dem  Khide  angeboren,  allein  dersdbe  besitzt  während  der  ersten  Ent- 
wickelnngsperioden,  und  zwar  je  froher  je  mehr  einen  solchen  Grad 
schmiegsamer  Gestaltbarkeit,  dass  den  Eltern  und  Erziehern  hinsicht- 
lich des  dereinstigen  Gesammtausbildungszustandcs  und  somit  der 
Grundlage  des  wahren  Lebensglückes  ihrer  Kinder  oil^bar  viel, 
unendlich  viel  mehr  in  die  Hände  gelegt  ist,  als  es  der  gewöhnlichen 
Meinimg  scheinen  will.  —  Mit  lächelndem  Hohn  fügt  man  dem  ge- 
machten Einwand  wol  hinzu:  die  Lehrer  und  Pädagogen  haben  oft- 
mals die  ungerathensten  Kinder.  Wol  wahr,  aber  warum  denn?  weil 
ein  Lehrer,  der  in  der  Schule  glücklich  wirkt,  noch  lange  nicht 
allemal  auch  ein  guter  Erzieher  für  seine  eignen  Kinder  ist.  und  weil 
das  Wort:  „Je  gelehrter,  desto  verkelirter**  leider  auch  auf  die  Haus- 
erziehung manches  gelehrten  Mannes  passt.  Ein  Pädagog,  der  sich 
all  seinen  Söhnflien  ein  paai-  SjuizI  iOhmi  erzogen  hatte,  «lagte  mir 
einst:  Das  (jerallieii  der  Kinder  ist  Uottes  .Sh'']ic,  der  schob  alsn  die 
Schuld  sozusagen  auf  den  lieben  Gott.  Der  I ächter  hat  Recht,  wenn 
er  meint:  Manch  einem,  der  andei*er  Kinder  eraogen,  ist  sein  Erzieher- 

PtetUgociiua.  5.  Jalirg.  H«ft  IX.  35 


Digitized  by  Google 


—  640 


ruiiüi  verflogen,  weil  ihn  die  eigrenen  schlinmi  l>*'trogen.  Aber  solches 
Missgeschick  einzelner  Pädagogen  kauu  unsern  Satz  von  der  Wich- 
tigkeit der  eine  gute  Erziehung  fördernden  Presse  durcUaiui  nicht 
umstofien. 

Der  bedenklichste  Einwand  gegen  alle  pädagogische  Leclüxe  i^t 
wol  der,  dass  man  meint:  Der  pädagogische  Rath  der  Presse  ist  nicht 
nothweniUg,  da  der  nattrifehe  Taet  adbsm  jedem  Vater,  jeder  Mutter 
.sagt,  was  SU  tiran  ist  Dorcb  Endebnngssclirifteii  wird  man  nur  irre, 
es  ist  das  Bestet  wenn  jeder  Enielier  seiner  eignen  Venmnft  foJgt 
liebe  nnd  natOrllclier  Taet  vermögen  alles,  sie  sind  die  Hanptsinlen 
der  Eniehnng.  In  der  Tbat  können  sie  das  Richtige  oft  treffen, 
aber  Beneke,  der  tieftcbanende  Psycholog,  sagt  schon:  Aof  den  bloten 
Taet  ist,  wie  glAnaende  Besnltate  er  andi  in  einMinen  FftUen  leigen 
mag,  kein  dnrchgreifendeB  Vertranen  so  setsen.  Gewiss,  weldie  Ver> 
immgen  bringt  dieser  Taet  oft  hervor,  was  fftr  Thoriieiten  gibt  er 
Vfttem  nnd  tf  ftttem  mitonter  ein.  Eü&  Vater  werde  doreh  ihn  dahin 
geftthrt,  dass  er  seine  Kinder  immer  vor  fremden  Iienten  dirdi- 
wichste;  was  ilmi  das  eintrog,  ist  nicht  nöthig  hier  zu  erörtern.  Eine 
Matter  glaubte  mit  w^müthigen  Bitten  bei  ihren  Kindern  das  Rechte 
in  erringen;  aber  nur  bei  einem  Kinde  wirkte  das  aas  natitarlichem 
Taet«  staipmende  Flehen,  bei  dem  andern  Kinde  wurde  es  zum  schreck- 
liebsten  Übel  Einen  Vater  lehrte  seine  eigne  Erziehervemnnft,  ja 
recht  misstrauisch  gegen  seine  Kinder  zw  sein.  Er  ließ  sich  also, 
wenn  die  Knaben  bei  andern  Leuten  waren,  allemal  Zettel  mitbringen, 
worauf  dieselben  das  Hetraj^en  flei-  Tungen  schreiben  mussten.  Ein 
wahrer  sittlicher  Ruin  war  die  i^olge  dieser  dem  natürlichen  Tacte 
ent.stammten  ^labregel.  Was  aber  Affenliebe  sündig,  das  zu  schildern 
erlassen  Sie  mir  gewiss  eern.  Kurz:  auch  die  Li»»)>»-  und  der  natür- 
liche Taet  maclit'n  die  luidagogische  Presse  nicht  unnöthig. 

Noch  andere  sagen  stolz:  Was  kümmere  ich  mich  um  die 
SchruUtu  der  Pädagogen,  ich  gebe  meinem  Kinde  ein  gutes  Beispiel 
und  damit  hol  Iah!  R^cht  gut^  wenu  der  Erzieher  als  ein  Leuchtthnrm 
in  jeder  Weise  voi-  seineu  lündem  steht  Aber  das  Licht  gelit  ihm 
leider  inaiiLiuaal  aus.  Sut<*rmeist^r  sagt  in  seinem  Buche  Welt  und 
Geist:  Seh  ii  h  die  wimmelnde  Meuge  von  unerzogeueu  Eltern,  frag 
ich  nui"  staunend:  Wie  kommt's,  dass  noch  die  Jungen  so  brav? 
Wenn  der  gute  Vater  einmal  einen  ungeziem^en  Scherz  macht, 
wenn  er  fortwährend  das  Essen  tadelt,  wenn  er  sidi  efamal  ein 
Bftnschchen  kaoft,  wenn  er  die  Geisel  des  Spottes  Uber  andere  schwingt, 
wenn  er  den  religiösen  Freigeist  spielt,  so  wird  er  gewiss  nicht  m> 


üiyiiizeü  by  Google 


—  641  — 


geben  wollen,  dass  er  fiir  seine  Kinder  ein  schlechtes  Beispiel  ist,  und 
doch  ist  es  so.  Rfrhtfhun  vor  den  Kindern  ist  allerdings  die  beste 
Lehre,  sie  inniini  zu  machen,  sairt  der  Pädaq^oo;-  Moscheros"li ;  das 
Beispiel  der  Eltern  ist  die  sittliche  Atiiin^jphäre,  in  welcher  die 
Kinder  fresunden  oder  auch  verderben  können.  Und  gerade,  um  diese 
^^'ahrheit  dem  Hause  fort  und  fort  als  Flamme  vor  die  Seele  zu 
halten,  muss  die  pädagogische  Presse  wirken  und  thätig  sein,  muss 
moniren,  w5  sie  sieht,  dass  man  sich  voUstäudig  vergisst  den  Kindm 
gegenüber. 

Als  ich  einmal  einen  Vater  fragte,  ob  er  manchmal  über  Er- 
zieh img  etwas  lese,  sagte  er  mii%  das  habe  ich  nicht  nöthig.  Ich 
habe  ein  üniversalmitteL  Und  als  ich  in  ihn  diung,  mir  dasselbe  zu 
nennen,  rief  er:  Msia.  Eniebungsevangeliiim  isl  der  Stod^,  er  thnt 
seine  Wunder.  Der  gute  Stock,  wie  oft  Tersi^  er  seine  Wirkung» 
irie  oft  bringt  er  das  Gegentheil  ?on  dem  henror,  was  er  besEvecken 
solltet  wieviel  nnntttae  Thrftnen,  wieviel  Trotz,  Bitterkeit,  Ertödtnng 
dee  EhrgefUds,  der  Scfaam  hat  er  hervorgebracht,  mid  seine  Sttiiden 
sind  grdfier  ab  seine  giflcUichen  Cnren,  die  ich  freilich  nicht  ganz 
leugnen  mag.  Grade  der  Erzieher,  welcher  so  schnell  zum  Stocke,  zn 
diesem  verdächtigen  Heilmittel  greift,  sollte  den  Bath  nicht  ver> 
schmfthen,  den  die  Presse  gibt  za  weiser  Benntzong  des  Bakels  oder 
zur  Entbehmng  desselben. 

Wenn  man  Qbrigens  noch  sagt:  Kinder  kann,  man  doch  nicht 
nach  einem  Bache  erziehen  (freilich  nicht,  wie  man  ein  Kleid  nach 
einem  Muster  macht)«  das  ewii^e  Schulmeistern  ist  mir  langweilig,  die 
Sache  ist  mir  zu  ernst,  ich  will  mich  amüsiren  bei  der  Lectttre  etc. 
80  widerlegen  sich  diese  Einwände  alle  selbst. 

Nachdem  wir  non  die  Vornrtheile  und  Einwände  als  Hindernisse 
ftir  die  Theilnahme  an  der  pädagog.  Presse  hinweggeräumt  haben, 
wollen  wii'  noch  ein  kurzes  Wort  über  den  Sej^en  dieser  Presse  sagen. 
Dass  ich  dabei  nur  die  gute  pädagofri^rhe  Presse  meine,  die  ihre  Auf- 
gabe versteht  und  recht  erfüllt,  brauche  ich  wohl  k:uim  zu  sagen. 
Dass  ialirans  jahrein  tausend  und  abertausend  Kinder  ohne  päd. 
Presse  wohlgerathen,  gebe  ich  zwar  zu:  aber  das  halte  ich  ebpuso 
fest:  Tauseude  würden  nach  den  Rathschla^en  der  päd.  Presse  l»e>ser 
g-erathen  sein!  Die  pädagogische  Presse  ist  auch  eine  Macht  wie  ihre 
Schwestern,  die  politische,  literarisciie  und  Tagespresse,  wenn  sie 
auch  von  diesen  über  die  Achseln  angesehen  wird.  IIa-  erster  Segen 
ist  der.  dass  sie  in  heutiger  Zeit,  wo  der  Pessimismns  auch  der  Pä- 
dagogik, seui  traiu  iges  Siegel  aufdrücken  und  sie  daiuu  luhren  mochte, 

35* 


Digitized  by  Google 


—  542  — 


■wo  alle  höhern  Ziele,  alle  Ideale  verlacht  werden,  und  das  höchste 
Erziehnn^sprincip  materieller  Nutzen  ist  —  dass  sie  in  solcher  Zeit 
dem  Hau^e  seine  erhabene  Aul^abe  klar  vorhält,  nnd  da^ö  dem 
Erzieher,  der  ja  so  manche  Last  zn  tragen,  so  manchen  Ärger  zu 
überwinden  liat,  die  Flamme  der  Begeisterung  immer  wieder  ent- 
zündet und  überhaupt  dahin  wirkt,  dass  die  Glorie  des  Familienheüig- 
thums,  der  häusliche  Sinn,  nicht  ganz  verloren  geht. 

Sodann  ist  die  pädajrogische  Pre55se  eine  lehrende  und  auikläiende 
Freundin.  Wissen  Sie  was  ein  Kind  ist?  fragte  mich  einst  mein 
Oberlehrer.  Mau  möchte  auch  manche  Mutter  fragen:  ^^'eißt  Du  was 
ein  Kind  ist,  wie  es  denkt  und  fiihlt,  wie  die  ersten  Reize  auf  das- 
selbe wirken,  welche  Seelenpflege  es  TsrUuigt,  was  man  tob  Omi  Tcav 
langen  kann  imd  was  nicht?  Wieviel  Fehler  würden  TerafedeB 
werden,  wenn  Eltern  und  Ldirer  die  Tiefe  nnd  Eigenthlhnlichkeit 
des  Einderheraens  sn  ergründen  TentSnden.  Dann  wfirde  es  nicht 
Torkonunen,  dass  ein  Vater  sein  wenig  Wodien  altes  Kind  anhr&Dti 
wie  er  sagt,  damit  es  in  der  Nacht  rnhig  ist,  wodnrch  der  bedenk- 
lichste Seelenschade  entstehen  kann.  Da  würde  eine  Hntter  nidit 
bandwnnnartige  Strafpredigten  halten;  dann  würde  man  von  einem 
sedisjührigen  Kinde  nicht  yerlangen,  dass  es  ebenso  bedichtig,  so  aUr 
klng  handeln  s<A,  wie  die  lünfhndzwanzigjfthrige  Mutter;  da  würde 
man  nicht  gleich  alles  für  Bosheit  nnd  Schlechtigkeit  halten,  was 
Tielleicht  nur  dnrch  natüriiche  seelische  Entwickehmgen  bedingt  ist 
Wenn  nun  die  pädagogische  Presse  diesen  Blick  in  die  Kinderseelen 
schürft  und  dem  Erzieher  seine  Schritte  dne  p^chologische  Hand- 
hnU'  reicht,  wenn  sie  ihm  allerlei  bewährte  Recepte  für  bedenkliche 
Fehler  der  Kinder  gibt  etc.,  ist  sie  da  nicht  eine  Wolthat  fürs  Eltern- 
haus? Aber  sie  ist  auch  eine  aufklärende  Freundin.  Als  Botin  in 
das  Elternhaus  sucht  sie  namentlich  über  alle  Mafiregeln  über  die 
Gesetze  und  Verhältnisse  der  Schale  aufzuklären,  und  wie  mancher 
Streit  zwischen  Schule  und  Haus,  wie  mancher  Angriff  auf  die  Schule 
würde  unterbleiben,  wenn  sich  die  Eltem  über  die  Ziele  des  Unter- 
nchts.  über  die  Ceusurt'n,  über  <\ie  Strafen,  über  die  Versetzuii<ren, 
über  die  Schulordnung  und  tausend  andi  if  Dinge  dui*ch  die  Pi-esse 
iintririr-hteTi  ließen.  Mancher  Misston,  manche  Thräne  würde  dann 
unterbleiben. 

Doch  die  pädagKgisi  lit  Presse  ist  auch  eine  mahiit  inle  nnd 
wai'nende  Freundin.  Vor  allen  Dingen  tritt  sie  dem  laulen  (T-  i^-t» 
der  Zeit  gegenüber,  der  vor  vielen  Dingen  nicht  zurückscbrei  kl ,  liie 
nui'  geeignet  sind,  liie  Jugend  vor  der  Zeit  alt  zu  machen  oder  sie 


Digitizeü  by  Google 


—   543  — 


dem  Verderben  in  die  Hllnde  sa  fähren.  Wenn  sie  sieht,  wie  maa 
die  kleinen  Kinder  in  die  Eauchlnft  der  Kneipen  führt,  wie  man  sie 
ins  Theater  gehen  Ifisst  in  einem  Alter,  wo  sie  noch  mit  der  Pappe 
oder  den  Bleisoldaten  spielen,  wenn  man  anf  Kinderbällen  ihnen 
Gennsssncht  und  verfrühte  Neigungen  einimpft,  wenn  man  die  ärgste 
Schundliteratur  in  ihren  Händen  lässt  (noch  nicht  lange  ist's  her, 
dasü  ich  einer  Schüloriii  die  schöne  Helene  v.  Bosch  weggenommen 
habe),  wenn  man  gefährliches  Spielzeug  (wie  die  augenverderbenden 
runden  Kästen  mit  springenden  Turnern  etc.)  ihnen  unter  den  Weih- 
nachtsbaum legt,  wenn  man  zulässt,  dass  die  Kinder  auf  Weg  und 
Straße  Dinge  sehen,  die  fiir  ihre  Unschuld  nichts  als  Gift  sind,  da 
erhebt  sie  ihre  Stimme  und  schlä^rt  mahnend  an  die  Eraeherherzen. 

Und  sieht  sie  geradezu  Gefahren,  die  Imitei"  den  Schritten  der 
Eltein  lauem,  so  werden  ilire  Malinun£ren  zu  Warnungen.  Wenn  eine 
Mutter  im  Scherte  den  Papa  von  dem  Kinde  schlagen  lässt  und  nüt: 
ach!  der  gai'stige  Papa;  wenn  eine  andere  Mutter  darüber  laclit.  dass 
ihr  Söhnlein  alles  sein  nennt,  was  es  sieht;  wenn  sie  liürt.  wie  ein 
Vater  vor  seinen  Kindern  die  ärj^sten  Schnurren  und  leicht:>inuige 
Abenteuer  erzählt,  oiler  aiicli  wenn  sie  sieht,  wie  die  Kinder  durch 
die  Kleidung  leiblich  und  moralisch  verdorben  werden,  so  lässt  sie 
die  Erzieher  den  Abgrund  sehen,  an  welchen  sie  ihre  Ptiegbel(<l[Inen 
fiihren.  Und  wenn  sie  nun  überall  für  die  Erzieliung  des  Hauses 
Mahnungs-  und  Waruuugszeichen  setzt,  sollte  sie  da  nicht  Verdienste 
am  das  Haus  sich  erwerben? 

Aber  de  ist  auch  in  vielen  Dingen  eine  theihiehmende  und 
helfende  Frenndin.  Sie  gibt  Rath  bei  Krankheiten,  ehe  der  Arzt 
kommt,  sie  hilft  das  beste  Spielzeug  auswfthlen,  macht  aof  die  rechten 
Beschäftiguugsmittel  aufmerksam  nnd  hilft  den  Weihnachtsbaiun 
schmücken.  Sie  lenkt  ftberhanpt  den  Blick  anf  Erriehongsmittel  aller 
Art,  anf  die  Hausschnlbänke,  anf  die  Bflcher  etc^  Ja  sie  nimmt  auch 
Theü  an  der  Sorge  fOr  die  erwachsenen  Kinder,  sie  schUigt  Pensionate, 
Anstalten  yor,  von  deren  Trefflichkeit  sie  sich  Überzeugt  hat  Sie 
gibt  Sathschläge  hinsichtlich  der  BernfSswahl  nnd  sncht  die  Vomr- 
theile,  die  in  dieser  Hinsicht  bestehen,  zn  zerstrenen.  Mit  allen 
diesen  Dingen  ist  die  pfidagogische  Presse  eine  theilnehmende,  rathende 
Freundin,  nnd  wenn  sie  Novellen  nnd  ErzUhlongen  vorftlhrt,  wenn 
sie  mnsterhafte  Lebensbilder  zu  einem  Spiegd  für  die  Ei-zieher  bietet, 
oder  wenn  sie  das  Kinderleben  von  der  lieitersten  Seite  betrachtet 
und  durch  Schul-  und  Kinderanecdoten  die  Lachlust  entzündet,  ist  sie 
da  nicht  auch  eine  angenehme  Unterhalterin?  Die  pftdagogische 


Digitized  by  Google 


—  644 


Fireflse  mue»  demnach  als  eine  ihren  Schwestern  ebenbfkrtige  Segm»- 

mncht  erkannt  werden,  und  wenn  es  wahr  ist,  was  der  Franzose 
Renan  sagt:  Die  Erziehungsfrage  ist  für  die  jetzige  Gesellschaft  eine 
Frage  des  Lebens  oder  des  Todes,  eine  Frage,  von  welcher  die  Za- 
knnft  abhängt",  so  dürfte  wol  die  Erziehongspresse  in  ihrer  Wichtig- 
keit nicht  zn  initerschatzen  ^rin.  Wenn  es  mii-  nun  gelungen  ist, 
Sie  von  dem  iSegen  der  päd.  Presse  zu  überzeugen,  so  werden  Sie 
gewiss  der  einen  oder  andern  pädagogischen  SchritT  ihre  Theilnahme 
zuwenden;  ist  es  mir  nirht  eelungen,  dann  wilrde  auch  jede  Anpreisung 
des  einen  '  flf-r  andern  Juunials  umsonst  «ein.  Ein  Bnch  will  ich 
aber  doch  ihnen  allen  aus  Herz  legen,  es  ist  bchrebei-s  Buch  der 
Erziehung  fftr  Eltern  und  Erzieher,  Vtei  Frd.  Fleischer  in  Leipzig 
erfechienen,  welches  goldene  Regein  in  silberner  Schale  enthält,  und 
mit  einigen  Worten  desselben  will  ich  meine  Hede  versiegeln:  Schieber 
sagt:  Unter  allen  Wissenschaften  ist  die  Pädagogik  am  wenigsten 
ins  Leben  gedrungen;  die  Resultate  der  Krziehungswisseuschalt,  die 
auf  Natur  und  Leben  fußenden  Hauptgriindsätze  der  Eirziehnng 
müssen  aber  allgemein  in  der  Familie  eingebürgert  werden,  und  das 
kann  gewiss,  wie  wir  sehen,  außer  durch  die  Eiiahning  nnd  Natar 
anch  durch  die  Presse  geachehen.  Ijasaet  uns  denn,  ein  jeder  in 
aeinem  Ereiae,  wacker  arbeiten  an  der  grofien  An^g;abe  nnaerer  Zdt» 
damit  onsere  Enkel  dankbar  auf  die  Gegenwart  znrfkckbUcken  kennen, 
damit  wieder  ein  heiteres,  an&trebendea,  lebenamnthigeB  und  lebena- 
tÖchl3ges  Geschlecht  erblflhe  nnd  die  Idee  der  Hensckheit  von 
Generation  zn  Generation  ihrer  Verwirklichnng  entgegen  reifel 


Digitized  by  Google 


Von  II,  M<^rf-\yint€rthtr, 

I.  Zw  Orieitiraiig. 

versetzen  uns  im  Geiste  in«  Jalir  ITHO  /urück.  zu  einem  scliwcr 
geprüften ,  von  seinen  Freunden  gemiedenen  und  aufgegebenen,  von  seinen 
Feinden  verhöhnten  Manne.  Derselbe  wohnt  mit  seiner  Gattin,  seinem  einzigen 
10  jährigen  Sobne  in  einem  klflin«n  Laa4hanse  miweit  des  damals  noeh  wenig 
gwnanntnB  und  wenig  bekannten  DrafesBiir  im  Aargan,  am  Fnfie  desBrannegg- 
berges.  Dieses  Mannes  Brust  belebte  hoher,  edler  Sinn.  Feurige,  heilige  Liebe 
zn  tlen  Armen.  Vprlawsjpnen,  Verschupften  beseelte  ihn.  Dieselbe  jg-ab  sich  nicht 
hioi  ui  waimeu  \V  ort4:;u  kund.  Er  lebte  „jahrelang  im  Kreise  von  mehr  ahs  iUnfzig 
Betäerklndmi;  tbeilte  in  Anint  mit  Ihnen  tetn  Brot»  lebte  selbst  wie  ein  Bettler, 
am  sa  IsrmBi  Setüer  wie  Ifensehen  leben  sn  machen'*.  Der  Versadi  seheiterte. 
Der  Name  des  Mannes  —  Pestalozzi  —  wurde  dem  Gespött  der  Welt  preis- 
pefreben.  Seinen  Glanbeii  aber  an  die  Göttlichkeit  der  Mensfhennatnr  und 
daran,  dass  den  Armen  auf  dem  Wege,  den  er  betreten,  gründlich  geholfen 
werde,  erseblttterte  der  ,4ierzzerreiflende"  Untergang  seiner  Unternehmung 
nicht  rildk  hatte",  enfthlt  «r,  „in  dar  mienneislichen  Anrtrengnng  meines 
Versuchs  nnermetsUehe  Wahrheit  gelernt,  und  meine  Überzeugung  von  der 
Richtigkeit  derselben  wnr  nie  großer,  als  da  er  scheiterte.  Auch  wallte  mein 
Kens  immer  dennoch  uuer&chütterlich  nur  nach  dem  nämlichen  Ziele  und  jetzt 
selbst,  im  Elend,  lernte  ich  das  Elend  des  Volkes  oud  seine  Quellen  immer 
tiefer  nnd  se  kennen,  wie  kein  Olttckllehw  sie  kennt  Ich  saB  eine  lange 
Reihe  von  Jahren  unter  ihm,  wie  die  Eule  unter  den  Vögeln.  Aber  mitten  im 
Hohngelächter  d*^r  mkh  wegwerfenden  Menschen,  uiift«n  in  ihrem  lauten  Zn- 
rnf:  dn  Armselipi  r.  ein  bist  weniper  als  d^r  pchleihteste  Tagiöhner  im  »Stande 
dir  »elber  zu  helfen,  und  bildest  dij*  ein,  dass  du  dem  Volke  helfen  könnest? 
mitten  in  diesem  bobnlaehenden  ^nrof,  den  ich  anf  sllen  Lippen  las,  h5rte  der 
miditige  Strom  meines  Herzens  nicht  anf,  einzig  und  einzig  nach  dem  Ziele 
zn  streben,  die  Quellen  des  Elends  zn  verstopfen,  in  das  ich  das  Volk  um  mich 
her  vt  rKtinken  sah."  Er  erzUhlt,  er  habe  noch  viele  Freunde  gehabt,  aber  es 
habe  sich  bei  ihnen  beiualie  die  letzte  Spur  irgend  eines  Funkens  von  Ver» 
trsnen  in  ilin  voioren.  „Sie  liebten  mich  nnr  nodi  hoArangslos.  Das  ging 
so  weit,  dass  meine  besten  Freunde,  beklemmt  von  diesem  Urtheil  und  voll  von 
Mitleid,  wenn  sie  mich  oben  in  einer  Gasse  erblickten,  sich  in  eine  andere 
zurückzogen,  damit  sie  nicht  in  die  Lage  kommen,  mit  einem  Menschen,  dem 


Digitized  by  Google 


I 


—   646  — 


durchao«  nicht  zu  helfen  »ei,  ein  sie  mir  Rclmi.  izondea  und  mir  sAhi^t  nichts 
helfendes  Wort  zn  verlif^irn.  Btiehhändier  Füssii  (in  Zörichj  war  beinahe 
noch  der  ein2ige  Mensch,  mit  dem  ich  über  meine  Ijkge  noch  ein  vemönftiges 
Wort  reden  konnte.  Er  sagte  mir  in  diesem  Zei^ninkte  gerade  hemoa:  ndne 
alt«  II  Freunde  halten  ea  beinahe  allgemein  IBr  anagemaditt  ieh  werde  meine 
Tage  im  Spital  oder  grar  im  Narrenlians  «  rideu." 

Am  tiefsten  aber,  bis  zur  Veneweiflune:  schmerzte  ihn  die  Wahriiohmung. 
dass  mit  dem  Glauben  an  ihn  anch  der  an  seine  Sache  verschminden  war. 
Bis  nr  größten  innem  Unrnhe  steigerte  dch  seine  Wehmnth  bei  dem  Gegen* 
latze  der  Gewissheit,  dass  ea  seine  Lebenaan%abe  sei«  die  Walifhdt  seiner 
Bettnngsmittel  durch  Verwirklichung  zu  allgemeiner  Überzeugung  zu  bringen, 
und  des  Mangels  an  Rütteln,  dem  innem  Ruf  niul  Drang  folgen  zu  können. 
Pestalozzi  war  also  gerade  dadurch,  dass  er  dem  \  olkä^i-lend  wehren  und  deas^ 
Qoellai  verstopfen  wollte,  in  Noth,  Drangsal  und  Verachtung  geiallen. 

Welches  waren  denn  die  Ursachen  der  so  tranrigen  VolksKttstlnde^  die 
Qnellea  des  Elends,  welche  Pestalozzi  vei-stopfen  wollte? 

Die  erste  Quelle  war  dif  Unbildung.  In  dieser  Hinsicht  wurde  das  \  "!k 
bis  auf  einen  unglaubliclieu  Urad  verwahrlost.  Pestalozzi  nennt  »eine  Schulen 
kttn8tli(^e  EIrstickungsmaschinen,  den  Volksunterricht  den  elendesten,  nichtswGrdig- 
tten,  aerbreehliehsten  Koth.  ,4ch  würde",  sagte  er  1782,  „lieinem  der  Schulmeister 
—  mit  W(  riiir  Ausnahmen  —  i-uhig  über  Winter  eine  Kuh  oder  nur  ein  Kalb  anver- 
trauen." Her  Berner  Landvogt  von  Tscharner,  den  Pestalozzi  ä«|  äter  in 
..Lienhard  und  (rertruU**  als  „Amer"  nns  vorführt,  lässt  sich  in  den  TOri 
Jahren  in  seinen  Briefen  über  die  Erziehung  des  Landvolks  also  vernelaueu: 
„Verdient  der  Banernatand  weniger  onsere  Ächtung  und  Bemühmig  aSa  der 
des  Stadtbürgers?  Viele  unserer  Städter  würden  diese  Fi*age  haum  ihrer 
Antwort  würdigen,  sie,  besonders  die  Großen  nnd  Keit  li.  t;  kennen  das  Land 
nicht  ander?«,  als  jene  Prinzessin  d>'n  Mancrel.  die.  als  man  von  Theuenuis  im  l 
Hunger,  der  Nuth  und  dem  Elend  des  Landmaunes  redete,  wundernd  tra^t. 
waroffl  er  nidit  Kü  und  Brot  esse?  Sie  kltamen  sieh  nicht  TorsteUen,  dass  dem 
Baner  was  fehle,  so  lange  er  noch  arbeitet  and  lebt;  weil  sie  glauben,  er  solle 
arm  nnd  dumm  sein,  mn  etwas  an  ntttcen,  nnd  er  sei  gemacht  an  hungern  mid 
zu  dienen." 

Ich  weiii,  dass  noch  Viele  daran  zweitein,  dass  das  Bauerukind  einer 
bessern  Ersiehnng  nur  ftUg  sd,  nnd  noch  mehrere,  dass  es  solche  nOUiig  habe. 
Wie  wenige  sind  ftber  die  Verachtung  erhaben,  die  bei  Vielen  den  Bauer  unter 
sein  Vieh  herabsetzt,  oder  dem  Vorninheil  der  StUdter  gewaebsen,  die  aoltihen 
von  gleichem  Keime  g-ehildet  zu  erkennen  sich  schämen." 

Die  zweite  QueUe  der  Annuth  war  das  Finanzsjstem  des  alten  Regime. 
Die  gance  Staatslast  ruhte  sonsagen  amschUefflidi  auf  der  t«andsehalt  Zehn- 
ten, Grund-  nnd  Lehensinse  waren  es,  welche  daa  Staatswesen  alime&tirten. 
Der  Capitalist  hatte  als  solcher  nichts  zn  leisten.  Dissen  Zustand  beieichaete 
der  Landmann  richtig  mit  den  Worten: 

„Der  Bauer  im  Koth  muss  erhalten,  was  reitet  und  goht." 

Unter  denen,  welche  die  Ungerechtigkeit  und  TeideriilidikeitdkserilBaiii- 
wirtschaft  nachwiesen,  steht  Pestaloasi  obenan.  Schon  1782  Teriangt  er 
eine  auf  den  Wert  der  Besitzungen  und  des  ganzen  Efgenthuros  gt^i'^indete 
Vermögenssteuer,'  wobei  das  zum  Leben  unbedingt  Kothwendige  Jeder  Belastung 


üiyiiizeü  by  Google 


—   547  — 


zn  entheben  sei.  Aaf  solche  Weise  begründe  man  das  Glück  des  Landes, 
■während  das  bisherigre  Verfalii*en  die  Hühner  tödte.  welche  Eier  legen,  die 
Hummel  schone,  aber  den  gnten  Bieoen,  deren  Fleiß  und  Wolhefindeu  des 
LandeB  Segen  tot,  den  Honig  nehme»  der  Ihr  Leben  fktotet/' 

„Je  besser  ein  Finan^yttem  ist,  desto  mehr  tndit  es  bei  dm  druckenden, 
verschwenderischen,  sich  mftstenden  Manne  Ressonrcen,  die  es  vom  anuen,  ge- 
drückten, aasgesijgenen  und  sparsamen  Manne  nicht  einmal  zn  beziehen  wünscht. 
£s  trägt  dem  genossleeren  Leben  der  Armen  Bechnong  und  belastet  den 
Übetflnn." 

Dann  waren  die  jAnuntlichen  Verkehrswege  in  einem  wlArmlichen  Zur 

Stande.  Der  schwierige,  ja  geföhrliche  Transport  aller  Waaren  hemmte  nicht 
nur  die  freie  Bewegung,  sondern  vertheuerte  auch  alle  Lebensbedürfnisse. 
Durch  das  ganze  18.  Jahrhundert  hinauf  bis  179U  beginnen  die  wiederholt 
erscheinenden  Straaeenmandate  also:  „Ba  sind  nns  die  Zeitharo  vielfitttige 
Kllgten  TorgdEommen  nnterschledUeher  hin  nnd  bar  In  unseren  Landgeriehten 
und  Gebieten  sich  befindender,  sehr  bößer,  tieffer,  rucher,  nnd  zum  Reisen 
.  nnd  Fahren  fast  unkommlich  nnd  Übel  anstilndij^er  Keichs-  un-l  Landstraßen, 
auch  Fußwegen  halber."  Der  Rath  that  nicht«,  als  dass  er  „ernstliche  Betehle" 
an  die  Gemeinden  nnd  Anstößer  erließ,  diese  Rnnsen  falirbarer  zu  machen, 
nnd  swar  mit  ebenaoTlel  Erfolg  wie  die  Anordnungen  gegen  den  OaBsenbettel. 
Wo  Flüsse  und  Bäche  waren,  diente  deren  fiett  als  Straße. 

Zürichs  Handel  und  Gewerbe  waren  von  jeher  bedeutend,  ^  .^  uders  im 
18.  Jahrhnndert  erhoben  sich  beide  zu  proßeni  Flor  und  brachien  ilillionen 
von  Gulden  jährlich  ins  Land.  Die  Producte  dei-  Züricherscheu  Mauufactuien 
in  BanmwoUe,  Wolle  nnd  Seide  waren  gesneht,  hielten  die  Oononrrenz  mit 
den  Enengnissen  anderer  Länder  leicht  aus  und  fanden  ihren  Abeatz  in  weite 
Femen:  nach  Italien,  Spanien,  Frankreich.  Süd-  und  Norddentschland,  in  den 
übrigen  Norden  Europas,  nach  Polen,  den  türkischen  Ländern  etc. 

Aber  beides,  Handel  und  Gewerbe,  war  nur  dem  Bürger  der  Stadt  Zürich 
erlaubt,  dem  Bewohner  der  Landschaft  scharf  verboten.  Diesor  war  Mos  des 
Stadtzürchers  Arbeiter,  ja  er  durfte  sonst  niemandem  zn  Diensten  stehet, 
keinem  Fremden,  niclit  einmal  einem  Bürtrcr,  der  anf  der  Landschaft  gelegenen 
Stadt  Winterthur  arbeiten.  Die  Zahl  der  Arbeiter  für  die  Stadtzürch ersehen 
Gewerbe  war  nicht  gering.  1780  zählte  mau  deren  auf  der  ganzen  Land- 
schaft 40554  in  der  Banmwonenmannftctur,  gegen  20000  In  der  WoUen- 
nnd  Seidenfabrication,  zusammen  bei  60000,  alle  im  Dienste  der  Stadtbllrger 
von  Zürich.  Den  Lohn  bestimmten  diese  allein,  da  dem  Landmann  keine 
Wahl  blieb  t'^bereinstimrneTxl  nnd  beharrlich  Itezeichnen  nun  die  Pfarrer  als 
eine  Hauptqueile  der  stets  zunehmenden  Armnth  auf  der  Landschaft  „den 
schlechten  Lohn  fai  den  Gewerben". 

Wem  so  der  Vortheil  des  grossen  Verkehrs  hanptsftdiUch  xnlloes,  wo  sich 
der  Reichthum  einsammeln  musste.  ist  bald  ausgerechnet.  ..Für  den  Nicht- 
!«rndty:urcher".  sagrt  der  einstiere  Konstatier.  Meyer  von  Knonau,  „fand  jede 
industrielle  oder  höhere  geistige  Strebekratt  nur  mit  Veranlassung  des  Can- 
toDs  einen  SplelraonL  Es  waren  dem  Landbewohner  Beftignlsse  entzogen, 
die  beinahe  in  allen  elviltoirten  LBndem  solchen  sostanden/* 

Ja,  der  Handel  mit  den  Erzengnissen  seiner  Wirtschaft  war  dem  Land* 
mann  nicht  freigegeben.  £r  dvfte  dieselben  nicht  bei  Hanse,  Ton  Hand  zn 


Digitized  by  Google 


Hand,  von  Dorf  zn  Dort  verkÄUten,  oder  gar  Handel  damit  treiben,  sondern 
er  hatte  sie  auf  den  Alarkt  vor  den  Borger  zu  bringen,  fand  er  da  nicht  ge> 
nttgttideii  Abeali;  w  blieb  ihm  die  Waere. 

Für  den  Ankenhandd  s»  B.  (Batterhandel)  war  —  in  der  VoraoBsetzaug', 
daes  ein  Bäuerlein  nicht  wegen  jede«  Pfundlein  Ankens  auf  den  .  alHiiesigen" 
Markt  laufen  küane  —  folgende  Ordnnng  festgesetzt:  Es  wurden  12  Anken- 
greiupler  amtUch  angestellt  und  jedem  ein  gewisser  Bei&irk  dei-  Landschaft 
angewiesen. 

Der  Bauer  durfte  nun  seinen  Vorrath  an  Butter  nur  dieeen  verkanftau 
..doch  Ihun  y,h  aber  auch  irrfligunj^tig  Itewilligen,  daas  diejenigen,  so  Anken  aus 
ihrem  \'ieh  ziehen,  solchen  aut  ünserm  allhieagqB  Markt  (Zürich)  selbst  bringen 
und  verkauieu  konneu. 

Gar  anmnfheiid  und  milde  redet  Seboler  (IV.  1)  von  diesen  VeriilltiiMMi 
aleo:  „Der  Stadtburgerschaft  wollte  man,  als  dem  Oberherm,  einen  reicheren 
nnd  siclieren  Erwerb  gewahren  und  stützte  das  Eeclit  daföi-  auf  die  landes* 
herrlichen  Hechte  und  das  Alterthum  der  auf  die  ätadt  beschrilnkt  gewpst'nen 
(ie werbe  in  Wolle  und  Seide.  So  war  die  Handelschaft  ein  Vorrecht  der 
Böi  ger,  gegen  daa  rieh  Ma  mr  franngatoehen  Bavotation  keine  eraate  UagniHedea- 
heit  äußerte,  sondern  es  ala  natürlich  auab." 

Wie  der  Landmann  in  Bezug  auf  gewerbliche  Thätigkeit  gestellt 
war,  darüber  geben  einige  Citate  ans  den  betreffenden  Mandaten  binlingüch 
Anfschlnss: 

„Wir  woitaDf  daM  von  Thum  AiteiUl&ntten  aof  dem  Z^aiid  keine  Arbeit 
von  analUndiaBhen  Orten,  wober  ea  yitatt,  n  spinnen»  n  wirken,  oder  in  ander 

Weg  zu  verarbeiten  an-  und  übernommen  werde,  ge.stalten  wir  den  Seiden- 
^tüniplem,  Seiden-KUmbUn-n  und  Seiden-Wiiidem  bei  hoher  Strafe  veibieten, 
keinem  Fremden  auikr  L  unleii,  in  was  Fabnqueu  eä  waie,  zu  arbeiten,  maßen 
jedermlnniglich  sich  derjenigen  Arbeit  allein  bedienen  soll,  welche  Unsere 
inner  den  Crenien  sitmiden  verborgerten  Kanf*  nnd  Handelalente  ibnsn  sn- 
kmamen  lassen.'* 

..IijkMchen  ist  Unser  OberkeitHcher  Befehl,  dass  ^ei  uuveTschonter  Straf 
Unsere  augehOrigen  Landtüchler,  denen  raulie  TUchleui  zu  machen  erlaubt, 
nirgend  ansterwo  als  bei  hiesigen  Verbuigerten  Baumwolle  kaufen  mögen 
nnd  ihr  daraus  gewonnen  Oam  oder  Tftcher  nirgend  änderst  wohin  als  Uaaen 
Yerburgerten  in  der  Stadt  zu  verkaufen  erlaubt  ist,  mai^n  ihnen  das  Eaafsa 
nnd  VerkantVn  desselben  in  denen  Wirts-,  Schenk-,  Privat-  und  Zunfthäusem 
gänzlich  verboten  sein  sulL"  Beim  Kaufen  and  Verlumfen  maebte  der  Borger 
den  Preis. 

Znr  Betrettning  der  anf  dem  Lande  onentbehrliehen  Geweibe,  wie  s.  B. 

der  Bäckerei,  musste  die  Erlaubnis  bei  der  betreffenden  Ztnft  in  dtt*  Sladt  ei^ 
kauft  und  nacli  bestimmten  Fristen  in  gleicher  Weise  em«Mrt  werden.  Das 
Geld  wurde  dann  auf  der  l?iirH-er/unt't  verjubelt. 

Dass  eine  Unterstuizuug  au  arme  Knaben  zur  Erlernung  eines  liandwerl» 
ans  dem  weaenfUeh  v<»n  Lande  her  venoigten  Almosenamt  nicht  gewährt 
wurde,  um  „Unsem  Yerburgerten"  keine  CScncnrrenz  herananaiehen,  ist  na 
so  schilrffi-  als  engherzigster  Egoismus  zu  verurtheilen,  da  gelbst  in  monarchi- 
schen Staaten  so  etwas  kaum  voikam.  Von  A.  H.  Franke,  der  schon  17UU 
von  iüO  armen  Waisenknaben  öö  dem  Handwerk  und  45  dem  Studium  zuführte, 


Digitized  by  Google 


—   649  — 

hatte  eineObrigk«iteiiM8  JniiBh"  Landes  td^  nUM  In  mlfhcirWriiobciiffhiincn 

iMMii  sollen. 

Das  ganze  18.  Jaiirhuodert  hindurch  wird  in  jeder  Bettagsprociamation 
hingewiewn  auf  ,,da8  nnnoldlUbare  Kldnod  der  Seeton-  nnd  LellMiMinlt". 

Wie  weit  die  „Seelenfreiheit*'  leldite,  konnten  Laien  nnd  GeiaUIelie  er- 
fahren, wenn  eie  Meinungen  äußerten,  die  der  herrschenden  Orthodoxie  nicht 

gemml  waren;  crfnliren  die  Seebewohner  in  den  90er  Jahren,  als  »ie  8o  „frei** 
waren,  wissen  2U  wollen,  ob  die  dnrch  frühere  Briefe  feierlich  zugesicherten 
geringen  Beeilte  noeli  Geltang  Uttten.  ICit  der  ,4jeibetfrei]ieit"  stand's  nicht 
grinsender.  Vom  Lande  in  die  Stadt  lo  lieiien  war  siebt  leielit  gestattet. 
Am  28.  Anglist  1710  wird  bezüglich  der  Hintersassen  in  der  Stadt  durch  die 
,.ünserer  lieben  Bürgerschaft  und  AnpTPhnricpn  nicht  allein  in  vielen  Sachen 
großer  NachtheU  verursachet  die  üemach-,  Ziuß-  und  Esswahren  in  dem  Preis 
merkUch  vertheuert,  sondern  auch  vieler  Verdienst  vorabgezogen  wird",  eine 
StBbemng  riagtnmam  und  besehlonNo,  10  Jalire  lang  keinen  HinteigeaBaa 
wAt  aannehmen,  auch  in  den  Ansguneinden  der  Stadt  keine  lamlassen, 
und  naoh  A>»l;int'die«er  Frist  dftnn  weiter  zn  berathen  „ob  das  Verbot  znoontinui- 
ren"  sei.  Die  Niedeilastüimg  wurde  auch  spilter  immer  nur  ertheilt,  wenn  sie  im 
Interesse  der  Stadt  zu  liegen  schien.  Dagegen  gaben  sich  die  Verburgerten  sel- 
ber dasReeht,  anf  derLandsdiall  sieb  beliebig  anansiedehi  und  die  reieh  besoldeten 
Stellen  von  Landvögten,  Amtslenten,  Landsehreibern,  Pfiurem  etc.  einzunehmen. 

Außer  Landes  durfte  auch  kein  Fabrikarbeiter  gehen  ..Dpnjpui^en,  welche 
der  Pflicht  und  Treue,  gegen  uns,  Ihrer  von  Gott  gesetzten  Ubrigkeit,  so  ver- 
gessen, dass,  nachdem  sie  zu  genusssamer  Arbeit  sind  erzogen  worden,  sie  sich 
erfredien,  aas  Unsenn  Land  ni  gehen,  wctOen  wirblennitnidatnvrdasBttrger' 
oder  Laadreeht  anfgekttndt  und  mitgegeben  haben,  sondern  aneh  Weib  oad 
Kind  ihiu-Ti  nachschicken  nnd  Wir  sie  zu  keinen  Zeiten  mehr  annehmen  werden; 
sondern  wir  behalten  Uns  überdies  noch  femer  vor.  »'iiien  jeden  nach  Be- 
schaffenheit seines  Verfahrens  an  Elire  und  Gut,  ja  mit  gänzlicher  Confiscation 
s^er  im  Lande  befindlichen  lOtteln  nnd  anf  Betieten  m»!  gar  am  Leibe  setbsten 
an  strafen." 

Ganz  dieselbe  Strenge  wurde  gegen  arme  Banem  geübt,  die  auswandern 
wollten,  U1T1  pi"h  rinr  bessere  Existenz  zu  gründen.  Diese  .sriiandlosen  Ver- 
iehter  des  \  uieriaudes"  werden  mit  ebenso  harten  Strafen  „augesehen*'  wie  die 
anawandernden  Arbeiter.  „Die  schlfipMge  SittUehkeit  reicher,  behaglicher 
Ibasehen  vereinigt  sich  mit  den  Ansprttehen  d«r  Ifadit,'*  sagt  Pestaloaal  in 
Bezug  auf  solche  Verordnungen,  „die  erwerbenden  Stände  in  dem  Falle,  wo  sie 
den  Anmaßungen  des  Reichthnms  nnd  der  Gewalt  im  Wege  stehen,  allemal 
fär  Gesindel  zn  taxiren  und  in  dem  Fall,  wo  sie  den  Anmal>angen  nicht  im 
Wege  stehen,  sie  als  Maschinen  m  gebrauchen." 

Wo  war  nnn  die  Leibesfreiheit? 

Es  endigen  etwa  solche  Verordnungen  mit  folgenden  Worten:  „So  wün- 
schen wir,  dass  der  Höchste  einem  Jeden  den  Geist  der  Folgleistung  und  des 
Gehorsams  geben  wolle,  sich  dadurch  unserer  v&terlichen  Liebe,  Zutrauens  und 
Wolwollens  würdig  zu  machen." 

Wie  konnte  es  andern  eein,  als  dass  das  Landvolk,  dessen  edelste  Krttfte 
so  nach  allen  Richtungen  gebunden  waren,  materiell,  geistig  und  sittlich  arm 
Wörde  oad  blieb  ?  Die  Verwaltnng  der  Öffentlichen  Interessen  war  nidit  dnrch 


Digitized  by  Google 


—   560  — 

einen  weiten  und  o^oßen  staatsmännischen  Blick  s^eleitrt.  h  tiI  in  blos  durch 
die  Kücksicht  auf  das  Wol  der  „Verbnr^rerten  '.  es  war  reme  Krilmerpolitik. 

Diesem  Elend  zu  beseitigen,  die  Quellen  desselben  zu  verstopfen,  das  Latte 
Pestalosssi  ab  trine  Lebentanfgabe  aiig<eMlieii. 

Zunächst  bekämpfte  er  das  herrschende  Finanzsystem,  das  den  Aimen  be- 
lastptp  und  den  sich  ^.mästenden  Mann'*  Mhonte.  Dann  eiferte  er  nieht  minder 
gegen  diu  Kechtliwigkeit  im  Lande: 

,^a8  gesellschaftliche  Recht  sichert  den  Fortschritt  der  menschlichen 
Veredlvng  eben  so  allgemein,  als  ihn  BeiAiilosIgkeit  aUg«nein  stUl  stellt; 
daher  nimmt  immer  in  dem  Qnde,  als  die  Rechtlosigkeit  in  einem  Lande  groß 
ist.  die  sittliche  Abstumpfung-  zn.  Anch  das  ist  wahr,  wenn  die  Folgen  diesp<« 
Verderbens  sichtbar  werden,  so  wirft  man  die  Schuld  auf  diejenigren.  die  ver- 
dorben worden  sind,  und  nicht  auf  diejenigea,  so  sie  verdorben  haben.'' 

„Übrigens  ist  die  IMit  andi  in  ihrer  hSehaten  Spannimg  Ar  die  Er* 
haltnng  de«  behaglichen  Lnstlebens  ihrer  höchsten  WiUkUr,  so  lange  sie  auf 
ihrem  Thron  das  ihr  entgegenstehende  Recht  als  einen  Schemel  zn  ihren  Füßen 
liegen  sieht,  von  Herzen  gern  eine  hochgeschmückto.  angebetete  Mutter  der 
Gnaden;  aber  sie  wird  dadurch  nichts  weniger  als  ein  Vater  irgend  eines 
gesetdldiea  Beohtes.  Sie  haast  das  Becht  bis  auf  aelnen  Namen.  Wenn  die 
Spur  eines  solchen  Anspraelis  aof  dem  Wege  ist:  da  kennst  die  Mutter  der 
Gnaden  nicht  mehr,  sie  sieht  dann  nur  Volk  und  im  Volk  den  Feind  ihres 
Thiersinnes,  der  ihr  nicht  fär  die  Welt  feil  ist,  geschweige  am  das  duame 
Zeug,  das  Volksrecht  heißt." 

„Die  Macht  sagt  zwar  in  jedem  Fall,  sie  hasse  das  Becht  des  VoUtea 
niclit,  sondern  nur  seinen  Hissbraneh,  und  aneh  diesen  nidit  om  Ihrer  selbst, 
sondern  um  des  öffentlichen  Woles  willen,  und  wenn  sie  auch  noch  so  empQit 
ühfT  deinen  Anspruch,  mit  dir  im  St?HMt*'  ist,  s«>  wird  si<»  dir  iTTim(»r  antworten, 
sie  begehre  fiir  sich  nichts,  sie  wollte  gerne  Jedermann  alle  Freiheit  und  alles 
Becht  lassen,  das  ein  Jeder  nur  inuner  wünschen  könne,  wenn  es  nur  möglich 
wtre,  aber  sie  sieht  in  jedem  solchen  Falle  immer  die  schrecklicbsten  OeHihren, 
die  es  haben  müsse,  wenn  man  SchwIU  h  uenng  hätte,  anch  nur  daran  n 
denken,  den  Wüns(lien  des  Volkes  nachzugeben.  Diese  Sprache  aber  zn  ver- 
stehen, mnsst  du  darauf  achten,  wie  sie  sich  benimmt,  wenn  die  Sa<  Iie  ihi-es 
Dienstes  Schritte  fordert,  deren  Kühnheit  und  deren  Gesetzlosigkeit  das  Land 
allerdings  in  Gefahr  bringen  kannte." 

„Die  Völker,  die  das  Joch  ihrer  Tyrannei  abgeworfen,  haben  sich  all- 
gemein, soltahl  ihre  Unabhängigkeit  anerkannt  worden,  gar  nicht  als  die  gesetz- 
losen, räuberischen  und  mnth willigen  Bösewichter  gezeifTt.  für  welche  sie  wäh- 
rend ihrer  Freiheitsfehde  erklärt  worden,  sondern  vielmehr  als  Menschen,  die 
ihr  Oliick  mit  vieler  Mäßigung  branchten  and  sich  mit  aller  GotmftthIgkeit 
selber  wieder  Obrigkeiten  und  Regierungen  wählten  ....  sie  haben  ihren 
neuen  sichern,  elirenhafteu.  bürgerlichen  Stand  vorzHglich  zur  Verbesserung 
ihres  häuslichen  Wolstandes  und  ihres  Familienglücks,  zu  vielseitiger  Aufnnng 
ihrer  Gewerbsamkeit  gebraucht  und  dadurch  dieselbe  zn  einer  beneidens- 
wilrdigen  H9be  gebracht."  Die  Oescihichte  sagt  also  laat:  „Die  Freiheit  und 
die  ^dnng  bat  der  Menschheit  sllentbalben  Ontes  gethaol" 

Während  die  gnädigen  Herreu  das  Wesen  ihrer  Regierungsweise  daduich 
richtig  zn  charakterisiren  glaubten,  dass  sie  sagtMi:  „Der  arbeitaame  und 


Digitized  by  Google 


—  651  — 


redliche  Landmann  ist  8tet«  ein  vorzüglicher  Geirrnstand  unserer  gnädigen 
Hold  gewesen'',  bezddmet  Pestalozzi  dieselbe  kurz  und  treffend  als  ein 
„V^rMlMmii  de«  Beebto  in  die  Uiitgnlie  der  Gnadet. 

Pestalozzi  kämpfte  nicht  Uos  mit  der  FwLet  gegen  das  Elend;  er  legte 
selbst  Hand  ans  Werk.  Er  erkannte  von  früher,  dass  die  Scharen  von  Bettel- 
kindem,  die  auf  den  Landstraßen  von  Dorf  zu  Dorf  zog-en,  von  (hm  „Gnaden- 
nnd  Ei-barmongsmitteln"  nur  mehr  verdorben,  nicht  gerettet  wurden.  Er 
wellte  zeigen,  wie  da  n  ludfta  mL  Er  Mnundte  ihrer  1774  aa  viele  um  sich, 
ab  Min  Eana  httea  konnte,  nfthrte,  kleidete,  onterriehtete  sie,  lehrte  sie  ar> 
|)dten  nnd  beten,  mit  Hingebong  seines  Vermögens  und  seiner  Person  v,ollt<? 
er  jeden  seiner  Zöglinge  befÄhigen,  sich  eine  selbstständier^^.  hpfriedigende  und 
menscben^a-tirdige  Existenz  zu  schaffen.  Er  hoffte  auf  Mithilfe  und  Nach» 
ahmong  von  Seite  aller  Guten. 

„Denn",  sagte  er,  »der  CSiriet  erkennt  in  eeinem  Olanben  nnd  darek  den- 
selben, dass  er  das  Opfer  seines  EigenthnotS  wie  dasjenige  seiner  selbst  dem 
■\Vct1  sfin^r  T^rii<lf*r  sclnildig^  ist,  und  achtet  seinen  Rpf^itzptanfl  in  der  liehen 
Anspruchslosigkeit  seines  sich  Gott  und  dem  Nilchsten  hingebenden  und  auf- 
opfernden Glaubens  nicht  als  ein  eigentliches  Recht,  sondern  als  eine  ihm  gött- 
lich anTotrante  Gabe,  die  zn  heiliger  Verwaltnoff  im  IMenate  der  Liebe  in 
aeine  Hand  gelegt  wnide." 

„Die  ChristnsreliiE^on  unterwirft  den  Besitz  des  Eigenthums  unbediTi^t 
dem  Gesetz  der  Liebe,  die  ein  Christ  dem  andeni,  als  seinem  Bmder.  sehnldig: 
ist.  Der  cliristliche  Begriti'  des  Eigeuthums  ist  ein  mit  den  Ansprüchen  der 
Kotb  nnd  der  Leiden  der  Hitmensdien  eigentlieh  belasteter  Besitotand.  Wie 
groß  und  von  welcher  Art  das  Eigenthnm  des  Christen  auch  aeln  mag,  er  Ist 
Gefolg  der  christlichen  Ansicht  desselben  verpflichtet,  dem  nrmen,  eigenthums- 
losen  Mann,  den  dio  Vorsehung  ilim  nahe  gestellt,  mit  der  (rabe,  die  er  empfangen 
hat,  aut  eine  Weise  zu  dienen,  wie  er,  wenn  er  selbst  arm  und  eigeuthums- 
loa  ivire,  beaendets  in  BUdorfeht  auf  die  Auabüdnng  der  Anlagen  und  Killte, 
die  er  zu  seiner  Selbsthilfe  von  Gott  empfangen,  wQnaelien  würde  und  wünschen 
ran.sste,  dass  ihm  gedienet  würde.  Der  Christ  weiß,  und  e«  liegt  tief  im  Geiste 
der  Fnndamentaiansichten  seiner  Keligion,  dass  Gott,  der  die  erhabenen  An- 
lagen der  Meuschennator  allem  \  uIJ^  gegeben  und  keinen  S|aiid  davon  ans- 
geaehloBaen,  nicht  wül,  daaa  sie  in  irgend  einem  Indiyidunni,  nodi  viel  weniger 
In  irgend  dnem  Stand  Terloren  gehen,  sondern  in  allem  Volk  daa  Leben  er- 
halten. Der  wahre  Clirist  sieht  die  Handbietung,  die  er  dem  annen  eigenthums- 
losen  Manne  im  Landp  riieHtalls  ertheilt,  selber  als  einen  Gottesdienst  nnd  als 
eine  Handlang  der  Nachioige  Jesu  Christi  an." 

Sechs  Jahre  lang  arbeitete  er  sich  unter  grofiem  Mühsal  und  Anfopilening 
seines  Vermögens  durch,  dann  fidgte  der  Zuaanunenstun  setner  Anstalt.  Er 
kitte  eben  wenig  Schutz  nnd  Hilfe  von  seiner  Heimat  aus. 

Er  schilderte  für  si*»  nntsonst  den  Lohn,  den  eine  solche  ThStigkeit  bietet: 
nEs  ist  eine  unbesclireibiiciie  Wonne,  Jünglinge  und  Mädchen,  die  elend  waren, 
wachsen  und  blähen  zn  sehen.  Buhe,  Zufriedenheit  auf  ihrem  Antlitze  zu  sehen, 
ihre  fflnde  zum  Fleiß  zn  bilden  und  ihr  Herz  zn  ihrem  SehS^^  zu  eriieben, 
Thränen  betender  Unschuld  im  Angesicht  geliebter  Kinder  zu  sehen  und  feine 
H"ffnnng*'n  im  verworfenen,  verlorenen  Geschlecht.  Unaussprechliche  Wonne 
nnd  Segen  ist  es,  den  Menschen,  das  Ebenbild  des  allmäditigen  Schöpfers,  in 


Digitized  by  Google 


—  562  — 


90  verscliipdenen  Gestalten  imA  rraV«'?!  aafwachen  ';»*hen  nn<?  drinn  vit-ll^iclit 
etwa,  wo  68  niemand  erwait^t,  im  elenden  verlasseaen  äoUue  dea  änu«ten 
Tageldhnert  CMIIe  und  Q«iie  so  <finden  nnd  zn  ntteB." 

Als  er  aber  gar  schrieb:  „Wir  tiiid  dem  Ebeobflde  Gottes  Im  Veoseheii, 
muem  Bridem,  mehr  schnldig.  Oder  Ist  nnserHsn  todt,  dass  wir  nicht  melir 

sehen,  nicht  fahlen  die  Seele,  die  in  dem  Sohne  unseres  Knechtes  lebt  und  mit 
uns  nach  der  ganzen  Befriedigung  ihrer  Menschheit  dilrstet?  Nein,  der  Sohn 
der  Elenden,  der  Verlorenen,  Unglücklichen  ist  nicht  dazu  da,  blos  um  das  Rad 
an  treibeiii  dwen  Qaag  siaea  rtoiaen  Borger  emporhebt!  Neia!  Dalttr  ist  er 
aieht  dal  MisAranch  der  Menschheit,  wie  eaq^  sieh  aieia  Hers**,  da  hSrte 
die  Sljmpadtle  tär  sein  Werk  bei  dea  BegleraMleB  gana  aaf. 

„Gehört  denn  unseren  Mitmenschen."  so  fragrt  er.  „die  mit  gleichen 
Xatnrrechtcn  wie  wir  geboren,  uns,  den  Besitzern  der  Erde,  mit  g:l*M*chen  An- 
sprüchen ins  Auge  sehen,  gehört  diesen  Staatsbürgern,  die  jede  Last  der  gesell« 
scbaftlicben  Vereinigung  siebenfach  tragen,  keiae  ihre  Katar  b^Hed^eads 
SteUaag  in  onserer  Mitte?  Wo  findet  ela  solcher  BUdong  and  lUttel  als  Er- 
sata  seiner  Naturanfiprfiche  an  das  Gemeinrecht  der  Erde?  Ach.  die  Gesetz- 
g:ebnnfren  V^enrir^n  dt  u  Staat  und  niaclu'ii  alle  Kronen  glänzend,  indessen  ist 
der,  so  kfuit'ii  iiieil  an  der  Wclr  hat,  zum  Voraus  vergessen." 

Für  den  weitem  Ausbau  seines  Gutes  fehlten  Pestalozzi  nach  der  Auf- 
Idsang  der  Ameaaastalt  Geld  und  Menschenhände.  Dasselbe  rerwilderte  ia 
dem  Grade,  dais  trotx  seiner  groAen  Aasdehaaag  die  Haashaltang  oft  Mangel 

an  Brot,  Kartoffeln  und  OemOse  hatte.  Er  selbst  war  in  dieser  Zeit  mdst  so 
mathloB  und  gedrückt,  dass  er  in  Gefahr  stand,  sich  selbst  zu  verlieren. 
Mit  schmerzlicher  Theilnahme  lesen  wir  seine  klagende  Resignation: 
„Tausende  trelien  als  Wi  rk  der  Natur  im  Verderben  des  Sinuen^renussti« 
dahin  nnd  wollen  nichts  mehr.  Zehntausende  erliegen  oater  der  Last  der 
Gesellschaft,  ihres  Haameiat  ihrer  Nadel,  ihrer  BDe  «nd  ihrer  Krone;  rie 
wollen  nidits  mehr.  Ich  kenne  einen  Mensehen,  der  mehr  woUte,  In  ihm  Isf 
die  Wonne  der  Unschuld  und  ein  Glaube  an  die  Menschen,  den  wenige  Sterb- 
liche kennen,  sein  Herz  war  zur  Frenndsehaft  g'eschaffen ;  Liebe  wai-  sein« 
Natur  und  Treue  seine  innigste  Neigung.  —  Aber  er  war  kein  Werk  der 
Welt;  er  passte  in  keine  Ecke  derselben.  Und  die  Welt,  die  ihn  also  hrn^ 
die  nicht  ftagte,  ob  dareh  seine  Schuld  oder  die  Schuld  eiims  andern?  aar 
schlug  ihn  mit  ihrem  eisernen  Hammer,  wie  die  Maurer  einen  unbrauchbaren 
Stein  zum  Lückenfüllen  mit  den  schlechtesten  Brocken.  Noch  zerschlasren 
glaubte  er  an  das  Menächengeschlecht  mehr  als  an  sich  ^Iber,  setzte  sich 
einen  Zweck  vor  und  lernte  unter  blutigen  Leiden  für  diesen  Zweck,  was 
wenige  Stetbliche  kSnnen.  Allgemein  brauchbar  kennte  er  nicht  aiehr  werden^ 
und  er  wollte  es  aadi  nicht;  aber  für  seinen  Zweck  v^nirde  er  es  mehr,  ala 
irgend  Finpr  Er  erwartete  jetzt  Gerechtigkeit  von  dem  GesoUeehte,  das  er 
noch  Immer  iiannlos  liebte-  und  erhielt  sie  nicht!"*  — 

„Das  war  das  Saudkuiii  auf  der  stehenden  Wage  des  Elends.  Er  im  nicht 
mehr;  da  kennst  ihn  nicht  mehr;  was  Tsn  ihm  ilbdg  ist,  sind  swillttete 
Spuren  seines  zertretenen  Daseins.  —  Er  AeL  So  f&Ut  eine  Frucht,  wenn  der 
Nordwind  sie  in  ihrer  Blüte  verletzt  nnd  nagende  Wflrmer  ihre  Eingeweide 
zerfressen,  unreif  vom  Baume.  Wanderer,  schenk'  ihr  eine  Thrftae.  Noch  im 


Digitized  by  Google 


—  653  — 


Fallen  nf^iVte  sie  ihr  Haupt  f^es;fn  den  Stamm,  an  dessen  Ästen,  sie  ihren  Som- 
mer durchkratikte,  und  lispelte  dem  Horchendea  börbar:  Auch  vergehend 
will  ich  seine  Warzela  noch  stärken!*' 


n.  Elinbetli  Krtsi,  geb.  NIt 

1762—1836. 

In  ehen  dieser  Zeit  meldete  sich  eine  kaum  20jähri^fe  Person  zum  Dienst 
in  seinem  Hanse  in  der  bestimmten  Absicht,  dem  so  verlassenen  Frpmnl  der 
Armen  helfend  zur  Seite  zu  stelien.  £b  war  eine  Tochter  des  Leheumanns 
Sndolf  Nftf  von  Kappel  und  Zürich,  mit  Namen  Elisabeth;  sie  stammte 
•n»  der  in  der  QMchichte  des  Kappeler  Krieges  mit  Bnhm  genannten  Familie 
Näf  von  Kappel,  die  von  der  Stadt  Zürich  zum  Dank  fOr  die  Tapferkeit  ilirer 
Söline  mit  dem  Bürgerrecht  beehrte  wurde. 

Ihr  Streben  ging  zunächst  daliin,  den  Hof  wieder  in  Auinahnie  zu  bringen. 
Sie  fimd  noch  von  anderer  Seite  Anerkennung  und  Unterstützung. 

Emannel  FrOhlieli  von  Brogg,  der  Vater  des  bekannten  INehters,  er* 
tfUt  in  seinen  „Erinnemngen  an  Vater  Pestalozzi" :  „Der  Hof  (Nenhof  ge- 
nannt) war  groß  genug,  dass  nicht  nur  Bmr  s-»  nti2-  für  die  Hauslialtung  hätte 
geplianzt.  sondern  noch  Fmcht  verkauft  wirken  können,  und  doch  hatte  die 
Haushaltung  oft  Mangel  an  Brot,  bis  diese  Magd  kam.  Sie  sorgte  dafür,  dass 
wenigstens  Bret  genng  fOr  die  Hanshaltnng  gepianzt  nnd  das  Land  fibeilianpt 
besser  bebavt  nnd  benutzt  wurde,  und  erhob  sich  durch  dieses  verstandige 
Walten  von  einer  Ma?d  zu  einer  Haushälterin."  F.in  Ranrifi  Kaufmann.  Felix 
Battier,  ein  ,.Mann  voll  kühner  Entwürfe  nnd  großer  Knut'",  lernte  um  diese 
Zeit  Pestalozzi  kennen,  ersuunte  über  den  Geist  nnd  das  Schicksal  desselben 
md  bot  ilun  die  Frenndeefaand.  Er  ließ  das  Qnt  nntersnehen,  gab  Kittel  an 
beeserm  Anbau,  und  der  Erfolg  war  bei  dem  yeistlndigen  Walten  der  Hana> 
hsiterir  T.i^abeth  ein  günstiger.  £&  kam  nnn  eine,  wenn  auch  nieht  sorgen- 
lose, doch  treundlichere  Zeit. 

Nicolovius,  der  spätere  preußische  Minister,  welcher  im  Jahre  1791 
Pestalozsi  anf  seinem  Nenhof  besnehte,  berichtet  ttber  die  „Lisabeth"  also: 

„Eine  Dienstmagd,  die  in  der  Familie  gedient  hattet  iBkd  non  den  dXtea 
Brotherrn  durch  den  Tixl  verlor,  kam  zu  Pestalozzi.  Sie  hatte  ihn  schon 
früher  gekannt,  wusste  sein  Unglück  und  kam  zu  iielten.  Pestalozzi  weiß:erte 
sich,  sie  in  sein  Elend  aufzunehmen;  da  seine  Gründe  ihr  aber  uicbt  galten, 
nuHSle  nachgeben.  Noch  ein  Bedenken  blieb.  Er  liasste  von  Jdier  Wort- 
lorlaierei,  sefai  Lriden  liatte  ihn  noch  stnmmcr  granacht.  Die  fromme  Hi^ 
liebte  Beten  und  Gesang.  „Ihr  werdet  euch  an  uns  ärgern",  sagte  er  ihr,  „aber 
bald  werdet  ihr  es  merken,  dass  aneh  unter  uns  Ootf  ist  ••  Sie  nahm  kein 
Ärgernis  nnd  gab  anch  keines.  Ein  muthiges,  theiluehmeudes  Wesen  war  nun 
in  das  unglückliche  Hans  gekommen.  Sie  baute  mit  eigenen  Htoden  erst  wenig, 
bald  immer  mehr  Laad  an  Garten;  Beinliehiceit  kam  in  das  Hans  xnrttek  nnd 
anf  den  ordentlichen  Tisch  frische  Nahinng.  Der  kleine  Garten  gab  Hoffnung 
ftr  das  größere  Feld,  sobald  andi  diesem  nur  die  Hände  gebotw  wnrden.  So 


s 


Digitized  by  Google 


—  654  — 


kam  an«  Ii  anfl^-bend»-»  X'i^rtranen  nnter  das  aniie  Dach.  Die  stille  TLätigktit 
die&eti  Weibe»  woide  ä|>äter  vou  Pestalozzi  zum  Bilde  seiner  Gertrad  ideali- 
•irt,  von  der  «r  in  derBegeittenmcr  daiik1iu«r  Bewondenuig  aast:  ,4«^  nOehto  ao 
gen  viel  von  dieser  Fran  reden,  und  weiß  so  wenig  tos  ihr  zn  ^xgen.  ttod  hingegen 
kann  ii  Ii  so  viel  von  den  Schelmen  reden.  Ich  möchte  dennoch  ein  Bild  sm  lien 
von  (lit'scr  Frau,  damit  sie  dir  lebliaft  vor  Angren  sdiwebe  nnd  ihr  still.  s  Thun 
dir  immer  unvei^esslich  bleibe.  Es  ist  viel,  wa*  ich  sagen  will,  aber  ich 
<  flcbene  mieli  nieht,  es  sn  sagen:  So  gehet  die  Sonne  Gottes  Tom  Vorgen  bis 
mm  Ahend  ihre  Bahn;  dein  Ange  bemerkt  keinen  ihrer  Schritte,  nnd  df  in  Ohr 
li5rt  ihren  Lauf  nicht.  Aber  h*'i  ihit  in  rnt<»i'g'anj;^f  woißest  do,  dass  sie  wieder 
aufstellt  nnd  fortwirkt,  die  Erde  zu  wilrnien,  bis  ihre  Früfhte  reif  sind.  Es 
ist  viel,  wa«  ich  sage,  aber  ich  scheue  mich  nicht  es  zn  sagen:  Dieses  Bild  der 
großen  Xtttter,  die  filier  der  Eide  MbwehC,  ist  dae  Bild  der  Oertrnd  nnd  eines 
Jeden  Weihet,  das  seine  Wohnetnbenam  HeOigthnue  Gottes  eriieU  nnd  o1»  Mann 
nnd  Kindern  den  Himmel  verdient." 

„Ich  sollte  die  Frau  sehen,  der  er  so  viel  dankte,  aber  sie  zei^e  sich 
nicht  £^  führte  mich  in  die  Gegend  des  Feldes,  wo  sie  arbeitete,  und  er- 
Imndigte  aieli  tel  ihr  nadi  mandierlei,  nm  mir  Aidaas  an  geben,  sie  ina  Ange 
zn  fassen.  Abcnda  sagte  mir  Pestaloasi:  ,Jlir  wiest,  ms  sie  uns  ist,  nnd 
versteht  es.  Wir  haben  sie  an  nnserm  Tisch.  Lasst  es  anch  heute  so  sein.  * 
Sie  kam  aber  nicht  und  woUte  nicht  kommen,  bis  sie  mir,  dem  Fremden,  es 
abzuschlagen  sich  scheute.  Ein  sonderbarer  Glanz  demäthiger  Bescheidenlieit 
war  in  ihrem  Wesen,  falls  (är  solche  Eigenschaften  der  Ansdrack  Glanz  passet." 

An  Lavater  schrieb  Pestaloasi  im  Deoember  1788  aber  die  Lisa- 
beth:  „Die  Person,  deren  fehlerhaften  ümriss  ich  Ihnen  zeigte,  ist  fBr  ein 
paar  Woehon  in  Zflrich.  Ich  weiß,  Sie  fassen  ein  Oesicht  gern  ins  Aug,  das 
männliche  Fertigkeit  in  einem  solchen  Grade,  wie  ich  sie  noch  in  keinem  Weib 
fand,  mit  einem  gleich  großen  Grad  sich  hingebender  und  ganz  aufopfernder  Gfite 
▼erUndet,  in  sidi  selbst  —  Ibst  dirfte  ich  sagen:  firnt  immer  nnd  ftst  gans 
in  dem  Sinn,  wie  Sie  das  Wort  in  Ihren  Regeln  $  206  (?)  nehmen  —  nnd 
alles  nm  sic)i  her  humanisirt" 

„Dieses  Oresicht.  das  g-ewiss  die  innere  Eihabenheit  seines  geprüften 
Charakters  Iluem  Forscherauge  ganz  zeigt,  wollte  ich  Ihnen  zeigen  and 
schreibe  Ihnen  diese  Zeilen,  damit  ich  einen  Anlass  habe,  die  Person  Ihnen 
znzn»chi(  ken." 

„Finden  Sie  viel  weniger  als  ich  ahne,  so  bitte  ich  Sie  um  ein  Wort 
Ihrer  Walirheit.  Ich  lege  die  Last  meiner  Lebenswünsche  auf  die  Schultern 
der  Person,  die  vor  Ihnen  steht,  und  ich  weiß,  Sie  kennen  den  Mann  kaom,  der 
mir,  wie  ich  bin,  was  ich  bedarf,  mehr  leisten  kSnnte.'* 

..Kiinnen  Sie,  so  machen  Sie  selbige  Aber  eine  MenspJiHrhkaitSpAngelegen- 
heit  reden,  und  ich  bin  iibcrzenj^t,  Sie  finden  sie  nicht  unter  meinem  Unheil. ' 

Drei  Wocijen  später:  ..Auch  meine  liebe  Näf,  auf  die  icli  alUs  baue, 
stelle  ich  Ihnen  wieder  vor  Aogen.  Ich  fand  es  ancb,  dass  im  Schattenriss  ihre 
Güte  nicht  merlüich  ansgedrftekt  ist  GOnnen  Sie  ihr,  wenn  Sie  klinnen,  einige 
Angenblicke.  Ich  mnss  mich  sehr  irren,  wenn  Sie  weniger  linden  als  ich  er* 
fthren.'' 

Die  Tüchtigkeit  nnd  Znverln.'!$igrkeit  der  Lisa  beth  bewährte  sich  auch  in  den 
schweren  Prüfungen,  welche  die  iiUtem  Pestalozzi  in  ihrem  einzigen  Sohne  trat. 


üiyiiizeü  by  Google 


—   ööö  — 


Dieser  Sehn,  Jakob>  geb.  1770,  war  von  Jugend  anf  zart,  vielfteb 

körperlichen  Störungen  ausgesetzt.  Die  geistige  .Begabung  stieg  nieht 
über  das  Mittelmaß,  Enerpif  nnd  Ansdan^^r  entsprachen  derselben.  Im 
Gewirr  der  Haoshaltungssorgeu  tand  der  Knabe  auch  nicht  die  uütliige  Leitung 
nnd  Pflege,  da  die  Mutter  meist  leidend  war.  Im  Herbst  1782  wtirde  er  dem 
PfeiMsciien  BiBtItnt  ftbeigeben.  Der  Vater  ermalinte  ibn,  »MHl,  fleiBig,  be- 
dachtig, reinlieh,  gehorsam  zu  sein,  die  Unordnungen  und  Unanständigkeiten 
der  b;l!ierif5chen  Sitten  sich  abzugewöhnen,  in  allen  Dingen  mit  Anstlln«liü'k<Mt 
zxi  handeln.  Mein  Kind,  Du  bist  auf  Erden  mein  Alles.  Um  Deinetwillen  freut 
mich  mein  Leben;  um  Deinetwillen  ist  mir  jede  Arbeit  leicht,  um  Deinetwillen 
liabe  ieh  melir  gelitten,  als  idi  fiut  habe  tragen  nU^nen.  Es  stellt  jetst  an  Dir, 
mich  mit  Frende  and  Wonne  zu  belohnen.  Es  wird  geschehen,  wenn  Du  mit 
Eifer  und  Fleiß  Dich  ?a\  einem  ordentlichen  Bemf  vorbereit!  ii  nnd  zeigen  wirst, 
dass  meine  Glite  und  die  Sclionung,  die  I>ii  zur  Zeit  Deiner  Jugenil  bei  mir  ge- 
nossen, nicht  vergeblich  gewesen,  sondern  dass  Du  ein  braverer  Junge  bist,  als 
di^en^n  werden,  welche  in  d«r  Jugend  ndir  geplagt  worden." 

Im  Jahre  1784  kam  Jakob  als  Lehrling  in  das  Haus  Battier  in  Basel, 
wo  er  bis  1788  lü  b.  Er  befriedigte  jeflr  ch  seinen  Lebrhemi  trotz  vor- 
herrschender üutiijiithi^keit  nicht  ^anz.  Frau  BattifM-  srbrieb  im  Februar 
1785  an  dessen  Mutter:  „Arbeitsauikcit  und  Acht&amkeit  fehlt  Jacques. 
Gestein  Abend  kau  er  an  mir;  idi  fragte  ihn:  Nun,  wie  ist's,  Jacques,  sind 
die  Herren  im  Conptoir  mit  dir  anfirieden?  Erst  zauderte  er,  dann  sagte  er: 
Ich  g^laube  ja.  Bei  Tisch  frag:te  ihn  mein  lieber  Mann:  Nun,  Jacques,  hast  du 
deinem  Vatei-  geschrieben?  Nein.  Was  hast  du  getlian?  Nichts.  Ein  An« 
gestellter  sagte,  er  thue  nur  hemrozieheD;  er  sei  niclit  mit  ihm  zufrieden. 
Hein  Hann  gab  Jacques  vor  aUen  einen  derben  Verweis;  nnn  hoffe  ich,  es 
werde  fruchten.  Heate  sohlen  er  mir  ^  wenig  gedemtttiiigt.  Er  soll  Ihnen 
geschrieben  liaben.  Er  ist  ganz  gesund  und  verspricht  Bessening,*' 

Ihn  zierten  daneben  die  wertvollsten  Tugenden  der  Jugend:  die  Auf- 
richtigkeit und  Willigkeit.  Das  sehen  wir  z.  B.  ans  einem  Briefe  an  &Q'mtn 
Vater,  d.  d.  11.  Aognst  1786,  worin  er  n.  a.  sehreibt:  „Letzten  Montag,  wie 
war  Idi  hei  Herrn  Pfiunrer  Miville.  Der  sagte  mir,  Dn  sdest  sehr 
betrübt  wegen  der  letzten  Fatalitftt,  die  ich  mit  Herrn  Battier  gehabt.  Er 
pagte  mir  dabei,  ich  noU«^  mn  !)  nun  befleiBen,  meine  Fehler  auszubessei  n  nnd 
alle«,  was  ich  thue,  mit  einer  Achtsamkeit  thun,  dass  ich  mich  Ins  „Uleis' 
schwinge,  dass  alles  mit  mir  zufrieden  sein  könne.  Ich  solle  auch  nach  dem  Nacht- 
essen ans  einem  Buche,  so  er  mir  gab,  gelitdlg  abschreiben  nnd  dann  wieder 
6  oder  4  Linien  so  sdion  wie  mdgUch.  Ich  habe  den  Auftrag  mit  Freude  nnd 
Dank  angenommen,  auch  schon  angefangen  zu  schreiben,  auf  eine  Seite  recht 
schon,  auf  die  andere  so  geschwind,  als  ich  ins  Copirbneh  schreibe.  Ich  werde 
es  ihm  künftigen  Montag  bringen  und  schauen,  was  er  dazu  sagt.  Sobald  die 
Schrift  in  Ende  ist,  schicke  ich  sie  Dir. 

Lebe  wol,  ich  sdneibe  Dir  am  Dienstag  wieder  nnd  bin  ewig  Dein  ge^ 
tiener  Solm  Jakob  Pestalozzi.'^ 

1788  keiirte  Jakob  zu  seinen  Eltern  zurück  und  besdiäftigte  »ich  im 
Haushalt  nach  seinen  Kräften.  Im  August  1791  verlieirathete  er  sich  mit 
Anna  Magdalena  Frtfhlich  tmi  Brugg.  Er  wnrde  seines  Lebens  nie  recht 
ftoh.  Rhenmatiseh-gichtisehe  Ldden,  mit  epUe]>tischen  AnlUten  verbnnden, 

Vmiato^mm,  I.  MuiMic.  IZ.  Heft.  36 


Digitized  by  Google 


—  556  — 


■achten  ihn  bald  nach  sf'incr  V*>rhoirathang  heim,  wiederholten  sich  immer 
hAnfiger  und  ersclifSpften  seinen  Muth  und  sdne  Kraft  v5lHir.  in  diesen 
schweren  Tajfen  der  Krankheit  war  Lisabeth  neben  «einer  Gattin  di-^  ee- 
treneste  Pflegerin.  Wir  iMea  im  Tagebache  der  Matter  Pestalozzi:  „Itu 
April  1800  bekam  «iiMr  JuqiiM  «iedor  eim  sebr  ichwen  KrtnldMit 
Seine  Anfäl!*'  von  Gicht  war^n  bo  heftig,  dnae  wir  endlich  sein  Ende  von 
nattnng  nahe  glaubten.  Eints-p  Z 'ir  v  orher  wurden  ilim  seine  rechte  Seite, 
Arm  und  Bein  eontract.  und  es  bl»nU(  wenig  zu  lioffen,  daaü  dies  wieder  besser 
werde.  Diese  Krankheit  dauerte,  bis  es  sich  zum  Leben  oder  Tod  entsdiiedf 
9  Ttig^  Seine  Fmn  vnd  Liisbeth  erwieeen  ibm  Tagr  vnd  Knchl  in> 
ermUdeten  Beiatnid  nnd  Treue.  Mich  ließ  man  von  Hallweii  und  den  Papa 
von  Bnrg-dorf  kommen.  Ach.  wenn  ich  vor  ihm  sterbe  und  er  riurli  diese  Zeilen 
liest,  80  mögen  sie  doch  sein  Herz  bewegen  und  ihn  zur  (.ieduid  uiid  Dankbar 
keit  gegen  die  Seinigen  erwecken.  Denn  sein  Verlaageu  nach  Wiedtriicr- 
■teUniig  mnebte  ibn  eehr  nngednldig. 

Im  folgenden  Jahr  erlagr  der  Junge  Mann  seinen  Leidat  Das  Tagebiek 
berichtet:  1801 ,  dt^i  15.  Anß;Tist,  Abends  8  ülir.  starb  unser  liebes  einzige« 
Kind.  Im  Monat  Mai  befiel  ihn  wiederum  nnf  "\rip  s.  hr  lirtrfiVit*»  "VWi.^e  ^ine 
Krankheit,  so  dass  ich  von  meinem  lieben  iiailweii  wieder  hciutberuteu  wurde. 
Be  leidrte  in  etUcb«  Wochen  wiedonm  rar  Benemng  ein.  Ick  wwde  nack 
Ztrieh  na  Lisette  Sehnltbeaa,  Bmder  Heinrichs  Tochter^  beraftn.  leb  wnr  ntr 
8  Tage  dort;  da  schrieb  mir  meine  Sohnsfrau,  dass  er  sehr  schlecht  lei 
und  nnin  wiederum  sein  Ende  l>efiirchle.  Wie  ich  aber  ztiHlckkam.  schien  es 
wieder  besser  mit  ihm  zu  werden,  ausgenommen,  dass  man  Um  seit  dieser 
Zeit  auf  d^  Armen  hintragen  muaste,  wann  er  auiki-  dem  Bett  sein  konnte 
und  wüosckte.  Das  tbat  die  getreue  Liaabeth  mit  einer  Sehonnn;  nd  Geduld, 
die  Ihr  Gott  vergeltaD  wolle,  wie  anch  aeiner  trenen  Gattin.  Diese  zwei  Per- 
sonen liebte  er  und  sie  ihn.  dass  er  keinen  AngenMi  k  fmh  und  nüiig  aetn 
konnte,  wenn  sie  sich  nur  eine  kleine  Zeit  von  ihm  eiiiirrntien. 

„Endlich  eri»ch wachte  die  Natur  so  nach  und  nach,  äeiue  Zufalle  kamen 
anf  eine  nateraebeidendere  Art  als  sie  Ua  dabin  ersehienen.  Die  Znnge  war 
getroffen  nnd  das  Ged.lcbtnis  geecbwldit,  so  dass  er  bei  vieler  Zeit  mw  einietae 
Worte  auB^prechen  konnte  und  nur  wenigr  redete.  Sein  Leben  war  kern 
Leben  mehr.  Aber  dennoch  hatten  wirHoffnnnfr.  da.ss  es  noch  keine  Ändenmc 
gebe,  sondern  er  uns  noch  eine  Zeitlang  vom  lieben  (rott  gescheolct  bleiben 
werde.  EadUek  geflel  ea  Oett,  durch  efaien  aanften  Tod  ibn  tu  aick  la 
nehmen.  Er  fing  an,  viel  gelassener  zu  werden,  verfiel  in  eine  Art  von 
sanftem  S<'hlammer.  in  dem  seine  Lebensgrei.ster  nach  und  nacli  abnahmen. 
ddm  er  nicht  mehr  ganz  aus  diesem  dclilummer  ♦•r^\  aclitc,  bis  er  ganz  und  für 
ewig  entsctklief.  —  Friede,  sanfter  Friede  (joiteä  sei  in  seiner  Gruft.  — 
Gottes  Erbarmen  ftber  ihn  nnd  seinen  entflohenen  Geist  Er  wolle  dir,  treo» 
liebes  Kind,  einen  schönen  reichen  Ersatz  fOr  deine  fibentandenen  Leiden 
sdienken.  Erbarme,  erbarme  dich  unser  aller  und  gib  uns  Kraft  im  Leir!>^^n. 
das  nns  noch  bevoreteht,  und  Deniuth  im  Glück,  das«  wir  dein  Reich  uni 
deine  Seligkeit  allem  andern  vorziehen.  —  Ein  großes  Werk,  das»  des  heben 
seligen  Vater  mit  Erziehung  junger  Leute  in  Bnrgdorf  angefangen,  Undarte 
dieaen  guten,  lieben  Gatten  ihn  noch  zn  sehen.  Aneh  mir  wnr  ea  nicht  Te^ 
iflmif  ihm  bei  seinem  Ende  nahe  sn  sein.  Ich  begab  mlcfa,  da  ich  mich  sicher 


Digitized  by  Google 


—  667  — 


glnJbitt,  wieder  nach  Hallweil  und  durch  Verseheu  dma  Briefes  kam  ich  zu 
spÄt.  seinem  Ende  beizuwohnen.  Aber  Gott  vergönnte  mir  noch  die  unaus- 
sprechliche Freude,  ihn  todt  auf  seinem  I^ager  in  seiner  fingeisg^estalt  zu  sehen. 
Seine  Miene  und  sein  Hund  wann  Beweise  der  Gllte  aebuB  Gottes,  4ass  er 
{ha  nm  Sögel  in  seinem  Hinmiel  avIiBenomnieii  hat»  Anbetung  nnd  Dank  sei 
flns  in  Ewigkeit!«' 

Bald  nach  dem  Tode  dieses  schwer  i^epriiften  jnn^n  Mannes  ging  Lisa- 
beth  zu  Vater  Pestalozzi  nach  Bmgdorf,  um  diesem  in  der  Leitung  s^^ine*} 
anwachsenden  Hauswesens  behilflich  zu  sein.  Sie  hatte  Marianne,  das 
Älteste  Kind  Jakob  Festalosai's,  geb.  1795,  bei  sich.  Dieses  fing  bald  an  zn 
totnketn  imd  bahrte  Im  FHIbjahr  1802  naeb  Neohof  anrttek,  wo  es  Bade 
Apifl  staxb.  Im  Tagebuch  der  Großmvtfter  Pestalozzi  findet  sich  dardber 
folg-ende  Aufzeichnung:  ^Den  28.  April  1802  starb  iins«>r  hVbps  Marianne, 
im  siebenten  Jalir  seines  Alters.  Es  wai'  ein  schönes,  boiiuungsvuUeü  Kind, 
das  uns  viel  Freude  gewährte.  Seine  Krankheit  bestand  in  einer  Art  Aus* 
sebnng;  es  krtakelte  ISut  ein  Jahr.  Ach,  inn«rt  JahresMit  mnsste  es  seioMn 
lieben  Vater  nachfolgen.  Es  ist  merkwflidig,  dass  es  hier  in  diesem  Büchlein 
gerade  die  erste  Person  aus  nnserm  Hause  ist,  die  ihm  nachfolgt.  Es  war 
verpflegt  vai  unserer  treuen  Lisabeth  gleich  seinem  Vater  selig  bis  an  sein 
£nde.  Acht  Tage  vor  seinem  Tode  begelute  es  noch  vuu  Buigdorf,  da  es  seit 
einedi  Jahr  war,  hdm  In  den  Neohol" 

üm  diese  Zeit  Terbeirathete  sieh  Elisabetha  Nftf  mit  Matthias 
Krttsi  von  Gais,  dem  Bmder  des  bekannten  ältesten  Odülfen  Pestalaasi's. 
IMeses  Ereignis  erwähnt  Frau  Pestalozzi  mit  folgenden  Worten: 

Unsere  liebe  Lisabeth  verfieirathete  sich  mit  Matthias  Krüsi  von 
Oaia  aus  dem  Appenzellerland.  Beide  bleiben  bei  uns.  Gott  gebe,  dass  diese 
Heirat  glttekMi  nnd  gesegnet  sei,  denn  Lisabeth  hat  dnreh  ihre  Treve 
gegen  uns  Segen  verdient*'.*) 

Lisabeth  und  ilir  Mann  >>esorgten  nun  die  Ökonomie  auf  dem  Neuhof. 
Mutter  Pestalo^'zi  mul  ihr  Enkel  Gottlieb,  geb.  1797.  der  einzige  Sohn 
des  verstorbeneu  Jakub,  blieben  bis  November  ebenfalls  da,  während  die 
junge  Witwe  Pestalosai  naeh  Borgdorf  ging,  nm  den  dortigen  Hamhalt 
zn  leiten. 

Am  25.  November  1802  siedelte  Mutter  Pestalozzi  mit  ihrem  Enkel 
nm-h  nach  Burgdorf  über.  Im  Frühjahr  180H  wurde  sie  von  schwerer  Krank- 
heit befallen  und  glaubte  sich  dem  Tode  nahe.  In  ihren  herzlichen  Abschieds- 
werten  an  die  Ihrigen  vergisst  sie  anch  die  Lisabeth  nioht:  „Ich  gedenke 
liier  mit  Dank  nnd  Liebe  nnserer  getrenen  lieben  Lisabeth.  Segen  folge  dir 
aof  allen  deinen  Wegen.  Dsss  meine  Lieben  deiner  Treue  gedenken  wardea, 
dessen  bist  dn  v*>rsiehert." 

Lisabeth  blieb  auf  dem  Neuhof  bis  im  Sommer  i8U4,  da  Pestalozzi 
mit  BuB  nnd  Barraud  wieder  eine  kleine  Anstalt  in  Iferten  eröflfiiete. 


*)Ans  dieser  Ehe  stammte  ein  einziges  Kind,  ein  Knabe,  geb.  den  3.  MMia  1803. 
Er  war  und  blieb  ein  Sorgenkind.  Er  erwachte  nie  zu  bewoMtna  gdstigen  ^bea; 
war  nnd  blieb  blödsinnig.  Näheres  folgt  weiter  unten. 

36* 


üigiiized  by  Google 


—   558  — 


Dieser  stund  aie  san  als  Haashälterin ,  ja  als  Hansmatter  vor  and  löste  ihre 
Anfeabe  vortrpff!iV}i  ,T>i<'  <Tprtrud.  lierichtet  Mnralt  illl  Beoenber  1804 
in  seineiu  Tatrt'bnch.  soll  sranz  aiißi-rordeutlich  soin." 

Im  Frühjahr  1805  war  Lisabeth  auf  Besuch  im  Neohot  Sie  eikiaokte 
daaellwt  Die  Naditidit  davon  erregte  in  PestalosEi  eogleieh  grete  Besorg- 
nia.  „Daa  Unwoiaein  der  Lisabeth'%  ediiieb  er  an  seine  Sehnafran  jJluX 
mich  so  ersrhreckt.  Ich  kann  ilurcbans  nichts  denken,  nichts  thun,  bis  ich 
weiß.  dasK  es  ilir  ^vieder  besser  geht.  Aih.  daßs  da  heute  nicht  wieder  • 
schriebest!  Es  kamen  heate,  Samatag,  wie  gebtmi  am  Freitag  Briete  ans  dem 
Aargan;  jetit  mott  feb  bie  am  Dienstag  warten,  elie  ieii  cCwaa  vomehme,  das 
in  lang.  Wenn  leb  kSnnte,  ich  liefe  so  Sndi  binnnter,  aber  idi  lunn  aidit; 
ich  bin  mehr  als  angebunden.  Schreibe  mir  doch  eilend  und  alle  Fostt-ag^ 
wie  es  nm  die  gute  Lisbetli  stellt.  Tdi  \vns«te  nicht,  wo  mein  •chwachea 
Herz  und  mein  alter  Kopf  Trost  hndeu  sollte,  wenn  sie  stürbe"! 

Eine  Woche  später:  „Es  macht  mir  iinaiiespredilich  bang,  dass  das 
KopfWeh  der  Lisabeth  so  bedeutend  scheint»  Ich  bitte  dich  om  Gottes 
willen,  sdireib  mir  die  Wahrheit  umständlich.  Versäume  docli  keinen  Fest- 
tag mir  zu  berichten,  wie  c»  mit  ihr  steht  Ich  kann  nicht  abkommen  und 
kann  mich  fast  nicht  abhalten,  hinunter  zu  laufen,  zu  sehen,  wie  ts  atuh 
ist;  doch  ist  es  nicht  möglich.  Bitte  sie  doch,  dass  sie  alles  thue,  sich  zu 
retten.  Alles  gdit  ordentUch.  Wenn  nnr  Lisabeth  lebt,  das  andeie'wird 
gewiss  gehen." 

Sie  erholte  wich  bald,  gewann  wieder  ihre  frühere  Gesundheit  und  Kraft. 
Wie  freute  sich  Pestah^zzi.  Er  lud  sie  zur  Riirkkehr  ein:  „Liebe  Lisa- 
beth, ich  hoife,  du  seiest  in  der  „Steingmbe"  (Haus  m  Zürich,  wo  sie  auf 
BesQdi  war)  so  gesund  worden,  dass  da  es  bald  wieder  bd  Hans  ond  Hof 
erleiden  magst.  Du  musst  kommen!  'SWin  großes  Haas  Icaan  nicht  mehr  ohne 
dich  sein!  Wenn  die  Landjilger  in  der  Kutsche  fahren  würrlen.  sn  wnrde  ich 
dich  dnrc)i  ^i*'  abholen  lassen.  Da  das  aber  nicht  ist,  so  moss  ich,  denk  ich, 
selbst  kummen,  dich  zu  holen." 

In  dem  „Bericht  an  die  Eltern  nnd  das  PnbUcnm  über  den  gegen- 
wärtigen Zvstand  nnd  die  Einrichtung  der  Pestalonischen  Anstdt  in  Ifertai'' 
(1808)  nennt  Pestalozzi  Lisabeth  eine  „practisch  ausgezeiclinet  kraftvolle, 
durch  Erfalimiig-en  erprobte  und  zuverlässige  Person,  die  schon  hei  30  Jahren 
als  Hausfreundin  iu  meinem  Dienste  steht".  Und  zu  Kamsauer  äußerte  er 
sidi  einige  Jahre  später:  „Im  Otabe  wUrde  idi  mich  nmdrdien  nnd  im  Himmel 
nicht  se%  >dn  liSnnen,  wfisite  ich  nicht,  dass  sie  nadi  meinem  Tode  mdir 
geehrt  würde  als  idi  seihe  i-;  denn  ohne  sie  würde  ich  lange  nicht  mehr  leben, 
nnd  da,  Ramsaner,  wärest  auch  nicht,  was  du  bist," 

In  Iterten  lebte  Lisabeth  eine  lange  Keihe  von  Jahren  mit  all  be- 
währter Treue,  Kraft  und  Einsicht  Pestalozzi  und  seiner  Anstalt  als  Haus- 
hUteritt,  machte  auch  vidfhch  den  Zahlmeister  and  war  von  allen  Hana> 
genos.'^en  nach  ihrer  Bedentnng  anerkannt  nnd  geschätzt.  Als  das  Institut 
vom  .Tahr  1H12  an  infolge  von  Umständen,  die  hier  nicht  weiter  enirtert 
werden  kiiniien,  in  schwere  okonomisclie  BedrUngrnis  gerieth,  wnid»-  unter  Mit- 
hilfe de^  Magistrates  von  Iferten  eine  ükuuomische  Commission  zur  liegulii  oiig 
dieser  Veriilliiiisse  nnd  nr  FoitlHhrang  der  Vorwaltang  niedergeaetat  Da> 
dnrch  wurde  die  Stellung  der  Lisabeth  zom  Leidwesen  Pestaloaais  ehie 


Digitized  by  Google 


—   559  — 


■vreniger  befriedigende  und  bedeutsame.  In  etwelclier  Mjssstiniuiim^  ging  sie 
1814  fOr  einige  Zelt  auf  den  NeahoC  Da  aiieh  die  VerwaltmigeooiiiiiiiaBioii 
zu  eiiiinnlKdHedigendeiifflele  nidit gelangte,  riefen  Pestalozzi  und  Niederer 
Joseph  Schmid  in  die  Anstalt  zurück.  Mit  Joseph  Sclimid  kam  uuch 
Lisabeth  nach  Iferten  zurück  und  nahm  die  alte  Stellung  wieder  ein.  Bald 
darauf  —  12.  December  1815  —  stai  b  Mutter  i'estalozzL  In  ihrem  Testa» 
uentei  d.  d.  1.  Juni  1814,  gedachte  sie  der  Liaabeth  also: 

„In  BetrachtODg,  das»  unsere  geferene.  liebe  Witwe  BUiaabetba  Erilii 
(ihr  Mann  starb  1812),  geb.  Näf  yon  Kappel,  wahrend  ihres  BOjälirigen 
Aufenthaltes  bei  um  «hirch  ihre  ausgezeichnete  nnanssprechliche  Treue  Auf- 
opferung und  Auhängigkeit  meinen  Dank  und  meine  Liebe  sich  erworben,  so 
ist  mein  bestimmter  Wille,  dass  derselben  nach  meinem  Absterben  die  fl  250; 
sage:  Onlden  xweihandertaadHinlkig  (=  frs.  683)i  welcbe  sie  von  selten  Auer 
Eltern  ererbt  und  meinem  Gatten  1800  angeliehen,  inaoliHni  er  nicht  im  Falle 
wäre,  ihr  dieselbfn  bis  dabin  abzubczalilen  ihr  aus  meiner  Verrangwisver- 
lasseiTschaff,  verisrütet  uml  bezahlt  werden  sollen;  femer,  dass  diese  Geti-eue  in 
üueiu  Alter,  das  jetzo  sciion  mit  Beschwerliclikeiteu  sich  ankündigt,  das  sie 
aoBer  Staad  setzen  kannte,  sich  m  verpflegen,  ihr  durch  nnsem  Ueiben  Enkel 
Oottlieb,  den  ich  feierlich  dazu  oCfordere,  aller  nnr  immer  mOgUehe  Bath 
und  thiltliehe  Hilfe  zuteil  werde,  wo  o?  mithii»  ist,  zumalen  er  sie  als  seine 
mütterliche  Freundin  wie  bis  dahin  immer  lieben  und  schätzen  wird,  nicht 
weniger  als  ihren  lieben  Sohn,  Jakob  Kriisl,  der  sowol  wegen  seiner 
aehwachen  Geistesf&higkeiten  als  auch  ans  Hangel  am  Sprechen  anBer  Stand 
geaetct  ist,  sich  selbst  sn  reraorgen,  anbei  Ihr  jährlich  bis  zu  ihrem  Ableben 
ans  meinem  Hinterlassenen  von  ihme  Gottlieb  Pestalozzi  tl.  30. — ,  sage: 
Oulden  dreißig  (frs  70. — )  als  eine  Erstattung,  die  nur  gering  tur  das  Unaus- 
sprechliche,  so  sie  in  nnserm  Hause  geleistet,  ausbezahlt  werden  solle.  Auch 
tber  ein  Gi^itllchen,  so  in  Ztrhdi  anf  ihrea  IKaanes  selg.  Namen,  Kriiai  von 
GalSr  gestellt,  seile  sie,  die  Matter,  Jedenelt  freie  Macht  haben,  selbiges  an 
«tlieben''. 

„Infole-e  dieser  meiner  Willensmeinung  sind  Herr  Rathsherr  Vogel  als 
OuratDr  meiueä  i:^ukels  und  Herr  Sclürmschreiber  Paur  als  üurator  meines 
TermSgens  hiemit  bevoUmftchtigt  und  beauftragt  worden: 

Eigenhftndig  geschrieben  nnd  nnterschrieben  anr  Anhftnge  meines 
Testaments. 

SSttrich,  den  i.  Bracbmonat  18>14. 

Anna  Pestalocai^Schttlthess.' 

Bald  nacli  dem  Tode  I  i  Mutter  Pestalozzi  geriethen-  die  Lehrer  der 

Anstalt  in  heftige  öffentlifli,'  F  'lid»^,  mehr  veranla<«sf  als  erst  vernrsarliT  Inrrh 
Joseph  Schmid's  energisches,  wol  auch  einseitiges  und  rücksichtsloses  Ein- 
schreiten gegen  bequemes  Gebenlassen  und  gegen  Willkür  und  Belieben. 
Niederer  nnd  Krttsi  trennten  sidi,  amn  Theil  ki  Unfrieden,  ran-  Pesta- 
lozzi und  d^  Anstalt  hk  dem  hässlichen.  den  Menschenfreund  SO  krinkendea 
Streit  zwischen  den  genannten  frühem  Gehilfen  Pestalozzi'»  nnd  Joseph 
Schmid  hielt  Lisabeth  einige  Jalire  fest  zu  letzterem  und  eiferte  bisweilen 
mit  Heftigkeit  gegen  dessen  Widersacher.    Das  entnehmen  wir  einem  Briefe, 


Digitized  by  Google 


—  wo  — 


den  fcie  am  15.  August  1818  an  Frau  Neithardt  geb.  Krösi  (Schwester 
ihres  veretorbenen  Mannes)  richtete. 

Dfeae  ihre  Sdiwlgfrin  Asna  xmi  ihr  Xjum  hatten  eben  INrtien  fMgb 
ZerwQrfhisses  mit  Schmid  verlassen  und  vorderhand  hti  Weilemano,  Vor- 
steher einer  Erziehongsaiuitalt  in  £mbmb,  Kant.  Zttrich,  akh  einquaitiit. 
Der  Brief  lautet: 

Liebe  Fran  S(  Investor! 

Es  freut  mich,  dass  ilir  bei  Eurem  gut^n  Freund  und  seiner  Fniu  eine 
so  fpnte  Anjfoahme  gefanden  habt  Ich  bin  einer  größeren  Sorgfalt  sicher,  als 
Ihr  mu  fanoMea  habt  FreOidi  glaube  ich  doeh  wenigitaia  aaeh  oiaBelMa 
an  Eaeb  nad  für  Eaek  gethaa  aa  haben;  aber  et  half  nichta,  denn  Ener  Stola 

and  Euere  Leidenschaft  hat  Eure  Vemanft  blfaid  und  todt  gemacht. 

Mit  jenem  Prikte  habe  ich  eipenrli^h  meinen  Zweck  nicht  erreicht.  Ich 
glaubte,  trotz  uucii  so  vielen  Erfakrnngeu,  die  ich  von  Ench  hatte,  d€Imoch 
nicht,  dass  Ihr  so  blind  und  gefühllos  für  Each  lelber  wiret,  und  erwartete 
eine  sanftere  Seite  in  Enreni  Lied,  daa  Ihr  aastinimtet. 

Damals  konnte  ich  nicht  —  aber  jetzt  kann  ich  Ench  das  wahre  Ver^ 
hältnis  mit  dem  benannten  Briefe  roittheilen:  Als  ich  Henn  Schmid  sa^te, 
was  Herr  "\Veileniann  Etieh  (nach  Tffrten)  peschrieben,  erwiderte  er  ^anz 
rnbig:  Ich  werde  Herrn  Weilemauu  vurläoüg  schreiben  and  ihn  warnen 
solche  Sachea  aa  Fran  Neidhardt  aa  sehreiben,  kh  war  innerlidi  anf  daa 
iafterfite  aufgebracht  über  Ener  Benehmen  and  über  das,  was  Herr  Weile- 
mann Euch  geschrieben,  und  al«  ü^rr  Srhmid  in  die  Klasse  ging,  ging  ich 
in  seine  Stube  und  sah  den  Brief  an  Herrn  W^^ilemann  auf  dem  Tiseh,  Ihv 
daciiie  ich:  Nun  gut,  jetzt  will  ich  ihr  (der  Schwagerin)  weine  Meinung  einmal 
sehiiftlicb  sagen.  Idi  glaabte,  ea  werde  Earen  blinden  Stola  aar  sehenden 
Vernunft  bringen  und  ilir  werdet  einen  sanfteren  Ton  anstimmen.  Aber  wie 
betrof:^  ich  mich  auch  da.  Denn  nnpeftthr  nacli  einer  Stunde  kämet  Ihr  und 
erklärtet  mir.  Ilir  wollet  fort,  in  einem  solchen  Hause  und  bei  solchen  Leuten 
wollet  Ihr  nicht  mehr  sein.  Ich  nahm  es  noch  nicht  für  ernst  anf,  überließ 
'Endi  Eacih  selbst  and  ging.  Nadi  dem  Eseen  oUiitet  Ihr  mir  wieder  daa 
gldehe  and  dass  ihr  in  8  oder  4  Tsgen  geben  wolltet.  Ihr  wolltet  Hem 
Weilemanns  Brief  Herrn  Erusi  zeigen,  damit  er  sehe,  warum  Ihr  fortgehet. 
Ich  liVC  Euch  gehen.  Nach  dieser  ErklArong  fknd  Herr  Schmid  nicht  mehr 
nüthig,  Herrn  Weilemann  zu  warnen, 

Herr  Schmid  hatte  Herrn  Weilemann  gern,  und  er  würde  gewiss  alles 
thnn,  in  Uefaer  an  bringen.  Er  ftnd  aber  sefaieAnsIcht  and  seine  BedHrfiiiese, 
die  er  ihn  Hinsieht  sdner  Vma.  Stitote,  zu  übertrieben.  Er  sieht  gern,  wenn 
gewisse  Lelir^^r  Fi-aneri  hab*^n.  wenn  nber  diese  Lehrer  eine  Fran  als  die  er^ 
Grundlage  einer  bessern  Erziehung-  darstellen  wollen  und  «rlanben.  es  ^ei  ohne 
ein  häusliches  Verhältnis  mit  einer  Frau  keine  Erziehung  müglicli,  und  nicht 
einmal  einsehea,  dass  in  videa  Beaieihangen  eine  Fraa  nit  Kindeni  für  Per^ 
sonen,  die  nicht  fiberar.<  kr  >ßes  Vermrigen  haben,  auch  sehr  hinderlich  sin«l. 

Schmid  hat  gern  mit  ruhigen  Männern  zxi  thun,  die  die  Welt  nach  all^-n 
leiten  anRehen.  Mehrere  Male  äuBerte  er:  Es  ist  schade,  dass  Weileniann 
so  in  ein  beschränktes  Horn  hineinbläst.   Er  hätte  einige  Kräfte  ftir  Größere« 


üiyiiizeü  by  GoOgle 


—  661  — 


gehabt.  Bei  seinem  angelegten  Plan,  seiner  Gemüthsstiiumuug  uad  Eiuseitigw 
keit  werde  ee  em  Eude  iumer  betfer  sein,  irena  man  Um  in  einem  «olcbea 
hBnalidieii  Kfeise,  wo  er  dlet  dieses  finde,  lasse.  Es  brauche  eine  eigene 
Katur,  um  in  größern  Kreisen,  wo  man  auf  alles  Hüuslit  he  mehr  oder  weniß^er 
7.xy  verzichten  hat,  gliklilicli  zu  sein  und  ein  anderes  hüusliclies  Leben  darzu- 
»tellen.  Herr  Schmid  glaubt,  es  gebe  auch  ein  häusliches  Leben  ohne  Frau, 
und  dieses  habe  Pestalozzi  und  mancher  andere  mehr  als  hinlänglich  be- 
wiesen. Wer  selbst  niehts  opfern  kann,  was  er  aneh  gem  hat,  ist  nleht  be« 
■enden  flhig,  für  die  hVhem  BedttrfiüBse  des  Volkes  nnd  der  Mensehheit 
na  wirken. 

Ich  will  aber  von  diesem  anfhRren,  sonst  würdet  Ihr  sagen:  £i,  ei,  Frau 
Krusi  wül  noch  eine  Gelehrte  werden.  — 

Aber  doch  moss  ich  noch  einmal  anfangen.  Herr  Weilemann  hat  Ench 
geschrieben,  Herr  Schmid  kenne  kein  hftnsUches  Leben  und  Ihr  habt  es  als 
wahr  behauptet. 

Wer  hat  denn  Herrn  T^eslalozzi  wieder  in  ein  häusliches  Leben  ein- 
gesetzt? Wer  hat  bemei  stiigen  Frau  noch  ein  ruhiges  Sterbebett  bereitet? 
Wer  beweinte  sie  redlicli  und  mit  dem  Wunsch:  möchte  sie  Gott  noch  e^i 
pau*  Jahre  erhalten,  bei  ihrem  Hinscheiden  nnd  bei  der  Rede,  die  Herr 
Schmid  an  die  Kinder  nnd  alle  Umstehenden  richtete,  als  sie  anf  dem  Bnhe» 
bett  lag?  ^ 

Wer  «ab  schon  die  tausend  Dolche,  die  anf  das  schwache  Herz  des  alten, 
schwachtn  Herrn  Pestalozzi  hinzielten?  Wer  stund  für  ihn  da  wie  ein 
Schild,  wenn  alle  diese  Dokhe  auf  ilm  geworfen  wurden?  Wer  litt  und  trug 
alle  die  SchraUrangen  nnd  Listerworte,  ifrenn  ihr  b9ser  Wille  nicht  konnte 
vollbracht  Werden?  Wer  suchte  ihm  wieder  ein  häusliches  Leben  m  ver- 
8chafl"en  im  Kreise  der  Seinen?  Wer  wiinsclite  seinen  Enkel  in  seine  Arme  nnd 
an  seine  8eite  zurück?  Wer  suchte  ihm  seine  Lebenszwecke  und  -Wünsche  zu 
erreichen?  Wer  opferte  sich  mit  Gut  und  Blut  ihm  aut,  mciit  nur  seine  Zwecke 
an  erreichen,  sondern  noch  erfBllt  sn  sehen.  Wer  würde,  wenn  nnsere  selige 
Frau  Custer  noch  lebte,  versuchen,  ihr  ihr  häusliches  Leben  wieder  zu  geben? 
Wer  gab  mir  mit  meinem  unglücklichen  Kinde  mein  häusliches  nnd  s^Hick- 
liches  Leben?  Wer  hielt  alle  Stürme  für  mich  auf?  Wer  liebt  den  Enkel 
Pestalozzis,  wie  wenn  er  sein  eigner  Sohn  wäre?  Ach,  vieles  könnte  ich 
noch  sagen.  Und  nnn:  Wer  war  es,  der  dies  that? 

War  es  9pen  (etwa)  Herr  Niederer  oder  Herr  Krttsl  eto  Ntf  oder 
Nabhola  oder  Marx  oder  Schneider  (ider  Stern  oder  Leuzinger  oder 
Catt  oder  Ileldenmeier  oder  Lauz  oder  Fellenberg  oder  - —  ich  könnte 
noch  viel  sagen.  Uder  glaubt  Ihr  öpen,  Herr  Weilemann  habe  es  gethan? 
Ja,  er  zeigte  es  in  seinem  letzten  Briefe.  Oder  habt  Ihr  es  etwa  gethan? 
Ja,  Ihr  neigtet  es  anch! 

Non,  wer  hat  es  denn  gethan?  War  es  nieht  Henr  Schmid,  den  Eaer 
Weile  mann  so  eharakterisirt,  von  dem  er  so  Terftehtlich  sehiieb,  ohne 
an  denken? 

Ea  that  mir  weh,  auch  von  Herrn  Weilemann  dies  zu  hören,  dam 
gewiss  hatte  Herr  Schmid  große  Achtung  tur  ihn  nnd  Zutrauen  zu  ihm. 
Aber  er  hatte  sfdi  sehr  betrogen  an  ihm,  wie  anch  ich,  denn  ich  sch&tste  nnd 


Digilized  by  Google 


Itobte  Um,  wenn  er  echon  Totk  wir.  Wnmm  sollte  ich  nicbtV  Hein  seliger 
Mn&n  war  ja  anch  roth.  —  Jetet  Iftntet  es  3  übri  die  Put  will  gehen. 


Lebet  woL 

Immer  die  gleiche 

Lisabetb. 

Den  lö.  AugUÄt  1818. 

N.  Seh.  Umt  Schmid  weiß  nicht,  daas  ich  £ach  etwas  achreibe. 


Daa  gnte  Einvernehmen  mit  Schmid  dauerte  jedoch  nicht  mehr  lange. 
Dieser  lieft  seine  zwei  S  ]i\  t' m  kommen  und  Lisabeth  wurde  bi-i  Seite 
gestellt.  -Dir»  alte  Freundin  und  Vertraute  Pestalozzis.  Fran  Ki  tisi-.  er- 
zählt Jeiein.  Meyer,  „die  Mutter  der  Kranken,  di»-  J^flfgerin  der  Armen, 
deren  sielt  alle  frülieru  Zöglinge  mit  Liebe  eriuueru,  wuide  vuu  ilueiii  Pusten 
entfernf*,  oder,  wie  Ramsaner  sidi  ansdrfickt,  ^^veistoften".  Im  Bewnmt- 
sein  dessen,  ^vas  sie  war,  was  sie  über  8  Dezennien  geleistet  liatte  and  nocU 
lebteto,  bei  der  großm  Selbstständigkeit  ihres  Charakters  und  bei  ihrer  Hef- 
tigkeit gegenöber  notorischem  rnrerlit,  nahm  Lisabeth  iliie  Beseitigung 
nicht  mit  (ileichmath  auf.  Es  kam  zu  scharfen  (JuUisiuueu,  aber  Schmid 
blieb  Meister.  Dass  nnd  warom  Pestaloisi  sdne  alte  Freundin  nicht 
schfitxte,  nicht  halten  nnd  schfltsan  konnte,  so  sdir  er  bei  dieser  Wendong  der 
Dinpe  leiden  mochte,  ergibt  sich  ans  dem,  was  mhiq-e  nnd  unbefangene  Zeugen, 
wie  Ramsaner  undKriisi.  Uber  sein  Verhiiltuiff  zu  Selunid  berichten: 
Pestalozzi  habe  unter  dem  schilfumen,  ökonomischen  Zustand  des  lustitots 
sehr  gelitten.  Keiner  seiner  Lehrer  habe  etwas  von  Hanshaltangsweaen 
standen,  keinem  seien  Geldangelegenheiten  wichtig  genng  Torgekommea. 
Schmid  habe  nach  seiner  Rückkehr  diese  Seite  der  Leitung  übernommen,  die 
Saclie,  das  „Geldsammelu**  habe  er  vortrefflieh  verstanden,  veintanden  alte 
Schulden  von  Zöglingen  nnd  andere  einzutreiben,  einen  äußerst  vortheilbaülea 
Contract  mit  v.  Cotta  über  die  Gesammtausgabe  der  Pestalozzischen  Weike 
absnschliefien  und  dadurch  Pestalossis  so  nnbedingtee  Vertrauen  erworben, 
dass  er  nach  ^^'iUk^r  habe  schalten  und  walten  können.  In  der  innem 
Orgaai?sati«in  der  Anstalt  habe  er  sicli  gewisse  Staatseinrichtungen  zum  ^'orb^I(l 
genommen,  wo  das  Spionen wesen  zur  Handhabung  strenger  Polizei  durch- 
greifend gehandhabi  werde,  wo  die  untergeordneten  Angestellten  als  willen- 
lose Werkzeuge  die  Befdble  der  hShem  Beamtfti  zn  vollciehen  bitten ,  ohne 
ihrer  Individualität  den  mindesten  Spielraum  zu  gestatten.  In  die.se  Ma.*ehine 
hinein  hatte  ir)?end  welche  Selbstständigkeit  nicht  g-epasst.  ..Pestalozzi  sah 
in  diesem  Manne  mit  einem  ore'snssen  Strdz  einen  Zögling  der  Methode  und 
weidete  sich  an  dessen  aufstrebender  Krat^,  durch  welche  er  die  Abnahme  der 
sdnigNi  an  metaen  wKhnte  nnd  an  dessen  nnennttdeter  Tätigkeit,  ohne  die 
bOse  Bichtoog  an  ahnen,  welche  jene  Kraft  nnd  diese  Thätigkeit  benita 
genommen  hatten  und  dei-  .sie,  einmal  in  Lauf  gesetzt,  nnauilialtsara  zn  folgen 
gezwungen  waren.  Rolieit  machte  .sich  als  Kraft,  Frechheit  als  >fiiMt  Will- 
ktlr  als  Freiheit,  Hinterlist  als  Klugheit,  Argwohn  als  Vorsicht,  \  eruu^aich- 
kdt  als  Gewandtheit,  Spionage  als  Wachsamkeit,  Vemlditnng  aller  Indivi* 
dnalitftt  als  Regiernngsknnst  geltend.   Die  Selhstsncfat  gewann  die  Oberhand. 


u\Ljn\^c6  by  Googl 


—  563  — 


Dieselbe  erscheint  alter  n!»''  in  ilir»^-  wahren  (TestRlt,  weil  sie,  al';  snlchp  sich 
darst«Uend,  jedem  Redlidieu  Absehen  eiutiößeu  müsste;  sondern  sie  hüllt  sich 
io  das  Gewand  ü^end  einer  Tugend,  um  vorerst  Duldung,  im  günstigen 
Aiig«iiblick  dann  die  angestrebte  Geltang  n  erlangen.  Dkaea  Uidarant  ist 
am  gefährlichsten,  wo  es  um  irgend  etwas  Out«'»,  Wert\ ollea,  Edles  sich  rankt 
and  mit  demselben  aufwachsend  ihm  zum  Schmuck  zu  lioiun  scheint.  Das 
Unglück  des  Hanses  war,  dass  der  zwar  immer  g-leicli  giUiuüthige,  aber  an 
Alter  fortschreitende,  an  Kräften  abnehmende  Vater  jene  Verkleidung  und  \'ei- 
kappnnir  sieht  n  eritennen  Tennodite,  daher  er  auch  dieWanrang  surWadi' 
sanikelt  Ar  fibertriebene  Ängstliclikeit  und  ungerechtes  MLsstrauen  hielt  md 
selber  misstranlsch  wurde  gegen  diejenigen,  die  ihn  anf  liV  Gefahren  aufmerk- 
sam machten,  welche  von  dieser  Seite  seinem  Werke  djohten.  ^'on  da  an 
wich  der  Friede  aus  seinem  Hause,  und  der  wachsenden  Selbstsucht  war  nicht 
nnr  ein  weiterer  Splelranm,  sondern  anch  Schnta  gegen  jeden  Widerstand 
gesiehert.* 

(Fortsetsang  folgt.) 


Digitized  by  Google 


Bremer  Tage. 


Ein  Jttbel-Üehcbt  von  Dr.  JPatU  Schramm'Müncken, 

Prolog. 

Stürmisch  uud  wechsolvöll  ist  die  Vergaiigt-nlieit  der  AUgemeiüeii  Deutschen 
Lehrerversammlmig.  Ein  Kind  des  völkergescliichtliciien  Jahres  48,  war  sie 
MhoB  in  nrt«r  Jugend  Gegenstand  vielfadiw  Veriblgang:;  in  ihren  Annakn 
flnd«n  wir  peinlidie  Gcadiidite  von  HiMrtranen  nnd  AhaBtgwg  nnd  Ver> 
Mndemngsmaßregeln.  Die  Regierangen  tränmten  in  den  fünfziger  Jahren 
fohwrrf  Träume:  liaimloee  Kleinigkeiten  wurden  als  straffällig  verfoljrt.  nnd 
ein  Häuflein  deuti>i:her  Lehrer  vermochte  den  Schlaf  der  Gewalthaber  zu  be- 
nnmhigen.  Es  war  eine  arme,  dttire  Zeit  Was  ein  „canailleuM«*'  Jahr 
reyolationirt  hattej  durfte  die  Reaction  nicht  lanctioniren  nnd  legalisben. ' 
Sdinell  also  ward  das  Eindäinmungswerk  begonnen  nnd  fbrtgefShrt.  Der 
jnnge  Lehrerbund  tpusste  di»'  „bedenkliche"  Vereinsform  cassiren  und  sich 
für  die  harmlosere  der  „WauderversaiMuUuugen'  eiitschlieiien.  Aber  j>*;il>8t 
diese  Wanderversammlungen  hatten  sich  durch  allerlei  Noth  und  Trübsal  zu 
aehlageoi  nnd  in  manchem  Jahre  worde  es  ihnen  schwer,  ein  Asyl  sa  finden 
für  Verstttadigmig  und  Einigung. 

Wenn  gleichwol  die  A!!''H?neine  Deutsche  Lehrerversammlnni?  in  einem 
Zeiträume  von  über  drei  Dei/eiinieii  nur  dreimal  sistirt  werden  mußte,  wenn 
sie  schließlich  sogar  in  Berlin,  aus  dem  sie  18  Jahre  lang  verbannt  gewesen, 
ihren  ^etlichen  Einzog  halten  dorfte,  so  dankt  sie  das  vor  allem  dem  Ideali»- 
muB,  der  Ausdauer  und  Energie  jener  charaktervollen  Männer,  die  dem  Kinde  * 
zn  I'athen  standen,  die  dessen  Initiatoren.  Füiderer  und  Wegweiser  waren, 
zum  riieii  es  noch  sind.  Um»  i<  Ii  Namen  nennen?  Sie  alle  sind  ja  bekannt, 
die  unerschrockenen  Ritter  von  der  Tafelrunde,  mit  denen  sich  die  ersten  freien 
ElngelMdiläge  des  pädagogischen  Wofftes  r^«n  and  Terbüidett,  mit  denen  sidi 
die  starken  Säulen  des  pftdagogischen  Jungdeutschlands  aufbauen. 

Man  hat  eifrig  versucht,  den  Ruf  der  Allgemeinen  Deutschen  Lehrer- 
versammlnng  zu  verungiimpfeu.  Es  ist  nicht  gelung^en.  Im  (Tegentheil:  di^ 
Allgem.  Deutsche  Lehrerversammlung  darf  sich  mit  einigem  Stolze  sagen,  dass 
sie  nnnnterhroehen  ein  tiefes  Interesse  auf  grolle  Entfemongen  hin  n  enrocken 
▼ermocht,  nnd  dass  ihr  Name  ebken  lant»  Ifabnnif  hedentet  für  die  plda- 
gogische  Thätigkeit  in  Deutschland.  Mitten  in  den  hochgehenden  Wogen  der 
politischen  Reaction  war  «i»'  durch  mehr  als  ein  .Tahrzehnt  hindurch  die  einsriffp 
Zufluchtsstätte  der  deutsclieu  Pädagogik,  der  einzige  Ort,  wo  das  gepresete 


0 


Digitized  by  Googl( 


—  665  — 


Lehrerhrrz,  ermuthigt  dnrch  OesinnnngsRenogfien  an.«  allen  Gaaen  des  Vater- 
landet>,  seine  Bedrängnisse,  seine  Wünsche  aassprecheu  konnte.  Unberührt 
TOB  der  UlgUeheii  ZenJssenheit  Deutechlands  vereinigte  sie  die  Vertreter 
aller  vftteriXndiaeheii  Scholen  imil  reprtaentlrCe  wenigstens  eine  dentsohe 
Pftdagogik. 

ist  denn  die  Alle'emeinc  Deinsf  lieLehrerve!saTnm]TiTi<r  das  Wahrzeichen 
der  deutschen  Pädagogik  geworden;  und  wie  die  Lakedamoiüer  mit  dem  Bilde 
des  Polydoros  siegelten,  des  großen  und  glücklichen  Königs,  in  det^u  Sinne 
sie  ihr  OeneiaweBen  weiter  m  fSfaren  wünschten ,  so  werden  sieh  um  Jenes 
Wahrzeichen  nlleieit  die  Mftnnsr  sammeln,  welche  mit  don  Bistienge  des 
Geistes  die  pädagogische  Ehre      vprtrft^n  haben. 

Der  25.  Allgemeinen  Deutschen  Lehrervergammlung  ward  in  Bremen 
eine  gastliche  Stätte  bereitet.  An  1500  Lehrer  aus  allen  Gauen  des  weiten 
dentaehen  Vatwlandes  wurra  während  da*  Pfingsten  naeh  der  alten,  fteien 
Hauestadt  gekommen,  um  dort  das  Fest  des  heiligen  Geistes  in  ihrer  Weise 
zn  feiern,  üherrascht  betrat  der  Fremde  die  Stralien  Bremen?.  Fa«t  sämmt- 
liche  Oebände  war^n  testlich  geschmückt,  ja  gelbst  die  Kirche  schien  sich  mit 
den  Lehrerversamiuluugen  ausgesöhnt  zu  haben:  von  den  Thürmen  wehten 
mflditlge  Fahnen  gxfißend  nnd  eiidadend  liemled«r.  In  gehobener  Stivunnng 
aOte  man  jenem  Orte  so,  wo  man  mit  Heine  singen  dnrfte: 

„Wol  den  Uaime,  der  den  Hafen  erreicht  hat 

 T'^nd  jft7o  wftm  titi«1  rnhig  sitaet 

Im  guten  Kätiiäkeller  in  Brenuen." 


Die  Vorversammlung. 

Dieselbe  wnrde  Plingstmontag,  den  14.  Mai,  zwischen  8  und  10  Uhr 
abends,  in  dem  Kaiaersaal  des  KttnsUerhavses  abgelialteD,  um  eine  Einigung 
betreib  der  WaU  des  Pritaldimns  flr  die  drei  HanptTersammlnngstage  zn  ei> 

zielen  nnd  nm  diejenigen  VorttSge  provisorisch  WA  bestimmen,  wddM  am  ersten 

Hanptrajre  gehört  werden  sollten.  Die  Vorversammlnng  war  von  efw« 
Personen  besucht,  ond  schon  sie  zeigte,  dass  die  Allgemeinen  Deutschen  Lehrer- 
versammlangen  weder  an  Farbe  noch  an  Interesse  verloren  haben.  Unter  den 
Anwesenden  bemerltten  wir  n.  a.  Dr.  Wich.  LangO'ffimibnrg»  I^.  H eler- 
Lübeck,  Seminardirector  Dr.  Cr  edn  er -Bremen,  Seminarlehrer  Kef  erStein- 
Hamburg,  Rector  Dr.  S p ec Ii t- Carlsruhe,  Oberlehrer  Pfeiffer-Fürth,  Sichul- 
director  Dr.  Bartels-tiera,  Schnlvorsteher  I)r.  Brüllow-Berlin .  l'rofessor 
Bopp- Stuttgart.  Allgemein  vermisst  wuide  Schulrat  Th.  Hottmuiiu-iiam- 
borgt  der  vietjSbrige  Prtsidrat  der  Allgemeinen  Dentscben  Lebrerversamm* 
Inngen.  In  Carlsmhe  haben  wir  den  verehrten  Mann  noch  Drisch  und  rüstig 
gesehen  in  Rede  nnd  Haltung'.  .Jetzt  aber  h  iT  I\rrin]<li»'5t  seine  Kraft  ge- 
brochen. Er  durfte  nicht  wagen,  die  verhUltni&uiäliig  kiuze  Reise  vun  Ham- 
burg nach  Bremen  zu  nnternehmen,  und  zum  erstenmal  seit  laugen  Jahren 
mnsste  man  sich  mit  dem  Oedanken  vertraut  maclien,  dass  statt  des  kleinen^ 
bl<mden,  etwas  zngeknöpftmi  ItSnndimis  ein  anderer  die  Versammlung  leiten 
wurde.  Oberlehrer  XI<">rle-Gera,  der  gegenwärtige  Procuraträger  der  Allgera. 
Dentechen  Lehrer  versammlangen  eröläiete  die  Vorversammlnng,  worauf  Beal- 


Digitized  by  Google 


—  666  — 


«chul-I)ii Debbe-Brenien  die  Tlieilnehmer  im  Nanieu  der  Bremer  Bnrsrer- 
imd  Lelut'i^cliall  mit  folgender  Ansprache  begrüiite:  Meine  hodig^hrten 
Herren!  Als  von  Carlsnlie  «tt  die  Naduridit  sidi  Bremen  kamt  ^bui  die 
26.  AUgem.  Dentadie  Lehrenreimmmlmig  hier  tegeii  werde,  wurde  dieeelbe 

Ton  der  bremfeeben  Lehrerscliaft  mit  Freuden  begrüßt.  Diese  hat  es  wol 
verstanden,  was  es  heißt,  eine  solche  ^'el•samtnl^ng  aufzunehmen;  sie  war  be- 
sorgt, ob  eii  möglich  sein  werde ,  diese  25.  Versammlang  als  eine  Jubel- 
versammlong  ihrer  Bedeutung  entsprechend  zn  empfangen.  Ich  kann  Ihnen 
nun  aber  die  Veniebenrng  gelMn*  daet  wir  liei  nneeren  Vei-berettniigen  in 
aneerer  Vaterstadt  nirgmda  vergeblich  angeklopft,  sondern  überall  ein  bereit* 
wmifres  Entß^t'a^t  nkommen  gefiinden  haben.  Hieraus  darf  ich  die  Berechtigung 
abiiiten.  Sie  im  Namen  der  hieeigea  Börger  und  Lehrer  herzlich  willkommen 
zn  heüien. 

Oberlelirer  UOrle  begrafite  hieraiif  die  Vemmmlmg  im  Namen  dee 
Ausadnueea.    36  Jahre  sind  dahingegangen,  seitdem  die  Allgemeine  Deutsche 

Lehrerversammlung  sieh  ans  schwaclien  Anfängen  zn  einem  st^Ttlii  lien  Baum 
entwickf'lt  hat,  unter  dessen  Ästen  die  dentsch^  relirerweit  aus  Nord  nnd 
Süd,  aus  Out  und  West  sich  schart.  Viele  von  denen,  die  den  Baum  gepllanzt 
ond  gepflegt,  sind  heimgegangen.  Wir  nftn  ihnen  iiadk:  SeUg  sind  die  Todten! 
Ihre  Werke  folgen  ihnen  nach.  Allen  denen,  die  noch  thätig  sind,  den  Baum 
gesund  nnd  frisch  zu  eihalt-  n.  sei  unser  Dank  s^ebracht.  Möge  einst  di? 
r)0.  AUgem.  Deutsche  Lehrerversanimloug  unsere  berechtigten  Wünsche  nnd 
Forderottgen  erfüllt  sehen!  Die  gegenwärtige  Lage  ist  leider  nicht  derart, 
weitgehende  Hofirangai  hßgtm  zn  dürfen.  Doch  wie  ein  Frost  in  derFrfihlings- 
naeht  wel  Blüten  vemiehtet,  die  Natur  aber  dennoeh  neues  Leben  schafft;  wie 
der  Sturm  wol  Blüten  und  Früchte  knickt,  der  Himmel  aber  dennoch  Gedeihen 
^bt:  so  werden  auch  Licht-  nnd  Frühlingstage  wieder  antg-elien  in  den  deut- 
schen Lehrerherzen.  Halten  wir  nur  alle  fest  an  unseren  idealen  Bestrebongea! 

Nnn  wnrde  in  dra  gesehiftUchen  TheU  der  Tsgesordnancr  eingetreten. 
Ohne  Widenpnteh  geneiiDiigte  die  Votrersammlnng  den  VoncUi^  des  Ans- 
Schusses,  dass  morgen  der  Hauptversainmlnng  Realschuldirector  Debbe-Breui^ 
als  ei-ster,  Seminarlehrer  Ha  Iben- Hanihnr?  als  zweiter  und  Oberlehrer  M5rle- 
Crera  als  dritter  Voi-sitzeader  zur  Wald  empfohlen  werden  sollen.  Die  Aus- 
wahl der  Vortrage  für  die  drei  Hanpttage  war  nicht  ganz  leicht,  denn  es 
standen  nidit  weniger  als  18  Themata  sarVerfOguig,  daranter  soldie,  weiche 
gerade  in  unserer  Zeit  ein  nicht  nur  speciell  ftkchlicbes,  sondern  ein  allgemein 
gesell sf'h:iftliches  Interesse  in  Anspruch  nehmen.  X<m  vielen  Seiten  Avnrde 
laut  gewimscht,  dass  Dr.  Dittes  am  ersten  Tag*  sj.reche.  Nach  einer  auf- 
klärenden Bemerkung  Hörle 's,  dass  Dr.  Dittes  uucii  nicht  anwesend  luid  vui 
IDttwodi  aneh  nieht  an  erwartm  sei,  entsdiied  ddi  die  Vorranammlnnir  n* 
nächst  für  Dr.  Wieb.  Lange-Hambarg  und  Seminardirecter  Dr.  Credner- 
Bremen. 


Erster  Xag. 

Die  HaaptversamralOttgen  wurden  in  dem  sohüii  decorirten  großen  Concert- 
saale  des  Kiinstlwrvereins  abgehalten.  HeiTTi  KitiTritt  in  den  Saal  traf  das 
Atige  sofort  auf  das  wolgetroffene  lorbeerumkränzte  BUd  Th.  Hoffmanaa 


üiyiiizoo  by  Google 


—   567  — 

Ptiugstdienstag,  den  15.  Mai,  wogte  und  Inmute  es  schon  lange  vor  9  Uhr 
move^^no  in  den  weiten  Räumen  des  Concertsaales :  es  mochten  an  2CKK)  l'er- 
iionen  sein,  die  sich  da  eiu  pädagogisches  Rendez-vous  gaben.  Das  ist  gewiss 
eine  stattliche  Armee,  die  in  einem  constitationellen  Reiche  wol  wagen  dar^ 
ihre  WVnadie  und  BeeeUliflee  der  MTentUoheii  Meinnng  zu  ttberseben.  Kurs 
nach  9  Thr  wurde  die  Versanimlnng  mit  Absingen  eines  geistlichen  Liedes  er- 
itffuet.  Ein  reistliches  lieLliches  I^ied  niuss  ja  immer  erklingen,  wo  zvi'ei  oder 
drei  dent&che  Lehrer  versammelt  sind.  Die  Wahl  des  Präsidiums  erfolg-te 
nach  den  Vorschlägen  der  Vorversammloug.  Debbe-Bremen  übernahm  den 
Vortiti  mid  erteUt»  ziinftchBt  dem  BttrgemieiBter  Dr.  Gildenmeister  das 
Wort,  der  die  Vemniiiiliiii^  im  Namen  der  Bc^fiemng  des  Bremer  Freistaates 
begrftftp  In  längerer  Ansprache  führte  er  ans,  dass  die  Lehrerschaff  von  den 
StaatsregieruQgen  iui  allgemeinen  zweierlei  wtinsche:  eretens  ein  aufmerksames 
Interesse,  zweitens  möglichste  Freiheit.  Wie  kaum  eine  andere  Thätigkeit, 
wunde  das  Schul-  und  Erdehmigsweaen  In  der  peFsSnUelien  Thfttiglteit  des 
Einzehien.  Der  Staat  könne  der  Schule  nicht  entbehren,  er  müsse  sie  also  in 
sseinen  Dienst  stellen  und  demgemilß  organißiren.  Die  Allgemeinen  Dentschen 
Lehi-erversammlungen  seien  vorzugsweise  solchen  Betrachtungen  gewidmet, 
welche  sich  auf  die  Förderung  der  Pädagogik  bezQgeo  und  zwar  wie  dieselbe 
sich  gestidte  vnnlibängig  von  jedem  Zwange.  Ln  lateresse  des  Staates  alier 
Hege  es,  soldieBestrelningen  sa  ISrdeni,  d»  er  Ja  sdnerseits  dieFMekte  davon 
zn  erwarten  habe.  Diese  Frfichte  aber  gedeihen  nnr  in  der  Freiheit.  Der 
kleine  Staat  Bremen  biete  in  dieser  Beziehnng  ein  glänzendes  Beispiel.  Die 
alte  Weserstadt  werde  es  gewiss  an  berzücher  Theiluahme  für  ihre  Gäste  nicht 
fehlen  lassen.  Bremen  sei  weder  ein  piolitisches,  noch  ein  wissenschaftliches 
Ocntnmiy  Knnst  und  Natnr  boten  hier  nnr  bescheidene  Genüsse;  aber  in  der 
Oastfteondschafl  werde  sich  seine  Bürgerschaft  von  keiner  dentschen  Stadt 
ttberbietpn  lassen.  Möge  auch  hier  das  Schtllrt  scIie  W  ort  /nr  Wahrheit  wer- 
den, dass  die  Weser  selbst  zu  dem  kleinsten  Epigi-amm  kernen  Stoff  darbiete. 
^^Beifäll.)  Hierauf  nahm,  vou  allen  Seiten  lebhaft  begrüßt,  Consnl  und  Reichs- 
tagsabgeordneter,  H.  H.  Heier,  das  Wort,  die  Gfste  namens  der  Bremer 
Bürgerschaft  willkommen  zn  heißen  und  diesem  Willkomm  einige  Bemericongen 
beiznfügen.  Der  kleine  Freist-mt  Bremen  beschäftige  s\ph  in  Beziehung  auf 
die  Schule  weniger  mit  AusfüJiruQg  großer  PlSne  und  schwieriger  Probleme, 
als  mit  Erzieluug  praktischer  Resultate.  In  einem  Gemeinwesen,  wie  dem 
Bremer,  das  seine  Thätigkeit  vowogswelae  dun  Hiandel  widme,  dessen  6e- 
schäftsbenieiimigen  Aber  den  gansen  Erdball  Torbnltrt  seien,  das  aUjährlicb 
hunderte  von  jungen  Leuten  hinan.ssende  übers  Meer  zur  Anknüpfung  und  Be- 
festif^nng  von  Handelsbeziehungen  —  in  einem  solchen  Gemeinwesen  ekelte  es, 
neben  der  Aneignung  von  Kenntnissen  die  Schüler  vor  allem  zu  treuer  Pdieht- 
erlttUnng  zu  erstehen.  Die  Weeknng  und  Pflege  strengen  Pflichtgefühls  ent- 
wickle aadi  den  Cliarakter,  welcher  fOr  alle  menschlichen  Beziehungen  tod 
größter  Wichtigkeit  sei.  Redner  habe  perBf5nlich  die  Erfahrung  gewonnen, 
dass  in  diesem  Pnnkto  andere  Nationen  den  pputschen  weit  voraus  seien,  wie 
auch  in  der  Gestaltung  des  praktischen  Lebens.  Werde  dies  erkannt,  so  sei 
za  Tertranen,  dass  deutscher  Fleiß  und  dentache  Ansdaaer  ancli  nach  diesen 
Biehtongen  daa  Ziel  einholen  werdra:  im  ftledUcJien  Wettkampfe  der  VUlker 
in  allen  Besielinngen  an  der  Spltse  sn  atehen.  Die  dentsehoi  Lehrer  seien 


Digitized  by  Google 


I 


—  668  — 

nach  Bromt'n  gekommen,  in  wichtigen  Frajrpii  zu  IxTuti'n  und  zü  boÄchließen. 
Möge  die  25.  AUgem.  Deutsche  Lehrerven.  dazu  beitiagen,  dam  die  deutsdie 
Sdrale  rieh  so  imawr  Mhtawer  BIflte  eatwidde  snm  Wole  de«  YaterUadet 
und  der  Nation!  (Allgemeines  Bravo.)    Eine  ebenso  große  als  freudige  Über* 
raschung  bereitete  der  folgende  Redner  dei  Versammlung.  Pastr)r  Dr.  Portig- 
Bremen.     Wo  die  Schule  tagt,  sagte  er.  da  darf  die  Kirche  nicht  fMrhwpigen. 
Als  Diener  der  Kirclie  rote  ich  Ihnen  ein  herzliches  Willkommen  zn.  Ich 
bin  nmi  awar  nkht  ia  der  Lage,  hier  im  Nhmb  md  Auftrage  der  geetmutia 
Ktrebe  BreaieiiB  m  epteeiMB;  ich  tkae  ee  auf  meine  pereSnUehe  Veraatwoftoeg 
hin  und  aus  dem  Geist«  der  liberalen  Kirche  Bremens  heraus.    In  Bremen  ist 
die  freie  Kirche  im  freien  Staate  verwirklicht,  aufgebaut  auf  den  Grund  des 
Gemeindeprindps.    Jeder  kann  hier  seines  Glaubens  leben  und  selig  werden, 
der  Orthodeie  wie  der  Liberale.  Die  oberste  Staatebehftrde  gestattet  in  beiden 
BJehtaiigen  gleidiee  Bedil  md  glelclie  Luft.   Jeder  »ag  aagen«  me  er  Yvr 
Gott  and  leinem  wissenschaftlichen  Gewissen  verantworten  kann.    Wir  be- 
trachten ans  als  die  Diener  der  Gemeinde,  nicht  ;»ls  die  Herren  ihr»'-;  <Tbiil>ens. 
(Bravo!  Bravo!)    Danim  ist  auch  das  \'erh;lltni8  zwischen  Sdhuie  und  Kirche 
hier  das  beste;  beide  betrieb teu  6ich  als  zwei  gleichberechtigte,  gleichnoth- 
wendig»  CaltomlohCe»  die  in  Freuideehaft  and  Harmonie  gemeiaaam  atbeitca 
an  der  Einen  großen  Erziehungsschule  de»  Menschengeschlechtes.    Jede  läirt 
die  andere  auf  ilu-eni  Gebiete  gelten,  ohne  Henschsucht  auf  der  ein«?),  ohne 
Bitterkeit  aui  der  andern  S»'ite.    Die  bchule  friheilt  den  ersten  iieiigi'^ns- 
unterricht,  aber  sie  gibt  ihn  ohne  Katechismus,  ohne  confessionelle  Färbung, 
aondem  frei  ani  der  Bibel  beraas.   Dana  erst  kommt  der  Prediger  mi  fUvt 
das  Kind  derjenigen  Gonfession  zu,  welche  die  Eltern  wünschen.    Bei  adeiier 
Arbeitstheilung  müssen  Schnle  und  Kirche  sich  gU-ich  gut  stehen.    MRge  der 
I^ÜTiirstiri  i<t  als  ein  Gei.st  der  Begeistentng  und  Freudigkeit,  d*"r  Li»^)**»  und 
Kmirocht  ihre  \'er8auuulttng  leiten  und  zn  jenem  gesegneten  Zu^aumeuwirkea 
von  Schule  and  Kirche  fahren,  an»  dem  wir  die  Wiedergebart  des  dentechea 
Volkee  an  veligUlMr  and  littUeher  Mfaelt  erwarten!  (AUeelllges  Biavt.) 
Nach  dem  üblidien  Hoch  auf  den  Kaiser  wurde  eine  Hnldigungsdepesche  an 
denselben  abgesendet.    Ebenso  erhielten  die  Jfitbegrnnder  der  Allgeni.  D. 
Lehrervers.,  die  Schuliäte  Th.  Hoffmann-Üamburg  und  Berthelt- Dresden, 
Begrüßuugstelegramme.    Ein  vierter  Graß  worde  der  Vewammlang  dmrdi 
IWeewi'  Specht-Oarianihe  fibert»raoht,  der  Im  Namen  der  Catimher  Lahier, 
des  AUgem.  Badischen  Lehrervereine  aad  des  GroAheraegliehen  Obenebal- 
raths  sprach. 

Die  lieilic  dfv  \  urtrJige  eröffnete  nun  Dr.  Wichard  Lauge- Hamburg, 
der  unter  stilrmischem  Applaus  die  Tribüne  bestieg.  Er  behandelte  die  Frage: 
Wae  haben  wir  Lehrer  ans  in  «llen  Zeitiftaften  an  bewahren? 

Dr.  Lange  gab  aanSehst  einen  karami  Abrin  Aber  seine  bisherige  Thätig- 
keit  in  den  Allgem.  Deutschen  Lehrerver^ammlungen.  Mit  den  Worten:  Sollte 
ich  heute  etwa  zu  zahm  sein,  so  kann  ja  mein  Freund  Dittes  das  Fehlende 
nachholen,  ging  er  aaf  sein  eigentliches  Thema  übei-.  Die  Weltgeschichte  be- 
wegt sieh  nicht  in  gerader  Linie,  sondern  in  einer  Spirale.  Aaf  SEelten  dm 
Anftchwanges  folgen  regelmSBig  Zelten  dee  Rückganges.  Im  Ganzen  aber 
geht  die  Welt  doch  vorwärts.  Heute  heißt  es  wieder  einmal:  ..Rückw.^rt.-». 
rückwärts,  Don  Kodrigo;  rttckwiUts,  rückwärts,  edler  Cid!''  JXiese  Öpiraligkeit 


Digitized  by  Google 


—  569  — 


berührt  auch  die  Schale.  Hat  sie  zwei  Schritte  vorwärts  gemacht,  g«iit  ile 
•wieder  einen  zurück ,  Nnch  den  großen  deutschen  kriegerischen  Erfolj^en  wnrde 
die  Schule  vielfach  überschätet.  Nach  18ö6  sollte  der  preußische  Öchulmeister 
den  MeiTeidiiMbeii,  uch  1871  der  dentache  den  französischen  geschlagen 
liabeD,  Ja  adtal  Bbntrek  berief  ti<A  noch  im  Jahre  1874  anf  den 
deutschen  Setaolmeister  als  seinen  Kampfgenossen.  Zehn  Jahre  spftter  schlag 
der  Wind  nm  nti-l  beute  wird  dfe  f^olml»^  fWv  nUc  Zeit  verbrechen  verantwort- 
lich gemacht,  heute  soll  sie  alle  inöj?liclieii  (  bei  verschnldet  haben.  Sowol 
jene  Überschätzungen  der  Bedeutung  der  Schule,  als  die^  \'erurtheiluug  ihres 
Wirkens  mass  entaehieden  muMsewieeen  werden.  Niehl  die  Schule  hat  Jene 
SoBeren  €fegner  Deutschlaads  besiegt,  sondeni  die  Caseme,  nnd  nicht  daa 
Wirken  der  Schule  ist  fir  wirkliche  oder  angebliclie  sittliche  SchiUlm  niiserer 
Zeit  verantwortlich  zu  macheu,  sondern  eine  ganze  Keihe  anderer  i-actoren, 
die  anf  die  ethische  Gestaitong  unseres  V'ollcslebens  mächtigeren  Einfluss  haben 
als  der  geeammte  dentaehe  Lehtentaad.  Begrahen  wir  daher  nhig  den  Schul- 
meister von  Sadowa  nnd  Sedan  —  er  ist  eine  Phrase,  der  Ansdmck  wol« 
ni<^iri<  iif!.  i  «Ti'sinnnn^  und  lebhafter  Phantasie.  Angesichts  der  wrrhse Inden 
Stiiiuiiiingen  nnd  Strömungen  habfii  wi!-  Lehrer  aber  die  Aufgabe,  uns  auf  ein 
Oesetz  zu  besinnen,  anf  ein  Zuatäudiiches,  woran  wir  anter  allen  Scbwankangen 
der  Zeit  feataiihalten  haben.  In  allen  Zemiafteu  hat  aich  der  dentaohe  Lehrer 
an  bewahren  1)  ein  aolidea  BelbatgelUil,  eatapnugen  ana  dem  Bewnaataein  von 
der  hohen  Bedentang  seines  Berufes.  Es  ist  das  ein  etwas  heikler  Punkt 
Vielfach  wird  gesagt,  wir  Lehrer  seien  eitel,  pedantisch,  breit,  redselig,  dünkel- 
haft. Ich  bin  ein  altes  Haas  nnd  darf  schon  etwas  frei  sprechen.  Es  ist 
«twaa  an  diaaeii  ttblen  Nachreden.  Wir  Soholmeiater  sind  etwaa  eitel,  onaer 
Bemf  bat  etwaa  Veniehendee}  aoweit  onaere  Peiton  in  Betncht  kommt.  Unter 
dämmen  Jungen  aind  wir  eben  immer  die  Klügsten.  Oleichwol  gibt  es  eüien 
Stolz,  der  sich  recht  c-nt  mit  fVr  »Mnfachsten  Bescheidenlieit  verti^ägt-  Und 
diesen  Stolz  meine  ich,  an  dem  der  Lehrer  festzuhalten  hat.  Der  Lehrer  hat 
sich  2)  zu  bewahren  die  Liehe  za  seinem  Bernfe  und  zur  Jagend.  Seit  den 
aiebeasiger  Jahren  g«ht  ein  materieller  Zngr  dnrch  daaBeieh.  Boll  nnd  Haben  tiilt 
mehr  als  die  Idee,  der  Gedanke.  Das  deutsche  Gemttth,  sonst  wegen  seines 
Idealismus  berühmt  und  berfichtißrt  zugleich,  ist  liente  angekränkelt.  Auch 
der  deutsche  Lehrei-stand  scheint  nicht  mehr  die  frühf^re  Begeisterung'  zn  be- 
sitzen. Zum  Glück  ist  es  nur  Schein.  Gelien  wir  uui-  iiineia  in  die  Schulen 
nnd  LehraUe»  wir  weiden  nna  ttbemengen,  daaa  die  Liebe  snm  Kinde  noch  nicht 
au^estorben  ist.  Wer  mOdite  auch  Lehrer  sein  olne  diese  Liehe?  Unser 
Beruf  ist  einer  der  anstreng-rnd^ten.  Wer  aber  T.ust  zn  ihm  hat,  hei  dem 
gellt  t  s  schon.  Die  Liebe  zum  Kinde  ist  der  Panzer,  der  gegen  alle  Un- 
anuelimiiclikeiten  des  Amtes  schützt.  Wer  kann  sich  anch  Herrlicheres  denlcen, 
als  In  ein  etrahlendea  kindliefaea  Auge  an  aehanen?  Parin  liegt  ein  erbebendes 
Element,  das  uns  frisch  und  freudig  eritftlt  Der  Lehrer  hat  sich  3)  zu  be- 
wahren  die  wissenschaftliche  und  pädagoffisclie  Strebsamkeit.  Von  zwei  pUda- 
goprisch  gleich  tüchtigen  und  «rlt^i'^h  ß:ewissenliaften  Lehrern  wird  immer  der 
am  meisten  leisten,  der  aach  wisse nsciiaftlich  gebildet  ist.  Eine  groi^e  Zahl 
dentadier  Lehrer  hat  nnn  xwar  eine  anareli^ende  pidagogische  Blidang  er- 
katten,  aber  eine  nngenflgend  wiatfuiaehaftliche;  ein  anderer  Theil  wieder  iat 
wfaaenaebaftUeh  hoch  gebildet,  nieht  aber  pftdagogiach.  Daa  iat  ein  Miaarer- 


Digitized  by  Google 


570 


hältnis,  das  die  Erziehimj?8thätigkeit  erschweren  mnss.    Demi  die  Erziel mug;- 
ist  eine  isLonst  und  zwar  eine  Kunst,  welche  in  der  Pflege  der  Individuaiiuc 
ihrem  Anadnck  findet.  Erst  wineiuchaftUehe  sod  pädagogische  Büdm^  zOr 
■ammeD  stempeln  den  Lehrer  t&r  semoi  Berat   Der  Lelurer  hat  4)  immer 
dahin  zn  streben,  daas  seine  "Wirksamkeit  eine  erziehliche  sei  and  bleibe.  Er- 
ziehen kann  nur.  wer  selbst  f  rzoiri  n  i^t.   Wii-      lirer  wirken  viel  melir  'Imch 
das,  was  wir  sind,  als  dorcli  da«,  was  wii'  reden  und  lehren.  Hier  gilt  das  Wort  . 
des  größten  Erziehen  an  seine  Jünger:  ,Ieh  heilige  nieh  llir  auh."  Sein  Lelmr 
luum  Flelfi,  PftnktlicJiltiiit  o.  s.  w.  Yerlangen,  wenn  er  sieht  sellMt  fleiftig  md  pünktp 
lieh  ist.  Korz,  der  Lehrer  hat  seinen  Schülern  als  ein  Charakter  gegenübennh 
st^hr^?!,  ä.h.  mit  Jei'  Fähigkeit  nach  Gnmdsätzen  zn  handeln.  Die  Schnle  soll  ja 
Charaktere  eraieheu.    Die  Charakterlosigkeit  in  den  Schuiiäumen  uiachi  alle 
Erziebong  iUosorisch.    Sie  zerstört  nicht  nor  die  äaßorlidie  Disciplin,  sondern 
tSdtet  auch  die  innere  dttliehe  Bildung.   Der  Lehrer  hat  sich  5)  den  Oe- 
danken zn  bewahren,  dass  er  Ar  das  Leben  erziehen  soll.    Das  Leben  veiv 
lang-t  (iemeinsinn,  Aufopfemng,  Hingabe.  Um  zn  diesen  Tnerf^nden  zu  erziehen, 
haben  wir  Lehrer  sie  selbst  zn  bethUtigen.    Zu  dem  Zwrcke  ist  nothwendig, 
dass  wii'  eiueu  bestimmten  Standpunkt  eiiiueliMien  in  religiösei*,  politischer  oud 
sodaler  Besiehnng.   Ein  schwankender  Hensoh  vermehrt  nvr  das  Übel.  Ein 
entschiedener  Lehrer,  der  eine  bestimmte  Meinung  hat,  wird  aach  politische 
Parteien  nirbt  als  blindes  Werkzeug  dienen.  Er  wird  von  seinem  .Standpunkte 
ans  die  Gruiidsät?:i'  fb^r  l^artej  prüten  und  darnach  verfahren.  Der  Lehrer 
mnss  sich  0)  den  uiaubeu  au  den  stetigen  Fortschritt  der  Menschheit  be- 
wahren. Die  peesimistisehen  Stimmigen  der  Zeit  sollen  ans  nicht  stOren  in 
dieser  Überzengnng.    Die  hödiste  Macht  Ist  der  Geist,  er  regiert  die  Welt; 
Ein  gesnnder  Gedanke,  einmal  auf  den  Plan  gebracht,  behauptet  den  Plan. 
T.)ie  allgemeine  Entwicklung  ist  des  Lebens  Kern  und  Stern,  und  tür  diese 
sich  zn  begeistern  eine  Aufgabe  des  Lehrers.    Der  Lehrer  muss  sich  1)  be- 
wahren das  OeAU  Ar  Standesangehürigkeit  nnd  den  ^nn  Ar  Collegialittt. 
Die  Allgoneinen  Dratsehen  Lehrerrersammlnngen  haben  diesen  Sinn  nnd  dieses 
Gefühl  m&chtig  gefördert,  ünd  hätten  sie  nnr  dies  Eine  geth&n,  so  verdienten 
sie  schon  danim  nicht,  von  ihren  Gegnern  versp'.ttft  oder  gar  verleumdet  zu 
werden.    Möge  die  Jubel  Versammlung  der  deutschen  Lehrer,  würdig  ihren 
Vorgängerinnen,  aach  in  dieser  Richtung  dem  LehrerataadiS  Oliek  nnd  Segen 
Ivingen!  (Langandanender  Beiftdl.) 

Dr.  Bartels-Gera  ersuchte  die  Versammlung,  von  jeder  Debatte  abzu- 
sehen, da  sonst  der  Eindruck  der  Bede  verwischt  werden  möchte.  Dengemli 
wurde  auf  eine  Debatte  verachtet. 

Nach  einer  einslüudigen  Pause  ^rach  Senünardirector  Dr.  Credner- 
Branen  ftbor  die  Überbllrdnngsfrage.  Ans  allen  Kreisen  ertBnen  hente 
Klagen  ttber  ÜberbOrdnng  der  Schuljugend.  Es  klagen  nicht  nur  weichherzige 
Mütter,  nicht  nur  versTimmtc  Väter,  auch  Männer  der  Wissenschaft  erheben 
in  Hede  und  Schrift  die  Frage,  ob  es  nicht  gerathen  sei.  Sflmle  und  Schüler 
zu  enüasten.  Dieser  Frage  gegenüber  kann  die  LehienichaU  mdit  schwdgen; 
kein  VonirtheÜ  darf  sie  abhalten,  sie  zn  prüfen  nnd  bestimmte  Gnndsltie 
aulknsteUen,  Die  Überbfirdungsfi^e  ist  eine  hoohwiehtige  praktische  Er 
ziehnngsfrage.  Richtig  und  gründlich  kann  sie  nur  von  der  Erziehungswissen- 
schaft, der  Pädagogik  also,  gdöst  und  beantwortet  werden.  Sie  hat  ein  Nomtai* 


üiyiiizeü  by  GoOgle 


—  571  — 


maB  fesUnstellen,  wieviel  dem  Schüler  zngemathet  werden  kann  nnd  dai  f.  Die 
Padagtigik  nun  liat  ihre  festen  Fundamente  vorzn^fsweise  in  der  Ethik  und  in 
den  beiden  Theilen  der  Anthi-o)H)logie,  der  Somatoiogie  and  Psychologie.  Da- 
her sind  bei  Beantwortung  der  Überbiirdangsfrage  aadi  diese  Wiflaenachaften 
und  denn  Vertreter,  Ar  die  Senwtdegle  namentUoli  die  Änste  mit  n  BaUw 
sn  liehen.  Die  Ethik  stellt  das  Erziehungsziel  fest;  sie  verlangt  die  Heran- 
bildnner  fl»  s  Z;>srling-8  nacli  allen  Ciilturideen  der  G-egenwart  in  dem  Maße,  dass 
derselbe  befähigt  wird,  »eine  Stellung  in  der  menschlichen  Geaellächaft  richtig 
za  wählen  und  auszufällen.  Die  Anthropologie  weist  nach,  dass  zur  Erreichung 
dieeei  Ziele«  Leib  und  Seele  dee  ZS^Ung  gleieii  tllchtiir  anasebOdet  «erden 
nttaeen,  und  dass  alle  Ebiseitigkett  idüldlich  int.  Nun  sind  unzweifelhaft 
wesentliche  Fortschritte  zu  verzeichnen,  sowol  hinsichtlich  der  Lehrmethoden 
als  der  Lehrerfolge.  Ob  aber  dabei  in  unterrichtlicher  Rezielmng  immer  das 
richtige  Maß  eingehalten  worden  oder  Überbüidung  eingetreten  t>ei,  das  wird 
▼OD  der  Beutwertiuig  folgender' Fragen  abhlngen:  1)  Wurde  dem  normal  an« 
gelegen  Zi'^gling  nach  Anibrtigang  seiner  Schularbeiten  das  nSthlge  Quantum 
Schlaf  gesichert,  oder  musste  er,  um  den  Schulpflichten  zu  ^nftgen,  die  Nacht 
mm  Tage  machen  und  in  der  Regel  langer  über  der  Arbeit  sitzen,  als  es  eine 
vemuiiitige  Diätetik  gestattet?  2)  Ward  dem  Schüler,  wenn  er  nach  melir- 
•tfindigem  Sdiulnnterriohte  nadh  Hanse  kam,  möglich,  sieh  sa  erbolen,  oder 
ward  er  genSthigt,  die  in  der  Schule  abgebrochene  geistige  Arbeit  toftnt  wieder 
anfznnehmen?  H"!  "^^';\r^'n  f!ie  hiUislichen  Arbeiten  dem  Schüler  so  sparsam 
zugemessen,  dasü  ihm  nach  Arbeit  und  Spiel  noch  Zeit  iibris:  hlieh,  im  Hause 
sich  nützlich  zu  machen  und  Jene  Gewandtheit  zu  erlangen,  die  dos  praktische 
Leben  wttudwnswert  md  notliwendlg  maebt? 

Ln  allgemeinen  darf  nnn  gesagt  werdmi,  dass  viele  Klagen  Aber  Über- 
bftrdung  nnhegrflndet  sind,  oder  wo  eine  solche  besteht,  sie  veranlasst  ist  durch 
die  Klagenden  ßelbst.  Nar  gar  zu  oft  sind  es  die  Eltern,  welche  ihre  Kinder 
überbürden.  Es  ist  ihnen  ein  BedfirMs,  neben  dem  ausreichenden  Schulunter- 
riebt  dem  Kinde  andi  neehFrivatantenidit  ertiheiien  m  laaMn,  oder  de  fflbren 
dasselbe  einer  Schule  zu ,  Ar  welche  die  gelitigen  Ki^lfte  desselb«!  nicht  gfr* 
eignet  sind,  oder  endlich,  sie  gewähren  ihm  Freuden  und  Genüsse,  die  sich  mit 
den  Schulpflichten  nicht  vereinigen  lassen.  Damit  soll  indes  nicht  gesagt  sein, 
dass  nicht  auch  Schule  nnd  Lehrer  ihre  Schüler  zuweilen  überbürdeten.  Die 
UnteRldilMraise  lit  nicht  immer  die  richtige,  und  es  ist  dagewesen,  dass  die 
Kinder  mit  nnnSChigen  Antraben  geplagt  werden.  Doch  berechtigen  dergleichen 
vereinzelte  Erscheinungen  nicht  zu  einer  allgemeinen  ZeltUage. 

Die  Generaldebatte,  welche  sich  an  den  ^'oitrag  knüpfte,  wurde  ziemlich 
lebhaft  geführt.  Dr.  Bartels- Gera  fand,  dass  Dr.  Credner  sich  zu  viel  in 
der  Negation  bewegt,  aber  vergessen  habe,  positive  Vorschläge  zu  machen. 
SSr  für  aelnB  Penon  glaubt  an  eine  Oberbtirdnng  der  Jagend  dnreh  die  Sehnle. 
Auch  Dr.  Eeferslein-Hamburg  nimmt  die  Überbürdnng  als  vorhanden  an, 
da  die  Frage  ja  sflbst  von  fl^n  Rehr>rden  (in  Pr**nßpTi,  S'ixchsen,  H(  sscn.  Elssiss- 
Lothringen)  bejaht  worden  sei.  Die  Gründe  der  Überbürdong  glaubt  er  suchen 
zn  sollen  1)  in  dem  Mangel  einer  Wechselwirkung  bezüglich  der  Lehrgegen- 
stlnde  nach  einem  wdgeordneten  Lehrplan;  2)  in  dem  Umstand,  dass  mit  dem 
Fortsehritte  der  WhHmschaften  die  Disciplinen  des  Schnlnntefriehts  zu  sehr 
vennehrt  würden.   Gymnasiallehrer  Noack>Herford  stellte  sich  nnter  Zn- 


Digitizeü  by  Google 


—  572  — 


Ziehung'  persönlicher  Erfahroni?  auf  den  Standpunkt  des  Vorredners:  eine  (""ber- 
bfirdanf?  ist  wirklich  vorhanden,  wenn  nicht  in  allen,  .so  doch  in  vielen  Schulen. 
Dr.  Zimm ermann- Mamburg  machte  den  ätaat  für  die  Überbürdnng  verant- 
wmtlich:  der  StMt  ftrd«re  lie  durch  die  Tidm  aid  lehwierigen  W!»"»*— 
SdnilTvntelMr  Kippe nberff-Breaen  betontet  deas  bei  der  Frage  der  tihet- 
bflrdung  die  Volksschiile  nicht  in  Betracht  kommen  könne:  sie  beziehe  sich 
nur  auf  die  mittleren  nnd  höheren  Schnlen.  Realsclmllelirer  Kutsch-ElMng 
hält  von  der  Überbürdung  nicht  \iel:  die  Frage  ist  durch  die  politische  Fresse 
aufgebauscht  worden. 

Zum  SehfaM  nabm  die  Verwamwlnwy  mit  Hi^oritStsbeBQhlue  die  ?in 
Dr.  Credner  MljBieeteUteii  Sitie  ml 


Bm  F«ttlMlllCSt 

WUiraid  des  Credner'schen  Vortrages  und  der  Bich  Dun  antchUefleadea 
Debatte  waren  die  StondeB  weit  Aber  HUttair  hiaaittgerttekt.  Der  noa  folgeade 

Gegenstand  der  Tagesordnung,  das  Feeteasen  fan  Casino,  fknd  eine  rei^e  Be- 
theilignngf,  Honderte  von  ITnnerig:en  waren  nach  dem  festlich  geschmückten 
Saal  geeilt,  am  dort  statt  des  \Vort«ä  Lüfi'el,  Gabel  und  Messer  zu  ergreifen. 
Za  Ehren  der  Beaction  im  lieben  Vaterlande  wurde  zaerst  eine  Krebssuppe 
gegesseo.  Daan  bradite  Goneal  Heier-AienieB  den  ersten  Toast  aaf  den 
Kaiser  ans.  Der  Präsident  der  hremischen  Bürgerseliaft.  Claussen,  toastete 
anf  die  deutsche  Lehrerschaft,  Halben -Hninbure;  auf  die  Stadt  Bremen. 
Damit  waren  die  ofhciellen  Triukspruche  beendet.  Aber  es  wurde  noch  viei 
gehocht  und  manches  gegessen,  und  in  heiterster  Laune  wandelte  mau  abends 
deai  Bfirgerparic  za,  am  dort  anter  den  KUngen  der  Hnaik  Jene  lierrliehe,  im 
Henoneatalstil  abgefasste  Proclamation :  „Seid  umschlangen  Millionen,  diesen 
Kns-:  der  g-anren  Welt!"  in  gebundener  nnd  nagebnndener  Begeisteraag  weiter 
zu  preisen  bis  tief  in  die  Nacht  hinein. 


Zweiter  Tig* 

Die  iweite  HaaptTenamndanip  wurde  Hlttwoeh  ▼omittaga  11  Dhr  ant 
etawai  Yoitrage  des  Direeteia  des  Breaier  KraakenhaaseBt  Dr.  med.  Sehoii, 
tber  „die  Gesnndheitslehre  in  der  Volksschule"  eröffnet 

Zweihundert.  Jahre  sind  verfif^^sPTi .  seit  der  bertihmte  Vorläufer  Kant's, 
der  englische  Arzt  John  Locke,  iu  seinem  Erziehnngsbuche  zuerst  den  Sa^ 
aolMeUte:  aaf  die  körperliche  Erziehung  sei  ebeaao  viel  Gewicht  la  l^n  als 
anf  die  geistige.  So  eialhch,  selbetTersttedHch,  ja  hanabatfken  dieaea  W<it 
ans  IkMte  klingt  —  damals  bedeaiste  ee  nichts  Geringeres,  als  eine  unerhörte 
Neaerung,  ein  Wa^etück,  eine  nen  ^t?fd!lmmemde  Wahrheit.  Denn  noch  hatte 
sich  die  menschliche  Cultur,  namentlich  aber  die  Pädagogik  nicht  befreit 
von  dem  Banne  jener  mittelalterlich  ascetischen  Anschauung,  welche  nur  in 
Geiste  das  allein  berechtigte  Eniehangsobjeet  erbiidcte,  im  KSrper  dagegen 
nnr  ein  unwürdiges  Gefäß  sah,  ein  der  Seele  und  ihrem  Heile  feindliches 
Friaoip.  Uad  an«h  das  Loeke'ache  Wort  tbeiite  das  Schioksai  aller  grstea 


Digitized  by  Google 


—    573  — 

Wahrheiten  —  es  blieb  mnAchst  eine  Pradigt  in  der  Wäate.  BSnt  fast  drei 
Menschenalter  später  war  es  (i^m  ^pnialen  Tacqnes  Ronsseau  vorhphaltpn. 
darch  seinen  „Emile''  in  dieser  Richtung  eine  e:«  radezu  explosive  Wirkung  zu 
erzielen.  ,»£mile"  wurde  typisch  für  eine  ganze  Cultnrepoche  —  er  ist  nur 
«tu  anderes  Wert  Ar  das  pttdagofisehe  Eva&felinai  de«  18.  Jahrfannderta, 
f^atnr!  N^nr!''  hieß  fortan  die  Losnng.  „Fort  von  den  entnervenden 
Stetten  einer  überfeinerten  Cultnr:  f  at  nns  den  Händen  der  Menschen"*  Tn 
Deutschland  waren  bekanntlich  die  Fhilantiiropisten  die  Verkündiger  und  zu- 
gleich Praktiker  des  neuen  Evangeliums.  Was  und  wie  dieselbe  gewirkt:  ein 
BMednw  in  .seiner  gieWmigen,  ein  Cunpe  in  aeiiwr  tmken  pldUilrtsen,  ein 
ailtmaiin  in  seiner  gem&Bigten,  mild  harmoniMhm  Weile  —  das  braucht 
einer  Versammlung  von  Pädagogen  nicht  erst  gesagt  zu  werden.  AUein 
Wahrheiten  werden  niemals  fertig  geboren,  wie  Pallas  aus  dem  Haupte  des 
Zeus;  nur  unter  zahlreichen  üemmniseen,  Bäckachlägen  und  Verdankelongen 
vemSgen.  lie  toU  nnd  tiegni^  nn  du  Lldit  m  tnlOL  So  lit  et  andh 
der  Lodce-ItoiiBaeen'iöhen  Leiore  von  der  Oleiehbereohtigmir  der  kOrperUehen 
Erziehung  mit  der  geistigen  ergangen.  Selbst  heute  noch  ist  sie  nicht  ganz 
unbestritten,  selbst  heute  noch  «'teht  sie  mitten  in  der  PropasraTif^a.  Aber 
immer  tiefer  nnd  mächtiger  gewinnt  sie  die  Schichten  der  Gebildeten,  immer 
umfangreichere  Gebiete  macht  sie  sich  zu  eigen,  exfeeniiv  wie  intensiv.  Ja,  in 
Ihrer  erweiterten  Bedentnng  als  allgeneine  Hygieine  hat  sie  sldi  zn  einer 
hochbedentenden  Wissenschaft  entwickelt  nnd  hin  und  wieder  hat  man  unser 
Zeitalter  als  das  der  Hvineine  >>f»zeichnet.  Wie  verhält  sich  nnn  aber  die 
Volksschule  zu  diesen  Bestrebungen?  Da  ist  nun  zunächst  zu  unteräckeiden 
zwischen  praktischer  nnd  theoretischer  Hygieine  oder,  genauer  ausgedrückt, 
ifMiea  Oeasndheitspfleffe  nnd  Oesnndkeltslehre.  Ja  enierer  Bestehnnir 
ist  in  den  letzten  Jahren  Jn  unleugbar  viel  Anerkennenswertes  geschehen. 
Behttrrt(^n ,  Comniunal verbände  und  IVivate  wetteifern,  die  sanitären  Verhält- 
nisse der  Schulgebäude  so  günstig  und  zweckmäUig  als  möglich  zn  gestalten: 
die  Sckolzimmer  sind  luitig,  hell,  gut  ventilirt,  geräumig,  die  Schulbänke 
swecÜKnts^reelwnd  n.  s.  w.  Aber  enf  dem  OeMete  der  GesnndlMltilelire  ist 
nicht  viel  weniger  als  sUei  nsehzuholen.  Professor  v.  Liebig  hat  bekanntlich 
den  Satz  ausgesprochen,  dr^ss  sicli  die  Höhe  dee  jeweili^ren  Culturzustandes 
eirif  o  \'olkes  an  dessen  Verbrauche  von  Seife  erkennen  lasse.  T*m  Wort  ist 
wahr,  geistreich;  aber  es  ist  nicht  weitgdiend  genug.  Wir  mds^eu  sagen: 
der  Cnltmaostiad  einee  Volkes  Usst  sieb  erkennen  an  dem  Stande  seiner  by- 
gieinischen  Bestrebungen  nnd  soiner  bygieinischen  Einsicht.  Für  diese  Einsicht 
aber  schon  die  Jngend  zn  gewinnen,  das  sollte  eine  der  schönsten  Aufgaben 
der  Schule  sein.  Die  i>esandheit«lehre  müssta  darum  einen  obligatorischen 
Lehrgegenstand  der  Volkndinle  bilden.  Ein  neuer  Gegenstand  also?  Sind 
denn  nnsere  SefaiUer  nieht  bereits  tbertirdet?  Meine  Herten!  dass  in  unsem 
Volksschulen  m  viel  gelehrt  werde^  das  darf  auch  nur  mit  einem  Anscheine  v<m 
Berechtigung  gewiss  nicht  behauptet  werden.  Dergleichen  Klagrn  krnninrn  r\iis 
einer  Sichtung,  wo  man  der  Schule  überhaupt  nicht  wol  will,  wo  man  ihr  die 
große  Kolle,  welche  sie  sich  im  Cultnrleben  unseres  Volkes  erobert  hat,  mise- 
gönnt.  Eher  iieeii  kOnnte  man  tob.  einer  Ühetbftrdnng  der  Lehrer  spreehen. 
Wo  MdleB  sie  die  Zeit  becndimsn,  ob  smIi  noch  Gesandheitslehre  zu  treiben? 
Nnn,  ioli  meine,  man  Usst  nnwoseatlMte  Dinge  lUlen  nnd  reiht  den  neneä 

87» 


Digitized  by  Google 


—  574  — 


Gegenstand  einer  Pisciplin  an,  zn  »h-r  rr  durch  innere  Verwandtschaft  gehört: 
dem  rnterrichte  in  der  Naturkunde.  Eine  sehr  wichtige  Frag:»"  iet :  Wie  and 
was  soll  gelehrt  werd^'/  Da  ist  nun  vor  allem  featznhalten,  da^s  die  Qe8imd> 
lidtdehte  itets  mir  im  engsten  AnscUws  an  nSdisIliegende  praktüselie  Zwecke 
gelehrt  werde.  Für  Obeatdatten  wäre  in  den  Lelirrtoff  etwa  anfzanehnen: 
die  Lehre  vom  Bau  nnd  von  f^^n  VerrichtnnEren  des  menschlichen  Kürfiers: 
die  Lehi^  von  den  Xahrungrsmittelu  und  einer  gesundheitsmJlßig-en  FiTi;lhruii?; 
die  Lehre  von  der  reinen  und  von  der  verdorbenen  Luft.  Hieran  kumiten  sieh 
BDBcUJeßenrBeleliniii^  ftber  die  Vemeidiuig  von  KnaUieileii,  Aber  die  Nelli> 
wendigkeit  einer  nfichtemen  und  geordneten  Lebeneweiee,  sowie  der  Beinliek* 
keit  überhaupt;  endlich  über  die  UnschAdlicliniachnng  ansteckender  Krankheit»- 
stnffe,  über  Ventilation.  Schntzpockenimpfung:  n  derel.  Selbstverständlich  kann 
dabei  die  \  oiksschiüe  nur  grundlegend  ond  anlegend  wiiken.  Wie  aber  wäre 
nun  dieser  Stoff  Temtngen?  So,  da»  dabei  immer  der  praktische  G«iiehta> 
ponkt  nur  Geituig  komnit  leb  will  daa  an  daem  Beis|dei  aeigen.  Elna  der 
wichtigsten  Organe  für  den  Lebensnnteriialt  aind  die  Lungen;  die  Kenntnis 
derselben  ist  unentbehrlich.  Eine  eing-ehend  anatftniischc  Beschreibung  der- 
selben würde  aber  wenig  nutzbringend  sein;  selbst  die  Angaben  des  Zweckes 
der  Lungen,  sowie  ihrer  einzelnen  Theile  würde  nicht  viel  helfen.  Die  Haupt- 
sache ist,  daas  der  Vorgang  der  Atbrnmig  selbst  klar  aaaeinaadeifeaeist  ud 
begrifTen  werde,  und  dass  die  wichtige  Bolle,  welche  das  Athmen  im  Lebens- 
hanshalte spielt,  zum  Bewnsstsein  des  Schüln-^  konime.  Dabei  verachte  der 
Lehrer  nor  ja  auf  eineMittheilnng  der  chemistlien  und  physiologischen  Finessen 
des  Gasaustausches  —  je  popnlärer  sein  Vortrag  ist,  desto  fruclitbringender 
wird  er  sloh  gestalten.  Für  den  Lehrer  dagegen  erwiehst  die  Angabe,  daas 
er  sieh  den  Gegenstand,  den  er  lehren  soll,  voll  und  gins  zu  eigen  mache. 
Pamin  soll  auch  in  dem  Lectionsplan  der  Seminarien  die  (T^sundheit.*lehre 
einen  obligatorischen  Lehrgegenstand  bilden.  Hier  aber  mnss  der  Unterricht 
in  dieser  Disciplin  ein  systematisclt-wissenschaftUcher  sein. 

Ich  weise  zum  Schluts  noch  hin  auf  den  nngeJiever  wichtigen  ^nflisB, 
doi  eine  richtig  geübte  Hygielne  anf  daa  Wolergehen  und  die  Moralittt  dei 
Volkes  aasiiVit.  E-  ist  einlrrthnm,  wenn  man  glaubt,  die  Hygieine  sei  nnr  eine 
"Wissenschaft  liiv  dir  T? eichen.  Gerade  tui-  die  niedeie  Bevölkerung  müsste  sie 
sich  als  segenbnugeud  erweisen.  Han  soll  allerdings  von  der  Schale  nicht 
alles  verlangen;  aber  wir  Änrte  hoffen  doch,  daas  wir  die  Pftdagogen  noch  ge- 
winnen als  trene  VerMbidete  zur  hygieinischen  AufkUUting  des  Volkes.  (Bravo,) 

Die  ppbattr.  an  <\vr  sirli  Backliaus-Osnabriick,  Dr.  Meier-Lnbeok, 
Weber -Leipzig.  Freier-Leipzig,  Kippenberg-Bremen  und  Dr.  Credner 
Bremen  betheiligten,  sprach  sich  durciiweg  in  zustimmendem  Sinne  aus,  woram 
die  Ton  Dr.  Scholl  proponirten  Theeen  aar  Annahme  gelangten. 

Ben  zweiten  Punkt  der  Tagesordaang  bildete  der  Vortrag  dea  8eniiaar> 
lehrers  J.  Halben-Hambnrg  ftber  die  öffentliche  Sorge  fftr  die  Ter- 
wahrloste  Jugend. 

Kedner  gab  zunächst  einen  Rückblick  aut  die  bisherigen  Besti-ebongen 
einaeiner  hananer  Kianer  nnd  ganier  Oorporationea,  um  die  ge^a^  und 
köiperlieh  Terwahrioate  Jngend  ava  üueni  Blend  sn  retten.  Er  nannte  die 
bekannten  Namen  Pestalozzi,  Fellenberg,  Zeller,  Falck  nnd  Wiehern,  und  zeigte 
an  der  Hand  eines  reichen  statistischen  Materials,  ein  wie  großer  Prooentiata 


Digitized  by  Google 


—   575  — 


der  Kinder  onaerea  Volkra  dem  Elende  der  Verwahrlosang  anlieimgefAUeii 
nnd  wie  ^liVs»»!"  Pr'<rpntsatz  im  Laufe  der  letzten  Decennieii  ■'ioli  progressiv 
vermehrt  hat.  Im  Jahre  1871  mussteii  trotz  der  §§  55  und  56  des  Straf- 
gesetz-Bucheä  666  Personen  unter  18  Jahren  als  Verbrecher  vernrtheilt 
ynndm,  Nach  dner  Tcm  dam  ymiburbtsm.  Dr.  Wiehern  aufgesteUten  Statistik 
wviden  im  Jahre  1878  in  Sddeewig^HoUtein  7553  Bettler  anlisegrilfeii.  Ton 
denen  1049  mit  Korrektionshaft  bestraft  wurden.  Wenn  man  nnn  erw!l<»t. 
dass  Schleswig-Holstein  nur  den  40.  Theil  von  Deutscliland  ausmacht,  dass 
dort  im  allgemeinen  Wolstand  vorwaltet,  dass  dort  seit  Ifenschengedenken 
gnte  Seimleii  ▼attoden  aind:  eo  mtg  man  sieh  ein  Bfld  machen  von  den  Ver^ 
Utttniesen  in  den  anderen  Theilen  Dentsdilanda.  Dieser  Znstand  ist  ein  se> 
cialer  Krebsschaden,  dem  zu  steuern  schon  die  Pflicht  bürgerlicher  Selbst- 
erhaltung zwingt.  Vor  einiger  Zeit  zählte  man  in  Deutschland  etwa  400 
Anstalten  fiir  verwahrloste  Kinder  mit  ungefähr  12000  Zöglingen.  Diese  Zahl 
Ton  Besserungsanstalten  Ist  nm  so  weniger  anwelehend,  als  leider  die  Anf* 
nähme  in  dieselhen  in  der  Begel  ven  confiMsioneilen  oder  peeuniftren  Bedenken 
abhängig  gemacht  wird.  Die  Errichtung  von  Besserungsanstalten  soll  darum 
weder  relisifisen  Genos'^'^nsfliaften  noch  privaten  ünteniehnmn^en  flberlassen 
bleiben.  Am  Ende  fasste  der  Redner  den  reichen  Inhalt  seiner  Auseinander^ 
aetiungen  in  sieben  Thesen  zusammen,  mit  deren  Verlesung  er  seinen  sehr  bei- 
ftlUg  aufgenommenen  Vortrag  beschloes. 

Zum  Schlüsse  sprach  noch  Professor  Dr.  Hertzer- Berlin  vor  liedentend 
feliehtf*T«ni  Rt-ihen  über  dn?  Z<'ichnen  in  der  Volksscli nie. 

Seine  Austührungen  beschiilnkten  sich  auf  die  Verlesung  der  von  ihm 
aufgesteUten  Thesen  und  einige  Bemerkungen,  welche  er  an  dieselben  knüpfte. 
Letsteren  nach  soll  der  Zeiehennnterridit  nidit  hles  Fertlglnit,  sondern  wie 
jeder  andere  Unterricht  allgemeine  Bildung  erzielen.  Auch  darf  er  nicht  nur 
für  die  ftlhigsten  Schüler,  sondern  er  mnss  für  alle  berechnet  sein  nn  1  d -m- 
gemäli  als  Massennnterricht  behandelt  werden.  Die  von  der  Vei*damuilung 
gutgeUeil^ueu  Thesen  lauten: 

1)  Das  Llniennets  nnd  das  Pnnirtaeiduien  ist  sowol  vom  pBdagogisehen 
als  vom  hygieinischen  Standpunkte  aus  verwerflich. 

2)  Als  Vorbereitung-  für  den  Zeiebenontetricht  ist  ein  speeieller  An* 
schauungsuuterricht  zu  empfehlen. 

3^  Der  Grebrauch  von  technischen  Hilfsmitteln  ist  zu  verwerfen. 

4)  Die  Oenanigkdt  einer  Handseiohnung  ist  nieht  vom  mathematisehen 
Standpunkte  ans  za  benrtheUen. 

5)  Das  Z' iehnen  nach  kttrperUchen  Oehüden  ist  als  höehite  Stnfe  in  der 
Volksschnie  zu  lehren. 

6)  Der  Unterricht  muss  unbedingt  als  Massennnterricht  behandelt  werden. 

Dritter  Tag. 

Auf  wiederholtes  eindringliclies  Bitten  seiner  nfllieien  Freunde  ließ  Dr. 
Dittes-Wien  sich  bestimmen,  am  dritten  Uaaptversammluugstag  über  den 
hentigen  Stnnd  der  dentschen  P&dagogik  na  referiren.  StArmiseher 
Applana  hegrUto  den  Redner,  nrimtenlanger  BeifUl  dankte  ihm  für  seinen 
Vortrag.  Naeh  einer  charalEteristisehen  Orientining  ftber  seinen  snbjectiven 


Digitized  by  Google 


—  576 


Standpunkt,  den  er  di^'spm  Thema  g-f  erenüber  festzuhalten  habe,  coustatirte 
Dr.  Dittes,  dass  man  derzeit  nicht  mit  sehr  heiterer  Stimmong  au  die  Be* 
qurechiing  dieset  0«gei»taiide6  geben  ItSta».  Die  Zdt  sa  frendi^n  Ges&ngcn 
ist  MgeBbliddidi  sidit  Toiliaiidcn.  Die  segoiwlrtig»  I>ldjmüt  >^  ta  der 

Theorie  wie  in  der  Praxis  eine  gewisse  Unsicherheit,  ünstetigkeit  und  Unbe- 
stimmtheit, einen  Kampf  zwischen  zwei  Oes'eTiRätZHn .  A\p  sich  niitcinamVr  so 
wenig  vertragen,  wie  einst  das  piolemäische  und  kopemikanisclie  Weltsystem. 
Gegenwärtig  liegt  eine  antonome,  selbststAndige  Pädagogik  im  Kampfe  mit  eioir 
abUogigeo,  gelrandeiieD  PidAgogflu  Jene  kenn  uaii  eli  de  Übcneuguag»> 
diese  als  die  Aatofitttspädagogik  bezeichnen;  jene  ist  die  classische,  wahre, 
di*^sp  die  verdorbene,  unechte,  man  kann  si»^  mit  Recht  eine  Afterpftdagogik 
nennen  ;  jene  wird  durch  den  Namen  Diesterweg  charakterisirt,  diese  durch  den 
Namen  ätiehi.  Die  Vertreter  der  Überzeugungspädagogik,  unter  sich  sehr  ver* 
sehiedeii,  waren  und  sind  doch  darin  einig,  da»  nv  das  als  wahr  undgotasf- 
zustellen  sei,  was  der  persönlichen  Übenengang  entspricht.  Absolute  Wahrheit 
freilich  ist  (Inniit  nicht  unbedingt  gegeben ,  w^l  ^{hcr  ist  fler  Wp:r  bszeichnet, 
zur  Übereiiistiiiimung,  zu  testen  Normen  zu  gelangen,  l'i»  rWij5euj?unkrsp.'lda- 
gogik  chaiakteh&irt  sich  durch  die  treue  Hingabe  au  die  Ideale  der  MeQ2>ch- 
lieit  Bin«  Wissenadiaft  oder  Kimsti  weklM  sidi  dieeee  gOttUeboi  ürspnmgt 
entäußert,  die  zeitlichen  EinflüsBen  folgt»  sieh  von  theologische»  Satnmgen  oder 
bureankratisclien  Ordonanzen  bestlmmfü  und  lenken  Ü^ss»^;  eine  solche  Wis^f^^n- 
schaft  oder  Kunst  verliert  ihre  Würde:  sie  wird  zur  Ma^d,  die  jedem  dient, 
der  ihr  augenblickliche  Vortheile  zu  bieten  vermag  oder  zufällig  über  die  Ge- 
walt veilfigt.  Das  Jahr  1848  hat  allerdings  den  Onmdsatz  prodamirt:  JH» 
Wissensehaft  nnd  ihre  Lehre  ist  frei"  —  and  noch  heute  findet  sich  dieser 
Grundsatz  in  tV-v  StaatsverfaRSung:  verschiedener  LUnder,  auch  in  der  <>i.ter- 
reiclis.  Auf  die  i^ildagogik  angewendet,  würde  dieser  Satz  lauten:  ..Die  F'äda- 
gogik  uud  ihre  Praxis  ist  frei!"  llan  findet  es  aber  gerade  hente  ttir  uoth- 
wendig,  die  Fidagogik  unter  die  Botmifiigrkeit  der  Theologie  an  steUen.  Des 
entspricht  sowol  den  Traditionen  der  orthodoxen  Theologie,  wie  auch  d«Miidss 
Staates,  soweit  Staat  eben  nur  ein  anderes  Wort  für  Beamtenherrschaft  ist. 
Es  steht  t>Rt.  dass  es  neuerdintrs  im  größten  Staate  Deutschlands  Maxime  ist, 
za  Semiiiardirectoren  und  Schuiiäthen  einzig  und  allein  conservativ-ortbodoxe 
Theologen  an  erwählen.  Wer  diese  Qnalifleation  nieht  hat,  ist  Tsn  der  BelQr- 
denmgsiiste  eo  ipso  ansgeschlossen.  In  hohen  Kreisen  besteht  einaud  die  Mei- 
nung, dass  die  Theologen  an  dcfa  selbst  geeigfnet  seien,  in  die  „Mysterien  des 
VolksKrhnlunterrichts  einzudringen."  Damit  ist  aopdriicklich  anerkannt,  dass  die 
Pädagogik  ein  Anhängsel,  ein  iutegiirender  Bestaudtbeil,  eine  Domäne  der 
Theologie  sei,  weder  eine  specielle  Bildung  noch  eine  besondere  Befthigurg 
voroOBsetae,  Nun  gibt  es  allerdings  kein  Ifysterinm  der  Fftdagogik.  Wenn 
man  an  hoher  Stelle  gleich wol  von  einem  solchen  spridit»  so  kann  dies  natür- 
lif'h  nur  .«af irisch  L'^'ir.cint  sein,  falls  mnn  nicht  annehmen  will,  dass  es  aller- 
dings eine  Geiste8\  - 1  tVisBung  gibt,  bei  weiclier  wirklich  die  Pädagogik,  beson- 
ders die  Volksschuipudugogik  ein  Mysterium  ist. 

Li  der  Verhfaidmig  swlschen  Boreankratle  nnd  Theologie,  swlsdieii  w«lt> 
lichem  und  geistlichem  Absolutismus  liegt  derzeit  das  große  Ül»el.  welches  die 
normale  Entwicklung  der  Pildagogik  hemmt.  Zur  Charakteristik  will  ich  eini^ 
Belege  anfuhren.  Unter  den  pädagogischen  Schriften  vorigen  Jahres  befindet 


Digitized  by  Google 


—   577  — 


sich  auch  ein  in  seiner  Weise  recht  gutes  Buch  nnt^r  <!> m  Titel:  „AnleiTnng^ 
znr  Vorbereitune'  anf  das  zwdte  Examen."  Da  kommt  mifi  u  a.  die  sehr  ein- 
dringliche \S  aiirnug  vor,  daes  man  sich  ja  vor  Änikruugüu  hüten  solle,  die 
im  WidenfHudie  mit  dw  hemcheodeii  Avthmaag  Bttind«L  Die  Wannmgluit 
ihre  verl)ürgt«  Vorgeachichte:  Ein  Pr&fangs-CaadidAt  hatte  für  die  schriftliciie 
Arbeit  das  Tliema  erhalten:  „Die  ideelle  Volksschule'*.  Er  arbeitete  das  Thema 
nach  bestem  Wist^en  und  (.bewiesen  aus,  belum  aber  darauf  den  Beseheid,  dass 
er  infolge  dieser  Arbeit  wegen  „anreifer  Gedanken"  von  der  vereiteren  Prüfling 
augeschloesen  werden  rattste.  Worin  bestanden  aber  diese  mmilen  Gedanken? 
Der  Examinand  hatte^  nicht  für  die  Gegenwart,  aondeni  ftr  die  Zuknoft»  Ar 
die  ideelle  Volksschnle,  den  Wegfall  des  confessionellen  Religionsonterrichte 
verlangt.  Wenn  man  nun  bedenkt,  das<s  MJlnner,  \velc1i<'  der  Sache  ganz  objek- 
tiv gegenüberstehen ,  wie  z.  B.  UniversitüU»profe8£ureD ,  dass  femer  ganze 
Nation«!,  wie  s.  B.  die  Encoder,  die  Belgier,  die  Nord-Amerikaner,  den  con- 
fteiioDenea  BeüigloosnnteRiebt  in  der  VeUnschiile  flr  wimnlmiiiif  erUSren,  so 
stellen  sich  dergleichen  Vorgänge  doch  nor  als  Uafliegeln  dar,  ein  decadlig 
ptivilegirtes  StaatsJ^ysteni  conseqnent  durchzuführen. 

In  dem  genannten  Bache  findet  sieh  eio  weiterer  Kath:  „Erkundige  dich 
wlhrend  der  Vorbereitong  auf  deine  Präfang  genau  nach  den  Lehrbüchern,  die 
der  Examinator  xn  Grande  legt'*  Dieser  Anweisung  nadi  legt  also  der  Herr 
Examinator  ein  Bach  za  Grande,  dem  er  seine  Prüftingsfragen  entnimmt,  and 
der  ExHminand  soll  aas  diesem  Bache  seine  Antworteti  geben.  Darin  zei^  sich 
doch  eine  recht  niedrige  Anffassan^  des  ^nnzen  BiiduiigHproc^  sses,  eine  hand- 
werksmäßige Abrichtang  liii*  den  Exameutisch.  Auf  perüuuiiche  Einsicht  und 
Überseiguuff  kommt  es  dabei  nicht  an,  entscheidend  Ist  die  InSere  Antoritftt 
Je  htther  Einer  aofderStnlbnleiter  des  Mandarinenthums  .stellt,  desto  mehr  Gel- 
tang können  seine  Meinungen  in  Anspruch  nehmen,  und  die  höchf^te  Walirheit 
liegt  einfach  in  der  höchsten  Instanz.  Damit  ist  aber  jede  ireic  l)i.scu!>sion 
abgeschnitten.  Vor  etwa  5  Monaten  schrieb  eine  deutsche  Schulzeitung  in  einem 
Frognunmartikel:  ,J>as  Natt  wfthlt  sieh  »i  Leitsternen  zwei  allerhSeliste  Bot« 
Schäften:  eine  von  nnserm  lieben  Vater  im  Himmel,  gegeben  vor  1B82  Jahren, 
und  eine  von  nnscrni  erhabem-n  Kaiser,  peg-e^en  vor  einem  Jahre."  ist 
nun  g-t'wisR  ehrenwert,  dass  man  dem  Oberhanpte  eines  Staates  Hochaciitung 
und  Eiirfurcht  zollt;  aber  damit  kann  doch  nicht  das  erste  Gebot  des  Katechis- 
nins  aufgehoben  werden.  Dies  wird  aber  anfjgehoben,  wenn,  wie  hier,  eine 
Gleichsetzung  des  irdischen  Herrn  mit  Gott  stattiindet.  Eine  unparteiische 
Discussion  ist  da  nicht  mehr  möglich.  Man  geht  aber  nicht  blos  bezüglich  der 
Autorität  der  Person  ühn-  die  statthatT*' <Trenze  hinaus,  sondern  auch  li  -züglich 
d«  Stoffes,  den  man  der  i'üdagogik  einverleiben,  und  desGeiBte«,  den  man  ihr 
geben  wilL  Wie  sehr  dies  der  Fall  ist,  beweist  eine  Abhandlang  In  einer  der 
angesehensten  pftdagogischen  Zeitschriften  Deutschlands  über  die  „allgemeine 
Volksschule".  Es  wird  da  gesagt:  Theoretisch  möge  eine  Schule,  in  welche  die 
Kinder  aller  Stftude  vom  6.  bis  10.  Lebensjalire  gebildet  werden  sollen,  selir 
empfehlenswert  erscheinen,  praktisch  aber  sei  sie  unaustuiirbar,  da  es  nicht 
angehe^  dass  TaglOhner,  Landräthe  oderBegierungsrätbe  anf  ein  anddersdben 
Sehnlhank  dtien.  Nnn,  Kinder  Us  nm  10.  Jahre,  and  aneh  etwas  Ültere  sind 
keine  Taglöhner,  Land-  oder  Regierungsräthe.  Aber  das  Blatt  geht  in  seiner 
CarUuning  der  Idee  der  einheitlichen  Volksschnle  noch  weiter.   Es  sagt,  dam 


Digitized  by  Google 


—  578  — 


die  allgemeine  Volksschiilo  den  Grundsatz:  Xon  s(:h(»l;ip.  J^f^l  virael  mit  Fiil5en 
trote:  das»  d»»r  TasrliiLaenssohn,  der  vielleicht  den  Sohn  des  Land-  oder  Retrie- 
ruiigurathes  in  vieler  Beziehung  iibertroflen  habe,  sich  später  nicht  leicht  darein 
finden  werde,  dats  dieser  pro  Tag  15 — W  Mark  yei^ene»  wUitend  er  vdt 
1 — 2  Mark  mfHeden  sein  müsse:  dass  dies  ein  System  sor  Erziehnng  der 
Socialdemokratie  sei.  Sehen  Sie.  ni.  H..  das  sind  auch  Argumente,  bei  denen 
man  sicli  nur  wundem  mus«.  wie  ein  anptsehener  Schriftsteller  unter  seinfin 
Namen  dergleichen  Unsinn  drucken  lassen  kana.  Bekanntlich  ist  die  Social- 
demokratitf  aebon  da,  die  allgenwine  Volkaiehide  soll  aller  erat  werden.  Man 
bea^lmet  alao  das  Znkfinftige  ab  dieUraache  dea  Gegenwärtigen.  Detgleicbea 
widersinnige,  mit  Gewalt  herbeigezogene  Deductionen  können  doch  wol  nur 
darauf  bt  nrhnet  sein,  die  Gunst  höherer  Kreise  zu  finden.  —  Wenn  gesasrt 
wird,  die  allgemeine  Schule  bilde  nicht  für  das  Leben,  so  kauu  man  dagegen 
fragen:  w«a  heiftt  denn  Leben?  HdEt  Leben  etwa,  daaa  alle  Kinder  bei  Ein- 
tritt in  die  Sehnte  aofiprC  etikettift  nnd  abgeatempelt  werdton  mlaaen  naeb  deia, 
was  sie  später  werden  sollen?  Wer  kann  denn  das  wissen?  Es  kann  ja  fe* 
schelten,  dass  der  Sohn  eines  Tagflöhnt^rn  ein  Landrath  wird,  und  nmg-ekehrt. 
Was  m&  den  Kindern  später  wird,  das  geht  den  Volksschullehrer  zunächst  gar 
nichts  an.  Wir  haben  keine  Taglöhner,  keine  Landrftthe,  keine  Regierungs- 
rithe  in  der  Schule,  aondem  nnr  Kinder.  Die  daaaiacbe  FSdagogik  apridit 
auch  in  dieser  Beziehung  anders  als  die  Afterpftdagogik.  IHe  Volkaachule  soll 
allerdinprs  fih-^  T,'»>ifii  >'i)'lpii  nifli»  iKtr  tnr  momentane  Verhältnisse  abrichten. 
Nicht  in  der  I'llege  des  (»»-.stern  und  Heute  lieirt  die  Aufgrabe  der  Erziehung. 
Es  gibt  ein  Wort  von  Kant,  wonach  die  Erziehung  erfolgen  soll  nicht  tlir  den 
gegenwftrtigen,  aendem  für  den  mkUnftigen,  mOgUefast  beaaeren  Zoatand  der 
Gesellschaft.  Die  ofßcielle  Pädagogik,  wdche  aich  auf  theologische  Satzungen 
stützt,  nennt  als  ihr  Princip  ..die  Erzielumg  zur  Ebenbil  HiVlikeit  Gottes.'-  Ja, 
wenn  man  nur  von  Seiten  derei-.  dit^  es  bt-kennen,  allen  Lrustes  daran  sringe. 
es  zu  verwirklichen.  Ist  denn  aber  das  da»  Ebenbild  Gottes,  was  uiau  iu  der 
Praxis  ihrea  Systems  aoa  den  Kindern  maeht?  Ba  war  einmal  eine  Zeit  — 
sie  hat  ungefiilir  ICKX)  Jahre  gewährt  —  wo  die  Geistlichkeit  allein  die  gaaae 
BiMune:  de.s  Volkes  beherrschte.  Da  kam  t^in  Mann,  der  .selbst  diesem  Stand-' 
ani?ehdrte,  ijUther,  und  besah  sich  das,  was  aus  den  Mensehen  jareworden  war 
unter  dieser  Erziehung  zum  Ebenbilde  Gottes.  Er  fand,  da;»  „das  Volk  auf- 
wncfaa  wie  das  liebe  Vieh  vnd  die  nnvetnflnftigen  Säne.** 

Nun  noeh  ein  paar  Beispiele,  die  «na  zeigen,  dass  sich  die  AntoritltB* 
pSdatro^ik  nicht  blos  in  die  Erzieh nncr.  sondern  anch  in  die  rnterriehtsnietli'-dp 
einzusclileichen  beginnt.  Vor  nicht  lauger  Zeit  stand  in  riner  be.sseren  deutschen 
Schulzeitung  folgender  Passus:  „Wir  können  constutiren,  dass  die  gegen  die 
NonnalwSrlennethode  geriebtete  ^riimung  an  maßgebender  SteDe  beaditet 
wird,  nnd  ao  iat  an  hoffen,  daaa  die  NennalwOrtennethode  amtlich  snr  Dis- 
position gestellt  wird."  Das  ist  denn  doch  ein  Appell  an  die  Gewalt.  Maß- 
gebende Stelle  —  was  heißt  denn  das?  Heißt  das  die  Stelle  der  pMdafi-nansch-  n 
Wissenschaft  .'  oder  heißt  das  nicht  vielmehr  die  Stelle,  die  gerade  jetzt  die 
Regierungsgewalt  in  Hftnden  bat?  Ja,  wenn  einmal  diese  Stelle  ftber  Fragea, 
welchen  Jahriiiinderte  lang  die  aotgftltigaten  ünteraoebangen  mdBemfibangen 
der  Fachmänner  gewidmet  waren,  dnndi  Reglements  entscheiden  zu  ktenea 
meint,  dann  kennen  wir  die  ganze  Pttdagogik  einfach  peoaionireii  nnd  die 


üiyiiizeü  by  GoOgle 


—   679  — 


Lehrerbildangsangtalten  schließen.  Wie  sich  tibrig"pn8  sonst  frcisinnig'c  MSnner 
zu  solchem  Princip  bokeniuMi  können,  das  ist  mir  unbegreiflich,  ilan  ver- 
minst hier  geradezu  da«  Staudesehrgemiii.  Hat  mau  je  gehört,  da£s  sich  ein 
HfidioiiMr,  ein  Naftuftneher,  ein  Mathematiker  oder  Hiatoriker  in  Streltfraireii 
an  die  wXUkBgebende"  Instanz  um  Entscheidung  gewendet  hätte?  Das  sind 
aber  Symptome  des  gegen w-irtigen  Standr  ?  dnr  deutachen  Püfbgogik.  In  einer 
riPTTprpn  Schrill  verlangt  in;m  sogar.  Kegieruug,  Geset^t^ehung  und  Staatsver- 
waltung sollen  staatliche  Aultiichtsorgane  schaffen,  die  fdr  iautrichtiges  Lesen 
nd  Singen  sorgen.  Aniterdem  wird  gefbrdert,  daaa  eine  OentralgeBangeehnle 
nnter  staatlicher  Leitung  errichtet  werde.  Nimmt  denn  diese  Sehnsiuilt 
nach  Verstaatlichung  gar  kt'in  Ende?  Und  da  wundert  man  sich,  da.ss  hcnte 
groie,  origiuelle.  bahnbrechende  Pädagogen  nicht  mehr  auttreten.  Männer  wie 
Comeoina,  Aug.  Herrn.  Fraucke,  Bochow,  Pestalozzi  etc.  wären  heute  einfach 
gar  nickt  möglich,  weil  ele  Yen  dem  etantUehen  Zwangsappant  erdiflckt  wer- 
den würden. 

Leider  wird  es  noch  eine  Zeit  dauern,  bis  der  gegenwärtige  Streit  zwl- 
«•'^fif'n  autonomer  und  autoritativer  Flldagogik  entschieden  sein  wird.  Im  Augen- 
blick steht  er  so,  dasa  die  zweite,  die  auf  Ordonnanzen  beruhende  Pädagogik, 
das  Übergewicht  gewinnen  wfli  ün  Intereese  wirklicher  If enscbenbildiuig  mow 
man  wtUtscheOt  da»  bald  eine  Wendung  nun  Beawren  eintrete.  Trübe  ist  die 
Zeit;  verzagen  aber  wollen  wir  nicht.  Der  augenblickliche  Niedergang  d^ 
^efsti-j-en  T.ebens  erklärt  sich  sehr  finfuch.  Die  deutsche  Nation  hat  in  den 
letzten  zelvu  Jahren  ttülitärii»ch,  politisch,  legislativ,  tinanziell  so  Aul^erordent- 
licheä  zu  leisten  gehabt,  dass  naturgemäß  eine  gewisse  Erm&dnng  eintreten 
mnmte.  Dbt  Menseh  ist  eben  k^  Gott,  nnd  anek  ein  ganaee  Tolk  kann  nicht 
über  seine  Kraft  hinaus.  Eine  Nation  aber,  die  in  kurzer  Zeit  so  Großes  ge> 
leistet,  darf  man  nicht  misstranisch  ansehen,  wenn  sie  anch  '^iiiio-p  Jahre  die 
Flügel  hängen  lässt.  Das  deutsche  Reich  wird  sich  wieder  erholen,  wir  sind 
dessen  gewiss.  Wir  klagen  über  die  jetzigen  »chlechten  Zeiten,  wir  haben 
eehleehtere  gehabt  Denken  Sie  t.  B.  an  den  Niedergang  der  dentaehen  Nation 
im  späten  lOttelalter :  denken  Sie  an  die  Sehmach  dea  dentsohen  Reiches  zur 
Zeit  des  SOjährijren  Ivri  g:^;  oder  denken  Sie,  was  Ihnen  näher  liegt,  an  die 
Helden  ivnsei-es  Btirufes,  au  Comenins,  Pestalozzi,  Diesterweg.  Ihr  Lebensabend 
war  trübe,  aber  sie  verloren  nicht  die  Hoffnung  auf  den  Sieg  ihrer  Ideen.  £a 
ist  meine  Überzeugung,  m5ge  sie  anch  die  Ihrige  sein:  Die  Znknnft  der  den^ 
sehen  Päda^sroßrik  liegt  nicht  in  der  Eneehtachaft,  sondern  in  der  Freiheit.  Ob 
wir  diese  Zukunft  erj.  VfPii.  ob  nicht  —  w  ir  werden  an  sie  glauben  und  in  treuer 
Päiditertüllung  uus  mit  ieni  Worte  trösteu:  „Wer  den  Besten  seiner  Zeit  genug 
gethan,  der  hat  gelebt  für  alle  Zeiten.'*  (Demonstrativer  Beifall,  Erheben  von 
den  SitspUtastt.) 

Ala  sweittr  Punkt  war  der  Vortrag  des  Lehren  H.  Winter- Nürnberg 
auf  die  Tagesordnung  geseM:  Dar  Lehrer  Im  Kampf  gegen  das  Vor- 

Brtheil. 

Der  Vortragende  entwickelte  zunäclist  eine  Definition  des  Begriffe  »Vor- 
irMl''.  Darnach  ist  Vomrtheil  jede  Meinung,  die  ge&sat  wird,  ohne  dass 
amn  den  Gegenstand  derselben  der  Kritik  der  Vemnnft  nntentellt»  oder  auf 
der  man  trotz  bessei'er  Erkenntnis  b^rrt.  Während  also  der  vorurthcilsfreie 
Mensch  seiner  Vemnnft  als  einzigen  nnd  höchsten  Instanz  das  Bichtamt  über 


üiyiiizeü  by  GoOgle 


—  680  — 


Beine  Thaten  zuweist,  ignoiirt  der  vorui  thiüsvolli  diese  höcbstp  Kichteriu seines 
Verhaltens  and  Terf&Ut  dadurch  natarnoihweudig  dem  — Imham.  Dennveiui 
m  efaieni  2äele  aw  ein  Weg  Alirti  to  begflit  dch  jeder,  dw  dieaen  Vftg  fvt' 
KhmMht,  nottiwendiflr  einen  Irrweg.  Heranageboren  «u  imiirekhenderEr* 
kenntnis,  aus  Denk-  und  Unheilsunfilhigkeit,  oder  aber  g^ezeitijßrt  durch  den 
niedrigen  treist  der  Selbsteuclit,  der  das  menschliclie  Wollen  unter  keiner  Be- 
dingung geleitet  und  beherrscht  wissen  vtiil  von  vernttnltiger  Erkenntnis,  vom 
Uaren  Geiiakeii,  enehetait  das  Vemtfaefl  Ib  sdaeB  imiihWmTm  fioMMiiBg» 
formen  stets  als  mit  der  Verleagning  der  Yemiuift  identisch,  also  als  Unvw- 
nnnft.  So  gewiss  aber  klares  Denken  nnd  vernünftiges  WoUeo  nie  als  dea 
Menschen  angebome  Attribute  g^acht  werden  kennen.  *:o  gewiss  vielmehr  der 
edelste  Schmuck  des  Menschen,  die  sittlich  freie  I'erbönlichkeit,  nur  aal'  dem 
mfihsamen  Wege  emstMter  Selbstarbeit  errangen  werden  kann,  so  gewiss  i^ 
anch  jeder  Mensdi  einerseits  verpflichtet,  imermfldet  darnach  n  streben,  das 
das  eigene  Thun  und  Lassen  den  Stempel  der  Vernunft  trage  (Kampf  g^en 
das  eigene  Vorurtheil),  und  andi  rfrspits  herechtiift,  jede  Art  von  Unvernunft, 
also  auch  jede  An  von  Vorurtlieilen,  die  von  außen  an  ihn  herantreten,  als 
tmbereehtigt  zurückznweisen  (Kampf  gegen  das  fremde  Vormtheil^.  Diese 
Doppelfordenmg  erscheint  geradem  als  ein  Peetniat  des  tegiMhen  Hechtes, 
ünd  von  dem  Augenblick  an,  wo  es  uns  gelingt,  den  Satz  ails  richtig  zu  er- 
weisen,  dass  jedes  Vorurtheil  den  Fortschritt  schädige,  kann  sieh  kein  ehrlicher 
Mensch  mehr  der  Theilnahme  am  Kampfe  geg'en  das  Vornrtlieil  auf  dem  Boden 
des  logischen  Bechtes  eutzieheu.  —  Fortschritt  in  ehilicliem  Sinne  ii»t  die  Ver- 
edelnng  des  Zweckes  und  der  Formen  des  menschUehen  Daseins.  Sein  Ziel  heilt 
also  Henschenglflck.  Welche  Mittel  stehen  dem  Mfimh^w  sn  Gebote,  um  an 
der  Ver*'<^e1nng  seines  Daseinszweckes  und  seiner  Daseinsformen  mitzuarbeiten? 
Ich  kenne  nur  eines:  e«  heißt  Vernunft.  Cultur  der  Vernunft  —  so  heißt  der 
Weg  zum  Glfick.  So  gewiss  dahei*  jeder  Mensch  berechtigt  ist,  nach  G^lüek- 
Seligkeit  m  streben,  so  gewiss  ferner  einzig  und  allein  der  W^  der  Yenimft 
dieeem  Ziele  idüier  ffihren  kann:  so  gewiss  auch  ist  jeder  Mensch  Terpdi^tet» 
jede  Art  von  Unvernunft  zu  bekämpfen.  Walirheit  und  Eeoht  fordern  von  jedem 
Menschen  die  Theilnahme  am  Kampfe  gegen  das  Vorurtheil.  nnd  vor  dem  Altar 
der  Wahrheit  and  des  fiechtes  ist  jeder  Mensch  zam  Priesterdieust  berufen. 

Auf  dem  Boden  der  Wahrheit  und  des  Rechtes  haben  anch  Schule  und 
Lehrer  ihren  Kampf  gegen  das  Vorarthefl  in  llihren.  Nach  nrei  BkbtnnKtB 
hin  enveist  sich  der  niedrige  Geist  des  Vorurtheils,  der  Geist  der  Lüge  und 
der  Selbstsucht,  als  Schädigung^  der  Volksschulsachc:  eiim^a],  indem  man  dem 
Lehrerstand  das  Sti-ehen  nach  geistiger  Mündigkeit  zum  ungerechten  Vorwarf 
der  Sdhatilberliebuii^  maeht  £a  ist  ja  wahr:  Im  Lehrerstande  genaa  so  wie 
in  jedem  anderen  Stande  gibt  es  solche  Elemente,  die  das  Schlehaal  mit  dem 
Papiergeld  der  —  Einbildung-  entschädigt.  Allein  im  Dienste  einer  guten 
Sache  stellen,  sich  dabei  stets  unter  voller  sittlicher  Verantwortlichkeit  sein^ 
Verhaltens  wissen  und  eben  deswegen  auch  als  sittlich  freie  Persönlichkeit 
respektirt  sein  wollen:  das  ist  nicht  Selbstuberschatzong,  das  istSelbstsehätzung. 
'„SÜbataehfttnmg  aber,  hoher  Ldienaherr,  ist  lange  nicht  ao  aohnUe  Sünd*  ab 
Selbsterniedrigung  Dann :  genau  dieselben  vcnrtheilsfreundliclien  Elemente,  die 
dem  Lehrerstand  das  Streben  nach  geistiger  Mündigkeit  zum  nnjf »^rechten  Vor- 
worte der  Selttötüberhebong  machen,  wollen  es  auch  der  modernen  Schule  nicht  vcx*' 


üiyiiizeü  by  GoOgle 


—  &81  — 


zeihen,  dass  sie  sich  die  geistige  Mündigmachnng  des  Volkes,  die  DnrchbildunjE: 
der  Massen  als  Arbeiteziel  klar  und  bestimmt  ^•orp'ezeichnet  hat.  Alle  licht- 
scheuen Elemente,  welche  sich  allerwttrts  mit  auääiliger  Beflissenheit  zosammen- 
flBduii,  iliid  befangen  von  jenem  ]iiedrig«ii  Wahn,  dar  hante  iM»eh  die  uithelldoM 
Heng«  glauben  machen  mOchte,  dal»  der  Meniehlielt  das  Glttck  zugemessen 
and  zügt'zllUt  sei,  dass  also  Millionen  Menschen  so  viele  Freuden  des  Lebens 
entbehren  müssten,  weil  die  Hunderte,  die  sie  genießen,  sie  nur  daun  genießen, 
wenn  Millionen  sie  entbehren.  In  dieser  niedrigen  Sinnesart  wurzelt  das  ab- 
lehnende  Veriialten  gewieeer  Kreise  gegen  die  Denkachnle  deel9.  Jalnlinnderls. 
Es  ist  jn  richtig,  mit  der  Vemllgemdnerang  klaren  Denken»  nnd  Temfinftigen 
Wollens  werden  sich  manche  Zust&nde,  Verhältnisse  und  Einrichtungen  als 
unhaltbar  erweisen:  allein  daraus  kann  doch  der  Vernunft  keine  Rchnld  er- 
waciiseii.  Alle  Zustände,  Verhältnisse  nnd  Einrichtungen ,  die  vor  klarer, 
■acligemftSer  Einsicht  nicht  bestehen  klinnen,  sind  überhaupt  nieht  wert,  dass 
rie  betteken;  nnd  selbst  des  MsUnlScfae  Beeht  kann  seine  Beweiskralt  nnr  be- 
halten in  Verbrttdemng  mit  dem  logischen. 

Tn  dem  Sinne  weiß  sich  die  Volksschule  der  GegpTiwart  im  Dienste  des 
Fortschrittes,  dass  sie  klares  Denken  und  vemttnftiges  ^Voileu  hineintrage  in 
die  breiten  Schichten  des  Volkes,  auf  dass  auch  der  Niedrigste  und  Geringste 
befthig:t  werde,  an  der  Veredelung  seiner  Daseinssweeke  nnd  Daseinsftwnien 
mitzuarbeiten.  Und  auf  dem  Sinn  müssen  wir  nm  so  fester  beharren,  je  mehr 
die  rückwärtstreibenden  Elemente  unser  Programm  verdächtigen  und  unser 
AnfsTreben  erschweren.  Wir  dürfen  es  uns  nicht  verhehlen:  unsere  Situation 
i&t  zur  Stunde  eine  außer  urdeutlich  ernste;  allein  wir  mOgeu  auch  nicht  zagen. 
Wir  dürfen  sogar  heltoi,  dass  man  ans  von  der  Seite,  ven  der  wir  in  sehftneren 
Tagen  als  treue  Kampfgenossen  begrüßt  wurden,  und  die  uns  augenblicUlclL 
ablehnend  in  die  Ecke  weist,  in  nicht  allzuferner  Zukunft  wieder  auf  den  Plnti 
rufe.  Nun,  wir  werden  auf  dem  Plane  erscheinen,  gerufen  oder  ungerulen, 
wenn  die  Prophezeiung  sich  eriullen  sollte,  das«  die  bitterste  Seite  des  Kultur- 
kampfes, der  Kampf  nm  die  Sdinle,  erst  noch  bevorstehe.  Wir  haben  zwar 
nur  ein  Strattmittel:  das  anfUftrende  Wort.  Dieses  Wort  aber,  entquollen  den 
überzeugungstreuen  Herzen  von  80000  deutschen  Lehrern,  die  alle  ohne  Aus- 
nahme wissen,  dass  sie  tür  eine  gute  Sache  kämpfen,  es  wii'd  seine  Wunder 
wirken.  Darum  vorwärts:  wir  haben  die  Hände  voll  zu  thun,  und  der  Erfolg 
wird  trage,  sobald  wir  rastenl  (BeilUL) 

Den  letzten  Vortrag  hielt  Dr.  Brenning''RrenMn  ftber  die  lyriselie 
Dichtung  in  der  Volksschule. 

Auss-eliend  von  der  Eutwickluiip  des  Wesens  der  Lyrik,  schilderte  der 
Vortragende  das  Wesen  und  die  Bedeutung  des  Gefühles.  Der  menschliche 
Geist  bat  doe  dreülube  Form  seines  Seins:  nach  außen  verhalt  er  sich  em- 
pAogand,  in  oidnet  nnd  verarbeitet  er  die  aallrenommenen  Eindrücke, 
endlich  entschließt  er  sich  auf  die  umgebende  Welt  einzuwirken.  Bas  Empfan- 
gen stellt  das  Gefühl  dar,  da?  Ordnen  und  Verarbeiten  den  denkenden  Verstand, 
das  Einwirken  auf  die  Auiieuweit  den  Willen.  Ist  die  Bildung  des  Uenaohen 
eliK  wirklich  humane,  dann  nimmt  daran  auch  das  GeÜilil  Thal.  Nnn  ist  bis 
jetst  nnsere  Bildung  im  allgemeinen  eine  m  sehr  inteÜaktaeUe  gewesen,  die 
auf  das  Gefühl  nicht  immer  genftgoid  Bllclcsicht  genommen  hat.  Die  Bedeut- 
samkeit desselben  aber  ergibt  sich,  wenn  man  bedenkt,  dass  die  Gesinnung 


Digitized  by  Google 


—  582  — 


eines  Menschen  auf  «lessoti  iTefühl  beruht  und  die  üesinnung,  auf  die  Gesammt- 
beit  einer  Generation  bezog:en,  die  öffentliche  Meinong  bedentet.  Ans  diesem 
Gtrichtsponkte  enehdnt  denn  die  Lyrik  ein  TOisBi^iebai  Xitld  nr  Pflege 
des  Qefthla.  Sie  sollte  in  keiner  Schule  fehlen  ond  si  Omsten  derselben  sei 

es  erlaubt,  folgende  Thesen  Ihrer  Zustimmung-  zu  empfehlen: 

1)  Die  LvT-ik  ;)!s  die  aus  dem  Gefühl  stammende  und  an  das  Gef&hl 
sich  vorzugsweise  wendende  Dichtungsart  hat  darin  ihre  besondere  Bedeutung. 

2)  Die  Bildung  des  Menschen  als  eine  harmonische  mnss  anch  eine  Bfl* 
dnng  des  Geftthles  sein. 

3)  Indem  die  Bildung  des  Gef&hles  den  Menschen  emp^glich  und  zu- 
gänglich zu  mnchen  bestrebt  ist,  dient  sie  sogleich  in  bedeutendem  MaBe  der 
siltlichen  Charakt«rentwicklnng. 

4)  In  dem  Gefühl  wurzelt  vorzüglich  die  Gesinnung  des  Menschen. 

5)  Beligioii  nnd  Patriotiamiu  sind  dem  Heosdien  Ten  der  Seite  des  Oe- 
fllhles  ans  znnftdiet  sugftnglich. 

()  i  Die  Auswahl  der  ftir  die  Sclmle  zn  verwfTi  l-  ri  l- ii  lyrischen  Stücke 
iniiss  eine  beschrSnkte  sein.  r)ie  Behaudiung  driseiben  mms  sich  streng 
inuerlialb  der  Grenzen  des  Weäeuü  dieser  Kunstgattung  halten. 

Die  Versammlnng  billigte  die  vwge  tragen«  Thesen. 

Zum  SchloBM  nahm  der  erst«  Vorsitzende  das  Wort: 

Meine  Damen  und  Herren!  Wir  haben  das  Glück,  zurttckschauen  m 
können,  auf  drei  setrenfsreiche  Tagre.  Wir  haben  schätzenswerte  Anhahs- 
puukie  eriialieii  zu  weiterem  Nachdenken  und  energischem  Thun.  Es  ist  ans 
ans  Herz  gelegt,  dass  wir  aveh  flr  dae  lelbliolie  Wol  anierer  Zöglinge  Sorge 
in  tragen  haben«  Was  unser  Dittes  onageeagt^  hat  iSndend  eingeschlagen  in 
unsere  Herfen.  Pr  T^rf^nnint'  hat  uns  ermahnt,  unsere  Kinder  satt  trinken 
zu  lassen  am  Bora  der  Diciitniig.  Herzlichen  Dank  den  lieben  Bremeni.  dem 
Senat,  der  Bürgerschaft;  Dank  aU'  den  Lieb^  den  Einzelnen  und  den  Ver> 
einen,  die  eifrig  geholfen,  miaer  Fest  so  sehOn  in  gestalten!  Mit  dem  ScUmS' 
gesang:  „Nun  haben  wir  vollbracht"  und  mit  dem  Wunsche  ei&ea  frohen 
Wiedersehens  in  DarmsUdt  nach  zwei  Jahren  wurde  die  25.  allgemeine  denttthe 
Lehreryersammlnng  geschlossen. 


VaohleM. 

(Das  Bremer  Schulwesen.  —  SeetionsTersanunlttngea. Telegramme.  —  Lehnnittd* 

attasteUmig.  —  Allerlei  FestUchkeitea.) 

Das  geeammte  Sehnlwesen  des  Bremer  Freistaates  stdit  unter  der  Ober* 
asfsicht  nnd  Leitung  des  Scholarchats,  einer  Commission  des  Senats.  Die 

Verwaltung:  der  st.ldtiRchen  Sclinb'n  Hremena  führt  die  Schnldeputation,  die 
aus  den  4  Mitgliedern  des  Scholarchats,  lU  Mitgliedern  der  Bürgerschaft  und 
4  Lehrern  besteht.  Die  noch  vorhandenen  6  kirchlichen  Gremeindeschnlen 
stehen  unter  der  spedeUen  Verwaltung  Ihrer  Eirehenbehdrden.  Gemeinsame 
Angelegenheiten  werden  durch  den  Schulrath,  welcher  aus  den  4  Mitgliedern 
des  Schoiarchata  und  je  einem  Mitf!:liede  der  6  Gemeindel>ehörden  <el>ildet 
wird,  geordnet.  Die  Schulen  der  Hafenstädte  Bremerhaven  nnd  Vegesack;  sowie 


üiyiiizeü  by  GoOgle 


—   683  — 


diejenigen  dps  Landp-'  bieTs  stehen  unter  iliren  Kirchen-  und  Schul commiasionen. 
Eine  fachmännische  Beaufßichtignnj^  der  bremischen  Schulen  findet  nicht  statt. 
Za  den  höhereu  Scholen  gehört  1)  die  Haaptschnle,  welche  aas  3  Abtheilnngen 
besteht:  dem  GymnadiuD,  der  Haodebadnde  und  der  auf  beide  Torberettendfin 
Vorschule,  in  welche  die  Knaben  mit  dem  3.  Schi4jahre  eintret«a.  2)  Die 
Realschulen,  deren  Bremen  drei  besitzt:  zwei  städtische  und  eine  Privatanstalt. 
Die  höheren  Mädchenschulen,  sieben  an  der  Zahl,  sind  sänimtlicli  Privatanstalten. 
Zwei  davon  stehen  unter  männlicher,  die  übrigen  unter  weiblicher  Leitung. 
Zu  den  TelknehtaleD  in  der  Stadt  Bnmtsk  gehören  6  kirchliche  Gemeinde- 
•ehileo,  6  illitlsohe  QeUiebnlen,  5  atldtieehe  Freieehnlen,  2  vom  Staate  snb- 
ventionirte  Privatanstalten,  2  Wabenhansschnlen,  1  Frauen vereinsschnle. 
Brf>nierhaven  besitzt  zwei  8t<1dtische  Volksschulen,  Vegesack  hat  eine  spchs- 
Btunge  Volksschule.  Im  Landgebiet  befinden  sich  25  Schulen  mit  93  Lehrern, 
>  4  Lehrerinnen  und  25  Handarbeitalehrerinnen.  Die  Schulpflichtigkeit  dauert 
ftr  die  ToUDMehnlen  Tom  0.  bis  14.  Lebenqfahre.  Die  VelkaMhoIen  haben  in 
der  Regel  8  aufeinander  folgende  Classen.  Die  Zahl  von  60  Schülern  gilt 
als  die  durclisrhnittliche  Normalzalil  einfv  Clufsse  Pio  Lehrgegenstftnde  der 
Volksschule  sind:  Biblische  Geschiclite  (ein-  confeßsiuneller  Katechismns-Unter- 
richt  wird  nicht  ertheilt),  Deutsche  Sprache,  Lei>en,  Schreiben,  Rechnen,  Geo- 
graphie, OeiehlGbte^  Natinseiehlehte,  Phjnlk,  Chemie  nnd  Qeeaog.  Die  Knaben 
werden  aneh  in  Geometrie  und  Algebra  und  im  Turnen  unterrichtet;  in  den 
Mädchenclassen  wird  Unterricht  in  den  weililiclien  Handarbeiten  ertheilt.  Das 
Gehalt  an  sÄmmtlichen  stÄdtischen  Schulen  beträgt  für  die  Voi-steher  2100  bis 
30Ü0  il.  nebst  freier  Wohnung,  für  die  ordentliclien  Lehrer  löüO—  2700 
IL,  Ar  die  HiUUehrer  1000—1300  M.  In  Bezug  auf  Pendonirang  aind  die 
Lehrer  den  Staatsdienem  gleichgestellt.  *An  der  Hauptschnle  beziehen  die 
Directoren  ein  Gehalt  von  fUW) — 7CKX)  M.,  an  den  Realschulen  ein  solches 
von  b'SOO — (KKX)  M.  Lehrer  mit  akadem.  Bildung  sind  an  der  Hauptschale 
mit  3000—5000  M.,  au  den  Realschulen  mit  2700—5000  M.  besoldet.  Leh- 
rer mit  eenlnar.  fiOdong  haben  an  der  Havirtaehide  ein  Gtehalt  von  2500  bis 
4000  H.,  an  den  Realschulen  ein  soldies  von  2500—  3700  M.  Für  die  Lehrer 
an  den  Sclmlrn  des  Landgebietefs  betrilgt  das  Gehalt  1500 — 2400  M.  Sind 
die  Lehrer  zugleich  \'orsteher,  6»  haben  sie  noch  freie  Wohnung  und  melir 
oder  weniger  Guten-  und  Ackerland.  Ein  eigentliches  Seminar  mit  dre^hrigem 
Cnraoa  hat  Bremen  ere  seit  dem  Jahre  1858.  Die  dotreteadm  Seminaristen 
mfissen  das  16.  Lebensjahr  voUendet  haben.  Im  Jahre  1877  wurden  den 
3  Seminarclassen  noch  zwei  Prilparandenclasscu  hinziigefRgt,  in  welche  die  Schü- 
ler nach  vnllendeteni  14.  Lebensjahre  eintreten  können.  Das  Seminar  gewährt 
seinen  Zöglingen  weder  Wotmung  noch  Unterhalt,  Die  Lehrgegenstände  des 
Seminars  rind  die  gewöhnlichen',  Fkemdspraehen  hemmen  nidit  ▼er.  Die  5 
Classen  des  st&dtlBcheii  Seminars  werden  vim  ca.  100  ZSgUngen  besncht  Sie 
kosten  dem  Staate  jährlich  36000  M.  Für  Lehrerinn«!  bestehen  in  Bremen 
jEwei  Privatseminare  mit  zwf^ij;4hrigem  Cursus.  — 

Sectionsversammiungeu  sind  bei  Gelegenheit  der  25.  Allg.  Deutschen 
Lehrenrersammlnng  Ifinf  abgehalten  worden.  Es  qpraehen  Prsfessor  Bopp- 
Stttttgait  ttber  Flalbadlaiif  nnd  atmesphSrisehe  PressoniTf  Iiehrer  Sehier- 
ICarlsbad  über  die  Nothwendigkeit  und  Möglichkeit  der  Errichtung  von  Knr- 
hftnsem  in  Karlsbad»  £ms  nnd  lippepringe  ond  Director  Heinrieh-Pra^  über 


Digitized  by  Google 


—  684  — 


^Volksschule  und  Landwirtschaft**.  Außerdeai  iiielten  der  Veiiiii  fur  ver- 
einfachte fiechtachreibung  und  der  Redacteur- Verband  deutech -pädagogischer 
BMtt«r  je  eine  Sltnuig  ah. 

BegrSflangstelegramme  waren  eingatroffen  von  der  achlesischea  Provinzial* 
lehrerrersaminlung  zu  Ratibor.  dem  freien  Lehrerverein  in  Straßbnri^.  der 
hessischen  Landeslelirerversammlung  zu  Worms,  den  in  Corbach  versammelten 
Lehrern  Waidecks,  dem  KreMehrerverband  Wongrowitz,  wie  von  den  ächul- 
rSthen  Th.  Hoftauum  tmd  A.  Berthelt  and  von  Lehrer  Bmvn  in  CeaaeL 

Die  mit  der  Versammlttlig  verbundene  Lehrmittel -Augstellnn^  war  auf 
12  Zimmer  des  G>Tnnasiums  nnd  der  Handelsschule  vertheilt.  Sie  war  rpirti 
und  inter<  «*«ant,  ohne  i>doch  gerade  Neaes  zu  bieten.  Man  wandelte  anter 
lauter  Bekanuteu:  literarischen  UiUsuütteln  tur  den  Unterricht,  Sanunlungim 
TOB  XodeUen,  Waadtafeln  und  BUderwerkes,  CHobeo,  PlanetaikB,  TeUniea, 
Sehttlerietehmiiigep»  Zeichenleliniiitteln  u.  s.  w.  o.  a.  w.  —  ieb  dealDe^  et  ntn 
kein  Verdienst,  den  umfangreichen  Katalog?  abzuschreiben. 

Des  Glanzpnnktes  der  Festlichkeiten,  des  Banketts  im  Casino,  habe  ich 
bereits  gedacht.  Schön  war  auch  die  Festvorsteilung  im  Ötadtth^ter,  von  den 
Keinii^^  «i  Ehnn  der  26.  AUge«.  Deolidien  LekovrannBliing  gegebeo. 
Nach  ScUma  der  Theatervontellug  find  programmgeaAB  das  ProMiadn- 
concert  in  der  Börse  statt.  Börse,  Harkt  nnd  Passage  waren  festlich  er* 
leuchtet  und  von  dichtgedrtngten  Menscheoma&sen  p^f^'l!^  Auch  die  inn«-ren 
BAume  der  iklrse  waren  gedrängt  voll.  In  die  Auatülirung  des  Programnis, 
das  in  5  Abtheilnngen  etwa  20  Numem  nmfasste,  theilt^  sich  die  Brener 
JOUtUeipeUe  und  der  Breiaer  mnaargwiagvewitn .  fie  kaaea  nur  Stieke 
fOB  augetnchter  Schönheit  und  Beliebtheit  zur  Ausführung;  im  lostnunental- 
Programm  figurirt<*n  dit^  Namen  Bffthovpn,  Waener,  \V(^ber,  Schubert,  .Strauß, 
Bizet.  Große  und  gerechte  Bewunderung  erregten  die  Wandgemälde  Arthur 
Fitger's,  deren  Effect  bei  der  künstlichen  Belenchtung  ein  ebenso  eigener  als 
gielarllger  war.  Erat  aaek  der  VittenackMuide  Uditela  sich  daa  bwle 
Treiben  in  den  weiten  Hallen  der  Börse.  Donnerstag  oackMlttaga  2  Uhr 
schiffte  man  sich  ein  zur  Festfahrt  nnrh  d^m  rmzend  gelegenen  BlumenthaL 
Vier  Dampfer  waren  in  F'ahrt  gesteüi  und  je<ier  Dampfer  war  von  Men.schen 
dicht  besetzt,  f  reitags  früh  7  Uhr  gingen  zwei  Dampler  nach  Helgoland  db. 
Leider  fühlte  dch  Ihr  Beriehtentatter'  nicht  eaeticbtig  geang,  die  fHBilHhe 
Fahrt  mitm wagen:  der  Qett  des  Meeres  hat  ihm  niemals  daa  adrald^oa 
Tribitt  erlaeeen. 


Wie  schön  eine  Allgemeine  Deutsche  Lehrerveraanimlung  sein  kann  " 
BreBMn  hat  es  anih  neae  gezeigt,  nad  wean  Jemala  die  OeeeUoble  der  deat- 
sohea  Lehrertage  im  Zoeammenhange  geschriebea  werdeaieUte^  die  freie  Hanse- 
stadt darf  sich  heute  schon  eines  Ehrenplatzes  in  derselben  fär  versichert  halten. 
Alles  vereinigte  sich  dort,  die  Bremer  Tage  mit  einem  Kranze  zu  'j'-hmücken, 
der  die  Erinnerung  zu  einem  unveigesslichen  machen  wird:  liebeuäwüo^ige 


Digitized  by  Google 


—  585  — 


Bürgpr,  prachti^r  Himniol.  schnne  Natur  und  —  freier  Pfin^stgeist.  Sünimt- 
Uche  Themata  wnrdea  mit  einer  Würde  behandelt,  die  aacä  den  Gegnern  im- 
poniren  muss. 

Düren  elgeDtlidMn  Charakter  eiliielt  dfo  25.  ÄUgemeineDentidie  Lehrer- 
Versammlung  diurah  Dr.  Lftni^e  imd  Dr.  Dittes,  durch  Dittes  mehr  noch 

als  duTcb  Lang:e.  Lange  liebt  es,  sich  als  „altes  Haus"  anfzuspielen. 
Das  ist  er  nicht.  Alles  ist  au  ihm  jung  geblieben,  Kopf  and  Kons.  Er  trägt 
seine  Jahre  wie  ein  Junger.  Noch  immer  .ist  er  der  Schrecken  aller  Steno- 
graphen, noch  immer  weift  «r  die  bittettten  Dinge  mit  dem  fteandlicbafeeii 
Monde  so  «igen,  noch  immer  sprodetai  seine  Beden  Ton  Witi  ond  Geist.  Mein 
Referat  über  seinen  Vortrag  gibt  nur  eine  schwache  Vorstellung  von  dem  be- 
wegten Leben  einer  L an fje 'sehen  Rede.  Ein  Eimer  Wasser  ist  eben  keine 
Welle  mehr,  und  den  Schmetterling  muss  man  betrachten,  wenn  er  um  die 
Blomen  gaokelt;  Ist  er  einmal  angel^ftet,  dann  liat  er  anfgehürt,  eiu  Solmiet- 
terling  zu  sein.  Leider  ist  tmserm  Freunde  das  Kalhsor  «iderfUirent  wegen 
seines  letzten  Vortrages  von  der  „Kreuzzeitung"  — belobt  zu  werden.  Lange 
von  dem  Organe  der  Kleist-Retzow,  der  Senflft-i^ilsach,  der  Waldow*SteinhöTel 
belobt,  das  ist  wirklich  hart,  lieber  Doctor  —  ich  condolirei 

Dittes  war  nicht  mit  besonderer  Neigung  nach  Bremen  gekommen,  dort 
einen  Vertrag  n  halten.  Nor  aof  eindringliches  Bitten  seiner  nlh«renFreonde 
ließ  er  sich  bewegen,  von  der  Tribüne  herab  m  der  Vtfsammlung  zu  sprechen. 
Ks  mr>£^  ihm  eine  peinliche  Situation  sein,  sich  schwarz  auf  weiß  gerühmt  zu 
sehen  m  einer  Zeitschrift,  die  er  selbst  mit  seinem  Namen  zeichnet.  Indes  ich 
kann  ihm  nicht  helfen.  Nachdem  er  einmal  gesprochen,  gehört  er  zur  Jubelfeier 
vh»  die  Sonne  snra  Tag.  So  einfach,  so  schlicht,  so  ohne  jeden  oratorischen 
Schmuck  seine  Rede  auch  war  —  zwischen  den  Sätzen  derselben  wogte  der 
Strom  tipf^■t^'r  Knipfindung.  die  sich  den  Hörem  mittheiltr  wU-  Fl^  ktricität.  Es 
war  eine  erKrt  itViid  '  Rede  voll  hoher  Vredanken,  welche  die  SclilRirigkeit  auf- 
rüttelte. }tlaa  eriiub  sich  von  den  Sitzen,  man  brachte  die  Hände  an  die  Ohren, 
um  sidi  ja  Itein  Wort  entgehmi  so  lassen,  ond  Brave!  Bravo!  branste  es  immer 
wieder  durch  den  Saal.  Stürmischer  Applaus  hatte  den  Redner  empfangen, 
nünutenlanger  Beifall  dankte  ihm  für  seinen  Vortrag.  Nach  dieser  Rede  hofft 
man  wieder.  Mögen  auch  Deutschland  und  (Österreich  wieder  einmal  etwas 
Beaction  treiben;  mag  das  Gestern,  das  Heute,  das  Morgen  ein  noch  so  trübes 
AntHtn  selgai;  mSgen  insond«rh^  wir  Ldirer  ersehreeht  sdn  von  den  herein* 
atftrzenden  Wssiem  eines  Zuriickbildungsprocesses,  der  aof  heftige  Vergeltungs- 
acte  sinnt:  unsere  Hoftnnng  soll  stärker  sein  als  unsere  Furcht.  .,"\'or'.vRrts 
schauen!"  das  soll  nicht  uns^rt^  Philosophie  sein,  sondtnn  unsere  Nntur.  In 
einer  Zeit,  die  ausreichend  Aniuss  bietet,  Uber  gewisse  Tageserscheinungen  Ept- 
bMm  obseorerom  virorom  des  19.  Jahrhunderts  no  schreiben,  ist  es  verdienst- 
lich, zu  unseren  Idealen  aufzuschauen.  Schon  einmal  sind  die  letzten  Ziele  der 
schul  lind  bildungsfeindliclien  Hochflut  crrschoitf^rt  nn  dem  idealen  Sehnen 
und  .Streben ;  schon  einmal  haben  wir  erfahren,  dass  ein  reactionäres  Niemals 
kein  ewiges  Nein  ist  —  wir  werden  es  wieder  erleben.  Als  die  Kleist-Retzow, 
die  SenUt^Pilsach,  die  Abel  gegen  den  modemeo  ,^QfklSrieht"  wetterten  ond 
das  gellfigelte  Wort  von  der  Umkehr  dm*  WftKenschafterAmdenward,  da  war«! 
es  die  Lehrer,  allen  voran  Diesterweg,  iVif^  iIhr  Banner  der  PJldagogrik  hoch 
hielten  i  aach  heute  wird  die  ideale  Bewegung  auf  dem  Gebiete  der  Erziehung 


Digitized  by  Google 


—  Ö86  — 


und  Bildang  nicht  einzuBchläfern  sein,  weim  wir  Lehrer  auä  uus  die  Kruft 
d«8  WlUeBB  gewinnen,  nicht  einer  Str5miing  die  Waffen  zu  stellen  und  als 
WfgkMtng  ka  dienen,  die  bloe  sehoettchtig  der  Zeiten  harrt,  wo  sie  wieder  den 

Schulmeister  mit  anherrschen  und  Ihn  nun  Wanderüieh  von  Bnoer  sn 
Baner  verdammen  oder  7M  Naturalliefenmpren  heg^adisren  kann. 

Hätt«  ich  die  Rede  Dittes'  mit  einem  Motto  zu  schmücken,  ich  würde 
das  HoraziMhe  Non  omnis  moriu-  wftblen :  ich  werde  nicht  ganz  sterben. 


▼««■«woctiiehirnadaativ:  Dr.  rri«4rich  DitUn.— BsckdnMknd  Jsliit  Kliiikkftrd(, 


Digitized  by  Google 


9 


Über  deu  gegenwärtigen  Stand  der  dentschen  Pidagogik. 

Vortrag,*)  gebalten  m  BremCB  am  17.  Ifai  1883w 

Von  Dt    Fi  ietli'irh  Ditten.  X* 

Oeehrte  Yersnnimlung!  Das  'J'lipran,  über  wpIcIihs  ich  zn  sprechen 
lialie.  steht  in  iiinerein  Ziisammenhaug  mit  der  schlichten,  aber  erheben- 
den Gedächtnisfeier.  weh'he  soeben  begangen  worden  ist.  Eis  wird 
\n>len  von  ihnen  bekannt  sein,  dass  mir  die  Anfgabf*  zugefallen  ist, 
>^\\i  Werk  der  vielverdienten  Sclinlmänner  Lüben  und  (Tt-nfe  fnrtzu- 
seUeu,  nämlich  den  „Pädagogischen  .lahresbericlit",  welcher  wesentlich 
dazu  bestimmt  ist,  von  dem  jeweiligen  Stand  der  deutschen  Pä- 
dagogik ein  Tuöglichüt  treues  Bild  zu  entwerfen.  Als  nun  von 
mehreren  Seiten  die  Aufforderung  an  mich  erging,  etwas  beizutragen 
zur  Belebung  der  20.  Deutschen  Lehrerversamnihiiig,  war  ich  eben  mit 
den  Arbeiten  fiu-  deu  3.").  Band  des  „Pädagogischen  Jaliresberichtes" 
zu  Ende,  und  ich  glaubte,  dass  es  gerade  in  Bremen,  dem  letzten 
Wirkimgsfelde  der  genannten  Mftnner,  am  Platze  sei,  einen  Blick  auf 
den  gegenwärtigen  £(tand  der  dentsdien  Pftdagogik  zd  werfen.  Ja, 
ich  dachte,  es  würde  dieses  Thema  geeignet  sein,  auch  fttr  alle  künf- 
tigen allgemeinen  deutschen  Lehreryersammlimgen  einen  Gegenstand 
der  Besprechnng  zn  bilden. 

Nim  freilich,  mit  heiterer  Stimmong  kann  man  Jetst  nicht  an  die 
ErOrtening  dieses  Themas  gehen:  es  ist»  wie  Sie  wissen,  zur  Zeit  nicht 
viel  Stoff  vorhanden  zu  „freudigen  Gesängen**  über  die  deutsche  Pft- 
dagogik; allein  es  aiemt  dem  Manne»  der  im  Strome  der  Zat  steht, 


*)  Obwol  bereit.s  die  vorige  Xummcr  des  „Pädago^ums"  eine  Skizze  des  ym- 
liegeudeu  Vortratrr-*  gebracht  hat  in,  df-ii  Bericht  xm  Dr.  V.  S'ehramni\  möge  der- 
selbe, vielseitigen  Wüuschen  eutsprecheml,  hier  votli«taudig  nach  <len  •jicuagraphischen 
AQfitdchnuugen  folgen.  Die  zaIüreieheD  Puenthesen  Über  BeifUUibezeigniigeu  mögen 
hier  «ntfidlen. 

**)  BekriUttnng  der  Gribor  Lüben*»  und  GrKfe'e  nvf  dem  Friedhofe  in  Bremen. 

86 


Digitized  by  Google 


—   588  — 


in  üun  Stdlung  nehmen  nnd  arbeiten  mnss,  sich  zn  orientireii,  welche 
Stande  die  Uhr  der  Zeit  xägt,  nm  darnach  sein  Verhalten  euzorichten. 
Das  Thema  hat  ttberdies  noch  die  große  Schwierigkeit,  dass  ea  ein 
sehr  veitschichtiges,  viel  nmfiissendes  ist,  und  ich  muss  daher  gleich 
im  voraus  bekennen,  dass  es  mir  nicht  möglich  sein  wii-d,  es  einiger- 
maßen ei-scliopfend  zu  behandeln.  Auch  hat  es  seine  Domen:  es  ist 
nicht  möglich,  dasselbe  ganz  harmlos,  ja  es  ist  nicht  einmal  möglich, 
es  unparteiisch  zu  erörtern.  Denn  wer  selbst  an  der  Pädagogik  zu 
arbeiten  berufen  ist  und  sich  bemüht,  dieser  Pflicht  gewissenhaft  nach- 
zukomnien,  der  muss  Partei  nehmen  für  ein  bestimmtes  Princip,  fTu- 
eine  bestimmte  Rielituiig;  er  nuiss!  eintreten  fnr  das,  was  er  für  i-echt 
nnd  gut  und  wahr  hält,  und  somit  anderen  Auffassungen  entgegen- 
treten. Dabei  bleibt  aber  die  i^'reilieit  des  ürtheils  für  Jedermann 
g-ewahrt,  weil  ja  niemand  durch  Anhören  eines  Kef.'rats  sirli  sp|Vi>t 
schon  für  die  eine  oder  andere  Richtung  entscheidet,  ^  imIi  l  u  zaiiacli>t 
nur  eine  Orientirung  über  die  verschiedenartigen  Ansichien  bezweckt 
wird.  Wenn  nun  in  meiiM  H  AusfÜhningeu  Lücken  bleiben  werden, 
vielleicht  gar  l'ehler  vorkoimnen  sollten,  so  betrachten  sie  die  Be- 
handlung des  aufgestellten  Themas  als  einen  Versuch,  der  aui  dti 
nächsten  Versammlung  wiederholt,  ergänzt  und,  wo  nöthig,  berichtigt 
werden  kann. 

Ich  möchte  vor  allem  den  Gmndzng  der  heutigen  Pädagogik  her- 
vorheben, nnd  ich  glanbe  denselben  damit  besdehnoi  zn  sollen,  dass 
die  gegenwärtige  Pädagogik,  sowol  in  der  Theorie  als  in  der  Praxis, 
eme  gewisse  Unsicherheit,  Tinste tigkeit,  Unbestimmtheit  zeigt 
Es  fehlt  ihr  das  stabile  Gleichgewicht,  es  ist  m  ihr  ein  tiefer  Zwie- 
spalt unverkennbar,  der  deutlich  aus  der  ganzen  neueren  Literatur 
unseres  Faches  ersichtlich  ist,  ein  Kampf  zwischen  zwei  entgegen- 
gesetzten  Richtungen,  von  denen  selhstverstlndlich  jede  nach  der  Ober- 
herrschaft  strebt  und  mit  der  Zeit  die  eine  oder  die  andere  vouchwinden 
muss.  Nebeneinander  bestehen  können  sie  auf  die  Dauer  so  wenig, 
wie  das  Eopemikamsche  und  PtolemÜsche  Weitestem  aof  die  Dauer 
nebeneinander  bestehen  konnten.  Diese  beiden  Weltanschaumigen 
haben  zwar  auch  eine  Zeitlang  miteinander  gekämpft,  so  lange  es 
nämlich  zweifelhaft  erschien,  welche  die  riclitige  sei;  aber  mit  der  Zeit 
musste  auch  hier,  wie  äbeniU,  die  Wahrheit  den  Sieg  fiber  ihr  Gegen- 
theil  davontragen. 

Der  Gegensatz,  der  in  der  deutschen  Pädagogik  jetzt  immer 
schärfer  hervortiitt,  wird  natürlieli  von  verschiedenen  Parteistand- 
punkten  ans  verschieden  defioirt  und  bezeichnet   Wenn  ich  also  von 


Digitized  by  Google 


—   589  — 

Standpunkte  ans  diesen  Gegensatz  diarakterisire,  so  bleibt 
68  natürlich  den  G^ern  anbenommen,  audi  ihrerseits  Stellang  zu 
nehmen.  Ich  meineBtheils  sage,  dass  gegenwärtig  die  auto- 
nome, selbstständige  Pädagogik  im  Kampfe  liegt  mit 
einer  abhängigen,  gebundenen  Pädagogik.  Ich  könnte 
diesen  Gegensatz  auch  mit  den  Ausdrücken  Überzeu^ungs>  und 
Autoritätspädagogik  bezeichnen.  Die  ei-stere,  die  Überzeugungs- 
pädagogik, ist  die  classische,  diejenige  Pädagogik,  der  alle  nam- 
haften Männer  der  G^hichte  unseres  Faches,  von  Plato  und  Aristo- 
teles an  bis  auf  die  neuere  Zeit,  gehuldiget  und  gedient  haben.  Die 
andere  Art  von  Pädagojnk  sehe  ich  meinerseits  als  eine  unclassische,  als 
eine  Aftcr-Pädag-ogik  an,  die  erst  in  neuester  Zeit  mit  Schrofflieit  jener 
ersten  entgegengestellt  wird.  Wollten  wir  uns  den  Sachverhalt  durch 
Bfispiele,  durch  einzelne  Vertreter  der  Pädagogik  anschaulicli  ver- 
gegenwärtiö^en.  so  kr»nnte  man  nicht  weiter  zurückgreifen,  als  bis  in 
die  vierziLt  r  lalu'e  unserem  .lahrlnindorts.  Wfis  ifh  meine,  lässt  sich 
am  kiii'zesten  durch  die  Nennung  einig-er  Nanu  ii  deiiflii'h  machen.  Die 
erstere  Richtung,  der  ich  selbst  auch  angeh(jre,  kann  bezeichnet  werden 
diuch  den  Namen  Diesterweg,  die  andere  durch  die  Namen  seiner 
directesten  Gegner  Stiehl,  ßaumer  n.  s.  w.  Weiter  zurück  kann 
man  diese  namentliche  Entgegenstellung  in  ganz  gleichem  Siuue  nicht 
verfolge  Ii,  weil,  wie  gesagt,  alle  namhaften  Vertreter  der  Pädagogik 
Älterer  Zeit  derjenigen  Richtung  angehörten,  die  ich  als  die  autonome, 
als  die  selbstständige,  als  die  Überzeugungspädagogik  bezeichnet  habe. 
Denn  wenn  audi  schon  zwischen  Flato  nnd  Aristoteles^  oder,  um  ein 
Beispiel  aus  neuerer  Zeit  anzufAhren,  zwischen  A.  H.  Francke  und 
J.  J.  Rousseau  ziemlich  starke  Gegensätze  statt&ndeii,  so  sind  diese 
IfSnner  doch  alle  darin  ttbereingekommen,  dass  ein  jeder  von  ihnen 
nur  das  als  wahr  nnd  recht  und  heilsam  aufstellte,  was  seiner  persGn- 
lieben  Überzengong  entsprach;  und  darum  eben  handelt  es  sich  vor 
allem,  dass  der  Mensch,  besonders  der  Pädagog,  seiner  Überzeu- 
gung getreu  spricht,  wirkt  und 'lebt  Dass  damit  sogleich  die 
absolute  Wahrheit  gegeben  sei,  wird  ja  selbBtyerständlich  nicht  be- 
hauptet Es  ist  in  der  Pädagogik  wie  in  allen  anderen  Gebieten 
men»:hlicher  Geistesthätigkeit.  Wenn  etwa  in  der  Naturforschung 
oder  in  der  medicinischen  Wissenschaft  ein  Streit  stattfindet  zwischen 
Lehrmeinungen  der  Speculation  oder  Tradition  und  den  bishcdgen  Er- 
gebnissen der  inductiven  Forschung,  so  ist,  falls  man  der  letzteren 
huldigt,  damit  noch  nicht  gesagt,  dass  man  durch  diese  Methode  des 
Forschens  sogleich  alle  Wahrheit  finde,  dass  bei  ihr  sofort  jeder 

38» 


üiyiiizeü  by  Google 


Irrthum  ausgesclilosseu  sei  :  aber  die  Mögücbkeit,  zur  Überdostimmim^ 
in  unbestreitbaren  Wahrheiten  zn  ^langen,  ist  damit  gegeben.  So 
auch  auf  dem  Gebiete  iler  Pädagogik:  die  Satzungen  der  Aatorit&t 
sind  wandelbar,  Sicherheit  gibt  nur  die  l'berzeugung. 

Um  diesen  Gegensatz  wenigstens  andeutungsweise  etwas  tiefer  zu 
begründen,  erlaube  ich  mir  darauf  liinzuweiseu,  dass  alle  gesunde 
CultiU',  alles  normale  Geistesleben,  alsu  auch  alle  echtf  Wissenschaft 
und  alle  echte  Kunst,  folglich  auch  alle  walire  Pä(l:i:^a»gik  in  Theone 
und  Praxis  hervorgehen  muss  und  zn  allei)  iu  ii  hervorgegangen  ist 
aus  dem  der  Menschheit  eingebornen  Sinne  für  das  Ideale,  tiir  da« 
Wahre,  Schöne  und  Gute  und  aus  der  treuen  Hingebung  au  die>e 
Ideale  der  Menschheit.  Da^  ist  der  wahrhaft  göttliche  Ursprung  alles 
höheren  Culturlebens  und  aller  Humanität.  Wenn  sich  die  Wisjiea- 
schaft  oder  die  Kunst  dieses  göttlichen  Ursprunges  entäußert  und 
entfremdet,  wenn  sie  Einflüssen  folgt,  die  au  Ü  er  halb  dieser  eigen- 
thUmlichen,  ursprünglichen  Triebfedern  liegen,  wenn  sie  sich  von 
wechselnden  Zdtströmnngen,  von  dem  momentanen  Piuteitreibenf  von 
Bücknehten  der  Nfltzliclikeit)  der  Klugheit»  oder  tou  sfeuren  tiieolo- 
gisclien  Satsongen,  oder  von  bmeaokratisclien  Ordonnanzen  bestimmen 
und  lenken  iSsst,  so  entkleidet  sie  sich  ihrer  Würde»  so  steigt  sie 
hinunter  in  das  Gebiet  des  Handwerks,  der  BonÜne,  des  Geschifts. 
Die  P&dagogik  wird  dann  eine  Hagd,  die  jedem  m  dienen  bereit  ist, 
der  Brot,  Ehre,  Fortkommen  u.  s.  v.  in  Aussicht  stellt,  oder  wenigstens 
Uber  die  Gewidt  verfögt 

Hiermit,  meine  Herren,  glaube  ich  in  KOrze  den  Gegensatz  be- 
zeichnet zn  haben,  «der  in  der  neueren  Pftdagogik  hervortritt  Es  gab 
allerdings  eine  Zeit,  und  ich  scheue  mich  nicht,  diese  Zeit  genauer  zn 
bezeichnen  —  es  war  das  Jahr  1848,  dessen  sich  die  filteren  unter 
uns  noch  erinnern,  ich  meinestheils,  wie  ich  unumwunden  gestehe,  mit 
hoher  Freude  —  es  gab  eine  Zeit,  wo  man  hoffen  konnte,  das  Princip 
der  selbstständigen  Forschung,  der  inneren  Ent^ickelung  alles  Geistes- 
lebens und  damit  auch  der  Pädagogik  werde  durchdringen.  Es  kam 
damals  sogar  —  wenigstens  theilweise  —  ein  bestimmter  Ausdruck 
für  diese  T?ichtung  zu  Stande  in  dem  bekannten  Satze:  ^Die  Wissen- 
schaft und  ihre  T^ehre  ist  frei!"  Dieser  Satz  ist  sogai-  in  Staatjäver- 
tassungeu  eingedrungen,  die  noch  heute  gelten,  z.  B.  in  die  österrei- 
chische. Auf  die  Pädagogik  angewendet  würde  dieser  Satz  lauten: 
Die  Pädagogik  und  ihre  Praxis  ist  frei,  d.  Ii.  antnnom.  sie  irestaltet 
sich  lediglich  ans  den  ihr  eigenen  Idealen  mal  «rfst  tzen  heraus.  Ich 
brauche  dies  nicht  näher  zu  erläutern,  weil  limeii  gestern  von  dem 


.^  .d  by  Google 


—  &91  — 


ersten  Herrn  S[)recher'*^^)  ein  Stück  solcher  Pädagogik  vorgeführt 
worden  ist,  nämlich  dasjenige  Stück  Piidajrooik,  welches  sich  auf  die 
physische  Entwickelunir  und  Bildung-  des  iMeuschen  bezieht.  Da  ist 
lediglich  die  Natur  und  zwar  die  Natur  des  Leibes  mit  iliren  Krätien 
und  Bediu-fnisisen  als  Norm  hincestellt  worden,  in  ausdrücklichem  Gegen- 
ivatze  zu  einer  engherzigen,  beschniukeudeii  Auffassunsr  dieses  Theils 
der  Erziehung.  Analog  liegt  nun  das  Verhältniii  l)ezüglieh  aller  anderen 
C'apitel  der  Pädagogik.  Auch  da  sollen  lediglich  die  anthropologischen 
Wissenschaften  im  weitesten  Sinne  des  Wortes  die  Basis,  die  Norm, 
die  Ausgangs-  und  Zielpunkte  bezeichnen,  also  die  Psychologie,  die 
Xiogik,  die  Ethik  u.  s.  w.  Wenn  andere  Maximen  geltend  werden, 
80  ist  die  Pädagogik  von  ihrem  geraden,  richtigen  und  berechtigten 
W^e  abgelenkt»  und  dies  vird  leider  gegenwftrtig  meder  vielfoeh 
versacht  Denn  erstens  ist  es  ja  allbekannt,  dass  die  alte  Gegnerin 
der  freien,  selbststindigen  Pädagogik  nenerdings  wieder  za  hervorragen- 
der Bedeutnng,  zn  einer  gewissen  Herrschaft  Uber  das  Bildongswesen 
gelangt  ist  Es  ist  das  die  orthodoxe  Theologie  mit  ihren  confessio- 
ndlen  Satanngen,  die  man  von  dem  Standpnnkte  ihrer  Vertreter  ans 
als  „onantastbare  Heilswahrheiten**  betrachtet  Dem  entspricht  es, 
dass  man  den  Vertretern  dieser  Heilswahiiimten  ein  Obergewicht  üi 
der  Gestaltung  des  Erziehunga-  nnd  Schnllebens  anweist  Ganz 
natOrUch:  wenn  der  sogenannte  Staat,  d.  h.  leider  in  unserer  Zeit 
meistens  nur  die  jeweilige  Beamtenschaft,  wenn  also  der  sogenannte 
Staat  wirklich  der  Überzeugung  ist,  diese  theologischen  Lehren  seien 
zum  Heile  der  Menschheit,  zum  Heile  des  Volkers  unentbehrlich,  sie 
seien  die  wahren  Fundamente  des  Glückes  der  Welt  und  der  Staaten, 
dann  ist  die  Beamtenschaft  —  oder  sagen  wir:  der  Staat  —  freilich 
ganz  berechtigt,  ja  im  Interesse  der  Fürsorge  für  die  Bevolkemng 
sogar  verpflichtet,  diesen  Elementen  das  T'T)ergewicht  einzuräumen. 

Hieraus  erklärt  sich,  dass  ^-ef^enwärti},^  gerade  im  frr'isstcn  deutschen 
Staate  diese  theolosrisehe  Eichtung  wieder  zurMaciit  gelangt  ist.  Dass 
dem  so  sei,  ist  wol  außer  Zweifel;  ich  werde  keine  ausführlichen  Dar- 
leguii^'^fn  liii  l  über  zu  geben  brauchen,  vdW  nur,  weil  ich  doch  meine 
Skizze  wenigstens  mit  einigen  Belegen  ausstatten  muss,  eine  kurze 
Stelle  miltheilen  aus  einem  Briefe,  welrlien  ich  erst  vor  wenigen 
l'agen  von  einem  der  angesehensten  deutschen  Schulmänner  erhalten 
habe.   Da  heißt  es:  „Seit  vielen  Jahren  ist  es  Maxime,  zu  Seminar' 

*)  Dir.Dr.S(^Mls*BTemen,  welcher  über  ,,die  OeBimdkeiUlehre  la  derVoIlcMditile" 
leferirte  (s.  den  Bericht  in  der  vorigen  Nwnmer)» 


Digitized  by  Google 


direcioreu  \\n<\  Scliuln'ithen  nur  \uv\  allein  conservativt  und  orthodoxe 
Tlieuloq^en  zu  enirniit  n.   Wer  (lie>e  (^ualirication  nicht  hat.  ist  e«»  ipso 
von  der  Bewei-huiigs-  und  Bet  tnlerun^^liste  ausgeschlossen.  Die  Keaftion 
ist  in  voller  RlUte,**  —  Idi  bemerke,  das.s  diese  Mittheilnngen  wort- 
getreu eiitüüiüDien  sind  dem  Briefe  einer  Autorität,  in  deren  Zuver- 
lässiierkeit  ich  meinerseits  durchaus  keinen  Zweitel  setzen  kann.  Sollte 
dessenungeachtet  diese  Schilderung  nicht  vollständig  zutreffend  sjein  — 
ich  glaube  aber,  sie  iüt  es  —  so  würde  auch  hieraus  folgen,  das>  ziu 
Zeit  die  Pädagogik  sich  in  einer  großen  Unsicherheit,  in  einer  bedenk- 
lichen Schwankung,  Unbestimmtheit,  Dunkelheit  befindet;  denn  wenn 
selbst  solche  Minner,  die  anf  den  höchsten  Posten  stehen,  die  die 
allermeiste  Gelegenheit  haben,  sieb  ToUstSndig  zn  infofmjren,  fiber  die 
heatige  Biehtnng  sich  irrten,  ivie  soliten  dann  die  vielen  anderen  eine 
bestimmte  Aoffossmig  der  heutigen  Biehtnng  erUingen  kennen?*)  — 
Kars,  im  wesentlichen  wird  die  Behauptung  nicht  anfechtbar  sein, 
dass  die  Pidagogih  heute  nicht  unabhängig  ist  von  confessiondlen 
Satanngen.  Dies  ist  Ja  auch  anderweit  genOgend  bekannt  Tor  nicht 
langer  Zeit  hat  ein  Müiister  des  deutschen  üntemehtswesens  öffentlich 
die  confessionelle  Richtung  als  die  seinige  bekannt,  hat  auch  ans- 
drBddich  gesagt,  dass  die  Theologen  von  sdbst  qnalifidrt  seien,  in 
„die  Mysterien  des  Volksscholnnterriehtes^  einzudringen,  ohne  einer 
besonderen  pädagogiflchen  Befilhigung  zu  bedürfen;  er  hat  also  ans- 
dinicklich  anerkannt,  dass  man  die  Pädagogik  als  ein  Anhängsel,  als 
eine  Zugabe,  oder  als  einen  integrirenden  Bestandtheil  der  Theologie 
anfiGsssen  könne,  und  dass  eine  eigene  fachmännische  Befähigung,  ein 
eigenes  Vorstudium  für  sie  nicht  nothwendig  sei. 

Was  übrigens  den  Ausdruck  betrifft  „Mysterien  des  Vcdksschul- 
unterrichtes",  so  weiß  jeder,  der  eine  fachmännische  Bildung  besitzt, 
dass  niemals  ein  Vertreter  der  freien,  autonomen  Pädagogik  die 
Meinung  geäußert  und  vertreten  iiat,  die  Pädagogik,  specieil  die  Volks- 

*)  In  der  That  ist  obige  Angabe  Tollst&ndig  sntreffend.  Wer  dafir  ein» 
gMUs  nnftnftehtlMdte,  Sffentliehe,  officieDe  imd  doevmeiitaiiselie  Antoiitlt  Tskagt, 

den  verweiseu  wu"  anf  das  „Centrai-Blatt  fiir  das  tce^aiiiinte  l«e»li»che  rntemchl»- 
wesen*'.  Ans  demselben  ht  ersicLtlidi.  dass  in  fr  übereil  Zeiten,  selbst  nnt^r 
Ranmer  mul  Stiehl,  den  Vätcni  der  Kegtilative,  auch  Nicht- Tbeolc^n  tu  i?e- 
minardireciureu  und  äcbulräibea  ernannt  wurden  (z.  B.  Fbc  hl  Soest,  Bichtor  ia 
Teudeni,  Kettner  üi  Trier,  Prange  in  Oppeln),  was  in  ehinhiea  Fitten  eneh  iioch 
nnter  Falk  geschah;  dagegen  dnd,  laut  der  angefthrten  Quelle,  nnter  den  beiden 
.  neuesten  Ministem,  Ptfttkamer  und  Gossler,  ausnahiiislno  nur  Tlienl  ,gen 
und  zwar  solchf  den  n  Rechtglänbigkeit  und  consenrative  Gesinnung  anUer  Zweifel 
stand,  auf  die  erwuliuten  Posten  berufen  worden.  D. 


Digitized  by  Google 


—   593  — 


sdinlpädagogik,  sei  em  Hysterinm,  Bei  ein  System  von  geheimen  Lehren 
und  geheimen  Gebränchai;  dies  kann  also  nnr  eine  satiiisdie  Bemer- 
kung sein,  die  übrigens  für  den  Urheber  in  so  fem  richtig  sein  mag,  als 
es  allerdings  eine  OelstesrerfuBimg  gibt,  bei  weld^er  «iifclidi  die  Pä- 
dagogik nnd  auch  der  Volksschnlnnterricht  ein  Mysterinm  ist.  Meine 
Herren,  worin  liegt  das?  —  Es  ist  bekanntlich  seit  langer  Zeit  viel  ge- 
sprochen worden  von  der  „  Vermälilung  des  christlichen  und  germanischen 
Geistes'*.  Ich  und  wol  Sie  alle  werden  gegen  eine  solche  Vermählung 
nicht«  einzuwenden  haben,  wenn  sie  tren  nnd  ehrlich  stattfindet: 
wenn  sich  das  wirkliche  Christenthom,  wie  es  nach  evangelisch-pro- 
testantischer  Auffassung  in  den  Originalquellen  desselben  zu  suchen 
ist,  und  der  deutsche  Geist,  wie  er  in  den  besten  Männern  der  Nation, 
in  Schiller,  Goethe,  Kant,  Fichte,  Lesj^ing^,  Herder  ii.  w.  vtrtreten 
ist.  miteinander  vermählen,  so  werden  wir  alle  uns  dessen  nur  lieuen 
können.  .-Ulein  daran  fehlt  es  eben;  denn  wenn  die  Verkündiger 
dieser  Vermählung  es  autriciitig  meinten,  so  wiifflen  sie  ja  anch  ent- 
weder im  Ohristenthuni  oder  in  der  deutschen  littiauir  den  Schlüssel 
für  das  besagte  ,,Mysteriunr'  finden.  Der  Chiist  hat  ihn  iu  dem 
Worte:  „Kehret  um  und  werdet  wie  die  Kinderl'*  d.  Ii.  legt  eueren 
Hochmuth  ab,  entspringe  er  nun  aus  juiikcrhafter  Blasirtheit,  oder 
aus  theologischen  Quellen,  oder  aus  der  Selbstüberhebung  der  Bureau- 
kratie!  Legt  eueren  Hochmuth  ab  und  gebt  ench  mit  pietätvoller 
Verehi  uiig  an  die  Ideale  der  Menschheit  Inn.  so  habt  ihr  den  Schlüssel 
der  Pädagogik.  Oder  wenn  etwa  diese  Hälfte  der  neueren  Cultur 
(die  christliche  Anschauung)  nicht  genügend  entwickelt  ist,  so  kann 
man  in  der  anderen  Ersatz  finden;  da  wird  man  hei  einem  Dichter 
lesen:  „Was  der  Verstand  der  Verslftndigen  nicht  sieht,  das  ftbet  in 
£infUt  6hl  kindlich  Gemflth";  oder  man  wird  lesen:  »Das  Qeisterxeich 
ist  nicht  verschlossen,  dein  Sinn  ist  zu,  debi  Herz  ist  todt."  Thnt  enre 
Sinne  anf,  belebt  ener  Wahrheitsgefllhl  ftr  das,  was  m  den  BUchem 
der  Ifenschheitageflchiehte  oflfon  vorliegt,  und  erwünnt  eure  Herzen 
für  alles  Wahre,  Schöne  nnd  Gnte;  nnterw^  ench  dem,  was  ihr  als 
gOttUchen  ün^mngs  erkennen  mtlsst:  dann  gibt  es  keine  Mysterien 
des  Volksschnlnntemchtes.  Biesen  Sinn,  diese  offene  Hingebang  an 
das  Wahre,  Schöne  und  Gnte  hatten  die  größten  Führer  des  mensch- 
lichen Geisteslebens,  Pinto  nnd  Aristoteles  so  gnt  wie  Kant  nnd 
Fichte;  und  diese  Hänner  haben  es  nicht  unter  ihrem  Range,  noch 
weniger  unter  ihrer  Würde  gefunden,  sich  der  Erforschong  der  Päda- 
gogik hinzugeben,  sie  haben  einen  Theil  ihrer  großen  Oeisteskräfte 
gerade  unserer  Wissenschaft  gewidmet.  Im  Hinblicke  auf  diese  That- 


Digitized  by  Google 


—   594  — 


Sache,  meine  Herren,  iriid  Sie  hoffentlieh  jenes  yerletxende  satirische 
Wort  Ober  Due  BernfMssenschaft  nnd  Bem&konflt  nkfat  nieder- 
schlagen; denn  was  die  grOftten  Geister  der  Mensehhdt  f&r  ein 
vflrdiges  Ziel  des  Strebens  erachtet  habeE,  das  kann  tSar  niemanden 
ein  Gegenstand  der  GeringBch&tssong  sein.  Es  liegt  aber  eben  leider 
in  jener  Geringschätzung  ein  gewisses  System;  es  liegt  in  der  Ver- 
bindung der  bureaukratiscben  Beyormnndung  mit  der  theologii>cben 
Satzung  ein  Hauptmerkmal  der  gegenwärtigen  Situation  aui'  päda- 
gogi-schem  Gebiete.  Es  kommt  darin  die  Verbindung  des  geistigen 
und  weltlichen  Absolutismus  zum  Ausdrucke,  welche  hemmend  auf  die 
freie  Gestaltung  der  Pädagogik  einwirkt.  Dass  dem  so  sei,  das  ist 
für  den  Kenner  (\^r  neuesten  Literatur  der  Pädagogik  aufter  allem 
Zweifel.    Hinrzii  nur  noch  einige  Belege. 

Unter  den  pädagog-isclien  Schiiften,  welche  im  letzten  Jahre 
erschienen  sind.  l>etindet  sich  u.  a.  ein  in  seiner  Art  recht  Bxh  h 

iintpr  (l^m  Tite!-  Anleitung  zur  Vorbereitnn?  anf  das  zweite  ExjnnHn.- 
Dieses  iiuch  i>l  voll  einem  geachteten  und  ^^ediegenen  preuliischeii 
Schuimanne  verfasst,  der  sich  vemnlasst  jresehen  liat,  seinen  jüngeren 
Collegen  behilflich  zu  sein,  dass  sie  nui  gutem  Erfolge  die  Staats- 
prüfung ablegen,  um,  wie  er  sagt,  den  „Panisbrief"  zu  erlangen.  Xehen 
den  nöthie:en  Instructionen  zur  \'orbereituiig  kommt  da  u.  a.  eine 
sehr  eindringliche  Warnung  des  Inhaltes  vor,  dass  man  sich  ja  vor 
Äußerungen  hüten  solle,  „die  im  Widerspruche  mit  der  herr- 
schenden Auffassung  stehen**.  Zur  näheren  £rläuternng,  wie 
das  gemeint  ist,  wird  folgmdes  I^ctnm  erzählt:  Ein  Prfifimgscandidat 
hatte  f&r  die  schriftliche  Arbeit  das  Thema  erhalten:  «Die  ideelle 
Volksschnle;"  er  arbeitete  dieses  Thema  ans  nach  bestem  Wissen  nnd 
Gewissen,  nach  seiner  persönlichen  Überzeugung,  bekam  aber  daranf 
den  Bescheid,  dass  er  infolge  dieser  Arbeit  „wegen  anreifer  Ge- 
danken** nicht  zur  mündlichen  PrOfhng  zngehissen  werden  kOnne 
und  zwar  deshalb,  weil  er  sich  in  dieser  Arbeit  fttr  den  Wegfall 
des  „confessionellen**  Beligionsnnterrichtes  ansgesprochea 
hatte  allerdings  nnr  in  der  »ideellen**  Yolksschnie  der  Znkonft, 
also  doch  nur  akademisch.  Der  Hann  hatte  sich  ja  nicht  losgesagt 
von  der  Verpflichtung,  die  ihm  derzeit  obliegt;  er  hatte  aber  gememtt 
in  der  „ideellen^  Volksschule  sei  der  „confessionelle**  Religionsunter- 
richt nicht  zulässig.  Dafür  wmde  er  nun  »wegen  anreifer  Gedanken*" 
von  der  mündlichen  Prtifimg  zurückgewiesen.  Dass  dieses  Factum 
richtig  ist«  halte  ich  für  zweifellos;  denn  es  wird  bericlrtet  von  einem 
durchaus  zaverlftssigen  Manne  und  zwar  in  einer  öffentlichen  Druck- 


Digitized  by  Google 


—   595  — 


Schrift,  welche  bisher  von  keiner  Seite  in  dieser  Beziehung  rectificirt 
worden  ist  Warn  nnn  also  eine  solche  Wamong  nöthig  ist,  und 
wenn  derselben  noch  ansdrUcklich  beigefügt  wird,  wie  es  in  dem 
erwAhnten  Buche  geschieht:  »eine  solche  Wamiing  sollte  freilich  nicht 
nöthig  sein*  —  so  beweist,  dies  doch,  wie  durchgrdfead  der  vorhin 
charakterisirte  Gteist  sieh  bereits  des  Scbnlweseiis  bemftchtiget  hat. 
Was  Übrigens  die  „unreifen  Gedanken**  betrifft,  so  ist  es  bekannt, 
dass  sehr  reife  Geister  —  ich  will  nicht  einmal  von  Diesterweg  reden, 
der  Ja  als  Bevolntionär  ansgeschrieen  ist  —  z.  B,  Universit&ts- 
Professoren',  ganz  objectiv  denkende,  der  Praxis  fianistehende  Männer 
von  gediegener  Einsicht,  ja,  dass  gansse  YOlker  den  confessionellen 
ReUgionsunterricht  aus  der  Schule  ausgeschlossen  haben,  wie  z.  B. 
England,  Belgien,  die  nordamerikanischen  Staaten:  man  wird  doch 
die  nicht  alle  miteinander  für  nnreif  erklären?  Hat  denn  so  ein 
Examinator,  der  ja  oft  selber  kein  Examen  gemacht  hat,  allein  die 
Geistesreife  gepachtet? 

Das  sind  aber  oüenbar  nur  Vorwände  zur  Durchsetzun«:^  eines 
Systems,  das  man  nun  einmal  für  das  derzeitig  privilegirte  Staats* 
System  ansehen  muss  und  wklich  ansieht.  Es  beruft  sicli  da  immer 
eine  Autorität  auf  die  andere,  und  aiif  einer  je  hfiheren  Stute  ein 
Beamter  steht,  um  so  liüher  ist  anclt  sein  Greist  und  um  so  reifer  und 
dictatorisclier  der  niederen  Stufe  gegenüber. 

I)as  wäre  nnn  mt.  wenn  nur  n)it  der  äußeren  ('uuipetenz  auch 
die  iunere  verbunden  wäre.  Im  Militär  z.  B.  mag  so  etwas  gerecht- 
fertigt erscheinen,  denn  da  ist  factisch  mit  der  äußeren  Autorität 
durchschnittlich  auch  die  innere  verbunden.  Der  Corporal  versteht 
vom  Militäi'wesen  mehr  als  der  j^enieine  Soldat,  der  Feldwebel  wol  in 
der  Regel  auch  mehr  als  der  Corporal,  der  fluni) Lmann  ■^^'i^der  mehr 
U.  s.  w.  Da  ist  es  ja  gerechtfertigt,  dass  der  Obere  auch  in  Sachen 
'  der  Einsicht  Subordination  verlangt.  Aber  weil  einer  im  Schul- 
Wesen  ein  höheres  Amt  bekommen  hat,  als  der  andere,  wobei  nicht 
selt^  Eigenschaften  den  Aasschlag  geben,  die  gar  nicht  mit  der 
inneren  Berdbbildung  zasammenhängen,  deswegen  sich  zun  Bichter 
anfisnwerfen  Aber  die  Meinnng  der  Untergebenen,  das  halte  ich  nicht 
ffir  gerechtfertigi  Man  geht  dabei  aber  immer  weiter,  man  sacht 
efaie  immer  höhere  Aatorität,  von  einer  Stnfe  zur  anderen  steigt  man 
aof  und  gibt  dem  Untergebenen  Anweisang,  dass  er  sich  ja  genau 
informiren  solle,  woher  der  Wind  weht  In  dem  angeführten  Buche 
koDunt  n.  a.  noch  folgender  Rat  vor:  „Erkundige  dich  während  der 
Vorbereitung  genau  nach  den  Lehrbfleheni,  die  der  Examinator  zu 


Digilized  by  Google 


Gnmde  legt.**  Das  ist  ein  wirklich  collegialiflcher,  wolgemeiBter  Batk 
Denn  wenn  nnn  einmal  das  liesagte  Snbordinations^ystem  besteht, 
warom  soll  dann  der  Brave,  Tflcbtige,  Eifrige  wegen  einer  in  dies^ 
Bedebimg  begangenen  UnYorsicfatigkeit  znrückstehen  hinter  dem,  der 
vieUeicht  minder  tüchtig,  abor  Uflger  ist?  —  Allein  welches  I^cht 
wirft  jener  Bath  anf  die  Verhältnisse?  Also  der  Hen*  Examinator 
legt  ein  Bach  za  Gnmde,  aus  dem  nimmt  er  seine  Pr&fongsfragen, 
und  der  Examinand  soll  natürlich  auch  aas  diesem  Bache  die  Ant- 
worten entneiunen.  Das  ist  doch  eitles  Scheinwerk,  ein  bloßes  Hand- 
werk, ein  Auswendiglernen  nnd  -Wissen.  Der  Examinator  sollte  doch 
ati!^  sich  heraus  die  Fragen  holen  und  der  Examinand  aus  sich  heraas 
die  Antwoi-ten.  Sonst  haben  wir  ja  bloße  Einpankerei  för  den  Examen- 
tisch  und  keine  Vorbereitnng  filr  den  Dienst,  für  die  Praxis.  AV>er 
es  scheint  biilpr  norliw-rnKlif^f  zu  sein,  dass  sieh  viele  Examinatort-n 
nach  einem  Leiiladen  riciiten.  Denn  wenn  sie  keiner  eigenen  Beruls- 
hilduHL^  bpflürfen,  wenn  ein  anderes  Siudiiim  schon  zur  Einnahme 
eines  pädagogischen  Amtes  (jualilicirt.  nun.  dann  müssen  sie  freilich, 
am  den  guten  Schein  zu  wahren,  wciüc-steiis  eine  Krücke  benutzen, 
um  alleufalLs  mit  fortzuliinken.  Ahvr  das  Kp^^lite  ist  das  doch  ge  wiss 
nicht,  das  kann  uninfiglich  ein  billig  denktuder  Mensch  behaupten. 
AV'ürde  es  demi  Beifall  finden,  wenn  maji  sagte;  als  Bauaufseher  oder 
als  Ingenieur  kann  ein  Foi-stmann  angestellt  wei*den;  wenn  er  sieh 
ein  Buch  anschafl't,  wiid  er  schon  in  (iie  Mysterien  der  Baukunst 
eindringen  und  wird  auch  ein  Examen  abhalten  können?  Warum  soll 
denn  etwas,  das  alle  Welt  für  unvernünftig  halten  mass,  gerade  in 
der  Pftdagogik  gelten? 

Aber,  wie  gesagt,  das  bnreankratische  Beüeben,  die  Antotitlt, 
der  BMI,  die  Raogordnong,  die  Handarinenstaffd,  das  sind  die  ent- 
scheidenden Factoren.  Da  appellirt  man  immer  hoher  nnd  hoher,  je 
nach  Bedarf,  zdetset  appellirt  man  an  die  „allerhöchsten*  Tng»^pfff«, 
man  geht  dann  a  Jove  ans.  Ein  Beispiel.  Es  mOge  als  Probe  Tieler 
ähnlicher  dienen,  nm  za  aeigen,  wie  man  an  die  Antoiitftten  appdUrt 
nnd  damit  jede  freie  Discnssion  abschneidet  Ich  halte  ein  solches 
Yorgdten  geradem  ittr  nnetarllch;  denn  wenn  man  in  einer  Discnssion 
an  Instanzen  appdlirt,  die  einer  Kritik  gar  nicht  nntenogen  werden 
dflrfen,  und  damit  den  Gegner  mondtodt  macht,  so  hört  selbstTer^ 
ständlich  jede  nnparteüsche  Untersachnng  anf.  Nnn,  ein  solches 
Beispiel  lieferte  vor  nicht  langer  Zeit  —  es  ist  etwa  Anf  M<'nate 
her  —  eine  deutsche  Schnlzeitung,  die  in  einem  Frograounartikel,  den 
man  sich  doch  genan  überlegt  und  den  man  also  einst  nehmen  dari^ 


Digitized  by  Googi( 


—  597  — 

unter  anderem  sajj^te:  Das  Blatt  „wählt  sich  zu  Leitsternen  zwei 
allerhöchste  Bots>chaften,  die  eine  von  unserem  lieben  Vater  im 
Himmel,  gegeben  vor  1882  Jahren,  die  andere  gegeben  von  unserem 
erhabeuüu  Kaiser,  gegeben  vor  einem  Jahre.**  —  ^\'ürtlich.  Nun, 
meine  Herren,  es  ist  gewiss  anerkeuuenswert,  und  Sie  alle  werden 
es  billigen,  wenn  man  dem  Staatsoberhaupte  Hochachtung  und  Ehr- 
furcht erweist,  um  so  mehr,  -wenn  es  sich  um  ein  Staatsoberhaupt 
von  so  rfUunlieheii  persönlidieii  Eigenschaften  handelt,  wie  in  diesem 
Falle.  Allein  damit  kann  doeh  nicht  das  erste  Gebot  des  Eatechis^ 
mos  aufgehoben  werden,  das  da  heifit:  „Dn  sollst  keinen  andern  Gott 
haben  außer  mir.**  Hier  haboi  wir  aber  nach  aller  Logik  eine  Gleich- 
steUnng  des  Kaisers  mit  dem  Herrn  der  Welt  Non,  zu  ehker  der- 
artigen  Begründung  der  Pädagogik  kann  man  nur  schweigen. 

Man  geht  aber  nicht  blos  bezüglich  der  Autoritäten  bis  an  die 
infiersten  Grenzen,  sondern  auch  bezüglich'  des  Stoffes,  den  man  der 
Pädagogik  einverleibt,  und  des  Geistes,  den  man  ihr  einflöflen  will, 
nämlich  an  die  äußersten  Grenzen  der  RQcksicht  auf  das,  was  eben 
zur  Zeit  als  maßgebend  gilt  Wie  sehr  dies  der  Fall  ist,  beweist  eine 
Stelle  aus  einer  der  angesehensten  und  größten  pädago^psclien  Zeit- 
schriften Deutschlands,  herausgegeben  von  einem  namhaften  und  ge- 
schätzten deutschen  Schulmanne.  Da  las  ich  vor  nicht  langer  Zeit 
eine  Abhandlung  über  die  „allgemeine  V(<lk^schule",  welche  de- 
finirt  wild  als  diejenige  Schule,  in  der  die  Kinder  aller  Stände  big 
zum  zehnten  Jahre  vereinigt  sein  sollen.  Dass  es  auch  eine  allfremeine 
Volks<r]inle  ^reben  könne  fiir  Kinder  über  zehn  Jahren,  ihwon  ist 
gleich  irar  nicht  die  Rede;  es  wird  schon  als  höchst  gefährlich  V>e- 
trachtet,  dass  man  daran  denke,  eine  allgemeine  Volksschule  für  die 
Kinder  aller  Stände  auch  nur  bis  zum  zehnten  Jahre  herzustellen. 
Es  wird  nämlich  gesagt:  „Theoretisdi  mög:en  sie  (nämlich  diese  all- 
geuieiuen  Volksschulen)  emptehlenswert  erscheinen."  Das  ist  ungefähr 
dieselbe  l^hraüe.  die  man  oft  hört:  „Im  Princip  ist  das  ausgezeichnet, 
aber  in  der  Prasds,  m.  H.,  da  kann  ich  nicht  zusiianut  u."  Also:  sie 
mögen  theoretisch  empfehlenswert  erscheinen,  „aber  diese  Schulen 
bilden  nicht  fiu  die  Verhältnisse  des  Lebens.  Der  Tagelöhner",  heißt 
es  wörtlich  weiter,  „der  mit  dem  Landrath  und  Regierungsrath  bis 
zum  zehnten  Jahre  auf  einer  Schulbank  gesessen^,  —  nun,  Land- 
rftthe  nnd  Regiemngsrftthe  und  Tagelöhner  sitzen  nicht  auf  der  Schul* 
bank,  das  ist  ja  schon  ein  eompleter  Unsinn;  ich  begreife  nicht,  wie 
ein  namhafter  Pädagog  unter  seinem  Namen  einen  solchen  Nonsens 
kann  dracken  lassen,  —  „anf  emer  Schulbank  gesessen,  vielleicht 


üiyiiizeü  by  Google 


—  598  — 


(len>;elben  ^^len  Tiandrath  oder  Ret^ierungf.srath)  in  vielen  Bezithungen 
iibeitrofteii  iiai.  wird  s^icli  nicht  leicht  darein  finden,  dass  dieser  jetzt" 
—  jetzt  —  ^pro  Tag  15 — 20  Mark  verdient,  während  er  mit  1 — 2  Mark 
zufrieden  sein  muss."  —  Das  sind  auch  Ai'gumente!  —  ^Diese  Art 
von  Schalen*',  heißt  es  weiter,  „kt  eine  Ei-ziehungsanstalt  för  die 
Socialdraiokratie.  Die  aJlgmeine  Vc^kssehnle  tritt  den  Gnmdsatz: 
Non  Schotee  sed  yitae  —  mit  Füßen.**  So  wörtlich.  —  Ich  muas  ge- 
stehen: mir  vergeht  bei  einer  solchen  Beweisführung  für  Augenblicke 
Hören  nnd  Beben.  £in  solches  Anfdenkopfstellen  der  Chronologie, 
eine  solche  Verkehnmg  der  Verhältnisse  sollte  doch  wahrhaftig  um 
der  Ehre  der  P&dagogik  willen  in  einem  anständigen  Blatte  nicht 
vorkommen.  Unter  anderem  wird  anch  gesagt:  Diese  Schnle  fährt 
znr  Socialdemokratie.  Nnn  wissen  Sie  aber  aUe,  dass  in  Deutschland 
die  Sodaldemokiatie  schon  da  ist;  diese  einheitliche,  gmneinsame  Yolks- 
schnle  soll  aber  in  Deutschland  effst  werden:  das  Zukünftige  wird  also 
als  die  Ursache  des  Gegenwärtigen  hingestellt  Ich  mnss  o£fen  ge> 
stehen,  dass  ich  mich  bei  derartigen  Deductionen,  die  so  -^der>:innig 
nnd  so  mit  Gewalt  herbeigezogen  sind,  der  mir  schmerzlichen  Ver- 
muthung  nicht  entschlagen  kann,  dass  es  doch  eigentlich  nor  daraof 
abgesehen  sei,  die  Gunst  der  „maßgebenden  Ki'eLstr'  zu  gewinnen. 

Ich  finde  überhaupt  in  der  neueren  pädagogischen  Literatur,  auch 
in  Büchern,  so  gar  oft  eine  willkürlich  herbeigezogene  Excursion  über 
die  Socialdemokratie.  Möge  man  nun  von  dieser  denken,  was  man 
wolle:  aber  wo  die  Disfussion  derselben  nicht  am  Platze  ist.  soll  man 
sie  meiden,  sonst  sieht  das  Ding  so  aus.  als  sei  es  bloße  Liebetlieuerei, 
bloßer  Servilismiis,  oder  sonst  etwas  flfi-jlrifliPii.  Dabei  wird  die 
„allgenieme  \  olksschule**  mit  den  ^rliwersteu  Aukhiüeii  heleg:t.  Ich 
muss  mich  wundern,  und  es  gereicht  dies  der  ijegenwärtif^en  Piidaiiogik 
Deutschlands  nicht  zur  Ehre,  dass  Männer,  die  zu  den  einrtussreichsten 
Schriftstellern  q-ehören,  eine  außerordentliche  Xaivetiit,  richtiger  gesagt 
Ignoranz,  in  i)adagogischeu  Dingen  an  den  Tag  legen.  Es  wird  da 
die  allgemeine  Volksschule  mit  den  dunkelsten  Farben  j^emalt.  Man 
hätte  aber  doch  ganz  gute  i  ielegeuheit,  sich  vum  Gegen theil  zu  über- 
zeugen. Gerade  so,  wie  sehr  viele  Schulen,  tausende  und  aber  tansende 
von  Schulen  ganzer  Staaten,  z.  B.  auch  die  östeiTeichischen  Scholz 
derzeit  keinen  confessionellen  Cbarakter  haben,  und  zwar  seit  geraumer 
Zeit,  ohne  dass  die  angeblichen  Schattenseiten  solcher  Schulen  hervoiv 
getreten  sind,  ebenso  haben  wir  Ja  anch  die  allgemeine  Yolksschnle 
in  verschiedenen  Ländern,  whr  haben  sie  z.  B.  in  ganz  Östeneich. 
Wenn  man  also  von  der  Sache  reden  will,  so  soll  man  sich  doch  eist 


Digitized  by  Google 


—   599  — 

durch  eigene  Anschauung  tibei-zeugen,  -wie  die  Scliulcn  in  Wirklichkeit 
beschafPoo.  sind.  Ein  Schalmaan,  der  gegen  die  „allgemeine  Volks- 
schule* schraihen  will,  könnte  ja  einmal  eine  kleine  pädagogische 
Beise  nach  Wien  oder  nach  Österreich  flberhanpt  machen;  dort  sitzen 
seit  Iftnger  als  einem  Jahrzehnt  anf  denselben  Schalbänken  die  Kinder 
aller  Volksschichten  yom  6.  bis  14.  Jahre,  die  Kinder  von  Beamten, 
Kaiifleaten  n.  s.  w,  and  die  Kinder  von  Straßenkehrern,  Bedienten 
n.  8.  tmd  da  zeigt  sich  gar  nichts  von  den  angeblichen  Übebr 
sondern  das  Gegentheü  davon  zeigt  sidi.  Und  da  redet  man  von  der 
Sache  noch,  als  'sei  sie  ganz  dunkel,  als  sei  sie  ein  „Mysterium*,  Ober 
das  man  sich  in  allerlei  Fabeleien  ergehen  kann! 

Da  wird  auch  gesagt,  diese  Schale  bilde  nicht  für  das  Leben. 
Sie  seilen,  wie  es  mit  der  Auffassung  pädagogischer  Grundsätze  geht, 
wir  alle  stimmen  dem  S at/i  bei,  dass  die  Schale  für  das  Leben  bilden 
soll,  namentlich  die  Volksschule.  Aber  was  heißt  denn  ^^Leben'^? 
Und  was  heißt  ,,fUrs  Leben  bilden''?  Etwa  das,  dass  man  alle  Kinder, 
die  in  die  Sclmle  kommen,  sogleich  classificii'e  und  abstemple,  ihnen 
■  eine  Etikette  gebe  nach  dem,  was  sie  einst  werden  sollen?  Woher  weiß 
man  denn  das?  Kann  man  denn  sag:en:  Du  kleiner  Sieben-  oder  Acht- 
jähriger, du  bist  ein  Schneider,  ein  Schuster,  ein  Landratli.  ein  Re- 
gieninpfsratli,  ein  Tagelöhner,  ein  Ministei?  Das  ist  ja  irnnz  unmög- 
lich. Sehen  8ie,  das  ist  Afterpadao:oo-ik.  Hier  sage  ich  dt  lu  Lehrer: 
Thue.  was  deines  Amtes  ist,  und  lass  deinen  Vorwitz I  Was  eiimial 
im  Leben  aus  den  Kindern  werden  mag,  das  weiüt  du  nicht.  Maße 
dir  uiclit  an,  Dinge  zu  wiesen,  die  kein  Menseh  wissen  kann!  Wie 
kann  ich  denn  mit  Bestimmtheit  sagen,  dass  der  Sohn  eines  Land- 
rathes  einmal  gewiss  kein  Tagelöhner  werden  wird?  Es  sind  ja  in 
der  Welt  ähnliche  Fälle  schon  voigekommen.  Oder  wie  kitunte  ich 
denn  wissen,  dass  das  Kiud  eines  Tagelöhners  uiclit  eiiuiiai  ein  Land- 
rath werden  kann?  Wenigstens  ist  das  gesetzlich  nicht  ausgeschlossen, 
soviel  ich  weiß,  im  Staate  der  Gleichberechtigung  der  Bürger.  Mit 
einem  Worte:  Standesverhiltnisse  gehen  den  Lehrer  als  solchen  nichts 
an,  sie  sind  nicht  seines  Amtes.  In  unserer  Schale  hahea  wir  keine 
Tagelöhner  oder  Kauflente  oder  Beamte,  wir  haben  da  nur  Kinder 
Zöglinge;  das  ist  der  pädagogische  Standpunkt,  und  sich  auf  diesen 
Standpunkt  zn  stellen,  ist  die  Pflicht  des  gewissenhaften  Lehrers. 
Nimm  die  Kinder,  wie  sie  sind,  behandle  sie  alle  mit  gleicher  Ge- 
rechtigkeit, gleicher  Sorgfgdt,  gleicher  Treue  und  gleicher  lasHäB;  siehe, 
was  du  aus  ihnen  machen  kannst,  und  wenn  die  Zeit  deiner  Wirk- 
samkeit abgelaufen  ist,  so  überlasse  getrost  Gott  und  dem  Leben  das 


Digitized  by  Google 


—   600  — 

Weitere!  —  Die  diuasische  Pädagogik  spricht  in  dieser  Besiehiuig 
anders  als  die  Afterpädagogik:  Die  Bildtmg  fOr  das  Leben  besteht 
nieht  in  der  Abrichtnng  l&r  momentane  Verhältnisse,  nicht  in  der 
Pflege  dessen,  was  gestern  gegolten  hat,  -was  hente  gilt  and  morgoi 
gelten  soll  Kant  sagt:  Die  Erzielum^  mnss  erfolgen  nicht  für  den 
gegenwärtigen  Zustand  der  Gesellschaft,  sondern  für  einen  künftigen, 
möglichst  besseren,  also  im  fortsehrittlielien  Sinne.  BildoQg  fürs  Leben 
ist  ihm  die  Vorbereitung-  zu  allmählicher  Verbessening  aller  bestehen- 
den Verhältnisse  nach  dem  Ideale  und  der  ganzen  Bestimmung  der 
Menschheit.  So  sagt  Kant,  und  seinem  Princip  ist  selbst  dasjenig-e  ver- 
wandt, mit  wekliem  die  Gegenpartei  ihre  Pädagogik  schmückt. 

Diese  Pädagogik,  flie  sich  nnf  theologische  Satzungen  und  poli- 
tisiehe  ^Liximen  stützt,  bekennt  bekanntlich  als  ihr  Princip,  als  ihi-en 
leitenden  (Grundsatz:  ..die  Er/ielinnii  zum  Ebenbilde  Gottlos".  Das  ist 
g-ewiss  ein  erhabenes,  eiu  l)egei^<lerniles,  wenn  auch  nnerri  icbbares  und 
für  den  schwachen  Menschenverstand  ein  weniir  ilunkles,  ai)er  immerhin 
edles  Ideal.  Wenn  mau  nur  allen  Ernstes  daran  ginge,  es  auch  zu 
verwirklichen,  von  selten  derer  nämlich,  die  es  aufstellenl  Ist  denn 
das  das  l'Jtenbild  Gottes,  was  man  nach  der  Praxis  dieses  Systems 
aus  den  Kindern  machen  will?  Jch  finde  das  nicht.  Ks  war  eine 
Zeit,  —  sie  hat  ungefdr  1000  Jahre  gedauert  —  wo  die  Pai-tei,  welche 
dieses  Ideal  aufstellt,  ganz  allein  über  die  Bildung  des  Volkes  verfügt 
hat,  und  da  kam  schließlich  ein  Mamit  der  selber  ihrem  Stande  an- 
gehörte^ D&nMch  Luther,  ond  besah  sich,  was  aus  den  Menschen  ge- 
worden war  unter  der  vorgeblichen  „Erziehung  znm  Ebenbilde  Gottes^ 
Die  Kritik,  welche  Luther  aber  das  Bildnngswesen,  wie  er  es  T0^ 
fiind,  ausgesprochen  hat,  ist  bekanntlich  eine  sdir  drastische,  aber 
auch  eine  wahrheitsgetreue.  Er  sagt:  JhA  Volk  lebte  dahin,  wie 
das  liebe  Vieh  und  unvemfinftige  Säue.**  Das  war  doch  offenbar  nicht 
das  Torgezeichnete  Ziel  gewesen.  Nun  ist  es  zwar  etwas  besser  ge- 
worden, man  acoommodirt  sich  denn  doch  einigermaBen  dem  Zeitgeist; 
aber  eine  solche  Zwecksetznng,  wie  sie  in  der  Praxis«  der  Theorie 
wenig  entsprechend,  gehandhabt  wird,  ist  nicht  das,  was  idi  als  Eben- 
bild Gottes  betrachten  kann.  Denn  wenn  man  fordert»  die  Kinder 
sollen  sogleich  erzogen  werden  zu  der  oder  jener  Leboisstdlung.  za 
der  oder  jener  Erwerbs-  und  Bemfsth&tigkeit,  wenn  man  namentUeb 
verlangt,  die  Kinder  sollen  erzogen  werden  zu  durchaus  folgsamen 
Unterthanen,  zu  willigen  und  emsigen  Steuerzahlern  u.  &  w.,  so  sind 
das  allerdings  praktische  und  zum  Theil  in  gewissen  Grenzen  aner- 
kennenswerte Zwecke;  aber  mit  dem  „Ebenbilde  Gottes""  haben  sie 


üiyiiizeü  by  GoOgle 


—  601  — 


nichts  ZQ  schaffen,  nnd  doch  sollte  man  nicht  vergessen,  dass  das 
Kind  auch  ein  menschliches  Antlita  tr&gt,  dass  es  aach  zur  Menschen- 
würde enogen  irerden  soll  nnd  nicht  blos  zu  spedellen,  einseitigen 
und  veigftngliehen  Zwecken.  Man  mnss  dem  Ideale,  das  man  an&tellt, 
anch  in  der  Praxis  naehznkommen  suchen«  Das  geschieht  aber  von 
selten  der  modernen  Afterpftdagogik  leider  sehr  wenig. 

Nun  nur  noch  ein  paar  Bdspide,  wie  diese  falsche  Richtung  sich 
nicht  blos  mit  der  Pädagogik  im  engeren  Sinne  des  Wortes  befasst, 
sondern  wie  sie  auch  in  die  Methodik,  in  die  eigentliche  Unterrichts- 
praxis einzugreifen  versucht.   Vor  nicht  langer  Zeit  stand  in  einem 
»onst  zu  den  besseren  deutschen  Schulzeitungen  gehörenden  Blatte 
folgende  Äußerung;::   ,.Wir  können  constHtiivn.  dass  die  gegen  die 
^Normal  wörtermethode"  gerichtete  Strömung  an  maßgebende?"  Stelle 
beachtet  wiid,  und  so  ist  zu  hotten,  dass  die  Normalwürteniiethod«' 
amtlieh  zur  Disposition  cestellt  wird";  das  steht  wüiDicli  in  einem 
suiiit  wirklich  guten  deutschen  Schulblatte  neuester     it.   Nun,  m.  H., 
ich  lasse  mich  hier  nicht  aul  den  Wert  oder  aut  die  Miiiigel  der 
Normal wörtennethüde  eiu,  auch  nicht  auf  die  Lautiiraethode  oder  aui 
die  Schreiblesemethode.   Ich  hebe  nm  das  Verlangen  hervor,  dass 
über  die  Existenz  einer  solchen  Methode  von  „niatigebender  Stelle" 
entschieden  werden  solle,  dass  von  „maiigebender  Stelle"  dem  Lelu-er 
dictirt  werde:  Du  darfst  nicht  mehr  nach  der  Nurnial Wörtermethode 
onterrichten.  Ja,  das  ist  doch,  offen  gesagt,  ein  Appell  an  die  bloße 
<3lewalt  —  anders  kann  ich  das  nidit  bezeichnen.  Was  heißt  denn 
«mafige1)ende  Stelle"?  Heißt  das  die  gewiegteste  und  competeateste 
Autorität  in  Sachen  des  Gedankens,  in  Sachen  des  Wissens,  in  Sachen 
'  der  Lehrkunst?  Oder  heißt  es  die  Steile,  die  gerade  jetzt  die  Be- 
gienmgsgewalt  in  der  Hand  hat?  Die  kann  ich  in  Sadhen  der  Me- 
thodik nicht  fftr  maßg^nd  halten.  Dagegen  mOssen  wir  im  Namen 
der  Pädagogik  nnd  der  Schnlwissenschaft  entschieden  protestiren,  dass 
Aber  Angelegenheiten,,  ttber  die  jahrhundertelang  die  eifrigsten  und 
gewissenhaftesten  SchnlmSnner  gedacht  und  Versuche  angestellt  haben, 
auf  einmal  durch  ein  Reglement  entschieden  werde.  Wohin  kämen 
wir  denn  da?   Da  pensioniren  wir  einfädi  die  ganze  Pädagogik  nnd 
Methodik.   Flunkeiii  wir  doch  nicht  mehr  mit  Pädagogik  auf  den 
Lehrplänen  der  X^hreneminare,  schalfen  wir  sie  ab  und  sagen  wir: 
Nun  also,  was  ihr  thun  sollt,  mögen  die  gewaitbabenden  Mandarinen 
befehlen.   Ich  ließe  mir  das  noch  gefallen,  wenn  die  sogenannten 
maßgebenden  Stellen  wirklich  aus  Fachmänneni  bestünden,  wie  im 
eigentlichen  Mandarinenlande,  wenn  es  Coliegien  wirklicher  Sachver- 


Digitized  by  Google 


—   602  — 


1 


stüiuliger  wären.  Das  ist  aber  meistens  nicht  der  Fall.  Wie  sich 
also  Schuimänner  und  selbst  freisinnig-e  zn  solch  unbefugter  Bevor- 
mundung bekennen  können,  ist  mir  f^anz  nnbpcneiflich.  Icli  Termisse 
da  g-eradezu  das  Standesehrßrefülil.  Haben  Sie  je  erlebt,  m.  H.,  dass 
etwa  Mediciner  oder  .Turisteti  oder  Naturt'orseher  nder  Grammatiker 
oder  Historiker  wegen  t  im  i  '.\  i^senschaftlichen  t>treitfrajc:e  die  ..maß- 
gebende Stelle'*  zur  Eut^cheiduiijLif  anjrerulen  hätten?  Hat  jemals  dn 
Arzt,  ein  Naturforscher  u.  s.  w.  gesagt:  Warte,  lieber  (  ollege.  ilie 
Ansicht,  die  ich  habe,  muss  gelten,  und  die  meine]  <Tegner  mus>.s  amtr 
lieh  ziu-  Dispusition  gestellt  werden;  ich  werde  an  die  hohe  Re- 
gierung appelliren,  die  niuss  meiueu  Geguei'n  das  Handwerk  leeren?  — 
Da  hörte  dot^li  <,^eradezu  die  ganze  Wissenschaft  auf,  die  ja  aui  dein 
Princip  der  freien  Jr'ursehung  ui;d  Prüfung  beruht.  Und  was  soll 
man  denn  von  einem  Lehrer  denken,  der  eine  lange  Beihe  von  Jahren 
IiindiirdL  hat  Sebideii  besuchen  mflssen,  der  aicli  hat  hinsetzen  mausen 
auf  die  Sehullkaiik  bis  zum  zwanzigsteil  Jabre,  der  hemach  mefaiere 
FrOjAmgen  bestanden  und  quasi  das  Meisterdiiilom  erhalten  hat,  nun 
aber  die  amtliche  Anweisung  bekommen  soll,  nach  welcher  Methode 
er  den  Kindern  das  Abc  beizubringen  habe?  Wird  denn  auch  nor 
der  ein&cfaste  Handwerker,  nachdem  er  Meister  geworden  ist,  sieh 
auf  solche  Weise  behandebi  lassen?  —  So  behandelt  man  Lehrbubes, 
nicht  Meister. 

Abel'  die  BeTormundungssucht  wichst  zusehends.  In  einer  Schrift 
aus  dem  yorigen  Jsbie  verlangt  sogar  einer  recht  nachdrücklich,  die 
Regierung  und  die  Gesetzgebang  and  die  Staatsverwaltung  und  die 
staatlichen  AuMchtsorgane  sollten  für  ein  im  ganzen  Reiche  gleiches 
lautrichtiges  Lesen  und  Singen  sorgen.  Dazu  wird  noch  verlangt» 
dass  eine  Centralgesangschule  unter  staatlicher  Aufsicht  und  Leitnng 
hergestellt  werda  Ja,  hat  denn  diese  Sehnsucht  nach  Bevonnundongt 
nach  Gängelang  and  Leitung  gar  kein  Ende?  Was  soll  denn  all« 
noch  regiert  und  normirt  werden?  Ich  wüsste  fast  nichts  mehr,  was 
übrig  bleibt.  Es  crassirt  jetzt  eine  wahre  Sudir,  eine  wahre  Epidemie 
der  ..Veixtaatlichnng";  alles  soll  ..verstaatlicht'  werden,  nicht  blos 
das,  was  naturgemäß  am  besten  im  Interesse  und  nach  den  Gesichts- 
punkten der  Gesammtheit  g:eleitet  wird,  snndeni  alles  ins  l>eiail. 
Damit  wird  radezu  der  Absolutismus  frenifen.  T*nd  wenn  er  dann 
kommt,  so  ist  er  ja  nur  die  Ergänzung  und  Belriedig^ung  des  Knedits- 
sinues,  der  sich  überall  aus.siiriehr.  Wenn  man  es  .,von  unten"  duri  h- 
aus  haben  will,  so  wird  man  sich  „von  oben"  dazu  herbeiiasjsen.  alles 
Mögliche  zu  dirigiren  und  zu  bestimmen.  Alles  soll  „verstaatlicht" 


Digitized  by  Google 


—   603  — 


weiden,  nicht  blos  der  Tabak  imd  die  Eisenbahnen,  sondern  anch  die 
Gedankenwelt,  das  ganze  geistige  Lehen,  die  WisBenachaft,  die  Kunst, 
die  Gewissen,  das  PflicbtgeflUil  nnd  vor  allem  die  PSdagogik;  es  soll 
eigentlich  nor  noch  das  für  recht  und  verbindlich  gelten,  was  vor- 
geschrieben ist,  nicht  mehr,  was  die  innere  Stimme  spricht 

Es  ist  offenbar,  dass  diese  Richtung  ans  ganz  and  gar  abführen 
würde  vom  deutschen  Geiste.  Da  mflsste  doch  alles  höhere  Cultur- 
leben  sinken  und  mit  der  Zeit  ganz  untergehen;  namentlich  würde  jede 
wahrhaft  fruchtbare  Bewegung  auf  pädagogischem  Gebiete  onm^Jglich 
werden.  Es  ist  schon  heute  des  Regierens  viel  zu  viel,  weil  es  dar- 
über hinausgeht,  die  nothwendigen  Grenzen  und  Wirkungskreise  für 
die  freie  pädaf^onrische  Thatigkeit  zn  bestimmen,  und  auch  auf  das 
Innere  ein^^reifen  wiW.  Und  da  %s'undert  man  sich,  dass  jetzt  keine 
grulien  originalen,  bahnbreclieuden  Pädagogen  mehr  autti'»'ten!  Ja, 
m.  Ii.,  las  ist  doch  sehr  begreiflich.  Denken  Sie  denn,  dass  lieute 
ein  Comenius,  ein  A.  H.  Krancke,  ein  Rnchow.  ein  Pestalozzi  möglich 
wäre?  Nein,  sie  könnten  nicht  existirrii,  mi  um  ein  oriLniiMll  sehaf- 
fpndf-r,  ein  productiver  Pädagog  zu  sein,  dazu  gehören  ja  nicht  V)lus 
Gedanken,  .sondern  auch  eine  Wirkuiigssphftre,  ein  Bereich  der  prakti- 
jschen  Thätigkeit.  Aber  das  ist  ja  bei  «lern  lieutigen  Scliablonenthum 
für  freies  Schaffen  gar  niclit  mehr  vuiliauden;  die  Zwangsjacke  des 
Bureaukratismus  macht  es  uumüglich,  und  wenn  wir  so  fortnchreiten, 
so  weiß  ich  nicht,  wo  die  deutsche  Pädagogik  noch  Kaum  findeu  soll. 

Indessen,  ich  eile  zum  Sclilusse.  Ich  habe  mich  auf  wenige  Mo- 
mente beschränkt,  ich  habe  besonders  hervorgehoben,  dass  gegenwärtig 
die  Pftdagogik  in  einer  sehr  ansicheren,  schwankenden  Sitnation  ist, 
insofern,  als  man  nicht  weiB:  'was  soO  Anin  eigentlich  gelten?  was 
soll  die  Norm  der  Pftdagogik  sein?  wovon  soll  man  aosgehen  and 
worauf  soll  man  hinstreben?  sollen  die  Nonnen  aas  der  Sache  selbst» 
ans  den  eigenen  Idealen  nnd  Gesetsan  der  Menschenbildnng  entnommen 
werden,  oder  sollen  sie  ehifiudi  auf  Dictaten,  auf  Uachtsprttchen  be- 
mhen?  —  Das  ist  heatigestags  die  Frage.  Es  wird  noch  eine  Zeit 
danern,  bis  dieser  Strdt  entschieden  sein  wird;  momentan  steht  er 
nicht  gftnstig,  momentan  scheint  es  ihst,  als  ob  das  Bevormondnngs- 
^ystem  die  Oberhand  gewinnen  nnd  die  freie  PIdagogik  veniiehtet 
werden  sollte.  Das  wäre  der  Niedergang  alles  geistigen  Lebens  nnd 
der  Tod  aller  Berufsfreudigkeit  des  Lehrerstandes.  Woher  soll  denn 
die  Erqaickang  und  die  Kraft  für  die  täglichen  Mühen  des  Benife 
kommen,  wenn  nicht  aus  den  Idealen  der  Pädagogik?  A\  eder  aus 
starren  Ordonnanzen  nnd  Vorschriften^  noch  aas  jenen  Büchlein,  die 

F»da(a(iiim.  fl.  Jahiguf.  Z.  Btft.  39 


Digitized  by  Google 


—  604  — 


man  jetzt  zusammenarbeitet  nach  officiellen  Schablonen,  schöpfen  unsere 
jungen  Lehrer  Lebenski-aft.  Wenn  man  diese  Leitfarlen  des  pädago- 
o'i-rlif^n  Studiums  einer  genaueren  Prüfung  unterzieht,  >o  tiiidet  man 
in  vielen  nichts  Belebendes,  nichts,  was  erhebt  und  begeistert,  sondern 
nur  todtes  Papier,  dürre  Worte,  Systemwfsen.  Km  •"beiiwerk,  ein 
Sammelsnriuni  für  den  Examentisch.  Da  gilt  dann  des  Dichters  Wort: 
,.Kr(|uickuug  liast  <lu  niclit  crewoTiTif-n.  wenn  sie  dir  nicht  aus  eigner 
iSeeie  quillt/'  Aber  wie  kann  .»le  dkiuu  lirraus(iiu'llen,  wenn  man  nur 
das  Todte,  das  Unlruchtbaie,  das  Abg^estorl)eue,  das  ^Reite  •  wie 
man  es  nennt  —  hineinlegt?  Reif  ist  auch  dürres  Stroh.  Das  ist 
so  die  ofticiös  zubejeitete  „Milch  der  frommen  Denkungsart~.  Wie 
das  aber  nachher  wiikt,  ob  ah  abgestandenes  Wasser,  oder  *3:ar  als 
„gährend  Drachengift",  darum  scheint  man  sich  nicht  zu  kunnneru. 
Ich  weiß  genau,  dass  viele  junge  Lehrer  diese  Geiötesnahiuug  ma  so 
lange  zu  sich  nehmen  und  bei  sich  behalten,  als  sie  müssen,  später 
aber  die  dürren  Scharteken  auf  die  Seite  weifen  und  nun  erst  an- 
fangen, etwas  Lebendiges  und  Fruchtbares  zt  lesen  und  zn  stndlim 
Aber  es  ist  doch  nicht  das  Bechte,  dass  man  ihnen  in  den  besten 
Jahren  die  freie  Pidagogik  der  Altmeister  mit  der  Schere  theologi- 
scher BescbrSnktheit  und  boreankratischer  Be?ormandnng  zoschneidet, 
and  eine  Wendung  zam  Besseni  wflre  dringend  geboten. 

M.  R,  die  Zeit  ist  trübe,  aber  ?erzagen  wir  nicht!  Ich  spreche 
keine  blofie  Phrase  ans,  wenn  ich  sage:  Verzagen  wir  nicht I  Ich 
meinestheils  lasse  den  Math  nicht  sinken.  Es  hat  sdne  guten  (Erfinde, 
wanun  jetzt  ein  Niedergang  des  Geisteslebens  stattfindet»  warom  die 
Beaction  obenauf  kommt  Die  deutsche  Nation  hat  neuerdings  in 
kurzem  so  außerordentlich  viel  zu  leisten  gehabt  und  wirklich  geleistet, 
wie  keine  Nation  in  der  Weltgeschichte  in  so  kurzer  Zeit  geleistet 
hat  —  in  miütftrischer,  in  politischer,  in  finaozieUer,  in  wirtscliaft* 
lieber  Beziehung  sind  die  höchsten  Anforderungen  an  die  deutsche 
Nation  gestellt  worden,  und  sie  hat  diese  Anforderungen  mit  wahrem 
Heldenmuthe  aut  sich  genommen.  Die  Folge  ist  nun  eine  gewi^ 
Ermüdung,  eine  gewisse  Erschlaffung  des  Geisteslebens,  die  wir  ver- 
zeihlich finden  müssen.  Denn  der  Mensch  ist  kein  Gott:  seine  Kraft 
ist  beschränkt,  und  eine  Natiun.  die  auf  einer  großen  Keihe  von  Gt^- 
bieten  so  Großes  in  so  kurzer  Zeit  ge  leistet,  muss  man  nichi  ini»- 
trauisch  an-  Ii-  ii,  wenn  sie  einige  Zeit  die  Flügel  hängen  lässt.  »Ultra 
posse  n  t  >biigatur",  mehr  als  des  Menschen  Kraft  zu  leisten  ver- 
mag, muss  man  von  niemand  verlangen,  auch  nicht  von  der  deutx-lieii 
Nation.   Sie  muss  zunächst  ihre  äußere  Existenz,  ihre  allgemeiuen 


üiyiiizeü  by  GoOgle 


—    605  — 

Yerbflltnisse  sichern;  denn  das  ist  in  der  Welt  Überall  so,  dass  erst 
die  materiellen  Existensbeding^nngen  gesichert  sein  müssen,  ehe  der 
edlere  Gebalt  des  Daseins,  das  Ideale,  zor  BlUte  kommen  kann.  Lassen 
wir  also  getrost  die  deutsche  Nation  eine  Weile  schlummern  und  ans- 
mhen,  sie  wird  sich  wieder  erheben,  seien  Sie  dessen  gewiss!  Wir 
haben  ja  viel  schlechtere  Zeiten  hinter  uns,  als  die  jetzigen  sind. 
Denken  Sie  etwa  an  den  geistigen  Niedergang  der  deutschen  Nation 
im  späteren  Mittelalter,  odei-  an  die  Schmach  derselben  in  der  Zeit 
des  30jährigen  Krieges;  oder  denken  Sie  auch  daran  —  was  uns  ja 
viel  näher  liegt  —  wie  tr&be  vielen  Helden  unseres  Bernfes  ihre 
Lebenssonne  untergegangen  ist,  denken  Sie  an  Comenius,  an  Pesta> 
lozzi,  an  Diesterweg.  Icli  weiß  aus  eigener  Erinnerung,  dass  die 
Sympathien  fui*  Diesterweg  mit  jedom  Jahre  mehr  zurücktraten,  und 
dass  ihn  dies  tief  kränkte.  Aber  wenn  solche  Männer  trotzdem  stand- 
haft ))liehen,  so  m'öixi^  uns  das  ein  Vorbild  sein,  das«  aucli  wir  ?uis- 
harren  in  schliinmer  Zeit,  in  rlfr  H  ittimn"'  auf  eine  besseiHi  Zukunft. 
Diese  Zukunft,  die  Zukunft  uTi^eivr  bchule  und  unserer  Nation,  liegt 
nii'ht  in  der  Knechtschaft,  sie  lieg-t  in  der  Freiheit!  Und  wenn  man 
lieut€  tausendmal  alle  Ideale  verhöhnt  nnd  sie  als  bloße  Phrasen  Ite- 
zeichnet,  sie  werden  gelten  für  alle  Zeiten,  sie  werden  sich  iimuer  als 
das  Siegel  unserer  göttlichen  Abstammung  bewähren  und  einst  den 
Sieg  davon  tragen  über  alle  Hemmnisse  des  freien  Menschengeistes. 
Harren  wir  also  aus,  wenn  wir  auch  diesen  Sieg  nicht  erleben  sollten. 
Bleiben  wir  treu  unseren  Idealen,  geirosteu  wii*  uns  der  Gewissheit, 
dass  wenige,  aber  gewichtige  Zeitgenossen  unser  bescheidenes  Wirken 
anerkennen.  Dann  mag  kommen«  was  da  will,  und  wenn  die  letzte 
Stande  schlägt,  so  ethebe  m»  der  (Mauke:  „Wer  den  Besten  seiner 
Zeit  genug  gethan,  der  hat  gelebt  för  alle  Zeiten!" 


9B* 


Digitized  by  Google 


über  die  Pflege  des  Wahrlieltssinnes  in  der  Selmle,  besoidero 

in  der  höheren  Schule. 

Von  OyrnnaBuMiredor  Dr,  UronkB'-THer, 

Eine  schwere  Krankheit,  an  der  unsere  Zeit  leider  und  die, 
selbst  freilich  vielfach  durch  andere  Ersclieinungen  des  g:e>ell<cliaft- 
lichen  Lebens  verui-sacht,  doch  schweren  naclitlieilitren  Einlluss  auf 
unser  (ganzes  nationales  Leben  auszuüben  droht,  das  ist  der  Mangel 
an  Wahrhaftijrkeit.  Tm  häuslichen  Leben,  bt^ini  KaiUinanne,  in  der 
Politik,  überall  btubachten  wir.  dass  die  Wahrheit,  die  Ottenheit  viel 
zu  <»ft  zurückgedrängt  wird  durch  die  verschiedenartigsten  Interessen. 
Die  Mutter  lehrt  ihr  Kind,  es  solle  nie  duixh  eine  Lüge  seinen  Mund 
beschmutzen,  sie  bestraft  es,  weil  es  eine  Unwahjheit  gesagt,  und  in 
demselben  Momente  gibt  sie  vielleicht  der  Magd,  welche  BeSDch 
anmeldet,  in  Gegenwait  des  SiBdes  iten  Auftrag,  sie  (die  Matter)  „n 
verleagnen**.  Die  sogen.  G^esellschaft  ist  hieran  gewöhnt;  ein  offenfis 
Eingestehen,  dass  man  zwar  sn  Hanse,  aber  dnrcb  bAusUche  Arbeit 
verhindert  sei,  Besnch  zn  empfangen,  würde  eine  sdiwere  Bdeidignng 
sein;  jeder  weiB,  was  die  Bedensart  «die  Herrschaft  ist  nicht  zn  Hanse" 
bedeutet,  nnd  ist  mit  dieser  „unwahren**  Form  der  Abweisung  znfrie* 
den.  —  Der  Kanfimann  bethenert,  dass  die  vorgelegte  Ware  echt  sei, 
er  fbhre  flberbanpt  keine  nnechte  Ware,  nnd  doch  weiß  er  genau, 
dass  er  dem  Consnmenten  unechte  Ware  anpreist;  die  Seide  ist  mit 
andern  Stoffen  yermiaeht,  die  Colonialwaren  sind  viel&ch  gefiUscht 
n.  s..f.  Diese  Unreellitftt  hat  der  deutschen  Industrie  namentlich  in 
ihrem  Wettbewerbe  mit  dem  Auslande  auf  dem  allgemeinen  Weltmarkt 
bereits  viel  geschadet  Unrichtige  Bezeichnungen  haben  sich  schon 
voUständig  eingebürgert;  so  —  um  nur  ein  Beispiel  anzuführen  — 
wissen  VerkÄufer  wie  Käufer  genau,  dass  der  Name  ..Holzkohleni-oh- 
eisen"  durchaus  nicht  der  Sache  entspricht.  —  In  der  Diplomatie  wie 
im  hohen  Gesellschaftsleben  scheint  überhaupt  die  Sprache  nur  noch 
ausnahmsweise  da  zu  sein,  um  die  wirklichen  Gedanken  auszudrücken, 


Digitized  by  Google 


—  607  — 


in  (k'ii  meisten  Fällen  soll  sie  nui*  zur  Verberguug  des  waliien 
Denkens  dienen,  um  den  Hörer  direct  auf  eine  falsche  Spur  der 
Gedankenentwicklun^  zu  brin^^en.  Es  ist  klar,  dass  diese  Missachtung 
der  Wahrheit  —  um  kein  schliramere.«i  Wort  zu  gel)rauchen  —  auf 
die  Jugend  nicht  ohne  Riickwii'kuug  bleiben  kann,  dass  vielmehr  dieser 
giftige  Hauch  allmählich  auch  die  weichen  Gremtither  der  Jugend 
inficirt-,  vielfach  habe  ich  gefunden,  dass  diese  bereits  das  Gefühl  von 
der  Hässlidikeit  der  Lüge  verloren  hat,  und  ich  betnebte  es  daher 
als  eine  weeentiiche  Aufgabe  aller  Sdmlen,  der  niederen  ^e  der 
höheren,  das  zom  Theil  verloren  gegangene  klare  Bewnsstaein  von  der 
Verderblichkeit  der  Lüge  wieder  zn  wecken  and  zom  Gemeingnt  der 
dentschen  Jngend  zu  machen. 

•  Um  die  richtigen,  whrksamen  Mittel  gegen  eine  Krankheit  — 
und  der  Hang  znr  LQge  ist  sicher  eine  Krankheit  des  Gdstes  — 
anwenden  zu  können,  muss  man  den  Ursprung  dersdben,  dieSymptoime, 
in  denen  sie  sich  zeigt,  die  UmstSnde,  welche  sie  verursachen  und 
fördern  und  der  vollen  Wirkung  der  Heihnittel  entgegen  stehen,  genan 
kennen  lemen.  Was  den  Anfiuig  der  Unwahrheit  bei  Kindern  betrifft, 
so  gehen  die  Meinungen  der  PAdagogen  weit  auseinander;  während 
die  einen  den  Hang  znr  Lfige  als  angeboren  ansehen,  finden  die 
andern,  dass  das  Kind  von  Nator  aus  nur  Liebe  zur  Wahrheit  habe, 
und  dass  die  natm*widrige  Lüge  ilim  erst  anerzogen  werde.  Soweit 
meine  Erfahmngen  reichen,  kommen  beide  Fälle,  sowol  der  angeborene 
als  auch  der  anerzogene  Hang  zur  Unwalirheit  vor.  Schwer  ist  es, 
ja  in  einzelnen  Fällen  unmöglich,  zu  untei-scheiden ,  ob  ein  Kind  die 
Unart  — um  diesen  Ipichten  Ausdiuck  zu  g'ebrauclien  —  von  Natuj-  aus 
oder  durch  Erziehung  hat.  Wenn  in  einer  zalilreichen  Kinderschar  einer 
Familie  alle  stets  ehrlich  und  gferade  aus  die  Wahrheit  sagen,  und 
eines  ist  unter  ihnen,  das  sich  in  dieser  Beziehunj»  umgekehrt  verhält, 
das,  wenn  auch  nicht  direct  lügt,  so  doch  die  wirkliche  Sachlage  zu 
verschleiern  sucht,  i^t  man  wol  berechtigt  anzunehmen,  dass  hier  ein 
V'Ui  der  Natur  ^2^egel»ener  Hang  zur  Unwalirheit  vorhanden  ist;  bei 
suUhen  Kindern  habe  ich  immer  aucli  gefunden,  dass  sie  koii)erlich 
nicht  gesund  sind,  dass  sie  vielmehr  meist  an  Scropheln  oder  an  ii-gend 
einer  andern  inneren  Ivrankheit  leiden,  so  dass  der  physische  Fehlei* 
vielleicht  als  die  Ursache  des  geistigen  Gebrechens  erscheint.  Bei 
den  meisten  Jvindern  ist  aber  der  Geist  der  Unwahrheit  im  Hause 
auerz<jgen,  und  die  Schule  nimmt  ihre  Zöglinge  auf  mit  der  ausge- 
prägten Liebe  zur  Wahrheit  oder  dem  Hang  zur  Lüge;  namentiich 
sind  in  dieser  Hinsieht  die  höheren  Schulen  ungünstig  gestellt,  welche 


üiyiiizeü  by  Google 


—   608  — 


ihre  J^chilltir  :stcts  nur  in  lein  Alter  anlnelimen,  wo  dt-r  kindliche  Geist 
nicht  mehr  so  leicht  aiiberen  F'indriiokeu  zugaiiglich  ist,  wo  er  durcli 
da^  mahnende  Wort  des  Lehrers  um  noch  schwer  in  eine  neue  Rich- 
tung gelenkt,  einem  etwaigen  verderblichen  Einflüsse  des  Huusbs 
gegenüber  mit  Erfolg  zur  strengen  Wahrheit  angeleitet  werden  kann. 
Dass  in  erster  Linie  das  BUternhaos  für  die  Weckung  des  Gefühls  fiii 
Wahrheit  zu  sorgen  hat,  und  dass  die  Schule  nie  allein  —  ohne  die 
häusliche  Unterstfltzang  —  den  Kampf  gegen  die  Unwahrheit  erfolg- 
reich fahren  kann,  ist  Idar.  Wir  wollen  hier  aber  nicht  ttber  das 
Verb&ltniB  von  Schnle  and  Hans,  ohne  deren  Übereinstimmnng  eine 
gedeihliche  Erziehung  der  Jugend  überhaupt  rein  nnmdglich  ist, 
sprechen,  sondern  nur  einige  Hauptpunkte  herrorheben,  wdche  die 
Schule  und  der  Lehrer  zu  beachten  haben,  sofern  die  Jugend  sur 
Wahrheitsliebe  erzogen  werden  soll 

Fragen  wir  uns  zunAchst,  ob  nicht  vielleicht  in  den  Einrichtungen 
der  Schalen  (namentlich  der  higheren)  Uissstände  Torhanden  sind,  die 
geradezu  die  natürliche  Entwicklung  des  Wahrheitssinnes  hindern  und 
zurückhalten,  llii  r  müssen  vdr  gestehen,  dass  sowol  in  der  herrschen- 
den Didaxis  wie  in  der  üblichen  Pädagogik  mandie  Punkte  vorhanden 
sind,  welche  bei  den  Schülern  die  Hochachtung  vor  der  absoluten 
Wahrheit  ven*ingem  müssen.  In  dieser  Beziehung  erinnere  ich  zu* 
nächst  an  das  Erlassen  von  Verboten  und  Geboten,  deren  Innehaltung 
nie  erreicht  werden  wiid  (auch  nicht  bei  guten  folgsamen  Schülern), 
und  deren  Niclitbefnl<^ng  auch  seitens  der  Schule  nie  mit  Ernst  be- 
straft werden  wird.  Wenn  auch  ^regenwarti^  die  Schulordnnniren 
wesentlich  besser  als  die  fiiiheren  geworden  sind,  und  wenn  auch  die 
Handhabung  der  Schul L-^esHtzf'  eine  rationellere  i^e worden  ist  (ich 
erinnere  an  den  frühf  r-n  1  iirug  der  <THhlsamni]uii-en  für  Geschenke 
an  Leiirer  trotz  der  Verbute  u.  s.  f.j,  so  entJiaiten  duch  di»-  meisten 
der  mir  zu  Gesicht  gekommenen  Schulordnungen  noch  Bestiuuuungeu, 
von  deren  stricte!"  Inuehaltung  duich  die  Schüler  ich  nicht  überzeugt 
bin  (z.  B.  das  absolute  Verbot  der  Leetüre  von  Büchern  aus  Leih- 
bibliotheken an  Anstalten,  die  selbst  gar  keine  oder  doch  keine  hin- 
reichende Schülerbibliothek  besitzen).  Die  Schule  darf  nie  ein  Gebot 
oder  Verbot  geben,  deren  stricte  Beachtung  sie  nicht  auch  mit  alleu 
ihren  Zuchtmitteln  durchfuhren  kann  und  will.  Ein  zweiter  Fehler 
ist  die  häufig  ungenügende  Berücksichtigung  eines  gewissen  bei  der 
Jugend  erwachenden  Ehrgefühles,  das  durch  taetlose  Fragen  und 
Bemerkungen  leicht  verletzt  wird,  wodurch  der  Knabe  scheu  sich  vor 
dem  Lehrer  zurückzieht,  in  ihm  keinen  yäterlichen  Freund,  sondern 


üiyiiizeü  by  GoOgle 


—   609  — 


vielleicht  sogar  einen  hämisclien  Feind  sieht,  vor  dem  er  x  iii  Inneres 
zu  verbergen  bestrebt  ist.  Diese  Thatsache  hat  oft  namentlich  darin 
iliren  (irnnd  fwenn  aneh  nicht  ihre  Entschul<li<,ning-;.  dass  die  Lehrer 
zu  LTi'lu'  ('lassen  vor  si'-h  halten,  in  denen  sie  —  bisweilen  nur  mit 
einigen  wöchentlichen  JStuuden  beschäftigt  —  die  Individualität  dei- 
einzelnen  Schüler  überhaupt  nicht  kennen  lernen  und  daher  dieselben 
Vülliir  vei  kehrt  behandeln.  Hierzu  kommt  noch  et't  die  Neigung,  jede.s 
Verpeheu  des  Schülers,  selbst  das  unbedeutendste  nnd  kleinste,  mit 
drakonischer  Strafe  zu  ahnden;  jede  zu  harte  Strafe  führt  aber  nur 
(laiiin,  dass  die  Schüler  ein  etwaii^es  Verselien.  einen  kleinen  Fehler, 
den  sie  gemacht  haben,  zu  verheimlichen  und  zu  verdecken  suchen; 
sie  kommen  dadurch  allmählicli  auf  den  Weg  der  l'nwalirheit  und  der 
Lüge,  von  dem  sie  eine  milde  Hand,  ein  väterliches,  zum  Herzen 
gehendes  Wort  abgehalten  haben  würde.  In  didaktischer  Beziehung 
ist  vor  allem  der  Missgriü  zu  erwähnen,  dass  vielfach  die  erzieherische 
Aufgabe  von  dem  eigentlichen  Unterrichten  zurückgedrängt,  dass  dem 
letzteren  fast  die  einzige  Berechtigung  anf  der  Sehnle  znerkannt 
wird;  daher  tritt  bei  der  Auswahl  des  zd  erlernenden  Stofies  nnd  der 
LeetQre,  sowie  bei  der  Behandhing  derselben  das  etiiisclie  Moment 
h&nfig  zn  sehr  zorflck.  Dabei  stehen  die  Lehrer  der  einzelnen  Fächer 
an  den  höheren  Schulen  einander*za  fremd  und  zn  gleichgültig  in 
Bezug  auf  die  von  ihnen  gelehrten  ünterrichtsgegeDstfinde  gegenttber, 
sie  sind  durch  die  jetzigen  Einrichtungen  vielftch  zu  Fachlehrern  hu 
engsten  Shme  des  Wortes  herabgesunken*  Dadurch  gerathen  dieselben 
sehr  leicht,  da  ja  jeder  Unterrichtsgegenstand  mit  den  ftbrigen  in 
Berührung  steht,  in  Widerspruch  mit  den  Worten  und  Lehren  eines 
GoUegen,  wodurch  dann  bei  den  Scbälem  die  Überzeugung  entstehen 
mnss,  dass  den  Worten  des  Lehrers  nicht  absolut  Vertrauen  zn  schenken 
seL  Hierzu  kommt  dann  die  Geringschätzung,  mit  welcher  in  der 
einen  Lehrstunde  von  der  wissenschaftlichen  Bedeutung  und  der  Wahr- 
heit der  in  andern  Stunden  gelehrten  O^enstände  abgenrtheilt  wird. 
(Man  denke  nur  an  die  Behandlung  der  naturwissenschaftlichen  Fragen 
in  andere  Stunden!)  Wie  soll  aber  in  solchem  Falle  der  Schüler 
volle:^  Vertrauen  m  den  Worten  des  Lehrers  haben?  wie  soll  sein 
Wahrheitssinn  fjeweckt  werden,  wenn  er  sielit,  dass  seine  Lehrer  selbst 
vielleicht  die  W  ahrheit  so  wenig  hoch  schätzen? 

Schwer  ist  es  auch,  die  nchtige  Grenze  in  der  deutschen  Lectiii*e 
zu  treffen,  wo  man  mit  den  Märchen,  deren  bildenden  Wert  für  die 
Jugend  man  nicht  unterschätzen  darf,  aufhören  muss.  Es  sind  mir 
schon  Zöglinge  vorgekommen,  die  sich  so  in  die  Märchenwelt  durch 


Digitized  by  Google 


—  610  — 


iilteimäljiofe  Leetüre  eingelebt  hatten,  dass  sie  alles  in  übertriebener 
riiuutaijie  als  Märchen  erfassten,  selbst  j^anze  Krzahluuiren  ert'anden 
und  schlielUicli  von  dem  phantastischen  Krtassen  des  gaiiztu  äuilereii 
Lebens  nicht  niehi  zu  lassen  v  litcu,  so  dasü  sie  kaum  noch  ein 
grades  wahres  Wort  vorbringen  kunuten.  Kinder  mit  zu  lebhafter 
Pliantasie  darf  man  nicht  durch  viele  Märchen  noch  veiter  aufregen, 
und  es  mnss  daher  bei  der  Wahl  der  Lectfii«  in  den  betreffendeii 
ClasBen  gebOreode  BflcksiGht  auf  die  IndividaaliUt  der  SchiÜer  ge- 
nommen werden. 

Viol&di  ist  femer  der  An&ng  der  Unwahrbaftigkeit,  der  Wahr- 
heitsverBchlelerang  bei  Schülern  veranlasst  in  dem  Mangel  an  gater 
Oontrole  der  Leistnngen,  vodnrch  Unterschleife  bei  der  Anfertigimg 
der  schriftlichen  Arbeiten,  in  der  Vorbereitnng  zn  den  üntextidite- 
stunden  gefördert  werden;  die  unrichtige  Bemessong  der  hAnslicbea 
An^ben,  welche  die  physischen  nnd  psychischen  Kräfte  der  Schaler 
nicht  voll  berficksichtigt,  die  ungleiche  Yertheilnng  des  an  leistendea 
Pensmns,  die  nnrichtige  Auswahl  der  Themata  m  deutschen  AnMtsai, 
•  worin  noch  ganz  Unglaubliches  bisweilen  geleiatet  wird,  Anweisung 
zu  ausgedehnter  (sogenannter  freiwilliger)  PrivatlectOre,  das  sind  aUes 
Punkte,  welche  die  strenge  WahrheitsUeibe  so  leicht  zu  serstOren  ge- 
eignet sind. 

Neben  diesen  allgemeinen  Missständen  wirken  aber  besondere  in 
der  Individualität  einzelner  Lehrer  beiuhende  noch  zerstörender  aof 
die  Entwicklung  des  Wahrheitssinnes  bei  den  Schülern.  Da  kommt 
nicht  blos  Beschützung  der  Schüler  dui-ch  Lehi*er,  Beschönigung  und 
Verschleierung  von  Unwahrheit  und  Lüge,  sondern  leider  selbst  die 
Anleitiuit^  der  Schüler  znr  Unwahrheit,  zur  Verstellung  gegenüber  dem 
Director,  den  Behörden  u.  s.  f.  vor.  Wenn  Lehrer,  um  ihre  eigene 
Narhlässiofkeit  zu  decken,  die  Schüler  beauftrag:eu,  bei  den  sr))nftH>'hen 
Arbeiten  ein  falsches  I  )atum  der  AhliefVrinig  anzugeben,  und  wenn  der 
Lehrer  selbst  ein  falsches  Datum  Ijei  dem  Correctun'ermerke  J^etzt. 
oder  wPTin  <  r  ilie  Si  Imier  anweist,  beim  Eintritte  des  Ordinarius  oder 
des  i>irectors  (iie  sonst  ge^ittn»  i^  n  I  >ii*  ]ier  zu  scldieiksn  etc.,  dann  walu'- 
lich  kann  man  sich  nicht  wundern,  wenn  in  j^anzen  Classen  das  Be- 
wusstsein  von  der  Hässlickkeit  der  Lüge  und  die  Liebe  zur  oflfenen 
ehrlichen  Wahrlteit  unterdrückt  wird  und  verschwindet. 

Diese  accidentellen  Missfetäade  sind  nur  durch  strengste  Anfsicht 
des  Directors  und  stete  Überwachunsr  der  Ordinarien  über  die  Ordnuug 
ihrer  Classen  zu  bekämpfen  und  zu  i  seitigeii.  Leider  aber  ist  das 
Sti-eben,  die  Dii'ectoreu  und  auch  die  Lehrer  immer  starker  und  stärker 


Digitized  by  Google 


—  611  — 


zu  belasten,  nicht  geeignet,  diese  Aufgabe  zu  erleichtern.  Wenn 
beispielsweise  der  Director,  nicht  vorübergehend,  sondern  ständig, 
selbst  14—16  Stunden  ünten-icht  i  iint  Correr  turen  i  in  g^i-olien  Classen 
zu  ertheilen  gezwnnor^n  ist,  neben  der  <4i  'lun  und  stets  \vaclisenden 
Zahl  von  Schreibereien  (uaiuentlicli  den  statistischen  NachNs  ei>eu),  so 
kann  er  nicht  überall  mit  der  nothwendigen  Sorgfalt  revidiien;  oder 
wenn  ein  Lehrer  24  Stunden  wöchentlich  geben  mnss,  bei  6  Correc- 
luien  (darunter  3  Aufsätze),  in  g:i*oßen  Classen,  da  kann  er  als 
dinarius  den  Director  gar  ni(!ht  mehr  unterstützen.  W  enn  überhaupt 
eine  allgemeine  Überbürdung  stattfindet,  so  ist  es  sicher  eine  solche 
der  Lehrer  und  Directoreu. 

Durch  die  Hervorhebung  der  allgemeinen  und  der  accident eilen 
Missst&Dde,  welche  der  erzieherischen  Aufgabe  der  Schule,  die  Liebe 
ZOT  Wahrheit  zu  pflegen,  entgegenwirken,  ist  auch  gleichaseitig  der 
Hinw^  auf  deren  Beseitigung  gegeben;  sobald  man  das  HenunitiBs 
riehtig  erkannt  hat,  vermag  man  es  anch  fortzuräumen.  Es  wflrde 
also  namentlich  m  achten  sein  anf  richtige  Schnlordnnng,  volle  Be« 
rOcksichtignng  der  Individniüitat  des  Schülers,  richtiges  Strafinaß  bei 
Vergehen,  iänheitlichkett  des  gesammten  Lefarpensiuns,  gute  und  ver- 
ständige Bean&iditigang  der  Schale.  Aber  diese  prophylaktische 
Tfa&tigkeit  allein  genfigt  nicht,  vielmehr  mnss  die  Schale  anch  direct 
einwirken  anf  die  Entwicklung  des  Wahrheitsinnes  und  swar  durch 
directe  ESrweckong  nnd  Fördenmg  desselben  und  durch  Bekfimpfnng 
der  ihm  entgegenstehenden  Laster  der  Lflge,  Täuschung  u.  's.  f.  In 
beiden  Beziehungen  stehen  der  Schule  reiche  {Adagogische  und  didak- 
tische Mittel  zu  Gebote,  durch  deren  Anwendung  sie  auf  die  Jugend, 
wenn  das  Haus  mit  eingreift,  überwältigend  einwirken  kann.  Um 
dies  zu  erreichen,  müssen  zunächst  jederzeit  die  Eltern  von  dem 
Ordinarius  oder  m  d  ssen  Auftrag  von  dem  betreffenden  Lehrer  von 
jedem  Verstoße  ihres  Kindes  ^egen  die  strenge  Wahrheit  in  Kenntnis 
gesetzt  werden,  damit  das  Haus  und  vor  allem  der  Schüler  von  dem 
heiligen  Ernste  überzeugt  wird,  mit  dem  die  Schule  selbst  den  Feld- 
zug gegen  die  Unwahrheit  tiihrt.  Die  speeielle  Aufgabe,  inmifr  und 
immer  Nvieder  den  Schülern  die  Hässliehkeit,  das  Widernatiirliche  der 
Lüge  und  deren  Folgen  Idnr  vor  Auo-pti  zu  führen,  talit  freilich  in 
erster  Linie  dem  Religioii?.iuiierrichre  anlieim.  clcr  leider  so  nelfach 
nnr  die  dürre,  trorkeuf  Doß-matik  h»'rvf>rli(4*t.  walneml  er  x-m  ganzes 
Gewitdit  auf  eine  der  iutt  lli  rruplli  ii  K'i  ati  der  Schüler  der  einzelnen 
Anstalten  entsprechende  Km  wickUuii^  der  Moral  in  voller  bewusster 
Klarheit  zu  WOTfen  hätte.  Aber  auch  der  Ordinarius  wie  der  Director 


L/iyiii^ü<j  by  Google 


I 


—   ßl2  — 

haben,  auknüi'fend  au  manche  Vorkommnisse  in  der  Schule.  iTelegeu- 
heit,  diesen  Gegenstand  vnr  den  Zöjrlingfcu  zu  behandeln  und  dieselben 
vor  der  Versclilt^iei  ung  der  W  ahrheif.  der  hieraus  entspringenden  Un- 
wahrheit und  vor  der  bewussten  Lüg^e  zu  warueu  und  sie  zu  der  steten 
unerlfisslichen  Hociiiiuituug  der  Wahrheit  unter  allen  Umständen  m 
erniaiinen. 

Speciell  möchte  ich  hier  uuch  folgende  Punkte  iier vorheben: 

1)  In  zweifelhaften  Fällen,  in  denen  der  Lehrer  wol  Yoraossetzen 
mnss,  dass  der  Schaler  stark  in  Versuchong  gefOlirt  wird,  bei  der 
Antwort  die  Wahrheit  za  umgehen,  soll  man  den  SchQler  gar  nichts 
oder  doch  nur  in  den  allerdringendsten  Verhältniaaen  dnrch  Fragen 
in  TersQchnng  bringen.  Dies  gilt  nam^tlich  in  Besag  anf  das  Ans- 
fragen  eines  SchQIers  ttber  Mitsehiaer  (leider  selbst  fiber  Lehrer!  nnd 
über  Unterricht  ist  es  schon  geschehen)  nnd  über  Thatsachen,  die 
anHerhalb  der  Anstalt  vor  sich  gehen»  und  von  denen  der  Befragte 
eventnell  selbst  nur  durch  yertraiüiche  liittheüimg  yon  Kameraden  Kennt* 
nis  erlangt  hat  Geradesn  Terderblich  wirkten  in  dieser  Beriehnng 
die  früher  an  vielen  Anstalten  von  Lehrern  selbst  {Mtroniairten  Vei^ 
dne,  welche  aar  Spionage  gegen  Lehrer  nnd  Direetoren»  die  im 
Gemche  der  Freisiunigkeit  standen,  nnd  gegen  Mitschfller  verwendet 
Würden. 

2)  Ist  der  Lehrer  nicht  ganz  klar  darüber,  ob  ein  sonst  wahr- 
heitsliebender Schüler  die  volle,  ungeschminkte  Wahrheit  gesagt  hat» 
so  darf  er  diesen  Zweifel  nicht  direct  und  in  verletzender  Form 
äußern,  selbst  nicht  einmal  wahrnehmbar  machen.  Der  Schüler  mnss 
vielmehr  das  feste  \  eitranen  auf  den  Lehrer  haben,  dass  von  letzterem 
das,  was  von  iliin  als  Wahrheit  gegeben  wird,  auch  als  Wahrheit 
aufgenommen  wird.  Nur  das  Vertrauen  des  Lehrers  zu  dem  Wahr- 
heitssinii^  der  Schüler  weckt  auch  das  Vertrauen  der  letzteren  zu 
ihm  und  nur  in  diesem  Vertrauen  kann  die  absolute  \\'alirlial"tij?keit 
wurzeln.  Es  würde  ungemein  verkehrt  sein,  stets,  auch  wenn  kein 
hinreichender  Grund  zum  Zweifel  vorhanden  ist,  bei  dem  Schiller  die 
Unwahrheit  vorauszusetzen;  denn  (lai  aus  miisste  ein  Verhältnis  zwischen 
Lehrt-r  und  Schüler  entstehen,  das  eher  an  das  des  Häschers  zu  dein 
Verbrecher,  als  an  das  di^s  väterlichen  Erziehers  und  wirklichen 
Freundes  zu  dem  Kinde  erinnert.  Wenn  aber  der  Lelirer  aufmerk- 
sam die  geistige  Entwicklung  eines  jeden  Schülers  vertolgrt.  stets 
darauf  achtet,  dass  das  Wort  auch  den  Sinn  völlig  deckt,  ilass  al*o 
nie  eine  Verschleierung  des  wirklichen  Sinnes  durch  den  Ausdruck 
eintritt,  wenn  er  schon  die  Verdeckung  der  Wahi'heit,  als  den  Anfang 


üiyiiizüü  by  Google 


—  613  — 


zur  Unwahrheit  und  Lü^e,  als  etwas  Unedles,  etwas  de?;  ^rensehen 
ünwürdig'es  behandelt,  das  man  bei  seinen  Sehiileni  gar  nicht  voraus- 
setze, so  wird  dies  Vertrauen  das  Ehi  ;-  f  fühl  und  damit  das  Streben 
nach  wirklichf^r  "Würdigkeit  d.  h.  auch  iiacii  steter  Wahrhaftigkeit  bei 
all  deuen  erwecken,  die  noch  nicht  gänzlich  entartet,  sondern  dem 
Ehrgefühle  noch  zugängflich  sind. 

S)  Zeigt  sich,  dass  ein  Zögling  direct  die  Unwahrheit  gesagt,  so 
muss  er  disciplinarisch  bestraft  werden;  mit  pädagogiscliem  Tacte 
muss  hierbei  verfahren,  namentlich  ein  scharlei-  Unterschied  zwischen 
Vei-schleiei-nng  der  ^^  alirlieit,  Unwahrheit  und  Lüge  gemacht  werden. 
Nicht  die  Grüße  der  Strafe  wird  den  Lügner  bessern  und  zur  Wahr- 
heit antreiben;  er  wii-d  vielmehr  durch  zu  strenge  Strafe  nur  dazu 
verleitet  werden,  das  nächste  Mal  —  seiner  Meinung  nach  -  schlauer 
n  Werke  zu  gehn.  Dagegen  muss  der  Ton  der  Stimme,  der  Blick 
dw  Auges,  womit  der  Jjdtrer  die  Strafe  dem  Lügner  zuerkennt,  in 
dem  letzteren  das  GefBhl  erwecken,  dass  er  der  gütigen  Behandlung 
ond  der  Achtung  verlustig  gegangen;  er  muss  seinen  Mitschllleni 
gegenüber  moraüscli  gedrflckt  erscheinen.  Gleichzeitig  darf  aber  auch 
der  L«hrer  nicht  vergessen,  den  gefidlenen  Schiller  zu  heben  und  ihn 
zur  Besserung  anzutreiben,  namentlick  ihn  nicht  durch  nene^  vielleicht 
ungegrandete  Verdächtigong  zurü<^uschrecken.  Die  StrafiB  muss  als 
Sfihne  und  Warnung,  nicht  aber  als  drakonisches  Abschieekungsniittel 
erscheinen;  die  Belehrung,  Ermunterung  des  Lehrers  muss  den  SehUler 
auf  den  richtigen  Weg  zur  Wahrheit  zurftckfthren. 

4)  Unigekelirt  muss  die  unter  besonders  schwierigen  Verhfiltnissen 
bewiesene  Wahrheitsli«  1  •  gelobt  und  dureli  das  Lob  belohnt  werden. 
£ine  freiwillige  Selbstanklage  auf  die  Frage,  wer  der  Thäter  sei, 
verdient  jedenfalls  eine  Anerkennung,  die  dadurch  am  besten  ihren 
Ausdruck  findet,  dass  der  betreffende  SchiUer,  wenn  überhaupt,  so 
doch  mindestens  weniger  hart  bestraft  wird,  als  deijenige,  dess^ 
Schuld  erst  durch  eine  Untersuchung  klar  gestellt  wird. 

5)  Das  beste  aller  pädagoi'i^rben  Mittel  zur  Erweckung  des 
Walirheitssinnes  ist  und  bleibt  aber  unter  allen  l  mständen  das  leben- 
dige Beispiel  des  Lehrers.  Von  ihm  muss  jeder  Zögling  die  unum- 
stößliche Überzeugung  in  sich  tragen,  dass  kein  unwahres  Wort  über 
seine  Lipjien  kommt.  Vor  allem  muss  sich  der  Krzielier  liütcn.  irgend 
etwas  zu  sagen,  was  unwalir  ist,  eine  Strafe  anzudrohen,  die  er 
nöthigenfalls  nicht  auferlegen  kauu  uder  will,  in  der  Behandlung  der 
Schiller  ungleichförmig,  bald  lax  bald  streng,  oder  gar  ungerecht  zu 
seinj  dies  würde  die  Jugend  direct  zur  Unwahrheit  fuliren.  Einem 


üiyiiizeü  by  GoOgle 


—  614  — 


von  den  Scliiilern  geiiebieu  oder  wenigstens  hocli  t^-eacliteleu  Leiu-er 
gegenüber,  von  dessen  strenger  (rererlitigkeit .  Wahrheitsliebe  und 
Fflrsorq^e  jeder  überzeugt  ist,  wird  ein  Zögling  überhaupt  nicht  die 
Unwahrlieit  zu  sagen  wagen. 

Neben  diesen  rein  pädagogischen  Mitteln,  welche  die  Schule  zur 
Weckunisr  und  Kriiftiguug  des  Walirheit:ssiiiiies  ihrer  Z(»glinge  hat. 
nm»i  aber  auch  der  Unterricht  auf  die  Pflege  dieses  Fundamentes  des 
menschlichen  \'erkehrs  stets  die  nüthige  Rücksicht  nehmen.  Der 
Unterricht  in  der  Muttersprache  und  in  der  Geschichte  haben  in  erster 
Linie  neben  dem  Beligionsunterrichte  die  Aufgabe,  das  erziehlidie 
Moment  herrorankelveD,  und  beide  Fieber  lOmim  gerade  nir  Wecking 
und  Kriltignng  des  Wehrbeitssinnes  viel  beitragen  durch  Herrerbebimg 
und  Lob,  wenn  der  Untenicfatsstoff  die  Bewiüurung  der  Wahrheitaliebe 
(z.  R  bei  Friedrich  von  Österreich)  zeigt»  und  umgekehrt  auch  durch 
Hmweis  «nf  die  Schlechtigkeit  dee  Wortbmches  und  der  Unwahrheit» 
selbst  wo  diese  scheinber  Natsen  gebracht  haben  (&  E  bei  den  Bdrasm 
nach  der  Schlacht  in  den  Oandinischen  Pissen).  In  den  Übrigen  F2chem 
wird  sich,  wenn  auch  nicht  häufig,  so  doch  biswtilen  dne  naheUegeidB 
Gelegenheit  bieten,  von  dem  Werte  des  Wahrheitsamnes  zu  spreehei; 
eine  solche  Grelegenheit  soll  man  kfinstlich  nicht  suchen,  wo!  aber  efaie 
sich  Ton  selbst  darbietende  benutzen. 

Wenn  alle  Lehrer  einer  Anstalt  in  gleichem  Sinne  mit  Strenge, 
aber  auch  mit  Wol wollen  und  Wärme,  an  der  Bek&mpfiuig  der  Lüge, 
der  Scheinheiligkeit  und  an  der  KräfUgimg  der  geraden  Offenheit 
arbeiten,  dann  wird  sich  bald  eine  Besserung  zeigen,  und  später  wer^ 
den  die  so  erzogenen  Schüler  der  Anstalt  Dank  l&r  die  Fftlmag  siu 
Wahrheit  wissen. 


üiyiiizeü  by  GoOgl^ 


Die  emehliclie  ßedeatuBg  der  Klöster. 

(fiSne  eiiltnrhiitoriidhpadagogiBche  Betnchtimg.) 
Vom  I*,  MÜie»»wevLeipz^» 

aö  preußische  Geselz  vom  81.  Mai  1875,  welclies  die  Auf- 
hebung so  vieler  Orden  und  Klöster  in  Deutschland  austfprach,  ist 
auf  kii'chlicliem ,  nationalem  und  pädagogischem  fTebiete  unstreitig 
eine  der  bedeutendsten  Thaten  des  letzten  Jahrzehnts.  Tief  ein- 
schneiden musöte  ein  solches  Gesetz:  denn  weit  über  lÜOOÜ  Ordens- 
mitglieder wurden  davon  betroflen.  Darum  ist  auch  keine  That  so 
angefeindet  worden,  und  keine  Veroidnunj^  hat  so  gewaltige  Opposi- 
tion erfaliren,  wie  diese  Herkulesarbeit.  Es  ist  daher  gewiss  nicht 
ohne  Interesse  —  auch  für  Lehrer  und  Erzieher  —  die  Bedeutung 
der  Kloster,  ^»eflenders  in  emehlicher  Hinsicht,  einmal  näher  ins  Auge 
zu  fteaen,  zozDal  die  Gegenwart  auf  die  klaaterlieben  Institatloiieii 
wieder  mit  milderen  Blicken  schant,  als  es  mter  der  i,Ära  Falk'* 
geschab;  denn  die  Aufhebung  so  mancher  SSmoltanscholen,  die  mildere 
Controle  bei  der  Aoatlbang  der  sogenannten  Klostergesetae  and  noch 
80  manche  andere  anfiOQlige  Erscheinung  dieser  Art  —  wir  werden 
nnimi  darauf  znri&ekkommen  —  erwecken  ernste  Bedenken. 

Das  Elosterwesen  ist  kein  dem  Chiistenthnme  dgenthttmliches 
Gewächs;  mönchische  Genossenschaften  flndm  wir  schon  vor  dem 
Christenthome.  Wenn  Plinins  von  den  Essenern  schreibt:  „Ein  wun- 
derbares Geschlecht,  ohne  Weib,  ohne  Cteld,  im  Schatten  der  Palmen 
werden  sie  alltäglich  wiedergeboren  durch  die  Schar  doer,  welche 
die  Woge  des  Geschickes  müde  des  Lebens  zu  ihren  Sitten  hintreibt"  — 
so  haben  wir  das  Bild  des  Klosterwesens.  Auch  der  Iskirn.  noch  mehr 
der  Bnddhaismus  hat  ein  zahlreiches  Mönchsheer  hervorgebracht;  und 
die  Selbstpdnigungeii  indischer  Büßer  können  sich  getrost  messen  mit 
allen  Entsagungen  des  christlichen  Mönchthums.  Doch  ist  dieses  auch 
naturwüchsig  auf  kirchlichem  Boden  entstanden,  aus  der  Moral  der 


Digitized  by  Google 


Weltentsagung  und  aus  der  hohen  SpamuiBg  der  Märt}Terzeit  im 
dritten  Jahrhundert,  wo  die  Einsi^ler  unter  den  Schrecknissen  der 
ägyptisclien  Wüste  alle  Versuchungen  des  weltliehen  Lebens  in  ihrer 
Pliantasie  erlebten.  Durch  die  Jünger,  welche  sich  in  ilirer  Nachfolge 
um  sie  sammelten,  wurde  die  Einsamkeit  zur  (Teiueinsamkeit,  und  da< 
nächste  Jahrhinid*  rt  sah  die  ersten  Klosterg-emeinden.  in  denen  der 
ausschweifende  Enthusiasmus  wie  sein  träges  Ermatten  durcli  eiu<- 
feste  Reqrel  und  Aufsicht  j^emäßigt  werden  konnte.  Im  Altendhind»- 
ist  dieses  Mr.nchthum  ei-st  aug-estaunt,  dann  nachgeahmt  und  zu  reiclier 
Mannig-faltigkeit  entwickelt  worden.  Anfangs  haben  sich  die  Münchr 
nach  ihieni  voiksthüralichen  Ursprünge  dem  Clerus  entzoo^en.  (  asia- 
nus  schreibt:  „Der  Mönch  muss  Weiber  und  Bischöfe  durchaus  fliehen, 
deim  sie  lassen  keinen,  der  sich  einmal  in  ihre  Vertraulichkeit  ver- 
flochten hat,  länger  friedlich  in  der  Zelle  ruhen,  oder  mit  reinen 
Augen  der  Anschauung  göttlicher  Dinge  nachhängen,"  Doch  bald 
ist  eine  Vermischung  mit  der  Hierarcliie  eingetreten.  Viele  lausende 
von  Klöstern  sind  entstanden  und  haben  sich  bevölkeit  infolge  der 
Memang,  doreh  ElostergelftMe  ein  besonderes  Verdienst  vor  Gott  xn 
erwerben,  oder  eiae  Sehnld  za  sQlmeii,  oder  doeli  durch  £3ostastif- 
tnng  oder  Vermfiditaisse  an  den  Verdiensten  der  Weltverftchter  thefl- 
zunehmen.'*')  Das  gewöhnliche  Geschick  emes  Ordens  im  Mittelalter 
war,  dass  er  von  einer  enthnsdastischen,  geistesmächtigen  Person  ge- 
gitndet,  die  demselben  ihr  Bildnis  nnd  Gtepr&ge  anidrficktet  dnrdi 
den  Bnhm  seiner  strengen  Sitte  nnd  Frömmigkeit  eine  moralische 
Macht  im  Volke  wurde,  dadurch  Rdehthftmer  erlangte  und  aich  hi 
den  Besitz  derselben  in  Unbedeutendheit  gem&chlich  znrttckzog.  Im 
13.  Jahrhundert  kamen  dann  die  Bettelmönche,  die  mitten  in  die  Wdt 
traten  und  doch  nichts  von  ihrer  Gonvenienz,  noch  von  ihrem  Beieh- 
thnme  annehmen  wollten,  sondern  aus  der  Armut  eine  Tugend 
maditen  und  predigend  und  bettelnd  dur(  Ii  die  Welt  zogen.  — 

Der  Geist  der  Kirche  sank  und  mit  ihm  der  Geist  der  Klöster; 
der  Schmerzensschrei  im  15.  Jahrhundert  über  die  kirchlichen  Zu- 
stände nnd  das  tiefe  Gefühl  von  der  Nothwendigkeit  einer  Beformation 

♦i  So  tni?:  B.  Lu'hviir  der  Salier,  genannt  fler  SprincrfT.  'lif^  M<)ii'  Ti>kntte 
immer  bei  sich,  uni  sie  vorkomnien'leu  KrankheitsliiUtn  schnell  iiuioL'eii 
köonea.  weil  nach  «lauiuligeui  Glaubeu  deuijeui|$eu,  der  al.H  Muucb  stirbt,  die  ewige 
Sdigkeit  nicht  fehlen  kann.  Als  gicli  das  OewiseNi  regte  ob  der  Blntsebiild,  indöi 
Ludwig  den  ersten  Gemahl  seiner  ''.min  —  Pfalzgraf  Friedrich  III.  —  mit  deren 
Einverständnis  mencblinirs  hatte  umbringen  lassen,  baute  er  das  Kloster  Beinhtrds- 
brunuen  und  seine  Gemahlin  Adelheid  das  Kloster  AdeUieidi-(01dis-)leben. 


üiyiiizüü  by  Googl 


—  617  — 


galt  auch  den  Klöstern.  Sie  wareu  zu  tief  gesunken,  nnd  es  war 
sprichwörtlich:  „Was  ein  Teufel  zu  thun  sich  scheut,  vollbrinprt  ohne 
Scheu  ein  Mönch*',  und  Clemangis  wehklagte:  „Wenn  ein  Mädchen 
den  Schleier  nimmt,  das  ist  fast  ebensoviel,  als  wenn  sie  zur  Prostitu- 
tion ausgestellt  würde."  Der  Gehoi*sam  wai*  zur  Regel-  und  Zügel- 
losigkeit  geworden,  das  Gelübde  der  Keuschheit,  wenn  es  gehalten 
wurde,  suchte  Ersatz  in  der  Völlerei,  und  das  Gelübde  der  Armut 
behalt  sieh  mit  dem  Reichthura  der  Corporation  und  seinen  Genüssen.*) 
Durch  die  Refomation  wurden  die  Grundfesten  aller  Klöster 
erschüttert.  Vinln  Kl<»>^rpr  wurden  plötzlicli  anfö-elöst;  so  weit  Prote- 
stant isclie  Händtj  iinciiUiL  ist  damals  «^^egen  einzelne,  die  ungewohnt 
nnd  nnwillig  in  die  enttremdete  Welt  gestoßen  wurden,  viel  Hartes 
ges»  liehen,  wie  eine  Zeit  es  mit  sich  bringt,  wo  das  von  den  Vur- 
tahren  nnd  noch  inuuer  von  einem  Bruchtheile  des  ^'olkes  heilig  Ge- 
haltene i)l()tzlich  in  den  Winkel  geworfen  wird.  Auch  der  überflüssige 
Reiclitliiim  dti  Kloster  lockte  die  Begierde,  und  Luther  meint,  im 
Klöstereinziehen  ^eiell  tiie  papistischen  Füraten  nnd  Junker  lutheri- 
scher geworden  als  seine  eigenen  Glaubensgunosseu.  -  Die  Synode 
von  Trient  sachte  aach  in  diesem  Punkte  verbessernd  nnd  wieder- 
herstellend  zu  wirken,  indem  eine  strengere  Beobachtung  von  Sitte 
und  Zncht  anempfohlen  wurde.  Die  Hauptsttttze  des  gesäumten 
Elostervesens  wurde  von  nun  an  die  Gesellschaft  Jesu,  welche  dem 
ICOnchthnm  eine  neue  Gestalt  gab;  ihr  Plan  war,  zur  großem  Ehre 
Gottes  die  katholische  Kirche  zu  beherrschen,  den  Protestantismus 
znr&ckzadrftngen  nnd  das  Jesuitische  Cfaristentiium  durch  Jedes  Mittel 
Uber  die  Erde  aoszuhreiten;  nnd  nachdem  sie  einen  guten  TheO  ihres 
Werkes,  welches  zwar  nidit  durch  gro6e  Thaten  nnd  Charaktere, 
aber  dnrch  unermüdliche,  einheitlich  klug  geleitete  Mühewaltung  sich 
auszeichnete,  vollbracht  hatte^  war  es  ihr  vor  allem  darum  zu  thun, 
alle  Gewissen  zu  regieren,  neben  der  ernsten  kirchlichen  auch  eine 
bequeme  Weltmoral  auszubilden.  Treffend  sagt  Karl  Rosenkranz 
in  seiner  Charakteristik  der  jesuitischen  Erziehung:  „Der  Jesuitismus 
verband  mit  dem  Schein  der  größten  Frömmigkeit  ein  Maximum 
weltlicher  Freiheit.  Von  diesem  Standpunkte  aus  wandte  er  sich  in 


*)  Man  erzählt  von  iler  Rede  eines  «leutsclien  i^emüthUchen  Ahte*«.  .,f^a<i'^  f  r  sich 
aber  (Ue  drei  Möachsgeittbde  uicbt  eben  beklagen  könne,  da«  der  Anuut  bringe  ihm 
jUirifeh  lOOOQO  Ducat«!  eiii,  du  dei  QtHamm  liab«  iba  nebea  die  FQfsten  de» 
Belebes  gesetst,  und  wes  das  dritte  betrifft,  der  Heir  hebe  ihn  mit  einet  liebene- 
wVfdigen  Familie  gesegnet.''  Dr.  H.ise'^  Hmdbaeh  der  proteeteatbchen  Polemik 
gegen  die  r6m.-](eth.  Kirche,  Ükp.  II,  S.  295. 


Digitizeü  by  Google 


—  618  — 


der  Erziehung  auf  Eleganz  und  Scheinwissen,  auf  Diplomatie  und 
moralische  Bequemlichkeit.  Um  die  Zukunft  in  ihre  Gewalt  zu  brin- 
gen, richteten  sich  die  Jesuiten  nicht  nur  auf  die  Juirend  überhaupt, 
sondern  vorzüglich  auf  <lie  li<»lieren  Stände.  Diesen  zu  genügen,  hiel- 
ten sie  bei  ihren  Zöglin«,'en  auf  einen  feinen  Anstand.  Tanzen  und 
Ir'echtf'n  wurde  in  ihren  Oolleden  gut  gelehrt.  Sie  wussten,  wie  sehr 
sie  hirrdurcli  den  Adel  befiiedigteu,  der  scliou  für  diese  Ter-bnik  dt^r 
fornuilen  Ausarbeitung  der  Persönlichkeit  den  Namen  der  Erziehung 
vorzugsweise  usurpirte."  So  mancher  Staatsmann  moderner  Bildung 
wurde  eifei*süclitig  auf  die  weltliche  Macht  des  Jesiutenordens  und 
forderte  die  Auflösung  desselben.  Frankreich  war  es  zuerst,  welches 
diese  Gesinnung  äußerte  und  die  Kl-.ster  nur  als  Spitäler  vou  Geistes- 
kranken dulden  wollte.  „Ein  Mönch,  was  ist  das  für  eine  Profession? 
Es  ist  die,  gar  keine  zu  haben,  sich  durch  unverbrüchiicheu  Eid- 
schwur verpliichten,  vernunftwidrig  und  ein  Sclave  zu  sein  und  auf 
anderer  Leute  Kosten  zu  leben^,  so  sprach  damals  Voltaire;  and 
ganz  Frankreich  gab  ihm  Beifall.  Joseph  n.  war  der  erste,  wilcher 
ndt  Besdiiinkimg  und  Aufhebimg  von  Elösteni  begann;  er  hob  276 
Kloster  f&r  mftnnliche  nnd  88  ftr  weibUdie  Orden  anf,  so  dasa  noch 
etwa  380  der  ersteren  und  50  der  letaleren  übrig  blieben  (vergL 
Wolf,  Die  Aufhebung  4er  KlOster  in  Inner-Österreicb,  Wien  1871> 
doch  Beiner  Wirkaankeit  wurde  bald  ein  Ende  gemacht  Die  fran- 
zösische Revolution  und  Napoleon  I.  warfen  sie  nieder  in  Masse. 
Bei  dieser  Gelegenheit  worde  in  der  firanzdsisehen  NationalTersamm- 
long  einst  ein  grofies  Wort  von  Barnaye  gesprochen:  „Ihr  habt  eine 
feierliche  Erklürong  des  liensehenrechta  sanctionirt,  aber  es  gibt 
keinen  Orden,  der  nidit  durch  sein  Gelllbde  und  durch  seine  Begel 
dieses  Recht  yemichtete.  Ihr  wollt  freie  BOrger  haben,  aber  aUe 
Mdnche  sind  Sclaven.  Ihr  wollt  Bürger  haben,  die  nur  der  Nation^ 
nur  dem  Gesetz  und  dem  KOnig  unterworfen  sind;  aber  die  MOncbe 
stehen  unter  auswärtigen  Oberen,  deroi  Interesse  meist  dem  unsngen 
entgegengesetzt  ist.  Man  will  uns  rathen,  sie  um  der  (ifientlichai 
Erziehung  willen  beizubehalten,  aber  kann  es  weise  sein,  die  Bildung 
unserer  künftigen  Bürger  Menschen  zu  überlassen,  die  aus  allen  häus- 
liehen,  bürgerlichen  und  politischen  Verhältnissen  herausgetreten  sind? 
Oder  i.st  es  nicht  vielmehr  unnatürlich,  die  Lehrer  der  Wabrheit  für 
unsere  .Tugeud  ans;  einer  Menschen  blasse  zu  nehmen,  welche  auf  den 
Gebrauch  der  Vernunft,  wenigstens  auf  ihren  unbeschränkten  «Gebrauch 
Verzicht  getlian  hat?  Wahrliaftig,  wenn  uns  aucli  die  Aufhebung  dt-r 
Klöster  noch  Geld  kosten  soll,  anstatt  was  welches  emzutragen,  dürtiea 


üiyiiizeü  by  Google 


—    019  — 

wir  ims  docli  nicht  darüber  bedenken,  denn  es  w&re  dieser  Versanini- 
Inng  unwftrd%,  de  blos  als  eine  Finanzoperation  zu  betraditen,  da 
Politik  nnd  Moral  noch  mehr  dabei  interassirt  sind."  Gewiss  ein 
wahres  Wort  Anch  in  Dentschland  wurde  nach  AnflOsong  des  Beichs- 
yerbandes  ihst  alles  Klostergnt  eingesogen,  sowol  von  katiiolischen, 
als  von  protestantischen  Fürsten. 

Die  Reactionsperiode  von  1815  hat  mit  der  weltlichen  ^faclit  des 
Papstes  nnd  des  Jesuitenordens  auch  die  Wiederaofrichtiuig  des  Kloster- 
iebens  ins  Keaa  geschlossen,  welche  Vergünstigung  wah  beste  aus- 
genutzt wurde.  Alle  Welt  dem  heiligen  Herzen  Jesu  unter  Ver- 
tretung des  Papstes  zu  weihen  und  znr  Rückkehr  in  den  Schoß  der 
alleinseligmachenden  Kirche  mit  einem  unfehlbaren  Obei'haupte  zu  be- 
weö-pTi.  das  wai*  waluend  dieser  Zeit  ein  Hanptbestreben.  Diese 
Richtung  hatte  sich  auch  besonders  nach  dem  Jahre  IS-lS  wieder  leb- 
haft «/ezeij^.;  die  verödeten  Klostermaupiii  bevölkerten  sich  wi»-df^r 
und  iieiif  Klöster  waiden  in  Ma^se  gestiliei  ;  so  existirteu  in  *i' r 
ganzen  Erzdiöcese  Köln  im  Jahre  1850  nur  272  Mönche  und  Nonnen, 
ün  Jahre  1872  dagegen  3131.  Während  femer  in  den  Diitcesen 
Breslau,  Kulm  und  Posen-Gnesen  1850  nur  236  Mitglieder  von  Con- 
gresrationen  existirten,  war  ilire  Zahl  1871 — 1872  auf  1986  gestiegen. 
Die  ?]rziehungsHU>talten  der  Jesuiten  füllten  sich  mit  den  Söhnen  der 
Aiistokiatie,  und  die  künftigen  Mitglieder  des  preußischen  Herreu- 
hauses wui'den  zum  großen  Theüe  da  erzogen.  In  Frankreich  sind 
die  Nonnenkloster  wieder  die  bettebtesten  Pensionsanstalten  für  die 
weibüdie  Jugend  geworden,  md  Fapst  Pins  IX.  in  seiner  IkfUttbiUtät 
erklärte  jeden  getaoflen  Christen  als  snm  EatfaoUzismns  gehörig  nnd 
weihte  die  gaase  Menschheit  dem  geheiligten  Herzen  Jesn.  Von  ohen 
wnrde  diesem  reaclaoniren  Treiben  theUnahmlos  oder  theüweise  wol  gar 
begfinstigeiid  zogesehen,  wahrscheinlich  weil  man  glanbte,  dass  ein  nn* 
wissendes  Volk  sich  besser  gSngeln  nnd  leiten  lasse  als  ein  gebfldetes. 
Dodi  als  nach  dem  Siege  der  protestantischen  Forsten  nnd  Völker  in 
den  Kriegen  1866  nnd  1870/71  die  bisher  mehr  im  Geheimen  gehegte 
Feindschaft  der  ültramontan^  gegen  den  ProtestanUsmis  oifen  her- 
vortrat nnd  man  ungenirt  die  Absicht  durchblicken  liefi,  den  Katholids* 
mns —  eigentlich  intramontanismus  —  der  ganzen  Weltsn  octroyiren 
nnd  man  ungeschent  den  staatlichen  Gesetzen  Hohn  sprach,  wen  man 
nur  die  Vorgesetzten  in  Bon  anerkannt«,  sah  sich  dei-  Staat  genöthigt 
—  da  seine  Autorität  angezweifelt  wurde  — ,  diesem  Treiben  auf  ener- 
gische Weise  zn  begegnen,  imd  so  kamen  die  Klostergesetze  zu  Stande. 

T^nd  was  wirrl  das  Ende  des  Kampfes  sein?  Wird  Born  zum 

40 


Digitized  by  Google 


—  620  — 


drittenmale  Weltbeherrscherin  werden?  Fast  möchte  es  so  scheinen; 
doch  wir  haben  einen  Trost.  Es  ist  noch  nie  gelungen,  die  geistige 
Entwicklung  der  Mensclien  auf  die  Dauer  rückläufig  zu  machen;  man 
hat  sie  zeit\\eise  an  einzelnen  Orten  gewaltsam  ersticken  können,  aber 
nie  im  groüen  und  allfromfinpn.  Trotz  der  Zähigkeit  des  Pfati'enthums 
kann  der  Erlolg-  des  Culturkampfes  kanm  zweifelhaft  snin;  füi*  die 
Klöster  wenigs^tens  ist  die  Blütezeit  vorilber.  Sip  li;ibeü  sich  über- 
lebt. Die  Schutzredner  deist-lbeu  haben  >ir  rti  vertlieidigt  als  Frt-i- 
stätten  für  traurige,  mit  ihrem  Lose  unzulriedene.  weltmüde.  gebri^'']j«-iie 
Seelen.  Chateaubriand  schreibt :  „Gibt  es  Orte  für  die  Genesung 
des  Leibes,  ach,  so  vergönnt  der  Religion  auch  eine  Statte  zu  haben 
für  die  Genesung  der  Seele,  deren  Kiiiukheiten  schmerzlicher  .sind, 
langwieriger  und  schwieriger  zu  heilen."  Nun,  es  wird  zugegeben.  da.«*s 
viele  Beispiele  vorliegen  von  Bußfertigen  und  Schiftbrüchigen  aas  dem 
Sturme  des  Weltlebens,  die  im  Kloster  Frieden  suchen.  Aber  wir 
wissen  auch  von  enthusiastischen  Jünglingen,  die  dorch  blinden  Wahn 
zur  Ablegung  der  Ordensgeiabde  l)ewegt  wnrden;  nicht  sdten  ▼arden 
aneh  EoAben  durch  eine  beqaeme  Frömmigkeit  der  Eltern,  dardi  deren 
Sorge  für  das  Erbe  der  Siteren  Sölme,  in  das  Kloster  gebracht  und 
daselbst  heimisdi,  bevor  sie  von  dieser  Weit  eine  Konde  hatten.  Und 
Montalembert  spricht  über  das  obige  Citat  Ghatesiibriands:  „Diese 
VorsteUnng  ist  poetisch  and  rtthrend,  aber  sie  ist  nicht  wahr.  Die 
Kloster  waren  keineswegs  bestimmt,  die  Invaliden  der  Welt  anCm- 
nehmen.  Es  waren  nicht  die  kranken  Seelen,  im  O^genthcsl,  es  waren 
die  gesündestem  nnd  kräftigsten,  welche  das  menschlicbe  GteBchieeht 
je  hervorgebracht  hat,  die  in  Menge  an  die  Klosteipforten  pochten. 
Das  Klosterleben,  fem  davon,  die  Znflncht  der  Schwachen  zu  sein, 
war  der  Kamp^latz  der  Stsrken."  Wire  es  ferner  mOgUch,  alle  die 
in  Klostenellen  gebrochenen  nnd  noch  mehr  die  zu  kleinlichen  Kloster- 
interessen zusammengeschrumpften  Henen,  alle  die  Mstemen  Träume 
and  Phantaaien,  alle  die  Verbrechen  gegen  die  Natnr,  die  hinter 
Elostermauem  geschehen  oder  von  da  ausgegangen  sind,  in  ein  Bild 
zasammenzufasscn,  es  würde  eine  Entsetzliche  Tragödie  geben. 

Ungeachtet  dessen  kann  die  religiöse  vrie  rulturhistorisehe 
Bedeutung  rles  Klosterlebens  in  vergangener  Zeit  nicht  geleugnet 
werden.  Die  Mönche  haben  wüste  Landstrecken  urbar  geuiaclit.  die 
Schätze  des  Alterthums.  des  christlichen  wie  des  heidnischen.  <luicli 
ihre  Abschriften  gerettet,  Kirchen  mit  eigener  Hand  kunstr»-!<'h  t-r* 
Imut,  Volker  belehrt  und  zum  (  Inistenthum  bekehrt.  Die  »Tei)iideteii 
fanden  hier  angemessene  Unterhaltung,  der  Wanderer  ein  gast^eund- 


üiyiiizeü  by  Google 


—  621  — 

liches  Obdach,  die  Kmder  Unterricht,  ilie  Jugend  Rath,  die  Armen 
milde  Cniben  u.  s.  w.  Wer  wollte  nicht  auch  in  Anerkennung  der 
fi  luiuen  Liebeswerke  gedenken,  wie  sie  namentlich  von  den  barm- 
herzigen Schwestern  mit  Unverdrosseuheit  und  Heldenmuth  geübt 
worden  sind?  Und  dennoch  kann  man  getrost  behaupten,  dass  das 
Xlosterleben  ein  überwundener  Standpunkt  ist;  denn  die  ganze  ilorai 
der  W'elttiucht,  als  der  Kegel  eines  aufrichtigen,  emsthaften  Kloster- 
lebens, die  einen  unversßlinbaren  Zwiespalt  setzt  zwisclien  Geist  und 
Fleisch,  zwischen  Gott  und  Welt ,  zwischen  Himmel  und  Erde,  statt 
die  isiuuliche  ^atur  geistdui'chdruugeu  zur  Schönheit  zu  verklären,  ist 
nur  eine  niedere  Stufe  der  Sittlichkeit.  Es  ist  anei'kannt,  dass  blos 
die  fromme  Gesinnung  vor  Gott  einen  Wert  hat,  aas  der  je  nacli 
Kraft  und  Gelegenheit  das  ihr  angemeasene  pfüchtmftffig«  Thon  hei^ 
Torgeht,  dass  man  also  mitten  in  der  Welt  ebenso  fromm  leben  kann 
wie  im  Kloster;  und  der  Mann  in  der  icameelhaarenen  Kutte,  desseo 
Speise  Heuscbrecken  und  wilder  Honig  war,  stand  nicht  höher  als 
der,  welcher  nach  ihm  kam  und  der  ohne  irgend  ein  Gelfibde  mit  den 
Fröhlichen  afi  nnd  trank,  and  selbst  die  Terschwendnng  gewähren 
ließ,  in  der  ein  treues  Hers  sieh  ihm  oiFenbarte.  (Job.  12.) 

Herder sagt  hiersu:  „Wahrlieh,  das  göttliche,  das  edelste 
Werk,  wodurch  der  Mensch  Mensch  wird,  ohne  welches  er  ein  Thier 
oder  Srger  als  ein  Thier  sein  mflsste,  kann  keüie  Zuchthaosschole, 
kein  Laboratorium  sein,  in  welchem  er  ohne  Wissen  und  Willen 
destillirt  wii*d.  Eine  evangelische,  d.  i.  liberale  Erziehung  nennt  die 
Schrift  dies  dem  Menschen  angelegenste  Geschäft,  das  sie  einer  be- 
lehrenden Hühl  Gottes,  einem  väterlichen  Rufe  und  Zuge,  einem  mit 
kindlicher  Munterkeit  belebenden  Geist  zueignet.  Licht,  Liebe,  Leben 
sind  in  diesem  Geschäfte  eins;  fortgehend  aufs  ganze  Leben.'' 

Doch  auch  die  culturhistorische  Bedeutung  der  Klöster  ist  der 
Yergangenheit  anheimgefallen.  Das  Urbarmachen  des  Landes  ist  nicht 
mehr  Öache  der  Mönche.  Die  Damptdruckerpresse  steht  au  der  Stelle 
des  Abschreibers.  Die  Herausgabe  gi'oßer  t^uellenwerke  geht  vf>ii 
Akademien  und  freien  Gelehrtenvereinen  aus.  Die  Gastfreundschalt 
der  Klöster  wird  nur  in  halbbarbarischen  Ländern  nnc!i  V'>ii  dem 
Wander^T  aii^t  -iaochen;  und  zu  LMlnHrn  und  Erzieliern  lj('(i;ut  man 
der  Mönche  nicht  mehr.  Die  mönchische  Päihij^ogik  und  khisiei-hche 
Erziehungsweise,  welche  vor  allem  auf  eine  üulierliche  Abschließung 
ihrei'  Zöglinge  Bedacht  nimmt,  um  das  Werk  dei*  Weltentfi'emdung 


*)  Herder*  8&mtL  Werke.  Bd.  XI,  S.  74* 

40* 


Digilized  by  Google 


—  622  — 


leichter  und  entsihiedener  duichziiäetzeii.  welche  durch  möglicliste 
Schweigsamkeit  und  IdiiuVii  Gehorsam  in  eine  geistige  Unbeweo-lich- 
keit.  ja  in  vülliL'e  Apathie  und  Antipathie  gegen  alle  iniellri  lu-  lk' 
Cultur  vei-setzt,  welciie.  .-tatt  Ii»  Natur  und  Welt  positiv  z  i  ü\-^v- 
winden  und  sich  von  ilir  jiiitlicb  zu  befreien,  nui*  negativ  ab.siiaiiirt 
und  durch  Misshandlung^en  und  Kasteiungen  die  Macht  des  Fleisches 
zu  brechen  sucht  und  das  Lebensgeflihl  bis  zum  Ekel  am  Dasein  er- 
lüdt^t,  kann  iii»^  und  nimmermehr  Anspruch  auf  Beifall  und  Unter- 
stützung erheben  —  sie  muss  vielmehr  als  verfehlt  und  absolut  ver- 
wei'flich  gelten. 

Die  Elostergelübde  enthalten  überhaupt  das  Gegentheü  dessen, 
was  nattugem&ft  dem  freigebomen  Menschen  ziemt  Der  Mensch  soll, 
ei^s  mit  Ehren  kann,  so  viel  erwerhen^  um,  nieoMUidem  sar  Last 
fiillend,  die  Mittel  zu  seiner  Existenz  nnd  der  seiner  Fähigkeit  ge- 
mftfien  Wirksamkeit  zn  besitzen;  das  EloBtergelflbde  befiehlt,  sieh  alter 
irdischen  Güter  zn  ent&nitem.  Der  Mensch  soll,  wenn  kein  nnTer* 
schnldetes  Geschick  dem  entgegensteht,  sich  dnrch  die  Ehe  zn  er^ 
gänzen  suchen  nnd  fortleben  in  seinem  Geschlechte;  das  Eloster- 
gelübde befiehlt:  jedem  Geschleehtsverhfiltnisse  zn  entsagen.  Der  Mensch 
soll  nur  Gh»tt  in  seinem  Gewissen  nnd  dem  Staatsgesetze  nnterthan, 
auch  in  pfiichtm&fiigem  ;DienBte  frei  nnd  mündig  weiden  (sni  juris); 
das  Elostergelübde  wUmgt  unbedingten  Gehorsam  gegen  die  Ordens- 
obem,  es  verlangt,  willenlos  zu  sein  wie  ein  Leichnam.  Eine  Christ^ 
liehe,  vor  allem  auch  sittliche  Genossensehaft  kann  daher  solche  Ge- 
lübde gar  nicht  mit  gutem  Gewissen  annehmen,  noch  weniger  darf 
ein  Staat,  der  frei  und  gerecht  sein  will,  seine  Gewalt  dazu  her- 
geben, um  ilu-e  Durchsetzung  zn  erzwingen;  vielmehr  bat  er  diese 
Macht  gegen  jede  geistliche  Genossenschaft  zu  brauchen,  sobald  sie 
sich  anderer  als  geisti^^er  Mittel  bedient,  um  die  durch  ein  Kloster- 
gelttbde  Gefangenen  gegen  ihre  veränderte  t'berzeugung  in  den  Banden 
festzuhalten.  Und  dass  sich  die  I  berzeugung  bei  den  Kloster- 
b(»\vo|m»'rn  oft  ändern  mnss,  ist  ganz  natürlich,  weil  schon  na«-])  voll- 
endetem Jß.  Lebensjahre,  von  Mädchen  schon  nach  dem  12.  Jahre  nach 
vorhergegangenem  Noviziat  das  Gelübde  abgelegt  weiden  kann.  W<> 
aber  in  aller  Welt  ist  in  .solchem  Alter  die  Sicherheit  eines  reileu  Ent- 
schlusses fiu'  ein  ganzes  Leben  gegen  die  Natur? 

Nie  soll  der  Mensch  einer  vorübergehenden  hochgespannten  «>der 
getrübten  Stimmung  halber  dem  ganzen  kunltigen  Leben  Fesseln  an- 
legen, und  niemand  ist  berechtigt,  auf  die  Freiheit,  die  Gott  ihm  ver- 
liehen hat,  verzichtend  und  den  Führungen  Gottes  vorgreifend,  seine 


Digitized  by  Google 


—  623  — 


ihm  noch  nnbekaiuito  Zukunft  zu  verpfänden.  Mit  dem  Gelübde  hat 
68  immer  seine  eigene  Bewandtnis:  als  ein  Mittel  der  Selbstzucht  mag 
es  wol  gelten,  wenn  jemand  gleichsam  durch  das  bessere  Selbst  <  iner 
gehobenen  Stunde  sich  zwingen  wiU,  gegen  die  eigene  Schwachheit 
das  zu  thon,  was  überhaupt  für  ihn  zu  thun  recht  und  gut  ist;  doch 
verräth  es  immer  viel  Sinnlichkeit,  und  es  ist  ein  Zeichen  von  Egois- 
mus, Gntt  durch  Versprechungen  zur  Gewährung  unserer  Wünsche 
bewegen  zu  wollen.  Das  weniprste  für  sich  m5diten  äiv  Gelübde 
auf  fremde  Kosten  haben,  deren  im  Leben  so  manciie  vorgekonnnen 
sind  nnd  noch  vorkonunen,  von  Jephta  an  bis  zu  denen,  die  ihi'e 
Kinder  ilem  Kloster  gel'iben. 

E.s  mag  Personen  geben,  die.  von  Menfcheu  und  vom  Schick.-5ale 
Yieiliiltig  fret;iu>rhi,  allen  weltlichen  (Teschäl'ten  fern,  nur  im  T^m<^angr 
mit  Gott  und  in  ler  Sehnsucht  nach  <leui  Jenseits  leben  wollen,  ob- 
gleich diese  .Stimmung  ohne  klu.-,iei  iiche  Erziehung  sich  iim  h'ichst 
selten  einfinden  wird.  Mögen  solche  sich  zurückziehen  und,  wenn  sie 
wollen,  auch  mit  (ileiclioresinnten  eine  Gemeinschatl  bilden;  doch  muss 
ihnen  die  persönliche  Freiheit  gewahrt  bleil»en  nnd  nicht  durch  bin- 
dende Gelübde  verkümmert  werden.  Hast  du  in  deiner  Jugend,  oder 
sonstwie  unbedacht,  sei's  auch  im  schönsten  Enthusiasmus,  dich  dem 
Klosteileben  gelobt,  und  ist  deine  Überzeugung  eine  andere  geworden: 
80  soll  allerdings  diese  Umwandlung  einer  ernsten  PrOAing  vor  Gottes 
Angesicht  miterliegen;  dann  aber  magst  du  getrost  als  dein  eigener 
Papst  dir  Dispensation  ertheilen,  nnd  der  Wipfel  deines  aufwachsenden 
Lebensbaumes  durchbreche  das  niedere  Elosterdaeh,  daran  er  sich  hart 
nnd  zum  Verktlmmeni  gestoßen  hat 

Seine  welthistorische  Bestimmong  hatte  der  Kerker  ewiger  Go* 
labde  schon  damals  erfUlt,  als  ihn  der  kühne  Wittenberger  Hdnch 
zerbrach,  welcher  in  strengster  Elosterzncht  das  Unsoreiehende  aller 
ftufteren  Werke  an  sich  er&hren  nnd  in  ihrer  Knechtschaft  das  Evan> 
gelinm  Yon  der  christlichen  Freiheit  TemoDmien  hatte. 

Und  trotzdem  müssen  wir  heute  noch  warnen,  warnen  vor  dem 
geheimen  Wirken  und  Schaffen  der  clericalen  Armee.  Kein  Jahr- 
hundert hat  eine  solche  Menge  Klöster,  Orden  und  Congi-egationen 
geschaffen  wie  das  unsere,  das  in  seinem  Beginn  die  Klöster  säcu- 
larisiren  sah.  Und  diese  Ordenseinrichtungen,  so  verschieden  sie 
äußerlich  sind,  haben  stets  den  gleichen  Zweck:  Schule,  Kanzel,  Beiciit- 
stuhl,  Krankenbett  zu  belageni  und  sich  des  Menschen  von  seiner 
zartesten  Jugend  an  bis  an  das  (rrab  zn  bemächtisren,  stets  zum 
Triumphe  der  rümisck-kii'chUchen  Allmacht  Ubei'  Vernunft  und  Selbst- 


Digitized  by  Google 


—  624  — 


ständigkeit.  Zwar  sind  in  Preußen  alle  geistlichen  Orden  und  ordens- 
&Imlichen  Congiegationen  mit  Ansnahme  derjenigen,  welche  sich  aus- 
schließlich der  Kraiikeni)floprf'  widmen,  durch  das  eingangs  genannte 
Gesetz  aufgehoheii ;  aucli  hatte,  um  die  Austuhning  des  KlostergT'setzes 
zu  sichern,  J^r.  Falk  die  Landrätbc  Hiie'f'Anesen,  halbjährlich  Nach- 
weisungen über  den  Personenstand  in  den  kiristerlichen  Niederlassunnren 
anfzustelkn  und  bei  der  Regierung  einzureichen;  es  sollte  <l: -liirch 
jede  lieiuiliclie  Aufnahme  verhindert  werden.  Später  ir^t  al^er  auf 
höhere  Weisung  aus  Berlin  von  der  Regierung  in  Minden  den  Laud- 
räthen  eroitnet  worden,  da*«  diese  halbjährigen  Nachvveisiuigeu  femer 
nicht  mehr  einzLüeii:hen  seien,  das  heißt  doch  mit  andern  rten.  es 
\vii(i  auf  die  genaue  Befolgnng  des  Gesetzes  über  die  geistlichen 
Orden  kein  Wert  mehr  gelegt  und  diesen  iiherlasscu,  künftig  das 
Gesetz  nach  ihiLiu  Belieben  zu  befolgen  oder  nicht  zu  befolgen.  Gibt 
das  nicht  zu  denken?  —  Auch  die  Aufhebung  verschiedener  confessioneD 
gemischter  Schulen  lässt  das  Motiv  unschwer  errathen.  Femer  war 
im  vorigen  Jahre  in  der  Zeltsdirift:  „Aus  «Hea  Wdttheflen"  folgende 
Notiz  za  lesen:  „Staanenswert  ist  die  Begsamkeit  und  ümaicht,  mit 
welcher  die  rOmiscbe  Kirehei  insbesondere  der  Jesoitenorden,  bemfllit 
istfdie  Proteetanten  in  ihren  alleinseligmaGhenden  Schoß  znr&ckzDflIhren. 
Vornehmlich  ist  ihr  Augenmerk  anf  Deutschland  gerichtet»  flbr  welches 
man  drei  apostolische  Yicariate  m  diesem  Zwecke  errichtet  hat,  bk 
OsnaMck,  im  Anhaltischen  und  in  Dresden,  yon  welchen  ein  weites 
Fangnetz  ausgespannt  wird.  Die  Erfolge  dieser  an  Mitteln  jeder  Art 
reichen  Propaganda  Ar  Born  sind  ungemein  grot.  So  ttbertrült  s.  K 
in  Sachsen  das  Wachstbnm  der  katholischen  BerOIkemng  weit  das 
Zunehmen  der  sächsischen  Bevölkerung  tberhaupf 

Doch  noch  eines  andern  höchst  wiclitigen  Umstandes  haben  wir 
zu  gedenken.  Papst  Leo  Xm.  hat  nämlich  durch  die  Encyclica  vom 
4.  Angust  1879  die  Philosophie  des  Thomas  von  Arjuino  als  die 
maßgebende  Norm  für  die  Vertreter  der  katholischen  Welt  hingestellt 
and  geboten,  ihr  beim  philosophischen  .Unterrichte  anf  den  katholi* 
sehen  Lehranstalten  den  Vorrang  einzuräumen.*)  Er  hat  mit  dieser 
Aufstellung  seines  Ideals  orthodox-katholischer  Weltweisheit  zurück- 
gegriffen über  einen  Zeitraum  von  sechs  Jahrhunderten  und  die  geistige 
Entwickelung  von  Cartesins  über  Spinoza  und  Locke  bis  anf 
Kant  einfach  brisf-ite  geschoben.  Er  ist  zurückgegangen  in  eine 
Zeit,  da  die  Welt  zu  den  Füßen  der  i^irche  lag,  und  da  die  ^Welt- 


*)  YergL  ^sedagogium'^  II.  Jahrg.  S.  69  f. 


üiyiiizeü  by  Google 


—  626  — 


Weisheit  naturgemäß  der  Weltmacht  folgte";   nacli  ihm  sind  alle 
Wissenschaften  der  Theologie  unterzuordnen,  und  die  niitürliche  Ver- 
nunft hat  nothwendigerweise  dem  Glauben  zu  dienen  (ut  naturalis 
i'atio  subserviat  fidei).    Mnss  uns  diese  VerurdmiuL'  nicht  recht  sehr 
zu  denken  gebeu  r'   Ist  da  nicht  jede  freie  und  unbeiangene  Forschung 
ausgeschlossen?  Lieirt  nicht  darin  *'in  Holm  auf  den  Protestantismus, 
auf  dessen  gesammte  geistige  Entwickeliing?    TTber  nnsere  Geistes- 
heroen,  über  einen  Lessing,  einen  Kant  liinweg  blickt  man  in  das 
graue  Mittelalter,  um  sich  von  dort  den  leitenden  Geist  zu  holen. 
Das  heißt  mit  andern  Worten:  „Es  wird  fortgekauipti!"   Und  ist  die 
Haltung  der  Centrumspartei  im  deutschen  Reichstage  und  im  preußi- 
schen Abgeordnetenhause  nicht  der  sprexihendst-e  Beweis  dalar?  „Zwar 
möchte  man  glauben*'  -  -  sagte  Voltaire  —  „die  Zeiten  schändlicher 
Verbrechen,  wie  sie  Aberglaube  und  Fanatismus  verübt  haben,  seien 
vorüber;  allein  wer  so  denkt,  erzeigt  der  menschlichen  Natur  zuviel 
fihre.  Der  Giftstoff  ist  noch  da,  wenn  das  Gift  ancb  nicht  gerade 
Die  Zeit  kann  ihn  entwickeln  nnd  wieder  anf  eine  lange  Zeit 
als  Terheerende  Seaxii»  Uber  die  Erde  senden.**  Hat  doch  Fins  TSL 
(t  1823)  erklftrt»  es  sei  immer  nur  eine  zeitweilige  Accommodati<»i 
an  die  Verhältnisse  der  Nenzdt,  wenn  die  rOmisehe  Cnrie  die  Ketzer 
nicht  ihrer  Filrstenthflmer  entsetze  oder  ihrer  Güter  veilnstig  erUftre. 
Die  Kloster  aber  sind  Stationen,  von  welchen  ans  man  dnrch 
die  verschiedenen  Orden  als  gefügige  Fangarme  der  römi- 
schen Cnrie  die  Völker  des  Erdkreises  anschlingen  nnd 
geistig  ersticken  will    Es  war  allerdings  Toransznsehen,  dass, 
wenn  die  Jesuiten  und  ihr  Anhang  auch  vorlAofig  der  Gewalt  wichen, 
sie  und  ihr  Einflnss  doch  in  tausend  und  aber  tausend  Canälen  in  die 
Gesellschaft  dringen  würden,  begünstigt  durch  den  katholischen  und  con- 
seiTativen  Adel,  dem  die  Religion  auf  allen  Rednertribünen  entströmt« 
gestützt  ferner  durch  Bischöfe  und  Geistliche  mit  ihren  vornehmen 
Beichtkindern,  gefördert  endlich  durch  die  fast  zahllosen  Congregationen 
und  frommen  Vereine,  durch  die  Brüder-  und  Schwesterschaften  mit 
den  süßesten  Namen:  vom  „armen  Kinde  Jesu",  vom  „heiligen  Herzen 
Jesu"',  vom  „heiligen  Giabe",  vom  „heiligen  Rosenkranz-*,  vom  „guten 
Hirten",  ,,zur  A'erbrtiumg  des  Glaubens"  etc.   Hierzu  gehören  auch 
die  „Pius-,  Bonifacius-  und  Vincentiusvereine",  sowie  die  „katholischen 
Casinos".    Also  Vorsicht  und  Wachsamkeit!   Vor  allem  ein  otfenes 
Auge  den  Klöstern,  deren  ursprüngliche  Mission  erlusclien  ist,  und  die 
heute  nur  noch  als  Stationen  der  römischen  Propaganda  gelten 
können! 


Digitized  by  Google 


—   626  — 


Wii  schließen  unsere  Betrachtimg  mit  einem  Worte  von  Herder*): 
„Das  Menschengeschlecht  ist  zur  ljesellig:keit  geschaffen;  zum  Handeln 
und  Leben  sind  wir  da.  Alles  Isoliren  und  Brüten  über  eigenen  Ge- 
fühlen macht  furchtsam  oder  anmaßend,  lässig  oder  leer  und  stolz. 
Wenn  daher  das  Christenthum  auf  ein  Mitwirken  in  der  Gemeinschaft 
anderer  drang,  so  that  es,  was  es  tliim  soUte.  Absonderungen  und 
Mönchereiea,  sellist  ohne  KUtoter  und  Xlostergeiabde,  sind  Abwege 
des  Antichrists,  Wege  eines  skhem  Verderbens.  Die  Geschiclite  de» 
Ghristenthums  selbst,  sobald  es  diesem  ersten  Gesetze  seiner  Stiftung 
nicht  folgte,  hat  dies  genngsam  erprobt 


*i  Herders  sämmtL  Weike  Bd.  XL  „Zur  Religion  tmd  TheolcgifS  &  72. 


Digitized  by  Google 


Franenbilder  aus  Pestalozzis  Lebenskreis. 

Vw  M,  Marf'WinUi'thur, 
(Foftsetarang.) 

r 

ir  wuudem  uiis  nicht,  dass  die  Gesaadheit  der  alteniden  Lisabeth 
«nter  den  vlelliuiheii  KrKnkntigen,  denen  sie  von  Seite  Sehmide  nnd  «einer 
Sehwestern  aasgesetzt  war,  zn  leiden  anfing.  Anfangs  Juli  1819  ging  sie  zu 
ihrer  Erholnng  ins  Bad  Sclünznach.    Tin  Knabe  blieb  unterdessen  in  Iferten. 

Die  Briefe*),  die  Pestalozzi  ihr  nach  Schinznach  scluieb,  sind  ein  wol- 
thaendes  Zeugnis  dafür,  dass  er  der  bewährten  Freundin  iu  alter  Liebe  zu* 
gethui  und  bemfiht  war^  die  entotandineii  Weitenrngen  Aungldclien.  loh 
lasse  diesenieii  folgen  nnd  der  Leser  wird  mir  dankhar  sein,  dass  ieh  ihm  Ge- 
legenheit gebe,  wieder  einen  tiefen  BUdt  iu  das  Herz  des  cdeln  und  großen 
Mannos  zn  thnn.  Ob^lHch  di>  Antworten  Lisab^^ths  iijr'lif  mehr  vorliaiiden  sind, 
so  hat  man  doch  in  dem,  was  geboten  werden  kann,  einen  fortlaufenden  Com- 
ttentar  der  gegenseitigen  Stimmnngen. 

1. 

Liebe  Lisabeth! 

Ich  hoffe,  Du  seiest  glftcfclich  im  Bad  Scliinznach  anirelangt  iiml  die  Reise 
habe  Doiiu-r Gesundheit  nichts;  grscbailet.  RfHclitc  iiiidi.  «h  Du  ein  ordcntlidies 
Zimmer  im  Bad  gefunden  und  was  Herr  Dr.  Koller  in  Rücksicht  auf  das  Bad 
und  Deine  Gesundheit  mit  Dir  geordnet  und  wie  Dich  das  W  asser  im  Trinken 
und  Baden  annehme.  Kacht  das  Tropfbad  Schmersen?  Ich  kenne  es  nicht 
Gott  gebe,  dass  es  Deine  Gesondheit  ganz  wieder  herstdle  nnd  Dein  Übel  in 
seiner  Wurzfl  heile  und  Du  kraftvoll  und  j^osnnd  wieder  zn  uns  zTiriiekkommen 
künnest.  T>t'irt  lieber  Jaeqneli  befindet  sich  wol  und  wir  alle  auch.  Ich  thne 
was  ich  kann,  um  das  Ziel  meiner  Bestrebungen  zn  eireichen,  und  meine  Uoff- 
nonguk  werden  immer  giSßer.  Die  Personen,  die  allein  im  Stande  sind,  mir 
fiüfthand  zn  bieten,  arbeiten  mit  Erfolg  nnd  es  gdit  vorwttrts.  Ich  träne  anf 
Gott,  der  mir  so  oft  geholfen  nnd  in  diesen  letzten  Tagen  meine  Hoffhungen 
hat  jffT(?ßer  werden  lassen,  als  sie  je  waren  Die  Wege,  die  ich  zu  meiner 
Eettung  einschlagen  musste,  standen  nicht  iu  meiner  Gewalt^  es  war  ein  ein* 
ziger,  nnd  bis  jetzt  ist  der  Ertoig  meiner  Maßregeln  gesegnet  nnd  meine  Hoff- 
nungen werden  tlglich  grSßer.  Aber  es  sind  freilich  nnr  noch  Hoflirangen  nnd 
swar  Hoffirangen  eines  Hannes,  der  am  ftnßenten  Band  des  Abgrundes  stand 


*)  Von  ihrem  Neffen,  Herrn  Dr.  Krüsi,  zur  Benutzung  iu  meine  Hand  gelegt. 


Digitized  by  Google 


—  628  — 


und  iKif  Ii  zu  fV  nii  m  nicht  ganz  sicht'i  n  Boden  vorgerückt  ist.  al>o  auch  nicht 
handeln  kann,  wie  wenn  er  sein  Ziel  erreicht  hätte.    Ich  horte  zu  Gott,  dieses 
Ziel  sei  nieht  mehr  fem,  und  aiMte  Tag  und  Naeht,  das  Ifeinige  zu  tbao, 
dieses  Ziel  mir  immer  nilher  zu  bringen.    Die  Leute,  di«  mir  Iiiefür  helfiea 
kennen,  streng-en  ihre  Kräfte  liietür  auf  alle  Weise  an.  nml  dio  Z»  it  wird  mein 
Vtrtraucii  auf  sie  rpchtfertli^en  nml  das  I»eine  auch  wieder  herstellen. 
Rosette,  die  gestern  bei  nns  war,  iässt  Dich  grUl>en;  auch  Gottlieb  (der  Enkel 
Pestalonds,  nmuiielir  22  Jahre  all)  llsst  Dich  griUen.  Da  ich  dem  Jaoqneü 
sagte,  ich  schreihe  Dir,  nickte  er  mit  dem  Kopfe  imd  sagte  llehehid:  Ja,  ja. 
Lebe  wol,  werde  eresund,  Gott  wird  alles  zam  Besten  lenken. 
Das  hoffet  nnd  bittet  Dein  Dich  mit  Dankbarkeit  liebender 
(Von  Lisabeths  Hand:  Pestalozzi 
den  4.  Juli  1819  empfangen.) 

Liebe  Lisabeth! 

Toll  stdine  mich  >.ehr  nach  einem  Brief  von  Dir.  darin  Du  mir  bestimmt 
sagest,  was  tlir  eine  Wirkung  dm  Bad  auf  Deine  Beschwerden  habe.  Ich  hoffCi 
Du  erhaltest  meine  Briefe.   Von  dem  ersten  weiß  ich  es. 

Hier  geht  es  thttig  nnd  nach  meiner  Ansieht  hcArnngsrolL  Ich  arbeite 
mit  Mnth  nnd,  wie  es  mich  dOnkt,  mit  Erfolg.  Das  Hans  ist  von  Fremde.  Es 
ißt  mir,  ich  lebe  in  einer  neaen  VC'elt.  Ich  bin  in  den  Thurm  hinauf  gezogen, 
eine  Treppe  höher  als  mein  Zimmer.  5'c hmid  arbeitet  mit  dem  rastlosen  Eifer 
und  mit  offenbar  gesegnetem  Erfolg.  Die  Kinder  von  Clindy  (  Armenanstalt, 
gegründet  1818)  sind  mit  Jnngfran  Schmid  alle  ins  Sohloss  gezogen  vtä 
halt«!  sich  vortrefflich.  Im  Land  steht  es,  man  kann  es  nicht  besser  wünschen. 
Bohnen,  wie  sie  jetzt  stehen,  hab  ich  noch  nie  gesehen.  Kurz,  alle  meine 
Wiinsciie  scheinen  sich  am  Ende  noch  m  erfüllen,  obgleicli  mein  Alter  mich 
ihie  Erfdllung  nicht  —  nicht  in  dem  Maße  zu  erleben  liutien  iässt,  als  ich 
gerne  wönschte.  —  Gottlieb  ist  recht  wol  and  hoffhongsvoll  und  hoffend  wie 
ich.   Dein  Jacqneli  ist  anch  wol  und  heiter. 

Glanbe  an  mich,  liebe  Lisabeth.  Der  Weg  meiner  äußern  Verhältnisse 
ma?  eine  Tvichtunj?  nehmen,  wie  er  will,  so  werde  ieh  die  Liebe  nnd  Hilfe 
nie  vergessou,  die  ich  von  Dir  ^'eno.ssen,  und  auch  hinter  meiueni 
Grabe  zeigen,  das»  ich  die  alten  guten  Verhältnisse,  in  denen  ich 
lebte,  nm  der  Ii  einigen  willen,  nicht  hinten  setze  nnd  vergesse. 

Lebe  wol,  liebe  Lisabeth. 

Ich  bin  auf  immer  Dein  aufrichtiger  nnd  dankl)arer  Freund 

Yverdon,  den  20.  Joli  1819.  Pestalozzi 

3. 

Liebe  Lisabethl 

Dein  Brief  hat  mich  herdich  gefrent  Oott  Lob,  dass  wir  hoffen  dHrfin,  Defae 

Beschwerden  heilen  sich  von  Ornnd  ans.  Ich  freue  mich  aufrichtig  Deines  Wolseioa 

nnd  anch  der  guten  Stimmung,  in  der  Dein  Brief  freschrieben  ist.  Ich  frene  mich 
aufrif  liticr,  Dir  lieb  zu  bleiben  bis  an  mein  und  Dein  Grab.  Dein  Vertrauen  auf 
mich  thut  mii-  in  der  Seele  wol,  nnd  ich  will  es  gewiss  beim  Leben  und  Sterben  zu 


Digiiized  by  Google 


—   629  — 


Tcrdienen  suchen.  Anch  Gottlieb  hei&t  Dich  seine  gnte  Gotte  von  gtaaem  Henen 
—  nnd  Dein  Jari|neli  darf  darauf  ziOilen,  dass  wir  seiner  um  Ik'liietwillon,  80 
lang  jemand  von  tms;  1f>if,  gedenken  und  mit  Sorgfalt  rni  ilim  handeln  werden. 
Die  Hoffnung,  es  immer  mehr  nnd  besser  thuii  2U  können,  ist  beständig  im 
Steigen,  aber  dieHaltregeln,  die  wir  m  luimi  Zwecken  eigniftn  nflnen,  lind 
fOr  den  AngeiiUlek  noeh  ediwer,  aber  ihr  Erfolg  admliit  voUkominra  Bieber. 
Es  kommen  immer  mehr  Engländer  an.  Es  wird  jetzt  wirklich  im  Hans  englisch 
g-epr^igt.  Herr  ^tanh  ist  tV»rt.  nnd  das  ganze  Haus  sieht  sich  nicht  mehr 
gleich;  aber  unsere  Feinde  sind  sich  immer  gleich.  Ich  habe  von  ihnen  immer 
Verdnias.  Schmid  gewinnt  immer  mehr  Freunde.  Er  treibt  jetzt  seine  mathe- 
natiachen  Weite  zan  Vorthefl  der  Anstalt.  Seine  nnd  seiner  Sidiweatem 
Tfaätigkeit  ist  unbegreiflich,  imd  all%,  was  sie  vornehmen,  gerÜh.  Ich  bitte 
Dich,  nm  Gottes  Willen,  fasse  wieder  einiges  Zutrauen  zu  ihm.  >'V  «uclit 
es  nnd  ist  im  Innersten,  trotz  gewisser  äußerer  Augenblickserscheiuungen,  ge- 
wiss edeL  Er  achtet  Dich  auch  gewiss  und  weiß,  dass  wir  Dir  Dank  schuldig 
stal  Er  wird  es  ewig  nicht  an  sich  kommen  lassen,  dass  er  gegen 
Bich  oder  gegen  den  Sohn  unreobit  handle.  Sein  Weg  wird  ihn  weit 
führen,  aber  ich  imiss  ilin  niit  Vertrauen  sich  selbst  und  seiner  eigenen  Kraft 
überlassen.  Tcli  thiie  es  mit  Vertrauen,  leh  darf  auf  seine  Liebe  zählen,  und 
er  geht  immer  weiter  in  öffentlicher  Verpflichtung  für  mein  Werk. 

Knn,  Uebe  I<isabeth,  die  Hoffanngen  für  das  Ziel  meines  Lebens  nnd  für 
den  Erfolg  nach  meinem  Tod  sind  nodi  nie  so  gegründet  gewesen,  als  sie  dieses 
gegenw  ilrtig  sind.  —  Gott  Lob,  dass  Deine  Gesnndlieit  gut  geht  und  ich  huften 
darf,  Du  erlebest  die  Folgen  meines  Thuns,  die  erst  hintei'  meinem  Grab  wichtig 
und  groß  werden  können. 

Adiea,  Uebe  Idsabeth,  sdireib  mir  bald  wieder. 

Ich  bin  mit  Danki  arkeit  ond  Liebe  aaf  immer  Dein  treuer  Freund 
(Von  Lisabeths  Hand:  Pestalozzi, 
den  4.  Augost  1819  erhalten.) 

4 

Liebe  Lisabethl 

Ununterbrochene  Zerstreuungen  sind  die  Ursachen,  dass  zwei  Posttage,  an 
denen  ich  mir  vwnahm,  Dir  an  sdireiben,  Twbeigegangen  sind,  ohne  dait  es 
geschah.  Das  Hans  ist  immer  voll  von  Fremden,  nnd  ich  bin  noch  der  Narr 

imd  meine,  ich  müsse  einem  jeden,  der  kommt,  nachlaufen!  Indessen  waren 
einige  sehr  wichtige  da,  unter  andern  der  Kronprinz  von  Preußen,  bei  dem  ich 
Nachts  fast  bis  nach  eilf  Uhr  im  „Rothen  Haus"  war.  Auch  sehr  wichtige 
Russen  waren  da,  und  alle  Fremden  haben  mit  mir  die  größten  Erwartungen 
Ton  der  Armenschnle.  —  Ich  wiederhole,  Lisabetb,  Gott  scheint  mir  am 
Ende  meines  Lebens  die  Hoffhungen  meiner  Jugend  erfüllen  zu  wollen.  Wer 
im  Hans  ist.  hilft  zu  diesemZiel,  undGottlieb  wird  i in m pr  t Ii iger.  Dass 
seine  Gesundiieit  sieh  solid  bessert,  tri^stet  mieh  selir.  Mit  Deiner  Gesundheit 
wird  auch  Deine  Beruliigung  siclier  kouimeu.  Ich  wiederhole  Dir:  Was 
immer  von  den  alten  Deinigen  noch  lebt,  das  liebt  Dich  nnd  freut 
sich  mit  mir»  in  eine  Lage  zn  kommen,  in  der  wir  Dir  unsere  Liebe 
mit  der  That  zn  Deiner  Befriedigung  zeigen  kftnnen. 


Digitized  by  Google 


—  680  — 


Wann  kommst  Da  wivdi  r  7h  uns?  Es  £,nbt  einen  vortrefflichen  IlerVist. 
Eine  Träubelkur  (Träubel,  Prüvm/,ialismii8= Traubeu  )  würde  Dir  sehr  woi  ihun. 
Der  Wein  wird  vortrefflich  und  gewiss  wolfeil.  Mache  die  Wasserprobe  mit 
Ddnem  Hagen  nieht  m  stark  und  nicht  n  flrSh.  Do  hiBt*jetEt  noch  in  d«r 
Cur,  und  80  laii^e  man  in  der  Cor  ist,  muss  man  keine  Heldenstreiche  mit 
sein.'U  kranken  Theilen  machen.  Ich  freue  niicli,  liebe  Lisabeth,  baM  wieder 
Niu  lirichten  von  Dir  zu  erhalten.  Mein«  Gesun<llieit  ist  vortretllich  und  lueiue 
Arbeiten  gehen  zur  Zufriedenheit  vorwärts.  Liebe  Freundin,  Gott  hat  ge- 
holfen» er  wird  ferner  helfen.  Ich  wiederhole:  Heine  Bemhifon^  ist  groß,  nnd 
meine  Hoflhiugen  scheinen  iliiei-  Erfüllung  mit  Sicherheit  entgeiren  zu  gehen. 

Gottlieb  grüfjt  Dich  her/lich,  and  ich  bin  mit  aoMchtigfim  Heraen  Dein 
Dich  li.'bt'nder  iiml  dankbarer  Freand 

Von  Lisabetlis  Hand:  Peätaluzzi. 

Im  Bad  erhalten  1819. 


Lisabeth  blieb  bis  gegen  Ende  Angost  in  Schinmeh.  Am  SchloMO  der 
Cor  reiate  sie  nach  Zürich,  nm  Ton  Ihrem  GOnner,  Bathsherrn  Vo^el,  dm, 
Tertranenamann  Peatalosuds  und  seiner  Gattin,  sieh  Iber  Ihr  ftneEea  Vertialten 

rathen  zn  lassen. 

I  i  je  Folge  davon  war,  das«  sie  um  das  Weitere  abzuwarten,  nach  Neuhof 
ging  und  ihren  Knaben  später  gegen  Ende  des  Jahi'es  dahin  kommen  UeB. 
Pestalozzi,  der  einsah,  dass  flIrLisabeth  inlferteneinatwdlaikeinPlats 
nnd  keine  Wirksamkeit  sei,  war  damit  ganz  elnventanden,  und  T.isabeth  wid- 
mete sich  wieder  in  altgewohnter  Weise  den  vorkommenden  Gesrhiiften.  wie  in 
frühem  Zeiten.  I'estalnzzis  Briefe  suchten  sie  auch  im  Neuhot  auf;  sieatiuueteu 
immer  dieselbe  dankbare  Auliauglichkeit.  Wir  lassen  sie,  soweit  sie  noch  vor- 
handen sind,  hier  folgen. 

5. 

Liebe  Lisabeth! 

ich  habtj  Deinetwillen  sehi  freundliche  Briefe  von  Herrn  Vogel  erhalten 
nnd  will  Dir  ganz  gewiss  thatsftchlich  zeigen,  dass  wir  Immer  nnd  bis  ans 
Grab  in  den  Gesinnunp^en  der  Dankbarkeit  ▼erharren,  die  wDir  schuldig  sind. 
Dass  anch  Schmid  in  gUuli.  ii  ciesinnungen  lebt,  wirst  Du  gewiss  erfahren, 
und  ich  weiß.  Du  wirst  ihn  einst  wieder  lieben,  wie  Dn  ihn  lansre 
geliebt  hast,  und  Du  wirst  ihm  einst  wieder  vertrauen,  wie  Du  ihm 
lange  vertrant  liast.  Er  ist  in  den  BSdem  von  Aiz,  den  Bnchholzer  wieder 
zurückzubringen.  Ich  wollte  seine  Zurttckkunft  abwarten,  ehe  ichDir 
schrieb.  Wir  erwarten  ihn  .schon  3  Tage;  <la  er  aber  heute  auch  n<>ch  nicht 
gekommen  ist,  so  wulltf^  if  h  Dich  doch  nicht  läng:er  ohne  einen  Brief  von  mir 
warten  lassen.  Die  Eiicickimft  Deiner  Schmerzen  von  Deiner  Znrichreise  macht 
mir  sehr  viel  Ufih.  Gott  gebe,  dass  es  jetzt  wieder  bessere.  Sehreibe  miram« 
stttadlieh  darttber.  ~  Es  widist  ek  herrlicher  Wein  dies  Jahr  and  wird  sehr 
wolfeil.  Du  sollst  auch  ein  FRsschen  vom  recht  i^nten  haben  und  ihn.  will- 
Gott  alt  bei  uns  trinken.  Dein  Jarqneli  ist  g-esund  und  so  ruhig,  als  er  nur 
sein  kann.  Ich  bin  vollkommen  gesund  and  will  nicht  vergessen,  diesmal  meinen 


Digitizeü  by  Google 


—  631 


Namen  unter  meinen  Brief  zu  setzen,  ob  ich  gleich  lioffe.  Du  glaubest,  dass 
ich  ihn  das  letzte  Mal  in  «Her  UnschnM  verfressen  darunter  zu  »et^en. 

lu  uieiuem  uäclisteu  Briefe  hutie  ich  Dir  etwafi  Wichtiges  Oüd  Neues  sagen 
xa  kSnneii.  Jetst  nnr  das:  Es  geht  alles  vorwärts.  Aber  die  Henschen  bleiben 
lieh  baima  gleiclL  Wenn  man  nicht  ein  halber  Teufel  ist,  wird  man  immer 
vnn  ihnen  betrog-en.  Aber  Schmiil  liat  noch  keiner  betrogen,  obgleich  man  es 
auch  Jeizi.  wieder  prubirl  hat.  Uottlieb  gellt  auf  in  Wissen  undKönneo,  wie 
es  iieiu  Mensch  von  ihm  erwartet  hätte. 

Sobald  Schmid  kommt»  schreibe  ich  Dir  nrnstandlicher.  Adieu,  liebe 
Lisabeth. 

Ich  bin  mit  dankbarer  Liebe  auf  immer  Dein  Freund 
(Von  Lisabeths  Hand,  zu  Neuhof:  Pestalozzi, 
von  Herrn  Pe^italozzi  im  Herbstmonat 
erhalten  den  21.  1819.) 

6. 

Liebe  Lisabeth! 

"Was  mich  innig  frent,  ist  die  Wiederherstellung  Deiner  Ge.sundheit.  Mir 
lietrt  alles  daran,  da?«  Du  lebest.  Die  Zeit  wird  alle  Zweifel  lösen  und  Dir 
zeigen,  was  wir  fiir  uns  bedurften,  und  wie  wir  für  Dich  und  die  Deinicren 
denken.  Wir  wünschen  die  Rückkehr  Deines  Herzens  und  Deines 
Vertranens.  Die  ZtAt  wird  uns  diese  schenken. 

Ich  wünsche  Dir  nnd  Deinem  Jacqueli  von  Herzen  ein  gutes  Jahr.  Mir 
thnr  web,  dass  sein  Führer,  den  ich  cfefragt,  wie  viel  Geld  er  brauche,  nni  ihn 
ordentlich  und  mit  den  niithigen  Erleichterungen  herab  (d.  h.  nach  Neuhof)  zu 
bringen,  und  dem  iclj  gegeben,  was  er  hiezu  gefordert,  keine  Erleichterungs- 
fdegenhdt  gcencht,  nnd  nm  fttr  sich  ein  paar  Thaler  ta.  ersparen,  Um  gezwungen, 
die  ganze  Heise  zu  FuC  zu  machen.  Wenn  es  auch  ein  paar  Thaler  mehr  ge- 
kostet, so  hJlttp  it'h  .sie  ihm  f^ewiss  gern  zurückerstattet.  Schreibf  niii-,  \sie 
Jae^iueli  sich  jetzt  befindet  nnd  sair  ihm,  das^  er  uns  lieb  sei  und  dass  es  mich 
freuen  würde,  üm  dieses  Frühjahr  wieder  zu  sehen. 

Nimm  fttr  einmal  4 — 6  L.d'or  vom  Lehemann,  der  mm  sehnidig  ist  Deine 
Bemhigung  Hegt  mir  am  Heraen,  aber  ich  wttnsehe  sie  natflrlieh  andi  anf  dem 
We?^  Deines  zurilckpekommenen  Vertrauens. 

Schmid  geht  nach  meinem (ieburtstag  (12.  Jänner)  nachZihicli  und  wird 
Deinethalben  auch  mit  Vogel  reden.  W^enu  ich  etwas  von  Gott  erbitte,  so  ist 
eSi  da»  Da  anch  ihm  wieder  Yertrane»  neigeat.  Ich  wdA,  was  ich  sage,  nnd 
CS  ist  gewiss,  dass  innige  Liebe  an  Dir  mich  dieses  Wort  aussprechen  machte. 

Eines  der  zuerst  angekommenen  Kinder  von  Clyndi,  Sabine  Stelielhi  von  ' 
St.  Gallon,  liegt  todt  im  Hau*    Ks  ist  das  erste  der  Kinder,  die  in  meinem 
Hause  gestorben.  Seine  Krankheii  und  sein  Tod  machten  uns  viel  Unruh'. 

Lebe  wol,  liebe  Lisabeth.   Ich  bin  mit  altem  Herzen  anf  immer  Dein 
treuer  Freund 

(Von  Lisabeths  Hand:  Pestalozxi 
den  7.  Jiinner  ]H'20  von  Herrn 
ir'estalozzi  erhalten.) 


üiyiiizeü  by  Google 


7. 

Liebe  Lisabeth! 

Ich  vernehme  durch  Custer,  dass  Da  sehr  krank  bist,  ich  wnsate  bis 
gestern  nichts  dftTOB.  Es  thftt  ndr  weh,  wie  vielM.  Ich  wUniche  geaaa  tn 
winen,  wie  es  Dir  geh«.  Lets  oür  durch  den  Atst  K«cfatiehte&  von  Dir  sn- 

kommen.  Die  Maßregel  Schmids  znr  Wiederherstellimg  meines  Haoees  \ 
txHglich  sicherer,  nnJ  er  übertrifft  alle  meine  Envartnng:en  nnd  ^vird  roii  L  iiikI 
Gottüeb  in  Stand  stellen,  für  jetzt  nnd  in  Zukunft  auch  an  Dir  und  Deiueui 
Jacqneli  zn  thon,  was  wir  ewig  ohne  seine  fortdanetnd^  Bemühnngen  nicht 
wtirden  kOnaen.  Mein  Hera  bleibt  in  dieser  Rfiduieht  immer  daa  «nn»n<*A, 
nnd  ieb  wünsche  nur,  dass  Dn  bald  wieder  gesund  werdest  nnd  im  Laufe  Tider 
Jahre  erlebest,  dass  ich  bei  Leben         ^^tpr^^^n  rille«  Gntf  erkenne,  was  Dn 
uns  gt  thaii  hast,  und  dass  Du  Dein  Ücrz  auch  ssiedt-r  g-egen  den  Alaun  lün- 
kehrst,  dessen  Liebe  zn  ans  und  dessen  Kraft,  uns  allen  zu  helfen,  Du  sm  lange 
in  der  Wahrheit  erlcaiint,  MSge  Gott  ea  geben,  dan  Dein  Vertrauen  n  naa 
rieh  m  Deiner  nnd  zn  nnaerer  Rahe  bald  wieder  einstelle. 
Lebe  wol,  (rott  bessere  Deine  Gesnndheit. 
Ich  bin  anf  immer  Dein  wahrhaft  ergebener  Freand 

(Von  Lisabeths  Harni:  Pestaluz^L 
den  4.  Juli  1820  erhalten.) 

Xadi  Lisabeths  Genesung  fand,  offenbar  durch  Verwendnnar  nnd  Ver- 
mittlung Vogels  in  Zürich,  eine  Verständigang  zwischen  ibr  nnd  Sclmiid  statt. 
Wie  sehr  Pestalozzi  sich  dadurch  erleichtert  fohlte,  beweist  der  nach» 
atehende  Briefl 

8. 

Liebe  Llaabeth! 

leh  kann  Dir  nioht  genug  engen,  wie  aehr  nieh  zwei  Dinge  jetzt  frenen: 

1.  Dass  Deine  Gesiudheit  sich  mit  jedem  Tag  wieder  bess<  rt.  und  dass 
Da,  will's  Gott,  noch  lange  hinter  meinem  Grabe  eifahren  wirst  rl  is  -  i  Ii  uieiue 
Hoffnnngen  nicht  auf  Sand,  sondern  auf  Felsen  gebaut.  Tcli  wer.it*  Deinem 
Arzt  nächstens  selber  schreiben  and  ihm  für  die  glückliche  Cur  danken,  die  er 
an  Dir  gemacht 

Die  zweite  Sach,  die  mich  ebenso  sehr  freut,  ist,  dass  Da,  liebe  Liaabetfit 
die  Du  einst  in  n<  f'sttMi  Nöthen  mir  meine  einzige  Hilfe  und 
Bettnng-  wärest.  Dein  Herz  und  Dein  Vertrauen  dem  Manne  wieder  •ä'hfnkst, 
der  jetzt  in  Nöthen,  die  grülier  waren,  als  die  iu  Deiner  Zeit,  mein  kr  aftvoller 
Better  und  meine  riehere  Stfitse  iat. 

Liebe  Lisabeth!  Auch  «freut  .sieli  des  Rfickkommens  Deines  Vertrauena, 
nnd  sein  Wetr  ist  srroß.  Ich  sage  noch  einmal:  Gott  Lob,  da.^.s  Du  wieder  ge- 
sund bist.  Du  wirst  in  dieser  Rücksicht  mehr  erleben,  als  Du  jetzt  noch  ahnen 
magst.  —  Auch  der  gute  Neuhof  wird  dtirch  ihn  erleben,  was  ich  nicht  hoffte, 
daaa  er  noch  «leben  werde.  Ich  hoffe  noch  viele  angenehme  Stnndmi  nnd 
hoffe  mit  Euch  meine  letzten  Standen  da  ?:uznl »ringen. 

Adien,  .^dieu.  liel»-  Li<^abeth,  Ki\^f^  mir  Jaoqneli  ond  glanbe  midi  immer 
Deinen  autrichtigen  und  dankbaien  Freund 

Yverdon,  den  22.  August  1Ö20.  PestalozzL 


üiyiiizüü  by  GoOgl 


—  6S3  — 


Auch  die  edle  Frau  von  Hall  weil,  schon  vor  Jahizelmten  die  iutimste 
und  tlieünehmendste  Fivuiuiiu  Pestalozzis  und  seiner  (Tattiu,  bezeugt  der 
von  ihr  so  liocligeäcMuteu  Li belli  ihre  Freude  iiher  deu  Wiedel*  gefundeneu 
Friedtin.  Sie  aehieiU  Ihr: 

Zürich,  deu  20.  September  1820, 

Liebe,  gute  Lisabeth! 

tichou  seit  dem  17.  Heumonat  l)in  ich  in  Zürich,  und  keine  gröiiere  Freude 
liSltte  mir  wol  werden  künnen  ak  der  letzte  Brief  von  Ihnen  mir  gewUhite. 
leh  Woeste  von  Herrn  Batfaeheir  Vogel,  daes  Sie  geennd  seien,  aber  ich  wuwte 
auch,  dass  Ihre  Angelegenheit  noch  gar  nicht  in  Ordnung  war.  Manches  machte 
mir  bange  für  Sie  und  Pestalozzi.  Ich  redete  offen  und  wie  mir  unis  Herz 
war  mit  Herrn  Vogel  und  letzte  Post  kommt  Ihr  Briet,  (iott  Lob  und  Dank, 
Sie  sind  zufrieden,  sind  wieder  ausgesöhnt  und  glucklich.  Gott  sei  ewig  Dank 
gesagt  Von  ganner  Seele  vtlnacbe  ieii  Ihnen  Glftelt  ond  Segen  und  frene  mich 
ndt  Ihnen. 

Gerne  redete  icli  auch  mit  Ihnen.  Ende  Octobers  kehre  ich  wieder  nach 
Aaiau.  Könnten  Sie  nicht  nach  Baden  kommen  den  Tag,  wo  ich  dort  durch- 
reisen wüi-de  und  dort  mit  mir  zu  Hittag  ^sen?  Können  Sie  kommen,  so  will 
ksh  Dmen  dann  den  Ttng  beethnm^;  denn  loh  weiB  ihn  Jetat  nndi  aeniit  nidht. 
—  Da  Ueher  Gott,  es  ist  nur  hier  so  wol  unter  meinen  Freunden  ond  Bekannten. 
Man  ist  so  gut  mit  mir  nnd  macht  mir  so  viel  Freude,  dass  ich  nicht  gern  an 
da.s  "Wt'itei^ehen  denke.  Denn  in  Aarau  hlüht  wenig-  Glück  für  micli.  Mein 
Schicksal  hat  nicht  geändert.  Das  Ihrige  aber  lehrt  mich  auts  neue,  deu  Muth 
nicht  zu  verlieren  und  Gott  zu  vertrauen,  der  ja  alles  zum  Besten  macht. 

Haben  Sie  tausendmal  Dank,  dass  Sie  mir  geschrieben.  Es  sind  wol 
wenige  Uensdien,  die  so  auMchtlg  und  ehrlich  mit  Ihnen  sich  freuen  wie 

Ihre  Halhveil. 
Treue  bis  in  den  Tod. 

LisVieth  kehrte  mit  ihrem  Knaben  im  Herbst  1820  wieder  nach  Iferten 
zurück,  im  Jahre  1823  heii-atete  GottUeb  Pestalozzi  die  jüngere  Schwester 
SefamidB.  Die  jungen  Eheteote  Uefien  sieh  auf  dem  Neohirf  nieder  nnd  wttnachtcai, 
dass  Uaabeth  mit  ihrem  Knaben  au  ihnen  komm&  ,  J^esthlozzi",  eratthlt  diese, 
„sah  es  nicht  so  gern,  doch  sagteer,  es  sei  besser,  Ich  gehe  jetzt,  es  könnte 
nach  seinem  Tode  Schwicriickeiten  geben.  Man  versprach  mir  alle 
Güte,  mich  zu  überreden."  So  fulgt«  sie  der  Einladung  nnd  hatte  es  einstweilen 
auch  nicht  zu  bereuen.  „Es  ging  ein  ganzes  Jahr  so  ziemlich  gut.*'  Aber  als 
Joseph  Schmid  am  17.  Jnli  1824  nach  dem  Nenhof  kam,  begannen  Miss- 
helligkeiten  und  Zerwürfnisse,  an  denen  nach  den  vorliegenden  antlientischen 
Actcnstücken  Lisabeth  keine  Schuld  tmg,  die  aber  zu  ihrer  Entfeninng  vom 
Neuhof  führten.'^) 


*)  Lisabeth  berichtet  an  ihren  Schwager  Erttsi: 

„Herr  Schmid  wollte  mir  nicht  einmal  das  Halbe,  wa.s  man  mir  versprochen, 
geben;  und  mein  kleines  Eigenthmu  und  der  Frau  Pestalozzi  selg.  Testament 
sollte  dadurch  getilgt  werden  und  nach  des  alten  Herrn  Tod  nur  noch  das  Halbe 
von  dem.  Jetzt  giui:  er  luiil  nuulite  eine  Schrift  und  brachte  sie  mir  zu  lesen,  es 
war  aber  »o  untereinander,  dass  ich  es  weder  lesen  noch  verstehen  komute.  £r  las 


üiyiiizeü  by  GoOgle 


—  634  — 


Als  Vater  P<»staloz7i  vnm  Rath^hfrm  Vopel  über  allf«.  wa«  vors^graniErpn. 
gründlich  auigeklärt  war,  ruhte  er  nicht,  bis  loigender  Vertrag  vereinban  war: 

Zwjaeheoi  Hemi  Heinrieli  Pestalozzi,  Herrn  Oottlleb  Peitalösti 
nnd  Herrn  Joseph  Sehinid  einerseits  —  md  Fran  KrftsI,  geborene  Nif 
anderseits  ist  folgende  Übereinkunft,  zu  deren  Erfüllung  nnd  Handbieton^  die 
Erstgenannten  sieh  solidar  verbindlich  niachfii.  abgeschlos^n  worden. 

1.  Su  lange  Herr  Heinrich  Pestalozzi  lebt,  erhält  Frau  Krüsi  —  bei 
ihrer  Trennung  von  ihm,  von  Herni  Gottlieb  Pestalozzi  und  von  Herrn  Schmid — 
sowol  für  die  Mhere  von  Fraa  Pestaloud  sel^.  berriilireiide  Verseiireibaa; 
▼<»  S  I^uisd'or  als  auch  Ar  die  ibr  durch  Herrn  Heinrich  Pestalozzi  aas- 
gestellte  ^rlmM',  .-rschreibung  von  500  Gulden  {—  lirui  Frnuken'  fin^  jähr- 
liche Li'ibii  iit»'  von  zwölf  Louisd'or  (=  280  Franken!,  weh  he  letztgenannte 
der  Frau  KiUisi,  wo  sie  sich  immer  befinden  mag,  in  inuuntlichea  Teruüjieu 
ausz&hlen  lassen  werden. 

2.  Nach  dem  Hintritt  Herrn  Heinrich  Pestaloati's  wird  ihr  sein  Enkel, 
Heir  Gottlieb  Pestalozzi,  die  oben  bemerkten  füni  Inuxlort  Gulden  sogleich  ent- 
richten. Ferner  wird  er  alsdann  die  oben  bemerkte  Leibrente  von  Seite  seiner 
Großmama  von  drei  Louisd'or  ueb»t  einer  zweiten  Leibrente  von  eben  dbser 
Snnime  Ar  seinen  Grofipapa  Ar  aicb  and  seine  NaehkonunMischaft  auf  sieb 
nebmen  nnd  ihr  den  Betrsf  dttselben  mit  einem  halben  Looisd'or  monatlich, 
wo  sie  sich  immer  befinden  raajr.  zuste-llen  lassen. 

3.  Die  der  Frau  Kriisi  wälirend  Heinrieli  Pestalozzis  Leben  zuerkannte 
Leibrente  fängt  mit  dem  20.  Juli  1H24  als  am  Tage  ihres  Anstritte«  auf  dem 
Neohof  an. 

4.  Zar  Vermeidung  gegenseitiger  anangeaebmer  Beiülirnng  nnd  Rftck- 
erinnernngren  ^vird  Frau  Krüsi  einige  Stunden  vom  Neuliof  entfernt  wohnen, 
bis  Herr  Schniid  »ich  da-^elbst  niPderlRsst  oder  die  friihfrn  freuudseljaftlicben 
Verhältnisse  gegenseitig  sich  auf  irgend  üiu*3  Weise  hergestellt  tinden. 

5.  La  Falle  Fraa  Aüsi  gegenwärtiger  Vorsorge  der  Erstgttianntea  an- 
geacfatet,  in  Noth  nnd  Elend  g«rfttb,  so  soll  dieselben  dieses  Instrument  keines- 
wegs hindern,  sich  zn  erinnern,  was  Frau  Kiilsi  der  Familie  Pestalozzi  iu 
schwierigen  Au^pnWicken  war.  Sie  werden  ihren  diesfülligen  Znstand  nm  so 
mehr  zu  verbessern  sich  bemühen,  als  ihr  Benehmen  gegen  ein  Haus,  das 
dnrch  seine  imnerwllbrende  Haadlangsw^  ancb  voa  ibrer  Seite  aaf  Anhäng- 
Udikelt  nnd  Zaneigang  Ansprneb  macboi  an  dBrüen  glaabt,  sieh  ihrai  frOben 


mir  die  Sc  hrift  vor  und  die  sollte  ich  untersolireilien  al^  annehmend.  T.di  wollte  ea 
nicht  thun»  weil  dies  mein  Eigeathuiif  und  alle  vorigen  Versprechungen  und  Testament 
tilgen  wttfde.  Br  kam  4  Ms  5  vuA^  nnd  wollte  mieh  mitDrlnen  ewiefen  zu  iuter> 
schreiben.  Ich  .sagte,  ich  thue  es  nicht.  Er  solle  mir  da.8  Papif  r  ir^ben.  h  h  w.  lle 
Herrn  Rathsherm  Vugel  oder  sonst  einen  vemiint^igen  Mann  um  liath  tragen.  Da 
ssgte  er:  uein«  er  gebe  die  Sebrift  nicht  aus  der  Hand  ohne  von  mir  anaehmeBd 
unters  iirieben.  Bs  werde  mieh  geranen«  dnss  ich  sie  nicht  untoncbrieben  bebe,  nnd 
ging  tort. 

Diese  Handlungsweise  erinnert  unwillkürlich  an  das  Urtheil.  da.4  der  milde 
Ir.  Vulüemin  in  .seinen  So uveniris  nacontia  ä  ses  petita  eut'ants  fi^  iu^  .'52  iU^-r  >■  Iiiniil 
geiUlit  hüt:  ,,J  ai  vnSchmid  la  dcruicre  fois  en  1821.  Keutre  chez  luui  j  ecdvi.-,  lUi^- 
mon  Journal:  „Tuut  est  chez  Ini  math^matiques;  pour  lui  ni  bieu  ni  mal;  U 
n'estime  que  ce  qui  lui  dispute  et  proonre  Ja  victoire.  Avec  quelle  joie  iitoct 
Je  Tai  vu  rire  au  ricit  d'un  trait  de  sc616ratesse!'^ 


üiyiiizeü  by  Google 


—   635  — 


Gesinnangeu  gegen  dasselbe  nftlirt.  Indeasen  macht  man  sicli  hiefttrbOrgerUch 
auf  keinr  Art  verbindlich. 

6.  Zum  ZeicUeu,  dass  diese  eiiigfgaugeuea  Artikel  Frau  Krübi  angenehm 
und  sie  befriedigend  aelen,  wird  gegenw&rtigea  Instnuneiit  doppelt  ausgefertigt 
und  gegenaeitig  onteizeielinet. 

Iferten,  am  15.  September  1824.  H.  Pestalozzi. 

Jos.  Schmid. 
G.  Pestalozzi. 

Lisabetli  ftmd  nmi  mit  ihrem  Knabea  zunftchst  ünterkmift  bei  ihrem 
Bmder»  GemdAdeammaim  Näf  in  Kappel.   Aber  auf  die  Daner  konnte  sie 

aus  der  jährlichen  Einnahme  von  12  Lonisd'or  (280  Fi-s.)  die  noth wen- 
digen Lebensbedürfnisse  für  sich  und  den  besonderer  Pflesre  bedürfenden  Sohn 
nicht  beschafien.  Ihre  eigene  Arbeitskraft  aber  war  bei  ihrer  Kränklichkeit 
nnd  ilmen  63  Jahren  nicht  mehr  weit  reichend.  Nach  Peetalozzi's  Absterben 
mnaste  ihre  Lage  noeh  aehwierigw  werien,  da  aladann  eine  Rednetlon  ihrer 
Jfthrlicben  Blinnahme  mit  Einschlnss  des  Zinses  von  den  500  Gulden,  die  ihr 
Pestalozzi  von  früher  her  schuldete,  auf  8  Louisd'or  (1H7  Frs.)  in  Aussiclit  ^itarul. 

Durch  ihren  Schwager  Krüsi,  der  damals  VursteliL-r  der  Cautuusj^chule 
in  Trogen  war,  ließ  sie  in  Gais  um  Luterstützuitg  uder  um  Aofoahme  ins  dor* 
tige  Walsen-  nnd  Armenhans  naehsneboi.  Letstere  wnrde  ihr  gewfthrt  Am 
3.  September  1825  bezog  sie  diese  Uiie  letzte  Lebensstatl<Hl. 

^^ie  that  diesen  Schritt  ohiit'  Groll  und  Verstimmung.  Dirc  Anhltne'lich- 
keii,  Liebe  und  Verehrung  für  Vater  Pestalozzi  waren  über  die  Zeit  der 
Zerwürfnisse  immer  dieselben  geblieben,  gelioben  und  genährt  diucli  dixa  Be- 
wnsstaein,  dass  auch  Er  die  gleiche  Geshmnng,  wie  in  früherer  schönerer  Zeit, 
fkt  bis  ans  Grab  howahrt  hatte  und  an  dem  hftssliohen  Streit  vSlUg  luischuldig 
war.  Wie  sehr  -if*  im  Geist  mit  Pestalozzi  lebte,  davon  zeugt  eine  eigen- 
händige Aufzeichnung  bei  Aniass  vom  Tode  desselben,  die  sich  unter  ihren 
Papieren  fand: 

„Heinrich  Pestalozzis  Tod.** 
(  An*!  df^m  ..Schweizerliyien''.) 

...Toh.  Heinrich  i-'estalozzi,  der  WohlthUter  der  Menschheit,  hat  seine 
irdische  Laufbahn  geendet.  In  Brugg  entschlief  er  ruhig  nnd  still  am  Morgen 
des  17.  HomnngB  1S27|  nm  anf  8  Uhr.  In  Zfirioh  erblickte  er  das  Lieht 
dieser  Welt  am  12.  JÜnner  1745  (nach  damaliger  Annahme)  und  durchlebte 
folglich  einen  Zeitraum  von  82  Jahren,  1  Jl  mat  und  5  Tagen.  Das  warme 
Menschenlif^rz.  das  nie  durch  Eigenliebe,  aber  ntt.  Ja  fast  ohne  Anfliören  durch 
die  allerwärmste  Menschenliebe  in  Bewegung  gesetzt  wurde,  hat  zu 
schlagen  anflsebVrt.  Der  nie  mttde  Geist,  der  sksh  noch  in  den  letsten  Tsgen 
Hut  annachlieSIidi  nnd  ohne  dnrdi  das  klb*paliche  Leiden  irre  gemacht  zu 
werden,  mit  seinen  höheren  Lebenszwecken  beschäftigte,  hat  seine  müde  Hülle 
verlassen,  nm  jenseits  des  Grabas  \\'ioder  jugendliche  Werkzeuge  zu  suchen, 
zu  vollenden,  was  er  begann,  was  wol  aber  nur  der  ewige  Geist,  auf  dessen 
Wink  wir  alle  werden  nnd  vergehen  wie  die  Blumen  des  FeldeSt  in  den  end' 
losmi  Rftomen  der  Zeit  dnrch  nnd  ffir  kommende  Geschlechter  an  rbUnulen 
vermag  und  —  vollenden  wird  trotz  der  dfirren  Hand,  die  der  Geist  der 
Finsternis  vor  das  Licht  hält.*' 


• 


• 


üiyiiizeü  by  Google 


—  636  — 

„Er  hattp  cToft^  Schmerzen  gelitten,  aber  nie  seinen  Mnth  nnd  seinf  Ruhe 
vprloren.  Als  er  sich  von  der  Tödlirhkeit  seiner  Krankheit  übersseogi  hatte, 
bescljättigte  ihn  nur  noch  sei»  Werk  über  die  Elemente  der  Sprache.  Von 
«ich  teltet  flp«eh  er  wenig  and  veriangte  nicht  viel  Wie  er  leUe,  ea  sUrb 
er.  Seinem  Willen  genAS  wurd  est  noch  am  nämliclien  Tage  nach  seinem 
lieben  Neahof  abgeführt,  von  wo  er  Montags  <leii  10.  d.  um  Mittag  sein^-n 
letzten  Weg  zur  stillen  Grnft  antrat  —  Wenn  Einer  —  so  wird  Er  za  einer 
frohen  Auferstehung  erwachen.'* 


Elisabeth  lebte  von  da  an  noch  eine  fieihe  v<«  Jahren  etillglieklicb  in 

ihrem  Asyl,  konnte  ihren  bedauernswerten  Sohn  nach  ihres  Herzens  Bedürf- 
nis pflegen,  wofOr  sie,  wie  Krftsi  berichtetf  oft  mit  Inbnmst  Oott  and  Jien- 
sehen  dankte. 

In  dem  Gesuch  um  Aufnahme  in  das  Armenhaus  Oais  sofailderl  sie  den 
Zustand  ihres  armen  „Schaggi"  also:  „Er  ist  jetst  in  der  That  viel  weniger 

als  vor  zwei  Jahren,  kann  sich  nicht  selbf^t  helfen,  nicht  redeai,  hat  Mangel 
an  Verstand,  ein  krankes  Bein,  so  d^iss  er  oft  4  bis  5  Tage  im  Bett  bleiben 
ninss,  ist  nicht  einmal  im  Stand,  uidi  «las  Hein  zu  verbinden.  Er  hat  ein 
gutes  Herz,  wenn  er  mit  Liebe  und  Emst  behandelt  wird,  wird  Komig,  wenn 
er  misshandelt  wird.  Er  hanget  mit  Leib  imd  Seele  an  seiner  Mutter.  Er 
hat  Mntterpflege  nöthig.  wie  ein  Kind,  und  wie  gerne  tbt  die  eine  gute 
Matter;  wie  weh  xhl'itf  es  mir,  ilm  von  mir  zu  lassen.'' 

Bis  zu  Pttngitt'ii  IX'M).  bis  in  ihr  74.  Lebenqahr,  war  bie ziemlich  rüstiff. 
Von  dem  genannten  Zeitpunkte  an  kam  bie  nicht  mehr  in  die  geiDeiut<ame 
Wohnstabe  des  Hanses,  konnte  abw  nodi  in  ihrer  Kammer  arbeiten.  Mit  1^ 
tritt  des  Winters  worde  sie  so  schwacii,  dass  sie  «las  Bett  nicht  mehr  ver- 
lassen konnte.  Gegen  Ende  df^s  Jalires  starb  sie.  Der  Blick  auf  ihren  Sohn 
nud  der  (iedankf,  dass  ei-  nun  fremder  I'Heg-e  anheimfalle  und  kein  Mutter- 
auge ihn  mehr  bewachen  und  keine  linde  Mutt«;rliaud  beine  Wunden  mehr  ver- 
binden werde,  mochte  wo!  ihr  Sterbebett  za  einem  schweren  gemacht  haben. 
Eine  reine,  edle,  aufopferungsföhige  Seele,  die  nicht  das  Ihre  gesucht,  war  mit 
ilir  ans  d»  in  Leben  fri  seliiedeii.    Ihr  Andenken  wird  in  Segen  bleiben. 

Anrh  nach  ihrem  Tode  ward  Jnkob  Krüsi  liebevoll  gepflegt.  Er  starb 
im  November  1854.  Aus  den  „Personalien",  die  Herr  Pfarrer  Heim  nach 
Landeasitte  von  der  Kanzel  verlas,  vornehmen  wir:  „Bd  seiner  Ankonit  in 
onserw  Gemeinde  war  er  und  blieb  er  seither  blödsinnig,  zu  jeder  Artidt  an» 
tauglich.  Ob  er  von  Geburt  an  in  diesem  Grade  in  so  beklagenswerfen  Um- 
ständen war,  kann  nicht  mit  Bestimmtheit  )^e.s;ifrt  werden,  nur  .so  viel  ist  be- 
kannt, dass  ihm  infolge  seiner  geihtigeu  und  körperlichen  Verkümmerang  kein 
Schal-  and  BeUgionsoateirlcht  gegeben  werden  konnte.  An  guter  nnd  Ueb- 
reidier  Pflege  in  seinen  traarigen  Umstibiden  hat  es  ihm  nie  geMilt.  Seine 
Mutter  theilte  mit  ihm  und  nur  um  seinetwillen  mehrere  Jahre  (elf)  d^n 
Aufenthalt  im  hiesigen  Annenhause  und  soll  ihn  d  i«»  Ibst  mit  seltener  .Aul- 
opferung und  Liebe  geptiegt  liaben.  Nach  dem  Tode  derselbeji  stand  er  völlig 
allein  da;  fremde  Leute  warteten  seiner  im  Armenhaose.  Nodi  18  Jahre 
mnsste  er  sein  nnsSgUch  bedaaerliches,  weil  freadeo',  arbeitsp  nnd  geistloses 
Leben  filhren.* 


üigitizeü  by  Google 


—  637  — 


IIL  Ahm  Magdalena  Pestaloui,  geb.  FrOJiUeh. 

1767—1814.  • 

Hit  Anna  Magdalena  Frdhlicb,  die  Jakob  Peitaloni  1791  als  Gattin 

heimführte,  war  dne  edle,  au  Geist  and  Gemlidi  reich,  b^abte  Seele  in  das 

viclg^eitrüff  Hr^im  anf  dein  Xt  uhof  eing:ezogen.  Sie  war  ihrem  Manne  eine 
treue,  liebende  (Tcfahrtiii.  d»'ii  Klt(>ni  Pestalozzi  pine  hingebende,  opferwillige 
Tochter.  Tapfer  und  mit  Eiuäiclit  griü  sie  in  dan  Hauswesen  ein  und  bestrebte 
Bieii,  In  gemeinsamer  Thfttigkeit  mit  limbeth  den  Haoshalt  anf  gotem  FnB  jni 
erhalten.  Ihre  Ehe  brachte  ihr  Tiel  Schweres,  aber  aie  tru;^  die  Prüfungen 
mir  (  reduld  und  nie  ^t  Tn  oi-Iienom  Mnth.  Eine  getreuer^  liebevollere  Pflegerin 
hätte  ihr  stets  leidender  (Tatte  nicht  finden  können. 

Wie  opferfi'endig  sie  sonst  war,  entnehmen  wii*  einer  Aufzeichnung  im 
Tagebneh  der  Mutter  Peetalond:  ,»Im  Weinmonate  1800  etarb  der  Onkel  Fladi 
(in  Brugg).  Seine  Hinterlassenschaft  war  klein,  aber  gesegnet  Unsere  liebe 
Sohnsfniu  half  mit  ihrem  Antheil  den  Pediirfnissen  des  Hanses.  die 
damals  groß  waren,  mit  aller  nar  ersiunlichen  Liebe  und  Gene- 
rosität« 

In  den  oben  erwähnten  Abecfaiedsworten  Tom  Jabre  1803  (a.  Seite  557) 
wendet  sich  Mntter  Pestaloisi  also  an  ibre  Sohnefran:  „Liebe,  liebe  treue 

Seele^!  Frau  meines  einzig  geliebten  Sohnes!  Deine  Treue  und  Deine  Liebe  ver- 
gelte Dir  Gott.  Da  hast  an  unserm  Haus  redlich  g^elmndelt.  Die  vielen  Lei- 
den, die  Dir  darin  auferlegt  waren,  hast  Du  alle  nmthvoll  getragen,  ohne 
fiSckeicbt  anf  Dieb  aelbet  an  nehmen.  Ach,  nochmals  äbgne  Dich  und  Dein 
Kind  Gott,  Oott,  sn  dem  Da  Deine  Znfloeht  immer  gehabt.  Er  eehenke  Dir 
jene  Zufriedenheit  und  Stärke,  die  Dir  >o  nothwendijj.  Verlass  den  guten 
Papa  nicht  auf  allen  seinen  Weg:»n  wenn  es  Dir  anch  schwer  ist:  seine  Ab- 
sichten sind  immer  gut  und  Gott  ist  mit  ihm.  Er  rettete  ihn  immer  wieder, 
wenn  er  auch  straucheln  wollte. 

Wie  die  jnnge  Witwe  den  Hanebalt  in  Burgdorf  leitete,  vernehmen  wir 
TOD  von  Tärk,  der  in  seinen  Briefen  von  Hflnchenbacbsee  ihr  folgendes  Zeug- 
nis ausstellt:  «Ohne  den  Beistan  l  flif>«r.r  seltenen  Fran  würde  Pestalozzi  das 
Institut  in  Burgdorf  nicht  hab»  ii  t  rhalten  küimen.  Sie  war  allen  Zöglingen 
zärtliche  Matter;  sie  pflegte  die  Kranken  und  sorgte  für  die  Gesunden.  Dabei 
beeorgte  sie  die  ganse  grolle  WirtsehafI  mit  POiiktUehkeit,  mit  strenger  Spar* 
sanikeit  und  doch  dabei  mit  einer  so  liebenden  Gutmüthigkeit,  daso  Lehrer  and 
ZöglinL^>  -i  '  innig  liehten  und  aehteten  und  ihre  Anordnungen  gerne  befolgten. 
Auch  in  den  frühen  Stunden,  wenn  Pestalozzi  zuweilen  nicht  wnsste.  woher 
Brot  nehmen  für  seine  zahlreiche  Familie  auf  den  kommenden  lug,  die  kom- 
mende Woche,  amdi  dann  verlor  lie  den  Hntii  nleht*,  aie  bot  vielmehr  alles 
anf.  es  zu  verhindern,  daw  Jene  Verlegenheit  nicht  sichtbar  oder  eigentlich 
ffitübar  werde." 

^[it  der  l'her^^abe  der  Anstalt  an  Felleuberg  im  Juli  1804  kehrte  sie 
aui  den  Neuliof  zurück. 

bnAognst  1804  verheiratete  sie  sich  mit  Lorenz  Cnster  von  Altstätten 
im  l^h^iiithftl.  Cnster  ist  ein  wolhabender,  braver,  stiller  Mann;  sie  leben 
nun  auf  unserm  Gut  im  Xeuhof"  (  Tagebuch  iler  Mutter  Pestalozzi).  PieHocli- 
aeitsreise  fährte  die  jungen  Eheleute  ins  RheinthaL    Sie  benutzten  die  Ge- 

41* 


Digilized  by  Google 


—   638  — 

leffouheit.  die  Mntter  Niederers  in  Brenden  am  Lntzenhpra-  zu  begrüli«?Q,  bei 
welcher  sie  der  SoUu  durcii  einen  Brief  einfiiliite,  in  dem  er  n.  a.  sich  äußert: 
^Ich  darf  Endt,  \Mbe  Hattert  aidit  «rat  wmdMn,  der  Frad  Caster  b»  fld 
Angendimes  zn  varschaflim,  als  Eadi  mSglidi  ist  Diese  vortreffliclie  Fran 

verdient  alles.  Sie  hat  an  der  Saclie  ihres  Papas  mit  einer  Anstrongnner  nnrl 
Aufopfening  Antheil  genommen,  dio  oline  Beispiel  fiind.  Auch  an  nur  hat 
gie  besonders  in  meinen  kränklichen  Umständen  wie  die  gütigste  Mutter  ge- 
handelt« 

Avch  in  der  nenen  Verbandniig  Uleb  sie  der  Familie  Pestaloczi  mit  der 

alten  Liebe  und  Treue  dienstbereit.  „Am  25.  März  1805,  berichtet  Mntter 
ppütalozzi.  starb  unser  lieber  Bruder  Leonhard  im  Nenhof,  wo  ihm  niein 
Toclitciiuaim  und  Frau  alle  Liebe  bis  an  sein  Ende  bewiesen."  Freilich  ent- 
hält ein  späterer  Brief  von  Fran  Pestalond  an  ihren  Gatten,  d.d.  3.  Apill  18(3, 
worin  «le  Ihm  den  Tod  des  Brnders  Leonhard  aoseigt,  folgende  Bemerkung: 
^Custer  betrug  sich  ausnehmend  aoigsam  und  liebreich  gegen  ihn  (Leonhard ) : 
er  hat  ^pwiss  sein  Gutes,  obschon  er  ein  so  wunderlleher  Heiliger  ist.  Af^h. 
wer  ist  nicht  eigen?  Wer  schaut  nicht  aut  sein  eigenes  Interesse?  Niemand 
als  Du,  Guter!    Wenn  man  es  Dir  nur  auch  danltte!'' 

1807  siedelte  das  Ehepaar  Cnater  naeh  Iferteo  ttber  nnd  fibemahm 
die  ökonomische  Leitung  der  1806  von  Hopf  nnd  KrUsi  gegründeten, 
dann  an  Pestalozzi  abgetretenen  >f:i  1'liener7t*^hnne^nnstalt.  Mit  November 
18 IH  ging  diese  Anstalt  in  das  Eigeuihum  der  R«>6eite  Kasthofer  über  und 
Güsters  zogen  sich,  mit  dem  Zeugnis  treuestei*  und  gewissenhaftester  Pflicht" 
erfUlnnir  naeh  Bnrgdtorf  sorttclc,  wo  FTaa  Caster  schon  im  Jahr  1814  ihrer 
Familie  durch  den  Tod  entrissen  wurde.  Sie  hinterließ  ihrem  Gatten  3  minder^ 
jährige  Kinder:  Anna  Francisca  Theresia,  geb.  1805  (Fran  Kraft  in  Bursr- 
dorf  i;  Maria  Elisabetlia.  geb.  1806  (Fnin  Dr.  Dürr  in  Burgdorf  >:  Susauna 
Maria,  geb.  1808  {b'rm  Jäger  in  Brugg).  Die  edle  Mutter  lebte  in  mehr  als 
einem  Sinn  in  diesen  ihren  Kindern  fort 

(Sehlttis  folgt.) 


.  k)  i^  .  j  i.  y  Google 


Eine  französische  Stimme  über  das  höhere  Unterrichtswesen 

Hentsehlaads. 

Bfnpröchen  von  Ii.  Jt. 

Ochoii  oft  ist  gesagt  wnrtkii,  «lass  cino  ropublikanischo  Kpiriernnfr  inelir 
als  jede  audere  für  Uebuug  imd  \  erbesseruug  de«  üuteiTicUts  zu  8or|^eu  liabe. 
Dieser  Meiminflr  scheint  die  frsuOsitdie  Bepublik  beizaetimmen.  Bb  ist  nieiit 
za  leugnen,  dan  dieselbe  aeit  einer  Beibe  von  Jabren  »nf  keinem  Qebiete  eine 

euerg-ischere  und  andauerndere  Thätigkeit  entwickelt  als  im  f^diulweHen.  Na^ 
m»  iitlicli  fanste  man  zunächst  das  niedere  Unterrlrlitswesen  und  die  üniversi- 
täten  iua  Auge;  doch  auch  die  höiieren  Schulen  ziehen  bei'eits  die  Aufmerk- 
auikeit  der  fmusüsischeu  Pädagogen  auf  sich. 

In  erster  Linie  sind  es  die  ünterriehteminister  der  letzten  Jahre,  welche 
den  Anstoß  zu  der  großen  piidagogiscbea  Bewegung  gt  ^rf  beii  haben,  deren 
Zenq-en  wir  jetzt  in  Fi  ankicich  sind.  Ihnen  verdankt  Fraiiki  cidi  die  Rcfornu^n 
aller  Art,  die  sich  iu  neuerer  Zeit  vollzog«'n  haben  und  noch  vollziehen.  Neben 
den  UnteiTichtsministem,  zum  Theil  in  Verbindung  mit  ihnen,  wirken  Gesell* 
schalten  —  wir  erinnern  nur  an  die  »Sod^tö  pomr  l'^tnde  des  qnestions  d'en* 
iteignement  snperieur"*  —  und  Zeitschriften,  z.  B.  die  „Revue  intemaTioiiale 
de  IVnsciffnoment-*.  besomU  i  s  aber  einzelne  hervorragende  Gelehrte  und  PiUla- 
gogeii.  Wie  unermüdlich  diese  letzteren  und  die  Gesellschaften  schaffen,  be- 
weist die  nicht  unbedeutende  Zahl  von  Schriften,  die  seit  einigen  Jahren 
erschienen  sind. 

Im  Laufe  der  Zeit  haben  sich  in  Frankreich  auf  jeder  Unterrichtsstnfe 
MüTitr*  1  niid  (  beistände  herausgestellt,  deren  BeseititruüL'  nidit  llln{rer  liinatis- 
gesthubeu  werden  konnte.  An  Stellf^  des  Schlechten  und  Maiifcelhaften  innsste 
etwas  Besseres  und  Vollkommneres,  dem  Zeitgeiste  Entsprechenderes  gesetzt 
werden.  Beim  Suchen  danach  haben  die  Befermatorai  iliie  Ängen  nach  allen 
Kichtnngen  hm  gewaiidt.  Zu  den  im  ünterriehtswesen  am  wdtesten  fortge- 
schrittenen Nationen  sind  Emissäre  gegangen,  um  die  vei-sdiiedenen  M<  tboden 
und  Orgranisationen  an  Ort  und  Stelle  zn  i-tndiren;  das  von  diesen  ercsanimelte 
Material  ist  gesichtet  und  veröffentlicht  worden.  Diese  comparative  Methwie  der 
pftdagogisehen  Beform  ist  Jetst  die  vorherrschende  in  Frankreich.  Znnicbst 
sind  die  daraus  hervorgegangenen  Verbesserungen  nm-  dem  enaeignem^t  pri- 
maire  und  dem  enseignement  superieur  iden  Facnlläten)  ziignte  crckommen: 
neuerdings  sueht  man  jedoch  auch  das  ejaseiirnenient  secondaire,  das  lii>h"re 
ünterriehtswesen,  die  lycees  und  Colleges,  einer  gründlichen  Umgestaltung  zu 


—  640  - 


unterziehen.  Mit  dieser  in  Frankreich  augenblicJdich  wol  wichtigsten  pädago- 
giaehen  Frage  besehAftigt  steh  die  tot  knnem  verOffnitiichte  Schrift  dnes  der 
bedeatendsten  ft'anzi>8ischeii  Gt  lclurteii,  des  l^rofessors  der  vergleichenden  Sprach» 
Wissenschaft  aiu  College  de  France  zn  Paris,  Herrn  Michel  Breal.  Von  dem- 
selben Verfasser  pn?nhien  bereits  früher:  Qn»^lfjnos  mitts  snr  rhistniction  pu- 
blique eu  France.  Paris,  Hachette;  ein  Werk,  welches  mehrere  Autlagen  erlebt 
hat  und  auf  viele  Mftngiel  Im  ftvDzOelscheii  Schnlweaen  hinweiBt»  die  aeitd^b 
im  Verschwinden  begriffen  sind.  Schon  in  dieser  Arbeit  stellt  Herr  BrM  Ver- 
gleiche mit  den  deutschen  Verhältnissen  an.  Fast  ausschließlich  mit  den  deut- 
schen Unterrichtganstalten  beaclkäftigt  sich  seine  neueste  Schrift:  Excoraions 
pedagugiques.  i'aris  1882. 

Diese  Arbeit  üust  die  Beobachtungen  «nsammen,  welche  der  Verteer  vor 
einigen  Jahren  anf  ebun  Rte  gemadit  bat,  die  er  nntmahm,  mn  das  h9here 
ünterrichtswesen  Deutsehlands  kennen  zu  lernen.  Herr  Breal  lobt  nicht  alles, 
was  er  gesehen  xmA  irehöit.  er  omptit  hlt  An\  französischen  Lehrkreisen  nicht 
alles  Gute  zui'  Nachahmung  in  Frankreich,  aber  durchweg  uitheilt  er  mit  Frei- 
mfltUgkeit  and  OiTanheit,  ohne  nationales  Vorortbeil  nnd  mit  voUstindiger 
Sachkenntnis. 

Am  «  in behendsten  bespricht  Herr  Br^al  die  deutschen  Gymnasien.  Zu- 
n'lclifit  wird  der  Leser  unterrichtet  über  die  Daut  r  der  Gymnasialstnilieii  nn«i 
die  Aufnahmebedingungen.  Verfasser  hebt  sodann  lobend  hervor,  da^s  die  deut- 
schen Gymnasien  nicht  so  ftberfullt  sind  wie  die  französischen,  namentlich  die 
in  Paris.  Dort  ist  die  Zahl  der.  lyofies  seit  1820  dieselbe  geblidien  (es  gibt 
deren  5),  wälirend  man  in  den  Großstädten  Deutschlands  von  Zeit  zn  Zeit,  je 
nach  Bedürfnis,  neue  Lehranstalten  errirlitet.  damit  die  besteliemlen  nielit  zu 
große  Dimensionen  annehmen.  Femer  unterecheideu  sich  unsere  Gyiiuiasieu  von 
den  lyc^es  darin,  dass  sie,  abgesehen  von  wenigen  Ausnahmen,  wie  die  sächsi- 
schen Fürstenschnlen,  nicht  mit  Alomnaten  verbanden  und;  Ijotes  aber  ebne 
solche  gibt  es  wol  kaum.  Im  ersten  Capitel  erwälmt  Herr  Br^al  eadllfih  noeh 
die  \vt  it  .selb^tiütUndigere  SteUuitrr  5  v  tlt  utschen  Gymnasialdirectoren.  die  Lehrer- 
cuuferenzeu,  die  Schulbibliotlickt  ii,  die  Ot»terprogramme  mit  ^issenschaftlielien 
Arbeiten,  die  Besoldung  der  Lehi-er,  welche  höher  ist  als  in  Frankreich,  u.  a.  m. 

Was  das  Faehwesen  anbebdUEt,  so  theilen  wir  nidit  ganz  die  Ansteht  des 
Herrn  Breal  Wenn  wir  eineiseiti  zogebeo,  dass  man  in  Frankreich  mit  d^ 
Bpecialisirung  zu  weit  geht,  so  wagren  wir  andererseits  zu  hehatipten.  da*?;  in 
Deutschland  die  Anforderungen  an  den  LeJirer  in  Betreff  der  L*-lirg^E-en«!täiiiie 
wol  etwas  redocirt  resp.  mehr  speciaÜsii-t  werden  könnten.  Gewiss  leidet  die 
Schale  selbst  am  meistm,  w«m  dem  Lehrer  ein  zn  mannigfaltiges  Lehrpeasvm 
zngemathet  wird. 

Im  zweiten  Abschnitt  iles  Weik<'S  werden  wir  i-in^efiilnt  in  da-s  Gym- 
nasium znra  grauen  iviosier  in  Berlin,  und  zwai*  wird  uns  zunächst  da^  Bild 
einer  griechischen  Stunde  in  i^uiut;i  entworfen.  Hier  ist  dei*  Verfasser  beson- 
ders von  d^  Oenanigkeit  angenehm  berflhrt  worden,  mit  der  die  dentsehen 
Schfiler  den  «rrirc  liist  lien  Wortaccent  herrorzabeben  wissen.  Jedem,  der  je  Fran- 
zosen Griechisch  oder  Latt  inisch  hat  lespn  li5ren,  ist  bekannt,  wie  willkiirli  Ii 
dieselben  in  der  Betonung  der  Wörter  verfahren,  nn  dass  z.  B.  amäbat  d»  u 
Ton  auf  dex  letzten  Silbe  (amabät)  ei'hält.  —  Mit  besonderem  Interesse  hat 
HerrBr6al  einem  Extemporale  beigewohnt,  eineObnng,  die  inFfonkteieh  nicht 


Digitized  by  Google 


—  641  — 

existirt.  Aber  aiu  h  über  die  liäuslichea  schriftlichen  Arbeiten  berichtet  dör 
Verfasser.  So  werden  uns  z.  B.  verschiedene  Themata  lateinischer  Aufsätze 
mitgeUidlt:  1)  Comparratiir  inter  m  trat  Cteeroult  omtionM  pro  Ibveello,  pro 
Ugario,  pn»  Bejotaro  habitae.  2)  Qaibns  caoais  tuetma  Sit»  nt  Pyrrhus  R(»- 
manoe  hello  vincere  non  potuerit,  3)  De  Agricolae  virtatibns  imperatoriis  etc. 

Weiter  werden  die  cnrsorisclio  Loctiiif  dif  dontschon  Anfsfttze  be- 
sprochen. Bei  letzteren  hat  Herr  Br^al  betiouders  Mangel  an  ^Värme  getllhlt; 
er  bat  dm  Audmck  in  den  van  Ihm  gelea^ieii  Arbeiten  matt  und  dem  Zeitongs- 
Stil  ihnlicli  gefimdeiL 

Im  Geschichtsunterricht  wird  der  deutschen  Methode  der^'orziig  gegeben; 
sie  ei*sptzt  die  in  Fiankieidi  noch  üblichen  Ansarbeitnngen  durch  sogcn-umte 
Geschichtsextemporaiia  und  gibt  denScbülem  einen  kurzgefassten  Grundiiss  in 
die  Hand,  wttlirend  der  franzIWseheGeschicbtslehrer  kurze  Pari^-aphen  dictirt. 

Die  Behanptnngi  dass  der  Geechidita»  sowie  der  Siwaehiinteniebt  nicht 
Ton  besonderen  Lehrern  ertheilt  wird,  mag  in  einzelnen  FUlen  oodi  sntrelfen, 
ist  aber  im  allgemeinfn  g^ewiss  nicht  mehr  rieht  iL', 

Beiläufig  bemerkt  auch  Herr  Breal,  dann  die  Aussprache  in  den  fremden 
Sprachen  viel  zu  wünschen  fibrig  lasse,  und  dass  man  mehr  zu  bezwecken 
•dieine,  den  Schüler  mit  der  Sprache  als  mit  der  Literatur  bekannt  zn  machen. 
Anderseits  wird  angegeben,  dass  man  in  Fnuikreich  die  Lektüre  gar  zu  selir 
nach  ihrem  literargeschichtlichrii  Werte  beinesse  und  dementsprechend  betreibe. 

lui  folgenden  Capitel  ist  die  Kede  von  den  Repetitiouen  und  von  der  Ge- 
schicklichkeit des  deutschen  Lehrers  im  Befragen  der  Schüler.  Bd  dieser  Ge- 
legenheit erfkhren  wir,  daea  der  Verfaeger  «ber  Sitning  des  von  ProfBSSor 
Edcstein  geleiteten  pSdagoglHdien  Seminars  an  dmr  Univerritftt  an  Lelpclg  bei- 
gewohnt liabe. 

An  den  gegebenen  Abriss  des  heutigen  Zustandes  des  höheren  Unterrichts 
in  Deutschland  schlieJit  sicli  ein  Überblick  über  die  Entwicklung  desselben,  mit 
Darlegung  der  TlAtigfceit  Geaners,  EmeatiB,  Heynes  und  Wolilii,  nnd  darauf 
fol^t  ein  Hinweis  auf  das  trieimiom  resp.  quadrienninm  academicum  sowie  auf 
die  Prüf  uneben.  Hier  lässt  sich  HerrBr6al  also  vernehmen:  .Tc  ne  pretends  pas 
qne  ce  systenie  soit  saus  d6fant.  Je  ne  fais  point  diffienlte  de  dire  que  depuis 
une  Serie  d  anu^es  T^udition  h  trop  pris  leä  dessuä,  et  que  cei  taines  qualites 
litttodrea,  indiapenaables  A  de  bona  maltres  de  la  jevneese,  me  paraiaaent  en 
lottffiance.  Haia,  ponr  le  d^veloppement  des  sp^cialit^s,  ])niir  Teveil  de  Te^prit 
aeientifique,  ces  quatre  ann^es  d'nniversite  Bont  d'uu  prix  inestimable. 

Sehr  ansfrihrlich  besprochen  ist  «Im  ^raturitätsexamen.  Das  hat  steine  volle 
Berechtigung  vom  französischen  biandpuukte.  Bekanntlich  entspricht  dieser 
Prttfling  in  Flrankreich  das  Baccalanreat,  welches  vor  einer  ans  UniversitSts* 
Professoren  zusammengesetzten  Commission  abgelegt  wird  nnd  in  zwei  Prüfungen 
7fTf:(llt :  der  ersteren  unterwirft  sieli  der  G^'mnasiast  gewt'Shnlirli  heim  t)ber- 
gani^e  aus  Unterprima  (rh^toriiiue  i  nach  Oberprima  fphilosophiei,  der  zweiten 
beim  Abgang  aus  Oberprima.  Das  Maturitätszeugnis  ist  vor  allem  ein  Berech- 
tigungsschein für  die  akademischen  Stadien,  mit  der  Eriangnng  des  dipldme  de 
bachdier  schließt  der  franaOalBche  Gymnasiast  eigentlich  nnr  seine  Gymnaaial- 
Itndien  ab. 

HerrBreal  gibt  dem  deutschen  Systeme  ganz  entschieden  den  Vorzug  und 
befürwortet  sogar  die  fiinfühi'uug  demselben  in  Frankreich.  Diese  würde  zu- 


Digitized  by  Google 


—  642  - 


nacltst  in  einicron  wenigen  Gymnasien  geschehen  und  alliu&hUch  auf  alle  am* 
gedelint  werdeu  müssen. 

Was  Herr  Breal  im  folgenden  über  die  deutsche  Erziehong  sagt,  lassen 
wir  dahingestellt;  er  ftnOert  hier  Ansichten  nnd  Gedanicen,  die  absnartbcikn 
wir  niclit  vemehen  wollen.  Wir  Ta*weiBen  unsere  Leser  auf  das  Cai^td  aelhst 

(a  9H  W}: 

Je  wt  niiTt  i-  sich  ein  deutscher  Patriot  dureii  <lit'>en  Absclinitt  angenehm 
berührt  fülilen  mag,  um  so  schmeichelhafter  dürfte  liir  ihn  der  folgende  sein, 
welcher  von  den  Leibesttbnngen  handelt  Auch  bierftber  hat  sieh  derVerfiuser 
auf  seiner  ReUv  ilurch  Deutschland  genan  nnterrichtet:  er  erzählt  uns  $elb<-t 
von  dem  Besuche  einer  Torlesoug  Wi  Herrn  l^ofessor  Masius  in  T,-  i'iizisr  über 
Gymnastik.  Tnrnlehrerbi]dnnsr«?iTi.stalt(n,  Tnmhalkn.  Geschichte  des  Tum- 
wesen^  nichts  wird  unerwäiint  gelatistiü,  ja  selbst  der  i  uruiahrten  Mird  gedacht. 

So  viel  über  die  Gymnasien.  Weniger  ansAhrlieh  verbreitet  sich  Herr 
Br^  fiber  die  Beabchnle.  Nach  einer  kurzen  Geeehichte  dieser  Anstalt  folgen 
Facta,  die  so  bekannt  sind,  ilass  wir  sie  nicht  zu  wiedfilinlen  brauchen. 

Der  übrige  Theil  <!•  s  vurlie?enden  Werkes  enthalt  Beobachtungen,  die  der 
Verfasser  in  Belgien  und  Frankreich  über  das  Unterricbtswesen  gemacht  hat 
Es  würde  m  weit  ffllir«i,  darfther  ebenso  eingehend  an  qwedien  wie  Aber  den 
ersten  Theil;  auch  werden  in  diesem  Absdmitte  Institutionen  besprochm,  die 
zu  Auseinandersetzunerpn  Rber  das  gesammte  frnnz?"i.si.sclje  Fnteinchtswesen 
Veranlassung  geben  würden.  Behandelt  werden  hauptsächlich  di»-  französi^rhen 
Univei-siiäten,  speciell  die  philosophischen  Facultäten,  die  Reformen  des  Jahres 
1880  und  die  Statistik  des  Unteirlchtsweaens. 

Durch  Teröffentlichnng  dieser  Arbeit  hat  Herr  Brtel  do^jenigen  seiner 
LandslentP.  welche  niclit  mit  eehilpsioren  Blicken  nach  Deutschland  herüh'T- 
schauen  oder  sich  ganz  davon  abwenden.  s<.ndeni  seine  Einrichtungen  kennen 
2a  lernen  bestrebt  sind,  einen  großen  Dienst  erwiesen.  £r  hat  mit  nnermnd* 
liebem  Eifer  nnd  in  höchst  klarer,  ansprechender  Form  das  Wisseaswirdigste 
zusammengestellt,  so  dass  selbst  der  noch  gar  nicht  damit  Vertrante  eines 
sicheren  Einblick  in  deutsche  Unterrichtsverhältnisse  erhält. 

Mf^chto  Herrn  Brt'Mls  Werk  in  allen  gebildeten  Kreisen  Frankr»^ifh«  anf- 
raerksam  und  vorurtheiisfrei,  wie  ee  geschrieben  ist,  gelejjeii  werden,  und  möchte 
es  anch  recht  viele  Arbeiter  für  das  Gebiet  der  Pädagogik  erweckm,  danü 
l  diese  endlich  in  Frankreich  su  dorselben  Geltung  kflme,  wie  in  Deutschland, 
nnd  die  Vorschlage  des  gelehrten  Professors  in  AusAbriinir  gebracht  wiite 


Digitized  by  Google 


Koelimalä  die  Ressort- Verhältnisse"  der  höheren  MädeheH- 

schulen  in  Preaßen. 

Von  Beciat  Th*  l4imämann>'&^ipetg. 

Ein  fataler  Umstand  luit  e»  gewollt,  dass  ich  erst  am  13,  Juni  d.  J.  iu 
den  Besitz  des  Sept.-Ueftes  v.  J.  kam.  Zanäclist  war  ich  eifreut,  dass  der 
Wmuch,  den  Ich  am  Ende  meines  klelneii  Änftatses  im  ÄprO-Heft  v.  J.  ans- 
gesprochen  hatte,  „dass  sich  gemegtere  Kräfte  veranlasst  fBhlen  möchten,  die 
Kp'ssort-Frage,  sei  es  in  zTtstimmendem.  sei  os  in  widorlfe-ondeni  F^iiine  zu  be- 
loiiclitoir'  fso  vollstatiflig  iu  Erfiilhmpr  tregangen  war.  Und  diese  Freude  wurde 
beim  Durchletk^u  dta  Artikels  in  keiner  Weise  herabgemindei't,  da  der  in  demselben 
gemachte  und  gut  modiflelrte  Vorsehlai^,  «tSmiKchst  die  dlrecte  Unterstellnng 
der  höheren  Miidchenschule  unt*'i  die  Kgl.  Regierungen  anzustreben"  durchans 
meinen  sppciellen  Ansichten  und  Wüi:  .Ii fn  pntspricht.  Indfs  habe  irli  dorh 
alle  \  t  ranlassung-.  noch  auf  einzelne  Tunkte  des  Aufsatzes  einzugehen,  zamal 
Vert'asHcr  einige  von  mir  aufgestellte  Behauptmigea  nicht  billigt. 

Was  zaerst  die  niiteraten-Frage  betrilft,  so  gebe  ich  von  Hersen  gern 
m,  dass  nnter  Umständen  ein  Illiterat.  d.  h.  ein  Mann,  der  nicht  das  Abitn- 
rieiiten-Examr-n  an  r-int  r  höhcrfii  J^dnilc  aligelogt  und  iiiclit  T'niversitÄtsstudien 
gemacht,  —  mehr  gediegenes  Wissen  und  mehr  pädagogisdif  r.fistungsfÄhic- 
keit  besitzen  kann  als  ein  Literat,  gebe  aach  gern  zu,  dass  es  recht  und 
VilUg  ist,  einem  solchen  Mann  ein  Amt  ananvertranen,  ^reiches  in  der  Regel 
v<m  Literaten  bekleidet  ^rd.  Ja,  ieh  gdie  noch  weiter  und  würde  wünschen, 
dass  das  Amt  eines  Kreisschul inspectors  recht  oft  solchen  t  ücliti^'^pn  Elemen- 
taTlt  lireni  in  die  HSnde  gegeben  würde,  da  diese  sich  in  den  meisten  Hillen 
besser  dazu  eignen  werden  als  Literaten,  denen  bis  zu  ihrer  Anstellung  das 
VoncHdnilweeen  mehr  oder  wenigw  tun  gelegen  hat,  nnd  die  dann  erst  bei 
Übernahme  des  Amtes  sidi,  m^  mm  Schaden  der  Schalen,  erst  „Anarbeiten" 
müssen.  Dagegen  kann  ich  nicht  zugeben,  dass  ein  solch  tüchtiger  Illiterat 
sich  auch  in  gleicher  Weise  zur  Direction  einer  höheren  Mädchenschule  eigne, 
da  zu  diesem  Amte  doch  ein  AVissen  erforderlich  ist,  welches  durch  die  Vor- 
bildoDg  im  Lehrerseminar  gemeinhin  nicht  ««rmlttelt  wird,  wobei  selbst^ 
verständlich  Ausnahmen  nicht  ansgeschloMen  sind.  ~  Wenn  es  also  aar  Eegel 
wird,  dass  die  Kreisschnlinapectoren  Illiteraten,  die  Mädchenschul-Dirigenten 
aber  Literaten  sein  sollen,  so  mnss  ich  meine  fiühere  Behauptung  anft^cbt 


Digitized  by  Google 


—  644  — 


erhalten,  dass  die  Unterstellung  der  höheren  Ma  l«  lunschulen  unter  <li''  Krei»- 
schulinspectlun  ein  gewisses  MissveryHtnis  involvirt  und  im  ganzen  depi  imirend 
auf  die  betrefitaden  Dirigenten  einwiiken  matt,  ünd  anf  dieses  MinrerldltniB 
•lege  ich  insofern  Gewi«  ht.  als  die  benachtheiligte  Stellung  des  Dirigenten 
ciii.  r  Sdnile  doch  schließlich  imiii.  r  eine  Schädigung  derSchnlo  seDirii  involvirt. 
Denn  ich  meinerseits  g.'lir.r«'  am  allerwenigsten  zu  dr'iirn.  die  „hochmüthig  auf 
diö  durch  Gymnasiiun  und  Universität  erlangte  Bildung  pochen'',  noch  auch 
2n  denen,  die  ,M  der  regelmäßigen  Weise  Stodent  geworden  sind**,  da  idi 
erst  sp&t,  nachdem  idi  Landwirt  und  Kaufmann  gewesen,  das  AUtmtoiten^ 
Examen  als  Extranens  j^emar-ht  habp.  Aber  auch  nicht  vi^l  grünst i2"fr  gestaltet 
sich  das  Verhältnis,  wenn  der  Kifi^-i'  hnliiispwtor  ein  jüngerer  Literat  ist.  der 
im  Mädcbenschulwesen  keine  Eriahruug  hat,  und  nun  als  Vorgesetzter  eines 
erfalufeiiai,  yielleiclit  in  seinem  Amte  ergrauten  Dirigenten  ftmgirt  Kon,  nach 
int'inem  OefBhl  muss  ich  dabei  bleiben,  dass  die  SteUling  eines  Kädchensdivl- 
Dirigenten  ancli  in  dieser  Hinsicht  eine  „unuiirdip^"  genannt  werden  muss. 
Mindestens  ist  doch  das  Institut  ilt-r  Kreisscliulinsi»ection  in  Betreff  der  Madchen- 
schulen als  ,,überflä8sig  *  zu  bezeichnen,  da  in  den  seltessten  Fällen  von  dort 
her  eine  Anregung  des  LehrerooUegianw  oder  eine  Forderung  der  Schule  s« 
erwarten  steht  Aber  —  ieh  will  es  zugeben  —  allgemeineii  Iftist  ücfa's 
ertragen''. 

F.  rncr  s|»richt  College  X  (so  will  ich  den  mir  noch  unbekannten  Verfasser 
des  bezogenen  Ai-tikels  der  Küi'ze  wegen  nennen)  seine  Ven^  underung  daröber 
ans,  dass  leh  ee  IBr  einen  ÜbeJatand  ansehe,  wenn  den  MitgUedem  der  Seiini- 
depntation  das  Beeht  ansteht,  ,Jederzeit  und  nnangemeldet  dem  Unterricht  in 
den  Clasfien  beizuwohnen'*.  Er  würde  sich  frcnen,  wenn  die  Herren  recht  oft 
kämen,  und  ist  der  Ansicht,  dass  die  Eltern  auch  l  ine  gewisse  Oaranti^  haben 
müssteu,  dass  wir  ihre  Kinder  in  der  rechten  Weise  onterriditen  und  ei-zielien. 
Letalerer  Aasidit  pÜdite  ich  anefa  bia  an  einem  gewimen  Grade  bei  nad  meine, 
daaa  aoeh  den  Eltern  ein  entaprechender  Einblick  in  das  Leben  und  Tndboi 
der  Schule  gegönnt  werden  müsse.  Nur  kann  ich  nicht  finden,  dass  das  un- 
b*»schränktf'  b'o*  ht  des  Classenbesuchs  der  richtige  Weg  ist.  Gesetzt.  -  was 
nun  zum  Gluck  meistens  nicht  der  Fall  ist  —  die  Mitglieder  der  Schuidepu- 
tation  oder  aneh  die  ABgehlffigen  der  Kinder  machten  von  diesem  Beeht  in  der 
an«giebigsten  Weise  Oebraneii,  wflrde  dadnrdi  nicht  dne  gaai  etliebliciie  St8nmg 
des  regelmäßigen  Unterrichts  herbeigeführt  werden?  Sobald  ein  Fremder  in 
die  Classe  tritt,  entsteht  durch  die  vom  Anstand  gebotene  Begrüßung  u.  s  u 
schon  eine  Störung.  Die  Aofmerkaamkeit  der  Kinder  wird  natorgemäii  vou 
dem  Unterrichte  abgelenkt,  und  bleibt  mehr  oder  weniger  dem  nhSraiiden 
Fremden  angewendet  Aber  anch  der  Lehrer  wird  in  den  aUermdsten  FUlen 
•eine  geistige  Thätigkeit  nicht  ganz  und  voll  auf  den  Unterricht  und  die  FSrde- 
mng'  der  Kinder  richten,  sondern  wird  unwillkürlich  durch  die  Rücksicht  auf 
den  Zuliörer  den  Weg  des  Unterrichts  gewiss  nicht  zum  Vortheil  der  Kinder 
mehr  oder  weniger  modificiren.  Tritt  non  eine  häufige  Wiederholtuig  solcher 
Beanche  ein,  beispielsweise  in  einer  Stunde,  in  der  man  Extemporale  aehreibeii 
lassen  will,  so  liegt  wol  auf  der  Hand,  dass  damit  eine  bedenkliche  Stöning 
des  Unterrichts  verbunden  f?pin  würde.  Nein  —  ich  meine  —  diese  Jen  Eltern 
zustehende  Controle  und  ^Fühlung"  mit  der  Schule  kann  auf  anderem  Weg»* 
leicht  gewährt  werden.    Am  einfachsten  und  leiclitebten  dürften  die  Eltern 


Digitized  by  Google 


—  646  — 


einen  Einblick  in  die  Sei  ml  Verhältnisse  nnd  die  Leistnnirpn  der  Lehrer  ge- 
winnen, wenn  sie  .^ich  um  die  Schnlarbeiten  der  Kindel'  ktimniern  imd  sich  Vfm 
letzterem  etwas  aus  dem  Schuiieben  erzählen  lassen  wollten.  Im  allgemeinen 
haben  Kinder  ein  siemlieb  richtiges  Gefflhl  ftr  den  pftdagogischen  Wert  ^baet 
Lehrers  und  werden  durch  ihre  Mittheilongen  selten  eine  ftlsdie  Vorttellong 
1  >t  i  den  Eltern  hervorbringen,  die  Lebenfierfahrung  und  Menschenkenntnis  genug 
haben,  die  Worte  der  Kinder  richtig  zu  deuten.  Sodann  ist  es  ja  den  An- 
gehörigen derselben  onbenonunen,  was  namentlich  in  kleineren  Städten  leicht 
angeht  nnd  was  schon  die  localen  VerUiltnIaBe  fast  bedingen,  mit  den  Lehrern 
aoßerhalb  der  Schule  in  Verkehr  zn  treten  imd  ihnen  gelegenflicb  anefa  in 
pltdaK-osrischer  Hinhiclit  .,auf  den  Zahn  zu  fühlen".  Es  stellt  den  Eltern  ferner 
der  besuch  der  in  letzter  Zeit  so  sehr  angefochtenen  und  auch  schon  mehrfach 
abgeschafften  sogenannten  „öffentlichen  Prüfungen''  am  Schluss  des  Schuljahres 
frei.  Nach  mnnen  Erlhbrongen  wfirde  Ich  onbedlngt  Ar  Beibehaltung  dieser 
öffentlichen  Sdnlaete  plaldfam  Dass  die«  PrfiftmgMi  im  eigentlichen  Sinne 
nicht  sind,  ist  klar,  insofern  das  Maß  des  Wiasens  der  Schfiler  dabei  in  keiner 
Weise  auch  nur  annähenid  ermittelt  \vf»rd«»n  kann;  aber  !?iMii»'rh;n  Is'tlfe  ich 
diese  Institution  für  ein  sehr  schätzenswertes  Commuiiicaiiunsnuttei  zwischen 
Schale  nnd  Haas.  Statt  PrOIhng  würde  ich  geneigt  sein,  diesen  Act  als  „eine 
dramatiseheYorfahntng  eines  Sttickchen  SehnUebens"  an  bezeichnen;  nnd  wenn 
auch  diese  YorfOhrang  das  Schnlleben  im  ..Sonntagsgewande*  zeigt,  so  dürften 
die  AüL^bnrinfpn  doch  im  Stande  sein,  daran«  einen  im  ganzen  zutreffenden 
Rückbchlubä»  aul  das  alltägliche  Leben  der  Schule  zu  ziehen.  Wenijrstens  kann 
ich  ans  meiner  Erfahrung  in  Wahrheit  sagen,  dass  ich  jodei»uml,  »eit  ich  als 
Dirigent  die  öffentliche  PrfiAing  geleitet,  hinterher  das  angenehme  GefOhl 
gehabt  habe,  dass  daa  so  wichtige  Band  zwischen  Schule  und  Haus  fester 
geknni'ft  worden  ist.  Endlich  haben  noch  die  Eltern  bei  dem  iiMicben  jähr- 
lichen Schulfeste  Gelegenheit,  von  dem  gemüthlichen  Verkehr  zwischen  Lehrern 
und  Schfilem  Kenntnis  zn  nelunen.  —  Kurz  —  es  scheint  darnach  der  doch 
immer  störend  wirkende  Besneh  des  Unterrichts  in  den  Classen  seitens  der 
lUt^Ueder  der  Schuldeputation  und  der  Angehörigen  in  der  That  ttberfifissig. 

Es  bleibt  mir  ein  dritter  und  1-  f 'tei-  Punkt  zur  Besprechung.  —  College 
X  wünscht  am  Schlüsse  stiiier  Abhandlung,  dass  auch  andere  Collegen  ihre 
Erfahrungen  bezüglich  ihres  Verhältnisses  zui*  Schuldeputation  veröffentlichen 
möchten.  Nun,  da  würde  idi  mit  einem  reichlialtigen  Kat^rial  dienm  Icönnen, 
will  mich  aber  auf  einige  allgemein  gehaltene  Äußerungen  beschränken.  Bis» 
lang  bin  ich  der  Ansicht  gewesen,  das.«?  sich  das  VerhiUtnis  zur  Schuldeputation 
in  größeren  Städten  günstiger  gestalten  müsse  als  in  kleineren,  da  dort  doch 
meist  mehrere  Fachmänner  in  der  Deputation  verü-eten  sind;  dass  diese  Ansicht 
leider  eine  irrige  ist,  dafOr  lieünrt  der  Anteta  des  Collegen  X  einen  eodatanten 
Beweis.  Aber  zu  meinem  Leidwesen  muss  ich.  anch  die  Behauptung  des  Collegen, 
da>js  .in  kleinen  Städten  dit  sp  Kinri  litung  weniger  naehtbeilip  zn  werden 
pflegf  als  eine  nicht  zutrelleude  bezeichnen.  Nach  den  v^n  mii-  geniacliten 
Erfahrungen  muss  ich  schlechterdings  die  Behauptung  autätelleii,  Juhs  im  ganzen, 
namentlich  bei  den  Laien->Ui^liedem,  die  Neigung  znr  Ablehnung  der  im 
Interesse  der  Schule  gestellten  Anträge  vorherrseht :  di- sc  X.  iii  ung  hat  einerseits 
ihren  Grund  in  einer  gewissen  Eifersucht  auf  das  bes.sere  ^^'is.spn  und  W<dlen 
des  Dirigenten,  anderseits  in  dem  Umstände,  dass  meistens  nicht  das  Wol  der" 


Digitized  by  Google 


—   646  — 


Schule,  iiersönliche  Rücksichten  ins  Aiife^t  ir.fasst  werden.  Man 

will,  obgleicii  uiiiQ  nichts  von  paedagogiciä  versteht,  docii  alitg  be&sei*  verstehen 
als  der  Dirigent;  man  will  diesem  gegenüber  e^e  MachtroUlcommenheit  mr 
Geltung  l>riM<:eQ  ond  ihm  seine  untergeordnete  Stellang  zun Bewnsstsein  biingan. 
>rnn  schi  ut  sich  uii  ht.  die  Plän»^  des  Dirit^enton  aus  Bequomlichkeit  od«  r  aiidem 
egoistischen  (rründen  zu  diiichkicuzcn.  scHjM  wenn  die  Schale  dadurch  em- 
ptiudlich  geschädigt  wird,  in  einigen  Fällen  habe  ich  die  Annahme  meiner 
Antrage  erst  nach  wiederholter  und  eingeh^iderM'  Hotivimng  dnrehfetetst; 
li^  vier  Fällen,  die  mir  wichtiger  sc  hienen,  habe  ich  an  die  Entgcheidnng  der 
Kgi.  R-  eiornng:  appelliren  müssen  und  — •  jedesmal  i  t  iissirt.  —  Kui-z  —  nach 
allem  »-rsclu  int  ahn  die  Unterstellong  der  höheren  ^[;idi  heuschnien  anter  die 
Schttideputation  als  eine  Einrichtnng,  die  dem  Dirigenten  sein  Amt  er- 
seKwerty  wenn  nieht  verleidet,  and  die  nachtheilig  anf  die  ge- 
deihliche Entwickelnng  der  Schale  einwirkt. 

Demnach  stimuie  ich  von  ganzrm  Herzen  dem  dankensweiien  Vorschlage 
des  poehrten  Collpe-en  X  bei,  dass  w  ir  alle  j^emeiusam  di«^  directe  Unterstellung 
der  höheren  Mädchenscholen  anter  die  Kgl.  Regierungen  mit  allen  ans  ge« 
setilieh  snttehendeii  tOtteln  anrtrdien,  sei  es,  dass  jeder  eJudne  für  lidk  toiv 
gdijt,  sei  es  in  gemeinsamem  Vorgehen  im  Wege  einer  Petition. 


VmntwortlicliirKedacuur:  Dr.  Friedrich  Ditt««^  — Bachdrnckcrei  Jnlin«  Kliakhatdt.  Lftfott« 


Digitized  by  Google 


Schule  und  Leben  in  ihren  gegenseitigen  Anfordemngen. 

Von  Dr.  H.  K^mtMnrHtmämrg, 

Oa?s  (He  Schule  eine  Macht  —  nnd  zwar  eine  viel  umstrittene 
Macht  —  f,^ewor(k'ii  ist,  dafür  bedarl'  es  kaum  bosomlerer  Beweise. 
Wie  weit  lieL^en  doch  die  Zeiten  hinter  uns  zurück,  in  «h/nen  Schul- 
bildung nur  \venic"pn  Ständen  zui^äiif^licli  w-av  und  nur  wenigen  Benifs- 
kreiseii  nothwendig  erschien:  Je  tiefer  min  aber  die  Sclmle  in  alle 
Kreise  und  Verlulltnisse  eiugreitt,  je  mannigfaltiger  sie  sich  mit  allen 
wesentlichen  Interessen  der  Gegenw^art  berülirt,  desto  mehr  geboten 
ist  auch  die  immer  erneute  Frage  nach  den  höchsten  und  letzten  Zielen 
und  Aufgaben  derselben. 

Wollten  tmr  dne  Umsehan  halten  unter  den  am  meisten  geltend 
gemachten  Zielpunkten,  die  man  von  verschiedenen  Seiten  der  Schale 
gesteckt  hat  oder  stecke  zn  müssen  meint,  so  dürften  sich  etwa  fol- 
gende ergeben. 

Da  mfen  die  Einen:  Die  Schnle  soll  zum  Ergreifen  eines  prakti- 
schen Berufes  geschickt  nnd  tftchtig  machen;  sie  soll 
"was  am  schnellsten  zu  diesem  Ziele  nnd  nota  bene  znm  Broterwerb 
führt  Auf  diesem  Standpunkte  des  reinen  Nützlichkeitspnncips  möchte 
man  selbst  die  Elementarschnle  schon  znr  Fachschule  sterapefai  nnd 
von  ihrer  Arbeit  wo  möglich  alles  ausschließen,  was  nicht  in  nächster 
ond  engster  Beziehung  znm  praktisch  bemflichen  Ziele  zn  stehen 
scheint. 

Andere  vemdnen  —  in  Betreff  der  Ziele  der  Schnle  —  zwar 
keineswegs  diesen  positiv-praktischen  Hintergrund,  wie  er  zunächst  in 
der  Vorbereitung  auf  einen  bestimmten  Beruf  zu  suchen  sein  dürfte, 
aber  sie  betonen  daneben  nicht  blos  die  Berechtigung,  sondern  selbst 
die  imabweisliare  allfremeine  Nnthwendig-keit  weiterer  und  Iiolierer 
menschlicher  Büdungsziele.   Sie  fordern,  dass  das  zu  erziehende  Kind 

PM(laC«Cinm,  «.  Jahiy.  Heft  XI.  42 


Digitized  by  Google 


—  648  — 


in  der  Schule  nicht  nur  zu  einem  brauchbaren  Arbeiter  in  einem  be- 
stimmten Lebensberuf,  snnf^f^rn  auch  zu  einem  glücklichen  Vertreter 
höhei"er  sittlicher  Lebensa ii traben  herangebildet  werde.  Als  dergleichen 
Lebensaufgaben  treten  die  Pflichten  innerhalb  der  mannigfachen  sitt- 
lichen Lebensgemeinficliaften,  wie  der  Familie,  des  Staates  n.  &  w. 
hervor. 

Wiederum  andere  lefi^en  den  Schwerpunkt  der  Aufgabe  der  Schule 
in  die  Herausbildung  eines  bpstimmten  r(di>iös-kirchli*r1u'n  Charakters 
und  Geistes,  wie  dies -bekauntlich  von  ^^elte  relic^i' ^  r  Ord^-u,  aber 
auch  bestiiiunter  kirrhlieh-thenlo^sclier  Richtungen  gescheheu  ist 

Manche  wollen  mindebteus  der  ^cliule  —  im  allgemeinen  —  also 
abgesehen  von  der  einzelnen  i^'achsthule,  keinen  bestinimteu  ein- 
zelnen praktischen  Zweck,  wie  oben  die  Bernfsbilduncr  als  solcher 
bezeichnet  wurde,  sondern  lediglich  eine  allij:en.riii  menschliche,  die 
Elemente  zu  aller  weiteren  in  sieh  fassende  Bildung  als  Ziel  zuweisen. 

Dieser  gegenüber  stoßen  wii*  auf  die  Forderung  nach  standes- 
mäßiger Sdhnlerziehung  —  oder  nach  einer  solchen,  die  auf  die  Be- 
friedigung der  AnsprOdie  an  die  ModebUdimg  gewisser  Stände  hin- 
arbeitet  Dabei  spielt  die  Bficksicht  auf  das  Ton  der  jeweiligen  Zdt- 
und  Moderichtung  Gebotene  die  Hauptrolle.  Jedes  in  sich  ruhende, 
von  allgemeinen  und  höheren  Bttcksichten  eingegebene  BildongsmotiT 
fiült  wegi  und  es  sind  die  Ziele  hier  ebenso  einseitig  wie  die  zuerst 
angegebenen. 

Neben  dem  religiOs-ldrchlichenPrindp  ddrflte  das  politisch-nationale 
als  ein  ftkr  unsere  Frage  besonders  zu  beachtendes  erscheineoi  ^  3lan 
richtet  sein  Hauptaugenmerk  auf  die  herrschendoi  Ziele  des  Staates 

und  foder)  der  Nation.  Man  will  vielleicht  die  Jugend  be^ionders 
kriegerisch  tüchtig-  maclien  und  legt  daher  ein  großes  Gewicht  auf 
gymnastisch-militärische  Übungen,  sowie  andei-seits  auf  einen  Unterricht, 
der  auf  national-patriotische  Gesinnung  insbesondere  hinarl>Liteii  soll. 

So  viele  und  vemhiedene  Gesichtspunkte  man  nun  aber  auch  für 
die  Arbeit  der  Schule  aufstellen  mag:  man  wird  die  meisten  derselben 
in  die  zwei  eri'oRen  Kategorien  der  äußerlich-praktisch-nfttzlichen  und 
der  idealen  bi  in^ren  können.  Indem  wir  einen  Einigungspunkt  tur  zum 
Theil  so  weit  auseinanderfrehende  Ziele  der  Schule  suchen.  wiis«ten 
wir  kaum  fiiie  i)asseudere,  als  den  in  dem  Satze  ausgediückten;  „Die 
Schule  bilde  Itir  das  Leben  — "  ausfindig  zu  uuK'lien. 

Indem  wir  sagen,  die  Scliule  bilde  iTir  das  Le1»en,  sprechen  wir 
zugleicli  das  Bekenntnis  au>,  dass  wir  derselben  eine  reale  Rasi>  und 
ein  pot^itives  Arbeitsziel  zuweiiseu  wollen.   Alle  andei*en  der  J>chule 


Digitized  by  Google 


—  649  — 


€twa  gestellten  Aufgalien  und  fj^esteckten  Ziele  würtlen  mindestens  in 
-der  Luft  schweben,  wenn  sie  —  so  zu  sag-en  —  mit  den  mannij^taeiieu 
Aufgaben  des  Lebens  keine  oder  ein«'  nur  g-anz  entfernte  Fühlung 
liätten.  Oder  könnten  wir  überliaupL  ul>er  die  Lösung  der  Aufgaben 
4es  Lebens  Uinauskomiuen  und  daneben  noch  gleichsam  etwas  Beson- 
•deres  treiben?  Das  Leben  ist  eine  so  seliwere  Kunst,  dass  wii*  alle 
unsere  Kräfte  —  sowohl  die  preistig-intellectuellen,  wie  diejenigen  un- 
serer Geuiüthsseite  und  des  Leibes  daran  setzen  müssen,  um  derselben 
4iuch  nui'  halbwegs  zu  genügen. 

Freilich  sehr  verschieden  mag  sich  das  Leben  ananehmen  in  den 
Angai  dar  T^ehied^mi  IndiTidnen;  man  kann  es  angemein  niedrig 
taxiren  und  in  Anfierst  geringfügigen  Dingen  —  wie  in  der  Befriedi- 
gung blofier  sinnlicher  BedQrfoisse  oder  doch  ontergeordneterer  Be- 
atrebangen  nnd  WoUnngen  anchen  und  anfgehen  lassen;  aber  man 
kann  auch  nngemein  hoch  and  groß  denken  von  diesem  Leben,  seiner 
Kunst,  seinen  Angaben.  Welcher  Kontrast  zwischen  einem  lediglich 
Aof  ein  flppiges  Gennssleben  losstenemden  Naturalisten  nnd  einem 
JQrtyier  seiner  Wissenschaft  oder  seiner  Übenwngnngen,  sei  es  im 
politisch-eocialen  oder  im  religiösen  Gebiete!  ^  Wenn  wir  nun  yon 
der  Schule  fordern,  dass  sie  Ars  Leben  arbeite,  so  werden  wir  dieses 
naturgemäß  nur  in  seinem  ToUen  und  ganzen  Umfange  auffassen  dürfen. 
Das  heißt  aber  nichts  anderes  als:  wir  werden  mit  Hilfe  der  Tor- 
bereitnnf?  durch  die  Schule  sowol  die  realen  positiv-praktischen,  wie 
die  idealen  Aufgaben  des  Lebens  zu  lösen  suchen.  Wie  wir  mit  der 
einen  Seite  unseres  Wesens  auf  diese  Erde  angewiesen  sind  und  ewig 
bleiben  werden  und  daher,  sofern  vnr  uns  nicht  von  einem  falscli  ver- 
standenen Idealismus  leiten  lassen,  eben  auch  einer  Reihe  iniischer 
Aufgaben  genügen  müssen,  so  drängt  sich  uns  aiü  di  r  andern  öeite 
immer  aufs  neue  die  Noth wendigkeit  auf,  jene  reale  Basis  unseres 
Daseins  p^eistig  zu  befruchten  nnd  mit  allerlei  idealen  Ti ;  l  !i  und 
Bestrebun^^en  zu  vertiefen  und  zu  vervollkommnen.  Ja,  es  i>i  mj  reclit 
eigentlich  die  Aufj^abe  des  Lebens,  die  beiden  Seiten  unseres  ^^'esens 
mit  einander  in  schönem  Gleichgewichte  und  EbeumaLk'  zu  erlialtcn  — 
und  also  weder  einem  grubsinnlichen  Materialismus  und  Kpikuräismus, 
noch  auch  einem  asketischen  Cynismus  oder  weltflüchtiger  religiöser 
Schwärmerei  zu  verfallen. 

Damit  ist  nun  auch  schon  ausgesprochen,  dass  unsere  Schulaibeit 
ffir  das  Leben  keineswegs  auf  eine  bloße  sogenannte  Utilitfttspäda- 
gogik  hinanslaufe  and  hinsteuie,  sondern  dass  dieselbe  neben  der  Er- 
ziehung für  die  mannigfaltigen  Bedflrfliisse  des  irdischen  Daseins  — 

42* 


Digitized  by  Google 


—   650  — 

zu  denen  wir  auch  selbst  diejenigen  des  äußeren  Luxus  r^'«'hneu  — 
auch  diejenisre  für  die  theoretiseli-idealen  Grundlag-en  anstii  b  '  und 
pflege.  f*^o  selbstveratändlicli  dies  nun  auch  zunächst  ersclieinen  iv«'nute, 
so  wenig  wird  sich  leugnen  las^eu,  dass  vielfach  ganz  eiuseitige  Vor- 
stellungen und  unvülistäüdige  Begriffe  von  den  Aufgaben  der  Schule 
sogar  sehr  zalilreiche  Vertreter  finden.  Hier  stoßen  Avir,  wie  sich 
aus  dem  bereits  Kmgangs  Getilgten  erg-ibt,  auf  eine  befremdliche 
Herabwürdigung  der  Arbeitsziele  der  Schule  —  indem  mau  sie  gleich- 
sam nur  als  die  Magd  rein  materiellez'  Interessen  betrachtet  — ,  und 
dort  auf  eine  in  ihrer  Art  nicht  minder  hedenkliche,  ja  gefthrlicbe 
Ablenkung  dar  Arbeitsziele  der  Schule  yon  den  nnerlfissUchen  Be- 
dürihissen  des  Lebens.  Einerseits  also  abstracter  Idealismus,  ander- 
seits  roher  Uaterialisnnis. 

Wie  treffepd  hat  o.  a.  unser  Lnthor  in  seinem  „Sendschreiben 
an  die  Obrigkeiten  der  Städte  etc.**  auf  ein  allseitiges  gleichmifiigea 
Ergreifen  der  verschiedenen  nnd  zwar  scheinbar  avseinandergehenden, 
aber  doch  auch  wieder  sich  gegenseitig  durchdringenden  und  mannig- 
fach berOhrenden  Lebensan%aben  hingewiesen  nnd  wie  nugenfigend 
erscheint  dem  gegenttber  nicht  blos  die  banausisch-realistische,  sondern 
auch  jene  in  gewissen  Kreisen  gepredigte  Auffassung  von  den  Zielen 
der  Schule,  wonach  dieselbe  eine  specifisch  religiös -kirchliche  In- 
stitution sein  und  gewissen  kirchlichen  Pnncipieti  ausschließlich 
dienen  soll. 

Der  von  uns  aus  der  Schule  zu  entlassende  Zögling  soll  ein 
Mensch  werden,  der,  an  Leib  und  Seele  gleich  tüchtig  gebildet,  sowol 
von  seinem  K'"ri>er  einen  vielseitigen  praktischen  Gebrauch  zu  machen 
versteht,  als  aucli  nach  Seite  der  Geistes-  und  Gemüthsbildung  ein 
schätzbares  Glied  der  Gesellschaft  in  iliren  mannigfachen  <Tliederuni:on 
zu  werden  vermag.  Wir  bekämpfen  somit  jede  Ki?isritigkeit  in  der 
Aufstellung  di  r  Schulziele  und  fordern  für  dieselben  einen  „universellen** 
Charakter.  l>ies  aber  wahrlich  nicht  in  dem  mii^sverstandeneu  Sinn, 
als  ob  wii"  etwa  aus  unseren  Zöglingen  oberllächliche  Vielwisser  machen 
wollten,  sondem  in  dem  allein  wahren,  da^js  sie  Mensihen  werden, 
die  hellen  Geistes  und  edlen  Herzens,  daneben  aber  ihres  Leibes  Herr 
und  Meister  sind. 

Diese  SU  gefasste  Aufgabe  dur  Schule  glauben  wir  aber  nameut-  - 
lieh  durum  auch  heute  besonders  betonen  zu  müssen,  weil  es  uns 
scheinen  will,  als  ob  die  Schule  im  großen  und  ganzen  einige  im 
Interesse  des  vollen  Lebens  emsig  anzubauende  Qelnete  doch  noch  gar 
zu  wenig  berücksichtige  und  cultivire  —  oder  aber,  was  ja  auch  in 


Digitized  by  Google 


—  651  — 


Betracht  gezogen  sein  will,  —  dass  sie  innerlialb  des  einen  von  ihr 
jetat  zweifellos  am  meisten  gepflegten  Gebietes,  nämlich  des  intellec- 
tuellen.  oferarle  die  wesentlichsten  und  fniehtbarsten  2Üelpailkte  viel- 
fach hinter  minder  bedeutende  allzusehr  zurückstelle. 

Was  uns  im  gegenwärtigen  Schulleben  in  der  mannigfachen  Schul- 
arbeit unbilligerweise  —  wir  wollen  nicht  ^airen  g-finzlich  vemach- 
Jüssigt,  aber  doch  immer  noch  zu  stietmiiturlii  h  In  handelt  erscheint,  ist: 

erstlich  die  Pflege  des  Gemüths-  und  (iesinnungslebens  mit  ihrer 
h)]im  Auf<^abe  dei-  Herausbildnns-  eines  sittlichen  Charakters  und 
eines  für  alles  Schöne,  Gute  und  Wahre  begeisterten  Sinnes; 

zweitens  die  Pflege  des  Körpers  im  allgemeinen  und  der 
körperlichen  Geschicklichkeiten  und  damit  der  Fertigkeiten  ins- 
besondere; 

drittens  —  und  dies  gehört,  streng  genommen,  in  das  Gelüet 
4cr  intellectaellen  Bildung  —  die  Anbahnung  eines  tiefereu  uud 
reiferen  yentandiusses  ftr  die  Tenumftgemäße  und  daoüt  nornuile 
Ausgestaltung  des  sodal-politisch-iiatloiialeii  Lebens. 

Wir  bera&ngeln  zuerst  die  Pflege  des  Oemttths-  und  Gesinntings- 
lebens.  Wir  glauben  nftmlicb,  dass  dieselbe  noch  nicht  im  rechten 
Gleichgewicht  namentlich  zu  der  Pflege  des  Verstandes  —  des  Viel- 
idssens  —  stehe,  oder  dass  die  specielle  Caltur  des  Intellects  noch 
nicht  genOgend  in  den  Dienst  der  Gemflthsbildung  gezogen  werde. 
Freilich  haben  wir  mit  dieser  Behauptung  uns  auf  ein  ebenso  vor- 
schnelles  wie  obeiflfichliches  verdächtigendes  bon  mot  oder  geflügeltes 
Wort  von  dem  „Gernftthsdusel"  als  einen  venneintlich  berechtigten 
Einwand  ge&sst  zu  machen.  Bleiben  doch  die  besten,  oder  doch  best 
gemeinten  und  meist  berechtigten  Urt heile  nach  wie  vor  beim  ge- 
dankenlosen, von  Modeansichten  und  Kraftansdrücken  leicht  fortzu- 
reißenden Haufen  schiefer  und  seichtt  r  Auffassung  ai|8gesetzt,  und 
kann  es  daher  doch  leicht  geschehen,  dass  an  sich  wol  begründete 
Meinungen  der  Gegenstand  frivoler  Spottreden  werden.  Aber  das 
darf  nns  nicht  bestimmen,  nnsere  tiefsten  Überzeuj^mgen  immer  wieder 
geltend  /u  nuichen  —   wv\  womöglich  ihnen  zum  Sie^fe  zu  verhelfen. 

Je  länger  wir  als  autmerksame  Beobachter  den  mannigtachen 
Erscheinungen  dieses  Lebens  zugeschaut  haben,  desto  ff>ster  di'ängt 
«ich  uns  die  Überzeugung  auf.  dass  eine  Menge  gerade  iler  höchsten 
und  wichtigsten  Lebensaufgaben  wenn  nicht  ausschließlich,  so  docli  zu 
sehr  wesentlichem  Thtüe  von  Seite  unsei-es  Gemütlis-  uud  Gesinnungs- 
lebens gelöst  sein  wollen.  Mit  gleich  gutem  Rechte,  wie  der  fromme 
Sänger  sagt:  „mit  unsrer  Macht  ist  nichts  gethau",  könnten  wir  auch 


.  k)    .  j  l  y  Google 


sagen:  mit  unserm  noch  so  scharfen,  klagen  VeistMide  oder  mit  un- 
serer Fülle  von  Kenntnissen  ist  nichts  gethan  —  wenn  es  gilt,  dn 
«ddstea  Aufgaben  des  Lebens  und  namentlich  des  gesdlschaftlichen 
Lebens  in  seinen  mannigfachen  Gestaltungen  gerecht  zu  werden.  Es 
ist  doch  unser  Willen  sieben  mit  aUem,  was  mit  ihm  in  engerem 
oder  weiterem  Zusammenhange  steht  —  also  namentlich  das  Grebiet 
unserer  Neigunj^^en,  Begelirnngen,    AftVrte.  Leidenschaften.  Triebe- 
u.  s.  w.   ein  so  unendlii  h   wichtiger   Factor   in   der  gesammten 
Leistungsfähigkeit  nrnl  SH!hstdarstenun£r  unserer  Persnnliclikeit.  und 
es  hängt  also  von  diesem  uii.M'i  eii  Wilienslelu  ii  w  ie  u!i.->t;i-  eigeues  Ge- 
deihen und  Schicksal,  so  das  unserer  Mitmen-i  li^u  in  so  eminenter 
Weise  ab,  dass  wir  allen  Grund  haben,  demscll>t-ii  die  sorgtaltigste 
Pflege  zu  widmen.    Ist's  nicht  wirklich  so,  dass  unendlich  häufig  eineuj 
scharfen  Venstande  und  reicliera  Wissen  ein  aiiiieist  verkümmertes 
Willens-  und  überhaupt  ein  vernachlässigtes  Gemiiths-  und  Gesinuungs- 
leben  gegenübersteht?  Gibt  es  nicht  Gelehrte  von  den  verschrobensten 
Ansichten  und  dem  rohesten  Cynismus  der  Sitten?   Mindestens  haben 
-wir  dnrchans  kein  SicherheitSTeatil  In  dem  Beicbthnm  an  Kenntoiaseik 
oder  an  einem  noch  so  scharfen  Ynstande  gegen  ein  völliges  Ver- 
kommen des  GemQths-  und  GMuinngsleheiis,  so  dass  also  eine  noch 
so  reiche  —  wenigstens  extenslT  reiche  —  GeistesbOdong  dorehans 
keine  Garantie  für  die  rechte  Gemftthsart  za  bieten  vennag.  Damit 
wollen  wir  natürlich  kdneswegs  behaupten,  dass  übeihanjpt  kein  po-> 
sitiy  befruchtender  Einflnss  von  der  Geisteslnldnng  herttber  auf  die 
Qemfltlispflege  gettbt  werden  kOnne.  So  gewiss  indessen  namentlicli 
die  Art  nnd  der  Umfang  des  Vorstellnngs-  nnd  Gedankenkreises  auf 
die  Art  unserer  Neigungen  und  Begehningen  einwirken  wird,  so  sicher 
kommen  doch  auch  anderweitige  Momente  in  Frage,  wenn  es  gilt,  die 
rechten  Fundamente  der  Gemüthsbildung  zu  legen.   Es  kommt  aber 
hier  nicht  sowol  darauf  an,  die  innere  WechselbeziehuDg  zwischei> 
intellectueller  und  sittlicher  Bildung  nachzuweisen,  als  Tiebnehr  die 
Bedeutung  dieser  letzteren  für  die  Bedürfnisse  des  Lebens  zu  betonen. 
Es  ist  die  Stellung  jedes  einzelnen  zn  den   vorlKnvIf'uen  Lebens- 
gemeinschaften, wie  Familie,  bürgerliche  Gesellschaft.  Staat  u.  s.  w., 
die  es  auf  dem  Wege  auch  der  Schulerzieliung  anzubauen  gilt,  und 
die  eine  mehr  oder  weniger  schiefe  werden  kann,  wenn  sie  in  der 
Gesammterziehung  vernachlässigt  worden  ist.  Nur  zu  richtig  hat  man 
gesagt,  es  haiiire  unser  Lebeusglück,  sowie  ancli  unser  Einfluss  auf  das 
Leben  zumeist  von  dem  ab,  was  wir  sind,  und  nicht  von  dem.  was 
wii-  wissen.    Jedenfalls  nähert  sich  derjenige  am  meisten  den» 


Digitized  by  Google 


—  653  — 


böchi^ten  Lebensidoal.  der  zn  allen  Gemeinschaftskreisen,  in  die 
er  theils  tuiplau^eiMi,  iheils  mittheilend  einzu^'eifen  berufen  ist,  in 
das  rechte,  von  Vei-nunft  und  CTesetz  freboteue  Verhältnis  zu  treten 
vermal!:.  Nicht  Sclaven  der  bestehenden  Verhältnisse  düifeu  wir  werden, 
da  ja  dieselben  auch  unbei-^htigte,  weil  unvernünftige,  sein  können, 
sondeni  wir  müssen  in  eine  sittliche  Beziehung:  /:u  denselben  treten. 

Ziu'  Erklärung  des  Urastandes,  wie  ziuii  Beweise  der  Behauptung, 
dass  wir  in  unserer  Schularbeit  noch  zu  wenig  für  die  öemüthspflege 
thiin,  kann  o.  a.  Folgendes  dienen: 

1.  Wir  legen  noch  ein  zn  groBes  Gewicht  anf  das  Viderld  nnd 
auf  ein  wwiegend  mit  dem  Gedftehtnis  anraeignendes  Wissen. 
Saven  flberaengt  man  sieh  sofint  beim  Hinblick  sowol  anf  die  Mannig- 
&I1agkeit  der  Lehrstoffe,  wie  auch  auf  die  großen  Gebiete  derselben, 
die  man  in  Terbältnism&Big  knrzer  Zeit  dnrdiarbeiten  sn  können 
meint  Dies  steigt  sich  n.  a.  aneh  in  der  Geschichte  nnd  Geograj^hie^ 
wo  man  es  bisweQen  mehr  auf  ein  rein  ftofterliches  Abarbeiten  der  — 
oft  ginz  nnpädagogiflch  anfgestellten  —  Lehrprogramme,  als  anf  ein 
wirUidies  inneres  Aneignen  des  wahrhaft  wertvollen  Materials  ab- 
gesehen zu  haben  scheint.  Ein  bloßes  Herplappem  von  Thatsachen 
ist  doch  wahrlich  nicht  jenes  geschichtliche  Wissen,  ans  dem  anch 
für  die  GemUthsiiflege  ein  Gewinn  gezogen  werden  kann.  Und  muss 
nicht  jeder  Lehrgegenstand  seine  „bildende"  Kraft  in  dem  Grade 
verlieren^  als  man  im  Dienste  großer  Lehrpensa  auf  ein  liebevolles  Ein- 
gehen auf  Details  oder  auf  ein  entwickelndes,  auf  Causalitätsverhalt- 
nisse  eingehendes  Verfahren  verzichtet  und  verzichten  muss  ?  Daran 
scheitert  jeder  gemüthbildeade  Einfluss  des  Unterrichts, 
dass  man  die  .Meng:e  des  gewussten,  einzelnen  und  noch  dazu 
disparat  nebten-  und  durcheinander  liegenden  Stoffes  als 
Maßstab  für  die  Erfolge  des  Unterrichts  gplteii  lässt.  Wenn 
wii-  in  der  Geschichte  „keine  Zeit  dazu-*  haben  wollen,  die  Details 
der  für  jede  Alters-  imd  Classenstufe  wol  gewälilten  ^laterien  durch- 
zunehmen, wenn  vdr  in  der  G(!oj,Maitliie  wiederum  „keine  Zeit 
finden**  —  ,.im  Interesse  des  vorereschriebenen  Pensums"  z.  B.  auf 
landschaltlichc  oder  auf  Städteschilderunfjen  oder  auf  Beschreibungen 
des  eigenthümlichen  Ciiltuidebens  jetzt  lebender  Völker  oder  auf  die 
den  verschiedenen  Clasaenstnfen  verständlichen  geographisch-physi* 
kalisehen  Erscheinungen  des  Näheren  einzugehen,  —  wenn  wir  im 
Deutschen  Aber  dem  spedfischen  abstract  getriebenen  grammatischen 
Üntemcht  oder  wiedemm  ttber  den  die  schönsten  Lesestf&cke  yer* 
Wissemden  nnd  die  Kinder  Isngweilenden  Erklärungen,  Dispositionen 


Digitized  by  Google 


—   654  — 


u.  s.  w.  die  Zeit  zu  einer  einigermaßen  leiclu'ii  Lectiire  einbußf-n:  dann 
betrügen  wir  unsere  Schüler  um  deu  vollen  Gewinn,  den  bie  aus  dein 
Unterricht  flir  ihre  Gemütksbildung  ziehen  könnten. 

Ähnliches  aber  mofls  sich  ergeben,  wenn  wir  dem  Schalleben  die 
mamüg&ehen  sich  darbietenden  GelegenheiteE  sor  GttDQtbspflege  des 
Schfilers,  d.  L  hier  zur  Belebung  and  BichtigsteUung  seines  sittlichen 
Bewoflatseins  und  Ürtheils  entweder  vGUig  entziehen  oder  auf  ein  yer- 
schwindendes  Matt  rednciren.  Damit  deuten  wir  auf  die  entsetzliche 
Nftchtemheit  und  dttrre'Prosay  die  leider  in  manchen  Schulen  herrscht, 
indem  dieselben  sich  lediglich  auf  ihre  Lectionen  beschranken,  dagegen 
ihren  Gemeinden  kaum  noch  eine  Handhabe  bieten,  um  etwa  die  er- 
hebenden Momente  eines  Schulfestes,  wie  des  Ged^iktages  einer  großen 
PersOnlichkdt  oder  Begebenheit  gemeinschaftlich  in  und  an  sich  zu 
erleben.  Ohne  Zweifel  kann  die  Schule  auch  selbst  schon  in  ihrem 
gesammtcn  äußeren  Ei-scheinen,  in  der  Ai't  ihi-es  Schmuckes,  in  der 
Beschaffenheit  ihrer  Classenräume  einen  wolthnend-bildenden  Einfluss 
auf  den  inneiTi  Sinn  der  Schuler,  auf  deren  ästhetischen  Geschmack 
and  damit  zugleich  auf  die  Hervorbringimg  edlerer  Gefühle  aasüben. 
Eine  Schule,  in  der  weder  eigentliche  Schulfeste  begangen  werden, 
noch  irfrend  welche  Notiz  von  den  großen  nationalen  Thaten  und  Er- 
eignissen in  Form  von  Gedenktagen  g-enommen  wh-d,  —  belriis^t  ihre 
Zöglinge  um  ein  wesentliches  Moment  der  Gemüthsbildung.  Das  Gleiche 
behaupten  wir  von  Scluiltu,  die  weder  das  Spiel  ihrer  Zösrlincre  f  z.  B. 
während  der  Unterriclitspausen")  irg'endwie  uKiglich  machen  und  be- 
günstigen. UDch  auch  f^emeinsame  Exemtionen  unternehmen,  aul  denen 
ebensowül  eine  ^lenge  heiiuatkuudlicher  Kenntnisse  <rewunnen,  wie 
der  jeder  sittliclien  Erziehung  in  die  Hände  arbeitende  Gemeinsiuu, 
außerdem  aber  die  Freude  an  der  Natur,  sowie  die  Kräftigung  des 
Willens,  die  Gewöhnung  an  körperliche  Anstrengung  gefördert  werden 
können. 

Süll  es  um  das  Gemeinleben  in  Familie,  Gesellschaft,  Staat  und 
sonstigen  Kreisen,  in  denen  Menschen  sich  zu  gleichen  Zwecken  yer> 
binden,  wol  bestellt  seint  dann  mftesen  :die  Herzen  unserer  Jugend 
angebaut,  weit  gemacht,  veredelt  werden.  Dass  das  keineswegs  nur 
im  eigentlichen  Unterricht,  dass  es  Yiehnehr  wesentlich  durch  Ter« 
mittelong  von  Schuleinrichtnngen,  durch  eine  weise  Pflege  erhebender 
Momente  des  Schnllebens  (wie  namentlich  in  Gestalt  von  bedeutsamen 
Erinnerungstagen,  bei  denen  Lehrer  und  Schaler  ihre  besten  wissen- 
schaftlich-kOnstlerisehen  Leistungen  zur  Gkiltung  bringen  —  denn  na- 
tfirlich  erkennen  wir  nur  solche  Schulfeste  an,  bei  denen  ähnlich,  wie 


Digitizeü  by  Google 


—  655  — 


bei  den  hellenischen  Nationalfesten,  die  Offenbarung  schöner  li*eier 
ICräfte  die  Hauptsache  bildet  — )  geschehen  müsse,  sollte  jedem  den- 
kenden Schuhnanne  als  selbstverstHndlirh  trelten. 

Aber  das  gehört  freilidi  leider  zui*  Signatur  unserer  pädag-ogischen 
Praxis,  dass  —  sei  es  aus  Bequemlichkeit  oder  aus  Sparsamkeit,  oder 
infolge  persönliclier  Unföhigkeit  zu  ^  iin  iii  tu  i-  n  Verkehr  mit  der 
Jug"end,  oder  aus  absoluter  Beschränkt'iieit  des  pädagog^ischen  ürthcils  — 
das  Sdiulleben  fast  ausschließlicli  im  Unterricht  aufgeht,  und  dass 
mau  vom  Katheder  alles  Heil  erwaitct,  wälireud  doch  gerade  die 
reiche  unmittelbare  Anschauung  eines  verschönten,  durch- 
geistigten, veredelten  Daseins,  eines  inhaltreichen,  auf  hohe 
Dinge  gerichteten  .Strebens  bei  weitem  die  grütiicii  und  erfreulichsten 
Wii'kungen  im  Gebiete  des  Gemüthslcbeus  hervorbringen  wird. 

Dass  die  Sünde  in  ihren  mannigfachsten  Gestaltungen  wesentlich 
auf  Egoismus  und  zwar  auf  jede  Art  und  Form  desselben  zurück- 
zuführen sei,  ist  ein  anerkanntes  ethisches  ^rincip.  Nun,  wie  ▼erden 
wir  sokhem  starren  Egoismus  am  sichersten  die  Lebenssftite  entdehen 
und  seine  ftnfierste  Entwickelung  zurückhalten?  —  Doch  vol  Tomehm- 
lieh  dadurch,  dass  wir  einmal  den  Oem^insinn  überhaupt  beleben,  dass 
wir  ihn  aber  angleich  auf  die  edelsten  Ziele  hinlenken  and  ihm  die 
sittlich  freiesten,  schönsten  Antriebe  verleihen.  Denn  freilich:  es  gibt 
aach  erneu  Gemeinsinn  unter  berufsmüDigen  Verbrechem,  und  es  kann 
auch  die  engherzigste  Interessenpolitik  den  einzelnen  in  die  oder  jene 
selbst  einflussreidie  Gemefaischaft  hineindri&ngen,  indem  er  unter  ihrem 
Zeichen  und  Schutze  und  mit  ihr  und  durcli  sie  doch  nur  seine  eigensten 
personlichen  Anliegen  und  Belieben  durchzusetzen  hofft  und  trachtet 
Die  sogenannten  geselligen  liebenswürdigen  Allerweltsfreunde  lieben 
auch  die  Gemeinschaft;  die  Geselligkeit  ist  ihnen  auch  darum  ein  so 
nothwendiges  Bedürfnis,  weil  sie  sich  selbst  nichts  sind,  sich  füi*  sich 
allein  nicht  beschäftigen  können  und  die  dem  reiferen  Menschen  doch 
so  nöthic^e  Einsamkeit  f()rmlich  fliehen.  Sie  bedürfen  fortwälireud  der 
Genossen  bei  ihren  ^,80genaimten"  Freuden  und  Erliebuno:en;  sie  wissen 
ohne  iiußere  Aufregungen  und  ohne  einen  jrewissen  geselligen  Ai)parat 
dem  (iefühl  innerer  Leere  und  der  Langeweile  nimmer  zu  eutgehen. 
Hire  Erholungen  —  und  diese  bilden  eigentlich  den  HauptbesiHiidtheil 
ihrer  Eebfnsr.'i'je  —  traLit  n  demgemäi)  natiirlicli  auch  den  Stempel  des 
bluiieii  llucinigeu  äuliereii  (n  iiießens  an  sich.  Aber  das  ist  nicht  der 
auf  sittlichen  Gefühlen  beruhende  und  hie  aus  sich  erzeugende  Gemein- 
sinu:  das  ist  nur  eine  andere  Form  des  Egoismus.  Der  au*  Ii  y^m  der 
Schulerziehung  zu  püegende  und  auzubahnende  wahre  Gcmeinsiun  ist 


Digitizeü  by  Google 


—   656  — 


»agleich  die  lebendige,  freie,  schöne  Theünahme  für  alles  wahrhaft 
Menschliche,  für  jedes  braven  Mannes  Streben  und  Schicksal  —  anch 
wenn  derselbe  zn  unserem  Parteistan<l]innkte  nicht  neiL'-t*^,  im?:  viel- 
leicht sogar  in  mannigfacher  A\'eise  im  Wege  stände.  Kurz,  mit  dem 
wahren  Gemeinsinn  ist  volle  Gerechtigkeit,  ist  das  „suum  cuiiiue" 
aufs  innigste  verbunden;  und  wer  diesen  besitzt,  der  vergönnt  mit 
Freude  jeder  anderen  in  ^icli  selbst  ruhenden  selbstständi^  denkenden 
sittlichen  Pei^ünliclikeit  ihren  Raum,  der  lässt  sich  nicht  durch  die 
Krfoljre  und  ihm  selbst  abgehenden  Talente  des  an<lern  beunruhigen 
Bild  etwa  dazu  verleiten,  ihn  um  jeden  Preis  in  den  Schatten  zu 
stellen,  um  nur  ja  nichts  an  eigener  Geltung,  am  eigenen  Ruhme  ein- 
zubüßen. Die  freudige  und  in  Handlungen  sich  ausdrückende  An- 
erkennung jedes  sich  in  unserer  Nahe,  etwa  in  unserem  eigenen 
Berufskreise  sich  ankündigenden  Talents  ist  ein  Hauptkennzeichen 
jedes  echten  wahren  Gemeinsinns,  jeder  wirklichen  menschlichen  Theil- 
nahme.  Und  eben  diese  grofimzIeheD,  mnas  als  eine  der  wesentlicligten 
Anfgaibem  der  für  das  Leben  erziehenden  Schnle  angeeehen  verden. 
Oder  bedflifte  es  in  diesem  Leben  nicht  eben  gerade  dieser  Cardinal- 
tagenden der  Qerechtigkeit,  des  Wolwollens  nnd  des  nnabltesigen 
Strebens,  das  Gemetnwol  za.  fördern,  diesem  aUe  sieh  kondgebenden 
besseren  Xrftfte  soznfthren  nnd  sie  ihm  möglichst  dienstbar  zn  machen? 
In  diesem  Sinne  haben  w  anch  an  anderer  Stelle  den  wahren,  edlen 
libenUismns,  der  doch  die  öffentliche  Wol&hrt  als  sein  eigentUebes 
Programm  prodamirt  oder  wenigstens  im  Stillen  ftr  sieh  in  Ansprach 
nimmt,  ledigUcb  dem  großgdstigen,  von  jedem  kleinlichen  Parteistand- 
punkte freien  Manne  zuschreiben  können.  (Siehe  :  Pädagogische  Stadien, 
8.  Sammlung,  in  dem  Capitel:  „Der  wahre  und  falsche  Liberalismus.") 
Worauf  lässt  sich  jede  Tugend,  die  innerhalb  der  Familie,  der 
QeseUschaft,  des  Staates  geübt  wird,  zurückführen?  —  Doch  auf  Hin- 
gabe und  Theünahme  für  fremdes  Wol  und  auf  ein  freudiges  Ver- 
zichten auf  die  eigene  Bequemlichkeit  und  Annehmlichkeit.  Also  ist 
es  der  Etroisraus,  der  auch  in  der  Schule  nach  Kräften  zu  brechen 
ist,  also  gilt  es  die  Übunj,'  im  lebendigen  Interesse  und  in  der  thätigen 
Fürsorge  lür  andere,  also  die  reiche  Gelegenheit,  anderen  zu  dienen, 
für  ändert'  zu  sorgen,  sich  sremeinsanieu  Bestrebungen  anzuschließen, 
allerlei  Ptliehteu  im  Dienste  einer  Gemeinschaft  zu  erfüllen.  So  wenig 
wir  durch  Worte  und  Ermahnungen  im  Bereiclie  der  sittlichi-n  Eigen- 
schaften, des Tugendlebeus  erreichen  werden,  so  viel  durch  umnittelbar 
praktische  Übungen,  d.  h.  durch  Gewöhnung,  die  aber  natürlich 
nur  m  Gemeinschaft  mit  bereits  in  solchen  Tugenden  Erstarkten,  d.  h. 


Digilized  by  Google 


—   657  — 

an  ihrem  Beispiel  gewennen  werden  kdnnen.  Es  ist  ein  Oardinal- 
{j^er  in  nnsem  erziehlichen  Bestrelnmgen,  dass  idr  durch  Lehren, 
Unterricht,  Ermahnungen  erreichen  vollen,  was  sich  fast  nnr 
durch  Yorlehen  nnd  Eingewöhnung  (d.  h.  Obnng)  erreichen  Ifissi 
Wie  im  rein  intellectnellen  Oebiete  gewisse  nothwendige  Erfolge  nnr 
anf  dem  Wege  stetig  fortgesetzter  fiepetitionen  nnd  zahlreicher 
Übungen  zu  erreichen  stehen,  genau  so  ist  es  im  Qebiete  der  Cha- 
rakter-, Willens-  und  gesammten  Qemtlthsbildung.  Gilt  es  doch  hier, 
die  yerkehrten  bereits  Torhandenen  und  zu  einer  gewissen  Stärke 
herangewachsenen  Neigungen  und  Begehrungen  gleichsam  aus  ihrer 
Position  zu  verdrängen,  sie  mit  ihren  sich  mannigfach  mit  dem 
übrigen  Seelenleben  vei-zwei senden  Wui-zeln  auszurotten,  um  anderen, 
wünschenswerten  Kaum  zu  schaffen.  Eine  solche  Änderung  macht 
sich  aber  mir  von  innen  lieraiis  und  nur  auf  dem  We^e  von  f^Jungen, 
Gewöhüiiügen  oder  wiederlioltei-  j^leichartiger  YorsteUttugen,  aas  denen 
schließlich  auch  gleiche  Wolluugen  liervor^ehen. 

Doch  müssen  wir  hier  von  tieieieiii  Emg»  imi  in  das  ,,Wie?''  der 
Willtii>-  und  Charakterbildung  absehen,  da  es  uns  ja  in  der  gegen- 
wärtigen Betrachtung  nur  um  die  Ziele  zu  thun  ist,  nach  denen  hin 
die  Schule  den  Forderungen  des  Lebens  hauptsächlich  gerecht  werden 
muss.   Und  da  lautet  nun  eben  unsere  erste  Hauptforderung: 

Die  Schule  suche  mit  allem  FleiÜ  eine  Gemüths-  und  (iesinnungs- 
bildung  zu  begründen,  vermöge  deren  insbesondere  alle  auf  das  Gemein* 
leben  —  und  zwai*  das  einfachste  in  der  Familie  wie  das  reichste  im 
Staate  —  bezüglichen  Au^ben  und  Ffliditen  am  nadidrflckUchsten 
und  besten  gdOst  und  erfttllt  werden  können.  Sie  suche  diee  zu  er- 
reidiem  einmal  durch  die  weise  Auswahl  des  ünterrichtsstolTes  und 
durch  die  die  grGfite  bildende  Kraft  enthaltende  Methode,  sodann 
durdi  Heranziehung  aller  die  GemflthsbÜdung  wesentlich  unterstttzenden 
pftdagogischen  Einrichtungen,  Gebräuche  u.  s.  w.,  TomehmUch  auch 
durdi  den  sie  durchwehenden,  sie  bis  ins  Kleinste  bestimmenden  Qeist 
Damit  rerbinde  sich  die  Pflege  des  SchOnheitsshmes  und  Ästhetischen 
Geschmacks,  wie  er  sich  zunächst  in  dem  lebhi^en  Sinn  für  änftere 
Wolanstftndigkeit,  Beinlichkeit,  geschmackvolle  Formen  und  Farben, 
sprachliche  Correctiieit  und  Wolredenheit ,  ferner  in  dem  Sinn  fUr 
edle  Umgangsformen  nnd  Geselligkeit,  för  eine  inhaltreiche  begeistigte 
Unterhaltung,  bildende  Lectiü'e,  Genuss  von  Kunstwerken  aller  Art 
u.  s.  w.  offenbaren  kann  und  ohne  Zweifel  bedeutende  Ansätze  zur 
sittlichen  Erziehung  bietet.  Geschmackvolle,  wenn  auch  nicht  luxuriös 
eingerichtete  Schnlr&nme,  deren  BebütoDg  vor  aller  rohen  Beschädigung, 


Digitized  by  Google 


—  658  — 


flrren  Ausschmückung"  mit  mancherlei  auch  im  Unterricht  zu  ver- 
wertenden  Illustrationen,  die  volle  Beachtung  und  reiche  Ver- 
wendung der  künstlerischen  Fertigkeiten  des  Gesangs,  Zeichnens  — 
vielleicht  auch  Malens  und  3Iodellirens  — ,  der  Kalligraphie,  dt-s 
Sprechen^  und  Lesens:  die-^  und  Ähnliclies  wird  tretfiiche  Beiträge 
zur  Gemuths-  und  Gesiunuügsbüdung'  liefern. 

Und  die  auch  liierher  zu  ziehende  religiöse  Bildung  soll  die 
Schule  wiederum  keineswegs  ausschließlich  oder  auch  nur  vor- 
wiegend durch  besonderen  Unterricht  zu  erreichen  suchen,  sondern 
weseuilich  zugleich  durch  entsprechende  Eini ichtungen,  wie  gemein^same, 
namentlich  mit  religiösem  Gesang  verbundene  —  doch  keinesfalls  zu 
häufige  und  zu  lange  (!)  Schulandachten,  —  durch  die  Rficksichtnahme 
des  Unterrichte  auf  bedeutsame  Erefgnisae  in  Ekktvickdungsgange 
der  Beligions-  und  Kirchengeschicbte  und  durch  dea  Geist  ernster 
Gewissenhaftigkeit,  der  sich  im  gesanuntcn  Schnlleben  viederspiegelt. 

In  welchem  Sinne  und  in  welcher  Wdse  wir  die  religiöse  Seite 
der  Erziehnng  in  der  Schule  gepflegt  sehen  wollen,  darfiber  haben 
w  nns  zuletzt  aiisfthrlicher  th^  in  den  Schriften:  „Die  Tojkaschnle 
als  Erziehnngsschnle",  „TM  PAdagogUc  der  Kirche**,  „Die  Verant- 
vortlichkeit  der  Schule'*  etc.  (sämmtlich  in  den  „Zeit-  und  Streitfragen'* 
von  F.  y.  Holtsendoiff  erschienen)  sowie  in  der  Abhandlung:  „Die 
Confessionsschule  in  ihren  Conseqnenzen"  geäußert  Um 
keinen  Preis  möchten  wir  die  religiöse  Büdong  als  ein  bloßes  opus 
oporatnm  angesehen  wissen,  sondern  wollen  sie  als  ein  lebendiges, 
frommes,  alles  sittlich  Hohe  aus  sich  gebärendes  und  allem  Seienden 
das  Gepräge  eines  höheren  göttlichen  Ursprungs  und  Zwecks  auf- 
drückendes Gefühl  gelten  lassen.  Zu  einem  bloßen  Lückenbüßer,  oder 
zu  einer  Art  Sicherheitsventil  gegen  gemeine  Verbrechen  und  allerlei 
rohe  Ausschreitungen  des  Volkes  soll  uns  die  religiöse  Bildung  zwar 
um  keinen  Preis  herabsinken,  aber  ebensowenig  darf  sie  ein  todter 
i^allast,  etwa  ein  bloßer  Gegenstand  des  Wissens  oder  eines  äußeren 
mechanischen  Bekenntnisses  werden. 

Xacli  Seite  der  intelh  ■  r  lu-Ilen  Bildunsr  fordert  das  ],>-)H-n  von 
der  Schule  vor  allem  die  Weckung  und  Belebung  des  gei>tigeii  Intt-r- 
etsöti  aL<  der  (Grundvoraussetzung  jedes  freudigen  und  von  nachhaltigen 
Erfolgen  begleiteten  Tiernens.  Wo  dieses  geistige  Interesse  nicht  ge- 
weckt wiixl,  da  hleil)t  der  Unterricht  eine  drückende  Bürde  der  Jugend, 
die  je  eher  desto  lieber  abgeschüttelt  wird;  da  kommt  es  zu  keinem 
nachhaltigen  Wissen,  am  wenigsten  zur  l'reude  an  eigner  Fortbildung. 
Das  Leben  braucht  aber  nicht  Leute,  die  nur  für  einen  bestimmten 


Digitized  by  Google 


—  669  — 

Termin  —  des  Examens  —  eine  Summe  von  Kenntnissen  in  ihrem 
Kopfe  anfgesi)eichert  haben;  auch  ist  ihm  nicht  mit  solchen  gedient, 
die  nur  vielerlei  Kenntnisse  haben,  ohne  das  geistige  Band  zwischen 
denselben  hei-stellen,  ohne  sie  als  Basis  für  Einsichten,  Erkenntnisse, 
I'bei-zeug^nngen  ausbeuten  zu  können.  Dem  Leben  soll  die  Bildung 
des  Geistes,  soll  Wissen  und  Erkenntnis  gleichsam  ab  der  es  stets 
von  neuem  befruchtende  deus  ex  niacbina.  als  ein  zwar  unsichtbarer» 
aber  gleichwol  allenthalben  maßgebender,  anrcirender  Führer  und  Re- 
^Miljitnr  innewnliiien  und  zur  Seite  stehen.  Ein  dem  Leben,  seinen 
Zvvc'kcn.  Autgaiuii  und  Interessen  al)gewan(ltes  todtes,  abstractes, 
crleichsaifi  sich  isolirendes  Wissen  muss  daher  die  Schule  von  sich 
fernlialten.  .^ie  feiert  ihre  schönsten  Triumphe  im  Dienste  des  Leln  ns, 
wenn  ihre  Zrtglinge  sowol  allen  nothwendigen  oder  doch  berechtigten 
praktischen  Aufgaben,  als  auch  den  idealen,  wahrhaft  humanen,  sitt- 
lich-theoretischen Interessen  desselben  als  Bui^er  ihres  Staates,  als 
Vertreter  ihres  Volkes,  als  Häupter  der  Familie,  als  Glieder  mannig- 
facher anderer  Gemeinschaftski-eise  zu  entsprechen  vermögen.  Hier 
gilt  es  also  keine  blofie  Geistesbildung  ad  hoc,  aber  auch  keine  etwa 
specifisch  kirchlichen  Bfldungsziele,  sondern  eine  mit  einem  vielseitigen 
Interesse  verbundene  formale  und  eine  solide  materiale  Bfldong,  die 
ohne  Klarheit  nnd  Beherrschung  des  Wissens  nicht  denkbar  ist  Die 
dem  Leben  dienende  intellectnelle  Schnlbildnngr  entbindet  die  geistigen 
Kräfte,  regt  sie  mannigfach  an,  flbt  sie  an  vei-schiedenartigen  Steifen, 
wirkt  geistige  Vertiefung,  erfOUt  mit  Bindigkeit  an  and  begabt  mit 
dem  Vermögen  zn  geistiger,  selbst  strenger  Thfttigkeit  Da  gibt  es 
also  kein  bloiSes  Arbeiten  auf  glftnsende  Prllfimgen  hin,  kein  flüchtig 
zusammengerafftes  Wissen  in  fhtnram  oblivionem,  da  gilt  ein  nach> 
haltiges  geistiges  Besitzthnm,  mit  dem  hundertfältig  gewuchert  wer- 
den kann,  als  letztes  nnd  höchstes  Ziel  des  wissenschaftlichen  Unter- 
richts, da  steuert  derselbe  auf  ein  mit  dem  Wissen  verbundenes  Kön- 
nen hin;  denn  da  tritt  keine  Überbördung  weder  mit  Lehistoffen  nnd 
Lectionen,  noch  mit  Schulaufgaben  ein,  da  herrscht  von  vornherein 
die  volle  Diätetik  der  s-eistigen  Ernährung. 

Aber  auch  hinsichtlirli  'l^r  leiblichen  Pflege  stellt  das  T.rben 
seine  sehr  bestimmten  Forderungen  an  die  erziehliche  Arbeit  der  i^chule. 
Da  unser  gesammtes  Wirken  und  Schäften  mehr  oder  weniger  an  unsere 
leiblichen  Functionen  und  dHitMi  Organe  gebunden  erscheint  und  jede 
grobe  Vernaclilässigung  dieses  körperlichen  Instruments  sich  unaus- 
bleiblich früher  oder  später  scliwer  rächen  nuiss,  ja  die  Leistungs- 
fdhigkeii  und  Brauchbarkeit  und  somit  auch  das  gesammte  Wolergehen 


Digitized  by  Google 


—  660  — 


und  GefI»M*lien  einzeln^  r  wia  o^anzer  Stäiuie  und  Völker  wesentlich  an 
ein  Iciclite^  und  sirii.  res  Verfügen  z.  B.  über  uii.-.t-ii'  .siunesthätijjkeit 
und  selbst  über  körperliche  Kräfte  iirebunden  i^^t.  so  ergibt  sich  die 
Pflicht  der  Schule  von  selber,  au  ihrem  Theil  alles  zu  veriaeiden.  was 
des  Leibes  Gresundheit,  Kraft,  Schönheit  und  Bmuchbarkeit  irgend- 
wie empfindlich  schädigen  und  somit  dieses  unentbehrliche  Organ  eines 
vollen  menschlichen  Schattens,  ja  dieses  das  menschliche  Glück  mit- 
bedingende Werkzeug  aus  einem  fordernden  zu  einem  übei'all  hemmen- 
den stempeln  könnte. 

Eine  ziemlich  müßige  Frage  lilnsichtlieh  der  Überbfirdimg  der 
Jugend,  die  man  —  wiE  man  nicht  absichtlich  sdn  Auge  den  lie- 
stehenden  übenn&ftigen  Ansprüchen  an  die  geistige  Bildung  der  Jngend 
verschUeAen,  —  unmöglich  wird  leugnen  kOnnen,  ist  die  nach  dem 
eigentüeb  schuldigen  Tfaeüe  bei  dieser  ÜberbOrdong.  Man  hat  Hans, 
Sehlde,  Staat  und  Kirche  als  die  Hauptschuldigen  wol  mit  Becht  be> 
seichnet;  wie  viel  aber  auf  das  Conto  des  einen  und  anderen  dieser 
Factoren  zu  setzen  sei,  darüber  wird  man  einen  schwer  zu  entschei- 
denden Streit  führen.  Man  hat  n.  a.  dem  Hianse  voigeworfien,  dass 
es  durch  allerlei  Privatunterricht  die  Arbeitslast  der  Kinder  zu  groA 
mache,  und  dem  Staate,  dass  er  mit  seinen  Ezamenansprachen  zur 
Überbürdung  hindränge.  Aber  wie,  wenn  nun  die  Schule  wesentliche 
Bildungsiacher  von  sich  ausschlösse;  —  soll  und  dai-f  dann  das  Haus 
nicht  ergänzend  einspringen,  und  ist  nicht  die  Schule  es  dem  Hause 
schuldig,  dass  sie  ihm  eine  solche  £rgänzang  überhaupt  möglich  mache? 
Darf  sie  alle  Zeit  und  Kraft  der  Kinder  allein  in  Beschlag  nehmen 
und  dieselben  in  einer  Weise  in  Anspruch  nehmen,  dass  dem  Hause 
nur  eine  kiinnnerliclie  Nachlese  übrig  bleibt?  Sollte  al)er  wirklich 
das  Hans  unvei-nünftig-f  Anfordeninpren  an  die  Leist ungslahigkeit  des 
Kindes  stellen,  so  wäre  es  Aufgabe  der  Pädagogen  von  Fach,  auf  d^m 
AV'ege  dei-  Presse  oder  von  regelniäijigeu  Correspoudenzeu  resp.  Con- 
ferenzen  mit  den  Eltern  üirer  Kinder,  oder  von  öffentlichen  pädago- 
gischen \  orlesungen  die  Laien  über  die  Ciudiualpunkte  der  Hau>pada- 
gogik  aufzuklären.  Und  was  die  Prüfungsanspi-üche  des  Staates  an- 
belangt, so  meinen  wir  denn  docli,  dass,  was  in  dieser  Hiiisiclit  vom 
grünen  Tische  aus  beliebt  wii'd,  in  letzter  Instanz  von  einlliiSÄreicheii 
Schulmännern  oder  Universitätsprofessoren  wenigstens  gut  geheißen 
worden  oder  aus  gewissen  ZeitstrGmungen  in  Betreff  der  Bildungs- 
ausprüche heitHisgewachsen  sei  Mindestens  dfiiften  wir  wol  anneh- 
men, dass  unTemfinitige  Priifungsprogramme  schließlich  der  Macht  der 
pädagogischen  Kritik  weichen  mftssten.  —  Auf  den  in  den  meisten 


üiyiiizeü  by  GoOgle 


—  661  — 


Qiuierer  Schulen  eingebürgerten  kirchlichen  Lehrstoff  einzugehen, 
wwden  wir  weiter  unten  Geleg^enheit  finden. 

Worauf  es  zuletzt  bei  der  „sogenannten"  Überbürdung  heraus- 
kommt, das  ist  einmal  das  zum  Thei!  nur  aus  ganz  willkürlicher 
Zerreißung  innerlich  zusatFinrii^ehörioer  T/ehrstotfe  hervorc^eheiide  Vieler- 
lei gleiclizeitig  zu  beti'eibender  (iegen>tMiiile,  sudanu  der  unglückliche 
Wahn,  dass'  man  innerhalb  der  verscluedenen  i'äcUer  ein  mächtig 
großes  Gebiet  —  wie  z.  B.  die  ganze  Weltgeschichte,  die  genaue  , 
Betrachtung  aller  Erdtheile  —  in  den  Sprachen  eine  Menge  gram- 
matischer Regeln  und  Vocabeln,  die  weit  über  den  «Schul gebrauch 
hinauisliegen  —  durchlaufen  müsse  und  ja  nichts  vom  eiiiiual  beliebten 
Programm  abstreichen  düife.  Wer  fi-eilich  die  Schule  als  die  einzige 
Bildungsstätte  und  die  Schulzeit  als  die  einzige  Lemzeit  betrachtet 
—  wie  das  trotz  der  darin  liegenden  Unvernunft  von  nieht  wenigen 
angenommen,  m  werden  achelnt  — ,  der  glaobt  nim  der  Schnle  eine 
Uaflse  Stoff  zuweisen  zn  mflssen,  ohne  zn  erwägen,  da»  das  i,Tiel  hilft 
viel**  nirgends  schlimmer  angebraeht  sei,  als  gerade  im  Unterrichte. 
Wer  vom  grttnen  Tische  ans  ins  Blaue  hinein  Lehrpensa  decretirt, 
der  kann  weder  eine  Idee  haben  von  den  Bedingungen  eines  erfolg« 
reichen  Lernens  (wozu  doch  namentlich  Heutiges  Einttben  gehOrt),  noch 
Ton  dem  einem  Kinde  nach  diätetischen  Regeln  Zuzumuthenden, 
noch  von  dem  hOchst  zweifiBlhaften  Werte  im  Kopfe  angehäufter  dis- 
parat liegender  EinzelkenntnisBe,  und  müssen  wir  einem  solchen  jede 
pädagogische  Urtheilsfähigkeit  absprechen»  —  ^vie  freilich  nicht  min- 
der denjenigen  Lehrer,  der  auch  gegen  noch  so  wol  begründete  Einwürfe 
gegen  gewisse  von  ihm  beliebte  Lehrstoffe  oder  gegen  ein  zu  beachleur 
nigtes  Tempo  seines  Untenichts  nichts  anderes  und  besseres  zu  sagen 
weiß,  als:  „ich  muss  mich  ans  vorgeschriebene  Pensum  halten"  (wobei 
ja  noch  immer  sehr  zweifelhaft  bleibt,  ob  er  das  Lehi*programm  mit 
genügend  freiem  Blicke  angesehen  und  es  den  augenblicklich  bestehen- 
den  Verhältnissen  angopasst  habel 

Doch  nirht  blos  durch  maßvolle  Lehrpensa  soll  die  S(  Imle  nach 
der  hie)-  m  irage  stehenden  Seite  hin  den  Ansprüchen  des  Lebens 
genügen,  sondern  auch  durc)!  mancherlei  die  Gesundheit  der  Schüler 
unmittelbar  fordernde  Einiichiungen  ^gesund  gelegene,  hinsichtlich  der 
Luit  und  des  Liclites  tadellose  Räume,  Vorhandensein  von  »Spielplätzen, 
Turnhalle,  gehörige  Pausen,  euti»i)rechende  Subsellien,  —  häufigere  Ex- 
cursiunen,  reiche  Gelegenheit  zu  gymnastischen  tTl)ungen  und  i  iiru- 
spielen.  Führung  zu  Bädern  im  Interesse  der  wirklich  wolthätigen 
Wirkung  dereelben  etc.).  Ob  in  dei*  Sehlde  auch  noch  eine  specifische 


.  kjui^.o  l  y  Google 


—   662  — 


Gesundheitslehre  —  etwa  im  naturjrf^liiditlichen  Unterricht  oder, 
was  ja  auch  sehr  nalie  lairc  in  Vt^rbindung-  mit  dem  Turn-  und  Gesan^- 
uiiterricht  (wo  ii.  a.  die  Ökonomie  dt^s  Atlimens  in  Betracht  kommt>  — 
zu  brinjjen  sfi,  damit  auch  die  Tlir.n  in  ,las  Iliri^r*^  zur  alliremHintr-u 
Vei'hreitung'  hygieinischt^r  Bestrt.'bunireii  lifitraer.  darüber  ließe  sich 
nocli  htreitt-n.  Daj^egen  erklären  wir-  uns  unter  allen  Umständen  da- 
fiir,  dass  daü  Kind  — ,  gleichwie  es  die  Äußerunpren  des  frommen 
Sinnes  um  sich  her  wahrnehmen  nuiss,  nm  selbst  üomm  £r«'stinmit  zu 
werden  —  so  auch  eine  Reihe  diätetisch -hygienischer  Vorkelii  imgt  n 
und  Einrichtungen  in  concreter  Gestalt  vor  sich  haben  müsse,  nm 
durch  sie  erstlich  selbst  gesundheitlich  gefördert  zu  werden,  und  nun 
ans  ihnen  gewisse  hygieinische  Einsichten  daTonzntragen.  Sieht  das 
Kind,  wie  man  tftgUch  nnd  ständlich  anf  sanbere,  gut  gelflftete  Bänrne 
oder  anf  reinliche  Kleidnng  nnd  häufige  Reinigung  des  Kdrpers  streng 
bedacht  ist,  so  werden  ihm  dergleichen  Dinge  znm  Bedfiifiiis  und  zor 
andern  Gewohnheit  werden;  schwerlich  wird  diese  anmittelbarste  nnd 
concreteste  Art  der  Belehmng  ihres  Zwecks  Terfehlen.  Natürlich 
mflssen  auch  die  SchnlbehCrden  dazu  die  Hand  bieten,  dass  die  Ge- 
sundheitslehre  weniger  auf  dem  Papier,  als  dnrch  die  Praxis  gepre- 
digt nnd  verbreitet  werde.  Sie  dfirfen  nicht  ängstlich  markten,  wenn 
es  gilt,  den  öffentlichen  Schulen  gehörigen  Raum  —  auch  zur  frei^ 
Bewegung  des  Körpers  —  zu  schaffen;  sie  miissen  die  Theorie  der 
.Jlygieine'*  nach  Kräften  durch  die  und  in  der  Praxis  erhärten,  dann 
werden  sie  die  Hauptsätze  der  Gesundheitslehre  lauter  und  nachdrnck* 
lieber  verkluidigen,  als  wenn  sie  einen  Gesnndlieitskateclusmus  aus- 
wendig lernen  ließen.  „Gnui,  Freund  ist  alle  Theorie  etc."  —  heißt 
es  hier.  Und  so  gewinnen  wir  fast  ungesucht  den  Übergang  zum 
anderen  Haupttheil  unserer  Darlegung,  dem  wir  die  Antschrift 
geben  könnten: 

„Lehret  durch  das  Leli^Ti'"  d.  h.  durch  concrete  unmittelbare  An- 
scliannn*:.  die  ja  nach  einem  Fundamentalsatze  nicht  erst  motienier 
PMda£rngik  das  A  und  0  in  allem  wii'ksamen  Unterrichte  ist  und  blei- 
ben wird. 

Die  Schule  liat  nicht  blos  dem  Leben,  sondei-n  auch  dieses  hat 
der  Schule  zu  dienen.  Das  ergibt  sich  schon  aus  der  .Aiaciit  de-s  Bei- 
spiels, des  Umgangs,  aus  der  unwillkürlich  liervorbreclienden  Xeigtmg 
zur  Nachahmung,  aber  auch  ans  der  gebieterischen  Nothwendigkeit, 
nach  und  mit  der  jjicli  das  menschliche  Leben  in  bestimmter  Weise 
und  in  gewissen  Formen,  nach  unübersteiglichen  Gesetzen  bewegt  und 
die  also  wol  oder  fibd  jeden  einzelnen  in  ihren  Zauberkreis  hinein' 


.  kiui^  .-.  l  y  Google 


^   663  — 

zieht.  Aucli  ohne  bestinimtis  Bewusstsein,  erzielien  zn  woUen  oder 
zu  sollen,  zwingen  uns  die  Menschen,  auf  die  wir  im  Leben  angewie- 
sen sind,  in  ihre  Art  zu  denken  un^l  zu  liniulrln  hinein,  und  oft  und 
unvermerkt,  aber  stetisr  vollzieht  sich  an  uns  und  wiederum  durch 
uns  eine  erzieherische  ThätiL'^keit.  liesonders  aber  werden  f^s  nchen 
dt-r  Art  des  Familienlpbens  «jewisst^  Äiißernnjren  und  ( Jttenbarungeu 
des  ulk'Utliclien  Lübens  sein,  unter  deren  erzielien'srben  resp.  verbil- 
denden Einflusijj  wir  i^estellt  werden.  Wir  erinnern  nur  an  das 
Theater,  wie  jede  andere  Art  Miientiiclier  V^olLsbelustig-nnf^^en ,  au 
Xatiouali'este,  femer  an  die  ge&ellschattiiclien  Umgangsformen,  au  die 
Kirche,  an  die  Presse,  an  die  zu  Tage  tretenden  Uifenbaningen  vom 
Rechts-  und  Gericlitswesen,  iiberhaupt  des  politischen  Lebens,  an  die 
mancherlei  dem  öffentlichen  Gebrauche  dienenden  Institutiuueu  des 
Verkehrs,  der  Kunst,  des  Gewerbes  nnd  Handels,  der  Wissenschaft, 
der  aUgemeinen  Wolfiihrt  und  Sicherheit  und  hundert  andere  Dinge, 
von  denen  sich  anch  die  zn  erziehende  Jagend  täglich  umgeben  sieht, 
nnd  anf  die  sie  bloa  zn  achten  hrancht,  um  irgendiirie  von  ihnen  be- 
einflnsst  zn  werden.  Es  wSre  demnach  ein  nnr  zn  bedenklicher  Lrr« 
thnm,  wenn  EndehnngBaii^aben  nnr  der  Schule  nnd  dem  Lehrer,  höch- 
stens noch  den  Eltem  nnd  deren  nnmittelbaTen  SteUvertretem  zuge- 
wiesen, und  wenn  lüsserfolge  der  Erziehung  nnr  diesen  Factoren  zur 
Last  gelegt  werden  sollten.  Und  wir  Lehrer  haben  alle  Ursache, 
diese  reiche  Theiinng  in  der  Erziehungsarbeit  alles  Ernstes  zn  beachten, 
sei  es  nun  um  uns  in  unseren  Arbeitszielen  nnd  in  der  HoflQiung  auf 
Arbeitserfolge  zu  bescheiden,  sei  es  um  gesunde  pädagogische  Einsicht 
unablässig  auch  über  weitere  Kreise  zu  verbreiten,  sei  es  um  gegen 
unberechtigte  Anklagen  wegen  vermeintlicher  Verschuldung  für  Miss- 
erfolge eine  unwiderlegliche  Einsprachö  erheben  zu  können. 

Nicht  blos  für  das  Lel)en  und  dessen  berechtigte  Bediiifnisse  gilt 
es  zu  ei-ziehen,  Fnndern  das  Leben  selbst  ist  auch  wieder  ein  erzieh- 
licher Factor  und  zwar  nach  den  verscliiedensten  Seiten  und  durch 
die  mannigfaltigsten  Mittel.  Darum  ist  es  eben  geboten,  dass,  wenn 
die  Schule  mit  Perfol i(  wirken  soll,  sich  diese  amlerweitifren  (-rzieh- 
lichen  Mächte  mit  ihr  in  Einklang  setzen.  Leun  nur  bei  einer  ein- 
heitlichen Beeinflussung  der  Jugend  ist  auf  gute  Erziehungseifolgu 
zn  lechnen.  Liese  Linlieitlichkeit  ist  besonders  aucii  darum  unent- 
behrlich, weil  nach  dem  Obigen  sowol  die  Ziele  des  Unterrichts  wie 
der  sittliclien  Erziehung  eine  reiche  LT)nng  und  vielseitige  Unter- 
stützung zu  ihrer  Erreichung  bedürfen  und  weil  hier  das  Gleichnis 
vom  „Unkraut  unter  dem  Weizen"  eine  nur  zu  bequeme  Anwendung 

Piediigoginm.  S.  Jalnf.  Heft  XI.  .  43 


Digitized  by  Google 


—   664  — 


find«^t.  Wii*  iii«"2'i'ii  noch  so  tiichtiü  in  dt-v  Schule  arbeileu^  noch  so 
trert'lich  im  Hause  ei/iilitii :  e;;  weiden  unsere  hr»chsten  vinr[  besten 
Erfolge  dennoch  zukizi  wesentlich  von  (hr  anderweitigen  Unter- 
stützung resp.  Ergänzung  unserer  Bemühungen  und  Anstrengungen 
abhängen.  Das  lässt  sich  außerordentlich  leicht  au  einer  Keihe  von 
Beispielen  nachweisen. 

Es  handle  sich  z.  B.  um  die  religiöse  Bildung  der  Jugend-  Glau- 
ben wir  denn  wirklich  mit  unserni  Religionsunterricht,  sei  er  noch  8o 
stark  im  Lehi-plan  verüeten,  trage  er  eine  noch  so  ernste  dogmadsche 
BichtoDg  an  sich,  bei  der  Mehrzahl  nnaerer  Schttter  etwas  Beelles 
za  erreidieii,  wenn  die  religiösen  Endehnngsmomente  nicht  auch  vor 
der  Schalzeit  und  außerhalb  der  Schule  geboten  werden?  Wenn  das 
Kind  nur  im  Beligionsnnterrichte  und  somit  nur  auf  dem  Wege  fheo- 
retiscfaer  Belehnmg  mit  religiasen  Wahrheiten  yertrant  gemacht,  mit 
religi^n  Gefühlen  und  Übetzeugongen  eifUlt  werden  soll:  dann  fehlt 
gerade  eine  Hauptbedingung  des  Eifolgs»  nämlich  die  concrete  An- 
schauung des  zur  Wahrheit  gewordenen  religiösen  Lebens*  Findet 
TieUdcht  gar  ehi  schreiender  Widerspruch  statt  zwischen  unserer 
Eeligionslehre  und  dem  Leben  der  Gebildeten  wie  des  gesammten 
Volkes:  dann  gehört  mindestens  ein  hoher  Grad  von  geistiger  Selbst- 
ständigkeit und  leicher  Gemflthsbeanlagung  dazu,  um  trotz  des  im 
Stiche  lassenden  Lebens  von  der  Lehre  nachhaltig  ergriffen  zu  wer- 
den. Wir  lehren  und  la,ssen  die  Gebote  des  Katechismus  sogar  auf- 
wendig lernen,  fügen  auch  diesem  Hauptstücke  eine  Fülle  von  Aus- 
tulirungen,  Erklärungen  hinzu  und  meinen  damit  die  Kinder  reichlich 
gegen  die  Übertretung  dieser  Gebote  j^ewappnet.  kurz  unsere  Pflicht 
nach  dieser  „ethi^clien"  Seite  gethan  zu  luiben.  Abei-  da  sieht  da^ 
Kind  im  Leben,  man  Zunächst  schon  das  erste  Gebot  sowol 

iliin  r'iisch  als  praktisrli  lifiTulertfach  übertritt.  Da  stößt  das  reifere 
Kmd  sciiar  bei  L'^auzen  groiien  Parteien  auf  principiell  ausgespi-« »ebe- 
nen Atheismus,  ja  soL-'ar  aul"  sciiamlose  Gotteslästerunsr,  wie  sie  in  >«» 
manchen  modernen  iiiran(lre<len  sich  in  frivoler  Weise  bi^ii  niarliT. 
Und  wie  zaldi'eich  sind  doch  die  Altäre,  die  neben  dem  de»  Einen 
wählen  Gottes  allerlei  Götzen  errichtet  sind:  besonders  dem  Götzen 
der  Gewinn-,  Genuss-,  Ehr-,  I^aiteisucht  u.  s.  w.  ^\'ie  viel  liäutiger 
sieht  das  Kind  um  die  Gunst  der  Menschen  buhlen  und  vor  Menschen 
sich  beugen,  als  Gott  die  Ehre  geben!  Alle  die  Leidenschaften  und 
Bestrebungen  eines  vollendeten  Weltmannesr  aUe  die  Thorheiten  der 
Weltdamen  sind  ebensoviele  Eingriffe  in  die  Bechte  des  höchsten 
Gottes  aller  Welten.  Wie  massenhaft  findet  das  Kind  den  Feiertag 


Digitized  by  Google 


—    665  — 


zum  Werk-  uder  Genuss-  und  Siiiidentag  umgewandelt  und  lierab- 
gewilrdigt.  Wie  klein  mag  wol  die  Zahl  der  Eltern  stdu,  die  eine 
Heiligung  des  Sonntags  auch  nur  in  der  dürftigsten  Vorm  sich  an- 
gelegen sein  lusseu.  Also  elendes  ^^'ortgeklingel  schöne  Phrasen  und 
Oefuhlsschwelgerei,  indem  man  das  dritte  Gebot  zwar  regelrecht  durch- 
katechisirt,  aber  seiner  tieferen  £mprägung  und  lebendigen  Auliuüinie 
jede  reale  Basis  Tor^fhSIt  Und  wenn  -wir  mit  Engelzungen  redeten 
und  1}ekrätti^4en  unsere  Worte  nicht  durch  Thaten,  durch  nnser  Le- 
ben, so  vftren  vir  elende  Ztingendrescher  mid  Heuchler. 

Gegen  das  sechste  Gebot  bäumt  sich  das  Leben  mit  ganz  be* 
sonderer  Gewalt;  ihm  schlägt  es  ganz  besonders  gern  ins  Gesicht. 
Daför  zeugt  die  gestattete  gewerblidie  Unzucht  oder  doch  die  cjnische 
Ausgekssenhett,  mit  der  sie  sich  breit  und  yemehmbar  machen  darf; 
dafür  die  Unmasse  zweideutiger  Annoncen  selbst  hi  angesehenen 
FamiHenbUtteni,  daftlr  die  Öffentliche  Anpreisung  von  Fabrikaten, 
die  auf  Ei  regung  oder  bequeme  Befriedigung  viehischer  Lust  berech- 
net sind;  dafttr  das  Qew&brenlassen  von  großartigen  (!)  öffentlichen 
Schaustellung^'Ti,  liei  denen  es  wiederum  an  keinen  noch  so  raffinirten 
und  obscönen  Mitteln  fehlt,  um  die  Sinne  berauschende  Effecte  her- 
vorzubringen (vrli*  erinnern  an  die  jetzt  allgemein  üblich  gewordenen 
Pantomimen  des  Circns  und  der  Vorstadttheater,  bei  denen  massen- 
hafte, fast  der  letzten  Hülle  entkleidete  Tänzerinnen  den  Hauptmagnet 
bilden  und  zu  deren  Ausfuhrunfr  namentlich  aucli  zahlreiche  Schul- 
kinder (!)  Wochen-  und  monatelang  herangezogen  werden  dürfen!! 
Dafür  sogar  die  hohe  Mn^;e  des  Dramas,  die  sich  nur  zu  häuhg  zu 
dem  niedern  Dienst  emes  verdorbenen  Geschmackeä  herabwürdigt; 
dafür  die  Winkelliteratnr  mit  ihi'em  Stlinnd  an  Novellen  und  Roma- 
neu —  und  lippigen  Illustrationen:  dafür  so  maüche  herausfordernde 
Unverschämtheit  der  Mode;  dafür  auch  selbst  vielfache  Krzeuguibf^e 
der  bildenden  Künste,  die  offenbar  den  höchsten  Zweck  der  Erregung 
ästhetischen  Wolgefallems  gegen  den  anderen  des  sinnlichen  Effects 
vertauschen.  Aber  auch  nui-  für  Kinder  sind  Gottes  Gebote  er- 
lassen (?);  die  Mündigen  dürfen  sich  starkgeistig  darüber  erheben. 

Wie  weit  wir  mit  den  Geboten  des  Dekalogs  im  Leben  ge- 
diehen sind,  davon  zeugt  die  Verbrech  er  Statistik  unserer  Tage. 
Wol  möchten  wir  fragen,  ob  es  bei  ^sogenannten"  civilisirten  Na* 
tionen  und  in  Culturstaaten  Zeiten  gegeben,  in  denen  namentUch  der 
aus  social-poUtischer  Leidenschaftlichkeit  begangene  Kassenmord  (wir 
erinnern  an  die  Dynamitverschwömngen  in  europäischen  GroBstftdten!) 
die  Hohe  von  heute  erreicht  habe.  Freilich  wurden  bei  BOmem  und 

43* 


Digitized  by  Google 


—   666  — 


Griechen  au«  h  luichtbare  Mt-nsi*li(.'U:>chlächteieien  verübt,  wenn  es 
ffalt,  die  eigenen  persönlichi  n  oder  die  Parteiintei*esseii  bis  aufs 
iinnerste  zu  vertheidigeu  und  zum  Siege  zu  lühreii.  Aber  bilden  wir 
uii>  uicht  ein,  auf  der  Höhe  der  Cultur  zu  stehen,  und  reden  wir  nicht 
gern  von  den  Segnungen  der  diristlichen  Kirche?  Freilich  ist  iL 
die  Geschichte  der  meisten  BevolitioiieiD  des  ausgehenden  18.  und  des 
19.  Jahrhnndorts  mit  massenhaften  blutigen  Scenen  erftUlt:  aber  imr 
niesen  es  in  der  Gegenwart  erleben,. dass  dem  Holoch:  sei  es  des 
Parteifanatisinas,  sei  es  einer  vahrfaaft  teuflischen  Habgier  in  aus- 
gedehntestem Maße  nnd  in  rafflnirtester  Weise  (mit  hOchst  bedanems' 
wertem  Hissbraach  namentlich  natorwissenschaftlicher  Kenntnisse)  auf 
das  gransamste  geopfert  wird.  ^  Qanze  Stadttheile  und  mit  ihnen 
Hunderte,  ja  Tausende  von  Menschenleben  gibt  man  kaltblütig  daran, 
nm  am  Gegner  Bache  m  nehmen,  um  ihn  völlig  zu  vernichten.  Schon 
mussten  wir  es  erleben,  dass  Bichter  kaum  gewagt  haben,  der  Ge- 
rechtigkeit und  dem  Gesetze  gegen  notorisclie  Verbrecher  freien  Lauf 
zu  lassen,  weil  sie  vor  den  Dolchen  oder  der  Mordbrennerei  der  Ter- 
brechergenossen  gewarnt  worden  waren  und  zitterten. 

Und  wollten  wir  die  Diagnose  ftir  diese  erschreckenden  socialen 
Verhältnisse  suchen,  so  brauchten  wir  nicht  allzulange  zu  suchen.  Wo 
viel  und  gi-oßes  sittliches  Elend  vorhanden  ist,  da  muss  auch  viel  ver- 
schuldet worden  sein.  Solche  Vei-schuldung  kann  in  der  Stumpflieit 
und  Untüchtiirkf  it  dt-r  zur  Führung  des  Volkes  Berufenen  ..wenn 
das  Salz  dnmin  wir<l.  M'iiuit  soll  mau  salzen?**),  oder  in  der  unzweck- 
maLtjfren  Einrichtung  der  ]>ildnntrsanstalten,  oder  in  dem  in-tziL^eD 
H'irliniutli  dur  privilecirten  Stande,  oder  iu  dt-r  Völlerei  und  <leri> 
übertriebt'Ut'U  r*'iien  Luxus  auf  der  einen,  in  dein  Pauperismus  mit 
seinen  sehlimmt  n  P.ei^lritt-rn  auf  der  andern  Seite,  oder  in  der  \ö\Vl- 
gen  \'i'rnarhlas>aijLruiig  dt^r  idealeren  LebensautVabfii  a.  s.  w.  iki-en 
Grund  haben.  Und  wo  es  irilt.  das  Leben  wieder  einmal  emstlich  in 
Einklang  mit  den  Aufeal)en  der  Schule  zn  bringen,  da  muss»  jeder  aa 
seinem  Theile  sich  darauf  besinnen,  ob  er  etwa  die  auch  ihm  ge- 
steckten Erziehungsziele  vernachlässige.  Ehrliche  Geistliche  haben  e» 
gern  bekanmt»  dass  u.  a.  der  Verfall  kirchlichen  Sinnes  keineswegs 
den  Laien  allein,  sondern  wesentlich  auch  ihnen  selbst  zur  Last  ge- 
legt weiMien  mfisse. 

Aber  wir  müssen  noch  weitere  Beweise  führ  die  Kluft  zwischen 
Schule  und  Leben,  d.  h.  zwischen  den  erziehlichen  Bestrebungen  jener 
und  der  Physiognomie  dieses  liefern,  nm  die  dringliche  Nothwendigkeit 
eines  besseren  Einklangs  zwischen  beiden  klar  zn  legen.  Wir  glau- 


Digrtized  by  Google 


9 


—   667  — 

hen  besonders  darin  eiu  außerurdeutliches  Hemmnis  der  sittlichen  Er- 
siehung in  der  und  durch  die  Schule  erblicken  zu  müssen,  dass  sich 
eine  gewisse  Laxheit  in  der  Beortheiluug  von  allerlei  sittlichen  Aus- 
schreitungen in  allen  Schichten  der  BevOlkenmg  breit  machen  darf. 
Zwar  werden  gewaltsame  Angriffe  anf  Eigentum  und  Leben  des  N&ch- 
sten  nach  wie  .  vor  auch  gerichtlich  abgenrtheilt,  ^  aber  schon  die 
Sünde  der  Ehrabschneiderei  sowie  alle  ans  Neid,  Missgunst  und  bos- 
hafter Schadenfrende  erwachsenden  Vergebungen  und  Znngensfinden 
werden  viel  zu  milde  behandelt  oder  sind  sogar  Gegenstand  des  Bei- 
&Ufl  und  der  Bewimdemng.  Was  sich  manche  Pressorgane  in  bos- 
haften Ausftllen  wider  „unliebsame"  Persönlichkeiten  erlauben  dürfen, 
was  da  ans  dem  Versteck  heraos  Ton  gemeinen  Gegnern  sehr  ehren- 
werter Personen  In  die  Öffentlichkeit  hinaus  verleumdet,  herabgezogen 
nnd  geradezu  geschändet  werden  kann,  ist  einei-seits  ein  betrübender  . 
Beweis  für  die  allgemein  erkaltete  Liebe  und  bietet  anderei-seits  die 
bedenklichsten  Antriebe  zur  Nachahmung  von  Seiten  der  Jugend. 
Dahin  gehört  auch  die  rücksichtslose  und  oft  geradezu  ungeschlachte 
Art,  mit  der  man  sich  in  parlamentarischen  Verhandlungen  gegen- 
seitig bekämpft,  dahin  der  frivole  Ton,  in  dem  man  allerlei  Persönlich- 
keits :\n  den  Pranger  stellt,  wenn  es  gilt,  den  eigenen  Standpunkt 
2U  verherrlichen. 

Wäre  man  sich  des  heidnischen  Ausspruchs:  maxima  del)etiir  pueris 
reveifutia  bewusst^  so  würde  man.  wie  im  geselligen  Kreise  etwa  bei 
f  est  Ii«  liein  Mahle,  auch  in  der  i'resse  und  im  Parlament  sich  der 
besonnenen  Mäßigung  und  würdigen  Haltung  befleißigen  — ,  man 
würde  bemüht  sein,  der  Jugend  keinerlei  Ärgernis  zu  geben. 

Diiss  (hih;  Herz  eines  Kindes  leicht  befleckt  werden  kann  dureh 
die  Kindrücke,  die  es  eniptJiugt,  und  dass  es  oft  für  imm«"  dureli  üble 
KinÜüsöe  verdorben  winl  ist  sogar  im  Sprichwort  zum  Aiissdruck  ge- 
bracht. Wie  wenig  wir  dies  im  allgemeinen  zu  beachten  scheinen, 
-ergibt  sich  aus  der  anfßülig  weit  verbreiteten  Gewohnheit,  dass  wir 
unsere  Ehider  zu  gutem  Theile  Personen  zur  AuMcht  und  Ftthmng 
«nvertrauen,  die  wir  gesellsdiaftlich  ungemein  niedrig  taziren,  und 
■deren  Bildung  in  nnsem  Augen  eine  Töllig  untergeordnete  ist  Wäh- 
rend wir  aus  der  Geschichte  der  P&dagogik  erfahren,  dass  Griechen 
ond  Römer  Knaben  und  Jünglinge  an  ihren  geselligen  Freuden,  etwa 
•an  ihren  Mahlen  theilnehmen  liefien,  und  zwar  dies  ausdrücklich  aus 
pidagogischen  Motiven,  £at  sidi  bei  uns  die  Sitte  oder  Unsitte  ein- 
geSährt,  dass  wir  vielfach  ohne  unsere  Kinder  der  Geselligkeit  nach- 
ten —  und  falls  wir  ein  sehr  reges  geselliges  Leben  führen,  eben 


üiyiiizeü  by  GoOgle 


—   668  — 


flehr  liänlig  unsere  Kinder  ihrem  Schicksal  resp.  den  Dienstboten  Qber- 
Ussen,  während  wir  halbe  nnd  ganze  Tage  anSer  dem  Hanse  unseren 
Vergnügungen  nachgehen.  Es  konnte  nicht  schwer  fallen,  gerade  diese 
so  weit  verbreitete  und  eingewurzelte  Unsitte,  die  den  viel  gepriese- 
nen S^en  der  Familienerziehung  olfenbar  vöÜig  in  Frage  stellt,  als 
einen  der  gröbsten  Mfingel  der  Endehnng  im  Leben  an B erhalb  der 
Schule  and  als  ein  schweres  Unrecht  gegenftber  den  gerechtesten 
Ansprüchen  dieser  letzteren  zu  kennzeichnen  nnd  nachzuweisen.  Ist 
es  doch  eine  fast  allerwfiits  wahrgenommene  Thatsache^  dass  die  Schule 
in  seltenen  Fällen  mit  den  Kindern  sehr  vergnügungssüchtiger  und 
viel  anfier  dem  Hanse  weileiidei  Eltern,  also  mit  den  halb  verwahr- 
losten und  veinachlässigten  Kindern  zu  erfreulichen  Resultaten  ge- 
langt Da  zeig^t  sich  uns  also  ein  sehi*  M  e>^<'ntlicher  Punkt,  in  wd- 
«  chem  die  Schule  ans  Leben,  d.  h.  hier  an  das  Familienleben  nnd  die 
Familienerziehung,  bestimmte  —  und  leider  noch  vielfach  unerfüllte 
Forderungen  stellt  imd  stellen  muss.  Nach  dieser  selben  Richtniig 
müsste  die  Schule  aiier  überhaupt  ein  sehr  ernstes  Wort  mit  dem  Hause 
reden  und  dasselbe  auf  seine  unerlässlicheu  erziehlirhen  Ptliohteii  wie 
andererseits  auf  die  von  ihm  oft  ausgelienden  tcrübliokcn  Sehiidii:un<reii 
ihrer  eigenen  Bestrebungen  aufmerksam  maelien.  So  oft  und  eindrinir- 
lieh  auch  auf  das  notliwendiire  Haiid-in-Haml-Gehen  von  Schule  uii<l 
Haus  hinge T^iesen  worden  sein  mag  (dies  Zusammengehen  nmss 
sich  nach  unseren  früheren  Auseinandersetzungen  auch  auf  alle  ande- 
ren Erziehungsmächle  des  Lebens,  wie  Staat,  Kiiche,  Presse,  gesauimtes 
üöentliches  Leben  etc.  erstrecken),  so  siinlde  sehen  wir  nach  wie  vor 
selbst  diese  beiden  Erziehungsmächte  nebeneinander  hergehen.  Und 
zwar  tragen  beide  Theile  die  Schuld  an  einer  solchen  gegenseitigen 
Gleichgiltigkeit;  aber  freilich  möchten  wir  von  der  Schule  die  Haupt- 
initiative  hier  ergriffen  sehen  und  sie  ftr  das  Zustandekommen  eines 
lebhaften  Wechselverkehrs  nnd  haimonischen  Znsammenwirkens  mit 
dem  Hanse  besonders  verantwortlich  machen.  Einzelne  hervorragende 
Schttlmftnner  haben  sich  das  angelegen  sein  lassen  und  haben  es  za 
erreichen  gesucht,  u.  a.  durch  periodische  an  das  Elternhaus  gerich- 
tete Correspondenzen  oder  durch  Eltem-Conferenzen,  durch  hftuige 
Heranziehung  der  Eltemg«ndnde  zu  Schulfeierlichkeiten  n.  s.  w.  Es 
gilt  ja  auf  diesem  Wege  besonders  auch  pädagogische  Einsichten  in 
dem  Eltern-  und  Laienpublicum  zu  verbreiten,  pftdagogiBche  IrrthQmer 
zu  zerstören  nnd  ein  lebhaftes  Interesse  für  pädagogische  Diseossionen 
zn  ei'wecken. 

Wir  glauben  alle  Ursache  zn  haben,  eine  solche  Einheitlichkeit 


Digitized  by  Google 


—  669  — 


des  pädagogischen  Wükens  im  Interesse  gesicherter  ei'zieheriscber 
Erfolge  za  betonen.  Und  eben  darnm  mnss  die  Schule  durch  alle 
neben,  vor  und  nacli  ihr  wirksamen  erziehlichen  Mächte  in  ihrer  Thätig- 
keit  unterstützt  werden. 

Die  Anforderungen  der  Schule  an  das  Leben  müssten  besonders 
anch  darauf  gerichtet  sein,  dass  nicht  blos  im  Gebiete  m  n-ili^cher 
Grundsätze,  .sondern  auch  religiös  dogmatischer  Lehren  beide  mitein- 
ander Hand  in  Hand  gehen.  Es  muss  als  tliTo-irlit  und  vöUijr  un- 
pädagofiisch  bezpi(dinet  werden,  wenn  wir  an  die  iviudlieit  und  Juj^end 
mit  Glaube  11  sleiiren  herautreteu,  von  deueu  nur  eiu  verliälinismäßig 
kleiner  Bruch theil  der  Mündigen  Notiz  nimmt,  die  also  im  groüen 
Ganzen  als  ein  überwundener  Standpunkt  des  moderneu  Zeitbewusst- 
seins  und  speciell  der  modernen  Wissenschaft  gelten.  Ist  überhaupt 
der  confessionelle  Staud|)iuikt  an  sich  weit  mehr  eine  Sache  der  Mün- 
digen, als  der  Kinder,  wie  viel  unbegreiflich(;r  erscheint  es  da,  z.  B. 
GlaubenjHiriikel  mit  deren  Erklärungen  und  andere  religiöse  Lehr- 
stücke dem  Gedächtnis  einprägen  zu  lassen,  obgleich  dieselben  Ton 
einem  verschwindend  kleinen  Bnichtheil  der  zeitgenössischen  Gebildeten 
gläubig  angenommen  werden!  Man  könnte  doeh  nnr  Ehies  anstreben, 
die  kindlichen  Herzen  in  die  Überzeugungen  und  die  Bekenntnisse  der 
Mflndigen  allmählich  hineinwa^shaen  zn  lassisn,  nm  so  eine  Brilcke  zwi- 
schen dem  jongen  Geschlechte  nnd  der  Welt  der  Erwachsenen  herzn- 
stellen.  YOlUg  sinnlos  aber  ist  das  Unternehmen,  Kinder  nnd  jnnge 
Lente  mit  Stoffen  m  behelligen,  die  dem  allgemeinen  Zeitbewosstsein 
widersprechen  nnd  demnach  in  den  seltensten  Fällen  irgend  welchen 
reellen  Erfolg  fär  die  religiöse  Überzengnng  darbieten. 

Und  auch  das  kann  nnd  mnss  die  Schule  von  dem  Leben  for- 
dern, dass  moralische  Gebote,  wie  Übei-^enfrungstreue,  Liebe  zur  Wahr- 
heit und  Freiheit,  Begeisterung  für  alles  >l(i]ie  und  Ideelle  eben  niclit 
blos  im  Schnlnnterricht  verkündigt,  sondern  anch  in  der  Wirklichkeit 
des  Lebens  gewürdigt  und  anerkannt  werden.  Wenn  ^länner,  die 
ihre  innerste  und  beste  Überaeugung  laut  und  offen  verkündigen,  als 
eitle  Schwärmer  und  Idealisten  geschmäht  und  nelleicht  selbst  ver- 
folgt werden,  wenn  sie  im  Dienste  der  Wahrheit  g-emaLirejrelt,  vielleicht 
ilirer  Amter  beraubt  werden  — ;  wenn  man  reformatorische  Geister 
als  nnbrauchbare  Streber  eharakterisii  i  und  von  wichtigeren  Ämtern 
im  Staate  uiog-liclist  fern  hält,  weun  man  mit  ^ OrHebe  nur  solche  mit 
eiuflussreichen  Äiiiiein  nnd  Würden  betraut,  die  im  altgewohnten  Ge- 
leise des  Berufs  eiuhergehen  und  nur  darum  alles  beim  Alten  lassen, 
weil  es  eben  alt  ist,  die  niemals  aus  träger  Huhe  heraustreten,  weil 


u\'^ui^c6  by  Google 


—   670  — 


sie  dabei  für  ihre  persönlirhon  liiieivs.v»  n  lürchten  zu  müssen  meinen: 
—  dann  stellt  sich  das  Leben  tiii-  die  heran warli sende  Jugend  in  einero 
Lichte  dar,  das  nichts  mehr  mit  dt-u  t^ittli*  h<  n  Anfsraben  weder  de? 
Reli^ions-  noch  des  Gc-^cliichts-  noch  des  LiteratuiiuiTt.'rrichts  —  'wir 
erinnern  n.  n.  an  Sciiiilerjsche  Ideen!;  zu  schaffen  hat.  Wir  werilrn 
nicht  müde,  von  der  Nothwendigkeit  der  HeranbiliUmg  UklitiLit-r  Cha- 
raktere, patriotisch  gesinnter  Büi'ger,  für  all»^s  Hohe  und  Edle  begei- 
sterter Männer  namentlich  auch  an  der  Hand  des  Geschichtsuntemchts 
und  der  Leetüre  unserer  besten  Dichter  zu  reden  und  dahin  gehende 
Fordemngen  zu  stellen,  wir  schwärmen  uriu  von  dem  ^gesinnungbil- 
denden"  Unterricht;  wenn  aber  dergleichen  keine  bloße  leere  Schön- 
thnerei  bleiben,  wean  es  der  Jugend  in  Fleisch  und  Blnt,  ins  innerste 
Gemiitfasleben  eindringen  soll,  dann  rnoss  sie  anch  im  wirkUchen  Leihen 
sich  davon  ftberzengen  kernen,  dass  man  wahrhaft  unbefangen  den- 
kende, selbstst&ndig  und  frei  ortheilende  und  anf  das  Gemeinwol  ohne 
jedes  Sondeigelflste  und  Privatinteresse  hinstrebende  Uftnner  wenn 
auch  nur  zn  ertragen,  zn  hSren  und  zu  beachten  geneigt  sei  Ge- 
wöhnen wir  dagegen  nns^  Jugend  an  ein  leichtfertiges  Spiel  mit 
schönen  Idealen,  GefQhlen  und  edlen  Gesinnungen,  an  ein  bloßes  sich 
ErwUrmen  an  Empfindungen,  denen  keine  reale  That  entsprechen 
darf  (!),  dann  mnss  unsere  gesammte  sittliche  Bildung  als  eitle  Wind- 
beutelei gebrandmarkt  werden.  Das  so  völlig  Überzeugende  Wort  vom 
„Lehren  durchs  Leben scheint  aber  eben  inuner  nodi  mit  Vorliebe 
gegen  das  „Leinen  durch  bloße  Worte"  vertauscht  zu  werden.  Selbst 
die  gern  mit  den- beliebten  Schlagwörtern  von  Freiheit  nn  l  «Gleichheit 
umgehenden  sogenannten  Liberalen  lassen  sich  nicht  selten  in  den 
Bahnen  reiner  Interessenpolitik  betreffen  nnd  umchen  sich  gar  häufi? 
dergleichen  rücksichtsloser  Verleugnung  ihrer  innei*sten  besseren  Über- 
zeugungen scholdig,  wie  die  von  ilmen  auf  das  heftigste  bekämpften 
Gegner- 

Aber  auch  das  ist  eine  geieclile  Forderung  der  Schule  an  das 
Leben,  das*  sie  und  ihre  Vertreter,  die  Lehrer,  eut.siireclienil  gvuiir- 
digt  und  geachtet  werden.  Wii*  haben  bereits  an  anderer  Stelle  in 
einem  Aufsatze  über  die  Fortbildung  des  Lehrei-s  auf  den  wahrnehm- 
baren  Widerspruch  zwischen  den  Anibrdcrungen  an  die  Schule  und 
der  durchschnittlichen  gesellschaftlichen  Stellung  de.s  Lelu-ers  hinge- 
wiesen; aber  wir  nüLssen  es  hier  alles  Enistes  wiederholen,  dass  der 
Schule  so  lange  und  überall  da  ein  gut  Teil  ihres  Erfolges  in  Frage 
gestellt  sein  werde,  als  und  wo  der  Beruf  und  Stand  wenigstens 
des  Yolksschullelum  ein  mehr  oder  weniger  gering  geschützter  bleibe. 


üiyiiizeü  by  GoOgle 


—   671  — 


Wie  die  Eltein  und  überhaupt  die  Gresammtheit  der  sogenaunten  höher 
gebildeten  Stände  über  den  Lehrei-stand  denken  und  urtheilen,  sich  za 
ihm  verlialten,  wie  man  seine  Aofgabe  und  Leistung  taxirt,  ^\ie  man  ihn 
materiell  stellt:  dav^on  wird  und  muss  auch  der  Respeet  der  Jugend  vor 
Schule  und  Lehrei*  wesentlich  abhängen,  danach  wird  sich  demgemäß  auch 
namentlich  die  Fühi-ung  der  Schuldisciplin  sowie  der  Erfolg  des  Unter- 
richts richten  und  gestalten.  Je  mehr  die  Wissensansprüche  an  den  Volks- 
schullehrer sich  steif>-era,  je  schwieriger  die  ihm  zugemuthete  Aufgabe 
zu  lösen  \<t.  je  eintlussreicher  seine  Berufsthätigkeit  für  flas  (-Jcdeilien 
eines  Siaaies  und  Volkes  jedem  unbefangen  Urtheilenden  erschtinen 
wild,  mii  desto  mehr  "Recht  darf  dit.^  t'ordenmg  erlujben  werden,  dass 
die  iiuUerielle  wie  g"esellschaft]i('h-&uciale  Stellung  eine  entspreclieud 
würdige  sei.  Die  l)loL)e  Vertrri^^tung  des  Lehrers  auf  da^  für  inanclier- 
lei  Entbehrungen  im  Leben  entschädigende  und  erhebende  Bewusstsein, 
einer  großen  Sache,  „der  Volksbildung,  '  zu  dienen,  können  wir  duck  uui- 
als  eine  fast  Myole  Abschlagszahlung  namentlich  denjenigen  gegenüber 
anffiueeD,  die  für  sich  selber  ein  mdglicbst  gesättigtes  Dasein  begebien 
nnd  ihrerseits  auf  vorwiegend  ideelle  G&ter  venig  oder  kein  Gewicht 
legen.  Je  späHicher  wir  den  Lehrer  fßr  seine  Leistung  ablobnen, 
desto  sicherer  drängen  wir  ihn  in  lohndienerische  Vidgeschfiftigkeit 
hinein,  desto  mehr  bringen  wir  seine  nnterrichtlich-eRiehliclie  Thätig- 
keit  wie  seine  so  nöfhige  Fortbildung  in  Gefahr,  desto  mehr  schädi- 
gen wir  seine  gesellsehaftiliche  Stellnng  und  betragen  damit  schließlich 
die  Schule  nnd  unsere  Kinder  um  Frttchte,  die  wir  doch  im  Grunde 
unseres  Herzens  so  sehnlieh  herbeiwünschen. 

Wie  wir  nun  aber  im  Interesse  der  Einheitlichkeit  und  somit 
der  Wirksamkeit  der  Erziehung  ein  Zusammenwirken  von  Schule  und 
Haus  als  eine  wesentliche  Seite  der  Anforderungen  der  Schule  an  das 
Leben  herbeiwünschen  mfissen,  so  nicht  minder  das  Ineinandergreifen 
der  Bestiebungen  nnd  Ziele  der  Schulerziehuug  und  der  sonstigen 
Einflüsse,  die  sich  im  Leben  in  Betreff  der  Jugendbildung  geltend 
machen.  Es  haben  sich  also,  streng  genommen,  alle  Mündigen,  es 
hat  sich  der  Staat,  die  Kirch«',  ^oAne  jede  den  ötfentlichen  Geist  eines 
Volkes  und  Staates  mitbestimmende  Institution  ihres  wenigsten?;  in- 
directen  jWidagügischen  Einflusses  bewiisst  -/u  zeigen,  damit  eben  nicht 
eine  jähe  Kluft  zwischen  Schule  nnd  Leben  weder  vnn  jener  nocli  von 
diesem  verschuldet  werde.  Denn  so  wie  einerseits  die  Schule  die  tief- 
sten, wahrsten  und  höchsten  Bedürfnisse  des  Tieltens  —  als  eines 
nicht  stagnireuden  und  sich  ewig  in  gleichem  Kreise  bewegenden, 
sondern  fortschreiteudeu  uud  sich  unablässig  vervollkommnenden  — 


Digitized  by  Google 


—   672  — 


80  viel  an  ihr  ist  —  befriedigen  helfen  soll,  so  bedarf  auch  die  Schule 
der  allseitigen  Ergänzung  ihrer  erzieherischen  Arbeit  von  Seiten  der 
Lebensniächte,  wenn  sie  nicht  vor  eine  unmöglich  zu  lösende  Aiif;,'abp 
gestellt  sein  soll.  Gilt  e?<  doch  uicht  blos  zn  «säen  und  zu  püanze-n. 
sondern  auch  zu  beirieiJen  und  in  >  il^r  Wi  ise  zu  pttegen,  wenn  ein 
gedeihliches  Wachsthum  zu  erwaiieu  stehen  soli 


Digitized  by  Google 


Frauenbilder  ans  Pestalocilg  Lebeiskreis. 

Vm  H.  :ilot'f-Winterthur. 

(Schluss.) 

IV. 

Rosette  Niederer,  geb.  Kasthofer*). 
1779—1857. 


nter  den  Persönlichkeiten,  die,  durch  Pestalezsi  fttr  die  Sache  der  Er- 
ziehung gewoTHif-)!  nnrl  begeistert,  einen  en<!:pren  Kreis  um  ihn  bildeten,  nimmt 
Rosette  Xiech  r  *  tre]>.  K ast lioffsr,  durch  Cieist,  (ieraüth  und  reine,  selbst- 
lose Hingebung  au  die  hulien  Zwecke  des  Meistei-s  eine  hervon-agende  Stelle 
elo.  SdiickMl,  Begabung  und  inneres  Bedfirfitis  lieEen  sie  von  früh  an  die 
edleren  Gfiter  des  liObens  schätzen  und  als  das  allein  würdige  Ziel  alles  mensch- 
lichen Eingens  erkennen.  Die  Keime  des  Wahren,  Guten  und  Scliönen.  \v(  lclie 
Pestalozzi  und  dessen  Gehilfen  Muralt  und  Niederer  in  die  nach  einer  edelu 
Lebensaufgabe  suchende  Seele  der  Jiuigfrau  legten,  gingen  iu  einem  reichen, 
langen  Leben  in  8ch9n8ter  Fülle  auf  und  spendeten  Labsal,  Trost  und  Er- 
quickung den  vielen  Hunderten,  die  sieh  ihn  i  Führung  anvertrauten.  Nach 
irdischen  Gütern  Iiat  sie  nie  gestrebt:  ilir  Reich  war  nicht  von  dieser  Welt; 
ihr  Thun  war  ihr  Zweck,  nicht  Mittel.  Mühsal.  Arbeit,  Sorge,  auch  oft  Miss- 
kennung  war  ihr  ilußeres  Los.  Aber  bei  all  dem  Schweren,  welclies  das  Le- 
ben ihr  bot»  verlor  sie  nie  den  frohen  Hnth  nnd  die  tapfere  Freudigkeit,  weldie 
das  Bewnsrtadn  Terleiht,  für  die  höheren  Zwecke  der  Menschheit  zu  wirken, 
nni  Ewiores.  Fn vergängliches  zu  scliaffen.  Die  Wurfe,  die  sie  auf  ihren  67. 
(Tt  burt8tag,  drei  Jahre,  nachdem  sie  ihren  Gatten  ins  (irab  tr«'l<*gt,  gegen  das 
Ende  ihrer  segensreichen  erziel ierischeu  Thätigkeit  iu  ihr  Tagbuch  schrieb, 
sengen  von  dem  hohen  Geistesgang  der  edlen  Fran  und  von  dem  nngeheugten 
Hnth  und  '1er  Frische,  die  sie  dnrdb  alle  Lebenistttmie  hindnreh  für  ihre  Auf- 
gabe sich  bewahrt  hatte. 

Tm  Hinblick  auf  ihre  praktische  wie  sciirifti>t»'llerisfhe  Wirk??amkeit  als 
Ensieheriu  äußert  sie  sich  an  besagter  Stelle  unterm  1.  November  1840  also: 
„Bald,  Qbennorgen,  wird  mein  67.  Gebartstag  sein,  nnd  mit  Gefühlen  des 
Dankes  und  der  inneren  Erhebung  blicke  ich  auf  meine  Geirenwart.  Vergangen- 
heit und  Zukunft.  Mein  neu  begründetes  Haus  besteht  mit  Einen.  Gottes 
Hilfe  war  mir  nalif.  Ein  8chöne>r  Gf^iat  itelebt  da??  Ganze,  mir  ist  wieder  wol 
unter  meinen  Kindern.  Sie  hangen  mir  an  mit  Dank,  Liebe  und  YertraueiL 

*)  Verul.  üie  Lebens.^kizze  Rosette  Niederere  von  H.  M<'rf  in  HttnsOters  Ge» 
schichte       Schweizerischen  Volksschule.  Zürich,  Schultheis,  1882. 


Digitized  by  Google 


—   674  — 

Meine  Gfsiiiullit  it  und  Kraft  sind  so  fest,  mein  Mutli  nii.l  nipin  T'ertrauen  in 
den  Beistand  Uotte-  if^t  so  erroß,  dass  alles  Drückende  ujeiuer  Tage  da- 
durch erleichtert  wird,  lu  meiner  Vergangenheit  erblicke  ich  Schwächen  und 
Irrtbiim«r,  doch  nie  radite  ich  eii^ennfttzig  mich  selber  in  meinem  Thon; 
ich  lebte  mit  meinem  theiuen  Verewigten  treu  meiner  Aufgabe.  Ich  wollte 
und  «nrhte  das  Gute;  die  Wahrheit  war  mir  liciliL'-:  in  ••in  Strehlen  war 
uniri  tln  ilt  meiner  Aufgabe  als  Erzieherin  zugewendet;  irh  tnlilre 
mich  ein  \Verk2eug  in  der  Hand  Gottes,  aufbewahrt  zu  höhei^n  Zwecken. 
Darnm  beugte  mieh  Iceine  PrUfung.  und  jedes  Leiden  erschien  mir 
als  Schale  der  Prüfnng.  Es  kommt  nun  die  Zeit  der  Erfttllnng  dessen, 
was  in  meiner  Stele  h  ht  und  um  dessenwillen  ich  geläntert  wer'len  sollte.  0 
Gott,  mein  Gott,  iass  mich  wtirdi?  sein,  in  deinem  Dienst  zu  wirken 
und  nach  deinem  Willen  zu  vollenden.'* 

Wol  mag  der  Leser  ans  diesen  Vorbemerkungen  die  Überseagung  ge- 
schöpft ha1)en,  Rosette  Niederer,  geb.  Kast hofer  verdiene  es.  dass  ihr 
Gedächtnis  bei  der  Nachwelt  wieb  r  aufir>>fii%ht  nnd  ihr  ein  EIirenplftUEeiiea 
in  der  Geschichte  Pestalozzis  «  inirci  äiiint  werde. 

Der  Stammvat«!"  des  schweizerischen  Geschlechtes  Kasthofer  oder  Gasten« 
hofer,  Leonhard,  veriieß  im  16.  Jahrfanndert,  den  Verfolgungen  om  seines 
Olanbens  willen  zu  entgdien,  seine  Heimat  Baiern  nnd  ließ  sich  in  Aaran 
nieder.  Sein  F.nkel,  Johann  Friedrich,  siedelte  im  Jahre  1631  nach  Bern 
über  und  erwarb  sicli  da«<'lbst  das  Riirjrt  it*  cht  der  Stadt:  dessen  Enkel  Gott- 
lieb,  geb.  1725,  gest.  ibUü,  hatte  die  Hechte  studirt,  um  als  Fürsprech  sei- 
nen Mitmenschen  nützlich  sein  n  kennen.  Er  verehelichte  sich  im  Jahre  1766, 
also  im  41.  Lebensjahre  mit  Bosin»  Susann a  Chaillet  von  Hnrten  nnd 
Neuenburg.  Die  Ehe  war  mit  acht  Kindern  gesegnet.  Eines  derselben 
ptnrb  in  frühester  Jugend;  die  übrieen  vipr  Söhne  und  drei  T"»<'hter  erreichten 
alle  ein  höheres  Altei".  Das  jUugsie  dieser  Geschwister  ist  unsere  Marie  Ku- 
sette,  gebweo  dm  3.  November  1779. 

Bosette  stammte  ans  ehier  mit  hohen  Oebtesgaben  nnsgestatteten  Fa> 
müie;  auch  ihr  war  ein  reiches  Maß  davon  zu  Theil  geworden.  Sie  stand  in 
dieser  Hinsicht  wol  ilirrm  jünprstt  n.  am  /.wol  Jahrr  Sltcrrn  Bruder,  drin  .«i  ;!*^- 
ren  Forstmeister,  am  nächsten,  mit  dem  sie  auch  stets  in  innigstem  ^'erkehr 
blieb.  Nicht  minder  intim  war  ihr  VeihUtnis  m  dem  Blteatoi  Bmder  Bndoll 

Bosette  war  nach  ihrem  eigenen  Zeagnis  als  Kind  Soßeist  schwftchlich, 
blass  und  hager.  „Bald  war  ich  ungemein  fröhlich,  wieder  angemein  tranrig  und 
in  Thränen  ausbrechend,  ohne  das«;  ich  mir  bestimmte  Rechenschaft  geben  knnntp. 
warum.  \'om  14.  bis  16.  Jahre,  da  meine  körpei  liche  Entwickelung  sich  rascl»  tor- 
derte»  litt  ich  nnendlieli  viel;  oft  war  ich  der  Ohnmacht  nahe.  Sprachlos,  bewe- 
gnngsloslag  ich  oft  anf  demBoden,  von  nnnennbarenLeiden  ttberwültigt.  DiegrSBte 
Wolthat  war  es  dann  für  mich,  wenn  man  mich  ruhig  ließ,  die  filrcliterlichste  Qnal, 
wenn  man  mich  berührte  oder  aufhebt  n  wollte.''  Ab.  r  \ mi  da  an  b-  tVstiirtf  sich  ihre 
Gesundheit  in  dem  Grade,  dass  alle  Mühen,  Sorgen  und  Anstrengungen  eines  langen 
thätigen  Lebens  dieselbe  nicht  emstlich  zu  erschüttern  vermochten. 

Das  Leben  in  der  Familie  Kasthofer  bot,  da  die  Eltern  aiefa  nicht  ver^ 
standen,  manche  Schattenseiten.  Von  einer  absichtlichen,  conseqnenten  Er« 
zichnnirwar  iiirht  die  Rede.  Die  unbpabsichtigten,  gewöhnlich  entsc!ii  idt  nib>!vn 
Kiuv^irkuugeu  waren  dui-cU  die  X'erhältnisse  gegeben.  Man  ließ  die  Kinder  im 


Digitized  by  Google 


—   675  — 

Hanse  demlicb  fiwi;  sfe  konnten  than  und  lawen,  was  de  mocliten.  Aber 

waren  belastet  mit  den  Anforderungen  und  dem  Missbehageu,  welche  das  Un- 
jceordnete  eines  Hansps  nnd  das  willkürlicho  nnd  tniptctp  Thnn  mit  sich  ftihren. 
Sie  liebten  und  verehrten  die  Eltern,  namentlich  den  Vater,  waren  nber  oft 
Zeugen  dea  Zwietpaltea  awfedieii  Vater  und  Ifnttorv  nnd  ?eii  den  heftigen  Auf- 
tritten zwiedien  densellieii  manchmal  tief  enchnttert  —  „Udn  Vater*',  be- 
richtet Rosette,  „war  einer  der  besten,  krttftigsten  Menschen,  voll  der  herr- 
lichsten Aiilatron.  die  unter  günstigen  Umstunden  zu  seinem  und  der  Seinen 
Lebensglück  herangereift  wären.  Als  einziger  Sohn  im  Wolstande  erzogen, 
kennte  er  beetimmten  Widerspruch  nicht  ertragen.  Voll  Fener  und  Lebens- 
kraft, war  tt  ftirehtbar  in  den  AofwaUongen  sefaiee  so  leicht  gereizten  Ge> 
müthes;  dabtn  .ila  r  i  rfiillt  von  hoher  Engelsgäte,  för  Liebe  so  rein  empfäng- 
lich und  so  lenksam  durch  ihre  Worte;  aboi-  diese  waren  ihra  so  karg-  znv:^- 
tbeilt.  Es  fehlte  die  Hand  der  Lielie.  ilic  alles  aus  ihm  hätte  bilden  können, 
was  nur  die  Liebe  zu  bilden  vermag.  Der  Mutter  fehlte  jeder  vernünftige 
Begriff  einer  richtigen  Haushaltungsftthrung.  Fflr*  sich  lebte  sie  einfiuih  nnd 
eingexogoi,  wachte  treu  über  die  physische  Erziehung  der  Kinder;  am  Willen, 
mehr  zTi  rlmn.  fohlte  es  nicht,  aber  am  Verständnis.  Sie  hatt»;  schöne  Anlagen: 
trfrtliultu  Alutterwitz,  Kraft,  Thätigkeit,  aber  sie  blieben  nnausgebildet,  miss« 
leitet,  verkrüppelt,  Ihre  Führer  handelten  nach  dem  Gi-imdsatze:  Mädchen 
mHssen  anBer  Spbnen  und  Kochen  nichts,  gar  nichts  wissen.  So  war  sie  im 
Streit  und  Widerspruch  groß  geworden  mit  aller  Leidensciiaftllchkeit  einer 
kraftvollen  Natiu'.  erfüllt  mit  Bittcrk-  it  pejren  ihre  Umgebung,  ohne  Erkennt- 
nis, entbioiit  von  iimeren  Hiitsiiuellen,  ohne  Ergebung  in  ihr  Schicksal,  ewig 
onzufriedcn,  voll  Vorwürfe  fiir  ilue  Umgebung,  die  sie  nur  als  Quäler  und  als 
Urheher  ihrer  Sorgen  und  Beschwerden  ansaii." 

Die  Geschwister  standen  im  besten  Verhältnis  untereinander.  Die  Ute- 
ren  erwiesen  «ich  voll  anfopfernder  TJebc  gegen  die  jiiiisreren;  und  ans  der 
That.«at:he,  dass  aus  jedem  d»  r  si.  ben  Kinder  etwas  Rechtes  geworden,  jedes 
seine  Lebensaufgabe  ehrenhaft  erfüllt  hat,  folgt  der  unabweisbai'e  Rückscliluss, 
dass  das  innerste  Wesen  der  Eltern  tttchtig,  echt  und  gut  war. 

Rosette  war  nahem  zehn  Jahre  alt,  als  der  Vater  zum  Spitalverwalter 
ernannt  wurde.  „Wir  bezogen",  erzählt  sie,  eine  der  seliHnsten  Wohnungen. 
T'ie  lierrliche  Aussieht,  für  deren  Schönheit  i(  Ii  schon  erapfiinglich  war,  ge- 
dehnte IVrrassen  und  UUrten  —  und  muntere  Crespieliunen  waren  nun  meines 
Lebens  Freode.  Zwar  wich  das  Drückende  im  häuslichen  Kreise  nicht,  aber 
der  Erfolg  von  anfien  war  groß  nnd  das  Gleichgewicht  zwischen  Schmerz  und 
Gennss  hergestellt.  Der  Wirkimgskreis,  d«  r  meim  rn  Au(^e  sicli  aufschloss, 
war  groß:  Stebenzig-  Kranke,  nnd  die  Waehsaiiikrit  und  Sr.rß-falt  so  vieler 
Menschen  um  ihr  Woi,  ihre  Nahrung  und  Pflege,  dieser  grobe  Schauplatz 
menschlichen  Elends  und  lielliger  Verpflichtung  zur  Milderung  desselben.  Hei- 
ner  Mutter  rastlose,  wenn  schon  nicht  zweckmäßige  Thätigkeit,  die  menschen- 
freundliche Sorgfalt  und  überall  weise  und  kraftvnll  <  iir-reif.  iide  Tliiitigkeit 
meiner  älteren  Schwester,  welche  die  eigentliche  Verwaltung  der  Ökonomie  tTihrte 
und  ihrer  großen  Aufgabe  ganz  gewachsen  war*),  und  meines  Vaters  über 


*)  Katharina  Margaritha  Susanna,  geh.  1769.  SSe  heinthete  qpAter 
FAuncr  Daniel  Hunsiker  in  Kifdidozf,  Kant.  Bern,  und  starb  hoehbetagt  1853. 


Digitized  by  Google 


allmi  Begriff  gewissenhafte  Verwaltung  seines  Amtes,  der  Verkehr  init  Mea- 

sehen  am  allen  St.lndpn.  die  gTf*^''<'^n  Erf.ilirnn^en.  tlie  «ich  fast  t;l^Hch  v^r 
jueineu  Augen  entwickelten,  turderten  ungemein  imd  enveiierten  den  geistigen 
Horizont*' 

„Bald,  sehr  bald,  flnges  fBr  mich  die  Schidqnalen  ao.   Ton  den  hftallgea 

Schreckensscenen  im  Hause  ward  ich  nun  für  sieben  Stunden  des  Tages  ent^ 
fernt  und  in  ein  enges  Schulzimmer  mit  etwa  80  Kind*»m  cre^perrt.  nnd  zwar, 
um  nnch  oniixirt'ndpren  Scenen  beizuwohnen.  Zwei  Fiuieu  walteteu  fürchter- 
lich mit  den  Kindern,  und  um  eines  Gedächtnisfehlers  willen  wurde  oft  das 
Haar  der  Kinder  om  die  wttthende  Hand  dar  Ldirerin  gewielcdt  and  der  Kopf 
an  den  WJblden  blutig  geschlagen.'* 

Waren  dif^  Fifuhte  ihres  Schulunten  ichtos  nur  gerins:  ^'^  war  der  tüg- 
liclie  Umgang  mit  ibreu  strebsamen  und  i-eit  Ii  begabten  Hindern  um  so  tor- 
demder.  Dieser  brachte  dem  an  Geist  und  Gemüth  so  tiedlich  ausg^tatteteu 
Uädchen  großen  Gewinn  an  Anregungen,  Einsieht  in  nuadierlei  Yerhlltniflae, 
wie  an  Koinüiiflsen. 

Pass  die  heranwaclisende  Jimgfrau  so  früh  selum  nach  einer  großen,  wür- 
digen Lebensautifabe  sich  sehnte  und  umsah,  ist  wol  wesentlich  durch  das 
Vorbild,  das  die  erwälinte  ältere  Schwester  ihr  darbot,  mit  veriuüasst. 

Durch  Vermittlnng  Reng gers  werde  ihr  ältester  Bruder  Bndolf  schon 
1800  mit  Pestalozzi  bekannt,  der  dann  ab  und  na  die  Famüie  Kasthofer 
besuchte  und  5=0  auch  Rosette  kennen  lernte. 

Als  Vater  KastUofer  18U3  starb,  bestand  die  Familie  nur  noch  ans  der 
erblindeten  ^lütter,  dem  ältesten  Sühne  und  Hosette.  Die  andei'en  Uriider 
waren  in  Bemfistndien  abwesend,  dieSehwestemTerheirathet,  die  swdt jüngste, 
Juliane  Margaritha,  an  Ffiurer  H.  WyS  in  Mnnchenbuchsee.  Rudolf  blieb 
mit  ^Mutter  nnd  Schwester  nodi  ein  Jahr  in  Bern,  dann  siedelte  er  mit  den 
S(  inen  naeh  Aarau  über,  wo  man  ihm  die  Stelle  eines  Staatswhreibers  über- 
trug. Im  Jahre  1804  besuchte  Bosette  ihre  Schwestern  in  Kirchdorf  tmd 
Uünebenbachsee.  .  Am  letrteren  Orte  liatte  sie  Cklegenhrat  nnd  benntite  die- 
selbe eifrig,  die  pestalozzische  Anstalt,  die  Im  Schlosse  nahe  am  P£urtiaiis 
untergebracht  war,  nflher  kennen  zu  lernen. 

Sie  begeisterte  sieli  für  das  große  Werk  der  Jugend- und  Armenerziehung. 
Pestalozzi  selbst  traf  sie  hier  nicht,  er  war  sciion  nach  Iferten  gegangen, 
aber  Hnralt  ertheilte  ihr  im  Pfarrhans  auf  ihrem  Zimmer  Privatunterricht 
in  der  Hethode,  die  ilir  ganz  neue  Gesichtspunkte  eröffnete  und  sie  mitchtig 
anretjte.  Auch  entwickelte  ^kh  zwischen  ihr  und  Muralt  »  in  wannes  Freund- 
schattsverliiiltni«!.  dessen  Innigkeit  im  Laufe  der  Jahre  und  Erfahraug  Bkh 
stets  gleich  blieb. 

Aber  sofbrt  ihrer  Neigung  xa  fblgen  und  der  JugendenidHing  aidi  an 
widmen,  gestatteten  die  VerhBltnlsse  nicht  Die  kindliche  Pftieht  rief  sie  naeh 

Aaran  znr  Pflege  ihrer  Mutter  zurück.  Im  Jahre  1806  verheirathete  sich  ilir 
Bruder  Rudolf  mit  Luise  Strauß  ron  Lenzbuie.  deren  Vater  in  St.  Germaiu 
bei  Paris  als  Kaufinann  etablirt  war.  Die  häuslichen  Ftiichten  wurden  da- 
durch getheilt,  Bosette  war  tnkit.  Hire  HnAe  benntite  sie  zu  weiterer  gei- 
stiger Ausbiidung,  sie  Iss  yiel,  doch  nicht»  um  sn  sehen,  „ob  der  Hann  die 
Gretfae  bekomme,"  sondern  um  den  C^ist  zu  bereichem  und  sich  zu  veredeln. 
Zu  dieser  Zeit  bot  ihr  ein  reicher  Hann  seine  Hand  zum  eheiidien  Bande. 


Digitized  by  Google 


—  677  — 

Aber  sie  kann  sich  nicht  entschließen,  dieselbe  anzunehmen,  Sie  will  und 
sncht  ein  Höheies  als  glänzende  Lebensatellung  nnd  Reichthnm.  „Nahe  vor 
mir*',  schreibt  sie,  „Ue^ep  große  Scheidewege;  ernst  und  wichtig  ist  dei- Scliritt, 
der  hierhin  oder  doitliiii  mich  Iflükth  Sdum  ipricht'i  mich  an»  mit  aller  Kraft 
hierhin  und  nidit  dnrthhi  za  Stenern.  Meine  Wahl  tet  nidk  auKwprocheBt 
aher  stUl  in  mir  ist  sie  entschieden  ....  Kann,  soll  ich  mich  hingeben  einem 
Manne,  der  mir  gibt,  was  mir  fehlt:  GiAd'f  >h-v  mich  hinabziehen  wUrde  \n 
den  unbezwingbaren  Strom  des  —  GefUlü  und  Kräfte  zerstörenden  —  Lebens- 
Schlendrians  nnd  mir  kein  hSheies  Glück  bieten  könnte  als  das,  was  in  diesem 
niedrigen  Stroms  an  eijagsn  ist?  —  O  ndn,  ich  kann  nnd  soll  es  nicht.  — 
Ach,  nidit  verloren  im  Weltall  mag  ich  ein  zweckloses  Leben  verleben.  Ein 
anderer  Weer  öflFnet  sich  mir.  Er  fiihrt  zn  höherer  SelbstltiMnn<r,  dann  znr 
^litwirkong  an  der  Menschenbildong  —  und  wankellos  werde  ich  dahin  meine 
Schritte  leiten.'* 

,  Jch  irül  II ntt«r  sehi  fremden  Elndenif  nnd  rastlos  ivül  idi  arbeiten',  nm 

fremdes  Wol  zu  be\v'irken,  damit  einst  eigenes  Wol  midi  lohne  nnd  jeden  Ge- 
danken verfehlter  Bestimmnng'  zernichte,  l'nd  wenn  mir  graut  vor  meiner 
Entscheidung,  die  mich  lünaus  wiitt  in  die  fremde  Welt,  in  den  Strudel  gröl)erer 
^Virksamkeit,  wenn  mir's  sdiwinddt,  da  zu  stehen  allein,  ohne  sichtbaren  Schutz, 
dann  will  ich  rttckwirts  hlioken  avf  alle  vergangenen  Tage,  damit  ich  ver- 
tränen  lerne  dem,  der  mir  am  jeder  Prüfung  auch  Kraft  gegeben.'' 

Das  sind  nicht  Plirasen,  das  sind  feste  Entschlüsse,  ^fasst  in  ernster 
Stunde.  Mit  Bewunderung  und  Verelirunf?  schauen  wir  auf  die  Jungfrau, 
die  einem  angenelunen,  bequemen  Leben  im  dchoße  des  Eeichthums  die  MUlie 
nnd  Sorge  der  Arbeit  im  Dienste  der  Menschheit  vorzieht,  und  erheben  nns 
sdber  an  dem  Adel  einer  solchen  Seele. 

Bald  sollte  sich  ihr  anch  ein  ihr  ansagender  Wirknngskreis  er^ifueo. 
Die  Sache  kam  so: 

Im  Jahre  1804  zog  Pestalozzi  mit  drei  seiner  Lehiei-  und  einigen  Zög- 
lingen nadk  Iferten  in  das  nnnmehr  der  Stadt  angehörende  Sehloss,  wohhi  ihm 
im  Jalire  1805  die  ganze  Anstalt  von  Münchenbuchsee  nachfolgte. 

Neben  dem  Institut  für  Knaben  stand  unter  Pestalozzis  Leitung  auch  eine 
ErziehnnCTanstalt  für  MSdchen,  wclciie  PSOü  von  zweien  seiner  Lehrer,  Krüsi 
und  Hupf,  eröduet  und  dann  jenem  übergeben  wuide.  Es  war  dieselbe  in 
einem  besonderen  Oebände  in  dm-  Stadt  nntergebracht.  Hit  dem  Knaben« 
Institut  war  sie  in  der  Weise  verbunden,  dass  der  Mud«  lienontOTricht  von  den 
Lehrern  desselben  ertheilt  und  die  Gesammtkosten  dos  liauslialts  ans  der  Casse 
im  Schlosse  bestritten  wurden,  in  welche  dagegen  die  Pt  iisionsgelder  tiir  T<5cli- 
ter  flössen.  Den  äußeren  Hausiiait  leitete  und  überwachte  Frau  Custer, 
Pestaloziis  Sohnsfran,  Hntter  seines  Enkels  Gottlieb,  die,  von  ihrem  Manne 
nnterstützt,  ebenso  treu  fiir  die  leibliche  Pflege  derMSdcheufamllie  sorgte,  wie  sie  es 
eintet  in  P>nrgdorf  für  die  frroße  Anstalt  g-ethan  hatte.  Für  die  ]»ädagogische 
Lt'itnn^  war  eine  besondere  Erzielieriu  angestellt.  r)ie  l'erson  jedoch,  auf 
welche  die  erste  Wahl  gefallen  war,  stand  nicht  auf  der  Höhe  ihrer  Aufgabe, 
weder  an  Kenntnissen  nnd  Einsieht,  noch  an  Charakter  nnd  Gesinnung.  Es 
rnnsste,  soUte  nicht  großer  sittlicher  Schaden  entstehen,  für  bessere  Fttlirnng 
gesorgt  werden.  Pestalozzi  war  nicht  lange  im  Zweifel,  wo  dieselbe  zu 
finden  seL    Seit  seiner  ersten  Bekanntschaft  mit  Kosette  Kasthofer  stand 


Digitized  by  Google 


—   678  — 


er  mit  derselTien  in  1)iioflichein  Verkehr.  Rosettr-ns  Verhältnis  tth  ilitn 
staltptf»  sich  immer  mehr  als  das  des  kindlichen  Vertmnens  zn  ein»  m  Fivunde, 
dein  c^ie  alle  Ang^'legenheiteu  ihres  Lebens  mittheilte  und  Ilm  dai  Ub«r  um  Rath 
fragte;  dem  sie  ihre  Oedankoi  und  Oefllhle  offenbarte  und  eich  toq  ihm  Auf* 
schliue  darfiber  erbat.  Ihr  innerer  Beruf  snr  Erzieherin  entschied  sich  dnrA 
diese  gppfcnseitigen  Mittheiluiitjen  ininipr  mehr,  worfllior  Pestalozzi  sehr  er- 
freut war.  „Frenndin,"  schrieb  er  ihr  u.  a.  nacJi  Aarau.  ..icli  danke  Gott  fnr 
Ihre  Anhänglichkeit  an  meine  Methode,  wie  ich  ihm  tiir  weniges»  das  ich  aui' 
Erden  genielte,  danke.  Ste  werd«i  die  lCethode  Ihrem  Geeddeehte  geben; 
Ihre  Ansichten  sind  mit  dem,  was  in  derselben  wirklich  geleistet  wird,  so  über- 
einstinimeiKl  und  ticifen  sn  vollkommfn  mit  den  Bedürfnissen  der  Vorscliritt?' 
derselben  selbst  ein.  dass  ich  Ihnen  den  Grad  meiner  Hoffnung  und  meiner 
Frende.  Sie  auf  dieser  Laufbahn  zu  sehen,  nicht  ausdräckeu  kauu.'' 

„Liebe,  Edtel  Sie  machen  mich  glttcklieh.  Der  Traum  der  Eindrficke 
Ihres  Thuns  and  die  Erinnerang  der  Hoflhnng,  die  Sie  in  mir  rege  gemaeht, 
hnben  sich  mit  allem  meinem  Sein,  Tlinn  und  Streben  ganz  verwoben.  Ich 
kann  mein  Thun  und  meine  Zwecke  nicht  mehr  außer  Verbindung  mit  Ilui'ii 
und  Ihrem  Thon  denken  und  fühlen.  Gute,  Edle!  Ich  genieße  in  meinem 
Alter  ein  benddenewotes  Glack;  das  Wesen  dieses  Glückes  ist  von  allem 
ÄnSerlichen  nnabhüngend;  dennoch  senden  Sie  mir  xn  Zeiten  einige 
Zeilen.  Wenn  unser  Glück  auch  noch  80  groB:  das  lAcheln  seiner  Neben- 
menschen  ist  dennoch  er<inirkend." 

Im  Jahre  180Ö  siedelte  die  blinde  Mutter  zu  ihrer  Tochter  ins  Ffarrhaos 
Kirchdorf  Uber.   Von  dieser  S^  war  nun  Bosette  ganz  frei 

Da  erhielt  sie  im  Hai  dieses  Jahres  von  Jnngflran  Bny  hi  Orandson,  mit 
der  sie  seit  1801  innig  befreundet  war,  eine  Einladung,  zu  ihr  zu  kommen, 
um  einige  Kinder  von  beidseitigen  Freunden  und  Verwandten  remeinsnm  mit 
ihr  zu  erziehen.  Aber  so  sehr  Rosette  sich  freuen  würde,  mit  ihrer  Freundin 
nnter  ein^  Dache  zn  leben  und  an  einer  so  schOncn  An^be  sich  an  be- 
theiligen: rie  lehnt  dennoch  ab,  vorsSglieh  ans  dem  Onmde,  weil  sie  sieh  fir 
eine  solche  Aufgabe  noch  nicht  ffir  befthigt  hält.  „Was  würden  Jungfer  Raj 
und  ich  gemt  inschaftlich  beginnen?"*  schreibt  sie  am  3.  Juli  an  Pestnlnzri. 
„Kinder  unterrichten!  Und  wie?  In  Rirer  Metbode,  sagt  sie.  Gut,  in  Ihrer 
Methode,  die  wir  selbst  nicht  kenneu.  Unter  Anleitung  —  freilich.  Aber 
ach,  wenn  ich  dem  sdiwschen,  hilftibedflrftigen  Kinde  nur  eine  Hand  bieten 
kann,  um  mit  der  andern* mir  selbst  mrihsini  durchznhelfen  — dann  ist  meine 
Führung  ohne  Sirlierln  it,  mein  (  J.nip:  srliwankend  und  langsam.  Wahr  ist's, 
der  Lehrer  lernt,  iudem  er  lehrt.  Allein,  wer  mit  Ehren  als  solcher  auftreten 
will,  muss  gleichwol  auf  einer  Stufe  von  Kenntnissen  stehen,  die  noch  un- 
erreicht, weit  ob  mir  steht  Das  Wenige,  so  idi  (an  VermSgeo)  besitxe.  will 
icli  branchen,  nm  ein  Jahr  oder  mehr  noch  mich  frei  und  unabhängig  dem 
Krli-rnen  Ihrer  "Methode  zu  widmen,  um  dann  als  brauolibarcr  Mfuseii  mir 
selbst  iortzuhellea  unter  Ihrer  Leitung  und  die  Stelle  meines  Wirkens  da  zu 
suchen,  wo  Sie  glauben,  dass  es  recht  ist." 

Znr  Erweitemng  ihrer  Kenntnisse  nnd  liebensansdiannngen  Ibigte  sie 
noch  im  Juli  einer  Einladung  der  Familie  Strauß  nach  St.  Germain  zn  einem 
kurzem  Aufenthalt.  Paiis  befriedigte  sie  wenig,  dagegen  fOlilte  sie  sich  bei 
den  Verwandten  sehr  woL 


1 


Digitized  by  Google 


—    679  — 


Efai  Briif  Pestalozsis  rief  ale  in  die  Heimat  xaxVmäL 

„Freundin,  ich  bedarf  Ihrer  Hilfe,  mein  Mädcheninstitnt  ^eht 
nicht  ohne  eine  Person  von  höhern  Ansichten,  nnd  Ihr  Wille.  dieM«»- 
t  Ii  Olle  vollendet  kennen  zu  lernen,  stimmt  mit  den  jetzigen  Bedürfnissen  meiner 
Lage  vollkommen  überein.  Ich  will  Ihn^  dnrdi  eine  Verbindung  mit  meiner 
Anstalt  keine  Woltliat  ttran^  aber  idi  will  Ihnen  aneh  die  Wolthaten,  die  Sie 
mir  dnndi  diese  Verbindung  thnn  werden,  nicht  nnvergolten  lassen.  Wir 
wollen  gfeg-enseiti?  mit  ffleicliou  Gesirmnnisren  handeln.  Sip  kennen  meine 
Zwecke  und  ich  will  die  Ilirigen  fördern."  Und:  „Deine  Theiluahme,  Freundin, 
ist  jetzt  ffir  Dich  ein  sicheres  Los.  Du  findest,  was  Deiner  wert  ist,  nnd 
wenn  Dn  das»  was  Dn  schon  hast,  zn  dem,  was  Dir  die  H efhode  gewiss  geben 
wird,  hinzusetzest  —  so  bist  Du  eine  der  vollendetsten  Personen,  auf  die  ich 
meiner  Methode  halber  meine  Hoffnung:  baue.  Du  wirst  mehr  im  Ganzen 
finden,  als  Du  eiwartest.  ,  Im  Einzelnen  erhebst  Du  Dich  über  die  Schwächen 
den  ^{omeutes,  über  die  sich  mein  Werk  noch  nicht  erheben  konnte.  Die  Art, 
wie  wir  neböi  einander  wohnen  werden,  wfliilest  Dn  dann  selbst,  wenn  Da 
die  Umstände  und  Umgebungen  alle  selber  gesehen. 

Ende  September  reiste  Rosette  in  Begleitung  des  Knaben  Albert 
Strauii,  den  sie  der  pestalozzischea  Anstalt  in  Iferten  znzafdliren  hatte,  von 
St.  Germain  ab. 

Pestaloszi  war  sehr  erfrevt,  sie  bei  sidi  an  sehen.  Es  n^nickte  sein 

Herz,  dass  sie  ihn  als  Vater  begrüßte.  Sie  blieb  jedodi  nur  wenige  Tage  nnd 
beg-ab  sich,  um  sich  von  den  Strapazen  der  langen  und  niilhsameii  Eeise  zu 
erholen,  fnr  einige  Zeit  zu  ihrer  geliebten  Ray  nach  Grandson.  Bald  folgte 
ihr  ein  Brief  Pet>taloz;{is  nach. 

^Dn  sagtest  mir  Vater;  Da  gabst  mir  das  Beeht;  ich  sage  Dir  Tochter^ 
der  Name,  den  Du  mir  gabst,  macht  mich  glücklich,  wenn  Gtott  oder  Da  mir 
Gt-lepfnheit  geben,  ein  Scherflein  zum  Omck  Deines  Herzens  bciztitraieren. 
Wiirt'  \fh  in  die  Grenzen  meiner  »dentiige  beschränkt,  ich  würde  zweifeln 
und  turdiLeu,  diese«  Glück  sei  mii-  nicht  beschieden.  Aber  das  Auge  Deiner 
Hofflinng  wirift  sich  gegen  midi  hin,  wdl  Da  mich  nicht  Innert  diesen  Grennen 
denkst.  Nein,  ich  lebe  in  den  Ifeinlgai  nnd  in  meinem  Werk,  nnd  dessen  bin 
ich  wie  meines  Lebens  gewiss:  mein  Werk  wird  das  r)einig:e  sf^in,  und  die 
Meinigen,  sie  wissen  e.s  nicht,  sie  ahnen  es  uiciit,  aber  sie  werden  die  Deinigen 
sein,  und  dann  —  dann,  wenn  ich  schluinmre  nnd  in  den  Armen  des  Todes 
der  Welt  entrissen  bin,  dann,  dann  wirst  Dn  Dich  immer  noch 
frenen  und  Segen  finden  in  der  Ausführung  eines  Werkes,  dessen 
erste  Alnuinp^'en  Dein  Herz  also  erlit-ben,  dass  sie  Dich  den  Vatcr- 
uamen  gegen  mich  aussprechen  machen.  Dank,  ewifj:er  Dank,  für  das 
mich  so  beseligende  Wort,  und  nimm  so  froh,  so  innig  mein  Gegeuwort  an. 
Heine  Tochter,  der  Einflass,  den  Da  anf  mein  Thnn  haben  kannst  nnd  haben 
wirst  nnd  dessen  Kraft  Gott  so  rein  und  so  hehr  in  Dich  gelegt  hat,  ist  ein 
Trost  meines  Todbettes,  der  dem  Tröste  gleicht,  den  der  Einfluss  df-r  edclstt-n. 
besten  meiner  Sfthne  diesem  Todbett  gewähren  wird.  Macli  mir  nt't  Freuden, 
wie  die  ist,  dass  Dn  jetzt  einige  Zeilen  von  mir  forderst  nnd  so  veranlassest. 
Dir  «n  sagen,  was  mein  gehMnrater  Ifnnd  nicht  frei  nnd  leicht  also  ansge- 
sproehen  hätte," 

Die  Antwort  Rosette  Kasthofers  anf  diesen  Brief,  d.  d.  22.NoYember 

Padafocivai.  i.  Jahq|U(.  Heft  XL  44 


Digitized  by  Google 


—  680  — 


180S.  ist  <  in  tirner.  klarer  Spiegel  ihres  innern  Leiwens  und  Strebf'ns  und  zeiirt, 
in  weichem  isinne  sie  die  Aufarabe  erfasst.  der  sie  entgegen  gelit.  Dieser  boln  n 
AofifassoDg  ist  sie  ihr  ganzes  Leben  hindm-ch  ohne  Wanken  treu  geblieben,  nnd 
nie  hfttte  jraiand  Unaehe  gelbäbt,  sie  n  fhigen:  Wo  ift  deine  «rtle  liebe  bin? 

„Wo  eind  die  GefBUe",  lehnlbt  lie,  „die  dae  liebende  Kind  nicht  gerne 
dem  geliebten  Vater  mittheilen  möchte?  Ich  kenne  sie  nicht!  Guter  Vater, 
und  nun  gan^  mein  Vater,  da  Sit-  m\c\i  nh  Ihre  Tochter  erkannt.  Mein  Ver- 
trauen zu  Ihnen  ist  das  des  liebenden  Kinde^i,  das  gehoben  durch  Ihre  Gegen- 
liebe begl&ckt,  beseligt  sich  fOhlt  in  diesem  VerCnnen.'' 

„Gtekttflpft  dnrdi  VeriUÜtninet  die  Sie  kennen,  nn  WeltTerUndnngeD,  die 
nur  eitel  glänzende,  keine  befriedigenden  Seiten  mir  bieten  — .  ehemals  thätig 
in  großem  ^''irkungskreis,  aber  gedrückt  durch  Umstände,  nnter  denen  meine 
Kittfte  erlagen;  heute  beschäftigt  mit  dem  Tand  jener  Verbindui^en^  der  mieh 
leer  läset  in  der  FMle  meiner  Wünsche,  und  mit  ErflQliuig  der  Fftlditen  im 
bftuUdien  Erelie,  die  mieh  lange  nieht  gaonag  eifUit  nnd  ftber  deren  Grenien 
mich  die  Kraft  voller  Gesundheit,  vereint  mit  warmer  Thätigkeitsliebe,  weit, 
vfir  1iinau8tra?en;  bedroht  in  der  Zukunft  durch  Gründe  von  t^-^n  T*m>;tlliiden 
erzeugt,  mit  fetsieni  Banden  an  diese  Welt,  die  nie  meine  Weit  sein  kann, 
gekettet  zu  werden,  suchte  ich  Rettung  bei  meiner  Vernunft,  die  mir  gebot, 
einen  böbern  Zweck  meinem  Daeein  an  aaeben,  damit  ieb  tliätfg  nnd 
wirksam  diesem  hohem  Zwecke  entgegen  arbeitend,  statt  mich  fester  zn 
knüpfen  an  diese  Welt,  in  der  nichts  mich  erbebt,  mich  loewindea  kOnne, 
um  diese  Verbindungen  gegen  wüidigere  zu  tauscheu." 

„Ich  kannte  Sie,  mein  Vater,  zwar  damals  wenig  peraSnUdi;  allein  der 
Eindrocfc,  dm  Sie,  Ibr  Werk,  seine  Anacbannng  nnd  die  ÄnAernngen  der 
Wirkungra  desselben  auf  mich  gemacht,  hallte  tief  wieder,  so  wie  es 
durchs  ganze  Leben  ballen  wird,  in  meiner  Seele.  Unter  Ihrer  Lfi- 
tnn^  wirken  zu  können,  war  mein  Wunsch.  Doch  seiner  Erfüllung  sah  ich 
nui'  iu  schwachem  Licht  entg^en.  Ich  sah  nicht,  dass  weibliche  Hilfe  mit 
Kraft  in  Ansprach  genommen  wurde,  nnd  glaubte  sie  entbehrlich.  Doch  der 
Kuh  bedürftig  nach  StOnnen,  aab  idi  in  Ruh  audi  der  Zukunft  entgegen,  die 
mich  belehren  sollte.  Sie  kamen  nach  Aarau,  sprachen  offen  mit  mir  von 
Ihren  Planen,  und  wie  sehr  mich  die  Mittheilnn?  derselben,  sowie  die  Ansicht 
ihier  t'ui-  die  Meusehlieit  unausbleiblichen  wolthätigen  Folgen  ergriffen,  wissen 
Sie  eelbet" 

„Doch  nicht  diese  Ansicht  allein:  der  feurige  Wunsch,  hier  mit- 
wirken r.n  können,  die  Gewis.<.heit.  hier  den  Zweck  gefunden  zu  haben, 
den  die  Vernunft  mir  zu  nuciien  ^ebot,  —  das  alles  wirkte  so  sehr  auf 
mich,  dass,  hätten  nicht  duich  die  Natur  geheiligte  PÜichteu  mich  gebunden, 
ieb  «dum  damals  gesagt  hfttte:  O,  Vater,  nimm  bin  Dein  Kind  mit  seinen 
KrUften,  Wünschen  und  Hoffhungen  und  leite  es  n  Deinem  Zweck!  .  .  .  Jene 
I*flichten  sind  nicht  aufgelöst,  allein  Mi  fanpe  an  zu  plauben.  da.<s  si*^  nicht 
das  gänzliche  Opfer  meiner  selbst  furdern.  dass  ihr«'  Krtüllung  nicht  meine 
Bestimmung  allein  sein  sollte.  Und  weil  ich  das  fühlte,  so  sag  ick  heute  zu 
Ihnen:  Nehmen  Sie  Ibr  Kind  in  Anspmeh,  o  mein  Vater!  Unter  Ibnr  Leitung 
\\h\l  ihm  wol  werden!  ...  Sie  kennen  meine  Verhältnisse,  mein  Hein,  meine 
Kj'üt'te!  AVas  ich  kann  und  niclit  1;nnn.  bestimmen  Ihre  Einsichten  weit  bes<>"r 
als  die  meinigeu,  und  meine  gänzliche  Ruhe  hierüber  gründet  sich  auf  mein 


üiyiiizeü  by  Google 


—   681  — 


0UizUcbe8  Vertrauen!  .  .  .    Wahrlich,  wer  sein  Sddekflal  der  Leitung:  eines 

solchen  Vaters  vertrauen  kann.  »Ir^rf  ruhig  träumen  im  Tranm  seines  Lebens; 
sein  Erwachen  umss  Glück  äeiu  ...  0,  dass  Ihre  Hoäjinugeu  einst  in  Er- 
füllung gehen  möchten  an  Ihrem  Kinde. 

Bosette  Kastliofer." 

Im  December  1808  bezog  Rosette  Kasthofer  eine  Privatwohnnnir  in 
Ifeiteu  und  saß  nun  im  Mittelpunkt  des  pädae-opischen  Lebens  und  Treibens, 
nach  dessen  Anblick  üie  sich  so  lange  gei>ekut,  wm  in  täglichem  unmittelbarem 
Yerkelir  mit  ihrem  Tftterlieiiea  Freunde  nnd  lieea  ddi  doreh  die  Ten  ihm  aus- 
strömende Licht-  und  Liebeskraft  erleuchten  und  durchwärmen.  Mit  klarem 
Blick  durchschaute  sie  die  Verhältnisse  im  Schlosse  wie  in  der  Mädchen- 
«rzieliung^sanstalt.  Den  ganzen  Winter  hindurch  blieb  sie  mit  Pestalozzis 
Zuäiimmuug  in  dieser  beobachtenden,  nubefaugeueu  Stellung,  besuchte  jedoch 
ildAigr  die  Unterriditsstaiid«!,  nameniUch  die  ihres  Freundes  Haralt  Am 
1.  April  1809  wurde  die  bisherige  Hauptlehrerin  der  Mädchenanstalt  entlasBen 
und  Kost'tte  übernahm  anf  den  Wuns*:!:  T'-^stalozzis  und  mit  Zustimmung 
ihres  Bruders,  des  Staat8schr«^iber8  Iva^thofer  in  Aarau,  die  pädagogische 
Leitung  des  Instituts.  Da  Frau  üuster  auch  fernerhin  den  Haushalt  besorgte, 
"blieb  Rosette  Kasthofer  vorderhand  in  ihrer  bisherigen  Wohnung,  bektetigte 
sich  selber,  blieb  nnr  den  Tag  über  in  der  Anstalt.  Pestalozzi  sagte  ihr 
«ine  jährliche  Remnii'^rntion  von  24  Louisd'or  (=  Frcs.  560  n.  W.)  zu.  Die 
Last,  die  sie  übernahm,  war  sehr  groß.  Es  galt,  nicht  nur  den  Unterricht 
besser  zu  organisiren,  sondern  den  Öeist  des  Hauses  umzuschaffen. 

Die  eretere  An%abe  war  die  schwerere.  Den  Leltrem,  welche  von  der 
Knabenanstalt  herübeihamea,  mangelten  nicht  selten  die  nOthigoi  Kenntnisse, 
sie  fuhren  planlos  m  den  ihnen  fibertragenen  Filclicm  hemm,  s<»  dass  von  einem 
geordneten  Gang  des  Unterrichts  wenig  die  Rede  wnr  inul  di>'  ^Ifldchen  iliie 
Zeit  fruchtl(^  verloren.  Im  Kampfe  gegen  diese  Unordnung  stand  bie  allein. 
Hnralt,  an  dem  sie  noch  am  ehesten  eine  Stiitse  gehabt  hfttte,  verließ  schon 
1810  Iferten.  Pestalozzi  und  Niederer  aber  kamen  ihr  wenig  oder  gar 
nicht  zu  Hilfe.  Sie  klagt  Muralt.  mit  dem  sie  fortwährend  in  lebhaftem 
brieflvrhpn  Verkelir  blieb,  am  29  JVtobpr  1H11:  ..Die  Last  eines  schwer  durch- 
lebten Jahres  ruht  auf  mir.  ich  war  sehr  thätig  in  meinem  Wirkungskreis, 
aber  anch  sehr  einsam  nnd  veriassim.  Pestalozxi  and  Niederer  betraten 
unsere  Anstalt  nie,  als  um  sich  darin  zu  zerstrenen  nnd  von  iliren  G^esehÜteik 
mid  Mühen  ansznruhen.  Noch  nie  hat  finer  von  beiden  eine  einzige  Unterrichts- 
stunde besucht,  nt^li  nie  .sich  bekümmert,  was  bei  uns  betrieben  und  nicht  be- 
trieben wird;  ob  der  Unterricht  nach  Pestalozzis  Ideen  oder  auf  welche  Art 
gegeben  werde.  Was  ich  thne  nnd  nicht  tfane»  das  scheint  ihnen  gleichviel, 
üttd  wenn  ich  aUer  Hemmung-  nnd  aller  Ifissbrftnche  müde,  allein  mich  ihnen 
entgegensetze  und  endlich  nothgedningcn  ihnen  erkläre :  So  und  so  ist'.s,  wollt 
ihr  mir  helfen?  Daun  sagt  Pestalozzi:  Ja,  es  muss  anders  werden,  diesen 
Abend  wollen  wir  nns  versammeln  nnd  darüber  sprechen.  Aber  dabei  bieibt'a 
MdL  Seit  Jahren  könnt'  ich  sn  keiner  andern  Hilfe  komnan,  ab  die  in  diesen 
lewen  Worten  li^  Niederer  sagt  dann  da  glelchglltiges:  so!  —  oder 
4inen  Instigen  Einfall,  nnd  lenkt  das  Gespräch  auf  etwas  anderes." 

Wir  verwundern  nns  nicht,  dass  sie  in  diesem  nngleichen  Kampfe  etwas 

44* 


L/iyiii^ü<j  by  Google 


—   682  — 


mnthlos  wird.  .»Tcli  sclireibe  (1.  Sfptombt-r  1812  i  ni^lit  niit  vollem 
Muth  .  .  .  an  ilußerer  Aufmunterung;  gebricht's  mir.  und  die  innere  mdg  nicht 
immer  das  Crleichgewicht  halten  gegeu  den  üaßem  Ihrang.  Oft  bin  ich  wie 
geUUimt;  was  ieh  aunpreche,  mius  schleppend  and  ermftdeiid  sebi.  Idi  liiii 
80  beftuigeD)  m  fwtgeniukt  in  dem  Dradc  d«r  Gegenwart,  so  eint9nig,  das» 
ich  Erbarmen  haben  mSchte,  wenn  icb*a  konnte^  mit  m^er  eigenen  Elendig- 
keit." 

Hit  aller  OÖenheit  und  Entechiedenheit  spricht  sie  znPestalozzi  oud 
Niederer  ihr  Miaaftdlen  ans  Uber  deren  Verhalten  gegenäber  der  MSdehen- 
anstatt,  obgleich  es  keine  Kleinigkeit  ist,  von  Wahrtielt  nnd  Pflieht  gedrmgen 

zn  sein,  den  liebsten  Menschen  den  Spiegel  ihrer  Schwächen  vorli  alten  zn 
müssen."  Sie  setzte  auseinander,  wie  sie  seit  der  Zeit  ihres  Hierseins  dastehe, 
geworfen  in  den  Schlamm  erstickender  Unordnung,  wie  keiner  sie  angewiesen 
liabe,  was  ale  thnn  oder  lassen  soUe»  wie  Jede  erb^eneHandbietnng  mit  leeren 
Worten  abgespeist  irorden,  wie  man  nie  eine  ÜnterriehtasUmde  besncht  nnd 
die  Lehrer  in  jedem  Fache  habe  schwadroniren  lassen;  wie  ihre  eigene  Arbeit 
der  dos  Verdammten  gleich»^,  der  den  fallerulon  Stein  immer  wieder  bfrg-an 
wälzen  mässe.  „Niederer  wnrde  böse  und  hitzig,  Pestalozzi  nahm  die 
Darlegungen  schSn  auf,  gerfihrt  dankte  er  mir,  und  wir  genossen  eine  Stande 
des  sdiSttsten  Yotravens.*' 

Die  gedrückte  Stimmung  hielt  jedoch  bei  Kosette  nicht  an;  sie  fUiIte 
üire  Kraft  und  brauchte  sie:  ..Ans  meinem  innern  W^sen  mms  mein  Snßerpr 
Wirkuugükreiä  sich  gestalten,  ist  jenes  rein,  so  muss  diese  Reinheit  sich  über 
all  mein  Thnn  und  Wirken  verbreiten.  Ist  es  nicht  rein,  warum  das  Jammern? 
Dann  muss  ich  reinigen  statt  klagen."  Das  Alleinskehen  regte  erst  recht  ihre 
Kraft  an,  nnd  ihre  energische  Thätigkeit  blieb  nicht  unbelohnt.  „Hier  stdie 
ich  nun",  schreibt  sie  am  19.  December  1812  an  irrr:ilt  wie  ich  nie 
standen,  in  Gesundheit  nnd  Kraft,  Die  Führung  unseres  Instituts  ist  mir 
keine  Last  laelir,  sie  ist  zur  Last  mir  geworden ;  ich  bin  unabhängig  von 
PestaloBsis  nnd  Niedern«  HÜH»,  nicht  yon  ihrem  Sein  nnd  Wirken.  Wie  wire 
das  möglich  in  meinem  nahen  Verhältnis  zu  ihnen ;  aber  unabhftngig  von  ihrer 
unmittelbaren  Handbietung,  deren  Nichtvorhandensein  mich  so  oft  grundlos 
empörte.  Ich  sne-e  grundlos.  Denn  eben  ihr  sorg-en-  und  hilfloses  mich  J 'reis- 
geben und  Schwiiumenlasseu  im  Strom  meines  Wirkens  führte  mich  schneller 
mr  Ennst  des  Sehwimmena,  nnd  ieh  hstte  too  jeher,  statt  mich  dartber  n 
kränken,  mich  freuen  sollen  als  über  eines  der  wirksamsten  Bildungsnüttel* 
Allein  diese  Freude  k"Tin*p  mir  ei-st  hlnlnm  in  entv  ii  k  Iter  Erkenntnis  und 
Kraft.  .  .  .  Mit  welchem  Frieden  leb'  icii  nrm  der  Ue^emvart.  mit  welchem 
Frieden  bück'  ich  in  die  Zukunft;  wie  unabhängig  8t«h'  ich  neben  den  Menschen 
imd  dem  Sehicltaal,  wie  frei  bew^  ksh  mich,  wie  nngehemmt  quillt  der  Dank 
nun  Ewigen  ans  de:  Fülle  meines  Herzens,  und  wie  beglückt  mich  die  Hofr 
nnng  eines  ewigen  Fortschreitens."  Fnd  am  20.  Mürz  IRIB:  ..Unser  Unter- 
riohtsgang  geht  jetzt  g-ut,  obschon  noch  mehrerer  W'rbesserunpen  bediirtiis-, 
anderer,  als  solche,  die  durch  mich  geschehen  können.  Aber  weichem  Verdnii»s 
nnd  welchen  drängenden  Unannehmlichkeiten  faabe  ich  bis  znr  Eneiehnncr 
meines  Zldes  mich  aussetzen  müssen!  Ancfa  jetst  hei  unserer  emmgenen 
inneren  Ordnung  (denn  mit  der  äußeren  —  die  von  Custei-s  abhing  —  da» 
Üott  erbaim)  ist  meine  Arbeit  immer  noch  schwer,  da  der  ewige  Wechsel  der 


Digitized  by  Google 


Lehrer  und  die  dnnemde  Abhängigkeit  nnseies  Instituts  von  dem  gr5ß«ren 
onaaflialtsam  störend  wirken." 

Leichter  und  schneller  erreicht,  als  die  Reorganisation  des  Unterrichts, 
war  die  Enengimg  eines  beeeem  Hamgefstee.   Lielie  eneagt  liebe.  Bald 

wetteiferten  die  Mädchen,  ihrer  Vorsteherin  dnrcli  gntes  Betragen  Freude  zu 
machen.  Sie  licbtfTi  nnd  rerflirten  ihre  Fiihrerin  wie  eine  Mutter.  Sie  war 
fröhlichen,  heiteren  \\  eseus,  fem  war  von  ilir  jeder  finstere  Pedantismns.  Sie 
.kannte  das  Kinderherz  und  dessen  Bedürfnis  nach  Fi'ende  und  Heiterkeit. 
Ale  Reaette  Im  Herbat  1812  einige  Wachen  in  Uontmix  an  ihrer  Erholimg 
sich  anfhielt,  gingen  ihr  Briefe  zu  von  ihren  Z^liogen,  die  davan  seogeBt 
welch  inniges  Band  Lehrerin  und  Scliülerijmen  umschlang.  „Immer,  immer". 
Icsi'ii  wir  in  fiiK'iii  derselben,  „soll  mir  Ilire  Liehe  eine  Anfmnnternng'  sein  und 
nacii  lu  meinem  Vurt»atz,  ein  braves  Kind  meiner  Eltern  zu  weitleu  und  meine 
Pflichten  ao  tren  ala  ml^eh  an  erfiOlen,  stftrken.  Ja,  wenn  es  mir  einfallen 
will,  etwas  fiOsea  m  thnn,  ao  will  ich  an  Sie  denken,  wie  liebreich  Sie  es  mir 
abrathen  würden  und  —  es  nnterla.ssen."  Ende  Oct^ilier  kelirte  sie  in  die 
Anstalt  znrüi  k  und  konnte  an  Mni-alt  schreiben:  .,Mii*  ist  wol  im  Kreis  dt-r 
Kinder,  und  ich  bin  froh,  da*»  ich  wieder  bei  meinen  lieben  Mädchen  bin. 
Keine  Abwe«enheit  hatte  keine  nnai^enehmen  Folgen  wie  gewSiinlleh,  ohechon 
niemand  meine  Stelle  versah:  alle  hatten  sich  daa  Wort  gegeben,  zu  sein  und 
zu  Id^en.  \\  l\re  icli  in  ihrer  Mitte.  Und  so  gesebah's.  Ist  daa  nicht  8ch9n 
nnd  mu.s.s  es  mir  nicht  im  Innereten  wolthunV" 

Ihr  Verhältnis  zu  Pestaluz/^i  war  ein  gar  traoUches  nnd  inniges.  Als 
dieser  im  Herhat  1812  In  Lanaanne  sich  anfhielt,  während  Boaette  in  Hon- 
trenx  verweilte,  ließ  er  diese  zu  sich  kommen.  „Pestalozzi  war  so  liebend 
nnd  froh,  lebendig,  wie  ein  .Tiinfrling.  "Wie  groß  ist  seine  Liebe  zu  ttiit-  wie 
unwandelbar!  könnt'  ich  zu  thener  sie  erkaufen?  Nein,  o  nein!  Alle  Aneen- 
blicke  sah  er  mich  an,  um  ja  redit  auszuforschen,  wie  viel  ich  gewonnen  an 
OeanndMt  nnd  Kraft  Er  aah  mein  Ange  heiter  und  war  znlkieden."  Und 
am  13.  Febmar  1813  sclireibt  de  an  Hnralt:  „Das  Band,  daa  mich  an 
Pestalozzi  soliließt .  wird  immer  cng:er  nnd  ensrcr.  Er  sng-te  an  seinem 
letzten  Geburtstag,  als  Niederer  und  ich  mit  ihm  allein  waren:  Ich  glanbe 
es  nicht  möglich,  dass  drei  Menschen  schöner  nebeneinander  stehen  können, 
«la  wir.  Sein  Vertraaen  an  mir  wird  hnmer  nnbedlngter.  Oft»  wenn  er,  dem 
Weaen  semes  Geistes  sich  fiheiiassend,  mir  sein  Inneres  offenbart,  endet  er 
mit  den  Worten:  Sieh,  das  alles  sind  Gedanken,  die  ich  mir  nicht  frülier  er- 
lauben würde  zu  denken,  als  ich  sie  Dir  ausspreche.  Daraus  magst  Dn  auf 
die  liuügkeit  uusers  Umgangs  schlieiien." 

int  Liehe  nnd  hoher  Ymhmng  hängt  aie  an  dem  Yon  aeiner  idtehaten 
ümgebang  oft  miaakannten  Hanne:  „Sem  moraltachea  Weam  enflillt  Tdne, 
welche  die  ganze  Welt  durchtönen  und  die  darch  die  Ewigkeit  der 
Zeiten  nachhallen  werden,  ohne  je  zu  verhallen.  Wenn  das  Grab 
\nrd  aufgenommen  haben,  was  die  Harmonie  störte,  dann  werden  wir  froh  und 
aelig  nns  fählenr  daaa  whr  den  iidiachen  Dmck  nm  des  himmliacfaen  WolUanga 
willen  werden  getragen  haben,  nnd  dieae  T9ne,  die  göttlidien  Ursimmga  aind, 
müssen  eins  werden  mit  unserer  Seele.  Seine  Größe  zeigt  sich  in  den  Aogen- 
bliekt  n.  in  denen  der  ganze  Liebreiz  seiner  Tagend  und  die  Macht  seiner  per- 
sönlichen Gröüe  uns  unwiderstehlich  an  ihn  fesselt  und  nns  fühlen  lässt, 


Digitized  by  Google 


da<!s  wir  der  Wahrheit  gehören  nur  insoweit  wir  seiner  Sache 
leben." 

All  die  Lage  de«  Inititats  im  Sehlone  (1813)  immer  lehwierigor  wwd» 

und  diejenigen  rath-  imd  thatlos  dastanden,  die  hätten  helfen  sollen,  rief  sie 
ans:  ,,WHr'  loh  eiri  Mwui,  ich  wfirdf  mrv]\  hmn^eUcn  nnd  f>rf1ntTi;  s^lV-^t  in 
meinem  weiblichen  Kupfe  liegt's  klar,  wie  and  wo  geholfen  werden  musste.** 
Und  einige  Monate  später,  als  der  ökonomische  Zusammensturz  uuvei-uieidlich 
eehien:  t^P^italosEi,  alt  Herr  der  Hanaee,  iat  nidit  im  Standet  Ortamg  Imt* 
znsteUen  nnd  Uaßreg^  an  ergieifen.  die  Eettnng'  bringen.  Ich  sehe  iha 
leiden  und  miif«s,  gt?dmne'en  vom(  T  i  fT;l]1  meiner  Pflicht,  seine  Leiden  oft  mehren^ 
nru  die  ewigen  Tiluschuns^en,  iu  denen  er  sich  fortwährend  wie^.  m  stnren. 
Was  wird  aus  dem  Institut,  was  aus  Ihm  werden?  Das  ist  Gott  bekannt. 
Oenngr,  ich  lasse  Ihn  nicht,  nnd  sollt'  ieh  mit  meiner  HInde  Arbeit 
Ihn  nähren.'* 

Die  Stellnng:  Eosettens  war  in  ("konomiseher  Hinsicht  keine  günstig'e. 
Die  Lage  Pestalozzis  und  des  Ilauptinstituts  brachte  es  mit  sich,  dass  ihr 
Salair  sehr  unregelmaojtg  und  nur  theil weise  ausbezahlt  werden  konnte.  Aber 
das  fiel  bei  ihr  nicht  schwer  ins  Gewicht  Ihr  Reich  war  wlrUich  nidit  von 
dieser  Welt.  Als  ihr  im  November  1810  vom  Aarganischen  Scholrath  die 
Stelle  einer  Stiftsdamc  nnd  küiiftigfen  Oberin  in  Olsberg  (Erzichnnsrsanütalt  fiir 
Mädchen)  mit  freier  Uekiistiffnng-,  der  schönen  Wohnung  der  Äbtissin  nnd 
möglichst  hoher,  and  zwa,r  lebenslänglicher  Pension,  also  mit  völlig  ge- 
eicfaerter  Lehenastellnng  and  Znknnft,  angeboten  wnrde,  lehnte  sie  ab,  nm  bä 
Pestalozzi  bleiben  zu  können. 

Sohahl  im  October  1813  die  Gefahr  des  Zusammenstnrzef:  für  das  Institut 
im  Schloss  beseitigrt  war,  kam  Pestalozzi  aufs  neue  und  mit  aller  Ent- 
schiedenheit auf  den  Gedanken  zuriick,  die  Mädchenanstalt  an  Rosette  Kasthufer 
ahmtreten.  Er  s^e,  dass  bei  der  gegenwärtigen  dkonomiiKhen  FShmng  (nnter 
Cnsters)  gewisse  Lücken  nnd  Fehler  immer  bleiben  nnd  das  allgemeine  Ver- 
tranen  beeintrilchti^-t-n.  Zudem  sei  es  seinem  Herzen  Bedurftiis,  sieh  endlich 
in  einer  Lage  zu  sehen,  wo  er  frei  und  mit  ruhigem  Gewissen  Koset te  an- 
blicken dtlrfe.  „Welcher  Vortheil  für  Dich  daraus  erwächst",  fährt  er  zu  ihr 
fort,  „Dn  kannst  dann  mit  Wahrheit  Mgen;  Ich  habe  ihn  Üiener  erkauft»  ti^ 
theneTt  wie  nicht  bald  ein  Mensch  auf  Erden  ihn  hätte  erkaufen  mögen  nocb 
können.  Denn  glaube  nnr.  ich  kenne  Deine  Laire  bis  in  ihre  Tiefe,  schweig 
ich  gleich  davon.  Ich  weiü,  was  Dn  gelitten  und  leidest  von  andern  nnd  mir 
aus.  Ich  weiß,  was  Du  mir  warst  und  bist,  aber  ich  weiß  nicht,  was  ans  mir 
geworden  wSre  ohne  Dich.  Dein  AnsehUeSen  an  meine  Penon  gehffrt  mit  sn 
den  hShemFfignngen  meines  Schicksals,  f&r  die  ich  nicht  genug  danken  kann. 
Namenlosen  Verirrnngen  und  Schmerzen  wJlre  ich  preisgegeben  worden,  wSrest 
Du  nicht  in  allen  nnsem  bedrilngten  Lagen  aller  Einflüsse  ungeachtet  selbet- 
stUndig  geblieben.  Dn  hast  mir  vertraut,  wie  vielleicht  nie  ein  Mensch  in  Deiner 
Lage  mir  yertrant  ldUt&  Gott  sei's  gedankt,  dass  es  so  ist  nnd  dass  ich  Dir 
sagen  kann,  wie  ich  darüber  empfinde.*^  „Uoralt",  schreibt  Rosette,  „es  ist 
der  schönste  Lohn  meines  reinen  Willens,  so  neben  Ihm,  dem  Einaigenf  an 
stehen.  Ja.  Dir  verhehl'  ich  nicht,  ich  habe  viel  Leid  ertragen.  Gott  s<>i 
Dank,  der  mir  frühe  den  Weg  schwerer  Überwindungen  gezeigt!  Aber  sollte 
ich  schwerer,  weit  schwerer  noch  sdch  Vertranen,  selche  liebe  erkaafen,  nie, 


Digitized  by  Google 


—  685  — 


nie  wäre  der  Preis  mir  zu  hoch.  Seine  Liebe  ist  eründerisch,  meinen  Wen 
zn  erhöhen.  InDemutli  fühle  ich,  dass  er  ihn  m  hoch  anschlägt,  aber  mit  Stolz 
Ukk*  ich  auf  die  Liebe,  die  alao  redmet  mid  tMaL** 

Rosette  Kasthofer  verdiente  dae  Vertranen,  das  ilir  ward.  Ihr  innerstes 
Wesen  sprach  sie  ans,  als  sie  von  sich  sagte:  ..Ks  steigt  meine  Gesundheit 
nnd  Kraft,  ich  lebe  mit  ongetheiltem  Eifer  ganz  meinem  Beruf;  vieles  von 
dem,  was  znr  Erde  mich  zog,  ist  geschwunden,  nnd  was  mich  erhob,  erhebt 
midi  auch  hente  nnd  jeden  Tag  nelir,  mein  Gewieien  iit  mein  ffiinmel  nnd 
Beditdinn  meine  Seligkeit,  mein  iat  jeder  Angenblick,  VergangmUieit,  Gegen- 
wart nnd  Zukunft;  alle^  ist  eins  gewnrrlrn  tür  mich,  nnd  ich  gehöre  dem 
Einen,  indem  ich  in  jedem  gegenwärtigen  Augeublick  tüue,  was  ich  soll.  Nene 
Kämpfe  haben  mich  auf  eine  neue  Stufe  gehoben;  ich  bin  ufi  unaogsprechlich 
glUddidi,  alles  Ist  so  eins  in  meiner  Seele,  nnd  kein  lUaddang  stftrt  ihren 
Frieden.  Wenn  ich  einschlafe,  wenn  ich  erwache,  SO  danke  ich  Oott  fttr  mein 
(iltick  und  bete  mit  Inbnmst  nm  Kraft  nnd  Segrai  mm  rastdosen,  ewigenFort- 
schreiten  im  Guten.'' 

Mitte  November  1813  fand  die  Übergabe  der  MädchenanäUUt  auHosette 
Kasthof  er  anf  Gmnd  eines  detaiUirten  schrütlichen  Vertrages  statt  „Utin 
Hiersein  nnd  die  Art,  wie  ich  hier  ökonomisch  gestanden,  hat  micli  gelehrt, 
Verträge  ohne  itrHire  zu  fürchten.  Denn  so  süß  mir  das  Gefülil  ist.  rein 
von  Eigennutz  hier  gewirkt  zu  haben,  so  schwer  würde  es  mir,  noch  lange 
anf  gleiche  Art  mich  jeder  Mühe,  jeder  Entbehmng  zu  unterwerfen  ohne 
andere  Sicherheit  flir  mein  Alter  als  ein  gntes  Gewissen  nnd  einen  ahgeatheitetea 
Körper.  Nein,  nein,  der  Mensdi  ehre  auch  hierin  seine  Pflicht,  aber  er  ehre 
sich  sdhst,  indem  er  dieselbe  allen  holiem  Feichten  nnterordnet.  - 

Die  Familie  Cnster  verlieiJ  Iferten  und  zog  anf  ihr  Gut  in  Ü  ii  i:  turf. 
So  lag  nun  die  Sorge  für  das  leibliche  und  geistige  Wol  einer  Familie  von 
30  Personen  anf  Besette  allein.  Bure  Frenndin  Bay  kam  für  einige  Zeit»  nm 
ihr  bd  der  äußern  Einrichtung  mit  Rath  nnd  That  an  die  Hand  zu  gehen. 
Mit  welrhen  Vorsiltzen  sie  nun  in  ihre  neue  verantwortiniErsvnlle  Stelle  eintrat, 
eiitneiimen  wir  einem  Briefe  an  Mural  t;  „Ich  dai'f  ruliiir  in  die  Zukunft  blicken. 
Indem  ich  meine  ökonomische  Unabhängigkeit  gründe,  kann  ich  mich  der  frohen 
Hoffiinng  tberlassen,  dnst  gehen,  wolthnn  nnd  helünt  zn  kSnnen  Deneo,  die 
mir  nahe  sind  od«  nahe  sein  werden.  0  Gott,  kann  ich  das  einst,  wie  will 
Ich  mein  Dasein  segnen  und  dem  Vater  aller  Güte  danken!  Für  mich  bedarf 
ich  wenijf.  aber  lieben  kann  ich  mit  der  Fülle  einer  unversiegbaren  Liebe 
alles,  was  sich  mir  nähert;  ich  kann  mit  Kindesliebe,  mit  Schwesterliebe,  mit 
HtttterUebe  sie  nmfiwsen,  die  sich  mir  Tertran«!  nnd  die  der  Schwester-,  d^ 
Kindes-  und  derlCnttertreue  bedürfen.  In  jeder  Stunde  stiller  Znrttckgezogenheit 
nnd  Erhebung  gelob'  ich  mir,  mich  zu  erheben  mit  alUr  Kraft,  die  Gott  mir 
gegeben,  den  ^lenschen  zu  sein,  was  ich  ilmen  nur  immer  sein  und  werden 
kann!  Ja,  es  soll  geschehen!'* 

ImlMiHk  der  Jahre  hatte  xwisdien  ihr  nnd  Niederer  ein  immer  innigeres 
Verhältnis  sich  entwickelt,  und  sie  reichten  dch  im  Hai  1814  die  Hände  zum 
ehelichen  Bunde.  Wie  freute  sich  Pestalozzi  dieser  Verbindung.  ,,0  Freund," 
schrieb  Frau  Niederer  an  Muralt,  ..sähest  Du  ihn.  wie  er  uns  in  seine  Arme 
sdüießt  als  die  Kinder  seines  Herzens,  die  der  Trost  seines  Alters  sein  sollen 
nnd  sein  weiden;  wie  er  sich  frent,  das  Werk  seines  Löbens  In  uu  ibrtleben 


.  kjui^.o  l  y  Google 


—   686  — 


za  sehen,  Tlu-^en  der  Kübrong  wurden  Deinem  Auge  eutialleo,  Da  würdet 
nunr  OUksk  fliasen.  Niederer  und  ich,  nit  sind  Omi  nh  neue  geschenkt 
dnrdi  nnsere  VerMndmi^,  und  er  M  fll^  üb  Vater  dem  Oeitte  md  dem 

Kerzen  nach;  \'ater  in  dos  Wortes  heiligster  Bedeutung.  Ich  möchte  Deine 
Seele  ganz  init  der  Kemitin«  dieses  \'erhältuisses  ansfüUen,  damit  Dt>in 
Glaube  an  das  Höchste  der  Meuäclilieit  selbst  darin  Nahrung  fände.  0,  Morall, 
mir  hal  Oottvid  gegeben!  Wenn  ich  anf  denBelolithnni  ndnes  Leben»  blieke: 
PeetnlDBd,  Niedrer,  Dn,  meine  Ray,  Geschwister  nnd  Freunde,  meine  Piege« 
kinder,  die  mir  anhangen,  da  vei-scbwindet  jedes  Schwere,  and  ich  fühle  nur 
Dank  nnd  ein  heißes  Xfrlang-en.  dnrch  die  Würde  meines  Ltb^n« 
eine  reiche  Schuld  der  ewigen  (iüte,  die  mich  erschatten,  abzu- 
tragen." 

Das  hast  Da  tren  g^thaa,  edle  Seele,  ein  ganaea  langes  Ijeben  laa^! 

Niederer  nnd  seine  Gattin  fShrten  die  Mädchenaostalt  Im  Sinne  nnd  (.hmt 

Pestalozzis  fort,  verdienten  nnd  fanden  reichlich  Anerkennung:.  Die  Ehe 
blieb  kinderlos;  aber  den  ihnen  Ubergebenen  Pfleglingen  waren  sie  treue,  be- 
sorgte, liebende,  aber  auch  beglückte  Eltern.  Der  Streit,  der,  durch  fremde 
Einflfisteningen  geweckt,  zwischen  den  beiden  Instituten  ausbrach,  dorch  Ui»- 
verstÄndisse  und  schlinniii  Einflüsse  genährt  v  i  1  und  das  Verhältnis  a 
Pestalozzi  trübte,  hat  w<»l  schwere  Ptnnden  fft^hiacht.  aber  das  innere  Leben 
der  Anstalt  nnd  dessen  segensvollen  Uang  nicht  zu  stören  vermocht. 

Im  Jahre  1837  verlegten  Vater  und  Mnttei*  Niederer  ihre  Anstalt,  um 
ansgiebigeren  nnd  reiehlieherm  Büdnnganitteln,  als  Herten  sie  bieten  konnte, 
nUier  zu  sein,  nach  Genf.  Die  Behörden  von  Iferten,  die  ohne  Erfolg  sie  von 
diesem  ^'orhah.  ii  abzubringen  suchten,  ließen  ihnen  durch  eine  besondere  Ab- 
ordnung den  Dank  der  Sradt  anssprechen  für  „die  Freischule,  die  sie  für 
arme  Kinder  gehalten,  und  für  andere  Wolthaten,  deren  die  Armeu 
dorch  sie  gmoesen." 

Im  December  1843  yaiw  Fran  Niederer  den  von  ihr  stets  so  hochver> 
ehrten  nnd  innig  sreliebten  Oattpn.  den  sie  in  allen  Lasj-en  nnd  bei  allen 
Schwächen  nn»!  Eii^«  nihiunlickkeiteii  •  rkannt  hatte  ..als  ein  Licht  aut  dem  We<r 
der  Wahrheit,  ab  einen  Fels  überall,  wo  es  um  J  ugeud  und  Gerethtigkeit  zu 
tbQD  war  nnd  we  »ein  WolwoUen,  seine  Vaterlandsliebe  nnd  sein  erlenditeter 
Glaube  und  sein  Gottvertrauen  angesprochen  wurden." 

Obgleich  ()4  Jahr*'  alt,  fand  sie  doch  in  sich  Mnth,  Kraft.  Ltist  und 
Fl  «  udigkeit,  ihre  Anstalt  fortzusetzen.  Welchen  Mnth  sie  sich  bis  ins  h<>h«* 
Alter  gerettet  hatte,  ersehen  wii*  aus  der  schon  eingangs  erwähnten  Stelle  aus 
ihrem  Tagebuch  vom  Jahre  1846.  Erst  im  Jahr  1850,  71  Jahre  alty  zog 
sie  sidi  ins  Pri^atileben  anr&ek  nnd  g(3nnte  sieh  die  wolverdient«  Paih* .  Sie 
ging  zuerst  nach  Thun,  lüerauf  nach  Bern  nnd  nahm  dann  ihien  bleibenden 
Aufenthalt  in  Zürich,  wo  ssje  am  14.  Antrnst  ISöT  starb.  Innige  Verehrung 
und  Liebe  von  Seite  ihrer  zahlreichen  Zöglinge  aus  alleu  Ständen  erfreutea 
sie  ihr  Lebenlangr  nnd  folgten  ihr  Ubers  Grab  hinana. 

Irdische  Sch&tze  hat  sie  nidit  gesammelt.  Geben  war  ihr  immer  seliger 
als  nehmen.  Sie  dachte  mehr  an  andere  als  an  sich.  Am  Ii  ihi-  Gatte  ver- 
stand die  Kunst  dos  Sehützpsammelns  nicht.  ..Sein  Leben",  sag^t  einer  seiner 
Verwandten,  der  mit  ihm  in  iebhaflem  Verkehi-  stand,  „war  von  Nebenrück- 
siehten  nnd  Eigennutz  frei;  sein  Sinn  war  rein  nnd  edeL  Auch  Im  Privatleben 


Digitized  by  Google 


—  687  — 


"bewips  er  dies,  zeigte  sich  g^ntherzig  and  freigebig  bis  zur  Verschwen- 
dung and  tadelnswerten  Schwäche." 

Manch  anii«s  mdchen,  das  in  der  Notb  des  Lebens  nntergegangea  irftre, 
fmd  in  ihrer  Anstalt  Anfnahme»  Endehnng,  Elternliebe  nnd  Soi^e  nnd  Ver* 

sot^njf  för  seine  Zukunft.  So  verwendeten  sie  das,  was  sit*  mit  Sorge  nnd 
Arbeit  gewannen,  für  anderer  Wol,  nnd  darum  bleibt  ihr  Andenken  im  Segen. 

über  ihre  pädagogischeu  Grundsätze,  Mittel  und  Ziele  gibt  Frau  Niederer 
eingehenden  Anftchlan  in  ihrer  Schrift:  Bliclce  in  das  Wesen  der  weib> 
liehen  Erziehung.  1828.  VI  und  406  S.  Dire  Befählgnng  für  systematische 
DarlegriiTijs:  ihrer  Gedanken  charakterisirt  sie  trefflich  also:  .LSsBt  das  .Schicksal 
mich  bleiben,  wo  ich  bin  (in  Iferten),  werde  ich  nicht  ans  meinem  Kreise  ge- 
rissen und  kann  ich  einutal  ungehemmt  und  frei  daiin  walten,  so  will  ich 
zeigen,  dass  ich  reif  bin  zn  geben.  Viel  G^ammeltes  ist  in  mein«*  Seele — 
alles  orass  einst  in  That  ubergehen,  nach  den  großen  Gesetzen  der  Entwicke- 
Inng  wirrl  eines  ans  dem  andern  sich  entfalten  und  alles  zn  seinerzeit  nnd  an 
seinem  Ort.  Das  ist^aber  auch  alles,  was  ich  weiß.  Grundsätze  darlegen. 
Systeme  bauen  und  erklären,  das  ist  meinem  weiblicheu  Kopfe  was 
Fremdes,  ünmSgliehes.  Ich  kann  den  Znsammenhang  meines  Den- 
kens und  Handelns  nicht  Ubersehen,  noch  in  Worte  bringen;  ich 
kann  ihn  nur  ahnen,  fülilen.'"  Dir  Buch  hosteht  nun  ans  eeistreichen, 
packenden,  erwiirmenden  Ergüssen  über  Erziehung.  I^ildung,  Aufgabe  des 
Weibes,  nacli  den  vier  Gesichtspunkten  zusammengestellt:  Bedüi*6ii88e  und 
Gewohnheiten,  Oemfithsbildung,  Geistesbildung,  geseUsebafUiche  Kldvng. 
Dieaterweir  nennt  die  Schrift  neben  den  Gemälden  von  Earoline  Bndolphi  das 
Torziiglichste,  was  wir  über  weibliche  Erziehung:  besitzen.  Auszüge  lassen 
sich  niclit  leicht  geben;  aber  das  Sttnlinm  des  Buches  lohnt  sich  reichlich. 
1838  gab  Frau  Niederer  zwei  Bände  dramatischer  Jugendspiele  für  das 
weibliehe  Geschlecht  heravs.  Sie  verfolgte  dabei  einen  rein  pädagogisi^en 
Zweck.  sollen  die  Folgen  guter  nnd  schlimmer  Worte  nnd  Handlungen  nur 
Anschauung  gebracht,  der  Eifer  für  jene,  der  Abscheu  vor  diesen  geweckt  und 
grenührt  werden,  ^^>n  diesem  Standponkt  ans  angesehen,  verdienen  diejngend* 
spiele  alle  Anerkennung. 


V. 

Im  Souuuer  1809  besuchte  der  edle  Freiherr  vou  Wessenberg 
Pestalotai  nnd  sehw  Anstaitm  in  Iferten.  Damals  war  das  Hans  Posta* 
lossis  noch  in  sieh  eüis.  Um  den  verehrtoi  Meister  scharten  sich  in  sch4(nem 
Kranae  Krüsi,  Niederer,  v.  Muralt,  Schmid,  Rarasauer,  Frau  Custer. 
Rosette  Kasthofer,  Frau  Krüsi.  In  diesen  Kreis  einzutreten,  in  ihm  zu 
verkehren,  war  hoher  Geuoss,  war  Seelenerquicknng  für  Jeden,  dessen  Herz  flu* 
4ie  Mensciiheit  sehlag,  der»  Yeredlong  der  seltene,  die  lijIchst«i^H(^nngen 
erweekrade  Bund  galt. 

Wer  die  Wonne  des  Umgangs  mit  diesen  für  die  höchsten  Ziele  Begeisterten 
einige  Zeit  genossen,  fühlte,  an  den  heimiselien  Herd  Eorückgekehrt.  tiefe  Selm- 
sucht  nach  Denen,  die  ihn  so  mächtig  angeregt  und  in  ihren  Zauberkreis  mit 
eingesponnen  hatten. 


Digitized  by  Qoogle 


—   688  — 


So  ging  es  aach  Wessenberg.  Seiner  Stimmung  gab  er  Ausdruck  üi 
«kB  wuiMB  Worten: 

Jm  mäm  WrtmU  Ji  Ifurtok 

Kennst  du  den  Ort,  vno  reges  Leben  wohnt, 
Wo  tnh»  Wirkaankdt  des  Gtiites  thnmt? 
Den  guter  Kiuder  zarte  Blute  schmückt, 
Wo  dkh  ihr  heitrer  Anblick  hock  entxttekt? 

Kennst  du  ihn  wolV 

Daliiu!  Dahin! 
Zn  eaeh  nSeht'  ieh  dem  WeltiewiOil  entfliehn! 

Kennst  du  den  Mann  —  für  Brüder  glüht  sein  Herz  — 
Theilst  du  mit  ilim  der  Mt^nsclilieit  Wo\  und  Schmers? 
Hebt  dich  sein  Geist  zu  hüheiiu  Sciiwung  empor? 
Lauscht  seinem  Wort  dein  wonnetrunken  Ohr  ? 

KcBMt  du  Um  wol? 

Dahin!  Dahin! 
Zu  jQun,  dem  Edleni  wird  dich  Sehnsncbt  zieha. 

Kennst  du  deu  l^und,  den  treue  Freundschaft  schließt? 
Wo  Geist  und  Herz  in  Liebe  übei-fließt, 
Der  Ubmer  Bond,  dem  Guten  nnr  geweiht» 
Für  «ndrer  Wol  zu  opfern  stets  bereit? 

Kennst  du  ihn  wol? 
Dahin!  Dahin! 
In  euem  Kreis,  Geliebte,  möcht'  ich  ziehnl 

Kennst  du  den  Pfad,  den  tiefe  Stille  weiht? 
In  heiliger  Nacht,  wenn  Luna  ScUommer  streut? 

Wo  Almnng'  bess'rer  Zukunft  uns  umspielt 

Und  ganz  der  Fround  dem  Freunde  sich  enthüllt  ? 

Kennst  du  ihn  wol? 

Dahin!  Dahin! 
Zu  dir,  0  mein  Geliebto*,  mikibt'  ich  zidm! 


Digitized  by  Google 


Vorschläge  zur  Volksbildung. 


Von  Franz  SdUinkert-Wien. 

WShmid  man  bestrebt  ist»  von  oben  herab  dvreh  geaetsliehe  lHaBregdn 

die  geistige  Ansbildong  und  damit  die  gesammte  Eutwickelnof  des  Volkes  zu 
hemmen,  geht  durch  die  Volkskieise  selbst  eine  lebhafte  Kewesrnng,  welche  die 
Vertiefung  der  Bildung  zum  Zielpunkte  hat.  Bei  den  gegenwärtigen  Zustin- 
deu  ist  es  dringend  geboten,  auf  diese  Thatsache  mit  besonderem  Nachdrucke 
za  verweisen  und  derartige  Blldnngsbestrebiuigai  mit  allen  Mitteln  zn  unter- 
stützen. Versammlungen  von  Gewerbetnibenden  und  Arbeitern  spraAen  sich 
aber  die  Bildnng-sfrage  in  irünsti^em  Sinne  aus,  und  auch  in  Bnneni Versamm- 
lungen wurde  die  Nothwendigkeit  einer  zweckmäßigen  Lösung  derselben  betont, 
trotzdem  die  Baaernschaft  in  ihrer  erdrückenden  Mehrheit  zu  iluem  eigenen 
bitteren  Sehaden  eine  grOsdliche  Abneigung  gegen  alle  nSchalsachea"  hegt 
und  dieselben  am  liebsten  ganz  ans  der  Welt  schaffen  möchte. 

Namentlich  in  Ober5*>t(»rreich  hat  sich  auf  dem  Gebiete  der  allgremeinen 
Volksbildung  ganz  im  ^Stillen  eine  Thätigkeit  entfaltet,  die  alle  Anerkennung 
verdient,  und  wenn  wir  in  eine  niUiere  Besprechung  derselben  eingehen,  müssen 
wir  m  wiederholte  Haie  dnes  Hannes  EnriUurang  thvn>  ttber  dessen  Be- 
strebungen wir  bereits  im  IV.  Jahrgange,  7.  Heft  („Eine  Bauemstimme  über 
die  Schule**)  gesprochen  haben.  Herr  Hermann  Hoppiehler,  Wirtschafte- 
besitzpr  in  der  Küngerau  bei  Eedl-Zipf  in  Oberosterreich ,  nntemahm  nämlich 
in  Verfolgung  seines  schönen  Zieles  weitere  Schritte,  um  einen  Kreis  von 
HSnnan  znsanunoa  za  bringen,  die  sidi  mit  voller  Hingebung  der  Anfi^be 
widmen,  „Mittel  und  Wege  aafzasuchen,  um  der  im  Argen  liegenden 
Geistesbildung  der  Landbevölkerung  aufzuhelfen".  Zu  diesem  Zwecke 
erließ  er  mehrere  Rnndschreiben.  In  denselben  bozoe:  er  sich  anf  unsere  beiden 
Aufsätze:  „Volkbbildungsmittel''  (IV.  Jahigung,  Ü.  lieft)  und  „Ekae  Baueru- 
stinune  ilber  die  Schale'^  (IV.  Jahrgang,  7.  Heft),  wdehe  er  in  Separatab- 
driicken  beilegte;  er  erklärte  es  als  eine  patriotische  Pflicht,  das  Landvolk  aus 
dt  ii  Banden  der  T'nwissenheit  zu  befreien,  ein  richtiges  Verständnis  der  Men- 
schenwürde zu  erwecken,  ein  edleres  Selbstbewusstsein  groß  zu  ziehen  nnd  die 
gute  Willenskraft  zu  stärken.  „Die  Einrichtungen  der  Gemeinde,  de»  Landes 
und  des  Staates**,  schreibt  Herr  Hoppichler  nnter  anderem,  „haben  wir  alle 
gemeinsam,  aar  Mitwirkung  sind  wir  alle  berofen;  wer  aber  Land  und  Leute 
kennt,  mns.s  eingehen,  da-?«  ■^■s  nicht  gut  aussieht  mit  unseren  Verhält ni.^scn, 
weil  der  firoßtheil  der  Lamle.shevftlkemng'  nicht  das  Begriffsverniiifreu  besitzt 
—  mangels  genügender  Erziehung  —  um  sich  gemeinnützlich  machen  zu 


Digitized  by  Google 


—   690  — 


künnen.  Diesen  Übelstand  tiudeu  wir  W^onders  an  onseren  Landlenten,  im 
Baaernstand,  nod  der  Nachtheil  trifft  die  Gebildeten  wie  die  Ungebildeten  — 
ee  fehlt  nnt  am  Anftehwong  mm  BeaMni.**  Ans  den  hierfibw  eingelaagten 

Gntacliten  nnd  Ziutlmmnngen  ergab  sich  ein  äußerst  intei-e!>santes  Material, 
welches  nns  frep-enwärtier  vorliesrt.  Es  finden  sidi  Janintor  Mcin^ng^^,l^D^•- 
rungen  von  Abgeurdiieten,  Scholmäunem  und  Landleuten ;  wir  wollen  nur  einige 
charakteristische  herausheben. 

Ein  Landwirt  ans  Talekirehen  findet  den  Inhalt  der  beiden  oben»^ 
wähnten  Aufsätze  ganz  richtig.  »Seine  Standesgenossen  s>'ien  leider  durch  ihre 
bishcriirt' Führerschaft  ..gei&tiir  verkrüppelt"  worden;  dieseil'o  luibr  du-  ^Gvhh'<- 
kriifle  verhungern,  foltorn  iind  tyrannisirpn  lassen,  nur  um  ihre  W'uliust  tuid 
Hen-schsucht  zu  befriedigen."  Aber  trotzdem  dürfe  man  den  Bauern  nicht 
na  Tie!  von  „Freiheit  nnd  Anftlimng*  reden;  „mit  der  Schule  nad  BÜdimg 
mnae  man  sic^  nnrttckhalten.  viele  Bauern  glauben,  sie  aind  se  geaeheit,  andere 
fajren.  der  Bauer  soll  niclit  so  viel  wissen  —  nur  fleiüig  arbf'it<»n:  die  srelelirten 
Bauern  kommen  vom  Hans  ( wirtscharten  ab.  A.  d.  \'.),  haben  keine  Religion 
u.  8.  f.,  sie  brauchen  die  Kiuder  zur  Arbeit.**  —  Diese  Auäfiihrui^en  eot- 
spreehen  vollkonunen  der  Wahrheit;  aüein  es  fragt  eich  nnr,  wie  weit  naa 
dieser  beschränkten,  bäuerlichen  Weltweisheit  Rechnung  tragen  dürfe.  Wenn 
der  Arzt  den  Sitz  eines  Übels  erkennt  und  dennoch  keinen  operativen  Fiiiirrii! 
zu  machen  wagt,  weil  der  liebe  Patient  wehleidifr  i>*t.  bleitit  halt  dies.  r  xn 
seinem  eigenen  Schaden  mit  der  Heilung  immer  auf  einem  Fleck  sitzen.  Die 
alten  FQfarer  wüsten  die  Banem  namentlich  dadurch  an  dcfa  an  fess^,  da« 
lie  denselben  in  der  Mher  beselchneten  Riehtong  die  weitesten  und  gchlimmstsa 
Concessionen  machten.  Nnn  masf  es  aus  Gründen  der  pxliti-eh.  n  Taktik  sehr 
wol  zu  rechtfertigen  sein,  dass  man  den  Bauern  nicht  im  eutferntpjäten  die 
Aussicht  auf  neue  Bildungslasten  eröffnen  dürfe  ^die  8chulkosten  wären  noch 
an  ertragen,  aber  die  Last  des  Sichbildens  mag  der  Bauer  ^unm5gUdi 
nicht'*  auf  seine  Schaltern  nehmen);  jedoch  wäre  es  <ranz  g^ewiss  anehrlich, 
wenn  diejeniEren,  welche  den  Krebs>chaden  riehtig  erkannt  haben  and  die 
Bauemschatt  zum  Bessern  führen  wollen,  nnr  immer  von  ..Erleichternn^en" 
sprechen  nnd  sich  jeder  zweckmäßigen  Neuerang  gegenüber  ablehnend  verhalt^a 
wftfdeo.  Was  sie  einerseits  an  yermeiden  wähnen,  würden  sie  auf  der  anden 
Sdte  thnn:  sie  würden  ,.den  Schwarzen  in  die  Hände  arbeiten". 

In  einsichtsvoller  Weise  äußert  sieh  Herr  Otto  Graf  Salburg  zu  Leon- 
stein im  Ti-aunkreis  über  die  Fortbildung  der  Landleut«».  ..Menschenglück 
durch  Menschenbildong  schaffen"  sollte  die  Aufgabe  des  Jahrhunderts  sein. 
„Die  VolkasdnQe  reicht  entsehledoi  für  diewn  Zwed(  nicht  ana.**  Graf  $al> 
bnrg  erldän  es  als  besonders  wünschenswert»  dass  die  Leute  endlich  snm  jJSelhet- 
lesen"  nnd  Nachdenken  angeregt  werden.  Die  Indolenz  habe  hanptsächlich 
ihren  Grund  in  der  isolirten  nnd  htichst  serstrenten  Lage  der  Wohnorte  der 
Landbevölkening. 

Sehr  zntreffiBnd  sehreflit  Heir  Alfens  Berger,  Sdinlleita'  in  l^raalnn- 
bnrg:  „Ist  der  Schüler  der  Schnle  entwachsen,  so  Idlft  die  ganae  Familie  sa* 

sammen,  damit  Schulbuch,  Tafel,  Heft,  selbst  der  Federhalter  verkauft  werden, 
und  vom  Erlüse  wird  schlennic-st  eine  Taluikspteife  annesihafft.  Das  mühsam 
in  dei'  äckule  Erlernte  verÜUchtigt  sicii,  du  weder  Lesen  noch  Schreiben  geübt 
wird.   Die  tranrigsten  Wahmdimnngen  macht  man,  wenn  von  ehemals  gntea 


u\^u\^c6  by  Google 


—  691  — 


Schüleru  Briefe  ans  der  Fremde  kommen."  AUerdin-is  trol.e  os  liilniiliclii'  An«?- 
nahmen.  „Damit  ErwacLstnü  zu  Hausp  aneh  sclireiben  und  rcchoen,  gebe  ich 
den  Schülern  zu  passenden  Tagen  Hausaufgaben,  die  8ie  zu  Papier  bringen 
rnttawiL  Die  Tinte  erhalten  sie  auf  Ersneheii  von  4er  Sehnte.  Wie  oft  erlebe  * 
ieh  nun  die  Frmde,  dass  die  Schüler  mit  ihrer  Arbeit  auch  die  der  Erwach- 
senen mitbringen  und  freundliche  Grüße  ausrichten.  Sache  des  Lelirers  ist  es, 
da>s  er  einfache,  dem  Leben  entnommene  Aufgaben  stellt,  ,die  znm  Denken 
anregen." 

Herr  Alezander  Hochwlmmer,  Lehrer  in  Schftrfling,  legt  in  seinem 
Schreiben  einen  groflen  PfliehteÜbr  an  dta  Tag,  weichen  er  anch  dnrch  Ein' 

richtnner  eines  Forthildung-scursus  bethStig^e. 

Herr  Eduard  Kesch,  app.  Gymnasial- und  Volksschiillelirer  in  Pregarten, 
hulL  mit  vuilem  Rechte  die  Fortbildungscurse  für  ungenügend,  nm  den  Bauer 
mit  der  n5thigen  BUdnng  anssttstatten,  und  lindere  noch  weitere  Kittel,  om 
den  Bauer  zu  erziehen.  Die  Volk^ft  eunde  sollen  denselben  noch  anf  andere 
Weise  in  seiner  Wohnung  durcli  Belelirnng  von  Fall  ZU  Fall,  and  an  öffent- 
lichen Orten  durch  \'ortriiß:e  zu  bilden  suchen. 

Diese  wenigen  Meinungsäoßerongen,  welche  wir  des  Näheren  angeführt 
haben,  sollen  nnswen  geschlltsten  Lesern  nur  als  Belege  fOr  die  Benrtheilong' 
des  angesammelten  Materials  dienen,  nnd  wir  werden  uns  wdter  nuten  anf 
dieselhe  beziehen,  wenn  wir  eine  be.sondere  Aufforderung  anfügen.  Keinesfalls 
aber  daif  ans  die.^ei-  Auswahl  gesclilossen  werden,  da.s.s  wir  den  übrigen  Zu- 
schriften ,  die  aus  Linz  nnd  Ried,  Schärding  und  Mondsee  nnd  a.  0.  eingelaufen 
sind,  eine  geringere  Bedentang  beimessen. 

Nachdem  Herrn  Hoppichler  aaf  diese  Weise  Yon  den  versddedensten 
Seiten  Zn.««tinnnnng8erklllrnngen  zugegangen  waren,  kam  er  mit  einigen  engeren 
Gesinnungsfreunden  nii  2.  August  1882  in  Kedl  zusammen,  um  über  ein  ' 
weiteres  Vorgehen  Rücksprache  zu  pflegen.  Es  wurde  b^chlossen,  den  einge- 
schlagenen za  verfolgen,  um  Gesinnongsgenossen  aniaw«rben  ndt 
denselbeB  sefaimeit  in  einer  grOBoren  Vmammlnng  tber  foniere  Schritte  nur 
Erreichung  des  gesteckten  Zieles  zu  berathen. 

Herrn  Aj)|M<iii,'r  stehen  besonders  die  Herren  M.  Lindenthaler, 
Lehrer  in  \ocklabruck,  nnd  Alb.  Fischer,  Lehrer  in  Frankenmarkt,  mit 
lobenswertem  Etfiar  ztsr  Seite. 

•  Anf  Antrag  des  Herrn  IL  Lindenthaier  wnrde  von  der  Generalver* 
Sammlung  des  „OberKsterr.  Lehrervereins"  am  9.  September  1882  in 
Linz  f^lirende  "Resolution  gefasst:  ..Die  lieutige  Lehrerversammlung  spricht 
sich  für  das  Princip  der  weiteren  Fortbildung  der  der  Schale  entwachsenen 
^OAben  Yom  ToUendeten  14.  bis  18.  Leben^ahre  aus." 

Im  Deeembw  1882  wnrde  hleranf  an  tibomtUche  Zweig-Lehrerrweine 
OberÖsterreicbs  ein  Oirenlanohreiben  abgeschickt,  das  unterzeichnet  war  von 
den  Herren:   Pollharonier.  Prttfejtsor,  Lindenthaler,  Rojtjjichler, 

Fischer,  Aich  berger.  Durch  dasselbe  wurden  die  Zweig-Lehrer  vereine  aul- 
gefordert, ihr  Gutachten  über  jene  Vorschläge  zur  Hebung  der  Volksbildung 
mitmtheOent  die  sich  ans  dem  obenerwähnten  Hateriale  von  Zinehiiften  und 
Kundgebungen  ans  verschiedenen  Bemftkreisen  ergaben.  Dieselben  Wurden  im 
Cireular  in  fdgender  Eeihenfelce  angeführt:  ,.1.  Anstnl  uiie-  riiifs  »-Tilipa- 
torischen  Eortbilduugsuntenichtes  für  die  der  ächule  entwachsenen  Knaben, 


Digitized  by  Google 


die  sich  dei'  LandNvimchaft  oder  dem  (iewerbe  widmen.  2.  N'erlircitiiii)^  von 
populär«!!  FluipickrifleiL  3.  Öffentliche  Vorträge.  4.  Heraus^be  eiues  ent- 
•preehenden  TnlIntiliMilnril  5.  Fostgemtste  Grflndiiii^  rem  ToUnblbUotlMkeD. 
ß.  Gründling  von  BaaenMMifeiM.  7.  Heraasgabe  einer  Zeitschrift,  die  in  offener. 

»'hrlicher  Weise  die  Interr*^en  der  Landbevölkerung-  bespre<")uni  würde.  8. 
Öftere  ^elegrentliohe  £eiehrtui^  dM-  i4»ad Volkes  von  äeite  hierzu  geei^eter 
Persönlichkeiten. 

DiMer  Avttofäieenaig  konnten  bMier  iMk  ildit  aUe  Zwdg^Ldirarveteiiie 
nachkommen«  da  der  gr^tCte  Theil  dei-selben  seine  Venammlnngen  nnr  in  den 

Sommermonaten  abhlUt.  Diejenig-en  Zweigvereiiie.  welche  bereits  ihr  Vntnm 
abgegeben  haben,  erklären  sich  alle  mit  den  \'orschIüxeQ  einvei-standeu,  and 
beatatigen  namentlich  die  Noth wendigkeit  eines  Fortbüdan^Huiterrichtes; 
einige  dnyon  erkeb»  aber  gegen  die  Einffihrnng  deswlben  maMfe«lei  Be- 
denken. Dieselbe  soll  der  Znknnft  fiberlassen  bleiben,  sei  onzeitgenAß,  werde 
auf  Kindernisse  stoßen;  besonders  sei  zu  befBttdltonr  dass  dadurch  dw  achit*' 
jährigen  Schulpriiclit  Abbruch  gethaii  werde. 

Was  die  Einwendungen  ersterer  Art  betriftt,  so  verdienen  sie  keine  nähere 
BeacSitang;  aber  aaek  da«  letatare  Bedenken  mliert  bald  jeden  positiven  Halt, 
da  OB  nnr  auf  fibertriebener  Ängstlichkeit  benikt  Den  Feinden  der  Sehak 
kann  es  gewiss  nicht  beifallen,  den  Antrag  Hoppieliler's  als  Argnmeut  für 
ihre  Sache  anzuführen,  da  Ja  dersell)e  auf  der  af^litjiUuigen  Schulpflicht  aafi?e- 
baut  ist  und  Hoppichler  fortwährend  zugleich  mit  seinen  Vorschlägen  die 
NoHnvendigkeit  einet  achtjährigen  Sehnlbean^ea  betont;  wHuehenawerte  Er» 
leicbtenmgen,  welche  dem  Zwecke  nnd  Lemilele  nkkt  abtrlgUch  aindt  soUea 
dabei  allerdings  nicht  ausgeschlossen  werden.  Warum  eine  volksfreundliche 
Regierung,  die  das  Maß  der  BildnniEr  vermehren  will,  dem  Fortbiblnücrsunter- 
riebt  zu  Liebe  die  achtjährige  Schulpflicht  —  die  ohnedies  auf  dem  Lande 
niemali  V«**»*^  kaftte  —  Torkllraea  fonte,  daa  iat  wakriialUg  niekt  efBaih 
eehen;  nnd  von  dner  TolkafUndliehen  Begienm^  itt  in  dieoer  An^elegeakeit 
ohnehin  gar  nicht«  Gutes  zu  eI•^v,'^rten.  Die  Widersacher  wollen  freilich  die 
Schulzeit  ;\>'kiir/Mn  mul  diese  ihre  Absicht  durch  den  Antrag  auf  Einftlhmn? 
eines  „Fortbüdungsouterrichts"  beschönigen;  durch  einen  solchen  ,.Fort-Uater- 
rlcht"  („Büdong^'  brancht  nicht  dabei  za  stehen)  könnten  wol  ausgezdchB«!« 
Measner  nnd  lAehtige  Vorbetor  kwangeaofen  werdmif  aber  dem  Landvolke 
wäre  damit  schlecht  gedient  —  von  einer  Et^gftnzung  der  verkürzten  Volks- 
schule grar  nicht  zn  reden.  Doch  wie  jetzt  die  Sache  im  Argen  liesrt.  da  dit» 
Novelle  die  achtjährige  Schulpflicht  in  der  Praxis  authebt  und  also  das  luheü 
edion  geschehoi  ist,  muss  die  erwähnte  V<n«iokt,  welehe  einige  Lehrervereine 
empUBhlen,  ohneliin  leider  als  gegonstanddos  benichnet  werden;  nun  ist  di« 
Nothwendigkeit  eines  gltOi  obligatorischen  Fortbildungsunterrichtes 
um  so  drinfrender  worden,  und  wir  müssen  alle  Mittel  aufwenden,  dami: 
derselbe  in  zweckuiüi^igster  W  eise  eingerichtet  werde.  Eine  Partei,  die  schon 
viel  Unheil  ausgebrütet  liat,  möchte  gern  ein  Enckucksei  ins  Nest  legea! 
Ans  all  diesen  Gründen  eikellt,  dass  der  Antrag  Hoppichlers  besSglieb  d«i 
obligatorischen  Fortbildungsunterrichtes  keinesw  egs  als  unzeitgemäß  oder  ge- 
fährlich betrachtet  werden  darf,  sondern  dass  es  Ptliclit  aller  Volksfrennde  ist. 
die  Aufgabe,  welche  damit  gestellt  erscheint,  einer  untadelhaften  Lösaog  zo- 
führen  zu  helfen. 


i^iyui^cd  by  Googl 


Nachdem  wir  nnn  auf  einige  wolg-emeint^»  BoiiKrlcnn^^en  seitens  der 
Lehrerschaft  geantwortet  haben,  mag  es  uns  auch  gestattet  sein,  unsere  eicrene 
ileiuong  Uber  das  aufgestellte  Programm  zum  Aosdrnck  zu  bringen.  \'örHus- 
Müiickeii  mltaaeB  ivir»  dus  wir  jedeneit  an  folgendem  GnmdntBe  festhalteit: 
Kein  Kittel,  welehes  von  ehrlichen  YoUaflrennden  znr  Kebnng  dei  ^'olk^bü- 
dnng  vorgeschlaj^en  vvinl,  soll  ganz  nnd  gar  nnversncht  bleiben  • —  das  Eine 
thun,  das  Andere  nicht  lassen.  Aber  wenn  wir  die  in  dem  vorliej^enden  Pro- 
gramme aufgezählten  Volksbildungsnüttel  prhfen,  so  müssen  wix-  bemerken, 
daes  nicht  allen  eine  grundlegende  Bedentnng  ankomiat,  weshalb  aach  nicht 
alle  unserem  Zwecke  in  gleicher  Weise  entspfechen.  Dem  gesprochenen 
Worte  gebärt  auf  jeden  Fall  der  Vorzng,  und  daher  ist  auf  Fortbilduns'S- 
cnrse  und  öffentliche  Vortriig-e  das  meiste  Gewicht  zu  legen,  d»^nn  diese 
beiden  Bildungsmittel  besitzen  einen  grundlegenden  Wert,  und  es  dürfen 
keinesweges  die  letzteren  neben  den  ersteren  als  minderwertig  ge 
schätzt  werden.  Durch  die  öfifentlichen  Vorträge  wird  der  erzieherische 
Einfluss  bis  in  ein  hdheres  Alter  enuögliclit;  und  dies  ist  eine  unbedingte  Noth- 
wendigkeit.  Denn  erst  in  einem  reiferen  Alter  können  aus  den  in  der  Volks- 
und Furbüdungsschule  erworbenen  Kenutiüi»äen  hÖhei*e  Consequenzen  gezogen, 
nnd  dieae  Kamtnine  in  wlrkeame  Beslehnngen  zs  einander  gebnu^t  werden. 
Ent  in  TOsrgeechrittener  Reife  wird  durch  wiederiiolte  erzieherische  Einfluss« 
nähme  ans  naturwissenschaftlichen,  f^escUiclitlichen,  geographischen  Kenntnissen 
ein  richtiges  Verständnis  der  Menschenwürde,  ein  edleres  Selbste'ptn hl  ersprießen; 
erst  bei  reiferer  Entwickelung  kann  aus  denselben  die  Bedeutung  des  Mensclien 
im  Weltgebftnde  nnd  dee  einseinen  Uannes  im  Staatsgebttnde  Idar  gemalt 
werden,  und  daraus  wird  dann  eine  freiere  BethUlgang  der  guten  Willens- 
kraft, ein  lebhafteres  Aufraffen  zum  Besseren  erfolgen.  Auch  kann  nur  in 
öffentlichen  \'orträgen  vor  reiferen  Leuten  jene  gemüthliche  Anregung  gegt  ljen 
werden,  welche  zui-  Ajuerziehnng  obenvähnter  Eigenschaften  gleichfalls  unum- 
gängli^  nüthig  ist  Zndem  mnss  anch  von  den  Alten  anf  die  Jungen,  welche 
den  Fortbildnngscors  frequentiren,  im  günstigen  Sinne  eingewirkt  werden, 
wenn  dieser  Unterricht  wirklich  gute  Früchte  bringen  soll;  \nrd  von  den  Alten 
über  das  Lernen  fortwährend  gescliimpft  und  gespöttelt  und  wei'dcn  die  Jungen 
mit  niederträchtigem  Eifer  stets  zum  Vergessen  des  Erlernten  angehalten  (wie  . 
ee  thatsadilieh  geschieht),  dann  kann  ans  dem  besten  Fortbildungsuntenicht 
nichts  Gntes  eriilAhen.  Ihüier  mOssen  anch  die  Erwadisenmi  selbst  in  Scha- 
lung genommen  und  ihnen  allmählich  eine  bessere  Einsicht  von  dem  Weile  des 
Lemens  beigebracht  werden.  Werden  die  Jungen  sowol  im  Fortbildungscurse. 
als  auch  zu  Hause  lichtig  und  verständig  angeleitet,  dann  wird  aus  diesem 
günstigen  Stemmenwirken  ein  gflnsdger  Erfolg  resnltirnt.  Anf  den  bildenden 
ElallaBS  der  sUtten  Umgebang  mnss  ilberfaaapt  mehr  Bttckdcht  genommen  wer« 
den;  demselben  ist  es  auch  zuzuschreiben,  dass  die  Kinder  der  Städter  und 
M«rkf1*^r  >»essere  Fortsebritto  machen  und  mehr  lernen  als  die  Banemkinder, 
welche  die  nämliche  bchuibüdung  geniei>en.  —  Schließlich  kann  auch  noch  die 
Erwägung,  dass  regelmäßige  OffentUdie  YcrtrSge  leichter  ins  Leben  genifen 
weiden  können  als  der  obligatorische  FortbUdnngsnnterricht»  jenen  Argumenten 
beigeAgt  werden,  welche  für  die  besondere  Berücksichtigung  der  öffentlichen 
Vortrage  neben  den  Fortbildungskursen  sprechen.  Also  das  Eine  thnn,  dns 
Andere  nicht  lassen.  W^as  die  nach  Punkt  2  des  Progammee  in  Aussicht 


—  694  — 


gestellte  Verbreitung'  V'Jii  {M>puliireu  Flugschrift »  n  ^belangt,  so  wird 
dorch  dieselbe  bei  anserem  Latidvulke  wenig  Erfolg  erzielt  werden  k&anen. 
D«r  Bauer  liest  niebt;  er  will  hören,  wenn  er  sich  schon  m  etwas  herbeillist. 
Wie  viele  „FlagschiiAen''  sind  schon  in  den  Wind  geflogen!  Aber  den  lefind* 
lieh  abgehaltenen  Vortrag  im  Drucke  vertlicilen  lassen,  damit  die  Lentp  das 
Gehörte  auch  les^n .  I>es8er  merken  und  überdenken  können  —  das  \v;in  »  ine 
sehr  vernünftige  MaiiregeL  Dadurch  würde  auch  das  „Selbstleseo"  angenegt. 
Der  im  Punkte  4  gesteUten  Fordeniiiflr  nadi  efaieni  entsprechenden  Volks* 
kalender  suchten  wir  bereits  heuer  durch  Herausgabe  dnee  „Gtio6en  Bauern* 
kalenders  mit  Bildern"  fnr  d.is  Jalir  1884-  gerecht  zn  werden.  Da  ein  der- 
ai-tiges  Unternehmen  nicht  als  (Teschäftssache  betrachtet  werden  darf,  entliel 
jede  Honorirung,  und  dem  Verlier  (KatI  Fruuime,  Wien  IL,  Glockeagasse) 
w«r  et  so  ermöglicht,  den  Stfnnder  n  den  billigen  Preiae  Ten  36  kr.  nebet 
GewBhmng  eines  bedentendm  Habattes  «n  Wi^erverkftufer  herzastellen.  Die  im 
5. Punkt  erwähnten  Volksbibliotheken  sind  «  in  unschÄtzbares  Rildnnff>mittel 
und  die  Anfstellung  von  guten  Volksbibliotheken  ist  selbstverstilndiidi  in  jeder 
Weise  zu  fürdem.  Aber  leider  wei-üen  sie  (wie  wir  schon  in  unserem  Auisatze 
„  VelkeHldnDgnnitIttl'  IV.  Jahrgang,  6.  Heft  benerkl«)  Eameiit  nur  von  Jenem 
geringen  Bmchtheil  der  LaadbevMkenmg  benntct,  der  bereits  so  weit  Torg»> 
schritten  ist,  um  aus  eigenem  Antriebe  nach  Weiterbildung  zu  streben.  Der 
Vf'rfflRser  h:it  mit  vieler  Mühe  und  großer  Sor^alt  ein  Bücherverzeichnis  für 
\  oikübibliotheken  (dasselbe  ist  unentgeltlich  zu  beziehen  durch  die  Buchhand- 
long  Wilhelm  Frick,  Wien,  Graben)  znwaromengestellt,  nneh  weiehem  UelMr 
sehn  Bibliotheken  elngeriditet  worden.  I^^Cndem  nsn  bei  dleeer  Zannunen- 
stellung  dem  bäuerlichen  Bedirfiiisee  gewtoenhafte  Rechnung  getragen  wofden 
ist,  stehen  die  Entlehner  ans  der  Banemschaft  doch  noch  immer  gegen  jene 
ans  dem  ätaude  der  Gewerbetreibeudeu  etc.  bedeutend  zurück.  Dieselbe  Be- 
obachtung kann  man  bei  allen  Volksbibliotheken  machen.  Im  6.  Punkte  wird 
die  Orllndnng  von  Bauern caeinos  gefordert  Die  bestehenden  nnd  neck 
SU  gründenden  Bauerneasinos  kennen  natürlich  vortrefflich  benfitzt  werden,  um 
mit  der  Banernscliaft  in  V»^rk»'!ir  m  ti-eten.  Allein  die  Banerncasinos  haben 
nicht  so  sehr  die  Erziehung,  als  vielmehr  die  Intere^eovertrelung  des  Bauern* 
.  Standes  zum  Zwecke,  und  recht  gedeihlidi  entwickeln  werden  sich  dieselben 
erst  nach  TorfaeigegaDgener  Bildvngtarbeit,  wenn  dadsrch  der  Genuiasinn  ge- 
weckt worden  ist  nnd  ddi  auch  die  Hasse  dee  Bauemstandes  —  nieht  nir  die 
sogenannten  „ Herren banem",  wie  es  jetzt  zumeist  der  Fall  ist  —  zur  rege^ 
thätigen  Theünahme  bewe^y^en  lasssen  wird.  Daher  möchten  wir  die  GrSndn^ 
von  BauerQcaäinus  weniger  als  Ausgangspunkte,  sondern  vielmehr  als  Folge 
einer  erzieherischen  Thfttigkeit  betrachtet  wissen.  BexflgUch  der  im  7.  Ponkte 
angeregten  Heran^be  einer  Zeitschrift,  die  in  offianer,  eblüeher  Weise  die 
Interessen  der  Laodbevrilkernnp  besprechen  vsürdt«.  mnss  wol  vorerst  die  Frag^ 
gestellt  werden,  ob  es  sich  um  eine  Zeitschrift  handelt,  die  der  Inrellitrenz 
gegenüber  die  Interessen  der  Landbevölkerung  vertritt,  oder  um  eine  Zeitung, 
die  flir  das  Landvolk  selbst  bestimmt  ist  Die  Anlage  tmd  Eärhaltnng  einer 
Zeitschrift  ersterer  Art  würde  ans  materiellen  Gründen,  solange  nicht  ein 
reicher  Fonds  zur  Verfiiprnni?  stellt,  schwer  zn  bewerks(ellie:eu  sein:  aach  liegt 
eine  derartige  Zeitung  nicht  eigentlicli  in  der  Uiehtung  einer  volkshildenden 
Thätigkeit.    Anders  verhielte  es  sich  allerdings  mit  einer  Zeituu^  lur  die 


Digitized  by  Google 


—  695  — 


Landbevölkerang,  welche  die  Interessen  derselben  von  einem  richtigen.  Geaichts- 
pankte  ans  in  verständlicher,  volksthümlicher  Form  besprechen  «U  ri  Leser 
belehren  würde.  Gerade  in  Oberösterreich  gibt  es  vorti'efiliciio  ^»ugenannte 
Banenudtnngeu ,  wie  den  ,^aTtfinivereiiis-BoUfli*'  und  das  „Liiuer  Sonntag»- 
blatt**,  Aber  eine  kleine  Zeuäng  belegter  Art  eilBtIrt  nieht,  und  die  Henuia- 
gäbe  einer  solchen  wäre  sehr  zn  wünschen.  Wir  haben  über  diesen  Gegen- 
stand  in  nnserem  kurzen  Anfsatze  ,,Clericale  Volksschriften"  (V.  Jahrg-aiier, 
'6.  Heft)  gehandelt;  durch  Herausgabe  einer  solchen  Zeitung  wäre  auch  die  im 
Punkte  2  erhobene  Forderung  von  populärm  Flugschriften  in  zweckmäßigster 
Weise  wiedigt.  Die  Beapreehnng  der  im  Punkte  8  gegebenen  Anregong  be- 
züglich einer  gelegentlichen  Belehrung  des  Landvolkes  mnss  wol  mit 
der  Beaprecliuiijr  des  2.  Punkt«'«  (  offfTitliflif  Vortrüge")  zusammenfallen;  die 
gelegentliche  Belehrung  einzelner  Landleute  iu  Haus  und  Hof.  oder  die  Vt  r- 
anstaltung  kleiner,  privater  Zirkel  zur  Belehrung  und  Unterstützung  ist  nur 
eine  speciellere  Foorm  der  Lteong  jener  im  Punkte  2  gestellten  AvitgtA».  — 

Nunmehr  hätten  wit  nftch  bestem  Ermesse  unser  ürtheil  über  die  in  dem 
mehren^ähnten  Arl  pi*s]irorrr;iiiinie  g-egebenen  Anregungen  gefällt  und  kommen 
wieder  anf  die  Besprechung  der  von  UermHoppichler  unternommenen  weiteren 
Schritte  ziu  utk. 

Herr  Hoppichler  richtete  imVoijahre  eine  Petition  sn  denoberOeterr.Lnnd' 
tag,  in  welcher  er  um  EinlHhrnng  des  obligatorischen  Fortbfldnngsunterrichts 
ersucht.  In  der  12.  Sitzuno:  am  13.  October  1S8-  kam  fip  :''nr  Verhandlung, 
und  wir  lassen  den  Bericht  hierüber  nach  dem  ,.Linzer  Soniitagsblatt**  folgen. 

„Nächster  Gegenstand  der  Tagesordnung:  Bericht  des  Schulans- 
sehnsses  ftber  die  Petition  des  Hermann  Hoppichler,  Landmann  in 
Redl,  betreffend  die  Einffllirung  eines  obligatorischen  Fortbil- 
d  nn^snnter ri eilte s  für  die  m&nnliohe  Jngend  der  LandbevSlkerong 
an  Öonn-  und  Jj'eiertagen. 

„Berichterstatter  Abg.  Kiinkosch  hebt  betrefife  der  Petition  des  Her- 
mann Hoppichler  In  eingehender  nnd  aosAhrlldier  Weise  die  dringende 
Notbwendigkeit  größerer  Büdnng  der  Landbevölkerung  hervor,  mn  diese  sowol 
für  ihren  Beruf  als  Landbantreibende,  als  für  die  Erfüllung  ihrer  staatsbnrper- 
licheii  Pfliehten  nnd  tur  die  Ausübung  ihrer  politischen  Rechte  befäliigter  zu 
macheu  luid  sie  der  Bevormundung  zu  entreißen,  welche  von  anderen  —  und 
awar  nidit  in  ihrm  Nnteen  —  über  sie  ansgettbt  wird.  Obwol  diese  Petition 
nur  von  einem  einMinen  aasgeht,  so  ^flrfe  de  doch  als  der  Ansdrnok  der 
Wunsche  vieler  betrachtet  werden,  und  es  muss  das  in  derselben  zu  Tage 
tretende  Streben,  die  Jüngling:*'  J^u  praktischen,  türlitigren,  nach  jeder  Richtung 
selbstständigen  Staatsbürgern  heranzubilden,  als  ein  sehr  ehrenwertes,  löbliches 
nnd  patriotisches  anerkannt  werden.  Dieses  Streben  eines  Hannes  ans  der 
LandbevOlkemng  ist  nm  so  eri^nlicher,  als  es  eine  Achtung  signalisirt,  die 
in  lobeuBW^tem  Gegensätze  steht  zu  der  uns  bekannten  unennüdliohen  Agi- 
tation, welche  dahin  arbeitet,  die  achtjühiig'e  Schnlpflicht  herabznniinrlt'ni,  TM'c 
Petition  ist  jedenfalls  gruüer  Beachtung  wert,  kann  aber  gewiss  aiciit  kurzweg 
erledigt  werden.  Der  Schulausschoss  stellt  didier  den  Autrag:  „„Der  hohe  Land- 
tag" wolle  beaehlieiien :  Diese  Petitieii  sei  dem  Landesansscfansee  zur  eingehen- 
den Prttfling  und  Berichteratattang  in  der  nftchsten  Session  des  hohen  Land- 
taget musnweisen."*'  (Angenommen.)'^ 

Fsdiffociiua«  ^  Jüofuaf.  TL  Heft.  45 


DIgitIzed  by  Google 


—  096  — 


Es  stpht  non  zu  erwarten,  das«  der  oberÖ8t*»rr<^ichi-«oh.'  Lanik';:iii'*«ichn!ss 
diese  wictitige  Aulgabe  mit  eroBter  Hiogabe  einer  ersprießlichen  I/i>:»aug  zu- 
führen  Mterde. 

Ferner  richtete  Heir  Hoppiehler  VonteUuigen  in  der  Seche  der  Volks- 
bildtomr  an  hohe  LaadesirteUeD  und  Körperschaften.  So  ea  den  oherSsterreichischen 

Lan  (loshaiiptmann:  an  den  IlHrm  Statthalter;  an  die  Handel«-  nrid 
(m-w  erbt' kani nie r  fiir  das  Erzherzog-thnm  ab  der  Enns:  an  die  k.  k.  o.  d.  e. 
Land  wirtüchulittgesellschaft;  an  den  uberüsterrrickiädieu  Baueruverein; 
an  den  oberOeterreichiBchen  Lehrerverein;  an  den  llberalpolitisehenTerein 
für  Oberöstexreich.  Die  Kopie  jener  Vorstellung,  welclie  an  den  Herrn  Statt- 
halter geleitet  Würde,  nnd  welche  mit  den  übrigen  im  Inhalte  übereinsnnnnt. 
liecrt  uns  vitv,  und  wir  wollen  einige  markante  Stellen  aus  derselben  mittheileo, 
weil  aui  solche  Äulieningeu  des  gesunden  Volksverstandes  immer  und  immer 
irieder  hingewiesen  werden  mnes,  namentlich  jetzt,  da  man  mit  aller  TBeke 
nur  das  GegentheU  hervomkeiuren  bestrebt  ist.  Herr  Hoppiehler  beginnt 
Seine  Schrift  mit  dem  Hinweise  darauf,  dass  das  Landvolk  von  ObeWisterreich 
nicht  als  nnznsrftnärlicb  in  Betreff  der  Bilduni,^  betrachtet  werden  dürfe :  das 
Land  Oberosten-eich  sei  nicht  das  schlechteste  im  Staate  und  müsse  auch  genug 
an  Stenein  leisten.  Der  grttfite  Theil  der  Landlente  beeehließt  sein  Leben  in 
der  Sorge  nm  Aafbringnng  der  LefbesbedIrfliiHe  nnd  kann  nichts  aus  Eigenem 
xur  Vermehrung  der  Bildung  thun.  Die  Volksschule  werd  1  ni  Landvolke 
^von  gewisser  Seite  in  einem  arcen,  sddinntien  Lichte  eezeisri",  und  leider 
nur  „der  einsichtige,  aus  £rfahrung  klug  gewordene,  aber  leider  nicht  aua- 
scU^ggebende  llieQ  der  Landlente  weiß,  wo  der  Hnnd  begraben  liegt;  er  yer- 

ateht  den  Wert  der  Volkasehnie  in  aeinem  eigenen  Interesse  m  würdigen  

Mit  14  Jahren  verlaseen  unsere  Bnben  die  Volkasehnie,  die  aus  Kindern  nicht 
Männer  raachen  kann,  weleh.'  in«  praktische  und  staatsbürgerliche  Leben  ge- 
nügendes Wissen  mitbnn;jen.  \  om  14.  bis  zum  20.  Lebensjahre  besteht  eine 
Lttcke."  Mit  den  freiwilligen  Fortbildungscursen  kann  kein  Analangeu  ge- 
fluiden  werden;  trotzdem  hat  sieh  leider  bis  jetzt  noch  niemand  mit  der  Frage, 
wie  ein  «ibl is^atorischer  Fortblldongannterricht  einzuführen  wäre,  ernstlich 
beschäftigt.  „Früher  wollte  man  überhaupt  nichts  für  Volksrechte  thun",  und 
als  dann  spater  plötzlich  Freiheiten  «rewHhrt  wurden,  konnten  sie  vom  un- 
wissenden Volke  nicht  richtig  und  versläudig  ausgenützt  werden.  „Wir  kamen 

anf  eine  gute  Weide,  aber  das  Wasser  der  BUdnng  des  Geistes  Üehlte."  

..Im  Landvolk  findet  man  nebst  der  guten  geistigen  Anlage  häufig  MiBStianen, 
Aberglauben  nnd  Scheinheiligkeit:  —  ^vr^hrllafte  Relif;iosit.1t ,  die  in  Thaten 
und  Werken,  in  wahrer  Gottes-  nicht  Menschenfiircht  besteht,  ist  recht  dünn 
gebaut.  Die  Geistlichkeit  auf  dem  Lande  besitzt  leider  sehr  häufig  nicht  die  ge- 
nfigende  Bildong,  um  fOr  die  wahre  Veredelung  der  Geister  sn  sorgen  nnd 
nach  den  Grundsätzen  der  Ldire  unseres  Religionsstifters  Herz  und  Geist  zu 
erheben.'*  In  den  I>mngsalen  des  Lebens  hat  sich  Muth-  nnd  Hilflosigkeit 
des  Landvolkes  bemiif  htigl.  ..Alles  wird  als  Strafe  Gottes  dem  armselijr*'Ti 
Laudmann  zuletzt  voigestellt,  seine  Seelenangst  noch  aU  Dreiugabe  Mmh- 
gerufen,  wird  er  im  tiefeten  Elende  smn  Vatemnserbeten  nndHesseidesenlaBsen 

angewiesen''   „Wenn-  nnn  dieses  Alles  der  Mensch  unter  den  Menschen, 

der  redliche  StaatBbiirL'er  inmitten  seiner  Land.^leute  auf  dem  Lande  niiterleMi 
I  mnse  —  ist  es  ein  Wunder  dann,  daes  er  Abhilfe  in  der  tranngea  Lage  des 


u\^u\^c6  by  Google 


—   697  — 


VnUnUIcliiiigswesent  wflaMht  und  sucht?"   Da  niin  die  Werktagneliiile  für 

die  EdrImb  nicht  genSgit,  um  sie  mit  der  genügenden  Verstandes-  nndGemüths* 
V-ildnng-  auszustatten,  „wäre  ein  oblig-atorischer,  gesetzlich  gut  greregelter 
Fortbihlnngsunterricht  an  Sonu-  und  Feiertagen  für  die  der  Schule  ent- 
wachseuen  Buben  einzoföhren"  und  „mändliche,  6eist|  Herz  und  Gemüth 
▼ereddnde  Vottrtige  für  die  erwaehBenen  LuidleDte'*  ni  yanuutalten.  Hop- 
pich 1er  bittet  schlieOUch  die  Pi  opagii-nng  der  anf  die  Heining  der  VolkibUdniig 
abzielenden  Bestrebungen  wolwollend  zn  unterstützen. 

Von  der  holien  St attli alterei  kam  bislang  keine  Erwidening. 

Herr  Landeshauptuiann  Dr.  M.  Eigner  verwies  auf  die  Nothweadigkeit, 
daes  dem  Landvelke  die  Einsicht  von  dem  Werte  der  Bfidnoiif  werde,  damit 
es  durch  Pflege  des  Volksschulunterrichtes  jene  Grundlag^eu  schaffen  helfe,  „ans 
welchen  sich  auch  die  Weiterbildung  nach  ffthigkeit  nnd  Talent  mit  geringer 
Nachhilfe  zu  entwickeln  vermag." 

Die  Handels-  und  Gewerbekammer  zog  Hoppichlers  Anregungen 
betreffend  die  Einfflhrung  des  obligatorfsdien  gewerhUcben  Fartbttdvngsnnter' 
lichtes  auf  dem  Lande  in  der  Sitzung  vom  23.  Fehmar  1.  J.  in  Berathung, 
nnd  wurde  folgender  Antrnn-  rlfs  romites  einstimmi^s:  aufrenommen:  ..Die  Kam- 
mer anerkennt  die  Wichtigkeit  und  Dringlichkeit  der  F^intührung  eines  ent- 
sprechenden obligatorischen  gewerblichen  Fortbildnngs-üntenichtes  auf  dem 
Lande»  und  spreche  die  Erwartang  ans,  dass  die  Haren  Abgeordneten  der 
Kammer  im  oberOstexTeichlschen  Landtage  hielllr  dann  ihre  Stimme  erheben 
werden,  wenn  dieser  Gegenstand  dort  znr  Behandlung  kommen  wird.'*  — 
Jedenfalls  ein  schfJnes  Resultat. 

Dagegen  sticht  das  armselige  Votum,  welches  die  k.  k.  o.  d.  e.  Land- 
wirtsehafta-Oesellschaft  ftber  diesen  Gegenstand  ftllte,  in  wenig  erflren- 
lieber  Weise  ab.  Nnmmer  25  der  „Landwirtschaftlichen  SSeitsehrift  nnd 
fBr  Ober-Österreich"  vom  15.  Jänner  1.  J.  enthalt  den  Bericht  Ober  die  Sitzung 
ip%  rpntral-Ausschusses  genannter  Gesellschaft,  in  welcher  über  Hoppichlers 
Anträge  fiath  gehalten  wurde.  Es  heißt  dort:  „3.  Erstattung  eines  Gut- 
achtens an  den  h.  Landesaasscbnss  wegen  Einführung  eines  obli- 
gatorischen Fortbildnngsnnterrichtes.  Der  Berlehterstattor,  Central- 
Ansschuss  Mainser,  llftlt  die  von  dem  Antragsteller,  Herrn  Hoppichler,  an- 
geführte Beschwerde,  es  sei  dem  Bedürfbisse  der  Volksbildung  auf  dem  Lande 
gegenüber  den  Städten  nicht  genügend  Rechnnng  getragen,  für  nicht  gerecht- 
fertigt; es  sei  freilich  eine  Unmöglichkeit,  selbst  mit  einer  ach^ährigen  Schul- 
Iiflicht  die  gewflnschte  geistige  Entwickelnng  eines  Kindes  m  erreichen,  aber 
fiher  die  bestehenden  Volksschulgesetze  hinaus  könne  der  Staat  keinen  Lern- 
zwang  mehr  ausüben.  Nach  der  Volk««rhule  ist  es  .Aufgabe  der  Eltern,  für  die 
weitere  peistige  Ausbildung  ihrer  Knuier  zu  sorgen,  und  hiezu  fehlt  es  nicht 
au  Gelegenheit.  £r  weist  auf  die  bestehenden  landwirtschaftliclien  Fortbildungs- 
cnrse  nnd  auf  die  Landes-Ackerbansehnle  hin,  deren  Besnch  anch  sdchen 
Banemsöhnen,  die  nicht  als  Stiftzöglinge  eintreten  können,  nicht  unerschwing- 
lich ist.  Er  beantragt :  Der  Central-Ansschuss  wolle  die  Petition  des  Herrn 
H.  Hoppichler  um  Einführung  eines  obligatorischen  Fortbildungs-Unterrichtes 
für  die  männliche  Jugend  in  den  Landgemeinden  nicht  befürworten. 

ffiei  der  hieranf  fdgoiden  Debatte^  die  sidi  im  Sinne  des  gestellten  An- 
trages des  Beferenten  bewegt,  bemerkt  Central-Ansschnss  Foltn,  dass  sich  der 

45* 


L/iyiii^ü<j  by  Google 


—  098  — 


frf'iwillijro  landwirtschaftliche  Fortbildungs-Unten icht  olmelün  gftnBtisr  ent- 
wickele. »So  wurden  im  letzten  Schuljahre  an  80  Schulen  derartig:e  Curse 
gehalten,  an  welchen  gegen  lOüO  der  Schale  entwachseue  Leute  im  Alter  von 
15  Iiis  fiber  30  JahrtD  in  laadwirtaelialtliclieii  LelurgegensttBäten  urtarwieMii 
wurden.  Das  war  ohne  Zwang  sa  emichen,  mit  ZMraog  wäre  man  kaam  so 
weit  gekommen.  Wo  sollte  man  auch  die  große  Zahl  von  Lehrern  hernehmen, 
die  befähigt  witren.  landwirt«chaftUchen  Unterricht  zu  ertheih  n.  und  wie  die 
Geldmittel  aulbruigen«  um  die  Koeten  solchen  Unterricht«  zu  U-ätreiteii?  — 
Bei  der  «chliefilich  folgenden  AlwUmmimg  wurde  der  Antrag  Mainzer  einatim- 
mig  angenommen." 

Einstimmig'!  Die  Hen'en  liahen  sicli  also  offenbar  recht  jarat  verstanden. 
Jedenfalls  ist  die  Sache  zu  einseitig  landwirtschaftlich  anfgefasst  und  beweist 
die  Argamentation  eine  mangelhafte  Kenntnis  der  thatsächüchen  Verhältnisse. 
Hetr  Maincer  kann  aeii»  Behanptang,  daaa  der  Yolktlrildiiiig  anf  den  Lande 
gegenüber  den  Städten  genigead  Beohnnng  getragoi  sei,  onrnSglidi  selber  glau- 
ben, wenn  anders  er  die  Verhältnisse  auf  dem  Lande  nicht  blos  vom  H5ren- 
sa^en  kennt;  er  widerspricht  sich  tibrigrens  ReH>er.  indem  er  zugibt,  dass  mit 
einer  achtjährigen  bchalpflicht  nicht  der  erfuiderliche  Eäect  erzielt  yriri.  Und 
wie  kann  der,  wekdiein  ea  Ernst  mit  der  Volksbildung  ist,  die  „weitere  geistige 
AosMldong"  der  Kinder  den  Ettem  UberlasBen,  die  selbst  Boek  einer  Endekon^ 
bedürfen?  Der  Satz  aber,  dass  ftber  die  YolkBBchale  hinaus  ein  staatlicher 
Lemzwang  nnmog-lich  ausg^eübt  werden  kRnne,  wird  f^chwer  zu  halten  sein, 
wenn  man  dem  Staate  das  Recht  zugesteht,  Aussprüche  an  die  geistigen  Fähig- 
keiten des  Volkes  zn  stellen,  welche  dasselbe  in  der  Volksschale  nicht  ge« 
nftgend  ansbilden  kann!  Eine  Parallele  zwischen  dem  Forkbildnngssckiil* 
Wesen  in  (Österreich  und  dem  in  fremden  Lindem,  beispielsweise  jenem  in 
Deutschland,  Kisst  sieli  sc  hwer  ziehen;  und  warum  sollten  wir  hierin  nicht  dem 
Nachbarstaate  nachstreben V  Aber  in  OberJ^sterreich  die  80  landwirtsciiaft- 
lichen  Fortbildangscui-be  mit  lüOO  Schülern  vou  15  biü  30  Jahren  (!)  in  Ver- 
glfiieh  zn  stellen  mit  den  ea.  800  Landgeraeindesdinlen,  ans  denen  «mihitick 
mehr  als  6000  Knaben  ohne  jede  Weiterbildung  entlassen  werden,  —  das 
geht  schon  ganz  nnd  gar  nicht  an.  —  So  jväre  no*  Ii  mnnches  dem  Votum  der 
kaiserlich-königlichen  ob  der  Ennsischeu  Landwirtsclialls-Gesellschaft  ent?ef[«i. 
zu  halieu,  aber  leider  legen  uns  Kaumrücksichten  eine  Beschräukuug  aui. 

Der  liberaUpoIitisebe  Verein  für  OberOsteiTäch  benfitzte  die  Zn- 
Schrift  des  Herrn  Iloppichler  als  Anftats  in  dem  von  diesem  Yerefai  kerans- 
gegebenen  Volkskaleuder. 

l)er  (tberosterreichi.sche  Lehrervereiu  machte  die  von  Herrn  Hoppich- 
1er  augeregte  Frage  zum  Gegenstände  eingehender  Berathongen  in  seinem 
Ansschnsse,  Aber  deren  Besnltat  die  Zeitsdulft  dieses  Vereins  sdneneit  be- 
richten  wird. 

Der  Aussclms.s  des  oberösterreichischen  Banernvereins  ließ  seine  Ant- 
wort durch  das  Mitglied  Hoiin  M.  .lungreitmayr  ertheiieu.  Da  dieselbe 
eine  besondere  Beachtung  verdient,  wollen  yvir  einige  Stellen  daraus  autühren. 
Der  bedanerliohe  Umstand,  dais  Siek  die  Banmrn  tds  kente  noch  nicht  ganz 
von  ihren  alten  Fflkran  emandpirt  kfttten,  findet,  wie  daa  benannte  AnasehnaS' 
mitglied  in  dem  Schreiben  an  Hoppichler  meint,  seine  Ursache  darin,  dass 
die  Kftrze  der  Zeit  noch  nicht  zn  einer  gründlichen  £mancipation  liingereicht 


.  j  .  d  by  Google 


« 


—  609  — 

\\i\hi\  „Eine  Emancipation,  eine  Lostrennanf  von  allen  di-  >  ri  Vormündern  im 
politischen  Leben  verraag  nur  nach  und  nach,  \m\  nrxch  Auweudung  der  Mittel, 
welche  da  Schule  und  Erfahrung  heißen,  eiu/.utieten."  Das  Volk  ist  aiiss- 
tranifleh  geworden,  „und  pfleget  in  seiner  gutmüihigeu  Blindheit  dieses  Miss- 
trauen  andi  dann  an  den  Tag  an  legen,  venu  ihm  Ootea  eatgegengebmht 
werden  will.  Lieber  Freand,  wird  einmal  die  Zeit  herangerückt  sein,  daas 
das  Landvolk  eiru^  sresicherte  und  f»^ute  Erzielmnc:f5anstalt,  eine  Schule  hat,  und 
dass  ihm  in  derselben  die  Weltgeschichte  in  nnentstellter  Weise,  in  nackter  Wahr- 
heit, vorgeti'agen  werden  wird,  dann  wird  auch  der  Augenblick  gekommen 
sein,  da«  das  Volk  klar  sehan  wird,  daes  es  avch  auf  dar  poIitiMhen  Wandel- 
bahn  keine  Fehltritte  mehr  machen  und  zielbewnsst  einher  schreiten  wird. 
Damit  dieser  Anf^enblif^l^  m'^srlichst  bald  eintrete,  mlissen  wir  mit  allem  Eiter 
und  mit  aller  Kraft  zusannnenstehen  und  zusammenwirken,  wir,  die  wir  doch 
halbwegs  glauben,  dass  wir  mündig  sind,  und  die  Vorzüge  und  Fehler  des 
Volkes  80  ziemlich  im  Grande  erkennen.  Mögen  wir  nnaUassig  mit  vereinter 
Kraft  wirken,  hiebei  nichts  überstürzen,  sondern  mit  Besonnenheit  und  lOLiK- 
gong  vorgehen,  und  wir  werden  und  milssen  dann  zum  gewünscliten  Ziele 
langen,  zumal  nni?ere  Sache  eine  j^ercclite  ist."  Oi»'  Antwort  auf  alle  Fragen: 
wuher  kommt  das  —  and  was  ist  die  Schuld  daran?  mnss  folgendermaßen 
lauten:  „Das  alles  kommt  von  der  alten  Ersiebnngamethode,  von  der  alten 
Schule,  in  der  man  nicht  der  Jagend  die  reine  nnd  lantere  Wahrheit  vor- 
tmjr.  wo  man  im  Vortrage  Licht  mit  Finsternis  vermengt  hat,  wo  man  neben 
der  reinen  Gottealelup  din  Satzungen  der  eg-oistischon  Priesterschaft  hinstellte, 
wo  man  statt  der  wirklichen  Weltgeschichte  eine  verfälschte  and  entstellte 
nnterbreitete.  Alles  dieses  falsche  Eraiehen,  alles  dieses  in  der  tln- 
wissenheit  Lassen,  trftgt  die  Schuld,  dass  das  Volk  anf  jener  be« 
dauernswerten  Stufe  in  seinem  Grofitheile  steht,  wie  wir  es  heute 
noch  sehen  können  Darnm,  mein  theurer  Freund  trarhten  wir  da- 
hin, dass  wir  mit  aller  Kraft  aufklärend  anf  unsere  Nachkommenschaft  wirken 
und  hiebei  den  wahren  Grund  des  Urchristenthums  nicht  aus  dem  Auge  lassen." 
Auch  werde  Hoppichlers  Antrag,  schreibt  Herr  Jungreitmayr  mm  Schlüsse, 
gewiss  noch  zur  Geltung  kommen,  „wenn  die  Zeit  der  Mögli<Äkeit  der  Durch- 
führung eingetreteti  ^'in  wird".  Es  könnten  nur  Differenzen  „über  die 
jeweilige  Durchfülirnng  des  Antrages  obwalten  und  obgewaltet  haben'^ 

Diese  Änßeruug  eines  Ausschassmitgliedes  des  Baaemvereines  lässt  er- 
warten,  dass  endlldi  auch  In  den  IftudUchen  Krdsen  eine  bessere  Ehisicht  von 
dem  Werte  und  der  Bedeutung  des  Schulwesens  sich  Bahn  bricht.  Herr  Hof- 
rath Lienbacher  meinte  in  der  Schulgesetz-Debatte,  man  solle  sich  doch  nur 
die  Bauemrereine  ansehen,  das  J?eien  g^r  keine  liberalen  Vereine.  Nun,  die 
Bauernvereine  werden  wol  mit  vollem  Rechte  dem  wirtschaftlichen  „Manchester"- 
Liberalismns  keine  ünterst&tanng  leihen,  de  werden  sich  aber  auch  dagegen 
verwahren,  dass  JBrndeischaftler"  in  die  Landschulen  ab  Lehrer  hineingesteckt 
werden!  

Die  von  Fnrn  Kipp  ichler  und  geinen  Gesinnnngseenossen  in  Ober- 
Österreich  unermüdlich  betriebene  schriftliche  und  mundliciie  Agitation  hat 
auch  schon  in  der  That  wirkliche,  greifbare  Frttchte  getragen.  Von  Herm 
SehuUsiter  Alfons  Berger  und  dem  Herm  Lehrer  .T.  Nep.  Biichsner  wur- 
den nftmUeh  im  heuerigen  Winter  im  Schnlbezirke  Frankenbnrg  mehrere 


Digitized  by  Google 


—  700  — 


j.  -  _.  jc 

=  =^  r  =  —  X 

*  ^ 

90 

1  -^1 

1 

1  ! 

• 

•  ^  s 

=  tC    -«    ^:  * 

?s  Ä  i 
|?|  g 

1  \^ 

i  ? 

2  '    —  s-  ^ 
^'  "  1 

il 
H 

c  _  ^ 
ST  S-  t> 

j 

3  i  1.^  i  ^ 

% 

r*  p-  2,  lä-  5 

03^                !^  r 

US*    #*v    ^            l«                    LÜl  ifc^J 

WS                  !^  r 

~  3         -T*     -  i.  <  K 
4  2  ^  ■  i  '-^  ^  i  ^  5  I 

1-1 3  =-  ^  '  i  ^  -  - 

1 

=  Ex; 

T  5,  £  0'       <  i 

Ii??  ! 

1  -^i 

1  ^ 

-  - 

3    i;     ^  ^ 

—  ^  as 

i  —   —  :» 

Ii  i  1  ^ 

- 

f  e 

Ii    ^  f 

Cr  IC    Ü  = 
S  —   =  ^ 

~        Ä  Oft 

i-li. 

0 

'  1-       f  Ü 

 1 

^«£. 

1  ~  <     §  1  ^ 

^'T'  5     <'  ^- X- H"  ?  •«  •  » 
ji-a        _  — ^  —       ?  * 

2  .-^       =      ^  1  5  .—  — 

0  •      V  .  —        •    -£■  — '  s 

Bf  N  ~  =                           "2  Z  ^ 

^            ^    1-  —  i- 

•  •  c  -i  : . 

— •  E. '    —     l>  ' 

L.' -  '"z  '^'^■^  ~-  7 

Sil  ^ ri 

£=     £  ■>  ^  ^ 

—  c  ~  -    "  «11  ■    r  i 

^  fi.?  ' 

x'     -  —  ' 

5  =:•   ä#«lf.  ■? 

1^  P  Ii?  >  ^ 

c 

1  Ii 

.     2  < 

?  i" 

lyul. 


;d  by  G( 


^)f^n 


—   701  — 


öffentliche  Vorträge  versncluweise  venuiBtalteti  filwr  welche  wir  »nf  S.  700 
eftte  kleine  taliellarische  Übersicht  geben. 

Bezüprlicli  des  Erfolpfes  dio«»er  Veranstaltung-fn  berielitet  Herr  Schnlleiter 
Berg  er,  dass  das  Interesse  der  Znhi5rer  ein  ungeuieiu  re^s  war.  dass  da- 
durch der  Schule  viele  Freunde  geworben  wurden,  und  sich  seither  der  Schul- 
beendi  recht  eifrig  gestaltete.  Herr  Ldirer  Bflchsner  meint,  daae  wiche 
Vennstaltungen  für  jene  Gegend  die  zweckmftfligste  Art  der  Volksbe!«  Iirung 
seien.  Da  wir  an  den  VortrJlpfen  nicht  theilgenonimen  haben,  können  wir  kein 
Urtheil  darilber  abg-eben,  ob  in  denselben  der  rlchtig-e  volksthämliche  Ton  ^re- 
troffen  worden  ist.  E»  wäre  wol  zu  wiinacheu,  dm>  auch  dem  unter  halten- 
den Etemente  einige  Beaditnng  gesdienlit  werde;  dnrdi  dasselbe  soll  Ja  das 
Volk  whoben  wwdoi  äber  die  Alltäglichkeit  mit  ihren  materiellen  Sorgen,  die 
es  immer  und  immor  wieder  in  fli«  e:eistige  Elend  zurückbannen.  Jedenfalls 
ist  aber  dieser  versuchsweise  Antang  in  der  von  uns  bezeichneten  Richtung 
aufs  freudigste  zu  begrüßen,  und  dem  so  gegebenen  guten  Beispiele  die  eif- 
rigste Nachahmung  von  Seite  dar  Lebrerschaft  sn  wfiDschen.  

Zu  besonderem  Vognfigen  gereicht  es  dem  Verfasser,  anch  aus  Nieder- 
Jistcrreich  und  zwar  gerade  ans  jener  Gegend,  in  welcher  er  zu  Hause  ist, 
darüber  berichten  zn  kr»nnen,  wie  sich  einsichtsvolle  Männer  aas  dem  Volke 
au  der  Losung  der  Bildungsfrage  zu  betheiligen  suchen. 

Herr  Leopold  Wimmer,  Hammerschmied  nnd  Bürgermeister  zn  Per- 
wart bei  Banden  in  Niederitoterreich,  beschiftjgt  sich  gleldifUls  sdion  seit 
längerer  Zeit  mit  der  Frage,  wie  dem  Bildungsbedürfnisse  der  Landleute  Rech- 
nung zu  tragen  sei  und  ajritirt  namentlich  sehr  eifrig  für  die  Schaffung  eines 
sonntüglicben  Fortbildungsunterrichtes.  Seine  diesbezüglichen  Ideen 
legte  er  in  einer  Broschüre  nieder,  die  im  November  1882  im  Selbstverläge 
erschienen  ist  Dieselbe  enthttt  Zotr^Tendes,  das  in  korzangebandener,  volks- 
mäßiger  Weise  zum  Ausdrucke  gebracht  ist,  und  Jeder  der  gmhStzten  Leser, 
der  sich  einen  näheren  Einblick  in  dieselbe  zn  verschaffen  wünscht,  möge  sich 
nnter  der  angegebenen  Adresse  direc  t  au  den  Verfasser  oder  auch  an  uns 
wenden.  An  dieser  Stelle  können  wir  uns  nicht  anders,  als  nni*  ganz  karz 
Über  den  Inhalt  des  Sehriftchens  aasspreehen.  Herr  Leopol  d  Wimmer  wünscht 
die  Errichtung  von  Fortbildungsschulen  und  vm  Schalen  für  die  Kinder 
von  Bettlern.  Vagabimden  und  Lriiiflstreichern,  also  von  Armenschulen:  da- 
her betitelt  er  anch  seine  Broschüre  „Zwei  Schulen".  Herr  Wininier  be- 
zieht sich  auf  den  ^.  ö  de«  Gewerbegesetzes,  wonach  jeder  Gewerbsiuhaber 
Terpfiichtet  ist,  dem  HUibarbeiter  bis  zam  18.  LebemiJahre  den  Besnch  der 
Torhandenm  Abend-  und  Foi  n  l  lungssdrolen  zn  ermSglichen.  Dieser  Para- 
graph nehme  sieh  am  frrini  ii  Tische  p^anz  schon  ans,  meint  Wimmer,  aber  es 
sei  undenkbar,  dass  in  allen  Orten,  besonders  auf  «lein  Lande  solche  Schulen 
benutzt  werden  können,  da  es  nicht  möglich  sei,  djn-n  der  Heister  seine  Lehn* 
haben  nadi  der  Arbeit  2,  3, 4  Kflometn*  weit  In  die  Scbnle  sende.  Weü  abw 
für  die  ländliche  Bevölkerung  trotzdem  eine  Weiterbildung  der  Scha](]ngend 
wünschenswert  sei.  indem  trcrade  in  jenem  Alter,  da  die  Kinder  aus  der  Schule 
entlassen  werden,  sr^hlechte  Gewohnheiten  und  schlechte  Gesellsdiaft  arges 
Unheil  stiften,  deshalb  vväi*e  es  erforderlich,  dass  in  den  Landschulen  sonntäg» 
lidie  Fottbüdnngscnrse  eüigeriditet  werden.  Was  den  Ldirplan  soldier  Gaise 
anbelangt,  gibt  Wimm  er  nnr  einige  leitende  Qesichtspankte  an: 


u\'^ui^c6  by  Google 


t^iing  des  Lesens. 
Ii.  Aufgabelt  far  freie  Zeit  im  Schreiben  und  Eecbnen,  womöglicli  den 

einzelnen  Gewerben  angepas^ 
nL  Dm  richtige  EinachreibeD  in  die  did  nothwendigen  G«ecliKftsliiehert 

als  Cassabiichel,  Tagebaeh  md  CoatobOclL 
IV.  Das  richtige  An-^t.  II n  von  KechniiDg«!!,  ScUaMbriefen,  Kosten- 

anscblägen,  Bericliien.  iTiitacbten  etc. 
T.  Zasammeu8i«lluiig  vuu  einfaclieu  Gewerbestatistikeu,  uiu  danach  die 

Oestehniig  einer  Waare  odt  dem  YericanlbpreiM  veifirleieheB  zm 

können. 

VI.  J»'  nach  dem  SchiUei     itPiiale  popiilltre  Vorträge  tflfihliiTfhw  Begebt 

nnd  deren  Anwendung?  auf  A'w  fiiiz^-lnen  Stünde. 
Vn.  Vorträge  auf  sittlicher  Grundiagt-  aufgebauter  VerUaltungäregeki  im 

bttigerlichen  Zmaniineiileben,  Angabe  der  gi^ucn  Gienie,  wm  der 

Arbeiter,  der  Gewerbetreibende  von  der  GeteUtdnIl  begehren  dnrf 

nnd  Wflihe  PHicliten  er  zn  erfüllen  hat. 
Vm.  Klare  Darlegung  über  den,  hohen  Wert  der  Arbeit  für  den  einzelnen 

Ueoschen  wie  fiir  den  ganzen  Staat;  Hin  Weisung  auf  die  veredelnde 

Gewalt  des  zlelbeiniist^  Sehnffens  IBr  jeden  in  seinem  Stand  — 

und  so  mehr.** 

Gegen  die  hier  g-fgebenen  praktischen  Finger-zt  ig-e  kann  im  Ganzen  nichts 
eingewendet  werden;  aber  der  in  den  Punkten  und  "MIT  gedachte  Zweck 
kann  wol  nicht  dadurch  erreicht  werden,  dass  man  den  Burschen  einfach  ^  Vei*- 
lialtungsregeln*  vorträgt,  sondern  es  mfissen  seiche  BUdDogs&ctorai  ang^ 
wendet  werden,  ans  deirai  sieh  jme  gew&nschte  Eimieht  als  natfirliehe  Con- 
aeqnenz  ergibt  (Xatur-  nnd  "Weltgeschichte,  Geographie  etc.). 

Pas.  was  "VV immer  mr  Begrün(iiin«r  «*'ines  Antrages  auf  Errichtong  von 
Armenschnlen  anführt,  ist  so  bezeicluieud  tür  unsere  ländlichen  Verhältnisse, 
dass  wir  es  nicht  nnteriassen  kSnnen,  Wimmers  AasTährongen  nasevem 
Leserkreise  mitmitheilen. 

„Ein  noch  böserer  Nachwuchs,  als  es  verdorbene  Lehrbuben  sind",  sagt 
Wimmer.  _wird  durch  die  vielen  herumziehenden  bettelnden  Familien  erzeugt 
und  gi'oü  gezogen,  unsere  Nachwelt  wird  cü  uns  als  eine  i»clireckliche  Nach- 
lässigkeit zur  Last  legen,  dass  wir  so  viele  junge  Menschen,  die  so  onglficklich 
aindf  Terlraaimene  Eltwn  an  haben,  schnnigrad  dem  Znchthaos  eotgegeogeiien 
liisnfiw 

,.Unter  der  Vorweismirr  ir^  nd  eines  Gewerbscheines  treiben  sich  Banden 
von  1() — 20  K^ifjfeu  (Haderasauiialer.  Scherenschleifer.  Kesselflicker.  Geschirr- 
hiiiidler  u.  s.  f.  A.  d.  V.)  am  Laude  herum,  zum  8chj*eckeu  und  zur  Schande 
der  abrigen  tfenschen.  Ich  frage  in  der  Bege!  diese  Levte,  wenn  de  betteln 
kommen,  um  ihr  Nationale  nnd  Anfweisiuiff;  erst  vor  Wochen  stfdlte  ich  an 
einen  Tf  u^^rnsammler,  der  nebst  fsein'-Tii  ^veiblichen  Harem  11  Kinder  n>it  sich 
trieb,  die  i  rage.  ob  ihm  denn  an  den  Kindern  ^slv  nichts  geleeren  sei?  ,. Behält's 
die  Fratzen**,  wai-  die  Auiwoit.  Ich  wai*  erbost  darüber  und  drohte,  ihn  auzu- 
zeigefl,  dodi  er  zog  eine  Licttia  ans  der  Tasche  nnd  sagte:  „Idi  nable  Qteaety 
nnd  niemand  kann  noch  anlialten."  Das  ist  tranrig,  sehr  traurig,  ich  habe 
den  Gewerbestand  immer  als  einen  Khrcnstand  betrachtet,  aber  mit  solchen 
Leuten  Gemeinschaft  zu  haben,  das  ist  beschämend.  £s  ist  eine  Qhar«kt«riaük 


—    703  — 


unserer  Zeit,  dass  der  stabfle  Bürger  in  vi»  ! ein  V)e vormundet  wird,  wovon 
der  Hademsammler  frei  ist.  Wf-nn  der  Haiisliiiiid  eines  Banpm  100  Meter 
vom  Hause  rennt  nnd  er  wird  g-osehen,  konniit  die  StratV.  wenn  abei-  herum- 
ziehendes Gesindel  Hundehaudel  treibt,  und  diese  Tlüere  uicUt  nur  die 
Sieherfaeit  dee  Wfldee»  aonden  auch  die  nnaerer  Schidkliider  geOhrdet,  wie 
lieht  es  denn  da  ans  mit  der  Strafe?  Wenn  ein  noch  so  armer  Kleinliftlialer 
sein  Kind  wegen  dringend  nothwendiger  Arbeiten  1  bis  2  Tage  von  der 
Schule  zu  Hanse  iSsst,  so  kommt  die  Strafe,  aber  wenn  Hademsammler  (oder 
auch  besser  gesagt:  „Crewerbälente")  ihre  Kinder  statt  Religion,  statt  Le^n 
und  Schreiben  —  Fanlenxen,  Lügen  nnd  SteUen  lernen,  wie  sieht's  denn 
da  ans  mit  der  Strafe?  Man  schiebt  höchstens  die  ganze  Sippschaft  anf 
Landeskosten  nach  Hause,  damit  sie  von  dort  ans  anfs  neue  das  edle  Hand- 
werk wieder  1)etreibeii  können;  oder  wns  auch  schon  vorgekommen  ist, 
wenn  solche  Familien  dem  Gerichte  iibcriiefert  werden,  lassen  die  Hei'reu 
das  Gesindel  wieder  laufen.  Die  Kinder  aber  werden  von  Tag  sn  Tag 
schlechter,  kennen  mit  8  bis  10  Jahren  genau  jede  Gegend,  wo  gut  zu 
betteln  ist,  und  wo  sie  ungesehen  stelilen  kßnnen.  "Wo  bleibt  da  der  liberale 
Grundsatz,  dass  die  geistigen  Güter  möglichst  gleichmäßig  unter  die  Mensclien 
vertheilt  werden  sollen,  wenn  es  gesetzlich  g^tattet  ist,  dass  solche  „Gewerbe- 
treibende" ihre  doppelt  armen  Kinder  lur  Sddechtigkeit  enleheii  diirfen?  — 
Fflrchterlich,  sehreekUeh  wird  sieh  dies  r&ehen,  heute  schon  sehen  wir,  wie 
Selbstnuirde,  Todtschlag  und  Verbrechen  aller  Art  sich  anhäufen,  wie  dann 
er?t,  wenn  diese  Generation  ans  Kuiler  kommt,  Zuchthäuser  und  Gendarmen 
werden  dann  zehnmal  mehr  kost^t^u,  als  das  Erziehenlassen  dieser  armen 

Kinder  jetzt  kosten  würde   Wir  tragen  Cultnr  und  Geld  nach 

Bosnioif  dabei  schancsi  wir  gemftthlich  au,  wie  Hunderte  Ton  Kindern  in 
unserer  Mitte  Terwildem." 

'\Viinmer  meint  nun,  diesen  desolaten  Verhältnissen  könne  durch 
Arm en schulen,  etwa  nach  dem  Mnster  des  Knabenrettnngrshanses  zu 
Uuter-St.  Veit  bei  Wien,  abgeholfen  werden;  in  diesen  ArmenÄthulen 
wflren  die  Kinder  des  henmudehendeD  Gesindels  xwangsweise  unterzubringen. 
Auch  krmnten  in  dieselben  die  Kinder  von  andnen  armen  Leuten,  die  nicht 
einmal  f"ür  da.s  Xothwendigste  sorgen  können,  aufgenommen  werden.  Die 
Kosten  der  Eriiclitung^  solcher  Schulen  wären  pt  rlti»?  iui  Verlüiltnisse  zur 
Summe,  die  an  Bettler  und  Lumpe  hinausgegebeu  wiid,  welche  sich  nicht 
abweisen  lassen  und  den  einsamen  Bauer  nnd  KleinUlusler  mit  Kaub  und 
Brand  bedrohen.  Wimmer  berechnet:  „Jeder  Hausbesitzer  ist  (auf  dem 
Lande)  tagtäj^lich  von  zehn  Bettlern  sekirt.  von  diesen  zelm  Kind  vielleicht 
zwei  ordentliche  Handwerksburschen  «nier  wirklich  Arme,  die  übrigen  acht 
sind  Professionsfechter,  für  welche  wir  hier  am  flachen  Land,  am  sie  nur  los- 
snwerden,  beinahe  in  jedem  Haus  per  Tag  4  kr.  (dieGemdnde  zu  40  Häusern, 
macht  per  Tag  1  fl.  60  kr.;  der  Bezirk  Scheibbs  hat  76  Gemeinden,  macht 
per  Tag  tur  den  Bezirk  Scheibbs  106  fl.  40  kr.,  per  Jahr  also  38.309  fl.) 
herßreben  müssen.'-  \'on  der  Hälfte  oder  einem  Drittel  könnte  eine  Arm^- 
schule  errichtet  werden. 

Herr  Wimmer  beweist  durdi  seine  Darstellnng  neneidings  die  Nofh- 
wendigkflit  und  Dringlichkeit  der  Enriehtnng  Ton  Anstalten  nach  dem  Muster 
jener  landwirtsehaliUehen  AiQrlhlnser,  Genreetlonsanstalteii  u.  a.     die  schon 


L/iyiii^ü<j  by  Google 


—   704  — 


seit  Innigem  in  derSdiweiE,  imEJnaSf  in  der  jEUieinprovinz  und  aadem  Ländern 

bestehen. 

Herr  Wimmer  llMt  in  ttinem  Sduiftdmi  andi  einige  harte  Wert» 
fiber  jene  Lehrer  auf  dem  Lande  fhUen,  die  deh  so  wenig  nm  die  BildnngB' 
bedürfidaae  dea  Volkes  kUmmem,  and  nicht  leicht  zn  einer  Thätigkeit,  die 

über  die  SclmlstnV'e  liinausreicht,  bewegen  Wir  wollen  diese  Worte 

nicht  näher  auf  ilue  Kichtigkeit  prüfen  —  umsoweniger,  sd&  sie  ja  gewiss 
ganz  gut  nnd  anMchtig  gemeint  sind;  in  diesen  unseren  Zeilen  glauben  wir 
jedoch  geaeigl  sa  haben,  daaa  der  I«ehrerachaft  die  Inteteaaeo  dea  Volke» 
wann  am  Herzen  Uegen,  und  dass  dieselbe  bereitwilligst  ihre  Arbeitskraft  leiht^ 
wenn  gute  Anregungen  in  der  richtigen  Weise  gegeben  werden.  Jedenfalls 
aber  w!tre  es  sehr  zu  bedanern,  wenn  jemand  durch  jene  wolgemeinten 
Worte  verauliu>Bt  werden  könnte,  über  den  übrigen  Inhalt  der  Schrift  ab> 
ainredMud  an  nxtheflen. 


Wir  haben  nun  versucht,  unter  Aiiiulu  uug  von  Belegen  von  jener  Bewe- 
gung, die  eich  in  Volkala^laen  am  Onnaten  der  l^dnng  lebhaft  benerUiar 
macht,  ein  knappes  Bild  zu  entwerfen.  Damit  dieselbe  die  richtige  Bedeutung 
nnd  die  nothwendig-e  Kraft  erlange.  it.t  es  nnbedincrt  erforderlich,  dass  alle 
jene,  welche  mit  dieser  Bewegung  sympathisiren .  sicli  überall  ooriK>fativ 
Zusammenthun.  Wir  empfehlen  daher  folgenden  Vorschlag  der  allgemeinen 
Berlickaichtigung: 

Jene  Volkafrennde  aller  BemftotSnde,  welche  mit  Bath  nnd  That  die 

glückliche  T/tsting  der  Erziehungsf^-age  zu  fördern  bereit  sind,  niogen  t.ich  in 
jedem  Kn^nlande  in  einem  eigenen  Vereine  .sammeln,  der  etwa  den  Titel 

füiiren  konnte:  „Verein  der  Bilduugäfreandc  in  Dieser 

Verein  hätte  aieh  atatatenmaiiigr  die  Aniig:abe  an  atellen,  „die  wahren 
Bildnngabedltrfniaae  nnd  die  geiattge  Aaffaaannflraweiie  des 
Volkes  zu  erforschen,  um  auf  Grundlage  der  so  gesammelten 
Erfahrungen  eine  entsprechende  Volksschul-  nnd  Fortbildung- 
zn  erstreben.''  Der  Aufruf  zur  Bildung  eines  solchen  Vereines  könnte 
eich  anf  folgende  Oedanken  anfbanen:  „IMe  liberalen  Prindpkn  hatten  die 
Form  an  achalSsn,  welche  die  gedeihliche  E&twidEeliing  der  ataatlichen  Ge- 
sellschaft ermöglichte;  die  Aufgabe  unserer  Zeit  i.^t  es,  dafür  Sorg©  zu  traireiu 
dass  innerhalb  dieser  Form  die  geistig-e  nnd  matenVlle  Ent\nckelung  de« 
Volkes  in  der  That  einen  richtigen  Fortgang  nehme.  Der  zu  gründende 
Verein  stellt  sich  nun  im  Besonderen  die  Aufgabe,  daas  dieses  Ziel  in 
geiatiger  Beeiehnng  enreicfat  werde,  nnd  dnrch  Verbrettnog  von  Bfldnng 
immer  mächtigere  Volksschichten  sor  Theilnahme  am  staatlichen  Leben  be- 
fähigt werden."  Die  Thlltig:keit  dieser  Vereine  könnte  sich  ganz  in  j-  ner 
Richtung  entfalten,  welche  dnrch  die  von  nns  gresehilderte  Action  in  oher- 
österreich  bezeichnet  worden  ist.  Es  wäreu  Besprechungen  zu  verau- 
atalt^;  Petitionen  m^Voratellnngen  an  maSgebende  KQrpenefaaften  zn 
richten;  Ontachten  einznholen,  die  nach  Art  der  eingangs  erwähnten  abge- 
fjÄSSt  sein  könnten:  belehrende  und  unterhaltende  Vorträge  abzuhalten 
n.  8.  f.  Damit  endlich  einmal  alle  gebildeteren  Elemente  der  Landbevölke- 


.  k)  i^  .o  uy  Google 


—  705  — 


rang  angeregt  werden,  sich  mit  der  Bildungsfrage  ernstlich  zn  beschUftigen 
und  ihnen  die  Gelegenheit  gegeben  werd«'.  sich  auszusprechen,  wäre  es 
natürlich  erforderlich,  dass  sich  diese  beregten  \'ereine  namentlich  auf  dem 
Lande,  in  den  ProviiUEen  bilden.  Wir  müssen  alle  znsammenslehtti,  in  Stadt 
und  Dorf,  der  Bürger  neben  dem  Bafteramann.  Die  BUdnngafrase  berührt 
uuer  aller  Intereese  in  grleicber  Weise  —  reichen  vrtr  nna  daher  die  Hände 
n  gemeinntttaigem  Thun! 


lleinriGh  Schanmberger. 

Zu  den  sehOnsten  Tröstungen  in  trüber  Zeit  gehBit  die  imbestreitbare  That- 

sache,  daas  der  deutsche  VolksschuUehrerstaud  eine  pmße  Anzahl  vortrefflicher  3lSuner 
2U  den  Seinen  zählcu  kann,  ja  dass  nicht  wenige  Mitglieder  desselben  ihrer  j^^anzeu 
Katfon  zur  Zierde  gereichen,  und,  was  beutigen  Tai:^^  uoch  besonderer  ErwiUiunng 
wert  ist.  dass  diesen  hervorragenden  Zeugen  deutschen  Lclirt  r-;iinies  von  ihren  eigenen 
Standesgenossen  die  gebürende  Ebre  erwiesen  wird,  all  jeue  i  Ii  iiuischen  Anscbwärzeni 
■sam  lYotz,  welche  den  deut!«cben  Volksscbullehrer  ddn  li  ^un  PSvia  stempeln 
wollen  und  ibr  Liebt  dadurch  leuchten  lassen,  dass  sie  sdi mähen,  was  sie  nicht  be- 
greifen. Mit  diesen  Gedanken  beendeten  wir  die  Leetüre  eines  Buches,  welches  von 
einem  dentschen  Lehrer  iKiinlelt  und  von  einem  deutschen  Lehrer  verfasst  ist  und 
so  dem  deutschen  Lebierstande  doppelt  zur  Ebre  gereicht.  Eß  fttlurt  den  Titel: 

Heinrieh  Schaunberger.  Sein  Lehen  and  seine  Werke.  Nach  anthen" 
tischen  Quellen  dar:r<'stellt  von  Hugo  Möbius.  Mit Schanmbeigezi  Bildnis.  Wolfini- 
bQttel,  JuUtts  Zwißlei,  1883.  424  S.  3  M. 

Eine  tiefbetrtthende  Leidensgeschichte^  nnd  zugleich  ein  erhebendes  GemSide 
menschlieher  Seelen^rnfle  ist  dieses  Bueh.  Nur  mit  der  sehrnerzliehsten  Theilnahme 
ond  zugleich  mit  der  grötiteu  Bewunderung  fUr  seinen  Helden  kann  man  es  lesen. 
Eine  einrückende  Summe  von  Web  und  Pem,  von  Kummer  nnd  Soi^  dxingte  sich 
in  dem  kuryen  Lehen  Heinrich SchauTiiheri^er'«»  z;i<;ammen;  und  dennoch  rang  sich  in 
dieser  kärglich  bemessenen  und  dornenvollen  Laufbahn  ein  meist  uiit  sich  selbst  ge- 
stellter  Geist  an  die  Qrenze  irdiseher  Vollendung  empor,  dank  seiner  idealen  Anlage, 
seinem  rastlosen  Bildmii^sdrancre,  seiner  nnUberwiudlicben  fJednld,  seiner  reinen  und 
unerschöpflichen  Liehe.  Einer  der  besten  deutschen  Lehrer  und  deutschen  Volks- 
»cbriftsteller  war  Heinrich  Schaumberger,  und  seine  Berufsgenossen  und  Geistes- 
verwandten werden  es  als  Ehrensache  und  ;;n£>:Ieicb  als  hohen  Gewinn  Ar  sich  selbst 
erachten,  das  Andenken  nnd  die  Scb&2)tiuvi,'en  dieses  Mannes  in  lebendiger  Wirk- 
samkeit zn  erlialten.  Das  ant^tzeigte  Buch  wird  hierzu  weithin  nachhaltis^e  Anre- 
gung ^eben.  £s  ist  mit  aller  nur  wttnscbbaren  Gründlichkeit  und  Treue  verfasst 
nnd  gibt  sowo!  Uber  den  BnSoen  Lebensgang,  ab  Uber  die  innere  Entwidtelung 
und  nher  den  Geist  der  TMfhtungen  Schaumbergers  erschöpfenden  Atifsehluss.  Das 
Buch  zeugt  durchaus  von  innigstem  Verständnis  und  tie&ter  Sympathie  fhr  das 
eigenartige  Wesen  Sehaumbeigen  und  gehört  vnbedingt  an  den  besten  sdner  Oattung. 
M">irc  ihm  die  Beachtung  des  gesammten  dentschen  voUtts  und  besonders  des  deut- 
schen Lehrerstandes  zu  Theil  werden. 


Digitized  by  Google 


—  706  — 


Christian  Liebermann. 


J\m  ö.  Jnni  flie^e.^  Jahre?  starb  ^ii  Kassel  der  pen>ii'Tiirte  Volk?:.«r!)ullehrw 
Christian  Lieberuiami,  hochvertUent  um  seine  Beruisgenosiien  in  der  Jhwvinz  Hessea 
tind  im  glänzen  deutschen  Bcieh.  Geboren  1821  zu  Lenderscheid  im  Kreise  Zie^n» 
hain,  zum  Lehrer  gebiidcT  von  I83ß— 1H41  in  Homberg,  wirkte  er  zuerst  in  lif-Lof. 
dann  in  Eschwege  und  vnii  IHöH— löbO  in  Kassel,  jederzeit  ein  «^ftandbafti  r  Kiiiiipier 
für  Wahrheit,  Recht  un'l  Freib«  it,  ein  uiencliiockener  Gegn.  r  iler  Kiii-;t<  rluig.'  und 
Eeaciionäre.  Getreu  seiner  Abstammnn:!:  —  sein  Vater  uml  t  ine  lauge  Reihe  seiner 
Vorfahren  waren  Volksschullehrer  gew<  st<n  —  trat  LiLbf  rinann  bei  jeder  Gelegenheit 
mit  aller  Hingebong  und  Kraft  flir  die  Ebre  und  das  Wol  seines  Standes  eiiu  Ven 
dem  Grundgedanken  geleitet,  dass  das  Gedeihen  d*  rSi  bule  wesentlich  von  den  Eigen- 
schaften und  der  Stellunir  des  Lehrerstandes  abhäu<;t,  wirkte  er  unermüdlich  für  die 
geistige,  moralische,  sdciali!  und  wirtschaftliche  Hebung  desselben;  und  da  er  wol 
wusste,  wie  wenk  von  fremder  Hilfe  zu  erwarten  aei,  so  spomte  er  seine  Berui»- 
genossen  duch  Wort  und  That  xnr  Selbsthilfe  «n.  Im  Jure  1866  gründete  er 
dlA  „Hessische  S^  lnilzeitung"',  durcli  welche  t-r  die  Lebrersrliaft  seiueji  Heimatlandes 
nm  sich  scharte  und  derselben  ein  Organ  zur  Vertheidigusg  der  geistigen  Uiiab> 
hängigkeit  und  aar  Verbessenin;  der  ftnBeren  Verhiltniase  oerrilet«.  Bdd  danivf 
rief  er  den  .,Rrandvpr«ichenni£rsver(iji  ho-:.<ischer  Volksschullehrer'".  dann  der  J'r^er- 
stützungsvereiu  für  Lehrerwiiwcu  und  -Waisen"  iu8  Leben;  femer  verdaakeu  der 
„VolksschttUehferTereUi"  und  der  „Sterbekasseverein"  ihre  Entstehung  zum  gntea 
Theile  seiner  anrocrenden  und  treibenden  Kraft.  Alle  di.se  Verbände  der  Lelirfr 
Hessens  wirken  uucb  hente  höchst  segensreich  und  haben  in  anderen  deuiecbeu 
Uadeni  vielfach  als  Muster  gedient.  Immer  snm  Ganzen  strebend  hatte  Liebermann 
schon  ^it  1848  auch  an  der  Einiirunij  der  crpsammten  deutsehen  Lehrers^hafT  leb- 
haften AnthKÜ  geuuuimeu,  und  er  blieb  fortwährend  ein  warmer  Furdprecbt-r  und. 
dann  eine  hervorragende  Stütze  des  „Allgemeinen  deutschen  Lehrervereins'%  wodurch 
er  sich  bei  seinen  Berufsgenossen  im  ganzen  Vaterlande  ein  ehrenvolle  Andenken 


..zur  BetVirderuiig  erziehlii  hen  Zusaniuienwirkeas  von  Schule  und  Haus-  die  ..Pestah.^zi- 
blätter."  Dass  Liebermann  audi  außerhalb  seiner  Bemfiigenossenschaft  Verat&adnis 
ftuid  und  in  hohem  Ansehen  stand,  beweist  die  Thatsa^e,  dass  er  sweimal  (1874 

nn<l  ISSOi  VMU  den  Bür-^ern  Kassels  in  die  städtischen  Vertretungskörper  irewshlr 
wurde.  Leider  versagte  die  Regierung  diesen  W^ahiacten  die  Bestä^ung;  auch 
durfte  Ijeberauuin  seine  Sebnbeitung  nicht  als  Tenuitwortlicher  Redaeteor  aeidnes, 
>'0  lancre  er  sein  Schnlanit  bekleidete.  Überdies  hatte  er  die  bittersten  Anfeindungen 
von  Seiten  geiatliclier  und  weltlicher  Duukeliiiäuuer  /u  erdulden.  Dafür  rühmt  ihm 
die  ,.KasäeIer  Zeitunu;  '  nach:  „Die  Lehrer  Hessens  haben  nie  atnett  treueio P^feund 
gehabt  und  werden  nie  einen  hfsseren  finden,  als  ihr  Vereinsvater  Liebermann  war. 
Die  Stadt  Kasstl  verliert  in  ihm  einen  edleu  Bürger,  dem  es  leider  nicht  vererifnnt 
war,  seine  reiche  Erfahrang  mm  Besten  derselben  in  den  städtischen  Kür;  i  :  -ten 
zu  verwerten."  Und  zu  seiner  Ruhestätte  L'aben  ihm  nicht  nnr  alle  Lehrer  der 
Stadt  Kassel,  viele  CoUegen  aus  der  Nahe  und  Ferne,  sondern  auch  zalUreiche  Biirger 
das  Ehrengeleite;  nicht  allein  die  verschiedenen  Lehrervereine  Hessens,  sondern  auch 
der  deutsche,  der  preaiiscbe,  der  schleswig-holsteinische  Lehrerverein  schmückten 
seinen  9axg  mit  ErSnzen.  Die  Kasseler  Lehrersdiaft  hat  bereits  Sorge  getragen, 
dass  die  durch  den  Tod  Liehermann.s  in  dem  Vt'reinswe.sen  und  in  <ler  Re<lactiou  der 
von  ihm  gegründeten  Zeitschriften  entstandenen  Lucken  in  einer  dem  Geiste  des 
Verewij^tett  wQrdifen  Weise  ansgefttUt  werden,  und  bat  llberdies  beseldonen,  ihrem 
vielverdienten  iVdh'cen  ein  H rahm al  zu  erriehtt  n.  Ehre  den  Männt-ra.  weh  he  in  d-;i 
Tagen  herzloser  Reaction  den  Huth  haben,  den  GefUhlen  reiner  Fietät  für  einen 
edlen  yorkftmpfer  Ausdmck  an  geben! 


VAmntwartlieberltadjietev:  Dr.  Friedrieli  Dittea->BMhdntekeral  Jelia«  KllBkhar4t,Liifa^ 


schaffen,  gründete  er  1879 


Digitized  by  Google 


Die  moderne  Katuransehauuii^'  und  der  biblische  Religions- 

unterrickt. 

VoH  Beetor  S,  Tiemann-Berkburff, 

Jedes  Jahr,  ja  faj«t  möchte  man  versnfht  sein  zu  sngfen:  ir-dir 
Tag  bnnfrt  uns  die  Xacliricht  von  n»Mieii  Fortschritten  auf  dem  Gebiete 
der  Nuturwisseüscliat'teii.   Ding*-,  unsere  Väter  und  Großvfiter 

für  unmöjsrlich  und  unauüliilirbar  gehalten  liaben  würden,  sehen  wir 
vulkndet  vor  unsem  Augen;  mit  Blitzesschnelle  Üi^^^t  der  elektrische 
Funke  von  Land  zu  Land,  und  selbst  die  wilden  Gewässer  des  Oceans 
vermögen  demselben  kein  liiiidernis  entgegenzustellen;  aus  meilenweiter 
Entfernung  übermittelt  das  Teleplion  das  gesprochene  Wort,  und  selbst 
die  hendichen  Opemmelodien  kauu  mau,  lern  von  der  Bühue,  anhören; 
schon  vrird.  das  helle  Licht«  ivelches  das  Leuchtgas  den  Häusern  und 
den  StraAen  der  Städte  sp^det,  Ubertroffen  Ton  dem  elektrfechen Lichte; 
in  die  weitesten  Fm^  ist  das  Teledcop  der  Astronomen  vorgedrungen, 
nns  Nachricht  gebend  von  bislang  anbekannten  Welten  und  ihre  Bahn 
erforschend.  So  ist  alles  in  einem  raschen,  nnanfhaltsamen  Fortschritt 
begriffen,  und  dieser  Fortschritt  wird  sich,  kann  sich  nicht  aufhalten 
lassen;  wer  sich  ihm  widersetzt,  über  den  wird  sein  Bad  fortrollen, 
ihn  vemichtend.  Es  ist  nnlengbar,  wir  leben  in  einer  großen  Zeit!  . 

Und  doch  widersetzt  man  sich  dem  Fortschreiten  der  Wissen- 
schalt von  einer  gewissen  Seite,  doch  ist  seit  Jahren  em  Kampf  ent* 
hrannt,  welcher  in  nnsera  Tagen  seinen  Höhepunkt  erreicht  zu  haben 
scheint;  demi  mit  einer  Rflcksichtslosigkeit  wird  derselbe  jetzt  geführt, 
welche  früher  unerhört  war.  Auf  der  einen  Seite  sehen  wir  in  diesem 
Kampfe  die  Anhänger  der  crassesten  Oithodoxie,  welche,  im  starren 
Buchstabenglauben  befangen,  jedem  Fortsclirilt  und  jeder,  auch  noch 
so  lieilsamen  Ändemng  anf  religiösem,  politischem  oder  jedem  andern 
Gebiete  feindselig  gegenüberstehen  und  die  Kesultate  aller  neueren 
Forschungen,  mögen  sie  noch  so  klar  und  wissenschaftlich  noch  so 
gut  begründet  sein,  wol  gar  für  Werke  des  Satans  erklären,  wenn  sie 
nicht  völlig  mit  den  Worten  der  Bibel  ttbereinsUiumen.    Auf  der 

P»d«sogiDm.  6.  Jtbrgms.  XIL  Heft.  46 


Digitized  by  Google 


708  — 


andem  St-iii-  sttlu-n  LniTi'.  \vel«''lie  mit  dt-in  BibflirUiubeii  gänzlicli  zt-r- 
fallfii  sind,  weil  ihr  XaclidtMikcn  si»-  zu  Ke&ultaUiU  getiilirt  hat,  wt  lche, 
wt'uig.^teiiü  scheinbar,  mit  tlei  oiienbaniug  in  Widerspruch  stehen. 
Kommt  ein  emster,  gewissenhatter  Fui.scher  durch  sein  Nachdenken 
zu  sok'hen  Resultaten,  so  wiirde  es  T'nrerht  sein,  ilin  zu  Vfik^tzeni; 
es  ist  unsere  laicht,  seine  Überzeugung  zu  ehren.  Etwas  anders  ist 
es  aber,  wenn  wir  die  Menge  ansehen,  welche  glaubt,  es  gehöre  zum 
guten  Ton,  alles  zu  uegüen,  imd  welche  zu  träge  ist,  selbst  zu  denken 
und  zu  urtheilen,  yorAnsgesetzt,  dass  de  flberbanpt  dazn  Im  Stande  ist; 
welche  gedankenlos  das  naclispricht,  was  von  ernsten  Gelehrten  in 
jahrelanger  Arbeit  mOhsam  erforscht  worden  ist,  leichthin  aber  Sachen 
nrtbeilt,  welche  ihre  Fassungskraft  weit  flbersteigen.  Mit  wider- 
wärtigem Spotte  vorfolgen  solche  Halbgebildete  alles  t  was  einem 
großen  Theile  ihrer  Mitmenschen  als  heilig  ond  .unantastbar  gilt;,  sie 
suchen  dem  Volke  den  Glauben  an  seinen  idten  QoU  zu  nehmen,  ohne 
im  Stande  zu  sein,  aus  der  Leere  ihres  Geistes  und  Gemfithes  einen 
Ei'satz  für  das,  was  sie  zu  nehmen  sich  bemtlhen,  bieten  zu  kdnnen. 

Far  uns,  die  wir  in  diesem  Kampfe  weder  auf  der  einen,  noch 
auf  der  andern  Seite  stehen,  sondern  eine  abwartende  Stellung  ein- 
nehmen  wollen,  die  wir  uns  über  jeden  Fortschritt  der  Wissenschaft 
freuen,  deshalb  aber  unserm  ^'olke  seinen  guten  alten  Glauben,  den 
wir  als  ein  küstliches  Krl^tlit  il  unserer  Väter  ansehen,  nicht  nehmen 
lassen  wollen,  ist  es  schwierig,  liier  die  goldene  Mittelstraße  zu  finden, 
auf  welcher  ^nr  gehen  können,  ohne  ii-gendwie  und  ii-gendwo  anza- 
Stofien.  Und  doch  muss  eine  solche  Mittelstraße  gefunden  werden; 
gerade  für  uns,  für  die  Lehier  an  höhern  und  niedern  Schulen,  ist  sie 
unentbehrlich.  1>*t  I.fdtrer  kann  sich  keiner  der  streitenden  Parteien 
anschließen.  Er  kann  iiiclit  mit  der  einen  Partei  im  Relisrionsunter- 
richte  sagen,  dass  die  Erde  erst  seit  t-twa  bOüO  Jahren  V)esteiie.  dass 
Sonne,  Mond  und  Sterne  um  der  Erde  willen  und  .»päter  als  diese 
geschaffen  st  ien  und  diese  der  Mittelpunkt  des  Weltalls  sei,  und  dass 
alles,  was  diesem  Dogma  widersiieiie,  als  falsch,  als  Irrlehre  an- 
gesehen werden  Hiiis>e:  er  kann  sn  nirht  sagen,  denn  die  W  i>>enschaft 
beweist  das  Geofi^itlieil.  EbeiisMWenii;-  kann  er  aber  mit  der  andern 
Partei  behaupten,  dass  durch  die  Naturwissenschaften  die  IMhA 
ihren  Wert  verloren  habe.  Würde  er  so  sprechen,  s*»  würde  er  die 
zarteste  Blüte  des  Kinderlebens  mit  rauher  Hand  zerstören  und  einen 
nie  wieder  gut  zu  machenden  Felder  begehen. 

liäs  ist  wol  einem  jeden  klar  und  wird  weder  auf  der  einen  noch 
auf  der  andern  Seite  bestritten  werden,  dass  der  Widerstreit  der 


Digitized  by  Google 


—   700  — 


Meinniigeti,  auf  welclieni  Gebiete  es  auch  sei,  nicht  in  die  Schale 
übertragen  werden  darf.  Die  Schule  ist  ein  neutrales  Gebiet.  Die- 
selbe soll  eine  St&tte  stillen  und  friedlichen  ^^'irkens  sein,  und  es  ist 
nicht  ilire  Aaijgabe,  schwierige  Fragen  zu  erOi^tern,  sondern  sie  hat 
sich  einfach  an  das  zu  halten,  was  ihr  bereits  voi^arbeitet  ist,  nnd 
ttber  den  Bereich  desselben  kann  sie  nicht  hinausgehen;  von  den  sog. 
^ Tagesfragen"  muss  sie  sich  fem  halten.  Aber  trotzdem  oder  Wel- 
leicht gerade  deshalb  ist  die  Stelhinpr  des  Lehrers  eine  schwierige. 
Es  wird  ihm  nicht  immer  yelinj^en,  die  Eigebnisse  der  wissenschaft- 
lichen Forschunfren  in  Einkhni'j  mit  den  Lehrsätzen  der  KiT-fltf  und 
den  Worten  der  Bibel  zu  bi  iiiLi  u.  iiiid  so  wird  er  oft  von  einer  Ver- 
legenheit in  die  andere  tredrängt.  Wenn  er  sich  im  lieligionsuntpr- 
richte  strenge  an  den  W'ortlant  der  Bibel  lialteu  will,  .so  niuss  er 
z.  B.  aucli  leliren.  dass  die  Sintflut  die  jjanz»^  Erde  bedeckte,  und  dass 
das  \\'a:>ser  derselben  15  Ellen  hoch  über  die  höchsten  Berge  hinweg- 
btrömte;  dass  die  Sonne  sich  um  die  Erde  dreht,  weil  sie  auf  des 
Josua  Geheiß  still  stand,  und  was  derofleiclien  Snclien  mehr  .sind; 
kommt  er  dann  aber  zur  Naturlehie  oder  gar  zur  mathenia tischen 
Geographie,  welche  er  doch  auch  lehren  muss,  so  kann  es  nicht 
anders  sein,  er  muss  oft  genug  das  Gegentbeü  von  dem  lehren,  was 
er  Im  BeligitMisDiiterrklite  gelehrt  hat,  und  was  sollen  dann  die 
Kinder  glauben?  Mnss  ein  denkender  Schiller  nicht  sofort  einsehen, 
dass  hier  ein  Widerspruch  obwaltet?  Yielleicht  werden  einige  in 
einem  solchen  Falle  dem  Lehrer  Ihre  Bedenken  änßem  nnd  ihn  da- 
dorch  in  peinliche  Verlegenheit  setzen;  diejenigen  SchiUer  aber,  welche 
schweigen,  aber  der  Sache  weiter  nachdenken,  nnd  das  sind  gewiss 
nicht  die  schlechtesten,  werden  schon  in  der  Schule  anfangen,  an  der 
göttlichen  Offenbamng  zu  zweifeln.  Wie  soll  der  Lehrer  es  nun  an- 
fiingen,  sich  yor  solchen  Verlegenheiten  zu  bewahren? 

Zn  allererst  ist  nothwendig,  dass  der  Lehrer  sich  selbst  Klarheit 
über  diese  schwierigen  Fragen  Terscbalfe;  denn  wie  wird  er  andere 
lehren  können,  was  er  selbst  nicht  weiß?  Er  wird  bei  einem  auf- 
merksamen Studium  finden,  dass  einige  Widersprüche  in  der  Bibel 
nur  scheinbar  sind  und  sich  in  Einkhing  mit  der  modemen  Natur- 
ansdiannng  biingen  i&ssen;  andere  lehnen  sich  an  die  Anschauungs- 
weise ihrer  Zeit  an  und  geben  uns  Kunde  von  dem  damaligen  Stande 
der  Naturanschauung,  enthalten  demnacli  ein  sehr  lehrreiches  Zeit- 
gemälde; einige  (Tescliichten  aber  sind  ganz  und  gar  in  das  Gebiet 
der  Dicht un-;  zu  verweisen.  Das  Ergebnis  eines  solchen  Studiums  ist 
die  nachfolgende  Arbeit. 

46* 


Digitized  by  Google 


—   710  — 


Die  Bibel  i>T  im  \vf ^entliehen  eine  Beligionsui'kunde,  und  ihre 
Würde  beruht  nit  iit  aul  ilu  <  m  naturwissenschaftlichen  Gehalte,  sondern 
auf  ihren  Lehi»n  von  dem  \H  alten  und  den  Geboten  Gottes.  Mit 
(lies»-n  <Truüdl»]ir>'n  der  Bibel  winl  die  Naturwissenschaft  aluT  anch 
ni<-ht  in  WidfT>pi  tn-li  gerathen,  denn  si*-  lietren  außerhalb  des  Gebiett^? 
d^-i  -t  lben.  Ei?<Mitli<-hen  Widei*spri'it'lien  wi-iden  wir  nur  aid  '  iiacli  ni»_-ineiii 
I »atliiljalten  I  ni«-hr  ntb^Misarblichen  (Trliicteii  1  »eireLMieu ,  weldte  (bis 
Gt  liii  t  (lt'<  (  liri&leülhunj&  weuig  oder  gar  nicht  berühren  nnd  \\ eiche  zu 
glauben  oder  nicht  zu  glauben  weder  zur  Seligkeil  beiträgt  nweh  der- 
selben vt-rlnstig  macht.  Kinem  solchen  unleugbaren  Widersprut^h  mit 
der  heutigen,  wissenschaftlich  begründeten  Xaturan&cliauung  be- 
gegnen wir  schon  aut  dem  ersten  Blalle  und  im  ei*sten  Capitei  der 
Bibel,  in  der  Schöpfmigsgeschichte.  Mit  derselben  werde  ich  mich  vor- 
zugsweise beschäftigen,  wenn  ich  versache,  Glauben  and  Wissenschaft 
in  Einklang  zn  bringen,  soweit  es  das  BedQiltaiss  der  Schule  eriidsdit. 

E3ie  der  Lehrer  in  der  Oberclasse  zor  Bdumdlon)^  der  Schöpfongs- 
geschichte  schreitet,  d.  h.  also,  ehe  er  flberhaupt  den  historischen 
Beligioosonterricht  mit  seinen  SchSlem  beginnt,  ivird  er  ihnen  etwas 
aber  die  Entstehung  der  Bibel,  so  yid  den  Eindem  davon  za  wissen 
noth  ist,  mittheilen,  mag  er  dazn  nnn  eine  besondere  Stande,  Bibelkonde, 
in  seinem  Stondenplan  verzeichnet  haben  oder  nicht  Ich  halte  einen 
solchen  piopftdeatischen  TJntetricht  for  onerlftsslich,  denn  nor  dadnreh 
kann  ein  richtiges  Verstindnis  der  Bibel  herbeigefthrt  werden.  Aach 
über  den  Zweck  der  Bibel  wird  er  sich  bei  dieser  Gelegenheit  aus- 
lassen müssen;  dieser  ist  aber  in  der  Bibel  selbst  deutlich  ang^eben; 
sie  ist  geschrieben  der  Menschheit  zur  Lehre  (veigL  2.  Tim.  3i,  16. 
Röm.  15,  4.  Psalm  93,  5.  u.  s.  f.).  Es  wird  nnn  aber  ein  vernünf- 
tiger Lehrer  seinen  Schülern;  ein  gewissenhafter  Vater  seinen  Kindern 
keine  Lehren  geben,  welche  sie  nicht  verstehen  können;  und  wenn 
Menschen  dieses  nicht  einmal  tliun,  sollte  dann  Gott  es  thnn?  Xub 
befand  sich  aber  doch  zu  der  Zeit,  als  die  Bibel,  und  zwar  besonders 
der  älteste  Theil  derselben,  der  Pentatench,  geschrieben  wurde,  flie 
iresammte  Menschheit  nocli  in  dem  Stadium  der  Kindheit,  auch  das 
Volk  Israel,  auf  welches  es  in  diesem  Falle  ankonuut.  Den  kindlichen 
Ans(;hauungen  des  Volkes  hat  sich  die  Bibel  aber  hier  bei  dem 
Schüpfnn^bericht,  wie  auch  später  überall,  anbeqnenn.  und  wir  müssen 
dieses  für  einen  Beweis  von  der  großen  W  ei>heit  ijottes  halten, 
welche  der  ^renscbheit  keiue  ispeise  bot,  welche  sie  nicht  zu  ver- 
tiageu  im  Staude  war. 

Aas  der  Anschauung  waien  dem  Volke  Israel  auch  damals  bt;i\'its 


Digitized  by  Google 


—    711  — 


die  einfachsten  Torg&nge  in  der  Natur  bekannt;  sie  sahen  am  Morgen 
die  Sonne  aufgeben  nnd  bemerkten,  dass  sie  die  Trägerin  des  Lichts, 
die  Spenderin  der  Wärme,  die  Ursache  dftr  Fruchtbarkeit  sei;  sie 
stihea  des  Nachts  den  Mond  nnd  die  Sterne  am  Himmel  einber- 
vandeln  und  konnten  nidit  anders,  als  diese  für  Lichter  halten,  welche 
den  Zweck  hatten,  die  Dunkelheit  der  Nacht  zn  erleuchten.  Im 
e\\njren  Kreislauf  drehten  sich  Sonne,  Mond  nnd  Sterne  tun  die  Krde, 
Welche  Menschen  daher  als  der  Mittelpunkt  des  gesammten  Weltalls 
erscheinen  mnsste;  „Himmel"  und  ,.Erde"  schienen  ihnen  Gegensätze 
zn  sein.  Selbst  die  Ägypter,  denen  Israel  Innials  imterthan  war,  und 
welche  sich  doch  schon  mit  der  Sternkunde  beschäftigten,  theilten  diese 
kindlichen  Anschauungen,  folglich  konnte  auch  Moses,  obgleich  er  „in 
aller  Weisheit  der  Agj-pter"  unterrichtet  war,  davon  wenig  mehr 
wi.^sen  als  seine  ungebildeten  Stamincsgenossen.  Von  der  Entstehung 
der  Erde  wussten  sie  gar  nichts  zu  sapreu;  war  dieselbe  durch  Zufall 
entstanden  oder  hatten  sie;  sich  aus  dem  Chaos  allmählich  heraus- 
«rebildet?  Das  waren  Frajren.  auf  weldn«  man  keine  Antwort  zu 
gt'lien  wuNSte.  Es  ist  daher  ein  o-roßartiyer  b'ortscliritt,  wenn  Moses 
dt-in  Volke  verkündete:  „Am  Anfang  schuf  (-Jott  Hnnmel  und  Erde." 
Niehl  durcli  Zufall,  nicht  aus  dfm  rhaos  sind  sie  entstanden,  .sondern 
durch  den  Willen  eine?»  allmächtigen,  allweiseu,  allgiUigen  Gottes. 
Freilich  stellt  auch  dieser  biblische  Schopfungrsbericht  gleich  am 
Anfang  Himmel  und  Erde  als  Gegensätze  hin.  den  Anschauungen  der 
Zeit  sich  anbequemend.  Heute  weiJ3  jedes  Schulkind,  dass  Himmel 
und  Erde  nicht  Gegensätze  sind,  -me  es  aus  den  Woi-ten  der  Bibel 
hervorzugehen  scheint;  es  weiß,  dass  ein  „Himmel*',  welcher  sich  ab 
ein  grosses  Idanea  Dach  Uber  der  Erde  wölbt,  nicht  exlstirt,  scmdern 
dass  es  die  Atmosphäre  ist,  welche  die  Erde  ftberall  umgibt;  es  weiß 
auch,  dass  die  Erde  nichts  weniger  ist  als  der  Mittelpunkt  des 
Weltalls«  sondern  dass  sie  wie  ein  Stänbchen  im  großen  Weltenraume 
schwimmt  Sollte  Gott  nun  wirklich  diese  kleine,  gegen  die  andern 
Weltkdrper  unscheinbare  Erde  am  Anfiing  allein  geschaflen  haben? 
Unser  Verstand  und  die  Natnrforschung  sagen  uns,  dass  dieses  nicht 
der  Fall  sein  konnte,  dass  z.  B.  eine  Erde  ohne  eine  Sonne  ganz 
nndenkbar  ist;  und  doch  soll  nach  der  Bibel  die  Sonne  erst  am  vier- 
ten Sehöpfimgstage  erschaffen  sein.  Wir  sehen  also,  diese  sieben 
ersten  Worte  der  Bibel  sind  eine  Mythe,  welche  aber  in  der  Welt- 
anschauung damaliger  Zeit  einen  entschiedenen  Fortschritt  bezoiehnet; 
denn  sie  enthalten  die  tiefe  Wahrheit  gegenüber  den  damaligen 
AnschanuDgen  des  Heidenthums,  dass  die  gesammte  Welt  ihren  Ursprung 


Digilized  by  Google 


—   712  — 


von  Gott  hat.  Wenn  Moses  den  noch  im  halben  Naturznstande  leben- 
den Israeliten  hätte  verkünden  wollen:  „Im  Anfang  schuf  Gott  das 
Sonnensystem'*,  so  würden  sie  ihn  nicht  verstanden  haben :  jedenfalls 
war  es  daher  besser,  ihnen  statt  der  tiir  sie  unverständlichen  Wahr- 
heit eine  ihnen  verständliche  Mvthe  zu  geben,  \\el<  he  den  Kern  der 
Wahrheit,  worauf  es  in  der  lieligion  doch  ankoiuiiit,  eiithiüt.  Was 
\vn<st^'  iibHi-hiiupt  selbst  Moses  trotz  aller  Weisheit  der  ÄL''V])ter  von 
t  iiMiij  >uuueiis}\steinV  Auch  ihm  war  die  Erde  eine  Srln  ibe,  vom 
Hurizunt  bejj:renzt,  um  welche  sich  das  Himmelsgewölbe  mir  Sonne. 
Mond  und  Sternen  in  24  Stunden  wälzte.  Wenn  wir  dieses  alles  k- 
denken  und  hiermit  alsdann  die  sieben  ersten  Worte  der  Bibel  ver- 
gleichen, so  werden  sie  -uns  nicht  mehr  uls  ein  offenbarer  Widerspruch 
mit  der  modernen  Naturanschauung  erscheinen,  sondern  sie  werden 
uns  mit  Bewunderung  erfüllen;  denn  von  allen  Schüpfungsberichten 
des  Alterthums  ist  der  der  mosaischen  Urkunde  der  würdigste  und  der 
der  Walirlieit  am  nächsten  stehende. 

CbrlstUche  nnd  jüdische  Theologen  haben  auf  Grand  des  mesai- 
sehen  SchOpfongsberichtes  ausgerechnet,  dass  die  Schüpfung  der  Erde 
vor  etwa  6000  Jahren  stattgefonden  habe;  die  Natniforschiing  beweist 
jedoch,  dass  die  Erde  bereits  viele  MQHonen  Jahre  bestanden  hat, 
wenn  anch  nicht  in  ihrer  gegenwärtigen  Gestalt  Nnn  Iflsst  sich 
aber  ans  den  Worten  der  Bibel  durchaus  nicht  schÜefte&t  dass  die 
Erde  erst  vor  ca.  6000  Jahren  geschaffen  worden  sei;  diese  Annahme 
ist  eine  rein  willkfiiliche  nnd  nicht  in  der  Bibel  begründet  Wenn 
dieselbe  berichtet:  „Am  Anfong  schuf  Gott  Himmel  und  £^de^  so 
werden  wir  vOUig  im  Dnnkel  dar&ber  gdassen,  wann  dieser  „Anfiing' 
war  ;  diese  Worte  stehen  also  mit  der  Naturforschnng  dorchaos  nieht 
im  Widersprach,  denn  wir  können  den  biblischen  „Anfang**,  ohne  der 
Bibel  Gewalt  anznthnn,  \iele  Millionen  Jahre  zurückverlegen.  Am 
Ende  ist  auch  mit  den  biblischen  Worten  die  Annahme  nicht  ansge- 
schlossen,  dass  aufier  der  Erde  au  eh  noch  andere  Weltkörper  gesdiaiBii 
worden  seien;  es  wird  in  der  Bibel  z.  B.  der  Ausdruck  „Hinmiel"  ja 
Ttfter  für  die  Sternenwelt  gebraucht,  z.  B.  in  dem  Psalmworte:  „Die 
Himmel  erzählen  tlie  Ehre  Gottes";  hier  ist  offenbar  unter  „Himmel'' 
der  Sternenhiiinnel  zu  verstehen.  Wenn  niur  der  \ierte  8ch?^pfun<:>tair 
nicht  nachti'äglich  den  Bericht  von  der  Erschaffung  von  Sonne,  Mond 
und  .Sternen  brächte,  so  würde  also  aller  Widerspruch  leicht  zu 
ijeititren  sein;  lüenn  lieo^t  aber  n<>cli  eine  ibichwierigkeit,  welche  mi 
nachher  noch  einmal  beschiiftiiren  wird. 

^'ach  diesem  Bericht  von  der  Schüpfung  der  Erde  wenden  wir 


Digitized  by  Google 


—  71S  — 


uns  dem  sog.  „Sechstagewerk''  zu»  von  welchem  uns  die  Bibel  berichtet 
Die  Erde  vir  jetzt  freSlieh  da,  aber  sie  war  „wflste  und  leer**;  doch 
dorch  das  Allmachtawort  Gottes  nahm  sie  in  6  Tagen  ihre  jetzige 

Gestalt  an.  Hier  sagt  nun  viedenun  die  Naturforschunix,  dass  dieses 
nicht  der  Fall  sein  konnte;  die  Erde  habe  verschiedene  Entwickelungs- 
perioden  durchmachen  müssen,  ehe  sie  ihre  jetzige  Gestalt  angenom« 
men  habe,  Entwickelungsperioden,  welche  Jahrtausende  gewährt  haben» 
und  die  Erdschichten  beweisen  uns,  dass  die  Xatiirforschung  mit  dieser 
Behauptung  recht  hat.  Nun  wäre  es  aber  doch  Thorheit,  sich  gegen 
das  aufzulehnen,  was  der  Augenschein  bezeugt,  und  wir  können  daher 
gar  nicht  anders,  als  die  Schöi)fiingsta2rc  für  Perioden  von  Jahrtiiusen- 
den  zu  halten.  Fs  ist  loiclit,  hier  /n  -niren,  die  Natnrforschung  be- 
finde sich  auf  falsclicr  Bahn,  wie  >  liiL'-ije  diese><  in  seinem  (übrigens 
vortrefflichen)  Lehrbuche  der  biMischen  Gescliichte  thut,  wenn  er  vom 
„Set  listai^pwerk"  spricht.  Er  sagt  in  demselben  S.  2  u.  3:  „Es  ist  eine 
Streitlrage,  ob  unter  den  Schöpfungstagen  24stündige  Tage,  oder 
Zeiträume  von  längerer  Dauer  zu  verstehen  seien.  Maiidie  bestehen 
auf  der  letzten  Annahme  und  meinen  den  Beweis  dafür  aus  der  Be- 
schaffenheit der  Erdrinde,  insbesondere  aus  der  Lagerung  und  den  . 
Bestandtlieileu  ihrer  Schichten  führen  zu  können.  Aber  wir  sind  mit 
unsenn  Glauben  nicht  an  die  aut  diesem  Gebiete  einander  vielfach 
widei-sprechenden  Angaben  der  Naturforschung,  sondern  an  das  Wort 
vom  Glauben  gewiesen  Röm.  10,  6—8.  Das  Wort  Gottes  kann  duich 
die  Natnrforschimg  weder  an  Glanbwttrdigkeit  gewinnen  noch  ver- 
lieren, und  wo  die  aagebliehen  Ergebnisse  derselben  ihm  wider- 
siirechen,  da  sind  sie  ftlsch  und  daher'  abzuweisen;  äsm  Gottes 
Werke  und  sein  Wort  können  einander  nicht  widerspredien.  FOr 
den  Christen  kann  es  sich  in  diesem  Streite  nur  dämm  handebi,  was 
fOr  Tage  die  Schrift  unter  den  Schöpfimgstagen  versteht  Zur  Beant- 
wortung dieser  Frage  ist  aunAchst  festzuhalten,  dass  wir  1.  Mos.  1. 
nicht  etwa  heilige  Dichtung,  sondetn  Geschichte  vor  uns  haben,  und 
dass  in  einem  geschichtlichen  Berichte  die  AusdrAcke  nicht  bildlich 
zu  &8sen  sind,  sondern  so,  wie  sie  lauten.  Sodann:  vom  4.  Tage  an 
geben  die  Steine  Zeiten,  Tage  und  Jahre,  daher  mtissen  die  letzten 
drei  Tage  noth wendig  als  24 stündige,  duich  den  infolge  der  Achsen- 
drehung der  Erde  geschehenden  Auf-  und  Untergang  der  Sonne  ent- 
standene Tage  gefasst  werd^;  damit  fällt  aber  auch  alle  Berechtigung 
hin,  die  ei-sten  drei  Tage,  deren  Anfang  und  Knlr  auf  gleiche  Weise 
bezeichnet  ist,  wesentlich  anders,  nämlich  als  Perioden  von  Jahren 
oder  Jahrtausenden  zu  verstehen,  wenngleich  die  Achsendrehungen 


Digilized  by  Google 


—   714  — 


(Kr  Erde  bis  zur  Bildung  unsers  Sonnensystems  —  am  \if'rten 
JSchuptungstage  —  etwa*:  langsamer  geschehen  sein  mügi'ii  als  in 
24  Stunden.  Nnr  dadurch  unterscheiden  sich  die  erst«Mi  drei  vuii  den 
letzten  drei  Tagf^n,  iliis>  bei  ilmen  Mor<ren  und  Al>eüd  nicht  durch 
den  Auf-  und  Untergang  der  Sonne  entstand,  denn  die  Sonne  ^val■ 
noch  uichi  da  il?).  '\^'cl!  aber  konnte  aucli  wiilirt  iul  dieser  Tag»;  der 
Wechsel  von  Licht  und  Finstenüs  durch  die  Achsendreliung  der  Erde 
bewirkt  \s erden,  wenn  Gott  da^s  Licht  räumlich  von  dem  Erdk^rper 
geschieden  und  an  einen  Ort  im  Welträume  zusammen  gezogen  liatlt^, 
von  wo  aus  sein  Schein  auf  die  Erde  fiel." 

Diese  Auffassung  kann  uns  unmöglich  befriedigen;  denn  einer 
effenbaien  Thatsache  sich  verschließen  und  gegen  die  Ergebnisse  der 
Natnrforschoog  Protest  erheben,  ist  auf  die  Dauer  unmöglich.  JedflB* 
falls  ist  es  besser  zu  versuchen,  ob  sich  nicht  aiinftbenid  eine  Über- 
einstimmung mit  dem  biblischen  Bericht  von  dem  „Sechstagewerk'^ 
herbeiführen  Iftsst  Die  Bibel  verbietet  uns  nicht,  grolle  Schöpfnngs- 
perioden  anzunehmen»  selbst  wenn  bei  jedem  einzelnen  Tagewerke  von 
*  Abend  und  Morgen  gesprochen  vird  (vergl  auch  FiBalm  90,  4).  Ist 
hier  nicht  auch  ein  dem  FassungsTermOgen  des  Volkes  entsprechendes 
Anbequemen  anzunehmen?  Und  ist  wirklich  der  Bericht  ganz  und 
gar  Geschichte  und  keine  Dichtung?  Die  neueren  Forschungen  auf 
dem  Gebiete  der  morgenländiscben  Sprachen  haben  klar  bewiesen,  dass 
wir  viehnehr  einen  Kythus  vor  uns  haben,  welcher  mit  andern  morgen- 
ländischen  Volkssagen  von  der  SehÖpAing,  z.  B.  mit  der  ass3rri8ehenf 
große  Ähnlichkeit  hat.  Da  könnte  man  freilich  einwenden,  der  assy- 
rische B(  rieht  sei  dem  jüdischen  nachgebildet  ;  jedoch  ist  dieses  nicht 
möglich,  da  im  Gegentheil  der  assyrische  Bericht,  wie  die  Forschungen 
ergeben  haben,  älter  ist  als  der  mosaische.  Dieser  gleiche  Charakter 
mit  andern  Sagen  der  Vorzeit  spricht  für  eine  m}*tlüsche  Auffassung, 
und  die  ^lehrzahl  der  Supematuialisten  unter  den  neueren  Dogma- 
tikeni  reduciren  den  Kcm  der  Schöpfungsgeschichte  auf  den  Satz. 
„d&ss  die  zeitlich-räumliche  Welt  ihren  zeitlosen  (Trund  in  Gott  habe~. 

Am  ersten  Tage,  so  lierichtet  tlie  Bibel,  schuf  (iott  das  IJcht. 
Woher  das  Licht  kam.  sagt  uns  der  Bericht  nicht;  wir  wissen  aber, 
da.ss  allein  die  Sonne  die  Quelle  des  irdiselien  TJc]itt  >  ist.  Es  ireht 
also  aus  diesem  ersien  Tagewerke  liereits  Ii-  i  \  n  .  il  (->  die  Sonne  tla 
war.  l>a.ss  Aoiher  tiefe  Eiiiiternis  die  Erde  deckte,  kann  uns  nicht 
wundern ;  der  dichte  Dunstkreis,  welcher  die  Erde  (leckte,  wehrte  den 
8uunen>trahlen,  bis  zu  dem  Kerne  durclizudiiugen.  Es  ist  nach 
meinem  Dafürhalten  des  Schöpfers  unwürdig,  anzunehmen,  dass  er  das 


.  kiui^  .-.  l  y  Google 


—  715  — 


Liebt  auf  irgend  einen  Punkt  „znsainfflengezogen''  habe,  irie  Flügge 
mänt;  er  h&tte  dann  ja  am  Tieften  Tage,  als  er  dem  biblischen  Be- 
richt smfolge  die  Sonne  schuf,  eine  Verbeesenmg  seines  ersten  Tage- 
werkes vorgenommen,  dasselbe  wftre  also  nicht  unbedingt  „gut''  ge- 
wesen. War  also  das  Licht  da,  so  musst«  nothwendig  die  Sonne,  die 
Quelle  des  Lichtes,  auch  da  sein.  -  Tiicht  ist  Leben  und  ^iU  Leben; 
nun  es  vorhanden  war,  konnte  die  Erde  auch  Pflanzen-  und  Thiei  lelten 
herrorbringen.  £he  jedoch  die  Bibel  uns  davon  bericlitet,  ei-zälilt  sie 
uns,  als  am  zweiten  Tage,  von  der  Erschaffung  der  Feste  des  Him- 
mels, des  „Firmaments".  Hier  sehen  wir  deutlicli,  dass  vfir  eine 
Mythe  vor  uns  hahen.  Die  Feste  des  Himmels,  das  FiiTnament,  der 
sichtbare,  über  uns  ausg-espannte  l)laue  Himmel,  ist  nichts  weniger 
als  fest  odei-  ..tirrn";  jedes  Scliulkind  weiß,  dass  er  weiter  nichts  ist 
als  die  die  Erde  nmf^ebende  Atmosphäre,  also  nichts  Festes,  sondern 
ein  Klnidum.  so  zart  und  deliubar,  als  wii-  es  uns  nur  deuken  können. 
Der  Ansdrurk:  ,.(^ott  schied  das  Wasser  unter  der  Feste  von  den 
Wasseru  über  der  Feste'*  ist  ein  selir  dunkler.  Man  lindet  diese 
Worte  bisweilen  so  ausgelegt,  als  wvnn  iiiei-  von  der  Wolkenbildnng 
die  Rede  wäre.  Dieser  Auffassun.ir  schließe  ich  mich  am  liebsten  an. 
Durch  das  Licht  wurde  allmählich  der  die  Erde  umgebende  Dunst- 
schleier zerrissen,  der  blaue  Himmel  kam  zum  Voi*scheiu.  FlUgge's 
Auffassung,  dass  Gott  ,,das  Wasser  über  der  Feste"  emporgewii-belt 
und  daraus  die  JSterue  ^^emacht  habe,  ist  doch  gar  zu  willkürlich  und 
—  heidnisch,  steht  auch  mit  aller  Naturforschung  in  völligem  Wider- 
spruch. Mit  dem  Sichtbarwerden  des  blaum  HimmdB  wurden  auch 
Sonne,  Mond  und  Sterne  sichtbar;  wir  brauchen  also  nur  das  vierte 
Tagewerk  Tor  das  dritte  an  stellen,  so  ist  auch  dieser  Widerspruch 
beseitigt,  welcher  obwaltet,  wenn  das  Sonnensystem  erst  als  am  yier- 
ten  Tage  entstanden  gedacht  wird.  Sonne,  Mond  und  Sterne  waren 
vorhanden,  kamen  aber  jetzt  erst  zur  Erscheinung,  nachdem  der  blaue 
Himmel  sichtbar  geworden  war.  Auf  die  Reihenfolge  kann  es  aber 
nm  so  weniger  ankommen,  als  wir  ja  weniger  G^hichte,  sondern 
vielmehr  heilige  Dichtung  vor  uns  haben. 

Die  noch  folgende  Tagewerke  od^  Schfipfnngaperioden  sind  klar 
und  stehen  ndt  keiner  Naturforschnng  in  Widerspruch.  Es  wurde 
auf  der  Erde  allmählich  trocken,  indem  sich  das  Land  von  dem 
Wasser  schied,  und  das  Land  brachte  Pflanzen  hervor,  so  dass  also 
das  grilne  Kleid  die  Erde  deckte.  Dann  begann  das  Thierleben,  zu- 
erst das  Leben  der  niederen  Thiere,  der  Wasserbewohner,  dann  auch 
das  der  höheren  Geschöpfe,  und  der  Abschlnss  des  ganzen  Schöpfungs- 


Digitized  by  Google 


—   716  — 


Werkes  ist  die  Ei-schafung  des  Mensclien.  Ob  der  biblische  Beiidit 
von  der  Erschaftniisi  des  Menschen  auch  als  ^lytlms  anzusehen  ist,  wer 
kann  es  sagen?  Jedenfalls  ist  es  aolTallend,  dass  auch  an  diese  sich 
mannigfache  Anklänge  in  der  Mytholof^ip  anderer  nnd  älterer  Cultnr- 
völker  finden.  Dies  zu  untersuchen  ist  aber  nicht  der  Zweck  dieser 
Zeilen,  welche  hlos  dazu  dienen  sollen,  dem  Lehrer  Fingerzeige  zu 
geben,  wie  er  sich  eventuell  aus  Verlegenheiten  herausziehen  kann, 
wenn  NatnrtV»is(  hiing  und  Bibelglaube,  soweit  es  das  Gebiet  der  Schule 
beti'ilit,  in  Widersprnch  gerathen. 

Soviel  Ober  den  NehOyliingsbericlit.  Alles  zusaiumeuL^eta--T  nai^sHi 
wir  jresitehen.  dass  in  demselben  sehr  viel  Mythe  enthalten  i-t;  wir 
küuiieu  unmöglich  denselben  ganz  als  Geschichte  ansehen.  l)ie  Wider- 
sprüche aber,  die  in  demselben  gegenüber  der  modernen  Naturanscbaunn? 
obwalten,  lassen  sich  theilweise  beseitigen,  wenn  man  zwischen  den  Zeilen 
zu  lesen  versteht. 

Bei  der  Erzählung  von  der  .Sintflut  oder  Sündflut  begegnen  wir  aber- 
mals derartigen  Verlegenheiten.  Die  Bibel  erzählt  uns,  dass  das  Wasser 
derselben  die  ganze  Erde  bedeckte  nnd  dass  es  15  EUen  hoch  ttber  die 
höchsten  Berge  hlnwegstrOmte.  Ein  Natorereigiiis  von  sokher  Furchtbar- 
keit gehört  zu  den  Unmöglichkeiten;  denn  wir  mfissen  uns  fragen:  „Wo- 
ber kam  das  Wasser,  nnd  wo  bHeb  es?"  Denn  wenn  die  ganze  Erde  da- 
mit bedeckt  war,  so  konnte  es  doch  nicht  ablaufen.  Als  höchster  Berg 
der  Erde  gilt  der  Ganrisankar  im  Himalaya-Gebirge,  dessen  Höhe  man 
anf  ca.  8800  m  sebAtzt;  nnn  stelle  man  sich  die  nnendliche  Wasser- 
menge  vor,  welche  sogar  den  Ganrisankar  noch  um  15  EHlen  llber- 
ragte!  nnd  diese  Wassermenge  soll  in  40  Tagen  nnd  40  Nächten  ent- 
standen sein!  Wi»  ist  ans  diesem  Dilemma  ein  Answeg  zu  finden? 
Es  ist  zweifellos,  dass  wir  auch  hier  eine  Kythe  yor  nns  haben.  Zu 
dieser  Annahme  sind  wir  um  so  mehr  berechtigt,  als  anch  bei  andern 
Völkern  die  Sage  von  einer  großen  Flut  sich  findet,  z.  B.  bei  den 
Chinesen,  Indem,  As8jTei*n,  Griechen,  ja  sogar  bei  den  Indianern  in 
Südamerika.  In  neuerer  Zeit  ist  es  dem  berühmten  Assyriologen  George 
Smith  gelungen,  aus  assyrischen  Keilschriften  des  Britischen  Museums, 
welche  muthmaßlich  älter  sind  als  die  Bücher  Mosis,  einen  Bericht 
über  die  Sintflut  zu  entziffeni,  welcher  mit  dem  jüdischen  M>^hus  viel 
Älmlichkeit  Xisnthrn^.  der  assyrische  Xoah.  baut  ebenfalls  auf 
Gottes  Befehl  ein  Schilf  und  rüstet  es  aus;  selbst  die  Anssendung  der 
Tanbe  und  das  Niederlassen  des  Schiflfes  aut  einem  Berjre  tiiidet  sich 
in  diesem  Berichte.  Ks  ist  wahrscheinlich,  dass  M('<h>-  diese  Mythe 
kannte  nnd  seinen  Bericht  derselben  nachbildete.  Möglich  ist  es  ja 


—   717  — 


auch,  dass  der  Sage  eme  historische  Tliatsache  zu  Grunde  liegt.  Nehmen 
wii'  die  Tiefebene  von  Mesopotamien,  wie  es  ja  gewöhnlich  geschieht, 
als  die  Wiege  de&  Menschengeschlechts  an,  so  ist  ja  die  Möglichkeit 
niclit  ausgeschlossen,  dass  einst  diese  Ebene  durch  eine  Überschwem- 
mung heimffpsncht  wurde,  in  welcher  Wele  ^renscheu,  wenn  auch  nicht 
alle,  bis  auf  acht,  ihren  Tod  fanden.  Wenn  hier  also  die  Kefle  ist  von 
einer  Überschwemmung,  welche  die  ^^anze  Erde  de<'kt*\  so  ist  darunter 
nur  die  ganze  damals  bekannte  Ei  de  zu  verstehen.  Der  Berg  Aiurat, 
oder,  fj:enauer  g-enommen,  „die  l^erg:e  von  Ararat".  wie  der  liebräisehe 
Urtext  lautet,  waren  von  den  damals  bekannten  Ki  Ii-  lnuiLtn  libcr  die 
Erdoberfläche  wol  die  bedeutendsten,  also  war  ps  n-inulich,  dass  sie 
als  der  Zufluchtsort  der  geretteten  Eamilie  angesehen  wuidm.  —  Bei- 
lÄnfipr  bemerkt,  erzählt  die  chinesische  Sintflutsage,  dass  Niu-Wa,  der 
chinesische  Xoah,  die  Schleusen  des  Himmels  mit  einem  wunderbaren 
siebenfarbigen -Stein  geschlossen  habe  ;  wir  erkennen  in  diesem  sieben- 
farbigeu  Stein  unschwer  den  liegenbogen,  den  Gott  zufolge  dem 
biblischen  Berichte  zimi  Bundeszeichen  machte.  Wenn  nun  aber  auch 
der  historiselie  der  Sintflutgeschichte  gering  ist,  so  ist  der  ethische 
Wert;  dertdboii  ma  ao  gidBer.  Säe  zeigt  uns  Gott  als  den  BMushet  des 
Unrechts  und  als  den  Beachfltzer  der  Frommen,  and  so  hatte  die  Ge- 
schichte besonders  für  die  danialigen  Zeiten  ihre  hohe  sittliehe  Be- 
dentsng.  Sie  bewahrheitet  wiedemm  den  Spruch:  „Was  geschrieben 
ist»  das  ist  ans  ZOT  Lehre  geschrieben.*' 

Wo  es  sieh  in  der  biblischen  Geschichte  um  ein  sogenanntes  Wand« 
handeltt  d.  h.  am  ein  Ereignis,  welches  dem  gewöhnlichen  Laof  der 
Dinge  and  der  Wirksamkeit  der  natürlichen  Ursachen  widerspricht» 
and  welches  daher  auf  das  aolterordentliche  Eingreifen  der  Über  der  ' 
Nator  stehenden  Gottheit  zorückgeführt  werden  mass,  hat  der  Lehrer 
nicht  nöthig  zu  versachen,  dasselbe  mit  den  Naturgesetzen  in  Über- 
einstimmung zu  bringen;  denn  es  handelt  sich  hier  nicht  um  eine 
bleibende  oder  einen  lAngem  Zeitraom  in  Anspruch  nehmende,  folglich 
den  Naturgesetzen  dauernd  entgegenstehende,  sondern  um  eine  vorüber- 
gehende That.  Es  wird  dem  Lehrer  auch  nur  in  den  allerwenigst (  n 
Fällen  gelingen,  eine  solche  Übereinstimmimg  herbeizuführen;  nnd  selbst 
wenn  es  ihm  bei  einzelnen  Wundern  gelänge,  so  ist  es  doch  nicht  ratU- 
sam,  sclion  den  Kindeni  den  Wunderglauben  zu  nehmen;  sie  verHeren 
ilin  gemeiniglich  ohnehin  früh  genug.  Bei  einzelnen  A\'un(lern,  z.  B.  bei 
den  Plagen  Agyittens,  Hegt  freilich  eine  natürliche  Erklärung  so  nahe, 
dass  der  Lehrer  versucht  wird,  dieselbe  den  Sehülei-n  zn  geben;  doch 
halte  ich  auch  dieses  fiir  bedenklich,  denn  rüttelt  man  an  dem  einen 


Digitized  by  Google 


—   718  — 


Wunder,  so  kann  man  mit  (lemselben  Rechte  auch  an  allen  rütteln,  und 
das  ist  nicht  voljrethan.  Selbst  wenn  der  Lehrer  mit  dem  Wnnder- 
^rlauben  zerfallen  sein  s<dlte,  soll  er  sich  doch  hüten,  dieses  vor  den 
Kindern  zn  zeigen;  seine  erziehlu-lie  Tliatigkeit  würde  darunter  leiden. 
Bei  der  8ch(ipfunars-  und  Sintfliitj^eschichte  liegt,  wie  wii- gesehen  haben, 
die  Sache  wesentlich  anders;  da  nuiss  er  im  naturkundlichen  Unter- 
richt üft  das  (Te<rentheil  von  dem  lehren,  was  die  Idldische  Geschichte 
lelirt,  und  er  ist  hier  alsio  genöthifrt,  wenn  er  sich  nicht  selbst  wider- 
sprechen will,  beide  Fiicher  in  Kiiiklau;;  m  bringen. 

Es  unterliegt  zwar  keinem  Zweilei,  dass  sowol  der  Pentatench, 
als  auch  das  Buch  Josua  und  mehr  oder  weniger  alle  übrigen  B&cher 
des  alten  Testaments  mythischen  Ursprungs  sind«  Durch  die  nenere 
Bibdforscliung  ist  es  festgestellt,  dass  die  Namen  d«r  Bfldier  nicbt 
mit  denen  ihrer  wahren  Verfasser  flbereinstimmen;  so  ist  es  nach- 
gewiesen, dass  z.  B.  der  Pentatench  in  Terachiedenen  ZeitrSnmen  yer- 
fasst  worden  ist,  frfihestens  jedoch  znr  Zeit  der  KCnige;  das  letzte 
Bach  soll  ans  der  Zeit  des  Königs  Hiskias  stammen;  dasselbe  ist  mit 
dem  Bache  Josna  der  Fall  Bis  dahin  war  die  Geschichte  des  israeli- 
tischen Volkes  im  Zusammenhange  nicht  aofgezeichnet  worden,  sondern 
durch  mfindliche  Überlieferungen  Ton  Geschlecht  zn  Geschlecht  hatte 
sidk  dieselbe  fortgepflanzt  Dass  sich  da  manche  Mythe  neben  der 
wirklichen  Geschichte  in  einer  Weise  einschlich,  dass  schliefilich  Mythe 
und  Geschichte  nicht  mehr  zn  unterscheiden  waren,  kann  uns  daher 
nicht  überra Fachen.  So  ist  es  unzweifelhaft,  dass  die  Geschichte,  oder 
vielmehr  die  Tradition  des  Durchzuges  durch  das  Rothe  Meer  und  den 
Jordan,  der  Eroberung  von  Jericho,  des  wunderbaren  Sieges  Josuas 
über  die  Cananiter,  der  .Thaten  Simsons  n.  s.  w.  Mjihen  mit  histo- 
rischem Hintergrunde  sind.  Über  den  Sietr  Josiias  über  die  Kananiter. 
wo  er  der  Sonne  und  dem  Monde  befiehlt  stillzustehen,  und  welcher 
schon  Anlass  zii  so  unendlich  vielen  S;treitip:keiten  gegeben  liat,  be- 
merke ich  nur,  was  ilttsrg'e  in  seinem  bereits  angeführten  Buche  sairi: 
..Es  wäre  Missverstand,  zu  meinen,  die  heilige  Scluift  lelire  hier  eine 
Bewegung  der  Sonne  um  die  Erde.  Sie  berichtet  einfach  die  Worte 
Josuas,  welche  nach  dem  Augenschein  geredet  sind,  wie  wir  noch 
hentigesta2:s  von  einem  Auf-  und  Untergang  der  Sonne  sprechen.** 
Diesen  A\'(n'ten  schließe  icli  nin  h  gern  an  und  weiß  ilenselben  nichts 
hinzuzufügen.  Übrigens  sind  die  Untersuchungen  darübei'.  was  in  den 
alttestamentlichen  Büchern  Mythe  und  was  Geschichte  ist.  sehr  inter- 
essant und  eignen  sich  besonders  zu  einem  Privatstudium  tiü'  den  streb- 
samen Lehier;  in  die  Schule  gehören  sie  aber  selbstverständlich  nicht. 


kj,  i^i,-.  l  y  Google 


—   719  — 


Die  Bibel  hat,  ganz  abgesehen  davon,  dass  sie  die  (irimdlage 
unserer  Religion  bildet,  allein  schon  ihres  Alters  wegen  Ansprach 
darauf,  mit  Ehrfurcht  behandelt  zu  werden.  Mir  sind  von  jeher  solche 
Leute,  welche  dieselbe  lächerlich  zu  machen  versuchen  oder  offenbar 
verhöhnen,  zuwider  prewesen.  Und  selbst  wenn  sich  in  derselben  Irr- 
thüraer  und  Widersprüche  finden,  \va<  ja  nicht  zu  leugnen  ist,  wenn 
auch  manclie  Sf?  llr  un^  dunkel.  j;i  x  ll  st  anstößig  erscheint,  so  dürfen 
wir  nie  vergessen,  in  ns sicher  Zeil,  unter  welchem  Volke  und  von  was 
fiir  Personen  sie  gescliriebeii  wurde.  Es  waren  nicht  lauter  Gelehrte, 
welche  die  Bibel  schrieben;  wir  wissen  es  ja  von  den  Aposteln,  dass 
sie  meist  geringe  Leute,  Handwerker  und  Fischer  waren.  Das  alte 
Testament  müssen  wir  ansehen  als  ein  trroßai  Tiges  Zeitgemälde,  welches 
in  iiäarki^»  II  'Aü^m  Sitten,  AnschauuagLii,  Charakter  u.  s.  w.  des  von 
Gott  zum  Trager  der  Gottesidee  ausgewählten  Volkes  vor  Auj^en 
führt.  Li  der  Schule  ist  es  nun  die  Aufgabe  des  Lehrers,  den  Schüleni 
Ehrfurcht  einzupflanzen  vor  der  Bibel«  welche  in  so  schöner,  kräftiger 
Sprache  zu  imt  redet;  dieses  eneieht  er,  indem  er  die  Kinder  recht 
in  das  Verständnis  derselben  einführt  Wenn  es  nnn  vorkommt»  dass 
Bibelwort  nnd  Naturwissenschaft  sich  entgegen  stehen,  so  mnss  er  ver- 
suchen»  in  TmtSndlicher  Weise  eine  ÜbOTdnstimmnng  herbeiznfllhren, 
waSf  wie  wir  gesehen  haben,  nicht  immer  schwierig  ist;  ist  dieses 
aber  nicht  mdglieh,  so  darf  er  meines  Erachtens  den  Eindem  nniun- 
wanden  sagen,  dass  die  Bibel  manche  Mythe  enthält,  dass  sie  aber 
dadurch  durchaus  nicht  an  ihrem  Werte  verliert.  Es  ist  besser,  das 
Kind  erfUirt  dieses  durch  den  Mund  des  Lehrers,  als  durch  den  Hund 
Unberufener,  welche  vielleieht  ndt  unzarten,  schnOden  Worten  ihm  die 
Augen  dl&ien  und  dadurch  schwere  Verwüstungen  in  dem  G^ftthe 
desselben  anrichten.  Dadurch  aber,  dass  der  Lehrer  ihm  mit  ver- 
ständigen Wollen  die  ndthige  Aufklärung  gibt,  wird  die  Bibel  nicht 
an  Ansehen  verlieren,  sondern  viel  eher  gewinnen. 

Vorstehende  Erörterung  ist  die  Frucht  eines  langen,  ernsten  Nach- 
denkens über  den  beregten  Gegenstand;  ho£fentlich  hat  dieselbe  den 
Beifall  meiner  Leser  gefunden.  Mag  auch  mancher  anderer  Meinung 
sein;  ich  stelle  ja  auch  die  Art  und  Weise,  wie  ich  diese  Frage  be- 
handele, nicht  als  die  allein  richtige  hin.  Vielleicht  wird  der  eine 
oder  der  andere  hierdurch  anj^erei^t,  ebenfalls  über  den  Gegenstand 
nachzudenken  und  seine  Ansichten  ims  mitzntheilen.  Das  wird  aber  aus 
meinen  Ansfiihruniren  ersichtlich  sein,  dass  ich  überall  das  Ansehen  und 
die  Wihile  der  1  iM i lieii  I 'Iterlieterung  gewahrt  wissen  will,  auch  da, 
wo  man  gezwungen  ist,  dieselbe  ins  Gebiet  der  Mythe  zu  verweisen. 


L/iyiii^ü<j  by  Google 


Sireiiückter.  . 


Von  Beäw  Fr,  IiHe9Mte»FreKHicatäe  a  0, 

„Fflz  «ttMT  Volk  ein  H<!xz. 

er  nicht  geradezu  ein  Neoling  in  der  pädagogischen  Literatur 
ist  and  seine  Augen  den  Erscheinungen  auf  diesem  Gebiete  nicht  ge- 
flissentlidi  verschließt»  dem  wird  sich  mit  uns  gdegeutlich  wol  einmal 
die  Wahmehmitttg  aul^BfedrSngt  haben»  dass  zn  gewissen  Perioden  m 
den  pädagogischen  Zeitsehiiften  ganz  besonders  die  Fragen  des  Unter- 
richts und  der  spedellen  Methodik  desselben  sich  dominirend  in  den 
Vordergnind  gedrängt  haben,  während  zu  anderen  Zeiten  das  all* 
geraeine  Interesse  in  besonders  lebhafter  Weise  der  Erziehmig  im 
oigem  Sinne  sich  zuwandte.  Wir  glauben  nicht  zu  irren,  wenn  wir 
annehmen,  dass  anch  die  Gegenwart  mit  besonderer  Lebhaftigkeit  die 
Erziehung  der  heranwaclisenden  Jugend  zur  Discussion  gestellt  habe. 
£in  Blick  in  die  verschiedensten  pädagogischen  Journale  wird  die  aus- 
gesprochene Behauptung  bestätigen.  Desgleichen  sind  in  den  letzte 
Jahren  aul"  den  Lelu-erversammlungen  und  Lehrertagen  meist  Fragen 
erörtert  worden,  die  sich  eingehend  mit  dem  angezogenen  Gegenstande 
beacliäftiqtpn. 

Sollten  diese  Erscheinungen  blos  zutäliige  sein?  oder  liegen  den- 
selben liestimmtc  Vorkommnisse  in  der  Entwickelung  unseres  Volkes 
zu  (Truiide?  Icli  halte  datür.  dass  diese  lebhafte  KnirtenmG:  der  Er- 
zieh an  gstVa'j-e  in  ursäi'hlirheui  Zu&animMnhange  stehe  mit  den  jeweiligen 
Sitten-  und  r Iii t Urzuständen  im  Volkcritiben.  Die  Voikomninisse  des 
letzten  Jahrzehnts  haben  auf  unsere  ciiltiireHen  und  sitllicUeu  Zu- 
stände oft  grelle  Blitze  ?ewoi-fen  und  uns  unser  \'olk  in  einer  Be- 
leuchtung gezeigt,  die  wenig  dazu  augethau  war.  uns  ein  angeneUuies 
Bild  erkennen  zu  lassen.  \\'ohin  der  Blick  sich  auch  iwenden  mag, 
überall  treten  uns  schwarze  Punkte  und  hässliche  Flecken  entgegen« 


i^iyui<-cd  by  Google 


—   721  — 


bei  deren  rTusichgreileu  um  um  die  Zakuiift  lULseres  Volkes  bauge 
werdtiu  kuuute. 

Wer  es  gut  mit  seinem  Volke  uieiiii  iiml  nicht  will,  dass  auch 
ibm  das  Schicksal  der  alten  Culturvcdker  liest  liieden  sei,  wird  mit  uns 
wünschen  luüsäen,  dass  je  eher  je  liebei  die  abschüssige  Bahn  ver- 
\i\^&tü.  und  ein  Weg  eingeschlagen  werde,  der  zu  einer  wahren  Er- 
neuerung und  sichern  Gesuiidung  zu  führen  vermag.  Die  Erkenntnis, 
duijs  es  in  der  Viisliengeu  Weise  nicht  weiter  gehen  kami  iind  ikiit, 
bricht  sich  in  immer  weiteren  Kreisen  lialiu.  Was  Wunder  also,  wenn 
wir  in  solcher  Zeit  des  sittlichen  Niedergangs  allerorten  die  warnende 
und  mahnende  Stimme  der  Besten  und  Edelsten  der  Kation  vernehmen? 
Was  Wunder,  wenn  man  der  Endehangsfrage  wieder  eine  erhöhte  Auf- 
merksamkeit und  Theilnahme  zuwendet?  Besserung  und  Sicherung  der 
Zukunft  unserer  Nation  ist  nur  von  einem  besser  erzogenen  Gesddecht 
zu  erwarten.  Darum  gilt  es  vor  allen  Dingen,  die  heranwachsenden 
Generationen  zu  gewinnen,  sie  auf  den  rechten  Püstd  zu  bringen.  Und 
darum  wird  das  Heil  in  erster  Linie  von  der  eingreifenden  Thätigkeit 
der  Schule  und  ihrer  Lehrer  erwartet;  von  der  Schule,  der  viel  ge- 
schmfthten  und  —  auch  viel&ch  Übersch&tzten.  —  WShrend  auf  der 
einen  Seite  dieselbe  f&r  alle  Misastfinde  und  Übel  der  Gegenwart  ver- 
antwortlich gemacht  wird,  erhebt  man  sie  auf  der  andern  Seite  tkber 
Gebüi-  und  erwartet  von  ihr  aliein  Abhilfe  aller  Noth  und  alles 
£lendes  dieser  Zeit. 

Von  beiden  Seiten  wird  sie  verkannt.  Sie  hat  weder  so  schwer 
gesfindigt,  als  man  ihr  schuld  gibt,  noch  kann  sie  so  Großes  leisten, 
als  man  von  ilir  fordert  Bedenke  man  doch  nur  das  Eine:  Die 
Schule  ist  ein  Kind  ihrer  Zeit,  die  mithin  melir  oder  weniger  an  den 
Kraiiklieitserscheinungen  der  Zeit  selbst  leidet  und  aufs  eniptindlichste 
von  der  Zeitstrt)inun<^  beeinflnsst  wird.  Gleicht  sie  nicht  dem  Manne 
in  «ler  Rückert^ichen  Parabel,  der  von  allen Seittu  „umstellt,  umlagert  und 
unulruht"  ist?  Wie  soll  sie  da  frei  und  nngeliindert  ihren  We^  i^flien, 
wie  soll  sie  das  ilu'  gesteckte  Ziel  uatei"  solchen  Verhäituisseu  er- 
reichen k(  innen? 

Pass  die  Schule  und  ihre  Lehrer  nicht  blind  und  taub  sind  gegen 
das  Elend,  gegen  die  mangelhat le  Erziehung,  gegen  die  l'berhand- 
uahme  der  Sittenlosi;;keit,  gegen  die  aullere  Noth,  die  aui'  uuserm 
Volke  lastet,  geht  zur  (Jlenüge  daraus  hervor,  dass  Pädagogen  aller 
öchattii-ungen  sicii  eilrig  bemüht  zeigen,  in  Wort  und  Schrift  Vor- 
schläge zm:  Besserung  und  Abhilfe  zu  machen.  Soll  aber  wklich 
Wajidel  in  diesen  Wimiisseu  geschafft  werden,  so  scheint  es  vor  allem 


Digitized  by  Google 


—   722  — 


geboten,  clic  vorliandeneii  Übel  klar  zu  eikeniien  uiul  dieselben  ins 
rechte  Lieht  zu  stellen,  daniach  aber  JVIittel  und  Wege  zu  suchen, 
wie  ilinen  begegnet  werden  möchte. 

1. 

Wir  lebeu  orteiibar  iu  einer  sturmbewegteu  Zeit.  Auf  allen  G-e- 
bieten  des  öfFentlichen  und  sittlichen  Lebens  zeigen  sich  imheimliclie 
Erscheinungen.  Unsere  politischen  und  socialen  Verhältms5>e  sind  au- 
klar  and  verworr»!;  man  h&rt  allerorten  nur  Klagen  über  die  traui  i^  e 
Lage  und  die  Nothstftode  anserea  Volkes.  Und  wahrlieh,  wenn  mau 
unhe&ngenen  Blickes  die  gegenwäi-tigen  Verhältnisse  beolMuditet^  sich 
nkht  geflissentlich  den  Tageserscheinnngen  verachlieAt,  sondern  fheü- 
nimmt  an  dem  Leben  seiner  Nation,  so  wird  man,  ohne  gerade  als 
Pessimist  verschrieen  zu  werden,  angestehen  müssen,  daas  in  der  That 
viel  Elend,  vid  Jammer  and  Noth  in  den  verschiedensten  GeseUschaita- 
kreisen  unseres  Volkes  herrscht,  dass  anch  die  materielle  Lage  des- 
selben durchaus  keine  befriedigende  genannt  werden  datt 

Wie  groß  die  Noth,  die  leibliche  Noth  der  niederen  Stftnde  ist, 
kann  nur  der  ennessen,  der  Gelegenheit  hat,  dieselbe  ans  eigener  An- 
schauung kennen  zu  leinen,  der  sich  die  Mtthe  nimmt,  selbst  in  die 
häuslichen  Verhältnisse  Einblicke  zu  thun  und  die  Hfltten  der  Amot 
und  des  Elendes  aufzusuchen.  Da  wird  sich  denn  bald  genug  heraus- 
stellen, dass  die  physische  Lage  vieler,  unf^erer  Mitmenschen  eine  tief 
beklagensweite  ist,  die  weit  unter  dem  physischen  Wolbehagen  des 
Thieres  steht.  Das  sociale  Elend  hat  Zustände  geschaffen,  die  nun 
und  nimmer  andauern  dürfen,  wenn  die  ^lenschbeit  sich  nicht  selbst 
aufg:eben  will.  Mit  der  Geburt  solion  beginnt  auch  die  Noth,  Kiit- 
behrung,  ja  mau  möchte  fast  sagen,  die  Entmenschlichung.  Während 
in  den  höheren  >>f finden  durch  Verweichlichung  und  Genusssucht  die 
kiinftig-en  Gesclileeliter  schon  im  Keime  entnervt  und  nur  durch  Srzt- 
li<']iH  Kunst  ein  Theil  sidclier  .'>ehwächlinfre  am  Leben  erlialten  werden, 
iht  t  V  in  den  unteren  Bev<»lkerüug-sscdiirliteii  die  Armut  und  die  roheste 
UuwLsseniieit  der  Eltern,  die  den  zarten  Xeugeburenen  zum  Venlerljen 
wird.  Siehe  doch  einmal  jenen  Öäugling  an!  Kaiun  ist  er  zur  Welt 
geboren,  so  wird  er  in  Fesseln  geschlagen.  Die  zarten  (xlieder.  aiü 
das  naturwidr irrste  eingeschnürt,  können  sich  nicht  frei  bewegen.  Erst 
wenige  Tage  alt,  muss  er  die  sorgende,  behütende  und  pflegende  Liebe 
der  Mutter  entbehren,  weil  diese  im  Kampfe  ums  Dasein  das  tägliche 
Brot  erringen  muss.  Stundenlang,  ja  halbe  und  ganie  Tage  bleibt  das 
zarte  Leben  sich  selbst  oder  aUenfiills  einem  wenige  Jahre  älteroi 


Digitized  by  Google 


—    723  — 


Geschvvi&ter  überlassen,  das  Waitiiiifr  und  Pflegre  übernehmen,  ihm 
eine  mangelhafte,  im^aniügende  Nahiiing  darreicheu  mnss.  Ist  es  da 
noch  zu  verwundeni,  wenn  so  viele  zarte  Leben  zu  Grunde  gehen, 
Venn  Krankheiten  und  Epidemien  Tauseude  in  den  ersten  Wochen 
and  Monaten  ihres  Daseins  hinwegraffen?  Uit  furchtbarem  Ernste 
predigen  die  wöchentlichen  Sterbelisten  das  vorhandene  Elend!  Und 
wo  sneht  man  Hilfe,  wenn  infolge  mangelhafter  Emähntng  und  tuen- 
der Beinliehkeit  Krankheiten  aller  Art  auftreten?  Etwa  bei  einem  er^ 
&hrenen»  tttchtigen  Aizte?  0  nicht  doch!  Der  Aberglaube  dieser  Be- 
Tdlkerongssehichten  wendet  sich  an  „kluge  Frauen",  ,»weise  Matter**  nnd 
„Wonderdoctoren**,  die  mit  ihren  „Besprechungen**  und  i^Wnndertrink- 
lein**  das  verglimmende  Lebenslicht  wieder  an&chen  sollen.  Bd  solchen 
Verhältnissen  ist  es  Cut  zu  verwundern,  dass  trotz  der  lOsshandlnng 
der  zarten  Kinder,  i^otz  der  VemachlilMigung  in  der  nothwendigsten 
Pflege,  trotz  der  mangelnden  Beinliehkeit  und  d^  oft  geradezu  nn« 
gesunden  Nahining,  dass  trotz  alledem  noch  immer  ein  so  zahlreicher 
Nacliwuchs  und  ein  verhaitnism&fiig  so  gesundes  Geschlecht  aus  diesen 
Volksclassen  hervorgeht. 

Sind  die  ersten  Lebensjahre  überschritten,  und  kommt  die  Zeit 
der  allgemeinen  Schulpflicht  heran,  so  wird  es  für  die  heranwachsende 
.Ingend  keineswepfs  besser.  Neben  der  Schule,  die  die  Kinder  tilgUch 
vier  bis  fünf  Stunden  ffir  sich  beansprucht,  werden  die  in  der  Ent- 
wickelung  begritieneu  Knaben  und  Mädchen  vom  Elteinhanse  zum  Er- 
werbe und  zui*  Mitarbeit  herangezogen.  Bittere  Noth  und  äußei^te 
Armnt  zwingt  häufig  dazu;  nicht  selten  aber  auch  widern atnrliche 
Härte,  Roheit  und  Unverstand.  Arbeiten  werden  den  Kimh  in  zu- 
jzeuMithet.  die  das  Maß  ihrer  Kräfte  weit  überschreiten.  Dabei  knmnit 
es  denn  auch,  dciss  so  viele  Tausende  verkununern  und  verkrüppeln, 
einen  elenden,  siechen  Kt  i  per  ihr  Lebenlang  mit  sich  schleppen  müssen 
und  einem  frühzeitigen  Tode  prei8<i:egeben  sind.  Ks  ist  ein  großer, 
weit  verbreiteter  Irrthiim,  wenn  man  meint,  uutei  unserer  Arbeiter- 
bevölkerung die  festeste  Gesundheit  zu  linden.  Das  ist  nicht  und 
kann  nicht  sein,  weil  dafür  eben  alle  Bedingungen  fehlen.  Ich  habe 
in  meinen  früheren  Jahren  sowol  als  auch  in  meiner  jetzigen  Stellung 
oft  G^elegenheit  gehabt,  mit  dea  verschiedensten  Kreisen  der  Bevölkerung 
in  enge  Ber&hnmg  zu  kommen,  habe  auch  viel&ch  Einblicke  gethan 
in  die  Zustände  nnd  Verhältnisse  der  Armnt.  Da  ist  mir  denn  die 
physische  Noth  nnr  allzu  deutlich  gepredigt  worden!  Was  diesen 
Kreisen  noch  immer  ein  gewisses  Übergewicht  gegen  andere  Stände  in 
Bezug  anf  körperliche  Rüstigkeit  gibt,  finden  wir  darin  begrikndet» 

Pttdacofinm.  $»  Jalirf  .  Heft  XII.  47 


Digrtized  by  Google 


—    724  — 


das»  dieselben  dnreh  anatreogende  Arbeit,  dnrdi  viele  Bewegung  in 
friaeher,  gesunder  Luft  und  durch  mäBige  Kost  dem  Stechtlinm  vor- 
zubeugen gezwungen  sind.  Und  dies  gilt  auch  nur  im  allgemeinen 
von  <Iem  Arbeiterstande  auf  dem  Lände.  Ganz  anders  sieht  es  mit 
den  Fabrik-  und  Bergwerksarbeitem  aus.  Bei  aclimaier  Kost  sitzen 
die  jugendlichen  Arbeiter  und  Arbeiterinnen  in  engen,  niedrigen,  oft 
verpesteten  Arbeitsräumen.  Eine  frische,  gesunde  Oesichtsfurbe  sacht 
man  vergeblich  an  diesen  jugendlichen  Gestalten. 

Und  was  harte  Arbeit  in  ungesunden  Räumen  und  mangelhafte 
Ernähi'ung  nicht  Tpraingen,  das  thut  dann  noch  eine  unverständige 
Lebensweise.  Hat  man  während  der  Woche  Entbehrungen  sich  auf- 
erlegen müssen,  so  will  man  am  T.olm-  und  Sonntag-e  wenigstens 
dafür  sich  schadlos  halten:  Unmäßigkeit  im  K.^seu  und  Trinken  sind  an 
der  Tagesordnung-.  In  den  Branntwein-  und  Biei*stuben,  im  Tabaks- 
qualm und  aul^  den  staubertiillien  Tanzböden  werden  ft>'i»  fi  Munden 
zugebracht,  das  sauer  erworbene  Geld  veri)ra.S8t,  ansuii  m  der  freien 
Natur  und  in  der  frischeu  Lull  Erhohmg  vou  des  Tages  Last  und 
Hitze  zu  SU  1  dien.  Im  eigenen  Hausstande  ist  es  auch  meist  L'^ai-  übel 
bestellt.  Wie  ein  Pesthauch  strömt  uns  aus  den  \\'(dnistütt»'n  der 
Armut  die  verdorbene  Stubenhilt  entgegen.  Die  Notliweudigkeit  des 
täglichen  Ötfhens  der  J-'enster  wiid  nicht  begriffen.  Ängstlich  ist  man 
beilisseu  —  besonders  zur  Winterszeit  —  nur  ja  nicht  frische  Luft 
den  Wohn-  und  Schl&Mumen  znznf&hren;  es  könnte  ja  sonst  das 
Zimmer  kalt  werden.  In  der  entsetzlichsten  Weise  wird  aof  die  G«- 
sondlieit  losgeetitnnt;  sich  nach  den  einfachsten  Gesimdbeitsregefai  za 
richten,  fiült  niemandem  ein,  weil  sie  niemand  kennt  Treten  Erank- 
heiten  ein,  so  ist  gnter  Bath  theaer;  da  eilt  man  dann  za  den  Wander- 
doctoren  nad  bezahlt  ihnen  ein  Nichts  oder  ein  Gift  mit  theaerem 
Gelde.  So  wfichst  das  Elend  mehr  and  mehr;  die  Noth  wird  immer 
fttger,  der  EQrper  immer  weniger  widerstandsfähig,  bis  er  endlich  er- 
schöpft dahinsiecht 

Der  Grtmd  dieses  Elendes  ist  nicht  selten  in  der  dOrlljgea  Ökono- 
mischen Lage  za  suchen.  Die  Armut,  die  in  den  unteren  Schichten 
onserer  Bevölkerang  herrscht,  erreicht  wirklich  oft  die  äufieiste  Grenze. 
Wie  viele  Existenzen  gibt  es,  die  nicht  bk>s  Mangel  am  t&glichen 
Brot,  sondern  auch  Mangel  an  der  einfachsten  Lagei-stätte  haben 
(Obdachlose).  In  Lumpen  gehüllt  dnrchwandeln  sie  die  Straßen  und 
suchen  durch  Betteln  ihr  Leben  zu  fristen.  Wir  kennen  Familien, 
die  soweit  heruntergekommen  sind,  iliie  Tage  in  einem  Stalle  zu- 
bringen zu  mfissen,  weil  sie  eine  diui'Uge  W  ohnong  zu  bezahlen  nicht 


Digitizeü  by  Google 


—  725  — 


mehr  im  »Stande  sind,  \ebeu  solchen  Familien,  die  durch  eigenes  Ver- 
schulden so  tief  ö:esunken  sind,  kennen  wii*  auch  ^iele  andere,  dtnen 
es  trnt;^  aller  Bemiiiuüigen  nicht  ^eling'en  will,  für  sich  und  die  ihrigen 
herbeiziiüchatlVii.  was  zu  des  Leibes  Xalu'ung  und  Nothdurft  erforder- 
lich ist.  Viele  andere  wiederum  halten  sich  zwai-  küninKM-lich  über 
Wasser,  schlagen  Bu-h  von  einem  Taj^e  zuut  aiuiern  nnter  Einsciii  ankiiug 
und  Entbehrung  nothdiü-ftig  durch;  aber  sobald  nur  der  geringste  Un- 
fall sie  trifft,  fallen  auch  sie  der  öffentlichen  Wolthätigkeit  zur  Last. 

Schleppen  unter  dem  Druck  solchen  Elendes  Hunderttausende  ein 
kummeiTolles  Leben  mühsam  dahin,  so  sind  es  in  den  oberen,  besser 
sitnirten  Volksschichten  andere  socmle  Übel,  die  nicht  minder  be- 
klagenswert ersdieineD.  Ist  es  unten  die  Noth,  welche  die  Leibes- 
krftfke  frOhzeitig  untergräbt  und  aufinhrt»  so  M  es  oben  die  Scliwel- 
£^erei,  die  nicht  weniger  yerderbenbiingend  sich  änBert  Sieche,  kraft- 
lese Gestalten,  die  im  Jünglings^  und  besten  Mannesalter  schon  lebens- 
matt  dem  Grabe  zu  wanken,  gehören  in  nnsem  Tagen  nicht  m  den 
Seltenheiten. 

Wollte  nns  jemand  entgeg^ihalten,  dsss  wir  die  Farben  zu  stark 
anfgetragen,  dass  wir  zu  schwarz  gesehen  hätten,  dem  mfkssen  wir 
bemerken,  dass  wir  einfach  uns  an  die  zn  Tage  getretenen  Erschei- 
Hungen  gehalten  haben  nnd  nur  die  nackten  Thatsaehen  haben  sprechen 
lassen.  Man  muss  eben  lange  unter  dem  Volke  gelebt,  an  seinen 
Leiden  lebendigen  Antheil  genommen  haben,  man  mnss  in  die  Hütten 
der  Armut  eingedimgen  sein,  das  Elend  der  Wolinstätten  mit  eigenen 
Augen  geschaut  haben,  man  muss  die  Dürftigkeit  ihrer  Kost,  die 
lastenden  Nahrnngssoigen,  die  Noth  um  Kleidung  und  den  Jammer  in 
Kiankheitställen  kennen,  womit  das  arme  Volk  zu  ringen  hat,  man 
muss  aus  dem  Munde  der  hunprernden  Kinder  vernommen  haben,  dass 
sie  zur  Schule  kommen,  ohne  die  geringste  Nahrung  empfangen  zu 
haben,  das>-  ihnen  die  Eltern  nichts  bieten  können,  weil  sie  selbst 
nichts  hal  i  ii.  um  sich  von  dem  herrschenden  Elende  eine  klare  Vor- 
stelluntr  machen  zu  krmnen,  —  Das  ist  die  ph^'sische  Noth, 'in  dei-  unser 
Volk  ge;^enw;irtiy  steckt.  Sie  ist  viel  verhrcitctei-,  als  mancher,  der  mit 
dem  Volke  nicht  in  nähere  Berüluuug  kommt,  es  sich  träumen  lässt- 

n. 

Nun  krmute  man  vielleicht  sagen:  das  bringen  die  jetzigen  traurigen 
Zeitverlialiuisse  so  mit  sich;  es  steht  diese  Erscheinung  in  entern  Zu- 
sammenhange mit  der  allgemeinen  Noth,  dem  Darniederliegen  \  ou  Handel 
und  Wandel.  Sobald  hier  ein  neuer  Aufschwung  eintritt,  werden  alle 

47» 


Digitized  by  Google 


—   726  — 


jene  Missstiinde  mit  t-iiu  ni  Schlage  vei-schwinden.  Inzwbcbeu  mo;,n  n 
wir  uns  damit  trö>t»  n.  dass  \vk  es  in  geistiger  Beziehung  so  „herr- 
lich weit  gebracht"  und  der  Armut  durch  die  vor/ii^dichen  Leistungen 
unserer  Bildungsanstalten  abgeholtVu  liabeu.  Die  leiblich  Aimen  können 
sich  doch  wahi-lich  nicht  beklagen,  da^s  sie  auch  in  geistiger  Hinsicht 
vernachlässigt  seien!  Hat  nicht  auch  das  entlegenste  Durl  seine  Schule? 
wird  die  Bildung  und  Anfkl&ning  nicht  auch  in  die  verborgenste  Hütte 
des  einsamen  Waldbevobners  getragen? 

Gewiss  erkennen  aneli  wir  es  dankbar  an,  dass  man  überall  Schuld 
eingerichtet  nnd  für  die  Bedflrftaisse  des  Geisteslebens  Sorge  getragen 
hat;  nur  geht  l&r  nns  daraus  noch  lange  nicht  henror»  dass  es  nnn 
am  die  Cnltnr  nnd  Ansbildung  des  Geistes,  dass  es  mit  der  viel- 
gerfkhmten  Anfklilmng  gar  so  weit  her  sei,  wie  man  nns  gerne  glauben 
machen  mOchte.  Unser  Volk  wird  gepriesen  als  das  Volk  der  Denker 
nnd  Dichter,  nnd  wir  lassen  es  nns  gerne  ge&llen,  wenn  man  ms 
also  bezeichnet;  vir  spi^n  nns  so  gerne  in  einem  Glänze,  den  unsere 
Geistesheroen  über  nns  verbreitet  haben.  Aber  fragen  wir  nns  doch 
einmal,  wie  es  aussieht  mit  der  vielgepriesenen  Denkkraft?  Wie  es 
steht  nm  die  Begriffe  von  der  Würde  nnd  Bestimmung  des  Menschen,  von 
Gott,  Tagend  und  Unsterblichkeit,  tun  die  Kenntnis  der  nns  timgeb^- 
den  Natur  und  seiner  selbst?  Fragen  wii-,  wie  es  st^ht  um  dne  ge- 
schickte nnd  glückliche  Betreibung  des  gewählten  Berufes,  um  das 
Verhalten  zu  den  Mitmensclien.  fragen  wir  nach  der  Ausübung  der 
erlernten  Fertigkeiten  und  der  Anwendung  der  erworbenen  Kennt« 
nisse,  wie  wird  da  die  Antwort  lauten?  Es  dürften  nur  wenige,  die 
eine  rechte  Kenntnis  von  den  wirkliehen  Verhältnissen  besitzen,  geneigt 
sein,  der  gegen wärtipren  Volksaufkläi'ttng  in  allen  Punkten  eine  be- 
geisterte Lobrede  zu  halten. 

Wir  gehen  wieder  von  Thalsachen  ans  nnd  lassen  diese  reden. 
Um  das  Volk  anfznklSren  und  zu  belehren,  sind  namentlicli  in  den 
Städten  mancherlei  Veranstaltungen  getroöen.  Man  hat  Vereme  ge- 
frrüiulet.  in  'denen  die  versdiiedensten  Tagesfragen  eiurtert,  in  denen 
auch  Vorträge  belehrenden  Inhaltes  gehalten  werden.  Wenn  man  nach 
der  Betheiligung  an  solchen  Versammlungen  .schließen  wuilie,  nmsste 
man  eine  hohe  Meinung  von  den  Zuhörern  bekommen.  Regelniäijig 
rind  meist  auch  recht  zahlrtich  werden  die  Vorträge  besucht.  Fragt 
iiiun  aber  nach  der  Wirkung,  nach  dem  Erfolge,  so  ist  das  Ergebnis 
bei  der  großen  ^lehrzahl  gleich  Null.  Es  ist  fast  unglaublich,  wie 
wenig  der  gioße  Hanfe  yon  dem  Mitgetheilten  anffasst,  wie  wenig  er 
davon  behält.  Mit  trauriger  Verwnndmng  mnis  man  bekennen,  dass 


.  kjui^  .  j  uy  Google 


\ 


—    727  — 

die  Stompfheit  der  großen  Menge  allen  Glauben  übersteigt,  dass  bei 
der  grOfiten  Zahl  der  Znhdrerschaft  das  Erste,  was  den  Mensehen 
zum  Menscbea  macht»  die  Denkkraft  nftmlicb,  nichts  weniger  als  ge- 
weckt ist  ünd  doch  sind  die  Lente  durch  unsere  vielgerOhmten 
Schulen  gegangen. 

Unsere  Gelstiichen  würden  uns  ebenfalls  betrübende  Erfahrungen 
mittheUen  können.  Wie  viele  ihrer  Zuhörer  sind  denn  im  Stande,  ihrem 
haibstflndigen  Vortrage  mit  Aofhierksamkeit  zu  folgen,  das  Gehörte 
m  recapituliren  oder  sich  von  demselben  sp&ter  Bechenschaft  zu  geben? 
Wie  viele  der  regelmäßigen  Kirchengänger  sind  fähig,  selbst  zu  prüfen, 
oder  das  Gdiörte  in  rechter  Weise  auf  sich  zu  1h  zi-  lien  und  auf  ihr 
Leben  anzuwenden?  Aber  sie  singen  uud  beten  ja  doch  mit,  also 
werden  sie  es  doch  auch  verstanden  haben  I  Allein  frage  nur  jemand, 
wie  einst  Philippus  den  Kämmerer:  „Verstehest  du  auch,  was  du 
liesest?"  ich  bin  gewiss,  dass  die  gioße  Mehrzahl  mit  einem  ,.Nein'' 
zu  antworten  gezwungen  wäre.  Gedankenlos  wird  das  Gebet  nach- 
gesprochen, gedankenlos  das  Lied  mit  j^esimo^en.  Es  ist  ein  Sehall, 
der  an  das  Ohr  schlägt,  nichts  weiter;  leere  Formeln  ohne  belebenden 
Inhalt.  Ohren  haben  sie  wol,  aber  sie  verstehen  das  Gehörte  nicht. 
Hier  lieiBt  e.s  iu  der  That  auch:  „Sie  aber  vernahmen  der  keines, 
und  wiisijten  nicht,  was  das  iresa^t  war,  und  die  l^cde  war  ihnen  ver- 
borgen.** Ein  „He})hata"  Tim>-  liiei-  ersehallen,  wt-nu  die  JJenkkralt 
geweckt  und  das  \'erst<tndnis  erschlossen  werden  soll. 

Als  Krone  der  J^dniptimg  ist  der  Mensch  berufen,  zu  herrschen 
über  die  Erde,  sie  sich  uuterthan  zu  machen;  empfangen  hat  er  vom 
Schöpfer  den  Geist,  der  ihn  au.^zeichnet  \oi  allen  anderen  Geschöpfen. 
Und  doch,  wie  viele  'lausende  uud  abei  lausende  j^iltt  es,  die  sich 
dieser  Stellung  nicht  einmal  bewusst  werden,  die  keine  Ahnung  von 
ihrer  wahren  Bestimmung  haben  und  sich  durch  niclits  von  der  uu- 
Temflnftigen  Greatur  unterscheiden.  In  ihrem  Stumpfsinn  gehen  sie 
dahin;  sie  wissen  keine  Antwort  zu  geben,  wenn  man  sie  nach  ihrer 
Bestimmung  ffir  dieses  und  Ar  jenes  Leben  fragt  Noch  niemals  haben 
sie  darüber  nachgedacht  Wozu  auch?  Sie  leben  in  den  Tag  hmein 
und  damit  ist  es  gut  Sich  Rechensehaft  von  ihrem  Thun  und  Treiben 
zu  geben,  flUlt  ihnen  nicht  ein.  Fragt  man  sie  aber  nach  ihrer  Menschen- 
wfirde»  nach  dem,  was  sie  Uber  das  Thier  erhebt,  sie  wissen  es  nicht 
und  süid  höchst  erstaunt  darüber,  wie  man  nach  solchen  Dingen  fragen 
kGnne.  Dass  sie  dazu  berufen  sind,  ihre  Kräfte  zu  gebrauchen,  durch 
Arbeit  an  sidi  selbst  sich  emporznringen,  di6  Trftgheit  zu  bekilmpfen 
und  m  emster  Thätigkeit  sich  aufisuraffen,  um  sich  Je  länger  je  mehr 


Digitized  by  Google 


—   728  — 

zu  Tervollkommiieii,  die  Sinnlichkeit  dnrch  SelbfitfOterwindimsp  za  be- 
kftmpfen,  um  nr  Sittliclikeit  und  reinen  O&te  dcb  durchzuailieiteii, 
das  ihnen  begreiflich  za  machen  wird  bei  dem  groBen  Haufen  sicih  als 
TergebUche  Mfihe  beransstellen. 

Ebenso  ^^T■^v^rren  sind  ihre  Begriffe  von  Gott,  Seele  und  Un- 
sterblichkeit Unwissenheit  ond  Finsternis  umgibt  sie  anch  hier.  In 
iliren  Vörstellnngen  herrscht  noch  immer  der  zommäthige,  strafende 
Gott  vom  Sinai,  dem  es  eine  Lust  ist,  die  armen  Henschenkinder  zn 

ängstigen  und  zu  schrecken,  der  das  Jammern  der  niedergeschmetterten 
t'reatur  mit  Wolgefallen  hört,  und  der  nur  durch  das  Wehegeschrei 
der  Elenden  sich  erweichen  lässt.  Dass  er  der  fiott  der  Liebe,  der 
Vater  seiner  Menschenkinder  ist,  der  Theil  nimmt  an  ihren  Freuden 
und  Leiden,  der  die  Noth  gerne  stillt  und  dem  die  Freude  und  das 
Wolergehen  seiner  Geschöpfe  selbsf  Freude  bereitet,  das  vermr»o^en  sie 
noch  immer  niclit  zu  fassen.  In  ihrer  Unklarheit  Ifl.t  ilnvin  dem  ent- 
sjirecliend  aucli  der  Teufel,  mit  Hörnern  ang^ethan  und  dem  Pferdefuß 
als  Krkennungszeicheu.  Sie  können  sieli  niclit  losmachen  von  den 
Wahnvorstellungen,  dass  Satan  ein  k'»ri)erliihei5  Ungeheuer  sei,  das 
jede  Gelegenheit  wahniehme,  um  durch  steine  tibergroße  List  und 
Scklaulieii  die  gequälte  Seele  in  seine  Gewalt  zu  bekommen.  Dieser 
Teufelsglaube  steckt  noch  mit  gai  zu  tiefen  Wurzeln  in  dem  Herzen 
unseres  Volkes. 

Auf  dem  bisher  berührten  Gebiete  steht  es  also  noch  recht  übel 
mit  der  vielgerühmten  Anfklärong.  Und  wie  weit  sind  die  breiten 
Schichten  des  Volkes  in  der  Erkenntnis  der  natfirlichen  Dinge  ge. 
langt?  Zwar  umgibt  sie  die  „lebendige  Natnr,  da  Gott  die  Menschen 
schnf  hinein";  Tag  für  Tag  pflegen  sie  mit  ihr  Umgang,  st&ndHck 
sind  sie  yon  derselben  abhängig,  und  dennodi  können  sie  sich  Ton 
den  dnfachsten  Vorgingen  in  derselben  nicht  Bechenschaft  geben. 
Ihnen  ist  die  Natur  noch  immer  ein  yerschlossenes  Bnch.  Nicht  die 
einikchsten  Vorkommnisse  wissen  sie  zu  erU&ren;  stumpfsinnig  gehen 
sie  an  den  herrlichen  Gebilden  der  Schöpfüng  vorüber,  ohne  sich  der^ 
selben  zu  erft-enen,  dem  Gmnde  ihres  Seins  und  Werdens  nachzDfl|illren. 
Man  achte  einmal  auf  die  GesprSdie,  die  bei  außerordentlichen  Natur- 
erscheinungen geführt  werden,  und  man  wird  erstaunen  über  den 
Unsinn,  der  sich  kundjü^ibt.  Das  dem  Polarbewohncr  so  angenehme 
und  wolth&tige  Noi  dliclit  wird  als  Zeichen  nahe  bevorstehenden  Krieges 
und  großen  Blutvergießens  gedeutet.  In  dem  Kometen  erblickt  der 
Aberglaube  des  Volks  das  gezückte  Schwert  des  racheschnaubenden 
Gottes,  der  es  drohend  aushängt,  um  die  sündige  Henschheit  auf- 


üiyiiizeü  by  Google 


—   729  — 


zuscliret  keil  nnd  sie  vorzubereiten  auf  das  liereiubi  echende  \'t:rderben. 
Ist  tjs  nicht,  als  hörten  wir  den  Kapuziner  in  Schülei'S  Wallenstein? 

..Am  Himmel  geschehen  7*  i<  Ken  und  Wauder, 
Uud  aus  den  Wolken,  bluti^oth, 
Hängt  der  Hengott  den  Kriegsmantel  'runter. 
Den  Kometeii  steckt  «r  wie  eine  Anthe 
Drohend  «m  Hiiiiiiielitot^  ms.** 

Sonnen-  uud  Mondfinsternisse  müssen  es  sich  immer  wieder  gefallen 
lassen,  als  Vorboten  des  Weltunterganges  angesehen  zu  werden.  Und 
der  tief  im  Volke  wurzelnde  Abeiglaabe  wird  von  Betrügern  in  ans- 
gedebntestw  Welae  benutzt,  un  das  arme^  dnmiiie  VoHc  xa  hintergehen, 
es  nach  Herzenslust  auszubeuten.  Spuken  mcht  auch  in  nnserer  Zeit 
noch  die  TeufetebeschwQrungen  und  Schatzgrftbereien?  Haben  nicht 
die  alten  Klatschbasen,  Kartenlegerinnen  nnd  Wunderdoctoren  ihren 
zahlreichen  Anhang,  nnd  finden  sie  nicht  stets  ihr  gläubiges  PubUcnm? 
WeiB  man  in  den  unteren  Volksschichten  auch  nur  die  allereinfachsten 
nnd  natOrlichsten  Gesundheitsregeln  und  ventebt  man  darnach  zu 
leben?  Und  wie  steht  es  femer  mit  einer  rationellen  Anpflanzung* 
und  Ausnutzung  des  Ackers?  wie  mit  der  Nutzbannaclinng  der  sich 
darbietenden  Naturkräfte  im  gemeinen  Leben?  Uit  Betrübnis  mfissen 
wir  gestehen,  es  sieht  damit  noch  immer  recht  traarig  aus. 

Alljährlich  werden  bei  Einstellung  der  Heerespflichtigen  die  Resul- 
tate der  Schulbildung  veröffentlicht.  Die  Zahl  der  Analphabeten  wird 
gewissenhaft  gebucht,  und  mit  Stolz  weist  man  darauf  hin,  wie  die- 
selbe  von  Jahr  zu  Jahr  im  Abnehmen  begrüfen  sei.  Ja,  bald  werdra 
wir  dahin  gekommen  sein,  dass  im  deutschen  Heere  keiner  mehr  zu 
finden  ist,  der  des  Lesens  und  Schreibens  nicht  kundig  wäre.  Nun, 
wenn  dn  das  selbst  anerkennst,  was  willst  du  dann  noch  mehr?  wird 
man  mir  entgegen  rufen!  Ist  das  noch  nicht  Beweis  genug,  wie  vor- 
trefflich unsere  Schulbildung,  wie  allgemein  und  durchgreifend  sie 
ist?  —  Gemach,  lieber  Freund'  Wenn  du  freilich  das  ..Lesen"  nennst, 
dass  jemand  im  Stande  ist,  lu  htneinaiider  stehende  Buchstaben  zu  Silben, 
Wörtern  und  Siitzen  zu  verbinden,  so  muss  ich  dii*  Recht  geben.  Ich 
kann  al)er  ein  solches  Zusammeustoppeln  als  ein  Thesen  nicht  gelten 
lassen.  Nach  meiner  Auffassung  kann  der  erst  im  wahren  Sinne  d^s 
Wortes  lesen,  der  auch  versteht,  was  er  liest  oder  was  andere  ihm 
vorlesen,  der  den  Inhalt  des  Geleseneu  in  sich  aufzuuehnieu  vermasr 
und  auch  das  Gelesene  wiedergeben  kann.  Ist  diese  meine  Auffas- 
sung die  richii^^e,  wie  steht  es  dann  mit  der  Lesefertigkeit  unseres 
Volkes? 


Digitized  by  Google 


—    730  — 

Und  weitei*!  Schreiben  lernt  heutzutage  jeder,  das  ist  nicht  >  1^.- 
sonderes  mehr.  Gewiss,  und  dennoch  könneif  s  so  wenisre.  Ich  will 
gar  nickt  an  die  oiiiin():jen  drei  Kreuze  unter  mauclicn  .^<-ln-iit>tücken 
erinnem;  ich  rede  hier  nur  von  dem,  was  man  im  gemeinen  Leben 
als  „Schreiben'*  bezeiebnet  Wenn  man  jedem  die  Schreibekunst  \'indi- 
ciren  will,  dem  es  gelingt,  nothdOrftig'  seinen  Namen  in  Bachstaben 
zu  malen,  dann  bin  ich  geswungen,  die  Segel  zn  streichen.  Ist  man 
aber  mit  mir  der  Meinung,  dass  nur  der  in  Wahrheit  die  Kunst  des 
Schreibens  besitzt,  der  anch  yermagt  seine  Gedanken  in  wolgeordneter 
Weise  durch  die  Schriftzeichen  znr  Darstellong  zu  bringen,  dann  wird 
die  Zahl  der  Schreibkondigen  gar  gewaltig  znsammenschnunpflBn. 

Von  den  ersten  Scholwochen  an  bis  zum  letzten  Schnltage  hin 
wird  die  edle  Bechenkunst  in  nnsem  Schulen  in  wöchentlich  drei  bis 
vier,  ja  anch  wol  in  noch  mehr  Stunden  gelehrt  und  gefkbt  Dabei 
moss  doch  gewiss  etwas  Ordentliches  heranskonuien!  Fast  sollte  man 
versucht  sein  zu  glauben,  dass  jeder  Schüler  bei  so  \iel  Übung  ein 
kleiner  „Adam  Riese"  werden  mösste.  Was  lelirt  aber  die  Erfahrung 
und  das  tägliche  Leben?  Hunderttausende,  die  durch  die  Schule  ge- 
gangen sind,  wissen  sich  bei  der  einfachsten  an  sie  herantretenden  Auf- 
p-abe'  des  praktischen  Lebens  nicht  zu  helfen;  entweder  lassen  sie  sich 
von  gnten  Freunden  die  Losung  geben,  oder  sie  vertrauen  der  Elirlich- 
keit  ihrer  Nächsten  und  nehmen  fiir  richtig  hin,  was  man  ihnen  sagt. 
In  nicht  seltenen  Fällen  aber  wt  icleii  sie  von  unredlichen  Geschäfts- 
lenten  übervortheilt  und  anfs  schmälilichste  betroOTi.  Ich  weiß  aii*i 
meiner  Jugend  nuch  Fälle  üenuü:,  ilass  Arbeiter  zu  mir  kamen  uiii 
der  Bitte,  ihnen  den  W'iKhenluhn  zu  berechnen,  oder,  wenn  sie  eine 
gemeiuscliattliche  Arbeit  VHiiichtft  hatten,  ihnen  zu  sagen,  wi  - 
jeder  von  ihnen  zu  bean^pruehen  habe.  Die  (Tpo-^^nwart  kann  mit 
almlichen  Hei>pielen  aufwarten.  Solleu  wir  noch  weiter  iiber  die  Ke- 
sultate  auf  andern  Unterrichtsgeliieteu  sprechen? 

Das  sind  die  that&ächliehen  lUMungszustÄnde  unseres  Volkes;  so 
sieht  es  in  der  Wirklichkeit  noch  aus.  Bei  allen  anzuerkennenden 
Anstrengungen,  die  bisher  gemacht  sind,  befinden  wir  uiiü  dueh  uuch 
recht  weit  von  dem  vorgezeichneteu  Ziel.  Können  und  düi'fen  wir 
nun  noch  die  neue  Zeit  als  die  Zeit  der  Aofklänuig  preisen?  —  Und 
bei  alledem  merkt  man  wenig,  dass  das  Volk  bestrebt  sd,  sich  aus 
dem  Geistesschlummer  au&uraffen,  dass  es  den  Druck,  unter  dem  es 
schmachtet,  f&hle.  Den  Menschenfreund  aber  mnss  es  mit  Sehnen 
erfüllen,  wenn  er  Uber  den  wahren  Zustand  seines  Volkes  nadi- 
denkt. 


i^iyuu-cd  by  Google 


—   731  — 


IIL 

Mit  den  socialen  Verhältnissen  wie  mit  unserer  YielgerQhmten 
Aufklärung  sieht  es  somit  noch  traurig  genug  aus.  Vielleicht  aber 
steht  es  günstiger  um  die  Sittlichkeit  unseres  Volkes,  vielleicht  haben 
wir  hier  ein  solches  Pins,  dass  jenes  Minus  melu*  als  aufgewogen 
wird?  „Sittlichkeit  rauss  vor  allen  Dingen  als  das  Höchste  in  unserer 
Natur,  füi'  das  edelste  Kleinod  in  der  Krone  der  menschlichen  Würde 
angesehen  werden.  Wo  das  nicht  der  Fall  ist,  da  steht  es  noch  gar 
übel  um  sie."  Daraufhin  werden  wir  die  Znstande  in  unserm  Volks- 
leben zu  prüfen  haben.  Leider  müssen  wir,  wenn  wir  der  Wahrheit 
die  Ehi^e  gch^n  wdl^Ti,  liekeiinen,  das.s  unser  Volk  auch  hier  noch 
fem  vom  Ziele  ist.  i>eiiti  in  weiten  Kreisen  gilt  Reiclisein  noch  immer 
mehr  ',\h  Gutseiu,  ein  vornehnifr  Ntand  mehr  als  'riigrend.  Nicht  die 
C-ilürk-t  liukeit  sncht  man.  dii  viw  nothwendigfe  und  natürliche  Fol^e 
der  Nittliciikeit  iat;  sondern  mit  einem  A\'ulsein  begnüu:t  man  sicli.  das 
mit  der  Sittlichkeit  oft  auch  nicht  im  entferntesten  Zu.sammenhan^^e 
stellt.  Tm  allgemeinen  lässt  nuiu  mcIi  mehr  von  der  Sinnlichkeit  als 
von  Moralgesetzen  leiten.  Die  tägliche  Erfahrung  bezeugt  dies,  und 
auch  die  Criminalstatistik  stellt  unserem  Zeitalter  keineswegs  ein 
günstiges  Zeugnis  aus. 

Doch  dies  alles  ist  schon  so  oft  nachgewiesen  und  beklagt  worden, 
dass  wir  uns  einer  weiteren  Ausführung  entschlagen  können.  Ist  es 
ja  doch  ein  peinliches  Gteschäft,  die  Nachtseiten  unseres  Volkes  auf- 
zndedten,  deren  Anblick  dem  Menschenfreund  nur  Schmerz  und  Trauer 
bereitet!  — 

IV. 

Der  edh'  Freiherr  von  Kochnw  auf  Kekahne  hatte  zu  seiner  Zeit 
unser  Volk  mit  einem  T^öwen  verglichen,  der,  in  den  Netzen  verwickelt, 
seine  ihm  lili  ti  zuiremesseneu  Kräfte  niclit  zu  nutzen  vermöchte. 
Unwissenheit,  Aberglaube,  Trägheit  und  Denkfaulheit  waren  die  ]■  i  >:m  hi. 
die  die  Vernunft,  den  Geist  des  s*»  wol  beanlagten  Volke:s  gelangen 
liielteu.  Aus  diesen  Banden  das  \  ulk  zu  erlösen,  war  sein  unablässiges 
Bemühen.  Die  Maus  wollte  er  sein,  jene  Netze  zu  zernagen  und  Frei- 
heit dem  eingeschnürten  Geiste  zu  bringen.  -  -  Dieses  Bild  des  edlen 
Menschenfreundes  stand  niii-  vor  Augen,  als  ich  meine  Beobachtungen 
und  Erfahrungen  niederzuschreiben  unternahm.  Auch  jetzt  wieder, 
oder  vielmehr  auch  jetzt  noch,  gleicht  unser  armes  Volk  jenem  ge- 
fangenen Löwen,  und  es  ergeht  darum  an  alle,  die  es  können  und 
mögen,  die  ernste  Mahnung,  mitzuhelfen,  das®  die  Maschen  des  fest- 


Digitized  by  Google 


--   7S2  — 


gearbeiteten  Netzes  zenutg^l  und  dem  königlichen  Thiere  die  Freiheit 
gegeben  werde.  !Mc>clite  doch  ein  jeder  mit  Eberhard  von  Rochow 
den  Entschhiss  fassen:  „Ich  yäW  die  Maus  sein,  ich  will  da«;  Netz 
zernagen  helfen  und  meinpin  Volke  die  Erlösung  aus  den  Bauden 
bringen,  in  denen  e^  nuii  ^chon  so  lautre  schmachtet."  —  Ehe  ^v'ir 
au  die  lieantwurtuug  der  Frage  gehen,  auf  welchem  Wege  und  duixh 
welche  Mittel  solches  geschehen  könne,  wollen  wir  uns  fragen,  wo- 
durch denn  die  jetzigen  trüben  Zustände  auf  dem  dttliclien,  iut^lleC' 
tneUen  imd  soeiiJeii  Gebiete  herbeigeführt  worden  shid. 

DentscMand  hat  innerhalb  eines  Jahrzehnts  drei  große  und  glück- 
liche Kiiege  gefuhrt;  seine  Kachtentvickelimg  nach  anfien  hin  war 
gewaltig  nnd  seine  großen  Erfolge  anf  militSrisdiem  Gebiete  haben  es 
ah  die  Spitze  der  Nationen  berufen.  Nnn  lehrt  aber  die  Gteachichte 
aller  Zeiten  nnd  Völker,  dass  anmittelbar  nach  gießen,  welterschüttem- 
den  Ereignissen  ein  entschiedener  Niedergang  in  der  Sittlichkeit,  eine 
Verrohung  namentlich  der  niederen  Volkskreise  eingetreten  ist  Es 
ist  ja  nur  zu  leicht  erkUrlich,  wom  in  solchen  Zeiten  der  glAnaend- 
sten  Kriege  nnd  Siege,  der  großartigsten  Waffenerfolge,  der  Erfolg 
znm  Gotte  gemacht  nnd  angebetet  wird.  Nor  dieses  eine  Moment 
wird  in  den  Vorda:grand  gedrängt,  alles  andere  wird  wenig  beachtet 
Unter  dem  äußeren  Glänze  konnten  sich  denn  auch  die  Übel,  an  denen 
wir  jetzt  noch  leiden,  mehr  und  mehr  ent\^ickeln,  ohne  dass  sie  in 
ihrem  wahren  Wesen  erkannt  word^  wären.  Das  Glück  macht  bald 
flbermfithig  und  blind.  Es  fehlte  nnsenn  Volke  in  dieser  Zeit  an  der 
nothwendigsten  St  ll>stbeherrschung,  es  fehlte  ihm  die  charakteiTolle 
Tüchtigkeit,  die  im  Glücke  vor  Überhebung  bewahrt.  Schon  seit 
längerer  Zeit  waren  rnterlassnunfssnudeu  auf  dem  Gebi''tf^  der  Schnl- 
erzieliung'  mid  insonderheit  anf  dem  der  ( liarakterbildung  aufgehäuft 
worden.  Man  hatte  nicht  dafür  gesorgt,  das.s  die  Kraft  und  innere 
Tüchtigkeit  in  irdem  einzelnen  ge.«:trihlt  und  fnr  die  Ivorntiit  lulen  großen 
Zeiten  V(»rl»ereitet  würde.  Die  Ixegulativerzieliung  hatte  zwai"  eine 
Menge  EeligionsstofF  in  die'  K(»pfe  gebraclit,  aber  es  war  ihr  mit 
diesem  Ibermaß  des  Memorirsiulles  nicht  gelangen,  sittlich  tüchtige, 
charakterfeste  Mensclieu  /u  bilden,  und  dies  eVien  darum  nicht,  weil 
es  zu  einer  rechten  Vertiefung  und  Durchdringung  nicht  gekommen 
war.  Auch  in  anderer  Beziehung  liat  die  Regnlatirschnle  nicht  ge- 
leistet, was  mau  m  furdern  und  zu  erwarten  berecliiigi  war. 

Doch  ist  es  die  Schule  nicht  allein,  die  gesündigt  hat.  Die 
Familie  ist  ebenso  wenig  frei  zu  sprechen;  desgleichen  lastet  Schuld 
anf  den  Gemeinden,  anf  der  Kirche  nnd  anf  dem  Staat  Endlieh  hat 


Digitized  by  Google 


^   733  — 


aacli  die  Presse,  die  gnte  wie  die  sciüechte,  Theil  an  der  Schuld. 
Während  jene  sich  mancher  Unterlassungssünden  zeihen  muss,  hat 
diese  viel  Übles  getban  und  nnsenn  dentscheii  Volke  viel  Gift  ein- 
geflößt. 

Die  Kiankheitskeime  waren  somit  in  unserm  Volke  schon  lang'e 
vorlianden.  Der  Aiisbmch  der  Krankheit  war  nur  noch  eiiip  Frage 
der  Zeit.  Und  diese  Zeit  erschien,  als  nacli  dem  2-1'>rreichen  Kriege 
von  1870  71  Dentscliland  in  nie  geahnter  Krafr  umi  Herrlichkeit  als 
ein  eiiiij^»  ^  iieicii  erstand  und  der  Milliarde  im  gen  Frankreichs  auf 
nnser  armes  Volk  niederftel,  es  lu  allen  .Schichten  durdidriiiL'-end  und 
zersetzend.  Jetzt  zeigte  es  sich,  wie  wenig  wir  für  i>olche  Zeilen  mit 
SelbstbeherrbchniiL''  und  Charakterstärke  gewappnet  waren.  Der  augen- 
blickliche Erlolg  wurde  der  angebetete  GTitze  aller  Stände.  Der  Tanz 
um  das  goldene  Kalb  begann.  Die  ^.rundei jähre  kauien;  der  Schwindtl 
sl^iud  in  üppigster  Blüte.  Geld  war  das  höchste,  erstrebenswerteste 
Gnt  Nach  ihm  drängten  alle.  Reich  werden  ohne  Mühe  und  Arbeit 
war  die  Losung;  erwerben  und  immer  nur  erwerben,  um  nachher  zu 
genießen,  wnrde  die  Signatar  der  Zeit  Sinneugenuss  und  Sinnenkitsel 
suchte  jeder  nach  seiner  Art  zu  tiefriedigen.  Arbeiten  war  nicht  mehr 
eine  Lust  und  WOrde»  sondern  eine  Last  und  Btlrde,  sie  galt  als  ent« 
ehrend. 

ffio  Umnl*  ick  T«n  Beg^erile  xn  OenvBS, 

Uttd  im  Gennsa  Tenelimadbt'  ich  nrneh  Begierde." 

Diese  Worte  nnsers  Altmeisters  Goethe  schienen  eigens  fBar  unsere 
Zeit  gedichtet  zu  sein.  Die  Großen  gingen  voran,  die  Kleinen  folgten 
nach,  nnd  so  kam  es  denn,  dass  die  Krankheit  alle  Schichten  der  Be- 
Tölkemng  durchdrang.  Man  lebte  nach  dem  Wahlspruch:  „Lasset  uns 
essen  und  fröhlich  sein;  denn  morgen  sind  vir  todt.** 

Doch  es  ist  dafüi*  gesorgt,  „dass  die  Bäume  nicht  in  den  Himmel 
wachsen".  Nach  dem  riesenhaften  „Aufschwünge",  dem  blühenden 
Schwindel,  kam  ein  jäher  Sturz,  ein  tiefer,  tiefer  Fall,  den  der  Volks- 
mund so  treffend  als  den  „großen  Krach*"  bezeichnet  hat.  Wie  ein 
Blitz  ans  heiterui  Himmel  kam  er  Über  die  im  Sinnengennss  und 
Sinnentanmel  dahinlebende  Menschheit  und  fegte  erbarmungslos  die 
Spren  hinweg,  die  sich  bisher  so  breit  gemacht  hatte.  Bald  kam  die 
bittere  Noth,  und  vorbei  war  es  mit  der  erlogenen  Herrliclikeit  Die 
bitterste  Almut  brach  nun  bei  vielen  herein;  andere  vermochten  sich 
mit  dem  Gedanken,  dass  sie  wieder  arbeiten  nnd  im  Schweiße  \hvf< 
Angesichts  ihr  Brot  essen  sollten,  nicht  zu  befreunden  und  nahuieu 
sich  das  Leben.   Die  Zahl  der  Selbstmorde  stieg  m  diesen  Jahren  zu 


Digitized  by  Google 


—   734  — 


ersclifitternder  Höhe.  Das  Leben  hatte  keinen  Wert  mehr;  der  Glaube 
an  ein  Jenseits  war  längst  veraltet.  Dass  der  Mensch  für  seine  Hand- 
lungen verantwortlich  sei,  das  war  dem  Bewusstsein  jenpr  Tag-e  ent- 
srhwimflen.  Eine  völlige  sittliche  Venvildenmfr  war  eingetreten,  der 
Glaube  an  eine  sittliche  Welt  Ordnung"  untergraben.  Die  Getan  inüsse 
fullt.  n  sich  mit  Verbrechern  albn-  Altersstufen  und  aller  Stände.  In 
(Ii'  -I  1  Zeit  der  allgemeinen  Kaului.<  iiih!  Zersetzung  fanden  auch  die  auf 
einen  gewaltsamen  Umstui'z  aller  VerliaItni^.se  gerichteit  n  H»'<Trebiin2'en 
einen  fruchtbaren  Boden,  und  die  «regen  wärtigeu  Zustände  der  «.leseiischatr 
sind  mit  Nothwendigkeit  aus  der  jüngsten  Vergangenheit  entstanden- 

V. 

Leicht  könnte  mau  bei  Betrachtung  unserer  Lage  zu  dem  Schlüsse 
gelangen,  dieselbe  sei  so  zerfahren  und  verrottet,  da.ss  eine  Besserung 
kaum  noch  zu  erwarten  stehe.  Aber  fassen  wii-  Muth.  Mag  augen- 
blicklich die  Erisis  auch  eine  sehr  ernste  und  gefährliche  sein,  s<> 
lelmi  wir  doch  der  Hoffanng,  du»  viser  Volk  dieselbe  schließlich 
ttberwinden  werde.  UnerULsslich  ist  freilich,  daas  yon  allen  bethelligt^^a 
Kreisen  mit  Einsicht  nnd  Energie  an  der  Nengestaltiing  und  Nea- 
belebnng  der  GeseUschaflt  gearbeitet  werde.  Zu  jener  HolEhnng  aber 
berechtigt  uns  die  Geschichte  unseres  Volkes.  Schon  mehrmals  war 
dasselbe  tief  gesunken;  am  tiefeten  wol  in  nnd  nach  dem  dreiftig- 
jährigen  Kriege,  tief  anch  in  den  Jahren  der  Knechtschaft^  die  Napo- 
leon L  über  uns  verhängte.  Und  doch  hat  sich  der  deutsche  Oemns, 
hat  sich  deutsche  Art  und  deutsches  Wesen  noch  immer  wie  ein  ver- 
jüngter Phönix  aus  der  Asche  zn  neuem  Leboi  empoigeschwnngen. 
Warum  also  sollten  wir  diesmal  daran  verzweifeln?  „Verloren  ist 
nur,  wer  sich  selbst  anfgibt.**  Wir  leben  offenbar  in  einer  Zeit  des 
Übergangs;  dass  dieser  Übergang  aus  den  bekannten  Missständen  zu 
nenen,  bessern  Zuständen  ein  mögliclist  baldiger  und  glücklicher  werde, 
mnss  die  vornehmste  Soige  jedes  Volksfreundes  sein.  Darum  ergeht 
denn  auch  an  alle,  die  es  angeht,  der  ernste  Mahnruf,  mit  voller  Kraft 
mitzuarbeiten  an  der  Wiedergeburt  unseres  Volkes. 

Eine  überaus  große  und  wichtige  Rolle  wird  der  Schule  in  diesem 
Verjüngungsprocess  zufallen.  Sie  in  erster  Linie  wii-d  sich  dai'ura  auf 
ihre  schwierige  Autgalie  zu  besiimen  und  recht  vorzubereiten  haben. 
Dass  sie  bisher  nicht  allenthalben  geleistet,  was  sie  hiitte  leisten  kennen 
und  Süllen,  das  liegt  jedem,  der  mit  den  Verhält nis^^tni  vertiaut  ist, 
klar  vor  Augen.  Aber  nnverkniiib;iv  ist  auch,  dass  sie  oft  mit  un- 
ubei*windlichea  Schwierigkeiten  zu  kämpfen  hat. 


Digitized  by  Google 


—   735  — 


Jtfanliat  der  Sehlde,  insonderheit  der  Volksschule,  nicht  gegeben,  was 
ihr  gebikrt;  sie  ist  von  oben  herab  zu  stieflaütterlich  behandelt  worden 
und  hat  ihre  volle  Ausgestaltung  bisher  noch  nicht  gefunden.  Wir 
gedenken  nicht  der  nnbereclit igten  und  unerfüllbaren  Ansprüche,  die 
man  an  sie  gestellt  hat  Aber  hervorheben  müssen  wir  doch  die  TTbel- 
stände,  unter  denen  sie  vieler  Orten  noch  bis  auf  deo  heutigen  Tag 
seufzt;  denn  erst  wenn  diesen  abgeholfen  sein  wu*d,  kann  die  Schule 
ihre  Aufgabe  lösen.  Zu  diesen  Älissständen  müssen  wir  in  erstev  Reihe 
zälilen  die  übei-fiillteii  Classen.    Es  ist  rein  imniPfrlich,  dass  ein  ein- 
zelner Lelu'er  cinp  Kinderschaar  von  100  und  darüber  in  erziehlicher 
wie  in  unterrichtüchei'Hinßiclit  so  leiten  kann,  dass  die  vorgeschriebenen 
Ziele  eneiolit  werden.  Von  einer  Berücksichtigung  der  Individualitäten 
kann  dabei  kaum  die  liede  sein.    Möditen  sich  th\s  die  Herren  doch 
einmal  recht  klar  niaclK  ii,  die  so  bahl  mit  einem  abfälligen  Urtheil 
über  die  genngen  Erziehungsi  esullate  bei  der  Hand  sind.  Ich  wünschte 
ihnen  nur  vier  Wochen  die  Arbeit  ia  einer  solchen  Classe.  —  Hier 
muss  der  Staat  und  die  Gemeinde  eingreifen  und  Abhilfe  schaffen, 
i  ber  50 — 60  Schüler  sollte  in  Zukunft  keine  Classe  mehr  zählen;  dann 
würden  ihre  Leistungen  bessere  werden.   Der  Massen  unterrieht  bietet 
ohnehin  der  Schwierigkeiten  noch  genug.    Da  sind  die  verschiedenen 
Altersstufen,  unregelmäßiger  Schulbesuch,  mangelhafte  Begabung  und 
nicht  zuletzt  die  Widerspenstigkeit  der  Mtern  gegen  die  Fordeningeti 
der  Schnle  zu  berflekilditigeiL  Anch  die  große  Mannigfiiltigkeit  und 
Ffille  der  Unterrichtsstoffe  Usst  es  zu  befriedigenden  Besultaten  nicht 
kommen.  Der  Kof  nach  Sichtung  der  Lehrstoffe,  wie  ihn  Dr.  Dittes 
wiederholt  im  PAdagogiom  erhoben  hat,  ist  ein  sehr  wol  berechtigter. 
„Non  mnlta,  sed  moltom^  sollte  überall  als  Parole  aasgegeben  werden. 
Wie  die  Sachen  gegenwärtig  liegen,  erfolgt  meist  nur  ein  Durch- 
peitschen der  mannigfaltigen  Disciplinen;  zu  eingehender  Betrachtung 
und  ernster  Vertiefung  kann  es  nicht  kommen;  zu  dm  flberans  noth- 
wendigen  BepetitionoL  bleibi  selten  Zeit.  Daher  schreiben  sich  denn 
die  ungenflgenden  Resultate,  daher  die  Schein-  und  Halbbildung. 
Dabei  dürfen  wir  nie  vei'gessen,  dass  die  Erziehung  zur  Sittlichkeit 
die  vornehmste  Aufgabe  der  Schule  werden  mu.«?.   Wahre  Sittlichkeit 
aber  wird  mit  rechter  Religiosität  stets  Hand  in  Hand  gehen.  Nicht 
das  £inlemen  von  religiösen  Memorirstoflfen  thut  es;  unser  Christen- 
thum muss  wieder  ein  Herzens-  und  Thatchristenthum  werden;  das 
bloße  Bekenntnis  mit  den  Lippen  ist  vom  Übel.   Das  Wort  des  alt^n 
Moscherosch  gilt  auch  uns:   ,.Der  große  Richter  über  den  Sternen 
wird  dich  einst  nicht  fragen;  Was  hast  du  gelesen?  wieviel  hast  du 


Digitized  by  Google 


—   736  — 


stadirt?  wieviel  dpracheu  kannst  du  i*eden?  wie  «reschickt  kannst  du 
predigen?  ~  sondern:  Henscbenkind,  wie  hAst  da  gelebt?,  was  hast 

du  gethan?" 

Haben  Staat  und  Oenieinden  alle  Äußeren  Bedingnngeu  für  eine 
jTcsnnfle  Weiterentvvickt'lung  unserer  Schalen  erfüllt,  sind  entsprechende 
Käume  «^eschatFen,  du-  iiluTtülltou  ("lassen  beseitigt,  genügende  Lehr- 
mittel geboten,  eisip  nusreichende  Hotation  den  Lehiera  gewährt,  und 
wird  letzteren  von  allen  Seileu  lördenicie  Mitwirkung  und  willij^^ 
Unterstützung  zu  Theil,  dann  ist  es  an  ihnen,  ihre  ganze  Kiiitr  t-in- 
zusetzen  und  in  der  duLrond  das  Fundament  zu  einem  soliden  Neubau 
der  Gt'sellschatt  zu  legen.  Es  wird  nun  daiauf  ankommen,  dass  der 
Leluw  stets  wisse,  was  er  soll  und  will.  Wenn  er  nicht  selbst  das 
zu  erstrebende  Ziel  fest  und  unverrückbar  iui  Auge  hat,  wie  soll  er 
andere  dazu  hinführen?  In  sich  selbst  hineingreifen  nniss  er.  sich 
selbst  ernstlich  prüfen,  an  sirU  selbst  die  bessernde  iiand  legen,  iudem 
er  sich  l'urtzubilden  und  tüchtiger  für  seineu  Beruf  zu  raachen  strebt. 
Er  wird  sich  auf  jede  einzelne  Stunde  sorgfältig  vorbereiten  mflsaen. 
Immer  habe  er  sich  sa  Hame  planmftfiig  sürecht  gelegt,  was  er  in 
den  Unterrichtntiind«&  bduniddn  will  Bechtzeitig  hat  er  in  da- 
Classe  za  erscheinen,  pünktlich  die  Lehrstonden  zu  beginnen  nnd  zu 
scAKeten.  Baas  er  wihrend  des  ünterrichta  nnr  diesem  gana  gehört, 
seine  Erfllte  ganz  in  den  Dienst  der  Schfiler  zn  stellen,  seine  Auf* 
merksamkeit  ihnen  allein  znznwenden  hat,  ist  eigentlich  selbstr^rstSnd- 
lieh.  Aber  leider  gibt  es  nnter  den  Ldurem  noch  immer  Mietlinge, 
die  ihre  Standen  abarbeiten,  wie  der  Tagelöhner,  oder  wahrend  der  * 
Untenichtstunden  noch  allerlei  Nebenheschfifkjgnngen  treiben.  Das  ist 
nicht  rühmlich,  aber  nm  der  Wahrheit  willen  nmsste  es  gesagt  werden. 
Möchten  doch  diese  Mietlinge  —  je  eher  je  lieber  —  aus  nnsenn 
Stande  scheiden! 

Ein  lebendiges  Beispiel  soll  der  Lehrer  den  Schülern  sein;  denn 
Beispiele  ziehen  mehr  ak  Lehre  nnd  Unterweisung  und:  „die  Menschen 
glauben  nnn  einmal  den  Äugen  mehr  als  den  Ohren^,  bemerkt  schon 
der  weise  Seneca.  Darum  habe  der  Lehrer  acht  anf  sich  selbst,  nehme 
sich  selbst  in  strenge  Zucht.  Seine  Worte  und  seinen  Ausdruck  wähle 
er  so,  dass  sie  nichts  Verletzendes  haben;  auch  seine  Körperhaltung 
mnss  edel  und  ohne  Ani^tnß  sein.  Mehr  unwesentlich  ist  femer  «iie 
Sorgfalt,  die  er  anf  seine  Kleiduufj  verwendet.  Wir  wollen  dui-cliau.> 
nicht,  dass  er  sieh  nach  der  neuesten  Mode  kleide  und  stutzerhaft  auf- 
trete. \\  iA  aber  niuss  er  auch  in  seinem  Anzuije  eiu  Muster  vo!>  Kein- 
lichkeit  und  Ordnung  sein.  —  In  Schuihaus  uud  Schulstube  herrsche 


üigiiizeü  by  Google 


—   737  — 


musterhafte  Ordnung;  alles  habe  seinen  bestimmten  Pktz;  alles  werde 
saaber  and  reinlich  gehalten. 

Die  Zeit  rauss  füj-  uns  Lehi*er  ein  unschätzbares  Kleinod  sein. 
"Wir  müssen  mit  den  Minuten  geizen,  jedeu  Ang-enblick  auskaufen. 
Daraus  folgt  deim,  dass  alles  aus  den  Stuiideii  zu  verbannen  .  was 
nicht  zur  Sache  gehört;  so  alle  weitsclnveiügeu  Redewendungen,  unnütze 
Fragen,  leeres  Gesrbwjit/.  ungehörige  Spälie  u.  w. 

Mit  innerer  8anmiiun<2:,  nicht  aber  zerstreuten  JSiuues  soll  der 
Lehrer  vor  die  Classe  treten;  frisch  und  l'rohlich  soll  er  sein  Tag^e- 
■werk  treiben,  damit  er  auch  in  den  Zöglingen  Frische  und  Fröhlich- 
keit errege.  Diese  Stimmung  ist  tui  die  gedeihliche  Arbeit  in  der 
Classe  von  eminenter  Wichtigkeit.  Jean  Paul  hat  i-echt,  wenn  er  sagt: 
^Heiterkeit  ist  der  Himmel,  unter  dem  alles  gedeiht,  Gift  ausgeuom- 
men."  Das  sauertöpfische  Gesicht  des  Lehrers  erzeugt  auch  Unlust 
und  ein  uiüiiisches  Wesen  bei  den  Schülera.  Es  muss  dem  Lehrer 
heiliger  Ernst  sein  mit  seinem  Beruf;  anch  auf  das  Kleinste  und  Un- 
bedeutendste hat  er  seine  Sorgfalt  zu  richten;  er  muss  mit  ganzem 
Hetzen  bei  der  Sache  sein.  ,^Nur  was  yon  Herxen  kommt,  das  geht 
zu  Herzen.'*  Und  Gbetbe  sagt: 

„Weau  ihrs  nicht  lühlt,  ihr  werdet  »  nicht  erjageu, 
Wenn  es  nidit  aus  der  Seele  diingt 
Und  mit  uxbftftigem  Belügen 
Die  Helsen  aller  HOref  iwingt." 

* 

Unter  einer  munteren  Einderschar  niiiss  auch  der  Lehrer  munter 
sein;  ihm  darf  der  Eindessinn  nicht  abhanden  kommen;  mit  der  Jugend 
muss  anch  er  jugendlich  ifühlen  und  empfinden. 

„Gute  Gewohnheiten  sind  halbe  Tugenden'';  darum  denice  der 
Lehrer  nicht  zu  gering  von  solchen  guten  Gewohnheiten,  sondern 
pflege  sie.  su  \iel  er  kann;  sie  erweisen  sich  im  spätem  Leben  oft  als 
eine  Macht.  Besonders  strebe  der  Lehrer  darnach,  dass  die  SchiUer 
von  ihm  die  unerschütterliche  Überzengung  gewinnen,  dass  er  mit 
Lust  und  Liebe  in  seinem  Berufe  stehe,  dass  er  die  Arbeit  mit  Freuden 
treibe,  und  dass  er  sich  keine  Jlühe  noch  Anstrengung  verdrießen 
lasse,  wenn  es  gilt,  die  Zöglinge  zu  fördeni.  Darlnrch  allein  wird  er 
es  en-eichen,  dass  auch  die  Schüler  gern  und  mit  Freuden  arbeiten 
lernen,  dass  sie  die  Arbeit  nicht  mehr  als  eine  t^uai,  sondern  als  einen 
Segen  em^ttinden.  Ist  aV)er  dies  Gifuhl  erst  geweckt  und  allmalilif!!  er- 
starkt, so  ist  aucli  tTir  alle  spätere  Zeit  die  Lust  zur  Arbeit  gewuuuen. 

Mit  den  kleinen  Schnlsiinden  muss  es  sehr  ei  nst  ;?enommen  werden. 
Lügen  und  Betrügen  ist  empündlich  zu  strafen,  wenn  es  hervortreten 


.  kj  i^  .  j  i.  y  Google 


—   738  — 


sollte.  Das  Vorsagen,  Abschreiben  und  Benutzen  verbotener  Hüfs- 
mittel  darf  niemals  geduldet  werden.  N\*o  et?  vorkonimr.  wird  in  den 
meijäten  Fällen  der  Lehrer  selbst  die  !^rhnld  dafür  aut  sicli  nehmen 
müssen.  Sei  er  nnr  selbst  imni*'r  wahr  in  Worten  und  Werken,  das 
wird  auch  auf  die  Kinder  heüswun  wirken.  Wenn  er  sich  aber  bei 
seinem  Unterrichte  vom  Leitfaden  nicht  losmaelien  kann,  wenn  er  den 
Vortrag  nicht  frei  hält,  sondern  das  aufgeschla^renc  T.<'hibuch  vor  sich 
liegen  hat  und  daraus  dotirt,  wie  will  er  von  den  Schülern  verlangen, 
dass  sie  mit  jres])anntei-  Antmerksamkeit  ihm  folgen  und  nachher  ihm 
über  das  Gehörte  Rede  und  Antwort  geben?  Wie  will  er  unter  solchen 
Verhältnissen  eine  straffe  Disciplin,  die  erste  Bedingung  liir  einen  er- 
folgreichen Unterricht,  aufrecht  halten? 

Nur  wenn  wir  in  ernster  FÜichtti'eue  uusern  Beruf  erfüllen,  unsem 
Schulen!  in  Wort  und  That  ein  lebendiges  Beispiel  geben,  uns  selbst 
tagtäglich  in  rechte  Zucht  nehmen,  dann  erst  dfiifen  wir  erwmrten, 
dass  xaaen  Arbeit  in  der  Schule  keine  vergebliche  sein  werde;  dann 
anch  werden  wir  erfolgreich  an  der  Wiedergebort  unseres  Volkes 
arbeiten  nnd  es  einer  bessern  Zukunft  entgegeDfhhren. 


Digitized  by  Google 


Zur  F^Fdemn^  des  flniwlsiflelieii  Unterrielits,  insliesirndere 

auf  Real^  mnaden. 

Nack  der  unter  diesem  Titel  ersdiuneacH  üchnft  von  Dr.  \S  \lh.  Münch.  Beilbronn,  1883. 

Von  JB»  Btm^tH^Leipzig. 


as  Stndimn  der  neneren  Sprachen  ist  inuner  in  Deutschland  viel  gepflegt 
worden.  AViUiiend  aber  früher  hanptsRclilirh  r>i)>^ttanten  überlassen  h]\ch, 
haben  demselben  in  der  Neiuseit  anch  die  wissenschaftlichen  Kreise  ihre  Auf- 
merkBamkeit  zugewandt  Die  daraus  erwachsende  Thätigkeit  der  letzteren  auf 
dem  Gebiete  der  neueren  Sprachen  ist  nun  freilich  mnlehst  mir  jenen  Kreisen 
selbst  zu  Gute  gekommen,  hat  dann  aber  anch  anderweitig  Blüten  getragen. 
!Me  n^'iif'n  Gfsichtspnnkte,  welche  die  wissenschaftliche  Be.oh.'lftignng  mit  den 
jieuereu  SprucliBn  eröffnete,  wirkten  aUmilliiicli  zurück  auf  die  nichtwisBün- 
schaftliche,  auf  den  praktischen  Unterricht,  and  dieser  Biickwirknng  verdanken 
wir  die  ersten  BefomiTonclillge  «tf  dem  Gebiete  des  nensprocUicIien  Unter- 
riehtt.  Man  erkennt  jetzt,  dass  es,  um  das  Studium  der  neueien  Sprachen 
überhaupt  und  i)is>>e'iondere  das  wissenschaftlir Im-  /m  fördern,  nöthig  sei,  der 
Gnnulla^e  desselben,  dem  Schulunterricht,  eine  feäte  and  zum  Theü  von  der 
bisiicngeu  verschiedene  Gestaltung  zu  geben. 

Das  AoHeben  dea  akademiacben  SCadinms  der  neneren  Sprachen  bat  einen 
bedeutenden,  jetrt  SOgar  gerechte  Besorgnis  err^nden  Zuwachs  von  Lehr- 
kräften für  jene  Fäclier  herbeigeführt,  damit  aber  anch  Streiter  und  Denker 
für  die  Sache  desfiffentbchen  neusprachlichen  Unterrichts.  Infolge  dessen  mehren 
sich  erfreulicher  Weise  die  Aufsätze  und  Schriften  über  jenen  Gegenstand.  Die 
anageaprochenen  Anrichten  nnd  VorscUSge  fDbren  gana  natttrliefa  eine  lebhafte 
Ddiatte  Iierbei,  und  ans  dieso'  wird  allmählich  eine  neue  Norm  für  den  fremd- 
^prnrlilichen  Unterricht  hervoi^Erehen.  Bis  dahin  müssen  wir  jede  Publlcation 
willkommen  heißen,  die  beitrag-f^n  will  tvt  T.nsntiir  der  schwebenden  Fragen, 
zomal  wenn  sie  von  einem  bewäiirteu  i>euker  aui  diesem  Gebiete  kommt.  — 
Dr.  UlBch,  wie  er  uns  in  a^er  oben  angefOhrten  Schiift  aelhat  ndttheilti  hat 
aieh  bereits  vor  einigen  Jahren  ttber  die  franzgsische  and  engUaehe  Leetflre  in 
den  oberen  Realcla^^i^n  nn^jn-esprochen. 

Die  neue  Selirift  Dr.  MUnrlis  beliandelt  den  gesaromten  franziisisehen  Unter- 
richt und  z>*ar  jeden  Theil  desselben  für  sich  in  einem  besonderen  Abschnitt, 
waa  nicht  wenig  snr  Klarheit  nnd  Dorchaiehtigheit  dea  Oauceii  beltrlgt  In 


Digrtized  by  Google 


den  ▼wsdiiedeiiNi  Abtlieiliiiigen  der  Sehrill  werden  folgende  Punkte  erSrleft: 

I.  Allg^emeine  Principienfragen,  II.  der  Lelii'gang,  III.  die  Aassprache.  IT.  das 
Sprechen,  V.  das  Sclireiben,  VI.  die  Answahl  der  Lectfire,  VIL  die  Bebandlnng 
der  Leetüre,  Vin.  Hüfsdisciplinen  und  Hilfsbücher. 

Der  Verfassei'  ckarakterisirt  zunächst  die  Eeformbestrebongeu  auf  dem  von 
Uun  gewählten  Gebiete  und  bekennt  eich  hneitwUlig  m  den  dttgelegten  Grand* 
Sätzen  der  Kefonn.  Das  frühere  ünterrichtsveifaliren  war  ein  auf  unmittelbare 
AneigTinnsr  der  Spruflirn  treriflitftcs.  das  jotzf  ht'iTsdu'nde  i--t  das  ref!»'Ctir«'nde. 
Nach  AulgeWü  der  erstereti  Methude  g:elaiigte  man  alluiählich  zu  dem  andern 
Extrem,  und  jetzt  ist  man  darauf  bedacht,  in  die  ältere,  lange  verachtete  Ten- 
denz wieder  einsnlenken  eder  wenigsten!  ihre  VortheUe  wieder  an»  licht  m 
ziehen.  Es  kommt  nnn  darauf  an,  die  neuen  Beatrebtmgen  xn  prSfeii  und 
Grenzlinit  n  zu  ziehen, 

^^'as  den  Lehrgang-  bctriftl,  so  sucht  Dr.  Münch  ♦  in  Compromiss  und 
HchUigt  vor,  dass  das  erste  französische  Jahr  zu  einem  propädeutlächen  gemacht 
werde;  die  Aoiepfaebe  soll  hier  das  praktische  Lern-  und  Übnngsgebiet  sdn. 
Überhaupt  bewege  sich  der  ganze  Unterricht  in  concentrischen  Kreisen,  von 
denen  das  prnprideutische  Jahr  d*»n  ersten  bihle.  Der  idaiiinäfiigp  ismmraatische 
Unterricht  {2.  lü-eis)  soll  in  Qnartu  bcs-innen  und  durch  Fi)rmlthr>'  und  Syntax 
hindurch  iu  dem  Zeitraum  von  H  Jahren  zu  einem  vorläutigen  Abschluss  kom- 
men. Hier  ist  allerdings  amldist  BeschrSnkung  nSthig  nnd  die  Einrichtung 
gewiss  empfehlenswertt  den  Stoff  sn  demselben  grammatischen  Thema  in  3 — 1 
(  .niiipt  n  zu  vertheilen.  So  wären  z.  B.  beim  Capitel  vom  Gebrauch  der  Hilfe- 
^elben  avoir  und  etre  tinter  A  die  wichtigeren  der  vom  Dentsrhen  abweichen- 
den Intransitiva  mit  avuir  (courir  etc.)  zu  geben.  Unter  B  kämen  hinzu: 
a)  einige  minder  hAnfige,  b)  die  dem  Deutschen  entsprechend  mit  #tre  zu  ver* 
bindenden,  c)  die  schwuikenden  (disparai^  ete.).  Unter  C  wfirde  der  Ver- 
fasser „a)  behufs  Frklttmn^  und  besserer  Aneignung  des  Hauptunterschieds 
darlegen,  das?  Zettwöi  tt  r  wie  aller,  devenir,  entrer,  tomber.  naitre,  mourir  etc. 
entweder  einen  zuständiicheu  Übei'gang  oder  einen  örtlichen  L  bei^aug  ohne  den 
Begriff  der  elgen«i  eneigisdien  Bethatigung  beanchneu,  wogegen  dieses  Uomant 
der  energischen  Beüifttigang  bd  conrir,  marcher,  pänitrer,  Tojager,  ftair,  voler, 
saater,  nager  augenscheinlich  mit  vorbanden  ist;**  unter  b)  „wird  der  Gresichts- 
punkt  für  die  Doppelronstruction  von  di'-piuaitre  und  ähnlichen  gegeben'*.  — 
in  Uutersecunda  m«>olite  der  Verfasser  ciueu  Übergangscursus  sehen,  der  der 
Befestigung  und  Ergänzung  des  Bisherigen  bestimmt  sein  wfirde.  —  Die  Ober- 
stufe oder  der  dritte  conc^trische  Kreis  endlich  bitte  IIa,  Ib  und  la  an 
umfassen. 

Das  im  3.  Ahschnitte  behandelte  Thema  der  Anssprachc  ist  luneits  seit 
geraumer  Zeit  an  der  Tagesordnung.  Die  Aussprache  isi  überhaupt  da^eoigt^ 
Element  des  fremdsprachlichen  Unterrichts,  auf  welches  die  £jitik  zuerst  ihr 
Angramerk  gerichtet  hat  Die  Angriflii  auf  die  Aussprache,  wie  sie  bisher  vor» 
banden  gewesen  ist,  sind  vielleicht  am  heftigsten,  sie  sind  aber  auch  vollständig 
prerochtft  rtii,'t.  wenn  man  denjenigen  beipflichtet,  die  in  eim-r  tniten  Aussprache 
die  lit'ste  und  sichcrstf  (rrundhiL'^c  eines  gedeihliehen  rutenichts  sehen. 
kann  nun  aber  nicht  genügen,  auf  die  bestehenden  Mängel  liinzuweisfu  und  auf 
deren  Beseitigung  bedacht  an  sein;  es  handelt  tkk  wol  aoch  darum,  den  Ur- 
sachen der  Mangel  nachzuforschen.  Hierin  hat  nnn  der  Verfinser,  waaertt 


Digitized  by  Google 


—  741  — 


Ansicht  nach,  den  Nagel  auf  den  Kopf  getroffen,  wenn  er  sagt:  ,,Mir  siln  int^ 
dass  ein  großer  und  mit  p^ndlps-^ndfr  t^^bflstand  gar  nicht  iniu  rlmlb  des 
französischen  Unterrichts  selbst  liegt,  sondern  in  dem  Zustand  der  deutschen 
Avnprache  and  in  der  Selbsttiinschung  und  Gleichgiltigkeit  der  Gebildeten  auf 
diesem  Gebiete."  —  Es  gefaSrt  nicht  wenig  Math  dazn^  seinen  Landelenten 
eine  so  liarte  Walirheit  zu  sagen;  wer  es  aber  thut,  verdient  gewiss  den  Dank 
aller  sfutt  u  l'atrioten.  Und  diese  lotztercn  werden  nhno  Zweifel  mit  ganzer 
Seele  dem  beistimmen,  was  Dr.  Münch  auf  S.  35  u.  36  ausführt.  —  Die  Aus- 
sprache wird  in  Deutschland  stets  ein  Unding  sein,  so  lange  sie  im  Untenicht 
dem  ZnfsUe  flberlassen  bleibt  Von  einer  Nonn,  wie  man  sie  in  IVankreich 
nnd  England  kennt,  ist  bei  uns  noch  keine  Spar  Torhanden;  es  wird  langer 
und  fleißiger  nationaler  Arbeit  bedürfen,  um  sie  zu  schaffen.  Dazu  aber  kann 
die  Selinle  beitrajren.  indem  sie  vor  allem  der  Aussprache  mehr  Aufmerksam- 
keit schenkt,  die  Lernenden  zu  gutem  Lesen  und  schönem  Sprechen  anhält, 
viel  mehr  als  de  bisher  gethan  hat.  Wie  soll  nnn  aber  fremdsprachlicher 
Unterricht  gedeihen,  v,ie  soll  die  fi-anzösisi  bc  nnd  engtische  Anesprache  der 
Schübr  t'iiir  ri'btiL^>  werden,  wenn  dieselben  mit  g*anz  nd^r  pe!ir  ungenügend 
ansgebilileteu  Spruchorganen  an  jenen  Unterrielit  lurantreten?  —  Nach  Ein- 
übung der  einzelnen  fremden  Laute  muss  zu  Sillien,  von  Silben  zu  Wörtern 
vorgeschritten  worden,  wie  der  Verfhsser  nllher  ansführt,  nnd  daran  schließt 
sieh  das  Zusammensprechen  der  Slit/e.  Gerade  dieses  wird  WOl  noch  am  meisten 
vemarhlrissij^t,  denn  das  mit  selaviscli-T  Durchführung  der  s^opfonannten  Bindung 
angestrebte  ,,Herrusselu'*  der  Sätze  (wie  wir  es  nennen  mikliten),  wie  es  manche 
Lehrer  von  Seiten  der  Schüler  verlangen,  hat  nicht  die  geringste  Ähnlichkeit 
mit  dem  bei  Franzosm  hörbaren  Aneinanderreihen  der  WQrter  nnd  Satz* 
glieder.  Möchte  doch  jeder  Lehrer  des  Französischen  die  Worte  des  Verfassers 
(S.  38 — 40)  bpherziiren  und  danach  handelnl  Xi<  lit  minder  schätzliar  sind  die 
Bemerkungen  über  das  Zerb'^-eii  der  Satzreihe  in  W'ortirnippen.  sowie  der  Vor- 
schlag, das  laute  Lesen  nicht  der  Übersetzung  voriiergehen,  sondern  ihr  nach» 
folgen  SR  lassen.  Beides,  dos  Zerlegen  in  Wortgruppen  nnd  das  Lesen  nach 
der  ObersetEong,  haben  wir  sdbst  im  franzSsischen  sowol  als  im  mglischen 
Unterricht  mehrere  Jahre  erprobt,  nnd  wir  sehen  nun  mit  Vergnügen,  dass  wir 
darin  in  Übereinstimmung  mit  einem  hervon  agenden  Pädagogen  gehandelt  haben. 

Wir  gehen  zum  IV.  Capitel  über,  welches  vom  Sprechen  handelt.  Hier 
haben  wir  ea  mit  denuenigenllieile  des  lk«mdsimMdilich«iithtt«rridits  sn  than, 
ftber  den  die  Hdnnngen  am  meisten  auseinandergehen.  Gans  treffend  charak« 
terisirt  auch  hier  der  Verfasser  die  augenblirküebi'  Sarlibige,  wenn  er  sagt, 
dasR  das  Sprechenknnnen  zwar  al?  pin  Ziel  des  Unterriehtsbetriebs  betrachtet, 
aber  meist  dem  Zufall  überlassen  wird.  Es  bestehen  hierüber  wol  ministerielle 
Verfügungen,  aber  es  wird  im  allgemeinen  wenig  danach  gehandelt,  und  andi  er- 
seüs  sind  diese  Bestimmungen  dnrchans  nicht  allgemein  nnd  gleidi  in  ganx 
Deutschland.  Man  glaubt  vielfach,  dass  „das  Sprechenkönnen  Eligebnis  des 
gesummten  in  der  Si)racbe  ertheilten  Unterrichts  sein  müsse."  Es  mnss  aber 
das  Sprechen  von  der  untersten  Classe  an  energisch  und  constquenl  geübt  wer- 
den j  die  von  Dr.  Münch  dafür  vorgeschlagene  SIethode  ausführlich  darzulegen, 
wBrde  m  weit  ffihren,  wir  mfissen  auf  seine  eigmen  Worte  (S.  50—^55)  vär< 
weisen.  Hervorheben  aber  möchten  wir  besonders  die  befürwortete  Unterdrückung 
bez.  Beschränkung  der  Inhaltsangaben  nnd  Vorträge  in  fremder  Sprache  von 

48* 


L/iyiii^ü<j  by  Google 


—   742  — 


Seiten  der  Schüler.  Uuter  No.  V  ly%eu  Erürt^ruugeu  Uber  das  Schreiben.  Zu- 
nächst sei  hier  constatirt,  dass  Verfasser  nicht  denen  beipflichtet,  welche  in 
neaester  Zdt  die  BebriftUdmi  Übung«!  ganz  wu  der  Schule  TerdrSagt  eelieii 
möchten;  er  hält  an  denselben  fest,  meint  aber,  Aa^s  in  den  oberen Chusen  die 
Übt'i  trfifnin?.  solange  es  sich  ilberhaopt  nur  nm  diese  handelt,  besser  an  Stoffen, 
die  aus  dem  Französischen  lu  rübcrg^onommt^n  sind.  o:(»s€liieht  als  an  deutschem 
Originaltext  Neben  den  häuslichen  Exerciiien  gehen  Classenübuugen  her;  di(^ 
sollen  aber  a  terapo^Eztemporalien  aefai.  An  diese  Übuigen  eehliefit  sich  die 
flchriftliche  KacherzAhlung  oiiies  unmittelbar  zuvor  in  franxBeiBcheni  Original 
vorgelesenen,  kürzeren,  aber  abgeschlossenen  Stoffes.  Diese  letzte  Übung  hat 
Verfasser  bisher  weder  theoi'etisch  noch  jTaktisch  vertreten  gefunden:  dem 
gegen  &ber  müssen  wir  jedoch  bezeugen,  das^  sie  doch  hier  und  da  existiit,  wie 
wir  ans  eigner  Erfkhrongr  «iaflen«  —  Was  endlich  die  AnfUltae  betrüR,  so 
sollen  die  ersten  vom  Lehrer  TergMoacht,  vorpt  lt  sen,  erläutert  und  dann  vom 
Schüler  nachyreahmt  werden.  Nur  miifsspn  die  TlienuUa  dem  Standpunkte  der 
Schüler  entsprechen,  was  gerade  bei  den  meisten  in  Schulproe-innnn^  rt  \v.v\  an- 
derswo gegebeneu  nicht  der  Fall  ist.  Im  Gegensatz  dazu  weracu  1  ücmaLa  vur- 
gcflchlagen  wie  die  folgenden:  La  dtomTerfee  de  TAm^rique,  Les  hiros  de  la 
premi^  gnerre  punique,  La  grandeur  d'Annibal;  R^gulus  au  s&nat  de  Borne 
fdisennn!  flotifi:  I/union  fait  la  force.  Welthistorische  Erzählunp-n .  fing^irte 
histori-srlie  Situationsreden  und  Briefe  i^alhn  vorwieerend  cnltivirt  werden. 

Die  Auswahl  der  Leetüre  {M)  wird  auf  einigen  Seiten  abgetiian,  w^ä 
sich  der  YerCssser  darSber  früher  in  einen  Programm  (Bemerkugm  ftbcr  die 
franaSsische  nnd  englisdie  Lectilre  in  den  oberen  Bealdassen.  Snhrort,  1879) 
verbreitet  hat  und  weil  ihm  die  Fi  atje  ..in  gutem  Flusse  und  ihre  Losung  auf 
rutem  Wen-p"  scheint.  Tn  der  Tliat  ist  diese  Frage  in  n^nefterZcit  niehrfaHi. 
wenn  auch  vielleicht  noch  nicht  nach  allen  Gesichtspunkten  besprochen  \^ordcu. 
Vieles,  so  meinen  wir,  was  dem  bisherigen  Canon  der  SchoUectüre  einverleibt 
gewesen  ist,  kami  gewiss  wegfiülen  oder  wenigstens  in  besehrialtterem  Hafie 
gelesen  werden.  Es  scheint  uns  ^rtiailezu  Zeitveischwenduug,  wenn  jalirelang 
nur  Werke  wie  Voltaires  Charles  XII  und  Michands  Krenzzüge  gelesen  wer- 
den. Die  Menge  der  dort  sich  häufenden  Eigennamen  und  der  dazu  nothigen 
Anmerkungen  oder  Erlftutenmgen  verwirrt  die  Mehrzahl  der  Schuler;  infolge 
dessen  entgeht  ihnen  die  Anlage  sowie  der  Stil  des  Oanien.  Es  gibt  doch  wol 
noch  andere  Werke,  die  sich  an  Stelle  jener  lesen  lieBen,  z.  B.  einzelnes  von 
Sonvestre  und  leichtere  Lustspiele,  denn  znnrichst  muss  verlangt  werden,  dass 
der  Lesestoff  sachlich  leicht  zu  fassen  sei;  nui-  unter  dieser  Bedinpung  kann  er 
sprachlich  fördern.  Anderseits  achtet  man  bei  der  Auswaiü  der  Lectüre  noch 
ZQ  sehr,  gana  wie  in  Frankreich,  anf  die  literarhistorische  Bedenton;  der  m 
leeenden  Autoren.  Eine  Auswahl  unter  solchen  Geeichtspiinkten  gehSrt  in  die 
letzten  Schuljahie,  sie  bildet  den  Übergang  aar  Ltteratargeschiehte,  wo  solche 
getrennt  getrieben  wird. 

Es  bleibt  uns  noch  übrig,  von  der  Behandlung  der  Leetüre  (VLl)  zu  sprechen, 
wie  sie  Dr.  Hflneh  wünscht.  Er  betont  dabei  namentlidi  dieÜbersetcang,  der 
größere  Swgfalt  als  bisher  zugewendet  werden  mnss.  Es  ist  bei  ümgestaltang 
der  franznsi?dien  Perioden  in  deutsche  genau  zu  achten  auf  die  Wortstellung,  auf 
zahlreiche  Verbindnnpen  fla  bataille  ^f'Ivry  =  die  Schlacht  bei  Ivry;  des  le 
lendemain  =  schon  am  folgenden  Morgen  etc.)  nnd  anderes  mehr.  —  Sehr 


üiyiiizeü  by  GoOgle 


—   743  — 


zutreffend  sind  ferner  die  Bemerkongren  des  Verfassers  über  die  Commentare 
der  Sdiidaiitoreii.  Dieae  dfirfen  dem  Lehrer  nicht  alles  Yor>^  eguehnMm  und  zn 
weit  crehen,  dem  Schüler  aber  nicht  allea  znrecht  madien,  dass  er  Mlbrt  nichts 
mehr  finden  kann. 

Den  Abschlasfl  der  um  vorliegenden  Schrift  bildet  ein  kurzes  Cnpitt^l  über 
Hiü'üiüäcipUnen  und  Hilfsbücher.  Es  ist  da  die  Bede  von  Synuuyiuik,  von 
Sprach-  ond  Literaturgeschichte  und  von  der  Verslehre.  Znletst  findet  sich 
eine  knne  Ansführimg  über  ein  Leaebochy  weldiee  n^Nm  die  Antoren  nnd  die 
Grammatik  treten  soll.  Dieses  Hil&mittel  denkt  sich  Verfiuaerin  zwei  Theflen: 
es  enthalt*^  <\U'  preini«'res  lectnres,  Materialien  zn  8prechübnn<r»Mi  für  die  ver- 
schiedeueu  iStufen,  Aufsätze  zur  französischen  Geschichte,  Geugraphie,  Volks- 
kunde, Coltni'-  nnd  Literatoi'geschichte  nebst  literarhistorischen  Proben;  daran 
(whiießen  sich  Iddnere  Poesien  nnd  Soenengmppen  ans  Lnstspieloi;  endlich  einige 
ICnsteranfsätze  nnd  ein  Wörterbuch  mit  phonetischer  Ausspradiebezeichnung. 

Die  hf'iprorhene  Schrift  bietet,  wie  wir  selien,  eine  Fülle  von  schätzbaren 
Ainieutune-en  und  Oedanken  über  den  franz()si.schen  T'nterricht.  Wir  selbst 
huden  uns  fast  in  allen  Tunkten  in  Übereinstimmiuig  mit  dem  Verfasser;  des- 
halb konnte  unsere  Bespiechnng  im  Wesentlichen  nnr  Betont  sein.  Gerade 
dieses  aber,  li  oiTeu  wir,  wird  bei  denLesen  das  Verlangen  rege  gemacht  haben» 
die  betreffenden  AnfsUtze  iiu  Detail  kennen  SU  lernen  nnd  das  Gebotene  zu 
pröfni  bez.  in  der  Praxis  anzuwenden. 


Digitized  by  Google 


Pädagogiiiciie  Bondscliai. 


Schul  Verhältnisse  in  Süd-Ru8slaud.  Herr  A.  Richter,  CeDtrallehrer 
in  Onmaa,  KreiB  llai  iup>>l,  Gonveniement  Jekateiinoslaw,  sendet  m»  ebmi 
anBfthrlichen  Bericht,  den  wir  unverkürzt  zum  Abdruck  bringen,  'weil  er,  ofien- 
bar  mit  objeotiver  Treue  abgefasst,  in  vieler  Iliusidit  intpressant  tiud  lehrreich 
ist.  Es  freut  uns.  <len  meist  sehr  uupriiiisti^^eu  Xachrii  hten  über  das  ru^i^isrhp 
Schulwesen  hier  ein  t'reundlicheres  Bild  gegenüber  stellen  zu  können,  um  ^ 
mehr,  da  dasedbe  Ten  einem  cempetenten  Augenzeugen  entwoiüm  ist,  dem  wr 
hiermit  fttr  seine  MQhwaltnng  herzlich  danken.  Fortsetxanff  nnd  ErgSnamgen 
aus  anderen  Gebieten  des  russischen  Reiches  werden  nns  and  oneerai  I^eeern 
willkommen  sein.   Der  Bericht  des  Herrn  Richter  lautet: 

Ich  darf  wol  als  bekannt  voraussetzen,  dass  im  Jahre  1867  auch  in  Kusü- 
land  deh  daa  Ihtnene  Ar  die  Volkaiehnle  zn  regoi  begann.  lÄe  erste  Folge 
davon  war,  dass  bin  nnd  wieder  in  einigen  reicheren  griecUsdien  DMism 
Volksschulen  errichtet  wurden.  (In  den  deutschen  Colonien  bestanden  sie  schon 
lange!  Da  man  seminaristisch  gebildete  Lehrei-  nicht  hatte,  so  wurde  die 
Schule  gewöhnlich  einer  Person  übertragen,  die  etwas  russisch  leiten  and  schrei- 
ben konnte.  Der  Schulplan  war  damals  sehr  einfach:  vormittags  Lesen,  nach- 
mittags Sehreiben.  Als  im  Jahre  1872  eine  nene  Krets-Ordnniig  von  der  Be> 
gierung  verfögt  wurde,  durch  welche  die  Kreise  eine  ähnliche  Selbetverwaltnng 
mit  Kreisansschnss  nnd  Kreistasr  erhielten,  wie  1874  die  östUchen  Provinzen 
der  preußischen  Monarchie,  nahm  auch  die  t^ache  der  Volksbildung  einen  grö- 
ßeren Aufschwung.  Es  wurden  vor  allem  Lehrer-Senünare  gegründet  nnd  die 
Semstwo  (Kreit-Verwaltang)  liefi,  zun  Theil  anf  ihre  Kosten,  jnnge  Leute  su 
Volksschullehrern  ausbilden.  DemnSchst  ging  man  auch  mit  der  Gründung  von 
Volksschnlen  energisch  vor. 

Die  naehstehende  Tabelle  mag  die  Tliätigkeit  der  Semstwo  in  dieser 
Richtung  mit  Zalüen  belegen,  und  ich  verbinde  mit  derselben  eine  Angabe  der 
Nationalitftten,  welche  die  ackerbauende  Bevölkerung  des  Kreises  bilden; 
Bussen    79119  Seelen,  67  Dörfer  27  Schulen, 
Griechen  .52 147     „       25     „     22  „ 
Deutsche  li»7o<<     ,      89     „       2  „ 
Juden       2  720    „      29     „     —  „ 

Der  Kreis  Harinpol  wendet  jährlich  Ar  Volksbfldung  36000  Rubel  aat 
nnd  zwar  wird  dieser  Betrag  fast  gans  durch  Lehrergehalter  nnd  Iiefarmaterial 
absorbirt 


Digitized  by  Googi 


—   746  — 


Jedes  Don",  welches  eine  Semstwo-Scliule  w  iuiseht,  muss  lur  ein  geeiguetts 
Scbnllocali  ftOltB&dJIgB  Lebrerwohoiuig,  Beheizung  nnd  einen Sehnldiener  sorgen; 
WM  BOosfe  Bothwendig  ist,  das  besnrgt  die  Semstwo.  Unteniditet  irird  in 
diesen  Semstwo^holen,  deren  Zahl,  wie  oben  angegeben.  51  beti^t,  in  Reli- 
gion, Lesen,  Schreiben  nnd  l?ochn('n.  Der  Eintritt  in  die  .Schule  erfolgt  mit 
dem  7.  LebeuBjakie,  oft  auch  später,  und  der  Austritt  gc\vühnlich  im  15.  Lebens- 
jahre, aber  auch  früher.  Die  Schule  besteht  aus  3  Abtheüungen,  welche  bis 
za  50  Schfllem  von  einem  Lehrer  nnterriditet  werden.  An  manchen  Schulen 
nnterrichten  je  nach  der  Schülerzahl  bis  5  Lehrer  o<1  r  Lehrerinnen.  Der 
rntcrricht  beginnt  mit  dem  l.October  und  schließt  am  1.  Aliirz.  weil  dann  die 
Arbeiten  der  Landbevölkerung  alle  Ki*Jtfte,  selbst  die' der  Schuikiinler,  in  Anspruch 
nehmen.  Ein  Zeugnis  der  VoHüsbciiuie  Uber  bestandenes  Schlussexaiuen  erwirkt 
eine  EnnUigiiiig  der  IfUitardienstseit  um  nwei  Jahre.*) 

Nachdem  wir  uns  mit  den  russischen  Semstwo -Sdmlen  bekannt  g«atacht 
haben,  dürfte  es  nicht  nnintereswuit  sein,  zwischen  ihnen  und  den  deutschen 
Volkswhnlen  eine  Parallele  zu  ziehen,  woran  sicli  eine  Vei^eichnng  des  russi- 
schen mit  dem  deutscheu  VoilLüBchullehrer  schlieijeu  mag. 

Die  dentachen  Oolonien  liaben  schon  seit  vielen  Jahrsehnten  ilire  beson- 
deren Schulen,  in  denen  bis  vor  etwa  8  Jahren  auch  nur  Beligion,  Lesen 
Schie?)>f>n  und  etwas  Rechnen  gelehrt  wurde,  ebenfalls  nach  dem  Lehrplane: 
vormittags  Lesen,  nachmittags  Schreiben.  Seit  8  Jahren  ist  auch  liier  die 
rassische  Sprache  obligatorischer  Unterrichtsgegeustand,  und  seit  dieser  Zeit 
brechen  sich  auch  aUmahlich  aUerhaad  Yerbesseningen  in  den  dentsdien  Qe- 
ijuindeschulen  Bahn.  So  ist  es  z.  B.  den  Beniühuiigen  der  Pastoren,  welche 
hier  die  natürliche  Sclinlaufsichtsbeliiirde  sind,  g-elungen,  Lesebiu  lier  einzutuhrcTi; 
früher  lernten  nfiuilich  die  Kinder  das  Lesen  im  „Neuen  Testament'*,  und  es 
gibt  auch  noch  heute  solche  Schalen,  wo  dies  üblich  ist.  Weiter  wird  jetzt 
schon  in  den  meisten  Schulen  anch  Geographie,  Gesang  und  etwas  Natur* 
geschichte  gelehrt. 

Der  Schulbesuch  in  den  deutschen  Schulen  ist  reo:elmäßiger  als  in  den 
russischen.  Der  Grund  liegt  darin,  dass  die  deutschen  Gemeindeu  sich  frei- 
willig, durch  Gemeindebeschluss,  einen  Schalzwang  auferlegt  haben;  die  Eltern, 
welehe  ihre  Kinder  nicht  regehnä%  in  die  Schule  schicken,  werden  nun  Besten 
der  Sdinlcasse  in  Geldstrafe  graonunen.  Der  Unterricht  dauert  aber  anch  hier, 
wie  in  den  russischen  Dörfern,  leider  nur  vom  l.October  bis  I.März.  Dagegen 
ist  in  den  deutschen  Dörfern  für  die  Sommermonate  eine  Sonntagsschule  eingfefiihrt. 

Wenden  wir  uns  nun  zn  den  Lehrern,  so  finden  wir  in  dem  beiderseitigen 
Leben  nnd  in  der  pecnniaren  Lage  bedeutende  Untersdiiede. 

Der  deutsche  Lehrer  erhalt  anOer  einem  haaren  Gehalte^  welcher  «wischen 
225  bis  32.5  Rubel  varürt,  6  ha  Ackerland,  Getreide,  freie  Viehweide,  Woh- 
nung, Stallung  und  Beheizung,  sodass;  m^n  annilhemd  seine  jflhrliche  Einnahme 
auf  600  Rubel  schätzen  kann.  Der  ru&siiiciie  Lehrer  bezieht  von  der  Semstwo 
nur  320  Rubel  jfthrlicb  und  von  seiner  Gemeinde  auBer  freier  Wohnung  und 
Behdznng  nichts.  Dies  Toraosgesdhiekt,  wird  es  nidit  mdur  sonderbar  eradidnen, 
dass  nnter  den  deutschen  Lehrern  Heiraten  rar  Begd,  unter  den  russischen 
Lehrern  aber  zur  Ausnahme  gehören. 


*)  Die  gesetichcbe  Dieusitzdt  beträgi  iu  Busalaud  6  Jahre. 


Digitized  by  Google 


—   746  — 

Der  dentselie  Lehrer  wird  m  dar  ganm  Geneinde  auf  eine  bestimmte 
Zeit  eogagirt«  bekommt  vtm  der  Gemeinde  eebieii  Geiialt  aeliet  EnoliUMatea 

und  bat  gewöhnlich  noch  das  Amt  eines  Dorfschreibers  za  veraeheiL  Außerdem 
gehört  zu  seinen  Dienstpflichten  noch  die  Abhaltung  det  GetteedieuBtee  an 
Sono-  und  Feiertagen,  sowie  die  Beerdigiingeu. 

S»  ist  wol  gBttt  BAtfiriieh,  daß  der  deutsche  Lehrer  durch  seine  Obliegen- 
heiten  mit  allen  Oemei&demitgUedmi  in  BerBhrang  k<nnmt  nnd  ndt  ilinen  einen 
mdir  oder  minder  lebhaften  Verkehr  unterhält. 

Der  musische  Lehrer  hat  keinerlei  Neht-nämter  und  dah«^r  anch  kfiin* 
zwingende  Veranlassung,  mit  den  Hiem  der  ihm  anvertranteu  Kinder  zu 
verkehren. 

Der  deotach»  Lehrer  findet  in  dem  GeietlidieD  eeinee  (evangeUschea)  Be> 
kenntnisses  das  Vorbild,  nacli  welchem  er  sich  in  seinem  Wandel  richtcmkaiuit 

und  anßenlem  einen  th"ülr'£:iscli  "-ebildeten  Torg:eset7ten  und  Berather. 

Der  russische  Lehrer  steht  mit  seinem  Geistlichen  auf  ein^n  anderen  i-  uöe. 
Die  Thatsache,  dass  der  niedere  russische  Geistliche  ohne  Bildung  ist  und  sein 
Amt  in  vielen  FUIen  einer  Ungeren  Dienstseit  als  GlQckner  nnd  Kfister  ver- 
dankt, vermag  ihn  nicht  besonders  in  der  Achtung  des  Lehr^  zn  heben.  Es 
gibt  viel*'  D'irtVr.  wo  der  russische  Geistliche  mit  dem  Lehrer  tagelang  sieh 
nur  mit  Karteüsi  ielon.  Schnapstrinken  und  Rauchen  beschäftigt. 

Um  das  Bild  der  Volksschule  zu  vervoUständigen»  wird  es  notliwendig 
sein,  «aA  von  dar  Sehnlaaftfefat  an  reden. 

Über  alle  Schulen  des  Kreises  führt  die  Oberanfldcht  der  Sehniratht  wd« 
eher  eine  aus  einem  Presidenten  und  4  Mitgliedern  —  worunter  der  als  Pä- 
dagog  rühniliclist  bekannte  Baron  Kort*)  —  bestehende  Nebenabt heilung  der 
KreisverNNii Illing  bildet  Diesem  Schulrath,  welchem  auch  der  ^chnlin^ecior 
angehSrt,  gebärt  beaonden  die  Yoriiereitung  aller  anf  das  Schalweaen  be- 
züglichen Vorsohilge,  Emennong  der  Ldirer,  Abordnung  von  D^ntirten  an 
den  Schulprüfung^en  etc.  Dem  Schnlinspector  liegt  die  specielle  Aufeicht  über 
die  Volksschulen  ob.  nnd  es  gehürt  zu  seinen  Verpflichtungen,  jede  S<liule 
wenigstens  einmal  im  Jahre  zu  besuchen.  Um  dieser  Filicht  zu  genügen,  muss 
er  gerade  die  scbleehteste  Jahresisit  aa  seinmi  Dlenstreiaen  bcnntaen,  weil  nor 
wBhrmkd  der  WintennonateSehnlegelmlten  wird.  Der  Skihnliniyeeter  des  Kreises 
Mariupol  ist  auch  zugleich  Schulinspector  des  Kreises  BoetOT,  hat  seinen  Wohn^ 
sitz  in  Rostov  a  Don  und  wohnt  also  von  der  Kreisstadt  Marinpol  190  Kilo- 
meter entfernt.  Lm  den  Kreis  Marinpol  zu  bereisen,  muss  er  üm  nach  allen 
Bichtungen  mit  einem  loimitivenBaaeniAihrwerk  ohne  Federn,  einer  sogenann- 
te Telega,  bei  oft  grundlosen  Wogen,  nach  allen  Bichtungen  durdunesseo. 
Hierbei  will  ich  noch,  um  diese  Leistungen  zur  rieh tig-en  Würdigung  zn  bringen, 
bemerken,  dass  die  Länge  sowol  als  die  Breite  des  Kreises  p•e\^iss  in  grad-^i- 
Linie  150  Kilometer  beträgt.  Von  einer  eigeutlichen  •Schulaiüsichi ,  im  Sinnt 
der  im  Auslande  geübten,  kann  hiemach  selbstverständlich  gar  nicht  die  Bede 
sein.  Der  Inspector  Ahrt  bei  einer  Schule  vor,  springt  heraus,  eilt  in  das 
Classenzimmer,  tviüX.  da  er  vieUeieht  gerade  in  der  Mittagsstunde  gekoaUMü 
ist,  niemanden  außer  dem  Lehrer  an  nnd  reist  nach  einigen  mit  diesem  ge- 


*)  Xu  der  That  ein  bocbveidienter  und  ausgeseichneter  Mann,  welcher  jedem 
SdnilcoUegittm  snr  Serde  gereidisa  wOrde.  D.  H. 


uiyiii^üd  by  Google 


—  747  — 


wechselten  Warten,  in  dem  Gofühlp  «pfnt^  Pflicht  erMlt  za  haben^  wdter,  um 
—  eine  andere  Schale  ebenso  zu  revidiren. 

Selbst  diese  Schalaufsicht  ei'streckt  sich  aber  nicht  einmal  aaf  alle  Schulen. 
Nach  einer  Not»,  die  ich  kllnlleh'  in  einem  amtiichen  ^tle  fknd,  ist  der  Li- 
Spector  im  Verlauf  von  3  Jahren  bei  11  besonders  bezeichneten  Schalen  in 
einer  dreimal,  in  einer  sweimal,  in  fänf  einmal  nnd  in  vier  keinmal  an- 
wesend  gewesen. 

Die  Semstwo  will  diesem  Ubelstande  jetzt  dadurch  abheilen,  dass  sie  eines 
ihrer  Ißterlieder  dnreh  eine  JBhriiehe  Semvneration  von  800  Babel  ebenflüle 
zur  Bmknag  der  Schalen  verpflichtet. 

In  neuerer  Zeit  ist  die  Sonntagfsschal-Fragre,  dank  d»T  Anre^nn?  des  T' irou 
Korf,  hier  ebenfalls  in  den  Vordergrund  eetreteu.  und  es  ;>i.dlen  in  diesem  Jalire 
in  10  russischen  Dörfern  Sonutagsschuleu  ma  Leben  treten.  Der  Unterricht 
wird  in  den  Wintermonaten  an  20  Sonntagen  ertheOt,  nnd  der  betreffende 
Lehrer  erhfilt  dafBr  eine  besondere  Remuneration  von  50  Rubeln.  Bei  diesen 
.*^onntag88chnlen  werden  anf£oBten  des  Kreises  anchSchnihibliolhefcen  angelegt 
werden. 

Es  bleibt  mir  nur  noch  übrig,  von  der  russischen  Aiinisterial-Schnle  und 
von  der  mssisehen  Centralsehole  an  sprechen. 

Entere  ist  von  dem  Uinisterinm  der  Volksaafklärnn^^  m:*  ^ri  üudet,  bezw. 
wird  \  oTi  flemsclben  unterhalten  und  ist  eine  höhere  Volksschule,  deren  Pro- 
^'raniui  durch  rassische  Geschfclite,  Geog:raphie,  Naturgeschichte  und  Gesang 
erweitt-rt  ist.  Sie  gibt  denen,  welche  dm  Kxamen  nach  Absolvirung  eines 
4  jiüu-igen  CnrsDS  bestehen,  das  Becht  aof  Ermäßigung  der  lOUt&rdienstadt  am 
3  Jahre.  Die  römische  Centralsehole  ist  eigentlich  eine  deutsch-russische  Schale. 
Ursprünglich  specifisoli  deutsch,  fdngt  seit  einigen  Jahren  in  ihr  das  Rassische 
an.  das  Überge\vicht  zu  erhalten.  Unterhalten  wird  diese  Schale  aus  den  Zinsen 
eines  Capitais,  welches  von  den  deutschen  Gemeinden  zn  di^m  Zwecke  auf- 
gebracht worden  ist.  Das  Programm  ^eser  Sehnte  ist  a)  in  deutscher  Sprache: 
Beligion,  Grammatik,  Lesen,  Aaftats,  Natnigeschidite  and  SchSnscIireiben, 
b)  in  rassischer  Sprache:  Grammatik,  Lesen,  Aufsatz.  "Weltgeschichte,  rassische 
Geschichte.  Arithmetik,  Geometrie,  Schönschreiben  und  Zeichnen.  Der  Gesang- 
nntenicht  wird  in  beiden  Sprachen  ertheiit  Der  Cursus  ist  4  jfthrig.  Die  Schule 
hat  auch  den  Zweck,  Lehrer  für  die  devtachen  Colonien  aannbÜdeB.  Die  Gen- 
tralschnle  hat  eine  Bibliothek  flir  ihre  Schüler,  in  welcher  sich  jedoch  znm 
gnrtttten  Theil  russische  Werke  voi-ftnden.  Der  deutÄche  Lehrer  an  der  Central- 
sehole ist  zugleich  Biltli  »tlipkar  dei-  im  vorigen  Jalire  xm  den  Lelireni  des 
Gronauer  Kirchspiels  begründeten  Lehrer-Bibliothek,  welche  der  beschränkten 
Mittel  wegen  erst  52  Bände  zfthlt  Von  Fach  •Zeitschriften  wird  nur  das 
,»Pftdagogiam"  gehalten,  da  die  Mittel  sehr  beochrttnkt  sind.  (Hier  kSnnten 
fieU^cht  anslandlBche  CoUegen  durch  Schenkung  von  Büchern  helfba.) 

Zum  ^^elilusse  eilend  will  ich  noch  der  Lehrer -ConftTon/en  Erwähnung 
thun.  Die  (leutschen  Lehrer  kommen  alle  Jahre  ein-  oder  zweimal  zur  Bera- 
thuug  über  Schulfragea  zusammen;  das  Amt  des  Vorsitzenden  bei  diesen 
Sitanng«!  geblirt  dem  Pastor.  Diese  Conferenaen  entbehren  jedoch  jedes  amt- 
lichen Charakters. 

Für  die  Kreise  Mariapol  und  Alexandrowsk  wui'de  im  vorigen  Jahre  eine 
allgemeine  Lehrer-Conferens  geplant,  dieselbe  scheiterte  jedoch  an  dem  Wider« 


Digitizeü  by  Google 


—   748  — 


Stande  des»  Maiiu|*oler  Solmliiisiiiectois,  welcher  von  den  9ü  Lehiern  und  LeLie- 
riunen  seines  Bezirks  nur  ol  für  reif  hielt,  an  dieser  Conferenz  mit  Nutzen 
theilnmelinieiL  Anflerdem  konnte  er  steh  such  mit  dem  fOr  diese  onsCe  Coor 
Harens  von  dem  Cnrator  des  Lebrbesirkes  Odeas»  «nf^estellten  Pngnmme 
nicht  rin verstanden  erklären. 

Ich  hoffe,  dass  diese  Zeilen  dazu  l»eitra?pn  werden .  den  schlechten  Rnf, 
welchen  Bassland  iu  Sachen  des  Volk^chulwe»euä  im  Auslande  hat,  eiuig^r- 
maßen  m  entkräften,  wobei  ich  noch  sn  bedenken  gebe,  dsss  das,  wm  geleistet 
worden  ist,  fUr  die  kurze  Zeit  von  10  Jahren  bei  den  geringen  Lehrkräften, 
die  hier  za  liaben  sind,  einigen  Anqiraeh  auf  Aneikennnng  erheiben  dul 


Ein  Si'liiBerzeaüraf  der  italienisehei  Lebrerwelt.  Unter  diesem  Titel  erhalten 
wir  aus  Itahen  von  einem  daselbst  lebenden  deutjehen  Schalmamie  folj^enden  Artikel: 
Ich  glaube,  da>s  ieli  niciirs  l)erfln>.<i'r€8  thue,  wenn  ich  der  deutschen  Lehrer- 
welt von  ihren  itüiicuis'  heu  tulk^^tu  einen  Stoßseu&er  mittheile,  der  so  recht  ein 
Stimmungsbild  genannt  werden  kann  nnd  in  wenigen  Worten  wideigibt,  wss  die 
Lehrerwelt  Italiens  denkt,  fUhlt  und  leidet. 

Da  es  7!udem  gut  ist,  sich  auch  auf  fremdem  Gebiete  zu  orientiren,  um  besser 
sein  eigenes  zu  verstehen,  M)  Isme  ich  dieMn  Sebmeisensnif  mOg^idiat  nstugetren 
ertönen.  Hier  ist  er: 

„Von  dem  ministeridlen  Entwnrfe,  der  bestimmt  ist,  die  La^e  der  itaUenischen 
Lehrer  zu  verbessern,  hü  man  ein  Lang-t  s  und  Breites  i;es|>r()oliru  und  df>ch  w-  nii:^ 
enwtüch  discutirt;  ja  mau  schadet  deu  Lehrern,  indem  man  alles  mit  persönlichen 
und  politiflchen  Bttehmchten  irenniBcht. 

Immer  ist  es  fla>>f'lhe:  auf  viele  Jahre  hinaus  versprirlit  maTi.  nnd  die  telircr- 
welt,  mit  unvergleichbarer  Geduld,  hofft  und  huät,  und  wenn  ein  gütiger  Souiieu- 
strahl  sich  bemerkbar  nmdit,  um  die  Hoffnung,  diese  adiwindsUchtige  Pflanze  der 
armen  Parias,  m  erwärmen,  siehf".  ria  kommt  ein  gans  neuer  PoUtUmr,  oder  der 
Sturm  ijerstiuUthfcr  Antipathie  und  iiurteiischen  Hasses. 

Es  gibt  eine  gewisse  Presse,  welche,  um  einem  Princip  dtu  Kjiei;  zu  erkl  iren, 
mit  knabenhaften  Anrnmenten  tind  mit  rhetorischer  Sophw'tik  käuiplt.  innl  ind'rn 
sie  für  das  Wohl  der  Ltkrt-r  eiazuireten  vorgibt,  möchte  sie  die  mögUchen  Keionncu 
ersticken  und.  vernichten. 

Deu  Lehrern  und  ihren  wahren  Freunden  liegt  wahrhaftig  nicht  daran,  ob  der 
Eine  oder  der  Andere  Hinister  ist,  wol  aber,  dass  man  vom  weiten  Felde  sehOnw 
Verspret liui'":»  n  zu  dem  der  Vi-rbesstruugen  üliertrtlie,  und  jeder,  der  nicht  seine 
geistige  Schärfe  verloren,  mms  sehen,  dass  man  nicht  über  mehr  oder  weniger  lange 
nnd  breite  Verspreehungen  und  pompöse  Reden,  sondern  Uber  Handlvngen  nwl  Werk« 
lichten  und  urtheilen  muss. 

In  den  23  Jahren  der  italienischen  Einigkeit  sind  Minister  auf  Minister  ge- 
folgt, und  alle,  sieb  ergebend  in  langen  Versprechungeo,  babm  sieht  aaes  einzigen 
Schritt  gethan,  um  nur  ein  wenitr  vrn  den  Tertipfpenmeen  zn  erwirken,  dio  da-! 
Gesetz  von  Copiiim.  erstrebte.  <der  etwas  von  den  Verl'ügungen  Bonghis.  Hat  man 
daher  nicht  rr>ai  l)e,  in  dem  genwiitigen  Minister  Baccelli  einen  wahren  Lehrer^ 
freund  zu  erlilickeu,  da  er  ein  Gesetz  proiumirt,  um  „dieLclirer  jtartii  ipiren  zu  Ia«en 
an  jener  ütsauuenstabiiität.  die  so  wertvoll  ist,  um  das  Bew usst^^eii^  der  persönlichen 
Würde  zu  entwiekeln  and  sn  ftidetn,  ihre  Gegenwart  su  ^arantiren,  sie  ihrer  Zu- 
kunft zu  vergewissem  und  eine  flnanadeUe  Anfbeseening  in  fluss  zu  bringen,  die 
ihnen  nicht  fehlen  kann?" 

In  diesem  i'rojecte  treten  zwei Hauptininkte  hervor:  die  Rtzahhinc:  der  Gehalte 
und  die  Ernennung  der  definitiven  Lehrer,  zwei  Dinge,  welche  für  den  italienischen 
Lehrer  die  ehizig  möglichen  Anfbenemngen  in  den  gegenwartigen  trüben  Yeriiilt- 
nimen  sind. 

Wenn  die  Verbesserung  der  Gehalte,  wekhe  nichts  als  ein  Act  der  Gerech ti^> 
keit  ist,  nieht  erfolgen  kann,  mflssen  wir  Tersiehtai  anf  dne  awtindige  Stellung  m 

d«^r  bürgerlichen  Gesellschaft.  Da.*  iirojinnirte  Gesetz  wttrd?  nicht  weiiic  die  Laee 
der  Iiehrer  verbessern.   Die  gro£e  Mehrzahl  der  Communen  bezahlt  nur  mit  Wider- 


t 


Digiiized  by  Google 


—   749  — 


wiUen  die  Gehalte  der  Lebrt  r:  nicht  allein,  weil  dies  eine  Ausgabe  Teronacbt,  son- 
dern mehr  noch,  weit  die  allgemein  donüniraidni  Ideen  und  Aniiohten  dem  Volke 

abhold  sind.  Es  -ti  lit  fest.  <Li--  •  nll>  faciiltativen  Au^Si^l^eu  /u  Gunsfon  der 
wolhabenden  Bürger  gemacht  werdeu  ^Theater,  illmninationen.  verschiedene  Feste  etc.), 
nichts  oder  wenig  aber  spendet  man  für  dos  Volk,  flkr  die  AUgemeinheit,  ans  welcher 
mau  doch  gewöhnlich  das  commuuale  Vermiipen  schöpft.  Die  Volksschule  ist  in 
Wahrheit  eine  Yolksinstitution ,  und  sie  berührt  in  er.ster  Linie  die  Interessen  und 
das  Wol  der  geringeren  C'lassen,  nütat  liingegen  wenig  oder  nicht«  den  hohen  socialen 
('las--5tMi,  welche  ihre  Kinder  privatim  enciehen  lassen.  Daher  tritt  man  dieser  Insti- 
tution mit  Widerwillen  entgegen,  und  man  bat  nicht  viel  gefehlt,  wenn  mau  sagt, 
dass  die  gegenwärtigen  Schulen  gar  nicht  Mittiica  wfliden,  wdm  aie  nicht  Tarn 
Staate  befohlen  würden. 

Daher  kommt  denn  auch  dieses  Verlachen  und  Verhöhnen  der  Lehrer,  daher 
das  Schreien  von  all  dem  verlorenen  (ielde,  das  dem  Volksschuhvesen  t'eopfort  wird, 
daher  auch  der  fiuf,  da^  <Ue  Lehrer  die  Blutegel  der  conununaleu  Bilanz  seien, 
daher  endlich  auch  me  Rfidtstinde  der  Oehalte  ym  Monaten  nnd  Jahren.  Und  die 
Ohnmacht,  die  Ver/agimg  nnd  Betrilhnis,  Emiedrignng  und  Mutlilii<i^'ki  ir,  mit  welcher 
mau  Mitleid  haben  und  die  mau  achten  sollte,  betrachtet  mau  gleichgiltig,  spricht 
aber  mit  jmthetiMhen  Phiaam  von  der  hohen  Mission  der  Kation,  von  dfirEihebmig 
der  Plebs  und  von  der  Wttidft  d68  Volkes.  Ks  ist  bekannt,  dass  es  viele  Tommunen 

fibt,  von  denen  die  Lehrer  Ton  Semester  zu  Jahr  mit  VerwUnscLuugeu  uud  halben 
IfldiMi  beitahlt  werden. 

An  wem  aber  ist  es  denn,  hei  der  Behörde  zu  reclamireu?  Am  Lehrer. 
Allein  die  Lehrer  wissen,  dass  sie  mit  iiiren  Keclauiatiouen  ihren  Bruthenu  vor  den 
Kcff  tto6en,  nnd  in  ihrer  misslichen  Lage  filrchten  sie,  abgeeetzt  zu  werden,  nnd 
milssen  sie  darauf  verzichten,  sich  an  das  Gesetz  zn  wenden,  um  ihr  Recht  geltend 
zu  machen,  sondern  sie  müssen  fein  ütili  schweigeu  und  sich  durch  persönliche  Bücke 
be/ahleu  lassen,  oder  .sie  mUssen  durch  Bücklinge  und  unterwürfiges  Wesen,  dnich 
Bitten  im  Qewande  christlicher  Demoth  etwas  zu  erlangen  sacheo. 

ünd  sdbat  wenn  man  an^  monatlich  zahlte,  wie  das  Ossbts  es  gebietet 
(s.  Regul.  vom  16.  Sept  18G0,  Art.  121>,  es  wlien  wenige  Tropfen  auf  die  Znnge 
des  Durstigen.... 

Am  Ende  des  Monats  prisentirt  sich  der  Lehrer,  ndt  dem  Hute  in  der  Hand, 

dem  Secretär  der  Commune  und:  Ergebener  Ih"-  r.*  r  ...  wenn  man  würde  ....  wenn 
man  könnte  ....  geben  Sie  mir  das  Mandatu  (Anweisung)."  —  „Geheu  Sie  zum  Herrn 
Sindaoo.   Von  ihm  muss  ich  erst  den  Befehl  dazu  haben."  —  Und  der  Lehrer  pfft> 

sentirt  sich  dem  Herrn  Sindaco  nnd :  .Ergebener  Diener  Wenn  man  würde 

, . . .  könnten  Sie ... .  mir  den  Auttrag  geben  für  mein  Mandato?'  —  „Haben  Sie  Ihren 
IHenstschein V    —  ,.Nein,  mein  Herr,  aber  .  .  .  .,  mir  scheint  ....  wenn  ich  nicht 
ine,  sagten  Ew.  Wuhlgehuren.  dass  die  Certifieate  vnn  der  Beliiirde  gegeben  wurden"  .... 
„Ich  habe  andere  Saclien  zu  thuu.    Gehen  Sie  zum  Supraiuteudeute."* 

Und  der  Lehrer  geht  zum  Sopraintendente  und:  „Ergebener  Diener  Könnten 

Sie ... .  Würden  Sie  ....  mir  das  Certificat  einhändigen,  das  ich  dem  Herrn  Sindaco 
prBsentiren  soll?*' 

l'nd  siehe,  der  Herr  Sopriiiutendeute  in  seiner  großen  geutilez/a  erspart  dem 
Lehrer  die  Mühe,  noch  weiter  hin-  und  bersulanfen,  und  bescheinigt  ihm  dasCerti- 
iicat.  Nnn  geht  der  Lehrer  von  neuem  znm  Herrn  Sindaoo,  und  Ton  ihm  svm  Herrn 

Sccretario;  dieser  macht  ein  unverstäudliehes  Zeichen  neben  ein  anderes  ebenso  unver- 
ständliches des  Sindaco,  und  nun  kehrt  der  Lehrer  wieder  zum  Kagioniere  znrUck. 
Aliein  die  Via  crocis  Ittt  aneh  jetzt  noch  kdn  Ende.  Der  Bagioniere  macht  ihn 
darauf  aufmerksam,  dass  er  den  Stenijiel  registriren  lassen  müsse.  Und  nnn  geht 
der  Lehrer  zum  Herrn  Kicevitdre,  der  die  Öaciie  in  Ordnung  bringt,  nnd  nun  end- 
lich hat  der  Lehrer  dm  Man  dato. 

Allein,  eine  ,,Anwei.suug'  ist  Papier  und  dieses  muss  in  Geld  umgewandelt 
werden;  dazu  aber  bedarf  es  ia  diesem  Falle  einer  ganzen  Serie  von  neuen  Unter- 
würfigkeiten, eines  Auf-  nnd  Ablanfens  anderer  Treppen  nnd  abermaliger  Vertraut- 
heit und  Übnng  im  ServUismns.  Den  Herrn  Tesoriere  (Cassirer,  Schatzmeister)  trifft 
man  nicht  immer  zu  Hause,  oder  er  findet  wieder  etwas  auszusetzen,  anch  hat  er 
immer  Ober  die  Administration  zu  jammern,  die  so  oft  Anweisungen  austertiirt.  ohne 
dass  doch  Geld  in  der  Cassa  ist,  und  die  Lehrer,  beständig  von  heute  zu  moi^n 


Digitized  by  Google 


gefuhrt,  hören  endlich  auf  und  geben  sich  mit  armseligen  ZugedULndniaaen  zuäi^len, 
um  endlieli  de»  Best  in  Knp^r  ra  erimlten. 

Nun  aber  wiril  man  sagen,  das^  .sulche  Lehrer  doch  nur  eine  Schöpfung  Jer 
Phantasie  Ae'm  künneu  und  zwar  nur  einer  BungfilMwwB^n  Phftnt'^fif';  denn  ist  es  m«^- 
Uch,  mehr  Geduld  zu  haben  ata  ein  Hieb  ond  m  in  leiden  nnd  so  in  krieehen  um 

sich  fl»  rartitr  zu  dt^j^Tii'nn'n .  ohne  bei  erster  bester  (Jrleg'etihoit  endlich  einmal  das 
Blut  sich  in  den  Kupf  ischieiieu  zu  lassen  und  der  S&chf  iriremhne  ein  Ende  zu 
msehen? 

lUis  ist  leicht  gesagt.  Aber  was  wdllf  Ihr  denn,  «las  derjtniire  thmi  ^oll,  der 
sich  i^aiu  und  gar  dem  Schnldienste  gewidmet  hat?  Was  wir  besitzen  und  was  un^ 
zu  bleiben  acheint,  ist  das  Sri Aventhum.  Wer  aber  ein  Solare  ist,  hat  die  Hälfte 
der  Seele  verloren,  ja  vielleicht  noch  mehr  ....  also,  fululich:  „o  mangiar  questa 
ndnestra  o  saltar  questa  finestra"  (wörtlich:  entweder  dit.st  Suppe  hinunterschlucken, 
oder  durch  di»',ses  Fenster  .spriiii^tMi). 

Und  wenn  man  den  I^ebrer  bei  einer  seiner  naabhingigen  Handlungen  hinter 
4er  Raiisthflr  sieht.  1>ei  der  Bfletsmation  eines  Imligen  Bedites,  bd  einer  Klage, 
welche  seine  hall»  verzweifelte  .*^eele  ausstößt  —  man  kanu  .-icher  sein,  alle  seine 
Proteste,  seine  kleinen  Wünsche  und  sein  Yeriangen  nach  bescheidener  Freiheit 
werdflii  sieli  nur  iranier  irieder  nm  dasselbe  drehen  t  ,.o  mangiar  questa  ninestia  e 
saltar  questa  finestra." 

Aber  die  Lehrer  sind  ja  verpflichtet  und  engagirt  fOr  sechs  Jahre,  nnd  ftlr  diese 
Periode  sind  sie  ja  im  Sehern  nnd  kOnnen  redamiren,  protestiran,  leagiK»  nd 
Zahlung  fordern! 

Was  beiiit  das  alles?  Die  Ernennung  auf  st;<  Iis  Jahre  int  nichts  als  eine  pure 
ninsion,  niebts  als  Stanb  fUr  die  Angen.  Freilich  sieht  nicht  jeder  die  Gefahr  oder 
er  wirft  sie  hinter  sich,  und  dnrh,  wie  viele,  fast  unzähliire  Mittel  besitzen  Magistrat 
und  Behörden,  um  solche  \'erpüichiuiigeu  zu  brechen  und  den  Lehrer  gesetzwidrig 
in  verabschieden? 

Was  ist  das  Gesetz?  Eine  Quelle  von  Zank,  Streitigkeiten,  Processen.  Was 
Gesetz,  was  Processi  Der  Lehrer,  der  sein  Beeht  geltend  zu  machen  sucht,  mnss 

von  dem  Seinii^'en  nehmen,  die  Commune  aber  -opfert  rduie  Schmerzen  die  Gelder 
Anderer  und  zwar  selbst  fttr  die  ung^echtesten  Processe.  Zudem  kann  ja  die 
Oeninrane  die  Angelegenheit  dem  TVibanale  flberweisen  nnd  dieses  wieder  dem  Äppdi- 
latinnsireriehtshuf*'  und  die-er  wied<  r  dem  raäsationshüfe ,  und  unter  !- -'^f-n  wIMCB 
Monate  und  Jahre  vergehen  und  der  Lehrer  mOsste  vor  Hunger  sterben. 

Alles  ist  nichts,  und  sdbst  w^enn  dieBmennnng  zu  seclw  Jahren  wirklich  ver^ 
jifli  -hti  nd  ivSrr.  und  wenn  man  den  Lehrrr  so  tn  «asen  sicher  stellte  -—  Mairi?trat 
und  iiehürde  können  die  Lehrer  dennoch  aller  drei  .Tahre  inttjairen,  denn  sie  haben 
das  Backt,  neue  zu  ernennen  und  dieses  Spiel  furtznset.  < u  Nun  aber:  selbst  an- 
genommen, dass  sie  die  Sehani  hesäßen,  solche  ruijereclitigkeit  und  Immoralität 
einzugestehen,  so  bietet  doc  h  dau  jetzige  Gesetz  selbst  diejenii^en  Mittel,  solchen 
Dingen  geschickt  aassnwetchen.  Oder  ist  denn  nicht  ausdrücklich  im  Gesetz  ver- 
merkt, das.s  Commune  und  Lehrer  eine  Convention  abschließen  kOnnen  anf  weniger 
als  sechs  Jahre?   (Gesetz  r.  9.  Juli  1876,  Art.  8.) 

Dueh  mehr  noch,  man  zwiui^t  die  Lehrer  förmlich,  um  die  Emennuu^  anf  ein 
Jahr  nachzusuchen,  und  man  ist  sicherp  dass  das  ScJinlcollegioni  (ConsigUo  scolafltioo) 
dies  gesohehen  lassen  vrird,  ttattlitidi  bei  geseblossenea  Augen.  Oder  haben  wir 
SOleher  Beispiele  nicht  schon  zu  Hunderten  gehabt? 

Nun,  der  Lehrer  l&sat  eben  alles  laufen  wie  und  wohin  es  will,  die  Welt  mag 
ihren  Gang  gehen.  Wer  aber  darunter  am  meisten  leidet,  ist  die  Sehnle.  das  Volk, 
das  Laad. 

Mit  nichts  soll  sich  der  Lehrer  befassen;  seine  politische  und  religiü»e  Meintiag 
soll  er  geheim  halten  oder  aber,  je  nachdem  der  Wind  geht,  rier  von  oben  oder  seit- 
wärts kommt,  soll  er  ein  Clericaler  sein,  oder  ein  Atheist,  ein  Materialist,  ein  Mon- 
archist, ein  Kepublikauer ,  Anarchist,  iiocialist  oder  Nihilist  aber  meistens  soll 

er  nichts  sein,  gar  nichts. 

Er  soll  auf  die  Rechte  eines  Bürcrers  verziehten:  er  soll  ablassen  von  seiner 
hohen  ci^nlisiatoriscben  MLs.sion;  er  soll  sich  beschränken  auf  den  liechenkasten  und 
die  L(>sema.schine  und  die  .\nderen  reden  und  thun  lassen,  selbst  wenn  sie  ihn  auch 
an  die  Vergangenheit  fesseln  wollten  nnd  selbst  wenn  sie  kJUnen,  nm  die  Basis 


—   751  — 


anfierer  Verfassung  zu  zerst^rta,  «Ue»  du,  w»b  ongeheaefe  Opfer  mid  das  Leben  «» 

vieler  Märtyrer  prekostet  hat. 

Der  vereinte  BiiccLlli  Jetziger  Miiiifier  d.  öff.  U,)  kommt  nun,  um  ein  solides 
Oebäade  aofziurichteji,  und  da  muss  man  mit  der  Basis  beginnen^  und  er  ist  herab- 
gestiegen sn  dem  Blementarldirar  imd  nir  Sclmle  des  Volkes,  denn  er  hat  gesehen, 
wie  der  Krebs  läuft. 

Alles  Übel  liegt  in  der  eip:enartigen  Eustenz  der  Lehrerwelt,  die  eine  Axt 
HeontHwacia  per  tntta  la  Tita"  ist,  wie  auch  ia  dem  Umstände,  daas  sie  tob 
Commune  bezahlt  wird,  und  dahor  \M  (in<;  wertvollste  Gegenmittel  nur  aUdtt  dieses: 

„der  Cassirer  der  Provinz  bat  den  Auftrag  den  Elementarlehrem  ilv  Oehalt 

„auszuzahlen ; 

,,(l'r  K!  •ninitarlehrer  wird  definitiv  emaimt  und  kann  nicht  entlassen  werden^ 
„Wenn  lur  ihn  nicht  der  Art.  BiU  vom  13.  Nuv.  1«ÜÜ  Geltung  hat." 
Und  Am  ist  es,  was  der  Minister  in  seinem  Vorschlage  zur  Geltung  zu  bringen 
sucht  und  was  die  Freunde  der  Volkserziehung  und  die  Volksschullehrer  hoffen  und 
erdeheu,  deren  Stimme  jetzt  also  lautet:  „Vereinigen  wir  uns,  um  gemein-^am  gegen 
eine  gewisse,  leideii»<cliäftlicbe  und  gehässige  Presse  zu  Felde  zu  ziehen,  (Üe  nidits 
anderes  sucht,  als  tms  auf  die  ächJiaclitbaak  aa  fiklinii,  am  denen  einen  Herzens- 
wunsch zu  befriedigen,  in  deren  OedanlwD  es  niemals  lag,  unsere  elende  Lage  zu 
TOrbessem!" 

£mp£Migen  wir  dieses  Project  nnd  begrOüen  wir  den  verehrten  BacceUi  als 
nnscm  wahren  Wolthiter,  wenn  er  es  Terstehen  wird,  diese  ersehnte  Ver> 

boSSfrnn^'  v  ii;  l'rojeet  zur  Realität,  znni  Hf-^cT/  -/n  erheben. 

Lasüt  uns  wariuu  Bitten  bringen  allen  denjeuigeu  Deputirten,  welche  die  freunde 
der  Ldirerwelt  und  die  Bahnbrecher  und  Vorkämpfer  derCivillsation  simlf  und  woleho 
die  ko<9tbare  Zeit  nicht  in  oberflächlichen  Discussionttn  lUid  nnntttniB  AnfKUebeii 
verbringen,  sondern  handeln,  ehe  der  Vorhang  Mit. 

Und  wenn  unsere  hoiAesten  Wttnsehe  erhört  .sein  werden,  wollen  wir  alle 
diejeuiyen  pccrnen,  wHche  pf<  verstanden,  uns  ans  Eniiedriirnntr.  Srhl.inim  und  Koth 
hemu^u^iehen  und  emporzuliebeu  zur  Meuscheo würde,  und  nicht  mit  Worten,  nein, 
durch  Thaten  werden  wir  ilm«i  sagen,  dam  wir  mner  Wolthat  watirlmltig  nicht 
unwürdig  waren." 

Schließen  wir  uns  diesen  WQnsch»i  und  gereehten  Bitten  unserer  italienlächeu 
CVdkgen.  au.»  deren  S<  lie  ße  wir  soeben  diesen  ergreifenden  Schmer/ensrnt  vernahmen, 
mit  ganzem  Herzen  au:  denn  Missmuth,  Versagtheit,  Notb  und  Verzweiflung  kämpfen 
unter  ihnen,  und  zahllose  Irrlichter  fthrten  sie  von  Jahr  eu  Jahr  immer  weiter  ab 

von  dem  WeL'f  /n  li  ltir  n  T!  Ii  n,  und  immer  wieder  wollte  kein  milder,  beleben- 
der Strahl  des  Lichten  und  der  Freiheit  durch  die  hnstem,  tief  schwarzen  Wolken 
dringen,  die  trotjs  des  lachenden,  blauen  Himmds  Aber  Ituiens  Oeltlde  sieh  lagern. 

Nicht  die  „Neujahrfnacht  eines  rny;lrir  klichen"  träumt  dir  itaü.  t.i.sche  Lehrer- 
welt in  ihrem  Schmerze,  somleru  iu  nackter,  schrecklicher  Wirkijclikeit  scheint  sie 
erliegen,.zu  mttssen  dem  furchtbaren,  heimtückischen,  schwarzen  Ungethttme,  dnman 
fein.ste  Äderchen  selbst  auch  in  der  tii  fsten  Tiefe  des  Volkes  saugen,  um  dieMUn  die 
höchfiteu  Guter  zu  rauben:  Bildung,  Men»cheuwtlrde,  Fortschritt,  Freiheit! 


Vom  deutschen  Ostseestrande,  -dt  —  Unter  dieser  Überschrift  gedenke  ich  «len 
freundlichen  Lesern  des  „Pädagogium"  von  Zeit  zu  Zeit  kuraeu  Bericht  Uber  Leid 
und  Freud*  im  Schul-  und  LehrerK  hen  aus  unsem  Gauen  zu  erstatten.  Es  soll  sich 
hier  bei  nicht  um  bloßen  Unterhaltungsstoff  handeln,  sondern  um  wolgemeinte  An- 
regungen mm  weitem  Nachdenken  ttber  diese  oder  jene  Frage,  nber  innere  ttnd 
intere  Interessen  uascrer  modernen  Schulanstalten. 

Zunächst  sei  erwähnt,  da-ss  die  Regierung  zu  Danzig  einen  tilr  die  Lehrer  in 
-vielen  preoBisehen  Stldten  wiehtigen  principielTen  Streit  mm  Austrage  gelmdit  hat, 
indem  sie  auf  di"  -■•liwerde  der  i'lasseiilehrer  zu  E.  entschied,  das.s  es  keine 
gesetzliche  Be.stimmuug  gebe,  uach  welcher  ein  Lehrer  zur  Einsamm- 
lung des  Schulgeldes  durch  die  städtiseho  BehOrdf  gezwungen  werden 
kann.  iVi^^  jetzt  liegt  die  Sache  in  den  meisten  preuBischen  Städten  t^u.  das^  jeder 
Ordinarius  iu  seiner  Classe  das  festgesetzte  Schulgeld  pro  Monat  oder  (^uaruU  saiuuielt 
und  an  den  Dirigenten  der  Anstalt  abführt,  wekmer  dann  sämmtliche  Schulgelder  an 
den  Cassirer  abläfert»  von  dem  wieder  das  gaoaaCoUegium  die  0«hftlt«r  xa  erheben 


Digitized  by  Google 


—  752 


hat.  —  Xu  Woi^tpreaßou  uud  darüber  hmaaü  Kind  seit  zwei  WiDtenenMttND  die  Er- 
folge des  Unterrichts  in  den  höheren  Lehran-ntalten  und  in  den  VolksKliöleB  durch 
da«  Auftreten  der  Iiiiihtlii  ritis  »ehr  jfeschmälert  worden.  Diese  Krankheit  nahm  in 
mehreren  ländlichen  und  st&dtiwben  Gemeinden  einen  m  epidoniechen  Chnnkter  »n, 
dnn  der  üntenieht  larans  «uifeeetst  werden  numte.  In  Tiefen  Sehnten  fielen 
in  10  -1.")  Jiilirt  n  nichf  so  viele  Schüler  dem  Tmle  zum  Opf-  r.  als  ilie^fs 


Kinder.   Hiemns  ericlirt  mch  siir  O^fli^  die  froSe  Beeorgpaie  der  Mittor,  die  nnn 

auch  häufitr  SehiilTers!iuinni?>e  fintreton  lir  f.en.  ^vcim  i1  er  gefürchtet c  Frind  noch  crar 
nicht  in  Sicht  war.  —  -Nath  der  neuen  deutst  hen  Gerichtsordnuns  i^t  den  Lehrern 
das  Strafrecht  völlig  belassen;  jedoch  daif  der  Lehrer  nicht  fremde  Kinder,  aoch  nicht 
auf  iiflViirr  Straße  züchtigen,  und  ebenso  darf  das  Strafm;i6  das  I.'e.  iir  der  Tftter^ 
Iahen  Ziiclitiguug  nicht  Uberschreiten.  Da^h  diese  Grenze  vuu  jüngeren  Lehrern  nicht 
selten  ttberschritten  wird.  lä«st  sich  nicht  bestreiten.  Dans  aber  dem  Lehrer  in 
solch  betrül^endt'in  Falle  Vorsatz  und  Überlegung  zugemuthet  wird,  könnte  zweifel- 
haft erscijeiueu,  Jlit  diesem  Maße  ist  der  Hilfslehrer  F.  in  dem  Grenzdorfe  G.  ge- 
messen worden,  denn  er  wurde  zu  3  Monaten  Getäiiirnis  verurtheilt,  wobei 
allerdings  ein  erschwercaidee  Moment  das  ist,  da«  TOn  ftrztlicher  Seite  constatirt 
wurde,  dem  gezüchtigten  Knahen  seien  durch  den  Act  dauernde  Nach th eile  für 
sf  ine  Gl'>ii  iidlieir  !■  r wa (  Ii scn.  Darum  Vorsicht,  Vorsicht.  Vorsicht!  —  Wie  •  > 
bei  uns  noch  immer  nicht  zu  einem  einheitlichen  Untenrichtsgeaei«  bat  kommen 
lUtnnen,  so  fehlt  auch  jede  Übereinstimmunf  in  der  Ferienerdnan?.  Gans 
verschirdt-n  fallen  in  Jedem  .Talire  die  Sommer-  oder  Himdstacr^ferien.  Während  in 
diesem  Jahre  Königsberg  am  äO.  Juni  sclüo&i,  tbat  dies  Berlin  erst  am  ^.  Jnli,  viele 
kleine  Stfldte  in  Ostprenten  am  23.  Juli  vnd  Midlich  das  platte  Land  je  nach  Be- 
ginn der  Hetreide-,  Tabak-  oder  Kartofifelemte.  In  südlicheren  Landstrichen  i>t  be- 
kanntlich die  Weinernte  atia^ohlnsrgebend.  Es  ist  leicht  erklärlich,  dass  aus  solcher 
YMschiedenheit  f  ir  vi<  le  Kirern  uud  Lehrer,  welche  entfernt  wohnende  Verwiadte 
hesvehen  wollen,  erhebliche  Unbeqaenüichkeiteii  erwaebfleo. 


.\n8  Preisten.  — m— .  Die  Reaction  befestigt  sich  immer  ni«4ir  und  madtt 
bedeutsame  —  Fortschritte.  Im  größten  und  wichtigsten  Theil  der  Bevölkening 
findet  sie  zwar  wenitr  Beifall,  aber  sie  verfügt  derseit  über  die  Macht,  und  so  kann 
es  ihr  an  ErtVdi^en  ni<  ht  fehlen.  Sie  hat  deren  im  laufenden  Jahre  bereits  recht 
ansehnliche  zu  verzeichnen.  Mit  den  Simnltanschulen  wird  sie  bald  völlig  anf- 
gerftumt  bähen.  Die  su  Krefeld  sind  auf  Befehl  der  kSnigl.  Regierung  zu  Dtmel- 
dorf  seit  Ostern  wieder  in  confes^  i  r  ■  1 1 '  \n>tal(eii  verwand.  Ir.  Alle  njipcsiti'.n 
und  Einsprache  der  Stadtverordneten  hiergegen  half  nichts.  Umsonst  beriefen  sich 
diese  dannf,  das«  die  Kreffslder  SimnItanMhnl«!  nioht  nur  vom  IQmator  Falk,  son- 
dern auch  von  seinen  bpiden  Xa«  hfolgem  anerkannt  waren  und  also  zu  R^rhr  h<-- 
standen.  Eine  :n>khe  Berufuutr  ^vil)  l)<>i  \mn  nicht  viel  bedeuten.  Wir  haben  ja 
kein  Schulgesetz.  Der  jeweilige  i  ulntsininister.  nebenbei  aneh  Unterrichtsminister, 
ist  in  Schulsachen  Gesetz^reVier  und  kann  die  Bt  stimmungf-n  seiner  VorcrSniror  orler 
auch  seine  eigenen  mit  anderen  vertauaoht^u,  je  nach  seinen  eigenen  persönlichen 
Oesiunungen  ^er  nach  „politi^ichcn  Rücksichten".  Gegenwärtig  nun  legt  man  an  eilt* 
scheidender  Stelle  auf  das  confessionelle  Element  großen  Wert^  nnd  da  miisste  es 
natürlich  auch  in  Kreteld  wieder  zur  Geltung  gebracht  werden. 

An  anderen  Orten  nicht  minder.  Am  28.  Juni  hat  zu  Colmar  der  Bezirks-Unter- 
richtsrath  für  Ober-£lsass  mit  ^ßer  Majorität  „die  Wiederberstellung  der  confe^ 
sionellen  Schnlen"*  be^mhlossen.  Damit  hat  diese  .,groBe  Hajoritit'*  ihre  SdiuMigkeit 
gethau,  und  der  Herr  Minister  wird  mit  ihr  zufrieden  sem. 

Da  dessen  Intentionen  kein  Geheimnis  sind,  so  tühlen  sich  selbst  in  Berlin 
die  Rechtgläubigen  beider  Oattnngen  «nr  Opposition  gegen  die  freisinnige  stidtisdie 
Si  liiilvervvaltung  emuithiirf.  Der  durti^e  ..evangelische  Schulrerein''  jRtirt  hei  dtm 
Herrn  Cnltus-  und  Unterrichtsminister,  er  möge  dafür  Sorge  tragen,  dass  eine  ent- 
sprechende AnnU  „wirklieb  eTangelischer'*  Gemeindescbnlen  wiederhergestellt 
werde.  I'nd  die  ..Germania",  da?»  HaupTnnrsm  der  U Itra montanen i  püdirt  ihreneite 
iUr  „Venuohruug  der  katholi.**!  heu  <t«fmeinde.ichuleu". 

Das  Alles  entsprieht  den  jetzt  in  unseren  Regiernngskreisen  herrschenden  An* 
sehanungan,  und  nun  ist  es  aller  Welt  klar,  wanun  wir  „nicht  nach  Oaaossa  gehen**. 


Digitizeü  by  Google 


—   753  — 

Das  wäre  filrwahr  ilbt^rflils>i>^ ;  wir  nmrhen'ri  uns  bequemer  und  kriechen  /ii  Kreuze 
im  eitfenen  Hause,  wiis  üoch  deu  Vortheil  hat,  dajiH  wir  da  beiden  Contessionen 
unsere  Reverenz  machen  und  also  eigi-ntlii  h  ein  Doppelcanossa  zu  Stande  bringen. 
Der  „Staat"  will  mit  der  „Kirche"  in  PYieden  leben,  mit  der  exotisclitn  ^vie  mit 
der  eiülieimischen;  er  glaubt,  daas  sie  seine  beste  Stütze  sei,  und  sie  iiia<bt  sich 
diei^n  Glauben  zu  Xutzi  innl  verlangt  für  ihre  Dienste  die  Schule  zum  Lohn.  Und 
80  ist  denn  unser  lieb«8  Schulr^imeint  wieder  recht  geistlich  geworden.  Alle  Fach- 
steltea  deswlbon  werden  amRchuelUieh  mit  Theologen  beeetst,  und  der  bnreaukra- 
tische  Apparat  arbeitet  nach  den  InspiiationMi  dieser  nFMdunlnner'*.  Was  Wnuder, 
wenn  die  Xiosong  „rückwärts'*  heiät? 

Auch  in  der  interessanten ProTins  Posen  wurde  nnlingst  ein Conunentar  tiienm 
jreliefert.  Die  ii>rric:c  k^nifrl.  Rrfi^ieriiiiy:  Ii  itt  u  i  7,  April  angeordnet,  das«  den 
Kindern  polnischer  Nationalität  der  Keligiousuiuerricht  in  deutscher  Sprache 
zn  ert heilen  sd.  Am  12.  Juni  aber  hat  sie  „im  Auftrage  des  Herrn  Hinisters  der 
geistliehen  etc.  Angelegt'iiheitea"  jene  Anordnung  widerrufen  uiiil  die  polnische 
Sprache  wie«ler  hergestellt.  Die  Verfügung  vom  7.  April  uiir  ohne  Zweifel  eine 
in  mehrfacher  Hinsicht  Behr  heilsame  und  entsprach  zudem  einer  bereits  vor  zehn 
Jahren  erlassenen  Anordnung  des  Oberjjri'ir-iiliums,  laut  welcher  am  Ii  im  Beligion.4- 
uuterrichte  die  dent.si  ho  Sprache  anznweudeu  sei,  sobald  die  Kin<h  r  genügendes  Ver- 
.ständnis  <iersellieii  hesäßen,  eine  Bedingung,  welche  in  tler  That  vieler  Orten  schon 
längst  erfüllt  war.  Aber  die  pulnisch-katholische  Geistlichkeit  betrieb  gegen  die  Ver- 
ordnung vom  7.  April  eine  heftige  Agitation,  als  ob  e.s  auf  eine  Vergewaltigung  der 
katholisch-polnischen  Gewissen  abgesehen  sei,  und  nunmehr  jubelt  sie,  dass  der  Herr 
Minister  die  ihr  erwünschte  JEtestaaration  verfilgt  hat.  Sie  hat  auch  aüe  Ursache, 
deh  ihres  Erfolges  zn  frenen.  Deutseb  und  evangeUseh  gilt  ihr  als  SSns  vnd  ist 
ilir  tief  ferbasst :  polnisch  und  katholisch  ist  ihr  e^enf  iHs  itlentisrh  und  der  Gegen- 
stand ihrer  heißen  Liebe.  Da  nun  diese  polniach-kathoUsche  Sache  triuinphirt,  so 
lassen  sich  Tide  kathidtolie  Deutsche  folonisiren  und  viele  polnieohe  Protwtaaten 
werden  katholisch;  sie  wollen  eben  gani  bei  der  gewinnend«!  Partei  sein,  Ancb 
ein  Erfolg  ohne  Cano.ssa! 

Weni^'er  Ursache  zum  Jubel  als  die  geistlichen  Herren  haben  die  Lehrer.  In 
Eniiantjclung  eines  Schulgesetzes  wissen  sie  in  vielen  Fällen  nif^ht.  wn«!  Rpchtens 
i»t,  und  wenn  es  sie  gelüstet,  das  Hecht  zu  suchen  uud  an/nruien.  .su  erhalten  sie 
leichtlich  eine  Zurechtweisung  in  Gestalt  einer  Zurückweisimt^.  Wes  Ranges  ist 
eigenilii'l»  ein  preußischer  Volksschullehrer?  Die  Frage  ist  unter  Umständen  für 
die  Stellung  und  Existenz  eines  solchen  Fnnctionärs  entscheidend,  bedarf  also  der 
L'''snii;,'.  .N  un  wunle  infolge  eines  besonderen  Vnrkoinmnisses  schon  am  27.  Juli  1.S74 
durch  Ministenalrescript  entschieden,  dass  die  preußischen  Schullehrer  „weder  zu 
den  dem  Landrnthe  selbst  untergebenen  Beamten,  noch  nt  den  Beamten  einer  diesem 
nntergebcueit  Ii  >«le  ijehürcn."'  Nach  einer  neulich,  i-benfalls  auf  besonderen  An- 
läse erfolgten  Eutscbeidoug  des  köni^chen  Staatsministeriums  hingegen  ist  der 
Oemeindeforsteher  (Dorfrchuhse)  der  Vorgesetste  des  Lehrers,  der  Lemvr  also  der 
rnterfjeliene  eine«  dem  Landrathe  unterf?eiirdneten  Beamten.  AI-  ni'kwiirti^.  rQek- 
wärt<t!  Nun  wird  doch  endlich  tüe  verwünschte  ,.Selb8tni»erhel)Uug  •  der  Lehrer 
aufhören! 

Sie  müssen  sich  in  da«  Sprilchlein  tilcren:  ..Wes  Brot  ich  esse,  de^  Lied  ii  h 
singe".  Und  sie  sollen  ledisjrlich  da."*  Brot  der  (iemeinden  essen,  also  aueh  dem 
Gemeindevorsteher  unterthänig  sein.  Der  Staat  braucht  sein  Geld  zn  andern 
Sachen.  Wem  kommt  die  Unterhaltung  der  Schulen  zu?  Schon  Falk  hatte  diese 
Frage  aufs  neue  ungertgt  uud  dabei  entschiedene  Bedenken  gegen  das  ausschließliche 
Gemeindeprincip  geäußert.  Vor  kurzem  sind  aber  gleich  drei  Ministerien  i^des 
Innern,  des  Cultus  und  der  Finanzen)  gemeinschatlüich  f  ftr  dieses  Princip  eingatreten 
(der  Regierung  zn  Minden  gegeuflberl  Das  ist  ohne  Zweifel  für  den  Staat  das 
billigste  System  und  iriht  Jeiiem  da."*  Seine.  iK-r  .'^taat  reiriert  \inil  die  Ceiueindeu 
bezahlen  —  so  gut  sie  können  und  wollen.  Aber  ultra  posse  nemo  teuetur,  uud  so 
sieht  es  denn  mit  yielen  Vblksscbulen  noch  recht  kläglich  ans,  sowel  bezüglich 
deren  gesammter  Einrirlitung,  als  auch  bezn<,'Iieh  dos  Einkommens  der  Lehrer.  Jetzt 
geben  sogar  manche  Gt^uieinden  daran,  die  ohnehin  kärglichen  Lelirerbesoldungen 
noch  herabzusetzen. 

Die  allgemeine  Situation  ist  dieser  Intention  günstig.  IMe  geflissentlich  ver- 


Digitized  by  Google 


764  — 


breitete  Gerinfechfttsiing  des  Lehrentande«  bamouirt  mit  einer  aiediigen  Tue  fOr 
adiie  BervftKraeit  und  ttberdies 

So  oft  eine  kidlich  k-r^oldete  Stelle  vacant  wird,  melden  sich  ftlnfzifj  und  iti  -  hr  TV- 
Werber.  Der  Lehrermangel  ist  (oBt  ganz  behoben  —  infolge  der  angewendeten  Kiuut- 
mittel;  —  w\h$t  BIsa»>Iiotliiiii9eii  deekt  den  Bedarf  edioii  •»  aiemlleh  mtt  hri- 
miücben  Kräften. 

E»  muss  aber  doch  mit  der  Beschulung  unserem  Staates  noch  nicht  Uberall  gut 
bestellt  seia.  Denn  laut  officiellen  Aaawei^en  waren  nnter  des  <n  die  Armee  eiii' 
^[«stellten  Uannscbaften  des  leusten  .Tahres  in  dtr  Provinz  Pri?cn  noch  11  Procent, 
m  Westpreußen  8.47,  in  Ostpreußen  (i.57  l'rocent  uhue  ikhulbildun^,  und  wenn  die 
DinjBre  den  gegenwirtigoi  Gang  beibehalten,  wird  es  nicht  besser  werden.  Das  8ind 
dunkle  Flecken  in  unserem  Cultursystem !  —  Es  wäre  also  doch  sehr  nSthig,  für 
nnsere  Volksschulen  und  besonders  fUr  den  Lehrerstand  etwas  mehr  zu  tbun.  als  die 
Gemeinden  thun  können  und  wollen.  Neben  Tielem  Anderen  ist  für  den  Lehrtr>raud 
ein  klares  und  humanea  Dotationa-  and  Pensionageaeta  dnngendes  Bedftxäiia, 
wenn  sohreiende  Nothstlnde  beseitigt  werden  Mllen. 

Kurz,  tmd  dns  erfx'xht  Ach  ans  ill<  :ii  Obigen;  wir  brauchen  ein  Schultreset z, 
wir  yemiwen  es  an  allen  Orten  und  lijiden.  Und  dennoch  wttnschen  viele  Lehrer, 
vielleidit  die  meisten,  daas  wir  keim»  «rhalten.  WnndoH  Sie  rieb  nieiit  ftlier  dieeeni 
Wider?imf  li :  er  ist  leicht  zu  lösen,  ntolich  durch  das  Wrirtchen  jetzt.  Wol  alle 
Lehrer  wüuwhen  eine  dehniti?e  Kegeiung  des  Schulwesens,  aber  eine  gute.  Wur- 
den jedoch  die  gegenwärtig  herrschenden  Maximen  codificirt .  s<>  niilsste  das  preu- 
ßiscbe  Schnlwesen  anf  lange  Zeit  hinaus  Schaden  leiden.  Jetzt  haben  wir  wenig- 
stens den  Trost,  dass  ieder  neue  Minister  die  Grundsätze  nnd  Vertiigungen  seines 
Vorgängen*  aufheben  kann.  Alle  freisinnigen  Elemente  wollen  vorläufig  nnr  den 
..Kampf  gegen  die  dunklen  Miichte,  die  leider  wieder  so  stark  überhand  nehmen'^ 
Erst  wenn  dieser  Kampi  j;lücklich  beendet  sein  wird,  ist  die  iieit  zur  Schaffung 
( ines  guten  Schulgesetzes  gekommen.  Noch  fliegen  die  Raben  in  dichten  Scharen 
um  den KjrffliitaMr.  M9ge  bald  derHefkalee  entehen,  der  nns  Ton  ihnen  tät  immer 
befrdtt 


Ans  dem  Königreich  Sachsen.  Ton  den  in.  .t  il  re  18.*^2  8.'^  /iirAnu.  e  pe-tellten 
Becruten  hatten  nor  0.74  pro  Mille  eine  ungenügende  Schulbildoi^,  während  noch 
im  vorigen  Jahm  2.45,  im  Jalii«  1877/78  alier  6.4S.  ferner  1873/74  6.78  nnd  186869 
n.SO  pru  Mille  der  militärpflichtigen  Mann'sehaft  ohne  i:enf\gende  Schnllienntni>'f; 
waren.  Diese  Ziffern  bezeugen  unzweifelhali  einen  sietigeu  Fortachritt  und  flir  die 
G^^wart  einen  sehr  günstigen  Stand  der  Volksbildung,  soweit  sich  dieselbe  mit 
den  elementaren  Schulkenntnissen  deckt.  Man  schreibt  diesen  Erfolg  nicht  ana- 
schließlich  den  Volksschulen,  sondern  zu  einem  gnten  Theile  auch  den  Fort» 
bildnngsschaleii  sn,  welch«  infolge  de«  Oeactaes  tob  1878  ins  Leben  genfea 
worden  sind. 


Aus  der  Schweis.  Von  Herrn  C.  Grob,  Secret&r  des  zttrcheriscben  Erdehungs- 
wesens.  ist  kürzlich  eine  sechs  Bände  umfassende  Statistik  des  sc  hwL-izerisehen  Unter- 
nchtawesens  erschienen,  ein  aaBerordentlichen  Flei£ee  nnd  rühmlichem  Ciewiwen- 
baAigkdt.  Herr  Prof.  Dr.  0.  Hnnsiker  brnigctm  „SchweiBerifleben  SckidafehiT**  niu 

dem  {genannten  Werke  einitre  Hauptdaten,  die  z\\m  Theil  auch  außerhalb  der  S(  hweiz 
Interesse  und  Nachdenken  zu  erwecken  geeignet  sind  und  in  so  weit  hier  vorgeführt 
werden  sollen. 

Ära  31.  März  1882  betrue:  die  Ge.sammt7:ahl  der  Primarschiilrr  nämli-  h 

218  191  Knaben  und  210889  Müdcheu.  Die  Muttersprache  dieser  Kmder  war  deutsch 
bei  311  271,  französisch  bei  97  113,  italienisch  bei  19  864,  romanisch  bei  5832.  Printtr> 
schulen  frab  es  43S6,  davon  mit  einem  Lehrer  i'uneretheilte)  2426,  mit  zwei  Lehrern 
llifil.  mit  drei  Lehrern  332,  mit  vier  Lehrern  17'.',  mit  ftlnf  oder  in<?hrLehnim  187. 
Schukbtheilnugen  (die  nngetheüten  Schulen  eingerechnet!  zählte  man  Ki(\2.  davon  6462 
fUr  beide  Geschlechter  «remeinsam.  93.0  für  Knaben.  905  iVir  Madehen.  Die  Cantone 
Glarus  und  Thurgau  habeu  nur  gemeinsame  Schulen,  mehrere  andere  nur  sehr 
wcniiT  sejjarirte,  dagegen  Basektadt  nnr  8  gemeinsame  neben  41  Knaben-  \md  41  Mäd- 
chen-Schulen, Genf  neben  72  gemeinsamen  61  J£nnben*8ehnlen  nnd  64  Midcben-Sebnleo. 


Digitized  by  Google 


—   755  — 


Die Ge^^iini  rzahl  der  Lehrkrfifrt  Ix  tniir  8365,  darunter  w»  il>liehe  2525.  Von 
den  letzteren  wirktt-n  in  cremeinaameu  Skhulfa  1541,  in  KnAi>eu-Scbulen  94,  in  Mädchen- 
fldralen  863.  Gar  keine  Lehrerin  hat  der  Kanton  Olarus,  nur  je  eine  haben  Ba.selland 
und  Außerrhoden;  in  Tliurgaii  sind  nur  2.7"\j,  in  St.  Callen  nur  3.4%  aUer  Lehr- 
Inifte  weiblich,  dagegen  iu  Gent'  56.3,  in  Neuenbürg  Gq.4.  in  Nidwaiden  72.2,  in 
Olnrälden  73.7**  Geistlichen  Standes  nnd  ron  allen  Lehrkräften  4%;  diese  finden 
8ich  in  den  T'r-Cantönen,  ferner  in  Luzem,  Zag,  Freiburg,  Solothurn.  St.  Gall»»n, 
iirattbUndeu,  Te.^siu  uud  Wallis;  in  den  übrigen  Cantonen  sind  alle  Lehrkräfte  welt- 
liehen  Standes. 

In  der  Dauer  der  ActiviUU  aeigt  üicb  swiachen  Lehrern  und  Lehrerinnen  eine  groBe 
Differenz:  jene  erreichen  dvrelisohDittlicfc  ein  Dienstidtet  yoo  16,  diese  nur  von  10  Jahren. 

Das  ^-osainmte  Kiiik<  iHinf>n  aller  Lehrkräfte  hetrSi^t  jiihrlich  10  üö^>  ;<f)3  Francs, 
darunter  866  045  an  Naturalbezügen.  Im  Durchschnitt  beträgt  das  Einkommen  eine» 
Lehren  1419  IV.,  euer  Ldnerin  601  Fr.  Die  hOehste  BenMdvn^  mUt  BaeeUtadt, 
wo  der  Prinmrlehrer  durtlisohuittlioh  321;?,  die  Priniarlehrerin  1535  Fr.  erh&lt,  am 
nächsten  steht  Zürich;  die  geringst«  Bt^uldung  bietet  der  Canton  WalliSi  dnroU- 
eehniUHeh  .%7  Fr.,  Uub  nnächst  stehen  Nidwaiden  und  Uri. 

Das  SchulrermJVcen  die  Schulfonds)  der  ganzen  Schweiz  belauft  sich  auf 
137  534  .^97  Fr.  E.s  beträgt  i>ro  Kopf  derGesammtbevölkenuit:  ilurchschiiittliib  48  Fr., 
ist  aber  auf  die  Cantone  höchst  ungleichmftBig  vertheilt  ,  am  besten  ist  Ttmigav 
gestellt  mir  85  Fr.  Schul  vermögen  \iro  Kopf,  dann  folgt  Schaffhausen  mit  76;  am 
ungüUdtigäten  Tei^sin  mit  9,  demnaehst  Uri  mit  17.  Die  jährliche  Gesammtausgabe 
für  die  Primarschulen  betr&gt  {iro  Kopf  der  Einwohnerschaft  im  Dnselwduiitt  5.19  Fr., 
in  Schaffhansen  (Maximum)  8.2,  inZllrich  7.89,  in  Genf  (Minimum,  wegen  der  Dichte 
der  Bevölkerung)  1.60,  in  Schwyz  1.87.  Zu  diesem  Gesammtaufwand  tragen  bei 
a)  der  Staat,  d.h.  in  der  Schweiz  der  Canton:  in  Schwyz  3.6*/o,  in  Waadt  10.9**',,. 
in  Genf  Ö9.8' 0,  in  Baaelatadt  71.1%,  in  Wallis  nichts:  b)  die  Gemeinden:  in 
Sehw78  92.6»  0,  in  Waadt  7S.3%,  tai  Genf  28,  in  WalHfl  67,  in  Baselstadt  0.3. 
Vertheilt  man  die  jährliehe  Gesammtausgabe  auf  die  Schill  er  der  Primarschulen,  so 
ergibt  sich  als  Durchadmittssats  34.1  Fr.  pro  Scholkind;  am  höchsten  steht  dieser 
Sats  in  Baaelstadt  mit  76.8  Fr.,  dann  in  Genf  mit  69,  am  niedijgatWB  In  Appensell 
mir  lO.n,  dann  in  Innerrhoden  mit  12.7  Fr.  pro  Schulkind.  —  Auf  nimusolinlbailteik 
hat  die  Schweiz  im  letzten  .lalir/ehnt  24ir>(i9l5  Fr.  verwendet. 

Die  Fortbildungsschule,  das  ist  die  einfachste  Ergänzung  der  Primarscbnle, 
war  von  13  868  Kindern,  nämlich  12  75S  Knaben  nnd  1110  Mädchen  besucht.  St.lrker 
fr^uentirt  waren  die  Anstalten  für  eine  weitergehende  Ergänzung  der  Primarschulen, 
nftmÜch  die 

Secundarschnlen.  Es  piht  deren  413  uud  zwar  77  tTir  Knaben,  hH  für  Mäd- 
chen und  283  gemeinsame,  riie  wurden  besucht  von  1115üKuabeu  und  8976  Mädchen, 
hatten  also  eine  Gesammtfireqnenz  von  20131.  An  diesen  Secundarschnlen  wirkten 
1448  Lehrkräfte,  worunter  246  wmbliche.  Ihre  gesammte  Jahresbesoldung  betmg 
2  370180  Francs.  Zn  dem  Anfirand  flir  diese  Scholen,  welcher  pro  Schaler  durch- 
•M'hnitrlieh  106  Fr.  jährlich  her  raut,  steuerte  der  Staat,  d.h.  dieCantone,  1  (KXi  H2S  Fr. 
beL  (Bemerkt  mnss  wurden,  dass  die  Statistik  der  Secnndarschulen  der  vollen  Klar- 
Iwit  entbehrt,  da  niebt  nnr,  wie  andi  bei  aadenn  Sebalgnttongen,  die  eiuelnea 
Ontone  große  V  r>  1  i>  lr  nheiten  aufweiten,  aeiidera  die  Secnndnnclralen  Tieler Orten 
dnreb  Mittelschulen  ersetzt  werden.) 

Als  Mittelschulen  sind  108  LefaiMutatten  aufgefUhrt  mit  9499  mlnnlidiett 
nnd  20f>3  ■sveihliclien  Sdinlern.  Darunter  hatten  die  Gymnasien  53R2  (mSnnliche) 
Schüler,  die  ludusitrieschulen  (Kealschoien)  3144  männliche  und  117  weibliche  Schüler, 
die  Ltduerseminare  946  mtniiUebe  nnd  310  weiUiche  SehlUer,  die  bSlieren  Hldehen- 
sdinlett  1706  Schülerinnen. 

An  den  Hoch-  und  Fachschulen  befanden  sich  im  Ganzen  1808  schweizerische 
Studenten  (ans  den  Cantonen  Uri  und  Innerrhoden  nnr  je  einer);  von  diesen  besuchten 
da^  Polytechnikum  in  Zürich  354,  die  Universität  daselbst  297,  die  Unirenitftt  zu 
Bern  .352,  die  zn  Basel  228,  die  z«  Genf  342. 

Die  Lehrerbildungsanstalt  zu  Münciienbncbsee,  in  deren  Räumen  vor  fast 
80  Jabien  fie  IMdinngiaastoUPeatalossis  ilmn  Sits  hatte,  faierte  nm  13.  Septmnber 
d.  J.  ihr  fiOJHhrigeaJvbillnm.  länen  besonders  wertToUen  Beitrag  au  dieser  sehOnen 

P«da(0(iaia.  5.  Jihfsaag;  Hälfe  ZU.  49 


Digitized  by  Google 


—   756  — 


(.ie<letfkt<?ifr  lieferte  uiwer  H.  3Iorf  mit  lieiner  Festschrift:  ^Erziehojigs-  und  ünter- 
rii'}jt!<]iläu  üer  erat«u  I^bran^talt  im  Schlosse  zu  Mttnchenbuchtiee."  Morf  i^t  aU  be- 
gei^^terter  Verehrer  und  aU  der  vorzlUrüthÄte  Kenner  Pe^talozm  der  pädago 
gi»elten  Welt  ULogät  bekMttt,  imd  den  Leäem  dm  Fidagogitunji  insbesoiidefe  h*i  er 
^hon  manche  icbi^oe  Fnielit  teioer  uennftiUklieii  Fonchuo^n  geboten.  In  4er  er» 
wähnten  FeHtHchrift  nun  erhalten  wir  abermaU  neue  und  bt^l  iiiLTgiche  Aa£scblä^ 
Uber  eüieji  LebeiiMk»cbmtt  Pefltaloszi«,  Anfitrhlftawe,  wie  aie  uur  an«  der  iaumsteit 
Vertntttbett  nrit  der  ffcsanniiten  geiiiUgqi  HinteilMwa«e1wft  dieies  ebizigen  Manaes 
j^ewonnen  werden  ki.niiLii.  Si.lia<l»f,  ila-;»  der  hier  veröffentlichte  Plan  der  IVstul'jz/ischen 
£nuebaog  vorläu%  dem  größeren  Publicum  nicht  zug&n^^iicii  mU  Uerr  Moif  hMi 
ftttittUeh  TO«  Miller  Peetechrift  ntir  100  EiMoplare  fanf  dgae  Korten)  elNdelieii  teeieft 
und  Ai-  df-n  bcmi«chon  f^hulbehörden  «nd  Lfhrfni  fllicrseuder.  Zur  (li.ir.ikt<"rii.irunjf 
dftä  hier  vwrliegenden  üocumentes  woliea  wir  .ms  dtr  t'e.-«t»chriu  *tlbat  tiac  Vorbe- 
merkung anführen:  „Die<:<e Arbeit,  deren  Hcda<ri<.n  iu  ^mein«amer Berat hun^:  indem 
Räumen  de«  Schlosses  Wüni  hcnlmrh^ee  endgihig^  festgestellt  worden,  i?t  t  in  -.'ar 
wichtigem  ActeuDtück  zur  Eatwii;kUangsgeäcbicbte  des  PestalozzianiäUiU:;,  }a  drr 
einzige  L^r^  und  Unterricbtäplan,  der  in  t>oleIi  Qbenicbtlieher,  zusammenhängender 
Dar«t<:Ilan:r  aus  der  Pestalozzichen  Schule  bervorgeganir^^n  wnd  veröffentlicht  worden 
iHt;  eme  l^rucht  der  Verständigung  zwLwhen  den  erstt:u  uud  bedeutendsten  ächülem 
ond  Jüngern  Pestalozzis  unter  steter  Berathiing  des  Heisteie,  «Bd  iUiUBt  an» 
einer  Zei(  reiner  Begeisterung  fttr  deasen  Sache."' 

Tu  Österreich  dauert  der  dnn  h  die  Schulu'ivi  He  hervorgerufene  Hader  f^rt.  und 
da«  Kndc  deiiselbeu  iat  nicht  abzusehen,  ^'achdem  die  gesetcgebenden  f  aetoren  ihren 
langen  Kampf  beendet  hatten  nnd  der  Novelle  an  t.  VUd  die  kaiseriidbe  Saaeckm 

errli*  ilt  war  's.  P.'ul.iL'"i:iuni  V.  521  f.),  begannen  die  Schnit-rzcn  und  Verhandlun^rtu 
Uber  diu  Durchfuhrung  der  neuen  Bestimmungen.  Die  Keactiouftre  wollen  die- 
iielbe  bis  zur  äulleraten  Grenze  zu  ihren  Zwecken  ausbeuten  lod  seUeuaigst  finetl- 
liciren.  die  Libenil-  n  ^rii  fien  die  Wirkung  dcrst-Hjen  tlinnlich^t  abzuschwächen  und  zu 
verzögern;  der  Herr  Uiiurrichtsminister Courad  von  Eybuteld  möchte  est  wo  ui'X'lick 
mit  keiner  Partei  ganz  verderben,  wird  aber  schUeSlich  wol  swiachoi  swei  Stühlen 
biederfallen.  Am  8.  Jnni  luit  er  eine  r»iin-lin"ihmnc:>«vernrdnujig  erlasen.  wtd<  he  1"^- 
«üglich  der  famosen  „.Schull)Lsni  h>erleiciittruiigeu"  deu  Ueactionären  nicht  geuim. 
indem  das  siebente  und  acbre  S  1ml jähr  keinesfalls  beseitigt  werden  soll;  dafir  aber 
sichert  sie,  im  Einklänge  mit  der  Novelle  selbst,  dem  Clerus  eine  so  imposante 
Stellung  im  .Schulwesen,  dass  den^elbe  im  Stande  sein  wird,  sich  einen  entscheidenden 
Einfluss  zu  erzwingen.  Da  nämlich  von  jetzt  an  nur  solrlic  Lelirjtersonen  als  Schul- 
leiter (und  Schulleiter  sind  auch  alle  Lehrer  einclassiger  Schulen)  bestdit  werden 
können,  welche  auch  die  Beftbigung  zur  Brtheilung  des  Keligionsnnterriehtes  der 
herrschenden  Confes-inn  d.  i.  mit  geringen  Ansn;ilinien  der  röinisoheu)  nachweisen, 
und  da  Uber  diese  Belähi^og  ausschUefiÜch  die  von  den  Bischöfen  bestellten  Prüfuitts» 
commissire  entseheMeo:  se  nat  die  „Kiidie^  das  Sdiidcsal  der  Lehrer«  Ja  den  Be> 
stand  der  Schule  in  der  Hand.  Nicht  nur  kilnnen  die  bischöflichen  Commiss&re  jeden 
Lehramtscandidateu,  der  ihnen  nicht  convenirt,  durchfallenlassen:  sondern  die  Bischöfe 
kSnnen  nach,  wenn  sie  die  Ernennung  der  Prüfungscommissäre  verweigein,  die  Be- 
setzung der  grollen  Mehrzulil  di  r  Lehrstellen  verhindem  und  somit  die  «.iinze  Schul- 
organisation vereiteln,  d,i  olme  ihre  Kitwirkung  und  Genehmigung  die  <  rtonU  rlichen 
Zeugnisse  nicht  zu  Stande  kommen  kSnnen.  Die  Zeitungen  der  UltnnnontuDen,  an 
ihrer  Sidt/.e  das  „Linzer  VulksbLTTt",  Organ  de.'j  kämpf  Inst  i;;i-H  Bischofs  Rudiffier. 
haben  denn  .uich  bereits  den  Minister  Conrad  wtiren  seiner  Durehlubrungsverorduuii^' 
heftig  arigtirritteu  und  ihm  mit  starken  Maüregeln  gedroht,  wenn  er  dieselbe  nicht 
inodilicireu  wolle.  Seit  einiger  Zeit  ist  es  aber  im  clericalen  Lager  wieder  rohigtf 
geworden,  was,  wie  uiehrwe  Blätter  behaupten,  daher  rubren  soll,  dass  der  „Kirche** 
die  verlangten  weiteren  CVtncessionen,  namentlich  die  definitive  Herabsetzung  der 
Schttlpfliobt  aul'  sechs  Jahre,  in  Aussicht  gestellt  worden  .seien,  —  Inzwischen 
tritt  in  verschiedenen  Provhizen  die  Lebrersdiaft  zusammen,  nn  die  Conseqnemcn 
der  Sehulnovelle  in  Berathung  zu  ziehen;  in  Oberöst- rr  >i  1; ,  wn  Herr  Rudigier  den 
Bischofsstab  t^ilhrt,  sind  die  Lehrer  iu  besonderer  Verleguuheit,  da  achthundert  toa 
Ihnen  das  nunmehr  so  wichtige  EeUgionszengnis  entb^mn,  indem  seine  InsdUtflielie 
(inaden  das  Schnlgeseu  von  1869  Diemals  «uerkannt  und  demgeait  audi  kein* 


—   757  — 


Prül'uugäconuuissiire  irt-^tellt  hatte.  Bisher  war  dies  ohne  praktische  Bedeutung,  weil 
die  Ansttilliiu«:  dt-r  Lelirer  uitlit  von  der  kirchlichen  Äppro});ition  abhing.  Aber  jetzt 
kanu  ühue  sie  keiu  Lehrer  Carricre  machen.  Was  «oll  uuu  werden?  —  Kurz:  die 
&)terreichi«die  Lehrerschaft  und  die  österreichi-sche  Schule  geht  dm  bedenklichsten 
Wandlungen  und  Verwickelungen  entgegen.  Dahoi  wird  viel,  .sehr  viel  Zeit,  Kraft 
und  Gemilthsruhe  mit  Reorganisationsverhandhiiiijeu.  Exj)€rimenten  und  Kämpfen  ver- 
geudet werden,  tlie  einer  ruhigtn  und  gedeihlichen  Fortentwickelung  des  Schulwesenti 
gedient  haben  wttrden,  wenn  nicht  die  fatale  Novelle  gekommen  wftre!  An  ihre 
Fersen  wird  tieh  der  hSm  Geiat  der  ZerstOnmir  heften,  nnd  «oft  neue  rieh  das 
alte  Sprichwurr  beNviÜnen:  „Wenn  mau  dem  Tenfel  einen  Finger  reicht,  so  nimmt 
er  die  ganze  Uaud."  JedeuMla  ist  die  Novelle  sammt  Ausführungsverordnung  bei 
weitem  nicht  das  letste  Wort  im  Streite,  und  dnslAviren  Ton  Seiten  derBegiemnir 
kanu  nicht  !an<re  daueni.  Es  ist  nnr  Eiuea  müglich:  entweder  ein  noch  weiterer 
BUckächritt,  uder  tödlich  emmal  ein  i,'anzer.  voller  Furtächritt,  das  heiiit  die  voU- 
stlndige  Befreiung  der  Schule  von  jeder  elericalen  Eiamischnng!  — 

Eines  Fortschrittes  bedürfeu  die  österreichischen  Lehrer  aueli  in  materieller 
Hinsicht  recht  dringend.  Die  infolge  des  Schulgesetzes  von  ibüd  geregelten  Be- 
soldungen waren  knapp  bemessen  und  sind  seitdem  nicht  anijgebeMert.  worden,  wäh- 
rend doch  die  Theucrung  aller  Lebensbediirfhisfie  fortwährend  zugenommen  hat.  Selbst 
in  Xiederösterreich,  wo  die  Lehrer  rerhältnlsmäßig  leidlich  gestellt  sind,  uiitimt  die 
Verarmung  und  Noth  unter  iiiULU  dtriiiaiSeu  zu,  dass  der  Landeslehrerverein  dem- 
nächst daäber  in  Berathung  treten  wird,  „wie  dem  im  Wachsen  begriffenen  Elende 
in  Lehrericreisen  m  begegnen  Mi"*.  —  Die  Lehrer  der  Beieluhauptstadt  Wien  speeiell 
haben  sich  an  den  Gemeind  i  itI;  um  Verbesserung  ihres  Einkommen.-^  tre wendet.  Sie 
hatten  daxu  leider  recht  driugeude  Veraulawong,  da  sie  weit  schlechter  gestellt  sind 
als  ihre  Coflegm  in  vielen  mittleren  vnd  kleineren  StBdten  Deatschlands  und  der 
hwiiz.  ire^  liu  ciire  denn  in  Berlin  und  anderen  ITauptstädteu.  Möge  der  große  .\n- 
drang  von  Lehrkräften  nach  Wien  den  Gemeinderath  nicht  täuschen  über  die  be- 
stehende nnleugbare  Noth;  möge  der  Wiener  Qemdndeiath  vidmehr  durch  dne 
kritftige  That  nachholen,  was  er  bisher  ventnmt  hat. 


N^rdaiierika.    Das  Juliheft  der  „Erziehungs -Blatt er (Organ  des  dcutsch- 
amcrikani'^rhrn  Lelirerbundes)  reprodncirt  aus  dem  Werk»^  von  Friedrieli  v.  II  eil - 
wa.ld:  „Amerika,  iu  Wort  und  Bild"  einige  Stellen  über  das  uurdamerikauische  Schul- 
wesen und  bemerkt  dazu:  „In  dieser  Darstellung  liegt  un.streitig  viel  Wahrheit. 
Doch  enthält  sie  auch  eine  Menge  von  himmelschreienden  Entstellungen,  £alscben 
Auffassungen,  die  jener  europäischen  Einseitigkeit  und  aristokratischen  Dünkelhaftig- 
keit entspringen,  die  sich  in  der  Benrtheilung  amerikanischer  Zustände      oft  un- 
liebsam bemerkiich  macht".  Die  „Erziehungsblätter'  dthren  dann  eine  Abfertigung, 
welche  HeUwald  bereits  in  ehier  anderen  ameriltanischen  Zeitseähiift  erhalten  hat, 
und  welche  sich  insbesondere  gegen  zwei  ?fi!I  u  ia  htet.    Die  erste  lautet  bei  Hell- 
wald:       ist  ein  unbarmherziger  ^cheuiatisiiius,  der  durch  das  amerikanische  Schul- 
wesen ipreht,  die  starre  Fonn  der  Satzung,  des  mediaoiscIieB  Comnandos,  der  Booh- 
stabenireist .  aber  kein  erlösender  Geist,  der  dattiir  aussöhnt.    Die  Individualität  des 
Schülers  wird  nicht  beriukaichtigt.   Alles  wird  mit  dem  gleiclien  .MalSe  gemessen, 
kein  Entwickeln  dt  r  l't  r.-<  nlichkeit  wird  erlaubt,  jeder  Keiai  dazu  erstickt.   Es  ist 
die  Tend<  nz  des  Mv.  Ilirens  ohne  Ende,  der  Gleicbli-  it^idee  in  höcbstt  r  Potenz,  die 
sich  im  Extrem  zur  Fratze  verzerrt."    Dazu  wird  bemerkt,  „dass  dies  die  alte  aus 
^g'nr^  tmportirte  Lehrmethode  ist,  mit  weicher  die  entwickelnde  Methode  nun 
schon  von  allem  Anbeginn  an  den  entschiedensten  Kampf  geführt  hat.  —  3Ian  ist 
glücklicher  Weise  jetzt  schon  so  weit,  dass  in  vielen  Staaten  und  Städten  der  alte 
Schematismus  in  den  öffentlichen  Schulen  der  richtigen  Methode  l'hitz  m  u  hen  nnuss.*"  — 
Ferner  hat  Hellwald  vom  amerikanischen  Scholqrstem  behauptet:  „Das  BeaUstische 
verdräugt  das  Hnmanistisehe,  der  Ventand  IXsst  das  Geffthl  nnberUckilchtigt.  Die 
amerikanische  Jugend  wird  nicht  erzogen,  sie  wird  nur  unterrichtet."    Darauf  wird 
entgegnet:   „Uechnet  vielleicht  Herr  üellwald  die  humanistischen  Spender  von 
1'/«  liiUionen  Hark  fUr  die  überschwemmten  in  Dentsehland  nieht  zv  den  Ameri- 
kauern?  .  ,  .  Wenn  dir  Amerikaner  alljährlich  viele  Millionen  filr  ideale  Cultur-  und 
humanistische  Zwecke  hergeben  und  selbst  dem  Auslände  davon  Millionen  zu  Gute 
kommen  lassen  (folgt  eine  B«ihe  von  Bei^ielen),  so  wird  Herr  Hellwald  woltbnn, 


49* 


—    758  — 


(ch\  rrtheil  gehÖri|r  berichtigen.  Statt  dessen  mfiyre  er  srhreilien:  ,^merikA  tknt 
mehr  fUr  bauuuiUtiscbe  Zwecke,  aU  alle  Länder  Enropu  zttaAmmeBg^mmen." 

Der  letite  Sati  dürfte  d«ai  doch  co  weit  geben;  aUeiB  die  leliwin  und  nii> 
gerechten  AuMteUangen  Hellwalds  forderten  eine  eneiigiRclie  AJ»wehr  lienuis. 


Sckliisswort  iüm  fimftea  Jahrgänge. 

Mit  dieter  Niinim«r  endl^  d«r  fDnfle  J»hxf«aff  des  PSdagogioms,  imd 

die  Verlagshandlang  ladet  zom  Abonnement  auf  die  Fortsetzung  ein. 

T>i«'  g^eriHigtt'n  Leser  wollen  aus  dieser  Einladong  entnehmen,  dass  d^r 
Begtaiul  unsf-rer  Zeitschrift  vorlünfig-  noch  auf  ein  Jahr  e^esichert  ist.  olw..! 
die  bcideatcndeu  Opfer,  welche  dieselbe  bisher  erl'ordert  hat.  die  \'erlag^8hanti- 
Inng  entwlmldieen  worden,  wenn  lie  sieh  von  dem  Unternehmen  xnrtlclDRitreten 
entschlSsee. 

Ins  Leben  gemfen,  nm  dfv  freien  Pildagogik  Wehr  und  Schutz  7.n  bieten 
gegen  die  reactionäre  Strömung  der  Zeit,  liatte  unser  B!att  vuu  Anfan^^  an 
einen  schweren  Stand.  AVir  waren  dessen  gewärtig  geweseu.  und  da  wir  uns 
nicht  sanguinischen  Illusionen  hingegeben  hatten,  so  konnten  wir  recht  wol 
zofiiieden  sdn  mit  den  headi^denen  Erfolgen,  welche  das  Pftdagoginm  in  den 
ersten  Jahren  errang-.  Um  nnn  fiir  die  uns  ent^e^eng^fbrachten  Svmpatliien 
erkenntlich  zu  sein,  fii^-tt  ii  wir  unse-rer  Zeitschrift,  ohne  deren  Preis  zu  erhöhen, 
vom  zweiten  Jahrgänge  au  das  „Literaturblatt"  bei,  setzten  wir  femer  vom 
vierten  Jahi^ange  an  den  Prda  denelben  um  35  Frooent  hoab,  ohne  ihrem 
Gehalte,  ihrem  Umfimge,  Ihrer  Änsstattung  den  geringsten  Abbiieh  sn  thna. 

Leider  gelang  es  nns  seitdem  niclit.  dt-n  Kreis  unserer  Abonnenten  in  dem 
Maße  zn  erweitem,  dass  das  Pädagogium  ancli  finanziell  auf  eigenen  FtlSen 
Stehen  könnte.  Dazu  kamen  mehrtache  Conliscationen,  welche,  abgesehen  von 
andoen  Fatalititen,  neae  Kosten  Teranediten* 

Ich  hielt  es  ftr  meine  Pltldit,  den  geehrten  Lesem  diese  Umstiade  offitn 
darzulegen,  weil  ich  nicht  die  Verantwortung  auf  mich  nehmen  will,  dass  ein 
meiner  Obhut  anvertraute.>3  Organ  der  freien  PSdagogik  zusaiiunenbreche.  ohne 
dass  ich  rechtzeitig  den  mir  obliegenden  Appell  an  das  Pubiicum  erlassen  hätte. 

Noc3i  hat  die  famere  Lebenskraft  naserer  Zrftsdirift  In  keiner  Weise  ge- 
litten: noch  ist  anch  ihr  SnBerer  Bestand  anf  Jaüresftist  gesichert  Aber  ohne 
regere  Unterstützung  durch  das  Publicum  kann  sie  weder  ihre  Bestimmnng  in 
befriedigend'Mi!  l'rafange  erfüllen,  noch  auf  die  Daner  bestehen.  Wir  glauben 
jedoch,  da«s  hieran  etwap  gelegen  sei  und  werden  nicht  leichten  Sinnes  die 
Hände  zurückziehen  von  einem  Werke,  dem  wir  nnn  fttnf  Jalire  redlich  ge- 
dient haben.  Wir  werden  nns  nicht  beeilen,  der  Beaetion  einen  Trinmidi 
wn  bereiten.  Wir  werden  derselben  keinerlei  Concessionen  machen,  sondern 
unsere  volle  Unabhängigkeit  Tie  wahren.  Wir  werden  das  Pfidagogium  in 
keiner  Weise  beschneiden,  verkiii^en,  reduciren,  und  an  innerem  Sieclitluim 
soll  es  nie  zu  Gttmde  gehen.  Es  sei  und  bleibe,  wie  es  war  und  it>t,  oder  es 
sei  nicht!  Wir  werden  nnsere  Pflicht  thnn,  so  lange  wir  noch  dnen  nennens- 
werten Erfolg  unserer  Anstrengungeu  erhoffen  können. 

Das  Weitere  steht  nicht  hei  uns.  Welchen  Entschlnss  wir  in  Jahresfrist 
fassen  werden,  das  wird  von  der  Haltung  des  Publiooms  abhängen. 

J>ittes. 

r 

▼«ul«inni«lMra«|Ml«nr:  Dr.  Pr!»4lti«h  Ditt««.~BachdfliekMri  Jmliaa  KliBkhtr4c,L«i|iif. 


Digitized  by  Google 


October. 


Literatnrblatt 


1888, 


zum  Paedagogium,  V,  L 


Sammluiis:  seIt<Mi  ir<MV(HMlcner  pädsiüroiflseluT  Sehrifteu  des  16. 
und  17.  JahrhiiiHlerts.  H<'rnns«roj^»b«'ii  \»n  Auu'iist  Israel,  Seniinar- 
director  zu  Zsciiopau.    Daselbst,  F.  A.  Kuschke.    8.  und  9.  Stück  4  32  S., 


Wir  haben  diese  verdienstliche  Collect ion  selten  gewordener  ]>ä4lagogisoher 
Schriften  schon  wiederholt  den  Fachkreisen  empfohlen,  indem  wir  die  früheren 
Lieferungen  des  Sammelwerkes  anzeigten.  Auch  die  beiden  neuen  Hefte  bieten 
allen  denen,  welche  sich  fiir  den  Entwickelungsgang  des  deutschen  Schul-  und 
Eir.iehungswesens  interessiren .  höchst  lehrreiche  Au&chlQsse,  und  da  diese  nen 
herausgegebenen  Quellenschriften  allenthalben  den  Originaltext  getreulich  re- 
prodnrireii,  so  können  sie  zugleicli  als  treffliche  Belege  zur  (ieschii  hrf  der 
deutschen  Sprache  dienen.  V*m  den  beiden  neuen  Heften  bringt  üi.  8  die 
Schidordnung  des  Hcncogs  Angnst  von  Braiiiuehweig  (Ktöl).  Nr.  9  dne  Schrift 
Melanchtboiis  an  dm  itarli  zu  Snpst  ttber  Errichtung  einer  lateinischen  S< inde 
(IÖ43);  die  erstere  bietet  eine  anschauliche  Schilderung  der  kläglichen  Scbul- 
«nstfinde  nach  dem  BOjäbrigen  Kriege,  die  andere  dient  zur  nfthovn  Belenehtunir 
dt-r  sclmlmännisrhen  RcstrebuugiJi  3rel;nifhthons-  und  i<f  in  formeller  Hinsicht 
besuuders  dadurch  iut^res.'sant ,  dsws  .sie  gleich  ursprünglich  in  zwei  Lesarten 
erschien,  welche  denn  auch  in  (>riginalg«traier  Wiedergabe  bier  neben  einander 
zur  Vergleichung  abgedruckt  sind.  H. 

^Der  Ciiltnrstaat,  die  Volksschule  und  der  Lehrstand.  Ein  wol- 
nieinendes  und  zeitgemäßes  Wort  von  Heinrich  Na tss er.  24  S.  Wien  1882, 
Selbstverlag. 

In  diesem  Schriftchen  spricht  ein  Wiener  Volksschullehrer  in  Kürze  seine 
Gedanken  ans  über  die  Ile(lit.-?k\.sis  der  Vi^Iksscliule,  über  die  Stellnntr  des 
Schulwesens  in  den  Cultnrstaaten,  über  Erziehung  and  Unterricht  und  ttber 
den  LehvBtaad,  nunenttieh  Uber  ^e  Bildung  nnd  SteUosg  desselben.  Verftuwr 
steht  fttif  freiheitlichem,  fortschrittlichem  Standpunkte  und  bekämpft  die  neuer- 
dings wieder  stärker  auftretenden  reactionären  und  schulfeindlichen  Ten- 
^Dzen;  seUieBlieh  hsät  er  seine  Darlegungen  in  einer  Beihe  von  Thesen  zu- 
sammen. Referent  stimmt  dem  Verfasser  in  den  allt  rnieisten  I*nnkten  bei. 
Wenn  nun  auch  in  der  vorliegenden  Üioschüre  nicht  viel  Neues  vorkommt  — 
sie  handelt  ja  von  Dingen,  die  bereits  tau.nendfach  erOrtert  sind  —  so  verdient 
sie  doch  als  zeitgemäß  und  lesenswert  bezeichnet  zu  werden,  weil  n'  Miig  ist, 
den  Anfechtungen  der  Neuschale  gegenüber  die  eigentlichen  Pr»graiiimpunkte 
dfö  modemeB  BildiiiigtweMnf  inuner  wieder  in  Erümening  m  bringen  und  s« 
varümd^en.  H. 

Iber  Erziehuns;  hllnder  Kinder  In  den  ersten  Lehen^ahren. 

Von  Josef  Lihansky,  Lehrer  an  der  iii ederoy terreictuBchen LandeS'Blinden- 
schale  zu  l'urkemlorf.    78  S.    Wien  1882,  iuaeser. 

Die  beklagenswerte  Verwahrlosung,  welcher  die  meisten  bliiideu  Kinder  im 
Eltemhauseuiit«  rlii  i^eu.  hat  den  Verfa.s.ser  des  angezeigten  Büchleins  veranlasst, 
die  Pflege  und  Er/.ieh»ug  dieser  Unglllcklichen  in  ihren  ersten  Leben.sjahreu 
zum  Gegenstände  einer  gemeinfas.slichen  und  prakti.«ehen  Belehrung  zu  raachen. 
Nachdem  Herr  Liban.«ky  eijiige  Rathschläge  zur  Verhütung  der  Erblindung 
gegeben,  bespricht  er  mit  apecieller  Beadehung  aaf  blinde  Kinder  die  ei^te 
physi8(die  Pflege,  die  Anleitung  zu  den  natttrlichen  Körperbewegungen,  zn 
Spielen  und  praktischen  Verrichtungen,  die  Verhtitung  übler  tJewohnheiten,  die 
Ausbildung  der  Sinne  und  den  ersten  Schulunterricht.  Alle  Auseinandersetzungen  • 


ft  75  Pf. 


Digitized  by  Google 


—   2  — 


und  B«^!>  lirtmsTen  des  VorfasseiN  «int!  ztitreflfeud  und  beheraißfenswrrt  und  lassen 
erkennen,  dattö  die  von  einem  duithgebildeten  und  für  aeiuen  men^cbeofreund- 
lichen  Bentf  erwirmten  Fachmann  herrilhren.  weshalb  wir  dlS  UgeKeigte 
Bttclüdia  den  weiteften  Kceisea  bastans  empfehlen.  D. 

Tnrsot  als  physlokiitiseher  Htaatsnuum.  Voitn«  von  Dr>  Wilhelm 
Neurath,  Docent  der  Nati  naldkonomie  nn  der  techniachen  Hochschule  in 

Wie«.    3()  s.    Sriv-f%vilag.  1882. 

Da»  Leben  und  Wirktsn  eines  so  bedeuCeuden  Manuai  wie  Toigot  ist  nidit 
nur  Ar  den  Historiker  nnd  den  NsHonainkonomen .  sondern  aneh  flir  den 
Pädagogen  interessant,  und  lehmi«.li,  'i<  i  Icrs  w-mi  i.s  vcn  einem  trcist- 
reiclien  oud  spracbgiiwandten  Beducr  und  6cbrü't«teUer  beleuchtet  wird,  wie 
Dr.  Neurath.  Wir  glauben  daher  mAw^tem  unserar  Leser  ein»  IMcnat  an  m- 
weiaen .  wenn  wir  auf  die  aageseigte  knrae.  aber  gelialtvoUe  Monographie  auf« 
merksani  machen.  .  H. 

^G.  Stliuriir,  Lehrbach  der  Umschichte  in  Umrissen  und  Aus- 
filhrnng:en.  (I.  Alterthum  228  s..  Tl.  ATittelalter  402  S.,  HL  Nenaeit 
511  S.)    Leipzig  1877—1882,  Hirt.   Prciü  11  M. 

Das  vorliegende  Werk,  besonders  den  zweiten  nnd  dritten  Theil  desselben 
wird  man  weniger  2utreiFend  als  ein  Lehr-  und  Lerubuch  fttr  den  Stndirenden, 
mit  um  so  größerem  fieoht  aber  als  ein  Torzf^liches  Hilfgbnch  fftr  den 
Lehrer  beseiehnen  können.  Der  Yerlkmer  ist  mit  den  ge.'<chicht1idten  Strdt- 

fragen  wol  vertraut;  er  besitz.t  eine  iiitifasst ml!-  Lirej-arurkenntnis  uiiil  eine 
ausgedehnte  Beleeenheit  iu  uniem  großen  Ui^^türikern.  £r  «childert  in  ge- 
hobener, oft  schwungvoller  Sprache       plastischer  Darstdlung  die  Thatsadien. 

tmd  zwar  nie,  ohne  'i  Ii  ,uif  rrs.ichen  und  Folgen  dersflbon  hinzuwei^n 
und  den  pragmatischen  Ziiäamuienhang  anrV:udeckeu.  Dabei  beschränkt  er  sich 
nicht  blos  auf  die  FUrstengeschichte,  sondern  entwirft  auch  abgerundete,  bis 
ins  Detail  ausgeführte  niMer  aus  dem  Cnltiirleben  der  Völker.  Sein  Stand- 
punkt ist  ^im  dritten  Tlieiltj  seines  Werkes  leicht  bemerkbar^  der  protestan- 
tisch-preußische. Derselbe  ofTenhurt  sich  in  gewissen  Wendungen  un  l  Aus- 
drücken, dann  auch  iu  der  tür  eine  ..Weltgeschichte"  zu  eingehend  behandelten 
preußischen  Landesgeschirhte,  nie  je<toi  h  in  unnützen  t>der  gelmssigen  Ansfölleu 
gegen  Andersdenkende.  Was  dem  Werke  Si  luirig«  in  den  Aui;'  n  des  Referenten 
einen  besonders  hohen  Wert  verleiht,  ist  die  geschickte  Einflecbtuug  histo- 
rischer Anekdoten  und  zahlreicher  wenig  bekannter  Einzelheiten,  die  blitz- 
artig d;is  I  »Unkel  Granzer  /eitiiinme,  ilen  Cliarakter  einzelner  rersonen  und  «lie 
Bew^gründe  der  Thaten  aufbellen  und,  weil  conareter  und  anschaulicher  Ait. 
sich  dem  Oedlchtiuase  tief  nnd  nadihaltig  einprigen.  In  diesnr  Rinsidir  ist 
das  Werk  eine  kostbare  Fundgrube.  —  Wemi  nun  der  Referent  sieh  erlaubt, 
auch  einiges  henronuheben,  was  ihm  bei  aufmerksamer  wiederholter  LectUre 
ab  ▼eri»emeninfsfthig  au%efUlea,  so  sehwitchen  sdne  Bemerkungen  nicht  das 
libcerrehene  l'rtheil.  Referent  würde  einmal  die  AncraVien:  ..naeli  !  i  i  md 
jenem  Autur^  nicht  in  den  Text  aufnehmen.  Es  niachr  immer  einen  verbiüö'en- 
den  Eindruck,  nach  einer  begeisternden,  an  das  GcmUth  sich  wendende»  SehU» 
derung.  auf  einmal  zu  lesen:  „Nach  Treit,sehke".  naeli  ..Müller"  ftc.  —  Er 
würde  lerner  Ueiu  Verlajiser  empfehlen,  duss  er  recht  >»lir  »lanarh  strebe,  eine 
■  gewisse  Fülle  im  Ausdrucke  zu  vermeiden.  An  g?ir  manchen  Stellen  (z.  B.  in 
der  frÄnki.schen  Kaiserzeit,  der  Rofommtion  und  Revidntion  ließe  sich  viel  s 
kürzer  und  auch  prägnanter  wiedei^eben.  Endlich,  und  das  scheint  dem  Tiete- 
renten  das  Wichtigste,  sollte  der  Verfasser  die  außerdeutschen  rulturzn» 
stände,  Verfassunjefsverhältnisse  und  wichtigeren  Ereignisse  eingehender  beban- 
deln. Das  Buch  ist  ja  doch  eine  Weltgeschichte  und  da  lässt  sich  z.  B.  der 
Kamiif  der  rotlien  und  weißen  K<ise  nieht  mit  blos  einer  oder  zwei  Zeilen  ab- 
thun.  Wie  dürftig  ist,  um  eineü  anderen  sn  gedenken,  die  Entstehung  und 
AinbOdniiff  des  englischen  FulaiiiMits  behanddtf  Venedig  im  Mitteblter  mnss 
mit  tiaer  nalben  Seite  Torlieb  ndimra.  Erforderte  nidit  der  Bof  Lorauto  des 


üiyiiizeü  by  GoOgle 


—   3  — 


Mediceers  ebenso  gut  ein  eigenes  Cultnrbild  wie  die  Landj*knecht«* ?  Gehört 
Savonarola  nicht  viel  besser  in  den  Rahmen  dieses  Bildes,  denn  al»  bloßes 
Piedettal  ftir  Luther?  Die  Entde  kunjifsfHhrten  der  Portugiesen,  sind  sie  nicht 
einer  eingehenden  Schilderung  wert?  Die  große  Zeit  des  Rafael  verliert,  wenn 
«e  nicht  ffir  sich,  snndeni  wie  es  hier  geschielit  erst  in  Verbindung  mit  der 
Malert'i  ilt^r  siäten-n  .lahrlninderte  jjeschildert  wird.  So  wenig  wie  es  in  der 
deutächeu  G&icliichte  von  David  Müller  Beifall  finden  kann,  dass  bei  der  Dar- 
»tellnngr  Sehhichten  des  deutscb-franxBsischen  Krieges  alle  einzelnen  Armee- 
corps mit  ihren  Conimandanten  vorgefiilirt  werden,  so  wenig,  ja  noch  weniger, 
kann  es  hier,  in  einer  Weltgescbicbte  ansprechen.  SchlieäUcb  lenken  wir  die 
Auftnerinamkeit  des  Verfassers  auch  auf  einige  Errata,  die  sidi  s.  B.  in  der 
Geschichte  des  HussitenkrifirM  finden  'Tnx  nuw,  Talnir  .  Wir  können  unser 
Referat  nicht  beenden,  ohne  nochmals  die  Leser  des  „Pädagogiums"  auf  die 
groften  Voncllge  der  Weltgeschiehte  von  Sehurig  s«  Terweisen.  W. 

Sevin,  dresclilifhts-Lcsebueh  &us  den  Ori|^iualberii*liteii  zusiiiii* 
mengestcllt.    Vierter  Theil:  Das  3Iittelalt€r.    (8",  040  S.)  Mannheim 

1881,  Bentheimer. 

Jahrgang  II,  Beiblatt  9  haben  wir  über  da.s  Geschichts-Lesebuch  von  Seviu, 
«oweit  es  das  Altertbum  behandelt,  referirt.  Heute  liegt  uns  die  Fortsetsnnff 
desWerkwt  vor,  umfassend  die  Zeit  de$<  Hittelalter«.  Die  ersten  168  Seiten 

schililern  Rcrrtheiüififen  Iiis  auf  Karl  iiartcli.  S.  ITiH  •248  ilif  Herrschaft 
der  Karolinger,  S.  24ü~  472  die  der  Ottonen  und  fränldscben  Kaiser,  &  473 — 543 
die  HohenstaufeiUEeit  und  S.  644—610  die  letzten  swei  Jahrhunderte  des  deut* 

sehen  Mittelalters.  Imn  aus  diesen  Zaliloii  ist  t  r^ichtlich,  dass  das  „Geschicht^i- 
Leaebuch"  den  8tutt  sehr  ungleich  behandelt;  aber  auch  von  der  Darstellung 
vieler  Partien  wird  sich  nianchor  enttfiuscht  flUiIen.  Wir  wissen,  dass  beides 
in  den  (Quellen  selbst  begründet  ist.  Vwl  ileniiocli  raiii«f  man  <lfin  Verbuche 
Sevins.  tiu  Lesebuch  so  zusammenzustelleu,  das»  auch  nicht  ein  Satz  vuii  ihm 
selbst  hinzugethan,  sondern  alles  und  jedes  aus  denChroniken  entlehnt  und  im 
Zusammenhang  auftreten!  ersclioiut.  volle  Anerkonnuni^  zollen.  Wenn  dasselbe 
auch  an  un"sem  Lehranstaiteu  kaum  Kiiii,'an}r  als  Lehrbuch  tiiuleu  wird,  so  ver- 
niair  es  doch  in  dem  Sinne  anrocrend  /u  wirken,  dass  der  Lehrer,  in  dessen 
Handbibliothek  es  nicht  fehlen  sollte,  Bruchstöcke  daraus  vorliest.  An  präeh-> 
tigen,  anschaulich  geschriebenen  Einxelbitdem.ist  das  Buch  sehr  reich.     — r 

—  Alltremoilio  Weltireselitehte  ron  Goorir  Weber.   Zweite  Aaflafre. 
Ullier  Mitwirkung  von  Fachgelehrten  revidirt  und  überarbeitet.  Leipzig 

1882,  Eugelmann. 

Durch  die  lieferungsweise  Ausgabe  der  «weiten  Auflage  der  Weltgeschichte 

von  Wehor  i^t  ffficy'pnhpit  iregeben,  pich  ohne  pcro6r  pecuniäre  Opfer  in  den 
Besitz  einer  ebenso  umfangreichen  als  wi.<isenschaftlich  objectiven  Dar-iellung 
der  Weltgeschichte  su  setaen.  Die  Verlagsbandlung  lässt  nämlieh  das  W«rk 
in  100  Lieferungen  erscheinen,  deren  jede  1  Mark  kostet  und  die  in  Zwischen- 
räumen von  14  Tagen  veröffentlicht  werden.  6—7  Lieferungen  bilden  iiuiuer 
einen  Band,  der  auch  einzeln  käufUch  ist.  Bis  jetxt  liegen  6  Lieferangeu  vor. 
Sie  behandeln  die  Geschichte  der  roorgenlSndischen  Völker.  Geirentlber  den 
Ulli  Versalhistorien  von  Be<:ker  und  Sehlosser  sind  die  Vorzüge  der  VVeberschen 
Weltgeschichte  die  bedeut*>nd  größere  Reichhaltigkeit  in  den  Thatsachen,  die 
entschiedenere  Hervorhebung  der  Cultui^eschichte,  eine  mehr  gleichnifttig;e 
Behandlung  aller  Gebiet«  nnd  der  Umstand,  dass  sieh  Web«r  nicht  damit 
bep^niiirt.  die  Sagen  und  lüstnriselien  Anekdoten  in  aller  Breite  und  Anschaulichkeit 
mitzutheilen,  sondern  auch  ihrer  kritischen  Betrachtung  größeren  Raum  gewährt. 
Dabei  hat  sein  Werk,  schon  weil  es  die  jilngste  Bearbeitung  ist,  die  neuesten 
Forschungen  aufircni-nuiieu,  wiMliirili  es  z.B.  sjleich  in  der  (Jes/liichte  der  orien- 
talischen Völker  des  AU«;rtl»ums  vielfach  von  älteren  Bearbeitungen  abweicht. 
Auch  die  Form  der  Darstellung  schlieSt  TorzQge  in  sich:  Weber  lässt  die 
QueUeuBchriften  aumeiat  selbst  erzählen,  im  voriiegenden  Bnnle  Herodot,  Ktesias, 


Digitized  by  Google 


Dindor.  »lie  nilit  l,  iHe  Veda-i.  das  Zenilave^ta,  Keilinschriften  iinil  Hieroglyphen, 
uiul  verleiht  diuiurcli  seinem  Buche  den  lluiz  der  Unraittellaikeii.  Anderseits 
jjruppirt  er  den  Stoff  so,  dasM  er  die  ins  Deteil  gehende  Schilderunfi^  von  der 
tortittufenden  zosammenhäugenden  Erzählung  aus^hließt  und  <iie  erst^re  in 
besonderen  (dnrch  kleineren  Ihnck  kenntlich  gemachten)  Excursen  anfiigt.  Da- 
durch hat  er  seine  Darstellung  von  Unebenheiten  befreit  und  dem  Leser  die 
Müglichkeit  geboten,  nach  Bedürfnis  ins  Detail  etiusogehen  oder  nicht.  Ganz 
Ton  pmcrmati^tiein  6«ut  erAlltt  sind  endlich  die  vnter  dem  Titel  „tre^chiclit« 
liehe  Erir'  'trii-se"*  und  ^Rikkblirku  '  vurk-imnitMul^n  Pharaktenätikru  vnn  ri  ii.-  l.'D, 
hiittoriticlieQ  Eracheiuuugeu,  PersüuUclikeiteu  and  V'ölkern.  äeiueu  äiaudpuokt 
bei  der  Benrtheilimg  der  einzelnen  Thatsachen  nnd  Pvnmnen  fknt  er  Reibst  in 
die  W'irr-^  zusammen  i Einlei (unir.  St-ite  .'5':  ..T)ic  W'^  l-L't-;.:lii<  lif.-  tWict  jcnle 
namhattu  Kiitmgenschaft  des  eiu/ehieii  m  ihr  Grundbuch  ein,  aber  ihren  Klick 
auf  da8(irol}e  und  Allgemeine  gerichtet,  fasst  ne  mit  ordnendem  and  sichtendem 
(Jei^'ff  iliis  Kinzelnc  und  (re?  'inlort«  wieder  unter  einem  höherpn  n-  irriff-'  /n- 
.H.iinineii  tiinl  f<chreibt  das  getrt:uutö  Eigenthum  einer  idealen  (n'^iiniintü'iit  zu. 
die  alicr  ihrcrseit'*  gleichfalls  wieder  nur  als  (»lied  der  Menscliheit  ihre  Stelle 
eiunintnit.  Die  W«  ItLr<'si  liirliti-  Ist  ««irnit  die  ru  iii'  Vem-altorin  ,\lier  idealen 
(tüter,  die  /u  irgemi  ciaei  Zeit,  in  irgend  einen»  Laude  uüd  vuii  irgend  einem 
Volke  erzeugt  worden  sind;  sie  bewahrt  jedem  Volke  und  in  diesem  jedem 
Einzelnen  sein  Eii:enthum  und  seinen  Antheil,  nnd  verleibt  ihm  alü  Lohn  filr 
seine  Anstrengungen  Ehre  und  Ruhm,  oder  als  Strafe  filr  die  schlechte  Be- 
nnt/uniT  <einer  Kräfte  S,  luiniir  nnd  Verachtung;  die  Errungenschaften  aller 
aber  viadicirt  sie  der  ganzen  Meiucbbeit  als  wakrea  Beütztham  nnd  sor|;t, 
dass  Itein  eclites  Gnt  verloren  gehe,  keine  dem  Himmel  entstammte  Idee  von 
der  Erde  wie<ler  verschwinde." 

Haben  wir  im  Vorstehenden  diejenigen  KigenthUmlicbkeiten  henrorgehoben. 
di«  das  Werk  Webers  im  Gänsen  chsnrakterinren,  so  erftbrigt  n»  neSh,  mit 
ein  paar  Worten  auf  den  Inhalt  dfs  cr'JTen  iii>li<'r  erschienenen  Banilp*  einzu- 
«rehen.  Der  eigentlichen  Geschieht-erzaihlung  ist  eine  „Eiuleituug"  voran- 
geschickt, in  der  die  Aufgabe  der  Weltgeschichte  nnd  der  Entwtckelungsgang 
der  Menschheit  in  Beziehung  auf  .Staatenbildung  und  Lt  benecrestaltuns?  ski//irt  Ut. 
Die  Erzählunsr__bt^ginnt  iS.  H(>— 71)  mit  der  (ieschichle  »kr  Chinesen,  daran  -rhli.-*ßt 
sich  die  der  Ägypter  i72— 2()2  .  dann  die  der  Inder  (21)3— 3ö()i  und  dt  r^fe  ier 
und  Perser  bis  auf  Kyrt»s  1—470*.  Die  zweite  Hälfte  des  er^^tf-n  Banden? 
umfasst  die  (Jeschichte  der.  st-uiitiscben  Viilker,  die  der  Assyrer  und  Dabylonier, 
der  Pluinicier  und  Israeliten.  Der  Charakter  fast  all  dieser  Vrdkergeschichten 
bat  etwas  Stagnirendes  an  «ich;  damit  und  auch  mit  der  Art  der  Quellen  hängt's 
zusammen,  dass  die  sogenannte  politische  Geschichte  viel  mehr  in  den  Hinter- 
grund tritt  il-j  in  spüt<  i.  n  Zeiten.  I>ie  Bedeutnntr  d«  r  int-i-r>  ii  «  rientalis«  h-  n 
Völker  liegt  ja  auch  gar  nicht  in  ihren  Kriegen  und  üerrschem,  sondern  in 
dem,  wasdeauf  dem  G^iete  der  Religionen,  der  Wissensdiaften  and  Klliwte,  ins« 
beso^idere  der  D'clit-  nnd  Bnukun-^t.  Eigenartige»  geschaffi  ii.  iVniirtmiiij  ninmit 
auch  in  Webern«  Ge.schichte  den  weitaus  gr&&ten  Kaum  die  ^hü<leruug  der 
Culturznsttnde  ein.  in  der  ägyptischen  nnd  aasyrisch'babyloniiKben  Geschichte 
die  Schilderung  th  r  Hantrn  und  wissen^rhaftlinhen  Krrnniron-^eh.ifti  ii .  in  i^r 
chinesischen,  indischen  und  irani84;lieu  die  dor  Religiuu.'*.-y.->t«iiu: .  in  d- r  i^lmni- 
cischen  ilie  Darstellung  der  großartigen  Industrie,  der  weithiu  sieh  t  isii  ,M-ken- 
den  Coloni^ationen  und  der  auch  auf  amlere  Viilker  nachlialti:^^  einwirkenden 
religiösen  Vorstellungen.  Dass  natürlich  Gestalten  wie  ein  lUinses  II.,  ein 
David  und  Sakmo,  ein  Nebnkadnezar.  die  den  Hfthepankt  in  der  Entwicke« 
lung  eines  ganzen  Volkes  petaonificirt  zeigen,  einer  ausftlhrlichen  Behamllnng 
sich  erfreuen,  ist  selbstverständlich.  Nur  die  untergeordneten  Königsreihen 
treten  gegenüber  der  Culturgeschichte  mehr  zurück. 

Wenn  wir  auch  noch  öfter,  jedesmal  nach  Erscheinen  eines  aenen  Bande«, 
anf  die  Weltgeschichte  von  Web«  xnrttdikomBeB  w«tden,  mOohteB  wir  dedi 
schon  jetzt  die  Attfin«rksamkeit  unserer  Leeer  auf  das  bedeutsame  Wetk  ge- 
lenkt  haben.  W. 


VmamvttiislNr  Redmttar:  IL  8t« in.         Bsehdniaktni  Jallat  Kllakbardtt  MpsiC^ 


Digitized  by  Google 


Literatnrblatt 

Beilage  zum  Paedagogium,  V,  2. 


(beschichte  der  Schalen  Im  alten  Herzogthum  i^elderu  und  in 
den  benaohhartoft  Landesthellen.  Ein  Beitrag  znr  G«wldehte  des 
UnterriditsweBeiis  Deatschlandg  und  der  Niederlande.  Ans  den  Quellen  be* 
arbeitet  von  Friedrich  Nettesheim.  ICLieferang  (Schlnss).  Dttsseldorf 
1882,  A.  Bogel. 

Wir  haben  dieses  mit  genauer  Sachkenntnis  und  großer  Sorgfalt  bearbeitete 
Werte  hereitfl  wiederholt  mit  verdienter  Anerkemrang  angesstdi^  und  jetet,  da 

e>  vollendet  vorÜPitt.  können  wir  nur  constatiren.  das-?  o«;  einni  beftiedigenden, 
dem  Äiitaiiir  und  Fortgang  entsprechenden  Abschluss  trolunden  hat.  Leider  ist 
inzwisclicn  der  Ver&sser  ans  dem  Leben  geschieden.  Miige  er  denn  dnndi  edn 
Werk,  mit  dem  er  sein  Hcimrirlnnd  geehrt,  dem  Bildungswesen  gedient  und 
sich  selbst  ein  schönes  Denkmal  gesetzt  hat,  furtleben  im  Qedtlchtms  seiner 
Firennde  und  fortwirken  ab  F^toderer  des  SehnlweiMia.  D. 

Bas  Kind  in  Brauch  und  Sitte  der  YOlker.  Anthropoiogiscbe  Stadien. 
Von  Dr.  H.  Pio8.  Zweite,  bedeutend  vemehrte  Anflage.  Erster  Halbbaad, 

208  S.    Berlin  1882»  A.  B.  Auerbach. 

Über  den  Ursprung  der  Kinder,  \\hcr  besondere  Vorkommnisse  bei  deren 
Geburt,  über  deren  Los,  Schicksal  un*l  Behandlung  in  der  ersten  Lebenszeit., 
Aber  die  Stellung  nnd  das  Verhalten  der  Eltern  u.  s.  w.  n.  s.  w.  haben  sich  bei 
den  verschiedenen  Völkern  charakteristische,  vielfach  übereinstimmende  Mei- 
nuu^^en  ausgebildet  und  fortgeerbt,  aus  denen  eigenthümliche  Bräuohe  und 
Sitten  hervorgegangen  sind.  Dies  alles  darzustellen  und,  soweit  möglich,  zu 
erklären,  ist  der  Vorwurf  des  angeieigten  Buches.  Der  reiche  Inhalt  dess^ben 
ist  fireOich  nieht  sllenthatben  arfwnüdi  und  erhebend,  da  er  uns  neben  den 
zartesten  Regungen  des  inens(hlichen  Herzens  m  Ii  eine  Fiille  t,Tausen  Aber- 
glaubens und  unsinniger  Manipulationen  vorführt,  und  es  kostet  einige  Selbst- 
flberwindun^,  deh  dureh  all  die  haroeken  Einzelheiten  der  hier  yorgefthrten 
Volksmeimincpn  und  VolksbriüK  he  liindurclizulesen.  Allein  der  Ern<r  die 
OrOndlichkeit,  der  weite,  tk-ii  alle  Völker  des  Aiterthums  wie  der  Neuzeit  um- 
fusende  Blick,  der  klare  Stil,  kurz  die  ganze  Art  und  Weise,  wie  Verfower 
seine  Arbeit  durchgeführt  hat,  macht  die  Leetüre  seines  Buches  anziehend  und 
lehrreich.  Es  ist  ein  wertvoller  Beitrag  zur  Ethnographie,  Völkerpsycholo^e 
nnd  Culturge.«!chic}ite  und  gibt  viele  erwünschte  Anschlüsse  über  räthselhiuke 
Sitten  und  Gebriiuilie.  selbst  Uber  dnnkle  Stellen  nnd  Anspielungen  in  den  ver- 
schiedenen Literaturen  der  alten  und  ueuereu  Nationen.  Wir  werden  wol  auf 
das  Werk  nochmals  zu  apreehen  kommen,  wann  nns  der  AhseUnsB  desselben 
zugegangen  sein  wird.  H. 

yolksschriftenthiiin  und  Päda|e:os:iI^.  Rerthold  Auerbach  als  FUda- 
ij;o^.  Von  A.  Kohn.  (Separatabdruck  ans  der  pädagogisch-literarischen 
Wochenschrift  „Die  Volksschule".)    26  a    Wien  1882,  Graeser. 

Der  in  diesem  Jahre  ans  dem  Leben  feschiedaie  Berthold  Anerbadi  hat  in 

seinen  zahlreichen  Schriften  nicht  nur  beliarrlich  filr  Fnrtsi  lirirt  und  Humanität 
im  aUgemeineu  gewirkt.  s«)ndem  auch  in  sahhcicht-u  leiucu  Beuierknngen  und 
geistvollen  Au.^prüchen  .speciclle  Plrziehungs-  und  Unterricht.'<fmgen  berührt  und 
erörtert.  Dies  hat  eiöen  mit  der  ireistitron  Tlinterlassen-cbafr  des  Dichters 
wol  vertrauten  Schulmann  veranlagst,  in  Bt^rthuld  Auerbaclt  den  Pädni.c<*!>'^eu  zu 
zeichnoi  und  dadurch  zugleich  darzulegen,  wie  echtes  Volksschriftent)iuin  mit 
Erziehung  nnd  Unterricht  Hand  in  Hand  stehen  kann.  Die  kleine  Schrift  ist 
offenbar  mit  großer  Liebe  zur  Sache  und  warmer  Pictiit  iur  den  entschlafenen 


Digitized  by  Google 


_   2  — 


Dichter  aaRgeführt  nnd  nioht  nur  als  biographi»ich-liteFari8e1i«  Monographie, 
sondern  auch  und  vonrncsweiM  als  pAdagogiflche  Blumenlefle  »vt  sftnuaUidien 

Werken  Auerbachs  wertvoll.  H. 

Ocrolamo  Bag:atta.  Gnida  per  l'insp«2mnTnpnto  df^ir  Aritmetica  nelle  classi 
elementari  quäle  sluipaite  nella  scuoia  e^eniplare  alia  normale  femuiiaile  di 
Genova. 

Diese  kleine,  soeben  erschienene  Schrift,  74  Seiten  umfiuaead,  Pk«»  1  L.. 
Ut  du  erfreulicher  lleweis  von  'Icr  f )rt.schrf i^mion  Vf^rhreitung  einer  ratio- 
nellen und  geistbildonden  Methode  de»  Elouit- uiaruuterrichteä.  Der  Verfasser 
des  Büchleins.  Herr  Dr.  G.  Bigatto,  Director  des  Lehrerinnen-Seminars  zu 
Gemin,  führt  uns  den  Lehrgang  vor.  nach  welchem  er  in  der  Elementarclass^ 
beiiier  Übungsschule  den  ersten  Rechenunterricht  ertheilt.  Die  Einführung  der 
Kinder  in  das  deciniale  Zahlensystem  und  die  Anleitung  zum  Verständnis  und 
tnr  Aiufttbruag  der  vier  Onuidrechniiii«arten  erfolgt  duichMis  Miscbanlicb, 
entwickelnd,  in  dialogischer  Form,  dem  Fassungsvermügen  der  deinen  gemäft 
und  deren  Selbstthätigkeit  anro^onil.  j«o  dass  «lie  Kin'ier  ebfn^owol  zu  klanr 
Einncht  in  das  Zahleusyatem,  wie  zu  praktawUier  Fertigkeit  im  Rechnen  getlUurt 
werden.  Bs  ist  nntllrlich,  diue  tmf  diesem  viel  benrbäteten  Oehiete  d»  Ele- 
mentarimtprrirhtCH  etwas  principiell  Neues  kaum  nricli  Ljf^Ici-itct  werden 
kann;  aber  man  freut  sich  zu  sehen,  dass  die  Idee  der  Elementarbildung  und 
die  ifttioiidleUnteiiiehtanetilode  mehr  nad  mehr  ein  internationales  Oemeingnt 
wM,  and  lo  mflge  denn  das  aageaogte  Bikdildn  ftevadliche  Aufnahme  fiaden. 

F. 

.^Französisches  Lesebuch  für  Volks-  und  ßUrgersehulen.  Mit  m\mi 
Wdrterbuche.  Im  Anschlüsse  an  den  grammatischen  Unterricht  und  an  dea 
Lehrplan  Ar  des  fhuizOdschen  Unterricht  in  BOrgeraebnleii  methodlsdi  be> 
arbeitet  m  A.  Becbtel.  149  S.  Wien  1888,  Jnlisa  KlinkfaaxdL  60  kr. 

Das  Buch  beginnt  mit  ein»  r  Reihe  von  Vorübuncren.  die  nach  grammatischen 
itesichtspunkten  gewählt  und  mit  Präparationen  vei^ehen  sind.  Hierauf  folgeu 
Fabeln,  Märchen.  Legendoi  nnd  Parabeln,  dann  Erzählungen  und  Cliaraktef> 
Züge,  ferner  Beschreibungen,  reflectirende  Stück«>.  Briffe,  Dialoge,  Gedichte.  — 
Welchem  Zwecke  dieses  Buch  gewidmet  und  nach  welchen  Grundsätzen  es  be- 
arbeitet ist,  wird  auf  dem  Titel  angedeutet  nnd  im  Vonvorte  ausgeführt, 
welch'  letzteres  zugleich  eine  Reihe  praktischer  Rathschläge  tilr  den  Lehrer 
eutliält.  Wir  müssen  nach  eingehender  Prüfung  des  Werkchens  dasselbe  als 
ein  sehr  gelungenes  SchuHnuh  bezeichnen,  welche^i  bei  fleißiger  und  gesclii<  kTer 
Benutsung  dem  finuusödschen  Unterrichte  ireudiges  Leben  and  gnte  Erfolge 
aichem  wird.  Die  Leeeatttdce  iind  durchaus  gehaltvoll,  dem  betreffenden  Jugend- 
alter angemessen  und  sowol  •Jimichlicli  in.stnutiv  aU  i^cUtis:  und  mora'i-  " 
bildend.  Allerdings  stellen  aie  einerseits  vermöge  ihres  aller  Tändelei  toit- 
sagenden  Chanlcters,  imdeneite  vermlSge  ihres  reichlidien  AnsmaBes  vobsltni»- 
mäßig  streiii,^'  Anfufderuncfen  au  die  Schüler;  aber  dem  Lehrer  bleibt  j.» 
überla.ssen,  den  Lesestoff  zu  beleben,  respective  nach  den  Verhältnissen  einzu- 
Rchrftnken,  imd  danu,  was  uns  die  Haupteaclie  seheint,  wird  man  gut  tlra». 
den  Srbwerpnnkt  des  rnterrirhtps  rrerade  im  Le-ebuche  zu  suchen,  dafür  aber 
anl  die  abstractc  Grammatik  nicht  iibcruiäßig  ^iel  Zeit  zu  verwenden.  Und  s<> 
mSse  dieses  sehOne  Leluinittel,  welches  sich  noch  durch  vorzügliche  Ansrtattoi^ 
und  «am  sehr  miSigen  Preis  auweiohnet,  bestens  eaiflbUea  sein.  F. 

.«Taloittlii  Ickelsamers  „teutsche  ttraininatlea%  heranagegeben 

von  Dr.  Kohl  er.    (XII,  48  S.)   Freibnrg  and  Tübingen.  Mohr. 

Ein  diplomatisch  genauer  Abdruck  des  in  der  Münchner  Universitätsbibliothek 
aufbewahrten  Exemplar»  der  deutschen  Grammatik  von  V.  Ickelsamer.  die 
wahrscheinlich  in  den  zwanziger  Jahren  <lt's  in.  .lahrhunderts  /u  Aug-bun: 
gedruckt  wurde  und  weniger  eine  Grammatik  iu  unserem  Sinne,  als  eine  An- 
Itttnng  zum  deutschen  Lewa  ist.  Sie  Teilblgte  nehea  dem  „EnchiridiOTi*'  tou 


üiyiiizüü  by  Google 


Kolross  den  Zweck,  die  Werke  Luthers,  vor  allem  die  deutüche  Bibel,  dem 
Volke  ZQgttngUch  zu  luacbeu.  So  verbreitet  Ickelmmers  Grammatik  zu  ihrer 
Zeit  ww,  80  selten  trifft  man  heutzutai^re  auf  ein  vollständiges  Exemplar.  In 
dieser  Thatsache  und  der  historischrn  Biileutsiunkcit  der  Ickelsamerschen 
Grammatik  Überhaupt  liegt  die  Berechtigung  des  Neudruckes.  Zur  Bequem- 
lichkeit des  Lesers  hat  der  Heransgfeber  in  der  Torrede  eine  Icoixe  Ibihalts- 
angäbe  des  Wrrkos  mitcretlieilt,  dio  Vt  Hseiiiueyor  'in  »einen  ^kleinen  BeitrSgen 
zu  der  deutschen  Sprache",  Ulm  17!»«  uud  18LI2;  ausgearbeitet  hat.        — r. 

Kuilibwldt,  Monatsschrift  für  die  gesammten  Naturwissenscliafteii,  heraus- 
gegeben von  Dr.  Q.  Krebs,  Januar  bis  Juni  1882.  Stuttgait,  Verlag  von 
Ferd.  Bnk«. 

Wir  halnn  schun  seinerzeit,  al-?  uns  das  Januarheft  dieser  Zoitx  hrift  vorlag, 
dieselbe  auf  das  freundlichste  begrübt  nnd  »ehen  uns  nun,  nach  dem  Absohlasse 
des  ersten  HaHdahres,  nicht  ntnr  veranlasst,  das  damals  ausgesprochene  Vrtheil 

zu  bestaticren .  sorulem  da^^selbe  im  beifrillipen  Siinu-  ixx  li  zu  erweitem.  Die 
Zeitschrift  bietet  eine  Flilli*  «kr  iuttire:i:iHutt:iten  Aufsätze  aus  allen  Gebieten 
derNfttarwissenschaften,  Tlieorie  nnd  Praxis  sind  gleich  in  Qualität  und  Quan- 
tität vortreten:  Artikel  ülicr  physikalische  Erscheinungen  wechseln  mit  soldipn 
Uber  rHauzeukrankht'iteu  und  astronomische  Erscheinungen;  be-sonders  lohnend 
wird  für  den  Leser  die  Ausbeute,  welche  er  in  dem  Abschnitte:  „Fortschritte 
in  den  Naturwissenschaften"  niiu  lien  kann,  da  er  da«o11>st  .nif  die  neuesten  Er- 
findungen, Vervollkommnnngeu  und  Entdeckungen  in  aikii  Zweigen  dpr  Nutur- 
wissieuschaften  aufmerksam  gemacht  wird.  Die  „Literarische  Kundscliau '  ent- 
hält genaue  Referate  Uber  neue  Eracheinungen  der  Fachliteratur,  die  ,.BibIiu- 
graphie"  fllhrt  die  Titel  der  neu  erschienenen  Werke  kurz  an.  Eine  Witterung«- 
übersicbt  für  Central-Europa  und  ein  a>itronümis(lier  Kiilen'ler  vcrvitllständigen 
in  jeder  Lieferung  den  Inhalt  für  den  2ieteorologen  und  Astronomen.  —  Wir 
empfehlen  daher  nenerdings  diese  Zeitschrift  anfr  angelegentlichste  allen  Fach« 
ireiiMsseii  und  dem  wissbegierigul  Pnblicnm  um  so  mehrt  ^  a<ich  die  Aus- 
staituuj^  eint-  vurzilgliche  ist.  C.  R.  R. 

Über  die  Dauer  des  Lebeus.   Ein  Vortrag  von  Dr.  August  Weis« 
mann ,  Professor  In  Fr«lbnrg i.  6r.  IV.  nnd  94  S.  Jena  1882,  Gnatar  Flseher. 

Dieser  in  der  NaturAtrscherversammlum,''  zu  SalzLiirg  am  21.  September  18S1 
gehaltene  Vortrag  ist  in  der  Tiiat  so  hochinteressant,  dass  er  verdiente  auch 
separat  verBÜfennicht  eh  werden.  Nach  einer  einleitenden  Besprechung  der 
Grenzen  des  Lebens,  geht  der  Vortratjenile  über  zur  Erläuterung  der  Ursachen 
derselben,  fUr  welche  er  nach  älteren  Ansichten  die  Körpeinüfe,  das  Tempo 
des  StolKreehsda  und  LeVensproceeses,  die  Complioation  des  Baues  anftthrt, 
aber  d«reii  rnhaltbarkeit  beweiset;  er  mmnt  vielmehr,  dnss  die  Lebensdauer 
wesentlich  auf  Anpassung  an  die  äußeren  lyebensverhältuisse  beruht,  und  dass 
hierbei  lediglich  das  Interesse  der  Art.  nieht  des  Individuums  in  Betracht 
kommt.  Die  Natur  strebe  danach,  die  Fortpflanzuugs-  und  die  Leben$<lauer 
80  kurz  wie  möglich  zu  nonniren;  daflir  fllhrt  der  Vortragende  eine  llenge  Bei- 
spiele au-t  allen  Thierclassen  vor.  Hieranf  bespricht  er  die  Ursache  des  natür- 
lichen Todes,  welche  er  in  der  Begrenzung  der  Verniehrungsfahigkeit  der  Zellen 
findet;  aus  seineu  Betraebtuiiiren  folgt  sudanu  die  Zweckmäßigkeit  des  Todes, 
doch  bemerkt  er,  der  Tod  sei  nielit  ein  natürliches  3Ierkmal  aller  Organismen, 
sondern  bei  den  einzelligen  Pflanzen  und  Thieren  fallen  FortpflauEung  und 
Tod  in  eins  zusammen,  so  dass  diese  eine  ewige  Fortdauer  besitzen.  Ißt 
einer  ViTtlieidiiriing  der  IVzcuijnng  scliließt  die  interessante  Abhandlung,  indem 
der  V.  zwar  die  Ewigkeit  der  unoiganischen  Materie  zugibt,  sie  aber  fUr  die 
organische  Natur  nicht  aneilcennt.  —  Einen  wiübren  Sebata  von  gesammelten 
eigenen  imd  nMfli  mehr  fremden  Beobaclituni^en  sehen  wir  .nodatm  in  dem  fast 
die  Hälfte  der  Bruschttre  einnehmenden  Anhange,  welcher  Zusätze  und  Nach* 
weise  enthAlt,  die  sehr  gut  am  Schlnsse  angefflgt  rind,  da  sie  sonst  den  Zn- 
sammenhang .stHren  \vf\rden.  Wir  empfehlen  die  Hberdics  auch  sehr  sehön 
gestattete  Abhandlung  allen  Freunden  der  speculativen  Naturgeschichte. 

C.  B.  B. 


—  4  — 


Der  Naturhistoriker.  lUiisCrirte  Monaiwchrift,  hwaingegelieii  von  Dr. 

Friedrich  Knanf^r. 

Diese  iUustrirr»  .Mwnaträ*ichrift,  von  welcher  uns  «las  5.  Heft  vorliegt,  hat  sich 
s»eit  seiner  L'mgcsjakiuig  in  die  tregeuwärtige  Fümi  einen  stets  wachsenden 
Leserkreis  erworben  und  ver'li-'iit  denselben  durili  r<»'inen  mannitri.iltiij^n 
Iiüialti  aowol  der  popul&r-wissenschaftliche  Theil  enthält  beachteiuwertd  Xu£- 
litce,  ftl«  ftnch  das  „Schulpraktifldke"  nnd  nFttdiwiMenflchafUidie''  fdarnnter 
ein  Aufsatz  v-  ii  T\.  niaßmann,  über  die  eigenthümlidi«'  Wesenheit  dt  r  ZelU- 
bietet  Interessantes.  Die  «LehierbibUothek"  erh&lt  den  Leser  im  Laufenden 
ttbtt  die  neaen  EnKheinaiigeB  siif  iiAtnrwinoiiieliaftlidMm  Gebiete.  IMe  im 
Hdfte  entlialtenai  Abbildttogoi  liiid  fut  imcl  eileichtem  eehr  des  Verständnis. 

(.'.  R.  R. 

Leitfaden  der  Zooloarfc,  fiir  die  oberen  Llassen  der  Gymnasien  etc.  von 

Dr.  Gustav  v.  Hayek,  k.  k.  Prolessor.    Zweite,  verbesserte  Auflage  mit 

324  Abbildmifeii.    Wien  1882,  FtcUen  Witwe  und  Sohn. 

Obgleich  dieses  Buch  nach  dem  Schenu  der  Sohiilnaturgescliichteft  Mgflfgt 
ist  und  auch  angelegt  sein  musd.  soll  es  in  den  ofliciellen  Lehrplau  passen,  und 
dala-r  natürlich  ein  Hauptgewicht  auf  die  Systematik  legt,  S4>  hat  es  doch 
mancherlei  abweichende  Vorallge  vor  den  gewöhnlichen  Schulbüchern.  Zunächst 
sind  jeder  ThierabtheUung  analytische  Tabellen  flür  die  fieatimmung  der 
Familien  Torangeatetlt,  weldie  recht  praktimh  lind,  nnd  sodann  tind  alle 
Aremden  Namen  in  Fußnoten  erklärt.  Die  Charakteristiken  sind  kurz  nnd 
präcise,  die  beigefügten  Abbüdungea  recht  instructiv.  Was  wir  aU»  vermisBen 
nnd  doch,  wenn  auch  noch  so  knrs,  angeflttirt  tind  aadi  In  der  Sdivle  be- 
sprochen wissen  möchten,  i-^t  eine  Thipr?e«>J2T;iphie  und  Pa!S 'nrol' i2rit-.  doun 
wenigea  eingestreuten  Notizen  geben  kein  Bild  der  Entnickelung  nnd  deü 
gegeawiftigen  Zmtendee  der  Thierwelt.  C.  B.  B. 

Jh»  Thlemleh.  Leitfaden  fttr  die  unteren  Ciaseen  der  Bealechnlen  und 
Gymnasien  Ton  Ür.  Carl  Rothe,  k.  k.  Profeaor.  Mit  448  iu  den  Text 
elngedrackten  Abbildungen.    Zweite,  verbeaaerte  Anflage.    Wioi  1882, 

Pidilcrs  AVitwf  nnd  Sohn. 

Die  Zahl  der  LtihrLücher  für  Naturj^esUiichte  an  Unterschulen  mehrt  sich  von 
Jahr  xn  Jahr,  und  doch,  glauben  wir.  ist  hier  noch  nicht  das  richtige  Mal» 
die  ricliTit^  Methode  gefunden,  die  fttr  eine  ."nlcho  Lelirstnfe  iM.-^sf^n  würde. 
Zunächst  wird  gewöhnlich  zu  viel  gegeben,  und  die  Eut^huldigiuig,  die  man 
hSrt,  es  branche  nicht  alles  durchgeuommen  zu  werden,  was  im  Lehrbnche  ent- 
halten ist,  erwoi-t  s'wh  in  \nn\l  >»  In  häufig  als  nicht  durchgeführt,  da  es  eben 
viele  Lehrer  gibt,  die  mit  der  ersteu  ieite  beginnen  und  mit  der  letzte»  des 
approbirten  Buches  scldießen  zu  müssen  glauben:  selbst  der  Unter»«^ liied  im 
Drucke  hilft  hierbei  wenig.  Der  zweite  Fehler,  der  vorkommt,  ist.  daas  alh? 
diese  Bücher  zu  systematisch  abgefasst  sind;  denn  dass  erst  am  Schlüsse  einer 
(iruppe  die  llerknialc  liiT-^fiben  /usammengefasst  werden,  ist  nur  ein  .Schein- 
behelf. Dr.  lUtthe  verfällt  aaoh  in  den  ersten  Fehler,  das  Buch  entiiilt  zn 
viel,  obgleich  der  Stoff  gegenflber  anderen  Lehrbttchera  restringirt  ut.  Audi 
die  Systi  matik  ist  no<-h  zu  <ohr  hi-tont .  obwol  hier  ein  Schritt  /um  TV*-eren 
gethau  ist  tind  den  einzelnen  Classeu  ein  sehr  bekanntes  Thier,  wie  Pferd, 
etc.,  in  einer  Detailheschreibiinff  ▼oranfpesteDt  nnd  damit  der  Ttpos  da 
Glasse  t'iklärt  winl.  Etwas  sehr  (Jutes  nin>9en  wir  in  den  Wiederholungs- 
ftagen  erblicken,  dcuu  durch  sie  lernt  der  ^chUler  sehr  gut  zusammenfassen, 
Tergleicben  und  gruppiren.  Die  reiddichen  Abbildungen  sind  snmeiat  gelangen 
und  verdienen  in>lHS'>mIf)v  Jone  nnscrc  BerücksichtiVnnfj.  wHi^he  nirht  scha- 
blonenhafte Thicrg^<:->taltou  darstelleu,  sundeni  das  Leben  des  Thieres  iu  s^^iuem 
Baue,  Neste,  Aufentlialte,  seiner  Umgebung  u.  s.  w.  zeigen.  INe  Ausstattung 
des  Baches  ist  lOr  den  Preis  (90  Kreuaer)  eine  sehr  gate  aa  nennen.   C  B.  B. 


▼ctantwottliah«  BsOMtew.  IL  8t«ia.         EMhdnMlMni  JatUt  KUakht^ai,  Ulpiir 


i^iyuu-cd  by  Google 


DeoembeiF< 


1882. 


Beilage  zum  Paedagogiiuu,  V,  3. 


Naturgeschichte  ffir  Yolks-  und  Bfirgersehnlen.  In  drei  Stnfen. 
Von  Dr.  Alois  Pokorny,  k.  k.  Regienuigsrath  nnd  Director  der  Leopold- 
etSdter  C.  R.  nnd  dee  Obergymnasiuiii»  in  Wien.  Dritte  Stnfe:  Allg-emeines 
über  diV  Thiore.  F'f^nnzen,  Mineralien  and  den  Heiudien.    Dritte  Auflage. 

•    Pm8  (iO  kr.  =  1  M.  20  Ff. 

Xaturg:esch!chtc  für  seehsclassif^c*  Volksschulen.    Von  demsrUipn 

Vt-rfasstr.    Prag  1881,  beide  im  \  erlag  von  F.  Teinpsky.    Preis  90  kr. 

Der  bekaniite  Autor  auf  dem  Felde  natnrhistorincher  Lehrbücher  bat  in 
diesen  beiden  Bütluni  tut-jii e<  Ldiil  dem  concentri-stlipu  Lehrgaii^o;  <lic  Xatur- 
gewhichte  bebandelt.  Die  Bescbreibnugen  sind  präcise  und  klar  und  werden 
dureh  «ablreiche,  sehrn^te  Abbildune^n  onterstottt,  und  sind  auch  beide  Lehr* 
bttchervom  k.  k.  l'nti  rrichtsniinisu  rium  als  /uin  Unterrichte  zulässig  erklärt.  Ob 
nicht  dae  gebutcue  Material  zu  reich  ist,  oh  nicht  viele  Lehrer  im  allgemeinen 
Torsiehen  werden,  den  Sehvlkindem  keinen  Ldtfaden  in  die  Rand  m 
iifhan.  (Ins  sind  allerdings  an  eitu«  andere  Stelle  gehörige  Fragen.  Fiir  die 
htkhüte  Stuic  der  Bürgerschulen  bietet  da-i  erste  Lehrbuch  sehr  viel  schätzens- 
wertes und  zugleich  praktisches  Materini,  wir  wollen  hier  z.  B.  den  Absehnitt 
über  da.s  Copuliren,  Omliren  und  Piinirf  i!  erwähnen,  ebensr)  den  Abschnitt 
über  den  Meu»chcu.  In  dem  zweiten  Lehrbuche  billigen  wir  besonders  die  .sehr 
praJttiwbe  Eintheilung  der  Natnrohjecte.  —  Die  Amstattang  ist  sehr  aner- 


JjCitfadcn  der  Mllie.ral0:irie  fQr  die  unTcrcn  Clasj^en  der  Mitt. Isdiiilrn  von 
Franz  Dörfler,  k.  k.  Prolesgor.  Mit  71  Texibildeni.  Wien  lb82,  Pichlers 
Witwe  und  Sohn. 

Da.s  Bestreben,  den  mineralogischen  Unterricht  im  Untergynina-sium  in  Über- 
rin^rimmung  zu  bringen  mit  dem  jetzt  so  allgemein  in  Österreich  eingffiihrten 
l^ehrhucdie  der  .Mineralogie  für  das  Obergjmnasinm  von  I'r.  Hoch.stetter  und 
Uiscbing,  ist  ein  recht  lobenswertes,  aber,  wie  das  vorliegende  ßUchletn  xei^ 
wird  dadurch  für  die  Untercla<<sen  zu  viel  Systematik  geschatfen,  d.  h.  es  wird 
eine  Be-'^jirechung  der  Einzelobjecte  vorgenommen,  welche  den  Schüler  nicht 
vom  Bekannten  zum  Fenierliegenden  fuhrt,  .sondern  demseUn  ii  in»  bunten 
Uemiache,  allerdings  systematisch  geordnet,  die  Objecto  zur  Kenutniti  bringt. 
Der  Verraeh,  die  Besdireibone  mit  den  Fundorten  zn  beginnen,  oder  die 
ehern isrln'ii  Vfiliiiltnisx-  vi'n»i)zu>ti-Ilen  und  die  Eigenscliafttn  nur  cinuf^trout 
zu  erwähnen,  wie  cü  z.B.  heim  Golde  der  Fall  ist,  kommt  uns  nicht  glücklich 
yor;  der  Sehttler  erkllt  dadurch  kein  Bild  de«  Naturobjeetes;  von  einem  in 
s<  ifif^n  Händen  befindlichen  Objerte  (und  so  soll  doch  der  t'nft  rtidit  V"r<rohen) 
wird  er  in  ganz  anderer  Weise  die  Jk.schreibuug  «ich  bilden.  i*as  Verlangen, 
die  iiineralogie  auch  zum  Vorstudium  der  Chemie  zu  benOtzen,  flihrte  den 
Veria--tr  du/n.  auch  hierin  zu  weitläufig  zu  werden,  z.  B.  i>t  die  Aufzählung 
der  Leicht uiciuUe  S.  Ii)  hödiSt  überflüssig.  Die  gelegentliche,  in  Fußnoten 
angefBgte  Erklärung  <ler  tormini  techni«  i  ist  recht  gut,  ebenso  die  spätere 
T^usammenfasäung  derselben;  es  freut  uns.  (h\«  auf  Krystallographie  wenig 
H Ucksicht  genommen  ist.  Die  Erklärung  niiiucher  physikalischer  Vorgänge, 
die  dem  .'^chttler  auf  dieser  .Stufe  n<<ch  unbekannt  sind',  ist  etwas  zu  knapp 
gehalten,  wie  x.  B.  die  Bestimmung  der  Dichte.  Der  Verfasser  kann  sich  auch 
(wir  sehen  den  Zwang  dazn  vollkommen  ein  i  nicht  vollkommen  mit  den  Objeeten 
l»eü:iii!i;f'n .  wt  lclie  ein  chemisches  MineraLsysteni,  wie  z.  B.  jenes  in  BischiuLTs 
Lehrbuch,  bietet;  am  sehen  wir  ihn  die  Steinkotden  und  die  Atmosphärilien 
behandeln  nnd,  woin  ancb  nur  in  einem  Anhange,  dem  Systeme  bmlHgea.  — 


kennenswert. 


C.  K.  K. 


Digitized  by  Google 


^  Den  Verbuch,  in  dicker  F'^»nn  da.--  niineralosrUf  he  Studium  im  l'ntertryiunaMtim 
7M  betreiben,  hulteu  wir  für  keinen  crlüfkli<  lien,  wenn  auch  manche^  T'.*  ril<^k- 
sie htii^ings werte  im  Leit.fiiden  entlialrcn  i^f.  C.  IL  iL 

Ücschickte  der  deutschen  Literatur  des  1^.  4alirliuudert.s  von 
J.  W.  Schftfer.  2.  vermehrte  and  vo1t«tlliHH|Br  nmgrearbeitete  Aulla^r^. 
beraiiBgei:ebeii  von  Fr.  Munclier.    LdjaiiT  issl.  Woi|,^eL 

Tater  arnn  silr-nr  ^lusae  fini  Kri»-ffslänn  schweigen  die  Musen).  Niemals  Ut 
die*  mclir  /lu  ti  iuriirea  Walirhfit  ereworden,  als  in  jenem  Jahrhunderte,  wo 
Detitscliland  in  nn.Heliireui  Bruderkricf^p  sieh  J!eTflei!*chte.  Angesichts  der  Leiden 
und  blutiffen  Cfreuel  eines  .■^()jähr.  Krieges  zotr  sich  die  Muse  trauernd  zurück 
und  schwietf.  Man  versuchte  <lie  Stumme  künstlich  reden  zn  machen,  eine 
Flut  von  Poetik'  II  erschien,  von  Biichern.  die  lehrten,  wie  man  diehten  solle 
und  kfinne,  darunter  auch  der  ^Nttruberger  Tnchter"  d&s  Philipp  UanKtörfer. 
Ailein  die  Kunst  ist  Natur,  Naturgabe,  und  erst  mit  den  gottbeguadeten  Pich- 
te ru  des  fVd;,'enden  .fahrhundcrts  fing  dor  Qut  ll  il«  r  P  !■ -ie  und  damit  ein 
fruchtbarem  Geistesleben  bei  uuä  wieder  xu  sprudeln  an,  und  eben  darum  blicken 
wir  heute  als  dankbare  Eidcel  fremde  auf  das  18.  Jahrhundert  dessen  8amai 
heuff  Frnrlit  tr^iht. 

Im  Hinblick  auf  diese  im  Innern  dei  Sache  selbst  be;^ündete  Aufuerk-saui- 
keit,  die  man  heute  dem  18.  Jahrhundert  ^tawendet,  kann  die  Umarbeitung  Ton 
Srliäfi  IN  TJTprntiinj'^sfhichte  des  IH.  .Tahibiniflrrt^  nur  al^  :rlticklicher  (iedanke 
bc/.eiclmet  werden  und  al«;  ein  eben-*c>  glücklicher  Gedanke  die  Wahl  der  tim- 
arbeitenden  Hand.  AI  lt-  le  h  v  u  anderen  Piiblieationea  hat  ja  Dr.  .Muncker 
durch  seine  von  der  Kritik  so  beitallig  a\ifgenommcne  gekrönte  PreisÄchrift 
über  das  literarische  und  personliche  Verhältnis  Klopstocks  und  Leasing-  sieh 
ftlr  eine  gediegene  Hoarbeitung  oder  Umarbeitung  gerade  d%t  literarischen  Ent- 
wickclung  im  IS.  .Jahrhundert  hinreichend  leiriiimirt  und  seine  vielleicht  gerade 
durch  eine  Umarbeitung  doppelt  erschwerte  Aufgabe  treflflich  gclint.  IIaud*'lt 
es  sich  vor  allem  daram,  das  reiche  Material,  das  seit  2.")  .Jahren  in  Brieten 
und  ächri^ten  neu  erwachsen  i»t,  einzubauen,  InrUiiUner  zu  berichtigen  und 
ünwahres  auszuscheiden,  so  hat  Muncker  in  seiner  Ümarbeitung  diese  Pflicht 
mit  einer  Sorirfalt  und  (iewissenhafliifkeit  erfitllt.  die  wir  a»i -Ii  'Ii  ii  ]f -r  ius- 
j^ebem  (Maitzahn  u.  Buxberger;  der  2.  berichtigten  und  Tennehrteu  Auflage 
▼on  Ihinzels  Lessing;  „Sehl  Leben  und  Heine  Werke".  1880.  gewilnseht  hStten: 
liier  i*r  manches  -teli'  ii  Lr.  l.Iii  l.r'u  wn^  li'-iire  iiii  bt  iiiflir  wnhr  ift.  Muncker 
hat  die  Resultate  der  Uichtigstellung  dcü  Textesi  verwertet.  Autoren,  die  2um 
erstenmale  pnblicirt  worden,  in  gerechter  WArdifnAng  beiffexogen,  einen  Stnrr, 
Mfiser  u.  a.  nicht  leer  aufgehen  lassen:  ander:<>it<  fiuden  wir  einen  ('ramer. 
liabeuer  u.  a.  nicht  über  (Jebühr  erhoben.  Damit  sind  Fehler  venniedeUt  die 
▼on  Literatnrgeschichtsxchreiliem  nur  an  hftufig  beirany:en  werden.  In  Roquettes 
Literaturgeschichte  ('^.  Anflacre)  fallen  von  den  8<J>  .Seiten  auf  die  Darstellung 
von  Kloji^rock.  Lessing.  Wieland,  Herder.  Winckelmann  kaum  KX)  .Seiten:  eine 
einirehende  Orientiriing  Uber  die  literarische  Entwickolung  des  deiit.schen  Gei- 
stes na'-h  Tiefe  und  Breite  winl  ein  solches  Cojnpendium  oder  Lehrbuch  der 
gesamniten  deutx-hen  Literatur  nicht  ermöslichen.  daher  .Monogra])hien  fdr  die 
einzelnen  .lahrhunderte,  trerade  tllr  das  IK.  Jahrhundert,  nnumgantrlich  noth- 
wendig  .sind,  zumal  der  tiefer  suchende  uud  mehr  begehrende  noch  heute  nach 
einer  MonoRrraphie  selbst  Klopstocin  oder  'VHelands  vergebens  fragt:  nnter  den 
Monographien  selbst  eines  (ioethe  gilt  bei  den  meisten  noch  heute  jene  de's 
Ausliinders  Lewes  ab  die  beste.  Das  18.  Jahrhundert  hat  nun  allerding«  nclion 
monographische  Bearbeitungen  erfahren;  Hettner  hat  unstreitig  das  yeidiem*t. 
aufler  oder  neben  der  poetisebr-n  St  itc  muh  die  hi-turi^,  lip,  philologi^jche,  phil«)- 
syphi^che.  also  die  allgenteine  literarische  Knt  Wickelung  zum  ersteumale  würdi- 
gend beigezoßren  zn  haben,  allein  dadurdi  ergab  sich  Ar  dieses  Werk  ebie, 
die  t*''l)er<i.  liili'-likeit  oder  die  Fnlilana:  des  Ztisammenbinires  erschwerende  «re- 
wiHse  Zer.spUtterung.  nnd  so  aufklar»  u*l  uud  anregend  die  häutigen  und  länge- 
ren Citate  aus  den  Schriftstellern  selbst  sind,  SO  entschidigt  der  Verfasser 
hierdurch  ärlcidiwol  uicht  ganz  ftir  den  Wert  zu>iammenfrtssender  Rirhtptmkt»'. 
präciser  Urtheile.   Auch  nach  dieser  Rieht unj,'  hat  .Huncker  »o  treffhcli  nach 


Digrtized  by  Google 


-  n  — 


jcfler  Seite  hin  zu  jfeben  und  ausziif^leichen  verstanden;  es  ist  üim  die  Gc- 
schicbte  der  r.»e-«e  zu  einer  Iiistorischeu  Darstellung,'  <les  {feist  Lebens 
lieworden.  und  i^wade  hierdurch  hat  sich  Muncker  auf  den  Standpunkt  der 
modernen  Forschnntr  gestellt,  die  eine  tjrößere  Ikriicksichti^MiD-  ih  .-j  Sarlili.  ]!on 
»tatt  des  l't^rsönliohen  ^eflisseiitlirh  festliält.  die  Pflanr.e  trau/,  uu  l  a.ir  auf  dtm 
IJoden  betniehtet,  auf  dem  sie  {orewachsen  ist.  die  zeitlichen  Vorbedinyunsren 
fl\r  das  Wachsthuni  derselben  eben**«,  wie  den  Frur-btsamen,  den  sie  für  die 
Znkunft  abfreworfen  hat,  und  endlich  die  alli,'emeiiie  He-<chaff»'nheit  des  Bodens, 
den  Zusammenhang  mit  den  Zeitideen  (t'nitursescbichte;  ins  Auije  fa.s<st.  Hclli^r 
die  sprachliche  >S«ite  der  Schriftsteller  würdi^rt.  Kiirz:  ^[uncker  hat  «tatt  der 
Mheren,  mehr  bioffraphisch-Ästhetisphen.  di»  heutige  philoloiri.^ch-hiatoriflcbe 
MrtliiKlf  1iriu'c/<i:|rn  (iii'l  i>r  d.uiiit  wrsi-iitliili  nin.nln  it.Mnl  —  über  Schäfer 
binauäjjegaugeu,  der  in  aller  Kiuseitigkeit  deu  Nachdruck  auf  das  biographische 
3foiDent  le^  mit  abstehtficlier  Hmtai)««tziiii?  des  sachlichen  Moments,  der 
WiinliiriiiiLr  ib-r  W^rki'.  Aiirli  fnrnir-ll  hat  Mnneker  dir*  üliwi  i-nuiii:''  Sprache 
und  sproilt-  A»i?idrutks«eisc  Schäfers  durch  eine  j,'et^llia;e  Stilistik  ersetzt,  und 
wir  stimmen  der  com])eteoten  Stimme  bei.  «lie  in  der\.Allcr.  Ztg."  1882,  Bei- 
]iUfi-  B4,  bereits  Uber  Munckers  Uid.hIm  itniiüf  laiit  \miiir:  L.  (Irii^^cr  hat  die- 
selbe Iiis  ein  äußerst  „brauchbares  JLuidbuch  und  ;iiit;iudma.s  Lesebuch"  be- 
zeichnet und  erklftrt,  ^dasselbe  eisjrne  sich  hauptsächlich  für  Lehrer  und  filr 
solche,  die  sich  etw!\<<  eingehender  Uber  unsere  classischc  Literaturepoche 
unterrichten  wollen  .   Auch  keine  Bibliothek  wird  dieselbe  entbehren  könueu. 

K. 

^Neuhoehdentselie  ttrannuatik  von  Dr.  Lvdwiir  Fraaer.  Heidelberg: 

1881.    Winter,    fgr.  S".  :\:V2  S  i 

Die  Torliegende  Grammatik  dürfte  sich  mit  ig^roBem  Mutzen  au  Lehrer- 
bildnn^sanstalten  verwende»  lassen.   Sie  ht  keine  Elementanrrammatik. 

M)  vielf.u-h  aiicli  einzelne  Aufgaben  il;ir;ni  eriinirni  müLferi.  ib n-ii  L"siiiiir  filr 
oiueu  Caudidaten  sicher  keine  MUhe  und  ohne  greifbaren  V'urthcil  wäre,  die 
ihm  aber  j^i^en  können,  wie  er  spKter  einmal  seinen  Schfllem  den  gramma- 
ti-^i;beri  Stoff  vorlegen  muss.  Fr;\iit  r>-  Gninimatik  s  't7t  vi.''lm"br  '  inen  gram- 
matischen Cnn  voraus,  denn  s->nst  könnte  sie  wol  keine  Fraisen  stellen,  wie 
die,  aus  vorgelegten  Beispielen  Definitionen  der  grammntiseheu  Termini  an  fln» 
deu.  Definitionen  '>fi  'b  r  i^fhwicriir-tr'Ti  Art.  Aiii  h  würde  sie  es  sdn^t  nicht 
verschmähen.  Fara-liiriaat  v  .ml/uüL'inn  ii.  uuil  u  urde  aueh  nicht  gerade  aul  die 
mehr  rb«  iretisL-ben  Tiieile  der  Grammatik,  wie  die  Wortbildungslehre.  die  Art 
der  Kiiitlieiliing  der  Substantive,  Wortarten  und  Nebensätze  z.  B.,  so  großes 

<Te\vit:bt  b-f;eU. 

Von  diesem  Standpunkte  betrachtet  verdient  dies  Jtueh  volle  Anerkennung. 
Es  basirt  in  seinen  historischen  Theilen  auf  Grimm  und  zieht  —  dadurch  eine 
mai^nto  Fligenart  verrathend  —  auch  den  Dialect  (den  nord-  nnd  snddent- 
sehen)  in  umfaiiirrcicben  Spra<  bin  oben  znr  Veran^chHulicbunir  b- -nnd-T^  «ler 
Lautlehre  heran.  Was  es  aber  für  den  Lehramtscandidaten  so  sehr  empfehleus- 
wert  macht,  sind  neben  den  Fragen  nnd  Anfgaben  die  Saromlanfirsn  von 
Srb  iil  er  feil!  ei  11 .  die  Frauer  \m  S.  2Hf;  :\:V2  V'iri^tfVibn ,  nbrr-irlinirb  ire- 
orduet,  hier  und  da  auch  mit  der  leichtesten  und  kürzesten  \  erl)essenmg  ver- 
seben bat,  und  die  nicht  Fehler  sind,  wie  sie  durch  eine  verderbte  Umgangs- 
spnirbe  in  die  Schiilerelab  iintc  kommen,  sondern  Pnliler  zumeist  |fii:i-;i'ln=r  nnd 
ästiicMscber  Art,  dalier  nn  lit  <*>  bciuen»  und  eiabieb  zu  verbe*s*  iu  nnil  nur 
schwer  dera  Schüler  verstSmllii  l:  zu  machen.  Wegen  der  JJedeutsaiiik'  it  dieses 
Abschnittes  nennen  «ir  liiri  ilic  Titel  der  ein/i  ln-  n  Tbeilc.  um  auf  diese  Weise 
den  Lesern  einen  Einbli*  k  in  das  reicho  Mat<  ri.il  /»  verscliaft'eu :  Frauer  han- 
delt zumt  von  der  richtigen  Zusiimmeni>rdnung.  2.  von  der  passeutlen  Fi»rra, 
.3.  von  der  passenden  Stelluu;:  der  Glieder  und  von  rier  unprts<endeu  Kinschie- 
bung  und  Einschacbtelung  derselben.  Er  erläutert  an  Schülerfehlern,  wie  Härte 
und  Kintiinigkeit  des  Stils  am  leichtesten  /.u  vennei  b  ii  ist  und  in  die  Perioden 
Abrundong  nnd  Wolbewegnng  gebracht  werden  kann.  Im  letzten,  höchst  inter- 
essanten Capitd  spricht  er  von  dw  Uervorhebiing  des  GednnkenB  dnrdi 
die  Fonn  nnd  die  Stelinnit  der  Satxtheile  und  Bfttse,  besonders  der  Nebenatttze, 


Digitized  by  Google 


—   4  — 


Dnd  achlieBt  mit  Mitte  ln  >  in.  i  witk-amen  Hen  ..ili.^iiiiic.  «  ic  -u-  im  rich- 
tigen Gebrauch  der  rbetoru^ciieu  Fi^imn  liegeo.  Überall  haben  auch  StilblUtai 
ans  lionromgendeii  Zettwigen  dem  TerfiMU»  Beispiele  geboten,  wie  gegen  die 
Fandatnentalgeeetze  eines  guteu  Stils  gefeUt  werden  lunn.1  W. 

Schlessingr.  Deutscher  Wortschatz  oder  der  pMsende  Ausdrnek. 

Stnttjrart  1881.    Vaul  X.  ff.     433  S.) 

Nach  dem  Vurbüde  des  euglüichea  -Thesaurus  vuu  Rüget  hat  Scbles&ing  in 
«einem  ^Wortachatz^  Synonyme  fresammelt  und  dieselben  nicht,  wie  die  andern 

Wörterbücher  thun.  alphabeti'^rh  irffrdnrr,  «nrlrm  711  l'WX'  Bi-^TifF-tnirilien 
2Ui>ajuU]eDgeätellt.  Diese  eiirt-nthüuilicbe  Anordnung  lag  im  Zwei  k  dt>  Buches 
begründet,  das  Bentttzer  vor  ji<  h  »liehr.  die  für  einen  bestimmten  Beirriff  den 
pas^W'iiden  Aufdruck  «iirhfn  ni.d  d«  neu  der  BedentTincr^wert  nn<\  der  f'  in.  Unter- 
srhiod,  den  jedes  *  in/«  In«' W<»rt  unter  den  zah!r»:ieh  aiigtrlahiteu  aurwei^t.  nicht 
^e.'iigt  /AI  werden  (»nuirlit.  Wir  besitzen  bereit«  ein  nach  ähnliciien  PrincipieB 
bearbeitetes  Work  v  lU  rs  in  rirr  «tarken  Bänden,  dem  getrenüber  daa 

Schle>sin^p«che  die  haudlulie  lt'4tit  lue  F<»iiit  und  den  billiiren  Preis  voraus  hat; 
an  innerem  Wert  ist  es  ihm  ebenbttrtig.  l>er  Nutzen,  'I-  n  -olche  Sammlungen 
tllr  den  S<  hritt»t«ller  >u  (rut  wie  fttr  den  currigir«aden  Lehrer  haben,  iat  un- 
streitbar  groß  und  liegt  nach  allen  Richtungen  klar  am  Tage.  In  einem  Punkte 
ließe  sieli.  was  die  D  11  n  lit  ührung  ilt-i  Mri'  Ii»  trifft,  mit  dem  Verfasser  rech- 
ten: Er  hat  za  vielen  Fremd  Wörtern  Eiogaog  in  sein  Boch  gestattet,  stellt 
also  im  offenen  Geg<aisatz  zu  allen  jenen  ehrenwerten  A'ersnehen  d»  G^n- 
wurt,  eine  Säulierung  un?-<  rer  Mutt»  i -pracho  von  den  z.ililli-cn,  znmeist  durch 
da«  Zeituugäduutjich  eingedrungeuen  i-'remdUugeu  dorchzuiiihreu.  Ja,  wenn  die 
Fremdworter,  denen  ScbTessinir  Einlas«  gestattet,  wenigstens  nocb  alle  eangbar 
wiirf  n  lind  im  allgemeinen  (loVraufh  stüudcnl  Virl«  dHrtti  n  wirkli'  !i  nur  in 
irgi  nd  eitieni  abseits  gelegtn»;u  lilukisoplmchen  Buche  ein  kuuuin-rli«  he.s  Daiiein 
Msten.  Der  Beniltzer  des  Schh  .ssingsehen  Wortschatzes  wird  sich  also  ver 
ihnen  zu  hüten  haben;  er  wird  die^  um  fio  leichter  k<'>nnen,  als  immer  not.h 
eine  irroße  Anzahl  gut  deuts^cher  .Synonyma  in  jedem  Artikel  zur  Auswahl  übrig 
bleiben.  I  )i(  si  lidue,  ^radezn  elegante  Ausstattung  Teidient  es.  dass  auf  sie 
hier  besonders  Iiiui,'ettie3en  wird.  W. 

('oüi<ie>.  Kleiiios  Lehrbuch  der  l4iiid karten- Projeetiou.    Mit  60 

Holzschnitt.  il.    K  i-.  I  1  MKl>.    Kessler.    Pr.  l,ö()  Mk. 
Derselbe,  (ieoiinipiiisehe  (irosseubilder.  1.  (zwangloses)  Heft.  Kassel 
1882.   Emst  Kleimenhagen. 

Der  Verfas.«er  .'«ucbt  durch  .■»ein  Lehrbuch  einem  vorhandenen  Bediirfni>  :'b/  ",i hel- 
len ;freilicb  bli  ibt  es  nur  beim  Wtdien.  Die  .\usfnhrung  ist  d<  rart.  -la-<  kaum 
einer  aus  dtiii  Büchlein  die  Landkartenprojection  wirtl  verstt  ht  ii  1<  riien.  Es 
liegt  dies  vor  allem  in  den  beiffcirebenen  Figuren  begründet,  übrigem»  scheint 
der  Verfasser  auf  dem  vorgetragenen  Gebiete  selbst  nieht  genug  Fachmann  zn 
sein.  In  Figur  4,  6,  8.  10,  11  wj^rden  die  Ellipsen  durch  swei  Erei.sbr*gen 
wiedergegeben;  in  Fig.  12  sind  die  Meridiane  fehlerhaft  eingetragen,  ebenso  in 
Fig.  13;  Fig.  31b  ist  nicht  erklärt.  Fig  15  xeigt  in  der  Äquatoneicbnung 
(reebts)  Mingel.  In  Fig.  23  (S.  19)  ist  das  Weeentlicbe  der  betreffenden  Pro» 
jection  wcl  erklärt,  die  volUtändig  au.s£:eführten  Proje«  fi  ineii  irelit-n  aber  be- 
reits voraus;  die  ittereugrapbische  Prujection  ist  nicht  m  den  Central^mjeetioaen 

Serevhner.  im  §  8  ist  niebt  angegeben,  wie  projicirt  wird,  ünnchtigkeiten 
Ddfii  S.  }•_'.  7.  S  11,  «>  V.  ...  und  S.  44.  Z.  1  u.  2  v.  o. 
KiiH  n  tichfigen  metii.«li.«>chen  Gedanken  in  guter  Au.«<tllhrung  enthalten  da- 
iltäselben  Verf;i.sser3  „GröBenblM»  r-.  47  Tafdn  in  Quart,  die  in  der 
Wei.se.  wie  es  zuerst  .Steinhauser  in  seinen  Lehrbüchern  versucht  hat.  Zahlen 
und  (in>t5enverhältni!*se  graihisch  und  vergleichend  dan»tellen.  Dieses  Bnch 
kann  jedem  w  egen  der  Einfachheit  der  Zeichnungen,  die  suli  teiclit  und  schnell 
auf  die  Wandtalel  übertragen  lassen,  nnd  wegen  des  za  Qninde  liegenden  Prin- 
.  ipes  empfohlen  werden.  W. 

VvräntworUicber  Kedacteur:  iL  Stein.  bochdruckerei  Jultui  Klinkbardi,  Leipxig. 


Digitized  by  Google 


Beilage  zum  Paedagogium,  V,  4. 


Methodisches  Lehrbuch  der  allgemeinen  Botanik  für  hOherc  Lehr- 
anstalten. Naeh  dem  aenesten  Standpunkte  der  Wissensehaft. 

Von  Dr.  Jnl.  Behrens.  Mit  4  aoalytiachen  Tabellen  und  zahlreichen 
Originrtlabbildungen  in  408  Fi]?iirpn.  vom  Vf-rfasspr  nac  Ii  dt  r  Xatnr  auf 
Holz  gezeichnet.  Zweite,  durchirt  aibt  itetc  Auflaufe.  MS  Seiten.  Brauu- 
scbweig  1882.   C.  A.  Schwetschke  und  Sohn  i^M.  Urahn). 

All  guten  Lebrbncbern  ftlr  den  botanii^t-lien  Unterricht  an  höheren  Lehr- 
anstalten ((Trmnasien,  RealorlnilciA  ist  in  Deutschland  ebensowenig^  wie  in 
Österreich  ein  Cberflus«.  Schuu  ua«  diesem  Grunde  kann  jedes  Lehrbuch  dieser 
Art  des  Interesses  von  seifen  der  Lchrerwelt  sicher  sein.  Nach  Ansicht  des 
Bei.  bat  man  bei  JBeurtheilung  eines  Schuibudies  zunftcbat  nach  seiner  didao- 
tiieben  Yerwendbarkeit  zu  tragen,  gegen  welche  daii  Streben  nach  wimm- 
schiiftlicht  r  VdllstäniUukeit  durchaus  in  <len  Hintergi  und  treten  muss.  Lpu:en 
wir  diesen  Mafistab  an  Behrens  Botanik  an,  ao  werden  wir  zonächst  mit  Be- 
dAmeni  die  Beidirdbvng  einaetaier  Pflanzenarten  ginzlich  Temuseen.  Ab  Lelir- 
burh  der  »llgemeinf-n  Botanik  setzt  es  iliese  Kenntnis«,  wolche  «lio  (Grund- 
lage jedea  botanischen  Unterrichtes  bildet,  bereits  voraus.  Dem  Kef.  erscheint 
dieser  Unstuid  als  ein  fflblborer  Mangel  Sehen  w  aber  hieven  gänzlich  ab, 
so  müssen  wir  vor  allem  zugestehen,  das.-*  in  dem  Buche  alle  Zweige  der  all- 
^'cmcinen  Botanik  mit  SachkenntniM  nud  in  einer,  vom  methodi.sclien  Stand- 
punkte YoUkommen  zu  1tillii:en<len  Anordnung  behandelt  sind.  Der  anf 
H37  S.iten  vertheilte  Stoß  /..stallt  in  die  5  Hauptabsohnitff;  nestalrlrhre  — 
Systematik  —  Biologie  -  Anatomie  und  siologie  —  die  uieciereii  l'tlanzen. 
In  der  Gestaltlehrc  werden  die  Wurzelt;ebilde.  die  Stengelgebüde,  die  Blatt- 
gebilde (die  eigentlichen  Blätter  und  die  Blüten),  endlich  die  Haargebilde  be- 
sprochen; die  Systematik  umta^it  die  Diagrammutik,  die  Sy.stemkuude,  die 
!<y8tematische  Eintheilung  der  höheren  Pflanzen  j  Monokotylen  und  Dikotylen); 
die  Biologie  behandelt  die  Befruchtung,  die  Übertragung  des  Bltttenstaubes 
dwvb  Wind  und  Thiere  (Windblfltler,  Tnwctenbltitler.  Vogelbltttler),  die  Ver- 
breitunirsnuttel  der  Früchte  und  Sanun.  Die  Anatomie  und  Physiologie 
bei«pricht  zuuäch&t  in  einer  Einleitung  die  Aufgabe  und  Umgrenzung  der 
Botanik,  hieranf  die  Zelle  (Thdle,  Form,  Wuät,  Entotehmur).  die  ZellgeWebe, 
im  Capitel  Pbynologie  Zn>amnii-nsetxnni; .  Kni!tlimtiir  nnd  Waeli-thiim  der 
Pflanze.  Von  den  niederen  Pflanzen  sind  die  Kryptogameu  eiii;^etheilt  in 
Zelleupflanzen  (Urpflanzen  [Bacterien,  OäbmngspilzeJ ,  Pilze,  A)<::eu>,  Moose 
(Leber-.    Laubmoose),    (lefäBführende    Si>nreniiflanzeTi   fPanie,  Wurzelfame, 


IiHan/en  (Cycadeen  und  C^oniferen).  Diese  Übersicht  genügt,  nm  au  t/tigea, 
dass  der  LelirstofT  in  ilem  vorlietrenden  Buche  ein  reichlich  bemessener,  genauere 
Durchsicht  aber  zeij^t,  dasw  er  mit  Rücksicht  auf  *lje  für  den  botanischen 
Unterricht  entfallende  Stundenzabi  ein  an  keiner  der  höheren  Lehranütalten 
Deutschlands  zu  bewältigender  iät.  Man  kann  hier  einwenden,  da.ss  es  dem 
Tacte  des  Lehrers  vorbehalten  sein  müsse,  aus  dem  reirlüichen  Stoffe  die 
jiasxende  Auswabl  zu  treffen.  Referent  ist  aber  der  Ansicht,  dass  man  auch  in 
dieser  Hinsicht  über  eine  gewisse  Grenze  nicht  hinansgeben  dürfe:  durch 
Kttrmingen,  wozu  Jeder  Abscmdtt  reieMich  Gelegenheit  bietet,  wftide  aas  Buch 
an  didactischer  Bruiclibarkeit  nnr  |?cwinnen.  Freilirh  niiis>ti'  der  Verfasser  auf 
den  Wunsch  verzichten,  dass  sein  Buch  den  Bedürfnissen  der  Mittebchule  wie 
der  Hocfascbttlen  fldehseitiir  dieom  solle. 

Ziel  und  Methode  (hs  botanischen  Unterriclites  gehen  nattirgemäß  an  diesen 
Unterrichtsanstalten  so  weit  auseinander,  dass  es  geradezu  luunögUch  ist,  den 
TenduedeneD  Aufotderaiigen  in  einem  Lebrlmehe  getexAit  m  weiden.  Dass 


Digitized  by  Google 


der  Verfa.sser  dieser  Versochung  nicht  aus  dein  Wetfe  ging,  scheint  um  die 
Ursar  hf-  iler  Miinffel  zusein,  welche  dem  seiner  Anlaffe  nach  vortrefnichen  Boche 
auhatteu.  lu  der  (.retstaltlehre  wird  der  Verf..  welcher  iui  allg<ämeinen  eine 
dntchaus  verständliche  Sprache  spfiflkt,  Tielfach  zu  breit ;  wozu  —  um  nur  einzelnM 
hervomuheljeu  -  das  Aufsuchen  geometrischer  Ausdrücke  flir  ilie  Grundf  jmi'n 
der  Blätter,  die  langathmigen  Erklärungen  der  Blattftiniieii  iiuau  vgl.  die 
l'nterücheidung  von  .,lanz€ttlich"  und  ..eilanzettlich",  S.  19)?  —  Gerade  in 
der  Erkünmg  der  tennüti  darf  sich  der  Lebier  kons  hmen,  das  Aaftmcheo 
der  passenden  dem  Sdilller  dieier  Stufe  TieUheh  Mltart  ftberlaiflen.  und  so  das 
Verstiiinhiis  d.ifiir  vnrliTeiten,  das«  dit  Wissenschaft  kein  starre*  GebiM-, 
souderu  ein  Ichcudiger,  sich  fortratwickeiuder  Ürgauisuns  ist.  In  der  SjstoiuaQk 
yerdient  das  1.  Capitel.  die  IHajtitanniatik.  als  TcnrOglieb  bearlmtet  herrar- 
gehuben  zu  werdrn.  Mf  Svsreriikiuiile  lirini^t  oine  silir  klare  Entwickelung  des 
Artbegrifles;  bei  der  :^ystematik  der  höheren  Ftlanzen  bedauern  wir  aber,  das« 
sie  von  der  den  gebrftnchlicheren  Floren  (Garcke,  Wthuwhe,  Frank  etc.)  m  GmvAe 
•rcleirtfii  Kintheilung  sehr  abweicht.  Kinen  der  Hatii>rvnr/n>:e  des  Werkes 
bildet  die  Bearbeitung  der  Bioloirie  für  diese  l'uterriclit.-s tute;  iii>c  h  hiitie  sich 
der  Verfasser  gerade  hier  viel  kürzer  fassen  können;  so  waren  von  'U  n  iiui^eftlhrten 
Beispielen  der  Bestäubung  dnn  ti  Insw  ten  t  iniirt' df-r  iinftlillitr-^tLii  (>--t\va  Wiesen- 
gttllMii.  Orchis,  Osterluzei)  vollkuuaucu  «iNsreicheud  gewtjaen.  um  dem  Schüler 
das  Verständnis  dieser  höch.st  iuteressantMl  biologiiH:hen  Erscheinung  su  Ter* 
mittein.  Im  Capitel  Physiologie  liegegnen  wir  mit  Befriedigung  einer  aus- 
giebigen Verwertung  des  Experimeutes  (Diffusion  durch  eine  Membran  —  Sauer- 
8t<)ffHusscheiduug  durch  Assimilation  —  Kohleusäureausscheidung  bei  der 
Atbmung  —  Demonstration  des  Wurzeldmokes  o.  e.  w.^  Im  Abschnin 
..niedere  Pflanzen**  hätten  wir  die  AnfisiUnn^  vieler  Arten  lieber  wieder  dareh 
,i  M -tiihrlirlir  iJc^piPclmnu'  rh.inikti-ristischer  Beispiele  ersetzt  ijesehen.  Ihirch 
Erw  ähuung  dieses  Umstaudes  streifen  wir  die  uns  zau&chst  besdi&ftigeiide  Frage, 
ob  der  Verfamer  die  Aiwlcbt,  ein  nethodtsebe«  Lehrbneb  ta.  achreiben, 
conse'iiieut  dun  liy-efllhrt  halie.  Mit  dem  Citafe.  welelie^  er  im  Vorworte  lirin^^r: 
„Das  Kind  soll  soviel  wie  möglich  seine  zu  erwerbenden  Kenntnisae  »elb^t 
erfahrend  bekennt  er  aidi  als  Anhlnger  der  Inductionsmetbode.  Beweist  aber 
manches  Capitel,  wie  die  Diagramraatik  oder  die  in  formaler  Beziehung  sehr 
bildende  AnHeinanderhaltuug  von  Organographie.  Auaiomie  uud  vergleichender 
Morphologie  in  iler  Einleitung  zum  Ab.schnittc:  Anatomie  und  Physiologie,  das 
Verständnis  des  Verfassers  fl\r  seine  .\nfcrnbe,  so  la^en  «nderf  rseits  manehe 
Stellen  die  consequente  iMin  htühruiig  den  aufgestellten  Grundsatzes  venui^^n. 
So  ist  es  ni<  lit  methodisch,  die  Unterscheidung  von  obor-  und  unterirdiacben 
Stengeln  der  Erklärung  derselben  vorauszoselücken ,  von  T(Mmherein  zu  sagen: 
,,Der  onteriTdische  Stengel  ist  leicht  von  derWur/el  zu  unterscheiden,  er  trägt 
Blätter,  Blattschuppen  oder  Knospen":  es  mUsste  vielmehr  —  nach  der  ver- 
gleichenden Betrachtung  des  betreffenden  Gebildes  heüen:  „Weil  dieses  unter- 
irdiscbe  Gebilde  BlStter,  Blattsdinppen  oder  Knospen  trlgt,  darum  ist  es  keine 
Wurzel,  sondern  ein  (unterirdischer;  Stengel."  So  mlisste  der  —  nebeubei 
bemerkt,  durch  die  betreffende  Abbildung  sehr  gut  erläuterte  ■  Übergang 
der  Blimenblitter  in  Stanlwi^te  Tor  d»  EtUirnng  stehen:  „Di»  sie  (die 
Blute)  bildenden  On^'ntie  sind  den  Laubblättem  liätitig  sehr  nnähnliclu  troTzdeni 
sind  alle  von  blattartiger  Natur."  Sit  ist  es  nicht  methodisch,  die  Blutenstände 
ohne  Beciebung  anf  bestimmte  charakteristische  Beispiele  einfach  aufzusiMen: 
welches  Atisc-ehen  vom  conerfteii  Fall  wir  ilherhnnpt  in  der  tle>tiiltlehre  ver- 
missen, wogegen  uiLs  die  AutKählnng  /aiilrtiiciktr  Bei»piele  ala  überflüssig  er- 
scheint. Denn  —  entweder  kennt  der  Schüler  (wie  ja  das  Buch  voranesetst^ 
die  betreffenden  Pflanzen,  dann  hraneht  man  sie  nicht  aufinizählen  —  er  nni^* 
das  passende  Beispiel  selbst  finden  —  oder  er  keuut  sie  uicht.  daim 
nützt  ihre  Aufzählung  nichts  oder  seliadet  iitdun  h,  dass  sie  einen  nicht  genug 
methodisch  gebildeten  Lehrer  sur  Überlastung  der  Schüler  mit  Gedächtoi'carbeit 
verleitet.  Zum  Schlüsse  sei  die  Anführung  einiger  Stellen  gestattet,  die 
eignet  .scheinen,  die  Begriffe  des  Schüler>  zu  verwirren  wler  ihm  unri<  hiiee 
Voistellangen  beizubringen.  So  sind  die  Wuizelgebilde  kurzweg  als  „unter- 
irdisch** bOM^chnet,  spftter  aber  gleichwol  die  nieht  vnteiirdisclieit  Lnft-,  SKog- 


—   3  — 


und  Klammerwurzeln  angeftUirt.  Vom  oberirdischen  Stengel  heißt  es:  „Die 
Form  (?)  dessplln'ii  wird  bestimmt  durch  die  (fu^t.ilf  >ein>  >  Quersehuittes."  — 
„Er  ist  langjfea treckt,  liaien-  oder  walzentorraig  uud  verzweigt.  '  (Wo  bleiben 
d»  die  flächen-  uud  kugelförmigen  Stengel  der  Cacteen.  die  Qbrigen!^  aucli 
unter  den  li-  s  nidereu  St«ngelfonuen  nicht  angefdhrt  sind ?)  Warum  sind  parallel- 
uu'l  lifciieruervij^e  Blätter  zu  einander  in  Gegensatz  gebracht,  die  handuervigen 
dabei  nicht  erwähnt  — liegt  es  nicht  näher,  zunächst  parallel-  und  nctznerrige 
Blätter  2a  untecsoheideni'  Ließen  sich  die  gelappten  und  die  getheilten  Blätter 
nicht  besser  ztiBammen  besprechen,  statt  letstere  den  besonderen  Blattfomien 
zuzuzälilL'ii?  In  der  Anatomie  finden  wir  die,  in  anderen  Lehrbüchern  der 
Botanik  l&agit  iia^seRebene  Definition  der  ZeÜQ  als  Bl&schen,  welcher  Auadrnck 
dem  Begrim  der  Zene  als  eine«  mit  PHlseigkeit  erflUltett  HoUnrames  wider« 
spricht:  iiberdit's  wird  bei  dtr  ^.♦^^^J)re(•llnng  der  Z«-'!lli;iiit  die  Möglichkeit  des 
gänzlichen  Fehlens  der  letzteren  hervurguhoben.  Bei  Besprechung  der  Inter- 
odliünnttnme  ist  es  nicht  klar  genug  gemacht,  dass  dieeelboi  durch  Spaltung 
der  gcmi'insamen  Wnmi  und  niclif  dnrch  uilvoUstiildjgea  Zosunneiltretea 
polyedriscber  oder  runder  2i«Uen  enunteheu. 

Zur  Verrollständignug  unseres  Berichtes  nei  noch  erwähnt,  dass  die  den 
Text  erläuternden  AbbiM Ulliren  zumeist  vollkommen  ihrem  Zw^  rko  ent-^itrecUen; 
sie  sind  sehr  sauber  uud  deutlich,  doch  scheint  uns  in  einij^tu  Fullen  der 
künstlerische  Effect  auf  Kosten  der  Naturwahrheit  erreicht  worden  zu  sein 
(Vixl.  Ti^.  7b,  80,  87,  3l7i.  Dem  Buche  .sind  4  analytische  Übersichtstabellen 
der  i'huuerogamen  beigegeben,  welche  —  besonders  durch  ihre  Xebeneinander- 
stellung  der  BlUtendiagramme  —  manchem  Lehrer  willkommen  sein  dürften: 
didactiachen  Wert  kann  ihnen  Bet'arent  nicht  merkennen.  Um  nnn  ein  zu- 
sammenfassendM  ITrtbeil  Uber  Behrens  Botanik  ausznspret^en,  mnss  betont 
werden,  dass  d>'r  \>rta.sser  mit  ernstem  Wullen,  mit  Fleiß  und  Sachkenntnis 
an  seine  Aufgabe  gegangen  ist  und  alle  zu  Gebote  stehenden  literarischen 
HUftmittel  gewissenliaft  benutzt  hat.  Wenn  er  seine  Angabe  unserer  Ansieht 
nach  noch  niclir  in  VidlknnimPii  bf^^  ir  li -fMidcr  Weise  i,'(  Iöst  Ii.if .  erscheint 
uns.  wie  schon  erwähnt,  .sein  bchwankeii  in  Bezug  aui  das  durch  seine  Arbeit 
anamstrebende  Ziel  als  Ursache  davon.  Da  jedoch  die  von  uus  ausge«pTochenen 
Wünsche  bei  Bearbeituui?^  einer  neuen  Auflage  nnscliwer  berfn  k-;irhtitrt  u  erden 
können^  «u  zweifeln  wir  nicht,  da*«  das  Buch  in  der  Folge  eine  emphudliche 
Lücke  unserer  Schnlbttcherliteratnr  auszufüllen  geeignet  sein  wird.  Aoer  auch 
in  seiner  gegenwärtigen  Gestalt  sei  es  der  aufmerksamen  Beachtung  von  weiten 
der  Lehrervveit  empfohlen.  K.  F. 

Dr.  F.  TranmUUer  und  Dr.  B.  Krieger,  Lehrer  der  Natnrwiaseiisehalten 
am  Nikolaigynmasiuin  zu  Leipzig.  Gruudriss  der  Botanik  fUr  hOhere 
Lolirnnstaltoii.  insbesondere  für  Gymnasien.  Mit  92  Abbiidnogen  in 
Holzschnitt  Leipzig,  F.  A.  Ürockhaus,  1882.  —  77  S. 

Das  Torliei?end«  Werkchen  will  ein  Repetitionsbueh  für  den  Schüler  kein 
Leitfaden  beim  Unterricht  sein,  desliall)  wnnlen  nidit  die  Beschriibnn^'en 
einzelner  Filauzeu,  sondern  nur  die  a%emeinen  Tbat^achen  darin  auf- 
genommen, die  durch  Indvetion  aus  der  Betrachtung  des  einsehien  ge- 
wonn«'!!  sind.  .Hag  man  auch,  wii-  der  Referent,  in  der  fVage.'  <>h  I>eiffaibn. 
ub  Kepetitiousbuch,  einer  anderen  Ansicht  sein  als  die  V'erfas.'^er  dieses 
Buches,  so  ranss  man  bei  Beurtheilum;  desselben  doch  jenen  Gesiebts- 
punkt  einnehineji.  von  welchem  die  Verfa-ser  s.  11,>r  ausgingen.  Da  mus.«  mnn 
denn  zuge-stehe«.  da.ss  sie  die  Aufgabe  in  lietriedigender  Weise  gelöst  haben. 
Das  Büchlein  gibt  in  engem  Kähmen  eine  TolbtBndige  Übersicht  übor  das 
Gesammtgebiet  der  Pflanzenkunde;  l-mfang  und  Auswahl  des  Stoffes  ent- 
sprechen der  Luttirrichtsstufe,  für  welche  das  Buch  l>estimmt  ist.  Der  erste 
,\bschnitt  bespricht  zunächst  die  äußere  Gestalt  der  Pflanze  f Wurzel. 
Stamm,  Blatt,  Haar),  uud  der  Besprechung  derBiatentheile  ist.  die  der  Schutz- 
Torrichtungen  zur  Vermeidung  der  SdMtbefruehtnng.  die  (fbertragung  des 
Blütenstaubes  dun  Ii  Wim!.  iii-.<  .  teu.  Vögel  angereiht  —  ein  Klement  der 
Biologie,  dessen  Aufnahme  wir  mit  Rücksicht  auf  das  eingehaltene  Ma6  höchst 
lobend  anerkennen  müssen.    Die  Lehre  rom  inneren  Bau  der  Pflanse 


^   4  — 


b»'hainl*U  <li'  Z'l!-',  (tt  iaßf  ninl  i v,- h,- von  'l-ii  Lebeusers«  h '--iinin^en 
der  l'flanze  werdeu  uuti  ijniaiiruii;^  oud  Waclisthum.  die  Athmong,  die  Be- 
we^n)>:  «1er  SSfte  und  der  Laft  in  d«r  PUtnee,  die.  Bewegungen  der  Pflaitte 
vorgeführt.  l>»r  /wrire  Abjichnirt  hnns^t  eine  Übersicht  des  Linn^^hen 
tJexaabysten«,  hierauf  die  nach  einem  natürlichen  Systeme  gruppirten  phauero- 
flnunen  und  In7)>toganien  PfbuuM»  nnd  swar  mit  den  getreuntUSttrigen  Dieo- 
tvl<  <l"ii'  n  beginnend.  An  dif^p  «chließen  .sicli  die  v->rwn(>h*rnblättric«'n,  die 
üouocotyledonen ,  die  .Nackt^aiiiigeu .  Qef&fikryptogamen.  iloose  und  L;u:er- 
plüuisen.  Zum  Schlüsse  !»ei  auf  einzelne«  aumerlnun  gemacht,  dessen  An<l'  - 
rung  uii^i  ri  r  Ansicht  nach  wünschenswert  wSre.  So  scheint  es  uns  das 
Studium  <ler  Blattfonnen  z«  erleichtem,  wenn  mau  div  größeren  Einschnitte 
(bei  gelapptm,  getheilten,  zerschnittenen  BUtteni)  in  Beziehung  setzt  znr 
Xer\atur:  hei  ,.SpaitöfFnungen"  erscheint  es  wünschenswert,  die  Function  der 
Schlietzelltu  etwas  eingehender  zu  besprechen.  Die  Entstehung  der  Jahres- 
ringe beruht  eigentlich  nicht  auf  der  Unterbrechung  der  Zelhieubildung  während 
des  Winters,  -  'ndeni  an^  der  Verschiedenheit  des  Uerhiiüiolaes  («ns  kleineren, 
dickwandig:« )  ( II  und  des  Frtthjahnholzes  (aus  grüfleren.  dtlnn^randigerra  Zellen 
bestehend I.  Bei  der  ..Säft. Leweirtmir"  vcniU"«!  n  w  iv  '}>■<]>■  Angabe  ub»'r  ihre 
Ursachen.  —  Noch  st* i  der  dem  Texte  beigegebeueu,  sehr  deutliclusn  und  inj>truo- 
tiTen  Abbildungen  lobend  gedacht*  K.  P. 

Atlas  der  Osterreleh-unearisehen  Monarchie  für  Xittelschnl» 

und  verwandt«'  L<»hranHtalten.  Von  Trampler.  Axug,  in  älBlitten. 

Wien  18d2,  Mof-  and  Staatsdruckeiei.    br.  1  fl.  50  kr. 

An  den  österreichischen  Slittelwhnlen  wird  dem  rnterrichte  in  der  "Vater^ 
landskunde  zweimal,  in  der  IV.  und  in  der  VII..  beziehungsweise  VIII.  (  la^st-, 
je  ein  halbes  Jabr  gewidmet.  Diesem  intensiveren  Studium  der  pbysikaliscben  und 
topographiseben  Vo'blltnisse  des  Kaiserstaates  will  der  Torfiegende  Atlas  dienen. 
In  methofli>-i  lit  r  Hinsicht  venlit-nf  er  vieifarh  Lol>.  Th  v  V«  ifa>ser  trt-mit  <!ie 
<Tebirgs-  und  Flutakarten^  von  den  topo^phischen  und  stellt  sie  eiiumder 
gegenüber,  brinift  fevner  eine  Am^ahl  statistischer  Karten  (Spracbenverthdlnng, 
nfMli^K'-tiUnr.  Pf  völkeriinusdifliti».  P'i^enbahnen),  durch  deren  EinfÜgnng  in  eixtn 
Specialiitlas  Üsterieit  hs  ei  einem  langst  und  vielfach  zU  Tage  srerteti-aen  Be- 
dürfnis entgegenkommt.  Er  wählt  für  die  Terraindarstellung  dr.  i  Farbentöne 
(für  H'di'  ii  bis  15<J  ni.  bis  200  ni  und  von  mehr  als  2(J0  m)  und  i-<r  aiii  h  ini 
(ienenilisireu.  sowi<>  in  der  Auswahl  der  Orte  glücklich.  Doch  stößt  luuu  hie  uaJ 
da  auf  Dinge,  die  eine  zweite  Autlace  wird  verl>essern  mO."?.seu.  So  ist  die  Gebirg;*- 
darstellung  auf  Karte  I  nicht  fehleifrei.  Die  Tatra  z.  B.  entspricht  nicht  dem  rich- 
tigen Höhen  Verhältnis,  wenn  man  sie  mit  der  Zeichnung  der  Alpen  auf  demselben 
Blatte  vergleicht.  Auf  der  sou.st  musterhaft  ausgeführten  Eisenbahnkarte 
vermisst  man  die  Fortsetzung  der  Eisenbahn  Czemowit^Jassy  Ober  die  Beichs- 
grenze.  Der  Dmckfebler  Kfiunstadt  (Siebenbürgen)  ist  n  beseitigen.  Auf  der 
Bed«  iKJultiirkarte  fehlen  einitr--  •  'rtc  die  -.i<  Ii  durch  Bergbau  und  bodeusti'indii:e 
Industrie  auszeichnen.  Während  auf  cinigeu  Kronlandskarten  die  Bezeicimong 
der  Sehlachtorte  angegeben,  fehlt  dieselbe  auf  Karten  (z.  B  Böhmen),  wo  diese 
Bezeiclinung  von  hervorraii'  ndi  iu  Werte  i-t.  Pie  r»  <  hübsch  ausgetilhrte 
Sprachenkarte  leidtit  nur  au  dem  einen  Fehler,  dass  sie,  bei  Licht  gebraucht, 
dÜe  F^rbennnterschiede  nicht  scharf  genüge  hervortreten  iSsst.  Die  Wahl  der 
Färbt  Tir;-!!*'  ist  überhaupt  nicht  gelnugen.  Der  braune  Tnn  der  nt  birge,  dir 
grelkotiieii  dicken  Kronlaudsgreuzen,  die  häutig  durchschlagt  n  und  daii>-lv  n 
wieder  aut  rinii^^eu  Karten  (cB.  Tlnds)  hsi  Licht  kaum  vom  Wi  /u  nntti- 
scheidt  iiile  F'liu  he  in  "Ii  rirung  gefallen  nicht.  Dazu  kommt,  dass  die  Töne  auf 
den  ein^lneu  BluUeni  ungleich  sind.  Auf  dem  Blatte  ..Niederösterreich"  sijid 
die  letzteren  schwarze,  auf  den  anderen  Karten  blaue  Linien.  Da  Bosnien  und 
die  Herzegowina  ein  eigenes  Blatt  erhalten  haben  und  auch  auf  anderen  Karten 
des  Atlasses  zur  Monarchie  gerechnet  werden,  so  ist  das  Fehlen  der  Grenz- 
linien der  genannten  Lftnder  auf  der  ^politischen  Übeniehtskarte"  wol  andi  «in 
Versehen.  r. 


VsnaMmrlliaktr  BsdiclaiiT:  IL  Stein.         BacMmkini  Julias  Kliaklardtt  Uittäf, 


i^iyuu-cd  by  Google 


Februar. 


1883. 


Beilage  zum  Paedagogiiim,  V,  5. 


^  „Cornelia^*,  ZeitscUnit  für  bftnsliche  Erziehimir*  Herftmg^eg:.  vcm  Dr.  Carl 
Pilas.  Leipzig,  Kempe. 

Dit'.'^e  pflflairncri'^clie  Familien-Zoitpclirifr.  -.V'  ^  lif  ilirm  r?8.  n.ii;.!  voll-  nilot  har, 
ist  t'inc  Hau.slr«  imdiii,  welche  in  jedt-in  mit  K-iiHlmi  ifesefjjructen  Kn  i-f  wiil- 
konimeu  geheißen  wird.  Bringt  sie  doch  alles,  \v;n  Eltern  und  Erzi«'}ieru  za 
Rath  und  Beistand  dien»n  kann.  Hi  i  Kimli  tkrankhdten  ist  sie  '  iiii'  lltjferiu, 
die  Mittel  und  Wt-ye  zeiijt.  ehe  dtr  Aiv.i  kuiumt;  l>ei  der  körpeiliclieu  Pfle^re 
steht  sie  den  Eltern  zur  Seite  mit  vortrefflichen  Artikeln  au«  der  Feder  be- 
währter Ärzte,  und  hinsichtlich  der  CharakterausbUdtinj^  bei  der  Ju^^end  lägst 
sie  es  an  eingehenden  Belehrnngtin  nicht  fehlen.  Das  bi-wcist  klar  d»T  Inhalt 
des  letzten  Bande»,  welcher  u.  a.  Aufsätze  und  Artikel  über  das  .Scharlach- 
fieber,  Ober  das  Velocipedfahreu,  Uber  Feriencolouien,  Aber  die  Lang- 
weile  der  Kinder,  fiber  den  Oeborsam,  Olterdss  „Wamm?"  der  Kinder,  Uber 
die  Spiolsach •  II,  üb»r  das  Strafen  der  Kiml-r  vi  r  fniiiddi  L<  iiren,  über 
das  £.iud  im  frühem  und  gegenwärtigen  Jßtchtülebeu  etc.  bietet. 
Daneben  trftf^  die  „Cornelia*'  aueh  der  Untettaltunf;-  Beehnung  mit  kunsen 
Novellen,  wir  z.  ß.  Hans«  S'tnlieiii/n.liiwhen,  Waldwärterhaus"'  ''tc.  sowie 
durch  heitere:  und  ernste  Berichte  ans  den  Familien  und  durch  Biographien 
(Victoria,  Kronprinzessin  <les  deutsehen  Reiches).  Die  Bücher-  und  Spielwaren« 
<  hau,  welche  sie  im  Ft  iiill- tnii  ^iVit.  ist  wol  jedem  Han^^o  äußerst  willkommen. 
\\  if  sie  ein  Band  um  Schule  und  iiaus  zu  schlingen  sucht,  zeigt  deutlich  der 
Artikel:  Wünsche  der  Schule  an  da.s  Elternhaus  von  Schulrath  Dr.  Hempel. 
Und  so  iiii.i^L'  flicsf»  Hnnsfreuudin,  wie  sie  es  schon  in  Tausenden  von  Familien 
gethan  hat,  auch  tenier  zum  wahren  Segen  der  3Ieu3chheit  wirken  und  schaffen! 


Ble  Tropen  und  Figuren.  Von  Dr.  F.  GroA.  gr.  8.  282  Seiten.  EOls, 
Btfnke    Cie.  Preis  3^  H. 


Groß  setzt  sirh  liiiheic  Ziele,  als  di.'  herkömmlichen  ..Lehren  von  den  Tr'>]M')i 
und  Figuren",  die  neben  ein  paar  Beitipielen  nur  noch  eine  aus  den  alten  lihe- 
torea  entldmte,  fttr  den  Schulgebnneh  umgemodelte  Definition  geben.  Das« 
solche  Leitfäden  für  den  Unterricht  eigentlich  ;.'aii/  übt  rtlüssig,  ja  schädlich 
sind,  ist  sattsam  bekannt.  Aber  auch  der  Lehrer  vermag  sich  aus  ihnen  nicht 
Kath  zu  holen.  Anders  ist  es  mit  dem  Buche  von  Groß,  das  den  kün.stlerischen 
Zweck  uinl  die  Bedeutung  je<les  einzelnen  bildlichen  Ausdrucks  für  den 
Stil  nachzuweiöcn  sucht  und  eine  Geschichte  dejj  Auftretens  jeder  einzelnen 
Trope  und  Figur,  ja  das  Vorkommen  bei  den  bedeutendsten  Classikeru  der  Alten 
und  Ilentschen  mittheilt  und  auf  diese  Wei.se  ganz  üben  aschende  Einblicke  in 
den  iliuhterischen  (ieist  erschließt.  Diese  geschichtliche  und  psychologische  Be- 
trachtung springt  im  Vergleiche  mit  andern  wisscnx  liaitlichen  Behandlungen 
der  Tropenlehre  (z.  B.  von  Wackemagei,  von  Werner  Hahn)  besonders  bei  der 
Darstellung  der  Metapher  (S.  65—118)  in  die  Augen. 

Ein  anderer  Vorzug  des  Werkes  von  GroB  iit  die  nach  allen  in  Betmcbt 

k..iiiiiien'l-'n  (;••>!(  ht-]iuiikfeu  geordnete  reiche  Beispiel.sammlnng.  In  uns»  r<  r 
Sprache  sind  Tropen  und  Figuren  so  zahlreich  geworden,  dass  wir  ihren  Wert^ 
ja  ibr  Dasein  IHst  nicht  mdir  erkennen  und  bemerken.  Beides  wird  nur  in  der 
tVeiiKleii  Siiriirlie  -^i  harf  erkannt,  r.'rnl'i  hat  nntürlicli  aiidi  noch  andere  Gründe, 
neben  Musterl)eisitielen  aus  unseni  deut-sohen  Cla-^^sikern  solche  ans  lateinischen 
und  griechischen  Schulantoren  heranzuziehen..  Alle  Tropen-  und  Figurenbei- 
spiele ans  dem  GriechiMhen  sind  augleich  in  Übenetsnngen  wiederholt.  £nd- 


X. 


Digitized  by  Google 


lieh  —  und  ilaa  wt  ein  wesentlicher  Vorzug  —  ist  der  theoretische  Theil  dieses 
Abschnittes  der  alten  Bhetorik  moht  in  dogmatischer,  sondern  in  kritischer 
Form  dargelegt:  es  sind  alle Oeäeht'qitinkte  festgestellt,  tmter  denen  sich  die 
Tropen  und  Fii^un'ii  betrachten  la--eii.  ilie  Vor-  nnd  Xarhtheiie,  die  mit 
der  einen  and  andern  ZiUMunnenatelluug  Terbonilea  und,  »u^edeckt  and  ge- 
»lägt,  da»  eine  gansse  Reihe  dieser  kllnstleiisckeBDantdliingiDiittiel  gleiehwiB 
ein  neutrales  Gebiet  innc  haben,  M  daai  aie  Im  coocreteit  FnUe  Md  dmeTt  bidd 
jener  Gruppe  sich  anreihen. 

Wm  uns  an  dem  Boche  von  Groß  fale  nnd  da  verbesseninfsflUii)^  enwhebt, 
iftt  tlip  Stilisirung.  Groß  dr&ngt  oft  zu  viel  in  einem  Satze  sensammen.  die  I>e- 
finition  (siebe  &  S.  134  Z.  3  v.  o.)  erhält  dann  eine  Form,  in  der  sie  sicli 
mat  scikwer  dem  Gediehtnis  einpilgt,  noeli  sehwerer  darin  haften  Ueibt. 

Grammatik  der  eiisUsehen  Sprache  mit  rieten  Belegstellen  nnd 
Übungsstfieken  Ulr  die  oberen  Classen  höherer  Lehranstal  ton. 
Von  Dr.  J.  W.  Zimmermann.  Elfte,  nach  fl(»r  neuen  Rechtschreibung 
gedruckte  Auflage.   279       Halle  a  S.  18S2,  U.  ScUwetschke. 

Smmermann'd  Grammatik  der  englischen  Sprache  ist  in  Fachkreisen  schon 
längst  al-.  ein  auf  erfindlicher  S.ichkcnnfnis  rulitnides.  daher  in  ui«5?ens(  liaft- 
licher  Iliu^^iiht  zuverluäsiges.  ferner  ah  mit  grüner  Sorgfalt,  durchgängig  Idar 
und  leicht  verständlich  abgefasstes,  formell  tadelloses,  endlidi  ab  ein 
methodisch  wol  ;j:e»inhictr->,  überall  mit  musterfriltiq-en  Beleihen  versebene«, 
allen  didaktischen  Furdeiimgeu  entsprechendes  Buch  anerkannt.  Wir  köuneu 
dieses  zutreffende  Urtheil  nur  bestätigen,  und  es  erübrigt  nns  lediglich,  auf 
die  angezeigte  Grammatik  auch  jene  ICreise  aufinerkMun  zu  machen .  in  denen 
ne  bisher  noch  nicht  bekannt  war,  wo  aber  das  Bed&rfttis  einer  gediegenen 
Gmamatik  der  en^jachen  Sjuache  gefBhlt  wird.  9, 

Oallerie  historischer  Porti-äts  mit  biographiscliem  Texte  v.  Dr.  F.  Krone  & 
Nach  .  gleichzeitigen  Stichen  oder  OenriUdm  mitldst  PhotograTnre 
reproducirt  nnd  herausgegeben  T<m  der  k.  k.  Hof-  nnd  Staatadmckerei  in 
Wien.   1.  Heft.   Preis  2  fl. 

Welche  Bedeutung  das  Porträt  für  den  Ges<  hii  litsunterricht  hat.  L1>-t 
sich  nicht  so  leichthin  bestimmen.  Nur  ein  an  zahlreichen  fetiiheu  8*iter 
Heister  geschulter  Blick  und  Verstftndnis  fllr  die  eij^enartige  Darstelloag 
p?:yolii.s<:lier  Ziist.'inde  enuüirlichen  es.  ein  Portriit  inicli  .•.einen  charakteristischen 
Zugeu  zu  t;rl'a.s,st;u  und  uuji  «lein  Purträt  das  zum  Ausdruck  gebrachte  geistige 
Wesen  des  Porträtirteu  zu  eut/iftern.  Das  Porträt  beschfiftiirt  ferner,  weil  aa 
zu  wenig  Neues  und  Ungewohntes  bietet,  die  jugendliche  Phanta-nie  nicht 
j^euug  lebhaft  und  wirkt  dämm  auch  keine.4wegs  in  der  Weise  anregend  auf 
das  geschichtli'lie  Studium  der  Jutr^nd  wie  eine  bildliche  Darstellung  einer 
geschichtlichen  Handlung.  Daher  mag  es  rtthren.,  daaa  sich  bisbär  noch 
kone  PortitttgaUerie  in  ewr  Schale  hat  einbiivgeni  kOnnen.  Aaderwito  wird 
man  freilich  zugestehen  nTn.s.ieu.  da.ss  gewisse  markante  Ge.-<talt€n  der  Ge>-<  hii  hte 
nach  ihrer  geistigen  Ekreuart  erst  recht  verstanden  werden,  wenn  man  ihr 
Portrit  gesehen  hat  ftm  denke  an  die  Statne  des  Avgtnstna,  dee  Claar,  an 
dn"?  so  riiarakteristische  Bild  Ludwigs  XIV.  von  Rigand  etc.  —  Wir  werden 
darum  dem  vorliegenden  Werke,  dan  nur  markante  Typen  nach  authen- 
tischen und  wegen  ihrer  Natnrwahrheit  einst  gefeierten  Stichen  Torftthrt,  am 
dieser  Vorzüge  willen  eine  größere  VerbreitDiu-  und  auch  Eingang  in  die 
höheren  Schulen  vorhersageu  dürfen.  Die  eigeuilmniliehe  Art  der  Reproduction, 
die  Heii  .gravure,  bewirkt,  dass  die  Abdrücke  selbst  bis  aui  das  vergilbte. 
Aussehen  dem  Originalstiche  täuschend  ähnlicli  .sind.  Die  im  ersten  bisher 
erschienenen  Hefte  daigestellten  Persönlichkeiten  sind:  Graf  Mathias  Thon, 
Prinz  Eugen,  Landen,  Kavnits,  Maria  Thaicaia  und  deren  Tochter  Maria 
Christine. 


L.iyui<-cd  by  Googl 


AUifeiut'iue  Woltgesehichte  von  Georg  Weber.  Zweite  Auflage.  Zwei* 
tw  Band  (Lief.  8 — 15).  Leipsig»  Wngfilniftiiii.  Prek  der  IMtenmg  1  IL 

Da  inraiteBand  führt  die  Oesdiicbte  des  grieebiscben  Volkes  bis  auf  Alexan- 
der yi..  zu  <1(Mii  Zeitpunkt  also,  „wo  es  seiner  politiMliBa  Selbstständigkeit 
beraubt  uut«r  dem  Schilde  eines  hellenisch  gebildeten  tind  für  den  Sieg  des 
Hellenisnius  begeisterten  Heldenjttnglings  seine  Sprache,  seine  Weisheit  und 
^PH,*'  L"  i-fiL'<^ii  innl  kfliistleri.s<h>'n  Enuiigtiischaften  der  veraltettu  Welt  des 
^iorgenlaiiilcs  iiiittlicüte  nnd  den  BodLU  zu  ueaou  Schöpfungen  uiul  Staatea- 
bildnagen  bestellte".  Ein  jagendlich  frischer  Zug  durchweht  die  Darstellung 
dieser  schönen  Zeit.  Weber  bat  da  vollständig  erreicht,  was  er  srlltst  einmal 
(in  seinem  Buche  Uber  Schlosser)  als  Ziel  der  Gencldchtschreibung  liitige^tellt : 
„Die  Gesrhiclitsrliroibunt;  is^t  zugleich  Kunst  und  Wissenschaft;  si»'  muss  das 
wirUicbe  Leben  treu  und  waluhaft  daisteUen,  dasselbe  aber  zugleich  mit 
Kttnstlerhand  und  liebevoller  Tertiefbug  fn  dieieidieHeiiselieiiweltaeliOpferiacb 
neugestalten."  Sein»  Werk  liest  «ii  h  woijf n  der  schwangvollea,  melodiösen 
Sprache  and  der  plastiacben  Gestaltiug  des  Stoffe«  wie  ein  bistorischer  Bomaa. 
So  lebenswahr  treten  die  Gestalten  der  grieelnselien  Qesehiebte,  so  gleMihsam 
selbstorlebt  die  Erpiirnisse  vor  unser  goistit'cs  Aivs'-.  Mit  besonderer  Liebe 
liält  er  uns  bei  markanfeti  Gestalten  fest,  bei  Perikli  s  oder  Kpaminondas,  „dem 
begabtesten  Feldberm.  dem  edelsten  Bürger,  dem  reinsten  Charakter  der  hei» 
lenlscben  Welt",  bei  Soiihoklrs  nnd  Plato.  Seine  Geschichte  ist  nidit  Mos 
eine  Darstellnug  der  politii»cben  Entwicktlung  Athens,  Spartas  und  Thebens, 
sondern  ebensosehr  auch  eine  Gesddelite  der  griechiBchen  Kunst  und  Wissen- 
schaft. Und  dabei  vereinitjt  dieser  zweite  Band  alle  Vurziiue,  die  wir  (IVda- 
goginm  V.  1)  bei  Besprechuug  des  ersieii  Theiles  hervurgehobtsn:  eiuc  kauut  in 
einer  andern  Weltgeschichte  erreichte  Vollständigkeit  des  Stoffes,  kritische 
Sicbtoug  des  Materials  and  der  Ansichten  alter  nnd  moderner  Historiker, 
kOnstlerische  nnd  übertricbtlicbe  Gruppirung  der  That^chen  und  endlich  sorg- 
fältige Verwertuu!^  aller  neueren  Forschunireu  finwie  der  Resultate  der  jüng- 
üten  Aosgrabungeu.  So  ist  auch  dieser  zweite  Band  so  recht  danach,  als  ein 
eehter  Hansfrennd  m  gelten  nnd  gdiebt  zn  werden.  W. 

Das  WiSfiCU  der  Ocgeiiwart.  Deutsche  üniversal-BibUotiiek  liir  Gebildete. 
IL  Band.  Allgemeine  Witternngsknnde  nach  dem  gegenwärtigen 
Standpunkte  der  meterologlBdiai  Wissenschaft  bearbeitet  von  Dr.  Hermann 
Klein.   Leipcig  1882,  Verlag  von  6.  Freitag. 

Das  Bestreben,  die  WiRsensclinfr  ,  u  popularisiren.  ist  zwar  nicht  immer  ein 
lobenswertes  zu  nennen,  doch  drängt  der  Fortschritt  der  Zeit,  auch  jenen  Zeit- 
genoesen,  weldw  mdit  in  der  Lage  waren,  sieh  eine  wissentchaftUeke  BUdvi^ 

anzneigrien,  nnd  dennoch  in  ihrem  Wi^isen  krinr  ^vpsentlicbe  LUcke  fühlen  v-  ! 
len,  die  hauptsächlichsten  Wahrheiten  der  Wis^eui^chaft  mundgerecht  zu  macheu. 
Diesem  Bestreben  verdanken  mancherlei  „Bibliotheken"  ihr  Entstehen.  Auch 
da"?  uns  Vfirliecrende  Ri'ielilein  \  '2i)()  .s',  .  i^i-hilrt  einer  solchen  ..Yolks-Bibliothek" 
an.  und  wir  mü^-seu  gtstekeu,  das.s  wcim  diu  Kortset^nng  8n  gut  ist  wie  der 
Beginn,  das  Unternehmen  seinen  Weg  machen  wird.  —  Der  Verfasser  bespricht 
zuerst  die  Lnfthtille,  scidann  die  Temparaturverbäituisse  der  Luft,  der  Erde  und 
des  Meeres,  den  Luftdruck,  die  Winde,  die  Lutll'euchtij^keit  und  Hydrometeore. 
die  elektrischen  Erscheinungen  der  Atmosphäre,  das  Wetter  und  die  Votanac 
bestimmang  desselben.  Gründlich  erläutert  er  die  physikalischen  Vorbedingungen 
der  Erscbemimgen  nnd  ftlbrt  zahlreiche  Bespiele  an.  Holzschnitte  (32^  nnd 
Karten  helfen  ilem  Vcrstiindisse  eindrin;;li<b  nach;  die  Sprache  i.^t  eine  leicht 
verstäudlicbei  die  Aus8tattanc[  des  Büchleins  (Leinwandband  und  deutlicher 
Druck)  bei  emem  mitigen  Preise  (00  Icr.)  ist  lobenswert  n  nennen. 

C'  B.  R. 

Ijehrbneli  der  meebaniselLen  Teelmologle,  mit  beeondnrar  Berttckaieb- 
tignng  der  (^ewlnnvng  nnd  Yerailieitnng  der  verscldedenen  Ketalle  und 


Digitized  by  Google 


H6]2er.  Für  den  Unterricht  an  Gewerbe-,  Handwerker*  und  Fcrtbildsags» 
schulen  nnd  zum  Selbstnnterricbt  heartieitet  tob  Otto  Schmidt,  Architekt 
und  Lehrer  au  der  Banachnle  zu  EckerufTirde.  VI!  und  ld6  S.  Witten- 
berg 1883,  Verlag  von  B.  HemM^  Ladenpreis  2  M. 

Ein  praktischen  Buch  der  angewandten  Naturgeschichte  für  uiechauisoli-T  .  h- 
nisclie  Zwecke,  welches,  zumeist  nach  der  bekannten  Technologie  \<>u  Kar- 
marüch  gearbeitet,  nicht  nnr  iMt  die  im  Titel  luij^efilhrten  Lehranstälten  \  ti 
Nutzen  sein  wird,  sondern  auch  dem  Lehrer  der  Natui^eschichte  an  iiittel-, 
dpeciell  Real!<chnlen  manchen  Wink  ertheil^,  wenn  er  eben  nicht  bei  der  trocke- 
nen Beschreibung  der  Naturobjecte  bleiben,  sondern  auch  Prakti>ches  lehren 
wiJl.  Dfts  Buch  behandelt  die  'Verarbeitong  der  Metalle,  deren  Gewinnung  und 
CSgenscliaften.  die  QieSerei,  dan  Schmieden  nnd  Walzen,  die  ZertbeOnng  nnd 
ZttsammeiitTiirun;;  vipii  Metall-trirlxt-u,  femer  die  Vcr.irbeitnng  des  Holzes,  nach- 
dem Vorarbeiten,  Krankheiten  und  Conserviruug^metboden  angeführt  :!ind,  eine 
Aufzfthlnng  in-  nnd  ansiindischer  HobEarten  nnd  ihrer  Verwendung  folgte  nnd 
die  zur  Verarlit'itunir  noflii^^tn  Iiistninient»?  und  Vorrichtungen  be«;hrient:n  -iu'L 
Abbildungen  würden  freilich  den  i'reis  erhobt,  aber  auch  das  Buch  noch  viel 
braaehbarer  gemacht  hab«i.  C.  B.  R. 

Leitluüeu  der  Clu'iaie,  Miueralogie  und  (ifei»uuiUit-itslehrc  lur 
Bürger-  nnd  Realachnlen,  Seminarien,  hShere  TSehterschnlen  and  verwandte 
Anstalten,  sowie  zum  Selbstunterricht,  unter  vorwieirenil.  r  R'-rücksichtigung 
des  practischen  Lei  IIIS,  methodisch  bearbeitet  \"n  Ailolf  Mang.  Lehrer  tnr 

Naturwipscnschaftfii  an  der  höheren  Mad<'hfn^■(•hul^•  zu  Baden-Baden.  Mit 
84  in  den  Text  gediuckteii  Abbildungen.  Vill  und  '6<)S  S.  Weinlieim 
1883,  Verlag  von  Fr.  AckermaiiB. 

Die  etwaii  «onderbare  Znsammeiwtellung,  Chemie,  llmeralogie  nnd  Oesond- 

heit-.liflii\'  fTklait  uii-^  iler  Verfasser  in  soiiiem  VMrwnrto  ila'lurrli.  (la-s  -.»wol 
zum  Verständnis  der  Mineralogie  ak  der  Iiebensproce^se  dea  mens^chlichen  Kör- 
pers gnns  wesentlich  ehemische  Vorkeantttisee  nothwoidig  eeien.  Die  Chemie 
ist  wol  nur  in  ihren  Haui>tgnmdzügen  behandelt,  verfolgt  jed<x'h  t  ine  üino 
Methode,  indem  sie  von  Versuchen  ausgeheutl  die  chemi>iehen  G^tze  entwickelt- 
Die  ^lineralogie  theilt  sich  in  Oryktognoaie  oder  Mineralogie  im  engeraiKnn« 
imd  in  Geii::nc.>ie  nelist  Geologie.  Der  vorbereitende  Theil  ist  etwa-«  knrz  ire- 
fasst  und  cutlitilt  manches  Unrichtige;  so  ist  der  Pentagondoiiekaedtr  keia 
VoUHichner ;  im  lie\ai^rialen  Systeme  sind  die  Hemie<lnen  trar  nicht  ge- 
trennt; die  T'nn  sj;eiraäßigkeiten  und  ünvoUkommenheiten  der  Kr\  stalle  -ind 
nicht  erwähnt.  Üass  in  der  Systematik  unter  den  Elementen  die  3Ietaüe  mit 
einer  Note  abgethan  werden,  ist  wol  zu  wenig  Berücksichtigung  dieser  wich- 
tigen ^lineralieu  an  dieser  Stelle;  die  organischen  Verbindungen  wären  besser 
in  die  Geognoeie  verwiesen.  Die  Geologie  bietet  da.s  Wichtigste,  was  auf  die- 
ser Unterrichtsstufe  besprochen  werden  kann,  doch  hfitten  wir  <  tuas  iiiehrvon 
den  interessanten  Feuer-  und  Wasserwiikuugen  gewünscht.  —  Der  beste  Tlieii 
des  Büches  ist  die  Gesnndheitslehre,  in  welcher  anSer  einer  ansreichenden  Be- 
sprechung der  anatoniis' hi  n  und  physiuloiriselieii  V.  jli5ltiii<>e  des  ni-  n-' hliiL' u 
Körpers  viele  beher/igungs werte  Winke  t\lr  das  Verhalten  im  gesunden  und 
Icranken  Zustande  angegeben  sind,  welche  insbesondere  Ar  MSdehen  Tidfreh 
belehrr'nd  -ifin  werden.  Dabei  sind  die  Tllnstratiimen  denflirh  nnd  •rloi^httTii 
das  Verständnis  des  (iesagten.  Schon  wt-gen  dieses  Theües  des  Buches  möch- 
ten wir  dasselbe  Lehrern  empfehlen,  weil  sie  darin  viel  Praktisdtos  Ar  die 
Schule  und  das  Leben  finden  werden.  Die  Aasstattong  ist  anerkennenswert. 

f.  B.  R. 


▼•»ntfraiaMltMr  BwlMteiurs  tf.  Sttin.         nochdiuelKmi  Jaliaa  Kliakhkrdt,  Lefpsig. 


Digitized  by  Googl 


MJktz. 


im. 


Beilage  zum  Faedagogium,  V,  6. 


Ble  Rettnngsaaslftlteii  für  slttUcli  Terwalirlost«  Kinder.  Ein  Bei- 
trag zu  den  Erziehungsfrag^en  der  Gejerenwart  von  Dr.  Richard  Rottcr, 

k.  k.  Seminartlirwtor.    80  S.    Wien,  1882.  Karl  Graeser.    1,20  M. 

Eine  »lem  Inhalte  nach  sehr  bedeutsaiiu-,  »Ut  Austiiliruug  nach  vorzügliche 
Selnift,  wt'l(  Iii»  von  dem  gegenwartigen  Stande  der  Pädagogik,  besonder»  von 
deren  praktischer  LeistungsflUiigkeit,  ein  ehrenvolles  Zeugnis  ablegt.  Sie  he* 
handelt  (1a.s  fllr  unsere  Zeit  so  wichtige  Thema  der  Bettungsanstalten, 
tinil  /war  allseitig,  mit  iniindlich«f  Sttcbkentitni«,  nia.6ToUer  Bube,  edler  WXnae 
und  musterhafter  Präcision. 

Nach  ehilsren  Yorerinnerungen  und  Anleitenden  Betrachtungen  erOrtert  sie 
ei>it('ii-  (Ii»'  pädagogis.  lu-.  zweitens  die  administrati ve  Seite  der  Ret- 
tuugsanstalten.  Auagehend  vun  der  .socialen  Nothlage  unserer  Zeit,  von  dem 
wirtmbaftlichen  und  mflraliscb^  Nieden^nge  großer  Geseltecbaftfiebuflen.woraiu 
die  Verwahrlosung  vmv-t  nicht  geringen  Theiles  der  Jugend  fTit^priiigt.  <  li.irak- 
teriairt  der  Verfrt.s.«er  znnJich.Ht  das  Wesen  der  Rettuugüans^tuit«  n,  worauf  er 
die  ftagrliche  Venvahrlosnng  selbst  in  ihren  Ebuiptfonnen  schildert,  um  /u 
zeiecn.  wa«:  Olr  Kiinlt  r  in  die  Rettuner^anntnlten  aiif/nnehnien  seien:  iluiin  winl 
der  in  die.stiu  /n  ertheileude  Unteriicltr.  die  in  iiineu  zu  betreiU.'U<lti  Arbeit 
und  7M  nljende  Gesundheitspflege  uinschrieboi,  swar  ohne  Weit.schweiiig- 
keit,  aber  keine.swegs  in  schwankt-tiden  Phrasen,  sondern  in  bestimmten  und 
treffenden  Sät^^en.  Bis  hierher  diutie  der  Verfasser  kaum  irgend  einem  AVider- 
spruche  begegnen;  Referent  wenigstens  hält  die  Behandlung  der  bezeichneten 
t'apitel  fUr  vollkommen  gelungen.  Nun  folgen  swei  höchst  empfindliche  The- 
mata, die  leider  gerade  In  der  Oesfenwart  Tiel  Streit,  erzeugen  und  auch  die 
Entstehung,  evtiitiiell  den  liest. inil  der  Rettungsanstalten  ersdiueren  kitnuen: 
das  confeaaionellc  und  das  nationale  Moment.  Obwol  nun  Referent  glaubt, 
ilass  der  Herr  Verfasser  dem  ersteren  xn  viel  6ereehtign)ig  xnerkenn^  d.  b. 
mehr  al«  znni  irrdeildiilun  Wirken  dn  IN  tt'ni:,'sanstalten  nöthig  und  znl.l^.^ig 
ist,  und  ubwol  Referent  tUr  dringend  geUa^u  hält,  diese  Institute  von  vorn- 
herein gegen  die  drohende  Evasion  eines  rancttorisehen  od%r  jesnitisdiett  Gei- 
Ktes  zu  stiilttzen:  !<o  muss  doch  auch  hier  dir>  em^fe.  «rcdip^ene  nnd  begonnene 
Haltung  der  ganzen  Erörtening  anerkannt  werdeu.  Weiter  kumuit  noch  zur 
Sprache:  die  Zahl  der  in  eine  Anstalt  aufzunehmenden  Zöglinge,  das  (ie- 
schlccht  dcrselbcti.  die  in  der  Anstalt  wirkenden  Hanjit-  und  Mitevzieher 
und  die  lleranbildwn^  derselben,  endlich  die  Forterziehnnir  nnd  rntersintznng 
der  entla-Hscncn  Zl'ii:\ui'j.>'.  Der  nun  bcginnenile  »weite  Theil  id.is  Administra- 
tive betreffend)  behandelt  die  Art  der  Gründung  und  die  Jlittel  zur  Erhaltung 
der  Rettungsanstaltei!.  ferner  die  Anmeldung  und  Aufnahme  der  Zöglinge 
(auch  deren  etwa  nöthisre  zwangsweise  Unterbringung),  femer  die  Verwen- 
dung des  durch  die  ZOglioge  erworbenen  Verdienstes,  endlieh  die  J«eitnng  der 
Anstalt.  Schliellich  werden  die  Resultat«  der  ganzen  Untersnchung'  in  dem 
KiiTwnrfe  zu  einem  i^tatut  fi'ir  Rettungsanstalti  n  erselinpfend  und  präcis  zu- 
samuiengefasst.  Animugsweise  erscheineu  noch  einige  Nachträge.  Wenn  der 
Verfasser  an  denjenigen  Stellen  seiner  Schrift  wo  es  sidi  um  statistlsebe  Eritu- 
terungen  band' It .  sich  auf  die  <  oni  reten  ^''crhfiltnisse  von  österr.  .*»chlesien 
bezieht,  so  thut  dies  dem  Werte  seiner  Ausführungeu  keinen  Eintrag,  erhöht 
vielmehr  die  Anschaulichkeit  denselben. 

Die  v<irsteheiiden  Anführungen  dürften  frkennen  lassen,  mir  welc  Ii  ali-eitiger 
l.'msicht  in  der  angezeigten  Schrift  eines  iler  gewichtigsten  Socialprubleme  un- 
serer Zeit  behandelt  ist,  und  Referent  kann  nur  wünschen,  dass  dieser  treff- 
lichen Abhandlung  die  wolvenliente  Würdigung  zu  Theil  werden  möge.  Ist 
«ie  doch  einer  Sache  gewidmet,  welche,  wie  der  Verfa-saer  su  schön  .sagt. 


Digitized  by  Google 


-   2  — 


, jeden,  ieMfm  Hen  Ar  den  rieliTestaltigen  MeMchenjanuner  imil  deMcn  tnn- 

ric:^  Folj^rii  iii<1it  uneiu|)fiudli('li  int.  «lurcli  dir  ilir  innewohnende  Bedentnog 

t"ur  Mit-  MuA  Naclivvflt  zu  ernstem  Nnrli(l'iik>'ii  ii'itLiirt ! —  D. 

Loitiadril  für  den  metbodisf h«'n  llutcrricht  iu  d(>r  auor^aiii^t  lien 
Chemie  vou  Dr.  V.  Wilbrand.  Vierte  verUßsserte  Auflage.  Mit  58  in 
den  Text  sr«dnickten  Oi-iginal'Abbildnn^n.  IV  nnd  331  Selten.  Hildestieini 
1882.  Druc  k  nnd  A'erlag  von  August  Lax.   Preis  3,60  M. 

Wir  haben  s('iii('r;^eit  (IVdasrop^um  lY.  .Tahi^,  3.  Heft»  desselben  Verfassers 
„Ziel  und  Metlu»de  de^»  chemischen  Unterrichtes"  eingebend  hespnichen  unddjf 
Vor/Uüre  der  daselbst  aiMgvsprochenen  Ideen  herroigdioben.  Nun  st  heu  wir  das 
nach  diesen  Grundsätzen  ausf^earboitete  Lehrbuch  vor  uns.  Von  bekannten  Tkat- 
Hachen  ausgebend,  deren  L'nt«'rsiichun<,'  auch  dem  Schüler  leicht  ist,  werden  die 
Eigeuscliafteu  der  Stoflfe  und  die  chemischen  Gesetze  in  klarer  Weise  entTÄ-ickelt. 
Gitte  geordnete  Übenicht  dea  «jstematischea  Tbeiles  bringt  idle«,  was  ein 
äehttler,  selbst  höherer  Kite^orie,  notbwendifir  hat.  Der  grnßr«  Vonni^  de»  Bnebe« 
liegt  jedenfalls  darin,  dass  frtr  »  in  -stetes  Exercitiuni  de*  (i<i>t.  >  i:'-"in-rt  i-r 
iudeiu  viele  Aufgaben  da»  äelbstdeukeu  deaSchiÜe»  aoapomea  und  gleickzeitig 
^e  bestftndige  Rettetttion  des  bearbeiteten  Stoffes  bilden.  Die  Hobaelmitte 
sind,  siiwie  die  ganze  Aurtfrtattun:;  di  -  Bin  Ii.  s  si  tu  Lr''liiiiir<  ii.  und  wir  erfüllen 
daher  eine  angenehme  iHicht,  wenn  wir  diesen  LeiUa«ieu  aUen  Facbgeaoadea 
auf  das  wSmste  cupfddett.  C  B.  R. 

Der  geographtflche  ünterrieht  In  der  Yolkssehvie  erlftntert  durch 

Vortrag  nnd  Lectionen  von  Georg  Richter.  Director  in  Freiberg.  Erstes 
Heft    H".   UH  8.   Döbeln  1882,  Schmidt.   Dreis  1.20  M. 

„Die  analysireudeu  Fragen  des  Lehrers  sollen  den  Zügliog  veranlasiM'n. 
auf  Grnnd  des  Toriie^den  Karten  bilde»  die  horisontale  irad  vertieale  Glie- 
derung eines  Krdnuiiii'  ^.  ■>«  ine  Bewässerung  und  seine  topnrrr.ipliischen  Verlmit- 
nisse selhstthätig  zu  ermitteln.  Dureb  .Vnwendung  einer  entwickelnden  Fns*- 
wewe  muss  aber  weiter  der  Lehrer  seine  .Sehfiler  auch  nöthigen,  durch  Schlfiv-» 
das  Klima  e'mo<  Krdraumes.  seine  I*roducti<'ii,  ilif  Stärkt-.  Br>.  liäff  it:iiiia^.  leib- 
liche und  gei^tiirt'  P^igeutbttmlii-hkeit.  Cultm  dti  Hfwuliuer  de-iseiben  etc.  auf 
Grnnd  der  Natui  vi-rbältnisse  des  Landes  —  wie  sie  sich  aus  der  Karte  er- 
geben —  7M  besfiuimen."  Mit  die^t  ii  Woit.  n  Olii^rländers  (P^^r  arfogr.  Unter- 
richt. 2.  Aull.,  iS.  114j  läsHt  sich  diis  l'riucii»,  aui  welchem  Kiclit«rs  Schrift 
beruht,  am  kürzesten  nnd  schärfsten  aussprechen;  der  Schwerpunkt  und  da> 
Verdienst  derselben  liegt  aber  darin,  da.-ss  endlich  auch  einmal  eine  praktische 
Lösung  an  einem  concreten  Beispiele  (Australien,  die  Kreishauptjiiauu.schaft 
Bautzen  tind  Sachsen)  bis  ins  klt  iii.-to  rut.ul  )iinein  gegeben  ist.  Richter^ 
Buch  ist  dämm  nicht  blos  eine  Heimatkunde  von  Sachsen,  sondern  mgleicb 
ein  methodologisoher  Beitrag  nur  Behandlung  der  Geographie  in  der  Tolks- 
x  linle  Uberhaupt.  Der  letztere  Umstand  vi  rli  ilit  dem  Werke  iilltri nit  inr  Be- 
deutung. Wir  sind  an  theoretischen  Auseinandersetsvngea  Uber  Methoden 
nicht  arm:  an  Schriften  aber,  die  den  Gang  augebra,  wie  solche  Methoden  in 
die  I'r.i\is  nm^rf setzt  wenlen,  an  sun/.  besrimmton  Lehi^nizen  n.irbirewie-eu 
und  equubr  in  einer  bestimmten  Ciasse  und  in  Gegenwart  vou  Schuiniaunem 
haben  wir  Mangel 

Richter  hat  sämnitüt li»>  Fnicrii  aiifs-ezeichnet.  die  er  in  meinem  Untenichte 
stellt,  um  <lie  Schüler  zu  veranlassen,  auf  Grund  der  Karte  sich  ein  l>il«l  des 
betreffenden  Etdraumes  selbstthfttig  zu  entwi  rten.  Bei  einer  Beurtheiinng  des 
Buches  werden  wir  dämm  7mr*t  und  ;;umeist  diese  Fragen  berilcksichtigeu 
müssen.  Sowol  die  Fomiulirung  als  der  Gang  derselben  zeigen  den  erfahrenen 
Schulmann.  Nur  in  einigen  Fällen  (z.  B.  S.  30,  Frage  10  v.  o.  S.  31,  Fr  8 
T.  o.;  11  V.  u.;  7  v.  u.  S.  33,  Fr.  10  u.  11  v.  u.)  vermisst  man  die  son-st  so 
scharfe  Präcision  oder  populäre  Fasstmg:  in  einigen  anderen  Fillen  (z.B.  S. 30i 
dürften  sich  die  Fragen  inelir  zur  Repetition  ei^non.  Wünschenswert  ers«;beint 
es,  einzelne  derselben  zn  Gruppen  zusanuueuzustellen  und  statt  am  ächhuse 
des  üa&zen  gleich  nach  Absolnrnng  jeder  einzelnen  Gruppe  das  OefiudeBe  m 


i^iyiii^üd  by  Google 


I 


—    3  — 


einem  Bilde  zumnmen  xu  fräsen.  Aneh  kO'imto  der  Terfuser  die  Dispoiitioiu- 

fomi  anwenden. 

In  einer  Einleitung  hftt  Richter  einen  Vorti-ag  abgedruckt,  der  i<ich  Uber  den 
rationellen  rutcrricliT  in  der  (irngraiihir  ausspricht.  Referent  wUrdf  nuch 
2wei  Seiten  hin  ergänzen.  Das  eine  betrifft  das,  was  fiichter  H.  21  über  das 
Kartenxeiclmen  sat^.  Di«  Zeit  derdnrebgepansten  Karten  darf  idJerdings  nicht 
wicdt'ik'hren;  aber  dtswegen  das  fn  iliiindigre  Enfurrfr-n  von  Skizzen  (Lage 
zweier  oder  dreier  Städte  zu  einander,  die  Streichung  des  Gebirgeü,  dar  Lauf 
eines  FtoMea  rnriegt  in  iefiie**i%eile  eCe.)  ans  YolkMdnile  TwiManen,  i^ht 
nicht  an.  Es  wäre  gcwis«  eine  ebenso  dankfiisw*  rtc  Gabe  als  die  Fragonsanmilumr. 
wenn  der  Verfasser  mit  .neinem  u^eUbten  Büc  ke  anf  Nothwendige  auch  die 
Otgeete,  die  einer  yeranaebanllenung  dnrch  Skizzen  bedürfeii,  in  den  Bereich 
seiner  Besprechung  gezoi^en  hätti«.  fSieln-  ril)>  r  dii  <e  Fritire  die  Berichte  des 
Oeographentages  zu  Halle,  insbesondt  if  «i.  n  Vortrjtg  von  Wagner,  und  vergl. 
wogen  der  praktischen  Durchfdhninu^  <lii  ser  Idee  die  Faust/eichnungen  von 
Kaufmann  und  Maser,  rädagogimn  II.  Beiblatt  (>.)  —  Die  irraphische  .Slethodc 
ließe  sich  femer  auch,  vielleicht  mit  yriißereni  Nutzen  als  das  von  Richter  ein- 
geschlagene Verfahren  (siehe  S.  25)  zur  Veranschanlichung  der  geographischen 
(irößen  in  die  Volksschule  einfuhren  (vgl.  z.  B.  die  ürößenbilder  von  Coorde». 
Pädiigoerinm  V,  Beiblatt  3,  oder  die  Kartenskizzen  von  3Ieinzer.  II.  Heft). 
Hierin  iit  irr  «k-r  ikmicsIl'  Fiiir^rhrit t  in  d'-r  Mi  tliodik  des  geographischen  t'ntor- 
richta,  den  «ich  Eichter  in  den  folgenden  Heften  nicht  sollte  entgehen  lassen. 
—  Aneh  in  den  Literatnrnachweisen  wttrde  Referent  das  Bneh  Richters  er^ 
gänzen.  Lehmann'^  Cliarakterbilder  sind  ji  t/.r  von  Tlr.lzl'schen  tiberholt: 
Uirts  Bildertafeln  isieiie  Pädagogium  IV,  Beiblatt  8)  dUrfeu  in  keiner  Schule 
ignorirt  werden  unri  hätt<en  sieh  beim  Vortrage  ttber  Australien  sehr  gut  heran» 
ziehen  In  rt;.  In  dem  S.  ö  oitirten  Verzeichni-isr  fVhlt  die  Schulgeographie 
von  Kir<  hli'iti,  die  nebenbei  erwähnt  ein  prächtige»  tapitel  Uber  Australien  ent- 
hält; auch  die  zeichnende  Ertlkumle  von  Matzat.  eine  Fundgrube  methodiseher 
Winke,  i.st  nicht  Itpaohfet   Druckfehler:  (.teisterbeck). 

Da»s  aus  dem  Buche  von  Richter  vieles  zu  lernen  ist,  müssen  wir  am  Schlus.>«e 
nunrer  Besinechung  dankend  anerkennen.  Im  Interesse  der  Sache  wünschen 
wir  dem  eigenartigen  Buche  zahlreiche  Leser.  Die  darin  mit  so  viel  Talent 
au.seinandergesetzte  Methmle  wird  dann  sicher  auch  den  BeiMl  derer  finden, 
die  ihr  bisher  nur  theoretischen  Wert  oder  nur  Bedeutung  Ar  den  Unterricht 
an  höheren  Schulen  zugestanden  haben.  W. 

Ferdinand  Hirt  s  s^eoeraphtsehe  Bildirtafeln.    Zweiter  TheiL 
Bi-eslau  lö82,  Hirt.    Preis  steif  broscU.  4,50  M. 

Im  Jahrgang  IV,  Beiblatt  8  haben  wir  auf  den  ersten  TheO  des  genannten 

Werkt'S  anlinerksiuu  trernaclit  und  die  charakteri.sti.schen  Eigenschaften  des- 
selben Howie  seinen  Wert  fUr  deu  geographischen  Unterricht  hervoigehubeu. 
Der  zweite  Theil  hat  denselben  efiibdtlichen  Charakter,  und  wenn  man  im 
AnfTf  behält,  diiss  <lif»  vorgeführten  ,.typi<5rhfn  Land-^rhaften''  in  stark  redu- 
cirteui  Maüstabe  und  ohne  Herunzieliuni?  >]v<  Cnlnrits  darge.stellt  werden  mussteUf 
so  wird  man  auch  dem  zweiten  Theilc  <Iio  Ant  tkeunnng  als  eines  vortrefflichen 
L^hnnittels  nicht  versagen  dürfen.  —  sind  j!8  Tafeln  (Bogen)  mit  172  sau- 
ber ausgeführten  Holzschnitten,  znmeLst  in  der  Griiße  eines  Octavblattes. 
14  Tafeln  enthalten  ty]tisi  he  Landschaften  Europas,  4  Teranschaulichen  die 
Kttstenbildnng,  das  Relief  und  die  Vegetation  Asiens.  3  dieselben  Formen  für 
Afrika,  4  die  für  Amerika,  je  ein  Blatt  die  für  Australien,  Polynesien  und  das 
Nordpolargebiet.  Dass  der  .\n  blick  eines  Vcgetationsbildes  z.B.  eine  klarere, 
der  Wiridichkeit  entsprechendere  Vorstellung  verschafft,  als  das  gesinxichene 
Wort  selbst  des  besten  SeUlderers,  der  seine  Eindrucke  an  Ort  imd  Stelle 
fesammelt  hat,  weifi  jeder  aus  Erfahrung.  Damit  ist  zu;;!('i(-h  die  Nötbigung 
fltar  Jeden  Lehrer  der  Geograptiie  ausgesprochen,  keins  der  vorhandenen  An- 
sehaunngsmittel  sieb  entgehen  zu  lassen.  Hirts  BiMertafl^ln  geben  aber  iuo- 
fern  nnrh  mehr,  als  sie  die  t'osainmoltcn  rundsolif^ftstyiion  aurli  /u  einnuder 
in  Beziehung  setzen,  und  so  die  Typen  durch  Aufdeckung  der  Älmlichkeiten 
'  und  Contraste  leclit  scharf  ab  solche  henrortreten  lassen. 


üiyiiizeü  by  GoOgle 


Wir  wiWsten  kein  lehrreiLheres  Ge-idieTik  als  Wm<  Bildertafeln  fRr  c-'mm 
Scbttler,  der  Interesse  an  Geographie  bat  —  und  vvd>  h>'r  Schüler  iiätie  uichc 
AH  Landscbaften.  die  sein  Fal  nodi  nidit  betreten,  xim  denen  ihm  aber  schon 
M>  viel  Märchenhaftes  nnd  Fremdes  erzählt  wordtti!  Don,  w^i  die  Mittel  es 
nieltt  gestatten,  A&sa  etwa  die  f^Ben  prächtigen  Wandbilder  von  ü<Uzl  für 
die  Sefaule  angekaait  werden,  i^Ilte  wenigatenji  der  Lehrer  im  Berits  der  ge- 
unnntf^n  Tafeln  sein,  um  «ich  Ar  «eine  Schüderungen  die  nothwendige  Unter- 
lage zu  verschaffen.  W. 

IVOrterbnch  der  Verdeutseiiuiigeii  entbehrlicher  Fremdwörter 
von  Dt,  Hermann  Dnnger.  gr.  8*.  1Ö4  8.  Leipzig  1882,  Tenbner. 
Das  Buch  zerflttlt  in  zwei  ITieile:  der  erste  (S.  1— V)  i>t  «in«  kritische  Ge- 
schichte der  Bestrebnngeu,  die  deutsche  Sprache  von  entbehrlichen  fVcmd- 
wörtem  zu  reinigen,  und  eine  Darlegtinir  de«  Begriffes  „Fremdwort  imd  Lehn- 
wort",  worauf  es  hei  <l<r  Fraire  iiaih  der  Verdeutschung,  wie  jedennanii  weiS. 
hauptsächlich  ankoaunt,  will  der  Purist  nicht  die  Schellenkappe  tragen.  Die 
Sammlung  veribhlter  VerdenlwhQngett  nnd  anderseits  die  Bebptele  von  Spnch- 
nuntT'  rei  mis  den  letzten  Jahrhunderten  und  der  Gegenwart  machen  die  Lec- 
tfire  diet^eä  Theües  nicht  blos  lehrreich,  sondern  auch  rmterhaltend.  —  Wich- 
tiger, weil  xnglejch  ins  praktische  Leben  eingreifend,  ist  der  eweite  Thdl,  ein 
Versiifh,  für  das  (entk'hrliche)  Fremdwort  ein  deutsches  Wort  aufzustellen,  wel- 
ches den  durchs  Fremdwort  ausgedrilckten  Begriff  mit  all  seinen  Schattirungen 
wiedergibt.  Das  ist  nun  in  vielen  Fällen  nicht  so  leicht,  oft  ist  e;^  si  hoa 
schwer,  als  Ersatz  für  da'«  Fremdwort  Überhaupt  ein  eiiiziijes  deursi  li.^<  Wort 
asu  finden.  Wenn  l>un^^er  z.  B.  statt  ,4iritiker"  da^Wort  ..Kniistnchter-  <>iier 
jfBenrtheiler"  gebraucht,  so  wird  er  ans  den  augetlihrrea  Gründen  vnA 
kaum  auf  allgemeine  Zustimmung  rechnen  ddrfen.  Natürlich  ixt  aiiderseif« 
wegen  dieser  Umstände  nicht  gesagt,  dass  sein  ehrenwerter  Versuch  etwa  nicht 
Beachtung  und  Nachahmung  verdiente.  An  sehr  vielen  Stellen  bat  Dunger 
daa  Richtige  getroffen,  nnd  es  wäre  Gewinn  genug,  wenn  sich  die  Leser  öit* 
acblBssen,  wenigstens  diese  mni  ToHstSndig  enniehrlielien  Ft«ndw(Srter  xu 
meiden,  ja  wenn  die  Schrift  nxinirers  nV)erhanpt  nur  jeden  üh«  r2eiiufe,  wir- 
lächerlich^  abgeschmackt  and  albern  die  Sucht  ist,  mit  Fremdwörtern  zu  „pronkeu". 

— om— 

Eberhard'»  synonymisches  Handwörterbuch  der  deutschen  Sprache. 
13.  Anfl.  dnrehgSagig  nrogearbeitet,  vermehrt  nnd  verbessert  von  Otto  Lyon 

nnd  F.  Wilbrandt.   kl.  8*.   935  S.   Leipzitr.  arieben.    Preis  11  M. 

An  synoigrmischen  WOrterbttctaem  ist  kein  Mangel.  Was  dem  vorUtt^enden 
eigenthflniUchen  Wert  verieibt,  ist  £e  Unre  nnd  nicht  pbilosophiseh  ans* 

geklUgelte  Entwicklung  dt-r  feinen  Nuancen  in  der  Bedeutuni?  j^lrs  Syno- 
nyms. Man  siebt  es  allen  Artikeln  an.  dass  Jahrzehnte  (die  erste  Aoflage 
encfaien  1803)  an  der  formdien  Seite  gearbeitet  Imben.  dass  jeder  dersdben 

inehnnals  und  von  deii  verschiedensten  Seiten  auch  in  ^prarhlicher  Hin^^icht 
durchgearbeitet  wurden  i^t.  —  Eberhard  gibt  zuerst  die  den  Sjnonjmtn  ge- 
meinsame Bedeutung  au  und  entwickelt  dann  die  VerschiedenlieiteBt  wobei  er 
als  Beleg  für  den  d>  tinirten  Begriffsunterschied  ein  oder  zwei  Beispiel''  aus 
den  Clasaikern  bringe,  ilie  sammt  und  sonders  glücklich  gewählt  sind  und  die 
Bedontnngsnuancen  scharf  darlegen.  Als  Grundlage  einer  noch  nicht  vorhan« 
denen  venrleidundeii  Synonymik  ist  die  von  D.  Äsher  und  Aug.  Boltz  beige- 
gebene Überäsetzung  der  Synonyma  ins  Englische,  Französische,  Italienische 
und  Russische  anzusehen,  die  außerdem  das  Buch  von  Eberhard  Kennern  dieser 
Sprachen  und  Ausländem  doppelt  nützlich  macht.  Ein  sorgfUltiir  irearbeitetes 
Register  in  alphabetischer  Reihenfolge  für  die  Synonyma  aller  iTinf  ?^prachen 
erleichtert  das  rasohe  Auitind>'ii:  ein  (freilich  nicht  überall  wissenschaftlich  ge- 
schriebenes) Vorwort  von  Boltz  sucht  ttber  die  fiedeutongsunterschiede  auäa- 
kMren,  die  Vor-  nnd  Naclisilben  der  Znsammensetsvng  und  Ableitung  verleihen. 

— om— 

VttiatWMCtliohär  BidMlnrt  iL  Bfin.         BiidkdnMkvri  J>Hbi  KtlakhaxAC,  Lt^Hig. 


Dlgitized  by  Google 


literaturblatL 

Beilage  zum  Paedagogium,  V,  7. 

Unsere  Kinder.  Kin  Beitrag  zur  Fordemng  einträchtigen  Wirkens  von 
Schale  and  Elteiiihaus.  Von  Leopold  Schmers.  318  S.  Wien  1882, 
Pichler.    Preis:  4  M. 

Eine  lange  Reib«  anmuthigcr  Au&fttie  pi<Iago^i>ic-ben  Inhalte,  welche  zuerst 
einzeln  in,,e!nem  J^Llnilblatte  erschienen  siml  iiiul  iinu  iiLs  ansehnlicher  Run«! 
Tor  die  Öffentlichkeit  treten.  .,Sie  behandeln  alltAgiicli  vorkuuuuenck-  Fragt  u 
der  Endehnng  diT  Kinderwelt  in  emfacher,  allgemein  verständlicher  Sprache. 
Daduch,  und  dam  «e  im  äadüiehen,  wie  ich  glaube,  stets  de^  Lebens  Wirk- 
UdtlKtt  trafen,  fanden  selb«  bi  xahTr«fehen  Familien  willigen  Einla.«*.  Nicht 
wenig,  so  scheint  es  mir,  tru^r  flic  an  kein  J^ysteni  gehnnilem-  Aufeinanderfolge 
de«  iMbMidelten  titoffea,  wie  nicht  minder  die  dialogische  DarsteUangsweiM  za 
ihrer  Verbreitnng  b^."  Wt  diesen  Worten  l»t  Vertuaer  nur  in  bradi^dener 
Weise  die  Vnr/ii^e  ■meiner  sinnigen  Darstellungen  aus  dem  r-i  lx  n  \nii  Ähnle 
und  Hans  ange<leutet.  Wer  ni(ht  ganz  dem  wirklichen  Sein  und  Gesehehen 
abgestorben  ist.  wer  in  i)ädagogi:<ichen  Schriften  etwas  anderes  sncht  and  nn 
MchSt/>  ii  wei!).  al--  f^in  pMlantis«  hes  \ind  atnrile-s  Ri'i^'fhvrrlc,  ein  «aft-  und  krafl- 
lose.s  Skelett  tili  drii  E.\aiiieuti«.li,  wer  uocli  fühlt,  Ja.ss  uielit  der  tinlttfeh.irene 
Kram  lederner  .S<  hu|flkhHe  und  geistloser  ronipilatoren.  sondern  nur  nvwiirlmige 
nud  ki-inikräftiije  (iedanken  wahres  Leben  inEr/.iehnni:  ujuH'nterricht  bringen, 
der  wird  an  dem  vorliegenden  Buche  eine  wahre  Freude  liaben  und  in  ihm 
einen  reichen  Schatz  l)eraihender  und  stärkender  Betrachtungen  finden.  Zwar 
i»t  nicht  der  u^nn/e  Inhalt  <le.s  Buches  strenge,  nllchtenie  Wissenschaft;  es 
enthält  manchen  (»oetiachen  Zn-sat^.  ist  ein  Stück  „Dichtung  und  Wahrheit". 
Aber  e-s  erfreut  allenthalben  durch  seine  L'rsprllnglichkeit ,  Frische  und  innige 
Beziehung  xar  Wirklichkeit.  Referent  hatte  die  Ah.oicht,  etliche  Abschnitte 
des  Baebes.  r.  B.  ..Der  Kindergarten".  ..Mimikri „Was  soll  mein  Jttnge 
werden?"  hesi-nder-i  liervnr/uht  ben  und  zn  besprechen,  i^t  aber  schließlich 
davon  abgestanden,  weil  er  befürchtete,  hierdurch  anderes  an  verdunkeln. 
Das  gftiit«  Bneb,  wenn  andi,  wie  natflriieh,  einieiaea  Seliwlelieve  mit:  nnter- 
Iftttft,  rädient  gelesen  am  wetden,  in  erater  Linie  vom  den  Lelureni.  D. 

Brosailieil.  Eiinneningen  aus  dem  Leben  einet«  Schalmannes  von 
Friedrib  Polack.  I.Band.  Jogendleben.  421  H,  WittenbeiK  1883, 
üerrose.    Preis:  2  M. 

Ein  vortreffNches  ITnteriialtnngsbttcli  fttr  die  Eriiolongsstunden  der  Lehrer, 
dabei  zugleich  belehrriiil  tmd  ann  ocml  im  hi  sten  Sinne  des  Wortes.  Was  es 
enthlUt,  sagt,  der  obige  Titel  /.m  Onnge;  nnch  ist  es  i^chon  dadurch  bekannt 
und  in  die  «HTentUehkeit  einseflUirt,  da^  die  allermeisten  Absehnirte  desselben 
vom  .Tah)'-  lS7:i  nii  allmählieh  in  der  ...Allgemeinen  denrsrhen  I.tlirerzeif ung" 
'•rscliien»  n  >ind.  Der  :rro6e  Beifall,  den  sie  mit  Recht  faudtu,  gab  eben  Auiass 
/.ü  vorliejreuder  tjesammtausgalx'.  lhi<  Lehrerleben,  welches«  hier  geschildert 
winl,  ist  im  ersten  Bande  bis  /um  Rintiitt  ins  Ann  'j-'  t'iihrt.  Veii^asser  zeigt 
eine  aasgezeichiiete  (iewandtheit  »ud  Aumuth  iui  Kr/aiilen,  weiil  aber  seine 
OeacWehteu  aneh  mir  einer  Fflllc  von  Lebens-  und  Lehrweisheit  zu  würzen. 
Der  außerordentlicli  billige  Preis  dos  Buches  --  der  .stattliche  Band  kostet  nur 
2  Jlark  --  wird  die  n-flnschenswerte  Verbreitnnff  desselben  erleichtem.  H. 

€N)84;bic'htc  der  »ehwcizerlsclieu  Volkm'hule  in  gedrängter  Dut^tel- 
Ittng  mit  Lebenaabrinen  der  bedentendere»  SätnlmaiiDer  etc.  bia  snr 
Gegenwart.  Unter  Mitwirkung  zalUreicher  Mitarbeiter,  herausgegeben  von 
I)r.  0.  Hanxiker.    Ziirich  1882,  Schnltbem.   3  Bünde.   4,  6  n.  Frca. 


Wir  h.i1»eii  unf  diese,-  b»  (lenteude  Wt  rk  tM-reitsuach  dem  Kr-cli-  ineii  der  ersten 
Liefemog  de:>selben  unsere  Leser  animerkaam  geauwbt,  s.  „LiternturbUtt"  Iii,  d. 
Es  lieg:t  Dim  ToOendet  tot  und  reebtfertisrt  dttidwiis^  glliiätigen  Erwutmi^en. 
well  hf  wir  bei  uuserer  ersten  Anzei?*'  an^spmcht  ii.  Die  Aulfti,'e  de«:  W«»rke» 
ist  der  Art,  dasc»  jede  l'eriode  der  bchwcizerischen  ächulgeächiclite  zuerst  üb^r- 
mebtlleh  sldszirt,  dann  dnteh  die  Biographien  der  wieht]i«ren  Schulmänner  und 
andfTpr  nm  das  Srlmlwpgon  verdienter  Personen  ülo-ftrirt  M  ini,  l^ie  Darstellung 
iK'giuuf  mit  dtu  Aatiuigeu  des  M^hweizeriscben  Volkttscbiilwc.teu»,  iat  bi&  uui 
die  (regeuwart  durchgerubrt  und  schließt  mit  einer  allwitigen  KlarleiR:nng  de;« 
jetrif^i  n  Zustandes  des  schweizerischen  VoIksM  Imlwesens  in  seiner  nelgpftn!- 
tigeu  ilauui^ffftltigkeit.  Ein  Personenre^^istcr  ziuu  i^zen  Werke  bildet  «in»- 
willkoiuineue  Zugabe.  Und  su  besitzen  vrir  nunmehr  eine  rolkttändige  und  in 
vielen  Beziehungen  lehrreiche  G^chichte  der  Volksschnle  des  pädagogi^b  m 
wichtigen  Sohweizerlaudes);  Referent  ist  der  Meinung,  dan  dieses  Werk  in  jede 
pidaf^pKhe  Sibliotkek  vtifgmmmn  m  weidm  T«rdi«iit.  P. 

lll^emelne  Chronik  des  YolksfleliiilwcHciis.    in  VerbiDdong  mit 

mehreren  SclmlmÄnnem  herausgegeben  von  L.  "W.  Seyffartb.  Pastor  prim. 
zu  Li*^^riiitz.  1881.  Neue  Folge.  Vierter  Jahrgang.  484  S.  Breslan  1882, 

E.  Morgeiiätüru. 

Enthält  Mittbeilungen  Uber  die  /eitgescbicht liehen  Torgftnge  anf  dem  Gebiete 
der  Volksschule  in  Deutschland  und  den  übriircn  Staaten  Europas,  .lanii  inioh 
Schnkachricbten  aus  Ainka,  Amerika,  Aüieu  uud  Aiutralieu;  düzu  kuiumt  die 
Anseige  uiul  liesprechangder  im  Berichtsjahre  erschienenen  deutschen  Schriftai 
über  das  Volksschulwesen.  Hieraus  ergibt  sich,  dass  der  Inhalt  diesem«  Tahr- 
buches  fiir  jeden  deutschen  Volksschulienrer  von  Interesse  ist;  die  Ausführung 
des  Werkes  zeugt  von  Fleiß  und  Soi|rfidt,  nnd  so  kamt  ea  besonden  flir  Ijefarer- 
bibliothekeii  t-inpf'iM'-!!  w»t«1ph  H. 

Die  gewerblicheil  Foribildune.s.'üehuk'ii  und  verwandten  Anstalten 
in  Dentachland,  Belgien  und  der  Schweiz.  Von  Karl  (jück,  Maschineu- 
Ingenienr,  Omtw- Assistent  a.  d.  k,  k.  teehn.  HodiaekQle,  Lehrsr  fBr 

Maschinfiiizeichnen  and  Maflchinenlehre  etc.    in  AVien.    Dasellmt  1882. 

Aiftred  Hflld.  r.  UH  S.  Text  und  29  Tafeln  Abbildnnjsren.  Pn-i.s:  M. 
Verlasser  hat  im  Jalire  1881  die  im  'litel  genannten  Länder  bereist,  um  die 
dort  flir  praktische  Bildung  bestehenden  ünterriditituistaltai,  Sammlungen  nad 
Museen,  iti.sb^^sondcre  nber  die  gewerblichen  Fortln'ldnnijs.^rhiilon  mit  ilm  n 
lageu,  Einrichtungen  und  Erfolgen  einem  eingebenden  Studium  zu  nnteruelten. 
nad  im  TOillegaiden  Werke  bat  er  die  Resultate  seiner  BeobaditiiBgen  und 
rnfersiH'hnncTpn  iiipdfrirrlect.  Wir  haben  da  eine  Arbeit  vor  uns,  von  der 
iaau  mit  Im  cht  ^ageu  kann,  dass  sie  in  bohcui  Grade  zeitgemäß  und  aus  dem 
Leben  fUr  dan  LeSea  fSSeiuJiHl  »t.  Jeder  Fachnmaa  «ad  ^ed«  dm  gewerb> 
lieben  Fortbildungswesen  zngethane  Coriioration  kann  ans  diesem  verständni;«- 
vollen,  überdies  auch  in  der  Ausstattung  nicht  nur  sehr  schönen,  sondern  h<>cksf 
instrnctivea  Buehe  die  fhiehtbarstia  AaftchlllBie,  Wiake  aad  BathseUlge 
schöpfen.  H. 

(jicschlelite  des  Arbeitsuntcrriehtes  in  Deutsclüand.  Von  Hobert 
Rißmann.    91  S.   Gotha  1882,  Thienemann.    Preis:  1,20  M. 

Die  Mädchenschulen  haben  schon  längst  ihren  Arbeitsuuterricht .  und  die 
neueren  Sthulgeset/«e  haben  denselben  auch  formell  in  den  Lehrplan  aufge- 
nommen. Ob  uud  in  welcher  Form  auch  fdr  die  Knabenschulen  ^inArbeits- 
»interricbt  zu  «rgauisiren  sei,  darnber  sind  zwar  seit  langer  Zeit  Verbau-l- 
inngen  gefuhrt  und  Versuche  gemacUt  worden :  aber  zu  einer  festen  ^'orm  und 
sicmren  Pnuds  ist  man  hier  noeb  nldit  gelangt.  Seit  etlicben  Jidirea  ist  dieoe 
.\n<xf^legenheit  zu  einer  Zeit-  nnd  Streitfrage  geworden,  über  wel<  Iio  iVu  Mei 
uungen  noch  immer  sehr  getheüt  sind.  Da  kommt  denn  die  augeztiigtc  öchrifi 
sehr  gelegen  und  erwftttscht.  Sie  gibt  eine  recht  iastmatiTe  DaisteUaag  der 
biahengen.  im  wesentlichen  von  CSoraenins  ausgebenden  und  bis  auf  die  Oevea' 


Digitized  by  Google 


—  -i  — 

wart  lortlautenden  Bestrebungen  zur  Eintlihruiii;  1'  r  praktix  In  n  Ari^eit  iii 
die  Ei7jehuug^-  und  Untcrriohtsanstalten  und  verdient  ebensowol  ron  den 
Freunden  wie  von  den  G^em  des  scbulmäßigen  Ailidtoinitnnditefl  geleeen  su 
werden,  damit  der  flchwebieiide  Stieit  dne  UnteBM»  geninne  und  ni  sicheren 

Ifpsnltntrn  fnhrr.  H. 

Die  UUckgraUrerkriliumuugiui.    Von  Hans  B5hme.  27  S.  Wien 
1883.  SelbstverlB^  (Wien,  IV.,  KaraUnengiMM  3).  Preis  .SO  kr. 

Dl  7  ^■^^^■a--^r  einer  der  vor/ii?;^lich8ten  und  nnc^sehensteii  Turnlehrer 
VVieui»,  besrhreilit  die  verschiedenen  im  Jugendalter  auftretenden  Ahnonnitjlten 
der  Wirbelsfinlp  und  zeigt,  welche  Haltung  ihnen  gegenüber  die  Erziehung 
flberiüiupt  einnehmeu  mlbtse,  insbesondere  aber  weMu'  turiurisdie  Bclunfniinjr 
jede  einzehie  dersen>en  erfordere;  es  werdeu  dalier  jene  gyninastischen  Übungen 
vorgefHhrt,  welche  zur  Verhütung,  oder  zur  Besserung  und  Heilnng,  wer 

'     wenigstens  zur  Beschränktui^  tkr  inannis^faltigen  RUckgrat«verkrllmumngen 
dienlich  .sind.    In  erster  Linie  tU  u  I  urukLrtrn.  dann  aber  allen  Lehrern  über- 
baapt  nnd  anch  den  Eltern  sehr  zu  empfehlen.  Z. 
Der  geoSTraphische  Unterricht  auf  Giuiul  von  liypsometrischen  Karten. 

(Hei  matskiiude    von  Niederösterreieh.)     \  ou   Kiidolf  Walsch. 

Lehrer  a.  d.  i'buugsschule  des  W.  PUdagogiums.    Mit  8  Original-AbbiU 

dnngreiL   38  S.    Wien  1883,  HSIder.   Preis  40  kr. 

Ein  origineller  und  anregender  Beitrag  zu  einer  fruchtban  n  Gestaltung  de» 
geographischen  Elementarunterrichtes^.  Er  hat.  wie  der  Verfas.-ier  bemerkt, 
„dto  Bestimmung,  nene  Ideen  anzuregen,  die  hypsometrischen  DarsteUunfjen 
zu  popularisiren  nnd  überhaupt  die  Heimat^kinulc  sachlich  und  fachlicli  ans- 
zubancn".  Die  Darstellung  ist  zwar  knapp  und  ülttisi«  litlidi,  kt  iue^weg»  aber 
vag  und  dttrftig,  sondern  allenthalben  «oncret  und  plastisch,  aus  schulmäunischer 
Erfahrung  geschöpft  und  unniittelltar  für  die  schulniäuni-srlie  Praxis  be.stimmt. 
indem  sie  einen  aubgeführtca  Lehrgang  der  Heimatäkuude  vun  NicdcrüHterreich 
bietet.  Die  dem  Texte  eingefügten  Abbildungen  erhüben  noch  die  Anschau- 
lichkeit des  ganzen  Lehren twurfes.  Wir  haben  hier  in  der  That  eine  h&cbst 
beachtenswerte  Leistung  der  praktischen  31ethodik  vor  uns,  auf  welche  wir 
die  Lehrerwelt  aufmerksam  machen  wollen.  0. 
^Das  Wissen  der  (le-f^nwart.  Dent«clie  l'niversal-Bililiothok  für  Ge- 
bildete. 1.,  3.,  4..  5.  u.  6.  Band,  ^  1  Mark.  Verlag  von  Terapsky  iu  Prag 

und  Freitag  in  Leipzig,  1882. 

Der  zweite  Band  die-ser  Bibliothek.  Allgemeine  Witterungskunde  von  Her  ui. 
Klein,  ist  im  „Literaturblatt"  (V.  5)  bereits  angezeigt  und  empfohlen.  \'on 
den  übrigen  vns  bisher  vorliegenden  Bänden  liehandelu  der  1„  3.  und  i>.,  von 
Prof.  A.  Gindely  verfa,sst,  die  Ge.schichte  des  ^Djährigon  Krieges,  der  4.,  von 
Prof.  Dr.  Taechenberg,  die  Insecten  nach  ihrem  Schädea  und  Nutzen,  der  6., 
von  Dr.  E.  .Tnng.  den  Weltthdl  Anstralfen  (erste  Abtheilung).  IMe  Verfimer 
Ml.  1  anerkannt  tüchtige  Fa'bniänner.  «Ii»'  DarstelliniL]:  ist  populär  und  an- 
ziehend, die  Aibistattung  solid  und  elegant,  der  Preis  (jeder  Biand  kostet  schön 
velranden  nnr  1  Mark)  auBerordentlieh  njedrifr*  dem  Untimdiinen 

eine  n<xn  Theilnalimc  de«  PnMirUTn'^  rn  wi^nsrhfn.    VorlSnfig  crf^'tattet  uns 
der  liaum  nicht,  auf  die  eiii/.elnen  Theile  des  Werkes  näher  einzugehen,  wir 
werden  aber  dem  Fortgang  desselben  unsere  Anitaierkninikeit  suwenden.  M. 
-Französische  »Seliulgrammatik.  Von  Albert  Benecke,  Diivctnr  der 

Sophienschule  zn  Berlin.  Zweiter  TlieiL  4.%  8.  Potsdam  1882,  Aug. 
Stein.  Preis  3  M. 

Dieser  Band  ist  ttberwiegend  der  .Sjntax  gewidmet,  welche  gründlich  er- 
klärt, durch  zahlreiche  Musterbei^pirlo  vpran.=f;haulirht  und  durch  viele  deutsche 
Sätjse  und  zusammenhängende  Stücke  zum  Ubersetzen  in  das  Französische  ein- 
geübt wird.  Da  jeiloch  Verfasser  mit  Recht  eine  scharfe  Scheidung  der  For- 
menlehre von  der  Syntax  im  Selm] unterrichte  für  unpnikfisch  hält.  s..  ii  it  er 
im  ersten  Theile  seiner  Gi am matik  an  die  erstere  bereits  Elemente  der  let^rt t  reu 
angeschl<wsen,  und  erglnst  er  im  mliegenden  «weiten  Theile  seines  Worh<w 


Digltized  by  Google 


—    4  — 

die  mtere.  i.  ber  die  V^rzUge  von  Beneokr' s  firauzösitfiber  Gramuiutik,  die  üuf 
einen  au9g:edfhnten  L«hrcursuä  berechnet  nnd  ]m  jeder  neuen  Auflage  mit 
aatferordentlicher  .Sorgfalt  revidirt  und  verbessert  worden  itt.  haben  Fach- 
mfiunor  sehon  längst  ein  gUnj^tige-s  I^rtheil  gefallt;  «ie  ist  ebenso  urilndlich 
wie  pmkti!<cb,  und  ihr  .«iehr  l)illiger  I'reis  erleichtert  dereu  Kiufilbruug  in  die 
Schulen.  F. 

Französische  Sehnlgraiumatik.  Dritte  Abtheilnng.  Von  Albert  Benecke, 

Director  der  Sopbienschule  zu  Berlin.   '2M  S.    l'ottidam  18H2.  Anglist  Stein. 

Preis:  2  M. 

Mit  die-ieni  Buche  bringt  Verfasser  steinen  Lehrgang  für  den  Unterrichi  in 
der  franzü^ischen  i^praehe  zum  Absehliiss.  E:«  enthält  alles  Wei?entliche  Aber  die 
Aussprache,  femer  eine  genaue  und  klare  Übersicht  der  Wort-  und  Formen- 
lehre, endlich,  und  das  ist  die  austilhrlichäte  Partie,  eine  alle  HanptjtMnkte 
er-ehOpfende  .Syntax.  alf?i>  eine  vollständige  Grammatik  der  fr.mzüsischen  Spruche, 
kann  deran;K'h  ebensowol  als  Leitfaden  einer  umfassenden  Repetition  nnd  als 
Nachschlagebuch,  wie  als  praktisches  Lehr-  und  Handbuch  benutzt  wenleu, 
.,da  es  in  einfacher  I)arst»  llungswei*e  nnd  verhaitm'sniiißig  geringem  Umfange 
mn  der  Laut-,  Formen-  und  Satzlehre  alles  ErforUerLiche  bietet,  außerdem  aber, 
haupt-sächlich  zum  genauen  Verständnis  der  Schriftsteller,  neben  dem  unbedingt 
N'othwendigen  manches  enthält,  was  auch  dem  tiefer  in  <lie  Sache  Eindrehenden 
Aufschluss  gewährt."  —  Ein  alphabetisch  geonlnetes  Veiv.eichnls  aller  im  Bnehe 
v<irkonnnenden  V«<cabeln,  ferner  ein  vollständiger,  alle  grammatischen  Materien 
nmlasseuder  Index,  endlich  ein  ausfi\hrHches  Inhaltsverzeichnis  erhöhen  die 
Brauchbarkeit  des  Buches.  Bei  genauer  Durchsicht  desselben  gewahrt  man 
allenthalben  die  größte  .Sorgfalt  der  .\u?arbeitnng.  und  kann  man  der  vorlir- 
geuden  Grammatik  nur  Lob  und  Anerkennung  zollen.  So  wcni?  daher  einer 
so  gediegenen  Leistung  gegenüber  kleinliche."«  Mäkeln  an  Einzelheiten  statthaft 
t-rscheinl.  so  müssen  wir  doch  auf  eine  auffallende  Stelle  hinweisen.  S.  LI 
heiüt  es:  ..Im  Deutschen  endigen  zwar  Wörter  auf  die  weichen  Consonanten 
b,  d.  g  und  s.  aber  diese  Buchstaben  werden  hart  ausgesprochen,  z.  B.  Stab 
wie  Stap,  Rad  wie  Ratt.  lag  wie  lach.  Hang  wie  Rank"  etc.  Es  ist 
bedauerlich,  dass  die  deutsche  .\nssprache  weit  weniger  gereg-elt  ist  .iU  die 
französische:  aber  um  so  sorgsamer  muss  man  sein,  damit  man  nicht  als  Regel 
aufstelle,  was  entweder  geradezu  fehlerhaft,  oder  doch  nur  proTinzieüer  f?r.iiich 
ist.  Der  obige  .Satz  muss  entweder  nmgestaltet  wenlen  oder  ganz  wigtalien. 
was  wol  das  Beste  wäre,  da  er  ja  in  vorliegendem  Buche  ohnehin  nur  eine 
nebensächliche  Bedeutung  hat.  F. 

Elcitlfntnrbuch  der  t'ranzifeischen  Sprache  tür  Mittelschulen  (Real-  und 

Bürgerschulen).    Von  Heinrich  Breitinger,  Prof.  an  der  Universität 

ZUrich.  Daselbst  1882.  Schulthess.  Krste»  Heft  102  S..  L2D  M.  Zweit<*s 

Heft  m  S.,  I  M. 

Dieses  Elenieutarbuch  ist  für  solche  Schulen,  besonders  in  DeutschLtud  Ihs- 
stimmt.  welche  zwar  das  Lehrziel  der  eiuiacheu  Volks-schule  ftber»chreiteu, 
nicht  aber  «las  der  hJiheren  Schulen  i Gymnasien,  DberreaLschulen  u.  s.  w.)  an- 
streben und  der  tranzösischen  Sprache  nur  einen  dreijährigen  Unterricbtscursus 
widmen  können.  Djis  erste  Heft,  tÜr  zwei  Schu^jalm^  bestimmt,  bringt  die 
Formenlehre  iuiit  Einscbluss  der  unregeluiftßigen  Verben)  nebst  dem  Unent- 
Iwhrlielisten  aus  der  .*^yutax.  mit  einem  angemessenen  Wortschata  und  reichem 
l'jbungsstoflf :  das  /weite  Heft,  filr  ein  (das  letzte)  Schuljahr  bestimmt,  gibteuie 
svsteiiiasische.  in  französischer  Sprache  abgefnsste  .*^yntax  mit  ausreichendem 
ÜbungHsrotle  und  schließlieh  zusannnenhängende  Über.setznngsstUcke:  beigegeben 
ist  ein  dem  Inhalte  des  Buches  entsprechendes  Vocabular.  —  Dieses  Eementar- 
buch  muss  als  eine  »ehr  praktische  und  gelnninno  Arbeit  he/.eiohiiet  werden. 
Pnter  den  zahli-eicben  LeittUileu  tVir  den  frajuösi.schen  Unterricht  dürfte  kaum 
ein  zweiter  den  Bedürfni-ssen  der  oben  bezeichneten  Categorie  von  Schulen  so 
vollkommen  ent«prechen  und  so  {jiite  Erfolge  eines  auf  drei  Schuljahre  Ik^ 
schränkten  Lehrganges  ermügliehen,  wie  lireitingers  Elementarbuch.  F. 


Biu-hdruckcrci  Julias  Klinkhardt,  L.vipii{;. 


Kai 


1888 


'r 


Beilage  zum  Paedagogium,  V,  8. 


über  die  phlleflopUsehe  PrepSdentlk  als  eignete  Disdpllii  für  die 

CoDcentraiioii  des  gymnasialen  Untt  iridits.    Von  Dr.  K  i  vad  Jai  z,  k.  k. 

GymnaBial-Profpssnr.    Wien  1882,  Pitliler.  Preis:  0,80  -M. 

Terfiftsser  will  der  Zersplitterung  des  Gymua^ialauterrichte^i  entgeg^enwirken 
und  tiner  natürlichen  (,'oncentration  desselben  den  We|^  bahnen,  indem  er  naidw 
weist,  wie  die  philosophisch r«  PrripSilf iitik  zur  Zusammenfassung  der  übrigen 
Discipllnen  dienen  könne.  Er  führt  zu  ditscm  Behnfe  zuerst  seine  Ausicliteu 
über  dte  didaktische  Behandlung'  der  Logik  aus,  indem  er  die  formalistische 
AnfTassung  nnd  den  docirenden  Vortrag  derselben  bekSmpft,  das  emteiniiti<(li- 
entwickelnde  Verfahren  empfiehlt,  besonders  aber  au  zahlreichen  Ikispielen 
nachweist,  wie  die  einzelnen  Capitel  der  Denklehre  durch  Materien  an»  dem 
gewunten  üymnasialunterricbt«  erläutert  und  belebt  und  zugleich  dieser  selbst 
concentrirt  und  nnfentfitzt  werden  könne.  In  gleichem  Sinne  unterzieht  sodann 
der  Verfasser  ilie  Psychologie  t  iu' t  methodischen  Erörtern iiir.    Aus  diesen 


träeiitnngen  abgeleitet;  den  Scblnn  bildet  der  Naehwds,  das«  der  propädentisehe 

Unterricht  l»i  -ii-li'-h  ilt-r  ihm  gewidnu  f«  n  '/.vit  nocb  uü'lif  'lie  ilmi  irebün-iule 
Stellung  gewonmn  liaW,  lui«!  da.ss  insbesondtre  für  geeignete  Lthrkrüfte  mehr 
als  bisher  gesorgt  werden  müsse.  —  Die  ganze  Abhandlung  zeugt  ebensowol 
vnn  der  gründlichen  Einsicht  wie  von  den  ersprießlichen  Intentionen  des  Ver- 
fassers und  verdient  wegen  ihrer  reichen  FtUle  von  praktischen  Gedanken  und 
Vondülgen  das  volle  Kiterease  d«r  FMhmKnner  und  der  SchvlbelillfdeD.  O. 

WlBsensehaflliehe  Propildeatik.  Zur  Ergänzung  und  Vertiefang  allge- 
mein-hnmaner  Bildung  bearbeitet  von  Beiühold  Biese.  Leipzig  1882, 
Fueb  (Reialand).   112  S.  Preis:  2  M. 

Ke  philosophische  Propädentik  hat,  bemerkt  der  Verfasser,  infolge  uurich- 

t\u;cr  Reliandluag  ihre  Auiirnl«'  nielit  erfilllt  mid  füliit  an  den  Srhulen  nur 
noch  eine  Scheinexisteoz.  Es  soll  nun  etwas  Besseres,  eine  allgemeinere 
Propidentik  an  ihre  Stelle  treten,  „ünsere  wisseniehafttiche  mpidentlic, 
heißt  es  in  derVoirede  des  angezeiL  t  i;  I'jiu  hi will  über  di<  i  iiL  -  n  Sohrftiikeu 
des  schulmftfligen  Wissens  hiiuiustuhreu  und  die  SelbstthKtigkeit  des  jugend- 
lichen Geistes  dadnrch  entsOnden,  deas  sie  ihn  mitten  hineinfahrt  in  die  gro0en 
Zus.immenhänge  des  äußeren  und  inneren  Lehen.«,  in  den  Entwickelnngs-  and 
Deiikproeess  der  Menschheit  ....  Wir  wollen  dem  wissenschaftlich  strebsamen 
jungen  Manne  ein  Buch  in  die  Hand  geben,  welches  ihn  in  kürzester  Form 
fth»r  flie  höchsten  Fr;ureii  de-s  Lebens  und  der  Wissenschaft  orientirt,  welches 
diir<  ii  /usammenstelluug  der  von  der  Wissenschaft  gewonnenen  Resultate  ihm 
einen  geistigen  3Iittelpunkt  gibt,  von  wo  er  durch  BenatT'.unt:  der  an<rei,^e1>eatti 
Quellen  die  Kreide  seiner  Studien  concentrisch  weiter  und  weiter  zieiien  kann. 
Durch  Verfoli^'iuij,'  dieses  Zweckes  glauben  wir  zugleich  das  geistige  Interesse 
aller  iTt  bildeten  Stande  zu  berühren.  Denn  wir  meinen,  dass  unser  Hiieh  allen 
willkommen  sein  muss,  denen  ein  wissenschaftlicher  Sinn  innewohnt»  und  weiche 
neben  ihrer  Beroftthitigkeit  das  Bedfirfids  flHilen.  in  sieh  den  ZnsewunenhaBg 
mit  der  Vemunftentwickeluntr  der  5ren>ichheit  lehendiir  zn  erlialten,  die  aber 
zu  eingehenderen  Studien  nicht  die  Zeit  haben.  Somit  will  unser  Buch  dasu 
beitragen,  das  Vetetindnis  für  die  b0ebrten  Fragen  der  Xensciiheit  in  den 
weitesten  Kreis'^n  zu  erwerken  nnd  die  Einheit  h<"herer  allgemeiner  Bildnnir 
zu  festigen  und  zn  sichern.'  iias  sind  sehr  anerkennenswerte  Bestrebungen, 
die  besonders  in  unserer  Zeit  der  ZerspUttennf  alles  httheven  Oeistestoben» 
entschieden  unterstützt  werden  sollten. 


Digitized  by  Google 


—    2  — 


Die  Themata  nuu,  welche  das  Bach  seiuem  Plaue  eat»prtK:hend  behandolt. 
Bind  folgende:  „Die  15ntw!ckeluii|f!*8tufen  der  Menschheit."  „Der  Urspt  uu,-  ler 
Sprache."  „Spni  In-  ini<l  Denken.  I'io  Kiif-«teliuiiLc  der  Sprachlante."  ..I'ie 
Eatwickelong  der  Schrift."  „Die  Kutwickelung  der  religite-ethiflcheu  Ideea 
Im  dfln  Orieehen."  „Die  Knust ,,Die  WiasenBcluft.'*  Die  AtufUmmg 
difstT  Themata  i  fi>  'luiirt'ii.  ila>  t'i^iize  Buch  gleich  lobon!<W(  rt  wweil 
i^eineA  äcbüueu  Zwecke»,  tmiue»  gedi^eneu  Inhalt«  und  —  was  noch  be^oiifos 
herrorgeholMD  m  werden  Terdient,  wegen  m&im  edlen  and  idnen  Stiles.  H. 

Das  Kind  In  Braiicli  und  Sitte  der  \  üik«*r.  Autln opolo^isohr  .Studien 
von  Dr.  H.  Ploss.  Zweite,  bedeutend  vermehrte  Auflage.  2.,  i-i.  u.  4. 
Halbband.  Berlin  1882,  A.  B.  Anerliadt. 

Wir  hnbon  rlipsps  eigenartige  und  bedeutende  Werk  bereits  au:,'e/».'i^,  be- 
«prochen  und  emptohleu  („Literaturblatt"  V,  2).  Nunmehr  liegt  die  nene,  ac«g- 
ftltig  aberarbeitete  und  .sehr  erweiterte  Aitlkge  in  zwei  stattlichen  Binden 
vollständig  vor.  Das  am  St^^hli^se  beigefügte  ausftthrlii  be  Regi.ster  zencrt  nicht 
nur  von  der  außerordentlichen  Fülle  des  verarbeiteten  Stüfie*.  sondern  erleichtert 
auch  weaentlich  die  Beim ti^um,^  des  Oberall  lehrreichen  und  interessanten  Werkes. 
Indem  wir  liier  tio(  h  be^iouders  hervorheben,  dass  dasselbe  fwwol  »cin-^r  j^mz^n 
Anlage  nach,  ul->  auch  in  si>eciellen  Abschnitten  iwir  verweisen  z.  B.  imt  ilaa 
Capitel.  „Die  Erziehung  der  Kinder"  Bd.  II  S.  322  ff.}  namentlich  för  Pi da- 
gegen von  Bedeutung  ist,  verweisen  wir  im  übrigen  auf  unsere  frühere  An- 
zeige, indem  wir  die  dort  hervorgehobenen  Vorzüge  des  Werkes  nur  auf:»  neue 
constntiren  kOnnen.  H. 

Briefe  über  Teruüiiftige  Erzieliung.  Ein  Weg^^eiser  füi  i-j-zieher  von 
F.Sebmid-Sehwarzenberflr.  3.AiilL  Wim  1862,  Pldiler.  1968.  1,20  IL 

..Zur  Vf-rnflnffißren  Fr7iilnHi^  gehOren  vor  allem  verutinftiiri'  Krzieli'.T: 
dieüe  talleu  a'ier  nicht  vuuj  lluiimel,  sondern  muiisen  erzogen  werden,  und  dazu 
soll  mein  Büchlein  einen  Beitrag  liefern.  Was  ich  dnreh  viele  Erfahrungen 
als  Erzieher,  dunli  Lesen  und  Nachdenken  in  mir  angecaminelt  hübe,  das 
ich  als  Öl  in  dieae  Biiefe  ciusithüeßen.  Jeder  Briefe  soll  ein  ölreicher  Frucht- 
kern sein,  den  ich  als  Samenkorn  in  die  Sedm  der  Erzielier  lQ|;en  wiD,  damit 
sie  auf  vernünftige  Weiao  als  Arzte  das  sociale  Leiden  verroindem  können.'* 
Mit  diesen  Worten  kemizeiclmet  der  Verfasser  Zweck  und  üeiat  äseinos  Buches, 
und  die*ies  entspricht  in  erfreulicher  Weise  den  Erwartungen,  welche  es  im 
Eittgaoge  erweckt.  Es  iat  nicht  ein  mühseliges  Erzeugnis  dUirer  Sdiulwe^üieitT 
sondern  eine  lebenifKiche  Darlegung  spontaner  und  frnditbarer  Oedanken  über 
a'l.  !!aii]>ti)unkti'  der  Erziidiuntr.  alleuthalben  von  di-ui  Geiste  wahrer  Humanität 
ond  vernünftiger  Idealit&t  durchdrungen.  Die  po^ulire,  allem  gelehrten  Wust 
entMffende,  natlkiliehe  und  gilt  dentscae  Sprache,  die  twaoglon  ond  Mnpreehende 
Brieffonii  des  Buches  erweisen  sich  als  wirksame  Mittel,  den  schönen  fJehalt 
desselben  dem  \'erständuls  und  dem  Renm  numittelbar  nahe  au  bringen,  indem 
sie,  alles  Ode  Formelwesen  and  FhiMentiinm  üBrn  kältend,  immer  gwadenwegs 
ta  die  Sache  selbst  einfObnii.  D. 

Bas  Lelirerseminar  des  Cantons  Zürich  in  Kttsna^t.  Zw  Feier 

de.*;  ."jO jäliri^en  .Tubiläuni-s  der  Anstalt  in  dankbarer  Erinnerang  gemdmet 
von  ihrem  ehemaligfen  Scliiilei-  C.  Grob.  z.  Z.  Secretär  des  zürcheiischen 
Erziebiingsweöeus.    Zürich  1883,  Grell  Füßli  &  Co.  92  S.  Preia:  1,50  M, 
Nach  einem  geschichtlichen  il)erblick  der  Lehrerbildung  in  der  Scbweia, 
besonders  im  Canton  Zürich,  gibt  diese  Schrift  eine  au8f!\hrliche  Dampllnuxr 
der  Eutiitehung  und  bisherigen  Eutwickelung  tlca  uuiuuehr  äO  Jahre  alten 
Lehrerseminars  in  Küsnacht,  welches  eine  Reihe  interessanter  Phasen  erlebt 
nnd  viele  Schwiericrkeiten  überwimden  hat.  Die  Schrift  i.st  sehr  geschickt,  klar 
und  ül)«r8ichtlich  abgefasst,  offenbar  allseit.s  quelleumäüig  und  objectiv  gehalten, 
gibt  iibei  iliren  Gegenstand  in  allen  Richtungen  erschöpfende  Auskunft  and 
muas  als  eine  lehrreiche  Monographie  sur  Specialgeschichte  und  Statiätiit  dea 


i^iyiiu-cd  by  Google 


—   8  — 


.scliweizeri^<  lieii  Si  hulwcstm^  1>czeichnet  wcnleu.  vcrdieut  aberuorh  in-^bcsonderr' 
ftlii  eiu  wertvoller  Beitrag  zur  Lüsung  der  Lehrerbildun^Frage  dieBeacUtuug 
der  Fnelilcreise.  D. 

Irztlicbes  (xuUchteii  Uber  iim  kOhere  SchulweHeu  Elsaas-Lothi-iugeus. 
In  Anftrafe  des  kairari.  Stottbaltera  erstattet  von  einer  medicinischen  Sadi- 

verständigen-Commission.   Straßburg  L  IL  1882,  B.  Seholti  &  Co. 

Mit  vollem  Rechte  hat  der  Statthalter  von  Elsass- Lothringen ,  Freiherr  v. 
Mauteiilfel.  in  einem  Erlass  vom  11.  'April  1882  den  Satz  aufj^estellt :  ..Die 
kOriH-rliche  (tpsundlieit  niid  geistige  Frische  der  die  Schulen  besuchenden  Jugend 
darf  nicht  gefährdet  werden."  £s  handle  aichnun  um  Beancwortaug  der  Frage: 
„WelebesuaS  der  Ansdaver  nadArbdt  von  denSdilUcani  aaf  den  TeiacliiedeDen 
(.'Iati8en8tufen  gefordert  und  muuentlich  wie  hoch  die  Zahl  der  Unterrichts-  nnd 
häuslichen  Arbeit^tunden  angesetzt  werden  soll",  und  speciell  sei  zu  uater- 
metien:  „inwieweit  die  gegenwärtige  BSinriehtung  des  höheren  Schidweaens 
in  ELsfa-is-Liitlirin^'^cu  den  (Irinidsätzen  entsjirirht.  welche  die  medicinische  Wissen- 
jjcliai'r  im  iiuere-sse  der  physischen  nnd  })sy<  liis(  heu  Entwickelung  unserer  Jugend 
auf/ ii^t dien  hat.  und  wckhe  Mininialtordenm^eii  auf  dem  geuannten  Gebiete 
zur  Erhaltuni;  un<l  Förderung  der  Wehrbarkeit  und  der  geistigen  Frische  der 
Nation  von  der  ärztlichen  \Vi>«f<enschaft  erhoben  werden."  —  Diese  präcis  ge- 
atellten  Fragen  tinden  in  dem  vorliegendeo  Cttttachten  eine  gründliche  unA 
exacte  Beantwortung.  Nicht  weniger  als  neun  anerkannt  tUchtige  Fachmänner 
haben  sich  iiuter  dem  Beirath  von  Schulmännern  der  genauen  Untersnchung 
aller  einscliliuiendcn  \"erhiUtni.sse  unterzogen  und  sind  einhellig  zu  praktischen 
Schloastblgerungen  gelangt,  welche,  obwol  im  Hinblick  auf  die  coucreten  Zustinde 
einea  beetuiDteii Landes gefasst,  doch  als  allgemein  giltig  anaaeitomieii  aind 
nud  ven  der  gesamten  Säiiilwelt  heaohtet  b«  weiden  Terdienen.  D. 

Anatomische  Wandtafeln  für  den  Sehulnnterriebt  Auf  Venui- 

laasDDg  des  königl.  sSchs.  MiuisteriiUDS  des  Cnltus  nnd  öffentl.  Unterrichtes 
hfaransgegebeu  vom  Landes-Mcdicinal-CoUegium  durch  Dr.  A.  Fiedler,  Geh. 
Hedicinalrath ,  Leibarzt  Sr.  Maj.  d.  Königs  v.  Sachsen  und  Oberarzt  am 
Stadtkraukenbaase  zu  Dresden.  Nack  der  Natur  gezeichnet  von  M.  Kiautz 
und  F.  FIfdIech.  6.  verb.  Auflage.  Dreaden  1882,  Heinhold  Sdhne. 
4  Tafeln  nebst  erklärendem  Text.   Preis:  9  Mark. 

Dieses  Werk  bringt  in  großem  3Iaßstabe.  wie  es  fUr  im  Schulgebrauch  er- 
forderlich ist,  das  menschliche  Knochengerüste,  die  Musknlatnr,  die  Eingeweide 
di  r  Brust  und  des  Unterleibes.  (leliim,  Rückenmark  nnd  die  Organe  dernölieren 
Siuue  zur  Darstellung.  Der  beigegebene  Text  enthält  die  volbtändige  Nomeu* 
clatur  der  dargestellten  Objecte,  dentsch  nnd  lateuuseh.  Das  Werk  bat  b^eits 
eine  :>it  weife  Vcrbreituntr  und  auf  ziililreichen  Ausstellungen  1  l  liafte  Aner- 
kennung gefuudeu,  das^  eine  weitere  Empleldung  desselben  überdUs^ig  sein 
wBrde.  Wir  wollen  es  nur  detgenigen  Schulen  bekannt  machen,  die  ea  noch 
nif  ht  besitzen,  aber  doch  fUt  den  anthropologischsii  ünteiricht  em  Vennschan- 

litlmng-'niittel  bedUrten.  M. 

Das  Turnen  in  der  >  olkssehulc  mit  Berücksichtigumr  de.s  Tinnens  in 
den  hdlieren  .Schulen.  Ein  uiich  dem  neuesten  Standpunkte  der  Torukunde 
bearbeitetes  Lehrbuch.  Von  Karl  F.  Haatmann,  Seminarlebrer  in  Weimar. 
4.  verb.  n.  verm.  Aall.  Mit  107  den  Texte  eingefQgten  Abbttdnngea.  XV 
IL  27f)  S.   Weimar  1882.  Rölilan.    Irrels:  2.00  M. 

Diese  Schrift  ist  aus  einem  bescheidenen  Handbüchlein.  als  welches  sie  vor 
awanrig  Jahren  an  die  Ollentlichkeit  trat,  dureh  sorgfältige  yerbeseenii^r  und 
stetige  Erweiteruntr  der  neuen  Auflagen  nunmehr  zu  einem  in  di\s  Gesannut- 
gebiet  des  Schultuniens  gründlich  eii^Uhrenden  Ijehrboche  ausgestaltet,  deiü»eu 
Gediegenheit  und  praktische  YerwendbariMit  von  den  Facluatonem  anerkannt 
wild.  Nach  ebier  theotetischen  BiOrtenuig  ttber  Widitigkeit,  Zweck  ond 


Digitized  by  Google 


—   4  — 


Wesen  des  Tnnieuä  (die  eiugeäocbtene  Skizze  aus  der  Psychologie  köuute  und 
•MiUte  gestrichen  werden)  und  einem  Abri88  der  Geschichte  de«  Turnens  gibt 
das  Bnch  eine  übersichtliche  Darstellung  der  Turnübungen,  der  Tumräinue  nnd 
Toxogeiäthe,  ä»nn  wird  das  Ziel,  die  Methode,  der  Plan  imd  die  Praxis  de« 
TQnntntMTiehts  vorgeftthit.  Faehgenomen,  welche  das  Büch  Itmits  Iteanen. 
wrnlen  in  di  r  uemu  Auflaut?  si  hiitzt-iiswerte  Verbesserungen  und  ErweittTunirt-n 
finden}  die  übrigen  werden  mit  Beifall  und  Befriedigang  Einsicht  in  dasselbe 
n«hm«n.  Z. 

Tnnsplele,  netot  Anlettnn;  zn  W«ttkftmpfeii  imd  Tarnfahrteii  für 

Lt'lirer,  Vorturner  nnd  Schuler  höherer  Lehranstalten  heraosgiQgebM  von 
Gymnasiallehrer  Hr.  X oh Ira tisch  nnd  Seminarlehrer  Martpn.   Mit  zeha 

Figuren.  Hannover  Karl  Meyer  (G.  Prior).  96  S.  cart  öU  Ft 

Eine  trelTlietie  Anleitmig  ni  den  im  Titel  Weichocten  gjmnastuetieii  Br< 

hoInnir''n  Tin  !  rSunijon.  Das  auf  die>*tiii  Oebiptt  in  dar  Literatur  und  In  dt-r 
l^raxiä  bereitij  zur  Ausbildung  Gelaugte  i^t  mit  Verständnis  gesichtet  und  ver- 
wertet, anschaulich  und  instmctiv  zusammengestellt  und  mit  schitsbaren  Batb- 
schl[i£r''n  liee:leit(  t.  Din^eü  prakti-ifho  Bndilein  wird  >ich  überall,  wo  man  nach 
erheiternden  und  starkenden  Tum-  und  Bewegungsspielen  sucht,  &h  nützlicher 
Battgttber  bewihren.  '  Z, 

Ftthrt^r  dnreh  die  Jugendliteratur.   Gnmdsätze  zur  Bearthtaimf  der 

deutschi'n  .Tn^pndlitrratnr.  Winke  für  Grtindnng,  Einriclitnn?  tind  Fort- 
führung t'ingchliifi-ierer  Bibliotheken  nnd^'er7.eichni^^  empfehlenswert t  rSchriiit'n- 
Flir  Eltern,  Krzieher  und  Bibliothekare  von  Dietricii  Theden.  Hambui-^ 
188S,  6.  S.  Berendflohn.  78  S. 

Verfi\sser  i.st  un?^eren  Lesern  l)ereil.>^  liekannt  durch  ^eine  Abhandlung:  „Grund- 
sätze zur  Beuitheilung  der  deutschen  Jugendliteratur"  (P»dag.  IV.  S.  261  ff.). 
Za  dendben  gH>t  er  nvii  m  Toriimnoer  BroMbtfye  tSm  xnatb^Sfim  „Ver^ 
zeichnis  empfehlen-'v^  rt er  Schriften"  rar  dir  Altf  rHstnfen  v  n  C  9.  von  10^14 
und  von  1» — 18  Jahren,  welches  alle  Gattungen  der  Jugendliteratur  umi'at^t 
«Bd  mit  den  nötigen  Erlftutemngen  versehen  ist.  Bass  diese  Schrift  sich  mit 
einer  belangreichen  Angeletfi^'i^'f  l)e?^cliäftigt,  steht  auSer  Frage;  ihre  prak- 
tifldie  Nütz&chkeitbwird  jeder  erkennen,  welker  sie  in  Betreff  der  Jugendlectöre 
ZQ  Bathe  aiebt.  H. 

Der  Kindei^arten.  Theoretisch-praktisches  Handbnch  von  A.  S.  Fischer. 
2.  Anfl.  Wien  IHSS.  Hölder.  193  S,  T«zt  mit  2  HobEadmitteii,  dan 
25  lithographirte  Tafeln.  Preis:  4M. 

Schon  in  erster  Auflage  war  dies  ein  recht  irntes  Buch,  und  nun  liegt  w  ia 
einer  mit  großer  Soi^falt  überarbeiteten,  vielfach  verbi  s^erteu  und  h<  deutend 
veimehrten  Auflage  vor,  in  welcher  es  mit  erhöhtem  BeiüAli  angenommen  zu 
wetd«!  mdient  Man  kann  dieses  Wetk  (Aae  Bedenkea  ab  emea  der  aUer* 
be-^ten  seiner  Art  bezeichnen,  als  ein  in  jeder  Hiniddkt  beMedigeadee  Lehr- 
uud  Handbuch  des  Kindergartenwesens.  H, 

Lehrbuch  der  franzOsisehen  Sprache.  Mittelstufe,  erste  Hälfte.  Von 
Fr.  d'Hargnes,  Schnlraepeetor  in  Berlin.    168  S.   Dawlbet  1882.  L. 

Öhmigke  (R.  Appelius).   Preis:  1  ^I. 

Im  Anschlnss  an  den  für  die  Untersti:t  i  stimmten  Leitfaden  desselben 
Verfassers  behandelt  das  vorliegende  Bnch  Ue  schwierigeren  Fille  der  ersten 
regelmäBigen  Conjugatien»  dua  die  unreL'elmSBigen  Verben,  wozu  noch  Er- 
gänzungen zur  Lehre  vom  Pronomen,  Adjectiv  und  Adverb  kommen.  Das 
grammatische  Material  ist  in  schulmäBige  Pensen  vertheilt,  denen  je  eine  Gruppe 
passender  Voeabeln  uml  französische  und  deutsche  Übun^rsstiicke  ancrereilit 
sind;  dieser  Lehigaog  ist  zwar  nicht  neu,  hier  aber  recht  gut  durchgeführt, 
nad  eelbetvetetXndUich  wird  dieMs  Badi  in  sotcben  Scbnlca  gans  am  FlatR 
sein,  wo  bereits  die  erste  AbtheUnag  desselben  absolvirt  ist.  F. 

i  IL  Stsia.         aasMfMftsni  JalTaa  EllakharA«. 


i^iyuu-L.d  by  Google 


Literatnrblatt. 

Beilage  zum  Paedagogium,  V,  9. 


l  iiser  iisterroicliiseiies  Volks-,  31iltcl-  und  liochschulwescii;  dann 
die  Special-LehraMtalteii  und  FachschiiieiL  Streiflichtar  eines  SchtümaimeB 
auf  den  hentfipen  Üntenrichtunutand  In  Ötterreicfa.  Pilsen  18B2,  J.  Seliiebl. 

55  S. 

Dies  ist  der  wesentliche  Tbeil  de«  sehr  langen  Titels  einer  Broschüre  Uber 
den  derzeititifen  Zustand  des  ffesammten  Q^terrächischen  Schnlweaens.  Indem 

Verfasser  die  Män-^cl  drs-t  llit-n  lirrvorlp  lt.  sucht  er  m  ziAi^ou.  wo  mu\  wie 
Verbesserungen  einzufahren  seien.    Da  es  sich  hier  um  die  Organisation, 
resp.  Reform  des  ganzen  ünterrichts^stems  eines  i^ßen  Bdohes,  also  nm 
t'ino  sehr  weitschichticro  Materie  hamlelt.      ht  es  nicht  zu  verwundem,  dass 
die  vorliegende  ßroHchür«;  uur  apliuiiätifich  und  mosaikartig  ausgefallen  istj 
nebenbei  bemerkt  scheint  auch  der  Verfasser  nicht  i^erade  ein  Ifeilter  des 
Stüf  ^  7.n  sein.    Was  den  Inhalt  seiner  Schrift  betriftt.  so  kommen  7:war  ein- 
zeluo  thatsfichlicbe  Irrtbümer,  unklare  Urtheiie  und  l'rojecte  vor,  dabei  aber 
auch  eine  große  Summe  schitrimer  Materialien  und  Anregungen  betreffs  dw 
so  wichtigen  Oi^anisationsfrage;  und  wer  sich  ftlr  letztere  interessin,  wird  in 
dem  angezeigten  Schriftchen  manches  Brauchbare  finden.   Obwol  yerf^^sser  sich 
fast  aa»8cblie Blich  mit  dem  Mittel-,  Hoch-  und  Fachschulwesen  beschilft i<,'t,  ist 
ihm  doch  die  hohe  Bedeutung  des  Volkuchnlwesens  völlig  klar,  und  indem  er 
die  Hebung  und  Pfli^  deemlben  mit  Nachdruck  fordert,  maefat  er  die  troff- 
Helle  Btiucrkuni^:  „Dies  dllrfte  die  Tiitertsscn  des  Staates  sowio  de.--  Einzelnen 
mehr  und  besser  itirdem,  als  die  moderne  Überflutung  des  staatlichen  Orgauis- 
mns  mit  gebildeten  Proletariern  und  halbgebildeten  Bettlern.'*  H. 
FnazSslHchc  Clirostoiiiatliie.  Enter  Theil.  Herausgegeben  von  Conrad 
von  Orelli,  nach  der  5.  Auflage  neu  bearbeitet  von  A.  Rank,  Prof.  am 
Gynmaaiiim  in  Zäricli.  Daselbst  1882,  Scbolthess.  292  B.  Preis:  2,40 H. 
Dieses  altbduninte.  Ton  dem  verdienten  Schttlmamie  C.  ▼.  OraUi  berrlUirende 
franz.  Lesebuch  lit  trt  hier  in  ein»  r  zeitgemäßen  Umarbeitung  vor.    Was  alt 
veraltet  oder  minder  wertvoll  erschien,  ist  ausg^chieden  und  durch  neuere  imd 
gediegenere  Stndte  ersetst  worden,  wddie  Tonugsweise  den  besten  Autoren  des 
IH.  niul  in.  JahrhtiTulerts  entlehnt  sind.    So  entspricht  denn  da*  Budi  den  .An- 
forderungen, die  mau  heute  au  eine  Chrestomathie  zu  stellen  Utrecht  igt  ist. 
Dass  der  Herausgeber  von  der  Anfügung  eines  dem  Inhalte  des  Buches  ent- 
sprechenden Wörterbuches  abgestanden  ist,  kann  Referent  nicht  «rntheißen,  da 
er  aut  möglichste  Vereinfachung  des  Unterrichtsapparates  eiueu  höheren  Wert 
li  gt  als  auf  alle  ArgnmMit«,  welche  man  fUr  Weglassung  eines  adäquaten 
Vocabulars  antVilirpn  niasr.  Referent  stimmt  also  fllr Nachtrag  de'^o"nii"i.  F. 
FraDzOsischeH  Lesebuch  für  höhere  Lehranstalten.  Mit  erklärenden  An- 
merkungen, Präpamtion  ond  WSrtca-bnch.    Von  Dr.  F.  J.  Wershoven. 
Köthen  1882,  Otto  Schake.   262  8.  Preis:  2  M. 

Herausgeber  eharakterisirt  sein  Biieh  mit  foljjenden  Worten:  „Das  fremd- 
sprachliche Le-^t  buch  soll  in  die  Sprache  und  Literatur  einfuhren,  zugleich  aber  auch 
mit  dem  Lande,  der  Anschauungsweise  und  den  eigenthümlichen  Verbältnissen 
des  fremden  Volkes  cinitiennaßcn  bekannt  machen,  ohne  stofflich  ganz  außer 
Zusammenhang  mit  den  übrigen  Unterrichts^^egenständen  zu  .stehen.  Daher  sind 
in  dem  vorliegenden  Lesebuche  besonders  solche  Darstellungen  g<  ireben  worden, 
welche  sich  auf  Frankreich  and  seine  Bewohner  besiehen,  während  andere 
Sttteke  an  Sage  und  Geschichte  des  Alterthums,  an  dentsoltt  Gcsdiiehte,  an 
Naturwis.sensdiaften  anknüpfen.  Zugleich  ist  darauf  Bedacht  genommen  worden, 
geeigneten  Stoff  zu  Sprech-  und  Uemorirlibungen  zu  bieten  und  gehaltvolle 


Digitized  by  Google 


—   2  — 


Lese-stUcke  zu  wählen,  wf  l.  diir- ii  ihren  Inhalt  und  Art  der  Darstelliinix 
du  jugendliche  GemQtb  aaziebeu  uud  die  L»  rulust  w.  ckf  n.  Bei  Durcimicht 
des  Baches  findet  man,  daas  dasselbe  diesen  Intentionef}  Tollkommen  enUipridit 
und  in  jeder  Hinsicht  aU  ein  sehr  gut»^»  f  '^hrmirtrl  für  den  Imnstösischen 
Unt«rncht  bezeichnet  zn  werden  verdient.  Auch  der  Druck  i«t  deutlich  und 
geflclmiftekvnlL  F. 

La  France.    Historische  und  geof^phiscbe  Charakterbilder  für  die  fraii- 

zf5sischo  Lpctürp  an  hßhftrf  n  Lphranstaltpn.  AnsgewShlt  nnd  mit  Anmerkangeii 
versehen  von  Dr.  F.  J.  Wershoven.  Kothen  18S2,  Otto  Schulze.  89  S. 
Preis:  0,75  M. 

Ist  ein  Abdruck  dar  auf  Frankreich  md  wäan  Bewoliaer  terilgMclMa  Ab- 
schnitte d(»s  goeb/'n  angezeii,'ten  Lesebuches.  F. 

AuRwalil  französischer  (iediehte  in  stufeumaßij?  aufsteigender  ¥<<]i-;c. 
Mit  dtnitschen  Übertragungen.  Ge.sainnu'lt  und  peordnPt  von  Dr.  Franz 
Hummel,  Oberlehrer  a.  d.  Ober-ReaL»chule  zu  Potsdam.  Gotha  1882, 
SeUoeBnaoB.  119  8.  Pmüi:  1,80  H. 

Mit  Recht  legt  Verfas-*»>r  Wert  darauf,  dass  im  fremdaprarhlichen  ÜDterriclire 
neben  der  Prosa  auch  die  Poesie  zur  ireltuDg  komme;  und  da  er  in  den  tür 
die  Sehvl«  btttimmteh  fraasCsischen  Lesebttchem  eine  methoduch  geofdaete 
Sammlung  von  Gedichten,  welche  sich  fflr  die  deutsfhe  Jujjen  l  iixntn, 
vermisste,  so  wollte  er,  unter  Vermeidung  alles  ttberflOssigea  Beiwerkes,  dithje 
Ltoke  ausfüllen.  Die  getnuffBae  AoswaU  fran/ösis<  her  Gedichte  muss  als  ge- 
lungen, den  Schubtwecken  angemessen  und  tvirderlich  bezeichnet  werden.  In 
den  beigegebeneu  deutschen  f^h<»rtragungen  i^st  nicht  eine  pedauti^h  wort- 
getreue, auf  Kosten  der  scbönei  F  rm  und  des  poetischen  Gedankens  dureh- 
gefUhrte  Wiedergabe  der  Originaltexte  angestrebt,  vielmehr  enn^heinen  sie  ati^h 
fw  sich  selbst  als  wirkliche  Gedichte  von  edlem  Gehalte  und  in  anmuthiKer, 
tad«UoMr  Spiache.  F. 

FranzÖsisehoM  Lesebuch  f&r  die  obersa  Classen  höherer  TOchterwhiileii« 

mit  einem  \'<irabiilaire.  Ileniusj^regeben  von  .\dolfine  T<"ppf-.  Zweiter 
Cursus.  3.  Aull.,  durchgesehen  nnd  verbessert  von  Dr.  U.  Kobolsky, 
Oberlehrer.  Potsdam  1882,  Aug.  Stein.  415  S. 

Eine  reiche  nnd  gediegene  Sammlung  französischer  LescstUcke  für  die  Ober- 
elassen  höherer  Mädchensehulen,  bereits  wmt  verbreitet  und  vr.rtheühaft  be- 
kannt. Die  ideale,  aul  Herzeus-  und  GemQthsbildung  ausi^^ekeude  Richtung 
dieses  Leseiniohes,  welche  von  der  VerSuaerin  gleich  ursprünglich  einge.«chlageii 
war,  ist  von  dem  Herausgeber  der  neuen  Auflaire  fr-  halten  worden,  wie 
denn  Uberhaupt  die  ganze  Anlai^e  dieses  bewälirten  Lenriuittels  die  ui^räag- 
liche  geblieben  ist:  doch  hat  die  neue  Auflage  eine  aoigliiÄtt  Bennoa  und 
eine  Reihe  schätzbarer  Verbesserungen  erfahren.  F. 

La  Lettre  fmn^*aiso.  Französische  Briefe  zum  besondeipn  neliranche  für 
'rikhterschuien  und  Erzieherinnen  von  Adolfine  Töppe,  heiau^jr- jrehf^n 
von  Dr.  H.  Robolsky,  Oberlehrer.  Leipzig  188^  Rengersche  BucLhauu- 
laag  (OeUiaidt     WUiech).    175  S.   Pteie:  1,50  M. 

„Die  hier  der  Schiilwelt  und  der  Familie  trehntene  Sanitnlnncr  von  franzn^i- 
scheu  Briefen  solidem  weiblichen  Gesdileehte  ala  Uilt<;buch  dienen,  um  im  Brief- 
stile die  nothwendige  Fertigkeit  zu  erlangen.  Es  führt  Muster  fllr  die  rendüeden« 
artigsten  Verbältnis-se  des  Leb'ns  in  der  Familie  ninl  in  der  Sehnle  vor."  Die 
Briefe  .sind  nicht  ein  steriles,  >  hahlnnenartiges  Machwerk  über  allerlei  fingirte 
Situationen,  soadem  Ieb^.slri.iichc  tmd  originale  AnsKprarben  Ober  wirkliche 
Vorliältiiis-«e.  anregend  nnd  unterli  ilt'  nd  durch  ihren  Inhalt,  mu.sterhaft  durch 
ihn-  F.iini.    Ein  f!''hön(^*<,  praktisoht-,  .sehr  empfehlenswertes  HQchlein.     ■  F. 

Lehr-  und  Lesebuch  der  franzOäbcheu  Sprache  nach  der  Ans«  liau- 
nngemethode  nad  nach  einem  ganx  neuen  Plane,  mit  Bildern»  nnter  Benatzang 


i^iyuu-cd  by  Google 


—  3  — 


d«r  oenestMi  und  testen  ftumdWuchen  Jnfendscbriften  bearbeitet  von  Dr. 
J.  Lehmann,  weiUndlnititatoVorsteiiW,  und  Ernst  Lehmann.  Kd  Real- 
lehrer.   IIL  Stnfe.    3.  verm.  n.  verb.  Aalt   Mannheim  1883«  Benaheimer. 

167  S.    Preis:  1.75  M. 

Der  Lebniami  jiche  Lehrgang  für  den  Uuterricht  im  Französischen,  dessen 
dritte  Stufe  hier  in  neuer  Auflage  vorliegt,  ist  zwar  nicht  ohne  .\uerkennnng 
geblieben,  bat  aber  doch  nicht  S^enige  Verbreitcutg  gefunden,  welche  er  luuch 
Ansicht  Um  Beferenten  rerdfent.  fir  leichnet  sieh  Ton  den  aUermeittett  Btt- 
ehern  ähnlicher  Bestimmunu'  Inr  li  methodische  Eigenthflmlichkcif '  :i  1ureh 
Selbstständigkeit  nnd  Originalität  der  ganzen  Anlage  aus.  Die  Herren  Leh> 
mann  «oUen  von  Anfang  an  und  m  iveit  nnr  Inner  möglich  ansehanlfeh 
tJTirrrriohteu.  d.  h.  da.-*  frauzusisf-he  Wort  nicht  =:nwr!  nn  r  in  dentschps  Wort, 
sondern  an  das  bezeichnete  öhjeet.  also  an  die  Suche  seihst,  au  die  lebendige 
Ventdlimg  kiril|ifen;  nie  wollen  zweitens  den  ünterricht  leicht  und  angenehm 
machen  nnd  legren  drittens  den  Hauptwert  auf  praktische  Erfolge,  atrf  wirk- 
liuhen  Erwerb  der  iremden  Sprache.  Wenn  nnn  auch  in  vollen  Schulclassen 
der  Methode  Lehmann  gewiss  viel  gröSere  Schwierigkeiten  entgegen  treten, 
als  im  Privat-  und  Institut.<!nnt€rricht.  also  in  kleineren  Schlilerkreisen.  m 
verdient  sie  doch  gewiä^  die  Beachtung  all  er  Lehrer  der  französischeu  Sprache, 
nnd  wir  sind  ttbenengt,  dase  aie  kein  UnbeCMigener  ohne  toterem  nnd  Gewinn 
Studiren  wird.  F. 
Etudes  SUr  in  eonversation  frau^^aise.    Mauael  de  convei^atlon  et  de 

voyage  par  George  Storme.  Hanorre.  Chariet  Heyer  (Gnatave  Prior). 
Von  dem  Grundsätze  geleitet,  dass  die  ^^ic}lti£r^^te  Fuucfion,  gleichsam  die 
ftthnmde  RoUei  in  der  Sprache  dem  Zeitworte  zoCalle,  hat  Verfasser  dieses 
nun  Oentmm  alter  Gonrersationstthnngen  gemacht.  Er  hat  nimHch  diejenigen 
Verben,  welche  als  GrundliLT'  des  sprachlichen  Verkehrs  der  Gehildcten  he- 
trachtet  werden  können,  in  alphabetischer  Ordnung  zusammeug^tellt  und  in 
dieaen  Bahmen  den  f&r  den  Umgang  nöthigen  Sprachsfoff  eingeigt.  Die  Zahl 
der  vorgefttbrten  Verben  ist  1494.  die  Zahl  der  an  sie  anjrefichlossenen  Conver- 
sationssfttze  6736.  Es  liegt  da  ein  tttchtiges  StUck  Arheit  vor,  in  hohem  Maße 
geeignet,  das  Studiun»  der  französischen  Sprache  nnd  deren  praktische  Beherr- 
schung zu  fördern.  Das  dem  Handbuche  angefilgte,  ebenfalls  alpbabeti-sch  ge- 
ordnete,  deutsche  Wörterverzeichnis  erleichtert  die  zusammenfassende  Be- 
schäftigung mit  den  cinaelnen  Materien,  welche  in  dem  Werke  lentrent  vor* 
kommen.  F. 
Die  üsterreichiscIl-uiiiLcurische  Slouarekie.  Geographlsck-statistieches 

Handbneh  von  Dr.  Friedr.  Umlanft.   Wien  n.  Pest,  Harüehen.  2»  Aoll. 

gr.  8".  967  S.   Preis:  6  fl.  ö.W. 

Umlauft's  Handbuch  hat  einen  doppelten  Charakter;  es  ist  ein  Nachschlage- 
buch und  in  vielen  Partien  ein  Lesebuch.  Nach  )>eiden  Seiten  entspricht  es 
strengen  Antorleniiiijen.  .Soweit  Verlässlichkeit  auch  im  I>etuil  hei  einem  so 
umfangreichen  geographischen  Werke  erreicht  werden  kann,  wenn  dasselbe 
ächt  in  allen  Theflen  nach  Autopsie  geschrieben  wird,  ist  sie  erreicht  Es 
wird  wol  in  Neben^.'ichlichein  herichtiet  werden  (siehe  z.  B.  Busaltherir  hei 
,^teinschönau"  in  Böhmen,  Lief.  7},  im  großen  und  ganzen  bleibt  es  doch  das 
beste  gegenwirtig  Aber  die  Honarchie  geschriebene  Handboch.  Sehmiedel  ist 
längst  schon  veraltet.  Anch  die  erste  Auflacre  (187()1  ist  von  dieser  zweiten 
in  jeder  Hinsicht  überholt;  ist  fast  ein  anderes  Buch  ge wurden.  Streht  das 
Werk  in  seinem  statistischen  Theil  nach  größtmöglicher  Genauigkeit  und  bringt 
es  die  Ergebnisse  der  jüngsten  Volkszählung,  so  sucht  e.n  in  den  eingeschalte- 
ten ..Charakterbildern"  den  trockenen  Lehrbuchton  abzustreifen;  Umlauft 
Uberlässt  hier  beredten  Sebüderetn  und  gewiegten  Kennern  von  Land  und 
Leuten  das  Wort.  So  erhalten  vrir  farbenprächtige  Skizzen.  Wer  d.i  weiß, 
ivie  schwierig  es  ist.  für  viele  österreichische  Lande,  die  trotz  Schönlieit  uud 
Großartigkeit  der  Natur  norh  iunuer  abseits  von  der  Heerstraße  unserer  schrift- 
steUemden  Touristen  liegen,  anschauliche  and  lebensvolle  Schildereien  aufzu- 
finden, wird  mit  d«n  Lobe  über  diesen  Theil  des  Umlanft'schen  Buches  nicht 


Digitized  by  Google 


—    4  — 


zurttckhaiteu.  51  VollbiMer  uud  ca.  120  in  den  Text  eingedruckte  kleiitf^ie 
Holzschuitte,  zumeist  nach  l'Lotographii-n  oder  Naumnfnabmeii,  beleben  ülirr-. 
flies  den  durch  da?«  Wort  emi»fi\i)e:eii»;n  Eindruck.  —  Wir  wteschen  dem  BticL*' 
recht  viele  Leser  auch  auUerhalb  Österreichs,  wo  rtber  die  Monai' h:-:  i. 
heute  viele  unhcbtige,  ja  die  douderbarsten  ürtiieüe  und  Asscbauungea  im 
Schwange  titui,  W. 

Les>iiiirs  llamburgischc  Dramaturgie  fürdcn  ScUoJgebraucheiniferichtet 
und  mit  Erlftnteningeii  vendien  von  Dr.  J.  BasckmaDn.  Trier.  Lintz  1882. 

ßufflimanii  L'f  lii'rt  zu  jenen  S'  JuiliriSnnera,  die  mit  Glück  auf  allen  (Tebieten 
df-*  dt  KtM  In  11  l  uifiii«  ht-i  iiteraiisch  thätig  sind.  Er  hat  eine  Grammatik,  ein 
L*-'.lHich  für  alle  Clausen  des  Gymnasiums,  eine  StiiUlin-,  einen  Abriss  der 
Metrik  und  Poetik  i^c«^«  lirieben  und  •  iii^'  lifüobtt-  h'i  l.ulau-i.'^ab*-  de-*  L>\  k'- n 
veranstaltet,  der  sich  uuu  die  vorlitictuik-  Au-yak;  der  liauiburgjMUtrn 
t^urgie  anreiht.  -\uch  sie  lä.sst  den  praktischen  Schulmann  erkennen,  ^»owul  iii 
der  .\a?swahl  der  Cnpitel  als  in  der  Art.  wie  diese  erläutert  werden.  Es  im\ 
nur  stdche  Theile  aufgenommen,  die  sich  auf  den  Schillern  znträngliche  Theater- 
stllckt;  stützen  und  Fnu^en  der  Dramaturgie  behandeln,  welche  innerhalb  dt-s 

{geistigen  Uorizontei  der  Schttler  liegen  imd  aof  die«  bildend  einwirkea.  In 
etxumr  Hnwicht  ist  durch  Ihbaltsan^raben,  Hervurhebnng  der  IH«|iQ8ition. 
zusammenfas.'jende  Fragen,  ihirch  sachlichf'  und  »pra«  lilit.h<-  Eiuz'-lerklSrnuiren 
dem  Verständnis  des  schwierigen  Werkes  euttfegeugekommen.  Busdunaau  hat 
bei  seiner  Arbdt  avch  die  wiseenachnftMcben  ErlInterongeH  eines  CoMdi,  eines 
Tiii'T- 1  iniil  TLieh-  -flu  benfttzt.  Es  wäre  im  Interesse  der  Sache  zu  wfui- 
*(  heu,  lia;-?!  sviuf  ^ciiriit  auch  in  dt*u  Lehrerbildungsanstalten  studirt  werde. 
Gervinus  sagt  von  der  llambiirgischen  Dramatxugie:  ,.Ich  kenne  kein  Back, 
bei  ii>.ni  'in  detifschcs  Gemüth  liber  den  Widerschein  olit  d-nt-cher  Nati.r. 
Ticii;  (l>r  Erkenntnis.  Gesundheit  des  Kopfes,  Energie  des  Charakters»  KeiD)<ir 
des  Gc<ohma<  k^  inntgt^rc  Freude  un4  gerechtfertigteren Stolx  empfinden  diirt:^, 
als  Lf'>MnL-  Hambmgisohe  Dramaturgie."  W. 

Die  Projeetionsknnst  fiir  Schnlen.  Familien  nnd  nfTentliehe  Vr.rst.^llnngen 
nebst  einer  .\nlf  ituii<r  zum  Mnlen  auf  Glas.  8.  nmgearb.  n.  verm.  Auflage. 
1Ü5  S.   Düsselduii  lhiS2.  VA.  Liesegangs  Verlag.   Preis:  5  M. 

Das  hübsch  aasgestatt*  tc  im-l  mit  IKS  Illii<ti;\iionen  versehene  Buch  enthält 
nebst  der  Darlegung  des  Wesens  der  Projectionskuust  die  Beschreibung  des 
optischen  Systems  des  Prqjections-.^pparates  und  der  verschiedenen  Utensilien 
snir  Eneugung  von  Nebelbildem  sowie  die  Beschreibung  verschiedener  optischer, 
magneti-scher,  chemischer  und  elektrischer  Versuche.  Wir  empfehlen  es  insbe- 
sondere jenen  Vätern,  die  ihren  Kindern  interessante  und  belehrende  Unter- 
haltungen <u  beieiten  wQnschen.  J.  JB. 


Bsekdruekmi  Jalias  KHnkliardt,  Lcivxie- 


Digltized  by  Google 


Literatnrblatt. 

Beilage  zum  Paedagogium,  V,  10. 

Eli'uu'iitares  Lohrbiich  der  alarcbraisflien  Analysis  tlir  den  Untei- 
ricbt  an  technischen  Anstalten  von  Hans  .Staudacher,  Protessor  tiir 
UAthematik  und  Pliyalk  am  Kgl.  Bealgyinttariiuii  zu  Speier.  Hfincben  1882, 
R,  Oldenboiir.  169  Seiten.  Prab:  2^  H. 

„Vurlie^ondt  <  Lflirliii'  li."  s.iirt  der  Verfa^NPr.  „ist  allmählich  aus  di  n  Voitriii^m 
Über  algebraische  Analysis  entstanden,  welche  der  Verfasser  seit  mehr  als  zehn 
Jahren  an  den  beiden  oberen  Classen  des  K^l.  Realgymnasiums  hält."  Er  lei> 
tet  $eiii  l^uch  mit  iler  (>»mbination«:lplirp  ein,  \vt'l<  lier  «Ipr  hinoiiii><  he  Lehrsatz 
i\\r  gau/.e,  |)usitivc  Exponenten,  die  arithmetischen  lieihen  erster  und  höherer 
Ordnung,  die  geometriadiett  Rdben  und  die  Rechnnngsarten  mit  vom^ilexen 
Zahlen  t"<ilir.  ii.  Die  Lehre  von  den  Pfterminantcn  knüpft  an  die  Cumbinations- 
lehre  an  und  schließt  mit  dti  Auwendung  zur  Autlnsun^^  von  Gleichungen 
ersten  nnd  zweiten  (.rraden  mit  mehreren  L'ubekaunten.  Es  folgen  die  Auf- 
Ißäungen  von  Gleichungen  dritten,  vierten  nnd  höheren  Grades,  die  Kennzeichen 
der  ('«»nvergenz  der  Reihen,  die  binomische  Reihe,  die  trigonometrischen,  loga- 
rithmischen, cyklomctrisclieu  ini<l  rt-nirrenten  Reihen.  I»ic  Vi irtrags weise  des 
Vei&Mers  ist  ausgezeichnet  durch  Einfachheit  und  Fasslichkeit.  Besonders  zu 
lohen  (hiden  wir  die  Ansehauliehkeit  in  der  Behmdlung  der  Rechnungsart«n 
mit  lafi-ralcn  Z.ilili  n  und  die  graphische  Darstrllnnir  derselben,  fenit  r,  <hi<s  der 
Nutzen  der  Determinanten  alsbald  an  der  Lösum;  von  quadratischen  Glei- 
ehnngen  mit  zweien  Unbekannten  klar  gemacht  wirC  dann  die  Erlftnterunir  der 
Stnnn'schen  Reihe  nnd  endlich  ilen  rbfr^-anir  vom  irrednrihlen  Fall  drr  Cai"- 
danischen  Fonncl  zur  trii^unumetrischeu  Aullösuu^ir-  Mi'  diesem  Ab^chuittt;  hat 
unsere  Zustiiiinnuiir  und  unser  Lob  sein  Ende  erreicht,  denn  was  nun  folgt, 
n&mlich  dieThiorie  der  Reihen,  übersteigt  im  altgemeinen  das  Gebiet  der  höhe- 
ren Sthule,  uuil  wenn  schon  unter  besonderen  Verhftltnisjseu  dieser  Stoff  zum 
Vortrage  (^'*  langen  soll,  so  h&\^ii  wir  im  Tergangenen  Jahre  durch  das  Lehi^ 
buch  von  Worpitzky  eine  an  Durchsichtigkeit  mustergiltige,  an  Durchgeistiguug 
uuilbertrefniche  Dantellung  dafür  erlialten.  Nur  nebenbei  wollen  wir  bemer- 
ken, dam  die  Binfthmng  des  Qymbols:  anstatt  .  (^)  weder  nothwendig, 
noch  zwerkniäßiir  ist.  Im  Ganzen  aher  geiiiirt  dieses  Buch  zu  jenen  Erschei- 
nungen, welche  der  ITachmann,  der  die  Literatur  seines  Gegenstandes  kennen 
will,  nicht  nnbeaehtet  lassen  diof.  F.  E. 

J.  (i.  Jlaier,  Oberlehrer  am  k.  ^jchuilehrer-Seminar  Künzelsau.  Lein  lau  h 
der  Elementar-Ariflimetik  nun  Glebmnche  in  Scholen,  Lelirerhfldungs- 
anstalten  und  beim  Selbstunterrichte.    Stattgart  1882,  D.  Gundert. 

I.  Theil:  Pr\s  ■Rechnen  ntit  :ihsolnten  Zalilengif.ßen.  256  Preis  3,60  M. 
Tl.  Theil:  Das  Rechnen  mit  algebraischen  Zahlengrüßen.  330  S.  Preis: 
4,50  M. 

Der  Verfasser  stellt  sich  seihst  die  Frage,  ob  ein  Bedürfnis  nach  seinem 
Buche  vorhanden  sei,  nnd  heantworttt  dieselbe  mit  Folgendem:  ..Ks  tehlt  an 
einem  tieferen,  ich  möchte  sagen  wissenschaftlichen  Verständnisse  der  gewöhn- 
liehen, nnserem  bttrgerltehen  Leben  entnommenen  Aufgaben  in  formier  nnd 
sachlicher  Beziehuni,''  und  an  der  Bekannt srhaft  mit  ilen  verschiedenen  Lö^nngs- 
arten."  Diese  Worte  enthalten  den  Plan  des  BuchcH.  Wir  finden  im  ersten 
TheOe  die  Becbnungsarten  mit  ganzen  nnd  gebroehenen  deloHliBeheit  Zahlen  in 
einer  Hchtigai  nnd  fuilioben  Daiatellang,  der  grBBte  Theil  des  lUumes  nnd 


Digitized  by  Google 


dio  üorcrfSlri P>i.ii,(ii<lltniy  i-r  aTir-r  <\p\)  Aiifarih^n  zugewendet,  welche  zltr 
Kegeldetri  geuoiiu  uiWr  uut  deiöelUeu  verwandt  »ind.  Der  zweite  Tlieil  ent- 
hftlt  die  Reclinuiufsarteu  mit  allgemeiDen  Zahlen  in  »achgemäßer  Ausführung, 
wieder  aber  uiuunt  deu  meisiteu  Rntiiii  die  Anweudnug  der  Tlieorie,  da»  ist  die 
Lehre  von  deu  Gleichungen  ersten  und  zweiten  tmidea  mit  einer  und  mehreren 
UnMEMmten,  in  AnApmcb. 

Wir  müssen  e-^  wahrheitsgemäß  au**]trorhpn.  dn^-^  es  dem  Verfa--fr  creltingen 
ist.  in  das  (.t  liiet  der  Regcldetri  nml  der  verwandten  Aufgaben  miwoi  in  Bezug 
aut  ihn  11  Miulilichen  Inhalt,  al>  am  Ii  hinsichtlich  ihrer  teclmischen  BeliandliUiig 
eine  Übersiclit  und  datnit  zugleich  Yertiefiuig  der  Einsicht  zu  bringen,  welche 
bisher  noch  nicht  erreiihi  war.  Dieses  Ziel  hat  der  Verfasser  dadurch  erreicht, 
daas  er  die  sogenannten  verkehrten  I*roport  innen  als  solche  von  der  Betmch- 
tnng  ausschlov«;  und  die  bezüglichen  Aufgaben  auf  directe  Pn^portionen  xuiftck* 
zufuhren  verstand,  wobei  der  Gedankengang  etwa  folgender  ist:  Eine  Wirtrenuar 
kann  von  einer  oder  vmh  mehreren  Ursachen  abhängig  gedacht  werden,  dem 
I(emä6  nuterscheideu  wir  einfucbe  und  jnuanunengesetzte  Glieder  in  einer  PrtH 
portion.  Z.  B.  Der  Zins  ist  diu  Ergebnis  ron  (»pital  und  Zeit,  der  Fracht- 
lohn  hängt  \  i'n  r,.i>t  und  Wog  ab.  Sonach  I.i>Ht  .'ich  eine  \  «•rk.-lu  t'-  lug-  !- 
detri  als  eine  diiecte  mit  zweien  zusammeugesetzten  und  mit  zweien 
g-leiehen  Gliedern  betrachten.  Dam  diese  Betraehtangsweise  dne  sadigemftAe 
.«t'i,  (-rlu  llt  auch  der  T- xriniiiij  der  Aufg-aben  dr-r  verkehrten  Reirr-Mern. 
bei  wcklier  die  Wortt;  „gerade  so  viel"',  „eben  ^  viel"',  „deu  gleichen  Ziu»"', 
„einen  ebenso  großen  Lohn",  „bei  gleichem  Fläche"'  tt.  9.  w.  nicht  vermieden 
wenlen  können.  Diese  Auffassung  gestattet  deu  Zii<«anini«  rili.ing  d.  r  vi  r-chie- 
denen  gebräuchlichen  Lösimgsarten ,  deren  der  Vertajiser  uichl  utui^er  ab 
zehn  aufzählt,  als  einen  einheitlichen  zu  erkennen.  Namentlich  fugt  sich  ancll 
die  Reesische  Regel  Kettensatz)  der  Behandlung  verkehrter  Projwrtionen, 
wovon  sie  bislaug  ausgeschlcssen  war.  —  Auch  die  Darstellung  der  Gleichung*- 
lehre,  bei  wi  Icher  bis  zu  den  höheren  Gleichungen,  die  sich  auf  «luadratisehe 
surttdtfüluren  lassen,  und  den  £xponential>GleichuDgen  gegangen  wird,  rerdient 
m  Bezug  anf  Sorgfalt  and  OrQndlicbkeit  alles  Lob.  wenn  sdion  letztere  inaneb- 
mal  an  Breite  streift.  Alle  übrigen  Abthi  ilunirrn  des  Bnches  sind,  w-  im  ->  h>-fx 
keine  hervoiragendeu  LeidCungen,  doch  eine  richtige  und  üassiiche  Wiedergabe 
des  Bekannten.  Dieses  unser  Lob  soll  keinen  Bintn^  erleiden,  wemi  wir  nun 
den  Verfas,«.  r  auf  tini:,'*'  I'nErenanigkciteu  aufmerksam  machen,  welche  sich 
eingeschlichLü  haben.  So  lesen  wir  bei  der  Multiplicatiun  uud  Division  eineä 
Bruches  durch  eine  ganze  Zahl,  sie  geschehe,  indem  man  entweder  den  ZUüer 
oder  den  Nenner,  oder  beide  mnlfipli  irf  .dir  dividirt.  Es  darf  aber  eine 
brauchbare  Regel  keine  so  unbestiniinte  Fafi.sung  haben.  —  Die  abgekürzte 
Hnltiplication  erfährt  eine  wesentliche  f>lrichtemng.  wenn  der  Mnitiplicator 
in  umgekehrter  Ordnimg  unter  den  Multiiilicand  geschrieben  wird.  w;i>  d-'r 
Verfasser  unterla.ssen  hat.  —  Bei  den  Keclinungsarten  udt  allgemeiuen  Z.iUku 
wäre  es  angezeigt,  den  Gehrauch  des  Vorzeichens  besser  zu  begründen.  —  Im 
zweiten  Theile  wäre  auf  Seite  24  die  Note  6  ganz  wegzulassen,  denn  sie  be- 
ruht auf  einem  Hissyerstftndmfwe.  —  Auch  sollte  der  Verfasser  etwas  Tor» 
sichtiger  -ein  in  der  i^ciiiiffunir  von  Kunstausdriiekeu;  es  ist  nicht  erlaubt. 
KunstauAdrUcken,  welche  mit  einer  bestimmten  Bedeutung  schon  in  Verwen« 
dung  stehen,  einen  neuen  Sinn  nnterzuschieboi.  So  muss  es  Seite  161  genaver 
heißen:  Gleii  ]i  na  iniir.  wenn  P'ttt  n^iande  und  Expouente  gl-^ich  mxd:  s-leich- 
gradig.  Wenn  mir  die  Exponente  gleich  sind  u.  s.  w.  Wortbildungen  wie 
„Miuusgröße"  siud  nicht  von  gutem  Geschmadte,  denn  es  wird  damit  eine  rer» 
Sndertielie  Eigenschaft  zur  Hauptsache  gemacht:  man  sagt  doeli  lucli  nicht; 
„liothgröiie"'.  ..Hartgröße"  etc.  —  Bei  der  Zinsesziusrtcluiuug  erjk Leint  der 
Ausdruck  fiir  d  Endcapital  in  einer  sdur  nn|;esebickten  Gestalt.  —  Bei  der 
Annuitäten-Rechnung  i^t  nicht  das  Anfangscapital,  sondern  das  Endcapital  iu 
die  Gleichung  eiuzustelleu.  —  Der  Staffeldivision  lässt  sich  eine  viel  ge- 
drungenere Form  geben  als  auf  Seite  306  zu  sehen  ist 

Wir  wünschen,  dnf;<  der  Verfasser  in  einer  zweiten  Anfbüre  seiue>  Buches 
bald  Gelegenheit  findet,  vorstehende  Mängel  nebst  eiuigeu  Druckfehlern  zu 


Digitized  by  Google 


—  3  — 


vpr^<>^fni:  aut'enlem  milchten  wir  ilmi  rathen.  -l-n  trsten  Thcil  eben-u  mit 
eigeueu  Aulgabeu  zu  vergeben,  wie  deu  zweiteu  Tlieil.  Es  wird  die.^  der 
hücLst  wflnflcheuäwerteii  Terbreitung  seines  Bachei  viel  zntrKgticher  sein ,  als 
die  Berufung  auf  eine,  wenn  auch  sehr  hekannte  Av^abraiiainnilansr.  H.  S. 

Otto  T»  Letxner,  Illiutrirte  Litenitiurg«8chidito  der  vornehmsten  Cultnr- 
Tlttker.  I.  und  II.  Band:  CTCschichte  des  deutschen  Schriftthllins.  Prei:»:  geh. 
14  31..  »l'ü.  geb.  18  M.  III.  und  TV.  Band:  Geschichte  der  fremden 
Literaturen.  Preis:  geb.  13,50  M.,  eleg.  geb.  17,00  M.  Leipzig,  Otto 
Spamer. 

Ldxner^s  Litenitnnrmehichte  kommt  es  nicht  danvf  aa,  den  Entwielcliinfl:«- 

gang  je<ler  eiii/>Iii*n  Lit«iarur  etwa  blos  z«  skizziren,  di«-  Vrifret.r  rler 
Uauptricbtuugeu  einfach  zu  neimen  and  durch  ein  paar  fertig  überlieferte 
Urtheile  eu  charaktetMren.  flondem  »ie  nieht  viefanehT  dnreh  mnAhriiche 

Iuhalti*aiiiraHpn  der  voniphniston  Dichtungen,  durch  Mittln  ilniie:  länLr»'rt  r  Pielu  n 
au9  ihnen  und  daran  i<ich  schhetiende  Comnientare  und  ü»tiieti»che  Äualvncu  die 
Dichter  selbst  unserem  VerständnLwe  und  Herzen  näher  zv  bringen.  DaWi 
schildert  sie  in  vulti-r  Erkrnnttii«  der  Kiircu-M-iiaften  einer  popni.iieii  I^ar- 
ötellung)  die  i'ulturverhältnisse,  aus  denen  sich  die  Literatureu  eut\vi<  kol- 
teft  Qua  die  jede  Eigenart  derselben  niitbedingten.  dort  aiistVi lirlicher,  w«*  sie 
unserem  modernen  Wesen  fremdarti!?  gegen  Ubertreten  (z.  B.  bei  Hellas,  Indien 
etc.).  dort  aber  wieder  nur  durcli  einige  leichte  Striche,  wo  diese  geuilgtn. 
l'ek.^nnte  Erscheinungen  oder  verblasste  Kenntnisse  in  lebendige  Erinnerung 
zu  bringen.  Du»  Ganze  hebt  —  und  das  ist  nicht  etwa  nur  etwas  Neheusäch- 
liches,  was  sie  tot  andern  iwpnlären  Geschichten  der  Weltliteratur,  z.  B.  der 
von  Scherr  voraus  hat  —  ein  i  t  ielier  Schmuck  von  sorgfältig  ausir'  wählten 
Illustrationen.  Sie  kommen  dem  Verständnis  des  Wortes  hilfreich  ent- 
gegen. dfCngen  sich  nicht  lUs  Hauptsache  in  den  Vordergrimd  nnd  werden, 
Aveil  /nineist  IUH-«-trat<'ren  entnoniiiieti.  dii-  den  Dielifern  in  ireni.ilfr  Wci-ic  mrh- 
ziiiühlen  vermochten,  eine  vielen  wüikommeue  ätUtze  der  Phantasie  und  wol 
auch  des  Oedftehtnisses  sein.  Besonders  sahlreich  sind  die  nach  anthentischen 
Stichen  jrcaHieireTen  Porträts. 

Den  -Mittelpunkt  des  Werke.*?  bildet  die  Geschichte  der  deutx  hi  ii 
Litt  iatur.  Sie  umfasst  deu  größten  Raum  (2  Bände);  auf  sie  wird  bei  De- 
8)irechung  der  freniden  Literaturen  ununterbrochen  Bezug  genommen,  sei  es, 
dass  ihr  Einfluss  auf  ein  Dichterwerk  der  fremden  Literatur  betont  oder,  was 
ja  häufittrer  der  Fall  ist,  die  Art  der  Einwirkung  des  fremden  Werkes  auf  das 
deut-elir  ht'rvorgehobeu  wird  oder  dass  der  Parallelismus  in  der  Entwicklung 
beider  Literataren  aufgedeckt  enn^heint.  Leisner  ist  ein  zu  besonnener  Histo- 
riker and  ein  Tiel  zu  gediegener  Ästhetiker,  nm  hier  den  richtigen  Standi>unkt 
bei  der  Wertschätzung'  der  heiinis.lien  Dichtung  zn  verlieren.  (Chauvinismus 
liegt  ihm  fem.  „Gerecht  allerwege"  ist  sein  Wahlspruch.  Und  da  er  auch 
den  Stand  der  Fonehniur  nnd  seine  VortrSnirer  genau  kennt,  den  Stoff  allseitig 
beherrscht,  zugleich  ein  Meister  <\i--~  '^r^Is  in  dem  Abwftir™  der  Wort»^  i«t.  ■^o 
dass  sein  Urtheil  nicht  minder  klar  als  scharf  jede  Zweideutigkeit  aus.schließt, 
ist  es  eigentlich  nach  dem  Gesagten  seHwtversiändlit  h ,  d.tss  seine  Literatoz^ 
geschichte  ein  gutes  Buch,  ein^  Air  Hausbuch  geworden  ist. 

Eines  möchte  ich  noch  hervorheben,  da  es  eben*.ill>  dem  Buche  Freunde 
gewinnen  kann.  Leixner  widmet  der  Literatur  der  uuuiittelbaren  Gegen- 
wart eine  eingehendere  Betrachtung,  als  sie  yielleicht  nach  ihrem  wahren 
poetischen  Wert  venliente.  Ich  halte  di<>s  hei  einem  popnlären  Werke  für  einen 
Vorzug.  Die  neueste  Literatur  (mau  denke  nur  an  me  fViinzöswehen  Romane 
uud  Dramen  der  Gegenwart^  nimmt  nach  unserer  ganzen  iet/i:;on  Richtung 
einen  so  umfangreichen  £inflas8  anf  unser  Denken  nnd  Fühlen,  über  sie  sind 
eine*  Heng«  scMdigeuder  Hodeurtheile  im  Umlauf,  dass  es  wahrlieh  noth  thut, 
dieselbe  auf  ihren  Wert  oder  Unwert  auch  in  einem  Buche,  wie  das  vorliegende, 
zu  prüfen.  W. 


Digitized  by  Google 


—   4  — 


ErlSut^ruiisr  inid  IVUrdleun^  deutscher  Biehtiiiigpen  von  Nadler. 

B«rnbnrK  Bacnieistor.   gi-.  8.  434  S. 

In  ^ohlicher  und  methodischer  Hinsicht  ii*t  das  vorlieg^ende  Werk  eine  rein- 
liche Arbeit.  Die  EiuleitHn«,  in  welcher  sich  der  Verfaisser  über  ä.«theti!»che 
BildoQg  auMpricht  and  darüber,  wie  diese  darcb  Zeichnen,  Musik  und  Poesie 
in  <l«r  VolksMlrale  gepfle«^  werden  liuiii,  «ithXlt  t«>  gesunde  Ansebanimgen, 
das!<  II  . III  si,  h  auch  mit  Int^'resse  dem  Haupttli»  il»'  des  Buches  zuwi-ndet:  d»  r 
Erläuterung  uud  ästhetischen  Würdigung  vou  liemuuui  und  Dorothea,  Miuua 
von  Barnhelm,  Wilhelm  Teil  und  meh'r  nls  bnndert  epischen  nnd  lynschen 
CJhÜ' lit«  II.  l'i'u  Referenten  >^iinMit  «Ii- r  Tlieil  (lamm  an.  weil  „die  Erläu- 
terungen" zum  Verständnis  der  Gediclitt- ,  be»ujider»  die  SacherkJärungen.  stramm 
gi^^eben  sind,  weil  sich  bd  der  .  Betrachtung  des  poetischen  Wertes  *  (sei  e« 
nnr  der  i>nf.ti?cheu  Momente  dtis  Stoffes.  .,<!.r  d-^r  Sli<"iiht'iteii  iler  Fenn) 
ein  »icherer  und  fester  Oang  «»ftenliart  uutl  alles  einen  philosophisch  durch- 
gebildeten Geist  venitlL  Dass  ihr  «iedichte  nicht  zur  Grundlag«  einer  bloten 
Denkoperation  genommen  sind,  würde  Referent  .srhi<»ßlich  j^ar  nicht  als  Vorzug 
erwälmeu,  wenn  alle  Conuueutare  diese,  mau  sollte  glauben,  selbstverständliche 
Eigensdiaft  besftBeo.  — r. 

leitfaden  zu  elBem  methodlselien  Untenriehte  In  den  wMMlehen 

Handarbeiten.   Mit  23  Wandtafeln.    Von  Martin  Godai.  weil.  Direc- 
tor  der  MttdclieniibnnerJ^schnlp  am  stfldtischen  Pildagoginni.    Pn-i-«  des  L^»it- 
fadeos  nnd  der  Wandtafeln  4,bU  Ii.    Wien  und  Leipzig,  Jnlias  Künkliardt. 
Ein  ganz  eigenartige«  Werte,  welehes  wol  verdient,  eingehend  hesproehen  m 
werfl'ii,  littet  dn  vor  nn^'.    Der  ..Lfitfadcn" .  zwar  äußerst  knapp,  aber  doch 
allgeiiiem  verständii^  h  aliL'i  tassT.  zeiirt  da^s  in  jeder  i  lasse  zu  erreichende  Lehr- 
ziel nnd  deutet  die   b.  im  .Mas-,oii unterrichte  anzuwendenden  Handgriffe  in 
militärisch  kurzen  Befehlen  an.  Die  Wandtafeln,  in  der  Größe  vou  47  P4  cm, 
sind  selb.st  am  äußersten  Ende  eines  Lehrzimmers  noch  deutlich  zu  erkennen, 
schmiegen  sich  genan  dem  Texte  an  und  veigi^ien  wärt  igen  das  von  der 
Lehrerin  ein-  oder  mehreremale  Gesagte  und  Vorgezeigte  dauern  1  d»!m  Auge 
des  Kindes.    Von  mehreren  Seiten  wunle  uns  schon  die  Vorzü^rli»  likeit  diese« 
Lehrmittels  gerühmt,  und  auch  wir  sind  überzeugt,  dass  bei  richtiger  Auwen- 
dnng  beim  ^ktassenonternchte  recht  erireoliche  Eesnltate  mit  Hilfe  desselbea 
erriek  verden  mflssen. 

Nfii  Ii  wiill'-n  wir  der  rt.  iisilien .  wekhi.'  doii  n.  braiub  dir^t-^  LehrmitteU 
wesentlich  fürdem,  itnd  die  durch  die  Vexlagshaudlung  um  den  Preis  von 
3  II.  SV  haben  rind,  ErwKbnang  thnn.  Diesdben  bestehen  in  einem  groftes 
polirten  Holzrahmen  mit  rorgezogenen  S.  hiiilreii,  2  «Toßen  hr'Izerii'Mi  Stri<  k- 
nadeln,  einer  großen  Häkelnadel,  einer  ebensolchm  Xt  tznadei  und  Wake. 
fiahmeu  ist  mit  einer  groteii  Ansahl  gelber  Nig«  l  v.  r-:ehen,  «dcbe  es  ermög- 
lichen, die  Schnüre  enir  oder  weit  Tin  ziehen,  je  nachdem  es  augen>rli.  kli-h 
beiiöthigt  wird.  Au  dienern  liahuieu  l4u>.sen  sich  nun  die  verschiedensten 
Arbeiten  vorzeigen,  als:  alle  Arten  Nähstiche,  Ausnähon  des  Netzes.  Schliug«- 
stich,  die  den  Kindern  so  schwer  beizubringende  Strickstoppe  etr.  Wir  k?^nnen 
daher  Leitfaden  uud  Wandtafeln,  sowie  die  zugehörigen  Iteusilieu  jeder 
Madebeiischnle  mt  Anscbatfuiig  bestens  empfehlen.  — e. 


Bnehdruokeni  Jilint  KliBkk«rdt,  Let|Nrif. 


üiyiiizeü  by  GoOgle 


Au^t  [jteraturblatt 

Beilage  zum  Faedagogium,  V,  IL 

Anleitung  zu  dem  freien  perspeetiri^eheu  Zeieliiieu  nach  der 
Katar,  mit  Iwwmderer  Bücksicht  auf  den  Sdhnlnntanielit  und  zugleich  fiir 
den  Selbstnntenicht  Von  0.  G-ennerich,  Geschicbtnnaler  nnd  Ojmnaaial« 

Zeichenlehrer  in  Berlin.    116  Seiten  Text  und  7  Tafeln  mit  97  Figuren. 

Berlin  1882,  Winckelmann  Ä  Söhne. 

In  klarer  und  sutrefiender  Weise  bespricht  der  Verfasser  die  verschiedenen 
Beetnbangen  mf  dem  Oebiete  dieies  wichtigen  md  iehwier^;en  Lehrfrecren- 

standes  uiul  liCirründet  seine  auf  einer  vieljühritjeii  futerrii-litspraxis  b min  1. 1- 
Lehrmethode.  E»  int  ein  Vei^Ugen,  seinen  geUiegeutia  und  überzeugeuilcu 
AmAhningen  zu  folgen.  Da«  Werk  flerftUt  in  2  Abtheilungeu,  von  denen 
die  frstc  die  Dralitmodello,  die  zweite  die  vollen  Körper  Lehandclt.  Die  vor- 
fj-rfUlirtcii  Mudelliiut'stelluii^in  bieten  eine  Reihe  charakicmtischer,  auSchwierig- 
ktit  alliniihlich  waclisemicr,  durchaus  lehrreicher  Beispiele.  In  den  atwgtnvählten 
Aufgalien  erscheinen  10  Modelle  der  t-rsten  und  Ifi  der  zweiten  Abtheilung 
verwendet,  und  zwar  werden  gleichztitig  Ausichteii  einer  und  derselben  Modell- 
aufstellnng  von  verschiedenen  Orten  aus  vorgeführt.  Die  Art  und  Weise  der 
Erörterung  der  Beispiele  i.st  in  den  ersten  nnd  in  einigen  der  späteren  Auf- 
gaben mit  gröBerer  Ausführlichkeit,  zumTheil  jererftdeani  in  Gestalt  des  Vortrags, 
wie  derselbe  in  der  Schulclas.-^e  zu  halten  ist,  gezfi£;t.  Eine  Reihe  vun  Erfahrungen 
hinsichtlich  der  Praxis  im  Massenonterrichte,  welche  sonst  nur  nach  vielfachen, 
oft  verfehlten  Versaeben  gewonnen  werden,  treffliche  Winke  llbw  die  Tertbef- 
lung  des  Lehrstoflfes,  über  die  Beschaffenheit  der  M^dtlle  und  ihren  rationellen 
Gebraach,  Uber  Zeichenmaterialien  u.  s.  w.  erhühen  noch  den  Wert  des  Werkes. 
Die  Hgnren  aind  mit  grioBerSoigMt,  correct  und  sauber  ansgefOhrt,  vnd  nach 
die  Ansstftttnner  ist  zu  loben.  —  Das  Werk  gebort  unstreitig  zu  den  besten 
seiner  Art  und  ist  ties.  uders  geeignet,  zur  Einigung  über  die  Lehnnetbode  des 
beimndt  Iten  Oegeiistanrles  weeentueh  beisntragen.  TS»  na  daher  aUen  Zt  iriien- 
lehrem  bestens  enijitVihlen.  J.  E. 

Tasehenbueli  für  da.s  farbige  Oruameut  zum  Schal-  und  Privat- 
gebranch.  Von  J.  Häuselmaon  und  B.  Bingger.  Zflrich  1882|  Orell 
FMi  dt  Co.   Preis:  7  M. 

Das  Werkchen  ist  für  die  höhere  Stufe  des  Elementar -Zeichenunterrichtes 
bestimttit  nnd  bietet  auf  51  Blättern  kleinen  Formates  (11:16  cm)  80  durch- 
wegs schöne  Üachumamentale  Motive  aller  wichtigen  Stilarten  in  den  bewähr- 
testen Farbendiaden  und  Triaden.  Die  Beiwoduetion  der  Muster  ist  durch 
knappe,  doch  genllgende  Bemerktmgen  und  —  soweit  nöthig  —  durch 
Einzeichnung  von  Theilpnnkten  oder  Hilfslinien  erleichtert;  überdies  ist  der 
Sammlung  eine  kurze  Anleitung  zum  Coloriren  vorangestellt.  Die  Ausstattung 
iSast  nichts,  die  Ausführung  der  Figuren  —  mit  goingen  Ausnahmen  —  wcoig 
m  wünschen  übrig.  Der  I^is  ist  im  Verhältnis  zu  dem  Gebotenen  ein  anter^ 
ordentli<  h  niedrig^er.  —  Da.s  Werkchen  verdient  .sowol  hinsichtlich  seiner  durch- 
aus löblichen  Tendenz  als  auch  hinsichtlich  seiner  Anlage  und  Durchfahrung 
mit  Ehren  genannt  nnd  der  frenndüdien  ficnchtung  der  Ldireiiehnft  wlmstens 
emjpf<diUii  sn  wecden.  J.  £. 

Bilder  aus  der  VölllCPkunde.  Von  Dr.  Michael  Geistbeck.  Mit 
96  erläuternden  Illnstrationen.    160  S.    Breslau  1883.  Ford.  Hirt. 

Eine  Völkerkunde,  wie  die  vorliegende,  wird  dem  SchiUer  stets  ein  gutes 
Hilfiibneh  sein,  aber  aiemals  da  Lemndi,  nnd  ab  wd^et  wili  dieselbe,  wie 


Digitized  by  Google 


uns  dilnkt,  gar  uicbt  augtä«hen  werden.  Als  Privatlectßre  zur  Vcrvüllst&n- 
digimg  dies  geographUcheu,  ^^ell  völkerknndiichen  Unterriolite.s  birgt  das 
Buch  manches  recht  Gutt-,  das  an?  den  vielen  Quellwerken,  die  der  Verlasser 
ffewisBeuhaft  angibt,  mit  weiser  Auswahl  zusammengestellt  iät.  Die  eiuzeluea 
Ci^itel :  Geistesleben,  Gefühlsleben.  Sprache  nnd  Schrift,  Nahmngs-  nnd  Genuss- 
mittol.  Kleidung  und  Schmuck,  Wohnungen,  Handel  und  Verkehr,  geselliges 
Leben,  Ehe-  und  Familienleben,  Trauer  und  Todtencult,  Sechtsverh&ltnis^e. 
staatliche  und  gesellschaftliche  Verhältnisse,  Moralit&t  und  die  Religionen  der 
Völker  und  nicht  gleidun&fiig  Tollstftudig  behandelt;  «o  bAttea  wir  gerade  in 
Beeng  Elf  letitere  ehe  wdtem  AiMfUirnnj?,  sei  ee  auf  Kbateii  Mherer 
Abschnitte,  gewünscht.  Die  Angabe  r  (^aellen  in  Fnfinoten  i«t  eine  sehr 
wiUkommeiie  Beigabe,  da  hierdurch  dem  Leser  Gel^^enbeit  geboten  wird,  Uber 
Partien,  in  denen  eir  ddi  genauer  faifiinnfrai  wiB,  in  betreffenden  Weirke  Wei^ 
läufigeres  zu  lesen.  Die  Ai:--rattuiig.  insbesondere  die  zahlreichen,  wol  vitl- 
tacb  anderen  Werken  entnommenen  Holzschnitte,  verdienen  alles  L<jb  und  i^t 
daher  wegen  Inhalt  nnd  Form  dM  Weikelien  Ldnm  nnd  ?iQ«g«8chrittenerett 
Schalem  heitens  «amenpMdfln.  C.  B.  B. 

Tnmipler*8  Xlttelschnl -Atlas.   GraBe  Ausgabe.  Wiai  1883,  «Hof*  und 

StaatsdruckereL    Preis:  3  fl.  ö.  W. 

Den  gegenwärtig  an  den  öeterreichischen  Mittelschulen  im  Gebranch  stehen- 
den Atlanten  von  Kozenn  und  von  Stieler  tritt  der  vorliecr^de  Atlas  als  Con- 
current  gegenüber.  Kr  ist  in  zwei  Ausgaben  er«:hienen;  die  ..große  Auscab»  - 
enthält  auch  die  Specialkarten  von  Östmeich-Ungaro,  die  der  Verüaver  früher 
als  „pbysikaHidien  Atlas  dar  Honarefaie"  fdbetcändig  herausgegeben  hat  und 
die  iui  Literaturblatt  des  Pädagogiums  (Band  V,  Nr.  4)  bereits  angezeigt  wor- 
den sind.  Tnunnler  sucht  in  seinem  Atlas  die  W&nsche  und  Anifordenuigen 
an  ehran  Sdralatus  an  verwerten,  die  ror  ein  paar  Jahren  tar  Wiener  Yer^ 
„Realschule"  in  einer  Reihe  von  Sitznngf  n  t'<stellt  hat.  Er  hat  für  in  i 
Atlas  grOfieres  Format  gewählt,  die  iibysiJvalischen  Verbältnisse  in  deu  \  urder- 
gmnd  gestellt,  dem  entsprechend  nur  dort  das  Flächencolorit  angewendet,  wo 
eine  blo3  einff^nnige  Umrandung,  wie  sie  auf  den  meisten  Karten  genügt,  nicht 
mehr  auäreicht  {z.  B.  Karte  Deutsches  Reich  >.  feruer  dm  Tiefland  und  Bei^- 
land  in  älmlicher  Weise,  wie  auf  den  Sydow'.schen  oder  Hölzerscben  Schulwand- 
karten, bezeichnet,  auch  die  Meerestiefe  durch  verschiedene  Färhuug  aut'edeutet. 
Die  gleiche  Jüücksichtuahme  auf  die  im  obeu  geiiauuteu  Vereine  gestellten  For- 
derungen bemerkt  mau  weiter  auf  den  Karten,  die  der  £ozenn'scbe  Atlas  in 
einem  Supplement  bringen  wird  nnd  bisher  in  Schulatlanten  fehlten,  also  den 
Sprachen-,  Cultur-,  Dichtigkeitekarten  etc.,  besonders  aber  auf  den  drei  ersten 
Blättern,  von  denen  das  zweite  die  Termincdogie,  soweit  "ie  die  Oro-  nnd 
Hjrdrogiäfhie  nnd  die  horizontale  Gliederung  betrifft,  in  wirklich  lehrreicher 
Weise  tu  einem  eonereten  der  Natur  entDommenen  Bdsidde  darstellt.  Diese« 
Blatt  gefällt  dem  Referenten  als  eine  gut  durchdachte  Neuerung  bes.indf'rs. 
weniger  die  auf  Blatt  2  eiugereihteu  „Charakterbilder",  die  auf  kleinem  Baume 
gezeichnet  und  noch  dazu  ungenfigend  colorirt  waig  Wert  liaben;  d»enM  bitten 
auch  die  verschiedenen  Planieren  der  Schraffining  an  denselben  Ohjecten  dar- 
gestellt sein  sollen,  um  in  ihrer  Eigenart  und  ihrer  Wirkung  auf«  Anire  erkannt 
SU  werden.  Solcher  Aus^teUungen  gäbe  es  noch  einige,  auch  was  U  I  >  rrain- 
darstellung  aof  einzelnen  lüättprn  betrifft;  -nir  mli.>sen  uns  bei  dem  beJächr&nk- 
ten  Raum  bescheiden,  daraul  hingewiesen  zu  haben,  und  berücksichtigen,  dass 
das  Werk  in  erster  Auflage  voiiiegt.  Ähnlich  wie  der  Kozenn'sche  Atlas  ist 
der  Trampler's  sehr  deutlich  in  der  Schrift;  auch  beschi^nkt  er  sich  darauf^ 
nur  ein  Schulatlas  nnd  nicht  wie  etwa  Stieler's  Atlas  zugleich  ein  Atlas  fttr 
Zeitungsles<er  zu  sein.  Weniger  Lob  verdient  die  Farbengebung.  Bei  Tageslicht 
betrachtet  treten  die  Farbenunterschiede  auseinander,  nkht  so  bei  lAmpenlicht; 
und  doch  wird  der  Atlas  bei  dieser  B^enehtnng  wubtt  in  der  Schule  häufig 
gebraucht.  Die  Karte  42  er.scheint  von  diesem  Standpunkte  besunders  mangel- 
haft. Dem  Nationalitätsprincipe,  das  jetzt  die  Welt  beherrscht,  ist  —  »o 
meinen  wir  —  ein  an  groier  Spielranm  emgeiKnut  Eb  ist  das  nnso  anlfiUliger, 


Digitized  by  Google 


\ 


als  der  Atlas  Tnmpter's  filr  östmeichiadie  Schoten  bestimmt  und  in  einer 
Österreichischen  StMtMustftlt  Terle&t  ist.  Auf  Kutte  8  z.B.  racht  der  Schäler 

Gesammtösterreich  verjjehpn!».  Ztiaem  kann  eine  in  so  kleinem  MaBstabe  ge- 
zeichnete Sproeheukaxte  £aropas  ja  doch  aa£  Oenawigkeit  keinen  An^urnch 
eilielmL  w* 

Dr.  Hermann  Kluge,  Themata  zu  deatschen  AnA&tsen  und  VortiSgeiL 
Tflr  hShera  LebnuMtaltea.   Dritte  Auflage.   Attenbiucr  1882,  Beade. 

Seitdem  Liias  und  in  jUnijijter  Zeit  in  beredter  Weir^c  auch  Paul  Klauoke 
daigethan,  dass  bei  der  Wahl  deutscher  AuMtae  iür  obere  Claasen  höherer 
Sebolen  der  encyklopftd^Mshe  Oealehtspiuikt  keineswegs  mafgebend  sein,  ge- 
scliweige  denn  vorherrschend  zur  Geltuni,'-  gel  ra  Iii  werden  dürfe,  sind  die 
Lehrer  bestrebt,  den  deutschen  Aufsata  Toniehmiich  in  den  Dienst  einer  tie- 
ftren  nttouitiiit  nnseiiN'  drei  ^tm.  Ctaariker  Lessing,  Schiller  and  CkMthe 
zn  stellen.  Klnge  kann  von  semem  Buche  satren,  dass  es  diesen  neiim  An- 
schaunngen  Bahn  gebrochen  hat,  ohne  dm  Gute  uud  Berechtigte  der  früheren 
Ifdnnng  Uber  Bord  geworfen  zu  haben.  Denn  es  bleibt  doch  auch  heute  noch 
wahr,  dass  die  sogenftnnten  „all^^eineinen"  Themen  fUr  die  Aneignung  der 
rhetorischen  Seite  des  Aui':»atzes  in  mancher  Hinsicht  mehr  Gelegenheit  bie- 
ten ab  die  nin  Uterarischen.  —  Die  literarisehen  Themen  stellt  Kluge  zu 
Gruppen  zusammen,  deren  Mittelpunkt  das  eine  oder  andere  Werk  oder  der 
literari-sche  Charakter  eiues  hervorrageudeu  Schriftstellers  ist.  So  umfaßt  die 
„Nibelungengmppe"  27,  die  „Teilgruppe"  und  die  „Gustav  Freytaggrujjpe"  Je 
12  Themen.  Lessing,  Goethe  und  Schiller  sind  in  nicht  wenige);  als  102  Auf- 
sStcen  Gegenstand  intensiver  Betrachtung,  die  steh  nicht  bloe  auf  den  Inhalt 
und  den  Cliarakter  ihrer  Werke,  sondern  auch  auf  ihre  Biographien  und  ihr» 
Stellung  zu  einander  besieht.  Diese  Vielseitigkeit  in  der  Aoffaseung  kenn- 
seidaiet  aiicli  die  Tbemen  ..alfgemeinet'*  Art  Bs  sind  tlidls  Besdireilmngvn 
und  S<jhildentngen,  In  denen  Ii-  s.ni  lors  der  irrmllrtn- .llr>  Antheil  des  Mni-chru 
an  der  Natur  betont  ist,  theils  Vergleiche,  theUü  philudophische  Betrachtungen 
«nd  Abhandlungen.  Auch  hier  ist  die  dritte  Auflage  gegenüber  der  iwenen 
um  eine  ansehnlidie  Zahl  Themen  vermehrt  worden.  Die  Themen  aus  der 
griechischen  und  rüuiiächea  Geschichte  und  dem  Zeitalter  der  Kt^tormation  sind 
dagegen  unverändert  beibehalten. 

Was  die  Art  der  BehundUmg  betrifft,  so  pnhlägt  Kluge,  der  ia  dnrch 
seine  vortreffliche  Literaturgeschichte  schon  alü  criahreuer  Sthulmaun  bewahrt 
hat,  einen  3Iittelweg  ein,  der  fUr  ein  Buch,  das  SchOlern  in  die  Hand 
gegeben  werden  soll ,  unstreitig  der  rechte  Weg  ist.  Klage  gibt  nfimlich  weder 
vollständig  ausgearbeitete  Dispositionen,  noch  stellt  er  den  Stoff  vollst&udig' 
zusammen.  Er  streut  Fragen  ein.  die  den  Schiller  damuf  fllhreu.  das  be- 
treffende Sto%ebiet  nach  bestimmten  Bichtungen,  die  l&r  das  Thema  eisiebige 
Ausbeute  Terspreehen,  durehzadenken;  er  lainmelt  Citate,  die  cv  Oedaalmi 
atirpn-eTi  können  uud  dasTli-  n.  i  ^  «  n  v.  r-r-hir  lmen  Seiten  beleuchten.  Wie  die 
einzelnen  Schüler  aof  Grund  der  Audeutuugen  des  Kluge'schen  Buches  die 
DiqHMitleii  ansarlidtea  nnd  das  Gegebene  verwerten «  wird  nach  ihrer  IndiTi' 
dualitAt  ganz  verschieden  sein:  Sie  haben  an  Kln^^e  eine  Hilfe  und  Stütze 
gefunden  und  ihre  äelbdtthätigkeit  und  SelbststAndigkeit  ist  doch  gewahrt. 
Ich  glaube,  dass  ein  Tbemenbuch,  daa  ftr  die  Hand  der  Sdininr  keatmmt  ist» 
keine  andere  Aofgatae  USsen  darf.  W. 

Ärieehiselie  Heldonsaffon.   Für  die  Jngend  bearbeitet  voa  J,  C.  Andrft. 

Zweite  Auflage.   44;i  S.    Kreuznarh,  ^'nis-tl.lnder. 

hieben  den  Bearbeitungen  der  grieehischcu  Heideusageu  filr  die  Jugend  von 
Oustav  Schwab,  K.  F.  Becker  und  Xiebuhr  wird  in  Zukunft  auch  die  von 
Andrä  gern  gelesen  werden.  Sie  besitzt  einen  Schmuck,  der  auf  die  stndirende 
Jugeud  eine  bes^juders  wirksame  Anziehung  auszuüben  vermag:  Sieben  Farben- 
druckbilder und  2\  in  den  Text  tredrnckte  Holzschnitte  nach  antiken  Wand- 
gemäldeu,  Reüets  und  Vasenbildem.  Ahger»eheu  von  dem  Werte,  den  jed» 
Veranschaulichung  deü  Wortes  au  uud  für  sich  hat,  beiiit^eu  diente  Bilder  einen 


Dlgitized  by  Google 


groDcu  Keiz  dadurch,  ikvi«  sie,  uach  antikeu  ürigiualen  gearbeitet,  die  Jugend 
ganz  unmittelbar  in  die  antike  Au{fa.Hsung  der  Sage  liiueinfTihren  und  üie 
außerdem  au  die  Formeaspimche  der  antikeu  Kunst  gewöhnen.  —  Der  Ver- 
fasser, bekannt  durch  seine  weit  yerhreiteten  geschichtlichen  LehrhBcher  (Orund- 
ris»  der  WeUirt  si  hichte,  15.  Aufl.  etc.).  hat  so  ziemlich  den  gerammten  Sa^r' n- 
stoff  aotigeuunutteu,  der  die  Jugend  iuteressirt  oder  sich  durch  ethiachea  Gehalt 
auaseielinet.  Henklet.  Thmnu,  der  Argonantenzug,  ödipw  und  der  Tropner 
Krit'tr.  sowie  der  LifMiuir  'Irr  .Tugfiid,  Odysseus,  sind  natürlich  am  aii>fl\hr- 
Uchsten  behandelt.  Die  Erzählung  hält  sich  ana  Wesentliche,  ist  auiuuthig. 
«pannend,  Unflg  schalkhaft  und  nie  den  Humor,  der  häufig  schon  im  Stoffe 
liecrt.  verwischrnd.  Wie  soine  Vnr^Jtnirpr  hJit  nnch  AudrJi  es  fürs  Beste  er- 
achtet, den  naiven  Darstellungen  der  Alten  zu  folgen.  Ich  glaube,  da«  Buch 
verdient,  da  es  auch  sehr  nett  an^wtattet  ist,  in  die  empHAleiiBwerte  Weih- 
nachtsUterator  aufgenommm  7.»  werden.  W. 

Jonas,  ilusterstücke  dentscher  I'rosa.   225  S.  Berlin,  Gärtner  (Herzfelder). 

Der  Referent  hat  dem  Buche  gegenüber  nur  ein  Bedenken:  ob  diese  Samm- 
lung wirklich  einem  Bedürfnisse  entgegenkommt.  Die  im  Gebrauch  stehenden 
Leaebüi  bt  r  enthalten  sammt  und  sonders  neben  einer  Auswahl  von  Gedichten 
auch  Uiuterstücke  deutscher  Prosa.  Das  vorliegende  Buch  enthält  solche 
eigentlich  doch  nur  ittr  die  oberste  dasee.  SBmmtliehe  Stttcke  —  das  Übst 
sich  iiirlit  leuirni  u  —  sind  ..CabinetssTlV  ke'-,  t  lassiache  Pru^a.  al»«  r  freni'-li  iu<  h 
so  tief  und  zmueist  philosophiwher  Natur,  da&i  selbst  wieder  nur  die  besten 
Schüler  der  obei»ten  dasse  sie  mit  Versttndnis  und  Interesse  lesen  werden. 
Als  Sfhnlhndi  würden  sich  n:irh  all  doni  die  ..Musterstrit/k»-"  schwer.  >elir 
schwer  einbürgern.  Das  ächiießt  natürlich  nicht  ans,  da.-^  das  Studium  des 
Buches  gereift eren  Schülern  dringend  empfohlen  werden  sollte,  weil  sie  daraus 
für  die  Art  der  Gedankenenlwickelong  nnd  DanteUang  wirklieb  Mostefgütigea 
schürfen  können.  '  — e- 

Brock,  Gescliichtstabellen.   Übersiclit  der  Staat«-  und  Cultorgeschichte  sowie 
der  historiBdieii  Geographie.   Berlin»  Gftrtner.    Denelbe:  Gnmdiiu  der 

Geschichte  in  pragmatischer  Darstellung  für  die  obet^n  ClasBen  hSherer 

Lehranstalten.   (1.  Theil:  Das  Alterthiim.)  Ebend.i. 

Dip  tier-t  liirlit>tal>ell('U  Brocks  leidtu  au  eiuem  großen  Fehler:  sie  sind  anr 
an  hiiiitii,'  iiielit  veila><lich.  Der  Abriss  der  historischen  Geographie  hat  noch 
außerdem  den  Friller,  da.s8  der  Stil  hier  und  da  jranz  aKstnn  i-t.  Selbst  die 
Setzuui,'  der  luttjrpuuctiouszeichen  (Beistriche  häutig  statt  Strichpunkten)  trägt 
ihren  Theil  bei.  ebenso  die  Manie  des  VedSuaen»  dnich  Binsdialtnngeii  ge* 
drängt  zu  schreiben. 

Bedeutend  mehr  Wert  hat  desselben  Verfassers  „alte  Geschichte".  Hier  hat 
sich  Brock  an  den  herkömmlichen  coucisen  Lehrbuchstil  gehalten,  auch  ist  da-» 
Buch  in  sachlicher  Einsicht  genau  dorc^^hen.  EVue  eine  besonders  enrfthnens* 
werte  Qgentbllraliehkeit  hüte  ich  das  Erasehalten  cbanktoisi^dherCitate  ans 
den  Werken  der  alttn  SLlirift«teller  und  Ileduer  und,  wie  die.-<  auch  im  Titel 
zum  Ausdruck  gebracht  ist,  das  scharfe  Hervorheben  des  inneren  Zusanunen- 
banges  der  Begebenhelten.  Hier  venftth  das  Buch  tBchtiges  Studium.  — ^r. 

Hoflhaanil,  Geachicfateaiuziig  fflr  die  mittlereii  Claasen  hiSherer  Lehniutnlten. 
Berlin  1883,  Schnitze. 

Wo  sich  Schüler  Auszüge  aus  ihrem  Lehrbuche  zu  Wiederholungsawecken 
nicht  selbst  anfertigen,  mag  man  das  Torliegende  Heft  gebrauchen.  Gar  manche 

Zahl  und  mancher  Name  wird  freili>li  ziivör  n^eh  gestriih'n  werden  nül«-ieii. 
Was  nicht  dem  Gedächtnis  eingeprägt  werden  musa,  gehürt  eben  nicht  iu  einen 
Ausiug.  FQr  ScbflTer  in  den  mittleren  Chusen  dtlrfte  aueb  mandies  Brei^nis 
zu  eingehend  erzählt  -^ein  i Samniterkriecre',  andere.-^,  wie  die  Bririrerkriege  zur 
Zeit  der  sächsischen  Kaiser  und  die  großen  KeTolutionskriege  ließen  sich  über- 
sichtlicher  ordnen.  -^r. 

Bnebdrwoknd  J«lia»  Kliakhardt, 


Digltized  by  Google 


Literaturblatt. 

Beilage  zum  Faedagogium,  V,  12. 


PSdaffoijIschos  Jahrlmeh  lss*3.   (Der  Pildagogischen  Jahrbücher  fünfter 

Band.)   Herausgegeben  von  tler  Wirnfr  P!Hncrogischen  Gesellschaft. 

209  Seiten.    Wien  n.  Leipzig  Julius  Kliukhardt.   Preis:  3  M. 

Die  Wiener  Pädagogische  Gesellschaft  hat  bereits  in  ihren  ersten  vier  Jahr- 
büchern rnlimliche  Bcwrise  ihrer  Tliätiffkeit,  Einsicht  und  mannliaften  Üe- 
sinnong  gegeben,  und  ihre  neneste  VerOffentüchung  steht  den  friUieren  ehren- 
roll  £ur  Seit«,  ja  sie  fiberragt  dieselben,  dn  den  Henrasgebetn  dmmftl  ein  so 

irroßrr  Voi  tatli  von  Arbeiten  zur  Verfügung  staiiil.  dass  sie  eine  besonders  strenge 
Auswahl  vorzunehmen  genüthigt  waren.  Über  die  erste  Abhandlung  de»  vor« 
liegenden  Bandes:  Biographie  vnd  Chankteristik  Ton  Dr.  Friedrich  Dittes  — 
kann  rif'fercnt  nifhls  wcitor  sagt-n,  :x\s.  dns  der  that-ii 'lil-i-!!!"  Inhalt  derselben 
ubjectiv  richtig;  iai;  du»  Unheil  über  seine  Person  uiuss  er  andtrt'ii  atiheiui- 
stellen.   Es  folgt  eine  Rede  zur  Pestalozzifeier  von  dem  allzfit  wackcr.n  nnd 

Sediegenen  Dr.  A.  J.  I'ick.  in  wckluT  die  IV'r-öiilii-liktir  nnd  die  RcdcutiniLr 
es  großen  Pädagogen  uiil  kurzen,  knittvollcn  Snichen  geschildert,  dann  alnr 
nachgewiesen  wir»!,  wie  fern  wir  noch  sind  vm  «ler  Verwirklichimg  seiner  Ideale. 
Der  dritte  Artikel:  Friedridi  Firltel  und  dii  IMdogogik  dt  s  XIX.  Jahrhundert!* 
von  Philipi)  Brunuer  ist  tine  pnicise  und  gelungene  Klailijguug  (kr  in  Fröbels 
Gedankenkreis  enthaltenen  Beiträge  zur  Anagestaltung  des  Bildung« wesens. 
Der  folgende  Auf^tz:  Die  österreichischen  Lehrertage  und  ihre  Erfolg  ron 
Fran«  Tomberger  bietet  einen  sehr  zeitgemäßen  und  schätzbaren  RfIckWick  anf 
die  Hfsfrtdiuniren  der  "'.■iterreiclnsrlien  Lehrerwelt  seit  IRHT  und  ein  StUck 
Schuk^eschichte  von  bleibendem  Werte.  Direct  mit  der  Schulpraxis  befaüsen 
sieh  die  weiteren  drei  aehttnen  Abhandlnnfen:  Wie  ist  die  Jugend  fttr  das  poli- 
Ti-<che  Leben  vorznhereiten?  von  A.  Binhns,  Unser  J^tilunten-iclit  von  M.  Neu- 
mann, Über  Stoff  und  3Iethode  des  heimatkundlichen  Unterrichtes  von  V,  Pilerka. 
pie  erster«  von  ihnen  verdient  wegen  der  groBen  Schwierigkeit  des  Themas 
und  der  sehr  griindliehon  BehandluniX  dc^sielhen  norh  hesondeis  hervi)rn:ehohen 
zu  werden;  doch  sind  auch  die  beiden  audereu  recht  wackere.  Tdr  den  juak- 
tischen  Schalmann  instmctive  Arbeiten.  Nun  folgen  vier  Referate  über  neue 
Werke  znr  speciellen  Methodik  des  Unterrichtes.  Referate,  welche  vermöge 
ihres  grilndlichen  Eingehens  in  die  betreflendeu  Fächer  (Mineralogie,  Physik, 
Zeichnen)  selbst  wie<ler  zu  lelirreicben  methodischen  Abhandlungen  werden. 
Im  dritten  (letzten)  Theile  des  Werke.^  werden  die  deutsch  geschriebenen  päda* 
gogischen  Zeitschriften  Österreichs,  ferner  die  pädagogischen  Vereine  in  östCTreich- 
Ungam,  endlich  eine  lange  und  ;;uf  ireordnete  I\ei!ie  vnn  Thesen  /n  })ädagogi- 
sehen  Themen  vorgeführt,  wie  sie  neuerdings  in  Lehrerkreiaen  aufgestellt  wor- 
den sind:  auch  anf  diese  Partien  des  Jahrbndiee  ist  offenbar  großer  Fielt 
verweiiilet  worden,  nnd  sie  bieten  eine  Fülle  lehrreichen  I^toffes.  Das  ganze 
Buch  ist  ein  beredtes  Zeugnis  von  dem  ernsten  ätreben  und  der  tiicbtigeu  Be- 
rufsbildung der  Yerfiwaer.  Wenn  ei  nnn  mit  der  Sehnle  nidit  vorwtrts,  viel- 
leicht gar  rflekwSrUi  geht«  so  wird  die  Terantwortuig  anderen  Factoren 
zufallen.  D. 

Englische  Seliüler-BlbUothek.  Herausgegeben  von  Dr.  A.  \Viemanu, 
Bector  za  Efflenburg.  13.  l^dchen:  Colnmbiu  byE.Cooper;  14.6todcbeD: 
Storiea  tot  my  Childien  hy  Knatchbull-Hugessen.  Mit  VendduÜMen  der 
Redensarten.  Gotha  1882,  Schloeßmann.   Preis  ä  60  Vf. 

Der  Coinmbus  von  Cooper  mnss  als  ein  in  jeder  Beziehung,  sowol  wegen 
seines  interessanten,  lehrreichen  und  leicht  fSuslichen  Inhaltes,  aU  wegen  seines 
mnsterltaften  Stiles  nnd  seiner  einfiuhen  Syntax  likr  die  engUsch  Isinende 


Digitized  by  Google 


(lentsche  Jufr»^iii1  vorzüglich  crceignetes  Lei^ebach  bezeichnet  weitlen.  Da>-^1!)^ 
gilt  im  gaiutii  von  den  „iitorie«  for  my  Children".  Doch  dürften  Erzählun^eu 
wie  „The  Rook-King"  als  KindolectUre  .«ich  minder  «ignen,  da  der  hier  ange- 
schlagene satirische  Ton  unserer  ohnehin  zur  Blasirtbeit  neigenden  Jugend 
kaum  znträirlich  sein  möchte.  Übrigens  wünschten  wir,  daas  den  einzelnen 
Biiiidt  lu'ii  du  scr  hin  h?it  empfehlenswerten  „Eiiglisclieti  St.hiili  r-Bibliothek'*  außer 
den  Verzeichnissen  der  Bedeosarten  auch  Wörter  Verzeichnisse  beig^gebea 
«Kren,  damit  der  Zweek  dieser  BibÜothek,  don  Sehfller  ohne  unmittdlwi«  Hlife 
doü  Lehrers  eine  nutzbringende  LeetOn  n  Uetco,  nodi  leiditcr  und  voUstln- 
diger  errei^'ht  wflrde.  F.  v.  S. 

Enirlisclies  Lesebuell  tür  höhere  Lt-lu-an.'-talton.  Mit  erUlntenulen  Anmer- 
kungen, PräparaUon,  Wörterbnch,  Anssprachebezeiclmimir'  ^  ^u  Dr.  F.  J. 
Wershoven  und  Bev.  A.  L.  Becker.  Zweite  Auflage.  258  Seiten, 
Kinhen  1881,  Otjto  Schalle. 

Ein  im  criinzon  recht  iruter»  Ruch.  wel(h»^s  tmter  Anhituni:  eine-.  truhtiiT-n 
Lehrers  den  Schülern  sehr  förderlich  werden  kann.  Anmerkungen  und  (,(ae3tiuaü 
wiren  bei  «iner  noch  grßßeran  AbbsIiI  TOB  IiceostQeken  w  AnMlmu w  er t.  In 
der  hi-^tori-rhrn  Abtheihiiiij  Ut  Tust  nur  die  priechischo  und  <lie  ent:li>cho  Ge- 
schichte btrfücköicht^;  etwas  mehr  Vielseitigkeit  würde  da  von  Nuueu  ««ein. 
Den  unter  den  IMcbtem  LongfeUow  im  VerMUtnis  sn  allen  anderen  stark  be- 
vorzugt ist.  durfte  weder  aus  alljk'eineinpn  (gründen,  noch  dnrcli  den  besonderen 
Plan  des  Werkes  zu  rechtfertigtn  sein.  lh>ch,  wie  gesagt,  das  Ganze  ist  ein 
recht  btMdihtam  Werk  und  auch  im  Sat7.e  sehr  sorgfältig  controlirt  ,  so  det» 
aich  nur  wenige  nnd  noeli  den  leicht  ettombere  Druckfehler  Toründen. 

F.  T.  S. 

Ttie  english  letter.  £ugli&cheBriefesiim!i<cend»eiiOetoniidiefBrTBditc^ 
sehnlen  «d  Enieherimien  ▼«!  Adolphine  TSppe.  Herrnngegeben  von 
Dr.  H.  RoboUky.  156  Seiten.  Ldpsig,  Bengenche  Bachhandliuiff  (Geb- 
hardt &  Wilisch). 

Dieses  Werkeben  ist  nadi  demselben  Plane  gearbeitet  wie  La  lettre  fran^aise 
Ton  deisdibett  TevCusoin  (e.  Litentinlylatt  V,  9)  nnd  TOdient  im  «Ugememea 

krleiehen  Beifall:  dooli  ist  in  etliohen  TN  Iru ludangen  nnd  gruunati&alischai 

Kiiizelheiten  die  deutsche  Vertas^erin  *  i  iii'  rkbar.  F.  v.  S. 

Bie  l  iit^'rrichtssrnndsatze  des  Vereines  dentscher  Zeiehenlelirer. 
der  Btrtiprechung  unterworfen  durch  Kiiuard  Zeppenfeld,  Zeicheuleürer 
der  Senkchnle  I.  0.  n  Elberfeld.  170  Seiten.  Brealaa  1882,  E.  Moisen- 
etem.  Ms:  2  H. 

Ber  Zeicbcnvnterricbt  In  den  prenssisehen  Lehrer- SemlBaren 

und  Yolkssehulen.  Ein  offene«  Wort  zur  Abwehr.  Von  F.  Menard. 
köni^i.  Si  iiiuiarlehrer  in  Neuwied.  63  Seiten.  Neuwied  n.  Leipzig  1802, 
L.  Heuser.    Preis:  80  PfL 

la  neoester  Zeit  gibt  rieh  aHerwftrte  ein  lebhirftes  Interene  fttr  den  Voll»- 

schnl-Zeichenunterricht  kund.  Insheiiondere  sind  es  die  LehrerveTviiv  ,11  1  die 
^dagogischeu  Zeitschriften,  welche,  angeregt  durch  die  fortwährend  steigende 
Flut  auf  d«n  Gebiete  der  Zddbenlltentar,  über  Frai^  der  Methodik  den 
Zeichenunterrichte«,  flher  Beginn  und  Betrieb  sowie  über  die  Bereehtiirung  ge- 
wisser Zweijre  dieses  üegenstandes  u.  8.  w,  viel  häutiger  uud  intensiver  ver- 
liandelu  ab  je  zuvor.  Dms  sich  üljer  manche  Frage  ein  mitunter  heftiger  Streit 
entwiujit.  ist  nicht  zu  verwundem,  und  es  wird  wol  n  iSngere  Zeit  währen, 
bis  in  den  iuteressirten  Kreisen  die  wünschenswerte  Kiariieit  uud  Eiuigkeic 
bezüglich  der  wichtigsten  L'nterrichtsgrundsätze  dieser  Jungen  IHieiplin  er- 
zielt sein  werfen.  Mitten  in  diesen  Streit  Hlhrcn  uns  die  vorliegenden 
zwei  Schriften.  Die  erstere  ist  angreifender  Natur;  letztere  hat  vorwiegend 
den  Zweck,  vngereehtfiercigte  Angri0%  welche  Heir  Badenaeher  ane  SoUngen 


Digitized  by  Google 


—   3  — 


in  eiuein  »lurch  die  Zeitschrift  des  Vereins  deutscher  Zt  ii  lieiilebrer  verbreiteten 
Vortrage  Uber  den  Stand  des  Zeicbeannt«mcht»  in  den  preoBisdien  Lehrer- 
Seminaren  ansgesproch«n  hatte,  alnaweiBen.  Herr  Zeppenfeld  belenchtet 
allseitig  und  ausfllhrlicb  die  vom  Vereine  <1ent><i'lier  Zi  icbcnlthipr  liprausgege- 
beneu  „Unterricbt|g;nind8tttze".  Die  Verfasser  Üben  eine  scharfe,  grttncUiche 
und  KVt  begrttiidete  Kritik,  Termeiden  auch  hie  und  da  die  Kmofe  nielit,  tlber- 
schreiten  je<l«ch  uircemls  die  Gronzfu  des  An.-*tandpg.  Sachliches  und  Persön- 
licheii  erscheint  aols  engste  vermengt,  was  gerade  keinen  erhebenden  Eindruck 
hervorbringt:  Wenn  man  von  den  persönlichen  Ansf%Uen,  die  ihre  Spitze  haupt- 
sächlich gcLjeu  den  Vorstand  des  deut«chon  Zeielieuk-hrervcreins  richten,  absieht, 
80  moss  uiau  anerkeunen,  dass  die  Verta.'is«  r  den  Gegenstand  in  nicht  gewöhn- 
Behem  Grade  beherrschen,  anch  viel  Positives  bieten  und  ungemein  anregend 
wirken.  Beide  gestehen  zu,  dass  der  Zeiehenunterriclit  piner  -a-Miuernttfien  Re- 
form nach  ]iädagogischen  Gmndsätzeu  bedarf,  warnen  vur  unklaren  und  ein- 
seitigen Bestrebungen  und  liefern  in  klar  entwickelten  Sätzen  schätzbares 
llaterial  xtun  Ausbaue  dieser  Diadplin.  Letzteres  gilt  namentlich  von  dem 
erstgenannten  Buche,  —  Da  beide  Schriften  vorznglich  geeignet  sind,  vor  Irre- 
führungen zu  bewahren  und  der  Orientining  und  sacblichen  Klarstellung  auf 
dem  Gebiete  des  Zeichenanterrichts  zu  dienen,  so  kann  man  ihnen  nur  die 
weiteste  yerbreitvnif  «tliMcheiL  JT.  E. 

Assmann- Meyer,  Äbriss  der  Geschichte  des  Alterthnms.  Ein  Leitfaden 
für  OymnMien  nur  ersten  EinlfUimiig  in  die  Qnellen.  Brannsdiweifrf 
Tieweg  &  Sohn. 

Der  f  T'  iit  vf-rmag  tinmöglich  so  saagninisch  zu  denken  wie  der  Heraus- 
gebtT  des  A.-^ftinannschen  Leitfadens,  der  nicht«  Geringeres  bezweckt,  als  die 
Schüler  /u  veranlassen,  sich  nicht  bUis  den  geschichtii*  he n  Stoff  oinzuprSgen, 
sondern  sich  jedesmal  über  denselben  durcb  Leetüre  der  betreffenden  Stellen 
im  Originale  weitere  Aufklärung  zu  bulen.  Ein  Schüler  suU  also  z.  B.  nicht 
hlos  den  letzten  Krieg  der  Römer  gegen  Macedonien  nach  der  im  Buche  ge- 
gebcDen  Darstellung  stndiren,  sondern  auch  noch  Li v ins  39.  Buch,  Capitel 
23—28;  41,  Buch,  Capitel  22—24  ;  42.  Buch,  Capitel  H— 13;  43.  Bach,  Ca- 
pitel 7,  8;  44.  Buch,  Capitel  20,  21.  22.  M7,  38,  40,  41.  42;  45.  Buch, 
Capitel  3ö — 41  im  Urtext  als  Präpaiation  fUr  diesen  einen  Theil  des  Geschichte* 
pensnms  einer  Stunde  leeenl  Jetzt  ent  die  IYa])aratiea  nach  den  griechtsehen 
Autoren!  Tbukydide.^,  Plntarch  gehören  übrigens  gar  nicht  in  die  herk' nnnli' he 
Schülerlectttre.  Wäre  nicht  voUauf  genug  erreicht,  wenn  die  llehr/iahl  der 
Lehrer  an  den  höheren  Scholen,  nnd  wenn  seihst  nur  einmal  im  Lehen,  so 
sich  ivftparirt  hätte?  W. 

0rundrIss  der  österreichischen  Geschichte  mit  besonderer  Rücksicht 
auf  Qttellen-  and  Literatarknnde  von  Dr.  F.  Krones  B.  v.  liarchland. 

Wien.  Hiddrr.   Lief.  2-^4.*) 

Was  tli»  „Deutsche  Literaturgeächichtc'*  vuu  Gödeke  für  den  Literarhisto- 
riker, das  ist  der  „Grundriss"  von  Krones  fllr  jeden,  der  sich  eingehender  mit 
Ssterreicliischer  Geschichte  besdiäftigt:  ein  geradezu  unentbehrliches  Compendinm, 
in  welchem  er  die  genaueste  nnd  reichste  Information  ttber  alles,  was  bis  zum 
Jahre  1882  Ober  österr,  Geschichte,  und  sei  es  auch  in  dem  entlegensten  Scbul- 
protfanun  oder  in  einer  Zeitschrift  geschrieben  worden,  auf  knappem  Baume 
nnd  fihasichtüich  snsannnengestellt  findet  Ein  solches  Buch  ist  lueht  rar  fort- 
laufenden Leefüre  (jestbaffen,  darum  ist  auch  die  formelle  Seite  hier  Nebensache, 
Oft,  und  zwar  je  mehr  sich  die  Darstellung  der  Gegenwart  nähert,  um  so  häu- 
figer fthndt  es  einem  Excerpte  oder  Notizen,  wie  sie  beim  freien  Vortrage  als 
rnterstütznng  filr  das  Geditcbtnis  zu  Grunde  gelegt  werdm  An  manchen 
Stellen  genüfren  Schlagwörter  isiehe  z,  B.  IV,  S.  840).  Man  niuss  e.s  Krones,  der 
Uber  eine  Kenntnis  der  österr.  Geschichtsliteratur  verfDgt,  wie  gegenwärtig  kaum 
ein  anderer  UniveiBttAtslehrer  Deutschlands  nnd  österreicbs,  Dank  wissen,  dass 


•)  Siehe  Pftdagoginm  Jahig.  IT,  Beibl.  1. 


Digitized  by  Google 


tir  Aich  d«r  mfllnainen  Ariteit  «nteneofren  hat.  Um.  was  er  im  L»vfe  eine*  langen 
<  M'1»'lirteulel)eiis  gesamuelt.  zu  Mchteu,  um  andern  Fotvchera  die  WfigV  zu  ebnen 
und  ibnen  T-eit raubendes  Nachsuchen  zu  ersparen.  W. 

Kartonski/zni  tVn  die  Schnlpraxia,  entworfen  vou  Di\  Friedr.  L'mlaaft. 

Wien  1882,  Holzel. 

Seit  den  letaten  Oeosraulttutaijeu  zu  Berlin  und  Halle  wird  das  freihändige 
Kartenentwerfen  zum  Zwecke  dauernder  Einprilgung  der  Topographie  und  wich- 
tisptea  Elemente  der  phjBischen  Geographie  mit  besonderem  Eifer  gepflegt, 
luut  buldigt  hiebei  entweder  der  Methode  roit  Kaufmann  nnd^Vaier  (geogr. 

Fau'srzt:'i(  hiinni,'''n.  Str.iillnirtr.  Si  linU/.  »S;  Tie.  i  oilor.  wie  bfinflg  in  <  Mterreich.  der 
Tou  Tramplcr,  Kuau^t  und  Jarz  empfuhleueu  Manier.  In  den  oben  genannten 
»Kartenskisseii"  legt  »neb  Umlanft  eine  Hetlrode  Tor,  deren  Ghnndgeoaiike  rieb 

dabin  angeben  lässt,  daj*«  ein  Mcridinn  und  ein  raralld  irezogen  wird.  r<ni 
deren  Durcbkreuzungspunkt  an8  tuic  Hilfe  eines  Ceu t iuieterlineales  die  für 
die  Conliguration  des  behandelten  (i(>})i.  tes  charakteristischen  Fünkte  bestimmt 
wenlen.  Auf  dit-e  W«-i<ie  ist  die  Fe.stsrclliiti«;  rier  Distau7f»n  -  für 
jugendlichen  Zeiclmer  ein  schwieriges  Stütk  Arbeit  —  nicht  melir  jiU:k!M,ixlieL!- 
lieh  dem  Augenmaße  ttberlas.sen  und  anderseits  kein  complicirtes  Netz  von 
Hilf>liiii»ii  eingefllhrt.  wie  z.  B.  in  den  Dronke'schen  .^kizzm  dtr  Fall  L*t. 
Imiueiliii.i  wird  die  Herstellung  einer  leidlichen  Zeichnung  uocb  gcuuj^  ijchwierig- 
keiten  bereiten,  .so  lange  nämlich  in  solchen  Skizzen  nicht  auch  die  Flusslinien. 
die  Umrauduttgeu  der  Kilsteu  u.  s.  w.  in  scharf  von  einander  gesonderte  'Dieik 
zerlegt  sind.  Jedenfalls  ist  aber  das  Princip  der  Umlanft^acben  EartenskiBen 
eine  Vervollkommnung  der  Method*'  von  Kaufnuum  nnd  Matnr  und  ao  nAX^, 
(l;i>s  CS  heim  'Mchnf'n  beachtet  werden  sollte.  — r. 

Lelirbueh  d<»r  (iox-hlclito  für  <lie  oberen  Classou  liillierer  I.ehran^stalteii 
von  Dr.  Friedr.  Motmann,  Director  des  Beriinisciien  tryranasiuius  zum 
graaen  Kloster.  1,  Heft:  Orieehische  Oeichicbte;  2.  Heft:  Bfimische  Ge- 
schichte.  Berlin  1882,  Springer. 

I  'itv-es  Lesebuch  enthält  vielfach  weniger  Jlemorirstoff  als  die  in  t  >>T»  n  i  i'  "i 
an  Bilr^erscbulen  gebraucbten  Leitfäden  nnd  verweist  zugleich  die  orientalische 
Oerchiehte  gans  ans  dem  GetMshichta-Uaterridite.  Han  kann  in  diesem  Vor- 
g.iiiiri'.  siiviel  auch  von  m:incher  Seife  dagegen  iro-jprnchcn  wird,  nur  ein  g'~- 
snndes  Princip  sur  Geltung  kommen  sehen.  Auch  den  Ballast  von  Zahlen 
wirft  es  Aber  Bord,  verlangt  aber,  dass  der  Ton  nnuQtzem,  ja  gebftdlichem  6e* 
dächtni^kmni  prloirhterte  Lernstoff  eingi^pnisft  Moibe,  so  dass  die  S.  hi\!er  am 
Schlüsse  di'H  S rhulcursus  den  gesaramten  Inhalt  des  Lehrbuches  in  ihrem  Geiste 
ge^nwärtig  haben  nnd  bei  einigem  Interesse  flkr  die  Ocseliiebte  das  Gelernte 
auch  uiii  h  ilcni  Abgang  von  der  Schule  nicht  wieder  vergessen.  Das  von  Hof- 
niann  vcrtrettiie  Princip  verdient  gerade  gegenwärtig  Förderung  und  Betonung, 
ila  einerseits  mit  Kecbt  Uber  die  L'berbiirdung  der  Schülor  gädagt  wird  und 
anderseitJi  im  Geschichtsunterricht  eine  Strömung  sich  emporzuarbeiten  sucht, 
die  vou  den  Schülern  sogar  Quellenlectllre  im  Urtexte  verlangt.  Wir  denken, 
man  könnt«  aofkieden  sein,  wenn  alie  Lehrer  dieser  Fordening  entqwichen. 


Buckdiuekent  Jttliut  Klinkkftcdt,  Leipsi^. 


Dlgitized  by  Googl 


Paedagogium. 


Monatsschrift 


für 


Erziehung  und  Unterricht. 


Herausgegeben 
unter  Mitwirkung  hervorragender  Paedagogen 


Yon 


r>r.  Friedr-icli  I>itte». 


V.  Jalrgaiig. 

U.  Heft,  Augnst  1883. 


Verlag  von  Jnlius  Klinkhardt. 


Inhalt  des  11.  Heftes. 


^öoliulc  uuil  Lebeu  in  ihren  l'  ii'  n-tuti^eu  Ahiuniciuugcu.   \\>u  Dr.  U.  ix.eler- 

Ii  t  e  i  u -Homburg  

/  Franenbilder  aus  Pestalozzis  Lebenskreis.  Von  H.  ^kliu^L-Wiaterthnr.  fF  673 
VuwcWäge  ziir  Volk-HbUdnu)?.    Von  Franz  Schliukert-Wieii  689 
^Heiurich  8fhauml)erq'er 

Christiau  Liebennauu    7uu 

Literi'  ^i  ■  ift :  U.  (teunerich,  Auleitau,'  /.i  .  t:,  ;-  v  ..  7..:  i  . . . 

11 .       I  Natur.  —  J.  Uäu^Inuum  und  R.  .         1  . 

Ornament.  —  Dr.  Hicliael  Geistbeck,  Bilder  aus  der  Vülkorkunde.  —  Trau. 
Mittilschul-Atlos.  —  1)t.  Hermann  Kluge,  Themata  zn  deutschen  An£sfttzen  and 
Vurtriigcu.  —  J,  C.  Andrä,  f;  '  'leusa^en.  —  Jonas,  Mu-'  ke 

deutscher  Prosa,  —  Bruck,  b  lu  —  Hofimann,  GeBcliichi-.iw-zug 

tTir  <!io  luitTliTcii  (Mns.«Pii  Tiolifr-  '  n. 


Abonnements -Preis  pro  Quartal  M.  2.25. 
Alle  Buchhandlungen  und  Postanstalten  nehmen  Bestellungen  an. 


Verlag  von  Julitis  Klinkhaxdt  in  Wien. 

Leitfaden 


SU 

einem  metliodisclien  Unterriclit 

in  den 


V..11 

M.'U'tin  (.'o<!<'i. 

wtiL  Dir^tor  »n  der  Mädchen  1")  tiichtm  Ff datcugiamt  in  Wim. 

Mit  23  Wandtafeln. 
In  Papp-Cortoa.   I*rcis  de»  Leitiadeu«  sammt  Wandtafeln  M. 


SS  Lnut  Erhiss  des  h.  k.  k.  Ministerinnis  förCultOB  und  Unterricht  vom  18.  April 

11^  i>34,  können  ,.<  litf  iu  den  n 

U.U.'.  III  V'iU:--  M"  ...  SS 

biK  „lit-icu  paUagugiacbcu  Üiaiter"  scUreibcu  uutcrm       Uctober  lbÖ2  üii 
folgendes : 

..THp  als  Lehnnittel  beigecfbeiiPii  Wan<ltrtfeln  sind  prarhtvoH  nnfjrpftthrt.  Pn.. 
Ci  neu  wird  «ich  mit 

auj^'    .üniien  (ini"  '-  i'  ■  ■  ■ 

Autor  verficht  dv 

arl  la  .si  iului 

pr.i  .  .      ii  -  r.    Wir  k  ,  .  .    .  • 

den,  sowie  di  1         umteu  Lehrerinnen  weit  nnr  eii 


FUr  dit  hie  ful-  Z 

Spiele  für  die  Volksscliuie.  |  :  U 


Vrrliiir  voll  B.  F.  Voltrt  In  M'j'hnar. 


l)er  deiii-^  ii. 


II«,'rHiist(t*i,'olji?ii 

Villi 

•lohanneü  Stange nberger. 

Vierte,  verbesserte  Anflaee. 
Preis  60  IM 

Dieses  Werkcbou  enthält  Uber 
1(X)  verschiedene  Spiele,  darunter  die 
ersten  24  mit  Versehen  und  Kinder- 
luelodieu,  darauf  U<hj-.\  IV  "  Iiuh- 
liisunufen.  Vexier-  od- :  -'cu. 
Versehen  aus  Volkskunde,  Turn- 
unterricht mit  Lehrplan  (Übungen 
"hne  u.  mit  A]  •  r 
i.  Mildchen  (ff' .  .  i.,ua;.  i  i- 

iibuu^'eu).  Aiileiiung  zum  Anlegen 
von  Hauümuseen.  Gartenfreuden  der 
Jugend. 

Leipzig.  Julius  Klinkliai'df . 


i 


landfertigkeits 

Unterricht 


in  Theorie  und  Praxis. 
Ein  HMiidbucb 
nher  diese  L  ;dln  f.  ünterriclit- 

,„r  ....].■,:.  ^ 

Ii. 


und  alle  l'i-  - 
I  i  .  luteresä«  au  der, 

Von 

I         Hugo  Elm.  , 

äsrff,  Direktin»!'^:  i'n^una.  Ijind?.;- 

....  :u. 

jlss;L  gr.  8.  Geh.  4  Mrk.  50  Pfir»  . 
I     VorrMtig  in  allen  Buchhandlungen. 


]  PßDDfirslorfer's  „LeWücli  ier  Gescliclitß"  2.  Aofl.  approbirt! 


Mit  hoht'in  A.A.  Minisieviul-Erlas»  vom  12.  April  18H3  Z,  <i:i'i4 

Lehrbuch  der  Geschichte 

rm-  Vollisü-  iiiicl  13  ui'g*  Ol- so  Ii  Iii  eil 

Tunaz  Poniier.storfer. 

L— in.  Theil. 
SS   «^te  vet*elnA&<*ltto  A.iirin;f«>.  ~ 

Preis  A  80  Pf. 

I',  tiiw  r^r.  rf- r\  T.  lü'i'i  li    bei  seinem  Erscheinen  von  der  Fach i  '  --   'ih  l 
der  I.  -t.  hat  flcirli  «ach  der  erfolgten  mi  i'  :i  J 

.\\  .r  hiiii'.  !en.  dass  die  1.  Aim'  ,.        lUt  u  ^ 

.Tu      1.       i^u.i   ir.    Die     i,i  .  .      ^.  Auflage  wurde  siniiii  h  i        ••  ^ 

und  konnte  daher  der  l'reia  von  1  M.  auf  80  Pf.        Theil  enuiis'igt  w»-;  W 
V  1      ' ,  'U  den  Harcu 

L>ireci   i  . 

_       Armenbttcher  gewähre  in  liberalster  Wci.st 

"  Julius  Klinkhardt 

Verlar 


Zur  fi:«»n       ii  Heachtuii:;. 


Von  dem  vom  hohen  k.  k.  '  um  filr  Cultun  nnd  Unterricht  approbierten 

Gindely 'sehen  Leurbuch  der  Geschichte 

Volks-  und  Bürgerschulen 

erschienen  soeben  loIj?eu<le  Auiifiraben  in  neuen  vt-rbeÄserteu  Auflagen: 

a)  Ausgabe  ftir  Knabeiibiirgerschulen 

1.  Heft  mit  7  Karten  in  Farbendruck 


2 


h)  Ausgabe  fiiiMädcheiibürgerschwleii 

.  1.  Heft  mit  7  Karten  in  Farbendruck 
2.  7 

3- 

Den  verehrlichen  r>irectionen  von 

Knabenbürgerschulen. 
Mädchenbürgerschulen. 
6—8  classigen  Volksschulen, 
sowie  den  Herren  Fachlehrern  nnd  den 

Herren  Mitgliedern  der  ständigen  Ausschüsse 
,  n  .        ri;i„iron  Kx.:-m|.lare  die^n-  \  Hir:ilK'u  heliuf«  Prüfunir  nml  even- 

ing  ;;rutis  und  franco  .  n. 

Verlagsbuchhandlung. 


VaABgjvon^  JXJUöBja^mKHAajyT  in  Leipsig  u.  Wien. 


Soeben  erschien  in  zweiter  Auflage: 

Mallxematisclie  Kvu'zweil. 

300  Aufgaben,  geistanregende  Spiele,  Kiuivt.fn -ke,  t^ben-asclmn-eu 
vei-fiingliche  Schlüsse.  Scherze  ii.  dgl,  ans  ^  n-  nnrl  Forriu-nl. 

Für  jung  und  alt  lur  Unterhaliung  und  Belehrung 

Louis  Mitteiizwey. 

— 8.  kartoniert.  Preis  1  M.  SO  Pf.    t  »w- 
Diese  mit  über  150  Fiiyuren  ausürestattete  Anfgabensammlung.  welche  fa«t  dur.-h 
S^t"  '  1°'^  ''•^^  meistens  in  bei- 

Ki^inen  benutzt  wer.!.,..  ^  '  ^""«^         Anregung  m  geseJü«Gn 

PianinOS  \  Woldonslaufer  ~ 

so  Mark  monatlich  J  »«r»";-  ^>'>'-»»'  - 

Bn-         .  :  I  Jat-ne  ^'•■ilt'i  rV  r...«.- 


Digitized  by  Google 


I 


Digitized  by  Google 


UNIVI 
1  lllllll 

II 

1  lllllll 

ER8ITY 
1  IUI  ■ 

II  1 

IIIIII 

OF  MICHIQAr 
IUI  ■■IUI  1 

4 

II  1 

3( 

»IBM 

»78  1642