Paedagogium
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Paedagogium.
Monatsschrift ." " —
6 t<^>f i
Erziehung und Unterricht.
von
7. JalirgaBg, 1883.
>> 40K»
Leipzig
Verlage von Julius Klinkhardt
1883.
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*
Mitarbeiter des fünften Jahr^^an^es.
Friedrich Aacher. .Major i. I'. in Leoben, f S. 276.
R. Blnhm, Sprachlehrer in Leipzig. S. 639. 739.
I>r. Friearich Ditteg. S. 18. 202. 282. H31. 394. 446. 452. 455. 611. 518. 587. 705. 706. 758.
Dr. Dronke. Gymnasialdirector in Trier. S. 606.
Fr. Frieaicke. Rector in Freicuwftlde a. O. S. 720.
F. Fii-«-li. Lfhrtr iiiul Rtdarteur in Klageut'urt. S. 134. 199 etc.
A. Goerth, Schnldirector in InBtfibnix- S. 459.
H. GroSe. Lehrer in Halle. S. 251.
A. Grimirh. Schulrath in Lfibau. S. 85. 163. 222.
Chr. ilaniaiiu. Srniiuarlehrer in ilamhorg. 8. 299.
•T. HuNclmiidt, Lehrer in Unna. S. 2(^4.
M. Jahn. Lehrer in Leipzi^^. S. 523.
E. .Tonlftn. I>>hr<ir in Wien. S. 117.
Dr. Alfr. Kattcrield in Strasburg. 8. 476.
I>r. H. KelVrHtein. .Seminarlehrer in Hanibgrg. S. 647.
A. Klfin-schinidt. Seniinarlebrer in Bentheim. 8. 1. 302. 424«
Frau S. Kndi, .Sprachk-hrfrin in Breslau. 8. 440.
Th. Landmann, Rector in Schwetz. S. 643.
F. Uihr. Prof. in Triest. 8. 295.
L. .Mitten/wey, Lehrer in Leipzig. S. 615.
Dr. Mohr in W^\ry.bu^K^ S. 203.
K. MoiBl, Lehrer in Außig. S. 605.
H. Morf. Seminardirector in Winterthur. S. 545. 627. 673.
Dr. Muggenthaler in München. S. 207.
W. Na^cl in Wien. 8. 63. :il5. 373.
Dr. K. Pilz in Leipzig. 8. 5.35.
Dr. ü. l'reil) in Kimig^ber^. 8. 245. 395.
O. Schier. Lehrer in Brünn. 8. 51. 108.
— IV -
F. Srtilink.rt in Wi,-n. S. t%. m\. fflO
Pr. Paul N linuiim in Miiiiclieu. .S. 564.
Dr. Frit/ .S-lmlt/o. ['ruf, iu Dreaden. S. 67. 1H9.
Dr. J. H. Sehwiiker. Prof. in Budapest. S. 29.
H. Tiemann, Rector iu Bt^rleburir. S. 707.
Tb. VeriiiUekeii. Semiiiarilirector i. P. in Graz. S. 2.
Hngo Weber. Lehrer in Leipzig. 8. 306. 358.
Fr. T. Werder. Rertor in Esons. S. 267.
Dr. F. Will.guitzer, VM. iu Wien. S. 191.
Übenlies die Fachreferenten des ..Literaturblattes" und die ( orrespondenten der
Inhalt
a. H>ch der R^ihenfolga ▼arxeichnet.
Aufruf. KleiiiHclimidt 1
Die ersten Einilrii(-ke. Venmleken . . . . . . . . . . . . . . , 2
Erziehung zur Gewissfinbaftigkt it um! Pflichttreue. Dittea 18
Die Rertlschulfrage in Ungarn. 8cli wicker 29
Die Beileutung der Neu.schulc für Ü.stent'ich. Schier 51. 108
Ehre, dem Ehre gebürt. Nagl 63
Kritik der (Tei.stcrseherei. Schult/e 67. 139
Wichtige Grenzen im Volkxsohulunterrichte. Grttüich Hö. 1(>3. 222
Der achte allgiMneiiie ü'jterroiohische Lehrertag in Reicheoberg. Jordan . . . 117
Päilagogi.<i.lie Rund^rhau. I'Yisch 134
Fordert die Mathematik ein besonderes Talent? 189
Orthographi.sche Übungsbüclier. Willomitzer 191
Clerioale Volkssohriften. Sclilinkert 196
Der dreizebute deutach-amerikanische Lehrertag. Friach 199
yachrichten und Glossen. Dittea 202
I>ie "Wjilitigkeir der Ideenassnciation für die l'ädaguyik. ^luhr 203
Eine Schulrede auf dem Münchner Rathhause. Muggenthaler 207
Die Kntnniiilogie in der Schnlp. PrpiB 245
Uber »leg ( «ingres.s fllr Handfertigkeitsunterricht und Hausfleisi^ in Leip7.ig
(1882i. Große 251
Dem Andenken Dieaterwega. Hufschniidt 264
Die Individnalitat und ihr Einflu.sg anf Erziehung und Unterricht, v. Werder 267
Worin liegt der Kernpunkt aller Erziehung? .\.'irher 276
Die Ikdeutnng der Lehrervereine in unaerer Zeit. Ditte.*; 282
Zur Sprachenfrage. Mähr 295
Der selhstständige AnMdiauungsunterricht. Hamann 299
FortlüldungHschnle und Leben. Weber 306. 358
Lehrer, Banenial)pnde und Volksstudien. Nagl 315. 373
Die Sprachenfrage, mit besonderer Bpzielinng a<»f T/ehrerhildung. Dittes . . 331
Die I'berbilrdung!jfrage nnd die Volksschule. Kleina« hmidt 352. 424
MittheiluDgen aus dem libenileu Schiilverein Rheinland.s und We-stfalena.
Hnfschmidt 386
- VI -
Ehre, dem Ehre gebiirt. Schlinkert 391
Zorn Reicheuberger Lehrertaj^^e. D 3^
Österreichiachea. D ^ 3{M
Die Wurzel der IdPülitat. Preiß 3H;^
Sprachnntorricht. Krüh 440
Bemerkungen /n einer pädapnglgohen Pgvchol(M?ie. Dittes 44f>
Friedrich Archer. I'itte.s . . . . . . . . . . . . . . , , . , , ih2.
Pädagogiache Rundscbaa 455
Fromme Wünsche. Goerth . , , . , . . . . . . . . , , , , , , 459
Roger AachaiDs pädagogische Ansichten. Katterfeld 476
Etwas vom Nebeiisiitze. ^toilil 605
Blicke in die Literatur. Dittes 511
P&tlu^rogische Rundachan 618
Die y.wei Arten des Geilankeiilaufe. Jahn ■'>-3
Da.s Elternhaus und die pädagi^gisehc Preise. Füz 535
Fraueubilder iiu.'» Pe.-talo/-zig Leheuskrels. Mörf . . . . : . = 545. 627. 673
Bremer Tage. Schnunm 564
Über den gegenwärtigen Stand der deutJjchen t^ädagogik. Dittea ..... 587
Über die Pflege des W^ahriieitsainnea in der Schule. Drenke 606
Die ersriehliche Bedentung der Klöi^ter. Mittenzwey 615
Eine französiache Stintinp über das höhtire UuterrichtBweBen Deutachlands.
Blnluii . . . . ^ = . . t ■ • . . . . . . t . . . . t . . 632
Die Reti.^ort Verhältnisse der höheren Mädchenschulen in Preußen. Landmann . üiU
Schule und Leben in ihren gegenseititren .\nt'(irderungen. Ket'erstein .... 647
Vor.'^chläge zur Volksbildung. Schlinkert 68t»
Heinrich Schaamherger 705
Chritstian Liebermann : 706
Die moderne Naturan.'icliauung und der bibli.sche Kcligionsunterrichr. Tiemami ■ 707
Streiflichter. Frieaicke . . . . . . . . . . . ■ 720
Znr Furdening dea framtösischen Unterrichts, insbesondere auf Realgymnaaien.
Bluhni — 2 2 2 s I t i I s I X s s f X i I t E ■ I I I I I 73t»
Pädagogische Rundschau 744
.'ichlus?-wurt zum fünften Jahrgange. IHtte.s 758
1). Lorsch geordnet.
I. Zur anthropologischen Grundlegung.
Bemerknngen zu einer pädagogischen Psychologie 446
Blicke in die Literatur (Metaphysik, Darwinismus, Freiheitalehre) 511
Die ersten Eindrücke 2
Die Individualität und ihr Einflnss auf Erziehung und Unterricht 267
Die Wichtigkeit der Ideenassociation für die Pädagogik 203
Die zwei Arten des Gedankeuluufea ' 523
Die Wurzel der Idealität 395
Kritik der Geiaterseherei 67. 139
Fordert die Mathematik ein besonderes Talent?- 189
n. Zar Oeiddcbte «ler Enfelmng und des Ui)teni«ht«i.
Koger AMibMug pldigogiache Aniiditen 476
Eine Schulrede auf dem MOnchener Bathhftltte 207
Pie erziehliche Bedeutunj? der Kloster f?15
Fraaenbilder ftus Pestalozzis Lebenskreiä 545. 627. 673
nL Zur allgemeiiien PSda^fogik.
Aufruf 1
i ber teleoiogiKhe Futtdamentalprinciii der allgemeinen Pädagogik . . . 514
Worin Uegt der JEimpniikt aller Endehung? S76
Endehung rar OewineDhsfkigkdt und Pflidittreiie 18
C'ber die Pflege de« Wahrheitsainnes in der Schale * . . 606
D:\s Kltemhaua und die pädegogisehe Prewe 535
i?treiflichter 720
Schale und Leben in ihren gegenseitigen Anfordemngen 647
Vonebligtt rar TolksbiMang 689
Lehrer, Bauemabende und Volktotadlen 315. :M'\
Fortbildi]n<,'«äcbnIe und Leben 3Ü6. '-^'yX
Clericale Volksschriften • . . . . liHi
IV. Über Unterricht, Unterricbtsanütaltea und ächalentehang.
Die Bfdenttincf der Neuschule für (Österreich 51. 108
Wichtige Grenzen im Volksschalunterrichte 86. 222
Die ÜbeybQfdungsffoge und die ToUcncbnle 362. 484
Der eelbetetlodige AmebautingranteiTlcbt 899
Keligionäuuterricht 516
Die nuMleme Naturannchauung und der bibli.Hche Keligiousuntcrricht .... 707
Sprach IUI terricbt 440
Ortbographiscbe Übnngsbttcber 191
Etwas Tom NebenntM 505
Zur Forderung des fran7.Usi.schen Unterridile 739
Die Entomologie in der Schule 245
Fromme Wunsche 459
Di« Bedeutung der Lebrerveieine in aneefer Zeit 888
Die ^raebenfrage» mit besonderer Begebung auf Lebrerbüduog 331
Ehre, dem Ehre gebOrt 03. 391
Zur Sprachen frage 295
Eine französische Stimme über dm höhere Unterrichts we-nen DetiUtehlandH . . 639
Die Bealscbulfragc in Ungarn 29
Die BeewrtTerbiltnisae der bOberai HUdcbenachulen in PtenBen 643
Y. Zar Cbnrakteriatilc des gegenwärtigen Scbulwesens, Zeitgeachiebttiebcs.
Über den gegenwirtigen Stand der deatscben Pidagogik S87
I>er iichte allgemeine «etcrreicbiadie Lehrertag in Beichenbeig .... 117. 394
Ik-r drei/* hnte deutsch-ammkaniThe LehnTtac;' 138. 199
Über <b-u l'ongress f\lr Hiiiidt'frtiprkeirsuiuerrieht und Hntiifleiö in Leipzig (1882) 2.''il
Mitihcüungen aus dem liberalen Sehulverein Rheinlands und Westfalens . . 3b6
Bremer Tage 564
Dem Andenken Diesterwegs 264
— vm —
Friedrich jUeh«r 452
Hdnridi Sdnnmbargflv 706
Christian Liebennann 706
P&dagogiäche Bmuduhaa: Amerika 138. 518. 519. 757
Belgien 457
DeatMUMid. . 131 186. WS. 456. fifiO. 751. 758. 764
Fnaknieb m 466. 619
Italien 137. 519. 748
Österreich .... 136. 137. 138. 394. 4ö6. 521. 756
Portugal 13Ö
RoMluid 135. 744
Sdiweis 137. «». 681. 764. 765
Spanien - ...... 135
Ungarn 202
UlteimtiiiTblaitt.
A Iphabetiftches Vcnti'ichni« der Autoren i rr>>p. Iii raas^obrr rArx Tit»rl> derjenigen Wt rkc, weicht- im
VorliegeitieB J^hifang recensirt sind. Die Ziffeni bfieiolmeB die Nammi-m des Lit«ratarblatt«ra.
AndrS 11. Ärztliches Outachten 8. A'^maint 12. Bagatta 2. Bechtel 2.
Becker 12. liehreua 4. Benecke (2) 7. Biese 8. Böhme 7. Breitiuger 7. Brock 11.
Buschn^ann y. Coordea (2) 3. Dörfler 3. Dunger 6. fietUtr 8. Fischer 8. Frauer 3.
Geirtbeck 11. OemiMieli 11, Godai 10. OSck 7. Qrob 8. Gro6 5, d'Haxgnes 8.
Hanmaim 8. Hiuelmann 10. Hayeek 2. Hirt 6. Hoffinaan 10. Eoftauuin 12.
Ilumrael 9. Hunzlker 7, Jarz 8. Jonas 11. Israel 1. Klein 5. Kluge 11. Knaner 2.
Köhler 2. Kohlrausch 8. Kohn 2. Kreb-äi 2. KriPCf^r 4. Krone.«? 5. 12. Lehmann 9.
Leisner 10. Libansky 1. Lyon t>. Aiaier 10. Mang 5. Marten 8. Henard 12.
Meyer 12. Nadler 10. Netteeheim 2. Nenratli 1. Nuteer 1. Ordli 9. Oster-
reieliiMfae«SefaiiIwe8ett9. FBdagogiadm Jahibach 12. Paz6. F1ms2.8. Po1toniy(2}3.
Polack 7. Projectionskiinst 9. Rank 9. Richter 6. Riugger 11. Rissniann 7.
Robolsky (2) 9. 12. Rotlie 2. Rotter 6. Schäfer 3. Schles.Hing 3. Schnu rz 7.
Schmidt ö. Schmid-Schwarzenberg 8. Scburig 1. Seviu 1. SeyflEEurth 7. Storme 9.
Standaeher 10. Theden 8. TSppel (2) 9. 12. Trampler 4. 11. TraamtUler 4.
Umlauft 9. 12. Walsch 7. Weber 1. 6. Wdam&nn 2. WerahoTen (2) 9. 12.
Wiemaun 12. Wübrand 6. WisMil der Gegunrart 7. Zeppenfeld 12. Zimmer-
mann ö.
. kiui^ .-. Ly Google
Aufruf.
Vm StmiMtiHtluvr A, S3HnMihmidt-Bat$käm,
krOmmt mch hmg in dtunpfeD Wehen,
Wie Wahnsinn ninrmelt's in den Völkermassen;
Erstickte Wutl» und furclitgeliibintcs Hassen
Kanu ratend plötzlich wieder auferätelien.
Drum auf, bevor das Grüssliche gescliehenl
Was soll das kläglich matte Gehenlassen?
' Den Geist der Zukunft, mttsst Ihr jetzt schon fassen,
In einem andern Lichte künftig gehenl
Der Roheit wird die Bildung nnr znm Damme:
Befreit die Geister, die gefesselt schlafen,
Veredelt, was siek trBge willst im Scfakunmel
Der Völkerfrieden ist der Znkmift Hafen,
Drum dfimpft des Volkerhasses rohe Flamme
Und seid nicht Iflnger kalter Selbstsacht Sclavent
Pmddg&^nm. 5. J&hrg. Heit L
1
Die ersteB £iAdräcke.
Ijregenüber den Erortenm^en des Hcrni liouai Uber ,^md alle
Menschen gleich bildungsfähig?" ^Paedag. III, 4) halte ich mich an
folgende Erfahnin^ssätze:
1. Den Mensclien sind verschiedene Anlagen oder Fälligkeiten au-
geboren, d. h. diu Aulagen des A sind nicht gleich denen des B.
2. Die Anlagen des A sind wiederum unter sich ungleich, und der
Grad ihrer Entwiclielung oder Aasbildang hängt bei nonnalen
Zuständen ab ytm d«r Enidiimg, aber noeli mehr tob daiLebens-
▼erhiltnisseii des IndiTidniims, insbesondere Ton den Emflflssen in
der Jugendzeit Hiezu sollen die folgenden lüttheQungen Belege
liefern.
Wie k(taintea die Menschen gleiche Anlagen haben, wenn nicht
zwei Indi^dnen einer nnd derselben Basse Töllig gleich sind? Wir
mögen Ufllionen G^esichter anter einander Tergleichen, Jedes wird Tom
andern versehieden sein.
Die Ansidit, dass im Grande alle Kensdien gleich begabt seien
nnd alle Schuld des Missrathens Einzelner der verkehrten Erziehnng
znr Last falle, entbehrt jeglichen Grandes. Der Mensch ist ein Kind
der Natur und der sittlichen Mächte, die auf ihn einwirken. Mittel«
mäßigkeit ist das verbreitetste Los, aber .^ie dient in der ^\ eltonlnuiig
wie der Mörtel in einem Bauwerk oder wie das J<^lwerk in einer
Stickerei
Die ganze Fortentwickelung der Natur ist in erster Linie bedingt
durch die Eigenthümlichkeit des Individnums und die Yersrhiedenheit
seiner l'ingebung. Bei Vernunft wesen kommen die krtrperliclieu Zu-
stände dabei nicht in dem Grade in Betiacht, als mau gewübnlich
glaubt, denn ich habe Mensclien gekannt, die mehr oder weniger ver-
krüppelt waren, aber iiire geistige Eni Wickelung ließ niclit- zn
wünschen übrig. In ähnlicher Weise bildet sich auch ein Sinn um so
— 3 —
besser aus, je unvollkommener ein anderer ist. Wir ueUmen das
z. B. wahr bei Blinden und laubstummen.
Niedere Geschöpfe werden abgerichtet, höhere werden erzogen.
Aber selbst die Abrichtang stützt sich nicht auf blos mechanische
Wirkung, sondern auf das Verstiindnis des Thieres. Wie das Thier
erst stndirt sein will, so noch mehr der jtmge Mensch, bevor die
Ausbildung beginnt Je frfiher diese eintritt, nm so besser, aber ohne
jede Überqiannmig der Krifte. Mit Zunahme der Betfe wachsen die
Anfbrdenmgen.
In der Thierwelt ist der Umstand unverkennbar, dass in der
Jugend die Charaktereigenschaften noch schlummern und erst in Ver-
bindung mit der Außenwelt und dem geweckten Egoismus des Indi-
viduums hervcHTtreten. Am dentlichsten sehen wir dies bei den Banb-
thieren. Auch die Charaktereigenschaften des Kindes schihmmem, und
je nach der angeborenen Eigenart entwickeln sie sich durch ihre Um^
gebung, durch Leitung und Erziehung während der ersten Jahre.
Sache des Erziehers ist es zu beobachten und frühzeitig darnach
zu handeln. Bei Thieren und bei Menschen ist die Gewohnheit eine
starke Macht, darum ist die Gewöhnung ein so bedeutender Factor
in der Erziehung. Lässt man den Begehrungstrieb ei^tarken, so wird
es immer schwieriger, die Enthaltsamkeit zu pretligen.
Die Eindrücke der Außenwelt werden bei der Einziehung zn wenig
beachtet. „Wir alle", nagt Goethe i Eckermann III, 252), „sind coilec-
tive Wesen, denn wie weniges h;»bf'ii und sind wir, das wir im
reinsten Sinne unser Kigenthum neanen! Wir müssen mII^ riupiangeii
und lernen. Selbst das größte Genie würde niclit weit kusumeu, wenn
€8 alles seinem eigenen Innern verdanken wollte. Ich habe Künstler
gekannt, die sich rühmten, keinem Meister gefolgt zu sein, vielmehr
alles ihrem eigenen Genie zu danken zu haben. Die Narren! Als ob
sich die Welt ihnen nicht bei jedem Sclii-itte aufdi'ängte und aus ihnen
trotz ihrer eigenen Dummheit etwas machte! Und was ist denn über-
haupt Gutes an uns, weon es nicht die Kraft und Neigung ist, die
Mittel der Anftem Welt an uns heranxuziehen und nnsem höhem
Zwecken dienstbar zu machen?"
Eraehang ist Entwickelang zum Humanismus. Dabei gibt ans
die Entwickelnngslehre Darwins die deutlichsten Fingerzeige. Die
Bildung and das Fortschreiten der Sprache, die allmähliche Entwicke-
Inng der geistigen Kräfte and der moralischen Eigenschaften des
Menschen wSre ohne ftußere Einwirkungen und gesellige Anregungen
nicht möglich gewesen.
1*
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— 4 —
Von der Familie und Schule m In uit ej. zu wenig beachtet zu
^Vl'r(len, (iass geraile die ersten Eiinh iu ke auf den jungen Mensclifn.
auf seine Charakterbildung und seine sittliche und geistige Kichtuiig
einen großen Einfluss haben.
Nach dem dritten Lebensjalire «•^•eitert 8icli bekanntlieh der
Verkehr des Kindes mit der Außenwelt, und mit der Zutmhme der
Eindrücke wächst auch die Kraft sie aufzunehmen. Vieles ver-
schwindet zwar wieder unbemerkt, aber anderes wirkt auf die
Eichtung des Gemüthes nnd Wfltens ein, nnd darum müssen die
Eindrücke, welche yon der ümgebimg kommen. Überwacht nnd ge-
leitel werden. Und dabei kommt viel anf die Gespielen, auf die
Dienstboten nnd die Eltern sn* Bei vielen bequemen Mflttem ist es
Mode geworden, die Kleinen dem ersten besten Eindsmädchen oder
Iiarlirenden GonTomanten za ftberlassen. Wenn wir das tadeln, so
sagen wir gar nichts Nenes. Schon in Piatons Vertheidignng des
Sokrates lesen wir: „Lieber EiaUias^, sprach Sokrates, „wenn Deine
beiden Sdbne Fullen oder Kälber . wftren, so hätten wir wol einen
Anfseber fiir sie zn nehmen nnd zn dingen, der sie schön und gut in
der ihnen zukommenden Tug:end machen sollte. Dieser aber wftrde
wol entweder ein Bereiter oder ein Landmann sein. Da sie aber nun
Menschen sind, wen gedenkst Du da als Anfeeher für sie zu nehmen?
Wer ist einer solchen Tugend, wie die menschliche nnd bOrgerliche
ist, kundig?"
Je jünger, desto empfänglicher für Alles; darum sagt auch der
große ^fenschenkenner Shakespeare in seinem Hamlet (1. 'Vi: ..T^nd in
der Friili, im frischen Thau der .Tujrend, ist jrift'irer Anhauch am pre-
fiihrlichsten." Jeder Landniann bestätijrt dirs, da rr erfaliren liat,
dass FHihlinfrstr(iste eine ofanze Ernte veniicliten k<".n?ien. und jt^der
(i'ärtner weilV wiv dif \\'ürmchen im Mai die unent wickelten Kosen-
knospeu verzehren, indem sie sich gerade in das liei'z der jungen
Triebe setzen. Im Menschenleben gescliieht Ahnliches.
Die Einwirkung der Umgebung, der Außenwelt ist ein bedeutender
Faktor in der Erziehung. Man sagt zwar, die Eltern erziehen ihre
Kinder, allein es ist eine unbestreitbare Erfahrung, dass die Umgebung,
die Bekannten und Freunde mindestens eben so viel, oft noch mehr
dazn beitragen, nnd zwar nach der guten oder Übeln Seite hin. In
großen Städten sieht man abschreckende Beispiele, z. B. man benutzt
die Kinder für den kleinen Hansierhandel mit Blnmen nnd dergl.;
man stellt sie in Kinderbazaren in anßergewöhnlicbem Anf^ntz hinter
die Verkanfstische, man lässt die Kleinen in Kindertheatem anftreten
— 5 —
und driUt die ansehtüdi^n Geschöpfe fttr das Komödienspiel und für •
SdumsteUangen, die zur Eitdkeit den Grand legen. Ist denn die
Frfihreife eine Wolthat für Kinder? — Wie ich diese Kinder bedaueret
so finde ieh es ebenso lächerlich, wenn man die Knaben in gewissen
Insütnten mit ihren Degen und Uniformen einhergehen sieht Jeder
Vor&bergeheQde denkt sich: Was sich die wol einbilden?! Es kommt
dadurch nui- ein leerer Standeshochmuth in ihre Köpfe, ähnlich
dem asiatischen Eastengeiste. Mir ist immer das altdeatsebe Sprich-
wort eingefallen: „Als Adam hackt' und Kva spann, wo war damals
der Edelmann?^ Auf den Zufall der Geburt hat niemand ein Recht
stolz zu sein; jeder soll sich durch seine Leistungen das Recht ver-
dienen, in der Gesellschaft etwas zu gelten. In Großstädten dringt
überhaupt auf Kin<ler zu vielerlei ein. In jeder Hinsicht sind die
Kinder am besten daran, welche j^^etTilirt werden in Feld und Flur,
Wald lind WiesH und so in der freien Natur ihre Anschauungen und
Voriitellungeu erweitern und sich duiuber in der Muttersprache aus-
sprechen lernen. Laube in seinen „Erinnerungen'' schreibt: ..Ich
finde es vurtiieilhaft fiir jeden jungen Menschen, in beschränkten
Landstädtchen aufzuwachsen, wo Ackerbau und Gewerbe \uiheiTScht.
Er bleibt der Natur uaha; er gewinnt wirkliche Einsicht in die Be-
dürfnisse des einfachen Menschen, in die Fähigkeiten und Fertigkeiten,
welche erforderlich .sind zum Kampfe ums Dasein. In die große
Stadt mit größem Gesichtspunkten kommt er spätei* zeitig genug, und
er kommt dann mit einer sehr wertvollen organischen Grandlage in
die große Stadt^
Wir wissen wol, dass die Menschen nicht nach Belieben ihren
Wohnort wählen kOmienr allein das ändert nichts an der Wahrheit
des oben Gesagten«
Da die Pädagogik eine Eifahnmgswissenschaft ist, so wollen wir
eine Reihe von Beispielen hier vorführen. .
Man darf die Wiege großer Männer und deren Umgebung nicht
unbeachtet lassen, wenn nicht wesentliche Elemente in ihrer späteren
Entwickelang unverstanden bleiben sollen. Auch der alemannische
Dichter Hebel hängt an seinem Hausen und Schopflieim im Wiesen-
thal des badischen Oberlandes, als ob es nichts zweites den Art auf
der Erde gäbe. J. Paul Friedrich Richter, der in seiner „Levana-
sinnige Aussprüche über Erziehung gibt, verlebte seine Kindheitsjahre
in dt in Dörfchen Joditz bei Hof im Voigtlande. Sicherlich ist diesem
Schriltsteller die Vorliebe zum idyllischen Leben und dit^ gelungene
iächilderung solcher ^nen aus den Eindrücken erwachsen, die dieser
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— 6 —
ländlich flchOne Aofentluilt nnvertilgbar seiner Kindeaseele gab. Er
selbst sagt : „Die Oberreize einer groflen Stadt sind lllr die schwache
Eindaeele ein Trinken gebrannter Wasser. Sein Leben erschöpft sidi
an ihm in der Enabenzeit, und er hat nun nach dem Größten nichts
mehr zn wOnschen als höchstens das Kleinere, die Dorfschaften. Er
mnss in der Stadt nm den warmen ErdgOrtel seiner elterlichen
Freunde nnd Bekanntschaften die grOfiem kalten Wende- und Eis^
sonen der ungeliebten Menschen ziehen, welche ihm unbekannt be-
gegnen und für - die er sich so wenig liebend erwftrmen kann als ein
Schiffvolk, das vor einem andern Schiffvolk begegnend vorübersegelt«
Aber im Dorfe liebt man das ganze Dorf, und kein Säugling wird da
begraben, ohne dass j^er dessen Namen nnd Krankheit weiß." Da-
gegen sind freilich, je nachdem man einen Beruf wählt, die Ent-
behrungen nicht zu vergessen, die den strebenden Oeist in der Ab-
geschnitteiiheit von Hilfsmittfln, Anschauungen imd Um^ansr belasten.
Das Kindesleben, besonders auf dem Lande, befindet sich noch
im naturgemiißen Zustande. Auerbach sagt bei der Charakteristik
des Dorfkiudes Heliel i ..Sclirift und Volk" S. ',V2): „Wenn wir den
Satz im Auge behalten, dass der Menschengeist individuell den Bil-
dungsgang der gesammten Menschheit durchlaulen und dessen Ergeb-
nisse in sich verarbeitet haben muss, so mögen wir im Leben des
Dorfkindes ein lebendiges Abbild der ersten Stufe menschheitlicher
Entwickelung erkennen, ^'"ir k?innen es als die in jedem Einzelnen
wiederkehrende Stufe des Patridrchentliums bezeichnen. Hier ist noch
der unmittelbare Zusammenhang mit der Natur, mit Pflanzen und
Thiereo. Bes<Miders hingezogen fllhlt sich das Kind zu den Thieren;
es trägt seine eigenen Empfindungen auf sie flher nnd dichtet ihnen
wie den stummen Umgebungen die Menschennatiir an.**
Wir erinnern hier mit A. Hmnböldt an die mefar&eh sich wieder^
holende Er&hning, dass oft sinnliche Eindrücke und znfftllig schei-
nende Umstände in jnngen Gemflthem die ganze Richtung eines
Kenschenlebens bestimmen. Kindliche Freude an der Form yon
LSndem und eingeschlossenen HeereUt wie sie auf Karten dargestellt
sind, der Hang nach dem Anblick der sttdüchen Sternbilder, dessen
onser HimmelsgewQlbe entbehrt, Ahbildungen von Palmen und liba-
noüschen Cedem in einer Bilderbibel können den frühesten Trieb nach
Reisen in ferne Länder in die Seele pflanzen. Darum ist es gar nicht
gleichgültig, welche Anschauungsmittel und Jugendschriften den
Kindern in die Hände gegeben werden.
„Niemand glaube die ersten Eindrücke der Jugend verwinden zn
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können. Ist er in einer löblichen Freiheit^ umgeben von schönen und
edlen Gegenständen, in dem Umgange mit guten Menschen aufge-
wachsen, haben ihn seine Meister das gelehrt, was er zuerst wissen
musste, um das Übrige leicliter zu bereifen, luit er gelernt, was er
nie zu verlernen braucht, wurden seine ersten Handlungen so geleitet,
dass er das Gute künftig leichter und bequemer vollbringen kann,
ohne sicli irgend n-twas abj^ewT^lmen zu müssen, so wird dieser Mensch
ein reineres, vollkommeneres Leben führen als ein anderer, der seine
ersten .higendkräfte im Widei-stand und im Irrtlnim zugesetzt hat.
Ks wild so viel von Erziehung gesprochen und geschrieben, und ich
sehe nur wenig Menschen, die den einfachen aber großen lie^rriff, der
alles Andere in sich schließt, fassen und in die Ausführung ubertragen
können/
Auch an anderen Stellen bestätigt Goethe die große Wirkung
dei* ersten Eindrücke. Im väterlichen Hause befanden sich italienische
Ansichtoi und BOder. „Diese Gestalten'', sagt er, „Mckten sich Üef
bei mir ein.'* Später zog es ihn mächtig nach dem Lande der Ettnstler.
Bei der Grofimatter ergötzte sieh Gtoethe oft an einem Puppenspiele.
»Dieses anerwartete Schauspiel'', sagt der Dichter des Faust, „tog
die jungen GemAther mit Gewalt an sich; besonders auf den Knaben
machte es einen sehr starken Bindruck, der in eine gro6e lang*
dauernde Wirkung nachklang." In dem Hanse seiner Tante fimd
Goethe eme Bibliothek, in welcher eme Übersetzung des Homer war
mit Enpfem im franztfaisGlien Theatersinne geziert. „Diese Bilder",
sagt er, „verdarben mir dermaßen die Einbildungskraft, dass ich lange
Zeit die homerischen Helden mir nur unter diesen Gestalten ver-
gegenwärtigen konnte."
Bei Schiller hat das in seinen Dichtungen niedergelegte Freiheits-
geföhl in der Earlsscbnle sich entwickelt, denn Dmck erzeugt Ge-
gendruck.
Der Gnethesche Satz: Niemand glaube die ersten Eindrücke seiner
JugpiK^ verwinden zu können*', bewährt sich auch an B. Auerbach.
Die ErinnemiiG" an die einfacli ländlichen Sitten seiner Heimat, an
die vollen ^r^uschen, die herrli lie Natur fies Landes hat seinem
\Vt -rii ein fiir allemal Ziel und Richtung gegeben, und woliin er seinen
Wantlerstab auch später, geistig und räumlich betrachtet, richtet«,
wie viel er aucli beobachtet, gelerut, gedacht und gedichtet hat, was
außerhalb dieser Sphäre liegt: sein wahiea ursprüngliches Wesen ruht
doch nur hier, und ob er auch, getragen von der modernen Bildung,
seinen Herd im Mittelpunkte des deutschen Nationallebens, in Berlin,
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aufg'esdilag'pn hat, so führt ihu <l(»ch der .Soininer jedes Jahr zum
Schwarzwahle zurück, damit das heilige l-euer, das ilm ertiillt und
uus erwärmt, nichts von seiner Reinheit und seinem Glänze \erlieie.
Für die Geötalten, die Fritz Reuter ischüdert, ist dei- (iruud
gelegrt in den ei-süen Kindrücken seiner Heimat. Nur liat er diese
Anschauungen auders verwertet als die beiden Dorfkinder Hebel und
Auerbach. Jn der Heimat waien die Kernwurzeln des Lebens und
Dichtens dieser drei Männer. Ähnliches kann man von dem steier-
inArkischen Volksdichter Rosegger sagen.
Als bekannt darf angenommen werden, dass Schmeller, der Sohn
einee amen Korbflechters ans dem oberpftlzlaeben Städtchen Tirsdien-
reath, in en^ und dttrftigen Verhftltnissen anfffracliSi und während
seiner Knaben- nnd Jflnglingsjahre, ja zum Theü selbst noch in einem
spätem Lebensalter, mit Noth und Beschränktiieit an kämpfen hatte,
und wie sehr gerade diese Verhältnisse dam haben beitragen müssen,
eine Individnalität wie die Schmellers in anyerräekbarer Weise zur
selbstbewusstenEntwickelmng ihrer geistigen nnd sittUchen Kräfte zu
treiben. . Wer möchte aber leugnen, dass wir in ihnen selbst die
ersten Keime zu dem zu suchen haben, was er später auf den Gebieten
mundartlicher Sprachfoi-schung nnd Pädagogik Eigenthümliclies ge-
leistet, wenn wir liören \\ie er, ein echter Sprosse des Volkes, dessen
Sitten und Sprechweise er fär immer lebendig in sich aufgenommen,
schon als achtjähriger Knal)e zu J^berg bei Pfaffenhofen, wohin sein
Vater zwei Jahre nach des kleinen Andreas Geburt übergesiedelt war
(1787), unter des letztem Aufsicht eine Art Schule hielt, indem er
eine Anzahl Kinder aus den benachbarten Dorfgemeinden im Lesen
und Schi'eiben unterriclitete. das er selbst bei seinem wackem Vater
erlernt hatte. Unstreitig war damit seine künftige Bestimmung ent-
schieden nnd der Weg vorgezeicimet, auf dem er zu ihr zu gelaugeu
hoffen durfte.
Der berühmte Ki^finder der Locomotive, Stephenson, war der
8ohu eines Heizers, konnte weder lesen noch schreiben, aber in der
Heizkammer war er aufgewaclisen, und wohin sein Blick tiel. s;Ui er
IMiiii[)\verke und Maschinen. Von Natur war er nu[ klarem Geiste,
luii i Energie und Ausdauer begabt. Und die Eisenbahnen, die jetzt
um den ganzen Erdki-eis sich ziehen, verdanken dem Scharfsinne dieses
Hannes ihi-e .Entstehung. Und welchen Einfluss üben sie auf den
Verkehr und das VOlkerleben ans!
Die ersten Kindrftcke haben ihre Vortheile, aber auch Ihre Nach-
theile. Das alhmfHUie Anschanen theatralischer Vorstellungen ist bei
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K. V. Holt ei fiir das ganze Leben entsclieidetld gewesen. Seine
Sdumspieler-Tborheiten siinl In !;irch geweckt worden. Und nun gar
unsere Kindertheater! Man lese darüber a. a. Fritz Eeuters ,.Sehurr-
Murr" S. 174 fg., wo er sagt: ,.Ks '/\U ^^av kein untrüglicheres Mittel,
um unwahre Vorstellungen in der Seele eines Kindes zu ei*zeugen,
als ein schlechtes Theatei". Sinnige Kinder versenken sich in diese
falscl»^^!^ Vorstellungen und träumen sich zum Schaden ihres Gemüthes
in eine uiinihige Welt hinein; lebhafte Kindel- üinchen's den schlechten
Schauspielern nach und ihr Charakter kann zeitlebens einen Bei-
sreschmack davon belialtt-n. denn in der Kindheit ist der Assiniilatious-
process ein sehr energisclier, und die äuLtern Kindriicke gehen rasch
in Fleisch nnd Blut/' Freilich trilit es einzelne gesunde Naturen,
welche nadithoilige Jugendeiudrucke verwinden, allein — Semper
aliquid liaeret.
\\"ei I ii las Tieben ei*ziehen will, muss aucli das Leben beachten.
Darum sind lui den Leluer und Erzieher die Bekenntnisse berühmter
Personen, die Biographieen bedeutender Männer sehr lehn*eich. Man
lese z. B. die ,..)ugenderinnerungen" von Karl Fr. Klöden (Leipzig, bei
Gfimow 1874); Arndt, „Eiimienmgen ans dem ftnfiem Leben** (Leipzig,
bei Weidmann 1840); Schillers Jugendjahre; Jugendeiinnemngen eines
.alten Mannes (Berlin, bei Hertz); „Ans der Jugendzeit**, Lebenserinne-
rangen von Ad. Stahr; „Das Buch merkwnrdiger Kinder, Lebensbilder
ans der Jugendzeit und den Entwickdung^aJnen merkwOrdiger
Menschen** (Leipzig, Spam^); Jngenderinnerungen Ton Emst Bietschel
(Leipzig, Brockhaas) n. t. a.
Um die Macht der ersten Eindracke darznlegen, mögen außer
den obigen Beieinelen hier noch einige gestattet sein,
Über den bekannten Geographen Earl Bitter lesen wir in dem
Lebensbilde von Krämer (Halle 1864), von welcher Wirkung die
Schale in Schnepfenthal gewesen ist flir die Bichtang, die ^ein Geist
später genommen hat. Hier können wir lernen, was „Heimatkunde"
ist. Die natürlichste Methode ist diejenige, welche das Kind zuerst
in der Wirklichkeit orientiit und zu fixiren sucht auf der Stelle, wo
es lebt, und dasselbe .sehen lehrt. Ks war auch der Gnmdsatz dei*
Pestalozzi'schen Schule in Herten, duicli Selbstbeob.-Kditung- des Nächsten
zur Krkenntnis des Ferneren vorzudringen, in Schnepfenthal lernte
ßitter die Grundbegi'iffe in der Natur selbst auf Spaziergän^i^en und
Fußreisen; man beschneb und zeichnete das Ge.>eliene; man las Keise-
besolireibungen, dii* ja erst durch die Philantliropisten der Jugend
zugänglich gemacht wuiden. Man denke z. B. an Campe's jEU>binson.
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Fflr den Pftdagogea und Geographen Bitter war es ein Qlflek, dass
er GatBnmdis und Salzmann zn Lehrern hatte und sp&ter mit Pesta-
lozzi in Verkehr trat Ein Vorzogr der Bildnngsweise jener Zeit war
es, dass es ilir weniger darum zu thun wai* mit Stoff zu ttborffillen,
als vielmehr die körperliche und geistige filastidtät aberhanpt zn be-
wahren nnd zu stählen. Daher sind die meisten jener Männer mehr
oder weniger Autodidakten; sie mussten sich ihre Bahn selbst brechen
nnd ihre Bestrebungen trag«i den Stempel des Frischen und Unmittel-
haren, während bei uns so vieles nach der Schablone geht und des-
wegen auch trotz aller materiellen nnd formellen Überlegenheit so
matt und verwascheu ausfallt.
Ich habe schon früher hervnrcrelioben, dass zu den ersten Ein-
drücken auch das Pflanzenreich i: » hürt, das dem heimatlichen Roden
eigenthünilidi ist. In der Fremde vermisst man diesen gewohnten
Anblick überall, deim tief haftet die Sitte und Beschättig-ung der
Heimat, und innig verwoben ist mit dei- heimatlichen Luit uu<l Sitte
die Prtanzenwelt. Und das ist ein Wink für die Lehrer der Volks-
schule, diese Kenntnis vor allem in der ihr anvertrauten Jugend zu
wecken und zu pflegen. Vai ilds Ausländische oder Exotische liegt
die Neigung ohnehin in uu^erm deutschen \'ulke, diku immer weiter
schweifen wiU, während das Gute so nahe liegt. Bei Schliemann und
den ÄfHkareisenden treten andere Rttcksichten auf
Was wir vom Geographen Bitter gesagt haben, findra wir in
verwandter Biehtung auch bei Perty bestätigt, dessen „Erinnemngen
ans dem Leben dnes Natnr- und Seelenforschers** nnlflngst erschienen
sind (Heidelberg, bei Winter 1879). Max Perty verbrachte seine Jugend-
jahre in Bayern. In TOlz empfing er den ersten Schulunterricht und
dort erwachte in ihm die liebe zur Natur, indem er Pflanzen sam-
melte nnd Obstbinme veredelte. In der Folge seigte es sieh auch bei
ihm, daas das Studium der Natur einen veredelnden Eänflnss auf das
menschliche Gemttth fibt, mehr als jedes andere Lehrfach.
Auch die eigenthümliche Richtung des deutschen Gelehrten
H. Leo wurzelt in den ersten Jugendeindrücken, die er in dem Buche
„Meine .Tugendzeif* schildert. Den Mittelpunkt bildete das Leben in
Wald und Feld. Ans Weiden wurden Flöten gemacht, Bii-ken- und
Birnblätter zum Blasen benützt, Haferstengel zu Pfeifchen, Strohbander
wurden aus Halmen geflochten, Körbchen und Stilhlchen aus Binsen,
Beeren wurden gesammelt in Körbchen, die aus abgeschälter Birken-
rinde gemacht und mit Dornen zusammengesteckt waren; V('>rrMl wurden
gelangen; mit den Kühlem zog mau zu den Keilern, mit den Weibern
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und Mädchen sammelte man Lanb, sdinitt Gras, dieUe Holz etc. etc.
„Es war ein so reidies Einderleben, wie es die Knaben wolhabender
Familien in der Stadt niemals gewinnen können." Das alles hatte
einen bleibenden Einflnss anf ihn nnd hat viel zur Ausbildung seines
absonderliehen Wesens beigetragen. Leo bekennt: „Noch kann ich
nicht, ohne einen seligen Schauer zu empfinden, durch ein Tftnnicht
gehen: es ist als legten sich alle Engel meiner Jugend lockend und
ziehend an meine Seite und wollten mich wieder zu sich holen."
Dass die ersten £indr&cke einen großen Ehifluss haben, ist un-
bestreitbar. Da aber auch noch andere Momente mitwirken, so kann
man sich nicht wundem, wenn dieselben £inflttsse auf verschieden
geartete Personen auch verschieden wirken. Ein ganz anderer
Charakter ist unter ähnlichen Verhältnissen der bekannte Dichter und
Patriot, E. Moritz Arndt, geworden. Auf diesen hatte, bei höheier
Begabung, die freie Natur und das Christenthnm mehr veredelnd ge-
wirkt als bei Leo. Wir müssen uns hier flann't bf^ni^iiren, auf seine
auch «reschiehtlich bedeutsamen ,,Krinncruugeu'' iiiiizuweiseTi (Leipzig
Weidmann 1840;. Mit derbem Humor erzählt Anult seine .lug-end-
streiche, über die man bei gesunden Naturen nicht so streng zu Gericlit
sitzen sollte, denn nicht selten sind sie Vorboten tüchtiger Charaktere.
In dieser Beziehung gelten mir Arndt, Laube und Fritz Reuter als
wahlverwandte Männer. Aus allen dreien ist ti*otz alledem etwas
Tüchtiges geworden, und wir Deutsche können sie mit Stolz die
iinsrigen nennen. Wer Sinn fiii- echten Humor hat, der lese nur
Reuters Leben in seiner Vaterstadt Stavenhagen, und man wird dann
auch die kleine Hlihe nicht scheuen, mit seinen plattdeutschen Schriften
sich bdca&nt m machea
Dass auch bei Eilnstlem die Jngendeindrftcke michtig eingewirkt
haben, ist aus vielen Biographieen zu entnehmen, und wir wüssten
es auch bei Leuten ans den untern StSnden, wenn ihre Erlebnisse
an^Seteichnet wiren. Nur xweien unserer Eflnstler wollen wir noch
eine kurse Betrachtung widmen.
Wilhebn Eanlbach, der geniale Zeichner weltgeschichtlicher
Ereignisse, hatte, wie viele grofie Männer, keine goldene Jugendzeit,
Sein ganzes Wesen hat sich unter dem Eindruck der j&ühesten Er-
lebnisse oitfiiltet Von dlliftigen Eltern in Arolsen (Waldeck) ab-
stammend, ward er bald von einem Orte zum andern verschlagen,
denn es waren die Eiieg^jahre zu Anfang dieses Jahrhunderts. Das
beste geistige Erbe empfing er, wie Goethe, von seiner Mutter, die
den hungernden Knaben durch schöne Erzählungen erheiterte. Sie
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war der tröstende Mittelpunkt der wandernden Familie, Die Kupfer-
stiche des Vaters trug Wilhelm von Hof zu Hof, um einige Lebens-
mittel zu sammeln. Eine Zeit laug brachte er bei einem reichen Bauern
in Westfalen zu, in diesem alten Sachseiiland, wo Wittekind einst
seine Streiter gegen Karl den Großen führte, wo der ^eniiauische
Geist sich trotzijj zur Wehr setzte gegen dm ueueu Glauben, wo die
Hun» '^stalten jener Zeit noch heute im Miiiide des Volkes leben.
Davuii erziihlteu die Männer dem wissbegierigen Knaben nnd hier
empfing er, wie er seiiiüt gestand, die ersten Keime zu jenem gewal-
tigen Bilde, auf dem sich Wittekind an Karl ergibt. So manches
Meisterwerk Kanlbachs sind Erinnerun^^en der sogenannten rothen
Erde. Ein (Jlück für ihn war es, dass er von Cornelius ia die Maler-
akademie zu Düsseid >il aulü(-iiii.iiiaen wurde. Hier legte er den Grund
zu semer künftigen Künstlergrölie. Die missliche Lage seiner Eltern
hatte aber eine gewisse Herbheit in ihm zui-ücl^elassen, und erst in
München zeigten sieh Lichtpunkte .in seinem Leben. Eaulbachft Zeieh-
nimgeii ans dm letzten Jahren seines Lebens, z. B. „Der deutsche
heilige Michel'*, die nKinderprocession^ vl a. ennnem an Holiörei den
Sohn des Tapezierers nnd königlichen Kammerdieners. „Der Blitz des
Witzes — wie Karl Grfin in seiner Cnlturgeschichte sagt — fiüirt
gemeiniglich ans den niedem Schichten der Dienstbarkeit empor.
Liyins Andronicns nnd Terenz waren Sclaven, Plautus em armer
Bauer, Hofiiarren belehrten manchen Fürsten, Figaro rasirt den Grafen
Almavira, Moliöre geißelt die Thorheiten des Adels, der Kirche nnd
des Hofes."
Auf anderm l?oden stand die Wiege Tizians, der aus einer vor-
nehmen Familie in Cadore stammt, das im venetianischen Alpenlande
in einer reichen nnd wunderheiTlichen Natur liegt. Ernst F(.r>ter
schreibt darüber: „Vor uns steigt die Pyramide der Landschaft, der
Monte Rito, in bläulichem Glänze mit den dunkelbewaldeten Abhängen
empor; links unter uns im tiefen Thale rauscht die Piave. g^rüne Ufer
umspülend, und begrenzt in der Höhe von gewaltijren, in allen Trmen
spielenden Dolomitmauem. ^^'elch eine Fai-benfülle ummnbt uns mit
Himmelsbläue und leuchtenden Wolken, mit kraftig gesundem und
warmem Waldesgrün, in scharfen «THL^ensätzen und harmomschen n>er-
gänsren zu den in Sehneeglanz erblassenden Felsenmass^n' Kine g'anz
Tiziauische Landschaft! Und wohin w ir gehen nnd wohin wir sehen —
jeder Schritt, jeder Blick weckt Krinnerunfren an (hegenden, die uns
aus .den Gemälden Tizians bekannt sind. Aber es sind nicht nur die
landscliaftlicheu Hiutergi'Uude, die er hier geschöpft, es ist die Tiefe
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und Kraft der Färbung überhaupt, die er in dieser Umgebung gleich-
sam wie mit äev Muttermilch eingesogen, so dass man meinen könnte:
hier konnte jeder ein Tizian werden — vorausgesetzt freilich, dass
er den Farbensiuii de^-^elben mit auf die Welt gebracht." Nicht blos
die Umgebungen, aiieli die kirchlichen Eindrücke und Lebensverhält-
nisse waren bei Tizian ganz anders als bei unserm TCanlbach. Dies
zeigt sieli auch in den biblischeu Bildern Tizians verglichen mit den
hisU)risichen des Kaulbach.
Unter allen Einflüssen, die auf Gemüth und Geist der .Tugend
wirken, ist die persönliche Einwirkung und der Umgang oft ent-
scheidend für das ganze Leben. Das weiß jeder Denkende von ssich
selbst, denn jeder hat das mehr oder weniger erfahren. Wie viele
von uns haben sich einem Lehrer oder Freunde eng angeschlossen.
Um schließlich eines Grazer Kindes zu gedenken: Welchen Einfluss
ittrte Vrot Schneller auf dm 1876 verstorboiat StBatimann und Ge-
lehrten Antoo Prokesch-Osten ans! „Schneller'', sagt Prokesch sdbst,
^wDsste die Jugend za endehen; er vai> von heiterem Wesen, voll
Anregung in jedem Worte nnd Blicke. Durch ihn wurde in nns ein
Wettlanf nach aUem Edlen nnd Schönen geweckt Seine groBe Kraft
war seine Einfachheit, seine Milde, seine GUbe, in jedem das seinem
Wesen Verwandte anzuregen. Ich war nichts, nnd so erscheine ich
mir oft, wenn ich an meine Kindheit znrackdenke. Er nahm die
Knospe nnd legte die Blfttendeckel ansehmnder nnd hieß mich blühen
und wachsen. Ihm danke ich alles." — Ist das nicht ein schönes
Vorhild für uns Lehrer? Und erhebt es nicht nnsem Bemf^ von einem
so aasgezeichneten Manne, wie Graf Prokesch-Osten war, eine solche
Anerkennung unseres Berufes zu vernehmen? — Die Befieiungskriege
gegen Napoleon führten auch Prokesch in die Reihen der steierraär-
kischen Kämpfer, dam keiner seiner Grazer Schulkameraden blieb
daheim. Da fugte es sich, dass er in Jena auch mit Goethe in Be-
rührung kam. Der las dem jungen Oftieier aus seinem östliclien Divan
vor. ihm. dem künftigen Orientalisten Prokesch, zubenauut Osten. 80
geht vieles an uns vorüber, dessen Tragweite wir erst später erkennen.
Zu df'n vielen einflnssreicheii Factoren in dfr KT-ziehuntr gehören
auch frühe Oewöhnnng und dir ( ts<(ii ]''in\virkimgen aut das Ge-
dächtnis. Bezeichnend für die iieiieutuug des (Gedächtnisses ist
es, dass nach der grieehischen Mythe die iMuseu d. h. die Sinnenden
das Gedächtnis, die Erinnerung (Muemosynei als ihre Mutur ver-
ehrten. Das Erinnerungsvermögen ist eine der geheimnisvollsten
Fähigkeiten des geistigen Lebens und ist selbst dem hohem Thiere
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eigeu. Nimmt beim Menschen in vorgeiückten Jahren das Gredächtnis
ab (das Namengedächtnis znent), so haften trotsdem die Erinnemngen
der Jugendzeit mit unwandelbarer Stirke weiter; naa erzfthlt ndt
Voriiebe die Jugendstreiche, die ersten Liebeshftndel und Begebnisse,
nnd selbst lange nicht mehr gehOrte Melodien nnd Ausdrucke des
Matterdialektes tauchen bei Gelegenheit wieder anf , denn sie waren
anfgeschrieben auf eine reine TafeL Diese lautem Jngendeindrihäe
sind fflr das spätere Leben von nnschfttEbarem Werte, indem sie f&r
die Neigungen nnd selbst den Lebensbemf bestimmend einwirfcoi. Die
harmlose Jagendzeit gleicht dem Jngendparadiese der Menschheit, von
dem ans die Sagen der Völker berichten.
Ist das nicht ein Wink für Mütter und Erzielier. alle Über^
reizongen der Phantasie, alle bdsen Beispiele, Roheit und Ungerechtig-
keit von den Kindern fem zu halten? Zwar hat die Jogeod, oft zum
Glücke, einen leichten Sinn, aber immer bleibt etwas haften. Von
Kltem nnd Erziehern wird das alles zu wenig beachtet. Die Leiter
der Kirchen Gesellschaft haben von jeher eine g^rosse Äfenschenkenntnis
bewiesen, indem sie diese Neigunj,' der jiigendliclieu Men.scliennatur in
ihre Dienste nahmen. Der Cuitus der Volksreligionen mi'l das Symbol-
wesen ist dafür ein deutlicher Beweis. Namentlich k;iiiii Ii» päpst-
liche Kiiche nicht früh genug die Jugend zu ihrem Kii U* iiThiim ge-
wöhnen, und was machen sie hentziita^e noch für Anstrenguugen,
um die Jugenderziehung und die Volksschule in ihrer Haud zu be-
kalteul Sie wissen wol: Warum? In m \reit es pädagogische, wirk-
lich religiö.se Motive sind, werden btuui und Schule mithelfen, nicht
aber für llerrsclierzwecke.
Mit der jugendlichen Gewöhnung steht d&& Gedächtnis in enger
Verbindung. Die- Erfahrung lehrt Folgendes.
Was in früher Jugend aufgenommen ist, haftet am l&ngsten im
Gedächtnisse, und miäUige Begegnungen sind es, welche die Erinnerung
wieder wecken.
Nathan fragte den Tempelhetm um seinen Namen. Dieser ant^
wortete: Kord Yon Staufen. Der Name machte den Nathan nachdenk-
lich (n, 7); er rerglich den Wuchs, Gang und die Stimme und sprach:
„Wie solche tiefgeprftgte Bilder doch zu Zeiten in ans schlafen können,
bis ein Wort, ein Laut sie weckt!"
Jngenderinnemngen kommen zuweilen wie ein fiettnngsengel;
man denke z. B. an Faust Als er die Schale an den Mund setzt,
Temimmt er Glockenklang und Chorgesang „Christ ist erstanden" etc.
„An diesen Klangt spricht Fauste „von Jng^d auf gewdhnt, ruft er
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auch jetzt zurück mich in das Leben." — „Dies Lied verkündete der
Jugend iiiuntre Spiele, der Frühlingsfeier freies Glück; Erinueiuug hält
mich nun, mii kiadlicheni Gefühle, vom letzten, ernsten Schritt zurück."
Tm Alter tauchen oft Erinnerangen aus der Kiiullieit aiü. Z. H.
der deutsehe Dichter Chamisso, der iu jungen Jahren aus Frankreich
nach Deutschland fliehen musste, sagt in dem Gedichte „Schloss Boncourt":
Ich tffum' fth Kind mieli sortteke
und schüttle mein greises Haupt:
wie sneht ihr mich heim, ilir TUldcr,
die l&ü'j; ich ver<rps-pn 'geglaubt !
Klüden erzählt: „Im 8. Lebensjahre machte icli (Ji* erste Eeise,
und mit frischesten Sinnen fasste ich die Eindrucke aul. Mein Vater
hatte einen Schein auf Vorspannfuliren erlialteu; der Theergeruch der
Kiidvi war mir sehr angenehm, und wo ich ihn etwa jetzt noch
athme, ti-eteu nur älteste Reisebüder vor die Seele."
Iii seinen , Jugenderinnerungen" erzählt Ernst liiets>chel (S. 42):
„Am Morgen eines Pfingstfeiertages musste ich für meinen Vater anf
einer Wiese im Walde einm Strauß wdfier OrehUeen holen, die er
sehr liebte und an deren Geruch er sich ergötzte. Trotz eines 6e-
vitters mod der Sehen davor war doch die ernste Stimmung, welche
sie hervorbringen, die Lost and der Schauer an den gewaltigen Ei*^
echeinongen der Atmosphäre fOr mich ein eigner Beiz; die Sonntags-
stille in der Flnr und aof dem Felde, der festliche Hintergrond des
Tages erregten in mir einen Zustand von ahnungsvoller Beklommen>
hett, dass mir Worte fehlen, die unbestimmten Bilder dieser Seelen-
bewegung zu beieiehnen und ihnen Änadmck zu geben. Es hinterlieft
dieser Jforgen danea so bleibenden Eindruck in mir, dass sein Bild
mit vollster Gregenwärtigkeit mir vor die Seele tritt, sobald ich solche
weiße Orchideen rieche."
Oft haftet Geringfügiges sehi- lange im Gedächtnisse. Holtei er-
zählt in den „40 Jahren" 1, 90: „Manche Begebenheit, die auf mein
ganzes Dasein von größtem Einfluss war, verdanke ich oft nur einer
Neben erinnemng an die Straßen, Bäume etc. Ich bin sicher, dass ich
lOUO Jalire alt werden könnte, ohne die Trödlerbude zu vergfessen.
vor der mir ein Mitschüler, die scliönste Centifolie in der Hand lial-
tend. entgegen rief: Weißt du schon, die Königin ist todt ? Beschwören
kann ich, da.ss icli mein Leben lang nicht von dei- vi elbetra werten
i?'ürstiü habe reden hören, ohne dabei un\*iHktirlicli an eine volle Kose
zu denken, uud dass mit der Rose auch jedesmal die Trödlerbude
sammt ihrem Kleiderkram \ or meiner Einbildung sich darstellt. Der
Abmarsch der französischen Truppen, die Bildung der Büigerwachen,
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der WiVtlereinzug: preußisclier Soldaten, die feierliche Eiusetzung
der Stadtverordneten (in Breslau): dies alle?? sehe ich lebhaft nnd
empfinde die dadurch veranlassten knabeiiiialten Enegiuigen wieder,
wenn ich nnr der l*lätze gedenke, wo ich mich im Gewülüe umher-
trieb und begeistert aus vollem Halse mit schrie."*
Solche Erfahrungen könnten Eltern und Lehrern auch A\ inke
geben für die Behandlung des jnngen Volkes. Wolthaten, aber auch
empfindliche Kränk mi^^en haften tief im jugendlichen Gedächtnisse.
Ungerechtigkeiten, Ausbrüche von Jähzorn verges.sen die Kinder nicht
so leicht. Über das unaufhörliche Verbieten und Warnen sagt der
vielerMrene Holte!, üaa» es liäufig die ookliigen Lehren und Verlial-
ttingsbefeiüe besorgter Eltern und Endeher sind, durch welche junge
Leute anf den Weg gefilhrt werden, von dem all' jene Mandate de
zurückhalten wollen« »KOchte doch jeder, dem die Jagend anvertrant
ist, sich gefiüligst sm seiner eigenen Jugend daran erinnern, wie
wenig Verbote bei ihm Terschlugen; möchte er doch daran denken,
dass im gntmflthigsten £inde ein Antrieb nach dem Verbotenen waltet'*
Der Vortheil oder Nachtheil der ersten Eindrücke^ wie er sich in
Bezog auf Sitte, Charakter und Geistesrichtung geltend macht, zeigt
sich auch im ersten Unterrichte. Nichts ist verderblicher als das
tändelnde Vielerlei, als der sogenannte spielende Unterricht, wie er in
yerkOnstelten Einderg&rten hie und da vorkommt. Hieher gehören
auch die pädagogischen Calfactereien der Kechenspiele, Geographie-
spiele und dergleichen. Ähnliche Nachtheile bringt, es, wenn Elemen*
tarlehrer über die ersten Elemente zu schnell hinweg eilen und Ein-
drücke auf Eindrücke häufen. Diesen geben wii* zu bedenken, was
£&ckert in der ., Weisheit des Brahmanen" (XIII, 5ö) ««agt:
„üem unbesclirieb'nen Blatt des Gpi«rf>« in dem Kinde
scUreib uuledäclitig nicht zu viel eiu zu gesschwinde.
Zwar wird nie voll «Us Blatt, st«ta neu sn Aberscbteibeot
doch keine Schrift 80 fest winl siU die erKtr )>!< iben.
Ja keine Kiiii'^t ventin? sie völlig wejf/iiu i?i Iild :
wa^ mau auch drüber schreibt, sie schimmnt diiich daiswiächeu.
Du üelber müg&it eioüt, wauu spätre i^chriiten schwinden,
erloMh'ne Xiodenilg' im Heizen wiednr finden.***)
Aofinerksame Eltern nnd Lehrer können ans gewissen Neigungen
der Kinder vieles lernen nnd oft sogar auf den kfinftigen Bernf
*) Beherzi|,'euavvei te iirlahrungen ttnden sich in Kellners Aphuri^meu Nr. 1; über
den ersten Schulgang in AnerlMcha ,,Ziir guten Stande" 1,184; bei KISden In den
itJngenderimienuigen'* S.51— 63; bd £. M. Arndt in seinen ..Erinnerungen aus dem
äußern Leben* S. 9 — 14. Die hh ins .iVller im (jedächtni?'se baltende Macht der
ersten Liebe «ei für jeden, den e« betnfit, das letzte argumentum ad liomiueui.
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s<'l!li»-ßen. Gewöhnunj>' und das Beispiel wii ken Inliitig mit. Wie oft
kommt t's vor, dass der Sohn dem Berute des Vaters folj?t, weil er
von .hisrt'nd auf seine Thätigkeit gesehen hat. Auch in andfru Fällen
hat das Bel^i»iel eine große Macht. Wird z. B. ein Kind nicht stehlen
lernen, wenn es sieht, dass die Eltern fremdes Kigenthuin nicht achti-n?
Das aUes leitet uns auf den Grundsatz hin: Principiis obsta! d. h. dnin
Anfange stelle dich entgegen, wehre solchen Aniangeu! Des Stehlens
Anfang ist die Lüge, und auf die ei-ste Lüge gehört — wie das
Sprichwort sagt - ein Backensti'eich, eine Maulschelle. Luther sagt
mit Recht: die Lüge ist ein Schneeball: je länger man ihn fortwälzt,
um so grösser wird er.
Was die Bentfewahl tmbetrifft, so findeii vir in manchen Selbst-
biographien gnte Winke. Z. B. in seinen ^ngenderinnernngeii** sagt
der berOhmte Plastiker RBietschd: ,^as erste, vas ans der fHUiesten
Kindheit im Bevosstsein meiner Erinneningen geblieben ist, war ein
Wolge&Uen an kleinen Bilderchen and Holzschnitten. Was ich fiud,
das nnr iigend einer Gestalt Ton Menschen oder Thieren Shnfich war,
sammelte ich nnd klebte es in ein altes Bach. Ich yersachte selbst
auf der Schiefertafel za xdchnen, was mich interesairte. Im sechsten
.Tahre malte ich eine li^nde Koh mit Wasserfarben. Es blieb bei
mir das Interesse für Zeichnen und Bilder anhaltend rege.** Das
schreibt derselbe Künstler, der später die Lessing -Statue in Braun-
scbweig, das Gtoethe-Scliiller-Standbild in Weimar, das Lather-Denkmal
in Worms nnd andere Meisterwerke t^eschaflfen.
Verbreitet und alt ist das Sprichwort: „Was ein Haken werden
will, krümmt sich bei Zeiten"; es meint nicht den künstlichen Haken,
sondern den gewachsenen hakenartigen Ast des Baumes. Vür Künst-
ler und Techniker ist es ein großer Vorteil, wenn ihre gestaltende
Phantaiäe und ihre Werktliätigkeit in frülien .Jahren genähi't wii'd,
und wenn sie nicht zu lange auf den Schulbänken zu sitzen gezwungen
sind. Es ist aucli eine alte Krfaitning. dass für «resunde Talent
eine harte Jugend eher von Vortlieil ist, da sie um den Schwachen
erdrückt oder verkümmert, den Starken abei" stählt und vertieft. fcJehr
wirksam ist es, recht friüi ins praktische Leben, in die Werkstatt
einzutreten und die primitivsten Forderungen der Technik zu allereret
erfüllen zu lernen.*)
*) über unser thpnrpti'^iri'ndes Unterrichtssystem, diw die Vorbereitungen znin
Berufe «bermäßi^' in ilie Länge zielit, vetgl, u. a. Fr. Pecht iu der Beilage zur
A. .yig. Zeitung Xr. 33 (1882).
8
B»iel»]ig nur €l«wi88eihalti^keil nd Fflickttnie.'^
Von i>r. J^l^jiifijiyitoAitfilM^^^^
nicht einem unserer Leser dfirfte es unbekannt Bein, welches
nngebeaere Ungl&ck sich am 8. December 1881 mit dem Brande des
Bingtheaters an Wien ereignet, und welchen Ausgang der durch diese
Katastrophe Teranlaaste Ftwess genommen hat Wenn mt diesen der
pAdagogLwfaen ErOrterong scheinbar femliegenden ZwiBchenfall miserer
Zeitgeschichte in diesen Blättern m bleibendem Qedftehtais regiatriren,
so geschieht es in der ErwSgnng, dass derselbe für die öifentliche
Moral nnd fttr die OlfenÜidie Erziehimg sehr ernste Fingeizcage darbietet
Enrs nach Abschfaiss des erwähnten Frocesses (am 17. Hai 1882)
brachte eine der größten Wiener Zeitungen, die „Nene freie Pl^esse^,
einen Epilog an der abgreschlossenen Tragödie, welcher den ans der
letsteren sich ergebenden Warnungen nnd Lehren Ausdruck verlieh
nnd uns Teranlasst, den allgemeinen Betrachtungen über das Tor
unseren Augen vorübergegangene Ereignis eine pädagogische Wendung
zn geben. Ist auch die erschütternde Episode, auf die wir mit Ent-
setzen zurückblicken, an sich ein rein dsterreiehisches Ereignis, so
hat man doch aiicli in anderen Ländern Ursache, die an einem be-
stiiiiiiitpn StRatskürper aufgebrochene Wunde als Waniungszeichen zn
betrachten. Ihr, die ihr in eurem eigenen Lebenskreise an alten
Schäden ki-ankt, aber durch die Geduhl und Langmuth des Schick-
üals bisher vor Unheil bewalirt worden seid, hütet euch vor sorgloser
Selbstzufriedenheit und träjrem Beharren in alter Gewolinlieit: und
ihr, die ihr in eurem (itiiieinwesen Talent und Tüclitigkeit, Pflicht-
ti'eue und Gewissenhaft igkeit zu Ehren gebmcht, sehet zu, dass diese
*) IMeaer Artikel war sdioii unllioiiAtHu gwehrielflDt murte aber utRlWwicirt
auf andere Mamnei^ biiker mrllehgeetellt wenleii. Olnrol nun die Veranlaeanng
desselben bereits der Vei^ntrtnlieit angehfirf. dflifte doch sein wesentlicher Inhalt
noch heute von allgemeinem intercsse sein. Übri^^ns hahpii sich neuertiinfirs aber-
mals EreigniBse zugetragen, welche aat die hier behandelte Endehungsautgabe oach-
drncUieh lunweiien. D.
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19 —
unerlässlichen Stützen der öffentlichen Wolfahrt nicht erschüttert,
nicht :r« lirnchen werden, und verg-esset nicht, daSvS sie ein imi;randel-
bares undament nur durch die öffentliche Erziehung erhalten
können!
Das Urteil, mit welchem der durch den Brand des Ringftheiiters
Veranlasste Process zum Abschlu&s kam, war ein müdes. Von den
Angeklagten wurde die Mehrzahl freigesprochen, die Minderzahl zu
niäßij?en Strafen ^'erurtheilt. Wol hatte die sorgfältig gefahrte Unter-
snchnntr ein hohes Maß \1elseitinrpr Verschuldung constatirt; aber im
Hinblick aiit die bei der Katastrophe gegebeneu Umstände und Ver-
hältnisse und auf die maßgebenden Bestimmungen des Strafgesetzes
sahen sich die Richter veranlasfit, die Omen obliegende persönliche
Ahndang in engen Schranken zn hatten. An diesen Saehveiiialt nnn
schloss sich der oben erwähnte Zeitungsartikel an, den wir ans der
Eingangs bezeichneten Erwägung hier (mit Weglassung des fOr nns
nnd unsere Leser UnwesentUchen) mittheüen, nm an ihn einige päda-
gogische Bemerkungen cn knüpfen.
Je fehlbaiei' die menschliche Gerechtigkeit iu tauaeud traurigen FlÜleu
«idt crviesen hat, defto behutsamw «ül Bie angewendet sein — dieee Er-
wägaug nmw ans beruliigen, wenn ans die Auswahl der Schuldigen und das
Maß der znerkannt^ii Strafen gering zu sein scheint im \'t'rg'U'ichc zu dem
namenlosen Jamuier, den jener Tag des Unglücks über Hunderte von Familien
gebracht hat.
Der Gerechtigkeit ist also Genflge geechelien. Können wir aber damit
diea dftstere Capitel Wien^ — nein, österreichischer Geschichte befriedigt
schließen? Gehen wir nnn. nachdem der Vorhang über dein letzten Act der
Tragödie hiuabgerollt ist. gleichgiltig lieiin und denken nicht melir daran, bis
vielleicht neuerdings ein Trauerspiel aus „furchtbarem Versäumnisse" sich be*
gibt? Es ist nieht wbl vetgeaieD, daee das Gericht nur das persönliche Ver*
schulden, das HnJI IndividneUer Verantwortlichkeit in den Bereich seiner 6e-
urtheilnng zti ziehen hatte; was jenseits dieses rinkroises liegt, das wird von
seiner Jadicatur nicht ergriffen. Aber gerade die nnpersiinlichen l"ii'a( heu der
Katastrophe, das Verschulden, welches nicht dem Kiuzehien, sondern der AU-
gemelnheie snr lAst fiült, Jene llSagel vnserer gesellschaftlichen Organisation,
unseres öffentlichen Geistes, unserer staatlichen und commnnalen Institutionen,
für die keine bestimmte I'erson verantwortlich ereniaclit werden kann und an
denen wir doch .Mle mitschuldig sind - ■ gerade das ist's, was dieser turcliter-
liche Process mit so grausamer Deutlichkeit oä'enbarte, und dafür gibt es keinen
«ideni Bichtenprach als dei\jenigen, den unser eigenes Gewissen fUlt, keine
andM« Sflhne, als die miTerzügliche, entsddOBsrae, werkthätige Reform.
Gestehen wir es aufrichtig, die Flammen des Ringtheaterbrandes haben
fürchterlich in das mangelhafte, rostige Getriebe unserer öffentlichen Verwal-
tung und nicht blos in dieses, sondern in die hässiichen und nur zu gern ver-
lehwiegenefi Eigenschallen nnaeres ganzoi Yolkacharakters hiaeingeleiiditet,
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— 20 —
Was vnr in den ersten Stunden nach dem Unglöclce instincriv ahnten, das hat
die gerichtliche Verhandlung, die erbarmungslose Zerpliederuiig aller Einzel-
Ursachen and die Untersuchong ihres ZusammenlmDgeg nur zu sehr bestätigt.
Es hat sich gezeigt, daas wir alle Anstalteii und Einriehtniigen beritieiit welche
der mcnsdiUdie Geist ersonnen hat, um große Brandkatastrophen zu TeihDten,
oder wenn sie dennoch eingetreten sind, das Treben, das Ei^refithnm nml die
k5rperliche Sicherheit vor ihnen zu schützen, und dass alle, uusnahmsios, im
eutscheidenden Augenblicke versagten. Von der veralteten Feuerlösch-Ordnung
ans dem Jahre 1817 aogefluigeD Us hinah wa den pflidktTergeneiieii Arbeitern,
welche zechten, statt ihren Dienst zu versehen, hat sich alles unzureichend,
vernachlässigt erwiesen. In der Theaterleitung, in dt^r Fe^eT welii. im Sidier-
heitsdienste . überall fehlt'' es an zweckmäßiger Anurdiiunt? und noch nit lir an
pflichttreuer, gewisseuhaiter DurchTührnng. Niemand war zur rechten Zeit am
rechten Platze, niemand that vollkommen seine Pflicht Jener Commonal-
Beamte, der die Anordnung des BQrgenneisters , die Theaterleitung zur Eer>
stellnnfT dpi- Sicherheits- Vorkehrungen zu verhalten, unbefolgt ließ, steht würdig
jenem Urbane des Stadtbanamtes znr Seite, das bei der Nachrieht vom Brande
sich gemüthlieh einem Tramwaywagca anvertraute, um zur üiiglücksHtätte zu
fahr«D. Welchen Begriff erhilt man Ton der Organisation desPoliseidienstes,
wenn man aus der Processverhandlung etfthrt, dass der Polizei-Beamte, welcher
die Oberleitnnnr dt r Rielierheit.'-vorkehrunpren anf dem Brandplatze fiilnte, durch
Zufall benacliriehtifrt. aus einer Privat i,'esellschatt heraus, ohne eigentliche
Verpflichtung in diese Function trat! Hätte er sich anderswo befunden oder
bfttte ihn dieNaehrieht nicht erreicht, io wSre wahrscheinlich ein gans ander»»
Tielleicht anch niemsmd an seiner Stelle gewesen, dt r Zufall «itschied über
eine so Avicliti^e Anitsfnhmng:. Und jenes mninose ^.Alle.s ist «rerettet I". welclies
die Hanptursaciie war. dass fast ?ar nichts gerettet wurde — selbst die ge-
richtliche Untersuchung liat nicht ergeben, wer dessen Urheber war. So mangel-
haft ist die Organisatien des Sidherheit»> nnd Feaerwehrdi^urtes, dass k^e
Person bezeichnet werden kann, welche die stricte Verpflichtung traf, sich da-
von zu überzen^ren. ob noch Menschen in dem brennenden Schanspielhause sieh
befanden. Und weil es eine solche Person nicht gab, traute einer d< r Angabe
des andern, und niemand besaß die Gewissenhaftigkeit, auch nur der Wahr-
heit geaM za gestehen, dass ihm nicht bekannt sei, ob Menschen noch der
Rettung hedfirflig sden.
Man klagt so oft den Pessimismus als die österreichische Erbki-ankheit
an, welche die frische hoffnuns-sfrendipre Thatkraft, deren es zu jedem Frfolpe
bedarf, nicht autkomraen lässt — hier sieht man die Wurzein des Übels zu
Tage Üegem Wie aoU der 01anhe an nns sdfast erstarken, wenn wir die pri-
mitivsten Anfordenmgen an die Verwaltoag so nfllUt sehen; wie sollen wir
nicht Pessimisten werden, weun das einzigemal, wo wir dem Optimismus nns
hiuffaben, es sich so fürchterlich rächte! Einer (l* r rtheidiger in dem Processe
bemerkte mit Recht, das Maß der Verantwortlichkeit jedes Einzelnen für das
entstandene Unglück sei ein gewisses Durchschnitts- and Hittelmaß, richte sich
nach dem allgemein üblichen Grade vonPflichterfBllnng, den man bei der Mehr-
zahl der Pereonen, die in gleichen Verhältnissen sich befinden, nachwei n
kann. Daran aber lie«>^t'.s. Das Mittelmal! der Gewissenhaftigkeit steht bei
uns überall tief unter der Mittelmäßigkeit. Wenn wir eine Pflicht zu erfüllen
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haben, sind wir weit weniger aaf die Erreichung des Zweckes bedacht, um
desst^?) willpn wir vpr].flichtet sind, als darauf, nns für den Fall zu „decken",
wenn jeuir Zweck lücht erreicht wird. Auch dort, wo wir MissstUnde und
U^el vcrmuthen, scheuen wir regelmäßig die Untenttchnng, weil wir die £nt-
declniner fBiehten, die xm zur Abttdlnng det Schlechten verpflichten wfirde.
Der Zn&U spielt bei uns eine größere Rolle, als irgendwo in einem Gemein*
w<^'«^ti . das anf strammer Disciplin nnd Pflichtei fiillunff anfgebant ist W*m*
weüJ, wie viele Institntionen and Anstalten zur Erreichung der Staatszwecke
wir besitzen, die innerlich ebenso mangelhaft und vemaclüttssigt sind, wie die-
jenigen, wdcbe beim RfngthwttCTiimnde sidi so sdilecht bewShrt haben! Wer
weiß, welches Unglück noch kommen muss, nm ans ftber andere Zweige des
öffentlichen Dienstes die Au9*en zu f»ffn'^n. Mit Schandern denken wir daran,
wenn in einer (refahr. die den Stjiat selbst bedroht, Mängel zu Tage treten
würden, wie diejenigen, welche dieser I'ruceäs aufgedeckt hat.
Das moralisdie Yerdiet, welches sich «u der dreiwtehentUehen Verband-
hmg ergeben hat, lautet tausendmal strenger als das gerichtliche Vrtbeil; es
trifft uns alle ansnalinislos, die ^vi^ — jeder in seinem Kreise — uns des
mangelnden Ernstes. dp<* zn leichten Sinnes in der Erfüllung nnserer staat«-
bäi*gerlicheu PÜichteu aiikla^eu müssen. So oft ein öffentliches Unglück ans
der fehlenden Pffichttfene efaimlner entsteht, sind wir alle mitscbnldig, well
wir es geschehen lassen, dass das Durchseimitännaß der Sorgfalt, welche wir
imserf^n Obliefrenheiten angedeihen laKsen. so tief herab^^inkt. Exempla trahunt.
Wir sind im Punkte des Pflichtgefühls viel zu naehsieiiti^ j^eiren nnsnnddem-
gemäß anch gegen andere. Das sollten wir aus dem Kiugtheater-Processe
lernen. Wenn wir dieses Übd der NacUBssigkeit, des GewttbrenlassenSi des
Leichtsinns nicht ausrotten, so kann der Brand jeden Tag an einer andern
Stelle wieder ausbrechen und noch zahlreichere und noi Ii ^r lilimmere Opfer
fordern, östeireich hat darüber schon die bittersten Erfahrungen zu ver-
zeichnen, und sie spiegeln sicli alle in dem harten, aber treffenden Worte jenes
sarkastischen Deputirten, weicher den Ringtheaterbrand ein — „Civil -EOnig-
grlts** geoannt hat
Das also war des Pudels Kern. So sieht der „Öffentliche
Geist ^ ans, dessen wir uns in unseren Tagen eifrenen. Woher
stammt er? Etwa aus der vielgeschmähten „Neuschule die
kaum geboren, irieder umgebrackt werden soll? — Diesmal haben
selbst die Ärgsten Verfolger derselben nicht gewagt, sie für fremde
Sünden verantwortlich zu machen. Es wäre ^ne allzu offenbai*e Ent-
stellung der Wahrheit gewesen. Denn keiner von allen, deren Nach-
lässigkeit, Leichtsinn, Pflichtvergessenheit und Gewissenlosigkeit mit
dem tragrischen Erei^is in Zusammenhang gebracht ^vf>rf!pn konnte,
halte seine Moral in der Neuschule geschöiift; auch Avar nicht alizu-
sehen. wie man diesem die „unpersönlichen Ursachen", das „Versclml-
den der Allgemf'iTiheit", die „Mängel des Öffentlichen Geistes" und die
„Kelller unsei'er staatlichen und communalen Institutionen" zur Last
legen könnte. Aber man hat es auch weisUch unterlassen, den zu
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Tage getretenen Schaden anf seinen wahi*en Ursprung, auf das alte
firziehnngs- und BUdnngssrstem zorfickznfübren. Und so müssen wir
denn diese im Epilog der Tragödie gelassene Lücke ausfüllen, indem
wir constatiren, ilass die Greneration, deren moralisches Bild der obige
Artikel zeichnet, in jener 8chnle lieranfz-ewachsen ist, welche in der
Glanzzeit des Krnmmstabes und Polizeisäbels blühte. Nun,
„an ihren Früchten sollt ihr sie erkennen", und wenn ihr sie erkannt
habt, dann ft-agt mrh: nh ein rechtschaffimer Mensch wollen kaun^
(lass die Nenschule \en'athen und verkauft und die alte Dressui-
maschinerie wieder hergestellt werde. Wollt ihr die alle Versumpfung
conüierviien, so kehrt zurück in die Kuechtschati ; wollt ihr ein bes-
seres Geschlecht, so schreitet vorwärts zur Freiheit!
Allein da handelt es sich keineswegs blos um die „Xeuschule",
unter der niciu ja bis heute nur die Vulksschulc versteht und ver-
stehen kann. Es handelt sich vielmehr um unser gesammtes Bil-
dnngswesen nnd hesonders om jene alten Lehr- und Erziehungsst&ttenr
denen bis jetzt, trote ^elfUtiger Yersnehe, eine dmchgreüSande V^ov
jüngimg niclit gelungen Ist, eine Teijüuguug ihres G^tes und Wesens,
welche nothwendig ist, wenn sie einen heibameren Einfluss auf die
moralisdie yer&ssang der Gesellschaft und anf die G^estaltitng der
OlTentiiehen Angelegenheiten ansOben sollen, wenn sie namentfich jenen
Genieiiisinn, Jene Gewissenhafl^kett und Pilichttreae in die Gemflther
der Jugend pitonzen sollen, deren Uangel so schmerzlieh beklagt wird,
nnd deren VoiheiTScbAft die wichtigste Bedingung aUer socialen Wol-
fahrt ist Die „intelligenten GhuBsen'* und »leitenden Kreise" unserer
Gesellschaft rekrutiren sich aus jenen höheren Bildungsinstituten,
welche der Autorität des Staates unterstehen, vom Staate regulirt
und controlirt, mit weittragenden „Berechtigungen^ ausgestattet, großen-
theils auch errichtet nnd erhalten werden. Die meist begünstigten
und einflussreichsten unter ihnen sind die Gymnasien nnd ünivei-sitäten.
Aus ihnen geht die Mehrzahl derer hervor, welche Kraft ihi-es Amtes
die ötfentliche Gewalt ausüben und den öffentlichen Geist bestimm^
sind auch die meisten jener Männer hervorgeg-angen, auf welche in
letzter Instanz die „unpersönlichen Ursachen" der bewussten Katastrophe
zurückweisen, und welche in erster Linie getroö'en werden, wenn der
citirte Zt lUingsartikel zn dem Kesultate kommt: „Niemand that voll-
kommen seine Pflicht**, und: ,,Das Mittelmaß der Crewissenhaftigkeit
steht bei uns überall unter der JMittelmäßigkeit."
In der That ein keineswegs schmeichelhaftes ürtheil über unsere
„höheren, leitenden, intelligenten, clas>sisch gebildeten* Kreise! Wol
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ist die ihnen zu Tlieü gewordene Beleuchtung eine g:relle, der über
sie gefiUlte Spruch ein schroffer. Aber verkennen dürfen wir nicht,
dass in unserer höheren Bildung ein Bestandtheil bisher bei weitem
nicht genug betont und gepflegt worden ist, und gerade ein sehr
wichtiger, ja der wichtigste Bestandtheil: die ..Tutellig-enz", und noch
dazu oft eine ziemlich ungesunde, ist überschätzt, und die ^foralität
ist als N'el»pnsache behandelt worden. Dieses Deficit wiid von spe-
ciellcu l?'a( liiii ianem des höheren Schulwesens selbst vldlin h hervor-
gehoben und Iteklant. indem sie zugleich den richtig* n (t* si( liispunkt
Ztti' Ausgleicliuti^'- aufstellen. Mit Recht bemerkt nin ge-
wiegter Kiitiker des heutigen GymuHsiums*): „Das Verdienst, welclies
sich eine Schule um die Jugend erwirbt, der Wert, den, sie ftir die
Ge^llschaft hat, hängt von dem Grade des sittlichen Einflusses ab,
den sie auf das Wollen und Handeln, auf den Oharakter ilirer Zög-
linge übt.... Auch unser Gymnasium wii'd lohnende Früchte seiner
Bildungsarbeit nur dann erzielen, wenn es die sittlichen Kräfte ge*
nftgend übt, dasGemath und den Wülen der Zöglinge veredehid bfldet,**
Nun möge ngestandea sein, dass die HehrzaJd muerer Sdiiil-
niimar diese Ansdunmog theile und auch toh »nfMjditigem Eifer
für das sittliche Gedeihen der Jugend beseelt sei. Allein es fragt
sich, ob die richtigen ICittel Ar diesen Zweck in Wirksamkeit gesetzt
werden, nnd da mnss oifenbar nicht aUes com besten bestellt sein,
sonst wSre das bezeichnete Gebrechen in der Bildung nnseier höheren
Gesellschsitsdiassen nicht erklärlich, selbst wenn man die anBerhalb
der Schule liegenden Ursachen desselben in AwaniiUg bringt Und in
der That luuin man nicht verkennen, dass sowol die Substanz, als
auch die Form unserer höheren Bildung der sittlichen Entwickelung
gro6e Schwierigkeiten bereitet. Was die erstere betrifft, so soll nicht
behauptet werden, dass die in unseren Schulen lieimischen Disciplinen
und Bildnngsstoffo an sich der moralischen Veredelung der Zöglinge
hinderlich oder nachtheilig seien. Aber es kommt auf die Behandlung
und anf die Stellung an, welche man der Lehrsubstanz angedeihen
lässt. Und da tritt uns, wenn wir von allem MinderAvichtigen und
allen Einzelheiten absehen, thr <'apitale, alt herkömmliche und hart-
näfkifr festgehaltene Inihtmi entgegen, dass die classische Bildung
zu-leich die beste Schulung des sittlichen Gefühls, des Willleus
und Charakters sei. Erst vor wenig Jahren stelltt ein hervor-
ragender Professor an einer deutschen Hochschule, indem er bei feier-
*) Czdkala: Sollen uu>»ere tiynuiasien bleiben, wie iie auxdi
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lieber Gelegenheit die Streitfrage behandelte: ob auch für Mediciner
die Gymnasialbildung und besonders das Studinm der lateini!>chen
Sprache nnd Literatur nothwendig sei, die Behauptung auf, dass iliese
Frage bejaht werden müsse, und zwar besonders deshalb, weil die
alten (.'lasisiker uiient^H-hrlich seien zur sittlichen Vorhildnnof der
kiiüi'tifren Medieiiier, namentlich in Hinsicht der wj-^scn h aftigkeit
und Pflichttreue, da pich einem der classischen Bildung entbehrenden
Arzte kein Patient unbesorgt anvertrauen kiinne. Wäre diese seltsame
Meiumi^^ richtig, müsste also der kiinftig-e deutsche Ar/t nnd. der
Analogie zufolge, wo! auch der künftige deutsche Beaiiitt mil jeder
andere deutsche Jüngling, der sich zu einer verantwortlichen höheren
Lebensstellung vorbei-eitet, erst nach Rom und Athen in Erziehung
gehen, um nicht blos ein gelehrter, sondern auch ein rechtschaf-
fener, gewissenhafter und pflichttreuer Mann zu werden: so
müsste die deutsche Nation eine sehr mangelhafte sittliche Anlage in
sich tragen und ihrer Natur nach mehr zur Barbarei als zur CiTili-
satkm bimBfllgen. Idi wOaste sieht, irorauf wir ab Natioo Bodi stolz
jK&n, und mit welchem Bechte wir einen Ehrenplatz unter den Cnltor-
Tölkern beanspruchen könnten, wenn es mit all den Tielgepriesenen
deatschen Erbtngeaden so gar schlecht bestellt wftre» dass wir nöthig
hätten, nns bei den doch gerade in Sachen der Moral keineswegs
mustergutigen Grieehen und Bömem sittliches Gefflhl zu holen.
Ein so schmachToIles Selbstbekenntnis würde in Montenegro und Bul-
garien ebensowol wie in Ftankreich und England den ftnßersten Un-
wiUen henrormfen; auf ebier deutschen Hochschule konnte es ein
deutscher Professor wie eine harmlose Kleinigkeit vortragen. Aber die
alle „dassisch Gebildeten'' einverstanden seien. Das wäre abo unser
oft so pompOs verkündeter NationaJstolz? Wir wären eine so elende
Basse, dass wir — trotz unserer deutseben Nationalliteiatur, trotz
unserer Kanl und Fichte, nnserer Lamäag und Schiller und aller
anderen Zierden unserer Nation — ans nns selbst heraus zu keiner
rechtschaffenen Gesinnungs- und Handlungsweise gelangen könnten,
dass wir gewissenlose Arzte, untreue Beamte, pflichtvergessene Lehrer,
selbstsüchtige Rabulisten, falsche Priester, iihe! hauj)t schlechte Menschen
werden müssten, wenn wir nicht in der classischen Bildung** den
Zauberquell aller Tnirfcüd besäßen? — Wenn nur nicht trotz alle-i-
classischen HildmiLi las sittliclie Gefühl so oft verkümmerte! —
ist alui leicht begreiflich. Denn lange Jahre dauert es, ehe der
Kiiahe durch das Außenwerk der alten Sprachen in den Geist der
alten Literaturen eindringt, und erst gegen das Kndt der Gyumasial-
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zdt lernt ein Bruchtheü der auf die Uiiiversit&tsstadieii sich Torbe»
idtenden Jflnglinge sich so weit in einen griechischen oder römischen
Autor versenken, dass er eine tiefere Anregung des Gemütlislebens aas
ihm empfangen kann. Und dann ist es noch immer nicht die dem
deutschen Jüngling zuträglichste Geistesnahrung, was ihm aus der
'griechisch-römischen Literatur entgegentritt. Die Humanität in ihrem
wahren Wesen war dem ,,cla8sischen" Alterthum fremd; die Tugenden
desselben bestehen vor einer geläuterten Ethik nicht die Probe.*)
Dazu kommt der Gegensatz einerseits des heidnischen, anderseits d^
republikanischen Geistes zu unseren cliristliclien, In zif hentlich monar-
chischen Satzungen, welcher Widerspruch oft genug in allfr Nacktheit
hervorlritt, wenn von Männpin, die bei jeder Gelegenli* it ihren con-
servativ-kirchlichen Staii li iinki liervorkehren, odei- im devotesten 8er-
vüismus ereterben, der modernen Jugend die Herrlichkeit der antiken
Seelengrr>ße und der alten, übrigens sehr zweifelhaften, Glaubens-,
Gewissens- und politischen Freiheit gepriesen wird. Unsere Jünglinge
sollen sich für griechische und römiselie Institutionen und Ideale be-
geistern, dabei zugleich viel leeres Pathos als echten Mannessinn nnd
nationale Beschränktheit als die höeliste Blüte des Menschenthums
hinnehmen nnd darcli all' das gute Patrioten im Sinne des heutigen
Staats^stems mid gute (Juristen fan Sinne der hensehenden Kirche
▼erden. Wohm* soH da eine faste nnd harmonische Gemflths- nnd
WiUensrer&SBnng kommen? Zom Glück hissen sich viele Jünglmge
nicht in diffieile Grftbeleien ein; sie nehmen geduldig hin, was man
Ihnen bietet, nm in rohigem Sehritte nnd ohne Unfiül den vorgeschrie-
benen Bfldttngsgang m absolviren. Manche aber gerathen in bedenkliche
Skrupel, ja in Russland schreiben scharfblickende Männer den zer-
setienden Nihilismus, den sie im Grunde als einen moralischen
Bankerot betrachten, zu einem guten TheÜ auf Becfanung des wider-
spruchsvollen, das sittliche Bewosstsein erschütternden Systems der
höheren Bfldung. Nun, auch hier gilt es, mit mliigem Gleichmuth
Ursachen und Wirkungen auf das richtige Maß zurückzuf&hrai und
dem übertriebenen Lob gegenüber den übertriebenen Tadel zu meiden.
Aber gewiss ist, dass die „classische Bildung*' nicht zugleich als
moralische Erziehung füi* unser Zeitalter gelten kann, und dass da,
wo man dies ^lennoch glaubt, die eigentlichen, die naheliegenden, volks-
thfimücheu und wirksamsten Mittel der Gemüths- und Willensbildung
*) Vgl, beMnutes Julius Schwaies: Die Demokimtie. Leipstg, bei Dnncker und
Hamhlot.
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gering gfescbätzt und zur Seite gedrängt werden müssen, dass nament-
lich der berrliehe Bildungsscbatz unserer eigenen Nationalliteratur
nicht gehörig gewürdigt und verwertet, wenn auch vielleicht als un-
erlässlicher Lehrgegenstand, so doch nicht als ein Erziehiing:sfactor
ersten langes sjfs'liätzt und in \\'irksamkeit gesetzt wird. Möge
man also den wirklichen Wert der classischen Bildung im allgemeinen
wie in speciell fachlicher Hin^iicht nur immer mit aller Klarheit aus-
einandersetzen und Verth eidigen; möge man aber ablassen, eine Art
Zaubermittel für Alles in ihr zu erblicken und (laiiiber zu ver-
säumen, was sonst noch noth thut. \\'o es sich um eile Bihlung des
sittlichen (Tefühls und eines rechtschaffenen Willens handelt, da vermag:
der gutt; Genius des eigenen Volkes und die persönliche Fiiluuug des
jungen Mensclien, besonders die stille Macht einer edlen Mutter, wäre
sie auch nur ein schlichtes deutsches Bauernweib, weit mehr, als die
gauze vuruehme Gesellschaft der Sophokles und Demosthenes, der
Cicero und Horaz sammt Genossen. Möge man also die Bildung des
Gewissens md des Pflicht geffllils unserer gesammten Jugend
weder aas Athen und Rom, noch sonst woher ans der Fremde holen
wollen, sondern sie ans dem naTerdorbenen sittlichen Bewnsstaein
unserer eigenen Nation nnd ans dem reichen, herrlichen, nnersetsUchen
Schatze unserer eigenen Nationalliteratnr den nachwachsenden Ge-
schlechtern fiberliefeml —
Was zweitens die Form onserer höheren Bfldnng betrifft, so
mangelt ihr jenes Mafi Ton Geistesfreiheit, welches die unentbehrliche
Vorhedingnng, das nnersetsUche Lebenselement aller sittiiehen Ent-
wickelnng ist Echte Gewissenhaftigkeit und wahres Pflichtgefühl
erwächst nur auf dem Boden persönlicher Selbstständigkeit, die ans
der eigenen Überzeugung vom Werte des Guten and aus der spon-
tanen, individuellen Hingebang an das Gute Begeisterung schnpft. eine
feste Richtsclmur und ausdauernde Kraft empfangt. Die Knechtung-
der Geister aber, das Schablonislren und Uniformiren, Gängeln und
Drillen untergräbt die Wurzel aller Rechtschaffenheit. Ich habe diese
Wahrheiten scb')n so lange und so oft in Wnrt nnd That bekannt,
dass ich sie gern eiumal iu fremdeu Worten wiederhole, welche mich
des Vüi-wmfes überheben, als ob ich immer nur meiner subjectiven
Meinung Ausdruck verliebe. Der bereits oben citirte ^»chulmanu be-
merkt: .Jh'v Buchstabe tudtet, der (Teist macht lebendig-. Was alle
Erziehungsbestrebun^en unserer Schule lähmt und des Erfolges ])ei-aubt,
das ist der in derselben herrschende l'onnalif-iiiii^- ; und die schlimmste
und gelahrlichste Form desselben ist der Formalismus der Pflicht-
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aaffassnng. So lange unsere Lehrer das, was sie thun, nnr thnn,
weil 68 Torgeschrieben ist und im Prognunm steht , so lange unsere
Lehrer nnr darauf bedacht sind, sich wegen des Examens mit dem
Lehrbuch und dem Programm formell abzufinden, kann es und wii*d
es nicht besser wei'den," Er erbh'ckt in der ,.g:eisttödtenden Eoutine",
in dein ..demonilisireiulen FormaJismus'' der Sehiüarbeit eine „arge
Versiindiguuj,^ an der Jugend", eine Untergrabung des inneren Ptlu Ut-
gertili]<, eine Schädigung des gesammten Gemüths- und Willenslebens
und 1« zeichnet es als die vri^^htifrste Aufgabe aller Bildungsarbeit, riu
ikii jugendlichen Herzen die Keime des Guten und Rechten mit sorg-
samer und liebender Hand zu hüten und zu pfl^en/
Aber für solche Herzensangelegenheiten hat unsere Zeit keine
Zeit und kein Verständnis; die üffeutliche Meinung ist der Verinner-
lichnng und Vertiefung der Bildung abhold, sie will alles veräußer-
lichen und veiHachen, auch das Beste am Menschen, den sittlichen
Willen, das Gewissen, den Charakter. So tritt denn auch in unserem
Bfldnngswesen das innere, aus spontanem Interesse f&r ideale Zwedce
und ans freudiger Hingebung an das Wahre, Schöne nnd Gute ent-
springende Leb^ mehr nnd mehr in den Hintergrund, nm einer
äußeren Erledigung vorgeschriebener Pensa Flata: sn machen. Es
handelt sich nicht darom, ob die ZOglinge mit Lust und Liebe, mit
freier Selbstthätigkeit nnd BegeisteniBg an der Klftrong ihres Ver-
standes, an der Veredelnng ihres Qemikthes und Emens arbeiten, ob
also ihre ganze Persönlichkeit ei&sst und gehoben werde, sondern
dämm, ob der Lehrplan nnd die sonstigen Reglements pQnktHeh befolgt
werden und zur Dnzehflihnmg gelangen, ob alle Ldirer nnd Schiller
die sorglich zugeschnittene Unifbnn der Geister angelegt haben und
allenthalben volle Fügsamkeit an den Tag legen, ob sämmtliche Papiere
in Ordnung sind und alles geleistet wird, was mit Augen und Ohren
controlirt nnd formell constatirt werden kann. Lehi^er und Schüler
leiden gemeinsam und in gleichem Maße unter dieser mechanischen
Routine des Schulwesens. Die persönliche Initiative ist lahm gelegt,
alles muss sich der Instruction, der Schablone ffigen. hervorragend«'
Talente und eharakteristische Indi-vidualitMen finden keinen Spiekauui,
was nicht in das approbirte 3IaU passt, wird gereckt, beschnitten,
ausgeschieden, alles Thnn und Lassen wiid von außen, niclit von innen
bestimmt, von positiven Vorschriften, nicht von spontanen Motiven,
und wird gemessen an geschriebenen Gesetzen, nicht an den Aus-
sprüchen des Gewissens, selbst der (rlaube und die Keligionsübungen
unterliegen der Verordnung imd dem Commando. So will es der
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heutige, aller sittlichen Kraft und daher aller autonomen Cultur-
tliätigkeit entbehrende Zeitgeist: alles soll „vei-staatlicht" werden, selbst
die Wissenschaft, die Pädagogik, die Gedankenwelt, die Moral, das
Gewissen, d&s PHichtgefühl. Die Person ist uidits melir, die Verant-
wortlichk»'it vor dem inneren i'orum des eigenen sittlichen Bewusst-
seins hön auf, die Gewissenhaftigkeit wird antiqiürt. die Instruction
und die ilir entsprechende Werkgerechtigkeit \<f alU s, die tormale
Legalität ei^^etzt daü Pflichtgefiilü, und das Versinken in die luiecht-
schaft macht sichtliche Fortschritte.
Wenn wir den besten Theil aller Tngendbildung, die etliisclie
Seite der menschlichen Natur, des lebenskräftigen Kernes verlustig
gehen lassen und das Heil suchen in dem Formalisiren und Mechani-
sii'en des Thuns und Lassens, dann darf es uns nicht Wunder nehmen,
wenn so viele Menschen ihr Gewissen nicht in sich, sondern außer
sich haben, wenn sie in ihrem Herzen keine warnende and mahnende
Stimme vernehmen imd immer nnr fragen: was werden die Leute
sagen? oder: wie lautet meine Instruction? oder: was muss ich thnn,
um fftr alle FftUe meine Person yor meinem Yorgesetsten oder Tor
dem Gerichtshof zu decken? Es darf uns nicht Wunder nehmen, wenn
ein öffentlicher Function&r auf die Frag^: warum er nichts gethan,
um namenloses Ung}flek zu verhllten, gelassen antwortet: seine In-
stmetion habe fttr diesen Fall keine Weisung enthalten. ' Hören wir
denn einmal auf mit allen BemUntetungen unserer Schäden und sprechen
wir nicht mehr von „unpersönlichen Ursachen", wo doch alles von
Personen abhängt Beachten wir doch wieder den alten Wabrspmch:
Lasst uns besser werden, bald wird's besser seini Geben wir in Sachen
der moralischen Erziehung die bloße Dressur ad hoc auf, pflegen wir
die Gewissenhaftigkeit und das spontane Pflichtgeihhll Entschlagen
wir uns dem Wahne, dass diese edlen Kleinodien unserer Jugend schon
von selbst zufallen werden, wenn wir nur die classische Bildun<r und
den bui-eaukratischen Formalismus in Wirksamkeit setzen. Bilden wir
vielmehr das sittliche Bewnsstsein nn^prer Jugend an den edelsten
Blüten des eigenen Natlooalgeistes und im Sinne freier Hingebimg an
das Gute!
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Die Realschullra^e in Ungarn.
Vom iVo/. Dr. J, U. Sehwieker-Btidaput,
Die Frage über Wesen und Bedeutung der Realschule im Or<^^a-
nismus des öffeQÜicheu Unterrichtswesenä uud für die menschliche
Culturarbeit id Staat und G^Ilscbaft beschäftigt seit geraumer Zeit
aidi in Ungarn nicht bk» die dgentUehan Barnim nnd Fachkreise,
Mndem ist Gegenstand allgemeiner Diseoflsion in der Presse, im
Parlament nnd im Schöße der Begierang geworden. Dass diese Dis-
cQssioa im wesentlichen sich mit denselben Fragepnnkten be&sst» die
ancfa im übrigen gebildeten fioropa, hisbesondere in Österreich nnd
Dentachland, bei der Bealschnlangelegenhdt znr Sprache gekommen»
liegt in der Natnr der Sache selbst» nicht mindor in der cnltnreUen
Gemeinsamkeit nnd in dem lebendigen geistigen Verkehre, den Ungarn
mit seinen westlichen Nachbarn nnterhftlt Nichtsdestoweniger besitzt
dieRealscholfisge hierlands ihre charakteristisdien Eigenthttmlichkeiten,
aof welche wir im Verlaufe unserer Dai-stellung hinweisen werden.
Was zunächst die geschichtliche Seite der Frage anbelangt, so
ist die Eealschule in Ungarn ebenfalls wie in Östeneich eine Frucht
jeoer radicalen Studienreform, welche die Monarchie dem Jahre 1849
zu verdanken hat Auch in Ungarn wurden die Realschulen auf Grund
des österreichischen ..Organisationsentwui'fos" ins Leben genifen, wobei
wir allerdings niclit übei-sehen wollen, dass l'ngarn mit der im Jahre
184B gegründeten Realscliule in Pressburg den übrigen Theilen d(^r
Monaicbie in der Erhcbtong idealistischer Lehranstalten voran-
gegangen war.
Die Realf?chulen begegneten in Ungarn aulanglich nur geringen
Sympathien; man sah in ihnen fremde Scliöpfungen eines vom poli-
ti.stlieu und nationalen Gesichtspunkte perhorrescirten Regierungs-
systems; betrachtete sie als Factoren der Entnatioualij^ilUUg oder als
die Verbreiter eines dem altübererbten, liebgehegten Lateinertlium
feindlichen Realismus, der von e!n7,elnen Parteien sogar als verderb-
licher Materialismus declariit wuide, uud was dergleichen außerhalb
der Sache liegende Anfeindungen mehr waren.
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Dessenungeachtet gediehen die Realschulen auch in Ungarn; denn
sie kamen auch hier einem tiefempfundenen Bedürfnisse entgeg-en.
Den Beweis liefert die wachsende Vennehnmg: der Anstalten nnii
die steigende Frequenz dei'selben. Dfnn bis zum Jahre 18H() betrug
die Zahl der Realschulen in Un^^ain-JSiebeubüi-gen (ohne Kroatien,
Slavonieii und die MilitfiroTt^n/p) 17, die im Jahre 1861 einen
Schülerstaud von 2543 aufwiegen. Infolge der nationalpolitischen
Reaction, die mit dem 20. Octuber 18üü iu üngaru eintrat, wurden
mehrere Real^cimlen aufgelassen oder in Gymuaüieu verwandelt.
Audi im Lehrplane fanden einige Abänderungen, namentlich in der
Richtung der Unterrichtssprache sowie der ausgedehnteren Berfiok-
sichtigung der vaterländischen Geographie und Geschichte >tuti, .illein
im großen und ganzeu blieb die Organisation der ungarischen Real-
schule unverändert. Dieser Conservatismus bewahrte sie zugleich vor
jenen bedenklichen Reform- und UmgestaltnnggT^mclieB, denen die
migariseheii Oynuiaeieii seit 1860 ausgesetzt waren und die Mer eine
ruhige continnirliche Entwiekelnnf immöglieli machten.
Ifit dem materiellen Anftcbmmge mid mit der indostrielleii Be-
wegung, welche in Ungarn nach dem Jahre 1867, seit der Wieder-
hersteUnng des selbstetftndigen nngarischen Verfassungalebens, allent-
halben bemerkbar wnrde, nahm aneh die Ndgong für das Bealsehnl-
weaen abermals in bedeutender Weise seu. Die Anzahl der realistischen
Lehranstalten stieg auf 34 und die Frequenz im SchuQahre 1874/5
auf 8066 Sehfller. Gegen 1861 hatte die Zahl der Realschulen sich
gerade verdoppelt, die Frequenz aber gar um 5543 Schüler zugenommen.
Wfthrend im Jahre 1861 auf eine Realschule durchschnittlich 149Sch0ler
kamen, war im Jahre 1874/5 die durchschnittliche Frequenz einer
Realschule 238 Schüler. Auf eine Classe kamen im letztgenannten
Jahre im Durchschnitt 49 Schüler. Diese starke Frequenz trat bei
einzelnen Lehran-^talten in o^eratlezu unerträglicher Weise zu Tage,
Es gab Realschulen, die z. B. im Jalire 1872 3 vou 566, 569, 576,
ja selbst von 904 Realschülern besucht wurden. Selbstverständlich
mnssten dann die sechs n'>i-malen Classen hier dni-ch Parallelabthei-
lungen «nif 10 — 12 vermehrt werden, so dass man im 'Trunde D ippel-
Anstalteu erhielt. Nun ist es alM'i- udem Scbnlmavme klar, dass die
En-ichtnng von Parallelclassen immer eine Ansiiilte von zweifelhaftem
Werte bleibt. Die uugarischen Realschulen litten somit bis zum Schul-
jahre 1874 5 an Übervölkerung.
Um so interessanter erscheint dann die plötzliche Wendung, die
nach diesem Schuljahre eintrat. Nichts veranschaulicht diese Perij)etie
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deiitli<*lier als folgende Ziffernthatsacheu. So waren die Kealschnlen
Üngains schon im Jahre 1875 '> nur von 7197 Schülern besucht,
d. h. der Absturz gegen das Vorjahr betrug 889 8(!hüler = 11" „.
Im Schuljahre 18877 sank diese Zahl auf ßr)81 herab; also von
1875__1878 hatten die Kealschnlen 1555 Si liiilei-, d. h. 19"/o ihrer
>rHximaIlrequenz eingebüßt. Und diese Kiickbewegun^ schritt noch
weiter vor, s<» dass am Schlosse des Schuljahres 1880,1 nicht nui* die
Anzahl der Realschulen auf 2*> z u uckgegangen war. sondern ihr
Schülerstand nur noch 5427 zählte. Die Ditterenz gegen 1875 beträgt
darnach bei den Anstalten 8, bei den Schuitin ::^659, oder 32,8"V,.
Wenn im Jahre 1875 auf eine Classe durchschnittlich 49 Scliüler ent-
fielen, 80 war jetzt die durchschnittliche Classenfrequenz auf 26 ge-
sinken. Eämeliie Lehnuutalteii sind thatsftddidi von ginzUeto Ent-
Tölkenmg bedrolit So hatte z. B. die 0!)errealschttle za Lentschan
im Jalure 1880/t in .allen aeht dassen zosammen blos 82 Schflier, in
der sechsten Classe saßen gar nur 4 Sehfiler; die siebenclassige Ober-
realsdiiile za Nagy-EAUö zKhlte in Snnuna 62 SchfQer, die achtclaasige
Oberrealsehlde za Sz^ely-üdTarhely 115 Schüler n. s. w,
Angesichte dieser Thatsaohen wurde von verschiedenen Seiten
her der Itnf nach gSozlicher Anfhebnng nnd Beseitigung der Beal-
schnlen lant and selbst in amtliehen Kreisen gab man die BefBrehtong
knnd, die Pealscholen werden am Schülermangel zu Grunde gehen.
Die prindpiellen (regner der Realschule ergriffen freudig die Gelegen-
heit, um den Kampf gegen die verhasste Anstalt mit vermehrter
Heftigkeit aufzunehmen. £8 hielt schwer, in dem entfesselten Wider-
streite der Meinungen den anbefangenen Blick zu bewahren. Und
doch war dies nothwendig, wenn die Angriffe, welche feindselige
Leidenschaft oder Beschränktheit gegen die Realschulen gerichtet,
abgewehrt und dem Tjjinflp eirto bi if^nkliche Schulkatastrophe einspart
bleiben sollte. Der ungarische Cultus- und Unterrichtsminister. August
Trefort, verschloss sicli den oberwahnten '1 Imtsachen keiiies\v«^irs.
auch war er nicht abgenei<rt, die Kt^al><^liulfr«'jH abennnls eiriLreliend
zu verhandeln und etwaige Abänderungen an der kaum abgeschlossenen
Reorganisation dieser Lehranstalten vorzunehmen: doch ließ er sich
von den antirealistischen Sturmern und Drängern keineswegs tbrt-
reißen. sondern brachte (allerdings nicht ohne Mühe) die Bewegung
wieder in ein i uliigeicb L ahrwasser.
Worin liegen nun die Ursachen des rapiden Rückganges in
der Realschnlfreqaenz seit dem Jahre 1874/5? Man hat in dieser Be-
ziehung auf die volks wir tschaft liehe Krise des Jahres 1873 hin-
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gHvvit^seii und bt-tont. (la^< lurch dieselbe die iüdus[iieiieii und tech-
nischen Berufsarteu eiueu iibenius Ijarten Stoß erlitten haben, infolge
dessen der früliere Zndrane^ auf allen Stufen dieser Erwerbszweige
vei^stdiwunden sei. D&s ist ohne Frage j^anz richtig, und wii- sehen
den Beweis hiefur auch in der seither ebenso frai)pauten Steigerung
der Gymnasialfrequeuz und der damit verbundenen Zunahme der
Candidaten ftir die gelehrten Beru&kreise. Der Latinismus feiert seit
1875 in Ungarn seine Mheren TrfDmphe wieder. Uan bedenke nnr,
dass z. B. im Jahre 1874 die Frequenz der ongaiizdieii Gymnasien
anf 26373 Sdittleni stand, wSbrend sie sedis Jahre vorher, im Jahre
1868 die Hohe von 35227Sch1Uem eingenommen hatte; im Jahre 1881
war jedoch die Gjmnasialfreqaenz abermals anf 35288 Schiller gestiegen,
itberschritt sonadi das bisherige Maximum von 1868 um so mehr, als
in den pablidrten amtiichen Answeisen die Nachrichten über vier
Gymnasien fehlten. Ebenso ttberzengt ein Blick auf das Wachsthnm
der Frequenz an den Facnltäten der Üniyerait&ten jedermann von
dem abermals vorwiegenden Drängen der ungarischen studiienden
Jugend nach den gelehrten Bemfm).
Und dennoch erklArt die volkswirtschaftliche Katastroplie von
1873 und deren Consequenzen doch nur theüweise den rapiden Ab&U
in dem Bealschulbesuche. Ein weit stärkerer Grund liegt unserer
Überzeugung nach in jener Reform der Realschulorganisation,
die im Jahre 1875 ins Leben getreten ist und der ungarischen Real-
schule eine ganz eigenthümliche Gestalt verliehen hat
Dass eine irriindliehe Reform der Realschulen Ungarns, die, wie
erwähnt, im wesentlichen noch die Einrichtung des östeiTeichischen
Oro-anisationsentwurfes vom Jahre 1849 hatten, vonn«»ihen war, unterlag
keinem Zweifel. Alle die Mängel und Gebrechen, welche man in
Österreich gefühlt und erkannt hatte und die dort ebenfalb eine Um-
gestaltung dieser Leliranslalten herbeigeführt hatte, — alle diese
i'helstande traten auch in Ungarn zu Tage. Die unglückliche Ver-
quickung der Ziele einer allgemeiuen Vurbilduiiy l'üi- das höhere
wissenschatt liehe Studium mit der Berücksichtigung praktischer Zwecke
ffu* das gewerbliche Leben hatte den Realschulen eine zwiespältige Auf-
gabe gestellt, die ihnen infolge dieser Gtetheiltheit der Interessen,
AnsprOche und Strebongen die concentrirte, einheitliche Lehrthätigkeit
wesentlich erschwerte, ja in mancher Hinsicht unmöglich machte. IMe
nAchste Cktnsequenz dieser differenten Lefarziele war die Aufimhme
zahlreicher Lehrftcher, von denen einige (wie Baukunst, Zoll- und
Monopolordnung, Buchhaltung, Maschinenlehre, Modelliren) mit den
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Zwecken dner aUgememen "wiaaeiigchaftlichen yorbildmig im grellen
Wlderspmcbe standen.
Ans soteber Uisehnng der allgemeinen nSt der FachlifidQng ging
dann die Überlastung der Realschulen mit realistischem Lehrmaterial
hervor, nnd da fiberdies fBar die BewUtigoDg dieses massenhaften
ünterriehtflstoies hlos sechs Jahre aaberanmt waien, so mnsste Jede
einaehie Glass«^ mit Lehrgegenstlnden nnd Woehensttmdaa Übennlftig
bedaebt irerden, mn die Vorschriften des Lehrplanes auch nnr AnBerlich
erfüllen m können. Von einer gründlichen Behandlung des Lehr-
stoffes, von einer entsprechenden snceessiven VorfÜhrang und ange-
messener Wiedeiholong, Anwendung und Einübung desselben konnte
dabei mir wenig die Rede sein. Die Schüler hatten vollauf zu thun,
am den Stoff nur halbwegs im Gedfichtnisse zu behalten; klare Einsicht
nnd Erkenntnis der vorgetragenen Lehrgegenstände war höchstens
Ausnahmetalenten möglich, ein liebevolles Versenken in die Unterrichts-
materie jedoch selbst diesen verwehrt, da die Masse des fortwährend
zuströmenden Stoffes jedes geistige Verweilen bei dem Gebotenen
ausschloss. Diese Üherbürdung wurde noch durch die Thatsache ver-
schlimmert, dass namentlich der rpalistisclie Theil des Unterrichts mit
bedrückender Wucht den Realschuilelirplan belastete. Physik, Chemie,
Technologie, Warenkunde, Mathematik, Maschinenkunde, Ranknnde,
Bauzeichnen, Modelliren — wo blieb da noch Raum für die idealistisch
humanen Studif ntai-lier? In der That spielten auch die Sprachen sowie
die ^eographisch-historischeu Fächer im alten Kealschullehrplan eine
Wührhafte Aschenbrödel-Rolle. Endlich gesellte sich /.u all diesen Übeln
noch die bedenkliche Ei*scheinung, dass die Kealschülei mit ihren
sechs Classen, also angehende Jünglinge von 16 Jahren, uni*eif an
Geist und Körper, zum wissenschaftlichen Studium an die technische
Hochsdnile zngelassen wnrdOL Allerdings snehte man hkr diirdi das
qTovbenituugsjahr" die ünznUngliehkelt der YorbÜdiiiig einigermaBen
abzostellen; allein dieses PalÜatmnittel war schon deshalb nnzurdchend,
weil die „akadenusche Iiehr- und Lernfiraiheit'* an der technischen
Hochschnle eine strengere Emwirkmig auf die Hörer sowie eine fort-
laufende Controle ihrer Thfttigkeit nicht gestattete, oder die Hoch-
schule mosste Ton ihrer wissensehaftMchen Höhe anf ein tieferes
NiTsan herabsteigeiL
Es war deshalb gereehtfiertigt, wenn der jetzige ungarische
Unterrichtsrainister, A. Trefort, gldch nach Übernahme seines Amtes
im Jahre 1872 die Realschulfrage zum Gegenstande eingehender Be-
lathnngen machen lieft, nm auf Grund derselben eine Reorganisation
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dieser LehranBtalten zu bewerkstelligen. Diese Reformen bestanden
wesentlich in Folgendem: der sech^hrige Lehrcnrs der Bealschnle
wurde auf acht Jahre anogedehnt, die alte Gliedemnsr in Ober- nnd
Unterrealsdinlen anflselassen, an deren Stelle trat die üntersdieidong
in „TollstfindJge^ nnd „mvoUstftndige'' Bealschnlen; ans dem Lehr-
plane schied man die sogenannten ,)prakti8che&** Fftdier: Zell- und
Wechselkunde, Buchhaltung, Ban- nnd Masehinenknnde, Technologie
und technische Chemie, ModelHren, gänzlich aus; führte dagegen das
Französische neben dem Ungarischen nnd Deutschen als dritte lebende
Sprache ein, gab den geographisch-historischen Fächern eine größere
Aosdehnnng nnd beschi*änkte die matliematisch-naturwissenschaftlichen
Disciplinen, damit auf solche Weise der Charakter der Realschule als
einer alljö^e meinen wissenschaftlichen Vorbereitnng' für die technische
Hochschule gewonnen werde. Endlich sollte eine streng:e Maturitäts-
prüfung am Schlüsse d»^s ganzen Kealschullehrcuises nicht blos die
würdige formelle lieemiigung dieses Ourses kennzeichnen, soTvIprn aucli
die ertorderliche Keife des Jünglings zum Abgang aul die Hoch-
schule coustatiieu.
Um die Leser einigermaßen über das Wesen des neuen Real-
schullehrplanes, der mit dem Schuljahre IHTä^ü ins Leben trat, zu
Orientiren, geben wir im Nachstehenden die offlciell vorgeschiiebenen
Lehrziele mit Angabe des wöchentlichen Stuudenausmaßes in
jeder Classe.
1. Geschichte. Lehrziel: Xenntiiis der Geschichte der Griechen und
BSmer, bmakm dieMlboi auf die GMtaltimg dei nodmenLebeaB tob Einllitts
gewenn.
Kenntnis derjenigen Epochen der modernen Geschichte, ans velchea der
gegenwärtige Zustand der ('tiltnrnationen verständlich wird.
Eenntais der Cultnrgeschichte Ungarns, mit besonderer Berücksichtigung
der socialen YeriilltniRae und der Gesetzgebung.
Wlfcheatliches Stundenaasmag; L — ^UL Claase je 2, IV. Classe 4, V.^Yin.
ClasBe je 3 Stnndra; zusamnten 22 Stunden.
2. Ungfarische Sprache nnd Literatur. Lehrziel: Bewnaste tad
mündliche Keiintuis der Graiuinatik und F;llü^koit des Schülfrs, über Gegffn-
stände, welche in den Kreis seiner Erf:ihrun^r und seiner Studien fallen, mit
Klarheit, Präeision und stilistischer tiewaiidtheit zn sprechen und zu schreiben.
Auf die Lectüit; von Literaturwerken, auf die Erörterung der ästhetischen
Ftmdamentalbegrüre und die Theorie derKonstgattimgeik dchstfitaEendeEenatnis
der Entwickeliuig der ungariedten Literatur.
Stondenausmaß: I. und II. Classe je 5» III. nnd IV. Classe je 4, V. bis
VII. Classe je ;^ MIT. Classe 5 Stunden, ztisammcn 32 Stimden. In der
VIII. Classe kommen zwei Woohenstonden auf „Philosophische Propttdeatik'*.
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3. Deatsohe Sprache nnd Literatur. Lehrziel: Auf genaue Kesntnis
iirv Orammatik g'ej^riuKietes VeiHtiiminis der bedeotendorai clwinchen EnieHg'
oisse der neueren deutschen Literatur,
Beiiihigang des Schülers, über einen dem Bereiche des Unterrichts eilt«
lonuneDen Gegenatand In dentselier Sprache correet und prlUds zn sdireil)«!
und zu sprechen.
Standenansmaß: L daese 4, II.— V. CImm je 3, VI. — VIII. Clasee je 2,
zusammen 22 Stunden.
4. Französische Sprache und Literatur. Lehrziel: Auf gründlicher
Kenntnis der Orammatik rahendee Ventindnis der dasitediffli Wake der
neueren französischen Literatur.
Die Fähigkeit des Schülers, einen ungarischen Text, der einen dem Unter-
richtskreise entnommenen Gef^enstand behandelt, fehlerfrei ins Franz?5sische zu
Sbersetzen und Fertigkeit des SchUlers im, mäadlichen Gebrauche der fran-
sOflJtdwn Spndie.
StnndenaQsmaA: IL — V. dasae je 3» VL — Vm. Classe je 2, znaamnen
18 Stunden.
5. Geographie. Lehrziel: Gründliche Kenntnis der pliysischen und poli»
tischen Verhältnisse der Erde, mit besonderer Rücksicht auf Ungarn.
Stundeuausmaß: I. — VIIL Classe je 2, zusammen 16 Stunden.
6. Natnrgeaehiehte. Lehnciel: Auf Anschainimf md Vergleiehtuig ge-.
jriiin^lete systematische Kenntnis der wichtigeren Tlüer- und Pflanzeagrapfieil*
Kenntnis der Eigenschaften df>r wichtifreren ^Iiner;>.li>n nrvl Gesteine, ebenso
der Bestandtheile und der periodisclieii Eatwickeliuig unserer Erdrinde, mit
beetMiderer Rücksicht auf die Verhältnisse Ungarns. Elemente der Physiologie
dea Kenechen.
StiDulenansmaß: L Ca«Me 3, IL und V. Claaie je 2, VL.md VIL je 3
und VIIL 2 Stunden. :!nsammen 15 Stunden.
7. Physik. Lehrziel; Kenntnis der auf Grund von Experimenten erkenn-
baren und mit HUfe der elementaren Mathematik formnlirbaren Gesetze der
NalnrawlieiDiuigen, dabei aneh bcaondere BertdEsiditigmig der iriehtlgereiL
kosmischen Erscheinungen.
Stundenansni Aß: HL Clane 4t IV. Glasie 2, VIL Olaaae 4 VIIL Claaee ö,
zusammen Ib >tuiiiien.
8. Chemie. Lehrziel: Eingehende Kenntnis der Elemente und derjenigen
intetenanterai Veritindm^n, wddie in der Natur vorkomnien oder Int fe-
wShalichen Leben YÖn Wichtigkeit sind.
StundenansmaB: rV.-GUsae 3, V. Claaae 2, VL Claaie 3, VIIL Ciaaae 2»
zusammen 10 Stunden.
9. Mathematik. Lehrziel; Sicherheit und Gewandtheit in der Ausführung
der Seehnungsoperationen imd Geschicklichkeit in der Anfldenng der Praxis
entlehnter, allerlei Verhältnissen angepasster Aufgaben.
ZnsaninienliRnffentle Kenntnis der Lehren der elementaren Mathematik und
bis zu einem gewissen Grade Selbständigkeit in deren Anwendung.
Stundenausmafi I. Classe 4, IL — IV. Classe je 3, V. und Yl. Classe je 5,
yn. Claase 4 nnd Vm. Claaie 3, anaammen SO Standen.
10. Geometrie nnd geometrisches Zeiclinen. Lehrziel: Genane
Kenntnis der Orondan^aben der eonstmctiven Planimetrie nnd Projectiona-
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lelire und deren Anwendang auf Schatten- und perspectiviaelie GonitnietloiMiD
sowie anf rirlitiprfs Abbilden knnstindnstrieller Objecte.
Stundenausmaß: 1. Clawe 4, U. Cla«8e 3, III.— V. Ciasse je 2, Vl.Claase
3, VU. und Vin. Oasse je 2, naanuiieii 20 Stunden. .
11. FreihaBaieieliBeB. Von der n. Oasse an mit 2, IIL—V. Glaaw
mit je 4, VI.— Vm. Classe mit je 2, znsammen 16 Standen.
12. Turnen L— VIII. Classe je 2 Stunden, zusammen 16 Stunden.
13. Reli^^iousiehre. In jeder Classe eine Stande w5chentlich, zusam-
men 8 Stunden.
Darnach betragen die wöchentlichen Lehr.<tnnden in den einzelnen
C'lassen (ohne das Turnen) 25 — 80, mit dem Tunieu 27 — 32 Stunden;
die Gesammtzalil der wöchentLiulien Lehrstunden an einer achtclassigen
Realscliule ist 245 Stunden. An dem achtclassigen ungarischen
Gymnasium machen die Lehrstnnden in den einzelnen Classen ohne
das Tomen 24, 24, 26, 27 , 28 , 28, 30 und 90 Stnnden Ans; dazu
komBunk dann noch Je zwei Stunden Tnmnnterriciit in jeder Classe.
Dem Bdigioosonterrielite sind am Gynmasinm elf Stnnden gewidmet
Die Gesammtsahl der wOchentliclien Lehrstnnden an einem ToUstSn-
digen Gymnasium betrflgt 288 Standen» also nm 12 Stnnden weniger
als an der ReaLachnle.
Diene Bemlschalreform wurde bei ihrer Einfftliniiig mit den zn-
Tersichtlichsten Holfonngen begrüBt; aber die Stimmung Snderte steh
bald. Die auf fiüllge AbnaJmie in der Frequenz der Bealschnlen ent>
zfindete auch in Ungarn Ton nenem den Streit für und gegen diese
Lehranstalten: die Gegner halten die Bealscbnle einfach fSr über-
flüssig und prophezeien ihr den Untergang schon infolge dee Schü-
lermangels, — eine Ansicht, die von selten der Freunde des Beal-
schulwesens ebenso heftig bekämpft wird. Anf solche Weise wurde
der „Krieg um die Realschule" in der ungarischen Lehrerwelt wie
in den Kreisen der Tagespublicistik geraume Zeit hindurch mit "rroßer
Erbitterung geführt. Di«' Eltern schauten dem wenig erbaulichen
Schauspiele mit Verblüffung zu, und die Eealschüier flüchteten je
länger je mehr ans ihren T.ehranstalten. Tm endlich dem vielen
Gerede auf den (iiiiiid zu kommen, berief Minister Trefort im Jahi'e
1879 und 1881 Knqar'ten von Fachmaiiuern, um die wirklichen
Mängel im Realschulwesen kennen zu leruen. Der Minister, welcher
bei diesen Beratliungen persönlich den Vorsitz führte, legte den Ver-
sammelten eine Reihe von Fragen zur Discnssion vor, wie: „Soll das
Latein als obligater Lehrgegenstand aucli in den Realschulen Ungarns
eingeführt werden? Gibt es unter den jetzt bestehenden Realschulen
sülche, die entweder zn Gewerbeschulen loder zu Gymnasien umge^
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staltet weiden sollten? Wäre nicht aach das Englisclie als Lehr-
gegenstand in die Bealsehnle aafimieliiiien? Auf welche Weise kita-
ten mit der Realsdmle praktisehe Fachcorse yerbnnd«i werden?*
Eine nicht minder eingehende Discassion über die rerBchiedenen
Gesichtspunkte bei der Ldsnng der Realschnlfrage entspann sich im
Schöße der Unterrichtscommission des ungarischen Abge-
ordnetenhauses, welche in dem ersten Monate des Jahres 1882 den
Torgelegten Gesetzentwurf über die Regelung der Gymnasien und
Realschulen behandelte und zur Vorberathnng eine Anaahl von Fach-
IDännern ei-n^elaiien hatte.
Wir werden in unserer weiteren Erörterung an diese Discussion
insofern anknüpfen, als wir die hierbei vorgebrachten Beschwerden und
BemänereliiiiiJ:» n einer objectiven Kritik unterziehen und daran unserer-
«eits eiiiifrc Vorschläge zur Abstellung tler vorhandenen Ubel-
.stände anknüpfen. Auf solche Ai t hoffen wir, den geehrten Lesern ein
deutliches Bild von dem Stande der Realschulfrage in üngam zu bieten.
Unsem principiellen Standpunkt w ollen wir sclion hier am
Eingange unserer Erörterungen dahin kennzeichnen, dass wir die
Realschule ilirer Entstehung nach als ein nothwendige.s Product
der modernen wissenschaftlichen Entwickelung und des
technisch commerciellen Lebens betrachten und hinsichtlich
ihrer Organisation die Ansicht vertreten, dass diese Lehranstalten
ongeaehtet 'einseilner Mliigd md Gelnedien dennodi im gaazea anf
der richtigen Basis ruhen und in ihren LehniBien wie in den Lehr-
mitteln das Ehttsprechende getoden haben. Jede nfitiliche Beform
mnss daher von diesem gegebenen Thathestande aasgehen oder sie
Terliert sieh In Utopie nnd wird mehr schaden als nfltien. Die Bealr
aehnbeform in üngam vom Jahre 1876 hat sieh Ton dieser Qe&hr
nicht dorehans fem gehalten.
Was TOr allem die anfälligste ftofterliehe Erseheinong hn nngari«
sehen Realscbniwesen, den rapiden Bflckgang in der Freqnens
betrifft, so haben wir schon erklärt, dass dieser von der Volkswirt-
sehaftlichen Krisis von 1873 und deren Folgen nur theüweise be^^irkt
worden sei. Ein gewichtiges Motiv zum Verlassen der Realschule
liegt nämlich in der neuen Organisation dieser Lehranstalt
selbst. Andere Gründe fußen in dem Charakter des Volkes sowie
in den Anschauungen der Gesellschaft in Ungarn.
Die Ausdehnung des Realschulcurses von sechs auf aclit Jahre
entsprach ohne Zweifel dem dringlichsten Bedürtnisse und den be-
gründetsten pädagogisch-didaktischen Forderungen, ebenso war die
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Yereinfachuiig des Lelirzieles der B^alschule als einer wissenschaft-
lichen Vorbereitungsanstalt för das technisch -commercielle Stiidinm
ein Act bester Einsicht, umsoinehr, als die Verqaickung mehrerer
Lehizielt' einer Unterrichtsanstalt jederzeit zum Nachtheile gereichen
muss. Allein diese Reform stellte zugleich erhöhte Ansprüche an
Eltern und SchtUer. Zwei Jahre mehr Schulzeit ist für viele Familien
oft <^ine Frage von höchster Bedeutung, die noch an Wichtigkeit
gewinnt, «sobald man die Lebensaussichten erwägt, welche an die Er-
füllung der höheren Anspiiirlie geknüpft sind. I'nd da musste jeder
Vater sich ^^agen, da.ss die Aassichten tiir die "RKilschulabiturienteii
weit geringer seien als für den ab^(»lvirTen LTyiiiiias.ialzögling. Denu
jener hat blos die technische H ( lix hule und einige Fuclischulen
(Berg- und Foi'stakademie, lainlwiitMliiiftliche Akademie) vor sich;
während dem Abiturienten des U ylliLLa6lu]Ii^ öuiiimtliclie Hoch- und
Fachschulen (auch das Polvtecliiükumj geöffnet :<ind. Also: Gleiche
Anzahl der Jahrgänge, gleiche strenge Anforderungen in Bezug auf
Lehrstoff und Lehrziel and ebenfiills die Maturit&tsprttfang am Schlüsse
des Lehrcnzses und dann in- dem Zntiitt za den irisBenschaflüchen
^adifiik strwie 'in den LebensansBichten eine so groBe Verschiedenheit
—wie konnte da für Eltern und Schtaer die Wahl zweifelhalt bleiben?
Aher der BQckgang in der Bealsehnlfreqnenz liegt auch zum
gntoi Theil in dem Charakter des Volkes, das momentanen Imprea-
aionen zu viel nachgibt» sieh vom Augenblicke mid dessen Erfolge za
zehr beeinflassen Iftflst Von 1869—1873 drSngte man sich nach den
Fleisehtöpfen der tecbnisch-eommercieUen Lanfbahn, die Ära der
„höchsten Fmctificirang** tief ein Jagen nach materiellem Gewinn nnd
-hohen Q&gen henor. Als dann die Beaction eintrat, da wandte man
dem bisherigen Lieblingskinde ebenso rasch den Kücken. Fnd an
diesem Gesinnungswechsel ist nicht blos die große Menge betheiligt;
-man begegnet ihm auch in höheren Kreisen. Wir berufen uns in die-
ser Beziehung nnr auf den bezeichnenden Umstand, dass bis zum Jahre
1874 das ungarische Polytechnikum das Schoßkind unserer Legislative
bildete. Man war dieser Hochschule gegenüber in der Yotirung neuer
Lehrstülile freigebig bi'< zum Übermaß. Seitdem aber konnte die
technische Hochschule ganz ohne ihr Yerschuidea von aUedem so
ziemlich das Gegentlieil erfahren,
Ddcli auch in unserer Societät wurzelt das Übel dieser Mode in
Schulsaclien. Nacli wie vor herrscht das „Lateinerthum" vor; die
Sucht nach öffentlichen Ämtern liat im Gefolge des volks^wirtschaft-
lichen Niederganges keine Abnahme, sondern vielmehr eine riesige
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Zunahme ertahi r ii. Für Tauseiule von Familien ist tlie Aufsicht, dass
der Sülin ^I^ aiDter" werden kann, ein liebgehegtes Ideal, dem man
schwere materielle und geistige Opfer bringt; letztere namentlich in
jenen zahllosen Fallen, wo dem Jungen Talent und Neigung für das
gelehrte Studium mangeln. Auf dem Wege durch das Gyiinuusiuüi
hoöt man zu diesem ßeamtenideal zu gelangen. Man bedenkt nicht,
dass dieses angebliche Ideal in der Wirklichkeit sehr düstere Seiten
hat imd dass ferner im Lanib des Gymnasialciirses zahlreiche Jttng-
Unge wol der materiell prodnchreaden Volkskraft entzogen werden,
ohne jedoch die geistig schaifenden Kreise za vezmehren. Es sind dies
jene TansaMfe, die es Us zur Absolvining von 6 oder 6 Classen des
Gymnasiums bringen, nm dann entweder wegen Mangel an Subsisten^
mitteln oder wegen Mangel an Talent nnd Neigung die Fortsetzung
des Stndinms an^ben mflssen. Die statistischen Nachweise beiengen
es, dass nur etwa 18—20 % der in die erste Classe eingetretenen
Sdiltter bis in die achte Classe des Gymnasinms gelang^eni also nahezu
SO Proc^t faäea im Laufe des Gnzses ab. Was geschieht ndt diesen?
Ein Theü gdit allerdings zu praktischen Beschäftigungen über; aber
das gilt nur von jenen, die etwa blos 1—2 oder höchstens vier
Classen des Gymnasiums besucht haben. Wer darüber hinausgekom-
men ist, der „schämt" sich einer Rückkehr zur. materiellen Ai'beit
Diese „Lateiner" mit 5— ö G>Tnnasialclassen liefern dem „geistigen
Proletariate" die meisten Rekruten; sie vermehren in ei'sclirecklich
zunehmender Weise die Winkelschrciber und Stellenjäger aller Art,
werden der Gesellschaft zur Last, dem Staate zui' (-Jefahr. Durcli den
Rii' k^ang in der Reaischulfirequenz hat nun diese ("la-se einen nam-
haften Zuwachs erfahren. Die Realscliule hält den S luiler stets mehr
in den Kreisen der prHklit>eli*-n Ht i ulsarlrn, sie lenkt dieselben nicht
in (lein Maße wie das (Tyninasiuoi von der materiell produciieuden
Lel>ensbeschäftigung ab; sie geht nicht von Haus aus auf d^ land-
läntige Ziel los, „Herren" heranzubilden; und deshalb erscheint die
Realschule (abgesehen von ihm- suusügen wichtigen Aufgabe) in
Ungarn auch als ein uothwendiges Gkigengewicht angesicht^j der
„lateinischen" Societät und deren Präpouderauz, welche dieselbe heut^
wie ehedem in Ungarn behauptet
Wenn nun die Bealsehnle f&r unsere GeseUschaft und flir dio
Lebensbedingungen des modernen Staates eine Nothwendigkeit ist;
wenn man dieser Lehranstalt angesichts der wieder erstarkenden
teefanisch-commerddlen ThAtigkeit im Lande nicht entrathen kann nnd
die Bealschule somit eine bedeutsame culturelle Mission zu erfüllen
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hat: s<j frag't t-s sich, aut weiche Weise dem Tli, l ih^r abnehiiieii lt n
Frequenz gesteuert und wie diese Lehranstalt wiedt-i n\ dt-in Ansehen
des Publicum^ imd damit zugleich in dem Erfolge ihrer Wirksamkeit
rehabilitirt werden kiinnte. An Vorschlägen und Ret« )nnau trägen
aller Art hat es allerdings nicht gefehlt; aber diese empfohlenen
Maßregeln können grüßtentheilä der allgemeinen Anwendung nicht
angerathen w^erden.
In erster lonie gedenken wir jenes pädagogischen Badicalismus.
der mit dem Scheine des FenereiüBrs ftr wahre hnnunilire Bildung
des Volkes den Bealschnkn flberhsnpt den "Krieg erklirt and derai
giodidM Aufhebung Terinngt» diesellwin deslIaterialtBmns heschnldigt
nnd in seinem Zdotismns so weit sich yetirrt, dasa er dksen Leiir-
ansUlten Jedwede Fähigkeit cnr Ertfaeflnng einer allgemeinen Bildung
abspricht, ja denselben sogar einen antinationalen Charakter beizolegen
sacht, infi>]ge dessen die SehtUer in den Realschulen nicht einmal
som richtigen Yetsttadnisse der NationaUiteratnr gelaagen kflnnten.
Wie es Fanatiker der Bealsdrale gibt^ die daa Gymnaainm als ,ffiber-
wnndenen" Standpunkt in die pädagogische Bompelkammer werfen
möchten: so hat auch das Gymnasium seine leidenschaftlichen Ver-
tbeidiger, yon denen das alte Sprichwort güt: ^Herr, behüte mich vor
meinen Freonden; vor meinen Feinden will ich mich selber schätzen
JeneBehaaptnng, dass ohne Kenntnis des Lateinischen und Griechischen
eine allgemeine humane Bildung nicht möglich sei, ist der Ausfiuss
einseitiger Auffassung oder absichtlicher Verkennung der Wirklichkeit.
Eine Widerlegung oder nähere Wiirdigiuig Terdient dieser Standpunkt
nicht im mindesten.
Mit den Ojinnasial-Fanatikern gelien eine Strecke weit auch jene
»SchwSrnier, die ihr pädagounsches Ideal in der einheitlichen Mit-
telschule erblicken. Gymii;i>iiim und Realschule >ind dieser Richtung
zufolge beklagenswerte Zeichen der Spaltung in den hoher^^n Schichten
der Gesellschaft, die durch den zwiefachen Bildungsgang von euiander
mehr nnd mehr getrennt werden, bis endlich eine unüberbrückbare
Kluft entsteht. ..Mit ganz verschiedenen Bildungsstoffen (heisst es
von dieser Seile i, luii ganz verscliiedenen Sprachen und Literaturen
empfängt die Jugend ganz verscliiedene Seelen, und Einheit des Be-
wusstseins, des Empfindens, der gesammten Lebensanschauung einer
Nation ist eine hochwichtige Sache, die man nicht leichtsinnig an&
Spiel setsen darl' Gewiss sind das gewichtige Momente^ nnd kein
emster Pftdagog oder PoUtiker wird dieselben außer acht hssen
dOriiBiL Aber ebenso sidier ist es auch, dass die Fordernng der
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höheren Einlieitsschule unaasf&hrbar ist Diese ünansführbarkeit beruht
jedoch meiner Ansicht nach keineswegs blos in dem Chai*akter der
tl)erf^a!igspenodf' unserer Zeit, sondem sie wurzelt im Wesen der
gesammten neiizt itliclien Ent^kelunf^: der europäischen liesellschaft
überhaupt. So wie das Interesse an Hellas und Eom fortdauern ^vird.
so lange die menschheitliche Cultui- den jetzigen Charakter beibehält;
ebenso erheischen die GeistesschStze der moflemen Literaturen und
der Naturwissenscliatten wuiiliji^^eiide Anerkennung' und thatsachliche
IV] iii ksichtigung. Je weiter dit- ( ultur fortschreitet, desto umla.si,en-
der werden diese Schätze, so dass schon um des äußerlichen Umfanges
willen eine angemessene Scheidung nothwendisr erscheint Allein auch
die Vertiefung, Aufarbeitung im l Weitertüliruug des Cultwproce&sejs
verlaugt gebieterisch die i litiiuug der geistigen Arbeit, und aus diesen
principiellen Forderungen entspringt die vei-schiedeue Richtung de*.
Idealismus nnd Kealismus, die jedoch beide im Humanismus ihre Ver-
einigung finden.
£s ist nimlicli nur VonuthBÜ, wenn IwbAvptet wird, Gjumasiiini
nndBealflchnle stSnden wie zwei feindfidie BrQder einander gegenüber,
die keinen gemeinsamen BaUhnmgspnnlLt haben. Jm Gegentheilt
Beide Arten von Mittelschnlen liaben mcht blos den ideellen Unter-
gnmd gemeinflchaftlifib, daas bdde nach aUgemem wissenscbaftlicher
Yorfaereitnng streben mid sonach YotstnüBii des eigentlidien gelehrten
Sfendioms sind; sondern sie besitien in ihren Bildnngsstoffen noch
weitere gemeinsame Momente. Da ist Yor allem die Beligions* nnd
Sittenlehre, dann die nationale Sprache nnd Literator, die (beschichte
nnd Geographie sowie auch «n gntee Stück der mathemala8ch*natar-
wissenschaftlichen Disciplinen, welche den Schülern am Oj-mnasium
und in der Bealschnle die gleichen BildungsqneUen zufuhren. Wie
kann man da von einer wachsenden Spaltung und zunehmenden Kluft
unter den gebildeten Classen der Gesellschaft sprechen: namentlich
wenn man erwägt, dass auch die Realschule jederzeit auf die gescliicht-
liche £Qtwickelimg ihrer Lehrfächer angemessene Kücksicht nehmen
moss?
Die pinitMtirte „einheitliche Mittelsdtule" ersclj^int ül)erdies als
ein verwerlliciies Product jenes Geistes , der im (!asernentiiuni , in
der völligen Nivellii-ung der Societät sein Ideal verehrt. Diesen Geist
perhorresciren ^\ir ganz entschieden; denn er beruht auf einer falschen
Voranssetzuns: und beabsichtigt den Umsturz und die Zerstörung aller
orgaiiischtu liütlun^en in der menschlichen Gesellschaft, die nach dem
Recepte des gleichmachenden Communismus von der culturellen Höhe
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auf die geistige nnd materielle Aimut der gleichmäßigen Impotenz
herabgedrückt werden soll. Erst müssten diese Schwärmer oder Um-
stürzler die lueiiscliliche Natur von Grund aus umgestalten und jedwede
individuelle Eigenart im einzelneu wie bei ganzen Völkern beseitigen,
und dann dürften sie hoffen, dass ihre atopistischen Projecte in Er-
follnng gehen.
Weil unserer Überzeugung zul-dire eine Lehranstalt linni- Be-
stimmung nur dann am sichersten genügen kann, sobald sie blos
einerlei Lehrziele verfolgt und nicht mit denselben Mitteln ver-
schiedene, oft heterogene Zwecke erreichen will: darum sind wir
für die Beibehaltung der getrennten Lehran^^talten, des
Gymnasiums und der Realschule, womil jedoch nicht gesagt sein
wül, dass diese beiden Mittelschularten mit einander gar keine Be-
rührung und Gemeinschaftlichkeit haben sollen. Wie das gemeint ist,
werden wir weiter unten nodi nfther andeoten.
Den Intentionen der „Annflbenmg'* oder gar „YenKshmelzung*'
des Gymnasitmui und der Bealschnle kommt auch jener Yorscfalag
entgegen, daas unter die LehrgegenstSnde der Bealschnle awsh die
lateinische Sprache aoftnnefamen sei Dieser Vorschlag &nd anch
in den ungarischen Bealschnl-Enqulten sovie in der Untonichtscom-
mission des rachstftglichen Abgeordnetenhauses beredte Vertheidiger,
deren Änsschten jeden&Us Beachtong verdienen. Doch ihre Ar»
gnmente haben ans Ton der Yortrefflichkdt ihrer Meinung nicht &her-
zeugen können. Das Latein wird gefordert, damit der „Bealist" nicht
aller Einwirkung des antiken Classicismus entbehre; femer, damit f&r
die modernen Sprachen eine wissenschaftliche Basis gewonnen werd^
und endlich um den Übergang der Schüler aus der Eealschule ins
Gymnasium leichter zu ermöglichen, eTentaell den BealschtUern selbst
einzelne Facultäten an der UniversitÄt zu eröffnen.
Wir schätzen die hohe Bedeutung des Studiums der lateinischen
Sprache ganz wol und wissen ebenso die Motive zu würdigen, welche
zu diesem Vomhlage bewogen haben. Nichtsdestoweniger sind wir
g( Iren die Aufnahme des Latein in die Realsehale und zwar
gerade im Interesse eines fruchtbaren Lateinunterrichts selbst Mnn
vergisst nämlich nur zu oft, dass das Latein am Gymnasium keines-
wegs blüs ein Lehrgegenstand überhaupt ist, sondern dass diese
Ijprache "viehnehr in engster Verbindung mit dem Gesammtorganismus
des Gymnasiums und insbesondere noch in sehr naher Beziehung zu
dem Griechischen steht, mit dem es gemeinsam eine Hauptstütze des
gesammten Gymnasialunterrichts bildet. Der erziehliclie und uuter-
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richtliche Einfluss des Latein beraht also keineswegs in dem blofien
Lehren dieser DiscipUa, sondern wesentlich in dem beherrschenden
Charakter, den Latein nnd Griechisch am Gymnasium besitzen. Kann
man an der Healschole dem Latein dieselbe Stellung geben? Gewiss
nicht, oder man macht aus der Realschule einfach ein GymT)«sinm.
In der Kealt^chule bleibt das Latein jederzeit eine exotische PHanze,
ein Treibhausgewächs, dem der iebengebende Boden im Schuloi ganismus
und die befruchtende Gesellschaft des Griechischen mangelt. Denn,
man beachte es wol! das Latein für sich allein ist keineswegs das
charakteristische Kennzeichen des Gj'mnasiunis, oder es sinkt dieses
zur ))lußen Lateinscliule hei'ab und verliert seiu eigentliches Wesen
und .^eiue Bedeutuug als hnnuinistische gelehrte Schule auf Grund alt-
classischer Bildungsmittel.
Das Latein in der Realschule verdirbt in solcher Weise auch das
GymuasiiLm; denn wenn tlie Realschüder bloße I^ateinkenntnis
genügt, um ihn zur Maturitätsprüfung an einem Gymnasium und somit
zun Besuche der Uniyersitftt snzulassen; dann werden ja die meisten
StniUreiiden nAch dieser Bealsdnde mit Latdn strömen, nm dem
StndimD des Gziecbischen zu entgehen. Kein ESnstchtiger kann aber
das Bedenkliche, ja'GeflUuüehe dner solchen Entwickelnng fllr nnseie
gelehrten Bemftarten yerkennen.
Die HotiTirong, daas Latein an der Bealselinle jiothwendig sei,
nm einen tfUditigen üntemcht im Französischen nnd eyentneU im
Englischen ertheileii in können, ist ebeniUls nicht sticbhaltig. Denn
-einmal handdt es sich an der Bealschnle (wie am Gymnasiom) keines^
wegs nm einen strengwissenschaftUchen Unterricht» etwa nach sprach-
vergleichender Methode, sondern vor allem nm die Elemente der
Wissenschaften, hier der Sprachen, nnd nm deren sofortige schulmäßige
Anwendung. Wie wäre aber femer an der Realschule mit Latein
beim fianzOsisohen Unterrichte, der fiist gleichzeitig mit dem Lateinischen
begonnen werden müsste, eine Vergleichung möglich, da ja den Schü-
lern beide Sprachen, die Mutter sowie die Tochter, noch fremde Dinge
sind? Im weitem Unterrichte muss aber ihauptsächlicli die Lecttire
nnd die iu den behandelten Musterwerken enthaltenen Gedanken und
Idrt 11 1 erucksichti^ sowie die praktische Gewandtheit iu der münd-
lii hi ii iuhI sclu'ü'tlichen Handhabung der ninilri iK ii Sprachen angestrebt
Werden. Da ist fiir eine tiefereehende, \'. is^rn<(■haftliche Sprachver-
gleichung kein Raum; blos geiegentiiche Hinweise entbehren aber des
unteiTichtlichen ^\'ertes.
Es ist jedenfalls bezeichnend, dass man auch in Preußen, wo das
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Lateiu in den Realsclmlen erstei- Ordnung obligatorisch ist, heute sich
ernstlich mit der Frage beschäftigt, auf welche Weise die Realschule
von diesem, ihrem Wesea tremden Lehrgegenstande beireit werden
könnte.
Zorn 8clilu;is?e geiViikeii wir noch des Vorschlages, den Lehrcurs
der ungarischen Realschule von acht auf sieben Jahrgänge zu
reduciren. Die Vertreter dieser Abänderung berufen sich auf die Er-
faliruug in Österreich, wo die Realschulen gleichfalls nur aus sieben
Jahresclassen bestehen und Befriedigendes leisten. Wir glauben in-
dessen niclit, dass eine solche Redncirung des Realschulcurses diesen
Lehranstalten m l iigarn zum Heile gereichen würde. Die Gründe
hiervon liegen vor allem in der Unmöglichkeit, den zum Wissenschaft-
^dm Stadium an der technischen Hochschale and in den andern
wissenschaftlichen Fachschoien erfofderUchen vorbereitenden Lehrstoff
in kürzerer Zeit eingehend so behaadelB nnd fruchtbar in Terarbeiten;
um diesen Ldustoff nnr ftoBerlich m 1)eiwingeii, mffaBen anch in
ÖsteReidi die ▼Ochentlichen TJntarrichtsstanden hoch angesetzt und
die SckOIer somit überbüi'det werden. Aber mit siebaehn Jahren er-
hängt der Jüngling anch nur selten jenen Grad der geistigen Reife,
der Ihn mm Stadium an der Hochschale beOldgt Die Folge dieser
Thatsache offenbart sich wieder darin, dass die Hochschnle eine
Stufe herabsteigen and in ihrem „Vorbereitangs''- oder „allgemeinen'^
Corse das nachholen muss, was die allzu beschränkte Mittelschale
TersAnmt hat. Endlich erheischt aach die Rficksicht auf die gleiche
Stellang der Kealschnle mit dem Gymnasinm, dass beide Mittelschnl-
arten dieselbe Classenanzahl haben.
Wir sind deshalb ganz entschieden für die Beibehaltung der
selbständigen Realschulen ohne Latein, doch mit weiterer
Berücksichtigung der modernen Sprachen und Literaturen; wir lehnen
die Anbahnung einer „zukünftigen" einheitlichen Mittelschule als un-
praktisch, ntnpistisc!! . ja als social bedenklich ab und erkennen die
Existenzbereclii iLMiim^ uiii den gleichen Wert der Realschule mit dem
Gymnasium in der Eniwickelung und in denBedinsnin?en d»»? m ulemen
Lebens an. Darum sprechen wir der Realschule die gleiche \\ iclitig-
keit zu, stellen sie mit dem Gymnasium auf dieselbe Stufe, fordern
aber auch von ihr die gleiche Dauer des Lehrcurses sowie dieser
entsprechende Leistungen.
Mau hat in Ungarn, wie erwähnt, die abfallende Frequenz der
Realschulen zum Anlass genommen, um den Fortbestand dieser Lehr-
anstalten überhaupt in i lage zu stellen. Dabei wurde den reorgani-
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sirten Bealschulen auch der Vorwurf der geringen Leistungsföhij^keit
gemacht Wir, die wir für die Beibehaltimg und Foitentwickelong
der Bealscholen das Wort ergriffen haben, betrachten es als weitere
Pflicht, auch die Reformen anzudeuten, die unserer Ansicht nach
mit diesen Lehranstalten vorzunehmen sind, damit dieselben ihi*er
Bestimmung entsprechen. ZunAchst rnttssen wir jedoch eine allgemeine
Bemerkung vorausschicken.
In wenig Ländern Europas werden so viele Lehr- und Unter-
richtspläne geschmiedet als in Ungarn-, von jedem neuen Plane er-
wartet man Wunderdinge, und bleiben diese aus, dann treibt di«' T'n-
geduld zu neuer Umgestaltung, zu neuen Entwürfen. So erging es
öeit 1861 unsern Gymnasien, so soll es auch den Realschulen ergeiien.
Noch hat der Lehi'plan von 1875 keinen achtjährigen Lehrcurs voll-
ständig durchgemacht, noch kennt somit niemand authentisch die
unterrichtlichen Erfolge dieses Lehrplanes, und schon steht die Revision,
ja die „völlige Umarbeitung" dieses Lehrplanes wieder auf der Tages-
ordnung der pädagogischen und publicistischeu Discussiou. Gegen
diese Ungeduld, gegen dieses fortgesetzte Plänemachen und Revidiren
BiiiaB man ganz entschieden Einsprache erheben. Unterricht and
Eniebiuig sind keine Hlse, die ttber Nadit ans dem Boden schießen;
zn ihrer Ansgestaltong bedaif es der Zeit, der Gednld nnd Stetigkeit
Je tmbnlenter hier die Kenenmgen nnd nVerbesserongen'* auftreten,
desto wderblidier Triiken sie. Wir haben gegen wiederholte nnd
eingehende Berathnngen nnd Besprechungen der bestehenden Lehr-
einrichtongen nichts einauwenden; allein dem Worte darf hier
nicht sofort die That folgen. Ideen nnd LehrpMne mOssen erst
ansreifen, ehe man sie richtig henrtheflen kann. Vm betrschte doch
den Consenratismns anf dem Gebiete der Schnlorganisation in andern
Lindem! Dort dnldet man lieber eine Reihe notorischer ÜbelstAnde
in der Besorgnis, eine Yorzeitige Beseitigung derselben könnte auch
dem bestehenden Guten zum Nachtheil gereichen. Und dann! Wo
gibt es in der Welt eine durchwegs vollkommene Schulorganisation?
Wo besteht ein makelloser Lehrplan V Welches ist die „allein richtige**
L^methode? Nur das relativ Beste kann hier das Ideal sein.
Damit ist auch schon der Standpunkt gekennzeichnet, von dem
aus die nachfolgenden Keformvorschläge beantiagt werden. Diese
Vorschläge streben keineswegs eine „radicalC oder auch nur eine
-tiHtu-^» liende" UmgestaUnntr des jetzie-en ungarischen Realschul-Tjehr-
plaüe.> an: vielmehr geht U ren Absicht blos dahin, jene Hindernisse
und Schwierigkeiten anzudeuten, ,'nach deren Wegräumung die Real-
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schale Ungarns Licht und Luft erhalten soll, um sodann im edlen
Wetteifer mit der älteren Scliwesteranstalt. mit dem Gymnasium, die
geistifj-e Rinofbalin betreten zu krmneu. Denn bis jetzt sind die Be-
dingungen der Wirksamkeit auf bfiden Seiten niclit gleichmäßig ver-
theilt: deshalb ist auch die Forderung an die Realschnlf. dass sie mit
dem Gymnasium erfolLTpirli eoncurrire, nnier den heutigen Verhält-
nissen eine harte, ja eine üüerrüliljarf^ /'iirniithnng.
Tn erster Linie wünschen wir deshalb die Herstellung der
völligen Gleichheit in der äußeren Stellung von Gymnasium
und lieaUchule. Diese Gleichheit erlitt nämlich arge Schädigungen
infolge der beliebten Einigungsversuche, die eine völlige Beseitigung
der Kealschule in Aussiebt nahmen. Die Realschule wurde als ein
thatsächliches Übel betrachtet, dessen angebliche Schädlichkeit mau
dadurch zu mildem suchte, dass man dem Realschüler den Übertritt
ans Gymnasiom möglichst erleichterte and dem Realschulabitorienteti
gestattete, durch eine« Naehtrag8*l£atarität8prQfuug am Gymnasiiim
aein nnyOUstindiges Zeugnis der Beife za ergftnzeii. Zumeist konnte
dies durch eine Fmfong nur aas Latein geschehen; das Griechisehe
wurde dem Examinanden in der Begel eriasseo. Diese Grenzver-
raeknng soll aufhören. Bealschule sowie Gymnasinm shid selbständige
Hittdschulcurse, die ohne gegenseitige Verqmcknng in verschiedene
Biehtongen des wissenschaftlichen Lebens anslanfen. Man lasse
jedwede Verlockung der RealschtUer nach dem Gymnasinm beiseite;
man lehne seihst ein fiwmltsliTes Stadium des Lateüt in der Beal*
schale ab, weil dieses Stadium, namentlich in den Oberdassen, kein
günstiges Resultat ergeben kann. Wer Latein an der Obeirealschale
mit Erfolg betreiben will, muss die sonstigen ReaLschulfächer ver-
nachlässigen, oder er bilrdet sich eine Last auf, die ihn zu Boden
drücken muss. Und nun gar Latein und Griechisch! Also weg mit
dem Uinüberschielen auf das Gebiet des Nachbars! Jede Lehran-
stalt Terfolgc einzig und allein nur das ihr g'esteckte Ziel!
Das humanistische Lehrmaterial an der Realschule steht
gegenwärtig noch immer hinter dei* blasse des mathematisch- natur-
wissenschafthVh-technisclien Lehrstoffes in empfindli^'her Weise zurück.
Scheidet man nämlich die Gegenstände der ßealsclnile in die Gruppe
der ethisch -humauitären (Keligiun, Geschichte. Spracbf'm und in die
der mathematisch- naturkundUeh-techiii^chen Fächer \ Geographie, Natur-
geschichte, Physiiv, Chemie. ]\Iathematik, geometrisches und Freihand-
zeichnen), so entfallen auf die erste Gi*upi>e von der Gesammtzahl
der Lehi-stundeu blos 99 Stunden = 43 * 2 " o, auf die zweite aber 127
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— 47 —
Stunden = 56 * 8 " u- Diesem Überwiegen des materialen Lehrstofies
kann abgeholfen werden einmal dordi die. Verringerung des Materials
and der Lebratanden fttr die realistiseb-tecbniscben Fftcber und dann
daich die entsprechende Yermebrung der etloech-humanitSren Iiehr-
gegensUnde. In dieser Besiehang niaeb^ vir anf den besondem
Umstand anfinerksam, dass in den prenfiiscben Realscbnlen in jeder
dasse (mit Ansnabme der Prima, d. L der obersten) blos zwei Standen
wtebentlicli für das Zeichnen ansgesetst sind, während in den angarischen
Bealschalen dem geometrischen and Freihaadsefchnen in Jeder Classe
4—6 Standen in der Woche gewidmet werden. Man kann trotzdem
nicht behanptCBi, dass die Realschalea Ungarns bessere Zeichner er*
ziehen als die Bealscliolen in Preußen. Die prenßische Bealschale erster
(hdniing hat viw Sprachen als obligatorische Lehrfacher, ebenso
werden an den meisten Realschulen in Österreich vier Spraclu'n ge-
Idurt; die angarische Realscliule hat blos drei, und auch diese sind
spftrlicher mit Lehrstanden bedacht. Unserer Ansicht nach könnt« in
fielen Realschulen Ungarns der Unterricht im Französischen schon in
der ersten Realschiilclasse beginnen, da in den Städten die Schüler
häufig' die Kenntnis der ungarischen und der deutschen Sprache
scliou von der Elementarschule oder vom P^Iternhause her mitbringen.
W'rniirer als vier Stunden in der Woche sollte jedoch in den vier
imit i u ( 'lassen t inor Sprache nicht gewidmet sein. Von der fünften'
rlasse an l>egiuue der Unterricht im Englischen, respective im
Italienischen, denn diese letztere Sprache ist für die commerciellen
Verhältnisse Ungarns wichtiger als das Englische. In den vier oberen
Classen könnte der Unterricht im Ungarischen, Deutschen und Fran-
zösisclit-n auf je drei Lehrstunden in der Woche beschränkt werden,
um dadurch für das Englische re^ipective Italienische die erfoixierlichen
vier Stunden zu gewinnen, ohne die Schüler unangemessen zu über-
bürden. Anch wOide es sich empfehlen, den Religionsunterricht in den
anteren CSassen aaf je zwei Standen in Het Woehe sn erhoben. Wird
dagegen der ZdGhennnterricht auf zwei Standen herabgesetzt» so hfttte
man im schlimmsten FaUa iasgesammt eine Erhöhung der Wochen-
standen (ohne Tomen) aaf 28—29 in den anteren, aaf 32 Stunden in
den oberen ChMsen. In FrenSen beträgt das Hinimam (ohne Tomen)
30 Standen in der Woche.
Darch diese obligatoriacke. Aufnahme von vier. Sprachen
mit reicher Literatnr wllre der Bealschale neben Religion, Geschichte
and ^osophischer PropAdeatik (in der Vin. Classe) ein entsprechen-
der ethisch-hamanistiscber Lehrstoff geboten, der den rein realistischen
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Fächern die Balance halten und den Realschüler vor einseitiger Ent-
wickelimg: bewahren würde. Der Vorwurf des liaterulismiis könnte
den Realsclmlen nicht mi'!ir g'emacht werden.
Zur AutVechterhaltuug des Anselien.s der Realschulen, zur ent-
s>]»rechenden äußerlichen Abschließong und zur besseren Sicheruns: des
behandelten Lehi"stotf»^s , sowio zum wirkunersvolleu Ansporn tr.tL^er,
zur beruliigendeu Belohn iiiiL' ileiüiger fechuler. endlich als ein treüiicher
Maßstab zur Beurtheiiuug der Leistnng:sfähigkeit der einzelnen Lehr-
anstalten ist am Schlüsse des Realschulcmiitis die strenge Maturitäts-
prüfung für die Abiturienten beizubehalten. Aber nun erhebt sich
die 8ch^\^e^ige Frage nach der „Berechtigung*' dieser füi* „reif er-
idiU'teu" Realschulabiturienten.
Die ganze Realschul -Misere hat von dieser „Berechtigungs-
frage ihren Ausgang genommen, wie wir das schon weiter oben
erörtert liabeii. Wie wire da am hdfen? Aof zweierlei Art Yor
aUem wolle man nidkt ttlmeken, dass das Qyranaaimn dcb einee be-
sonderen PiiTilegiums erfrent Wir meinen den ansaehliefllichen Zutritt
nach den vier oder fünf Facnltftten der UniversitAt An diesem wol>
erworbenen Frivileginm wollen aneh wir nicht rfltteln; wol aber das-
selbe durch ein anderes Privilegium balandren. Hit dem prakAiachen
Sehulmanne und Pädagogen Heim Viehoff worden wir nftmlich als
gerechtes Pendant dem Gymnasfal-Privilsgium gegenüber die Forderung
auüfttellen: »Zur Immatriculation in die technische Hoch-
schule oder eine wissenschaftliche Fachakademie (Berg-,
Forst-, landwirtschaftliche Akademie u. s. w.) ist die Beibringung
eines Haturitätszeagnisses von einer inländischen Real-
schule erforderlich.''
Man übersehe doch die Billigkeit nicht! Wenn das G.vmnasium
die entsprechendste Vorbereitung für die T'niversität ist, so kann sie
doch diese Aufgabe nicht auch für das l^olj'technikum erfüllen. Wäre
sie dies im stände, dann leugnet man ja die Exist«nzberechtignnsr der
Realschulen überhaupt; dann wäre ess allerdinj^^s weit gerechter und
vernünftiger, diese Realschulen einfach abzuscliatl'en, denn sie wären
eine ttbei-flüssige Institution. Wie soll ferner eine heilsame Conciirrenz
dort möurlich sein, wo dif eine Anstalt nebst einem ausschließlichen
Privilegium auch noch das uu^a'>chmälert<' Anrocht auf alle übrigen
höheren Gebiete der Studien und der öffentlichen Dienststellung besitzt,
indessen die andere Lehranstalt sich mit einem enpr umgrenzten
Terrain begnügen muss? Da sind Wind und S(june sehr ungleich ver-
theilt und von einei' Gleichberechtigung imd somit auch von einer
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Gkicli Wertigkeit imd gleicher Lelstungsiäliigkeit kauu billiger Weise
Dicht die Rede sein.
Neben dem Privilegium zum Besuche des Polytechnicums und der
technischen Fachacademien verlangen wii liir die Realschulabiturienten
respective für die absolvirten Techniker etc. nach gewisse Be-
günstigungen in jenen Zweigen des höheren Staatsdienstes,
die XBnJIdist auf den Besitz grilndliclier Kenntnis der modernen Sprachen,
diim der Mathematik und Natnrwissenachaften basirt sind. Wir Ter-
stehen darunter den Finanz-, Baa-, Post-, Telegraphen-, ZoQ- etc.
Dienst, aowol in der MBnipolation als in der eigentUdien Administration.
EndUcJi fragt es sieh, ob nieht anch die mathematisch-natvr-
wissenschaftlielie Facnlt&t an der ünivenitftt den Realschnl-
aUtnrienten zogSogfich gemacht werden konnte. Eline solche FacnltAt
besteht dermalen in Ungarn erst an der Elansenbmger Uniyersit&t;
aber im wesentUehen ist sie andi an der Bndapeater üniversltät
bereits thatsächlich (wenn auch nicht formell) Torhanden. Wie wir
Ibidem, dass die Lehrer der modernen Sprachen in den Bealschulen
ihren Bildnngsgang durch das Gymnasium nehmen sollen: so würde
es eine gegenleistende gerechte Conoession an die Realschulen sein,
dass man ihre Zöglinge für das mathematisch -naturwissenschaftliche
Lehramt an Realschulen und Gymnasien zulässt und ihnen somit auch
den Zutritt znm naturwissenschaftlichen Fachdoctorat an der UniTersitftt
gestattet
T^m die Entvölkerung in einzelnen Realschulen iiint anzuhalten,
empti* lilt sicli unserer Ansicht nach ein (lojipi'ltes Vorgelien. In
<f>IcliMi kU'iiiriTii Sf;if|h'ii, ■\vo Gynmasiiim iitnl Iioalsclnile getrennt
nebeneinander be>l.eheii, könnt eu diese beiden Leliiahstalten in ihrem
Unterbaue (etwa bis zur dritten Classe) mit einander verV)un(len und
überhaupt einer einheitlichen Direction untergestellt werden; nur
müsÄte dann für den Keal- respective für den Gymnasialcursus ein
besonderer scientifif?cher Leiter fungiren, wie solches z. B. an den
evaiigelisclien Realschulen in Hermannstadt und Ki'onstadt der i* aU
ist. Das andere, was wir empfehlen, bestände in der örtlichen
Verlegung der schwach besuchten Healschuten an Orte mit größerer
industrieD-mercantfler BeyOlkerung. Was sollen die Realschulen in
solchen abseits gelegenen Orten wie D^va, Szätely, Ud?arhely, Magy-
Killö ete., wo das betreffende SchfUerpublicum nahezu gftnzlich fehlt?
Was schließlich die in Anregung gebrachte Verbindung praktisch er
Fachenrse (für Handel, Landwirtschaft, Forstwesen, Berghau etc.)
mit den Bealschnlen anbelangt» so ließe sich diese Idee namentlich in
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den Provinzialstädteu eriiÄtlich in P^rwagung' zii lit n »iiie nähere Er-
örterung dieser Frasre "wiu'de nns jedoch fTu lirMnal zu weit führen.
Nur 80 .sfi ei iiHiPrt, dass unserer Ansiiehi nach diese practiscUeu
Lehrcurse den allgeineiaen Classen nicht parallel gehen, sondeni sich
denselben nachfolgend anschlieBen sollen. Immerhin könnt«
aber in der obersten Classe der Realschule der Unterricht schon mit
Rücksicht auf die etwa vorhandenen practischen Curse geleitet wei*den,
wie wii- denn auch in Bezug auf die obersten G^'mnasial classen eine
entsprechendere fachliche Gruppirung der Lehrgegeustände
als empfehlenswert betrachten, ohne jedoch damit die im Jahre 1869
von Baron EötTOfl in Antrag gebrachte strenge Trifiucation zu be-
ftrwmien. Dass flbrigens diesem Antrag ein geeonder Gedanke zn
Grunde liegt, steht unseres Erachtens anfter ZweiftL Schon die
pädagogische Forderung der BertteksiditigQng der IndiTidnaUtftt des
Zöglings recbtlBrtxgt dieselbe; es kommt nur auf die richtige Anwen>
dang und DorchftUimng an.
In Somma: Wir plaidiren ftlr keine «radicale'* Beform des
ongaiischen Beolschnlplanes, Bondem witauchen die dringlich ge-
wordene Abhilfe und Begelang innerhalb des vorhandenen
Bahmens und mit möglichster Schonung des Bestehenden.
Wol aber empfehlen sich entschiedene Maßregeln zur Herstellung der
Gleichwertigkeit von Gymnasium und Realschule und zur
Ermöglichong einer ehrlichen Concurrenz, die anter den
heutigai' Verhältnissen nicht stattfinden Joinn.
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X Die Bedeatuip der Neiueliiile für Osterreieh.
Von Otto Sekier-BHinn,
I.
K eine andere Institution im Staate ist mit dem Gesammtieben des \'oikes
80 innig" verknüpft, wie die Schule. Dadurch, dass sie die Grandla^e für
unsere gcsammten l^üi-gerlicheu Einrichtungen bildet, wirkt jede Verituderunsf
ihi-es We;ieD8 auf aUe Verhältnisse znrück und erzeugt eine tie%eliende Be-
wegung, die aoeh in die Ueiostea und entlegenatea Orte dringt.
So geschah es aneh bei ans, als dnrdi dae Oeeeta Tom 14. ICai 1869 die
öffentlichen Unterrichtsanstalten ihres nnzeitgemflßen und unhalthar gewordenen
Charakters entkleidet worden» um sich den Forderongen moderner Cnltor an-
zupassen.
Wlhrend Tm der cdneii Sdte alles gesdialii vm der nMten Sch5pfang die
mSl^eliate Veitrdtiiiig und StabülUtt an geben, wnrdoi von der anderen Seite
die größten Anstrengungen gemacht, das Einwurzeln derselben zu verhindern.
Beiderlei Bestrebungen fanden im Volke aufhahmsföhigen Boden. Denn abge-
sehen davon, dass die bei einem großen Theile der Bevölkerung noch herrschende
geistige Uomfindigkeit klares firkemien ets^wert und das bklle Wort anderer,
bei denen man eine hlShere Einstellt voransaetst, maßgebend ist Ar Annalime
oder AblehnoDg des Neuen, herrschen, insbesondere bei den Unbemittelten,
zwei ganz verschiedene Meinungen über den Wert der Schule. Die einen
wollen ihren Kindern eine höhei-e Bildung geben, um deren künftige Existenz
zu Terbessem, und diese betrachten die neue Schale aU Fördeningsmittel zar
DurchfOhrung ibrer Alwiebt nnd bringen ihr die voUste Sjrmpatliie entgegen;
die anderen hingegen kOnsttl nicht frühzeitig genug die piiydsche Arbeitskraft
der Kinder ausnützen, und denen ist die Si hule ein ^geschworener Feind ihrer
Interessen. — Die Schwierigkeit der Lage wurde noch vermelirt, als »ich auch
die politischen Parteien der Schale bemächtigten und Volksveitreter, gegen die
Intentionen ihrer Wfthler, eine Einrichtnng beldlmpften, deren Nfitzlichlceit sie
doch anerkennen müssen.
NfX'h ist der Widerstan d ir^'p^en die Nenschule nicht ganz srehrochen ; aber
Dank den zalilreichen .'Schritten und öffentlichen Vorträgen, die sich bemühten,
das Volk aufzuklären und auf sein walires Interesse aufmerksam zu machen,
Ist nielit mehr ansuehmen, dass sich die M%]oritftt dw BevDlkemng von einer
Sache abwenden urerde, von der sie nnr das Beste an mrarten hat.
4»
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Aach die folgende Abhandlmigr will zur Würdigrmg unserer Schulretbrin
beitragen; aber sie beabsicbtigt nicht, die Schwidien dee G^inen zn benfltcen
und Beine VorwttrflB eingehend n ividerlegen oder sich mit den Yorthdlen zu
betchifUgeiif die dem Einzelnen ans dem GennsRe eines höheren Unterrichtes
mvarhsen. Es soll vielmehr dargelegt werden, wie bedentnTi<r«voll ein
gehobenes Schnlweseii für die verschiedenen Momente des staatlichcu Lebens
ist, nnd demgemäß habe ich namentlich die Tollstftndig entwickelte Volk»-
sdmle, inabfltonden die Knabeii-Bttzgenefaidey im Äuge.
Wenn es mir gelingt, bestehende InthSmer zn beheben und die Widitig>>-
keit einer <^j-r s'n>fl«rfiir«f^n Scliripfuiis-en iins^rer Zeit ins rechte Lidlt ZU
setzen, so ist der Z^'eck meiner J:>örterangen erreicht.
n.
Eine Keihe von l ugiüekslUUen, die Österreich in seinem Innersten er-
schütterten, legte alle Schwächen des staatlichen Organismns bloß nnd zeigte
aUe FeUer, die begangen wurden.
t^erall erscholl der Evf nach Fortschritt nnd Bildung, auf allen Gebieten
des StaatsleWns griff man zn Rpformen. tiefeinjrewurzelte Übel wnrden entfernt,
Xeuerung-en eingeführt, und der Patriot lioflPte das Beste von der Zuknnft.
Alle Bestrebungen waren jedoch wertlos, su lange die Umgestaltung eine blos
SoBerUche war nnd nicht einer im Volksbewnesttein tidi vollzidienden Um»
bildnng entsprang.
Es zeißrte sich daher iVw Xotbwendigkeit . die allgemeine Bildung zn
heben, was nur möglich war, wenn mau ihre Basis, die VoUtsscbole, um-, oder
besser gesagt, neugestaltete.
Die Beferm wnide beediloasen und ansgeflUnt. Vermehnuig dea Unter-
riebtaatoffes, nm den gdtoderten YeriiJUtniBsen der Gegenwart Bechnnng zn
tragrcn. Yemiehmng der Unterrichtszeit, nni das Mehr des Stoffes zu verarbeiten
und um das Kind länger der geistig und sittlich hebenden Einwirkung der
Schule zu überlassen, eine strengere Überwachung des Schulbesuches, damit
alle dea üntorichtea theilhaftig würden, Heranziehang der BevOIkenmgt deren
Titalate Intereaaan mit Her Sehnte zaaammenhftiigen, dagegen LodMen von d^
Aufsicht der Kirche, die der modernen Bildung stets feindlich gegenüberstand
nnd gegenüberstehen wird, endlich Verbessernng der materiellen Existenz des
Lehrers, der seine ganze Zeit der Schule widmen soll, — das waren die
Geaiditspnnkte, die den Geaetzgebem znr Bichtsclmiir dienten nnd die in dem
riiliBilielien Oeaetze Tom 14. Mai 1869 Anadrnck fknden. Ea wurde aanctionirt,
trat ins Leben, und — mit demselben Tage begann andi achon der olTiNie nnd
geheime Kampf gregen dasselhe.
Um die verloren gegangene confessionelle Schule zuriiekzuei"obern, wurde
gegen die confessionslose unter der Bevölkerung Stimmung gemacht; die ver-
schiedensten Schlagworte wurden anegegeben, nnd kanm hatte sieh eins abge>
nützt, so tauchte ein nenea anf nnd jedesmal ein aoldies, dsis auf die schwSchate
Seite des Individuums zu wirken berechnet war. „Die Schule ist zn thener",
«die Schulzeit ist zu lang", „die Schule entchristlichf, die neu «niundenen
Elternrechte, die schon wissenschaftlicher gehaltenen Klagen über ,.zu viel
Unterricht nnd zn wenig Erdehang", Uber die materialistiBcbe Sehnle n. s. w..
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alle dieüe Schlag woi te üaueu uui deu einen Zweck, das kaum begouaene Werk
ZU. onter^raben.
Es ist zweifellos, daaa dloSehiüg^ietzgebung die Fordeiiuig«& ddr wiflieii-
schaftlicheii Pädagogik vereinen mnss mit <!. ii Bedürfhissen der Allgemeinheit
und des Staates, und dass sie die von der Tiieorie gegebeneu Ideen den that-
eäclilicheu Verbältnissen anzupassen hat. Die BedUrfiusse der Allgemeinheit
flndm Huren Audnick in SlIiBntlielieii Meinung. So wtiMohenawert es nim
itl, daas die Organisation der Schule mit der öffentlichen Meinung Qbereia*
ßtinimp, so folgt hieraus doch nocb lange nicht, dass sich ihr die Gesetzgebung
unterordnen müsse. Demi die Quellen, denen die öffentliche Meinung entspringt,
sind nicht immer lautere, sehr oft fehlt die richtige Einsicht^ Sondehnteressen
verlangen BerBckaichtiguiig, und weldie StebHitit hUten die Eniehung8>
«nstalten überhaupt, wenn Jedem Wunsche n«digegeben würde?
Bedarf es daher schon reiflicher Erwägung und eingehenden Studiums,
wenn eine fortschrittliche Änderung des Bestehenden vori.'-euomnien werden
soll, 80 ist um so melir strenge Prüfung und weise Zurückhaltung da geboten,
WO es ildi dämm hudelt, das Oaltuideal herabaodrttekeiL
Nur die zwingendste Nothwendigkeit kann einen solchen Schritt recht-
fertigen, der jedoch immer bedenkliche Folgen haben muss. Denn welches
'\'prTi-auen kann das Volk einer Gesetzgebung entgegenbringen, die nicht ziel-
bewusst das für nothwendig Erkannte durchzuführen bestrebt ist, sondern durch
Experimeiite nndi dem Bichtigen weht? Am alleimnigsten TCfdient jedoch
die sogenannte SIfonUiohe Meinung eine Berilcksichti^:nng, warn sie nidit der
Wille der Mehrheit, stmdem nur eines kleinen TheUes ist, dem es sich übrigens
ni'ht nm Verbesserung des Unterrichtswesens, oder nm eine durch die Ver-
haituisse gebotene Erleichterung handelt, sondern um die Ki^reichung selbstischer
Zwecke.
Neben diesen Angretfem finden deh anek noch einseitige Tiieoretikur nnd
socialistische Gleichmacher, die nicht nur die jetzige, sondern die Schule über-
haupt zn erschüttern snchen, und so wird das stattliche Schiff, dessen Auslaufen
im Jahre 1869 mit so findigen Hoffnungen begrüßt wurde, auf allen Seiten
von StOrmen nmtost und von Ge£shren bedroht, aus denen es nur der gesunde
Sinn der Bevölkerung, der troCi aller Einfifisteningen nnd Agitationen doch
meist das Richtige m trsiBn weiß, retten kann.
Khc ich nnn anf den eigentlichen Gegen*' f . mfi meiner Betrachtung, auf die
Bedeutung der Schule für den modernen Staat, ubeigehe, dürfte es am Platze
sein, die wichtigsten AusfsUle gegen die Schule in Kürze zu widerlegen.
m.
Oft genug schon wui'deu Stimmen laut, welche wol die Exiäteuzuuthwendig-
keit höherer Büdnngsanstalten anerkennen, den elementaren nnd mittleren
Unterricht aber von der Familie besorgt wissen wollen und in dem Bestehen
der Volksschule einen Beweis dafür sehen, dass das Hans der.Erziehuugspflioht
nicht nachkomme.
Angeuommeu, dmn iu jeder Familie die materiellen Mittel auäi-eichten,
dass fener ein Mitglied derselben die erforderliche Zeit nnd den guten Wütoi
besUci das Eislehnngageschllft zu besorgen, so wftre doch erst sn erweisen, ob
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€8 liierzii beiUiigt sei : müBste Vorsorge getroffen werdeu, da«8 dieser Pflicht
andi iMMiigekoimntii wiirde, und du» nicht WUlkllr oder T8flc«hrte Am&amgea
B«8iiltate li^erteUf die man dnreh dieErziehnng eben Ttnneiden woDte. Unter
den günstigsten Bedingungen bliebe das Kiml noch ininier dem Zufalle über-
lassen, und dazu ist nicht nur der einzelne Keusch, sondern aach die bereits
erreichte Gesammtcnltur viel zu kostbar.
Andere geben iwar die NoÜiweBd^eit der Schule wcdlen ale aber
dnadntniten in der Zeit, der afo dech unbedingt bedarf, nnt ihr Leihniel n
eneiehen. Ldirziel! Wer steckt diee? Der einsettne Xenidi, eder eine OotpO"
ration, oder die Schule selbst?
Jede Zeit hat ihr eigenartiges GeprJ^e und bestimmt mit mierbittüciier
Iffotbwendigkeit die H9he des geistigen and aittli^eaSdiirerpnnktes des Volkes.
Da gibt es kein Fellachen nnd Ifarkten, nnd Terechltaet Dur aach alle Tbttren
nnd Thore, die Hochflut des Geistes dringt durch die Fugen. Diese zwingende
Gewalt nicht zu erkennen oder nicht zu verstehen, beweist eine geistige Knn*
sichtigkeit, die von jeder Führung des Volkes ausschließen sollte.
Aber nicht der Bestand der Schulen und die Dauer der Schulzeit allein
sind es, die Angriffe lienromifen: anch Lehrmethode nnd Lehiplan werflen oft
sehr a})fUllig beurtheilt, ja geradem für verwerflich erklärt. „Die Schule
rn r!it( t ZU Tid nnd endeht sn wenig*, das ist ein beliebtes Schlagwort
unserer Zeit.
Die gesanuute Erziehung des Menschen theilt sich in die Ausbüduug der
VerstandeskrAfte nnd die Ftthrang des GefUdes nnd Willens. So lange
durch die aUgenidnen Verhältnisse an den Intelleet des Individuums geringe
Anforderungen gestellt %Mirden. konnte die Familie p^inz p\t beide TTieilc
vereinen. Als jedoch im Laufe der Zeiten die Ansprüche an die \'crstnnde8-
entwickelung wuchsen, musste eine Trennung eintreten. Die Schule ist eine
Fhieht der Cnltnr, nnd bat dieser dnreh die Befriedigimg des TJnterriehts-
bedfirftiisses in erster Linie zu dienen, während sie die Erziehung im • i ^ t rn
Sinne des Wortes, wenn anch nicht tüs-^ l.li. ßli h. so doch zum größten I lu iJe
dem Hause uberlassen muss. Die Hanptamgabe der Schule wird immer der
erziehliche Unterricht bleiben. Bezüglich der Gemüths- und Willensbüdnng
fliUt die MSte BoUe dem fl^nse sn. Aber gerade Jene Fanüien, die dafür «m
wenigsten thnn, die die Xinder als nothwendiges Übel betrachten, deren Ans*
bildung man der eig-enen Bequemlichkeit wejEren so viel als m^g'Iich Fremden
fiberlftsst, und die oft das wenige, wa.« die Schule erreichen kann, wieder ver-
derben, gerade die sind es, die am lautesten schreien und ihre Ft-hler anderen
in die Schnhe sdiieben.
^Unsere Kinder werden zu Materialisten erzogen", lautet ein anderes
Klagelied, da» so oft angestimmt wird. da.s.s man glauben sollte, schon von dar
ersten Classe an werde Büchners ..Kraft nnd Stolf" als Lesebuch benutzt.
Es ist lüclit zu leugnen, dass ein gewisser nüchterner Hauch unsere Zeit
dnrehwebt; aber so arg, als es gemadit wird, ist es denn doch nicht. Wenn
man sich heute mit dem ideellen Lohne allein nicht begnügt, nnd für Mine
Arbeit auch eine materielle Anerkennnng beanf^pmcht, so ist man damit im
Rechte, so lange nicht das Verlangen in Gewinnsucht ausartet. Wenn ferner
die Wissenschaft die materialistische Forschungsweise als fruchtbare
Methode acceptirt, so ist sie auch im Bechte; denn alle nnaere Erkenntnisse
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vei-üaukeu wir der BeobachUtDg und 4er IndactioiL Aber weder das eine uoch
dag andere tangüt die Schule, igt fiberdleg noch lange kein Xaterialigmiis, und
es igl m n Terwimdeni, «te aolehe BdkanpliagcB, wie die oUge^ ani^eetdlt
werden können. Soll dieselbe vielleicht dadurch begründet werden, dass der
heutige Lehrplan dem bflrgt^rlichen Leben besser ang:(<pa8st ist, als der alte,
und dass jetzt auch die £lemente der Naturwissenschaften gelehrt werden?
Möglich, dMS dies eis (Inmd engelfthrt wird; aber damit ist nur bewieaen,
daes eft I«eiite ttber Dinge reden md auch sehiellieii, die sie sieht Terstehen,
and mit solchen, die so naiv sind, nicht zn wissen, dass die Theorien des
Materialismns mit der Tendenz der Schule im diametralen Gegeoaatze steheBf
kann man nicht streiten.
Leider gibt es der Besserwiaser vmi den ▼enchiedenaten Sorten nur zu
vide, and Politik, Krieglttimtng ond Sdnde konnten strittig werden am die
Ehre, welche von ihnen durch Unberufene mdir misriiandelt wird. Die Schule
!;isst sie!) übrigens gerne jede Kritik srpffillen, so lange es der Aner^^ifer mit
der iustitotion selbst ehrlich meint und die Hebung des Unterrichtes im Auge hat.
Ea gibt aber Behauptungen, die entweder einer Unklarheit im Denken ent>
springen, oder eine direete Irreffihrong bezwecken.
Dahin gebOrt auch die Beschuldigung: „Die Nenschule entf^mdet die
Kinder der Kr^li^rinn " TMp Gründe dafür — fehlen. Oder gibt es deren doch?
Die Schule ist heute conffssionslos, nntersteht nicht mehr der Oberaufsicht der
Kirche, der Lehrer ist nicht melir verpflichtet, ReUgionsanterricht zu ertheilen,
und aneh ABdengftnUge werden nun Lehramte zngelagaoi. Wird aber durch
diese Thati>achen der Beweis für obige Besclml lli^nnt: erbracht? — Jede posi-
tive R ligion richtet ihr Ang^enmerk darauf, den ^ftnschen für ein künftiges
Leben vorzubereiten und seine Handlnngs- und Denkungsweise mit der theo-
logischen Weltanschauung und den daraus flieBendeu Glaubenslehren in Ein-
UaBg an bringen. Die Soirale dagegen Helltet sldi auf Zwecke, die nodh im
irdischen Dasein erreicht werden sollen , sie lehrt die Gesetae der materiellen
KSrperwelt und berpitpt ihren Zögling für das bürg-erliche Leben vor. Diese
beiden Gebiete haben daiicr nicht? mit eiii;uider gemein, und es heisst Ihr
inneres Wesen verkennen, wenn mau gestattet^ äm» eine Erziehung die
andere beelnflvait Aber ea ist eine direele Unwahriieit, daaa nnser Sebnl<
gesetz und die anf deraselbeii mhende VoUDUchnle der rdigiOsen Bnielinng
hinderlich sei.
Die Schule als riit^rrichtsanätalt tritt femer in vielfache Beziehung zu
den verschiedenen Einrichtungen des socialen Lebens. Es wäre Selbstüber-
hebung, wenn de vermeinte, ganz allein eine ideale Generatien beranriehen
und dnrch diese neugestaltend In die gegebenen Lebensformen eingreifen zn
k?5nnen. Sie hat ihr Äußerstes gethan und entspricht vollkommen ihrer Be-
stimmung, wenn sie die mühsam erworbenen GeisteRsr hJltze bewahrt und durch
deren Verbreitong einen stetigen Fortschritt aot dem Boden des Bestehenden
anbahnt. In der Etreichung dieses Zieles ist de von inBeren Verhftltnlssen
und von ihrer inneren Einrichtiing abhSngig; je mehr diese jenen entspricht,
je mehr beide übereinstimmen, desto segensreicher die Erfolge. Und von diesem
Ciesichtspunkte aus wenden wir ans nun zn dem Einlluss einer gehobenen
Schule anf die wichtigsten Momente des staatlichen Lebens.
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Weder den Unbilden der Elementf noch feindlichen Angriffen konnten die
kleineren Gemeinfiehaften, die auf Gnmd der natürlichen Znsauiineagehürigkeit
entstanden, auf die Dauer erfolgreich widerstehen, und ea mosste zur Bildung
grSBenr GemeiiiBehaften fesehritten werden. Sollte aber das Znsammenleben
du Medliches bMbea, ao mmaften die Pflichten und Rechte der Einzelnen ab-
gegrenzt werden: es entstanden Gesetze. Sollte es ein ei-sprießliches werden.
80 musst« eine Theilung- der Arbeit eintret^ni. Diese, sowie gegenseitiger
^einnngsaastausch erzeugten eine höhere üeistesbüdung, die, oraitrunglich nur
im Besitze weniger, sich immer mehr veibreitete. Eine Vereinigung unter
festen NomieD war nothwendig, um die Coltiiraitwiekelang za wkiMn, und
nun erst konnte die Auffassung der Gemeinschaft allmählich zum modenien
Staatsgedauken fortschreiten. Eine ^waltip'e Geistesarbeit, ein Jahrhunderte
langes Eingen nach Klärung der Begriffe kusiete es, ehe sich aus der mehr
oder wen^er nftO^eii Yeninigung der jetzige zielbewniste Staat eiit>
«ieicelte.
Der moderne Staat ist die äußere Form für das innere Wesen des Volkes:
er hat Leben. Ehre «nd Vermögen seiner B&r;?er zn slelicni, "NVolstand nnd
Aufklärung zu verbreiten und findet seinen Ausdruck in den Gesetzen, durch
die er die aUgemeinen Hensehenrechte erhalten und vertheidigen wilL
Diesen Zweek zu erfftllsn, sowie das große ProUem zu 16««, die Freiheit
und eigenartige Entwickelung des Individuums zn wahren und zugleich mit
der Idee d«^r pinlieitlichen Gemeinschaft in Übereinstimmung zu bringren, ist
dem Staate uur möglich auf Grund der Sittlichkeit und des geistigen Fort-
•chlittoi seiner Angehörigen. Er ist also mehr als nur „eine höhere Potenz von
Naehtwftehter", mehr als eine aodalistiaelie ArbeitavertiidliingamasdiineT er iet
ein sittlicher Organismus, der desto mehr Lebenskraft gewinnt, je mehr er die
beid^^n Fundamentalbedingungen seines B'^standf^s .stHrkt. ^'iek's und Großes
ist hierfür schon geschehen. Ein üanptmomeut liegt in der vollzogenen Ande-
rung der Staatsform.
Bildung nnd U<inX kSnnen nnr da feste Wund ftnneni w die ErfUlnng
Yon Pflichten Ans]inich gibt auf die AusSbinv Bechtem, wo jeder berufen
ist, nach dem MaBr s iner Krilfte dem Ganzen mitzuarbeiten und an öfient-
lichen .tUigelegenheiteu theiizun»'hnien. Ohne diese Gnindbedin|g;un^ sind alle
Cultnrbestrebuugen hohles Blendwerk. Achtung und Liebe des Stiles, also
echter Patriotiamos, iat nnr da sn finden, wo jeder Bürger das Beeht nnd die
Pflicht hat, an der F&rdsmng des Ganzen mitzu \\ irkrii.
Wi'- einzelne homogne Part ikflrluMi erst dauw einen Kfirper peben, wenn
sie durch Mulecularkräffe verbanden sind, ebenso geben die neben einander
lebenden Menschen erst dann ein Volk, wenn sie auf dem Boden der uatüi lichen
Verwanditaehalt nnd des Staates dnx«h das gemeinsame Band der anf die Er-
reichung eines Zieles gerichteten Arbeit sannuneagehslten werden; Stände nnd
Nationen trennen sich aber schroff von einander, wenn nicht durch gpemeinsame
Interessen und eine gemeinsame Thätigkeit das tür ein einheitliches Wirken
so nothweudige gegenseitige Verständnis erzeugt wird. Und das \'ulk verlangt
naeh einer solchen Tiifttlgkait Versagt man ihm die Theilnahme am St«ats>
leben, so dringt man es zum gewaltsamen Umstone des Bestehenden, oder das
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au sicli v-olthätig-e Trieblebeu wird zur Sucht uai'li materiellem Gemiss. die
dann von selbst zu geuieiaem Egoismus fuhit. Das Volk vei-siiikt nach und
nach in geistige nnd rittliche Stnmplhdt) Ehre nod Freihat werden ihm leere
Namen, Uneigennfitzigkeit güt als Unverstand (nder ist ein Esel, der bei der
Klippe steht nnd nicht fiisst"), nnd die heilig-sten Güter der Menschheit er-
st heinen wertlos, während den gi'Obstcn sinnlichen Genüssen nachgejagt wird.
Der b^taat fordert vom Einzelnen, dass er sein Interesse dem des großen Ganzen
naterordae» und er foraert dies mit Becbt Opferwilligfcdt «ad Selbstverieng«'
vnag lassen sich aber nicht decrellren, sie mfissen finlwIUiff, aas der ÜIkw*
zengnng ihrer Nothwendigkeit hervortreten, sonst werden sie nur mit Wider-
streben geübt und wenn m?5g^lich g^anz versag. Zu rechtem Gemeinleben muss
aber der Menscli erzogen werden, und die Schule schon bat das Jünd für das*
selbe TwnbereHmi. Hit dm ^nilbesnah begiimt Hr das Kind das Itfentliche
Leben. Zn dem Gehersam, mit dem es die Liebe der Eltern veiynlt, gesellt
sich ein nenes Motiv der Tliättgkeit: die PflichterffUltmg. In der Schule heißt
es zum ersten Male sich einem Fremden unterordnen, seine Wünsche und Be-
gehmngen mit denen in verschiedeuartigen Verhältnissen aufgewaclisener Mit-
sch&ler in Einklang bringen, und den Willen gewöhnen, sinnlicheu Einflüssen
an ^derstehm. Hier lernt das E2nd die Leiden nnd Frenden anderer theilen
nnd die Eigenliebe durch die Nächstenliebe einschränken; hier lernt es das
Gesetz achten nnd als heiligfes Gut schätzen, gilt es ja doch für alle gleich!
Rechnet man noch dazu die sittliche Kräftigung, die durch das LemenmUssen
erzeugt wird, und das Bestreben, es den Altersgenossen an Pfliclitert'iUlnng
wenigstens gleiehmdran, so wird man wol angeben, dass dieSchnle an sidi als
Übergang und Vorbereitung für das Leben in der Gesellschaft durch nichts
ersetzt werden Icann. Man wird sich aber anch nicht der Einsiclit verschließen
dürfen, dass es geradezu ein Verbrechen an der Allgemeinheit ist, das Kind
frühzeitig dieser Einwirkung zu eutzieheu, noch vor dem Eintritte jener Periode,
die snmeist bestimmend ist Ittr die kOnfUgen Lebensansehannng«L
Wirkt die Schule schon durch ihre blos äußere Einridltnng in so bedeu-
tungsvoller Weise, so geschieht dies in noch viel hflherem Grade durch die
methodische Ansbildung der \'er8tandeskrflfte. Die Sittlichkeit des Individuums
fußt auf der Erkenntnis und Unterscheiduug des Guten und Böäeu und auf der
richtigen WertscUttznng der Güter. Sie ist eine Forderung des Gemlithes, die
nnabhängig von äußeren Einflüssen im Hienschen als vernünftigem Wesen
wurzelt, aber eist lurch die Erziehung zu ihrer vr ll. n Entfaltung kommt
Die Unterscheiduug des Guten vom Bösen geschieht nicht instinctiv, sondern
durch Überlegung, entspringt also dem Denken, welches sich nur an eiupiriseheit
BegittÜBD entwickdn kann; die Wertschitzung der Güter seist Erkenntnisse
TuranSf welche die Willensrichtung zu bestimmen im Stande sind Je zahl-
reicher und enveiterter die ^^»l•stelIungskreise sind, und je richti^ei- die Vor-
stellungen mit einander verknüpft werden, desto mehr wii'd sich der Mensch
d^ Ulm innew ohuenden Sittengesetzes bewosst.
Die Attsbildnng des Ihtelleets dorch den Unterricht soll beim ZQglinge
die Lust an der Erkenntnis hervorrufen und ihn unmittelbar für die Principien
der Sittliciikeit vorbereiten, indem sie den Geist für Belehrnn^ empfiinjj^lich
lind zum Nachdenken fiihig macht. Die Anleitung zur Sittlichkeit setzt jedoch
voraus, dass der Mensch das Woigefailen am Guten in sich trüge uud dass
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(lipsps ^Volir»' fallen entwickelangs- und bildnngisfllliigr es kann also die
pessimistische Behaaptnng, der Mensch sei von Xatnr böse, nie und nimmer
zur Grundlage der EMehnng gemacht werden.
Der Staat hat der horanwaehaendeii Generattoi die Mittel an bleteD, sich
sittlich bilden zu können, ist verpflichtet, die Sittlichkeit zu erhalten und ZB
fSrdem. und bererhtiirt, j^do \'f?'lt*tzung derselben zn alinden.
Frühere Zeiten waren der Ansicht, die Moialität d^ Volkes könne nur
durch die Religion geweckt und gefordert werden, ohne zn erkennen, dass
BeUgion und Horal neben einander und nicht durch einander bestehen. Zwar
wird in der ( hristliclH n ^lünil. deren Idee die Heiligkdt firt, durch die Er-
kpnntnis. dass aüc I'flichten göttliche Gebote sind, das moraüsohe Gesetz der
einzige Bestinimunfrsjrrund des Willens: die Ktliik wird nicht als Lehre auf-
gefasst, glücklich zu werden, sondern sich der Glückseligkeit würdig zu machen,
nnd dadurch Ist und Ueibt sie das Tonllglidiste IDttel, dar pfülosofiiiseben
Moral leichteren Eingang und grdSere T^breitnnp an Tetsehaffon. Aber dieser
schöne und erhabene Gedanke ging nur zn bald nnter in leerem Fo^mendi^^^st.
Fanatismus und Beschränktheit verbanden sirh zu dem Bestreben, den Glauben,
der sich doch aal' das Übersinnliche richtet, als Grundlage jeder Wissenschaft
mit irdischen Zielen aaznaehen; »an wollte von dem Befolgen gewisser
Satzungen den Bestand dea Staates and der menschlichen Gesellschaft abhSngig
machen, ächtete moderne Cultur und fand in jeder frischeren «"Ttn.ste.orpfrting
eine Gefährdung der Sittlichkeit. — Es ist ferner eine Eig-enthünilichkeit iles
Christenthums, dass das Fembleiben von den staatlichen und nationalen Auf-
gaben als ein besonderes Zeichen religiöser Qettainung gilt. Mit der Entwickelnng
der modernen Staatsform ist wol dieses VonirCbeil xnm gtfiflten Theile gefallen,
nnd es besteht heute nnr noch dort, ^v^ uns — am empifaid]ich.«ten trifft.
Bei allen VRlkem steht der PriestPr auf nationalem Boden, nnr beim katho-
lischen Deutschen nicht, und während er bei allen anderen seineu Eiufluss auch
in natitMukn Angelegenlieiten geltend macht, wird bei nna diese Ferdeninf
des realen Lebens einfach ignerirt, nnd Seelsorger nnd Gemeinde stdien sich
in dieser Beziehung fremd gegenüber.
Alle diese Ursachen zusammen erzeugten oinp Reaction. die, wie die
meisten Gegenströmungen, weit über das Ziel hiuau&schoss. Im Übereifer der
AnfUflmng wollte man dem Volke Jede Bellglon nehmen nnd gab ihm Steine
statt Brot Jeder Mensch hat das Bedlirftiis, sich von Zeit an Zeit ans dem
Staube des Alltäglichen zu erheben, an ein Gnttliehes anzuknüpfen und ein
höchstes Gut anzustreben. Dieses Bedürfnis kann nur durch die Religion be-
triedigt werden. Sie, die vertrauensvolle Ergebung in ein höheres Gesetz, das
dem Amen in schweren Standen Trost nnd StQtse bietet, ist ihm nicht nnr
Torbereitong Ars kflnltige Leben, sondern auch sefaie FbfloBO|ihie nnd Poesie.
Der Noth wendigkeit, das sittliche Moment neben der Religion zu pflegen,
wurde unser Schulgesetz gerecht durch die Bestimmung: „Die VoUuschale hat
zur Aufgabe, die Kinder sittlich-religiös zn erziehen.^
In der heutigen gehobenen Schule arbeitet anch profimes Wissen, nnd
zwar einig« Zweige dfreet, andere Indireet, an der etblselien Erstehung mit.
Durch die Schilderung und Verherrlichung menschlicher Tugenden, durch die
Zeichnung großer Cliamkt^r«', die in uneigennütziger Gesinnung ihre Kräfte
dem Dienste der Menschheit weihten oder im Kampfe liir das Recht ihr Alles
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einMtsten «sd bingaben, kommt der Zögling za der Einelcht, welch hobor
Wert in der PfliehterfUlIung liegt , Bewmidcaiiiig mä. Verdmuig werden Jbm
nbgenöthigt, und er schafft sich GniTidsfltze.
Nicht minder wichtig ist der Einfiass der ästJietisdicn Erziehung. Die
Sinne bind die Cauäle, durch welche wir Emdrucke von außen empfangen, um
dae An%ea«!nniem nach den fndivfdoelleo Anlagen geistig m Terarbelten. Die Eiv
fcrachiuig der Dinge und der sie beherrscfaenden Oeset/v diente ursprünglich
zur Erreichnnp n nl^T Zwecke; mit der fortKchreitenden Entwickelung des In*
tellects emancijiirte sich der Geist immer mehr von den rein materiellen Vor-
stelluiigeu und erhob sich zur Specnlation. Das Verlangen nach harmonischer
Anordnung des Ihn Umgebenden wedcte Im HouchMi daa SdiQnhdtflgefQbl nnd
enengfte, durch sich immer ttelgremde Verfeinerung nnd Abstraction, das Ver»
lanpren nach innerer Harmonie, dem Grunde der Sittlichkeit. Durch eine Eeihe
scheinbar unbedeutender Vorgilnge. deren Einwirkung man auf den ersten Blick
kaum zu erkennen vermag, wird der Sinn tür Schönheit geweckt und gebildet;
er ringt nach EinünM nnd wixtt auf den inneren ffinn cnrÜdL So IKsat sich
s. B. naehwelBai, wie mit der snnehmendai BeinllclilHit die LanteilEeit der
Gresinnung wächst, und es liegt ein hoher Sinn darin, dass man an festlichen
Tagen auch festliche Gewänder trägt. Die Entwickelung der Einbildungskraft
hat immer einen Vorsprung vor der der Vernunft, und wie beim Individuum,
•0 tritt anch bei den VSJkem firüher daa Verlangen nach Befriedigung des
OefUilea fUr daa SehOne ond Oute ein, als der Drang nadi Wahrheit. •
Damit ist aber auch der Weg gegeben, den man einzusclilagen hat, um
Hilf die erfolgreichste Weise veredplTi<l auf das Volk einzuwirken Tf nach
meinem Giarakter wird die Kunst entweder eine Anregung zur Gemüthsvertie-
ftog sein, oder die Form, in der man ihm die Horalgeoetze darzubieten bat.
Der Orientale, durch sein CUma und den Dnek einer despotischen Regionuig
verweichlicht , will alles, was er zu besitzen wünscht, mühelos erwerben: ihm
wird man daher die Sittenlehre in poetische Formen kleiden: beim Germanen
dagegen, der den Wert eines Gutes bestimmt nach der Anstrengung, die ihm
dessen Erreichung kostet, und der das Sittengesetz als kategoiischen ImperatiT
anlfiMst, iit die Kanst daa HeRerfrenende, Gemttthbildende. Unter allen Vei^
bMtniswn aber bleibt die Pflege der Poesie, der scbSnen Feim und der Mnsik
ein Hanpt^rfordemis der allgemeinen Volks>tiMnng; d*^nTi mit dem Wolgefallen
an dei- edlen sinnlichen Schönheit steht die Liebe zum Guten im innigsten Zu-
sammenhange. Eine Förderung in dieser Richtung ist um so nothwendiger, als
die StrSmnng nnswer Zeit ToriierrBdiend realiatiBch ist nnd leicht znr Eän«
sellii^t fuhren kOnnte, würde ihr nicht durch eine entsprechende Oemfiths-
büdnng das Gleichgewicht gelt alten.
Anerkennung gebührt nicht nu?- lUiniruigen. der ein bedeutendes ^^'crk
schafft, sondern auch dem, der die Hindernisse beseitigt, die der Ansfühmng
entgegmstanden.
Eine allgemeine ethische ^dung ist unmöglich bei einem Volke, daa in
Aberglauben und Vonirth^ileTi versunken ist Wo man jeden, auch den un-
scheinbarsten Vorgang, zu dessen Erklärung der gemeine \'er8tftnd niclit aus-
reicht, als Ausüuss einer höheren Hacht ansieht; wo man Menschen, Thieren,
Saeben, Ja aetbat Zahlen Krlfte znaehreibt, die anf tmaere Handinngen oder
Oeacbi^e beetimmand einwirken kSnnen: liegt es nnr sa nahe, jede Ver-
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antwortnng' für sein Thun alilehnen zn wollen niid eigene Thätigkeit und An-
stTfiiigiing: möglichst zu vt-nueiden. Ein Blick aut die ninhamedanischen Lftnder
oder auf ansere „gute, alte Zeit*" (in der übrigens noch der größere Theii der
fiewnkAnuig steckt) tMlenehtet das ebenC^esagte so voUstSadlg, daas ca keiner
Worte mehr bedarf. Damm Dank den Fortechritten der Natarwiasenschaften and
der Geographie, die den Suinjifboden der rnsittliclikeit trocken, legen und Vor-
nrtheile rerstftmi, denen nur zn viele zum Opfer gt-fallen!
Ist denn aber die Schnle das einzige Mittel, die Sittlichkeit des Volkes
n heben? Daa einzige wol nicht» aber daa wichtigste. Man Innn dnrch Yer^
breitiing gnter Bücher nnd UldeDderZdtsehriften, dorch Abhaltung öffentlidier
Vorträge, Theater u. s. w. nicht Maasen belehren und geistig veredeln, wenn
iliiu'n da« N'vrständnis für das Gelesene oder Gehr.rte fehlt, oder wenn sie gar
lücbt ie.<^en künnen. Kann ein onwissende» V olk durch die Werke großer
Diditer angeregt werdm, hat ea dnen Sinn für Ennat? Die groflen mumer
Italiens, die in Knnst mid Wlssensehaft tiehtnnggebend waren llr gansEnropa,
blieben ohne den geringsten Einflass auf ihre Landslente. Und auf welcher
sittlichen ^tnf»' st»'lit di^» gT<"Qere Masse des Volkes! Konnten doch Polizei,
geiätliclieä und v\ eitiicUtä Kegiuient das Völlig bis jetzt noch nicht einmal zur —
Beinlicbkeit bringen.
Sichtige VorsteUmigen geben, snm Denken anleiten, Wahres vom Fatochen
nnteischeiden lehren, ist mit weniger Muhe verbunden, aber von bleibenderer
Wirkung nn<l ein weit verdienstvolleres Werk, als ftngstUcbe Bevormnndnng
und I berwachung.
Zum Schutze des Einzelnen und im Interesse der Allgemeinheit erlftsst
der Staat Gesetie nnd betrant er seine Organe damit, die genaue Befolgnng
derselben zu aichem. Das erstarkte OerechtigkeitsgefOlil unseres Jahrhnndflrts
forderte eine Befreinnar des Jnstizverfahrens ans der Erstarrung veralteter
Formen, Unabhängigkeit des Ri( hters und eine Kecht^prechnng unter der Theii-
nähme des Volkes. Männer, aus dem \olke hervorgegangen und seine An-
achannngen tfaeOend, soUmi ohne Yoreingenommenheit, nnr nach ihrer Ober-
Zeugung den Wahrspruch über Schuld und Kicht^hnld abgeben. Eine solche
Institution srtzt eine gewiss»» Hühe des allgemeinen ^iftlirlikeitfigefnhlcs bereits
voraus, wie sU- anderseits es anregt nnd fordert. ^Vilt' nothwendig es ist. dat^
geistige Niveau des ganzen Volkes zu heben, beweisen die Verhandlungen, bei
denen oft Widerqnüche in den Bechtaanschannngen der versdiiedenen Vertranen»'
männer hervortreten. Die divei^enden Ansichten lassen darauf schließen, daas
eine einlieitliche Auffassung fehlt und dass sich im Lehrplane unserer Schulen
eine Lücke vorfindet. Und dem ist so. Die zehn Gebute enthalt^m wn! oine
Reihe wichtiger Vorschriften; aber es gibt auch eine grofie Anzahl von ir uüen,
die sieh nicht so ohnew^ters nach ihnen entscheiden laasen. Der Jnristiach
noth wendige Sats: Unkenntnis des Gesetzes entschuldigt nicht, ist psychologisch
unrichtig; denn man kann niemand für zurechnungsfähig erklären nnd für seine
Handlungen verantwortlich machen, dem die richtigen Vorstellungen fehlen nnd
der sie nicht zu verknüpfen weiB. Kein Stand, keine Gemeinschaft bestraft
eine Handlnngr oder Unteriassong, wenn aie nidit vorher ansdrficlülch als Ynv
gehen oder Verbrechen bezeichnet nnd allen Ifitgliedem verboten wurde. In
der Familie, in der Schule, beim Militär, in der Kirche etc., Oberall bestehen
feste Normen, and im bürgerlichen Leben sollte die« nicht n5tliig seinV Wie
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würde sich die Zahl jener Fälle, die alljilhrlich in den Gorulitssillcn zur Ent-
scheidung kommen, vei niindero. wenn die schwankenden Begriffe im Volke hin-
reichend Terdenüicht würden 1 Wenn man bedenkt, welch unentwickelte, oft
Undiaeh« Aiifliefat«ii so Tiele Qber Hansrechtr gdMime SdiadloBhaltniig, Wache-
beleidi^^uncr u. b. w. haben. Und daas es polittsdie Veigehen gibt, deren sich
der sittliclistt' Mensch schuldig machen kann, so wird man wnl einsehen, was in
dieser Eichtuug uoth thnt. Alle Einwände, die ge^en einen derartigen Unterricht
vorgebracht werden können, sind leicht zu widerlegen. Jedenfalls bringt
der Sciilller der oberen ClMsen einer soldien Belehrung: mehr VenUlndnis ent*
gegen, als viele Becraten, denen die Kriegsaitikel Torgetragen und erkUbi
werden, nnd diese Behauptung, dass die Aufzahlung und Specialisirung der
einzelnen \'erbrechen auf die Moral nachtheilig wirken würde, ist bei reiferen
Schülern nnstichhaltig.
Wie bdm Vemnnftmenschen Geist und Gewissm nntrennbar sind, so ist
andi die innige Verbindong der Volksseele mit den Beditsgesetnen, dem Tolka-
gewissen, ein Postulat des Cultnrstaates, und je mehr dazu beigeti'agen wird,
den Zusammenhanj? voll ins Bewn.sstsein treten zu lassen, desto seltener wird
das Strafgesetz zur Anwendung kommen. Dass kann aber nur durch den
Unteiridit gesehehm. Es ivlre sehr leicht m bewerkstelligen, und wir wollen
hoffen, daas es andi daan kommt, dasa man einen Ansang ans dem Civil- nnd
Strafrechte nnd einen Abriss unserer Verfassung als ünterriehtsgegenstand
einfährt. Denn auch über die Ptli'^hten und Rechte desBürg-ers im constitutio-
nellen Staate soll der Kuabc i^ciion ausreichend belehrt vverüeii; er braucht
beides, um sp&ter seine Stellung in der Oesellschaft zu verstehen; außer
der Schnle lernt er venig mehr nnd selten gründlieh, dämm besorge es die
Schnle.
Wol übernehmen die Zeitunfir'^n diespu Theil der Helelirnns'. Aber ab-
gesehen davon, dass dies systemlos und oft in selir trüber Tendenz geschieht,
muss ein gewisser geistiger Fond da sein, wenn das Bedürfiüs einer Zeitung
gefühlt nnd ihr Inlialt yerstandm werden soll Die moderne Staatsform brachte
da« gesammte Zeitnngswesen zu ungeahnter Hniie. Wie ein warmer Regen aaf
die f^antt n, so wirkte die freiheitliche Gestaltung auf Ht T^nrnalistik, und wenn
einst Liebig den Verbrauch an Seife als Maßstab für die liolie derCultnr annahm,
so kann heute hierfür die Entwickelung der Presse als Kriterium gelten. Aber
neben dem Weisen wü^dist ancü ünkrant Derselbe Boden uBhrt gesinnnngs-
tüchtige, wahrheitsliebende Blätter, die ihre Aufgabe voll erfiwwn nnd würdig
durchführen, wip ancli charakterlose Journale, die unbekümmert um Recht tuid
Volkyw'ol aus den verschiedenartii^ten Ursachen gegen das Pestchende Sturm
lauten, oder durch Sophistereien alles beweisen, wofdi' sie — bezahlt werden.
Gegen die Beeinflnssnng dnrch eine solche Fresse kaim das Volk nnr geschfttit
werden durch eine gründliche Belehruufj über seine Pflichten und Rechte. Der
Mangel an Theihiahnie, den die Bevölkerung im allgemeinen der Ausühnng:
eines ilirer seliönsiten Rechte entgegenbrinj^t , ist nnr daraus zu erklären . da^s
sie sich über den Umfang und die Tragweite desselben nicht hini'eichend klar
ist, wodurch sie nie ans ihrer Unmündigkeit heranskommt und jeden For^
adiritt sdbst verliindert. Kann an einen solchen aber überhaupt nur gedacht
werden, wenn man das Wenige, was die Schule bis jetzt bietet, anch noch Ter*
kurzen will ?
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lüt eiiie Gemeinde- Autonomie denkbar ohne die Kenntnis der nothwendigsten
positiven Gesetze? Enlwedor wird sie ein Unding, mit dem niemand was rechtes
umfiogMi w«I6, oder eine Caricatnr auf dM SelbstbestlmnniiigBredit, ein
Deckmantel fdr Selbstsucht und Dummheit.
Der Politiker kann nicht blos mit Idealen, sondern er mnss anch mit con-
creteu Factoreu recJinen nnd darf uui" das anstreben, was auf Gruud der ge-
gebenen Verhältnisse enreiehbar ist, sonst verwickelt er sich in unlösliche
Schwierigkeiteil. Er ist daher oft in der Erreiehnng leinee Zieles gebindert,
weil er g-eswnngen Ist, seine UaSregeln den nnsicheren, nicht gekllztu Begriffm
des ^'olkes anzupassen
Österreich wäre heute der erf<te Staat in Europa, wenn Josef U. ein
polilibch reifes Volk voi^efuudeu hätte!
(Schloss folgt.)
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Ehre, dem Ehre ^biri
Van WUNMA yagl-Wim,
U.
Wir habeu im letzten Jnlihefte unter der gleichen Aafschrift über das
pSdagroGTische Wirken des Gelderner Kreissclnilinspectors Ii. Klein bt^richtet
und ans dessen literarischen Arbeiten drei Hanptsfltze zur Beherzi^uni? tür die
Lehrerschaft hervorgehoben: Der Schulmann soll sich wissenschaftlich furt-
irtUurend TenroUkommnen; er soll traditen, ein „weltlicher Apostel desYolkeB''
zu sein, in dessen Mitte er hineingestellt ist; und endlich soll er. w<mi8g1idi,
mit der hölieren 'ti lelirten- und Schulwelt in Contact zu bleiben suchen.
Hente werden wir. un der Hand dieser drei Grundsatze, Hbor die TliRtig-
keit eines wackeren Dorfschulmeisters reden, der in einem abgelegeneu
Winkel der Welt bei braver Pfliditefffttllting grau geworden. Und in einer
zwanglosen Reihe von weiteren Forts^asangen vollen wir durch Bilder aus
dem wirklichen Leben der Geg:enwart jenes Ideal einer Lehrerschaft,
wie es uns vorschwebt, zui- Dai-st^ellmig bringen, indem wir die zerstreuten
und verlorenen Perlen echter Scholmanustüchtigkeit aus den verschiedensten
Gegenden nnd den veraolitedenet«! Teriiftltniflsen m dnem Jnweleoknuize
felhen.
Leopold Hinker. so heißt der Soluspieler in unserem heutigen kurzen
Au^tze, wurde am 10. November 180'^ in Oberfxi'i'nhach nilchst Haabs an
der Thaja in Niederosterreich geboren, machte am L August 1820 zu Horn
leine PrftpBrnndenprfifknig, am 2. und 3. Aign8tl824 Beine Lehrei^fiAing nnd
diente seit 1. Jalil836 als Schnlprovisor nnd seit 31. JiUi 1839 als definitiTer
Schullehrer in Sebenstein, — ohne jemals einer Aushilfe bedurft zu haben —
"bis in die Mitte des Jahres 1877, seit welcher Zeit er in einem netten, ein-
fachen Häuschen im ruhigen Genüsse seiner Pension und bei voller Frische des
Geistes nnd KOrpers seinen Eiinnennigen lebt, ein Patritfreh mter sdnen
Banenit deren fast aller Erzieher et ist
Das niederösterreichische Dorf Sebenstein, in einer Verengung des
Pittenthaies gelegen, ist seit zwei Jahren ein neuer Anziehungspunkt für die
"Wiener Touristen und Sommerfrischler geworden, seitdem die Wieu-Aspaoger
Bahn dieses Thal der Residenzstadt näher gerückt bat SeMneBestanratioas-
gebftnde sind im Entstellen, fiberaU begegnet man stidtisdi gekleideten Damen,
Olliciereiif Equipagen — nnd in den lauschigen, laubbcw ölbten Terrassen eines
Bererlianges trifft man wol aucli den emsig; beschilft ig-ten KünstU^r, d»'r <]\f' von
der jenseitigen Berglehne .herüberragende alte \ est« und das dazwischen-
liegende malerische Thal mit dem schattigen Schlossparke, dem Dorfe und dem
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altertümlichen Kircldeiu auf die Leinwand zanbert, — ein herrliches Land-
schaftsbild I *) Da ring es noch vor drei Jahren viel lanpweilippr m. Elende
morsche Hütten and Häaschen standen, wo sich heute das laftige Bahngeleise
zieht, kein Fremder war in dem vereinaamten „Neste'' an sehen, Oduenkarreu
ond Pflüge das einzige Fnlurweik» das einem in den Gassen des Doffts be-
gegnete. Auch die f&rstUche Familie hielt sich nur zeitweilig im Orte auf,
und trat anch dann mit den Einwohnern kaum in Bernhrnnj;:. 9o waren denn
der Pfarrer und der Schnlmeister die einzigen geistigen Sterne für das ver-
lassene Baneruvölklein.
Wir werden hieraos entnehmen, dnsa die oben erwlhnte dritte Forderung
des Geldemer Kreisschnlinapectors, «Ue Lehrerschaft mj%e mit der höheren
Unterrichtswelt in stetem r...!tnct Ideiben, fiir nnsfin Hink er allerdinps nner-
fiülbar war. Er hatte iu seinem idyllischen Schui^pieugel gar nicht <n>lcgen-
heit, nur irgendwie mit höher* gebildeten Personen in Verbindung zu treten.
Zwar waren die wiederholt sidi ahlSsenden Pfiorrer afcademlseh gebildet, —
aber gerade diese ügiirirten als des Schnlmeisterleins moralische OberhAnpter
und waren in der Regel nicht geneigt mit ilirem .Messner*' — das war ja
damals der Lt lirer aof dt m Laude — ~ besonders intiin zu werden, übrigens
interessirt sich ein Landpfairer ulinehiu meittt für ganz andere Dinge, als für
wissoiBchafltliehe nnd p&dagogische Fragen.
Desto getrener und ehrenvoller hat Hink er die beiden ersten der ge-
dachten Fordcrnnpen etTiillf. In i-iner Zeit, wo der Lehrer noch als
Handwerker galt, tler den Kindern mit dem .Stocke da.s Le<«'n und
Schreiben einzudrillen hätte, hat er sich im Wissen uueimüdlieh
selbst vervollkommnet Mancher seiner Collegen wttrde, hBtte man ihn
hiezn aufgefordert, geantwortet haben: ,.Ja, woher soll ich die zum Selbst-
«tndinm nothwendig-on Bücher nehmen, da icli nur 250 fl."*"*! jiUiilichen Gehalt
beziehe uud davou mit nu'iuer Familie kaum leben kannV" Hiuker lieh sich
aber die Bücher aus, wo er deren bekommen konnte, machte sich Excerpte und
stellte sieh so eine Ideine, ganz nette Bibliothefc zosammen. Schreiber dieses
dürft.- die Excerpte dürchsehen und wunderte sieht mit welch richtigem Tacte
das Nothwendigste ans allen I)iscii»linen herausgehoben nnd wie ordentlich eS
zusammengestellt, wie säuberlich und lein alles ireschrieben war.
Iu dieser etwa 16 Buch Papier starken selbstgeschriebenen Bibliothek
traf ich znnttchst eine „Übersieht des menschlichen Wissens", nach vedv
schiedenen Eintheiltmgsgrfinden (theoretische und empirisdie Disciplinen etc.);
bpfregnete einer Lo^ik, einem „ Vollständijjren Lehrbuch der Eechen-
kun'^f". udriii auf arithmetischem — nicht algebraischem — Wege alle
Kt^chnuiigsurten vom Addiren bis zum Badiciren mit der 5. luid 6. Wurzel
gelehrt werden, nebst ^er grofleu Anzahl von Bdspiden, die alle Hinker
mit nnerrnttdlichem FkiB dnrehgerechnet hat Femer «ithllt diese kleine
Bibliothek „Physikalische s'*, „Mathematisch - Astronomisches'',
„Gleichung der Zeit", „Geschichtliches Uber die Astronomie'*,
*) So traf ich den bekannten Wiener Haler Schubert, einen lieffen des
OompoDiäten. Uber der Abnahme von Sehenstein.
**) Bis zum Jahre 1S*)2 l)t tru^ Hink<r-i .T.-ilirj^elialt alles in allem, samnit um-
gerechneten Naturalien, 248 fl. 22 Ki^ obwol er geprüfter uud de&nitiver Lelirer war!
j . . .. y Google
„Vom Kalender'', etwas tber Meteore » Cometen, Feuerkugeln; ..I>ie
Hun^erjalm- uikI fruchtbarfn Jahrp von 1807 — 76" n. dcrffl. Femer viel
Gesc Ii ich t liches: ..Die pr?Jtpn Menschen". ..Alte, Cultiirvölker", ..Die
7 Weltwunder". Viele Biographieu von Philosophen, Füi-steu und hervorragen-
den Hianeni aller Völker mä aller Zeiten. „Lebenawefse der alten
Dentschen" u. s. f. — bis herab zu Josef II. und dem Wiener Congress.
Dazn alphabetische und chrnnnlnL''ischf' Übersichten nnd Gencalo^^ien.
Eine kleine Geographie, enthaltend: ..Innere nnd fiiiUm" Hesohaffenheit
der Erde", „Erdbeben", „Wasserhosen", „Lawinen", Übersicht der Städte,
der GeMrgre, der Flttese und Seen, der schDnsten Kireben, faScbsten
Thürme nnd größten Glodten; die alten and nenen Mänzgattungen der ver-
X hieilenen Staaten Europas, ihre Fmi-echnung etc. Sprachliclies: ..Gnind-
i '^^^ehv der lateiniBchen, italienischen, französischen, englischen, ungarisctien und
böhmischen Aassprache." „Die Alphabete der Erde." Deutsche Sprach-
lehre: WorUehre, Satdehre, Beehtsdireibnng, achriftliGhe AlfBitse,
Poesie (,rWannn iat der Dichter natzlich?"), Vermehre» l)iclitnng:sarten. Dam
eine Sammlnng poetischer LesestUcke. Hink er hat sogar selbpr eine Volks-
hvmne gedichtet: ,,Gelegentlich des Attentats auf Kaiser Franz Jos^L am
2' März 1853."
Dan Hinker trots dieser eifrigen Besdi&ftigung mit denWlneiiBfliiaften
den praktisclien ^nn nicht verlor, beweisen anderweitige Anineichnnngen
von seiner Hand. So eine 29 Folioseiten starke SprichwOrtersammlung
ant«r dem Titel ..Volksweisheit und Lebens^klny-lieir ' femer , .Denksprüche",
„Wahlsprttche von Kaisem", „Lebensphilosophie- etc. Allgemein Nütz-
liebes: GesnndheiftswnaBerwid Wacholderbeeren, Behandlang vernnglttekter
Personen n. dergL m.
Dass ein Lehrer, der in dieser W^eise wissenschaftlicli und moralisch vor-
bereitet und voll EitVr tur die Saclie der Bildnns: und Aufklitruns: in die
Schnlstube tritt, in den Kindern ein ganz anderes Geistesleben erwecken wird,
als ein kalter Schalmietling, dessen Wünsche und Gedanken ganz anderswo
sind als bei asiner Bemftarbeit, der mit OewaltmaBregeln den ihm ISngst
schal gewordenen Lehrstoff in die Kinder schnellstens hineinopeiiren will, oder
die Kinder g:an/ gehen ISsst", — leuchtet wo] eii? , wh\ Hinkers Verdienst
Ist am so größer, als er in einer Zeit, wo der Lehrerstaud in Österreich in
tiefe Verrohung und Entartung gesunken war, sich dauernd auf der sittlichen
snd geistifen HShe seines Bwafes erhielt.
Aber, obwol Hinker bis in sein vierundsiebzigstes Lebensjahr ganz
allein den Schul- nnd früher anoli noch den Kirchendienst versehen, Tag für
Tttg vor- und nachmittags bei circa KK) Kindern Unterricht halten musste.
so vrdjrea doch dieKi'äfte des scheinbar schwachen Männchens damit noch nicht
endiSpft, dass er an Hanse emsig studirte nnd in der Sehnle den Kindern ans
dem Scliatze seiner Kenntni»e mittheilte. Seine Thätigkeit erstreckte sich
auch über die Schulstube hinaus — er war ein Rathfreher der Gemeinde
in allen wichtig-en Angelegenheiten, ein wahrer ,..^l)os1el des \'olke.s", wie
Klein sagt. Ilet allen hervorragenderen Anlässen in dem Dürfe, ub nun ein
Bach m regnUren oder ^e Brildte sn banen war, wurde er in die „Com-
mission" gezogen. Da ordnete er eine Erbediaftaangelegenheit durch ein ein-
isches Gesnch an das Besirkagericht, dort setste er dnreh eine Schrift beim
Fvdaitasiiin. ft. Jthif. Reit L ^
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Magistrate in Wien das bedrohte Eedit eine« Bauers durch, und Ähnliches mehr.
Als ob er in »pinenr Eigrenthuni wRre. »o sorgrte er im Dorf.\ dass ja kein alter
Gegenstand von historischem oder künstleriächem Werte verloren gehe oder
vernichtet werde. Als im Jahre 1844 in der Doifkirche neue Fenster einge-
schnitten wurden, warf der uiTerstlndlge Glaser die 5 alten Glasbilder
schonungslos in seinen Korb arasammen; Hinker aber hat, ihren Wert ahneiHl,
dies^'iben ..oilipr^^ - "ü- Iiinjren in ihrer alten Fassnngr noch etwas zusammen
— von dieneui lilaskurbe we^g^euumuieu und sie, ohne aut das Gezänk de«
Glasers zn achten, in der Sakristei sorgfältig verwahrt*', und als die Kirche
1849 — 53 reetanrirt wnrde, setite man die alten Glasgemftlde wieder
ein. Sie tragen den Namen Rudolf Otto's von Liechtenstein, eines
Urenkels des berühmten steierischen Sii nirf vs. und sind niindesten«
aOÜ Jahre alt. Hätte man doch in allen Döilern und zu jeder Zeit solche
achtsame Schulmeister gehabt!
Das oomUnirte Interesse Hinkers an seiner Dorfjpemeinde nnd am Alter»
thnm blieb niebt ohne Frucht. Diese schätzbare Frucht ist eine handschrift-
liche ..rhrt)nik des Dorfes, der Ber^-Veste, der Kirche nnd der
Schnle Sebenstein. vertagst und geschrieben auf üi und glaubwür-
diger und urkundlich nachgewiesener Geschichtsquellen von
Leopold Hinker, Schnllehrer in Sebenstein. 1875." „Josef FeH's
gedruckte Ausgabe" wnrde diesei- Chronik zu Grunde gelegt Wir kUnnen n&a
hier nirht auf di»' näheren Details dieser Arbeit einlassen, besrnüiren nns viel-
nielir, die P'achnuüiner auf dieselbe aufhierksam gemaeht zu tiaben. Wir er-
wälinen nur, da^ die Burg, um 1(^ erbaut, eine reiche Geschichte hat, und
dass das Gapitel „fiber die Schnle*' viele interessante, oft dSstere Streiflichter
auf die friihere Lage der Lelirer, besonders in den ersten Decennien unseres
Jahrhundert«, wirft. Eine elii-onologif^che Tafel, von 17119 — 1809 reichend,
ehie „Häusf rbHsehreibunp" vom 2. November 1809 und eine t'bersicht über
die i>chuler/,ahl an der Dortschale, von 1835 — 76, sind der Chronik als wert-
voller Anhang beigegeben.
Wir glauben, dass diese stille nnd elIHge ThStigkeit eines Dorftchnl-
nieistn^ keiuer weiteren Interpretation unsererseits bedarf. 8e. Majestät der
Kai.ser hat dem elirwürdie^en Greise zur l'ensionirung das silberne Verdienst-
kreuz mit der Krone verliehen. Wie aber im allgemeinen bei der Umgebung
eines H^isdien selbst die geringsten Schwachen eher wabiguMMunen werden
als die grttfiten Vorzüge, so hat Hinkers Name bei der boMMiiliarten Lehrer^
Schaft nicht überall den verdienten Klang, ja, man findet den bescheidenen,
aber ernsten Greis eher „eingebildet'' als verdienstvoll. Wir aber können
ihm nur Recht geben, wenn er. im Hewnsst^ein seiner gut verwendeten Lebensr
adt nnd seiner ideslerm Bichtung nicht gemeiittdHiftliche Sache maeht ndt
jenen seiner Standesgenossen, welchen eine allabendliche, 3 — 4 stilndige „Zer-
strenong'' im Gasthans mehr Bedürfnis ist, als die edle. * rnsteGeistestliätigkeit.
Hinker hat viel gearbeitet und — wenn sich alle Lehrer anf dem Lande
an ihm ein Beispiel nehmen — uucii mehr geleistet!
VatiBtirortliober BedMtenr: M. 8t«iB. Baehdruduni Jnliua Klinkhardt, Latpcif.
. j . . .. I y Google
Kritik der (ieistersekereL
Mach iMMmel Kant« Schrift: „TrXume eines 6eisteraek«n, erlftvttrt
durch TrÄnme der Metaphysik.-
I
Einleitiing.
Im o. Buch Mose, Cap. 18, Vers 10—13, heißt es: „Dass nicht
anter Dir gefunden werde, der seinen Sohn oder Tochter durchs Fener
gehen lasse, oder ein Weissager, oder ein Tagewähler, oder der auf
Vogelgeschrei achte, oder ein Zauberer, oder Beschworer, orler Wahr-
sager, oder Zeichendenter, oder der die Todten frage. Denn wer
solches thut, der ist dem Herrn ein Grenel, imd um solcher
Greuel willen vertreibet sie der Herr, Dein Gott, vor Dir her."
Im Sinne dieses (.-rebnte«? verbannt Saul, so lange er ein Mann Gottes
ist, aUe Zauberer aus dem Lande; als fv :iljer gefallen ist, begibt er
sich heimlich zu der Hexe von Endor und lasst sie den Geist Samuels
heschwören, um ihn über die Zukunft zn befragen. So verwirft schon
das alte Testament mit klaren Worten den Unfuj? der Geist erseherei,
weicher das mensohlii he Gemiith den {»hantastischen Zügellusigkeiten
der G^espensterfui'cht zum iiaube werden lässt.
Weil in -der Gdsterseherei der Mensch den lichten Pfad natürlich-
caualer Erkfflmtirig verlässtf auf dem aUein die Menschheit znr HOhe
dner objectiven, wfaseiiseliaftlidionfirftssnng derEradieinangen empor-
Uonun, vid in die Abgründe mittelalterliclien Zanberwesens znraek-
fiBt, 80 mnss jeder Yersach dar Wiederbelebong der Geisteraelierei
ab ein Verbreclien gegen miser Cnltmrleben betrachtet nnd mit der
gannen Wncht atttUcher ESntrQstang bekftmpfb und abgewiesen werden.
Es ist ein schlimmeB Zeichen der Zeit, wenn selbst Ton MAnnem,
doren Geschäft sonst die Gtespenster Terschencliende Wissenschaft IM,
die Qeisterseherei, oder wie man es heute Tomehm nennt, der Spiri-
tismus, betrieben, gefördert, Ja als ein neuer Qnell höherer Offenbarung
gepfüsen wird. Solche Verirmngen stellen sich würdig den Ver-
*) Gehalten am 12. Januar 1882 im „G^einntttzigieii Verein** zu Dresden.
PsAifOsiBiB. 6. Jahf«. Heft II. Ö
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^ftndigangen .gegen den Geist der Henscfaheit an die Seite, welche
einen Lessing brandmaricen, weil er den Geist wahrhaft dnldsamer
BeMgiösität gepredigt habe, und welche in Goethes Faust nur eine
„antichristliche Lüge'' finden, da es FaoBt „an der Gottesfurcht fehle^
wdche aller Weisheit Anfang ist", und Faust ,,den geöflheten Annen
seines auferstandenen Heilands den RQcken drehe**. Angeekelt von
solchen Ausgeburten unphilosophischer Geistesleere, die glvi liwol ilir
Publicum finden, muss man sich selbst immer wieder an den Werken
der fn*oßen Genien unseres Volkes erquicken und amlere an die
Quellen peistig-er Erfrischung hinanfüliren. Wir pflegen zu unserer
leiblichen Kriifti^ninjj: (iebirgsreisen zu unternehmen: unsere <rroß«'n
Denker und Dichter sind «:eisti£re Riesenber2:e, welche ihr Haupt
bereits im <i:oldi;reu Ätherglanz baden, wenn unten im Thal noch tietVs
iJuiikel herrscht, und noch im Piirpurlichte glühen, wenn unten die
Nacht bereitb wieder eiuL^- tu . , iien ist; die stählende Luft, weklie sie
umweht, weitet die Brust d«ier, die sie aufsuchen, und die, welche
in ilir athraea, geue&en vou den giftigen Ansteckungen der Niede-
rungen der Geistlosigkeit.
Auch die GeLsterseherei ist von einem der grüßten unter unseren
großen Denkern bereits mit kräftigen Bannsprüchen belegt worden.
Der mittelalterlidie Nekromant erhob gegen finstere M&chte^ sie zu
beschworen, sein Zanberbneh. Auch wir besitzen schon lange ein
Zanberbnch, das alle Geister bannt» nnr mit dem Untei-schied, dass es
gegen tollen Wahn nicht unsinnige Zaubersprüche wendet, sondern
ihn mit dem Sonnenlichte kritischer Erkenntnis verscheucht Dieses
Zanberbneh ist Immanuel Kants Schrift: „Träume eines Geister^
Sehers, erläutert durch Träume der Metaphysik**,, klein zwar
dem Umfang, aber reich dem Inhalt nach, denn sie bietet alle Haupt-
gedanken dner Kritik der Geisterseherei dar, und mit Becht sagt
yon ihr Karl Bosenkranz, einer der Herausgeber äet Kantischen
Werke: „Wenn man Kants so wol geschriebene und so wol begrün-
dete Abhandlung liest, so möchte man, angesichts der Aufregung, die
in unserer Zeit ähnliche Zerrbilder der absoluten ^^'ahrheit gemacht
haben, den einfachen und wolfeüen Wiederabdruck so classischer
Schriften als Gegenmittel wünschen, denn solche Dinge sollten
endlich auch einmal für aUenud geschrieben sein können.*"*)
*) Dem Wunsche Boteakraiis* ist Obiigens in neuester Zeit genügt worden,
insofern die Eantiacbe Schrift, herausgegeben von Karl Kehrbach, in der Beclnm-
schen üniversalbibliuthek für wenige Groücben na haben ut.
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— 69 -
IL
Die Entstehung der Schritt.
Die Yeranlassimg zur Ab&ssnng der Schrift erwnclis Kant aus
einer Erscheinung^, welche ihrer Zeit ein ungewöhnliches Aufsehen
hervorrief. Man sieht im und am sogenannten Aufklärongszeitalter
gewöhnlich mehr das Licht, welches gebracht, als die Finsternis,
welche verjag-t wurde. l^iV Voraussptzung: drr Aufkläning- der Geister
ist aber otfenbar die Dunkelheit derselben mid wenn man nicht be-
denkt, dass gerade im Zeitalter der Aufklärung die 3felirzahl der
Zeitgenossen sieh noch in geistii^er Nacht befand — waren doch erst
kura vorher die letzten Hexen verbraunt — , so würde es iinprkläj-lieh
seiu, warum <rerade in diesem Zeitalter zwei der är«^sten <ieisterselier
an ihrem zahlreichen und gläubigstauueuden Publicum den Satz: „Die
Welt will betrogen sein" — wieder einmal zur Wahrheit machen
konnten. Es war der im Jahre 1743 zu Palermo geborene Abenteurer
Giuseppe Palsamo. der unter dem Namen eines Grafen Cagliostro als
Geisterbeschwörer ziiiiittl die vornehme Welt Kuropas in starrende
Bewunderung versetzte. In Rom als Freimaurer zu lebenslänglichem
Kerker verurtheilt, starb er im Jahre 1795 im Fort S. Leon. Sein Thun
nnd Träbm gab Schüler doi Anstoft zu seinem nnrollendelffli
Bernau „Der Geisterseher^ und Goethe den Stc^ au seinem Schau-
spiele: „Der Großcophta." Aheat der ».Erzgeisterseher und Erzphantasf*
war diesmal kein feuriger Südländer, sondern ein Mann des kflhien
Nordens, Emannel von Swedenborg, der im Jahre 1688 zu Stock-
holm als der Sohn eines Bischof von WestgotUand geboren wurde
und bis xum Jahre 1772 lebte. Es muss gleich Yorausgeschiekt werden,
dass Swedenborg sich darin durchaus zu seinen Gunsten von Cagliostro
unterschied, dass letzterer ein abgrfeimter Schwindler, ersterer dagegen
ein im guten Glauben sich selbst betr&gender Schwärmer war, dessen
sittlicher Charakter im übrigen unanfechtbar ist Nachdem er sich
in seiner Jagend dem Studium der Mechanik und Physik gewidmet
hatte, wurde er im Jahre 1716 beim schwedischen Bergwerkscollegium
als Assessor angestellt. Als sich aber das Täterliche Erbt heil des
theologischen Sinnes immer stärker in ihm regte, gab er sein Amt
auf, um sich ganz seinen theologischen Grübeleien in die Arme werfen
zu können. Diese brachten ihn bald zu dem Glauben, dass er in
ununterbrochenem, innig:em Verkehie mit Geistem stehe, welche ihm
fib^r <lie verb(n'j,'('nsten (Geheimnisse des Jenseits und Diesseits die
zuverlässigsten Aufschlüsse gäben. In seinen Werken veröffentlichte
5*
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er diese Nachiichten aus der Geisterwelt und erwarb flieh damit eine
große Anhängerschaft Die Swedenborgianer bildeten sogar eine
religiöse Secte, welche noch heute, besonders in England und Amerika»
Bestand hat.
Haaptsächlich drei Gescliichten, welche über Swedenborg im Um-
lauf waren, riefen das lebhafteste Interesse des Publicoms wach. In
Stockholm war der holländische Gesandte, ein Herr von Marterille,
gestorben. Ein Goldschmied, namens Oon, überreichte der Witwe
eine Kechnung über ein geliefertes Silbersei'vice. Die iran. welche
die Pünktlichkeit ihit- Mannes in Geldangelegenheiten kannte, war
fest überzeng't, daKs die Forderung des Goldschmieds längst befrlirhen
war; iiiiirsveii konnte die C,>uittuT)'^ nicht aufweisen. In ihrer \ er-
iegeülieit, lia eis sicb um eine l>edeuteude Summe handelte, wendet sie
sich an Swedenborg mit der Bitte, bei seinen Geistern darüber Xacli-
forschnng anzustellen, und dieser theilt ihr schon nach wenigen Tagen
mit, dass der von ihm befragte Geist ilirt.^ Alaune» ein geheimes Fach
eines Schrankes in einem Zimmer des oberen Stocks als den Ort be-
zeichnet habe, wo die Quittung eingeschlossen liege. Alles fand sich
so, wie Swedenborg es beschrieben hatte, und der Betrüger konnte
heaehämt und abgefertigt werden. Die Königin yon Schweden, welche
Ton der G«schickfte hörte, berief Sw6denb<«g m sieh und legte ihm
eine Frage tot» wekhe wter den Lebenden Bienaiid außer ihr beant-
irorteii konnte. Swedenborg erhielt tos seinen Oeisteni die richtige
Antwort nnd brachte sie der stannenden Königin. Ak Swedenborgf
von liondon kommend, in Gotheaborg gehAdet war, folgte er der
Binladnng eines ihm befrenndeten Eanfmannes zn einer AbendgeseU-*
schalt In derselben gevftth er ^(Madich in heftige Erregung nnd
meldet den Anwesenden, ^e ihn bestfirst um die Ursache seiner Yer-
indenmg befragen, dass hi (dem 60 Meilen entfernten) Stockhohn
soeben eine Feuersbrunst ausgebrochen sei. Er beschreibt den Fort-
gang des Brandes, der den ganzen Stadtthett Sildennefan in Asche
lege nnd — seine Mittheilungen werden zwei Tage später durch
einen von Stockholm kommenden Courier bestätigt.
Bei dem Aufsehen, welches jene Visionen Swe<lenborgs hervor-
riefen, konnte es nicht ausbleiben, dass Kant, der damals schon be-
rühmte Philosoph, von seinen Freunden um seine Meinung über diese
seltsamen Vorgange befragt wurde. In einem Briefe an Fräulein
Charlotte von Knobloch berichtet er dieser Dame die obigen Ge-
schichten, wie er sie gehört habe, ohne ein ml gütiges IMheil darüber
zu fiUlen. „Ich warte'S schreibt er, „mit behusucht aoi das Bach,
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da» Swedenborg in London herausgeben will. Es sind aUe Anstalten
gemacht, dass ieli so bald bekomme, als es die Presse Terlassfla
haben wird.'' £r gibt endlich sieben Pfand Sterling für die Werke
Swedenborgs aas, liest sie nnd schreibt, um das Drängen seiner
Freunde zu stillen, im Jahre 1766 jenes Schriftchen, in dem sich
heiterster Humor und durdidring'ender Scharfsinn g-egenseiti": über-
bieten. Ein Vorbericht, der sehr wenig für die Ausführung ver-
spricht, sagt uns gleich, was wir in dem Büchlein zu erwarten
haben: „Da es ebensowol", schreibt Kant, „ein dummes Vorortheil
ist, von vielem, das mit einigem Schein der Wahrheit erzählt wird,
ohne Gnind nichts zu ghiubeu, lals von dem, was das gemeine
Gerücht sagt, oiiue PHifnng alles zn glauben, so ließ sich der Ver-
fasser dieser Schrift, um dem ersten Vorurtheil auszuweichen, zum Theil
von dem letzteren fortschleppen. Er bekennt mit einer gewissen De-
müthigung. dass er so treuherzig war, der Wahrheit einiger Er-
zählungen von der erwähnten Art nachzuspüi'eu. Er fand —
wie gemeiniglich, wo man nichts zu suchen hat — • er fand
aklits. Nun ist dieses ^wol an sich selbst schon eine hinlängliche
ürsaehe, etn Buch m Bchretben; allein es kam noeh da^nige hlnzo,
was beaeheldenett Yerfossern schon metannalen Bflcber abg ednmgen
liAt, das nngestttme Anhalten bekannter und unbekannter Freonde.
Überdem war ein groftes Werk gekauft, und welches noch seUfanmer
ist, gelesen worden, nnd diese Mflhe sollte nicht Terloren stin. Daraas
entstand ntin die gegenwärtige Abhandlung, welche, wie man sich
schmeichelt, den Leser nach der Beschaffenheit der Sache völlig
befriedigen soll, indem er das Tomefaxuste nicht verstehen, das andere
nicht glanben, das übrige aber belachen wird.**
m.
Die Theorie der Geisterseherei
Um zunächst die Theorie Swedenborgs kennen zu lernen, machen
wir „die ekstatische Reise ein^ Schwärmers durch die Geisterwelt"
mit. Kant wird dabei unser Führer sein; manche sarkastische An-
merkung hei s^-in*'!! Erklärungen werden wir ihm allerdings zugute
halten müssen, \\tnn '^iele Schriftsteller, meint Kant, darin (rroßes
geleistet haben, dass sie bei der Ausar))eitting ihrer Werke ihren
Verstand nicht anwendeten , so hat Swedenborg in dieser Bexi' huu^r
jedenfalls da? Größte gclnisirt. Ariost erzählt. |in der Mondeuwelt
standen Flaschen, angefüllt mit der Vernunft, welche manche Mensclien
auf der Erde verloren haben; wenn dem so ist, meint Kant, so ist
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— 72 —
Swedenborgs Flasche jedenfalls ganz voll. In fleckigen Marmor und
Tropfsteingebilde kann man alles Mnp^liche liineinphantasireB ; aber
man erblickt darin nur die Phantasien, welche man selbst schon im
Kopfe trug. So hat auch Swedenborg nur die Phantasien geschaut,
welche bereits in seinem Kopfe spukten. Seine Werke bilden acht
Quartbände — „voll ünsinn". Al)er Kaut will „die Quintessenz des
Buches nur auf weni^ti Tropfen luuigen*'; der Leser wird ihm dafür
dankbar nein, wie jener fieberkranke Patient es s»^inem Ar/te dankte,
dass er ihm nur die Rinde vom Cliinabaum zu verschlucken gebe,
während er ihn doch leicht hätte zwingen können, den ganzen Baum
aufzuessen.
Seine Gesichte tlieilt Swedenborg in drei Classen ein: erstens
in solche, welche er hatte, als er vom Körper befreit war, d. h. sich
in einem Znstande zwischen Schlafen und Wachen befand und in die-
sem die Geister nidit blos sab und hörte, sondern sogar ftthlte;
zweitens in solche, die er Iiatte, als er vom Geiste entfOhrt wnrde;
in diesem Zustande geht er s. B. anf der Straße, ohne sieh über seinen
Weg sn irren, sieht aber gleichwol im Geeiste ganz andere, ferne,
fremde (Segenden, Menschen nnd Ereignisse, als sich in seiner unmit-
telbaren NShe finden; drittens in solche, die er täglich im Wachen
hat, wo er die Geister in ihrem Thnn nnd Treiben fortwährend schant
nnd beobachtet
Wie kommt es aber, dass allein Swedenborg von diesen Gesichten
heimgesucht wird, während doch andere Menschen nichts davon vez^
spüren? Diese Frage beantwortet seine Theorie. Nach dieser stehen
alle Menschenseelen als Geister mit dem gesammten Geisterreiche in
Yerbindnng, wie umgekehrt dies^ mit d&i Menschenseelen, und diese
letzteren werden in all ihrem Thnn und Denken fortgesetzt von den
Geistern beeinflusst, wie andererseits die Geister in ihrem Denken
nnd Handeln auch von den Menschen. Aber beide Theile wissen
davon gar nichts. Die Menschen glauben alles nur aus sich und
ihrem eigenen Antriebe zu vollbringen, und die Geister befinden sich
in demselben W ahne. Diese T^nkenntnis ihres wahren Zustandes auf
beiden Seiten hat s^mpn Grund darin, dass das Innerste der Men-
schen nicht aufgetliiin ist. Das Innerste der Menschen ist dunkel
und verworren; so vennogeu die Mensclien nicht, die Geister zu
schauen. Und die Geister können nichts in de« Mensclien schauen,
weil in der Menschenseele alles dunkel ist. So wissen beide nichts
von einander, obgleich beide tortgesetzt in Wechsehviikung stehen.
Anders aber gestaltet sich das Verhältnis bei Swedenborg.
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— 73 —
Er ist vom Himmel als der einzige unter allen in besonderer Weise
besrim'Iet,: «ei?i Innerstes ist anftrethan. So schaut er in seiner Seele,
wie tiie Ueisler auf dieselbe einwirken, d, h. er schaut in ilir lif-
Geister selbst. Und umgekehrt: da seine Seele hell und klar ist, so
vermögen auch die Geister in ihr alles Menschliche und Weltliche zu
sehen und zu lesen; sie sind daher ebenso begierig, in der Seele
Swedenborprs, der also nach heutigem spiritistischen Ausdrucke ein
Mediuia ist, die Geheimnisse der Menschenwelt zu entdecken, als er,
von ihnen sich die Käthsel des Geisterreichs lösen zu lassen.
Warum aber schauen die Geister die Welt, und die Menschen
die Geister nidit nnmittelbar an? Warum mOssen die Geister erst in
den Seelen der Menschen und dnrcb diesdben sich Beldurang veiv
schaifen? Und wamm kann ein Mensch, wenn er wie Swedenbotg
erleachtet ist, die G^ter auch nnr in dem Innersten seiner Seele
schanen? Die Geister sind immateriell, die Welt ist materiell;
beide Ulden zwei Gegenefttee, welche sich vOUig ausschließen und
zwischen denen keine unmittelbare Verbindang stattfindet Der Mensch
aber steht in der Mitte als ein Mittleres nnd daher als Yeimittler,
insofern er seinem Körper nach der materiellai Welt, seiner Seele
nach der immateriellen Geisterwelt angehört So ist es klar, dass
kein Mensch mit seinen materiellen Augen die Geister sehen kann,
sondern sie nnr innerlich, seetisch zu schauen vermag. Und ebenso
leuchtet es ein, dass die Geister nicht materiell erscheinen und die
materielle Welt unmittelbar wahrnehmen können, dass sie vielmehr
nnr in den menschlichen Seelen durch ihre Einwii*kungen auf dieselben
sich den Menschen olFenbaren und alles Weltliche auch nur durch
das Medium der menschlichen Seelen erfahren können, natttrlirli mich
nur dann, wenn eine Menschenseele, wie die Swedenborgs, in ihrem
Innersten aufiorethan ist. Und gleichwol, so erklärt Swedenborg weiter,
koanen die Geister in den Menschenseelen nicht in ihrer ureigensten
Wesensfoni) ftscheinen, sondern auch nur in solchen Formen, weiche
der Mens heil seele ei«:enthümlich und geläufig sind. So haben die
Geister an sich nicht etwa Menschengestalt oder reden eine mensch-
liche Sprache oder wohnen in materiellen iiaunieu, und doch erschei-
nen sie in Swedenborgs Seele in Menschengrestalt, unterhalten sich mit
ihm in schwedischer Sprache, und er schaut sie wandelnd üi Gärten,
Arcadeu und Gallerien als iu ihren Wohnsitzen, obgleich sie deren
an sich doch nicht innehaben.
Jede menschliche Seele nimmt schon bei Lebz^ten des Körpers,
wie jeder Geist, einen genau bestimmten Fiats in der Geisterwelt ein,
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nng-eaciitet die Menschen von dieser ihi> i- '^omeinschaft mit der Geister-
welt nichts %vissen. Damit ist aber nii ht i: - s igt. das5 Menschen, welche
auf Erden unmittelbar 7ii?jammen leben , deshalb auch in der (Tt-)>irr-
wt'it Nachbarn wären. Dort köimeu sie J^ich vielmehr f2:anz lern J?teheii.
denn nicht auf räumliche Verhältnisse k unrnt es im Ileiche des Tni-
materieUen an, welche auf dasselbe ulierhaiipi keinen Bezner lial»en,
viehnehr ledigrlich auf die innere Verwandtschaft der Seelen. Die sich
hier räumlich nahe stehen, kuunen sich dort ganz fem sein, während
ein Bewohner Indiens, wenn er mir nur seelenverwandt ist, dort mein
Nachbar ist Innere Seeleiiihnlichkeit wird dort wie rftamliche Nähe,
geistige YenehkdeiilMit wie rftnmlidie Feno emptmAea. Welcben
bestimmteii Plitz dne Seele in der Geisterwelt eimümmt, das erkeimt
sie erst, wenn sie im Tode ihren sterblichen Leü) verlassen hat
Aach der Verkehr der Geister untereinander ist ein rein geisti*
ger und immaterieller. Die Geister schnuen und lesen ohne stoffliche
Organe oder stoffliche Yennittehingswege alle ihre Vorstelhmgen un-
mittelbar ineinander. Ein Geist braucht a. R nur in dem GedAcht-
nisae eines vom Satnzn staaunenden anderen Geistes in lesen, um
sieh über die, auf jenem Qegtam herrschenden Verhiltnisse m nnter-
richten, als wäre er selbst dagewesen.
Immer diejenigen Geiste, welche durch ihre innere Sedenm-
wandtschaft sich nahe stehen, bilden eine relativ in sich abgeschlo.^^f^ene
Gruppe oder Gesellschaft, nnd zwar erscheint eine solche Oesellschaft
Swedenborg äußerlich untei der Gestalt eines menschlichen Organis-
mus; die einzelnen Geister bilden p^ewissermaßcn die Glieder, welche
den Geistergesellschaftsleib zusammensetzen. Alle diese einzelnen, aus
Einzelgeistern liestelienden. geisterhaften Menschengestalten setzen sich
abni- wif'denim zu einer einzigen, unendlich riesenhaften Gesammt-
g« i>t( riiirM^i h, norestalt, zu dem _[?r>ilUHn Menschen** zusammen, in
weichem jede Alenschenseele und jeder (reist, wie etwa jeder Stein in
einem riesigen Thnrme, ihren festen umi unverrückbaren Platz ein-
nimmt, „eine ungeheure und riesenmäLUge Phantasie**, meint Kant,
r.za welcher sich vielleicht eine alte kindische Vorstellung ausgedehnt
hat. wenn etwa in Schulen, um dem (Gedächtnis zu Hilfe zu kommen,
ein ganzer ^^"clttheiI unter dem Bilde einer sitzenden Juiigirau und
dergleichen den Lelirlingeu vorgemalt wird."
Das ist in der Kürze die Theorie Swedenborgs, and ich mfe aiit
£ant: „Ich bin es mtde, die wildai Himgesphiste des ärgsten Schwiiv
mers nnter allen an eopiren, oder solche bis za seinen Beschreibungen
^m Znstande nach dem Tode fortansetaen." Kant hat aber dabei
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noch eine andere und sehr berechtigto Bedenklielikeit „Denn'*, sagt
er, „obgleicli ein Natnrsanmiler unter den piftpaiirten Stücken thie-
rischer Zeugnngen nicht nnr Mdcbe, die in natfliUdier Form gebildet
gind, sondern anch Hissgeburten in seinem Schranke au&tellt, so mxm
er doch behutsam sein, sie nicht jedermann und gar zu deutlich sehen
zn lassen. Denn es könnten nnter den Vorwitzigen leichtlich schwangere
Personen sein, bei denen es einen schlimmen Eindruck machen dürfte.
Und da bei meinen Lesern einige in Ansehung der idealen Empfängnis
ebenso wol in anderen Umständen sein mögen, so würde es mir leid
thun, wenn sie sich hier etwa woran sollten versehen haben. In-
dessen, weil icli sie doch gleich anfang's grewarnet habe, so st*'!if' ich
für nichts, und hoffe, man werde mir die Afonrlkälber nicht aufbürden,
die bei dieser Veranlassung von ihrer ü'uchtbaren Einbildungskraft
mdehten gebor*' n wrnlon."
Kant«? Kritik dvi dt istei st hcrt i zei tallt der Haui>lsai he nach in
drei Theile. Zuerst stellt er sicli viillijjr auf den dog-matischen Stand-
punkt, welcher das Bestellen einer Gemeiuschalt zwischen Geisterreich
und Menschenwelt als sicher bewiesen annimmt, und entwickelt die
Conse(iLiL'iizen, die aus einer solchen Gemeinschaft eiitspiinsren müss-
ten. Diese Consequenzen erweisen sich aber am Ende als Ungeheuer-
bchkeiten, welche gegen die dogmatischen Begriffe einer weisen und
göttlichen Weltregiemng selbst Terstoßen, so dass damit die Annahme
einer sdcfaeii Gemeinschalb sieh als mgereimt herausstellt (Bednctio
ad absoninm}. Nnn erst wendet Kant sveitens seine eigenthfimliche
kritisehe Methode an; er nntersneht den Begriff eines Golstes nnd
-wiift die Frage anf , was wir thatsftchlicfa von dem Wesen eines
Geistes wissen md wissen können. Unser wirkliches Wissen — so
lautet das Ergebnis der Untersuchung ist nnd bleibt hier gleich
Null, 80 dass damit die vorher noch beibehaltenen dogmatischen An-
nahmen ttber das Wesen der Geister sieh nunmehr anch als inhalts-
leer erweisen. Endlich aber drittens weist Kant nach, dass man
inr Erklftmng der Geisterseherei ttberhanpt gar nicht einmal nöthig
habe, die objective Existenz von Geistern anzunehmen, dass vielradir
die thatsächlich vorkommende Geisterseherei sich aus rein subjectiven,
physiologischen und psychologischen Zuständen des geistersehenden
Individuums ableiten lasse, womit die Geisterseherei als eine ])sycho-
logische Thatsache lediglich aus immanenten Gründen ihre natürlich©
Erklärung findet, ohne dass man zu <?eheinmisvollen Einflüssen räthsel-
hafter, transscendenter Wesen zu greifen braucht.
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— 76 —
IV.
Die dogfiDatische Widerlegung der Geister seh er ei
Den Nachweis der Ungereimtheit der Geiüiterseherei vom dogma-
tischen Stanilpuiikt aus enthält der Abschnitt, welcher die Uberschrift
trägt: ^Ein Fragment der geheimen riiilosophie, die Gemeinschaft
mit der Geisterwelt zu eröflftien."
Ximmt man eioinal das Dasein einer alles umfassenden Geister-
welt an, so ist es nicht nothwendig geboten, die Theilnahme an der-
selben nur auf die Seelen der Menschen zu beschranken; vitlmthr
stellt sicli nichts der Wahrscheinlichkeit eni^^egen, dass in dieser
Geisterwelt das Geistige aller beseelten Wesen, also auch der Thiere
und Pflanzen enthalten ist. Ei*st unter diesem Gesichtspunkt erweitert
sich der Begriff eines Geisterreiclis za einer wahrhaft einheitlichen
Gemeinschaft aller Geister.
Wo aber befindet sich diese Geisterwelt? Man sagt, im Himmel,
und pflegt dabei in Gedanken diesen Himmel länmlich über sich zu
verlegen; dieser volksthtimlichen Vorstellung liegt indessen eine ganz
falsche Annahme zu Grunde. „W^enn man", sagt Kant, „von dem
Hünmel als dem Sitze der Seligen redet, so setzt die gemeine Vor-
steilluiig ihn gerne Uber sich, hoch in dem nnenneBslichen Welträume.
Um bedenket aber nicht, dass unsere Erde, ans diesen Gegenden
gesehen, anch ab einer von den Sternen des Himmels erscheine, nnd
dass die Bewohner anderer Welten mit ebenso gutem Grunde nach
uns hinzeigen können, und sagen: Sehet da den Wohnplatz ewiger
EVeuden und einen himmlischen Aufenthalt, welcher zubereitet Ist,
uns dereinst zu empfongen. Ein wunderlicher Wahn n&mlich macht,
dass der hohe Flog, den die Holltanng nimmt, immer mit dem Begriffe
des Steigens verbunden ist, ohne zu bedenken, dass, so hoch man auch
gestiegen ist, doch auch wieder sinken müsse, um allenfkUs in einer
andern Welt festen Fnß zu bissen. Nach den angeführten Begriffen
aber wfirde der Himmel eigentlich die Gleisterwelt sein, oder, wenn
man will, der selige Theil derselben, und diese würde man weder
über sich noch unter sich zu suchen haben, weil ein solches immate-
rielles Ganze nicht nach den Entfernungen oder Nahheiten gegen
körperliche Dinge, sondern in geistigen Verknüpfungen seiner Theile
untereinander vorgestellt werden muss, wenigstens die Glieder der-
selben sich nur nach solchen YerhiUtnissen ihrer selbst bewusst sind.**
Mit einem Worte, die Verhältnisse und Beziehungen eines materiellen
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Baumes darf man auf das Greistonreißh, welches als ünmaterieU allen
Bestimmnngep des Stofflichen entnommen ist, dnreliaiiB nicht ttbei^
tragen.
Ist denn aber ttberhaiipt die Existenz einer Geisterwelt sicher
bewiesen? DarauSt dass wir denken, sie existire, folgt nocli nicht»
dass sie existirt. Auch ist der Gedanke der Existenz eines Geister-
reichs für die Menschen keineswegs ein absolut nothwendiger Gedanke,
den jeder vne eine angeborene Idee an verlierbar haben müsste, denn
Tiele Menschen hegen den Glauben an das Dasein einer solchen Geister^
weit gar nicht. Aber wäre diese Idee auch eine für alle Menschen
noch so nothwendige — die Existenz eines dieser Idee entsprechenden
Seins wäre auch damit noch nicht bewiesen. Nothwendiges Denken
und nothwf'Tidi^res Sein außerlialb des Denkens decken sich keines-
wegrs. \\'enn ich mii' in meiner Phantasie auch noch so deutlich einen
Engel vorsteile, so folgt, daraus noch nicht, dass auch außerhalb
meiner Phantasie ein wirklicher Kno-el existirt. sowenig wie die
Existenz t iiies Ceiuaincn oder einer Sphinx an< dem «redachten Be-
frritfV Jri>elben sich er^iltt. Aus dem bh^Üen Gedankenbild einer
Geisterwelt ist das Dasein derselben also in keiner Weise schon zu
erschUeßen. Die thatsäcliliche Existenz einer (reisterwelt ließe sich
nur aus der unmittelbaren Anschauung und Erlahrun;:^ derselben
beweisen, und so nuiss demnach die Frage aufgeworfen werden:
Gibt es Erfahrung-sbeweise für das Dasein einer Geisterwelt
und für das Bestehen einer Gemeinschaft zwischen Geisterreich und
Menschenwelt ?
Sichere Erfahrungsbeweise wären nui- die, durch welche jederzdt
allen Menschen die Existenz der Geister, über allen ZweiM erhaben,
klar nnd deutlich asur Anschauung gebracht werden könnte. Die
meisten Kenschen shid aber weit davon entfernt, jemals Geister gesehen
zu haben oder zu sehen. Einige Menschen aber, welche behaupten,
Gebtererscheinnngen gehabt zn haben, können nicht als nnantastbare
Er&hmngszeugen gelten, zomal nachweisbar so h&nfig Sinnestänschong
nnd Betrag auf diesem Gebiete 'sich geltend macht Wenn alle Men*
sehen fortwiHhrend mit der Geisterwelt in Verbindung stehen, so moss
der Umstand, dass die Geisterseherd nicht eine ganz allgemeine nnd
gewöhnliche Ertahrangsthatsache ist, sogar sehr befremden, nnd, wie
Kant sagt, „das Außerordentliche betrifft fast mehr die Seltenheit der
Eischdnongen als die Möglichkeit derselben." ErfahmngsbeweiBe aus
unmittelbarer Anschanung lassen sich also nicht erbringen, und Kant
versucht daher, eiuige eigenthümliche Thataachen aus dem Bereich
m
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des menschlichen Denkens und Wollens als Beweise philosphiseher.
Art für das Dasein der Geisterwelt geltend zn machen.
Es tritt uns zunächst eine Thatsache aus der Sphäre des mensch-
lichen Verstandes entgegeiL Wenn jemand etwas als wahr oder als
falsch erkannt hat, so gibt er sich nicht damit zufrieden, diese iCr-
kenntnis nur für sich still im Busen zn wahren; vielmehr waltet in
ihm der unwiderst^üiche Trieb, auch anderen seine Gedanken mitzu-
theilen. Es ist ihm auch nicht gleichgiltig, ^ie andere dieselben
beurtheilen, sondern er sucht Zustimmung und wird schmerzlich im
Innern bewegt, wenn diese ihm verweijrert wird. Dies zeigt deutlich,
dass kein einziger Menschengeist ein für sicli allein Selhststfindiges
imi\ in sich Abgeschlos;senes ist, noch dasH er sich als ein solclies
unabhängiges Wesen fühlt — \ielmehr i<!t er ini'1 tTihlt sich abhänsrii?
von allen übrigen Menschens'eisteni. '^n sind deiiinach die einzelnen
Mensrhen sreifter wol nur Theile eines ü»-i>!i^'en (ranzen, welches wir
als den allirenHM'nen iiif usclilichen Verstand bezeichnen künuen.
T^nd wenn nun diese Ertaluungsthatsache die Existenz eines allgemei-
nen Zusammenhanji^s aller Menschen geister walirscheinlich macht, sollte
man da nicht berechtigt sein, auf einen noch weiter gehenden Zu-
sammenhang aller Geister überhaupt, d. h. auf die Existenz einer
Geisterwelt schließen zu dürfen?
Fast noch stärker tritt dieselbe geistige Thatsache im Gebiete
des sittlichen Willens und des Gewissens hervor. In all unserem
moralischen Thun und Lassen fühlen wir uns jederzeit abhängig von
der Billigung und Missbilligung unserer Mitmenschen. Wer hfttte die
eiserne Stirn, sich aliein als das einzige Gesetz der Benrtheflnng seiner
Bondlnngea anzosdien? Jeder fBrchtet und scheut die Stimme der
MenscheEwelt. Der Menschengeist steht mithin im moralischen Ge-
biete ebensowenig wie im inteUectneUen nnr anf sieh, sondern erweist
sich anch hier als ein abhängiges Glied in der Kette. Aber die Hin-
veismig^ anf einen Znsammenbang mit einer jensdtigen Geisterwelt ^
scheint gerade im sittlichen Gebiete noch viel dentlicher heryonm-'
treten als im Felde des Verstandes. Denn hat ein Mensch auch in
tiefeter Terborgenheit, ond vOUig sicher vor Entdeckong durch Men-
scfaenwitz, eine schlechte That begangen — eine fiirchtbare, geheime
Macht in seinem Innern, sein Gewissen, erhebt gleiehwol, laut und
nnerstickbar, ihre Stimme und spricht ihr Verdammnngsnrthefl ans.
Woher dieser Wehemf Aber ihn in seiner tiefet^ Seele? Dentet ihr
itthselhaftes Wesen nicht anf einen geheimnisvollen Ursprung, ihre
Geisterstimme nicht auf eine Geisterweit hin, welche alles sieht ond
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bSft» und deren Einflüsse kein Menacb sich jemals zu entziehen ver-
mag? Aus der Existenz des Gewissens scheiiit also ein hober Wahr-
scheinlichkeitsbeweis für das Bestehen einer moralischen Einheit
aller geistigea Wesen, einer Gemeinschaft xwiaclien Geister- mid
HeBBchenwdt zn erwachsen.
Ein dritter philosophischer Beweis für das Dasein eines Geister-
reichs könnte endlich noch in dem (Jmstande gefunden werden, dass
allein dnrch die Annahme desselben jener ungeheure Widerspnich
einen Ausg'leifh fände, welcher am meisten g:eeio:net ist, den Zweifel
an der Herrschaft einer gerechten, moralischen Weltordnung zu er-
wecken. Tausendfach zeigt die Erfahrung, daSvS der Gute in diesem
Lebeu eine Fülle des Leidens 7A\ erfragen bat, der Böse dagegen im
t'berfluss des Glückes sehwinmiT. Si lilrsse sich an diese Menschen-
welt als (ii len Foilsetzüiig t ine l-reisterwelt an, kunnte in dieser
jene Ungerechtigkeit des irdischen Daseins zum Austrag gebracht
werden und als Geist jeder den gerechten Lohn oder die gerechte
Su-afe fmden. Die Gottheit muss aber gerecht sein und Gerechtigkeit
üben; in diesem Leben otfenbart. sich die gijttliche (Terechtigkeit viel-
fach nicht. So muss es ein Geisterleben geben; so fordert der Be-
grift' eines gerechten Gottes das Dasein eines Geisterreichs und das
Hineuiragtu der Menschenwelt in dieselbe.
Ohne Zweifel würde es den Hotfnungen des menschlichen Ge-
müthes die höchste Befriedigung gewähren, wenn derartige Erör-
terungen von dem Bechte Gebrauch machen könnten, strenge nnd
unangreifbare Bewdae m Min, Aber Saat Hlbet beaeidinet «e ab
Vennitbuigen und Verracbe» die „von der Efidens ireit genug ent-
ÜBrnt" sind. Jenes geistige ond nnralische Abbftngigkeitsgefihl beweist
thatsftehlioh nnr doi, aneb in allen Übrigen menscUidien Angelegen-
heiten lierrortretendeo, nnaerbrechbarenZnsanuncBhang der Menschen
nnterainandsr, der sich aber ans rein immanenten nnd ganz natOi^
liehen Unaehen sdion TaUkommen ableiten UM, nnd an dessen Er^
kUrung es der mystischen Begxilfe eines «»aligemeinen Menschen-
geästea** (der doch eben nnr ein abstracter Begriff in unserem Denken
ist, da in Wirklichkeit nnr die einzelnen Mensefaen nnd Mensehen-
gttster existaren) oder gar eines i&bemat&rliicben Zusammenhanges mit
ganz anderen als menscUidien Oeistern nicht bedai£ Was aber die
Nothwendigkeit eines Ansgieichs zwischen den menschlichoi Handlungen
nnd einer gerechten Weltordnung anbetrüft, zo Iftsst sich das Bestehen
dieser absolut gerechten Weltordnnng erfahrungsmäßig bekanntlich nicht
beweisen, wie die Existenz des Pessimismus lehrt und seine Theorie
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darlegt, und 80 könnte es anch wol sein (so wenig man es wünschen
möchte), dass es eine gerechte Weltordnung überhaupt gRv nicht gftbe
und also ein Aasgleich thatsädüich nie zu Stande käme, da alles nur
nach mechanischen Ursachen und ohne moralische Zwecke in der Welt
geschähe. Die Hoffnungen des Menschengemüthes würden dadurch zwar
gfeknickt und zertreten; was kümmert sicli aber der Sturm auf dem
Ocean um die Me?ischenlierzeTi, welche in dem vou ihm zersehlag'eMeu
Schitie zittern und zagen, bis das nasse Grab ihrem Pochen ein
islnde macht?
Mit den dogmatischen, empirischen und philosophischeTi Re weisen
für die Existenz der Geisterwelt sieiit es also in \\'alii li( it mi-;>]irh
aus. Die Annahme derselben ist also lediglieh Sache des «ilaabens.
Setzen wir «gleich wol voraus, sowol das I)asein der Geisterwelt als
auch ihre <Ten)eii)schaft mit der Menschenwelt sei bewiesen, wie wür-
den sich nun die »Deister zu der mat*iriellen Welt und den Menschen,
und umgekehrt die Menschen zu den Geistern verhalten, und welche
segensreichen Folgen würden für die Menschen aus ihrem Verhältnis
zu den Geistern entüpiingeu ?
Im Sinne der dogmatischen Lehre von Geist und Materie ;au
welelier selbst wir jetzt natürlich keine Kritik zu üben, die wir viel-
mehr, da sie die Voraussetzung der geisterseherischen Theorien bildet,
selbst hier nur in ihren Consequenzen zu entwickehi haben) bilden das
' ÜnstoffKche ind das Stoffliche zwei sich völlig anascblieSende Gegen-
sätze, welclie nicht in natürliche Wecbselwjrknng and G^einschaft
treten können. So yermOgen denn auch die immateriellen Geister von den
materiellen Dingen der Welt nichts wahrzunehmen oder anf dieselben
emznidrken, ivie umgekehrt alles HaterieUe nicht anf die Geister zn
wirk^ oder von ihnen Einwiiknngen zu erleiden yennag. So ständen
denn die stoffliche nnd die nnstoffliche Welt eigentlich in yöUiger
Gldchgiltigkeit nebeneinander, wenn nicht der Mensch als das merk-
wärdige Mittelwesen gescbalfen wäre, welches, als zogleich körperlich
und seelisch, Geist nnd Stoff in sich znr Einheit yerhSnde und den
Übergang von dem einen znm anderen darstellte: in seiner Seele, die
gewissennafien ein Gemischtes ist, steht der Mensch in Verbindung
mit dem Geistigen und dem Körperlichen. So können denn, wie bereits
Swedenborgs Theorie entwickelte, auch nur in der menschlichen Seele
und durch dieselbe die Geister von den Dingen d^ Welt etwas er-
schauen und auf sie und durch sie hindurch unter Fmstäuden jiuch
auf die übrigen Dinge Einwirkungen ausüben. Nach all diesen Vor*
Aussetzungen unterliegt nun aber das wechselseitige Sichbeeinflossen
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zwischen Geistern und Menschen offenbar der Beschränkung: dass die
Geister alle dictjenigen Yorsteliangeii in der menscMichen Seele nicht
zu erschauen und zn verstehen yermOgen, \v p1( sich auf rein ma-
terielle Dinge beziehen, und dass omgekehrt die Menschenseele, da sie
gemischter Natur und gleichsam nnrein ist, die absolut immateriellen
Anschauungen der Geister nicht in sich aufzunehmen vermag. Die
Gedanken der Geister in ihrer vollen Reinheit und Ursprünglichkeit,
in ihrer %s'aliren Gestalt und Bedeutung" ■würde der Mensch also doch
niemals verstehen können. Die Einwirkuns: der Geister vermittelst
ihrer Gedanken auf die menschliche Seele lässt sich also nur so
fleiiken, dass die reinen immateriellen Ideen der (icister zwar selbst
nicht in die Seele eintreten, dass diese Ideen aber verwandte, nach
menschlicher Art o-eniisrhte. materiell -immaterielle Phantasievorstel-
lungen erwecken, die sich zu den reinen Ideen der Deister wie an-
deutende Symbole verhalten, und aus denen der Mensch nur erst
zu errathen und zu erschiielien hat, was eigentlich die (Deister
meinen und wollen. Wie z. B. die Zeit otlenbar kein Fluss ist und
wir sie uns doch unter dem Symbol eines stetig dahinrauscheuden
Flusse^s versinnbildlichen, wie also die i*eine Idee sich hier in ein
Bild kleidet, welches uns eine Seite des Wesens der Zeit zur An-
schauung, wenn auch nicht zum klaren Besriiffe bringt, so würden in
ähnlicher Weise die Ideen der Geister in den Meuschenseelen bildliclie
Vorstellungen erregen, welche, wie Umschreibungen und Einkleiduii<,^eu,
ungefähr das aiisdrttcken, was die Geister den Menschen zum Be-
wBsstseia bringen wollen. So wttrde, wenn die Gdster in unserer
Sprache zn reden scheinen, dies doch nicht ihre wahre Sprache und
nidit das wahre Vehikel ihrer Gedanken sein; es wflrde nicht ihre
eigene und wahre Gestalt sein, wenn sie der Seele in Menschenform
erschienen; es wQrde nicht das wahre Bild der Geisterwelt sein, wenn
sich die Verhältnisse derselben als herrliche Garten, Arcaden und
Gallerlen darstellten. Anders Iflsst sich die Weise der Mittheilnng
von Seiten der Geister an die Menschen nicht denken, nnd als der-
artig stdlt sie ja anch Swedenborg dar.
Hier sind wir aber mit Kant an den Punkt gelangt, wo die ein-
fhche Frage: was non wirklich ErsprieAliches fOr den Menschen ans
dieser Art yon MittheÜungen erwachsen wflrde? die Sackgasse sehoi
Ifisst, in welche die Gdsterseherei sich verrennt. Denn es leuchtet
ohne weiters ein. dass unter so bewandten Umständen eine klare
nnd deutliche Erkenntnis der wirklichen Verhältnisse der
Geisterwelt niemals gewonnen werden kann. Denn was für
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Vorstelluiigen infolpre von Geist^ rtMii Wirkungen in der Meuchenseele
auch auftauchen mögen, es sind und bleiben doch immer nur andeu-
tende Symbole, gewissermaßen nur Darstellungen in Bilder- und
Knotenschrift, deren wahren 8inn wir nicht entzillern können, weil
uns der Schlüssel dazu. d. h. der reine Sinn für das wahrliaft lin-
matf'rielle völlig fehlt. Was hellen uns dcniniich alle jene vieldeutigen
Orakelsprüche und versiegelten Offenbaiungen, die in unsere Seele
hineintönen? Xiemand kann uns die Gewfihr treben, dass wir die rich-
tig« Lösunc L-'cliuiilni liahen. So stHr/cn sn- ims nur in rathli,»-)--.
EÄthen, lü endloses Zweil»'ln, in sichele l ugewi^vliMit Liuein und ver-
wirren die Seele, anstatt >ie zu erlenebten. Dinrli lenirtis-e Geisfer-
einflüstei'ungen, selbst wenn ihr Vorkuunueii bewiesen wäre, v.iid aiso
das wahrhafte Erkennen und sichere Wissen des Mensi*hen nicht um
eines Haares Breite geftirdeit. Und wenn wir nun unter diesem Ge-
sich[si)Uiikte der Vermehrung und Erweiterung des menschlichen, nach
irgend cinei itiebuiiig iiin nützlichen Wissens die Ergebnisse der
C-reisterseheri'i untersuchen; ^veun wir z. B. Swedenborgs Werke selbst
darauf hin ansehen, was bieten sie uns Fürdersames? Kauts Autwort
lautet zerschmetternd genug: Acht Qnartanten voll Unsinn! Und wenn
wir etwa den modernen Spiritismus fragen, welches nur irgendwie
der liflMehhflit nichtige and neoe Ergebnis er gelitfert Übe? Nicki
eine Tbetedie, die nmwre Erkenntnis oder unsere Moral oder nnsere
materielle Lebenslage gefilrdert lifttte, ist ans Ihm erwacfasent nidit
ein geistreicher Oedanke ist ans diesem Gedsterreicli zu nns gelangt
Entweder oiBanharen sich jene spixits in läppischen Spielereien, wie
wenn sie einen Abdruck Ton ihren FnfisohieiL, die flbrigens den
menschlichen vollkommen gleichen, pablieiren» oder in grobem Unfog,
wie wenn sie Tische nnd Stuhle aerbrechen, oder, in trivialen Ant-
worten aaf triviale Fragen. Wenn sie etwas Wtlidiges vorbringen,
sind es fast immer Ciftate ans der Bibel; mn diese sn eriialten, be*
dürfen wir aber offenbar nicht erst der Bnchstslnr- ondSchreibAbmigen
nnd der hftnligai orthogrsphischen Schnitzer jener sptrits. Nichts,
was sich nur im geringsten einer von den Menschen auf natürlichem
Wege im Gebiete der Wissensdialt, Ktmst nnd Technik gemachten
Entdeckung an die Seite steUen liefie, haben uns jene spirit^^ verkün-
det, und wenn wirklich Geister, nnd nicht blos der spiritistische
Taschenspieler in solchen Manifestationen sich enthüllten, so hätten
wir es demnach sicherlich mit Wesen zu thnn. die einerseits keine
reinen Geister, sondern irgendwie materielle Wesen wären, anderer-
seits aber in jeder Hinsicht ihrer Beschaffenheit nach tief unter dem
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MensdieiL stftndea, imd an die miai sdne kostbare Zeit nicht ver-
Bcbwenden soUte. Und als solehe elende Gdster sollten wir uns die
TerUfirtan Seelen nnaerer abgeschiedenen Lieben denken? Ltotening,
Lftstemng!
Aber nicht nur nützt somit diese ganze Geisterseherei nichts, es
sei denn dem betrBgerischen BeschirOrar, der damit Geld yerdient —
sie schadet sogar empifindlich deiif'n, welche ihren Qt&st darauf wen-
den. Denn ihre Seelen werden in Verwimin^ fresetzt, insofern sie in
abei^läabische Voretellungen und Gespensteilurclit verfallen, sich der
Klarlieit ihres Denkens durch mystische Grübeleien berauben und
jeglichen Abei-glauben, dessen Bekämpfung jedem, mit den Folgen
wütlieuden Wahnes bekannten Menschen Pfliclit ist, wieder erwecken
and nähren, denn nichts steckt mehi* an als der Wahn* So bereiten
sie dem geistigen Fortschiitte der Menschheit Hemmung und Hindernis.
Sie selbst aber werden, wenn sie es nicht schon sind, Erzphantasten,
da sie sich in Träumereien verlieren, deren stetic^e Wiederkehr die
Oe<n!i<l!ipif des Geistes wie des j^esainmten Nervenlebens durch Über-
leizunj^ um! Aufregung untergrabt. So kommt ihre Seele und ihr
Körper aus dem normalen Gleichgewichtszustände, und die Gefahr der
Verriickung bis zum Wahnsinn tritt deshalb nahe, ,.weil", wie Kant
!«agt. .,Vorste)hni-eii, die ihrer Natur nach fremd und mit denen im
leiblichen Zustande des Menschen unvereinbar sind, sich hervoi-drängea
und üV)el^epaarte Bilder in die äußere Empfindung hereinzieheu, wo-
dmch wilde Chimäreu und wunderliche Kratzen ausgeheckt werden,
die in langem Geschleppe den betroffenen Sinnen vorgaukeln." Es
kann nicht ausbleiben, dass solche Phantasten, welche sich der Herr-
fich&ü des Verstandes entziehen, um im Zauberreiche einer zügellosen
i'hautasit! ihre Krutt mit bacchantischen Orgien zu vergeuden, zer-
rüttete Nervenkianke werden, denn im Zustaude voller Gesundheit
leidet kein Mensch an Geisterseherei, und dass sie nun wirklich von
Hallucinationeu and Visionen heimgesucht werden, Erscheinungen des
erkrankten NervoisgratemB, welche sie nun aber erst recht für Mani-
festatimen dor Geisterwelt ansehen. Ein Gittck ist es also wahrlich
mcfat, an und nnter Geisterselierei zn leiden, welche zu Verrttcknngen
des Geistes nnd Erkranknng^ des Körpers führt, ohne doch im ge-
ringsten den Verlast nnschätzharer Gesundheit durch eine Vermehrnng
nnaerer Erkenntnis zn vergfiten. Mit Becht sagt daher Kant: „Wenn
indeaaen die Vortheile nnd Nachthefle ineinander gerechnet werden,
die demjenigen erwachsen können, der nicht allein IQr die sichtbare
Welt, sondern anch fdr die nnsichtbare in gewissem Grade organisirt ist
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(wofero es jemals einen solchen gegeben bat), so scheint ein Greschenk
von dieser Art demjenigen gleich za sein, womit Juno den Tiresias
beehrte, die ihn zuvor blind machte, damit sie ihm die Gabe zu wds-
sagen ertheileu ktonte. Denn, nach den obigen Sätzen zu nitheflen,
kann die anachanende Kenntnis der andern Welt allhier nnr erlangt
werden, indem man etwa» von demjenigen Verstände einbüßt, welchen
man für die gegenwärtige nuthig bat. Ich weiß auch nicht, ob selbst
gewisse Philosophen gänzlich von dioser harten Bedingnnfr frei sein
sollten, welche so fleißig und vertieft ihre metaphysischen Gläser uaeh
jenen entlegenen Gegenden hinrichten und Wunderdinge von daher zu
erzählen vrissen, zum wenigsten missgünne icli ihnen keine von iliren
Entdeck im Ofen; nur besorg-^ ich: dass ihnen irgend ein Mann von gutem
Verstaiiile und wenig F« im- keit eben dasselbe dürfte zu verstelioTi tu n.
waü dem Tycho de Brahe sein Kutscher antwortete. als jt-ii- i iii- inte,
zur Nachtzeit iiacli den Stei-neu den kiirzeäteu Weg faliren zu können:
Guter Herr, auf den Himmel mögt Ihr Euch wol verstehen,
hier aber aut der Erde seid Ihr ein Narr."
Angenommen, so lautet also der Schluss aus dieser ei-sten Unter-
suchung, die Existenz der Geisterwelt nnd dei (Teistergemeinschaft
wäi'e bewiesen, was sie niclit ist. so ist doch irgend welclier Nutzen
der Geisterseh-erei für Theorie und Praxis des ^lenscheugesclilechts in
keiner Weise abzusehen, wol aber springen deutlich die Schädigungen
henror, welche der Gesundheit der Seele wie des Leibes daraus er-
irachsen können nnd in den meisten Fällen wirklicli erwachse Selbst
der oitbodoxeste Gläubige darf niclit zngeben, dass «dche Zwecke im
Plane eines weisen regierenden Gottes liegen kOnnen, noch dass die
Gottheit eine neue Qffenbarongsquelle ans so sumpfigem Boden her-
Torsiekem Eeße, nachdem sie einen Bronnen lauterer Of^bamng
bereits ans dem Felsen der Bibel hat entspringen lassen.
(ScUiitt folgt.)
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Wichtige (irenzen im Volkssclialanternchte.
Fo» 8Mm^ Ä, €MUUeh'LobaH.
Wie auf anderen (TiebifTHU, sd haben auch auf dem der Schule
die Grenzl»e>iinnnunjE!;en iliren hMhen Wert. Gerade deshalb, weil es
unserer Zeit auch nicht gelungen ist, solche allenthalben mit Sicherheit
zu zeichnen, weil verscliiedene von außen kommende Einwirkunofen
die Grenzlinien verwisclien, schwanken wir hin und her zwischen den
BildunjTsmitteln, dem Bildungsstoffe, der Bildungszeit; daher kommt
an dbu höheren Anstalten zum Theil die Uberbürdung, das Vielerlei
und der Rangstreit. Hielte mau bei Gymnasien und Realschulen die
Unterscheidung fest, dass jene für die Berufe idealen, wissenschaft-
lichen Charakters, d. i. für solche, die in der religiös-sittlichen, intel-
lectaeilen, ästhetischen, socialpoUtiachen Förderung des Menschen ihre
, Aufgabe finden, diese f&r die hGherai Berufe materiellen Charakters,
d. h. fOr solche, die es mit der Gestaltung, Verarbeftnng:, Verwertnng
der Materie zu thon haben, die allgemeinen Bfldnngsgrundlagen legen
sollen, 80 würde sich aneh eine deutlichere Sonderung der Bildangs-
elemente ergeben; das Latein z. E würde in den Bealscbnlen kein
Heimatsrecht erlangen, anderseits würden Mathematik, Natnrwissenr
Schäften die eigentliche SphSre der Gymnasien („die gelehrte Schule
hat in der Welt des Geistes und im Worte üire Heimat") nicht zu sehr
zu beengen streben. Machte man dann wieder einen festen Strich zwischen
Bealscholen L und n. Ordnung, stellte man den ersteren die Aufgabe,
für die technischen Hochschulen, letzteren die, für den gewerbtreibenden
ond indostriellen Stand die allgemeinen Bildungsgrnndlagen zu legen,
betrachtete man die Realschulen II. Ordnung nicht als noch nicht
ausgewachsene Realschulen I. Ordnung, so würden dieselben mit be-
schränkterer, aber fester umgrenzter Aufgabe frischer, gesünder und
frachtbarer arbeiten. Aber nicht blos für die höheren Anstalten ist
die Frage der Gebietsbegrenzung von größter Wichtigkeit, — auch
für die Volksschule. Ich nehme mir jetzt vor, die Grenzen des
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ünterri( ht.< in der Volksschule, aber nicht blos hinsichtlich des Ziele«,
sondern auch In'nsichtlich der Zeit, der Unterrichtszwei^,^e und des in
ihnen zu belumdehiden Stuffes aufzusuchen, sowie wichti^re (ireuzlinien
zu zeichnen, welclie man V»ei der Stoffbehandlung einzulialten hat.
Zunächst Micke ich hinaus nach dem T'nterrichtsziele, das
unserer Vi)lk>s( liule gesteckt werden soll. wiss ist es noch niclit
si 'lit-i und «renau umgrenzt- Die AnschHiuiniii ii dariiber y^elien aus-
eiuauder. Hier will man die LuterrichtszweiKe auch der einl'achen,
niederen Volksschule noch erweitern, Geometrie, Zeichnen, Turnen,
weibliche Handarbeiten anfügen; dort fordert man, sie solle sich aul*
, Religion, Lesen und Schreiben, Rechnen und Gesang beschränken.
Hier sucht man die nothwendigen Kenntnisse und Fertigkeiten noch
durch solche, die an sich äls wünschenswert erscheinen könnten, zu
ergänzen: dort ist man bestrelit. die Ziele in den wenigen Fächern
noch herunterziidriickeu, indem man die gesummte Unterrichtszeit auf
6 Jahre beschränkt wissen will. Die Motive fttr die Forderung der
Herabsetzung des Unterrichtszieles sind ftü* die einen pädagogischer^
fttr die anderen fendal-hierareliisdier Art Die letzteren erwarten,
wie sie sagen, ym dner Qber das Nothdttrftigste hüiausgehenden
Bfldong de» niederen Volkes keine guten Folgen fttr Kirche» Religion,
Staat, woliei sie freilicli im Gmnde nicht an Staat nnd Religion
denken, sondern hlos ihr fendal-hierarchisches Interesse im Auge
haben, oder sie machen den Anwalt der schwerheUsteten Gtomeind^
des amen Mannes, der seine Kinder hald zun Ilütrerdienen hranche.
Die ersteren meinen, dnrch den Antritt der anderen Fächer nnd die
damit gegebene Erweitening des Unterrichtszieles werde eine Ober-
bOrdong der Kinder, eine ZerspUtterong der Kraft herbeigeftthrt nnd
somit die Enreichnng des Zieles in dem Nothwendigen nnd Wichtigen
unwahrscheinlich gemacht Soviel ist daraus ersichtlich: es tiiut eine
Grenzbestimmung, nnd zwar zonächst die i3estimmnng des Unter»
richtszieles der Volksschule noth.
Dazu gehört vor allem eine klare und richtige Fassung der
Volks sc hulidee; denn allein nach der Idee einer Anstalt, niemals
nach dem, was an sich zu wissen und zu können n&tzlich und wün-
schenswert ist, hat man ihr UnteiTichtsziel zu gewinnen.
Seit Pestalozzi geht das Schlagwort: ..Die Volksschule ist die
Stätte der allgemeinen Menschenbüdung — für alle Kinder des Volkes"
durch die pädagogischen Kreise, allein dieser hohen Auffassung der
Volksschule tritt doch immer wieder hie und da die niedrige entgegen,
dass die Volksschale die eigentliche Anstalt für die Kinder deijeuigen
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Classen sei, die von der Hand in den Mund leboi; der Begriff „Volk"
ist dann in niederem Sinne gebranclit Allein man hat ein Rechte aicb
die höhere Auffi&ssnng za hewabren. Wol ist, ide w noch sehen ,
werden, unter gewissen (stsdtischen) Verhältnissen die Oliedening der
Volksschnle m niedere und höhere eine herechtigte, so dass also dann
aneh in der Begel eine Scheidung der Kuider nach Stand, Bent^
besonders nach Vermögen der Eltern eintreten wird; damit ist aber
die höhere Volkssclmk' der Volksschulidee noch nicht entr&ckt Wol
werden diejenigen Kn;iben, die einen höheren Beruf ergreifen wollen,
wegen des Erlemens fremder Sprachen meist mit dem 10. oder 11. Jahre
der Volksschule entnommen, allein die Elementarbildung hat diese
ihnen doch geboten, nnd jede höhere Anstalt, welche die Zöglinge in
erwähntem Alter aufnimmt, wird doch, bis auf die fremden Sprachen,
der Volksschulidee in den ersten Jahren noch dienen müssen. Vor
allem aber ist zu erwäfjren, dass in den Volksschulen auf dem Lande
keine Scheidung der Kinder nach Stand, Beruf und Vermögen der
Eltem eintritt: sie wandern alle in die Räume derselben Schule.
Pie Volks.^chule die Stätte der allgemeinen Menschen-
bild ung! Es kommt darauf an, in dieses Wort einen rechten Inhalt
zu Lrießen. Das ist der Sinn die Volksschule soll nicht eine Stätte
Unsoliderer Berufs- und Fachbiklunj^ sein, sondern vielmelir die breite
Baüii bieten, auf welciie sich jede besumlere Berufsbildung zu stützen
hat. Sie soll alle Kinder des Volkes auf gemeinsame, dem Wesen
des Men seilen eutsprechende Bildungsgrundlagen stallen, sie durch
Herausbildun-r des Allgemeinmenschlichen aufeinander erziehen; sie
fcoU iii den Kindern lebenskräftige Grundlagen der allgemeinen Men-
schenbildung legen, oder, da alles Erziehen, alles Bilden blos daiituf
aiigeleg:t sein soll, den Zögling zur Selbstständigkeit emporzuheben;
sie soll als ihre Aufgabe ansehen, die Kinder zur selbststäudigen Er-
reichung ihrer allgemeinmenschlichen Bestimmung heranzubilden. Das,
was den Menschen zum ilenschen macht, mag er in einem Berufe
oder Stande stehen, in welchem er wolle, was ein jeder braucht zu
einem menschenwürdigen Sein nnd Wirken, in jedem Kinde des Volkes
zu begründen, das ist die Aufgabe der Volksschule. Was macht aber
den Menschen sum Menschen? Was ist die Bestimmung jedes Menschen?
Es kann kein höheres Ziel für den Menschen geb^, als eine
wahrhaft christliche Persönlichkeit zu werden, die da wurzelt in dem
Olauben an Gott, die erfüllt ist vom Frieden Gottes in allen Be«
drängnissen der Welt, die in der Liebe zu Gott die Freiheit und
Ehiergie des Willens gewinnt, die ewig giltigen, heiligen Gebote Gottes
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im Leiten mehr imd mehr zu erfüllen, die da mehr und mehr sich
verklärt nach dem Vorbilde Jesu Christi. Ein Mensch Gottes zu
werden, zu allem guten Werke gescliickt — das Ziel ist dem Könige
und Kaiser ebenso gesteckt, wie dem einfachsten Hanne. Zu diesem
Ziele emporzof&hren, oder, mit anderen Worten, wahre fieligiosität»
christliehe Frömmigkeit in die Kinder 211 pflanzen, sie in ihnen m
pflegen, so dass sie dann im Leben weiter wandeln in den Wegen
Gottes and jenes hohe Ziel nicht aus den Aogen verlieren — das
wird demnach die erste Aufgabe der Volksschule sein. — In jenem
nnsetm höchsten Lebensziele liegt eigentlich alles andere, was dem
Menschen als Aufgabe gestellt ist, eingeschlossen. Denn mit der Liebe
ist die selbststtchtigfe Isolumng nicht vereinbar; sie treibt uns zn den
Organismen der menschlichen Gesellschaft, die nns nmschliefien, zu
Familie, Gemeinde^ Staat nnd Volk, Kirche, Menschhdt, um aJs leben-
dige Glieder in ihnen zu stehen nnd zu wirken. Ein lebendiges,
nützliches Glied dieser Gemeinschaften zu sein, ist die Bestimmung
jedes Keuschen; denn ohne lebendigen Anschluss an diese Gesellschafts-
kreise kann weder das Ganze noch der einzelne bestehen. Die Wirk-
samkeit in diesen Lebensgemeinschaften hat sich aber fiii' jeden
Menschen an einen besonderen Bemf zu knüpfen, der sich aus seinen
individuellen Anlagen heraussetzt. Demnach hat die Volksschule ihren
Kindern, will sie dieselben der allgemeinmenschlichen Bestimmung
entgegenführen, den rechten Gemeingeist einzupflanzen, ihn aber
auch mit der erforderlichen Einsicht sowie den allgemein nothwendigcn
Kenntnissen luid Fertigkeiten auszuiüsten, welche jeder braucht, um
ihn fruchtbar bethätigen zu können. Die Volksschule hat somit auch
die Grundlagen zu geben fiir jede besondere Beruf sbildun<r nicht
blos in ethischer Hinsicht, suiideiii auch in Bezug aufs Wissen und
Können. — Endlich ist jeder ilensch in Beziehung- iresptzt zur Natur,
ist er ja selbst ein D«)i>pchveseii. das nacli der einen Seite au die
Natui" geschl(»ssen ist. Zur HerrscliatT iil)cr die Natur ist der Meusch
bestimmt. Kr s.dl die Natur in ihren (Tcstaltungen. Gescliöpfen, im
Walteii ivi'älie mehr und mehr erkennen lei'nen. in dem Werke
deu güuliciien Meister finden, si(di an der Natur erfVeueu, ihre Schönheit
erfassen und empfinden, sie aber nicht aberErliiubiscli fürchten; ei' soll
sie in seinem i>ienste veiwenden. aber seine Herrschaft nicht miss-
'l)rauc]ien. Lud wohin wir blicken, tritt uns des Menschen erfolg-
reiches Ringen, sich die Natui- dienstbar zu machen, von dem ein-
fachsten Berufe an, der mit roher Haud die Materie bearbeitet, bis
zur Kirnst, die in ihr Ideale verköi*pert, entgegen. Es. kann kein
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Zweifel sem, ein gemüthvolles Vei-ständnis der Natur und ihre Beherr-
schung muss die Volksschule in ihren Kindern anbahnen, wenn sie
dieselben der allgemelnm^ischlichen Bestimmung entgegenführen will.
Nicht za fiberaehen ist, dass die Volksschule blos übernehmen
kann, Grundlagen der allgemeinen Menschenbildnng, einschlieBlich jeder ,
besonderen Berufsbildung, zu legen; damit wird ihre Aufgabe be*
schränkt. Aber diese Gnmdli^n sollen lebens- und triebkräftig sein;
auf denselben soll der heranwachsende Mensch vermögen, selbststiindig
der E^rfüllung seiner Bestimmung weiter nachzustreben. Thorheit
wäre es fteilich. wenn nifin meinte, die Volksschule könnte allein und
unhedinsft bei jedem Kinde die gesteckten Ziele erreichen. Sie ist
und kann blos sein ein mächtiger Eraehungsfactor neben ancb^ren.
Das Leben, da« Haus, die Kindesnatur — das ist eine bekannte
Sache — vermag' ihr manchmal solche vSchranken entgefxenzusetzen,
da^^ >ii^ 11 eil nicht iiIm i vdnden kann und folglich weit hinter
dem geileckTt ii Ziele zui'ückbleibt.
Die Volksschulidee, das Ziel der Volksschule im allcremeinen,
haben wir so umgrenzt. Die \'olkss(hule verfügt nun bekanntlich
nicht blos über das eine Erziehungsmittel, den Unterricht; auch die
Zucht, die Gewöhnuni^ zum sittlichen Handeln, die Pflege, die Um-
schirmun^' nnd Tnisorgung der Kinder in ]eil)licher Hinsicht ist ihr
mit iiberfreben, aber freilich nur in sehr beschränkter Weise; der
Schwerpunkt ihrer erziehlichen Thätigkeit fällt auf den Unterricht.
Ist das nun das Unterrichtsziel der Volksschule, lediglich die Kennt-
nisse und Fertigkeiten, welche der ihr gestellten Gesammtaufgabe
entspredieo, zu Termittehi, also „Bereidierung des Wissens", »An»*
bildnog der Intelligenz'* in gewissem Giade md Termittdang gewisser
„techmscher Geschicklichkeiten'? Es wird nnserer Schule der Vorwurf
gemacht, dass wir uns immer noch in der „rationalistische" Ein*
seitigkeit befinden oder in dieselbe wieder zurQckgesunken wäreu,
auf die Bereicherung des Wissens und die intellectuelle Seite das
ganze Gewicht legten. Hit Unrecht; denn gerade die moderne Pftda-
gogik ist von der Erkenntnis getragen, dass die Untemchtsaufgabe
durchaus viel tiefer gefiisst werden mflsse; freilich ist das Werk der
modernen Pfidagogik viel schwerer als das rergangener Zeiten, weil
sie eine unermesslich reiche Überlieferung zu verarbeiten und mit
einem jeden Tag sich mehr anhäufenden WiasensstolKe zu rechnen hat
Das ist eine volle Überzeugung unserer Tage, wenn auch die Praxis
gewiss oft hinter der Idee zurückbleibt: der Unterricht hat gewisse
Einsichten und Fertigkeiten zu vennittebi und die Denkkraft auszu-
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bilden, aber das ist seine höchste, von jener untrennbare Aiifjrabe. der
Zucht die Hand zu reidien, auf die Heraül)ildun<r "diristlicher Ge-
sinnunj2^tüchtifrkeit, aul' die Bildung eines wahrhaft sittlichen, alsn
auf Frr»tnniig-keit basirenden Willens hinzustreben und Kenntnisse un<l
Jb'ertiirkeiteü diesem in den Dienst ^teilen; denn das Paulinisohe Wort
]. Cor. IH, 1 und 2 bleilit wahr, und \vir umschreiben »'s blos. wenn
wir (mit Schleiermarheri sag^en: Die Intelliirenz. Wi-U h»- sich niclit in
den Dienst chribtlicher Sittlichkeit stellt, das Wissen, das nicht im
iebensfrischen, sittlichen Haniltln >eine Fi-ucht briuL'-t, hat keinen
wahren Werth, ist vielmehr fiii- den Besitzer wie fiir seine Mitmenschen
verderblich. Aber ist damit das Ziel des Volksschulunterrichts
nicht zu iioch freschraubt? Verlangt man damit vom Unterrichte nicht
überhaupi La mögliches? Ist nicht die Grenze seines Einflusses da,
wo sich die Vursteliuugswelt scheidet von der der Gefühle und Stre-
bungen? Wenn man den Unterricht in seinen Einwirkungen so ein-
flchr&nken wollte, so müsste man die Einheit der Seele und die rege
Wechselbeziehimg zwischen den emzelnen SeelenzastSndeiL leugnen-,
solcher Auffiusmig des seelisclien Lebens huldigt aber wol niemand
mehr. Gewöhnlich unterschätzt man die Bedeutung des Unterrichts
fUi' die Bildung des Charakters, des Gemflths und Willens, während
er ohne allen Zweifel hierbei ein Haupt&ctor ist Der sittliche
Charakter ist di^fenige Gesinnongsbeachaffenheit, nach welcher der
Mensch consequent nach sittlichen Grundsätzen, die wieder einem
obersten sittlichen Grundsätze (dem der Liebe zu Gott) untergeordnet
sind, sich entschlieBt und handelt. Ein Charakter ist also ohne sitt-
liche Grundsätze, ohne einen obersten praktischen Grundsatz gar nicht
denkbar. Nun ist es freilich wahr, dass die Einsieht in die Richtigkeit
der Lebensregdn uns noch nicht die Sicherheit ihrer Anwendung,
die Energie eines consequenten WiUens gibt, dass viehnehr „die prak-
tischen Grundsätze ihre l£acht auf das Wollen erst durch wirkliche
und wiederholte Bestimmung dieses letzteren sich erwerben" müssen,
allein die Erkenntnis der wahren sittlichen Grundsätze ist unbedingt
erforderlich, und das ist eben die Aufgabe des Unterrichts, den Zög-
lingen die Einsicht in dieselben zu vermitteln, die ethischen Grund-
sätze in voller Stärke dem Bewusstsein einzuprägen, sie dem obersten
sittlichen Grundsatze einzuordnen und das sittliche Urtheil zu bilden.
Ferner, ein sittlicher Charakter soll sich zeigen im ?esinnnngstüchtigen
Handeln gep^enübei- Gott, g-eg^enüber den eng^eren und weiteren Kreisen
der Menschheit, im rechten Verhalten auch zur Natur; selbstvei-ständlich
ist ein rechtes Handeln nur dann denkbar, wenn ich eine Einsicht in
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die Objecte meiner sittlichen Beziehungen habe, und so müssen wir
wieder unsere Zuflucht zum Unterrichte nehmen, der in diesei* Hinsicht
der Ansbildong des Charakters wichtig-e Dienste leisten kann und
muss. Um meiner etliischen Aufgabe, in die aach meine staatsbürger-
liche und meine Bera£spflicht eingeschlossen ist, zn genügen, brauche
ich eine Summe von Kenntnissen nnd Fertigkeiten, die eben auch nur
der Unterricht vermitteln kann; auch die Fertigkeiten des Lesens,
Schreibens, Rechnens hahen ihre Bezielmng zur ethischen Idee des
Menschen. Wir können noch weiter jrehen. T'^nzweifelhaft empföngt
der Wille mäehtif^e Anregiinofen vom (4enuitlie aus; religiöse, sittliche,
synipaTlictisflie, ästiietische Gefühle haben ihr*' Ivedeutsame Einwirkung
auf Kill Schließung und That. Verraöclite nun der Unterricht auf das
(iemiith einzuwirken, so würde er auch die sittliche Charakterbildung
beeinilusseu, und er vermag es. Der rechte Unterricht, der auch vom
re<'hten Lehrgreisto und Lehrtone getrairen ist. lileibt in seinen Ein-
wiikuugeu nicht vor den Thoren des (ieniüthei> stehen. Nach christlich
biblischer Anschauung: erwächst alles wahrhaft sittliche Leben auf
dem Gmnde des religiösen Glaubens, der Glani)e abei k<»inmt aus
dem l^vaugelium ins Herz. Aber auch durch andere Zweige kann
der Unterricht Gemüthsbande z\\nschen dem Kinde und Gott, den
Mitmenschen (Heimat, Vaterland et<*.). ja auch der Natur, in der sich
der Schöpfer spiegelt, schlingen. Ks steht iu seiner Macht, das Wol-
gefallen am Guten, das Missfalleu am Bösen, also sittliche Gefühle,
in dem Kindesherzen zu erregen. Er vermag anch auf die Aushüdung
deg isthetisehen Sinnes einzuwirken; damit führt er die Kindesseele
SDgleldi veg yon eüier egoistischen Aufbssung der Außenwelt, trdht
die rohe Begierde ans dem Hetzen nnd haucht ihm die Freude an
edlen Genüssen ein. Kommt nun dazu, dass der Lehrer heim Unter-
richte, falls er die rechte Methode anwendet, irieUS&ch direct die
Willensthätigkeit des Kindes in Anbruch nimmt, dass jede Anregung
mr Selbettb&tigkeit, cur selbststftndigen Losung einer Aufgahe oder,
Gewinnung einer Erkenntnis, zur gespannten Aufmerksamkeit, die
Wecknng des Interesses, der Freude am sicheren Fortschreiten auch
die Willenshildung heeinflusst, so kann es keinem Zweifel mehr unter-
liegen, dass dem Unterrichte auch in der Volksschule keine unlösbare
kafjgßbe gestellt ist, wenn wir von ihm verlangen, er solle die Kinder
zu cfaristlich-sittlicher Gesinnungstttchtigkeit, Charakterhaftigkeit mit
erziehen. Das Unterrichtsziel der Volksschule ist demnach nicht be-
sondere Berufs* und Faclibildung-, sondern sie soll die allgemeinen
Grundlagen gehen lUr jeden Beruf. Das Unterrichtsziel der Volks*
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schule prellt nicht darin auf, gewisse Einsichten und Fertigkeiten den
Kindern des Volkes zu vennitteln, welche den oben dargestellten Zielen
des Mensclu n entsprechen, sondern durch Vermittelung von Einsichten
und Fertigkeiten und die damit verbundene Einwirkung auf die Ver-
nunft, Gemüth und Willen soll der Unterricht die Kinder zu christ-
licher Frömmigkeit und Gesinnungstüchtigkeit, zum rechten Gemein-
geiste und dessen Bethätigung in den verlieh iedenen Bernfsfonneii, zur
rec-liten A\iffas!«nn? der ^Nator und zum rechten Verhalten ihr gegen-
über erziehen helfen.
Das ist das Unterrichtsziel im allsremeinen.
Nach der (-ireii/^e desselben wird sich nun auch die Abirrenzung
der T'nterriclitszweig^e, ihrer Sonderziele und ihres Stofes riehteiu
allein hierb»»i kommt die Unterrichtszeit bedeutsam mit in Fraire.
Anch hinsu htiicU dieser ist es nöthig, in unserer Zeit die Grenzen
zu zeichnen.
Wie bekannt, wird in einigen Staaten von einer Partei gegen-
wärtig darauf hingedrjinprt, die Unterrichtszeit der Volksschule von 8,
beziehuuiifsweise 7 Jaln^ii auf ti Jahre zurückzuschrauben. Wir kr)unen
uns dessen gewiss freuen, dass solche Rückschrittsffedauken nicht
überall Anklang finden, dass sie z. B. in der sächsischen Landes-
vertretung nicht aufgetaucht sind, dass hier vielmehr die weitere
Dnichfuhrung des Volksscbulgesetzes vom 26. April 1873 einen festen
Bfiekbalt findet, dass nieht nur nicht an eine Verkflnong der acht-
jährigen Schnlzeit gedacht, sondern ▼ielmehr anch die Fortbfldungs-
schnle, die sich auf die Volksschnle anfbaut, gehalten nnd getragen
wird. Die psychologische Erfohnmg steht fest, dass gerade mit dem
12. Jahre im Kinde eine bedeutsame Entfiiltnng der geistigen Kritfte
beginnt, dass „die Kraft, mit Begrüfen sich zu beschfiftigen, das
Streben nach logischer Gewissheit nnd die Vemunftfilhigkeit für das
Reich des Göttlichen wachst, dass das Gemfithsleben sich yertieft, der
Bück in die Zukunft sich wendet und der Wille energischer wird**,
aber gerade der festen Leitung bedarf, um nicht in Willkftr auszuarten.
Der Erfiihmngssatz steht feiner fest, dass wir nur mit Anstrengung
aller Krftfte und trenester Arbeit bei achtjfthiiger Schulzeit einen
solchen Abschluss der Bildung in religiOs-ethischer, intellectueller und
technischer Hinsicht erreichen, nach welchem wir hoffen können, bei
der Mehrzahl der Kinder wirklich lebenskräftige Grundlagen fÖr die
Zukunft gelegt zu haben; immerhin ist in den Fortbildungsschulen
die Erfahrung zu machen, dass bei einem großen Procentsats die
Arbeit der Volksschule zu wenig andauernde Erfolge erzielt, zu wenig
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dgene Triebkraft ent<et hat. Sollten wir uns mit sechsjähriger
Scholzat begnfigen» so müssteii wir mit den bdden letzten Jahren bei
allen Zweigen die ErOnong wegweriien. Wer sich den ganzen Anfban
des Unterrichtsstoffes vergegenwärtigt, wird dem zustimmen. Z. B.
beim Hecbnen ist es erst in dem 7, und 8. Schuljahre mOglich, die
bfirgerliehen Becbnnngsarten zu ttben. In Naturkunde mflsste Physik
und Anthropologie nebst Gesundheitslehre ganz wegfiiUen, in Geographie
kirnen wir nicht Ober die Yateriandskonde hinaus. Im Deutschen
wfire durchaus nicht die erforderliche Sicherheit des schriftlichen Qe-
daakenausdmckes, die Fertigkeit in den filr das praktisdie Leben
nothwendigen schriftlichen Arbeiten zu erreichen. Die religiöse Bil-
dung der Kinder wttrde durch den Wegfall der beiden letzten Schul-
jahi-e besonders geschädigt werden. Alle die Schreckbüder, welche *
dem ruln<ren Bürger vorgehalten werden, die man ans angeblich zu
viel Schulbildung emporsteigen liisst. sind pure Thorlieiten, wenn man
sie nicht als schlimmere Gebilde bezeichnen soll Geiahren für den
Staat sollen ans der sogenannten Übermasse an Schnlbildnng erwachsen,
die Socialdemokratie wol gar ihre Nahrung aus ihr ziehen, als wenn
nicht gerade die Volksschule die Anffrabe hätte, das Denken auch des
niederen Volkes so weit aufzuhellen, dass es nicht zum Spielballe
selbstsüchtiger Parteiftilirer werde und Hirngespinsten, die nimmer-
mehr Wirklichkeit erlang:en können, nadijage; als wenn es nicht
gerade die Aufgabe der V^lks ( imlr wäre, Frdmmifä^keit, Gemeinireist.
Vaterlandsliebe, presetzlichen Sinn m die Herzen der Kinder zu pflanzen,
Gesinnungen, die jener vatei landslosen Partei fehlen. Auch solche
Stimmen hört man: „die Schule mache die Jugend wol klüger, aber
nicht besser", wenn sie nidit gar der Schule bei den sittlichen Ge-
brechen unserer Zeit eine Hauplischuld zumessen, als wenn nicht die
Versumpfung von Haus und Leben aus die Jugend erfasste. die Schule
dagegen oft ganz allein gegen den niedrig-sinnlichen, verlotterten Geist
des Lebens ankämpfte. Jeder, der ehrlich ist. muss bekennen, dass
er der Schule, wenn solche von tüchtigen Lehrern geleitet wnrde, gar
viel verdankt. Es möchte sicli nur jeder ernstlich fragen, ob es nicht
gar oft die in der Schule eingeprägten Grundsätze gewesen sind, die
sich noch beim Manne in der Stunde der Yersuchung alft mfichtig er-
wiesen; es möchte sich ein jeder fragen, ob es nicht die religiösen
VorsteUnngen, welche die Schule gegeben hat, sind, die am Iftngsten
ausdanem, die sich oft selbst dann, wenn im Kopfe das Freidenkerthum
regiert, ein Pl&tzchen im Herzen bewahrt haben, ob nicht mancher
nach einem durchbrausten Leben, wenn er zerrüttet und zerstört ist.
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die Glocken der Jugendkirclie wieder hört, 80 dass er versucht zu
glauben, zu beten, wie damals, als er zu den Füßen seines Lehrers
saß. Wie jeder Lehrer sich seiner hohen Verantwortlichkeit bewusst
bleiben muss, so möchte auch im Volke nicht der Glaube an die sitt-
iiehe Macht der Schule untergraben und zerstört werden. — Wenn
man dann auf die pecuniäre Nothlage, die wirtschaftliche Verarmung,
die schon übermäßige Belastung der Gemeinden hinweist, so würde
eine solche Lage der Dinge, wenn sie wirklich aUenthalbeu vorhanden
wäre, wol eine Einschränkuug auf das Noth wendige fordern, ein
Sparen übei* das Nothwendige hinaus aber gerade auf dem Gebiete,
wo es sich um Heranbilduni,'- des küiil'ti^en Geschlechts handHt. wäre
niclit zu verantworten und würde sicli auch gerade in wirtsrlisifflicliHr
Hinsicht rächen. Nur ein sittlich -kräftiges CTt'.M:hlet'hi . iait klin-m.
scharfem Urtlieilt^. mit praktiselu'Ui Siime und fester Selbstzucht, kaun
auch auf wirtschaftlichem Gelaeie etwas leisten. Übrifrens kaun man
oft die Be()])aclitung machen, dass zum Geuuss. zum Tanz, Hrantwein,
Bier, Tabak in niederen Kreisen der Groschen nicht fehlt, während
es als Unmöglichkeit hingestellt wird, ein Schulbuch zu ei-schwingen.
Noch auf eins muss man iiin weissen: \\'elches Lus erwartet die Kinder,
wenn sie zwei .Talire früher der Volksschule entzogen werden? Die
Fabriken etc. werden sich dir er erbarmen. An dem Seminare, das
ich fi'üher leitete, war eine Armenschule-, die Schulstunden waien die
glücklichsten Stunden der armen Kinder.
Der Volksschuiunterricht darf nicht mit dem 12. Lebensjalure
schon abgesehhwsen Verden; aber ihn fiher das 14. Jahr anszndehnen,
dagegen spricht besonders die Nothwendigkeit, dass nnnmehr gerade
für die Jagend, welche mehr mit der physisdien Kraft nnd der Hand-
geschicklichkeit im bargerlichen Leben schaffen und wirken soll» die
besondere fieni&bildnng zu beginnen hat. Und es steht fest, dass
flieh mit ach^fthriger Schnhseit die Volksschniidee yerwirklichen Uisst
Damit ist natürlich nicht ausgeschlossen, dass sich die Fortbildongs-
schnle in der Weise wie in Sachsen und Württemberg an die Volks-
schule ansetze; sie bindert ja eine bemfliche Ausbildnng nicht, sondern
ergfinzt nnd nnterstfitzt sie vielmehr.
Wie wir so in der Ansdehnnng des Unterrichts Ar die einfache
Volksscbnle beim 14. Jahre einen Einschnitt machen, so ist aach die
wöchentliche Unterrichtszeit fest zn begrenzen. Hier ist uns
die Grenze f,a zeichnet durch gewisse praktische Lebensverhältnisse,
durcli die Leistungsfähigkeit der kindlichen Natur und die Nothwen-
digkeit, anch den anderen Erziehnngsmitteln und Erziehnngskreisen
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den gehörigen Baum fftr ihre Einwirkiing zu belassen. Die praktischen
Lebensverhältnisse führen in größeren Städten von selbst zur Theilnng
in niedere und höhere Volksschulen. Im sächsischen Volksschal-
gföctz werden einfache, mittlere und höhere Volksschulen geschieden;
die letzteren übei-schreiten die achtjährige Schulzeit, greifen über die
der Volksschulidee entsprechenden Zweige hinaus und lassen sich als
Knabenschulen im Grunde von den Realschulen II. Ordnung nicht
unterscheiden. Wir lassen diese höhere Volksschule jetzt außer acht
und verstehen unter höheren Volksschulen nur solche, welche eine
größere Stundenzahl ansetzen knnnen, ohne dass sie iil'er den Rahmen
der Volksschule hinaiis^reifeii. In einzelnen Städten ist aus edlem
Humanität ssretiihl der Versuch gemacht worden, für die Kinder aller
Cla&sen einen gleichen, ausgedelmteren , g:anztäf?if,'en Unterricht zu
geben. Allein solche Versn^^he sind gescheitert und werden stets
sflieitern an der Macht der Lebensverhältnisse. darf nie die
M' LdiclikcU abgeschnitten werden, dass bevorzugte i\räfte ans den
Ninl. i Hilgen in die Hohe steiften — in ihnen liegt ja ein verjiinfrender
BruDiiquell der Volkski*aft — , abei- die Nothwendigkeit fiir ganze
Volksclassen, die Jugend frühzeitig zum J^roterwerbe heranzuziehen
und an die physische Arbeit zu gewülinen, kann nicht aufgehoben
werden. Wenn man es nun niclit als unberechtigt bezeichnen kann,
dass vermögende Eltern für ihre Kinder Volksschulen mit mehr Unter-
richt wünschen, in denen also auch der Volksschulidee ausgibiger
gedient werden kann, so ergibt sicli ebeu in mittleren und größeren
Städten eine Theilung der Volksschule in niedere und höhere; selbst-
yerst&ndlich bleibt auch der höheren Volksschule die Aufgabe, das
AUgem^meiiseUiclie an den Kindern heransnibildfin und damit auch
ein Band am sie nnd die Kinder ftrraerer Eütem, die künftigen Volks-
genossen, zu schlingen. Ich habe Übrigens die Erfohrung gemacht,
dass in Stidten, in denen es neben der niederen eine h&here Volks-
sehnle gibt, wolhabendere Eltern öfters wol ihre SOhne in die höhere
Schule schicken, aber nicht die Tochter, weil sie meinen, fftr sie sei
die in der eingehen Yolksschnle gegebene Bildung ausreichend. Wenn
unsere Bealschulen IL Ordnung, wie es jetzt beabsichtigt ist, noch
mehr als bisher zu allgemeinen Vorbfidungsanstalten f&r den gewerb-
lichen und industriellen Stand gestaltet werden, so könnte es wol
geschehen, dass in solchen St&dten, wo neben der Realschule eme
höhere Yolksschnle besteht, diese die Schfiler ihrer oberen Classen an
jene abgibt, freilich Toraosgesetzt, dass das Schulgeld an den Beal-
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schulen (zur Zeit 60 — 80 Mark) bedentend ermäßigt wird.*) — Die ^
einfache, niedere Volkssdnile wird sich auf halbtägigen UnterriL-ht
beschränken. Die wöcheulliche Stuinienzahl steigt in den einfachen
Volksschulen unseres Latides gewöhnlich in folgender WeLse auf:
1. und 2. Schuljahr: 12 <n\ivWn. B. und 4.: 14 bis Ifi, o. und fi.: 1«.
7. und 8.: 20. außer Turnen und weiblichen Handaibeiien, welche
Zweige in der Uberclasse je 2 Stunden in Anspruch nehmen. In
einer Reihe von einfaclien Schalen geht der weibliche Handarbeits-
untenicht schon im 5. und 6. Schuljahre an. Man wird zuffeben
müssen, dass damit eine (Jberlastung der Kinder mit Stunden nicht
.siattiiiidet; das richtige Maß wird getroffen sein. In den sogenannten
mittleren Schulen winl dap^egen öfters das rechte Maß überschritten;
sie gleiten also iii die Bahnen der hüliereu Bildungsanstalten hinein.
Wenn eine mittlere Volksichule für die Elemeuturclasse mehr als
16 (bis 20!) Stunden ansetzt, so ist dies falsch. Auch für das 2. Schul-
jahr reicht diese Stundenzahl noch aus. Das 3. Schuljahr braacht
fiber 20 Lehrstonden, das 4. fübet 23 (ansBcUiefllicli weiblicher Hand-
arbeiten) nicht hinauszugehen, und in den letzten 4 Schayahren ge-
nügen 28— SO (einsclilieBlich Tarnetis nnd ▼eiblicher HandBrb»[ten).
Die Überlastung mit Unterrichtszeit bringt natürlich anch eine Über-
lastnng mit Unterrichtsstoff, oft auch noch init hAosUchen Arbeiten
nach sich. Die Folgen solcher Überbflrdung sind allbekannt, jeder
Lehrer ist sidi derselben bewnsst, wenn er sich anch Ton der Über-
bardnngsmanie unserer Zeit nicht loszoreifien yermag. Idli habe als
Direetor mehrerer Anstalten immer die Eriahrang gemacht, dass alle
Hahnnngen nnd gemeinschaftlichen Berathschlagnngen, die sich auf
die Entlastung der Zöglinge bezogen, nicht nel Fmcht hatten-, es
dauerte gar nicht' lange, so bewegte sich alles wieder in den gewohnten
Gleisen. Es kann blos geholfen werden mit Verringernng der
wöchentlichen Stundenzahl, und die ist von oben zu verfugen. Eine
große Stundenzahl beizubehalten, aber die häuslichen Arbeiten so gut
wie ganz wegfallen zu lassen, hat das Bedenkliche, dass damit ein Mittel,
selbstständiges Streben zu entwickeln, aus der Hand gegeben wird.
Nun würde noch die Abgrenzung der Unterrichtszeit fttr die
einzelnen Unterrichtszweige in der (einfachen) Volksschule zu erfolgen
haben. Diese setzt allerdings eine Darlegung der Unten ir Ii t -zweige
überhaupt voraus. Ich will sie aber doch hier als Brücke zu dem
*) Der Staat g^ibt den Gemeindw bedintende Znsehflnft, so du» ebe Vennu-
derang des Schtügeldea möglich iat.
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letzten Punkte meiner Auseinandersetzung dienen lassen. In der
sächsischen einfaclien Volksschule theilt man die Unterrichtszeit auf
die einzelnen Fächer gewöhnlich so ein: 1. und 2. Schuljahr Stunden
biblische Geschichte und Anschauungsunterricht, 6 Stunden Lesen und
Schreiben, ^ , Stunden Rechnen, - Stunden Singen. — 3. und 4. Schul-
jahr: 3 Stunden biblische Geschichte. 5 Stunden Deutsch, 2 Stunden
Schnnschreiben, 3 Stunden Rechnen, 1 Stunde Gesang, 2 Stunden Rea-
lien (Naturbescliieibung und Heimats künde). Bei 14* ., Stunde werden
•■' 4 stündige Lectionen genominen: 4 Stunden biblische Geschichte,
6 ^ 4 Stunden l>(Mitsrh. 4 , Stunden Rechnen, 2 '' ^ stunden Schön-
schreiben, 2 '',«ütundeu liealiei!. - , Stunden Gesang. - mul 0. Schul-
jahr: 4 Stunden ReUgion (biblische »Tcschichte mit Bibelle^cn und Kate-
chi>mus), 5 Stunden Dentsch, 2 Stunden Schönsclireibeu, 3 Stunden
Rechnen. 1 Stunde Gesang-, 3 Stunden Realien '(xescliichte, Geographie,
Naturgbüchiclite). Außerdem 2 Stunden \\ > lUliche Handarbeiten. —
7. und 8. Schuljahr: 4 Stunden Religion (^biblische Geschichte mit
Bibeliesen, Katechismus), 5 Stunden Deutsch, 1 Stunde Schönschreiben.
4 Stunden Rechnen und Geometrie, i Stunde Gesang, 3 Stunden Realien,
2 Stunden Zeichnen; dazu Tui iien und weibliche Handarbeiten.
Die Abgrenzung der Unterrichtszeit bei den einzelnen L'nterrichts-
zweigen hat natürlich die größere oder geringere Bedeutung eines
Zweiges im Lichte der Volksschulidee, seine besondere Art im Ver-
hiltDis zur Anffassangs- und AneignungskraA des kindlichen Geistes
in Betracht zu ziehen. Ich glaube, dass die angegebene Gliedening
eine richtige ist Eine Meinungsverschiedenheit trat in Bezug auf
die Zahl der BeMgionsstnnden zutage; die Vertreter der Kirche
wQnschten in den Oberdassen statt 4 Stunden 5. Nonmehr ist aber
die BeiBrchtung, es werde durch eine Vermindenmg der Stundenzahl
(von 6 auf 4) der Beligionsunterricht in seinen Erfolgen beeintr&chtigt
werden, wd allenthalben geschwunden.*) Die Erfolge des BeUgions-
untorichts, soweit sich solche flberhaupt beobachten lassen, sind seit
1675, seit welcher Zeit die Zahl der Beligionsstunden yerringert
wurde, durchaus nicht zurftckgegangeu. Bei einem rechten Aufbau
des gesanunten BeligionsnnterriGiits, bei einem ih>mmen, leligids-
erwirmten nnd katechetisch geschickten Lehrer ist die Stundenzahl
Tollständig ausreichend; ein lljermaß beeinträchtigt gerade beim
Beligionsunterrichte die erbauliche Wirknng, am meisten bei einem
*) Überhaupt hat sieh das Verblltnis xwMeii den Tertretem der Shdie und
der Schule recht wfreulkh gestaltet
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Lehrer, dem der rechte Lehrgeist für den Beligionaunterricht fehlt
Ein solchei' wird bei 5 — 6 stündigem Unterrichte wol Definitioiira,
Spräche etc. empauken, aber die Kinder in religiöser Hinsicht xmath
mehr schädigen; er wird ein äußerliches Werk fertig bringen, das
blos dem oberflächlichen Blicke genügt. Erwägt man, dass an jedem
Tage der Unterricht mit Gesang und Gebet eröfihet und geschloissen
wird, dass auch die übrigen Unterricht szweige viele relij^iöse und
ethische Momente enthalten, die sie zur Bildung der k'in ler wirksam
zu machen haben, dass der Gesangunterricht die H.ilit- seiner Zeit
aul ' ']n>ral<?es{infr verwendet, erwägt man. dass die Kiiuler vom 11.,
beziehungsweise 12. Lebensjahre au auch zum Kirclienl tMirhe anzu-
halten sind und im letzten halben Schuljahre ein zweistündiger Coufir-
mandennnterricht eintritt, so wird man zugeben müssen, dass ein
Aiersüintliger ReliR-ioiisunterricht in den Oberclassen vullkouuueu aus-
reichend ist, ja, dass es geradezu bedenklich sein würde, über dieses
Maß hinauszugehen. Zu beklagen aber ist es, dass es in der Regel
nicht möglick ist, mehr Zeit für den Gesangunttrricht zu gewinnen.
Bei der Abwägung der Stundenzahl, welche für die einzelnen
Unterrichtszweige anzusetzen ist, habe ich die Zweige, welche ich der
Volksschule zuweisen zu müssen glaube, schon aulgezählt. Es wird
aber nun noch nachzuweisen sein, dass die Abgrenzung der Unter-
richtszweige damit richtig erfolgt ist. Dabei ist geboten, gMch
das Ziel der einzelnen Zweige und ihren stofflichen Inhalt mit fiast-
smetzen; es ist aber hierbei nicht meine Absicht, zn sehr ins SpecieUe
zu gehen, sondern nur die wichtigsten Grenzlinien zn zeichnen. Anf
die Stoffbehandlnng werde ich BflcksiGht nehmen, da wo mir die Er-
fkhrung gezeigt hat, dass man öfters Grenzen, die dnznhalten sind,
nicht genügend beaditet
Man sollte eigentlich meinen, seit den Tagen Pestalozzis könne
über die ünterrichtszweige der Volksschnle kein Zweifel mehr sein,
aber, wie schon oben bemerkt, werden in unserer Zeit Tersdiiedene
Anwehten darüber laat Während manche die Bealien, Zeidmen,
Geometrie yon dem Stondenplane der Volksschnle weggestrichen haben
wollen, wollen andere, ohne dass hu der confessionell gemischten Be-
Yölkemng zwingende Gründe vorliegen, den Beligionsonterricht ans
der Volksschnle Yorbannt haben. In unseren Landen findet der Turn-
nnterricht nnr mühsam, unter dem grüßten Widerstande der Land-
bevölkerung, Eingang in den Dorfschulen. Anfangs setzte man einen
ähnlichen Widerstand dem Unterrichte in den weiblichen Handarbeiten
entgegen.
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— Ö9 —
Die üntemchtszweige sind ans der Idee der Volksacfanle aliza-
kiten. NebemsSchlidie Zweige, ohne die eine Anitalt anch ihrer
Idee genfigt» sind ihr nicht anfisazwingen, znnutl wenn die Überlastong
der Zöglinge an sich schon vor Augen liegt
Der Unterrichtsstoff mass ebenfalls nach dem Ziele der Volks-
schule wie nach der kindlichen Fassungskraft und der verwendbaren
Zeit begrenzt werden. Gerade für einen befiUugten, wissenschaftlich
weiter strebenden Lehrer ist die Versuchung gegeben, den Umfang
des UnterrichtsstoffiBS in weit nnd zn tief zu bemessen, md sich dabei
yon dem eigenen, wenn auch wissenschaftlichen Interesse leiten zn
lassen. Das ist auch eine Art Egoismus, und jeder Egoismus rächt
sich. In der Volkssclmle darf der Unterricht nach Stoffauswahl und
Belianiliung den elementaren Charakter nicht verlieren, handelt es
sich doch blos darum, lebenskräftige Grundlagen zu legen. Außerdem
ist fiir manche Zweige die verAvendbare Zeit so kui*z bemessen, dass
dadnrch dem Ijfltrf'r eifrentlicli die Schranken für den Unterrichtsstoff
ileuTlich geiiiii,' uülgerichtüt sind; dennoch kann er in der Auswahl
immer no^'li liir und da iiber die rechten Linien schreiten. Ist das
üuterrichLsziel der Volksschule darin gefunden worden, die Kiiuh'r
zu christlichen Pei-srmliciikeiten erziehen zu lielfen, die befähigt sind,
den allgemein mensciilichen Lebensaulgaben nach deu fri\her ange-
gebenen Beziehungen zn geniigen, so müssen selbstverständlich die
Momente, welche daiaiil hinwirken, stets in den Vordergrund treten.
Nebensächliches darf nie mit dem Wesentlichen in gleiche Linie ge-
stellt wt rden. Alle die Moment-e, welche das Gedächtnis unnüthig
belasten, gewiss binnen kurzer Zeit wieder vergessen werden, ohne
einen Fiuiken Lebenskraft au die ^'eruuiüi, das Gemüth, oder den
Willen abgegeben zu haben, ohne im praktischen Leben sich irgend-
wie branchbar zu erweisen, müssen wegbleiben; nuincher Stoff wird
blos zu geben sein, am nnmittelbar anf Gemfith, Phantasie zn wirken,
ohne dass man die Absicht bat, ihn bei den Kindern zn einem ezsp
minirbaren Wissen zn machen. — Diese Sätze wird der Lehrer bei
jedem ünterrichtszweige^ nnd zwar in jeder Lection, als maßgebend
Anerkennen müssen.
Als höchstes Ziel sofawebt der Volksscfanle die religiös- ethische
Bildung der Kinder vor; nm diese soll sich alles andere lagern. So
kann darüber eui Zweifel nicht sein, dass der Beligionsnnterricht
das Herz alles Unterrichts in der Volksschule sein mnss, von dem aas
ancfa Ober die Übrige Unterrichtsarbeit die rechte Weihe strömt^ und
ZD dem alles das ans dem übrigen Unterrichte wieder hindrüngt, wa.*«
P«daffoci«B. ».JiJiif. H«ft II. 7
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4
— 100 —
das Menschenkind emporhebt zu seinem Hotte rnid en^ärmt für dag
£dle und Gute. Die Aufgabe de.«^ Keligionsuntenichts kann keine
andere sein als die: christliche Heligiosität, christlich-religiöses Leben
(denn darin finde ich die wahre Religiosität) in die Kinderherzen za
pflanzen, die Kinder zu lebendigen Gliedern des Reiches Gottes erziehen
zu helfen. Der aber ist blos ein lebendiges Glied des Reiches Gottes,
der eine rechte Erkenntnis desselben (seiner Ge.-< Iii» hte und Lehre)
hat, der sich das Heil gläubig angeeignet hat und im nriien Leben
der Liebe ((l»'r Hotte«- und Menschenliebe) wanrlelt; daraus t-r^ribt
sich noch deuilieher als Zweck des Helio^ionsunterrichts: eine leben-
dige (selbstverständlich dem Standpunkte der Kinder ents})recheude)
Erkenntnis des Kelches (iottes (seiner Geschichte und Lehre) zu ver-
mitteln, auf (4rund desselben den ^ilauben nn Gott und das Leben
der Liebf m wecken, zu nähren und zu plle;,^en. Weil nun die Oflfen-
banmgsthateu (tottes das Grundlegende der ehri^Jtlichen Religion sind,
die Otfenbaninirslelire sich erst an jene auM hlieiU. \veil es lemer ganz
luid gar der kindlichen Fassungskraft entspricht, wenn die Lehre
erst in Form der Geschichte, in der Foriii concreten Lebens aultritls,
su liat der biblische Geschichtsunterricht den Anfang zu machen.
Auf den Oberstufen schließen sich die Geschichten mehr und mehr
zui- Geschichte der Eutwickelung: des Reiche« Gottes zusammen, ver-
bunden mit Bibellesen und reicherer Heranziehung v ai Ijchr- und
Erbauungsabschnitten der heiligen Schrift. Die Krone des biblischen
Geschichtsanteirichts bleibt aach für die Volksschule die Vertiefmig
in das Lebensbild und in das Evangelinm Jesu Christi, das
den Kindern iE nrsprünglicher Gestalt, also in der heiligen Schrift
ans nnd ins Herz gelegt werden soll. Hier fließt aach die Qoelle, ans
der dem Lehrer immer wieder jEHsches Lehen in den sogenannten
„Katechiamnsimterrieht" hinftberströmen soll, in den Unterricht, der
auf den Oberstufen die HieQsIehre auf Grund der heiligen Schrift im
Lichte des Bekenntnisses der kirchlichen Gemeinschaft^ welcher die
Schule hex. das Kind aagehdrt, in dnem gewissen inneren Zusammen-
hange geben solL Die in dem biblischen Geschichtsunterricht zer-
streut gegebenen Lehren mflssen sich zuletzt f&r die Kinder zu einem
zusammenhangenden Ganzen ordnen, und gewiss hat die Kirche, der
sie angehOrmi, auch ein Recht, zu fordern, dass die Heüslehre den
Kindern der Volksschule in der Form ihres Bekenntnmses Termittelt
werde. Selbst wenn das kirchliche Bekenntnis einer Beform, einer
Neubildung bedürft iir wäre, so wäre doch gewiss niclit die Schule, am
allerwenigsten die Volksschule, der Platz, wo man damit zu beginnen
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— 101 —
h&tte. Die Yolksscbnle darf den Grand der kircUichen Gemeinschaft
nicht untergraben, sondern soll ihr lebendige Bansteine zufuhren; von
der Kirche ist wieder zu Terlangen, dass sie den Grund, auf dem sie
rohen soll, Jesus Christus und sein Wort, selber nicht aufgibt, und
ihre Aufgabe, zum Reiche Gottes za erziehen, ihre Glieder und die
noch außer ihr Stehenden zu wahren Christen zu maclien, nicht
ans dvii Ansäen verliert; dann n icht sich die Volksschule und Kirche
von selbst die Hand; dann ist auch ein äußerlicher Confessionalismus
Ton selbst abgewiesen. Man könnte nun allerdings meinen, es müsste
der Religionsunterricht in der Oberclas.se auch die wichtigsten, beden-
timgs vollsten Ereignisse der Kirchengeschiclite, soweit sie dem Ver-
ständnis der Kinler naliegefiihrt werden können, erzählen und bd-
sprechen; aliein dies wird man dem weltgeschichtlichen Unterrichte
zu überlassen haben. Die größten kircheng-eschichtlichea Ereignisse
bilden ja auch Hölie- und Wendepunkte der Weltgeschichte. Dagegen
h iT selbstverständlich das Kirchenlied seine ] Stelle im Rsliglons-
unterrichte.
Damit liabin wir sclioa einige Grenzlinien des jUnterrichts-
stoffes gefanien; wir wollen aber den einzelnen Zweigen des Religions-
unterrichts noch etwas näher treten. Es fragt sich zunächst, ob man
als Vnrcursns, wie minclie wollen, die Behandlang einer Reihe vou
M ii i 1)1 u an ilen Religionsunterricht anschließen solle. Ich habe
nur daiabi'i tollende Ansicht gebildet: Allerdings ist ivor Beginn des
biblisclien Geschiclitsunterrichts, insbesondere in den Landschulen, ein
Vorcursus nöthig, um erst die Möglichkeit eines Verständnisses der
in neuhochdeutscher Sprache erzählten biblischen Geschichten zu be>
wirken und nm erst die Sprache der Kmder etwas zn »ntfessehi;
allein diesen vorbereitenden Dienst leistet der Anschanangsontenicht
ganz gut Unzweifelhaft ttbt das Märchen, „die Poesie dea Tranmes^,
einen unendlichen Zanber anf die Eindesnator ans; gewiss liegen „in
nnsern dentscben Hftrchen religiös-sittliche Komente wie GoldkSrner
▼erstrent, die des Kindes Gem&th aufhebt nnd sammhlt**, aber ich
kann mich nicht dafiftr erw&rmen, einen l&ngeren Mftrchencnrsns als
Unterbau für den biblischen Geschichtsunterricht zn legen. Das Kind
erkennt anf dieser Stufe im Mftrchen schon den Widerspruch mit der
Wirklichkeit; es wUl bald ernsteren Stofi^ [zumal das Kind, bei dem
das Hans schon den ICSrchen^ähler gemacht hat Durch die An-
knüpfung einer Reihe* von moralischen nnd religiösen Betrachtungen
an das Hftrchen geht gerade der Schmelz der Dichtung nnd ihre
Wirkung verloren. Nach meiner Erfiibrung stehen die biblischen
7*
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— 102 —
G«ficbiclit6ii Bach einem meb^ere Wochen gegeboMn Anschsmiiig»-
unterrichte, wenn tie recht aufigewfthlt und entidt Pferden, dem
KindeogeirtB nicht sn hoch; die MfachMi verdan hn Anschanimgs-
nntemchte splter, wenn der Winter draußen weniger Anaehanunget
bietet, als Poesie des Ilanaes erzSJüt, ohne aber lingere Betrachtungen
an dieselben anzuschließen. — Natärlioh ist nun der biblische Ge-
schichtsstoff auf die einzelnen Stufen, entsprechend der Entwickelung
des kindlichen Geistes und unter Beachtung des Zweckes, der dem
Unterrichte vorschweben soll, zn vertheilen. Hierbei thut es noth
eine Grenzlinie hinsichtlidi d^ Zieles, welches dem biblischen Ge>
achichtsnnterrichte in den vier ersten Schuljahren gesteckt werden
soll, hervorzuheben: Der Hauptzweck desselben is^t nicht gedächtnis-
oder blos vei-standesmässige Aneigiiung^ des biblischeu Geschichts-
stoffes, sondern die religiös-sittliche Bilduus- und Krbauun^
der Kinder, anschauliche Yermitteiung christlich-religiöser Krkfnnt-
nif. Weckung und Pflege des religiös-sittlichen Lebens und zugleich
di^ (Tewiniiung eines festen T''nte!•bane^; für die in den Oljerclassen
zu gebt itdi üyjjtcmati seile Heil>lehie i ivatechi-iiui-uTitf'nicht ) wie für
die Gescliicht« des Reiches Gottes. — Ks werden >it Ii innner noch
Lehi^r finden, tlic da meinen, das \\ icliiigste sei gt tlian, \venn sich
die Kinder die biblischen Geschichten wortgetreu, nacii dem bibli> In n
Geschichtsbuche, angeeignet liaben und dieselben wiederei z^ihleu
können; denen ist eben zu sagen, dass sie sich das Ziel viel zu
niedrig gesteckt haben. \^ ol sollen sich die Kinder die biblischen
Gescliiciiten sicher aneignen, auf dass sie feste Stützpunkt« religiöser
Anschauungen und ethischer Grundsätze bleiben; sie sollen auch zum
Nacherzählen der biblischen (beschichten angebalten werden, weil darin
ein Pr&&tein für die Auffassung derselben gegeben ist, allein der
Hanptcweck des biblischen Geachichtsunterrichts liegt in der Ver^
mittelang des religiös -ethischen Gewinnes. Und wenn der Lehrer
die Kinder mit wörtlichem Memonren der taibilischeii Gescliichten
plagt, ao wird die Wirkung derselben auf das Gemftth in Frage ge-
stellt; man nuiBS auch hier eine indiTidnelle Art der Wiedergabe, in
gewisfifiD Grenaen natflriicht gelten lassen; Kemstellen, besonden
wichtige Anssprftche mflssen wortgetren wiedergegeben werden. —
Der Satz, daas der bibüsche Geschichtsiinterricfat den Katechismns-
Unterricht mit nntaibauen solle, wird nach dem, was darflber schein
oben gesagt worden ist, keine AnfiBchtmig finden. Gerade dadnrch
bekommt der Katecbiamnauntenicht den Untergrund oonereten Lebens;
dem Lehrer sind damit die Dedactionsquellen der im Eatechismus-
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— 108 —
mtemchte an behandehideii Bei^e wie aacb die Hlvstrationeii m
den Geboten, Olanbenwätzen etc. alleathalben gegeben^ so da» man
denken aoUte» es mflaate dem Lehrer dann leicht werden, die EUppe
der zn abstracten Behandlimg des Katechiamos za vermelden. Die
Gebote, der I Artikel (mit Lnthersdier E^rUfirnng), der n. und HL
Artikel (ohne Lnthersche BrkUmng), das Vatenmser, die Einaetsimga>
-Worte bei den beiden Sacramenten Taufe und Abendmahl kOnnen im
Anschlass an die biblischen Geschichten zor Besprechung kommen, die
natürlich ganz einfach gehalten sein rauss (zu yergL Wangemanns
Handreichung beim Unterrichte der Kleinen in der Gotteserkenntnia;
Beitrajr zur Methodik der Volksschule I und ]I von Grüllich), Ebenso
sind selbstverständlich Sprttclie imd passende Ldederstrophen anzuftlgen.
Der Auswahl der biblischen Geschichten, welche Bartko*) in
seinem biblischen G^schichtsbuche für die vier ersten Schuljahre ge-
troffen hat, nebst Sprftchen (ihre Zahl kann allerdings noch ermäßigt
werden; hie und da ist ein Spruch für die Stufen zu hoch), Strophen,
Katecliismusabschnitten, stimme ich im wesentlichen bei; wir haben
in unseren Schulen damit l)isher gut« Erfalirunjren gemacht. Wns
die Erzähl- und liesprerhuno^sweise der biblischen Geschn htm
anlangt, so liet^pn <i( Ii auch hier wichtige (trenzlinien zeichnen. Um
nur etwas vorzuhebeu, .so bin ich bei dem Erzählen der biblischen
Gescliichtrii zAvei Extremen beg-ej^net; ich habe Lehrern zugehört,
die, allerdings nach Wiedemannscher Weise, viel zu sehr vom Bibel-
texte abwichen, anderen wieder, die auf allen Stufen, auch auf den
untersten, sich viel zu eng an die Bibelfonn hielten. Beides ist
falsch. Anf der untersten Stute hat man im Sinne der ausiliaalichen
Darstellungsweise der Bibel auszumalen; die Gedanken, Gefühle der
handelnden Personen liat man in der Erzähluii^^ laii ans Licht treten
zu liLSseu, aber der biblische Grundstock muss trotzdem dui'chleuchteu;
Kemstellen darf man nicht verändern. Es ist dies nicht so schwer,
als es anf den ersten Blick aussieht Man nimmt die Geschichte in
Bibelform vor und setzt nun an den Gmndiiss die weitere Ausfüllung
an, indem man die IGttelglieder der einseliien Momente, die manch-
mal fehlen, ergänzt, sich selber die Situation, Mottre, Emplhidnngen
der handebiden oder leidenden Personen klarlegt Auf der Mittelstufe
hllt man sieh mehr an den Bibeltezt (etwa in der Form des Bart-
ko'schen Buches); Einscbiebungen, Übeibrfteknngen, ümAudernngen
sind aUerdittgs auch hier noch nOthig; Sache der Besprechung ist es
*) EneUeneii bei ScItntalMr in BftatMii.
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danD, das psycliologiBcfae Band zwischen den einzelnen Momenten
anfznsuchen, Stimmnngcn fler Personen auszumalen etc. — Worauf
bei der Besprechung das Hauptgewicht zu legen ist, geht ans dem
Zweck, wie er für den biblischen Geschichtsunterricht umgrenzt
worden ist, von selbst hervor, der ethische Gewinn duri' unbedingt
nicht dem Zufall preisgegeben werden. Niemals dari aber die Be-
sprechung in eine yerwässernde Breite gehen; je jünger die Kinder,
desto kürzer muss sie sein. Oft enthält eine Geschichte eine Reihe
von religiös-ethischen Beziehun ti:en ; sie berücksichtigt man mit, aber
am Schlüsse muss sich der Hauptfredanke klar und hell herausheben
und in einem Spruche oder in einer Strophe sosrleich auch eine feste
und bleibende Form gewinnen. — Tretiliclip Anweisung: gibt Leutz
in seinem Buche: Anleitung zur Be)iRn<Hung biblischer Geschichten
(Tauberbisrhofsheim, T.anjrsche Buchhand hmsrl
üich die biblische Geschichte (nebst Bibelleseni auf der
Oberstufe aufbauen soll, ist oben schon kiir-/ anoretleutet (zu vergl.
Beitrag zur Meth(Mlik II, S. 4. u. 5\ Hinsichtlich der Stoffbe-
grenzung will ick nur darauf hinweisen, dass das alte Verfahren,
das sich lange in unseren Schulen breitcreniacht hat. ganze biblische
Bücher mit den Kiiuiern durchzulesen foft auch leider ganz uit cliauitich,
ohne Erklärung), in der Neuzeit wol überall beseitigt ist. Es sind
ausgewählte Stellen, in Verbindung mit der biblischen Geschichte, zu
lesen, und zwai* erscheint es mir als richtig, wenn die beiden Ober-
stufen (10 — 12., 12 — 14. Lebensjahr^ sich so in den BibelstoÜ theileu,
dass auf der erstgenannten die historischen Abschnitte, bei der letzteren
die Lehrabschnitte vorwiegend sind. In früheren Zeiten gab es eine
sogenannte Fsalmendasse (10—12. Lebensjahr), in weldier der ganze
Psalter gelesen wnrde; das Verfaliren war, wie ich mich ans meiner
Jugendzeit erinnere, ganz mechanisch; wenn die Psalmen dennoch
einen Eindrack machten, so lag dies einerseits an der ihnen ein-
wohnend^ sich oft von selbst geltend machenden Kraft religidser
Poesie, andererseits an der besonderen Empfänglichkeit eines Kindes-
gemflfbs. Interessant ist der Aussprach des berOhmten Bildhaaers
Bietsehel in seiner so trefflichen Selbstbiographie (S. 10): „Ich erinnere
mich keiner Anregung ans dieser Schnlzeit. Nor wenn wir in den
Psalmen lasen, filhlte ich mich bisweOen in ehier besonderen Gemflths-
stnnmnng, die mir einen wehmflthigen Eindmck, wie Heimweh, zarflck-
lieft; besonders brachte dies Gef&hl der 137. Psalm hervor: An den
Wässern zu Babylon etc. Die nnbeschreibliche Seelentraner und Sehn-
snchtf die darin ausgesprochen, versetzte mich jedesmal in eine tief ele-
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«
gische Stünmang, >vdche sich in der VorsteUnng vouBüdeni des Morgen-
Itfkdes erging, erzeugt durch die fremden, scbOnen und ndr wunderbar
Torkommenden Namen der Volker, Stftdte und Berge, durch die
extravaganten Schildemngen der Natur die Bitten nm Untergang der
Feinde (?), zuletzt nnd mit einem Worte dnrch den hoehpoetischen
Schwung dieser Gesänge."
Han erkennt daraus wieder» daf^s die Psalmen ihre Stelle im
Religionsunterricht haben müssen, aber das igt das Richtige, die
schönsten anszn wählen, sie in die Geschichte zu verflechten, so da^
die in ihnen zn Tage tretenden Gefühle etc. schon durch die Lebens-
laofe, in der sie gedichtet worden sind, mit ihre Erklärung- finden; sie
werden um so mächtiger wirken (zxl Yerg\. Beitrag zur Methodik II
S. IHi Beim neuen Testament wird hinsichtlieb der Lehrabschnitte
auf die Bergpred i*rt und die Gleichnisse des Herrn der Schwer-
punkt zu legen .sein. I berzeugt habe ich luicli, ilas.s es richtig ist.
auf der Oberstufe die Lehrtliätigkeit des Herrn in einem bestimmt
ten inneren Zusammenliange zu geben, also nicht durcli den chronn-
btgi.sclieii Gang sicli ängstlich leiten zu lassen. Dem Katechis«mus-
imterrichte reicht man am besten dadurch die Hand, dass man im
ganzen den Gang der Heilsordnung sich als Faden dienen VAsst: dabei
verleiht mau der Besprechung noch mehr Leben, wenn mau einzelne
Ereignisse oder Handlungen des Herrn, die sein Wort zur That
machen oder die Veranlassung bilden zum belehrenden Worte, in die
Zusammenstellung einflicht. Die Gleichnisse des Hen u giiedei t man
sich demnach auch nach folgender Idee: Anfang des Reiches Gottes.
(Wie komme ich in das Reich GK>tte8? Wie kommt es zu mir?) —
Gaben des Reiches Gottes. (Was erhalte ich im Reiche Gottes?) —
BewiUinmg dier Reich^genossen. (Wie habe ich mich als Glied des
Reiches Gottes zn verhalten? Wie nicht?) — Entfaltong (Mischung)
und Vollendung des Reiches Gottes. — An das Lebensbild des Herrn
an die Darstellong seines Lebens nnd seiner Lehre mnss sich die
Behandlung von den Abschnitten der Apostelgeschichte anschUefien,
welche die erste Entfaltung der christlichen Kirche, der Torbüdlichen
apostolischen, charakterisiren. Für Besprechung einer Reihe ron Ah-
schnitten aus den. apostolischen BriefiBn bleibt bei der biblischen
Geschichte auf den Oberstufen keine Zeit flbiig; es wird aber daftlr
bei dem EatecbisinusunteErichte gesorgt; sie lehnen sich auch hier
besser an als dort.
Was nun den Katechismusunterricht anlangt, so ist zunächst
hervorzuheb^ dass derselbe nach den beiden Stufen Tom 10.— 12.
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106 —
und Tom 12. bis zum 14. Lebensjahre der Kinder seinen Stoff nebst
Behandlung zu modificiren hat; er ist auf der L Stufe selbstverständ-
lich in einfacherer und beschränkterer Weise zu geben als auf der II.
Auf der 1. Stufe sind blos die ersten drei Hauptstücke (ich habe
immer den Lutherschen Katechismus vor Aogen) zu behandeln; anf
der z\\'e!ten treten die Sacramente hinzu. — Hinsichtlii'h der Curse
hat man in unseren Schulen geschwankt. Anfangs verthnüto man
den Katechisnuisstoft auf zwei Jahre; es hat sich aber im h und nach
herausfresteilt, dass es besser ist, in jedem .Tabre den ^^anzen Kate-
clüi<Hms durchzuiielinien, nur mit verschiedi iu i i !eionun[r des 1, und
2. Theil:i (d. h. des 1. Hauptstücks und 1. Artikels, dann des 2. Ar-
tikels etc.). Es weitlen dadurcli die Leluer übrigens auch genüthiRt.
sich im Stoffe melir zu l)eseh ranken. Es ist eine Erfahrungsthat4>aclie,
dass die meisten Lehier die Neigung haben, be^ondei-s die Behandlung
der Gebote in nicht zu billigender Weise zu zerdehnen. Mau kann
das» (Gewissen der Kinder auch ohne Herlteiziehung aller möglichen
Lebensverhahiiisse hinreichend schäilen, dass es im späteren Leben
über das. was das Sittengcsetz im einzelnen Falle viMlanirt, sicher
ist; durch die breitspuri^a^ Behandlung wii'd die Wirkung eher ge-
schwächt. Die Katechismuserklarungen, die katechetischen Bearbeitun-
gen des Ki^techismos, von denen w eine große Zahl haben, sind
meistens yiel zn weitschichtig and ausgedehnt, so dass es mimOglieh
ist, den in ihnen gegebenen Stdf za bewältigen; issst sich der Lehrer
Ton ihnen ins Schleppten nehmen, so konunt er gewiss nicht «n dem
Ziele an, das ihm gesteckt ist Der Lehrer hat sich also die Qrenz-
ünien ftlr semen Stoff eng »i sieben, sich stete an fragen: Was ist
Yon religiöser Bedeatnng? Was wirkt dauernd fort im Leben? Was
entspricht der Auffossungsgabe der Kinder? Bios did treifendsten
Beispiele ond Lebensbeziehnngen hat er heibeimziehen, die biblischen
Geschichten, welche er als Dednktionsqnellen oder als Blnstrationen
Terwerten will, sorgsam ansanwählen, sich in den Worten knapp an
halten, dabei Aufelds lenchtendes Beispiel (in seinen Eatechiamns-
predigten) Tor Augen zn haben, der bei allw Etae doch zugleich
yerständlich und erbaulich ist Bei jungen Lehrern habe ich öfters
den Fehler gefunden, dass sie beim Eatechismusuntcrrichte (ebenso
wie bei katecbetischen Unteiredungen fkber Sprüche) die biblischen
Geschichten in viel zu ausführlicher Weise heranziehen, sie wol von
den Kindern erst ganz erzählen lassen, w&hrend e.s doch blos
darauf ankommt, ein Hauptmoment zu verwerten; der biblische Ge-
schichtsuntemcht muss auf den früheren Stufen den Jkatechismus-
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— 107 —
mtemcht so vorb€feitet haben, dass man blos ansnschlagen braucht«
um die religiös-ethischen Momente, die man bei letzterem braucht,
wieder zum Bewosstsm zn führen. Bei einer fehlerhaften Verwertung
der biblischen Geschichte zieht sich eine katechetische ünterredang
ganz nnnatfirlich in die Lftnge, und es entsteht ein verschvommmenes
Ganze.
Zuletzt noch ein Wort über den religiösen Memorirstoff, über
die zu erlernenden Sprüche und Lieder. Sicherlich hat hier eine
feste Grenzlinie nothgethan. Das sächs. Ministerium des Cultus und
öffentlichen Unterrichts hat im Einvernehmen mit dem Laiidescon-
sistorium eine solche gezogen. („Der religiöse ^lemorirstoff für die
evangel. Volksschulen des Königreichs Sachsen." Dresden, Huhle.)
Man könnte hier zwar die gegen Kegulative gewöhnlich erhobenen
Bedenken der Einschnürung: etc. auch wieder geltend machen, allein
die Thatsache, dass damit an den Kindern eine W'olthat geübt worden
ist, sie von nierbttrdttng bpfivit worden und alle Collisionen zwischen
den Vertretern der Schule und Kirche gehoben sind, liegt offenbar
vor Augen. Wenn nun schon auf den Unter- und Mittelstufen Sprüche
Liederstropben aus dem ..religiösen Memorirstoflfe" an die bildischen
Geschi(li(Hn angetugt wurden sind, s<> ist die Aneignung desselben
den Kindern sehr erleichtert, und e.s ist zu hotlen, dai>s sie Sprüdie
und Lieder mit ins Leben hinausnehmen und diese eine religiö.s-
ethische Macht in den verschiedenen Lebeuülageu ausüben, voraus-
ge.«etzt natüiüdi, dass der Lehrer sich nicht gegen besseres Wissen
hinsichtlich der Behandlung der Sprüche und Lieder die Grenzlinie
falsch f;ez()geü d. h. sich mit mechanischem Kinprägen derselben be-
gnügt hat. Oft ist mir hier aufgefallen, dass Lehrer die erbauliche
Macht des Liedes zu wenig im Religionsunten-ichte selbst verwerten,
dass sie zu wenig solche Strophen herbeiziehen, die den GrefiUilen,
Gesinnungen, welche sie gerade erzeugen wollen, den besten Ausdruck
yeiieihen wttrden. Manche dagegen haben dies nicht TersAurat, und
es ist gewiss nur als richtig anzuerkennen, wenn ein Lehrer z. B.
beim 1. Crebote, nachdem er vom Gottvertrauen gesprochen hat, seine'
Unterredung mit dem Gesänge schließt: »Auf Gott und nicht auf
meinen Bath etc.'' Femer ist mir dies nicht als richtig erschienen, dass
man bei Sprftehen gewdhnlich vergisst, anf den Propheten, Apostel etc.,
Ton dem sie herrühren, mit hinzuweisen; Öfters nämlich bekommt dadurch
der Spruch für die Kinder sofort einen conereten Hintergrund; ich
erinnere nur an den Spruch „Ob ich schon wanderte etc.**
(Fortsetstuig folgt.)
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ADie BedeiLtuis der Keisehiüe für dsterreieL
Vm Oito SeMgr-BniMH.
(Schliws.)
V.
Die Entstehnno" eines Staates ist nicht von Willkür odor ZatlUligkeiten
abhänprip. Keine n«)( h s*^ große Gemeinschaft trägt die Bür]t,'s*chafT festen
liestaudeii in sich, wenn die Vei-einigiuig nicht auf Grund einer uothweudigen
Idee erfolgte.
Worin dieselbe auch wurzeln laß^y welea ee nationikle Bestrebungen,
cnlturelle Aufgaben, Handelsinteressen etc.. immer lunss ?ie im \'()ider2mnde
stehen und sich einer besonderen Fliege erfreuen; denn mit iluein We^^falle
hört die Existeuznothwendigkeit und Existenzberechtigung des Staates auf, es
sei denn, daas sie Jm Laufe der Z^ten diun^ eine andwe ersetzt wflrde. Im
Hittelalter war die Aasfibnng jeder Antoritftt an physische Macht gebunden
nnd daher auch die Bildung des Kirchenstaates historisch notlnvendig. Als
sich abi r mit der Veilir- itun^r der Tiitelli^en?: die Herrsehaft des Geistes immer
mehr erweiterte, t^chwaiid die Noilineudigkeit und mit ihr die Berechtigung
des weltlicheu Besitzes der Kirche, umsomehr als das Verlangen nach einem
italienischett Nationalstaate immer drängender wurde.
Wie aber jede Kraft an eine Materie gebunden ist, so ist auch der funda-
mentale Zwfck aufs innisrste verknüpft mit .sciiMin Trflgrer, dem staatsgründen-
den Volksstamme, von dem i-i- mir irftietint wt idtii kann, wenn dieser dnrrh
Degeneration die BelUhigang zur Duiciiiulirung des leitenden Gedankens
verliert
(Vsterreicb verdankt seine Existenz bestimmten Cnlturbestrebungen. Um
die Errungenschaften d» s Westens gegen den Andi'ang der rohen und batba-
risfhen Nachbarn zu schiitz» !!. wnrde fine selbststilndige Gemeinschaft unter
den Babenbergem gegründet. Diese meiir passive Mission wich jedoch unter
den Habsbiugani bald der tamierai, Üiai Osten dnndi doHtsdie Xraft vaA Bfl-
dang für die Qvüisation vormbereiten und ihr schliafilicfa saanfobren. Und
diese Aufgabe besteht noch. Nur durch die Pflefre alles dessen, v den
Menschengeist veredelt, was modernes Recht.^ireriilil und Achtung der Mensclu n-
würde verbreiten und befestigen kann, ist unser ^Hterland im Stande, dem
hoben Zwecke zu entsprechen, der es geschafien, und aus sich jene erfolg-
verq>rediende Kraft za scbfl|>fen, der es sn dess^ Dnrchftthrong bedarf! Seine
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— 109 —
vortheilbaften geographischen und klimatischen Verhältnis», welche Ackerbau,
Bergbau, ludustrif* nnd HiinJel so sehr begrünstigen, seine ansirezeichneto Lap:e
zwischen den drei großen enropUisehen Völkerfarailien. wodurch es allen An-
regungen von den verscläedeusteu Seiten zugänglich ist, und im Geuuütie aller
VonSge, die der physischen Vermischiuig der Rassen entspringm, ist ihm
schon von der Nator alles gegeben, was eine imposante Kraftentwickeinng
ermög-liilit. Aber es leidet darnntcr. dass !m4i die Parteien, die in constitn-
tionellen Staaten nothwendigerwelse entstehen müssen, sich nieiht nicht nach
politischen Ansciiauaugen, sondern nach Nationalitäten gruppiren, sich mit
großer Leidenschaft befehden und In gftnzlicber Yerkennnng des Geeammtwoles
das Parteiinteresse hoher stellen als das Staatsinterasse.
Dadurch wird auch die Schule sehr sebww geschädigt. Von einer rein
humanitären Institution wird sie zum Spielbnlle der Parteien degradirt, und
ohne Kücksicht auf ihre fortschrittliche Entwickolmig ist sie das Versuchsfeld
nationaler Bestrebungen, oder wird snr Befriedigung ephemerer WUnsche ganz
preisgegeben I
Jede Nation hat das Kecht zu fordern, dass der ethlsehe Gedanke der
KatirmalitUt anerkannt werde, hat das Recht auf eifyenartige, nngehemmte Ent-
wickelung und somit darauf, dass ihre Sprache und ihre Sitten berücksichtigt
werden. Aber im Interesse des Ganzen müssen sepaiatistischen Aspirationen
nnSbevsdireitbare Grenzen gesetzt werden; denn der Staat hat seinerseits das
Recht zu forden], dass nicht durch einseitige nationale Erziehung seine innere
Kraft geschwFU ht nii ! ^ein Pestand g-efUhrdet werde. Mfichten doch die Na-
tionen nicht immer auf ihre Rechte pochen, auf wirklich bestehende oder ein-
gebildete, sondern sich auch öfter ihrer Pflichten erinnern, die sie gegen die
hShere Einheit „Staat** haben!
Anf da* Basis dentscher Ansehavnagen wurde ans dem Osterreichischen
Staatenbunde ein Einheitsstaat, das Deutschthum gab der Gemeini^chaft den
Charakter, deutsche Kraft und Intelligenz hob .sie, und wenn der Deutsche
verlangt, dass iluu auch fernerhin die Führung überlassen bleibe, so stützt er
seine Ansprilehe nicht auf . sogenannte historische Rechte, seodem auf die Er-
kenntnis nnd das Bewosstaein, dass die Staatsidee mit ihm anft engste ver*
hon den seL
Darum lie?t es im eig-ensten Interesse Österreichs, dass die deutschen
Schalen nii'güchst vermehit werden, und dass an den Schulen mit anderer
l ut^iTichtssprache, wo es nur thunlich ist, das DeuLbche obligatorisch gelehrt,
^ler aneb wirklidi gelehrt werde. Nnr so kann die geistige AbgeseUessen»
heit angehoben, können die Errun^i-uschaften der Cultur allen Peichstheilen
zug-nncrlich, kann ein Einerehen in die Entwickelung des Gesaninitreiches nnd
eine zielbewusste Theilnahme an allen öt^Vulüchen Ang-elegenheiteu emöglicht
werden. Damit wird jedoch keine Kntnationalisirung beabsichtigt; im Gegen-
theile, denn das nationale Leben entfhltet sich nm so frachtbringender, je
mehr Geiatesquellen dem Volke erschlc^sen wnden. Frtther wurde auch in
Deutschland die Wissenschaft nicht in der Muttersprache gelehrt : die Forsclrnnp-f:-
resultate der Engländer, Frar)7o«^»'n und Italiener wurden und neiden noch
heute bereitwilligst aufgenommen, ihre Sprachen haben sicli eine dauernde
Stellung an dentachen Schulen gesichert, and sind deshalb die Dentschen vi4-
leidit keine Nation?
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Nicht nur der einzeioe Meiuch, aadi der Staat aLs Ui^anismus ist ab*
häogig von KatnrgcsetieiL Er entsieht» trachiet aicb «i eriialten mid zft
kritfUgen, und kämpft im wfaie EziiteiiE.
Ben Maßstab ffir die Znftilir an Kraft geben die Staat. "^einnahmen, die
im unmitteni tnni Zusaminonhange mit dem Wolstande d^^r I'. w ilnifr sff'lien.
Dpt Reichthum eines Landes liegt in der (jewiunang der Trodiicte des Bodens,
in der Industiie, welche den Wert dee BohmaterialB TergrOßert, and im
Handel» welcher die Ware ht IJader aauetat, wo eie eben hIttiMen Werth
haben ab am Erzengangsorte.
Diese Grundfesten är<i Volkswnlstandes bernheu auf der Arbeit, die im
Laufe der Jahrhundeite immer mehr und mehr durchereistigt warde. und
einen ötaudponkt erreicht hat, wo die Intelligeaz die pliysiscbe Thätigkeit do-
ndnirt Die hentigen VerUUtnlne bdeiieliten es anlh hellate, daae der Laad-
mann, der Gewerbtreihende and der Kaufmann , der seiner Arbeit nieht das
nöthige Verständnis entfrofrenbrina-t , der nnffthig^ ist . mit dei- Zeit furtzri-
schreiten, sich unrnf^erlith im Coneurrenzkampfe behaupt Mi kanu. In dem Augen*
blickei da mao die« erkannte, war der Staat verpflichtet, dorch UebOBg des
Sehnlweaena aaf die geistige Büdnng der BevOlkernng fVrdenid einnwirtMi,
wenn er eich nicht aelbet schädigen wollte.
Die Schule als Erziehnngsanstalt kann sieh Jedoch mit einer speciellen
Fachbildung: nicht befassen, und man kann sie nicht des Charakters einer
allgemeinen Bildungsstätte entkleiden, am sie zur Befriedigung von Sonder^
interessen zu missbrauchen. Sie kommt den Forderangen des priÜLtisohen
Lehens himrelchend dadurch entgegen, daaa sie den Lebiplaa der jeweiligen
Lage aceomiMdirt; aber sie verliert den Ansprach darani; den Menschen eniehen
zu können, wenn sie »ich vor der Begründung einer allgemeinea fiildvng vom
U(ilit8t5;principe allein beherrschen lässt.
Die Bildang als solche ist nicht eine Summe von unverbundenem, uuzu-
aaaoanenhängendem Wiam, sondern ein Besnltat, welches dnreh geistige
Operationen aus den einzelnen Kenntnissen als Functionen gewonnen wird. Je
nach dem Grade der Bildung seliafft sich der ilensch Gesichtsiurnkte, von
denen aus er sieh in der ilin tniifrehenden iiliysisehen und geistigen Welt orien-
tirt, am sich ihr nach seinen Verhältnissen anzupassen. Je höher der Stand-
punkt ist^ von dem ans der einzelne das Gesammtleben flbereiehtr desto besser
wird er sich in seine Lage an finden wissen, nnd desto mehr Wahrscheinlich*
kdt hat er, seine Existenz zu verbessern.
Die Ansammlang großer Capitaüpü in den Tländen weniger erzenste Con-
centrationen des Grundbesitzes und industrieller Unternehmungen, die uatur-
gemäß eine große Zahl von Arbeitskräften erfordern, tind mit denen der kleine
konom odw OesctAftsmann nidit conenrriren kann. Dieser ümstand sdiuf
eine Abhängigkeit der Arbeitsnehmer vom Arbeitsgeber, die stellenweise so
drückend wurde ««»Irr ils sf» drückend darg^estellt wurde, dass auf Grund einer
überspannten Anschauung vom ^Eechte der .Arb. it" vieler Orten der Wunsch
entstand, dur( h t ine Änderung in der Zusammeoseizung der menschlichen Ge-
seUschaft dies peinliche Verhiltnis anfisnheben. Es entstsnd der Soeialiamnsr
eine neue Form fKr den alten Kampf zwischen Bemittelten und Unbemittelten.
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~ III —
Luge gtiung yendikMn man si« Ii (lag:egen, die Existenz dieser Art YOUk Be-
strebiinfen anznerkennen : aber Ne^ationt-n be\v(ns»'ii iiidits niid bessern nichti,
und wer sicli heate noch p*'ß:»'n die Aucrkeunimg der socialen Fragre wehrt,
der versteht die Gegenwart nicht Wir befinden ans schon niiu<^u in der
LBrang des aodalai Problems, ond die baben aieb vkwtot gettnsdit, die iie
nur a«f gewaltsame Weise tta mOglieh hielten; demi auf diesem Wege wfiide
die Lage des Arbeiters ebenso wenig aof die Daner sich bessern, als es laOg^
lieh war. dnrch einen Dmck von ob»^!i di»' Beweirung' ni»'derzuhalten.
Die Lüüuug der socialen Frage konnte und kann nur allmählich nnd durch
die GeeeUsohaft selbst auf der Basis geistiger Ansbildong und praktischer
Anerkennaiig weseatUch gleidier Beefate fBr alle erfidgeiL Wird die BUdang
erhöht, so leral der Arbeiter edlote Genüsse kennen, es wird sein geistiges
GesiditstVld erweitert, fr findet lohnend* ir Arbeit und bat die Aussicht, mit
der Zeit seine Lag-e zu verbessern: dann werden auch die socialistischen Cie^en-
sätze gemildert, und eine Jvi'ankheit, vor der heute nocb viele die Augen angst-
lieb TerseUieBen, beut durch den Proeess, der dcih langsam aber stetig im
Qrganisnius vollzieht. Welcher Untemehied in der Lsge des Arbeiters heute
and vor fünfzig Jahren!
Der Wert und die hohe Bedentnniar der Xatorwisseoschatteu wurde be-
reits früher hervorgehoben, ebenso die Nutüweudtgkeit ihrer Verbreitung, die
anverkeanbar ist, wenn man den SÜnflnia berflckaiohtigt, den die Kenntnis nnd
riehtige Anwendong der Natntgesetie aaf alle Vorkommnisse des phymsehen
lad wirtschaftlichen Lebens ausüben.
Die Vennebrun ^ der Bevölkerung geschieht ungrleich rascher, als die Ge-
treide- nnd Flei&chproduction zunehmen kann, wodurch eine Störung des Gleich-
gewichtes zwischen Erzeugung und Bedarf zom Theil bereits eingetreten ist
nnd mit der Zeit an Intensitit immer annehmen wird. Diese StSmng kann
nur behoben werden, wenn dnrch die volle Verwertung der Resultate a^^ri-
cultur-chemif5cher Forschungen die Ertra^sföliiirk-'i» des Bodens aufs höchste
gebracht, und dieQualitilt des frezüc.liteten Vielies bedeutend verbes.sört wii'd. —
Dnrch sinnlose Devastatiou der Wälder und Trockeuleguug der Teiche wurde
eine nnheihroUe YerKndemng nnseres Klimas hervorgerufen; dnrch diese traa-
rige Erfishmng belehrt, war der Staat geawnngoi diesbezügliche Gesetze zu
erlassen, be? denen jedoch, wie bei allen Gesetzen, auf ein versUlndnisvolles
Eingeben iu dieselben erst dann gerechnet werden kann, Venn die Geaammt-
heit von deren Nothwendigkeit durchdrungen ist Die Hedicin lehrt, dass es
leichter sd, Krsnkhdten an vermeiden, als an heilen. Der grMte Thdl derselben
fiadet seine Unaeheia einer maagelbaften EraBhmng, in schlechten Wohnungs-
verfaältnissen und einer übermäßigen Anstrengung des Körpers. Die verkehr-
ten .\nsichten, di«^ über den Wert der verschiedenen Nahrungsmittel herrschen,
machen es nothweudig, viele der hohen Bedeutung zu entkleiden, die ihnen
lUseÜüeii angemessen wird, and wieder «äderen aa ridttiger Anerkenanng an
TerhelftD. Tritt an dieser KenntnÜB noch jene vom Stoffwechsel nnd der
chemischen Verilndemng , die durch die Zubereitung hervorgemfen wird, 80
ist auch der Minderbemittelte im Stande, dnnh richtige Ernilhrung das Ver-
brnnchte zu ersetzen. So lange terutr nicht die Erkenntnis, das-s Mangel an
irittcher Luft, sowie Unreiulichkeit und ÜbeifUllung der Wohnung vom scUld-
lidistan Einflnsse anf die Gesundheit sfaid, in alle Schichten der Bevölkemng
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gredrangen ist, f^n laiig*^ ist nicht zn mvarton. da?s »iie Xachtlieile li^s en?en
BeisammenwohneiLs in «it n Städten bebobeo werden, und alle Bemühungen von
Samt&ts-Comoussionen und humanitären Vereinen bleiben erfolglos, wenn sie
nicht eiii auf Yentftndnis bttirtes Entgegenkommen Ibden. Die wahrhaft
•chrecIceiMmgende Zahl Tom Menachenleben^ die dadurch Ternlehtet werden«
dan Kinder frühzett^ zn schwerer oder einseitiger Arbeit verwendet werden,
und die empörende Rücksichtfilosigkeit, mit der die norh nnentwickelte Arbeits-
kraft auf Kosten der Gesundheit ganzer Generationen ausgenützt wird, hat
wol schon zu sehr viel Lamentationen und rtthrenden Vortrftgen Anlass gegeben,
eine praktische Abhilfe na aehafliBa ist aber nnmOglichi wenn das Volk nicht
über die traurigen Folgen gründlich belehrt wird, nnd dnreh das Gesetz der
Anstritt ans d>'r Scbnle so Innsre hinausgeschoben wird» daoB der Beginn der
physischen Arbeit in ein reiferes Alter fiillt.
Wohin wir auch blicken mögen, überall weiden au die Arbeit die höchsten
Anfordemngen gestellt Eb ist gewiss, dass dnrdi Scholen allein keine Li-
dnstiie geschaffen werden kann, aber die bereit« bestehende wird durch sie
erhoben und gekiüftij^ und entwiVkelt sich nm 9-0 tredeililicher , je ni'dir
Wissen nnd t ine je höhere ästhetische Auffas>una: d»'r einzeln»' in das aitszn-
ubende Gewerbe hineinträgt. ::^elb8t der kleine Kaufmann braucht heute eine
aasreiehende Kenntnis der nattenal-Qkonondsdien Oesefcie, mnss die Wechsel'
Wirkung kennen swischen Nadilinige nnd Angebot, ElfeeÜTgeschllt nnd Specn-
lation etc. und muss in dem Maße geistig thfttig sein, als die complicirten
Verkehrs-, Handels- und CreditverhiUtni^s.- . ine irWißere Refn?anikrit verlangen.
Lud wie soll die Landbevölkerung verständnisvoll mitwirken bei der Lösung
der gebietarisch anftretenden Agrarfragen, bei landwirtschaftlichen Associa-
tionen, Boden-'HeUorationen, Verbessening des Sanitätswesens o. s. w., wenn
sie diesen Bestrebungen keine Einsicht entgegenbringt?
Das all» s kann freilich die Schnle nicht lehren, aber, wie bereits oben
erwähnt, dnn h den I'nterricht wird der Geist für Belehmns" empftnsrlich und
zum Nachdenken laiu;^ gemacht, und der hohe Wertik der erweiterten Schule
besteht darin, dass rie in den Terschiedensten Richtungen positives Wissen
begrOndet. — Je höher die geistige Entwidtelnng des Individuums ist, desto
selbststilndiger wird es. desto mehr handelt es nach eigener Einsicht und be-
freit es sich von fremden ^leinnngen, die es sonst prufnurslos annehtnen müsste.
Der beliebte Satz: Wissen ist Macht, ist nur insofern wahr, als das
„Wissen** ein „K5iinen" begr&ndet; der Sats aber: Unwissenheit ist Schwäche,
ist unbedingt wahr, denn um au „kSnnen", muss man vorerst „erkennen".
Es ist demnach eine fundamentale Bedingung für das Gredeihen nnd die
Kräftignnix dt s Staat licht-n Orsranisnms. dafiir zu sorgen, daps dnrch allgemeine
Verbreitung von nntziichen Kenntnissen das Gesammtwiis&eu und damit Auf-
klftmng ni^ Wolstand wachsen. Die Vermehrung der Staatseinnahmen erfolgt
von selbst, wenn der FrivatbcsitK im Werte steigt, und wenn dem Volke die
Mittel geboten weiden, den friedUdien Kampf auf dem Weitmartie mit Erfolg
dnrchznf&hren.
VIL
Der Grad, in welchm dies der Staat erreidit, ist nicht nur maßgebend
für den Wolstand seiner Bfirger, sondern auch für sein Verbftltnis m anderen
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Staatpn. für seine Machtstellang. Sieht er sich eretiöthii^t , die Übergriffe eine*
anderen zurückzuweisen und sein cnites Kecht oder die liüchsten Güter der
Keuschheit zu vertheidigeu , dann zeigt es sich am klansten, inwieweit es iiiin
gdimgeii ist, sein dg«nefl Ihteresae m wahren; denn Kraft kann tkSi nnr
dann ftnflcm, wonn sie wirklich vorhanden ist. Heute iet der Xrieip nidit
mehr ein Abwägen roher Kräfte, sondern neben der Befähigung der Führer,
der Anzahl und militärischen Ausbildung und Bewaffnung des Heeres bestimmen
Intelligenz und tiuanzieller Wolstand des Gesammtreiches den Erfolg, und die
Oflichichte zeigt es, dass gerade cnltiirell hoch stehende Völker im Kriege
relativ die mdtte Kraft heweleen. Dnreh die Binfthron^ dar allg«nieinen
Wehrpücht und durch die hohe Entwickelung der Industrie und des HandoU
werden die Kriege seltener, aber in ihrer Wirkung energischer. Es gibt lieute
keinen Stand, der nicht Wehrpflichtige unter seinen Mitgliedern zählte. Durch
Einberufung derselben werden Stockungen auf allen Gebieten der geistigen
vnd phyaiBChen Artieit ersengt, nnd erst nach jaiuwlangem angestrengten
Schaffen Itiinnen alle Lücken geschlossen, alle Störungen aufgehoben werden.
Bei dem reiren \ erkehre. der zwischen den verschiedenen Staaten herrscht,
hat jeder Kries: selbst für den Sieger Nachtheile: denn abgesehen von den
enormen Ausrüstnngskosten, die nie voll ersetzt werden können, abgesehen
TOB den HenBchenverlnsten, hat jede materielle Schwächung des Gegners eine
Verminderang der Handelsheziehni^fen, Ahnahme dnr indns^eUen Emogninet
und dadurch eigene Sdifldigimg rar nothwendigen Folge.
Um aUe Ohel, die der Krieg mit sich hringt, auf ein Minimnm zn redn-
ciren, muss alles aufgeboten werden, um durch eine rasche Niederwerfung des
Gegners die ins Völkerleben so tief einqrpit't'nden Efdsuden nach Thnnlichkeit
abzukürzi'n. Zu diesem Zwecke uiuäi» die militärische Ausbildung jedes Ein-
zelnen mügliclitit gesteigert werden, eine Forderung, der entgegensteht, dass
durch eine ISngere Dienstzeit die Stenerkraft des Volkes zn sehr angrapaant
wild, nnd der prodncirenden Ariieit an viele Kttpfe nnd HBnde entgehen.-
Beiderl^ Ansprüchen, dem des Soldaten nnd dem des NationaUikonomen,
könnte entsprochen werden . wenn der Grund der militärischen Erziehung Schon
in dn-r Schule gelegt, nnd für eine weitere Ausbildung: {reeiirnete Vorsorge ge*
troflen würde. Das. was man von einer Sdiule, in der die militÄrische Er-
ziehung nicht besonders betont ist, in dieser Richtung billig erwarten kann,
geschielt ohnehin schon jetzt Erinnerungen an rtthmliche kriegcrisdie Erfolge
werden mit patriotischer Pietät gepiegti. der Geist wird mm Denken, der
Wille zn pflichtniilßijrer Unterordnung erzogen, der Körper durch Turnen
geschmeidig und kräftie: {gemacht. Ein ausgedehnterer Sprachunterricht ptrhert
richtige AofEassung und genaue Wiedergabe des Gehörten, das exacte \\ issen
fördert Frftdsion nnd Kluh^t im Ansdmcke, dnreh die Natarwissenschaften
wird das nOthige Verstftndnis für die Belehmngen in der Walfentechnik an>
gebahnt, Geometrie und Zeichnen legmi den Gmnd für die Elemente der
Terrainlehre. Wie vortheilhaft konnte alles das ftir die einheifli« ))*> Aus-
bildung des Heeres ausgenütjct werden, wenn auf den in der Solksschule
gelegten Fundamenten planmäßig weitergebaut würde. Aber zwischen dem
Anstritte ans der Sdinle nnd dem Eintritte ins Heer liegt eb langer and
gerade sehr wichtiger Zeitraum. Wflrden die Mittel geftraden, in dieser
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Zwischenzeit den Jüngling forUnbüdea, so erdelte man £rtiiilg6| die der AU-
gemf'inhf it zngute kämen.
lu keinem zweiten Staate Euiapas vereinigen die Völker au viel luilitä-
riacbe Beanlagiug in sieh, wie ia ÖiteiTeieh. Die Zihigkeit de» Denteeben,
die Findigkeit des Slaven nnd Komanen, der Ehu dee Ungarn, werden in so
frlücklichen Miisclmng^vprhälriii^-si'Ti üirgends anir»' troffen, nnd befähigen das
Heer zu Jeder Art von Kriegfühnmg , nmsoniehr als viele kriegerische Fertig-
keiten als Volksspiele betrieben werden. Aber in den heutigen Kriegen ent-
•ebeideii nidit alleiii WsffMifBhning uid physisdier Math, denn sie kommen
nur in maigw entscheidenden Momenten nur Geltung; dagegen sind es hanpt-
sftchlich die geistigen nnd moralischen Factoren, die d» n Krfulg sichern, und
an die daher große Anforderungen gestellt werden. Ungesäumtes Erscheinen
auf erhaltene Ordre, selbstlose UnteroMnung, gewissenhafte Befolgaug des
BefSddee nnd verständiges Eingehen in den Geist desselben, Ansdaaer im Er-
tragen von physiseh«! Anstrangnngen nnd Selbststindigkeit im Entschlieflen
werden heute von jedem Soldaten okne Dnteitdiied den Ondes verlangt Und
welch hohe Bedeutung haben sie auch d um noch, wenn die Entscheidung
gefallen ist! Waren alle Bemühungen veigebeiis, konnte trotz des prüUten
Opfermotlies kein günstiger Erfolg errungen werden, dann bemächtigt sich dt«
Heeres nnr in Iddit jene Niedeigeadilngenlieit, die es onAhigr madit, sich Je
wieder xa erheben, wenn nicht ao viel moralische Kraft Torhandtti i«t, nm im
Unglücke stanininfr /n Vtleihen nnd auch zu Zeiten, wo alle Bande der gesell-
schaftlicheu Urduung gelöst zu sein scheinen, nur uui die Stimme des Pflicht-
bewusstseiüs zu hören. Waren jedoch die Anstrengungen durch den Sieg
gelohnt, so macht aieh das Verlangen geltend, fOr alle Leiden, Entbdirungen
nnd Strapanen entneUldigt za werdoi dnrdi Sache an dem Qegaw, dnrch
Beuteroachen, dnrch Befriedigung der Begierden, was zn den größten Un-
menschlichkeiten führt . wenn nicht dnrch Hnmanitnt , Selbstverleugnung und
Ordnungssinn die entfesselten Leidenschaften zum Schweigen gebracht werden.
In beiden Fällen sind es nnr die moralischen und geistigen Eigenschaften des
Heeres, die den Anasohlag geben.
Wird der Schule Qelegenheit geboten, diese bleihend sa begründen nnd
kräftig zn entwickeln, so sind damit die Vorbedingimgen geschaffen, denen
ein modenie.s Heer fiitsiireclieu miiss. und ist die sicherste Garantie geboten
f(ir die Waliiuug vuu Österreichs Machtsteiiuug uud lui* die glückliche Lösaug
seiner edtnrellen lOsiion.
VITL
Wir sind am Hude. In groüeu Zügen wurde daigrestellt, wie die Schule
als Unterrichts- und Erziehungsanstalt die Girnndlage tiü* die einzelnen Homente
dee staatlichen Lebens schafft.
Als dem Tolke die Geset^bnncr zurttokgegeben wurde, da legte man
auch die Schule in seine Hände, in der Überzeagtmg, dass es mündig genug
sei, seine Interes^^fn zu verstehen und zn wahren. Dem ist aber leider nicht
überall so, und mau kann sich der AValimehmung nicht vei'schlielien , dass die
Masse des Volkes, insbesondere der I/andbevölkerang, auch am Ende des
19. Jahrhunderts noeh immer das groBe Kind sei, das sich von jedem führen
laset, der ihm das richtige Steckenpferd vorreitet.
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Die Errungenschaften wütetet Zeit verdanken wir einem Jahrhunderte
langten KainptV. den dtT f^ebildetf» Mittflstrmd gr^^fülirt hat und nocli ftilirt.
Die Gründang der 8tädte war schon au uiid für sich ein Fortschritt, der^aber
erst seine rechte Bedentoi^g erhielt durch die eigenaitige Entwickeloug des
geistigen Iiebeos Ui denaelbeiL Der QeirarUleiA enengte Betebthimi, Hnideto- *
Terbindimgeii mit den entfemtoBteii Orten «riMben die Aoachaniiiigen fiber die
engen Grenzen der Alltäglichkeit, das Gefühl der Zusammengehörigkeit festigte
sich, und das Verlanp^en nacli bttrererlicher und politischar Freiheit wuchs.
Waren schon im Mittelalter die Städte ein Damm gegen feudale und hierar-
chische Beetrebungen , so sind sie es noch weit mehr in unseren Tagen, wo
de als SItee der Intelligenz und 9animet|MUikte des Gapitale ttber aUe Krtfte
zu humanitftrai Bestrebungen verfügen, und eine kräftig entwickelte Oflant-
Mche Meinung auch heim Miuderg^bildeteii Pin*- »fewisse politische Reife erzeugt.
Sie würde man \ ergeben8 von der Raiin des Fortschrittes abzudrängen ver-
suchen; denn sie verstanden und versteheo es, der allgemeinen Eutwickelung
eine danemde Grundlage za geben, indem sie Gelegenhdt bieten, sich um-
fassende Kenntnisse zu erwerben, und Einrichtungen schaffeo, durch welcln
jedem, aucli dem Ärmsten, das Wissen znerän^lich gemacht wird. Dadurcli
entstand zwischen den Städtebewohnern und der Landbevölkerung eine Kluft,
die sie einander immer mehr entfremdet, die keine Interessengemeinschaft
heetefaen läatt, nnd einer allgemeinen eoltarellen Entwickeiong auf gleicher
Baaln entgegenarbeitet. Und dieaa Kluft soll noch orwdtert wwdtti durch ein
HerabdrUcken der Forderungen an die allgemeine Volksschule?! —
Geschieht dies, so leidet in erster Linie die große Gemeinschaft darunter,
denn mit der Uerabmiuderung des pflichtmäßig anzueignenden Schulwissens
linkt anch die allgemeine Volhabildong.
Das gewaltige Geseta des Kampfes vms Dasein behenscht nicht nnr die
Natur, sondern anch die Gesellschaft, nnd ist es auch das Gesündere nnd
Kräftigere, das ans dem Kampfe siegreich hervorgelif s*^' ist es doch nur ein
trauriger Trost für dei^euigeu, dei* unterliegt, insbeäuudere dann, wenn er
weiß, dass die Ursache der Niederlage außer ihm gelegen ist.
MSflpen di^enigen die tranrlgen Folgen einer vernaddlsslgten Schul-
bildnng verantworten, die das Volk In seiner Besdirtinkthdt belassen woltetti
nm es in ihrer Gewalt zu behalten!
Welch armseliges Vergnügen, über Dumme zu herrschen!
Noch enthält die Luft, in der die Massen leben, zu viele Veranreinigungen,
um den gOtUichen Fnnk»i der Menschenwflrde voll und rein erscheinen an
lassen: aber der Process der Umbildung hat bereits begonnen, nnd bald wird
das Licht der Aufklärung hell nnd strahlend alle Schichten dnrchdringsnt
Möchte es nur bald geschehen!
Wir leben in einer ernsten Zeit. Durch den mächtigen Aufschwung der
yatnrwissMischaftsii mi die tedusbcbe Vwvrartnng ihrw Besnltate wnrdmi
die Sdiwlerigkeiten des Weltverkehrs anf ein Minuwnm redncirt, nnd hier-
dnrch alle Lebensverhältnisse vom Grunde aus umgestaltet. Auf allen Ge-
bieten menschlichen Schaffens herrscht eine fast fieberhafte Thätigkeit, auch
in der geistigen Welt.
Der Autoritätsglanbe wurde grüBtentheils zn den Todten gelegt, und eine
Behanptnng wird hente erst dann für zottssig erklftrt, wenn sie bewiesen
P»dH|ogiHB. &«J«bis. fl«ft 11. 8
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A ^ werden kann. Diese an sieb bereclitif^te Forderung ist aU-r iiiclit übei all iluicli-
s-» 7^ führbai". Der Sucbt. alles beweisen zu wollpti. s-leichgiitig ob da.* Material
l'* '-k V hierzu gegeben ist oder nicbt, und der Negation alles dessen, was nicht zu
bev^aen ist} entspringt jene Aftarwdsbeft, welche in UnbUdiing und Ifalb-
*> X* büdimg den anfbafamBAhjgstai Boden findet Dumm, Bfldia; — aber keine
* I ^ "-1 halbe! Zwanzig angefangene Stickereien, von denen jede ein Meisterwerk wer»
4^ d''Ti k'Cinte, geben nicht finmnl einen fertigen Tabakbentel : wo Halln erstan-
i * deues neben Unverstandenem das geistige Auge uutaliig iiiadit. klar ^u stehen,
% ' ^''^^ iw da entwickeln sich Dummheit und Arroganz zu ihrer höchsten Blüte und er-
'y ^ lengen Unsnfriedenbeit nnd nnberechtlgte WUnaehe. Sei daa geistige Qeaiebte-
i«^ ÄN ' ^d gTofl oder klein , so sei es doch abgeschlossen ; denn durch die Lücken
i tritt jenes Contaginm bereini dem die krankhaften Aoaw&chae onserer 2Seit
* \ entspringen.
* . v Haben wir darum Ursache, mit dei jetzigen Gesammtsituation onzufi ieden
^ ^ K : Gewin nicbt, denn keine UmbUdnng der geMHacbaftlichen Einrieb^
* > ^ ^ ^ ^ ^ ttmgen vollzieht eich eo ganz glattweg, nnd die Gescbichte lehrt uns, dass die
r ^ großen Umwälzungen frülierer Tage, die noch dazu an wirklichem Erfolge
' >^ ^^i^ hinter der jetzigen zurückstehen, von ganz anderen Folgen begleitet
1^ » ^^«J^ waren. Aber die sind entschieden im üni-echte, die bei jeder Kleinigkeit die
^ * altfii Zeiten lurfickeeluien, imd bei jedem Torwitiigen Aussprache eines unreifen
>^ f Schwttsers an derZnknnft der Hensehbeit venweifeln, statt sieb zu erinneni,
dass ja der Mensch ein bildungsbedurfttges Wesen sei, nnd daas es Pflicht
* _ '^^ eines jeden ist. der ein Übel erkannt, andere davor zn bewahren.
* \ - ' gioüe Keichthnm an Kenntnissen vennehrt« die Einsicht In die
' ' Mängel, die uns anhaften, und in die Schilden, imter denen wii* zu leiden
\ \ haben; aber er neigte uns auch VorsOge, die wir besitzen, nnd ließ er die
, ^< ^ Wunden erkennen, so wies er auch die Mittel, sie an h^en. Bildung, Arbeit,
V* « ^ \ P^icbtertiillung und Knt<;ag-nng sind die Bedingongeo des Erfolges, aber firei-
^ N ^ lieh nur daim, wenn sie Geui^^innrut werden,
♦'"^ ^ ^ Denn nicht die Großthaten einzelner Mäiuier sind für die allgemeine Ent-
' i Wickelung maSgebend, sondern die stille Arbdt des Volkes, die nnanflUlig
^ ^ < ^. geschieht , und deren Besoltate man nicht im einzelnen merkt Ffir sie sind
^ IJjn die gehobenen Geistepschiitze der Ptt-in, dt-r ins Wasser f;illt. nnd dessen
Bewegung in immer weitere Kreise dringt, bis sie sich der ganzen Masse
< mitgetheilt.
Mit tansoad nnd aber tansend Fftden ist diese Bewegung an die Sdinle
N gebnndtti, nnd m8gen nach hti einbrediender Dnnkdheit die NachteQlen sich
X
N < In hervorwagen: die dunkeln Gestalten werden T»schwind«k beim ersten Schim-
|y mer des jungen, goldeaen Tages! —
l
— / .-öl*— y!^. --^
^ ^/t«. / J^jU ^^//^ ÄjL,J a 0ß '
4
^/i ^.St^'^;/«/r ^L^^J^'^^^Cn^, ^ ^^^*«<^y^igiti2ed by Google
Der YUL allgemeine Ssterreieluselie Lehrertag in Reickenbeig.
er VIII. allgemeine üsterreicliisiche Lehrertag, welcher am 3., 4. und
5. AngQSt in Reichenberg stattfand, nimmt in der Reihe der österreichischen
Ldireitafe eine harrorragende Stdlimg ein. Schon die lange Leidenageadkiehte,
die derselbe dnrehziim&elieii halte, ehe er noeh daa LkM der Welt erblickte,
hebt ilin ans der Reihe seiner Vorgänger ab. Zum erstenmale seit dem Be-
stände dieser Institution wurde nbor die Bp/pirlmnng: . :a1! ^-emeiner öster-
reichischer Lehrertag" eine Discussion erörtnet, zum ersteumale wurde den
leitenden Factoren der Vorwurf gemacht, sie hätten nicht das Recht, einen
«allgem einen" Lehrertag elnzabemflBn, am allerwenigsten wttren die Wiener
CoUegen daan bemfen.
Eine wtn'tere Discussion rief die Wahl des Ortes hervor. Es rej^ete
Artikel in den pädagogischen Fachblätteni, die ein Fiasco voraussagten, und
viele Stimmen ließen sich in gleichem Sinne vernehmen. Sie haben sich, zu
nnaerer Frende and anr Ehre der OatemieldMhen Lehreraebaft kOnnen wir es
eoaatatir«i, gründlich getftnacht: der Vm. allgemeine Ssteireichisdie Lehrer-
tag nahm, trotzdem er an der llnßersten Nordi^renze des Reiches stattfand,
einen glänzenden \'erlauf, er war sd zalilreich besucht wie die anderen, und
die Stimmen, die dort laut wurden, werden niclit weniger an die Stellen
dringen, wohin sie gerichtet waren, ab die andwer Lehrertage.
Leider war ea der letxte ,,a]]^meine tetendehtecfae Lehrertag^, den wir
in Reichenbergs gastlichen Mauern abhielten; denn der „allgemeine öster-
r.-ie)MS( Iie Lelirertag:" wurde daselbst zu Grabe getragen; dentsch-Ttster-
reicluücher Lekiertag sr>ü künftig die Versammlung heißen. Es ist jedenfails
bezeichnend, dass gerade in der Zeit der Völkerversöhnong diese Entzweiung
dar Saterreiehiachen Lehreradiaft an Tage treten mnaate; noch mehr an denken
gibt derümatand, dass dieae Entzweiung stattfand, nachdem man früher aller-
orten die Idee vertreten und vertheidigen höite, das» die Pädagogik mit der
Politik nic'lits zu thun habe, und dass man dabei- die Lehrertape nicht zu
politischen Kundgebungen benutzen lassen werde. Man hatte auch emstlich
gehoAl, der aUgemdne ItaterreidiiBche Lelirertag in Beichenberg werde ancb
yon Collegen (echischer Nation besucht werdw; man täusdite aich, ja die
cechischen Collegen blieben nicht nur fern, sie veranstalteten zur selben Zelt,
«l-'V allgemeine nsterreicliische Lehrertafr in Reiehenber^^ stattfand, einen
ceciuschen Lehrertag in Pilsen , um es auf diese \V eise den cechischen Collegen
möglichst schwer an machen, nach Beichenberg an kommen. So kam es denn.
Von Ed. crofHian-Tftm.
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dasj. jene Elemente unter der d» ntsc h-nst. rn icliischen Lt hn rschaft, die sdK.u
lange auf eine günstig* Geleg-enheit warteten, sich von den anderen Nationen
loszusagen, diesen tlir sie selir passenden Umstand benutzten, um die 8cliei-
dmig m6glicli«t efliKtToll ia Seena sn wtieiL Die Geachieiite gelang voUkov-
fflfiii, und unter dem bnoeeiiden BeiAIIntarme von mehr als fttnftdiiünindert
Lehrern wurde der „allgemeine österreichische Lehrertag^ eingeeargt und
der „deutsch -f^sterreiclüschf'*' zur ^Velt geboren.
Die Sache voLIzüg sich &o rasch und unvorhergesehen, dass es denjenigen
Httunem, die etwa entgegengesetzter Meinung waren, gar nicht möglich wurde,
irgend eine Einwendung an machen; andern war eine Oppoaition bei der Süm-
numg der Versammlnng weder rathsam noch nätzlich.
Übrigens hat die ganze Angelegenheit keinen praktischen Wert. Da sich
die 6echischen Collegen ohne jeden vemnnfTi«ren Grand abgesondert liaben. tli«-
deutscli-üsterreicliischen Lehrer also that^ächlich allein Theilnehmer au den
Veriundlnngen waren, vnd ea wahradieinlieh auch in Zaknnft geweaen wlren,
80 hat der Beschlosa weiter keinen Einflnss auf die äußere Oeataltnng^ der
Ssterreiclüsclieii Lelircrtagre. Sie werden auch in Zukunft sein, was sie in der
Vergangenheit gewesen, glänzende Beweise fiii- den Erust. den Pflichteifer,
die Berufsüebe und den unerschütterlichen Glauben au den endlichen Sieg der
gnten Sadie nnd an den Untergang der rerderUlchen BinÜttase anf die Volke-
bildong nnd Sitte.
Der VIII. allgemeine österreichische Lehrertag in Reichenberg bekam
noch ein ganz besonderes Relief durch die außerordentliclio Theilnahme, welche
die Bewolmerschaft diei»er so herrlichen, reichen nnd lortschrittsfreundlichen
Stadt demselben entgegenbrachte. Alle Theilnehmer des Lehrertages waren
von der FrenndUcbkeit der BevUlkernng anf daa angenehmate fiberraaeht; man
merkte ea sogleich, Beichenbei^ wird mit Recht eine Schulstadt genannt, denn
das Interesse der Bewohn ^^r lüsst darauf achlieAen, daaa für ünteiricht and
Erziehung 14 ervorragend« «eieistet wird.
Die Lehrer Osterreichi» , die in lieicheuberg Gastfreundscliali genossen,
die sahen, mit welcher fVeode man dort die GBste begr&ftte, sie in die Familien
aofoahm nnd für alle Bedürfnisse derselben in einer geradezu bewunderanga-
würdigen Weise sorgte, werden die Festtaf^e wol stets im Gedilchtnisse belial-
ten und oft mit Vergnügen und hei'zlicher Dankbarkeit zurückdenken an
Beiehenbcrg und seine wackeren Bewohner.
So war denn der Vm. allgemeine ttotenelchis^e Lehrertag nach dicoer
Richtung hin vollkommen gehu^en, die Wahl des Vmammlnngaortes war eine
glückliche, nnd alle jene, welche dem AVieuer Centralcomit^ über diese Wahl
Vorwürf»' machten, haben fine Genusrthunujr wenig:er zu verzeichnen.
Trotz des andauernd schlechten Wetters hatten sich nahe an 2t)UU Theil-
nehmer in Reichenberg eingefunden: die meisten waren wol aus dem nördlichen
Böhmen erschien«!, doch waren auch die anderen KronUnder durch zahlreiche
Delegirte vertreten. Wir sahen CoUegen ans Mähren, Schlesien. Nieder- und
Oberösterreicl». Salzburg, Tirol und \ niarlberg, Steiermark, Kiirnten. Ancli
aus i^eutsehland waren einige G;iste erschienen, die sich freut«ii. mit den
öster reichist heu Coilegen, die so niutliig lur die höchsten Interessen dtrMeusch-
beit einsteben and gegen die reactionttren Bestrebungen der Zeit Front machen»
einige Tage an verjeben.
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Am 3. Angmtf abends fun 7 Uhr versainmdteB ikdi die Th^elimer in
den ^erUmnigen , aber doch nnznlftnglichen Sälen des Schützenhauses, um die
WM do* Bnreans tind der Verhandlnngi^thf^mf'n ffir rlie Hanptvpi-snmmlnn»'
vorzunehmen. Herr Oberlehrer Katschinka aus Wien wurde zum \ orsitzeu-
den gewählt, Herr Dr. Joh. Elger aas Beicheoberg und UerrB. Planer ans
Wien nntentOtxten ilm in der Leitung der Yerhandlnn^en.
Herr Olierldtrer Katsdiinks begrüßte die Versammlung and hob be-
sonders hervor, dass es die über unser Reichs- Volksschulgesetz hereingebrochenen
Tage der Noth nnd Gofahr sind, welche nns liior zusammengerufen. Pflicht
der Lehrer sei es, heilige und unabweisbare PÜicht, energischen Protest zu
«rbeben, wo sie grlnnben, daes dieees Qeietx in GefSahr steht.
Der Bui^ermeister der Stadt Reichenberg, Ritter von Ehrlich, begrüBte
darr^nf die Wrsaniiiilung im Namen der Stadtg<nneinde. Seine treftliohen und
tnr die anwesenden Gäste sehr erhebenden Worte fanden allgemeinen Beifall,
besonders die Versicherang, dass die Bevölkerung einer so hervorragenden,
gewerbe- nnd indnstriereioiien Stadt den hohen Wert der VoUcssehnle kennt
nnd cn sch&tsen weifi; dass ihr die neoen Schnigesetse lieb nnd thener fsiror-
den nnd sie jederzeit mit aller Kraft für dieselben einstehen werde. Die
Ber5]k* rnno- wiiimoht vor allem die Festigang und niliige. freiheitliche Fort-
entwickeliuig dieser Gesetze, zum Heile des gesammten österreichischen Vater-
landes, das wir stets hochhalten nnd schirmen wollen mit allen Krftften. Die
Bewohnersehalt einer Stadt der Arbeit, wie es Seichenberr ist, weifl den
ebenso ehrenvollen als schweren Beruf des Lehrers voll zu würdigen und hat
auch nie dem redlichen, selbstlosen und aufopfenideii Wirken eines tüchtigen,
braven Lehrers <lie Anerkennung versa;»t, I)ie Stadt hat auch keine Opfer
gescheut, um die Volksschule, die Grundlage aller Volksbildung und Volks-
«rziebong, zn heben nnd zn ftrdem. Stets war in nnserer Stadt ein inniges
Zusammenwirken von Schale nnd Ransj denn nor durch dieses können die
hohen Ziele der NOlksschiile erreicht werden. Möge die Volksschule, wie das
Elternhaus, auch nie dei Ausbildung des Geraüthes vergessen . . . Die großen
Opfer, die freadig von Land, Stadt and Reich für das Volksschulwesen gebracht
werden, werden alle klein ersehelnen gegen die Frilchte, welehe die Volks-
sehnle ttVgt and in noch erhdhterem Maße tragen wird bri mhlger, nngestSr-
ter Fortentwickelang. Dass die Schule blühe nnd gedeihe, liegt zum größten
Theile in der Hand der Lehrer, und ich glanbe die volle Überzeugnng aussprechen
sa därfen, dass unsere gesammte Lehrerschaft nur ein Gedanke beseelt: im
QeüKte nnd Sinne nnserer Volksschnlgesetze zn wirken mit aller Kraft and Liebe.
Unter stürmischem BeüUl sdiloss der Redner, nnd nachdem nodi Dr. Elger,
Obmann des Reichenberger Ortsausschusses, die Versamnlnng herzlich begrUt
hatte, wnrde zur Wahl des Prflsidinras für die Verhandlungen des T.elirertacfes
geschritten. Nach dem TietVrate des Herrn A. Ch. Jessen-W'ien wurden ins
Präsidium gewählt: zum 1. Präsidenten Franz Bobies, Bürgerschaldirector,
Wien, nun 2. Präsidenten Franz Bndolf, Bflrgersdinllehrer, Beicfaenberg,
zum 3. Präsidenten Oberlehrer Katschinka-Wien; zu Schriftführern: Frans
Wiohtrei-Wien. Benjamin Plnner-Wion. Reinliold Erben-Reichenberg und
Friedrich Legler-Reidienberg. Hierauf referirte Herr Jessen-Wien über die
Themen, welche Gegenstand der Berathangen in den Haaptversammlangen sein
iollteiL
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Es war ffir das Wienor Caitralcomit^ keine leichte Sache, ans der Fiat
der eingr^'saiKlten Themen eine erste Wahl zu treffen. Wer die ver^rhjVtlpnen
Themen einer uüliereu Prüfung unterzieht, wird sich sagen iiuistieu, daää manche
davon geradezu brennende Fragen sind, welche in nächster Zeit zur LOenng
konunai mflneik, wie s. B. dielVage Aber die duich das aeae VolkeachiilgeeetB
geschaffene Institution der Orttschnlräthei ftruwdie über Schule und Presse.
Gerade letzteres Thema, sn nnscheinbar es sich aticli zeig-t. un.l so viel aucli
darüber schon geschrieben und gtsjmx hen wurde, sollte einmal Ges-^nstand
der Verhandlung eines österreichischen Lehrertages sein. Es ist ja bckautii,
welch rtdeaTon maaehe der politiedien Blätter aaseUagen, wenn von Schidea
and Lehrern die Bede ist; man weiJI, mit wie wenig Verständnis manche
Blätter von Pildafjo^ik reden, und wie leichtsinnig sie über die Schule, die
Lelirer und deren Thiitipkeit aburtheilen. Solrhem grewissenlosen Treiben
gegenüber wäre ein enei^ischer Protest der österreichischen Lehrerschaft voll-
ständig am Platze,
Aach die f^age nadi den Wahlrechte der Lehrer ist eiae hvenaendev
denn es ist ja bekannt, wie verschieden die dem Lehrerstande angehörenden
Staatsbürger in dieser "Richtung' hehanH^lt werden. Di»' Fmce bedarf dringend
der Tjosung, denn die politischen Rechte des Lehrers müssen endlich, soll er
sieh nicht immer als Paria tulilen, anerkannt werden.
Das Thema: Selhetliflfe der Lehrer warde fBr dne Nebenversammlnng
aagesetst; allein man weiB, was das sagen will. X ' uveisammlungen sind
zumeist ntir von solchen Lehrern besucht, die sich für das dort 5mr ^'erhandlnng
kommende riienia spcciell interessiren; fiir die Sache der Selbsthilfe aber RoUte
endlich — ich sage endlich, weil schon eine stattliche Beihe fehlgeschlagener
Venoche vorliegt — die gesammte Lehrraschaft Österreichs sich iateressiren.
Man darf den Ideallsmas aicht so weit treiben, dass man jeder materieilea
Frage aus dem Wege geht, man darf ihm auch nicht das Glück, den Friedwi
oad die Ruhe, ja die Existenz hunderter von Colle^en ohne Grund opfern.
Man möge sich doch andere Kürperschatten ansehen! Sie liaben aUe ihre
Yonehasa- and UnterstStzongscaasen, sie kOnnen dfirftigen, unglöcklichea Col*
legen hellSDnd aater die Anne gretfim aad manchen Siakoidea halten. Nar die
Lehrer haben nichts dergleichen, sie müssen sich, weaa sie Hilfe nöthig habeB»
an ander»^ Institute wenden; wie sie dabei wegkommen, ist liMfbT nur zu
bekannt, i'aher sollte das Thema der Stdbsthilte einmal an die Ktilie kommen.
So gäbe es noch eine Menge von Themen, die der l^ehandlung aut einem
Lehrertage wert wiren; alleia die Wahl war schwierig, deaa die gegenwSrtige
Zeit drängte, die überall ihrTTauiit emporstrecluaideBeaction zwang das Wiener
Centralcomite, besonders solch« Themen ins Anire zu fassen, die es ermöglichen,
gegen die retrograden Bestrehune-en der (i egenwart energisch zu protestiren.
Dazu eignete sich nun das erste Thema: Die Vor- und Fachbildung
der Volkssehnllehrer, gaaa hmmäim. Ebenso das swette, gaaz aaaiittel'
bar ans der Zeit heraasgewachseae: Die SchalgesetEaoveUe; aach das Thema:
Die Bezirksschulaufsicht, war ein zeitgemäßes und gestattete Bestrebungen zu
beleuchten, die dahin zielen, unsere G^istHchkeit wieder zu den alleinigen
Vorgesetzten der Schule zu machen. Das i üema: Weiche Forderungen müssen
hinsichttidi der inneren Ent Wickelung an nnsere Yolksscbule gestellt werden?
konnte leider — wegen Erkraaknng des Bdierenten — nicht mr Verhaadbiag
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kommen, was darom liedanerlieli ist, weil doeh unseren leitenden FersOnlich-
ke'.ten einmal gesagt werden soll, dass von einer Entwickelung unserem Volks-
schul Wesens keine K ^ sein kann bei den fortwährenden Stdmngen, die anf
dasselbe hemmend tfuivvirkeu.
AIb weitere Veiliandlungsgegenstliiide wvrden noch das Beferat des Herrn
Wiebtrei ftbo* das nene Gowerbegesets und „die Gründung eines aUgemeinen
teterreichiscken Lehrearbnndee" aofesetxt
Für 'lie Xpb<>nver«!ammlungen worden gewählt: 1, Die Bürgeisclmlf: 2.
Die KmdergiUten ; 3. Die confpfsionellp PrivatRchnle: 4. Die Selbstliilfe der
Lehrer und 5. Die Hegeluug der Cjuiiiquenualzulagen der Lehrer.
Damit scUoss die VorversanmiliiDg.
Die t rste HauptTflnammluug fand Freitag, den 4. Anirnst in den prächtig
geechmHckteii und frrossen KUomen des ansserhalb der Stailt im Gebi»'tp der
Gemeinde Paulsdori gelegenen ..rolosseums" statt. Herr Oberlehrer Anton
Katschinka-Wien begrüßte al« Obmann des Wiener vorbereitenden Comites
die Vmammliing und erstattete sodann Berieht über das Resultat der in dar
VerTezsammlnng Torgenomnienen Wahlen. Unter lautem Beifsll stimmte die
Ver^-nnimlnnfr diesen Wahlen zu, die in das Bureau Gewählten nahmen ihre
Plätze ein und der Vorsitzende, DirerTor Franz Bnbies-Wien. ertlieilte znnärhsl
das Wort dem Obuianne des Localaubsciiusses in Keiclienberg, Herrn Dr. Eiger,
welcher die Yenammlnng mit folgender Rede begrüßte:
^Heine hochverduten Herren und Damen I Ich habe Sie berdta gestern
in der Vorversammlung im Namen des Reichenberger Localaanchnsses anfii
beste begrüßt und habe Sie alle und jeden einzelnen von Tlm^^n auf das
herzlichste willkommen geheiiien: ich wiederhole diesen Willkoimiisgruß auch
heute mit gleicher Freude. Ich habe Sie gestern ferner die „Gärtner in Öster-
reiehs Jugendgarten'* genannt, und welch' erhabene Hission haben Sie als selche
xn erfiillen! Ihnen anvertraut die Mutter ihr Liebstes, ihr Kind — dasganae
gT'iße Keicli den jugen d ] i chen Nachwnclis. damit .^ie das Kind, die Jn-
gend durch Wissen, Bij i hl- und Aufklärung- aus dem Thale der Finsternis in
die lichten Hohen der i^reiheit und des Foilschritts geleiten; damit Sie den
einfachen Natunnensehen nun gesitteten charaktervollen, intdligenten Welt-
menschen umgestalten! In IhreHKnde ist es gegeben, in die leicht empfkbig^
liehen, zarten Kinderherzen jenen Samen zu streuen, welcher nicht nur den
peif5Tig:en. ftondern aucli den materiellen Fnrtschiitt in der menschlichen Gesell-
schaft zur Folge hat, zum Segen und zum Heile des Staates. Je weiter und
je ttefer £tte in aOei eindringen, was der Schule frommt, derto ergiebiger wird
Ihr Wirken, desto grSfier und erflrenUcher werden die von Urnen bei der
Vfdksbildtmg enielten Resultate sein! Das ist ja eben der edle Zweck der
LehrertagT. dass Sie — - die Lehrer und die Kveinule der Srhnle — zusammen-
konuneu zui' geuieiu^ameu Berathung, zum ge^euifeitigreu Austausch ihrer Er-
fahrungen, zur Aufnahme neuer Ideen und VortheUe, zum Wole der Schule.
Damm ohlii^ Ihnen die schwere, aber ehrenvolle Aufgabe, im Geiste der
Neuzeit, im Geiste steten Fortschritts die Schule immw melir und mehr zu
liefen und jenen Bestrebungen mannhaft und, wenn es sein mnss. mit alkn
trei. r/lichen Mitteln entj;:eg-enzutreten, welche den vorwärts strebenden Zeiger
au onserer Neuschnle zurückschrauben, die Schule auf das Niveau der früheren
VittdmftUgkeit sorfididittngen möchten. — Ich wei6, dass Ihre Zeit kostbar
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nnd kna])|) benit'ssuMi ist : ich halte es dahor für irohot'Ti. mich kurz zu fassen
und wiins» h<' nur. der Lehrertag möge Ihnen und mit Ilinen dem Staate« nn»
and unserer Jugend zom Segen gereichen! ' (.Lebhafte Beifalhmfe.)
Hierauf begrüßte der Vofriteende die Vemmiiilfing, spneh der Stadt
Beiehenbeitr den Baak ana ftr die freundliche Avtaakm «nd daa liebevolle
Entgegenkommen von Seite der BOi^rschaft, die anf jede Weite ihren Sjrmpa*
thieu für die Beßtrt hinit^tMi "icr Lelirersrhafl Ausdruck gibt.
Der Voraitzende ertheilte nun dem Refer-enten über das »?rst»^ Thema: „Die
Vor. und Fachbildung des VolksschuUekrers", Herrn Franz B<»hia-Znaim, das
Wort.
Ks war vonknaauseben. dass sich fiber dieses Thema eine lebhafte Debatte
entspinnen würde, und denjeuiy^en. welche den Organismus der Lehrertagsver-
handlnngen etwas genauer kennen, war es von vornherein klar, dass diesi s
Thema allein genügt hätte, die erste Hauptversammlung vollkommen auszu-
f&llen.
Es muss hier übrigena gesagt werden, dass man jedeamal, was die Zahl
der anfgrestellten Themen anbelangt, entschieden zu viel thut. Das würde an
and liii* sich nichts schaden, ulier man kennt die Cngednld srdch erroßer Ver-
sammlungen, die gerne dorch ächlussrnfen einen zu tief gehenden Redner unter^
breehen, weil ihnen bei der B^andlung einea Themaa ai&en die folgeiniea
vorachweben, die anch noch abgethaa werden rallaaen. Diese Ungeduld ist der
Sache selbst nicht förderlich. SpecietI dem Thema: Die \'or- und Fachbildung
des Volkssehnllehrers hat sie insofern freschadet. als mehi ere Uedner auf da.s
Wort verzichteten, lediglich des Umstaudeij weg^en, weil die Zeit für eine all-
aeitige Elrörterung des Gegenstandes nicht hinreichte. Der Referent, Herr
Fr. BShm-Znaim, holte andern noch etwaa writ aoa; es Ist doch nicht nnbedingt
nütig die ganze Geschichte der Lehrerbildung zu recapituliren. wenn man über
die Zukunt't derselben reden will; als VorTr.tjr in einer Lehrerhildunirsnnstalt
mag 80 etwa.s am Platze sein, für den Lehiertas: ist es zu vit-i. Hit-r heißt
es — schon um der Debatte möglichst viel Raum zu gewähren — knapp und
bfindig die Gedanken an formnliren, nicht aber daranf anamgehen, selber alles
zu sagen und ffir die Debatte nichts ihrig sn lassen. Ifon erspart aich da-
dnrch anch annnirenehme Enttäuschun^-en.
Der Referent unterschied drei Perioden in der (ieschichte der Tiehrei-
bildung in Österreich. Er feierte Maria Theresia als Begründerin der Bii-
dnngsststten, ihren groAen Sohn Josef IL als Vollender der begonnenen fiefor^
men, ging dann anf die Zeit der politischen SehnlverfiMsnng flbert gedachte
der französischen Revolution und ihrer weitgehenden Folgen, erinnerte an die
freiheitlichen Be.Htrebnngen des Jahres 1848 nnd an den Aufschwung, den das
Unterrichtswesen von da ab nahm, schilderte den dej)rimireaden Einfluss de^s
0>Qcordates und endlich die Ereignisse, denen wir in Österreich das neue
VolltBBchnlgeseta verdanken.
Redner führt nun aus, dass die gegenwärtige Lehrerbildung eine unge>
nügende sei, und hebt all die Xachtheile hen'or. die ttir die Leiner daraus
resultiren. Er führt aus. da.ss der geringen \ Orbildung we^en die Lehrer
uieht jene Achtung genieüen, wie sie ihr Stand verlangt; jeder erhebe sich
anm Bichter nnd Kritiker des Lehrers» jeder glanbe über die Arbeit des Leh-
rers nnd den Erfolg derselben nrthdlen an kSnnen. Redner weist anf die
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absprecheiidMi Urtheile einiger VoUnrertreter bin — Fürst Alfred Lieclit«n-
stt'in — nm seine AnsfOhrnntrpn zu hesrriinden. Es ist f?plb?!tver8tÄndlich,
liass Fürst LiechtenstPin die Lehrer iiiclit tadelt, weil sie Dummköpfe — aon-
dem weil sie ilim zu gescheit sind zum Sclirecken seiner Partei.
Beltoent erörtert nan noeh weiter^ dasB aneh die Faefabildmig eine nnge-
Dtigende sei und ftilirt die Annprfiche einer Beihe liervoiragender Pidagogieii
an, die derselben Überzeognng- Ausdruck geben.
Schließlich stellt Referent folgenden Antrao-:
Der VIIL allgem. österr. Lehrertag fasst folgende Kesuiutiun:
Es i^ diewteenschaftUcheimd Fachbildung des Lehrers za tremmi.
ft) Ab Vorttadlen für die Faehlillditiig ist das absolvirte Realgymna-
siam erforderlich. m
c) Die Fachbildung erstreckt sich blns ;uif die pftda^er'^sri^chen Discipli-
nen, ist zweijährig und in Lehrerbiidunpsanstalten und pädagogi-
schen Senünaren an Universitäten zu päegen. (Beide Anstalten
haben denselben Lebtplaa und Lehrgang; letastere sind Mnsteranstalten
für die Lehrerbüdnngsanstalten.)
d) Die Lehrerbildungsanstalten sind an Eang den theologischen Fach-
anstalten eleich^nstellen. als Hauptlehrer nur die tüchtigsten, wissen»
schaftUch und pädagogisch gebildeten Mauuer anzustellen.
t) Die Haapdefarer beddien ein höheres Odialt als die Hittelschnl-
lehrer.
f) Der Staat hat die Aufgabe, zur gründlichen wissenschaftlichen Aus-
bilduns: bewährter Volksschullehrer Stipendien zu gründen und vor-
zügliche Lehrkräfte wenigstens zwei Jahre an Universitäten zu
schicken.
Znr Debatte ergrilT nim das Wort Herr P. Pape- Wien; derselbe ist in
der Hauptsache mit den Ausfühmngm des Referenten einverstanden, er findet
die Vor- und F i -hbildung ebenfalls unzureichend. Nur sei er mit der Art und
Weise, wie der Keferent die Sache «reregelt wissen will, nicht eiüverstandeu.
Heferent wUl das Gymnasium oder die Realschule als Vorstufe; dem könne
Bum aas dem Omnde nicht beistimmen, weil ja beide Anstalten ganx yerschie-
den von einander sind und verschiedenen Zielen zustreben. Es würde nicht
gut ni''"j-ltf h '^ein. hierauf die Fachliilduiif? der Lehrer zu basiren. Für die
Vor- und Fachbildung seien daher ganz selbstständige Anstalten zn errichten;
dieselben sollen sechs Jahresstufeu haben. Vier Jahre sollen der Vorbildung
ind swei der eigentliehen Fachbildang gewidmet sein. Die lateinische Sprache
soH obUgatoriseher Lehigegenstand sein^ nnd aneh die modwnen Sprachen
ssUen ausreichend gepflegt werden.
Seine Rede jripfelt in foljrendeni Antrabe:
Der VIII. allgem. österr. Lehrertag woUe beschlieBen:
1. Die Vor- und Fachbildung werde an defselbea Anstslt ortheat.
2. Dieselbe nmfiuse 6 Jahre.
3. Das vollendete 14. Lebensjahr, sowie die absolvirte 8classig:e
Volks- oder Bürgerschule ^enügre als Bedingung für die Aufnahme.
4. Die lateinische Sprache werde zum ubligaten, die französische Sprache
zum uicht obligaten Lehrgegeustand erhoben.
5. Dem Lehrer werde die Hdglicbkeit der Fortbildong geboten.
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_ 124 —
Nnn erprriff Herr Dr. Friedrich Dirt»*- Wim, von der Versamminnjgf
stürmisch Wgrüßt, das Wort. Er betont, cLass er sich vorderhand weder für
die Ansichtea des Uerm Beferenten, noch für die des Ilerni Pape aussprechen
woUe, da es stell in der gegenwärtigen Zeit olmebin nidit dämm handeln VSwaie,
einen Neubaa ao&alBliren, sondern darum, das Alte, an dem allerorts grer&ttelt
werde, zn sicliorn und zu befe.*tig:pii. E?; g-plte vnr allem jene Bestrebnn^en
mit aller KuerKie zurückzuweisen, die dahin abzielen, die Lehrerbildung mehr
und iiielir herabzudrücken, einzuschränken, zu verkiirzen. Die bekannte Schul-
gesets-Novelle hat solche Tendenzen. Hier sei alles darauf geridit^ das Be>
stehende zurückzaschrauben, einzuengen, zn verkürzen. Anffallettd sei anch
der merkwürdige Umstand, dass nirgends in der Novelle von der deutschen
Sprache die Rede sei, auch nicht von dpntsrher Literatnr. was noch bedenk-
licher erscheine als jene Bestimmung der preubischen Regulative von 1854,
wdche TOB den sogenannten" deatsi^n dassikem (Lessing, Goetbe und
Schiller) redete. Die Novelle sei daranf angelegt, mit einem minder gebUdet«ft
Lehreratande zn rechnen; aber eine möglichst gründliche Bildang des Lehrers
sei eine unal> weisbare Xothwendiirki'it. Das pinRr-itiije ^'prlan^ren mnsikalisc lier
BetUhigung »ei ein AusselilieÜeu vieler tüchriirer .1 iiiiirlinge vom Lehrberuf.
Die Forderung, dass ein Schulleiter di«t Btliiliiguiig zur fcirtheilung des Keli-
gimisontenichtes nachwmsra müsse, kSnne zn Ungebenerlichkdten flUiren; sehr
bedenklich sei auch die Bestimmung, dass einer Lehrperson, deren Leistungen
nicht entsprechend seien, das BefUhigungszeugnis entzogen werden kSnne;
dadurch würe der Lehrej- der Willkür ]>n'is^eprebpn.
Redner t'urdert die VerüamQÜuug auf, sich entschieden gegen jede beab-
sichtigte Besefarttnknnf auszusprechen, imd beantragt folgoide Besolntion:
,,r>er VlIL allgemeine iJsterreichische Lehrertag erblickt in te Bestrebungen
[der Schulgesetz-Ni'velle'. die Lehrerbildung zu verkürzen, zu beschränken oder
durch einseilige Bestimmungen einzuene-en. eine frroße Gefithr fitr die Schnle.
Auderi>eits ist er der Ansicht, dass jedes urdnuugsmäßig erworbene Lehrbef älii-
gungszeugnis als eine unanfedtttmre Urkunde der abeolvirten Lehierbüdmig
SB gelten habe.*
Professor Tomberger- Wiener-Neustadt, welcher infolge der AusfQlirongeB
der Vorredner aufs Wort verzichtete, legte dem Präsidium folgende Thesen vor:
1. Die Lelirerbildung knüpft an die in einer achtclassisren Volkt>- oder
Bürgerschule erworbenen Kenntnisse an, beginnt mit dem 14. Lebens-
jahre und dauert 6 Jahre.
2. Die ersten 4 Jahre der Lehrerbildung sind der wissenschaftlichen
Ausbildiina: d« i Zöglinge gewidmet, die letzten zwei vonngsweise der
päda^'-ogi seilen.
3. Die lateinische Sprache ist obligates Lehrfach, die französische
ein unobligates.
4. Nach Vollendung der Lehrerbildung ist es den ZSgUngen, welche ein
Zeugnis der Beife mit Auszeichnung erhalten, gestattet, die Universitit
zu besuchen.
Da aber diese Thesen mit denen des Uerm Pape ziemlich ubereinstimmen,
andererseits im Interesse dw Zeit, vendehtet der Antragstellor auf die Begrün-
dung seiner Thesen. — Dasselbe that anch Dr. Piek- Wien.
HeiT HQfler*Wien verlangt, dass an den Universitftten eine pttdagegiscfae
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— i2u —
Facnltät errichtet werde, damit die Lehrer zn jeii< r TTähe modernen Wissena
e^^fiihrt worden, die sie k fl'ihigl. in den Geist der Werke unserer Forscher
und Uenkf i- einzudringen, l'ic Lelirtrliildnng' müsse dem weitest fortgeschrit-
t«nen Zeit^iste entsprechen, and dazu reiclien die Forderungen des Referenten
md des «weiten Herm Redners nicht ans. Bedner stellt nnn seine Ab&n*
demagsantrSge zn den Thesen.
Hierauf ergreift Professor Fuß-Wien das W'ort und I t i; rundet zuuiichst,
weshaH» fi als Mittelschullehrer das Wnrt ergreife, und gibt spiner Fronde
Ansdruck^ da»* unter den Volks- und büi^erschuUehrern sich Stimmen erheben,
welche eine gründliche Bildung des Lehren» fordern. Diese sei schon daram noth*
wendicT« damit die Lehrer eine feste Onindlage haben, nm sieh weiter fortbilden
m kÄmen. Er wfinscht die Einführung der lateinischen Sprache als unab-
weisbare Grundlage aller formalen Bildunjr Es sei drin^rend trebritt?n. da^s
die ^esammtp T.obrorsohaft einmntliiir iliro Stimme erliebe und der Forderung
am \ ertielung der Bildung Ausdruck ^^ebe.
Dr. Friedrich Dittes und Heir P. Pape hatten sich iniwischen ni einem
gemeinsamen Antrag geeinigt. Derselbe wnrde von der Vttsauunlnng einstim-
mig angenommoTi. Er lauTot:
,,Dio alls-cmeine oslerreieliisclie Lflirfrvorsammlniifr erblickt in den
Bestrebnngeu , die I^ehrerbildong zu verkürzen, zu beschränken und durch
einseitige Besthnmnngen einzuengen, eine große Gefahr fttr die Schnle, ist im
Gegenthcil der Ansicht, dass eine Verlftngemng der Zeit der LehmbUdnng
um zwei Jahre und eine Erweiterung und eine Vertiefung des Unterrichts,
namentlich in syirnobli' li-literarischer Hinsicht dring« nd geboten sei: tVrnor ist
sie der Ansicht, dass jedes ordnungsmäßig erworbene Lehrbef.ihigungäzeugnis
als eine onanfechtbare Urkunde der absolvirten Lehrerbildung zn gelten habe.'*
Damit war die Debatte Uber das erste Thema beendet, nnd nnn eignlf
Herr Holczabek-Wien das Wort znm zweiten V« rhandlungsthema:
„Aus welchen Gründen können .die Lehrer dtr Schulgesetz-Novollc in
ihrer Oanzo nicht znstinimen?" Referent sprach in glänzender Rede ein ge-
radezu vernichtendes Urtheil über die Gesetzes-Novelle, welche das Eeichs-
Volksschnlgesetz anfhebe nnd in keiner Weise ersetze, da sie anf Prineiinen
beruhe, die diesem Gesetze entgegengesetst seien, weldies fibrigens Iftng^t (ihne
allf Scli\vicriykoit«'ii duiclitjcfiilut sriii k?1nnte. wenn man v<m vomhcroin den
uöthigen Ernst und di»- nütlii^-o Knergie an diese Arbeit j.'-owendet hiitto. Die
„Novelle'* sei eine Concession an jene Kreise, welche die „Concordatsschuie"
wflasdHm, die die Nensehnle hassen, weil der Staat die AnlUdit führt, weil
sie confessionslos ist, weil sie der Geistlichkeit entrückt wnrde. Die Novelle
befriedigt auch nur jene Kreise, denen Volksbildung und Anfkläiunar ein
Gronel sind, die der Ansicht sind, dasa dem Bauer und kloiriou Hiiru-cr \\ i«sen
schädlich sei. Man scheue kein Mittel, um die öffeniliciie Meinung ü^^er die
Nensehnle zn täuschen, und in Blättern und Blättchen „filrs Volk" werden
derselben die wnnderlicfasten Dinge nachgesagt.
Referent L. sprarli nun in scharfer und überzengender Rede die einzelnen
Paragraphen der Novelle, besonders diejenigen, welcli. dt rsi ll en das Merkmal
der RtactiuM aufilrüokon. nnd bewies, dass — trotzdem die Bürgerschide an-
scheinend recht gut in dem Entwürfe bedacht sei — die ganze Novelle ein
schadhafter, anf Sand gestellter Bau sei. Mit einem kraftvollen Appell an das
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H^"l•rpnha^s. den treuen Tfnrt «ler Schule, sihln^^s der Refmnt seine AusAh-
raugen und empfahl folj^ende Kesolation zur Annahme:
„Der am 3. August 1882 abgehaltene Lehrertag fühlt sich vor allem
TCfpflichtet, allen den sablrekhen Gemeinden nnd CofporatioiMn, die aidi gegen
die Sdralgesetz-Noyelle nnd für die Beibeludtong des Beidw-VolkBacfanlgMetue
vom 14. Mai 1869 ausgesprochen, den innigsten Dnnk ansziidracken. (Bravol)
Tndpm diese LehrerversninnihiTifi' v.:}<^h wie vor in d^r stptijren Dnrchfiihmn?
des Kt»ich8-Volk88chulge»ety.es eiue der wertvollsten Grundlagen zur Förderung
allgemeiner Volksbildung and mit dieser zur Wolfahrt des Staates erblicktt
dagegen dnrch die Sdralgeeetag-Novelle die ftrteefareltende Entwickelnng dee
Volksschulwesens gehemmt, die Grundprincipien des Reichs- Volksschulgesetzes
he<«eitigt. der Lehrstoff in nnbf ^riiiKlt tt r Weise vermindert. A\o 8j:ilirii?o Sdiul-
pdicht zur Ausnahme, die HjiUiriL,'»» zur Regel gemacht und eiue streng cou-
fessionelle Sdiule angebahnt werden möchte, so sieht sich der achte allgemeine
Qstemicliische Lehrertag sowel wu pOdagogisch-didaktlschen, wie ans patrio-
tischen Gründen veranlasst, dem lebhaften Wunsche Ansdmck zu verleihen .-
Das h'ili.' Hf irenhaus m^ire rtnch Uber diese ganze Schulsresetz-Novelle
zur Tagesordnung^ übergehen (Bravol), wie es srint^rzcit die Aufhebung der
8 jährigen Schulpflicht zu seinem Ruhme und des \'aterlandes Ehre (Bravo!)
m idederliolteii Malen abgelehnt häV* (Bravo!)
Unter stfirmischem BeifUl wnrde diese Besolntion einstimmig angenommen;
es erhob sicli bei der Gegenprobe keine einzige Hand, und somit war das Ur-
thpil (\pr österreicbischen Lehrerschaft fiber diese Novelle ein geradezu ver-
nichtendes.
Nachdem die Zeit schon zu weit vorgerückt war, konnte man nicht mehr
daran denken, noch einen weiteren Q^nstand znr Yerluuidlnng m bringen,
und es wnr<Ii- liiet-mit die erste Hauptversammlung geschlossen.
Die zweite Hauiifver«:ammlnn;r. vi 1 flu? Siunstag- den 5. Aninist stattfand,
wurde mit dem Referate des H^rni Franz Wichtrei-Wien über ..Das neue
Gewerbegesetz im Lichte der Schule" eröfEnet. Der Referent l)K?grün-
dete die Aulstellnng dieses Themas mit der Forderung, dass die GrundsStse
des Schulgesetzes auch in anderen Gesetnen nun Ausdrucke kommen müssen,
m\ä dnrf'h den TTinwei.s daranf. dass Bestimmungen der alten Gewerbeordnung,
welche treffen das Scluiliresetz verstnßen, in das nme O^werbegesetz aufgenom-
men wurden. Der § 80 desselben gestatte, dass Kinder im Alter von 10 — 12
Jahren war geweibliehen Arbeit T^fwendet werden dfitfen, wenn sie cdnen Er-
laabnisschein des QemdndeTorstandes beirobringen imstande sind. Kinder
von 12 — 14 Jahren können selbst diesen entbehren und verfallen, wenn die
Eltern es verlana^pu. schonung'slo.s der Arbeit. Die Ausinütznnt,' d< r kfirp^r-
lichen Kraft der Jagend sei ein Hohn auf unsere Cultui-. Der Referent be-
gründet sodann die von ihm aufgestellten Thesen in sehr scharfer, logischer
Wdse nnd schlieBt seine, ott von BeifkH nnterfaroehenen AusflUvungen damit»
dass er der Hoflfianng Ausdruck , i Meh, es werde der VIIL allgemeine öster-
reichische T.ehrertnc, falls er die Thesen annähme, wesentlichen Antheil daran
haben, wenn das alte deutsche Sprichwort wieder zu Ehren komme: „Hand-
werk hat goldenen Boden."
Zur Debatte ergriifen das Wort die Herren Binstorfer-Wien, Flscher-
Xailimdorf und Jessen-Wien. Ersterer woUte von „Kinderarbeit'' flberhaupt
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uichts Ydasen nnd begründete seine Ansicht in warmer, fiberzeug«iider Sprache.
Fischer meinte, die Schnle hätte auch die Pflicht, andere als blos pewerbliche
Interessen zn fördern, and Jessen poleini&irte gegen den zu idealen Standpunkt
Binstorfers; man mftsse auf dem Boden bldbefi, auf dem ein Erfolg überhaupt
nOtrlidi sei. Durch miEig« und nicht sa lange wtthrende Arbeit weide weder
die Aufgabe der S( huIi- noch die Gesundheit der Kinder gefthrdet, die trenrige
Lege vieler Arbeiter aber wesentlich veibe-spi t.
Es werden sodann die Thesen des Kefereuten in folgender Fassung an-
genommen:
1. Schale und Gewerbe stehen in maonigfaefaer Wechselbesiebuig; folge-
richtig müssen auch die gesetdichen Grnndlftgen, auf denen Sohiile aowol als
auch Gewerbe sich aufbauen» im Zmammenliaage itehen, sich gegenseitig
bedingen und ergänzen.
2. Die gewerbliche Frage kann nicht allein auf dem Wege socialer Or-
ganisation ihrer LOsnng zugefOlirt werden« sie ist in enter Unie efa^ Bil-
dnngnfirage.
3. Volks- und Bürgerscliule berücksiclitigen, soweit damit nicht die all-
gremcine Aufgabe der Volksschule tangirt wird, in allen Untenichtsdisciplinen
die gewerblichen Interessen. Eine zielbewusste Verullgemeinerung der gewerb-
lichen Schulanstalteu (gewofbliehoi FortUldnngsschulen, Fachschulen etc.) im
Aii««>Mii— a an die Vollndiale ist eise Forderang der Zeit
4. Das gewerbliche Schulwesen etdn^ ein Beichs-Gewerbeschulgesetz.
5. Die Errichtung- von Bildnngsrursen an den bf^sr -henden k. k. Staats-
gewerbeschnlen für Lehrer gewerblicher Schulanstal i t u i^t eine wesentliche
Vorbedingung des Gedeihens des gewerblichen Schuiweäeus.
6. Den Zeugnissen der gewerblichen Sehnlanstalten mnas eine eriiShteie
Bedeutung eingeräumt werden. Die Alhdtsbtteher haben eine Auskunft über
die SchHlvt rhiiltnisse des Hilfsarbeiters zu enthalten. Die Freisprechung eines
Lehrlings darf nicht erfolgen, wenn d» ist Ibt sich überhaupt mit keinem Zeug-
nisse über den B^uch einer gewerblichen Lehranstalt ausweisen kann — iuso-
ten dies nfigüch war ^ oder wenn in dem Zeugnisse sdn sittUehes Betragen
als Gerwerbescfafller mit „nicht entepraehend" bemiehnet ist
7. Eine Hauptaufgabe der gewerblichen Genossenschaften ist die Pflege
Forderung und Gründung gewerblieli<M- S< hulanstalten.
8. Die Kinderarbeit in den Fabriken und gewerbUcheu Unternehmungen
moss auf das nothwendigste Hall beaehxflnkt werden. Kinder vor vollendetem
14. Lebeni^ahre dürfen an refelmSüjgai gewerblichen Beschftfkignngen nidit
lierangezogen werden.
9. Jeder Lehrling hat sich l»ei seiner Aufnahme in die I.» hre mit einem
Zeuguisüe auszuweisen, aus dem ersichtlich ist, dass er feeinei ^c]mipllieht Ge-
nüge geleistet hat; dein Lehrherm ist es nicht gestattet, ohne Beibringung
dnes solchen einen Lehrling anfiranehmen.
10. Kinder, welche /.um Besnche der Schule verpflichtet sind, dürfen in
Fabriken nur dann beschäftigt werden, wenn sie in der \'ulksschule oder in
einer von der Schnlanfsichtsbehürde genehmigten tschule und naeh einem von
ihr genehmigten Lehrpian einen regelmäßigen Unterricht von miudesteni» drei
Standen tftglich genieBen. Die Arbeitszeit darf seehs Standen per Tag
nicht Bbenteigeo.
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«
11. Für Erriclittinsr von Fabrikss« linUn muss in anps-iebi^ron-r W*"ise
vor^esorj^t w^nlfii. Auf »iein Verordnan?s\veg-e sind uiul'assende liestiiinimngren
üb«!- Kniciituug, Uiiterriclitszeit, UntHtrichlsdauer, Lehrziel, Lehiplan, Scliui-
disdplin etc. zu erlMwn.
12. Den Gewerbe- und FabrikioBpectoren werde auf das Xacbdrficklichste
Eor Pflicht geinnchf. ihre Anfmprksnmkeit dem i>liysis(lien und geistigen Wole
der Kinder der Arbeiter und der arbeitenden Kinder zuztnvenden und .sorg-
lichst die die Schale betreffenden Bestimmungen der Gewerbeotxinung zu über-
wacbeii.
13. Das HanBiroi und FeUbieten von Waran dordi sehnlpiUehtig« .Kinder
ilt untersagt (Hausirpatent).
Director Kop«»tzky-Wi(»n referirte hierauf über da.s Thema: „Gründung
eines allgemeinen österreickischen Lehrerbandes.** Es scheint, dass
dieses Thema die Seeschlange der Qsterreicbiscben Lebrertage werden soU.
Schon etnigemale ISuste dw Oetemichlsche Lehrerkag aber dasselbe Thema
Beseblnse, ohne dass bisher ein praktisches Besnltat zu Tage gefördert worden
wäre. Hoffentlich gelingt diesmal die Gruixlung ih'^ T.ehreibundes und die
Frage versciiwindet von der Tagesordnung unserer Lehrertiige.
Der vom lieferenten Kopetzky- Wien begründete und zur Annahme vorge-
legte Statnten-Entwnrf lantet:
§ 1. Der Allgemeine österreichisehe Lehrerbnnd hat seinen Sitz in Wien
und besteht ans den sieii demselben ansehließenden einzelnen Landes-Lohn^r-
vereintfu. sowie aus jenen iiuderen Lelirervereinen, denen keine Gelesrenlieit
geboten ist, durch einen Landes-Lehrerverein dem Allgem. österr. Lehrerbuude
anmigehlbfen.
Der Allgem. Osterr. Lehrerbnnd stellt sich die FSrderang des Sehnl»
Wesens überhaupt, insbesondere aber das einheitliche Zusammenwirken zur
geistigen Fortbilduns" und zur Wahrung der Standesintere^sen der österreichi-
schen Lehrerschaft zur Autigabe. Zu diesem Zwecke linden statutenmäßige
Versammlungen statt.
§ 2. Der Eintritt der eincelnen Voelne in den Allgera. Osterr. Lehrer'
bnnd erfolgt auf Anmeldung bei dem Ausschusse desselben. Der Austritt
aus dem Bumb- s^e^clneht ei)»'.vt 'b r lurch srhriftliche Meldung oder stillschwei'
gend in den statut-'ninäßig festgesetzten Fällen.
§ 3. Jeder dem Allgem. osterr. Lehrei buude beigetretene Verein bat das
Beeht der Wahl Ton Yertreteni mr Beschickiing der DdegiitenTemauninogr
welche in der Begel allljUiriichf spAtestens alle 2wei Jahre einmal in Wim
SUttfindet.
Jedes Mitglied eines dem Allerem, österr. Lehrerbnnde augehörenden Ver-
eines hat das Recht, an der Generalversammlung des Bundes, welche je
nach Bedttrfiiis Jedes Jahr odo* Jedes zweite Jahr einmal in einem Orte der
im Beicbsrathe Tertretenen Lftnder stattfindet, mit beratboider und besehlieSen-
der Stimme theilzunelimen.
HinirP2r''n hat jeder beißet tetene Verein die Verpflichtung, die von der
Deiegirten Versammlung bestimmten Jahresbeiträge binnen acht Wochen
nach Empfang der Aufnahms-Urhnnde einzusenden, widrigenfalls der Verein
als stillBchwelgend ans dem Lehrerbnnde ausgetreten betraditet werden mflsste.
Das Verein^jahr beginnt mit dem 1. Jftnner.
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§ 4. Jeder dem Allgem. öpterr. LolirerVmii(ie. beigetreten*^ V' rt iji w.'Uilt.
wenn seine Mitgliederzahl anter 2UU steht, einen Vertreter; Vereine, weicht;
200 — 500 Mitglieder zählen, wfthlen zwei Vertreter; jeae Vereine, deren
MitgUederzalü sich zwischen ÖOO nnd 1000 hewegt« wÜiImi drei Vertretw.
Auf Vereine mit 1000 — 2000 Mitgliedern entfallen sechs und auf alle
äbrigeri Vereine, deren Mitgliederzahl 2000 iiluTsclirpitf't. zehn Dele^nite.
Die Zusammenkunft dieser Vertn^ter bildet die Delco^ii ton Versammlung.
Jeder Delegirte hat sich mit einer bciirittlichen Bestätigung des hetreffeuden
Vereines Aber seine Wahl ansznwelsen und von seiner bezathenden und be»
schließenden Stimme persönlich Oebranch zn machen; eine Stellvertretung
findet iiii lit statt. Pie Di K'irirtonver5!ainmlnng, welche auch den Bundes-
anssrhuss \v;11ilt, ist nur dann besrhlussialiijjr, wenn von der Zahl der dem
Bunde angehöiigen Vereine wenigstens eiii Drittheil vertreten ist. Die Be-
■chlfiase im Ansschosse, soirie in der DelcgirtenTersammlong werden mit
absoluter H^oritftt gefasst. Bei Stimmengleiehheit ist der Antrag geftiUen.
Dringende Fälle berechtigen den Bundesansfichnss znm sofortigen Ein-
schreiten gegen iiachherigre Genehmigung" der Delegirtenversamnilnng.
§ 5. Die Leitung und Nertretung des Bundes besorgt der Bundesaus-
schnss. Derselbe besteht aus dem Vomtzenden, dessen zwei Stellvertretern,
drei So^ftfRhremi einem Casaier nnd vier Anssduissmltgliedem.
Der Cassier flbemimmt die Geldbeträge und legt der Delegirtenver^
Sammlung die Belege über die Verwendung derselben vor. Die Delegirten-
versaniinloug prüft die Bechnnngen durch zwei von derselben gewäiilte Se-
V isoreu.
Der Ansschnas ratwirft die GesddUtsordnnng. Die FnnctioiUlre werden
in jeder zweiten DdegirtenvenammliiDg neu gewfthlt. Die Austretenden sind
wieder wählbar.
Der Uundesaus.'icliuss besorgt die Vorarbeiten zur Delo^irt«>n-
and Generaiversammlung und bestimmt Ort, Zeit und Dauer der-
selben, S&mmtiiehe Mitglieder des Ausschusses verwalten ihr Amt als Ehren-
amt nnd beadehra keinerlei Honorar. Jedoch gebttrt ihnen ffir ihre im Ver*
einshiteresse gemachten Reiseauslagen Ersatz aus der Vereinscasse.
Jedes vom Vereine ansfreliendo SchriftetUcli ist vom Vorsitzenden nnd
einem Hchril'ttührer zu unterzeichnen.
§ 6. Anträge auf Abänderung der Statuten müssen wenigstens vier Wo-
ehen vor der Delegirtenversammlnng dem Bundesansschasse angezeigt werden.
Die Beschlüsse über solche AntiäL'^e sind nur dann giltig, wenn mindestens
zwei Drittheüe der änwesenden Mitglieder der Delegirtenversammlnng dafQr
stimmen.
§ 7. Etwaige Streitigkeiten von Vereinsmitgliedeni, die aus demVereins-
verhUtnlsse entstehen, werden durch ein Schiedsgericht gesehliditet. Zn die-
sem Zwecke wählt jede der streitenden Parteien zwei Mitglieder, welche sich
ein fünftes Mit^^ied zum Obnuuine bestellen. Gegen den Aussprach des Schieds-
gehcht.s o^ibt es keine ISfrutiing.
§ 8. Bei Auflösung des Vereins, die nur dann stattfinden kann, wenn
sie von der Delegirtenversammlnng mit Zweidrittel-Uajoritftt beschlossen wird,
bestimmt dieselbe die schlieBliche VerwNidDng des Vereinsvermdgena.
Herr Planer- Wien ergrüT an dem Thema das Wort, sog sein dem
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Central-« "lüift^ eingesandtf^s Thema: ..DiV Znkuurt der Lehreitage" herein und
schlag eiuij^e Thesen de-^selltoii zur Aiiuahme vor:
1. Das Fortbestehen der alltremeinen österreichischen Lrhrortag^e ist eine
wesentliche Bedingimg tör das Gedeihen der österreichischen Volks-
imd Burgerschole, eltt mflntlMlU'lidies Hittä snr Hd»iiiig des StaadM-
bewoMtseii», der materiellen und eodalen SteUnog des Lehrstaiidee.
2. Es ist wünschenswert, dass sicli ein allgemeiner österreichischer Leh-
rerluind oonstitnir^ lU-m alle Lanii«'s- und die größeren Lehrervereine
als Zweigverbiuduugen angehören uiögeu und dessen Hauptversamm-
lungen die Fortsetzung der Lelirertage bilden sollen.
3. Bis zur Constttnlrung' des allgemeine Osterreichisdien Lehrerfanndes
sollen die Lehrertage von zwd sn zwei Jahren in eine der grOUeren
Städte Österreichs einberufen werden.
Kedner beantragt femer noch, die Versammlung wolle das Wiener Cen-
tial-Cuiuitö mit der Aufgabe betrauen, unter Anwendnni^ aller gesetzlich zu-
lässigen Mittel die behördliche Genehmigung der Statuten des Lehrerbuudet»
aumstreben, sowie dassäbe zu beanftragen, aaeh in Znknnft die LehrerCage
einroberafen. Alle diese Anträge werden angenommen.
Herr Krantmann-Wien stellt den Antrag:, die Versammlung möge beschlie-
ßen, dass es in den Thesen des Herrn Planer statt allgemeiner österreichischer
Lehrertag heilieu möge: „Allgemeine Vei-sammluugen deutscher X<ehrei: in
Ostoveidi^, da deb ja, wie die firfehrung lehrt, an d«i sogemnnten allgemd-
nen OetaTeichisehen Lehrertagen nnr Dentsche bethesligen.
Bei der hierauf folgenden Abstimmung wurden die Bezeichnungen „Denlach>
österreichischer Lehrertag" und „LteutsLli-österreichischer Lehrerbund" mit
gruüer Majorität angenommen und ebenso der Staiutciieatwurf — der nun frei-
lich manche Andei-ung hatte erfahren müssen — genelimigt. Auch wurde
dem Wiener Central-Comitö das Mandat aar DnrcbfShning der gefiusten Be-
schlÜJBse ertheilt.
Zum letzten Thema, weldit s auf der Tagesordnung stand: „Die Bczirks-
schulaufsieht**, sprach Kefer» nt. Frisch-Kiagenfurt. leider schon vor einem etwas
müden Publicum. Er besprach zunächst die Eigeusclxaltfu, die ein Schul-
iuspi etor haben soll, bedanert, dass diese Fnnctionllre hftnflg ans dem Kreise
der Geistlichen und Mittelschullehrer entnommen werden, welche einerseits für
die Volksschule nicht das nötliige Verständnis, andererseits auch nicht die
nöthige Selbstständigkeil besitzen. Daraus erkliiren sieh eben auch die Schä-
digungen der Schule seitens dieser Institution, mit welcher nicht experimentirt
werden sollte. Besonders schildlich wirke das ProTisorinm im Amte eines
Inspeetors, nnd et sei daher dasVeriangen nach stftndigen liispectoren ans dem
Kreise der Volksschullehrer ein gerechtfertigtes, nicht blos, weil Landtage and
Gemeinden sie h* r* its oft genug verlangt haben, sondern aueh darum, weil
dadurch dem Pej^ueleu der clericalen Partei, sich wieder der Schulaufsicht
zu bemächtigen, ein Riegel vorgeschoben werde. — Es werden folgende vom
Beferenten aniigestellte Thesm einstimmig angenommen:
1, Die Besirlcsschnl aufsieht kann ihrer Angabe in vollem Umfange
nor dann gerecht werden, wenn die TrBger derselben mit einer tttch«
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tigreu allgemeiiieri Bildung eine Torsftgliche praktiacke nnd theore-
tische Berufsbilduiis- verbinden.
2. a) Unter Wahrung dieses (irund-satzes sind die Bezirksschulinnpec-
toreu ausschließlich dem Ki'eise der Volksschulen und Leh-
rerbildnngsaiiBtalten m entaehmen.
b) Dm BeBirkesehulinspectorat darf nicht als Nt beiianit ver-
sahen werden: es sind vielmehr, ^^leicliwic es in dcii Xadihiirstaaten
mit Erfolg f!:eschehen ist. ständige Bexirksschu 1 i ii s pc ( t oren
cinzosetzen nnd den8eli)en solche Bezüge anzuweisen, dass »ie ihrem
wichtigen Bernfe ganz anzogehSren in der Lage sind; an letsterem
Behnfe sind ihnen auch Hilfskräfte znanweisen, welche sie von den
Schreibgeschäften na<:h Möglichkeit zu entlasten haben.
3. So lansr^ d:»s {mrenwn rtige Provisorium besteht, ist es nothwen-
dig, dass bei Ernennung der Bczirksschnlinspectoren in allen Ländern
heitfanmte Zeitrftnme festgesetzt und eiugcUalten werden.
Damit war das Programm des VIIL allgemeinen SsterrelchiBchen Lehrer-
tages erledigt, nnd nachdem der Vorsitzende Worte des Dankes und der Freude
nWr den wiinlifireii X'crlaiif flf-r \'«'rh;'Tif]1nn^'pn gesprochen, schloss er mit einem
i^uf ein frohes \Vieden»eheu beim neunten Lebrertage'' die Versammlaug.
In den Neben TCrsa mm 1 Uli gen wurde verhandelt: über die Kinder-
gSrten, Uber die BUrgerscholen, über die eonfessionelleu Privatschnlen, Uber
die Dienstaltenoulagen der Lehrer, Aber die Selbstiülfe der Lelirer, fibor die
Herstellung physikalischer und chemischer A]ii>ai ;üi . Obwol auch diese Ne*
benverhandlungen mancln s Inr. ressante und Li Urreiche darboten, können wir
doch — wegen dt-r Knappbeii des uns zur \ ei-fiigung slchendt ii Kanmef! —
nicht auf sie eingehen- Glücklicherweise dürfte unserem Bericlit^i binnen
kuner Zeit von anderer Seite eine aUen Ansprfichen genfigende Etgftnnmg
Iblgtai, von welcher die Leser des Pädagogiums jedenfalls Notiz erhalten werden.
Hervorheben wolU-n wir ubt-i- nochmals, dass der Verlauf der Reiclien-
berger Lehrervcrsnnnnluntr im ^'^roßcn and ganzen, namentlich wenn man die
Ungunst der Zeitverhäitnisse erwägt, als ein sehr glücklicher bezeichnet wer-
den mnss. Es waren nnvergeasliche Tage ffir alle, die sie mit erlebt haben,
und scfaieltt auch der Same, der dort gestreut wurde, nicht gleich in Halme,
reifen anch für ma keine Früchte aus dieser Saat — sie ist trotzdem nicht
vergeblich »-ewesen - - die Zukunft wii d ei-nten, wo wir gesäet.
Osterreich» Lehrer kennen das Wort: „Wir können warten'*, »ie haben
e« oft bewiesen, so energisch sie auch protestirt haben gegen sündhafte Verschlep-
pung«! der enisteeten Angelegenheiten; Österrdchs Lehrer mögen kttnlüg die
Worte des Mannes, der so viel zur Gestaltung unseres Schulwesens beigetragen,
als ^Torto führen, jene Worte, mit denen der Hann seine Bede am Keichen-
berger Lehrertage schloss:
„Nie abwärts und rüt^kwärta, stets aufwärts und vorwärta!*'
PMac«vism. & Jtbts. Baft II.
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Die LehrmittelaiLSStelliuig des Lehrertages.
Beim DorehidirMteii der Bimilichlraiteii des k. k. 01ier>BealgymnaniiiiM,
in welchem die sehr reichhaltige und sehenswerte Lehrmittelsammlung unter-
gebracht ist, ^llt »'S z!it>r«t Hntrenehm anf, dass zahlreiche Aasstellnngsobie^te
von Lehrpersoneu selbst hergestellt sind, ein Beweis, mit welcher Liebe, Be-
geisterung und Hingabe die österreiehischen Lehrer ihrem Berufe sich «idmen.
In der AttssteUiuig sind vertreten: Die Spiel> und BesehftftigiUigigwbeii
des Kindergartens, die Ansduuiiiiigsmittel der Volks-, Bflrger* uid Mittdseluile
und der LehrerbildunjErsanstalt.
K- ist hier selbetverständlich nicht inöglith alle ausgestellten Objecte
eingehend zu besprechen, und dies ist wol auch uiclit uüthig, weil ja viele der^
selben UngsC beim Untenidit beniltxt werden, «adi bei anderen AnssteHnngen
schon xn seben waren. Wir müssen ans im wesentlichen anf nene Erschei-
nnngen und auf weniger bekannte Objecte beschränken.
Zunächst sind es die von Henn (Jnstav Trnpka. Lehrer in Prossnitz, mit
großem Fleiße und Verständnisse gearbeiteten Pläne und Karten für den hei-
uatacoBdliehen Unterricht, die nnsere Anfmerksamkelt ÜMseln. Der VeiHuser
ffthrt den ganzen Stoff dieses Unterrichtig<^;enstandes in sanber anf Nator*
papier gezeichneten Karten vor. Dieselben werden auch von Schül^ anf
stigmographischen Blättern entvA'Tfpn. Vom Pinne des Schulzimmers ans-
gehend, kommt er — fortführend out denSi hüiern zeichnend — zur Karte der
Umgebung de» Schulortes und dann der de« Kruulandes, von dem dann poli-
tische, Flnss-, Gebirge- nnd Eisenbshn-Kaiten entworfen werden. Sdir ia^
• structiv sind die Karten, die Entwickehingsgeschichte der Ssteneichisch-nnga-
rischen Münar< liie darstellend. £s sind deren dreisehn, und sie reichen bis in
die neueste Zeit iierauf.
Für weitere Kreise interessant und lehrreich dürfte die Arbeit der Wie-
ner Indnstilelehrerin, des FrilnlelnB Luise Frokesch sein.
Es nt dies dne Oolleetion irystttiiatisch geordneter weibUdier Handarbd-
ten, welche den bei diesem ünterrichtsgegenstande einzuschlagenden Lehi^iang
von der T. his zur VITT, flasse der Volks- und Burg^ersrhnlen in sehr instruc-
tiver Wt;i&e darstellt. Lehiiitoß', Lehrziel, Zeiteintheidung, Material etc. für
Jede Arbeit und kurze, gründliche Anleitungen über den Beginn derselben ist
auf je dn«r Taföl (ffir jedes Sdiuljahr) ersichtlich gmacht
Sehr .'sehenswert sind auch die mit großem Fleiße ausgeflllirten Schulwand-
t^ifeln tur den botanischen Fnterric ht, welche von dem Frager Lebror F. feil-
ner zur Ausstellung gebracht wurden.
Femer begegnen wir den Original-Kindergartenspielen von Carl Schelluer,
wdeher seit einer Beihe von Jahren nnomüdUdi bestrebt ist, Neues und Ontes
für den Kindergarten zn finden nnd hensnstoUen.
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Sehr interessant ist die in einem Saale überaiohtlieh zniammeiigMtellte
Lehrniittplsammlung einer Volks- und Rürgerschiilo. Diese Sammlung wurde
ans den inventarien der Commanalschulen Reichenbergs, der protestantischen
Schule daaelbsti der Maö'ersdorfer und Liebenauer Schule zusammengestellt.
El wird freükh noch lange wUtren, bis jede Schule in Österreich sich einer
aoifiliea MoBternaniinlnng erfireaen wird.
In einem zweiten Sttle befinden sich die an den Wien* i \'oIk8- und Bür-
gPT>;r}\ulon in Verwendung stehenden Lehrmittel; auch College Dom hat seinen
Zeichen-Apparat zur Demonstration der perspectiviachen Erscheinungen hier
aasgestellt.
Die aehfoen Kaxtenwerlw Yim Artaria ft Comp., die Karten dea Prof.
Trampler, die wo! eimdg dastehen, lisgen hier anf and finden nngetbeilten
BeifalL
An den Wänden des (.'orridors behnden sicli die Wandtafeln für den
Haudarbdts-Unterricht von M. Godei, eine fleiflige, originelle und gewiss ver-
dieiMtUcIie Aibelt, die kdnfir Hiddiansehnle IMilen sollte. (Verlag von Jolina
KUnUiarat)
Sehr hübsch präsentirte sich der Zeichensaal, in dem der geaanunte LebT'
apjparat der Lelirerbildungsan^italt zur Scliau fre-^tellt war.
Es wäre noch manches anzuführen, manches verdiente eine eingehendere
WürdigODg — aber weder UeBeu uns die bewegten Tage der Lehrerversamm-
Inner die nSfUge 2ett sn einem grOndlicheren Stndimn, noch ancb afeiinde ans
jet^ der nöthige Raum zn Gebute, alles nach Gfebtir zu wfirdigen. Eines
MaJines aber mfissen wir schlieülich nodi gedenken, eines Mannes, der keine
Miiiie, keine Zeit, keine Kosten gescheut hat, um die liehrmittelsammlung
seheiiswert zu gestalten, des Hemi Gymnasialdirectors Wolf in Reichenberg,
dem allaa Lob nn^ die dankbarste Anerkennung geblirt
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Pädagogische KundscliaiL
Vm Jhramz FrUch- Klagenfurt.
Wach sende EltMiU'nt.irhildiing in El sass-Lnt liringeu. Die offi-
cicllen Answeise über den lUMnngsstaud der Ereatzr uinsrhaftPii aus di^m
Beiclislaade, welche dem deutschen Heere eingereiht werden, constatiren einen
stetig waehBenden FortBchritt WUmnd noch im Emtigahre 1876/77 5
der elnas-lotliringtaslieB Beeroteo aller Scbnlbildnnsr entbdirtflitt ateUt aich
diese Zahl nach dem letzten Anawela (ttber 1881 82) nur noch auf
Schnlflüchtlinge. Während H.s>i.Mi .m'i • achtjährige Schul pH ieht ein-
g'etnhrt hat. ist die Dauer derselben im (Ti-oßlu rzo^hum Weimar und in Baiern
nur auf 7 Jahr«; üonnli*t. In den hessischen Gegenden nun, welche an die
letatgenannteii Lander grenaen, weügt aich nicht selten die Encheinnng, daaa
die jungen Leuti' nach Vollendung des siebmten Schuljahi'es bei baii Tischen
oder V • irr n ischen Bauern in Dienst treten, um anf diese Art der ächniinft ein
Jahr früher zu entgehen.
(reschichten huh Hiinchcu. Die Uanptütadt an der Isar i»t im Beätze
vmi IBnf ^nltanaehnlen, neben desM aneh conÜBiBiMielte Sehnkn beatehm.
Jedem Vater, der Anstand nahm, seine ^der in eine simnltane Anstalt an
sehicken, stand seit jeher der Weg der Dispens offen, von oincm »Mir" ntlirhen
Zwanc Vf^nnte also nie die Rede sein. Gleichwol war des Gezotf is dt r clori-
calen Sladlväter, die seit einiger Zeit die Herrschaft üben, kein Ende, und
Anfang April d. J. beschloss der Stadtmagistrat, vom Schuljahre 1882,83 ab
die Simnltanschalen gSosdich an beseitiget Da geschah es nun, dass die
k. Kreiaregiening unter dem 25. Jnli dem Antrage des ^lagistrates die Be>
Rtatie-nn? versagte. Das einzige Zngrständnis, das sie machte, besteht darin,
das« tortau auch das Einschreiten nni die vorhin erwähnt*- LMspens in Wegfall
kommt. — Dieser Fall zeigt wieder deutln Ii die schwankende Banis, auf welche
die Si&nlehuiditangen hi soldien LSndern gestellt sind, wo entweder gar kein
oder nur ein Ifickenhaftes Schalgesetz besteht nnd Üeser Mangel dardi den
Apparat der Administration, durch Verordnungen, Erlässe u. dgl. ausgeglichen
werden muss. (^Iricklicherwpi««e cribt es in Mtlnchen noch Leute, welche gegen-
über der clericaien Majorität der iTemeindevertretung ihre Unabhängigkeit zu
behaupten verstehen : bei Eröffnung des neuen Schuljahres haben die Simultan-
schnlen ein so ansehnliches Schülercontingent erhalten, dass ihr Bestand
geaiehert ist.
riiarakteristisch für die geistige BefJlhto'nnjr der erwähnten Majorität ist
der von ihr nenerlich «refassfe Beschluss, bei Ernennung der städtijsehen Ober-
lehrer lediglidi das Dienstalter der Candidaten in Betracht zu zielien. Ein
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— ISö -
Erlaas der k. Krein^enuig oonigirte jedoch dieaes Ptlndp, indem derselbe
betonte, dnoe aneh die BefMugang der Bewerber in Bedinong gebracht
werden mässe.
Papierene Bestimmungen. Das österreichische Keichsvolksschnlgesetz
vun 1869 euthait die Bestimmnng, dass nach je drei Jahien in jedem Lande
eine sogenannte Landeelehrerconferenz, d. L eine Versammlong von Abgeord-
neten der amtlichen Bedrkaoonftmnnen, nnter dem Vorsiti ^es LandesBehnl-
inspectors stattsvfhiden habe. Dir Auft2:abe dieier Vei'sammlnngen besteht
darin, über die von der Landesschulbehörde vorgelegten Fragen Gutachten ab-
zugeben, fiht r die .Mittel, welche das Volksachulwesen fördern, zn herathen,
femer übtr jene Angelegenheiten, welche Rechte, Pflichten und \ eriiaitniKse
der Lehrerechaft betreffen. — ht Bdhmen fühlt man sieh jedoeh nicht vw-
anlaast, diese gesetzliche Bestinunnng zn achten. Die erste , 1875 in diesem
Lande, und zwar in zwei Versaramlnngen (deutsch und czechisch) abgehaltene
Conferenz hat iiilmlicli bis heute keine Nachfolge bekommen. — Noch
charakteristischer sind die Dinge in Triest, wo vor wenigen Wochen die
ernte BedrhseoiiftteBs da- Lehrer der dortigen italienischen Schalen stattfand,
obsdion § 45 des Beichsvolksschiilgesetaes ▼orsdirdlbt, dass in jedem Schnl-
beark mindestens einmal jährlich eine solche Conferenz abzuhalten ist.
Kine gnte Einrieb tnng. Die .Stadt Gera liat tine „Nnvitllt" zu ver-
^icluien, die der (lesuiidheit der dortisren Schuljugend förderlich sein wird.
Sie besteht dai iu, daüs den Kiuderu während der Freiviertelstunde gegen vor>
her gelöste Marlcen ein Q]m MOch verabMgt wird; arme, schwadiliche Kinder
erhalten diese Erfrisehnng uiu tit^eltlich, anf Rosten der Stadt.
Erbauliches ans Kussland. Wie elend es mit der Schulbildung im
absoluten, heiligen Russlaud Jiente noch aussieht, beweisen einige trockene
Zahlen, im Gouvernement Kostroma wachsen ^ Gouvernement
Sanara 93"/„, im Gonvememwt Tambow 92^3 *7o sllmmtlidier Kinder ohne
jeglichen Unterricht aof; die stolze, vielthfiimige Zarenstadt Moskau schickt
kaum 12 "/of j& selbst die „moderne" Hauptstadt Fetmfsbnrg nnr 41 ''/o dmr
Kinder zur Srlnile.
Spanien, SVic vor kurzem eine j^roße \'ersamnilnnf? schwedist-iier Lehrer
dadurch geehrt wurde, dass der König an derselben theilnahiit, und wie vor
Jahresfrist der GroBheraog von Baden der in Karlsruhe tagenden allgemeinen
deutschen Lehrerversammlung doreh ttnger<' Zi it anwohnte, so begab sich auch
derKünig von Spanien in den unlängst zu Madrid abfrehaltcnen Lt liiercongress
und gab in einer Rede sein lebhaftes Intere.*ise für das Schulwesen kund. Er
sprach die Versicherung aus, dass er bestrebt bein werde, Spaniens Lehrer aul'
dieodbe Stnfe der Bildnng und Besoldung zu bringen, anf der sidi die der
fibrigen NationmEnropas befinden, and betonte sdilidtlidi, dass nach seiner
festen Überzeugung die Unwissenheit schlimmer sei als die Scla-
V,. !vi — - Auf dem erwähnten Congress, an dpss^-n Berathungen sich ntbon
\ olksschullehreni zahlreiche Gelehrte bctheiiigtcn, hatte sich auch der be-
rühmte spanische Tribun Dr. Emilie Castelar eingefiinden. Er hielt am Schluss-
tage eine ungemein wirksame Bede voll sttdUndiM^en Feners. Sein Thema
■war „die Erziehung der Kind(»r". Er feierte die erziehliche Macht der Kutter,
deren Lieiie. Zilrtliehkeit und heilijsre Tnspiration, die allein von der Mütterlich-
keit verlieben wird, der Mann niemals zu ersetzen vermöge. Castelar ver-
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— 136 ~
abschent die Barbarei der Lehrer; „d^ Lehrer'S mft er mit Emphase, „der in
der einen Hand die Ruthe, in der andern die palmeta (das znm Schlagen
diencüdö Liüeal) hält — er ist der letzte Abglanz des absolutea Xöüigs und des
verflachten Inquisitors, darum verabscheue ich ihn *. Aber vor dem Wirken
deB nditio Lehren emirffaide er bohe Verehmnir; er erUirte, keine der
materiellen Belohnung und der moralischen Unterstützung so würdige Arbeit
70 kennen, wie es diejenige eines ^faTiues ist, der die neuen Generationen
liebevoll auf die Kämpfe des Lebens vorbereitet. Aber es tJiut auch noth,
dass bei der Erziehung des Kindes die EigenthUmlichkeiten des Landes, in
dem e« lebt» sein Temperaraant imd Mine Äidegea in Betracht gezogen werden,
de« man ihm einen, tieferen nnd arten FkmiUeneinn, liebe mir Knnet ein-
pflanze, dass man es aber fem halte von Intoleranz und Fanatismus. ,,I.ehret
das Kind dass jeder religiflse Glaube ohne MoralitÄt nichts gilt, dass das
ScapuLier i^eiu Sicherheitsbriei für die Sünde ist; erweclit in ihm das rege
Bewnsstsein der Pflicht; flößt ihm die Liebe zu der Wissenschaft ein, den
Wnneeh, mi wieeen, die Oberaengnnfl: von der NfltsUdikeit der Kenntniaae;
fiberzeugt es, dass der größte Gennss des Menschen im Wirken des Guten
besteht." — Tliat^ächlich lieginnt man in Spanien dem \'olksunterriclite alle Auf-
merksamkeit zu widmen. Soeben lie^ ein Deciet vor. weiches die Einrichtung
der Kleinldnderschulen regelt, au welchen uor geprüfte Lehrerinnen wirken
sollen, die ihre AttabUduDy in einem beaonderen, mit der Narmalachnle in
Hadrid TerimndenaiCnniiB erlangen k9nnen. Es werden in demselben folgende
Gegenstände gelehrt: 1. Die Elemente der Physiologie und der Psychologie in
ihrer Anwendung auf die Erziehung der kleinen Kinder; leitende Grundsätze
von Fröbels Methode nnd Angaben Uber die Einrichtung von Kleiukinder-
schnlen in den andern Ländern und über das daselbet befolgte UuterrichtaF
verfiüiren. 2, Die Elemente der Natnrwiaaenaehaflen mit beaonderer Berück-
aiehtigung der Belehrungen über die Dinge (lerons de chose) und der Anwen-
dung dieser Wissenschaften in df ii Knndarbeiten.ini Gartenbau und bei den Spielen;
Fertigkeiten, welche den Kindern k>eigebracht werden können. 3. Allgemeine
Lrruiidsätze der Moral und des Rechts zu demselben Zweck nnd miLLeis des-
adben Verfbbrena. 4. Spanische Sprache, mit Spraeb- nnd Anbatafibnngen.
5. Gesang. 6. Franzöeisdie Sprache. 7. Praktische Übungen in allen Fftclmn
aowol in der Glaase ala mit den Schüleni der Übangaaebole.
Der erate Frfibel'aebe Kinder|;arten in Portugal wnrde am
20. April c. in Llnabon uiter Beisein dea königlichen Uausministers eröffnet
Die Zahl der angemeldeten Kinder war ao groft, daaa kaum die Hälfte der-
selben aufgenommen werden konnte.
Krankreich. In allen romanischen Ländern wird namentlich in jüngster
Zeit der kilrperlichen Erziehung alle Anfmerksauikeit, zugewandt, und dabei
wird woi auch — wir gedenken vor allem der französischen Sdiulbataiilone,
die an Elementar- nnd Hittelaefaiilen mit Bewilligung des PtSHeeten errichtet
werden können — übers Ziel geschossen. Aber jedenfalls ist der Emst, mit
dem man epeciell in Frankrtifb (Iptu 'I'urnttnterricht die W>ge ebnet, der Be*
aclitung wert. So hat das Ministerium des öffentlichen Fnterriclites die Ver-
tilgung getroffen, dass für jene Lehrer, welche mit dem Turnen nicht vertiunt
Bind, während der Ferien an allen Lehrerseminaren besondere Guiee abgehalten
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werden. Die Freqaentanten derselben erhalten lireie Wohnung und Yerpftepmg
und die Wr^itting^ dor Roisckoste?!.
Italien. An die italieni» in \ »Iksschnllphrerschaft erging vor koi-zem
von Mailand ans die Aufforderung^, \ ei-einiguugen za bilden, die in gegen-
seitige Verbindmig treten aollea — Ende September d. J. ftmetionjiie nun
erstenmale ein vom Miniiter BaceeUl erftindfflier Appnrat zur Anspomong des
Elirg:eiz»s der Gymnasiasten. Dersolbp hrstcht in einer Prüfangs-Commission.
vor welcher sich <liejpiiip-en Absolventen, denen die Matoritätsprttfting erlassen
wurde, zu einer bekannt gegebenen Zeit einfinden können, um sich einer
„Wetl|iirilfluig^ Ml unterziehen. Diese nrnfasst die Anfertigung eines itaUe-
nisehen Anftatses, dessen Thema unmittelbar vor An&og der Clansor-PrfiAmg
ans einer Anzahl von Stoffen, die vom Examen-Oolleginm festgesetzt woideit
•Inrrli flns Los bestimmt wird. . Die besten Arbeiten v^rri'Mi durch goldene
.Medaillen oder Diplome aosgezeichnet» welche den Siegern l'eierlich Überreicht
werden.
Sehweis. Während in Österreich nnd Dentsdüand den Bealaehnl-Abt«
turienten das Studium der Medicin nicht sngttnglich ist, kOnnen nach der
schweizerischen Prüfungsordnnnjü; für .Ärzte vom Jahre 1880 und dem im
darauffolgenden Jahre publtcirten Anhang hierzu die Schüler solcher höheren
Lehranstalten, deren Abgangszeugnisse zum Eintritt in das eidgenössische
PoljteebnieiDn berechtigen nnd welche iwei fremde neuere Sprach«! treiben,
bei don Eintritt in daa tntUehe Stndiun nnd Examen von der Kenntnis des
Griechischen dispensirt werden. Es ist demnach den Abiturienten deutscher
Realirj'Tnnasien (früherer Realschulen T. Onhnniir) vollsn'lndi^ die Möglichkeit
geboten, sich dem Stadium der Medicin aul den schweizerischen Hochschulen
zu widmen.
Vom Sehttlweaen Nen-Österreiehs. In der bosniaehen Abtheilang
der Ausstellung in Triest war andi eine atatiattoche Übersicht Aber die Sdinl*
Verhältnisse Bosniens nnd der Herzegowina exponirt. Danach gibt es dort
zusammen 637 Schulen. Das Realgr}Timasium in Serajewo hatte im Schul-
jaiire 1881^82 117 Schüler, darunter einen nicht unansehnlichen Fercentsatz
Mnhnmedaner. Der Sehnlbeaneh Uaat natftrlich nodi recht viel zu wünschen
fttnrigy atdit doch aelbat im Beairk Sen^jewo, der iext weitana besten Sehnl-
beaneh ausweist, die Zahl der aehnlfthigett aar Zahl der achnlbcanehenden
Jagend im Verhältnis 2-7:1.
Zar Schrit'tenfrage. In der Schweiz macht sich mit einiger Zeit eine
Bewegung bemerkbar, welche die successive Entfernung der sogenannten
dentaehen Schrift erstrebt So traf nnUüigat der Regiemngsrath von Solothnm
eine \'erfagung, welche fiir den Dmck aller neuen Lehrmittel die .\nti(iua-
sdirift und die allmiihliche hlinflUirang der Lateinschrift als Schreibschrift
in die Priniarschuh' anordnet.
Eine weiüe Schreibtafel. Nach der Meinung vieler Faclimänner ist
dne keineawega nebrairitahliche Mitnrsaehe der annehmenden Korzaichtigkeit
d«r Schn^ngend in Aet Verwendung der achwarzen Handtafeln zu suchen.
Nunmehr wird von manchen Lehrervereinen eine weiße Tafel empfohlen, die
in Pilsefi (Böhmen) ans einem harten, steinartiffen Material hergestellt wird.
Sie i&t mir einem Kähmen versehen, das Beschreiben kann mit jeder Art von
Bleistift geschehen, zum Verwischen dient ein gew5hnlieher fenehter Schwamm;
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sie ist nnzeri»reclilich und verhlltnismftfiig billig, 20—30 Kreuzer 9. W.
per Stück.
Erziehongr zur Arbeit. Am ö. November d. .T. wnrdo in einer Volks-
schule des Bezirkes der Stadt Wieu eine vou dem liumHiiitäreD Vereine
nZvkunft" gegriindete KnabenbeschAftigungs-Anstalt erlMbet. Wir w&DMheii
Glück und werden niclit verfilmen, ftber die-za «rlutfendea Etfolge dieses
menschenfreundlichen I'ntornplimens zu berichton.
Der IH. deutsch-amerikanische Lehrertag. In den letzten Jnli-
tagen c empfing die ^.Eönigin der Seen'', das im Laufe dieses Jahrhundert«
am tüaem «mseligen Orte m einer Stadt von weit Aber hnnderttaiMend Ein-
wohnern emporgewaciieene Bnffalo im Staate Xew-Tork, die Angeli5tigen des
dent^h'amerikaaiadieii Ldirerbundes, welclie sich zum dreizehnten Male ver-
sammelten, nm dem i^iliönen Ziele des IJnndes nüher zn kommen, das in der
Pflege der deutücLeu Sprache und Literatui-, in der Eiul'üliruug der iiatar-
gemäüeu, entwickelnden Lelirweise iu die Schulen, in der Erziehung wahrhaft
repnblikaaieelier StaatsbOrger, sowie in der Wahrong der geistigen und
materieUen Inte ressen der Lebrer besteht. Die Thätigkeit dieses Bandes ist
eine erfoltp-eiche: denn znnz abiresehen von den wnltliiltifren Anregunji^n.
welche die Lehrer aus seineu Bemthungen empfangen. ])et'intlnssen sfinp Be-
schlüsse die Maßnahmen der Schnlbehörden and lenken die Autmerksumkeit
deae Bevlflkenuig auf das Gebiet der Erziehong nnd des Unterrichtes; ihm ist
anch wesentlich die Entstehnng nnd die glficklicbe ^twickethug des nationalen
deutsch - amerikanischen Lehrerseminars in Milwaukee zu danken. Daher
frenen wir uns über den glücklichen Verlauf der dreizehnten Versammlung der
Vorkämpfer „nicht etwa für einen deutsch-amerikanischen Nativismus, sondern
für die Erhaltung und Pfli^e der deutschen Sprache neben der englischen",
einer Yersammlnng der ,^formatoren der alten engliechen Abrichtiings-
methode". Näheres in der nSclisten Nummer.
Veraiitwcirtlicbor Uvdsct«!»; M. Üteio. BucbtUiu-kiToi Julina Kliiiktiardi, i^iptii;.
»
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Kritik der Geisteräelierei.
Xach Immanaei Kants Schrift: ^Träume eines Geisterseher«, erläutert
durch Träume der Metaphysik."*
JSm Vwimg WM Frof. Dr, JTritz Sehuitze-Dradm.
(ScUttlB.)
V.
Die kritische Widerlegnngf der GeistersehereL
Bisher haben w die Existenz von Oeistem nicht bles onbewieBea
vonusgesetzt, sondern auch g^than, als ob das Wesen der-
selben nns ganz genau bekannt wäre. Jetzt aber ist die neue,
kritische Frage anfimwerfen, ob wir denn Aber das Wesen der Geister
wirklich so genau nnterzichtet sind, dass wir es mit Sicherheit in
seinen Merkmalen bestimmen können. Was ist denn ein Geist?
Was wissen wir Genaues ttber das Wesen eines Geistes? Dies Pro-
blem ist, wie Kant sagt, „ein verwickelter metaphysischer Knoten,
den man nach Belieben auflösen oder abhauen kann." Dom, fthrt er
fort, „wenn alles da^enige, was von Geistern der Schnlknabe her-
betet, der große Hänfen erzählt imd der Philosoph demonstrirt, zu-
sammen genommen wird, so scheint es keinen kleinen Theil von unse-
rem Wiswn anszumachen. Nichtsdestoweniger getraiio ich mich zu
behaupten, dass, wenn es jemand einfiele, sich bei der Frage etwas
zn verweilen: was denn das eigentlich für ein Ding sei, wovon man
unter dem Namen eines Geistes so viel zu verstehen glaubt, er alle
diese Vielwisser in die beschwer! icliste Verlegenheit versetzen würde.
Das methodische Geschwätz der hohen Schulen ist oftmals nur ein
Einverständnis, durch veränderliche Wortbedeutungen einer schwer
zu lösenden Frage auszuweichen, weil das bequeme und mehrentheila
vernünftige: Ich weiß nicht, auf Akademien nicht leichtlieh gebort
wii'd."
weisen, dass es immaterielle Geister gibt, können wir. wie
sich bei'eits herausgestellt hat, ebensowcniir. wie. dass es' keine a^ibt.
Aber da jedermann das Wort: Geist und Geister im Munde führt
Padagof^nm. :*. Jahrg. Heft III. ' 10
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— 140 —
nnd dasselbe in tausenden Ton ErzShlimgen tmd Geschichten eine so
große Bolle spielt, so md man doch wenigstens wol feststellen
können, ob man eine klare Vorstellong, und welche Vorstellnng man
mit diesem Worte verbindet
Nun tritt uns bei dem Begriff „Geist^ sogleich eine große und
sogar nnfiberwindliche Schwierigkeit entgegen. Sine klare und dent^
liehe Vorstellang kann man sich offenbar nur von einem Gegenstände
bilden, der tmserem Bewnsstsein als eine erfahnmgsmftßige Anschauung
in Zeit nnd Raum entgegengetreten ist. Angenommen, man verlangte
von uns, dass wir uns eine klare Vorstellung von einem 3fanne mach-
ten, von dem wir niemals etwas gescl ii hätten, so wftre das nnmOg«
lieh. Aber doch hättt-ii wir dabei den Vortheü, zu wissen, dass dies^
Mann als ein Mensch die allgemeinen Eigenschaften eines Menschen
haben mtisste, dass er also menschliche Gestalt. Sinnesorgane, Glie-
der u. s. w. besitze. Die Geister aber sind uns als erfahrungsmäßige
Anschanungen in Raum und Zeit niemals gegeben, noch können sie
als immaterielle Wesen es jemals sein. Als soldip immaterielle Wesen
hal)eTi sie auch nicht irgendwelche Eigenschaften des Materiellen, mit-
hin auch nicht die Gestalt nnd Beschatfenheit der Menschen, noch
irg-end eines materiellen Wesens. Wie könnten wir uns also eine
klare Voistelluug von ihnen bilden? Jede arn^chauliche Form, unter
der wir sie vorstellen könnten, wäre eine l (»n)i aus der materiellen
Welt in Zeit und Kaum, als" keine i-orin für die iinuiateneilen »Teister.
Eine anschauliche Vorstellun^i von ihnen ist also durchaus unmöglich,
und wir mussten daher st.hon zufrieden sein, weuu wir wenigstens
einen widersi.ruchstreien und gesicherten Begriff von ihnen gewinnen
könnten. Das eben wollen wir nun versuchen.
Hinsichtlich der Begrittsbestimmung der Geister ist aiau darin
einverstanden, dass dieselben inimattrielle, mit Vernunft begabte
W^esen sind. Auch die Menschen sind vernunftbegabte Wesen, und
wir könnten uns also die Geister, insofern sie denkende Wesen
wären, nach der Analogia der uns bekannten Menschen wol vorstellen»
Was shid sie aber als immaterielle Wesen? Was bedeutet das
Wort „immateriell**?
Hachen wir uns zunächst klar, was wir unter „materiell** ver-
stehen. Einen Block Eisen nennen wir ein matedelles Ding. Welches
sind nun die allgemeinen Eigensehalten dieses StDckes Materie? Der
Block erfiUlt erstens einen bestimmten Banm und, solange er den-
selben einnimmt, kann nichts anderes in demselben Baume liegen.
Als rftomlich hat er zweitens irgend eine Fignr und Gestalt; er ist
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— 141 —
. entweder eine Kogel oder ein Wflifel oder eine Walze n. dgl. m.
Drittens leistet er je nach seinem Gewichte einen gewissen Wider-
staad, der allemal nur dorch eine größere Kraft^ als er selbst ausübt,
überwunden werden kann. Dieses G^ewicht ist der Ausdruck seiner
Schwerkraft, und Schwerkraft zu besitzen, ist also seine vierte Eigen-
schaft. ITfinftens endlich ist er nndurchdringlich; es ist unmöglich,
dass etwas dorch ihn hindurchgehe, ohne dass seine Tlieile aus dem
Wege weichen mfissten; ein Keil z. B. kann nicht diuch ihn hindnrch-
getrieben werden, wenn nicht so viele seiner Theile heraus und bei-
seite geschoben wei-den, als der Keil für sich selbst Raum nöthig hat.
Ranmerfiillnn^, Gestalt. Widerstandskraft, Schwerkraft und
Undurchdriuglichkeit sind also die allgemeinen Eigenschaften des
Materiellen.
Die (Teister als immaterielle Wesen würden also keine dieser
Eigenschaften besitzen, und um den Begriff des Im materiellen zu bil-
den, müssten "wir also in allen Stücken das Gegeutheil jener mate-
rielleu Eigensclialieu setzen. Sehen wir zu, ob wir auf diesem Wege
feineu klaren Begritf in unserem Denken eneichen. Die Geister als
immaterielle Wesen wüiden erstens nicht den Raum eifüllen. Wenn
also z. B. auch noch so viele Geister in einem Zimmer wären, so
würde dadurch doch den darin befindlichen materiellen Dinj^en nicht
der f^erinirste Raum weggenommen werden. An derselben Stelle und
in ileiiisell)en Rauiue also z, B., in welchem der Block von leisen liegt
und an welchem nicht zugleich irgend ein auderos materielles Ding
z. B. ein Stück Holz sich betindeu kann, würden gleichwol unzäh-
lige Geister sich befinden können, ohne dass deshalb ein einziges
Eisentheüchen Platz zu machen und verschoben zu w^tlen brauchte.
Ich frage nun, ob wir uns das Idar nnd dentlich denken können,
etwa wie den Satz, dass 2 mal 2 gleieh 4 Ist; ob wir uns vorsteUen
können, dass, wo etwas liegt nnd stdit, zugleich ein anderes liegen
nnd stehen kann? Es widerstreitet vielmehr aller unserer Vorstel-
longsfahigkeit, und kein Mensch kann sich von der Eigensdiaft im-
materieller Wesen, nicht Baum zu erffillen, einen klaren Begriff bilden.
Das immaterielle Wesen erf&llt keinen Raum; somit hat es keüie
Grenzen im Baum, keine rftumttcben Grenzen d. b. keine Figur und
Gestalt Die immateriellen Geister sind also durchaus gestaltlos. Das
ist nicht so zu Terstehen, als ob sie wie Proteus ihre Glestalt nur
fortgesetzt wechselten, nein, Gestalt haben sie Qberhaupt nicht. Die
Vorstellung „Gestalt* nnd alles, was mit ihr zusammenhangt, passt
nur auf materielle Naturen, nicht auf die Geister. Da wir Menschen
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— U2 —
aber uns jedes Wesm unter irgend einer Gestalt vorstellen müssen,
so k(")nnen wir mithin ein gestaltlo«?es Wesen uns in keiner Weise
denken; wir können uns also auch von immateriellen (feistem, da die-
selben gestaltlos sein miisseii, keinen klaren Begrilf bilden. Und hier
tritt uns auch nuch ein tundamt'ntaler (-ri-nnd gegen die Mr»gliehkeit
jeder Erscheinung von Geistern, selbst wenn dieselben existiren soll-
ten, entgegen. Da sie ohne jede Gestalt sind, su können sie den
Menschen oHeubar unter keinerlei Gestalt erseheinen. Erschienen
aber wirklich Geister als Gestalten, so wären sie eben keine Geister
mehr, sondeni materielle Wesen wie der Mensch, die als solche in
das gewöhnliche zoologische System gehörten, mithin auch alle Wesens-
eigenschaften der Materie theilten und demnach auch in ihrer Form
nicht ewig und unvergänglich wären.
Als immaterielle Wesen hätten die Geister drittens keine
Widerstandskraft Nan kann auf materielle Dinge, welche, als solche,
Einwirknngen widersteihen, jede Einwirkong nnr ansgeftbt werden
durch einen grSfieren Widerstand, als sie seihst leisten, welchem sie
selbst nicht gewachsen sind. Sie wiiken also nnd empftuig^ Wir-
kungen nur dnreh Widerstände d. h. dnrch Druck und Stoß, wodurch
die Theile der Materie in Bewegung gesetzt und somit verfindert wer-
den. Ein Stück Elisen s. B. Termag ich nnr ni bewegen nnd zu for«
men, wenn meine Widerstandskraft d. h. meine Druck- und Stoßkraft
großer ist als die seinige mir gegenüber. Wer flberhanpt keine
Widerstandskraft besitzt, kann also audi nicht drflcken und stoßen,
mithin auf die Materie nicht einwirken. Da nun die immateriellen
Wesen keine Widerstandskraft besitzen, so ist es auch klar, dass sie
nicht die geringste Einwirkung auf materielle Dinge ausfiben kdnnen.
Wenn der moderne Spiritismus seine spirits nicht blos Schreibfedem,
sondern Tische und Stühle bewegen Usst, so können diese spirits
keine immateriellen Geister, müssen vielmdir Wesen mit Muskeln,
Fleisch und Blut sein, als welche sie denn auch oft genug entlal•^'t
worden sind. Umgekehrt würden die Geister, da sie einer matenMl n
Einwirkung nicht unterh'egen, von materiellen Wesen andi nidit den
geringsten Einiluss erfahren. Also würde auch kein Medium jemals
auf sie einwirken können.
Die Geister sind viertens nicht mit Schweikraft begabt Wenn
sich also auch Millionen Geister auf eine noch so kleine ^\'ageschale
setzten, sie würden dieselbe doch niclit um eines Haares Breite sinken
machen. Es ist also nickt abzusehen, wie man sich die immaterielien
Geister denken will.
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— 143 —
Die Geister sind endlich fünftens nicht nndurehdringlich. Wir
worden mhig dnrch sie hindurchgehen, ohne etwas von ihnen zu mer-
ken*); aber aneh sie wfirden nichts von uns merkeUf da das Mate-
rielle^ ans welchem wir Menschen gemacht sind, fttr sie gar nicht
ezistirt nnd sie durch dasselÜe hindurchdringen, als ob es gar nicht
wSre. Die materiellen nnd immateriellen Dinge verhielten sich in
dieser Bedehnog also ganz gleichgiltig zn einander und wftren fttr
einander gar nicht da.
Ans alledem ergibt sich, dass, wenn die Menschen Ton Geistern
als von sicher festgestellten Wesen sprechen, von deren Beschaffen-
heiten sie genau Bescheid wflssten, sie einen doppelten Fehler be-
gehen, n&nlieh erstens den, dass sie Existenzen annehmen, deren Da-
sein nicht bewiesen werden kann, nnd zweitens den, dass sie ein Wort
Im Munde f&hren, mit dem sich weder eine deutliche Anschauungs-
Torstellung, noch ein klarer Begriff verbinden lässt. Denn der Begriff
.Geist als immaterielles Wesen" setzt sich aus lauter negativen
Eigenschaften: unräumlich, gestaltlos, Widerstands- und schwer-
kraftlos, nicht undurchdringlich — zusammen, welche alle in unserer
Erfahrungswelt nicht vorkommen, aus denen wir mithin ebensowenig
einen positiven Begriff bilden können, als wir aus nodi so vielen
Nullen eine Eins zusammenzusetzen vermögen. Wenn man also den
Namen ..Geister" ausspricht, so denkt man sich entweder überliaupt
nichts Khires dabei (und in diesem Falle sind die meisten Menschen),
oder wenn man sich etwas Klares dabei denken will, so sieht man
sehr bald ein, dass das Wort etwas bezeichnet, was man sich nicht
denken kann. Aber so geht es dem Menschen hänfig: was er von
Jugend auf immer wieder gehört hat, das spricht er nach, als ob
etwas daran wäre, und er etwa'^ daran hättf Bricht aber das Ta^-es-
licht der Kritik endlich an, so verwandelt sich wie im Märchen sein
vermeintliches Gold in wertlose Steine. „Denn", sagt Kant, ..wovon
man frühzeitig als ein Kind sehr viel weiß, davon ist man sicher,
späterhin und im Alter nichtü zu wissen, und der Mann der Gründ-
lichkeit wird zuletzt höchstens der Suphiste seines Jugendwahns.
*) Die Tolkstb&mlicbe Anscbauang macht sich die Durchdriuglichkeit der Üei-
tfear dadureh kbr, dus ae die 0«iitw tm Luft bestehen Utat Aber Luft ist in
damtelbeti Siime imdiiididifaiglich wie Ssen, beutst ferner die migeiieaerste Wider*
Stands-, Druck- and Stoßkraft, kurz Ist Stoff. Auch die YorsteUung. Geister seien
wie Schatten, erklärt nichts. Denn der Schatten ent«iteht nur, wn das Lkht auf
seinem Gange durch einen festen Körper gehemmt wird, und ist also an die Körper-
welt und üire Bedingongen gebunden.
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— 144 —
Geister als immatenelle Wesen sind erstens in ihrer Existenz
nicht bewiesen, zweitens sinnlich onwahmehmbar, drittens begrifflich
nicht denkbar. Gleichwol könnte es immaterielle Wesen m sich
geben, nur daaa unserer Erkenntnis ihr Dasein wie ihr Wesen
Tellig verschloesen wSre. Non möchte man sich vielleicht der Hoff-
nung hingeben, wegen der Verwandtschaft, die zwischen der mensch-
lichen Seele und den Geistern bestehen soll, vom Wesen der ersteren
aus das Wesen der letzteren erschließen zu können, denn das Wee^
unserer eigenen Seele -«ird uns doch wol völlig- bekannt sein, weiß
doch iPflpr Schulknabe nach seinem Katechismus ihre Eigenscliaften
an den Fintrern aufzuzählen. Wie in so vielen Fällen ist leider auch
hier (li<' kritische Wissenschaft nicht so irlücklich wie der Schnlknabe.
mv\ weun sie auch zahllose Äußerungen und Erscheinungsweisen der-
]* nigen Kraft heolKiclitet hat. <1i> wir Seele nennen, so haben gerade
ihre ange^itrenir traten Forsch ungeii gelehrt, dass wir das, was die
Seele ihrem eigenthümlichen \S esen nach an sich ist, nicht wissen
können.
Die voiksiimmiiche Vorstellung hält die Seele für ein immate-
rielles Wesen, das im Körper, und zwar im Gehirn, seineu Sitz hat.
Hier nimmt die Seele die tele^aphischen Berichte aus dtjr Außenwelt
vermittelst der Nenen in Finpfang uud ertheilt auf demselben Wege
wieder an die Muskeln ihre Befehle über das, was zu thun sei. Das
Verständnis dieses sclieinbar so einfachen Vorganges scheitert aber
sogleich besonders an drei Schwierigkeiteu. Das \\'eseu des Immate-
riellen, also auch der immateriellen Seele entzieht sich, wie wir be-
mts gesehen haben, völlig unserer Erkenntnis. Auch durch Selbst-
heobachtong lässt sich hier kein erlenchtendes mid erläntemdes Er-
gebnis gewinnen, weil die Seele, solange sie mit dem Körper verhim-
den ist| also während des ganzen Lebens, dorcfa das Materielle getrttbt
und TeromeEinigt sein soll, so dass, was wir anch an ihr nnd in ihr
beobachten mögen, wir gldchwol das reine Wesen des Immateriellen
in nnserer Seele nie entdecken können.
Kennen wir aber das Wesen der immateriellen Seele nicht, so
können wir zweitens offenbar anch nicht sagen, wie das Immaterielle
nnd also die Seele wirkt, nnd erst recht bleibt es uns drittens yer-
borgen, wie sie non gar anf das ihr ganz entgegengesetzte Materielle,
den Körper, wirken soll, mit dem sie dodi ihrem eigensten Wesen
nach ganz nnd gar nichts gemein hat Gtoide dieser letzte Pnnkt
führt uns aber anch noch in eine Reihe begrifflicher Schwierigkelten
hinein. Wenn die Seele einen Sitz im Körper, also im Baam hat, so
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— 145 —
muss sie selbst räumlich, also materiell sein; wo lileibt ihre Immate-
rialitilt? Wenn sie von dem mateiiellen Körper Eiiiwirkung^en em-
pfänsrt nnd selbst aut dieseu pj"n Wirkungen Hnsübt. so miiijs sie doch
einen Reriilirung^puiikt mit dem materiellen K ipftr, also mit der
Materie ulurlianiit haben; eine Berülu-img alit r kann nur zwischen
räumlichen und materiellen Erscheinungen stattfinden; also muss sie
selbst ein Räumliches und Materielles sein; wo bleibt also ihre Im-
materialität? Wäre sie aber materiell, so wäre sie kein Geist;
ist sie aber ein Geist nnd also immateriell, so wissen wir nicht,
was sie ist. Wie wollcü wir also von dem uns unbekannten Wesen
der Seele aus das uns unbekannte Wesen von Geistern erschließen?
Aber ist nicht \'ielleicht auch die ganze Vor.su Ihmgsweise, dass
die J5eele uui* an einer Stelle im Körper ihren Sitz habe, falsch und
den Thatsachen der Erfahrung widersprechend? Unser Bewnsstsein
wenigstens sagt uns nichts davon, dass die Seele im Körper nur an
einem Orte sitze; vielinebr fUiien wir ans beseelt im ganzen KOrper
nnd an allen Punkten, wo wir emptnclen. „Ich wlizde ndeh also",
sagt Kant, „an der gemeinen Elrfiahrang halten nnd Toriftnfig sagen:
wo ich empfinde, da hin ich. Ich hm eheaso unmittelbar in d^
Fingerspitze wie in dem Kopfe. Ich bin es selbst^ der in der Ferse
leiktet nnd welchem das Herz im Affecte klopft Ich fühle dea
schmenhafteaten Eindmck nicht an einer Oehimnerve, wenn mich
mein Leichdorn peinigt, sondern am Ende meiner Zehen. Keine Er-
fiüimng lehrt mich, einige Theile meiner Empfindung von mhr fOr ent-
fernt zn halten, mein nntheilbares Ich in ein mikroskopisch kldnes
Plfttaschen des Gehirns zn Tersperren, am Ton da ans den Hebezeug
meiner Körpermaschine in Bewegung zn setzen, oder dadurch selbst
getroffen zn werden. Daher wQrde ich einen strengen Beweis ver»
Ungen, um dasjenige ungereimt zu finden, was die Schullehrer sagten:
meine Seele ist ganz im ganzen Körper nnd ganz in jedem seiner
Theile." In ähnlichem Sinne lehrt die neuere physiologische Psycho-
\o'^u\ Beseelung sei Überall da, wo sich Nenrensnbstanz findet. Aber
alle Physiologie kann uns dorli damit auch nur sagen, wo Seele sei,
nicht, was Seele sei; und die Erfahr ungsthatsachen lehren wol, dass
misere Seele im Leben ebenso abhängig ist vom Körper wie dieser
von jener, kurz, dass sie uns in aller Krfahnmg stets als eine voll-
endete Einheit entgegentreten — wie aber diese Einheit zu den-
ken sei, daniber schweigen die Acten einer vorsichtigen Wissenschaft
von der 6eele gänzlich.
Wir wissen also von unserer eigenen Seele nicht, was sie isU
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146 —
noch wie sie wiikt. Wir wi^tst n uiclit. aiit welche Weise sie mit dem
T^örper verbunden ist, noch ob und wie diese Verbinduntr sich lüsen
wird. Es ist somit auch la^anz unmöglich, vom Wesen unserer Seele
aus einen bündigen Sclihiss auf das Wesen der Geister zu ziehen;
beider innerste Eijrentliiinüichkeiten sind uns völlig- dnnkel. ^Wer**^
sagt ivHiit, ,,ini Besitz leicliterei Mittel ist die zu dieser Einsicht führen
können, der versage seineu Unterricht einem Lelirbegierigen nicht, vor
dessen Augen im Fortschritt der Untersuchung sich öfters Alpen
erhebeiif wo andere einen ebenen und gemächlichen Fufisteig vor sich
sehen, den sie fortwandeni oder zn wandern glauben."
VI.
Die physiologische und psychologische Widerlegang
der Geisterseherei
Die Untersnchnng hat Inäier gelehrt, dass, wenn man auch eine
Oeisterwelt und eine Gemeinschaft derselben mit der Ifenschenwelt
als thatsichlich bestehend Toraossetzt, die Geisterseherei dennoch
m üngereimtheiten sowol hinsichtMch der Geisteigesichte wie des
Geistersehers fBhren würde. Aber es stellte sich bei genauerer Pr&fong
femer herans, dass die Existenz der Geisterwelt weder ans der Er-
fhhrong noch ans ToninnftbegrüFeii bewiesen werden konnte, noch dass
wir irgend welche Idars nnd yemnnflgemAfie YorstelUing 7on dem
Wesen der Geister m besitcen imstande waren. Dazn kommt nun
aber schließlich noch (nnd das ist &8t der Hauptpunkt in der Zurück-
wdsung des objectiven Wertes der G^eisterseherei), dass die meisten
sog. Geistererscheinnngen sich auf völlig natürliche, physiologische und
psychologische Weise aus dem Zustand des geistersehenden Sabjectes
selbst erklären lassen. Hat man diese Erklärung gefunden, so wird
sofort klar, dass, wenn anch immerhin eine immaterielle Geisterwelt
existiren sollte, was an sich nicht unmöglich wäre, die sog. Geister-
erscheinnngen keineswegs yon ihr herrühren, sondern ans ganz anderen
Quellen entspringen.
Viele Geist^rerscheinungen führen sich, "wie g-enügenci bekannt ist.
einfach auf Betnig zurück. Schlaue Schwindler wissen den mystischen
Hang des Publicums auszulteuten und macheu dabfi solange ilir (Geschäft,
bis ein glücklicher Zufall oder ein kritisch prülender Forschei- ihnen
die Maske vom Gesicht reißt. In seinem unvollendeten Hornau ..Der
Geisterseher" hat Schiller den Betrug und die Entdeckuu? de> Helruges
auf diesem Gebiete meisterhaft und für aile Zeiten leseus%vert geschildert,
und es kann tili- den Zweck der Autklärung darüber nicht genug die
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wiederholte Lesnng dieses Werkes anempfohlen werden. Deraiiige
Betrügereien waren s^chon lange und nicht blos in den Tempeln der
Alten an der Tagesordnung, und noch heute werden viele Gläubige
durch geschickt ausgeführte Taschenspielerkunststücke und infolge
ilirt r l okenntnis mit den Gesetzen der Chemie und Physik hinter-
gangen * >
Aber auch der ehrliche Selbstbetrug spielt hier naturgemäß eine
große RoUp hei allen denen, welche mit dem Wesen und den Gesetzen
ihrer ei.^. ik ii menschlichen, physiologischen und psyeholo^schen Orp^a-
iii sitioii iu( ht bekannt sind. Als Beispiel dafiir will ich nui- die sog.
(.Tei.-^terschrilt erwähnen. Man legt vor sich hin auf den Tisch eine Si-Inefer-
tafel oder ein Stück Papier und darauf schreibgerecht die Hand mit einem
Schreibstift. Man blickt nun unverwandt auf den Stift, stundenlaug, am
besten spät am Abend, wo sich des Menschen bereits eine neiTöse Ab-
bpaiiiiung: bemiiclitigt hat. Vielfach muss man das Experiment erst
mehrere Tao^e hintereinander wiederholen, ehe der gewünschte Erfolg
erreicht wii'd. Endlich aber entwickelt sich ein halb unbewusster, wie
traumhafter Geisteszustand, in welchem die Hund zuletzt mechanisch
sni vsolu-eibeu becriiint und zwar das schreibt, was man als Antwort auf
seine innerlich gestellte Frage zu erhalten wünscht. Wer den pliysio-
. logisch-psychologischen Mechanismus des Nervensystems kennt, wer
die Zustünde des sog. Traomhandebs (das wnndei*gierige Volk gebraucht
dafür den Namen: Moiidaaelit) und des Hj^pnottsmns beobachtet und
analysirt hat, erkennt darin nnr eine den genannten Eracbeinungen
analoge Äußerung des Meehanisrnns unseres Seelen- und Nervenlebens;
die Spiritisten aber erkl&ren den Vorgang dadurch» dass Geister sich
der Hand das Maischen bemächtigten und das Geschriebene mithin
eme Kundgebung aus dem Geisterreich sei. Ein sehr ehifii<6her Ver-
such beweist aUerdings sogleich, dass Geister bei diesem rein subjec^
tiven und psychologischen Process nichts zu schaffen haben: der Zustand,
in welchem die Hand schreibt» tritt nämlich niemals ein, wenn sich
*> V<'ii br>ch<teTn WrrtP ist in (lie.-ier Bezieliiini,' ein socIxmi prscliiciit'nt's eiigliM-lie*
fiucb „Die lkkeuutuiä:4e eiueä Mediums". (CunieiiäioQä uf a Medium, Luud*»u, Griftitb
Famui, 188S.) Der YMfiwier, ein janger Theologe, aehildert darin, wie er in gutem
Okohen aa die Wahrheit der apifitiatiMhen Erscheinungen sich dem SpiridnUM gWS
hingegeben und dadurch das Yertranen eines berühmten Spiritisten so sehr pewonnen
habe, dass dieser ihn nach und nach in alle Creheimnissp «seiner Knnsr einwdhte.
£s stellte sich zuletzt heran«, dass alles auf Betrug und Schwindel beruhte,
und XU bewundern ist nur die Mubclüidt der Uittd» duieb wekke dM PuUicum
betrogen wird. Wir eind im Begriff; eine dentscbe Übenetzung dieses nach eilen
BicbtuiigeD bin TSUig nnfIdirendMi Bacbes Tonrabefuiten.
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— 148 —
der Experimentirende die Augen verbunden hat. Dann mag dei-selbe
jahrelang sif/^f*Ti, und seine Hand schreibt doch nicht, weil die nöthige,
den hypnotisctieii Zustand herbeiführende Reizung durch den Gesichts-
sinn fehlt. Wenn wii'klich Geister schrieben, konnte es ihnen sicherlich
ebenso einerlei sein, ob der Orakelsuchende mit einein Tnd\ vor den
Augen dasitzt, wie ob er in .Stiefeln oder Schuhen den Versucii an-
stellt. Sonderbaie Geister, welche sieh dureh ein Tascheatach ihrer
Kraft berauben und ins Bockshorn jagen lassen!
Wanim werden aber in dieser Hinsicht die Lhut. i dcuso leicht
1h 1] aL'fii. als sie sich hier U-icht und «jeni selbst betiu^tür' Sie sind
doch sonst auf ihi'en Vortheil gut bedacht. Kant hat aucli hier das
Biclitij^e schon ausgesprochen. Wenn wii" die Geisterseherei lu der
Wage der vernünftigen Untersuchung wägen, so wiegt sie sehr leicht;
aber es gibt noch eine andere Wage, in der sie so schwer wiegt,
das.s alle vernünftige Untersuchung gegen sie niclit aufzidcommen
vermag: die Wasre der Hoffnung und zwar der Hoffnung anf
Unsterblichkeit. Diese Hott'uung ist es, welche die Alenschen
immer wieder verführt, sich dem Hange der Geisterseherei und dem
Glauben an die Objectivität derselben lunzugeben. Denn in der Unsterb-
lichkeitshoffiiuug laufen die tiefistai, natürlichen Interessen des Menschen
sDsammeB. Jedes Wesen Bebändert yof der Vemichtong seines Daseins
zurück. Ist nun aber der Tod einmal uiTemieidüdi, so werden dock
seine Sdiredcen dnrch den Gedanken gebrochen, dass er der An&ng
eines neoen Leibens ist. Und welch eines Lebens, wenn dort in
erhöhtem und geUntertem Mafie alles Ghite und Liebe wiederfindet,
das man hier verliert, nnd wenn dort aUes gerecht ausgeglichen wird,
das man unverdient hier leiden mnsste. Und wenn jenseit des Grabes
unsere Lieben noch leben, warum sollten sie nicht auch mit uns noch
in Verbindung treten, uns warnen, helfen und trösten können? Das
alles scheint denjenigen, der nicht tiefer in den Gegenstand eindringt,
so natflrlieh und selbstverstAndlich, dass er all die sich hier auf-
thiirmenden Widersprüche und Unmöglichkeiten nicht bemerkt und in
Erwägung zieht. Und da er wflnscht und hofft, dass es so sei, so
sieht er und er&hrt er nun auch in tansenderlei Anzeichen, was er zu
sehen und zu erfahren wünscht und hofft. Aus diesem Motiv heraus
werden also die Geistergesichte immer wieder und zwar so lange
entstehen, als jene Hoffnungen überhaupt die Menschen erfüllen; und
wird also dagegen kein Rath der Vernünftigen helfen. „Wenn", sagt
Kant, „die Ausraittelung der aufgegebenen Frage nicht mit einer schon
vorher entschiedenen Neigung in Sympathie stünde, welcher Vernünftige
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— U9 —
wfirde wol nnschlfissig aefn, ob er mehr Möglichkeit darin finden
sollte, eine Art Wesen anzunehmen, die mit allem, was ihm die Sinne
lehren, gar nichts Ähnliches haben, als einige angebliche Erfiüirungen
dem Selbstbetrnge und der Erdichtung beizumessen, die in unseren
Fällen nicht ungewöhnlich sind. Ja, dieses scheint auch fiberhaapt
von der Beglaubigung der Geistererzählungen, welche so allgemeinen
Eingang findeii, die vornehmst« Ursache zu sein, und selbst die ersten
Täuschungen von venneinten Erscheinungen abgeschiedener Menschen
sind vermuthlich aus der schmeichelhaften Hoffnung entsprungen, dass
man noch auf irgend eine Art nach dem Tode nhrU^ sei, da dann bei
nächtlichen Schatten oftmals der Wahn die Sinne betrog-, nnd aus
zweideutigen Gestalten Blendwerke schuf, die der vorhergehenden
Meinung gemäß waren, woraus ianu endlich die Pliilosophen Anlass
nahmen, die Vemunftidee von Geistern auszudenken und sie in Lehr-
veif;) --uuL' zu bringen. Man sieht es auch wol meinem anmaßlichen
Lehrl)t ^Ti iti" von der (Teistergemeinschaft an, dass er eben diesellte
Richtüüg nahm, in die die allgemeine Meinung einschlägt. Denn die
Sätze vereinbaren sich sehr nierklicli nur dahin, um einen BegriÖ' zu
gebfeu, wie der Geist des Menscheu aus dieser Welt herausgehe,
d. L vom Zustande nach dem Tode; wie er aber hineinkomme, d. i.
von der Zeugung und Foitpflanzung, davon erwähne ich nichts, ja
sogar nicht einmal, wie er in dieser Welt gegenwärtig sei, d. i. wie
eine uumaterielle Natur in einem Körper und durch denselben wii'ksam
sein könne; alles um einer sehr gültigen Ursache willen, welche diese
ist, das ich hievon insgesammt nichts verstehe, und folglich mich wol
bfttte bescheiden können, ebenso unwissend in Ansehung des kttnftigen
Znstandes sn sein, wofern nicht die Fart^chkdt einer lieblings-
meinuug den Grfinden, die sich darboten, so schwach sie auch seht
moebten, zur Empfeblung gedienet b&tt&^ Betrog nnd Selbstbetmg
ist also hier dem Menschen so lieb nnd stinunt so sehr mit seinen
Interessen nnd Hoifiinngen fiberem, dass er nicht nmr selbst an keine
Kritik denkt> sondern eine Kritik wol gar frevelhaft findet*) Schon
in die zarte Seele des Kindes wird der hierher gehörige Gedanken-
kreis bineingegraben, verwächst mit den innersten Gedankenworzeln
und erlangt so eine alle fibrigen Ideen beherrschende Macht im
menschlichen Yorstelinngsleben« Hierbei macht sich nun aber ein
pqrchologisches Gesetz geltend, auf Gnmd dessen dann die schein-
*) Auch hieifBr, tad wie die ftpbitbtjflehen Gaukler sieh diesen Umstand >n
iifitee tn machen triaien, gibt Jenes obeoerwllmte mgUsdie Werk nhheicbe Belege.
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— 160
baren Erfahmngsbe^se für die Existenz von Geistern bereitwillig
eintreten.
Es ist nämlich eine Thatsarlip unseres Seelenlebens, da-s unser
(leist allemal nur das wahi-- und in sirli aufnimmt (peri iiiirt und
appercipirt I, wozu verwandte VorstelhiiiL'-en er schon in sich trä^^t. Die
Ideen, welche als die hauptsärhliclisten und herrschenden in uns wohnen,
bestimmen unbewusst in allen 1^ Mlleri die Richtung unserer Auftnerk-
samkeit; nach ihrer Anweisung bemerken wir TorzTig"SA\ « is» nur das
ihnen Verwandte und übersehen das von ihnen Abw i, liende. So
sehen wir in allen Fällen nicht alles, sondern iiiMiirr nur einiges,
und dieses einige nicht, wie es an sich ist, sondern wie es uns
erscheint. Wir sehen daher auch Welfach nicht blos. was ist, sondern
unsere Stimmungen, Gefühle, Wünsclie und Ideen an den Dingen und
in die Dinge hinein. Ein Kaufmann bemerkt in einer von ihm
besuchten, fremden Stadt vor allem die geschäftlichen Zustände. Der
Künstler sieht davon nichts; aber die Kunstwerke, welcher jener über-
sah, stehen klai" in seinem Bewusstsein. Der Parteieiferer hat ein
scharfes Auge für aUes seiner Partei Entsprechende; für das, was
den Bestrebungen seiner Partei widerspricht, und sei es an sich das
Bechte and Wahre, fehlt ihm jedes Verslfindnia. Der MSnch sieht
in dem Tropfeteingebilde einen Priester mit dem Keleh; ein Garn-
hrmusjünger phaiitasirt sehien Gott mit efaiem Becher hinein. Eben
dies Geseta Tunerea Vorstellungslebens mnss man sieh klar machen*
nm zn verstehen, wmm. der, welcher ganz yon dem Glanben an
Geister eri&Ut ist, nun auch wirldich mit Leichtigkeit überall Beweise
ftr seinen Glanben und für die Wirksamkeit der Geister findet und
die Geister selbst sieht So halten WQde das Schreien der Wasser»
vQgel im Sumpfe fttr Stimmen der Geister. So liefern das Edio nnd
das Heulen des Windes im Walde^ die Wolkengestalten am Himmel
nnd die Irrlichter im Moraste Beweise für die Existenz von Geistern,
als deren Änfienugen oder Erscheinangen jene betrachtet werden.
Die Vertreter dieser wilden Denkart» welche alles im Sinne ihrer Ein-
bildungen anfi&sst ,und jeder natürlichen Erklfimngsart unzugänglich
ist, kann man auch unter clTilisirten Völkern zu Millionen finden.
Der abergläubische Bauer wiU es nicht wahr haben, dass der Wind
im Schornstein heult, es mnss ein Geist drin spuken, und aus Furcht
vor seinem Wahngebüde wagt er nicht, sich durch Selbstschaa eines
Besseren zu belehren.
Unter dem Druck eines derartigen Vorstellungskreises entstehen
nun zunächst eine Menge Yop. Illusionen, welche den Wahn der
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— 151 —
Geistei-seberei bestätigen und bestärken. Unter Illusion vei-stebt man
eiBe Sinnestäuschung, in \velcher unter dem Einfluss eines im Menschen
gerade herrschendeo Ideenkreises ein tbatsächlich vorhandener Gegen«
stand anders aufgefasst und gedeutet wird, als er in Wirklichkeit an
und für sich ist. Ein in Zürich weilender Fremder bekommt dort die
Nachricht von dem plötzlichen Tode eines von ihm innig geliebten
Freundes. Da sieht er, während er, schmerzlich bewegt nnd lebhaft
mit der Erinnerung an den Abgeschiedenen beschäftigt, gegen Abend
am Seeufer wandelt, die Leiche seines Freundes leibhaftig auf den
Wf'llen des Sees in der Dämmerung herantreiben. Granen übertallt
ihn, aber die nähere Untersuchung zeigt ilim. nh er der vermeint-
hchen Leiche sich in einem Boote nähert, nur ein treibendes Stück
Balken. In dieser selben Weise illusionirend werden viele Geister-
süchtigre zn ( istprsiHitig'en. Schon die Lesefibel berichtet als war-
11' iidt - Beispiel die Ge-( hirlitr der in HuiiderttauseTulen von Exernphirrii
verbreitt^ten Magd, welrhr im Harjxluukel des Kellers ein aufp:ehäng'tes
weißes Tuch für ein (^espenst ansiflit, wie denn Bäume im Waldes-
dunkel und Nebelstreilen im Mondesliclit dergestalt häufig'* in der
Phantasie zu Geistern wui*den. Die Voraussetzung zu diesen Geister-
illusionen ist also einmal der geistergläubige Vorstellungsuntergnind
und andererseits eine aulgeregte nnd nervöse Stimmung, wie sie die
Emüdung des Abends und bei Nacht oder nach großen Anstrengungen
mit sich bringt.
Noch mehr als solche Illusionen geben aber dieHallucinationeu
Anlass zur Entstehung und Ausbildung des Geisterglaubens. Haben
wir es in der lUusion nur mit einer Täuschaug eines Sinnes zu thun,
m liegt der HaUndnatien dne vizkHche Erkrankung eines Sfames-
nerven zu Grunde. Das Gesetz der sog. spedflschen Energie der
Simie besagt, dass jeder Nerv, durch welcherld Beis er auch getroffen
werden möge^ doch immer nur die Äußerungen von sich gibt, welche
seine eigenüittmliche Function bilden oder zu seiner Sondematui*
gehören. So kann der Gehdruery auf jede Art von Beizung immer
nur durch Tonempfindungen, der Sehnerr immer nur durch Licht-
empfindungen antworten u. s. Es sei nun z. B. der GehOmeiT
krankhaft gereizt, so sind GehOrsempfindungen davon die Folge. Die
Reizung ist eine rein innnerliche, ans dem Organismus des Leidenden
stammende, sie entshringt z.B. aus einem EntzOndungszustande; gleich-
wol empfindet der Erkrankte TOne, wie Töne ttberhaupt empfunden
werden, als ob sie etwas Äußeres seien und von aufien stammten.
Das Ohrensausen und Ohrenklingen gehört bereits zur Classe dieser
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Hallucinationen. Diese Sinnesphantasmen nehmen iinn aber in ihrer
Steigerung und unter der Mitwirkung des Vorstellim2:sinhalts des
Leidenden die peinlichsten Formen an: der Patient glaubt verworrene
Stimmen und Rufe zu hören, aus denen er Worte und iSälze herans-
zuklauben sich bemüht, wie man aus Tropf^^teineebilden bestimmte
Gestalten erdichtet. Er ^eräth dadurch in die anyrstlichste En-egung.
Da er aber den inneren und rein subjectiven Grund der Erscheinung
nicht kennt, so sucht er die Ursache außer sich und verfallt nun
meistens, von l'nruhe und Schlaflosigkeit tre(]uält. auf die Meinung,
es seien unsichtbare Wesen, Geister, die ihn riefen, verfolgten und
peinigten. So .setzt er die (Deister, au welche er bereits glaubte, als
Grund für die rein piiysiologische Krankheitserscheinung, und diese
Krankheitserscheinung wird somit ihrerseits wieder als Beweis tür
das Dasein von Geistern angesehen und verstärkt den Glauben an
dieselben, ohofleich sie in diesem f ulle nicht gesehen, sondern nur ge-
hört werden. Aber die Gesichtshallucinatiouen lassen die Geister
auch sichtbar vor das Auge treten. Die Ursache der Gesichtsphan-
tasmen ist eine krankhafte fidzimg der Sehnerven. Es werden z. B.
dnnkle Pimkte (dk sog. monehes Tolantes) tot den Angen schwebend
gesehen« wie sie auch jeder Gesunde an heUkn Sommertagen oder
nach längerem Sehanen in grelles lacht an sich beobachten kami, wie
sie aber in Nervenkrankheiten sich in großer Fülle mit störender
Peinlichkeit einstellen. Eine alte» kranke Fran bezeichnete mir diese
dnnklen Pankte, welche vor ihren Angen anf- und abschwebten, sich
näherten tmd entfernten, verschwanden nnd auftanchtenf ansdrUckUch
als ihre i^Geisterchen", die sie quälten, und die sie in ibzon Geister-
glanben ganz besonders bestfirktaL So siebt der am delirium tremens
Leidende diese schwarzen Punkte als Hfinse, Käfer and Ungeziefer
anderer Art, welches ihn umgibt, über die Dielen des Zimmero läuft
und an ihm oder anderen umherkriecht, so dass er sieh bem&ht, die
Phantasmen zu ergreifen und fortzuschleudm. Diesen krankhaften
Hallncinationazuständen kann jeder Sinn unterliegen, und man redet
daher auch von Gefühls-, Geschmacks- und Geruchshallucinationen, in
denen aus inneren Beizungen heraus, ohne dass aufierhalb des Orga-
nismus eine erregende Ursache vorhanden wäre, eigenthümliche Ge-
fühls-, Geschmacks- und Geruchsphautasmen sich einstellen.
Treten solche Hallucinationen dauernd auf, so lieirt eine ernsti»
Erkrankung des Nervensystems überhaupt vor, und es erhebt sich die
Gefahr einer vollständigen Geistesverrückung. Hier stellen sich nun»
indem das ganze körperliche und geistige Wesen des Menschen in-
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folge grofter Störangen und Erregangen ans dem Gleichgewicht ge-
rftckt wirdt die Visionen ein, welche nun nnmittelbar im Sinne des •
Geisterglanbens, als ob sie von objectiv existirenden Geistern stamm-
ten, erldBrt nnd somit als stärkster Beweis für das Dasein von Gel«
Stern angesehen werden. In der Vision werden Gestalten, ja ganze
Torgänge in leibhaftigster und lebenswahrster Form wie obJectiT nnd
außerhalb des Wahrnehmenden von dem Visionär, abf^r auch nur von
diesem gescliaut, ohne dass doch eine objective äußere Erscheinang
Torbanden wäre, da nur eine krankhafte Erregung des Siibjects in
diesem die Täuschung veranlasst. Solche Visionen sind mitiiin als
subjective Krankheitserscheinungen thatsächlich vorhanden — keines-
wegs aber sind die g^eschanten Ersrheinnnc:en -^drkliche Dinge außer-
halb des Visioniirs. vielmehr ledig:lioli innere Pliantasievorst«lltm|ren,
die sich mit «ololiei- Lehliafti'Tkfnt dem Erkrankten aufdrän^Q, dass
sie so deutlich w ie äußere Dinge geschaut werden.
^^'ie ist es aber mö^^-lich, dass rein innerliche, subjective Phantasie-
Vui-stel hingen in dieser gewissermaßen veränBerlichten Form zur An-
schauung gelangen? Es würde zu weit führen, und wir müssten eine
ganze Reihe erkenn tnistheoretischer Erörterungen und eine genaue
Beschreibung des Baues und der Functionen unseres Nervensystems
geben, wollten wir diese Frage liier allseitig und gründlich beant-
worten.*) Es uiuss liier genügen, an einigen Beispielen zu zeigen,
dabfi thatsächlich rein innerliche Voigänge in unserer Seele viel-
fach wie objective, äußere Dinge gest'haut werden. Es ist doch wol
keine Frage, dass alles, was uns der Traum bei geschlossenen Sinnen
vorgaukelt, aus rein innerlichen Vorstellungen besteht; und doch trln-
men wir so lebhaft, dass wir diese inneren Bilder wie in plastischer
Wirklichkeit aufier nns sehen, nnd wir uns beim Erwachen oftmals
erst bestunea missen, oh wir es mit ehiem Traum oder der Wirklich-
krit zn thnn haben. — Wir betrachten aufmerksam längere Zeit eine
Figur, a. B. ein weißes Tenfelchen, welche anf schwarzem Gmnde
gemalt ist Dann wenden wir nnsere Angen davon ab nnd richten
sie anf eine weifie Flflche, etwa die Decke des Zimmers. Jetzt sehen
wir plOt^Ueh anf dieser weiBen Fläche klar nnd dentlich ein schwai^
xes Tenfelchen. Das Gesichtsbild dieses schwarzen Tenfdchens, das
sog. Nachbild, ist offenbar nur in unseren Augen, denn anf die weiße
Decke ist ja nichts davon gemalt^ nnd doch erblicken wir das Bild
*) Mm eehe Nkben» daraber in metner ,4%il<woptiie der NatarwitseiiMliait",
Bd. U, Bog. IV n. DL
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als ein völlig anfier uns seiendes. Wir schanen an einem warmen,
dnnstigen Sommerabend voll und kräftig in den eben am Horizont
untergehenden, feurig' strahlenden Sonnenball. Nun wenden wir die
Augen auf die Felder und Wiesen ringsum und werden jetzt auf und
über denselben feurige Kugeln rollen und fliepren sehen, welche ?:anz
plastisch und objectiv außer uns erscheinen und doch nur Rfi/bilder
innerhalb unseres Wahniehnuing-soro:ans sind. Hier erklärt sieh aul"
ganz natürliche W eise eine Erscheinung, welche in früherer Zeit oft-
mals zu abergläubischen Fabein Anlass gegeben hat. Ks wird häufig
erzählt, jemand habe besehen, wie ein Marien- oder Heiligenbild ans
seinem Kalmn n >ti' l;> ii und durch die Kirche geschwebt sei. bis es
im Halbdunkel derselben verschwand. Der fromme Beter brauchte
nur lange genug inbrünstig und aufmerksam das Bild l)et rächtet und
dann die Augen davon ab- und auf die weißen Kirchenwände hin ge-
wendet zu haben, so schwebte ihm dort das optisclie Nachl)ild wirk-
lich vor Augen, nur dass die Erscheinung eine rein innerliclie war
und die Heilige selbst ungerührt in ihrem Rahmen blieb. Deraitige
Visionen werden abei* auch ohne eine von auLien kommende Reizung,
lediglich vuu innen heraus durch Krkraiikangszustände des Gehirns
hervorgei'iifeü. Gehirnerweichung hat häufig ziu* Folge, dass nicht
blos die äußeren, wirklich vorhandenen Gegenstände ungeheuer ver-
größert und in seltsamen Farben schimmernd gesehen, sondern dass
aneh rein innerliche PhantasiebQder als Süßere Erscheinugen ge-
schaut werden. Der Vidonftr pflegt in solchen FftUen allerdings fiist
immer nnheflbar in Irrsinn za Terfollen.
Virionen sind also keineswegs Gesichte Ton wirklich aoBorhalb
des Tisionftrs Toriiandenen Wesen nnd Dingen, sondern innere Phan^
tasiehflder, welche wie im Tranm (die Vision ist eine Art nngesnnden
nnd abnormal Tranrnzostandes) objectiv and plastisch erscheinen and
infolge von Üherreiasong and Erkrankung des Nervensystems ein-
treten. Setzt sich diese Erkrankung danemd fest» so verftUt d^ -
Viaion&r dem Wahnsinn nnd dem Lrenhaos. Sie kann aber infolge
gewaltiger Enregongen» grofier Oberanstrengongen und ErschOpiongen
vorttbergehend auch bei sonst Gesunden eintreten nnd bezeichnet dann
den Gipfelpunkt der nervösen Beiznng. Es kann deshalb auch jeder
sonst Gesunde Visionen künstlich in sich herbeiführen; taugliche üiüttel
dazu sind aUes, was Überreiznng nnd Erschöpfung des Nervensystems
heiToi-zurufen vermag. Der junge Indianer, der, wenn er mannbar
wirdf den Schntzgeist seines Lebens zu entdecken sucht« begibt sich
zu den schauervoUen Grabstätten seiner Ahnen, &stet nnd kasteit
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— 155
und legt sich nachts zwischen den unheunlichen HQgeln zum Schlafen
nieder. Infolge der körperlichen Abspannung einei-seits und der
Phantasieüberreizung andererseits stallen sich bald im unruhigen
Traumschlftf die gewünschten Hrscheinungen ein. Dieselben Mittel
der Ascese wendeten die Neuplatoniker des Alterthums und die Mönche
des ^littelalters an^ um den Himmel otfen zu sehen. GewalUge äufiere
und innere Kämpfe und erschöpfende Aufregungen sind vorangegangen,
ehe Paulus auf seinem Wege nach Damaskus von seiner Vision heim-
{»•esucht wird. Sd kann der sonst nerv^enstarke Kriesrer nach langen
Stiapazen, aul nächtlicher Wacht mit Mttdinrkeit und Abspannung
kämpfend, plötzlich zum Visionär werden, wie der durch lanore?*, nächt-
liches 8tiuliren erreg-te und ersch(»{>fte Gelehrte plötzlich den 'r»'ufel
vor sich schaut und sein Tmtenfass nach der Ki-soltfiimn«^ schleudert.
Besonders in Zeiten, in den^^n mnn ♦•iTu^rseits die eaasalen Zusammen-
hänge des NHturjxesclielie!i> nini si ine ( resetze nicht kennt und daher
alles Uli* iklärlich und ..ubernatui lielr' findet, andeiei-seits die Phan-
tasie niul das leidenschaftliclie Gemuihsleben des • Miiusclieu in dem-
selben Maße liöher waltet, als strensfes logisches Denken, gesellschalt-
licher Zwang luid Selbsterziehung diese zu Ausschreitungen geneigten
Seelenkräfte noch nieht <2:ezligelt haben, müssen Visiunen häutiger ein-
treten als in unseren Zeiten, wo strengere Züt^eluug den Geist in
den Schranken größerer Mäßigung hält und die Wirksamkeit der
Polizei sich selbst gegen die Gespenster richtet. Und solange man
ferner von dem natürlichen Ursprung der Visionen aus der Erregung
unseres Nerveor nnd Seelenlebens nichts wusste, konnte es nicht ans-
bleiben, dass Visionen för objectiv-wkliche Erscheinungen, das Ge-
sehene selbst aber f&r Eondgebungen von Geistern oder fOr Geister
selbst gehalten worden. So mussten die Visionen vor allem dazu bei-
tragen, den Ghiuben an eine Geisterwelt za erwecke nnd zn be-
fisstigen.
Alle sog. Geistererscheinnngen erklären sich demnach anf natnr-
gemäfte Weise entweder ans verbrecherischem Betrog oder aas ehr-
licher Selbsttftoschong. Biegenigen, welche ans der letzteren Qoelle
stammen, bemhen einerseits anf den Wirkungen des geiaterglftnbigen
Vorstellongskreises, andererseits auf den, aus der physiologischen nnd
psychologischen Einiichtong unseres Nerven-' und Seelenlebens hervor-
gehenden Erscheinongen der Illit§ion, Hallncination und Vision. Wenn
anch anf Gmnd der heutigen genaoeren Kenntnis der Vorgänge im
Nervensystem unsere Erklärungen im einzelnen von denen Kants ab-
weichen, so hat doch anch dieser schon in seiner Schrift über die
Mtofcciim. 5. Jabi«. H«ft III. H
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( .( rselierei oiiien Ansatz zu einer völlig psychologischen Erklä-
nui^>«weise gemacht und sogar das HaiipteoMicht anf eine ^olclic p-^-
legt. Die Worte, mit denen er seine dahin zielenden KWirterungeu
abschlii'lU, siud su witzig und zutreflend, dass wir i^ie dem Lesser
nicht vorenthalten dürfen: „Die Folge, die sich aus dit sen Betrach-
tungen ergibt, hat dieses Ung-elegene an sich, dass sie die tiefen
Vermuthungen des vorigen Hauptstücks ganz entbehrlich macht, und
dass der Leser, so bereitwillig er auch j^ein mochte, den idealiselien
Entwüifen desselben einigen iieilall eiiizuiauiiii ii, dennoch den Berrritf
vorziehen wird, welcher mehr Gemächlich keil und Küi-ze im Entschei-
den bei sich fuhrt, und sich einen allgemeineren Beifall versprechen
kann. Dean aofierdem, dass es einer Temünftigen Denkungsart ge-
mäßer m aeln aebeint» die Gründe der ErklAnmg aus dem Stoffe her-
zimehment den die Er&hnmg nns darbietet, so ftnfiert sieh noch dazu
anf dieser Seite einiger Anlass zum OespOtte, welches, es mag nnn
gegrOndet sein oder nicht, ein krftftigeres Mittel ist als irgend ein
anderes, eitle Nachforschungen zorackznhalten. Denn aof eine ernst-
hafte Art über die Hirngespinste der Phantasten Auslegungen
nuushen zu wollen, gibt schon eine schlimme Vennnthnng, und die
Philosophie setzt sich m Verdacht, welche sich in so schlechter Ge-
sellschaft betreffen Iftsst Zwar habe ich oben den Wahnsinn in der-
gldchen Erscheinnng nicht bestritten, ^ehnehr ihn, zwar nicht als
die Ursache einer eingebildeten Geistargemeinschaft, doch als eine
aatflrliche Folge d^selben damit verknüpft; alldn was fDr eine Thor-
heit gibt es doch, die nicht mit dner bodenlosen Weltweisheit kGnnte
in Einstimmung gebracht werden? Daher verdenke ich es dem Leser
keineswegs, wenn er, anstatt die Geisterseher fiir Halbbfirger der
andern Welt anzusehen, sie kurz und gut als Candidaten des Hospi-
tals abfertigt, und sich dadurch alles weiteren Nachforschens überhebt.
Wenn nun aber alles auf solchen Fuß genommen wird, so muss auch
die Art, dergleichen Adepten des Geisterreichs zu behandeln von der-
jenigen nach den obigen Gegriffen sehr verschieden sein, und da man
es sonst nöthig fand, bisweilen einige derselben zu brennen, so wird
es jetzt genug sein, sie nur zu purgiren." Und in der That, heuti-
gentages behandelt man den unverbesserlichen Geisterseher im Irren-
hause in ähnlicher Weise, wie Kant anih-^ntet. Beruhigung und Heini-
guüg des autgeregten Blutes und Herstelhmg eines rerrelrechten Stoff-
wechsels sind hauptsächlich die Mittel, durch weh'he dem Geistt rseher.
weuu nicht etwa infolge von Gehimzerstörungen die Heilung liber-
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— 157 —
hanpt omnQglich ist» der rechte Blick f&r die Wirklichkeit wieder
erOi&iet und ihm das Oeisteronge geschlossen wird.
Es unterliegt also keiner Frage, dass alle Geisterseherei, die sich
nicht nnmittelbar anf Betrog xnrüekf&hrt) in das Gapitel der Geistes-
stGmngen gehört Geisteraeherei ist Symptom eines gestörten Seelen-
lebens, sei nnn die St5rang nnr eine rasch yorftbergehende, oder seUe sie
sich daaemd fest, so dass damit der Visionär ans der Beihe der Ge-
sonden in die Bftome des Irrenliauses hineingeschleudert wird. Kit
Erklärung geschieht gleicbwol weder dem Glauben an eine
\\ elt des iminateriellen Geistes noch dem Glauben an die Unsterblich-
keit eines immateriellen Geistes Abbruch. Man muss sich im Gegen-
tlieil klar machen, dass dieser Glaube in seine]- Eeinheit mit der
Geistei-seherei gerade nicht zusamnlenbestehen kann, dieselbe vielmehr
ausschließen muss. Denn zwei Fälle sind m^)^li('!i:
Der eine: Es gibt wirklich immaterielle Geister. Dann können
sie als immateriell mit der Materie in keinem Zusammenhange stehen
und somit auch unseren materiellen Sinnen nicht erscheinen. no<-]\ anf
unsere mit der Materie verboudeue Seele irgend welche Einwirkung
ausüben.
Der andere: Geister werden gesehen und üben Kinwirknn<^en
auf materielle Dinge htmI Wesen aus. Dann sind aber diese Geister
keine imnuit eriel 1 f u (iei-ter. sondern materielle Wesen wie die
Meusciien. Dann sind sie in W ahilit it das, was sich das Volk unter
seinen Gespenstern vorstellt. Dann gehüreu sie aber in das System
der Zoolofrie, wie der Mensch, nur mit dem Xaclitheil, dass ihre Exi-
stenz unter den zoologischen Existenzen die schleclitest bewiesene ist,
und sind weit davon entfernt, die immateriellen Geister eines reinen,
geistigen Glaubens in dem Sinne des Spruches: „Gott ist ein Geist"
zu sein; sie sind vielmehr Wesen eines heidnischen Aberglaubens und
fuhren die Anhänger desselben in alle Irrwege der Gespenster! dicht
und des Hexenspuks zurück.*) Die Grundlage eines solchen Spiritis-
mus ist also in Wahrheit die materialistische Weltanschauung, wie
ich dies an einem anderen Orte schon dargelegt habe.**) Der reine
Glnnbe an den wahrhaft immateriellen Geist Bcfaließt die Geeister-
seherei mithin ans, denn diese erniedrigt die Greister zn Gespenstern.
*; Hao vergleiche aucli hierüber die fc^r/^abluiigeu des obeu geuaoutea engli-
adun Werices.
**) \ gl. meme Schrift: Die Gnmdgedaiiken des MateiuUsmiu und die Kritik
decselbeiu Leipdg, QttnthtiB Vertag. 8. 74 f.
11*
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Diese antireli^öse Entwürdigung des Geistigen müssen sich jene zar-
ten und empfindsamen Seelen, welche so gerne noch in einem unmit-
telbaren Verkehr mit ihren abgeschiedenen Lieben stehen möchten
nnd die Beweise für diesen Verkehr in tausenderlei ^Zeichen^ finden,
einmal gründlich klar machen; sie müssen sich vorhalten, dass sie
durch ihre Geistei*stichtelei und Geistereeherei ihre verklärten Lieben
in Wahrheit zu ruhelosen Gespenstern herabsetzen; sie müssen ein-
sehen, (lass sie damit in die barbarische und roheste Vorstellunirs-
weise verp^ancrener Jahrtausende ülier das Wesen des Geisti«:eu zurück-
fallen, und weit entfernt von einer Tdt alisiruiitr des Geistisren, viel-
mehi' die Sfinde der Matcrialisirunir gegen den G<'ist begehen — und
sie werden die Wurde des Geistigen höher achten als die kleinen
und im Grunde >t Ibstsüchtigen Wünsche ihres Herzens und nicht jene
nach diesen beurf heilen, sondern diese durch die Betrachtunsr jener
im Zügel lullten : sie werden von der Majrie und Zauberei ablassen,
welche, wenn auch in abgeschwächter Fnnn. irleichwol bei ihnen be-
sieht, wenn sie in geheimnisvoller Weise uui iiumaterielle Geister ein-
zuwirken suchen oder Einwirkungen von ihnen zu empfangen bekehren.
Das allein Geziemende ist hier, mii der Hoffnung aul die Zukunft die
Selbstbesi heidung für die Gegenwart zu verbinden. Man sagt wol,
es sei eine gemüthsbefriedigende, poetische Vorstellung, die Gei-
ster der verstorbenen Lieb^ sich nahe nnd mit freundlicher Fürsorge
für die HinterUiebenfln beschäftigt zq denken; aber wenn eine poe-
tische VorsteUmig eine unwahre ist^ so ist sie dn&ch eine TSoschong;
sein Gemiith aber mit einer T&nschnng befriedigen, heißt Gift för
Brot empfangen, nnd dass die geisterseherische Torstellnngsart wirk-
lieh Gift ist, zeigt sich an ihren Folgen, der aberglftnbischen Vei^
rflckong des Geistes nnd der Verkehntng eines reinen Geistesglanben
in Aberglanben. Zu welchem, selbst mit ünsittlichkeit nnd Verbre-
chen gepaarten Hexensabbath die Geisterseherd oftmals gef&hrt hat*),^
zeigt die Geschichte deijenigen Secten, welche die Gdsterseherei als
den Hauptinhalt ihres religiösen Dienstes betrieben nnd damit TieliS^h
beim Staatsanwalt und im Zuchthaus anlangten. Ist eine VorsteUnng,
die in solcher Prosa endet, eine poetische? Echte Poesie ist Wahr-
heit, aber nicht Wahn und Lüge. Oder haben gerade unsere großen
Dichter der Geisterseherei das Wort geredet?
Drei hauptsächliche Ergebnisse hat die genauere Zergliederung
der Geisterseherei geliefert: Erstens war, die Thatsächlichkeit der
*) MftD veigleicb« jenes englische Werk.
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— 159 —
GeistargemeiDscliaft und der G«Jsteraeherel vorausgesetzt, kein irgend-
wie erspriefilicher Nutzen fttr die Menseliheit in den Einwirkungen
der Geister auf die Menscheoseelen zu entdecken, wol aber zeigten
sich bedenkliche Schftdigungen, wie Verwinimg nnd Zerstörung der
geistigen und körperlichen Gesundheit. Zweitens war aber die Exi-
stenz der Geister weder bewiesen noch beweisbar, ja es wurde klar,
dass wir weder wissen, was ein Geist ist, noch die Möglichkeit be-
sitzen^ uns einen positiven Begriff von einem Geiste zu bilden. Drit-
tens aber zeigte sich, dass alle Geisterseherei sich auf sehr natür-
lichem, [»hysinlogischem und psychologischem Weo^e erklären ließ, und
dass deshalb Geisterseherei ent- und bestehen kann, ohne dass irgend-
welche Geistergemeinschafl ihr zu (Triinde zu liegen braucht Nur
die Unwissenheit, der Aberglaube und die stillen, aber keineswegs
ide.tlei) noch religiös berefhtijxten Begehrungen des Menschen, den
8( liieiei Geheinmisses, der über dem Jenseits und dem Leben nach
dem Tode liegt, vor der Zeit zu lüften, können immer wieder den
Untug- (les S]tintismns aufkommen lassen. Aber wir wiederliol« n < - :
Jeder, dem der fj:eistige und sittliche Fortschritt des Menschen-
geschlechts wirklich am Herzen liegt, hat die eniste und unerlässliche
Pflicht, solchen Unfug, wo immer er auftauchen möge, kräftigst zu
bekanipten, ebenso wie die Unhaltbarkeit derjenigen Lehren nachzu-
weisen, welche, täuschend und unwahr, die Geisterseherei reclit-
fertigen sollen. Wir meinen hier besonders die neuerdings aufge-
tauchte Lehrmtmuiig vom \ lei dimensionalen Raum uud den vierdimen-
sionalen Geistern. Es würde zu weit führen, wollten wir diese Theorie
hier entwickeln, nachdem wir dieselbe bereits einer aDsTührlichen Be-
handlung unterworfen haben, worauf wir hiermit verwiesen haben
wollen.*) Es sei aber Terstattet, hier wenigstens die Schlossworte
des betreflfenden Capitels ansifllhreik, welehe die Folgen des spiritisti-
schen Wahnes fllr die Wissenschaft wie f&r die Praxis des Lebens
darlegen: „Welchen Gewinn aber hat endlich die Natnrwissenschaft
von jenen Baumspecidationen nnd besonders von jenem Tierdimenno-
nalen Baume nnd den darin spukenden Gespenstern? Alle natflrliche
Wissenschaft wird dnrch den Spiritismns in Wahrheit ani^ehoben,
weil dnrch denselben das Gesetz der natarlichen Cansalit&t aufgehoben
ist. Denn alle Natnrerscheinnngen, welche wir bisher nach rein me-
chanischen Gesetzen erklärt haben, und wobei, wenn wir die richtig
*; Vgl. meuie „FUlosophi« der NatttrwisBeiueh>ft", Bd. II, Capw V: Zeit nnd
Baym; intbeMnden S. 138 t and a 150.
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— 160 —
prefundenen Gesetze in richtiger Weise zu mechanischen Erfindungen
und Hilfsmitteln fiir den Menschen verwendet haben, wir niemals ge-
täuscht sind — all diese Naturerscheiniinfren kr»nnen herrühren von
jenen „spiiits" oder von ihnen gekreuzt und g^est »rt w erden, so dass
keine unserer Erklärungen richtig zu sein ^naucht, vielmehr jede
falsch sein kann, weil die natnrleitenden Potenzen launische Geister
sind, deren Willkür ins Unerniesslielie t^el^'n kann. VAne jrranenhafte
Vorstellung, w^-il sie den GlanlH'n des M<iisclien an eine feste Natur-
und Weltordnuiig zerstOreu müs>ie, wenn sie Herrschaft über ihn <re-
wttnne; das Vertrauen zu der Kraft seiiic.-> lorscheudeii (Geistes, da ja
ibtch alles falsch und trügerisch sein kann, vernichten und damit auch
'bV Energie seines Wullens und Einwirkeus auf die Natur lalim legen
liiusste! Der Rückfall in neuplatonische Dämonenlehre und mittelalter-
lichen Hexenglauben wäre damit \ ollzuj,^en und die Wissenschaft ver-
nichtet Und welche Folgen würden sich für diis prak-
tische Leben ergeben! Wenn ein Eisenbahnunglück oder ein Dieb-
stahl oder ein Mord geschehen wäre, mit welchem Eechte wfirde mau
noch nach mzuverlässigen Weicbenstellem oder naeh Bieb^ und
lIGidem tom^m UmMA? Absolut imbelangbare, vi^düoeitaioitRle
Ursachen k$nnten den Fall Teranlaaat haben! Wie kOimte man noch
Too sittlicher Verantwortlichkeit reden, wenn jeder Unsittüche sich
anf eine zwangm&ftige N()tbigung zn unsittlichen Handlungen von sel-
ten unsichtbarer Mächte berufen kannte? Nicht blos alle Theorie,
sondern auch alle Praxis und Moral wäre anwideminich vernichtet'*
vn.
Geisterseherei nnd kritische Philosophie.
An dem Leitftden der Eantischen Schrift „Träume eines Greister-
Sehers" sind Yon uns die Hauptpunkte der Kritik der Geisterseherei
entwickelt worden. Denn was Kant im besondem gegen Swedenborg
Torbringt, gilt ja aUgemeln gegen die Geisterseherei äberhaupt. So
wie den Anhängern derselben im allgemeinen, musst« natürlich auch
den Swedenborgianem im besondem die Schrift Kants ein Dom im
Auge sein, und es kann also nicht wunder nehmen, wenn d^ Sweden-
boi^ianer Tafel, den, allerdings vergeblichen, Versuch gemacht hat»
der Eantischen Abhandlung die Spitze abzubrechen. Kants Brief an
Fräulein von Knoblocb, meint Tafel, drücke sich milder über Swedea>
borg, ja fast zustimmend ans. Wenu sich nun beweisen ließe, dass
der Brief späteren Datums als die Schrift wäre, so würde daraus
heiTorgehen, dass Kaut sein Urtheü über Swedenborg in günstiger
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— 161 —
Weise gelodert und sich selbst gewissermaften za Swedenborg bekebrt
hfttte. So will denn Tafel beweisen, dass der Brief ans dem Jahre
1768 staoime, wahrend die Schrift yom Jahre 1766 sei. Die ganze
Darlegung Tafeis ist eine dnrchans gekftnstelte und fiUlt in sich selbst
zusammen. Wir wollen hier zur Widerlegung nur zwei Thatsachen
hervorheben. Schon daraus» dass Kant in dem Briefe schreibt, er
habe die Werke Swedenborgs nocli nicht gelesen, während er in
der Schrift ausdrücklich mittheilt, er habe sie gelesen, geht deutlich
herror, dass die Schrift später geschrieben ist als dei- Brief. Aber
aoch andere Daten im Briefe beweisen, dass derselbe einige .lahre
vor der Schrift verfasst ist. ich will hier nur eins anführen, das
allein schon völlig durchschlägt. Der Brief ist an Fräulein von Knob-
loch crerichtet. Diese verheiratete sich am 22. Juli 1764 an einen
Hauptmaim von Klingspom. Wenn Kant also an Fräulein v(in Knob-
loch schrieb, so muss der Brief vor dem Juli 1764 verfasst sein,
denn von diesem Tixgt an hieß die Dame Krau von Klingsporn. Der
Brief kann also nicht ei*st. wie Tafel fabulirt, 176K entstanden sein.
Aber sell)st wenn wii- derartige genau«' Beweise nicht be.säl5en,
die L'anze spätere Philosopliie Kants würde Zeui(nis ableiten, dass Kant
seiuM Meinimsr über iSwedenborjr nicht verändert hat. denn Kants «jre-
sanuiite PhiJosophie ist die r^n'iÖt^ und vielseitif^ste Zurückweisuiii^
iiiler Geisterseherei iiberliaui)t, und das Studium derselben das wirk-
samste Mittel, sich von geisterseherischen Aiiwaudiungeii tlir innner
zu befreien. Indem icli darauf liinweise, komme ich kurz noch aut
eine andere Seite der Kantischeu Schrift zu sprechen. Der Titel der-
selben sagt: ..Träume eines (reistersehers, erläutert durch Träume
der Meiapliysik." Was hat die metaphysische Philosophie mit der
Geisterseherei zu thun? Gerade dureli Kant hat die Philusuphie eine
gewaltige Umwandlung erfahren: sie ist aus einer dogmatischen
eine kritische geworden. Das Streben der dogmatischen Philosophie
war darauf geiiditet, ttber Dinge etwas aosssgen zu wollen, welehe
ganz außerhalb des lüreises unserer Eifahrongs- imd ErkenntnismOg-
lichkeit liegen: nämlich fiber die göttlichen nnd jenseitigen (transsoen-
deuten) Dinge. Kants kritisclie Philosophie besehrftnkte alles Forschen
anf das nns allein zugängliche Erfohrungsgebiet. Kant that nnn in
seiner Schrift nicht blos die Geisterseherei, sondern die dogmatische
Philosophie zogleicfa ab. Die Geisterseher und dogmatischen Phüo-
sophen sind darin verwandt, dass sie zn sehcE wähnen, was nicht nnd
wo nichts za sehen ist Alle dogmatisch-metaphysische Philosophie
ist phüosophiBcbe GeisterseliereL Eben diese philosophische Geister-
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— 162 —
geherei wird aber von Kants loitischer Philosophie auf allen Gebieten
Überwunden nnd yemichtet Hinsichtlich des theoretischen Er-
kenn ons meint man erforschen und wissen zu kdnneD, was jenseit
aller Ei f ibrnngs- und Erkeimtnismö^chkeit liegt; so gibt man dog-
matiä(-}ie Hirngespinste über das Transscendente für Walirlieit, Visio-
nen fiir Bealitäten aus. Diese Geistersehorei auf theoretischem (Ge-
biete vernichtet Kant in seiner „Kritik der reinen Vernunft", und
sein Grundsatz lautet: „Alle Erkenntnis von Dingen aus bloßem,-
reinem Verstände (hIvt reiner Vernunft ist nichts als lauter Schein,
und nui- in der Erfahrung ist Wahrheit." Wie Kant im theoretischen
Gebiet den Menschen auf seine eigenen Füße und die ihm allein zu-
gänf^liehe Erkenntnisbahn stellt, so thut er es auch im Felde der
Moral. Anch hier macht er deu Menschen selbststandiur. indem er
alle moralisclie Oeisterseherei vernichtet. Der Men.^cli auf dem
dogmatischen ^Standpunkte haudeli moralisch aus ^'iircht vor außer
ihm liegenden Machten seiner Phantasie und ans iiuttnnnjr auf die
Erlangung von jenseit allt^r Kifahrung liegenden <-iinern. Kant fiihrt
in seiner ^Kritik der praktiscia^n \ ernnnft" den Men^^fben auf das in
seiner eigenen Brust von Natur lie^-ende Sit(enf?<-stn/ als seinen Leit-
stern zurück, auf die \virklichen Bewego^riinde aller Sittlichkeit, an-
statt der nur in seiner visioiiiiivii Phantasie eingebildeten. Uiul end-
lich in seiner ,. Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Veruuult"
setzt er an Stelle der religiösen Visionen des Dogmas die Realitäten
einer naturgemäßen Vernunftreliirion. Seit Kopeinikus hörte die Gei-
Jsterseherei auf dem Gebiete der äußeren, materiellen, seit Kant hörte
sie auf dem Gebiete der inneren, geistigen Natur auf, und man sah
immer deutlicher ein, dass nicht die Geister, wol aber dar Geist mäch-
tig sei in der Welt So ist es denn auch der Geist» der die Oeister
bannt» nnd je mehr man deshalb Geist sftt, nm so weniger whrd man
Geister sehen.
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Wichtige GreiiEeii in YolkssebnlniteiTielite.
Von SdkiOram A, MmM^-LSbmt.
(Fortseizuug.)
Neben d en Religionsuttterricht tritt sofort der Sprach-
unterricht, in den deutschen Schulen also der deutsche Sprach-
unterricht (Sprechübungen, Lesen, Stil nebst Schön- und Recht-
schreiben, Sprachlehre), nicht blos deshalb, weil ein gewisses Sprach-
verstündnis und eine gewisse Sprachfertigkeit für das bürgerliche
Leben, für jeden Stand und Beruf unentbehrlich ist, sondern auch
deshalb, weil die Sprache ein g-eistig-es nnd Rittliches Band tiir die
Volksgenossen bildet, weil wir aus dem kostbaren Schreine unserer
Literatur wunderbare Schätze tüi- das Gemüth auch des ärmsten
Kindes unseres Volkes zn entnehmen veruiög-en, die es adeln und
befrhlcken, Schöpfunjren edier volkslhümiiclier PrOsa nnd Poesie, die
den Kiii lHrü die Lii 1 zur Heimat, zum Vaterlande und Volke, die
Freutie an der Natur, edle, tromme und heilige Gesinnungen einhauchen,
nnd weil gerade durch dif^^^en Unterricht den Kindern die Möglichkeit
jifooteii wii'd, den geweckten Trieb zur eigenen AV'eiterbildung zu
b« friedigen. Der deutsche Spi .i lumtf rriciit in der Volksschule wird die
Autgalie haben, die Kinder sowol zum Verständnis als auch zu rich-
tigem mündlichen und schriftlichen (iebrauch der hochdeut-schen Sprache
— mit der <Trenzbestiniii)ui!g ; „im Bereiche der in dem Anschauuiigs-
uiid Erfalirungskieise der Kinder wie der im allgemeinen Wissen
liegenden Gegenstände" — zu befähigen, zugleich aber Herz und Sinn
durch Einfühlung in die volksthümliche Literatur cu veredeln nnd
den Trieb zur eigenen Weiterbildung dnrdi LectOre zn wesk&L
Die LeetHre soU unzweifelhaft auch in der Volksschule eine
bedentsuoe Bolle spielen, aber freilich stecken sich gerade hier noch
manche Lehrer in praxi, gegen besseres Wissen, ihr Ziel viel zu eng.
Zunächst ist es von Wichtigkeit, dass die Lesebttcher ihren
Inhalt dem angegebenen Ziele des Sprachunterrichts entsprechend aus-
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gewählt, in der Auswahl die rechte Grenze eingehalten haben. Das»
auch in dieser Hinsicht heutzutage die Grenzlinien immer noch nicht
scharf gezeichnet sind, wird der leicht erkennen, der sich Mähe gibt,
Reihe aus der Masse unso^ L* seliilcher anzusehen. Ton Fibeln
gibt es eine wahre Sintflut; es scheint wirklich so, als wäre es ein
unendlich schweres pädagogisches Problem, den Kindern die Anlange
des Lesens beizubringen; aus allpii Ecken nnd Enden machen sich —
auch unberufene — Eh mentarlrlner daran, die T^ösung des Problems
durrli eine neue Fibel zu bewerkstelligen. l>abei schwankt man hin
und lu r zwischen der analytisch-synthetischen (Normalwort- > und der
synthetischen (vom einzelnen Tiaut- und Lautzeichen ausgehenden^
Methode. Man wird mit beiden Methoden zum Ziele kommen: mair
dem also sein; aber das halle ich für falsch und ITir eine Uljersclirei-
tiing der dem ersten Tjesetmterricht zu sackenden (Frenzen, dass mau
oft gleich von Anfang aa Auschauungs- und Leseunterricht zusammen-
ketten will. Bei dem letzteren wird die Leseschwierigkeit der Laut-
zeichen iunuer das entscheidende Princip der Auswahl bleiben müssen;
der Gang des Anschauunsrsunterrichts kaim danach unmöglich bestimmt
werden. Erst danu. wenn die Kinder zusammenhängende Lesestücke zu
lesen vermögen, wird die Auswahl dieser dem Anschauungsunterrichte
die Hand zu bieten haben. Was dann die anderen Lesebücher anlangt,
80 ist bekannt, dass manche ihren Stoff vorwiegend nach dem Gnmd-
aatze, dem Unterrichte in den Bealien Dienste in leisten, zusammen-
gesetzt haben. Das Lesebach zum Mittelpunkte des Bealnnterrichts
zu machen, ist gewiss nicht richtig; einerseits liegt dann die Gefahr
vor, dass der Bealiennnterricht seine eigenartige Kefhode anflgibt,
andererseits, dass den Lesestflcken der dem Realnnterrichte entspre-
chende Charakter ao^edrttckt wird, das Lesebnch sich mehr zn einer
Sammlung von Lesestficken gestaltet» die Pädagogen gefertigt und
zusammengeschweißt haben, statt dass es solche enthalten soll, die
dem Geiste und der Feder der bedeutendsten volksthflmlichen Schrift-
steller entsprossen sind; ein „gnter Pfidagog** kann man bekanntlich
sein, ohne ein „guter volksthümlicher Dichter and Schriftsteller^ zu
sein. Durch die Lectfire wollen wir den Kreis der Kenntnisse unserer
Kinder erweitern, die Denkkraft, das Sprachgefühl, die Ausdi-ncks-
wdse ausbilden, vor allem aber wollen wir die Kinder in den Schatz
unserer volksth&mlichen Literatur einführen, edle nationale Gemfttbs-
und Denkweise, wie sie von den besten Männern des Volkes gegen-
über Gott, Familie, Volk und Vaterland, Menschheit und Natur -zum
schönen Ausdrucke kommt, einpflanzen und nähren, so dass dann auch
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als eine weitere bldbeiide Fracht die Lost an guter Lectftre berror-
geht^ Diesem Ziele entsprecbend sind die Lesestttcke eines Volks-
sdrallesebaches anszawftblen. Es werden sich dann also in demselben
ancfa genog Schildeningen von Ländern, Völkern etc. finden, die dem
Realimterrichte die Hand reichen. Bilder dentschen nnd fremden
Lebens, wichtiger Ereignisse aas der Veigangenheit» SchÜdernngen
großer Männer, Bilder yon Land nnd Leuten, Schilderungen unseres
Waldes, unserer Gebirge, Flüsse, der heimischen Pflanzen und Thiere,
Gedichte, welche die deutsche Natursinnigkeit athmen, das Volkslied
und das volksthflmliclu^ Lied, Märchen und Sagen — das ist die
schöne Welt, aus der das Volksschullesebach seinen Lehrstoff zu
nehmen hat. Die Lesebücher von Jtitting und Weber, die in den
meisten Schulen unseres Landes eingeführt sind (Wohnort und Heimat
— Vaterland — Weite Welt, wie sie sich spiegelt in edlen deutschen
GeisteniX haben meiner Ansicht nach im pranzen dem Inhalte die rechten
Grenzen jrefreben, wenn auch liie und da für die Oberstufen ein Lese-
stück nacli Form und Inhalt zu scliwer ist.
Wie mau mit Freuden die Thatsache anerkennen nniss. dam viele
Lehrer über Aufgabe und Methode des Leseunterriclite.s völli^^^ im
Klaren sind und in diesem Fache vortrett'liche Erfolge erzielen, so
lässt sich anderseits nicht in Abrede stellen, dass sich manche der-
selben, wie schon Itemerkt, das Ziel des Leseunterrichtes zu niedrig
stecken, ^\'ol in allen Landen dürlie man noch Lehrer finden, die
sich mit der Krzielung mechanischer Lesefertigkeit begnügen, die sich
so gut wie gar nicht mit der Erklärung von Form und liduilt be-
st haui^en, so dass weder die Form vorbildlich für den Ausdruck, noch
der lubalt veredelnd auf das Gemiith, überhaupt geistbildend wken
und somit auch nicht ein recht verständnisvolles, geschweige gemflth-
volles Lesen erreicht werden kann; sie halten es auch nicht fÖr nöthig,
vonolesen, obwol der Klang der Sprache hocbbedeutsam ist, mdem er,
wenn er nftmlich dem Geiste des Wortes und dem GemQthe des
Schriftstellers entspricht, durch das Ohr in die Seele dringt, Leben
weckt und die Auffassung der Fonn und des Inhaltes zugleich er-
leicbtert. Andere fangen wol an zu erklüren, aber lassen sich von
dem Inhalte des Stückes verflihren, weit abzuschweifen; oft werden sie
durch ganz nebentilehliche Züge entführt, und sie machen unnOthigei^
weise geschichtliche, geographische etc. Ausflüge;, die Wirkung des
Lesestückes wird damit natürlich ganz und gar geschwächt, die Form
In ihrer Beziehung zum Inhalte kommt gar nicht zur Beachtung*
Wünschenswert wfire es, dass auch der Volksschnllefarer nach ffilde-
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— 166 —
brandflcher Forderung es TeimOehte, das ümerste Leben der Sprache,
wie es sicli in Bedoisarten und Bedewendnngen, in Bildern regrt nnd
gestaltet, hie und da bei der Besprechung eines Stückes ans Licht zu
zif hen. Jedenfalls muss man dem liehrer rathen, die Hildebrandsche
S( hi ift Vom deutschen Sprachunteirichte in der Schule — Leipzig,
Jul. Klinkhardt) zu studiren; auf jeder Seite werden ihm Anwendungen
geboten und Weitblicke eröffnet, selbst wenn er sich sagen mnss, er
könne den gestellten Forderungen nicht allenthalben nachkommen. —
Wieder andere Lehrer denken bei der Erklärung eines Lesestückes
sofort an die {^ammatische Besprechnn«: vmd saugen mit den trockenen
Fragen nadi Satzgeo-enstand et(\ dem Stücke selbst das Leben aus.
Andere endlich verjressen so^rar das «rewiss eng'jresteckte Ziel, ein laut-
rifhtit^'-es Lesen zu erreicluMi; selbst umtiutet vom Dialect. verlieren
sie das GeliTtr fiir die Schwächen der Dialectanssprache. die sich in
die des Nt'ühochdeutschen eindrän^'fMi. (jiewiss \<t »^s also nöthig, das*»
sich jeder Lehrer das Ziel des Leseunterrichts, ^^1e angegeben, nicht
aus dein Gesichtskreise sehwinden läsü.t. Eine Art guter Zwani: nach
der rechten Bahn lios-f meiner Ansicht nach in dem Verfahieu, in der
Regel au diis Lesestuck eine sclirittliche Übung (sei es als selbst-
ständige Arbeit der Kinder, sei es unter fester Leitung des Lehrei*»
— je nach dem Standi>uukte der Kinder; aiizukuüplen. welche sich
zur Aufgabe macht, den Haupt iiili.ilt des Gelesenen in einigen Sätzen
zu fixiren; es wird dadurch wenigstens bewkt, dass über den Inhalt
des Stückes nicht hinweggegangen wird.
An den Leseuntenicbt schließt sich das Einprägen und Her-
sagen von Gedichten. Der Zweck, den man dabei verfolgt, besteht
natürlich nicht Mos in einer Bede- nnd GedächtnisAbong, sondern
Inhalt, Form nnd Klang soll anf die Seele nnd ihre Sprache bildend
nnd veredelnd einwirken. Das bedarf keiner weiteren Anseinander-
setzong, aber das mnss man hervorheben, dass der Lehrer, welcher
die Kinder nicht erst zum Er&ssen des Gedichts bringt, welcher sich
selbst nicht bemfiht, den rechten Ton in seinen Vortrag za legen, and
die Kinder ein Gedicht herplappem oder herschnorren Iftsst, keine
Idee hat von dem, was er eigentlich erreichen solL Sodaim ist noch
am betonen, dass man in der Zahl der auswendig za lernenden Gedichte
Ka6 za halten hat, um die Kinder nicht za fiberbfirden. Also anch
hierin die rechte Grenze!
Damit ist der Übergang znr Besprechung der Übungen im münd-
lichen Ge lankenausdruck gewonnen. Hier ist das Ziel der Volks-
schule nicht za hoch gesteckt, wenn man verlangt, dass sie „einestheils
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— 167 —
auf Beinheit and Deutlichkeit der Aussprache, andemfheils auf Richtig^-
keit, Sicherheit und Ordnung des mtindlichen Gedankenausdruckes"
hinwirken soU. Freilich wird dies Ziel nicht von allen Lehrern scharf
genug im Auge behalten. Manche legen überhaupt zu wenig Gewicht
auf die Redeübungen; denen möchte die Hüdebrandscbe Forderung
fort und fort ins Ohr klingen: „Dies Hauptgewicht sollte auf die
gesprochene Sprache gelegt werden; auf allen Stufen des Unterrichts
sind das Olir und der- Mund als Hauptträger der Muttersprache zu
behandeln, das Auge und die Hand in die ihnen gebürende dienende
Stellung zurückzuweisen." — Andere Lehrer halten zu wenig auf
Torrertheit der Aussprache. Es ist zuzugeben, dass die Lehrer,
um eine gute Aussprache in hochdeutscher Form zu erzielt m besonders
auf denTKirfem wegen der herrschenden Mundart mit gr(il5en Schwierig-
keiten zu kämpfen haben. Wol stehen Mundart und hoclulentschc
Form nicht im absoluten Gegensätze, aber doch kann es nicht leicht
werden, das Kind, das sieh ^r^'wüllnlieU im „Werktagskleide*' bewegt,
auch SU au das „Sonntagskleid" zu gewöhnen, dass es sich in dem-
selben frei und nnbeengt gibt; die Gedanken, die aus seinem Inneren
hervorquellen, wuUeii sich ganz natürlich in der Form der eigent-
lichen Muttersprache, d. h. der Mundart zu Tage ringen. Die vor-
liegende Schwierigkeit zugegeben, habe ich doch zu oft zwischen den
einzelnen Schulen unter ganz gleichen Verhältnissen Vergleiche an-
gestellt, um sagen zu können, dass es dem Lehrer, welcher selbst gut
spricht, der consequent in allen Stunden auf correcte Aussprache hält
und besonders aucli den Gesangunterricht hierfür mit in den Dienst
zieht, wol gelingt^ der gestellten Au%abe zu genügen. — Es ist sodann
unzweifdhaffc nothwendig, die Kinder an ein zusammenhängendes Aus-
sprechen ihrer Gedanken zu gewöhnen; das ist nicht blos für die
DenkbiMung von hohem Werthe, sondern darin wurzelt auch ein guter
SUL Die Mittel, welche der Lehrer nach diesem Ziele hin anzu-
wenden hat, sind bekanntlich: das Antworten in vollständigen Sätzen
(das findet allerdings auch Gegner; ihre Einwendungen sind jedoch
nur berechtigt, wenn es ins E2ztrem getrieben wird), das Nacher^hlen-
lassen, das zusammenfassende Wiedergeben dessen, was entwickelt
worden ist, das freie Sichaus^iirechenlassen über etwas Erfahrenes,
Erlebtes etc. Manche Lehrer^ zerstören durch ihr fortwährendes Da-
zwischen&hren mit Fragen die Ausbildung des Redeflusses; das Kind
wird dadurch In Stocken gebracht; es kann seinem Gedankengange
nicht folgen und wird aus seiner Bahn gedrängt. Am wenigsten kann
sich bei solchem Verfishren die individuelle Art des Ausdrucks büden.
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— 168 —
Für die Stiiäbttngen wird das Ziel nicht zu weit und nicht zu
eng gesteckt sein, wenn man fordertt die Kinder dahin zu fuhren, das»
sie vermög-en. ihre Gedanken in verständiger Weise und einfacher,
spraclirichtiger Form (wenigstens ohne gi-obe ortliographische Verstöße j
mit einfacher, regelmäßiger, deutlirlipr. frelänfiger Schrift — nieder-
zust'hieiben, insbesondere auch die Aulsatze, welche das praktisch
bürgerliche Leben von jedem fordert, zu fertigen.
Recht- und Sciiönsclireibeii ist so mit dem Unterrichte im Stil
in engste Verbindung- g-esetzt. Wenn i< h hinsichtlich der Keclitschrei-
biing- durch die f^enun-kung in der Parantliese das Ziel etwas niedriger
gesteckt habe, so sielie icli dabei auf der 'J'liatsaclie bisheriger Er-
fahrung, tlass ich Kiuder, welche aus der einlachen \ ((Iksschule mit
vollständiger Sicherheit in Rechtschreibung und interpuuctiüu hinaus-
gehen, bisher nicht gefunden habe, wo! aber solche, die wenig Fehler
machen. Ein nothwendiges Übel bleibt es, dass wir uns mit der
„Schale" so abmühen müssen. Hildebrands Malinunü: wird zu beachten
sein, die Schale nicht höher als den Kern zu stellen.
Was die Schönschrift anlangt, so kann das angegebene Ziel
erreicht werden. Ich habe in meinem Bezirke das Verfahren ein-
geschlagen, dass bei den Spedakonferenzen, d. i. bei den Confereozen,
za denen sich die Lehm gleichartiger (2 cl, 4 cl., 5 cl, 6 cl) Schuten
einfinden, jährlich auch die Probeschriften (und Probesekhnongenj der
Obmlaase mit vorgelegt irerden. Zu diesem Verfahren bin ich da>
dorch veranlasst worden, dass man unserer Volksschule hie und da
den Vorwurf machte, sie vemachlAssige jetzt das durchaus Wichtige
(z. B. auch das Schonschreiben) Aber dem Minderwichtigen. Es hat sich
gezeigt, dass die Leistungen im Schönschreiben nicht nur nicht zurück-
gegangen, sondern bessere geworden sind und dem gesteckten Ziele
entsprechen. Zierscbriiten, Kanzleischriffc haben wir freilich aus der
Volksschule hinansgewiesen. Die Kinder hierin zu üben, ist nicht
Sache des Volksschulunterrichts.
Rechtschreibung, Schönsclirift gehören zur Schale, die man aber
deshalb nicht als gleichgiltig wegwerfen darf. Als Hauptsache ist
anzusehen, die Kinder dahin zu führen, dass sie befähigt werden, ihre
(bedanken in verständiger, geordneter Weise, wenn auch in einfacher
Form, zum schidftlichen Ausdruck zu bringen. Zu einer ge\nssen
Selbstständigkeit, Gedanken zu finden und auszudrücken, haben die
Siilübungen auch die Kinder der Volksschule heranzubilden. Daraus
ergeben sich von selbst wichtijre Grenzen fnv die Auswahl der
Themata, sowie iui* d^ Verfahren bei der Bearbeitung derselben.
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Solche Aufgaben, die fiber dem S;tandpimkte der Kinder liegen, bei
(leren Lösung der Lehrer alles in sie hineintragen muss, taugen nichts.
Solche, die sich auf das Gelesene, auf den übrigen Unten'ichtsstof
beaehen, haben in verschiedener Hinsicht ihren Wert, aber doch
muss der Lehrer darauf hinwirken, dass sich die Arbeiten über die
bloße Reproductiou erheben; er muss in geschickter Weise Anregung
geben, dass sich nach und nacli Gedanken von dem Eigenen des
.'^{•hülers. was er dabei rrefunden liat. mit anzuschließen wagen. Die
Aufgaben, welche den Schüler nothigen, Selbsterfahrenes und Selbst-
beobachtetes zu berichten, entsprechen jenem Ziele am besten; sie
diirfen also dundiaus nicljt fehlen. Hat man die Kinder zur Selbst-
thäti^-keit im schrill liehen Gedankenausdrucke hennizubilden, so ergibt
^ich nun ferner für das Verfahren bei den Stiliiinmgen, dass es nicht
richtig ist, die Kinder auf allen Stufen fortwährend Satz für Satz.
Wort für Wort zu leiten, sondern der strengeren Führung muss die
freiere folgen, bez. mit ihr wechseln. Wieder über die rechte Cirenze
hinaus könnte man schreiten, wenn man die strengere Fülirung, bei
welcher nicht blos die Gliederung, soudürn auch die Sät^^e gemeinsam
gefunden werden, ganz wegwerfen wollte. Sie ist jedenfalls (auch mit
vegen der Rechtschreibung) auf den Mittelstufen, aber auch noch auf
der oberen, berechtigt, wenn sie nur in rechter Weise stattfindet
Auch bei der strengeren Führung muss man die Kinder zum Finden
der Gliederung der Gedanken wie d^sAnadmcks anregen and anleiten;
unter versehiedenen Ansdracksformen lAsst man die beste — der Klang
wirkt hier mit entaeheidead — wählen. Der Erreichimg des gesteckten
Zi^es arbeitet die Benutznng solcher Sprachhefte von Seiten der
Kinder entgegen, in denen die Lösung stilistischer Aufgaben bequem
skizzirt ist; denn dann haben die Kinder nichts mehr mit dem Finden
Ycm Gliederung und Gedanken zu thun, sondern ihre Aufgabe besteht
blos darin, die Schlagwörter in S&tzen zusammenzuffigen. — Zu
beachten ist auch bei der Volksschule^ dass man die Kinder gewöhnt,
über die Fonn der Sfttze das Ohr mit entscheiden zu lassen.
Ein schlechtes Zeichen für eine Oberclasse ist es, wenn die Kinder,
sobald sie einmal mehr selbstständig arbeiten sollen, verlegen an den
Federhaltern kauen. Der Lehrer freilich, der auch sonst nicht die
Kinder an ein freies Aussichherausgehen und zusammenhängendes
Sprechen gewöhnt, wird das den Stilübungen gesteckte Ziel als
zu hoch bezeiclinen. Hildebrand sagt: „Reden und reden und \v'ieder
reden, und reden lassen unermüdlich, und reden von Dingen, die
4m Kind völlig fassen kann, ja die seine stets empfängliche Seele
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gleichsam voll machen, reden auch von der (testalt und Farbf, die in
der Kinderseele sich an die Weltdinge von selbst rnisetzen. und das
berichtigen: das allein ist der rechte Durchgang zum Schreiben: das
allein ist der Boden, aus dem ein Stil rrwaebsen kann, das allein der
We?. auf (lein am'li die huclideiitsclu^ S,\utax aus der volksmaßisren.
kindlichen sich heraus entwickehi läs^t. Auf dem Wege würde aht-r
mit dem Stile zugleich noch vielmehr mir wachsen: eine fraiize. trii?t:he,
volle, klare Seele, die sich und die Welt am rechten Ende anzufassen
lernte." A. a. 0. p. 76.
Endlich ist noch der Unterricht in der Sprachlehre zu um-
grenzen. Die Zahl der Pädagogen, welche die Sprachlehre ganz und
gar aus den Unterrichtszweigen der Volksschule ausgewiesen haben
wollen, wild zusammengeschmolzen sein. Früher legten die \ erthei-
diger des grammatischen Unterrichts in der Volksschule viel Gewicht
auf seine fomalbfldnide Kraft; die Gegner aber behaupteten, es bilde
viel mehr, ftber die Sache» den Inhalt nachzudenken, als über die
Sprachformen. Diesem Einmufe kann man entgegenhalten, dass das
Nachdenken Ober den liilialt durch den grammatischen Unterricht ja
gai' nicht beseitigt werden, letzterer auch nicht blos die Form an
sich, sondern diese in Bedehnng zum Inhalte ins Auge fassen soll;
allein, wie schon Mher bemerkt, ist die Frage^ ob ein Unterrichts-
zweig fonnalbüdende Kraft habe oder nicht, durchaus nicht entscheidend
für die Aufnahme desselben in denUnterrichtsorganismus einer Anstalt
Es kommt in vorliegendem Falle nur darauf an, ob die Sprachlehre
für die Vermittelung des Sprachverständnisses und der Sprachfertig-
keit ndthig sei Man muss dies behaupten. Es ist wahr. Das Yer^
stAndnis eines Lesestückes, wie es in der Volksschule zu erzielen ist,
hängt ab theils von der Bekanntschaft mit dem Sprachmaterial, den
Worten, theils von der richtigen Beziehung derselben aufeinander, und
es ist" zuzugeben, dass das Verständnis des mit einem \\'orte ver-
bundenen BegiüTes oder in Worten ausgedrückten Qedankeus vor
allem ans dem übrigen Untenichte erwächst . und dass man die Kinder
zum Verständnis eines Lesestückes, der Beziehung der Wörter und
Sätze aufeinander auch ohne grammatischen Apparat führen kann; aber
jedenfalls vermag der grammatische Unterricht \ielfach das \\*(»rt Ver-
ständnis (Wortbildnntrslehreli und das Aulfasseu der Bezieliuuir von
Sätzen und Wörtern aufeinander zu erleichtern. Vor allem aber ist
derselbe uidhi^' zur Erzieluujr eines cnn-ceten »chril't liehen Ausdrucks.
Es ist allerdiiiL's riclitiii. dass dureh Ht-ivicherung des Geistes mit
Gedanken, durch \ eriemerung desseibeu üüeihaupt, duich vieles Leseu
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Sprechen und Schreiben eine grofte Gewandtheit im Ansdmcke ersielt
werden kann, allein das so angebildete Sprachgefühl -wird doch nicht
Tor spraehliehen Fehlem schützen, am wenigsten bei schiiftlicher
DarsteUoDg (Interpunction, Bechtsehreibungl). Nnn hat man aber
auch hesonders die Volkssehnlyerhfiltnisse ins Ange za fassen. Hier
fiehlt olfenhar die Zeit, nm die Kinder so genftgend za ttben, dass
ihnen das Sprachgef&hl allein ein sicherer Führer werden konnte
sodann ist nicht za Übersehen, dass der Dialect, den das Kind aafier
der Schale fortwShrend h<(rt and spricht, ehi mächtiges Hindernis
für die feste AngewChnqng nenhochdeatscher Formen bildet Die
Gnunmatik ist also beim deutschen Spmehontemchte in der Volks-
schale onentbehrlicli, aber ft-eilich kommt es zunächst auf die rechte
Ahsteckang des Zieles und rechte Umgrenzong des Stoffes an, dann '
aber auch auf Einhalten der rechten Grenzlinien im Unterrichtsver^
fahren selbst. Zweierlei steht sofort fest: Die Gnunmatik kann in
der Volksschule blos eine dienende Stellung einnehmen, der gi*amma-
tische Unterricht hat nur das zu bieten, was unbedingt nöthig ist,
um das angfecfebene Ziel des deutschen Sprach nnterrichts, Sprach Ver-
ständnis und Sprachfertigkeit in (ier gesptzt<'ii Beschräukunir, zu
erreichen. Sodann k^m^^ es sich beim l'^i ;i;ii!iiatischen Unterrichte
durchaus nicht IpfÜfrlicli um Venuitii Iuhl: der Kenntnis von ge^vissen
SpracherschHiiiiin^'rii vir. handehi. s indern um Übung in der richtigen
Anwendung; (iei>t;ll»en. Also wird das Ziel des ^rammatisohen Unter-
richts nicht zu eng und nicht zu weit gesteckt sein, wenn wir safi:tin:
er hat die Kenntnis der 8pracligesetze, soweit solche zum Ver-
ständnis von Gehörtem oder Gelesenem oder behufs eines riclitigen
mündlichen und schriftlichen Gedankenausdruckes unbedingt noth-
wendig ist, zu vermittehi und deren fiebere Anwendung nitnidlich und
schriftlich möglichst zu üben. Vun einem tieferen wissenschaftlichen Ein-
dringen in den Sprachbau kann gar nicht die Rede sein; soweit die
Grammatik lediglich dem formalen Bilduugszwecke dienen wollte, hat
sie kernen Raam in der Volksschnle; wo die Ansbfldnng des Sprach-
geOhls für richtigen mündlichen und schrütlichen Gedankenausdruck
als aasreichend erscheint» bedarf man nicht des grammatischen Unter-
richts. IHe Unterscheidang der Wortarten und ihre Anwendung in den
wichtigsten Formen ist für Orthographie und Stil nothwendig, aber da-
mit hrancht man den Kindern der Volksschale nicht etwa fiber die ver-
sdiiedeoe Bedeatang der emzefaien Casus Erörterungen za geben, die
Unterscheidang zwischen starker nnd schwacher Declbation, starker,
schwadier, gemischter Ooiyagation etc. zu besprechen. Nothwendig ist
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sodann selbstverstämllich auch die Behandlung der Satzlehre, nothwen-
dig, weil sie das Verständnis von Sprachstucken erleichtert, das von Wort-
arten vermittelt und allein die rechte Sicherheit in der Interpunction
gibt; aber eben nach diesen Oesielit^pnnkten ist aueh das Erforderliche
aus der Satzlehre auszuwählen. Kndlieh ist auch die Wortl^ilduncrs-
lehre nach ihren wiciiti^sten Punkten zu behandeln, weil sie fnr t\n<
Wortverständnis und die Keelitschri ii iniL^ wichtige Dienste i».i>i' t.
Auch hierbei ist der elementare Standi^unkt zu bewahren. Der Lelir*i
freilich, welcher mit der gt ^chiehtlicheu Kntwickelnng unserer Sprache
so vertraut ist, wie Jlildebrand es wünscht, und sich damit zugleich
eiuen sciiarfeu Blick tnr die Mundart und iliren Zusaramenhansr mit der
hochdeutschen Form erworben hat, der wird in den genannten Theilen
der Sprachlehre manche auch tür die Kinder dei* \'oIks8chule verständ-
liche, lebeu-svoUe Beziehungen zwischen Mundart und Hochdeutsch, in
einzelnen Wortgestaltungen wie Redewendungen hinter der auf den
ersten Blick gleichgiltigen Form den Sprachgeist, den lebensvoUen
Inhalt aufdecken können. Es ist jedoch nicht von einem jeden Volks-
schnllehrer eine solche Kenntnis der deutschen SpmcfawiMischaft za
▼erlangen; des ist aber allerdings von ihm n forden, dass er der
Hondart, die ihn nmgibt, ein achtsames Ohr schenkt nnd dass er sich
von solchen Anregungen, wie de Hildehrand gibt (S. 80 if), er&ssen
Uset, nm hinter den Formen unserer Sprache den webenden Sprach-
geist zn suchen.
Was nnn das Yer&hren beim grammatischen Untemcht anlangt,
so ist man ftber den wichtigsten Sats, von der Erscheinung ausau-
gehen, das Gesetz finden zn lassen, die Anwendung zn fiben, allent-
halben einig; ich mOchte nur in anderer Hinsicht einige GrenzUnien
ziehen, die mir als wichtig erscheinen. Es gibt zonAchst Methodiker,
welche den grammatischen Unterricht lediglich an das Lesebuch, an
die Fom des Lesestückes anleimen wollen. Ich halte dies deshalb
nicht ffir z\('eckmäßig, weU die Lesest&cke in dem Lesebuche nicht
nach grammatischen Gesichtspunkten zusammengestellt sind und auch
nicht zusammengestellt sein dürfen, und weil also die Auswahl der-
jenigen Stücke, welche die zu behandelnde Spracherscheinnng hin-
reichend klar hervortreten lassen, sehr schwer ist, und daim, weil der
Lehrer in (lefahr kommt, die grammatische Zergliederung auf Lese-
stücke anzuwenden, die sie nicht vertragen, ohne dass die Wirkun?
aufs Gemüth ai)Lreschwächt \\ ird, sowie die sachliche Besprechung der
grammatischen nachzustellen. St-lii- viele Lehrer würden an dieser
Ijüippe scheitern. Ich halte es dahei* lüi' wünschenswert, daäs die
üiyiiizeü by GoOgle
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Kmdei- einen Leitfaden in den Händen haben, der ihnen neben Muster-
sätzen, besonders ausgewählten Lei^estücken auch ÜbungsstofiF bietet
nn<l (ÜH LM'wonnenen crammatischen IN frihi :^u<Hmmenstellt. Allein zu
weil gegangen wünU' es sein, wenn sich ilt-r Lelirer .sclavisch ans
Sprachheit hielte, im gramiruirist Ix ii T^nterrichte niemals aul' Form
und Inhalt der Lectttre Rucksicht nehmen und die Kinder blos den
jm Sprachhefte angegebenen Übunjrsstoff verarbeiten laüsen wollte.
Das Sprachheft mag dem Lehrer den Gang vorzeichnen; gewöhnlich
k.tiiii er auch von dem daselbst angegebenen Musterstücke ausgehen,
er wil d auch öfters den Übungsstoflf des Heftes mündlich otler schriftlich
▼einarbeiten lassen kfinneu — gerade für die häusliche Arbeit ist auf
den Mittelstufen eine solche Anlehnung erwünscht; aber es darf die
Beziehung zur Leetüre, zum flbrigen Unterrichte und zum Leben
dmchaiis nicht Tetabsänmt werden. Der grammatisclie Untenicht muss
den Gedankeninlult, veleho' dem Kinde in den fibrigea Unterrichts-
zweigen, in den BeaGen, in der Lectflre geboten wird, sodann im
Leben selbst sich entgegendrftngt, in seinen Übungen verarbeiten
lassen; letactere nehmen dann die Selbstthätigkeit des Kindes mehr in
Ansprach, und die geistige Kraft wird concentrirt (Zn vergL: Ein
Einblick in die Volksschnle nnter Beachtung wichtiger Zeitfragen von
OrtUlich. Anhang.) Was die LectQre insbesondere anlangt» so wird
man also beim grammatischen Unterrichte oft den Inhalt benQtxen,
nm ihn in entsprechende Form gieflen zu lassen; manchmal werden
sich aber auch Muster s&tze bieten, die man ganz gut für den gram-
matiscfaen Zweck auch ihrer Form nach verwenden kann. Selbstver-
st&ndUch hat man die Grammatik bei Erklärung eines Lesestttckes so
weit herbeizuziehen, als dies zur Vermittehing des Vei-ständnisses
nöthig ist. Endlich ist es zweckmäßig, von Zeit zu Zeit ein Lese-
stück überhaupt nach grammatischen Gesichtspunkten zu betrachten,
«ioestheils deshalb, um die Kinder zn prüfen, inwieweit sie sich in
den Spracherscheinungen zurechtfinden, anderntheils, nm ihnen auch
die innere Beziehung zwischen Sprachinhalt und Sprachform zum Be-
wusstsein zu bringen. Die grammatische Besprechung eines Lesestückes
darf sich nicht damit begnügen. Satzglieder, Wortclassen aufsuchen
zu lassen (das ist das irewölinliclic langweilige Verfahren), sondem
man nuiss sicli bemiilien, den lundem zum Bewnsst<eiTi zu itringen,
dass gerade die Hinzufiigung dieses oder jenes Satzgliedes, die An-
wendung ilieser oder jener Form, die Znsamnienzieliung von Sätzen
etc. nöthig nder zweckmäßig sei, um den ( 'fhüiken zum guten und
correcten AuäUiuoke zu 'jringen. Jedenfails muss den Kindern die
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Spraciilünn immer im Dienste eines lebensvollen Inlialts erscheinen;
in dieser Weise ist es allerdings mö<^lich, ein Lesestück^ z. B. ein
Gedicht grammatisch zu behandeln, ohne dass man zu fürchten braucht,
es werde seine Wirkunj^ auf das Gemüth zerstört oder abgescliwäeht.
Dass als drittes Hauptfach der VoUcsschuh- das Rechnen hinzn-
treten muss, darüber bedarf es kaum eines Wortes. Die (^rößtult hre
iüt ein Theil der Weltkuiide, und die Fertigkeit mi Kechnen ist für
jedermann unentbehrlich im bürgerlichen Verkehre und in der beruf-
lichen Thätigkeit. Damit ist aber auch zugleich die Grenze des Redien-
Unterrichts, sein Ziel für dieVolksschule bestimmt: „Durch den^hen-
OBteixicht aoUen die Kinder daliingelnBelit worden, dass flie im Stande
sind, die Bedmungsaufgaben des gewObnlichen bürgerliclien Terkehis
nnd Lebens mit VerstSudniB, Sicherheit nnd Fertigkeit zn lösen." —
Mehr nnd mehr gewinnen die Thieme und Schlosaer'schen Rechenhefte
in den Scholen unseres Landes Eingang, nnd ich bin anch der Ober-
zengnng, dass sie in ihrem Aafbaa trefftich angelegt sind nnd die
Grenzen, welche der Volhsschnlnntemcht eich im Rechnen zu ziehen
hat, richtig ftingffhalten haben; insbesondere ist hervorzuheben, dass sie
die Bmchrechnung von unten an In der dn&chsten Weise unterbauen,
und dass sie das der Yolksscfaule, anch nach Diesterw^, fremdartige
Verfahren, nach Flroportionen zn rechnen, ausgewiesen haben, vielmehr
die Regeldetriao^saben nach dem Schlüsse über die Einheit lösen
lassen. Die Ansätze bei den bOrgeriichen Kechnungsarten sind von
durchsichtiger Klarheit; mtlndliches nnd schriftliches Rechnen geht
immer Hand in Hand. — Nur an eine Grenzlinie, die zu beachten
wichtig ist, möchte ich noch erinnem. £s ist ja allgemein bekannt,
dass Fragen zunichst an die ganze Claase zu richten, Aufgaben dei*
ganzen Classe zu stellen sind, nicht von vornherein blos ein Kind
in Thätigkeit zu setzen ist. Aber gerade beim Rechenunten-ichte
gerathen sehr, \iele Lehrer über die rechte Grenze hinaus und in den
Fehler, dass sie zuletzt blos diejenifren Kinder die Aufgaben vorrechnen
lassen, welche sich durch Emporlialt'n der Hand L'-meldet nnd die
Lösung richtis: g'egeben liaben. Kine Keihe Kinder sinken bei
diesem Vertalirpii nacli und nach in volle Theilnahmlosigkeit und
Untliätigkeil. Gerade beim Rechenunterrichte imiss der Lelirer darauf
lialten. dass jedes Kind zur 'rhäti^jfkeit herl/ei^>'/oi;en werde; es geht
auch oft <:auz leicht an, die Lösung einer Aufgabe aul mehrere Kinder
zu vertheilen.
An das Kechnen schließt sich der geometrische Unterricht.
Da» sächsische Volksschulgesetz hat diesen Zweig in den Unterrichts-
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organisniiis der Volksscbale aafgenommen und bestimmt sem Zid in
folgender Weise: „Der Unterricht in der Formenlehre hat die ftlr des
gewöhnliche Leben nOfhige Kenntnis rSnmlicher C^rOfien sowie einige
Fertigkeit im Constmiren nnd Berechnen derselben sn vermitteln. Er
hat in anschaolich entwickelnder Weise die Linien nnd Winkel, die
gradlinigen ebenen Figuren, deq Kreis nnd die bekanntesten KOrper
unter Ausschluss wissenscbafUidier Beweise zu hehsndeln." — Es
fragt sieh nnn, ob der geometxische Unterricht, in- der angegebenen
Ziel- nnd StoflFbeschzftnknng, mit Becht nnter die Unterrichtssweige
der Volksschnle aaiig;enommen worden ist Grflfe, der die Heranbil-
dang der Jugend zn Gottesfurcht, bürgerlichem Gemeingeist nnd prak-
tischem Sinne als den Zweck der Volksschnle hinstellt, sagt über
das letztgenannte Ziel: „Der praktiBche Sinn, wie er in der Schule
angeregt and gebildet werden soll, bezieht aich auf das, was alle
b&rgerlichen Berafe mit einander gemein haben, und zeigt sich in der
Neigung zu praktischen Beschäfti^nn^en und in der Befähigung, nicht
nor allgemeine Kenntnisse mit Leichtigkeit anf praktische Gegenstttnde
anzuwenden, sondern auch über die gewöhnlichen Erscheinungen im
Leben überhaupt richtig zu urtheilen. Alle Berufsthätigkeit im all-
gemeinen gi'iindet sicli aber auf mathemalische und naturkundliche
Kenntnisse, die zugleich in den Stand s»'tzpn, pine richtige Ansicht
über viele alltägliche Kr.scheinungen und Veriuiltnisse im Leben zu
gewinnen. imA auf die Fertigkeiten des Schreibens und Zeichnens."
Über dir (ieiuiietrie Ha<rt er dann Fnlo^endes: „Nur in wenigen
Volksi>cliulen lindet sich die Raumgrößeiiltlire oder die Geometrie ah»
Unterricht scre^enstand eingeführt. Und doch ist dieser Theil der
Mathemaiik nicht allein geistbildend und bei angemessener Behandlung
für die Schüler anziehend, sondern auch für das praktische Leben
im allgemeinen und für gewisse Berufsarten insbesondere ao
wichtig. Deshalb rechnen wir ihn zu den wesentlichen Lehrgegen-
ständen in der Volksschule. Durch ihn soll der Foruiensinn der
Schüler gebildet, die richtige Beurtheüung vieler Dinge in der Natur
und im Leben erleichtert, Gewerbe und Künste gefördert, der Schüler
geistig gebildet und für das Leben um so brauchbarer werden." Uan
hat Gräfe beizustimmen. Soll die Tolkssehalei'rffin Verständnis fttr
die Natur, filr die rftumliehen Dinge überhaupt (auch einen Sinn ftlr
die Gtotaltnngen der Kunst, die uns Gebilde allerorten vor das Ange
stellt) anbahnen, so hat die BaumgrOßenlehre, die sich mit Krhellung
der Banmobjecte nach Form nnd GrOße, mit ihrer Sch&tzong, Messung,
Berechnnng, Constmetion besehSltigt, die den Süin für regelm&Sige
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Fonnea aiubildet» gewiss in dem ünterrichtaorgiuiisiniiB der Volks-
schide einen Platz zu linden. Noch meiir lenehtet dies ein, wenn wir
uns daran erinnern» dass die Volksschnle die Gmndlageii legen soll
iUr die Terscbiedenen Berufe; denn es bedarf keiner weiteren Ans-
einandersetsong, dass eine ganze Beihe Ton Berufen geometrische
Kfniitnisse, die Fertigkeit im Abmessen, Schätzen, Berechnen von
Fläclitn. Körpern, im Construiren mit Lineal and Zirkel, alle den
Sinn für Accuratesse und Sauberkeit, den der recht ertheilte geome-
trische Unterricht zugleich mit aosbUdet» QOtbwendig brauchen. Neben-
bei m5ge noch darauf hingewiesen werden, dass eine Reihe geome>
trischer Begriffe (Fläche, Linie, Winkel, Quadrat, Kreis, Centrura etc.)
in dem «rewöhnlichen Verkehre häufis: vorkommen, und dann, dass die
Kenntnis solcher den Kindern auch bei anderen Unterrichtszweiffen
der Volksschule zu statten kommt; endlich, dass der geometrisclie
Unterricht besonders dem Zeichenunterrichte eine unterstützende Hand
zu reichen vermag. So kann es keinen Zweifel unterliegen, dass der
geometrische Unterricht der Volksschule zugehörig- ist, aber freilich
blos in der oben angegebenen Beschränkung nach Ziel St<<tf und
Behandlun<>:. Sehr viele Lehrer richten sich nach der „Ueonieirie der
Volksischule'' von Pickel (tlir Lehrer — Eisenach, Bacmeisterj, aber
unter Beschränkung auf das Minimum, mit Ausscheidung dessen, was
nach dem Vorworte für einfache Volksschulverhältnisse überschlagen
werden kann. Eine elementar-anschauliche Behandlunc^sweise ist von
Pickel consequent durchgeführt; der Lehrer wird allenthalben gemahnt,
die Selbstthätigkeit der Kinder im Beobachten, Messen, Schätzen, Con-
struiren, Berechnen in Anspruch zu nehmen; die Aufgaben sind prak-
tischer Art Wenn der Lehrer anfierdon noch Kehn Geometrie mH
benntst» so kann er gewiss den Kindern der Volksschnle einen Ünter^
rieht eräieilen, der Interesse weckt und g&nstige Erfolge erzielt.*)
Leider liegen nnn aber die YerfaUtoisse in vielen einihchen YoUes-
schnlen so» dass das dem geometrischen Unterrichte gesteckte Ziel
Immer noch in hoch ist Die Lösung von Constnietionsaa^ben, das
Umgefaenlemen mit Ziricel und Linesl ist gewiss eine ganz wichtige
Seite des geometrischen ITntemchts» allein es ist an manchen Orten
wegen Armftt der Eltern nicht mO^^, die Beschaffiing von Winkel
und Zirkel Ar die Hand jedes Kindes durchzusetzen. Dann bleibt
nichts flbrig, als wenigstens an der WandtaM die Kinder fleifiig mit
Eben ist enehieiieii: „Gttoiii«trie für dmftcbe Yclkttclnileii^ toh Hittenzwey
(40 Pt Leipag, JuUns KlinklMidC).
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— 177 -~
Zirkel und Lineal, bez. Winkel umgehen zn lassen; aber das Ziel für
den geometrischen Unterricht wird doch nicht in solcher Weise er-
reicht, wie es sein möchte. An anderen Schulen (2 cl., 3 cL, in denen
blos 1 Lehrer wirkt) ist es nnm?^«:!ieh, für den g-eometrischen Uiiter-
richt eiiie besondere Lectiou anzusetzen. Dann bleibt kein anderer
Ausweg- übrig, als beim Zeichenuntenichte den Kindern die Kenntnis
irertmetriscUer Gebilde fljinie, Winkel. Zirkel) nebenbei zu vermitteln
und lachen- und Kürperberechnungeu wie es in den Thieme- und
Sehl osserschen Heften g:eschieht, an den Rechenunterricht anzusclii « lit n.
Dies» ist ein Nothstand; allein wenn blos 3 Stunden liir den Rechen-
unterricht wöchentlich verfügbar sind, kann nicht 1 Stunde davon ganz
für den geometrischen Unterricht verwendet werden.
Au vierte Stelle setze ich den Gesaugunterricht, nicht die
Realien. Der rechte Gej^angunterricht vermag eine weit tiefere Ein-
wirkung auf die Veredlung des Volksgeinüths und Volkslebens auszu-
üben als die Realien. Ei- dient, ganz abgesehen von seiner hygienischen
Bedeutung, der Idee der Volksschule ganz besondere; er ist flir die
Pflege der Religiosität, des Gemeingeistes und für die edle, gemüth-
volle und stniuge Auffassung der Natur von aafierordentliGher Bedea-
tnng; gerade im Geaange luan der Unterricht leichter als in einem
«ndmn die Tiefen deB Gemüths, den Kern des Menschen er&asen;
in Ihm wird einer edlen Doppehnacht, der Poesie nnd Musik, der Weg
auch in die Niederongen des Volkes erOffiiet) um die Gemeinheit nnd
Hoheit in Gesinnung und Wort za vertreihen. Oben ist schon darauf
hingewieeen worden, dass der Gesangunterricht auch wichtige Dienste
zur Bildung und Verfeinerung der Aussprache zu leisten Termag.
Die Volksschule hat unzwelfeihaft die Verpflichtung, im Volke
einen wahrhaften Lehensgesang, ehien kirchlichen und volksthtlmlichen, zn
eneugen. Daza gehört, dass der Gesang hi den Bäumen der Volksschule
nicht Terklinge, sondern dass ihn die Kinder nutndunen ins Leben, ins
Hans, in die Küche, in Freud nnd Leid, zur Arbeit wie zur Erholung;
dazu gehört, dass sich die Kinder nicht blos einen Schatz Ton Cho-
rälen, Kirchen- und Volksliedern für die Dauer eingeprägt, sondern
auch die Fähigkeit und den Sinn erlangt haben, sich neue gute Lieder
anzuejgnOL Wenn der Ge>!angunterricht der Volksschule nicht Lust und
Liebe zum Singen nnd damit einen empfänglichen Sinn füi* die Kunst
der Töne überhaupt zu wirken versteht, so hat er sein Ziel nicht ei -
reicht. Es ist deshalb als Aufgabe des Gesangunterrichts in der \'olks-
schule zu bestimmen , einen fönten kirchlichen und volksthinn liehen
Lebensgesaug zu erzeugen, damit zugleich religiösen Sinn, die Liebe zum
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Vaterlaiule, die Fi-eade an edler Geselligkeit und an der Natur zu pfleg-en.
und die Fälligkeit, neue Lieder sich anzueignen, den Kindern zu vermitteln.
Dies das Ziel. Manche Lelirer stecken es sich freilich niedriger
oder verfalireu wenigstens so, dass von einer Erreichung jenes Zieles
nicht die Rede sein kann. Falsch ist es, wenn nicht gleich vom
Schuleiiitiitt des bjährigen Kindes an der Opsangunterrichi seine
besonderen luilbstündigenl Lei ti ^iHn erhält, soudeni iilu* gelegentlich,
in Verbindung mit dem Anschauungsunterrichte, einige Liedchen ge-
lernt werden; gerade die ersten Schuljahre sind, wie tüchtige Gesang-
lehrer bezeugen, für die Entwickelung des Tonsinnes von höchster
Bedeutung. Wenn sich sudann Lehrer mit bloßem Liedersingen be-
gnügen, also nicht neben dem Liedercursus einen systi Uiaiischen Übungs-
cursus von Aiilaug au ciuheigchen lassen, so werden sie die Kinder
nie zu einem reinen und guten Gesänge bringen. Der systematische
Cursus soll durch dynamische, rhythmische, melodische L^ungen nach
einem festen Stufengange einesthetls „eine gewisse Einsicht ins Ton-
wesen, das Auffassen von Tonverh<nissen, das Festhalten und Wieder-
geben deraelben** üben, das GtMr yerfeineni, die Stimme bUden, den
Ton veredehi, andemtheüs die Kinder aneh in die Notenspnehe ein-
führen, damit der Geeangonterricht in seiner Arbeit erleichtert und
das Kind befiUugt verde, sich spätor, nach der Schale, nene Lieder
anzueignen. Schütze, Lohse und viele andere ICethodiker fordern
diese sp^stematischen Übongen unbedingt; sie weisen andi nach, dass
es lüsch sein .vfirde, den systematisdien Corsas nicht gieidi mit den
6j8hxigen Kindern zn begümen, sich liier Uos auf das Gehörsingen
von Liedern zu beschrfinken. IHe Melodien der meisten Kinderiieder
Ugen hl yerschiedenflü Stimmrcgistem, die besonderer Ansbfldnng be-
dürften; die Kinder Terf>en in diesem Alter noch ttber einen geringen
Tonumfang; derselbe mfksse systematisch erweitert werden — der Ton
der Stimme, wenn diese auch gesund sei, bedürfe einer regelrechten Aus-
bildung; es sei nicht möglich, beim Liedersingen den Kindern zugleich
den Rhythmus mit fassbar, auf Athmnng, Mnndstellung etc. anfinerksam
zn machen. Von Schütze (Ev. Schulkunde), Lohse, (Der Gesangunterricht
in der Seminarschule zu Plauen), Brähmig (Kleine praktische Gesang-
schule), Göthe (Gesangschule). Hauer (Acapella-Gesang) u. a. sind ange-
messene systcmatischeÜbungen zusammengestellt. Ferner siiid (üf Tielu'er,
welche die Kinder blos im Chore singen lassen, den Einzelgesang nicht
pflegen, auf einem Irrwege; sie lassen sich dadurch, dass ih'v (Tior-
gesang wenigstens leidlich L'-eht. in eine Täuschung ü'>pr den eigent-
lichen Stand der Classe einwiegen. Lässt man die Kinder dann einzeln
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amgen, sa treten UftgHche Besnltate sm Tage; eine Beihe von
Kindern liaben sich der Melodien nidit bemftclitigt» zeigen weder Gehör
noch Stimme. Ein Lehrer, dar den CSiorgeeang nicht anf die Pflege des
Einzelgesanges stfltst, bedenkt nicht, dass doch der Chorgeaang nicht
gat klingen kann, wenn die einzelnen sdilecht singen, nnd er erwSgt
nicht« dass jedes einzelne Sind den Gesang, einen liederschatz mit in
Sehl Leben hinaoanehmen solL Endlich zieht sich ancb der Lehrer,
welcher verabsftnmt» die schönsten Lieder nach Text nnd Melodie ein-
zuprägen, seine Aufgabe beim Gesangunteirichte zu eng; wenn die
Kinder blos ans dem Liederbuche singen oder blos die erste Strophe
gdent haben, so ist es nichts mit dem Lebensgesange, dw erzeugt
werden solL
Für die sächsischen Schulen sind, ebenso wie die zu lernenden
Kirchenlieder (22) die Choralmelodien (35) vorgeschrieben. Die Aus-
wahl und Begrenzung ist gut, zu wünschen ist, dass, nm den Kirchen-
liederschatz im Volke zu e/halten, beim Gottesdienste öfters gerade
die Lieder, welche die Volksschule auch nach dem Texte eingeprägt
hat, gesungen werden. — Kür das Volkslied gibt es eine Reihe vor-
treflflichei- Sammlungen, z. B. flas „Löbauer Liederbuch" (2 Hefte,
erschienen bei Schlimpert in Meißen), Göthes Gesangschule (in 8 und
in 2 Heften) etc. —
Leider können für den Gesangnnterricht nicht in jeder Classe
2 Stunden wöchentlich gewonnen werrleti; er ninss sich meist auf
1 Stunde beschi-änken, wozu ailerdüigs der Erottuungs- und Schluss-
gesang beim Unterrichte noch hinzutritt. Es ist aber sehr anzuer-
kennen, dass es viele Lehrer gibt, die freiwillig ihre Kinder nocli
außer der Schulzeit zusammenrufen, um mit ihnen zu singen, und die
Kinder kommeu gern; sie singen niit Lust Ich habe eine Reihe
Schulen (besonders in der Südlausitz), die Treffliches leisten, neben
anderen, in denen der Gesang nicht befiiedigt; die Schuld liegt weniger
an der Begabung der Kinder, als am Lehrer. Eine wahre Freude ist
es, wenn man des Abends dnrcb ein Dorf geht nnd die Kinder yor
den Thftren singen hört, oder dort auf dem Teiche, wo sie das Ver-
gnügen des SchÜttschulifUurens unterbrechen, nm einen hflbschen zwei-
stimmigen Gesang ertönen zu lassen. Diese Freude habe ich öfters
empfanden, nnd ich habe dem braven Lehrer dafür gedankt. Das
oben angegebene Ziel f&r den Gesangnnterridit ist Ihm nicht zu hoch
gewesen.
Mit den bisher genannten Fächern haben wir die Grenze der
Unteirichtszweige der Volksschule noch nicht erreicht Wir mflssen
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zunächst noch Geographie, Geschichte und Naturkunde in die
Einfriedigung hereinnehmen. Mit denjenigen, welche meinen, diese
Zweig'« würden schon beim Leseunterrichte jrenÜKeiul mit behandelt
werden können, brauclicn wir uns nicht des Weiteren mehr ausein-
anderzusetzen. Das Lesebuch hat andere Zwecke als einen Leit-
faden tiir die genannten Unte? T-ichtszAV'ei«?e abzntre^'i ii, und jedes der-
selben verlangt seine besondere Methode, weuu ein Erfolg ei^zielt
werden soll.
Die Basis, auf der sich der Unteniciit in den Realien aufbauen
soU, lijt der sogenaiititt Ausi'hauungsuuterricht. Wenn man den letz-
teren in eine solche Beziehung zu den Ri*alien setzt, so denkt man
an den Stoff, welchen der Anschanunj^unterricht zu behandeln hat,
daran, das^» er Anschauungen, d. h. klare VorsteUuny:en von räum-
lichen oder zeitlichen Objectcn, Dingen oder Begebenheiten zu ver-
mitteln hat. Erwägt man aber, dass der Anschauungsunterricht fÖr
die Anschauung den Kindern anch das rechte Wort geben, im An-
schluss au die räomliclieii und leitlidMB Objeete die Sprache der Kin-
der bilden und entfesaela 80II, nnd dass dies dnrehani nicht Uoe als
ein Nebenzweck aofgefasst werden daz^ so erkennt man, dass der
AnschannngsuiteiTicht aaeh mit dem Sprachunterricht in der imdgstea
Verbindung steht £s würde deshalb eine emseitige Anl&ssnng des
Anschanangsnnterrichtes sein, wenn man ihn den Realien oder dem
deutschen Sprachimterriehte allein — als Basis oder Wonel — zor
weisen woUte. Man- konnte andi noch hinzoAgen, dass im Worte
und Begriffe „Anschanmig'* der Hinweis auf die Bedeatnng des An-
sebaanngsmiterrichts iOr die Entwickelmig der Sinne deutlich sa er*
kennen sei, und dass bei rechter Auswahl und Behandlung der An-
schauungen unzweifelhaft anch gemftthbildend anf die Kinder einge-
wirkt werden könne. Diese vielseitige Aufgabe des Anschauungs-
unteiTichts lässt sich mit seinem Namen, der allerdings an Unbestimmt-
heit leidet, decken; aber mit dieser Darlegung ist die Nothwendigkeit
des Anschauungsunterrichts f&r die Volksschule nicht erwiesen. Diese
gabt aus folgenden Erwägungen hervor. Unzweifelhaft hat der Volks-
schulunterricht an den geistigen Standponkt» den die in die Schule
eintretenden Kinder in der Regel einnehmen, mit seiner Arbeit anzu-
knüpfen. Das ganze geistige Leben des Menschen kommt bekanntlich
im Verkehr mit der Außenwelt, die durch die Canäle der Sinne in
seine Seele einzudringen versucht, in Khiss. Da kann es nun keinem
Zweifel unterliegen, dass beim Hjährigeu Kinde dieser Vfrk» Ur schon
äußerst lebhaft gewesen ist; es hat viele Wahmehmongeu iu seiner
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Uagebmig, in Hans, Garten, Feld etc. gemacht; aUein zum großen
Thefle sind diesellieii UDklar, verwisclit nnd nicht tief haftend, beson-
ders dann nicht, wenn sich das Haus wenig oder gar keine ICtthe
gegeben hat, die Wahraehmongen den Kindern zu Anschauungen zn-
sammenznfllgen. Es miiss demnacli als durchaus richtig und natur-
gemäß erscheinen, dass die Volksschule, ehe sie in die Welte schrei^
tet, an die Vei*säumnls des Hauses anknOpft» sich niülit, die Eindrücke,
welche das Kind yon seiner Umgebung schon empfangen hat, zu sich-
ten, die Wahmehmnngeil stn klären und 'zu Anscbauunofen zu js:estalten
— also Anschauungsunterricht! Der Volksschulunterricht wird
nun selbstverstilndlicli nicht dabei stehen bleiben kennen, blos solche
Objecte zu behandein, die das Kind schon walirn:enümmen hat, sondern
er hat sich seinen Stoff überhaupt aus dem Anschauunp-skrcise des
Kindes, ans dem Kreise, der seinen Sinnen nahe liegt, also aus Haus,
Garten, Feld, Wiese, Wahl auszuwählen. Der Anschauun^'-sunterricht
ist also deshalb sdion berechtig', weil es g-anz richtifj; ist. die erste
EntwickeliniL'- de> Lt i stiren Lebens der Kinder dnrch Vermittelung
entsprechemh-r Anscliauun^^en aus ilirer Umgebung zu f()rdern. Darin
liegt des Anscliauungsunterrielits erste Aufgabe, und el)en deshalb,
Weil er seinen Stoff aus der Unip:ebung des Kindes nimmt, aus der
Xator, aus dem heimatkundlichen Gebiete, aus dem Leben im Hause etc.,
bereitet er zugleich den Realnnterricht vor. - Geistige und sprach-
üche Entwickelung hängt al)er untrennbai zLi>ammen; nicht blos durch
den Standpunkt der Kinder, welchen sie in Bezug auf den Denkinhalt
einnelimen, wird die Nothwendigkeit des Anschauungsunterrichts bo-
grilndet, sondern auch doi'ch den in sprachlicher Hinsicht Wer
oft Gelegenheit gehabt hat, in Landsdinlai eben anilBrenommene Kin-
der zn beobachten, der wird nicht blos erkennen, wie viele von den
tagtäglichen Erscheinungen nnbeobechtet an ihnen vorfibergegangen
sind, sondern anch, wie weit sie in ihrer sprachlichen Entwickelung
znriteksteheD, wie ihnen oft das rechte Wort für die Oly'ecte der Um-
gebung fehlt, oder wie sie mit ihm keinen rechten Inhalt verbinden.
Dorf nnd Dorf ist allerdings hierin anch verschieden; in Fabrikdöiv
fem, wo Vater, Mntter, die älteren Geschwister in die Fabrik gehen
nnd die jingeren Sinder fiut ganz sich selber überlassen sind, ist es
nicht zn verwnndein, wenn die Schale die Kinder anch hl sprachlicher
Hinsicht auf einon sehr tiefen Standpunkte findet. Noch ist zn er-
wflgen, dass die Kinder meist den Dialect mit in die Schule bringent
also auch noch nicht für die Unterrichtssprache reif sind. Woran
knttpft sich nun aber die erste Sprachentwickelnng? Doch an die
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Umgebniig des Kindes; also Ansehaamigeii za vennittebi und mit
ihnen das rechte Wort za yerbinden — das ist natsrgemftft — des-
halb Anschannngsnnterrichtl Er hat die erste ^^ra4sh]idie ESnt-
vickelnng des Kindes im Änsddnss an entsprechende Anachannngen
zn ßrdenL Dass ist die zweite Hanptan^^abe des Anschannngs-
Unterrichts; dnrch LSanng dersdben steht er auf dem Gebiete des
deutschen Sprachnnterrichts and macht die Kinder itberhaupt für alle
sonstigen Zweige onterrichtsfähig. — Dass nnn der Anschannngs-
nnterricht auch die Sinne, die Beobachtungsgabe auszubilden vermag
und auch ausbilden soll, ist selbstverständlich, wie es auch keiner
weiteren Auseinandersetzung bedarf, dass er eine gemüthbildende \^'fr
knng auf das Kind auszuüben vermag und deshalb auch ansftben soü
So hätten wir die Berechtigung des Anschauungsunterrichts in
der Volksschule nacli^e^nesen imd sein Ziel umgrenzt. Aber freilich
ist es hier aucii notliig, Grenzlinien hinsichtlich der Stoff aus wähl
und Stoffbehaiidlnng zu ziehen. Eine ir-nize Reihe Methodiker des
Klemeutarunter! irlits schreiben über ihre i?lbein ^Vereinigter An-
srlianuns's-. SrluvMl-, LMSh^-Cnterricht." Ich kann inif]!. wie schon
friiher Iteiiicrkt, inii ciiiei- ^ tlriion Ziisamnipnschweißunf^ des Anschau-
ungsunterrichts mit dem ersten LeseiiiüeiTichte diin-liaus nicht be-
freunden; ich liabe anch bis j^tzt keine Fibel grefiimien, der es ge-
lungen wiire, in 'ihrfu Nurnuilu ortern oder den durch Bilder dar-
gestellten Gegenständen einen Gang aufzustellen, der dein eines rech-
ten Anschauungsnnterrichls entspräche. Da springen sie von Hut zu
Bett, von Tisch zu Ofen, von Esse zu liose, von Rose zu Rad, von
Rad zu Haus etc., oder von ^lühle zu Säge, von Säge zu Rose, von
Eose zu Vogel, von Vogel zu Wagen etc., von Theilvorstelhiug zur
Gesammtvorstellung; während der Behandlung dieser Gegenstände
vergeht die Frühlingszeit mit ihrem Leben in Garten, Wiese und
Feld, mit ihren Anscfaaunngen, die dem Kinde, das sich jetzt am lieb-
sten dranlten nmhertummelt, ikü Interessanter sind als der Hnt oder
die Säge. — Einleitmigsweise bat man die Kinder mit der Schule
und ihren Gegenständen, die gerade fBr sie schon wichtig werden,
bekannt zu machen, aber damit sich recht kurz zn ihssen; dann aber
schnell hinaus in den Garton, auf Wiese und Feld, um einzelne Blu-
men, Thiere, den Gfirtner, den Landmann in seiner Arbeit aniScu-
suchen, und wenn dann im Winter die Natur draußen die reiche Welt
ihrer Erscheinungen in die weiße Decke bttUt, das Leben des Men-
schen sich mehr in den Bflnmen des Hauses abspielt, da behandelt
man vorzugsweise das Haus, läßt die Poesie des Mlircbens, welche ja
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nacli alter Sitte jrerade um den trantpn Herd sich th'ängt, ilire Fäden
spiimen, übergeht aber auch nicht die I hierwelt des Hauses etc. Den
Inhalt der Normalwörter oder die r^eo-en stände der ßiidei* braucht
mau dagegen blos ganz kurz zu besprechen; man wird zusehen müs-
sen, die Kinder so schnell wie möglich im Lesen zu fördern, di uii das
ist besonders iii wenig gegliederten Landschulen durchaus ni>thig —
da gilt es, sobald wie möglich die ersten Schwierigkeiten nn Lesen
zu übervsmden, weil noch andere Abtheüungen als die Elementar-
abtheiluug zu bedenken sind.
Und nun noch einige Grenzlinien, welche der Lehrer bei der Stoff-
behaudlung beachten mnss! Kr hat iich zu liiiten, bei der Besprechung
der Auschauungsgegenstände zu viel zu geben, schon ganz in die
naturgesdüclitUche Art der Beschreibung hineinzukommen. Nur das
ohne großes Suchen sich Ergebende ist hervorzuheben. Femer ist
die tfodcene DarateUmig hier gar nicht am Platze, mndem viehnehr
die sinnige, lebensroUe, poetische Anflkssnng, die anch den todten
Gegenstands Leben einhaucht (Heinemann, Handbuch des Anschannngs^
Unterrichts, gibt hierzn vielfiiche Anregung). Die Poesie, wie sie der
Kindeanator entspridit, mnss sich durch das Ganze hindnichranken;
auch das frische Lied, in dar Singstunde gelernt, darf an passender
Stelle nicht fehlen. Die emzelnen Gegenstände dfiifen sodann nicht
wie einzehie unverbundene Pfeiler dastehen, sondern von einem Gegen-
stande zum andern sind Brücken zu schlagen, so dass ttberaU an-
muthende Gesammtbilder entstehen. Und noch etwas in sprachlicher
Hinsicht! Wol soll der Lehrer hier den An&ng machen, die Sinder
zur hochdeutschen Sprachform hlnüberzuführen, aber er würde die
rechte Grenze überschreiten, w^enn er die Mundart sofort unsanft
zurückweisen wollte. Ich habe oft die Bemerkung gemacht, dass die
Kinder, wenn sie beim Anschauungsunterricht aufthauten, indem sie in
ein bekanntes und ihnen liebes Gebiet geführt wurden, plötzlich
lebendig zu erzählen und zu reden anfingen, aber im Dialect;
natürlich wäre sofort die Rede verstummt und die Freude der jun-
gen Seele gedämpft worden, wenn man den Gebrauch der Mundart
verboten hätte. Die Überleitung hat allmählich und vonucktig zu
geschehen.
Wi]- grellen weiter. Wenn die Volksschule ihre Kinder zu wah-
ren Menschen und zu lebendigen Gliedern des Volkes erziehen will,
so kann «'in Zweifel darüber nicht entstehen, dass sie ilinen die Kr*Ie
als Sc]i,Liij)l;it/ menschlichen Lebens und Wirken^ und vor allem Hei-
mat und Vaterland beschi-eiben und darstellen musä>. Zugleich ist der
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Wert des geographischen Unterrichts fiir die ethische Biiduii^^ des.
Menschen, welche die Volksschule vor allem im Auge zu behalten hat,
nicht zu unteisciiaizen. Der Heimatskunde, mit welclier der geo-
graphische Iliiterricht beginnt, ist nicht bl<»s die Aut^rtbe gestellt, die
geop-raphi- i tirn ' ■ i undbegriffe anschaulich zu vermitteln und das Kar-
tenverstaudnis anzubahnen, sondern sie soll auch das Herz der Kin-
der für die Heimat, fiir ihre Fluren und ihre Bewohner. tVir ihre
Sitten etc. erwärmen. Unsere Zeit mit ihren Verkehrs- und Frei-
zügigkeitsverhältnissen ist dazu ang« liiau. den Meuscheu leichter dem
heimatlichen Boden zu entnehmen; umsomehi' ist es geboten, in der
Jugend die Liebe zur Heimat und die Achtung vor ihr za wecken
nnd za nähren. In der Heimatsliebe liegt ein sittlicher Halt f&r den
Menseheii anch in der Fremde; sodann wurzelt in ihr die Tateiiands-
liebe. — Wie die Liebe znr Heimat» so kann der weitere geogra-
phisehe Unterricht die Liebe zum Vaterlande« nicht .bloe za den
Bergen, Willdem, Fluren, sondern vor allem zn den StAmmen, die
sich an den Bergen nnd in den Ebenen lagern, erwecken and pflegen.
Indem der geographische Unterricht die Wechselwirknng zwischen
Land nnd Bewohnern darstellt, erzieht er die Kinder für den Eintritt
in dieselbe; indem er sie hinüberf&hrt über die Meere in ferne Erd-
theüe, schUngt er nm sie nnd die übrige Menschheit ein Band. Anf
der Wandemng Aber die Erde, sei es in dem hohen Norden, sei es
durch Wflsten and Steppen, an die groß^ StrGme Afrikas etc., be>
gegnet der Unterricht kflhnen Forschem, die ihr alles einsetzen för
die Wissenschaft, f&r Aa&cfaließong neuer Wege; ein Hinweis auf sie
wird anch die Knaben der Volksschnle mächtig erregen nnd begei-
stern. Aus der Beleuchtung der wunderbaren Gestaltung und Be-
schaffenheit unseres Wohnplatzes, aus einem Blicke ins gi-oße Weltall
erkennen die Kinder auch die Größe, Miyest&t nnd Weisheit des
Schöpfers. Der sreopfraphische Unterricht vermag auch das Bibeiwort
zu bestätigen: Die Himmel erzählen die Ehre Gottes etc. — Über die
volle Berechtigimir des ireooraphischen Uuten'ichts in der Volk«;schule
kann also kein Zweifel sein. S. ine Aufgabe wird sem: Auf dem
(Trunde der Heimatsknnde der Kinder in t'arbenlrischen, gemüthlich
anregenden Bildein i;enaner mit Land und Leuten des fengeren und
weiterem V;H»'rlandes und Kurnpas, mit dem Wichtisrsteu der außer-
europäischt-n i-.rdtliMÜe und des Veriiitltuisses der Knh- zu den ande-
ren Hinimelskr>ri»eru bekannt zu machen — unter Au^:schiu^s alles
(ies>eu, was id»rr die Fassungskraft der Kinder hinaustreht oder das
Gedächtnis uunüthig, oluie iigeud einen Eutzen beiastet.
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— 185 —
Das Ziel wird richtig sein, aber freilich, ob es sich alle Lehrer
80 omgreozen, ob sie mit vollem Bewnsstsein ihm zustreben, ob sie die
rechten Grenzen bei der Stotfauswahl im einzelnen und bei der Stoff-
behandluiig- einhalten, das ist eine andere Fraire. — Was zunächst
die Heiiiiatskunde anlansrt, so habe ich die Erfahrung gemacht,
dass die meisten Lehrer \\o\ die beiden trst»'n Aufgaben derselben
'.'inscliatüiche Vermitteluiig" (h'r <i:eugTai)hischen (iriindbei^ritiL' und An-
bahuung- des Kartenverständnisses) im Auge btdialten. aber die dritte:
die Liebe zur Heimat zu idle^^en und das (Temüth dabei zu erwärmen
— nicht «:eiuigtnd bedenkeii. Ich halie auch mitunter solche Lehi-er
gefunden, die da iiiemteu, sie hätten der Anschaulichkeit genüget,
wenn sie die Heimat in Stundenkreisen auf die Wandtafel getragen
hatten. Da standen die Berge der Umgebung aufgezeichnet, aber in
\\ irklichkeit hatte der Lehrer sie den Kindern nitdit gezeigt, trotzdem
dass es bh»s des Aufstiegs auf einen ' L Stunde entfernt gelegenen
iiugt l bedurfte, um die Kinder das inächtige Panorama des heimat-
lichen Ländchens tiberschauen zu lassen. Da war auch das 1*/«
Stunde entfernte Städtchen richtig eingetragen, aber, man sollte es
kaum glauben, eine ganze Reibe Kinder waren noch nicht ans dem
engomsclilosBenen Thale, in welches sich das heimatliche Dorf hinein-
schmiegte, hinausgekommen, und der Lehrer hatte nicht daran ge-
dacht, dnmal an einem i^ien Nachmittage mit der Einderschar
hinansflsawandem, um Heimatskonde — nicht an der Wandtafel — ^
sondern in der lebendigen Wirklichkeit zu treiben. Solche Waade-
ningen dürfen nicht nntotleiben; zn einigen bleibt jedem Lehrer Zeit.
— Wenn der Lehrer Interesse an der Heimat erwecken will, so
darf er auch nicht an den Stätten, die nmrankt sind von geschicht-
lichen Erinneningen oder auch von Sagen, an der Bdne dort aof fel-
siger Höhe, an den Klostermanem, an dem Friedhof^ an dem Krie-
gerdenkmal etc., ait dem einsamen Waldquell, aus dem auch die Sage
mit sprudelt, vorübereilen, sondern er muss erzählen, die Einder ver^
den ianschen, und die Heimat wird sieh voll und varm in ihr Herz
drängen. — Wie manchem Lehrer felüt es an poetischer, sinniger
Au£Eassung und an dem malerischen Wort, und doch kommt so viel
darauf an! Da wird der Bach besprochen, alles genau bestimmt und
<k'finij*t; das rechte und linke Ufer, das Bett, die Quelle, die Mündung,
al>er wie trocken I Da ist kein Wandern an dem Bache entlang, der
sich wie ein Silberfaden durch grüne Wiesen hindurchwindet, an der
Mühle dort im Waldthale vorüh( r. hinauf zu der frischsprudelnden
i^uelle. Da wird die Lage de» Waldes bestimmt, wol auch über seine
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BedeutiiML^ L'-^sprocheii. aber nichts oder doch zu wenig regt sich im
Lehrer von der deutscht n W'aldlust und Waldsiuingkeit et^. 1 ^as Lese-
buch von Jütting „Woiinort un i Tleimat" l»ietet so viel des Popti-
fchen in der Auffassung: der Heimat; der Lelu'er müsste es meiner
Ansicht nach so raachen: sicli erst den Stoff, den er beliandehi will,
rein sachlicli zurechtlegen, dann aber sich <lurch die Poesie des Lese-
buchs zui' sinnigen Auffassuntr und Behandlung des Heimatkundli<dien
anregen lassen. — Alsu umn darf sich bei der Heimatskunde d^a
Ziel nicht zu niedrii,^ stecken.
An die lieimatskuude schließt sich nach einem ürieiitirenden
Überblicke über die Erde und Europa: die Betrachtung des engeren
und weiteren Vaterlandes. Der bei der Stoffauswabl zu beach-
tende GmiidMitz ist ohea schon angegeben. Man mathe nur nidit
den Kindeni zu, sich solchen 'Stoff zn merken, der höchstens zeitwei-
ligen Wert hat, der unbedingt nicht im Gedichtnisse bleibt, sondern
nnrettbar wieder verloren geht Die meisten LeitfiUien kOnnen die
Lehrer irreltUiren. Da werden z. B. vom Erzgebiige eine ganze Beihe
Ton Bergen mit Angabe der Höhe angezahlt, wShrend es genflgt, die
Hdhe des Fichtelberges in runder Zahl und die Dorchschnittshöhe des
Gebirges zn merken; da sollen die Kinder sich einprftgen, welches der
südlichste nnd der nördlichsteBergSachsens ist, der am weitesten westlich,
am weitesten Ostlich liegt — dann aUe Flüsschen, die von links oder
rechts in die Elbe mtlnden — welche Städte ttber 600 m hoch liegen etc. —
die mitüere Jahrest^peratnr, die B^enhöhe wie viel Tage mit
Niederschlägen etc. Es ist doch offenbar, dass dies alles im Gedftcht-
nis der Kinder nicht haften bleibt. Die Bedeutung der Gebirge und
Flüsse, der 13odenbeschaffenheit, des Klimas für die Bewohner, die
Bewohner nach Charakter, Gewerl^eiß, Kunst etc. in fiischen Bildern
zu schildern, blos die Hauptorte gewerblicher, industrieller etc. Thätig-
keit aufzusuchen, di(^ politische Eintheilung und eine leicht verständ-
liche Darstellung der Kegiening und Verwaltung des (engeren) Vater-
landes zu geben — das ist die Aufs:abp. Icli habe jetzt Sachsen im
Auge; in anderen Staaten wiü'de in ahnlicher Weise delleioht eine
Provinz zu iw li:,nfl» ln sein. — Nun führt der geo«rrai)liisclie Unter-
rieht das Kind hinaus ins weitere Vaterland, also in unseren Schu-
len zur Betrachtunfr Deutschlands. Sehr viele Lehi-er richten sich
in der Stottauswahl nach Hümmels kleiner Krdkunde; im «rauzen
ist dieser r.eitfaden tiir die Vfdksscliule recht gut zu verwenden, aber
auch hier niuss der Lehrer den Stoff noch oft nach dem angegebenen
Ginindsatze besclu-äukeu. Mehrmals habe ich die Erfahrung gemacht,
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— 187 —
dass die Lehrei- die politische Geographie allzusehr hinter der physi-
schen züiiicktreteu ließen, obwol die letztere ja einen «rröUeren Nach-
druck zu bekommen hal, haben sieh die (Trenzlinie für Hhku Stoff
zu eng gezogen, indem sie über den Bergen und Flüssen die Bewoh-
ner zu leichthin abthaten. Wenn wir den Kindern z. B. vom Schwarz-
walde erzShlen, da wllen vir sie nicht blos in die Waldespracht ver-
setzen, sondern wir sollen sie auch dem Treiben des Schwanrwäkllers
im Walde, anf den Bergbäcben, in den Rebenh&geln nnd dem Ge-
hämmer in den Thalmnlden lauschen lassen; wir sollen mit ihnen in
die Hätten mit ihren weit bervorragenden Schindeldftchem — den
plätschernden Brunnen vor der ThQre — treten, sie die krftftigen,
naturwüchsigen, frommen Schwaben achten und lieben lehren. Und
wenn wir mit den Kindern hinunterwandem zur Nordsee, da haben
wir ihnen nicht blos von den Fluten des dentschen Meeres, yon dem
DOnenringe zu erzählen, sondern vor allem vom Kampfe zwischen dem
Meere und dem deutschen Küstenstamme, den Friesen, die „niemals
müde geworden, unter Strom und Strnm, Eis und Wogen um den
heißgeliebten Boden der Heimat zu kämpfen,^ den sachkundigen
Lootsen, den flinken und kräftigen Matrosen, die auf Kani&hrera aller
Nationen die Meere dui'chfurchen, und dem Landin mne, der hinter
den schützenden Deichen die Marschen bebaut. Wenn wir von der
rauhen Rhön erzählen, so werden wir nicht blos von der Ode spre-
chen, die auf ihr ruht, sondern auch von den armen Leuten, die bei
aller Annut doch zufrieden und genügsam sind. Im Fichtelgebirge
denken %vir nicht hlos an die dichten Waldungen und an die (Quellen,
die nach den 4 Himnielsg-e^'enden herabrausch en. sondern wir suclien
auch den armen Mann im Walde auf, er Gras sammelt oder
Baninpech anskrat/f. Holz fallt, harte (^ranitblöcke zerschlägt und
sich dabei vielleicht als den reichsten Mann tiäuint. dem nur noch
der letzte Schlüssel zu seniLiü Keichthume leiilt"; denn die >age ver-
heizt dem Bewohner des Fichtelnrebirges die Wiedererstehun^^ ver-
sunkener (loldscliätze. So wii'd der sreotcrapbische Unterricht die
Herzen der Kinder ihrem Volke zulührtiu können. Und zu solcher
Darstellung bleibt Zeit, wenn das Überflüssitre wearcrelassen wird.
Wir haben in Kutzims und Riehls Schriften einen (^uell, au> dem
sich der Lehrer W ärme und l^'risclie lür die Darstellung von Land
und Leuten — auch in der Volksschule — schöpfen kann.
Der geographische Unterricht wird natürlich in der Volksschule
aof die Betrachtung des Vaterlandes den Nachdruck legen mflssen,
aber ans den oben angegebenen Gründen mnss Aber diese Grenze
Motmi. 6.Jalisff. H«ftin. 18
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— 188 —
hinauBgfegangen werden. Mit Becht kam man noch betonen, das»
in nnserem Jahrhondert die rflumliehen Entfemmigea ziuamnieii-
geschrumpft sind nnd die VOlker in einem Wedmelverkefare stehen,
der es nahe leg^t, auch dem schlichten Hanne dee YoUlcs einen Über-
blick fiber andere LAnder nnd andere Erdtheile zn geben. Jedes
Zeitongsblatt, das Notizen bringt ans feinen Landen, bringt auch
dem gewöhnlichen Manne das Bedfirfiiis geographischer Kenntnisse.
Eom Bewnsstsein.
(SchlllM folgt)
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Fordert die Mathematik ein besonderes Taknt?
Von Dr. M, O.
So großeo Interosae ich schon auf der Schule an der Mathomatik
hatte, so blieb mir dieselbe doch lange Zeit diejenige Wissenschsft,
m der ich am wenigsten leistete; Ja die ganze Classe war schwach
in diesem Fache, mit Ansnslime des Einen, der firOher von einem
Frivatlehrer matbematlschen Unterricht genossen hatte. Wir anderen
waren in der Mathematik immer die „DommkOpfe", wie unser Mathe-
Biaticas ans zu tituliren pflegte; glaubte er ja auch immer, dass nur
wenige tta diese Wissenschaft pr&destinirt seien, und nur zn oft
mnssten wir von ihm hören^ dass es glücklicherweise noch einige we^
sige geborene Mathematiker gäbe, welche überall ohne Zuthun des
Unterrichtes ihr Talent entfalteten, Basirend auf solcher Anschauung
war natürlich auch sein Unterricht ein der Pädagogik hohnsprechen-
der, woher es kam, dass wir Schüler in der Mathematik fast nichts
leisteten. Wir waren uns auch schon damals der Ursache unserer
Schwäche bewnsst; wir fühlten, dass für die Mathematik nicht eine
besondere Anlage erforderlich sein könne, wir konnten nicht begreifen,
dass so \iele gerade f!ir diese Wissenschaft ein besonderes Talent
yoraussetzten, d^ ja diese Üisciplin obligatorisch, also für alle
Schüler bestimmt war. Der Mathematicus war die personificirte
Maschine: von Methode hatte er keine Spur, an Entwickelung der
Lehrsätze dachte er uiclit, er besaß überhaupt nicht im mindesten
die Fähigkeit, sich des Mathematikers zu entkleiden und zu der Fas-
sungskraft seiner Schüler hinabzusteigen. Ja er musste sich von
ein<»m seiner Schüler sagen lassen, dass die Classc mehr leisten würde,
wenn liir Lehrer mehr leistete, (iewiss ein schweres Wort, welches
aber beweist, dass wir jungen Leute das Uetiihl hatten, mathema-
tische Kenntnisse seien nicht von besonderer Begabung, sondern viel-
mehr vom Geschicke des Lehrers abhängig, was auch eclatant be-
wiesen wurde, nachdem wir in den Oberclaasen einen anderen — Qott
sei Dank hesseren — Lehrer erhielten, einen klaren Eop^ von feinem
13*
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— 190 —
pä(la<^oj^sch^n Takt, einen Manu, ileiii man es anmerkte, dass er in
seiner Wissenschaft fest und in st int-m Bcrule glücklich war. Durch
seine Metliode u ui den wir lürmlich electnsirt und tiaben das Ver-
säumte glücklicherweise nachgeholt: wir säninitlichen Dummköpfe mach-
ten ein gutes uiatla matisches Kxaiuen, und ein Drittheil der ( I.isse
wandte sich theils der praktischen, theils der theoretischen Mathema-
tik mit Erfolg zu. Woher war auf einmal die besondere Anlage zur
Mathematik gekommen, die mis allen g^dilt liatte?
Als Verfiisser dieses seine Lehrerearrf öre begann nnd seine Gas-
sen sehr niedrige mathematische Leistungen aufwiesen — sein Vor-
gänger war wegen Liederlichkeit seines Amtes entsetzt worden —
kannte er keinen lebhafteren Wnnsdi, als den Versneh zu wagen,
wenn irgend thnnlich, sSmmtliche Schiller zu berücksichtigen, nm yidi-
Idcht ein Gegenstfick zn dem schablonenhaften Unterrichte seines
fiilheren Lehrers zn liefern: nach Verlauf Yon beinahe zwei Jahren
war es ihm gelungen, seine Classen ans Ziel zn bringen, allerdings
mit dadurch, dsss er freiwillig vielen NachhiUüBunterricht ertheüte.
ünd noch ein Beispiel. Bei der Miterdehnng zweier Engländer hatte
ich den einen, bereits 26Jfthrigen, in der Mathematik zur UniTersität
vorzubereiten; ich sah mich genOthigt, trotz Oegenstrebeos der Ange-
hörigen, den Unterricht mit den ersten mathematischen Lehrsätzen
zn beginnen, und habe nach längerer Zeit doch das dVuc'k gehabt,
dass mein Zoirlin«: mit Verständnis die elementare Mathematik be-
herrschte und in Cambridge das Examen bestand, für weiches ihn
andere Lehrer nicht hatten vorbereiten können.
ist möglich, dass manche Leser sich nicht von der Anschauung
werden frei machen können, dass zur Mathematik wirklich eine be-
sondere Anlage erforderlich sei. Verfasser dieses ist 1/injrst über die-
sen Punkt hiüwe^i: • r wpiB allerdinsr"« sehr wnl, dass man nicht ans
jedem einen Gauti niaciien kann-, aber er liat hmm- seinen Unterricht
mit der Voraussetzung begonnen, dass alle Zöglinge für den mathe-
niatischen Unterricht beftihifrt sind, nnd dnss man sie alle auf an-
nähernd gleiclies Niveau bringen kann, wenn man nur individuell zu
untenicliten (lelegenheit, Zeit und Lust hat. Uud diese Voraussetzung
hat sich dem Verlasser bis jetzt immer als richtig ei'wiesen.
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Orthograplusclie Fbrnigsbücher.
Von Fn^. Dr. r. »iUouUtxer^WUn.
Die offideUen ScltiiIorthogniphie&, haben eine (pm stattliche
Beihe von orthographischen LeitCftdeOt Lehrgftngen, ÜbiugsMichem
n. a. Schriften za Tage gefördert» die sich als Ziel setzen, die in den
amtlichen Begelbücliern enthaltenen Normen in eine schnlgerechte
FassoQg and methodische Anordnung zu bringen, hie und da mih durch
historis( lie Rückblicke zu erklären, oder sich blos darauf beschränken,
den für die Einfthnng der „neuen OrÜiograpliie" erforderlichen Dictir-
stoff dem Lehrer an die Hand zu geben. Die Schnelligkeit, mit der
die weitaus meisten der genannten Bttcher anf den Marlct geworfen
wurden, erklärt es zum Theil, dass nur wenige stren?rpn Anforde-
rungen entsprechen, und dass sich eine Menge Dictirstotf in ihnen
gleichmiißifr wiederholt. Die Leichtigkeit endlich, mit der sich aus
unserm Sprichwörtersrhatze eine große Anzahl eiiitach g'ebildeter, in
sich abgesfliln^sHTier Sätze ftnilnTi la.sst, mag die Ursache sein, dass in
fast allen L buugj>bücheru liauptsachlicli oder wol gar ausschließlich
Sprichwörter zur Einübung der r)rthogra])hie beransrezofreii sind, jedeii-
lalls em Maii!j>d; d^nn abo-c-t hen davon, dass das twi'j'M \\'ie<lerholt'n
von Klus:heii.->rfgeiii uikI ^itit nsprüchen der Jugend eintönig und lan«^-
weüig werden muss, ist aucli die Form der gebrachten Sprichwörter
eine bildliche, scliwer verständliclie, und der in ihnen enthaltene Kern
als das letzte Glied einer langen Ertahningsreilie liegt zumeist jenseits
des geistigen Horizontes der Kinder. Was uns Erwachsene am Sprich-
wort Gelallen finden lasst — dass wii- in einem kurzen Satz, in einem
treffenden Bilde eine wiederholt gemachte Erfahrung präcise wieder-
geben können — das ist für die Jugend kein Bedürfhis.
Drei yon den uns vorliegenden Übungsbüchern stützen sich anf
die Österreichische Schnlorthographie: Petzel, Botb nndStejskal.
P«tiel: „2104 gleich- nnd ähnlichlantende Wörter nebst ihrer
Anwendung in Sfttsen« (Troppau, Volprecht, 1880, 8^ 126 S.X
enthalt theils vom Ver£uner selhetgebildete, theüs ans nnsem Dichtem
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entlehnte Sätze. Der Lebrer wird neben manchem Gaten in dem
Boche auch viel ünbraachbozes &iden, da Schttler wol nur dann die
„ähnlich** -lautenden WOrter „befiehlt und beflUilt, enthielten und ent-
Üfillten, entronnen und entthronen** etc. nniiehtig nachschreiben werden,
wenn der Lehrer diese WOrter, sei es geflissentiich oder nicht« schlecht
ausspricht Es gibt andere Dinge im orthographischen Unterricht»
die wichtiger sind und deren Einttbong dnrch Aufiiahme solcher nnd
ähnlicher ZnsammensteUnngen geschädigt wird. — Beth: » Ansffihr-
liches orthogr. Übungsbuch" (Prag, Tempsky, 8^ 60 S.), gmppirt
WQrter, die naoli (lersenicn Regel geschrieben werden, und knüpft
daran kleinere Dirtate. E.s ist ganz zweckmäßig« bei Einprä^g
ähnlichlautender Wörter diese in Sätzen vorzuführen, aus denen die
▼erschiedene Bedeutung derselben klar zu Tage tritt Eins vermissen
wir auch hier: eine besondere Rücksicht auf solche Wörter, die gerade
österreichische Schüler vermöge ihres heimatlichen Dialectes unrichtig
SU schreiben pflegen; dagegen ist die Regel von der Schreibung des
g in Wörtern wie Zug, Krujr n. w. ftir fisterreiehische Scluilen über-
flüssig. — Stejskal: „Dictirbuch'-, ^^\'ien. Klinkhardt, 1882. S%
136 S.) begleitet Schritt für Schritt das östemichische ..Rep^elbnch'*
( Wien, Schulbftcherverlag) und zeichnet sich besondei-s in seiiH-m ei-jiitt-n
Theil durch ebenso praktisch als geschmackvoll gewählte Sätze aus, die
den Wissensgebieten der Schule entnommen sind nn<i das in den andern
Stunden Gelernte von verschiedenen Statulpuukteu aus behandeln und
zusammenfassen. W^ir ma« !i>'n besonders anf die den Scliluss der
einzelnen Übungen bil 1< iideii klrinen Beschreibiuiij;en etc. aufmerksam,
die in zusammenhängenden Sätzen den eingeübten Stoü noch einmal
vorfiihren. Die Fabeln (S. 119 ff.) dürften sieb auch zu Dictateu bei
der Aufnahmeprüfung der Schttler ins Gymnasium eignen. — Schließ-
lich mag auch ein Büchlein genannt sein, dn^ nur mittelbar zu den
orthogi-aphischen Übungsbüchem in Beziehung steht^ das „ausführ-
liche orthographische Wörterbuch"* von Hfittich und Vetter
(Tempsky, Prag, 1881, 151 S.). Es enthält nicht weniger als 22,000
Wörter in der österreichischen Schreibung, ist also viel reichhaltiger
als das im Scholbfleherverkg erschienene; der Dmck ist sehr sorgf-
ältig (S. 132 die fehlerhafte Schreibung: Tieger). Seltener gebrauchte
Wdrter nnd Fremdwörter sind erklärt nnd anch manche gnunmatisehe
Bemerkungen emgeflochten. Dadurch, dass die Fremdwörter mit latei-
nischen Lettern gedruckt sind, hat sich ein Nachtheil heim Gebrauch
des Buches ergeben; es ist nfimlich nicht ersichtlich, ob im Fremd-
wort ein SchlusB -s gesetzt wird oder das sogenannte huige s.
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— 193 —
Die nach der preußischen Selmlorthop^raphie abgelai>sten
Leitfäden sind weit zahlreicher, iu der Vurfülirung des LehretoflEes
unter einander oft recht verschieden, dagegen in den Übungssätzen
häufig um so ähnlicher. Wii- greifen aus der groBea Menge nnr die
wichtigst«! mud eigenartigsten heraus.
Berlin („Leitfaden ftlr den Unterricht in der Orthugra-
phle.** Mafl^bnrg, Friese, 94 Seiten) prOft die W<irter anf ihre
Lant- respedire Hörschwierigkeit, gruppirt sie danach nnd ftbt sie
in znmeiBt selbstgebildeten S&taen ein, die freilich manchmal aem-
lich inhalt8l<^, auch zu flflchtig zn Papier geworfen sind. Wörter
wieEebsweib werden doch in keiner Schnle einge&bt — »"Dit deutsche
Schnlorthographie", Regeln nnd Wörterverzeichnis (Lahr,
Schanmbnrg, 1881, lOi S.), enthalt als besonders erwähnenswert ein
praktisch gearbeitetes Gapitel Uber die Schreibimg der EVemdwOrter.
— Feehner-Engelien (^Ühnngsstoff,** Berlin, Schnitze, 1881, 8^
136 S.) ist f&r Schulen, in denen der orthographische ünterricht
systematisch betrieben wird, sehr geeignet Nicht blos die Hegeln sind
übersichtlich und lassen sich dem Gedächtnis leicht einprägen, auch
die Dictate, die von Zeit zn Zeit als Wiederholungen eingeschaltet
sind, entsprechen vollkommen. Viele der Sätze sind in andere Übungs-
bücher übergegangen. Sprichwörter werden von den Verfassern gern
und oft herangezogen. — Friesieke („Lehr- und Übungsstoff für
den orthois^raphischen Unterricht," Freienwalde, Draeseke, 188U,
8 10'? S.) nimmt den Dictirstolf selbst ans dem ^Fanst". Auf jede
Übung folgen ein bis zwei reicbhaltige Dictate, am Sehhiss jedes
Capitels eine größere Anzahl zusammenhäiigeTiflfr Wiederholungen.
Die Vorrede enthält praktische Winke über die Art, orthographische
Dictirübungen und Correcturen rationell vorzunelinieu. — (»ehrig
(^.Orthographisches Übungsbuch,*' Neuwied und Leipziir. 1881,
Heuser, kl. 8" 69 S.) bildet zumeist selbst die Sätze und liebt es, in
ein und demselben Satze recht \iel orthographisches Mateiial zusammen-
zudrängen. Auffallend bleibt das vom Verfasser an unrichtiger Stelle
und sehr liäufig gesetzte Ausrufiseichen (z. B. Wörter, welche Namen
für Dinge sind, heißen Dingwörter!). Anch sonst finden sich einige
Unrichtigkeiten (z. B. S. 2; Diphthong oder Doppellaut, S. 21: in
„nannte** iüt das e des Stammes iu a „umgelautet"'). — Hufschmidt
(„Methodischer Lehrgang für den Unterricht im Bechtschrei-
ben/ Essen, Bftdeker 1880, 95 S.) ist originell gearbeitet. Das Bftdi-
Idn kbrt dk Bechtsebreibong in drei Stufen: 1) nadi der Ansdiauung,
3) nach der Analogie, unter Zuhilfenahme der BdmwSrter, 3) nach
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— 194 —
BegelB. Eine Klippe aehdnt auf der zweiten Stnfe kann sn umgehen.
£8 ist nimiidi nnr za yeriockend, dass die Kind» aof die Lantglddi-
hdt nnd nicht zugleich anch aof die Bnchstabengleiehheit der Beim*
vOrter achten und dann natflrlieh fiehlerhalt schreiben. Sehr hübsche
S&tze begleiten die Theorie. Die Zosamnenstellang der nAosnahmen
von den Begeln'*, femer der „Wörter, deren Schrelbnng doreh die
Schnlorthographieverordnong festgestellt worden**, istwegenihrer Brauch*
barkeit bereits Ton andern Leitfilden nacbgedmckt worden. — KwHith
(«Schriftliche nnd mflndliche Übungen zur Erlernung der
Orthographie und Interpnnction,*' Berlin, Springer, 1880, 92 S.)
ordnet die Dietate nach der orthogrsphiscfaen Schwierigkeit and Ter-
Undet auf interessante Art den orthographischen Unterricht mit dem
grammatischen. Seltsam ist's, dass er das Aasrufzeichen nicht be-
handelt, weil — passende Übungen sich nicht finden ließen, und das
Semikolon nicht, weil: die einfache Schule sich mit der Regel wird
begnügen müssen, dass vor „denn" ein Semikolon zn setzen ist. —
Mover. Johannes, („Lehr- und Übungsbuch," Hannover, Meyer,
1880, 8", 60 S.) ist für die Hand der Schüler hpstimnit, enthält neben
den Retreln. Beispielen und einigem l'bimgsstoff ein für die Schule
gerade noch ausreichendes Wortorvei / 'irlmi'*. Desselben Verfassprs
.,Mptl)odischer Leitfaden-' fl.eipzi*;. Dun. LS81. 8", 107 S.^ ist an
Dictirstott' ziemlich reich; ein ;rr<»Üer Theil der Satze und inaiub«^
ZusammenstellunL" i>T anderen Biicliern iwie theilweise auch angegeben
istj entlehnt; be;jouders zahkeieh er.-( heiueu 8prichwr.rtpr und Sen-
tenzen ans den Classikem. Meyer \ erlheilt den Lrln t »ff auf drei
Stufen: auf der ersten brinja^t er Wörter, deren Schreibiuiu sicli diu*ch-
wegs auf Regeln stützt, aiit der zweiten Ergänzungen dieser Regeln
und die dazugehöriircn Ausnahmen, auf der dritten orthoerraphische
Eigenthiimlichkeiten unserer Schrift nnd die Interpunctionslehre, aiil
der vierten endlich lehit er die Schreibung der gebräuchlichsten Fremd-
wörter. Ungenau ist das S. 66 über die Zusammenziehung Gesagte,
S. 71 und 72 wiederholt sich eine Beihe von Sätzen unter den „Bei-
spielen^ nnd in dem „Oktal**. — Nestii („Der naturgemäße nnd
bildende Bechtschreibunterricht**, Siegen, Montanns, 1880, 8^
84 S.) enthält als Eüdmtnng dn Gapitel fibar ^reine nnd dentliehe
Ansspraehe des Hochdeutschen**, das vol mannigfache Znsätce -wird
▼on Sch&leni mit bestimmten nialeclr
läileni wird benntst werden. Man vergleiche & B. den Abschnitt
Uber die Ausqiniche des s« in welchem sehr wichtige Angaben fiBfalen.
Nostiz Terhindet den orthographischen üntenieht mit dem gramma-
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— 195 —
tischen iind stilistischen. Der eingesclilaprene uiütliodische Weg verdient
Bt-aclitung. — Reinmuth („Lehr- und Übiing:sbucli für den Unter-
richt in der deutschen Orthoüpie und Orthographie," Weiii-
heim, Ackcrmami, 1882, 8", 95 S.) fasst den orthoepischen Unterricht
tiefer als Nostiz. In den Regeln schließt er sich an die „deutsche
Schulorthographie** an, die Beispiele sind geschickt ausgeTtthlti znineist
MHwtständig fUr orthograpliische Zwecke gebildet und weniger den
WissensgeUeten der Sehlde als dem Leben entnommen. — Willens
(Anleitung znm Eecht schreiben, Hannoyer, Hahn, 1880, 8^ 87 S.) *
&8st die Regeln zuerst in ein paar Hauptregeln zusammen, zn deren
Ergftnznng und Erläuterung Kebeniegeln hinzutreten. Zahlreiche Hin*
weise auf das Alt- und Hittelhochdeutsche und kritische Bemerkungen
sind eingestreut, die das Bttchlein weniger lllr Schiller als Ar Lehrer
geeignet erschien hissen. Derselbe Vet&sser verOiFentlichte 1882
auch eine „Vollständige Lehre Ton der Interpunetion im Deut-
schen, FransOsisehen und Englischen** (Emden, Haynel, 8*,72S.X
die schon deshalb Beaditung verdient, weil sie, bisher das einzige
Werkchen über das genannte Gebiet, eingehend gearbeitet und durch
zahlreiche Übungsaufgaben helegt ist. — Wirth (Langensalza, Gressler)
ftberlässt es dem Lehrer, wie er den im Buche behandelten „Dictir-
BtoflP* am vortheilhaftesten vertheilen will. Er bringt h&ofig Wörter,
deren Schreibung erst in einem nachfolg-enden Paragraphen gelehi*t
wird, und sucht den daraus entstehenden NachtheU dadurch abzu-
schwächen, dass er diese Wörter an der Tafel vorschreiben lässt
Die Cbung.«;sätze sind gut verwendbar.
Zum Schlüsse sei nocli ;nif" zwei Bücher wpTiiirstons liin^ewiesen,
aul" den ./'omm<Mit :ir zur preußischen Schulürtliographie'' vou
W. Wilmanus (Berlin, Weidmann, S**. 218 N.j, der die Kifj^entliiiuiliili-
keiten der preußischen Schnloi-tlion:raj)hien Lreirenüher ihren Geg-neru
auf wisseu^ichaftlicher Basis /n rechtt'ertijreu sucht und das weitaus
beste ist, was in dieser Hinsiclit iniblicii't worden, auch für jene lesens-
wert, die nach einer andern Orthogi-ajdiif» schreiben, und dann auf
das „Vollständige orthn^raphisclie W orterbuch" von l>uil«'n
(Leipzig, Bibliugraphisches Instilut, 187 S.), welches die Schreibung
uud die Angaben wichtiger gi-ammatischer Eigenschaften vou last
28,000 Wörtern euilüüi. ein Pendant also zu dem österreichischen
Wörter vei'zeichuis vuu Hüitich und Vetter.
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€l«ri€ale Yolksselirifteii.
Von Pranz SehHnkert'Wtm.
Das Forschen in der ri il t Rüstkammer biotot keinen angenehmen
Heiz. Kf* miifis ja stets mit \S iderwiJleu erfüllen, weim man den Apparat der
süi>eu Lüge und l'rummeu Hinterlist durchblickt, welcher dazu dient, den nai-
ven Eindeireratand des Volkes m tftatthen. Und doch ist et fibr den Volka*
freund notlnvtnxli:^, dass er die Waffen kenne, mit ^feLcken gegen die heilij^ten
G'ntt'V lies \ olke,s gekämiift wird; wie sollte er denn sonst seine Pflitlit zn
t rtnilen im Stande sein und die lutereaseu seines Volkes wider zerstörende,
schädliche Einflüsse wahren können?
Diesmal mOchte ich ans all dem Rtstzenge, dessen man sieh im Kri^
wider die Aufklärung bedient, eine Waffengattung li>'i \ erziehen, die mehr
Verderben bringt, als vergiftete Pfeile: ich meine die clericalen „Volks"-
Schriften.
£s ist ein taktisches Kanststückcheu, im Dunkel vorzugehen und so ge*
rftoschlo« als mOglich m handeln. Anf diese Wdse entziehen sich die Opni«
raiden der Sffentliehen Beaditiing, nnd wenn wir hiennit dk Anlage und Wir>
kung gewisser „Volk> ^' hriften kurz besprechen, so verbinden wir damit
keinen anderen Zwoi k, als • hrliche Volksfrennde aufni<'rk';an! m marlien nnd
zu ersprießlichen Vorkehrungen gegen jene verderblichen Kiullüäüe anzulegen.
So weit das Volk auf Uterarischem Wege zugänglich ist, wurde es von cleri-
ealer Seite mit Beschlag belegt; es konnte dies nm so leichter gdingcn, als
gerade jene Irfmte, welche auf genannter Seite stehen, die Eigenheiten des
Volkes kennen nnd dessen Sohwriclien in ihrer Art auszunützen verstehen.
Die Geschäftsleute, w eh hf unter den Bauern mit Dmrk«arhen hau'^irpn gehen
oder diese auf Märkten in Buden feilhalten („Bildelki-Hiuei i, sind zum Über-
flnsse mit Dmoksohriften versehen, dvreh welche die Volksverdnmmnng syste-
matiRch betriebsin wird. Uanchmal ist dieser oder jener Pater als \'( i'fassw
genannt; aber wenn dies auch nicht der Fall wäre, konnte über die l'njve-
nieuz dieser Tractälchen kein Zweifel best^ luMi. Da gibt's In ilsame, beschau-
liche Andachten, lehrreiche Berichte über irgend ein Wunder, das sich in
himmelblaner Gegend zugetragen; Prophezeiungen Aber den bevorstehenden
Untergang der Welt; Schilderungen von schreckliclien „Gottesgerichten*', von
Wettern, Morden, Bränden, Rflnbereien n. derl. m. Das Zeug ist wolfeil und
rindet viele Käufer, das macht wol nichts; aber es findet auch viele Gläubige,
und das ist schlimm. Im Gemüthe des Bauers macht sich die religiöse Furcht
Mhr lebhaft geltad. Jose Sduriften wiiAen nm In dieso' Sichtung ein ; sie
sind daranf berechnet, einzttschflchtem. Als Ursache des göttlichen Zornes
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— 197 —
wird der Übennath der MeDsehen, die liberale ZeitstrOmiinff — mit eiDem
Worte aUet das hingestellt, was das Selbstbewiisstsein kräftigen, die Willen»-
st.lrke anregen könnte. Dadurch wird das MisstrainMi. die >Iutblosigkeit des
Bauers und seine Feindseligkeit gegen die (Je.sellsrhatt verschärft: indem so.
jede freiere Keguug niedergehalten wird, bleibt der Üauer in seiner Uubeholfen-
heit mid ibigstUehkelt jenen ansgreliefert, die sicli als gütige Vermittler swi«
sehen ihm und den bSsen, strengen, ttberirdiadiai Uftchten geriren. Kan nennt
die so Epearteten literarisclien Erzen^issr kurzweg ..Stidelsrhriften" und iiillt
sie kfinei" iiüheren ^Vürdigung wert; difse Beliandlmifr verdienen sie jeduch
nicht, wenn man die Thatsache in Betracht zieht, dass srie gewöhnlich den
ganzen litentrisehen HanMcbate des Banem ansmadien nnd daher einen tief-
greifeDden Sdiad«i Twarsadmi. Do* Bauer, der ländliche Gewerbsmann fiihlt
manchmal das Bedürfnis, sich in freien Stunden selbst eine anregende Unter-
haltung zu verschaffen oder sich autodidaktisrh fortzubilden. Nun werden ihm
lauter Schriften in die Hand gespielt, die seine Bildung und sein Wissen nicht
fSrdem, sondeni Um in die geistige Nacht nnd FinateniiB anrftekbannen. Be^
sonders schädlich wirken die perlodüch erschdnenden „Volk8"-S(9mften ditter
Sorte. Ich erwähne hier nur die beiden Monatsblätter: ,, Press vereins-Bote
der Diöcese St. Poltfri-' „Der Volksbote, illustrirtes Monatsblatt zur
AiitTdärung und Belehrung des christlichen Vülkeü". Das erstere erscheint in
Xi eros, ist beiläufig l^/^ Bogen stark, hat eine ^/^ Bogen umfassende illustrirte
Beüagie „Der Kinderfrennd" nnd kostet jShrlieh 70 Nkr.; werden zwei Exem-
plare anter einer Adresse bezogen, so kostet jedes nnr 50 Nkr. Jede Num-
mer dieses Blattes enthält einen allgemein gehaltenen politisdien Aufsatz,
irgend eine fromme Geschiclite. Berichte über die \'or2:äüge im politischen
Leben, die sich namentlich durch überraschende Verdrehungen und verbltilfende
Entstellongen anszelchnen. NBher aof den Inhalt einzugehen, ist Aberftfissigr.
ifier Kisderfreund" enthält kleine Gedichte, belehrende Aufsätze, die manch-
mal granz annehmbar sind; Tväthsel fPrei.srätlist'l sind ein beliebter Köder).
Das granze ist aber von einer süßlichen, verdummenden Fnimmelei durehtrilnkt.
die namentlich im „Flaadei^lätzchen", das ein „Eiudertrennd" regelmäi>ig in
jeder Kummer hUt, dentlidi mm Dorchbradi gelangt Nebenher werden die
Kinder mm Propagiren gedrült, was wol der Moral nicht sehr förderlich ist
Auch zu Geldsaramlungen für Vereinszwecke (angeblich für den „Verein der
Kindheit Jesu" ) werden sie ans^eleitet. über die Verbreitung des „Pres.'jvt r-
eins-Boten" sainmt Beilage berichtet das 1. Heft des VIII. Jahrganges (Jänner
1881): „la 4000 Exemplaren wandert der ,FreasvereinB>Bote' hinaiu Aber
Berg und Thal, tritt ein in die elnlbdie Htttte des schlichten Laadmanna, so-
wie in das staatliche (sie) Haus des Bürgers und wird mit Sehnsucht erwartet
und mit Freude gelesen. Welchen Segen aber dir „Kinderfreund" bereits ^e-
stiitet, entzieht sich der Offen tlichkeft, die Früchte davon werden später offen-
bar werden. Doch es soll noch nicht genug sein. Hehr als 100 Pfarreien
nnaerer DiScese sind noch, in welchen auch nicht ein Exemplar seinen Ein»
gang findet. Soll das so bleiben? 0 nein!" Dieser Bericht mag auch an*
nlihf'md richtig sein. Hin .'^clinlleiter .'^ebickte mir eine beträchtlifbe Anzahl
von Exemplaren, die er „contiscirte", nachdem sie an mehreren Orten von den
Pfarrern unter die Ei wachsenen und die Sciiuljugeud vertheüt worden waren.
Beinahe jede Nnmmer enthUt zom Scblnsse anter dem Titel: „Fir den ^Preas-
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verttüuboten' der Biöcese St. Pölten sind eingegangen" ein Vetzeichnis der
eingefran^Tti- n (Ttlder, und es ist erstaunlich, was von diversen ..bischöfliclipn
Gnadeu" und ..Hochwürdeii", sowie von Landieutea aufgewendet wird, am die
Welt mit heilsamen Lehren zu beglücken.
}4)er Volksbote^* (encheint in Wien, gwu^ibrig 60 Nkr.) stimmt im In-
halte und in der Anlage n it dem ^^PrQWQveinBboten" überein; er zeichnet
sich aber vor demselben durch einen frefJiUigen, volksthOmlidien Stil aus. In-
da} hindern uns Raumrücksichten, in eine weitere Besprechung »^inziiffehen.
Diese Schriften sind nun nicht nui* durch ihren eigenen iuhalL der Bü-
dnnir feindlicb, aondem aie wirken anch durch die LSetenug^ nnd Sdindl^
hungen gegen alle aalklftrenden BiMiinjrs^chriften. So wird das Vertrauen in
liberale Sdiriften erschfUtert. im 11. Heft des VIII. .Talirpan?es des ..Press-
vereinsboten" steht: „Ebenso ist es die Anfarabe der katholisclu n Kirche, vor
den Uterarischea Giftpflanzen, d. L vor schlechten, rdigionsfeindlichen, sitten-
losen BflUdienit Schriften und Kalendern zu warnen; nnd wenn sie es dorch
ihre SeelsorKsr thot, so verlangt es die Pflicht des Gehorsams, dass wir
nns davor hüten, sie weder kaufen, noch lesen." Namentlich richtet er an
seine Leger die „innigste Bitte": Kaufet vor allem keine schlechten Kalan-
der.''*' Als „Giftpflanzen oder schlechte Kalender" bezeichnet er unter an-
den den „NiederOsteR«le)iisehen Volkskalender'^ ,43ieser Kalender bringt
nnter dem Titel: „„Unsterbliche Gedankt Kaiser Josef II."*' eine wahre
Flut von Schmähungen, Besdiimirfhngea, Verachtnngen über Religion, Einte,
Priestertlinra, so dass jedermnii*! wirklich ein gntes Werk vollbringt, wenn er
dieses Machwerk in den Ofen steckt."
Um dem Verderben, das durch diese schändlichen „Volkse-Schriften aus-
cestrent wird, Einhalt zn thnn, müssen nun endlich energische HaSregeln er*
griffen werden. Die Uberale Presse hat die Aufgabe zv erfttllen, durch wahr-
haft volkfithumliche Public.itiorieii den atifkläreiiden, versöhnenden Ideen Ein-
gang in die Kindlichen Bevüikerungskieise zu verschaffen. Sollte sich denn
gai' kein liberalt« i^rovinzblatt finden, das bereit wäre, eine für die unter-
sten Schichten der Ijsndlente berechnete Beilage oder Monatsschrift heraus-
zugeben? In der Anlage hKtte man sidt nnr genau an die clericalen „Volkse-
Schriften zu halten; der Inhalt aber musste natürlich ein edlerer, freisin-
nigerer sein. — Man will die clericalen Wühlereien vornehm ignoriren, und
wenn sie einen Ertbig erzielen, dann wirft umn die Schuld auf die Irregelei-
teten. Wamm aber tritt man nicht ans der Passivität herans und venncht
es emstlich, das Volk zum Lieht nnd rar Wahrheit m lühren?
Der 13. deutsch-amerikanische Lehrertag. 1^^^^. r/y^^^^-
In der ersten Hanptversammlinig referirte naehBrletUgnng der Formali«
tSten Herr G, Bambergcr-Ncw-York über die nArbeitsschnle*', also fiberein
Thema, nb<»r das fast ^gleichzeitig von den in Kassel versammelten Lolirorn
DentSflilands. freilich iiiit einem andern Resultate, verhandelt wurde. Die Frage
des Haiidiertigkeits-Uüterrichtes ist Übrigens von deuti»ch-amerikam8cbeu Schul-
nft&nem nicht erst diesmal ventilirt worden^ schon seit einem Jahre Amctionirt
nfimlich ein vom Lehrerbund ernanntes ständiges Comit^, welches statistisches
Material zosammenzatrafren hat, und schon längere Zeit fehlt es auch nicht an
praktischen Versuchen, auf deutsch-amerikanischer Seite so wenig, wie auf
anglo-amerikauischer, wenngleich hinzugefügt werden muss, dass letztere
I. B. in St. Lottis sofort die letzten Gonseqttenzen zog und mit den Scholen
ToUgtftndige Tischler- oder Schmiedewerkstätten in Verbindung setzte, indes die
Dentgrhen Amerikas mehr jener Richtung sich zuwandten, welche in dem Ar-
bf'itsnnterrichle eine Ergänzung des Turnens, eine Gymnastik der Hand erblickt.
Bambergers Vortrag beschäftigte sich mit der praktischen Durchführung des
Arbeitsuiterridttes. Die ▼on ihm aufgestellten Thesen wurden mit geringen
Ändeningen aooeptirt, so dass nnn folgende Thesenreihe als das Votum des
deotsch-araerikanischen Ldnertages anzusehen ist:
1. Aufgabe der Schule muss sein, die harmonische Entwickelung des g-anzen
Menschen im Ziigling zu fördern; es soll die Erkenntnis erweitert, ge-
steigert und gefestigt, der Wille geregelt und der Sinn fttr das Schöne
gepfl^ werden.
2* Die Arbeit ist als neuer wichtiger Factor zur Erreidmng dieses
Zweckes in 'die Schnle einzuführen.
Die Arbeit dient a) der Erkenntnis, indem dnrc h das SchatTen der Geren-
stände und an den Gegenständen die Eigenschaften dtr Dinge und die Gesetze
ihres Wirkens am deutlichsten nnd hestimmtesten dem Schaffenden mm Be-
woBstseln kommen.
Die Arbeit dient b) der Entwickelung und Regelunj^ des Willens, indem
durch sie die Festigkeit der Entsdiließnng, die Aasdauer und überhaupt die
Freude am Handehi selbst gesteigert wiid.
Die Arbeit dient c) der Entwickelung des Formensinnes nnd der Bildung
des Geschmackes, indem einmal das Bewnsstsehi der Form durch ihre Über^
tragung auf wirkliche Gefren«tUnde an Bestimmtheit gewinnen muss; dann aber
der Sinii für die Schönheit der Formen durch die Auswahl der Gegenstände,
die dem jungen Arbeiter zur Nachbildung empfohlen werden, gefördert wird.
3. Die Hand (?) soll den Geist und der Geist die Hand leiten.
*) YeigL die Torige Kmmnsr des »Pädagogium".
üiyiiizeü by GoOgle
— 200 —
4. Die Arbeit 80II den Tunmuteniclit ergäiizt-n, eine (avinnastik tur liaiid
nsd Auge s^.
5. Die Arbeit und die Sclmlwerlutfttte miissen sittlidi auf die Kinder
wirken tind sie schuii früh zn frefrf'nseitiorer Freundliclikt'it and g€lll^«
Samern Arbeiten und Handeln befiihigeu und heramsieiieu.
6. Die Arbeit soll einen Aosgleicii zwischen der körperlichen und geistigen
Thftt^keit bieten, eifttediend und belebend anf Aea Unterricht wiilEeo.
^ 7. Die Bchnlwerkstfttte iat dem Erzielwr tat beawren Erk^tnis des
Zög!in»:s iiöthiij: und zeichnet schftrfw den Weg vor, dra et seinen
Zögling zu tüliren hat.
8. Durch die Arbeit in der Schale soll dem Kinde früh Achtang vor der
Arbeit und dem Arbeiter eingeflISAt werden.
9. Durch die Arbeit adiaffen wir dem Kinde nieht nur geistige, londeni
auch materielle Vortheile.
10. Durch die Einführung der Arbeit in die Schule wird die «ociale Hebung
der Maj»8e augebahnt. Das zur Arbeit tüchtig gemachte Volk wird
den Aufgaben des Lebens selbstständiger nud selbetbewusster gegen-
über stehen.
Hierauf legte das Comitö für Pflege des Deutschen einen Bericht vor,
dessen Keniimukte folg-ende sind: Obwol das Coniit»'^ der-Ansicbt ist. das.s der
Unterricht mit dtr Muttersprache begonnen und <lie Einspraehifrkeit bis zu dem
Zeitpunkte eingehalten werden soll, da der Schüler geläuüg zu le^eu und die
Dinge «einer Umgebnng richtig anMsndrBcken vmteht, to m9g« dennoch in
Anbetracht des Umstandes, dass die Gesetze der verschiedenen Üuion-Staatra
nur die enuflische als rntt-rriclitssprachc gestatten, Pelnilen aber, in denen nnr
d( uts< h jirelchrt wiid, nicht zuläsaig sind, der Unterricht gloidizeitig in beiden
Laudessprachen beginnen.
Die Sehnlbehllrden mögen angedehts der Wichtigkeit der Elementardasse
für die Fondimng des Deatschen die Stellen der filementarlehrer als Ehren-
posten betrachten und dafür durch Anweisung möglichst hoher Gehalte die
geeignetsten Kräfte zu erhalten und zu gewinnen suchen. — Das Comit*' erklärt
zwar für sein Theü die Normalwörter-Methode für die beste, doch legt es der
Wahl der Methode keiiM zu gjoJSe Wichtigkeit bei, wenn die Elementailehrer-
stellen in obiger Weise besetzt sind. Man lasse die Lehrluftfte die Methode nach
ihrer Individualität wählen.
Ein Vortra<r des Vorsitzenden Schur i cht -Chicafro wies nach, dass die
Behandlung der vorcolunibischen Geschieht« und der altindischea Mythenschätze
in der amerikanischen Schale von großem erziehenden Einflnss sein mösste.
Die gehaltvolle Bede führte za dem Beschlnssy es sei im Sinne der Sdrarichtr
^^chen Darlegungen durch einen Ausschu.ss bis zum nächsten Lehrertage ein
für die Schuljuf^end berechnetes Gescliichtsbuch auszuarbeiten.
In der 2, Hauptversammlung referirte eine Dame, Fräulein C e 1 i a Dr.rntr-
Cincinnati, über den ,,gelegentlichen ' Unterricht, worunter sie die Belehruiife'
über allerhand wissenswerte Dinge versteht, „die im Lelircnrsiis nicht enthalten
sind". In der Debatte felilte es nicht an Stimmen, welche vor Verflachnng
warnten, aber die Mehrzahl der Redner erklärte ihre Freundschaft zu einer
liChrweise, bei der es sich wol weniger um die Aufstapelung einer bestimmten
Summe von Details handle, als vielmehr darum, eine Anregung zu eigenem
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Nachdenken und Beobachten zu geben, den Kindern (Teschiuiick an guter Lec-
t&re and nutzbringender Verwendung der freien Zeit beizubringen. In diesem
Sinne waide Midi eine Beaolation bMddoflwn.
Für mitere Kreise d&rfte noch die Erwühnong eines in der 3. Versamm-
lung vom nnnmchri^en Redactenr des Rnndesnrg-anes. der ,,Erzie]iung8-Bliitter'",
erstatteten IJeric hts von Interesse sein, weicher das amerikanisdie Kindprgarten-
wesen zum (iegeustande hatte. Hailmann-Detroit constatirt« das erfreu-
licfae Factum, daas jenseits des Atlantic die FrSbetsaehe erfirenUche F^rtsehiltte
macht, welcher von den deatschen wie englischen Elementen gleichmäßig herbei«
gpfnhrt wird. Dort und da entstehen nanüiafte Vereine, welche eine wirksame
Propaganda zu Gunsten der Kindergärten entfalten, z. H. die Bostoner American
Fioebel Union, welche die Schriften FrSbels wacker verbreitet. Damit dem
Lichte jedoch ancb der Schatten nicht H^e, mnirte der Beriehteratatter aneh
des ümstaades erwfthneo, dass Versndie gemacht wefden, die KindetgSrten in
den Dienst des rdigilfsen Dogmas m stellen.
*
Es ist heb Tollstbidiges Büd, das wir hier yon den Arbeiten des 13. dentsdi-
amerikanischen Ldumtages entworfen, aber auch die wenigen Striche werden
erkennen lassen, dass auf dem jung-fnlnlicli»Mi Boden des freien Amerika eine
Saat zu koinien ber^innt, deren Samen aus Europa liiuüberKeholt wurde, nnd die
dereinst dem duiclt keine nationalen Zwistigkeiten gest4)rten freien Vulke zuiu
Segen gereichen wird.
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K«€hriolitei und Glossen.
In der Schweiz erfolgte am 26. Novbr. d. J. die Volksabetiiomung über
dea BeschlnaB Bnndeantha Tom 14. Jmii betreffimd die ataatliehe Leitnng
d«s FiiBiinmtenichts uod die Ansteüiuig eines eidgenOeriicheii Scholsecrelftn.
Das Resnltat war höchst tmerfireolich, indem die Propositionen des Biindesraths^
mit 301352 gregen ir)7'221 Stimmen abjrelehnt wnr«L'ii. AlliMii Air-oli-Mm' naoh
hat die Coalition des besohrankteu Kantönligeistes mit dem uubescluüukteii
Ultniuiontauismus den fortschrittlichen Plan des Bandes zu Falle gebracht
Verlftnfig ürt aleo den in der Celtnr znrttdtgebUebenen Kantonen der Schweis
die Antonomie des Unventaadea gewalirt. Anf wie lange? —
Der ungarische Unterrichtsminister hat in einem Erlass die Lehrer
anfgefordert, gegen da«! nnmiiCicrc Branntweintrinken, welches namentlich
unter der slovakischen, ruilienischeu und rumSlnischen Bevülkernns: in btMlr<>h-
lichem MaUe um sich greife, mit allen Kräften anzukämpfen, sowol im ScLul-
nnterrichte als im Verkehr mit dra Erwadisenen. -~ Dto Litention des Mini*
sters verdient alle Anerkennung, und die Lehrer werden nebst all ihren an-
deren Oblicif. nlieiten wol auch noch eine neue nach Knlften erfüllen. Aber
bi'trctfs der Truiiksncht werden sie allein nicht viel ausriclitcn, 7,umal viel»-
Branntweiutrinker ihre Kinder gar nicht in die Schule schicken und wol auch
in eigener Person deaBekehmngsversnehen der Lehrer schwer angänglich sein
dürften.
Ans einer Provinz Preußens erhalten wir folgende Mittheilung:
all. wo ein .strebsamer' Kreisschulinspector regiert, haben sich die Landlehrer
wie die Schafe zusaninient reiben lassen, um bei den kin liHchen und politischen
Wahlen nach dem Willen des hochmügeuden Herrn zu stimmen.*' — Eine
lifihne Erweiterung des Thierreiehes, die man selbst dem strebsamsten Sehnl*
inapector kaum zntranen sollte. Wenn schun die Weisen des heidnischen
Alterthums die Achtung der ^fenschenwürde, selbst im Kinde, proclamirten, s<)
sollten docli wnl attch christlich fromme Schalinspectoren ihre Lehrer nicht wie
Sciiafe behandeln.
VeranlwortUchcr Kcdacteur: M. 8u>in. Bacbdructcrni Juliu» Kltiikhardt, LeiiwiK.
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IKe Wie1iti|;keit der Ideenassoeiation für die PIdagogik.
Von Dr. Mohr-WürJ^urg.
U nsere Deiiktliätigkeit vollzieht sich bisweilen in Form logischer
Schlüsse, häufiger aber nur in Ideeuassociationeu. Kein Mensch besitzt
eine Gedankenwelt, die allenthalben logiseh klar ausgebaut ist; viel-
mebr liestelit der Inlialt onseros Qdates zumeist ans verwebten Ge-
dankencomplezen, die sich so, wie sie historisch entstanden sind, ab>
gelagert haben, und nur nach mancher Seite hin ist der logisch streng
Schlieflende Verstand durchgebrochen und hat ihren Zusammenhang
zerrisseu. Allen ZufiÜlen der Er&hrung und allen Vomitheileii sind
wir bei mangelhafter logischer Controle des Verstandes preisgegeben,
und so leideii wir fhst alle an gar manchen fiist nntrennbar geworde-
nen Ideenassociationen, die, ohne durch ein höheres Bedttrfiiis gerecht-
fertigt zu sein, aller Logik spotten. Welche Macht muss nun erst bei
nnentwii^elten Menschen, in denen die Thfttigkeit des Denkvermögens
kanm erwacht ist, die Ideenassoeiation besitzen! Offenbar lilsst sich
hier hauptsächlich nur durch Segelung der Assodationsbildung mit
Hilfe der Gewohnheit, der Anune der Erziehung, etwas erreichen.
Die Gesetze der Ideenassoeiation lassen sich auf zwei zurück-
führen: auf das der zeitlichen Gemeinschaft und das der Gleichheit
Dem ersten zufolge suchen alle zeitlich zusammenhangenden Vor-
stellangen einander heiTorzurufen, mi'^^en sie nun plciclizeitig gewesen
sein oder dne zeitlich ablaufende Keihe gebildet haben. Hat man
öfters einen Bettler mit einem Hunde gesehen, so vermisst man, wenn
man später nur eines dieser Wesen wahrnimmt, das andere. Ein paar
T«jne eines Liedes, das man frülier gehört hat, erinnern sofort an
das ganze Lied. Das zweite Gesetz drückt aus, dass eine Vorstellung
Hi'if tViilierp gleiche wiederzubeleben sucJit. ?Iat man eiü Kxfmplar
einer seltein ii Pflanze einmal lietrachtet, ^o erinnert ein zwei(es .sofort
an jenes. Üride (li-.-^t, tze krauen sich vereiniireTi . iüdeni eine Erschei-
nung zunächst eine gleiche und dann die mit Uicöeu zeitlich zusammen-
Psdigogiiua. A. JAhrg. HtA IV. 14
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hängenden erweckt. Acht4ät man bei der Betrachtung einer Pflanze
auch auf das Terrain, welchem sie ansrehort, so wird man durch eine
zweite seihst wenn ihr Standort i in anderer ist, an den der ersten
mit ( riiiiii'i t. Kiu Fall lu > umIhh r Wrkrmpfunfr beider besetze ist
die Association nach der Aljnliclikeit : ähnliche Erscheinung-en infen
einander hervor, indem zunächst das Gleiche durch das (bleiche und
sodann die mit dem Gleichen zusammenhänfrenden be^<«nderen Zfi^e
erweckt werden. Sieht man eine Pflanze, die einei bekannten ähnlich
ist, 60 fallt zunächst das Gleiche, z. B. der Blüte auf. «lie damit ver-
bundenen Besonderheiten aber lassen das Ganze nicht gleich, sondern
uui- ähnlich erscheinen.
Diese Thatsachen sind für die Pädagogik von großem Werte.
Schon die niedere SchiübUdiiiig betrachtet das „ geistlose Aaf*
sagen" von Memorirtem, d. h. die MoBe Beprodnction des nach dem
GeBßiii der Gleichheit nhd der zeitlichen Oemeinschaft Assocärten
nicht als ihre eigentliche Aufgabe. Nicht durch mechanische Nach*
ahmung wird der Geist geweckt and gefördert, sondern dorch Anf-
mnnterong zur Sdbstthätigkeit Indsm er Ähnlichkeiten au&ncht,
natOrlieh anfangs nnr in Bingen, wo eine klare Anschannng mdglich
nnd nicht durch compUdrte oder gar ahstracte Verhältnisse der Über-
blick erschwert ist, wird das Prodnctionsvennögen rege nnd kann
sich entfiilten. Gewiss soll der Geist nicht zn firflhzeitig oder vor-
wiegend auf die gleichen nnd Ähnlichen Verknfipfhngsforroen des Mannig-
fachen gerichtet sein. In erster Linie sind die concreten Thatsachen
in ihrem ganzen Zusammenhange nnd dann erst die allgemeineren
Ähnlichkeiten der Dinge zu beachten. Vernachlässigt man ersteres,
so wird sehr bald das Gedächtnis in demselben ^laße, als es sich für
die allgemeinen Beziehungen zwischen den Dingen sch&rft, för die
concrete Reihenfolge der Erscheinungen und Vorgänge schwächer wer^
den. Vernachlässig^ man aber letzteres, so wird man zuletzt einen
verwickelten Thatbestand nicht einmal mehr festhalten, geschweige
denn veretehen können, da man nicht die herrschenden allgemeinen
Gesicht«!puiikte. die auf der Beobachtunp: der Ähnlichkeiten beruhen,
aufzufinden gelernt hat, wodurch allein eine Übersicht möp-lich wird.
Daher sind Prtanzpnbp5?timmungen für den jugendlichen Geist ungemein
bildend, da er hier auf dem Weg'e der Anschannng Älmlidikeiten auf-
zusuchen und unter be&tinnuit ( lassen zu bringen hat.
Ähnlich, aber scliwiei i j» i- sind sprachliche Übungen; denn be-
stimmte Fälle unter dein An- liein nach ganz willkürliche und logisch
oft schwer unterscheidbare formen des Öpracbgebrauchs zu biingen,
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ist ein sehr abstractes and oft wegen des ZusanuneiiflnsseB mehrerer
etnachläglicher Regeln sehr complicirtes Geschäft, das anfiiiigs, eben
weQ es mit der Welt der wirklichen Dinge direct nicht zusammea-
hftngt, nur dorch Weckung des allgemeinen Wissenstiiebes Interesse
einflöfit. Man mnss aber hier, und noch mehr in realen Disciplinen,
nicht nui' eine Überladaag des Geistes mit Kenntnissen, die bloßer
Memorirstoff sind, sondern auch ebensosehr eine Überanstrengung ver-
meiden, um nicht die Productionskraft zu ersticken. Mangel an Pro-
dnctionskraft im weiteren Sinne dieses Wortes ist das charakteristische
Merkmal der Dummheit. Sie kann die Folge einer Vernachlässigung
von Seiten der Natur sein, aber ebensogut auch die einer verkehrten
Bilduno^snietliode, die sieh lediglich an die Assimilationskraft der au
die Schulbank gebannten Jugend wend^'t. II uiflg ist die Dummheit
nur ?eisti£re Beschränktheit, die vermöge UMiiiinstig-er äußerer Um-
stände nicln über den Baauki'eis einer Hrmli< ln'ii Vorstellungswelt
liinansgekommen ist und nun vor jeder neuen, freitideii Idee, mag sie
auch noch so einfach sein, stutzt oder überliaupt lui- alle coniplicir-
tereu uud abstracteren Verhältnisse kein Verständnis hat. Die Dumm-
heit zeigt sich als geistige Unbeholfenheit, die in der Schwerfälligkeit
der Association ihren (Tiiind hat, wie sie sich in dem Unvermögen,
eine Anzalil znsanimenu:ehr)riger Dinge rasch zu erfassen, festzuhalten
und schnell zu reproducii'eu, kundgibt, also vor allem ni ikm ^laugel
au Auflfassungskraft und Schlagfertigkeit. Vorgebeugt, beziehentlich
abgeholfen kann dem Übel nur werden durch gi'ündliche Schulung der
jugendlichen Geister, namentlich dnreh Einleitung asahlreicher vad
correcter Gedankenassociationen.
Der PSdagog vermag nichts ohne Antorität Wie im absoluten
Staate betrachtet man auch in der Schule die Disciplin als ein Hanpt-
effordemis« Häufig fiiast man sie sogar nicht als ein Mittel zum Zweck»
sondem als einen Selbstzweck auf> Vielen scheint nicht der Bespect,
sondern nur die Furtht zu genügen. Aber zur Entfaltung der Geistes-
krlfte gebOrt eine gewisse Freiheit, die man gewähren mnss und
kann, sobald die Autorität gesichert ist Lust und Interesse sind die
p^chischen Hauptbedingnngen der Bildung von Ideenassodationen.
Das ist eine unumstößliche psychologische Wahrheit. Wird der Schul«
zwang nicht als unerbittlicher und nachdrücklicher Sporn des Bildungs-
triebes, sondern als druckender, lähmender Alp empfunden, so liegt
die Gefahr nahe, dass sich die Freiheit des Geistes auf Nebenwegen
zum Schaden der noi malen Entwickelung Bahn bricht. Sehr interessant
sind darum für den Pädagogen Beobachtungen der Jugend, wenn sie
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sich frei weiß, besonders da, wo sie unzweifelhaft mit Lust ihren Geist
bethätigt: bei Spielen. Hier offenbart sich immer das ganze Naturell
des jugendlichen Chai*aktei's deutlicher als in der Schalstube. Wie oft
kommt es vor, dass ein Individuum, das in der Schule als vollendeter
Dummkopf gilt, hier Geistesgewandtheit, Lebhaftigkeit der Gedanken-
a^sociation und selbst einen gewissen Scharfsinn bekundet! Sollte dies
nicht manchen Pädagogen rerauJa-ssen, die Hand aufs Herz zu legen
und in seinen ürtheilen über die Fähigkeiten der Schüler vorsichtig
zu sein? Zwn weni«rsten ist danach zu streben, in der Schule selbst
ein Gleichgewicht zwischen dem Respect vor der Ant' iität und der
Kr» ilicit des Individuums herzustellen. In der Ven iiii^unL'' und Aus-
l_''l* ir!iunfc dieser beiden (iegensätze zeif^^t sich (ier Meister. Die&e Ver-
einigunii- und Ausgleichung- ist aber Sache des pädagogischen Tactes
und des praklischeu Geschickt.s, die durch das tiefste theoretische
Verstäüdiiis nicht ei*setzt werden kuiau n. Darum gilt in der That in
der Pädagogik das Wort; Die Erfahrung ist die beste Lehrmeisterin.
Aber die ICi luhrung wird wertvoller, wenn sie nicht von der urwüch-
sigen, blindlings zusanimengeraftten , nüt herkömmlichen Vonirtheilen,
traditionell vererbten Redensarten und kmzsichtigeu Maximen durch-
setzte Psychologie des naiven Bewusstseins abhängig ist, sondern von
einer wissensdiilllieli gelftoterten Kenntnis der psychischen Welt Nur
dttrfen Psychologie und Pftdagogik nicht emander fremd hleiben, sie
mOssen viehnehr in lebendiger Wechselwirkimg za eina^ider stehen.
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^ Eine Schnlrede anf dem Mtinchener Rathhanse 1780.
Beitrag aur Geschichte <les l'nterriclitswesens im 18. Jahrhundert.
Von Dr. MuggetUi*4Uer-'Mündun.
L
OfT alte Kaiupt der beiden Schwerter, des geistlichen und des
vveltiichen, ist auch heute noch nicht beigelegt; im Grunde bildet er
vielmehr das Thema der Weltoreschichte, und wenn als abschlieiiende
Versöhnung am Ziele der Zeiten Kin Schafstali und Ein Hirt in Aus-
sicht gestellt ist, so haben wir heute kaum das Gefühl, dieser idylli-
schen ünitormirunfi: schon nalie zu sein. Auch Görres, sonst vieles
glaulh-nd, g-lanbt^ dies nicht, wenn er sterbend der Welt zum Ab-
schied sa^te: „Der Staat regiert, die Kirche protestirt." Kiu ZLl^talid
uder eine Praxis, mit der freilich der Stifter der Friedensreligiou selbst
sich kaum einverstanden erklären ▼Qrde; verwies er doch so deutlich
auf die Theorie halbirender Vermittelimg in dem 8eh(inen Mahnwoite:
don Kaiser m geben, was des Kaisers, und Gott, was Gottes ist Ein
W(tartch6D, Aber welches das Gras Ton mehr als 1800 Jahren gewachsen
ist, mag nun aUndings schon ans dem Gedächtnis geschwunden sein,
nnd jeden&Us ist es eine geschichtliche Thatsache, dass von jeher der
sanfte Johannes und der streitbare Panlns nm die Vorhenschaft auch
imerhalb der Kirche rangen, und dass letzterer fut immer die Ober-
hand gewann and dami die Streitaxt anch gegen den Staat kehrte,
Za den verachiedenen Streitobjecten gehört namentlich die Schale;
der «junge Schnlherr^ Staat nnd die „alte Schnhnntter'* Kirche machen
sich gegenseitig dsa EÜgenthnmsrecht an der Jagend streitig, und
schon die Zähigkeit nnd Heftigkeit des Kampfes lässt auf ein tief-
liegendes Motiv sohlfe^^en. Anf den Schultern der Jugend ruht die
Zukunft — sagt der Bector zum schmeichelhaften Abschied den Abitu-
rienten; nur mit der Jugend hat man auch die Zukunft und damit
die Weit in der Hand, und gründliche Pläne und Versuche jedweder
Brobening setzen immer bei der Jagend ein, mit den Alten ist nichts
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mehr anzufangen. Kinder sind noch nicht fertige, noch nicht heetunmte,
flondern bestimmbai'e Menschen, aus ihnen ist noch alles zu machen,
daher der ronsseaukranke Weither Goethes, dem alle Determmirtheit
nnd Selbstdetemiiiiiniug ein Greuel ist, gerade in den Kindern noch
die reine, allem pföngliche Natur ehrt und sie küsst, „auch wenn sie
ein Rotznäschen haben"*. Dass nun die PotenziaHtät, welche die Natur
im Kinde gibt und bietet, zur Actualität gerufen werden muss — wie
Aiiftotples sagren i;^iirde — dass also das Kind gebildet, erzogen werden
muss, darüber sind sich aiieh jene br iden streitenden Theile klar. Aber
das Wozn? ist der streitij^e Pnnkt, der von iJittes trefflich präcisirt
wird: ,.I)er Lehrer ist Pädagog, der Planer Theolog.** Dem Staate
muss es um harmonische Ausbildung aller im Menschen iie^^endcn An-
lagen, eben um Humanität zu thun sein; die Kirche aber will mit j»rin-
cipieller nnd ein^eifiyer Accentnimng des religiösen, ja conlt\-^>ionellen
I'lniit-nts getreue Kmdei', Gläubige sich eraehen. W'i.^sen und Pa-
triütiümui» gehen nur nebenher; daher denn auch das tiefe .Schweigen
über die Nothweudigkeit specieller Geistesbildung in jenen Zeit^jn, wo
die Kirche, im Centrum d^ Vßlkerdaseins sitzend, (ttr ein Jenseits
erzog und mit ihrem credo quia absurdum die Stufenleiter mensch-
licher Geistesentwickelung und Cultui' umstürzte, den Verstand mit
seinem Wissen zu miterst stellte und den zu oberst stellenden „Armen
im Geiste** selig pries.
Clemens Alezandrinos preist einfach die Kinder als die „Blmnen
des Ehestandes", nnd ftber ein Jatartanaend verging, bis die gesonde
Grobköniigkeit im Kirehenrocke, P. Abraham a St. Clara, beifügte:
„Gat, aber die Blumen müssen mozAnnet werden mit Bnthen nnd
Stecken, sonst kommt eine jede San darfiber.* Damit war wenigstens
anf die Nothwendigkeit einer pflegenden Gftrtnerhand hingewiesen;
aber diese piegende Hand selbst fehlte noch, nnd das Blfimiein des
dentschen Kindes konnte schon deshalb nicht gedeihen, weil es nicht
in dentsches Erdreich seine Wurzeln senkte. „Ifan gruVs mit allen
den Würzlein ans, nnd trog's an einen andern Ort, da grünt es nicht
weiter nnd blüht nicht fort**, mOchte man, Goethe modifldrend, sagen.
Die Schnfirbmst des scholastischen Latinismus, der nach dem Lehr-
plane der Jesniten die ausgesprochene Absicht hatte, „die Jugend Ar
die Zwecke der alleinseligmachenden Kirche zu erziehen", machte
selbst im Hörsaale der Hochschule, in der Brust des Gelehrten einen
echt deutschen Athemzug lange unmöglich, und noch 1709 kann z. B.
H. A. Francke klagen: „£s gibt wenig studiosi theologiae, die einen
deutschen Brief irecbt orthogiaphice schreiben können.'' Friedrich
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der GroBe nannte d«i dAOUiJjgen Kanzleistil „etwas verteafeltes", er
selbst sorgte als Frotector franzSstrender Verbüdnng fttr die Unter-
drUekung alles dentsehen Wesens. Ekhof , dem Vater der deutschen
Scbanspidkunst ond Zeitgenossen Lessings, wird spedell zum Rahme
angerechnet, dass er nicht blos mit eigener Namensunterschrift seine
Gage abzuquittiren imstande war, während die übrigen Schaospider
mit dem Kreuzlein des Analphabeten abqoittirten, sondern dass er
sogar orthographisch schreiben konnte.
Von wem siollte das deutsche' Kind damals auch deutsch lernen?
Vom „ Schullehrer nicht, denn einen solchen ^nh es noch nicht in
einer Zeit, wo zwar Lessing, Schiller und Goethe schon am Eingange
standen, ja am deutschen Bildungswerke bereits arbeitet<»n, von einer
Vorbildung der Dorfschulmeister aber noch keine Rede war, die Schul-
meisterei \ielmelir nur als ein „bloßes Zubehör des Küster- und Messner-
amtes" l)etrachtet wurde; galt es doch schon als eine sehr belang-
reiche \>rbesserung, als z. B. die würtembergische Kirchenordnung
fl750^ bt -uinmte; ..Damit sich die Schulmeister dem Schuldienste besser
widmen können, >oll( n -sie vom Biittpl- und Fbirscliiitzendienst frei
>eiii. als welcher weiier dem mnraliseiicu Ansehen noch der Berufs-
erlülliing eines Schulmeisters souderlicli zuträglich sein kann." Ein
kurlüi-stlich brandenburgisches Patent vom Jahre 1740 verordnet:
„Zu Küstern und Schulmeistern dürfen auf dem Lande außer Schnei-
dern, Leinewebern, Scimiiedeu, Kademachern und Zimmerleuten keine
andern Handwerker srenommen werden", und noch im Schulplan von
1736 heißt es: „Ist der Sciiulmeister ein Handwerker, kann er sich
ohnehin nähren; ist er keiner, so wird ihm erlaubt, sechs Wochen
des Jahres auf Tagebhn sa gehen.^ Elattich pflegte daher su sagen*.
qWer das Weltglück haben will, der muss Forstmeister oder Stall-
meister werden, nur nicht Schulmeister.'* Sechs Wochen des Jahres
auf Tagelohn! Das waren die Ferien des Schulmeisters im 18. Jahr-
hundert, und ein Blick auf diesen verflossenen CoUegen kann den
Scholmeist^ des 19. Jahrhunderts wol etwas tröstlich stimmen, ob-
gleich hente nach hundert Jahren gepriesenen Fortschritts dem Schul-
lehrer der Korb nicht viel niedriger hängt «Essen ist die groBe Noth
der Weif*, sagte schon Fischart im 16. Jahrhundert, nnd ein andere
mal meint er: «Erst der Magen, dann der Kragen, dann die Ideale."
Beim SchnUebrer scheint man indes diese normale Leibesconstitntion
des Menschen nie vermnthet zu haben. Wfire nach Schopenhauer die
Menschengeschichte nur „der lange, schwere mid verworrene Traum
der Menschheit'*, so würde auch der Schulmeister mit andern Menschen-
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kindem sich glftcklicli gefühlt haben, da e» sich eben nur um einen
„verwoiTenen Traum" handelte; so aber sWren in der Tbat Hunger
nnd Durst den Menseben beständig ans diesem Traome und bringen
ihm das Leben erst recht zu hellem Rowusstsein. Schopenhaner selbst
fasst sein Princip als „hungriger Wille zu leben'*, und insofern sind
freilich die Schullehrer sämmtlich Schopenhauerianer, denn ^Heißhunger
ist die Schulkrankheit, welche Lehrer haben", sagt Jean Paul; er
konnte es wissen, er war selbst Schulmeister und stand als solcher
,.M*el von dem ans. was man im Leben un.freheizte Öfen und einen
iinfresatrio-ten Matrt n nennt"; ..selbst die schwarze Suppe als Mittag-
stürk isst der Schulmeister erst, nachdem er stundenlange actlve
Prügelsu])i>en aus<retheilt."
Dass unter soldieu Umst;!n<|pn von einer Miilienden Vitlksschnle.
von einem rechten deutschen Llementaninterrielite niclit die Kcde sein
konnte, ist selbstverständlich. W ar es ja doch, als ob der Deutsche
überhaupt gar nicht deiitseli zu reden brauchte, ja sich seiner Mntter-
spiacLe schämen müsste. Als Thomasius 1688, mit allem Bestehenden
und Hergebrachten brechend und seine Schiffe hinter sich verbrennend,
eine \'orlesung in deutscher Sprache ankündigte und die Ankündigung
selbst in deutscher Sprache an das schwarze Brett anschlug — ».vor-
her war dasselbe noch nie durch die deutsche Sprache entweiht wor-
den", bemerkt ironisch sein Biograph — , da lud er durch diese Ketzerei
den ganzen Hass der alten Gelehrtenzunft auf sich, nnd als einige
jüngere theolegiadie Docenten zn Leipzig später in Untersnehong ge-
zogen wurden, da bildete der Umstand, daes sie & la Tbomasins Toi^
lesongen in deutscher Sprache gehalten, einen Hauptanklagepunlct
Die „Wiederherstellung der eigenen Hnttersprache in ihre Bechte**
erklärte Thomasius selbst als Lebensprogramm, nnd obwol den Wert
der altclassischen Sprachen anerkennend, wollte er doch das absolute
Begime derselben stiirzen, denn „viel ungegrQndet und unnütz Zeug
werde mit lauter Latein in die Oemflther der Lehrlinge eingeprägt.^
In gleicher Weise verlangte Leibniz eine Beschränkung des lateini-
schen Unterrichts, mahnte „nicht so viele Zdt mit bloäem Lateinredeu
zu Terbranchen*S — aber alles umsonst! In Pommern schärfte 1700 eine
Kirchenordnung ein: ,.Die Praecei)tores sollen mit ihren IMscipuIis alle
Wege lateinisch und nicht deutsch reden, als welelies an sich leicht-
fertig und bei den Kindem ärgerlich und schädlich ist.'' In Olden-
burg wurde 1703 ein altes Schulgesetz erneuert, welches verfügte:
„Die Schüler der 1. Classe sollten in der Schule, außer der Schule,
in der Kirche und an allen Orten Uiteinisch sprechen nnd, wenn sie
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«
dagegen handelten, gestraft werden.** Und wenn man sich da nnd
dort mit Thomasins nnd Leibniz fftr eine Bedadrnng des lateinischen
and griechischen Unterrichts anssprach, so geschah dies nicht, nm
dafür die Muttersprache zn Ehren zu bringen, sondern anfe Leben
beifiglicbe, sogenannte praktische Eenntnisset besonders Religion und
Iforalitas" noch stftrker zu berficksichtigen. Selbst der berOhmte
Qothaer Gdehrte und Staatsmann V. L. von Seckendorf sagt in seinem
»Christenstaaf*: „Ein großer Yortheil wftre es, wenn man mit Er-
sparung rider anderer, oft sündlicher und eiteler AniFwendung nnd
Kosten gar andeie Schulen für die Kinder insgemein, zur Lemnng
der dorchgehends noth wendigen Stücke, sowol in catechesi als wegen
Lesens, Schreibens und Rechnens, und wieder andere Schulen für die-
jenigen hielte, die beym Studiren bleiben wollen. In jenen gemeinen
Schulen sollte gar kein Latein oder dergleiclien etwas gelehret, hin-
gegen viel mehr von der Religion und der Gottseligkeit und guten
.Sitten getrieben werden; aus solchen gemeinen Schulen kennen dann
christliclie und nützlicli unterwiesene Hanswirte und auch Soldaten
hervorgehen, denn diesen allen ist das Latein, so sie in den Sclmlen
erschnappen und darülter die Zeit mit Yersänmniss mehrerer und nötlii-
ger TTifoi niati(»n m (rottes Wort und ehrbaren Sitten verdrießlich hin-
bringen, mcUls niii/ Fast ein volles Jahrhundert hindurch blieb
Leibniz' und Thumasins" Fdi'derunjr uiifjchört. Selbst die berühmte
sächsische Füi'stenschule Ptorta Iiielt alle Ausarbeitunp:en in deutscher
Sprache in stolzer Classicität ferne bis ins 19. Jahrhundert, und in
dieser Schule wtirde Klopstock erzo^ren, und der kUnftisre Reformator
der deutscheu Sprache und Literatur niusste als scheidender Abitu-
rient seine so warm aus deutscher Seele gesprochene Rede lateinisch
halten. Auch Goethe, der nie eine Volksschule besuchte und doch
mit gerechten Stöbe Ton sidi sagen konnte: „Eines bracht* ich' der
Heisterschaft nah' — deutsch zn schreiben", ttberarbeitet Shnlich wie
Schiller, Klopstock u. a, seine Doctordissertation „mit einem tttchtigen
Lateiner^ — wie er sagt — und wie wenig er mit seinem deutschen
Herzen bei der undentschen Sache war, gesteht er selbst in einem
brieflichen Sedzer an einen Freund: „Da draußen lassen die Straft-
borger Jungen ihre Drachen fliegen, ich aber sitze in dumpfer Stube
nnd pOssle an meiner lateinischen Dissertatio."
Heute ist die Hochschule der Hort der Wissenschaft, der freien
Winenschaft, damals aber war von einer solchen nicht die Rede^ denn
„das Gesetz der Trägheit ließ auch auf den Universitäten den alten
Schlendrian selbst dann noch fortbestehen, als durch Männer wie
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Thomasins, Fi«iicke n. a. und durch die Stiftung* neuer UniTersit&ten
in einem freieren Geiste der Anstoß snm Besseren gegeben war"
(Biedennann). Die Lässigkeit nnd Beqnemliehkeit der Pn>fessor«n,
grober Eigennutz nnd der beschrSnkte Pedantismos, der das Wissen
lediglidi als eine Sache todter Oelehrsamkeit betrachtete — das waren
sehwer zn Überwindende Hemmnisse einer gedeihlichen Entwickelnng
des Universitfttswesens. Der Theolog CaipxoT, ein Zeitgenosse Speners»
brauchte ein volles Jahr znr ErklSrnng der mten drei Gapitel des
Propheten Jesaias; ein anderer verwendete volle vierzehn Jahre zur
Erklärung Virgils; nicht selten reichte daher die ganze Studienzeit
nicht hin, eine Vorlesong zu Ende zu hdren; „andere Professoren
täuschten das Interesse ihrer Zuhörer auf die entgegengesetzte Weise,
indem sie in jedem Halbjahr neue Vorlesungen ankündigten, sich auch
dafiir bezahlen ließen, aber die angefangenen nicht zu Ende führten".
Alle Regierungsrescripte, die zur Abstellung dieses Missbrauchs (z. B.
in Wittenberg 1728, 1735, 1740), besonders auch von wegen der tiber-
mäßig langen Ferien (!) ergingen, waren erfolglos. T»<-r Nepotismus
spi»']T»' auf den Universitäten eine bedenkliche Rolle; J. J. Moser ward
da hu Ii von Tübingen verschenclit („ich hatte dem Herni Kanzler
Pfali dreimal al)geschlagen, eine Person aus seiner Freundschaft zu
heiraten: das ließ er mich eudlieh entgelten", J. .7. Moser in seiner
..Lebensgeschichte, von ilim seihst beselirieben" S. 17"»: von Leipzig
i>l bekannt, dass dort die Carpzovs ein förmliches Familienmouopol
der Lehrstülile tTir ihre zalilreiche Sippschaft hatten; und Gottsched
erzählt aus seiiK i akadtiniiacheu Krfakrung, wie ia Leipzig, gegen
die Ansicht der eigentlichen Anstellungsbehörde, durch einen wieder-
holten unmittelbaren Cabinetsbefehl jemand zum Professor in einem
Fache ernannt wurde, der selbst eingestanden, da^s ihm die Be-
fähigung hiezu fehle. Der Hörsaal des nicht dictirenden Professors
blieb leer; „schwarz auf weiß" wollten die Studenten die Lehrs&tz^
des Professors nach Hause tragen. Dieser geisttödtende Formalismus
verscheuchte natOrlich alle lebendigeren Köpfe ans dem Hörsaale; da-
her der 8tndent Goethe den Besneh der Vorlesungen alsbald einstellte,
um bei Leben und MUdchoi in bessere Schule zu gehen, und Lessing yer-
fbhrte von der Schwelle des Hörsaales weg seine Committtonen zn einem
gesünderen Spaziergang. Dieselbe Undeutachheit wie in den Schulen
heiTschte im Leben, im öffentlichen Leben; die Franzosen beherrschten
BtUme und Salon, Lessing hat in seiner Hamburgischen Dramaturgie
die Entscheidungsschlacbt gegen diesen deutschen Erltfeind geschlagen,
und wenn man damals, wo die Gebfldeten Deutschlands französirt waren
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und Voltaire mit anf dem preußischen Throne safl, im Salon nicht
deitedi epreehen durfte, um .nicht ungebildet zu erscheinen, so bat
Lesaing in seiner deatscben „Minna t. BanÜLebn" dieses Framsosen-
thiun in beiBendster Satire illustrirt im Glttcksritter Biocaut, der die
deutsche Sprache für ein „arm Sprak, ein plump Sprak** erkUrt und^
sieh yerwondemd, dass Ifinna nicht französisch rede, von dieser lareff-
lich heimgeschickt wird: „Hein Herr, in Frankreich wttrde ich fran-
zösisch za sprechen suchen. Aber wamm hier? I(^ hOre Ja, dass Sie
mich verstehen. Ünd ich weide Sie gewiss auch yerstefaen. Sprechen
Sie also, wie es Ihnen beü^f* (TV, 2). Die Berliner Polizei verstand
Lessing und verbot die Aufflkhrang des Stücks; als aber dasselbe in
Leipzig, Hamborg, Wien n. s.f. mit Begdstering aufgenommen wotden,
^ musste man das zodringUche deatsche Fräulein auch in Berlin
über die B&hne gehen lassen, und zehnmal nacheinander verlangte man
dasselbe 'zu sehen.
Gerade auf dem Hintergrunde ihi-er undeutsclien Vorbildung, der
ündeutschheit ihrer erziehenden Umgebung treten die (Jestalten eines
Klopstock, Lessing, Schiller, Goethe desto stärker, weil originaler
heraus, und das macht sie eben zu unsterblichen Helden, weil sie rler
Zeit mehr gaben, als sie von ihr empfingen, ja einer undeutschen Zeit
ihre Deutschheit wieder zurückgaben; wir nähren uns noch heute von
den Brosamen, die von der reichbesetzten Tafel dieser Herren fallen
und sind wol für lange noch die Kärrner, die zu thun liaben, wenn
die Könige bauen, ünd vdc sehr gerade dnrcli diese Heruen unserer
zweiten classischen Literaturperiode der deiusrlie Geist zu reger
Selbstthätigkeit erwachte und die Fessel dfs sdiolastischen Latinis-
mus abwarf, beweisen folgende Zahlen; < > < rsrliii uen:
246 lateinische, 116 deutsche Schriften
11)16 461 „ 270 „ „
1714 209 „ 219 „ „
1716 162 „ 396 „ „
1780 198 1917 „ „
Trotzdem arbeitet man noch heute, wo wir mit der angetretenen
Erbs^hatt schon lange wuchern, einem unmittelbar bildenden Einfloss
unserer eigenen classischen Autoren auf die lernende Jugend blind
eifernd entgegen, warnt z. B. die stndirende Jugend der Ifittehichulen
vor Goethes Werther, wo der «jAtheist^, der iJ^antheisf*, der „Feind
des Chtistenthums'* den Selbstmord predige nnd verherrliche; wie weit
wahrer, pädagogischer nnd heilsamer wSre es, der Kunst ihr Recht
werden su lassen, also das Kunstwerk kflnstlerisch aii&n&ssen und
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m sagen: wenn ihr es so macht wie Werther und mit euerer Phan-
tasiet in jugendlichem ünendlichkeitsdrange, eigensinnig und eigen-
willig foii»tflrmt, ohne die Schranken des Lebens zu respectiren, ohne
mit eorem Geiste thfttig, arbeitend irgendwo einzusetzen im Leben,
also in einem sog^nnten Berufe euch zu bestimmen, was alles Werther
nicht getban hat, dann ergeht es euch eben wie Werther, dann gdit
ihr zu Grunde» denn dies hat Werthers Selbstmord zu bedeuten.
Jedes Kunstwerk ist symbolisch, als Ganzes und in seinen ein-
zelnen Theilen; jedes Kunstwerk ist die sinnlich wahiiiehmbare Dar-
stellung eines Idealen, und wie der gothische Dom mit seinen spitz
zulaufenden Theilen und Theilchen die himmelweisende Tendenz des
Christentums den Sinnen wahrnehmbar machen, bedeuten soll, ebenso
soll — nach Goethes ausdrücklicher Erklärung — Werther nur die
plastische Darstellunpf der "Wahrheit sein, dass absolute Phantastik,
der Fiebertraum, als Einzelner das All sein zu wollen, der Tod des
Menschen ist. Goethe selbst hat diese Krankheit durchgemacht, aliei-
glücklich sich daraus gerettet^ und ,.du. irute St t le, die du eben «leii
Drang fühlst wie vr. lass das Büclilein dMin^n Fi-ennd sein , wt-nn
du aus Geschick odei- eitrener Sclmld kenu-n näheren inulen kannst",
lautet das Motto au der Spitze des Konians. Has ist iistlietische und
Efeschichüif he Wahrheit, und nur B»'>c:hrankilieit oder Fanatismus
k.uiu dieselbe igaoriren und es vorzielien, anstatt dem Kinde dem (t^-
brauch des Messers zu lehren, demselben die Jierilhrung desselben zu
verbieten; und das Kind rührt das Messer doch an, dieses noth wendige
Instrument der Cultur — der Wilde entbehrt es, isst mit der Hand
— und verwundet sich. Kaum sind es zwei Deceuiden, dass man den
17 — 19jährigen Gymnasiasten nicht mehr blos die membra disjecta
der classisehen Autoren unserer Literatur in einer pensionatsfthigen
Mustersammlung servirt, sondern, wenigstens das ganze Köi-perglied
eines Dramas u. dergL ihm vorsetzt» und als malvae levantes, als ver-
dauungbefördemdes Compot, eine entsprechende Commentimng und
Interpretirung daneben setzt Und wer hier der Erttcke bedarf^ dem
greift der Allerweltsinterpret Dflntzer unter die ArmOi Dttntzer der
z. B. feinsinnig meint, man sollte lieber sagen: „mit dem Gürtel, mit
der Haube reiBt der schöne Wahn entzwei''. Nach don Satz vom
gr&nen Holze mttssen sich dann freilich auch die blinden EÜferer gegen
einen „entchristlichenden" Schiller und Goethe zu dem ja gar wissen-
schaftlichen Verstämmelnngsgeschftfte doppelt berechtigt fühlen, und
in einer erst vor. einigen Jahren erscliienenen Auswalil von Classikem
für Gymnasien n. a. ist die Stelle in Schillers Glocke: «Die sie liebend
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ihm gebar** gestriclieii nnd dafür eingesetzt: „Denen Mntter sie stets
war**; natfirlidi deduüb damit der aehtzehiulUirige Gymnasiast ans
seinem naiven Glauben nicht £^e, von einem Storche hereinexpedirt
nnd nicht von einer Mntter „geboren" worden zu sein.
Wenn die Altväter unseres modernen deutschen Geisteslebens in
solcher Weise behandelt nnd verstümmelt werden, so ist dies nicht
blos eine unheilige Verletzong des Patriotismus, ein sündiger Versuch,
die Quelle zn verstopfen, aus der gerade uns Deutschen ein ganz
Europa imponirender BUdungsstrom geflossea ist und fließt, sondern
auch der Tod der Wissenschaft; denn diese wird dann zum platten
Referenten der Dinge in ihrer oberflächlichen Erscheinung, und dann
dachte auch jener Docent der Medizin wissenschaftlich, der seine Vor-
lesung begann: ^ Meine Herren! Die Schwann:ersch;ift ist eine Erschei-
nung, die anch den alten Griechen und Römern schon bekannt war»
wie uns weniL-^stens ihre Schriftstelh r berichten."
Angesichts solrher trüber Krsclieinungen kann nnr Guetlies Wort
trösten: ,J)ie Wt-li soll nun einmal niclit so rasch zum Ziele; immer
sind die rück. wart s schiaubendeu, retardirenden Dämoüeu da. so dass
ei zwai' im ganzen vorwärts geht, aber srlir lanfj^sam." Auch die
Ableitung des Wi.ssenso:utes und Bilciungsschatzes in die unteren
Schichten des sogenannten Volkes geht einen sehr langsamen Gang,
trotzdem bereits Goethe nnd Schiller die aristokratischen Sdn-anken,
die bis dahin dem literarischen Leben gesteckt waren, von innen
heraus durchbrochen und Literatur und Wissen als Gemeingut des
Volkes erklärt nnd behandelt haben. Wir meinen zwar, die Volks-
bOdmigsfrage werde erst von ans, heute richtig erkannt, und blicken
dann etwas stolz hinab auf andere Jahihnnderte; aJlmn schon die mit
Sitz und Stimmen ,,r6ckwftrts schraubenden D&monen'' in unseren
Bulainentai dfirften uns etwas bescheidener stimmen, nnd auch ein
tieferer Blick in das Torige Jahrhundert, den uns die in großen Zügen
zeichnenden Literatur- und Cnlturgeschichten nicht ermöglichen, kann
heute vor Selbstüberhebung schützen und gibt Antwort auf die
gewiss nicht unhiteressante Frage: wie stand es focUsch um Volks-
schule und Elementarunterricht, und wie dachte man theoretisch über
dieselben zn jener Zeit, wo bereits Lessing, Schiller und Qoethe das
deutsche Geistesleben in sein^ tiefsten Tiefen erschütterten und wol-
thuend aufregten?
u.
„Die Ursachen des Verfalls vom Ansehen der Schul-
lehrer in Bayern'' ist der Titel einer Bede, welche Ludwig
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Fronhofer, kurf&rstlicher H trat Iis- und Schuldeputation >>fretär
(später Mitglied der Akademie der Wisseuschaften), 1780 in München
hielt, „als in Gegenwart der kurfürstlichen gnädigst aiifge.stellten
gfeistlichen Rathsschuldeputation und der Abgeordneten des Stadt-
magistrats die hiesigen Trivialsclmlkinder den 16. September 1780
öffentlich auf dem Ratlihause beschenkt worden sind." Der Redner
beginnt gleich jganz andei*» als der heutige reactionäre Parlamentarier
am "Referentenpulte: „!^o oft ich den erhabenen <Tpflanken Schule
denke, ebenso oft ergreift mich ein heiliger, ehrfuichtsvuller Schauer,
beinrtlip dem gleich, den man fühlt, wenn man sich den geweihten
Tempeln der Gottheit nähert. Auch die Schulen sind T* ihi'pI. niid
die Lehrer der Schulen sind der Tenii)el Priester" i^varen aber danials
zugleich Schneider oder Leineweber). ,.im Heiligthume der Gottheil
versammelt sich eine ganze gläubige Gemeinde zum Gebete, von da
aus erwartet sie innerliche Salbung. Segen und die Erfüllung all ihrer
oft unzähligen Wünsche. In den Schulen versammelt sich die Hoff-
nung einer ganzen Nation, die Blüte des Menscheugeschlechts, deren
Ausreifung zur gesunden, dauerhaften, gemeinnützlichen Frucht Regent
uud Altar, der Haus\ater und die Hausmutter, der Feldherr uud die
Rathsversammlung, der Ritter und der Gelehrte, der Handwerker und
der Bauer (!) mit gleicher sehnsuchtSToller Begierde entgegensehen,
während der fleißige Lehrer wie ein emsiger Grftrtner des zarten
PflAnsdieii gehdrig wartet und wol fiberlegt, wie sehr von seiner
schOpferisehen Hand das kflnftige Wol oder Welie eines ganzen
Landes abhänge. Aas diesem Gesicbtsptinkte betracbte ich die Schu-
len, und so betrachtete sie schon lange vor mir die ganze vernünftige
Welt. Wie gerecht ist also meine Ehrforeht, nnd wie vieler, wie
grofier, beinahe nnbeschrlnkter Achtung sind diejenigen würdig, denen
dies wichtige Geschäft, die Erziehiing nnd Bildung der Jngend anver-
tränt ist!'* Dieses schöne nnd tiefe Verständnis von der Bedentnng
der Schule, des Schulunterrichts und der Lehrer, ausgesprochen vor
100 Jahren, kann heute wie eine Anklage klingen, wo der Eampf
um die Schule und um die Sehullehrer wieder so unheilig schon seit
Jahren entbrannt ist. Die Riickbemfung auf Anschauung und Stellung
früherer Zeiten in der Schulfrage wird durch diese Schnhrede sicher
Lügen gestraft Dass Fronhofer bei seiner Anschauung von Schule
und Schulunterricht auch dem Schulmeister eine finanziell gesicherte
und dadurch gesellschaftlich würdigere Stellung \indidrt, ist selbstver-
ständlich: „Aber ach! eben die. welche so viel Achtung verdienen, sind
gerade am wenigsten geachtet. Seit langer Zeit gehört ein großer
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Theü Ton ihnen nicht etwa unter den yomehmeren Bfirgerotand, nein,
sondern beinahe unter die geringste Classe des Volkes, und der vor-
jfibrige Redner bei eben der Feierlichkeit hatte wol Eecht, wenn er
uns seufzend an die Grabschrift erinnerte: Hier liegt Hans EnoUer,
Tagwerker und Schulmeister. Man mag heute noch alle Städte und
Märkte durchkreuzen, und man wird fast von allen Sorten Handwerker,
Bierbrauer, Bäcker, Schreiner und Schmiede, nui* aber keine Schul-
lehrer als Kathgeber und Bürgermeister antreffen. Woher diese Herab-
würdigung
Fronhofer gibt drei Giiinde an und thut dies, ,.nm die Aufmerk-
samkeit des Publicums auf diesen wichtigen Ge<(enstaud zn ei re^en".
Man ueunt das Geld den nervus renim gerendai inn, und Goethe meint
einmal: ,.Geld ist immer eiue sch(»ne Sache, wenn etwas ab^ethan werden
Süll-; und so sieht aiicli Fronhofer die Haupischuld vom Verfall des
Ansehens der Schullehrer in der litut<' «geradezu wie eine Irouie auf
den Magen, diesen ^ uLkn Imperator des menschlichen Lebens klingenden
Dotirung. ,.\Vo soll die Hochachtung, wo das Ansehen solcher Leute
herkommen? Der Mann, der von HO. •20. 10 oder 4 Gulden jährlicher
Schuleinnahme — man glaube meinen Worten, es ist Thatsache — sich
und eine zahlreiche Familie ernähren soll, muss nothwendig das Schul-
wesen Temaclilässigen und nach dem Pfluge, dem Weberstuhle oder
einem andern Oewerbe gieifen, wo er nicht gar betteln oder ver-
hungern will; nnd noch glfteklicli ist er, wenn er dnreh Kenntnis eines
Handwerks oder als Spielmann bei Kirchweihen nnd Hocbseiten seinen
kflmmeriicben Unterhalt findet.^ Sodann führt Fronhofer an, wie ent-
wfirdigend z. B. das kindische „Herumtrommefan der Schnfaneister behn
GregorilSeste", besonders aber das sogenannte „Ansprtttschen" ist» das
geradezu ,,zn einem Innung»- nnd Handwerksgebrancfae" geworden ist
«Und die Scbnllebrer geben dieses Ansprfltschen nicht anf, denn es
ist für sie eine Finanzqnelle (1), aber welch lächerliche Prostitution
ist es fbr einen Lehrer, wenn er bei der Ankunft längerer Ferien
oder mehrerer Festtage seine Schule an dem Vorabend nicht anders
als mit der schönen Ceremonie und dem herzlichen Spaße entläst, dass
alle Kinder £opf für Kopf, nachdem sie einen kleinen Tribut erh^gt,
durch eine vor den Eingang der Schule gesetxte Bank, worauf der
ehrenfeste Schul voi'steher, bewaffnet mit dnem waschschlegelförmigen
Holze, sitzt, auf allen vieren durchkriechen und einen derben Schlag
auf die Hosen bekommen, wobei dann natürlich viel Staub, Gcsdirei
und Tumult erhoben wird", und Fronhofer fugt bei, dass auch die
Weiber der Schulmeister an der Herabsetzung ihres Mannes getreulich
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arbeiten und, um kleine Gaben und Geschenke von den Kitern wie
eine ßeute zu erhaschen, oft keine Thorheiten und niedertrfichtigen
Mittel sparen."
^So wird die Würde des Lehrers mnthwiUig in den Staab ge-
treten^, nnd die ganz naheliegende Fojge — und zugleich die weitere
Ursache des Ter&Ils des Ansehens der Scbuhneister in Bayern — ist
die „geringe Ehrfurcht selbst der SchOler gegen den Lehrer/' Schon
die prekäre Bildung des Schulmeisters konnte nicht dazu beitragen
den Schulkindern Bespect einzuflößen: Jch habe Lehrer gesehen, die
von vielen mittelmäftigen Schfilem in aller Art Kenntnissen weit,
himmelweit ttbertroffen wurden»** Die Folge war, dass der Schul-
meister n^&L nOthigen Respekt mit Rathen und St&bchen fruchtlos
OTZwang'', allein das verfehlte wieder die- Wirkung, denn „der häufige
Gebrauch der Ruthe verleitete den Mnthwillen der Knaben vielmehr
so weit, selbst f^willig Schläge zu begehren und in die Wette zu
zanken, wer stehenden Fußes auf einer Hand mehr Streiche aushalten
könnte; und diese nämlichen Jungen werden sich, meint Fronhofer,
„einst als Männer der jugendlichen Streiche, womit sie ihren Schul*
meister geneckt, in großer Gesellsi liaft auf Kosten der Ehre desselben
belustigen, und ich kenne in der Thal Männer, welche mit der drolligsten
Attitüde und Geschicklichkeit alle P'ehler und Unarten ihrer ehe-
maligen Lehrer haarklein nachspotten, auf manche Stunde die Lang-
weile von einer ganzen Tafel wegscherzen und so durch g-esunde Er-
schütterung des ganzen Zwerchfells allerseits f iiu' recht gute Verdauung-
hervorrufen." Es scheint als»» der damalige Schulmeister als liajazzo
in privaten wie in ötirntliclien Kreisen tigurirt zu haben, kann tloch
Fronhofer sagen: ..Dei' Lelirer wird bieilurrh t'ahnla urbis et orbis
und der Stntl' der Unterhaltung bei (iastniahlt u :-aü' Landhäusern und
in - Prälaturen; dadurch geschieht es, dass man reibst in Schauspielen,
weuu je ein Schulmeister vorzustellen war, ihn jederzeit so albern wie
möglich auftreten ließ, welcher schlimuie (iebrauch sich leider bis
jetzt noch aul den Bühnen erhalten hat."
J)a. die Herabsetzung des ehrenvollen Schnlstandes nun einmal
eine geschehene Sache ist, so bauen selbst die, welche die ersten son
sollten, das verlorene Ansehen Aviederherzustellen, noch immer auf
diesen Grund, und so habe ich das größte Recht, meine dritte und
wichtigste Ursache der Herabwürdigung der SchuUeute in der obrig-
keitlichen Geringschätzung derselben zu suchen. Die vei-schiedenen
Obrigkeiten tahren fort einen Schullehrer geringzuschätzen, so zwar.
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dass ich*8 bei mancliem Gtiiichte einem auch noch so geübten Lehrer
nicht rathen möchte, die Dreistigkeit zu begehen uud sicli dem ge-
ringsten Schreiberjungen im Range gleichzuhaltcn. Gott weiß, wie
hart er fiir so einen Frevel bestraft würde. Der gemeine Mann aber,
der die meist unwürdige Begegnung seiner Obrigkeit gegen die Lehrer
sieht, glaubt sich dann ebenso viel erhiubea zu können; er schaut
seinen Dorf- uud Marktschulmeister blos über die Achsel an. und ein
guter Vieharzt ist ihm freilich ein viel wichtigeres (^c^ciiöpf als der
.Sitt^'nai-zt seiner Kinder.*' Nicht blos der weltliclieii < 'lirigkeit liest
Frouiioter den Text. ,.Ich begieUe unter den Obrigkeitcu, besonders
auf dem Lande, auch die Pfarrherren, und diese ganz vorzüglich, mit
ein. ^\ euu von mancheu Gerichten die Schulleute zehnniHl unwürdig
behandelt werden, so werden sie's von den Pfarrern dreüu^ni d ; denn
es ist beinahe Schuldigkeit, dajss der .Schulmeister, zumal wenn er
auch Messner, Organist oder Kantor zugleich ist, ein geprägter Diener
des Pfarrers, iui Pfarrhofe wie in der Kirche, sein müsse. Da liilft
demi der theure Manu, für den die Jugend des Dorfes Ehrfurcht
tragen soll, Heu auflegen, Vieh füttern, sattelt seiner Hochwürden
das Reitpferd, holt Wasser, trägt Speisen, wenn Gäste da sind, und,
wie's kömmty maeht er auch mitunter, wenn andere Spftfie fehlen, bei
der TtM den Schalksnarren und beim Schießen nnd Pferderennen den
Pritschmeister. Und so geht denn noch alles fgat and der Lehrer
genießt dafür die Protektion des Seelenhirten. Thnt er aber nicht all
das» ums man gern sieht, gntwillig, wehe ihm dannl In der Kirche,
Sakristei und Schule wird man sofort Alles an ihm zn tadeln wissen;
er wird nirgends mehr recht haben; man wird ihm sein ohnedies ge-
ringes und kammerliches Brot auf allerhand Art schmälern, ihn öffent-
Heh henmtermachen nnd keine Schimpfwörter yon erster Extraktion
sparet wol aaeh im heiligen Eifer hie und da mit der flachen Hand,
besonders fidls er murren sollte, seinen Ohren einen kleinen väter-
lichen Verweis nachdrücklich eiiqtrfigen; man wird endlich, wenn auch
dies nichts yerfilngt, ihn ordentlich verklagen, die Gemeinde und Ge-
richte wider ihn in Harnisch bringen und dafür sorgen, dass er ent-
weder noch aus Gnade zur Erbauung der Jugend öffentlich im Stocke
sitzen muss oder aber mit Weib und Kind gejagt wird. Wagt er's
dann etwa sich höheren Orts zu beschweren, wie kann er da bis zum
Ausgang des Prozesses, ohne betteln zu müssen, ausharren oder seine
ünschoid wider das Gewebe von falschen Inzichten und falschen
Vorspiegelungen retten? Man mache nüi* nicht den Einwurf, ich habe
hier ein zu schwarzes Gemälde entworfen. Ich antworte hierauf weiter
PadAfoglaa. 6. Jduf . Heft IV.
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— 220 —
nichts als: ich habe das Kpsaltat von so \'ieleii Prozessen, die ich
eatsteheii und verhandeln gesehen, geliefert.
Auch gegen die Gemeinden und Gemeindevoisteher erhebt Fron-
hofer bittere Anklage: ,.An manchen Orten, da Gemeinde gehalten
wird, gehen als die letzten im Range der Schul- und der Wasen-
meister. An ln wärts ist der S'dnillehrer, altem Herkoiuiiiit^u u>*niaß.
zugleich Betteirichter und Nacht waclii er. und erst jüngst liat dei-
Schulmeister von einem nahen Orte angehalten, ihn doch einmal von
der beschwerlichen Last der Bettelrichter- und Naclitwächterstelle zu
befreien. Die Magistratspersouen eines benachbarten Städtehens traten,
als man ihrem wackeren Lehrer einen ansehnlichen Gehalt ausmachte,
kopfschüttelnd zusammen und wunderten sich höchlich, dass man einem
Schulmeister soviel gebtii k«>nne. Bei Besetzung der Schulämter, da
beobachtet man ein zünftiges Herkommen, auch der Schullehrer rauss
eine Prüfung bestehen — bei anderen Zünften beifit man es Stack-
machen — ein YorgeschmAck aber, wie dei%]aichai.Prflftangen anasa-
fidlen pflegen, mögen zwei Aufgaben sein, die vor etlichen Jahren
irgendwo einem Kandidaten vorgelegt wnrden. AnsdemChnstenthome:
Frage: „Warum hat Gott seine Gebote auf steinernen Tafeln gegeben?**
Antwort: „Weil man die Gebote Gottes so fest halten soll, als der
Stern hart ist** Ans der Bechenknnst: „Exempel: eine Stadt hat
179 HAnser, in jedem Hans seynd 9 Stiegen, jede Stiege hat 11 Staffeln,
anf jedem Staffel aeynd 3 Bentel, in jedem Beutel 8 bayerische Thaler,
7 Vienmdzwamdger, 9 Siebaiehner, 13 BatSEen, 11 Groschen, 5 Erenzer.
Wieviel aeynd nun Heller in der Stadt?" Ist das nicht allerliebst?
Und haben die Lehrer dann ihr Stnck gemacht, dann bekommen Lente
die Anflicht über sie, die ohne die geringste Einsicht in Schnlsachen
sind, oft nicht einmal des Lesens imd Schmbens kundig sind, aber
dennoch dem Lehrer kalt, hart, anfahrend begegnen."
Damit eilt Fronbofer dem Schlüsse zu und glaubt „hinlänglich
gezeigt zu haben, wo man die Quellen der Entehrung des Schulmannes
au&uchen müsse: der Lehrer selbst darf es an muthigem Streben nicht
ermangeln lassen, das verlorene Ansehen wieder herzustellen; und auf
der anderen Seite müssen es die Obrigkeiten thun, und zwar dadurch,
dass sie eine Vernachlässigung: der Tultur, besonders des Landvolkes,
heben; dass sie von dem Vorurtheile zurückkommen, der Bauer dürfe
uiclit viel lernen, und es könne sohin leicht jeder abgelebte Knecht.
T.fiqMai, Schuster. Schneider. Weber \i. s. f. einen Landschulmeister
abgeben: dass durch Verbe^v, , ^i^^j^ Unterhalts und Charakters auili
würdige Leute Schiiibedieu:!tungen suchen, und nicht Stümper nach
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_ 221 —
SchulHiDtern greifen, weil sie anders nicht fortzukommen wissen"; and
Fronhof er wag-t, schüchtern und um Entschuldigung bittend, den An-
trag zu stellen, „den Schulmeister an Stelle eines Aktuars bei einigen
Vorfallen zu gebrauchen oder aber auch als Prokurator." Fronhofer
hofft sicher, dass sein heißer Wunsch nach Hebung der Schulbildung
in Erfüllung yehen werde: „Haben wir doch in hiesigrer Stadt und da
und dort aut dem Lande schon jetzt treffliche Schnllt Im r. Der Eifer-
sucht wegen, die reo^e werden kannte, will icli (iiesn \\ ;ickern Mäuner
ungenannt lassen." Aber Einen nennt er doch: „Aber dich, ehrlicher
Ulrich Reisner! Dich muss ich laut der Welt preisen, dich unter den
andern ausheben und dem Vaterlaude sagen, dass es an dir ein noch
nngekauutes Kleinod, ein Feldveilchen besitze, das im niedrigen Moose,
nicht vom stolzen, hohen Stengel herab, sttßen Wolgeruch ausdüftet!
Sei stolz. Vaterland! sei stolz, kleines Städtchen Aichach, auf diesen
deinen Lehrerl Er, der Mann ohne alles Studium, er vormals ein
simpler Handwerker und Sauerbäcker, übernimmt die Schule, ti*otzdem
die darbenden Kinder so oft um Brot zu ihm aufwinseln und, während
er nüt der größten Dflrftigkeit kämpft, wird er einer der besten
Lehrer.'* Am ScUois preist Fhinliofer den „unvergessliehen Viter
MaTiTiiiliim Joeef als den Yerbesserer des Sdinlwesens^*, dessen großes
Yaterherz viele Summen hiefllr opferte, und „welches ebenso große
Taterherz hat nicht Jetst« wo ganz Dentsehland, ja ganz Europa, sieh
dasSehnlwesen zum wichtigsten Staatsgeschilfte gemacht hat« für eben«
dieselbe Jugend unser angebeteter Karl Theodor — nicht etwa erst
Ton ihm ererbt ntm — vorlingst besessenl Hier, meine Lehrer!
heften Sie den BlidL auf das verehningswQrdigste Bild dieses großen
Belohners Ihres EifersI Hier sehen Sie, V&ter und Mfttter! und nun
hin mit mir zum Throne des Tateis, Lehrer, HÜtem, Kinder! Des
besten Taters, dessen Andenken in den Herzen der Bürger noch ein-
g^pmb^ sein wird, wenn die Schriften so vieler prahlender Denkmäler
längst zu Kalk und Staub geworden sind, wenn die Welt längst ver<
gessen hat, dass es einst Alezanders und Cäsars gegeben."
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Wicbtige Grenzen im VolksscholaDtemchte.
Vm SdMlrath A. GrülUeh-LöbaH.
(ScUoss.)
^un der Gescbichtsanterricliti SoUtan wir den Kindern
UDseree Volkes die Gesehiebte entsidien wollen, die Geschichte, die
den Menseben mit den- G^escfaicken der Menscbbeit und seines Volkes
erst recht verwebt, diese gewaltige Lehnneisterin mit ihren hoben
«nregenden Vorbildern und abschreckenden Beiqiielen, ' diese Quelle
enister religiöser Aufilnssnng unserer Geschicke, die Quelle der Vater-
landsliebe nnd emes reiferen politiscben ÜrtheHs?
Wahre BeligioBitftt» innige Frömmigkeit in die Herzen der Kinder
zu pflanzen, zor Lösung dieser Au^be der Volksschule Termag gewiss
der rechte Geschichtsunteiricht viel beizutragen. Nach cbristlicber
Anüiusnng der Weltgescbi(^te ist die Grundidee, welche sich in dem
Gange der Weltgeschichte verwirklicht, verwirklichen scdl, das Beicb
Gottes. Znr VerwirUichnng dessen arbeitet sowol das freie Thon
der Menschen, als auch das weltregierende Walten Gottes. Das Ein-
gi eifen Gottes kann theils absolut sein, theils l&sst er seine Gedanken-
kräfte auf dem Wege bewusster Aneignung in die ilcnsehen ein«
strömen. Die religiöse Betrachtung der Geschichte erkennt also in
deren Entfaltung göttliche Ideen und Ziele, göttliche Kräfte, göttlich
bestimmendes Walten. Freilich ist es nicht möglich, die Jugend der
Volksschule in diese tiefere Oeschielitsbetraehtunp' vollständig einzu-
führen, allein, es tribt (loch frenug^ Ereignisse und Entwickeiungen der
WeltjLCeseliichte, bei dt iieii auch den Kindern der Volksschule, ebenso
gut wie bei der besondfien heiligen, ;iltti\>itamentlichen Geschichte
das Walten und Eingreifen (Rottes, ein göttlicher Weltplan, der 8ieg
der göttlichen Kräfte znni JUnvnsstscin prebracht werden kann; z. B.
l)ei Ah'xander dvm 'ii-otieTi bei der Ausbreitung der niniischen Herr-
schaft über die daiHal> bekannte Erde, bei der ^'^^euduug Christi (ditü>e
steht natürlich im Mittelpunkte der Weltgeschichte), der Zerstörung
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223 —
Jernsalems, der Völkerwandemng, dem ZuBammenbincli des RGmer-
reichs unter dem Volke der Zakmift, der Beformatioii (Entdeekangen),
bei dem Kampfe zwischen Philipp n. and Elisabeth (Armada) , den
Niederländern, bei Napoleon I. nnd -Napoleon HL — Damit hängt
nnii aucli Bedeutung des Geschichtsmiterrichts für die Bildung des
sittlichen Urtbeils und Sinnes zusammen. Auf der einen Seite ver«-
mag er den Kindern al) schreckende Gestalten der Selbstsucht zu zeigen,
an deren Sohlen sich der Fluch heftet, Völker, die durch eigene Schuld
?on der Höhe, welche sie in Zeiten sittlicher Kraft erraicht, herab-
sinken f Griechen, Römer ~ in unserem eigenen Volke haben wir
Perioden der Schmach und tiefsten Erniedrigung, aber auch größter
Erhebung; das, was den Kindern auf dem Boden der heiligen Ge-
schichte im Volke Israel oft zum Hewusstsein ofebracht wird, tritt
ihnen mich anf dem der Weltgeschichte entgegen). Auf der anderen
Seite bietet der (Teschichtsiinterriclit eine Fiille von herrlichen Beispielen,
edlen ( Gestalten . Grolitliaten von einzelnen und Völkern, die das
jugeni11i'"he Herz zu ergreifen und zu l)ei2:eistern vermönr-en: er lehrt
die sittliche (iröße aucli in den Männern l)e\vundern, die im Kampte
mit feindliclien. äußerlich iibcrleirenen Gewalfen, trotz \'crfolirunfr und
Tod die sittliche Idee nicht aut'jreben und sie gerade dadurch über
ihren Scheiterhaufen, ihr Kieuz und Grab hinweg zum Siege bringen.
Die Volksschuh* soll den rechten Gemeingeist, der mit Vaterland;
Menschheit und Kirche zusammenschließt und sich diesen Kreisen in
den Dienst stellt, in die Kinder hineinpttanzen. Dass hierzu der
Geschichtsunterricht wesentlich beizutragen vermag, bedarf gewiss
gar keiner weiteren Aoseinandersetzung. Nur dies möge hervor-
gehobeD werden: Gtotde bd der Art unserer politischen Yerftssung
und Verwaltung, die nnr dann erst segenbringend wirkt» wenn sie sich
stützen kann anf die Einsicht nnd das gesunde ürthefl anch des ge-
wöhnlichen Hannes, gerade bei den Gefahren, welche ans den Niedenmgen
des Volkes aufsteigen fttr die Gestaltungen des socialen Lebens» bei
dem Andi^ngen solcher Machte, die durch die Presse n. s. w. anch
in die niederen Schichten des Volkes eindringen nnd allen idealen,
nationalen und TaterUtndischen Sinn verdrängen mochten, nnd anch
bei der politischen Lage, die uns leider nicht hofliBn lässt, das Schwert
lange beiseite legen zu kOnnen, hat der Geschichtsunterricht in der
Volksschule seine hohe Bedeutung. Waffenftbong allein macht
unser Heer nicht siegesgewaltig, sondern der Geist der Vaterlands*
Bebe, der in jedem einzelnen Krieger wohnt; und die rechte Vater-
landsliebe ist auch der beste Schutz fhr die inneren Gefahren.
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— 224 —
So haben vir toi Gcflcbichtsiinterridite auch in der Volksechnle
eine Stelle gesichert; er entspricht der Yoltaschnlidee. Nun aber ist
sein Ziel an nmgmseo. Ich bestimme es so: Die Angabe des
Geschichtsonterrichts in der (dentsehen) Volksschule besteht darin,
die Kinder mit dem Entwickelongsgange der Menschheit, insbesondere
aber dem des deutschen Volkes, wie er sich unter göttlicher Leitung
ToUsogen hat, in einzehien, aber doch zusammenhängenden, die wichtige
sten Gestalten, Ereignisse und Cnlturzustände anschaulich umfassenden
Bildern bekannt zu machen und dabei besonders den religiös-aitUichen
nnd TaterlAndischen Sinn zu bilden.
Dazu machen sich noch einige Bemerkungen nöthig.
Unstreitig wird auf die vaterländische Geschichte, also in der
deutschen Volksschule auf die des deiitsrlien Volkes, der Nachdruck
zu leg^en sein; aber wollte man sich darauf beschränken, so hätte man
auch tür die Volksschule die Grenze zu enc gezogen. iTanz abgesehen
davon, dass di^ r-ieschiclite des Alt< i iluims eine i-ülle verwertbarer
ethisrher Moniriite bietet nnd dns Int* rr->e der Kinder fesselt, scliwf'bt
die beschichte des deutschen Volkes ohne sie in der Luft. ebLii>o
wie die des Reiches Gottes, in dessen (Trundlej^ung: die Vrdker des
Alterthnms allenthalben verflochten sind; und haben wir als Ziel der
Volksschule hingestellt, die Grundlagen allgemeiner Menschenbildung
zu geben, i^u durfte es dem wol nicht entsprechen, wenn wir iu der
Volksschule die erste ^ruiidleg:ende Periode der Menschheitsentwickelung
ganz übergehen wollten. Nur ein Nothstand könnte dies rechtfertigen
d. h. wenn der einfachen Volksschule nicht genug Zeit übrig bliebe;
jeden&lls aber mOsste dann die biblische Geschichte eine Ergänzung
bieten, und der deutschen Geschichte wird wmigstens eine Einleitung
Torausnigehen haben, welche die Lage der Welt sur Zeit des Auftretens
unserer Vorfthren in knnen ZQgen seiebnete. Aber auch im Mittel-
slter und in der Nenieit kann sich der Geschichtsunterricht in der
Volksschule nicht ganz auf die deutsche Geschichte beschränken, und
swar aus mehreren Gründen nicht Die Entwickdnng des deutschen
Volkes, eine ganxe Reihe wichtiger Ereignisse deutscher Geschichte
sind ndt der anderer Völker eng verflochten; m dem Lsnde der Mitte
haben sich ja die Völker Euroiws so oft getroffen. Sodann haben
auch andere Völker grofie Gestalten hervoigebracht und GroBes ge-
than Ar die Menschheit und ihre Entwickelung, also auch Ar die
unseres Volkes mit. Ich erinnere nur an die Entdeckungen am Auf-
gange der neuen Zeit Femer ist daran zu denken, dass unser Volk
mit den Cnlturrölkeni der Gegenwart im lebendigsten Verkehre steht
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— 226 —
und daas in diese Bezieliung hentzntage auch der einfiiciiste Mann
hineiiigesogen wird (durdi die Presse, den Handel etc.).
Deshalb mtae es nicht richtig, wenn man die Geadlichte anderer
Volker ganz flbergehen wollte; aber seibetverotindlich kOnnen nnr
einzelne wichtige Momente, d. h. solche , die Ar nnser Volk oder die
ganze Menschheit (das Beich Gottes, för die Oultnrgeschichte) Ton
hervorragender nnd allgemein yerstftndlicher Bedentnng sind, hervor-
gehoben werden. Wie z. B. ein Columbus nicht übergangen werden
kann, so auch nicht die Elisabeth von England (Philipp n.)t 6in
Peter der Große, ein Washington (Gründung der Vereinigten Staaten);
ein kurzer Bück- nnd Vorblick, der sich an solche Gestalten knttpft,
genOgt dann zar weiteren Orientining.
Ans der obigen Umgienzmig der Aufgabe des Geschichtsunteiv
richte geht von selbst hervor, dass auch die allerwichtigsten fii'eigniBse
der Kirchengeschichte einznllechten sind. — Eine weitere Frage hin-
sichtlieh der Stoffbegrenznng würde die sein, ob der Gesehichtsanter-
ridit aneh die Geschichte des engeren YaterUndes oder einzelnen
Stammes zu beachten habe. Sie ist unbedingt zn blähen, aber vnter
der Einschränkung, dass blos die wichtigsten Momente (Gestalten,
Ereignisse) zu bedenken, und zwar in rlie Volksgeschiclite einzuflechten
sind. Wenn recht behandelt, eben im Bahmen der Volksgeschichte
nnd im nationalen Sinne, SO wird die Stammesgeschichte niemals das
große Ganze schwächen, sondern nnr stärken, el)e!iso wie die Gliede-
rung tmsores Heeres nach Landsmannschaften dasselbe nicht schw&cht,
sondern stärkt.
Die ' Stofinragrenzong ist abei* noch weiter zn verfolgen. Der
Geechichtsanterricht der Volksschule kann blos einzelne Bilder
geben, nnd zwar von den wichtigsten PersOnliebkeiten, Ereignissen
und Culturzttständen, in denen der Entwiekelnngsgang der Menschheit,
insbesondere des deutschen Volkes deutlich zu Tage tritt. Einestheila
ist zn einer ansf&hrlicheren Betrachtung die Zeit uielit vorlianden,
andemtheils entspricht diese Beschränkung auch der kindlichen
Fassungskraft Diese Bilder sollen Scliildemngen von handelnden
Persönlichkeiten und Ereignissen sein, aber auch von Culturzoständea,
von Lebensverhältnissen, Einrichtungen des Volkes, Erfindungen. Un-
zweifelhaft bringt die Jugend den gewaltigen Pei*söuliclikeiten. die für
eine Zeit bestimmend auf ein Volk einwirken und im Mittelpunkte der ge-
schichtlichen Be\veg:ung stehen, den frroßen. weltbewegenden That»Mi der
einzelnen wie der Völker das meiste Interesse entgegen. Auf diese
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— 226 —
Seite der Geschichte ist jedenlalls das Hauptgewicht zu legen, allein
die Schildeimng von CulturzustAnden darf nicht vollständig fehlen.
Oft werden durch sie erst die folgenden weltgeschichtUchen Um-
wandlungen klar, und auch die großen Männer erwachsen ja aus dem
Leben ihres Volkes; andererseits lagern große Ereignisse auch wieder
gewisse ( 'lüturzuständo ab. Wenn man aber meinen solltp, das ciiltnr-
(rescliichtliche Element biete den Kindern der Volksschule zu wenig
Interesse, so ist zu bemerken, dass das Interesse nicht felilen wird,
wenn der Lehrer ansrlniulieli und lebensvoll darstellt und die lebendige
Beziehung zur (regen wart nh-ht verabsäumt. Solche I^ezielmngen sind
übrigens nicht schwer, werden aber oft von den T,e!)rern nicht be-
dacht. Unser Vaterland ist z. B. reich an Denkmalern aus dem
Mitielalter; der T^ehrer hat sie in Abbildungen den Kindern vor das
Auge zu halten, wt-nn er von mittelalterlicher Baukunst redet; er hat
sie autnierksau» zu machen auf neuere Gebäude, die im mittelalterliehen
Bausiii erriclitet sind. Wenn ich sage, dass manche Lehrer solche
Verknüpfungen von Vergangenheit und Gegenwart vergessen, so beniht
dies, auf eig^ner Erfahrung. Ein Lehrer sprach z. B. mit den Kindern
über den Kölner Dum, über die Spitzbogen, im Vergleich zu den Rund-
bogen etc.; er verfuhr auch anschaulich, indem er Spitzbogen und
lUmdbogen anzeichnete, aber er vergaß dabei, die Kindel; auf 4ie
stattliche Kiiche hinzuweisen, die etwa 10 Minuten von der Schale
entfernt eben im Rondbogenstil exbamt wnrde. Sogar in nnserer
Sprache finden sich genug Anklänge und Erinnerungen an alte Sitten
nnd EiDriehtimgen, die, recht benatzt, das Alte dem Kinde gleich
naherftcken nnd interessant machen (z. B. die Namen unserer Wochen-
tage, Bedensarten, wie: ins Gehege kommen — Spieftbfirger, Steck-
brief — ans dem Sattel heben etc. etc.). Kunze hat diese Seite in
seinem nl^ehrstoff des elementaren Geschichtsunterrichts" recht ange-
messen ans Licht gesteUt. — Der Beschreibung der griechischen
Sitten, der olympischen Spiele, der Lykurgschen Gesetzgebung, doeae
Sduldenmg Athens unter Peiikles, der Sitten unserer Vorfthren, des
Bitterthnms, des Städtewesens, der Eaaflente, der Gewerbe, der Bau-
kunst im Mittelalter, der Beschreibong von dem Znstande des
deutschen Volkes nach dem BOjährigen Kriege etc. fehlt an sich das
Interesse der Jugend gewiss nicht, und si»ll auch in unserer Jugend
gerade der Sinn für die Werke des Friedens geweckt nr, 1 ^repfle^t
werden. Um selbst für die innere Seite der Geschichte des deutsclien
Volkes die rechte Empfindung zu bekommen, muss der Lehrer
„Freytags Bilder ans deutscher Vergangenheit" mit durchlebt haben.
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Wenn aber in der Yolksechule auch bloe einzelne Bflder gegeben
weiden kQmieni so dfiifen diese doch nicht isolirt dastehen, sondern
sie mQssen fiberbrttckt worden; es soll Ja dnrch sie der gescliichiliche
Ent wickelungsgang ^dargestellt werden. Mit jener Stoffauswahl, die
in jedem Jahre einige Bilder ans jeder Periode gibt, sie auf den
folirt nden Stufen ergänzt oder andere neue auftreten Itest, kann ich
mich nicht befreunden. Soll in jedem Jahre der ganze Stoff, aber
immer vertiefter durchgemacht werden, so reidit die Zeit nicht zn.
Sollen andere Bilder an die Stelle der früher behandelten treten, 80
entstehen auf jeder Stufe Bruchstücke in verschiedener Beleuchtung i
das ganze Rilfl der Geschichte wird vprsrhoben. Wenn z, B. im
1. Cursus Alexander der Große ausführlich, im 2. Cursus mit wenigen
Worten abg-emacht wird, so ist dies eben eine Verschicbim<r des ^e-
schichtliclien Bildes: aueli lieim 2. Cursus müsste Alexander der Grf)['e
die hedeiit^ütne Pei*söuUehkeif bleiben, welelic sie in der Eutwickeluüg
des Alterriiums thatsärlilieli ist. - }*"ol<rende Stoff?liederung*erselieint
mir für einfache \'olksscluilen. welche blos die letzten vier Schnljahre
Geschieht suni errieht ertheilen können, ganz angeine>sen; Im :i und
4. Schuljahre bei Heimat«- und Vaterlandskunde Anfügung historischer
Notizen; im 5. und 6. Schuljahre deutsch- sächsische Geschichte; im
7. und s. allsremeine Geschichte, d. h. einige Bilder ans dem Alter-
thnme. (1 luii vorwiegend deutsche Geschichte, aber zut'leich auch
Herbt-iziehiin^ von solchen geschichtlichen Personen und Ereignissen
anderer Völker, die von allgemeiner und hervorragender Bedeutung
sind. — Eine specielle Stott begrenzung habe ich in meinem Beitrage
zur Methodik n, S. 109 ff. gegeben. Damit stimmt Ennze's oben
crvUinter Ldtfadrai im weeentUehen über ein; letzterer ist den Ijefarem
sehr m empfehlen, ebenso: 80 Lectionen aus der deutschen Geschichte
tdh Engelnuum (Leipzig, JoUns Elinkhardt). In vielen Schulen unseres
l4mdes haben die Kinder „Die GescbicbtsbÖder für mehrdassige Volks-
schulen** von Damm (& 35 Pf. — Leipzig, Siegismnnd & Yolkening)
' in den ffibiden; diese sind, mit Weghiasung der spedell branden-
bnrgischen Oeschichte und unter Eh-gänzung der sächsischen, recht
gut zu yerwert^.
So habe ich Ziel und Stoff des Geschichtsunterrichts zu um-
grenzen gesacht Nun will ich hinsichtlich der Stoffbehandlnng noch
emige Grenzlinien zeichnen, die mandimal nicht eingehalten werden.
Ich habe Lehrer gefunden, die, durch den Gedanken geleitet, den
Kindern nicht zu viel zuzumuthen, den Geschichtsstoff in zu kleine
Bmchstacke theilten, also sehr bald ihren Vortrag mit Recapitulation
— 228 —
unterbrachen. Auf diese Weise kommen die Kinder nkht zum Genosse,
zur vollen Hingebung an die Sache, die Wirkung- auf Gemüth und
Phantasie wird beeinträchtigt. Also in zu kleine Bruchstücke darf
man das Ganze nicht zertheilen, aber falsch wäre es wieder, wenn
der Lehrer über die Spannkraft der Kinder hinaus vortragen wollte.
Es gilt» die rechte Mitte einzuhalten. Sodann habe ich weiter die
Eifahrung gemacht, dass manche Lehrer bei den fiepetitionen Neben-
sächliches und Wichtiges nicht immer scheiden, manchmal sogar das
erstere mehr betonen, z. B. bei Friedrich dem Großen mehr nach
den Anekdoten fi-ajren, die sich um seine Gestalt gebildet haben, als
nach den Eigenschaften, die ihm den Beinamen des Großen ervnrkt
haben, nach seiner Bedeutung für Preußen und das deutsche Volk.
Hi» ! gerade hat man jenes Wort zu beachten, dass man nicht
ni( im n solle, alles, was man den Kindern s:ebe, müsse sich zu
einem f xriTninfrliai en Wissen gestalten. Bei den Repetitionen lässt
man die AussciDiiiicknnü' fallen und hebt den bleibenden Kein In raius.
Auch füi* die Yulivsschule darf man nicht vergessen, einzelnes; unter
allgemeinere Gesichtspunkte zu ordnen (dadurch wird es erst fest-
gehalten) und den Cansalnexus, abei' blos nach den leicht ia.^slichen
Ursachen und \\ irkungen darzustellen. — Kmllich gedenke ich noch
der Jahreszahlen. Dass solche überhaupt gemerkt wei*den müssen,
wenn das ganze Gebäude in der Erinnerung einen festen Halt be-
kommen soll, ist unzweifelhaft; aber hinsichtlich der Menge der Zahlen
überschreitet man oft die rechte Grenze. £s genügt für eine (deutsch-
stehgiaGhe) VoIkBSclinle, folgende Jahreaiahlen einzuprägen:
2000 AMum. 1500 Moms. 1100 Stinael imd SaaL 1050 David.
1000 &lomo. 722 Wegfdhnmg Israels in die assyrische Gefangenschaft.
(Salmanassar.) 58s Zerstörung Jerasalems, Wegfiihruiig: des Volkes in die
babylonische Gefangenschaft. (Nebokadnezar.) 53t» Kückkehr der Jaden.
(Cyrus.)
888 Lykurg. 600 Solon. 490 Schlacht bei Uarathon. (Mfltiades.)
480 Schlacht bei Thermopylft und Salamis. (Leonidas nad ThemistokJes.)
431 — 404 PeloponnesischtT Krieg. fPerikU-s, Alkibiades; Sokratcs.) 333
Alexander d. Gr. (Vorher Philipp von JÜLacedonien} 338 Schlacht bei Chäronea.)
3.
753 Gründung Roms. 509 Sturz des KOnjgtfaaBW, Horn eine Republik.
Um das Jahr 300 ianerer Friede. 220 Srobenmg von Italiea dareh die
L Alte Zelt
1.
2.
— 229 —
Römer beendet. 218 — 201 2, punischer Krieg. (Hannil»al.) 146 Untergang
von Karthago und Korinth. 44 Tod des Julius Cäsar. 30 vnr Christi Oeljurt
Aogustns (Octavianns) Kaiser des römischen Keichea. 70 nach Christi Gebort
Zerstörung Jerusalems. 324 Constantin d. Gr.
IL nttelftlter«
1. Von «raten Auftreten der Dentschen bis zn Karl d. Gr.
113 ( — 101) vor Christi Gebnrt Clnibeni nnd Teutonen. 9 nach Christi
Geburt Schlacht im TeutobuiT^er "Walde. (Aimin.) 200 Völkerbündnisse.
{Gothen, Franken etc.) 375—568 Völkerwanderung. (410 Alari h 4 >9
Geiserich. der Vandalenkönif^: 449 Anj^eln und Sachsen nach England;
450 Attila; 500 Tbeodorich d. Gr.; öÜO — 554 Untergang der Vandalen und
Ostgothen, Jostlnian; 568 Langobarden nach Italien.) 496 SeUacbt bei
Zülpich. (Chlodwig.) 622 Mohammed. 732 Carl Martell achllgt die Araber
(bei Toui-s und Poitiers). Vorher riitergang des Westgothenrdcliea. 755
Bonifacios. SOG (768—814) Karl d. Gr.
2. Von Karl d. Gr. bia mm Interregnum = 800 — 12&4.
843 Vertrag zu Verdun. 933 Heinrich I. besiegt die Ungam. (Gründung
der Burg Meißen.) 955 Otto l. besiegt die Ungam auf dem Lechfelde.
(962 römischer Kaiöer.j 1077 Heinrich IV. in Kanossa. (Gregor VII.)
1096 der erste Kreuzzng. (1291.) 1123 Konrad von Wettin erster erblicher
Xaikgraf von MeiOen. 1190 f Friedrich Barbanwaa. (Otto der Beiciie.)
1268 Untergang der Hohenatanfen. (Heiniidi der Erlanchte.)
3. Vom Interregnum bia anr Reformation s=z 1264— -1517.
1254—1273 das Zwisebeoreicfa. (Rndolf ^on Habebnrg kommt 1273
auf den Thron. 1308 Befireinag der Schweis.) 1415 Hnss verbrannt.
1423 Friedrich der .Streitbare, Kurfürst von Sachsen. (1409 Gründung der
Universität Leipzig:.) Hn.s.'<itenkrieg"e. 1455 der Prinzenrauh. (Friedrich der
SanftmQthige.) 1485 Theiloug der säclisischeu Lande in die emestinische und
albertinis^ Linie. 1440 Mndiing der Boeiidrwdcerknnst (1453 Eroberung
KonataatinopelB dnrdi die Türken.) 1492 Entdeckung Amerikas.
m. Die neue Zeit
1. Von der Beformation bis zum weatfttlischen Frieden =
1517—1648.
10 1 1. 1483 — 18 2. 1546 Luther. 31 10. 1517 Anschlagen der Thesen.
1521 Reichstag zu Worms. (Carl V.) 1525 Bauernkrieg. Tod Friedrichs
des Weisen. (Johann der Beständige.) 1529 ond 1530 Bdcbstage zu Speier
nnd Augsborg. 1547 Schlacht bei Mfihlberg. (Johann Friedrich der Groß-
müthlfr« . 1 T>ie silclisische Kurwtirde fällt an die albertinische Linie. (Moritz.)
1553 t Moritz ' ..Vater Autrnst" folgt.) 1555 Augsburger Reliirinnsfriede.
(Wenige Jahre nachlier — 1558 — f CarlV.) 1540 Gründung des Jesuiten-
«rdens. 1588 Kampf zwischen Philipp IL von Spanien ond der EUsabetli von
England. (Beide regieren in der aweiten Hslfte des 16. Jahriranderts.) 1572
Pariser Blntbodiaeit 1618^1648 30jtthriger Krieg. (Kaiser Ferdinand n.)
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— 2 m —
1631 Zerstörung Magdeburg: J^clihicht bei Brettenfeld f^Johann Geomf L);
1 032 Schlacht bei LUtsen; 1635 Friede za Pn«. (Die Lansitx könnt n
äacbaeo.)
2. Vom westfSlitchen Frieden bis znr Gegenwart
1643^1715 Ludwig XIV. 1681 Ravb von Straßbntg. 1683 die
Türken vor Wien. (Johann Georg: III.) 1640—1688 der große Kurfürst
Fr. W. von Brandenburg. 1675 Schlacht bei Fehrbellin. 1607 Auirust .ier
Starke, König von Polen. Um das Jnhr 1700 der nordisoJie Krieg Peter der
Große. Karl Xn., August der Starke^ und der spanische Erbfolgekrieg. (Prinz
Eugen.) 1701 Prenßen ein Königreidt 1740 Thronbesteigung Friedrichs IL
ond der Maria Theresia. (Friediidi IL f 178a) 1756—1763 der 7jihrige
Krieg. f U 10. 1758 Überfall bei Hochkirch, Kurfürst Fri.aiirh August IL;
Minister Brühl. Hnbertusburger Frit dp.) 1790 f Joseph II. l in das Jahr
1780 nordamerikaniseher Unabhängigkeitskrieg. (1775 — 1788 WashijigUm.; —
1789 Beginn der französischen Revolntion. 1793 Hinrichtung Ludwigs XVL
1804 Napoleon L Katser der Franzosen. 1805 Schlacht bei AnsterlitE.
1806 Auflösung des deutschen Reiches, Schlachten bei Jena und .Auerstädt
^'arhsen ein Königreich. (Friedrich August il. r rit rcrlitp l 1807 Friede zu
Tilsit. (Königin Luise.) 1809 Österreichs Erliebung. (.Andreas Hofer. Schill.)
1812 Zug Napoleons nach Rnssland. 1813 der Freiheitskrieg. (Großgörschen,
Bautzen, Dresden; 16., 17.» 18/10. Sichlacht bei Leipzig.) 18 6. 1815 Schlacht
bei Waterloo. 1814 und 1815 Wiener Congress. Theilung Sachsens.
Ot'iitsf her Bund. — 1831 Snf ii erhält eine Verfassung. i Kniii^ Anton der
Gütijfe: Friedrich August.) 1S48 und 1849 Bevolution. 1849 Krieg gegen
Dänemark. 1852 Napoleon III. Kaiser der Franzosen. 1853 — 1856 der
Krimltrieg. 1859 italienischer Krieg. 1861*-'1865 Bfli^erkrieg in Nord-
amerilca. 1866 preußisch-österreichischer Krieg. 1870 ond 1871 deutsch-
französischer Krieg. 2 9. IS 70 Napoleon III. bei Sedan gefangen. 18 1.
1871 Wiederaufrichtnn»- des deutschen iCaiserthoms. 1854 bis 1873 König
Johann; seit 1873 König Albert.
Endlich ist za den bisher besprochenen Realien noch die Natnr-
kande (Naturgeschichte, Anthropologie und Gesnndheitslehre, Natnr-
lehre) hinzuznfligen.
Nach dem, was früher üljer die Aufgabe der Tolksscimle gesagt
worden ist, bedarf es keiner weiteren Aaseinanderaetzang, dass die
Naturkunde ihren Platz in dem Unterrichtsorganismus der Volksschule
mit ToUem Becbte einnimmt. Nur das will ich nochmals hervorheben,
dass der naturkundliche Unterricht, wenn er im rechten Geiste ge-
geben wird, auch für die religiös-sittliche BUdung des Kindes seinen
hohen Tribut leistet Wenn wir den Kindern das lebensvolle Antlitz
der Natur zu entschleiern beginnen, so lassen wir sie ja nur in das
wunderbare Werk Gottes schauen und fordern sie auf, den Spuren
sefaier Weisheit nachzugehen. Wir pflanzen ihnen eine hdlige Achtung
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— 231 —
JOT allem Lebenden ein und geben Omen die rechte Stellung in ihrem
Verhalten zur Natnr, sei es in ihren Geschöpfen, sei es in dem
Wirken ihrer Gewalten. Der eigene Leib soll eine gesnnde Wohn-
statte und ein gefügiges Werkzeug der Seele sein; der naturkund-
liche ünten-icht belehrt das Kind darüber, wie es sicli ihn als einen
Tempel des Geistes O'^sund zu erhalten vermag. Freilich, das ist
Toraxisznsetzen, dass der Lehrer dui'ch seine naturkundlichen Studien
nicht dem Materialismus in die Arme gesunken ist, und dass sich
nicht ein solcher Sinn in seinem Unterrichte hervordrängt. Die Mög-
lichkeit ist ja nicht ausgeschlossen, dass einzelne Lehrer der Grenzen,
welche die Naturwissenschaft als sulclie nicht überechreiten darf, sich
nicht klar t-t wusst bleiben und auch viel weiter gehende Consc(iueuzen
ziehen mochten, als sie z. B. im Darwinismus liegen. Zu beklagen
wurde der Lehrer sein, der so in seuu ni reliLnöscn 8tand])unkte
^^ Hiikend f^eworden wäre, dass er die Schüpluug an Sri Ue des Jschüpfers
seizM^; zu vernrtlieilen wäre er, wenn er den (Tlauben der Kinder
Uüter^'^i aben und ihnen materialiütischen Sinn einpflanzen wollte.
K üiig wird die Umgrenzung von Aufgabe und Stoß des natur-
kundli hen Unterrichts in der Volksschule sein. Der sächsische
Xormalplau bestimmt: Die Kinder sollen in der Nat u rgescliichte
theils mit den wichtigsten Thieren , Pflanzen und Mineralien nach
ihren Eigenschaften (mit Einschluss der hauptsächlichsten physio-
logischen firscheinungen) wie nach ihi-er Bedeutung f&r das Leben
(der Möschen nnd im Hanshalte der Natur — auch in ihrer Zn-
sammcngehürigkeit), theils mit dem Hauptsächlichsten über Ban und
Pflege des menschlichen Körpers belcannt gemacht (zugleich in ethisch,
gemftthlich anregender Weise) — in der Natnr lehre aber zum Ver-
stiUidms der gewöhnlichsten und einflussreichsten Naturerscheinungen
(also besonders aacb der gebräuchlichsten Werksenge, ui denen die
Natorkrftfte dem Menschen dienstbar gemacht sind) angeleitet werden.
Der Normalplan hat mdner Ansicht nach das Bichtige getrofilen. Für
ganz richtig halte ich es, dass die Anthropologie nebst Gesondheits-
lehre in den naturkundlichen Unterricht mit aufgenommen und be-
sonders herrorgehoben worden ist Man hat wirklich lange den Fehler
gemacht, ein Langes und Breites Aber inländische und ausländische
Thiere zu erzählen, sehr wenig dagegen vom Menschen, am wenigsten
TOD der Gesundheitspflege. Das Verkehrte dieses Verfahrens leuchtet
ohne weiters ein. Eine auf Kenntnis des Baues ond der Organe
des menschlichen Körpers gegründete Anleitung, wie man naturgemäß
leben, sich und anderen die Gesundheit zu wahren und zu fördern
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— 232 —
habe, ist gewiss bei dem horrschenden Leichtsinn und der unverzeih-
liehen Sorglosigkeit, bei dem leider noch bestehenden Aber- and
Leichtglauben hinsichtlich der Gesundheitspflege und Behandlungsweise
in Krankheitsfällen, ganz besonders mit Rücksicht auf die Kinder-
pfleore. drino^end mithig und für die körperliche Tüchtigkeit, yrie das
kräftige Gedeüien des Volkes «ranz bedeutsam. Die Aufgabe de?
anthropologischen Unterrichts wird, wenn wii* sie noch etwas genauer
fixiren wollen, die sein: den Kindern den Bau des leiblichen Organi^j-
mus und die wichtigsten lit'!M>nsvorir;inErf' nelist den dabei tliätigeii
Organen in ansebauliclier und elenu-iitarei W eise kenn- u zu lehi"eu
und sie durdi Mittheilung der aus deui Baue.^d Leben des Körpers
folgenden (^esundheitsregeln zu befähigen, seme eigene und anderer
Gesuüdlieit aufmerksam zu beachten und zu pflegen.
Was die Stoffgliedening in der Naturgeschichte anlangt, so sind
wol alle Fachleute darin einig, dass in den ersten Cursen Einzel-
beschreil)ungen unit Vergleichungf u i gegeJben, duim aber im Anschlu>;>
an einen Hanptrepräsentanten die Übjecte in Familien oder Ord-
nungen, Classen gruppirt werden sollen. In vielen Schulen unseres
Landes richten sieh die Lelurer nach Hnnunels naturgeschichtlieheti
Leithen, in der Weise, dass im 3. und i. SchnQahie der Stoff aus
den beiden ersten Gnnen ,,des methodischen Leit&dena der Natur-
geschichte fttr YoUwhulen^ zugleich unter Benutzung yon B. Vogels
»erstem Unterricht in der Naturgeschichte'* (Halles Waisenhaoshuch-
handlung) und Anfügung einiger Ifineralien (nach Vogel), im 5. und
6. Schuyahre ans Hummete ^kleiner Naturgeschichte fBr 2— 4c]a8aige
Volksschulen** entnommen irird. In letztere sind die Thic^ in Ord*
nungoi und Classen^ die Pflanzen in die wichtigsten Familien Deutsch-
lands gruppirt; angelllgt sind die wichtigsten Nutzpflanzen der
wlirmeren Lftnder und die Besprechung des Lebens der Fflanaen.
Man bemüht sich, die Thier* und Pflanzenkunde im 5. and 6. Schul-
jahre abzuschliefien, um fttr Naturlehre, Anthropologie und Bespreehong
der wichtigsten Mineralien im 7. und 8. Schuljahre Zeit zu gewinn«i.
Geklagt wiid allenthalben, dass es an einem recht brauchbaren
Leitfaden f&r den Lehrer in der einfachen Volksschule fehle. Soviel
ist gewiss» dass viele Leitfäden an zu viel Systematik leiden, die
meisten an Trockenheit, und dass in vielen dir Sichtung des noth-
wendi^en und nebensächlichen Stolfes nicht befriedigend ist Da wird
z. B. in dem einen Leitfaden, der mir vorliegt, nicht vergessen, die
Zahnformel beim Rinde, bei der Katze etc., die Höhe des Pferdes bis
auf Ceutimeter, die Höhe des Stengels, die Unterschiede der Länge
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— 233 —
von Stuben- und Scbmeißfli^ge bis auf ^filliineter anzugeben, und doch
ist es ein Unding, den Kindern znznmathen, dass sie sich dies merken.
Jedenfalls mu88 der Jjefarer gerade auch beim natorgesdiichtliclieii
Unterrichte sorgsam anssondem nach den frfther ansgesproehenes
Grondsiitzen.
Der Stoff für den anthropologischen üntemcht wird grewiss durch
folg'ende Fordprnnfr richtifr beji^renzt: In extensiver Beziehung" lege
sich der Unterricht die äuBerste Rescliränkiinjr auf; er behandle das
Knoclieni^ysteni etwas ausführlicher, das Muskelsystem nur so weit,
als es zum Verständnis der wichtigsten willkürlichen und unwillkür-
lichen Bew<'{rnn?en erforderlich ist; ein Hauptgewicht aber werde auf
das GeßiÜsysteiu und die Krnälirnn^, sowie die Organe der höiiereu
Sinne gelegt. Die Schi'iftcheu „Anthiopologie und Gesnndheitslelire"
vou \'ogel (k 20 Pf. — Peters Verlag, Leipzig) und „Grundlelne der
Anthropolofrie-^ von Kirchhoff (2. AuHagei werden den Lehrern der
Volksschule hinsichtlich der Stoffbegrenzuug und StoffT)ehandlung gute
Dienste leisten. Das Schritt chen von Vogel ist ganz kurz gefasst;
es wird aber noch iiiuner mancher Name als einmal nicht fest haftend
deu Kiuderu erspart werden küunen.
Die Mineralien behandelt Hummel ebenfalls kurzgedrängt in seiner
Katurgeschichte f&r 2 — 4classige Schulen. Auf Anthropologie wird
M der 01)erstnfe (7. nnd 8. Schnljahr) etwa Jahr, anf Mineralogie
^/^ Jahr, die fibrige Zeit (P Jahr) auf Ph3rsik yerwandt Für letztere
liat Crüger in seiner »»Natorlehre fttr Volkaschnlen** im ganzen das
rechte Stoffinaft gefanden.
Was die Stoffbehandlung betrifft^ so will ich blos hinsichtlich
des natnrgeschiehtlichen Untenichts anf eine berechtigte Forderung
hinweisen: der Lehrer darf seinen Unterricht nicht auf trockene,
pedantische Systematik, die, wie Lüben sagt, z. B. die Pflanzen zer-
gliedert und Äe Blätter zermpfb, ohne wieder ein Ganzes und Lebens-
volles in der Anschannng an&teigen zn lassen, bescbrünken; er darf
aber anch andererseits in der poetischen Aufthssung nnd Darstellung
nicht das eigentlich Naturgeschichtliche aus den Augen verlieren; es
gilt also, die redite Grenzlinie einzuhalten — jedenfalls darf aber die
natnrsinnige, gerofttiliToU'e Auffassung der Objecte nicht fehlen. Soweit
ich Lehrer im naturgescliichtlichen Unterrichte zu beobachten Gelegen-
heit gehabt habe, so sind es wenige gewesen, die es verstanden hätten,
den trockenen Abriss des Leitfadens zu beleben, von vom herein das
Interesse für den zu behandelnden Gegenstand zu wecken, auch in
der Sprache sich dem Leben, der Entwickelung des Lebens in der
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Natur anzupassen. („Die Aiis<liiukt' wachsen, entfalten, entmckeln,
ranken, winden etc. sind am Platze; nicht: das zusammengesetzte
Blatt Kibse hat eine Ranke, sondeni: das Ende der Blattrippe
wächst zur Kanke aus; nicht: die Früchte sind Hülsen, sondern:
aus dem Fruchtknoten entwickelt sich eine Hülse etc.- — Küiin.)
Viele Leiirer einpfinden selbst, dass ihnen die Belebung besonders der
Pflanzenkunde niiht trelinirt: ««ie erklären offen, dass sie sich freuen
wenn das S^HiiniersL-meslcr zu Eude geht imd der natnrge<chichtliche
Unterricht sich zur Thierkunde wenden kann. Mir srlipim fS, als
wenn der Lehrer für die natiirsinnige B et räch tum.'' von \n»v\ f. .Der
naturgeschichtliche Unterrieht in iMitiel- und niehrclassigeii Volks-
schulen — 2. Auflage, 1880. Leipzig, Sieirismund & Volkening)
manches lenieu künnte.*i Bösel empfiehlt z. B. das Verfahren, in jeder
Jahreszeit sogenannte Landschaltsbilder von Wald. Wiese, Feld,
Garten etc. zu geben, um eine lebendige Anschauung von der Zo-
. Sammengehörigkeit und der Wechselbeziehung der Naturkörper zu
einander za erstreben. Z. B. beginnt Bösel die Besprechung des
Hamsters so: Bas Getreide ist eingeerntet Bald wird der raube
Herbstwind Aber die Stoppelfelder wehen. Hi^ ond da werden die
Äcker schon wieder mit Wintergetreide bestellt Doch ancb das wol
für viele Ode Stoppelfeld hat f&r den Naturfreund noch ein ▼ielfaehes
Interesse. Zonächst richtet er seinen Blick anf die niedlichen, hübschen
Blümchen, welche noch Instig zwischen den dfiiren Stoppeln grttnen
und blühen. Ehr pflückt sich Yerschiedene davon; bald besitzt er ein
schönes Str&nßchen (Ackerhohlzahn, Erenzkrant, Acker-Ehrenpreis,
Äckerwinde, Acker-Löweamanl). . . . Aach die Thierwelt belebt nicht
minder den abgeernteten Acker. Scharen von Tanben, Sperlingen,
Lerchen und Goldammern lassen sich anf demselben nieder, denn sie
finden daselbst jetzt noch reichliche Nahrung .... Doch was machen
denn da unten mitten auf dem Stoppelfelde die beiden JiSmer ? Wir
eilen zu ihnen. Die Männer graben die £rde tief auf etc.'' Freilich
hat er in diesen Einleitungen des Guten zu viel gethan. Wenn die
Kinder mit den Wesen, die bei diesen einleitenden Bildern in ihrer
Wechselbeziehung aufgeführt werden, noch nicht bekannt sind, so
werden sie mit nnvöstäudlichem Stoffe überschüttet. Im übrigen ver-
steht es Bösel recht wol, das Interesse der Kinder Hlr den zu be-
handelnden Gegenstand zu crwe6ken, oft nur mit wenigen Worten.
Z. B. leitet er die Besprechimg des „Goldschmiedeä" auf S. 176 so ein:
*) Als gttDz T<Hrrilg^icb sind die Wagn ersehen Werke bdsumt» aunentlich
bietet .,In der Xatar** treftlirhe Besdireibuiui^ii.
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— 235 —
^Wenn ihr im Friihlin^e einmal zwisi-l)»'n Santfeldem dahin e^^nvandert
seid, so wird euch wol schon alieu ein gmiier, si-hilltiiiilrr. gold-
glatizfüder Kater aui^efallen sein, der schnell über 'h'u W'tcr dahin
lief und sich eilig in der grünen i>aat oder unter einem .Steine oder
Erdkloße verbarg. Tcli meine den allbekannten Goldschmied, den ich
euch hier lebendig mitgebracht habe." — Die Betrachtang des „Schnee-
glöckchens" beginnt er (auf S. 218) mit dem Gedicht« „Das Schnee-
glöckchen" von Scheurlin und fährt dann fort: ..Nicht wahr, das
Gediclitchen gefällt euch? Es ist auch wirklich so lieblich wie da.s
bescheidene Schneeglöckchen selbst. Ich habe das niedliche Pilanz-
chen so lieb, dass es mir leid that, es mit noch einigen anderen aus
der Erde zu graben, um «s mit euch heate dumal näher za betäubten.
Wie ibr wH bftbe ick nur einige wenige Pfiftnzchen mit ässk Wurzeln
ttosgegraben; von den ftlirigen habe ieh nur die Blfitenst^igel und die
Bttttor abgepflückt Ieh werde zwar die Zwiebeln gleich nach den
Scfanlstonden wieder behatsam in die Erde eingraben; ich glanbe aber
doch, dm einige davon sterben etc."* — Bei der ,,Komflockenblume"
kniipft er an die Sitte der Landlente an, Ende Juni das Hans mit
bontfiurbigen Kränzen von schünen Feldblumen zu schmücken. — Im
Hummdschen Iieitfaden beginnt die Schildemng der Eidechse so:
»Die gemeine Eidechse wird spannenlang. Im Innern hat sie ein
Knochengerllst, rothes*, kaltes Blut und athmet durch Lnngen" etc.
Wenn der Lehrer keine andere Form wählen wflrde, so wllide die
Lection allerdings sehr JangweiUg werden. Der Lehrer wird etwa
nach folgender Skizze überleiten müssen: „Ein sonniger Frühlings-
tag lockt uns ins P'reie. Die Pflanzen- nnd Thierwelt ist zu neuem
Ld)en erwacht, Brühlingsblümchen etc. Wir lenken nnsere Schritte
dort nach jener Hecke. Kleine schuellfiiJiige Laufkäfer huschen
zwischen den Pflänzchen dahin und verbergen sich eilig unter Steinchen
nnd Erdklümpchen. Auch ein^e Sclimetterlinge flattern durch die
Lüh. Da ein Geräusch. Ein niedliches Thierchen, das sich sonnte,
prächtig schillernd, huscht ?anz schnell rechts in die Hecke hinein.
Es sah graniprrttn aus, hatte einen lanj,^en, runden ^diwanz. Es huschte
so schnell vorüber, dass wir es gar niclit genau betrachten konnten.
Welches Thierchen mag das wol gewesen sein?" etc.
In Anthropologie und Piiysik Nvird in dei- Regel weit besser
nnierrichtet als in Naturgescludite; eine Jbolge davon ist: die iünder
beweisen ein größeres Iiiierci-^e dalür.
Und nun noch wenige Worte übei' das Zeichnen, Turnen nnd
die weiblichen Handarbeiten.
F;<^dago(nBni. 5. Jahtg. Heft IV. 16
*
L/iyiii^ü<j by Google
• _ 236 —
Der Zeichenunterricht ist durch das sächsische Volksxliul-
gesetz von IBT.'i auch in der einfachen \'olksschule einsft'tVihrt wurden,
und zwar mit Kefht. iXr Zeichenunterricht besrinut den Sinn der
Kinder zu öffnen für das Scli<)ne in der AuLlenwelt, der Xaiur. wie
auch der l>ildenden Kunst, die uns ja mit ihrer schniückendeu Hand
auf Straüeu, Plätzen, Friedhöfen, allenthalben entgegentritt, und deren
veredelnder Kraft wir ja in gewissem Ifafie jede Hätte öfiiien möchten;
er bildet den Geschmack und hilft das Missfiülen an der Boheit der
Form zu erzeugen ; eine ganze BeQie von Berufen kßnneti die Fertige
keit im Zeielmen, eine geschickte Hand, das gute AngeDmall, einen
edlen Geschmack recht gut verwerten; der Sinn für Sauberkeit,
Symmetrie wird in allen Verhältnissen ▼olthoend walten. Das sind
allbekannte Dinge. — Es ist nnn für nns seit der Einf&hrang des
Zeichenunterrichts auch in den gewöhnlichen Volksschulen eine allge-
meine erfi'ealiche ErfahrangsthAtsache geworden, dass die Kinder
aoAerordentlicb gern seichnen. Das Ziel, darf freilich bei der geringen
Zelt, irelehe anf das Fach verwandt werden kann, nicht hoch gesteckt
werden. Die verwendbare Zeit ist nicht in allen Schulen gleich. In man-
chen zeichnen die Kinder blos die beiden letzten Schn(jahre wöchentlich
je 2 Stunden; in anderen wird schon im 5. und 6. Schuljahre gezeichnet,
und zwar wöchentlich je 1 Stunde. In manchen Schulen zeichnen
eine Reihe Knaben freiwillig noch nach dem planmäßigen Unterrichte;
hierbei kommt alles auf die anregende Kraft des Lehrers an. In zwei-
classigen Schnlen helfen sich manche Lehrer so, dass sie die talent-
vollsten Schüler der 1. Classe mittwochs und sonnabends noch während
des Unterriclits der 2. Classe zeichnen lassen. Die besten einfachen
Volksschulen haben ihre Kinder unter solchen Verhältnissen dahin
gebracht, dass sie, nachdem ,.Der kleine Zeichner" von Tretau, unter
Weglassung einiger Figuren, durchgenommen worden war. eine Reihe
Vorlaoren von Herdtie (Herdtle-Tretau- Vorlagenwerk für den Elemen-
tar-Unterricht im Freihandzeichnen. Stuttn-art) und von Beyt'r (Vor-
lagewerk, erM-hieiirii iu Langensalza) grezeichnet haben, und zwar unter
Anwendung der i'arbe. Für Mädchen sind aiicli Bhimenvorlaj^fen ge-
geben worden. Höher kann man das Ziel unbeding^t nicht stecken.
Das Hineinarbeiten in die rechte Methode hat. wenn ich hier
etwas von der Entwickelung des Zeichenunteri iclits iu unseren Schulen
erzählen dart. viel Mühe geniuciit. Die Tnpi>ten alteren Lehrer hatten
seit ihrer Seuüiiai-zeit nicht mehr gezeichnet, l'ni \venig>tens eine
größere Zahl zur Ertheiliniir eines befriedigenden Zeicheuunterricht.s
fällig zu machen, wui'den iu den einzelnen Bezii'keu an verschiedeueu
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— 237
Centraipunkten Zeicheueurse errichtet, v-plfhc in der Regel von einem
Seminarzeichenlelirer geleitet wurden. Nunmehr sind auch schon viele
junge, entsprechend vors-ebildete Kräfte ins Lehramt gekommen, sodass
es in kurzer Frist nicht melir an nietli<Miisc]i eesf'hultvn Lehrera fiir
den Zeichenunterricht fehlen wird. Wie schon nlu ii bemerkt, legren die
Lehrer bei den Specialconl'erenzen jedes Jahres iiire Zeichnungen mit
aus; eine aus der Mitte der Lehrer ?e\vählte Commission prüft und
urtheilt. Diese Einrichtung ist getrollen worden, um den jungen Zweig
unserer Volksschule recht lebensfiisch zu machen. Da die Leistungen
der gleichartigen Schulen, die unter ganz gleichen Verhältnissen ar-
beiten, nebeneinander liegen, so ist iiaUiilicli eine große gegenseitige
Anregung geboten. Die erzielten Resultate sind mit jedem Jahre bessere
geworden. Einzelne Scholen haben verhältnismäßig Treffliches geleistet;
freüidi gibt es auch solche, die noch nicht beMedigen.
Anfangs wollte sich die früher beliebte Ifethode, Landschaits-,
Thierhildchen za zeichnen, gegenflbei* der strengeren, systematisdien
geltend machen, und auch das Pnblicnm, soweit es sieh fttr den Zeichen«
ontenicht interessirte, schattelte die EOpfe, wenn es bei Prüfungen
die Zeichnungen nach dem kleine Zeichner von Tretau sah; aber
mehr und mehr sind die Lehrer selbst zur Erkenntnis gekommen, dass
mit der erstbezeichneten Methode alles System aofhOrt» eine feste
Ffihnmg und Schulung nicht erzielt wird, und seitdem die Leistangen
der Schulen Über Tretaas Zeichner hlnansgefaen, die Herdtleschen und
die prAchtigen Beyerschen Sachen vorliegen, hat sich die Meinung
auch der aofiethalb der Schule Stehenden sehr geändert. Hierbei ist
aber noch zu betonen, dass sich die Lehrer im £ifer nicht verleideu
hissen dürfen, zu hoch zu greifen, also zu schwere Vorlagen zu geben,
ehe wichtige Elemente genügend sicher geflbt sind. Als ein vorzüg:-
licher Prüfstein ist die Schneckenlinie anzusehen. Jedenfalls sind nacii
dem kleinen Zeichner von Tretau (Nr. 98—104 von doi geradlinigen
Figuren, Nr. 115 — 120 von den krummlinigen werden weggelassen)
die strengeren Formen der Herdtleschen Vorlagen besonders zu üben
und nur einige Vorlag-en aus d^m Beyerschen Werke (etwa aus dem
7. und 8. Hefte) an-, bez. einzufügen, abei* diese noch vorsichtig aus-
zuwählen.
Auch hinsichtlich des Gebrauchs von iiillsmitteln mussteii erst
Grenzlinien iresucht werden. Der Begritfdes Freihandzeichnens schließt
ei^'entlich die Benutzung von Hilfsmitteln ans; allein die Krtahrung
hat es doch, besonders bei solchen Classen, die 5Ü — 70 Kinder zählen,
als richtig bezeichnet, das Nachmessen der ei'st nach Augenmaß
16»
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236 —
gemachten Theilunfren etc. zu gestatten. Ist einf Theiliniii: falsch
gemacht, so wird füp ganze Figur verzerrt; bei (ien grolj»u Classen,
wie sie «ich in der einfaolien Vfdksschule meist finden, ist aber der
T.ehrer nicht imstande, fortwälirend die Correctnr zu überwficlH'n. —
lu einig'en Schulen sind auch Vorlagen aus dem IlerdtU h- u \\ < i ke
für BYeihand- und jyeometrisches Zeichneu gezeichnet worden, so da."5s
also thoilweise Hilfsmittel benutzt wurden. Die Leistungen erfreuten
das Auge.
Femer ist es ja richtig, dass der Zeichenunterricht vor\viegend
( lassenunterricht sein muss, abtr doch blos bis zu einer gewissen
Grenze. ^\ euu zum Zeichnen der Herdtleschen und Beyerschen Vor-
lagen geschritten wurde, hat sich die betreffende Abtheilung, je nach
der Beiiüiigung der Kinder, theileii mtkssen.
Endlich m(k^te ich noch besonders betonen, dass wir nns die
GrenxUnie fttr den Zeichenunterricht in der Volksschnle nicht zn weit
gezogen haben, wenn wir anch die bnnte Farbe anwenden lassen. Die
Zeichnung bekommt dadurch erst ein rechtes Leben; der Geschmack
wird isebUdet, nnd die Last am Unterrichte wichet zusehends. Frei-
lich muss der Lehrer selbst einen feinen Geschmack fflr die Farben-
zusammenstetlnng besitzen und das rechte Auftragen der Farben za
lehren verstehen. Als guter Wegweiser hat den Lehrern gedient die
Farbenlehre von Wolter (k 1 Hk.); besonders haben sich aber auch
hierfttr die Ausstellungen als lehrreich bewiesen.
Ich gehe weiter zum Tnrnnnterrieht. — Der Ldb soll eine
gesunde Wohnst&tte und ein gefligiges Werkzeug der Seele sein; darin
liegt eine wesentliche Bedingung zur Erfüllung unserer ethischen
Lebensaufgaben, der allgemeinen wie besonderen, für welche die Volks-
schule heranbilden will. Wenn sich nun der Turnunterricht die Auf-
gabe stellt, die körperlichen Kräfte mit aller BerficksiGhtigung des Chv
ganismus harmonisch auszubilden, den Leib zum gesunden, krftftigen
Trftger und zum gewandten Diener der Seele zu machen, so kann
darüber kein Zweifel sein, dass er der Volksschulidee entspricht, also
auch in den rnterrichtsorganismu.s der Volksschule gehört. Der Turn-
unterricht will aber niclit b]ns indirect auf und für die Seele wirken,
sondern ' i' «teilt sich zugleich die AH^L^•^be. Muth, Entschlossen-
heit, Orduuugssiüii, riHtnein^inn, feste Kinlugung in ein <ianzes, Wöl-
fl nständigkeit in der ganzen Haltung bei seinen Schülern auszubilden,
al<o auch direct solche Tugenden anzubilden, welche jeder ^fensch
l)esit/.eu und üben soll. Diese Aufgaben hat sirh der Turnunterricht
auch in der einlachen V'olksschule zu stellen, wenn auch freilich die
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vorliegenden Verhiltnisse die Ldenng derselben ihrem Grade nach
sehr eioschrftnken. Leider Iftsst ee sich an vielen Orten nicht durch-
fuhren, dass das ganze Jahr hindurch getnmt werde; es vtren dazu
Bauten von Turnhallen nöthig, die, wenn sie auch noch so einfach
gehalten wQi-den, die Gemeinden zu schwer belasten würden. In den
meisten Schulen kann blos Jalir geturnt werden.
Vs'lf schon oben bemerkt, erhebt sich gerade ge^en diesen Zweig
bei der Landbevölkerung ein schroflfer Widerstand. Bei vielen G^e-
meinden mag der Gedanke der Mehrbelastung der eigentlich zur Oppo-
sition tivibende sein, und darüber muss man billig urtheüen; aber doch
wird auch inim» i- wifder die Ansicht geltend gemacht, die Doi-fius:«'!!«?
bedürfe keines l'uruunterrichts, sie Iiabe körperliche Bewegung genug.
Auf den eisten ßÜck scheint dies richtig zu sein, aber doch blos auf
den erstf^n Blick. In Weberdürferu ist das Kind, wie jeder weiß, der
in einem soltln n lufgewachsen ist, in niedrigen, dumpfen Stuben au
das Spulrad i:< tesself, bis es seinen siüiMiauiiten ..Ziel" hat fso z. B.
in der Lausitz); in Fabrikdörferu muss das 12jährige Kind seine
schulfreie Zeit in f il l ikräumen verbringen. Von einer Übung der
körperlichen Kraft kann bei solchen Kindern nicht viel die Rede sein.
Anders ist es allerdings bei Kindern ackerbautreibender Bevrdkn ung.
Sie bewegen sich in freier Luft und werden zeitig zu solchen Arbeiten
verwandt. weUdie die physische Kiati ausbilden — aber freilich nur
einseitig. Durch die sich im ganzen gleichbleibenden Arbeiten werden
immer nur einzelne Muskelpartien besonders ausgebildet, und in der
Regel wird keine Raschheit der Bewegung gefordei t, so dass die bäuer-
liche Jugend gerade in der Beweglichkeit und Gewandtheit der stSdti-
sehen nachsteht; ein allzeit gefügiges Werkzeug wird aul jeue Weise
der K5rper nicht, nnd eine gute Haltung gewinnt er auch nicht Man
sehe sich nnr den Gang, die Haltung der Banembnrsche an — wie
anders kommen die Leute znrnck, wenn sie ihre MilitSneit hinter sich
haben! Hier werden sie eben gewdhnt, den eigenen Körper in die
Gewalt zn bekommen. Außerdem Ubersehen die Gegner des Tnrn-
nntemchts meist den vorhin berOhrten Nutxen für die Geistes- nnd
Cbarakterbüdong des Knaben. Übrigens stehen die Eltern in offen-
barem Gegensatze zn ihren Söhnen, die sehr gern tarnen. Manche
der gewöhnlichen Lente haben freilich gar keinen rechten Begriff vom
Tnmnntenichte. Sie stellen sich daninter die Ausführung von gjrm-
nastischen Kanststflckchen vor, bei denen die Kinder Hals und Beine
brechen können. Der sächsische Normalplan könnte allerdings mit
seiner Begrenzung der Übungen solche Befürchtungen zerstreuen, wenn
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er bestiinint: ..Der Unterricht erstreckt sich vorzugsweise auf Frei-
und Ordnungsübangen, sodann auf Stab- und Springfibnngen." Treten
noch Gerätübungen hinzu, so dürfen es nur einfache sein.
Die Grenze der Übungen ist damit richtig fjrezoj^en. Daraus ist
aach ersichtlich, dass die Zahl der erforderlichen Gerätschaften «nfierst
gering ist.
Und nun zuletzt noch der Unterricht in den weiblichen Hand-
ai beiten. Wenn ich auch hierin von den gemachten Ert'ahnmijen
sprechen darf, auch dieser Zweie hatte erst Anfechtungen zu erleiden!
Der Kostenpunkt, das Honor.n tiir die Lehrerinnen, spielte auch bei
vielen Gemeinden %neder eine wichtig:«' Holle, die nicht gennL-- abwogen,
welchen Nutzen der UntPiTicht in den niizelnen Hänseni dps Dorfei^
spater schatten werde. Andere wieder meinten, die Volksschule i^reile
in diesem Unterrichlszweige über die ihr zukommenden Grenzen hinaus,
in die Sphäre der Familie, der Mutter liinein. Sie überlej^ten sich
die wirklichen Verhältnisse nicht, nach denen in sehr vielen Familien,
gerade bei den ärmeren StauUtn, die Mutter v» rliimii rt oder nicht
befähigt ist. ihre Töchter in weiblichen Handarbeiten zu unterrichten.
In reicheren Familien wieder versäumt die Mutter gar oft ihre Pflicht,
ihre Töchter in weiblichen Arbeiten zu unterweisen, oder die Luxus-
arbeiten nehmen die Stelle der Arbeiten ein, in denen sich die künftige
HanrihkU* fiben mSchte. Die Volksschnle nimmt gewiss im ganzen
mehr anf die künftigB Lebenastdlnng des Knaben, auf die Berufe des
Mannes als anf den des Weibes B&cksicht; omsomehr ist der Untere
licht in den veibliehen Handarbeiten, welcher der kSnldgen Haosfraa
mcfat blos nützliche, zor Erhaltong des Hausstandes daichans nOthige
Fertigkeiten venoittelt, sondern auch eine Beihe weiblicher Tugenden
anzubilden yermag, im Organismus der Volksschule freudigst zu begrikfien.
Wie hat sich nnn auch dieser Zweig in unseren Schalen eingebikrgertt
Bei den Frilftmgen liegen die Arbeiten der U&dchen aus; Väter und
Hfttter betrachten sie mit Freuden. Mancher schlichte Mann hat mir
schon gesagt: „Wenn ich etwas genäht haben wül, da braacbe ieh'ä
jetzt nicht mehr der Frau zn sagen; die Tochter brmgt's besser als
die Matter. — Die Mahe, welche sich die Lehrerinnen gegeben haben,
hat gute Früchte gebracht.
Die Grenzlinien fSae den Unterrichtsstoff za ziehen, war und ist
nicht schwer. Die sogenannten feinen weiblichen Arbeiten (Luxus-
arbeiten) gehören nicht in die Volksschule. Stricken, Nähen, Flicken,
Stopfen, das sind die wichtigsten Arbeiten, die zu erlernen sind; in
zweite Linie kommen Häkebi, Zeichnen, in dritte Linie Sticken. Letzteres
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wird aar den Kindern 2a lehren sein, die in den nothwendigBten weib^
liehen Handaibeiten geübt sind. Die Spitze, die der ganze Unterricht
zn erklimmen bat, ist die, dass die Mfidchen lernen, ein Hemd zuzu-
sclineiilen und za nähen. In den meisten Schulen ist dies Ziel erreicht
▼orden, wenn auch nicht bei allen Kindern; anch in diesem fache
aeigen die einen mehr Geschick als die anderen.
Was die Methode anlangt» so haben sich die Lehrerinnen, welche
doch zunächst im Unterrichten ganzer Classen gar nicht geübt worden,
schneller hineingefunden, als man denken sollte.*) Zunächst veifasste
eine schon länger angre^^tellte Lehrerin eine kurzgedrängte Anleitung
(Der Unteriiclit in den w^eiblichen Handarbeiten von K. Kranse
erschienen bei Schlimpert in Meißen). Sodann sind in den ersten Jahren
Gesammtansstellungen gehalten worden, zu denen sich die Lehrerinnen
aus (lern ganzen Be:/i!kH einfanden, um voneinan<ler zu lernen. Probe-
lectioneu, gemeiu^ame üesprechunLaMi wurden gehalten, bei denen die
Lelirer innen sehr friscli ihre An>n hten austauschten, ohne die parla-
mentarischen Grenzen zu überschreiten. Ich will nur einige Punkte
erwähnen, bei denen Meinungen und Erfahrungen auseinander gingen,
also auch die richtige Linie zu finden war, theilweise anch jetzt noch
zn finden ist. Icli will gleich den Auszug aus einem i rotocoll über
eine gemeinsame Besiu ecliung. die sicli au eine Ausstellung von weib-
hchen Handarbeiten auschloss, hier anfügen:
1. Es wurde die Frage behandelt, ob beim Stricken die bis-
herige Methode, ein Modell stiicken zu lassen, beizubehalten, oder ob
es rathsamer aä, den SehlUerinnen an einem irollenen Waachfleckchen
die Ani&nge za lehren nnd dann sogleich zn dem Stmm|ifB &beiza-
gehen. Die Hbjorit&t entschied sich für das letztere; es wnrde aber
den Lehrerinnen freie Hand gelassen. 2. Der Gfrundsatz, bei den
Ueinen Schttlerinnen anf das Stricken einen ganz besonderen Kach-
dmek zu leigen nnd keine häkeln zn lass^, wenn sie nicht yorher
den Strumpf allein nnd sicher in allen Stiicken stricken kOnne, wurde
Ton allen Lehrerinnen als richtig anerkannt Man wollte das Häkeln
bei einzelnen Schfilerinnen lieber ganz weglassen, als das Stricken
irgendwie beehoitraehtigen. Das Stricken sei weit nQtzlidier als das
Hflkeln, nnd die älteren Mädchen lernten letzteres auch spater ohne
grofie Schwierigkeit 3. Darflber, ob dem Nähen das Zeichnen vor-
*) Idi kann natSrlicb jetzt nur tc» den ErHüumngvn in meinem Beeirke reden;
•iwr wie die AuMteDongen anderer Bezirke bewieaen haben, sind auch aaderwirta
gleieh gflnatige Beavltate endelt worden.
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ausgehen oder folgoi solle, gingen die Heiniingeii ansemander. Nach
beiden Methoden waren gut« Resultate erreicht worden. Diejenigen
LehrerioDen, welche das Zeichnen dem N&hen Tonuuschicken, hoben
hervor, dass die Kinder beim Zeichnen genothigt würden, die vStiche
oorrect zu machen; das sei eine gute Vorschule für das Nähen. Die
anderen Lehrerinnen betonten, dass das Nähen wichtiger sei als das
Zeichnen, und das« diejenigen Kinder, welche im Nähen geübt seien,
sich auch leicht ins Zeichnen hineinfänden. Den Lehrerinnen wui*de
freie Hand gelassen, aber doch die Anregung geboten, durch die Er-
fahrung sicli jxenau zu überzeugen, welche Methode die prakiiscliere
sei. 4. Die Frage, ob beim NShunterrichte erst ein Modell genäht
werden solle, wurde, je nach der verscliiedenen Art der Schulen, der
verfiiijbaren Zeit, auch verschieden beantwortet. I)ie einen traten ftir
das Modell ein. Das Nahen dns Modells ermögliche einen ('lasscn-
uüterricbt: das Mateiial dazu sei aneh ftir arme Kinder leichter zu
beschatten ; wenn das Kind an dem Modelle ci-st mit den verschiedenen
Nahten vertraut geworden sei. .>^•» werde das Anfertigen des Hemdes
seihst verständlich besser gelingen. Die Gegnerinnen hielten ein, dass
doch auch l)eim Nähen des Modells die Kinder, je nach ihrer Geschick-
lichkeit, bald auseinander kamen, und dass das Nähen des Modells zu
viel Zeit in Ansi>ruch nehme. Ks sei zweckmäßijj. «rleicli ins Praktische
einzutreten, also mit dem Siuimen eines Tuches zu beginnen. Dadurch
werde Zeit erspart und dem Verlangen der Eltern, dass die Näh.schule
doch hald praktische Resultate zeigen möge, Rechnung getragen. Das
Verfiihrenf das Modell Ton Zeit an Zeit zur Hand nehmen nnd die
nea auftretende Naht aUemai erst am Modell aben zu lassen, war anch
rersneht worden, &nd aber nicht allgemeine Znstimmung. — Zu diesem
streitigen Punkte bemerke ich, dass doch später yiele Lehrerinnen
wieder zum Modellnfthen znrilckgekehrt sind, das Modell aber in
geringerer Ansdehnnng, als wie es in der Anleitung von Kranse ange-
geben ist, haben anfertigen lassen. — 3. Dass als erreichbares Ziel das
Zuschneiden und Nähen des Hemdes hingestellt werden mfisse, darttber
waren alle einig. Das Zuschneiden mfisse, da doch die Kinder nicht
viele Hemden zu nfthen vermQchten, an Papier geflbt werden. Was
das zu den Hemden verwendbare Material anlange, so dürfe man nicht
peinlich sein. (Die Hemden, welche arme Kinder nfthen, sind allerdings
oft ans verschiedenartigem Stoffe zosammengenftht) — 6. Hinsichtlich
des Anftrennens von nicht ganz gelungener Arbeit sprach man sich
dahin aus. auch hier sei (wie bei anderen Unterrichtszweigen) die ver-
schiedene Befähigung, das Geschick der Kinder in£rwftgnng zn ziehen.
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Die Leun* und Arbeitslust dOtfe num bei sonst fleißigen Kindern nicht
durch zu große Peinlichkeit unterdrücken; bei faolen, unachtsamen
Kindern allerdings müsse man streng sein nndd&rfe ihnen die Liedt rlich*
keit, Unsorgsamkeit nicht durchgehen lassen. — 7. Das Stopfen und
Flicken sei ganz besondei-s zu bedenken. Es wurde bemerkt, dass
die Ausstellung gerade darüber, ob das Stopfen, Flicken gehörig be-
dacht worden sei, niclit genügenden Ausweis <rebe. Die Lehrerinnen
bezengten aber, dass beides nicht verabsäumt worden sei; nur nähmen
die Kinder die geflickten und gestopften Gegenstände gleich wieder
in Gebrauch. Diejenifren Lehrerinnen, welche ein Nähmodell hatten
fertigen ias.sen, hatten in demselben auch das Aufsetzen und Einsetzen
von Leinwandstückeu geübt. Es wurde auch der Vorschlag gemaclit,
beim Nähmndell gleich das Wieb>^l?i (Stopfen) der Wäsche zu lehrf?i
Was das Stopfen der Strümpfe anlangt, so liatteii dies uianclie Leiiie-
rinnen <i:leic]i so f^eübt, dass sie alte Strinnpie zertheilten. Löclier ein-
scliiiitten und diese nun stopfen ließen. — Bpi Schiürevisionen
waren hie und da Mädchen, auch in den oberen Classen, mit zci-
ri&ienen Kleidungsstiicken bemerkt wurden. Rs wurde als rieht iir an-
erkannt, dass die Lehrerinnen gerade darauf mit ihr Augenmerk zu
richten und die Emder vor allem auch z\i dem 1^ Ik ken ilirer Klei-
dungsstücke anzuhalten hätt>en. — 8. Bei dem Zeiclinen soll der viermal
überlegte Stich festgehalten werden und die langfu Faden auf der
Rückseite nicht blos liegen, weil die Arbeit dadurch haltlos wei-de. —
9. Bei der Frage, ob die Arbeiten bei Ausstellungen gewaschen oder
ungewaschen vorgelegt werden sollen, stimmten zwar alle Ldirerinnen
dann Überein, dass die ungewaschenen Arbeiten die Leistungen der
Kinder, ihre Sauberkeit und Accuratesse besser erkennen ließen; allein
es seien auch hier je nach denOrtsdiaften mehr odw weniger Schwierig-
keiten Torhanden, Die Mädchen, welche in die Fabrik zu gehen hätten,
brächten ihre Hände nicht so rein, dass nicht beim Nähen Flecken
entständen; die Localitäten seien oft auch nicht günstig. Es wnrde
aber allseitig zugegeben, dass man in Bezug auf die Sauberkeit der
Aibeü nicht genug thon könne. Jedes Kind mflsse sich seinen Platz
▼orher säubern; auch wurde empfohlen, abwechselnd Mädchen geradezu
damit zu beauftragen, die Bänke Yorher zu reinigen.
Damit genug. — So habe ich die Unterrichtszweige der ^^olks»
schule nach der Volksschnlidee, sowie den zu behandelnden 8totl zu
umgrenzm, wie auch wichtage Linien, die man bei der Stoffbehandlung
einzuhalten hat, zu zeichnen versucht. Die eingehaltene Ordnung der
UnterricbtSKweige soll zugleich zeigen, dass Beligion, Deutsch, Bechnen
üiyiiizeü by GoOgle
— 244 —
und Gesang als die wichtigsten in den Voixlergi-und m treten, und
dass bei einem Nothstande der Schule die anderea F&cher znr&cktreten,
nach Befinden zeitweilig ganz wegfallen masaten.
Sind aber nach obiger DarsteUnng eine ganze Reihe von Unter-
richtszweigen der Volksschnlidee erwachsen, so scheint das bedenkliche
Vielerlei, das die feste Aneignung des Stoffes und das Wachsen der
geistigen Kraft verhindert, da zu sein. Bei rechter Unterrichtsweise
wird die Gefahr, die hierin liegt^ wesentlich gemindert. Jeder Unter-
nchtszweipr hat allerdings sein eigenes Gebiet^ aber doch müssen sie
sich die Hände reichen: Katerhisnins und biblische Geschichte Deutsch
und Kealien ibei Leetüre, grammatischen, stilistisclien ('biiugen) —
TiPctüre und Grammatik. Stil — die K^ nli^^n untereinander (zu der-
selben Zeit z. B., wo d»Mitsr|i-sä(lisische Geschichte getrieben wird,
kommt in der treographie Deutsckiaud und Sachsen zur Behandlung)
— Rechnen und Geometrie — Geometrie und Z. i laien. Verwandte
Voi*stel]ungen sind zu verknüpfen; die Unterriclu^zweige haben, soweit
dies ohne Künstelei geht, aufeinander Rücksicht zu nehmen.
Und nun möchte ich am Schlüsse zu uieinem Anfangfiredanken
zurückkehren. Ich hal)c am Beginne meiner I)arsulluu<^ davön ffe-
sprochen, dass es wichtig sei. auch zwischen den eiuzchieu Anstalten
feste Grenzbestimmungen aufzuricliten; allein dies wird doch nicht so
ZU verstehen sein, als dürften sie nicht in einer inneren Besdehung
stehen. Die Tolksschole soll doch die Basis legen; die höheren An-
stalten haben die Pflicht, an ihre Arbeit anznknflpfen, und der Grund-
gedanke, ans den Zöglingen religiös^ttliche Persönlichkeiten zu bilden,
soll dnrch alle Anstalten hindurchgehen. Es wOrde gewiss anch Ton
Interesse sein, sn nntersnchen, ob zwischen höheren nnd niederen An-
stalten ein rechter organischer Zusammenhang bestehe oder ob sie
sich nicht zum Schaden der Zöglinge zn wenig nnterdnander kümmerten.
Anmerkung des H or.iu s^^ebers. oliunl ich, wie aus m<^iiMT „Schule der
Pädagogik', besonders aiw meiner „3IeiJHKiik der Volksschule" ersichtlich ist, nicht
in aUen Punkten mit Hem Scbnh»th GrttUieli ftbeninatimme, habe kh doch der
hiennit abg^cbbwaen«! AUuuidhiiig desselben mit Vei^tkgea Banm gegeben, irail
sie eine urafassende und durchdachte Riclitung des Volks^chulunterrichtes bietet, in
die Schulpraxis oinf>s <>Air litn'orraffenden Schullandes Einsicht gewührt nnd allpnt-
halben erkennen lässt , dass der Verfasser, ein gediegener und verdienstvoller Sihul-
numo, die YoUubilduug nach bestem Wiseen mid Gewiesen m heben bemtlbt ist und
auch auBerbalb seines Bemfdtreises gehOrt zn werden verdient D.
üiyiiizeü by GoOgle
Die Entomologe in der Schule.
Von Dr. H» l^eiß- Königsberg i. Fr.
Die schönen Tage, wo man den wahrbalt clASsisdi Gebildeten,
d€n Philologen ,.von Fach*", daran erkannte, dass er einen Si»atz nicht
?on einer Feldlerclie zn untersclieiden vermochte, da ihn eine solche
Kenntnis ja in den ketzerischen Geruch realistischer Halbbildung hätte
brincen k<mnen. — die schönen Tacre solches Vorurteils, "sind nun zn
Ende; obsrleicli ich freilicli n«icli die Ehre hatte, einen höheren Schul-
mann kennen zu lernen, df^r ;i1Ipt) Respect vor meinen theologischen
nnd sonst etwa vorhandenen Kenntnissen zu verlieren schien, als er
iri'-iiie naturwiss.'Ti'-i'haftlifhen Sammlungen sah und erfuhr, dass ie!i
sie nielit M - X lori aiiL - leirT. i;<judei'n die Objecte auch selber bestimmt
nnd geordnet hätte. Aber selbst in die Schranke der Gymnasien haben
doch jetzt ausirestopt'te Saufrethiere nnd Vo-^a-l sowie in Spiritus ge-
setzte Ii' ]>rilfen ihren Weg irefumlen, und Msweilen werden sie sogar
beim naturwissenschattlicheu Unterricht benutzt, während die Fisclie
allerdings leider den meisten Gebildeten noch immer namentlich nur
nach der verschiedenen Art ihrer Zubereitung bekannt bleiben werden.
Freilicli freute sich ein junger Arzt, als er neulich ein hübsches
Exemplai' des Feuermolches ( Triton igneus) in meinem Aquarium sah,
noch Aber die — nette Eidechse.
Wenn nun auch die Gymnasial-Abitarienten von fortschrittlichen
Bestimmungen noch nicht betroifen werden, so haben doch jetzt nach
der Ordnong der Entlassungsprüfungen an den höheren Schulen*)
wenigstens die Extraneen an Bealgjmnasien nnd Oberrealschul^ be-
hufs Erlangung des Reifezeugnisses sich einer Prüfung auch in der
Zoologie zn nnteiziefaen. Dasselbe ist der Fall an Realprogymnasien
und Realschulen, während für die EntlassungsprOfiing an höheren
Bttrgerschulen — den Schulen der Zukunft — direct eine auf An-
*) y«rfDgniig des Königlich FnaSiidien Ministen der gefstlichen, Unterrichts-
nid Uedicinal-Angelegenlieiten vom i7. Hai 1882.
— 246 —
s'-l imiug begründete Kenntnis auch der Ordnungen der Wirbdthiere
und Jjuecten verlangt wird.
Nun sagt Goethe einmal gelegentlich: n^ia Lehrer, der das Ge-
fühl an einer einzigen gnten That, an einem einzigen guten Gedicht
erwecken kann, bietet mehr als einer, der uns ganze Reihen unter-
geordneter Naturbildungen der Gestalt und dem Namen nach über-
liefert; denn das ganze Resultat dayon ist. das wir ohnedies wissen
können, das;« das Menscheno^ebildt' am vorzüfrlirhsten und einzigsten
das Gloii liiiis der Gottheit au sich tragt/' Ganz abgesehen davon,
dass der letzte Passus sich nelleicht ebenso g-ut. wenn nicht besser
in seiner Umkehruug halten ließe, hat Goetli»^ j-i im mnzen Kecht,
was die Gemütsbildung anlangt; aber der Mensch In-itliT nicht aus
Gemüt aUein. und so hat man denn heute niclit erst, sondern seit
Jahren erkannt. >!ass die Bescliäftit,aint^ mit den sofrenannten be-
schreibenden Naturwi>>fii>Lhafteu liii" die Gesammtbihlunj^- der Ju;,^eud
doch nicht ganz so unfruchtbar ist, wie es nach dem Goethcschen
Ausspruch den Anschein haben könnte. Werden die Naturobjecte den
Schülern nur wirklich in die Hand gegeben, su dient die Arbeit an
ihnen, um das nui kurz anzudeuten, der Ausbildung der Anschauunj?
mehr als jede Beschäftigung mit Kuuslproducten, da diese oft genug
ihre Felder haben, welche sich dann das Kind miteinprägt, während
die Natorgegenstände an typischer Regehnäßigkeit, an Glanz, Fart)e,
Stmctiir Ton der Emiat nnttbertrefflich diid tmd ^ bald bleibendes
Interesse enreeken. Dazu konunt aber der Wert der beschreibenden
Naturwissensdiafken in ästhetischer Hinsicht wie f&r die Übung des
analytischen und synthetischen Denkens; denn hier Tor allem lernt
auch das Kind kennen, was ein System ist, sobald es dasselbe nur
abersehanen kann.
Dies alles ist in der Neuzeit so oft wiederholt, dass es ftberfiftsaig
ist, darauf nfiher einzugehen. Eins aber scheint doch betont werden
zu dürfen, nämlich dass fttr alle die genannten Punkte die Beschäftig
gnng gerade mit den Insecten fruchtbarer ist als jede andere, als z. B.
selbst die mit Säugethieren und VOgeln. Hier werden im grofien und
ganzen dem Schüler doch wieder Abbildungen, d. L Kunstprodncte,
vorgeführt, da die größeren Wirbelthiere sdion aus Mangel an Baum
in Schulsammlungen nicht vorhanden sein können; und der bestausge-
stopfte Vogel ist immerhin mehr als ein aufgespießte Käfer Erzeug-
nis der Kunst, da er der Geschicklichkeit, resp. der Phantasie des
Kürschners anheimgegeben i^t. Ist es also schon in Hinsicht der reinen
Anschauung nicht ganz gleichwertig, ob den Schälem Wirbelthiere
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oder Insecteu vor die Augen gestellt wcrrlen. so kommt hinzu, dass
die ßeschäftigiinf,'- mit der Entomologie das Sehen direct übt. Einmal
sind ja die untersclieidenden Merkmale hier kleiner — manclier wird
?afen fjeriugfüfriger — als in anderen Thierclassen, aber eben deshalb
neli I' II <\p das Allere ganz in Anspruch, so dass es anf einen Punkt
fest und be^liniiiil "^ich richten h'rnt. uiul darum ist es wol nicht
ohne tiefe BwUutunir, wenn v*)n (it u Auatumirjaotessoreii 80 oft dar-
nber geklagt wml, dass die Gymnasiasten nicht sehen gelernt haben.
Im Studium der Natur wird der „gewissenhafte" Blick des zukünftigen
Arztes mehr j^eschärft als am Horaz und Sophokles; aber jenes Studium
ward und wird den Gyiiiiiasiasten leider verkümmert, wenn sie nicUt
gar iuii einem gewissen Hochmuth dagegen erfüllt werden.
Ferner wird der Schüler wol niemals Säugethiere und Vögel
selbst sammeln; höchstens kocht er sich, wenn die gestrenge l^ruu
Mama es gestattet, Schädel ab und sammelt diese des — Sammeins
wegen, was ja vielen Natorea wie aogeboren ist Die Entomologie
aber, nameatÜch wenn sie ein geschicktor Lelirar mit der Botanik zn
verbinden versteht, d. h. wenn er in der Botanik anf die Inaecten
binweist, welche anf der betreffenden Pflanze leben, nnd andermeita
bei der Inaectenknnde stets anch die NShrpfianze angibt, — sie i&hrt
da» Kind in Wald und Flnr; es beginnt selbst zn sammeln, nnd, ganz
abgesehen von dem Nutzen ffir die Ge^dheit, welchen soldi ein
Hemmstreifen mit sich bringt, es lernt, indem es die Insecten an&ncht,
sdien; denn der Blick ftlr entomologische Objecto will thatsächHch
erst geschürft sein, kann aber aneh geschärft werden. Ein Dutzend
6ymnasial*Frimaner nnd -Secnndaner fOhrte ich an einen nur dttnnen
Banmstamm nnd sagte: ,»Hier, an diesem Stamm, sitzt ein Schmetter-
ÜDg; suchen Sie ihn!" Sie besahen sich den Stamm und bemerkten
das Thier, einen mittelgroßen Spanner, erst, als ich es aufscheuchte.
Ja, ein dem Eanfmannsstande angehörender Bekannter, den ich, als
er auf längere Zeit nach Italien reiste, bat. mir von dort Käfer mit-
zubringen, versicherte mir nach der Heimkehr ganz treuherzig, er
habe in Italien keine Käfer gesehen. Und ich glaubte ihm. Er hatte
in Berlin mit mir das Gymnasium absolvirt und war dann Kaufmann
geworden; Käfer hatte er nie sehen gelernt; der Blick in die Natur
war ihm nicht erschlossen. Wunderte sich doch einer meiner Studien-
freunde, gleichfalls ein er1)t»'s Berliner Kind, als er von einer Ferien-
Tf'i-e auf die Universität zuiUekkelirte. dass in Mecklenburc'' die Kühe
auch llömer haben. In der Suppe iiatte er sie nie gefunden mid auf
der (jouleurkueipe wol aus Büffel-, aber nie aus Kohhörneru getrunken ^
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woliLT sollte er sie da kennen? Ihn, der von vornherein Tnrist werden
sollte, hatte die ganze aiißermensfhliche Natur wenig intcj-f^ssirt. Man
vergleiche mit diesen am Huiuer genährten Jünglingen in iiirer Blind-
heit die Zöglinge eines einfachen Dorfschulmeisters, dei- in seiner
Einfachheit eben die Liebe zur Natur noch nicht eingebüßt hat und
darum der ihm anvertrauten .Tugend uuverkümmert überliefeit- Aber
freilich sibt es am Ii rühiuUclie Ausnahmen unter den (iyamasial-
lehrern, und ich entsinne mich z. 13. mir Freuden uuch heute der
naturwissenschaftlieh u Kxcursionen, die icli al- Kntxlie unter Leilunj?
meines eigenen Lehrer», des leider so früh veretorbenen Jochmann,
machte, und die mir die Liebe zur Natur iinauslöschbar eintiößten. Jener
Mann redigirte damals die .Fortschritte der Physik", aber er botauisirte
daneben und sammdte selbst Kifer, — aneh die kleinsten und
„winzigsten *, — vielleicht nnr ans Liebe zu seinen Schftlern, d. h. Qm
sie anzuregen-, and das ist ihm gelungen. Selbstth&tigkeit also
ist eS| sa der die Beschäftigung mit der Entomologie vor allem anleitet,
und sie wird ja beute mehr als je in pädagogischen Kreisen gefordert^
auf de kommt ja im Ontnde alles an.
Und auch das ästhetische Bedfirfiüs findet bei der Schönheit der
Formen, der Pracht der Farben gerade in der Insectenwelt mehr seine
Bechnnng als in nnseren höheren Thierdassen, wovon jede gnte
Sammlang Zeagnis ablegt In intellectaeUer Hinsicht aber ist es
ebenso wünschenswert^ dass man ün Volke endlich die schädlichen von
den ntttzlichen Insecten anterscheiden lerne, dass man die Kflchen-
schaben (^tta germanica Fab. nnd Periplaneta orientalis L.) nicht
fftrderhin f&r Käfer halte, wie es erstrebenswert war, dass man end-
lich Spatz und Feldlerche unterscheiden lernte. Und das Systematische
tritt dem Knaben in der Entomologie deiitiicher vor die Aagen als
irgendwo, da ein gut geordneter Studienkasten ihn das ganze System
mit einem Blick übersclianen lässt; ein solcher Blick aber schafft
Achtung Yor der Natur, erzeugt Liebe zu ihr nnd dem aUgütigen
Wesen, dessen Werke so groß und so viel und so weise geordnet
sind. Und dann haben die Naturwissenschaften also auch ihre gemüths-
büdende Kraft, und wir brauchen Waitz nicht ohne weiters zu glauben,
<las.s die äst lietisch-religiöse Wirksamkeit derselben nur von nmüissendera
Studium erreicht werden kann, nnd dass beim Knaben die Ehrfurcht
vor der Natur nicht tief genug eiudriügt. Habe der Lehi'er diese
Ehrfurcht nur selbei- erst!
Nun ist all das tiesagte ja durchaus uiclit ganz neu. und weiai
es in dieser Weise nicht ii*gendwo schon gesagt ist, so liat e^» sicher-
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Weh sclion munclier „ß-efühlt". Woran liefet es dann aber, dass in den
Sliidten. be?^'>j>!lf'r.s an liöheren Schulen, die Entomolog-ie so ofar .stief-
mütterlich bciuindelt wird? Einmal wol an der Interesselosii^keit der
naiurwissenscfinfrliflien Lehrer, die vor lanter spectroskopischen
rntersncliüiii-cii. oder vor schwierigen Analysen und Polarisationsver-
Äueheu, wo! gar vor Vertiefungen in die höhere Mathematik zu so
„kleinliclien" Dingen nicht rccia kommen, wie ich denn in der That
die Entomologen meist unter anderen Fäcliern angehörenden Lehrern
gefunden habe, während die Herren Naturforsclier dann gelegentlich
in den Sammlungen jener nicht naturforsclienden OoHegen saumielten.
Nun, dem könnte ja leicht abgeholfen werden, uiul allerdings liegt
der Iii lind auch noch anderswo. Entomologische SaniiHiuuticn. ohne
welche der Unterricht in der Entomologie nicht möglich ist, sind eine
leicht zerbrechliche Ware, und ich kenne welche, in denen Fühler
und Beine zu den Seltenheiten gehören. Die leiseste Berührung lässt
gerade diese uDterseheidenden Organe abbrechen, und da mUBsen denn
beständig Erneaemngen vorgenommen werden. Das ist kostspielig,
wenn der betreffende Ldurer nicht selbst sammelt oder seine Schfiler
dazu anhftlt, und letztere werden oft Unbrauchbares bringen, die ge-
wünschten Objecte aber nicht auftreiben können. So ist also eine
solche Sammlung in wenigen Jahi'en minirt, oder sie ist ein fressen-
des Capital Indessen kann nun mit Leichtigkeit auch diesem Übel-
stande abgeholfen werden.
Seit einiger Zeit wei'den bewegliche Skelette von Wirbelthieren
präparirt, indem man die in den Gelenken an Sehnen und Knorpel
noch zusammenhängenden Knochen in der WickersheimerConservirungs-
ilfissigkeit einer Art Gerbung unterwirft. Diese Flüssigkeit stellt
man auf folgende Weise dar: Tn 3()(h> Grarnm kochenden Wassers
löst man 100 Gramm Alaun, 25 Gramm Kochsalz» 11 Gramm Salpeter,
60 Gramm Potasche und 10 Gramm arsenige Säure; darauf lässt man
die Lösung sich abkühlen und filtrirt sie. Zu 10 Liter der färb- und
geruchlosen Flüssigkeit werden alsdann 4 Liter Glycerin und 1 Liter
Methylalkohol hinzugesetzt. Legt man nun ein Inscct einige Tage in
diese Mischung, so bleiben auch nach völligem Trockenwerden sämmt-
liche niieder frei beweglich, wie sie es bei dem lebenden Thiere
wart/n. und man kann z. B. die fad enf()nn igen Fühler der Dytiscideu
unter der \ Drderbrust liei vorziehen und dann wieder dorthin zurück-
scliieben. Ja, ich habe Käfer der verscliiedensten Größe, Cerumhvx
hei*os F.. Sojjerda carcharias L.. Olterea eiytliroeephola F., \sk
Hetaenos sesquicornis, weiche bereits vier Jahre lang in einge-
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trockueteni Zustande sicli iu meiner Samiiihmg befanden, drei Tage
lang in jene Flüssigkeit gelegt, und sämnitliche Bänder fungiren nun-
mehr nach 'vielen Monaten noch, also dauernd, als wären die Thiere
heute erst eingefan^en. Die Farben der Insecten leiden nicht unter
der Procedur, nur die feine Behaarung verliert ddi zum Theil, wenn
mau die Objecte zu lauge liegen iässt; das ist ja aber auch der Fall
in Alkohol, Äther etc. Freilich, Käfer und andere Insecten, deren
Fftrbang von Schlippen herrfihrt, wie es bei Chlorophanns viridis L
und vielen andei^en Cnrcolionidea der Fall ist, äfkken ja ftberbanpt
nicht benetzt werden, wenn man sie nicht beschfidigen wilL
Hit dieser Wickershelmer ConsenrimngsüQssigkeit lAast sich also
eine haltbare entomologische Samndnng herstellen, imd vieUeicht tragen
daher diese Zeflen dazn bei, dass neben der Lehre von den Wirbel-
thimn anch der Entomologie in nnseren Schnlen ihr geUkrendes.
Becht eingeräomt wird; denn es genfigt wahrlich nicht, dass nnr der
angehende Forstmann etwa die scbfidlichen von den nfitaliehen
Insecten nnterschttden lernt, ein jeder mnss dazn Ton der Schnlff
instandgesetzt werden.
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Cb«r den Congress für Handferti^keitsimterrielit und Haiui-
ileifi in Leijudg (1882).
J3ereits am 13. Juni 1881 faii'l ^m' Vriunlassmig des Dr. v. Bansen,
des Prof. Dr. Gneist, des Eüseubahndirtctürs Sclu-ader (Berlin), des Stadtratlw
?. Schenckendotff (Görlitz) und des Prof. Dr. Biedermann (Leipzig) in Berlin
eine Conferenz von Frennden des HandfertisrkeitsnnterriehtB und
des Hausfleißes statt, um die Grundzüge eines Systems filr den Hand-
tprti^'-keitsnntc^rricht nnd den lilltislicheii Gewerbefleiß festzustellen. Der
Referent, Stadtratli von Sclienckendurft, begründete ziinJlchst foig^cnde 'I hesen:
„1. Die dentsche Konferenz für HaudferügkeitsuMterncht und hauslichen
(TewerbA«iß m Berlin spricht die HoAran; ans, dass die Staatsregiemn^
lordemd und unterstützend in die freie Vereinsbewegung eingreifen und dies
besonders dadurch bethätigen mficlite, dass sie den irarultVitigkeitsunterricht
nach und nach, anfänglich eventuell in facuitativtr Form, in den Lehr-
plan der Seminare aufaehme. Hierbei düi-fte auf eine enge \'erbindang
des HandfetÜgkeitBantenlchts mit dem Zeidiennntenicbt liinziiwirken sdn.
2. Die Leitung des Handfertigkeitsunteniciits mnsa in der Hand eines
in den elementaren tec liniselien Fertigkeiten vorgebildeten Pädagogen liegen;
ihm zur Seite uiuss tlmnlichst für jede Richtung des Unterrichts ein
tüchtiger Handwerker 8t«hen. 3. Die zui* Leitung des Uutemchts bestimmten
Pldagogen sind gegenwärtig am ssweckentsprechendsten wfthrend der Sommer»
odor Herbstferittt in sechswOcIiigen Unterrichtscorsen ansambüden. 4. Im
Lehrsystem ist derart stufenweise vorzugehen, dass anfänglich nach köriier-
Udien Vorlagen, wie sie dem Alter angemessen sind, später nach analogen
Zeichnungen und endlich nach eigenen Entwürfen gearbeitet wird. Parallel
hiermit mtiss eine theoretische Anweisung gehen, welche sich mit dem Gebrauche
der Werkzengei mit der Anldtnng m der zweckmäßigen Nachbildimg der
Uodelle und ZMchnungen. mit den Gninilzil<<en des Stils, der Formen- und
Farbenlehre*, fowie mit der Materialenkund»- befasst. 5. Die körperlichen
Vorlagen und Zeicimungen sind derart zu wählen, dass sie den l'onnen- und
Hchönlieitssinn bilden, dass sie den übrigen Unterricht imterstützen und dass
sie endlidit soweit hiwnach moglieh, auch nütilicher Art sind. 6. Wiewo! es
vortheilhaft ist, im Handfertigkeitsnnterricht die Anleitun;^ zu einer thunlichst
mannigfaltigen Materiaibeherrschnng an geben, u dfirfeu doch niemals mehr
FMdiCPeina. i. Jikig. Heft IV. 17
Von Hugo fhroMe-HaiU.
— 202 —
all drei Unterrlchtogeg^iutftnde gleichzeitig gepflegt werden. HieiM ist
strengstens darauf za achten, dass die Arbeiten eineKWltB technisch fiditig
mtd anderei-seits in eorrecter, die Oberflächlichkeit aasRoWioC»'^!»'? Weise zur
Ausfiihruüg gelangen. Im allgemeinen dürfte genügen, auf deu Handfertip-
keitsonterricht wöchentlich 4 Stauden zu verwenden. 7. Bei dem gegen-
wttrtigen Stande der Sache empAddt es sich, den HandfoiJglceitannteni^t im
' wesentlichen znnBchat fttr den letnten Jahtgang der Yolkaadinle frnchthar zo
machen." —
Im Verlauf der Di 1 ith \Miisie die Meinung* ausgesprochen, dass man dem
einheitlicli gedachten System des Referenten volle Anerkennung zu zollen habe;
die BeachloMfaasnng ttber die voiipeechlagenen Thesen aei aber «usoaetnen,
da es besser sei, das eigentliche System zunächst erst auf dem Boden der Er>
fahninia: aufwachsen zu lassen. Es g^dan^tpu infolgedessen statt der Srhencken-
dorft's( hen die folgrendeii Tliesen zur Annahme: „1. Die Conferenz erklärt es
tlir ein Bedürfnis, dass die Erziehong der Knaben durch den Unterricht in
den Fertigkeiten dw Hand esgftnzt werde. 2. Die Ziele^ die dabei zn be-
Mgen sind, werden fttr Stadt nnd Land nnd sonst nach örtlichen VerhältniKen
verschieden sein, sie sind theils erziehlicher, theils praktischer Natnr. .3. Das
zunächst WiehtiK-ste ist die AiT^bilfUmi; \'in g-eeioiieten Lehrkräften und diese
Ausbildung hat unter Mitwirkung tüchtiger Handwerksmeister und Künstler
zn erfolgen." Am ScIüiub der Conferenz worde ein Comit6 mit dem Vorort
Bremen nomlnirt. Dem Gentvalemnitä stellte man die Anigabe, den Zn*
saiinnetihang zwischen deu einzelnen V'ereinen herzustellen nnd eine übersi^t
über das bisher in Deutschland anf diesem Gebiet Geleistete zn bewirken.
Der Congress für Handtertigkeitsunterricht, auf weichen ich
hier näher eingehen will, tagte am 3. Juni 1882 unter dem Vorsitze de^i
Prof. Biederaann im Saale der Gentralhalle zu Leipzig. Ein Bericht über
diese Versammlnng dftrfte für alle von Interesse sein, die der Sache nicht
theilnalunlos grgi^nTiher stehen, nnd denen es nm ein selbst ständige?! nnd
unparteiisches Urtheil in der Frage zu thun isCj Die Verhandlangen
*' nie Einwände der Lelir' rnchaft q""iren die Einfilhruriir de-; Schulwerkütatt,-
Unterrichts lassen skh in folgende drei Hauptpunkte zusammen fassen: mau
wendet dn, die Schule sd nrZ«t schon alhnsehr mit I<ehrgegen8t&nden flbefbQrdet,
als dass man daran denken kannte, einen neuen beizufügen; auch sollte man sieb
boten, der jet/.t schon beinahe über ihre Kräfte angestrengten Jugend die geringe
Zeit, welche ihr zur Erholang ftadbleibt, noch durch den Ärbeitsunterrkiit su
5ohniiileni. Sodann dllrfe man nicht anßcr acht lassen, das« die gegenwärtige
Volksschule „ihrer Idee gemäß da^ reüie geistige Ziel einer allgemeinen formalen
Bildoog verfolge"; durch Einrichtung von Schulwerkstätten würde aber „ein neue^
vorwiegend materielle» Mumi nt" hineingetragen „in den bisher heiliar geachteten »ml
streng geschlossenen Zirkel ihrer Geistigkeit**, und die Schule laufe Gefahr, „au.-»
einer Lehr- und Erziehungsanstalt zu einer Stätte der Dressur fUr gewisse Suiere
Fertigkeiten zu werden*'. Damit hänge aber diittens zusammen, dass der Lehrer
sich gezwungen sehen würde, „aus dem erhöhenden Rahmen des rein ^Tistiuen
Bildungslebens herauszutreteu"; er , .würde in seiner KiLr«'ns(lKitt als Lthrrr der
Schalwerkstätte jedem Handwerker unendlich viel näher gerückt scheinen und mit
den Leistungen der ArbeitS8«Anle ehier erbarmungslosoi KntSk der aUenthalben ▼or>
handenen Sachverständigen anbeinifallfn. eiiu r Kritik, die ihre iinhenvoUe Rück-
wirkung auf seine sonstige Amtsthätigkeit und Amtstreudigkeit nur zu bald ftuftem
wflide; sn der geistigen Bnnlldnng und Abspannung« mit wddier jetat der Lehrer
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— 253 —
geben ein Bild von dem derzeitigen Stande der Angelegenheit in
Deutschland, sie zeijr**» znglcicli die Grandsatze, nach denon die
bestehenden Schulwerkstätteu eingerichtet sind, und bringen Mit-
theilungen Uber die an den verschiedenen Orten in der Sache
gemachten Erfahrungen**) IMe mit dem Ccmgresa in enger Verbindnng
stellende Ausät< nu:)<^ von Schul werkstattsarbetten bot des Lehrreichen
«ine {rroße Fülle. Sic erewithrte in ihr<pr Vielgestaltig'kcit nicht nur ein
in«tructives Bild von den verschiedeoen Bestrebungen, die auf dem Gebiete
oft hart t;>-nu<r kämpfon raÜ8se, wttrde sich noch phy.si.Hche und moraliK^he Beugung
jresellen" \Kifimann). — Nach einem Vortrage von S€in.-Dir. Buetc (Neuzelle) über:
..Die Stellung der Seminare zu den Bestrebungen der HausfleiBvereine" nahm der
4. brandenburffische Seminarlchrertag zu Frankfurt a. <1. (). (2. und H. Oi t.
1882) fast einstimmig folgende Resolution an: ,4>ie Versammlung verkennt nicht
den Wert, der in der Anei^ung einer bestimmten Handfertlgkeft lii^^; sie yer^
wahrt sii h J 1 Ii ^ n !:• urgaimche Eiiinihruni; 1 > JT u; h' rtiijkeitÄunterrichts
in Schule und Seminar und überlftsst die Übungen dem Uauae und deojenigeu An-
staltett, welch« diese Bestrebungen berafsnlfig pflegni sollen.''
K I blf '(trundzüge der ev. Volksschulerziehuug. 5. Aufl. Thoil TT. 170) .^iurt; ...Tc
ueLr äussere Zeit mit ihrer Richtung auf das Materielle i^euei^t ist, der „Erziehung
zur Arbeit'' nacbsiistreben , desto mehr werden wir nm folgende Punkte gegen-
wärtiir halten niilesrn. 1. Die Volksschule kann den Kreis ihrer ohnehin schon
zahlreichen UutcTricht.sgciftnt)tände nicht durch solche Fiicher vergrUßern, deren
HUdang8wert nicht außer allem Zweifel steht. 2. Insbesondere fOr Aneignung von
Fertigkeiten, die einer l)e>rirnmteu Berufsbüdunir nnireh«ren, li;it sie wc! r Z"it
noch Kraft. 3. Es ist im Hinblick auf unsere Zeit und noch mehr im Hinbiiuk
anf die Kindesnatnr bedenklich, schon den Sinn der Kinder auf Erwarb und Geschäft
zH richten. 4. Es ist ein Vergehen an der ganzen Menschheit, wenn den Kindern
die Zeit zum Spiel verkftrzt wird, wenn schon sie mit verdienen helfen sollen, und
jiei es auch nur einen Theil ihres eigenen Unterhalte^. Eine .\rbeit, die nicht zu-
gleich erziehende Bedeutung hat, ist ein Missbranch des Kindes (Beschäftigung in
Fabriken)."
• Tirl. 'lie auf Quellen.-^tudien lieruliende, treffliche Sihrift von R. Rißmaiin
(„Geschichte des Arbeitsuuterrichts in Deutschlaad". Qotba 1882). Dieselbe will
den <3«gttem des Aibeltsonteniehts, die nicht müde werden, ihn als etwas a1»olnt
Neues und Unerhrirtc? darzustellen, den Niuhweis liefern, dass Ijen its seit liini,'er
als zwei Jahrhunderten zahlreiche Päd^ogen und Volksfireunde bestrebt gewesen
fffaid, die Handarbeit in den Kreis der Sraehungsmittel einsureihen. Die Freunde
-ler ■?:\'-]if ün rhr.' sie durch eine Darstellung der auf die?™ (Tpbictc bereits <je-
M liehenen Bi sti t h iiiiren von Irrpt'aden und Ihnwegen behüten. — Man vergleiche
die Verhandluii<,'en des (4.) ,,>Deutschen Lehrertages" zu Kassel (1882).
In dem Refi-rat Ul)» r den ..Arbeitsnnterricht in der Volksschule" findet sich folgende
Stelle: „Eine sulche Fordtruni^ hielie doch den eigentlichen Lehrberuf gründlich
rerdunkeln und liefe darauf hinaus, ans den Iidurer ein „Mädchen fttr füU s'\ l iue
Caricatur des vorigen Jahrhunderts zu machen. Wird man doch bei il* m bloßen
Gedanken an diesen so vielseitig gebildeten Lehrer, der in der Schule den Bakel
zu schwingen und als Cantor das Brautlied zu singen, der als Küster die Kirche
SU kehren, die Glocken au schmieren und dem Pastor üm Uandtoch an halten hat;
der in Bienen-, Obst- und anderer Cnltnr ein Meister sein, der am 1. Dee. als Volks-
und Viehzäliler und„in neuerer Zeit andi iils .^iiareassenimchhalter fnniriren soll, und
der nun noch zum Überfluss auf des Handwerks goldenem Boden mit kunstgerechtem
8a1to mortale (rl&nzen mOcbte, — wird man doeh bei diesem Oedanken unwUUtttr-
lich f riTincrT ;n Iii alre Zeit, d : ' vnttor Schusti-r und Hand.-ichuliumclier
auf dem Katheder thrunteu." Ein Redner, der für die Sache eintrat, wurde durch
SehlnaBmft und Unnihe in seinen Ao^hrangen unteibroGhen. Von anderer Sdte
wurde gesagt: „Wir wollen uns weder über die Nützlichkeit, noch über die Schäd-
lichkeit des Haadfertixkeitüunterrichts ein Urtbeil erlauben. Viele unter uns
sind wol «neb nieht In der Lage, darttber ein Urtheil abgeben an k9nnen.**
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des Handfertigkeitsuntenichfs bisher zn Tape ei-pti^ten sind, sondern legie
durch ihre überraschende HeichLaltigkeit auch Zeugnis davon ab, wie stark
zur Zeit das Bestreben fdr diese Beform unseres Erziehongsweseus hervortritt.
L y«rh«iidliiiig6ii des Congrestes.
Redactenr Dr. Lamneis (Branen) «ntatt^ ao erster Stelle Bericht
ftber die Thätigkeit des Ceutralconiit^s im Jahre 1881 und bemerkte
n. a., dass die Sailif ihren jrutcn Foi-tijang nehmt'. wf>nn man anoh fino <«'!ir
lautf und unifasseude Thätigkeit nicht habe entwickeln wollen und künnen;
uiaii sei vun der Meinung aasgegangen, dass dies keine Reform sei, der eine
stttrmiaehe ood Iddenechaflliche Agitation gedeme, sondera daaa viehnehr
durch praktische Versuche und dnrch Discussionen Aber die Sache immer
weitere Kreise mit der Tdee bekannt <remacht würdfii und so selbst finden
könnten, inwiefern sie ihren Bednrfnisst n jErenü^e. Man ^abe deshalb sfilrhen
Orten, die den Arbeitsunterricht tür Knaben einzufühi'eu beabsichtiguu , Lt hr-
krfifte zu verschaffen ge«aeht(2. B.OSttingen). Redner theUte fentrar mit, dass
im vorigen und in diesem Sommer deutsehe Lehrer das berfilmte 819^-S«ininar
zu Nääs in Schweden (unter Diicctoi- S'alomotr) iK-sucht hlltton nnd nncnts-elt-
lich ansq-ebiblt't worden seien, dass auch in Osnabrück ein Lehrcm>^us zur Zeit
abgehalten werde, und dass weitere Curse in Norddeutschland vorbereitet
wflrden. In Straßbntg erscheine die Sache dauernd gesichert, in Sflddeatsch-
land dagegw sei noch wenig gethan; nnr in Pforsheün, Wftnbnrg md
Asehaffenbarg werde die Angelegenheit mit viel Energie betrieben. Es sei
nicht die Absicht des Comites jrewesen, im Sturm die deut «< !!♦■ ^Minle zu er-
obeni und auf die Schulbehörden in dieser Richtung einzuwii kcii ; der Wunsch
des Comites gebe vielmehr dahin, gewissermaßen eine große, über ganz Deutsch-
land anigedehnte Veranchsetatiott herznstellen, ans deren Ergebnissen nud
Unternehmungen dieUnterrichtspraxiasieh Fingeraeige entnehmen
k;>nne; Schulen und Schulverwaltnniren, T.ehrer und Eltern der
Schulkinder möchten dann selbst zasehen, was für sie in der
Sache stecke.
Hieranf trat man in den sweiten Punkt der Tagesordnung ein, In die
Darstellung der verschiedenen Formen, welche die Idee des Hand-
f»'rti;ckeitsnntprrit ht s bishei- irt fiiiiden hat. Oberlehrer Dr. W.Gütze
(Leipzig) sprach über die Gesichltipunkte. nach welchen die Leipziger
Schülerwerkstätte geleitet wiid. Einleitend wici» er aus der Geschichte
des Handarbeitannterriehta nach, dasa der oft nachgesprocbene Sata, dass die
Idee des Arbeitsnntenit hts ( ine speoißscb nordische sei, auf Irrthum beruhe.*)
Ratke, Comenius. A. U Fnncke, Rousseau, Basedow, Salzmann. Pistalozzi.
Fröbel. hnbt ii den Wert riicses I nterrichts als Erziehungsmittel schon erkannt.**)
Prof. Biedermann hat in seiner Schrift „Erziehung zur Arbeit" bereits im
*) Vergl. Verhandlungen des Cuu^esse^ für Uandl'ertigkeitsantezricht und Han&-
lleiß am 8. Jon! 1882 in Leipzig, heraus^ageben von Dr. W. GOtz«. Gera, lasleib
und Riety-schel 1882.,
**) Ueasiuger, Über die Benutzung deä bei Kindern tbätigen Triebes, be*
whftftigt zu sein (1797). Die Ekmilie Werthheim (1798). — Blaache. WerkstKtte der
Kinder, A Theile (1800—1803).
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Jalire 1852 auf den Wert des Arlieitsimterrichts hinofewieseii*'): Eittiiifister
Klauson-Kaas ist em im Jahre 1878 auf der Wiener Ausstellung für tUe
Sache eingetreten. Das Institut von Bauat iu Zürich lässt seit 30 Jahren
praktiidie Arbeiten in den dasaen anfertigen; die Arbeitaaclinle der Stadt
8alsnngeB L Th. besteht aeit 1840; die SSillenche Ersiehnngaaehalet das
Barthsche Erelchnno^äiustitut in Leipzig und die Stoysche Anstalt in Jena"**)
zeigen, dass der Handfertigkeitsnnterricht nicht neuerdings von Dflnemm k und
Schweden bei uns eingeführt wurde. Seit dem Jahre 1873 ist allerdings die
Frage der Erziehung zor Arbeit in Deutschland von neuem auf die Tages-
ordnmiff geaetat «erden, ^amm klopft die Arbeit immer von n^nem iriednr
an die Pforten der Schule, Einlass begehrend als Erziehungsmittel zur sitt-
lichen Ttichtigkeit, und endlich y\irr\ es doch einmal lieißen: . /^Vp^ da an-
kk»pfpt. dem wird aufgethan."'* Aiier eine Begründung des Arbt ii.suuterrichtji
ii»t heute und unter uns nicht mehr nöiltig. Nicht über da« Ob wollen wir
berathen, sandem Uber das Wie.*' — Ans dem Berichte des B^erenten Uber
die Leipziger Schülerwerkstätte heben wir folgende Sfttie hervor. Die
Leipzigpr Schul erwerkstAtte wollte keine bloße Rescliilfrionngsanstalt sein,
si" >v(»llte nicht nnbeanfisichtigte, verwahrloste Knahen durch die Jt-rtende,
luati der Arbeit der Verwilderung entziehen, so segensreich dieser Dienst au
und (Br sieh ist. Ganz ansgesehlossen hat die Leipziger SehSlerwerkstatt die
directe Vorbildnng für das Handwerk. Entsprechend der formalen Geistes-
bildung erstrebte man hier eine formale Handbildung. Die Schülerwerk-
statt will ihren ZJtglingen eine Bildung des Auge.s und der Hand mit aut den
Lebensweg geben, die etwa analog ist der allgemeinen Bildung, welche die
Volksschule ihren Sehflkm übermittelt Die Sdiflierwerkstatt vfll also nicht
Handwerker vorsehnleD, sondern sie will allgemein dieOesehicklicbkeit pflegen»
*) Oeorgens, Der Arbeiter anf dem praktwehen Ensiehnngsfelde der Gegen-
wart (1856). E. Schwah. Die Arh.-itsschule ( 1873). r;t i:ii« r t\cn Arbeitxunterrichts
waren Grftfe („Deutsche VolksschulCiA. Dieaterweg („Rheiu. Bl&tter" 46), W. Lauge,
Freihofer in Sehmids EncyklopSdie m (1. Avfl.).
*♦) „Wir legen deshalb so großen Wert auf diese Art von Schulbildung, weil
^ie erstlich dem TOD frtth d Ulv bi» abends 7 Ukr mit wenig Unterbrechung nur
gei.<tig b^bäftigten Knaben sozusagen ein nat1lrlieh«i Bedflrftais ist; dann ist sie
zweiten.** ein trt ftiiche.s Mittel, der Eiiisritii^kt it imst r- r irrgt'nw.'irtiiri ii . nur auf
Intelligenz hinarbeitenden Schulbildung vorzubeugen. Eier lernt mancher uu&erer
Z^linge, der fHlber unbeholfen nnd täppisch war, im Oebrauehe »einer Httnde und
Finger, eine .\rt von Arbeit und Kunst, die jeden ttirdert und mancliem ixaiiz
besonders nützlich werden kann. Hier lernt auch gar mancher Knabe, der vurher
keine Ahnnng von der Fertigung und Schwierigkeit technischer Arbeiten hatte, die
Arhr-it wftrdigeu und diejenlLren richtiir schätzen, deren Lebensaufgabe auf solche
Arbeiten gestellt ist. briitens i.st sie scbou vielen ein mächtiger Impuls zur An-
•treagung vnd zum Flei0e geworden, während dits iWr Sihuie im engeren Sinne
bij^her ganz unroüglich gewesen war. Viertens wird hier Kunstininn und Geschmack
gebildet, indem je<ler die eignen Arbeiten mit rien Arlieiten «einer Kameraden und
mit dem 3Iuster vergleicht. Flluften.<4 endlich ist sie die beste Vorbereitung zu einem
gesunden, kräftigen Schlafe. Wir haben flber Schlaflosigkeit unserer Zöglinge, die
iiäufig ebensowoi die Folge verkehrter Erziehung, als auch die Quelle mancher da«
Knaben- und Jünglingsalter beschleichenden Krankheiten und Laster ist. ülxrhaupt
nicht zu klagen, am , wenigsten aber nach einem von uusem ZögUagen an der
Drechael- oder Holielliüik angebraehtea Akend.^ (Credner, Die Stoysche Enidiongs-
schnle an Jena 1869.)
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den praktischen Blick anerziehen — sie will der Erzielmng dienen. — Nun
enUteht die Frage: Welche Arbeiten sollen die Schüler verfertigen? Hier
stehen sich noch zwei Aniiehten unvermittelt gegenüber. Die Vertreter der
dBen Bidktuig legen den Hauptwert aof das Arbeiten an sieh, nnbdc&mmert
um die Arbeit, die dabei fertig wird, unbekümmert darum, ob die hergestellten
Gegenstände im bilnslichen Leben des Fchfllers, bei seinen Spielen, oder als
Ansfhaunngsmittel in der Sehnle Venvendunt,' tincU-n ( A n hiin^er der SchiilRr-
werkbtätte). Die Freunde der reinen Schulwerkütatt dagegen wollen
entweder nnr oder dodi vorwi^gvnd solche Oegenstlode fertigen lassra, welche
nüt dem Unterricht in inniger Beziehung stehen, \\f1('lH> den Unterricht er-
läuteni. den Scliüler von der praktisclien St-ite her für denselben interessiren.
(Dieser Gegensatz ist auch erkennbar in der Leipziger Aussiellnng, vgl. nnten. i
Dass man in erster Linie solche Dinge anfertigen lässt, die mit der Schale in
Yerhindnn^ stdien» dOrfte aas p^chologischen Grilnden nothwmdig sein. Die
Freonde derNfitdkiikeitBgegenstftnde tänschen sich viell^eht, wenn sie meinen,
der Knabe interessire sich für die Dinge der Hauswirtschaft mehr als für
Arbeiten, die mit dem Schiilleben in Zn'^nmmenhang stehen. Ein anderer Grnnd
für die Wahl pädagogisclier Arbeitsstotte dürfte darin zn suchen sein, dass
der jetzigen Schfilerweticstätte (die Knaben von ▼ersehiedenem Alter nnd ans
yersehiedenen Schulen an freien Nachmittagen beschüftigt nnd nnr dne Vor-
stnfe zur eigentlichen, oi-ganisch mit der Schule verbundenen Schulwerkstiltte
sein will), wenn sie solelie Nützlidikritsarbeiten vnrherrsdu'n la^st . zwei
Feinde erwachsen: die Gewerbetieibeuden nnd die Lehiei. Die eitleren
werden nicht ohne Grund die Concun'enz fürchten, die letzteren können mit
Becht sagen: Das gehSrt nicht in die Sehnle. Wir verlangen eine onpuiisehe
Verbindung der Handbildnng tait da* Erziehung des ganzen Menschen. Dabei
Ist die Schule nJitliig, dartim muss der Arbeit.sunterrieht in den Dienst der
Erziehnngsschnle treten. Der Werkstattsnnterricht wird aber auch dtr Schule
Dienste zu erweisen imstande sein. Er vermag die Wirkungen des Autochaunngs-
nnterricht» verstärken cn helfen, denn er ist ein durch die Selbstthätigkeit des
Kindes gesteigerter Anschauungsunterricht; er fugt zn den bisherigen Mitteln
der L\'produ( tion, der schriftlichen nnd mündlichen Wiedergabe des im Unter-
lichie behandelten .Stoffes, ein neues hinzu, die Reproduction durch die prak-
tische Arbeit. Steht so die Leipziger Schülerwerkstätte mit der Schiüe in
enger Vertiindnng, to meht sie anf der ando« Sdte anch dem Hanse dnrch
Anregung zn kleinen, praktischen, dem Lelien unmittelbar dienenden Arbeiten
zu Hilfe zu kommen, strebt also zum HausfleiB hinüber. Sie steht zwischen
^clüib' und Haus.*) — Für den Fortschritt des Untmirhts i^t die Schwierig-
keit des Materials und der Arbeit maßgebend. Es wird von kloinen Knaben
zaerst in Papier, dann in Pappe, sodann (in den mittleren Classen) in Holz,
anf den oberen Stufen in Metall (das vielleicht wegra des physikalischen
UnteiTielits durch einige Glasarbeiten zn ergilnzen ist) gearbeitet. Daneben tritt
noch das ilodelliren anf, das die ästhetische Seite de.s Arlieitsunti i riolits hervor-
hebt. — l*ie gewonnenen ResnltJite sind in den Lehrercurüen tsehr günstige
gewesen. Der Satz, da*s die Leluer der Schülerwerkstatt feindselig gegen-
*) G5tBe , Die Erginzung des Schvlantenichts durch inüctisehe Besohiftiguiig.
Leipzig 1880.
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— 267 —
über stehen, ist, so aligemein ausgesproclieu, ganz entsclüetleu uuwahr. Mit
weniger Befiiedigmig kann man auf die Schüler curse sehen. Die anfgenommenen
Schüler haben sich swar lebhaft für die Arbeiten interessirt und wirklich
etwaa gelernt Die Betlteilignng war aber eine geringe', was in der Über-
Mninnor der Schüler höherer Lehmnstalten durch Schularbeiten und in (lprKn«t-
spieligkeit des Unterrichts (18 Mk. jiro Jahr) für viele Elteni seinen CTruiul
liat. Eä milsste damit begouutiu werden, dieüeu UuterricLt den VoIk»t»chülei'n
nnentgelflich (wie z. B. in GQrlita) sa ertheilen* — Welche sind nnn
weiter in dieser Angelegenheit eümiBchlagen? Es ist mnächst zn wünschen,
dass die bestehenden SchülerwerkstÄtten znr ErgSnznng des Schulunterrichts und
als Ersatz für die in der Kamilie fehlende praktiiiche Beschäftigung weiter
gepflegt und onterstätzt, dass sie vermehrt werden. Sodauu musste mau in
dem einen oder anderen Seminare den Verstich machen, den Werkatattsonter-
rieht in den Unterrichtsplan aufzunehmen. Wenn nnn erst ans'dem Seminar
Lehrer, die für den ITandfertigkeitsnnterricht vorgebildet sind, hervorgehen,
dann sollte man drittens die praktisch»' Beschäftigung in die Volksschule
hineinzabringen suchen. Dieser Werkstattunterricht könnte sich unmittelbar
an ta bbherjgen Anwrhannnggnaterricht aiiBehUeien (dae Lnen mid Sehretbcn
kAnnte vieUeieht ans der Elementarclaase in das aweite Schn^ahr veilegt
werden). Zeit dazu würde man gewinnen kennen. Dadurch nämlich, dass
man den kindlichen Geist auf den unteren Stufen reifer werden Ifts^st durch
eigene beüiäüguug, wii-d die Aufuaiuue des schwierigeren UnterriehtastotteH
in den höheren Classen voraussichtlich schneller und intensiver von statten
gehen.*) Bd dem ▼otgesehlagenen WinlHhrnngaverBnche des Arbeitsonternehts
in die Vollusdinle vrilide das Material so einfach und billig wie möglich ge>
nrtminen werden müssen (zunächst Papier nnd Pappe); die Schnlsfeabe selbst
müsste zuerst als Schnlwerkstatt dienen.
Der zum zweiten Berichten»tatter bestellte Dr. E. Barth (Leipzig) sprach
todann in der Hauptsache über die Einrichtung der Schnhrerkstatt**) (die es
mit dnem elassenmafligen Arbeitsnnterrieht an thnn hat, an dem grleichalterige
Knaben derselben Schule theilnehmen), ^v;ll!l 4 ikI Dr. Götze vorzugsweise die
Schüler Werkstatt im Auge hatte. Kedner glaubte bei seiner Betrachtung ab-
sehen zu können von den sog. Hansfleißbestrebuneen (m denen sich vorzugs-
weise Erwachsene betheiligeuj und von der Kuckäiehtnahme auf Internate
(Bewahranstalten, Peaslonate, Waisenhivser q. s. w.); den wissensdiaftlichen
Nachweis über die Nothwendi^keit dea Schnlwerkstattunterrichts meinte er
gleieUhUs nnterlaasen an kOnnen, trvtidem es noch Lente gibt, welche jene
*) „Ich bin der festen Überzeugung", schreibt ein auf 3Üjähriiri' Praxis /.urück-
biickeu^ Füdagog, Fr. Beust in Zürich, „dass der auf Auflchauung und Bandarbeit
in muerem Sinne gegründete ünterricbt neben allen anderen Yontigen das Mittel
bietet, ein volles Jahr Schulzeit /u ei siiim ii f!), oder in der gleichen Zeit ihn Kindern
ein Wissen und Können im geben, daa selbst bei einer um ein Jahr verlängerten
Sehutoeit ebne uberbttrdnnf der Schiller nicht enddit werden kSnnte. Ich bäte es
Lrenidezu für uniiir);rlich, auf irgend einem anderen Wf^re f?' das zu leisten, was wir
leisten; nur in dem uiecliauischen Lesen und in der SchönBchrift rücken wir laug-
«araer vor ab andere Schulen.** (Vg^. „yerhandlnngen** etc. S. 19.)
..Er/i( hiui-r scliule voD Buth, 1882, No. 11*' (Leipzig, Beichardt). (Vgl. auch
„Verhandlungen^' S. 20 if.)
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Not h wendigkeit bei»treiten (Joh. Meyer, der Uandfertigkeitanterricht and die
SclHde 1881, B«rUn). „Die Schnlwerkitatt ist ein dienendes Glied
im Schalorganisuns, nlclits mehr, abear anch nichts weniger, oder ufe dies
K. Michelsen in seiner Schrift: „Die Lelir- und Arbeitsschule zu Alfeld
(1852)" aiisrlriickt: ..Die T.phr?<f'hnlo rvfrjvrt, die Arbeitsschule
hilft."*) Nachdem Refei'ent darauf hingewiesen halt«, d»sA jede Erziehnngs-
schole zwei Zwecice habe: einen allgemeinen Ensiehongszweck, der die
sittlieli-religiSse Chara1cteri>ildnng in fdeb schllefttf vnd einen Sondensweek,
welcher für den Beruf vorbereiten roilss, forderte er auch für die Schnlwerk-
statt. iliiHK sie beiden Zwecken e-erf^rbt werde und zwar in der eiirenthiimlichen
Weise, alfe sit- sich au ditf bddeu andern secuudären L'ntenicht*>fächer (Geo-
graphie, Culturgeiichichte , Mathematik, Naturwissenschaften und Zeichnen)
ansehlieSe, intern de dieselben ngSmse nnd f5rdere imd erst za wsihrlialt er-
ziehenden rnterrichtsgegenständen mache. Die Schul Werkstatt dürfe deshalb
nirht s«dtlie Arb«'iten an die Spitze stellten, die nur dem Leben dienen; diese
Gi'fenständt' würden keine dominirtnde Stellunfr beansprncht'u kf'innen. Damit
Solle nicht genagt sein, dass nun ausschlielilicli tsukhe üegenstüude anzufertigen
seien, welche die andern UntenichtsdiBciplinen verlangten. Denn der Knabe
blicke auch schon während der Erziehungsperiode hinaus ins Leben. Auch
habe die Schulwerkstatt die Aufgabe, auf die Berufsbildung hinzuarbeiten, was
bei Volksscbnleni ttiit dfm 12. .Tnlire zw geschehen habe. Von da an gewinne
die Werkstatt ein ganz anderes Ansehen; sie werde sich weniger an die
andern Untemehtsftoher anschlietai (dodi dlife ifo sich aicbt fsolirsii) und
trete mit dem Leben in rege Verbindung; sie wode dann einen Ansbliek zn
nehmen haben auf die Industrie des Landes oder Bezirks, in welchem sich die
Scbnle befinde, fxler in höheren Srhnlen auf die speciellen Bernfsfordcning'en
des Mediciners, Mathematiker!» n. dgL — Nachdem Redner nuch nachgewiesen,
dass mau die Einführung des Werkstattunterrichts ans Furcht vor Über-
bfirdnng der Schüler nicht unteiiassen solle, da derselbe ja anders anftrete
als der theoretisdie Unterridit und » in«- an^-^enehme Abwecliselung der ThÄtig-
keit schaffe, dass ferner ^■in < la.s8enmäüi:;t r I nterrieht in der Handarbeit recht
gut möglich sei. wenn man die Sache recht anlange und der Lehrer das nfUhige
didactische Geschick besitze, beantwortete er die Frage: Woher nehmen wir
Lehrer ffir den neuen Unterrichtsgegenstand? fi^DB ist feststehend; dieWerk*
>tartslehrer mflssen pädagogisch gebildete Ifinner sein. Wollt)> man /. B.
den Fnterriclit von Handwerkern eitheilen lassen, so würde man bald Gefahr
laufen, dass derselbe seinen erziehensrhen Cliarakt^'r verlöre, er würde ins
Handwerksmäßige übergehen. Über das, was zu treiben ist, würde dann nicht
die Pädagogik zn entscheiden haben, sondern das Handwerk. Es mfissen des-
halb Centralbildungsanstalten für Werkstattlehrer efn|erichtet werden, die in
Verbindtmg mit akademisch- pädag-oo;! sehen Seminaren stehen. Sind die letzteren
nicht vorhanden, so sehließe man einstweilen die neugegründete .\nstall an
bestehende \ olksscbutseniinare an, deren es sehr tüchtige gibt, in denen mit
groBem Pleiße nnd beachtenswertem Gocbiek gearbeitet wird. Iba darf
iiborzengt sein, vreaa ein solcher Ansehlnss vermittelt wird, wird sieh
der Werkstattsonterricht nicbt nnr feinhalten von äSLem Unpädagogischen,
*) Die zweite Autlage der »chrift erschien 1881 ^Uiidesheiu, Oersieuberg).
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w 259 —
6oivl«^n( wird auch sehr bahl eiiM» Aü./.alil von Lehrern in (Ia< T ;nnl hinnas-
gehen, Nvelche den neuen UnterrichtsKf^enstÄnd nicht niii' theoretisch richtig
aufgefasst haben, sondern ihn auch i>raktisch zu handhaben verstehen.*)
Stadtntli Y. Schenkeodorff betonte in aeineiii Berichte, daas er bei aller
sachlichen übereinsfcbnmang insofeni in der Ausfülirang einen etwas abweichen-
den Standpunkt ßregvniibcr den beiden Vorrednern einnehme, als er nicht in
erster Linie die «Schule, sondern das jjraktische Leben ini Auge habe. Man
bilde die heutige Generation vorwiegend geistig; die Könnensseite, die tech>
niache Fertigkeit, die AuUldmig dee Willens nun Gebranch der Glieder bleibe
meist nnberücksichtigtk Überall zeige sich Ungeschicklichkeit und Mangel an
praktischem Sinn: dem Handwerk und der Industrie \vürden violfnrh nnvor-
gebiidete Elemente ^rnc-efülii-t. Die ausübenden Lehrer und höheren Schulver-
waJtungen könne mau lür dieses falsche Erziehongspiincip nicht verantwortlich
machen; dasselbe sei aher mit allen gesetsllchen Uittdn zu bekftmpfen.**) — Über
die Gfiriftier Handfertigkeitasehnle, die nadi den dargelegten Onmdafttaen ein-
gerichtet ist, machte der Referent folgcaide Hittheiluugen. Die Schule wurde
von einem besonderen Verein für Handfertiarkeitsuntcrricht . der die erforder-
lichen Mittel dazu aufbringt, im MHrz 1881 etiiiluet und hat sich zunächst
einijährigc Curse zum Ziel gesetzt. Der dirigirende Lehro* wurde auf Kosten
der Commune seiner Zeit in Emden ansgebildet; das Local wnrde von der-
selben kostenfrei fjewährt. Der Verein zählt ca. 200 Mitglieder, die jährlich
etwa ]4(H) Mk. BeitrUg^e lipfnu. Die S IuiIp selbst besteht zur Zeit ans
8 Abtheiluugeu zu je 15 rij^ ilnt Innern : eiiu- derselhen int aas Lehreni zu-
sammengesetzt Der UntenicliL wird im Modellii-eu iu Thon, iiu liohsbild-
sdmitsen und in der Fapeteriearbeit erthdlt Jeder Schiller lernt das
Modf'llireii, die Hälfte derselben übt dann noch die Holzschnitzerei, die andere
Hälfte die Papeterieai Vf it; wr nhentlich wechselt der Schüler mit seinen beiden
Unterrichtszweigen ab. Für jeden derselben ist dem Dirigenten je ein tüchtiger
Handwerksmeister zur Seite gegeben, deren Aufgabe es ist, die Schüler anzu-
halten, bei Ansfflihrung der Handgrilfe technisch richtig , sowie ttberhanpt plan-
mäßig und sparsam arbeiten zn lernen. Die Untenichtszeit beträgt für den
<*iuzelneu Schüler 4 Stunden wöchentlich. Vorläufig haben nur 13jährige
Knah»'n ( 1. und 2. C'lasse der \"<ilks.srliule) in die Werkstatt Aufnahme gefunden:
Schulgeld wird von denselben nicht gezahlt; ja, es verbleiben denselben die
angefertigten Gegenstände all Eigenthnm. Die Kinder sind augensdieinUdi
mit großer Liebe bei 6jbr Sadie und besnchen die Schale daher g^. Der sieh
anfänglich in gewerblichen Kreisen von Görlitz fülilbar machende Widerstand
gegen den Handf^rfiirkpitsuntcrricht ist überwunden, da man sieht, dass die
Schale nur formeil bildende Ziele im Auge hat und eine Concuirenz von dieser
Seite nieht an firchten ist
In der fiber die drei gehörten Vortrage erttlfoeten Debatte wies Dr, Birch-
*) Barth «ad Nicderlqr, Die Scbulwerkstatt. Mit 103 erllut. Abbildungen.
«Leipzig 1881.)
Nach einer HIttheilung fm Lämmer» beim Scfalvm des Handfertigkeits-
riir-ii- für T. t'brer in Dresden (20. Ainr."'i ist Aussicht vorlmnden, dass in den
Semiuarieu (le.s Keichslandes der Arbeit.suiiterricht eingeführt wird. Frankreich will
demniehst ein Centraiseminar fttr Handferti^keitsnnterricht enriditen.
**) T. Sehenkeadorff, Der piakt, üntemcktt Bie^n 1880.
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260 —
Hirsch leid (Dresden) darauf hin, das» es nicht richtig sei zu beliaupteu,
Schweden sei von Dänemark wob mit der Idoe des Handfertigkeitsnnterhchto
befrachtet worden und KlaiiMn-Eus habe die Sache «ach in Schweden erat
angreregt*) Als ein neues Argument za Gunsten des AtheitninteiTidits fahrte
Redner sodann die in der Blindenanftalt zn Dresden gewonnene Erfahrnn? an,
dass notorisch nur die bis 12 Jahre alten Kinder sich gelehrig in der An-
eignung von teclmischeu Fettigkeiten zeigten, man bisher alsu uieist die beste
Zeit fBr die Ambildnng von Kund nnd Äuge onbenntct gelaieen hebe. Lämmer s
rühmte gleich dem Vorredner die Liberalität, mit der Schweden die Angäben- .
heit in Deutscliland jederzeit nnterstützt habo. Schnldirector Eunath
(Dresden) beiiiorkte. dass das Dresdner System des Handft rtigkeiLsunterrirhts
geeignet sei, die bicli gegenüberstehenden Ansichten von. (iörlitz and Leipzig
nt vemdttdn ; gegen den Vorwnif der Theilnahmaloeigkeit in der Frage de»
WoloBtattsiinterrichts glaubte derselbe die Lehrer in Schutz nehmen zn
müssen. Oberlehrer Gelsliom (Zaljern) beriditete über den Verlauf dt-r
ähnlichen Be??trebuiic,'('ii im iieieiislaude. Derselbe nahm selbst an dem Emdener
Corsas theil ; ant seinen Vorschlag wurde in Straßboiig probeweise eine Knaben-
bandAtbdtaedittle eingeriditet; Leiter dmelben wnrde em Theündimer des
Emdener Gnrms, der Lebrar Fischer ans Kettwig a/R. (gelernter Tischler,
der spnt« r 'i Jahre ein Lehrerseminar besuchte, sein Lehrerexamen bestand
und seit 20 . Jahren praktischer Lehrer ist). Das Arbeits!'»' i), ein dem T v 'eum
gehöriger schöner Saal, ist versehen mit 12 Hobelbänken. 6 Drehbänken und
einem groAen Tisch für Hobssclinitzarbeiten nebst einer recht voUständtgen
Atiswahl Yon Werkeeng für Tischlerei, Drechsdn nnd BdssdudtseiL Die
Kesten wurden aufgebracht vom Volksbildung^verein and der Stadt StnBbniig,
▼orwiegend jedoch vom Bezirk und der- Laiidt srep'iernn'r. 5 (^urse ztl je
12- — 15 Schülern wui'deu eingerichtet; 3 Cui-se besuchten .Schuler höherer
Schulen, 2 Curse Elementarschuler. Die Schüler mussten mindestens 12 Jahre
alt smn nnd in Beaddinng anf Fleiß nnd Betrage von ihren Lehren enpfiiblen
Rein. Die Schüler der höheren Schulen zahlte 10 UIl ffir das Halbjahr, die
andern erhielten den rütcrridit auf Wunsch nneiir'j-''^tlich ( wöchentlich wurden
2x2 Stunden ertlieilt/. Das Hauptgewicht Ui^r aut lloI/,arbeiten. Die Curse
fanden Anklang. Lehrer Fischer ist jetzt dauernd nach StraGburg über*
genedelt nnd setzt den Unterricht In diesem Sommer in abermaligen 5 Cnnen
fort. — Schenckendorff meinte, dass er gegenüber dem Dr. Götze für jetzt den
Handwerker im Handfcrtiirkeit«nnterrjrht noch nicht entbehren könne, sp.'lter
werde das wol anders werden. Zu dem Standimukt von Barth (der den Hand-
fertigkeitsouterricht nur als uuterrichtUche üuterstützong für die übrigen
Ftdmr Imben wolle) befinde er sich in vollem Gegensatse. Der letsctere warnte
nocluials davor, Haoidwerker als Lehrer auznsteUen, weil dadurch der Werk-
Statts-Gedanke leicht in falsche Bahnen gelenkt werde; er bemerkte femer. es
sei nicht seine Meinung, dass der Workstnttsnnterricht etwa sein«- voll»- Selbst-
ständigkeit einbüßen solle. Derselbe habe wie jede andere Schuldisciplüi eine
gewisse Selbstständigkeit, seuien eigenen Bhythmn^ soeosagen seine eigene Blnt-
wilrme, mit der er in den Dienst des Ganzen trete. Oberlehrer Krnsche
*) SalomoD, Arbeitsschale und Voiksschale (aus dem Schwedischen Ubeisetxt^
Wittenberg 1881,
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— 261 —
iLeipzigl sprach gegen das Nebenherlaufen dt s Hamlfcrtig^keitsunteiTichts als
einzelne selbsutändige Scholdisciplin und zeigte, dsm bereits Sulzer 1 745 diesen
Unterricht empfohlen hat („Vemiuiftige Gedanken über Erziehung und Unter-
weisung der Eindvr''). Director Vota(E11)ei!feld) aoehte die AnfinerkMinkelt
des C^utral-Comitte auf die WaiMnliftiuer und BettongdiAiiBer za riditen. —
Xachdem die Versammlung erklärt hatte, dass das Central-Comitö und
d» r sreschäftsftihrende AiissclmsB in Bremen in bisheriger Form weiter be-
surhea sulle, gchloes Prof. Biedermann den Congress mit einei' lebendigen
Ansprache.*)
IL Ansstellnag: toh Schul werkstattsarbeiten.
Die im Kaiseraaale der Centralballe und seinen Nebenrftiim«i nntw-
eebrachte Ausstelluner von Wt rkstattsarbeiten war ans allen Theilen Dentach-
laivh. sowie aus der Schweiz und aus Schweden beschickt worden. Die Ver-
bindung des Congresses mit der Ausstellung war ohne Zweifel für die Au8>
einandenetsnng der Tenchiedenen Standpunkte, sowie fllr die Agitation änilerst
ftndifbar. Da ein Tollea Bild von dem Fortgange, den die Bewegonf für den
Arbeitsunterricht durch die Leipziger V«>rsammlung genommen hat, nicht zu
gewinnen ist ohne eine Mittlieihm^ über diese Aus.stellunf,', — die der Sache
mehr Freunde gewonnen liuljeii soll als die Versammlang selbst — so fügen
wir einen knrzoi Bericht bei.
Beim Eintritt in den Saal emi^incr den Besnefanr eine in Glaaklsten
ausgelegte Zusammenstellung der Litteratnr ftber den Arbeitennter-
richt in chronologischer Ordnung, die manchem willkommen gewesen aein mag
^das Verzeichnis findet sieh in den ..Verhandlnnj^en etc.** H'2 ff ).
Die Schweiz war auf der Ausstellung durch sehr interesnaute geo-
graphieehe Werkfltattsarbeiten ans dem Institut von Fr. Benst in Hottingen
bei Ztirieh Ycrtreten.**) Dieselben waren insofern von Bedeutung, als sie
den engen Znsammenhanpr zwischen der Seliiileneise. dem mittels der T.anb-
«Ige beigestellten Schithtenreliof nnd der Karte deutlich aufzeigen. Auf diese
Weise muss der Schüler die Karte verstehen lernen. Außerdem zeichnete sich
diese Ansstellmig noch dadurch ans, da» sie die Höglichl^t eines Oassen-
unterrichte in der Scbnlwerlmtatt nachwies. Von den in dassoi von 25 — 35
S'eliülerii ausgeführten Arbeiten sind Karten, Reliefs und ein Globus ausgestellt.
Hieran scliloss sich die ebenfalls geofrraphisehe Ans.stellung des Instituts Von
Gust. Wiget in Korschach, welche Reliefs umfasste.***)
Die Leipziger Ansstellung zerfiel in mehrere Unterabtheilnngen. Sie
wollte damit aeigen, welchw vielseitigen Ent£dtnng die Idee des Arbeits-
nntenichts föhig ist. Die vier Abtheilungen wurden gebildet durch Arbeiten
an? dem Tanbstummeninstitnt. der liarthschen Erziehungsschule,
der Kealschule 1. Ord. und der Leipziger Schülerwerkstatt. — Vom
Taabstummen-Institut zu Leipzig waren Laubsäge- und Papparbeiten
anagcftellt, welche neigten, wie der Handfertlgheitsunterricht in den Dienst
*) „Xorrlwosi ' ^Zeitschrift), herau«fr( i^plieii von Lammen. Organ des Central-
COmitte (ttr Uaudfertigkeitsonterridit. fL
Beust, Das Bdkf üi der SehaJ«. ZDi^ 1881.
•*•} Wiget, Der Ueine BeUef-Aibelter. Znricb 1881.
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— 262 —
derartiger Anstalten zu htellen ist. Die Bai thsi In^ Erziehungsschulf' bot
Prohfn von Arbpiton ans der Kloineiitarclassc, die von Kindern von 6 — 8 Jahren
in Papier angefertigt waren. Die von der ßealscliale ausgestellten Gegen-
stände waren von ebiselnen Schülern gefertigt, ohne nmnittelbare Avfricbt,
m»deni daheim, zum eignen Vergnügen. Die AiMBtelhinff der LeJpsiger
Schüler Werkstatt sonderte sich in 2 Gmppen: in der einen waren die
Arbeiten nach den vier verschiedenen WerkstattHcnrsen sroordnet (Papp-, Holz-,
Metaliarbeiten und Modeliirenj, die andere Gruppe gliederte die Arbeiten un-
abhängig Tom MaMal nadi den SelraldiacipUnen, mit denen sie inTerbindnn;
stehen. (Vgl. den AnaateUnngsberieht von Dr. GOtne.)
Ans der Sehfilerwerkstatt des Gemeinnfitzigen Vereins zn
Dresden warfii je eine Gruppe von SchlUerarbeiten in Holz und in Pappe
ausgestellt, wrlrlu- tb-n beJnljrtr-n rnterritiitsipaner ei-kennt-ü la»s<n. Die
Görlitzer Handteriigkeitsschnle war nach drei Kichtungen vertreten,
in Holzarbeiten, Papeteriearbeiten vnd im HodelUreD. Strasburg hatte
Draht- ond Holaurbeiten eingesandt; Pforzheim bot Arbeiten der Knaben-
arbeitsschnle und der Werkstatt des Gynitiasiums (Holzarbeiten); die vier
Arbeitsschulen des Krpisf*» Waldenburg (Schlesien): Ober-Waldenburg'.
Dimiliau, VVüste-Giersdort und Gottesberg hatten Laubsäge-, Tischler- und
Drechslerarbeiten, Schnitzereien, Bürsten, Korbmacher- md Pappa^bäten
geschickt. Von der Arbeitsschnle so Salznngen waren Hobd-, Sdinitz-,
Dredisel-, Laubsllir.- und grobe Flechtarbeiten eingegangen. Osnabriick,
das Cranz auf dem IJ'xli'n dos .« hwcdischen Slöjd stt lit. hatte außer Kilchen-
geräthen auch SciiatuUen, Eahmen u. s. w.. sowie SchnitzarlHMten ausgestellt.
Von dem Lehrer Biemanu (Breiuen) war ein Auszug ans dem Lehrgange
des SlSjd-Seminars m NttSs in Schweden znr Einsieht TOigdegt Das
St Peti i Waisenhaus in Bremen ergänzte die Avsstdlonir dnrch Gegen-
ftUtub', wie sio Hansfleiß in geschlossenen Anstalten zu erzeugen vermas" Korb-
flechtereien, Bürsten. A usb'w-parbf'iten. LaulisHjrc- uml Pajtitarbeiteu). Auf dem
Bod^ des Hau^rteilies htaml die Schule des Werk- und Armenhauses zu
Hamburg, die anf den Erwerb angewiesen ist Endlieh hatte Director
Salomen ans dem Seminar zu Nääs eine Modellsammlung nebst reicher Werk-
zenganastattong gesendet, die zun Geschenk Ittr die Dresdner Schalwerkstatt
bestimmt ist.
„Übej*8chaut man", so sagt der Leiter der Leipzig-er Schiiii i Werkstatt
am Schluss seines Berichtes, „mit einem Blicke alle die Bestrebungen, von
deren Bestehen der Congress fBr Handfertigkeit vnd Hansfleifi zn Leipzig
lebendige Kunde gab. so kommt einem von selbst der Wunsch in die Sede,
»'S niöchtf doch (Mullich, endlich all diot^n sich fTPi\viI]ii; in Bt^voeTinsr setzen-
dtn Krätten ireliii^t n. die Erkenntnis, dass es noth tlno-. der heranwachsenden
Jugt;ud nicht blus eine Summe von Kenntnissen beizubringen, sondern sie durch
die Arbeit zu starken widerstandafiüiigen, sittlich tttehtlgen Charakteren zn
erziehen, in die That umzusetzen; mSehte es gelingen, nnsere mit Lehrstoffen
überfüllte Schub' von manclienj \Visspnsqtialm zu riitladm und die überbürdeten,
in den oberen (lassen oft schon blasirten Schüler in jutrendfiitvehe. lebens-
frohe, die W'i'll mit gebunden .Muutn erfassende Jungen umzuwaudelii; müclite
die Erziehung zur Arbeit, die ehte nationale Frage Ist Ton ungeahnter
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Tra^eite, eudlich eine Wahrheit werden zum äegen iUr mucr geliebtes
\aterlaad!" — *}
*) Die Theiltiehmer an dem Haudfertigkeits-Curgus in Dresden (Sommer
1888) haben Tolgende Thesen aufgestellt:
1. Der H;iu<lferTii,1< itsuntorricht, dessen Verbindung mit der Jagenderziehnm;
jithon seit .JahrhuiKlt rteu von den hervomgendaten Pädaufo^eu wiederholt erstrebt
^Vörden ist, ergänzt die bisherige Ausbildung der mäimliehen Ju^'end zu einer harmo-
nischen und widmet neben stetem Verfolg; der tlir die JnjEfendbildiiiii^ f« ststchenden
Ziele dem gewerblichen und socialen Leben eine erhöhte Anfmerksaiukeit und Pflege.
S. Die Bedetttug iet Handfertigkeitsunterrichts liegt darin, daai er
a. dem «nsrelKvreneu SchafFenstrit li sein Recht gibt,
b. fortwähnud in Anschauung wur/cind Interesse erregt, damit die Lem-
lust steigert und die siebere und schnelle Erfassung des Unterricht«-
8tofiiB8 fördert,
e. cur Bfldiin^ des Cluunkters wesentlich beiträgt und
il. für das bür>,'t'rliche Leben wiitschiUtlicIi tüchtig maicht.
3. Filr die Lebrweiäe, den Lebi^pang und die Lehixieie iat lediglich dad eigene
Wesen und die Angabe des Handfertigkeitsunterrichts mafigebend (!).
4. V< r H.iiidfe'rtigkeitsnntenricht muss an die Prin« iiiicn <lo^ Frrihflschen Kinder-
gartens sich anschlietien und die ganze Schulzeit fortgehen. £ä iät wUuscheQüwert,
dMs den Knaben nach der Entlassung ans der Sehnte Oelegenhelt geboten werde,
an dem Handfertigke'itsnnterricht theilnehmon zu k(5mien.
5. In Volksschiikn und in höhereu .ScLuleu kann bei veisiliicdcutju Lutenichts-
flehem, namentlich beim Unterricht im Zeichnen, in Mathematik, in Geographie und
Xnttirknnde der Hnndferti^eitanntfirricht mit Erfolg fSa die Unterriehtasweeke
nutzbar gemacht werden.
In gesclüossenen Erziehungsanstalten ist der HandfertigheilSttUteirieht hervor-
ragend als Erziehungs- und l'nterrichtämittei uueutbehriicb.
6. Die Einrichtung von WerkstÄtten ftlr den Handfertigkeitsunterricht ist als
ein dringeiidfs und allgemeines Bedürftiii« zu bezeichnen.
7. Jüt Rüclcsicht auf die Stellung de« Haudfertigkeitauntenichte zu dem äohul-
natemehte empAehlt sieh dkl BtnlBiining des Handfertigkeitsnateitiehte in den
SchnUehrerseminnren und anderen Lehierbudungsauetalten«
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Dem Andeiken Diesterwegs.
war im Juli des Jahres 1880 — aeeludg Jabre nach derÜbenlcde-
laag 0ieBterwegv von Elberfeld, wo er 2. Bector der lateinischen Sdinle
gewesen war, nach Mürs als Director des neaerricliteten Schallehrerseminars
— als f;i( h ein Theil seiner noch lebenden Mörser Schüler in dem Orte, wo sie
zu seinen Füßen gesessen, versammelten, um nocli einmal gemeinsam das An-
denken ihres geliebten Ldtrara o&d FrraDdes ra Meaen. Ea waren Greise — -
der Jüngste aflhlte 68» der Uteste 79 Jahre, — aher sie sehflttelten sich bei
der Begegnung und beim Abiichiede mit der alten Herzlichkeit und Treue. welcJie
in ihnen die g'leirhe Liebe zu ihrem Bildner entzündet hatfp, (^ie TTnul. und
der (ilauz dei- Jugend erglühte in ihren Augen von neuem Wi dem Uedankeu
an den thenem Heimgegangenen.
Wehmfithlger Emst war die Gnmdstimwiang der Vetsammliuig. Wenn
aber im Hin- und Herwegen der Unterhaltung, wie das nicht anders sein konnte,
auch heitere Erinnerungen vor ihre Reele traten, dann konnten die Alten anrh
noch jubeln und sich freuen, wie Jünglinge; und wenn sie der Kilmple gedaciiteu, an
denen sie mit ihrem Lehrer,odertÜr denselben theilgeuummeu.dannschwellte wieder
thatkrftftige Begeistemag ilire Brost und madito sich Lnft in kernigen Werten.
Der älteste der Anwesenden, einer der ersten Mörser Schüler Diesterwegs,
früher Lehrer in Elberfeld, jetzt als Emeritns in I'erlin lebend. Wilhelin lUn^k-
mann, war aus der Metropole heriiber?ekümmen und berichtete über die Ber-
liner Diestenvegstütuiig und andere Ehreuerweisnngen, welche an der Spree
dem groBen Pftdagogen und Volksfrennde nach selnonTode m theU geworden
sind. Dadurch wurde das Pro ject eines Diesterweg-Deokmals in Körs, welches frü-
her auf Hindernisse gestoßen war, \vieder anj^ere^rt und von neuem diseutirt, nnd.
nachdem sich die Anwesenden des freundlichen Entgegenkommens der Stadt Mors
\ ersichert hatten, beschlossen, die Verwirklichung des Gedankens zu versuchen.
Die zur Zeit der Venammlung noch lehwden MSrser Schiller Diesterwegs
— Ton 142 noch 49 - - konnten sich sofort sagen, dass ihre Mittel zur Grfin-
dnng" eines Denkmals nicht liinreiehen wiii'den. Aber es widerstrebte ihnen
auch, jsich um Beistand an das jjroüe ruhlieum zu \ven<len. Drieflicbe Anfracren
und Mittheilungen von Berliner Schülern und anderen \ erelirem Diesterwegs
überzeugten den bestellten engeren Anssehnss des Comit^s bald, dass es ge-
lingen werde, das Werk mit ihrem Bdstande m stände sa bringen. Es wnrde
ein Aufruf beschlossen und den bekannten Verehrern des theuem Heimgegangenen
übersendet. Die Stadt Mörs war den Bestrebungen des Coniiti^s durch Über-
lassung eines schonen Platzes in den Aulagen der Stadt, dem neuen Seminar-
gebäude gegenüber, und dnrch Bildung eines JüocaioomitÄi freundlich zu Hilfe
gekommen, und ein Hitglied desselben, Herr ApothdLsr Henckell, hatte die
Fittirung der Casse übernommen.
Nicht lansre nachher traf das Unternehmen ein empfindlicher Schlag, indem
Um durch den Tod eines sehr thfttigen Auäi»chut>t)mitgliede8, des emehtirten
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Lehrers Dickiiiiinn in Düsseldorf, eine tüclitigfe Kraft entzog-rn xvtml*' Außer
ihm sind vor der K^Ttigstellung' des Denkmals Jiorl; ;'-w< i rmdoji" 1>S() m >1 >ns
Anwesende heiiugegangea. Doch ist es geiuiigea, daa Weik zur Auäiuiirung
SQ Mögen, und es ist am 7. October 1882 enthüllt worden.
Heiterer Himmel und milde Luft beg&nstigten die Feier. Schon der Vor-
abend versainmelte xich^ Festtheilnehmer in den ^lauern der Stadt Mürs. Ein
kleiner, aber besonders trnulicher Kreis .sammelte sieh um die bereits ange-
kommeueu Söhne und \ ti-w audten des thenren Heimgegaugeueii im H«Hel Unerkens.
Anwesend waren o, a. drei S5hne Dleelerwegef Sanitfttnath Dleeterweff in
Wiesbaden, SaBiaterath Dietterweg in Bbeadorf bei Hagdebnrg und Morita
DiesterH-es'. Buchhändler in Frankftirt am Main, ferner Bergrath I^iesterweg
ans Neuwied und Stadtsehnlinspeetor Diesterweg in Berlin. Der zu den Ber-
liner Schülern Diesterwegs geluireode Seminarlehrer a. D. A, Böhme über-
bradite der Familie herzliche Grüße and GlückwQaaehe aoa Berlin.
Am 7, October gegen 12 Uhr atellten sich die Festgenossen in der Kliie
des alten Seminargebäudes zum Festznge auf, wekhttr sich von hier aus, die
Seminaristen nnd die Glieder der Friinili'' !Me<:tenvejrs voran, unter den Kinn^ren
der Mörser Capelle zum neuen .Senünargebaude bewegt*-, dem gegenüber das
Denkmal errichtet ist Jeder Theiluehmer am Zuge trug eine »chwanB-weiß-
rothe SehleifiD mit dem Namen: „A. Diesterweg*' anddemWaUsprache: „ScfaUeS
an ein Ganses dieb an!"
Nachdem am Denkmale der Seminarchor eine Motette vorgetragen liatte,
hielt Langenberg aus Bonn, einer der Mörser Schüler und der Biograph Diester-
wegs, die Weiherede. Er entwarf in kräftigen Zügen ein Bild des Gefeierten,
seines Lehens, SchaiTens nnd Leidens. Lantlos lauschte die grolle Verssrnmlnng.
Bei den Sdilu.-swiji-ten sank die Hülle des Denkmals and die adeln Züge des
L^-hrers der Lelirer zelteten sich d(«n Blicken der Versammelten. Die sehr
gelungene Büste uns Krz. eine Nachbildung derjenigen, welche lYofessor Wolff
für das Grabdenkmal Diesterwegs auf dem Matthäikirchhofe in Berlin her«
gestellt bat, steht, mit dem Antlits der Stadt KOrs zugewendet, anf einem hoben
Soekel ans rothem Sandstein, auf dem die Zahlen 1820 — 18B2 eingegraben
sind, die Zeit der Wirksamkeit Diesterwe??; in Mörs angebend. T>a8 Ganze, anf
einer Erhöhung stehend, passt vortrefflicli zu der Umgebung ; mit einem Worte :
Das Denknml ist gelungen und eine wahre Zierde der Stadt. „So war erl"
hSrte man von allen sagen, welche Arn im Leben gekannt
Nachdem die SeminiuiBten noch einen Gesang vorgetragen, sprach der
älteste Sfdin Diesterwegs tiefgefühlte und zu aller Herzen dringende Wort»' des
Haukes im Namen der FamihV des Gefeierten. In vielen Aujren sah man
Thronen, als er an die Abschiedsrede seines großen \ aters, gehalten im Früh-
ling 1832i erittnerte nnd ans danelben die innigen ^Vorte des Segens Vibet die
gnte Stadt HSre vorlas. Hieranf erfolgte die Übergabe des Denkmahi an die
Stadt Mörs durch Lehrer Hufschmidt aus Halver in Vertretung seines Vaters,
des dnrch Krankheit verhinderten Lehrers Hufschmidt in Unn r Zum Schlüsse
nahm Herr Bürgermeister Kautz dxs Wort und sprach namens der Stadt
MSrs den Stiftern des Denkmals nnd dem Görnitz herzliehen Dank ans für das
sehüne Oesehenk, welches sie der Stadt in diesem Denkmale gemacht. Er ermahnte
in ergreifenden Worten die Versammelten, in des Gefeierten FuBtapfen zu
treten nnd seine Bestrebangen nach Kräften za fttrderiL Zogleich versprach
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er im Namen (l(*r Biirsrprsi liatt der Stadt M'ör^, flns Dpnkmal als » in heiliges
Vennächtnis fiir alle Zeiten zu »cliützen und zu bt^walueu. Zwei Lukel des
Gefeierten, Sohne des SaaHatsnitlui Diesterweg von Wiesbnden, hielten wihread
der Feier, an den Stiifen des Denkmals stehend, zwei prachtvolle Kränze und
le^en diese nach Beendij^mcr der Feier am Denkmale nieder. — Tiirpr den
Klängen der Mnnik bewegrte sich nun der Zug zum Gasthot Brucklehen, mo
ein Festmahl etwa 00 Personen bis zum Abend vereinigte. Toaste der ver*
echiedeniten Art helehten die Oesellsehaft Langenberp brachte das Hoch aof
den Kaiser ans. Dieftterwegr habe — so begann der Trinksprnch — Deutsch-
land eine ijTftße Znkunft verheißen, aber er habe, da er 18G0 uns so plötzlich
entrissen wuide, nur die Jloi^enröthc def neuen Deutschland, nicht aber die
deutsche Einheit, welche er schon in mmar Jugend ersehnt, genüiant. Ei* sei
ein dorch nnd dnrdi patriotfiniier Hann gewesen, was dordi seine AnfiAtfe Iber
Nationalersiehiing n^ Patriotiamos bezeugt werde. Wir, die wir die Trämne
unserer Jugend in Erfüllung gehen sahen, haben gerechten Grund, des Mannes
zu gedenken, welcher heute die deutsehe Einheit darstellt. Das sei der Kaiser.
Jubelnd stimmte die Festversaumilung in das ausgebrachte Hoch ein, und
stehoid wnrds die Kaiserhy mne gesungen. Dann toastete KearHaffth ans Vsniaiekd
bei HSrs, einer der jttngsten HSraer Schfilor Diesterwegs, aaf die Fantilie
Diesterweg. Dr. Diesterweg aus Ebendorf bei Magdeburg sprach den Dank
der Familie aus. die sich durch das Denkmal sowie durch die pr^nze Feier liuch-
geehrt tühle. Herr 8ladl8chtilinspector Dr. Diesterweg aus Berlin brachte der
Stadt Mörs und ihrer braven Büigerschaft ein Hoch. Der erste Beigeordnete
der Stadt, ApotiiekerHenckell, deasan verstorbener Vator an den ersten Schttlen
Diesterwegs pehr.rt hatte, wünschte den noch lebenden Schülern Diesterwegs
einen freundlichen I,ebensabend. Von den iil'riir*"i Toasten env.lhneji wir nur
noch deu Böhme's auf den ältesten noch lebenden Scliüler, Böckmanu, und
denjenigen des Kectors Bartholomäus in Hanau auf den ältesten noch lebenden
Collen Diesterwegs, den Mosikdireetor Eric Jedem wurde ein telegrapbiscber
Graß übermittelt.
Sehm am Mfunren di s Festtasre.'' waren viele Glückwunschschreiben und
Telegramme fin're'radi'eu, zu denen während der Tafel immer neue kamen.
»Sie alle iiaumuii zu machen, würde zu weit gehen, einige aber glauben wir
doch erwähnen m mfiasen. Der Semlnardirector a. D. S^üin, Nachfolger Diester-
wegs in Mörs, wünschte dem Feste den besten Verlauf und bleibenden Segen
fiir die \'rdksschule. Ein Schreil)en des ^fasristrats in Siegen, welihem drei
Ph<itographi< n des Oehnrtslianses von Di»'sterweg beitrefütft waren, sprach den
Dank der Stadt Siegen aus lur die Ehre, welche ihrem grollen Mitbürger er-
wiesen worden. Anflerdem gedenlcen wir noeh der Zosehrift des Diesterwegs
Vereins in Wien and der .Telegramme vom Lelirerverein Coocordia imFOrsten-
thum Birkeufeld und von Meyer in Lübeck. Eine Mt iiüe von (Gedichten waren
eingegangen, konnten alter leider nicht znm \ ort rag kommen, da für viele
Festgeuosseu die Stunde der Abreise gekommen war.
Das Fest war in der herrlichsten Weise verlaufen, von Iceinem Misston
getrübt Jeder Thettnebmer wird gehobenen Herzens die Haaern der gast-
lichen Stadt, die so vieles zum Gelingen des Ganzen beigetragen, verlassen haben.
VenintwortJichci Redacteoi: M. Stvin. Bnchdrackmi Julia« Elinkhardt, Leipzig.
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Die IndiTidiuilitit und ihr Einflnsg auf Erziehing
«nd Unterrieht
Vm Sectcr JV. von Werder -Eama.
.D» Eiod tat « d>« hol» Giad. von AnschaamigB- und
SpwMshkeimtmwen za bringen, ebe es veniflnftig ist, ob lesen, oder
aadi nur bndistabifiren za lebren", sagt Pestalom and «Meßt daran
die Foiderong an die Erzteher: ^Erweitert den Kreis der Anschaaung
eorer Kinder immer mehr!" Und in d«r Einleitonn^ zur „Abendstunde
eines Einsiedlers** stellt Pestaknad als Ansgangsponkt aller Erdehnng
und alles Unterrichts die An^be hin: „das Wesen der ZQglinge zu
edbisehen**. Uedoreh bezeugt der Altmeister» dass die Erziehung
Kenntnis des Geisteslebens Toransaetzt, als dessen eine Seite die In-
dividnalitöt zn belarachten ist Den B^riff derselben klar za legen
and ihren Einfloss aof Erziehung und Unterricht nachznweiseii, soll
im Nachfolgenden unsere Aufgabe sein.
Noch in jetziger Zeit hört man Kl{^;en von den Lehrera, dass
die Erziehung und der Unterricht nidit immer, auch bei redlichem
Eifer und angestrengter Thätigkeit, den erwünschten Erfolg haben,
und fra^rt man nacli den Ursachen, so erhält man die Antwort: ..Wer
kann im Massenuuterriclite auch nur annähernd den Forderungen
der Pädagnrnk nachkommen?- Und während ein anderer PT widcrt:
^Wenn irli wwv die Dummköpfe hinaus hätte ereifert sich ein drit-
ter iibt'i dit' \ i( Im Ausartungen und bösen Streiche, mit denen er zu
kÄmpteii hat. Vaw vierter rühmt auch wol die .Stadtschulen im Gegen-
satz zu den Lami.siihulen mit den Worten: „Wenn meine Kinder auf
einen anderen Hoden gefallen wären, so kRnnte ich wol mehr er-
reichen.*^ — So der Landlehrer. — Aber aiu h die I>t'lirer der städti-
schen Volksschulen bezeugen mehr oder minder den unbefriedigenden
Erfülo: ihrei- Bemühungen; und wenn wir einen Blick in die höheren
Schulen werfen, in welchen doch meistens die Mängel und Ubelstände,
welche ein frohes Oedeihen der Volksschule hindern, wegfhllen, so
weiden w ei^ennen, daas sich auch hier im VerhSltnis zn den For-
derungen ein Backstand ergibt Ja, Öfters hOrt man anch solche
Lphrer. die uur wenig'e oder sogar nur einen Schüler zn unterrichten
liaben, über den zu langsamen Fortschritt des kindlichen (Geistes
klagen. Daraus ergibt sieh, dass der kindliche Geist sich nicht so
leicht formen lässt wie Thon und Wachs, sondern dass die Individuali-
tät eine Kraft ist, welche bald hemmend bald fördernd die Bfldang
beeiniliiflst, so dass wir nicht nur die Bildungsfilhigkeit, aondeicii auch
die Schranken der Bildsamkeit anerkennen müssen. Man kann sich
hierbei auf folgende ErMrungen berufen.
Gar mancher SehQler wird thats&cbliefa nicht, was die Eniehnng
bei ihm erstrebt hat Diese Er&hnmg best&tigt sich alle Tage von
neuem. Man vesfe nnr einmal einen Blick in die Straüyistalten, and
man wird staunen» dass so viele Menschen yom rechten Wege abge>
wichen sind; man lese mit Anfmeiksamkdt die Zeitungen, und man
wird finden, dass aneh noch hente viele Menschen trots guten Unter-
ridits und gater Eraiehnng vom Ziele der allgemeinen Menschen-
bildnng abweichen. Das beweist nichts weniger als Mangel an Bild-
samkeit bei dem ZOgling; vielmehr möchte man hier der Erziehung
die Schuld geben, wenn sie etwa Widersprüche in sich schioss oder
ihre Mittel unzureichend waren, oder der Wille nicht ausreichende
Kraft besaß. In vielen Fällen ist sogar die Ungeschicklichkeit des
Lehrers in der Kunst der Erziehung wie in der Methodik Schuld da-
ran, dass dem Schüler auch nicht das Leichteste gelingt. Und die
Lehrer sprechen über sich selbst das Urtheil. die da ssigen, dass einige
ihrer Schüb-r sich aueli die allereinfachsten Klementarkenntnisse in
gewissen 1^ acliern nicht erwerben können, weil ihnen dazu die Fähig-
keiten fehlen. So sehen wir also, dass in gewisser Weist^ die Schran-
ken der BildstnikHit dureli mangelnde PHege und Fürsorge drv Er-
wachsenen ver>ciiuldet werden. Aber auch bei einer treuen Fürsorge,
beim Gebrauch der rechten Mittel, beim Eingreifen eines energischen,
thatkiäftigen Willens, bei der Ausfühnmg eines wol erwogenen Pla-
nes und bei aller Gescliicklichkeit und Kenntnis in psychologisch-
methodischer Hinsicht müssen wii- deunocli eine Grenze der Bihl^ain-
keit, wie auf dei* andern Seite eine in der geistigen Natui- und Be-
gabung liegende Begttnstignng der Bildung anerkennen. Denn die
Knnst and der Wille des Lehrers mOgen noch so weit reichen, der
eme Zögling ist doch &ber einen gewissen Orad der Bildung nicht
hinaus zn heben, anch wenn seinerseits die größten Anstrengungen
gemacht werden, während ein anderer mit leichter Mühe bei dem-
selben Unterrichte zu viel höheren Standpunkten sich erhebt. Und
dazu tritt noch em anderer Unterschied: der eine Schüler konunt mit
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größerer oder geringerer Leichtigkeit an sein Ziel, während ein an-
derei" nur mit großer Anstrengung und unter großen Schwierigkeiten
auniiheind das Ziel erreicht; ja derselbe Schüler kommt in einer
Disciplin mit gennger Mühe weiter, während eine andere ihm viel
Soh\\i*'i iL'-kriteii bereitet. So sehen wir denn, dass in der nrsprüng-
Ueh'U Natur des; (-»eistes oft Begünstigungen, oft Schranken der
Bildung liegen, und das scheint zti be^\nrken, ,,dass in dem einen Fall
ein gi'ößeres. in dtin andern ein geringeres Maß von Bildung eiTeichi
wird, und zwar bald mit geringerer, bald mit größerer Leichtigkeit
imd Ki'aftanstrengnng.'*
Zu einem ähnlichen Resultate ist man auch noch auf einem an-
deren Wege gelangt. Die Erfahrung hat nämlich gezeigt, dass Kinder,
▼eiche unter gleichen Bildungseinflüssen aufgewachsen sind, sich den-
noch Terschieden entwickelt haben, go dass sogar bei Kiutam Ton
gldchen Elteni, ja bei ZiriUingsgeschwIsteni, welche unter gleichen
Lebensverhftltniseen erzogen shid — wobei doch gleiche oder wraiig-
«tens sehr fthnUcfae ^Idnngsresiiltate tdeh ergeben mflssten — > daae
auch bei diesen Kindern ganz ungleiche Besnltate entstehen, nnd dass
solche Kinder sieh suletat auch aoHerordentlich rerschieden aeigen.
I^ese Verschiedenheit entsteht also nicht durch ungleiche YerhiUtniase,
in welchen die Kinder herangebildet werden, sondern sie muss auf
organischen Verschiedenhelten beruhen, welche einw bestinunten Thft-
tigkeit günstig sind, und durch welche die Naturankgen, die indivi-
duellen Anlagen, bedingt werden. Wenn man nun auch gesagt hat,
dass das innere Leben des Zöglings ursprünglich keine feste Gestalt
und Kichtung hat, sondern erst durch äußere Einwirkungen ausgebil-
det wird, so muss man doch auf Grund dieser Erfahrung bekennen:
„Der Geist muss schon vor der Geburt eine feste Bestimmtheit ange-,
nommen haben, die hei allen späteren Einflüssen bald hemmend bald
begünstigend mitwirkt und zuletzt sogar an ihrem Theil über den
Erfolg des ganzen Lebens entscheidet. Diese feste, ursprüngliche
Bestinimtlieil des Geistes nennt man nun Anlage, Naturanlage, Jndivi-
dnalität, denn Gott hat, wie John Locke sinj-t, jeder Menschenseele
ein eiurenthümliches Gepräge eingedrückt, das nicht getilgt oder diu'ch
ein anderes ei-setzt werden kann.'' Hiernach ist also die Individualität
die natürliche, im Organisnuis begründete Anlage.
Dies* Anlage erschöpft nun aber den Begriff der Indi^ndnalität
nicht. .Aiaii hat bmerkt, dass gewisse Arten sich zu benehmen, zu
iülilen. zu denken, zu handeln sich bei den Menschen gleichbleiben
vom frühesten bis zum spätesten Alter, dass also nicht nur gewisse
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Ei^enthiinilirlikeiten im menschlicheu Kürper bis in das späteste
Ait«*r liesteheii bkibrn, sondeni dass anch constaiit« ffeistifre Züge
sich au (lern Mensclien bemerkbar niacheu vvähreiKi »eiiiei- ganzen
Lebenszeit; ja dH?is sich sogar diese Züge im >{päteni Alter immer
mehr vei*starken imd deutliclier hervortreten. Uud cüese Erscheinung
ist doch höchst merkwüidig. Denn der Mensch erleidet in seinem
Leben die verschiedenartigsten Einwu kungen, sehr wechselvolle Schick-
sale treten an ihn henui und hinterlassen die mannigfaltigsten Lin-
drücke. Sein Vorstellungskreis, und mithin sein Denken, Fudileu uud
Wollen, seine Gnmds&tze und seine Bildung wechseln oft im stärksten
Matte unter den Binwiriamgen der Ld)ensyerfaiUtni88e, so dass man
nicht glauben aoUte, dasa es conatante geistige Zuge gebe. Die Ep>
fiüirnng aber lehrt dieaea. Nach ilir bleibt eme jedem Individnom
eigenthttaalicheArt zu denken, an wollen nnd an handeln während sei-
nea ganxen Lebens unter den verschiedensten Teihftltnissen dieselbe
nnd bildet den Grundzag des Charaktera, ja dieser wird immer st&v
ker unter den Einllflssen derWdt nnd tritt immer beatimmter hervor,
8» dasa Goethe mit Becht sagen konnte:
„Es bildet TUent äeli in der StiUe,
Sieh ein Chankter in dem Stiem der Welt'*
Der n^trom der Welt** kann die individaellen Eügenschaften wol
bis zu einem gewissen Grade verdunkeln nnd verhfill^, aber sclüiefi-
lieh brechen sie doch durch alle Hullen wieder unveränderlich durch,
und man erkennt immer, dass sie sich erhalten haben. An diesen
Zogen erkennt man in späteren Jahren einen Menschen als denselben
wieder, an ihnen erkennt ein Jugendfreund den andern wieder, wie
verschieden sich auch ihre Bildung unter den Einwirkungen ihrer
Lebensverhältnisse gestaltet hat, wie weit sie auch rätunlich nnd zeit-
lich von einander getrennt waren.
Die Seele hat aber keinen ursprünglichen Inhalt nach John Locke's
Grundsatz: Nihil est in intellectu, quod mm i>rius fuerit in sensn. Der
Inhalt entsteht also in der Seele erst <lurcli »bis Lfbeii. wonn auch zum
Thcil schon in dem fi-i'ilu^sUdi Alter des Kiude> und wu'd bedingt durch
dii' l'nigel)mig desselben, so dass er sicli je nach den individuellen Da-
seiiisverliältnissen verschieden gestalten muss. r>enn jede Umgebung
bietet eine gewisse Menge von Vorstellungen dar, die in anderer
Umgebung nicht erzeugt werden; so entsteht für jedes Kind ein
eigenthümlicher, aus der Umgebung entsprungener Gedankenkreis, und
als nothwendige Folge entstehen hieraus eigentliümliche Phantasien,
Gefühle und Strebungen. Hierdurch enthült die Anlage einen Zusatz,
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weleher in den ältesten, ans der ümgebnng: im frOhesten Kindesalter ent-
springenden Forstellangen und den daraas sich entwickelnden ander-
weitigen bewnssten Geisteszoständen yoti l)estiminter Realität besteht.
Die Umgebung wirkt nun tlieils durch bestimmte Örtlichkeit,
theils durch bestimmte Gesellschaftskreise. Es bilden sich also bei
dem Kinde gewisse Züge ein^eits durch Gestaltung des Aufenthalts-
ortes, in welchem es seine Jugend verlebt, anderseits wirkt aber auch
das T.phfn der Menschen, deren Pflege es von frühester Kindheit an-
vertraut wii-d, bestimmend auf die Bildung seines inneren Trebens ein.
Zuvörderst erhält also das innere Leben des Kindes eine be-
stimmte Gestalt durch die Beschaffenheit seines Anfeiithaltsortes. Denn
da^ < ^ f i s ( esieben wird sich verscliieden jrpst-altrii. jf nachdem der
Mensch auf einer Insel, oder aul eineia ('oiuiueiue lieranwächst, je
nachdem er in Gebirgsgegenden oder in uuabsehbai-en El>enen, unter
einem heiteren Himmel oder in einer düsteren Landschaft seine Jugend
verlebt. Selbst die Stadt, das Dorf, Haus und Hof Straßen und
Spielitlatzc koinineu liier in Betracht und bewirken, dass in dem Ge-
dankenki-eise des Kindes (inalitativ verschiedene Vorstellungen sich
ausbilden, aus welchen dann wiederum eigenthümliche Phantasien und
Geisteszustände hervorgehen. Wie verschieden müssen daher die Vor-
stellungen eines Kindes auf dem Dorfe and eines in einer Großstadt
sein! Hier .febleii Idcht die elementarsten Begriffe der Hdraatkonde.
Ein Haus gldeht dem andam und hebt sich darum nicht stark genug
henror, die Hftnser stdien in zusammenhängenden Reihen, und es
Inld^ sich deshalb hei dem Kinde nicht so leicht dleEinzelyorstellang
des Hanses, Hof und Garten existiren In Gioßstftdtmi fast nicht, es
fehlt an geeigneten Spielplätzen, die Kinder mitten in der Stadt sind
von der freien Natur viel zn weit entfernt, die Erscheinungen drän*
gen sich in zn großer Vielheit und Kannigfaltigkeit auf, wogegen auf
der anderen Seite in gewisser Beziefanng ein geisttödtendes Einerlei
herrscht Durch alles dieses wird die ursprüngliche Anfinerksamkeit
ftr die Objecto der Heimat geschwScht und der Mangel macht sich
nachher bei allen geistigen Processen ffthlbar.
In ähnlicher Weise wirkt aber auch der Gesellschaftidueis auf
die Entwickelung des kindlichen Geistes. Das Kind gehört einer be-
sonderen Gesellschaft, einem besonderen Stande, einer besonderen
Familie an. Die Nachbara, die ersten Spielgenossen, die Oonfessionen,
der Rffentliche Verkehr, überhaupt alle Kreise, in denen es empor
wächst, beeinflussen das Kind unwillkürlich. Die Fol^p d.ivnu ist.
dass die Gewohnlieiten, die in seiner nächsten Umgebung herrschen,
^ 272 —
die Art des geselligen Verkehrs, feinere oder gröbere Sitten, Vorurtheile,
welche sich in solchen Verhältnissen bilden, Überfluss des Reichthums
und Mant^el der Armut, dass alle diese Momente die Entwicklung
des kindlichen Geilstes beg^ünstigen oder beschränken.
Nachdem wii- nun gesehen haben, dass die Individualität sich auf
die ang-eborene und erworbene Anlage nründet. so fmjren wir jetzt:
Welchen Kiafluss hat die Indiridualität auf Kr/jt-lüuiL-^ und Unterricht?
Die ei>ie Forderung, die hier an d<ii L« ln er herantritt, ist die: er
soll die Individualität seinem >i liulers erlurschen und dann nach dessen
besonderen i?'äliigkeiten Eiv.it hung und Unterricht einrichten, John
Locke sagt: „Berücksicliiiguug kann die Individualität nur in der
rnvaterziehung, nicht in der öffentlichen Schule finden." Dies soll
uns jedoch nicht al)schrecken von dem Streben, die IndiM luilitaten
unserer Schüler festzustellen, es müssen nur um so gi-ößeie Anstren-
gungen gemacht werden. Zu diesem Zwecke genügt nicht allein die
genaue Beobachtung der Schiller beim Unterrichte und bei der Arbdt,
wo te WiUe des ffindes unter den Witten dss Lehrers gsbengt ist,
sondeni der Lehrer nrass die Kinder nnch in den f>ejstDnden nnd
beim Spiei, wo sidi ihre Sigensrt am nnbefongenston tud am unge-
hindertsten m erkennen gibt, anfinerkaam beobachten. Das Spiel
bietet viele Anhaltspunkte snr FeststeUnng der IndiTidnalit&t» und es
sollte dcomacfa viel mehr als Yasbet Ton den Erziehern gewürdigt
werden. Der Lehrer beachte xnerst, ob das Kind spielt oder nicht.
Ein nidit spielendes Kind ist eine bedenkliche Erscheinmig, weü sich
im Spiel das geistige Leben zuerst zu erkennen gibt Der Ldirer
wird dann auch er&hren, womit das Kind ^ielt, und welche Spiele
es liebt; er wird besonders achtgeben auf die Art und Weise wie
das Kind spielt und wii'd daraus auf dessen Charakter schliefen
können. Er wird dann auch in späterer Zeit, wenn die ernste Arbeit
des Leinens begonnen hat, das Spiel nicht hindern, noch es dem
Kinde durch Nichtachtung der Arbeit entwerten. Rosenkranz sagt
luerüber: „Ohne Respect vor der Arbeit, welche die Autorität des
Erziehers auflegt, entwertet man dem Zöglinge das Spiel; nnd ohne
ihm Kaum und Zeit zum Spiel zu ir'>nnön, hindert man die Individuali-
tät des Zögiiu^,^s, sich unbefant^en zu erschließen und ihi-e Ei-lindsam-
keit schöpferisch zu ei'proben,'* Drittens abei- nniss der Lehrer bei
P I ststellnnjr der ludividualit.lt mit dem eiterlicheu Hause in Verhin-
• iuii^ trtften. Hier wird man auch einer Reihe von Miterzieiieni be-
gegnen, welche auf das Kind einwirken und dessen Individualität mit
bestimmen. Der Lehrer wird dann erfahren, dass die (remeinsamkeit
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der Lebensweise, der Sutten, der Urthelle und Vomrtlieile eine Gldeh-
artigkeit der Neigimgeii erzeugt» und dass dieEigeEtiiUmlichkeiten der
Kinder zum guten Tlieü Birkungen der ÜDgelrnng sind, welche das
Kind schon beeinflusste, bevor es der planmäßigen Erziehung nnter^
sogen wurde. Jedoch mnss der Erzieher sich hüten, auf Grund un-
zureichender Erfahmngen eine feste geistige Bestimmtheit anzundunen.
Uan ist sehi* liäufig geneigt, das Kind für unfähig zu halten, wo es
nur gi'ößerer Anstrengung bedarf, um ihm eine Sache klar zu legen,
ja die Beschränktheit des Geistes ist öfters erst eine Folge der fal-
schen Methoden und der unrichtigen Behandlung der Kinder, ^vie wir
schon oben gesehen habeir Jedenfalls muss die Individualität der
Kinder stets respectirt werden, sofern sie mit dem Ziel der allge-
meinen Afenschenbildung haimonivT. Schl^^iermarlicr sagt darüber:
„]»ie Kr/ithung kann die nrspi iingliche Anlaice nicht umgestalten,
«üese Jieötimmtheit nicht völlig auHieben; sie hat dalier die doppelte
Aufgabe, den Einzelneu als persönliche Eigentlittmlichkeit darzustellen
und ihn auszubilden in der Ähnlichkeit mit dem größeren moralischeu
Ganzen, wozu er gehört." Daher soll der Unterricht von dem An-
schannngskreise der Kinder ausgehen; denn was das Kind vor aller
Erziehung ist, soll für diese der Ausgangspunkt sein, so dass also der
Individnaiitätskreis der Keim ist, aus dem sich der ganze Mensch
entwickeln muss. Damm stellt auch Niem^er die Forderung: „Wecke
und blldfi jede dem Zöglinge als Mensch und als Individuum gegebene
Anlage und Fähigkeit'* ,,Sta]idpunkt des LebenB, Individualbestim-
ninng des Menschen'*» so klingt es aus der „Abendstande eines Ein-
siedlers'*, „du bist das Buch der Natur. In dir liegt die Kraft und
die Ordnung dieser weisen FiKhrerin, und jede Schulbildung, die nicht
auf Grundlage der Menschenbildung gebant ist^ (tthrt irre.**
Der Lehrer soll sich stets der DidiTidnalit&t anschliefien, wenn
es der Elndehungssweck erlaubt; das ist oberster ChimdsatK. Neben
einer gleichmäßigen Leitung aller Schttler im allgemein Menschlichen
hat also die Erziehung di»^ Aufgabe zu individualisiren, also jedes
Kind nach sdner Eigen thümüchkeit zu behandeln. Die Überfüllung der
Schuldassen ist allerdings ein großes iündemis fär die Krreiclmng
dieses Zweckes, nnd der Lehrer ist nur durch genaue Beobachtung
und eingehende Menschenkenntnis dazu fähig.
Er rnuss an alle Schüler seiner Classe dieselben Forderungen so-
wol in sittliclier als auch in intellectneller Hinsicht stellen : die Höhe
der Forderung Helltet sich nach d^r durchschnittlichen Fähigkeit und
Begabung der ^hiüer. Darum hat dei* Lehrei* sich wol zu hüten,
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das Tempo des l'nterrichts zii Gunsten einzelner fähiger Schüler zn be-
yrhlpiinigen. Aber wie soll nian dieselben beschäftigten? Während
(iit Schwächeren noch mit der Einübuno^ \\M Einprägung des Stoffes
zu thun haben. Imt der Lelirer die fiihiirci i ii Srliüler zu tn'ieii Ar-
beiten, welche aber immer in drni>rll)t n < TeJankenkivisH sich b^wi^u^t n.
auzuluiltt Ii. Der Lehr» i li:u abei auch mit irtiduld und Billigkeit die
EntWickelung der Schwaclieru zu beurtheilen und sie mit Liebe und
Freundlichkeit anzuleiten. Wünsche, denen nichts entgegensteht, müs-
sen berücksichtigt werden; und niemals darf man ohne ürund indivi-
duellen Neigungen und GewobiilK iten unschuldiger Art entgegeu-
treteu, mui».s ihnen vielmehr fordernd entgegenkommen. Niemals soll
der Lehrei- zu einer die Individualitat untergrabenden Nachahmung
ii6thig<aL Bei der mündlichen, sowie bei der schriftlichen Darstellang
mius das Kind freie Hand haben and nach seiner Aasdnidciw«iw
yei&hren dfbfen, weü sonst su sehr das ägtm DaikSD mid FQblea
durch Phrase eratickt wird. Überall hat individuelles Gepräge eineii
eiguktfaQinlichea fieis, einen nicht za nnteraehfttsendea Wert Und die
Enriehnng bat darum schon in der frühesten Zeit des Kindes ftr die
Befestiflfiing aller gntea Seiten der IndividnalitAt za wtgsä.
In den Elementardassen bat der Lehrer die Aufgabe, dnrdi
Stoffe» die einen nmationalen Geist athmen, ftr die Entwiekehmg des
nationalen G^tes zu sorgen; immer aber mnss er sich dem kindlichen
Anscbanangskmae anschlielten und Tom Nahen zun Entfernten gehen.
Alles Fremde nnd dem Kinde Entlegene moss auf seinen Heimatskreis
zurückbezog^ w^rdnii auf sein engeres oder weiteres Vaterland; es
ist auch nicht genug, dass das Kind das Fremde und Entlegene sich
aneigne, es mnss es auch durchdenken and nach seinen geistigen An-
lagen und Fähigkeiten bearbeiten. Dies ist nor mOglich, wenn in
allen Fächern die Arbeiten und Übungen an die individuellen An-
schauungen anknüpfen und so der Zögling in dem Gedankenkreise
bleibt, der ihm jetzt angemessen ist.
Bei aller Berücksichtigung der Individualität dai-f der Lehrer
aber nicht den allgeinHinen Zweck der Menscbenbildung vergessen.
Die Erziehung darf daher den Zögling nicht ganz und gar seiner
Individualität überlassen; der Menscli soll nicht, wie Goetlie sr^gt, ein
Narr auf eiirne Hand werden, oline von Mitwelt oder Vuiwell zu
lernen. Dai um liat der Lelirer wol zu prüfen und zu überlegen, wel-
ches Berechtigte in der Eigenart des Kiudes er zu pflegen, welches
Unberechtigte er zu unterdrücken hat; sein Bestreben muss immer
dahin gehen, die Mängel der Anlagen seiuer Zöglinge durch die Kunst
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der Eniehong md dnreii die Weise des Unterriclitg so weit ausza-
gleldien, als mSgUch ist Die Methode darf niemals zu einer Manier
^werden, was dann geschieht, wenn „ttber den Eigenheiten eines ein-
zelnen Falles das All?pmeine ans den Augen verloren wird. Die
BcUinunste Art von Manier ist es aber, wenn Uber den Eigenheiten,
Absonderlichkeiten, Liebhabereien der Tndivi<lualität, über den Vor-
ort heilen des Standes, über den Einseitigkeiten und Beschränktheiten
der Confession, der Nationalität . über den Particularismus der Stam-
mesgemeinschaft das Allgenieinmenschliche und Allofemeinnothwendige
verfre^^sen oder versäumt wii-d " Daraus erfjibt sich aber, dass die
Kr/iVInnifr in tjrewissen Fällen gegen den individuellen Geist auftreten,
dif Individualität nach veiNclnedenen Seiten hin bekämpfen muss.
Tiif ] l)( j HILLES der Lehrer alM i- genau prüfen, welches P^igenliiiiiiilit he
uiiveiaiulerlich ist, und weiches dui'ch den KinÜuss der P^rzieliung
Uli 1 des I ntenichtä umgestaltet werden kann; er muss genau inüfen,
wit- weil er nachgeben darf, ohne die allgemeine Lebensbestimmung
zu schädigen, und er muss auch wissen, von welchem Punkte an jener
Indivi(hialismus zuiu siindlichen Eigen wiileu uu^ciitci.
i- ur die Maßnahmen der Zucht hat aber auch der Lehrer fleißig
die Gemüthsbeschaffenheit der einzelnen Kinder zu prüfen. Bei eini-
gen Kindern genügt ein Blick, um sie zur Aufinerksamkeit, Ordnung,
Arbeitsamkeit anzatreiben, ^M^end b4 anderen kaum Worte der
«rasten Eflge nad des Verweises dieses vermögen. Das eine Ehid
folgt ivillig, das andere ist eigensinBig and hartnflddg. Einige wach*
sen heran, den edlen Pflansnn gleich, und der Lehrer hat nnr nfithig,
ihnen nNahrong der Weisheit'* zn bietea, und sie anzohalton, sich
nicht zn ftbereilen, auf dass sie nicht vor der Zeit ennatten; sndere
Kinder sind schwer von Begrüfen, nnd der Lehrer mnss sich herab-
lassen zu ihrer Sebw&cbe, sie errnnthigen nnd ermuntern, auf dass sie
nicht muthlos werden.
Am meisten Fürsorge und Pflege bedOrfisn aber die Kinder der
Armut nnd der Notb, weü sich bei diesen gewöhnlich die allerver*
wickeltsten und verworrensten Geistesznstände bilden. Der Lehrer
mnss bei diesen Schülern vor allen Dingen seine Ungeduld behei-rschen
und es wird seinem Berufe die rechte Schaffensfreudigkeit erhalten,
wenn er öfters an das treffliche Wort Friedlich Rückerts denkt:
..Soll trafen mit (TtMinUl dein Lehrliui^- LernbejicliwcrJeii,
äu mtuuit du Lehrer selbst nicht ungeduldig werden.
Denn Schwens hal «n tlmti der Lehriing d«r Lehicr,
Dfts l«khter dudi Oedidd, durch Ungeduld wird echwerer.**
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Worin liegt der Kernpunkt aller Erzieliiuig?
Vm frtedrM^ AittAer-Leoben.
Die Kl •Ziehung: des Kindes ist ein so umfangreiches Gebäude,
das Material zu dem großen Baue ist so vielfaltig, das GefUge mit-
tin ter ein so kimstliches, dass man sich nicht wundem darf, wenn
gewissenhafte Kitern, die ihre Kinder auf das Beste erziehen motiiten,
über die grolie, in ihren Augeu kaum zu bpwaltiirende Aufgabe er-
schrecken nnd, indem sie vergebens nacii einem eiulieitlich^ und ein-
fi&chen Principe suchen, sich erfoljjrlos abmühen.
Und doch läs^t liich da^ ganze Erziehnngsgeschäl't aiii einige
wenige Gnmdsätze zurückführen, ja es gibt einen Cardinalpunkt aller
Erziehung, der — wenn er als leitendes Princip nur immer fest-
gehalten vird tasi ganz . allein in natürlicher Folge wm Ziele
einer attfidum Eraehnng' fUmn ranee. Uan gelao^ft zn dieeemPnnkte,
wenn man sich fragt, welche höchste An^be sich die Erziehung
stellen kann nnd solL Soll sie bloe einen trefflichen Menschen und
BHarger heranbflden, oder soll de mehr als das, soH sie ancfa einen
glttcklichen Menschen schaffen hdftn» einen Menschen» der schon beim
Eintritte in das selbststindigB Leben die Elemente in sich trSgt» die
ihm jene sichere Beglftcknng verbfiigen, die sich der Mensch dem
Anfieren Geschicke geeienUber' in der eigenen Brost an schaffion ver-
mag? ünd wenn dies als hScfaste An^be erkannt nnd erihsst wird,
welche anderen Elemente konnten es sein, die die Erziehung zu bieten
hat, als jene, aus denen sich die nöthige moralische Kraft aufbaut,
mit der allein sich dieser Zustand der Be^liickun^ und Befriedigung
erlüUttpfen lässt? Da hätten wir also den i'arüualpunkt aller £ir-
ziehung: die Erziehung zur moralischen Kraft, Die Elemente
dazu sind: ein einfaches "Wollen des Guten und Rechten und dazu als
Zweites eine in Enthaltsamkeit und Selbstbeherrschung geschulte
gf'i«ti<7e Kraft, um auch zu können, was man will. Wenn die Kr-
zieiiuug beides dem jungen Menschen ins Leben mitzugeben vermag,
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^ 277 —
dann darf sie ihm auch das glttcUicliate Prognostiken stellen. Da
von den beidfln Elonentfln das zweite das weitans sefa^erigere ist,
so hat die Erziehung hierfür die größten Anstrengungen zu machen,
und ein eigenes Stadium darauf zu richten, den ZOgUng Enthaltsam-
kdt, Selbstverieuguang und Selbstbeherrschung zu lehren. Denn ohne
Selbstuberwindung und SelbstbeheiTSchung gibt es kein kräftiges
Wollen. Wie willfahrig auch der Zögling der sorgsamsten Führung
zum Rechten und Guten folge, wie bereitwillig er sich zeige, diesen
Weg immer zu gehen: in den Lagen, wo es auf Bethätigung ankömmt,
wird ihn die Kraft verlassen, wenn er nicht gescliult ist in der Herr-
schaft über sich selbst. Mit dieser erst überwindet er seine Schwä-
chen, sie allein macht ihn erst frei, hilft ihm Maß halten in allem
und jedem, in seinem Wollen und Handeln; aul' ihr beruht alle mora-
lische Kraft. So kann man denn nicht lunhin. hierin d<»n Kpnipimkt
alier Erzieliung zu erkeimen; denn aus ilim keimen und sprielieu dann
die edelsten Bluten und Früchte 1* i Im Ziehung; aus ihm erhebt sich
der freie moralische Mensch, entwickelt sich dei* vollendete Charakter.
Der Gang, den die ErzieJiuug hierfür zu nehmen hat, ist bald
bezeichnet; er hält gleichen Schritt mit der Entwickelnng des Kindes
und macht alle Stadien von der ersten Gewohuiuig zur Enthaltsamkeit
bis zu der zur Gewohnheit gewordenen Selbstbehen-schung durch.
Merkwürdig ist es, dass schon die aUerersten Kindeijahre eine
Art V<»liereitiing Uein Meten. Sie liegt darin, dass gerade dem kld-
nen Kinde, das mit seinem nngemesseuen Begehrungsvermögen nach
allem Terlangt, was ihm die Sinne reizt (es langt nach Hesser and
Schere, and hebt die Hftndcben nun Monde und mochte andi diesen
haben), die meisten Wünsche versagt werden mftssen. Das Kind er-
fihrt dadurch schon in frühester Zeit eine hftoflgeBeschrinlning seines
Verlangens, lernt ein Verweigeni seiner Wunsche ertragen. Wenn
dies aoeh noch gedankenlos nnd ohne Bewnsstwerden geschieht, er*
leichtert es dem Erzieher doch das Oeschftfl, wenn er alsbald bemüs-
sigt ist, auf Grund des Gehorsams die Sdbstverlengnnng des Kindes
aufzufordern. Hiemit Angt aber schon die eigentliche Scholong zur
Selbstbeherrschung an. Das Kind unterdrückt nun aus r;r hni*8am (sei
dieser durch Güte oder Strenge zuwege gebracht) seine Wünsche nnd
lernt sich dem Willen des Erziehers untei-werfen. Non, wo der eigent*
liehe Bau der Erziehung nach allen Richtungen auf dem festen
Gnmde des Gehorsams beginnt, werden die Anforderungen an die
Selbstverleuf^niung und die i'bungen darin immer gewählter und em-
pfindlicher. Der Erzieher bat die Anlagen und die vorherrschenden
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Triebe des Kindes erkannt, und verfolgt mit aufinerksamen Augen die
Neigungen, die ans den letzteren henrorgehen. Indem er die guten
fordert» die schlimmen zu hemmen eocht, findet seine Kunst Inun^
Gelegenheit, den doppelten Zweck zu verfolgen : den Glehorsam des
Kindes einerseits zur Erreichung guter Eigenschaften zu nützen, an-
dererseits aber blos als Mittel zur Übnng- in Selbstverleug-nung und
Enthaltsamkeit zu gebrauchen. Noch appellirt er nicht an ein freies
Wollen des Kindes, sondern fordprt blinden mechanischen Gehorsam
von dem noch einsichtslosen Wesen, und belügt sich damit, das Kind
'/II l^hr^n. diesen Druck zu ertragen, der nnr ein Vorlänfer ist des
Drui ke^. dt-ii das Kirui rinst als erwachsen aus eizfiirr Knitl zur
Bemeisterun^ seinei' seilist auszuüben haben wird (da-v.> die Praxis des
blinden Gehorsams mit Vorsicht und mit Maß getibt werden muss,
versteht sich von selbst; der Freudigkeit der Kindesnatur dart kein
Eintrag geschehen).
Der tJberf,^ang vom blinden Gehorsam zu dem zweiten Stadium
des Gehorsams, zu dem aii-:^ Hinsicht (ungefähr zur Zeit, wenn das
Kiud anfängt, Lelire und Unterricht zu genießen) ist auch zugleich
der Übergang zu einer dem Kinde mehr zum Bewusstsein und tum
VerBtftndntB gebrachten Entbaltsamkeit Der ganze Znsdmitt des
Lebens sei auf EinfteUieit, Abhärtung und Mftftigkeit gerichtet;
Luxtts, verfeinerte Lebensweise, anBeigewöhnlicheVergn&gnngen seien
nur gestattet, gleichsam nm sie m kosten, und nm sie dann leichten
Mntiies wieder entbehren sn können. Für die Enthaltsamkeit soll
eine Art Ehrgeiz im Kinde geweckt werden, das ist der rechte Stand-
punkt; dann wird es aneh nicht iishlen, dass das Kind in dem Mafle
als es an Einsicht gewinnt» anch selbststftndige Proben von Enthalt-
samkeit abaulegen vennag.
Auf diese selbststiadigen Proben ist mit der Zeit das grttBte Ge-
wicht am legen. Denn alles Mühen des Erziehers, seinen Zögling Ent-
haltsamkeit zu lehren, wAre vergebens, wenn dieser sie nicht selbst-
ständig bethätigen könnte. Enthaltsamkeit muss mm sich ja selbst
auferlegen können. Für die ersten Versuche solcher Proben müssen
Zeit und Gelegenheit besonders gut gewählt werden, um des Erfolges
sicher zu sein; denn das Gelingen der ersten Versuche gibt dann den
Muth zu weiteren. Die ersten Versuche müssen dalipr geschickt ge-
leitet werden. Der Anlass dazu kann immerliin vom Erzieher frewählt,
die nöthige Anregung immerhin gegeben werden, die Ausführung aber
muss ein fmwiliiger Act und ganz das Verdienst des Zöglings sein.
Auch verschlägt es nichts, wenn dieser sich anfangs vielleicht durch
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ein etwas un^autore«? Motiv znr Ausfühnmg bestimmen Insst, allenfalls
durch den Hintergedanken, daniit ruifienveitiaen (-rewmn zu erreichen;
wemi nui* die ninm^ntane Entsagung, die er sieh auferlegt, eine em-
pfindliche ist, und der Act der Selbstüberwinduno' freiwillig vollzogen
wird. Mit der Zeit kann mau ja zu immer rein» rrn und verdienst-
volleren Proben schreiten. Hat der Zögling: nur einmal .seine jiin^e
Kj-aft meinst II i'-elernt im Kampfe mit seinen Begierden, und das wol-
thueude Geluhl der Befriedigung einmal gekostet, das man nach jedem
Siege über sich selbst empfindet, so wird er immer williger für neue
Versuche werden.
Wie dann dieser Weg: zur Selbstbezwingung durch weitere gut
geleitete Übungen geradehin zu verfolgen ist, bis endlich dem Zög-
Uoge eine gewisse Herrschaft über sich selbst zur Gewohnheit ge-
worcton ist« moss der Eonst des Erziehers überlassen bleiben. Doch
sind es nur immor Obnngen, die ml beitragai lamm lur Krflftignng
deB Wülens, demselben aber nicht den eigentlichen ImimLi zn geben
vermögen. Die eigentliche Nahmng nnd Stfirkung erhält die wach*
gernftne Kraft dnreh die edle geistige Bildung, die dem jungen Men-
schen mtheil vitd, durch die Ablenkung von niederen sinnlichen
Begierden und Einfohrong in das Beicb des Schonen und Guten, vor
allem aber durch die Begeisterung für Wahrheit und Recht, die un-
miterbxoclien in die junge Seele g^flanzt ▼erden musa. Denn die
Begeistening f&r Wahrheit und Becht ist es, die nicht nnr das Un-
redit an andern verabschent, sondern der beste Schutz und Schirm
für die dgene Reinheit der Seele ist. Sie ist fö, die der moralischen
Kraft jene St&rke verldht, durch welche diese als si< :rorin aas allen
Oonflicten hervorzugehen vermag. Der Mittel, diese Beg^eisterung an
wecken, gibt es so viele, und die Empfönglichkeit der Jugend fthr
Begeistening überhaupt ist so groß, dass es nicht schwer werden wird,
die junge Brust durch Woit und That, durch Beispiel und Vorbild
auch hierfür zu entflammen.
So stehen denn die Einsicht, das Wollen und <lie Kraft, das auch
zu können, was man will, in eng-ster Wechselwirkun<r. Als Resultat
dieser We( h.<elwirkung ergeben sich die (iruudsätze, entwickelt sich
der Charakter.
Grundsätze und t iiarakter sind zwar erst die Attribute des er-
wachsenen Menschen; auch haben erstere eig:t'ntli(h nur Wert, wenn
sie aus eigener freier Überzeugrung im Menschen entstehen. Aber
F'rziehung, Lehre und Beispiel können viel dazu helfen, dass der
junge Mensch früher als sonst zu sittlichen Grundsätzen gelange.
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Vielleiclit auch, dasü er zum Tlieil (liejeriigeu freiwillig adoptirt, die
kiv an seinem Erzieher verelueü ^elenit hat. Jedenfalls hat die Kr-
ziehiuig darüber zu belehren, wie nothwendig <Tiimdsätze zu fassen
sind, wie ersprießlich es sei, nach den wichtigsten Seiten des Lebens
hin ein gewisses all«remeines Wollen festzuhalten, das eine Aji Richt-
schnur oder N'oriu tUr unsere Handlungen im Besonderen abgeben
kann.
In dmn ehtheitlicbeiL Gepirftge dieser Gmndsfttee und in der
kräftigen und consequenten Dnrchf&hmng derselben liegt dann das,
was man Charakter nennt Ohne krftffciges Wollen gibt es keinen
Chankter. Sind die Gmndsätxe sittlich, hasiren sie auf Yernnnft
nnd Gewissen, so ist es auch der Charakter. Eän sittlicher Chankter
ist aber die höchste BlQte edler Henachheit Wird er anch je nach
den leiblichen nnd geistigen Anlagen des Menschen nnr mflhsam er-
worben, nnd ist er anch erst das Ergebnis angestrengter nnd nnans-
gesetzter Arbeit an sich sdbst im Kmph ndt den Wechselfilllen des
Lebens^ so ist er doch vor allem and zumeist das Besnltat der Er*
Ziehung, die dem Menschen in der Jugend zntheil geworden ist
Nicht als ob von der Erziehung gefordert würde, in der ihr anTer>
tränten Jugend der Gesellschaft schon fertige Cliaraktere zu ftliergeben.
Die Erziehung kann und soll den Charakter nur vorbereiten und zwar
dadurch, dass sie die Jugend lehrt zn wollen, das Gnte und Rechte
zu wollen, es selbststdndig zn wollen, nicht blos aus Gehorsam zn
üben. Wenn es dem Erzieher gelingt, seinen ZdE^ling auf den Stand-
])unkt zu bringen, da.«s dieser selbst die Xuthwendio-keit einsieht:
wollen zu müssen, und er die Kviü't ilazu in ihm zu weckten ver-
mag, dann hat er genug geleistet. Feuchtersieben sagt: y.kh muss
wollen, ich will müssen. Wer das Eine begreifen, das Andere üben
gelernt, der liai die ganze Diätetik der Seele." Denn in du -em: „ich
will müssen" liegt die Beherrscluin^^ des Selbst. Mit dieser Heherr-
.^chuiig ist aber der feste Grund zum ( harakter ;^ele<j^t. der auf iler
Bahn des einmal als richtig und sittlich Krkannten fortschreiten wird.
Mit jedem Schritte, den er auf dieser Bahn tliut, wird sich der Cha-
rakter mehr festigen. Je mehr .\nlass ihm bef,'egnet. Widerstreben-
des zu thuü, um sich im Guten zu erhalten, desto lebhafter wii-d die
Freude an seinem Wollen, am Kampfe und am Siege in ihm werden,
und desto fester und ruhiger wlid er in sich werden. Die eigentliche
Schule ffir den Charakter wird aber das Ld>en selbst sein. Die
WechseliSlle desselben werden dem in die Welt Tretenden erst voll-
ends die Gelegenheit zur SelbstprQfhng (seiner Krifte sowol wie
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Wollens), zur Selbsterkenutnis uud zur Ei*starkung in der Tu-
gend bilden. „Es bildet ein Charakter sich im Strom der Welt."
Wie hoch dann auch die Wogen gehen ni5gen. er wird ein Fels in
diesem Jistronie stehen und seiner Aufgabe als Mensch und Bürger
dieser Welt gerecht werden; er vvii-d aber hieiiu auch das grüßte dem
Menschen zugemessene Glück finden: ein reines Bewusstsein und
sellMterworbene Sedenndie;
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Die Bedeutnng der Lehrervereine in unserer Zeit.*)
Von Dr. ty^edrich IHHsä,
Geehrte Vei^aiiiiuhiiiü:!
Mit Vergnügen bin ich der fieimdlicht^n Einladung gefolgt, ht^ute
in Ihrer Mitte zu erscheinen, weil es mir ein Herzensbedürfnis ist,
Ilu'em jungen Vereine auf seinem ersten Schi it te (Tinrk zu wünschen.
Seit es überhaupt Lehrervereine gibt^ halben sich dieselben als
äußerst wirksame Mittel zur Hebung und Fürderimg des Schuhvt'>t'ns
er\Yie.seu. Besonders wichtig werden Lehrervereine an (^rten. wo
eigenthümliche Schwierigkeiten der Schule enigegeustehen, vvuraul
soeben Ihr Herr Obmann hingewiesen bat, und unter Zeitverhältuissen,
welch« dem Schulwesen eines ganzen Landes Hinderaisse und Ge-
Inhren bereiten. Unsere Zeit ist nnn allerdings im gaaien genoamien
der gedeihliehen Entwickelang der Schale, namentlieh der Volks-
schule, nicht besonders günstig. Diese soll ein Ort dei* Rohe, ein Asyl
des Friedens sein. Sie kann nnr gedeihen, wenn sie nnbefimgen, on-
behelligt Yon fremdartigen EinÜflssen, den ewigen Angaben der Bil-
dung nnd Endehang des Menschengeschlechtes nachgehen kann. Nnn
aber suchen in onserer Zelt die gegenwärtig schroffer denn je hervor-
tretenden politischen Parteien anch die Schule zum Tnnunelplatz ihrer
Bewegungen zu machen. Femer treten oonfessionelle Forderungen, die
man befriedigt glaubte, neuerdings wieder heftig h^or. Es kommen
dazu die in solcher Schrof!lieit frülier nicht bekannten nationalen Be-
strebungen, welche gleichfalls den Frieden des Schnllebens zu stören
drohen. Dazu treten femer die socialen Spannungen, die Gegensätze
der Interessen der Volksclassen, der Berufsstände, insbesondere die
schreienden Contraste zwischen reich und ai-ra, so dass die Idee auf-
taucht, man mflsse die allgemeine, einheitliche Volksschule fallen lassen
*) Vortrag, gelialtcu am 20. November 1882 zur Eröffnung des Lehrarvereiaii
im X. Wiener Oemdndeberirke.
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und ITir die ärmeren Hassen ein fprintreres AusmaL) dw Bildung fest-
setzen. Ks greilt der sociale iii unisatz hinüber aiii' die beiden großen
Pai tifi» des Reiches, auf Stadt und Land, indem man auch hier nicht
mehr den Satz gelten lassen will, dass et» eine für alle Tlieile des
Staates ^jleiche Grundbildunj^ geben müsse, wenn auch mit unwesent-
lichen «etlichen Modificationen. — Kurz von allen Seiten sehen wir
von außen her der \ uiksschule Schwierigkeiten, Hindernisse, Gefalu-en
entgegentreten.
Dazu konimen aber noch Missstande, die in der Volksschule selb.st
geleji?en sind. Es ist nicht zu verkennen, dass sich in ziemlich weiten
Kreisen eine gewisse Verstimmung unserer neuen Volksschule gegen-
flber kundgibt. Es beruht diese Missstimmung anf mehrbchen Ur-
aa/dien* Vor allem aof einer, die- aUmtlialben, wo man an die Orga-
nisation der Volksschnle geht, gleichmäfiig vorbanden ist, nämlich auf
der Thatsache, dass ja die menschUche Entwickelung, die physische
wie die geistige nnd moralische, langsam von statten geht, weQ es
die menschliche Natnr so will, nnd dass ancb die Volksbildung diesen
langsame»! Gang anhfilt, einen ziemlich groBen Zeitratun in Anspruch
nimmt, nnd dass die Früchte der Volksschulthfttigkeit nnr sehr all-
mfthlich reifen, — wie E5nig Friedrich IL von Preußen sagte, „erst«
in 90 Jahren wahrnehmbar werden". Das passt nun aber nicht in
unsere Zeit. Heutzutage hat man zu allen Dingen zu wenig Zeit
Kan ^vill auf nichts warten, die Erfolge jedes Untemelimens sollen
schnell hervortreten; das ist fhr die Volksschule ein ungünstiges
Moment, weil selbst eine stetige, ausdauernde Arbeit erst in Jalir-
zehnten auf diesem Qebiete /ii deutlichen Erfolgen fuhren kann.
Es kommt femer noch hinzu, dass ohne Zweifel in der Durch-
fuhrung des österreichischen Reichs - Volksschulgesetzes erhebliche
^Tissjirriffe gemacht worden sind, namentlich der, dass man den Ge-
meinden hin und wieder größere Opfer anferlegt hat, als unumgänglich
nothwendig war, und daduich eine iMissstimunint^ selLsf bei schul-
freundlichen Elementen hervorgerufen hat. Diese I ] > In iniiiiir trat
namentlich bei der Herstellung der Volksschulgebäude iiud auch bei
der inneren Ausstattung derselben zu Tage. Und diese Schullast
musste in Osterreich um so driu'kender werden — trotz der großen
Bereu Willigkeit, welche von Seite vieler Gemeiuden an den Tag ge-
legt worden ist — , sie musste den Gemeinden, Bezirken und Ländern
um so tli Ui kender werden, als man in unserem Staate den ausnahms-
weisen Versuch machte, den Grundsatz duichzufiihren, der Staat .solle
und dürfe nichts thun, um den Gemeinden, Bezirken und Ländern die
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Schiillast^n zu erleichtern. Das ^var ein Beginnen, welches in der
Schulgejscliichte einzig dasteht, und man kountt; voraussehen, dass es
keine guten Früchte tragen werde. Nirgends, wo man bislier von
Seite des Staates die Volksschule organisirt, ihr Gesetze und staat-
lidie Qrguie gegeben bat, nirgends hat man von Seite des Staates
der Yolkssdude in einem solchen Falle die materielle ünterstflltsimg
verweigert fn allen deutschen Ijftndem, in England, Schweden,
Dfinemark, Holland, Frankreich, in der Schweiz n. s. w. leistet der
Staat ganz bedeutende Beititge za den SchuDasten, fiberall da, wo
die Gemeinden, resp. die kleineren TheQe des Beidies nicht die Mittel
haben, um den Gesetzen nachzukommen. Nun, die m Österreich be-
liebte Verweigerang der Staatshilfe war ohne Zweifel ein höchst
nachtheiliger MiBSgii£ — Es kommt hinzu, dass man bei Durchdrang
der adilaihrigen SchulpÜicht nicht die genfigende Behutsamkeit an
den Tag gelegt hat. Man hat die achtjährige Schulpflicht selbst an
solchen Orten plötzlich eingeführt, wo man nur schwache Lehrki*äfte
hatte, welche nicht geeignet waren, die 8 Jahre fruchtbringend zu
benutzen. Wenn man auf die alten Ldirkrftfte, die binnen 4 oder
6 Jahren ilu-e geistigen Schätze völlig ansgegeben hatten, oder auf
• nnreifV Ijehrkräfte, welche, wenn ae auch mehr Kenntnisse hatten^
nicht selten den erforderlichen Takt vermissen ließen, wenn man auf
solche Kräfte angewiesen war, dann hätte man etwas behutsamer
mit der Durchführung der achtjährigen SchulpÜicht sein sollen, weil
ja die Eiittfin^^chnng, das Ausbleiben bedeutender Besoltate zu einer
Missstimnuing fiilireu mnsste.
Drittens ist ohne Zweilei dem fachinäuuischen Elemente in der
übterreichischen Schulreform weitaus nicht der genügende Spielraum
geboten worden. Ich will mich heute über dieses (lebrechen nicht
wtjiter Verbreiten, halte es aber für eine ganz unbestreitbare Thal-
sache. — Weim aus der Volksschule das werden soll, was man von
ihr gehofft, so wd die Zukunft in dem erwähnt eu 1 unkte viel nach-
zutragen haben, d. h. aus der Lehrerschalt selbst viel mehr Kräfte
zur Leitung, Beau&ichtigung und Organisation der Volksschule Heran-
ziehen mflssen.
Sie sehen. Missstände zahbeicher Art, äußere wie innere, drücken
unsere Schule. Dazu kommt noch ehi großes Übel, das die G^eeeüsdiaft
im ganzen, und daher auch die Schule trifit: das ist die täglich mehr
und mehr fortschreitende Verarmung der Beydlkerung und des Staates
mit ihr, wodurch die Aussicht immer mehr schwindet, dass für
die Bealisimng der Erziehungsideale in Osterreich dk nOthigen
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materiellen Mittel beschatvt w erden können. Wir haben von unserem
großen Beiche erst einen Theil mit Volksschulen versorgt, und heute
ist es eine unbestrittene Thatsache, dass Osterreich unt^r allen Ciil-
turstaaten nahezu die letzte Stelle einnimmt, wenn man auf die Volks-
bildung blickt. Nicht nur Deutschland, die Schweiz, die skandinavi-
schm Staaten, Holland, sondern auch Frankreich nnd England sind
heutig« n Tages bezüglich der Volksbildung Osterreich weit voraus.
Das zuletzt erwähnte Momeiif ih^v Besorgnis, die fortschreitende
Verarmung der lievülkeruug, ist bestmdtrs deswegen bedenklich, weil
nicht nur die materiellen Mittel der Volksscliule entgehen, sondern
weil auch zu allen Zeiten der Niedergang des \Volstandes einer
Nation der Vorbote iles eintretenden Rückschrittes der Cultur war.
Natürlich. — Die Armut tührt nothwendigerweise zur Vernachlässigung
der Geistesinteressen, weil ja einmal die menschliche Natur es so mit
sich bringt, dass vor allem die physischen und dann erst die geistigen
Bedürfnisse befriedigt werden müssen. Es stellt sich also iufulge
der Verarmmig der Bevölkerung von selbst eine Art Reaction, eine
passive Beactioii ein, ein Stillstand in der BQdimg, der auf diesem
Gebiete, wo es sieh ja- um naehwaehsendeGeaeratioiien handelt^ ohne-
weiten sich als BAckschritt zeigt Auf diesem fruchtbaren Boden
des unwillkQrlidien KAckschrittes gedeiht dann Yortrefflich die plan-
mäfiige, absichtliche, berechnete Beaction.
Es ist nun keinem Zweifel unterworfen, dass hie und da, in ein-
zelnen GeseOsehaftskreisen reactionfire Tendenzen sich bereits wieder
kundgeben* Ich brauche darauf nicht näher einzugehen, da ich Ihnen
neue Thatsachen nicht yorfllhren köunte.
Besser wird es sein, warn wir zur Klärung der Situation und
wo möglich zu unserer eigenen Beruhigung eine kurze Umschau halten,
um zu erkennen, wie sich denn in früheren Zeiten und in anderen Län-
dern die Reaction auf dem Schulgebiete gezeigt hat. Wir werden dabei
finden, dass zwar Wachsamkeit und Festigkeit erforderlich sind, um
die rückgängige Bewegung des Schuhvagens aufzuhalten, werden aber
auch, denke ich, durch einen solchen allgemeinen Blick auf das Wesen
der Reat tiun wenigstens die Beruhigung gewinnen, dass vrir gegen-
w.Trtifr in Osterreich noch keineswegs in ägyptischer Finsternis be-
gritl'eii sind, dass es vielmehr Zeiten und Länder gegeben hat, wo es
wt'it schlimmer ausgab als jetzt bei uns. Zur Muthlosigkeit haben wii-
noch keine V»'ranlasMiiig.
^Vas (lenkt mau sich überhaupt unter Reaction, namentlich auf
dem Schulgebiete? Dem Wortlaute nach bedeutet es Kuckbeweguug,
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— die iTegemiclitune: '^vi^tu den Foitsifhritt, das Bemühen, die l'ort-
scltrittliche Geisteslie\ve<>-img' zu hemmen, vieUeidit veraltete Zustünde
wieder hei'zu.:stellen. Wenn wir dem Grundgedanken, idi nxW-hte ^agen
dem Vordersätze der Keaction Ausdnick geben wollen, so diiifie er in
dem Ausspruche eines französischen Königs gefuud. ii weiden, welcher
sagt: „L Ktat c'est mui!" „der Staat bin ich!*^ Denn hierin drückt
sich eben die Meinung aus, dass jeder Wille, der iu den Individuen,
welche den Staat bilden, wurzelt^ gebrochen werden könne durch
einen einzigen maßgebenden Willen, wie er im absoluten Staate
besteht Natflriicherweise kann aacb im absoluten Staate das Staate-
oberhaupt nicht allein die ganze Bewegung der Geister überwachen,
er braucht' dazn Orgaue, Beamte» wie das auch im constitntioneOen
Staate der Fall ist; nun ttbertrSgt sich d^ Grundsatz: „der Staat
bin ich!" »»der Gesammtwille hat in mir sein Centrum'', — m den
Zeiten der Reaction sehr leicht auf die Beamtenschaft Die Beamten-
schaft glaubt dann hAufig: der Staat sind wir! — alles andere ist
nur Object unserer Obhut, dne frek Bewegung darf nicht sein ohne
unser Wissen und unseren Willen. Es kommt dann, wie es ja historisch
ist, die Keinung znm Ausdrack: der ünterthauenyerstand ist nicht
imstande, sein Wol und die Mittel und Wege zur Förderung des-
selben richtig zu erkennen. Es kommt also die Theorie vom „be-
schrftnkten UnterthaneuTerstand'' zur Geltung; es tritt das Streben
zutage, alles zu überwachen, weil man Misstrauen hat, es könnte et-
was gegen das Staatswol vorfallen. Namentlich zeigt sich dies auf
dem Gebiete der Schule; ganz natürlich, weil ja das Gebiet der gei-
sti2:en Bildung, also die <rf'sammte Schale, von der Elemeutarclasse
bis zur Universität, dasjenige Gebiet ist, wo die ^-ößte geistige Be-
wegung- stattfindet. Darum wenlen namentlii-li die S^flnüen und ins-
besondere die Lehrerseminai'e in reactionären Zeiten einer sehr stren-
gen Contrule unterzogen. Hiervon ein kleines Heispiel. — Es ist
Ihnen allen der verdiente ^t:huimann Ernst Heutschel bekannt,
besonders duicli seine Leistungen auf dem Gebiete des methodischen
Rechen unterriclites und des Gesanges; eine durchaus raaUvulle Per-
sönlichkeit. Dieser schrieb 1826 — er war Seminarlelu'er inWeiiien-
fels — uu einen Freund: „Gott sei's geklagt! Die demagogischen
Teufel spuken jetzt überall. I>u kannst fjar nicht glauben, wie
drückend es für uns ist, dass man jetzt überall ir'einde der ötfentlichen
Wolfahrt wittert. Wollen wir einmal mit den Seminaristen im Freien
spielen, oder einen Ausflug unternehmen, oder beim Kaefahausegehen
vom Botanisiren ein lied durch die Vorstadt singen, — es sieht alles
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demagogisdi ans, und HarniBch ist darin anfterordentlich Ängstlich."
— Natfirlicb. Die Lehrerbildung ivird in Zeiten der Beaction
gering geschätzt und emgeengt, lediglich alB eine mechanische An-
gelegenheit betrachtet, als Abrichtung, nicht als freie Ehtwickelung»
basirt auf Überzengottg und Einsicht — sondern eben als Dressur,
und zwar zu einem doppelten Zwecke: einerseits zur handwerks-
mäßigen Ansfibung der Berufspllichten (man meint» zu denken habe
der Lehrer gar nichts, er soll einfach nach dem ihm gegebenen Re-
cepte sein Tagewerk verrichten), anderseits zu einem unbedingten,
blinden Geliorsatn, zur absoluten üntenverfung unter seine Vor-
gesetzton in und auÜer dem Dienste. Auf ei^entÜrhe Berufsbildung
legt man weni^ Wert, weil man in reactionären Zeiten überhaupt die
Bildung nicht liebt, nnd also aucli nicht die Tüchtigkeit des Lehrers
in •'finem Berufe. Dem eiiispnVIit <lann auch die Bchandlunfr. die der
Lehrer von Seite sein* i' ^'m-i:» set/icu erfährt. Diese ist in rea et innreren
Zeiten immer eine hernsciie, barsche, gerin^schätzig-e; man beliebt da
ge\S("ilinlich den Ton einzulmlten, den ein strenirer Corporai gegenüber
einem ungeschliffenen Recruten für nothwendig lindet. Aber nicht
blos das. Weil man den Lehrer durchwegs und in jeder Beziehimg
iu dei (Gewalt haben will, so erkundigt man sich (^seitens der Vor-
gesetzten; um alles, was den Lehrer angeht; man will wissen, was
er denkt oder nicht denkt, sagt oder nicht sagt, will oder nicht will,
wer seine Verwandten sind, ob er Geld hat oder keines, n. s. —
weil man immer eine Handhabe sncht, nm an ihn heranzukommen und
ihn m gängeln. Das geht dann bis zur fi^mitiehen Ansknndschaftereif
ZOT Spionage; man fhigt die Lehrpersonen oft gegenseitig aus. Das
hat weiter den Erfolg, dass ein gewisses Dennndantenthom sich heran-
bildet, dass einzahle Lehrpersonen sich beliebt zu machen suchen durch
Zuträgereien, die oft auf Entstellnngen hinauslaufen. Es hat das die
weitere traurige Folge, dass das Vertrauen unter der Lehrerschaft,
dass Offenheit tmd CoUogiaUtät schwindet, daiär aber Misstrauen plats-
greift» Heuchelei und Verstellung hervortritt Dieses ftthrt dazu, dass
sich Tide vom öffentlichen Leben znrflckziebfln. Man sieht dies be-
sonders im VerfhUe der Lehrervereine in solchen Zeiten. Die Ver-
sammlungsorte werden leer, es harren nur noch wenige aus und diese
wenigen haben zum Theil keinen ^luth mehr, mit der Sprache heraus-
zurücken. Sie denken sich: wer weiß, wie mein A\'ort gedeutet wer-
den könnte, vielleicht ist doch ein Spion da, der mir's übel auslegt.
Auf solche Weise müssen die Lehrervereine zurückgelien und sich
zuletzt ganz auflösen. Selbst „allgemeine" Versammlungen werden
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schwach besucht nnd damit schwindet eines der besten FortbUdnngs*
mittel ftir den Lehrstand.
Dasselbe zeigt sich auch im Xiederprangc der pädagogischeii
Blätter: sie verlieren an Aboimenten, naiiieiitlich wenn sie eine frei-
sinnige Kichtung v» ifoleren; denn dir Lectiire dir Lehrer winl über-
wacht; man fragt, welche Zeitschriftf^ii und Bücher sie lesen, man
sucht dann den Lelirern die misslielii:* Lectiire zu entzirlirii und
ihnen eine andere zu uctroyiren, etwa ein amtlich hergestelltes Blatt,
in welchem ihnen gesa^^t wird» wie sie denken, fühlen und handeln
sollen. Es kctnnnl dazu, dass auch der innere Wert der pädagosisrheu
Blätter sinkt, denn gerade die frischesten Kräfte sehen sich am
meisten überwacht und werden endlich eingeschüchtert, wenn häufige
Confiscationen vorkommen. Sehr oft tritt dann der Fall ein, dass
die Verfasser von Artikeln, welche Schul- und Lehrer Verhältnisse zum
Gegenstände haben, den Herausgeber bitten, ja nicht ibi*en Namen zn
nennen; sie wollen anonym bleiben. Man moss diesen Wunsch auch
erfUlen, denn die besten Lehrkräfte kämen sonst in Gefiabr, ans ihren
Posten verdrängt zn werden. NatQrlicfa sucht man die Lehrer in
Zeiten der Beaction auch zu Dingen zn benutzen, die eigentlieh nicht
ihres Bem&s sind» 'vras namentlich in neuerer Zeit, seit der con-
stitntionellen Ära, nicht selten yoriconunt Da werden die Lehrer be-
sonders bei Wahlen als Agenten der Begieningspartei benutzt ond
penOnlich dazu gedrängt, dass sie die „hohm Orts** beliebten Candi-
daten anf ihre Wahlzettel schreiben. Es kommt selbst vor, dasa die
Herren SchnUnspeetozen die Lehrer wie Schafherden an die Wahlurne
treiben, damit sie da einen Beweis ihrer ,JiOyalität" geben.
Das sind, soweit ich es erlebt, die wesentlichsten Merkmale und
Äultemngen der Reaction. Die letzte Spitze derselben tritt darin
hervor, dass die Lehrer die Lust zur Fortbildung verlieren, weil anf
die innere Tüchtigkeit kein Wert gelegt wird, und weil es olmehin
bei manchem die Bequemlichkeit der menschlichen Natur mit sich
bringt, nicht mehr zu thun, als nothwendig ist. Der Trieb zur Selbst-
vervollkommnung sinkt auffallend nnd mit ihm auch die Tüchtigkeit
in der Schule und jede Begeisterunf? für den Beruf. Das Endresultat
ist dann natürlich ein unglückliches für die VollLSschale iielbst^ sie geht
rasch rückwärts.
Ich habe vor mir eine AlOiandhrn«:, welche ans d- ] ;i llcrneuei>len
Zeit stammt nnd die vielleicht mancher der Auwelt n.u n in einiger
Zeit gedruckt lesen wii-d. Sie hat einen hochverdienieu ilt utschen
Schulmann zum Vertasser. Er schildert die Nachtheile, welche die
i^iyuu-L.ci by Google
— 289 —
Schule selbst erfiUirt direli dsE Druck der Beactaou auf den Lehrer^
stand, indem die Bem&tttchtigkeit desselben znsdiends sinkt Er fußt
bei seinen DarsteUnngen anf gans beetimmtai Tbatsachen. Ich kann
es mir nicht versagen, Ihnen aus dieser Arbeit schon jetzt eine kleine
P trtie mitzutheilf ii. Der Verfiusser hat nachgewiesen, wie die neue
Keaction den Ved'all der inneren Schulthätigkeit herbeiffthrt und ans
mit Wehmuth auf jene schöne Zeit zurückblicken lässt, wo der herr-
liche deutsche Pädagog Dinter einen maßgebenden Einflnss ansabte.
Da fiLhrt er fort:
^Dinter. Yator Dinter, kehre wieder! Wir brauchen Deinen
GeLst, Deinen Feuereifer, Deine Meisterschaft, Deine hiuj^ebende ideale
TJebe für die Jugend, für das edle Werk der Erziehung und des
Uiiterriclits. Mit kalten Kevisoren, mit „Männern vom grünen Tisch**
oder mit Ins;pector< n, dir den Lelirei lediglich nach seinem politischen
und religiösen (Tlaubensi)ekenntuis, w ( inuLHifh mch dem (Jrade seiner
humlischenDemuth und Gutugigkeit beurtheiieii, kann uns nur selilecht
gti»Ijtnt sein. — Dinter schläft und die Zeit ist eine andere geworden.
Es ist niemand da, der den tüchtigen Lehrer mit Freudenthränen
umarmt uud ihn seinen „lieben Sohn" nennt. Jetzt heißt es: Da tritt
kein anderer IVu ilin ein, auf sich selber steht er da ganz allein.
Solche Zeit ist freilich dazu augethau, den Charakter volleu, tüchtigen
Lehrer von den schwankenden und unbrauchbaren Kiementen zu
scheiden. Aber sie steDt dafür sehr schwere Angaben. Der redite
Lehrer mnss verzichten lernen anf die Anerkennung sehier Arbeit
durch das PnUieum, auf die Anerkennnng seiner Vorgeeetsten, ja
nicht selten anf die der eigenen Collegen. Das Publicum benrtiieilt
ihn nach dem Sdiein, nach Laune, nach Torgefiissten Meinungen, ver-
ketzert nicht selten sdne besten Bestrebnngen; seine Vorgesetzten
sind, bis anf wenige Ausnahmen, in der Lehrfcnnst Dilettanten, haben
nur m oft nicht einmal genügende tiieoretische Studien in der Päda-
gogik gemacht, um sich in ihrem ürtheüe auch nur ein wenig ttber
das von Laien erhebe m kOnnen; unter den Lehrern selbst begegnet
er seinen besten Bemfihnngen gegenüber Gleichgfltigkdt und nur zu
oft widerlich hochtönenden Phrasen. Wie kann er unter solchen Um-
ständen sich die so noth wendige Berufsfreudigkeit bewahren? —
Es gibt da nur ein Mittel: Strebe darnach, in deinem Berufe ein
Meister zu werden; ordne alle deine Bemühungen, alle deine Studien
diesem einen Ziele unter und schatfe dir so eine ideale Welt! Gib jeden
Gedanken auf, von irgend jemand anerkannt, aucli nur recht verstan-
den zu werden^ gewöhne dich daran, das, was du als recht und gut
— 290 —
erkaimt hast, lediglich um des Rechten und Gnten, nm des heiligen
Ideal» willen zu thim. Solrh ein Streben wird dir die rechte Selbst-
achtung nnd damit die rechte Lebensstütze geben. Kannst du nur
einen bescheidenen Grad von Meisterschaft t^rringen, so lenie dich
bescheiden. Aber bedenke Riickerts s(*hön«*s Wort: ..Wenn die Rn«!e
seihst sich schmückt, schmiu-kt sie auch den Garten." Sind dir hi'here
Gaben verliehen. .<o nimm thiitigTheil an den Bestrebunp^en der Besten
deines Standes; aber erwai'te von deinen Ideen nirlit «ntjenhlirkliche
Wirkung-. W irf sie. nach Scliillers Wort, „schwei^'end m dit- uii'-ndliche
\\ elt und holte, diu« der ruhige Rhythmus der Zeiten die Eutwickeiung
bringen wü*d."
Nnn, Sie sehen, dass sehr herbe Wahrnehmungen den Mann tief
vei"Miiuint haben müssen. Ich glaube auf llire Zustimmung reohiieu
zu können, wenn ich es ausspreche, dass wir derzeit in unserem Lande
zu so trüber Auffassung der Verhältnisse noch keine Veranlassung
haben, und eine derartige Resignation, wie sie in den citirten Worten
zum Ausdruck kommt, eine Verzichtleistung auf Anerkeimuug von
irgend dner Seite, von Seite der Eltern, Kinder, Vorgesetzten nnd
GoUegen, eine derartige Resignation vird von nns gegenwärtig noch
nicht gidPordert Noch gibt es wackere Collegen, denen Sie Ihr Hen
Mhen nnd mit deiuBn Sie Ihre Gedanlran oifen anstanachen können.
Wir mflssen anch anerkennen, dass dasBildnngsbedüiflds nndBQdonga-
streben nnd daher die Wertschätning der Bildungsmittel Jetzt in weit
graBer^ Kretsen Fofi g^ust hat^ als vormals. Wir dOrfen auch
nicht verkennen, dass es ttberall eine Anaahl wirklich schnlfreond*
lichor Männer gibt, die in Vereinen zoaaninientreten, nm der Be-
völkerung in Ihrem Streben nach Bildung unter die Arme zu greifen.
Auch dieser Bezirk hat solche Hftnner.
Also, gar so düster sieht es bei uns bis jetzt noch nicht aus.
Dennoch haben die Lehrer alle Ursache, dem drohenden Rückachritt
mannhaft entgegenzutreten. Ein Hanptmittel, um die Lelirer oben zn
halten, um das Sinken des Lehrstandes zu verbäten, sind die Lehrer*
vereine. Ein solches Mittel wird auch der neue Verein sein, den
Sie geschaffen haben. Er ruft allen Collegen und Colleginnen dieses
Bezirkes zu: „Gebt den Sonderg-eist auf, hütet euch vor Vereinsamung,
sammelt euch, schließt euch ans (4anze an, lebt im (Tanzen, arbeitet
mit dem Ganzen zn eig-ener Hebunir und mv llebuns: der ('oHes'en!"
Hier sollen alle üfemeinschaftlich, friedlich, orten tür die Forderung
der Schxilinteressen nnd des Lehrer.staudes eintreten Ks i-t da anch
die beste Gelegenheit, ilass die Lehi'kräfte sich selbst gegenseitig
Digitizc'ü L, . .t)0_c
— 291 —
kennen lernen, was sehr notliwendig ist. Denn erstens lernt man vor
allen Diejenigen kennen, die nicht hieher kommen. Da werden Sie
gleich wissen: auf die können wir uns nicht verlassen; wir werden
sie künftig mhig ihres Weges gehen lassen und, wenn sie sonst ihre
Pflicht thun, ihnen alle Achtung erweisen. Für die Gesammtinteressen
aber können vdr sie nicht in Anspruch nehmen. — Sie werden dagegen
auch Diejenigen kennen lernen, welche kommen. Sie werden ermessen
können, wozu Sie diesen oder jenen {gebrauchen, zu welchem Ehren-
amts Sie ilin besonders verwenden können, und wenn, wie ich voraus-
sehe, in Zukunft das tachmJinnische Element einen weiteren Spielraum
erlangt, so werden Sie wissen, wer Ihres Vertrauens wünli? ist
Der Lehrei vfM'ein ist zweitens ein Ort der Sammlung, der Kuhe,
der Zurückgezügeiiheit von den Tagesütreitigkeiten. Es ist nicht gut
gethan, wenn sich der Lehrer zu ^iel in die Tagesfragen vertieft,
besonders in die Parteikämpfe. Das muss unbedingt nachtheilig wir-
ken. Es bringt ihn um die Gemttthsruhe uud um die Unbefangenheit
des Urtheilij, und es müsste nothwendigei'weise, wenn der Lehrer
einen schroffen Parteistandpunkt einnehmen wollte, in einem Tlieile
seiner Schulgemeinde, selbst bei den Eltern seiner Schüler ein Gegen*
«atz gegen ihn hervortreten. Die Eltern würden sieb Öfter in Gegen-
watt ihrer Kind«* gegen ihn aussprechen, der Lehrer wfirde einer
Kritik ansgesetst sein, die ihm nicht Tortheilhafb wftre.
Der Lehrer soll nicht etwa seine Überzengung nnterdrttcken, er
soll theOnehmen an dem Schicksal des Volkes nnd an den Staats-
ereigniasen; nnr in mhiger nnd olgectiTer Weise. Seine Hanptpolitik
ist die Büdnng der Jagend. Selbst in großen Principienfiragen der
Pädagogik braucht er nicht allzn eifrig yorzngehen. Üs muss ja nicht
jeder Lehrer ein Vorkämpfer werden; denn das ist immer g^hrlich
nnd mUhsam, — YieUeicht mhmyoll, aber es ffihrt oft zum Schiffbruck
Ein Lehrer, der in jungen Jahren steht, der noch viel wirken kann,
handelt weder klug noch tugendhaft, wenn er der Welt seine Dienste
entoeht, indem er durch Übereifer seine Stellung vei*schei;:t Wir
irissen, dass viele große Bahnbrecher auf dem Gebiete der Volks-
endehuug in ihrem Lebenslaufe gescheitert sind. Denken Sie z. B.
an Comenius, Pestalozzi, Graser, Stephani, Diesterweg. Sie stießen
auf die Ungunst der allgemeinen Zeitverhältnisse, auf Gleichgiltigkeit
<ler Bevolkenin;»-, oder auf directe Reaction der ^Miielitliaber. Der
Kam]if zwisdien Licht nnd Finsternis ist ja uralt, ^\'ir eliren die
Männer, welclie sich im Dienste des Lichtes gcopfei t haben, denn ilire
Verdienste sind unermesslich und ouendlicL Aber diese Verdienste
. k) i^ . j i. y Google
— 292 —
kommen nur dann zur Verwii-klichung; wenn liinter den Führern eine
feste Garde steht, die in Berufstrene und Pflichteifer ihre schwere
Aufgabe löst. Und dieser feste Kern muss von Seite der Lehrer-
schaft gebildet werden. Von bahnbrechenden Actionen aber gilt daa
Wort;
..Eiue^ «cUickt »ich uicbt für alle,
Bebe jeder, wie er*« tivibe,
Sehe jeder, wo er bleibe.
Und wer «teht« Am» er nicht fiille/'
Jeder recLtschaffene Mensch wiid für seiue heiligsten Idecu uu-
veiTückt eintreten, wo sich Zeit und Gelegenheit bietet; aber nicht
ÜDJner ist die rechte Zeit und Gelegenheit vorhanden. Sagt ja selbst
der Stifter des Ghrlstenthiinia: yßad Ung wie die Schlangen, aber
ohne Falsch wie die Täuben!** Behutsam, yorsichtig, kein tollkOhnes
Ezponiren, keinen nutzlosen Sehüfbrnch! Die Lehrerschaft hat haupt-
sftchlich damit zn thnn, dass sie die Ermngenschaften unserer Vor-
gftnger, unserer Bahnbrecher bewahre, verwirkliche und verbreite^ in
ihrem Sinne wirke, im Sinne des Höchsten, waa wir Menschen erzielen
können, im Sinne der Hnmanitftt Mit diesem Sinn f&r alles Grofie^
Schone, Wahre und Gute, welcher in Ihrem Vereine gepflegt und ge-
hoben werden soll, namentlich durch die Einkehr in die besten Werke,
welche auf dem Felde unserer Bemfswissenschaft und unserer Na-
tionalliteratur geschah worden sind, mit dieser humanen Richtung,
die in jedem Lehrervereine vorherrschen muss, weil ja Menschen*
büdnng das ewige Ideal der Lehrerschaft ist, mit dieser Richtung
verträgt sich ganz wol ein anderes Moment: die Pflege des rechten
Nationalsinnes, welche eben&Us eine Au%abe Ihres Vereines ist. B< i
jedem Lehrer handelt es sich um die Bildung der Kinder seines Vol-
kes, und diese Bildung kann nicht anders, als durch nationale Cultur-
elemente geschehen. Heil dem Volke, in dem Nationalität und Homa*
■
nität vereinbar sind!
Wir Deutschen haben keine Ursache « das Hervortreten unseres
Nationalsinnes zu beargwöhnen, da wir mit Recht behaupten könnpTi,
dass in den besten Männern unseres Volkes gerade die Humanität zur
schönsten Rlntp L'elangt ist. Wenn ^vir die Leistungen unserer grt>l>en
Denker, Dichter und Meister auf allen «ieläeten der Kunst und Wissen-
schaft ins Auge fassen, erkennen wir den unermesslichen Schatz, dt^n die
Menschheit ihnen verdankt. l'n<l »lass wir darauf st"lz sind, dass wir
diesen Schatz wahren nnd uns gey^en jede Herabsetzung^ wehreu, das darf
ans niemand verargen, ich brauche darüber an dieser Stelle kein
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— 293 —
Wort WBL yerlkrai. Der dfintsche Lehrer mttsste das Edelste verleii|;nen,
wenn er nicht begeistert wftre für die nationale Sache. Und in ihr,
in dem Vennftchtnis nnserar großen Vorfahren, in dem Schatze unse*
rer NationalbUdung, Andet ngleich «ich jeder Lehrenrerein den
besten Quell der Fortbildung. Ohne solche Fortbildung müsste die
Tüchti2-k(«it des Lehrers rasch und tief sinken. Die Begeisterung,
die Mutter aller persönlichen Vollkommenheit, würde erlöschen und
mit ihr jede hilhere Auffassung des Berufes. Selbst in der Berufs-
praxis, in df'v Methode des Unterrichte milsste ein Rückgang erfolgen.
Denn wer nicht mehr selbst etwas lernt, verliert die Geduld mit den
Kindern, weil er vergisst, wie schwer es ist, sich etwas geistig
anzueignen. Darum ist die Selbstbildung sogar in nietliodiseher
Beziehung der Quell, aus dem immer aufs neue dem Lehier Kraft
^tspriugt.
In welcher Richtung die Fortbildung zu pflegen sei, darüber
brauchp ich Ihnen keine Rathscldäge zu ertlieilen. Kin Lehrerverein
kann Jahrhunderte arbeiten, ohne je fertig zu werden. Hieraus ent-
springt zugleich die weitere Bedeutung eines Lehrervereines fiir die
Hebung des Berufseifers, denn woher entspringt dieser? Doch aus
der Einsicht, dass man einem guten Werke dient, und solche Einsicht
kann dem nicht entgehen, der sich um seiner eigenen Forthfldung
willen in die Werke der edelsten Geister versenkt Und endlich, was
eboifhlls in nnserer 2Seit wichtig ist» dient jeder Lehrerverein zor
moralischen Haltung und Hebung des Lehrstandes. Im Kreise seiner
Genossen mskt jeder seine bessere Seite zu pflegen, das Gemeine
schweigt, und die innige Hingebung an die Hochbilder alles mensch-
lichen Strdbens mnss eine sittliche Kraft ansftben. Dies ist in miseren
Tagen deshalb besonders wichtig, weil man bei dem Bestreben, die
Tolluedinle za drflcken, anch sehr gerne an den Lehrern mfikelt.
Han sacht sie herahznsetsen, wo sich nnr Gelegenheit findet« tun die
Schule zu schfldigen. Hieraof mnss alle Achtsamkeit verwendet wer-
den. Jeder Lehrerverein kann aber zur Wahrung des sittlichen
Charakters und einer ehrenhaften Haltnng des Lehrstandes vieles
beitragen.
Ich kann hier nicht unterlassen, einen Ausspruch Diesterwegs
zn dtiren, welcher lautet: ,4Cein persönlicher Makel darf an uns haf-
ten, mit festen Augen müssen wir unseren Gegnern stets entgegen-
treten können. Mögen sie unsere tT)erzeugung angreifen und, wenn
sie es vermögen, ^\iderlegen; an unserem Charakter sollen sie sich
stets vergeblich versuchen.''
— 294 —
Mit diesen Andeutungen glaube ich, geehrte Versaminlang, die
Wichtigkeit und Aufgabe eines Lehrer?ereines skizzirt zu haben.
Und weil ich von der hohen Bedeutung eines solchen Verbandes uber-
zeugt bin, begrüße ich mit Freuden diesen jnng-en Verein. So legen
Sie denn getrost die Hand an den V^ai^j und streuen Sie hoffnunpfsv«ll
die Saatkörner einer besseren Zukunft aus. Wenn auch manches unter-
geht, ohne zu keimen: ein Theil wird aufgehen u&d Uttsendtaltige
Früchte bringen tiir das nachwachsende Gesrlih m lit.
Und darum ein herzliches „Glückauf" ilueui ueueu Verein!
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Zur Sprach entrage.
Vm Frof, F. Mühr-Ttkst,
Artikel XIX der (teterreicbischen Staatsgiimdgesetze spricht in
muEweideatigeii Worten die Gleichberechtigang aller in den im Reichs-
rathe vertretenen Ländern im Gtetnranche stehenden Sprachen am.
Es ist femer im Geiste der Zeit und -wahren Hunanitat, dass man
den Bestrebungen eines Volkes in seiner sprachlichen Entwickelnng
nicht nur keine Hindemisse in den Weg legt^ sondem dieselben vol-
wollend befördert Aber ffir diese Hnmanität^ fftrdieGldchberechtagiiB^
besieheo denn doch Grenzen. Oder sollte es jemandem, dem ein un-
parteiisches und leidenschaltsloses Urtheil noch nicht abhanden gekom-
men, beiMen za behaupten, dass irgend eine Sprache in Österreich
die Bedentong der deutschen habe? Sie ^wird in österreieh von
8 Millionen, in Dentschland von über 40 Millionen Menschen gesprochen,
die Millionen Deutschen ungerechnet, welche Uber den Erdkreis zer-
streut sind. Wo sind in unserem Vaterhmde andere 8 Millionen, welche
einer einheitlichen Schriftsprache sich bedienten? Denn der Czeche
versteht den Slovenen, der Pole beide schwer, sie haben keine ein-
heitliche Schriftsprache, keine einheitliche Literatur. Zudem sind die
Deatsehcn über «ranz Osterreich verbreitet, man findet deren, man mag
hinkommen, wohin man will- Sie .«sind die Yerkehrsmittel /wisclipn
den Sprachstämmen Cisleithaniens. Hätte alier die deutsche .Sprache
keinen anderen Vorzug als den, dass sie die Schatzkammer alles
menscliüchen Wissens i.st, so dass, wer Dcutscli versteht, die Litera-
turen aller Ländei- und Zeiten, die wissenscüaltlichen Werke aller
Nationen bemitzen kann: so würde sie sich schon dadurch deu natür-
liehen Vurrau^^ vor allen an lereu gesichert haben. Und dieser natür-
liciit^ Vorzug ist es, der ihr bei aller Anerkennung der Gleichberechtigung
nicht benommen werden kann, der ilir gelassen werden muss, der sich
nun und aimmer wegstreiten lässt.
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Wenn man IUI 11 Icii! l)t'Uts( lien nichts mehr einräumen will. fil< ^h-n
aiKlnrn in ( )>ierieii*h vorkommenden Sprachen, so begeht iiiaii einen
Vei siui] geo:en die Natur und kaim, wenn mau eine künstliche Gleich-
heit iierstelleu wäl, dies nur mit Zwang:8mitteln erreichen.
Es ist wol \ ()llkomraen gerechtfertigt, dass dem V'olksschüler die
Lehrgegenstände zunächst in seiner Muttersprache beigebracht werden.
Aber es ist thßricht und zeugt von nationalem Vorurtheil, die deutsche
Sprache von dem Unterrichte auszuschließen. Warum soll dem Slaven
die Gelegenheit benommen sein, die im Verkehre so nützliche deutsche
Sprache wenigstens in den Elementen kennen 2a lernen, diunit er sie dann
im Leben wäta ttben kOnne? Warun soll es nifilit otligatoxisch sein?
UnTerstaod nnd Bequemlichkeit leimen nicht selten anch die Erlernung
der nfltzUchsten Düige ab. Di den gebildeten Glassen sorgen wol die
Eltern frdwiUig daf&r, dass ihre Kinder das Dentsehe erlernen, die
Verpilichtnng ist also mehr eine Maßregel Ar die ftnnem imd weniger
einsichtsvollen. Man kann nnr staunen, wnn man manche Agitatoren
sich so ereifiBm sieht nnd hört gegen den obligatorischen üntemcht
des Deutschen an anderaspradiigen Schulen, da doch hftnfig, ja in der
Regel die Kinder in mehreren modernen Sprachen zugleich nnd xwar
bereits in der zartesten Jngend mtterrichtet werden. Wo übrigens
kein moralischer, kein dnrch locale Verhältnisse gebotener Zwang ob>
waltet, da siebt man nichtdeutsche Schüler zahlreich in deutsche
Schulen strömen. Hier in Tiiest besteht eine deutsclie Kiuii envolks-
schule nnd eine deutsche Mädchenbörgerschule. Gleicli nach ihrer
Eröfinnng musste die erstere eine Snccursale haben und beide, die
Haupt- und die Succursalanstalt, kommen alle Jahre in Verlegenlieit,
Raum tur die andrängende Schuljugend zu finden. Die Mädchenschule
schreitet mit iliren Parallelen jährlich weiter nnd hener ist die 5. Classe
bereits in zwei Abtheilungen j?"etheilt. Und das «reschieht in einer
Stadt wie Triest, elie italienische Srlmlen znr YertTii^ung- stellt, also
den UnteiTicUt in einer so lincU entwickelten nnd mit einer schönen
Literatur ansfrestaTtet^Mi Sinadie ertheilt. Und das geschieht, trotzdem
an dm beiden deutschen Ansiaiieii ein jährliches Srhnl«reld von fl. 10
entiichtet wird, während die städtischen italieuischen Schulen kein
Schulgeld einziehen. Solche Umstände sprechen mit deutlicher Sprache!
Das Gj'mnasium hat den Zweck, den Schüler für die Universitäts-
stndien vorzubereiten. Ks leuchtet somit ein. dass an diesen Schulen
der wissenschaftliche Gesichtspuiiki jeiienlalls der wichtigste ist. Der
Studirende soll also in einer Sprache uutemchtet werden, welche in
sich die reichsten Elemente enthält, dessen Geist und Gemüth mit
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Kenntnissen zu bereichern, zu bilden ind za veredeln. Und zwar soll
er die Sprache, in der dies geschehen miiss, gründlich und gut kdmi^
Denn sonst fehlt ihm die Ausdauer und die Lust, die entlegenen
(Quellen der Wissenschaft und literarischen Schöpfungen aufzusuchen.
Er versinkt unverraeidlicli in Obei-flächlichkeit und Roheit. Soll also
die Unterrichtssprache im den österrciclii^flien Mittelschulen die deut-
sche sein? Man zeioc mir. etwa die italienische fiii" italienische Ge-
genden ausgenommen, eine geeignetere! Denn damit eine Unten'ichts-
spraclie aiirli die richtigen ResnltRt»' eizielen könne, muss sie selbst
eine hoiie Stute der Entwickeiuuj4 eiien-hl liaben. Bevor dieses der
Fall ist. muss sie sich bescheiden und an ihrer Ausbildung nach guten
Vorbildern ail iten. Oder brauchte es nicht Jahrhunderte, bis die
deutsche Spraciie sich der lateinischen ebenbürtig und endlich über-
legen zeigen konnte? Erst naclidein sie eine gehaltvolle Literatur,
eine von den größten Geistern auf allen Gebieten ausgebildete Form
gewonnen hatte, setzte sie sich au die St^ille der iruiieren lateinischen
Schulsprache.
Sollen also die davischen Anstalten, die bereits bestehen, rück-
gängig gemacht, beseitigt werden und an ihre Steile Anstalten mit
dentscher ünteniclitseprache treten? Ein aolclier Wunsch wftre thö-
richti weil yoUfconimen vergeblich. Der Zweck meiner Zeilen ist nur
4er, anf die Nachtlieile hinznweisen, die in der Folge sich noch meh-
ren können.
Man wiederholt immer und laut: die Unterrichtssprache soll die
Muttersprache sein, dem Deutschen mdge als Culturelement eine Stelle
emgerftumt weiden. Wer jemals an nichtdeutschen Anstalten gewirkt
hat, weiA, wiewenig mit dem auch obligatorischen Untenicht des Deut-
schen en-eicht wird: denn das Wort „obligatorisch" ist noch nicht
gleichbedeutend damit, dass etwas gelernt werden müsse, etwas wirk-
lich gelernt werde.
Die Kenntnis des Deutschen ist an Anstalten, wo es nicht Schul-
sprache ist, eine geringe, wo nicht Privatunterricht, die Familie oder
der Umgang helfend und unterstützend eingieifen. Man macht diese
Erfahrung- seit lanpfcr Zeit und kann sie heutzutage besonders an
Universitäten machen. Das sprachliche Zart i^etiihl. die Rede und Schritt
mit gewissenhafter .\ng-T5tli(thkeit und Genauigkeit zu pHejiren, das
Schams^efiihl. sie zu verunstalten, weicht immer mehr einer sorg-losen
Ungenirllieit im Ausdrucke. Ks handelt sich nur nncli darum, Woi'te
zu machen, um da> U ie kümmert man sich nicht mehr viel.
Ist hingegen das Deutsche Schulspi ache, so wixd es vollkommener,
üiyiiizeü by GoOgle
— 298 —
theils durch Theorie, theils duirli die Praxis erhirit. ■während dip
Landessprache, z. B. das Slavisclie r»der Itiüienische, durch den Ver-
kehr im Orte, in dei- F'ainilip eine ausji:ipbi<,'e Pfle<re erhält. Die
Till' »l ie in dei- .'^i'liuie reinigl (iie Sprache von allfiüligeD Schlacken
UHil fiüirt mit Leiciiti|i^keit zur Keuutnis der Literatur. Man loacht
hier in Triest täglich diese KrfahruniBr.
Man arbeitet von melireren Seiten — es sind dies in der Regel
sehr beredte und rticksichT.<los energische Wortführer — dahin, auch
die deutschen Gymnasien Krains zu slovenisiren. Mau versucht es,
dem Drängen der Natiuualeu nachzugeben, l'aralielclasseu mit deut-
scher und slavischer L'nterrichtsspi-ache auch in Krain einzuführen.
Man will diese Parallelclassen bis zur Y. des Gymnasiums fortfahren.
Und was wird dann sein? Werden die deutschen nnd slayisclien SehtUer
dann vereinigt gleichen Schritt halten kdnnen? Mit nichteo.
Im Eflstenlande ist die Eünftlhrmig dieses Systems bisher an dem
Widerstande der Landesschnlrftthe gescheitert Die Stadt Triest wiU
und kann als Handels- nnd Weltstadt Yon dem Slorenischen nichts
wissen. Die Triester haben genng andere Sprachen zn lernen, nnd sie,
welche dorch Schüfe mit den fernsten Meeren nnd dnrch Eisenbahnen
mit den entlegensten Lflndem verkehren, wissen mit einer Sprache
nichts anzn&ngen, die höchstens ihrGedAditnis beschweren, ihnen sbor
den Weltverkehr nicht erleichtem nnd keine für den gebildeten Han-
delsmann so ^richtigen literarischen nnd sprachwissenschaftlichen Schfttse
zuführen würde.
Wir sehen somit, das Streben der kleineren Nationalitäten geht
nicht aus der Natur der VerhäUni >e, viebnehr ans einem eitlen Drange
hervor, es den andern gleichzutlmn, und wo nicht künstliche Mittel
in Anwendung kommen, da werden ihre Fortschritte sehr gering sein.
üiyiiizeü by Google
»
Der selbst^stäiidige Anschanungsanterricht
Vm Seminartehuüdirer Chr, Hamann- ManAurff,
Molt.i:
.Die Aaeikenniuig dar Aaacltaauiig al* des abMlaten
Fandiaent«* «ller EikennteU Ift der obonte Gnuid-
Mtx da Unterriclito.'*
!Eis kann nidit meine Absieht seh, allgemeine Betrachtungen
tibet einen Gegenstand anzustellen, üto dessen Wert nndBereehtigimg
heutzutage wol schwerlich irgend etwas Nenes gesagt werden kann.
Denn für alle Zeiten hat onser Altmeister Pestalossi in dem alsUotto
gefwahlten pädagogischen Kemspmch das Wesen und die Bedeutmig
des Ansehanangsnnterrichts gekennzeichnet ,,Die Anerkennnng
der Ansehaniing ist der oberste Gnmdsatz des Unterrichts,'* das
heißt nichts anderes als: Der Unterricht soll stets mid unter allen
Umstanden von der Ansehanong aasgehen und zu Anschannngen
führen. FoJg^ch ist aller Unterricht rechter Art sowol hinsichtlich
seines Ausgangs- als seines Zielpunktes Anscliauungsmiterricht; folg--
lich ist dieser der allein berechtigte. — Neben dieser weiteren Fas-
song des Begriffes „Anschauungsunterricht" besteht indes noch eine
engCTe. Unsere Sclmlterminologie bezeiclmet bekanntlich mit diesem
Ausdruck einen bestimmten Theil des deutschen Sprachunterrichts,
nämlich denjenigen, vorzugsweise auf der rnterstufe gepflegten, wel-
cher vorbereiten und den Gruiul legen soll zur Erreichung der beiden
( "ardinalziele alles Untemchts in der deutschen JSprache: tlbermitt-
lin>'' des Sprachverständnisses und der Sprachfertigkeit. Diesen
ri<>|)l>elten Zweck erreicht der Anschauungsunterricht durch zwei
Mittel:
erstens dadiirdi. dass er die vorhaiideueii Auschfiuungen und dem-
geiii ii; den tirworbenen Sprachbesitz reinigt und klärt;
zweitens dadm ch, dass er neue Anschauungen und die ihnen ent-
^rechenden Sprachlüniiea übermittelt, also den Anschauuugs-
kreis erweitert, den Wortvorrath bereichert.
fMagogituD. SwMuf: Heft V. 20
Digitized by Google
— 300 —
Dieses Zwietachf' ist die Aufgabe, deren Lösuiitr dein Anschaunng^-
unterrichte i. e. S. obliegt. Wenn das, so erliellt daraus von selbst
die Berechtigung, ja die Notbwendigkeit desselben.
„Aber', kann man mir entgegnen, ,,das in diesen beidm S?irzpii
Fixirt«' ist ja der Zweck jedes UntHrrichtsfaehes: was bedürten wir
dazu noch einer hesondernDiBciplin? Haben wir doch <»1inebin eher zu
viel, als zu weni?! f'nd wird nicht auüerdeni lieiitzutage jed^r ver-
btändige Öciireib-l^caeuiilerricUt in (b'v Weise ertheilt, dass man über-
all von der Anschauung eines Bildes oder Gegenstandes au^sgeht?*
In der That, solche Einwände, und sie werden bekanntlich von
nandiafter Seite erhoben, srlieineu auf den prst^^n H!i<"k nicht so gar
unberechtigt zu sein und erfordern .jedeiii'alU t-iiie W idt-j legung. Als
Versuch einer sob-lien lui^tet sich auch das Xachfolgende den Lesern
dar. Voraus sei liemerkt, dass der Verfasser an einem Orte und einer
Lehranstalt wiikt, wo dt^m selbstständigen Auschauungunterrichte st-in
Recht gewahrt geblielien. Anders in Preußen, in dessen Schulen durLh
den Satz der »»Allgemeinen Bestiiumiuigen" vom 15. Octb. 1872: „Die
LT)ungen im mündlichen Ausdrucke erfordern keinen abgesonderten
üntenicht; sie bereiten vielmehr den Schreib- und Leseunterricht vor
und begleiten flm auf seinen weiteren Stofen" — diesem Gegenstande,
soweit dersdbe voriier als selbststftndige Disciplin bestanden (was bei-
spielsweise in Schleswig^Holstein bis zu der Annexion der Fall war),
der Mhere Charakter genommen wnrde. Indessen darf uns natfir-
lieh das, was in dieser Bedebnng jetzt zn Recht besteht oder nicht
besteht, weniger kfimmem als die Frage: Welche pädagogische
Berechtigung mflssen wir dem genannten Unterrichtsfach,
als einer fftr sich bestehenden, selbstständigen Disciplin zn-
erkennen?
Unter denAnhängm des ausschließlich combinirten, mithin unter
den Gregnem des selbstständigen Anschanongsuntenrichts ist einer der
hervorragendsten Seminardirector Dr. Kehr in Halberstadt Was er
in seinem bekannten und weitvei*breiteten Buche „Die Praxis der
Volksschule" itber diesen Gegenstand sagt, ist folgendes:
„Ein isülirt stehendor Anätihanuiig.'snnterricht. neben dem der Sprachnnterrirlit
flir sich be.stehend einliergeht, ist weder im Wesen d<;r Kindesnatur. uiK-h im
Wesen des ersten ruterrichts begründet. Ans diesem tirunde gibt es anch in
un^terer Uutcrditöse keinen gesonderten Au^bauaugsunterricht, sondern einen Axif
aqgcnaaute NonnalwOtter gegrSodeten. Tereinigten Spreeh-Schreib-Lete-Gemig»
imtenicht/*
Vorstehende zwei Sätze enthalte alles, was Dr. Kehr hier in-
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— 301 —
betreflf seiner Stellung zu der Frage verlauten lässt *) In der That
recht wenig. Doch sehen wir uns dieses Wenige etwas näher an.
Zunächst, was bedeutet die iiestiminunu:: „Ein Anschauungs-
unterricht, neben dem der Sprachunterricht für sieh beste-
hend einhergeht"? Nach meiner Aufladung kann und soll dab so
wenig p'scheheiK als etwa der Ln-animatisclit' oder literaturkundliclie
Fnterriclit tiebeu dem .Sprachinit* 1 1 irlit finli* i •reht; denn auch der
Sfll>>t-r;iiiditre Anschauungsunten iVliT ist tiu Glied, ein orjranischer
Tkeü des , Sprachunterrichts. Das erliellt zur Grenttge schon aus
den oben gegebeneu Begriffsbestimmungen. Aucli (Traihnaun, dessen
Hauptwerk: „Anleitung zu Denk- und Sprechübungen" als
Wahrhaft epüchemachtud und grundlegend auf dem Gebiete des An-
fechauimgsunterrichts erscheint, bezeichnet denselben „als den ersten
Sprachunterricht, welcher die Kinder mit den Dingen der Außen-
■welt, ihren Eigenschaften nnd gegenseitigen Verhältnissen bekannt
macht und Omen Gelegenheit gibt, darftber richtig, bestimmt nnd dent-
Ui^ spreefaffii zn kömien.^ Dass aher GraSmann ein entschiedener
Tertreter des selbststindigen Anschannngsnntenichta ist, bedarf kaum
hervorgehoboi za werden. AnfhUend ersdiefait es fireUich, dass Kehr
m seiner kPauos der Yolksscbnle", anstatt seme gegnerische Stellung
in dieser flir den Elementamntenicht doch anfierordentlich vichtigen
Sache nflher zn begründen, sich damit begnflgt, nur eine doppelte, knrz
abweisende Behanptang anfenstellen, nimlich:
„Ein nnabhSngiger Anschannngsnntenicht ist
1. nicht im Wesen der Kindesnatnr,
2. nicht im Wesen des ersten Unterrichts begründet."
Dass dieser Kdir'sche Satz niclit etwa ein Grundsatz ist, wenig-
stens nicht insofern, als er keines Beweises bedarf, folgt sicher-
lich schon aus der That^ache, dass namhafte Autoritäten auf päda^o-
gisdiem G^ebiete denselben nicht als richtig anerkennen. Vielleicht
wäre es sogar möglich, dass selbst eine Nicht- Autorität — auf die
Gefahr hin, sich zu „vermessen" — genaa das Gegentheil behaupten
könnte, also:
1. Der selbststäudige Anschattiiugsnaterrichl ist allerdings im Wesen
der Kindcsnntnr bogrfindet.
Selbstverständlich soll nun dieser Satz nicht etwa al> ein Grund-
satz angesehen weiden, umsoweniger, als ich der Meinung bin, dass
* Anderswo hat Kehr «ich ausfiibrlicher, wenn anoh v/omg gründlicher ver-
nehmen lassen. S. ..Der «leuuclie Spracbantenicht im ersten. Schuyahr" Ton Kehr
ood Scillilubach. Aufl. S. 83.
20*
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— S02 —
derselbe sich beweisen lässt. Um liit rzu \vi'nii:st<us den Versuch zu
inachen, gilt es vor allen Diiuj^tn t^iiie Krage zu beantworten, nämlich
die: Welches ist das Knieriuiu für ein im Wesen der Kindes-
natur begründetes rnterrichlsfach? Die Antwort lautet:
„Inhalt und Form des betretenden Unterrichtsfaches mnss das
Kind interessireu, und es niuss, ind(Mn es das kindliche Interesse er-
weckt, einen bildenden Eiutluss in toruialer wie in materialer Bezie-
hung auf den Geist des .^claikt> ausüben.'*
Es jrllt nun zu untei*sucheu, ob ein in unserem Sinne ertheilter
Anschauungsunterricht dieser Cardinalforderung gerecht zu werden
vermag. Was die erste fYage betritft: „Vermag der sdbetständige
Anflchauangsimterrieht nach Inhalt ond Form das Kind zn interes'
siren?** — so kSnnte ich mich vielleicht, tun mir die fieantwortang
mdirlichst leicht zn machen, damit begnügen, an die "^-fidirung der-
jenigen Collegen zu appelliren, die — wie ich seihst — die Sache
jahrelang t^aat Emst nnd emsigem Bemühen" getrieben haben. Indes
— die Gh)gner haben auch — nnd zwar entgegengesetzte Erikhmngen
gemacht Hdren wir nnn Herrn Dr. Kehr selbst Er sagt*):
„YieUeicht ist meine Antipathie gegen einen von den andern Un-
temchtsgegenstftnden abgesonderten Anschannngsnntemcht in dem
Umstände begr&ndet, dass ich in meinen Kindeljahren den sogenannten
selbstst&ndigen Anschanongsonterricht jilaDenzel nnd Grafimann reich-
lich genossen" (man soll allerdings auch des Gnten nie zu reichlich
geniefien!) „und mich bei den „Denkübungen" in einer Weise ge-
langweilt habe'* ya freilich, dann gehen die Denkübungen gar leicht
in — ^hlafUbnngen'' über!), „die mir diese Art des Unterrichts für
immer zuwider gemacht hat; — vielleicht li^t der GruM auch darin,
dass ich den ..systematischen" Anschauungsunterricht als jimger Leh-
rer selbst treübt, aber dabei (vielleicht infoljp'P meines Ungeschii kesi
so wenig Erfreuliches geleistet habe, dass ich mich dafür absolut nicht
begeistern kann etc.*'
Inbeziig auf den letzten von ihm angeführten (irund seiner ..Anti-
pathie*' deutet der geehrte Herr \'ert'asser selbst an, das* derselbe
keinen Anspruch auf Stichhai tio-keit niaehen kann. Der ,Junge Leh-
rer' begeht ja, was jeder von uns l)rivitwi]lig»t zugestehen muss,
hundeil Missgrilfe, ehe eres zu ir<:en(l welcher Meistf^rs<haft Iningtuud
„Erfreuliches leistet", inberhaupl ist nach meiner Erlitlu ung gerade der
junge Lehrer nicht der beste Elementariehrer. — Ebensowenig aber
*) Dar deuUcbc Sprachunterricht im erüteu Schuljahre S. 83.
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— 303 —
kann der erste Grund, dass nftmlicli dem Geg;iier des selbBtständigen
Anscbannngsimterrichts in seiner Kindheit die Sache verleitet worden,
als triftige anerkannt werden. Es ist eine alte Wahiheit, dass, wenn
Jetnandem in da* Kindheit eine Snppe — nnd wftre sie noch so gnt
— einmal gründlich versalzen worden ist, er sein Lebtag kein Ge-
lallen an ihr findet. Andere liahcn, wie gesagt, andere, entg^^gen-
gesetzte Erfahmngen g:pniaclit. Viele, frlaiibe icli, werden es mir mit
Vergnügen bestätigen, dass ein ausschließlich auf angemessene Denk-
nnd Sprechübungen abzielender Anschauungsunterricht die Kleinen
nicht minder interessirt, als jedes andere Farli W^-mi du mit einem
schönen Bilde oder irgend einem passenden Naturobjticte in der Hand
vor sir- hiiit littst, wie glänzen da ihre Auf>:pn, wie beleben sich da die
Gesichtsziij,''e aller! Mit welchem Vergnügen erzllilen sie dir, was sit*
Mb<5t etwa schon von der Sache wissen! Wie g^eni und willig nehmen
sie aber auch das Neue von dir an; wie treuen sie sich, dass ihre
mangelhaften Vorstellimgeii berichtigt nnd TervoUständigt werden,
da-««? nach nnd nach ihre anfanjrs mir lallende, schwach stammelnde
^Sprache in con'ecteren und krattigeren Lauten erklingt! Und wenn
«lann die Forderung an sie ergeht, Rechenschaft zu ^eben über das
Erlernte, die einzelnen kurzen Resultatsätze zusammeuzutassen und
iilsu zu zeigen, was sie schon wissen und können — wer unter uns
hätte dann nicht oft zn seiner Herzensfreude es erlebt, mit welchem ♦
fröhlichen Eifer jedes sich vordrängt, wie jedes so gerne zeigen
mochte, dass es bereits etwas leisten kann, wie eins das andere zu
fibertreffisD sndit? Wer daa gesehen nnd eriebt, gewiss, der weit anch,
ob dieser Unterricht das Kind m interesshren vermag.
Doch abgesehen von der Erihhrongf der immerhin nnr eine snb-
jective Beweiskraft znerkannt wird, ergibt sich für ans diese Gewiss-
hdt auch ans der Sache heraus. Das Kind selbst kommt dem Leh*
rar bekanntlich mit dem lebhaft empfiindenen, wenn auch nicht klar
bewossten Bedfiifhis entgegen, die noch nngeordnete, verwoirene
Welt seines Geisteslebens kUren nnd neu anbanen zn lassen, nnd anf
geradestem, sicherstem Wege geschieht dies eben dnrch den unab-
hingigen Anschannngsanterricht. Dieser allein kann durch einen der
Eindesnatnr angemessenen systematischen Fortschritt Klarheit und
geordnete Erkenntnis schaffen. Ich wage zu behanpten, dass nichts
das Kind mehr interessirt als ein srdrber Anschauungsuntemcht, weil
derselbe das dem kindlichen Geiste Naheliegende, die Kinderwelt selbst
zum Object hat, ihn in dieser Welt lieimisch zu machen sucht, damit
er sich mit Bewnsstsein in derselben bewege; weil dieser Unterricht
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— 304 —
das Kind zu dem Interessantesten leitet, was überbaapt fttr den Men*
sdiengeist existirt: zar Erkenntnis der Wahrheit.
Ans dem Gesagten erbellt auch schon, dass ebenfalls die zweite
Frage, ob ein in unserem Sinne ertheilter Anschaunngsimterricht
seinen bildenden Einfluss in formaler wie in materialer Beziehung ausübe,
durchaus zu bejahen ist. Der Anschauungsunterricht leitet und übt
die Seil iiier im loo:ischeu Denken, im correct^n Sprechen; er bereichert
ilu" ]H>sitives Wissen, indem er sie hineinfuhit m die Welt <wr Kr-
schriiiiDi^pu: also kommen beide Bildongsprincipien vollständijj: zu
ihrem Eeehte.
Die zweite These, welche der Kehr'schen gegenübtirzustelleu ist,
lautet :
2. Der selbstRtändi*s^e Ansehauiuigsiuiterricht ist im Wesen des
ersten l'nt4»rrichts begründet.
Wenn das Wesen jedes, also auch des ersten Unten-ichts darin
besteht, dass derselbe uui' der Basis eines berechtigteu Unterrichts-
materials die formale Bildung des Schülers erstrebt, so dürfte sich
bereits aus dem Vorhergehenden der Beweis dieser Behauptung au-
gesucht ergeta. IndM bin ieli aueh der Meinung, daas sich ganz be-
sonders aus dem Wesen des ersten Unterrichts die Berechtigung des
selbststftndigen Anschanungsuntefrichts nachweisen lAsst Um hierzu
» den Versuch zu machen, gestatte ich mir, zonftchst einen denselben
Gegenstand behandelnden Passns aus der »Erziehungs- und Unter-
richtslehre** von Dr. Fr. IHttes*) an diese Stelle zu setzen. Der-
selbe lautet: „Was das Eind bereits vor der Schulzeit ao^fasst hat,
und was ihm während der Schalzeit vom Leben her zuHieflt, musa
der planmäftige Unterrieht reprodndren und gehörig zum Bewusstsein
bringen, vergleichen und sondern, nOthigenfalls berichtigen; er mnss es
aber auch ergänzen durch Herbeiführung aller derjenigen Anschauungen^
welche dem Kinde noch gänzlich mangeln und doch unentbehrliche
Grundlagen der Erkenntnis sind. Daher ist es jeden&lls zweckmäßig,
den gesummten Unterricht durch Anschaunngs-, Denk- und Sprech-
übungen einzuleiten. Es wird denselben zwar neuerdings vielfach die
Berechtigung auf eine selbstständige Behandlung abgesprochen, indem
man meint, sie durch eine methodiscli richtige Betreibung aller si)e-
ciellen Unterrichtszweige ersetzen zu ktinut u. 1 )ies dürfte aber schwer-
lich i ccht ireliniren, wie schon daraus hervorgeht, dass es am Anlange
des plaumäliigen Unterrichts aus mehrfachen Grüudea geboten erscheint.
♦) m. Aufl. S. »3 u. 84.
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— 305 —
deu ^^'all^nehmungs- und Gedankenkreis, sowie die Sprachfertigkeit
der Schüler einer möglichst vollständigen lievue m unterwerfen. —
Wenn Anschauungs-, Spredi- und Denkübungen nnr gelegentlich und
nur zu speciellen Zwecken angestellt werden, so ist keine Bürgschaft
vorhanden, flass die wichtigsten allgemein menschlichen Grundauffas-
sungen säuinitlich beiilcksirhtio^t, festgestellt, geordnet und sprach-
lich richtig bezeichnet werden, nicht aber bios etliche immer und immer
wiederkehl en."
Wir sehen also, dass auch dieser Schulmann einer selbststjindigen
Stellung des Anschauungsiinti-rrichts das Wort redrt. weil er t^l - n
als eine Hauptaufgabe des ersten Unterrichts die metlioüisch geord-
neten Anschauungs- und Denkübungen betrachtet.
Weiter noch als Dütes ging vor 50 .Tahi'en Pestalozzi, welcher
kurz und biindiä,'' erklärt: „Das Kind ist bis zu einem hohen Grade von
Auscliauungs- und Sprachkenntnisseu zu bringen, ehe es veruuultii;
ist, es lesen oder auch nur buchst abiren zu lassen." — Mögen
immerhin auch die äußersten Conseqnenzen dieses Satzes in unserer
Zeit durch die seither sehr yervoUkommnete Lesemethode modiflcirt
weiden, so bldbt derselbe naeh unserer Ansicht doch insoweit in
Kraft, als es nofhwendig erscheint, dem ersten Schulalter besondere
ABscbiBUgsstiuideB am reserviren. Eben weil der Anschauungsunter-
richt Ar die Fondamentalbildnng so ungemein wichtig ist, was selbst-
redend auch Ton Kehr anerkannt wird, und weil das, was durch diese
Disciplin erreicht werden soll, nicht Mittel, sondern Selbstzweck ist,
eben deswegen müssen wir eine gewisse Anzahl eigner Stunden dafür
haben und eben deswegen genfigt es nicht, wenn der Anschauungs-
nntemcht nnr in Combination mit Lesen und Schreiben ertheilt wird.
Lesen und Schreiben sind fflrs Erste nur mechanische Fer-
tigkeiten, die als solche ihrem Wesen nacb mit dem Au>
schauungsunterrichtH i. c. s' nichts gemein haben. Allerdings
sollen auch diese Fertigkeiten nicht durch einen dürren, geisttödtendeu
Mechanismus, sondern auf anschaulichem, rationellem Wege übermittelt
werden. Hier heißt es: der Lehrer soll das eine thun, aber auch das
andere nicht lassen; er soll einen anschaidichen Sehn ib- und Le<e-.
daneben aber auch einen möglichst iruchtbaren AnschauungsunteiTicht
ertheilen.
Der selbstsiändigeAmichauuugsuuterricht ist eiiie>ii»thweudigkeitl
*) Vgl. auch Dittea, Methodik der VolkMchole, S. 143.
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Fortbüdiuigsschiile and Lebei.*)
Vm Hugo Webeir'Leiptig,
Indem leb mich aiuelüeke, Urnen einen Vortrag 9ber HFortbfldnngMehiile
nnd Leben'' zu halten, nmss ic!i im voraas bemerken, <I:).ss sich derselbe enge
an ein von mir heraus-ri i^cbfius l.ohr- und Lesebach für Fortlnldnnsi^schTilpn
anschließen wird. Ich glaube, dai'ch einen solchen Anschluss am besten das
Goethe'sche
pGrau, tbeurer Freund, ist alle Theorie
and grün des Lebens goldner Baum'*
behpr/iiien 7:n können. Die ztMtiremäßcste Frage der Pädagoprik, tlio nach dem
rechten Lehrstoffe, wird auf dit sf Woisp finsrelinnder bernliil. Fr('ili( Ii. meine
Erörterougen werden sich zunächst und zumeist auf die ländliche Fortbildougs-
ecbnle bodehen. leh boffe aber, dass ^e mir diesen ümstand T«raeUtea wer-
dim, wenn Sie bedenken, dass allgemeine ErOrterongen ttberSchnlen zu keinem
klaren Hildf von ilirer Aufgabe und Wiiksamkeit füliren, dass gerade bei 1 t •
protenKartigea Charakter dor Fortbildungssrhnlpn fint^ Species heransgegriiitn
werden muss, dass ich mich zutiillig eingehender mit der ländlichen bescliäl'tigt
babe, dass mancber allgemeine, auch für stUdtisofae FortbUdnngssdialen beber-
zigenswerte Gedanke sich dabei ergeben dürfte, nnd dsss anf alle FBUe anch
auf diese Streiflichter fallen. Und indem ich Sie heute einmal hinausführe
auf d;i< Dorf, erinnere ich Sie daran, da???? das Dorf die Hrimat der meisteu
nntei- ihnen, die Stätte Ihrer Jugendzeit und fröhlicher Ferien- und heiterer
SommerfMsditage ist, dass von den Ofirfisni ans immer wieder frfsehes Blot
in die Stftdte fließen mnss, wran diese nicht in Blasirtheit versinken sollen,
dass wir alle ein Interesse daran haben, da.«ij< dor Kern drs ^'tdki der anf
dem Lande sitzt, körpnrlirh nnd s^eisMET frisch hli iVie. siieh sittlich hebe, wirt-
schaftlich gedeihe und zu diebem Zwecke in der rechten Weise gebildet werde.
Das Buch, auf das ich mich beziehen werde, betitelt sich: „Lehr- and
Lesebuch für ländliche Fortbildnngsschnlen. Zugleich als Volks-
buch herausgegeben" (Lelpa%, KlinkhardtV An die Bearbeitung desselben
ging ich höchst nnt^-ern. Aus verschiedenen Gründen hatte ich mir vorgenom-
men, auf dem (lebiote di i Lesebucliliteratur nichts mehr erscheinen zu lassen.
Jedoch bei dem Übergänge des mit Dr. Jütting herausgegebenen Lesebuches für
Volksschulen an den jetaigen Verleger hatte ich, vidleicht alimrasdi, verqiroeben,
*) Vortrag, gehalten im Leipziger Lehrervereia.
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)eiieft Werk dnreh entsprechende Tlioilt> für Foi tiiiMuns-^^schnlen ei^gttnzen ra
woll«»n. Dieses Vpr'<|>rt^'1ipn musste icli wol mU-r übel einzulJisen snchen.
Dazu kanion noch chnüide tlrmunternn^^en von anderer Seite. Gleichwol f^nj?
ich nur nach langem Zögern tmd mit vielen Bedenken an diese Arbeit. War
aie doch fttr «ine Schale lieetiiiiint, die iiirenSchwur|Ninktand damit die nSthige
Stiibilität noch nicht an allen Orten gefunden hat und vielfach noch hent«
nach den geeignetsten T.ehrstoffcn nnd Lehrmitteln sudif. Zwar habm der
vorzügliche offlcielle LehiTplan und Schriften wie „Der l nferrirht in di r säch-
gtschen Fortbüdungsscbttle" von Sclmlrath Grüllich dem Henimtasten vorlUutig
ein Ende gesetzt nnd Onmdafttse, Gegenat&ode nnd Methode dieses Untenlehts
klar vorgezeichiD-t. aber auch die Bestinunongen des allgemeinen Lehrplanea
sind narli i-i£>-eiit'n Worten desselben nnr pr-Tceiitive Vorsrlirift^^n. Diroctivnor-
men. welche dem wt-iteren Entwickelungsgaiiire des FHrtbildunjrsunterrichts
wol Ziel and Riciitung geben, jedoch im einzelnen Falle die Üahn zu freierer
Bewegung nach MaBgnhe loealer Verhältnisse ond Bedftrfliiase mOflichst offen
lassen. Es ist dies ein eharakterisUaches Zeichen toh der weisen Einsicht
der sächsischen Schnll)ehörde nnd zugleich ein dankenswerter Beweis des Ver-
tranens für die Lehrer, deren Ermessen man möglichst freien Sitit hauni lassen
will, damit sie ihre FortbUdungsscholen den speciellen VerhältniöütMi ilires Ortes
atanpassen ftmli^ea. Damit ist aber aoi^eidi dun ICannigfaltigkdt dieser
Schnlgattnng gegeben, welche die Beschafftog einheitüdMr Lehrmittel, onter
denen ein zweckmäßiges Lesebach in ei-ster Linie stehen dörfte, außerordent-
lich eri^elnvert. Dalu^r rrkHlrt sich wol anch. abg-fsehen von der Kürze des
Be»teUeuä dieser Schulen, der Umstand, dass das (Vebiet der Literatur des
Fortbildnngsanterrichts noch eins Ton den wenigen ist, auf dem eher von einem
Mangel als von einer ÜberflUe der Prodnction gesprochen werden kann. Die
BedHrfiliss« diest r Schulen sind eben so Terschiedenartig, die SchiUer selbst so
verschieden w*'rTiL% vorbildliche Ar-b*>ifen noch sn «selten, dass vielen zu ge£sUen
nidlt nar schwer, bonderu geradezu schlimm ist.
Zu diesci' Schwierigkeit, in keinem Falle allen localen Bedttrfnissen gerecht
werden an können, kommt noch eine andere, welche ans dem Mangel an ftber>
einadmoiender Auffassung des Zweckes eines Sehnllesebuches hervorgeht Ich
habf* £r*^nug Gelegenhe it i^ehabt. zu • rfuhren. dnss die Lehrer schon an ein
Lesebuch fllr Volksschulen, deren Aufgabe zierulicli klar ist, die widersprechend-
sten Anforderungen stellen, noch vielmehr mus« dies der Fall sein da, wo es
sich um die noch fai voller Entwidcelvng stdiende Fortbildongsschole handelt
Macht sich docli ohn« liin tT' t ade in der Lesebnchfrai^e t-'m merkwürdiges Aus«
einanderpehen nnd Weiterfließen der Meinungen autnillifr. Nif lit nur die fort-
scbreitt'iid«' Wissenschaft, anch die wechselnden Strümungeu im ürtentlichen Leben
gelten hier Impulse. Ich selbst muss gestehen, dass ich die 1872 in der Preis»
sehillt: ^Die Pflege nationale Bildung dnrdi den Unterricht in der Mntter-
S|>raclie" ansführlich entwickelten GrundsStae vielfsch im Laufe der Zeit modi-
ficii-t habe nnd nicht mehr g»r\7. anfrecht erhalte. Um aber »las Auscinandcr-
geheu d« r Ansichten über den Zweck zu illustriren. will ich nur erwahiien.
dass in unserem Heimatlande ein Lesebuch ttir bortbüdongsschulen ei'schien,
daa die Leetttie ganz anf das Gebiet der Literatnrknnde liinttberlenken wollte
ond das den Sdifilem nmflntende praktische Leben ganz übersah, und ein
anderes, das wiederum die idealen Gesichtspankte vollständig verlengnete.
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— 308 —
ol'gU'irli fft praktisch war bis mr Düngerstättf liiii. Dass die Wahrheit mehr
naeh der Mitt« hin liej^t, hat die ziemlich allgemein eriuigte Einfdhmng eines
dritten gezeig:t. Dieses vierte woUca Sie nur als einen Versuch betrachten,
dem Ideale etwa» naher sa kommeii. lat doch die Sache wichtig gennff» um
es zu recfatfertigeii» dan mditere Köpfe darüber nachdenken and die LOnng
dw Anfisrabo versmohen.
inhezug auf die allgemeiiuMi (Grundsätze kann üh inith knrz fassen.
Sie resulüren aus der Anffassung der Fortbildungsschule als Erziehungt-autyUU
und dlirften mit de^jenigen, die im ,Jjdirplane*' kiradj^egeben worden aindt im
weaentUchen äbereinaünimen. Das vorliegende I.esebiuli siu ht dm dort ans-
gesprofhenen Fnrdernngen. das«? ..es den Geist der Soliüler mit W i.ssensstoff.
namentlich nns dem Gebiet«- der Realien, bereichern, religiös, sittlich, ästhetisch
hebend und tordernd eiiiHirken, neue, anregende Stoffe bieten, die poetische
Literatiir mr Pflege des Sinnes fBr das SehSne und Edle nioht laintenanaetzen»
den Lesetrieb, den Hauptquell der eigenen Fortbildung, anregen, die Leeefertig-
keit hebten uikI da.-^ Vi rstUndnis der Schriftsprache fTirdem müsse*' mnfrlicbst
gere< lit zu werden, erhält aber dabei sein eigenthiimliches Gepräge durch den
Eintluss eines Grundsatzes, der zwar im „Lehrplane" bei der Stelle über das
Leeebnch nicht mit besonderer Betonnng nosgesproehen wird, wol aber sich
durch den gesammten Lehrplan als rother Faden zieht. Es ist das alte ,.Noa
Rcholae, sed \itae discimus", das in der Fortbildnti^sschule sich noch weit mehr
Geltung zu verschatten hat als in der ^'olksfschule, das hier jreradezn das Leit-
motiv sein muss, weshalb ich es auch in Ermangelung einer \'urrede auf den
Titel gesetzt habe.
Zwar sollen die Fortbüdnngasehnlen vor allem die aUgemeine 'Bildung
befestigen und ergänzen, aber das muss und kann geschehen mit besonderer
Heziehiin£r «b « I nterrichts auf das bürgerliche und berufliche Leb'^n.
Damit soll keineswegs gesagt sein, dass Schuhmachern und Schneidern, Gerbern
und Fftrbem, Schmieden nnd Schlossern, Webern und Wirkern ete. eine beson-
dere Berflcksichtigang ihrer bemflichen Bfldongsbedflrfiiisse einzoräomen sei
Das wfirde ganz dem allgcmieinen Charakter unserer Fortbildungsschulen
widei-jsprechen. Diese kßnnen und dürfen nicht Specialfortbildnngsschnlen. etwa
eine Art Fachschulen, sein un*l werden. Höchstens wird mau in gr»i^n
Städten mit der Zeit daran denken können, in besonderen Classen diejenigen
Schfiler zo yereinigen» welche gleichartige oder Terwandte Gewerbe eriemen.
Hingegen die Ikzugnahme auf das bürgerliche und bis zu einem gewissen
Gr.nlf ancli auf das berufliche Leben ist in unseren allgemeinen Fortbildnngs-
schuleu nicht allein nnr möglich, sondern auch noiüwendig. Der Mangel einer
solchen Bezugnahme unf das praktische Leben ist eine der Hauptursachen der
unleugbaren Thatsachen^ dass der passtve Widerstand in vielen VolkdcreiBen
g^lpen die obligatorische allgemeine Fortbildungsschule noch fortdauert nnd dass
gewerblielie \% rbände dahin dräniren. dieselbe njöglichst zu Fachst Imlen umzu-
bilden. Beidt l?i'8trebnn£»^en, sowoi die auf Aufhebung als die auf Umbildung
gerichtete, können nur durch Erweckung besserer Überzeugungen von dem
Zwecke unserer Fortbildongsscholen nnterdrflekt werden. Denn wenn auch
Fachschulen den einen Zweck, die wirtschaftliche Hebung der onteren Clanen
niit zu bewirken, erreichen, so dürfte doch dabei der andere — und er ist der
Hauptzweck — die sittliche Hebung, dabei Eiubofie erleiden, da sich bei
DigitizecJ bv (^.nnr>\c
— 309 —
Fadischalen die materiellen Interessen zu sehr in den Vordergrund drängen.
Eine Anfbebtnis' abri- wHre ein Rückschritt in unseren Bildnnfrshcstrebiineren
überhaupt und käme nur volksfeindlichen Elementen zugute. Ks gibt nun
dmnftl in uiuerem gegenwärtigen Coltiirleben «Ine Reihe von BUdnngsstoffen,
die Innt nedi BerttckriditigaDg eehreiett, die aber von der Yolktee^vte niefat
berücksichtigt werden können, weil dort weder die Zeit noch die Verständnis-
mhig^keit vorhanden sind, die daher der Fortbildnngsschiile zugewiesen werden
müssen.
Ans diesen Erwägungen ensächst aber eine besondere Verpflichtung bei
der Heraoegabe eines Lehr^ und Lesebnehns für Fertbildungascinilen. Es miiss
demselben ein solcher Inhalt, eine solche Fassung und Anlage gegeben werden»
dass auch dem eiiifatlieii Verstände der Eltern und Lehrherren, sobald sie das
Buch zur Hand iiehnun — und das peschieiit erfahrungsgemäß in den meist
bücherannen Familien unserer mittleren und niederen Stände sehr oft — , die
ÜbeniengiBig von der ZweekmftlHgk^ Nfitzüehkett, Ja absoloten Nothwendig'
kdt nnaerer allgemeinen FortbUdungsschnkn einleuchtet. Ja, es muss geradezu
'Iriltin prestrrht werden, dass der Hansvater, der Knecht, der Aibeitf ?-. <\<*r
Meister, der Geselle etc. es recht oft in die Hand nehmen, tun es mit zu lesen,
lüt Recht bemerkt Scliulratli Grüliich („Der UuteiTicht etC j: „Da« Lesebuch
Mü nieht blos für den Fortblldongsantenicht dienen, sondera seinra EinJInss
über die Seiinle hinana erstrecken und auch die derselben Ittngst Entwachsenen
noch zum Lesen mit nTireg^en." Und sehr wahr ist, was einer der „Gutacht-
lichen Berichte", auf denen der ufhcielle Lehrplan fuöt, bemerkt: ..Namentlich
tlir die Verhältnisse der einfachen ländlichen Fortbildungsschule ist ein geeig-
netes Lesebach ganz nnentbebrlich, nnd dieses mfiteste mehr noch als die bisher
ersehienenen zugleich ein Haus- und. Volksbuch sein." Deshalb linden Sie
auf dem Titel die Worte „zugleich als X'olksbuch herausgegeben", ob mit vol-
lem Hechte, mög^enSie selbst entscheiden. Freilich, dieser JJestiiiimuag entgegen
wirkt der an vielen Orten bestehende Usus, eine Anzahl von Exemplaren als
Schnllnveatar annkaofen, sie nach der Schnle, wenn nicht gar nach jeder Un-
toriebtsstllttde, dem Schfiler abzufordern und in den Schulschrank oinsttScUie-
ßen. Man sollte wol meinen, da.'*?^ dem Fortbildungsschüler, der in den meisten
Fullen schon einen Verdienst hat, die Ausgabe für sein Lehr- uud Lesebuch.
im tur den denkbar niedrigsten Preis gegeben wird — hier beispielsweise
19 Bogen Ar 1 H. — ziunimnten seL GehlM es doch entschieden mit mr
Anlisabe dieser Schule, die jungen Leute aur Einsicht an bringen, dass der
Xensch anch geistige Bedürfnisse hat und ßlhig sein muss, zu Gunsten der
IctzterPTi sich einmal materielle Geiiiisse, denen bekanntlich anoh die Fort-
büduugisächüler schon nachhängen, zu versagen.
Schon im Eingange habe ich anf die nothwendige und thatsSehliche
Verschiedenheit unserer Fortbildnngssdialen hingewiesen, aber bei aller
Mannigfaltigkeit zerfallen sie doch in zwei Hauptgruppen, in ländliche und
städtische, oder, indem wir die wesentlich industrielle Besclillftijninffswei.-e
unserer Bevölkerung ins Auge fassen, in ländliche nnd gewerblicite.
Leider bezeichnen auch diese Ausdrücke nicht ganz treffend die thatsllchlichen
VerhUtniwe. Wir haben IndustriedSrfer und Ackerbanstlldte, aber wie fai
jenen sogleich nebenbei Landbau getrieben wird, so in diesen nebenbei Industrie.
Zndem erweckt der Ausdruck „gewerbliche Fortbildungsachnlen" zu sehr die
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VorKtellunp von Faolischalen ; für ..ländlicli» " Foitliildnnsrssrlinlen ..Limlwiit-
schaftliche" 7.n sagten, cclit p!ifn«"\venig an. d:i man darunter Ackerbauschuien
verstehen würde. Ich habe dalier den Ausdruck ,4ändlich" xorgeztygea und
versteh« anter „IftDdlioheii Fortbildvogsschuleii'* eolehe in Torzogswetee
Ackerbau treibenden Dörfern nnd in demjenigen Lnndstidten, wo der
Ackerban neben dem Kleinjfewerbe die Hände beschäftigt. Die Anschananj^.
da^s die FnrtbiMnn£rssihnlp den vf^i-^rhiedenartigen looal*"n Bfdtirfni'iSiMi ver-
ständnisvull entgegenkommen müsse, um sich mehr nnd mehr zu consoiidiren;
ist bei dm skKndisehen Berathongen wttliread des Landtages 1879/80 nieiu>
fsch xnm Ansdmck gekommen nnd Aieli von der königlichen StaaUregiemng'
vertreten worden. Die letztere äußerte sieh n. a. folgendermaßen: „Die Fort'
bildungsschnle mns- ♦mim- sranx versrhiedene »ein in Sfüdt* n und in Dörfern,
verschieden in gruik n Miulttu und in kleinen, verschieden in Dörfern, welche
hauptsächlich von einer dem Ackerbau obli^enden Bevölkemng bewohnt sind,
nnd in D9rfem, deren BevSikemn^ wesentlich mit bidostrie beseUUfUgt ist"
(Lehndan. ]iair. 15.) Daraus folgt, daas ein fBr alle FortbÜdnngsschulen be-
rerlnu'ti's l,fM'liuoli narh keiner Seit hin ranz jrenlieen kann. da«s es. bei aller
t bereinstitrHauiiir in ^^ewissen allj^emeinen Theilen, ein besonderes geben muss
für das Land und eins für die Stadt. Eine weitere Scheidung dftrfte vielleicht
wftnsehenawert, aber ans verschiedenen Grftnden nicht gnt mSglich sefai. Das
Tortiegmde ist das fSr Iftndliche Verhlltni»se liestinnnte.
Xietnnnd wird leuprnen können. dn<!s das ..Land'' üe]h(it in unserem von
Industrie so durcli^t tztPii Sachsen noch sein t is» ntiiiiinlii lit?s Gepräge hat, das
in mehr als einer Beziehung von dem stAd tischen sich unterscheidet Hier
pnlsirt noch ein ^^nartiges, stilloree, langsameres^ vom Weltgetriebe weniger
ber&hrtes Leben ^ das die Sprache einllKh mit Landleben bezeichnet: hier trillt
mau, wenigstens strichweise, nocli patriarchalisch t s Familienlebe n in Ban^m-
hnnfpm. 2T*'>6*'rf Kiiifachheit in der Lebensweise, naive Anschauungen, unge-
künsteltes Beuehmen, natürliche Einfalt, einen durch die tägliche Arbeit ver-
mittelten vielseitigett, innigen, wenn anch nicht mit klarem Bewusstsein em-
pfundenen Verkehr mit der Natnr, im allgemeinen frömmere Oerfnnnng. wenig-
stens mehr Kirchlichkeit. zäheres Festhalten am Althergebrachten und an der
Volkssitte, aber neben dem Lichte anrh tiefe Sfdiatten. M:\nches Laster, wie
Spiel- und Trunksucht, mancher Charakterteiiler. wie (^fn>bheit und Boheit
Oeiz nnd Geldprotzenthnm, manche ^dvngsmängel, wieÄberglanhenndStreit»
sncht, Selbitsncht nnd Beschrtnktheit, manches sociale Gelireehen, wie Ammt
nnd Bettelei, leichtsinniges Schuldenmachen nnd Halsabschneiderei, findet man
auf dem Lande anssreprilctfr. Fnd da di«^ natürlichen nml socialen Lebens-
bedingungen w esentlicit andere sind als in der Stadt, so ist auch die Gedanken-
welt der DSrfler wesentlich anders. Im Hitne des Banem, der hinter dem
Pfluge herschr^tet, Uber sich die singende Lerche, der durch des Kornes he-
wegte Wogen wandelt, in Hans und Hof wie ein unumschränkter Gebieter
schaltet nnd waltet, d. s Kneehtes, der im Stalle d^ft Viehes wartet, tnlnmend
in der Scholikeüe des Wagens sitzt, des Kuhjungen auf der Weide, des Dorf*
handwerkers, des Schmiedes nnd Stellmachers, d^ Schneiders nnd Schnh-
machers, des Hanrers nnd Zimmermanns, deren Leben aaf dem Dorfe mit an
die Scholle geknüpft ist, des TagellShners. dessen Existenz vom Gutsherren ab*
hängt, kreisen andere Vorstellungen, energisch zwar, aber in einem weit engeren
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Horizonte, machen sich besondere Interessen geltend, re^m sich mich Art und
Orad andere üefiilile. Daraus folgt aber, dass auch ilir Bildiintrsbedürtnis
ein anderes ist nach Umfang and Inlialt. Ist doch daü Leben aller Dürfler
eoneentrirter; bei den meisten spielt es sich in den engen Grensen der Heimat
ab; wo sie ihres Daseins Kreis begonnen, da vollenden sie ilm in dar Begel
nach: Widinort nnd Heimat sind ihre eigentliclK- Welt.
Die.^es Leben. die«e Welt, au der die jungen Leute ;iut' dem Lande nach
der Conäimation viel mehr theilnehmeu als früher and als die der Stadt, in
klaren Bildern vor^nftthren, es ilirem Verständnisse yollends anf-
anschließen, es von Idealen Gesichtspunkten za belenchten and zu-
gleich die Beziehungen der Heimat zn Vaterland und weiter Welr
t rkenneii zu lassen, ist nach unserer AuAassung die Hauptaufgabe der
i* ortbüduugsschule, zumai der auf dem Lande. Nicht einseitige Vermelirung
des Wissens, soodem Stftrknng der sittUchen Krftfte im Volke ist ilir letates
ZieL Damm hat sie vom Leben auszugehen nnd nicht von der Wissenschaft; von
dieser hat sie ans dem Gebiete der Natur, Cultur und Literatur nur das heran-
zuziehen, was zum einfachen Ven-tändnisse des Lebens in Familie, Gemeinde
und Staat nöthig ist. Indem sie sich auf das Naheliegende, Nuthwendige und
Unerllsdidiebeschrliikt) wirkt sie intensiyer nnd nnmittelbarer iarwirtsebalt-
licbe nnd sittliche Hebung des Volkes. Die VolksechnlenuNir immerhin Lenuehnle
nein, hier mag man für die Schule, d. i. die Fortbildungsschule, lernen, sich aus-
rüsten, mit Verständnis undGedltchtniskraft, mitFähifrkeitt n. Kenntnissen undFer*
UgkeiteOi damit dann in der Fortbildungsschule um ho besser ans dem Leben
fftra Leben gelehrt und gelernt werden könne. Geschieht dies, so wird die
Folge sein, dass jeder seine Lebensstellung und damit anch sdnen Pflieh>
tenkreis klarer erkennt und allen Lebenserscheinungen gegenüber sich denken*
der verhält. Erkennt sich aber dann jedt r als ein nothwendiges Glied in
dem wandervoileu Organismus der menschlichen Gesellschaft, sieht jeder
ein, dass der Bestand dersdben an die sittliche Weltordnnng gebunden
ist, flililt jeder, dass er snr Anfirecbterhaltnng dieser mit verantwortlich ist,
so wd die weitere Folge ein „heißeres Bemühen" sein, still und nnersehlafftr
nnd sei es im kleinsten Wirkung-skreisc. die höchste Kraft zu ent-
ialteu, seines Berufes treu zu warten, s^ ine Pflicht voll und ganz
zu thun. "Wer mit dieser sittlichen Kraft ausgerüstet ist, wird sich auch
wirtschaftUeh heboi, an innerer Zufriedenheit gewinnen nnd dadurch wiederum
sittlich heb^ So vollzieht sich » in Kreislauf der sittlichen Kraft, der zur
Stärkung derselben in aimlichrr Weise beitrlis-t, wie der Kreislauf des elektri-
schen Stromes um » inen Eisenkern zur Verstärkung de*; Kickt lumapnetismus.
Der Eisenkern aber, um den die sittlichen Volkskräfte zn ihrer eigenen Kräf-
tigung energischer Icreisen mSssen, ist der Kern des Christ^thnms, die Liebe
XU Gott, der dadurch zu erzengende Ethomagnetismus aber — die Nächstenliebe.
Soll nun die Frti-tliildungsschule nach dieser Richtung hin mit arbeiten,
s*» bedarf sie nicht nur vorzüglicher Lelirer. sondern auch zweckmälJiirer Lehr-
mittel. Zu diesen ist vor allen das Lesebuch zu rechnen j denn in der Fort-
bildungsscfanle mnss lesend gelernt werden, nnd awar nicht nur, um m(fg-
lichst die Selbstthätigkeit anzuregen und das selbsttigene Erfiusen der Bil-
dungsstofTe, die Methode der Selbstfurtbüdunf^ zn zeigen, sondern auch, um der
Jilrmildnng und Gedankenlosigkeit vorzubeugen, die sich so leicht bei Schüleru,
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die lie.s Tages über tüchtig körtierlich arbeiten müssen, einstellt, wenn ihnen
nur vorgetragen wird.
Wu nun im aIUremeiii«B den Inliftlt aabetrifit, m mam das Lesebodi
diis oben an?edeutete Leben mit seillMlLiclit-lliidSclMtteineitwi widerspiegeln,
das volle Mciisriieiilebon, das ja interessant ist, wo man es anch ivTrk-p. riieriii.
im Strome der Welt, liefen Hildungsstoffe, die namentlicli tnr In t'haraktei-
bildung höclist wertvoll sind, für den schnlmäfiigen Gebrauch ireiiicü vieliacli
ent noch bearbeitet werden müiieiL Für die Tolkiediiile afnd die metoten
noch nicht braachbar, weil erst auf der spfttem Stoll» des Fortbüdnngssdnil-
nnteniclits die nrithiffen Erfahrnngren und das wünschenswerte eigene
Interesse dem reifenden Verständnisse entfretr^nkonmien. Diese Lebens-
bilder sind möglichst den besten Schriften unserer volksthtunlichen Literatur
in entlelinent nnd bat der Heransgeber nur dann mit eigeoeD Arbeiten bes.
Unuurbeitiingen einzvtreten, wenn sich bei sorgftltiger Umsdian ein swedkent-
sprechender Anfsatz nicht finden lässt. Eine weitere Forderang: an ein Lese-
bach für Fortbildungsschulen ist, dass nicht nur der Inhalt, sondern anr h du-
Sprache volkstümlich sei, dass schon die Form des Inhalts auf den Willen des
fikdifllers e&iwirice. OaliBr flndw sie die Gapitdftbersdmften in Form tod
kategorisehen Imperativen, die aidi im Willen des Scbfilers sn Onud-
Sätzen gestalten sollen. Das: ,. Piene treu, fleißig und ehiiich!" muss sich, um
ein Beispiel anznfiiliren. dnreli den Einfluss der Leetüi-e und des Lehrers in
ein: „Ich will treu, fieiliig und ehrlich dienen!" verwandeln. Keine Charakter-
bildnng ohne Erzeugung von Grundsätzen; sie sind das Enochengerüst det»
Charakters. Da abcf die Charakterbildnn^ bei jungen, mir Ifäimtiehkeit «ich
entwickelnden Leuten die Hauptsaclie ist, so sind die Lesestücke hier nicht
nach den üblichen Kategorien der LehrfJtcher. sondera nacli sittlichen Gesichts-
punkten zu wählen. Um endlich sicher zu sein, dass aus dem zn schildernden
Leben nichts Wesentliches wegbleibe, sind sie zugleich mit Eücksicht auf die
Lebenskreise so wlUilen and so ordnen, die den SchfUer eoneentriseh
uiiiu^eben. die der Virfksschtülinterrieht mit ihm zwar schon dui'chwandet t iiat,
di*' b'nitliildungsschule aber noch einmal von höheren sittlichen und docli zu-
gleich praktischen Standpunkten betrachten muss. Dabei gilt es. Sorge zn
tragen, dass das Wichtigste ans dem Gebiete der Wissenschaften zur Wieder-
holung und Ergllonnir komme, dass der Lehrer Anknfipftmgspunkte sn weite-
ren Darstellungen linde und Ton Lesestfick za Lese^ttck geistige Brficken
schlagen könne.
Aus alledem folj^t, da«s das vorliegende Lesebuch nicht nur eine lose
Summlang von brauchbaren Lesestücken, sondern ein Buch mit einem durch-
gefQhrten Oedankengange sein will. Indem ich Sie OTSuche, es unter meiner
Führung durchzugehen, wird sicli nicht nur der nach meiner unmaßgeblichen
Meinung für die eiiifai Iien Fortbildnng-sschulen anf (h m Lande nöthis:e Lehr-
und Lesestoff — mit Aus<?ehln8s des Kechneus — eingeben, sondern auch da»,
was der Lehrer ergUn/.eud liiiiiiuzubnngen hat.
1. Das Leben in der Fortbildongsschde*
1. Die Furcht des Herrn ist der Weisheit Anfang. Da bei dem
Rptriehe <Ip> Fm rbildnnsrsschnlunterriohts diejenigen Lehriresenstflnde, die au-
<lerwäits schon eine Fliege finden, wegzulassen sind, so hat auch der Heligioos-
. j . d by Google
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Unterricht auf dem Lehrplanp keine Stellt» fiTiden Tünnen: denn die aus dfr
Volksschale eiitlastseueii Knaben Huden in dem öftentlichen GottesdieubUi, be/..
durch katecbetische Unterredangen in der Kirche hinreichend Gelegenheit zur
EriMHum^. Gleidiwol darf aneh in dArFortUldnngMcInile dto rdigitae Weihe
nicht ganz fehlen. Nr. 1, ein classisches Schulgehet, und Nr. 2, Wanderung
ins T.f^«»n. flfirfti-n daher zweckmäßig einleiten. Unter Nr. 2 Hnden '^irli, wie
an anderen Urten. die ei-sten Hinweise auf früher im Volksechnllesdl.iu he ge-
lesene Gedichte, Erzählungen etc., die wieder in Erinnerung gebracht werden
SDlltti, damit aie nicht dem gSndidien Vet^peesen anheimfallen, nnd mtweilen
alt Ausgangspunkte benutzt werden können.
2. Merket iuif. da.s.s ihr lernet und khier werdet! Mit die.ser
Salomouisclien Mahnung soll der Lehrer au der Hand der Lesestücke 3 — 7
die Schüler zur P^insicht bringen, dass nach Sokrates zum Anfange aller Weis-
heit auch die Erkenntnis gdiSrt, dass man nichts wisse. Hier ipüt e« auf die
großen Reiche des menschlichen WissoiS hinzuweisen, die Schüler von der
Manicelhaftig'keit ihrer Hildun-^ drastisrh zu üljerzeugen. auf den Weil und
die zw e( k mäßigste Art des Lesens und Übens anfmerksam zu macheu. den
Nutzen der Fortbildungsschule und die wol wollenden Absichten der Regierung
danndegen, die Yomrteile darüber za awstreora, die gesetzlichen Bestimmun-
gen, sowie die Schul- und Strafordnung Tonsnleeen nnd zu erläutern nnd die
VorzH^e größerer Bildung, die daraus her\'orgehende größere Achtung und
Wert.«iehiltznn«: vnn 5?eitp der Mitmensclien, sowie den davon abhängigen höhe-
ren iTenuss aui Leben, darzuthun. Wenn der Lehrer als eine allgemein
geachtete Pers6nUehkeit tber diese Dinge mit seinen Schillem spricht — nnd
es ist das allein sdion ein groierNntBen derFortbÜdongaschnle, dasa wöchent-
lich wenigstens einmal eine sittliche, gebildete Persönlichkeit mit den jungen
Lent»'n vrvkt lur — wenn er ihnen \'ertranon nnd Liehe entgegenbrinj^rt. die
l»ekanutlich wieder Vertrauen und Gegenliebe erzeugen, wenn er ilinen unter
allen ümstttnden Wirde und Emst zeigt, besonders guten Schillem bei aller
gebotenen Zorflckhaltnng eine gewisse Frenndlichkeit nnd Theilnahme als Lohn
ffir ihr gesitteteres Betragen zu erkennen gibt, so werden rfcli bei ihnen auch
sicherlich bald Lemlnst, Strehsatukeit nnd Interesse in dem wünschenswerten
Grade einstellen — oder es niüi»ste alle Erfahiung lügen. Besonders noth-
wendig eneheint mir noch, dass der Lehrer zu Anfange des Schuljahres mit
seinen Schfllem das Lesebuch durchblättere, um sie im voraus auf die I<ehr^
stoire aufmerksam zu machen, mit welchen sie sich beschäftigen werden. Das
werkt das hir- r»'>se der Sehiiler, ermuntert zur Selhstth'Sti^keit. rsv^t ihnen
dttö Ziel, orientiit sie nnd überzeugt sie, dass sie nicht nur Nüthwendigei*.
sondern auch Neues lernen. Nr. 4 enthält Sprichwörter, die das Schulleben
widerspiegeln. Bäne Erklärung und Anwendung derselben, namentlich zum
Ausdrucke für Lob und Tadel, möchte ich besonders empfehlen. Auch der
größte Flegel hat nochRespect vor dem Spriolnvurtc; er fühlt, dass ilnn damit
eine allgemein anerkannte Wahrheit aus dem Munde des Volkes strafend ent-
gegentritt. Überhaupt sind mit Bedacht in alle Theile des Buches Spricli-
wSHergruppen eingestreut worden. Es ist sehr zu beklagen, dass die Sprldi-
wörter immer mehr ins ^ i l ssen kommen. Da die meisten erst durch Lebens*
erfabrung recht verständlirli wrnli ii und diese ira Jünglingsalter verhältnis-
mäßig eine größere ist als im Knabenalter, so hat auch die Fortbildungsschule
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eine noch giülitfie V erpüiclitung als die \ olkf»8chuie. die Spricliwürtei" wieder
in den Kond des Volkes mrttdunif&hren. Nr. 7 gibt einige aur^nde Bei-
spiele lernbegifrig^er Jttnglinge. Der Lebrer wird diese Beispiele ans dem
Scliatze seiaes Wissens zu vermehren haben und nanientlicti auf das Jugend-
leben ..sen)st{rpmachter Leute** liinwt isen müssen. Hiichst ungern verachtete
ick z. 1>. aut eine Biogi-aphie Franklins. Jedoch bei dei* leidigen Rücksicht
auf den Baum and Preis eines derartigen Bnelics Idttte sie nur knapp gehalten
werden kOnnen; eine kna^M bfilt aber an ihrer Wirksamkeit viel ein. £a
werden dalier die Schiller auf die VolksbibUotheken zu verweisen lein, in denen
mau wol kaum vergeblidi nach einer Biographie Franklins fragen dfirfte.
(Schlnss folgt.)
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Lehrer, Banemabende und Volksslndien,
£m ollener Briet an ei*stei*e.
Tod WUHbata Jfagi'Wkn.
Wenn (h'V Schlnss unseres letzten Aufsatzes: „Unsere Banemwelt nnd
die .^tndien iUier Sjiraclie imd Wesen des Volkes"*) ein Programm zur luan-
gnii'nalmie und Verwertung dieser Studien für die nächste Zukunft'' ent-
bifllt» to war damit nicht etwa gemeint, es mUe nun die Lelnenclialt sofort
■inl ohne wdten an die ihr zugedachte Aufgabe, die Veraostaltiiiig von
„Banern:t>if'nrlt>n" ^ehen. Es werden vielmehr noch mancherlei Hindemisse
früher zn I fwilltipren sein. Anch insofern bedarf der obige Ausdruck „in
nächster Zuicouft** einer iurgän^^ung und Berichtigung, als die „Baaernabende"
nicht etwa blos den Anfang nnd Aafachwnng des gepaarten voUcathlni*
lidien Wirlcens mid Forschens sein, sondem unter steter Verbeoserong und
Ansbildniif: dei* anf den Tianemabenden beobachteten Unterhaltungs- und Beleh-
rungamethode immerfort beibehalten werden und somit auch ein eigen es
Ziel für sich bilden sollen. Damit aber der Eifer and die Kraft der
Lefanr in Venaataltiing solch«» Abende nicht eriahae und damit dw Stoff an
denselben nidit enehSpft werde, mnss noch eine Reihe weiterer Veranstal«
tungen getroffen werden, die wir in dem gegenwärtigen Aufsätze ebmiklis
be^rechen wollen. Wir haben somit heute die Fragen zu beantworten:
Welche Hinderui&se ätellen sich der Veranstaltung von läudlidien Unter-
haltoogsabeDden entgegen, welche Bedeutung liaben diese Hindernisse, und wie
sind sie zn flberwinden?
Welche SteUong nehmen diese Unterhaltangabmte ond mit ihnen die
Lehrer in der gesammten litemriseh-volksthiimlichen Bewegung ein nnd welches
ist der Zweck, Umfang nnd die üliederang der letzteren?
W^ir gehen an die Beantwortung der ersten Frage.
I.
Die Mehrzahl der heutigen Lehrfi- liiUt unsern wit^derholten Anfforde-
rau^eu in stiller Kps er ve praiiz K*'\viss die Meinunir <'ntK«'l?«'n : ..Eine sidchc Thä-
tigkeit, wie die Verauäiahung von Uuterliultuugsabeuden auf dem Lande, ge-
hört nicht xn nnserem Banfe, ja, steht mit demselben nicht ehimal in rechtem
Zusammenhange." Diese Ansicht ist für uns ein großes Hindernis. Aber
schon da* Umstand, dass d«r ganae Plan der „Batumabende" in seiner Zweck?
•) Ptedagogium FV. S. 44 und 5». 95.
P*dAgogiam. &. Jahrg. Htft V.
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mäßigkeit jedem Leser zunächst unmittelbar einleacbtet, und erst die Er-
wägung der näheren Verhftltiiiase der Lehrerwelt in Bezug auf Bildung,
sociale Stellung ele. etc. in Oun Bedenken über die pnkttoehe AneflUirbariLeit
des Planes wachmfettf l&sst uns ahnen, dass wir es hier mit eiu 'iti uatÜr*
Ii -fi'-n Krf-irtlt^rnis zu tlinn liabfii. dem sich küngtliche Hiinicrnisse
ent^t^tif ii.stelleii. Dem klar iiiul richtig Denkenden ist doreh diese Ahuiuig
auch schon der Schlnss nahe gelegt : Das natürliche Erfordernis soll mit Eifer
verwirkUcht, die kttnetUdien HindernisM an jeden Preis beseitigt werden.
Diese Ahnung — welche, weil sie etwas Unmittelbares ist, sidi sllen ftat
gleichmäßig anf liifngt — ist es anch. wHchf* st^lbst jene von oinor sofortigen
offenen Erklärung ijeK^en nnseren Plan abhält, die im Herkömmlicheit gar zu tief
befangen sind und daher das Neue, mit den gegenwärtigen Gewohnheiten des
Lehrerlebens nicht Stimmende des Planes and damit diesen selbst swfickweliett
milssen. l ud hiermit glaube Ich die Stimmung des weitans grSBeren Theiles
der Lehrer ilnn neuen Anrp^nsrn ffPE'enülH^r erratli^^n. hoffp aber auch, den
Standpunkt £r«'oroben zu haben, von dem aas diese Lehrer ihre Stimmung be-
ortheüen sollen.
Wir kSnnen nns aber hier selbstvemUbidlieh nicht mit Ahnnngen be*
gnflgen, sondern wir mAnen neigen, dass eine umfassendere Wirksamkeit der
Lfhrpr dem Volke grgcntibpr. wir i » sich z. B. in Banerabeiiileii . VortrüsTPn.
auch Abfassnno; kleiner \'olksschritten etc. betliätigeu kann, in der That ein
natürliches Erfordernis ist. Es existirt ein Stand, der für die reit*
giSaen Bedttrfliisse des Henschenf von der Gebnit Us amn Tede^ tm sorgen
hat, — der Priesterstand. Hat aber das Volk nicht anch geistige Bediif*
nissf rein weltlirher \atur? Kann der Geistliche diese befriedigen, kann er
z. B. über die staatlirhen Pflichten des Büi^ers. über Landwirtschaft, Bota-
nik etc. von der Kanzel herab in sachgemäßer, ei-schöpfender Weise sich er-
gehen? — Ja, wendet man ebi, n aD diesen KenntalneB wird iet 6mnd in
der Sehnle gelegt, dem Kinde beige1a«eht, und ein jeder soll sieh Zeit seines
Lebens in den weltlichen Kenntnissen und den gesellschaftlichen Tugen-
den — worunter wir ni'^bt T'nterlialtnngstalent. sondern Eignung: zur Erfül-
lung der Pflichten des gewerblichen und geschäftlichen Verkehrs verstehen —
weiterbilden. Wer that dies i^ber? In den Stftdten liest man Zeitungen und
Bomane, auch sonst ntttaliche Schriften und Bfteher, ist also wraigstens be*
strebt, die weitliehe Bildung zu vervollkommnen. Es fällt nieht unter mein
Tliema, zn er?>rtpm. inwifMvpit das gemeine Stadt- und Fabriks%'olk in diesem
Streben auch glücklich und mit Erfolg belohnt ist. Aber das Landvolk
thnt zu seiner-weiteren weltlichen Ausbildung auf geistigem uud
moralisehem Gebiete erfahrenermaBen nach dem schulpflichtigen
Alter nichts mehr. Das Landvolk ist daher in diesen beiden Hinsichten
ganz hohl und eitel, nnd. da es auf reli{?i()8eni Boden tortwälirend An-
regung" empftlngt, so ist es kein Wunder, wenn der Bauer schließlich von dem
religiösen Überschuss auch auf weltliches Gebiet hinüberpüauzt, wenn er x.. B.
lieber geweihte „Palmsweige'* unter den Dachfirst steckt» als sein Hans asse'
enriren Iftsst, wenn er seiner milcharmen Enh lieber Weihwasser etagieSt, als
das Futter Jindert.
Wenn die fortschreitende Cultur auch nicht eine stets höher«» An«bildunir des
Verstandes, eine — was wir besonders betonen müssen — stets größere iSchulung
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und KiMügung des WOleu und des ArbeitsBinnes erfordern würde und dar
BanerastBiid ohne getotige «&d dttUdiA Hebno; neben dieser Cnltiir imd ihren.
steetUdMa wie socialen Anfbfderangen noch zur Noth inithinken könnte —
natürlich nnr als Paria — so mii««tf'n wir dorli nn sich schon eine solche Ver-
aachlässig'un^ der weltlicheo Erzieliuug des Bauernstandes als unverzeihliche
Sünde an so vielen menschlichen Individuen mit dem ganzeu Aböcheu, deäd^n
usere Seele Waäg ist, Terwerfen. Mir bnben sogtr „Gebildete^ in Wien,
wenn ich ihnen von der Znrückgebliebenheit nnd Verbildong des Landvolkes
erzitlilte. die schändliche Antwort gregeben: „Ja, diese Leutel kennen in ihrer
Zurückgebliebenheit nichts Besseres nnd deshalb fühlen sie ilu* geistiges und
moralisches Elend nicht so stark." Solche „Gebildete'* verwechseln wol aach
aorttckgebiiebenheit mit natnrlidnai Umutand, nnd läppische Idyllennuusher
besttzken dnrch ihre abgeechmaekten Machwerke die Intelligenz in der nn>
gpuehmen Übei'zengTing'. dass es da draußen beim Landvolk ohnehin nichts zn
bessern ^äbe, indem selb» »! die Unwissenheit und „Naivetät" beinahe woler
bekäme als uns die Biidung^. Diesem Irrthom g^enüber behaupte ich, dass
der MeuBoh mit «einem geistigen nnd littUdira TheQe ebenae in einer iteten
BewegnniT begriffen ist, wie mit seinem körperlichen, dass daher, wo Icein
Fortschritt gemacht wird, nothweudig- ein Rückschritt eintritt, dass also die
ZüTÜPkgebliebenhcit. insoweit eine solche zu constatiren ist, schlechter ist
als ein ursprünglicherer Zastand. Die Anlage des Au&atzes hindert
mich, dteen Gedanken Mer des Weitoreo amniflUmn; ieb man daher den
Leeer dringend bitten, seineneit ehie grOBere Ahhandlang an leaen, betitelt
»Eän fehlerhafter Volkscharakter'S welche bis ins Detail die Schäden der Ver-
nachlÄssigunsr an den Einwohnern eines niederösterreichiseben Gebietes
darlegt und welche ich ebenfalls in diesen Blättern veröffentlichen wilL Bedenkt
man nun, dass T«B den 36 Hillionen Oateneichem 22 Millionen Laadlente
rind, ae dürfte ee wol aneh im Intereeae dee Staate« nnd derlntdUgennedn,
das Landvolk, welches notorisch durch BQcher nnd Schriften nicht zur Eni-
wickinng" seiner Anlag^en bewogen werden krinn, dnrch persönliche Ein-
wirkungen zu heben, ähnlich, wie auch seiu religiöser Sinn fortwährend durch
persönliche Einwirkungen in Predigt und Beichtstuhl selbst bei den Erwachse-
nen noeh geoUirt wird. Und wenn nnr erat eine entaprechende Aniahl über
die Landbezirke zerstrenter gebildeter Männer von dem Bewusstsein getngeB
sein wird, ihre Sache sei ps die weltliche Bildung des Landvolkes zu ver-
mitteln, auch die Erwachseneu noch fortwährend zur bessejen Entwicklung
der vorhaudeuea körperlichen und geistigen Anlagen anzuregen — dann sind
wir «cihon anf dem riehtigen Wege, dieBanemadiaft endlich aneh einmal vor-
wärts zn bringen und das seit vidleieht mehr ala einem Jahibnndert an ihr
VeMÄnmt*' allmählich nachzuholen.
Fragen wir jetzt: Welches soll denn nun diese „Anzahl gebildeter Män-
ner"', dieser Staad von Volksbildnern, um concreter zu sprechen, »einV
Soll etwa der Staat einen nenenVolkabildnenlaadoonatitnirennndbeaolden? Daa
wird gewiss nicht geschehen. Nur einem der bereite bestehenden Stande kann diese
Anfjrabe jotgetheilt werden, und unter diesen kann nnr wieder vom g-eistlichen
und vom Lehrerstande die Rede sein, weil ja nur ilue An^rehüriffen gleich-
mäßig über das ganze Land vertheilt sind. Ich habe aber schon anderwärts
dargelegt, daaa der Geiatliche mr Veranataltnng von Unterhaltung»- nnd Be*
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letmuigBalieiHl«!! wealgsteiu iweh kstholiMlMii BegtilRni sidi aidit herbeir
iMsen kann.
Somit bleilit nur der Leliierstand übrig. Und brancht ea denn
diesen Umweg, um einzuselien. dase derienige, dt r die Jugend bildet, auch bei
den Erwachsenen noch fortwährend nachhilft, wo sie dessen bedürfen? Ist es
dorn gKt 80 achwierifr und g«r w Tid yariangt tob denLebrem, daas aiesidi
SonntegB oder Samstags eine Stunde lang in angemessener Weise mit ihren
Baupi-n anterlialten, diese Unterhaltung leiten und bieten, wenn ihnen — wie
wir später nilher erörtern werden — schon der Stoff tur diese Unterhaltunj^en
zxa Aoswabi zugeschickt wird? Diese geringe Mühe steht ja in gar keinem
VeriiSltnis fo dem Nntsen^ den sie dem Lehrerstande bringt. 9o ofk werden
Klagm tantv dass man keine vollkommene Methode ausfindig machen kBone,
um den Kindern dauernd und fürs Leben den Lehrstoff beizubringen. Man
lerne also erst, die Erwachsenen zum freien Besuch der Unterhaltungsabende
heranzuziehen, indem man auf das Angenehme und Anziehende in Bei-
bringung des Wissens und der sittlichen BegriiTe das nSthige Gewicht
sn legen sich gew5hnt, und man wird dami andi den nndam gegentther
am eine richtige Methode nicht im Zweifel sein. Diese Wahrheit sollte
man di-n Lehrern jeden Tag vnrpredigen. Aber nieht allein die Me-
thode in der Schule wird eine lebendigere und fruchtbarere werden. — auch
die öffentliche Geltung des Lehrers in der Gemeinde wird eine ungleich höhere
sein, wenn derselbe in fthniieher Weise, wie d» Priester die religiöse, die
weltliche Bildung anch den Erwadisenen berufsmäßig vermifetett, wenn er als
dieser Vermittler allgemein an^^rl<annt ist. Wir wol]pn hier noch nicht aus-
führen, wie viel dabei die persönliche Durchbildung des» Lehrers gewinnen moss,
weiai er das gesammte öffentliche IVeiben, den ganzen Lebensgaug jedes ein-
Mthien stndirt und flberwaeh^ um ihn richtig beebiHnaeeo mt können, — wlh-
rend noch heute Schulmeisterlein als das unpraktischeste Ding der Welt be>
trachtet wird, I i - vn Leben draußen zu gar nirht.< taugten kflnnte. Wir wollen
aucli niclit ausiuiiren. wie sehr sich der Nachwuchs an jungen KrJlften qua-
litativ bessern mOsste, wenn der Lehrerstand zu dieser ihm naturgemäB ge-
bärenden Höhe des Bemfes erhoben würde. Gar mancher würde es voniehen,
ein solcher angesehener Apostel des Volkes zu sein, statt im engen staubigen
Lehrzimmer einer undankbaren G^mnasialjugend todte Sprachen ra tradiren!
Es ent!5tiindt' in den Dorfgemeinden eine heilsame Oncurrenz zwischen
dem geistlichen und dem weltlichen Volksbildner. Freilich anfangs würde
nnd wird dieselbe mitunter gehlssig ansfallen, wie es in der Segel geschieht,
wenn ein Neues neben dem Alten sich zu Bedeutung erhebt. Ist aber derB^
ruf de.s Lehrers in dieser neuen Geltung durch die Gewohnheit panctionirt,
dann hört auch gewis.'i die Gehässigkeit auf. und Pfarrer und Lehrer wer-
den mit vereinten Kräften im stände sein, das geistige und sittliche Leben
der G«mehide zur höchsten Blüte zn bringen.
Daa einseitig gdstliche BeeinÜnssen der Dwfbewohner bringt ohndün
mancherlei Nachtheile mit sich. Der Landgeistliche wird nicht controlirt und
hat leider nicht immer die Gewissenhaftigkeit, auf dem Gebiete der weltlichen
Dinge, die er in die Predigt aoihimmt, sich mit Strenge an die Wahrheit zu
binden. Welche Gcsddohtsfilsdbnngen, entnommen ans kritQdoaenErbanungs-
büehem für Betschwestern, werden da oft vorgetragen! Wie werden die
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Intentionen maBgelMiider PersönlicUceften oft entstellt und das Volk gegen sie
oecupirt! Und doch ist die Versachnng, auf diese Gebiete überzugehen, tUr
den Dorl^tanrer am so größer, als die Zuhörer dergleichen sonst uii^nds zu
bOren bekommen und daher hier begierig aofiiehmeiL Ist aberjemand im Dorfe,
bei welchem die Leute diese Dinge rabiger und riditiger zu bOren bekommen,
dann mos« sich solch ein nnbedachteamer Prediger auf einmal gt^Aerer Ge-
nauigrkeit b» fleißt^n. Ja. fl^r T.p!ir»'r diese weltlichen Gegenstände zum
eig:entlichc;u tiegenstand siines Vortrages machen, sie daher nmständlicher,
genauer und mit mehr Interesse behandeln kann, so wird der Prediger, dei-
darfak «nrflekbleiboi muB, de nieht mehr m ftnSeriieben Put»- nnd ZugmitMn
seiner sonst oft so leeren Predigton Terwenden kOnnen, sondern gezwungen
M'in. wirklich religi5se Erbaanng zu predigen, und so die Starke seines
Vortrages im rein Geistlichen zu suchen, wie der Lehrer im "N\'eltlichen.
So iüt mau tu ja in den größereu Städten schon li]lug8t gewolint, und gewiäü
nicht zum Naditheile wahrer BdigioBitSt nnd wahrer Bildong.
Also hinweg mit dem Vonirtheil, als ob der Lehrer zu d« i m n imä er-
innerten Thätigkeit nicht berufen sei. Die bisherige Gewohnheit, die Ei-zie-
hung im »Seminare, die Mf^innng der Menschen, — dies sind alles lauter wichtige
Factoren, aber sie sind keine Naturgesetze. Die Verletzung eines >>utiir-
gesetnes milssto sieh allerdings rSeh^ dnrdi Verwimuigeii nnd NaehtheOe
aller Art Auch die menaehliche Gesellschaft hat ihre Naturgesetze,
durch deren innner genauere Beobachtung sich die Menschen dem Ideale der
Gesellschaft zu nähern haben. Ein soiclie« Naturgesetz ist es aber auch. dass
der weltliche Lehrer ein Becbt hat, die Unwissenheit zu bannen, wo er sie
tiiflt, ob in Kindern, ob in ErwacfaseoML Und so lange die Lehrer noeb ge-
ttsseBtUdi anrttckbleibeB hinter der AnslUlnng dieses ihres Beehtes, so lange
haben sie an den Strafen zu leiden, die ein verletzte s Naturgesetz eben nach
skh zieht: sie s:ehen sich von der Menge, die ste geistig ))eh»'rrscheu könnten
und sollten, nicht hoch genug geschätzt und geachtet, während ihi-e Aufgabe,
die Erziehung der Majorität der Oesellschaft für das Leben, gewiss eine
edlere und erhabenere ist, als etwa die Endehnng fttr eine elnnhie, oft ganz
einseitige oder abetracte Berufsart; sie sehen ihre wirklich anstrengende Arbeit
auf einem doch so nothwendigen Gebiete, wie die Schulerziehnng ist, im Ver-
hältnis zu anderen Lehrständeu und überhaupt Bernfsarten nicht hinlänglich
belohnt. Hat doch der Taglöhner einen größeren Tagesverdienst als der
üntorlehrer.*) Die Schuld hieran ist die, dass die Lehrer sieh nieht ihre
natnrgemäße öffentliche Gditnng an erringen vermögen, da sie hinter dem Ideal
eines wahren Volksbildnercorps noch zu weit zurückstehen, — weil sie noch
in ihrer Zaghaftigkeit und trägen Plattheit das Naturgesetz ihres
Berufes misshaudelu.
Wie kann also ein Lehrer, der von seinem Berufe hoeh nnd edel denkt,
ohne einschränkendes Vomrtheil, — wie kann ein solcher sagen: .Tcli habe
meinen Schulorgainsations-Entwurf und meinen Lelirplan; ttbw das hinaus ist
selbst das Streben schon ein Unsinn!"'?
Da schüttelt mir nun einer den Kopf und meint: Wie wird man aber die
*i In England tte^ der Oehalt der VolkMdinUehrer von 1000 iL Ins auf
mo a YgL Ftodsgoginm IV. S. 501.
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Erwachspiion danernd an diese »Baneraabende" binden können? Wie wird
man vesrkiudmi, da«8 mnthwillige Personen, wie es deren ja besonders in wein-
erzeugenden Gegenden immer gibt, durch unzeitige Späüe und Posaeostäck*
leil die Beinflhitng«ii des Lehren vereit^? Es gehOrt ja sdimi efai gtmm
Herrechertalent dazu, nm hier die richtige Methode heramtsoflnden
und einznhaltt-n! — Wir sehen also, dass die Verlegenheit nm eine pas-
sende Methode, mit den ürwaehsenen zu verkehren, sie an sich zu fes-
seha» ein zweites Hindernis ist, das der Verwirklidinng unserer Ideen ent-
gegensteht.
Gegen evenlndle httbische Streiehe moss abv emikdi die OiwiglEeit
angerufen werden. Es ist gar nicht zu bezweifeln, dass, wenn die Leitung
der ^nn'/m Angrelepenheit in den Hünden vertrauenswürdip'r patriotiseher
Männer ruht, der ^taat sich bewegen lassen wird, die gute Sache in seinen
Schntz ni nehmen und mnthwülige insvtten ide Störungen von Amtshaad-
longen strenge sn bestralbn. Eine negative Seite der gesaehten Hetbede
Wftre somit klargestellt, es handelt sich aber mehr um die positiven.
Es wird für den Lelirer eine wesentliche Erleicht^nin? sein, dass ihm
der Stoff zu den „Bauernabenden" zugeschickt wird von einem Coiuite, das
von vornherein auf passende methodische Abfassung und Anordnung des Yor-
tragsstoffes Bedadit nimmt and anch die nMhigea Studien macht, um dies mit
Erfolg tliim zu kennen. Aber i«i«>ftrhto iwlrd auch auf den richtigen metbo-
di.«clieu Takt des T-^lirers noch so manches ankommen, einerseits, weil er
ja iü der Wahi aas dem Zugesandten sieh selbst überlassen bleibt, und üher-
haupt^bei der praktibchen Ansfähiuug vei-schiedeue Dinge auftauchen kön-
nen, die dem Comil4 seibat bei der reellsten tfaeoretiscben Yerarbeit entgangen
sind, und andererseits, weil dem Lehrer durchaus und priadpieU die Frei-
heit gewahrt werden soll, ^nn^!l^n|?ig vom Comite Selbstverfasstes oder sonst
Taugliches seinen Bauern mitEuiiieUeu, was er eben nach den speciellen localen
Verhältnissen, Sitten, Charakterschwächen etc. d&r notii wendig findet Wir
glauben also hier dnige mediodisoiie Winke geben au müssen.
Vor allem wird unabweicblich der Grnndsats festgehalten
werden mftssen: Das .^ns-enehme mit dem Nützlichen zn paaren.
Es ist ein Naturgesetz, dass das wahrhaft Nützliche zugleich auch wahrhaft
angenehm ist: Der normale Appetit des Magens verlangt stets datyenige, was
dem S6rper just zntrilglich ist, und eben in ficrQi^alchtigung dieses Yer*
langens liegt zugleich die hOdiste Annehmlidikeit beim Genosse der Speisen.
Eine Kenntnis oder eine Reihe von Kenntnissen, die der Geist zn seinem nor-
malen Ausbau bedürfte, die ihm aber lange vorbehalten werden, werden mit
heißem Wunsche verlangt, und die Befriedigung dieses Wunsches — ein Ober-
ilftdilicher mag ihn Neugier nmmen — ist angenehm. Irgend, eine That, eise
Entschlieftmig der Gemeinde wire sdum llagst nothvendig gewesen, manfthlt
allgemein das Bedürfnis danach; legt sich nun einer mit enei^schem Willen
drein nnd veranlasst die Gemeinde zn raschem Entschlnss, «*> übt er zugleich
eine wolgefällige Handlung ans, ob er gleich ziemlich rauh und derb dabei
ist. Bin ich lange elneriei Gefühlen nachgehangen nnd war ich in Gefahr,
darin au&ngehen, so wirkt deijeaige woitlAtig und angenehm auf mich ein,
der endlich dnmal andere Geftthle in mir wachruft. Und so ist das Nützliche
wie das Angenehme immer vereinigt bei der Erfüllung eines wirklichen ße-
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dürfnigses. — Ich weiß, es gibt genup Beispiele, diiss geradf das Nützliche
unanirf^nphm ist, aber alle diege setzen einen almonnen Grund^iustand voraus:
Krankiieit, verzogener oder aasgearteter Charakter etc. Der uonuale Mensdi
aber darf seinen Geffthlen und seiner kBiperiichen Empfindung tränen, da ihm
dkM von der Natnr als Cmlrale für das Niltsliche und Richtige beigee«lien
sind, und glücklich der, bei Weichau diese controlirenden Factoren aDieitig
gleich lebhaft tind erregbar sind!
«Ja, — aber die Bauersleute »ind eben abnorm, aonat brauchte mau sie
ja nicht zureeht m richten?!" Wenn ich einen Menschen „abnam" nma»,
to heifit das» er hat canen gewissen Procentsatz Abnormes an sich. Würde das
Abncnne fiher das Normale überwiegen, so könnte ein solcher Mensch moralisch
wie physisch gar nicht existiren. Bei den Ranci-slenten ist aber die
physische und auch die moralische Existenz noch immer müglieli, das Nor-
male dahei' im ganzen und großen noch immer stärker, wenn auch in vielen
Einxelheiten das Abnorme Oberwindet. Auf jenes hat daher der YeUcs*
büdner pädagogisch zu fMen, nicht auf dieses. Das Abnorme ist zudem in
Terschipflencn Menscht ii nnd selbst in dem nllmlielien Menschen bei verschie-
denen Zeitrü und Veriiaitnissen so verschieden. dai?s es ^ar nicht als verläss-
liche Grundlage für ein piklagogiscbeH System dienen könnte. Also das,
was im gansen am hesten gefallt, den' meisten Zuzug hat, Ist das
Rlehtigste fflr den Vortrag, womit aber nicht gesagt ist: das, was am
lautesten gepriesen wird, weil ja das intliümliohe Urtheil einzelner maß-
gebender aber abiioi-mer Fer*<)nlichkeiten oft viele g'cdankeTilnse oder unehrliche
Nachbeter tiudet. Der Lehrer muss daher streben, das walirhaft Gefallende
auch noch an aodersn Kennzeichen zu errathen, tun nicht vom Gerede und
iaBerlichen Treiben Irrender und Irregeleiteter selbst verfülirt zu werden. Er
mnss im Mienenspiel, in der durch den Vortrag' erweckten S:tiinniuii<j: der Zu-
hörer erkennen, ob derselbe ein richtiger war. Ist der Lelirer st lh.it reif,
durcht^ebildet, so kann er sich zumeist auf sein eigenes Ciefallen verlassen.
Hat dne Sache im ersten Vortrag gefallen, deren Fortsetzong im zweitoi
aber nimmer, so soll das dem Lehrer ein Wink sein, das bereit« ein anderes
Bedürfnis dringlicher ist, als das dtirch den ersten Vortrag einigermaßnn
gestillte oder geminderte nach dieser betreffenden Saclie. Diesem Wink muss
gefolgt werden« Es bandelt sich ja nicht um die erschöpfende, systematische
Barstellnng dieses Gegenstandes, sondern nm dessen stüdtweise Ühersetcnng
ins BIgenthnm der ZnhVrer nnd damit ins Leben. Der nttchste Vortrag
wird daher schon wieder einen andern Gegenstand zn behandeln habot,
nnd erst nach längerer Zeit s«dl die Reihe wieder von vorne ht trinnen.
Überhaupt ist die Abwechslung in allem höchst notkweudig, und in
onbedentendsten, äoAerlichsten Dingen oft am allemothwendigsten. Wenn
das Ange des ZnbSrtts inuner dasselbe Pnhiieam sidit, sein Ohr immer den
nimllchen Ton im Vortrage hSrt, — so macht das dnen ermfldenden Eindruck.
Der Lehrer wird dah^r manrhma! nur Milnner zulassen, so z. 1< wpüti eine
Erörterung oder tendt nziüse Erzilhlung über geschlechtliche Dinge uothwendig
wird. Um nur Frauen zuzula^eu, muss er sich des vollen Vertranens der
Gemeinde sieher sein, sonst wird er lAeherlich. üm Ahweehslnng in die Vor-
ttngnweise hineinzubringen, soU er öfter einen benachbarten Collegen einladen,
einen Vortrag zn Imlten. Besonders viel Abwechslung kann in den musika-
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iischen Theil der „BaaernabPTide" gebracht werden, indem bald ein ernstes.
" bald ein heiteres, bald ein trauriges Lied, bald einstimmig^, bald mehrstimmig,
bald von Kindern, bald vun Erwachsenen gesungen, oder wol auch verschieden-
«rtige Instnunentalmtuik gemacht wird.
Wenn diese „BaaenwbeBde^ in dmLMidfeneiindtti erüffiiet werden, wird
es hofüiiktUch anfangs jedesmal sdir viele Theilneluner geben, denn das Nene
hat ja immer nnd überall groBe Anziehungskraft. Dann dürfte aber bald eine
län^erp Zf^itjwnode folg-en. in wrlchcr der Reiz der Neuheit vei-soltwniHlen. <Ue
Überzeugung von der Nützlichkeit und dem Werte der Institutiou aber noch
nicht tief genug eingewurzelt ist, der Besuch daher sehr schwach ansfallea
dürfte. Es wSre eine ünldn^eitf wollte man in dieser Periode den Lenten
diese ünterhaltungsabende gleichsam anfhSthigen und trots ftmoi Besuches
dieselben dmh regelmäßig, z.B. alle "Wochen oder alle 14Taiare. veranstalten.
Ist der Besuch schwächer, so soll man sie seitenei' abbalteu, nur niemals über
mehrere Monate fortschieben, weil das einem gänzlichen Aufgeben des Institu-
tes glidie nnd dasselbe in den Angen der ÖflTnitiiclikeit m seiir discreditiren
mUsste. Erst mit steigender Frequenz der Bauemabende soll der Lehrer wieder
aaf deren Öftere Wiederholnng bedacht sein.
Am schnellsten wird es vorwärts gehen, wenn er sich bemüht, getreu nach
dem Vollcscliarakti-r. besonders wie er sich an den jünfreren Leuten von
20 — 30 Jaliren ausprägt, sich zu richten. Dieser ist freilich oft in benach-
barten Qaaen schon ein verschiedener. Überall soll daher der Lehrer seine
Dorflente beobaehten, auf dem Felde, Im Hanse, in der Kirche, anf der Oasse;
er soll sich Idar werden, ob sie z. B. fromm, oder bigott, oder heucUerisdl
ofliT (ItM-h irreligiös sind; ob sie sich gerne pla^n bei harter Arbeit, nm nur
das l'enkea zu ersparen; ob sie Iiiteresst- am Staats- oder Gemeinde wesen
haben; ob sie im Verkehre lebhaft offenherzig, oder kühl reservirt sind; ob sie
gome streiten und ranfen, oder lieber mnfBen «nd sich heimlichen Schaden ni>
fügen; ob sie mehr Interesse für Heilkunde, oder Geographie , Oder niuunels*
kuüde etc. haben, ob sie auf landwirtschaftlichem Gebiete gerne Belehrung
auüekmen und dieselbe auszunützen versuchen, oder ob sie stan Wim Alten
bleiben, — und was derlei Eigenschaften nucb mehr üud, die ui liuer tau-
sendDUtigen Schattining erst den Volkseharakter eino* Gegend ausmachen.
Und hat er hiebe! die wahren Bedftrfhisse des Volkes ermittelt, dann wird er
grewis«? niTf^h Passendes, Nützliches nnd zugleich Interessantes zum Vortra^ps-
stoiT für seine Unterhaltungsabende auszuwählen oder zu schaffen verstehen
und sich zahlreichen Be-suches eifi-euen.
Eine solche Ertahrenheit in der Beeinflussung der Erwachsenen wird ohne
Zweifel vom günstigsten Einfluas sein sof dieUnteniehtsmethode inderSslHiIe.
Ja, es klingt dieBefaanptnng wenn andi ktthn« so deeh nicht nnwahrscfaeinUeh,
dass nur auf dieser Arena der allgemeinen Volkserziehung der schon
so lange bestehende Kampf nm die rieht ig-e Sehiümethode erst endgiltig aus-
gekämpft werden kann. Drei Gründe sprechen hiefur. Erstens ist vor den
Erwachsenen die Nothwendigkeit größer, eine m^lichst lebensvolle
Methode sn sndimi nnd einznhslten; sonst gehen einem die Lente dayon, nnd
haben Becht dabei Die Kindesnatur ist nachgiebig, wird durch den drohen-
den Schulzwang an ihrer wirksamsten Beaction gegen Veigewaltigongen ver-
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hindert, und um» aieh ith» Meh mit unrichtigerer Behandlong alrtbiin laaien.
Die Methode an den .,BanpnialMMidon" wird aber nicht blos loltPTi«vf»ll pein
mössen der Form nach, indem alle^j Lehrhafte möglichst in den Mantel der
Unterlialtiuig gehiillt wird, sondern anch dem Stoff nach, indem nur Der«
artiges geboten wirdf was wirklichen Wert An Leben hat, so dass alle scho-
lastischen Spitzfindigkeiten and aller Ballast wegftUt Dann käme dasrömisoihe
Vitae (1i?rpnfinm ( fürs Leben lerne") endlich einmal zu Ehren, nachdem es
unter ewi^^t i Xiclitl i folg-uiier -so alt geworden. Zweitens darf man sich die
Natur des Kinder gewisser Eigentliümliclikeiteu wegen von derjenigen der £r-
wMhseneit nidit m lesgelBst, so muiMiAngig nnd yenefaieden denken, dus man
jene venteben und bebandeln könne, ohne aach diese zu kennen. In den
Erwachsenen liefen nllp jene Eig^'nsf haften bereits entwickelt vor, die in Kin-
dern kanm als zarte Keime bemerkbar sind; wer diese erkennen und richtig
behandeln will, muss erst jene Eigenschaften der Erwachseneu kennen und zu
behandeln Tentehen. Ich xweifle, ob die MdmaU der Lelmr genug theore>
tische Menschenkenntnis besitzt. Dessen aber bin ich fewiss, das sie prak-
tisch die Erwachsenen — also die Menschen sdileolitweg — nicht zn behan-
deln nnd zn beeinflussen geübt haben. Dieser Maugel muss nnn wenimTi^er
Grandsatz uns nicht getäuscht hat^ nothwendig auch in der Kindt i t i /u hung
immer fiUklbar bleiben, so dass erat nach denen Behebung die endgiltig richtige
Sehnimethode praktisch ftberall erzielt werden kann. Die Henschennatar ist
eben durch all' ilire zeitweiligen Erscheinungen hindnroh ein untheilbares. in
sich gegliedertes und geschbissenes Ganze: und wer sich nicht getraut, die
ganze zn erfassen nnd nnr nach einem Theile oder einer Erscheinung der-
setboi (also z.B. der Kindesnatnr) greift, der wird bald die tranrtge Benm^
kong maehen, dass «t gar nichts in den Hhnden behaltMi kann. Ein dritter
Grund, warum die „Bauemabende" dem Lehrer die richtigste Methode im Un-
terrirht und besonders in der Erziehung der Kinder nahelegen müssen, ist die
Unreitheit und Zuriickgebliebenheit der Bauern. Der Grieche nannte
die Kinder „paedes" (daher „paedagOgos" „Kindererzieher"), aber aach die
Sdaven nannte er „paedes^, ob sie alt oder jong waren. Das Unreife des
Charakters, wie es sich an den Sclaven in Ermangelung der Freiheit darstellen
mnsste. und daher die gleichm'll'i?»' Behandluner '1er Kinder und Sclaven gab
wol Anlass zu dieser gemeinsamen Bezeichnung. Auch unsere Bauern sind
im Vergleich znr geistigen Höhe des Jahrhunderts unreif, sind znrttek-
geblieben, sind Kinder, wenn anch Jost nicht kindlich. Sind doch selbst
die Kinder nicht alle kindlich. Und wenn die Bauern — bei ihrer vielsei-
tigen Znrückgebliebenheit, die, so weit eine solche eben vorhanden ist. bekannt-
lith noch schlimmer ist als der kindliehe Urzustand — auch nicht viele \'or-
zöge mit der Kindesnatui gemein haben, so haben sie doch viele Gebrechen
nad Sehwlehen mit fiir g«n^ Angst vor der fremden Antorftät Ins aar
Erstickung jeder Einwendung, ttnd geheime Unabhängigkeit des Herzens von
dieser Autorität zeigt der Bauer wie das Kind. Rach.sucht, die sich aber aas
Scheu vor den strengen ^'orboten nicht ans Ttigesücht wagt und sich daher
in tdeinlichen Dingen Genugthuuug verschaö t, zeigt sich beim Bauer, wie heim
venogenen Kinde. Wir kannten noch geistige Korsslchtigkeit, Willensschwlche
und ein Dutzend anderer Vergleichspunkte anfuhren; aber die gegebenen An-
deatongea dttiften schon genfigen sn wigen, dass der Lehrer bei BekftmpAing
— 324 —
bäncrIiclH r Gebrechen so nuuMha bnoofabar» ErüMmiig fttr die Buhanfflimg
der Kinder machen wird.
„Gerade diese Zariickgebliebenheif, höre ich einwenden, „dieaer
entstellte Charakter des Banernvolkes in vielen Gegenden ver-
leidet einem Jede directe BeechiftiirttBff mit solchen Lenten." In
Mtmde eines Mannes, der znr VolksbQdonß: berufen, ist das die Sprache der
schändlichsten Fei^fheit, die sich ay«»! noch nnter dem Mantel der Noblesse ver-
bergen möchte, als wäre es gar eutwuj-digend, an r^cUese Leute" mit edlen Ab-
sichten heranzntretoi. Wenn die blnerliclie Znrfickgeliltabnli^t m eoleher
Igncvirang berechtigt, dann dflrfto man wol auch ein. 6jilnige» Kind nicht in
die Schale schicken, weil es zn anwissend ist. Übrigens ist, wie schon oben
betont wnv'le. trotz dieser Zarückf^ebliebenheit in nnseren B;meni fiberall noch
80 viel üesiindeb und Normales, dass der Volkstreund daiin Anknüptnngspuukte
zu einer richtigen Weiterbildung finden kann. Wenn ich aher reeht nrtbeüe,
io ist obige Einwendung nur ein gaos obetüIeUicher Ansdmek flbr etwas
anderes, was dahinter steekt. Und dahinter steckt zweierlei.
Man fBrchtet. ein solrhr r Wrkehr mit den Bauern, besondei-s auf..Bf»nem-
abenden" schädige das Ansehen des Standes. Ich {flanbe aber, es kann
durchaus aichis Bänkelbäugerisches darin liegen^ weuu der Lehrer unter der
Aatorittt nad dem Schutse des Staates, als Organ eines wissenschaftUehen
Vereines, ohne Entlohnung seitens derZohllrer („Entr^e"), seine Baaem nnter*
halt, aber im ünterhältlichen stets die Gesetze der (wahren — nicht der fana-
tischen oder pharis&isch-betschwesterlichen) Sittlichkeit einliiUt nnd eine edle
Tendenz befolgt. Der Lehrer kauu, um das Ansehen seiner „BHuernabeude'^
noch an erfatnien, Je nach HOg^ehkelt noch yerschiedene HÜftmittel anwenden.
Hat er, was in Weingegenden nicht selten der Fall ist, etliche muth willige
Bnrschen im Orte, die in ihrer derben .Art einer jeden Unbesonnenheit t'ihic:
sind, so soll er sieh zu den ei-sten I ntei haltnnirpn von der Behörde einen
Gensdarmen zum Statisten ausbitten; das wird den richtigen Eindruck auf
selche Bnisdien gewlcs nicht Terfehlen. Den Pfarrar, Bllrgsrmeister. die Oe*
meinderilthe nnd senstige Honoratioren des Ortes soU er so oft wie möglich
zum Erscheinen bowepen. ohne jedoch wegen ihrer (?eg:enwart den vnlk^thüm-
lichen To?i und Chai-akter seines Vortrages anch tuir im (u-rini^sten zu äodeni
oder abzuschwächen. Er soll es anter UmstiLnden vermeiden, in Gasthäusern
diese Verwammlimgen m vennstalten: das Schulgebinde, seihet ein geeigneter
Fiats im Freien ist oft viel ehrenhafter. Und wenn troti alledem hin nnd
wieder spöttische Witze über das neue Unternehmen laut werden, so ist das
nicht hoch anzuschlagen. Die Griechen pflegten von jedem vollen Becher,
bevor sie ihn zum Munde führten, einige Tropfen auf die Erde zu giel>en. So
mnss auch jeder, der einen größeren Enderfolg erzielen, etwas Bedeutendes
dnrehsetien will, anerst einiges in der CffentUchen Meinung verlieren, sieh
mancherlei Spöttisches nachsagen lassen. Wer dies nicht ertragen kann,
gleicht dem Geizhals, der anf einen Gnlden ««icheren künftig^en \utzen ver-
siditet, damit er nur momeutau den Groschen nicht ans der Hand lassen darf.
Es ist überhaupt ein Grundfehler aller gebildeten und halbgebildeten und
hsUwnstladigea Meoschendassen der hentigen Zeit^ dass sie die Ehre ihres
Standes alle im Cavaliermfttigen Sachen. Di* eleeranteste Kiddang an
tragen» nicht an Fnft gehen an mUssen, ftherall noble Trinkgelder aasstnnen an
. kj ui^ . j Ly Google
können, möglichst „distinct" zu erscheinen, von dem ganeinen Volk sich bestens
znrückznziehe» und äberhanpt recht zimperlich — und ich mfichte beinahe
sagen überirdisch — sich zn stallen, das erwirbt Ansohen. ^tals „stündps-
l^^äßes Betragen", nnd dieses wird als die QueUe der Ehre von dem Schwann
solcher lieherliclier „Gebildeter" mit der etrengaten und ernttesten Ge-
wiesenhaftigkeit eidtivirt. Kaaa der Gitvaliery anf Gnad der ihm in
concreter Fonii überliefert » ti T.pistnngen seiner Eltern undAbnpti. allpr eierenen
Lreistungen sich entschlag-eii und blos dem Verbrauch seiner Habe leben. 80
mag er es tiiuu. Auf wem immer aber die Pflichten einet» thätiguii Berufes
tt^en, der würde durch dieee vielMttfNi Bfleksiditeii der Noblene Dor ge>
Undert aein. Dm-ch fruchtbares Wirken soll der Mensch nach Ehre und
Achtung seitens der Mitwelt streben, nicht durch • iiM- fade Zurückzielierei nnd
An^vtandsucherei. Wenn aber der Lehrer dips n unseren Cavalieren und ge-
lahrten Professoren es an ,,Nobles8e" uaciuuaclieii und sieh hochnäsig über das
Velk lÜDWegfletiea weUte, so gliche er «ol — mde mir der Verg^ch nicht
fibel genommen — dem Sdineter, der rieh anf einmal aeUbnen wUrde» Sehnhe
und Stiefel zn machen. Liept doch die ganze Bedentuni?. Ehre nnd Gr3ße des
Lehrerberufes int Verkehr mit dem Volke, in dessen Erziehuug und richtiger
Becinfltusung, so da«8 der Lehrer gerade nach dieser Hinsicht einzelne Opfer
nnd MflheBi md ivtren afe aneh etwas nngewohnter Art, nicht adieien boU.
Und aind nnsere Lehrer nnr «rat wahre VolkanAnner nach dem ganaen natttr-
lichen Umfange ihres Berufes — dann wird man es wol sehen, wer mehr
öffentliche Ehre und Achtung genieAt, sie oder die GaTaliere nnd gewisse
Professoren.
AnBer d«r Undischen Furcht, das Ansehen des Standes preiszugeben,
ateekt aber noch etwaa anderes hinter Jenem Hinweis auf die Znrttekgehliebea-
heit der Bauernschaft. Die meisten Lehrer ftthlen ein gewisses Befremden
schon bei dem bloßen Gedanken, so ohne weitere Ceremonien mitten nnter
Bauern zu sitzen und dabei die Aufgabe zu haben, sie zu unterhalten und zn
beiehren. Ein Gefühl, als ob er zwischen Himmel und Erde schwebe, eine
fortwShrende Angat, rieh in den Augen der rohen und nngexllgelten ümgebnng
zn blamiren, müsste dmn Yeranstalter ehiea Bolchen Unterhaltungsabends un-
abliisüig- f}:?s H«^r7 zusfimmenschnttren. Diese« Befremden benilit aber auf
•einer Unkeuutnis des Volkes, und zwar in dnjiinlter Weise. Erstens
thut man wenigstens UDserem uiederösterreichischeu Volke unrecht und
Terkennt ea, wenn amn ea für ao roh nnd aflgelloa aimehen mdehte, dasa eine
gesittete Unterhaltung mit ihm unmSgllch wftre. Da müssen wir entschieden
Tin Onnsten der Ranem einstehen und bürgen. Und sollte es hin und wieder
eine seltene Ausnahme geben, einen oder zwei imbesonnene Burschen, denen der
firgüte angerichtete Schabernack der liebste ist, so könnte uiau ihnen ja iu der
oben angedeuteten Welse wirksam begegnen. Aber schon an sich, wenn ate
auch keine solchen Ihlachen Voraussetzungen mit sich brftchte, müsste diese
Unkenntnis des V^'lkes und Wilksthiimlichen in den Lehreni jerns Befremden '
erzea^n. Denn nur auf f inem bekannten Gebiete kann ich mich mit Sicher-
heit nnd Selbstvertraueu bewegen. Und wenn die Lehrer das Dorfleben auch
in aeincn Suderen ümrlsaen kennen, so haben sieh doeh diewenlgatendieMttlie
genommmi, die inneren Motive, das ganze Denken, Fühlen und Streben der
Banem, sowie dieBeaiehungen dieser innereuMotiTe au den anderen Erscheinungen
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des y{:inernlehen8 zu Verfolgen und sich darüber Klarheit zu verschaffen. Daher
also slammt zum grrf^ßten Theile das Unbehagen, von dem sich «Ii»-
Lehrer mitunter schon beim bloüeu Gedanken au die ,3äaemabeude" ergriffeu
fflUen. Haben sie nnr ent angefimgw» tidi in der nnten betproehenn, von
einem vollMwiBSenacluiftUdien Vereine anznr^renden und zu überwadienden
Weis»' don fharakterzilg-en. den Ausdrucksweisen . den Rccht&ansehannng^n. '
den Freuden und Leiden, tiberhaapt dem granzen Lt-ben und Treiben des Volkes
eine emsige Aufmerksamkeit zu widmen, so wird hich von äeibei* in ihnen mit
d«m Btaigoiden Litereaaa am Yolkathmn aadi das Vwlangen regen, dvrdi die
Ton One hier beiprodienen Mittel anft Yoik einen direoten EinfloM an ge*
wiimen.
Die Unkenntnis des Volkes ist überhaupt das gT^ßte und am .sdiwei-steu
zu b^itigende Hindernis für die \'erwirkiichuug der in diesen Zeilen behan-
delten Idee. Es ist traurig, daee ea erst noch dieser Idee bedarf, nm die Notli-
wendigkdt emer grändlichen Kenntnis des Volkes für den Lehrer darznlegm.
Die Bedürfnisse der Schule hUtten eine empfäns^lichere Intelligenz schon längst
auf diese Nothwendigkeit aufinerksam maclion können: ist doch, bevor der
letzteren nicht (ienüge geleistet wird, ein wirkliches \'er8tändnis des Kindes
nnd der daaeelbe beitinuaendea EinflüiBe» md Mnnit andi eine Verwertung
unserer tbeoretiech^pftdagogischoi Fortadiritte rein oamOg^ich. £b wandert
uns, dass nicht schon längst in den Lehrerbildungsanstalten der verschiedenen
Länder das Studium des VoUucharakterB dee betretenden Lande« eine stellende
DiscipUn geworden ist
Weil die« aber nicht der Fall ist, weil der Charakter nnd die Ver-
hUtnlne de» Volkes wissenschaftlich noch gar nicht genügend dnrchforecht
und klargestellt sind, so mfissen wir uns schon bequemen, mit dem Vorhandenen
zu rechnen, so wenig: ^s uns aocli befriedig-en maer. TM" Mt hrzahl der Jj>h-
rer in den einzelnen Ländern besteht aus Einheimisciien; deuu die Volk»-
sdiallehrer werden nicht so leicht aus ihrem Heimatslande versetzt, wie die
Lehrer an den Mittelscfanlen. Darin mtlssen wir, bei dem gegenwftrUgen nie-
drigen Stande der w 1 s e n s c Ii a f t Ii c h e n \'olkskenntnifly einen für uns günstigen
Umstand rrkriiTifn. Denn der Einheimi^-fh<' hat. wenn auch keine r»^elite klare
Kenntnis des \ olkes. so docli eine bestiimute Summe bewusster und uubi?-
wusster i^-falirutigen über das \ ulksieben, woraus sich ein gewisser Sinn uud
Hang für letaterea ergibt Dieser Sinn wird durch das Seminar nicht be-
nommen oder zerstört, da hier die Studienzeit nicht eine so lange und auch
der Studiengang nicht ein so c lafisisch erhabener oder grammatisch pedantischer
ist. wie an m4nchen sonstigen Lehranstalten. Au.« diesem Grunde hat ein
nicht einheimischer Lehrer oft mehr Verstäiidniä für das Vulk al« eiu
akademisch gebildeter Einheimiseher. Mehrere Jahre Praxis auf dem Lande
kOnnen doch andi nicht verfließen, ohne dass der Lehrer hin und wieder eine
tiefere Bcobachtnnj? über das NOIk^rleljen macht und weiiig-stens zu etlichen
üesultaten dabei gelangt, die als Ankniiptun>(.spuiikte für weitere, eingrehendere
Studien dienen küunten. Uud so ist denn immerhin Hoft'uung vorhanden, dass
anch nach TenKunten dnsehlägigen Vorstadien im Seminar die Hajoritftt der
Lehrer, unterstützt und geleitet von dem mehrerwthnten \'ereine. im volks-
th'inilichen Wirken und Forschen einen Anfang wag'en dürfe. Um ihnen
wenigstens auf einem der nuthwendigsten Gebiete ein Muster voneolegen, aoa
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— S27 —
welchem zn ersehen wftre, welche Einzelheiten bei der Erforschnuff nndBeefn-
flnssnng des Volkslebens von Bedentimg- sind, so h&hf' ich die eing:anp:s citirte
Abhandlang „Ein lehJerhafter Voikscharakter^' zusammeügest<^llt. Auch eine
grammatische Darstellung der n.-Ö. llnndart, von meiner Wenigkeit verfasst,
jft unter der Presse, doch ist diese Arbeit mehr als Qnellenwerk IBr eine ganz
neue systematische Gesammtgrammatik der Ssterreich-baicrisehen Mundarten,
denn als eine methodische AnleitOBg tarn Dialeetstudioai für Laien «ifiBii-
fassen.
Aber, wird man mir einwenden, Sprache und Eigenheiten des Volkes sind
doch fn den Tersehiedenen Oegnnden oft sehr Tenehleden, nnd die Lehrer
werden fortwälirend gewechselt und versetzt; kaum bleibt einer 2 — 3 Jahre
:mf demselben Platze. Wie soll er da eingehende Beobachtungen machen oder
gar Zusammenstellungen solcher liefern könneUi wenn er kaum Zeit hat, seine
Dorfleute kennen zu lernen?
Diese Efnwendnngr» die m» In derTliat mehrseits gemacht wurde, Ist aber
nicht so triftig, als es auf den ersten Anblick scheinen möchte. Denn erstens
sind ja vieli- Lt^brer. besonders di*' Oberlehrer, lange Jahre hindurch auf der-
jielben Station. Wenn iiingegeu der grüßte Tbeü der jüngeren Lehrer alle 2
bi£ 3 Jahre den Qrt seiner Wirksamkeit wechselt, so geschieht dies auch nicht
mm «»dwHehen Naelitbea nnseres Planes. Denn so ganz verschieden sind
die VerhftllnlsBe In den einnlnen Gegenden wenigstens nnseres Kronlandes
(X.-ö.) nicht, dass nicht sehr viel Genieinischaftliches vorhanden wärOi
Auf diesem gemeniscliaftlichen Hintergrund'^ mm werden dem wandernden
Lehrer die Unterschiede der diversen Gegenden desto greller auffallen und
nm SO sicherer zv seiner Wahmehmnngr gelangen. Und ist die ganze Volks-
ftmehnn; nnr erst so weit Toi^geschritten, dass die wichtigsten Gmndelemente
des Volkslebens nach den verschiedenen Richtungen hin festgesetzt sind, dann
nimmt der Lehrer bei seinon Wanderungen diese Orundkpnntiii>i srlion mit,
und die paar Jaiire, durch die er mdi auf einem und demselben i'obteu auf-
hält, sind gerade lang genug, um auf diesen Gruudton die in der betreffenden
G«gend henseiiendett Detailschatten anftntragen. Und weil so dieselbe Gegend
an mehreren anfelnander folgenden Lehrern mehrere Berichtmtatter über
ihre Verhältnisse finden kann und wird, so gelangen dieselben aus verseb je-
den en Darstellungen nur zu größerer Anschaulichkeit — Um aber die Grund-
elemente des VoUcslebens festzustellen, braucht man blos 2 oder 3 Gegenden
nlber zn dnnihlbnehen nnd das Oemeinsame sn ftdren. Und hiefDr dürften
die saftttglich zur Verfügung stehenden Kräfte wol ausreichen. Allerdings
wird diese erste Feststellnng der Grundelemente durch nachfolgende Detail-
forschnngen vielfarli ergiinzt und berichtigt werden müssen; das ist aber ein
Process, der sich in allen Wisseiiiicbaften wiederholt
Andere werden wieder ftttgen, ob > denn der Schlflssel snm Verstttndnis
des Volkdebens wirklich so schwer zu finden sei? Es müsste ja etwas Leich-
tes «ein. so eint'iiltige, nn£re})ndete Leute zu ergründen bis in ihr Innerstes
hinein, auch ihre einfarlien äußeren Verhältnisse wären bald registrirt. —
wozu braucht es also hiezu vieler Vorbereitungen, vieler Studien und Uberhaupt
des Kraftanftrandfls so vieler gebildeter HSnner?
Wer so fragt, hat gewiss mit dem Landvolk sehr wen%, mid da nur als
lockerer Tonzisi oder SommerfHschler, verkehrt. Sonst mfisste er wol beilftnfig
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die T'!i>K'recht-nbark('it -Ut BHn*»ni. ihr T^urückzicliHi vor Fremden, ihre Doppel-
(»eiiigkeit iu ihrer religiösen Tugeudsamkeit ciuei-seite und ihnem heitulichen
platten Egoiamos andererseits bemerkt haben und zor Einsicht gelangt sein»
daM man es gerade M der ZnrflekgebUebenhelt und Verfeflding dee Lanir
Volkes mit einer ReiJie von Faetecen n tiinn hat, die dnrchschaat iid be>
kämpft werden wollen, wenn man es rirlitia: b»Hirtheileu und beeinflnfisen will.
Ein normal üebildeter ist weit durchsiolitigt'r als der Bauer^ der seine Natür-
lichkeit bald aus Verschmitztheit, bald aus l'alt>cher Religiosität und öiiiUchkeit
lad noch aas andern Orttnden verbirgt nnd bemftntelt.
„Vtie Lehrer auf dem Lande sollen die Erwachsenen durch Bauern*
abeude"" belehren, »Thelien. nnterlialten. Die Lehrer in den Städten und
Märkten haben keine (felegenheit zu glüicher Wirksamkeit. Al.s<» tritt eine
ungleiche Belastung des Lehrerstaodes in der Stadt und auf dem Laude ein,
eolMdd dieee Idee dnrchgefBhrt wird.** So kann ein femeree Bedenten lauten.
Ohwol dieses, selbst wenn es gans richtig wäre, noch immer keinen hinliüi;^*
liehen Grund abieeben könnte, dass die Baupni .sich .selbst überlas.sen bleiben
sollten, so wollen wir doch näher auf dasselbe eingehen. — Es ist zunächst
unrichtig, dass die Lehrer in größeren Märkten und in Städten nicht eine
Umliche Wirknmkeit nt ontfUten in der Ltge wlren: wad^ aie knnoen Vor^
trilge für das Volk veranstalten; und da b<» dem StadtToIk die Übenwngnng
von der Xothwendigkeit auch einer weltlichen Bildung schon tiefere Wurzel
gepchlagen, so haben es die städtischen Lehrer dabei noch insofeme leichter,
als sie, zur Anziehung von Zuhörern, nicht so sehr auf das Unterhaltende
liedaclit m sein tenodien wie die Landlehrer. Vtatilige woden gewiss nnch
in inT SiMät vea groflem Nntsen sein, Ja, das Stadtvolk wird momentan viel
lebendiger beeinflusst werden können, als das conservative, vielfach apathisehe
und ]an'j:«amere Landvolk. Der Gmnd. warum ich gerade dieses letztere
so stark betone, liegt aber nicht etwa blos darin, dass ich zufällig dessen Be-
diirfiiisae genauer kenne als die des Stadtvolks, sondern in folgenden drei Vm-
Btlnden. Entans gew&htt das LaadTolk gerade infolge seines ooiiserTativen
Sinnes die vetilsdichste Oarantie, dass, wem ihm einmal eine edlere, bessere
Richtnnp f^ep^ben \vMr»?fn ist, es in dieser n?ri sm sieljerer verharrt, wähn^ini
das den verüchiedensteu Einflüssen stets unterworfene Stadtvolk schon morgen
über Bord werfen kann, was man ihm heute beigebracht. Zweitens kann das
sdhetstSodigw lebende Landvolk onabhinglgtf in derdngesehlagenmRiditBnff
sich entwickeln nnd wird auf Qmnd seiner freien, menschenwürdigeren Lebens-
weise weit sicherer in dieser Richtung echte Blüten der Bildung treiben und
entfalten als die abhängigen, vielfach zu Masichinen erniedrigten Falniks-
arbeiter, die in den Städten meistens die Majorität bildea. Drittens wiio, da
sich das Stadtvolk fortwlhrend ans dem Landvolk ergänzt, mit der Hebon^
des letzteren auch jenes Allmihli^»li geht>beu werden. - aber niemals umgekehrt :
nnd jene Zähigkeit, mit welcher schon der In iniu - Bauer, in städtisdu-
hältuisse versetzt, nur äußerst lang-sam und uie vuUständis: seine läudlichen
Eigenheiten aufgibt, wird dann erst von Wert nnd Bedeutung sein, wenn
sie dnrch das Bewnsstaein einer besseren Bildung gestirict nnd veridirt wird.
Ich möchte noch viertens hinaoaetzen, dass in nnserer Honardiie das liand«
Volk dem Stadt vulk numerisch weit ilberle£ren ist. — wenn ich nicht speciell
Niederösterreich im Auge hätte, wo das Landvolk, besonders wegen der volk-
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reichen Hauptstadt, in einem tingünstigeren Zahlenverh^1tniä.«te steht. — Wäh-
rend wir uou einersieits nur die größere Nothwendigkeit von Vortrags-
abenden für das Landvolk aussprachen, deren Nützlichkeit aber auch fürs
Stadtvolk von tornherein aDarkennen, nnd Mdiin kelneswogs eine nnglekslie
y3«ktötnn^ - dt-r Lehrer nnf dem Lande und in der Stadt nrgiien wollen,
vermitteln diesflbt-n V<>rtrf\ers- und rntpHialtungsabende geradezu einen Aus-
gleich nach einer anderen Hinsicht, in der heute der Landlehier dem
städtischen nachsteht. Dieser heitert sich bei den mancherlei Unterhaltungen
■nd Ziimnm«iikttnften, wie Bie In Tolkrefchen Orten eben an der Tageeerd-
Bnn^ sind, zeitweise aus, ..ISat seine GcUlen anshüpfen", — während in den
entlegenen Dörfern der Lehrer von Innrer Weile \ erzt hrt wird. In Hinkunft
soll er Rieh vor dies^-r in der vorgeschlagenen Weise schützen; er wird es ver-
mögen, ohne sich besondei's dabei auzuätreugeu, da er ja von einem lachlicheu
Vereine nnd nllmShlieh wd snck von tfichtigeren ErKflen im Dorfe selbet
tmterstfitzt werden wird.
..Woher wissen »Sie denn so gewiss, dass diese Bauernabende thatsiiclilich
zur H ■V.img des Landvolkes beitragen können? Man macht ja stets die Be-
merkimg, dabti die Landleute von allem Höheren und Ungewohnten, was ihnen
gesagt wird, gewShnUeh nlebts im Qedftehtnis belialten. Wie oft wird man
ihnen da alle einzelnen Dinge Totsagen müssen, bis sie ein solches Quantum
Wissen beisainnien haben, dass von einer Hebung ilirer Geistesbildung die
Rede sein kann!" Wer so spricht, der zeigt nur, dass er von diesen Baueru-
abeuden einen allzu kath^ermäßigeu Begriff hat. Es handelt sich ja nicht,
alle Banem der Reihe naeli für eine Staataprüfiing vonsnbereit«i. Ffir eine
aolelie mnss freilicli joiea zufällige Wiasensquantum zusammeomaltraitirt
werden, wie es — ohne mit den Forderungen der Psycliologie sich viel herum-
zubalgen — hochgelehrte Doctoren und Commissäre vorzuschreiben für gut l)e-
fondeu haben. Auf den „Baueruabeadeu'' wird es allerdings keine hungrigen
Candidaten geben, die Sngatlieh jede Silbe des Vortrages mitatenographin».
D» liat kein Vortrag eoien an%ebnnaolitea UtaMtUefaen Wert» aondem jeder
wird von selber auf den natürlichen Wert reducirt. Ich will durch ein Gleich-
nis klarlegen, was ich hier vom pädagogischen Standpunkte unter dem natür-
lichen Wert eines V ortrages verstehe. Wer in eine weite, tinstere Gnibe
Wasser aof einen bestimmten Paukt scb&ttet, ohne m wissen, ob dieser Punkt
der ti^Me ist, wM dodi nicht Terla&gen wollen, dass das Wasser auf diesem
Pnnkte stehen bleibe!? Derselbe ist vielleicht nur feucht, und das Wasser ist
in einen tieferen Ort abgeronnen. Eine solche finstere Grube ist tlir die meisten
Gebildeten die geistige nnd seeUsclie V erfassung des Mannes aus dem Volke.
Ein geharnischter Aufklärer bemerkt nun z. B., da^ dem Bauer irgend eine
bestimmte Kenntnis mangelt, weiB aber nicht, ob demsdben nicht eine noch
weit nothwendigere Kenntnis, eine weit primärere Ansehanvng fehle,
d. i. er fixirt einen gewissen Punkt in der finsteren Grube. So gießt er denn
das Wasser seiner Belehrung auf diesen Punkt, — allein es rinnt ab in eine
tiefere Stelle, und wenn nun Meister Aufklärer mit dem Bauer das obligate
Examen lialten wül — so findet er, dasa er „rein nmsonst geredet liabe". Und
doch hrt er sich. Wenn der Anfkittrer beim Beden nur irgendwie das
Interesse des Bauers rege getnacht hat. so hat dieser dabei gelernt. Und
je näher jener mit seinem Vortrag das dringendste Bedürfnis des Baners
üiyiiizeü by Google
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getroften liat. desto mehr hat letzterer davon protitirt. desto jiielir liat er von
dem objectiveu üekaii des Vortrage« auf seine subjective Verfassung pi-ojicirt;
md ivire Mch der Stoff dm Vortrages fVr das snltfectiTe BedürfkiiB dM
Bauers ein gfanz abstraser gewesen, so hat dieser vielleicht nur das Mienen-
und Geberdenspiel des Gelehrten an f sich wirken lassen nnd tiut Interesse „aach
einmal g'sehen, wie ein solcher gescheiter Herr thnt, wann er was erzählt.**
Etwas bat er dabei immerbin profitirt, nnd nächstens merkt er sich dann
■ebiOB etwu Wichtigeres. Interesse an etwas imd snbjectiTeB iimeres Be-
dfirfiiis nadh etwas sind ja pädagogisch gleichbedeutend. — Man wird daher
diese finstere Orube des bJtnerlichen Geistes beleuchten miisKpn. nm in ihr alle
die größeren und kleineren Bedürfnisse iler l^uemseele kennen zu lernen, und
wenn man diesen Bediirtnissen Reclinang trägt, wenn man das vorbringt,
was den Baner interessirt nnd nir durch gesehiekta AneuMmderreihttiig
«ndBeliandlnny des Interessanten anf ein bestinimtesZiel losstenert, dann wird
man gewiss auch die Erfahrung machen, dass sich Bauern auch etwas merken
kfmnen. Und nun wird jeder verstehen, was irh sa^en will mit der Behaup-
tung: Der interessante Vortrag bat einen natürlichen Wert, der
aninteressante kann nur einen künstlichen haben. Wenn man daher
anch nieht Inunw jost das jeweilig dringendste Bedttrfiils des Bauen dnrch
einen Vortrag zu stUlen in der Lage ist, — wenn man nur sein Interesse
reare erhalten kann, so darf man am Erfolg nicht zweifeln. Und der Land-
lehrer wird doch, entweder aus eigener Sammlung, Beobachtung und Produc-
tivitftt, odMT ans dem ihm von dem Fachvereine zukommenden Kateriale, so viel
Interessantes anf geistigem nnd moralischem Gebiete aisammenihideD, dass er
seine Banem damit unterhalten, d. i. geistig nnd sittUeh beeinflussen kann.
Und wenn er von dem Lite^essanten immer dasjenige aussncht. was auf ein
bestimmtes Gcistesg-ebiet gehört, oder eine bestinunie nioralisilie Tendenz hat,
so ist er sogar in der Lage, seine Gemeinde zu einem bestimmten geistigen
oder sittliehen Ziele an leiten. Und wenn der Lehrer auch nieht das ge>
sammte Wissen, soweit es — gegen die heutige Auffassung der „Gebildeten*'
— aiuh dem Bauer als Hausvater, Landwirt. Gemeinde- und Staatsbürger
nnd Menschen noth wendig ist. dnrch \ orträge zum fertigen Eigenthnm sHner
Zuhörer machen kaua; wenn er nur die Gmndzüge dieses Wissens seinen Bauern
beigehraeht nnd fürs flbrige anr^iend anf sie gewirkt hat, so genBgt das
vollkommen. Es wird sich von selber in den Landleuten das Bedürfnis nach
Leetüre einstellen, da.s ihnen heute so frriindlieli fehlte und es werden dann die
Volksbibiiotheken, wie sie Schlinkert zusammenatellti ihrefiolle spielen.
(Schimm lülgt.)
Vcmatwtntliehvr Bedtetew: X. Stein. Bnebdrackmi Jnüic Kllaklitrdt, Leipaif.
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1
Die Spraelieutrage, jnit betM^nderer Beuehung auf
Lehrerbildnnj^.*)
Fon Dr. Friedrich IHttes.
Sebr geehrte VersanuDliing!
Das Thema, welches ich mit Zustimmung Ihres verehrten Ver-
einsvoi-standes gewählt habe, lautet : Die Sprachenfrage, mit besonderer
Beziehung auf Lehrerbildung. T)a (li<^se.s Thema ziemlich all^remein
und infolge dessen ziemlicli imbesfimmt gefas.st ist. so erachte ich
es für iiutliwendig. einige Bemerkungen darüber voi'auäzaschicken, in
welchem sinne es err»T'tert werden soll.
Den Anlass zur W ahl (le,s Themas bot mir die Ki-innerung an die
erste Verhandlung der Reichenberger Lelirerversammlung, der ieh
selbst beiwohnte. In Rücksicht auf die knrzucnit ssene Zeit sah ich
mich dort veranlasst, meine Ausführungen auf einen einzigen Punkt zu
beschränken, nämlich auf die Begiüudung der dringenden Nothwendigkeit ,
wenigstens die gegenwärtige Höhe der Lehrerbildung zu behaupten
und jedem drohenden Rückschritte auf diesem Gebiete entgegenzu-
treten. Von anderer Seite wurde jedoch aach hervorgehoben, dass eine
Erweiterang derLehrerbfldimg geboten sei; mehrere Redner forderten
insbesondere, dass die lateinische Sprache ein integiiroider Bestand-
theil der Lehrerbildung sein roasse^ and es wurden in diesem Sinne
ancb Besolntionen beantragt. Da ich nun der Ansicht nicht beipflichten
konnte, dass das Lateinische ein obligatorisches ünterrichtsfach Im
Lehrerseminar sein müsse, :es aber für onmOglich hielt, in der Icnapp
zugemessenen Zeit eine Entgegnung auf die vorgebrachten Motive
dorchznf&hren, so schlug ich vor, statt der speciellen Empfehlung des
Lateinischen nur im aUgemeinen auszusprechen, dass eine Erhöhung
Voitnff, gehalten im pSd. Veieiii „Dittes** zu Seehshaus bei Wien, am 14. De-
ceiuber 1882.
PuMkgofiiiiii. 5. Jahrg. Hirft VI. 22
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— 3S2 -
der Lehrerbildung besonders aach in sprachlicher nnd litera-
rischer Hinsicht wünschenswert sei, so dass also die Frage, ob zn
diesem Zwecke gerade das Latein in die Seminare eingeführt werden
müsse, Olfen blieb und einer weiteren Erörterung liiertiber nicht vor-
gegriffen ANnirde. leb befürchtete, dass sonst zn Gunsten des Lateinischen
ein übereilter Beschluss «^efosst werden möchte und zwar schon deshalb,
weil ja eine große Anzahl, neileicht die meisten der in Reichenberg
versammelten Volksschullehrer der lateinischen Sprache nicht kundig
wann, weshalb sie den ihnen empfohlenon Bildungszuwachs nicht wol
zurückwt isen konnten, woil siV Ix^fürchten mussten. mau werde ihnen
die berücliti^^te Selbst iibfrhebuug" vorwerfen, als ob sie besser wissen
wollten, was zu ilirtin Berufsstudium erforderlich sei.
mm in Aussieht steht, dass die Lehrerbildungsfrage auf dem
nächsteü ösl^rreicliisclien Lehrertage nochmals und gründlicher behandelt
werden wird, so lialte ich es «lu der Zeit, dass in den Lehrervereineu
die Fra-;e, ob Latein o('er nicht, erörtert und geklärt und somit der
n;o hst*iU allgeineim'ii Wrsaumiluug vorgeai'beitet werde. Allerdings
IM diese Frage keine bloLJe Schulfrage, sie ist eine Frage der Volks-
bildung überhaupt, eine ( nlturfrage im vollen Sinne des W ortejs. eine
Frage, welche vuu Schulmännern allein nicht erledigt werden wiid
und soll, an deren Beantwortung vielmehr auch die Eltern, namentlich
abei* die Mitglieder der Sehnlbehörden nnd der Pariamente sich be-
theiligen müssen, weil ja Änderangen im Unteniehtsplane der Lehrer-
bildnngsanatalten nnr auf dem Wege des Gesetzes geschehen können. -
Schon ans dem Omnde, dass jeder Vater sich die Frage stellen
kann nnd soll: „Welche Bfldnng setze ich bei dem Lehrer Torans, dem
ich mein Kind anvertranen will?" — werde ich unser Thema nicht
als eine reine SchnUfrage, sondern als eine allgemeine Cnltorfrage
behandeln, an deren Lösung fi^ch der Lehrerstand ein hervonragendee
Interesse hat und in erster Linie mitzuwirken berufen ist Hiermit ist
auch schon gesagt, dass ich das Thema nicht im Smne emer brennenden
Tagesfrage auffasse, zumal ja dieser Verein in erster Linie ein päda-
gogischer Fachverön ist, welclier sich nicht duich die vorübergehenden
Wogen des Tagesstreites bestinmien lassen darf, sondern viehnehr
durch einen tieferen Blick in die Culturgescliicbte leitende GMchts-
punkte gewinnen soll.
Dass ich mich hinsichtlich der Lateinfrage in ihrer Beziehung zur
Lehrerbildung im wesentlichen negativ verhalte, habe ich schon
angedeutet. Daraus ergibt sich auch, dass ich nicht darauf ausgehen
kann und will, diese Frage heute zui* Entscheidung zu bringen. Viel-
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~ 333 —
mehr ist zu wünschen, dass nach mir ein anderer Eedner aultiete,
welcher liie entgegengesetzte Ansicht vertheidiVt, dass dann eine Debatte
folge, "woranf schließlich fiiip Rpsnlntion i^elasst werden könnte. Aus
<liesen Bpir.*^rk untren krniii* ii sie entneJiiiieii, dass ich nicht den Anspruch
t^rlu oe, meine Ahm lit u alii^emein augeiiommen zu selieii. Ich lege
dieselhen zur Prütuü^ vor. bin aber bereit, sie zn verthei(li?en.
Nun orestatt^n Sie niii-, sofort aul das Thema einzugehen. Ich
werde mich dabei aul dasjenige Sprachgebiet bescliränken, welches in
nnsf»rer abendländischen und besonders in dei- deutschen Cultur die
iiauptrolle spielt. So \iel steht fest, dass die Sprache in jeder Cultur
von der größten Wichtigkeit ist. Die errungene Bildung im allge-
meinen, die Gesammtheit von Kenntnissen, moralischen Grundsätzen,
Beligions- and Bechtsbegriffen, techniseben Fortschritten, Knnstau-
achaaungen n. s. w., welche dne Nation besitzt, drücken sich zwar
nicht blos in der Sprache ans, sondern anch in Bauwa>ken, Sitten,
GnltnaformeD, staatüchen Einrichtungen u. s. w., am nmfikssendsten ond
bestimmteeten aber doch in der Sprache, welche namentlich als Schrift-
sprache znm Anfbewahrnngsort, zun D6p6t des Cnlturscbatzes wird
and dann Idterator heißt Hieraof hanpts&chlich beruht die große
Wichtigkeit der Sprache für die Erhaltung, Verbreitung und
Fortpflanznng der Cultur.
Wmiden wir uns non zu der Frage, ob eine fremde Sprache und
insbesondere eine alte, namentlich die lateinische, im BÜdungswesen eines
modernen Cnltarvolkes wichtig genug sei, um deren Erlernung auch den
Lehrern der Volks jugend auferlegen zu können, imd weifen wir
behufs historischer Orientinin<r zunäclist einen Blick auf die uns so oft
als Muster vorgehaltenen ..classischen Völker*' des Alterthums, so stoßen
wii- zunächst auf die Griechen. Da bemerken wir denn, dass im
griechischen Bildungswesen fremde Spraihen keine nur einiq:ermaßen
erhebliche Rolle gespielt haben. Vollends gar von iliren Kinderlehrem
die Kenntnis einer fremden Sprache zu verlangen, ist den Griechen nie
in den Sinn fjekdnnnen. Sie waren überhaupt nicht der Meinung, dass
zu einem gebiblptcn Menschen die Kenntnis einer fremden Sprache
gehöre: und doch hab^n sie ohne ;fllen Zweifel ihre eigene Sprache
jranz vortrett'licb zu ul * ii inifl zu bilden verstanden. Ks ist in keiner
Weise na(Onv< i'.l ;ir, ila-s PerikK s. Pindar. Sophokles. Sukr.itt--.. Piaton,
Aristotele.s, I )M[iiM>tli*-iies und die sonstigen Haupttrii<i:er der hellenischen
Natiouulcultur enn fVeuide Spraclie verslanden hätten. Es würde den
Griechen sehr sonderbar vor<j:ekoinmen sein (und es ist anch keine
Spur davon vorhanden), wenn jemand üeiiauptet hätte: es kann niemand
23*
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eine aUgememe Bildung erlangen, der uicbt eine fremde Sprache ge-
lernt hat. Es gab in Athen auch keine Lehrer för fremde Siaachen,
wenigstens keine solchen, die eine her\'orragende Rolle im BUdnngs-
■wesoTi g-pspielt liätten. obwol man leicht Lehrer fiir alle Wissenschaften
und Künste finden konnte, fiir die griechische Sprache und Literatur,
für Rhetorik, Poetik, Mathematik, Musik, Philosophie, Politik u. s. w.
Hieraus ergibt sich mindestens soyiel. dass zur sicheren Erlernung
und znm freien Gebrauch der Mutterspraclie eine fremde Sprache nicht
erforderlieh ist. Pie Griechen haben sich nicht einer fremden Spiache
als Mittel bedient, nm ihre eigene Sprache mustergiltig zu gestalten
und überhaupt eine holie ( nltiirstufe m erreic hen. Ja, ich bin uber-
zengrt.: wenn sie die Maxime eriun<iea und beioigt hätten: ein {rebildcter
Mann, ein Politiker, ein Beamter, ein Kedner, Phihisopli. Maiiieiiiatil<^er,.
Dichter u. s. w. müsse Ägyptisch, oder Phfinicisch, oder Hebräisch,
überhaupt eine fremde Sprache lernen, um etwas Kechtej» zu werden,
so wliidt die griechische Sprache und Tnltur nicht jene Hölie erreiclit
haben, die sie in der That erreicht liaL Dies ist ja ganz natürlich.
Denn es wiixl t-in außerordentliches Quantum von Bildungskraft luui
Bildungszeit verbraucht, um eine fremde Sprache zu erlernen. Diese
Kraft und Zeit geht aber der spontanen, selbetthätigeu Entwickeiung,
der den Völkem "wie den Didividaen eingeboroien ProdnctiTitftt ver-
loren; es tritt nothwendigerweise in allen Geistern von mittlerer
B^abnng eine halbe Erschöpftang und LSlunnng dadnrcli ein, dass sie
eine lange Beihe von Jahrein die Hanptkraft und die meiste Zeit anf
das Erlemen der fremden Sprache yerwenden mfissen. Es steht fest:
wer zu Tiel lernen mnss» kann nicht viel denken, nicht viel selbstthätig
sein. Wenn man also behauptet: die Deutschen kOtinen nicht einmal
ihre Mattersprache recht yersteben ond gebrauchen lemeu, geschweige
denn eme nSUgcmeine Bildung** erlangen ohne das Uittel einer fremden
Sprache, so ist das eine sehr anfechtbare Behauptung. Man mfisste
dann wenigstens beü&gen|: ja freilich, ein so geniales Volk, wie die
Giiech/en waren, sind wir I>eutschen nun eben nicht, uns fehlt es an
der natürlichen Begabung. Ob dieses demtithigende Selbstbekenntnis —
welches, nebenbei bemerkt, mit unsere:- Nationalehre schwer vereinbar
sein dürfte — gerechtfertigt sei, möchte ich denn doch bezweiteln,
80 unumwunden ich auch anerkenne, dass die Hellenen eine höchst
begabte Nation gewesen sind. Aber ein ünicum aller menschliclien
VoUkommenlieit waren sie denn doch nicht, und wir Deutlichen
sollten nicht vergessen, dass unsere Nation auch gro^ Geister herror-
gebracht hat.
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— 335 —
Gehen wir nm zn den Römern. Bei diesen Iftsst sich Capital -
schlagen zur Empfehlung einer fremlen Sprache. Die Römer haben
allerdings erst, nachdem sie bereits ihre rahmroUsten Thaten gethan
hatten, die griechische Sprache in ihr Bildangsvresen aufgenommen.
Es wnrde seit dem zweiten pnnischen Kriege gebrftnchlich, dass die
Tomehmen Roms Griechisch lernten; auch die Kinder der Großen nnd
Reichen lernten es schon, mngefähr so, wie bei uns die Kinder der
„besseren Stftnde' französisch lernen. Nan ist aber die Frage: ob
hieraus für die Verehrer der fremdsprachlichen Bildnng, besonders fftr
die Vertreter des Lateins in der Lehrerbildung, viel resnitirt Bedenken,
wir Folgendes. £s begann bereits der Verfall des römischen Staates»
als man zu dem Culturoiittel einer fre u I n Sprache griff, nnd es ist
siclier, dass die importirte fremde Bildung den Niedergang des römi-
schen Reiches nicht aufhielt, sondern beschleunigen half. Die Zer-
setzong des Volkes in zwei sehr verschiedene Classen, in eine gelehrte
nnd eine ungelehrte, mit entgegengesetzten Anschauungen und Interessen,
konnte den Auflöstmifsprocess de'^ Gemeinwesens nur befördern. Hierzu
kummt ein anderer Uiustatul, der für unsere Fra^e von groUer Wichtig-
keit i«!t: die fremde Sprache nämlich, welche die Römer lernten, war
keine alte, keine todte, es war eine lebande, eine fiir jene Zeit mo.lerne,
die halbe Welt beherrsrlien le Sprache. Im ganzen Uaikrcis de^ Mittel-
laeeres, nicht hlos im Stillen Huropas, sondern auch im Westen Asiens
and im Nnrden Atrik;is wurde grieelii^ch gesprochen und geschrieben.
Welch eine Kille die grifchisL-lia Sprache dam ils als Sprache des intema-
tionalcu Verkehi*s und der Weltcultur spielte, erkennen Sie daraus, dass
das Grieclilsche selbst zur Sprache des (yhristenthuras wurde, dass
insbesondere die S-hriflen des neuen Testamentes iu dieser Sprache
abgefasst werden miissteu, weil die Apostel und Vertreter des Christen-
tbums nicht anders als durch sie ihre Mission erfäUeu konnten. Es
ist demnach eine ganz andere Sache, wenn die Römer Griechisch
lernten, als wenn hente die Deutschen Lateinisch lernen. So thörichi
waren die BOmer niemals» dass sie behauptet hätten, man müsse, nm
ebi gebildeter Mann zn werden, Sanskrit oder sonst ehie alte (todte)
Sprache temen.
Wenden wir nns nnn zu unserem eigenen Volke. Schon die alten
Deutschen waren nahe daran, die rOmische Sprache in sich au&unehmen.
Es war in der Zeit kurz vor und nach Christi Gtebnrt, als ihre Groften
bereits halb romanisirt waren, indem sich unter ihnen mit dem
römischen Heeresdienste auch die lateinische Sprache verbreitete.
Selbst der berühmte Chemskerfftrst Armimns machte die rdmische
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WaBdlnng der genDanischen Fflrsten mit. Allem das Volk stieB das
fremde Element von sieh. Als nftmUch die Römer, namentlieh Vams
nnd seine Beamten, mit aller Energie daran gingen, den Deatseben
auch das rOmische Reeht aufiEndrftngen nnd sie zn nöthigen, in der
rOmiachen Sprache vor römischen GeridttshOfen ihre Streitigkdten
entscheiden zn lassen, da empOrte sich das deutsche NationalgeliUil,
nm die fiOmer zn Tertreiben. Das sprachliche Moment wst eine Hanpt-
Ursache des Anlhtandes der Chemsker nnd ihrer Stammverwandten
gegen Bom, and der glflcküche Kampf unserer Vorfahren gegen die
BOmer hatte den Erfolg, dass der erste Ansatz des Lateinischen ans
dem Herzen Deutschlands verschwand.
Einige Jahrhunderte später vollzogen sich jene gewaltigen Be-
wegungen, die unter dem Namen der Völkerwanderung bekannt sind,
und welche die Anfänge der deutschen Poesie und damit auch die
alte deutsche Sprache aul das tiefste erschütterten. Das Dui'cheiu-
anderstürmen der Völker war für die vorhandene deutsch-nationale
Cultur, deutsch-nationale S|)ra( he und Dichtung nachtheili^; die alten
Sagen, des heimischen liodens verlnj?ti<r. Terstummten. um erst in
später Erinnerung theilweise wiedei- aufzutauchen. Zu dieser Wandlung
des alten Geraianenthnms trug- ferner der Umstand wesentlich bei,
das.s gerade in der Zeit der Vlilkerwandenin^ ein neuer Factor, das
Christen t hu ui, in der abendländischen Cultur eine entscheidende
SteUung gewann. Dabei ist es im br.rhsten Grade folg'enschwer Ge-
worden, dass das Christenthuni zu den Deutschen von Rom aus und
in römischer Gestalt «rekonmien ist. Als der Frankenkünig Chlodwig
ziun Christenthume und zwar zum Katholicismus übertrat, machte er
sich von Rom abhäug^ig, und schon liiermit wnirde zu jenem i^eltsamen
politischen Gebilde der Grund gelegt, welches unter Karl dem Großen
zur E2ntfiiltung kam und nachmals zu dem für unsere Nation so ver-
hängnisvoUen „heiligen römischen Bdche deutscher Nation** sich
ausprägte. Zwar haben Karl d. Gr. und einige seiner Nachiblger,
namentlich Heinrich L, den deutschen Geist aufrecht zu erhalten
gesucht: es sind auch auf Betrieb des ei-steren und dann durch die
l^e Thätigkeit national gesinnter Männer die aus alter Zeit stammenden
deutsehen Dichtungen gesammelt, beziehentlich wieder hergestellt nnd
aufgezeichnet worden, nnd das poetische Schaffen hat namentlich zur
Zeit der Hohenstaufen herrliche * Bifiten getrieben. Allein das Ab»
hangigkeitsverhftltnis, in wdchem Deutschland zu Bom stand, machte
sich immer f^barer und führte allmählich zu einer bis auf die Wurzeln
dringenden Schädigung des deutsch-nationalen Lebens. Als der lange
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I
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und schwere Kampf zwischen KuserÜinm und ^pstthum scUiefilich
mit dem üntergange der Hohenstanfen nnd mit dem Triumphe des
rDmisehen Pontifex endigte, da tnt die Schmach der deutscheu Nation
in ihrer ganzen Größe hervor. Die Bemühungen Karls des Großen
für deutsche Sprache und Bildung, für Erhaltung vollcsthttmlicber
Dichtung und für Begründung einer nationalen Literatur, ebenso die
schriftstellerischen und poetischen Leistungen jener wackeren Männer,
welche im Sinne des großen Kaisei's fortgewirkt und schließlich die
ei"ste Glanzperiode unserer Sprache und Literatur herbeigeführt hatten,
diese Bemühungen und Leistunp:en fanden keine Wertschätzung mehr
und geriethen in Vergessenheit, weil der zu vollem Siege gelangte
Romanismus den volksthümlichen Bildunofsschatz verdunkelte, die Nation
ihi-er Eigenari und ilirem g-eistipren Eibgut entfrenidere. W'ol fand
im Ansfratiire des Mittelalters di«' deutsche Sprache um! I'n<-ie hie
und da noch in den Werkstätten und Zunfthäusern der Hui'^^er /uilucht
und rrirfre. Aber im ganzen war das nationale Bewusstsein auf das
tietsie gesunken. Der Ritterstand hatte seine Ideale verloren und der
edlen Dichtkunst entjiagt, um in Liistem zu versinken -oder im Kaul»e
seine stärke zu zeigen. Der Priesterstand war römisch gewurden im
Glauben, in den Sitten, in den Gefühlen, in der Sprache. W'n sollte
da deutscher Sinn und deutsche Sprache eine Stütze finden V — Wol
bildete sich ein neuer socialer Körper: es entstand im Anschluss au
die Universitäten eiu eigener Gelehrtenstand. Aber auch er hatte
keinen Sinn für deutsches Wesen, wurde vielmehr ein neuer Unter--
drflcker desselben. Nation&lgef&hl war ihm fi-emd, und auch seine
Sprache war nicht die deutsche, sondern die lateinische. Diese wai*
mm auf dem ganzen Gebiete der höheren Interessen zur Alleinherr-
schaft gelangt: sie war die Sprache der Kirche, des Staates, des
Becbtes, der Wisseaschafl, der Schule. So ist es b^gireifUch, dass man
der hitdniscfaen Sprache eine ganz eminente Wichtigkeit beilegte, nicht
wegen ihres inneren Wertes, sondern weil ihr durch die äußere Gewalt
der geschichtlichen Ereignisse die Herrscherrolle zngefiülen war. Und
so konnte ee auch geschehen, dass man sich aUmShlich daran gewöhnte,
der lateinischen Grammatik eine BildnngBkraft zuzuschreiben, welche
jeder durcbgebihieten Grammatik überhaupt eigen ist, aber jener aUein
beigelegt wui-de, so lange man keine andere kannte, und so lange die
lateinische Sprache der Schlüssel zu aUen hervorragenden Stellungen
war. Damit war für die deutsche Sprache die Zeit der tiefsten
Schmach gekommen. Sie sank in Verachtung nnd Verwildeiimg, wie
das arme Volk, welches sie noch redete; und wie jene ihres vormaligen
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Keichthuntö an Formen tmd literarischen Schätzen verlustig ^ug. so
wurde aucli dieses seiner Habe, seiner Freiheit, seiner Menschenwärde
beraubt. Die römische Sucht, der alle leitenden Kreise verfallen wai-en,
und die eine Reihe nümiieicher Kaiser so schwer gebüßt hatten,
lastete schließlich am schwersten auf denen, die keine Schuld an ihr
hatten, auf jenen gedrückten Classen, die am Ende des Mittelalters
fast noch allein dag deutsche Volk ausmachten. Was war ihm noch
geblieben? \'i<"ht einmal tlas heimische Recht; anch dieses üel alhnählich
der römischen Sucht zum Opfer. Die deutschen Kechtsbücher wurden
verdrängt, um jenen Satzungen Platz zu machen, welche in dem
Mustei-staHte des deutschen Reiches prejjrolten iiatten. Und so mussTe
das deui>clje \ ulk niclit mir ^ein ang-estaiiimte> Hecht vergessen, es
durfte nicht einmal wisstu, welches neue Hecht man ihm anfh^^thijarte,
da es die Sprache desselben nicht verstand. So weit war es also mit
unserer Nation zur Glanzzeit des Ronianismus gekounuen; zerrissen in
eine Reihe schroti geschiedener Stände ging ein jeder seinen selbst-
süchtigen Interessen nach: Ritter, Priester und Gelehrte rechneten
sich nicht mvfiv zum Volke und wai*en eine schwere La«t des^aelbeu;
nur der Bürgerstand hielt sich mit Noth auf dem Roden deutsch-
nationaler Büduug; die breiten Schiditen der kleinen Lente aber waren
von allen yeilassen mid gedrückt, eine politisch, geistig und physisch
unfreie Masse, aller Bfldnng und jedes eriiebenden Einflnsses bar,
„Das Volk**, sagt Lnther ebenso ivahr als drastisch, siebte dabin wie
das liebe Vieh nnd nnvemttnftige Sftne.^ —
Endlich trat in diesen trostlosen Znstftnden eine Wendong ein.
Zwm bedeutsame Factoren wirkten znsaaunen, nm dem sieehen Geistes-
leben einen neuen Aufschwung sn verleihen: der Humanismus and die
Kirchenreibrmation. Indem die halb der Vengessenheit anheimgefallenen
Classiker der Börner und besondeis der Griechen wieder ans Licht
traten nnd ein eifriges, oft begeistertes Studium auf sich zogen, lernte
man vor allem zum Unterschied von dem vielfach verdorbenen mittel-
alterlichen Latein das ursprüngliche, echte Latein wieder kennent
gewann man aber anch aus den Schriften der Altrömer nnd in noch
reicherem Maße and edlerem Gepräge aas der Literatur der Hellenen
eine Geistesnahrungt welche über den engen Kreis der clericalen
Bildung hinaus in allgemein menschliche Sphären führte. So wurde
für die Gelehrsamkeit wenigstens ein weiterer und freierer Standpunkt,
eine frischere Triebkraft, eine schönere Form, ein reicherer Gehalt
gewonnen, l^nd nachdem der deutsche Geist durch ein trenides Klement.
durch den mittelalterlichen Romanismus, fast ert<)dtet wai*, so dass er
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ans eigener Kraft sich kaum wieder an&urichteii yemochte, war es ein
nnseliätzbares Olflck, dass ihm durch ein anderes, Unfalls firemdest
aber besserea Element, diircli den hnmanistisclien Classidsmus, neues
Leben eingehaucht wnrde.
Was ftraer dia reformatorischen Bewegungen anf kircUichein
Gebiete betrifft, so können wir dieselben getrost als eine Beaelion
des, glticklicherw'eise unverwustliclien, daher anch nie völlig er-
loschenen , dentsch-nationalen Gefühls gegen deo Romanis-
mns beaeichnen. Denn die schreienden ^Lissstände der Kii-che und
besonders das ungeheuere Überhandnehmen der Unmoralität waren
keinpswegs Früchte des Christenthums , sonrlcrn des römischen
Geistes. Gegen diesen war denn aucli die deutsche Reformation
gerichtet, um der so vielfach entsteUten Wahrheit und dei* so tief
gesunkenen Sittlichkeit wieder aufzuhelfen. Zu diesem Zwecke aber
musst« man das deutsche Volk aufrulen, und dazu bedurfte man
der deutschen Sprache. So that denn Luther den großen Wurf,
dass er die Rihfd übersetzte, um sie seiner pan/^n Nation in die Hand
zu legen, eint I Im! von der höchsten iiedeutuii;^ . nicht blos zur Er-
neuerung des kirchlichen Lebens, sondern auch zuriiebungdes deutschen
Nationalgefilhls und der deutsch-nationalen Bildung.
Doch dem neuen Aufschwünge folgte bald ein neuer T^ückirang,
und die Leistungen des Humanismus wie der Deformation eni^in ai licn
^recliten Erwartungen nur in beschränktem .'\Iaße. Nachdem aiv auf
deutsc hem Boden eine feste Position gewonnen hatten, klang ans ihnen
ein Ton, der weder volksthümlich noch volksfreundlich war. Schon
im 16. Jahrhundert sehen wir, dass die Geistlichkeit, nachdem sie
sich eine neue Kirche gebildet hatte, ihre Hanptkraft auf dogmatische
Spitzfindigkeiten und theologische Zftnkereien verwendete, die das
Volk nicht Terstand, und die niemandem zum Heile dienten. "Dme
geistlichen Kämpfe waren aber llir das Gemeinwesen um so nach-
theiliger, als sie anch von Seite des Staates für außerordentlich wichtig
gehalten wurden. Die Fürsten und Minister hielten einen Streit Aber
die Natur Christi oder über das Abendmahl illr eine Staatsaction
ersten Banges. Auch dieser Wahn wnr ein Erbstflck aus dem
altrOmischen Reiche, wo ja Glaubens-, Priester- und Cnltussachen
als wichtige Staatsangelegenheiten gegolten hatten. Es ist also
begreiflich, dass die römisch gebildeten Juristen und Staatsmänner
Deutschlands mit anderen heidnischen Traditionen anch das Staats-
kirchenthum aus ihrem dassischen Hnsterreiche in die moderne Welt-
ordnung herabemahmen; aber besser wäre es gewesen, wenn die
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Obrigkeiten sich weniger am theologische Handel und mehr mn Volks-
bildnng gekflnifflert hätten.
Auch die Hiunanisten, ihrem Namen wenig EIhre machend, erwiesen
sich keineswegs als Fteande und Statzen volksthfimlicher BÜdnng.
Nachdem sie sich in ilirem Latein nnd Griechisch festgesetzt hatten,
erblickten sie darin ihr Lebenselement, in welchem sie, abgesondert
vom Volke, eine gelehrte Znnft bildeten, die deutsches Wesen hoch«
müthig verschmähte. Die Spmche der Wissenschaft und der höheren
Schulen blieb nach wie vor die lateinische ; denn der Gelehrte schämte
sich, deutsch zu spi *^ -li^n. und hielt es für einen Eingriff in die My-
sterien der Wissenscliaft, aus dem Schatze der Weislieit auch für das
Volk etwas auszumünzen. Jedermann war bereit, das „o^emeinc Volk"
in Anspmrh zn nehmen, ^venn er Mittel bednrfte. um sich über das-
selbe zn erheben. Weder Fürsten noch Priester noch Ritter waren
in diesem Punkte spr«Hle prewesen. I'nd auch die Jünger der Gelehr-
samkeit naliiiicn bereitwillig das Brot ans den schwieliovü Händen
des ..«renieinen Mannes"*, der vielleicht ihi- Vater oder Hrudei war.
bis sie nach zehn- oder zwanzig-jährijrem Studium iu der Lage wart u.
sicli ihres Herkommens zu überhel»en und als classisch-humaiiisti.scii
gebildete Herren mit Geringschätzung auf den „Pöbel- hinabzublicken.
Wie kuniite sich da eine einheitliche, von gleichem Geiste und gleichen
Interessen durchdrungene deutsche Nation bilden? — Die KJutt zwischen
Gelehrten und Volk war wieder so breit wie am Ausgange des
Mittelalters. Und so erwuchs weder ans dem Homanismns noch
ans der kirchliehen Bewegung ein lehenskrftftiges Ferment der natio-
nalen Cnltor.
Die Folge war, dass die Änfönge der Volkssehnlen, wie sie ün
16. Jahrhundert hervortraten, nicht zn gesunder Entwickelung kamen,
sondern bald wieder siechten nnd verkilmmerten. Die G^eistlichen
sahen in den Schulen nur Hilfeanstalten der Eirehe, die Gelehrten nur
Pflanzstätten des Latinismus; dass sie zur wirtschaftlichen, geistigen
und moralischen Hebung, zn wahrhaft menschlicher Veredelung der
ganzen Nation dienen sollen, diese Idee konnte damals nicht durch-
dringen. Die Pfarrer, welche die Anseht Aber die von ihren Hess-
nern, beziehentlich Eflstem, besorgten Schulen fürten, legten nur Wert
auf Katechismus und Eirchengesang, allenfalls noch auf das Lesen,
sofem es kirchlichen Zwecken diente. Bei den Katholiken blieb in
der Hauptsache Alles beim alten, erhielt sogar der Latinismus und
Ronianisnins in dem .Jesuitenorden noch eine neue und mächtige Stütze,
und bei den Protestanten kam das Wort auf: „Die Fibel und die Bibel,
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was drüber, ist von Übel.*' Dazu kam der Druck, den die Gelehilen
auf iVAS Bildungswesen ausübten. Sie verlangten, dass jede nur einiger*
maßen ansehnliche Schule das Latein lehre (vom Griechischen pflegten
sie sich selbei- meistens zn dispensiren), und so mussten in den Städten
selbst diejenigen Knaben, welche später Schneider, Schlosser a. 8. w.,
überhaupt Handwerker werden wollten, sich an dem ihnen auf-
irczwnngenen fi-emden Element abarbeiten. Diejenigen Stadtschulen >
aber, welche den volksthttmlichcTi Aiiftraben und Bedüifnissen Rechnung
tragen wollten, drückte nuiu zu Privatscliiih n herab, und weil sie auch
dann nocli deii Lateinscluilpn im \\'e<re zu stehen schienen, wurden
sie von Jeu uelelirlen mit den Sclniuibnamen ..WiTikelschulen", ,.Lum-
peubchiüen" l)ele<rt, damit allei- Welt kund wurde, dass deutsche
Bildung nichts tauge. Ist es nun zu verwundern, wenn infolge
der Verachtung und Verwahrlosung, welche auf dem (bnitM-hen Volke
lastete, jene tiefe Kntwiirdignng und Verwilderung eintrat, welche sich '
dann im dreißigjäh rijren Kriege mit allen ihren Schrecken utienbarteV —
Leider müssen wir gestehen, dass in dieser Zeit unser eigenes Volk
von keiüeu) anderen an Koheit und Bestialität übertroffen wurde. Wer
daran zweifelt, der nehme den Sittenspiegel zur Hand, welchen (Tiini-
melshansen in seinem „Simplicissimus'* seinen Zeitgenossen vorgehalten
hat, und der anch ffir nns noch höchst beachtenswert ist. Hit Ent-
setzen ersehen wir daraus, in welche Tiefen der Schande und des
Elendes die dentsche Nation versunken war, nachdem man ihr die
Worzeln nrwflchsiger Gesittung abgegraben hatte.
Als nnn die Schmach Deutschlands abermals den höchsten Grad
erreicht hatte, erhob sich in einigen edlen Männern, die dem bösen
Dftmon nicht erlegen waren, das patriotische Gef&hl zu einer kräftigen
Reaction gegen das verderbliche System der Entnationalisirung. Sdion
wtiiiend und sogleich nach dem dreißigjährigen Kri^e macht sich
da^ Bestreben geltmd, durch die Pflege der deutschen Sprache und
Po^e der gesunkenen Nation wieder aufzuhelfen. Aber auch der
beste Wille konnte rdurch dieses Mittel allein keine große Wirkung *
henrorhiiBgen. Denn was können einem Volke die literarischen Ilei-
stungen auaerwählter Kreise frommen, wenn diesem Volke die elemen-
tarste Vorbildung fehlt, um die Weckrufe seiner ITühi-er zu verstehen,
und wenn keine (,'anäle vorhanden sind, um die wieder erschlosseneu
Quellen der Bildung den ^fassen zuzuführen? — Auch einzelne Fach-
gelehrte ermannten sich, um die Wissenschaft dem Treben nähoi* m
bringen, so insbesondere Christian Thomasius, A. H. Krancke, Leilmiz;
der erstere hatte sogar die unerhörte Kühnheit, als Professor an der
. kjui^.o l y Google
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Universitftt Leipzig (gegeu Ende des 17. Jahrhanderte) Vorlesungen
in dentscher Sprache zn halten.
Da wurde aber die Gelehrtenznnft von einer furchtbaren Elnt-
rQstnng ergriffen. Sie sah in der Anwendung der deutschen Sprache
eine Sch&ndong des Heiligthnms der Wissenschaft Die Pdbelsprache
an der Hochschule — wohin sollte das ffthren?! — Thomsons wurde
auf das heftigste angefeindet; ja er mnsste die Universität und die
Stadt Leipzig Terlassan, um d^ Yerhaftong zu entgehen. £r wanderte
nur einige Meilen, nach Halle in Preußen, und das Iiatte den heÜ-
sameu Erfolg, dass König Friedrich I. von Preußen in Halle eine neue
Universitlit errichtete und dort der deutschen Sprache und dem deutschen
Geiste eine Pflegestätte bereitete.
Bedenken Sie wol, meine Herren und T>amen, dass dies keine Klei-
nigkeit war. Es ist von welthistorischer Bedeutung geworden, dass
• die brandenhurgischen Fürsten, die HohenzoUern, zu gelegener Zeit
und öfter als einmal den deutschen Grist zu würdigen wussten und au
die Spitze der nationalen Bewegung traten. —
Freilich drang in dt i- Gidehitenwelt zur Zeit des Thomasius die
deutsche Richtung noch nicht durch. Zu Ende des 17. und zu Anfang
des 18. Jalirhiinderts findüt sich in den . Schnlordnung"en noch immer
(Ii»; BestinuiuinfT. es sei in den Gymnasien strenL' darauf zu selicn,
dass die Schüler nur lateinisch sprächen, in und außer dem Unter-
richte. Deutsch zu sprechen galt als eine Scliaude und als ein Ver-
gehen. Kann es uns nun Wunder nehmen, wenn unter solchen Ver-
hältnissen zu der alten, rümischen Ausländerei eine neue kam. nämlich
diu franzilsische? — Wenn inau von maßgebender Seite uuaulhörlich
sagt: Mit uns Deutschen ist nichts, ohne Latein können wii- kein ge-
bildetes Volk werden — wie soll sich da ein nationales Ehrgefühl
bilden und eritalten? — Als aber die Vornehmen) in Deutschland
einsahen, dass die römische AusUnderei für sie nicht mehr recht
passe, das bloße Deutschthum aber verachtet war, so ergaben sie sich
einer anderen Ausländerei, die ihnen mehr zusagte. Zur Zeit Lud-
wigs XIV. &S8te nun die französische Auslinderm Fuß an den f1b»ten-
höfen, in der Aristokratie und im yomehmeten BQrgerstande Deutsch-
lands. Wie weit diese gallische Sacht um sich grifl^ zeigt der berOhmte
Historiker Schlosser, indem er sagt: «SoTiel galt französische Sprache
und Gewandtheit^ dass jeder fhuizösische Barbier in Deutschland Marquis
hiefi, und dass, während der deutsche Doctor den Sang eines Hof-
kutschers hatte, der französische Sprachmeister holKhig war und mit
den gnftdigen Herren wie mit seinesgleichen umging.** Und Lessing
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gdftelt die Modethorln it i Liier Zeit in seinem ersten Lustspiele, wo
er einem Bedienten die Worte in den Mund legt: „Ich niuss meine
Schande gestehen: ich bin nur ein Deutscher. Aber ich habe das
(jl&ck gehabt, mit verschiedenen Franzosen nmgfelien zu können, und
da habe ich denn so ziemlich gelernt, was zu einem rechtschafienen
Kerl gehört. Ich glaube, man sieht mir es auch g:leich an." —
Das ist die Schmach, weiche aus der fast tausendjährigen I nter-
drückung des deutsch-nationalen GefRhls hcrvrfrehen musste. P'reilich
haben die Philologen anf fliese neue Ausländeroi Avacker geschmäht,
weil sie der ih?'!o:en. die allein lierrsrlien sollte, roTiciirronz machte.
Sie vergaßen aber, dass sie selber i\ns l 'bel vorbei titfi hatten. Wenn
einmal in einem Menschen das perxuilicüe Ehrgeluhl abg-estumpft ist,
und wenn er Peine Selbstbestimmung weggeworfen hat, so wird es
ihm uicht schwer werden, seinen Herrn zu wechseln; und wenn eine
Nation sich selbst verachten gelernt hat: waium sollte sie nicht aus
dem römischen Joch in das französische kriechen?
Die althergebrachte und tiefgehende Schädigung des deutschen
Nationalbewusstseins, die in der Geschichte keines Volkes des Alter-
thums und der Neuzeit ihres Gleichen findet, ist auch die Ui-sache,
iranm bis anf den heutigen Tag die Deutschen gegenflber fremden
Nationen sich so schmelzbar zeigen. Überall, wo die Bentschen Grenz-
nachbam oder Staatagenossen anderer Nationen sind, geben sie ihr
Volksthuui theüveise oder gftnzlich auf. In Elsass-Lothringen werden
sie Franzosen, in SUdtirol Italiener, in Ungarn Magyaren n. s. w. Das
ist nicht löblich, aber begreif lieb. Abgesehen von politischen Komenten
hat doch jeder einigörmaften ebrliebende Mensch den Wunsch, zu einer
Nation zu gehören, die Selbstachtung besitzt. Wenn also der Deutsche
zu anderen Völkern konunt nnd vorher nicht gelernt hat, sich selbst
zu achten, weil ihm im eigenen Vaterlande die Verachtung des volks-
thftmlichen Elementes überall entgegengetreten ist, nun aber den na*
tionaien Stolz der Franzosen, Italiener, Mag}'aren u. s. w. wahrnimmt,
so muss er sich sagen; Ich möchte auch zu einer Nation gehören, die
Ebrgeftthl besitzt und aus sich etwas zu machen weiß.
Das sind die verhängnisvollen Folgen, welche aus der Geschichte
unseres Volkes entsprungen sind. Nun ist allerdings die Franzosen-
sucht des 18. Jahrhunderts ziendich schnell verschwunden, theils da-
durch, dass einig^e hervorragende Ä[änner, besonders Tjessing. sie
bekämpft haben, tlieils aber aueh nnd, wie ich glaube, weit mehr
durch ein anderes Monu'Ut. Die Bekämpfung des rix-Is durch Schrift
nnd. Rede würde meines Krachten» nicht viel gehoileu haben, weuu
. kj i^ . j i. y Google
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uicht eine politische Ursache entscheidend iJHt«;ewirkt hiitte SoviV 1
ii*h iiiicli entsinne, ist dieses MomeTit noch uirpfends in dem hier iii
Hh? rächt kommenden Znsammenliüuge gewürdigt \V(t?-d('iL \vH-;balb ich
in<-\]]r Ansicht der rriHnntr Hnheim^^ebe. I^as verhält uij^ma Ii i>( rasche
VeiM-h winden der > rauzusensucht erklärt sich meines Krachtens haupt-
sächlich aus den Spannungen, Feindseligkeiten undKrief,^en. die zwisclien
Deutschland und rankreich gespielt haben. Indem nämlich die beiden
Völker sich gegenseitig als Erbfeinde betrachteten, traten sie auch
culturell in (TPgensatz zu einander. Was die Römer den Deutschen
Übles L^ethau hatten, das war schon lange her, und luau hatte es
verschmerzt; daher konnte auch die römische Ausländerei sich noch
halten, als die französische, infolge unmittelhar gegen wäiiiger Ereig-
nisse, bereita gebroehen war. Nach wie vor wurde unter den D^itadieD
die Maxime fortgepflanzt: es gibt keine rechte BUdong ohne Latein,
obwol nunmehr allerdings aneh einige frei denkende Philologen diesen
Wahn bekämpften. Ich erinnere an einen der aosgezeiclinetsten unter
ihnen, an KOchly. Dieser sagt: »Die lateinische Sprache war einst
die Sprache der Gebildeten ftberhaapt — sie ist es nicht mehr. Die
lateinische Sprache war dann die Sprache aller Gelehrten — sie ist
es nicht mehr. Die lateinische Sprache war soletat die Sprache der
altclassischen Philologen — sie ist es nicht mehr. Was ist sie also
jetzt noch? Sie ist die Sprache der Scholastik, d. i deijenigen Scbol-
Weisheit und Stabengelehrsamkeit, welche, selbstzufrieden and hoch-
müthig von der frischen Gegenwart in Wissenschaft und Leben sich
abschliefiend, an dem Vermächtnisse vergangener Jahrhunderte zehrt
und von einer neaen Jagend, einer neuen \\ elt nichts wissen will,
sondern sie entweder vornehm ignorirt, oder dummdreist verschmäht
nnd verwünscht" — Nun, jeder Kenner der lateinischen Spi-ache und
Literatur M-ird unbedingt zugeben müssen, dass deren relativer Wert
heute liei weitem nicht mehr so groß ist vrie vormals, weshalb es sich
nicht mehr reclittertis,'en lassen würde, ihr znm Zwecke allsrcmeiner
Bildung noch das gleiche .Mati von Zeit und Kraft zu widmen. Nun
hat man, um dem Latinisnnis eine neue Stütze zu Keben, die Be-
hauptung autgestellt, das Studium ih r rr.niischen Spraclie habe einen
irroßen moralischen Wert. Es würde dadurch (h\< sittüchi l'ruusst-
sein, besonders das Ptlirhtgetlilü und die (7e\vi.-sM-ühHifi*ikeil in aus-
gezeichneter Weise genährt, wogegen z. H. einem Arzte, der niclit
durch die lateinische Schule gegangen sei, keiu ratieut mit Beriihiguug
anvertraut werden könne. Wenn nun wirklich das Latein ein so
wii'ksames und unersetzliches Mittel zui- sittlichen Veiedeluug des
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— 345 ^
Menschen wäre, so müsste man es auch dem deutschen VolksschuUelirer
augedeiheii lassen, der doch ohne Zweü'el Pflicht f!:etiihl und Gewissen-
haftigkeit in ))<>hem Maße bedarf. ^Venn ich mir aber den moralischen
Uehalt der i ii im hen Nation, der nimischen Cultur und der römischen
Literatur verge<»'eawÄrti<j:e und mich überzcufren niiiss, daj^s dieser
(Telialt unter dem Niveau der Moral unserer eigenen Nation stritt:
dann kann ich die Behauptung, wir Deutschen seien eine s<i elende
Kass^.'. dass wir trotz unserer Lessing und Schiller, unserer Kant und
Ficlitv und all unserer übrigen Geisteslieroen keine rechtschaffenen
Menschen werden könnten, falls wir nicht durch die römische Schule
gingen, um- als eine unerhört hitamie bezeichnen. Eine derartige
Schmach hat noch niemals eine Nation über sich ergehen lassen. Man
hfttte Ähnliches in Athen, in Korn behaupten sollen! Man sollte es
heute in Paris oder aneh in Montenegi o behanpten! — Wer seiner
Nation, nachdem er seihst auf ihre Eosten etwas geworden ist, zum
Dank dafür den ärgsten Schimpf anthut, der würde in jedem Lande,
wo nicht der römische Götsendienst bis zur Selbstentwürdigung ge-
diehen ist, hinausgeworfen werden, und dies mit ToUem Bechte.
Nun fingen Sie: wie ist es denn möglich, dass der Bomanismos
und Latinismus selbst heute noch einen so verblendenden Zauber aus-
flben kann? — Ich ghiube, dass sich dies zunächst psychologisch
erkläroi lässt, nämlich aus der stump&mnigen Gewohnheit, aus dem
trägen Hangen am Alten, Hergebrachten, also aus einem Oharakter-
znge, der zwar zum Glücke nicht allgemein ist, selbst in einer Nation
nicht, auf der so lange eine lähmende Tradition gelastet hat, der aber
doch weit verbreitet ist Schiller kennzeichnet diesen Charakterzng,
indem er yom Menschen sagt: „Die Gewohnheit nennt er seine Amme*
Weh dem, der an den würdig alten Hansrath ihm rührt, das theure
Erbstück seiner Ahnen! Was gi-au vor Alter ist, das ist ihm göttlich.
Nicht, was lebendig, kraftvoll sich verkündigt, das ganz Gemeine ist^s,
das ewig Gestrige, was immer war und immer wiederkehrt und morgen
erilt. weil's heute hat j^ej^olten. Sei im Besitze und du wohnst
im Kerht." — Nun, der Komanismus und [.atiuismus sitzt seit einem
Jahrtausend auf dem Thione der deutschen Hildnnjrsstätien: warum
sollti' er weichen? Er meint, tür nlle K\vi<;keit die Dictatur über
unsere Naiioiiah ultur ersessen zu haben, .no d;t>s ihm ein überkom-
menes und unantastbares Keclit zustehe, die üen-schaft über die
(ieister zu fuhren. Das ist die Hauptstütze der ..elassischeii i^ildung''.
Auch der ausgezeichnete englische Philosoph Herbert Sptiictr fasst
die Sache so auf. Ei' sagt: „Die Menschen putzen die Geister ihrer
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Kinder, wü' ilue Körper, nach der li^^rrsehenden Mode. «Teradt; wie
sich der Oritioko-Tndianer erst mit l^'arbe bescliniierf . bevor er seine
Hiitte verliisst, iii I t mit Rücksicht aul' iigeiid welchen uumittelbai'en
Nutzen, sondern weil er sich ohne sie schämen würde: so besteht man
auch darauf, einen Knaben in Latein und (Trierhisch zu drillen, niclit
wegen des inneren Wertes dieser Sprachen, sondern dfunit iiiclit der
Knabe durch seine Unkenntnis derselben in Missaclmiug komme, damit
er eine standesgemäße Erziehung habe, dieses Zeichen, welches eine
gewisse gesellschaftliche Stellung andeutet und ein daraus folgendes
Ansehen einlnringt." Bei ans mnss man hinzofikgeni aneh Ämter und
Einkommen. Denn ver dvreh das eksslsclie Joch vS&at bindnrehgeht,
kann gar viele Posten nicht erreichen. — Spencer kommt scliließlich
zu folgender Ansicht: ,^In allen seinen Wirkongen ist Lernen, was
Dinge bedeuten, heilsamer und fkuchtbringender, als Lernen, was Worte
bedenten. Sei es fttr die geistige, oder sittliche, oder rdigiGse Er-
ziehung: das Studium der umgebenden Erscheinnogen ist dem Studium
von Sprachlehren und Wdrterbachem weit überlegen.**
Daraus nun, dass, wie ich schon bemerkt habe, die lateinische
Sprache m unserer Zeit ffir die allgemeine Bildung nicht mehr die
Bedeutung hat, wie vormals, folgt für mich: dass in der Bildung von
VolksschuUehrem das Lateinische nicht soviel wert ist wie die Zeit,
welche ihm gewidmet werden mfisste, um es einigermaßen gründlich
zn erlernen. Denn wenn wir uns fragen: was kann man yemünftiger-
wdse von einem Volksschullehrer fordern? so muss man antworten:
er soll Bildner und Erzieher der Kinder des Volkes sein. Nun liegt
es schon im Begriffe der Volksschule, dass dieselbe vor allem die
Muttersprache und das nationale Element zu pflegen hat. Es kann
ja nicht anders sein. W ir müssten sonst ücrailezu alle pädasrogischeu
und methodischen Grundsätze, alle Normen unseres ßerules ver-
leugnen. Die VolksschuU' kann m\v eine nationale sein. Da heißt es:
„Ans Vaterland, ans theure ^( hließ" dieli anl Hier sind die starken
Wurzeln deiner Kraft.-' Wenn dem nun so i.st, so kann auch für die
Lehrer im wesentlichen keine andere Bildung gedeihlich sein, aLs ilie
nationale. Freilich werden die vornehmen Philologen sagen: eine
solche Bildung wolle nicht viel bedeuten: denn in ihren Augen ist
es etwas Geringes. ..nur ein Deutscher- zu sein, nach ihrer Mei-
i»uug uniss der „wahrhaft Gebildete" römisch gestempelt sein. Es
wÄre aber sehr heilsam, wenn die Leute, welche so denken, statt
immer wieder im Cicero zn wühlen » sich ein wenig in Eant's oder
Fichte's Werke verti^n; wenn sie, statt änmer den Horas m rer-
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herrlichen, iu die Werke von ScbtUer oder Qoetlie grOndlicher ein-
drftngen. Vielleicht würden sie dann erkennen, dass die Schöpfungen
des deutschen Geistes denn doch etwas mehr bedeuten als s&mmt liehe
Opera der classischen Römer. Unter competenten und unparteiischen
Richtern kann ja kein Zweifel sein, dass die deutsclie Cultur und Li-
teratui- in allen Beziehungen hoch über der römischen Mit Wo man
das neg:entheil behaui)tet, kann dies nur ans i Linoi anz oder Zunftdünkel
grescheheD. W'enii also die deutsche Literatur einen so großen, für
das Individuum geradezu unerschöpflichen Hildungsschat« darbietet,
wie kann man denken, dass die deutsclien Leluerbildungsaiist alten
jemals in Verlegenlieit koniuien kannten, woher sie das geistige liini
für ihre Zöglinge zu nehmen hätten V Niclit nnr für allgemeine liil-
dung, auch ttir das Studium aller Facliwissenseliaften. der (Grammatik,
Naturwissenschaft, Mathematik, (Tesehichte. (ipdgraidiie n. s. w. gibt
es vorzügliche deutsche Werke in Fülle, wiihrend es eine offenktuidige
That-SAche ist, dass die Römer in allen Wissenschaften schwache An-
fönger geblieben sind. Man darf daher dem Deutschen nicht zumuthen,
<lass er seine heiuuscheu Büdungsschätze gering achte und zui- Seite
schiebe, um den längst erschöpften Scluiften der Römer den Vorzu;^
zn geben. ■
Ich bin demnach der Meinung, dass, so lange IBr die Lehrei*-
Uldmig der gegenwartige Bahmen nnd besonders nur ein vieijfibriger
CnrsDS besteht, sie eine dnrchaas nationale, bei nns also eine deutsche
sein mfisse. Und wenn es gelingen sollte, den Bildongscnrsos auf
sechs Jahre sn verUngern, dann bleibt selbstverständlich inuner wieder
die Hauptsache: 1) ein grOndfiches Erlemen der elementarischen Wis-
senschaften, die der Lehrer in der Schule zn verwerten hat; 2) eine
mOgliehst grOndliche Vertiefting in den allgemeinen nationalen Bil-
dnngssehatas; 3) eine gründliche pädagogische und schnhnftnnische
FachUldong. Dazu kann und soll aber in dem. sechsjährigen Cnrsns
auch eine fremde Sprache treten, weil eine solche zur wissenschaft-
lichen Beleuchtung der Muttersprache wesentlich beiträgt, nicht etwa
znr praktischen Beherrschung dei*selben und zur Erhöhung der Sprach-
?ewalt. Eher das Gegentheil dürfte eintreten; denn die gewaltigsten
Redner, von denen die Geschichte weiß, haben nnr die Muttersprache
gekannt. Nicht die Sprachki-aft wird gehoben durcli ein fremdes Idiom,
wol aber das wissenschaftliche Vei^ständnis der Muttersprache und die
elementar-philosophische Bildunir, welche mit Sprachstudien an sich
verbunden ist. Zu wünschen ist ancli, dass dem Lehrerstand mittels
einer fremden S))raclie ein neuer Zugang zu huhei'ei' Bildung und zui*
rcdacoginm. 6. Jahrg. Heft VI. jgS
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— 348 —
steten Tbeilnahm • an den Cultiirfortaeiiritteii der Menschheit geöffnet
werde. Diesem Zwecke kann aber nnr eine moderne Culturspracho
dienen; welche? dies lässt sich nicht in abstracto bestimmen, es häniji
von verschiedenen, namentlich von örtlichen Umständen, von etlmo-
gr iphischen Verhalt nisten und Beziehungen ab. Jedenfalls muss es.
vom päda2:no'igchen Standpunkte aus, eine solche Spr-i li. .sein, die an
und für sieh wert ist, gelernt zu werden, eine solche, die weit verlireitet
ist. die von einer hochcultivirten Nation, von fielen Millionen Ge-
bildeter sreKsprtM'hen wird, die also ein wicht?[r*'s Organ ist für den
internationalen Verkehr, der in der moderaen Welt eine so große
Bedeutung hat und daher auch dem Lehrer nicht verschlossen sein
soll. Bei einer solchen ^\ ahl ist dann auch die Möglichkeit gegeben,
die fremde Sprache wirklich und viUliof zu erlernen, während dies bei
einer todten Sprache nicht m gleichem Muße der Fall ist. Heute
lernt uieinaud mehr vollkommen das Lateinische, weil es unter deE
Lebenden keine maßgebenden Master und Förderer mehr hat, sondern
fldMm längst eine todte Qpzadie igt, die nldit mit der Zdt fortge*
schritten und daher auch nicht im Stande ist, die heutige Cnltnr an
umspannen und dmi Stfom derselben za lenken. Wollte man sie rar
EtflUlitng dieser Function gehörig aasweiten, so würde' sie aofbOren,
ciceronianisch und classisch ra sein, womit ja das Ideal des La-
tinismus xerstfirt wfire. Wer aber eine moderne Coltorsprache (Fran-
zaeisch, Englisch, Italienisch) lernen will, derkaim leicht dnrehaas
zuYeriilssige und allseittg bewanderte Meister, wirkliche Original-
komer derselben ünden und zudem sicher sein, dass er ein rareiehen-
des Oefilft und einen adäquaten Ausdruck ftr die moderne WeltbÜdung
gewinne.
Für die deutschen Lehrerseminare Österreichs wfirde wol in den
meisten Fiillen als fremde Sprache die französische zu wählen sein,
in den südlichen Ländern vielleicht die italienische. Bexüglich der
kleineren Nationen: der Slowenen, Kroaten, Czechen, Polen, Ruthenen.
Rumänen, Magryaren u. s. w. bin ich der Meinung, dass sie vernünf-
tigerweise, d. h. im Interesse ihrer eigenen Bildung und Wolfahrt.
in erster Linie nui* die dentsche Sprache wählen können. Ich stelle
mich hier lediglich auf den Standpunkt des gesunden Menschenver-
standes und dei- Pädap-o«rik, ohne mich um die Tagespolitik kümmern,
nnd da ist es mir unbcL^rei flieh, wie die Lehramtscandidaten der
kleineren Nationen des Eeiche:j der deutschen Sprache eine andere
vorziehen könnten.
Was soll aber mit dem Lateinischen wei-denV Ich vei-kenne uicbt»
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— a4y —
du8 aach dieses nodi immer einen gewissen Wert hat und wflrde
mcbts dagegen haben, dass es die Lehrer lernten, ja noch zehn Sprachen
dazu, wenn ich nicht vOaste, dass die meaaehUche Capadtftt aieonlich
enge Grensen hat Alles Nützliche zn lernen, ist non einmal nicht
möglich, und dämm stimme ich dem Grundsätze Spencer's zu, dass
man sich fragen müsse: „Welches Wissen hat den größten Wert?**
Weil nun das Lateinische hente bei weitem nicht mehi* die vormalige
Wiehtigkeit hat, ja vielt in anderen an Bildungswert naelist«ht, so
kann ich ihm in der Lehrerbildung keine herrschende Rolle zuer*
kennen, zumal es leicht die Wirkung thun könnte, den deutschen
Volksscliullehrei'stand halb und halb zu entnationalisiren. Tch möchte
es nicht erlel)en, dass auch dieser mit iiochmüthiger oder mitleidiger
Geringschätzung aut die eigene Nation und auf die Volksjugend herab-
blickte, indem er sich in dem Gedanken wiegte: ich stehe hoch, denn
ieh bin latinisirt; aber ich will mich mit Selbstverleugnung zum ge-
meinen Volke hinablassen. Es stünde denn 1 n a zu hetürchten. dass
ilie zum Cultns römischer Ideale angeleiteten Lehrer sicli dem Volks-
geiste entfremdeten, und dass sie sich nicht mehr recht glücklich
fühlten, ,.nur deutsche" Kinder belehren und erziehen zu sollen. Lassen
wir unser Volk deutsch sein, ehren wir uns selbst dadurch, dass wir
deutsche Biliiiiiig ehren und jeder anderen vorziehen, sowie dadurch,
dass wir deutsche Kinder und deutliche Väter ah> ■ unseresgleichen
anerkennen, dass wir uns ihnen mit ganzem Herzen anschließen, dass
vir keine Scheidewand errichten zwischen nns und ihnen, als wären
die Ldirer ans anderem Hdse^ als die Schaler und deren Eltern.
Ich will also in keinem Falle obligatorisches Latein in der Lehrer-
bildnng, weil es an sich Ar eine solche Stdlnng nicht wertvoll genug
ist, nnd weil es den Yolkslefarer nicht blos seinem wesentUehsten Stu-
dinm, sondern auch seinem eigentlichen Berofe nnd seiner wshien
Mission entfremden mochte. Darfiber darf nie ein Zweifel aofkommen,
dass der dentsche VolksscbnUehrerstand dem dentschen Volke gehört
und demgemftß im dentschen Bildnngswesen sein Lebenselement zn
«kennen hat Nur ans Opportnaitätsrttcksichten kann ich fklr eine
kleine Goncession an das Lateinische stinunen. Ich betrachte nAmlich
die gegenwärtige Situation unserer Cultur als ein Übergangsstadium
zwischen der bisherigen, römisch gefärbten Bildungs weise und einer
neuen, MdikUch liberalen and freien, in der Wurzel echt nationalen,
in der Krone wahrhaft humanen Büdungsweise. Anf die Dauer dieses
Übei*gangsstadiums nun wäre ich dafür, dass in den Oberclassen der
LehrerbiidQngsanstalteQ, falls sie einen sechsjährigen Cursus erhalten, ein
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tiiclit obligatorischer Unterricht in der lateinischen Sprache gegeben
würdr . ;ni welchem aber nur diejenigen Zöglinge theünehmen dürften,
die in allen Hanptfitobeni gute Fortschritte aufweisen. Solche Zög-
linge können in einem zwei- bis dreijährigen Corsns soviel Latdn,
lernen, dass sie dann, wenn auch mit Benutzung von Hilfsnnitteln. die
ihnen in deutschen Werken begegnenden lateinischen ('itate sich selbst
übersetzen und erklären, dass sit- mich, wenn sie wollen, ihre Stadien
in irgend einer speciellen Richtung fortsetzen können.
Aber, wie gesagt, als einen wesentlichen Bestandtheil uiiNeif^r
heutigen Cultur und als obligatoiisclies Farli lu der Lehrer^ikluIlg
kann ich das Lateilu^c|le nicht anerkennen. L berhaupt meine ich
dass es nunmehr an der Zeit sei, die liberschwengliclu' Verherrlichung
des Römertliums. die ja nur auf Kosten unserer selbst geschieht, t;iid-
lich aufzugeben. Die Römer haben nichts hinterlasiien , was noch tiir
uns vun positivem Werte sein könnte, nichts, was im Leben der Ge-
genwart als treibende oder heilende Kraft wirken könnt«, sie haben
uns auch keine Buchdmckerkunst, keine Dampfmaschine, keine Lo-
<omotive, keine Eisenbahn, keinen elektiischen Telegraphen, kein
Mikroskop und kein Fernrohr, kein Gas- und kein elektrisches Licht
kinterlaflsen, nicht eimnal ein Heilmittel in demjenigen Gebiete, in
welchem sich ihr Genie un glänzendsten gezeigt haben soll, in der
Staatsknnst, in der Gestaltung des politischen Gemeinwesens. Wenn
die BOmer wirklieb so unübertrefflich weise Gesetzgeber, Juristen
nnd Staatsmänner gewesen sind, wie man oft behauptet, so soQen
uns doch endlich ihre Lobredner, namentlich die Herren Philologen,
aus ihrer lateinischen Schatzkammer den Schlflasel zur LOsung des
socialen Bftthsels, die Antwort auf die sociale Frage, das Heihnittel
fOr die sociale Krankheit zukommen lassen. Aber meines Wissens
sah es in der römischen Welt noch schlechter aus, als in der unsrigen,
und so fiirdite ich, dass uns die Apostel des Glassicismus nichts zu
sagen haben W^tp ^ie aber schweigen müssen, sobald es sich nm
eine rettende That handelt, su mögen sie audi schweigen, vo es
gilt, die Grundlinien unserer Nationalendehnng zu bestimmen. Sie
mögen uns nicht femer mit der wahrheitswidrigen Anpreisung ihrer
classischen Bildung^ behelligen, als ob ohne dieselbe unsere ganze Cultur
zu Grunde drehen müsste.
H<"tren wir denn auf, rückwärts zu blicken; blicken Mir vr)i\v;irts.
w«'i ten wir das römische Joch von uns, vertiaucu wir uns selbst, tvpt.'ii
wii- muthig in die (icj^enwai't ein, um aus ihr eine schönere Zukuiilt
zu gestalten! Lassen wir die Todten ruhen, die ans nicht hellen
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— 351 —
könuen, die auch selbst niemals die Anmafimig hatten, die Hüter unseres
Heiles sein zu wollen. Wenden wir uns an die Lebendigen, blicken
wir um uns, helfen wir nns selbst, denn anders kann uns überhaupt
nicht geholfen werden: verwerten wir unsere eigenen iHilfsmittel, ziehen
wir unsere eigene Intelligenz und vorzüg'lich unsere ang'estammten
Tugenden zn Rathe. um die (Tcgenwart von ihren Grebrechen zu beil^^n.
und ei-ziehen wir aus unserer Jugend ein besseres Gesclilecht für
bessere Zeiten, eine gedieo-en«' und selbstbewusste Nation! Dies können
wir abpj- nur durcli volkstUüraliche Rilduugsmittel, und eben deshalb
iiiu>s aucil die Leluerbildiing auf den Boden unserer nationalen Cultur
gestellt werden.
Wenn wir in diesem Sinne den Lehrerstand für die deutsche
Jncrenil hcraubüden, dann winl dieser Lehrerstand seine Mission klar
trla^sen und freudig erfüllen; er wird keine bloße Phrase h<>ren. sondern
die Stimme seines eigenen Gefiihlti, seiner eigenen heiligen Liebe ver-
nehmen, wenn ihm der Dichter zuruft: „Ans Vaterland, ans theure,
sichließ^ dich an, das halte fest mit deinem ganzen Herzen!"
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Die llbtTbürdim^sfrage und die \olk88chQle.
Von Seminarlekrer A, KUinatAmidtr-BtnAam,
Die Überbürdung der Schüler in höheren Lehranstalten dürfte
katun zu leugnen sein. Denn wohin y^r hr.ren, überall, namentlich
aus den Kreisen der Eltern, dieselben KJajE^eii. wohin w'w sehen, überall
derselbe so wol gemeinte und doch so gefillirliche \\ etleü'er der Lehrer
einander zu überbieten, worunter die körperliche Kraft und geistige
Frische der Jugend Gefahr laufen. Ein vergleichender Blick auf die
Lehrpläne dieser Schnlkategwie in den versddeden^ dentsdien und
enrapüscfaen Staaten beweist, dass man einander hinsichtlich der
Menge des za behandelnden Lehrstoffes förmlich den Rang abzolaniien
sucht; aogenscheinlich treibt z. B. aneh Frankreich entschieden in
diesem getthrlicben Strome. Humboldts Wort^ man mnthe der heutigen
Jugend einen wahren Straußenmagen zu, wenn man verlange^ sie soUe
die Überf&lle von Lehrstoff verdauen, womit sie „genudelt" werde, bat
leider wenig Beachtung geftinden; und doch kam diese vernichtende
Kritik aus dem Munde eines geistig hochbedeutenden Mannes, dessen
Name sogar in den mSchtigsten Bereisen mit wahrer Hochachtung genannt
wurde, der in der Gelehrtenwelt selbst ffir einen wissenschaftlichen
Stern erster GrGße galt und heute noch gilt Häufig vergisst man
bei Veruitheiiiing jenes Systems jedoch ganz, dass das praktische
Leben selbst mit der unablässigen ungestümen Forderung, seine reakn
Interessen berücksichtigt zu sehen, mächtig mit auf jene genilu liche
Gestaltung der Dinge hindrängte; nun abor mrA alle Schuld, alle Ver-
antwortung für das entstehende Unheil den Behörden und den Lehrern
zugeschoben. Und doch folgen die letzteren gar häutig nur widerwillig
dem ynn aiißen geübten Drucke, doch verschließen sieh alle Besonnenen
unter ihnen dei* Erkenntnis keineswegs, dass jede Uberbürduug der
lyui.
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— 353 —
Schüler sich in bitterer Weise räclieu muss. Ks ist eine l'^ngeredi-
tisrkeit, wegzuleu^^ien. dass diirrh die Forflerini<rPn des Tiigeslebeiis,
wie sich dieselben nanientlicli in unjserer Tcigespresse krystallisiit'n.
eine Meng»* von Lelirstoft" in die Lehrpliine der hrdieren ljt'liranstalt«'ii,
oaineutlich der Realschulen, Mitlelschiilen, höhereu Bürgerschulen und
sogar in tliejeiiigen der Gymnasien und Seminarien, allmählich hinein-
gezwängt wurde, der im Interesse größerer Vertiefung und gründ-
licherer Durcharbeitung besser weggeblieben wäre. Gerade diese
Tlmtsache beweist wieder in iiiitlallender Weise, dass wii- in einem
Zeitalter der Unruhe, der Gährung, der Unklarheit leben. Wenn
man die erbitterten Klagen vieler Tagesblätter über die in den höheren
Scholen herrschenden Miasstlliide wieder und wieder liest, rnnss man
sich sagen: etwas Wahres mnss in dieser Fttlle Ton Anklagen stecken,
and dann ftUt einem das ironisch-wehmüthige Wort des Wands-
becker Boten em: „Wir treiben viele Künste nnd kommen
weiter von dem Ziel.*^ Daher kann es anch nnr gebiUigt werden,
dass die prenfiisehe Untemchtsverwaltang nnlüngst eine zweckm&ftigere
Oigamsation der hdheren Scholen voigesEeichnet hat
Hinsichtlich der Volksschule kann von einer Überbfirdang
nnr in gewissem Sinne die Bede sein; sie änitert sich hier nicht
m Übetladong der SchfUer mit geistiger Arfodt» worunter Gerät nnd
£5rper glelchmäflig leiden, wenigstens dürften Missverh<nisse solclier
Art zu den Seltenheiten zfihlen. Unsere Volksschnyngend ist im all-
«remeinen noch so gesund und frisch, wie ehedem; wo dies nicht der
Fall sein sollte, trSgt bestimmt nieht die Schule allein die Schuld
davon. Wol aber kann eine Überfülle von Lehrstoff, welche die
betr. Gesetze und Verordnungen jetzt fast allerorten vorschreiben, nicht
abgeleugnet werden. Gerade die strebsame Lehrerwelt hat lange Zeit
mit allen erlaubten Mitteln auf diese Gestaltung dei- Dinge hinfre-
drängt. und steht nun mitunter ratlilos vor einem bedenklichen fait
acrompli, weil jeder verstandige Volksschullehi er sich sagen muss, dass
eine Durcharbeitung der vorgesL-hrit benen Peusa mit großen, grolieu
Schwierigkeiten verknüpft ist. Und die bleibenden Erfolge des T'nt» r-
richtesV Nicht selten smd sie, wa;» nanientlich in den Forthililiiti^
schulen zu Tage tritt, erschreckend gerinj^; sicher ist ungenügende
Durchdringung und Einübung des Stottes die Haui)tui"sache des Übels.
Trotzdem braucht nach unserer Überzeugung kein wesentlicher Punkt
von dem vorgeschriebenen Lehrstofte zu tallen, ja, wir würden eine
Veränderung nach dieser Richtung hin für beklagenswert halten- Dem
ganzen Nothstande kann auf einfache und durchg» eilende Weise Abliilte
. k) i^ . j i. y Google
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geschatft weideu, weiui man l)ehen!igt, was der Herausgeber des I*ä-
dagogiums den Lehrern scUou \nederholt und nachdrücklich ins Ge-
wissen gerufen iiai: ..Sichtet die Lehrstoffe!" Hier haben wir den
Hinweis auf die Wurzel und auf die lieiiuug alles Übels. Die Lehrer
selber machen sich unnützerweise das Leben schwer, indem sie eine
Unsamnie von wertlosen Details, von unnützen Kleinigkeiten mit in
den Unterridkt hineinziehen und ihnen genau dieselbe Bedeutung bei-
messen, wie den wirklich wertvollen Hauptsachen. „Wenig, aber gut!"
Wie oft wird dieses schGne Wahrwort vergeesen! Gesetze und Verord-
nungen über den Lehrstoff von Schnlanstalten mflssen ihrer Natur
nach dehnbar sein, dem eigenen Denken, dem selbetstAndigen Ennessen
des Lehrers einen gewissen Spiebanm lassen, wenn anders dessen IM^
tigkeit nicht in «inen geistlosen Mechanismus, in eine maschineomftSige
Handwerkerarbeit ausarten soll. Die Schulbehörden wollen bestimmt
nicht, dass der Yolksschnllehrer zu weit aushole und sich in Begionen
Teriiere, wohin ihm seine Schiller nicht zu folgen vermögen. Jeder
verstftndige Scfaulinspector wird bei Beyisionen voUstftndig zufrieden
sein, wenn die Kinder die Hauptsachen klar erkannt haben, sicher
wissen und mündlich wie schnftlich möglichst selbststftndig zu venverten
verstehen. Nicht die Masse des eingelernten T^nterrichtstoflfes ist dem
erfahrenen Revisor das Merkmal und der Prüfstein fiir die Güte des
Unterrichtes, sondern die Denksicherheit und sprachliche Gewandtheit
der Schüler. Wenn also die Volksschullehrer sich unter einander
gleich den Lehrern mancher höheren Schulen bezüglich des Umtanges
des behandelten Stoifes zu Überbielen »suchen, wenn sie meinen, des
Guten darin gar nicht genug thun zu können, sr» sind sie M\m- die
Ursache ihrer BedWingnis und ihrer Misserfolg^e. sie selber trai: -u die
Verantwortung dafür, wenn ihr schönei- Berul' sie nicht beinetJifrt.
Freilich muss dabei immer vorausgesetzt werden, dass die
Schulaufseher erfalirene Schulmänner, Leute vom Fach sind,
welche Flunkereien und Sjiiegelf echtereien klar durch-
schauen lind genau wissen, wortiuf es in unseren Volks-
scliulen ankommt. Suchen sie das Ziel der Lehrerthätigkeit in
glänzenden l'ai-aden, im Brilliren der Schüler mit eingelernten Kennt-
nissen, denen das klare VersLäudnis, die Gruudbedingung der freien
Verwertbarkeit fehlt, dann ist ein gewissenhafter und verständig
arbeitender Lehrer in übler Lage; seiner schonbar geringeren und
dennoch solideren Erfolge halber wird er verkannt and miasachtet
werden, wo Wertschätzung für ihn so wOnschoiawert und wichtig
wäre. Dann heitt es, sich mit philosophischer Ruhe wafihen und die
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pädagogische iljerzen^^Dg nicht der äußeren AnerkeTmimg" opfern. Alle
einsichtsvollen Erzielter sollten einniüthig' darin zusammenstehen, dass
Denkfähigkeit und Können die besten Resultate des Unterrichtes
sind, nicht todtes Wissen. Es linden sich leider Volksschullehrer, welche
eine Ehre darin suchen, ihren Unterricht möglichst abstract zu ertlieilen
und demselben ein gelehrtes Mäntelchen umzuhängen; sie discreditiren
dadurch nicht allein sich und ihren Stand, sondern t^nch diejenigen
Schulbehörden, welche im Sinne der modernen Pädagogik thätig sind,
and denen es ebendeswegen nicht an erbitterten Feinden fehlt. Lehi-eni
dieser Art gebtirt von allen Seiten entschiedene Zurechtweisung, nicht
allein von oben, sondern auch, wenn sie in Collegenki'eisen sich breit
zu macheu üuchen, von den Berufsgenossen; denn sie verletzen die
Itegeln ihres Standes, der seiiie Bedeutung wie seine Kunst gerade
in der geistbildenden Methode sucht Man verstehe mich nicht
falsch; ich hin ti«f von der Überzeugung durchdrungen, dass das bildende
Moment, welches im Stoffe steckt, der Methode an Wert yollstftndig
ebenbürtig ist; ebenso nnmnstOfilich fest steht mir aber die Überzeugung,
dies der grOftte Thdl der dem Lehrstoife immanenten Kraft verloren
gebt, wenn er nicht verarbeitet, nicht geistig verdaut werden
kann. Ein Überachnss an Lernstoff gleicht dem Mehr an körper-
licher Nahmng, welches der Mensch bei nnmäBiger Lebensweise zu
sich nimmt: er beschwert den Geist als sch&dlicher BaUast, schwScht
md hemmt, anstatt zu kräftigen und dies namentlich infolge der Ver-
wirrung und Unordnung, welche die Unklarheit stets im Gefolge hat.
Unter allen Umständen gilt daher hinsichtlich des Lehrstoffes Alt-
meister Groethes Wort für den wahren Volksschullehrer: ,-In der Be-
schränkuno^ zeigt sich erst der Meister"; natürlich darf diese
weise Besclu'änknng nicht in Beschränktheit ausarten. Die Lehrer-
schatt sollte stets der Thatsache eingedenk bleiben, dass jede Erwei-
temno- des Lehrplanes sie selber und zwar g:anz direct und unmittel-
bar triftt. indem sie dadurch mit Arbeitsmaterial belastet wird, welches
sie unmö^'-jich ausreichend verarbeiten kann. Dass geistige t'beran-
sitrengtmg des Lehrers, zumal wenn ihr der schönste Lohn, der solide
Erfolg, fehlt, auch nachtheiliir auf seinen Ktirper und auf seine gesamte
dienstliche Thätigkeit wii-ken niuss, kann wol nicht zweifelhaft sein.
bo klar diese Verhältnisse auf der Hand liegen, finden sich den-
noch Lehrer (und oft sind es die strebsamsten Leute, mitunter fi*eilich
auch Streber!), welche meinen, mau müsse entweder das bereitjs vor-
geschriebene Material erweitern oder neue Lehrstotl'e, welche ihnen
hödist wissenswert und für das praktische Leben bedeutungsvoll er-
. ki.i^cd by Google
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acbeinen, iii den Lehrplan einfügen. Da soll Haudfertigkeitsunterrieht
A la Olansson-Kaas, Anthropologie nnd G«8undheitslehre, Gartenbau,
Haus- und Liindwirtsrhaftslehre , Technologie und Warenkunde, (rt-
setzesknndf und Nationalökonomie und Gott weiß, was nocli alles,
gelehrt werden; hat man (l(»cli mMierdings tV>T-mliche Waffen- und Kxer-
cierübungt-n in Schulen einirefülirt, und in f raukreicli drillt ninn srlion
die Srhull»uV>en mit ScbieLuibuupren für den Revanchekrieg-. Voiii Leiirer
Verlaufet mau aulierdt'Ui nt-»ch t*iue Menge außerdienstlicher Ireiwilliirt-r
und uneulgeltlioher Vei richtungen: er soll Scliulspai t assen, Thierschuu-
vereine u. dtri. einric luen und sich immer und überall als firmer Tau-
sendkünstler bt'wäkien. Hier ist Gefahr im Nachgeben. Die Kuhe.
die stille Sammlung, die be&iuunene Stetigkeit, welche nun einmal als
Grundpfeiler erfolgreichen Lehrerwirken^ anzusehen sind, müssen iu
solch krauser, zersplitterter Thätigkeit verloren gehen. Unsere Volks-
schalen sind bisher streng genommen noch nirgends überbiudet: wenn
man den Geist der Gesetze und Verordnungen richtig eriksst und hin-
sichtlich des Lehistolfes weise Beschrftnknng übt, kann letzterer noch
bewältigt und In fruchtbringender Weise verarbeitet werden. Aber
die Üb^bflrdnng kann und muss kommen, wenn die gesetzlichen Be-
stimmungen fiüseh ausgelegt werden, indem man die Kinder mit Stoff
ttberlastet oder zu den zahlreichen Lehrgegenstinden, welche bereite
vorgeschrieben sind, noch neue fügt Mit dem, was in dieser Hinsicht
bereite normirt wurde, scheint uns das jinfimte Maß dessen gegeben
zn sein, was die Volkasehnle bewitttigen kann. EÜne Erweiterung ver-
trägt der Lebrplan absolut nicht mehr; wenn Neues gelehrt werden
soll, muss Altes ausgeschieden werden. Indes mfissen wir immer der
Thatsache eingedenk sein, dass wir doch nicht alles Wissenswerte
lehr^ können, dass der Umfang des Lehrstoffes viehnehr constant ein
mäßiger bleiben muss, dass es aber keineswegs wünschenswert ist. in
der Schule alles zu lehren, was für das Leben wichtig ist und geist-
bildend wii'ken kann. Muss denn die Schule iu dieser Beziehung alles
thun? Soll nicht auch dem Jünglings- und Mannesalter ein Theü der
geistigen Ausbildung überlassen bleiben? Kann die beste Schule ein
abgeschlossenes Wissen und Können mitgeben? Muss sie nicht voll-
ständif^ zufrieden >ein, wenn sie den Schüler so entlflsst, dass er be-
fähigt ist. sich selber weitii zu bilden, und wenn er den Triel» zur
Fortbildung mit liinausnimmt ins buntlipwe<i'te T-ebenV \\"enn es die
Gestaltung unserer Zeitveiiialtnisse wirklich iiniliweiidig macht, dies
und jenes neue Wissenso:el)iet methodisch mit der Jugend zw dm»di-
wandern, so thue man {lies in den gegenwärtig fast allerorten be-
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stellend«!! Fortbildnngsschnlen; hier erscheint das Wiederkäuen
des bereits in der VoUcsschoIe behandelten Stofies sogar hOcbst nacli-
theOig, weil das Interesse der Schiller dafttr nicht gewonnen werden
kann. Nene, namentlich Ar das praktische Leben wertvoDe Lehrgegen-
stftide hingegen werden die Fortbildnngsschtiler schon an sich anregen,
auch wenn dieselben nur als eine wirkliche Erweitening des bereite in
der Volksschule vorgeführten Materials erscheinen. Aach in den Fort-
bildungs-, Volksbildnngs-, Handwerker-, Gewerb- Vereinen, deren Besuch
meist Jedermann freisteht, ist die lebensvolle and praktische Behand-
lang jener Stoffe nicht allein gerechtfertigt, sondern sogar höchst wün-
schenswert. Die Volksschule aber hat hinreichend mit dem zu thun,
was ihr bei eits- zur Verarbeitung übei'wiesen ist; die Lehrer derselben
werden mit unnützer Arbeit überbürdet werden, wenn man ihnen zu
den bereits voro^eschriebenen Pensen neue, ihnen noch dazn nieist fremd-
artige, bestimmt Da sie wahrsrheinlich ohnehin nur Buk hstücke,
mitunter \v^)l noch dazu von recht fragwürdigem Werte, zn in-hi^n ver-
möchten, ei'seheint die in Rede stehende Xi inTunp-ssiirlit doppell verwerf-
h'ch. Die Schule würde al)e]- auch, wenn sie jenem Amlriiiiren nachgäbe,
ganz aus dem Rahiaen ihrer naturgemäßen Tliiitigkeit heraustreten,
ihrer eigentlichen Aufgabe, welche in der allgemeinen Menschenbildung
besteht, voUstÄndig nntreu werden. Ihrem ganzen Wesen nach darf
sie keiner besonderen Partei, keinem speciellen Benife, keiner herrschen-
den Mode dienen; sie trägt ihren Zweck in sich selber und soll in
dem Streben nach Erfiillnng desselben die Schüler befäldgeu, später
cdn nu^isehenwilrdiges Dasein za ftthren; was darüber hinausgeht, ist
Tora Übel.
(Sdünw folgt)
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Fortbildnn^sschnle und Leben.
Fo» Hugo }reber-Leiptijf,
IL Da» Leben in Hau» nnd Hof.
3. Herraehe weise in hftnsliehen Kreiae ! An der Hand der Lehr-
atflcke dieses Cai^tela soll der Lehrer ein schSnes ideales Familienleben, die
Bedingungen einer traten Ilaasordnang- nnd Hanshaltun^, die Eigen-schaften
eines charaktervollen, iitn«!« htigpen Haasvaters und einer S4)rg8ani waltenden
Hanslrau and die .Schieckbiider einer liederlichen Wirtschaft besprechen.
Die „Inschriften fiir die Herrenstnbe** sollen m anregendoi Bemerkungen
Uber die Pfliehten der Herren Gelegenheit geben.
4. Diene tren, fleiüig und ehrlich! Aus der Herrenstube geht's in
die Gesindestube: dttui unter rlen Sclinlpin der Fortbildun^sschnlt' sind ja
auch Dienstboten. Eine besondere Behaadlun^ der l'Aichten nnd Verbältuisse
der Dienstboten, insbesondere der obengenannten drei Cardinaltugenden, die
jede dienende Person mindestens als Prtdieate in den Zeugnissen des Dienst-
buches aufweisen soll, ist darum sehr angezeigt; sie lUsst sich am besten an
Nr. 12 anknüpfen, an dip «jrhfSne Darstellung- ans ..Tli (l«n- Knt>rhf' von Jere-
mias Gotthelf, auf dessen Schritten bei dieser Gelegeulieit nachdiücklich auf-
merksam zu machen ist Sehr zweckmäüig dürfte auch bei diesem Capitei
das Vorlesen nnd ErlSntem der G-esindeordnnng sein, wie sie in der Begel
jedem Dienstbuchc vorgedruckt ist. Die Mensdiliclikeit gegen Hausthiere sdiil-
•l.'i t Xr. 13, willirend Nr. 14 die Sympathie zw erwecken sm lit für jeno .irmon.
HUt' dem Laml«' nicht spUph an/.utretienden HHtrjnniren. die nnr von einer
Schlechtnau Mutler. abei> von keinem Vater wissen und darum von Kindesbeinen
an sieh bei fremden Lenten herumschlagen mttssen. Die „Lischriften filr die
Gesindestnbe" halten die nachgewiesenen Pflichten nochmals in Form des Spiich-
wortes vor. Als scliriftliche l^bungen schließen sich an die letzten Cajtitel z. 1 5.
Oesnche um Dienstboten, Stellnneen, Zeugnisse etc. T'ni ni« lit wieder darauf
xuriii kkomuieu zu müssen, will ich gleich hier ausspreclieu, dass auch die schrift-
lichen Übungen sich "thnnlichst auf die LebensverhUtnisse bexiehen müssen,
die gerade der Erörterung unterzogen werden. Eins muss auch hier iaunw
wiodor in das andere gi-eifen. .So sind auch die strafgesetzlichen Bestiminnngen
im Anlianire ni^ht für sich zu beh?indpln, «snndeni bei Oelpfrenlifit lu-ranziiziehen.
Bei diei^eni Capitei z. B. ist auf die Siiateii aufmerksam zu machen, welche
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TKeDstlK)ten treffen können, wenn sie Zngthiere ohne Anfidcht stehen lassen,
»\x\v''h Fahrlässigkeit einen Brand veninaclien,^ Tbiere qnftlen oder misahan«
dflu etc. etc. •
5. Ehre Vater und Matter! Von der Oeeindestube gehen wir im
Aassngsatflbehen. Wer auf dem Dorfe gdebt hat nnd lebt^ wird wissen,
dass das Verliftltnis zwischen Eltern nnd Kindern nach der übei^abe des He»
sitzthnnts IrJder sehr oft ein ttnerfivii1i( ),es ist. An -^Mlrhpn wnnden Punkten
des Volkslebens darf die Fortbildungsschule nicht vui übergehen . hat sie docli
dif Verpflichtung, gerade die sittlichen Gebrechen aufs Korn zu nehmen, soweit
sie dnrdi Beleluiuig Terbesserlieh sind. Wran Nr. 16 — 20 etwas dasn bei-
trageni dass die in so manchem Auszagsstübchen ertönenden Kla^ren und Senf-
zer verstummen und die kindli< lie Pietät vor den Elteni und dem Alter über-
haupt zunimmt, so haben sie ihren Zweck erfüllt. Bei diesem Capitel sind
die gesetzlichen Bestimnamgeii über „Enterbung" und .,vilt«*ilielie Gewalt'* auf
Sftte 290 berbeinniebeii.
6. Bewahre deine Gesundheit! Das ist ein sehr wichtiges Capitel,
anf das uns schon bei einer Wainlerniiy durch die Wohnräume (1< s DHrflei-s
die Nase hinwei«f. liliidliche Bevölkerung, die in gesnndlieitürlicr Be-
ziehung unter den günstigsten Bedingungen leben könnte, da es ilu* au inscher
Lnfty krBlUger Bewegung und Oel^nbeit anr Abhftrtnnjgr nicht feblt, ist bei-
weitem nicht so gesund, als man erwarten sollte. Gesundheitspflege ist meist
eine ganz unbekannte Sadie. Was^ser- nnd Luftsdieu zienilii li hänflg anzn-
treflFen; schleichende Krankheiten \ enuiclililssi^^t man so hinjre, >tis sie zu un-
heilbaren chronischen Übeln werden; hei acuten holt man den Arzt sehr oft
an spftt oder wendet sieh wol gar an Qnadisalber nnd Knipfliseher. Ja, es
kann behauptet werden, dass manehes Leben auf dem Dorfe nnr aus ünTOl'^
stAud zu Gnmde geht. Hier gilt es daher, eine Menge Vonirtheile wegzu-
rHnmen nnd anfenklären. immer wieder auf die Nnthwrmdig'kpit der Lüftung
der Wohn- nnd SchlatVäume, auf den Wert eines guten Trinkwassers, auf die
tfwedoniffigite nnd »igleicli billigste Art der IMbrong, aof den gana rda-
tivea Ntttaen der künstlichen Getriüike, auf das HeOisame des Wascbens nnd
Badens, auf die Bedeutung der Reinlichkeit für die Gesundheit überhaupt, kurz,
auf <He hygienischen Grundsätze hinzuweisen, deren Beaclitnng unsere
iTtsundheit bewahrt. Xr. 21 — 26. die von diesen Dingen handeln, müssen
natürlich auch Tiel&ch vom Lehrer ergänzt werden. Nr. 27, das die widi^
tigsten Segeln der Krankenpflege bietet» dibrfte den Witschen der Ärzte
entsprechen, die auf dem Lande sehr oft ilbCT mangelhafte oder ganz verkehrte
AnsfRhmng" ihrer Verordnnnjreü /n klasren haben. Xr. 2'^ behandelt die
Saniariterdienste bei vorkommenden Unglücksfällen. Ikvor die nenerdings
ins Leben gerufenen Samariterschulen sich auch auf das Land verpflanzen, hat
ea noch gote Wege, und doch ist es gerade liier, wo man meist von der ärzt-
lichen Hilfe soweit entfernt ist. sehr nothwendig, das» \'erunglückten di<* erste
Hilfe in der zweckmässigsten Weise zntheil wird. Bei den „Fit rcitten für Ge-
sunde und Kranke** möge der Lehrer nicht versäumen, auch anf die l rsacheri
der sich in erschreckender Weise mehi-enden seelischen Störungen auf-
merksam an maeben, dnrcb welche olfmhar die Zunahme dar Selbstmorde
mit bedingt ist. Die Verwerflichkeit derselben ist mit allen m<^Uchen Grün-
den darznthnn.
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7. Sei arbeitsam und wirtscliaftlic Ii ! in einer vi istaudlicheii und
zugleich aninuthigen Form werden Wer in einer längei-en Keilie von Lese-
stflcken die aUgemeinsten BegrUfe der Yolkswiitseluilt namentlich von Arbeit
und Capital, erörtert. Küi g^roßer Theil der sittlitlieii Gebrechi ti wunelt
in den wirtschaftlichen N<)th.<trui(i.»n. aus denen sich das deutsch»' \'i>lk mit
aller Energie lu lunszuarbeiten hat. Da in vjplen Fällen die Nothstiünlc wieder
auf Mängel im Volkscharakter ztuück/.utiihren sind, so muss die Fortbil-
dnngBBchide> so oft sie kann, auf die Nothwendigkeit einer noch größeren Ar-
beit^mkeit nnd Btthrigkeit, bernflidien Tüchtigkeit und Geschicklichkeit, auf
die Tugenden der Beharrlichkeit und Strebsamkeit, des Fleißes und der Spar-
sarak» it. der Ehrlichkeit und Rf^dlichkpit. der Pünktlich k-^it und Ordnuntr dnrch
Führung von üeschafts- und Haushaliuugsbüchera, aut die Solidität im Ue-
eehlltilebett, auf die Yerftchtliebkeit des Geises nnd der Venchwendnng, der
rerschiüdeten Armut and' Bettelei, auf das ThSrichte des „Billig nnd eclilocht"
und anch auf din VWrt einer klugen, verständigen Hausfrau für wirt-
schaftliclies Wölb* linden hinweisen. !>ie aus unserem Sprich wörterschatzi-
gebotenen Wirutchattaregela sind hierbei zu verwerten. Die Überzeugung,
dais Belelimiigen Uber WirtaflliKMidikeit hacbat aeitgemäß «ind, iit wol all-
gemoin vorbanden, abw die UntorlaaBiuigssfinde ist noch aUgemeiner. Zwar
ssncht man neuerdings die Tugend der Sparsamkeit mehr zu pflegen, aber
m:in irrt, wenn man das .Mitral znr Hebung des Sparsinncs in drr Volksschule
angeglieierten Sparcassen gefunden zu haben glaubt. Zum Ulück hat die
Wtiifttige Erfindung der Spammken daa nnerqnidtUebe Tbana der äcbul-
eparcasaen so siemlich von der Tagesordnnncr verdrlngt. Der Erfinder ^ wer
ist es? — verdiott ein Denkmal von selten der Lehrer, aber auch eins vom
Volke. Dajreüren dürfte «lic Fortbildungsschule das rechte Feld zur l'f! '«^' i» !
Sparsamkeit sein. Die Fortbildungsschuler sind viel mehr als die \ dlks-schuki
in der Lage, etwas Selbstverdientes zu sparen, sind infolge ihrer größeren
Lebeneerfkhnuig und Reife fBr wirtachaftlidie Bereefannngen nnd ErQrfeenmgen
viel fUhiger und mit der Notb des Lebens, dem zwingendsten Motive nr
Sparsamkeit. viel hekanntpr.
Wie mancher ist schon von Haus und Hof getrieben worden, weil er voui
Creditw esen nichts verstand, wie mancher wurde plötzlich zum armen Manne,
wral er Versieb er nn^en nnterlieB, wie mancher wurde bankerott, weil er
die Vortheile der Barsahinn u nicht einsah, leichtsinnig Schulden machte, sieb
mit Wik herern und auf Wechsel einlieli, keine Bücher führte nnd w1irc es
ein einfaeiics Hanshaltungsbuch (S. 298), keine Berechnung der Selbst-
kosten anstellte (S. 299) oder dabei die (reneralkosteu nicht berücksichtigte
(S. 74 nnd 299). Es dürfte daher wol gebilligt werden, daas in den Nr.
HO— 44 aUe diese Dinge, theils entwickelt, theils zui- weiteren Ausffthrung daidi
den Lehrer angedentct, zur Sprache kommen. .Tu. der I.chrer wird sich ums
Volkswol verdient machen, wenn er die wirtschaftliclien Fehler {rfhfiris:
geilielt und unter Umständen auf ailgeuiein bekannte Fälle wirtschaftlichen
Niederganges. Bankerotts etc., mit der gebotenen Vonicht und Btldcsiebt natür-
lich, hinweist Aof alle Fftlle wird er aber »ir Verhtttung de.s Elends, der
Sorge. de.<< Unglücks etc. mit hritniirpii. wenn er seinen Schülern die wirt-
M'haftlichen Lehren. Tiiüeuden nnd (irnndsätze verständlich zu machen sncht.
i>azu ist nicht, wie man vielfach vorgeschlageu hat, eiu voUstäudigei* Abris»"
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der Volksv Ii t«jchaft nöthig:, weni^fst^^ns anf dem Lande nicht. Hi^r gilt es
vor allem, wirtschaftlichp (TmndsUtze einzupflanzen, um allj^emeiiK' Schilden
im Volksleben mit heilen zu hellen. Eine volle Eintüliruag iu die Lehren der
CKktercneiliriiiig- und Ofiterbeweernngr ist ttbenUes nicht nur m seliwierig, son«
dem anch zn /citraiibeiiil.
8. Pflt'ge dein Vieh! Dieses ('a)i^tel fiihrt uns in »leii Stall. Das« in
den Nr. 45 -47 Pferd und Rind als die nützlichsten Hausthiere besondere
l>ar8t<dlung gefanden haben, erklärt sich von selbst. Eine Behandlang aller
Hausthlere vom soologiaclieii Standpunkte kann nicht mehr die Aütgnbe det
Fortbildangssehnle sein. Hanptsache ist hier vielmehr eine Darlegung der
all^reineiiieii Regeln über die Pflege der Haasthiere und eindringliche Ermah-
nungen zur menschliche» Hehnmlhmjr derselben. Eingrehendere Erörterungen
über Vielizucht, Rasse, Anfzucht, FUtteraug, Alilcliproductiun etc. gehören in
laDdwirtsebafUiche Scfatden, zn welchen unsere FortbUdnogsscbnlen bei aller
Berwkiichtignng landwirtschafUidker Interessen sich nie entvidceln IcSnnen
und dürfen. Doch dürfte es zeitgeniUO sein, zu einer vermehrten Hühner- und
Lapinzucht Anregiins' zn geben, dio sich in vielen Fullen ohtie zu groBe
:Scliwierigkeiteu einführen lUsttt, wie Franki « u h iceigt, und zu einer besseren
und billigeren Ernährung des Volkes mit beitragen kilnnte. Wenn Dentseh*
iand seine Leistungen erhfthen wül. und das mnss es bei dem immer schwi«»*
riger werdenden Kampfe der Vrdker ums Dasein, so muss es anf Mittel sinnen,
Sil Ii he??sf>r zu erniUiren. sonst reibt en sieh körperlich und sreistip auf. An-
zi»i«'hen de« drohenden \ «rlalles liegen schon vor, z. B. in der weit verbreiteten
Nervositttt. Die größere Arbeitekraft der Engländer, Nordamerikaner and
Fnaaotm erklSit sich ans der besseren BmlUimng.
9. Pflege den Garten! Der Wert eines gut gepfle;;ten Gartens für
die Han.shaltung, zur Belebung; des S(liöiiheiis!<iiMie>. der Hiiu-lichkoit und
Behaglichkeit im tränten Heim ist unbestritten. W er unsere Dörler dureh-
waudert und sie daraufhin ansieht, wird freilich finden, dass da noch manche.s
za bessern ist. Welch wolthnendea Eindruck madit nicht ein Dorf» dessen
Hänser mit sorgsam behanddlten Obstbaumen, anmuthigett Blnmengftrtchen und
üppigen (ieniiisehf^ptpn umgeben sind. Und oft hat nur ein finzisres jmtes
Beispiel Nacheiferuug geweckt. Wie berufen dazu eist lieint der (Jurten des
Lehrer?«, der Schalgarten. Ja, durch rationellere Ausnuuuug der Gärten ist
nicht nnr Geld zu erhalten, sondern auch, namentlich in der Nahe grttß^vr
Stftdte, Geld zu verdienen: außerdem könnte dadurch auch die Ernährung ge-
hps^sert werden. Be(|neiiili<likeit, Unverstand und Ge.s(iiinafkli»>ie:keit siindis^on
in Hezutr auf (iarteucultur iiueh iilierall. Noch steht nianeliei- Weg und man-
ci»er Hügel ohne Obstbaum! Wer freute sich nicht, wenn er heute das Gott-
loihachal durchwandeit, Aber die rdchbepflannten Höhen und Halden, wo ehe-
dem nnr Oestrttpp und Unkrant wucherte. Und das ist geworden dureh die
Anregung eines einzigen gemeinsinni.t n Mannes. Auf diesem Gebiete könnte
sich noch mancher Landsebnllehrer zum Wolthäter seiner Gemeinde machen
Hat er doch die beneidenswerte Geiefjeniieit, zugleich Volkslehrer, Pionier und
Triller der gemeimifitzigen Bestrebungen auf dem Lande sein zo können. Dar-
nm hat die Fortbildungsschule in den Krds ihrer Unterweisungen auch thun*
liehst die Zucht und Veredlung der Obstbäume, deren Satz und weitere Pflege,
lien Gemfiseban und die Blamencnitar za ziehen und dorch Zeicbnnngen den
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Siim tui' hübsche, getiüiige GarteuaLlageii zu erweckeu. Hienui reiht ücli die
Bi«ieiimcht, die wieder Melit w«rtoi aoUte. Kr. 48 — 51 bieten zor Behand-
Inng dleaer Dinge Stoff dar. Sollten aber viele liebrer neb zur Uaterweiraiip
in diesen praktischen Dingen nicht fUliig: tindtMi, m niüsste Sorge getragen
werden, dnss Wanderlehrer ftder sinn«t dazn b^'tuhigte Lentp für «io eintreten
können. i:^evor man dem Volke zei^t, wie sich jeder durch üandlertigkeits-
nntenieht seinen LSffel selber admitien klfnne, Milte man ihm viduebr zeigen,
was es tbttn kSnnte, nm vor allem etwas mdir anm LMTdn zu babcn.
irr. Das Leben in Feld und Flur.
10. Bebaue sorgsam den Acker! üier lag eine gruüe Vei-suchuug
nahe, an weit in das Facligebiet der Landwirtacbaft hineinzngehen : jedoch
Hclion die schuldige Rücksicht anf die anderen Berufsclassen angehürigen Schftler
verbot flies. Sollte J^hIocIi in irgendeinem Orte eine eingehendere Behandlung
des Arkf-rbattes als lokales Bedürl^is empfunden werden, so musa sich der
Lt'hrer an die Seite 294 aufgeführte Literatur halten. Im Lesebuche konuteu
aelbetverstflndlicfaerweise nnr die dnftchsten nnd allfrenieinaten Lehren aoa
Phjsik, Chemie und Mineraloyrit- <'ntwickelt werdni. ab» r mit B<'ziehung^ auf
den Acki rLau. An rein bot^niscln ii Stoffen ist im Lesebuche nirlits nnfirf''-
minunt ii wdnlt'ij, theils weil in der R» ir» ! die VolksHchule da* Nöthigste schon
gebot«?i>, tlieils weil weder Monograpliieii noch systematische Betrachtungen
ntltadich genng sind, nm die so Itostbare Zdt der Fortbildomsasdittle zu ver*
schwenden. Die Cultnrgewächse kennt übrigeu^ du Landmann meist hin-
reicheml inid oft bpsser als der Li'Iiicr. ('liorliaupt hat der natui-geschichtliche
ITuterriL-ht auf dieser Stufe sokhe ^t;uidinuikte zu s'fu innen. v<in deiipn t*iu
gi-öHere« Feld überschaut werden k;um, nicht KinzeUu iit'ü, iK)ndein Naturcow-
plexe an betraebten, mn dann das, was Ar das Leben am wichti^fsten ist. ber-
anszugreifen und ..dem Mittelpunkt«^ zn nähern, in dem wir wallen und weben
müssen" (Pestalozzi). Luft und Wa.-sei . Licht und Warme als die BedinsTina-^^n
alles Waclisthums. den Kreislauf der Stoffe, insbesondere <iie W iikun '_'' !) ,ies
Sauer-, SUck-, Kohlen- und Wasserstoffes, der KuhlensUui'e und de» .Uumuaiaks
im Hanshalte der Natvr darmdegen, die Erde, die bebant wird, nach ihrer Ent-
stehung und Znsammensetzung zu scbüdem. die Xothwendigkeit der DAnguu«r
verständlich zu machen, das ist der wesentlidio Inhalt dieses Capitels. Außer-
dem musste auch auf die Abhiiiigigkeit des Ackerbaues von dem Ewigen, auf seine
Bedeutung für die Cnltur und das gewerbliche Leben hingewiesen werden,
nm so auch religiSse nnd wirtschaftliche Gesichtspunkte zn gewinnen. Anf
Nr. 58 möchte ich ganz besonders aufmerksam machen mit der Bittt*. zu ver-
surhen. ob nicht die in dem Gedichte p^schilderte schöne Sitte der Schwei/,
nach welcher JüngUuge bei Mondenschein freiwillig den gereiften Acker der
Witwen und Waisen im Orte schneiden, auch bei uns einzubürgern seL
11. Hege den Wald! Die Bedentang des Waldes im Hanshalte der
Natar ist so Jllar und anf der andern Seite die Neigung, den Wald kui-zsichtig
abzuschlagen, und die Wiederaiiftoi-stung zu venmchlässigen . in bäuerlichen
Kreisen so allgemein, dass ihnt w<d ein besonderes Capitel gewidmet werden
musste. Zugleich bietet sich hier eine schickliche Gelegenheit, auf die Feinde
nnd Freunde des Landmanns in derThierwelt einen Blick m ynaeteOf den Nntcen
der Vi^I im Haushalt^ der Natnr hervonsnhebra, den Sehaden des Ungeziefer-
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fraßes zw beleuchten, hinzuweisen auf das, was vt^rtüs^ nii<l wasfrchegt wenlpii nniss.
Wenn die IMlze als allgemeines VolksnHhnnittt l t inpfohlen werden, so hat das
freilicli zur \ oraossetzuug, dass der Lehivr die essbai-en Pilze seiner Heimat
nXbtr prrBndlich snvor kennen lerne, nm Sathgeber sein m kdnnen. Bei dem
KinHussr des Waldes auf das deutsche GemIttluleiHni dniftoi die sciilSnsten
deutschen Waidliedfr lupi nirlit fehlen.
12. Beobachte das Wetter! Bei der Wichtigkeit des Wassers tVir alle
landwirtschattliche ThUtigkeit ist liier nicht nur auf die meteorologischen \'ui-gänge
hüuRiweiwnf sondern an<^ aber^lftnblMlien Hebrangen in Bezog anf das Wetter
entgegenzutreten, anzudeuten, wanini dio wissenschaftlichen WettexiRQgnoeen
die relativ ricliti^fsten und darum verlässlichsten sind. Anregungen zur Ver-
wertung deö (ieuossenBchaftsprinoips sind hier am Orte. Man sollte dasselbe
auf dem Dorfe nicht nur zur gemeiuschaftliclien Be.schatfnng theurer landwirt-
•ebafUldier KaacUnen, «mdem anch dum anwoiden, aicli in krltiflchen Z^t»
auf allgemeine Kosttn die Witternngsan^isichten zur Verhütung von allgemeinem
Schaden reolitT"! itin •( !( erapliispli zu verschaffen. Die wiederholende, bez. er-
gänzende lieliaudluug des Thermo- mid Barometers, die Ursachen und Ei-schei-
unngen von Wind und Wetter, der Elektricität, des Blitzableiters etx;. wird sich
hier leicht aoschliefien lamen.
lIV. Da« Le;ben In der Gemeinde.
l 'A. Lebe iu Frieden und hm Li acht! Obwol der Laudmaon mehr
ala der Städter anf gnte Naehbarschait« anf gegenseitige Hilfe im Unglttck etc.
angewiesen ist, so lehrt doch die Erfohrung, dass auf dem Dorfe ProceasMicht,
llass. Niedertracht, Stolz, geringschätziges Herabsehen auf Minderbeffütei-te.
Starrsinn, Rechthaberei > tc. die Eintracht sehr hSnti«' stören, and «lass von man-
cher Dorfglocke leider nicht gesagt werden kann .
„Zur Eintracht, /.u herziimii^f rtt Vereine
Wr^rtinmelt sie die H<'V)ciidt' (tt-meine."
Die Stücke 07 — 72 sollen daher etwas dazu beitragen, die Gesitiiiangen der
Freundschaft zu beleben, Stolz und Starrsinn an mindern, die Verträglichkeit
and gegenseitige Hilfebereitschaft zn eriiShen.
14. Sei prenieinsinnig und gemeinnfitziü;! Das Interesse am Wole
des (ranzen, die Opferwillif^fkejf für allgemeine Zv erke mit einem Worte der
Cri'meinsinu ist im allgemeinen iu den Landgemeinden noi-ii sehr wenig ent-
wickelt. An vielen Orten hat das Lnthersche Wort:
..Wenn der Buiu r iiii lit inn-<i.
Rührt er nicht Hand noch Fiiü *
heute noch Berechtigung, wenn auch nicht geleugnet werden soll, dass es anch
in dieser Beriehong im ganzen besser geworden ist Die Fortbildnngsschnle
hat darum auch die Pflicht, den jungen Leuten, die immer mehr so vollberech-
tijrten fiemt^ind<»g:liederii heranwarhsen, einen Einblick in die (Tf>me!ndpver-
waltung zu gewähren. Es wird dies recht gut geschehen können an der
Hand den Artikela: «Die CFemdnde, ein Staat im kleinen^ (Nr. 74). Dabei
sind die Protokolle Aber Gemeiwleangelegenheiten anf Seite 300 mit heranzn-
ziehen. Nr. 7?) stellt die Wahrzeichen eines gut verwalteten Doifes anf: gute
Brnnn*»n, reinliche Straßen. Blitzableiterund Versichernnpri^tafeln an den HUnsei-n,
geräumige Schule etc. etc. Nr. 7ü schildert das ptUchtgetrene, segensreiche
Waltmi efnea mmteilulten OemelBdevorstaDdes. Bei der Schwierigkeit, in
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manchen Orteu zur Übemaliuie vuo üemeindeämtera geschickte und Wreite
Uftmier zu finden, hnt die Fortbildungaadmle das VenUeDstUclie geiueümütjdger
Tldttig'lceit henroniih«lMn und noch Anieituig xnr Abtoniig von iMhirdMelien
»Schreiben za geben, wenigstens den iutelligentestoii SchOlern. Nr. 77 und 78
zt'ia-Hii, wie ein armes, wirisrhaftlioh verkommenes Dorf durch die :remein-
nUtzige Thätigkeit einei» Arztes, EitterguUsbesitzers, GeistUoheu und Lehrers
nn dnem woUinbenden sn werden Tennag. Zur wdteren LeotOre dieea* Alt
mntt den Scbfllmi da« „Goldmacherdorf von Zflchokke nod die anf Sdte 294
genannte volkswirtschaftliche Literatur anempfohlen werden. In solchen Spie-
;ii Ibildeni müssen die Schüler sehen, welche zw» f kni:UM£reii Einriohtim<jpn für
ihren Wolmort noch wünschenswert sind, wit; das Wul des einzeini;u von dem des
Ganaen albhaogt und naigekehrt, und Aufgabe dee Ldiren wiid ea dabei «ein«
dnreh Hinweiae auf die eoncreten VetliUtttiaae dee Ortes das Litttease am Ge-
mejndewol wachzurufen und das Denken auf Verbesserungen anzuregen.
Von einem fstrehsamen, tüchtig durehgebildeten. taktvoll zu Werke gehen-
den Lehrer kann auf deui gesammten Gebiete der Volkswoliahrt eine segensreiche
' FiUle von Anregungen ausgehen, zumal wenn er sich mit Geoinnungsgeuoasen
verbindet, mit Collegen, Qeiatlichen, Förstern, gebadeten Landwirten etc. Maiw^her
T-ehrer hat da.s schon bewiesen. Xi< lit Stadtlehrer, Landschullelii* r sind es.
welche ilrutsrhe Dichter, wie AHerbadi. Zschokke. Srhaumberger ett . zw Ilt ld. n
gemeiiuiütziger Thätigkeit in ihren Dichtungen gemacht haben. Schon mancher
iiftt dadureii aldi die Aehtnng seiner Gemeinde in einem hohen Gnde erworl»en
und ein bleibendee Gedächtnis im i^egea gestiftet; denn noch liat onaer Volk
ein dankbares Herz fiii <li« Männer, die bemüht sind, seine Lage zu verbessern.
Der Lehrer gehöre zu ihnen! Es versteht sicli von si'lhst, dass seine Hauptarbeit
in dei- Schulstube stattzulinden hat, aber keiner wird behaupten können, dass
ilim Iceine Stande bleibe aom Nadtdenicen Uber daa Wol aeiner Gemeinde, aar
Betliei%nng an der FSiderang' desselben, zum Besadie der Sitsnngen gemein-
nützt^er Versammlungen, landwirtschaftlicher Vereine etc. Thue deine I*flirht
tren und gewissenhaft in dor Sehnl^. und du bist ein aehtungswt rter St hul-
lehrer, den die Behörde und Gemeinde zu .schätzen wissen wird; rege die Grün-
dung von Sparcaasen, VolksMbUotheken, Weibnachtsbeschernngen für Arme an.
halte belehrende Vorträge an Winterabenden, sorge für Einffllirang von Hand«
fi rtigkeifi^n, wenn die Vt i liiUtnisse deintT f ienitMudt- p<5 wnnscheuswert und
Miü^rlicli machen, pflege den Volks»:resang, sei ein Mustt r duirb dein»'n Wandel
und dein Familienleben, sei ein besonnener Erldärer und Kathgeber iu poli-
tischen Dingen, ein Tiiger aller gemdhntttaigen Ideen, dwen Vatblg deiner
Gemeinde von Nntaen sein Icann, sei und bleibe ein treuer Freund aller, die an
deinen Füßen q-esespen und dn bist nudir. ein ^'olkslclirer. ein Volks-
freund, t ili \ u 1 ks wt»i t Ii ilter, der sich, gehoben von der allgemeinen Wert-
schätzung, iu seinem Berufe glücklicher fühlen wird als der Lehrer in der Stadt,
vu sich so viele in seine Aufgabe theüen, wo bevwxngte St&nde ihn in den Hin-
tergrund dillngen. wo der Lehrer nicht einmal mehr Schollehieri sondern nur
norli n.isseiil» lirt'V ist. kein seHiststilndiir >';iuendt's Wesen, nur ein Polyp im
Koralienst'M'kr. \\>> der ^chr^ne Tag eineä silbernen Jubilftaius unbeachtet vorfiber-
geht und kaum no<:ii einer das goldene erlebt.
Nr 79 zeigt, wie ein durch FleUt und Thlti^keit reich gewordener I^aad-
werker fiir seinen Wolmort «am Wolthätm* wird. Lmdw ransste ans Mangel
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all Kaum von weiteren Beispielen .sulelu r (leDuinniUzifrkeit abfrm»hen werden.
Gerade in onseren Tagen, wo ein einzelner, bejj^ünstigt durch das Oluck, reicli
'wevdMi kann — gibt es dodi In dem nicht ttberreichen Preußen e. B. ftber
1600 llarkmillionäre — ist es nöthig, auf die verdienstlichen, hochsinnigen Acte
der Sehen knno-pn und Stiftangen hinzuweisen, durch welche das oft über
Itebüi und Hedarf auigeUäufte Vermügen auf dein W ege des Oemeinsinnes
der Allgemeinheit wieder zugute kommt England und Amerika Ubeiti-etteu
uns in diesem Pnnkte. Das Heer, in welchem der ÜbergMcIdiehe, Überreiche
znr Versöhnung der Götter seinen Ring y.n werfen liat, ist das ai-me Volk,
das Menschenmeer. Durch WolthÄtigkeit wird dem grestrongen Glücke der rechte
Zins und Zoll gezahlt and zugleich der Neid und Groll der Armen in Dank and
Segen vei' wandelt.
15. Betrage dich gesittet! Nr. 80—86. Hier ist dem Lehrer Gelegen-
heit geboten, sichnlber die Pfliclit der Men8chenfreundliclik<'it. das An^^eiielime
der Artigkeit und Höflichkeit, das llässliche der Grobheit. Flegelei und Benirelei.
das Abschenliche der Gemeiiilieit iind Koheit. der Meusclien- nnd Thierciuälerei,
das Verbrecherische des Baumtreveis, der Schändung vuu Deukuiaiern und An-
lagen, das Sdiandbare der Unkensdilieittte. attasEOsprecheii, nnd xwar, je nach
Cmstfinden, mit dem Brusttone der aittUchen Entrnstnag, wie Johaimes der
TUnfer, oder mit der Lielte eines .Toliannes des .TiinjTfTs. der den Verirrten
nachgeht, aU' unter vier Augen väterlich ermahnt, mit der bewegten Stimiue de«
Herzens auf die sittlichen Gefahren des Lebens aufmerksam macht Sind sie
doch meist seine Mheren Schiller, die er gründlich kennt von Jagend anf, die
mit Liebe an Ihm gehangen; diese Liebe ist aneh sicher noch vorhanden, sie
gibt sieh nur scheuer. Sollte man nicht meinen, es niüssi- dem Lehrer nnf dem
Lande leicht sein, der Rohei der Gesinnung Herr zu werden und ^^esittete
Meui»chen zu bildend Ja, wcuu nicht der böse Geist aus so vielen Poren des
4flFentlichen Lebens trotz der desinflcirenden Wirkung nnserw Lehren ins
HerK der Jugend eindrängen!
10. Werde kein Spieler und Trhikerl Spiel- und Trunksucht, die so
oft Schlägereien, Beleidigungen. Verbrechen etc. in ihrem Gefolge haben, sind
zwei Laster, die leider auf dem Dorfe verhält uismäßlg stark auftreten. Sie
rauMten als gemeine Volksgebrechen gana Iwsonders in einem Kapitel anfb
Korn genommen werden, da sie vieles Herzeleid und manches wirtschaftliclie
Elend vej-schulden, die Menschen entsittlichcji die Zucht-. Kranken-, Armen-
nnd Irrenhäuser iibervölkern, das Familiengliick ruinireu und Arbeitsscheu und
Vagabondenthum erzeugen. £ä wiid nicht genügen, dass der Lehrer nur die
betrelTenden Lesestllcke lesen Ittsst; er mnss sich mgleidi lebhaft an die Efaisidit
und Erfiihrnng des Sehfllers wendmi and diesen ^ebsschaden des Volkswols
nirht nur vom sittlichen, sondern auch vom familiftrmt nnd volkswirtschaftlichen
Gesicht.^pimkte beleuchten.
17. Heilige den Feiertag! Das Gemiitb des Laudmanncs ist im allge-
meinen sinrOder nnd weniger entwickelt als dem Stldter, aber die Empfln*
düngen sind meist tiefer und wahrer. Die harte Arbeit gibt ihm wenig Anlass
nn ! Htsst ihm weniir Zeit. "Reflexionen zn machen und Empfind ting-en n u)r/n-
hängeu. während der Städter, meist schon durch seineu Beruf zu j^rölierer
geistiger Thätigkeit gezwmigen, zahlreiche Anregungen durch Theater, Kunst,
Unterhaltung, YortrSge, LectBre eihUt, die der Landmann entbehren mnss. Daher
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fällt die Pflege des QfimtttlislebeuK auf dem Dorfe fast allein der Kirche za;
daher ist dtt kjtciiHdie Leben tdet mcfa viel reger als in der Stadt, mmal
wenn der Geistlidie die feligiSe^ Bcdlliiliiase seiner Gemeinde richtigr schfttztt
ans dem Leben für das Leben predigt. In vielen Orten gehurt der r^'srlni^ßig^*'
Kirchenbesuch anchznr frommon Sitte: wenn es anders ppworden. dann ist iiirht
die so oft augekia^e Schule scltuld. Es möge die Kirche nnr an Stelle der Dogniatüi
aus dem in ihren FttBen qnelknden Lebenshom Waaeer sehBiifen and ea mit den
LeboBBtropfen der vnvnfifliigliehen reinen Lehre Jesn in Wein Terwanddn, das
Mehl dentsrhen Geistes mit dem f aiu i-t<M>f' des Christ« nthnms rrrmeng^n.
Solcher Wt'in und solchps Lebensbrot würden dns ^*olk8leben .«littlicii rt's:t iit'nr»»n.
Ich vndiH aus eigener Krfabnmg, dai» Laudleut« uft stundenweit gehen, am die
anregenden W<Hrte einee ecbtoi Volkspredigers za httren. Predige nnr wie ein
Jidiannea der Tinte, imd daa Volk lllnft dir nach his in die Wfiste! Nadi
dem Berichte des Landescunsistoriums staml der KirchcnVicfHich in einem ge-
raden Verhältnisse zur Güte der Predigt. Oft sind die Landbewohner weithin
eingepfarrt, aber es ist ibuen dneli
..ein sprger iiaus- iiiii Feiertag
Zn wandeln dun Ii diß Waldenaeht.
Dimli In «her Eichen Kr»>nenpracht.
Durch Wifeienf^ründt' bruiinenfrisch.
An jai^r Erlen schlankem Ua^
Zu wandeln zw des Herren Tisch."
Die Fortbildiingsiichule gibt keinen Religionsunterricht, hat aber die
Pfli( ht. bei jeder Gelegenheit auf den Segen kirchlichen Lebens hinzuweisen,
und vor Feiertagen namentlich an der Hand der im Leaehnehe «Ziehenden reü-
glSeen Gedidite reli|^8eea Leben nn pflegra. Daaa Schilleii »l4ed von der
Glocke" nicht fehlen durfte, ist leicht zu begreifen. Knüpfen sich doch alle
wichtigen Acte des Porflebens noch an das Glockens-elatitp; hier tönt «^s norli
jeden Abend wie ein eihesegen über die weite Flui-, so dass es das ermüdete
Ohr des Städters wie ein poetischer Hanch anweht Die „Gloeke^ ist m> recht
ananihenten; manche S^t«inen atnd katechetisch an dnrehdenken. So z. B.
im Hinblicke anf die Gedankenlosigkeit und den Mangel an Sinnigkeit:
„Da« ist's wa^^ den Menschen zieret
Und dazu ward ihm der Vertätand.
DaSi er nn tie&ten Mensen f^i m r
Was er er>*(lmfFt mit feiner Hand.
oder gegenüber den Klagen, d;iss der Hauer ein rechtes ^Plackholz" sei,
..Arbeit i.-l dci» Bürgers Zierde,
•Segen ist der Mühe Preis.
Ehrt den Könip seine Würde,
Ehret ihn der Hände Fleiß! '
oder angesichts der rdnen Geldheiraten auf dem Derfi»:
„Dntm prüfe, wer sieh ewig bindet
Ob .«<ich das« Herz znm Herzen findet
Die Glocke Viiet' t :in( h vortreffliche Gelegenheit, auf ideale Lieb.' hinzuuei^fn.
die im aligemeineu auf dem Lande seltener angetroffen wird, da Sinnlichkeit
und Speculation hier eine größere Bolle spielen.
18. Ehre die ^odten! Der Weg zor Kirche f&hrt anf dem Dorfe meist
aber den Friedhof} denn
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..Friedlich I)(.rf' Xacli altfr Sitte
Hast da noch dein Kirchieiu steh'u
In des RtUlen "Htain lOtte.
Wo zur Kuh' die Todtrn v;d\n. —
Zwischen Krens und Leicheusteiue
Zieht die Sduur ba Gottaahans."
Auf dem Kirclibofe st«ht nnd geht der Landmann vor and nach dem Gottes-
di.Miste: hier qnillr auch d:is harto O-Piniltli anf: hier wird jedes weich nnd (mu-
jitänglich nud za sUUen Betrachtungen über Leben und Tod angeregt. Hier
ist der Ott, wo da amdi den stolieiteii B^ner «inniAl weinen flehst — lam,
der Kirchhof ist auf dem Dorfe eine rechte PAeffestItte des GemflOsIelwis.
Und außerdoin herrscht liier noch die schöne Sitte, dass die Nachbarn das Grab
graben, «las.s <lie Freunde den Frennd auf den eisrenen Schultern zur ewigen
Euhe tragen, dass bei jedem B^räbnisse aus jedem Hanse wenigstens eins
dabei ist, dass womöglich alle der Leiehe noeh einmal ins Angesicht sehen
wollen, weil es ffir ihr einfiiehes Ctomltth 9in sehltaer, rlhrender, ja heiHger
Anblick ist. In den Sitten des Volke.s Hegt eine tiefe Poesie, die nicht ab-
.*?terben davi. und ein fnichtbarer .Stoff' /nr GemQthspflege. den sich kein Land-
schallehrer entgehen lassen darf. Die Lesestoffe dieses Capitels bilden daher
anch ' anaseUieBlieh Poesien, die ohne breite Behandlung der Lehrer seinen
Schfilem nnr empfinden lassen mOge. Solcher Weihestnnden kann anch die
FortbildiiDg-sschuIf nicht entbehren, wenn sie erziehen will. Die ixihesten
unserer Schüler sind raeist solche, welche die liebe, weiche Hand der Mutter
oder die sti*enge, harte des Vaters nicht gefühlt haben, weil der Tod sie ihnen
m früh entriss. Weise sie nnter Tier'Angen an ihre Gtftber, dass sie da
bessere \'(>rsätze fassen — nnd dn kannst sieher sein, dass deine Worte einen
tiefen, heilsamen £indmck hinterlassen!
V. Das Leben im Staate.
19. Werde ein guu r Staatsbürger! Das Riickert'sche
..Wie trmß dn fUr dich seist, vorm Ganzen bist du nichtig:
Doch als des Ganzen Glied bist da als kleiiutes wichtig",
dai> :.ScUUler8che
.Jiumcr strebe zum Ganzen, und kannst da »elber kein GaosM
Weidoi, 93» dienendQü Glied schlieft* an ein Ganses dksh an.**
und
„Aas Vaterland, aus themre schließ' dich an etc.*'
sind die (Trundgedanken dieses wichtigen Capitels. Haben doch die zutage
tretenden llrst-i bnneren. an dem Staatslel)en gewalt.« yn rütteln, ihren Grund
in der maagelnden Einsicht, dass der Staat ein woli^e^iiederter, durch stetige
Entwickelung gewordener and nur auf (iem Wege stetiger Entwickeluug voll-
kommen^ an geataltendMr Organismus ist. Belehmngnn Aber Entstehnng, den
Zweck und die Wolthateu des Staates gehSren daher sn den posittven Mitteln
der Bekämpfung 8taats*;2:eralirliclu r I'eiidenzen. Dass zur Exemplificati'^'n P!!ie.s
geordneten, verfassung-smälligen Staatslebens Saclisen gewählt worden ist, werden
i^ie selbstverständlich linden. Den Wert der Landesverfassung, die Klünpfe
nm dieselbe von selten der Edelsten im Volke, die Bechte nnd Pflichten des
8taatsbnr|rei-f< , die Wirksamkdt der einzelnen Ministerien, der Haushalt des
Sr<ntt's und das damit zasaramenhilncren le Steuerwesen, müssen einer -^prechnng
unteraogeu werden; sie gewilhit einen Einblick in den wundervollen Bau des
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Staates, it" 'l:ts TreinandergreitVTr tller Tnferespen nnd ei-zeugt die unbedingt
nöthigre Achtung^ vor Kegienuig nnd Gesetz und das Pflichtgefühl lerepenüber
dem Staate, das auf dem Lande bei der Selbsteinschätzimg des Eiukomuiens
sehr w«nig rege ist YleDeicht Hefte sieb avch tob Mlten FortbUdinigB-
fichole etw.-is für die richtige AnffassiiDg des E^kommenB tlum, ftber dM in
Iftndlicheii Kreisen sehr unklare Begriffe herrschen.
Eine weitere Materie ist die Rei i'h s Verfassung. Die politische Gleich-
gUUgkeit in der Masse des deutschen Bürger- nnd Bauernstandes resnltirt ans
dem Mangd ao poUttsclK»! Interesie, dieses wieder ans dem Ifongel an poli'
tisehem Wissen und Verstehen. Wo soll das a1»t'r herkommen, da man
nirgendwo und nirgemlwanii den .Tnngling in die Elenit-nte lUe.ses Wissens
«'inführt ? Sollte nicht der Mensch und die menschiiehe Gesellschaft das w ichtis^te
Object unseres Denkens sein? Die Bomirtheit des l'hilisters, der nicht einmal
melir kannegießert, der StampfUon des harmlosen ikrbeiters, das fUsehe BMr
sonnement des Sodallstear das lladie mancher GeUldetsein wollenden, das eigen*
nütziirt* der Interessenvertreter — sind Bildnnsrsmängel. Die ixilitiseht- Bildung
eines Deutschen ist meist nui* eine Folge des Zufalls oder des Berufs, ein I'rn-
dnct einseitigen Zeitimgslesens, zusammenhangsloser Vorträge, wenn nicht gar
plannASiger Irreffthrnng. jedenfSrils aber nangelhaft. Wie soll ein Staatsbüi^ger
ftir seine Rechte einstehen, wenn er sie kaum kennt? Wie kann er seine
Pflichten erfüllen, wenn sie ihm nie planmäßig, d. h. in einer Schule, voreehalten
worden sind? Wie kann er ein lebhaftes Interesse an den Wahlen haben, wenn
er dri-eu Wichtigkeit nicht begTeitt, von der ^Vahl und ihrem Modus nichts
Klaves welßi nldit Aber seine Nase binans poHtiseh selbststRndig denken kann?
Maas da nieht die Masse eine Beute der Agitation werden? Im Interesse der
Kirche fordert der Staat, dass der Kateehismos bis auf daK Komma in den
Schulen gelernt werde, (^nr ! Wo ist aber der Kateclüsmus. der im Int< rt sse
des Staates die Rechte und ii^dichteu des Staatsbürgers lehrt und über die Func-
tionen de« Staates nnteiriditet? In Frankreich haben swei fiübere Cnltus*
minister*) sellter solche Katechismen sogar ftir die Volksschulen ausgeatbeitety
Katechismen, die in das Gemeindn- tind Staatslehen planvoll einführen nnd den
Beweis liefern, dass diese Materien an sieh tür die reifende Jugend hoi ih r
rechten, anschaulichen Behandlung nicht zu schwierig sind, in Franiu*eich, wo
die Tortreinidien, sdralnaSigen Darstellnngen dw Volkswirtschaftslehre von
Rapet nnd Maorlce Block erschienen sind, in Frankreich, das jetzt flbwhanpt
riesige .Anstrengungen auf dem Giliiete des Schnhvesens macht und uns rw
übeillii^eln droht, wenn ihm alles das gelingt, was es in der Schule dnrciiführen
will. Allerdings fehlt ihnen oft die zähe Energie in der Durchführung,
ans dag^en fehlt leider noch vielfiwh der gnte WiUe. Wdyentanden, es
bandelt sich hier nicht um politische und so( iale Räsonnements in der Schale^
sondern nnr um t hfruiitti-luiig- der Fundam» n t a Ibegriffe.
Auf allgemeine Zustimmung glanbe ich bei dem Lesestücke rechnen xii
düifeu, das von der Rechtspflege handelt und den Weg eines Processes nnd
den Vorgang ehier GerichtsTerbaadlnng darlegt, weniger aUgemem dfirfte sie
♦) Ich erinnere hier nur au Paul Berta „Linstraction civique ä 1 ecoie" in
welcher e.s in der Vorrede heiBt: „C^tait une noaveantö ü j a peu «Fannees. et r'oit
aajonrd'hni uu Heu commun de dire qu'on ne i>eut continner 4 Üever daos figno»
rauce de ses devoirs et de i»es droitti uu penple souverain.
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bei deni Artikel „Die Feinde der gesellschaftlichen Oidiiong'' sein.
Tnd <\r,eh ht es orenide in unseren Tagen nnerlä^slich , den jungen Lenten die
Irrlehren des ScieialiHniUK bloBsralegen und das Utopien des Volksstaates als
Nmwmis lieherlicb sn mach««» ihr Denken auf dem Feld« ra fibm, sof welcfaem
uan sie sp&ter verfahren will, in der Gedankenwelt, wo das Denken schon un-
ge^nnd geworden ist. Haben wir nicht alle gelesen, dass oft ein HaiiptTii staudtheil
der Volksvei"samnilnngen nnreife, dämme Jungen, lialliwüchsige Bursche gewesen
sind? Nnr dnrch p<»itive Mittel, durch tiefere Anregung des Denkens und durch
ÜlmBir deaaelben «i ganz praktiedien 8toiien ans dem Gebiete des M enschenlebene,
nicht dnrch Prohibitivmaßregeln, wird ee geUngen, die Fermente zu beseitigen»
welche das dumpfe Giihreu in den Volksmassen hfrvorrnffii. Die FortbiMnngS*
t^ehule hat danun auch nach dieser Bichtung hin eine zwar schwere, aber dank-
bare Aufgäbe.
20. Werde ein braver Soldat! ffier genRgten die Ufttheflong der
wichtigsten Bestimmuiipi ii der Wehrordnnng, einige Hinweist' auf di» Hfliditen
des tNildateii. auf di»- Vorzüge dfi- allgemeinen Wehrpflicht und auf die Strafen.
\v»'kh«' diejeiii»:t n treffen, die sich der Wehrpflicht entziehen, und einige Bilder
aus« dein Soldatenleben.
21. Stell dich möglichet in der Welt nm! In Ifindlichen FortUldangs-
sdmlen luuin dem GeUete der Realien nnr wenig Zeit gegönnt werden, zumal
wenn man das eine, was noth thut, ein bessen s Verständnis des Mfnschenlebens.
nicht ^vieder hinten ansetzen will. Anch dieses Lcsehnch muss sich ans verschie-
deneu tiriinden auf dem Gebiet« der Geographie und Geschichte beschränken.
Überdies sind die Lehrer meist got in dieeen Dingen xa Hanse nnd kSmien ans
ihrem eigenen Wis-sensschatze schöpfen, zudem thut die moderne Volksschule sclioil
hierin ihr M'igliches und endlich sind Gesf liirhte nnd Geographie solche Wissens«
gebiete, auf denen sirh ein strebsamer Schüler auch ohne Lehrer durch gute
Lecture aui> Volksbibliotheken (S. 294) heimischer machen kami. Damit aber die
Lelurer einige Anknflpfongspnnkte finden, an die aieli ein Helireres anschlieflen
Itat, ist eine Reihe gen^-i apliis( lu r Rüder geboten worden. Von einem Wander-
lied e an.«vj?«dieiid (121 ), wird der \\ andt^rbursche, nachdem er Abschied genommen
vom Elt« rnhause( 122). zuerst mit der Landwirt.schaft, den» Bergbau, der Industrie
und dem Handel und Verkehr eines Slusterstaates, Sachsens, bekannt gemacht,
damit er für die volkswirteeiialtliebe Thtttiirkeit eines Landes seinen BUek
sf liiirft-. dann diu%h das liebliche Thttringen geführt, weiter nach der unwirt-
lichen Rhön, dem Prototyp jener ami' H Mtitteldeutschen Gebirgslandschaften,
wo die Bevölkerung in viel kärglicheren V erhältnissen lebt als der Proletarier
der Stadt, aber dennoch bescheidener und zufriedener it^t als dieser, femer nach
Bayern, um Idar Land nnd Lente kennen zn lernen, Idnein in die Alpen nnd
von da den Rhein Itinab, den interessantesten nnd s( liöusten Strom Deutsch-
land.-. T'hlands Lied vom Töchterlein der Wirtin siiigt ud. nm auch einmal
wieder Gelegenheit zu haben, die jungen Leute auf ideale Liebe aufiuerksam
sn machen, dann nach Essen, um Krupps kolossale Schöpfung, Dentschlauds
grMtcs IndastrieetabliSBenient kennen xn lernen nnd zn zeigen, wem es bei
rastlosem Streben nad ScliafTen und bei vaterlicher FÜTSOl^ge für seine Arbeiter
auch ein von Hanse ans einfa' lier Ü nm >niniren vermag. Dann geht es in
einen Marsehhof, um ein Bild uorddeut^chuu Bauernlebens zu gewinnen, nach
Hamburg, wo sich der Weltverkelir aufthut, und endlich an der Nord- nnd
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(»8t.scekü^t*> «MttlHui^. Km kehrt der \Vauderbar»cli wieder .lieiui aus dem
Iremdeu Land''.
Es folgt nun eine CharakteriaUk der wiebtigaten V81ker '£ai-opa8. an dem
spätere» politischen Ultheile einige Unterlagen zu geben, eine .Schilderung der
Wuiidfi di> Verkehrs, der L<>( onuif iv.'. des Dampfschiffes. >\o» Gotth:ud-Tnn-
nels, dt ) Pai IHcbahn, des Suex-Canals, dch Telegraphen, und endlich ein Blick
hinaus in «Ih.s Weltall.
22. Lies fleiftig deines Volkes Geschichte! Aach in diesem Gapitel
konnte nnr eine beschränkt« Anzahl Bilder geboten werden, nnd wird es dem
I,( hrer obliegen von Stück zn Stück die Verbindungsbi iu k» n zu j^<Iila»rt'n. Eine
kurze Geschichte des Ackei'baues. eine Kaiserwahl, t-im mitit ■ -'f- rlkh«' BautM ii-
gtiichichte, das mittelalterliche StädteweMii, der I>aufrn»iau<i im Iii. .lahrli..
die I>5ifer nach dem SOjfthr. Kriege, Friedrich des Grofien Ffirsorge fBr 9tm
Land, des Vaterlandes :rruLUe Diebter. Freiheir von Stt'ins ThÄtlgkeit^ des Volkes
Erliebnnir 1^1 Kri» ^rsbilder ans di-n Befreiungskrit g-en . das Streben narli
jjiilieit utiil t iii>' L'aistrllung d<26 deutsch-französisclien Krieges, das sind die
geüdiichtliiilifu Stulle, die in ländlichen Fortbildungsschulen im N'ordergiunde
Interesses stebea dürften.
2.'5. Lerne die (iesetze keiiinn. denn Unkenntnis der Ge.set z»^
schützt nicht \ <-r Strafel Kin hf hnt von jtliti die Schule als die
.\nstalt betrachr*'f und behandelt, welrbr tüi dit- Kirche erziehen soll. Aach
nachdeui die .Schule im wej>entlichen Stuat^anätalt geworden. i>t das so ge-
blieben. Das SdwHrsaeti, da» ein Staatagaseüs ist, beanllivgt die Schnle, den
anfWachsenden (leschlechte dic^jeiügen Religionskenntnisse und Glanbenalehren
zu vennitteln. die zu einem guten l'rotestanten. Katholiken etc. srehören, nnd
die Kirche selbst nimmt niemand als selbst «ständig»'« Gli««d anf. das im Contirman-
denunteiTichte, der die religiöse Erziehung der Schuljugend conti-olirt, nicht dar-
aathm vermocht hat, daas er die «iohtigaten Lehren nnd Vorsebriftcm der
Kirche kennt. Ottenbar liandelt die Kirche klttg ond weisse. Was thut hin-
gegen dci st:tat im Interesse seiner eigenen Erhaltung, soiii' i eigenen Oi"dnang?
N iel zu wenig und das alles nur mittelbar. Wenn aber die .Schule in erster
Linie Staatsbürger erziehen soll und der Staat von den Staatsaugeli5rigen Gf>*
horsam gegen die Ijandesgesetae veriaagt, so Culgt doch daraas dieVerplUch-
tung, in gleicherweise wie die Kirche Sorge zu tragen, d i;-s «Ii« zugleich in die
lii ofn' Leben-gemeinschaff d» .s Staates Eintretenden auch die V el•^JlssnIl^^ dio Ein-
richtungen und Cfcsetze dieses Gemeinwesens kennen lernen. Wer Gehorsam
gegen die Landesgesetze verlangt, muss auch fUr Kenntnis derselben sorgen.
Di^fegen si^eint man sich der Heinnng hinangeben, es werde die Sittenkbre
der S< linle, die übrigens dnrcb dogmatischen Unterricht zur Zeit sehr an dip
Wand gedrürkt i^t. es werde die Einprflgniig des KatecbismuM und einer ziem-
lich groÜen Anzalil von Sprüclieu und Liedern im jülgemeinen »dn« geseUuiiUJige
Lebensführung der künftigen Staatsbüi*ger herbeifülu-en. Die Erfahnmg spricht
leider dagegen. Der grSBte Tbeil des heranwachsenden Gesddechtes tritt mit
dem 14. Jahre in das bürgerliche Leben, steht von da ab mehr oder weniger
selbstständiir da. steht niitrr den Staatsgesetzen — nnd kennt si*^ nicht, ja. der
Sinn mul Trieli. sie kennen zu lernen, ist nicht einmal vorUandeu. Zwar ist
mancher Mensch in einem dtmlden Drange des rechten Weges sich bewnsst,
viele bandeln infolge ihrer gnteo ErEiehang und Büdnng so. dass ihnen ein
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iV.iiriict mit <l< iii Strafjtre.setze erspart bleibt: aht r sc]utn ein Blick in unsere
Zeitongren. die, »tatt pusitiv (resetzeakande im \ oikf zu verbreiten und zur
Sittlichkeit su endehen, sich gewiHealw darin gefdlen, alle SellwtiiMrde, Ver*
brechen , \'ergeheu und GerichtSTeritaDdlniigiNi, oft feuilletonigtiBch pikant zu
beri« litf^ii. lehrt, dass ein grorpr Tlu il M<'ii->ch('n strauchelt und dem Strafir« >etze
vertiillt. «It'sseii Netze, Fui>angeln und Schlafjtiscii niis nun einmal iibei-all
umgeben müssen. Sicher sind viele darunter, die nur aus inangelnder Kenntnis
die geaetadiehen Bcstinmiuigen aiwrttatAn; manche wlrdan mflckgesdinckt
Htm vor dem Verbrechen, hätten aie die H6he der Strafe «dcannt. Es ist aber
heilige Ptlicht des Staates, Gesetzesüberti-etuugeu zu verhindern, und nicht nur,
wenn sie erfolgt sind, zu bestrafen. V^r^r Hestrtifre verliert die Elire und wird
oft gleicligiltiger gegen das Gesetz als vorher; es verliert die Sti*afe ihre ab-
sehreekende Wirknngr dnreb Wiederholnngr, Miastranen gegen die Boehtspflege,
eine sittlidie Ahstompfung tritt ein . und die Gefahr, aaf dem ahachfiatigen
Wege immer tiefer zu sinken, wächst. Das beweist die Erfahrung. Darum
i^it es eiiu' Aufgabe der Volkserziehun^. durch Gesetseskuade die ersten
JH^hritte liui Verhüten zu suchen, gemilü dem Worte:
„Bewahre tot dem ersten Schritte,
Mit ihm sind seh <ii die andern Tritte
Zu einem nahen Füll ^atban."
Freiiicii, der Gehui-saui gegen die Landesgesetze setzt außer Keuutnis derselben
aoch den Willen Torana, sie an befolgen. Nnn sollen zwar Enlehnng und
UHdnns: den Sinn für Geeetadlchkeit vedcen, Achtung vor d^ Gesetze ein*
flößfii. (las GewisüeMi schärfen; abei- bei vielen Menschen wird das leider nicht
ent irht. l»ei andern verwischt die Welt mit ihrer Lust nach und narh A\p sitt-
lichen Kindrücke aus der Scliulzeit, die oft nur gedächtnismäßig aufgeuoninieuen
guten Lehrai treten in der Stunde der Venochnng zu wenig ins Bewnsstsein
— kurz, bei einem großen Thdle der Uenschen musä die Furcht vor Strafe
den Willen erzeugen, das Oesetz zu haiton. Danini darf die Volkserziehung
nicht mir immor allein auf die ewigen Strafen hinweisen, soiulcru mns? anoh
die niithige Fnrcht vor Verletzung der Gesetze durch \ orhaltung der ange-
drohten Strafen einflVBen. ÜnaittUehe Angriffe auf Kinder haben sich beispiels-
weise iu neuei-er Zeit in erscbreckmider Weise gemehrt . Ich bin gewiss dass
niaiu lies Vtirbrechen dieser Art nnterblieben wäre, wenn die Betreflfeudtn \ orher
^e^^u^'.'it hätten, dass es anter Umständen mit Zuchthaus bis 10 Jahren he-
sti-aft vrird.
In luiseieii constitutiouelleu Staaten ist der Bürger übrigens berufen.
thcOaniMibmen no der Oeaelsgebang als Wfthler oder Abgeordneter, an der
Rechtspflege als Oeadiwomer, SchSffe, Amtsvorsteht r, Zeuge, Friedensrichter,
an der Verwaltnnfr als fTemeinde vorstand. Schulze. Kichtpr etc. Auch dit se
l mstUnde fordern zu einer unten'ichtliclieii Beliandlung der Cresetzeskunde, in
Kurtbildungsschulen wenigstens, auf. Kt chtssinn, BechtsgeMil, Verti-auen zur
Bechtepflege wlirde sich jedenfells erhöhen. Bei den alten Griechen und lUJmem
war die ganze Erziehung auf Achtung vor den Staatsgesetsai basirt E&i
i-Timisdit r Knabe mnsst*» zuerst das Zwülfta felgesetz auswendig lernen: es wird*»
ilmi Hogar Gelegenheit geboten, den lieden und Verhandlungen im Senate bei-
zuwohnen. Sittlicher Ernst, Sitteuzucht, Achtung \ or dem Alter, Männerwfirde,
gMvtsIicher Sinn waren die Folgen solcher Nationalersiehong.
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Diese Gedanken haben mich hewog-en, in diesem Capitel 1. die allge-
uieinen Bestimmangen des Strafgesetzbaches aaizat'ühren; 2. die
Obrigkeit alt Wiebterin der heiligen sehn Gebote darzutellai, and
um dieselben die wichtigsten Etnzelbestlnimuigen des StraIjs'esetBbndies, mit
Ausschluss derjenif^en, gegen welche zu sündigen der Landmann kaum Gelegen-
heit hat, 7M cmpitiren. um zugleich darztithtin. dass die Staatsgesetze auf dem
Grunde des göttlichen Sitteugesetzes stehen, dass eiu wolgeordnetes Staats-
Ifben das Abbüd der hShem, sittlichen Weltordmug sein wiUi 3. die wft^-
tigsten Bestfanmiingen Über Freixftgigkeit, ünterstfitsnngswohnaitz,
Gewerbebetrieb, Arbeiterverhaltnisse nnd Lehrlingswesen darssn-
Ueten.
24. Surge für deine Weiterbildung! Keine Schule kann die IUI'
dong dnes Hensdien abschließen, anch die FortbÜdnngssdrale nleht. Die
Weiterbndnng vnterbleibt aber oft nnr ans dem Gmnde, weil viele sieh den
Bildnngsmitteln gpffcntilifr rathlos sehen und weil öfftiitlirlif Ilpiliotheken noch
an vielen Ort^^n felilen. Da, wo solche v«rlinTiden sind, wissen wiederum viele
nicht, was sie bei ihrem gänzlichen Mangel bibliographischer Keimtuisse vei-
langen sollen. Damm hielt ich es für aweckmüBig, ans dem Gebiete der
Landwirtsehaft, des Gewerbes nnd der Volkswirtschaft, der Geschichte und
Geographie, der Natunvissenschaften nnd der Nationalliteratur diejenigen
Schriften nntniiaft zn raachen, die in keiner Volksbihlinthek auf dem Lande
fehlen »(»Ilten. Preis und Verlag wurden mit angegeben, um dadmxüi die
ChUndnng von VolksMbliothdcen m erleichtern.
. 25. Verlerne nicht den Gebrauch der Feder! Dieses letzte Capital
ist gnnz praktischer N irm . Es enthUlt Stilfibniijrrii. ■^^nst♦^^ zu Rechnungen nnd
Anfrriiirt^ii. (^nittnn2r*Mi, Sihnidscheinen, Zf'iiirnis>.en. Haushai Mm srs-. Lohn- und
Bestellbüchern, Kosteiiber»*chnuugen, Verträgen, Protokollen, Brieten. Tele-
grammen, Vellmaditen nnd Eingaben an Behörden, außerdem Postalisches.
Ich bin am Ende. Ist <lt r Zw.ck des besprochenen Bik li< .s, vei^sm lisweisp
zu '/.(il'^vn. in wclcliHr Weise d< r rntfii u lit tl. r . infaclicii lätidliilit u Fcrrhil-
dung*5schule ^emilß den Worten des allgenu im ii I.t liritlan» s vor allt iu ;uu das-
jenige, „was praktisch wichtig ist. was dem reifenden \ erständnisse
der Schttler entgegenkommt nnd was ihr« Charakterbildung an
fördern vermag", einzugehen, ans dem Leben für das Leben zu lehren
balip. so war dfr Zweck difses Vortrages, das ti.lHittMu^ und (Jt-furderte zn
bt'gi iindtii. Urwägungcu über die zweckmäßigste Gestaltung der t<»rtbildungs-
sclmlen sind aber uuei'liUslich, so lange sie noch nicht wahrhaft dem Leben
dienen, ihren Nntsen noch nicht ttbenengend genng davgethan nnd die zu
einem gedeihlichen Wirken für das Volkswol so nothwendige allgemeine An»
erkennnng noch nicht geftinden liaben. •
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Lelirer, Baiemibende und Volfesstiidien«
Ein offener Brief an erstere.
VoD WUHbtUa jragi- Wim,
(Seblun.)
"Rs Ifrittc srar nicht dieser langeu Erörterung^ bedurft. \\m zu zeigen,
dx<s periudiscii wiederkehrende „Baaernabende^ auf die Bildung des Landvolkes
eine groBe Eiiiirirkiu^ äbeii mfinen. Der Hinweis aof die Kanzel hätte gpe*
ufigen WStkUffa, ^Der Pfiorer predigt nnr einmal'* in der Woche, nnd tnigt
man einen beliebigen Bavert ynva er ans der Kirche geht: „Wie hat denn der
Herl' Pfarrer gepredipl?** — so wird tr antworten: ^Sehön war's, das weiß
ich; aber was er alles gesagt hat, das kann ich mir nicht so ermerkeu", und
er wird vielleidit noeb den anaeiiein^d bedentiingaloeen Zusatz madie&: «Es
ist für einen jeden 'was dabd fvwtMA, ein jed» hat sieh hOnnen 'was draus-
nehmen.** Und trotzdem, welcher Kenner unseres bigotten Banemvolkes winde
r.n behaupten wagen, dass das Fredigen ohne Kinflus« anf dieses geblieben
wäre ?
Wir haben nun auf die gewichtigeren Einwendungen, wie sie von den Be-
nrtheileni unseres Voncblages voraussichtlich gemacht werden oder bereits
gemacht worden sind, Antwort gegeben. Wir sagen uns zwar, da.s8 von den
>,^«ori(l(T8 hasenherzig'oii Zanderem nnd philif^terklng'pn Knpfsrbfittlern so manche
weitere Bedenken erhoben w^erdeu dürften, — anf die alle wir onmüglich
erwideni k6nnen. Sagt doch schon das Sprichwort: „Ein Narr kann mehr
fragen, als sehn Gescheite zu beantworten im Stande sind.''
Auf eine Schwierigkeit nmss ich ator norli f ins:( hen, die sich zwar kaum
in eüie ausdrncklich«^ Einwendunt^ fbnnulii t . di» mir alicr uns den Gesichtern
vieler Lehrer kalt und abschreckend entgegenstarrt. Es ist mir, als wünb-
rieh hinter diesen Gesichtern so etwas abspinnett wie: „Es ist alles ganz
richtig, es mfisste am End' gehen, wenn man wollen thät', — aber,
ich weiß nicht, — ich könnt' mich zu einer solchen G schitlit halt
gar nicht entschließen."' Eine derartige Stimmung entspringt nur aus
Trägheit, Geistesarmut, Willensschwäche nnd Mnthlosigkeit. Diese Trägheit
mHiste zum Lächeln stlmmai, — wenn sie nicht leider so^verbreitet wftre unter
unserem Lehrerstande. Ich gestehe gern, dass ich mich in der Wiener
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— 374 —
TiPhrerscIia fr nitcli dieswr Hinsicht wonig^r tinirrt'schtu habe, und über sie
spreche* ich kein Urtheil aus; leb glaube aber, dass sie recht tüchtig und taug-
lich ift. Audi imt^ d«n Landlehrern Ittbe idi viele wukeartt edle und offm-
gimiige Mftaner geAudeOt welche dem gansen Stande zur Ehre gereichen und
s|H*rielI uns zu gruten Hoftnungren berechtigen. Ich würde mich aber einer er-
hännlirhon Schon f?irT)in'» i scliitldiß' maclien nni\ don 5?rhpin der ?»*'lb*«ttJln?rbung'
ant mich ziehen, wenn ich es nicht gestehen wollte, dass die Mehrzahl der
heatigett LAttdlekrer in dieser BBWftrdigen Trägheit befMgem ist.
£8 that mir leid, tber einen m grofien Thefl elnee Standes, den idi m> sehr
scliUtze and dessen Bedeutung' ich so hoch ansriilage. ein solches deprimiren-
de.s l'rtheil anssiirrclion rix müsisen. und ich würde mich freuen, wenn mich ?e-
luaud des Irrthums üUt i ttihreu sollte. Aber es int leider so. Und eben weil
diete IMglnlt so allgemein TcrtKreit^ ist «nter den Luidlelireni, so nAsK»
wir nach deren ürsachen fragen, da einem Übel desto eher xn begegnen oder
aosznweichen ist. genauer man es ki init.
Vor Einführung d«" neneii Schulgesetze stand es mit den materiellpu.
geistigen, ja selbst den sittlichen \ erhältnisseu der Lehrei'welt höchst kläglich.
In einem Tolkreielien Markte NiederOsterreichs worden ein halbes TIsaseBd
Kmder in ein kleines Schnlhans mit vier Zimmern zusammengepfercht. Den
UuteiTicht in den vier Classeu ertheiltcn vier Lclirer. der ObtMlchic! crtheilte
nur Privatnntenncht. Diese vier Lehm wuhntcn zusamuK ii in ciiu ui Ziinin. r,
das ihnen der Überlehrer in seinem separaten „Stöckl" einrüumle, und or-
hielten von dieeon täglich das IfittagsmahL Sonst bekamen als nichts, nicht
einen Pfennig Gehalt. Als im Jabte 1867 ein nsmar Oberiehrer berufen
wurde, konnte das Lelirerquartett es als fiiic Aufbesserung betrachten . dass
eiiit ni Jeden statt des Ititta^^^mahles und t^nartieres 20 fl. Monatsgehalt tr-'-
zahii wmtlen! — In einem Dorfe musste der Lehrei' jeden Tag iu ein anderes
Banemhans znr Koet gehen, und wenn die betreffende BSnerin vidleicht ein-
mal etwas Besseres kochen wollte, hieß es: ..Ah. heat' kommt ja der Lehrer,
kochen wir's lieber morgen." Außerdem erhielt der Lehrer in dit scni Borft*
ncK'h jlthrlieh 10 fl. nnd 2 Paar liuiK iu- Unterhosen. In einem andern Port-'
war der Lehrer so sclüecht gestellt, dass er. um mit seiner Familie leben zu
kennen, fOr den Knopffabrikanten des Nachbardorfes arbeitete, wobei erw8client>
lieh 4 fl. verdiente. Han kann sich denken . welche KrSfte ond Talente sich
zu einem solchen Stande dni'chschiiittlicli entschlossen haben! Es ist Uberflüssig,
zu der Bildung der damaligen Lehrer, den Mängeln ilii er Praxis, ihrem iu der
Armut degeuerirten Charakter noch specielle Beispiel«' zu bringen, die .«schwere
Zeit ist Ja noch zn frlach in aller Erinnerung.
Ans der Cnltm-geschichte ersehen wir, dass die einzelnen Stände g*^
wfliiiilich nur dann in immer bessere Zustände, endlich zn einer Blüteperiode
ejij|">i irehinü' ii . wenn sie i>elber, durch ihre eigenen Leistungen, eine stets
höhere .Stute der Bedeutung erklimmen. So wuchs der Handwerkerstand des
Mittelalters dorch seine inneren Einrichtungen ans sich selber zn der noch
hentp bewunderten HrQBe empor. So erhoben sich die dentschen Städte nnd
ihie Bürger dun h ihren Handel, ihre SdiitTahrt. ihr»' gegenseitigen Wr-
bindnngen zu einer i)f>litischeu Macht. .S> gelangte durch die stetigen \ er-
beiiserungen der Tat- ik. die aus den Köpfen tüchtiger Feldherren entsprossen,
dnrch zweckmIUlige Ansplannng der Evolatiunen seitens guter Exerdermeister,
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dordi NcugtbtiUtuüg der Schusswafleii , ziinit ist vou tUelitigeu Offifiemi aus-
gehend, durch Veimfachaug der Moutiueii und des Gepäck« nach den Yor-
«cfaUgMi erfhlireDer IDlitHrpraktiker du Hflitflr aai sich selber zu seiner
heutigen Bedeutung. Ahnlich hat sich der Stand der Gelehrten, dfrciust der
Rjrtprstnnil und schon seit uiulenkbareu Zeiten '!<-r Priest^i-stand durch die
eigenen Leistimgeu und aus eigenen Kräften, üelbstveratändlich anf Grund
seiner natürlichen Berechtigung, zu hoher Geltung emporgesclnvuugen. Und
nur diese selbsterworbese Bedentmigr eines Standes Icann eine
wahrhaft gesunde sein.
Fragen wir: liat sich der alte Lelnerstnn»! mich von selber zu den li< u-
tisren Verhältnissen empurgearbeitet V Hat ei duich neine großartige päda-
gogische Praxis der Mitwelt ünponirt; in den Gemeinden, auf Grund des
EewQBStseins dnem edlm Bemfe an dienen, liartnftckig Front gemaoht gegen
Cnterdrfickung und Herabwürdigung; hat er Vereine geschaffen, die mit Mnth
für die Standessache erekilnipft lilltten u. s. w.? Wir haben ilnßerst wenig
Dt^rartiges aus der alt«n »Schulära zu verzeichnen. So wenig eine hungernde,
zersprengte Armee eine Sdüacht gewinnt, so wenig wnsste sieb, wenigstens
inösteiTeich, der allNi Folgen des Fanperismos nnd der physischen Ent-
behrungen verfaHene, demoraUsirte Lehrerstand selber zu helfen. Es war ein.
bloßes Glück, dass eine Schar freisinniger Politiker ans Staat, sruder ^je-
Uingte, die, theils auf Grund eigener Einsicht, theils dem Auslande nachahmend,
die Lehfendbafl mit den neuen YerUUtnissen gleichsam beschenkte.
Die Lehrer haben sich also nicht etwa im Bingen um ein höheres
Los in der Willenskraft, dem ünternehmungssüine, im Gemeingeist, in der
höheren Auffassung und der krättigen ^'crtretung ihrer Standesinteimsen g^eöht,
nein, — sie haben vielmehr einen Vorschuss geschenkt bekommen,
anf Grand dessen sie nun alles das naohtrag»i klhmen, wsa sie iMher ver-
kamt, in dem die materielle Nothlage alle Lust an einer frieren» liBheren
Thätigkeit erstickt hatte. Aber gerade weil der Übergang aus der alten in
die neue Schulperiode ein so nnor^ranischer, Jlnßorlich herbeigeführter war
wirkt der alte in der klUglichsten Armut erwachsene Geist der Lehrersciiult
nodi lange nach, jener gedrockte plebejische Sinn, der aidi vor jeder nnge»
wohnten, wenn anch noch so edeln nnd ersprieBUchen Untemehmn^r sun Ofen
zurttekzieht und vor allem dit^ öffentlichkeit wie das Feufr schonet! Dies*M-
Geist, besser Geistesmangel zu nennen, dieses Vermüchtnis aus dtr Uber-
lebten, aber noch nicht innerlich erstorbenen Schulära ist die llauptnrsache
jener sdialoi, hohläugigen Apathie, jener entsehlvssleeren Trägheit, die bei so
manchen Lefarem selbst der bestgemeinten Anregung entgegengähnt.
übrigens sind anch heute die materiellen Verbnitnissc der Lehrer noch
immer keine gliinzendon. Zwar kann »ich der Lehrer in der Stadt durch
Liectionen Einiges hinzuverdienen, aber gerade diese LecUoneu vei-zehren dir
Ar die edlere, höhere Arbeit fkreie Zelt, — nnd woin ein solcher Lehrer andi
Jenen lebhafteren Sinn nnd Sluth hat, der mit einer besseren pecuniftren
Situation ininier verbunden ist. ^o wird es bei ihm docli an tl,atsöclili< heii höheren
I^eistangen fehlen, tür die er ja keine Zeit hat. Der Lehrer auf dem Lande
liat just soviel Geliaii, dass er sidi noch einen eigenen Herd gründen und
aaauttt Familie knapp leben kann. Das Bttcberkanfen mnss er sehen als Aber-
nissigen Lnxns beträchten, er kann kaum einem fiidilichw Verein beitreten,
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«lenii die Mitglietkehait ist mit mancherlei kosispieligeii Fahrten und Bei-
u-agsleistungen etc. verbanden, — und za Haoae in seinem von aller Welt
v^rgoaBeneD Dorfe emfßatgt er «adi keinerlei Anregfunir: Woher wüte flim da
Muth und Eifer (Ar eine höhere Thäti^keit erAvachsen? Man kann also den
heutijfen Zustaml unserer T^ehior. beisonders* anf di in Lainle. dahin chaii»kt*»ri-
sireu: Sie hind gegen früher, was ihre niaierielle Lage und ihre bürgerliche
Stellimg anbelangt, persanlich geborgen; aber alles Weitere fehlt: derinnere
Wachatboni, d> I. dn> thfttige Streben nach Erhöhnngr und Krflitignnff dw
Standea, ferner die Mittel, dieses Streben zQ nfthren, endlidi «ich die Be-
ireist'"-""" welche diese Mittel fv<f't7.cn könnte.
ick kauu nicht behaapten, da<»b es mit Hilfe der tüchtigereu Geister unt«f
den Lehrern gelingen wird» das Fener der Begeisterung zu erwecken für die
Hebnng dea Lehrerbemfea, fBr die allaeitige Gewinnung dea ihm von Natnr an-
gewiesenen Einflusses anf die mensrliliche Gesellschaft , für die Losung jener
hüchwirhtiatn Aufgaben, deren liundertjähriirp Vemachlftssigung den Fluch
der Znriickgebliebenheit und Entartung auf so viele menschliche Seelen geladen
hat. Aber ich hoffe es, and bin in dieser Hoffnung nnersehdtter*
lieh. Ich bofliB es, weil sich diese Begeisternng einstellen mua
wenn nur erst den Lehrern die volle Einsicht in ihre Aufgaben einerseits und
in unsere Cultnrvprhfiltnissf andererseits aufaregangen is^t. — Was das Pecn-
lüUre anbelangt, so wird man speciell zur \'eranBtaltung der Banemabend«
das lüaterial den Lehrern nnentgeltlich zugänglich rnadim, ond ihnen tber-
hanpft anch als HitgUedem dea nnten besprochenen Veraines thonlichat alle
Kosten ersparen, so dass sie mit dem geringstem Aufwand an Geld imd
Mühe eine der wichtigsten natürlichen Aufgabi n des Lehrerstandea in Angriff
nehmen können. Und aut diese Weise gedenken wir jene starre, geistöde
TrHgheit eines großen Theiles der Lehrerschaft dennoch besiegen m kffnnen.
Aber nidht gar za schnell! Hfttten wir anch diese ersten Sd«naea. weldie
sich die Trägheit gleichsam um den ganzen Lehrerstand als solchen gezogen
hat^ ei-stieiTü'n und treten wir jetzt an die einzelnen Lehrer heran, nm sie zur
Mitwirkung aufzufordern, — so wird »ich die Trägheit neuerdings in jedem
einzelnen aar Wdir setaeiL Allerdings wird es rtthmlicfae Ansnahmeo geben,
aber die meisten werden sagen: „Ja, wamm soU deim grad' ich anfknijpen?
Es nutzt ja ohnehin nichts, wenn ich ganz allein solche ,. „Bauemabende"
lialtr und sonst keiner meiner Collegen in der Umgebung." Das ist eben wie-
<ler die .Sprache der alten unverbesserlichen Zaghaftigkeit: „Es nutzt eh'
nichts." Gerade in einer trügen Umgebung ist die Rtthzigkdt eines Einiebien
wie die Oase in d^ Wttste, wie ein noch glfthender Funke in der todten Asche.
Dieser Funke ist vom giiißten Wert: er mnss fleißig angefacht und genährt
werden, soll der w-irmpiide Brand ent.«tehen. r>;'s Beispiel wini wirken:
und wenn sich auch eine solciie vereinzelte Kjalt anfangs — oder vielleicht
längere Zeit, bis aie Naehalimer gellinden hat — gleichsam yeilaaaan ond pceiS'
g^ben fühlt, so weiß sie ja, dass liinter ihr ein Verein bcgeiataiter Mtnasr
steht, welelier gleichsam der gemeinsame Herd tür alle diese zeratreuten
Fnnken ist, und welcher nirht ermüden wird, immer wieder aufs neue die
Leiirerschaft anzuregen, anzuleiten und zu ermuntern, bis die Sache der Volks-
veredlnng endlich vorwftrta schreitet. Und dier wird ja an keinen Lehrer eine
Antfordemag ergehen, bis nicht dieser Verein sidi aetiv eonstitnirt hat. Wem
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^ic■h Übrigens von den 5000 Lehrern Nipdorösterreichs nur 200 über daa ganze
Land zerstreute KräiU.' luelden — von denen Bich immerhin noch ein jeder in
•einer ntcluteD Umgebung verdiiMlt Mhen luum — so sind de für das Ge-
deihen des Planes schon xahlreieh genug. Ja, fSr mehr würde der Verein an-
tliuglich gar nieht im Stande sein, einen thats&chlich firnditbarea Hintet^grand
abzugeben.
II.
Wir haben die Bedenken und Hindeniisse besprochen » welche sidi der
\'er\virklit linnp unserer Vorsrlilfifre entgegenstellen. Wir gehen nun an die
Beantwortung der zweiten Frage, die wir uns eiiif^aiigs gestellt haben: „Welche
!>ielluug nehmen diese Uuterhaltungsabende und mit ihnen die
Lehrer in der gesammten literarisch •volltsthamlichen Bewegung
ein und welches ist der Zweck, Umfang and die Gliederung der
letzteren? — Bevor wir diese 8i>ecielle Fragre beantworten, halten wir es
tür ersprießlich, uns erst die sociale Stellung der Lehrerwelt im mensch-
lichen Leben überhaupt noch nüher zn rücken, als dies durch die bia-
herigen zerstreuten Andeatnngen geschehen ist
Wir haben vor zwei Jahren die Reihe unserer Aufsätze eröffnet mit einem
Artikel über die Klnft zvvisdien Intelligenz und Volk, und hahen die diver-
girenden Wege vt iehnet. auf welchen beide fortwandein, wenn sie nicht in
steter Wechselwii iciuig stehen. Wir iiaben gesagt, dass die Intelligenz und
mit ihr die sogenannten besseren Classea in an abstracte, onnfitae Gebiete des
Wissens und der Thfttigkeit hinfibergerathen , wenn sie sich nicht fortwälirend
au de«) "^'"Iksg'eiste crntirh t i-rn ; nnd dass das Vnlk in den Ahf^rund der
V«rrt»hiintr und Entartung versinkt, wenn ihm nicht stet« ^,'^ei.stjge Lalaing und
Erhebung von der Intelligenz zufließt, wenn ihm nicht die gemeinbrauchbaren,
geistigen Emingenschaften derselben mitgetheüt werden. Wir haben gesehen,
daa». wenigstens hierzulande, diese Wechselwirkung zwischen Intelligenz
nnd Volk nicht oder doch in viel zu i^-eringem Maße hesteht. nnd dass beider-
seitige Verirrungen davon die natürli* !i • K<i!ee waren und sind.
Wer soll uun diese Wechseiwakmii^ v ermitteln V und wie soll es ge-
schehen?
Der Lehrerstand ist dieser Knotenpunkt, der die Intelligenz und das Volk
aufs eu^tc verknüpfen soU : der die Errungenschaften der Intelligenz dem
\'olke überuiitti'U . aber auch des letzteren Rednrfnisse beobachtet, und nur
datyenige zu lehren sich herbeilässt, was wirklich für das \ olk von Nutzen ist,
allen anderen Ballast aber ans der Schale hinauswirft Dadarch wird er nnr
der gemeinmltsigen FroductivitUt der Intelligenz einen continuirlichen Ab-
fln*<8 verschaffen Tinr diese befördern, nnd auf diese Art eine Käckwirkong
dit& volksthumliciien Elementes auf die Intelligenz erniiiirlieiien.
Datih die Lelaeischafl in der Tliut ein soleher Knolenpunki ist und
nicht eigentlich nnd gftndich an der einen oder der andern der beidmi groBen
Menschengrnppen gehört, erhellt st hon daraus, dass diese letzteren in ihrer
Ansartnnp den Lehrerstand gleichmüßig a?it'eiiiden. Die Gelehrtenwelt
hat dir Neigunjr sich auf abstnicte Wissensgebiete, ganz ohne Zusammenhang
mit dem Leben, ganz oluie idealen und praktischen Zweck, zu veriri*eu; und
eigenthllmlidi, gerade in emer soldien Yerlming IHhIt sie sich grofi, erhaben,
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unerreichbar und s< luiut mit »ohlecht Vfrhfhltfnn Df^sp*^* r attf die Lehr<*r li*»r:il).
die sich im Staube einer irdischen Wii-klichkeit walzen müssen. Und mit dem
Gddirleii stfamneii dann der Jmlil, dm* WeMuetf der 6«Cilliehe tt^rrtn. wdl
lie all« zn jeoem in die Schule gegaofen. Wenn aber die Lehrer in dieeer
Weise von obenher §rerini^ gresehätzt nnd al» g:ar nicht zur Intelligenz ffehöri?
betrachtet werden, so rechnet sie das^'«lk darum norh nirht zn sich, sondern
beU-achtet sie als au^edi-ungene Steuerverzehrer: und wenn« wie in der alteu
Ära, die Gemeinden den Ldirer sn erlialteii habtin^ dann Ündet dteaer wol oft
genug Gelegeoheit, nach deren Opferwüligkeit zn taxirat, wie wenig er eie
auf seiner ^iie hat. — Das .«iii«! allerdincrs latift r Ansnahmsverhaltnis.s»>. aber
doch solche, denn B'nvi iskratt innewohnt, da sie thatettclilich (nnd nicht imr
so selten^ statine limden iiaben.
ÜRt aber der Lehrerstand tin coleher Knotenpankt der OeeeUBchaft nnd
hat er beide Theüe derselben auf sicli einwirken xa lassen nnd nmgekehrt aneh
auf sie wieder einzuwirken, so ist klar, dass sein Charakter ein inöirHch nni-
ver«nilfr srin muss: der Lehrer mnss die hervorrasr^ndm^n 'i'ujrend^'n des
einen wie des andern Tlieiies in sich vereinigen und das Bild eines ailseiti};
veUkommen vereirten Renschen dantellen. der naeik allen Biditongen das
Leben versteht und ins Leben taiisrt. Und wenn zur Bildnng^ nach heotigen
Bestien iielist der 8peri>H<'n Fachkftnitnis bei allen Ständen eint* ^t^wiss»^
allpemeiue \ t rsirtheit verlaugt wird , weil man einsieht, da.«?? nur der nniv»*i -
selle Mensch vollkommen genannt werden kann, so ist der Letirer iusoferue in
einer gMiddieherea Lage als alle Übrigen Stiade, weil dieser ünivemliBnina
schon sein ei^i^entliches Fach ist. Der Lehrer soll daher l)edaeht nein, in
jeder Tieziehung, an Creist, Ciemüth und Körper dns Bild eines gesunden Men-
schen zu sein; nichts schickt sich für den Lehrer weniger, als gewi.sse ein-
seitige Schmllen nnd Standesmarotten, wie man sie z. B. bei verhockten Ge*
lehrten, bei alten Feldweb^ etc. oft beohaditen kann. So gehOrt die Hans-
wni*Rtfignr des „alten Schulmeisterl eins" längst nater das rostige Eisen, (ve*
bildet, gescheit, flink, heiter, aufrichtig. entsoJilossen. willens?tark. nidit ohne
edlen Stolz, Hochi^inn nnd äußerliche Correctheit. soll der Lehrer ein Musterbild
fttr hoch und nieder, ein wahrer Apostel aller natürlichen Tugend sein,
wie der Priester der Ubernatttrlichen. •
In diesem üniversalismus. nidlt einseitig im NachJiiFen der I'rotessoivn
nnd im GeltdiitseinwollHn . ebensowenig im .\nfe»h<»n ins (remeine und Pöbel-
hafte, hat der l.ehrprstand seine Grf»ß»' und Bedeutung: zn snrhen. Kr kamt
sich nicht aul eine einzelne Seite schlagen, um auf dt'i'selbeu (iröfieres zu
leisten» weil er dnrdi seinen Beruf fortwährend aadh allen übrigen Seiten hin
in Anqirneli genommen wird. Ihirch ein solches ein.seiti^r» s Wirken und \ or>
gehen wird er also wenig crewinnen ;>iH>r — weil er den Talisman derLelirer-
schaft. seinen l iüversalismas darauf?t'jfpben. nnendlich viel verlieren.
Erst nachdem wir diesen Universalismus hiulftnglich betont haben, können
wir darangehen zn zeigen, wie sieh die Lelirerschaft, dieser Kitt der beiden
großen Mensebendanen, der Intelligenz nämlich nnd des Voikes, der einen nnd
dem andejTi gegenüber z« ht iu luvH ii habe
Wie dem Volke gegenüber.-' Inwieweit imt sie sich von diesem in
ihrem Wirken und Weben beeinflussen zu lassen, und wie hat sie umgekehrt
selbes zn beeinflnssenV
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Der Lphrer itiiisk vor allem iJoi)nlär seiu. Wir nutersciieiden eine
innere nitd eine äuMcre i^opolarität. Nacii beiden soll der Lehrer unaufhörlidi
slnbett. Jene lieetebt darin, daes er das ihn umgebende Volk dtudi nnddnrdi
kennt and in allen Details richtig m benrtheilen weiß; ja, er soll mit dem
Manne ans dem Volke in Anschauungen und Erfahrungen gleich8ani g-:\nz
identisch sein, zwei Untenschiede ausgenommen: insofern er iiiimlich nicht, wie
dicMii-, unter schwerer Häodearbeit, unter gänzlichem geistigen und physischen
Aufgehen in diese Anechaanngen nnd Erfuhnuigen m denwnwn gdangt, wm*
dem nur durch freie Beobachtung; und zweitens, insofern er nicht alles Volks»
thümliclie Inlligl. sondern nnr das Gwtv davon wirklich in sidi aufnimmt, das
Schadhafte aber vei urtheilt. Der Lehi-er soll im Stande sein. alleBethäti^nneren
des Volkalebens nach den verachiedensten Richtungen tiin, also den Chaiakter,
die BeditsanBdiaQnngen, die Sitten imd Oebittnche, die Anedn^kewriee dee
Vulkeg etc. nicht nur im Detail nnd nach den inneren Motiven richtig zu
Vfohju'liten. Kondem ancli rorrert anfznzeiclmen. Den logisolicii ZusaimiM nhang
und die wLssenschaftliclu' }5e!?riiiidniisr ili»>ser Benbachtungen haben dann die
gelehrten Psychologen, Jarittten, CulturliiKUiriker etc. hei'zustellen, welche ihrer-
Mlte wieder, wegen ihrer einMltigen Yertiefluicr in ein faestimmtee Wh»»»'
gebiet, zur richtigen Beobachtung des Volkalebens meist angeeignet sind.
Di»^ ilnßere Popnlaritüt des Lehrers besteht darin, dass derselbf n11;2 ''iii«'iu
als Freund des X olkeis }i;i\t, dass er — unter Wahmng: der HochsrhiUznng- und
Achtung gegen seine Pej-»oii — wie ein üüugeborener de» Dorfe» oder OrU«,
WO er eben wirict, beti«ehtet und b^iaodät wixd. Obwol diese KniSere Po|hi*
lurität ohne die innere pinc sdial»' Geckerei ist, deren Widerwärtigkeit man
an einzelnen Dorfcaplänen beobachten kann, so ist sii I ii, mit <\ov i:ineren
vereint, von erröCtein Wert, weil sie dem Lehrer (h-n iMnduss aut seine Ge-
meinde sidieii. Diese äußere Popularität erwiibt sicli der Lehrer daduich.
dasB «r das Gate des Volkscharakters nnd -Lebens durch thatsleh]i«dies Mit-
thnn nnd auch ötlers in Worten anerkennt, die Sch&den nicht allzuscliroff
mul wi.niö£?lieh dnrrh Anrufung nnd Heiziehnng der guten Seiten <}f" \'"!ke:«
bekämpft, nnd l>e.snnders g-ewistse unbedeutende Äußerlichkeiten, an denen uU
des Volkes Seele hängt, um der letzteren willen nicht geringschätzig behandelt.
In der Sprache soll er dnrdi mOg^chst volksthllmliehes, dialeettr^aditeeHoeh-
deutsch, in der Kleidung dnrch mftßigen Anstand nnd im ganzen Benehmen
fltiirh Offenherzigkeit, Freundlichkeit und iieobachtune 1*1 bestehenden
Sitten und Gebräuche den» \ülke nahe bldben, — aber auch ängstlich
Jene Gemeinheit tlieheu, die zuletzt allen Unterschied zwischen Lehrer und
Baoer verwisdien würde.
Wir brauchen uns nun nicht lange bei der Frage aufzuhalten, wie der
^L,ehrer. mit dieser inneren nnd änneren Popularitilt ;in';a'enisti't . das Vidk l»e-
einflussen kann. Es ist ottenbar, dass er in der >>chule die Kinder riciitiger
behandeln wird: er wird wissen, wofür die Kinder von Hause aas Interesse
witbringQO, was er daher lebhiAer an betonen hat» um Üure Aofinerksamkelt
zu fesseln; er wird wissen, welchen Fehlem und SchwXdien er an begegnen
hat, er ^vird fins- \'prtr;Hicn der Kinder zu sich wrt k-i pr wird die richtigen
Lese- nnd Lelirstotie, weiche den dringendsten Bedurtnissen seiner Umgebung
entsprechen, auswählen können, kurz — um alle diese Einzelheiten zu ftber^
gehen — er whrd eine tflcfatigere Endehnng, einen tüchtigeren Unterrieht an
MnasiaaB' »-J>ln)r> Heft VI. ^
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geben vtruiögen. Wie er auch fBr die Eiwacbseneii, welche ebenfalls noch
fortwahrender Belehninjsr. geistiger Lubun^ nnd Hehimpr. nberlianjit höherer
weltlicher Einflüsse bedürfen, eine segen»reidie ThHtigkeit entfalten kann,
wurde bereite oben Mufttlurlich genug bespiocheiL — Aae dem Qansen aber
erhellt, wie nothwendig es wftre, dftsa in denLehrerseminarien die
Volksknudt' als ständiger Lehrgegenstand vorgetragen würde.
Wir sTflu'ii nun an die zweite Discns.siou: Wie hat sich der Lehrerstand
gegenüber den üeleluten. der höheren UnteiTichtswelt, überhaupt der Intelli-
genz xa verlialten?
Reden wir zaeret Ton dem dieabeilig:lid«i fal sehen V«4mlteji maa^r
Lehrer. Es gibt Lehrer, die sich an die Gelehrten in der Weise anschließen.
(Ins» si»' :iu( h Gelehrte. ..Professoren", sein wollen. Und es «ribt wieder
andere, welche ttich ak Verächter aller .Akademiker" brüsten und gkubeu,
die Gelehrten seien asn gar nicbte nntz auf der Welt mit Auer einsdtigen
Bildung^ und »ich von ihftea nur das Geringste holen zu woUen, sei eitel Thor-
heit. weil ja diese gelehrten Hennen auch ihrerseits den Lehrerstand verachten,
rnd so imwahr<»ch«»inlich es auf den ersten Anblick aussieht, so wahr ist es.
da«s die!»e zwei entgegengesetzten Irrthiimer sich wechselseitig bedingen und
nfthren. Denn wttrden nicht viele Lehrer, die eigentUche Aufgabe and GrtUle
ihres Standes, die in jenem UniTwaaliamiis besteht, verkennend nnd vergessend,
sich auf die r^clt hrten und Professoren hinüberspielen, auf ein Gfbict also, wo
.-ie noth wendig an Leistung.sfilhigkeit zurückstehen und j^o die (icnngschiitzung
der eigentlichen Gelehrten auf sich ziehen müssen, so könnten andere Lehrer
nieht ürsache find^, ilber die Vei*achtong ihres Standes seitens der akadenüsdi
gebildeten Intelligeuz Klage zu führen. Wenn die Lehrerschaft auf ihrem be-
rufsmäßigen Boden naturgeniliß sich entwickelt, si \::\nn .^i»' hn ihrer hohen
natüi'lichen Bedeutung nur hohe Achtung und Wiudiguiig finden.
Also nicht im gänzlichen Aufgehen in die höhere sogenannte Intelligenz
und andi niebt im gSnzllchen AbechUefien von ihr, sondern im richtigen
Verkehr mit ihr. unter Wahrung der eigenen Selbstständigkeit, wird der
Lehrei-stand seint- B. i ufsatit - t' i l.w. n. Bevor wir diesen ..liditigen Verkehr '
schärfer begrenzen, miissen wir, um nieht missverstanden zu werden oder das
Misstrauen der Lelirer zu wecken, erst über die „Intelligenz", speciell über die
hier in Beti-acht kommende Gelehrten- nnd höhere üntenrichtswelt eine Ueine
Anfklftrung geben. Wie wir ein zurückgebliebenes Volk haben, sd haben
wir ;tn(l«'if;i>eiti* — dies»- (»"'gonsätze bcdiiigi'n i^u-h ja xnm gr(»ü»"ii Theil
»•inr zu w eit vorgeschrittene Gel "lirtenwelt, freilieh auf einem falschen
Wege \ orgeschritten. In einer Art kruukliaften W^issensficbcr befangen, fragen
sie sich bei ihren ..Leistungen" nicht m^. ob dieselben denn anch einen
Zweck haben, sei » s in der Hebung und Veredlung des Geistes, sei es im '
materiell -praktischen Nutzen. So sind denn durch solche Wissenskrämer dit*
meisten unsenr Wij^«ensf;lchei- mit einem ifeisttödtendeu Ballast übcrlegirt
worden, der sie aus dem Bereiche des mit der Wirklichkeit der menschlichen
Veridtltnisse immer «ng verkn&pften wahren Geisteslebens in ein irreellee,
iior dem Namen nach ..ideale.s", todtes Gebiet hinausge.schleudert hat, von wo
aus sie nun auf die gesunde Entwicklung der Gesellschaft keinerlei niitzlii hen
Kinfluss ni.'hi iiliru können. Und doch sind es gerade diese so ertr)dteten
Wibseubtikhci . wt kdie so viele junge Leute von der gesunden Arbeit herüber-
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ziehen, weil de — wenn man sich durch eine zeitwcilij^c ;ujketi8chp Ver-
l»'n2^nngr seiner ganzen Lebensphilosophie zu ihnpn himinn !it^earb<Mtt't li.it - -
fine „sichere", nicht mehr unter der Controle des socialen Lebenn ätehend«-.
daher auch durch irreellen Betrieb und durch etwaige Aüssgriffe nicht mehr zu
verliermde „Beniftvtelliiiig" bieten. Und doch ahid gerade diese Gelehrten die
arregaatesteu , unnahbarsten und eingebildetsten, weil sie in ihrem irreellen
st*»m- und körpt rlosf^n Gedank('nlumnif»l mit ihren Einbildun^rn nir;r<^nds an-
sToß«>n krmueu, wie dies mit ähnlichen Marotten demjenigen sofort passiren
mSsste, der sieh auf dem reellen Boden des menschlichen Lehens, sei es auch
nur anf dem geistigen oder mendiMhen, bewegt
Es ist wol aelbstTerstftndlich, dass wir unsere Lehrer nicht auf diet$e
^i}>P«> verweiaen Icfonen. Es wOre ja bei ihr aneb gar nichts Brandibares
za holen.
gibt aber auch edle Wissensmänner. die unr das echte Gold brauch-
tNtrer Weisheit und Wissensehaft mttnsen. Zwar sind es nieht immer gerade
df^enigm, welche das ..gr5Bte'' Wissen haben. Ihre Speicher sind nicht
immer so voll gepfropft; :xhrr doch sind sie schätzb.irer als dif Sju'icher des
Narren, der sie mit w» rtlosüm Geröll und Kieselsteinen angeschüttet hat. —
nnd hatte er sicii gleicli bei der H^beischaflhng dieses Materials bis zum Blut»
«diweiB geplagt. Es gibt Gelehrte» welche bei all* ihrem Wirken nnd Schaffen
daranf bedacht sind, dass sie der Gesellschaft, deren Brot sie essen, wieder
etwas /nriickleisten müssen; nnd wenn ihr Firf! ^in «sngpnanntcs hnrnrines
ist, m wissen sie, dass dasselbe nnr dem Bedüituisse nach geistiger ßrhebnng
and Labung, nur einem idealen nnd frohen Strebm der Menschen sein Ent-
stehen nnd fbrtan andi seine Existenxbereditigiuig verdankt nnd daher jede
asketische Selbstpeinignng seiner Jünger ansschließen soll. Auf diese Gelehrten,
die mit dem Lehen vertrant, von edler, praktisrltpr Gesinnung und ürflänterten
Anscbanangen beseelt, menschenfreundlich nnd zugänglich sind, weit sie eben
Branchbares mitnuth eilen haben, verweisen wir die Lehrerschaft, mit
ihnen soll sie einen natnigemißen Vwkehr nnterhalten.
Fragen wir wie<ler: Wie hat sie dnb( i dieso nflr-hTten anf sich einwirken
so lassen, und wie soll nmgekchrt sie anf jene einwirken?
Die Lehrer sollen den Gelehrten gegenüber empfänglich sein. Sie
noUen deren flertige, gemdnnfitzige Errungenschaften, sei es dnrch persSnlichea
Verk^r» sei es dnridi Bftcher, gerne nnd fivndig übernehmen, nm sie in Tolks-
thönilicher Methode dem Volke nberli» fem zn komit ii. J^ie ^uUen nher auch
— ivlmn sich gerade in die Details der geleiu ten ünttfr-suchungen einzulassen -
über den Gang der Wissenschaften überhaupt stets unterrichtet sein, auch
wenn sie nieht alles in dw Schule oder in Sffentliehen Vortrigen weitergehen
kennen. Denn manches» was der gemeine Mann nicht braucht, mnss der
I^ehrer wissen, nm das, was jener braucht, ihtii riclitiger und zweckmilßiöt r
beibringen zu künnen. Atirh nm seiner selbst willen soll er den Verkehr mit
Gelelirten, oder g^te Bücher suchen, am durch kräftige Anregungen, durch
wfseensdiafUich-praktische V(»sehläge, durch überraschende, neue Resultate
stets bei regem Oetotedeben erhalten zu bleiben, denn gerade der Lehrer ist
lu'i seinem oft eintönigen, abweelislnngslosen Treiben in Gefalir. im S'nitipfe der'
Alltilglicbkeir allen Esprit, allen Muth nnd Sinn fdr das Höhere einzubüßen,
beim ABC und iünmaleins zu verknöchern.
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Umgekelirt wird und mvm auch die Lelu*ei'\velt aut deu iielehrtenatand
efnen alieblich«!! Etsflius Qbeo. Wenn die Lehm* bd thier Ffinorge für die
Mengre, für die Öffentlichkeit, demjenigen Resultaten g:elehrter Fonehoni^ eine
weite Verbri-itung geVx-n. wvldip entweder einen praktisdien oder einen idealen
Wert haben, allen todten Wissenskrani aber in seiner Vergessenheit, in der »t
von verlorenen Ueiehrten erzeugt worden, beiaasen, dann wird gai- bald j«'iie»
edle WlsBeiit welchem dnrch die Bemlihangen ^ee rBhrigen Lehrentandes ein
großes Absatzgebiet offen steht, allein das Öffentliche Interesse behemchen,
und die rsendnwissenschafr. die t\onh hente vielfafli keck ihr Hanpt erhebt,
wird eiuschrunipt'en und ersterben. .So werden die Lelirer ein stets einlirL-
tt'rndes, controlirendes Element für die Gelehrten weit als «solche bilden:
aber auch der eisxeliie Odehrte kann im Verkehr mit don Lehrer, der fort-
während mit dem Volke zn ernsten Zwecken verkehrt, an persönlicher
Xatiirlirhkeit gewinnen, die ihm bei einem einseitigen idealen Streben ^tt
abhanden kommt; selbst mit dem A olke verkehren kann nicht jeder (Telehi-te,
weil er sich von demselben leicht eine unrichtige Vorstellung macht, es miss-
versteht und anstatt natürlicher dnrdi den Umgang mit gemefnen Lenten
oft nur kindischer wird.
\\ ir hnben in großen Strichen die sociale Stellung und Bedetitnng der
Lehrer hingeworfen. Wenn dieser Stand auch dem WoIp und dem Gedeihen
der Menschheit, der intelligenten wie der gemeinen, dient, so igt er doch kein
dienstbarer« iratwgeOTdneter Stand; er fibt ja andrersdts wieder einen beatim*
menden, gestaltende Einflus« auf die andern Menschenclassen aus, er ist duh^
von Natur aus .so souverän wie jeder andere Stand. Ja, wenn sich die Lehrer
als eine feste, unabweichlich den Principien ihres Berufes treue, mui-alisrb
tüchtige Kürperschaft zwischen die Intelligenz und das \'ulk hinein legen, danu
müssen sie eine in ihrer Art beinahe s windende moralisdie Macht anf die
Intelligenz und das Volk ausüben, dann mnss unsere Cttitnr alle ihre
Krebsschäden Ins werden, es magr da gehen, wie es wolle. E.s ist
freilich erst eine Aaltrabe unserer Zeit, ein solches starkes berulhtnnie».
selbstbtäudiget) Lehrerthum zu schaffen, — die Vergangenheit hat keinen Sinn
dafür gehabt. In der Lehrerschaft selber aber müssen sich die Triebe
zu diesem Waclistlinm regen, und ohne ihr kräftiges Wollen könnte
nie jene Zukunft lierbeis^t-tnhi-t werden, in welcher daf eben angedeotete Ide^
zur vollen Wirklichkeit wird.
Erst nach dieser Erörtermig • über die sociale Stellung der Lehrer gehen
wir an die Beantwortong nnserer thematischen Frafe, Indem wir ganz einfach
das Programm de.s mehrerwähnten volkswis-senschaftUchen Vereines mittheilenr
naeh desiien factischeni 7ii«:nnnienfreten die in di^'^-r Abhandlung bi.«sher ans-
geetprochenen Ideen ver\s irkiidit werden sollen. W ir würden dieses Pi-ogranmi
noch nicht veröffentlichen, wenn uns nicht daran gelegen sein müsste, die
Lehrer ztt ttberzengen, dass der ganze Plan wol dorchdadit» ohne viele Muhe
ausführbar und anch gut vorbereitet ist. DerLdmr wird im einzelnen selVier
selten. da.ss di'- .Vnfpuben. die nach dem Vereinsproerramm den Lehr« ni zuf.illen.
deren aUgeuiein culiui-eller und socialer Autgabe ganz enlspi-echen. Aneli wird
die Stellung und Beziehung der „Bauemabende^ zn den Übrigen volksthümlich-
literariHchen Ttestrebnngen ans dem Programm ersichtlich sein!
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Prognnii
des demologischen*) Vereine» ffir NiederQBterreieh.**)
Zweck des Vereiaes. Durchforscliang des iiiederösterreichischea Volke-
lebene naeli allen Btehtnngen. Geistii^, mofaUeehe nnd wirtediaftliche Hebung
dee Volkes, besondeie dee Landvolkes. Anregung der Lehrei wt It zu frncht-
bar-'v vrtlkstliümlicher Thätigkeit, zoiii Ei trphpn oiner hölu-i'oii c.ulturellen Be-
deutuug. Fijrderung' des volksthümlichtii .Sinnes innerhalb der hülicren G-esell-
schaftskreise, Ausbau und (ieltendmachaog solcher Wissensdisciplinen, welche
eof die Volksmenge, die mit ilirer Hftnde Arlieit den Oeiehrten »i eeln^r gei-
stigen Arbeit frei hält, wieder eine heilsame Rfiokwirknng ftben, lei es nnn in
maieneller o Inr idealer Weise.
Umfang und (Uiederuiig de.s \'eieine>>. Der \'erein be.stelit aus
,.correäpoudirendeu" und .,\virklicheu Mitgliedern". Zu ersteren aind
besonders die Ober das gnnne Land verbreiteten Lebrer in Anssieht genommen,
sind aber selbetverstKndlich aueb andere Gebildete willkommen. Zu wirk-
lichen ilitffliedern ei^rn^n sich nnr solche Kräft<^, welche, gleichgültig, ob sie
humanistisch oder realistisch gebildet oder Lehrer sind, dnrch literarische
Publicatioueu — oder wenigsteuä durcli gründliche Bildung und spezielle Selbst-
4inidification fSr täa gewisses Fadi der gesammten Volkswiisensebaft — die
Oaraatie bieten, dass sie ein solches mit Erfolg zu betreiben im Stande sind.
Die wirkliehen Mitglieder theilen sich in zwei Gruppen: in die „üTil'pre" nnd
in die „innere Abtheilung*'. Ei-stere darf als Vorbereitnn? für die letztens
angesehen werden; denn während jene — einen „Dirigenten - an der Spitze
— nnr das Techniscbe zu besorgen hat» beschäftigt sieh diese mit der
dgentlichen Lösnng der Vereinsaufgaben. Sie theilt sich wieder in die ..wis-
senschaftliche" nnd in die ,jonriin!istische Section''. Die wssensch ält-
liche Section gmppirt sich in eine Reüie von „Fächern": Volksreligion (dazu .
Aberglauben, Glaubensmissverständnisse etc.), Volkssprache (Dialect), VolkS'
Psychologie (Volkacharakler in abstrseto), Volkslieder, Volkssagen, Volksbücher,
Vi.lksgebi-anche und -Sitten. Volksschauspiele. \'(ilksnuisik, Rechtsanschauungeu
dt'> Vf.Ikes, Volksheilinittel, Landwirtschaft etc. Jedem Fache steht ein ..Fach -
meist er*****) vor. dem je nach dem Umfang des Faches nnd je nach der Viel-
tUtigkeit und Variation des Gegenstandes in den einzelnen Landesgegenden
wieder eine grMere oder geringere Anzahl von ,,Fachmftnnern'' b^gegeben
sind. Es steht dem Fachmeister frei, in seinem Fache je nach Bedüi-fnis noch
einn weitere Anzahl von üntergrnppen zu bilden. Pie jonrnalistische Section
bat nur einen „Fachmeister" nebst einer entsprechenden Anzahl von „Fach-
aHnnem'*.
*' !Vr Ausdruck „volkswisaenscbaftlich'* wird als ein phonetisch alba scbweicir
und uubequeuier mit „demologisch" ersetzt.
**) TTnsere Kitite reichen sonBcbst nnr für NiederUetanieh ans. Bs wurde
nas aber die grüßte Fkende bereiten, wenn sieb in andern Lindem BbftBgb^^ Veraine
cuostituirtüt muebten.
••*) Ich glanbe, die Namen der Männer, welche diese Posten einnehmen werden,
jetzt noch bei mir behalten zu KoUen. So vi-1 darf ich indcn wol sagen, das« eg
mehrere sehr herrorrsgende wisieusohaftlichc und pädagogische Größen,
mit emer Reihe von andern ebenfsUs Ihehtlkdttigen nnd ncbgMilMteaKrlften sind.
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384 —
Als Huupl des ganzeu Vereines laugiert eiii von den wiiklicLeu Mitglie-
dern mit Stimmenmehrheit auf 5 Jabi-e gewählter „Obmann".
Der Betrieb des Vereisea. Es wird ein mnAnglidies, nach FBchem
lubricirte» „EinschreibebQch" ausgearbeitet. Jeder Fachmeister besoi-gt
die Special-Rubricinmg seines Fache.s durch charakteristiselie Titol oder
Fragen, aud gibt im Kopf der Bubiik eine kleine Anleitung darüber, was für
BeobachtUDgen nnd Erfahmngen in dieselbe find in ihre Unterabtheilnngen ein-
zutragen seien. Dieses Einsehreihebnch wird von der ftoBeren AbCheflnng des
Vereines in vielen Exemplaren aufgelegt nnd an alle Schulen des Kronlandes
gratis verscmlot. Jede 8chn!e !iat für die Conpervirung des BtK In s zu liaften.
Aach Privatpenioneji erhalten, aber uui' gegen Entgelt, auf \ erhmgeu ein
Exemplar dieses Einscbreibeba^es. Die einselBeK Fachmbriken kSnnen leicht
von einander abgdOst werden, so dass man jede derselben, sobald sie voUge>
schrieben ist. separat an die än0eje Abtheilung schicken kann, um wieder eine
iH-nr. leere dafflr zw Hekoinnu-ü. Wer nine solelie Facfirnbrik. mit
brauchbaren Beobachtungen vollgeschrieben, eingesandt hat, er-
hält den Titel: correapondirendes Mitglied. Die eingesandten, vollge-
schriebenen Fachmbriken werden in der tnllmn Abthetlnng nach Gegenden nome*
rirt und geordnet, das in ihnen sich Wiederholende mit dem Rothstift markirt und
dem betieffenden FacliiiH istpr übercpbeii. Dieser stellt mit seinen Fachnjännem
auf üruud dieser EinlUufe und sonstiger Erfahiungen seinen Fachgegenstand
systematisch dar, und in jedem Jahre hat ein anderer Fachmeister (od^ einer
seiner FaehmftnnerJ «ine solche DarsteUnng in dem id^lbriieh heransanigebenden
Jahrbuch zu .veröffentlichen. .'Selbstverständlich .sind w eitereu Publicationeu
der Farhlcnt>' kfinerk'i Schranken gesetzt. r>ir' Fachmänner und -Mfi^^Tpr
halten auch öflentliche X'orträge, um so das Interesse des Publicums fui- die
Sache an bdebm imd dem Yoein vielleicht aodi pecnnilr damit zu di^en.
Anch geschlossene Sitrangen wnden von Zeit sn Zelt gehaltm, die Besnltate
gegenseitig ausgetauscht, damit, wo die Fächer ineinander greifen, sieh die
Fachmänner untei. stützen »tr. Was die letzteren in wissenschaftlidur Fonii
feststellen, mündlich oder sciirittlich, haben die Mitglieder der jonrualistisclien
Seetkm volksthfimlich an verarbeiten, oder doch znr Richtschnur bei der
volksthfimlichen Darstellung ilirer sonsther geholten Stoflfe za nehmen. Sie
schreiben lehi'hafte Abhandlungen über wissenschaftliche oder praktische Themen
in dem von mir bereits anderw ilrts bi sprocheuen „dialerts"edr\cht('n Hochdentsch".
ebenso Erzählungen mit piis.sender Tendenz, und wenn Talente dazu vurhandeu
rind, mdgen tüe aidi andi an die Bearbdtmig kurzer Dramen heranwagen,
deren Attffflhrnng nicht umständlich ist. Von dieser Section resp. ihrem
Fa( liinpister ist auch eine 5Ii*n;itschrift zu redigireu. welche die
tStorte zu den ländlichen l iittrlialtiiugen enthält, so dass etwa 4 — 5 fertig
ausgeiubeitete „Bauemabende" saniuit Liedei- mid Notenappaiut mit je einem
solehoi Hefte kommen. Selbstverständlich müssen diese Stoffe nicht lanter
Originalproducte dei' ^'ereinsjoul-nalisten sein, es kSnnen und sollen ja anch die
bt-reits vnili;iii<lt'iieii Vulks- und Dialrrtsrliritttn ansfrobentet wrrdim. In alb m
aber sind die Kathsciüiige der w issoiisrhalrliclu'ii Faolunilmier dabei zu liearhteu.
weil ja diese das Volk und dessen Bedürfai&i.c nach den verschiedene Rich-
tungen hin und in den venchiedoiMi Gegenden gunan kennen. Pftdagogische
nnd methodische BathschUge der Faehmftnner, ^richte Aber Vereinflangelegen>
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heiton kSniMii noch angefügt wei*deu. Andi diese llonatsachrift soll den
Sdnden NiederBsterrelehs — abor vmVkaAg auch nnr dieseii — gratis znge-
Btellt werden. Endlich haben die Corres pondirenden Mitglieder»
vor allen die Lehrf-r, welchen aus der Hiiöfien Abtheilung; diesi^ Monatsschrift,
zoj^ht, wo thuulich die in ihr ausgearbeiteten „Baneruabende'' prak-
tisch auszofähren.
B^r Obmanii gibt, von dm Hitglledem der änfteren Abtheilnng unter-
stützt, al^ährlich ein „Jahrbnch" herans, in welchem, außer der ubenei-
wähnten Facharbeit, ein ausfülirlirlier Bericht enthalten ist über das Gebaren
dee Vereines, über hervorragende Leistungen einzelner correspondireuder oder
wirklieher Kitglieder; auch Nachrufe au verstorbene Angehörige des Vereines,
mit biographischen ^daseo, femer Danksagungen fttr FOrdemng des Vereines
etc. werden in diesem Jahrbnche Platz finden.
Wir behalten das NUhere norh bei nn?. Wt il die Kosten zur Förderung
der Vereinszwecke nicht allzugi-oK sind, da sich die Monatsschrift und das
Jahrbndk bei Ihrem das groBe Pabiicum interesssirenden Inhalt holEnitlleh tob
selber halten werden, und somit nur das Euisdireibebadk nnd ein Local f&r die
äußere Abtheilung bestritten werden müssen — die speciellen Fachkanzleien
können bei den betreffenden FarhnieTf?tem sein nnd weil andrerseits zu er-
warten steht, dass die hochwichtige patriotis«:he «Sache dieses Vereines von
Aafang: aa weritthfttlge üntentitzung tind» irird, nnd dan die FadmOnner
andi dnidi (MEentildMViwtrBge niditünerkleckliches «ererben ktonen, so darf
von vornherein auf alle Geldbeiträge seitens der VereinsmitgUe-
der verzichtet werden.
Ich habe nun mit diesem dritten Aufsätze, den ich dem „Pädagogium'*
«inreihe, eine Idee, die mir von Anfiing an vonehwebte, immer klarere For-
men in mir annahm und mir schon beim zweiten Anftatze in ihrem g:auzen
Cmfange und ihren Einzelheiten bewusst war, zur vollstanditrcn Darstellung
gebracht Wesentlich Neues werde ich in Zukunft, über diese Idee hinaus,
nicht mehr bringen: es gilt jetzt an dem Ausbau lud der Verwirklichuug der-
selben aa arbeiten« nnd an diesen Zwedren werde ich bei ndnoi werten Lesern
wol noch Öfter vorsprechen müssen.'*)
*) Kkiuert^ Cui)k!i>pundeuzen mit der Lehrerschaft werde kli, wo uüthi^, Jurcli
die in Wien en;diein<mde „Deutsche Zeitunier'" fOhren unter der Rubrik „Zur
Krziehniiir d- .s Bau ern stnndes*'. Diesp Rubrik befindet sich entweder unmittel-
iiar uach dt5u Lvitartikd oder unter den vermischten Nachrichten. — Ich mns«
i^chliefShch den Leser bitten, die ganze Abhandlung noch ein zweites Mal zn dnrdi-
blättern, denn erst jetzt wird ihm im ersten Theile manehM gsnz Uar weiden, was
ihm b«'im ersten Lesen ii«oli S<;hwieri)^l£eiten macht«-.
Anmerkung des Herausgeber^:. Dos auf ti. 875 über die ü.stcrr. Lohrer
der alten Ära ausgesprochene (^rthcil 'liittte denn docii zu allgemein und zu hart
sein. Wir können dies hier nicht näher na<'.hwf»i«en. wollen aber doch daran ♦■rintiem.
dass gerade Lehrervereine, Lelirerversammluugeu , Lehrerzeituntfcn, kurz Kund-
gebungen des Lehrerstandes zur HerbeifÜhrnng der nt-uen Ära wesentlich mitgewirkt
haben. Im Üloigea bedarf es wol fttr die Leser de« Pädagogiums kaum der Ver-
•«ichenug, dass der Verftsser des vorstekenden Artikels ein aufrichtiger und weifc»
thfttiger Fresnd des Lebrentaades ist.
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Mittheilinj^eii aus den Ut»eraleu iSckuivereiii Kheinbmdä aad
Westfalens.
Deutende SehnlmliiiMr baben schon Tor Uager Zeit dem Gedanken Aiudnick
ju^egeben, dass das Schulwpspn in unserer Zeit nur ilurdi die Betheilignug der (?e-
bildeten aller Volksclassen einer deu L^ultarTerkältuiikjüu eut«prechenden Gestaltuni^
eatgegengefühi t wenleD kiiune. Deshalb iflt die Begründung eines libenüen Schuir
vereias für Rheinland und Westfalen, ati wf^' heni sich je«ler BAiger betheiligen
kann, von den Lehrern sowol vuu ScliuiirfUinleu überall freudig begrQfit worden.
Da bisher iu diesen Blättern Ober den rheinisch-westfälisehen Schulverein noch
nicht berichtet wurden ijit, m glaube ich nicht bexweifeln zu dOrfen, daw d«n
Leidem die folgenden Mittbeilnngen erwttnacht Min werden, nud ieh werf» ^/Sm
ant die Ent^tehnnip, Entwickelang irad bisherige Thttigkeii des Vereiu dncn
kunsen BUckblick.
IMe Bildung des Ubenüen Sehulvereiai wvhie am 14. Not. 1880 in einer
kleinen Yer>;ininilnnir liberaler Männer zu Elberfeld angeregt und zur weiteren Er-
wägtuig den Herren IWes^cir JOrsren Bona Jleyer - Bonn, GjTnaaialdirector
Sefimelser^Hamni. Oberlehrer Het/t r Hagen. Beigeordnetem Ernst-Elberfeld und
•Stadtverordnetem Ilmnapohn-Küin iil)erwiesen. Diese;* Comite entwarf ein Statat
und berief eine grotitsre Versammlung auf den 9. Jan. 1881 nach Köln.
Das entworfene Statut wnrde in dieser Versammlung en bloc angenommen.
In demselben wird der Zweck des Ver^ns in folgenden Worten ausgesprochen:
„Durch Veranlassung von Berichten und Gutachten, .sowie durch Beiq)rechungen
seiner ^[itglieder zur Antkläning über <!!•• )'.e(liirfiiis>f einer freisinnigen Entwicke-
lujiff unseres gesammten Schul wewns beizutragen, denigemifi praktische Eeformen
hendmfflhren, insbesondere aneb auf die Oewinming einee entspieebendea Sebal'
geaetzei» vorbereitend liiiizuwirken." Weitere Bestimmungen sind:
Die Mitglieder iial^eu einen jährlichen Beitrag von niindesteuf Mark zu
xahlen.
Di* Leitung: <ies Vereins hat ein Ton der GeneralTersammlnng gewitiiter Vor-
stand vuu b i^IitglitHieru.
Den jetzigen Vorstand bilden:
Professor .f. B. Meyer-Bonn. Statltverordneter L. F. Seyffardt- Krefeld,
Stadtverordneter .1. ilamspohu-KöLn, Gymna.sialdirector Schmelzer-Hanuu, Buch-
drackereibesitzer W. Gtoi ir i- B<>nn.
£in Ansschoss Ton 13 Miteliedeiu uuterstätat den Vorstand.
Am 1. Mai 1881 fand in KBIn die 1. OenenÜTemmnüung des Vereins statt
Der Verein 7ählte 754 Mitglieder. Di»- in !< r ( i.^nenil Versammlung Erschienenen
nahmen das vStatut an und erhoben den i»roviionH< iieu Vorstand und Ansschora sum
dednitiTen.
Aus seinen Bemthungen ging das folgende Prugramra hervor:
1. Daä ganze Bildungi^wesen des Volkes« mu.Hä als Angelegenheit staatlicher
Pflnorge und Leitung angesehen werden.
2. Tn den Schulen des Stante» muss auf die Angehörigen TersebiediUier Beligion
und t^iutctüsion glcichuiüßig KUcksicbt genommen werden.
Efaie Sntfenroi^ des BeügioiisnnterrichteB aiis der Sdinle ist nicht n entreben.
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— 387 —
3. Die Aufsicht ül>er (las gesaminte ScbuiweMCii inuss der Stnat durch ihm allein
iiiit«reteheiide technisch wrgtAmbBt» Beamte fllhieu.
4, Das VolksschulwespiT mtiss auf (irandlai^e dn allgemeinen staatlichen Schul-
g6äetz{e:ebanir, wesentlich ah Augelesrenheit der bUrj^eiiicheii Gemeinden an^resehen
wenle«.
i). Bei den höheren Lehranstalten ist die Aufhebunju: der zum Theil noch be-
stehenden tTnterttcheiduugeu derselben nach der Confesision zu erstreben und darf bei
der Allste 11 Ulli; der Leftcir «II deoMlbon Biir die pMagogisehe oiii wiMaBMd»ftliolM
Büdmi^eutächeidett.
6. Die ümTenitäten halMii bei Beraftinir ihm' Lehrer, von jeder eonftariaiieneii
Berfuksii htiijuui,' fiti, uur ilas Infcrcssf der "\^T:8ensihiitten ins Antre zu fas.sen;
jede !;k:iuiiälerung ihrer Lehrfreibeit dnrch Berücksichtigung^ kirchlicher Ansprilche
oder durch Wtwirkmijpr Irinhlidia' Autoritftten bei den Berafttnireii l«t nnbedlncrt
IQ verwerfen.
Die /weite Generiilveisümmlung fand am 30. Dctober 18Ö1 /,u Dortmund »taat. lu
dendben bildete die Sdiuhuifsichtsfrage den Haupt^ei^enfitand der Verhandlongeil.
Gymno^naldirector Schmelzer-Hamm leitete dieselben dorcli einen Vortng ein, »ob
welchem ich mir einige Gedanken anzuführen erlaube:
..Wenn niüii sa<ft; DasZif l dt-r V(dks-<ehule ist die Erziehung religiöser Menschen,
oder Mch: der BeUgionaunterrichi drückt unserer VoUuschuie den charakterietischen
Stempel auf. m mm» ich dem widerapreclien. Der Stnndenzahl nach seluni Ubentri^
der (iputschf riitenicht über da.** Doppelte. Und wer wird denn ein 14jfihri^^r^ Kind
einen sitUich-religiüseu Memtcheu nennen? Dos Hauptgewicht der religitoen Is^ehoutj^
liefet in der Famute and in der Kirche. Dies« aber sucht die Laifc der Sehlde auf-
Tnbnrdcn. Der deiit.achp r^nterrii lir ist in der Volkaschile die Hanptiache, er allein
kami den .SchiUer autlj befliliiuen tHr di<* Kirche.
Der Kf'ligionsnnterriclit iil)or ist cm eminent wichtiger TheO der Lehrerthfttig'«
keit. Er ^oll die Dirortivp für alle Lebenskref><p c^ben \m\ mii?s also voiv.ugsweise
belelaeud sein. Ein Kiiul, das von seinem Iteli^iüuslchrtr jeden Tag eine Stunde in
erbaulicher Spannuug gehalten würde, erschlaffte in seinem religiösen Gefülü. Er-
iNMiing ist ein Sonntagagericht, keine Werlitagsspeiae. Weiterhin soll sich der
Religionsnnterridit in der Sehnle Ton allen streitigen Mcmienten fem halt«n : man
darf d.is Kind nicht in GeireiiHatz briniren zu andern Kindern, oder /.n .•'eintMi Kitern.
Wenu confessiüuelle Streitfragen in der Schule rorkommeu sollen, so wird die Kirche
die SehnlaaÜrieht fordern.
Eü ist iii( hr fintliii,', das*» wir die Geistli ii von der Schulanfsielit alisolut eut-
t'emeu; aber uur die fachmännisch, nicht die blon theologisch gebildeten t^iiid zu ge*
hranchen. Namentlich sollte der Staat die 5k;hule wahren und schützen vor jener
Sorte Vfin (."ei^tlifdien. dif '•i l! auf kirchlichem und i(oIiti«chem frebiete. und nicht
gerade zur Ehre uiuserer Ivtliirion, geltend machen. Was sind d»is für Gedanken,
wem) ein geistlicher Herr sich wundert, das» die Kinder in der Krankheitsgeschichte
des KönigB Hiäkias nicht Bescheid wissen, während ihnen du Leben eine« Herder
bekannt m ? Solche Gedanken fdnd schamlos.
In der Localschulaufsielu stehen sieh zwei Ansichten scharf gegenüber: „Nur
der GeistUohe kann sie ausüben", und: „Sie ist Überflüssig nnd schädlich.'* Mittel-
wege jdnd: Xhi ttbertrage die Loealinspeetlon einem Mterni Lehrer, nnd: Man ver-
kleinere die Kreisschulinsjn ■ ti >ti^Ii zirke.
Die Kreisschulinspection lordert einen ganzen ilauu und zwar zugleich einen
solchen, der durch die Volksschule hindurchgegangen ist."
Die dritte Generalversammlung beschäftigte sich mit der Ül)crbflrdtmg8fiage. E.h
lagen über diese 11 verschiedene gedruckte Referate vor, meist die höheren Schulen
lietreffend. Sie sind wie andere Schriften des Vereines, welche ic Ii am Schlüsse nennen
will, im Buchhandel zu haben. Für die nächste in Hamm iu Westfalen .stattflii-
dflnde yertammluug wurde der Kel igionsunterricht in der Volksschule auf
die Tiis' sordnnng gestellt.
Der Vorsitxende, 'vxifessor Mever^Bonu eröffnete die Yerhaudlnngen mit Mit-
theüongen Uber Vereinig ^.gelejBr«iheiten. Die ^Sahl der Mitglieder des Vereins ist
auf 9Ü0 ge<ttiegen nnd in stetem Wacliseu l)egriffen. Die Referate «Imt „ÜberbUrdnng
der Schüler" sind au verschiedene Ministerien versandt, und aus Berlin, Dresden,
Dumstadt rind bereits nutimmeiule Antworten eingegangen. Zu dem IXesterweg^
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Deukmal in lUfn hat <ler Verein 5() M. beigesteuert luid zur ESnweihuiif; ein ächieibeu
iUH r^niidt. nm »eiue daukbure Yecdiruiig fStt den Vorkimpfer «iuer bthn ScImliNit'
»icktluu^ m documentiroii.
Die Frühlingstver^^inmlnnttr im Jahre 188^^ soll in Elberfeld abgdudten weiden.
Von Jauuar d. J. ab wird eine Mouatüi.sclirift des Verein» ersebeiuen.
An die Jlittheilun^en anknüpfend, spricht der Vorsitzende noch über die trauriare
Tbatsache, dass nnsere Reijierunv: i«i der Schulinsneotii>usifrai»e den Ultramontanen
und Orthodoxen eo aetur zu willen sei, und beweist durch mehrere Citttte, da» der
^tnat fieine Heehte v91% anheben tnM«w«. wenn er die BSmlinse befriedigen wofle.
fl*^nf>(lif' Keiehszeituiitr z. H. hat ra<le/.n L:t^.%ift, ein ('nlf u>iiimi>ttr sei fiir
die Katbuliken ein Luxus, da ihr t'uliuäiuiuiäter in Korn sitze und seine Organe in
den Bischöfen habe. Vm so kriftjger mtbrne der Verein fBr die staatiidte Sciral-
iaspection wirken.
Zu dum Thema: „über den Keli^uutfuuterricht in derbchuie * lagen Illeben vi>u
(b ei Referenten vor, Ton Gymnanal-Director Schmelaer, Seminarlelirer Dr. BC§e nud
Profefwor M»'ver.
Wir la».scu dieselben hier folueu.
1. 1. Die unter Staatsaufsicht stehenden Schulen mUsiseu den Reli:;iun!iantenicht
beibehalten, suwul die Volksiwhnien, als auch die höheren Schulen mit wenigsten»
2 Stunden wöchentlich.
2. Da.«* Oliject ist die Sittenlehre und die tilaubeu!tleltre, soweit sie die erster»*
bedingt. Das confeasiunelle Moment ist mdglichüt wenifc zu betonen, «L b. der Kate-
chinnus hOrt anf, Lelnlnich in sein.
'^. Ih r Keü^iuusuuterricbt iiit von n'nt in Lehrer der .Scliule und nicht von eineia
aulSerhall) der Sciiule stehenden Geistlichen zn erthcilen.
4. Die confessionellen Unterscheiduiurslebren sind dem rnterrichte der Kirche
xuznweis«-!!. lUi Einrichtung de*<elh< u leiben si. h Staat und Schule nicht zu krtm-
ntern, auch die Theilnabme an demsellveii nicht /.u erzwingen. Die i^rdnuiu; ilie^^^o
Unterrichtes Int Sache der freien Kirche.
II. 1. Religionsunterricht i^t der Schule unentbehrlich, weil hannauL<«c:he Eut-
Wickelung aller (ieistesanlauen ihre Aufgabe ist.
2. I »t'i l{eligionsnnterricht imisu aber, wie alle Unlerricht.stacher. vor ;il!< ii Piugeu
nach auerkannten pädagogtschen Urundüätzeu ge»taltet werden, damit eine wirklich
frnchtbare Entfaltnni^ der retigiUaeii Anlage, sowdt dae«eUie dnidi ftuBere Anord-
nungen bedingt ist. möglich werde; Hanptvorbedingiiiig dafttr bleibt immer der aoA
richtig religio« geatimmte Ijchrer.
3. Daher niht betreA des Beliginnsontemcbts die Au%abe der staatUchen Ge>
setzgebiinir darin, zu >r,r<r*:-ii. d;ts< dir (Te!<biltnnj|^ des £eligionmmtcnidits nach pä-
dagügi.schen (irundnät/en geschehen kann.
4. Weil es aber zum Zweck segensvoller L«isimg die.'<er Aufgabe ertorderlich ist
dass Staat und Kirche, welch let/terc «ich bisher das allein entscheidende Wort
darüber zugeschrieben hat. daln i Haml in Hand gehen, .so ist es eine Lebensaufg.il>«'
des Lil)eraliHmus, durch aufrichtiges nnd kraftvolles Eintreten in die kirchlichen Ent-
wickelun^eu uuj^erer Tage, daiauf hinzuwirken, da» die Kirche <h-gane bekommt,
welche nicht aU Herren dt^s Glauben.^, sondern ah Diener am Wort bereit sind, mit
dem Sta.it. dt-r al« chri-tlirlicr Sf:i:it minde.sfpi)s i:]. i( hl)erechtigt aneh in dieser Frasv
neben der Kirche dasteht, vertrauem^voU zuhaounemsuwirken.
in. 1. Erziehiugr snr RelijErion nnd religißse Unterweisung gehören nothwendig
zur Vollendniiir iiii ii-<rlili( her l'ildnng.
2- Ob die l^Ürsorge f&r die besondere religiöse, Unteiweisung von der Slaatsschule
zu übernehmAtt ist, oder besser dem Hause und der li4ligion.sgemeinde Uberhi^<u
bleibt, hängt von den befl<nidereii Verhftltnissen der örtlichen und zeitlichen Jleli-
gionszustäude ab.
Bei Wesentlich uni^emischtem IJ« liiiions- uml < 'onteüsionsbestiinde dtrr B«f-
völkerung ist es unbedenklich, der Staats.«- hu le auch die FürsorL'O für die religH*«e
lluterweisuug zu überlassen, so lange nicht innerhalb der Religious- und Cuufe<iiäon.«^>
•jt uieinde Uneinigkeit des (ilaabena^ die firiedlicbe (iemeinachaft der Kinder im Cb-
terrichte stört.
4. Zur Zeit religiöser Friedfertigkeit ist auch bei gemischtem Beligions- nnd
Coufessionsbestaade der BevBlkerang eine allgemeine Rellgionspflege, bestehend in
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j^meinMmer Scbaiandacht und ia reUgiteer Unterweisung:, die da.H Genieinsauie der
GUmbena* und Sittenldin hervorhebt und die UnterBcheidougslehreu der Bcligiuneu
oder Confedäionen dem Untenicbte der Kirchen flberliut, mOgiidi und pSdng^giech
zweckinä6ig.
5. Bei stark gendeditem BeÜgione- oder Confessiongbeetande d^ BevOlkerui^
und in Zeiten roliinösen ünfried(»n!« und I'artti/.ankcÄ kann nls fiiie rirhtiüc Staats-
schule gelten nnr diu Simultaii^hule mit eiuem iilieu irt>ni einsamen weitlichen und
einem je nach der Religion oder Confession getrennten Ktligionsunterricht Unter
i^olchen Verhältnissen und zu solchen Zeiten eine weiter:;i'lii iulc RcriKksiclitiirury:
der Religions- und Confessionsanterächiede in der Staats- und <temeinde»chnle ver-
hingen und befördern, h«iSt dag wahre Intereaae des Staates und der nationalen
Volkabüdong Terkenneo.
6. PQr die AnsfRhrun? diese« Princips der Simultanschulbildnng ist es gewiss
l ädatroirisch an» Ijesteii. \wim der l>etreflfende cdnlVssionelle Religionsunterricht in den
Händen ciueü religiös und pftdagogitich entsprechend Toi;gebildeten, der Scinüe ange>
bOricen Lehrers liegt; es steht aber auch nichts im We^. denselben einem autmalb
der Schule stt hciidcii Gt-istlicheu anzuvertrauen, subald 1 r i U r (]•> <, I'nterricht im
Auftru{;e der St;uitäbehüidc uut^r Zustimmung der ihm wi^^eset^teu Kirchenbehürde
aimdimen und srlmlpianmäßig ertheilen will. Jedoch darf dte llieilnBhme an
diesem UnterriLhtf in dt i Staatsschule immrr nur facultativ. niemals obligatorisch sein.
7. Wird die Ausfuhrung dieses Priutips iniolge einer gesteigerten religiösen
Farfeeimcbt im Volke, oder infolge eines Machtspruches von Staat und Kirche 6chwia%
oder unmöglich, so gibt es für die Staat ssi Im le keine andere klaiT Lösung der PHt-
stehendeu Wirren, als die Ausscheiduny: iks Heligionsunterri< lites vom Sohuluutti-
richte und die Überweisung des ei'steren au die Filrsortje der Familien und Religions-
gemeinden. Thun diese aisdanu ihre Fflicbt, so enthält eine solche Lösung de«
Zwistes Uber den Beligionsanterrieht in der Staatsschule keinerlei Grund zur Besor^is
um dio Krhaltiiuir der Rcliirion im Volke, wie dies <]'.<■ j uliIm.-i i^ix lie Krfalirunir vieler
Zeiten und Völker und durchweg bisher die Eneiehuug der Juden unter den
Giristen besengt.
Zur Tl-tViediguug der dennoch bei dieser Lösuug uiu ntrirltii und
beUcukliLh bleibenden ist es, um jedf ii ^lt^viM^^ensdru€k zu vermeiden, ratü.iam und
b«;i Feststellung einer dnrdii^eitruikn Staatsaufsicht unter einem klar bestimmten
Schulgesetz auch durchaus nnbedi iikli( b . dem Privatschuhve^ea neben dem Staat«*
Schulwesen einen begrenzten irtitii .Siji» Irauni /u gestatteo.
Der liberale Schulvcrein hat bis heute folgende Schriften herausgegeben, welche
Ton Karl Geoj^-Bonn dnioh den Buchhandel können belogen worden:
1. Die VenamBlnag rar BQdnng des Ubenlea Sehnlvenins ant 9. JTannar 1881
zu Köhl.
2. Die 1. Generalvenammlung des Vereins am 1. Mai 1881 su KOln.
' I'ie 2. Generalversammlung. Dortmund, den 30. Ottnber 1S81
4. Die EutwickeluDg des Simiütaitschulwesens iu der Stadt Kreleld. Von
L. F. Seififardt.
ö. Die Behandlunir der Schule auf den letafeen Provinzial-Synoden Bheinlands
und Westfalens. Von Professor J. B. Meyer.
6i Die YoUnschuU- < unfessionell oder eonfesnouloi) nnd die SehoUnspection.
Von Pastor Anler iu Montjoie.
7. Die Schulüberbürdungsfraire. 11 Referate.
H. Die Schulüberbttrdnngsfrage. Beiträge, zusammengestellt von J. B. Meyer.
über die SchuÜnspection hat der liberale Schuhrerein auch eine Schrift von
Pastor Anler in Monljoie TevSffentlieht, welehe ihrer Entsehicdäiiheit w^en und,
weil «ie von linoni Geistliehen der evangelischen Kirche henfthrt» gani Deeondere
Beachtung verdient.
Nachdem Äuler nachgewiesen hat, dass die eonfessionslose Schule die eonfessio'
nelle bald verdränßrnn werde,
1) weil die Kutstehung tnid geschichtliche Entwickeluug darauf hinweise;
2) weil die gesetzliche Knf wii kelung dieser Frage bei uns dafür spreche:
3) weil der rechte Begriff und die Au%abe sowol der Sehnle als der Kirche e»
fordere;
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4 1 weil die Ublea Folgen der confeMionellen Schule xu dieser Lfemig der Frage
dränge; »agt er:
.')^ Die Bfuiitwurrutig der Frage narh der Scliulinsi»<'( tioii nviltf sidi aus «Iciii
üeMgten lM»t von selbst. Zaerat erinuere ich nucli eiiuual daran, dass wir in PreuBeu
uoch kein Schulgeseti und keine wlbststlndig wgmuSxte Oorporftilon dar Wiaten»
Schaft haben. Du.- thut uns vor allem nnth, damit die Scliule lU-in venlerliliehou Eiii-
fluas wecbiielnder VerwaltungsaTHndsütz*'. den kircblicheit und jjulitischeu Stxoiuuugen
entzogen intdt* Überhaupt mlUf. mvhi ein Hinister das Schulwesen in der Hand
haben; wie kann z. B. ein Jori-t Materielle der Sf. Imlorg-anrntiifii bestimmen?
Wir inösäten einen Unterrichtj»rai h iiahcti, auf dem Wege der Legislatur ins Leben
irerufeu. sacroaanct wie ein oberster Gerichtshof; und wie dieser von Juristen go»
bildet wirtl, t«o ntQäste er von sachverständigen Pädagogen und festen fireieu llännem
gebildet aein: ein jurwtisches Mitglied hatte die rechtliche, ein Medianer die ge-
tmndheitliche Seite zu leiten.
Die Locnlflchulinspection, die OrtaadialauMcht wOndchte ich »ulQs^oben. Die
Scindvorsteher stehen nur in einem nittelbaren Verhiltnifl inr Sehnte, rind meint
nicht-s als Statisten. Darreg'^ii j**»!! Lncali^fhiilinsp* i t<«r lUs der »nniirtt-lhari' V..r-
gesetzte aoftreteu; er soll mit gt rini^t r H^'.-ir.hräukuog dieselben Kecbte und i^chten
haben, wie der Xreisschnlinapectur. Z\sar sagte Falk am l.'>. lUn 1876: ..Den
Local.sehulinspectnr, der ans den nicht jtäiLiiirdgischen Kreisen irenonmi"n wird,
l&llt angleich weuiger eine sachliche Bcautsichtigung des Uiitcrriehts ^ur I'üicUt,
als \iehuehr daranf in halten, dass die gegebenen Inleren Nonnen überall inne-
'jroLalttn werden, dass vor allen Dingen dafür gesorgt wird, dass die Kinder
iiüükilicli in die Schule kommen, dass nicht unnütze Dispensationen vom Unterricht
eintreten, daas die vermi»;rt ii!^iechtlichen Angelegenheiten ihren rtij;t liiidiiiireii Gang
Sehen: ungleich weniger, ich wiederhole es, itat er sich nm innere Angel^enheiten
er Sehtde an b(>k11n)nlem^' WIre dem so, dann hStten die Loealinapeetomniehts
als ihm ("'orpnraNr (k in iler Haml zn halten; ich denk»' Hh «lie.Ht' Äußcrlirlik-fiteu
künute ein Bürgermeister am besten sui^gen, besser ak wir. Ist unsere Au%abe
aber die snent angegebene, so tritt mir ein viel wichtigeres Bedeidten entg^n.
r>ie S!ohulc ist ruterrichtHan-stalt, und die nenrrf Pädaffr^nk ist « ine zu <*Toße Wis-
senschaft, ali« das» sie als Anhängsel der Tlie»»loine könnte bt liandelt wonii-n. rn<l
wer sie selbst theoretisch studirt hätte, hier gilts: Grau. -Freu u«l, ist ;ille Tlie.irie.
grün nur de« Lebens >;oMiior Baum: ins Wasser nm»- ut-r - 1 wiuimeii will, in die
Schule, wer das Unteirichteu vei^tehtii will. Und wer uu ht uuturrieiteu kann, wie
wiU der eine Schule revidiren? wie will er die amtliche Thätigkeit des Lehrers Übei^
wachen ? wie will er den inneren Betrieb der Schule heartheilen? Wer luspector sein
will, mu3.<( wissen, wie es in der Sehnle gemadtt wird; er mvm dem Lehrer in Wort
und Beispiel ein .Muster .sein, ihm überlegen sein an pädagntrisclier, sjieciell didak-
tischer i^ahrung. Tadeln ist leicht» Beasemiachen achweri kann er dies nicht, «o
ist sein Lob nnd sein Tadel ohne Wert, sein gaases Amt sweeklos. Sind die Pre>
diirer und Seelsorger, selbst die eifrigen und ausgezeichneten . anr h en ipso t!^ •hTiL'-r pjv
dagogen liiid SihulinÄpeetoren"' Sind in uu-^erer Bibliothek gute p^agugische Werke
vertreten, sind sie änfgesi hnirten. studirt, in die Praxis übersetzt ? Ich bekenne mich
hierin al;* vornehmer Sünder, obwol ich 1' Jahre i)raktis( h('r Elementarlrhrer war.
Darum haben die Lehrer nicht so nnrecht. weiuj .sie siigcu: die Geistlichen verstehen
nichts von der Schtüe, und wenn sie theoretisch und praktisch gebildete luspectofon
verlangen. Ks gibt ja Ausnahmen, aber Ausnahmen stoßen tue ßegel nicht an.
Daram hat Luther, der dem Geistlichen die Leitung der Schule in Anssicht stellte,
ein tiefes Verständnis auch für diese Fraise an den Tag uele^irt. wenn er verlangte.
ämt der Geistliche vor seinem Amtsantritt lU Jahre lang in der Schale geweeeu
sein sollte. Bei den SiebenbllriBrer Sachsen nnss heute noeh Jeder OeistKche an einer
Mittelsehnli' eine Reihe voti .Tahrou e^i^wirkt hahen. bevnr er ein Pfarramt efhilt. —
Nein, wir Geistliche taugen lüclit zu diesem Amte (zur Schulaufächt^.
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Ehre, den Ehre gebürt
Von frmiz Sc'Minkert-M'ieu.
Tn rauher Gegend, engnnisclilnssen von hiinniehagt^nden I^henzügen der
norischen Alpen, abgeschieden von jedem unmittplbar anregenden Verkehre —
so lebt der Scholleiter von Lassing an der Meudling (N-.ö.), Ed. Ig. Freun-
thaller, seinem ndhevoUeii Berufe. Und doeh ist es ihm gelangen, sich
l^eistig frisch zu erhalten, da &e seine Umgebang sQm Gegenstande eingebender
Studien maclite, ZU deren Verwertung sieh ihm aUwit in befriedigender Weise
Gelegenheit bietet.
Als Sohn eine« Schallehrers wai* er schon von Jugend auf ttir den päda-
gogischen Bemf bestimmt. Theils in Wien, theHs In St PSlten genoes er
sdne Erziehung; aUein die vielen Unbilden, die sein alter Vater in damaliger
Zeit seinei- freisinnigen Idcfn lialbpr als Lehrer zn erdulden hatte, konnten
nicht dazu beitiagen, ihn flir die.sen Stand zu erwärmen. Daher widmete er
sich, nach vergeblichen Versuchen, seine Unlust zu überwinden, dem Studium
der Hsndelswissenschaften. Da kam endlieh das Jahr 1868 nnd mit ihm die.
theflweise Befteinng der Sdinle; nun entschloss er sich, den Lieblingswnnscli
seiner Eltern m erfüllen: er ergritf den Benif def; Lelirers. Im Jahre 1874
kam er als Srliulleitei- an di<' einklasiiige Schule in Lassing.
Während sieioer Lehrthätigkeit war es ihm möglich gemacht, sowol die
Banem des Flaehlandes, als anch jene des Gebirges, welche sich von enteren
sehr merklich unterscheiden, grttndlich kennen stt lernen. F.r sammelte ein
überans reiches Material zur Darsf ellnnj? des Volkscharaktors.
der Denk- nnd Redeweise des Volkes, welches er bereits theiiweise
schriftstellerisch verwertete, worüber sich 1'. K. Kosegger, der bei-ufeuste
Bichter in diesem Fache, Im 2. Hefte, VIL Jahrgang seines „Heimgartm'' sdir
lobend ond anerkennend atissprach. Die von Frennthaller im ,3t. Pöltener
Woohenblatte" verriffentlichten ..Geschichten ans dem Tlocligehirge*' reprilsen-
tiren eine Reihe vun bunten Bildern, durch welche das Banei iileben eine treffende
lUustriruiig rrführt. Der Leser lernt hier den Bauer kennen, wie sich derselbe
sowol in alltflglichMi Lagen, als auch in anBeigewilhnUchen VerhUtnissen be-
nimmt; besonders wichtig erscheinen die Anftchline, die Frennthaller In
erstewr Beziehung gibt, da man darans den wahren Charakter de« Bauers,
wie er sich im nonnalen Zustande ergibt, kennen lernt. Die Geschichten bieten
durch den Einblick in die Intimitäten des bäuerlichen Lebens, den sie gewähren,
ebiea eigenartigen Bein; man IHhlt sich diesen Leuten, die trota altor lObig^
viele anziehende Eigenhelteii besitzen, nfthergerflckt nnd empfindet mit Behagen
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_ 392
4ir fitViscIn'iiiIr \Virkiin;r ihrer Gesellschaft. Gerade ans diesem Grunde
liiucliicu wir, wenn es gestattet ist, dem Autor den freand&cliattUcUen Itath
geben, noch mdir Song&It aaf dieSdiIldening nad Begrttndnng psychologischer
Vorgftoge, sowie auf die nAhere Beediteibiiiig und ErUInmg tod Sitten und
Gebräuchen zu verwenden: es wird ihm um so leichter werden, uns zu folgen,
al.« ja die novellistischen Anforderungen bei derartigen Geschichten in den
Hintergrund treten. Dabei kann es wol uoth wendig werden, von dem Gange
der eigentlidten Handtnng abrawekweifen, um allgem^e Beflexioiiai «asm-
steUen; wenn dieselben aber ventindlg angebracht werden, eileidet der Wert
der Erziilüung keineswegs einen Abbruch. Wir erinnern hier nur an B.Auer-
bach's „Dortffegrliirhten"", in welchen viele Stellen vorkommen, die als arlück-
liehe Belege füi* unsere Ansicht angeführt werden könnten. In Freunthaller's
•Geechiditen bietet sich oft die günstige Gelegenheit an derartigen Bemerknngen ;
eo aam Bebpid lieBen sich an das VerhSltnis des „Sfeelnliofers** zn seinem Weib,
seinem Kinde nnd zu den Dienstboten, zum Nachbar, viele interess.inte Be-
obachtungen knüpfen. ..Steinhofer ". der jeder fremden Meinung sein dumm-
trotziges: „Der Stoauhofer hat's gesagt und dabei bleibt's" entgegensetzt, kann
ja als Typus einer ganzen Schar unserer starrköpfigen , geldprotzigen Oebiigs-
baaem gelten. Das G^ienstfick zu Ihm bildet dn* milde,, biedere „Hochaoer";
die ContrasU^ wären näher auszuführen. Auch könnten die Bctrachtnn^jen seiner
leichtsinnigen Gattin anlUsslieh feiner plötzlichen Erkrankung; von alliremeinen
Gesichtspunkten au»» eingehender erläutert werden. Wenn \>ir diese Anfor-
denmgen stellen, so geschidit dies nur in derübmseugung, dass Frenn thaller
dnrch seine Kenntnis des Yolksthnnis in den Stand gesetzt ist, denselben zn
entsprechen.
Dieser \'orzno- bet'lhiirt ihn auch zn sehr beuelitenswerten Vorschlägen
betreti» der Hebnng des Volkes, namentlicli wa» dessen iUldungsbedürfmsse
jabelangt. Im Besonderen m6chte ich hier anfinerksam machen anf die An-
r^inngen, welche er gelegentlich einer Lehrerconferenz zu Gaming (X,-Ö.) in
einem Vortrage über die Bedeutuni: des Dialectes in der Volksschule
gab. Wenn es aue!i immer das iiohe und nnveiTückbare Ziel des Lelirers
bleiben mnss, seinen .Scltülem die gründliche Kenntnis der Schriftspmche bei-
zubringen, 80 ist der Landschallehrer doch gezwungen, anf die Ifnadart Rfieic*
siclit zu nehmen. ..Das Landkind spricht und kennt nnr seine Unttersprache,
den Dialcit", sagte Freunthaller. „Per Lehrer mnss nun wol oder übel
die Heimatssprache de.s Kindes kennen und erst auf Grundlaire deix lben anf-
uiid weiterbaueu. — Die Heimatssprache ist der rechte Schlüssel zam Herzen
des Kindes — zn den verschlossenen Kammern seiner Anlagen. Das Volk
liebt seine Unndart, in sie gießt es sein Leid und Wehe, in der Mundart
drückt ej: seine Lnst. seine Frende ans! Damm darf der Lehrer nie die Ün-
voi"sichtigkeit begelieii. Kindern oder aucli Erwachsenen gegenüber die Mund-
ai t eiue gemeine, garstige, bäuerische u- dgl. Sprache zu schelten. Der solche»
thm, weiß nicht den grolkrtigen Einllnse der Mnndart anf richtiges Spredien,
Schreiben und Singen zu .sclilUzen. P.( im Stndinm der Grammatik, der Rhe-
torik nnd dp> Volkslieih's i»« niit7.i' dei- Lehrer den Dialect; im \'olksni'de. nm
da.*» Gemüt, in der (rrammatik, um den Verstand anzuregen. Per Lehrer
dictire in der Mundart ein Wort einen Satz, djmn lasse er ihn in die Schrift-
sprache iiberseüsen, nnd umgekdirt. Der Lehrer pflege die volkstbllmlichi»
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Poesie nnd die volksthfimliclie Prusa; die Kinder sollen erkennen lernen, dass
aocli das Alltägliche einer pm»tischen 'S'erklÄrung fUIiig sei. Das festi!»t dn> S( !bst-
bewnsstsein, steigert die Freude an der Muttersprache, erhöht den Patriotisuius.
— Wenn der Bauer eine Rede halten soll, so ist er ein geschlagener Mann. Dem
mU Torsiebeiigt werden. Die im dreizehnten nnd vierzehnten Lebens»
jaiire stehenden SchUler sollen knrz« Aureden, Ansprachen 0. d^rLim
Dialectp und im volkötliinnlifln n Hochdeutsch h-tlfen lernen. Diese
f hangen miissiteii aher wöchentlich wenigstens einmal vorgenommen werden.
— Man wird mii' einwerfen, die Hnndart bahe in der Volksschnle nichts zn
adinflisn, sie loelcere die Disdplin. Oar nicht wahr ist es! Die Mnndart regt
die Kinder mächtig an zur gespanntesten Aufmerksamkeit, denn sie iRt es
allein, die schnell fassbar macht, veranschaulicht, versinnlicht. Das Kind lässt
sich nun einmal ulcht am Kockkragen zur Höhe ziehen — mau mnss es sanft
beim Anne nehmen nnd anf Umwegen hinangeleiten."
Die AasAlurnng des treffiidien Verschlagest in der Volksschnle rhetoriacbe
Übnngen zn ▼eranstalten, möchten wir allen Landschnllehrem vritnustens
empfehlen.
Frennthaller ist auch nach Kräften bestrebt in seinem engen Umkreise
dirch prtUttisdie Unternehmungen den Bildaugsgrad 2a fördern. So hält er
im iienrigren Winter einen fkwiwilligen Fortbildnngscnrs, nm den Leuten
ein«' pründiichere Ausbildung im Rechnen zu ermöglichen. Für unser Gebirgs-
volk. liiiiicrn. ITolzkneclitr. Köhler vtr. ist dies von großem Nutzen, nnd d;i
sie die so erworbenen Kenntnisse ailsogleich im tilglichen Leben verwerten
kSnnen, werden sie dadurch fSr Bildnngshestrebangen fiberhaupt gewonnen.
Hiermit konunra wir anf das Verhältnis eines strebsamen Lehrers zn
seiner Hingebung zu sprechen. In unseren (Tebirfrsscfrcndt 11 Ist der Lehrer
IT» üeser Beziehung nicht besser daran als anf dnü ll;u:hen Lande, in ver-
kehi-^reicherea Gegenden. Das V olk setzt alleu Neuerungen, besonders wenn
es dabei auch seine eigenen Gdsteskrftfte in Anspruch nehmot soll» einen ge>
wisMn Widerstand entgegen; der Lehrer mnss es sidi gthHtm lassen, woui
seine humanen Bestrebungen nicht gleich von Erfolg begleitet sind. Auch
hab»^n die Leute ans der „guten alten Zeit" viele Gi*undsätze herüber genom-
men; sie woUeu es nicht fassen, dass Lehi'er und Messner zweierlei PersSn-
liehkdteo sind, nnd dnss enterer heutzutage denn doch nicht melur von Bauers
Gnaden zn leben braucht Da gibt es denn aHerhand Anfeindungen und lOn-
dereieii . an den Lehrer tritt die Pflicht heran, all die.sen ^[is.slichkeiten mit
Buhe und Mäßigung zu begegnen. El' ist seiner Umgebung an Bildnnsr nnd
Einsicht überlegen, er darf sich durch Kleinlichkeiten in der Aosübnng seines
Berufes nicht irre machen lassen. Vor allem aber liat sich der Lehrer zu be*
fleiflen, dass seine Th&tigkeit im engsten Wirkungskreise — > in der Scbnlstnbe
— von durchaus (rtinsti<?em Erfolge begleitet ist. Diese Erfolge zwingen zur
A(htnn<„'. sie gewinnen dem Lehrer das Zntranen .seiner rm^ebung. und er
wird dann weniger Widerstreben fluden, wenn er seinen pädagogischen Besti e-
bungen auch eine grS6ere Ausbreitnug gibt und seinen Beruf als „Apostel des
Volkes- voll erfüllt.
Unser Zweck ist erreicht, wenn wir durch diese bescheidenen Zeilen einer-
seits zum Weiterstreben aut der eingeschlagenen Bahn ermuntert, anderseits
/u gleichem Thun angeregt haben.
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— 394
Zum Keielieiibergcr Lelirerta^:e. In dem B»^iichT»>. wpiriuMi (Ih-ü
„Pädagfogiain" |^\', S. 117 iL) über dieseu wichtigen Cougre&s brachte, wurde
im Hin1iUi± anf deo sehr nmHuigniehcii Stoff bemerkt: „Glftdclidier Weite
dSifte unserem Berichte bimien knner Zeit von anderer Seite eine allen An-
sprüchen grenügrrnJe Er^itnznne: folgren, von welcher die Lesn- des Padasrn^ium»
jedenfalls Notiz erhalten werden;- Diese Ergiluzung-, eine vollständij^e Dar-
stellnng der Reichenbei^er Verhuudiiuigen, ist nau tsri>chieuen. Sie tUiirt deu
Titel : „Stenographische PiDtolLolle Uber die Verhandinngen in den Haupt- ond
Neben versamnilongen des VIII. allgemeinen österreichischen Lehrertagpes"; ein
schöner Rand von 2f)3 S. . mit außemrdentlichei- Sur^falt hergestellt, wofür
nanientlicli dem Herrn Planer Julias Ergenzinger, der die mühevolle Redactioo
mit der größten Ausdauer durchgefulut hat, Anerkennung und Danlk gebärt.
Auf dieie verdienstliche und wertvolle Arbeit anfinerkaam za machen, halten
wir dnrehaiiB noch nicht für verspätet, da das „Pftdagoginm'* nicht blos fBr die
Gegenwart, sondern anch für ilie Zukunft arbeitet, die angezeigten Protokolle
aH»>r al.s eine wicht ii^e Quellenschrift zui* Schulgeschiclite nocli für »päte Zeiten
Bedeutnng haben werden. Wir bemerken daher noch, dass dm Buch vuu dem
„Vorstand des dentschen Laadedehrerverein in BQhmen an Beicsbenberg'' be-
aog«! werden kann und awar für den äußerst geringen Preis von 30 Kreuzer^
dem nnr nrkh da.>< Porto zugeschlagen wird. Nielii nnr für österreichische,
sondern für alle Lehrer dentscher Zunge bieten diese ^tenogi^phischen Proto-
kolle eine interessante und lehrreiche Lectnre, die gerade unter deu heutigen
VerhSltniSBen jeder regsame Schulmann sich verBchaffoi sollte.
ftstirnMclilsehes, Am 19. und 20. Februar d. .1. kam im Henvnhanse
die vou der Itesrierung eingebrachte Schoigesetsaioveile zur V erhandlung. Diese
hat den Zweck, einige Hauptbestimmangen des Beichsvolksschnlgesetzes vom
14. Kai 1869 abanlndem. Namentlich sollen sehr bedentende t^rleichteraagen'*
im Schulbesuche und in Erfüllung der adilj^hrigen Schnlpflidit eintreten nnd
die Schulen selli.'^t wieder einen .scharfer ausgeprä^en confeFwinnellen Charakter
erhalten, daher dem Eintlu.s.s der . Kirche" einen bifiteren Zugang gewähren,
besonders durch Änderung des Prutungsreglements und der Anstellnngsberech-
tignng der Lehrer. Der Unterrichtsminister, Banm Conrad v. K\ besfeld» be-
hauptete iwar, die Niivrlle habe keine re«ctionäre Tendenz. Dass dieselbe
aber die Nensdnih' der altt-n Kircheuschule wieder niUn r lirini,'^t. ist außer
Zweifel und wurde auch von der clerical-feudalen Minorität des Hen-ü'nhatisi^s
bestätigt. Diese nahm sich der Novelle sehr lebhaft an; sie erklärte zwar,
dass darin ihre Ideale noch keineswegs errdeht seien nnd dass rie sich vorbe*
halten mfisse, bei gelegener Zeit mit weitei^ehenden Fordei-nngen henoizn-
treten, verhehlte aber ni hr ihre hbhaftt Befriedigung: über die vorläufig ge-
botene Absehlasrszahlung iiud nahm die Novelle mit Freuden an. — Nun hat
noch das Abgeordnetenhaus zu sprechen, welches vermöge seiner gegeuw&rtigeu
ZttsanmiensetBinig otm Zweilbl im Sinne des Hwrenhavsea stimmen wird. Je»
denfalls smd gegen den im Werke begriffenen Rückschritt Vernunft gründe
einstweilen wirkungslos nnd der österreicliischen Lehrerschaft steht
eine ernste Probe ihrer Weisheit und ."^tandiiaftigkeit bevor. Wir
werden dem sich nun entfaltenden Schauxpiele mit regem .\utheil folgen.
Vmutwwiilifiher Umittitw. M. 8t«iii. Bttcbdrnokere! Jnlivt Ktink]i«rdt» Leipti;.
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Die Wurzel der IdeaUtät.
Vm Dr. FreUm^ESrngAers l iV.
jVIilteti in den i-auscheuden Stidiming-eii unserer Zeit, die meiir
Bnd mehr eiueui crassen ^raterialismus in die Arme eilt, sollteu alle
unsere Schulen ilir lioln.s Ziel darin sehen, die Felsen im Meere OT
bilden, an denen die Wogen sich brechen, ohne sie doch iu iliren Gnmd-
festen m erschüttern, hervorzustrahlen aus der schäumenden Brau-
dung als die LeaehtÜiftnue, von denen heBes Licht, Licht der Idealität,
Iii die dunklen Finten hinab^nillt, nm die KUppea in kenngekhnem, an
denen schon eo manches hoibungsvolle Dasein scbmUilich zersclielltei
als Warten dasostehen nidit jener unklaren, rasch aoflodemden und
daber ebenso schnell eilOschenden Begeisterung für blendende Erschei*
Hangen, sondern der wahrhaft reinen, erhabenen und danim anch
stetigen GeflUdsetregung fSae die hOdiste Idee, die Idee des Guten, in
der nach Aristoteles^) wie der ahsohite Zweck, so auch die abaolnie
Form, d. h. Wahrheit und Schönheit sich darstellt
Ist dem Plato die Idee des Guten, der Typus der Vollkommenheit,
das Ursprüngliche, aus welchem die Dinge stammen, und in welches
die Erkenntnis zurückgeht, das über alles Erhabene, aber freilich auch
das ihm selbst Unbekannte, das ihn bis an sein Lebensende nicht
rnhf n hV6, seine geniale Oonception, die Tdeenlehre, zu grestaltf n imd zu
modeln, bis er in jenf r Tdee des Guten die Einheit in der Mannigfal-
tigkeit als Einheit der Harmonie fand-), so stallt Anstoteles den Zweck-
VM^eriff an die Spitze seines Systems und bestimmt als sein htW-hstes
l^rincip*) den schöpfe] i^ luu Begntt der Welt, der von (-rott ausgeht;
Gott ist Endzweck aud als Endzweck das Gute und Wahie.^) Und
V XetaphjB. I, & pag. 963 a. 3L e£ PliTa. II, 3 u. 7. — *) VgL n. AblmdL
»Aristoteles' Stellung zur pUton. Ideeulehre" , PiÄgr. WricMO 1876, 8. 11. — '
«) TO Ti f}y tlvni :to<:hot: — *) „Ari«tot. St«Uiliig etc." a 22.
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— 396 —
der Stagirit, bo gexiDg er voj^ der IdeeDlehre denkt, beilihrt sich denn
doch acUießUch mit Phto, wenn er seinen Gott, den er als Energie
und Ewigkeit der Vernunft anffosst, dessen Leben er mit der theo-
retischen Freude vergleicht, die auch uns zutheil wird, zwar nicht
(He Matene, aber doch die Einheit in der Mannigfaltigkeit der Dinge,
die Taxis, die Harmonie der Dinge aus sich erschaffen lä^ist.') Wir
unsererseits erkennen, dass jede Idee, die in uns geistige Gestalt ge-
winnt, aus Gott, dem Urqaell aller Walirheit, stammen muss. wenn
andei-s nnsere Liebe zur Idee Reinheit, Festip^keit und schöpferische
Kraft erhalten soli. und langen daher bei Gott als der Wurzel aller
Idealität an. Ohne wahre Religriosifät . ohne innere. ihre> VK'eseuü
sich bewnsste Frömmigkeit ist daher Idealität nicht mö^licli. wie au-
derer^^eit^ alk- Idealität bis zu dem letzten, reinsten Quell dei- Ideen
emporsteigen muss. Ist aber Gott .'»ell).st und unsere Liebe zu ihm
das Fundament aller Idealität, «>o ist au sich klar, dass alles, w{i>
mus der Liebe Gottes entfremdet, uns auch von der Entfaltung wahrer
Idealität zurückhält; denn niemand mag die Wurzel eines Baumei»
untergraben, ohne dass der Wipfel welkt; und ebenso klar ist es, dass
alles, ms nns Yon den niederen Trieben nnd dem hastigen, gieiigen
Haschen nach materiellem, vergänglichem Oenoss freimadit, nns anch
der höchsten Idee, d. h. dem lehenspendenden Born aller Idealitftt ent-
gegenleitetf der selber die Wahrheit und das Lehen ist; denn
Au dem Leben heraus «lad der Wege swei dir geOfliet:
Zam Ideale führt einer, der «adve sam Tod.
Damm ist dann aber eben jene reine, nnbeschrinkte Idealit&t anch
nicht mehr etwa nur eine wAnschensweite Zugabe zu unserer son-
stigen Geistesbüdong, sie mnss vielmehr so gänzlich in sich den
Scblnssstein unserer gesammten Geistesentwicklung bilden, dass wir
nnr mit Schmeraen zu erkennen vermögen, wie jede Verldknunerong
ihrer vollkommenen Durchbildung in uns eine Verkürzung der ur-
sprünglich in uns «yele^eu Begabung und damit ein Zurückweichen
von unserem vollen Lebenszwecke ist; denn freudiges VoilgenUs^e dürfen
wir ja nur empfinden, wenn wir bestainlii^ tind un.*^ selbst «:etren sind,
wenn wir alle KräftH laiaii ^rtzen, dasjenige Edle, w.^^ cinina! irr'tt-
licher Beschliiss in uns bedungen hat, auch zui Keile zti /zeitigen.
Weuu dann auch die ij'rüchte nicht stets und sogleich der Ai t au>-
fallen, wie wir sie erwarten, so sind e^ doch immerhin Erüchte einer
höhereu Empfindung, uud, wie Goethe sagt, die allseitig erzt-ugende.
') Metaphj». XII. 10.
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r
— 897 —
lebeanlllirende Nator kann and soU von der ewigen göttlieh«! Kraft
der Liebe nodi ttbertrofüBn werden.
Nur da, wo die Jugend aus diesem QaeU aller Idealität ihre
geistige Nahrong empftngt, wird in haimonischer Weise die dem
Mensehen eigene freiheitliolie Anlage ü1>er die selildpfrigen Klippen der
WQIkQr und inhalteloseD Ungebondenheit hinweg sa dem Verlanget!
und der Kraft sittlicher Selbstbestimmung geleitet, nnr da die that-
sftchliche Gebandenhelt des Qeistes mit jener Entwicklung in schön-
stem Ebeomaß von innen heraus gelöst werden, nur da wird dann
endlich jener Emst nicht fehlen, ohne den in der Welt nichts möglich
ist, und über dessen ^raiigel doch selbst von berufenster Seite so (tfi
laute Klagen geführt werden; denn thatsächlich ist ja freilich leider
auch unter denen, die wir dm- sfebildeten Classe zuzurechnen i)tlegen,
eigentlich nur A\'enig' lebpii>kräitiger Emst zu finden; mit einer Art
Sellistvertheidigung s'f^lit ii !>ie Welmehr, sozusagen, o^ecren Arbeit und
(jreschäft. gegen Kunst und Wissenschaft und selbst gegen iln'^
gnügungen zu werke; sie bewältigen sie, ohne Lust und Liebe, die
wahren Merkzeichen gesegneter Thfttigkcit. zu empfinden, blos um sie
los zu werden, so dass einem bei Beubaciitung ihres Treibens unwill-
kürlich jener jungi Engländer einfällt, der in Rom aliends in einer
Gesellscliait seelenvergnügt und sehr mit sich zufrieden ei-zählte, dass
er doli glücklich sechs Kirchen und zwei Gallerieu „beiseite ge-
btuht habe".
So wird dann aber auch Erdehnng nur Idealitftt nnd Eraiehnng
zur Hnmanitftt nicht Terschieden voneinander sein. Und was ktonte
€8 fßr ein höheres Ziel Ar den Menschen geben als Hnmanitftt! Denn
unter trener Wahmng aller besonderen Anlagen des Einzelnen, unter
be84J]id%erBerttcksichtigang der Ansbildong der allgemeinen Freiheits-
beslammnng wie der Auf Lfenng nnd Beseitigung der Oebnndenheit des
Geistes wird der Mensch, am Quell der Idealitftt gespeist, je mehr und
mehr zum vollendeten Bilde dessen werden, was er ?on Gott zu wer-
den bestimmt und befähigt ist, ohne dessen Verkörperung, wie Rückert
sagt, sein Friede nicht voll ist. Er wird vor allem, auf die Idee
schauend, zur Klarheit des Verstandes gelangen, Klarheit aber nöthigt
zur Einsicht, Einsicht verschattt Duldung, und Duldung ist die einzige
Vemiittlenn eines in allen Kräften und Anlagen thätigen Frie<lens;
er wird ferner, indem seine EiubiMun£rskraft sich an den Ideen läutert
und zui" Idealuat gewöhnt. Reinheit der Anschauung und Sitte erwer-
ben: denn <lie Kinl)ilduiig darf dureh die Erziehung nicht l>eseitigi.
sie mu»s vieluiehr durch sie geregelt werden, indem man ihr frühzeitig
26«
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— 398 —
edle Bilder Tarfthrt und «of diese Weise Lust am 8eb(hieii, amWabren
und Gnteo und somit Bedürfnis des Vortrefflichen erzeugt. Was hilft
es, sagt Qoetlie« die Sinnlichkeit zu zähmen, den Verstand zu bilden,
der Vernunft ihre Herrschaft zu sichern, die Einbüdongskraft lauert
als der mächtigste Feind, sie hat von Natur einen unwiderstehlichen
Trieb zum Absurden, der selbst in gebildeten Menschen heftig wirkt
und g-ejren alle Cultur die angestammte Roheit fratzenliebender Wilden
mitten in der anständigsten Welt wieder zum Vorschein bringt. Wei*
dann aber Klarheit des Verstandes, Anschaulichkeit in seiner Finbil-
duns^skraft envoi-htüi hat, der wird, da er das Gute klar und deutlich
erkennt und seine Wirkung anschaidich sich vergegenwärtigt, auch
Energie des Willens besitzen, and wie Vollkommenheit die Norm des
Himmels ist, so muss vollkommenes Wollen die Norm des Menschen sein.
Ist der Mensch, — und nur ideale Gesinnung macht ihn r«f
dazu, -- mit diesen drei Cardinaltugendeu , Klarheit des Verstandes,
Reinheit der Anschauung und Energie des Willens, ausgei'üätet, so ist
er nicht blos ftir alle BedOräiisae des alltäglichen Lebens vorbereitet,
eo ist er (llr ein wahres Leben gewappnet; denn er bat fftr den Vktat
desStaates nnd des Vateriandes sitülehelöngabe, Püichtgefnhl, Seibelr
Verleugnung nnd txene Arbeitsanikeit erwerben, er Ist nothweadig ein
Jflnger der edlen Freiheit des Denkens, der idealen Wissensdiaftlieh-
keit geworden, die aUeni ein Volk grolt sn maeben vennag. Der kam
denn aneh getrosten Hnthes forUMnen in munittelbater Beachtnng der
eisernen Pflicht des Ttges, jederzeit datf et nngeschent die Beinbeit
seines Henens und die Sicherheit seines Geistes dabei prikfen, und
athmet er dann in freier Stande auf, so gewinnt er auch gewiss eine
richtige Stellung gegen das Erhabene, dem wir uns anf jede Weise
verehrend hingeben mflssen, da wir in ihm ja zu aUem, was wir sind,
haben und vermögen, die wahre Basis wissen, kurz, er ist dem ver-
gänglichen, endlichen, vielfach entstellten und zerfressenen Tagesleben
gegenüber vorbereitet tür das Leben in Gott und mit Gott, liir ein
ideales Ringen nach den hfichsten Giitein, die der >r«^nsrhhpit denkbar
und heilsam sind, nach Güteni des Geistes und des fJnzens, Schätzen,
die allein Motten und Rost nicht fressen, dw all* in durch ihren Be-
sitz wahre Befriedigung gewähren. Denn so nm\ m der Liebe zu
Gott, in der Freiheit Gottes und des eigenen Wesens und deslialb in
der Freiheit von der Sünde erzogen, kann der Mensch zum Frieden
mit sich, mit der Menschheit und mit Gott gelangen, da um der im
Hinblick auf die Idee des Guten zur Idealität erzogene Mensch wahr-
haft sittlich got ist, und nor der SSttlich-gate inneren Frieden hat,
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— 399
während innerer Unfriede, ZdrfaUenheit mit sich imd der Welt den
B^n aufreibt.'^
"Wenn nun alier die Macht der Idealität so ^roß und tiott die
Wurzel aliei- Idealität ist, so ist nicht blos jedes Unterrichtsfach für
die Belebung der Idealität, so viel in seinem Bereiche möglich ist, zu
verwenden, so muss sich vielmehr der Lehrende selbst dem Quell der
Idt'üiitut, Gott und dem Öottesbegritf, so nahe als möglich bringen, um
von ihui iiüs lebennährende Speise an seine Schüler ansÜieilen zu können.
Und wit nicht die cliristliche Erbauung alleiu Sache des Religions-
nntenichtes ist, wie durch denselben auch die verständnisvolle nnd
dem sonstigen BUdnngwtaiide dar hShmi dasaen eutspreckendeüber'
eignung und Ekitwickelung unserer Glutbenslehnn enielt werden soU^
denn Entwickelimg aDdn ist Leben, so ist es anch Pflicht des n^ch
dttB Gtottesbegiiff Forschenden Im Hinblick «nf die Entwickeliingr Aller
Beligion seine An^be sn Ktoen.
Sb ist ein wahres Worti das da besagt: ^Wer fremde Sprachen
nicht kennt, weifi nichts von sehier efgenen"; ähnlich aber verhält es
sich anch anf dem Oebiete der Beligion. Freilich ist von einem Nicht-
tkeologen nicht zu verlangen, dass er alle Religionen aufe genaueste
kennen solle, nnd auch der Kanaeltheolog, dessen Hauptaufgabe die
'*^«^^^f»n>g seiner Gemeinde ist, mag sich mit der Kenntnis seiner Dog^
m&tik nnd der Dogmengeschichte begnügen, der Lehrer jedoch, vor
allem der Religionslehrer, wird sich, mW er anders wahre Idealit&t
erzengen, einen weiterenBlickver8chaffen uiul in rclisrions-philosophisrlieni
Verfahi pn einen festen Gottesbegritf zu winm ii trnchten müssen. Kiir
diese!) Zweck genügt dann aber nicliT, dass wir, wie Theodor Verna-
It^ken thut*), für die uulogeriimiiischen \ rdker nur die alten Jnder,
tur die Semiten die alten Israeliten ins Auge fassen, sondern man
muss sich den historischen Verlauf der Rntwickelung aller Religion
bis zum christlichen ^rouoLheisums hin vergegen\s artigen.
Allerdings Ist ja die gesammte (Teistesentwickelung beider Völker-
stämme, der Arier und Semiten, eine durchaus entgegengesetzte. Im
Gegensatz zu jenem behaiTte der semitische Stamm in der abstraoten
Sphäre nnd rsn; deshalb danach, auf religidseaQeUele ehieiabetraete
fänbdt heransmbflden, nvie denn aUe drei monotheistischen Religionen
TOD diesem Stamme ansgingen. Wo dann der Monotheismns inner-
halb dieser Stämme selbst wieder in abgeschlossenster Enifaltnng am
') Vgl. besonders die treffende Darstellung des Seelenzustandes der Bilsen bei
AiMt Eth. Nie. IX, 4, p. 1166 b. 7 ff. — *j W. Schräder, Verfassnng etc. S. 17. —
^litt Ftedagog. 1688, H. 6^ a 885 ff.
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weitesten Spielranm gewann, also im Islam, <la baf <-v '^icli dnrcliaus
nicht so entwickelunfrsfahitr cezeigt, als da, wu die and» rr Seite, die
zugleich den Keim des ionereten in sieh tniiL'", siidi ilnn bt^iV'^'^^'^lte,
wo dais orientalische Keis aul Iden ai; sehen l!>taiüui geplropit wuixle.
Aus beiden Strömungen, aus der innigen Durchführung des Geistigen
und Natürlichen bei den Ariern nnd der Ausbildunisr des abstract AU-
genieinen bei den Semiten, ging erst die Cultur der Welt hervor.
Wenn wir aber bei den historisch erscheinenden Religionsweisen der
Arier und Semiten als bei unserem Ausgangspunkte stehen Uefben
wollten, 80 vfirden wir, eo gnmdTerscliieden beide auch sind, und
80 sicher ans ihrem Zvsammenihiss erst ein Strom des Lebens ent>
stand, doch nnserer Ei^enntnis damit gewiss keinen Vorschnb leisten , da
es Sache wahrer geistiger Erkenntnis ist, von Anfingen ansangdicn.
Die aUgemefai henschenden Religionen der gesammten arischen nnd
semitischen Volker haben sich aber, wo das licht der Qeschidite «of
sie ftUt, von der nntersten Stufb des rdigiOsen Bewnsstsefais bereits
zu höherer Gestaltnng fortentwickelt, und was vor diesem Stadium
der Etttwickelung, auf dem wir sie antreffen, etwa liegt, das hü]\m sie
selber in Dunkel -, denn wie die heiligen Bücher der Juden die Uradt
im Lichte des bereits durchgefühlten Monotlieismus' schildern, so
beurtheilen die heiligen Schiiften der Jnder die Vorzeit nach ihrem
eigenen Standpunkt, so lassen endlich auch die uralten Traditionen
der Clünesen die nrältesten Zeiten im chinesischen Lif^hte ei-s(iieinen.
Nun liegt die (Quelle aller Religion im mensohlii hen Ijeiste. Blicken
wir daher in d^r (^esrhirhte der M^nschlifit au^ \irc]\ dem Erwarh^n
des Menscheiigeisles aus den I^aiideii di-r Xatiir. au- iIhiü (rebunden-
sein an seine Basis, so finden wir. dass <ia der Geist überhaupt zu-
nächst nur formell gesetzt, da.ss das Menschengeschlecht aiu der un-
tersten Stufe seiner Entwickelung sicli ^^eines eigenen Geistes, ganz wie
das Kind ini zailesten Alter, noch so wenig vollbewusst ist, dass es
ihn als selbstständig aus dem Körper heraussetzt, weil es glaubt^ dass
derselbe im Trtnme den yerlisst, nm eigenmächtig etwa anf die
Wanderang oder anf den Fischftng zu gehen. So entsteht denn im
Menschen der Glanbe an Geister in der gaoaen Natnr, die efaizige
Form des religiOBen Lebens bei den Natonrölkem, das erste trikbe
Henrorlenchten der Ahnnng höherer Mächte. Einar richtigen Erkenntnis
der Natur ermangelnd, nnfUiig daher, die natttrlichen Ursachen für
die gewlHinMtai Erdgnisse des Leb^ oder Verändemngen d^
menschlichen Natnr, für Erdbeben, Yei^nstenmgen, Stürme und Un-
wetter wie fBr Trämne, Krankheiten nnd TodesAlle sn entdecken.
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— 401 —
trotzdem abtr nach dem er-^fFn Erwachen des Geistes durch seine
natürlicheu Anlagen auf eine ihm eiiiieuchtende Klarlegimg jener den
Erscheinungen zu Grunde lie^renden Ursachen hingedrängt, sclireibt
der Mensch eben alle;*, was ihn ^laiker berühit, unsichtbaren Wesen
oder Mächten zu, die er nirn nach A^i'logie seines eigenen geistigen
Bewusstseins gestaltet, und so siel»t er, da alle Dinge auf ihn ein-
wirken können, in allen auch Leben gleicli seinem Leben, in allen
Gegenständen der äußeren Welt Geister, die seinem eigenen Geiste
tlmdieiid fthülidi tthen mid^ diesen nur insofem übertreffen, als sie
dem Natnrmenseben noch nnverstfindÜdier oder gehejinoisvoUer sind
als sein eigenes Selbst. Also dn innerer Drang gleichsam'), das im
menschliehen Geiste liegende Bedfirfbis, ittr jede Erseheinnng nnd Be^
gebenheit eine Ursaehe oder dnen Urheber zu erspihen, flhrt anf
dieser Entwickehmgsstnfe die Menschen znerst zu religiiSsen Empltai-
dnngen, nnd dasn tritt dann das hhidliche Unvermögen, die Gegen-
stAnde der sinnlichen Wahmehmnng anders als beseelt zn denken.
Auch ihnen wird daher Wfllensth&tigkeit nnd menschliche Empfindlich-
keit beigelegt. Bei den Karenen, einem rftnberischen Volksstamm in
den Waldgebirgen von Unterbirma und Britisch-Birma, der nach
Äußrem, Sprache und Gewohnheiten den ürbewohnem von Hinter-
indien zugereclinet werden muss, hat jeder Gegenstand seinen kelah,
seinen Geist; Messer und Beile besitzen ebenso wie die Bäume, alle
anderen Pflanzen und selbst die *^teine ihren gesondeiten kelah, und
der Geist vom Reis winl. faUs Ki'ankiieit die Felder heimsucht, ebenso
wie Se^-le (ie> kianken Menschen durch zauberische Formeln und
Cereiiiomen zurückgeruten.-) Bei den Dajakeu, der T"^rbevülkerung auf
Boiueo, hat ebenfalls nicht blos der Mensch einen Geist, dessen Aus-
tritt ans dem Körper den Tod veimrsacht, sondern auch Thiere und
Gewächse und alle Gegenstände haben ein semnngat oder semnngi
genanntes Seelenwesen; kränkelt der Keis auf den Feldern, so wird
auch hier der Reisgeist, der semnngat padi, durch Opfer, die ihm in
Gestalt von Nahmngsmltteln dargebracht verdoi, dnrch Feste, die
man ihm veranstaltet, gebeten, in die absterbenden Pflanzen zurflckza-
kdiren*); denn er schweift ja eben tni nmher wie etwa die Seele
eines trilnmenden oder üi Fi^ierphantasien liegenden Menschen. Me
') Pe^^chel, „Völkerkunde", Aufl. S. 255. — -) Mason. „Karens '. Jonm.
A«. Soc. Bcntral.. 1S65. IT, 202; Cross im Jouni. Amer. Oriente!. Soc. IV. 309, vgl.
Xrow in Jouru. Ind. Archip., I, 340, Drouke, ,rB«itrtige zu einer Seeleulelire", Progr.
Tiiat 1881, S. 8, 28 ff. — 8p«uer St. Jobo, JMe ia th« fomta of the IVur
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— 408 —
diese Geister aber sind bioiie Abstractiouen des rein tünuell gesetzten
Geistes und eütüpreclieu der noch leereu lu(ii\niualität de^ Menscheu;
alles Greistige liegt noch in den Banden der Natur, des rein sinnlichen
Menschen, das mensehlidie SellwtbewiisstBeiii ist noch innerhalb der
BAtflrUchen Sphftre gleichsam ventedit; dem wtr haben tmyiätft d«i
ainnlkheQlfoittchea tot qhb, der^oeh imFleisehe kbt"^) Eine Bureik
bildong der Natnrbasis und des Geistes ist noch nicht gesellt, es
bemeht vielnidir die reine Willkttr dee leb; der Gott erscheuit ab
Naturmacht, das innere Leben als Begierdelebeii, das Denken als noch
getriibte Imagination, nnd da nun die theoretische Seite ginalieb der
praktischen entaiiricht, so können die Güster in jedem beSeliigen Dinge,
das dnrch sie zauberische Kraft erhAlt nnd aosObt, dem Heischen sich
darstellen. In diesem Geisterglauben haben wir den Fetischismus-) oder
Fetischdienst, die roheste Art des Pantheismus. Eine objectir all-
gemeine gottliche Macht wird noch nicht erkannt: es herrschen nur
bestimmte Mächte der Geister, aber eben als Geister der Natur, daher
mit natürlichem, nicht geistigem Wirken, und eben deshalb sind diese
Geister auch in einer Mehrheit vorhanden, nicht aber so. dass sie sich
gegenseitig ergänzen, »oudem gewöhnlich stehen sie sogar in feind-
licheni Geö'eiisafz zu einander. Nach den Berichten Oldfields'^» ist die
Zahl de] iibernatuiiiclien, fres[tensterhaft gedachten West-ii n.iiuentlich
groli bei den Austrahiegeni; uiclu nur der Himmel ist vou ilinen er-
füllt, sie bevölkei ii audi die ganze Oberfläche der Krde; jedes Dickicht,
die meii-ten Gewässer und namentlich alle felsigen Orte sind zum Ent-
setzen der Australueger von biisen Gteistem bewohnt. In iihnlicher
Weise wird jede Natuierscheinung für das Werk von Dämonen ge-
halten, deren keiner fireondüch geartet ist, sondern wie das Leben
dieser Stftmme voller Widerwärtigkeiten aller Art dahinfliegt, so sind
aocb ihre gSttlichen Wesen sftmml^ von dem Streben beseelt, dem
annen Schwanen alles nur erdenkliche Obel manfllgen; namentlich
trachtet der DSmon Kein danach, die trihunenden Anstiilier an er-
wQigen.^) Anch der vom Schmanae aatte nordamerikaniBche Indianer
wird ja von den Geistern geqnftlt^^) wie der bOse „Na^ anf dem Hagen
dea Karenen hockt,*) aber wenn wir anch solche Jncnbi, Succabi,
Kachtmaren und Alpe oder Vmnpyre auf den Antillen, in Lappland
und dem liindnischen Tantra wie in Afrika, auf Neuseeland und Samoa
wiederfinden, so tritt doch das Bösethon der Geister nirgends so grell
')L Korinth. 11, 14; ctBöm. VIII, 5—8. — *) Von demportug. Worte teiu^**,
ZMdwf. — *) In Tr. m 8oe. m, M& — BMkhofne, ,,Aiwtn]ia«, H6; Grey,
t,AiiftrBltt*% H, 837.— •) 8choolcnft,]]id. Trib. m.986. — ^ lUaoa, «Kweai". Sil.
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— 408 —
hervor, wie in der \ orstelluiifr (Im- Austialier, die sich veranlasst
fühlen, jährlich .sogar die aut^eliaiiiipu (4('i>ter der im letzten Jahre
Vei"storbenea aus ihrer Mitte auszutreiben, ^^'ol haben aiicl» die
Al^nukius in Nordamerika zahlreiche böse Dämonen, die sie niehi
furcliten als lieben, aber doch findet Schoolcraft*) den eig^entlichen Grund-
zug ihrer Religion in dem Glauben, das.s die ^mnzc i>ichtbare und un-
sichtbare Schöpfung von verschiedenen Ordnungen böswilliger oder
freondUcher Gdster Tieaeelt sei, welche die tägliche Handlungen des
Mcnachen und sein encUichee Geschiek bestimmen, in Aostralien da-
gegen iitdk IdDdiseheFareht dasVorhemcfaende, imd erst in Neu-Süd-
Wateg und in Queeniitend, also an den bevorzugten Gnltnrstreifen Anstra-
iSens, begegnen wir denKoradschi oderLeaten, welche den Schauder vor
der Ffastemis und ihren Uftchten so weit abgestreift haben, dass sie
auf den Gräbern Verstorbener eine Nacht auszuharren wagen.*)
Wie der Causalnexos in der Äußeren Natur und im inneren Leben
auf dieser niedrigen Stufe der Entwickelnng noch dnrdiaas unerkannt
Weibt, 80 bilden auch Träume Motive im Leben. Der Mensch be-
trachtet das im Traum Gesehene als wirklich seiend und fühlt sich
verpflichtet, die im Traun erhaltenen Aoftrlge sn Tollbringen. Trftiunt
der Ii-okese, er werde von den Feinden gefangen, so muss das not-
wendig in Erfnilnng gehen; er lässt sich daher, um drohendem Unheil
vorzubeugen, von seinen Freunden fan^n und peinigen. Besonders ist
zwar dieser Glaube au Träume bei den Polarvöikem ausgebildet, wo ja das
Traiiiuh l'en von der Natur selbst gefordert wird, aber auch bei Homer
rtiiciea wii 11 h Ii ri* ii (ilaulK U. der Tiaunie lieilig hält; und Täuschungen
durch Trauuibildei wu5«ie sicli das liomme Gemüth leicht zu erklären:
Denn an sind zwo Pforten der hiltigeu Trautugebilde,
Di^ von Elf^bein, and jen' aus Hörne gefertigt.
Welche nun gähn ms der Pforte gewUiffeiMe BIfenbeiitee,
Solche täuschen den O^tt durch walirheitloHe Verkllndnng;
Aber die nti« Konves js^Pijlätteter Horte hpruisu:ehn,
Wirklichkeit deuten sie an. wenn der .Sterl lu li^ n »-iiH^r sie schauet.^)
Da nun aber, subjectiv betrachtet, das 'I ri^^ltlHlicn, die Begierde
und deren Befriedisrung, der mit der Anschauung verwickelte Vei-stand
Ausgangspunkt tiu- die objective ßetraclituug der Dinge ist, und da
roW Völkerschaften bei ihrem productionslosen Leben Zeit genug
haben, ihren Begierden nachzuhangeti und die seltsamsten, phantastischten
Combinationeu zu bilden, so setzt nun, bei mangelnder Erkenntnis der
') „Algic. Bes." I, 41; „Ind. Tiih." m, 327; vgl Weite, HI, 191; BneMOf,
«Olcaäqiae^ m, 488. — «) Faeehel e. e. 0. 363. — ^ Odjae. XIX, 66» IL
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geordneten MiU'hte in der oVijectiveii Welt, die Begierde oftmals in
ganz, biiuii iei- Kgoität sieh sell)>i ah wimschend, sofort aber auch als
gebieitiude Macht, und so entsteht der Glaube au Zauberei, an ein
Einwirken dei* menschlichen Begiei-den auf die äußere Natur, and das
Ist das Sdiamaneiithnm') ^ eine arge, aber in diesen Anföngen doch
auch wieder noch arglose Tftnsebnng.
Von dieaem Glaaben an Zauberei ist aber der Geistergrlanbe dnrck>
m nicht an trennen. Freflich tritt derselbe in der Erschehiinig ge-
wShnlioh ganz in den Hiiitergnind, und er ist daher von den Bericht-
erstattern nicht immer mitfiberiiefert, so dass die Meinung sich bilden
konnte» die Zauberei werde als solche ohne den Binflnss höherer Geister,
also ohne einen Ghtnben an geistige Milchte von jenen Vdlkem an
sich getrieben, wie Hei-odot a. B. sagt'), bei den Negern sei jeder ein
Zauberer; aber so gewaltig auch das Begierdeleben den einzelnen be-
herrscht, so steht doch der eigentliche Zauberer, sei es nun der so-
genannte Medicinmann der Eothhäute in Nordamerika, der Angekok
der Eskimos oder der sibiiische Schamane, der Piaje tPiai, Paye)
Sadamerikas oder dei' M^angra Stldafnkas, in den Augen der (41äu-
hiorcw iU)erall unter d^ni Eintiuss eines höheren Wesens, das ihn durch
Sendung eines (Tennis zu seiner Zauberei b^fälii^t.
Aber der einmal in der Entwickeluug begrilteiir; ]\lt^ii-rliMiigeist
blieb auf dieser naiv kindlichen Stufe nicht stehen. Endlich wird eine
allgemeine Ordnung in der t)bjectiven Welt erkannt; allerdings noch
nicht in concreto als volles System der kosmischen Mächte, sondern
noch oft mit willkürlicher Durchbrechung derselben, aber es schwindet
doch die blinde Willkiir des einzelnen gegenüber der höheren Macht
Dieser Standpunkt findet sich in der altchinesischen Religion vertreten,
wie sie in khig ttberUefert ist, und, wenn wir von der spiteren
Ausbildung auf die Periode der ersten £nt<ung zorQckblickeo, auch
in Indien und annähernd dann bei anderen YOIkem, z, B. bei den
alten Azteken in Mexiko. In der indischen Religion ist wie in der
chmesischen das Unbedingte zonftchst als Substanz gefiust, hier, indem
als allgemeinste gdttUche Macht an die Spitze der ganzen Anschanung
der thian, der Himmd, oder, wie man auch sagt, der schang-ti, der
obere Kaiser, tritt, wihrend die ganze Natnr von Oeistera, den sclnn,
belebt bleibt und den '^f * I -n der Ahnen gehuldigt wird, dort, indem
man als die hdchste Einheit, die weltbeherrschende Macht VÄrunas
Entstanden %m framtuia, der. indisehen Beseichniiiig flUr bnddbietteeke Ein-
siedler. — «) n, aa ,
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betrachtet imd in ihm, dem AH umfassenden. ursprün£rlic)i dtii lidclisttiu
der dewas, derGrötter, das Pnncip alles \\ eniens und Lebens, vereinte.
Wird nun drittens gar die göttliche Or lnuiiir der Welt nach Ana-
logie der ZweckbestininuinL- anfgefasst, so werden auch allmählich ge-
wisse Gesetze der Weit erkannt, welche der Mensch sich aneignet,
lind denen er sich, sobald er sie in sein Selbstliewnsstsein hineinnimmt,
auch beugt. Während auf dem Standpunkt der Zauberei der Mensch
Macht hat Uber seine Götter, während auch der Kaiser von China
nodi Gdster anstellt und absetzt, wird auf diesem höheren Stand-
punkt «ine ünteroidnnng nOtiiig. So ist es in der altariadieii Nator*
religion der Iranier vnd in der altsemitischen Weise der Gotlesrer-
eihnincf der FaU; erstere offenbart uns den (Manken der Cntemd*
nnng in ihrer daalistlselien Ansdhaanng vom Kampf der Elemente,
letztere, die bal^lonisehe xnmal, in ihrer astrologischen Weltanschatt-
voig» Eine snbjective Freiheit ist in diesen Beligionen an nnd ftr
flieh und xnnfidist dnrchatiB nielit gesetzt; dieselbe bildet sich Tielmehr
erst spAter aus, wie denn sowol in den JUteaten arischen Behgions-
bflchem, in den Weda-hymnen, und besonders vom Rigweda zn den
Brahmanas und Upanischads, als auch im Zendavesta, der heiligen
Schrift der Parsen, den ehrwürdigen Übeiresten der uralten fieligions-
bucher der alten Iranier, bedeutende Fortsdiritte von der ursprftng-
lichen Basis ans zu vollkommeneren Formen sich zeigten, da eben die
arische Relig-ion die Tendenz hat, die Moralitüt auszubilden, ein
Streben, welches bei den alten semlttschen Beligionen weniger zu
Tage tritt.
Wenn nämlich, wie gesagt, in der chinesischen nnd altindischeu
Religion das Unbedingte als Substanz gefasst ist, so tritt docli die
Zweckbestimmung, die erst zur menschlichen Thatkraft luhit, hier wie
dort nur oberflächlich hervor, und die inneren Gegensätze der Prin-
cipien sind ebenfalls noch ganz in abstract allgemeiner Weise, nicht
aber in concreto als ein Kampf entgegengesetzter Mächte in der Wirk-
Udikeit gefasst Und hier macht mm die GmBdanachammg der alten
Lranier, die Lehre des Avesta^, einen ungeheoren Fortschritt, indem
zwar die snbstantielle Bestimmnng des Absolnten noch festgehalten
wird, aber der Dnalismns der Princiiden im Kampfe des Daseins her^
vertritt nnd als die Aa^iabe des Menschen daa Eingehen in diesen
Kampf znr Oberwindnng nnd VerkUrong der Natur hingestellt wird.
*} Bed«staid Ar Dogmadk und Mmol ihid nancatlieli Tk»* c. 28—63, der
ilt«m Theo des ZendaTerta.
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I
Der höchste (iott, der (üe Weh erschatit ii hat und noch erhält,
das durchaus ideal gefasste Princip des. Li(!ift >, des Klaren. Guten
und Zweckmäßig:en, ist Ahui*amazda (Orniuzd., der segeuüpendende
und heilige Geist, ilini ist in Gedanken. Worten und Werken Anra-
maiüj'u (Ahrimanj, der büse Geist, entgegengesetzt. Beiden stehen
ihre Diener im Kampfe zur Seite, und Pflicht des Menschen ist es,
dnrek W«]iriiafUgkeit und Eefllgkeit in Gedanken, Worten nnd Wer-
ken mm endlichen Siege des gnten Prindpes rnftznirirken. Beide
entgegengesefcste Ittciite sind ans der nnt»rwia8enfldiaftlieh*etiiiMliea
Betnektong derWelt^ ans der pniktiscben Seite der Lebeneansdiantuig
an^nommen, aber solch ein GegeneatK ^derspricht doch der Forde-
rong der Yemonft nach Einhot, nnd so bildete sich in der apiteren
Epoche des Parsisnnis die Lehre ans von einem Urprincip der Dinge,
der unendlichen Zeit, man akerene; aber dies abetract gefosste Wesen
ist kein eigentlich göttliches Princip, sondern nur ein religions-phüo-
sophischer Begiitf, wie der ziTan akerene denn auch nicht geopfert
wurde. Der thats&chliche Dualismus aber zeigt, dass das Natftriiche
vom Geistigen hier noch nicht wahrhaft geschieden ist; denn so-
bald das Geistige über der äußeren Welt steht, fallt der eigentliche
I Dualismus. Kein Wunder ist es daher. da.*vs "\dr im Bundeliescli ernste
iSpeculationen über den Dualisiims linden, die zur Einheit hinstreben.
Idolatrie verband sich mit dem Dienste des idealen Ahuramazda
schlecht erding-s nicht, und die gottestlirii>rli>hen Handlungen, die nicht
in Tempehi vun xMeiischenhändeu vollzugeii wurden, bestanden in Ge-
beten, Lustrat ionon, andächtigem Lesen des Avesta und in Opfern von
reinen 'ikieienM. Blumen. Früchten, Milch und Rauchwerk, die man
theiis dem Ahuraaiazda selbst, theils dem heiligen Feuer, dem Sohne
des höchsten Gottes, oder der Sonne, dem Auge des höchsten Gotlds,
auchwol dem Monde, der Erde, den Gewässern und Winden zn Ehren
darbrachte nnd aeUiBt temhxte; denn Spebe der Gottheit, wie hi den
Wedas, and sie nicht mehr.
Das Leben erhielt durch die Lehre vom Kampf der Principien
nnd der Theihialune des Bfenschen an diesem Kampf natürlich eine
hohe moralische Fdrdemng, nigteich aber auch eine praktische^ thltjge
Biditnng; gegenüber dem Qnietismns, der höchsten Form der indischeo
Beligion, nnd dem Streben nach Eihaltnng dee Gldchgenidites, wie
es hl China herrschte, dient hier Ackeitan und Tiehmcht, FanuUen-
*) AUe wtM«!, liobuebendn, kri«eltmd«ii TluMe galten ftr OMckOpfe im
Abrimait
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letien vBd Oenossaucluift dem gdUlidien Zweck der Yerklftning der
Katur.
Andere gestaltete sich der nicht za verkennende Fortschritt in
den semitischen Religionen.
Der Fetischismus, jener blinde Geisterglaube, ist bis auf gelinge
Überlebsei überwunden zu fler Zeit , wo die ersten Strahlen der Ge-
schichte das tnranisch-knschitische VöllierpHini<( h ' ' im Norden des
persisrlien ^feerbiisens beleuchten, jenes Vrilkergedräiigt . aus wek'liem
'i--tli('li vitti! Tigris in Susien, wo das turaiiische Element lie Ober-
hand gewann, das Königreich Elam, westlich vom Grenzstrom aber
ans den beiden Sumir und Akkad genannten Nationen das erste Chal*
däerreich sicli be^ündete. In letzterem trug das knschitisch-semi-
tische Element den endlichen 8ieg davon; von der turanischen, zu
crassem Aberglauben neigenden Religion blieben liauptsächlich die
astrologischen Anschaunngen ftbrig, während die magischen Bräuche
eines finsteren Sehanutnenthiunsy wie wir es heute noch bei aahhreichen
fianisefa-tatarisehen Stämmen wiederfinden, mehr nnd mehr yerschwan-
den. In der aasyrisch-habyknischen Beligion nnn, wie sie sich ans
tttren gegebenen Prämissen im Lanfe der Zeit entwickelte, war die
Gnindaaschaamig die von einem götUichen LehenBprocess: Der Gott
der Hobe, nrsprllng^eli als Soime oder als himmlisckes Fener ange-
schaut, zeugt mit der Erde alles Leben; in diesem geschieht daher
alles nach dem Entscheid der Gdtter, welche ihren Willen durch den
regelmäfiigen Gang dei* Planeten, die als Dolmetscher und Bemther
mit relativ höherer Macht übereinander stehen, den Sterblichen offen-
baren. Die oberste männliche Gottheit, das Princip des Lebens, ist
Bei, der „Hen ": ihn hielten altere Erklärer falschlich für den Satnm;
die (Triechen nannten ihn nacli Diodors Bencht-) Zeus, die Römer
Jupiter oder 13elus; seine ursprüngliche Bedeutung aber gibt uns Ma-
crobius in den Satumalien ^'i . nnd nach ihm ist B»^l die Sonnp, dass
ihn Geseiiius mit Recht als den domimis solnris bezeielnieit^. Kr. der
Vater und die Leuchte der Götter, der iSchöpl'er, der Herr der Länder,
der Fürst des Alls, der „Asur**, d. i. der Gütige, ist das allgemeine
zeugende Princi]i in 1er Natur und im Menschenleben. Ihm zur Seite
steht die 3Iylitta, wie iierodot^) sie nennt; dieser Name ist entstan-
den aus bi-lit (bi-^-li-it), d. i. „Herrin**, er bezeichnet also die BelUs.
HalöTy, „üiM«rvaUou8 critiqnes nur les prüteuüuü Tuurauieus de k Baby-
looie" in Jovn. Aiia«. Juni 1874, v. dageg. E. Sahvate in dwZdtidir, 4.D«atMh.
HingeiiL G«Mllicai. 1876, S. 1. ff. — *) H, 8 und 9. ~ *) I, 28. — *) I, 181, IM.
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Diese ist sar-rat nabUai* ili, die Königin aller Götter, sie ist bilit
matat, Herrscherin der Länder, Erstgeborene des Gottes Ann, Mutter
der Gntter und Besieg^erin der Feinde, Gebieterin des Kampfes und
der Sclilaclit, Der Obelisk Salnianassars Z. 12 bezeichnet sie al*;
Biltuvhi-ir-ti Bü um ili. als „Beltis dip «Temahlin des Bei, die Mutter
der Götter", mit der alsn Bei alle ^rzeuel-.
Zu f^iM^Hii lundt'ii Hauptgülteiu kanieii nun die lnnl Piant*lcü als
I)oinietsclit'i des ahrv die Sterblichen verhän^t^n Schicksals, der Jupiter
oder Merodacli. die Venus oder Istar, der Mercur oder Nebo. der Mars
oder Nergal uud der Saturn, der Kaiwan oder Kewan der Kt-ilinschril-
teiit und neben diesen Planetengöttern wui'de dann auch der Mondgott
Sin verehrt, der namentlich in Mesopotamien seinen Cult gehabt zu
haben scheint, während Bin als Gotl der AtnuM^hfire, des Sturmes und
Uniratters gilt und «ndere Gottheiten das Pantheon vervollBtSadigen.
Je mehr nun aber die ursprüngliche Anscbannog von einem Lebens-
process gegenflberdem offenbar auf arischem Einllass bemhenden Licht«
coIt zorOcktrat, mnsomehr schwand Bei als Gott der belebenden
Sonne ans dem religiösen Bewnsstsein, er ward m einem Gittterftrsten,
nnd eine besondere Gottheit der Sonne, Ssmas, trat neben ihn, wäh-
rend sich die Yerehmng gleichzeitig mehr and mehr den lenchtendea
Gestirnen &berhanpt nnd besonders den Planeten anwandte, Beltis
selbst zur Astarte, zur Stemenkdnigin wurde. ')
Freilich war der Dienst namentlich der Beltis mit argen Au.«;-
Schweifungen verbunden-), die Prostitution ihr geheiligt, zahllose Opfei
dampften in prächtigen Tempeln vor den Götterbildern in ihrem Blut,
aber doch ist, was uns hier zumeist angeht, die Voi*stellung von einem
g-öttlichen T.ebensprocess mit all ihren Consequenzen kein geringer
Fortschritt, und d^^r astrologische (iedanke, dass de-r Lauf göttlich
Vjeseelter (4estirne Einliuss hal)e auf das Schicksal der Menschen, ist.
wenn auch immerhin Aberglaube, so doch ein so erhabener Aber-
*) fieltis ist nieht ideiitiBch mit der Astait«; aber freilich wurde in den orien-
tAliflchen Rt'Iii^lonpn Unrch die Berührung und das Ineinanderfließen der Völker mit
ihren verschiedene n An^tchanungen die alte Vorstellung von einem ZeoürunirspnwM
combinirt mit dem Dienste der Lichtgottbeit, da ja eben als das zeugende Princip
die lowditenile Sonne betrachtet wurde, und so ward daan das geblrende nriodp
gar leicht ebeofUb sur Lichtgottheir . zur StenMokBajgin, aur Mondgottin, wie ja
der Mond alf* Gestirn der Xatht doiu Tagesirostim zur Seite isteht. Nur auf diese
Weise konnte Mylitta /tir Mondgöttin werden; denn der M nnd ist in keinem Systeme
ursprünglich Allgebärehn; er ist Astarte, Stemenkilnigin, eben nur da, wo nickt der
sengende Lebenq^neeis, sondern das -Liehtpriaeip als das OöttUehe verehrt wird. —
*) Jakobe „Termisehte Schriften'V VI, 80.
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glaube, dass er sich selbst bei hocheiiriüsh'teii Völkeiu und bis in die
neneste Zeit bat erhalten können.*)
Anch die Mittelsemiten der phönizisch-kanaanitischen Stämme
dienten der scliaffenden Naturki*aft und den Liehtraäcbtett des Him-
mels, docli gelangt bei ihnen trotz der dnrcligehenden Verwandtschaft
mit der babylonischen Religion besonders in Plicinizien und Syrien eine
bestimmt sinnliche Richtung zur Herrschaft, wahrend das astrologische
Klement fast gänzlich zurücktritt, und wie die Autfassung der Üott-
ht'it, so blieb auch der Cult ein dnrcliweg sinnlicher. GiHtHchen
Mn^hten, lohe man als dem natürliclien Dasein feimiselig dachte,
dieuie man mit der schärfsten Ascese. mit fSeibst Verstümmelung und
Menschenopfem, den Göttern der Zengung und Geburt dagegen, da
diese dem menschlichen Leben günstig ^ol•ge^>t^llt werden mussten,
mit zügelloser Ausschweifung, die sich lun so wollüstiger gestaltete,
je üppiger das Leben in den reichen Seestädten wurde. Der obei*ste
Gott, das männliche, zeugende Frincip in der genmmtm Natnr, ist
hier Baal, der «.Herr", der Baal-Sanm (Baal Sebamigim, Herr des
Hiininela), der Sonnengott-), und nur eine andere Form dieses Baal
tat Melkarth, der ,,8tadtk6nig'', ihm verwandt der Adonis, der sich
wiedenim mit dem Osiris der Ägypter aofe engste berührt. Das
weibliche Oomplement des zeugenden Baal ist die Aschara, die Baaltis
von Byhlos, die ,.Spendarin des Segens^, nnd sie entspridit der baby-
lonischen Ifylitta wie der Berat (d. i Cypiesse), der Venus dee Libanon.
Wie alle diese Gottheiten hat sie voi-wiegend tellurische Bedeutung;
denn überall, wo die Sonne oder der Himmel als das männliche Prindp
erscheint, ist die Gebärerin naturgemäß die mütt Gliche Erde. Aber
die phönizisch-kanaanitische Religion hat, wie die assyrisch-babylo-
nische, mehrfache Änderungen durch fremden Einfluss erfaliren, und
namentlidi wurde auch hier wieder der ältpiv pi-aktisch»' Lebensprocess
zwischen Sonne und Ki-dp durch das alhnahiiche Eindringen der von
den Ariern entwickelten Lichtreligion idealer gestaltet, und so wurde
wie aus Baal der Lichtgott, aus Aschera die Aschtlnaeth, die Astarte,
die Himmels- und Sternenkönigin. Sie erhielt demnach bald den Mond,
bald den Planeten Venus zum Substrat und wurde mit zwei Hürnern
dai-ge{»tellt, während das uralte Symbol der phönizisch-s3'rlschen Aschera
Vgl. im aUgemein«!! Ifoiiry, „La inagie et Ptslrologie dann laiitiquite et au
mojen-Äge. 2. e<l. Paris löftfi; Chnfitian, „Histoin^ <1" la iiiagie t tc"' Paris 1870;
Uenatnger, „ÜUer ältere und neuere Astrologie *, Berlin 1872, und W. Företer m
der Sainmlang popul&rer astronom. Mitllwil. Beiliii 1870, S. 12. — ^) VgL Vltntm
„Poeneli»** T. 2 und dum BeUenoMiiu AbhAndL IL & 88; Orewer, „Symbolik", II,864ir.
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ein Baumst&mm iint abgebtutzter Krone als Zeichen der zeugenden,
befruchtenden Natiirkiaft ist.
Nf'bpii diesen Iwiden Gottheiten, d^r durcli Baal repräst^ntülen
männiiclien und der in der Ascliei'a angt^srliaute'ii weibiiolit^ii Marhr
Lebensprocesses, haben wir hier nun abernorli ine dritte zu betrachien,
welche eine ganz besondere Stellung innerhalb des phönizisch-syrischen
Götterkreises einnimmt. Der gewöhnliche Name dieses dritten Gott«s,
dei' später mit dem Baal allerdings paralleli^u L wild, ist Moloch, d. i.
„König** -j die Ammoniter uenuen ihn Milkom oder Malkam, auch Molech,
die Hoabiter Kemos, Kamos') und Ariel, d. L „Feuer Grottes, heiliges
Feaer". Dem Fdndp nacli ist dieeee gIHtliche Wesen von der An-
flchanong dee Baal dnrchailB Tendiieden. Seine Grnndbedeittang geht
ans dem Colt wie ans dem Namen klar hervor: er ist das himnUiscbe
Feaer, aber doeh nieht in demSinne^ wie daaaeKbe in dem altaiischen
(iraniaelien) Cnlt als Licht imd Uanifestatloii dea Guten auftritt, eon^
dem mehr in der Wdae des indischen Gottes Siwa gedacht Wie
dieser, der Patron derBfkfier und derAscese, derHahadewa» der hoch
oben auf dem Himalaya thronende Herr der fievge, der nicht selten
mit der Feuerflamme in der Hand dargestellt vird, zerstörend, aber
zugleich auch reinigend und befruchtend wirkt, so ist aucli Moloch
als schöpferisch hervorbringende, aber auch auflösende und heiligende
flacht gedacht. Diese iMißersemitische Herkunft des Gottes beweist
uns ganz besonders der Name der Opfei-stMte Thopheth im Tlial Hinnora
bei Jerusalem, da derselbe allein im Arischen eine geniiirrTiilt' Kiklfi-
rung findet, wo im Persischen taften, teften ...tTiziindeir' bedeutet, und
wir wissen, da.ss namentlich in jenem Thai Hinuom die Jndeu dem
finstem Moloch mit Menschenopfem dienten.
Was endlich die Siui<, niittMi anlangt, so geht aus all den freilich
oft lückenhatten Überliefeningen henor, dass auch bei den Bewohneiu
der arabischen Halbinsel der Gedanke eines Lebensprocesses an der
Spitze der religiösen Ideen st^ind. Oskar Peschel*) stellt allerdings
noch die Behauptung auf: „Vor dem Auftreten ihres Propheten lagen
die Stfiame der anü>ischen Halbinsel noch in den Fesseln dea Fe-
ti8chwahns^ und ihst so sieht freilidi die Sache ans, irenn wir die
Religion jener Stftrame, loegnissen tob dem EntwicUnngsgange des
religiösen Gedankens ttberhanpt, lediglich nach den spftrlich fließenden
') I. Bflgg. ZI, 7; n Bagg. XZm, 17; Jocbu XLVni, 7 et JiiM. XI, U,
Die ElQnnol«eie i«t niuieher. ~ *J a. a. 0. & 310.
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einheimischen Quellen beurtheilen wollten, abpr<;c1ion die Alten*) liefern
reichliches Material, welches uns hesser belehren kann, und namentlich
hat Ludolf Krehl in seiner Habilitationsschrift -i liicht über die vor-
islamischen Araber verbreitet. Was nini tlen Namen der männlichen
(roitheit anlaugt, welcher Orotal, Ürotalt, Orotalat. Urotal und ürotalt
überliefert wir«!, so erklärt ihn Movers in sei^iPTii tieiüitren, leider oft.
nnkrili.M heil W eikc ') als .>"t uer (^ottes ', Indi-m er statt der g-ewöhn-
liehen Lef^arteu Orotel einsetzt. Krelil s{>rielit sich ^eg'en solche An-
naljiue aus; wir werden aber auch die M-harfsinuige Cuiijectur dieses
Gelehrten, der ans dem Zusammenhange, in welchem der Name er-
scheint, Nurallah, d. i. „Licht Gottes", die Sonne, folgert, entbehren
köimen und OrotaJ für Orotallah, „Feuer f4ottes", erklären dürfen,
denn nur allah, nicht aber die Fem el ist ein allen arabischen Stänunen
eSgener Besits, und um einen solchen handelt es sieh hler.^) Wir
glauben aber nnserer Annahme nmaomehr folgen xn dfixfan, als die
Vergleichnng der semitischen ReUgionen ergibt, dass es sieh in dem
mftinlichen Frindp stete sonSchst nm das schöpferische Element des
Himmels, dann der Somie handelt« wflhrend erst mit dem Vordringen
arischer Anschaanngen die Lichtgottheit in den Voidergnmd des re-
figfSsen Bewnsstsems tritt Die weibliche Hanptgottheift der Araber
ist Alilat (Alitta, Alitat). F. Hitzig lässt bei seiner Vorliebe für das
Indische, wie er auch Orotal aus dem Sanskritwort ürddha oder urddhYa«
d. i aufrecht, mit Bezug anf das Symbol des Gottes, den Phallus,
erklärte'^), diesen Namen wiederum aus dem Indischen stammen, und
doch ist Alilat offenbar nichts anderes als das arabische al-llähat, ..die
rTebärerin*' sie ist demnach das empfangende, mütterliche Lebens-
prineip, aber doch zunächst nicht, wie Krehl sa^t • |. die Idee des be-
fruchteten und die irdische Welt befrnclitenden Mondes, ob^rleicli sie
auch hier uachm&ls in hiji^ariti»$chen Inschriften mit diesem identi-
ficin wurde.
Neben diesen beiden iiauptguttheiteu verehrten die Araber nun
anch die Gestirne, und zwar hatte jeder Stamm seinen besonderen
Lichtgenius. So berichtet Al-Dimischki**): „Die Himjariten verehrten
*) Heradot m. 8; Aniu Exped. Atettadri VII, flO; Stmbo ed. Hdnek«, p. tOSS,
C. 741; nriL,'tiio8, cont. Celsom V. § H7; Philostorg-iug ed. Gothofred. Lugd. 1G43,
III, 4. — '/ „Relitjinn der rnrisliuiiischfn Araber", Leipz. ^. ..Die Phöai»
rit r* . I. 337. — *) Vgl. tlsiander in der Zeitschr. d. Dent8ch-JIort,ieiiia»«l. iteseilsch.
Bil. VII, S. 468 ff. — ^) „Urgeschichte and Mythologie der PhUistäer ', Leipz. 1846,
9 II», 8. aea; ef. I 144, 8. 888. — •) Hwidot I, 181. - a. a. 0. & 48. —
•) V«L OnrolMni rfii» Stehler «od der Saabinniii", Petenhf . 1886, H, 404 ff.
fmiaga^tmm. 6. Jüatßag. HeftVn. 27
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— 412 -
anfangs die Sonne, traten dai-aut aber zum Judentlium über wie der
iStanim Kinana. welcher ehemals dt^ii Mond anfrebetet hatte; die Stämme
Lahm und Gudam beten den Stern Jupiter. Asad den Merciir. Taj-ni
die Hyaden, Kais den Sirius, Tajj den Canopus an.'" Einlache Steine
und Büunu' whi -mi die Denkmäler diesei- hiniinlisrhen r-rottheiten.
Mit der Auha>sunf2: der ijüttlic'lie!! \\ - Itordnuim nach AnaluLrie d^i
Zvveckbestimmun|2^, mit dem Bewusstseiii der nothwendio'^-n Unterord-
nung uuier das» von den Götteni den Sterblichen bestiiiiniie, gleiclisam
in den Sternen g-eschriebene Geschick war nun aber auch der Uber-
gangspauki zu der waki'halt gottlicheu lieligion bereit:« gegeben, wu
der Henfich der Natur nach den Inhalt des Göttlichen und der irdi*
sehen Entwickelimg erftsst, und ab solche Übergangsstadien charak*
teriiiren sieh namentlich die Fortbildung der arischen in der altnor-
disdien Beligion md die sp&teie Entfaltung der ägyptischen Gottea-
Terehrung; denn auch im Nilthal war Osiris nrsprfinglich das minn*
liehe, Isis das weibliche Lehensprincip. Einige G^elehrte rschnen auch
den grieehischen nnd rSmisehen Cult zo den Natnrreligionen und haben
recht, was den Aosgangsptmkt anlangt^ aber vOUig unrecht in Besag
auf die spätere Entwickelang; denn sowie der Gott in mensefalicher
Gestalt erkannt ist, ist auch der objective Xaturbf)den gewonnen; anf
dem bloßen Naturboden dagegen erscheint der Gott immer als Natur*
macht. So wurde im Alterthnm die gewaltige Macht der Sonne in
den meisten Religionen als oberster Gott angesehen; sobald niui aber
der Gott nicht mehr in äußerer Xaturgestalt erscheint, sobald diese
Seite umg-estaltet wird, hört die Xatnrro!i£rion auf. Die Griechen
hatten allerdings mehrere Götter, die aus der Sonne henorgegaiigen
waren: Helios erhielt sich dem Nameiniaeli als Sonut'im'i'tt, aber Apollo
und Paii wnrd*'!! uiiiy:ei)ii(iet. Hei den Römern ist Satnmu«; auf dir
Sonne zuriiek/.ululu'en, aber man erkennt dies ursprüngliche Element
kaum norh in der spätertsu An.schauung, etwa in «Iru Mythen? iu Syni-
büleu und Festen, hier speciell in den Saturnalien, welche als die*
solis invicti bei der winterlichen Sonnenwende gefeiert wurden.
Die zweite Hauptstufe religiösen Glaubens stellt daher die Ent-
wickelung des Geeistes dar, der aus der blinden Natur zu einer con-
creteren, in sich erflillteren, allgemeineren Sphäre sich erhebt. Die
natürlichen Elemente des Traumlebens ^ der Empfindung, der mannig-
fachen Anschauung bereichem das allgemeine Bewusstsein, und die
Natursphäre wird nun eineiseitB in das Innere des Selbstbewusstseins
aufgenommen, dies selbst aber gewinnt andererseits eine höhere Allge-
meinheit, wie es Ja in der Natur der Sache liegt, dass auf diesem
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Eutmckelungs^ange beide Seiten gegenseitis^ sich tiinleru. E^ l)ilflet
sich nun auch der einheitliclie (bedanke au»; da^ i>eukeii wird <?eset'/t,
und dadurch erst eutsttjlieu wiiklich allgemeine iSpliären, als da sind
allgemeine Natur<,'^e3etze, allgemeine Principien für das menschliche
Verhalten, so dass die Gesellschaft nicht mehr blcs nach \\'illkiir und
Neigung zur Societät geregelt wird, sondern durch feste Gesetze, —
es bildet sich das Recht aus. Aber ein Bruch mit der Xatm tiiulet
nicht statt, der Gedanke wird noch nicht in abstracto gesetzt, es
bildet sieh vidmelir zmüteliat nur das gdatige iBdividinim ans, ohne
dass gleich der Geist in seiner Mgemeinheit hervortritt Unter einem
geistigen Individnum aber yerstehen vir die zur Geistigkeit verklärte
natOtliche Basis, die jedem Lidividnnm zu Grunde liegt So erhebt
sich also anf der Basis der voransgesetsten Natnrreligion in geistiger
Oestaltang eine Mehrheit endlicher G(}tter; yerkl&rt ans NaturmAchtent
eifllUt mit geistigem Gehalt, bilden sie eine Reihe verklärter, endlidier
Geister, und je mehr der Gedanke, der in der Naturmaeht die Ein-
heit sah und erfasste, sich geltend macht, um so geringer ht die Zahl
dieser Gteister, je mehr noch die vom Gedanken ungezügelte Phantasie
herrscht, um so reicher ist der GötterlLreis. Auf diese Weise finden
wii" die frühere Naturbestimmtheit zur geistigen Form der mensch-
lichen Gestaltung aufgehoben bei den Griechen, Etruskeni, Römern
und (Germanen, Villkern. die wir freilich erst in einem späteren Sta-
diuai ihrer nationalen Entwickeluug kennen lernen. Aber — und das
darf niemals aus dem AuEre frehissen werden — nicht durch einen
Briicli mit der Xatui- entstanden jene Götter, nicht durch eme reine
Erhebung des (Teistes in abstracto, sondern vielmehr durch eine all-
mähliche Verklärung und Umbildung der Naturbasis. Aus den alten
Natursymbolen, aus der Zeugung aller Dinge aus ilütiuiel und Erde.
Zeus und Hera, wurde bei Homer ein obei*stes himmlisches Königspaar,
in welchem man nun durchaus nicht mehr die zeugende Einheit von
Hünmel nnd Erde erkennt, aber jene Momente der Zeugung wurden
dann später zu laebesahentenem nnd oft sogar anstelligen Mythen
Und wenn sich Zeus in einen Stier verwandelt, nm die Europa zn
raaben, .80 erklftrt sich ja diese Metamorphose ans der ursprünglichen ,
Darstellung des Gottes als Stier, wie sie anf Kreta sich fhnd, nnd
dem entspricht es, dass auch Moloch, der Feuergott, als Stier v^hrt
wurde. Aber die zu Gmnde liegenden Momente erhielten fiberall aU-
mlUiUch eine ganz andere Deutung; Zeus ist den Späteren nicht metu*
dag Wesen der fruchtbaren Zeugung, das im Stier sich offenbart, son«
dem er ist der Stier nur in vorftbergehendei* Hülle. Auch Apollo
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Vbiiiert seine sinnliche Bedeutung und wiid Gott der "Reinheit, der
Verkläi'theit, des W issens^, Hauptquell der Orakel, Fulner der Musen;
er steht freilich immer iiocJi in Zusainmenbaiig mit dem SonnenlicliL, aber
. er ist doch so völlig verändert, dass man kaum noch den Sonnengott
in ihm erkennt Nur gewisse Qottheiteii bebielteii offener üire Natnr-
Mentung, da aid «Uro bastuoint in ihrem gamenWeMn lag, ah da»
Bio adi li&tte verwiaehen können, wie Poseidon, der ErdnmgOrter,
Demeter, die Fmehtbore, in deren HythnB das Snmenkoni in der Ge-
stalt der Persephone mgmnde geht, und Baocbos, der Gott den
Weins vnd seiner Freuden. Aber alle worden doeh jetzt als verkUrte
Hensehen angesdiant Hegel hatsehr sehdn dieSage Ton derS^ihinx
and dem ödipns anf diese Umgestaltung gedeutet: Die Sphinx, ein
Ungeheuer, zusammengesetzt aus Löwe und Mann, erst später ein ge-
flügelter Löwenkörper mit Kopf und Bnist einer Jungfrau, im böo-
tischen Mythus l'ochter des Typhon und der Schlange Echidna, er-
scheint unter den Griechen und stellt das bekannte Bäthsel vom
Menschen; Ödipus löst es, und die Sphinx stürzt sich vom Felsen bei
Theben in den Abgrund, — ä. h. die Griechen bilden die Natursym-
bole in eine reine Menschengestalt um und entrinnen damit dem Un-
geheuerlichen eines früheren Stadiums ihres Daseins. Xini finden sich
allerdings auch bei den (TÖtzendienem in Asien nein n den Thier-
gestalten auch menschliche Bilder, aber zumeist MeiiM liengesinlten mit
Thierköpfen oder, wie bei den Chinesen, in tiatzenhafter Verzenimg;
bei den Griechen dagegen ist es die schöne Menschen^^estalt, die den
Gott repräsentirt, und Weniges nur erinnert an die alte Naturbasis,
von dei' aus die Verklärung sich vollzog; dahin gehört der Adler des
Zeus, der bis in den Äther sich erhebt, der Schwan des Apollo als
Thier des li^tes, das Beiwort der Hera ßoßmf, die kuhängige, da
sie in Argos als Kuh daigestellt ward wie Zeus anf. Kreta als Stier,
und das Epitheton der Athene yXmnißmf, dieenlenSngige, wie ja denn
bis in die spftteste Zeit des HeOenenthunis die Eule das ihr geweihte Thier
blieb, und wie die ihrer Torklärten Pereonification zu Grunde liegende
Natorkraft oienbar ursprünglich in Eulengestalt verehrt wurde. Aber
das giiechische Bewnsstsein in seiner Hlllteneit war ttber sokhe An-
Behauung erhaben, und der gelluterten Vorstellung von der Gottheit
entspradi denn auch wiederum die Moralität. Die Griechen haben die
sittliche und staatliche Freiheitsform in ihren kleinen Staaten, wo es
der Natur der Sache nach am leichtesten ging, in vollkommenster
Weise ausgebildet. Wie das ganze Volk aber in viele kleine mehr
oder weniger seibstständige Theile zerfiel, so bildete sich nun auch,
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nachdem eiiimal die Vielheit der Xaturkräfte zu ofoistigen Indivifitu'.n
erhoben war, eine neue Vielheit der Gatter, indem jede Volksindivi-
dualität sich den (iutt narh ihrer Weise gestaltete, eine Vielheit,
welche außerdem durch tlie von Ifs^ alen Ki^enthümlii liknnen abliän-
gende Ausbildung der göttlichen Gestalten in ihrem \\ aclisthuni noch
unterstützt wurde; denn ursprünglich ist dieser individuelle Standpunkt
nothwendig polytheistisch. "VMrdnun später wiederum die ganze Reihe
dieser göttlichen Wesen zu einer einheitlichen Gesammtheit im Volka-
mythus verbunden, so ist ihre Zahl zwar eben gemäß der abweichenden
IbdiTidmlitSt derSt&mme bedeutend großer geworden, aber stets maa»
man bei Betrachtang solch eines GOtterhimindB festhaHeOt da» trotz
der Uannigfaltigkeit der Gestaltungen der Geist des Individmuns nie
ohne die Natnrbasis gefiust ist, und dass gar ^1 versdiiedenen In*
dividnen dieselbe Natnrbasis m Grande liegen kann und liegen mnss,
da die Form des Geistes nicht gleichsam dnrdi einen Strang, son*
dem dnrch aUmihliehe YerkUrong TeracliiedeDer Seiten gewonnen ist
Bei den Bömem itaiden ^wir zwar eine etwas andere Form ridi-
giteer Anschauung, die der altarischen n&her verwandt ist, wie ja
denn auch die lateinische Sprache dem Sanskrit nflher steht als das
Griechische, aber das ist leicht erklärlich; die Römer waren weder so
geistreich, noch so schdpferiBch in der Freiheit des Bildes, fler Sitte
und Sprache wie die Griechen, sondern, vorwiegend praktischer Natur,
erhielten sie in ihrer Anschauung mancherlei alte arische Elemente,
viip flen Geister- und Genienglauben, der bei den Griechen äußerst
Seiten, einmal itei Hesiod, auftritt, in Italien aber gerade ganz ge-
wöhnlich ist. I>ie Koine!- dpr besseren Zeit waren voller liialkraft,
daher jedocli auch weniger bevorzugt durch Schöpfungen der Plian-
tasie als iuder Praxis des Staats- und Rechtslebens, deshalb aber auch
wieder zum geraeinen Aberglauben mehr geneigt, während ihre Reli-
gion aller poetischen Ausschniiickung und einer tieferen Speculation
entbehrt. Im wesentlichen freilich ist der Standpunkt der latinischen
Gottesverehrung von dem der griechischen durchaus nicht verschieden.
Anch bei den Latinem sind die GUtter eine Mehrheit geistiger l^di-
vidnen, nnd nor in alten Sljrmboleii findet sich weniger eine Erinne-
rung als dne AnnAhmng an die alte nnd ursprüngliche Anschannng,
wie X. R in der Formel, „per Jovem lapidem'*, die beim Schwur ge-
brancfat wnrde und an die malte Verehrong des Jnpiter nnter der
Gestalt eines Kieselsteines erinnert, wie Mars in der Gestalt eines
Speeres angebetet wnrde, und wie sich das heilige Feuer im Cult der
Vesta Us in die spftteste Zeit erhielt Indessen verloren sieh die
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Römer andereiseit> gar baKi in das Unschöne, in das dem idealen
Fremde. Während der von der Phantasie befruchtete Geist des grie-
chischen Volkes Gottheiten für alles Erhabene nnd Schöne schuf, suchten
und landen die Römer göttliche Gestallen tür alles Nützliche, aber
keinen höheren idealen Boden. So hatten schließlich Kuh- und Pferde-
stall ihre besonderen GOtter, die Befrachtung der Herden stand unter
der specieUen Leitung eines eigenen gdttlichen Wesens, Ossdpaga machte
die Knochen der Neugeborenen fest, Statilinns nnd Statina lehrten die
Kinder hinfen, Tabnlinns lehrte ^e sprechen, Jngatinns stand den
Heiraten vor, Rnbigns nnd Knbigo hielte den Bost von den Saaten
letn, nnd nnter den Tugenden fimden die dementia, die Concordia,
die Fides, anter den Gl&cksgtttem Victoria, Salus, Felicitas und Fe-
cnndia ihre Verehrung, v&hrend gleichzeitig Payor und Pallas, die
Gottheiten des Schreckens nnd der Furcht, anc:erufen wurden. Auf
diese Weise aber gewann dann endlich auch gerade die römische Religion
eine Bescliaffenheit, die ein wirkliches religiöses Bedürfnis in keiner
Hinsicht belnedigen konnte; die geistigen Individuen entbehrten zum
größten Theil jedes idealen Gehaltes.
Trat nnn schon in diesen polytheistischen Religionen des geistigen
Individuums eine Gottheit als Regent an die Spitze der ^rroßen J'rhar
der Götter, so tliat die geistige Eiit\Nickelung der Menschheit iv> <l*^r
monotheistiMhen Keligion iiocli einen Schritt weiter nach vor^^art:^.
Aber man ist oft vnVl zu freigebig mit dem Prädicat ..Monotheismus^
umgegangen. Bei dem fornienfrohen und schraiheilssiniiigen Volke
der Griechen, wo die l'hantasie nicht in das Willkürliche schwärmte,
sondern ästhetisch disciplinirt war, strebte ja allerdings der philoso-
phierende Gedanke schon frtthzeitig über die bunte Beihe der Götter-
gestalten des Volksmythus dem Hcmothdsmns entgegen, nnd der Olymp
der Poesie £uid gar bald einen Gipfel in dem „Vater der Götter und
Menschen**, aber eine ausschlieBliebe Einheit war damit nicht erreicht^
nnd nur einer solchen gebfirt der Name des Honotheismus. Auch den
Buddhismus hat man so beseicbnet, da er ein nnitarisehes Element in
sich trägt, da dn allgemeiner Monismus auch den indischen BeUgions-
systemen zu Grunde liegt, nnd noch F. G. Welcher will die alte
arische Keligion als Monotheismus gelten lassen, indes der Weg, wet*
eben die indogermanischen Völker einschlugen, um das Ziel des ein-
heitlich gefassten, in einem gleichmäsigen Verhältnis zur mannigfaltig
gestalteten Welt stehenden Gottesbegriifes zu eneic lien. um Vielheit
und Einheit im Gottesbegrift' zu verbinden , führte wohl zu einer hikh-
sten, aber doch nicht zu einer ausschließenden £infaeit, nicht zu dem
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einen und alleinigen Gott. Als im indischen Bnilmiaismus der ur-
sprüngliche Polytheismus der Naturreligion tiberwunden wurde, ge-
langte allerdings in einem pantheistischen Honismas der Gfddanke der
Tia^piMiftii» ZOT Herrschaft, und die Selmancht des menschlichen Gemftthes
nach einem gegenwärtigen, der Welt innewohneaden Gott iand ihre
Befiiedignng, aber der von den Ariern gewonnene Gottesbegriff ent-
behrte doch voniäunlich so sehr aller Lebendigkeit nnd FQlle, dass
schon im Bnddhismos jenes unpersönliche Allems, das den Namen
Brahma trag, in das Nichts nmsehkgen konnte, so dass wir hier in
der Tfaat vor einer orsprOnglich atheistisch gemeinten Beligion stehen.
Erst dem semitischen Hebräerstamm war es vorbehalten, zu dner
ausschließlichen höchsten Einheit zu «^t^langen. Die alttestaraentliche
Tradition verlegt nun diesen Monotheismus sofort in die Älteste Zeit
desMenschengeschleclits; aber schon der rnistand, dass die Juden noch
zu und selbst nach Davids Zeiten ihre Theraphim, Penaten in Men-
schengestalt, als Orakelgötzen, als Spender des häuslichen Glückes
und Wollebens') im Hause bewalirten, dieselben Götter, die einst
Kahel ihrem Vater stahl, muss uns bedenklich machen, und mein- n<u'h
bezeugt flie Thatsaehe, dass wir im alten Testamente lilutige Upfer,
Weihranch, das heilige Zelt, später deu Tempel als Wohnung Gottes
anti eöen, wie auch hier uothwendig eine niedi-igere Form der Gottes-
Terehruüg voraufgegangen sein mnss. Vom Standpunkt eines reinen
Monotheismus sind alle jene Elemente unbegreiflich, — er hätte sie nie
aus sich herausgesetzt, — aber sie blieben im Volksbewusstseiu liai'ten,
als der Gedanke sich bereits zu einer höheren Form der Anschauung
des Odttlichen emporgeschwungen hatte. Soldie Überlebael finden wir
in allen Religionen nnd nicht zum wenigsten im Christenthnm. Aach
hei den Slaven nnd Oennanen erhielt sich ja das Bewnsstsein nm die
alten heidnischen Donnergötter, nur trat an ihre Stelle gewöhnlich
Elias als Bringer des Regens'), nnd sdbet die Jungfrau Maria wurde
in diesen G^edankenkreis gezogen, die in altslavischen Gedichten den
Beinamen die „Feurige" (ognjana) trügt und Blitz und Donnerkeil er-
hält, wahrend Elias nur den Donner und der heilige Thomas „das
Siegel der Wolken" führen.') Gerade diese Reste Uterer Anschauungen
sind es, die, im klaren Bach der Geschichte wie vorsündflutliclit- Ver-
gteinerungen mitfortgeführtf oftmals erst den Unterschied zwischen der
*) J. Sara. XIX, 13—16; EzecliuXXI, 26; Zach. X, 2, cf. Ewald, „Isxuelit. G«8ch."
I. 9. 372; m, S. 107. — ^ I. Begg. XVIX, 1; XVni, 41. 46wBr. d. Jacob. 17.
— 3) Vuk Stepbauoviö XaracjU tiSrp«k« narodne pjeame k HeicegoTine", Wksn 186ft,
2 cf. II, 1.
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historischen und der vorhisioribcheu Religion zu eiueui dieücndeu zu
machen Teimügeu, und so ist es auch hier.
Als AbrahMD ür in Chaldtfla Toritoft, dioite et mü stinfiiiiStaBiD,
m i€li an anderer Stelle*) glaiibe geniert an haben, dam Kamm, d. h.
dem Planeten Satnm. Hier weise ich nar noch daiaof hin, daaa aacb
Tadtos Ton diesem ursprOnu^chen Satnmdianat der Juden etm» weift%
der nach Arnos, dem ältesten unter den alttestamentliehen Propheten,
der Colt der Jnden während der WftBtenwandemng gewesen ist; denn
Küan^ ist durch andere Pmiktation aas Kaiwan oder Kewan ent-
standen. Ja, auch das weihliehe Gomplement zu diesem Gotte, die
alte kanaanitische Aschera^ lässt sich nachweistti; denu wie die Erx-
Tftter dem Gott heilige Steine errichten, so pflanzen sie heilige BAnme.
Abraham, aus Ägypten surückgekehrt, lässt sich unter den Eichen von
Mamre bei Hebron, einer nraltm Cultusstätte,*} nieder, und sein Gott
ist offenbar noch derselbe, welcher auch dem Abimelech. dem Könige
von Gerar in Philistaea, im Traum erscheint.*) Fand Al)ialiaui bei
Hebron die heiligen Eichen vor, so pflanzte er die Tamarisken zu
Beerseba an der heiligen Quelle, opferte daselbst und n^f den Xamen
seines Gottes an.*) Und wie hier Isaak einen Altar errichtete'), s*o
war Beerseba noch zur Zeit des Propheten Auios ein vielbesuchter
\V alifahrtsort.**) Jakob hat später zu Lus eine Offenbarung Gottes,
nda nahm er den Stein, den er zu seinen Häupten ^>:elej;?t hatte, und
setzte ihn als Mal und ^ss Öl oben darauf. Und er nannte den Na-
men selbiges Ortes Bethel Und Jakob gelobte ein Grelübde
and sprach: Wenn Gott (pluralisch: Elohim) mit mir ist nnd mich
behfltet auf diesem Wege, wetehen ich siehe, und mir Brot gibt n
essen nnd Kleider anzusehen, nnd ich glfieUieh sorftckfcehre am
Hanse meines Vaters, so sott Jehova mein Qott sein, nnd dieser
Stein, welchen ich als Mal gesetzt habe, soll ein Gotteshaus werta."*)
Er errichtet also keinen Altar, sondern stellt einen Stein anf als Mal,
und das ist ein heiliges Mial, ehi heiliger Stern, da er ihn mit Öl
salbt nach uralter Sitte der Araber. Auch spricht er hypothetüMh:
Wenn Gott (nämlich der mir hier erschien) (Ar mich sorgt, so soll
Jehovft mein G^tt sein, und dann soll dieser Stein ein Hans des £1
(fieth-Ei) werden; so spricht aber offenbar nur jemand, der ans einer
') \ gl. Hilgeutehb „Zeitschrift f. wis8en»chaJtl. Theologie", IBSi. 6. 210 II —
«) Twjit. Eist. \. 4. et Dio Caas. XXXVli, 19; Hendot II, 88. — Am« V,
86. — ') Tgl. meinen AnfMte in <let ^taelir. Ar wineneehallL Theologie", 1888.
S. 3ö3. — Gen. XX, 3. — •*) Gen. XXI. 29 fif. — ') Oen. IZVI« 85. — •)Aiiim
V» ö; Vm, 13 £L — ") Gen. XXVm, 18 ä.
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Mehrheit von Göttin itm (Elohim* ( ine Auswahl treffen nuk-hte und
uua seine Elohim utü die Probe .stellt, um den rechten El herauszu-
finden. Frenule tjrötter und die Ohninge des sjTischen Götzeiirüenstes
vergräbt Jakoh dann^) unter der Eiche zu Sichern -, unter dieser Eiclie
aber finden wir noch zur Zeit Josuas die heili<2^e Lade, das Stammes-
heUigthum/'j und sie führt den charakteristischen Namen der ^^'ahr-
sagereiche.^) Hier fand die Nationalversammlung statt, und noch in
der Bichteradt Tmumnelteii sich hier, an heiliger Stätte, die Bürger
Yon SidumzagemeinsehaftBcberBerathinig.') — Abermals stellt Jakob
sodann einon heiligen Stein sn Bethel auf; Weiht ihn mit Öl und bringt
sein Tiankopfer darauf dar.*) Bethel aber ist gleichMs zur Zeit des
Arnos Coltasstätte. Fremde Götter m mtfemen, befiehlt auch Josoa
am Ende seines Lebens, als er einen Bnnd mit dem Volke schließt
nnd einen Stein, dsr alle Worte Jefaoras gehOrt hat, als Zeugen unter
der Eiche am Heüigthnm Jehovas aufiitellt. Diese Eidie ist die Aschara,
an deren altsemitischen Dienst durch weibliche Hierodulen nicht blos
die Zauberpriesterin zu Endor, sondern auch die Prophetin Hulda er-
innert, die noch zu Josias Zeit in Jerusalem Orakel Jehovas ertheilt;
denn mehr und mehr war die männliche Gottheit, der Kewan-Jahveb,
der für so heilig galt, dass man nicht einmal seinen wahren Namen
auszusprechen wagte"), in den Vordergrund getreten, der Gott, den
bildlos zu verehren der in ägyptischer Prie^^terweisheit ei-zog^ene
Mose am Sinai e^ebit^tet. Aber wie er selbst zur Abwcln- iregeu den
öuineawurm die eherne Schlange als Symbol der ht-ileaden Natui'-
kraft errichtet, die nacbnmls erst Hiskia zertrümmert'), so bleibt der
hebräische Monotheismus noch lange Zeit nach seinem Tode ein umuuig-
fach getrübter. Jehova ist zunächst nur der ausschließliche Hort des
Hebiäürlltumes, ein Schutzgenius von größerer flacht als die Götter
der übrigen Nationen; das beweist der Lobgesang Moses*), das be-
weist femer das Wort, welches Jephtha dem AmoriterkOnig Sihon ent-
bietet: „Nicht wahr, was dir Kamos, dein Gott, in Besitz gibt, das
nimmst dn äa? Und so« was Jehova, unser Gott, uns in Besits ge-
g^ien, das nehmen wir eint"*) Hatto ferner schon Aaron sofort nach
der prtchtigen Theophanie am heiligen Berge, als Mose allzu lange
▼eraog, em Stierbild angefertigt^ wdches den Satnm, den Einen Gott,
der das Volk aus Ägypten heraafjgeftthrt hatte, darstellte, so folgte
Gene» XXXV, 2 fl. — -7 Josua XXXIV. 26. — Judd. IX, 37. — ') Judd.
IX, 6 vgl. Movers a. a. 0. I, 581. — ») Gen. X3LXV, 14 £ — •) VergU dMn PMchel
». a. 0. 10& — Kran. XXI, 6 ft cf.,IL Begg-XYIil, 4. - «) fiiod. ZV, 11. —
•) Judd, XI, 84 et PMchel a. a. 0. m.
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ilim darin nicht blos (Tideoü'}, houdeni auch Micha, der Mann vom
Gebirge Ei»hraini. trieb Bilderdienst- K und noch zur Zeit Davids wurde
das Schwert (Juliiiths hinter dem Stierbüd ^Ephod) im Heili^lmm zu
Nob aufbewahrt. Als es zur '1 lifütinpr des Reiches kommt, da ludert
unter den Parteikämpfen das alt nationale Bewujistbein iu den zehn
Stämmen wieder auf, und Jerobeam weiß seinen jungen Thron nicht
besser zu stAtzen, als dadoreh, dam er den echt volkstJiflnilich^ Büßt-
dienst wieder 211m dffentlichen Cult erbebt, Aseheren pflanzt und
Priester ans allem Volk anstellt*), — offenbar eine Beaction gogea
idealere Forderungen, die man im Reiche Jnda stellte; noch lange
aber galt der Bilderdienst bei der grofien Menge niigend Ar G^tien-
dienst^), und fromme Könige, wie Jehn, vertilgten wol die BUdsftolen
des Baal, aber nicht die nationalen Stierbilder.*) Erst Josia entfernte,
um den Worten des nnter sdner Begiening im Tempel aofiBfefiindenea
Gesetzes zu genügen, wie alle Götzenbilder, so aneh die Höhen und
Äscheren, Stierbüder and Theraphim, TodtenbesehwDrer nndaUe ^klagen
Männer^.
Inzwischen aber hatte sich der hebräische Geist auch mehr und
mehr geläutert. Jehova, der Füi*st, der Herr der Heerscharen seines
Volkes, dem er als heiliges Feuer in der Rauchsäule voraufgezojs-en
war, hatte nach dem Willen der Nation in dem Könige einen irdischen
Stelivertretei* erhalten, und da hatte der Theoki-at Saniut-l in schwert-r
Zeit das denkwürdige Wort gefunden . dass Gott am (Tehorsam mehr
Gefallen habe als am Opfer*). Damit aber war der Blick auf die
innerlich geistige Sphäre des Menschen gerichtet^ und ilire Pflege
ward das Werk der von Samuel begründeten Prophetenschulen. Hier
lenite der Geif^t sich als allgemeines einheitliches Wesen erfassen, als
Vernunft, die yich selbst erkennt, und so wurde das allgemeine Wesen
des Menschen vom Selbstbewusstsein ergriffen, der Mensch als Mensch,
d. h. als yemttaftiges Wesen. Dieses Wesen aber setzte dann notfa-
wendig anch seinem einheitlichen Selbstbewosstsein entsprechend die
Vorstellung von Gott in reiner monotheiitiscfaer Form. Es wird nun
nicht mehr Uos ein Gott der Zahl nach als Hort seines Volkes ange-
nommen, sondern die aosschliefiliche Einheit wird jetzt dahin aus-
gebildet^ dass es neben Gott keine andern Götter geben kann. Parallel
der gesanunten geistigen Entwickelimg geht also der Kampf; in welchen
begeisterte Propheten durch einen mehr nnd mehr erstarkenden, per-
') Judd. VIII. -21. - -1 Judd. XVII, 5 cf. XVIII, 17—22. — ) I. fi«gg. XII
28 ir. cf. n.'fiegg. XXm, IÖ. — *) Je^tJ«. XXX, 22 cf.H4M.III, 4. — ^)0.Bflgg.
X, 28 ff. — •) I. Reg«. XV, 22.
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snnlich und transscendent gemeinten, mit aller Energ-ie j?ef?5rderten
Theismus den alten Volksglauben und den immer wieder eindringenden
stammverwandten Polytheismus der Xatm-religion i'iberwanden: p-eiiau
ptHtülel; — ib iDi den pi'oßen ( it^ hiuken eines o-eläuTt-rteu Monotheismus
konnte nm- die das walahalt Kine setzende Vernunft durch sich
selbst erreichen, er ist das Produet wahrer gottmenschlicher Thätig-
keit, der fortvschreitenden ?>ziehung der Vernunft bis zu der Fähig-
keit hin, das Eine wahrhaft zu denken.
Dies eine, intelligente, freie geistige Priucip, dieser Schöpfer, l^i-
halter und Begierer der Welt, dieser persönliche, Uber die Welt eben
80 eriiabene wie lebendig ihr nKhe und sie durchweg bedingende Gott,
ist nim nicht mehr jener Jehova, der, local begrenzt, mit Jakob nach
Ägypten hinabsieht^), der durch Hose anf dem Sinai an gegebene Yer^
sprecfaongen erinnert werden mnse'), der nie yergibt> sondern die Sttnden
der TAter heimsncht an Kind nnd Kindeskind, dnrch Opfer aber ge-
neigt gemacht werden kann, — jetzt ist Gott allgegenwSrtig, nnd selbst
anf den Flügeln der Morgenröte kann niemand ihm entrinnen*); der Gott
von dem der Psalmist sagt : „Ob ich schon wandere im Unstern Thal,
fürchte ich doch kein rniilück, denn du bist bei mir",^) er bedarf nicht
mehr der menschlichen Mahnung; und nach Jeremias soll es jetat nicht
mehr heißen: „Die Väter haben Heerlinge und saure Trauben gegessen,
und den Kindern sind die Zähne danach stumpf geworden"^), sondern
jeder ^nll für seine eigenen Sünden büßen; aber nicht an dem Tode
des Frevlers hat dieser Gott liint'ort \^'olg^elallen, sondern an seiner
Umkehr'*), dieser Gott, der da satt hat die Brandopfer von Widdern
und das Fett der Mastklilber, der keine Lnsl Imr nm Blut von Stieren
nnd Lämmern und Bocken, dem Kauchwerk ein Greuel ist, der den
Seinen zuruft: „Waschet euch, reiniget euch, schaffet eure bösen
Werke mir aus den Auo:en» höret auf zu freveln!"^ — Worte, die an
den Mahnruf des Täufers in der Wüste erinuei ii: „Auilert euren Simi;
denn das Himmelieich ist nahe herbeigekommen!" Und wenn Sirach'*)
die Semen ermahnt: „Vergib deinem Nächsten die Beleidigung, dann
werden, wenn da bittest, auch deine Sflnden erlassen", so betet Jesns:
„Vergib uns unsere Schuld, wie wir vergeben nnsem Schnldigem."
Aber wenn das alte Testament die Gottheit als Wesen in der ob-
jeetiven Natnr nnd im Menschenleben anffasst, nnd der Hosaismns
daher hauptsächlich die Einheit des religiösen nnd socialen Menschen,
(Jene*.. XLVI. 4. - ^ Exod. XXXII, 9— U. — ») Ps. t'XXXVIII, 7 ff. -
*) Ps. XXIII. 4. — »)Jerem.XXXI, 29 f. — «) Ezech. XVIII, 20 S. — ') Jesaj. I,
10 ff. — *) Siiach XXVm, 2.
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die Identität dei Lebeus» uud der Lehre betont, die oirgrends fiir sich,
sondern jederzeit als Gresetz auftritt, welckes das ^aiize Lriteii be-
herrscht, 80 schreitet das ( 'hristeutliiuu diesem Standpunkt gegenüber
fort bis zu einer hüheren Einheit des göttlichen Priucips and der
menschlichen Intelligenz in der hellenistischen Lehre von der Mensch»
werdnng der götUkben Veniitiift, des Logos, und daher ei^sibt sidi
dem hier aaeh erst eine concretereAnfbflsimg der meDsehliehoL Nalar
und ihres Verhältniflses za Gott Es wurde doreh diese heilenistisdie-
Logoslehre ein ganz anderes EUement des Glanbensleljens im G^egen*
sata zom Gesets gewonnen; denn obgleich Panlns, ndt den Lehren dir
damaligen nenpythagoriscfaen Philosophen Tertrant, das Wort Logos
nicht gebraneht, sondern Synonyma dafür setzt, beraht in der That
doch seine ganze Anschannng von dem erhöhten Christus und dessen
bnmanenz in der Gremeinde, seine Lehre von der Rechtfertigung and
vom Glauben auf der Logosidee, durch welche das Christenthnro über-
haupt erst aus den Grenzen einer bloßen jüdis(:lien Secte heraustrat
Ist schon in den Worten des Matthaeus: ,.Wo zwei oder drei ver-
sammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen'"), die
Immanenz des erhöhten Christus deutlich aus<?esprochen. so finden wir
bei Paulus und im Johannesevangelium eine noch viel tipfrrc Auf-
fassun? dieser urchristlichen Lehre, Paulus erblickt in dem erhöhten
Christus, der nach dem Brief an die Philipper'-) ..Herr** geworden ist,
eine göttliche, allgemein walten l»^ L'^tistii,^^ Macht: und wie Christus
die eranze Fülle göttlicher Macht in sich vereint, so eilulit er alle
(iiLiubi(gen, die seinen Leib, die Glieder im einzelnen bilden, während
er selber das Ganze ist') und in jedem Gestalt gewinnt. Sf>mit ist
denn seine Erscheinung nicht eine eiiunalige \'ereinigung des Menschen
mit Gott, sondern sie ist bei uns bleibend; die Menschwerdung hat
eine durch den C^eist vermittelte Fortdauer. Ebenso aber hat der
Vei^isser des 'JohanneseTangelinms*) den leihtthten und TerhUrten
Chzistus als geistiges Lebensetoment in den Glinbigen an^eCuat
Christus mnsste sterben, wie das Samenkorn in der Erde stirbt, um
Frucht zn bringen; denn erst dnrcfa seinen Tod konnte der Trteter
kommen, der die GlAnbigen in die Tolle Wahrheit fHhrt, welche die
Jtinger damals noch nicht fiusen konnten. Wie der Vater im Sohn
ist, so der Sohn in den Seinen, und diese alle sollen eins sein, ver^
bunden durch das gemeinsame ESnheitsband, so daas krane Schranke
V XVIII, 20. — n, 8 u. 9, der Name, der über alle Isamen ist, mx
,Mfto«^\ — •) Col. H, 9. *) Vgl m. Bepetitor. d. enng. BdigioiuiuiteRM^t^
Beriin 1879, S. SIL
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— 423 —
mehr zwischen den Gläubigen und (iott sstaitttiidet. Der Geist, den
Chiistus auf Knien weckte, ist o-iitrliolie Macht, ist nicht ver^i );ieüen
von dem erhöhten Christus und zugleieli GuU. Diese Emlieii des
Vaters, des Sohnes und des (jeistes tritt sreracle bei Johannes am
schärfsten hervoi-. so in dem Beispiel von dem Weinstock und den
R«ben*X so in di ii Worten: „Wer mich liebt, der wird mein Wort
halten; und uieiu Vater wird ihn lieben, und wii' werden zu ihm
kommen und W'ohnung bei ihm machen. Wer mich aber nicht liebt,
der hält meine Worte nicht Und das Wozit das ihr höret, ist nicht
mftiB, sondern des YSitera, der mich gesandt hat Solches habe ich zu
euch geredet, da ich noch bei ench bin. Der Beistand aber, der hei«
lige Geist, welchen der Vater senden wird in meinem Namen, selbiger
wird each alles lehren und euch an alles erinnern, was ich ench ge-
sagt habe^"*) Eins ist im andern, keines ohne das andere, nnd so ent*
stand Ton der Dreieinigkeit ans dann die christliehe nitfttSi die gUn-
Mge An&ahme des Lebensprincips, wodurch der GULnbige den Glanbens-
inbalt, d. i. Christnm, in sein eigenes Leben nimmt nnd somit Träger
des göttlichen Geistes wird.
Sind wir aber nach imserm bess6i*en Theile nunmehr Träger des
göttlichen Geistes, ist die Wurzel aller Ideaütftt in ans gelegt, so
kann es keine höhere, dem göttlichen Willen gemäßere Pflicht fiir uns
geben, als dahin zu streben, dass aus jener Wurzel auch in uns ein
leben ^kiättiger Baum entsprösse, der mit seinen Zweigen unser ganzes
Leben beschatte; denn zur Gottähnlichkeif*), fiir die wir erschaffen sind,
fuhrt nur die Erziehung zur Idealität. Uud dass diese wahre, un-
bes( hr.inkte Idealität an unseren Schulen nie verkümmern möge, das
walle Gott.
•) ZV, 1^ — ') XI Y, 23—26. ^ '} Vgl. Gm. I, 27 mitdwo^«^«»«!? »«^
bei Piato.
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Die Oberbnrdaiigsfrage und die \ oiksschiile.
Fön SmiiuulArer A. KMnwehmMt'SemMm.
Sobald wir allgemeine Menschenbildung als Zweck der Volks-
schale anerkennen, müssen wir auch zugeben, dass sich der Untemcbt
in (liVst'r Anstalt seiner pranzen Natur nach und namentlich in betreff
der Stoti wjdil ienem Zwecke unterzuordnen habe. Dann diirten wir aber
zunächst mit allem Grunde verlangen, dass jeder liegenstand. welcher
auf ein Plätzchen im Lehrplane Anspruch macht, für alle Kinder ohne
Ausnahme Bedeutung haben, dass er bei allen Interest-e er-
wecken müsse. Was soll aberz. B. die eingeheudereiBehandluno; der
Technologie dem künltigen Bauern nützen? Dieser oder jeuer Gegen-
stand liat wol eine tiefgehentle Bedeutung für ihn, das GeÄammtjrebiet
gewiss nicht. W elchen Wert haben Garten- und Obstbau, sowie Land-
wtschaftslehre für den einstigen Handwerker, der vielleicht das ganze
Jahr hindurch in der engen Werkstatt einer dumpfen GroSstadtatraAe
hockt? Was sott er mit mflhaam erworbenen Kamtnissen ans diesen
Wissensgebieten anfangen? HAtte man nicht die Zeit» welche darauf
verwandt wnrde, Ueher für Gegenstände verwerten sollen, welche
jedem ohne Ausnahme nothwendig sind? Was er gelernt hat, kann
ihm bei Unterredungen fiber jene Stoffe höchstens Material zu nn-
nfltzen, eingebildeten, meist sogar recht sinnlosen Schw&tzereien liefern.
Ähnlieh ist^s mit den übngen Gegenständen, welche wir früher be*
aseichneten. Als selbstständiges Unterrichts£ach kann keiner von
ihnen einen Platz im Lehrplane beanspruchen; sie schaden dann mehr,
als sie nützen, weil sie im Lehrer Fachkenntnisse voraossetzen, welche
er nicht hat, weil Dinge behandelt und mühsam eingedrillt werden,
die niemals und nimmer Gegenstand des Schulunterrichtes sein können.
Der Unterricht kann die Schüler z. B. niemah» befähigen, des Arztes, des
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Kechtsgelehrten, des fachmännisch gebildeten Kaufmannes zu entbehren.
Schon flaraus geht hervor, dass Dinge jener Art mir nebensächliche
Bedeutung haben können, dass siV liinter wicht i^^eien zurückstehen
und sich hinsichtlich desjenigen Stottes. weh her tür alle Menschen
gleichen Wert hat ;ni i»Msseuder Steile in andere Fächer ein-
Scliieheii las.seu miiss^en.
Zweitens müssen wir verlaugeu, dass das aiis2:ewälilte Unter-
riciitsmaterial allen Kindern gleich zugänglich sei. d. Ii. allen
gleich verständlich gemacht werden kiiniie. Welch' unentschuldbarer
Missgrill würde es aber z. B. sein, dem Kinde der gi'oßen Städte aus
dem höheren Beamtenstande Vorträge über Landwirtschaft und solche
Tbeile der Hattswirtsehiift zu halten, wofür ihm die aUeraiiififtehsten
Gmndlagen des Verständnisses fehlen! Oder des Lftngem mid Brei*
teren Aber Garten- nnd Obstbau vor solchen Kindern za sprechen,
welche kaum einigemale im Jahre einen Garten sn Gesicht bekommen!
Die ÄllgemeinTerständUchkeit erscheint flberbanpt durch zwei Factoren
bedingt, nftmlich durch die Natur des Stoffes selbst und durch die
Methode, welche die Eigenart desselben erfordert Nicht aUe Unter-
riditsstoffe sind gteich verständlich und in depjenigen, welche zur Be-
sprediung in der Volksschule geeignet erscheinen, gehen viele Partieen
wiedtf weit Aber das Verständnis der Kinder hinaus, weshalb in den
letzteren eine sorgsame Äuswald unerlässlich ei-scheint. Die Lehr-
methode bedingt die Verständlichkeit insofern, als sich der Lehrer der
Denk- und Anschauungsweise des Kindes anbequemen, sich in seinem
Anschaunngskreise bewegen muss.
Drittens müssen die Unterriehtsgegenstände dei'art tre-
w;ihlt werden, dass sie das Seelenleben des Ziiirlings nach
allen Kichtungen hin iiintässen und beemllusseu. Will man
im Schüler den wahren Menschen zur Ausbildung bringen, ihn zui-
Humanität im edelsten und schönsten Sinne des Wortes erziehen, so
müssen bei der iStoiimissvahl namentlich diejenigen Gegenstände be-
rücksichtigt werden, welche die mei.sten humanistischen Elemente in sich
bergen. Auch die Lehrmethode ist bezugs dieses Punktes unendlich
vvichtig, denn dieselbe kann ejnzehne Entwiekelnngsrichtmigen des
Seelenlebens bevorzugen und ihnen dann zum Übergewichte veriielfen;
dann geht die Harmonie, das schöne Gleichmaft des Gesammtlebens
verloren. Verwerflicher noch erscheint die systematische Nichtbeach-
tung der einen oder anderen Entwickelungsrichtung. WbUen wir
Einseitigkelten dieser Art vermeiden, so mftssen die humanistiseheii
Eüemente im Unterrichte ttberwiegen, denselben gewissermaßen tragen
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und verklnreii. Dann aber wirkt der T.elnpr hucIi wahrhaft er-
ziehend' das Hrillireu durch neue Lt^lir>iune, deren Fremdartigkeit
den UnversiHiKi bltüdet. das Etitjctliaschen mittelst meihudisidier Kün-
steleien vermögen dies uifiuals und erscheinen eben deshalb als entschie-
den verwerflich. Nur der veredelnde Einthiss des LeUrstotTes .ml die
Seelen der Kinder verleiht dem Leruuiatt-rial Berechtigung und Wert.
Überhaupt steht im Volksschulanterrichte, was wir bereits andeuteten«
das Wie? yoDkommeii gleichberechtigt nebea dem Was?
Diese EigenthttmUcbkeiteii des Lehrstoffes bflden den eharaktoi-
sirenden ünterscUed der Volksschale gegenüber der Fach- oder Be-
rnfsschnla Denn letitere mass ihr Haaptaugenmerk natntigeaiaS
auf Art ond Umfang des Stoffes richten; der praktische Nntses
des Gelernten ist deshalb in Anstalten dieser Kategorie mafi- nnd aas-
schlaggebend, wShrend die Volkssdinle jenen Qealchti^mikt aller*
dings nicht nnterschfttsen, ihn aber erst in zweiter Unie als entsefaei-
dend ansehen darf. Damit kommen wir zu dem alten Streite: for-
male oder materiale Bildung? Für die Volksschnle muss diese
Frage dahin beantwortet werden: ausschließlich weder die eine
noch die andere; die formale Bildung soll yorzngsweise er>
strebt, aber durch die materiale ergänzt werden. Letztere
darf nif'ht vorhen-schnn, denn an Kenntnissen und Fertigkeiten, welche
der niat^rialen l^üdnng ang-ehören, kann auch ein j^feistit»- roher Mensch
reich sein. Ks waiv daher absolut verwerflich, wenn unsere Volks-
schulen nur dahin streben wollten, die Kinder für Welt und T.eben,
für die (Teschäfte des künftii^en Berufes brauchbar zu ma-
cheu. Das rtilitatsprineip ist mit seiner Kinst itigkeii und Flachheit
nichts anderes im V'olksschulleben, als ein crajiser pädagoffischer Ma-
teriuli.>.uuis. dem {gegenüber die Lehrer an dem jetzt ziemlicii allgemein
zur Anerkennung gekommenen Grundsätze festhalten müssen: formale
Bildung am rechten Materiale! Ihnen moss die Zeit viel zu edel,
müssen die Kinder viel an beilig sein, als dass sie einem nnUarsn
Experimentiren cnneigen dOrftan, wohin ein ansscUienieb anf |iarak*
tische Tüchtigkeit absielender Unterricht doch endlich flOiren mfisste.
Deshalb also weise Auswahl in Besag anf die an behandetaidett Stoff»,
aber aneh weise BeschrSnknng im ümfhnge derselben, d. h. mit an»
deren Worten: weise Answahl innerhalb der gewählten Oegenstiade,
Bevorzugung des Notbwendigsten gegenüber dem Minderwichtigoi,
Ausscheidung alles dessen, was die Fassungskraft der Schüler über-
steigt oder den einseitigen Forderungen der praktischen NütsUchkeit
dient
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Nan findet sich aber gegenwärtig eine nicht kleine Anzahl von
Wissensgebieten, die von so eminentem praktischen Werte sind, dass
jeder gebildete ÄTensch mit den Elementen derselben vertraut sein
mnss, obwol sie aiKlt ifn Wissenschaften pfeg^nttber an allg'emeinera
Werte vielleicht nicht unbedeutend ziu-iickstplien; hierzu rechnfMi wir
vor allem eint- Anzahl der friHuT anfgezählten Gegenstände: Anthro
pologie, <LTt3tiiiidlieiLslelire, (reselzeHkunde, Volkswirtschaftslehre, Waren-
kunde, Technologie, Garteubau, Haus- und Land wirtschaftsieh re et**.
Es fragt sich nun, ob diese Matenen als Untenichtsstoffe in den
Lelirplan der Volksschule aufgenommen werden dürfen, wie häufig mit
großer Emphase namentlich von Vertretern der hierbei interessirten
BemCskreise verlangt wird.
Ab Dem fldbitstftndige Fächer können dieselben unmöglich noch
einen Hate finden: die Schule liat keine Zeit m itarer Behandlong,
den meisten Lelireni lohlt die VorbOdnng und infolge davon die Be-
fiOiigang ta dner fimehtliringenden ünterweisang, aneb dllifken nene
AnsprOehe das Haft ihrer Kraft ttbersefareiten, in den meisten Ffillen
aoch die Bescfaaftang der nnabweialMur nofhwendigen Lehr- nnd Lern-
mittel ein Bing der Unmöglichkeit sein; die genannten G^^nstftnde
können daher höchstens hier und dort gelegentliche Berflcksieh-
tignng ihiden, insofern nämlich, als die wichtigsten Partien dar>
aae in andere Unterrichtsfächer, die ihnen ihrer Natur nach
verwandt sind, eingefügt und möglichst innig mit denselben
verknüpft werden. Wollten wir ihnen Selbstständigkeit einräumen,
so mfissten wii* mehr oder weniger auf die künftige Lebensthfitigkeit,
auf die einstige Tüchtigkeit im praktischen Beiufe hinarbeiten, würden
damit aber den Zweck der Volksschule vollständig verfehlen. Zudem
ki'mnen wii- ja selten wi.«:sen. welcher der verschiedenen Berufsaiten
sich der Zögling dereinst wicimen wird; auch düifteu die Kinder durch
die Mai>se fremdaitigen, zum Theil höchst abstracten Stoffes geistig
überlastet, in ihrer Gesundheit geschädigt, in ihrem Gemöthsleben
schwer beeinträchtigt werden, indem man ihre Heiteikeit und ihren
Frohsinn untergräbt. Sonach mOsste der angerichtete Schaden den
problematischen Nutzen weit überwiegen.
Dazu kommt aber, dass man nnter allen VerfaUtniasen doch nur
das Verstflndnis fttr jene Gegenstände anbahnen, niemals
aber eine gediegene Fachbildung darin zn geben vermag,
weil dasa weder Zeit, noch XrSfle, noch Ifittel vorhanden sind. Von
einer allseitigen, grOndliehen Dnrchbildnng kann hinsichtlich dieser
Stoffe, wie das In der Natur der Verhültoisse liegt, niemals die Bede
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sein. Das oberfläcliliche Nippen und Naschen an einem so bnntfarbiisfen
Allerlei, das Pftischen in alle möglichen "Wissenschaften unl prak-
tischen Thätigkeiten ei-zielt aber nur aiiti^t'lilasene Hohlheit, unprak-
ti?3clies Wesen, Abneigung gegen eniste, ^ilide Arbeit, nnd darin cre-
rade ruht der Fluch der dilletirenden Vielwisserei , \n liibi i sich
Grillparzer in seüiem bekannten Epigramm so ironisch au;.g<LS})rochen
hat: „Jetzt gilt in unsrer Welt des Lichts: von allem etwas und von
jedem nichts." Zieht man außerdem in Betracht, dass viele jener
Lehrfacher noch im Stadium der Kindheit stecken oder in einer fieber-
haft rasch polsirenden £ntwickelang begriffen sind, von dsem Ab-
flchhuBe darin also nicht gesprochen Verden kann, nnd macht man
sicli die mannig&chen in der Natur des Stefibs begrOndeton Hieaun-
nisse Uar, so mnss jedem iMsonnen orfeheilendfln Lehrer einJenclite«,
dass nnr 'Faebanstalten in jener lebliaft ftnetnirendfin Bewegung den
rothen Faden feetsohalten nnd jene natililichen Sdiwierigkeiten m
Überwinden TermOgen. Ancli wttrden Lehiplan, Lehnppant ete. der
Seminarien total umgestaltet werden müssen, wenn dieVolksBchnllehrer
befähigt werden sollten, guten Unterricht in jenen Lelixstoien n
ertheilen«
Die meisten jener Lehiobjecte besitzen femer nicht f&r alle Kin-
der den Reichen h<dien Wert« welchen man ihnen andichtet; viele tou
ihnen erhalten erst Bedeatong, wenn sie vom Hanse nachdr&ckUch
nnterstfltzt werden (Gesnndheitsldire, Gartenbau, Hans- nnd Land-
wirtschaft, Handfertigkeitsnnterricht etc.). Nnr einzelne TbeQe darin
sind fttr iÖnder wertvoll, viele» liegt weit über dem geistigen Horizont
derselben; nicht allein die unbedingt nothwendige Vorbildung, die für
manche Fächer (Bechtakunde) zweifellos eiforderliche Lebenserfahntng,
sondern auch die praktische Grundlage, welche gleich&Us meist ge*
fordert werden muss, fehlt ihnen.
Derartiger Unterricht ber&eksichtigt aber auch nnr die Forderungen
des praktisdien Leben«; das liomanislMie Elem^t, das der wnliren,
edlen Henschlidikdt Dienende tritt natamothwendig in den Hinter-
grund. Damit geriethe die Schule aber auf eine sddefe Ebene, denn
beständig würden neue Lehrfächer Aufbahme in den Lehiplan for-
dern, sogar nach Landsdiaften und Örtlicfakeiten wfirde sieh Jiierin
eme Verschiedenheit der Anforderungen geltend machen. Gonsequen-
terweise mfisste ein Tollständiger, stufenmäßig g^liedert«r Unterri^t
in den beregten Fächern das InteUectuelle den übrigen Entwickekmgs-
riehtnngen des Geisteslebens gegenüber bevorzugen, somit einseitig
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und für die VoUcBSchnle nnstattiiaft werden, weil er nicht harmonisch
«srziehend zu wirken vermag:.
Berechtigung haben demnach nur diejenigen Thcile der oben erwähn-
ten Wissensgebiete in der Volksschule resp. ihrer Erweiterung, der Fort-
bildungsschule, welche den voi-stehend aufgestellten Anfordernngen
<>ntsprechen. Dies dürfte aber vorwiegend bei denjenigen der Fall
sein, welrhe: 1) zum Yerständnis der Cregeuwart unbedingt
uothwendig erscheinen und deren Nichtkenntnis im Leben
Schaden bringen würde. Demnach müsste in erster Linie bei der
Stört iiu.N wähl das Zweckmäßige und Praktische berücksichtigt, aber
auch der eine Gegenstand dem anderen gegenüber bevorzugt werden.
Einzelheiten aas der Anatomie z. B. sind ftr Kinder wertlos, unend-
lich wIditigiBr etseheinen di« Gtosetae der Phyiiobgie und die wesent-
lich daraus resnltirenden der Gesnndheitsldire. Blofier DeflniUons-
mid Zahlenkram ist TerderUicher BaUast; nur das aus dem Tollen
Menschenleben Herausgegriffene ist dem Kinde wUich interessant»
denn es beOhigt den werdenden Menschen, seine Umgehung, zn ver-
stehen and sich fKraktisch dann an bethfttigen, sowie das sich von
selber bietende Anschannngsmaterial zur Fortbildnng zn benutzen.
2) Nur das darf aus den in Bede stehenden Wissensgebieten gelehrt
werden, was anschaulich gemacht werden kann, möge die Ver-
ansehanlichang mittelst besonderer Lehrapparate oder auf Grundlage
g^ewonnener und von den Kindeiii taglich neu zu macheudei* Er&hrungen
erfolgen. Ohne Anschauung ist aller T^nten-icht todt, ganz speciell muss
es aber derjenige in solchen noch sowenig im Volke heimischen Wissen-
schaften sein. Vorgeführte Gesetze müssen an praktischen Beispielen aus
dem Leben verdeutliclit. Technologisches muss durch eingehende Be-
trat Ii tuiig der wirklichen l>inge erläutert und befestigt werden etc. Gerade
d»_'s wegen erscheint das lieute noch &o beliebte .Systematislren im Volks-
schulunterrichte höchst verwerflich, deuu es kostet viel edle Zeit, die
weit besser verwendet werden könnte. 3) Dürfen nui* soviel neue
Stoffe in den Unterricht aufgenommen werden, als in Ruhe bewäl-
tigt werden kOnnen, wenn das Nothwendige gebüreud durch-
gearbeitet und befestigt ist Damit beschrSnkt sich der Kreis des
Neoau&onehmeiidfln auf ein Minimnm, ihr die meisten Schulen sogar
derart, dass nur kleine' BmchstAcke gelegentlich Bertlcksiehtigung
^deii kOoaeii. Nur wenn wertloser Stoil^ welcher jetat noch in großem
Umfange tractirt wird, ausgeschieden werden kann, darf Neues an
seiBe Steile gesetzt werden. Eine Sichtung der Lehrstoile nach dieser
Bichtang hin steht in der pädagogischen Presse noch aus. Unter allen
28*
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— 430 —
Umstünden werden Religion, .spräche und Rechnen in der Vcdks-
schuie Hanptleliriresfenstände bleiben; daran i-eiben ^ich die übrigen,
jetzt in ganz Deutschland ziemlich gleichmaliig norniirten. von denen
wol kaum irgend einer den in Rede stehenden gegenüber als entbehr-
licli und weniger wichtig bezeichnet werden könnte. — ^^ ii kiich er-
ziehend kann aber der Unterricht in den ans den fraglichen J'ächeru
ausgehobenen Stoffen nur dann wii-keu, wenn 4) eine uatdrgeraäüe
Verbindung dieser Stoffe mit den übrigen Unterrichts-
gegenst&nden möglich Ut, wenn er mtt anderen Worten in lifln
DieDst derselben tritt Sobald jene Verbindnng fehlt, tritt das be-
trelFaide neae TJntmchtBol^ect atif Kosten der ttbrigen aenwIatSDdig
auf nnd sofort entsteht die QeUhr der YemachUssiinuig des Not-
wendigeren. Sobald es sich nicht in den Dienst des Gesammtonter^
richtes, namentlich des Spraehnnterrichtes, stellt and verwandten
Fllchem nnterordnet, ist dessen Streichung eine unabweisbare Noth-
wendlgkeit
Als Resultat unserer Betrachtungen d&rfen wir jetzt hinstellen:
Die Aufnahme neuer Lehrstoffe in den Lehrplan der Volks-
schulen ist eine Unmöglichkeit und führt, sobald man jene
Stoffe als selbstständige Fächer behandeln will, zur Über-
bürdung des Lehrers und der Kinder. Einzelne Theile der
empfohlenen Wissensgebiete haben jedoch einen hohen geist-
bildenden und praktischen Wert und dürften deshalb, wo Zei t
und Verhältnisse dies gestatten , im organischen Anschlüsse
an verwandte Kacher und sich diesen unterordnend, Herück-
sichtigung verdieuen; dann muss aber weni^rer wertvoller
Stoff aus den betreffenden bereits allgemein eingeführten
Fächern ausgeschieden werden, um die Gefahr einer Uber-
bürdung und die daraus erwachsenden Ubelstände zu vermeiden.
Nun noch einige Worte über die Bedeutung resp. Berechtigung
einzelner Fächer und Fertigkeiten.
In erster Linie lateressiit uns der Tielbesproehene, vielgerähmte
und ebensoviel geschmfthte Bandfertigkeits- oder ArbeftsanfeRiekt
welcher yon Schw&rmem als das Lttanngsmittel des socialeo "PtMttaa,
als die UniTersalmediein gegen aDe ge8e]]schsltliehe& Schaden ange-
priesen wird und in besondoren Schulwerkstätten gepflegt werden aelL
Die eigentliche Heimat derselboi haben wir in Schweden an snehen,
wo sie unter dem Kamen SlOjskols bereits ziemlichen Eingang ftaden;
in Deutschland macht neuerdings ein dänischer Bittmeister a. D.
Clansson-Kaas für die Idee der Arbeitsschulen Propaganda und hat
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— 4SI —
einen lebhaften Widerstreit der Meiimn^n hinsichtlich der von ihm
vertretenen Sache hervorgerufen. (4roße Vereine, namentlich Hand-
wtikri--. A'i.lk^l>il(liiiigs- Vereine, erklärten sich begeistert dafür, ein-
zelne Behörden schlössen sich ihnen an, man rief abgeschlossene Lehr-
cnrse ins Leben, ^^elche theils nach den Ansichten des erwähnten
Dänen eine ganze Reihe von technischen Fertigkeiten (Schreinera,
Korbflechten, Drechseln etc. etc.) lelu-en, theils nur in einzelnen
Fertigkeiten und Handwerken ausbilden wollten. Es lässt sich« Indu-
Btfybttdrke aBBgenommen, ntebt ableugnen, dass m wnerar Jugend,
namentlick auf dem Lande zurWinteirsEeit, meiat an einer geregelten
hMiehen Thfttigkeit fehlt; denn mancherlei früher eifrig hetriebene
and gewinnhringiBnde Beacfalftigangen (s, B. das Spinnen) aind jetzt
aiaterieU geiadesa wertloe. Infolge dieses Umstandes treiben sich
die Kinder viel&eh lärmend und ünfng yerilbend anf den Gassen nm-
hnr, der Schale entwachsenes junges Tolk sammelt sich am Wirts-
tiscfae; dadurch entsteht Hang zum Müfiiggange, Widerwille gegen
angestrengte Arbeit; diesen Nachtheilen würde vorgebeugt, zugleich
aber den Eltern eine oft sehr erwfinschte Beihilfe fUr Erhaltung ihrer
Familie geschafft, wenn man den Xindem die Möglichkeit gäbe, sich
in einer gewinnbringenden praktischen Thatigkeit auszubilden und
dieselbe während der freien Zeit auszuüben; deslialb müsse die Volks-
M-1inle. meinen manche Lehrer, namentlich aber viele begeisterte Volks-
heiniile. jene erwünschte Möglichkeit gewähren. Zudem hotft man, die
Wahilieit: „Handwerk hat gohlt iiPii lioden" im Volke wieder mehr
zum Bewuisstsein zu bringen und den Kindern «Iis W ahl des künttigen
Berufes zu erleichtem, sie vor gefahrliclien Missgnifen in dieser Be-
ziehung bewahren zu können. Den wiiklich humanen Bestrebungen
von Clausson-Kaas lag aber in allereret«r Linie der Wunsch zu Grunde,
die ländliche Bevölkerung gewi:5ser Districte aus einem stumpfsinnigen
Schnapstrinkerleben während des Winters herauszureißen, welches Be-
streben seine Jflnger dahin erweiterten, flberhanpt den Oefthren des
XftßiggangesTOnDbeugen. Nun uisst sich aber durchaus nicht leugnen,
dass eine ganie Beihe anderer Unterrichtsf&cher mit dem Handfertig-
keitsunterrichte Tollstfindig gleichwertig sind, und dass man ihnen
folgerecht die Aufhahme in den Lehiplan der Volksschulen nicht veiv
sagen darf, wenn sie jenem Gegenstande gewfthrt wird. Daan kommt
aodi, dass sich die Schule mit Obemahme der Verpilichtnng; Werk-
stttten der gedachten Art einzurichten, in den Dienst vorwiegend
materieller Interessen stellen und somit des idealen Charakters ent-
kleiden würde, welcher ihr allein erfolgreiche Wirksamkeit veiiMirgen
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— 432 —
kann. Eine vollständige Verrtickung ihres seitherigen Schwerpunktes
würde die Folge sein, sie wurde mechanische Abrichtung erstreben,
wo sie allgeinein harmonische Geisttiübildiuig bezwecken aolL Will
sich die Schule nicht selber schwere Gefahren bereiten, so darf sie
sich nicht willenlos den Laimea des Zeitgeistes fibei^Mea, da tS» sonst
niemals »ns den Schwaakniigen imd derUniuhe hemiskoimBeii wQide,
welche den Tod ibrer Erfolge bedeuten. Der Ghenkteriuhiger Stetigkeit
ginge ihr wloien, Uam und Bastlos^elt worden ihre der stillen
Sammlimg geweihten Binme erfüllen, efaie materialistische Bichtnng
ihr Leben stOren, vielleicht gar befaensehen. TJnansbleiblieh wire
damit eine VetTlngening derGesammtieistnDg infblge der anentschuld-
baien ZerspUtterong Terknttpft, wie YeroachUssignng des (Geistigen
die Folge des materialistischen Getriebes sein mOsste. Die ernste
Arbeit, welche auch die Schulwerkstätte fordern mnss, wenn sie kdne
nutzlose T&adelei treiben will, wflrde bald genng zeigen, dass sie
keineswegs so unübertrefflich geeignet ist, Lust zur Arbeit zu erwecken,
wie dies von ihren Verehrern behauptet wird. Sicher wäre auch die
Entstehung des Hanges in den Schülern, sirli mit Spielereien zu be-
schäftigen und in Äußerlichkeiten Wesen und Wert der "^( hnle m
suchen, nicht zu vemeiden. T"nd vne wollte man in Schul werksuiitt ii
Massenunterricht ertheilen. di r gegenwärtig doch allgemein als allein-
l>erechtigte Fonu im Volksschulunterrichte anerkannt ist, der z. B.
im Handai-beitsunterrichte nach der Schallenfeldschen Methode mit trefi-
liebstem Erfolge ausgenützt werden kann? ^^'eder in den schwedischen
Werkstätten, noch in den besonderen, neben der Schule bestehenden
Cursen nach C9an&son-Kaas'schem Muster würde dies möglich aein.
Wie schwierig dfiifte sidi feiner die Angelegenheit der efaistigenBemfiB'
wähl gestalten, wenn jedem SdilÜer hierin schon in der Schnlwerk*
st&tte vollständig freie Hand nnd beliebiges „Umsatteln" gestattet
würdet Dam kommt endlich noch, dass die ganae Angelegenheit
nicht organisch ans dem Leben der Schale henutagewschsen ist, son-
dern kfinsüich in sie hineingetragen wurde, also als Unnatur beieichnet
werden mnss. Der grOßta Übelatand wäre aber die nichtawttrdige Ab-
hancrigkeit, in welche die Schale durch Werkst&tten der beregten Art
industriellen Unternehmern gegenüber gerathen würde, denen die Lie-
ferung des erforderlichen Rohmaterials sowol, wie dsc Vertrieb der
tertigen Waren zufallen mfisste und die ganz naturgemäß einen
maßgebenden Einfluss nach der jedesmaligen Lage des Geschäftsmarktes
auf die Schule ausüben würden. — Wie die Sehlde selber, würde auch
der Lehrer durch Kinfuhrong der ScUulwerkstätten geschädigt werden.
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sein Ansehen, das in gewissen Ki-eisen ohnehin gering ist, müsste em-
pfindlich Schaden leiden; denn er vennöchte doch war klägliches Stflek-
werk 2a lieibni, wdckeB die Kiitik alter Saekverstandigen, den Spott
der Niehtsaebrerstfindigen henuuforcleni würde. Die Leute vom Fach,
welche in Clanason-Kaas'schen Corsen Unterricht in einzelnen Hand-
werken ertheüten, luiben schon mehrfoch ironisch bemerkt, es sei
eigenüicfa doch recht nnnllts, dass sie anf ihre Ansbüdiing ao viel Zeit
verwendet; dnreh Veranstaltungen dieser Art kOnne man ja in 4—6
Wochen fertig werden. Feiner dfitlte dw Ldirer in den Augen dßt
Menge noch mehr znm Handwerker herabsinken, als dies ohnehin
leider der Fall ist, wovon natürlich wieder Missachtung die Folge
wäre, welche auch dem Gedeihen der Schule gewiss keinen Vorschub
leistet Endlich lüde sich der ohnehin übergenug belastete Lehrer
eine drttckende Bürde materieller, ihn von seinem eigentlichen Berufe
abziehender Sorgen auf, deren lästiges Gefolge geistige wie k^lrper-
liche Abspannung- sein müssten. Die Lehrerkieise verhalten sich ans
allen Rn8:efuhrten Gi iiuden meist ablehnend in dieser Angeiegeiiheit,
g-iußeifc A ' i Sammlungen haben sogar energiscii dagegen Front ge-
macht, der hessische Lehrerverei n nach einem Referate von
Ziepprecht-Cassel auf seiner Jahresvei-sammlung am 2. October
1879; gleich bestimmt erklärte sich derPosener Proviuziallehrer-
V er ein am lü. October desselben Jaln es nach einem Vortrage von
Gärtig-Fosen in demselben Sinne. Corporationen, Qetasiaämw-^
sCfinde et& hingegen wirken unter Aufbietung aller nur erdenkbaren
Mittel hftnilg nach der entgegengesetzten Bichtnng (so z. B. auf An-
regung des Stadtratiies Ton Sckenckendorff in GOrlits). Auf
Grund viel&cher Petitionen entsandte der preuitische Oultus-
ininister von Futtkamer unter FOhrung der Geh. Rfithe Dr.
Schneider und Lflders eine Commiaaion sur Besichtigung der in
den akandipayitthen LSndecn heatehenden Schulen und Einrichtungen
ifir den Unterricht in der Hausindustrie nach Dänemark, Nor-
"wegen und Schweden, um die erzielten Erfolge an Ort und Stelle
zu prüfen. Der Rath Brandis beim katholischen Consistorium zu
Osnabrück, ein Mitglied der obenerwähnten Commission, sprach sich
nach seiner Rückkehr vor einer größeren Versammlung dabin aus,
dass in ganz Dänemark keine Schule nach dem Clausson-Kaas'schen
System bestehe, und dass außer Laubsägerei dort kaum eine eigent-
liche Hansindustne betriebeu werde. Die scdiwedische Arbeitsschule
sei ^ariz sellissttiindis' und habe namentlich durch die Uüteborger
Aui>taU und die Abraliauiäonsche Stiftung zu Nääs Bedeutung.
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TnibstiimiiMDlehrar Thiemeyer, w«lefa«r «a dem Cmsiis nadi dem
System duusoii-Kaas in Emden theOnebm, eowie BürgeiineiBter
Brflning tod dort berichteten» dMS die Aiteiten der Theiliiehmer
Aber Nacht Ton nHeioasebiiinnchen^, nämlich den mitemchtenden
Mflisteni, fertig gemadit worden seien. Sehr begeistert spnch sieh
ein Asgeimeoge der achvediachen Eilbige, Dr. Birch-Hirschfeld in
Dresden, Ar die Arbeitaschnlen «ns, betonte aber ganz richtig, dass
die Eigenthümlichkeiten Schwedens (lange Winter, dOnne BevOlkenmg,
wenig entwickelte Industrie) die B^ntwickelnng des Arbeitsontenichtes
wesentlich begftnstigten. Im preußischen Abgeordnetenhaase
erstattete der vom Cultosminister beauftragte Commissar Geh. Ober«
r^ernn^rath Dr. Schneider auf ergangene Anfrage Bericht über
den Erfolg seiner Sendung. In Dänemark besteht danach gar keine
Verbindunc' der Haiistieißbestrebungen mit der Volksschule; sie gehen
theüs von Privaten aus, theils werden sio xm einem besonderen Vereine,
dem Husflidselskfi>i. gepflegt. Die 1^ „Mmuiir verhält sieh zuwartend;
die Geiiii iuilt;u suwol, wie die > ■iinnaidir eciionen verlialten ^^icl\ ab-
lehnend. Die erzielten Erfolge fuhrteu eine volUländige Enttäu.*<chung
der hochge.spannten Erwartungen herbeL In Schweden steht die An-
gelegenheit günstiger; dort widmen ihr Behörden, Zeitschriften etc.
großes Interesse. In Göteboi g ideiben die Kleinschuleu, für Kinder
von 7 — 9 Jahren, die Abendschulen für Kinder yom 13. Lebens-
jahre ab, soirie die Mittelsdnden Ar die HanaHeiftbeBtrebQngen
anfier Betracht Vit dem Euitritt in die Yolksschnle werden die
Knaben, welche Ualen, Holarbeitfln, Strohflechten, Papparboten,
Schlosserei und Schmieden erlernen, auch fikr den Sldjd schal-
pflicfatig. Sie werden alle earsorisdi dorch aUe Handwerke ge-
führt, dann dflifen sie ein bestimmtes w&hlen. Aibeitshist and regeL-
m&lliger Schulbesuch sind entschieden vorhanden; Snbsellien, Schal-
gerftthe etc. waren sämmtlich Ton ihnen selbst gearbdtet In Nftis
hat ein Heir Abrahamson mit seinem Keifen Salomonson eine
Beihe von Häusern hergegeben und darin auf eigene Kosten einSlöjd-
seminar hergerichtet, worin 16 junge Männer in eii^&hrigem Cursas
als Slöjdlehrer ausgebildet werden. Dieselben bekommen vollständigen
Unterricht in der Pädagogik, Methodik, den gewöhnlichen Unterrichts-
gegenständen der Volksschnle und namentlich vortrefflichen Zeichen-
unterricht, auf dessen Basis Handarbeit gelehrt wird; grundsätzlich
beschäftigt man sirb bisher nur mit Holzarbeit TTischlerei und Drechseln);
Kauptgrnndsatz ist, die Kinilt r dahin zu füln\ii, dass sie gute, .saulrer«»
Arbeit machen, die Erwerbstahigkeit bteht ei-st in zweiter Linie. In
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eio^enen mit dem Seminare verbundenen Übnn^scliulen leraeu die
Kiiuler Handlertij^keit und bekommen zugleich Schulunterricht. Für
VolksscliuUehrer ist ein küi*zerer, vierwöchentKcher Cui'sus eingefühi't,
in velcliem die bereits im Schuldienst angestellten Zöglinge 35 — 50
«iidkdie Hamhjittimgsgegeiistiade fertigen lornen. Da Scbflkr- ud
Stundenzahl in* den sehwedischea Sclnilen weit geringer ist als in
Dentaelilandt sollen die Lehrer später den Versncfa machen, die Kinder
in den freien Stunden in Handarbeiten za nnterriditeii. Dr. Schneider
schUeAt: nWieverBchieden aber auch unsere Eindrücke waren, flberall
haben wir bei Lehrern nnd Kindeni die Lost an der Sache gd^inden.
Über alles haben wir uns aber übersengt» dass man in Schweden selbst
ZOT Zeit noch aof dem Boden des Experiments steht, dass man feste,
sichere Erfolge noch nicht hat. dass man auch in der Wahl zwischen
dem materiellen und formellen Lebrzweck noch nicht zur vollen Klar-
heit gekommen ist, und dass man noch nicht genan zu bestimmen
vr&i6, wie man den Bestrebungen eine feste Gestalt zu geben hat.
Wenn die Seminare die Aufnahme in ihren Lehrplan wtUischen, so
dart' ich daran erinnern, dass das Seminar in Schweden einen vier-
jährigen Cnrsus und darauf verzichtet hat. Organisten jiuszubilden.
Wennxrir uns iiiiii fragen; AVas können wir in der Sache tluni'^ so ist
die erste Autwort, li«^ mau allerdings auch anderwärts gegtl un hat:
Das eine steht fest, zu einem obligatorischen Lehrgegenstand kann man
die Sache bei uns nicht machen. Wie wolwollend man sich der Sache
gegenüber auch verhält, so dürfen wir nicht vergessen, dass wir von
den Anforderungen, die wir an die Volksschule iu unserer Nation bis
jetzt gestellt haben^ nicht nachlassen dürfen. In keinem Falle dürfen
wir zageben, dass dem Keligionsnntenrichte, dem Unterrichte in der
vaterUndischen Gesdiidite, d«r Einftthmng der Kindear in die Matter»
spräche, knra, der Lehr- nnd liemarbeit, dnrch welche die Schale
unsere Kinder jetzt Ar ihren Ehitritt in das Leben bef&higt« Zeit ge-
kSrzt werde. Das geht mcht» nnd ich glanbe» wir dürfen den Ersatz
fikr das, was wir anheben, von der Einrichtnng nicht erwarten.
Andenraeits aber gUabe ich allerdings, dass die Sache möglich nnd
aosfUtrbar ist, dass sie, aUerdings in einem von nnserem Vaterlande
wesentlich verschiedenen Lande, feste Gestalt gewinnt, dass sie, richtig
betrieben, die allgemeine Bildung fördern kann, and dass sie Seiten
hat, mit welchen man sieh befreunden muss, so dass freiwillig von
Privaten oder Gemeinden gemachte Versuche nicht nur eine entschieden
wolwollende Beachtung, sondern vielleicht aucli eine Forderung seitens
der UnterrichtsverwaltuDg werden erwarten dürfen, dass aller Grand
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dazu yorliegt» dieser Bewegung in den Nachbarstaaten eine stetige
und aofinevkaame TheOnaihme zu bewahren.**
DasB die wicbtigsten Punkte der Anthropologie nnd Gesnnd-
heitslehre im Volkflsdralonterfiehte mflgÜchste Berücksiehtigimg ver-
dienen, oracfaemt wok kaum einem einaiehtsrollen PSdagogen noch frag*
lieh. Naeh Goethe'a Avnprach ist das Wichtlgate fttr den Ifenachen
der ICenadi; Leib nnd Seele bedingen aber ihr Wolbefinden gegen-
seitig und damit die gesunde Haltung des gesaaunten Otganisrnna»
weshalb natHrlieb das körperliche Leben die sorgsamste Beachtong
nnd Pflege von Seiten aller Erzieher erfordert Die Agitation der
Ärzte auf Einfährang des gedachten Unterrichtes wurde von Ver-
nunft und Erfahrung so nachdrücklich unterstützt, dass diesem Fache
allerorten bereits ein, wenngleich vielfach noch recht bescheidenes
Plätzchen gestattet ist. Dass der Untenicht in Anthropologie und
Gesundheitslehre nicht, wie eifrige Fachmänner eins ifig verlangen,
vollständig unabhängig und in beträchtlichem Umfange gegeben wer-
den kann, ergibt sich ans den gesamniteii Verhältnissen unserer Volks-
schule; auch ersclu iiit eine derartige Gestaltung weit weniger wüchtigf
als die Einrichtung geeigneter Veranstaltungen, dui'cU welche die
Eltern eingehender mit dem einflussreichen Gegenstande bekannt ge-
macht werden. Der in Rede stehende Unterricht sgegenbiiinJ lehnt
sich vielmehr naturgemäß an die Naturgeschichte, zum Theil auch au
die Physik (Gesetze der Capillarität, der Endosmose etc.) an; aus dem
ei'stgenannten GeUete kann eine Masse wertlosen, alemlicli allgwnein
tractirten Stoffos (namentlich Über die niederen Thiarfonaent Aber
nutzlose ünkrinter, füb&r abstracto mineralogische Dinge) ohne Nach-
fheü weggelassen, alle Kilnunelspalteiei, sahUoser Definitionskram
kann unbedenklich über Bord geworfen werden. Wer sich fBr Speeial-
fScher besonders interessht, wird im späteren Leben durch Vereine,
Bildiotheken etc. reichlich Oelegenheit zur Erweiterung seiner Kennt-
nisse finden. In dem ausgewählten anthropologischen Material mnss
wieder das Wichtigste und Nothwendigste be^mders betont werdoB,
da ja hauptsäclilich praktische Rücksichten die Einführung des neuen
Lehrgegenstandes empfehlen. Daher kann der anatomische Theil un-
bedenklich auf den knappsten Umfang beschränkt werden ; es ist in der
That ziemlich gleicligültig, ob die Kinder die säramtliclien Kopfknochen,
die doch nur werr^n des darunter liegenden Gehirnes wichtig sind,
kennen oder niclii; und wieviel Zeit, wieviel Mühe verwenden manche
Lehrer auf solclie nutzlose Details, in dnwn sie -^tet ken ]»k'iben. so
dass die unendlich wichtigere Physiologie und die Uaiuit verknüpfte
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liesuiulheitslehre schließlich recht knapp wegkommen ! Der Lehrer hat
idch i:lt-i< heriTiHßen davor zu hiiteu, da ss er zu viel Stoff gibt, den^ie^l♦^n
kimsllicii aiübauscht, um sich und seinem Unterrichte ein rei hies
Ansehen zu geben, dass er sich nicht lächerlich macht, namentlich in
den Augen der Fachleute, da^s er nicht etwa den Arzt ersetzen will,
den er mir unterstützen soll. Seine Hauptaulgabe ist, den Kindern
2U zeigen, dass man doich geregelte, vernünftige Lebensweise Krank-
lietten mbengen and das Wolbeflnden des Körpers erhalten kann.
Unter alten Umstftoden aber Vtefl» ünterrklit in Antbropologie
nnd Qesnndlieitslelire ein Haapttlieil des natorgesdiiditUchen, welchem
er tndi dam seinem gansen Wesen nach innig verwandt ist» dass er
am besten nnter Znlulfetiahnie von Modeflen nnd Frftparaten ertheilt
werden lonn, wSluend AbbQdnngen nnr in zweiter Linie (namenfUch
}m Znsaiiunensteilnngen nnd Bepeätionen) Wert babeo.
Die Seehtsknnde als Lebrgegenstand in der Volksselinle soU den
künftigen Staatsbürger Aber seine hauptsftchUcbsten Bechte und
Pflichten im Staatsorganismus aufklären. Unseren gegenwärtigen
inneren politischen Verhältnissen Beebnnng tragend, hat man nament-
lich die Elemente des Verfassnngs- und Verw<angsrechtes in
die Lehrpläne, nnd zwar ttberwiejjfend in diejenigen der Fortbil-
dunpssrhulen, aufgenommen; ob andere Rechtsgebiete nicht dieselbe
Bede utu IIS,' haben und nicht mindestens gleicbwichtig sind, mögen
Juristen von l^ach beantworten. Kechtskenutnisse sind für jeden
Staatsbürger heutzutage äiilierst wertvoll, weil sowol das Gedeihen
der Gesaramtheit, wie das Wol des Einzelneu durch sie getordert
werden kann, auch lässt sich das ethische Moment in ihnen für den
formalen Untenicht trefflich verwerten; Gegenstand des Volksschnl-
unterrichtes kann die Rechtskunde aber tiieils aus den ti ühei tVir andere
Gebiete angegebenen Gründen, theils wegen der Schwierigkeit des
Stoffes nicht werden. In äßt Fortbildongssehnte dagegen daif dieser
Gegenstand einen eigenen Plata beanspruchen, znmal hier die größere
geistige Beife der Schiller nnd namentlich die aOmJUilich in der Be-
rnbmng mit dem praktischen Leben gesammelten Et^dmugen dem
Iidirer die Arbeit bedeutend erleiditem. Von der VoIkswirtsehaflS'
lehre gilt dasselbe.
Warenkmde md Technetegie als ihrem Wesen nadi dem Volks-
schnlnntenkfate vollständig fremde Dinge, welche rein materiellen
Interessen dienen, mftssen entschieden znrttckgewiesen werden, mögen
aber gelegentlich da und dort in passender Weise berührt werden
(VerfäLschang der wichtigsten Leböismittel, DarsteUnng besonders
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wichtiger Producte, z. B. der Flachsfaser etc.V, doch daii der Lehrw
hierin nie zu weit js^ehen. \ ortrefflich eignen sieh Stoffe dieser Art
zu stilistischen Bearbeitungen.
Gartenban-, Hans- und Landwirtschaft haben einen hohen All*
gemeiiiwert, und der üntenieht darin vermag das Wol der GeBumtF
heit wie des Einielneii nicht allein in materieUer Hinsicht m ftrdem,
sondern aneh das hlnsliehe Behagen an erhffhen, den FamlliiBMimi a
kriftigett, den Trieb zom ehrliebea Enrerb sn stirken vnd die Frende
über nfttaliche BethUtignng Utr das Wol anderer im ansgedefantesten
' Maße an verleihea. Er übt daher neben der ftnfterlichen aneh eine
aitüiehe, Wirkung, eine Fülle woltfaätiger Folgen kann dnrch ihn 6e-
meingnt werden. Aber auch für sie bleibt der Schule kein Baam,
aneh sie können nnr gelegentUcht nnr flüchtig berührt werden; ein
eigentlicher stufenmäßiger Unterricht würde wertvolle Zeit auf Kosten
anderer wichtigerer Fächer fortnehmen, von der eig^tUchen Schul-
arbeit abziehen. Verführerisch ist der Betrieb dieser Wissenschaften
in der Schule ohne Frage, der materielle Zug der Zeit begünstigt
ihn, das Interesse der Eltern und Behörden kommt ihm entgegen, obwol
er dem Wesen der Volksschule fremd ist. Aber Nebendinge eignen sich
am besten zu pfldagogiselien t hinkereie?i. welche die Aufmerksamkeit
der Inieie.^-t ni( !i von der Hauptsache ;il lenken, was in nicht seltenen
Fällen Absicht und Wunsch der solciien Humbug Treibenden sein
mag. Höchstens darf die Schule besondere Theilnahme durch gelegent-
liche Anregung fttr jene Wi.ssens- und Arbeitsgebiete •wecken, z. B.
ihre Zöglinge in den Pausen zur Ptlege eines Schulgartens, einer Baum-
schule anleiten, für einen eigentlichen Untenicht hat die Volksschule
bei der ohnehin bereits vorhandenen bedeutenden Belastung mit Lehr-
stoff absolut keine Zeit, denn sobild das Lemmaterial nicht weise
beschrünkt wird, ist die Überbürdnng ohnehin fsctisch bereits vor-
hsnden. Im Lehrplan der Fortbildongsschnlen dagegen dürften die
gedachten Fieber, namentlich in gewissen Gegenden, weit eher Auf-
nahme yerdienen.
SpedeOe Waffen-, Ex er der- und SchieÜübnngen gehören
durchaus nicht In die Yolksschale, die eine Statte des Friedens sein
soll; derartige Versuche sind Spielereien ohne militärischen Wert.
Wie thöricht, wenn die städtische Behörde in Paris die dortige
Schuljugend in Bataillone von je 600 Köpfen mit 4 Compagnien ein-
theilt, dieselben mit Gewehr, Gürtel, Säbelbajonnett, wollener Bluse,
dunklen Hosen und einem Barett ausstattet, wobei rorläufig allei-
dings nur die 11 — ISjährigen Knaben berücksichtigt werden. Wir
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dürfen uns wniuleni, dnss di^ tVanzösisclien Schulmänner nicht ein-
müthig f:c(reii diesen Schwindel H Knit maclicu, welchen man in DeutBch-
land, namentlich in militärischen Kit;i.-eii, doch nur beläciielt. ..Wus
wird die Schule noch alles leisten sollen und leider! auch
■wollen!" ruft die „Allgemeine Deutsche Lehrerzeitung'* bei
Besprechung der Paiadc des von Dr. Wehrmann, Lehrer der latei-
nischen Hauptschule der i raucke'schen Stit'timg in Halle, gebildeten
Schülerbataillons aus.
Je klarer die Yolkaadmle ihre Aufgabe, die allgemeine Menscfaoi'
bildong, erkennt, je trener sie ihrem eigentlicbeii Berufe nachkommt»
desto mfichtiger und nachhaltiger vermag dieselbe ins Leben dnzu-
greÜiBn. Man mache zum Beweise der ünmQf^hkeit immerhin den
Yomch, neue Untenichtsgegenstände in ihren Lehrplan emzufügen;
der Erfolg wird «eigen, dass man sich gefthrlichen Blnsionen hingab.
Die Lehrer machen sich verdienter, wenn sie passende h&usliche Be-
scfafiftignngen der Kinder einbfirgem, einen gnten Beul- und ganx be-
sonders einen guten Schreib- und Zeichenunterricht ertheilen, wenn sie
sich redlich bemühen, die Fortbildangsschulen lebensfähig zu machen,
als wenn sie phantastischen Idolen nachjagen und ihr Heiligthum durch
weltliches Gretriebe und materialistische Bestrebungen selbst entweihen!
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SpraehVBtorrieht.
Vm Frau 8, JErttft-Sirtrf««.
„meht Ut Lctor AMpUntn hit 8tUt» iniohtetj
Keine Zaabemtbe hat Wfittcn in OlftCB TttTTlMnlt
I)ic Spracbc lut et getban. Sie,
Die fmSe OMBUoria 4ar Mmwbcii,*'
Herder.
E» werde Licht! sprach Gott der Aiiiuächtig«. Und es ward Licht I
Ohne Sprache wSre kein lidit, keinGlfick; nidit Hackt, noch Herrlich«
kdt Oline Sprache würde das Daaein aller Beize bar sein — das Leben
nicht des Lebens wert.
Aber — was ist denn die Sprache?
Die Antwort auf diese Frage würde wol sehr verschieden aosf&llen, je
nach Beruf und Ainidit der Eiiuelnen. Dem Feldiiemi wire die Sptadie dae
mttel znni Commandiren; dem GeistliclMn nun Predifen; don Aiste, Tttord-
nnngen nnJ ^'erhalr^:ur5reopeln zn geben.
Was uns Ix'trirtt. so halten wir die Walirlieit für eine einige, nntheiibare.
die unabhängig vun Sondeiinteressen , auf alle Fälle anwendbar sein moss.
Und so würden wir sagen:
Die Sprache ist das unmittelbare Heraodeben des Ichs, des eigensten
Seins des Mensclien. .sie ist die Kn-8tallisatii>n '«I r \ it lmehr das Echo seiner
Innenwelt — die erste Vertreterin der redenden Ivanst.
Während die bildenden Künste ohne Kunstmittel (die Malei-ei ohne Far>
ben nnd Palette; die Ban- und BÜdhsneitaut ohne HeiÜel and Gestdn) nn*
ansfQhrbar sind, — entströmt die Sprache der menschlichen Seele frei nnd nn<
abhäns^ig-. ivv\ l:iPRt. wie der diii-ch Vt'rbrcnnuTi? si<-h verflücIiteBde Diamant»
nur die Erinnerung an gröiiere oder geringere Sdiünlieit zurück.
Diese Schönheit ist in der Begel ein treues Gepräge von der Bildung»-
etnfe nnd dem Charakter des Sprechenden; denn ebenso Tenehieden wie die
Charaktere müssen anch nothwendig die Ansdmcksweisen der Individuen sein.
Daher kr>nnen wir bei einiger Beobaehtung leicht wahrnehmen, dass jeder s^ine
eigene Sprache redet, und dass die edle Sprache in innigem Zusammenhange
mit veredeltem Gemtttho steht Da aber jede ^'eredlung in der Liebe wur»
zeit, so Vin das sicherste tfittd snr Erwerbnns dner menschenwürdigen
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Sprach«^ die Befolgung des hSchaten und Utesten Getutes: Liebe deinen
l^ächsten wie dich selbst.
Wer irgendwie an der Richtigkeit dieser Bebaaptnng zweifeln sollte, der
könnte die Bestütigimg dendben viellkcli In den Annahm der Uensehett' und
Völkerkunde finden. Oder was sonst, wenn nicht Nftchlten* nnd Taterlands-
liebe hätte wol zn allen Zeiten und in allen Landen jene begeisteniflrn Reden
veranlasst, die todesmntliip^e FrPÜK itskämpfer schufen und schlichte Bürger
und Bauern in Ueidcnsöhne uunvandclten? — Wir erinnern hier nur an die
Beden eines Demeethenee, Cloero, Mirabean, Beaeonafleld und d«r sroBen, noch
Jetzt lebenden Patrioten ganz Europas. — Indes dürfen wir ja gar lüdit soweit
gelifnl Um zu erkennen, dafs die hochherzige Idee nur durch das entspre-
chende W(»rt verkörpert werden kann, genügt es, irgend ein classisches Werk
aufzuschlagen. Beispielsweise wollen wir Lesaings Nathan, Schillers Don
Caries, Geetbes Iphigenia und seinm Tasso erwllhnen.
Wer jedoch trotzdem noch glauben könnte, auch Heuchler und Lügner
seien dei- schönen Sprache fähig, der werfe einen Bliek in den ..Faust".
In diesem Universalwerk spricht (.Tt>ethe seine Meinung über die Sprache
unzweideutig aus, indem er Helenen die Worte in den Mund legt (Thl. IL S. 35 7j:
wUii-schte Unft'rricht. warum die Kede
Den Mauas mir seltsam klang, seltsam uud freundlich.'
Ein Ton scheint sich dem andern zu bequemoi,
Und hat Ein Wort zum Ohre lidi gesellt,
Ein andre« kommt, dem eisten liebrakoeen.**
nSo sage denn, wie sprech' ich auch ao schüu?"
Und Attst: iJDw ist gar leicht^ ee mtus vom Hersen gehn.**
Denselben Gedanken, wenn auch anders ausgedrückt, linden wir bereits
im fliBtea Thefle des „Fan st", Dialog mit Wagner.
19* aast „Wenn Ihi^s nieht AUt, ihr werdet'« nicht eijagen,
Wenn es nieht au.s der Seele dtiagt»
Und mit urkrttftigem Behagen
Die Henen aUer Hifier awGigt'*
Und dann:
„Doch werdet ihr nie Herz zu Herzen schaftea,
Wenn es euch nicht Ton Bexaen gebf
FeDMr S. 26:
^Das Pttgament, ist der heil'ge Bronnen,
Woraus ein Trunk den Dnrst auf ewig stült?
Erquickung hast du nicht gewonnen.
Wenn sie dir nieht aus ei^er Seele quillt."
Deutlicher, wahrlich, konnte unser großer Dichter »eine innerste Über-
sengnng i^t amqHnBclieiL Und dennodi — Jacotot sagt: Niemand ist mehr
blind, aJs der, wekliOT nicht sehen wHI; — dennoch ertlieileii irir immer noch
den Sprachunterricht ans der Gramniatik, dem Knochengferüst der Sprache.
Aber, wenn nicht in hergebrachter Weise, wie sonst? So hört denn,
meine Verehrten, alle, die Ihr die Gröüe unsera Wolthätei-s, die üröße Pesta-
locnis anerlceimt. Ihr wisset, dass der onsteibücheKfaidM^enid die Xrsiehung
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— 442 —
der auäcliuldigeu Westen ia die Häude der Mutter- gelegt wissen wollte. Ohne
Zweifel ging er von der Ansicht aus, dass die Mutterliebe ebenso unerBetelicii,
wie uverKleleUieh Mi.
Möge es mir hier gestattet adii, ^e Wort elnee der trenesten Anhlnger
PeetaloszlB einzaaehalteit ünser hodivOTduterChriBtiMiGottli^Sdiols pflegte
zu sagen: Wonn man ein Mntterlierz vprbrfnnen und die Asche in
den großen Ocean werten würde, so könnte man dennocli sicher
sein, dass, ungeachtet der Fluten des Weltmeeres, die einzelnen
Thenehen -aieli wieder zu einem Gänsen znsammenflnden wtrden.
Pestaloszi war ein tiefer Kenner des menscUidien Herzet er hatte die
Meoschennatnr beobachtet; ihre geheimen Regungen belanacht. Sein Streben
Vipstand \Ttnv^lunlich darin, den Mensehen zum Menschen zu ei-ziehen: zw oinem
Wesen mit iitenselilieheiu Denken, Empfinden und Handeln. Er hat das
Verfalireii der Mutter als erste Sprachlehi-erin , weil naturgemäß, gebilligt
nnd anerkaont, dass ein Kind in den drei ersten Lebensjahren erstannlich,
nnendlich viel lernt
Eine junge Frau, ihren Säugling im Arm, promenirt im Garten oder in
einem Zimmer, das Ordnung nnd Zufriedenheit athrnet. — ^'or jedem Gegen-
stande bleibt sie einige Zeit stehen und nennt alle mit Nameu. Dasselbe Ma-
növer wiederholt de immer nnd immer wieder mit nnerschöpflicher und uner«
mfidticlier Gednld md Ansdaner. Das Kind Jandizt nnd jolwlt; es si^pelt
vor Freude und streckt die kleinen Händchen mit Verständnis enftgegem« —
Aber — obschon seine Sprachorgane alle normal gebildet sind, vermag e« nnr
unarticulirte Laute hervorzubringen. Doch die Liebe der Mutter, die furtwirkt
nnd Wolthaten spendet irie die StrsMn der alles belebenden Sonne, erwftrmt
allmiUich das kindlldie Hen nnd entsündet den darin gchlnmmemden gOtUiehen
Funken. Die zarte Bifite der Kindesliebe erschließt sich. Das Auge des ge*
liebten Wesens wird lebendig: es sieht. Die Zunge löst sieh imd die über
alles beglückenden Laute: Mama, Papa, ertdnen von den rotiigen Lippen. —
Von Tage zu Tage 8|aieht das fflnd mehr; es, maeht im Sptedien Riesenfort-
sehritte. Und wenn es in dieser Zelt richti|r-g«toitet nnd gehfltet wird» dann
erzieht es sich, sozusagen, wie von selbst. — — Die sorgsame Mutter fuhrt
ihr Kind soviel als möglich ins Freie. Dort lenkt sie seine Aufmerksamkeit
auf die duftende £ose, die in voller Üppigkeit prangt; auf den hohen Baum,
dessen Schatten sidx weithin Uber die seimige Ebene breiten, anf dmi kOnig-
liehen Schwan, der mit Uigestät» do«sh mild und sanft ftber die seäimmemde
Wasserfläclie dahing:leitet. Alles dient ilir. den Sinn des Kindes für die Reize
der schonen Natur empfilnc^üeh zu macheu: hier eine muntere Vogelsclinr. die
bunte Käferwelt, eine Kaupe, eine Schnecke j ja, selbst ein Thautropteu, m
welchem das Büd der Sonne dch wiederspiegelt. Jeder efanetne Natnrgegen-
stand wird ihr zum Mittel, das Gemütfa des Kindes zn beleben, nnd es mit ehr*
farchtsvollcr Liebe zum liöchsten Wf<<;en zu oftUett, dnich dessen Willen aUe
jene harmonisclien Gebilde entstanden sind.
Als Pestalozzianern genügt es uns niclit, blos Notiz davon zn nehmen,
wie eine Mutter den ersten Sprachunterricht ertiieüt; wir müsseu auch zu er*
forschen suchen» waran so^ nnd nicht andern Dass ihre Methode eine kicht
fassUehe, nntnigemftße ist, wiid niemand in Abrede stellen. Ja, man wird
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f^ogar znp^'stehc'n iiiüßSfn, dass die Mutter seit Menschenj^edenken praktisch
ausgefulirt, waä die grüßen FliUo8opliea als Theorie aufgestellt haben.
In Anbetradkt der piakttachen Art dar Matter entstellt die Fhige: Wie
wurde ele wol verfthren, um Kindern im schnlpfliehtlgen Alter eine richtige
Anschauung z. Ton der Bedentnng der Wörter nnd deren Elnthdlang in
Classen zn ^ben?
Sie würde wahrscheinlich damit begimitu, zusagen: Neune mir die Namen
deiner Brflder.
„Frlts, Carl, Joseph.**
Schreibe diese Namen nieder. Gntl die Namen, die da hier an^^eschrie-
ben, sind also MeiiKchen- oder Pi'i-sonennamen. ~ - Jetzt SClireibe mir die Ktinen
einiger Sachen, die du liier iui Zimmer siehst, auf.
„Schrank, Tisch, Bach."
Dies sind also Namen für Sachen oder Sachnamen. Personennamen wie
Sachnamen nehmen in der Sprache als Wörter die ettte Stelle ein nnd heißen
deshalb Hauptwörter. — Und luin betrachte deine Brüder genauer, und auch
die Sarlien flip du eben genannt liast. Sage mir, welche besondere Merkmale
du an üiuen wahrnimmst. Welcher von deinen Brüdern ist groß, welcher
klein?
„Fritz ist gro0, nnd Carl ist klein."
Wa« bemerkst dn an Joseph?
„Joseph ist schwächlich."
Schreibe, was wir hier besprochen, anf und unterstreiche die WlMer:
groß, klein, sdiwSehlich. Wie aha* ist der Schrank?
,,Der ist hoch."
Und der Tisch?
..Dpr Tisch ist rund."
Und das Buch?
„Das Bneh ist Tierecki^.**
Schreibe dies anf, nnd nnterstreiche dieWOrter: hoch, rand, viereckig. —
Nun, siehst dn, die Wörter» die dn hier unterstrichen, bezeichnen die Eigen-
schaften der Sachen, wi«» die Wfirtor groß, klein, schwächlich Eigenschaften
von Personen. Und deshalb Iieißen sie Kig-enschaftswörter.
Jetzt sage mir, was deiae Brüder thun.
»Fritz schreibt, Carl Üesti nnd Joseph spielt.**
Schreibe das anf, nnd nnterstreiche die WSrter: sehreibt, Uest, sidelt.
Da diese Wörter zur Bezeichnung' von Thätigkeiten dienen, so werden sie
Thatigrkeitswörter genannt. Femer wünsche ich zu ^vissen, welcher von deinen
Brüdern steht, welcher sitzt, und welcher weder steht noch sitzt.
„Fritz steht, Carl sitzt, Joseph geht fort.**
Sdurdbe das anf, nnd nnterstreiehe die WOrtor: steht, sitzt, geht Diese
WSrter, dte «iBenZnstand ansdrtteken, werden ZnstandswSrter genannt — Da nnn
durch Tlifltif^rkeits- nnd Znstandswörter nicht nur Thäti^keit nnd Zustand, .son-
dern aucli die Zeit bezeichnet wird, inwelclier etwas geschieht oder stattündet,
so werden sie Zeitwörter genannt. Wenn wir z. B. sagen: er schreibt, liest,
spielt oder steht sitzt, geht, ao boieiehnen wirdamitf dass dies sieheben jetzt
in der gegenwärtigen Zeit antrügt Um die Vergangenheit anszndrttcken, wttr-
FiBflifftCiwD. 5. Jthi«; Belt Vit 29
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den wir sa^^: er schrieb, las, spielte, er stand, saä, ging; tun die zukimiiige
Zeit zn bewidiiifln: er wird aobreibeii, wird lemi, wird Bpieton. Wh
verstehen wir also unter HMptwSrtera?
..Dif'jenigren Wörter, die zur Bezeichming von Poraonen oder Sadien dienen.'^
W'm verstehen wir unter Eigrenschat'tswörtem?
„Diejenigen, welche znr Bezeichnung von Eigenschaften angewendet
wttden.'*
Und WM TttBtehen wir onter ZeitwSrt«ro?
„Solche, welche entweder die Zeit nnd die Thfiticfkeit einer Person be-
zeichnen, oder die Zeit und den Zastand, in welchem sich eine Person oder
Sache befindet."
IHe Hntter widdertiolt mit dem Kinde das ebmaH Eriemte mit dereelben
nnemdiöpf lieben Gedald wie Mher mit dem Sftngling. Sie wiederholt fort-
wahrend, hoi jeder Gelegenheit, bis sie nberaengrt sein kann, da.ss ihr Lieblins:
klare I3e<^'üie von Personen und »Sachen, von Eigenschaften, Thätigkeiteu und
Zuätiiudeu hat; denn dann ist sie auch sicher, dass er die drei verschiedenen
Arten ven BegrifbwSrtem riebtiy aniuwenden wisien wird. — In Slinlielier
Weise werden die BeztehnngewQrter dnrehgenooimen. So lernt daa Ktnd all-
mählich; aber was es einmal lernt, fürs g-anze Leben. —
Wenn es sich um die dentsche Sprache handelt. d^^Tin lülerdings sind die
Übnngen im Decünireu uuerlä«slieh. Aber, sobald die Mutter den Unterricht
im FnuuäMaehen beginnt, wird sie sieli liftten, ihn dnreli Dedinatioa n er-
schweren, zumal eine solche in jener Sprache dodhi gainicht existirU In Bezn^
auf die Wortclassen fdg;t .sie den deutschen Benennungen die französischen bei:
sie sucht dem Kinde einen khiren ( berhlick übi-r das Wesen nnd die Bedeutung
des Verb zu geben, wie über die Cui^ugatiou dei»üelbeii, die sie dann tüchtig
fiben iBaat — Wfthrend dieser Zelt ist ale alMr andi fttr sich sdbtt nidit nn-
tiiätlg geblieben. Sie ist Autodidakt. Ifanches Lehrbuch nimmt sie dnreh«
um ihrm geliebten Kinde das Lernen zn vereinfachen und zu erleichtem.
In den Grammatiken von Xoel un<i Chapsal. Ploety , Mätzner tindet si»^
manchen schätzenswerten Autschluss iu Bezug auf Formeu- und Satzlehre, wäh-
rend sie sich durch Lesaint's TraitAde la prononelatlcn frani^idBe Klarfadt tber
die Aussprache verschafft, durch Barbieux' Antiharbarus über veraltete und
ungeeignete Ausdrücke. Eiidli'li ^Ariht ihr aucli Wailly's Wörterbuch nicht
fremd. Die darin enthaltenen Conjugationsinningen erscheinen ihr als eine Er-
leichterung des Unterrichts, da der berülimte Lexikograph elf Grundverben an-
nimmt, nach denen alle übrigen coqjngirt werden, wodurdi die Zahl der nn*
regelmäßigen anf ein Minimum zusammenschmilzt. — Die Mutter übt mit dem
Kinde die Verben, lehrt es die abgeleiteten Zeiten ans den Stannnzeiten .selb«f
bilden, und fügt dem abzuwandelnden Verb nach und nach erst »'in Regime.
aUmählich mehrere bei, — Das Kind erlaugt durch diese Übungen nicht iiui
die wflnsehenswerte Zangenfertigket; es erlernt auch spielend die Mdnncr der
Sätze, nnd die vom Deutschen abweichende Wortstellung. Im stetigen Fort'
schreiten werden zwei Verben auf einmal, demnarh }fan]'t- nnd beigeordnete
Sätze, oder Haupt- und untergeordnete Sätze miteinander geübt, wobei das
Kind die Indicatüf- wie Subjonctüregeln praktisch erlernt, und zugleich für die
Bedentnng dar verschiedenen Wortclassen das nSthlge Verst&ndnis eriangt
Da die Hntter mit ihrem. Kinde nicht nnr die bejahende, sondern aaeh
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die verneinende und fragende Form der VerV'f'n übt, sn i'^t es ilir leicht, von
der Conjogation auf die Conversation überzugeiieu. Das Kind, das sich iu der
firemden Sprache anszadrficken vermag, wird durcU die Freude darüber zu
neuem Flel0 eminthigt — Sobald ee abvt hinlSiiglich die Befelii praktisch gefibt
hat» gibt ihm die Mutter auch eine Grammatik in die Hand. "Was darin iteht,
■pr^^rf sich das Kind mit Leichtigkeit eiti, da ihm faat alles l)erelts aus den
tj bangen bekannt ist. Die Mutter ist unermüdlich im Wiederholen mit dem
g^eliebten Wesen, und sucht sich durch Fragen zu überzeugen, dass Klarheit in
dem kleuieD KOpfdieo yortiaiiden eeL Sodann nraw sich das Khtd im Ana«
lysiren der Sätze, Satztheile und Wörter schriftlich und mündlich fibcn. —
Wir sehen also, dass das mütterliche Verfahren nicht zn v*'r;H hten wSre.
Im Classcuunterrichte wird ^ ft^ilich nur sehr beschränkt austuhrbar sein.
Einen viel ausgedehnteren Gebrauch können aber Privatlehrer von demselben
naehen. Diesen steht die Macht und onbegrenzte Freiheit der Ihdividuali-
sininf zur Seite, und ihnen Klanben wir snrafcn m dürfen: Frfifet Alles!
das Beste behaltet!
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Bemerkongen zu einer pädagogischen Psychologie
Von Dr. Friedrich IHtUs,
XJnfier „Literatarblatf hat leider nicht genug Baum, um alle An*
forderoDg«!! an dasMlbe befiiedignoi xn kSimm. Wenn wir «ndi anf die
Beqmehonir onbedealendflr Artikel des BUcbomarktes gern yerzichten, so
bleibt doch noch iinnitr eine kaum zu bcwJlltifcnil«' !^^enB:^• nener Schriften
übrig, von denen wir unseren Lesern Nachricht geben möchten. Und da wir
hierbei nicht mit der vielfach üblichen Flüchtigkeit und Oberflächlichkeit ver*
fidiren wollen, so Ahlen wir nur n oft die UnznlSnglichkeit deo ffir die
UtenriMlie Revne ans zn Gebote stehenden Baomes. Unsere Leeer werden
fs daher nicht niisshillig:fn, wenn wir für diesen Zweck dann nnd wann das
„Pa-daR^ogiuiii" selbst in Ansprucli nehmen, zumal wo es sich am Bücht-r
handelt, welche sich mit besonders wichtigen Gegenständen bescliäftigen tiuti
eine nnsffllirliche Beeeneion erheiadien. Ein solcher Fall ist es andi»
wddier nns Twulnsst» die folgende Anseige nnd Bequreebnnir an dieser Stelle
eradkeinen ra lassen.
Psychologie als Gmndwissenschatt der I^Jldag-ogrik. Ein Lehrbuch
für Seminaristen, Studireudü und Lelaer von Max Jahn. Leipzig
1883, Frohbei^. 157 S. 2 Mark.
Die Psychologie als Leitsteni der Fidagogik soll nach .Ansteht des Ver-
fasssers eine d(»p|Hlte Aufirahe lösen. ^Znnäclist hat sie, durch hinreichende
Erfahrnns unterstützt, den Erzieher über die wirkliche Natnr nnd Beschaffen-
heit des Zögliogii autzuklürt:Q uutl an einer genügenden Anzahl von Beispielen
alles TonenfOlumi, was im Kinde dine hesondere Endehnngednfliine enpor-
wftehst Sodann aber muss sie zeigen, wie das natürlich Gegebene zn benntaen
sei, um di»-j*Miif?T'n Tiihalte und Formen des Seelenlebens entst»*hen zu la««''n,
welche den ideuscheu über jenes Erste, blos Naturwüchsige, erheben und ihn
vervollkommnen. In letzterer Hinsicht ist es besonders wichtig, dass der Pädagog
die Bedingungen genan kennt, unter denen es dem ZQgling mOglich wird, ca
diesem vollkommneren Bewnsstsein fortzuschreiten.^
Ge?en dif»sc Grundsätze lässt sich kaum eine befcriindete Einwendung
erheben, und auch die Durchführung derselben, wie sie in dem vorliegenden
Buche niedergelegt ist, verdient im Ganzen alle Anerkennung. Verfasser bat
den ganzen Beichtfanm des menschUchea Seelenlebens ttbenriditUeh vorgefQhrt
nnd allenthalben die pädagogischen Beziehungen der iNjchischen Vorginge und
üebilde aufgedeckt» dabei einen genetisch entwickdnden, leicht faeslichen Vor>
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trair f'ingehalton und, dem propädentiscln n Zwrrk?» feines Buches entsprechend,
die idealen Ziele aller menschlichen Entwickelung und Bildaug au%ezeig:t.
Aach Bein Stil ist correct und fließend, sein ganzes Buch zeogt von vielseitigen
Voratndleii, anster DeDkartwit und Mrgrfältigem Helft in der Aosirbeitoiig.
Wenn dasselbe sonach besonderer Beachtung wert ist und als Leitfaden fiush-
licher Stndien in die anf dem Titel bezeichneten Kreise eingeführt zn werden
Anwartschaft hat. so hJllt es Referent für geboten, einige Stellen hervorzu-
heben, in welchen nach seiner Ansiclii der \'erfasä«r nicht ganz das Kichtige
getroffiBn hat, damit daa Bneh fVr eine nene Auflage noebmab revidirt werde.
SeRMt?evsttndlieh kann Referent nichts wdter fhan, ala aeine Ansicht der des
Wrfas^ers ^g-entibei-zast eilen; dieselbe anzunehmen oder abmletmeB, bleibt
natürlich dem Ermessen des letzteren anheimpestellt.
Um jedoch vor allem die Disposition de« vorliegenden Lehrbaclies, wenigstens
den Ornndalkgeii nach, darsidegen, bemerlceB vir, da» daaselbe nach einer .Aber
die Grenzen de« Körperlichen und Geistigen, fiber die Wissenschaften der
Physiologie, Ptycbophysik und Psyclioloe-ip. i\hpv die Bedentnng der letzteren
fUr die Pädagogik, sowie über die Quellen uad Hilfsmittel der Psychologie
orientirenden Einleitung erstens das Sinnesleben, zweitens das Vorätellungs-
leben innerlialb dea peyehiiehen Keebasismns, drittena die höheren Bewnatt*
seinsweieen, viertens die Willensbildung behandelt und fünftens theoretiacüie
Sfttae über das Wesen der Seele und ihre Enfwtckelnng anfsf< Ht
Da der Herr Verfasser nicht etwa der sogenannten Metaphysik als einer
voEfeblichen Wlwenschaft, mit anderen Worten nidit wilUcOriielier Specolation,
Maden der Erfabrnngr nnd Tonnigawelae der Selbstbeobachtung die
Führerschaft auf psychologischem Gebiete zuerkennt, womit Referent ganz ein*
verstanden ist, so dürfte auch über streitige Punkte eine Verstnndignng wol
za erzielen sein. Indem wir nun auf einige aoffiftllende Stellen des Baches
tingelwn, mflaaen wir, mn nieht aUn weitllnflg n weiden, im vorana anf eine
erschSpfende Attfflhmng alles mangelhaft Ersehtinoiden versichteni wobei
wir aber der Ansicht sind, dass von den hervorzuhebenden Punkten ana eine
omfassende Revision der vorliegenden Lehrschrift vorzunehmen sei.
S. 11: „Jeder besonders gearteten Emphndung wird immer ein be-
sonderer inSever (1) Vorgang ent8pre<^e&.*' ES kann auch ein innerer^
blos subjeetiver Yoi^ng sein. „Der Lichtstrahl, der bei 450 Billionen
Schwing:nng-en gesehen wird, heißt roth. Haben wir die Empfindung des Orange,
ist die Schwingnngszalü 472" etc. Eichtiger: Die Empfindung, welclie
bei 400 Biil. Schw. entsteht, ist die des Rothen; ist die Schwinguugszahl 472,
so haben wir die Empfindung des Orange etc. Überhanpt ist der ganze hier
in Betraeht kommende Abschnitt (§ 8) nicht besonders gelangen and einer
Umarbeitung bed'iirftig. IMp Darstellung des „psychopliysischen Gesetzes"
ist breit nnd unklar und schließt mit dem geradezu horreiulen Resultat: ^Nimmt
der Reiz um das 10-, 100-, 1000-, 10000 fache zu, so die Empfind an g um
das 1-, 2-, 3-, 4fitche.'' Überdies dflrfte dem psychophysisohen Oesetze in
einer pädagogischen Psychologie kein hoher Wert zukomuien, da die ganze
Pgychophysik denn doch noch lange kein untrügliches Evangelium, vielmehr
noch sehr subjectiv und problematisch ist und, was liier noch besondei-s betont
worden muss, bisher für die erziehliche Praxis so gat wie nichts geleistet
hat — Dass die Dellnitlon nnd üntersdieidnng der Begriffia „Walunehmnng*^
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and „Anschauung"* (S. 21 1.) weder dem Sprachgebrauch euuprechend noch klar
ist, sei nur nebenbei bemerkt, da die Sache keine principielle Bedeutung bat.
S. 23: »Wir MflMeD aas mit der Annahme iMmldgen, da» die Sede die
angeborene Fähigkeit besitzt, räumlich anzuschauen.'' Dieeea „Müssen'*
entspringt nicht ans psvcholrvisrischen Tbatsachen, sondern aus einem durchaus
unbegründeten Dogma, auf weiches wir weiter unten zu sprechen kommen.
Übrigens sollte der ganze hier beriktte Abiehnitt (§ 13) wegen seines sehr
problematischen und praktisch nnfrnchtbaren Inhaltes glailieh ums«'
arbeitet, namentlich auch stark gekürzt werden.
S. 42: „Man nennt nnn im allgemeinen die Eifenthüralichkeit der Vor^
stellongea, über sich hinauszu wachse und in Bewegung und Handlung über-
zugehen, das Streben, vnd die Vorstellnagen selbst Strebnneen."
Eine gUudieh Tofehlte Definition. „Das Übendchhlnansgehen" nnd „Ubo^
gehen'* der Vorstellungen findet sdilecliterdings niemals und nir^^ends statt, ist
eine volleudtn«- contradictio in !\dje( to, die im wirklichen Sein and Geschehen
des SeeleulebeDü keinerlei Anhalt findet. S. 43: „Überhaupt sind unsere Vor-
steUnngen immer (!) tm einer Anaahl Gefthlen begleitet und amsdiwSmt."
Eefaieswegs. Was sollte aadh ans. dem Unterrichte^ ans dem Stndinm, ans
Forschung, ans der lereistig-en Prodnction werden, wenn es «rh verhielte? ■ —
Ebenda wird gelehrt: „Dass, ehe ein Streben entsteht, immer erst eine Vor-
stellung bewusst sein mnss." Keineswegs. Das Streben ist im Gegentheil
üa» Yiel laimitiyere Fem des Seelenlebens, sls das Vorstellen. Verfwer
selbst erkennt dies ja an, indem er ftttflUirt: ,3Ad<^t man jedoch, dass sdion
das nen^borenc Kind iiacli Xnlirung' verlangrt. ohne vorher Milch g:esehen zu
haben, oder Nahrnng' Uberhaupt vorstellen zu können, so leu'^litet »mü, dass
nicht jedes Streben vou betitimmten Voratelluugeu ausgeht. 2s ur dunkle, unbe-
stimmte Empfindungen md Gefühle sind in solchen FBUen die Veranlaasuig
des Stzebens. Man nennt solebe elementare Vorginge im Seelenleben Triebe."
— Gmi7. ri hti^, aber es ist der directe Widerspruch rnm Vorigen und die
Deposttcduung der Vorstellungen aus der Herrschaft, die ihnen soeben erst
zugesprochen war. S. 44: „Die befriedigten Triebe lassen Erinnerungen zurück,
nnd kehren diese als Strebnngen wieder, so sind sie denn Begehrnngen."
Ziemlich richtig. Xun folgt aber: „Anterdem bleibt noch aufrecht: jede
beliebifj^e Vorstellung kann znr Belehrung werdf»n - r>i'>«**s „Außerdem" ist
eine ganz unorganische Zuthat zu der richtigen Theorie, eiue durchaus fremd-
artige Ingredienz mm wirklichen Sein nnd Geschehen. Es ist nicht wahr,
daas Jede beliebig VonteEnng, z. B. die eines Quadrates oder einer WindmfiUOr
zu einer Begehrang werden könne. Die Vorstellung wird überhaupt niemals
etwas anderes, als was sie ist; sie hat keineswegs die Eigenthümlichkeit. ..über
sich hinaus zu wachsen" und in etwas anderes „überzngehea"| sie bleibt stets
VotateUnng. Aach hier gelten die Sit»: AsA nnd A nicht =B. Der
IiTtham aber, dass das Streben ans den Vorsteilnngen entspxinge, bemht
darauf, dass die Vorsteilnngen häufig als Weckungsmitt el , als Reproductions-
hilfen anf Triebe und affective Seelengebilde wirken; in diesen und in
ihnen ganz allein liegen die Motive, d. h. die bewegenden Kiftfte des ge-
sammten WlUenslebens von den ersten Elementen an bis sn den hOeksten
Formen. Bein objective, intellectaelle Seelengebüde, eben Yorstellnngea, sind
niemals Wurzeln eines ttber sie hinansgefaenden Strebens; nor sabjectire,
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— U9
affective Seelengebilde, also Empfindungen (angenehmer oder onangenehiiier
Art), wie theils tdum im nengebMeiitti Kinde ans denen Lebenazaständen
entspriDgen« tbeiis ans den annnebr beginnenden Infleren Einwirknng«i and
dem weiteren inneren Leben hervorgehen, sind Quellen der Begehrungen and
Abneig^ongen. Dies weiter auszuführen, kann nicht Anfgabe einer Reoension
sein. Aber hervorheben müssen wir nochmals, dass die Täuschong, der falsche
Sekeizi, es seien die Voretellnngeu eigentliche Hotoren Im Bereiehe de«
Willendebens, daher rOliit, da^ dieselben in der menschlichen Seeleiietttwlddiini^
allmälilirh mit affectiven (?eljil(len finid Kräften) sich (derart assorüren nnd ver-
schmelzen, das» sit^ dann dii sc eigentlichen Tri< bkrätte wecken, reproduciren,
aaslösen, in Wirksamkeit setzen können, was deshalb in so umfänglichem
Mtße geechieht, weil die Dinge and Vorzüge, welche auf den Ueaachea
wirken, nicht blos geistige Abbilder in ihm hervorrufen, sondern hftnflg aach
zugleich .sein Wol nnd Welie Ijc einflössen, also Enipfindungszustände, snb-
jeetive \'erändernne:en, persönliche Erfahrungen in ihm erzengen, die sich
dann, oft von Vorstellungen wieder erregt, als bestimmte Begehrungen und
Widerstrebfnngen reprodadren.
Unaer Verfasser fährt fort: „Überhaupt adielnen die Begehrungen den
Gefühlen parallel zu laufen, indem das Angenehme (Gefühl) begehrt, das
Unangenehme verabscheut wiid." So ist es. Nun kommt aber wieder
ein Calscber Zusatz: „Die Erfahrung zeigt jedoch, dass oft auch manchem
<Angenehm«i wldentrebt nnd maaehes Sehlechte (adl wol heUm: Unangenehme)
begehrt wird. Man hat sich also zu hüten, allgemein das Angenehme ab
Grund des Bej?' hrt n«, I is I ii tüi^^mehme als Grund des Verabschenens anzn-
Rehen." Hier liegt wieder eim liinschung vor. Begehrt wird immer nur
das Angenehme, verabscheut immer nur das Unangenehme, im Kinde, wo
wegen Hangela an Erfahrnngen and Erlnnernngen noch keine Beflexion
cntwiektit ist, zeigt sich dieses unabänderliche Gesetz des positiven und
negativen Strebens ^tpts rein nnd nnverhüUt. Der falsche Schein, da.ss dii'ses
Gesetz dann bisweilen, eben nur bisweilen, ins Gegentheil umschlage, entsteht
dadurch, dass der Mensch, eben infolge gemachter Erfahrung nnd reiflicher
Abwtfuig deeeeUf waa Ihm Angenehmes nnd Unang^hmee widerlahren kann,
auf eine Annehmlichkeit verzichtet, nm sich durch diesen Verzicht eine
größere Annehmlichkeit zu sichern, oder eie f iel fem zu halten, dnrch
welches die momentan erreichbare Annehmlichkeit überwogen werden würde;
oder daaa .er ein Übel aof sich nimmt (sich vielldeht den heftigsten Schmerzen
untenleht), am einem grMeren Übel (etwa dma Tod odo- der BBSle) an ent-
gehen, oder eines Glückes (z. B. der Gesundheit oder ewigen Seligkeit) theil-
haftiezn werden, welches den momentanen Schmerz zu überwiegen verspricht.
Der Mensch kann sich dabei irren, weil die bereits gemachten angenehmen
oder schmendidien Erfahrungen keine dnrehaos sicheren Ratbgeber Ar
Seine Entschliefiungen sind; dasa aber diese Entscliließungen Jederzeit aas
dem Begehren de.s Angenehmen nnd ans dem Widerstreben ge^ren das Fnan-
geuehme hervorg-ehfii . int auUer allem Zweifel. — Der Schlnss zn den bisher
angeführten Stelleu lautet: „Erwähnt sei vorläutig noch, dass die Gefühle
nnd Strebungen die oatHiUch* gegebene Grandlafe nnd das llaterial dnd,
welches der Erziehtf hauttaen mass, am daaOemüth und den Charakter
za büdea." Sehr gnt, gana dnywataaden. Aber damit ist ja eben die obige
üiyuizeü by Google
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Überscliätzuug der \'or8tellaiigen im Bereiche der WiUensbildmig widerrufen.
MBge also der alte und leider noch, immer umgehende Iirthnm, du» die
Tugend ein Wissen nnd also lehrbar sei, endlich euunal gliiilich ver-
geh win de ii. In dem vorliegenden Buche hat sich, wie fi»^r zuletzt anpeftthrte
Sat2 bezeugt, die Praxis, d- h. hier die pädagogiitche Anwendung der J?8ycho-
logie, abermals als kräftiges Bemedium gegen eine falsche Tl^rie bewährt.
Nim noch einlgea Andere. S. 74: ,,Lilb]ge der EinilMdihdt nnd EtadMit
der Seele hängen alle Zostftnde derselben untereinander eng zusammen, so
dass trotz d^^r A'ielheit derselben doch nur ein Bewnsstst'in sich bildet nnd
diese Einheiliiciii^eit auch in seiner zeitlichen Entwickeiung im Einzelnen nnd
im Oanaen beibeliilt" S. 75: „Infolge der TOnfaiJthiiit der Sedn iat jeder
Bewnastaeinidnhalt fBr ridi bcatefaend, nnd kein VorstelInngMet kann die Bolle
eines anderen vertreten. Da aber zugh i< h jeder Zustand beharrt nnd sich
wieder geltend zu machen sucht, so werden die Vorstellungen, durch die
gleichzeitige Geltung verschiedener Gesetze zu Kräften, womit wir aber
meinen, dass die Vorstelltuigen einander dringen nnd drtteken« nm bewtust m
bleiben oder wieder bewusst zu werden." S. 146 ff. wird dann die angebliebe
Einfiu-liheit der Seele näher bestimmt. Bewiesen soll sie durch die „einheit-
liche" Ichvorsteilung werden. Jede Art von fiiLumiichkeit wird der Seele
abgesprochen, es gibt in ihr keine Theile, kein Hier und Dort, kein Oben und
Unten, addeeliterdinga nichts Stoffliehes, de Ist eben ein abaolnt dnlkcbci ud
nnrftnmUehee Weaen. Doch wird als wahrscheinlich angenommen, „dasa sie
vorschiedone Angriflsp'inivt- im 'n him finden kann". — Das alles ist dem
Kelerenten vollkommen uubegreitlicli. Wie sollen in einem derartiicen Wes<^n
zahlreiche Zustände verschiedener Art, viele Bewosstseinsinlialte in strenger
Sondemng, eine beliebige Menge von scharf beatimmten VorsteUva^CQ ent-
stellen nnd bestehen, untereinander „znsammenhllngen," sich ..dnin^en und
drn'kpii" ktinnen? ^Vie ist in dem absolut Einfadien und Raumlosen über-
haupi ein Vielfaches, ein Zusammenhang-, eine Bewegung denkbar? — Die
Ichvorätelluug beweist hier gar nichts, intibeboudere beweist sie nicht im
mindiaten die Einfisehheit der Seele. Denn sie ist nvr formal dnheiflieh,
ihrem Inhalte nach aber tausendfach verschieden. Eine Gesammt-Ichvor-
«tellnner mit constantem Inhalte existirt überhaupt in Wirklichkeit nicht, sie
ist eine bloße Abstraction, ein Denkact, der Aber das psychische Sein nichts
entscheidet. Weil aber mit aller Gewalt die Seele zu einem „einfochen Wesen"
geatampelt werden mnas, ao bleibt ea freilieh aneh gm nnerklirbar, wie ain
im Stande sein k5nne, ,4'äumlich anzaschanen'^ (s. oben), wenn nicht etwm
die nachträglichp Hypothese, dass sie von einem Piinktf^ df's Orhirtf« znm
andern springen könne, das Häthsel lösen soU. Aber diese Hypothese lultt
keineswegs ans der Verlegenheit; denn in einem abaolnt ranmkaen Weaen,
welche Evolntionen man denuNlben aneh gestatten mSge, hat eine Baamvor-
Stellung überhaupt keinen Platz, kann eine solche schlechterdings nicht m
Stande kommen. Dies dennoch annehmen, heißt einen absoluten AViderspnich,
ein unbegreifliches Wunder setzen. Ja, eine solche Seele, wie sie hier ange-
nommen wird, ist flberfaanpt zu gar nidita tn gebianchen, am allerwenigsten
snr AaibteUnng irgend eber FUyebologia; ale 'iat ein UoBea Oadankandtoy» noch
dazu ein undenkbares Gedankending, ein reines Nichts, bei dem alle Psycho-
logie volUunnmen nnmDglich ist» der todte Funkt aller pajrchologiwhen Unter«
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sachnne'. Wird eine solche dennoch unternomm^^n. so f^esdiieht in directem
Widerspi-uch mit der Seeienhypothese und von ganz anderen Grundlagen aus.
Referent weift recht wol, dass diese Me und lebloBe Seele, die auBge-
BprodieiiennaSeii keinerlei Anlafe oder Kraft hat, die nicht empfinden und
'wahrnehmen, nichts empfangen und nichts produciren kann, dass diese voll-
kommen nichtige Seele, nicht von Herrn Jahn erfunden, sondern da«^s es die
Herbart'sche Seele ist; aber Herr Jahn hätte sie nicht adoptiren sollen. Sie
paant dnreluHU aleht in eeiiM F^ehologie. Überimnivt eoHle er nw daaeiben»
ivdl er ja praktiaolie Zmeke verlDilgty AHea anwnamn, „worftber eich bie
jetzt nichts Gewisses sagen lässt," wie er selbst (S. 152) bemerkt. Er hat
sich ja die Erfahrung, besonders die Selbstbeobachtung, zur Richtschnur
gewiUüt: was sollen also Dogmen, die nicht nur in der Erfahrung gai- keinen
Halt baben, eondem mgar ndt dem gannen emiMcben Seetenlebeii (uid ein
anderes kennen wir nicht) in vollem Widenapniche Bteben?
Referent hofft, dass das vorliegende Rnch, seinem eigenen Princip geniflß,
eine gründliche Umarbeitung erfahren werde, was nicht schwer sein wird, da
das Bach die Keime d^ Kichtigen selbst da in sich enthält, wo ftberkommeue
InthUmer Uire Schatten weiftn. JedenfaDs kann es nicht bleiben, wie es ist,
da es an inneren Widersprüchen leidet. Dieselben müssen auf die eine oder
.•iTidfMT Art beseitigt v-crdon, wobei zugleich solclie Partien des Buches, dip
ktti-z und daher ungrüudüch ausgefallen sind, einer tieferen Durcliarbeitung
unterzogen werden können. Wir erwähnen hier namentlich das Gapitel von
den „reUgidsen GeAlilen ond Venttellangen" (§ 46) und die Ertrtenuig ttber
das Ethische, welche sich im wesentlichen auf die Nennung der Herbart'idieii
..Ideen'' beschränkt. woTnit dorh sehr wenig gethan ist znninl di -'^ I loen wegen
ihres zum Tlieil sehr anleclitbaren Inhaltes und wegen ihres mangelhaften
Gefiiges keineswegs als endgiltiges Fundament der Sittenlehre gelten können.
Oodi Her glanbt BefMraot sebie Bemerkmigen abfaredien zu soUtti, da sie
ohnehin weitläufiger ausgefallen sind, als es bei Eeoensloiien Brauch ist. Sollte
i^fimnrh eine weitere Motivirun<r der r^usg-psjiror-h'^nP!! Ansichten und eine
Esemi)litication der vorgeschlagenen N'erbesserungen nothwendig erscheinen,
so müsst« er auf sein eigenes „Lehrbuch der Psychologie" verweisen.
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Friedrich Iscker.
Von Dr. lYieilrld^ DUts»»
Am 7. Februar d. .7. vcrscliicd im 73. Lt'ht'nsjrilin df^ k. k. Major i. P.
Friedrich Ascher, ein treu'T Ff »'urul und verdienter Mitarbeiter di*'«pr Zeit-
schrift. Unsere Leser kenneu ihn. Djls Pädagugium liat sieben Anikei voa
ihm TerSfltatlieht, deren Titel und Fundorte wir hier snaammenitelleB: Dto
Seele der Mädclieiierziehang (I, S. 700 ff.). Die Erziehung zum Gehorsam
(IT, 150 tt). Die Erziehnng zur Liebe (II, 583 ff.). Welche Eigenschaften
soll der Erzieher besitzen? (III, 421 ff.). Über den iüüliui»s der Eltern auf
die Berutswahl ihrer Söhne ^^lli, 658 ff.). Über weiblichen Erwerb und weib-
Hdie Thfttigkeit (IV, 238 ff.). Werin liegt der Kemponkt aller Errieluu«?
(V, 276 ff^)
\\\)\ in den meisten nnserer Leser wird sich die Frage erhoben haben:
Wie kam ein .Milirilr dazu, als pädagogischer Schriftsteller aufzutreten? —
Die Antwort >Yird i^ich aus der folgenden biographischen Skizze ergeben.
Friedrieli Ascher, Sohn eines Kanftnanna, wurde am 23bllail810 saWien
geboren. Der Knabe zeigte frühzeitig einen starken WInenstrieb und dabei
ein sehr lebhaftes, zinn Mnthwillen hinneigendes Temperament. Leider ver-stand
der Vater nicht, die Eigenart seines Kindes richtig zu beurtheilen und der Aua-
bildung desselben die passendste Biehtnng zu geben. Er meinte, die Haupt*
sadie sei, dassd«- ji^pBodUcheÜbermath gesllgeltwerde, ondm diesem Zwecke
brachte er seinen Sohn in ein HilitSrerziehimgshaas. Oft, sehr oft hat Fried-
rieh Ascher diese Maßregel fäeines Vatei-s als einen Miss^ff beklag^t, d'ir li
den er einem Berufe zugeführt wurde, ^der seinen Neigungen nie entspracii
nnd noch weniger im Stande war, dem tiefen Drange nach wiasewscJiafflicher
Thfttigkeit, der Ihm von jeher innewohnte, m genügen." Und s^ Scriin, Dr.
Ludwig Ascher, Advocat in Leoben, fügt hinzu: „Er selbst pflegte von sich
immer zu sagrn. dass er weit besser zum Professor, als zum Officier gepasst
hfttte. Ich glaube, dass das Bewosstsein, selber das Opfer einer, wenn auch
wolgemeinten, aber doch verfthlten Brdefanng gewesen n sein, in üim das
Nachdenken ttbw das Erziehnngswesen m&chtig fSrderte.* Doch «rst im lei'
feren Mannesalter, als .''eine eigenen Kinder und dann seine Enkel ihm täglich
Geleg:enheif nnd Anlass zu erziehlicher BethÄtigung boten, wurde die Pädagogik
ein stehender Gegenstand seines stets regen Nachdenkens und Schaffens, ein
Gegenstand, dem er rieh ans eigenster, stets wachsender Neigung von Jahr tn
Jahr immer ausschließlicher widmete und bis an sein Ende das höchste Literesee
zuwendete. Im Jahre 1875 war er alsMiyor in den Bnhestand getreten nnd
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sammt Gattin von WiPii nach Leobeu zu semem oben ppnaTinten Sohne über-
gesiedelt Dort kbie er in den schönsten Familienverhäituissen, geliebt und
faoehgesehltst nicht nur tob d«n Seinen, Mmdern auch von einon groBen Kreise
treuer Freunde, zoftieden und glücklich im Umgange mit edlen Menschen nnd
in nngescbwächter Geisteskraft Die beiden letzten Winter verlebte er bei
-seiner Tochter Hermine, Zeichenlehrerin in Währingr bei Wien, welche den
Eltern die treueste Pflege widuiete. Wie der Verstorbeue mit der Tochter
doxdi den edektenSeetenbondveAntpft war, eohing er auch mit groderZirt'
lichkeit an der treuen Gattin, und es war rührend, wie er mir bei seinen letzten
Besuchen ihm tiefen Kammer um die leidende Lebensgefährtin ausdrückte.
Am 27. November 1882 ward sie ihm entrissen, was ihm so m Herzen ging-,
dakss er sich nicht mehi' erholen konnte. £r eutfichlief in den Armen seiner
Toehter, nnd im bmachbarteii Gerefhof fuid er eeine letite Bnheatttte.
Wenn Friedrich Atelier in seinen Lebensometftnden dentUche Hinweise
anf die Pädagogik fand, so gaben ihm anderseits seine persönlichen Eigen-
schaften den inneren Beruf zu dieser höchsten aller menschlichen Wissenschaften
und Künste, Frühzeitig brach in ihm eine ideale Geistesrichtong durch. Als
jnnger Ottder widmete er seine HvBeetonden am Uelieteii der Malerei nnd
Dichtkunst, deren Werke ihm hohen Genua bereiteten, nnd in denen er sieb
selbst nicht oline Glück versuchte. Allmählich zo? er dann auch die Wissen-
schatten, besonders Mathematik, Astronomie, Physik, Weltgeschichte nnd Li-
teratur in den Bereich seiner Lieblingsbeschäftigungen, indem er einereoita
•elbat, meiit anf antodidaktlachem Wege, immer tieftr in sie eindrang, ander-
seits in diesen Disciplinen Unterricht ertheilte. Hierzu kam, dass Friedrich
Ascher mit einem seltenen Maße von Menschenkenntnis und einem eminenten
Blick für Lidividaaiitäten ausgestattet war, dass er ein warmes Herz tlir die
Leiden nnd Frendem seiner Mitmenschen, ein leUmltesOeflibl fllr wahre l!hre,
bebe Begdsternng IQr alles Onte nnd Rechte, innige Liebe in seinen Kindern
und Enkeln, heitere Gemfttlisnrhe, dahoi aber einen festen, männlichen und
ernsten Charakter besaß. .So kannten ihn alle, die ihm niUier standen, so trat
er auch mir im brieflichen und persönlichen Verkehr entgegen. Wer soUte
sweifUn, daas dn soIcberMann, obwol niebt ans Anderem Benfe nnd nach den ,
Regeln der Zunft^ so dodi kraft seines inneren Wesens nnd ▼ermOge der hei-
ligen Bande der Natur ein gnny.eT und echter Piidnirnrr, ein Pftdafrog' von Gottes
(Tnadon gewesen sei? — Er war zwar nicht in In heute üblichen und von
vielen fUr allein giltig gehaltenen Weise geprüft und approbirt; aber er hat
lieb in nnanfeebtbarer Weise legitimirt dnreb die scb9n^ Erfolge seiner pft-
dagogisdien Praxis im eigenen Hanse nnddtirch seine literarisehenLdstnngNL
Nnr Aber die letzteren geziemt sich hier noch ein Wort.
Sein pädaffogisches Erstlingswerk waren die ..Briefe an meine Toch-
ter", ursprünglich nur dem durch den Titel bezeichneten Zwecke gewidmet,
dann aber umgearbeitet nnd 1873 der (Hfenflidikeit ttbei^eben (Wien bei
Gerold^ 2. AnfL 1878). Der bedeutende Erfolg dieaerPnblicatiou ermutlilgte
Ihn zu weiteren literarischen Arbeiten, von denen wir außer den Eingang:««
envHhnten Aufsiltzen, noch anführen: „Briete au meinen Sohn.** Anlei-
tung zui Selbsterziehung (Berlin 1877, Berggold); „Die Erziehung der
Jngend." Ein Haadbncb Ar Eltern nnd Emeber (ebenda 1874, 2. Anfl. 1877) ;
a Allgemeine Ornndsltae der vorbeugenden nnd correetionellen
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I
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Erziehung'* (Wien and Leipzig IHÖO, Klinkhardt). Hierzu kommen zwei
VolksBchrifken: ,,Dat Kind des Arbeiters'* (Prag 1B76, Dentseher Yenis
zur Verbreitung gemeinnütziger Kenntnisse) und: ,,Wie soll der Arbeiter
heiraten?" (Gra^. Sttnermlirkisclior Vulksbildungrs- Verein). Überdies lieferte
Asrhcr noch mehrere Aufsätze in verschiedene Zeitschriften. In den letzten
Monaten seines Lebens arbeitete er an einer Schrift unter dem Titel: „Kr-
siehnniramaziineii"; vlelleidit kttnnea wir einmal du UnterissseBe Bradip
stück dieser letzten Arbeit TerSlFentlielum.
Für heute nehmen wir von unserem wn^keren und liebenswürdigen Freunde
Abschied. Gewiss war er einer der besten Manuer seinerzeit. Sein Andenken
^^u'd mm uuvergesfilicli bleiben. Müge es zeugen von der heliren Gewalt, mit
welcher die Idee der EnieliiiDg jeden ergreift und ftithAlt, der die ewigen
Fnndunente menschlicher Wfiide nnd Wdfkhrt sucht!
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Pftda^ogisclie Rindscluiü.
Cilturfortscliritte in tirotttuiUiateB. lu Frankreich sind laut officiellea
Atwwctoen im Trienniiitt 1878—1861 an Selralldlineni 8688 nea gebaut, 8989 vepa-
rirt nnd erwoitert, 12510 mit besserem Mobiliar uiitl Leliriippnrat versebon worden.
Die Ko6t«n dieser UeiKteüuDgen belieteusicU auf 2Uül>47 714 Francs und sind tbeils
von den Gemeinden, theils von den Departements, theils vom Staate getragen wor>
den- Da nenerdings Jnlts Ferry wieder Minist frjir&sident und Unterrichts-
minister geworden ist, so erwarten alle Freunde des Fortschrittes das Beste von
der weiteren Entwiekelang der Volksschule in Frankreich. — Auch in England
nimmt die 'Schulreform einen höchst günstigen Verlauf. Während im Jahre 1870 ca. 12000
geprüfte Volksschullehrer wirkten, zählt man deren jetzt mehr als 34000, und die SchOler-
zahl hat sich in dies« iji Zi itraum von 1900000 auf 4 Millionen vermehrt. — In Öst er-
reich ist leider die DorchfÜhrung des SchnlgeMtaes in mehreren Provinzen niemals
mit fochten Bmste betrieben, in andefen durdi den fortwtiirand wacbMNiden Steuer*
druck ffbr beeintrSchtia;-t worden, in. l die gcixfiiwrirtige Constellatiim eröffnet trübe
Aassiebten. Es fehlt fttr die Yolküäcbuleu an (idd, und die herrschende Strömung
ist dem Anftebwunge der Tolksbildiiii^ entgegen.
Am dem («rossherzo^ham — scUroibt mau um: „Mit den Lehrern des Landes
kann ich mich im aUgememen nicht besonders befreunden. Eine groiie Zahl derselben
sind Kopfhänger und Pieti.sten, die übrigen zeigen meist nur ein schwaches Interesse
an der nationalen Hebung unseres Schuilebens und an der freien Entwfckelung
unserer Nation. Ancb die aelbstthätiije Fortbihlnnc: der Lehrer ist eine c^anz ufringe,
wod von pidagogiichen Zeitschriften findet man in der Begel nur die ^Wurstblätter'*.
D»bei ist ei meifcwttrtUg, dass das »Terbrritetste poUtiwbe Blatt dn Oigaa mit
demokratischer Tendenz i'?r."
Das vorstehende Urtheil ist otYenbar kein gUustigcH. Vielleicht ist es etwas
zu generell gehalten, indem es jener wackeren Männer nicht gedenkt, welche sich ale
riiliniliebe Ausnahmen von der dunkeln und apafhi.schen Masse abheben. Es soll uns
Freude machea, wenn jemand zu obigem Bilde ein schöneres, uüt mehr Licht
liefern kann, vorausgesetzt, dass e.s naturgetreu sei. Bringt es vorbildliche Züge
ane einem musterimft ratwickelten Schnileben, so kann dies nur von Nntsen sein.
Allein ftlr jetst nvas zugegeben werden, dass die LehrerRchafk des frap^liehen
Landes im tranzen ein ziendicb bes« baiiliches I' » ' iii fT;>irt, nach außen bin sehr
wenig von sich hören lässt und so zu der Vennuthung Anlass gibt, dass sie an
den eUgemeinett Intereesen, Idealen nnd Sorgen der dentseben Nation, insbesondere
an den ciroßen Fraijen der deutschen Schule und der deutschen Lehrer wcniß' An-
theil nehme, „ätrebe zum üanzen!*' Zn einem Reich der Mitte ist ein Qroäherzog-
thnm denn dodi ni Uein, in einem Abdera, wie wir boiffen, in gro8.
Aus München. Hier hat im Frühling 1881 eine Anzahl von Menschenlreuudeu
einen Verein unter dem Namen „ Knabenbor t" ins Leben genifen, welcher die
lebhafteste Anerkennung und eiingste Nachahmung verdient. Er hat den Zweck:
schnlpHicbtige Knnben «nbemittdter Ettem wihnnd eines Theiles dar ednüfiden
Zdt doTcli geeignete Penmien in bestimmten Locnlen na beMiAiclitigcii, nfttdicli au
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beschäftigeu, uder iu Verstand und Gemütb anregender Weise zu unterlulttu. lue
Knaben sollen hierdurch an Gehorsam, Ordnung, Thfiti^keit, gute Sitten und Rein-
lichkeit gewnlmt iinil vur den Einflüssen nachtheiliger GeselLschaft bewahrt werden!"*
— Der Verein zahlt bereit» Uber GOÜ ordentliche Mitglieder, von denen jedes einen
Jahresbeitrag von niindeätens 1 Mark entrichtet. Das wolihätige Wirken des Vereins
kommt DMuentUch solchen Knaben su Gnte, deren Elten genöthigt und, w&hrend
des gsnzen Tages fem von ilimn Hefan nnd ütrm X^indeni i^bät obzalie^n.
Am 24. Mai \SSl eröffnete «ler Kmhenhort^ mit '>0 Z*1glingen seine erste Aii:.talt,
TiUkenätraße Nr. 48, Als Erzielitr wnrde Herr Lehrer Uampp angestellt, über
deesen bisherige Wirksamkeit nar RQhmliche« rerlautet.
Die Knaben, im .^Iter von 6 — 13 Jahren stehend, finden während äcr schul-
freien Zeit in der ihueu vom Verem bereiteten Stätte Unterkunft, Autsicht, Be-
schäftigung und angenehme Unterhaltung. Bei gUnstiger Wittemng machen sie
mit ihrem Erzieher AnaflQgo in die Umgebuiiju; Münchens, in der Stadt selbst be-
suchen sie zu ihrer Belelirung Ausstellungeu und gewerbliche Etablissement«: da;*
städtische Freibad and ein städtischer Tunmal sind ihnen zur Benutzung /iiirüuu-
ticku Im ÜMse selbst finden sie nebst Erholung und heiterem Spiel luich Anleitung
arbeiten u. s. ^v. Puneorn v.irl der Ge>;inir und amli TnstnunentalniU'^ik floißig
gepflegt. Dabei erhalten die Kinder in der Anstalt Brot und, soweit es die Vereine
mittel ermi^tichen, auch KkMiuig. Ihr Betragen ist im ganzen «ehr sufriedea-
fitelletid und liei^sert sich nnter dem Einflüsse der An?«taU zrisehend'': diese wirkt
mit besonderem Eifer auch auf Fleiß und löbliche? Verhalten ilirer Zugünge in der
Schale hin. Körperliche Züchtigungen trendet sie ui'ht an: ihr stärkstes Disci*
pünarmittel ist zeitweilige An^schließung aas der Anstalt , welches in den wenigen
Fällen, iu denen es bisher zur Anwendung kommen musste, .sehr günstig gewirkt hat.
Eüne Anzahl Bürger Mtlnchens haben als besondere Fretude und (iunner die^e«
löblichen Untemebmens denselben mancherlei UnterBttttnmg und Förderung ange-
dellien lasten. Und gewin Terdlent der „Knahenhort** die Tolbte Sympathie aller
3Ienscheiifrfun<le , da er der sittlichen Entartung,' der JuLreiid in der :
Weiüe ent^gen tritt und die allseitige, besonders die muraiiscbe Erziehung deri>elbcn
mit rühmlicher Einsicht, Kraft und ündgenntttsigkeit Ärdert. Am 16. November
1882 hat er bereits, abermals mit 5f) Z«irlineeTi, seine zweite Anstalt eröflhiet
Gehet hin und thut dogleiehen! rutVn wir den Menschenfreunden in
anderen Städten zu. Dabei empfohlen wir als Kathireber das Vereinsblatt dee
..Knahenhort'". welches unter gleichem Titel (,.K nabcnhort -'i seit Beginn diesem
Jahre.s am ersten jeden Monats erscheint, nicht nur über das eiirene Wirken be-
richtet, sijudeni auch Nachrichten von verwandten Vereinen in anderen Orten gibt
und fOr den geringen Betrag von 1 Mark 80 TL hallyftbrUch bei allen Poataastalten
und Bnehbandlangen abomnrt werden kam.
stimme eines Kroaten über die deutsche iSpraehe. Baron Jovanovic, Fehl-
manehaU^Lientenant, Statthalter und MUittrk>>mm«ndant von Dalmatien, hatte den
ihm unterstehenden Beamten empfohlen, sich im internen Dienstverkehr der deut-
schen Sprache zu bedienen. Dies hatte in manchen slavischen Krt'i.sea Miss-
etimmung erregt, infolge deaen Jovanovic gesprächsweise äußerte: „Es kann
mir nicht in den Sinn kommen, als Germanisati-r aufzutreten. A1>er ich «lenke mir.
jedes Staatswesen muss dof;h eineStaatssprache haben, ein alli^enieines, einheit-
liches Verständiirnngsniittel, and man sollte glauben, das^ dies in ( t>tcrreich denn
doch nur die deutsche Sprache sein könnte. Nicht aus NationaliUUa», aondcrn
«na ütUititsrUclD^bten habe feb den Beamten den Oebraneb der dentaehen Spvaebe
einj)fohlen. Die Muttcrsijrache jedts Einzelnen in Ehren! Aber jeder höher gebüilete
Mensch kann bei den heutigen Lebens-, Bildungs- und Verkebrsverbftitnissen mit der
kroatiBcben oder czechiachen Sprache allein niebt anareichen. Er mms doch «ne
der großen "Weltsprachen kennen, und da ist die deutsche durch q-crigraphis-rhe;
ethnosrapbischc, politische Verhältnisse und durch unsere ganze Bildungs>entwicke-
Inng die nichatliegende." Sehr richtig.
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^ 457
Am Bekien. Hit besonderer Heftigkeit wUthet nun acliou seit Jahren der
Schnlkanpf m Belgien, wo mefa der Clwns, in tonen Beitrebangen gescMtrt durch
den Artikel 17 der Con-Titutinn von 1830 („Der Unterricht ist frei "Ii, vön-<t!iinlig ztim
Herrn «1er Schale aufgc-^ciiwiiugeii hatte. Wol fand schon im J. 1842 eineTheilun^
der SchulanÜsicht in eine hOrgerliche und geieUiehe statt, jedoch vemiochtc diese-
Tn>»titntion Jen kirchlicLon Eitiflusa nicht wesentlich zu schmälern. Das wurde erst
anders infolge des ans 4ö Artikeln bestehenden Schulgesetze«, welches im J. 1879
itadi hefUgmiparliUMeutarisclii n Debatten angenommen wnrdeund welches, abgesehen
-von anderen zweckmäßigen Änderungen, die geistliche Oberaufsicht beseitigte. Die
confessionslose belgische Staatsschule, welche den Religionsunterricht der Fünorge der
F;imilifMi und der Geistlichen liberläs.st. jedoch den letzteren eine Käumliehkeit zur
Yeri&gnng stellt, ^damit sie darin, sei es vor oder nach den Classenstunden, den die
J9dinle beenebenden lOndem Ibrer KiKhengenetnde den BeKgionsnnteiri ebt ertheHen
kennen" — lit < S't uit,- rlml, lüdet seit ihrer Existenz den Gegenstand der leiden-
ackaftUchsteu Augriile seitens des t'auatisirten C'lerus, und es ist ein Gebot üerNoth-
wemdjgkeiti dass die Staatsgewalt endlich diesen Umtrieben gegenüber Energie ent-
faltet. Es wurde eine Untersuchutiers-rommisston etnß:e8ct7t. welche die Vergehen
der gegen die Staatsachuien nnd deren Lehrer agitirend<^u Priester zu untersuchen
beauftragt ist.
Das im Januar d. J. vorgenommene Zengenverhör bietet einen zn charakteristischen
Beitrag zur Schulgeschichte, als dass wir davon nicht Notiz nehmen sollten. Es
kamen bei deui Verhör haarsträubende Ding»- zu Taire. Kin gewöhnliches Blittel,
die Kinder vom Besuch der Staatsschalen abzuhalten, ist die Yerweigemng der
Saeramente, im Fdle der Etkrankmig der Eltern aneh der Sterbesaeramente. In
den Predi::ten wird mit l m inverblttmtesten Hasse und Fanatisnuts treffen die
„.Schulen uitue Gott" uud die „Ketzer", welche diet^elben besucheu, lüi>gezogeu. Die
streitbarsten Priester stellt der Ardeuner Distriet. Dir Auftreten ist wirklich empOrend.
Ein solcher Prötre modele ist der Pfarrer von Arville. Seine Vernehmung fand unter
groftem Zudrange des Publicunis statt. Die Kraltauädrücke aus seinen Predigten,
welche von den Zeugen r.u Protokoll gegeben wurden, la^n an dra-otischer Bild-
lichkeit nichts zu wUnschen tlbrig. „Die Liberalen sind Schweine in Menschengestalt :
die liberalen Zeitungsschreiber können mit ihren Bastarden zu Markte ziehen; die
OomnumaLschuien sind Rendezvousidätze für Lehrer und Lehri rinuen" — und ähnliche
Bedebltlten. welche von der Kanzel heruntergestoben sind, gehören noch za den
«arteren Wendungen dieses Dorf-Boeeuet. Die meistoi Elogen, welehe er den welt-
liehen Lehrern von dieser St(dle aus an den Hals geworfen hat. sind so stark, dass
die Zeugen bemerken, sie könnten mit Hücksicht auf die Anwei^enheit der Damen
unter den Zuhörern die Ausdrildce unmöglich wiederholen, welche dieser würdige
Mann in der Kinlie vor der cunzen fJetneinde, vor Frauen im Bei.sein ihrer Eander
ausgestoßen habe. Unter andenu wird uucii angegeben, er habe in einer Predigt
gCMgt, die Lehrer der Umgegend hätten die Worte au.sgestoßen: „Nieder mit Gott,
nieder mit Christus!'* Hieraus entwickelt sich folgendes kleine Verhitr, das wir
wörtlich, wie es im ProtocoU steht, mittheilen wollen:
Herr Scailquin, ein Mitglied der (.'ommissiun, fratit den Priester: ..WeMie Lelirer
sind das gewesen!^ Sie wertkn auf der Stelle vorgeladen werden, wenn dieses Factum
walir ist: bei uns straft man raeksiehtslos die Scbnldigen und verateekt die i>etits>
friiw nicht."
Der Pfarrer; „Das Jiat mir ein Amtsbruder gesagt.**
(Er kann natOrlich keinen jener Gotteslästerer, welche die scheatlicbe Blas-
phemie ausgestoßen haben sollen, namhaft machen.)
Herr Scailquin: „So, Sie beschuldigen Leute einer ha.-senswerteu That, um die
Menge gegen sie anfinistacheln, und vur dem Kiehter wa<:( n Sie keine bestimmte
Angabe? Ist ds« nicht eine Feigheit ? Sie haben die Ehre aller Lehrer der Umgegend
»n^^ffen; dieselben wenlen »ich Genugthunng zu verschaffen wissen."*
In der Anweiidnniir der zum Zweck filhrenden Nüttel srlieint die bel<,M.sflie ricist-
üchkeit sich einePädago^ zurecht gemacht zu haben, welche wirklich fUr muster-
haft gelten kann. Der P&rrer von Bogery (C^ton Vieit-Salm) xoA vide seiner
AiutsTiriider haben ft*i von der Kanzel den Kindern aneinpfnhlen. ihren Eltcni nicht
zu gehorchen, wenn dieselben sie in die Communalschule schicken wollten. Sie
sollten sich lieber schlagen laasen als nachgeben. Als bei diesen Worten des wtlidigen
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Ton Rogery eitt lelMO Miflnran dvroii die YflniinmluDg der Ändicht igen uing,
rief derselbe VdU der Kanzel beraT). ,,weim jemand protestiren wolle, so köunc er e>
tbon". Darauf sagte eiu Einwohner, Namens Solheid: „Herr Püunrar, eine ^Iclie
Ifonlt me Sie da lehrai, brauchen unsere Kinder nicht" Ein aaderinnal rief der
Priester aus: „Wozu der viele Unterricht? Das ist 711 crr\T mehtn n&tze. Napoleon L
hat mit einer Armee vou Unwisaeudea die gröüteu J^rfolge erzielt uad" — hier
kommt des Pndela Km. — Juäa FBnk hftt «• m leieht gehabt, enii YoOc tu
ret,'ieren."
Im Auj^st V. J. hat da« belgisclie Untf-rrichtsniinisttriuni angwrdnet. das« mar
Erlangung eines VulksscbnlinspectorateH die AltleiruiijLj einer PrUlong erforderlich sei.
Dieselbe lunfiwst: 1) eine «ebiiftUche Arbeit äber eiu pftdagogiMhes Thema; 2) ein
nnndliches Examen hesttglich der Pädagogik. Methodik, des T^terrichtsgesetsei und
der Ausfühning-svt-rorduungeii. sowie der Lebrpliiiie Ctr V und Kleinkindt-r-
i>chulen, welch' letztere nach Fröbel'schen Urundsfttzen eingerichtet sind; 3; eine
Erpdrohungr des Oandidaten in der Sohnlpnuds, indem denene die Insp^tion einer
St'bule vnr/tnifbmen und hierl\bcr Bcrifbi za erstatten hat. Wer zn dieser Prüfung
zugelass(:Q ütiiu will, niu^ä mind^tcus das Volksschollelurer-ZeugBi« besitzen und eine
wemi^tens achtjährige praktische Thätigkeit als Lehier in einer Vo]k»> ederlCttet-
echule oder einem Ldirerseminare nadiw» i?en.
Diese beii^ische Einrichtung verdient Ix'sonders in äolclien i^taaten Beachtung,
wo e-^ in dan Belieben des Unterrichtsiiiinisters gestellt ist, lYiirrer. ApotlMikeir,
üolM^ La&dwirte und andere Dilettanten za Scbu^iqtectoren aa ernennen.
▼■mtvorUicber RalMtov: iL 9M
BMkdriHktfei Jaliaa Kliakbatdt, Laipdg;
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Fr«ini6 WfinMhe.
Von Director A. OiHtrth" In»terburjf.
Wir haben in onsemi Stande viel treoe und fleUtige Arbeiter;
aber nach meinen Beobachtungen und Erüfthrnngen nur wenige, diei
ndi Heister, Eflnstler nennen dttrfen.*) Der Gnind dafür liegt
meiner Anaicht nach nicht in dem liangel an Talenten, sondern dam,
dsss das Streben nach Kflnstlerschaft an den maßgebenden Stellen an
wenig gepflegt nnd von den Lehrern selbst nicht genügend ge-
wünlijrt wird.
Es steht außer Frage, dass wir das rechte erziehliche Unter-
richten eine Kunst nennen dürfen. £s ist eine praktische Kunst»
ähnlich der des Arztes. Sie stützt *^ich auf Psyclmlogie (in Ver-
bindung- mit Physiologie), ferner auf die allgemeine Päda^oLnk,
welche den Zweck der Erziehun*? iintersucht. um ans diesem mir ililfe
psychulogisclier Deductionen die ;illLifiin'inen Mittel im^l .Mctlioiieu
ahznleiten, welche für diesen Zweck am sichersten und kralligsten
zu wirken versprechen, endlich auf die angewandte Pädagogik,
"die vuu der Didaktik und Schulkiiu(i«' im einzelnen handelt. rOiese
beiücksichtigt die besonderu Verhältnisse der Zöglinge und der Er-
zieher, verfolgt ins einzelne, welche Bildungsmittel füi* bestimmte
Zwecke ansnwenden sind and in welcher Art der Unterricht in den
dniefaien Disdpllnen ertheilt werden soll — Methodik.)
Wer sich als Lehrer Meister (Künstler) nennen will, mnss sieh
hl aU seuiem Thon nnd Lassen auf diese theoretischen Studien stützen
können, also, dass er stets weifi, was er thnt, dass er jeden Schritt
mit Gründen ans den genannten Wissenschaften an rechtfertigen
^ ' Ich spreche nur von Ostpreußen und einem Theile von WestprouBen, Währen«!
meiner 30 jähriuLii Anitsthätigkeit habe ich in Kiiui^sbt rir. DmiziL'. Klhinc. Mi rn. l,
In?'terburg, Tilsit und in mehremi kleinen Stiiiltcii. sowie auf dem Lande in ilasurcn,
Littaaen, im Samlande, im peut>. Oberlaude mehr aln 300 Lehrer persönlich kennen
gcknt, habe die mdsten nnteirichten Mren und mich mit »llen flbw Untenicht
und Bnicbiiiig miterlttlten.
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vtMiniijr. Kr nm-- -icli im Lfiiife der Jahre durch jiiaktisolie. aui
jeue Stiiiiieii ge.^tutzte Krliiliruugea pädaj^og-ischen Tuet erworben
haben, der ihn in den Stand setzt, bei stiueui Haudeiu das Richtige
augenblicklich ohne Überlegung zu trelleu.
Zur Meisterschaft gehört feruei*, daas der Lehrer sichei' und ge-
wandt die Frageknnst handhaben könne und imstande aei, selbst
in großen Ciassen anfier der Bdbe za fragen, ohne ein Kind za Uber-
sehen. £r mnss dabei gnte Disciplin halten, die IndividnaUtat
seiner ZOglinge berücksichtigen und bei seinen Fragen die sehwichetn
und trägem l^chtUer ganz besonders ins Ange fassen. Endlich moss
^ Terstehen, bei jedem beliebigen Stoif, mag derselbe sieb selbst auf
das Gebiet ganz abetracter Begriffe erstrecken, anschaalich*) zn
unterrichten und die Kinder so anzuregen, dass ihnen der ünter^
rieht leicht fasslich tind interessant wird. Die höchste Meister-
schaft dürfte dem zuzusprechen sein, der solch einen Unterricht, ge-
stützt auf Kenntnis der Kinder, ihrer Sprache und Anschauungsweise,
genau jeder Altersstufe anzupassen vermap-. Ich meine, selbst
ein Laie muss zugestehen, dass wir berechtigt sind, einen Belnif, der
snlclie Anfonb'ninqi'en stellt, als eine praktisdie Kunst zu bezeichnen.
Worin liegt es denn beg^nindet, da^s das Sireben, darin Meisterschalt
zu erringen, wie ich oben l)> Itaiii trte, von Fachmännern selbst nicht
genügend gewürdigt wird? Der Hauptvoi-wurf trifft meiner Erfahi ung
nach die akademisch gebildeten Lehrer. Noch heutzutage gilt ilie
alte Klage, da^s die Gymnasiallehrer in der Mehrzahl es fast unter
ihrer Würde halten, sich mit Pädagogik abzugeben-, dass sie der An-
sicht sind, das Hanptverdienst des OjrmnaslaUehrers sei nach sehun
Stadien resp. literarischen Leistnngea ahzomessen. Sobald ich mit
ihnen Aber Lebrkunst sprach, habe ich stets die Antwwt ethalten:
„Ich brauche nur tfichtiges Wissen and Uaren Vortrag; alles flbrige,
was zom dassennnterricht erforderlich ist, lernt man duch Tradition;
man arbeitet sich ein.^*^ Unter diesen Umstanden sind die
*) Hierin and in der damit zueanunenbingenden Fngebildang steckt die Uaapt*
aDforderung der pnktüchen Lehikniiit. Anechaidichee ünterrichten Hart sieh niebt
durch Hegebi erleraea, ist TORngaweüe Seche des Tdente. Walm Lebier wenlen
■lieh Tersteben.
**> Um die Herren in iUrer Aiuiicbt zu besULrkeu, trägt weseutUcb der Um-
etaad vid bei, daes Ide aar Seonnda Haaptgewiobt auf SpiadikeiuitDiBie, naneatlkb
in Latein iind Orieebisch gdegt wird. Da ftr £eie Büdplinen GflanuttatOceii ud
AorgfäUu; creordnete ÜbuDgsi^tQcke in reicher Zahl vorbanden !<ind. so muss darin
auch der aag^hickteftte Lehrer £rtrftgiiches leiaten, aobald er fleiiig atuwendig
üiyitizeü by
— 461
Priina und Secunda meistentheils gut versorgt. Die Lehrer, welche
in diesen Classen unterrichten, sind reich an gediegenen Kenntnissen
und arbeiten sehr tleißig, um die inngen Leute durch ilire \'orträge
zu wissenschaftlichen Studien anzuregen und zu berfiliigen. Aber auf
den rhissei) von der Secunda abwärts sieht's desto trauriger aus. Die
Vortrage allein, mfigen dieselben noch so klar und geistvoll sein,
reichen da nicht aus. Wenn bei diesen Knaben nicht die rechte
Ünterrichtskunst angewandt wird, so kann auch von rechter Vorbil-
dung keine Rede sein. Der Unterricht in den Sprachen muss zu einem
Drillen auf Sprachfurmeu, der iu Kechuen und Mathematik zu einem
mechanischen Einüben von Regeln und Lehrsätzen herabsinken. Uni
die dabei nothwendig entotebende LangeweUe und ünlnst zn bekämpfen,
mnse man zn Zwangsmitteln aller Art greifen und in bedenklicher
Weise den Ehrgeiz anstacheln, Bekanntlieh beginnt anf der Secnnda
die Anstalt sich zn lichten. Eanm ein Sechstel sämmtlicher Schiller
«rrdcfaen diese Giaase, kaum ein Acbtei die Prima. Die Herren
meinen, es habe den andern an der ffir den Gljmnasialiinterricht
erforderlichen Begabung oder an dem -rechten Fldfi gefehlt Das
mag theil weise richtig sein- aber gar viele Jungen h&tten durch
besseren Untemcht zu tüchtigen Primanem und Secundanem erzogen
werden können. Ich bin nicht dagegen, dass die HeiTen an ihre
SchfUer höhere Anforderungen, als an die anderer Schulen stellen;
aber erst mögen sie mir zeigen, dass sie die echte Lehrkunst ange-
wandt habeq. das zu bilden, was in den Knaben bildungsföhier ist.
Dieser Forderung gegenüber pflegen die Herren dar;iiii hinzu-
weisen, dass fiir das (Tymuasium ein besonderer, der so- tiiiuiiite
wissenschaftliche Unterricht erforderlich sei, der Elementariiiitmicüt
sei fiir Element^irscliulen, oder för solche, die nicht, wie Gymnasien
und Realschulen, zu wissenschaftlichen Studien vorbereiten.
Das ist ein ganz gefälirlicher Irrt h um. ]>ie menschliche
Seele ist in dem Elementarschttler ebenso angelegt, wie in dem Schüler
des Gymnasiums; sie entviekelt sich bei allen Kindern ohne
Unterschied nach gleichen G-esetzen, darum sollen sie alle, möge
leroen llstt, daa Gdmt« fleUig ttberhOrt und tüchtig dnttbt (ptnkl). Du hat ni
dar Meinung verftUirt, as klme auf das „Wie" gar nicht au. In ähnlicher Weise
meineti viele Eltern, der erste Unterricht im Lesen und Schreiben sin keine Knnsr.
<ia ja manche ItienstniSdchen die Kleinen zu fertigem Lesen und erträglichem
.Schreiben zu bringen vermügeu. Wenn man Rindern die Nase zuhält und sie zum
SehlnefeeB iwlngt» kanimt die Nahnuig freiUeh vaOi in den Hagen, und der geannde
Oiganiamoa hilft aieh dann von lellMt weiter. Aber! —
30*
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der Lelirstoft' noch verschicdim sein, mit ein und derselben Kunst
unterrichtet werden. Die Methode, bei welcher sich der Schüler des
Gymnasiums kng"wei]t, wird denselben Widerv^^illen beim Elenientar-
schüier erregen; diej» nji^^i, welche diesen mit Lnst und Streben ertiilll
und rasch fördert, mu^s auch dem Gymnasiasau ersprießlich sein,
mag gelehrt werden, wiis man wolle.
Wie Goethe von der Dichtkunst, darf man auch von unserm Bei ule
tragen: Es gibt nur Eine Erziehungs- und Unterrichtskunst;
alles übrige ist nur Annäherang und Schein. Damm moBS,
aoU's bees^ werden, die Zeit kommen, dass jeder Lehrer ohne
Unterschied seine wahre Ehre darin sncht, sieh dieser Ennst
zu befleißifen und in der Ansttbang derselben Heistersehaft
zu erlangen.
OegenwArdg stOSt diese Ansieht bei den GymnaaiaUehrem ftst
flberall anf WiderspHieh. Daher geschieht auch noch nichts für die
80 sehr nothwendige Einrichtung praktischer pädagogisdier Seminare
an TTniveraitäten. In der letzten großen Conferenz, die am 28. Mai 1876
in Bonn Ton Professoren vnd akademisch gebildeten Lehrern abge-
halten wurde, hat man die sehr ventonftigen nnd zeitgemäßen Vor-
schläge des Collegen Nohl verworfen und hiichstens den Bemühungen
des Herrn Professor Stoy. der bekanntlich in Jena ein Seminai' für
das Studium der Theoi ie der i >ziehaDg8- und Unterrichtskuust leitet,
einige Aufmerksamkeit gesiiipnkt.
Es ist damals von Prolessoren und Dirt-iiuieii geradezu eiklärt
worden, man halte eine praktische Vorbereitung für den Beruf geradezu
fiii- überflüssig; „das Handwerksmäßige lerne sich leicht während des
Unterrichts selbst und das Künstlerische lasse sich nicht lehren."
Die Folgen solcher Ansichten sind verhängnisvoll selbst für das
Volksschnlwesen. Bekanntlich werden — wenigstens hier in Ost-
preußen ^ za Seminardirectoren ond Seminar-Oberlehrern nor Theo-
logen bernfen. Ist za erwarten, dass diese Henen, wehshe mit der
Oymnasialbildang jenen gefiUirlichen Irrthnm eingeeogra haben, plötz-
lich ganz anderer Ansicht werden und nnn für Elementarschulen und
Gymnasien ein und dieselbe Kunst verlangen sollen? Dazu wSre
durchaus erforderlich, dass sie vorher jahrelang an Elementanchulen
mit ganzer Hingebung gearbeitet und durch diese Besehfifdgung, ver-
bunden mit theoretischen pädagogischen Studien, einen ganz neuen
Menschen angezogen hätten. Das mag ja hie und da vorkommen;
aber immerhin werden diese Wenigen auf das Ganze zu wenig £infiiiss
ausüben.
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Wo ich iiiii jent^n SeiiiiiiKilMln bni über obiges Thema «gesprochen,
liabeu .Sie t^tets die Kopte geschüttelt und au dem Inthum von der
für (Tvinnasieii allein ersprießlichen „wissenschaftlichen Methode*' fest-
gehalten. Da diese Herreu an den Lehrerseminarien nur den höheren
Unterricht zu erteilen haben, so bleibt die praktische Ausbildung für
den Lehrberuf den seminaristisch gebildeten Seminarlehrern überlassen.
Der Director ertheilt swar den Untenicht in Pädagogik; aber die
Leitung der Obangesdude und der Lehiproben der jungea Leute liegt
doch vorsngsweiae.iii der Hand der im Elementarimterriebt er&hreneE
Lehrer. Diese bringen den jangen Lenten eine Menge nfktdiclier
EimstgrifiB'bei; aber es feblt dabei die rechte Verbindaag der Praxis
mit der Theorie. Die jungoi Elementarlebrer liabea eine gewisse
handwerksmflfiige Bontine; aber von einer einheitUehen auf die Wissen-
Schaft gestützten Durchbildnng ist bei ihnen keine Rede. Wie ganz
anders liegt die Sache da, wo an der Spitze ein Meister steht, der
die ganze Ausbildung selbst leitet and durch seine eigenen tUchtigen
Lehrproben, die sich an die theoretischen Vorträge anschließen, den
jungen Leuten die rechte Richtung zu geben und zugleich die nöthige
Wärme dafür einzuhauf-hen vermag'. Bei dem gegenwärtigen
Staiifle der Ausbildung akademischer Lehrer wird man für
die Elementarlelirer-Seminare auf solche Leiter wol noch
lange verzichten müssen.
Wir haben eine bessere Zeit gehabt. AIh Herbart und Dinter in
Königsberg in Pr. wirkten, als die Lehrerseminarien von Männern
geleitet wurden, die zu FülJen Pestalozzis gesessen hatten, ist hier
in Ostpreußen unter den Volksschullehreni uud den akademisch ge-
bildeten Oberlehi*ern ein reges Streben zu finden gewesen. Ich habe
in meinem J&nglingsalter eke Menge alter Lehrer ans Jener Zeit
kennen gelernt Die Veteranen ans Dinter's Schale verstanden in den
Eeligionsstonden meisterhaft zu catechtsiren und handhabten in jeder
andern Stnnde die Fragektinst in einer Wetse, dass jedes Lehrerherz
erfreut nnd com Nacheifern angespornt ward& Namentlich stehen
nur noch die Hftnner tot der Seele, die Dintei: »als sehie Söhne*^
hezeicfaftet and stets mit dem traotichen ffDa" angeredet hatte.*)
•) Zur Zeit der kirehüchen uni <^f iitlichen Reactiou im .lahi-f IHM zoq; oiiu^
<}cflellschaft vou Ziun.«« Wächtern durch die i'rovioz, um llberall aut diese Lehrer nud
4ie fireisiniügea Geistlicbea zu fahoden. Sie erklärteu, wie ich selbst gehört habe,
die DinteNdie ffibel „«b gvtt m Bnttentapier" und Terboten, wie die in donselbea
Jahre eiwiheinenden „Regulative" das Catecbisiren. Seit der Zeit ist du Streben«
•ich zum Hdster ia der Fngekanst anmbildeii, hat ganz eingeschlafen.
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Mit Stolz darf ich zu diesen Mänuera meinen zu frnlk vei-storbeneQ
Vater zählen.
Die Junger Herbart's waren überall l)estrebt, dessen psycholo-
gische Forschungen und pädagogische Ansichten bei iliiem Unter-
lichte zu v^*weiten und denselben zu einer Kunst zu machen. Ein-
zelne derselben haben in Königsberg and in aadem Stidten Vofsehnlen
f&r Gymnasien gegründet nnd die jangeren' akademisch gebildeten
Lehrer, welche damals oft jahrelang ohne Anstellung privatisiren
mussteUf fOr ihren qAteren Bemf vikrdig vorbereitet Ich habe mit
alten Oberlehrern gesprochen, die in ebier dieser Anstalten, der des
Oberlehrers Castell in Königsbetig, ihre Vorbildnng genossen hatten.
Die Ittnner verstanden ihre Evnst Jetxt wevden die jungen Leute
nach bestandenem Examen pro facultate doceiuli. durch welches sie
nnr das Maß ihres Wissens bekundet haben, flugs einem Gymnasium
oder einer Realsdiale überwiesen, um sich dort „einzuarbeiten". Die
hochgel&hrten Herren in Bonn haben die These des Heim Professor
Meyer angenommen, in der es heißt; ..Die Can<üdaten sind vom Pro-
vinzial-Schulcollegium passend befundenen Schulen zuzuweisen, deren
Lehrercullegium es übernimmt, die juns'en Leute ^välll•pnr^
eines ein- oder zweijähris^en Cursus durrli colleL'-irHi'if'h»'
Anlt'itung, Beratung und Aufsicht in die Si'hulpraxi.s einzu-
führen.'' Der Vorschlag ist so sehr th«irickt, dass jeder I.ait- den-
selben verlachen mnssi abei- dennoch wird bis zm- Stunde d;unacli
gehandelt. Freilich wiid der Candidat dem Director der Anstalt
überwiesen; aber ich möchte wiü&en, wo solch ein Manu lüe Zeit
hernehmen sollte, den jungen Mann gehörig einzuschalen. So &ber*
nimmt diese Arbeit in der That das Collegium, fUls der Candidat es
nämlich ftr nOthig erachtet» sich bei den GoQegen Baäis zu erholen.
Was fftr ein Besnltat solche „Anleitung"' gibt, wird steh jeder leicht
denken können.
Es ist darum an der Zeit, ernstlich zu fordern, dass an allen
Universitäten pädagogische Seminare gegründet nnd mit
denselben Übnngsschnlen verbunden werden, welche Knaben
bis zur Obertertia, resp. Secunda eines Gymnasiums oder
einer Realschule vorbereiten. Man übergebe diese Schulen der
Leitung eines tüchtigen praktisch erfahrenen Schulmannes, der ftn i\k
rechte UnteiTichts- und Erziehungsknnst inneren Beruf besitzt, und
stelle ihm Männer zur Seite, die mit ihm in demselben Sinne arbeiten
wollen. Man lasse niemand zu dem Examen pro facultate
docendi, der nicht &n solchen Schulen praktisch gearbeitet.
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an den Conferenzen theilgenoinnien, die rechten theoretischen
und praktischen pädagogisclien Studien iremacht hat Das
Juum die rechte „Saat für die bessere Zeit" geben.
Die Elementarlehrer haben Lehrerseminare, in denen sie ange-
leitet werden, giit«n Unterricht zu ertheilen, sich zur Meisterschaft
auszubilden. Aber sie treten vm niangrelhaft vorgebildet in den Beruf.
Aach die, besten haben nur ein beschränktes Maß positiver Kenntnisse
mi mflsaen zunächst sehr tüchtig arbeiten, um die L&cken in ihrem
Wissen anssiflUen. Dies geschieht jetzt, nachdem nnser Tortrelflicher
Minister Falk die FrttAmgen für das „Mitfcel8chnl>Lehramt<* nnd die pro
rectorata an Volka» und Mittelsehalea eingerichtet hal^ in erfrenUcher
Weise. Aber es ist Irain Wender, dass sie ttber solchen Arbeiten das
Streben, in ihrer Amtsth&tig^eit Meisterschaft ni erlangen, yernaeh-
Ussigen nnd sich damit begnügen, ileiBig das ihnen vorgeschriebene
Pensum einzuüben. Das rechte Streben nach Heisterschaft erfordert
schriftliche Ausarbeitungen behufs Ausbildung in der Fragekunst;
erfordert oft schriftliche Vorbereitung für einzelne Lehrstnnden, Aus-
züge aus den einschlägigen wissenschaftlichen Bücheni, Correcturen,
Vergleiche üircs Thuns mit dem anderer Lehrer, Verarbeitung neuer
Ideen, die man ans o:iitpn pädagogischen Werken, oder aus guten
Fachschrilteu studii t. Anlcpfiing von Notizbüchern und andere Arbeiten,
die sehr viel Zeit und ilit^ irnnze Hingabe an den Beruf verlangen.
Es ist dalier eiklarüch, dass sie die Anforderungen, weiclie das „Wie**
d«ö Unterrichts, die eigentliche Kunst betrelieu, um des nächsten
Ziels, nm des hölieren Examens willen, noch zurückstellen. Ist dies
Ziel erreicht, so veigisst man nur zu leicht, dass „aufgeschoben nicht
Mfgehoben^' sein sollte.
Ich erhebe diesen Vorwurf nicht gegen alle Lehrer ohne Unter-
schied; aber wenigstens habe ich fast überall gefhnden, dass die
schwierigste nnd wichtigste Seite des Unterriehtens, die
Ausbildung in der Frageknnst, über Gebttr yernachlftssigt
wird. Je Alter ich werde, desto mehr betrübt mich diese Eilahrung;
denn ich weiß nur zu genau, wie sehr bei solcher Veroachlilssignng
unsere herrlidie Kunst zu einem mehr oder weniger handwerksmftßigen
Beibringen von Kenntnissen nnd Fertigheiten herabsinken muss. Kein
Lehrer kann der Fragekunst entbehren: denn selbst der Professor,
welcher in Oberclassen höherer Lehranstalten wissenschaftliche Vor-
träge zu halten hat, bedarf mindestens der Gewandtheit, durch Fragen
zu priifen, wie das Vorgetragene anfgefaast ist, nnd wird sich oft
genöthigt sehen, zn entwickeln, statt abzufragen und zu dodren und
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die passiven Geister durcli Fias:eii zum Nachd» aki-n un<l zur Splbsr-
thätigkeit anzuregen. Mau bedenke dwh: Ein 2\ai r kann mehr tragen,
als zehn Klage beantworten können, und andererseits ist die Wissen-
schaft gerade durch klng gestellte Fragen so mächtig gef?")rdert worden!
lu Unter- und Mittelcbissen richtet sich der rechte Eiiul^^ des Unter-
richts im wesentlichen nach dem Grade der Aosbildong, den der
Lehrer in dieser seiner Hanptkuist eirddit hat. Ditettanten, weiche
sich darin nicht geübt haben, mögen noch so eifrig arbeiten: sie er-
reichen nor Scheinresnltate, welche swar nicht selten die nrtheilslose
Menge» ja selbst unei&hreiie Bevisoren blenden, aber der rechten Ent-
wickelmig des kindlichen Geistes nie zuträglich sehi Mnnen.
Um diese Knnst meisterhaft anssuftben, bedatf man einer besondere
glttchlichen intelleetaeUen nnd speeiflich pidagogMien Begabung.
Es gehört ferner dam ein klares Erfhssen nnd Verarbeiten des Lehr-
stoffs; pädagogischer Taet, nm für jede Altersstufe den passenden
Stoff und die passende Form ansznwfihlen; die Gewandtheit, die
Fragen jeder besonderen Classe und zugleich Imld den schwächerok
bald den stärkeren Kindern anzupassen, und endlich Geist, nm mit
Hilfe der Fraj^en dr-ri Stotf <r*M*st bildend zu verarbeiten
Die allseineinen Anforderungen, welche man bei der 1- l a^resteliuna:
beachten ■^oll - dif Kniij-e soll lodt^ch bestimmt, der Hilduno:s>tul"e
der Kinder augeiuessen, spraclirichtijr. kurz, ohne l'oppelsinn sein, soll
keine unnützen Zusätze briiio:en. die Kinder nioht zum Antworteu mit
Ja oder Nein verleiten etc. — dürften Faclmiännern wol bekannt seiu;
auch wird jeder Missen, in welcher Weise er eine Antwort beauTzeu
Süll, um die i^chiiler vom Irrthum zur Erkenntnis der Wahrheit zu
fuhren. Aber dennoch will ich eine Forderung näher beleuchten, weil
idi nor zu gut weiß, wie oft gegen dieselbe gesündigt wird.
Es ist die Fordemng, dass jede Frage logisch bestimmt zn
stellen ist.
Wer logisch bestimmt fragen will, mnss genfigende Kenntnisse
in der deutschen Grammatik besitzen nnd die wichtigsten Gesetze
der Logik kennen. Ohne diese Kenntnisse wird er nie wissen, wann
er eben Fehler madit, nnd seine Knnst nie mit Bewnsstsein ansflben.
Wie oft werden Fragen nach dem Grunde falsch gestellt! üm nm*
ein Beispiel anzuführen: Man übersieht so oft, dass die Prftposition
vor einen Sachginind, die Präposition aus einen Beweggrund einleitet.
Man zittert TOr B'reude, vor Schreck (die Natui'macht überwältigt
den Willen), man läuft aus Feigheit, arbeitet aus Liebe zur Sache
(Feigheit und Liebe sind innere Antriebe zum Thun). Wer darüber
I
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nicht klar kaan nach solchen Gründen Tiicht licbtii.^ tragen. Und
doch sind gerade die Fragen nach den (xrimden (ier Krscheinungen
(•der Thatfii die bildendsten, weil sie am meisten die Rerrritte klären
und die Kinder gewolineü. 6iets nach (Trimden zu iursclitn. Die rechte
Bildung hängt nicht von dei" Fülle positiver Kenntnisse, sondern von
der Kraft ab, die meisten und vielseitigsten Erscheinnngen um uns
her am schärfsten und tiefsten zu begründen. Das Studium der Logik
ist neben dem der Grammatik nothwendig, ui« über da& \V eseu der
Begriffe, Urtheile und Schlüsse Klarheit zu erlangen.
In Bezog auf logische Bestimmtheit -wird gesündigt
1. bei Fragen (Ergänzungsfragen) nach dem Snbjeet oder
Object. Die bekannte und beracbtigte Frage: Am Anfonge acbiif
wer, was? (die Kinder sollen antworten: Am Anfimge sehnf Gott
Hinunel nnd Eirde) gibt in ihrer Unbestimmtheit den Typns für eine
nnzllilige Ansahl ähnlicher Znmntlnuigen, die an Kinder gestellt wer-
den. (Z. B. Was hfingt im Thnime? wer ging alle Jahre nach Jeru-
salem? was nmgibt uns? was ist das Wort hier? was ist es nicht?)
Die Logik verlangt, dass man bei solchen Fragen außer dem Ober-
begriff des Snbjects noch denjenigen Prädicatsbegriff setzen
soll, der dem Subjecte allein zukommt. Die Frage: Welche Thiere
(Oberbegriff zu Fisch) atlimen durch Kiemen? ist logisch bestimmt;
die Frage: Welche Thiere leben im Wasser? ist unbestimmt, sobald
man als Antwort ,,Fisclie" haben Avill, weil der Pr&dicatsbegriff (im
Wasser lebeuj auch andern Thieren zukommt.
Es wird femer gesündigt
2) bei Fragen nach dem l'rädicat. Die Logik verlangt,
das» jede Frage nach dem Prftdicat das Snbject enthalten soll^
zugleich aber noch ein anderes Prädicat als das, welches man
in der Antwort hören will.
Das Pkftdicat kann ein Snbstantirprftdieat oder ein A^ectiy-
prädicat oder ein Yerbalprädicat sein.
Bei Fragen nach dem Snhstantivprttdicat hOrt man nnzfthlig viel
Definition s- oder IdentitAtsf ragen, hei denen den Seh&lem zu-
gemnthet wird, den Begriff des Snbjects zn deflniren. Was ist ein
Gewölbe? Was ist eine Schlucht? Was ist ein Jünger? Sobald bei
ErkUlmng eines LesesUlcks oder mitten im Vortrage ein Begriff vor-
kommt, der den Kindern unverstAndlich zu sein scheint, pflegen solche
Fragen selbst in Unterclassen herausznplatzen. Ein Blick auf die
^f^liwierigkeit, eine gute Definition zn geben, sollte doch endlich über-
zeugen, dass es Thorheit ist, solche Denkoperationen von Kindern zn
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fordei-n. Auf die Frage: Wk.«. i;.t eine Stafielei? liürte ich ein Kind
antworten: „Eine Staffelei ist wo ein Winkel steht." So lächer-
lich eine solehe Antwort erscheint, vermag sie doch, eineo aofinerk-
samen Lehrer auf das Sichtige hinaaweisen. Es sind Diodich gar viel
Begriffe den Kindern klar, wenngleich sie nicht die Ersit besitzen,
dieselben zn deflniren. Wer sich ttbersengen wiU, fiUire sie im Geiste
an einen Ort, wo sie das fragliche Ding gesehen haben kennen, stelle
Fragen nach einzelnen Theilen, nach dem Gebrauche, den charakte-
ristischen Merkmalen, so dass ans den Antworten der Oberbegriff
und der specifische, der Artnnterschied (Wesen der Definition)
hervortreten, und sei zofineden, wenn die Kinder statt einer Definition
jene Fragen richtig beantworten and zusammenfusen können. Nor
in Oberdassen darf man die Kinder anhalten, sich in Definitionen zn
versuchen.
Bei Fragen nach dem Adjectivprädicat wird den Kindern zu-
gemuthet, auf die lofrij^ch ganz unbestimmte Frage: Wie ist ein Ding?
Sdloit mit einem ganz bestimmten Adjectiv zu antworten Wie ist
(Tott? heilig, gerecht) und man schilt, wenn das Kind eine ändert- Eig«»-
^(■liaft. als (lit* erwartete, nennt. Möire sich doch endlich jeder Lehrer
sorgfältig bemühen, die verlangte Eigenschaft so scharf zu be.-^liui-
men, dass bei richtigem Denken und Wissien in der Antwort keine
andere genannt werden kann. Ks ist falsch, zu fragen: Wie sind
die Seilen eines gleichschenkügen Dreiecks? Es muss heißen: Wie
verhalte sie sich huisichts der Linge zu ehiander? Es ist falsch, zn
fragen: Wie war die Schlacht? (nnentscbieden); es moss heifien:
Welchen Ausgang nahm die Sehlacht? Es ist fiüsch, zn fragen: Wie
war der Knabe Jesns zn seinen Eltern? Es mnss belBen: Worin
zeigte sich der Knabe als guter Sohn?
Man mnss sich als Läirer lange nnd sorgfiütig Üben, nm stets
solche Umschreibnngen nnd Bestimmungen schnell nnd sicher herans-
anfinden. Hinc illae lacrymae!
Am schlimmsten steht's bei Fragen nach dem Verbalpr&dlcat.
\\ eil in solchen Fragen ein anderes Prädicat gebraucht werden mnss,
als das, wdches in der Antwort gegeben werden soll, so macht man
sich's nur zu bequem und gebraucht die farblosen Prädicate sdn, haben,
werden, sollen. kHnnen, am liebsten thun. Was konnte er, was hatte
er. was that er da? hört man überall fragen, ohne dass dei- Fi^age-
steller daran denkt, dass auf solch eine Fra^^e tausend ver-
schiedene Antwort eil mMy:lich sind. Zuweilen sind solche Fi'agi ii
nicht incon-ect; — es kann ja beim Erklären der Geschichte von
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«dnem bestimmten Tliuii <iie Reile sein — aber sie sind nicht g-eist-
"bildeud. -wtfil sie die Kinder zinn g-edankenloseii Wiederholen des ^e-
dächtnisiiialii^ Eingeprägten verleiten. Um geistbildeiid zw verfalirt-n,
soll man das in der Antwort verlanj^te Tliun in der Fratze
. dnrch einen Oberbegriff ausdrücken nnd die Kinder da-
durch veranlassen, daraus aul den verlangten Artbegriff zu
schließen.
G^etzt, man bespricht die Erzählung von dem Mäuschen, das
lidm Spiel Tom Fels^ ftlit und einen sclilaf<uiden LOwen erweckt
Der Lowe packt sie mit seiner t^clitbaren Tatze. Die Fragen: Was
tbat das Uäischen? Wobin fiel sie? Was that daranf der LOwe? sind
st amperhaft, wenngidch die Kinder die Antworten durch Bathen
finden werden.
Das HerahMen vom Felsen kann unter den Gattungshegriff:
UnlUl erleiden, Unglück baben, yon Missgeschiek betroffen werden;
die Thätigkdten: den LOwen erwecken, mit der Tatze packen kOnnsE
unter die Gattungsbegriffe: in G^efahr gerathen, Zorn zeigen ge-
bracht werden. Demgemäß müssen die Fragen heißen: Welchen Un-
fall erlitt die Maus beim Spiel? In welche Gefahr gerieth sie
dnrch den Fall? Wie zeigte der Löwe seinen Zorn über die
Stönin^? (Selbstverständlich sind noch andere Gattun^sbegritte zu-
lässig.) Solche* Fragen müssen geistbildend wirken, da sie die Kinder
anleiten, stets den Artbegriff dem Gattungsbegi'itf unterzuonlnen.
Es klingt unglaublich, was in diesem Punkte gesimdigt wiid.
Man fragt entweder ganz nnbestimmt. oder gebraucht Wendungen, die
klar denkende Kinder in die grüßte Verwirrung bringen miissen. M.ai
vereuche eiuinul die nachstehenden Fragen selbst zu beantworten und
vei'gleiche damit die von dem. Fragesteller erwartete Antwort*):
Was nahm ei-, als er auf die Erde fiel? (Er nahm ScfaadenQ
Wenn sollen sieh die Menschen Assen? (In Geduld!)
Worin sollen wir uns nicht muthwillig begeben? (In Ge&hr!)
Was sollen wir za Gott ftsaen? (Vertranent)
Was thnt das Glas, wenn mau darauf schlägt? (Es springt!)
Was thnn die Seiten einer I^yramide? (Sie laufen spitz zusanunenl)
Was geschidit, wenn wir die Luft einathmen? (Die Lungen er-
weitem sich!)
Wo steht der Hirsch hi der Bibel? (bn Psabn! Wie der Hirsch etc.)
*) Alle diese Fragen habe ich mllMt v«i Lthfem atdlen bi^ren. Ick konnte
«i« kidar um öm Himdatfiiche veimdirenl
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Was fuhr aus Jesus, als er am Ki*euze hing? (Die Seele!)
Was liat Gott auf die Erde gelegt? i^Einen Fluch!)
Was hat der Hase? (Furcht!)
Was thun die Verben auf cer? (Sie nehmen vor a, u eine c^dille
ziim c!)
Als die Schlange Eva die verbotene Frucht zeigte, was that sie da
mit ihr? (Sie verlockte sielt
Wenn ich voran^rehe und du kommst hiuteitl!> m. was thust du dann?
K. Ich komme hinterdrein. L. Benkel, du lulgst mii- nach.
Was heißt also Jesu nachfolgen? (In seine Fußtapfen treten!)
Die Sache würde lächerlich sein, wenn sie nicht gar so traurig
wäre! Wie nft habe ich's erleben müssen, dass Kinder, welche auf
solche tlnhichte Fragen die Anwort schuldig blieben, gesc)iirapft. ja
mit Ohrteigen tractirt wurden! Den stümperhaften Fi-agestellern fehlt
es entweder an Schärfe im Denken — sie vermögen nicht scliarf
und siclier die Art der Gattung unterzuordnen — oder au der rech-
ten Lust, sich dieser Mühe zu unterziehen und sich dui'ch sorgfältige
Vorbereitung und Übung zu vervollkommnen.
Der Eifolg ist bei solchen Lectionen traurig genug. Die Kinder
setzen mangelhaften Fragen ein beharrliches Schweigen entgegen, oder
sie legen sich auis iiiithen. Eins ist so nachtheilig wie das andere!
Denn jenes führt zu geistiger Stumpfheit und Trägheit, dies zoi" Zer-
fahrenheit im Denken; ein Übel, dem gerade die begabteren Kinder
am meisten ansgeBetast sind. Man erwäge, wie seliver die geistige
Entwickdong eines Kindes beeintrftchtigt werden moss, wenn es
8 Jahre hindurch tagts^lich 4—5 Standen lang dnreh solche unlogische
Fragen gemartert wird. Es ist ein wahres Gl&ck, dass die Kinder
in der Theilnahmlosigkeiti in dem passiven Widerstand ein Mittel be-
sitzen, sich der daraus erwachsenden Ge&hr zn entziehen. Dieselbe
ist in der That bedeutender, als der Laie zu glauben geneigt ist,
während andererseits der (Gewinn, den man durch correcte Fragen er^
zielt, nicht hoch genug ansreschlagen werden kann. Wer kennen ge-
lernt hat, welch herrliche Erfolge ein klar denkender, fragegewandter
Lelirer selbst bei einfachen Dorfkindem erzielt; wer beobachtet hat,
wie unter Leitung eines solchen Mannes sich dumpf und stumpf drein-
schauende Kinder im Laufe auch nur eines Jahres in frische, mun-
tere, strebsame Buben und Mädchen vei*wandeln: der wird meine
Ford^'i iiii^-. dass sich jeder Lehrer iu diesei- <- in -r Hauptkuost sorg-
fältig schule, wahrlich nicht für überflüssig halten.
«
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Man hört in Lehrerkreiseu und namentlich in Lehrervereinen so
oft das Wort „Liebe" betoneu. Es sind nur zu oft bloße Plrrnsen.
Den deutlichsten Beweis dafl\r haben in Leipzig jeiu' ^miki Lehnu-
geliefert, als sie einiiiüthig foi'derten, der Staat solle ihnen das Recht
geben, ihren ^.geliebten" Jungen in majorem Dei gloi'iam straflos den
Rucken noch kräftiger als bisher durchzubleuen I Die rechte Liebe
des Lehi'ers suil eine ideale, d. h. eine auf Ideen gegründete
Liebe sein. Deren erstes Gebot heißt: Gieb der Jugend das Beste,
das du mit Aufopferung aUer deiner Kräfte zu geben vermagst. So
opfere dich auch -wirklich! Ordne alle deine Anstrengungen dem
einen Ziel unter, dich znm vollendeten Heister in deiner Kunst aus-
zubilden. Ein Gelehrter sein, ist eine gar sehttne Sache; venu man
dies Ziel aber nur aof Kosten echter Schnlmeisterschaft erreichen kann:
so BoU man^s aufgeben, oder nicht lAnger Lehrer bleiben. Wer voUends
ohne solche Studien zu maefaen die redite Ausbildong in seiner Kunst
um- ans Bequemlichkeit oder aus Leichtsinn unterlässt, der mOge mir
doch ja nidit einreden wollen, dass er echte Liebe besitze.
Der gjpaunmte Unterricht lässt sich nach 2 Richtungen sondera.
Nach der einen Richtung haben wir die Aufgabe, ein bestimmtes Mafi
positiver Kenntnisse beizubringen und Fertigkeiten (Lesen, Schreiben,
Rechnen, öingen, Zeichnen etc.) eitiztiübrTi: nach der andern sollen wir
der J^eele durch Ideen die Richtung nacli dem Idealen, dem P2wigen
geb^n und den Geist der Kinder mm scliarfen RegiTifcn, l^rtlieilen und
Schiielieu ei-ziehen. Ohne Hüte der Jb'ragekun-t ai tt i ilie erste Rich-
tung in eine geistlose Dressur, in ein Einpauken und Abrichten
aus. während da^ Ziel der zweiten Richtung gar nicht erreicht
werden kann. Jene Dressur bringt immerhin einen gewissen Gewinn;
die Ausbildung zum scharfen ürtheilen und Schiielieu wird aber durch
Stflmperei nicht nur nicht g^rdert, sondern in bedenklicher Weise
gehemmt.
In allen Standen sollen wir bemttht sein, den Kindern neue Be-
griffe SU gd»en und die ihnen gelAufigen mit Inhalt zu flUlen. Die
Begriffe sollen stets durch Anschauung gekUbt und befestigt werden.
Die Begrifl^dung anschanlich zu vermitteln, ist eine unserer
wichtigsten Arbeiten; denn mit dem klaren Begriff ist zugleich das
analjtisciie ürtheil klar gegeben.
Begriffe bilden wir im Geiste der Kinder entweder durch Eni*
Wicklung (aus der Summe der Merkmale) oder durch Zergliederung,
indem wir den gegebenen Begriff in seine Merkmale zerlegen. Dem-
gemäß haben wir die Pflicht, uns in Entwicklungs- und in
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Zerjrlipderung^sfras-en zu üben. Es gehört ferner dazu, dass wir
uns zur Befestigung? des Dureligenommenen in Repetitionsfragen,
und lim das Wissen uud Künneu zu erforschen, in Examinations- «
fra2:en uiten.
Die scliwerste Übung ist die in Entwickluugsfragen. Diese
zeigen den eigeutlichen Meister. I'ra richtig entwickeln zu können,
muss man imstande sein, jede Frasre correet und lügii?ch bestimmt
zu stellen. Ferner braucht man dazu ein eigeuthümliches Denken:
das Denken in dialogischer Form. Der Lehrer muss jede Alt-
wort, welche er endelen will, selbst nicht nnr ToUatfindig klar, sondern
«ach in der der Classe entsprechenden Form Im Geiste Tor sich haben;
sonst kann er die Fragen nicht klar und prfidae steUen. (Der An-
filnger thnt dämm got, sich vor der Frage die Antwort ganz genau
zu formnliren.) Dabei mnss er streng planmftAig zu Werke gehn,
io dass Nebenfiflgen and fiüsehe Antworten ihn nicht Yerleiten, den
Fäulen der EntwicUnng m Terlieren. Er mnss femer dabei alieHanpt-
regebi eines anschaulichen Unterrichts — gehe vom Nalien zum Femen,
vom Bekannten zum Unbekannten; gib nie zuviel auf einmal: erst die
Sache nnd dann ihre Weise etc. — sorgsam befolgen, nie den logischen
Zusammenhang zwIscIh n dem Ganzen und den Theilen aus dem Auge
verlieren, stets richtige Beispiele und passende Vergleiche bei der Hand
haben und dabei lebhaft und interessant fragen.
Wann hat der Lehrer in dieser Weise entwickelnd zu unter-
richten? Im allgemeinen da, wo die Vorstellnngeu der Kindel \ ^^r-
wickelt, unklai", ohne Urdnimg vuriuinden sind; wo sie also zu klart-n,
deutlichen Vorstellungen, festen IJegritfen, bestimmten Urtheilen, un-
zweifelhaften Schlüssen vereinigt und geklftrt werden sollen. Dies ist
nöthig, sobald mau in Oberclasjsen das Thema zum deutschen Aul-
satz bespricht; ferner bei Erklärung von Gedichten, bei Entwick-
lung sittlicher und religiöser Begriffe in den Religionsstnnden, beim
üntenicht in Physik und fast in allen^tanden beim Unterricht
in der deutschen und in fremden Sprachen. Wer den gramma*
tischen Unterricht konstgerecht ertheQen wü], mnss verstehen, Begriffe
2U entwicketo; wer die Lectttre recht behandeln wiU, moss verstehen,
bei dunkeln oder beachtenswerten Stellen dnreh Entwicklnngsfragen
znm Yerstlndnis zu fthren. S(Mist geht^ aUe liebe Tage: diül, drill,
driU: Vocabeln überhören, Regeln lernen, übersetzen, retrovertireai ond
höchstens wml hie und da eine magere Sacherklämng hinzugefügt.
Um in der Fragekunst eine hohe Stufe zn erreichen, bedarf es,
wie oben gesagt wurde, eines angeboren«! Talents; aber immerhin
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— 473 —
darf man von jedem Lehrer fordern, dass er sidi in Zer?] i>d enm ir!<-
frairen ^wie sie heim Aisfragen einer biblisriieii (ieiscliichte oder eines
L^sestücks vorkümmeu) geübt liabe, und dass die Fragen überhaupt
nicht zu grob gegen die Forderung logischer Bestimmtheit
verstoßen. Die^ Ziel kann und soll jeder Lehrer duich tleiüige
Übung eiTeichen,
Wie hat man dies anzustellen?
Das beste Mittel ist: einige Jahre hindurch schriftliche
Ausarbeitungen zu machen. Man fängt mit Zergliederunj^fragm
an, zerlegt ein Lesestück, dessen Inhalt man abfragen will, in Fragen
und Antworten und bemüht sich überall den Forderungen an logisclie
Bestimmtheit gerecht zu werden, namentlieh sorgsam die reeliten Gat-
tnngsbefrritfe aufzufinden. Und wenn man wöchentlich auch nur eine
Ausarbeitung macht, so genügt dieselbe schon, um in einigen Jahren
eine ziemliche Gewandtheit zu erwerben. Daneben mache man sicli's
zur Pflicht, in allen Stunden auf sicli zu achten und sicli liei
falschen Fragen, oder bei mangelhaft und zu gesucht gebildeten Gat-
tungsbegriffen recht tüchtig sich selbst zu kritisiren. Gar bald
wird das pädagogische Gewissen so scharf, dass man mit Freude nach
Hause eilt, wenn die Arbeit einmal recht geUmgen ist; dagegen nagen-
den Umnafh empfindet, warn man sich vieler Fehler und Ünklarbeiten
schuldig gemacht hat. Allmählicfa stellt man sich schwerere Aufgaben
und versncht sich in der Behandlung von Beschmbnngen, Fabefai» zu*
letzt in der Entwicklung von Begriffen und verhfillten Wahrheiten.
Nach aolchen Voriibung^en — yorausgesetzt, dass sie 5 — 6 Jahre fleißig
ausgeführt wurden — genügt zur Frftparation auf eine schwierige
Stunde, dass man sich den Hauptgedankengang nach Ober- und Unter-
abtheilungen klar macht und dazu die Beispiele und Vergleiche
wählt Das Suchen nach Beispielen oder historischen Belegen stört
die Stande und kann die rechte Wirkung oft ganz aufheben.
Es gibt sehr wenig i^Lehrer von Gottes Gnaden": es thut daher
jeder gut, sich mehr auf semen Fleiß, als auf sein Talent zu verlassen.
Die Kunst ist laag, das Leben kurz: man veniume nichtt recht Mh
anzufangen. Stillstand heißt Bftckschritt; denn man gewöhnt sich nur
zu leicht an die gar bequemen schlechten Fragen und verftUt in einen
Schlendi'ian, der in der That „haarsträubend" genannt werden darf.
Er besteht darin, dass der Lehrer statt der Frage die Antwort halb
gibt und die Schüler veranlasst, das Fehlende zu ergänzen. Dadurch
wird bei den Kindern jenes Widerliche, gedankenlose Zusanunenschrden
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erzeugt, das jeden Fortschritt hemmt luui jede Zucht uiiinüglich macht.*)
Der Unterricht nimmt dann folpfendeu Veilauf:
L. Abraham war ein — (K. im Chor: Schäfer).
L. Das ist ja falsch. Er war ein — (K. sind still).
Ii. Na, Diffimköpfe, heraus damit! Ibr war ein Patri — (£. Far
triarch).
L, Dies Wort ist ein Sab — (£. Subject).
L. Falsch! Es ist ein Snbstan — (K. Substantiv).
L. Bichtig nnd kein Ad — (E. A4jectLT).
L. Der Stechh^ ist eine — (E. Röhre).
L. Die sieh nach oben — (E. erweitert).
Es sollte sich endlieh jeder Lehrer in den Grand seiner
Seele schämen, in solch stümperhafter Weise Einder unter-
richten und erziehen zn wollen. Solch eine Frageweise ist eine
Schande für onsere Zeit und verdient den härtesten Tadel. Der alte
Dinter pflegte Lehrer, die sich in solch einer Weise an der Jugend
vei*sündigten, mit den Worten: Sie Scelenmörder! aus der Thür zu
weisen. Dinter, „Vattir Dinter'', kehre wieder! Wir brauchen deinen
Geist, deinen Feuereifer, deine Meisterschaft, deine Inn^rehende, hh;}^^
Liebe fi^r die Jugend, fiir das edle Werk der Erzielumg und dts
Unterrichts. >rit kalten lievü^oren, mit ,.Maunern vom grünen Tisch**,
oder mit Inspeciureu. die den T.elirer lediglieh nach seinem politischen
und religiösen Glaubensbekenntnis, wuuiüglich nach dem (^rade seiner
hflndischen Demuth und (refügigkeit beurtheilen, kann uns allen um-
schlecht gedient sein.
Dinter schläft, und die Zeit ist eine andere geworden. Es ist
niemand da, der den tüchtigen Lehrer mit FreudenthrSnen nmaimt
und ihn ^seinen lieben Sohn** nennt Jetzt heißt es: Da tritt kein
andrer ftr ihn ein; auf mch selber steht er da ganz aUein. Solebe
Zeit ist freilich dazu angethan, die charaktenroUen, tüchtigen Lehrer
von den schwankenden und unbrauchbaren Elementen scharf za schei-
den. Aber sie stellt dafiir sehr schwere Aufgaben. Der rechte Lelirer
mnss Terzicbten lernen auf die Anerkennung seiner Arbeit durch das
Publicum, auf die Anerkennung seiner Vorgesetzten, ja nicht selten
auf die der eigenen CoUegen. Das Publicum benrtheilt ihn nach
dem .Schein, nach Laune, nach vorge&ssten Meinungen, verketzert
nicht selten seine besten Bestrebungen; seine Vorgesetzten
in der Lehrkunst bis auf wenige Ausnahmen Dilettanten, haben nur
*) £>a8selbe Unheil wird durch Jft> and Neiiifiragen herbeigeführt.
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SU oft nicht einmal genügende theoretische Studien in der Pädagogik
gemacht, nm siidi in ihrem Urtheil anch nur ein wenig über das von
Laien erheben za kOnnen*); unter den Lehrern selbst begegnet er
seinen besten Bemühungen g^^fiher Gldchgütigkeit and nnr zu oft
widerlich liochtönenden Phrasen.
Wie kann er unter solchen Umständen sich die 80 nothwmdige
Ber n f s fr e u d i g k c i t bewahren ?
Es gibt da nur Ein Mittel: Strebe darnach, in deinem Be-
rufe ein Meister zu w* r le^n; ordne «ille deine Bemühungen,
alle deine Studien diesieui einen Ziele unter und schaffe dir
90 eine ideale Welt. Gib jeden Gedanken auf, von irj^end jemand
anerkannt, aüch nur recht verstanden zu werden; gib den in der
Jugend so verzeihlichen Gedanken an Zuneigung oder Gegenliebe
seitenü deiner Schüler oder Schülerinnen ganz auf; gewöhne dich daian,
das, was do als recht und gut erkannt hast, lediglich um des Rechten
imd Güten, nm des heiligen Ideals willen zu tbna Solch ein Streben
wird dir die rechte Selbstachtung und damit die rechte Lebens-
stfltze geben. Kannst dn nnr einen bescheidenen Grad von Meister*
achaft erringen, ao lerne dich bescheiden. Bedenke Bttckert's sch^tnes
Wort: Wenn die Bose selbst sich schm&ckt, so schmflckt sie anch den
Oarten. Sind dir höhere Gaben verliehen, so nimm th&tig Theil an
den Bestrebungen der Besten deines Standes; aber erwarte yon
deinen Ideen nicht augenblickliehe Wirkung. Wirf sie nach Schiller's
Wort „schweigend in die unendliche Welt und hoffe, dass der ruhige
Kliythmus der Zeiten die Entwicklung bringen wird". Wenn die
Wirklichkeit zu rauh an dich herantritt, so lerne die große Kunst,
dich „vor der Welt ohne Hass zu verschließen", lerne nach des er-
habenen Schiller Beispiel ^das Schlechte als Naturbedinguug des Guten
respectii*en'*.
Mögen alle die^ Worte nicht bloße „pia deäideria" iDieibeu!
*) Das« konnlt noch der ümtuid, daai dieser Mugel von ma%e1>eiideii PMr^
90uen aa« politischen Grttmlen als unbedeuteud aneeselieii wird. Der Herr Cultus-
miri^tor v. Puttkamer meinte in seiner lit^lanntt^n I'arlanit iiisrede, „die Geistlichen
besäßen auch ohne Fachstudien die hiiduiig, um sieb in die «Mysterien des
Volkaaclinliiikterrichts* Mcht Tertiefen so kSonen!"
padagefffu. ft. Jikif . Btft VIU.
31
K Roger Aschams pädagogische Ansichten.
Ton Dr. AifTtd KuUefrfetd'Btraflmg.
"Vergeben:» sucht man in uiisei ii deutschen Lehrbüchern der I';M;t-
gogik bis aut die jüngste Zeit nach dem Namen dieses Mannes, Jci
sich nicht ohne Stolz den Schüler des berühmtesten Leiirei-s*) und
Lehrer der berühmtesten Schülerin**) seiner Zeit nannt«, der ein um-
fangreiches i)ädagügisches Werk hinterlassen hat, und der in seiuem
Yaterlande selbst den weisesten Meistern und Lehrern des englischei
Volkes beigezählt vird.
Dieser Umstand mag wol darin seine Erklftning finden, dass
Aschams SchooUnaster seither nur in englischer Sprache vorlag and
über ihn selbst — abgesehen von zahhreiehen mehr oder weniger
fluchtigen biographischen Skizzen — eine eingehendere DarsteQimg
seines Lebens and Wirkens, zamal in deatscher Sprache, fehlte. Wol
machte 1857 Kirsten in dem Programm des hersoglichen GjrmnasimiiB
zn Gotha auf die pädagogische Bedeutung Ä.'s nachdrlLeklich aaf-
merksam; aber wie das bei solchen Pnblicationen meist zu geschehen
pflegt, die Ai'beit blieb in weiteren Kreisen unbekannt und konnte
daher auch keine besondere Wirkung üben.
Dem Mangel einer Biof^raphie. die dem vorhandenen nnd zur Zeit
zugänglichen Material enUspiicht. g^laube ich durch mein Buch: „Rnirei
Aschain. Rein Leben und seine Werke mit bMsonderer Berücksichtigung
seiner Berichte über Deutschland aus den .laliit-n lööU — 1553." Stras-
burg, Trübner. 1S79 — abiieliolt'en zu haben.
Vor einiger Zeit ist dauu auch eine deut.sche i^bersetzung der
weitaus bedeutendsten Schrift Aschams, eben seines Schoolmaster, er-
»chienen im IX. Baude der pädagogischen Classiker (Wien, Pichler Wv.
& Sohn. 1881): „Roger Aschams Schulmeistei*, nebst einer Einleitung:
*) Sir Jobu Cheke, Prot. d. griech. äprache in Cambridge, dann Erzieher K5oig
Eduard VI.
•«) Königm Elimbetb.
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— 477 —
iL Aschams Lebea und Wirken. Einleitang, Obersetzang and Com-
mentar rm Josef Holzamer.** In der Emldtung beschränkt sieh
der Heraasgeber auf einen gedrängten biographischen Auszog, ohne
Qfther anf A.*8 Bedeutong als Pädagogen einzugehen. E2r verweist ein>
&ch anf das Werk selbst, »da der VerCiMser dort seine Ansichten
Ober Erziehung und Unterricht so klar dargelegt hat, dass sie keiner
weiteren Erkl&rong bedürfen*', und in der Vorrede auf das, was in
meinem Bache über diesen Gegenstand gesagt worden ist.
Ich habe aber an jenem Ort nur in allgemeinen Zügen den Geist
and das Wesen der pJtdagogischen Lehren A.'s und seiner neuen
Methode des Lateinlemens zn charakterisiren versucht. Ein genaueres
Eingeben auf dieselben scheint aber umsomebr geboten, als — wie
Holzamer ricbtig bemerkt — der Sclioohnastcr manche Fragen der
Piidagogik erörtert, die heute wie Icr auf der Tagesordnung stehen.
Auch eine Untersnrhimg der Beziehungen und geistigen Wechsel-
wirkungen zwischen Ascham und seinen Vorgängern Jean Luis Vives
und Ellyot, seinen Zeitgenossen ljy]\ und Mulcaster, sowie den Spä-
teren Baco von Verulam, Milton und Lo(^ke wäre lohnend und nütz-
lich. Ich versaclie in dem Nachfolgenden nur gelegentlich eine Ver-
gleichung A/s mit Locke und einigen festländischen Pädagogen iu
den markantesten Abweichungen und Übereinstimmungen.
L Aschams Stellung zur Pädagogik.
Von einer Skizzirung seines Lebens und einer formellen 6e-
sprechnng der fttr die DarsteUnng seiner pädagogischen Ansichten in
Betracht konunenden Werke glaube ich unter Verweisung auf mein
Budi hier absehen zu d&rfen. Es sind das neben gelegentlichen Be-
merkungen in den Briefen namentlich der Toxophilus und der Scliool-
xnaster. Ein drittes Werk, in dem er sich speciell den bei der Er-
ziehung zn berück«:ichtigenden Leibesttbungen zuwenden wollte, sein
Book of tbe cockpit, ist nicht zum Abschloss gelangt und nach seinem
Tode leider veidoren gegangen.
Dass er ein Kecht hatte, in Fragen der Erziehung und des Un-
terrichts ein Urtheil abzugeben, das wird ihm, dem langjährigen
Lehrer, dem Familienvater, niemand ])estreit«u wollen. Inwiefern
■die gesammelten Erfalirungen und eine aus ihnen erwacUseiide hohe
T^ebensweisheit ihn berechtigen, in der Ktühe der Pädagogen einen
hervorragenden Phitz einzunehmen, wird aus der Zusammenstellung
>^(iiuer Grundsätze und Anschauungen einigermaßen ersichtlich werden.
Von der Würde des Erzieheramtos hatte er die eriiabenste Vor-
ai* •
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— 478 —
steUmigr. Wie Sokrates glaabto aneh er, dass nieamA sich dn g<Stlr
liclueraB Ziel mUm könne, ab deijenige, der sich der Eiaehnng der
Jogend widme.
Ob er gleich alle dem Unterriclit vorhergehende Sorge am daa
Kinrl den £item zuweist und als wirklicher Schulmeister mit seinen
Rathschlägen nur die Entwickelung vom ei-sten Elementarunterricht
bis zum Bezieben der Universität begleiten will, so enthalten seine
Ausfiihrungen doch nach beiden Seiten hin mehr, als er versprochen hat
Reginn der Erziehung. A.scham ist der Ansicht, dass mit
(1 r I jziehung schon in früher Jugend begonnen werden mnss. weil
das Kindergemftth fRr alle Eindrück*' am empfänglichsten sei, und die
in der Kindheit erhaltenen bei ihm am festesten haften. „Wenn je
zu einer Zeit", sagt er, „die Natur des Menseben geneigt ist, mehr
als zu einer andern, das Gute iu sich aufzunehmen, so ist dies in der
Unschuld der jungen Jahre der Fall, bevor die Bekanntschaft mit
dem BOeeii in flir Warsei gefasat liat Denn das reine, klare Glemfitb
eines lieben kleinen Kindes ist gleich dem friachen Wachs, das am
tanglicbaten ist» einen gaten und schönen Abdruck zu empfangen, und
gleich einer neuen, günienden, noch nngebraachten silbernen Schtlasel,
die das Gute, das man hineinthnt, anfthnmt nnd rein erbUt.^
"Br verlangt die größte Gewissenhaftigkeit der Eltern nnd Er-
zieher, da Ton ihrer Sorgfalt in Beanüsicbtignng nnd Ldtnng der
jnngen Seelen deren ganzes spÄteres (Tluck nnd Wolergehen abhängt.
Nach Locke werden neun Zehntheiie der Menschen durch die
Erziehung gut oder b5se. Auch Ascham meint, dass es wesentlich
von der Behandlung des Kindes in seiner ersten Jugend abhänge,
was es dereinst lieben oder hassen, ob es dem Guten oder dem Bösen
nachgehen werde. „Was man als Knabe begonnen, dem pflegt man
als Mann zu folgen bis ans (-Ji-al» " „Wenn ein iunger Baum krumm
-wächst, so magst du ihn, ist er trst alt geworden, eher brechen denn
gerade biegen. '
Wichtigkeit der Erziehung. Und nicht das (Tlück dt^s Kindes
allein bänt^t von dieser richtigen nnd weisen Leitung der Tugend ab.
sondern auch das Wolergeheu der (iesellschaft und das Gedeihen
des Staates. „Wo in der Jugend eine solide Grundlage gelegt, wo
die Kinderzvcht nach Temttnftigeu Grondsätaten geleitet wird, da wird
sich anch bald das Gemeüiwesen in gutem Znstande befinden.**
Der enge Zusammenhang zwischen der Endehnng nnd dem Staate-
wol wird von Ascham wiederholt betont Er beruft sich dabei anf
Plato. Niemand aber hat ttber diesen Punkt schöner geschrieben aU
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Luther: „Denn wo in H&iiBern Gehorsam nieht gehalten wird, wird
man es mmmermehr dahin bringen, dass eine ganze Stadt, Land,
FQrstenthnm oder Königreich wol regiert werde. Denn da ist das
erste Regiment, davon einen Ursprang alle andern Begimente und
Herrschaften haben. Wo nnn die Wurael nicht gut ist, da kann
weder Stamm noch gute Frucht folgen.^
Erbsttnde. Bei der hinslichen Zocht soll man es nicht 'so sehr
snf ünterweisang in dem, was gut ist, als vielmehr auf Fernhalten
der Jugend von dem, was schlecht ist, absehen. Das erinnert an
Bousseaas Plan einer gans negativen Erziehung, welche nicht Tugend
und Wahrheit lehrt, sondern das Herz nur von dem Laster, den Ver-
stand vor Irrthnm zu bewahren sucht.
Ascham meint aber mit nichten wie Ronssean, dass alle Sünde
nur von außenlier in das Kiuderherz hinein getra^^en werde. Er hat
an der Erbsünde, „an dem Übel, das dm 'Ii Adam über die Welt kam",
jederzeit festgehalten. Nach seiner Meinung schlummern die Keime
zum Guten und Bösen schon von Natur im Herzen nebeneinander.
Doch sind die letzt<»ren leichter zu wecken: „Die besten Beispiele
haben nie solche Gewalt, zum Guten anzutreiben, wie die schlechten,
eitlen und thürichten es im Busen vermögen.''
Dauer der Erziehung. Die Aufgabe der Eltern und Erzieher
ist es nun, darüber zu wachen, dass die bösen Triebe möglichst wenig,
die guten möglichst viel Nahrung und Förderung erhalten. Die bösen
iD&ssen mit scharfem Messer beschnitten werden, sonst schleBen sie
bald üppig empor ond saugen Saft und Kraft aus der Pfianze. Die
^ten Triebe entwickek und kräftigen sich viel hingsamer und müssen
daher unter möglichst langer Obhut und Pfl^ gehalten werden.
Daher tadelt es Ascham wiederholt, dass man sich um die Jngend zu
einer Zeit am wenigsten zu bekümmern pflege, in der sie am meisten
«iner guten Aufsicht bedürftig sei „Es nfttzt nichts, dafür zu sorgen,
dass Knaben in ihren Kiuderjahren gut unterrichtet werden, wenn
man ihnen, sobald sie in die lustige Jünglingszeit eintreten, die Frei-
heit gewährt, ?anz nach ihrer Lust zu leben."
Rousseans Emil blieb uuter der Leitung seines Hofmeisters, bis
er Vater wurde. Locke verlässt seinen Zögling, als dieser Anstalten
macht zu heiraten. Das würde auch Ascham für passender get'uudeu
haben; aber bis dahin halt er an der Aufsichtspflicht des Vaters f^t.
^Vom 17. bis zum 27. Jalu-e sollen weise Manner sorjrsam darauf
achten, dass die Schritte der Jugend während dieser selduplri^st^^n
Zeit durch gute Zucht und Sitten auf eine sichere Weise gestützt
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werden.^ Noch zweimal wiederholt er diese Wtninng nnd nennt das
bezeichnete Alter die gefUirlicbete Zeit im Leben eines Mannes, s»
glatt nnd echlüpfi-ig, dasB es schwer sei, festen Faß zu fessen.
Studium und Leben. Als die Yeranlassnng zu seinem School-
master bezeichnet Ascham wiederholt den Wunsch, an seinem Theüe
nach Erftften mitzuwirken, „daas bei der Jugend in England durch
eine gute Eniehnng eine so feste Grandlage zur richtigen Wfirdigong
der Wissenschaft gewonnen und ein !iO sicherer Grund f&r die Liebe
zur Bechtscbafifenheit gelegt werde, dass, wenn sie zur Aosftihning
wichtiger Gescheite im Dienste ihres Ffkrsten und ihres Landes be-
rufen werden, sie alle Erfiahnmgen, ob gut oder schlecht, zu ver-
werten nnd iit hti«r zti benutzen wissen, nnd zwar nach der Voischrift
und Richtschnur drr WV-isheit. Wissenschaft und Tm^end."
Rousseau nennt die Erzieher verkehrt, welche auch die Zukunft
ihres Zöglinjrs, die er vielleicht qrar nicht erlebt, ins Auge fassen.
..Seht im Kinde nur das Kind!-" Ascham dagegen meint: ..Ein ver-
nünftiger Lehrer wird nicht so viel Gewicht darauf legen, was ein
Kind jetzt, sondeni was es später zu leisten imstande ist.^ Seine
Erziehung hält den Blick steL> auf das spätere praktische Leben fre-
richtet. Alle Lehre und alle Wissenschaft gilt ihm nichts, wenn ^ie
den Menschen ungeschickt macht zum Verkehr mit andern und un-
geeignet, in der Welt von Nutzen zu sein. Er ist aber der festen
Überzeugung, dass mit der Bildung sich auch der sittliche Gehalt de»
Menschen hebe. Tugend nnd Weisheit stehen ihm nicht h(^her als
Kenntnisae (wie Locke), weQ sie sich seiner Ansicht nach gegenseitig
bedingen; das eine ist nicht gut ohne das andere zu denken. Liebe
zur Bechtschaffenheit geht bei ihm mit der richtigen Würdigung der
Wissenschaften Hand in Hand. Rechtschaffenes Leben und YoD-
kommenheit in der Wissenschaft gilt ihm als ein einiges und einziges
Ziel, dem gute und weise Väter ihre Kinder zuführen sollen, und mit
allen tüchtigen Lehrern stimmt er darin überein, „dass ein Schüler
zu gründlichem Wissen und zu ehrbaren Sitten geleitet werden müsse**.
Unschuld des Kindes. Doch soll man sich wol vorsehen in dem,
was man das Kind lehrt. „Die Jugend ist die Zeit, in der eine gewisse
l'nwi?senlieit ebensi» nntliwenditr ist. al«? wie Kenntnisse. Das bezieht
sich jedoch nicht aul die Keiintni?, 'der Ptliditen gegen «iott. wie rs
einige halsstan'ige Köpfe gegen ihr besseres Wissen kuizlicli imrh
orten gelehrt haben." Die kindliche Einfalt und Unscluild soll sorg-
sam bewahrt nud bewacht , die Phantasie rein erhalten werden.
„Schlechte Ge<ianken gebären verkehrtes Urtheil und gottloses Redea
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ji»-lileclitt'S Thun. Diese viei- Krankheiten zerstören die gute Wissen-
schaft, wie sie auch das Menschenleben vergiften." Da^ Eltern, wie
ihm wol vorgekommen, den gottlosen und lästeWichen Reden ihrer
Kinder ruhig zuliören, ja gar darüber lacheu können, gilt ihm für
ganz verabscheuungswürdig.
Studinm und £rfahrang. Ascbam erwartete, dass seiner
These: „Die haaptsftddichBtea Punkte der Endehung der Jugend
sind WlBsen nnd gute Sitten** , von gewisser Seite widersprochen
werden wllrde. Dass es Lente gibt, die ttberhanpt weder die Togend
noch die Wissenschaft achten, wigt er nicht positiv behaupten;
nicht gering aber sei die Zahl solcher, die das Stndinm zwar nicht
ganz nnd gar missbilligen, jedoch meinen, dass auch ohne Bflcher,
allein durch das Leben und die im geselligen Verkehr gesammdte
Erfahrung der Jugend die Klugheit und Gewandtheit, deren man im
Jjeben bedarf, erlangt werden krmnp
Solchen antwortet Ascliam, dass allerdings eine lange Erfahrung von
g^rriBt'in Nutzen sein kann, aber - sofern es sich um elirliche Geschäfte
handelt — doch nur für diejenigeu. die vorher durcli gute Lehren an-
gewiesen wnrden, von ihren Erfahrungen den i-echten (Tebraucli zn
machen. „Denn gute Lehren behu Studium sind die Augen des Geistes,
mit denen der Mensch sehen kann, welcher Weg der richtige ist,"
„Es ist eine thenre Weisheit, die nur durch Erfahrung erkauft wird."
„Das Studium lehrt mehr in einem Jahr als die Erfahioing in zwanzig,
und sie lehrt auch sicher, während die Erfahrung eher unglttckUch
als weise macht Der läuft arge Gefahr, der dnrch Erfhhrung weise
wird. WahrUch, die Zahl derer, die durch Erfohmng ohne Stadium
weise nnd glttcklich werden, ist sehr gering. Zwanzig gegen einen
gehen dabei an Grande. Und blicket nnr Un auf das frohere Leben
jener wenigen, ob alt oder jung, welche ohne Studium nur durch Er^
ihhnmg einige Weisheit und etwas Glück znsammengelesea haben, und
wenn ihr erwigt, was für Fehler sie gemacht und wehshen Gefiüiren
sie entronnen sind, dann überlegt wol, ob ihr wollt, dass euer eigener
Sohn auf dem Wege solcher Erfalirung zu Weisheit and Glück gelange."*
„Erfahrung und Gefühl'*, behauptet Konsseau, „sind unsere wahren
Lehrmeister, und nur durch bestimmte Lagen, in welche der Mensch
im Leben gerätli, lernt er, was das Rechte sei."
.^^tudium und gute Erziehuuf? und nicht blinde und j?f fHinliche
Ertahi 1111!^'*, so zieht Ascham den Schluss, ,,isf fWr n;<r)istliet^ende und
scimeilste Weg, der die Kinder zuerst zur Weisheit, dann zur Würdig-
keit führen wird."
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Oombiiilrt man beide Sfttie, so dttrfte man ^1 das Biditige ge-
troffen haben.
Umgang. A«f gewlhlten Umgang und Fernhaltaiig schlechter
GeseUflchalt legt ABcham das grOßte Gewicht „Ein VorbOd ist so-
wol mm Onten vie anch tarn Brisen wertvoUer als awanzig in Btehem
enthaltene Lehren,** aber er findet leider, daas anch die besten Bei-
apiele nie solche Gewalt haben, snm Guten anzntreiben, wie die
schlechten, eitlen und thOrichten zom Bösen Teriocken. Welche Ge-
walt schlechte Gesellschaft hat, tUchtige KOpfe za Terderben, das
wissen die weisesten Männer am besten."
Derselben Ansicht ist Locke: „Die sogenannten Manieren erlernt
das Kind mehr im Umganore mit gesitteten Menschen, als durch Vor-
schriften/* Wie Locke warnt aiirh pr nachdrücklich (hivor. die Kinder
zu sehr den Redienten anzuvertr.iueu. Wol kennt er viele brave und
gesetzte Diener. Aber man brauche nicht erst Terenz und PlautUÄ
zu lesen, um zu eifahren, wieviel Niederträcliiige es unter ihnen
fabt. ..Ihre Gesellschatt. ihre Unterhaltung und ihre Qberauä reiche
Ki ialüuufr in Nicht.swiirdigkeiieu verdirbt leicht die besten Naturen
uud die wolerzogeusten Köpfe."
Leetüre. Und wie der Umgang soll auch die Leetüre über-
wacht werden. Terens and Flantna nennt er we^ ifftnner, deren
Schriften eine unTergleichlicbe Quelle flir die lateinische YerlLehr»*
Sprache seien. Trotsdem erkUrt er ach energisch gegen den Mlss-
branch, der damals nnd noch lange nachher in den Schalen mit diesen,
doch wahrlich nicht ftr Kinder geschriebenen Schriften getrid»en
wurde. „Was Plaatns betriffl;, so Isase deinen SehfUer lieber spielen,
als alles das lernen, was in demselben steht, es sei denn, dass der
Lehrer fällig ist, eine weise and vorsichtige Auswahl zu treffen, gani
besonders hinsichtlich des Gegenstandes. Der Stoff der beiden (Plantos
nnd Tereoz) liegt vollständig im Bereich der Sitten der goneinstea
Menschen, und erhebt sich nicht zu irgend einer Frage von hSherer
Bedeutung, sondern beschränkt sich hauptsächlich darauf, die Gedanken
und Eigenschaften hartherzifjer VätHr, thnrichter Mütter. vri>chwen-
derischer jnnc'Hr Lentp, listiger Diener, verschlagener Kuppler uud
schlauer Dirnen darzustellen, und viel Mülie wird darauf verwandt,
feine Knitfe aufzufinden und erbärmliche Dinge vorzuV)rin2-en . wie sie
iu London nur zur Kenntnis der Vorst«'hei- von Brideweli kommen.
Das ist gemeiner Stoff für jeden Schiller, der später entweder ein
guter Diener der Religion oder eiu ehrbarer Mann im Dienste seines
Fürsten und Landes werden soll. Mit Ausnahme des Predigers, der
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^Iclie Dinge wissen muss, um sie widerlegen zu können, ist die Un-
lifiBseiilieit in ihnen beaaer als üire Kenntnis. So sind Pkatns nnd
Terenz hindchtiich des S^es gemeinen Malern gleich, die nvr zvr
Hftlfte arbeiten und nnr den schlechtesten Theü des Oemäldes madien
können, oder solchen, die nur den KOiper einer nackten Person vom
Nabel abwftris, aber sonst nidits zn malen Tenrtehen."
Ein Warnen vor den mit so beredten Worten geschilderten
lisatem, wie es msncher Orten in Deutschland dem Lehrer damals
zur Pflicht gemacht wurde, wird Ascham für um so weniger genügend
erschienen sein, nm den bösen Einiluss solcher LectQre m paral^'^^ii'en,
«Is die Stücke ja zumeist aufgeführt wurden, und z. B. Sturms For-
demng, die Schüler sollten rechte „Roscii" sein, ohne ein Sichhinein-
denken und Hineinversetzen in die Personen und Situationen des
Dmiüds nicht gut erfülHiar wnr Sich beim Unterricht von diesen so
^gescholtenen Schriften ganz loszumaclien, vermochte auch Asclmni niclit.
Ein ebenso strenges T'rtheil fallt er über dio alt«n Volksbücher,
iiber die Sagen von König Artus uiid seiner Tatelrunde, von Tristan
und Isold u. a. Sie stammen ihm aus einer Zeit, „d^^ »och der
Papismus wie ein tiefer Sumpf ganz England bedeckte." Sie sind,
nach seiner Ansicht, in Klüsteru von sclilechten München uiul lüsternen
Kanonikern geschrieben und lehren nur Todtschlag und freche Un-
zucht „Im Mbrte Arthur werden diejenigen ab die kOhnsten Helden
gepriesen, die ohne jeden Grand die meisten Menschen todtschbtgen
und durch die schlauesten Ranke die strftflichsten Ehebrttche he-
drehen. . . . Was fOit Grillen die tägliche Lectttre eines solchen Buches'
in den Begierden eines jungen Mannes oder jungen Mädchens, die in
Üppigkeit nnd Mttftiggang ihre Tage hinhringen, bewirken muss, das
können weise Männer beurtheilen und ehrbare werden es bedauern."
Schon zwanzig Jahre früher, bevor Ascham so in seinem School-
inaster klagt, hatte er sich im Toxophilus in ebendemselben Sinn
über den Weit oder vielmehr Unwert der alten Nationalepen ge-
Äußeil: ..Zu unserer Väter Zeit wurde nichts gelesen außer jenen
Büchern voll erheuchelter Ritteiliclikeit, die durch ihre Moral nur zu
Todtschlag und Ehebruch fuhren können. Sie nur fUr einen unschul-
digen Zeitvertreib ansehen, ist ein schwerer Tn thnni. Unnütze Reden
wirken oft verhängnisvoll auf leere, unwisst-iidf. jugendliche üemüther,
zumal wenn diese schon von Natur zu üblen Leideuschaften hin*
neigen."
In merkwürdiger Übereiustiiumung mit diesen Urtheilen Ascharas
iiteheu eiu paar Äulieruugen des bekannten Straßburger Predigers
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Maibach, die Ranmer in seiner Geschichte der Pädagogik I, 272 ans
einflr Schulprcdigt von 1578 mittheflt Harbach straft die thOiichten
Eltern, welche ihren Kindern „za leaen und sieh za üben ftrlegen
den Dannhfiser, die Melnsina, Dietrich von Bern, den alten Hfltenbrand, '
Bitter ans Steyemiark, — also geben sie der Jngend Anldtong zn
bOsen Gedanken.** Er ermahnt daher die Schfiler, die «Bnlbilcher'*
sein SU lassen, „in denen mehr als Fabelwerk, Narrentheidig nnd
Merlin nichts sn ünden**, nnd sieh einzig mit den gnten BOchem ab-
zugeben, welche ihnen von den Lehrern erklart wfu'den. Zn denen
gehörten am Straßbnrger Oyrnnasium damals aber mit an erster Stelle
Plaatus und Terenz. Da war Ascham in diesem Punkte doch con>
seqnenter!
Berufswahl. Ascham findet, dass nwf diese wichtige An^elegen-
lieit zn wenig Sorfrfalt verwandt wird. Dass die Wahl des der-
einsti^'eu Berufes Sache der Poltern ist, sttzt er als selbstverständlich
voraus. Aber diese handeln oft leichtsinnig- und unverständig, daher
ihm eftie Controle des Staates sehr aufgebracht erscheint. Er lobt
die Sitten der „edleu Perser", bei denen in alten Zeiten die Väter
mit ihren Kindern nicht verfahren durften, wie es ihnen recht dünkte,
sondern so, wie die Staiitsraisüu, the judgment uf the Commonwealth»
es für das beste erscheinen ließ. Dieser Unverstand der Eltern Ter-
nrsacht im staatticben wie im bürgerlichen Leben yMb arge ünzn-
trftglichkeiten, denn daher eben kommt es, dass man so oft nntSchtige
Leute in yerantwortlicher Stellong findet, die zn aOem andern ge*
eigneter sind als zu dem Amte, das sie bekleiden. Die Kinder sollen
zu dem Bemfe ausgebildet werden, zn dem sie von Natur am besten
beanlagt sind. Diesra zn erkennen ist eine ernste Füicht der Eltern.
Ihre lässige und verkehrte Ansfibnng wirkt besonders verhängnis-
voll bei Bestimmung der Kinder zum Stndinm. Das Kind selbst, der
Staat und die Wissenschaft haben darunter zu leiden. Durch Thor-
heit der Väter und die Nichtswürdigkeit der Lehrer würden vielfach
gerade die begabtesten und filhigsten Köpfe vom Studium abgehalten
und abgeschreckt. Nnr ans diesem Grunde konnte das beschämende
Sprirhwort entstehen, (hiss die größten Gelehrten nicht gerade die
weisesten Mensrlien ■^fien.
Die meisten Eitern, sa^t Ascham, machen es bei Bestimmung
ihrer Söhne für die Universität wie uneifalirene Kindt^i- nin die Jacobi-
zeit mit Äpfeln. Sie greifen begierig nach den rothl ai kigsten. ohne
zu bemerken, dass diese fast allemal von Würmern angefressen zu
sein pflegen. „Ich will von dem Gleichnis aus reiner Bekümmernis
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keine Anwendung machen." Er will aber „offen uud nachdrücklich"
auf die großen Xachtheüe binweiBen, die dem Staate und aller Wissen-
scliaft dnrdi diesei U&Tenttt&d erwachseiL
Afidiam tadelt nicht nur, er gibt auch Bath, sehr ausgiebigen
sogar. Um die wahren Kennzeichen guter Beanlagung zmn Studium
festzDBteUen, weist er auf Sokrates hin, „den besten Lehrer und den
weisesten Sbnn, den die Geschichte kennt^, und der folgende Eigen-
Schäften an dem Knaben fordert: ewp»^ ftv^fieav, y^fia^rf^t ^iloreovos,
^d'^xoos, C^i}ir(jto(, iptkirfluvof. Er erläutert ebgehend den Sinn dieser
Worte: körperliche WoIgestalt> gutes GedAchtnis, Liebe zni> Wissen-
schaft, Lust zur Arbeit» Verlangen« TOn andern zu lernen, Dreistigkeit
im Fragen und unbegrenzte Neigung, sich durch WolveilsaltPii Lob zu
erwerben. Die beiden ersten Punkte, sagt er, sind besondere Gesclienke
der Xatnr, welche nichtsdestowenig-er durch gute Zucht vermehrt und
i^estärkt werden können; die fünf andern werden nui* durch die Weis-
heit und Besonnenheit des Erziehers gewonnen und bewahrt.
„Der schönste Stein'', meint Ascbam, „pflegt am kostbarsten ge-
fasst zu werden." Auf physische Beanlagung legt er ein besonderes
(Tewieht, „denn sicherlich, ein angenehmes Gesicht \trbiiuden mit
einei- ansehnlichen Statur schafft dem \\'issen Geltung und der Person
Ansehen." „Und wie kann ein schöner Körper eine bessere Verwen-
dung finden, als im Dienste der schönsten Gabe Gottes, der Wissen-
schaft?'* „Aber gewöhnlich geschieht es, dass, wenn ein Vater yier
SQhne hat, von denen drei an Körper und Geist wolgebüdet sind, der
Tierte aber elend, lahm und missgestaltet ist, lispelt und stottert, dass
er eben diesen letsterai fttr gut genug hftlt, einen Gelehrten abzu-
geben, und ihn zum Studium bestimmt Aber of a perverse body
cometb commonly a perverse mind."
Aufgeweckte und langsame Köpfe. Bemerkenswert ist, was
Aschara Uber die sclinelle und langsame Fassungskraft der Kinder,
aber geweckte und bedächtige Köpfe sagt. Er rftnmt ein, dass eine
gewisse Regsamkeit des Geistes eine besondere und dankenswerte
Gabe Gottes sei, aber seine Erfahrung hatte ihn gelehrt, dass unter
einer Schar auffallend geweckter Kö[ife immer nur wenige sich als für
das Leben sehr gliicklieh beanlagt erweisen. Die meisten vergehen
und verschwinden, man weiß nicht wohin. Er findet, dass mit be-
sonders leichter und schneller Fai>sungski*att gewöhnlich Mangel an
Stetigkeit und Energie verbunden ist. Solche Köpfe finden an leichten
und angenehmen Studien großen Gefallen, bringen es aber nie sehr
weit in hohen und schwierigen Wissenschaften. Die aufgewecktesten
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unter ihnen mögen sehr gute Dichter abgeben, aibor ak weiie Bednar
werden sie sich schverUcli bewAhren. ^Denn das weiß ich nidit
nur ana Bttchern» sondern anch aus eigner ErfUmmg, dass diejenigen,
die im Alter die weisesten, gelehrtesten and anch die besten Hlaner
sind, in ihrer Jugend darchans nicht immer die aufgewecktesten
£5pfe waren.** Denn wiangsame Kdpfe fassen schwer, behalten aber
sicher, arbeiten onTerdrossen, sind anfinerksam ohne zn schwanken,
beständig ohne Nenenmgssncht; tragen Schweres, wenn auch mit Mähe,
doch willig; dringen, wenn anch nicht leicht, doch tief in schwierige
Sachen ein und gelangen schließlich zu der Vollkommenheit im Wissen
die man bei an£gew»;kten Köpfen erhoffen zu können glaubt, die die-
selben aber nie oder nur selten eneichen." Und das sind in der Folge
die glücklichsten MeuBchen, und die, welche in der Welt am meisten
geschätzt werden.
Wo sich aber Verstand mit Ausdauer, Fleit) mit Beharrlichkeit
und gutem Willen gepaart findet, da kann man — > lilieiit er
seine Betrachtung — etwas ganz Außerordentliches erwarten I
Behandlung des Schülürs. „Wa.s immer der Geist ungern
und aus Furcht lernt, das vergisst er auch ebenso i-asch und gern",
80 lesen wir im Schoolmaster und ebendori au anderei* Stelle: „Nach
meiner Ansicht ist Liebe geeigneter als Forcht, Freundlichkeit besser
als Prügel, um ein Kind mit Ebfolg zu unterrichten.**
Nicht immer war Ascham dieser Meinung gewesen. Ln Tozo-
philns zählt er dreierlei auf, wodurch des Knaben Leistungen gehoben
würden: Bef&higung, Ehrgeiz und Furcht „Gute Beaalagung macht
ihn biegsam wie Wadig, daas der Greiat nadi ^m Wunsche des Lehrers
leicht gebildet und gestaltet werden kann; Ehrgeiz, so gut oder besser
als seine MitschQler zu sein, und Furcht vor dem, unter dessen Zucht
er steht, werden ihn aber zn rechter Arbeit und Ausdauer anspornen,
durch die allein die vollkommene Meisterschaft erreicht wenSen kann."
Ben Ehrgeiz, die treibende Kraft in den Erziehungsanstalten der
Jesuiten und auch von Locke empfohlen, beschränkt Ascham im School-
master auf das zubissige Maß eines Strebens, dem guten Beispiel und
Vorbild nachzueifern. Die Furcht aber hat er durcbaus fr^'^t^ricUea.
Wie später Locke will auch er die Ruthe und den Si n k u ni/lich aus
dem Schulzimmer verbannt wissen. Das Schulkaus suil m Wirklich-
keit das sein, was der Name (ludus iiteranim) ursprünglich bc-iagt:
ein Haus der Freude und des Vergnügens, nicht aber der Furcht und
Kerkerhaft Unerschöpflich ist er in Wendungen, um immer von
neuem und von neuer Seite die Nützlichkeit und Nothw^ndigkeit einer
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ftenndlielien, bnoumen Lehi-weise hervorzuheben, auf die Verkehrtheit
und den ^ausamen Unverstand der Lehrer zu schelten, die jede Regel
nnr mit dem Stocke einzubleuen wüssten und wegen ihrer UnTemunft
eigentlich selbst gestraft zu werden verdienten; endlich auf die
achlimmeu Folgen, die solchf- Behawdlung lui' die Kinder, für die
Wissenschaft und für den Staat nach sich zöge. Gerade die besten
Kiemente, die langsam aber sicher fassenden Köpfe würden dui*ch die
in den Schulen liprrscliende Sti'enge und Prügelwuth am härtesten
betroffen. Viele wei len, sobald sie nur selbstständig werden, die Bücher
tüi iimiier fort und nehmen anstatt der Liebe zu den Studien gewöhn-
lich einen ewigen Hass gegen ihre Lehrer und Verachtung der Wissen-
schaften ans der Schule mit. „Selbst die weisesten eurer großen
Prügler strafen ehenso oft die Natur im Kinde, als sie seine Fehler
besaenL* Äseham bemft sich anf Sturm und auf Sokrates, der auch
die Knaben nicht mit Gewalt, sondern spielend nnterriehtet wissen
will; denn kein Fre^ solle aof knechtische Art lernen und eine er-
zwnngene Kenntnis sei nicht in der Seele bleibend. Die Bdtlehrer
in England verstunden des Sokrates Bath besser zn befolgen als die
▼erkehrten Schulmeister. Die einen pr&geln ihren SchQlem durch
Furcht den Hass gegen alle Studien ein, die andern aber ziehen in
ilmen durch freundliches Entgegenkommen und anstftndige Behandlung
die Liebe zum Rei.en groß.
Ascham ist der Ansicht, dass Liebe oder Abneigung lediglich
Sache der Erziehung sei. ..Liebe zum Spiel und Hass gegen das
Themen liegt nicht in der Neigung der Jugend, sondern in (Vr Be-
handlung, die man ihr angedeihen lässt. Y*m \atur ans kennen die
Kinder k*M'nen Unterschied zwisclien Spielen und Lernen. ..Man prügle
ein Kind, wenn es nicht gut tanzt, und liebkose es, auch wenn es
nicht gut lernt, so wird man linden, dass es nngeni ans Tanzen, da-
gegen mit Frenden an sein Bncli gelien wird. Man prügle den Knaben,
sobald er tseiuen Pfeil schleclit abschießt, und behandle ihn üeuudlich,
wenn er bei seinen Arbeiten Fehler macht, so wird er ebenso ungern
drauSen im Freien, als gern in der Schule sem.^
Als ein Beispiel fOr den praktischen IStkUg dieser Methode führt
Ascham Johanna Grey an. Seine bekannte Schilderung eines Be-
fludies bei dem unglflcUichen jungen Mädchen wirkt aber wahr-
haft beängstigend auf den Leser. So jung und doch so alt! Erst
16 Jahre, liebreizend und anmothig und begabt, aber alle Frische,
aller Schmelz und alle Naiyetät der Jugend schon so sehr dahin,
dass Tanz, Jagd und jedes Vergnügen im Park ihr nur wie ein
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Schatten ist gegen das Vergn&gen Plato's Pliaedon in der Ursprache
za lesen!
Ascham seihest scheint das Unnatürliche einer solchen Begeisterung
l'iir den alten P!!iloso]>hen empfunden zu haben; wenis:stens verwundert
er sich fther ;^n'ün(lliche Kenntnis des Vergniis^ens bei einem so
jungen vonichmen Fräulein' . Trotz seines mehrüichen Lobes der früh-
reifen Entwickelang Eduards VI. und Elisabeth*», war er im ganzen
doch gegen solche Treil)hausl)ildnng, namentlich wo über dem Geistigen
das Leibliche zu kurz kam. „Das Studium soll immer mit ehrbarer
Lustigkeit and passenden Übungen im Freien abweehselii''; denn die
Hnsen seien wirol Oeniea der Wissenaeluift, als des Tanzes, der
FrOUichlteit und des Gesanges, üm alle die ritterlichen Efinste and
geselligen Gahen zn fördern, hatte er ja swei Schriften: den Toxo-
phüQS nnd the book of the cockpit verfosst! Er wei6 es und hat es
sdbst erprobt, dass ein Lehrer, der seine Sache versteht, einem gnt
gearteten SchQler das YergnOgen nicht erst zn yerlelden hrancfat, am
ihn bei den Bfichem festzuhalten. Barch Güte, Freondlidikeit nnd
Lob will der gate Wüle geweckt, der Eifer gespornt Verden. Liebe
zu den Büchern, Lust zum Lernen können nur auf diese Weise einge-
flößt werden. Ein Fehler, ein Versehen ist nicht unbeachtet zu lassen,
aber auch nicht strenge zu rügen. Die Erfahrimj^ lehrt, dass ein
Schüler aus zwei Fehlem, auf die er freundlich aufmerksam gemacht
wirrl, oft melu* Vorthei! zieht, als aus vier Punkten, in denen er es
von uiif^etahr richtig: j2:etrotten hat. Schelten bei jedem Fehler stumpft
den Verstand ab nnd entmuthigt den Fleiß. Niemals soll dem Schüler
Grund gegeben werden, sich mit einer Frage zu fürchten oder zu
schämen, denn dadurch wird er nui vtilulirt, zu unerlaubten Hills-
mitteln zu greifen, sich und den Lehrer zu betj-ügen.
Wenn Ascham diese von ihm in Anwendung gebrachte Lehrweise
mit der damals in den öffentlichen Schalen fiblichen Prikgelmethode
vergleicht, so ILbersieht er dabd, dass eine Anwendung seiner Grund-
sätze in ihrem yollen Umfange sich dort doch kaum als mög^ch er-
weisen dürfte. Die Bedingungen, nnter denen ein Lehrer in einer
öffentlichen Schale einen Ebiflnss anf einen einzelnen SchQler ansQben
kann, sind wesentlich andere, als wenn er ihm im Privatmiterricht
gegenüber steht, ünd nur im Privatunterricht hatte Ascham seine
Regeln nnd Anweisungen anf ihre Durchführbarkeit hin erprold . auf
ihn waren sie aasschließlich berechnet. Er Übersieht die große Zahl
der Knaben, anf welche der Stock einen unzweifelhaft grOBeren,
dauernderen und heilsameren Eindruck macht als die aller lang*
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müthigste Güte und die allerbestp Lehre. Es steht außer aller Fra^e,
das Regiment in den Schulen war damals und ist es uoch lange f^e-
blieben: ein barbarisch strenges. Alle namhaften Pädagogen des 16.
nnd 17. Jahrhunderts eifern gegen das unvernünftige Zuschlagen und
mahnen die Lebrer zu Geduld und Mäßigung. Aschams Ruch ist als
eine zeit^jremäße Opposition im Geiste der Humauität ^regen ein herr-
schendes I'l)el zu ])etracht4in. Demselben ist mittlerweile gesteuert
worden. Die mildere iSitte hat die Wucht der Streiche mehr und mehr
gemindert, bis in unserer Zeit das Gesetz dem Lebrer die Ruthe ganz
ans der Hand genommen. Aber die consequente und radieale Durch-
ffihmng des Humanitätspriucips, ohne ROcIoBicht auf die thatsächliche
Wirklichkeit und auf gegebene Verhftltnisse bringt mit nichten eine
BrlQsnng von allem ÜbeL Bis so einer gewissen Reife des (Geistes,
80 nrtbeilte ein weiser Mann eben dieser unserer Zdt» dem yuü pHda-
^ogische Erfahrung zu Gebote stand, liat die Erziehung sich haopt*
sächlich an den Kdrper zu halten. Bas war im Grunde auch Aschams
Meinung: ^Gott verhüte, dass jeder böse Hang, Unkensehheit, Lflge,
Stehlen, Faulheit, Eigensinn, Widerspruch und Ungehorsam anders als
durch strenge, tägliche Bestrafung beseitigt werde." Doch will er,
wie später Ratich, die Erziehung vom eigentlichen Unterricht ganz
trennen. Er greift auf eine altröraische Einrichtung, die ihm aus deu
?>tiicken des Plantus bekannt g-eworden. zurück und empfiehlt, das Amt
ehies Lehrers (praeceptor) von demjenig-en eines Ki ziehei-s (paedagogus)
zu trennen. Der eine sollte den Knaben in aller Freundlichkeit und
Sanftmuth leiiren und seinen (leist bilden, dei" andere ihn in scharfer
nnd strenger Zucht halten, und über beiden noch die Aut<>rität des
Vaters stehen, als des obersten Leiters der ganzen Erziehunff.
Die Durchtuhruiig des Gedankens, der bei Locke in ahnlicher
Form wiederkehi-t, ist schon beim Privatunterricht an eine ganze Reihe
Ton Yotbedingungen geknüpft, die sich nur selten vereinigt finden.
Bei den den Commonschools zur Erziehung anvertrauten Knaben liegt
seine Undurchf&hrbariEeit auf der Hand. Das erkannte anch Ascbam
sehr wol: „Wenn heutzutage der Schulmeister sowol praec^tor als
anch paedagogns sehi mnss, so wfinsche ich, dass er nicht beide Stel-
lungen ineinander vermenge, sondern deren Pflichten so ventAndig
erfUIe, dass auf der einen Seite der Hang anm BOaen nicht migestraft
bleibt und auf der andern Freundlichkeit beim Unterricht in keiner
Weise versftumt werde. Er wird beiden gerecht werden, wenn er
ihnen in verschiedenen Zeiten und Oi*ten nachkömmt, indem er sich
immer einer solchen versttodigen Mäßigung befleifiigt, dass das Schul-
I
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haus iih ein Heiligthuui gegen Fuiclit und sehr tüchtiges Lernen ab
eine cre\v(ihiiliche Verzeihung für schlechte Aufführung erachtet werde,
wenn das Vergehen an sich nicht gar zu abscht^ulich ist.**
Einen Lehrer, der einen freundlichen Charakter besitzt und tiie
rechte Beschaffenheit der Natur und Beanlagung seiner Schüler um-
sichti}? zu erwägen vermag, der matUoll im Strafen und zugleich
tüchtig und anrcgeud iui Unterricht i^t, findet mau nicht überall und
nieht im Handumdrehen. Aber wie leichtsinnig verfahren die Eltern
meist aach bei dieser wichtigen Wabl! „Es Ist efa Januner," klagt
AflcluHii, ndaes die Lente^ vat&r ihnen leider andi manche sonst recht
yerstflndige Menschen, gfewOhnüch yiel besorgter sind, einen geschick-
ten Mann Ar ihre Pferde als einen t&chtigen Lehrer ftü* ihre Kinder
ansflndig xn machen. Sie lengnen dies swar, aber in Wirklichkeit
handeln sie nicht andere Denn dem erstem geben sie mit Fronden
ein Gehalt von 200 Kronentbalem jährlich nnd gewahren dem letstem
nnr ungern 200 Schilling. Gott, der da im Himmel thront, verlacht
zornig ihre Wahl nnd belohnt ihre Freigebigkeit, wie sie es verdient;
denn er lässt es geschehen, dass sie folgsame und gut dressirte Pferde,
aber wilde, missrathene Kinder haben, und so finden sie schließlich
auch mehr Vergnftgen an ihren Pferden als Trost und Freude an
ihren Kindern.**
IT. Die Lehrfächer.
„Gewisäse. Wissenschaften-', sagt Asdiam, ^.verderben oft awh <rute
Naturen, sie schärfen den Geist der Menschen allzusehj- im i iV'en
einen schlechten Einfluss auf die Sitten, wenn sie nieht maiiM-il nai
andern zugleich betrieben wmlen und eine weise und gute Ver-
wendung im Leben finden.** Sehen wir zu, wie seine pädagogische
Wertschätzung sich anf die einseinen Disdplinen vertheilt
Die alten Sprachen. Das bildende Element dersellien ifaidet
Ascham nach awei Bichtnngen hin wirksam: sie schalen nnsem Geist
dnrch ihre hohe FormvoUendnng nnd erweitem unsere Kenntnisse durch
den onvergleichlich reichen Inhalt ihrer Literatoren. „Im Griechischen
nnd Lateinischen finden wir Weisheit und Beredsamkeit, guten Stof
nnd gute Dantellnng nie oder nur selten voneinander getrennt Denn
alle diejenigen Schriftsteller, welche am vollsten sind des guten Stoffes
nnd richtigen Urtheils, verstehen es auch immer am besten, sich der
passendsten Worte, der jjresohicktesten Satzbildung nnd des klarsten
und vollkommensten Ausdiueks zu bedienen." Ihm liegt am meisten
an diesem bildenden, den Geist zu hohem Fluge antreibenden
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UuiLaiit^t' mit den .. i tsiKn und weisesten'* iTHsellschaftern. Nicht
überall war da!iial> suiche verslandige Ansicht m LTeitnng.
Das Streben nacli classiscliei- Formvollendung: in eigenem latei-
nischen Stil nnd Ausdruck überwog- nur zu oft das Studium und die
Wertschaizuiig des lulialtii und forderte Caricaturen wie des Eras-
mus^ Nosoponas zu Tage. Auch die besten und aufgeklärtesten Schul-
miiiiiar des IB. Jiihriiiinderls huldigten dem fiüschen Ideale, ihre
SehlUo- wie Cicero reden nnd schreiben zu lehren. Unter all seinen
pädagogischen Triumphen war Stnrra am 'stolzesten darauf, dass er
Plantus, Terenz und i^cero gleichsam ans der Unterwelt heraufbe-
schworen hatte, um seine SchQler das rechte Latein zn lehren.
Neben solchem Streben konnte dieHutterspraehe» die ^barbansche",
nicht sonderlich gedeihen. Bei Sturm, bei Neander, bei Trotzendoif
und in all' den zahlreichen Schulen, die nach ihrem Muster gegründet
würdeu, war es bei Strafe verboten, anders als lateinisch miteinuid«!'
zu reden. Kein deutsches Wort sollte gehört werden, selbst die
Namen wurden geändert. „Die Muttersprache verstummte, und es
war den werdenden Ciceronianern eine Schande deutsch zu sprechen."
Auch Aschani war nicht gleichgültig ge-gen die Form; erfreute
er sich doch selbst eines glänzenden Rufes als feiner lat(dniseher
Stilist. „Ihr, die ihr kein Gewicht auf den Ausdruck, sondern nur
auf den Inhalt leg't und so die Zunge vom Herzen trennt, wisöt gar
nicht, welclien Schaden ihr der Wissenschaft zufügt!" „Die sind nicht
weise, die da sagen: was liegt mir an eines Mannes Worten und
Ausdrucki» weise, wenn der Gegenstand und seine Gründe nur gut
sind. Gute und ki-äftige Speise ist für gesunde Leiber nicht erforder-
licher, als passende und geeignete Worte f&r gute Stoff» nnd schlichte
und Teratftndige Ansdrucksweise Ar die besten und gelehrtesten
Gründe.** Aber er mehit doch, wer nur das Wissen hat, wird die
Worte auch schon Ibiden. Er wfinschte nicht, dass seine SchfUer wie
Börner, wie Cicerones reden soUten, sondern so, „dass man allezeit
merkt, das Gehirn regiere die Zunge nnd der Verstand leite das Ge-
sprich. Unter den alten Classikem gibt es viele, die er für die
reinsten und klarsten Schriftsteller hält, die je in- einer Sprache
schrieben, nnd fi^r die besten Vorbüder, ob man ihnen nun in latei-
nischer, italienischer oder englische Sprache naclieifei-n wolle. Wei*
es einem Cicero gleich zu machen strebt, brauche dieses weder in
unbedingt ciceronianischeni Latein, noch auch in einem Englisch mit
ausländischer Stellung und Bildung der Wörter zn thun. Die Tnii-
tation solle nicht nur im Griechischen und Lateinischen, sondern auch
Pvdago^om. i. Jafarf. Heft VUI. 32
t
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in der eigeiieu .MiitteispiacUe fürderu. Klarheit und l)ui*chsicbtigkeit
des Stils, Reichthuui oder Knappheit des Aiisdnicks, die Feinheit der
l»i8position — das sei nachzualiniful daiaiit habe Cicero seihst es
abgesehen gehabt, als er au den griechischen Meistern sich herau-
biidete und seiner t berrüUe der Sprache Herr zu werden suchte.
Ascham will dorch das Latein die Muttersprache nicht ya^
drftngeu, so wenig ine einst Cicero in Bora das Giieeklseiie an Stelle
des Latein setzen wollte. FSr ihn haben die phiiologisdien Studien
dadorch Tiehnehr noch einen besonderen Wert, dasa sich ans ihnen
eine segensreiche F(trdening nnd Veredelnng der lebenden «barbarischen^
i^radien erhofEen lieft. Auf eme solche Veredelnng hininstreben hielt
er ffir die Pflicht ehies jeden, welches Idiom auch immer seine Mut-
tersprache sei Kiemand nnter seinen Zeitgenossen hat mehr gethaa,
dieser Pflicht gegen die Muttersprache zu genQgen, als er selbst, „döP
Schöpfer des englischen Prosastils, der ehrwürdige Vater der eng-
lischen Literatur." Er schrieb wirklich „englisch fiir Engländer**;
er und seine gelehrten ( anibridger Freunde waren es. die am eifrig-
sten die Frage erörterten über Mittel und Wege, der darniederli ehren-
den Muttersprache aufzuhelfen. Sie waren keine schlechiert-n laT«^i-
nischen Stilisten, als man sie im allfremeinen anf festläudiM;hen
UnivcrsÜHten und Schulen fand, und doeh schrieben sie englisch selbst
über gelehrte I)inge. Unter ihnen hcrrsclite sogar die Ansicht, ^da»^
unsere englische Sprache der richtigen Quantität der Silben und der
wahren Versification ebenso fähig ist, wie das Griechische oder La-
teinische, wenn nur ein geschickter Mann sie handhabt**
Die griechische Sprache. „So wie ein Falke mit einem
Flttgel nicht hoch fliegt, so erreicht eb Mann mit einer Sprache
keinen hohen Grad der Vollkommenheit Ja, ich gehe noch weiter
und behaupte, dass es, wenn auch gerade nicht unmöglich, so doeh
sehr selten nnd wnndmrbar schwierig ist, dass jemand, der nicht mit
der griechischen Sprache wol yerixaut ist, in der lateonischen Sprache
sich als herTwragend erweisen kann." Den Beweis für diese Be-
hauptung sieht Ascham in der Tlmtsache, dass das Latein erst seine
volle Ausbildung erhielt, nactidem es mit dem Griechischen in directe
und lebendij^e Wechselwirkung getreten war, und dass Cicero selbst
ei*st der vollendete Spraehkünstler wurde, nachdem er das Griechische
erlernt hatte. Die Bewunderer (Mceros nüissten, so meint er, auch seinen
Bilduncstj^ang einschlagen, wenn sie ihm wii'klich nachstreben wollen.
Das (Triechische er<»'']ifMnt ihm auch deswesr^^n s<-lir)n von unend-
licher Bedeutung, weil last ausschließlich in dieser Sprache alle
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■wahieu (Quellen unseres Wissens geschrieben seien und die vorzügf-
lichsteii Mittel für unsere Geistesbildung nur durch sie erworben
vrei'den könnten. ,X;icero allein und noch ein oder zwei andeie La-
teiner ausgenümmeu, besteht die ganze rümische Literatur und Weis-
heit — und mit ihi* die italienische, spanische, französische, deut.<che
und englische — doch nur ans zusammengeflickten Fetzen nnd Lappen
im Vergleich mit jenen sehOnen, feingewebten griechischen Pracht-
taehern. Und wahrlieh, wenn etwas Gntee an ihnen ist, so ist es
Ton einem jener ehrwttrdigen Geister Athens gelernt, geboi^, ge-
stohlen!** —
Die neueren Sprachen. Ascham lobt die Kenntnis fremder
{lebender) Sprachen, namentlich der italienischen, die er nftehst dem
Griechischen und dem Latein am meiste liebt und vor allen sch&tzt.
EtT hatte sie während seines Aufenthalts am Hofe Karls V. in mebiv
Jährigem Verkehr mit den vielen Italienern in des Kaisers Umgebung^
gelemt Mit der italienischen Literatur ist er jedoch so wenig zu-
fiieden, wie mit den in Italien herrschenden Sitten. Wnl hat er die
Werke Alachiavell's, Boc^fi' oio's, Petrarca's in der Originalsprache ge-
I«*.sen, aber er erklärt sie tiir ketzerisch und atheistisch, für feind
jeder positiven Kelij2:ion und eifert mächtig- ^ej;en ihre FHersetzunii^
ins Englische. Durch ihre zersetzende Tendenz zerstTiren sie nach
ihm die protestÄntische tUmrzeuf^nns-, verwischen tiii- wenig charakter-
feste Mensehen durch ihre laxe Moral den Unterschied zwischen gut
und büse und arbeiten dadui'ch dem Xatkolicismus in die Hände, auf
dessen Parteigänger Ascham die Flut von Übersetzungen, die gerade
damals den Markt ttberschwemmten, mrackzalQhmi geneigt ist »Zehn
Bacher wie der If orte Arthur richten nicht den sehnten TheU des
^Schadens an, den diese Bücher thon, die in Italien gesdirieben and
in Englaad flbersetst werden . . . ICehr Papisten werden dorch diese
fldilflpfrigen B&cher geworben, als dorch alle fmatischen Schriften
ans LOwen." Strich Ascham aber MacfaiaTell, Boccaccio nnd Petrarca
ans der italienischen Literatur, wen wollte er da zurücklassen?
Weniger begeistert war er fttr das Deutsche. Er hatte auch
dieses während seiner Reise begonnen, aber nicht mit derselben Energie
-v^'ie das Italienische betrieben. Von seinen deutschen Freunden, den
8turm, Wolf, Sleideni wird ihm dazu auch nur weni»- Anregung ge-
kommen sein. Die glänzten lieber als Lateiner. ,Jn der italienischen
Sprache bin ich jetzt recht gewandt, aber sicherlich trinke ich auf
deutsch besser, als ich auf deutsch rede", schi'eibt er einmal von
Augsburg aus.
82*
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— 4M —
Geschichte. Das Studium der Geschichte, sa^. er, führt ein
ausgezeichnetes Wissen nnd ein ruhige-s Urtheil herbei. Dass er sich
fcelb.st auf diesem Gebiete gi'üiidlich umgethau hatte, zeigen sein
Toxophilos und die Betrachtangen aber die nothwendigen Kigensfibaf-
ten eines Geechichtachreibers, die er als Eänlcitmig seiBem Beport of
GemiAiiy voaransehiekt, einer der lebendigsten imd geistroUstea
historisdieii Skisaen, die wir fllr die Zeit Karls V. bedtceo.
Das Drama* Die Leetttre von Dramen, snmal den elasrnschett»
hAlt Ascham für aoBerordentlidi bildend. „Die TragMien'*, sagt er,
„sind der treffliebste Stoff yon allen nnd Ar den Gdebrten, Ar jedm
Oebfldeten, vertheilbaiter als Homer, Pindar, Vergili Horas, ja sie
sind meiner Meinung nach an bildendem Gehalt nur mit dem Werken
eines Aristoteles, Plato und Xenophon zu wgleichen,** „I>er ganze In-
halt der Komödien nnd Tragödien ist eine yoUkommene Imitation, ein
schönes lebend^^ Gemälde des Lebens in seinen mannigfachsten Ge-
sTaltnng"en." — Pas Aufführen von Stücken, das lateinische Lieb-
< rtheater, welches in den deut.schen Schulen diunals einen sr» wesent-
li' h» ii Theil des Unterrichts bildete, berürk.siclitipl Asdiain in seinem
Lehrplan gai" nicht; wahrscheinlich, weil sein SclK>olnia>ier » in Privat-
erzieher, kein Vorsteher einer üfientlichen Aii^iali mit giulieier ^cliii-
lerzahl war. Zu seiner Zeit waren in Cambridge oft Schauspiele auf-
geführt AM)rden, classische und neuere. Ob ex selbst daran theilge-
nommeu, eriahreu wir nicht, auch nicht, wie er eigentlich über den
pädagogischen Wert dieser Veranstaltungen dachte. Baco empfiehlt
sie, weil sie Sicherlieit des Auftretens nnd Stftrknng des GedAchtnisses
brüigen \ aber Ascliam sagt: „Eitle Schauspiele, die den Geist entsOdran,
wirken Uüimend anf den Willen nnd haben einen verdetbliehen ESnflnss."
Mathematik. »Manche Köpfe, die von Natnr ans maftvoll sind,
werden oft dnrch allzu eifriges Stadium gewisser Wissenschafken, nim-
lich der Musik, ArWimetik und Geometrie yerdorben. So wie dkse
Wissenschaften den Geist der Menschen allsosebr sehirfen, so i^ben
sie auch einen schlechten Einfluss auf die Sitten aus, wenn sie nicht
maßvoll mit andern zugleich betrieben werden und eine weise nnd
gute Verwendung im Leben finden. Betrachtet nur alle solche ma-
tliematischen Köpfe, die sich einzig und allein diesen Wissenschaften
ergreben haben: wie einsam stehen sie da, wie uiitaug-lich sind sie
zum Verkeltr mit anileni. wit» iinffeeiffuet in der Welt sich nützlich
zu machen! l»as wird nicht nur durch die heutige Erfahrung bestätigt,
^^uHiiern ist schon vor langer Zeit durch das Urtheil weiser M&nner
festgestellt worden."
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Rirhard Mulcaster erhebt sich in spinf-r englischen Sprachlehre
mit einer j(ewissen Krliitieruiig gegen die.^* ii Ausspruch. Er wirft
Aschaiu dabei vor, dass er „die mathematisciien Wissenschaften nie
des Stndinms für wert fehalten liabe", und wundert sich, „wie der
doch master not of art but of urica » lui lliat is tlie name!) werden
konnte, which has not studied them ear lie proceeded.*' D&s^ die *
früheren Biographen Aacham bei solchen Ansichten zum Professor
der Mathematik in Cambridge machten, bemht auf einer Ver-
wechselnng mit seinem Bmder Anthoiqri mit dem er, wie schon allein
das obige Gitat etUftriich macht, nicht im besten Einvernehmen lebte.
Hnsik. Ascham verwirft sie ganz: „Ich habe geftmden'', sagt
«r, ,dass Flato nnd Aristoteles in ihren BQchem, die Uber das Staats*
•wol handeln, für die Ernehnng der Kinder Tomehmlich vier Dinge
empfehlen: Lesen, Schreiben, Gymnastik and Gesang. Bei der Ge-
legenheit verbreiten sie sich weiter über das Wesen der Musik, nnd
beide kommen zu dem Schlnss, dass jene Art, die von den Lydieru
geftbt wird, sehr schlecht auf jnnge Leute wirke, die sich der Tugend -
and den Wissenschaften weihen wollen. In ihr liege eine weichliche,
lockernde und verfilhrerische Sanftheit, die eher auf Irrwege führe,
denn zur Tugen l anleite. Eine andere Art Musik, die die Dorier
ausbildeten, wird dagejzfen von beiden anfs höchste e-erühmt. Die
emplehlen sie als höclist geeignet für die Erziehung der Jugend zu
'l'ugend und VS eisheit, weil sie kraftvoU, ungestüm und kühn töne,
die jugendlichen Gemttther mit mannhaftem Math erfülle und zu
kühner That antreibe. Ob nun unsere Balladen und Rundgesäuge,
our hallads aud roundä, these galiards, pavaues and dances so nicely
fingered, so sweetly tuned, mehr der Mnsik der Dorier oder jener der
lijrdier gleichen, wird keinmn Unbefangenen lange sweiftlhafi sein.
Wie aber anch immer die Antwort analen mag, so bin ich sieher,
dass alle diese Instrumente: Intes, harps, all manner of pipes^ barba-
tons» sambnkes with other instmments, everj one which standeth by
flne and qnick fingering, von Aristoteles verurtheüt werden aU solche,
die nicht erlernt nnd nicht benfttst werden sollen von denen, die nach
Weisheit nnd Tog^d streben."
Ascham dtirt anch Galens Wort: Viel Musik verdirbt die Sitten
der Menschen. „Mancher mag nun dem widersprechen und sagen:
Mnsik erfrischt und erfreut vielmehr das Gemüth. Ich meinerseits
meine, sie wirkt wie Honig im Magen: Anfoncrs behagt er wol,
aber bald verträgt man weder einen tüchtigen, nahrhaften Bissen
Fleisdi noch einen kräftigen Trunk mehr. In gleicher Weise machen
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(lieae Instniraente den Geist nachgiebig und weich, empändsÄm und
schlaff, so <lnss er zn hartf r. angespannter Arbeit nnfähig wiid. Er
wird dnrch dieses sanfte Gedudel nicht geM harli. sondern entnervt,
entmannt und abgestumpft, wie eine schaife Schneide stumpf wird,
wenn man damit Uber den weicheii 8ehleUMein fSkrt"
Gesang. Desto nadidi&eUieher tritt Aschain ftr da^ Oeaang
ein. Sowol im Toxopbilas ab im Setioolmaster weilt er auf die gro6e
pädagopsehe Bedeutang desaelben hin nnd dringt dantnf, dass nuui
üin in den Schulen weit eifriger pflege. „Wenn von denen, die nea
ZOT Universitftt kommen, einer zn singen gelenit hat, so yerstehea
sechs in der Begel nichts daTon^ klagt er sfimend. „Die Natnr hat
uns die Oabe des Gesanges doch nicht verliehen, damit wir sie nnbe-
Tiut/.t liegen lassen, sondern damit wir sie ttben nnd uns ihrer erfreuen/
,,Mil« li ist nicht wichtiger zur Erziehnng" \on Kindern als Gesang.^
Leibesübungen. Ascham will nicht, dass seine Schüler immer
über den Bücheni liegen. Dnrch die Studien sollen sie weder der
nöthigen Erholungen noch dei- erlaubten Verjniügungen verluiJtijj;
gehen. Er ist kein Feind von munteren), lustigem Wesen, wofern es
sich nur innerlialli ier (Frenzen von rie^jetz und Sitte hält. Ei' will
sogai" ein Buch schreiben: Über alle Arten der für einen Gentleman
l)assenden Vergnügungen und Übungen, die mit künterliolier An-
strengung verbunden, im Freien und bei Tage vorgenörnmen werden
und entweder eine Yorl)ereitung zum Kriege oder eine angenehme
Kurzweil für den Frieden bilden. Der Zeitverti*eib, sagt er mit Ari-
stoteles, soll wie eine Medicin sein, Hedicin aber whrkt dnrch dm
Gegensatz. Ffkr die Gelehrten werden daher, weil sie viel sitieo,
znnSchst die Obongen in Betracht kommen, die den ganzen Körper
in Bewegung bringen. Das Fkvitomen verwirit er als nicht mehr
passend fOr einen Jünger der Wissenschaften; solche fihimgen mögen
für den Köiper anch ganz gesund sein, aber sie abid kindiadi mid
vermögen den Geist nicht anzuregen. Kegel nnd Ballspiel bringen
an heftige nnd gewaltsame Bewegungen mit sich und föhren leicht
anf Abwege. Bloße Spaziergänge über Land tragen kein Merkzeichen
von Math und Kraft in sich. Am passendsten Undet er das Reiten
und das Bogenscliießen. Im letzteren war er selbst Meist«r. Durch
Wort und Schrift hat er es sich ang-elegen sein lasseu. dieser Kunst
neue Anhänger zu werben, sie besonders unter der Jugend populär
zn machen. Der Vortheü der ritterlichen und Leibe!?ftbungen liegt
nicht allein darin. 'l8ss sie den K()ji)er eesund, den Geist Msch er-
halten und gewissermaßen eine Vorschule sind ftii- die kriegerischen
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Leistuugeii, die das N atirlaud If reinst vielleicht vou dem herau-
wachsendeii Bürger verlangt. Sie isind auch der beste Schutz, das
beste Gegeugewicht gegen Karten- und Wiirtelspiel, die (Quelle un-
zähliger Übel, gegen alles Thun, das sich scheu in die Winkel drückt
und das licht der lieben Sonne schent. —
Beiaen* Im ganzen hat Ascham Dichta dagegen, dass die eng*
ÜBche Jugend ,,diireh Stndiam mid Belsen" flire Weltanscbannng zu
erweitem sncbe. Er achätst weder das Wiaaeo, das man dcih in frem-
den LSndem aneignen, noch die Eilahrong, die man dort sammeln
kann, gering, lüt ganz besonderem Emst and Eifer erklärt er sich
aber gegen die damals fiUieken Stndi^ireisen nadi Italien, besonders
in einem Alter, wo der Charakter noch lange nicht genug gefestet ist,
nm den großen, Leib ond Seele drohenden Gefahren erfolgreich Wider-
stand zu leisten. Das üppigt;, leichtfertige Leben in den italienischen
Städten, die verführerischen Künste der glutäugigen Ciicen, die zer-
setzenden Tendenzen de?; italienischen Humanismus, der hochfahrende
anmaßende Geist der italienischen Gelehrsamkeit und das wüste Par-
teitreiben lind Factionswesen , alles <la^ stelle den nordischen Gästen
NVue, denen nur wenige zu entgelieii wussieii, in welchen die meisten
in der einen oder in der andern W eise sich hngen. Dann kehrten
sie heim mit leeren Köpfen, verödeten Herzen, als iievoiutionäre,
Papisten oder Atheisten!
Ascham steht mit seinem scharfen Tadel der verderblichen Studien-
reisen nach Italien keineswegs vereinzelt da. Wenige Jahre nach ihm
eiftm Jobn Lyly in seinem Enphues, Hsehof Hall in seinen Satyrmi
und noch sp&ter John Locke in ebenso nachdrücklicher Weise gegen
diese Untergrabung guter englischer Sitte. Ein Jahr lang das Casti*
glione Cortegiano anfinerksam lesen, hfllt er Ar zuträglicher nnd bilden-
der als drei Jahre aof Belsen in Italien verbringen. Will oder mnss
man aber reisen, so empfiehlt er Bentschland, »wo Christi Lehre, die
Oottesfnreht, die Bestrafung der Sünde und die Zucht der Ehrbarkeit
in besonderem Ansehn stehen."
III. Der Schoolmaster.
Der Titel von Asdiams Hauptwerk vei-spricht eine neue ,.ein-
tache und vollkommene ^Methode, Kindern die lateinische Sprache ver-
stehen, ^'clireiben nnd «j«rf'clien zu lehren".
Et hatte genug Vir^l- nliMit -ehabt, praktische Ei faliinugeu auf
tlieseni Gebiete zu sammeln. Selbst noch Schüler, hatte er bereits
eine rege pädagogische Thätigkeit entwickelt, indem er das eben
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Gelernte jüngeren und schwächeren Kanieradeü wieder vermiltelie. Als
Tut Ol- hatt« er dann im Laiile der Jahre eine j^anze Reihe tüchtiger
Gelehrten in Cambridge herangebihlet und die an ihnen gemachten
Beobachtangen au der Königin Elii^abeth in glänzendster W ehe ver-
wertet Schon früh trag er sich mit dem Oedanken, die von der
gewöhnlicheii Kethode abweiclieiidea GhnmfiBätze, nach denen er die
alten Sprachen gelehrt hatte, dorch efaie popnllre DarsteUong noch
weiteren KreiMn mgftnglidi an machen.
Am Abend seines Lebens, nachdem seine Erfahnmgen sich durch
viele Jalu'e gefestigt und ei*weitert hatten, schritt er au die Au>idh-
rung des Werkes. Er hoffte sich damit ein Verdienst am sein Vater-
land za erweiben. Wir wissen, wie hoch er den Wert der Bildung
anschlag; die Art aber, wie sie in den Scholen den armen Kindern
beigebracht wnrde» ersdiien ihm mehr als jftmmerlich.
Es ist ein langes Sündenregister, das er gegen die alte Methode
iur> h'f.ld lulirt. Man lerne alles auswendig, aber so, dass alle Kennt-
nisse den Knaben nm* in Zunge und Lippen gebunden blieben; nie
Stiegen sie bis zum Hirn and in den Kopf and wfitdoi daher bald
wieder ans dem Monde ansgespackt Die Regeüi lerne man allein für
sich nnd ohne sie an Beispielen zn fiben; die Autoren würden ftfanlich
getrennt von der Grammatik behandelt Weder wQide genug ge-
schrieben, noch Yonittnftig fibersetat, und doch bildeten gmde die
schrifUiehen Arbdten das Fundament des rechten Unterrichts. Ascfaam
nennt diese Methode ermfldend för den Lehrer, schwierig für den
Schüler und trocken und unbequem für beide. Der Geist stumpfe ab,
alle Lust am Lernen gehe verloren, da bei aller Mühe nichts Rechtee
herauskomme. Denn weder lerne der SchOler die Worte richtig wählen
und stellen, noch gute Sätze bilden; er eigne sich vielmehr ein falsches
Urtheil über Worte und Sätze an, und das sei ein Felder, der wenn
eingewurzelt, nur äußerst schwierifr zu beseitijren sei. Zu all dem
kommen die vi»'1eu verkehrten Lehibüchei-, dip eingeführt word»^n seien,
und die dem öchüler jahi'elang den Weg zu den echten (Quellen vei'-
sperrten.
Dem setzt nun Ascham seine neue Methode „der doppelten Vher-
setzung** entgegen. „Unserer Ansicht nach", sagt er, „eignet man sich
jede Sprache, sowol die g'elehrten als auch die Muttersprache, duich
Nachahmung an. Wie man reden liört, so redet man auch.'* l)er
küi'zest« und beste Weg. die lateiniscln S|>rache zu erlernen, wäre
daher das tägliche and beständige Lateinsprec-hen. Abei* diese ^Sprache
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ist aus dem Verkehr gfsfliwiimlen nnr! nur noch iu Büchern ent-
halten. Sie kann daher nicUt mehi* mimdlicli, sie mass schiiMch erlernt
werden.
Der Nutzen von L bersetzungen ist von altersher bekannt; aucli
in den Lateinschulen werden sie sehr zui (|>ual der Schüler auge-
fertipt. Aber weil es keine doppelte ITbersetzuni^en sind, können sie
iui Ijesten FaUe auch nur einfieichen Nutzen bringen, der noch dadurch
verringeit wird, dass nicht täglich geschrieben wird, wodurch sich
doch das Verständnis vertieft und das Qedftchtnis schürft.
Die doppelte Übersetzung erkl&rt er, wenn nicht Ar den einzigen,
90 jeden&Us Ar den geeignetsten Weg zni* raschen nnd voUkommenen
£rleraang einer Sprache. Bei fleüUger Ühnng werden die Sebfller
sich bald durch passende Wahl der Worte, dnrdi gewandte Bildung
der Sätze nnd durch ein richtiges Gefühl für Stil nnd Sprodie Tor-
theilhaft Tor anderen anszeichnen. „Ich wage zn wetten, dass wenn
ein Schüler, welcher Anlage. Liebe, Fleiß und Ansdaner besitzt, nach
dieser Methode nur ein kleines Buch des Cicero nebst ein paar
Briefen übersetzen wollte, er eine bessere Kenntnis der lateinischen
Sprache sich aneignen würde, als die meisten dei^enigen, die 4 bis
5 Jahre damit verbringen, alle Begeln der Qranunatik in den Latein«
schulen NviefhM-ziikäuen.
Di> di)[H)( Ite l bersetzung. Worin besteht denn nun lüese
geprie>» iie neue Lelu weise?
..Wenn der Knabe", so beginnt Ascbam, „die acht lledetlieile voll-
kommen inne liat, soll er die Substantiva mit den Adjectiven, das
Nomen mit dem Verbum, da,s Relativum mit dem Antecedens richtig
verbinden lernen." Auf die Ai t, wie dieser grammatische An&ngs«
Unterricht zu ertheüen sei, gebt Ascham leider nicht nfther ein. Aber
eben diese Anfibige stand ee> die Lehrern nnd Schölem am meisten
zn schaiRBn machen, nnd Dir die wol ancb die meisten Schlüge fielen*
Nach Einttbmig der Formenlehre soll der Lehrer nldit erst mit
den in Scbnlen Ablieben Anleitnngai zun Übersetzen ins Lateuiische
Zeit verlieren, sondern sogleich die dassiker znr Hand nehmen. Der
Anihng wird mit deeroe Briefen gemacht, wie sie von Stnrm mit
Bficksicht auf die Fassungskraft der Kinder ansgewählt und heraus-
gegeben sind. Der Lehrer bespricht zuerst in sorgfältiger und ver.
ständlicher Weise Veranlassung und Inhalt des Briefes, dann übersetzt
er ihn Wort für Wort ins Englische und zwar so oft, bis der Schüler
ihn vollständig: verstanden hat; den Schlnss macht eine gründliche
grammatische Analyse. Ist der Lehrer so weit, so beginnt der
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Scliüler; er übersetzt, niul aiialysirt mm ji^merseits das Peusuni laug-sam
und mit Bedacht, so dass sic)i zeigen muss, ob er all' das eben (jelinrte
richtig vei-standen uud khu tifasst hat. Darauf soll er eiii llt-ft
nehmen uud allein und ohne Beihilfe das so duixhgenomiuene Stück
ins Englische überaetzen.
Naelidem hierauf der Lehrer es dnrchgeeehen hat, sei es nvn
indem er ein Wort vergessen oder ein nnrichtigee gebraacht oder sich
emer falschen Wortstellnng bedient hat, so mOchte idi doch nicht
wünschen, dass der Lehrer ihm ein finsteres Gesicht mache oder ihn
gar schelte, wenn er nur seine Sehnldigkeit gethan und nicht ge-
fiudenzt hat» d^ ich weifi ans Eir&hmng, dass ein Schüler ans zwei
Fehlem, auf die er freundlich anfineiksam gemacht wird, mehr Vor-
theil aieht, als aas vier Dingen, die er richtig getroffen hat. Der
Lehrer soll ihm sagen: Cicero würde dieses oder jenes Wort ge-
brauclit haben; er würde dieses Wort hier und nicht dort hingestellt
haben, würde diesen Casus, diesen Numerus, diese Person, diesen
Steigeningsgrad, dieses Genus, diesen Modus oder dieses Tempus an-
gewandt haben und zwar hier lieber eine einfache als eine zusamnit-n-
«rest tzte Zeitform; dem Adverb würde er liier und nicht dort seinen
PlatÄ augewiesen, und den 8atz mit diesem Verb und nicht mit jenem
Nomen oder T'articipium geschlossen haben."
Ascham nennt dies den langweilig^sten Theil der (Tranmiatik, den
aber, nach seiner Methode behandelt, der Lelu-er ulme große Fehler
lehren, der Schüler ohne große Mühe lernen wird, indem der Lehrer
einen so sicheren Führer an seiner Seite, der Sdifller ehien so ein-
fachen nnd leichten Weg vor sich hat «Und deshalb veraditen wir
die Regehl doch nicht, sondern lehren sie mit Vergnügen, weU wir
sie einfuher, TemflnfÜger nnd richtiger Idiren, als dieses zumeist in
den Öffentlichen Schnlen geschieht Denn wenn der Lehrer den Cicero
mit der Übersetaing sdnee Sdilllers vergleicht^ so soll er den Schftter
anleiten und lehren, die Regeln seiner Grammatik mit den Beii^ielen
in der jeweilit^^en Aufgabe in Verbindung zu bringen, bis er imstande
ist, jede auf dieselbe bezügliche Regel selbst in seiner Grammatik an
linden, so dass die Grammatik stets in des Sdiülers Hand ist und von
ihm ebenso wie das Lexikon für jeden vorkommenden Fall benützt wird.**
In der vorf^^escliri ebenen Weise soll fortgefahren werden, bis das
erste Buch der von simm ausgewiUilten Briefe Ciceros und ein tüch-
tiges Stück aus einer Komödie des Terenz gelesen und venirbeitet ist.
Aschanis Forderung, das Gelesene dem Schüler Wort tui- Wort
ins Englisclie voi'zuübersetzen, findet sich in Ratichs und Locke's
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luterünearversioueu wieder. Sie empfeblen aber nui* ein wiederholtes
Abschreiben des Pensinns. nicht wie Ascham eine doppelte Ubersetzung.
Auch dasidie Rejrelii nur ullinahlich aus dem Gelesenen entwickelt
. werden, erinnert an die beiden eben genannten Methodiker. Doch
tritt hier ein zweiter charakteristiflcher Unterschied hervor. Ascham
hegiimt mit der lateinischeii Formeiilefaie und verlangt, dBSs die Gram*
jnatik stets in des Schmers Baad sei, wahrend jene mit ihr erst eui-
setsen woOen, ureim der Knahe schon einen gewissen Grad Ton Fer-
tigkeit im Sinechen erlangt hat, da die Begeln ans der Sprache, nicht
diese aas jener hervorgegangen sei Am meisten entspricht Asefaams
ICethode noch, wenigstens in diesen Punkten, der rielnmstrittenen
Knthardtischen.
In welcher Weise er jedoch beim Unterricht die Grammatik be-
nntzte, ist mir ans seinen obigen Aoslassongen nicht y511ig klar ge-
worden. Offenbar spriclit er von einem besonderen grammatischen
Lehrbuche, das sich in den Händen seines Schülers befand, mit dem
dieser die aus dem gelesenen Texte abgeleiteten Regeln stets verglich mv\
daf er wie ein Lexikon gebrauchen lernte. Weit( r unten aber tüiirt
er als ein glänzendes Beispiel seiner Methode di' Konigin Elisabeth
an, „welche, nachdem sie das Substantiv üeciinireu und das Verbuin
conjugiren gelernt hatte, nie wieder eine griechische oder lateimsclie
Grammatik in die Hand nahm." hat sie sich die gefundenen
Regeln doch wol selbst aufzeichnen nuii^sen? Aber in welchem Zu-
sammeuhaug? Sollten sich die grammatischen Excurse doch lediglich
an die zoMig vorliegende Textstelle knüpfen! Dedination nnd Oon-
jngation sah flbrigens aadi Locke ab intsgrirende Bestandtheile des
allerersten Unterrichtes an.
Von ihm nnd Batich nnd deren neueren Nachfolgern unter-
scheidet sich Ascham noch wesentUdi dadurch, dass er filr diese
gaitfe erste Unterrichtsperiode das Lateins prechen als schftdich Ter^
wirft Da die Kinder in der richtigen Wahl und Benntznng der
einzelnen Worte und Wendungen noch unsicher sind, gewöhnen sie
• sieh an ein Kandwwälsch, das später nur schwer abgelegt werden
kann. Er weist sehr richtig auf den Unterschied zwischen einer
lebenden und einer todten Sprache hin. £r bezieht sich dabei auf
ein Wort Ciceros: loqnendo male loqui discnnt. Dass Schüler bei
Tisch und im Verkeln- unter sich Latein sprechen, vei-wirft er durch-
ans, .Dies i^t nur bloßer Schein, keine Wahrheit, wenn es nicht gar
deswegen gt- hitht. um keck ohne Scliam, voreilig ohne Kenntnisse
und geschwätzig ohne Vei-stand zu sein.*" Nur unter Aufsicht dürfe
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da.s gescliehen, und el•^t wenn Ihi Schüler einen weiten uud klaren
Überblick über den ganzen Spra* hschatz erworben. Da man diese
Sprache nur aus Büchern lernen küuue, müsse jeder, der sich ilirer
bedienen wolle, erst eine gründliche Kenntnis dieser Bücher besitzen.
„Findet man*', f&hrt Ascham fort, „dass der Schüler immer
größere Fortschritte macht, dass er seine Lection rascher versteht,
Ifiiehter analbndrt^ sclmeller imct riditiger IlbersM als seither, so gebe
maa ihm lingere Aufgaben mm Übersetran nnd lange an« ibn sovol
hinsichtlich der Nomina als auch der Verha an lehren, was Proprinm,
Tranalatom, Synonyronm, DiTsraom ist, wehshes die Contraria, welches
die bemericenswertesten Phrases in seiner Lectdre sind. Alsdann
mnss er sieh ein drittes anlegen, in welches er, nachdem die
Sttckftbersetzung gemaelit ist, aus jeder Lection bis zn vier Beispielen
nnter jede der obigen Rubriken eintragen rnnss."
An die Briefe Ciceros hat sich mittlerweile eine der leichtere
Reden, pro lege Manilia, pro Archia poeta, oder die drei ad C. Caesa-
rem g"ereiht, „Diese Leetüre", safft Ascham. ..verbunden mit fleißio^m
( hersetzen und pünktlich besorgten Eintragungen werden den Schil-
ler mit der Zeit zu einer so passenden Wahl der Worte, zu so reiner
Satzl)ildun» und zu einem so richtigen Urtlieil führen, dass seinem
gewandten Stil und seiner correcten Sprache Lob und Bewunderong
weiser Männer nicht fehlen wird."
Ist der Lehrer von diesen Fortschritten befriedigt, so soll er zur
ciusorischen Lectüie übergehen, täglich ein Buch Cicero ^Episteln
oder Abhandlungen), eine Komödie des Tereoz oder Plautns. Anch
CSears Gommentare soUen mit aller SoiigfiUt gelesen werden, da darin
ganz besonders die fleckenlose Beinheit der latänisehen Sprache nnf
der höchsten Stnfe ihrer Vollendong erkannt werden kann, endlich
anch einige Reden ans dem Livios.
Die Lectlonen kOnnen nm so nm&ssender werden, als der Schü-
ler nicht mehr jeden Tag seine doppelten Übersetsongen macht, son*
dem nur constnürt und analysirt, wo der Lehrer es f&r nSthig er-
achtet. Doch muss er in dem Sammeln und Eintragen seiner sechs
Punkte noch fleißig fortfahren. An Stelle der Übersetiongen treten
jetzt alle zwei bis drei Tage wiederkehrende Exercitien. „Man wähle
selbst nach Gutdünken eine Epistel ad Atticum. irsrend eine be-
merkenswerte Partie aus seinen Reden oder aus irgend einem andern
Werke des Cicero, das der Schüler mrioriiehst nicht aufzufinden weiß.
IiMiiii lil) rsi-tze man es seihst in fiulaches. natür1i("hes Englisch. g"ebe
ilim die I bersetzong zum Rückübersetzen ins Lateinische und gewähre
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- Ö08 —
ihm zugleicli biulaiiglich Zeit, um dies mit FleiÖ imd gehüriger l bei -
kguug tliuii zu küimen. Und wie viel er bei dem ganzen ünterricht
profitirt hat, wird sich jetzt dentlicli zeigen."
Sind die Resuiiate auch dieser Übungen zufriedenstellende, so
bringt Aschara noch eine dritte Art von Übersetzung in Vorschlag,
obgleich seiner Keinuiig nach die beiden ersten zur Erlernung der
Sjprache schon Töllig genügen und hinsichtlich des Lehrens und Lernens
auch sicherer sind als diese dritte, bei der man folgendennaflen yetfthrt:
„Uan sehieibe einen engÜBchen Brief« s. B. an den Täter oder emen
andern Verwandten, nat&rltch dem StandpnniLte des SchtUers ent-
sprediend, oder andi eine Fabel oder eine einfache Erzflhlnng, nnd
lasse di^ ins Lateinische .ftbersetxen, gebe dabei aber acht, dass nie-
mand dem Knaben helfen kann. Bei der Wahl des Stoffes und der
Ansdrücke halte man sich im Bereiche dessen, was der Schüler gelernt
imd gelesen hat. Und dann sorget", ruft Ascham, „dass ener Schaler
in dem einen oder andern Punkte seine Sache nicht besser mache, als
ihr selbst, was ihr nur dann nicht zu fürchten habt, wenn ihr euch
vorher in diesen Ai*ten des Übei-setzens selbst tüchtig geübt haltt I"
Der Schüler ist nun füi* die Universität reif, und damit hört
Aschams Amt, nach den in der Vorrede e:esteckten Grenzen auf. Die
t'bnngeu, die nocli weiter zui' Verfeinernne" und Fordeniug in der tiii-
teiniscben Beredsamkeit in Anwendung koimiieu, und die er alle mehr
oder weniger eingehend bespricht erklärt er doch, allenfalls mit Aus-
imlime einer vernünftigen Imitatio, für die Schule als nicht geeignet
Sie gehören auf die Univei*sitat und für den Mann mit entwickeltem
Verstände nnd reifem ürtheO. Hior kttmiffli wir daher f&glich ab-
brechen.
Bescheiden, wie er immer war, nahm er die Ein« der Erfindung
dieses nenen Läupkns nicht für sich in Anspruch: Cicero habe schon
nach dieser Methode Griechisch gelernt Er weiß deren Vortrefflich-
keit dnrch msnches dassische Gitat za stützen, ermangelt aber auch
nidit, Beispiele persönlicher ErfiEdinuig anzofOhreD. Nftehst Elisabeth
das gliinzendste war wol ein Page ihres Hofes, der in der kurzen Zeit
von Weihnachten bis Mitte August wo er starb, so gewaltige Fort-
schritte gemacht hatte, wie die Schttlei' in den common schools nicht
in sieben Jaliren vermöchten.
Scliluss, T'nl^'nir^nir bedeuten Aschams Ansichten einen ge-
waltigen Fortschritt gegen das Alte. Einen besonderen Einfluss auf
das eiiL^liscli*^ Schul- und Frzielnino-swesen vermochten sie trotzdem
lauge Zeil hindurch nicht zu erwerben. Seine Methode des Latein-
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lerueüji hatte öicli nur im Privatunterricht erprobt; aiif ihn war sie.
wie der Vt^rfasser auf dem Titelblatt selbst hervorliebt, vornehiiilich
berechnet. viele Hindemisse ihrer Anwendung in den gejscholte-
nen öffentlichen Schulen mi Wege standen, musste Ascham selbst melii'-
fach anerkennen. Wol erklärten sich unter den 2«eitgenossen eine
ganze Anzahl tttchtiger Sehnlmfinner, John Lyly, Bichard Mnlcaster,
Edirazd Grant) Ar aolBe Anffossaiig der Einderetziehnng. Sein Hanpt-
werk, das er seihet als ein pädagogisches Vermächtnis an sein Volk
besetehnet hat, wurde in den ersten zwanzig Jahren nach seinem Tode
mindestens Anfioal gedruckt. Dann aber gerieth es in Yeigessenheit
und tritt erst wieder im 18. Jahrhundert ans TagesUcht Für die Zeit
von 1711 bis 1869 sind mir zehn yersehledene Auflagen bekannt ge-
worden, unter denen sich diejenige von Professor J. £. B. Mayor,
London 1863, Bell & Daldy, dueb WissenschafUichkeit und Fräcision
yortheilhaft anszeichnet
In England ist in jüngster Zeit wiederholt in nachdrflcklicher
Weise und von maßgebender Seite anf AscJiam und seine pädagogischen
Grundsiitze liinpfewiesen worden. In 1?' raukreich hat Loiiii. Wiesener
kürzlich seine Land^lnu, ;iiif Ascharas Methode aufmerksam gemacht,
der er ein ganzes < aiiit>-l ^Hines Buclies: La jeunesse d'Elisabeth
d'Angleterre (PariÄ 1878) uidniet. Und seit wir nun in der Arbeit
Holzamers eine tüchtige deutsche Übersetzung des Schoolmaster be-
sitzen, kann es nicht fehlen, dass dem geistvollen, liebenswürdigen und
in hohem Grade selbstständigen Pädagogen die verdiente Würdigung
auch bei uns in Deutschland zutheil werde.
üiyuizeü by Googl
Etwas T^n N^bensatxe.
Ton Kmraä Moisei'Atmig.
13 er EntwickeluM^sgang. den anaere Sprache genommen hat, Ubwt sich
mit geringer ATüli^ in eine Analogie ])i Ingen mit dem Entwickelangtfange, der
beim Eilemeu der Si)rache beobachtet wird.
Zuerst spricht das Kind nur in einzelnen Wörtern. Begriffe, allerdings
Doeh aehr mangelhafte Begriffe aind es, die es spraehUch anm Anadracke bringt.
Dem sprachlichen Ausdrucke der Begriffe folgt in weiterer Eutwickelung der
8prachli<*lie Ausdruck cles I rtlipilps in möglichst kühner, apodikti«» h r Fonii.
Die spi'achliche Formung des kindlichen Urtheiles tritt in der Form dva Haupt-
satzes auf. Ehe das ^oßä es dalüii gebracht hat, neben der Fenn des Haupt-
satxes deh auch in dsst Form des Nebenaaties an Tersncben, mnss eine tiefore
sprachliche Schulung eingetreten sein. Ungefähr denselben Process machte die
Sprache bei ihrer Eutwickelung durch. Vorerst sprachliche Bezeichnnii? d»*r
Begriffe, dann den spi-acUUchen Ausdruck der Beziehung der Begriffe, diesen
spraclilieh«! Aiisdniok avnichst aber nur in d^ Form des HanptsataEes. Erst
l4d später, bei entwickelterem Denicen nnd ausgebildeter Sprache tritt die
Form des Nebensatzes auf. Der Nebensatz Ist demnach die jüngere Form des
sprachlichen Ausdruckes.
Aber der psychologische Process, der diesen eben dai'gelegteu Entwickelungs-
gang begleitete nnd ermöglichte, ist ein wesentlich anderer. Bevor „Begriffe'^
gebildet werden konnten, mnssten Ürtheile vorangehen. Ein Beiq»iel, ganz
abstr.T t <rt'Tv<inmen. mag uns das anscliaulich machen. Xelimen wir an, ein
kleines Kind der Stadt maclie in I5ef?leitung der Mutter den ersten Spazier-
gang ins Freie. Es hat, so ueiime ich au, bis Jetzt noch keinen Baum gesehen.
Idi abstrahire demnach auch von einem BUderboehe, das dem Kinde yJdldeht
den Baum vorgeführt hätte. „Das ist ein Baum'', sagte die Hntter, als eine
Pai»|iel am Wege stand. K .! las Kind nun ein<'n "Regrriff vom BnnnieV
Beileibe nicht. Am Wege steht weiter ei« Apfelbaum. ,.Das ist auch ein
Baum*', spricht die Mutter. Das Kind hat zwar noch keinen Begriff vom
Banme, alter es ist hnndert gegen eins an wetten, dass es Jetzt selbst nrtheilt,
wenn es eine Fichte sieht: Das ist auch ein Baum. Es wird mit mehr oder
minder großer Sicherheit dieses ürtheü aussprechen. Was berechtigt äiw
Kind zu diesem Urtheile? Unzweifelhaft« das üemeinsame dieser Dinge.
Ein emporstrebender Theil (dtf Stamm, den es nodt nidit benennen kann),
ein giofier rtudlicher Theil (die Kim», die es nicht bennuien kann), dsis
genügt vorläufig. Aber die göttliche Psyclie des Kindes abstrahirt bereit».
Mit einiger Nachliilfe kommt es za dem B^riffe Baun. Dieser psychologische
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Be^ft „Baum*' i£t allerdiogs noch kein „logischer''; das Bilden logischer
Begriff« ist nicht Saehe de« IdndlicheB Gei«tee, es ist eine TIAtigkeit des ge-
reiften Verstandes, es ist die reinste Altfstraction. Dass den betfcffendea
kinrilirlu-n Uitheilen soerar Schlüsse, allerdingE üi ♦'mliryonalei- Form, voran-
gehf-n, ist bei weiterer Überlegung einleochtend and geht übrigens ans obigem
Beispiele hervor.
Das Ist der psychologische Process. Das Urdieü, das sich im Ideineo
KSpfchen bildet, sprachlich zu gestalten, ist dem Kind« schwerer. Resnmiren
wir: Dem Bilden der Pcjjriffo p^intr hLso das Vrtheilpn vnrans. Die Urtheile
wurden ermöglicht durch .Scliliis*t:. Aber der sprachliche Aufdruck der Urtheüe
folgt beim Eutwickelungsgange im Sprechen dem sprachlichen Ausdrucke der
BegrUr«. So ▼erfallt sieh dl« Saeh«. Sobald das Kind ürthette sprachlieh
gestalten kann, bildet es Sätze. Dieser Feitigkeit voraus eilt der Gedanke.
Zuerst der Gedanke, dann dfr Satz. Der SmT/ ist also der spraclilielie Ans-
dmck des Gedankens. Nun ist aber der Gedanke, ganz im allgemeinen sei
es gesagt, nichts anders, als die Beziehung zweier Begriffe. Daher baat
sieh der Sats xnn&chst anf dem sprachliehen Aasdrncice zweier
Begriffe auf, die wir eben S«bj«ct und Prädicat nennen. (.Snbjiciren — untei>
legen, unterstf llen. Subject = das Untergelegte, das Gnindding; pradiciren —
bekannt machen, behaupten, zueignen, Prädicat = das Zueignuugswort.j Ohne
diese swei BeiprÜfe Ist eik Sats nnmSglich, wdl da* ihn ToraDgehaide
Unheil nnmög^ch ist Deshalb nennen wir diese zwei Bestaadtheile Hanpt-
satzglieder. Verscbwietren kann das eine oder andere, können sogar beide
werden, aber im Denken fung^iren sie. (l^llipsen: Lies! Ich? Feuer!)
Aber das Denken begnügt sich nicht mit der Aufeinauderbeziehuog zweier
Begriffe, kann sidi nldit begnOgen, da ja gewisse ürtheDe nnmOgUch wina.
Das Urtheil „der Ofen ist warm-* ist in dieser Form entschieden unrichtig
(als allgemeines Urtheil anfj^efasst), und doch sind die Hanpterfoi ilemisse des
Gedankens vorhanden. Es muss eben beißen: der geheizte (Uen ist warm.
Die Denkgesetze verlangen die Erweiterung de» Gedankens, mitliin
aneh des Satnes. Alle jene SatagUeder, dl« neben den Hanptsatsgliedein vor^
kommai, am das Urtlieil in jedem gegebenen Falle erst zu einem richtigen
zu gestalten, heißen Nebensatzjflieder. Sie lassen sich unterscheiden in *i!ch*».
welche den Subjectsbegritf, und in solche, welche den Prädicatsbegriff richtig
gestalten. Der Satz: ,J>er Hund des blinden Bettlers sammelt für densdbai
Gaben^ hat demnach nnr zwei TheOe: doi Satgectsthdl nnd den PridicatstheiL
Aber der Subjectstheil besteht aofter dem Subjectsworte noch aus Jenen Glie-
dern, welche ihn (,.Hund'') im gegebenen Fall« richtig gestalten, was sich
auch vom Prftdicatst heile sagen lässt.
Jeder Satz nun, der, ohne Rflcksicht darauf, ob er blos ans den Fnnd»-
mentalbefriffen besteht, also nackt Ist, oder anch NebengUeder liat, atoo
erweitert und bekleidet ist, heißt Hauptsatz, sobald ilim die Eigenschaft inne-
wohnt, für sich in der Rede bestehen zu kennen. Die Schüler fassen
diese logische Eigenschaft des Hauptsatzes sofort auf, wenn mau bei einem
Beispiel« dl« Frage anhvirft: Hast dn das OefQhl der BelHedigungV Sobald
ich aber d«m Satz« dl« Form des Nebensatzes gebe, antworten sidioilch die
Schüler, dass sie das Gefrthl der sj»rachlichen Befriedigung nicht haben, dn^s
sie noch etwas erwarten u. dei^l. Als äußeres Erkennungszeichen, gleichsam
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— 507 —
als Probe, irilt in der Praxis die Stellang der Copala, die man (ich meine hier
die liilfszeitwörtliche Copula) stt'ts in den fra^liVhon Satz bringen kann, wenn
man eine der znsanuneDgesetJSten Zeitformen anwendet. Im Hauptsatze steht
Mibe immer vor dem I*rildicate. Aber meine Aostcht geht dahin, dass dieses
Men fi^ennmicazdchen nlebt so betont werde, denn der Lehrer der
Sprache hat vor allem darauf zu sehen, dass sein Unterricht eine Gymnastik
des Geistes sei, dass seine Schfiler denken lernen. Er mnsa Logiker sein und
IHraktische Logiker heranbilden.
Jeder Sats nun, dem diese logische EigemAall mangelt, der also beim
ieolirten AoMprseben das Gefühl der MiditleiHedHgimg Unteittsit, ist dn
Nebensatz. Als äußeres Kennzeichen grüt hier die Stellung der Copula hinter
dem Prädicate. Dass dieses änßere Kennzeichen irre führen kann, geht ans
folgendem Beispiele hervor: Man sagt, er sei verloren.
Es entstellt nun dte Frage, wddier swiugcuden Nothwendigkeit entsprang
der Nebensatz? Folgende Betraditmig enthilt die Antwort Infolge der
Erweit^rniig: des menschlichen Anschannn^kreises, infolge der Entwickelung
der Wissenscliaften nahm der Wortreichthum erstaunlich zu, und im erweiterten
Satze mussteu sich demnach die Wörter häufen. Jede Häufung der WSrter
•tSrt aber die Klariidt des Satses. Qewallsame Fügungen mnssten entstehen.
Der Drang, ftr soidie Hlbten mildere Formen zu finden, musste sich geltend
ni:u-hen und so entstand — der Nebensatz. Die Substitnirung eines Begriffes
durch ein ürtheü musste selbstverständlich den logisch gleichen Wei-t. die
gleiche Rtmgstellung im .Satze haben wie der Begriff, für den es substitoirt
wvrde, sowie ja andi In der Ifathematik, nm ein ansdiaiiliebes Beispiel beran-
zuzit ht II. fiir einen Ausdruck ein anderer gleichwertiger gesetzt werden kann^
z. B.: Thne das Kr rlite aach ohne Lob der Mensclienl 'i'hoe, waa
recht ist, wenn auch das Lob fehlt, das die Menschen geben.
Aas diesem Beispiele folgt:
1. Der für das Nebensatagliedsnbstitairte Nebeasata ist dem ersteren gleicii''
wertig. d. h. ist das Satzglied z. B. ein Object, so ist der hierfür einge*
stellte Nebensats ein Objectsati etc. Den Beweis lieftm die Frage-
wörtchen.
2. Der Nebensatz erhält seinen Platz im allgemeiueu au der Stelle, wo
das Satzglied stand, für das er eingestellt wurde.
3w Der Nebensatz kann im allgemeinen wieder In das Satzglied Terwandelt
werden, tnr wf-lrlif^« or eingestellt wurde.
4. Übergeordnet ist jener Satz, der das Satzglied enthält, ttir welches der
Nebensatz eingestellt wurde.
Man beaeiite:
a) Thne, was recht ist, wenn auch das Lob der Mensehen fehlt.
b) Thne, was recht ist, wenn auch da.s Loh fehlt, das die Menschen geben.
Da Runter a) der Nebensatz das Satzglied enthielt, welches (unter b) durch
elnm SUbenaats vertreten werde, so geht daraus herror, daas als ttbeqieerd^
neter Satz auch ein Nebensata auftreten kann. Sobald für ein Satzglied ein
Nebensatz eingestellt wird, haben wir efaie besondere Fcnn des zusammenge-
setzten Satzes vor uns: das Satzgefüge.
Wenn der Lehrer seine Schüler zum richtigen Erkennen und Bestimmen
der RatugHediir des dnMien erweiterten Saties gebradit bat, so kann das
gwdie>eiim. SuJafeiins. AftVID. 38
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Erkennen und Bestimmen der Nebensätze durchans keine Sehwif^iigki iten
bereiten. Nur muss der Lphr<*r dip Schüler ponspquent anhaltpu. gewigseii
Äußerlichkeiten und formalen Ert^cheinungea kein beäoudereä Ge^^iclit beizu-
lefen. Wenn er sich aber 1m1 der Beetimmiuifr der Nebeiuitm, ab» bei der
Angabe, ob der Nebensatz Subject, Piüdicat, Object, BeifGgimg, Ortsumstand,
Zeitnnistanfi. Weiseumstand. CirnTifinnT^rrml des übergeordneten Satzes ver-
tritt, mit der Begründung des betrettendeu Urtheiles durch gewisse Äußerlich-
keiten begnügt, so wird in sehr vielen Fällen der Nebensatz giiindfialscli
beetlniint. So & B. iat das an der Spilw des Nebeniatiee befladliche »Fügewort'
(ein beziehendes Fürwort, ein beziehendes T'iußtandswort — Relativadverb — ,
ein Biudewort^ das Steckenpferd manches Lehrers. Da müssen die Kinder di»
Fügewörter ttii* Subjectsätze, Beifngesätze etc. lernen. Das ist eitel unnüuer
Oedftchtoisknun und hat flir die Bestimmung der Nebensätze keine Bedentoog,
' denn dar Beiftgesate kann an der Spitae wo, woher, woliin, wann, weshalb n. s. £
haben, z. B. Kennst du das Land, wo die Ti fronen blUhen? (Welches
Land?) Ebenso: Ich weiß, weshalb dn g-ekommen bist. (Was weiß ich?
Object}. Um den Nebensatz richtig beurtheilen zu lernen, dürfte sich folgender
Vorgang empfehlen, wobei UAt bemerke, das« 4 — 5 Sitze in iet Stm^ genfigeo.
Wer andt^-rn eine Grube jjriibt. der füllt uft selbst hinein.
1. Stelle mit Hilfe des Hauptsutzes eine Frage, damit ich als Antwort den
Nohenaatt gdwa kaasi den ich jetzt von der Tafel wieder weglösche! Nsch
welehein Sat^ede ftagt man mit „wer?« (ftd^). Wessen SteDe w-
tritt also der Nebeasata in msenn Beispiele? Wir heiBen ihn deshalb Sab«
jectsatz.
2. Ist nun der Nebensatii „wer andern eine Oiiibe gräbt" Sal\iect des
HaaptsatMB, so braaeht der „Hanptsatif' kein Saljjeet s« haben. Findest dn
im HanpCsatze ^ Sniject? (Der.) Wir wollen es weg lassen. Sprich das
Ganze jetxt aus! Seht, es ist unnütz, ist ein bloßes Füllsubject. ein Platzhalter.
Wir nennen es Deute wort und erkennen es auch mit Leichtigkeit an dem
Tone. Weil das Deutewort des Hauptsatzes ein Subject ist, so ist auch
4er von ihm aagedentete Nebensati ein Suldiectsats.
3. Der Sata: „Wer andern eine Ombe gxttbt^ soll in eine Form gehrscht
werden, dai^n er als „Satzglied" erscheint, mithin das Ganze ein einfacher Sats
wird. Diese Übung ist die soll Werste. Aber Geduld überwindet die Schwierigkeiten
bald. (Der andern eine (jrube Grabende fällt oft selbst hinein.) Die Schüler
iiuden sofort, dasb die einfache Satzform nicht ohne Härte ist, und das Satz-
g^llge in diesem Falle vorniziehen ist. ümgekdirt wird der gewandte Lehicr
manche günstige Gelegenheit wahniehmen, um die Satzglieder, wenn es eben
angeht, in Nebensätze zn vprw;in(T*'ln. Er bestehe aber immer dai-auf. dass
die Schüler zum Urtheüe geuütliigt werden, welche von den beiden Formten
(Nebensatzform oder Satzgliedform) vonoslehen sei, nm ihren Geschmack zu
büden. Diese Verwandlnngea und Umwandlnngen dnd ansgeadchiMte Qpreeh-
und Sprachnbongoi, sie sind stilistischer und grammatischer Unterridit sa>
gleich. .\ber es sei bemerkt, dass nicht jeder Nebensatz sich in ein Satzglied
zurückführen lässt, ein Beweis, dass die lebende Sprache sich bereits emancipitt
hat nnd Nebensfttae als selbstständige Formen (im gewissen Sinne) zu bildsa
anftngt, a. B. er lobte daa Betrage seines Broders, was kann an billigen ist.
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— 609 —
Ein Lflgner iat»
Diesei' Nebensatz bezieht sich nämlich auf den Oe<;amintin)iaIt des
übergeordneten Satzes. In andern Fällen entstehen grausame Härten, z. B.:
Der Stein hatte dte geheime Kraft des Angenehmiiiacheiie vor Gott n&d
Menschen, statt: vor Gott und Henschen angenehm zn machen.
Ich würde befürworten, dass mati di^ T.t lirp von dem Nebensatze, weniiarstens
insuweit sie das Erkennen und Bestimmen desselben vermitteln soll, nicht
abgesondert in der Volks» und Bttrgerschiile behandele, sondern sofort mit der
Leine von den SatssUedem ▼eritnilpfe nnd so q^elend des reiehe Material ver-
werte, t^rigens ist ja anch jener üntenicht der beste, der vielseitig bildet.
Nehmen wir nn, ä^r T.ehrer wolle das erstemal die Schfller mit dem
Nebensatze bekannt macheu.
Der Vorgang dürfte sieh etwa fblgendermaBen gestalten.
„Der Lügner Ist ein erbftnnlicher Mensch."
Wo ist der Snbjectstheil ? (Der Lügner.")
Der Prädikatstlieil? (ist ein erbärmlicher Mensch.) Aus wieviel Gliedern
besteht der Snbjectstheil? (1.) Wieviel Glieder hat der Frädicatstheil? (2.)
Wir wollen hente beim Subjecte stehen bleiben. Wer ist ein Lügner?
wer lügt (einfachste Antwort),
wer die Unwahrheit sprieht
wer der Wahrheit nieht die ISkn gibt
Diese Antworten, die natürlich theils von den Schülern gefanden, theils
vom Lehrer gegeben werdeni sind swar stilistiseh versehieden, drücken aber
oiigef^r dasselbe aas.
Noa fragen wir so:
Wer ist din erhirmllcher Meoseh?
Der Lügner. (Sal^eet)
Wer lügt. (S.)
Wer die Unwalirheit spriclit. (S.)
Wer der Wahrheit nicht die Ehre gibt. (S.)
Wir bilden daher folgende Sätze:
1. Der Lügner ist ein erbürolieher Menseh.
2. Wer lügt, ist ein erbärmlicher Mensch.
3. Wer die üiuvalirheit spricht, ist ein erbSü-mlicher Mensch.
4. Wer der Walirheit nicht die Ehre gibt, ist ein erbärmlicher Mensch.
In welchen von diesen Sätzen machen wir beim Sprechen dne GUeder-
panse? (2., 3., 4.) Setie die Beistricbe.
Wie heißt das Snbject des 1. Satzes? Wodurch ausgedrückt? rilauptwort.)
Wie heijt das Snbject des 2. 5^atzes? (Wer lügt.) Wer ist unter „wer"
gemeint? (Irgend jemand.) Was wird von irgend jemandem gesagt? Das
Snbject des 2. Satzes ist also für sieh ein Satz. Hast dn das Gefühl
der BelHedignng, wenn ich spreche: Wer lügt ? Der Sate „wer lügt'*
kann also für sicli in der Hede nicht bestehen, es bedarf noeh eines zweiten
Gedankens zur Vervollständigung. Lies den mit ihm verbundenen Gedanken!
(„Ist ein erbärmlicher Mensch".) Diesem Gedanken fehlt etwas. Gib ein hin-
weisendes Fürwort hinan! (Der.) Wer ist nnter „der" sn verstehen? Kann
der Satz „der ist ein erbünnlieher Mmsdi^' für sich allein in der Bede
bestehen?
33*
Antwort^:
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— ölO —
Merket: 1. Sfttaw» welche fttr sleli io der Bede bestehen kSoneo» faeiBen
HanpMttze.
2. SMze, ^^TIche filr sich in der Bede nkht beetehen kfinnen, heUeo
Nebensätze.
Wieviel Theilsätze siud also vorhanden, ich spreche: ;,Wei- lügt,
der iet ein erUndieher Heosch?** Welcher iat der HenpCMts? Wami?
^^' 'Icher der Nebensatz? Warum? Für welchen Aasdmdt haben wir den
NeUensii»/ erpsetzt? (Lügner.) Was für ein Satzglied v.ar .Lüpfner'*? Was
mns.s also auch der Nebensatz seinV Merket: Solche Xehensütze. welche
das äubject eines andern Satzes sind, keiiieu Subjectsätze. Gib
dem Sfttse ^/Ixt Lflgner iifc ein erbinDlieher Mensch** — die nagakehrte Wort-
folge! J^etze jetzt für dM Snbject „Lügner^' den Snbjectsatz! Der Subject-
satz nimmt also jenen Fiats ein^ den das Snbject, das er vertritt,
inne hatte.
Was steht au der Spitze dieses Satyecteatzes? (W^er.) Was steht an
der 8pitie dieses EaaptsatHS? (Der.)
Welches von beiden wird betont? Welches kann weggelissra werden?
Warum? (Weil das Snbject schon durch einen Nebensatz anspedrOckt ist.)
Merket: Der Subjectaatz bat ein Fügewort, der Hauptsatz kann ein Deate-
wort haben. Ähnliche Betrachtungen an den Sätzen 3 und 4.
Nin stelle man die ketaeiwega mehr schwere Ferdemnf : Vemwhet statt
des Snbjectes in dem Satze „Der Fleißige benutzt die Zeit** einen Snbjectaatz
zu setzen! f AWr fleißig ist".) .\hn1iche Forderungen! Oder: Versuchet,
statt des „Subjectsatzes" ein Subject zu setzen! („Wer mä^ ist, verlängert
sein Leben" — Der Mkllige verlängert sein Lebra.)
In ähnlicher Weise wird der BeifOgeaats, der Ot^jectaati etc. behandelt.
Ginvlssermaßen zur Rechtfertlgiui^ dieses VwsaBges apndnb ich folgende
unumstößliche .*^iUze aus:
1. Wer da glaubt, er sei vorbereitet, wenn er wisse, was er heute durch-
nehme, der iirt Das „Wie** sei Gegenstand genansster VoriterelMmg.
2. Nicht „durchgenommener" Lehrstoff ist maflgehmid tke die BeorCheflug
der Lehrerthfltigkeit, S4)ndern „verstandener".
3. Nicht trocken sei h r ^rammaUsche Unterricht, sondern anscliaolicb,
lebensvoll und anregend.
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^Blicke ii die Literatur.
7<m Dr. FrMMch DUtm.
Metaphysik Ton Steiner, Danrimsmus Ton Hftckel, Freiheitslehre nach Leilnii
und KcilMat toh Brivtigam, Fandamentalprincip der Pftdagogik von Selmltt»
Religionsunterricht von Preiß.)
Vm mit der Anzeige der r^^rihlirichen uns vorliegenden Schriften nicht
allzusehr im Rückstände zu bleiben, nitissen wir nochmals das ,,PsedagOgilim"
selbst ZQ einigen literarischen Excnrsen in Anspruch nehmen.
Allgemeine Metaphysik zur Begründung einer vemfiufügea
Welt- imd Lebenmuldit nadi i^t, FHm imd Apelt kUr md ttbeto
sichtlich dargestellt von Samnel Steiner, Prof. a. D* Keioutfk
1882, Santer & Schmidt. 104 S.
Metaphysik ersrln Inf in nnf«erem Zeitalter wie ein , .Mädchen ans der
Fremde". Infolg« der phantastischen Speculationen, die man unter ilireni Titel
getrieben, hat sie in der wissenschaftlichen Welt ihren Credit und ilu- Bürger«
leeht ftat ganx vexkmu. Da ist denn die Torlicfende Scbiift, welohe den
Kern nnd damit die Bedentung der Xetqplqnik zn retten encht, fast als ein
"Wagnis zn betrachten, nls ein Yerjttngnngsversuch, Aber w- lchen die einen
kurzer Hand den Stab brechen, andere mit skeptischem Lächeln zur Tages-
ordnung gehen werden.
Indenni hnndelt es sich hier nicht um Jene dograatisohe Metsphystk
der Uteren nnd nenmn Scholastik, welche mit Recht fUr veraltet nnd ab*
gethan s-ilt, pon(!*^rn um die kritische SiVhfnn^- nnfi Klürung aller mensch-
lichen Wissenschaft nach der von Kant begründeten Methode. X'erfasser
geht darauf aas, alle Keime des menschlichen Denkprooesses „als gleich-
berechtigte Zweige einer nnd derselben Erkenntniskraft naohzQ weisen, nnd
so Jeder einseitigen Weltanschanttng TOnnheugen, besonders aber dem Materia-
lismns nnd dem Unglanben sein Unrecht nachzuweisen und eine selbstgenflgende
Welt- nnd Lebensausicht zu begründen". Hieraus ergibt sich, dass Prof.
Steiner, wie er in seinem Bache anch ansdrScklich sagt, die Metaphysik als
„Erkenntnislehre'*, nicht als eine sepaiate Wissenschaft mit eigenthttm-
Uchem und positivem Gehalte, auffasst und behandelt. Im ersten Theile seiner
Schliff f . üiedere Metaphysik") sucht er von der äußeren Natur, durch Klar-
Steilaug liuer höchsten Kategorien und obersten Gesetze, eine einheitliche und
befriedigeiide Tetalanflhisnng zn gewinnen, wobei er, leerai S|»ecnlatiooen
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— 512 —
entsagend, an dem Lrifpodanken fpsthftlt, „dnss du- nirtapliysischen Grund-
g-edanken nidits aiuicrrs sind, als die allerpnH'incn und noiliweudi^eu Natur-
geaeta», welche der Physik und der Mechanik des Himmels zu Grunde liegen."
Im zweiten Thefle (der „hSheren Metapfeysik") nntenncht er die bdcbiteB Ge-
bilde (Ideen) dee menschlichen OeiitesMiens. welche, in Ergftnznng' des empi-
iischen Wissens, jene Eeg^ionen austüllt-ii. die dem pofsitivon Erkonnrn nn-
zogäii|?lich sind. Auch liier lullt Xerfasser an der unverbrüchlichen Richt-
schnur des menschlichen Denkens fest. »»Unser Wissen betrifft nor diejenigen
ErkenntaniflBe, d«Mn eine Anechaniini^ sn Onmde liegt, die tidi also auf Er>
fahrnng beziehen und die Erfalirmigrserkenntnisse ansmaehen'* (Sb 87). Die
höchsten Postnlate des moralischen Gefühls und Gewissens, die Ideen von der
Seele, Freiheit. Gottheit u, s. w. sind ihm iii« lit positiv«- Dogmen, s<^ndem
subjective Überzeugungen. „Da ihr 1: uiwaiiriiaUeii auf keiner Anschauung
boniht, M ist die Überaengnng von ihrer Wahrheit nicht ein WiBsen, aondeni
ein Vertrauen auf die Walirhaftiglieit unsäter Venmnft, d. h. ein G'lavben"
(S. 92). „Jeder Mensch hat das Vertrauen zn seinem Geiste, dass er der
Wahrheit empHinglich nnd theilhaftig sei" (S. 99 j. „Die tiunsscendentalen
Ideen der Seele, Freiheit nnd Gottheit, sind sonach di^enigen Wahrheiten,
welche die Vemiuift als mit sich selbst übweinstimmend eriraint und ihnen
im Vertrauen, dass sie der Wahrheit empfftoglidb sei, ol^ective BealitKt xn-
Allerdings ist nicht zu verkennen , dass Verfa&s«r, um nach links Zarecht-
weisnagen in ertheilen, biswdlen m stark nach rechts steuert, nnd daaa er
dabei, wie anch schon Kant, mit dem nicht genVgimd definirten Begiiif
„Verntinft" ziemlich frei operirt. Allein seine Schrift zeigt nicht nur. dass
er auf dem l'^ arit^^iteten (Te)netc vfHhv beimiscli ist — die Klarheit und Ge-
drängtheit seiner Darstellung beNseiseii dies — , sie ist auch ein höchst ge-
Inngener Leitfiiden snr EMIhrnng in den ganzen Complex der hOcimteai
Oedanken des menschlichen Geistea; nnd wer Aber ^leclalstadiNi hinans m
einer einheitlichen Welt- nnd Lebensansdiaunng' vorzudringen strebt, wird in
dem angezeigten BQchleiu, das fireilich nicht f&r Anfänger bestimmt ist, einen
trefflichen F Uhrer finden.
XDie Natnranschannng von Darwin, Goethe und Lamarck.
Vortrag von Ernst Hftckel. Jena 1882, OtmtaT Flacher. VII
n. 64 8.
Dieser Vortrag wnrde snm größeren Theüe in der Versammlnng dentseher
Natnrforseher nnd Ärzte xn Eisenach am 18. September 1882 gehalten, er-
scheint liier aber nicht mir bedeutend erweitert, enjififrn mich mit einer
länf^eren \'oiTede nnd emer Keihe von eriäutenideu Aumerkungeu vensehen,
überdies von einem Brief von £. B. Aveling begleitet, welcher frappante Aof-
sflhUaM ttber das Sehicksal des Darwinismns im eigenen Vaterlande nnd ttber
englische Denkongsart jfibt.
TrUf^kel i*^t als einer der liervorragendsteu Verehrer und VertV^hter des
Darwinismus liiugst bekannt, und schon aus diesem Gmnde musb die vor-
liegende Broschüre als eine wichtige literarische Erscheinung beaeichnet
werden. Da hier nidit der Ort istf in daa Pro nnd Contra der groHen Streit-
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fnge einzugrehen, als welche die Desceiulenztheoiie ( EntwickelTing:slehre),
wenigsteuB in ilireu Consequenzen, uoch immer betrachtet werden rnnsa, so
beBchrtokoi wir uns auf die Bemerkniigeii, welelra snr Ghurakteiistik mumrer
Vorlage erforderlich sind und von letzterer unmittelbar angei'ej^t werden. Der
ganze Vortrag liat eine wesentlich historisrhf Anlage, indem die Grund-
gedanken der \"orläufer Darwins, von den griechischen Naturphilosophen an
bis auf Goethe, vorgeführt werden. Neben letzterem wird Lamarck am
mtflUirlldiiteii liecprochcii. Als Bcfloltat dfewr Gesehldite der Entwiekdnogi-
lehre ergibt flidi, dan die letztere eigentlich Bchou vor Darwin in der Hanptp
8ache fertig war, nnd das«< Darwins Bedeutnnir im wesentlichen sich darauf
beschrUnkt, zur Descendenztheorie durch specielle Beobachtungen und
Experimente reichere Belege und festere Sttttxen geliefert an
habend Wie dringend nSth^ UMgens selbst in der „exaeten'* Wlasena^ft
die größte Vorsicht bei Anfetellung allgemeiner Urtheiie in welcher
Richtung dieselben sich anch bewegen m5gen, darauf weisen die
von Häckel angeführten Äußerungen hin, mit welchen von deutschen Natur-
forschem enten Banges der Darwinismus in den sechziger und siebaiger
Jahren aul|;enDnimen wurde. nNatarphiloaophisebe Phantasien", ,,haniik0«r
Traum eines Nachmittagsschläfchens", „haltlose Hypothese", „vortiberg- ! • n ler
Schwindel" und noch stärkere Ausdrücke wurden von den Koi vplüicn der
„exacten" Wissenschaften, von berühmten Zoologen, Botanikern, Physiologen,
Geologen n. a. w. ala Pfidicate auf die Lehre Darwins angewendet. Also
nochmals: Vorsieht im Urtheil pro und contra! —> Sehr beachtenswert ist
auch folgender Aii.sspmch von Häclipl (S'. 21): „Nichts ist nach unserer An-
sicht der tiefer« Ti nnd ernsteren wisticnscliaftHchen Arbeit so stliädiich, wie
das Schulge^nk uuserer großen Universitäten und das Parteitreiben der
wissenachalllleihen Altademien!" Davon war frelUeh sehr veisdiieden das
stille Forseherleben Darwins, von welchem uns Häckel ans eigener Anschan-
unp ein anziehendes Bild entwirft. — Bezüglich des püdapofriscli m
Wertes der Desceudenztheorie beschränkt sich Häckel in vorliegender Broschüre
auf zwei Funkte: diese Theorie fordere eine genetische Metbode und warne
vor Überbflrdnng der jugendlichen Geister. Es Ist uns ganz reeht,
wenn der Darwinismus mit diesen längst feststehenden Postulaten der auf
Psycholog-ie gej^ründeten Didaktik übereinstimmt. Doch \vir haben genug: an-
geführt, um zu zeigen, dass die vorlieg'ende Broschüre zwar gereifte und
denkende Let>er erfoi-dert, tui- solche aber in vielen Bezieliungeu nicht nur
iateressaot) sondezn aneh lebirddi Ist.
K Leibnia nnd Herbart ftber die Freiheit des menschlichen
Willens. Von Dr. Ludwig Br&ntigam. Heidelberg 1882,
Weiß. 57 S. 1,20 M.
Unter den Philosophen, welche auf die Lösung des Problems der Willens-
freihpit besonderen Eifer verwendet und dabei wirkliclie Fortsclirittc erzielt
haben, nehmen Leibniz und Herbart eine hervoiTagende Stelle ein. Die be-
züglichen Leistungen beider vorzafBhren und miteinander zu vergleichen, das
Ist der Zweck voxUegender SdirUt Sie neigt 1. die Verdienate LdboIaeBS
Ithulditlieih der Lehre d»Wi]lensflrelheit| 2. die Überelnstimmnng Herbarta
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mit Leibpiz, 3. die Mängel der Leibnizi&chen Freibeitslehrt\ 4. dio rni- und
Fortbildang derselben durch Herbart, Die Auslukrang: dieser Themata be-
aehribakt sich aof dM WeMotliche, hebt aber klar and sdiarf herror
and ist auch stiUstiaeh sehr gelungen. Das» der Verfiwaer als Herbartiaiier
di> Verdienst? seine.s Meisters nachdriickli Ii !)♦ tont, kann nnr trf liilli^-T werden,
zumal er keineswegs jenem überschwängliclien Autorit&taglanbeu liul liirf der
allezeit den dogmatisdien Schlnmmer zur Folge hat. Herr Dr. Bräutigam be>
merkt Tiefanefar am Sehhuae aeiner Abhandlaag aoadrHeUidi, data aadi Heitart
<Ua Problem der Willensfireibelt nicht endgiltig gelSst nnd wid ti;:« Fragen
nnbeantwortet gelaasen habe, so dass seine Theorie raanclie Dunkelheiten zeige.
Dies ist unzweifelhaft richtig. Der erste Hauptfehler liegt darin, dass Herbart
in den alten Irrthum verfiel, et» könne eine auf eigenen Füllen stehende Meta-
physik geben und saa dieser ein Licht für die Paychologie aofgehen, obwot
sehen Kant jene alte Afterwissenschaft vernichtet liatte, aofem es sich nämlich
nm wirkliche Erkenntnis, nicht am bloße Meinungen f?!i>eculationtn ' '»der
am sogeuaaate praktische Bedfirfhisse handelt. Niemals wiid die Philosophie
festen Boden gewinnen, wenn nicht zwischen wisseuschaftlichem Erkennen
eineraeits nnd bloBem Diehtett nnd Glanboi andetaeits feate Greosen seaagen
werden» oder dieee Grenzen, nachdem sie bereits mit aUer Evidenz gezogen
wf^!'»^n wie<1pr verwischt wpr lni, mäf^m man mit dem Mensen wieder setzt,
w as maii mit dem Verstände aulgehoben hat. Allerdings darf der letztere nicht
den Ansprach erheben, dass er das ganze menschliche Leben allein aosHUet
aicher aber den, daaa er in der Wiaaenachaft ganz allein henaehe. Man
mnss sich stets bewosst bleiben, dass, wo er anfliort. auch die Wiisenaciiaft
anfhört, dass also alles ..Metaphysische" von der PIdlosophie und von jeder
Wissenschaft überhaapt unbedingt ausgeschlosseu und dahin verwiesen werden
nmaa, wohin es gehört, in das Gebiet des (religiQeen) Glaubens, der Poesie, der
freien Phantaaie, der Knnat, mit einem Werte dahin, wo die lUctatnr deaVer»
atnndes zurücktritt, um der Erbauung des Herzens Raum zu lassen.
Übrigens sei noch bemerkt, das.s auch die Herhart'sche Kthik keineswees,
weder nach ihrem Material, noch nach ihrem Gefuge, ein so vollkommener Ban
ist, wie in der vorliegeoden Schrift angenommen wii^ Beaflgllch ihres eigent-
lichen Gegenstandes alier mnas die letatete ala eine gans treffliche LeiainnK
beaeichnet werden.
KÜber das teleologische Fundamentalprincip dar allgemeinen
Pädagogik. Von Erhard Schnlts: MäUmtuen L £. 1882,
Bufleb. 88 S. 1.60 M.
Als höchstes Ziel aller Erziehunsr enlt <i^m \'erfas8er die Humanität
and demgemäß als oberste Norm der Pädagogik das „menschheitliche Princip".
Mit Kant bekennt er: ^IMe Anlage m einma Endehnngsplane mnas koamo-
politiach gemacht weKden." Daa Kind anaeres Zeitalters und der Zukunft
mns^e 7nm Weltbürger or^ogen werden, zumal die Scheidewände zwischen
den ii.inzelnen und Völkern melir und mehr fallen und der Wechselverkehr
immer reger werde. „Will nun die Pädagogik Aasprucli auf AUgemeingiltig-
keit erheben, so mnss sie bei Onmdlegong ihrer Tdeolegie mit dieser That-
aaehe rechnen. Ja» sie *mnas sogar von dem BegriiTe der Weltbttfgendnft» i&
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wplrhe das Kind in die Geaammtheit ihm adäquater Wesen liineingestellt
w ird, als dem umiassendsten ihres realen Gebietes als Peripherie ausgehen, um
In QQfneentHMlwa Krelwii aieli Terengeiid alle In jeiMm weiteBten Begriffe mit
enthaltenen Bestimmtheiten festznstellen, und endlieh som Gentmm selbst fort-
schreiten, um die dnrcli ^'erhältnisse und Anlagen gegebenen individuellen Be-
dingtheiten dieses ('entrams, d. h. des als Endehongsolgect vorhaadeoen Kindes
zu berückBichtigen."
Da nun der menschliche Wechselverkehr, ein für die Pädagogüi iuai>-
gebend» Factum, Rücksichtnahme and Anbeqaemnng fordere, deren natürliches
Motiv nur in dem Streben naeh dem dgenen Wole der Indlvidncii Hegen
kOnne, so erhebt sich die Frage, ob nicht der Verfasser einem mit der Horal
unvereinbaren EudÄnKmi^mTi« das Wort rede. Hiergpsren bemerkt dei-selbe mit
Becht, Uass der Eudänionismus einer von dei^jenigen philosophischen fiegriffen
sei, die, zum Schlagwort degradirt, als Popanz benntift «erdeni um alles er-
denkliche Verweifliehe an bezeichnen, wodnrdi mmi sieh aber nkdit an einer
objpctiven Auffassung der menschlichen Dinge verhindern lassen möge. „Egois-
mus und Eudämonigmus sind unbestreitbar vorhandene und, gelinde ausgedrückt,
sogar weit verbreitete Vorkommnisse, die sich auch durch die geistreichsten
Sipeeolationen aieht eliminiren laaeea, mid ndt denen daher derEtUker rechnen
mnss, wenn er nicht den Vogel Strauß spielen will . . . Man mura bedenken,
ernst bedenken, dass wir es nitlit mit 'Uli prischen Gebilden, sondern mit wirk-
liclien ^lenschen von Fleisch und Blut zu thun haben . , . Ich bin entschieden
der Meinung, dass man, was allgemein naturveranlagt ist, doch nicht so mir
nldita dir aidite für imetiiieeh erlcISrai kann. Mntatie mntandis gilt andi
Wer: Naturalia non sunt turpia." — Das nienschheitliche Princip der Päda-
gogik aber wird vom ^'t T f,T=spr fülgendermafien forumlirt: „Auf das Kind ist
durch die gesammte Erziehung in der Weise einzuwirken, dass es als seine
höchste Aufgabe ansieht, mit aller Krait, Hingebung und Aufopferung für die
FSrdcning and Hebnng des Qeeammtvelee der llenieiiheit thatig an eein und
in diesem Streben sein eigenes Heil and seine Zufriedenheit sa finden.'^
ffiermit yweinigt nnn der Verihsser das „religiöe-sittUehe Frindp*'. Er
Hin zwar das Cliristenthum als prHdestinirte Weltreligion aeceptiren, aber nur
unter der P) diiif^ung, dass das Bild des historischen Christns „zum Bilde des
Idealmeuscheu" ausgestaltet werde. Diese Auffassung aber ist ..etwas anderes,
als was Confessionen und Secten meistens für Christenthum ausgeben. Das
Ohristentham des historiadien Chrlstos, das also im eigentUehstea Sinne des
.Wortes Christenthnm Chrtotf ist, dieses ist völlig identisch mit der Humanität
im hcJcb-^ten. rrinsten und edelsten Sinne," In diesem Sinne nun soll die reli-
giöse Erziehung und nameutiich auch der Religionsunterricht praktisch ge-
staltet werden. „Alles Dogmatische muss in und nach jeder Beziehung unbe-
dingt gSaaUch in den Hintergrand treten. Der Schiller ist vielmehr, da er
nnnmgängUeh mein' <>1 r weniger die Entwickelnngsstufen der Menschheit
durclüaufen mmn. an der Hand '1er Relis^innsgeschichte zum Höberen leiten,
er ist von vornherein zur umfassendsten Toleranz zu eraehen, indem er immer
auf das Gemeinsame der Religionen hingewiesen, mit anderen Worten, indem
er immer avf das an erstrebende ]l%nsehhettsideal aafinerksam gemacht and
znr Pflege einer reinen, aaftpfemden Oesinnnng aagefeaert wird."
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Hierauf erörtert der Verfasser das „Nationalprincip'S wobei er zu lolgen-
deu Thesen gelangt: „Das nationale Princip der Erziehung darf nie über jenen
Greiupiiiikt Usans betont werdm, wo es aoftogti das memdiheittielie oder das
Individualprincip zu schidlgeii; es ist aber anderseits mit aller Energie bis
dahin durchzulülupn ... .7e mrlir fm Volk in seinem Gesammtcharakter nnd
damit in der Melirzalil seiner einzeiueu Angehörigen die idealen Forderungen
des menschheitliehen Principe der Erziehung verwirklicht hat, je mehr ist ca
nicht UoB berechtigt, sondern sogar ▼erpflichtet, sein nationales Wesen zu be>
tonen und dasselbe auch nach allen Bichtnngen hin cnltiTtrend geltend nnd
einfiussreich zn niaclien."
Ferner unterzieht der Verfasser die Familie in ihrer pädagogischen Be-
deutung einer knraen Betrachtung, woranf er achlieftUdi das „Individttal-
principe' sfciziirt, wobei er natttrUch zu dem Ekgebnis gelangt^ es seien ^ar
diejenigen individuellen Eigenarten, welche der Entwi( Icelung der Gt sammtlu ir
jr'iic^tig-, 7Ä\ fordern, dag^egen diejenigen, welche für dieselbe naobtlieiliir. zn
liemnitn, eventuell ganz zu unterdrucken, ohne jedoch die Existenz des liuUvi-
dnnms als solehon zn geflUirden.*'
Hiermit haben wir die Grundgedanken der angeaeigten Sdirift TOigefihit.
Wir siiul dabei relativ ziemlich g-enan zu Werke gegangen, weil es stell nm
einen au sich bedputsamen Gedankenkreis handelt, und weil die hier vorlie^t^rd»'
Darstellung desselben als Programm eioer allgemeinen Pädagogik anzub«^^iieu
ist, wdche der Yerftisser deranichst ansxoifihTen gedenkt und anf welche wir
im voraus aufmerksam machen wollen. Zu einer Kritik gegenäbtt d^ vurge>
führten Principien hat "Referent keinen Anlass, da er dieselben nicht nttr billigt,
sondern seit langer Zeit, ja in, seiner gesammten beruflichen und literarischen
Thätigkeit vertreten hat. Sie sind überhaupt in der ganzen neueren, nament-
lich der dentschen I^agogik, soweit sich dieselbe natnrgemSft, d. h. ▼on innen
iMrana, durch unbefangenes, rein objectives Denken entwickelt hat, aneikannft
nnd maßgebend, übrigens nicht nur dem deutschen Nationalgeistc homogen,
sondern von allgemein menschlifher, unbestreitbarer, axioniatischer Gütigkeit,
Sie werden nur von dei^jeuigeu ignorirt oder bestritteu, welche die Kernpunkte
des pftdagogisdieo Gedankenkrelses tlbertiaopt nicht an fusen vermOgeo, oder
diesen Gedankenkreis durch firenidartige Elemente trüben und verwirren, indem
sie mit vorgefassten Meinung"*^n ?iti (Ifii-'-llif-n !ifr!iTitr*>tpn. sptpr dien nnn theo-
logische oder philosophische Dogmen, oder politische i'arteimaximeu, oder natur-
wissenschaftliche Hypothesen, dilettantische Tendenzen n. s. w. Gegenüber
Bdcben Abimingett von den eigentlichen Grundlagen nnd Nonnen der Plda>
gogik ist die angezeigte Schrift als eine verdienstliche Zoreditweisnng anzu-
erkennen , und daher begrüßen wir in dem Verfasser einen willkommen ►^n
Bundesgenossen, dessen ausgezeidmetes Talent der guten Sache vortreti liehe
Diimste leisten wird.
-f Repetitorium des evangelischen Religionsunterrichts. Beaibeitet von
Dr. Hermann PrelB. Zwdte Anegabe. Berlin 1882 , GoitaT
Hempel (Bernstein md Fhmk). X. n. 272 S. 4M.
Es gehört nicht an den stehenden Ani|§:aben onserer Zeftsehrift, den ÜV
liehen Beligionsuntenicht und die ihm gewidmeten Hilftbttcher hi Betraclit an
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ziehen, weil ;iuf diesem Gebiete die Pädagogik weni^ Spielraum hat . indem ja
die ganze Lelirsubstanz durcli Ü"bereinkommen /wischen „Kirche'" mal ..Staat"
fetitgeäteUt und den Lehrorgaueii als bindende Norm vorgeschriebeu ist. So
lange Glaubens- nnd Oewismufireibeit etne bloße Theorie, datevng nnd Zwang
abw die hemcfaende Pnuris ist, kann von einer nnbellBuigenen, anf klare nnd
wolgemeinte Argumente gestützten Discossion über den RelipnotisMiitfirirlit
und von einer walirliaft erziehlichen Gestaltnng desselben nicht die Kede sein.
Man mag in der von den herrschenden Gewalten approbiiten nnd dicUrten
Bontine hie und da ehie UeiBe Variation anbringen: Ihre Signatar bleibt kmer
Octroyirun^ nud Stagnation, ihre Wirkung in vielen Fullen Indifferentismos
oder Heuchelei. Mit diesen Dinja^en Imt aber die Pildag-ogik nichts zu schaffen.
Sie muss es also ablehnen, dem von anderen Factoren geschaffenen und ver-
tretenen Systeme Helferdiraste zu leisten, weil sie keinerlei Verantwortung flir
die Früchte d^aelben ttbemehmen luum, insbesondere nicht fBr die onserem
Zeitalter eigene Abstumpfung der religi^en und sittlichen Oeffthle, von deren
ri*sr»clien eine der wichtie:^:ten ohne allen Zweifel in (h-m bisherig-en T?eliirions-
tmlen icUte liegt. Dies sind die Gründe, weshalb sich un^er Literatnrblatt nur
gelten mit Sdurilten Uber diese Sdioldiseiidin betet, and weshalb in den
wenigen FUloi, wo es biihw geschehen ist, jede OmeeBsion an die bestehende
Praxis ansgeschlof^sen blieb.
Wenn wir nun unsere Leser auf das oben angezeigte Buch aufmerksam
machen, so versteht es sich nach den vorstehenden Bemerk uugeu von selbst,
dass es sieh hier nldit am einen der gew8hnTichen »»LeitAden'' fOr die ttber-
kommene Abrichtnngsmethode handelt. Herr Dr. PreiS bemerkt aosdrüc klich,
dass er kein Lehrbuch für deri Eeli^ionsunterrif ht "schreiben wollte. Der letz-
tere habe die Aufgabe, ..das Gemütlisleben zu innerer Einheit zu führen",
welcher Zweck nur durch die „ebenmäßige Entfaltung aller idealen Interessen'',
niefafc aber dareh ein ^tazdnes „Lehrbnoii^ err^cht werdim klfame. Das vor«
liegende Repetitorium will vielmehr aus dem Bereiche der gesammtenBeUgions-
wissensohaft diejenigen positiven Momente klar nnd bündig vorführen, welche
heutzutage jeder Gebildete kennen mnss, wenn er den sclnvebenden confessio-
nelleu Sti-eitl'rageu ein tieferes \'ei-ständnis entgegenbringen will, und welche
inAesondere allen denen gdSnflg sein mfissen, die BeUgkosantenicbt) nament>
lieh an hShwen Schulen, zu eitheilen haben, oder sich sonst für dieses Fach
intereesiren; es will daher auch denen, die :^nr Yorbereitnnp: anf die beziig-
lichen Prüfungen eines Anhaltes bedüifeu, eine sichere Stütze sein und wüj-de
sich überdies für angehende Theologen als Propädeutik eignen. Das Buch be>
st^t ans swd Theilen, ehiem historisehen nnd einem literariiehett; j^ier gibt
die Geschichte des Christenthums, dieser führt in die Quellenschriften desselben
ein ^■e!i*;t«^( r ]iat i^er nicht nnr diese ITauptpartien im weitesten Umfange
getas&t, Sündern deus« Iben auch das Wichtigste aus anderen Zweigen der Ke-
ligionswissensehaft eingefügt. Als Vorgeschichte des Christenthnms gibt er die
Gesehlshtedes jüdischen Volkes; in der Geschichte der christlieben Kirche gebt
er genauer in die Lehrstreitigkeiten der alten und der neueren Zeit ein. dem
enTsprf-chpnd iiamentlifh auch in die Unterscheidnnpslehren der Confessionen ;
aucii die kirchliche Poesie und der Coltu» sind nicht übersehen; die Entwicke-
long des Kirehenwesens In den veisicbiedenen L&ndem ist nachgewiesen, d«n
Znsammenbaiig der Rdigions* mit der Wdtgeschichte Rechnnng getragen.
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Ebenso ist im literarischen Tlieile der innere Znsammeuliaug dea nenen Testa-
mentes mit dem alten aufgezeigt, wesUalb ancii von den Schriften des letzteren
die cUdaktilchen und prophetiaohen besonders hervorgehoben sind; die nente^-
mentüchen Schriften Bind eing«h«&d besprochen, hienutf uch die nJohtfcuKmi-
scheii Schriften des christlichen Alterthnms, sowie die verschiedenen ttmd*
scliriften und Ausgraben der biblischen Bücher angefi'ihrt und charakterisirt.
Kurz, das Bach gibt Aoskaaft über aUe Hauptponltte der ciiristlichen Beli-
gioonrinerndttfl. Dabd bewahrt es dm» dardmg vonrthfiQshMMB md
nnparteiischen Staodpiuiktt indem es letai ^cff rein objeetiv, ohne nlle nb-
jectiven Zuthaten behandelt.
Fnd HO ist cB recht, wo es sich eben blos nm Beiehrang, am Darlegung
de« Factisciien handelt. Die persönliche Stellang zu den liistonsch and lite-
rarisch vorliegenden GbnibennncaMBteii maM nach allgenefaien Yenmiift-
gesetzen wie nach den Grundsätzen des Proteetantismns den freien Kmemn
de« Individnama aberiaMon blefben.
Der erste internationale pSdajro^fscIie Con'n*<*ss Südamerikas in
BneBOS-Aires. hi allen Welttheüen erwaclit suit dem letzten Jahi-zuhut das
regste Interesse fdr die Hebung der Volksbildnng, für die Yobreitnng allge-
mein nfltzliclier Kenntnisse in immer weiteren Kraben. Bisher waren ee haapt-
sftdüich die germanigchen Nationen, die den anderen mit gewohnter Enei^e
vrans-ingren; jetzt nirhron sich die Zeichen, dass anch die romanischen ^'ölker
die^lbe Aolg^be mit Emst und Eifer ins An^t* fassen. Einen Beweis hierfür
Udbrt der errte inteniationaie pftdagogiäche CougressSüdainetikaa, der im April
1688 Iii BseoM-Aires tagte. Vertreten waren die Staaten: ArgentlnleB, Uru-
guay, Brasilien, Paraguay, Boll via, San Salvador, Costa-Rica, Nicaragua und
die vereiiiis't^'f! i^taaten Südani'^rikas. 250 TheUnehmer hatten sich einschreiben
lassen, und die .Sitzangen naUtaen zwei Wochen in Ansprach. Behandelt wurden
eingehend: die Nothwendlglteit des firaiea Volksnntenrlchtt, die moraUsehe Er-
dahnng, Belohnungen und Strafen, die Ansdehnnng des Lduprogramms. g^
mischte Schulen nnd die besondere BeRlhignng der Lehrerinnen für die Leitung-
dereelben, 8chalmateriali(Mi, ()rg:anis;ition und OehUlter des Lehrpersonals und
die Lehrmethoden. Die Presse der betlieiiigten Staaten sorgte fdr die weiteste
nnd schnellste Vcobreitong der Beridite, so daas die neuen Ideen bi» in die
einsamsten Gehöfte (estaaeiaa) drangen. Die Discussionen der Versaminhmg
bildeten das TageseresprJlch der bis daliin für die Pädagf>)<ik noch wenig em-
pfänglichen Bewohner von Buenos-Aires, und mit lebhaftem Intert sHe sieht man
dem zweiten Cougresüe entgegen, der fUr den April 1885 angesagt ist uud den
ItSberen allgemeinen sowie den gewerbllehen Unterricht smn Thema hata
wird. (B. V. d. L«.)
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Der deatsch-amerikanisdie Lelirerbuud schickt sicli zu seiner 14. Jalires-
mnmaimig an. Dieidbe soll vom 31. JoU Itis 4. AugfiM d. X in Chicago
itattHttden, wo ihr von der dentachen Bii^rschaft die herzlichsten S^nnpathien
fntpejerfnprebracht werden. Das Pro^mni T^niules lautet: .jPfleg-e der
deutschen Sprache und Literatur; Einführung; der naturgemäßen,
entwickelnden Lehrmethode in die Schulen des Landes; Erziehung
d«r Jngend zn walirhaft repnblikaniielien Staat8bttrge?n; Wali*
rang der geistigen nnd materiellen Interessen der Lehrer." An
iler Spitze des Bundes stehen derzeit Hermann SclinrirliT in <'')n>ae:'> iPrii-
iident) nnd A. Schneck in Detroit (Secretär), zwei der besten ilämier des
deutsdien Lehrerstandes in Nordamerika. Zar Versammlang haben bereits
■dirae anerkannt tflehtlge Bernftgenoeaai Y<ntrtige angeaneldfit, so Pro-
fenor Klemm über ,,Deat8ch als Unterrichtsfach in Lelirerseminareu", Bam-
berger über den „Unterricht in der Geographie in Verbindung mir (h^r Ge-
schichte", K attermann über einen «J^eitfadeu der deutsch -amenkaiiiiichen
G«achiehte'S Prof. F. Adler Aber .^beitsBechnien", Schuriclit aber „QemtltJit-
bildnng aU ünterriditasegenitBnd^ Raab fiber die „Pflichten des Dentaeb-
thanis der Union und der deutschen Lehrer gegenüber der Öffentlichen Schule".
Wie man- eielltt versprechen die Verhandlunp^en !5Phr lebhaft und geliaUi eii Ii
n werden. Die deutsch «amerikanischen Lehrer verdienen alle Anerkeuuuug
fir das mannhafte Eintreten zur Wahrung Uirer Nationalitftt, Cnltnr und
Spaehe. Dies thnt thtt aaeh noth; doin leider ist aneh in Nordamerika das
Deotschthum gegenwärtig engherzigen Anfechtungen ausgesetzt. — ^lit der
bevorstehenden Versammlung, der wir mit lebliafter Theilnahme entgegensehen,
soll eine Ausstellung aller Lehr- nnd Lernmittel für Kindergärten und Arbeit«-
Hhnlen yertNinden werden.
Nach dem „Report of the Commissioner of Education** in \\ asliingtou
waren während des Jahres 1880 in den Schulen von 35 nordamerikuuischen
Staaten und 8 Tarritoiien 116012 ntnnliehe nnd 157656 weibUebe Lchr-
ktifte in 'Wirksamlteit. In sehr vielen dieser Staaten nnd Territorien haben die
Fianea sowol das passive wie das active Wahlrecht in Sdinlangeiegenbeiten.
In Italien schwankt die Procentzalil der des Lesens unkundigren Recruten
ZAK'ischen 1437 (Turin) und 72,71 (Messina), durchschnittlich ist »ie 48,8.
Es wird daher von den Rrennden der Volkabüdonip tief bedauert, dasa in daa
rsteniehtabadgot llir 1883 nnr 4,5 Umonen Lire eingestellt sinl
Frankreich. Jensens der Vogeseu besteht, gleichwie lu itiilieu und seit
.\agU8t V. J. auch in Belgien, die Einrichtung, dass diejenigen, welche ein
SchnUnspectorat erhalten wollen, sieh einem spedellen Examen mtendehen
mOssen. In Frankreich gilt dieselbe Prüfung auch für die Candidaten des
Seminar-Lehramtes. Auf Grund dei- Iftzt»!! derartigen in Pai'is abgehaltenen
Prüfung erstattete nun der Generaiinspector Brouard an den Unterrichtsminister
einen Beriebt, welclier nichts weniger als geeignet ist, die pädagogische BU-
dang des ftaazOsiscben Lebrentandes in ein gflnstigea Liebt m stellen^ denn
^■^ mnss doch angenommen werden, dass im ganzen nnr die befUhigtesten Köpfe
sich zur Ablegong dieser Prttfhng anschielten. Der offidelle Bericht aber sagt:
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„Das Examen g^bt im ganzen fSut za denselben Bemerkungen Anlaat, wie das
vorige. Daa mttndlidie Examen ist fast dnrchgehends schlechter geweam als
das schriftliche. Besonders in Psychologie and Mural haben sicli die Kennt-
nisse nnznreichrmd gezeisrt. Eine kleino Anzahl der Candidaten hat richtig
und Idar geantwortet, sie zeigten, dass sie stndiit and begriffen hatten, aber
aelbat bei diesen war der Aoadnidt nodi beaduUikt, tndcAn, ohne Leichtig-
keit und Beichhaleigkeit Dia Gawohnkeitt in lofiaeham Gedankangaag« ta
sprechen, einfach nnd gefällig das za entwickeln, was man weiß, fehlt allge-
mein. Formeln sind behalten, aber man hat .sie nicht verdaat. sie
werden gebraucht, wo sie gar nicht passen. Viele finden sich so an-
bebagUch auf dem Gebiete der Pqreboingie und der Moral, daa» sie mit einer
EUe, die lachen macfatt aof daa der praktischen Pädagogik fibecgehen. Sie
scheinen ;rur nicht za ahnen, dass man e.s ihnen Dank wissen \nirde, wenn
sie sich aiiätrt^ugten, einen überleört«n Gedanken zn zeipren. ilire .<rhwa<»he
erscheint um so anstüfiigei', als sie Banalitäten über Dinge sagen, mit denen
sie vertrant sein sollten. Gewisse Candidaten acheinen über PayckO'
logie nnd Moral noch nichts gelesen zn haben, in jedem Falle abtt*
nichts behalten zu haheii . ."iie verwerh.seln alles, sie widersprechen mit dem
einen 6atz dem andern, der Ausdrnck veiTiith sie jeden AujerenMick. sie
haben keine klare Idee, sie wenden Wörter au, deren .^mii iiir »ie nichts
Bestinimtea hat Es haben eich Candidaten geAinden, die keineaw^ be-
kannt waren mit den Ideen, welche w&hrend der Bevolation über Volka-
• erzieliung- aufgetreten sind, die wenig oder gar nicht die schönen Instructionen
von (Tuizot kannten. Namen. Daten, Citate, Allgemeines über <]h' verschie-
denen £rziehung8tjy8teuie, aber nichts Präcises über die Doctrineii. Die Can-
didaten haben nicht die Schriflateller gewnaat, die aie leaen aoUten, nicht g»-
wusst die wichtigsten Werke, über die aie imatande sdn aoUten an aprecbeii.
sie haben vielleicht kein einziges da\f>Ti erlesen, sondern citiren \mr. ^vas an-
dere darüber gesagt haben." — Man ersieht hierans, wie nothweudig die in
Frankreich begonnene Schalreform ist Übrigens kommen bisweilen audi in
anderen Ländern bei Prfiftmgen Ihnliche Gebrechen sntage, nnd es wbdea
sich deren noch mehr zeigen, wenn alle Schalinspectoren nnd Seminarlehrer
ein ihrem Amte entaprechendee Examen bestehen mflaaten. (F. F.)
Die Universitlten im deutschen Reiche hatten während dea Sommer^
aeaeaters 1882 Ibigende Freqnena: Berlin 3900, Leipnlg 3111, MBaehen 2018.
Breslau 15f)2. Halle 1477, Tübingen 1401, Wurzburg 1091, Göttinnen 1085.
Bonn 1061, Heideiber? 922. Königsberg 863, Straßburg 823, Marburg 7B6.
Freibarg 721, (ireilswald t)ö9, Erlangen 575, Jena 570, Gießen 435, Kiel
381, Httnater 326, Boatoek 217. An Ikat allen dleaeo Anatalten ist die Fr»>
qnens im letstMi Jahnehnt bedentend fcaUegen, am atlrkaten In StraUNirff.
Geennken ist de nur an der UniTenltftt an Mfinater.
Bttmisches Recht. Bezüglich des unlängst im „Pädagogium" (V. S.331fE.)
verSffantliehten Vortrags Ober die „Spradienfrage" achreibt obi ein gewiegter
Jurist: „Ich darf versichern, dass mir jedes Wort darin aus der Seele ge-
sprochen M. Der in der Ge.schlchte beisiiiello.s dastehende Act der Selbst-
entmannong, den das Volk der Denker speciell mit der Aufiialune dea römiackMi
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Rechtes an sich vorgenommeu, gehört ja auch, wie treffend hervorgehoben, in
das grofie deoladie Sttudencapitol vom BomaniBmiiB und h«t nir schon so
nindMii StofiMoflEor entlockt, dar gewftt foa jedon Bechtakmidigea^ weloher
nicht blos Jurist, sondern anch Rechtsfreund ist, mitempfunden wird. Auf
diesem Gebiete fordert der auf uns lastende Flach des Bomaniamos noch heote
täglich seine Opfer. Gott bessere es!''
In der Skthweii ]»t die BecmtenprAftuiir fftr 1883 ftdgende Rangordnung
der Cantone. von eiinstig-en zu mindergünstigen und ungünstigen Resultaten
hin, ergeben: Genf. IJaselstadt, Tbnrgan, Zürich, Schatthansen. Obwaldeii,
Neuenbürg, Waadt, Zug, Glams, Appenzell A.-R., Solothum, Graubünden,
Aaigaa, St OaUcn, Teisin, Ben, Baselland, Sdiwyz, Nidwiilden, Lnaeni,
Appenzell L-B^ Wallis, FnUbmrg, üri.
In dem neneston Jahresbericht des freiwilligen Arn» iivereines Wiiiterthur.
an dessen Spitze unser wackerer Mitarbeiter, der vielverdiente H. Morf steht,
IidBt es n. a. ^^Als eine weitere ITiwdie geringer Arbeitsleistan^ haben wir
die geringe Übung und Ausbildung der geistigen Kräfte bezeichnet Es fehlt
unter den arbeitenden ('!;t?> n immer noch die Einsicht in die Wichtigkeit
einer griindlichen Beschiüuug. Wol aber dart mau annehmt-n, dass bei uns
unter deueu, die das entscheidende Wort führen, keiner mehi' ist, der von der
Ansieht ansgebt, dem Arbeiter kfinnte leieht m vUA BeMsbnbmg nothefl werden;
Arb^t sei nnn etannal sein Los; mehr Bildung und Wissen ihm zu geben, ahl
er znr Betreibung seiner Arbeit nötlüg habe, nütze ihm nirltts, mache ilm nur
unzufrieden und nnglncklicti ; ein bescheidenes Verbleiben ui i^einem bescheidenen
Wissenskreise sei die beste Gewähr für seine Glückseligkeit. Aber eine gute
Besehnlnng, eine tflehtige Oeistesbildiuig neben technischer BemAansribtnng
bewirkt ja, dass der Mensch mehr Interesse an des Arbeit gewinnt, weil der
Geist mit der H;>nd arbeitet. Es ist der Mensch, der die Würde dei' Be-
schäftigung bestimmt; nicht die Beschäftigung ist es, welche den Maiistab ab-
gibt für die Wtide des Menschen. Die ErfUumng lehrt sattsam, dass der
gebildete Arbeiter der tftcbtlgste, fleltfgsfee nnd gi&cUiefaate ist^
Wenn doch in allen Ländern diejenigen, „die das entscheidende Wort
ftthren,'* diese Ansichten begriffen nnd theilten! Aber da eben fehlt es.
In(hterrelek habm wir soeben das Gegenthell «rfthren: Die reactlo-
nSre Scbnlnovelle Ist aaeh im Hanse der Abgeordneten angenom*
men worden. Der Kanm dieser Nunmier irestattet uns nicht, die.ses Ereignis
schon hentp genauer zn hf^sp rechen. Wir behalten uns einen ausführlichen
Bericht vor. Für diesmal nur einige kurze Angaben. Die Tendenz der Novelle
haben wir bereits früher gekennzeichttet, (Sidie Heft 6, Seite S94) Der Kampf
un dieselbe bat im Abgeordnetenhattise dieiiehn Tage gewährt und wurde mit
der !tußf^5-^trTi Vii'^driner nnd Enerjrie. von der fWisinnigen Partei in höchst
glänzender und rühmlicher Wei.se {r^'fiihrt. Aber der Au.sirang desselben war
im voraus bestimmt. £s bestätigte sich, waa wii- vor zwei Monaten schrieben:
t^edenfhns sind g^^ den im Werke begriffenen Rficksehritt Vernnnft-
^rftnde einstweilen wirkungslos!" ffiltten Yernunftgründe entschieden,
00 wftre die Novelle einstimmig verworfen worden. Statt dessen wurden im
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Schluraacte — er geschah am 28. April — 170 Stimmen fär, 167 Stimiueu
gegen lie abgegelieiL Dieies dmdi NamniMiifrnf enielte Eq^lmis seigt «Im
für die Novelle eine M^rität von drei Stimmen, wobei zn bemerken ist, dass
unter den 170 Siegern aach jene 5 Minister ^\ch befinden, welche zneleich
Abgeordnete sind und aU solche selbstverstäudüch &ar die Regicmngsvorlage
▼otlrten. Dm «Im ivar der Sieg gegen den offienkandigen Willen der grofleo
Mehrheit des dsterrddiieeheii VoIkeSt ja gegen die heeMre Übenengimg der
großen Majorität des Abgeordnetenhauses selbst. Wir werden dieses seltsamei
olme Zweifel höchst folgenschwere und denk\^ürdige Ereiieiiis in nue^ ren Blattern
allseitig darlegen und wüi'digen. Jenseits der Grenzen ()8terreicks kann niemand
den gewaltigen Eindniek enpAndent den hier der SchuUuonpf bewirkt haL
Den Siegern ist bange, die Besiegten sind entrflstet, Besonders der Dentechen
hat sich eine tief gehende Gährung bemächtigt, welche lan«^e wahren nnd be-
deutsame Folgen nach sich ziehen wird. Es handelt sich in <l« r That um ein
Stuck Völkergeschichte, um die EIhre und das Wol eines gruttea Reiches und
vielleidit — nodt om etwas mehr. Noeh ftldt allerdinge anm definftiTeii Ab-
schluss des „Reorganisationswerkei" eine entscheidende Kundg^bnng: Die
kaiserliche Sanction. Da es <^i>1i nm sehr eingreifende Ändeningen eines
höchst ^iehti^-en Re!ehs«resetzes handelt, da diese Änderungen sogar die öster-
reichische Staatsverfassung (Gleichberechtigung der Confessioneu ) taugireu,
da es «ndlich evident ist, dass nnr eine sehr kleine (aber leider sehr miditige)
Parteif die clerical-feudale, wirklich mit dem Herzen für die Novelle ist: so
muss momentan das letzte Sdiicksal derselben noch als nni^ewiss gelten. Gewiss
aber ist fiir jeden Fall, dass die Keaction einen Pyrrhussieg errungen hat> welchen
ihre Helden noch bitter beklagen werden!
Nachtrag«
Es Jat geschehe. Die kaiserliche SaDcticn der Sehnisoirdle ist erfolgt»
schneller als erwartet wirde. Der 2. Mai ist das Datmn dieses historisehea
Aetes. —
Tmatwarttlcker Radaetnr: M. 8ttf ■. Biehdraelunl J«li«t Kllakhftr4t, Uifri»
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Die zwei Arten dts (iedaukeulaafs.
Yen Maat Jiahm'Ltij^,
£iii Blick auf die Vorgänge in unserm Innern lässt gewisse
ihnen allen gemeinsame formale Eigenthümlichkeiten erkennen. Wir
finden ziinHchst, dass in uns ein immerwährender Wechsel von Be-
wnsstsein nnd Unbewusstsein statthndet, ferner dass die bewusst-
gewordenen Zustände bald in Verbindungen und Zusanimenliängren
sich (larstellt n, bald aber auch gesi^liieden bleiben, sich nicht verbinden.
Wiederum linden wir, dass in gewissen I-'ällon die Vorst eil uns^en sehr raseh
einander weichen, in andern Fällen jedoch einander Widerstand leisten,
und wir uns Mühe geben müssen, sie zu verdrängen. Weiter zeigt
sich, dass ein Gedankengang mitunter gewisse (Tefiildszustätide mit
sich führt, und dass sich entweder eine Übereinstimmung oder ein
Widerspruch innerhalb der einzelnen Theile desselben geltend macht.
Alle Eigaitbamlichkeiten dieser Art lassen sich Haoptsache
nach in zwei Abtheüiingeii bringen. Einmal nftmlich sind die Inhalte
der psychischen Vorgänge, spwie ihre Ablftnfe und ümbfldungen gänz-
lich ohne unser Wissen nnd Wollen, ganz so wie die Ereignisse in
der Natnr entstanden. Das andere Mal treten den gerade bewusst-
werdenden nnd ablaufenden Inhalten gewisse über ilinen stehende
Normen entgegen, Andern formell oder sachlich dieselben ab oder for-
dern wenigstens, dass ein anderer Inhalt oder ein anderes Verhftltnis
der Inhalte stattfinden sollte.
Einige Beispiele werden das Gesagte verdeutlichen:
Die Wahrnehmungen, welche uns durch die Sinne Ton der Sonne
und der Erde übermittelt werden, haben den Menschen veranlasst zn
sagen, die Erde steht still, nnd die Sonne bewegt sich nm sie. Im
Laufe der Zeit ist man aber zu der t^berzeuji:nn<,^ gekommen zu
sauren, dass nmirekehrt die Erde sich bewejrt, und für sie die Sonne
dt^r Centralkürper ist. Letzterer (Tedankenlaul, dass die Erde sich
bewegt, ist ein neuer, dem ersteren entgegengesetzter; er ist
Pa4««osiBiD. b. Jabrgtog. IX. Heft. 34
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— 524 —
weni^rer diinh die Sinne, denn die Bewegung der Eli'de hat noch
niemand jeuiali^ uiit seinen Augen gesehen, sondern auf einem beson-
deren Wege entstanden.
Oder nehmen vvii- an, es ^tehc ein Kind odt-r ein Ungebildeter
Tor der Statue des Zeus, so werden beide an den weißen Marmor
denken, an den daraus gebildeten Eepf mit den festen Qedehtszügen;
sie werden die mftcbtige Stirn, die den reichen, emporgewor^ien
Lockenkranz trfigt, sehen nnd anblicken, aber welterirird in ihnen nichts
bemerkt werden: hier ist der Gedankenlanf za Ende. Stellen wir
jedoch ehien Gebildeten an die Stelle des Ungebildeten, so steigen m
Ihm noch besond^ Gedanken anf: er erkennt das Ebenmaß der
Glieder nnd der Theile; der Kopf versinnlicht ihm die göttliche Kraft
und Majestät, und es entsteht in ihm das Gefülil d- s Sch«»nen und Er-
habenen. So hat sich in ihm ein nener Gedankenlanf gebildet, der
von jenem weit verschieden i>t . *
Die erstere Art des; Gedankenlaufes nun, wie er in den Beispielen
im Einzelnen vorgeführt worden ist, nennen wir den rein psychischen
oder mechanischen, indem man ihn als Wirkung eines psychischen
3Iechanismus denkt, nach welchem sich die Seele ganz so zu fügen
hat. wie jedes andere Naturwesen sich dem NatuiniHclianismns ftigt.
Die zweite Art dair^i^en, wo die Inhalte und Verhältnisse des Beuusst-
seins durch hrdieiv. niclit nuehanische Normen. Gesetze bestimmt
werden, hezfichuet man als den normirten Gedankenlanf
üm nun die.>e beiden Ahtlieiluiicren der Seelenthätigkeit etwas zu
charakierisii'en, ist es am geeignetsten, sie nebeneinander zu stellen
und ihre hauptsächlichsten Unterschiede anzugeben. Dadui-ch aber ist es
möglich, das psychologische Material in einer f&r die Pädagogik
Tortheilhaften Weise zu ordnen und für die pädagogische Thfttig-
keit weitere Gesichtspunkte zn finden. Um jedoch den Gegenstand
nicht zn verwirren, soll hier, weitere Bedehnngen zur Fidagogik zn
machen, nnterh»sen bleiben.
1« Der psychische Vorstellungsverlanf beginnt im nn*
mittelbaren Empfindnngs- nnd Wahrnehmungsbewasstsein,
während der normirte immer eine appercipirende ThAtig-
keit Toraussetzt Die Ursachen des ersteren wirken an*
bewnsst, wahrend der normirte Ablauf sich stets anf einen
bewnssten Vorgang stützt
Weitere Bebpie!- nthält des Verfuien: .tPsyoliologio ata Onaidwineiisehaft
der Pftdagogik" Ton § 32 aa.
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Dieser Unterscliied ist ohne weiteres klar. Zam Empfindungs-
and Walimehmungsbewusstsein gehSrt zunächst alles, was durch
äußere Eiaft&sse, dnrcli die Sinne in uns entstanden ist. Ebenso sind
liierzn zu rechnen alle Reproductionen früherer Wahrnehmungen durch
gegenwartiofe. Also alles, was gesehen, gehört, i^esrhmefkt, i^efiihlt
wird, sich in un^ vf^rknüpft und abläuft, jjehört zum rein psychischen
Besitzthum der Seele. Und dazu entsteht dieses alles in uns zunächst
nnbewusst: die ersten Eindrinke, die da«i Kind empfangen hat,
haben sich von sellist gebildet, von selbst verknüpft, gehemmt, repro-
ducirt und sind mit allem neu Hinzutretenden in Verbindungen ein-
getreten, nni immer neue Abläufe, ^leiclisam neue Fäden su spinnen.
\\ ii würden von alle dem keine Ahiumg haben, wenn es uns nicht
möglich wäre, dem Ablaufe der Vorstellungen ein Halt zuzurufen, das
einzelne Erlebte festzuhatten und zam beetimmten Gliede einer neuen
VorsteUnngsreihe zu maiehett.
Hier in dieeem Fnlie treten dann die psychischen Vorgänge mit
einer appercipirendeni Thftügkeit yerbanden an£ Eine Apper-
ception ündet schon statt, wenn das Kind eine Blome» ein Thier
wiedererkennt, oder wenn es nrtheflt, dass die Katze ein Ranbthier
aei Überhaupt besteht die Apperception darin« dasfl^ die einzelnen nenen
Vorstellungen vom Bewusstsein festgehalten, gleichsam beschaut werden,
um dann in ein Verhältnis zu einzelnen Theilen des reprodueirten
Vorstellungslebens zu treten und um schließlich nach erfolgter Umformung
in das rahende Ganze des Vorstellungslebens eingereiht zu werden.
Das appercipirende Bewusstsein «jeht frewissennaßen, sobald es thätig
ist, zwischen den einzflni ti. und zwar sowol den reprn lucirten alten,
als auch den neuen Abläufen der Vorstellungen auf und ab. bildet
die Vorstellungen nach Reditrfnis um, nimmt das eine Mnm»»nt in das
antitre auf oder weist es ai) und sucht es für das Bewusstsein zu
vernichten. Die Appereeption brit-ht auf diese Weise den Mechanismus
des Vorstellens, greüt in den rein psychischen Gedankenlauf hemmend
und zci"stürend, zugleich aber auch verbessernil ein und ersetzt denselben
durch einen neuen, bei welchem das Einzelne und Vorübergehende mit dem
Ganzen des Seeleninhaltes in angemessener Weise verknüpft wird.
2. Der psychische Gedankenlauf ist ein von den Natur*
geaetzen des Seelenlebens abhängiger und enthält deshalb
eine aubjective Nothwendigkeit Der normirte dagegen
richtet sich nach gewissen von der Subjectivitftt unabhän-
gigen Regeln des ürtheilens, Schliellens und Erkennens
und nimmt den Charakter einer Allgemeingiltigkelt an.
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— 626
Von allen Vorstellungen, die wir von uns und der Außenwelt
besitzen, ist bekanntlkli immer mw ein gewisser, bald größerer, bald
geringerer Theil präsent, der bald in dieser Verbindung und Abfolge,
bald in einer anderen auftritt. .Man nennt solche Verbindungen Asso-
ciatiüüeiL i><) zeigt es sich, dass ein ()rt, in den wir zurückkehren
oder dessen wir uns erinnern, auch das. was daselbst geschah, uns
u iedt^r bewusst macht. Die Erinnerung einejs l)estimint«n Zeitpunktes
fiUirl die Vorstellung der Personen, Ereignisse, Zustände wieder ins
Bewusstsein zurück, die zu jener Zeit wahrgenommen wurden. Ebenso
weckt ein gesehener Gegenstand das Büd eines flun ühnlichen oder
aneh daes ihm unähnlichen auf. Alle dieee innem Eriehnisse in den
verschiedensten YerfcnflpAingen haben ihren Omnd in der eigenthllm-
liehen Beschaffenheit des Seelen wesena selbst Sie sind dnreh
die ihr einwohnenden Erifte neoeeshart Dass gehabte Wahmehnrangm
Yon neuem an&teigen, lieget darin, dass aUes, waa die Seele erlebt»
behairt Dass alsdann dieses Beharrende in gewissen Verbtndvngen
erscheint, rühi-t daher, dass die Seele ein einheitliches continuirlichea
Wesen ist. Oft zeigt sich auch, dass ein und dieselben Zustände nadi»
einander in verscliiedenen Zusammenhängen ablaufen, dass einzelne inten-
aiyer auftreten, andere dabei verschwinden, dass aber ancli die Seele das in
vielen Voretellungen Gleichartige herausfindet und festhält Diese Vorgänge
können eine Erklärung nur darin finden, dass in dei* Seele ein Gesetz der
Ausschließung und der Keihenbüdung wirkt. Diese Gesetze, nach denen
die Seele unabiinderlich thätii»- ist, be<linö:en -^n dit- forninlen Be-
schaöenheiteu des ps^ychischen (Tedankenlauts. Weuu zwei VorüieilunLren
von bestimmter Qualität und Intensität in der Seele zusammentretien,
so kann auch nur eine ganz bestimmte Verbindung entstehen. Auf
diese Weise treten die Vorstellungen in zutalliire. historische Gruppen
und Keilien zuj^ammen, wie es der jeweilige Zusiaud der Seele und
die sie gerade umgebende Außenwelt gebieten und mit sich bringe
Ganz anderer Art ist der normirte Gedankenlan£ Noch dn
Beispiel soQ den Gegensatz eiliatem. Denken wir nns» jemand habe
die YoisteUong eines Reiters; so ist f&r ihn mit dieser TorsteUnng
unzweifelhaft aaeh die VorsteUnng eines Pferdes Terbnnden. Diese
Vorstellnngsyerbindimg ist aber eine rein znfftllige; denn im Inhalte
des Bildes vom Pferde liegt ebensowenig irgend eine Hindentang anl
das Bild einer Person, wie in diesem anch nicht anf das Bild einea
Pferdes. Außerdem ezistirt obige Verbindung auch nur für den-
jenigen, der ein bestimmtes Pferd und einen Menschen dai-auf gesehen
hat; denn ein anderer kaitn dasselbe Pferd oder dieselbe Person ge^
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— 527 —
«eben haben, nur nicht in dieser Verbindung. Anders gestaltet sich
<las Verhältnis, wenn wir mit der Vorstellung des Pferdes die Vor-
stellung- vorbinden , dass es ein orj^anisches Wesen sei. Hier ist
das Verhältnis der Vorstellungen dmch den Inhalt beider bedinsft,
<L h. durch die Natur der zu den Vorstellungen g-ehörig-en Dinge
außer uns. Die Verbindung hört jetzt auf, eine zußillige zu sein;
denn was durch den Inhalt der Vorstellungen bedingt ist, ist noth-
wendig.
Es kommt also beim nonnuten Gedankenlaufe außer der sub-
jectiven Noth wendigkeit, die dui'ch die innere Gesetzmässigkeit der
Seele bedingt ist, noch eine zweite, objectiTe Nothwendigkeit hinzu.
Es fragt sich nim, worin das Nene besteht, das m einem blos
psyehiieheD CMankenlanfe hinzutritt und denselben in einen normir-
ten umwandelt? Ehe eine VorsteUnng sieh nach ihrem Inhalte richten
kann, muss der Bewnsstseinsinhalt entstehen, dass ttberlianpt etwas
Wiridiches da ist und etwas Wirkliches geschieht -Der Mensch darf
nicht bh» die Sonnenwiinne fühlen, den Wassertropfen herabfallen
sehen, sondern er muss auch wissen, dass die Sonne ein wirk-
liches Ding ist, das Herabfollen der Tropfen wirklich geschieht
Dann kommt za diesem Bewustsein des Wirklichen das Bewusstsein des
Unterschiedes zwisclien einer bloßen Vorstellung und des davon un*
abhängigen Wirkliclien hinzu. Beides nun, der Gedanke der Existenz
und der des Unterschiedes von Wirklichkeit unrl bloßer Vor-
st tel hing oder Umbildung muss zunächst vorhanden sein, wenn die
Vorstellungen sich nach iliren Tnlmltpn richteu sollen. Auf fliese Weise
würde jedoch immerhin noch kerne uorniirle iTe lankt ukei i e zustande
kommen, wenn der Mensch nicht die Vorstellungsinhalte aufeinander
beziehen, miteinander vergleichen, sie überhaupt in einem von
ihi*er Bedeutung determinirten Zusaramenhansre denken könnte. Dies
geschieht nun, indem man über das als ein Wirkliches bewusät Ge-
wordenes urtheilt und dadurch eine Elrkenntnis von ihnen gewinnt^
und zwar durch d«i Gebrauch von Vmtellungen, die eben aus der Ter»
g^leichung und der Beziehung der Inhalte entstanden sind. Solche neue Vor-
stellungen sbid z. B. die des Ganzen und des Tfaeiles, des Einen und
des Vielen, der Zu* und Abnahme, der Buhe und Bewogung, des Wir^
kens und Leidens, der Ursache und Wirkung, des Lebendigen und des
Todten. NatttrUch unterliegen auch diese neuen VorsteUungen, wenn
sie sich einmal gebildet haben, dem Wechsel von Bewusstsein und ün-
liewnsstsein, also den Wirkungm des psychischen Mechanismus, und
€8 kann deshalb vorkommen, dass derselbe die Vorstellung der Gleich*
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heit oder der Bewegung oder des TheiJes u. s. w. ins BewusÄtsein
führt, wo die Vorstellunppn des Ungleichen oder der Ruhe oder des
Ganzen wirken sollten. Darum ist noch nöthig. da.ss die Vorstelluntren
in ein solches Verhältnis zu einander gerat hen, in welchem tui- die
Seele das Bewsstsdn ihrer Bestimmbarkeit dnrch einander d. h.
ihrer Vereinbarkeit oder Unvereinbarkeit entsprmgt. Das nim
ut es, was gerade dadurch geschieht, dasa die Inhalte aufeinander wirken,
und durch solche Verhältnisse und Verbindungen die Seele dabei das Be-
wusstsein der ZusammengehQrigkeit oder aber des Widerstreites,
der gegenseitigen AusschlieBung des Ton ihr Vorgestelltem
gewinnt Sobald dies geschieht, hat die Seele dandt sug^h das»
was man das Bewusstsein des Richtigen oder Nicfatrichtigen, der
Wahrheit und des Irrthums nennt. Diese Bewnsstseinsweisen des
Geistes nun gi'eifen in den psychischen Vorstellungsablanf ein; sie be-
zeichnen die Verbindungen als ziilässig und lösen sie als falsch und
irrig auf und ei-setzen sie durch neue, nicht blos psychisch, sondern
logisch denkbare Inhalte. So bildet sich der normirte Gedanken-
lanf. der also außer von jener subjectivfn Gesetzmäßigkeit der
Seele von der Wirklichkeit ^h-r IM nee uml Ereignis:?e und von
der Natur der lo^'^i sehen Denkgesetze abliän<rt und als soldier
ein objectiv gütiger «j^enaiml werden darf. Da ein jeder, dessen
Gedanken normirt verlauten, auch immer denselben Bedingungen unter-
liegt, d. h. sich immer nach den gleichen Dingen, Ereigniss*»n und
Vorgängen und Denkgesetzen richten musi>, wie jeder andere Mensch,
so trägt das, was jetzt in der Seele geschieht, den Charakter der
Allgemeingiltigkeit an sidL
Freilich kommt die Anerkennung dieser Allgemeingiltigkeit in
den ebaebien oft wenig zur Geltung, und sie ist selbst noch in den
Gebieten des Wissens und Handelns von schwankender Natur. Dies
rührt jedoch fiist allein daher, da» der rein p^chische Gedankealau^
der allerlei Gef&hle, Strebungen und Begierden mit sich IQhrt, eine
große Macht im Menschen besitzt, so dass das NormatiTe dea Vor»
stellungirlaufes wieder fibei-flutet und aus dem Bewusstsein verdrängt
wird. Hierin liegt also mit ein Hauptgi-und, dass so wenig Menschen
logisch denken können, und wo es doch der Fall ist» gar leicht wieder
Terlemen.
3. Der psychische Gedankenlauf wird fast durchgängig
von Gefühlen und Befrehrungen, von Affecten und mehr oder
weniirer erregten Stininiun?en betrleitet. Der normirte löst
sich allmählich von diesen Zuständen dadurch los, dass sich
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gewisse Wertartheilfi Aber sie bilden, ans denen fflr einen neuen
Gedankenlanf bestimmte Regeln nnd Gesetze erwachsen.
Wir werden z. B. von einer uns bekannten Person beleidigt oder
geschAdigt. Alsdann bildet sich wol zunächst eine Gedankenreihe,
welche die Gefühle der Trauer und des Kummers mit sich f&tirt
Alsbald kehrt aber auch die Vorstellung des Thäters ins Bewnsstsein
zurück, lind die Erinnernn«]: an alles früher mit ihm Erlebte. Dabei
werden vielleicht Kriinkungen ähnlicher Art wach gerufen, und bald
zeigt sieh Zoni und W'uth; die Vorstellungen treten lebhafter auf,
verstärken si'^h, und RaclietreflnTiken sind wol das letzte niied O.i*'^*'-^
VorstelIuiig.«^verlanfes. Nun Itiiiimt oft eine andere, mehr innere
Thätigkeit. Wir fangen au, wie man zu sagen pflegt, zu überlegeu,
uns zu besinnen, indem der rasche und stürmische Lauf der Vor-
stellungen plötzlich von uns gehemmt wird. Besonders werden alle
ilin begleitenden Gefühle und Begehrungen zurückgedraugt , um das
Tbatsächlicbe des erlebten Vorfalles frei zu überblidcen. Dann, nach-
dem das Eünaeine klar gelegt ist, beginnt ein Unterscheiden zwischen
dem Für nnd Wider, zwischen den möglichen Beweggründen der That,
zwischen der Wichtigkeit nnd Unwiehtis^eit des Vorkommnisses, bis
endlich festgestellt ist, welcher Wo*t der Beletdignng zukommt nnd
was für ein Verhalten einzuschlagen am besten sem möchte.
Dieses Beispiel iUnstrirt obigen dritten Unterschied der zwei
Arten des Gedankenlaufes. Hiernach stellt sich die Seele beim rein
psychischen Verlauf als ein Schauplatz dar, auf welchem die ver-
schiedenartigsten Zustünde kommen nnd gehen, mehr oder weniger
zahlreich, schneller oder langsamer wechselnd. I^tbd treten zunächst
Gefühle auf, die dem Vorsteliungslauf theils vorangehen und ihn also
mit hervornifen, theils ihn begleiten, tlieil.'^ ihm uachfol«r*'n. Das Spiel
der Voi'st eilungen führt df»rt Freude, liier Schmerz, dort Zutrie lfnlieit,
hier Unbefriedigtsein mit sieh. Der Liebende träumt von seinem
Glück, der Kaufmann von goldenen lierjren, der Seliriftsteller von
Ehre und Ruhm, der Beamte von Macht und Eintiuss. Dann zeigt
sich aber auch eine Kette quälender, besorgniserregender Vorstellungen.
Von einer Grundvoi-stellung aus klebt sich die eine an die andere,
jede folgende schwärzer als ilie vorausgehende, bis schließlich »ier
ganze Horizont von finstem Wolken bezogen erscheint Man bezeichnet
solches Verhalten unseres Innern, welches den Vorstellungen den Weg
weist, als eine Stimmung des Gemathes, als Gemflthssthnmnng,
Sind wir hdter, flrGhlich, begeistert, so vermag uns nichts zu ärgern,
nichts zu krinken; ist die Stimmung eine düstere, schwermflthige,
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Mngstigende, dann sind es Giillen mid Sorgen, die uns quälen nnd
plagen. Alie diese Gefühle, Aufregungen, Affecte, Schwankungen in
der Gemttthsstimmung, die mit den Vorstellungen verbunden auftreten,
sind rein psychischer Natur. Sie stehen einestheils mit dem Lebens*
processe in engem Znsammenhange, indem sie ihren Ursprung zum
größten Theil in der eigenthRmlichen Beschatfenlieit unseres g-eist-
leiblichen Wesen.'^, in dem sogenannten indiyiduellen Tem]!^ rnment.
haben; an U rcnseits sind sie bedinget durch die rmneren Verlialrnisse,
durch augenblickliche Erlebnisse, durch die Um-r uu^. das Wetter,
Dann zeigt der rein psychische Gedankenlaul noch die bes-undere
Erscheinung, dass nicht nur ein laugsam^'rer und rascherer Wechsel
der Voi-stellungen eintreten kann, sondern auch einzelne Vor-
stellungen vor den andern ein derartiges Übergewicht erlangen, dass
dem allgemeinen Wechsel eine Schranke gesetzt oder eine beBÜnunte
Bichtang gegeben wird. Dieses Übergewicht eimelner YorsteQimgen
ist 80 zn erklären, dass letzte« sich in einem hohen Grade der Leb-
haffcigkeü nnd Stftrke befinden, sich mit anderen ihr günstigen Voi^
Stellungen verbinden, ond dass faierdnrch eine Totalkraft entsteht»
welche so begftaistigte Vorstellungen im Vorstellen trotz aller Hem-
mungen aufrecht erhftlt Wird z/ B. em Kind von der Ifutter im
Zimmer allein gelassen, und sie selbst verschwindet, so schant das
Kind unverwandten Blickes nach der Thür. Es sieht und hurt nichts
mehr von dem, was es umgibt Die Vorstellung der Mutter drängt
alles übrige zurück, und sie gestaltet sich zu einer selmsttchtigen
Vorstellung, zu einer Strebung, Begehmng, Erwartung:, einem Sachen
nnd Verlangen. Denkt man sich nnn eine größere >renge verbun-
dener V(»rstelhingen, welclie im Gemüth zu Begehrungen werden, und
denkt nnm sich wieder jede einzelne in einem verschiedenen Grade von
Lebhaftigkeit und Energ'ie auftreten, so kann man ermessen, das;« hierin
ein g-roßer Reichthuin an Gestaltunp^en des Vorstellimgsverlaules in jedem
einzelnen Falle bejiriindet ist. dem dadurch immer neue Richtungen
und Wege vorgezeichnet werdeu. Auch diese Zustamle, wie Strebun-
gen, Begehrungen. Erwartungen u. s. w. stellen sich ohne nnser Wollen
und Zuthuu vun selbst ein, sind rein psj-chischer Natur.
Wie gestaltet sich nun das Verhältnis der die Vorstellungen be-
gleitenden GMhle und Begehrangen dsjm, wenn ein normirter Oe-
dankenlauf auftritt? Wir denken hier an den zweiten TheO des oben
erwähnten Beispiels. Da werden zunächst gewisse Torstellungen von
den Bewegungen des Gefühls und dem MttQnen der ihr zugehßrigen
Vorstellungen losgel5st Dem allgemeinen Wechsel des VorsteUens
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vird eine Schranke gesteckt, das aus seinem Gleichgewicht gebrachte
Gemüth beruhigt; es entsteht ein Reflectiren, welches^ man, weil es
die VontellimgeD isolirt nnd ohne ihren Geillhlsanhang erfasst, kalt
nennen kann. Bann aber erhält der Vorstellungslauf eine bestimmte
Richtung. Dies geschieht dadurch, dass zuerst eine Vergleichung des
Geschehenen in Rücksicht auf das Mehr oder Weniger des Förder-
lichen <)(ler Hinderlichen vorgenommen wird. Dadiiixh bietet sich
de:Ti Bp\vns<tsein die ^löglichkeit, einer von den Reihen den Vorzug
zu geben; es muss eine Wahl getroÖeu werden, um die Vorstellung
oder Vorstelhmgsreihe, welche die meiste Befriedigung gewälut, zur
Hen-schaft gelangen zu lai^sen. Dazu kommt endlich der Entschluss,
das Erwählte als Richtiges festzuhalten nnd ansznfiihren. Auf diese
Weise bildet ^di im Gegensatze zü den die psychischen Gedanken-
verbindungen begleitenden Gefühlen und Begierden ein ruhiger Gleich-
math, eine bewnsetrolle Geeimning and ein bestlmmtee WojQen. Die
Torstellangsreihen, innerhalb welcher erwogen nnd Ar eine derselben
neh dann entBchloesen wird, bewegen sich inuner in Gegensfttsen.
Solche Gegensatie sind namentlich der swiachen Frende nnd
Schmerz, zwischen wahr nnd nicht wahr, zwischen erhaben nnd
niedrig, schön nnd hasslich, zwischen recht nnd nnrecht,
pflichtgemäB und pflichtwidrig n. a. m. Ans dem Bewnsstsein
dieser Gegensätze und aus ihrem fortdauernden Gebrauch entstehen
die nonnirenden Regeln und Gesetze, die in den psychischen Ablanf
der Gedanken hemmend und f5i*demd, trennend nnd zerstörend, Ter-
bettemd und aufbauend eingieifen.
4. Der psychische Gedankenlauf zieht unwillkürliche
Bewegungen nach sich, die entweder blos im Innern ver-
laufen oder vermittelst der körperlichen Organe in sicht-
baren Handlungen hervortreten. Ein normirter Verlauf
dagegen findet dann statt, wenn die Bewegungen, sei es
l'los im Innern oder auch äuüerlicli, nach einem bestimm-
teu Zwecke erfolgen.
In welcher Weise Vorstellung, Gefühl. Begierde und Körper-
bewegung verbunden auftreten, zeigt uns z. B. die bekannte Erzählung
vom Milchmädchen, das zur Stadt geht, um ihre Milch zum Verkaufe
anscnbieten. Die GrundvorsteHnng des Beritzes der HOeh bringt im
MIdehen das GteMtl der Befriedigung hervor. Der weitere Oedanke
an den Wert derselben weckt eine zweite, dritte Vorstellnng, eine
bingt sich an die andere, eine stärker als die andere, bis znletzt eine
intoe Thätigkeit, ein Spmng, dnrch den Gedankenlaof hervorgemfen.
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dem ganzen Gewebe, hier freilich einen etwas traurigen Abschlags
gibt Dieser Gedankenlaiif im Mädchen ist ein rein psychischer zu
nennen. Hätte sich ein normirter geltend cremacht. so wüi-de sich
das Mädchen gesagt haben: du bist noch nicht im Be.'^itze des Geldes,
du bist auf dem Wegre zur Stadt, um deine Milch zu verkaufen; nimm
dich in acht, damit du erlficklich an Ort und Stelle kommst. r>;mn
würde der Spnmqr uiiteri-lirben sein, die Beine hätten sich zweck-
mäßig und gleichmäßig Aveiter bewegt.
Das Beispiel zeigt in seinem ersten Theile, wie beim Menschen
das geistige Princip der Seele mit einem williährigeu körper-
lichen System verbunden ist, welches den Antrieben, die in den
Vorstellangen und Bildern der Seele liegen, Folge leistet und so sor
Vermittelung zwischen jenen nnd der Anfienvelt dient
Diese natfirliche Art der Wechselwirkung von VorsteUmigdmif
und KQrpert>ewe(p]ng ist die nrspring^chste nnd aoeh im Leben vor-
herrschend bleibende Qnellet ans der menschliches Handehn entspringt
GhnuE nnwillkflrlich gehorcht da der Körper den Vorstellungen,
wenn sie nach außen wirken. Hierher gehört besonders die Gruppe
der Handlungen, die man, ihres besonderen psychischen Effectes wegen,
passend als ein Spielen bezeichnet hat.
Beim Spielen treten sowohl angeborene, als auch allmählich dorch
Erfahrung und Wiederholung erlernte und eingeübte Bewegnngen in
den verschiedensten Verbindungen auf. Die Finger,' Hände und Arme,
die Füße, die Augen, ein großer Theil der Gesichtsmuskeln: alle
diese Wi-richtungen stellen wilUalirig der Seele zu Be^ve^run^ren viiid
Handlungen zu (-iebote. I)as Spielen ist zweck- und regellos. bln>
unterhaltend und erheiternd, ganz su wie der innere rein psychische
Verlauf der Vorstellungen, der es hervorrnl't. Schon das kleine
Kind in der Wiege spielt mit seinen Händen und Füßen und setzt
das hiermit Angefangene Avährend der ganzen Kinderzeit in den ver-
schiedensten Vai'iationen fort. Die dann ffir die Zukunft wichtigste
Art soldber Bewegungen nnd Handlungen liegt in dem Gebrauch des
Sprachorgans. Auch hier herrscht ohne Zweifel lange Zeit ein Ab-
lauf sowol der Vorstellungen, als aach der durch sie erwirkten Be-
wegungen des Organs, also des Sprechens, derartig vor, dass nun
ihn einen bips unwillkttrlichen und nur von softlligen AnUtesen ge*
lenkten, nennen darf. Dem sieh selbst ttberlassenen Laufe der Von-
Stellungen entspricht dne Bede, welche aus dem „Hundertsten ins
Tausendste" verföllt
Wenn nun aber ein bestimmter Zweck in die Entwickelong der
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— 638
Vorstellungen hineingetragen wird, so hört das Leicht und Unwillkür-
liche bald auf; die Bewegungen werden von jenem Zwecke g-ebunden
und geregelt (Beispiel: die Milch richtig nach der Stadt zu bringen).
Die Regelung des tredankeiilaufs erfolgt, indem die Thätigkeiten der
Aufmerksamkeit und Beobachtung, des Erwägens und der Wahl wirk-
sam sind. Diese Thätigkeiten erzeugen unter den Vorstellungen einen
Druck« welcher sich in dem Gef&hle der Anstrengung bemerklich
macht Dieee Anstrengung bewirkt im allgemeiiien dreierlei; Zmi&cliBt
rnnfls der Willkür und dem btmten Wechsel des Gedankenlanfe gesteuert
werden; alsdann ist das schon Verrichtete mit dem im Zwecke Vor-
geieidineten zosammenziihalten nnd za. veiffldchen, nnd endlich mnss
eine Reihe von Hindernissen flberwunden werdoit wekhe die Katar
des Stofles mit sich biingt, an dem sich die vom Zwecke yorgeseieh-
nete Reihe der Bilder und VorsteUnngen realisiren soll IMese mensch-
liche Entäußenmg hat die Natur des Spielens gänzlich veiioren: sie
heiftt'Arbeit
Die Th&tigkeit des Spielens hingt also zusammen mit dem un-
viUkflrlichen, rein psychischen Laufe der Vorstellungen; das eigent^
liehe Handeln dagegen ist die Folge eines bewussten Ehitschlusses.
Khe die Handlung, die zwecfcvolle Thftügkeit, ausgeftthrt wird, geht
also das Erwägen, Wählen und Beschlielten vorher, wobei sich das
Bewusstsein wiederum zwischen Gegensätzen bewegt Diese Gegen-
sätze sind die schon oben genannten Normen und Gresetze des Zweck-
mäßigen, des Logischen, Ästhetischen, Ethischen. Sie geben dem
neuen Gedankenlaufe die Richtung, und nach ihnen soll sich auch
da^ Tliim und Handeln des Menschen richten. 8ie ssind es, welche
die Eütaußprnng des menschlichen Geistes höheren Zwecken unter-
stellen und demgemäß auch den Körper nach Zwecken bewegen.
Ein Blick von diesen Unterschieden des rein psychische und des
normirten Gedankenlaufes, die allerdings hier nur in knrzen Zügen
haben ausgeführt werden können, auf die Pädagogik lehrt, dass alle
Erziehungseintiüsse hauptsächlich nur an der Bildung von Nriinen
nnd Gesetzen der oben bezeichneten Art arbeiten. Man kann darum
auch safjpen, dass die Hauptaufgabe der Päda^^ognk dai-in besteht,
den reiu psychischen Vorstellungsverlauf in einen normirten
umzuwandeln.
Gewisse Nonnen bilden sich allerdings im Menschen duich den
Umcran^' mit der Natur, im Verkehr mit den Menschen, bei der Er-
lernung and beim Gebrauch der Sprache von selbst. Die Schwierigkeit
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der Erziehung liegt vielmehr darin, die Ansätze zu den höheren
nonnjrenden Functionen im Zöglinge zu erfassen und ihn in seinem
Denken, Wollen und Handeln den logischen, ästhetischen und ethischtn
Gesetzen zu unterweifen und diese in ihm zur Herrschaft kommen za
Usuea, Je mehr dies aber gelingt, nmsomehr wird sich aas dm
ideenlosen, yerworrenen, eelbstgefftUigen, am niedem irdiecliea J>um
hängenden, egolstiBchen Indivldniun'', wie Kant sagt, „eine ao^sdüirt»
nach höherem Dasein mnthig strebende Persönlichkeit'' beraiulnldaL
Oder, mit andern Worten, um so höher steigt die Büduig des ISmr
sehen mid am so gröiler ist sein Fortsehritt im Beiehe des Uteskn.
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Dag Elteraliaüs nnd die pSdagogisehe Presse.
Vwirag, gthaUcn im Sdutberverän von Dr. Carl PUz- Leipzig.
Friedrich Frtfbel hat dranal gesagt, die Vmunmliiiigeti der
ErnehnDgmreme aUein reichten nicht hin, die Fraa in ihrem Berofb
als Mutter allseitig m untersttttsen; dieeelhe müsse aach mitnnter
etwas lesen und Anregung und Betehrong ans pädagogischen Schriften
fchOpfm. Unter aUen Wünschen, die der grofte Heister ausgesprochen
hat, ist wol keiner weniger herttcksichtigt worden als dieser. Freilich
lesen die liebeB Fraoen gar mancherlei Wie ein Hyrthenst^ckchen
gepflegt werden muss, wie ein Kleid nach der neuesten Mode her-
gestellt wird, wie die Gurken am besten eingelegt werden, oder auch
was der Stadtklatsch bringt, das ist Welen Frauen hoch interessant.
Auch mancher spannende und aufregende Roman wii-d flnrchgewürgt
0(1^!- irgend ein Witzblatt, ein Anecdotei\)äger als Erheit^Jigsoiittel
beuut/t.
Aber eine Zeitschrift oder ein Buch über Erziehung zn lesen,
das kommt manchen Eltern wie eine Strale vor; wenigstens zeigen sie
Abneigung oder Gleichgiltigkeit gegen diesen Theil der Presse. Wenn
ich in einem Journale etwas Pädagogisches finde, sagte mir ein Vater
in vollem Einste, das überschlage ich gleich. Ferdinand Schmidt,
der verdienstvolle Jugendschriftsteller, sagt: Wahriich, ▼enn wir
Devtsehen so weit wftren, dass unsere Fraaen neben Modedonmalen
nid ünterhaltungsschriften auch das eine oder andere pädagogische
Werk anf ihrem Tische hatten, wir konnten das als einen grofien
Yonng unseres Volkes in Anspruch nehmen. Dieser Zeitpunkt scheüit
noch hl nebelgrauer Feme zn Uegeo. Zeitungen wie: Tkx Biei^
braner, der Friseur, die Bftcker- und Conditorzeitang, die Wein«
Zeitung, die Schlächterzeitung, die Schndderzeitung^, die deutsche
Tabakzeitung, die Milchzeitung, Jagdzeitung und wie sie sonst heißen
mOgen, finden willige Abnehmer, während die pfidagogischen Familien-
schriften sich ihre Freunde mit der Laterne suchen müssen und ein
kümmerliches Leben ^ten, womit wir den gltlcklichen Aosnahmen,
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die eü allerdiii^'S gibt, nicht zu nahe treten wollen. Und was ist an
diesem Schicksale der pädagogischen Presse im Eltemhause scliuld?
Eiiie ganze Anzahl Vornrtheile und Einwände sind es, die den pädar
gogisclien Scliriften den Eiiilass in die Familien versperren. Wenn
man nun diese Wuizelu des Übels beseitigcu könnte, so wäre gewiss
schon etwas gewonnen. Wir vollen uns daher einige dieser Einwftnde
dea Hauses näher ansdien; vklleiclit gelingt es uns, ihre Kiehtii^t
danatbnn und sie sa sersti^en.
Der gewöhnlichste Einwand ist: Ich habe keine Zeit znm
Lesen. Und es ist wahr, die heutige Zeit verlangt viel Arbeit
Was hat eme hrsTe Haosfiran nicht alles m thnn, am Herd in der
KachSt an der Nähmaschine, an der Wiege, am Wasch&ss, in der
Kinderstabe, and wer welä wo noch; das Hans braucht ja tlberaU
die thätige Frauenhand. Aber die Hand aufs Herz! liebe Matter,
hast du nicht Zeit, jeden Tag die Spalten des Tageblattes zu er-
forschen, oder ein Buch zu lesen, das durch Bilder und andere Dinge
reizt? Und du, Vater, der du bei deiner Sisyphus- Arbeit selten zum
Ausruhen kommst, bleibt dir ^^^rklich nicht ein einzijrer Augenblick
frei, welchen du dem Nachdenken über die Erziehuujr derer widmen
kannst, die das lieblichste Band der Ehe sind, und an denen du dir
Himmel und Hölle verdienen kannst? Und ansrenommen, eine Mutter
käme wirklich niclit dazu, in die Gartenlaube oder in ein anclerf>
Blatt einen Blick zu tiiim, über Behandlung, Pflege und Beuaiirung
ihrer Kinder, die ja mehr wert sind als Diamanten und Perlen, sich
zu orieutii-en, dazu müsste sie Zeit habeu und sollte sie sich dieselbe
am Eaffeesttlndchen absparen. Wenn man Gelegenheit hat, ein Kaffee»
hränzchen za beobachten und den ranschenden Strom der weiblichen
Beredsamkeit bewandert, da kommt man manchmal auf den Gedanken,
dass, wenn man in einem solchen Kränzchen anch einige Augenblicke
aof das Lesen einer anregenden, pädagog. Ftunilienseitschrift vei^
wendete, die Zeit nicht ganz schlecht verbracht wäre. Eine Matter
lieS mir einst sagen, sie hätte zum Lesen der „Cornelia" keine Zeit;
von dem TOchterlein erfuhr ich den richtigen Grand: der Tfadi lag
ToU Zeitungen, die alle gelesen sdn wollten, da war freilich für &n
pädagogisches Bktt weder Platz noch Zeit vorhanden. Mit diesem
Einwände ist es also, wie der Volksmund sagt, nicht weit her. H6ren
wir einen zweiten: Ich habe kein Geld zum Mithalten von
Zeitschriften. Dieser Einwand ist durchaus zu respectiren. wenn
er aus gänzlich unbemittelten Kreisen kommt, und deshalb ist der
Gedanke pädagogischer Flugblätter, die nur einige Pfennige kosten.
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gar nicht Übel. Aber die iSache lieyt auch hier in vielen FSlIen
anders. Wenn e.s sich um jajoüe bunimeu handelte, welche dem Muli)ch
der Presse zu opfern wären, da ließe sich der Einwand vollständig
halten, aber Erziehun^sschriften müssen billig sein, weil sie sonst ihrer
Hinneigung zu den Krebsen ganz verfallen. Was will es sagen, wenn
eine pädagogische Zeitschrift jährlich 4 Mai*k kostet, oder wenn der
Preis eines wertvollen eizieherisehen Yademecom gar nur 1 oder 2
Mark beträgt. In einem Leipziger BOrgerhaiue, in welchem die
Sdiätae des KrOsus wahrlich nicht au^ehftiift waren, ttanA ich eine
elmige Zeitschijft, nnd das war eine pädagogische. Auf meine ans-
gesprochene Verwnndemng sagte mir der Hansvater: Sie scheinen sn
yergessen, dass wir 6 Kinder haben, da kann's wol nichts schaden,
wenn man hinsichtlich der Behandlang derselben die Rathschläge
eines vernilnftigett Blattes hOrt Und ein reicher Herr, dem ich rieth,
dass er zum Segen seiner lieben Hangen, die sich im Charten bei den
Köpfen hatten, ein pädagogisches Blatt mithalten möge, antwortete
mir: fiir solche Leetüre habe ich kein Geld!
Und wie unklug ist dies von den über Geldmangel klaffenden
Eitern. Die kleine Summe, die man au eine Erzielmngsschrift wendet,
kommt zelmfach wieder heraus in dem Gelingen der Erziehung,
welches liie >chrift f<irdert: jedenialls ist das Ueld flir päd. Lectüre
doch nocii l)esser an<rewHndt, als für lausend Dinge des Genusses,
des Kleiderluxus, der Modethorheit, womit man die Kinder in ti-auriger
Weise bei^ltickt.
Diese Einwände waren harmloser Alt, aber wir bekommen auch
solche zu hören, die bitter sind und das Herz jedes Kinderfireundee
verletien. Da heißt es mitunter also: ,Jch bin froh, wenn ich die
Kinder los 1^, das Lehren and Erziehen tberlasse ich der Bonne
und den Lehrern. Die werden dafür besahlt nnd mOgen sich mit den
Fr&chtcfa^ hemmidagai. Wamm sollte ich mich also mit dem Lesen
einer Schiifb Uber ErziehnngsmaBregeln langweilen! Da lese ich doch
lieber alles andere als den pädagogischen Senf. Hein Mann schenkte
mir neulich einige B&nde eines solchen Werkes, ich habe sie gleich
auf den Oberboden schaffen lassen.^ Das ist fingirt oder zu deutsch
erdichtet, werden Sie denken. Nein, das ist eine reine Thatsache aas
meinen eignen Erfahi-ungen. Die AVorte: „Lasst uns unsem Kindern
leben!" und „Geh fleißig um mit deinen Kindern!" erfahren durch
manche Familie einen wahren Hohn. Die Kinder gehören nicht den
Kitem, sondeni ipr Bonne, der Magd, dem Diener, dem Knechte.
Wenn dann die Kiuder schlechte Angewohnheiten zeigen, fluchen wie
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die Landsknechte, oder andere schlechte Worte hören lassen, dann
erschrickt man, aber zu ^l);it, Vn<\ beschau ii^t sich auch manche
Mutter mit ihren Kindern, so ^tschielii ej> vielleicht , um sie im Salon
vor (Tesellschaften sehen zu lassen, oder sjp im Prahlkleide um die
Promenade zu fiilu-en. Die Unarten dei" Kinder zu studii-en und zu
heilen, überhaupt sich mit den seelischen Entwickelungen der kleineii
Herzen vertraut zu iiuichen, ist ihr lästig:, und jedes Blatt, welches
die Seelenpflege des Kindes behandelt, gleichgiltig oder widerlick
Doch darüber kein Wort weiter!
Die Einwände spitzen sich indes noch bitterer zu. Mau sagt:
Die ganze pädagog. Presse nützt keinen Deut; sie drischt nur leeres
Stroh; Ja es scheint, als ob die Ittnner recht hftfcten, die da sages:
Je mehr Erziehnngsblätter anftanchen, je mehr man ttber EnJehing
schreibt, desto sdilechter wird sie. Das ist wahr, wemi man die
Ptesse im Aoge hat, wie sie nicht sein solL Wemi freflicfa ehi
Blatt sich in trodcnen, q^stematischen AosemandiarsetEnngen, in philo-
sophischen Dfliteleien, oder in hohltOnigen allgemeinen Phrasen e^
geht, da ist die Ahneignng gerecht Was soll eine Mntter mit
solchen Artikeln an&ngea? Bei solch gelehrtem Texte kann emer
Mntter wol angst and bsnge werden, nnd sie mOcfate dann mit dem
Dichter rufen: Mir wird Yon alledem so dumm, als ging mir ein Mühl-
rad im Kopfe hemm. Eine sokhe pädagogische Fresse f&rs Hans
habe ich natArUch nicht im Sfam. Wenn aber dem Hanse Artikel
geboten werden, bei denen man sogldch sieht wie und wo, z. B. Wie
sind Nasch rr zu coriren — Soll man dem Kinde Taschenereid gehen
oder nicht? Wie hat man die erste Lüge zu behandeln? Wel Fehler
begebt man bei kranken Kindern? so wird wol niemand behaoptea
können, dass solche BathschlAge onnütz und vergeblich wären.
Nun, fahrt man fort, wenn auch die pädagogische Presse den
Eltern die besten Rathschläge gibt nnd das Haus sie befnltrt. e>: i?t
doch alles umsonst, weil dem Kinde die Fehler und Tugenden ansre-
boren sind. So bringen nianclie Kinder den Diebssinn mit auf ȟ^
Welt, und man kann dann die schönsten KiziehnnirsTesreln an ihneu
erproben, sie stelüen fort. Dass dieses Aim» ! ivnst-ln richtitr ist.
setzen sie hinzu, sieht mau ja klar dai'aus, dass in einer Familie. av.<
die !)L<T( Krziehuu^ herrscht, neben braven Kindern sich ein Vay:al'unti
ztii^i, di-r yaiiz und trar aus der Art ^reschlagen ist. Was den letzten
Einwand bt-trittt. so beliaupte ich, dass es nicht zwei Kinder gibu
welche dieseiln' Erzieliuug genossen hätten. Die Elt«m sind bei
jedem Kinde anders, ihr Verhältnis zu dem einen Kinde ist anders,
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wie zu dem andern; die häuslichen Verhältnisse ändern sich; und
wer wüsste nicht, dass das erste Kind in vieler Hiiisiclit das bevor-
SQgte ist; oftmals auch das sogenannte Nesthäkchen, das Ipf/te Kind.
Was nnn aber das Angeboreiisein anbelangt, so liegt darin wol
ein Körnchen Wahrheit, und gerade deswegen ist dieser Einwand so
gefährlich. Es ist zweifellos, dass dem iviii le verschiedene fri-afle der
Eeizempfanglichkeit, der Lebendigkeit, der üeiiarrliclikeit augt^biaen
sind; dem einen ist ein irewisses Phlegma, dem aTideni iiycSc Beweg-
lichkeiL t^i^en; das eine zeigt von Geburt an Lebendigkeit, das andere
zeigt sich -tiimpf- oder schwachsinnig. Mit einem Wort, das, was
wir Temperamente nennen, ist mehr oder weniger dem Kinde in die
Wiege gelegt. Aber gerade deslmlb ist die Erziehung von außti-
ordentlicher Wichtigkeit; gerade deshalb werden Maßregein nüthig,
die sich nicht jeder Vater, jede Mutter aus den Fingern saugen kann.
Wie ist das Kind zu behandeln, dessen niedere oder Vitalsiune ttber-
krftftig sich erweisen, dass es^ nicht zum Kiscfaer wird; wie ist das
Phlegma au behandeln, dass es nicht zur ausgeprägten Fanlheit wird;
wie ist die Flatterhaftigkeit an wahren, die ein kleines Quecksüber
besltst? etc» Diese Fragen an beantworten, dazu kommt die Fähigkeit
nicht un Scblafe, dazu sind die Anregungen der Presse nOthig und heil^
sam. Ich kann nicht unterlassen, hier ehi Wort ans der Eizi^nngslehre
des Mannes zu erwähnen, dessen Namen unser Verein trägt: Schieber
sagt dort: Der Urtypus des ganzen individnellen Naturells wird zwar
dem Khide angeboren, allein dersdbe besitzt während der ersten Ent-
wickelnngsperioden, und zwar je froher je mehr einen solchen Grad
schmiegsamer Gestaltbarkeit, dass den Eltern und Erziehern hinsicht-
lich des dereinstigen Gesammtausbildungszustandcs und somit der
Grundlage des wahren Lebensglückes ihrer Kinder oil^bar viel,
unendlich viel mehr in die Hände gelegt ist, als es der gewöhnlichen
Meinimg scheinen will. — Mit lächelndem Hohn fügt man dem ge-
machten Einwand wol hinzu: die Lehrer und Pädagogen haben oft-
mals die ungerathensten Kinder. Wol wahr, aber warum denn? weil
ein Lehrer, der in der Schule glücklich wirkt, noch lange nicht
allemal auch ein guter Erzieher für seine eignen Kinder ist. und weil
das Wort: „Je gelehrter, desto verkelirter** leider auch auf die Haus-
erziehung manches gelehrten Mannes passt. Ein Pädagog, der sich
all seinen Söhnflien ein paai- SjuizI iOhmi erzogen hatte, «lagte mir
einst: Das (jerallieii der Kinder ist Uottes .Sh'']ic, der schob alsn die
Schuld sozusagen auf den lieben Gott. Der I ächter hat Recht, wenn
er meint: Manch einem, der andei*er Kinder eraogen, ist sein Erzieher-
PtetUgociiua. 5. Jalirg. H«ft IX. 35
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ruiiüi verflogen, weil ihn die eigrenen schlinmi l>*'trogen. Aber solches
Missgeschick einzelner Pädagogen kauu unsern Satz von der Wich-
tigkeit der eine gute Erziehung fördernden Presse durcUaiui nicht
umstofien.
Der bedenklichste Einwand gegen alle pädagogische Leclüxe i^t
wol der, dass man meint: Der pädagogische Rath der Presse ist nicht
nothweniUg, da der nattrifehe Taet adbsm jedem Vater, jeder Mutter
.sagt, was SU tiran ist Dorcb Endebnngssclirifteii wird man nur irre,
es ist das Bestet wenn jeder Enielier seiner eignen Venmnft foJgt
liebe nnd natOrllclier Taet vermögen alles, sie sind die Hanptsinlen
der Eniehnng. In der Tbat können sie das Richtige oft treffen,
aber Beneke, der tieftcbanende Psycholog, sagt schon: Aof den bloten
Taet ist, wie glAnaende Besnltate er andi in einMinen FftUen leigen
mag, kein dnrchgreifendeB Vertranen so setsen. Gewiss, weldie Ver>
immgen bringt dieser Taet oft hervor, was fftr Thoriieiten gibt er
Vfttem nnd tf ftttem mitonter ein. Eü& Vater werde doreh ihn dahin
geftthrt, dass er seine Kinder immer vor fremden Iienten dirdi-
wichste; was ilmi das eintrog, ist nicht nöthig hier zu erörtern. Eine
Matter glaubte mit w^müthigen Bitten bei ihren Kindern das Rechte
in erringen; aber nur bei einem Kinde wirkte das aas natitarlichem
Taet« staipmende Flehen, bei dem andern Kinde wurde es zum schreck-
liebsten Übel Einen Vater lehrte seine eigne Erziehervemnnft, ja
recht misstrauisch gegen seine Kinder zw sein. Er ließ sich also,
wenn die Knaben bei andern Leuten waren, allemal Zettel mitbringen,
worauf dieselben das Hetraj^en flei- Tungen schreiben mussten. Ein
wahrer sittlicher Ruin war die i^olge dieser dem natürlichen Tacte
ent.stammten ^labregel. Was aber Affenliebe sündig, das zu schildern
erlassen Sie mir gewiss eern. Kurz: auch die Li»»)>»- und der natür-
liche Taet maclit'n die luidagogische Presse nicht unnöthig.
Noch andere sagen stolz: Was kümmere ich mich um die
SchruUtu der Pädagogen, ich gebe meinem Kinde ein gutes Beispiel
und damit hol Iah! R^cht gut^ wenu der Erzieher als ein Leuchtthnrm
in jeder Weise voi- seineu lündem steht Aber das Licht gelit ihm
leider inaiiLiuaal aus. Sut<*rmeist^r sagt in seinem Buche Welt und
Geist: Seh ii h die wimmelnde Meuge von unerzogeueu Eltern, frag
ich nui" staunend: Wie kommt's, dass noch die Jungen so brav?
Wenn der gute Vater einmal einen ungeziem^en Scherz macht,
wenn er fortwährend das Essen tadelt, wenn er sidi efamal ein
Bftnschchen kaoft, wenn er die Geisel des Spottes Uber andere schwingt,
wenn er den religiösen Freigeist spielt, so wird er gewiss nicht m>
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geben wollen, dass er fiir seine Kinder ein schlechtes Beispiel ist, und
doch ist es so. Rfrhtfhun vor den Kindern ist allerdings die beste
Lehre, sie inniini zu machen, sairt der Pädaq^oo;- Moscheros"li ; das
Beispiel der Eltern ist die sittliche Atiiin^jphäre, in welcher die
Kinder fresunden oder auch verderben können. Und gerade, um diese
^^'ahrheit dem Hause fort und fort als Flamme vor die Seele zu
halten, muss die pädagogische Presse wirken und thätig sein, muss
moniren, w5 sie sieht, dass man sich voUstäudig vergisst den Kindm
gegenüber.
Als ich einmal einen Vater fragte, ob er manchmal über Er-
zieh img etwas lese, sagte er mii% das habe ich nicht nöthig. Ich
habe ein üniversalmitteL Und als ich in ihn diung, mir dasselbe zu
nennen, rief er: Msia. Eniebungsevangeliiim isl der Stod^, er thnt
seine Wunder. Der gute Stock, wie oft Tersi^ er seine Wirkung»
irie oft bringt er das Gegentheil ?on dem henror, was er besEvecken
solltet wieviel nnntttae Thrftnen, wieviel Trotz, Bitterkeit, Ertödtnng
dee EhrgefUds, der Scfaam hat er hervorgebracht, mid seine Sttiiden
sind grdfier ab seine giflcUichen Cnren, die ich freilich nicht ganz
leugnen mag. Grade der Erzieher, welcher so schnell zum Stocke, zn
diesem verdächtigen Heilmittel greift, sollte den Bath nicht ver>
schmfthen, den die Presse gibt za weiser Benntzong des Bakels oder
zur Entbehmng desselben.
Wenn man Qbrigens noch sagt: Kinder kann, man doch nicht
nach einem Bache erziehen (freilich nicht, wie man ein Kleid nach
einem Muster macht)« das ewii^e Schulmeistern ist mir langweilig, die
Sache ist mir zu ernst, ich will mich amüsiren bei der Lectttre etc.
80 widerlegen sich diese Einwände alle selbst.
Nachdem wir non die Vornrtheile und Einwände als Hindernisse
ftir die Theilnahme an der pädagog. Presse hinweggeräumt haben,
wollen wii' noch ein kurzes Wort über den Sej^en dieser Presse sagen.
Dass ich dabei nur die gute pädagofri^rhe Presse meine, die ihre Auf-
gabe versteht und recht erfüllt, brauche ich wohl k:uim zu sagen.
Dass ialirans jahrein tausend und abertausend Kinder ohne päd.
Presse wohlgerathen, gebe ich zwar zu: aber das halte ich ebpuso
fest: Tauseude würden nach den Rathschla^en der päd. Presse l»e>ser
g-erathen sein! Die pädagogische Presse ist auch eine Macht wie ihre
Schwestern, die politische, literarisciie und Tagespresse, wenn sie
auch von diesen über die Achseln angesehen wird. IIa- erster Segen
ist der. dass sie in heutiger Zeit, wo der Pessimismns auch der Pä-
dagogik, seui traiu iges Siegel aufdrücken und sie daiuu luhren mochte,
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■wo alle höhern Ziele, alle Ideale verlacht werden, und das höchste
Erziehnn^sprincip materieller Nutzen ist — dass sie in solcher Zeit
dem Hau^e seine erhabene Aul^abe klar vorhält, nnd da^ö dem
Erzieher, der ja so manche Last zn tragen, so manchen Ärger zu
überwinden liat, die Flamme der Begeisterung immer wieder ent-
zündet und überhaupt dahin wirkt, dass die Glorie des Familienheüig-
thums, der häusliche Sinn, nicht ganz verloren geht.
Sodann ist die pädajrogische Pre55se eine lehrende und auikläiende
Freundin. Wissen Sie was ein Kind ist? fragte mich einst mein
Oberlehrer. Mau möchte auch manche Mutter fragen: ^^'eißt Du was
ein Kind ist, wie es denkt und fiihlt, wie die ersten Reize auf das-
selbe wirken, welche Seelenpflege es TsrUuigt, was man tob Omi Tcav
langen kann imd was nicht? Wieviel Fehler würden TerafedeB
werden, wenn Eltern und Ldirer die Tiefe nnd Eigenthlhnlichkeit
des Einderheraens sn ergründen TentSnden. Dann wfirde es nicht
Torkonunen, dass ein Vater sein wenig Wodien altes Kind anhr&Dti
wie er sagt, damit es in der Nacht rnhig ist, wodnrch der bedenk-
lichste Seelenschade entstehen kann. Da würde eine Hntter nidit
bandwnnnartige Strafpredigten halten; dann würde man von einem
sedisjührigen Kinde nicht yerlangen, dass es ebenso bedichtig, so aUr
klng handeln s<A, wie die lünfhndzwanzigjfthrige Mutter; da würde
man nicht gleich alles für Bosheit nnd Schlechtigkeit halten, was
Tielleicht nur dnrch natüriiche seelische Entwickehmgen bedingt ist
Wenn nun die pädagogische Presse diesen Blick in die Kinderseelen
schürft und dem Erzieher seine Schritte dne p^chologische Hand-
hnU' reicht, wenn sie ihm allerlei bewährte Recepte für bedenkliche
Fehler der Kinder gibt etc., ist sie da nicht eine Wolthat fürs Eltern-
haus? Aber sie ist auch eine aufklärende Freundin. Als Botin in
das Elternhaus sucht sie namentlich über alle Mafiregeln über die
Gesetze und Verhältnisse der Schale aufzuklären, und wie mancher
Streit zwischen Schule und Haus, wie mancher Angriff auf die Schule
würde unterbleiben, wenn sich die Eltem über die Ziele des Unter-
nchts. über die Ceusurt'n, über <\ie Strafen, über die Versetzuii<ren,
über die Schulordnung und tausend andi if Dinge dui*ch die Pi-esse
iintririr-hteTi ließen. Mancher Misston, manche Thräne würde dann
unterbleiben.
Doch die pädagKgisi lit Presse ist auch eine mahiit inle nnd
wai'nende Freundin. Vor allen Dingen tritt sie dem laulen (T- i^-t»
der Zeit gegenüber, der vor vielen Dingen nicht zurückscbrei kl , liie
nui' geeignet sind, liie Jugend vor der Zeit alt zu machen oder sie
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dem Verderben in die Hllnde sa fähren. Wenn sie sieht, wie maa
die kleinen Kinder in die Eauchlnft der Kneipen führt, wie man sie
ins Theater gehen Ifisst in einem Alter, wo sie noch mit der Pappe
oder den Bleisoldaten spielen, wenn man anf Kinderbällen ihnen
Gennsssncht und verfrühte Neigungen einimpft, wenn man die ärgste
Schundliteratur in ihren Händen lässt (noch nicht lange ist's her,
dasü ich einer Schüloriii die schöne Helene v. Bosch weggenommen
habe), wenn man gefährliches Spielzeug (wie die augenverderbenden
runden Kästen mit springenden Turnern etc.) ihnen unter den Weih-
nachtsbaum legt, wenn man zulässt, dass die Kinder auf Weg und
Straße Dinge sehen, die fiir ihre Unschuld nichts als Gift sind, da
erhebt sie ihre Stimme und schlä^rt mahnend an die Eraeherherzen.
Und sieht sie geradezu Gefahren, die Imitei" den Schritten der
Eltein lauem, so werden ilire Malinun£ren zu Warnungen. Wenn eine
Mutter im Scherte den Papa von dem Kinde schlagen lässt und nüt:
ach! der gai'stige Papa; wenn eine andere Mutter darüber laclit. dass
ihr Söhnlein alles sein nennt, was es sieht; wenn sie liürt. wie ein
Vater vor seinen Kindern die ärj^sten Schnurren und leicht:>inuige
Abenteuer erzählt, oiler aiicli wenn sie sieht, wie die Kinder durch
die Kleidung leiblich und moralisch verdorben werden, so lässt sie
die Erzieher den Abgrund sehen, an welchen sie ihre Ptiegbel(<l[Inen
fiihren. Und wenn sie nun überall für die Erzieliung des Hauses
Mahnungs- und Waruuugszeichen setzt, sollte sie da nicht Verdienste
am das Haus sich erwerben?
Aber de ist auch in vielen Dingen eine theihiehmende und
helfende Frenndin. Sie gibt Rath bei Krankheiten, ehe der Arzt
kommt, sie hilft das beste Spielzeug auswfthlen, macht aof die rechten
Beschäftiguugsmittel aufmerksam nnd hilft den Weihnachtsbaiun
schmücken. Sie lenkt ftberhanpt den Blick anf Erriehongsmittel aller
Art, anf die Hausschnlbänke, anf die Bflcher etc^ Ja sie nimmt auch
Theü an der Sorge fOr die erwachsenen Kinder, sie schUigt Pensionate,
Anstalten yor, von deren Trefflichkeit sie sich Überzeugt hat Sie
gibt Sathschläge hinsichtlich der BernfSswahl nnd sncht die Vomr-
theile, die in dieser Hinsicht bestehen, zn zerstrenen. Mit allen
diesen Dingen ist die pfidagogische Presse eine theilnehmende, rathende
Freundin, nnd wenn sie Novellen nnd ErzUhlongen vorftlhrt, wenn
sie mnsterhafte Lebensbilder zu einem Spiegd für die Ei-zieher bietet,
oder wenn sie das Kinderleben von der lieitersten Seite betrachtet
und durch Schul- und Kinderanecdoten die Lachlust entzündet, ist sie
da nicht auch eine angenehme Unterhalterin? Die pftdagogische
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Fireflse mue» demnach als eine ihren Schwestern ebenbfkrtige Segm»-
mncht erkannt werden, und wenn es wahr ist, was der Franzose
Renan sagt: Die Erziehungsfrage ist für die jetzige Gesellschaft eine
Frage des Lebens oder des Todes, eine Frage, von welcher die Za-
knnft abhängt", so dürfte wol die Erziehongspresse in ihrer Wichtig-
keit nicht zn initerschatzen ^rin. Wenn es mii- nun gelungen ist,
Sie von dem iSegen der päd. Presse zu überzeugen, so werden Sie
gewiss der einen oder andern pädagogischen SchritT ihre Theilnahme
zuwenden; ist es mir nirht eelungen, dann wilrde auch jede Anpreisung
des einen ' flf-r andern Juunials umsonst «ein. Ein Bnch will ich
aber doch ihnen allen aus Herz legen, es ist bchrebei-s Buch der
Erziehung fftr Eltern und Erzieher, Vtei Frd. Fleischer in Leipzig
erfechienen, welches goldene Regein in silberner Schale enthält, und
mit einigen Worten desselben will ich meine Hede versiegeln: Schieber
sagt: Unter allen Wissenschaften ist die Pädagogik am wenigsten
ins Leben gedrungen; die Resultate der Krziehungswisseuschalt, die
auf Natur und Leben fußenden Hauptgriindsätze der Eirziehnng
müssen aber allgemein in der Familie eingebürgert werden, und das
kann gewiss, wie wir sehen, außer durch die Eiiahning nnd Natar
anch durch die Presse geachehen. Ijasaet uns denn, ein jeder in
aeinem Ereiae, wacker arbeiten an der grofien An^g;abe nnaerer Zdt»
damit onsere Enkel dankbar auf die Gegenwart znrfkckbUcken kennen,
damit wieder ein heiteres, an&trebendea, lebenamnthigeB und lebena-
tÖchl3ges Geschlecht erblflhe nnd die Idee der Hensckheit von
Generation zn Generation ihrer Verwirklichnng entgegen reifel
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Von II, M<^rf-\yint€rthtr,
I. Zw Orieitiraiig.
versetzen uns im Geiste in« Jalir ITHO /urück. zu einem scliwcr
geprüften , von seinen Freunden gemiedenen und aufgegebenen, von seinen
Feinden verhöhnten Manne. Derselbe wohnt mit seiner Gattin, seinem einzigen
10 jährigen Sobne in einem klflin«n Laa4hanse miweit des damals noeh wenig
gwnanntnB und wenig bekannten DrafesBiir im Aargan, am Fnfie desBrannegg-
berges. Dieses Mannes Brust belebte hoher, edler Sinn. Feurige, heilige Liebe
zn tlen Armen. Vprlawsjpnen, Verschupften beseelte ihn. Dieselbe jg-ab sich nicht
hioi ui waimeu \V ort4:;u kund. Er lebte „jahrelang im Kreise von mehr ahs iUnfzig
Betäerklndmi; tbeilte in Anint mit Ihnen tetn Brot» lebte selbst wie ein Bettler,
am sa IsrmBi Setüer wie Ifensehen leben sn machen'*. Der Versadi seheiterte.
Der Name des Mannes — Pestalozzi — wurde dem Gespött der Welt preis-
pefreben. Seinen Glanbeii aber an die Göttlichkeit der Mensfhennatnr und
daran, dass den Armen auf dem Wege, den er betreten, gründlich geholfen
werde, erseblttterte der ,4ierzzerreiflende" Untergang seiner Unternehmung
nicht rildk hatte", enfthlt «r, „in dar mienneislichen Anrtrengnng meines
Versuchs nnermetsUehe Wahrheit gelernt, und meine Überzeugung von der
Richtigkeit derselben wnr nie großer, als da er scheiterte. Auch wallte mein
Kens immer dennoch uuer&chütterlich nur nach dem nämlichen Ziele und jetzt
selbst, im Elend, lernte ich das Elend des Volkes oud seine Quellen immer
tiefer nnd se kennen, wie kein Olttckllehw sie kennt Ich saB eine lange
Reihe von Jahren unter ihm, wie die Eule unter den Vögeln. Aber mitten im
Hohngelächter d*^r mkh wegwerfenden Menschen, uiift«n in ihrem lauten Zn-
rnf: dn Armselipi r. ein bist weniper als d^r pchleihteste Tagiöhner im »Stande
dir »elber zu helfen, und bildest dij* ein, dass du dem Volke helfen könnest?
mitten in diesem bobnlaehenden ^nrof, den ich anf sllen Lippen las, h5rte der
miditige Strom meines Herzens nicht anf, einzig und einzig nach dem Ziele
zn streben, die Quellen des Elends zn verstopfen, in das ich das Volk um mich
her vt rKtinken sah." Er erzUhlt, er habe noch viele Freunde gehabt, aber es
habe sich bei ihnen beiualie die letzte Spur irgend eines Funkens von Ver»
trsnen in ilin voioren. „Sie liebten mich nnr nodi hoArangslos. Das ging
so weit, dass meine besten Freunde, beklemmt von diesem Urtheil und voll von
Mitleid, wenn sie mich oben in einer Gasse erblickten, sich in eine andere
zurückzogen, damit sie nicht in die Lage kommen, mit einem Menschen, dem
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I
— 646 —
durchao« nicht zu helfen »ei, ein sie mir Rclmi. izondea und mir sAhi^t nichts
helfendes Wort zn verlif^irn. Btiehhändier Füssii (in Zörichj war beinahe
noch der ein2ige Mensch, mit dem ich über meine Ijkge noch ein vemönftiges
Wort reden konnte. Er sagte mir in diesem Zei^ninkte gerade hemoa: ndne
alt« II Freunde halten ea beinahe allgemein IBr anagemaditt ieh werde meine
Tage im Spital oder grar im Narrenlians « rideu."
Am tiefsten aber, bis zur Veneweiflune: schmerzte ihn die Wahriiohmung.
dass mit dem Glauben an ihn anch der an seine Sache verschminden war.
Bis nr größten innem Unrnhe steigerte dch seine Wehmnth bei dem Gegen*
latze der Gewissheit, dass ea seine Lebenaan%abe sei« die Walifhdt seiner
Bettnngsmittel durch Verwirklichung zu allgemeiner Überzeugung zu bringen,
und des Mangels an Rütteln, dem innem Ruf niul Drang folgen zu können.
Pestalozzi war also gerade dadurch, dass er dem \ olkä^i-lend wehren und deas^
Qoellai verstopfen wollte, in Noth, Drangsal und Verachtung geiallen.
Welches waren denn die Ursachen der so tranrigen VolksKttstlnde^ die
Qnellea des Elends, welche Pestalozzi vei-stopfen wollte?
Die erste Quelle war dif Unbildung. In dieser Hinsicht wurde das \ "!k
bis auf einen unglaubliclieu Urad verwahrlost. Pestalozzi nennt »eine Schulen
kttn8tli(^e EIrstickungsmaschinen, den Volksunterricht den elendesten, nichtswGrdig-
tten, aerbreehliehsten Koth. ,4ch würde", sagte er 1782, „lieinem der Schulmeister
— mit W( riiir Ausnahmen — i-uhig über Winter eine Kuh oder nur ein Kalb anver-
trauen." Her Berner Landvogt von Tscharner, den Pestalozzi ä«| äter in
..Lienhard und (rertruU** als „Amer" nns vorführt, lässt sich in den TOri
Jahren in seinen Briefen über die Erziehung des Landvolks also vernelaueu:
„Verdient der Banernatand weniger onsere Ächtung und Bemühmig aSa der
des Stadtbürgers? Viele unserer Städter würden diese Fi*age haum ihrer
Antwort würdigen, sie, besonders die Großen nnd Keit li. t; kennen das Land
nicht ander?«, als jene Prinzessin d>'n Mancrel. die. als man von Theuenuis im l
Hunger, der Nuth und dem Elend des Landmaunes redete, wundernd tra^t.
waroffl er nidit Kü und Brot esse? Sie kltamen sieh nicht TorsteUen, dass dem
Baner was fehle, so lange er noch arbeitet and lebt; weil sie glauben, er solle
arm nnd dumm sein, mn etwas an ntttcen, nnd er sei gemacht an hungern mid
zu dienen."
Ich weiii, dass noch Viele daran zweitein, dass das Bauerukind einer
bessern Ersiehnng nur ftUg sd, nnd noch mehrere, dass es solche nOUiig habe.
Wie wenige sind ftber die Verachtung erhaben, die bei Vielen den Bauer unter
sein Vieh herabsetzt, oder dem Vorninheil der StUdter gewaebsen, die aoltihen
von gleichem Keime g-ehildet zu erkennen sich schämen."
Die zweite QueUe der Annuth war das Finanzsjstem des alten Regime.
Die gance Staatslast ruhte sonsagen amschUefflidi auf der t«andsehalt Zehn-
ten, Grund- nnd Lehensinse waren es, welche daa Staatswesen alime&tirten.
Der Capitalist hatte als solcher nichts zn leisten. Dissen Zustand beieichaete
der Landmann richtig mit den Worten:
„Der Bauer im Koth muss erhalten, was reitet und goht."
Unter denen, welche die Ungerechtigkeit und TeideriilidikeitdkserilBaiii-
wirtschaft nachwiesen, steht Pestaloasi obenan. Schon 1782 Teriangt er
eine auf den Wert der Besitzungen und des ganzen Efgenthuros gt^i'^indete
Vermögenssteuer,' wobei das zum Leben unbedingt Kothwendige Jeder Belastung
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zn entheben sei. Aaf solche Weise begründe man das Glück des Landes,
■während das bisherigre Verfalii*en die Hühner tödte. welche Eier legen, die
Hummel schone, aber den gnten Bieoen, deren Fleiß und Wolhefindeu des
LandeB Segen tot, den Honig nehme» der Ihr Leben fktotet/'
„Je besser ein Finan^yttem ist, desto mehr tndit es bei dm druckenden,
verschwenderischen, sich mftstenden Manne Ressonrcen, die es vom anuen, ge-
drückten, aasgesijgenen und sparsamen Manne nicht einmal zn beziehen wünscht.
£s trägt dem genossleeren Leben der Armen Bechnong und belastet den
Übetflnn."
Dann waren die jAnuntlichen Verkehrswege in einem wlArmlichen Zur
Stande. Der schwierige, ja geföhrliche Transport aller Waaren hemmte nicht
nur die freie Bewegung, sondern vertheuerte auch alle Lebensbedürfnisse.
Durch das ganze 18. Jahrhundert hinauf bis 179U beginnen die wiederholt
erscheinenden Straaeenmandate also: „Ba sind nns die Zeitharo vielfitttige
Kllgten TorgdEommen nnterschledUeher hin nnd bar In unseren Landgeriehten
und Gebieten sich befindender, sehr bößer, tieffer, rucher, nnd zum Reisen
. nnd Fahren fast unkommlich nnd Übel anstilndij^er Keichs- un-l Landstraßen,
auch Fußwegen halber." Der Rath that nicht«, als dass er „ernstliche Betehle"
an die Gemeinden nnd Anstößer erließ, diese Rnnsen falirbarer zu machen,
nnd swar mit ebenaoTlel Erfolg wie die Anordnungen gegen den OaBsenbettel.
Wo Flüsse und Bäche waren, diente deren fiett als Straße.
Zürichs Handel und Gewerbe waren von jeher bedeutend, ^ .^ uders im
18. Jahrhnndert erhoben sich beide zu proßeni Flor und brachien ilillionen
von Gulden jährlich ins Land. Die Producte dei- Züricherscheu Mauufactuien
in BanmwoUe, Wolle nnd Seide waren gesneht, hielten die Oononrrenz mit
den Enengnissen anderer Länder leicht aus und fanden ihren Abeatz in weite
Femen: nach Italien, Spanien, Frankreich. Süd- und Norddentschland, in den
übrigen Norden Europas, nach Polen, den türkischen Ländern etc.
Aber beides, Handel und Gewerbe, war nur dem Bürger der Stadt Zürich
erlaubt, dem Bewohner der Landschaft scharf verboten. Diesor war Mos des
Stadtzürchers Arbeiter, ja er durfte sonst niemandem zn Diensten stehet,
keinem Fremden, niclit einmal einem Bürtrcr, der anf der Landschaft gelegenen
Stadt Winterthur arbeiten. Die Zahl der Arbeiter für die Stadtzürch ersehen
Gewerbe war nicht gering. 1780 zählte mau deren auf der ganzen Land-
schaft 40554 in der Banmwonenmannftctur, gegen 20000 In der WoUen-
nnd Seidenfabrication, zusammen bei 60000, alle im Dienste der Stadtbllrger
von Zürich. Den Lohn bestimmten diese allein, da dem Landmann keine
Wahl blieb t'^bereinstimrneTxl nnd beharrlich Itezeichnen nun die Pfarrer als
eine Hauptqueile der stets zunehmenden Armnth auf der Landschaft „den
schlechten Lohn fai den Gewerben".
Wem so der Vortheil des grossen Verkehrs hanptsftdiUch xnlloes, wo sich
der Reichthum einsammeln musste. ist bald ausgerechnet. ..Für den Nicht-
!«rndty:urcher". sagrt der einstiere Konstatier. Meyer von Knonau, „fand jede
industrielle oder höhere geistige Strebekratt nur mit Veranlassung des Can-
toDs einen SplelraonL Es waren dem Landbewohner Beftignlsse entzogen,
die beinahe in allen elviltoirten LBndem solchen sostanden/*
Ja, der Handel mit den Erzengnissen seiner Wirtschaft war dem Land*
mann nicht freigegeben. £r dvfte dieselben nicht bei Hanse, Ton Hand zn
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Hand, von Dorf zn Dort verkÄUten, oder gar Handel damit treiben, sondern
er hatte sie auf den Alarkt vor den Borger zu bringen, fand er da nicht ge>
nttgttideii Abeali; w blieb ihm die Waere.
Für den Ankenhandd s» B. (Batterhandel) war — in der VoraoBsetzaug',
daes ein Bäuerlein nicht wegen jede« Pfundlein Ankens auf den . alHiiesigen"
Markt laufen küane — folgende Ordnnng festgesetzt: Es wurden 12 Anken-
greiupler amtUch angestellt und jedem ein gewisser Bei&irk dei- Landschaft
angewiesen.
Der Bauer durfte nun seinen Vorrath an Butter nur dieeen verkanftau
..doch Ihun y,h aber auch irrfligunj^tig Itewilligen, daas diejenigen, so Anken aus
ihrem \'ieh ziehen, solchen aut ünserm allhieagqB Markt (Zürich) selbst bringen
und verkauieu konneu.
Gar anmnfheiid und milde redet Seboler (IV. 1) von diesen VeriilltiiMMi
aleo: „Der Stadtburgerschaft wollte man, als dem Oberherm, einen reicheren
nnd siclieren Erwerb gewahren und stützte das Eeclit daföi- auf die landes*
herrlichen Hechte und das Alterthum der auf die ätadt beschrilnkt gewpst'nen
(ie werbe in Wolle und Seide. So war die Handelschaft ein Vorrecht der
Böi ger, gegen daa rieh Ma mr franngatoehen Bavotation keine eraate UagniHedea-
heit äußerte, sondern es ala natürlich auab."
Wie der Landmann in Bezug auf gewerbliche Thätigkeit gestellt
war, darüber geben einige Citate ans den betreffenden Mandaten binlingüch
Anfschlnss:
„Wir woitaDf daM von Thum AiteiUl&ntten aof dem Z^aiid keine Arbeit
von analUndiaBhen Orten, wober ea yitatt, n spinnen» n wirken, oder in ander
Weg zu verarbeiten an- und übernommen werde, ge.stalten wir den Seiden-
^tüniplem, Seiden-KUmbUn-n und Seiden-Wiiidem bei hoher Strafe veibieten,
keinem Fremden auikr L unleii, in was Fabnqueu eä waie, zu arbeiten, maßen
jedermlnniglich sich derjenigen Arbeit allein bedienen soll, welche Unsere
inner den Crenien sitmiden verborgerten Kanf* nnd Handelalente ibnsn sn-
kmamen lassen.'*
..IijkMchen ist Unser OberkeitHcher Befehl, dass ^ei uuveTschonter Straf
Unsere augehOrigen Landtüchler, denen raulie TUchleui zu machen erlaubt,
nirgend ansterwo als bei hiesigen Verbuigerten Baumwolle kaufen mögen
nnd ihr daraus gewonnen Oam oder Tftcher nirgend änderst wohin als Uaaen
Yerburgerten in der Stadt zu verkaufen erlaubt ist, mai^n ihnen das Eaafsa
nnd VerkantVn desselben in denen Wirts-, Schenk-, Privat- und Zunfthäusem
gänzlich verboten sein sulL" Beim Kaufen and Verlumfen maebte der Borger
den Preis.
Znr Betrettning der anf dem Lande onentbehrliehen Geweibe, wie s. B.
der Bäckerei, musste die Erlaubnis bei der betreffenden Ztnft in dtt* Sladt ei^
kauft und nacli bestimmten Fristen in gleicher Weise em«Mrt werden. Das
Geld wurde dann auf der l?iirH-er/unt't verjubelt.
Dass eine Unterstuizuug au arme Knaben zur Erlernung eines liandwerl»
ans dem weaenfUeh v<»n Lande her venoigten Almosenamt nicht gewährt
wurde, um „Unsem Yerburgerten" keine CScncnrrenz herananaiehen, ist na
so schilrffi- als engherzigster Egoismus zu verurtheilen, da gelbst in monarchi-
schen Staaten so etwas kaum voikam. Von A. H. Franke, der schon 17UU
von iüO armen Waisenknaben öö dem Handwerk und 45 dem Studium zuführte,
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hatte eineObrigk«iteiiM8 JniiBh" Landes td^ nUM In mlfhcirWriiobciiffhiincn
iMMii sollen.
Das ganze 18. Jaiirhuodert hindurch wird in jeder Bettagsprociamation
hingewiewn auf ,,da8 nnnoldlUbare Kldnod der Seeton- nnd LellMiMinlt".
Wie weit die „Seelenfreiheit*' leldite, konnten Laien nnd GeiaUIelie er-
fahren, wenn eie Meinungen äußerten, die der herrschenden Orthodoxie nicht
gemml waren; crfnliren die Seebewohner in den 90er Jahren, als »ie 8o „frei**
waren, wissen 2U wollen, ob die dnrch frühere Briefe feierlich zugesicherten
geringen Beeilte noeli Geltang Uttten. ICit der ,4jeibetfrei]ieit" stand's nicht
grinsender. Vom Lande in die Stadt lo lieiien war siebt leielit gestattet.
Am 28. Anglist 1710 wird bezüglich der Hintersassen in der Stadt durch die
,.ünserer lieben Bürgerschaft und AnpTPhnricpn nicht allein in vielen Sachen
großer NachtheU verursachet die üemach-, Ziuß- und Esswahren in dem Preis
merkUch vertheuert, sondern auch vieler Verdienst vorabgezogen wird", eine
StBbemng riagtnmam und besehlonNo, 10 Jalire lang keinen HinteigeaBaa
wAt aannehmen, auch in den Ansguneinden der Stadt keine lamlassen,
und naoh A>»l;int'die«er Frist dftnn weiter zn berathen „ob das Verbot znoontinui-
ren" sei. Die Niedeilastüimg wurde auch spilter immer nur ertheilt, wenn sie im
Interesse der Stadt zu liegen schien. Dagegen gaben sich die Verburgerten sel-
ber dasReeht, anf derLandsdiall sieb beliebig anansiedehi und die reieh besoldeten
Stellen von Landvögten, Amtslenten, Landsehreibern, Pfiurem etc. einzunehmen.
Außer Landes durfte auch kein Fabrikarbeiter gehen ..Dpnjpui^en, welche
der Pflicht und Treue, gegen uns, Ihrer von Gott gesetzten Ubrigkeit, so ver-
gessen, dass, nachdem sie zu genusssamer Arbeit sind erzogen worden, sie sich
erfredien, aas Unsenn Land ni gehen, wctOen wirblennitnidatnvrdasBttrger'
oder Laadreeht anfgekttndt und mitgegeben haben, sondern aneh Weib oad
Kind ihiu-Ti nachschicken nnd Wir sie zu keinen Zeiten mehr annehmen werden;
sondern wir behalten Uns überdies noch femer vor. »'iiien jeden nach Be-
schaffenheit seines Verfahrens an Elire und Gut, ja mit gänzlicher Confiscation
s^er im Lande befindlichen lOtteln nnd anf Betieten m»! gar am Leibe setbsten
an strafen."
Ganz dieselbe Strenge wurde gegen arme Banem geübt, die auswandern
wollten, U1T1 pi"h rinr bessere Existenz zu gründen. Diese .sriiandlosen Ver-
iehter des \ uieriaudes" werden mit ebenso harten Strafen „augesehen*' wie die
anawandernden Arbeiter. „Die schlfipMge SittUehkeit reicher, behaglicher
Ibasehen vereinigt sich mit den Ansprttehen d«r Ifadit,'* sagt Pestaloaal in
Bezug auf solche Verordnungen, „die erwerbenden Stände in dem Falle, wo sie
den Anmaßungen des Reichthnms nnd der Gewalt im Wege stehen, allemal
fär Gesindel zn taxiren und in dem Fall, wo sie den Anmal>angen nicht im
Wege stehen, sie als Maschinen m gebrauchen."
Wo war nnn die Leibesfreiheit?
Es endigen etwa solche Verordnungen mit folgenden Worten: „So wün-
schen wir, dass der Höchste einem Jeden den Geist der Folgleistung und des
Gehorsams geben wolle, sich dadurch unserer v&terlichen Liebe, Zutrauens und
Wolwollens würdig zu machen."
Wie konnte es andern eein, als dass das Landvolk, dessen edelste Krttfte
so nach allen Richtungen gebunden waren, materiell, geistig und sittlich arm
Wörde oad blieb ? Die Verwaltnng der Öffentlichen Interessen war nidit dnrch
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einen weiten und o^oßen staatsmännischen Blick s^eleitrt. h tiI in blos durch
die Kücksicht auf das Wol der „Verbnr^rerten '. es war reme Krilmerpolitik.
Diesem Elend zu beseitigen, die Quellen desselben zu verstopfen, das Latte
Pestalosssi ab trine Lebentanfgabe aiig<eMlieii.
Zunächst bekämpfte er das herrschende Finanzsystem, das den Aimen be-
lastptp und den sich ^.mästenden Mann'* Mhonte. Dann eiferte er nieht minder
gegen diu Kechtliwigkeit im Lande:
,^a8 gesellschaftliche Recht sichert den Fortschritt der menschlichen
Veredlvng eben so allgemein, als ihn BeiAiilosIgkeit aUg«nein stUl stellt;
daher nimmt immer in dem Qnde, als die Rechtlosigkeit in einem Lande groß
ist. die sittliche Abstumpfung- zn. Anch das ist wahr, wenn die Folgen diesp<«
Verderbens sichtbar werden, so wirft man die Schuld auf diejenigren. die ver-
dorben worden sind, und nicht auf diejenigea, so sie verdorben haben.''
„Übrigens ist die IMit andi in ihrer hSehaten Spannimg Ar die Er*
haltnng de« behaglichen Lnstlebens ihrer höchsten WiUkUr, so lange sie auf
ihrem Thron das ihr entgegenstehende Recht als einen Schemel zn ihren Füßen
liegen sieht, von Herzen gern eine hochgeschmückto. angebetete Mutter der
Gnaden; aber sie wird dadurch nichts weniger als ein Vater irgend eines
gesetdldiea Beohtes. Sie haast das Becht bis auf aelnen Namen. Wenn die
Spur eines solchen Anspraelis aof dem Wege ist: da kennst die Mutter der
Gnaden nicht mehr, sie sieht dann nur Volk und im Volk den Feind ihres
Thiersinnes, der ihr nicht fär die Welt feil ist, geschweige am das duame
Zeug, das Volksrecht heißt."
„Die Macht sagt zwar in jedem Fall, sie hasse das Becht des VoUtea
niclit, sondern nur seinen Hissbraneh, und aneh diesen nidit om Ihrer selbst,
sondern um des öffentlichen Woles willen, und wenn sie auch noch so empQit
ühfT deinen Anspruch, mit dir im St?HMt*' ist, s«> wird si<» dir iTTim(»r antworten,
sie begehre fiir sich nichts, sie wollte gerne Jedermann alle Freiheit und alles
Becht lassen, das ein Jeder nur inuner wünschen könne, wenn es nur möglich
wtre, aber sie sieht in jedem solchen Falle immer die schrecklicbsten OeHihren,
die es haben müsse, wenn man SchwIU h uenng hätte, anch nur daran n
denken, den Wüns(lien des Volkes nachzugeben. Diese Sprache aber zn ver-
stehen, mnsst du darauf achten, wie sie sich benimmt, wenn die Sa< Iie ihi-es
Dienstes Schritte fordert, deren Kühnheit und deren Gesetzlosigkeit das Land
allerdings in Gefahr bringen kannte."
„Die Völker, die das Joch ihrer Tyrannei abgeworfen, haben sich all-
gemein, soltahl ihre Unabhängigkeit anerkannt worden, gar nicht als die gesetz-
losen, räuberischen und mnth willigen Bösewichter gezeifTt. für welche sie wäh-
rend ihrer Freiheitsfehde erklärt worden, sondern vielmehr als Menschen, die
ihr Oliick mit vieler Mäßigung branchten and sich mit aller GotmftthIgkeit
selber wieder Obrigkeiten und Regierungen wählten .... sie haben ihren
neuen sichern, elirenhafteu. bürgerlichen Stand vorzHglich zur Verbesserung
ihres häuslichen Wolstandes und ihres Familienglücks, zu vielseitiger Aufnnng
ihrer Gewerbsamkeit gebraucht und dadurch dieselbe zn einer beneidens-
wilrdigen H9be gebracht." Die Oescihichte sagt also laat: „Die Freiheit und
die ^dnng bat der Menschheit sllentbalben Ontes gethaol"
Während die gnädigen Herreu das Wesen ihrer Regierungsweise daduich
richtig zn charakterisiren glaubten, dass sie sagtMi: „Der arbeitaame und
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redliche Landmann ist 8tet« ein vorzüglicher Geirrnstand unserer gnädigen
Hold gewesen'', bezddmet Pestalozzi dieselbe kurz und treffend als ein
„V^rMlMmii de« Beebto in die Uiitgnlie der Gnadet.
Pestalozzi kämpfte nicht Uos mit der FwLet gegen das Elend; er legte
selbst Hand ans Werk. Er erkannte von früher, dass die Scharen von Bettel-
kindem, die auf den Landstraßen von Dorf zu Dorf zog-en, von (hm „Gnaden-
nnd Ei-barmongsmitteln" nur mehr verdorben, nicht gerettet wurden. Er
wellte zeigen, wie da n ludfta mL Er Mnundte ihrer 1774 aa viele um sich,
ab Min Eana httea konnte, nfthrte, kleidete, onterriehtete sie, lehrte sie ar>
|)dten nnd beten, mit Hingebong seines Vermögens und seiner Person v,ollt<?
er jeden seiner Zöglinge befÄhigen, sich eine selbstständier^^. hpfriedigende und
menscben^a-tirdige Existenz zu schaffen. Er hoffte auf Mithilfe und Nach»
ahmong von Seite aller Guten.
„Denn", sagte er, »der CSiriet erkennt in eeinem Olanben nnd darek den-
selben, dass er das Opfer seines EigenthnotS wie dasjenige seiner selbst dem
■\Vct1 sfin^r T^rii<lf*r sclnildig^ ist, und achtet seinen Rpf^itzptanfl in der liehen
Anspruchslosigkeit seines sich Gott und dem Nilchsten hingebenden und auf-
opfernden Glaubens nicht als ein eigentliches Recht, sondern als eine ihm gött-
lich anTotrante Gabe, die zn heiliger Verwaltnoff im IMenate der Liebe in
aeine Hand gelegt wnide."
„Die ChristnsreliiE^on unterwirft den Besitz des Eigenthums unbediTi^t
dem Gesetz der Liebe, die ein Christ dem andeni, als seinem Bmder. sehnldig:
ist. Der cliristliche Begriti' des Eigeuthums ist ein mit den Ansprüchen der
Kotb nnd der Leiden der Hitmensdien eigentlieh belasteter Besitotand. Wie
groß und von welcher Art das Eigenthnm des Christen auch aeln mag, er Ist
Gefolg der christlichen Ansicht desselben verpflichtet, dem nrmen, eigenthums-
losen Mann, den dio Vorsehung ilim nahe gestellt, mit der (rabe, die er empfangen
hat, aut eine Weise zu dienen, wie er, wenn er selbst arm und eigeuthums-
loa ivire, beaendets in BUdorfeht auf die Auabüdnng der Anlagen und Killte,
die er zu seiner Selbsthilfe von Gott empfangen, wQnaelien würde und wünschen
ran.sste, dass ihm gedienet würde. Der Christ weiß, und e« liegt tief im Geiste
der Fnndamentaiansichten seiner Keligion, dass Gott, der die erhabenen An-
lagen der Meuschennator allem \ uIJ^ gegeben und keinen S|aiid davon ans-
geaehloBaen, nicht wül, daaa sie in irgend einem Indiyidunni, nodi viel weniger
In irgend dnem Stand Terloren gehen, sondern in allem Volk daa Leben er-
halten. Der wahre Clirist sieht die Handbietung, die er dem annen eigenthums-
losen Manne im Landp riieHtalls ertheilt, selber als einen Gottesdienst nnd als
eine Handlang der Nachioige Jesu Christi an."
Sechs Jahre lang arbeitete er sich unter grofiem Mühsal und Anfopilening
seines Vermögens durch, dann fidgte der Zuaanunenstun setner Anstalt. Er
kitte eben wenig Schutz nnd Hilfe von seiner Heimat aus.
Er schilderte für si*» nntsonst den Lohn, den eine solche ThStigkeit bietet:
nEs ist eine unbesclireibiiciie Wonne, Jünglinge und Mädchen, die elend waren,
wachsen und blähen zn sehen. Buhe, Zufriedenheit auf ihrem Antlitze zu sehen,
ihre fflnde zum Fleiß zn bilden und ihr Herz zn ihrem SehS^^ zu eriieben,
Thränen betender Unschuld im Angesicht geliebter Kinder zu sehen und feine
H"ffnnng*'n im verworfenen, verlorenen Geschlecht. Unaussprechliche Wonne
nnd Segen ist es, den Menschen, das Ebenbild des allmäditigen Schöpfers, in
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90 verscliipdenen Gestalten imA rraV«'?! aafwachen ';»*hen nn<? drinn vit-ll^iclit
etwa, wo 68 niemand erwait^t, im elenden verlasseaen äoUue dea änu«ten
Tageldhnert CMIIe und Q«iie so <finden nnd zn ntteB."
Als er aber gar schrieb: „Wir tiiid dem Ebeobflde Gottes Im Veoseheii,
muem Bridem, mehr schnldig. Oder Ist nnserHsn todt, dass wir nicht melir
sehen, nicht fahlen die Seele, die in dem Sohne unseres Knechtes lebt und mit
uns nach der ganzen Befriedigung ihrer Menschheit dilrstet? Nein, der Sohn
der Elenden, der Verlorenen, Unglücklichen ist nicht dazu da, blos um das Rad
an treibeiii dwen Qaag siaea rtoiaen Borger emporhebt! Neia! Dalttr ist er
aieht dal MisAranch der Menschheit, wie eaq^ sieh aieia Hers**, da hSrte
die Sljmpadtle tär sein Werk bei dea BegleraMleB gana aaf.
„Gehört denn unseren Mitmenschen." so fragrt er. „die mit gleichen
Xatnrrechtcn wie wir geboren, uns, den Besitzern der Erde, mit g:l*M*chen An-
sprüchen ins Auge sehen, gehört diesen Staatsbürgern, die jede Last der gesell«
scbaftlicben Vereinigung siebenfach tragen, keiae ihre Katar b^Hed^eads
SteUaag in onserer Mitte? Wo findet ela solcher BUdong and lUttel als Er-
sata seiner Naturanfiprfiche an das Gemeinrecht der Erde? Ach. die Gesetz-
g:ebnnfren V^enrir^n dt u Staat und niaclu'ii alle Kronen glänzend, indessen ist
der, so kfuit'ii iiieil an der Wclr hat, zum Voraus vergessen."
Für den weitem Ausbau seines Gutes fehlten Pestalozzi nach der Auf-
Idsang der Ameaaastalt Geld und Menschenhände. Dasselbe rerwilderte ia
dem Grade, dais trotx seiner groAen Aasdehaaag die Haashaltang oft Mangel
an Brot, Kartoffeln und OemOse hatte. Er selbst war in dieser Zeit mdst so
mathloB und gedrückt, dass er in Gefahr stand, sich selbst zu verlieren.
Mit schmerzlicher Theilnahme lesen wir seine klagende Resignation:
„Tausende trelien als Wi rk der Natur im Verderben des Sinuen^renussti«
dahin nnd wollen nichts mehr. Zehntausende erliegen oater der Last der
Gesellschaft, ihres Haameiat ihrer Nadel, ihrer BDe «nd ihrer Krone; rie
wollen nidits mehr. Ich kenne einen Mensehen, der mehr woUte, In ihm Isf
die Wonne der Unschuld und ein Glaube an die Menschen, den wenige Sterb-
liche kennen, sein Herz war zur Frenndsehaft g'eschaffen ; Liebe wai- sein«
Natur und Treue seine innigste Neigung. — Aber er war kein Werk der
Welt; er passte in keine Ecke derselben. Und die Welt, die ihn also hrn^
die nicht ftagte, ob dareh seine Schuld oder die Schuld eiims andern? aar
schlug ihn mit ihrem eisernen Hammer, wie die Maurer einen unbrauchbaren
Stein zum Lückenfüllen mit den schlechtesten Brocken. Noch zerschlasren
glaubte er an das Menächengeschlecht mehr als an sich ^Iber, setzte sich
einen Zweck vor und lernte unter blutigen Leiden für diesen Zweck, was
wenige Stetbliche kSnnen. Allgemein brauchbar kennte er nicht aiehr werden^
und er wollte es aadi nicht; aber für seinen Zweck v^nirde er es mehr, ala
irgend Finpr Er erwartete jetzt Gerechtigkeit von dem GesoUeehte, das er
noch Immer iiannlos liebte- und erhielt sie nicht!"* —
„Das war das Saudkuiii auf der stehenden Wage des Elends. Er im nicht
mehr; da kennst ihn nicht mehr; was Tsn ihm ilbdg ist, sind swillttete
Spuren seines zertretenen Daseins. — Er AeL So f&Ut eine Frucht, wenn der
Nordwind sie in ihrer Blüte verletzt nnd nagende Wflrmer ihre Eingeweide
zerfressen, unreif vom Baume. Wanderer, schenk' ihr eine Thrftae. Noch im
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Fallen nf^iVte sie ihr Haupt f^es;fn den Stamm, an dessen Ästen, sie ihren Som-
mer durchkratikte, und lispelte dem Horchendea börbar: Auch vergehend
will ich seine Warzela noch stärken!*'
n. Elinbetli Krtsi, geb. NIt
1762—1836.
In ehen dieser Zeit meldete sich eine kaum 20jähri^fe Person zum Dienst
in seinem Hanse in der bestimmten Absicht, dem so verlassenen Frpmnl der
Armen helfend zur Seite zu stelien. £b war eine Tochter des Leheumanns
Sndolf Nftf von Kappel und Zürich, mit Namen Elisabeth; sie stammte
•n» der in der QMchichte des Kappeler Krieges mit Bnhm genannten Familie
Näf von Kappel, die von der Stadt Zürich zum Dank fOr die Tapferkeit ilirer
Söline mit dem Bürgerrecht beehrte wurde.
Ihr Streben ging zunächst daliin, den Hof wieder in Auinahnie zu bringen.
Sie fimd noch von anderer Seite Anerkennung und Unterstützung.
Emannel FrOhlieli von Brogg, der Vater des bekannten INehters, er*
tfUt in seinen „Erinnemngen an Vater Pestalozzi" : „Der Hof (Nenhof ge-
nannt) war groß genug, dass nicht nur Bmr s-» nti2- für die Hauslialtung hätte
geplianzt. sondern noch Fmcht verkauft wirken können, und doch hatte die
Haushaltung oft Mangel an Brot, bis diese Magd kam. Sie sorgte dafür, dass
wenigstens Bret genng fOr die Hanshaltnng gepianzt nnd das Land fibeilianpt
besser bebavt nnd benutzt wurde, und erhob sich durch dieses verstandige
Walten von einer Ma?d zu einer Haushälterin." F.in Ranrifi Kaufmann. Felix
Battier, ein ,.Mann voll kühner Entwürfe nnd großer Knut'", lernte um diese
Zeit Pestalozzi kennen, ersuunte über den Geist nnd das Schicksal desselben
md bot ilun die Frenndeefaand. Er ließ das Qnt nntersnehen, gab Kittel an
beeserm Anbau, und der Erfolg war bei dem yeistlndigen Walten der Hana>
hsiterir T.i^abeth ein günstiger. £& kam nnn eine, wenn auch nieht sorgen-
lose, doch treundlichere Zeit.
Nicolovius, der spätere preußische Minister, welcher im Jahre 1791
Pestalozsi anf seinem Nenhof besnehte, berichtet ttber die „Lisabeth" also:
„Eine Dienstmagd, die in der Familie gedient hattet iBkd non den dXtea
Brotherrn durch den Tixl verlor, kam zu Pestalozzi. Sie hatte ihn schon
früher gekannt, wusste sein Unglück und kam zu iielten. Pestalozzi weiß:erte
sich, sie in sein Elend aufzunehmen; da seine Gründe ihr aber uicbt galten,
nuHSle nachgeben. Noch ein Bedenken blieb. Er liasste von Jdier Wort-
lorlaierei, sefai Lriden liatte ihn noch stnmmcr granacht. Die fromme Hi^
liebte Beten und Gesang. „Ihr werdet euch an uns ärgern", sagte er ihr, „aber
bald werdet ihr es merken, dass aneh unter uns Ootf ist •• Sie nahm kein
Ärgernis nnd gab anch keines. Ein muthiges, theiluehmeudes Wesen war nun
in das unglückliche Hans gekommen. Sie baute mit eigenen Htoden erst wenig,
bald immer mehr Laad an Garten; Beinliehiceit kam in das Hans xnrttek nnd
anf den ordentlichen Tisch frische Nahinng. Der kleine Garten gab Hoffnung
ftr das größere Feld, sobald andi diesem nur die Hände gebotw wnrden. So
s
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— 654 —
kam an« Ii anfl^-bend»-» X'i^rtranen nnter das aniie Dach. Die stille TLätigktit
die&eti Weibe» woide ä|>äter vou Pestalozzi zum Bilde seiner Gertrad ideali-
•irt, von der «r in derBegeittenmcr daiik1iu«r Bewondenuig aast: ,4«^ nOehto ao
gen viel von dieser Fran reden, und weiß so wenig tos ihr zn ^xgen. ttod hingegen
kann ii Ii so viel von den Schelmen reden. Ich möchte dennoch ein Bild sm lien
von (lit'scr Frau, damit sie dir lebliaft vor Angren sdiwebe nnd ihr still. s Thun
dir immer unvei^esslich bleibe. Es ist viel, wa* ich sagen will, aber ich
< flcbene mieli nieht, es sn sagen: So gehet die Sonne Gottes Tom Vorgen bis
mm Ahend ihre Bahn; dein Ange bemerkt keinen ihrer Schritte, nnd df in Ohr
li5rt ihren Lauf nicht. Aber h*'i ihit in rnt<»i'g'anj;^f woißest do, dass sie wieder
aufstellt nnd fortwirkt, die Erde zu wilrnien, bis ihre Früfhte reif sind. Es
ist viel, wa« ich sage, aber ich scheue mich nicht es zn sagen: Dieses Bild der
großen Xtttter, die filier der Eide MbwehC, ist dae Bild der Oertrnd nnd eines
Jeden Weihet, das seine Wohnetnbenam HeOigthnue Gottes eriieU nnd o1» Mann
nnd Kindern den Himmel verdient."
„Ich sollte die Frau sehen, der er so viel dankte, aber sie zei^e sich
nicht £^ führte mich in die Gegend des Feldes, wo sie arbeitete, und er-
Imndigte aieli tel ihr nadi mandierlei, nm mir Aidaas an geben, sie ina Ange
zn fassen. Abcnda sagte mir Pestaloasi: ,Jlir wiest, ms sie uns ist, nnd
versteht es. Wir haben sie an nnserm Tisch. Lasst es anch heute so sein. *
Sie kam aber nicht und woUte nicht kommen, bis sie mir, dem Fremden, es
abzuschlagen sich scheute. Ein sonderbarer Glanz demäthiger Bescheidenlieit
war in ihrem Wesen, falls (är solche Eigenschaften der Ansdrack Glanz passet."
An Lavater schrieb Pestaloasi im Deoember 1788 aber die Lisa-
beth: „Die Person, deren fehlerhaften ümriss ich Ihnen zeigte, ist fBr ein
paar Woehon in Zflrich. Ich weiß, Sie fassen ein Oesicht gern ins Aug, das
männliche Fertigkeit in einem solchen Grade, wie ich sie noch in keinem Weib
fand, mit einem gleich großen Grad sich hingebender und ganz aufopfernder Gfite
▼erUndet, in sidi selbst — Ibst dirfte ich sagen: firnt immer nnd ftst gans
in dem Sinn, wie Sie das Wort in Ihren Regeln $ 206 (?) nehmen — nnd
alles nm sic)i her humanisirt"
„Dieses Oresicht. das g-ewiss die innere Eihabenheit seines geprüften
Charakters Iluem Forscherauge ganz zeigt, wollte ich Ihnen zeigen and
schreibe Ihnen diese Zeilen, damit ich einen Anlass habe, die Person Ihnen
znzn»chi( ken."
„Finden Sie viel weniger als ich ahne, so bitte ich Sie um ein Wort
Ihrer Walirheit. Ich lege die Last meiner Lebenswünsche auf die Schultern
der Person, die vor Ihnen steht, und ich weiß, Sie kennen den Mann kaom, der
mir, wie ich bin, was ich bedarf, mehr leisten kSnnte.'*
..Kiinnen Sie, so machen Sie selbige Aber eine MenspJiHrhkaitSpAngelegen-
heit reden, und ich bin iibcrzenj^t, Sie finden sie nicht unter meinem Unheil. '
Drei Wocijen später: ..Auch meine liebe Näf, auf die icli alUs baue,
stelle ich Ihnen wieder vor Aogen. Ich fand es ancb, dass im Schattenriss ihre
Güte nicht merlüich ansgedrftekt ist GOnnen Sie ihr, wenn Sie klinnen, einige
Angenblicke. Ich mnss mich sehr irren, wenn Sie weniger linden als ich er*
fthren.''
Die Tüchtigkeit nnd Znverln.'!$igrkeit der Lisa beth bewährte sich auch in den
schweren Prüfungen, welche die iiUtem Pestalozzi in ihrem einzigen Sohne trat.
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— ööö —
Dieser Sehn, Jakob> geb. 1770, war von Jugend anf zart, vielfteb
körperlichen Störungen ausgesetzt. Die geistige .Begabung stieg nieht
über das Mittelmaß, Enerpif nnd Ansdan^^r entsprachen derselben. Im
Gewirr der Haoshaltungssorgeu tand der Knabe auch nicht die uütliige Leitung
nnd Pflege, da die Mutter meist leidend war. Im Herbst 1782 wtirde er dem
PfeiMsciien BiBtItnt ftbeigeben. Der Vater ermalinte ibn, »MHl, fleiBig, be-
dachtig, reinlieh, gehorsam zu sein, die Unordnungen und Unanständigkeiten
der b;l!ierif5chen Sitten sich abzugewöhnen, in allen Dingen mit Anstlln«liü'k<Mt
zxi handeln. Mein Kind, Du bist auf Erden mein Alles. Um Deinetwillen freut
mich mein Leben; um Deinetwillen ist mir jede Arbeit leicht, um Deinetwillen
liabe ieh melir gelitten, als idi fiut habe tragen nU^nen. Es stellt jetst an Dir,
mich mit Frende and Wonne zu belohnen. Es wird geschehen, wenn Du mit
Eifer und Fleiß Dich ?a\ einem ordentlichen Bemf vorbereit! ii nnd zeigen wirst,
dass meine Glite und die Sclionung, die I>ii zur Zeit Deiner Jugenil bei mir ge-
nossen, nicht vergeblich gewesen, sondern dass Du ein braverer Junge bist, als
di^en^n werden, welche in d«r Jugend ndir geplagt worden."
Im Jahre 1784 kam Jakob als Lehrling in das Haus Battier in Basel,
wo er bis 1788 lü b. Er befriedigte jeflr ch seinen Lebrhemi trotz vor-
herrschender üutiijiithi^keit nicht ^anz. Frau BattifM- srbrieb im Februar
1785 an dessen Mutter: „Arbeitsauikcit und Acht&amkeit fehlt Jacques.
Gestein Abend kau er an mir; idi fragte ihn: Nun, wie ist's, Jacques, sind
die Herren im Conptoir mit dir anfirieden? Erst zauderte er, dann sagte er:
Ich g^laube ja. Bei Tisch frag:te ihn mein lieber Mann: Nun, Jacques, hast du
deinem Vatei- geschrieben? Nein. Was hast du getlian? Nichts. Ein An«
gestellter sagte, er thue nur hemrozieheD; er sei niclit mit ihm zufrieden.
Hein Hann gab Jacques vor aUen einen derben Verweis; nnn hoffe ich, es
werde fruchten. Heate sohlen er mir ^ wenig gedemtttiiigt. Er soll Ihnen
geschrieben liaben. Er ist ganz gesund und verspricht Bessening,*'
Ihn zierten daneben die wertvollsten Tugenden der Jugend: die Auf-
richtigkeit und Willigkeit. Das sehen wir z. B. ans einem Briefe an &Q'mtn
Vater, d. d. 11. Aognst 1786, worin er n. a. sehreibt: „Letzten Montag, wie
war Idi hei Herrn Pfiunrer Miville. Der sagte mir, Dn sdest sehr
betrübt wegen der letzten Fatalitftt, die ich mit Herrn Battier gehabt. Er
pagte mir dabei, ich noU«^ mn !) nun befleiBen, meine Fehler auszubessei n nnd
alle«, was ich thue, mit einer Achtsamkeit thun, dass ich mich Ins „Uleis'
schwinge, dass alles mit mir zufrieden sein könne. Ich solle auch nach dem Nacht-
essen ans einem Buche, so er mir gab, gelitdlg abschreiben nnd dann wieder
6 oder 4 Linien so sdion wie mdgUch. Ich habe den Auftrag mit Freude nnd
Dank angenommen, auch schon angefangen zu schreiben, auf eine Seite recht
schon, auf die andere so geschwind, als ich ins Copirbneh schreibe. Ich werde
es ihm künftigen Montag bringen und schauen, was er dazu sagt. Sobald die
Schrift in Ende ist, schicke ich sie Dir.
Lebe wol, ich sdneibe Dir am Dienstag wieder nnd bin ewig Dein ge^
tiener Solm Jakob Pestalozzi.'^
1788 keiirte Jakob zu seinen Eltern zurück und besdiäftigte »ich im
Haushalt nach seinen Kräften. Im August 1791 verlieirathete er sich mit
Anna Magdalena Frtfhlich tmi Brugg. Er wnrde seines Lebens nie recht
ftoh. Rhenmatiseh-gichtisehe Ldden, mit epUe]>tischen AnlUten verbnnden,
Vmiato^mm, I. MuiMic. IZ. Heft. 36
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— 556 —
■achten ihn bald nach sf'incr V*>rhoirathang heim, wiederholten sich immer
hAnfiger und ersclifSpften seinen Muth und sdne Kraft v5lHir. in diesen
schweren Tajfen der Krankheit war Lisabeth neben «einer Gattin di-^ ee-
treneste Pflegerin. Wir iMea im Tagebache der Matter Pestalozzi: „Itu
April 1800 bekam «iiMr JuqiiM «iedor eim sebr ichwen KrtnldMit
Seine Anfäl!*' von Gicht war^n bo heftig, dnae wir endlich sein Ende von
nattnng nahe glaubten. Eints-p Z 'ir v orher wurden ilim seine rechte Seite,
Arm und Bein eontract. und es bl»nU( wenig zu lioffen, daaü dies wieder besser
werde. Diese Krankheit dauerte, bis es sich zum Leben oder Tod entsdiiedf
9 Ttig^ Seine Fmn vnd Liisbeth erwieeen ibm Tagr vnd Knchl in>
ermUdeten Beiatnid nnd Treue. Mich ließ man von Hallweii und den Papa
von Bnrg-dorf kommen. Ach. wenn ich vor ihm sterbe und er riurli diese Zeilen
liest, 80 mögen sie doch sein Herz bewegen und ihn zur (.ieduid uiid Dankbar
keit gegen die Seinigen erwecken. Denn sein Verlaageu nach Wiedtriicr-
■teUniig mnebte ibn eehr nngednldig.
Im folgenden Jahr erlagr der Junge Mann seinen Leidat Das Tagebiek
berichtet: 1801 , dt^i 15. Anß;Tist, Abends 8 ülir. starb unser liebes einzige«
Kind. Im Monat Mai befiel ihn wiederum nnf "\rip s. hr lirtrfiVit*» "VWi.^e ^ine
Krankheit, so dass ich von meinem lieben iiailweii wieder hciutberuteu wurde.
Be leidrte in etUcb« Wochen wiedonm rar Benemng ein. Ick wwde nack
Ztrieh na Lisette Sehnltbeaa, Bmder Heinrichs Tochter^ beraftn. leb wnr ntr
8 Tage dort; da schrieb mir meine Sohnsfrau, dass er sehr schlecht lei
und nnin wiederum sein Ende l>efiirchle. Wie ich aber ztiHlckkam. schien es
wieder besser mit ihm zu werden, ausgenommen, dass man Um seit dieser
Zeit auf d^ Armen hintragen muaste, wann er auiki- dem Bett sein konnte
und wüosckte. Das tbat die getreue Liaabeth mit einer Sehonnn; nd Geduld,
die Ihr Gott vergeltaD wolle, wie anch aeiner trenen Gattin. Diese zwei Per-
sonen liebte er und sie ihn. dass er keinen AngenMi k fmh und nüiig aetn
konnte, wenn sie sich nur eine kleine Zeit von ihm eiiiirrntien.
„Endlich eri»ch wachte die Natur so nach und nach, äeiue Zufalle kamen
anf eine nateraebeidendere Art als sie Ua dabin ersehienen. Die Znnge war
getroffen nnd das Ged.lcbtnis geecbwldit, so dass er bei vieler Zeit mw einietae
Worte auB^prechen konnte und nur wenigr redete. Sein Leben war kern
Leben mehr. Aber dennoch hatten wirHoffnnnfr. da.ss es noch keine Ändenmc
gebe, sondern er uns noch eine Zeitlang vom lieben (rott gescheolct bleiben
werde. EadUek geflel ea Oett, durch efaien aanften Tod ibn tu aick la
nehmen. Er fing an, viel gelassener zu werden, verfiel in eine Art von
sanftem S<'hlammer. in dem seine Lebensgrei.ster nach und nacli abnahmen.
ddm er nicht mehr ganz aus diesem dclilummer ♦•r^\ aclitc, bis er ganz und für
ewig entsctklief. — Friede, sanfter Friede (joiteä sei in seiner Gruft. —
Gottes Erbarmen ftber ihn nnd seinen entflohenen Geist Er wolle dir, treo»
liebes Kind, einen schönen reichen Ersatz fOr deine fibentandenen Leiden
sdienken. Erbarme, erbarme dich unser aller und gib uns Kraft im Leir!>^^n.
das nns noch bevoreteht, und Deniuth im Glück, das« wir dein Reich uni
deine Seligkeit allem andern vorziehen. — Ein großes Werk, das» des heben
seligen Vater mit Erziehung junger Leute in Bnrgdorf angefangen, Undarte
dieaen guten, lieben Gatten ihn noch zn sehen. Aneh mir wnr ea nicht Te^
iflmif ihm bei seinem Ende nahe sn sein. Ich begab mlcfa, da ich mich sicher
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glnJbitt, wieder nach Hallweil und durch Verseheu dma Briefes kam ich zu
spÄt. seinem Ende beizuwohnen. Aber Gott vergönnte mir noch die unaus-
sprechliche Freude, ihn todt auf seinem I^ager in seiner fingeisg^estalt zu sehen.
Seine Miene und sein Hund wann Beweise der Gllte aebuB Gottes, 4ass er
{ha nm Sögel in seinem Hinmiel avIiBenomnieii hat» Anbetung nnd Dank sei
flns in Ewigkeit!«'
Bald nach dem Tode dieses schwer i^epriiften jnn^n Mannes ging Lisa-
beth zu Vater Pestalozzi nach Bmgdorf, um diesem in der Leitung s^^ine*}
anwachsenden Hauswesens behilflich zu sein. Sie hatte Marianne, das
Älteste Kind Jakob Festalosai's, geb. 1795, bei sich. Dieses fing bald an zn
totnketn imd bahrte Im FHIbjahr 1802 naeb Neohof anrttek, wo es Bade
Apifl staxb. Im Tagebuch der Großmvtfter Pestalozzi findet sich dardber
folg-ende Aufzeichnung: ^Den 28. April 1802 starb iins«>r hVbps Marianne,
im siebenten Jalir seines Alters. Es wai' ein schönes, boiiuungsvuUeü Kind,
das uns viel Freude gewährte. Seine Krankheit bestand in einer Art Aus*
sebnng; es krtakelte ISut ein Jahr. Ach, inn«rt JahresMit mnsste es seioMn
lieben Vater nachfolgen. Es ist merkwflidig, dass es hier in diesem Büchlein
gerade die erste Person aus nnserm Hause ist, die ihm nachfolgt. Es war
verpflegt vai unserer treuen Lisabeth gleich seinem Vater selig bis an sein
£nde. Acht Tage vor seinem Tode begelute es noch vuu Buigdorf, da es seit
einedi Jahr war, hdm In den Neohol"
üm diese Zeit Terbeirathete sieh Elisabetha Nftf mit Matthias
Krttsi von Gais, dem Bmder des bekannten ältesten Odülfen Pestalaasi's.
IMeses Ereignis erwähnt Frau Pestalozzi mit folgenden Worten:
Unsere liebe Lisabeth verfieirathete sich mit Matthias Krüsi von
Oaia aus dem Appenzellerland. Beide bleiben bei uns. Gott gebe, dass diese
Heirat glttekMi nnd gesegnet sei, denn Lisabeth hat dnreh ihre Treve
gegen uns Segen verdient*'.*)
Lisabeth und ilir Mann >>esorgten nun die Ökonomie auf dem Neuhof.
Mutter Pestalo^'zi mul ihr Enkel Gottlieb, geb. 1797. der einzige Sohn
des verstorbeneu Jakub, blieben bis November ebenfalls da, während die
junge Witwe Pestalosai naeh Borgdorf ging, nm den dortigen Hamhalt
zn leiten.
Am 25. November 1802 siedelte Mutter Pestalozzi mit ihrem Enkel
nm-h nach Burgdorf über. Im Frühjahr 180H wurde sie von schwerer Krank-
heit befallen und glaubte sich dem Tode nahe. In ihren herzlichen Abschieds-
werten an die Ihrigen vergisst sie anch die Lisabeth nioht: „Ich gedenke
liier mit Dank nnd Liebe nnserer getrenen lieben Lisabeth. Segen folge dir
aof allen deinen Wegen. Dsss meine Lieben deiner Treue gedenken wardea,
dessen bist dn v*>rsiehert."
Lisabeth blieb auf dem Neuhof bis im Sommer i8U4, da Pestalozzi
mit BuB nnd Barraud wieder eine kleine Anstalt in Iferten eröflfiiete.
*)Ans dieser Ehe stammte ein einziges Kind, ein Knabe, geb. den 3. MMia 1803.
Er war und blieb ein Sorgenkind. Er erwachte nie zu bewoMtna gdstigen ^bea;
war nnd blieb blödsinnig. Näheres folgt weiter unten.
36*
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Dieser stund aie san als Haashälterin , ja als Hansmatter vor and löste ihre
Anfeabe vortrpff!iV}i ,T>i<' <Tprtrud. lierichtet Mnralt illl Beoenber 1804
in seineiu Tatrt'bnch. soll sranz aiißi-rordeutlich soin."
Im Frühjahr 1805 war Lisabeth auf Besuch im Neohot Sie eikiaokte
daaellwt Die Naditidit davon erregte in PestalosEi eogleieh grete Besorg-
nia. „Daa Unwoiaein der Lisabeth'% ediiieb er an seine Sehnafran jJluX
mich so ersrhreckt. Ich kann ilurcbans nichts denken, nichts thun, bis ich
weiß. dasK es ilir ^vieder besser geht. Aih. daßs da heute nicht wieder •
schriebest! Es kamen heate, Samatag, wie gebtmi am Freitag Briete ans dem
Aargan; jetit mott feb bie am Dienstag warten, elie ieii cCwaa vomehme, das
in lang. Wenn leb kSnnte, ich liefe so Sndi binnnter, aber idi lunn aidit;
ich bin mehr als angebunden. Schreibe mir doch eilend und alle Fostt-ag^
wie es nm die gute Lisbetli stellt. Tdi \vns«te nicht, wo mein •chwachea
Herz und mein alter Kopf Trost hndeu sollte, wenn sie stürbe"!
Eine Woche später: „Es macht mir iinaiiespredilich bang, dass das
KopfWeh der Lisabeth so bedeutend scheint» Ich bitte dich om Gottes
willen, sdireib mir die Wahrheit umständlich. Versäume docli keinen Fest-
tag mir zu berichten, wie c» mit ihr steht Ich kann nicht abkommen und
kann mich fast nicht abhalten, hinunter zu laufen, zu sehen, wie ts atuh
ist; doch ist es nicht möglich. Bitte sie doch, dass sie alles thue, sich zu
retten. Alles gdit ordentUch. Wenn nnr Lisabeth lebt, das andeie'wird
gewiss gehen."
Sie erholte wich bald, gewann wieder ihre frühere Gesundheit und Kraft.
Wie freute sich Pestah^zzi. Er lud sie zur Riirkkehr ein: „Liebe Lisa-
beth, ich hoife, du seiest in der „Steingmbe" (Haus m Zürich, wo sie auf
BesQdi war) so gesund worden, dass da es bald wieder bd Hans ond Hof
erleiden magst. Du musst kommen! 'SWin großes Haas Icaan nicht mehr ohne
dich sein! Wenn die Landjilger in der Kutsche fahren würrlen. sn wnrde ich
dich dnrc)i ^i*' abholen lassen. Da das aber nicht ist, so moss ich, denk ich,
selbst kummen, dich zu holen."
In dem „Bericht an die Eltern nnd das PnbUcnm über den gegen-
wärtigen Zvstand nnd die Einrichtung der Pestalonischen Anstdt in Ifertai''
(1808) nennt Pestalozzi Lisabeth eine „practisch ausgezeiclinet kraftvolle,
durch Erfalimiig-en erprobte und zuverlässige Person, die schon hei 30 Jahren
als Hausfreundin iu meinem Dienste steht". Und zu Kamsauer äußerte er
sidi einige Jahre später: „Im Otabe wUrde idi mich nmdrdien nnd im Himmel
nicht se% >dn liSnnen, wfisite ich nicht, dass sie nadi meinem Tode mdir
geehrt würde als idi seihe i-; denn ohne sie würde ich lange nicht mehr leben,
nnd da, Ramsaner, wärest auch nicht, was du bist,"
In Iterten lebte Lisabeth eine lange Keihe von Jahren mit all be-
währter Treue, Kraft und Einsicht Pestalozzi und seiner Anstalt als Haus-
hUteritt, machte auch vidfhch den Zahlmeister and war von allen Hana>
genos.'^en nach ihrer Bedentnng anerkannt nnd geschätzt. Als das Institut
vom .Tahr 1H12 an infolge von Umständen, die hier nicht weiter enirtert
werden kiiniien, in schwere okonomisclie BedrUngrnis gerieth, wnid»- unter Mit-
hilfe de^ Magistrates von Iferten eine ükuuomische Commission zur liegulii oiig
dieser Veriilliiiisse nnd nr FoitlHhrang der Vorwaltang niedergeaetat Da>
dnrch wurde die Stellung der Lisabeth zom Leidwesen Pestaloaais ehie
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■vreniger befriedigende und bedeutsame. In etwelclier Mjssstiniuiim^ ging sie
1814 fOr einige Zelt auf den NeahoC Da aiieh die VerwaltmigeooiiiiiiiaBioii
zu eiiiinnlKdHedigendeiifflele nidit gelangte, riefen Pestalozzi und Niederer
Joseph Schmid in die Anstalt zurück. Mit Joseph Sclimid kam uuch
Lisabeth nach Iferten zurück und nahm die alte Stellung wieder ein. Bald
darauf — 12. December 1815 — stai b Mutter i'estalozzL In ihrem Testa»
uentei d. d. 1. Juni 1814, gedachte sie der Liaabeth also:
„In BetrachtODg, das» unsere geferene. liebe Witwe BUiaabetba Erilii
(ihr Mann starb 1812), geb. Näf yon Kappel, wahrend ihres BOjälirigen
Aufenthaltes bei um «hirch ihre ausgezeichnete nnanssprechliche Treue Auf-
opferung und Auhängigkeit meinen Dank und meine Liebe sich erworben, so
ist mein bestimmter Wille, dass derselben nach meinem Absterben die fl 250;
sage: Onlden xweihandertaadHinlkig (= frs. 683)i welcbe sie von selten Auer
Eltern ererbt und meinem Gatten 1800 angeliehen, inaoliHni er nicht im Falle
wäre, ihr dieselbfn bis dabin abzubczalilen ihr aus meiner Verrangwisver-
lasseiTschaff, verisrütet uml bezahlt werden sollen; femer, dass diese Geti-eue in
üueiu Alter, das jetzo sciion mit Beschwerliclikeiteu sich ankündigt, das sie
aoBer Staad setzen kannte, sich m verpflegen, ihr durch nnsem Ueiben Enkel
Oottlieb, den ich feierlich dazu oCfordere, aller nnr immer mOgUehe Bath
und thiltliehe Hilfe zuteil werde, wo o? mithii» ist, zumalen er sie als seine
mütterliche Freundin wie bis dahin immer lieben und schätzen wird, nicht
weniger als ihren lieben Sohn, Jakob Kriisl, der sowol wegen seiner
aehwachen Geistesf&higkeiten als auch ans Hangel am Sprechen anBer Stand
geaetct ist, sich selbst sn reraorgen, anbei Ihr jährlich bis zu ihrem Ableben
ans meinem Hinterlassenen von ihme Gottlieb Pestalozzi tl. 30. — , sage:
Oulden dreißig (frs 70. — ) als eine Erstattung, die nur gering tur das Unaus-
sprechliche, so sie in nnserm Hause geleistet, ausbezahlt werden solle. Auch
tber ein Gi^itllchen, so in Ztrhdi anf ihrea IKaanes selg. Namen, Kriiai von
GalSr gestellt, seile sie, die Matter, Jedenelt freie Macht haben, selbiges an
«tlieben''.
„Infole-e dieser meiner Willensmeinung sind Herr Rathsherr Vogel als
OuratDr meiueä i:^ukels und Herr Sclürmschreiber Paur als üurator meines
TermSgens hiemit bevoUmftchtigt und beauftragt worden:
Eigenhftndig geschrieben nnd nnterschrieben anr Anhftnge meines
Testaments.
SSttrich, den i. Bracbmonat 18>14.
Anna Pestalocai^Schttlthess.'
Bald nacli dem Tode I i Mutter Pestalozzi geriethen- die Lehrer der
Anstalt in heftige öffentlifli,' F 'lid»^, mehr veranla<«sf als erst vernrsarliT Inrrh
Joseph Schmid's energisches, wol auch einseitiges und rücksichtsloses Ein-
schreiten gegen bequemes Gebenlassen und gegen Willkür und Belieben.
Niederer nnd Krttsi trennten sidi, amn Theil ki Unfrieden, ran- Pesta-
lozzi und d^ Anstalt hk dem hässlichen. den Menschenfreund SO krinkendea
Streit zwischen den genannten frühem Gehilfen Pestalozzi'» nnd Joseph
Schmid hielt Lisabeth einige Jalire fest zu letzterem und eiferte bisweilen
mit Heftigkeit gegen dessen Widersacher. Das entnehmen wir einem Briefe,
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— wo —
den fcie am 15. August 1818 an Frau Neithardt geb. Krösi (Schwester
ihres veretorbenen Mannes) richtete.
Dfeae ihre Sdiwlgfrin Asna xmi ihr Xjum hatten eben INrtien fMgb
ZerwQrfhisses mit Schmid verlassen und vorderhand hti Weilemano, Vor-
steher einer Erziehongsaiuitalt in £mbmb, Kant. Zttrich, akh einquaitiit.
Der Brief lautet:
Liebe Fran S( Investor!
Es freut mich, dass ilir bei Eurem gut^n Freund und seiner Fniu eine
so fpnte Anjfoahme gefanden habt Ich bin einer größeren Sorgfalt sicher, als
Ihr mu fanoMea habt FreOidi glaube ich doeh wenigitaia aaeh oiaBelMa
an Eaeb nad für Eaek gethaa aa haben; aber et half nichta, denn Ener Stola
and Euere Leidenschaft hat Eure Vemanft blfaid und todt gemacht.
Mit jenem Prikte habe ich eipenrli^h meinen Zweck nicht erreicht. Ich
glaubte, trotz uucii so vielen Erfakrnngeu, die ich von Ench hatte, d€Imoch
nicht, dass Ihr so blind und gefühllos für Each lelber wiret, und erwartete
eine sanftere Seite in Enreni Lied, daa Ihr aastinimtet.
Damals konnte ich nicht — aber jetzt kann ich Ench das wahre Ver^
hältnis mit dem benannten Briefe roittheilen: Als ich Henn Schmid sa^te,
was Herr "\Veileniann Etieh (nach Tffrten) peschrieben, erwiderte er ^anz
rnbig: Ich werde Herrn Weilemauu vurläoüg schreiben and ihn warnen
solche Sachea aa Fran Neidhardt aa sehreiben, kh war innerlidi anf daa
iafterfite aufgebracht über Ener Benehmen and über das, was Herr Weile-
mann Euch geschrieben, und al« ü^rr Srhmid in die Klasse ging, ging ich
in seine Stube und sah den Brief an Herrn W^^ilemann auf dem Tiseh, Ihv
daciiie ich: Nun gut, jetzt will ich ihr (der Schwagerin) weine Meinung einmal
sehiiftlicb sagen. Idi glaabte, ea werde Earen blinden Stola aar sehenden
Vernunft bringen und ilir werdet einen sanfteren Ton anstimmen. Aber wie
betrof:^ ich mich auch da. Denn nnpeftthr nacli einer Stunde kämet Ihr und
erklärtet mir. Ilir wollet fort, in einem solchen Hause und bei solchen Leuten
wollet Ihr nicht mehr sein. Ich nahm es noch nicht für ernst anf, überließ
'Endi Eacih selbst and ging. Nadi dem Eseen oUiitet Ihr mir wieder daa
gldehe and dass ihr in 8 oder 4 Tsgen geben wolltet. Ihr wolltet Hem
Weilemanns Brief Herrn Erusi zeigen, damit er sehe, warum Ihr fortgehet.
Ich liVC Euch gehen. Nach dieser ErklArong fknd Herr Schmid nicht mehr
nüthig, Herrn Weilemann zu warnen,
Herr Schmid hatte Herrn Weilemann gern, und er würde gewiss alles
thnn, in Uefaer an bringen. Er ftnd aber sefaieAnsIcht and seine BedHrfiiiese,
die er ihn Hinsieht sdner Vma. Stitote, zu übertrieben. Er sieht gern, wenn
gewisse Lelir^^r Fi-aneri hab*^n. wenn nber diese Lehrer eine Fran als die er^
Grundlage einer bessern Erziehung- darstellen wollen und «rlanben. es ^ei ohne
ein häusliches Verhältnis mit einer Frau keine Erziehung müglicli, und nicht
einmal einsehea, dass in videa Beaieihangen eine Fraa nit Kindeni für Per^
sonen, die nicht fiberar.< kr >ßes Vermrigen haben, auch sehr hinderlich sin«l.
Schmid hat gern mit ruhigen Männern zxi thun, die die Welt nach all^-n
leiten anRehen. Mehrere Male äuBerte er: Es ist schade, dass Weileniann
so in ein beschränktes Horn hineinbläst. Er hätte einige Kräfte ftir Größere«
üiyiiizeü by GoOgle
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gehabt. Bei seinem angelegten Plan, seiner Gemüthsstiiumuug uad Eiuseitigw
keit werde ee em Eude iumer betfer sein, irena man Um in einem «olcbea
hBnalidieii Kfeise, wo er dlet dieses finde, lasse. Es brauche eine eigene
Katur, um in größern Kreisen, wo man auf alles Hüuslit he mehr oder weniß^er
7.xy verzichten hat, gliklilicli zu sein und ein anderes hüusliclies Leben darzu-
»tellen. Herr Schmid glaubt, es gebe auch ein häusliches Leben ohne Frau,
und dieses habe Pestalozzi und mancher andere mehr als hinlänglich be-
wiesen. Wer selbst niehts opfern kann, was er aneh gem hat, ist nleht be«
■enden flhig, für die hVhem BedttrfiüBse des Volkes nnd der Mensehheit
na wirken.
Ich will aber von diesem anfhRren, sonst würdet Ihr sagen: £i, ei, Frau
Krusi wül noch eine Gelehrte werden. —
Aber doch moss ich noch einmal anfangen. Herr Weilemann hat Ench
geschrieben, Herr Schmid kenne kein hftnsUches Leben und Ihr habt es als
wahr behauptet.
Wer hat denn Herrn T^eslalozzi wieder in ein häusliches Leben ein-
gesetzt? Wer hat bemei stiigen Frau noch ein ruhiges Sterbebett bereitet?
Wer beweinte sie redlicli und mit dem Wunsch: möchte sie Gott noch e^i
pau* Jahre erhalten, bei ihrem Hinscheiden nnd bei der Rede, die Herr
Schmid an die Kinder nnd alle Umstehenden richtete, als sie anf dem Bnhe»
bett lag? ^
Wer «ab schon die tausend Dolche, die anf das schwache Herz des alten,
schwachtn Herrn Pestalozzi hinzielten? Wer stund für ihn da wie ein
Schild, wenn alle diese Dokhe auf ilm geworfen wurden? Wer litt und trug
alle die SchraUrangen nnd Listerworte, ifrenn ihr b9ser Wille nicht konnte
vollbracht Werden? Wer suchte ihm wieder ein häusliches Leben m ver-
8chafl"en im Kreise der Seinen? Wer wiinsclite seinen Enkel in seine Arme nnd
an seine 8eite zurück? Wer suchte ihm seine Lebenszwecke und -Wünsche zu
erreichen? Wer opferte sich mit Gut und Blut ihm aut, mciit nur seine Zwecke
an erreichen, sondern noch erfBllt sn sehen. Wer würde, wenn nnsere selige
Frau Custer noch lebte, versuchen, ihr ihr häusliches Leben wieder zu geben?
Wer gab mir mit meinem unglücklichen Kinde mein häusliches nnd s^Hick-
liches Leben? Wer hielt alle Stürme für mich auf? Wer liebt den Enkel
Pestalozzis, wie wenn er sein eigner Sohn wäre? Ach, vieles könnte ich
noch sagen. Und nnn: Wer war es, der dies that?
War es 9pen (etwa) Herr Niederer oder Herr Krttsl eto Ntf oder
Nabhola oder Marx oder Schneider (ider Stern oder Leuzinger oder
Catt oder Ileldenmeier oder Lauz oder Fellenberg oder - — ich könnte
noch viel sagen. Uder glaubt Ihr öpen, Herr Weilemann habe es gethan?
Ja, er zeigte es in seinem letzten Briefe. Oder habt Ihr es etwa gethan?
Ja, Ihr neigtet es anch!
Non, wer hat es denn gethan? War es nieht Henr Schmid, den Eaer
Weile mann so eharakterisirt, von dem er so Terftehtlich sehiieb, ohne
an denken?
Ea that mir weh, auch von Herrn Weilemann dies zu hören, dam
gewiss hatte Herr Schmid große Achtung tur ihn nnd Zutrauen zu ihm.
Aber er hatte sfdi sehr betrogen an ihm, wie anch ich, denn ich sch&tste nnd
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Itobte Um, wenn er echon Totk wir. Wnmm sollte ich nicbtV Hein seliger
Mn&n war ja anch roth. — Jetet Iftntet es 3 übri die Put will gehen.
Lebet woL
Immer die gleiche
Lisabetb.
Den lö. AugUÄt 1818.
N. Seh. Umt Schmid weiß nicht, daas ich £ach etwas achreibe.
Daa gnte Einvernehmen mit Schmid dauerte jedoch nicht mehr lange.
Dieser lieft seine zwei S ]i\ t' m kommen und Lisabeth wurde bi-i Seite
gestellt. -Dir» alte Freundin und Vertraute Pestalozzis. Fran Ki tisi-. er-
zählt Jeiein. Meyer, „die Mutter der Kranken, di»- J^flfgerin der Armen,
deren sielt alle frülieru Zöglinge mit Liebe eriuueru, wuide vuu ilueiii Pusten
entfernf*, oder, wie Ramsaner sidi ansdrfickt, ^^veistoften". Im Bewnmt-
sein dessen, ^vas sie war, was sie über 8 Dezennien geleistet liatte and nocU
lebteto, bei der großm Selbstständigkeit ihres Charakters und bei ihrer Hef-
tigkeit gegenöber notorischem rnrerlit, nahm Lisabeth iliie Beseitigung
nicht mit (ileichmath auf. Es kam zu scharfen (JuUisiuueu, aber Schmid
blieb Meister. Dass nnd warom Pestaloisi sdne alte Freundin nicht
schfitxte, nicht halten nnd schfltsan konnte, so sdir er bei dieser Wendong der
Dinpe leiden mochte, ergibt sich ans dem, was mhiq-e nnd unbefangene Zeugen,
wie Ramsaner undKriisi. Uber sein Verhiiltuiff zu Selunid berichten:
Pestalozzi habe unter dem schilfumen, ökonomischen Zustand des lustitots
sehr gelitten. Keiner seiner Lehrer habe etwas von Hanshaltangsweaen
standen, keinem seien Geldangelegenheiten wichtig genng Torgekommea.
Schmid habe nach seiner Rückkehr diese Seite der Leitung übernommen, die
Saclie, das „Geldsammelu** habe er vortrefflieh verstanden, veintanden alte
Schulden von Zöglingen nnd andere einzutreiben, einen äußerst vortheilbaülea
Contract mit v. Cotta über die Gesammtausgabe der Pestalozzischen Weike
absnschliefien und dadurch Pestalossis so nnbedingtee Vertrauen erworben,
dass er nach ^^'iUk^r habe schalten und walten können. In der innem
Orgaai?sati«in der Anstalt habe er sicli gewisse Staatseinrichtungen zum ^'orb^I(l
genommen, wo das Spionen wesen zur Handhabung strenger Polizei durch-
greifend gehandhabi werde, wo die untergeordneten Angestellten als willen-
lose Werkzeuge die Befdble der hShem Beamtfti zn vollciehen bitten , ohne
ihrer Individualität den mindesten Spielraum zu gestatten. In die.se Ma.*ehine
hinein hatte ir)?end welche Selbstständigkeit nicht g-epasst. ..Pestalozzi sah
in diesem Manne mit einem ore'snssen Strdz einen Zögling der Methode und
weidete sich an dessen aufstrebender Krat^, durch welche er die Abnahme der
sdnigNi an metaen wKhnte nnd an dessen nnennttdeter Tätigkeit, ohne die
bOse Bichtoog an ahnen, welche jene Kraft nnd diese Thätigkeit benita
genommen hatten und dei- .sie, einmal in Lauf gesetzt, nnauilialtsara zn folgen
gezwungen waren. Rolieit machte .sich als Kraft, Frechheit als >fiiMt Will-
ktlr als Freiheit, Hinterlist als Klugheit, Argwohn als Vorsicht, \ eruu^aich-
kdt als Gewandtheit, Spionage als Wachsamkeit, Vemlditnng aller Indivi*
dnalitftt als Regiernngsknnst geltend. Die Selhstsncfat gewann die Oberhand.
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Dieselbe erscheint alter n!»'' in ilir»^- wahren (TestRlt, weil sie, al'; snlchp sich
darst«Uend, jedem Redlidieu Absehen eiutiößeu müsste; sondern sie hüllt sich
io das Gewand ü^end einer Tugend, um vorerst Duldung, im günstigen
Aiig«iiblick dann die angestrebte Geltang n erlangen. Dkaea Uidarant ist
am gefährlichsten, wo es um irgend etwas Out«'», Wert\ ollea, Edles sich rankt
and mit demselben aufwachsend ihm zum Schmuck zu lioiun scheint. Das
Unglück des Hanses war, dass der zwar immer g-leicli giUiuüthige, aber an
Alter fortschreitende, an Kräften abnehmende Vater jene Verkleidung und \'ei-
kappnnir sieht n eritennen Tennodite, daher er auch dieWanrang surWadi'
sanikelt Ar fibertriebene Ängstliclikeit und ungerechtes MLsstrauen hielt md
selber misstranlsch wurde gegen diejenigen, die ihn anf liV Gefahren aufmerk-
sam machten, welche von dieser Seite seinem Werke djohten. ^'on da an
wich der Friede aus seinem Hause, und der wachsenden Selbstsucht war nicht
nnr ein weiterer Splelranm, sondern anch Schnta gegen jeden Widerstand
gesiehert.*
(Fortsetsang folgt.)
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Bremer Tage.
Ein Jttbel-Üehcbt von Dr. JPatU Schramm'Müncken,
Prolog.
Stürmisch uud wechsolvöll ist die Vergaiigt-nlieit der AUgemeiüeii Deutschen
Lehrerversammlmig. Ein Kind des völkergescliichtliciien Jahres 48, war sie
MhoB in nrt«r Jugend Gegenstand vielfadiw Veriblgang:; in ihren Annakn
flnd«n wir peinlidie Gcadiidite von HiMrtranen nnd AhaBtgwg nnd Ver>
Mndemngsmaßregeln. Die Regierangen tränmten in den fünfziger Jahren
fohwrrf Träume: liaimloee Kleinigkeiten wurden als straffällig verfoljrt. nnd
ein Häuflein deuti>i:her Lehrer vermochte den Schlaf der Gewalthaber zu be-
nnmhigen. Es war eine arme, dttire Zeit Was ein „canailleuM«*' Jahr
reyolationirt hattej durfte die Reaction nicht lanctioniren nnd legalisben. '
Sdinell also ward das Eindäinmungswerk begonnen nnd fbrtgefShrt. Der
jnnge Lehrerbund tpusste di»' „bedenkliche" Vereinsform cassiren und sich
für die harmlosere der „WauderversaiMuUuugen' eiitschlieiien. Aber j>*;il>8t
diese Wanderversammlungen hatten sich durch allerlei Noth und Trübsal zu
aehlageoi nnd in manchem Jahre worde es ihnen schwer, ein Asyl sa finden
für Verstttadigmig und Einigung.
Wenn gleichwol die A!!''H?neine Deutsche Lehrerversammlnni? in einem
Zeiträume von über drei Dei/eiinieii nur dreimal sistirt werden mußte, wenn
sie schließlich sogar in Berlin, aus dem sie 18 Jahre lang verbannt gewesen,
ihren ^etlichen Einzog halten dorfte, so dankt sie das vor allem dem Ideali»-
muB, der Ausdauer und Energie jener charaktervollen Männer, die dem Kinde *
zn I'athen standen, die dessen Initiatoren. Füiderer und Wegweiser waren,
zum riieii es noch sind. Um» i< Ii Namen nennen? Sie alle sind ja bekannt,
die unerschrockenen Ritter von der Tafelrunde, mit denen sich die ersten freien
ElngelMdiläge des pädagogischen Wofftes r^«n and Terbüidett, mit denen sidi
die starken Säulen des pftdagogischen Jungdeutschlands aufbauen.
Man hat eifrig versucht, den Ruf der Allgemeinen Deutschen Lehrer-
versammlnng zu verungiimpfeu. Es ist nicht gelung^en. Im (Tegentheil: di^
Allgem. Deutsche Lehrerversammlung darf sich mit einigem Stolze sagen, dass
sie nnnnterhroehen ein tiefes Interesse auf grolle Entfemongen hin n enrocken
▼ermocht, nnd dass ihr Name ebken lant» Ifabnnif hedentet für die plda-
gogische Thätigkeit in Deutschland. Mitten in den hochgehenden Wogen der
politischen Reaction war «i»' durch mehr als ein .Tahrzehnt hindurch die einsriffp
Zufluchtsstätte der deutsclieu Pädagogik, der einzige Ort, wo das gepresete
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Lehrerhrrz, ermuthigt dnrch OesinnnngsRenogfien an.« allen Gaaen des Vater-
landet>, seine Bedrängnisse, seine Wünsche aassprecheu konnte. Unberührt
TOB der UlgUeheii ZenJssenheit Deutechlands vereinigte sie die Vertreter
aller vftteriXndiaeheii Scholen imil reprtaentlrCe wenigstens eine dentsohe
Pftdagogik.
ist denn die Alle'emeinc Deinsf lieLehrerve!saTnm]TiTi<r das Wahrzeichen
der deutschen Pädagogik geworden; und wie die Lakedamoiüer mit dem Bilde
des Polydoros siegelten, des großen und glücklichen Königs, in det^u Sinne
sie ihr OeneiaweBen weiter m fSfaren wünschten , so werden sieh um Jenes
Wahrzeichen nlleieit die Mftnnsr sammeln, welche mit don Bistienge des
Geistes die pädagogische Ehre vprtrft^n haben.
Der 25. Allgemeinen Deutschen Lehrervergammlung ward in Bremen
eine gastliche Stätte bereitet. An 1500 Lehrer aus allen Gauen des weiten
dentaehen Vatwlandes wurra während da* Pfingsten naeh der alten, fteien
Hauestadt gekommen, um dort das Fest des heiligen Geistes in ihrer Weise
zn feiern, üherrascht betrat der Fremde die Stralien Bremen?. Fa«t sämmt-
liche Oebände war^n testlich geschmückt, ja gelbst die Kirche schien sich mit
den Lehrerversamiuluugen ausgesöhnt zu haben: von den Thürmen wehten
mflditlge Fahnen gxfißend nnd eiidadend liemled«r. In gehobener Stivunnng
aOte man jenem Orte so, wo man mit Heine singen dnrfte:
„Wol den Uaime, der den Hafen erreicht hat
T'^nd jft7o wftm titi«1 rnhig sitaet
Im guten Kätiiäkeller in Brenuen."
Die Vorversammlung.
Dieselbe wnrde Plingstmontag, den 14. Mai, zwischen 8 und 10 Uhr
abends, in dem Kaiaersaal des KttnsUerhavses abgelialteD, um eine Einigung
betreib der WaU des Pritaldimns flr die drei HanptTersammlnngstage zn ei>
zielen nnd nm diejenigen VorttSge provisorisch WA bestimmen, wddM am ersten
Hanptrajre gehört werden sollten. Die Vorversammlnng war von efw«
Personen besucht, ond schon sie zeigte, dass die Allgemeinen Deutschen Lehrer-
versammlangen weder an Farbe noch an Interesse verloren haben. Unter den
Anwesenden bemerltten wir n. a. Dr. Wich. LangO'ffimibnrg» I^. H eler-
Lübeck, Seminardirector Dr. Cr edn er -Bremen, Seminarlehrer Kef erStein-
Hamburg, Rector Dr. S p ec Ii t- Carlsruhe, Oberlehrer Pfeiffer-Fürth, Sichul-
director Dr. Bartels-tiera, Schnlvorsteher I)r. Brüllow-Berlin . l'rofessor
Bopp- Stuttgart. Allgemein vermisst wuide Schulrat Th. Hottmuiiu-iiam-
borgt der vietjSbrige Prtsidrat der Allgemeinen Dentscben Lebrerversamm*
Inngen. In Carlsmhe haben wir den verehrten Mann noch Drisch und rüstig
gesehen in Rede nnd Haltung'. .Jetzt aber h iT I\rrin]<li»'5t seine Kraft ge-
brochen. Er durfte nicht wagen, die verhUltni&uiäliig kiuze Reise vun Ham-
burg nach Bremen zu nnternehmen, und zum erstenmal seit laugen Jahren
mnsste man sich mit dem Oedanken vertraut maclien, dass statt des kleinen^
bl<mden, etwas zngeknöpftmi ItSnndimis ein anderer die Versammlung leiten
wurde. Oberlehrer XI<">rle-Gera, der gegenwärtige Procuraträger der Allgera.
Dentechen Lehrer versammlangen eröläiete die Vorversammlnng, worauf Beal-
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«chul-I)ii Debbe-Brenien die Tlieilnehmer im Nanieu der Bremer Bnrsrer-
imd Lelut'i^cliall mit folgender Ansprache begrüiite: Meine hodig^hrten
Herren! Als von Carlsnlie «tt die Naduridit sidi Bremen kamt ^bui die
26. AUgem. Dentadie Lehrenreimmmlmig hier tegeii werde, wurde dieeelbe
Ton der bremfeeben Lehrerscliaft mit Freuden begrüßt. Diese hat es wol
verstanden, was es heißt, eine solche ^'el•samtnl^ng aufzunehmen; sie war be-
sorgt, ob eii möglich sein werde , diese 25. Versammlang als eine Jubel-
versammlong ihrer Bedeutung entsprechend zn empfangen. Ich kann Ihnen
nun aber die Veniebenrng gelMn* daet wir liei nneeren Vei-berettniigen in
aneerer Vaterstadt nirgmda vergeblich angeklopft, sondern überall ein bereit*
wmifres Entß^t'a^t nkommen gefiinden haben. Hieraus darf ich die Berechtigung
abiiiten. Sie im Namen der hieeigea Börger und Lehrer herzlich willkommen
zn heüien.
Oberlelirer UOrle begrafite hieraiif die Vemmmlmg im Namen dee
Ausadnueea. 36 Jahre sind dahingegangen, seitdem die Allgemeine Deutsche
Lehrerversammlung sieh ans schwaclien Anfängen zn einem st^Ttlii lien Baum
entwickf'lt hat, unter dessen Ästen die dentsch^ relirerweit aus Nord nnd
Süd, aus Out und West sich schart. Viele von denen, die den Baum gepllanzt
ond gepflegt, sind heimgegangen. Wir nftn ihnen iiadk: SeUg sind die Todten!
Ihre Werke folgen ihnen nach. Allen denen, die noch thätig sind, den Baum
gesund nnd frisch zu eihalt- n. sei unser Dank s^ebracht. Möge einst di?
r)0. AUgem. Deutsche Lehrerversanimloug unsere berechtigten Wünsche nnd
Forderottgen erfüllt sehen! Die gegenwärtige Lage ist leider nicht derart,
weitgehende Hofirangai hßgtm zn dürfen. Doch wie ein Frost in derFrfihlings-
naeht wel Blüten vemiehtet, die Natur aber dennoeh neues Leben schafft; wie
der Sturm wol Blüten und Früchte knickt, der Himmel aber dennoch Gedeihen
^bt: so werden auch Licht- nnd Frühlingstage wieder antg-elien in den deut-
schen Lehrerherzen. Halten wir nur alle fest an unseren idealen Bestrebongea!
Nnn wnrde in dra gesehiftUchen TheU der Tsgesordnancr eingetreten.
Ohne Widenpnteh geneiiDiigte die Votrersammlnng den VoncUi^ des Ans-
Schusses, dass morgen der Hauptversainmlnng Realschuldirector Debbe-Breui^
als ei-ster, Seminarlehrer Ha Iben- Hanihnr? als zweiter und Oberlehrer M5rle-
Crera als dritter Voi-sitzeader zur Wald empfohlen werden sollen. Die Aus-
wahl der Vortrage für die drei Hanpttage war nicht ganz leicht, denn es
standen nidit weniger als 18 Themata sarVerfOguig, daranter soldie, weiche
gerade in unserer Zeit ein nicht nur speciell ftkchlicbes, sondern ein allgemein
gesell sf'h:iftliches Interesse in Anspruch nehmen. X<m vielen Seiten Avnrde
laut gewimscht, dass Dr. Dittes am ersten Tag* sj.reche. Nach einer auf-
klärenden Bemerkung Hörle 's, dass Dr. Dittes uucii nicht anwesend luid vui
IDttwodi aneh nieht an erwartm sei, entsdiied ddi die Vorranammlnnir n*
nächst für Dr. Wieb. Lange-Hambarg und Seminardirecter Dr. Credner-
Bremen.
Erster Xag.
Die HaaptversamralOttgen wurden in dem sohüii decorirten großen Concert-
saale des Kiinstlwrvereins abgehalten. HeiTTi KitiTritt in den Saal traf das
Atige sofort auf das wolgetroffene lorbeerumkränzte BUd Th. Hoffmanaa
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Ptiugstdienstag, den 15. Mai, wogte und Inmute es schon lange vor 9 Uhr
move^^no in den weiten Räumen des Concertsaales : es mochten an 2CKK) l'er-
iionen sein, die sich da eiu pädagogisches Rendez-vous gaben. Das ist gewiss
eine stattliche Armee, die in einem constitationellen Reiche wol wagen dar^
ihre WVnadie und BeeeUliflee der MTentUoheii Meinnng zu ttberseben. Kurs
nach 9 Thr wurde die Versanimlnng mit Absingen eines geistlichen Liedes er-
itffuet. Ein reistliches lieLliches I^ied niuss ja immer erklingen, wo zvi'ei oder
drei dent&che Lehrer versammelt sind. Die Wahl des Präsidiums erfolg-te
nach den Vorschlägen der Vorversammloug. Debbe-Bremen übernahm den
Vortiti mid erteUt» ziinftchBt dem BttrgemieiBter Dr. Gildenmeister das
Wort, der die Vemniiiiliiii^ im Namen der Bc^fiemng des Bremer Freistaates
begrftftp In längerer Ansprache führte er ans, dass die Lehrerschaff von den
StaatsregieruQgen iui allgemeinen zweierlei wtinsche: eretens ein aufmerksames
Interesse, zweitens möglichste Freiheit. Wie kaum eine andere Thätigkeit,
wunde das Schul- und Erdehmigsweaen In der peFsSnUelien Thfttiglteit des
Einzehien. Der Staat könne der Schule nicht entbehren, er müsse sie also in
sseinen Dienst stellen und demgemilß organißiren. Die Allgemeinen Dentschen
Lehi-erversammlungen seien vorzugsweise solchen Betrachtungen gewidmet,
welche sich auf die Förderung der Pädagogik bezQgeo und zwar wie dieselbe
sich gestidte vnnlibängig von jedem Zwange. Ln lateresse des Staates alier
Hege es, soldieBestrelningen sa ISrdeni, d» er Ja sdnerseits dieFMekte davon
zn erwarten habe. Diese Frfichte aber gedeihen nnr in der Freiheit. Der
kleine Staat Bremen biete in dieser Beziehnng ein glänzendes Beispiel. Die
alte Weserstadt werde es gewiss an berzücher Theiluahme für ihre Gäste nicht
fehlen lassen. Bremen sei weder ein piolitisches, noch ein wissenschaftliches
Ocntnmiy Knnst und Natnr boten hier nnr bescheidene Genüsse; aber in der
Oastfteondschafl werde sich seine Bürgerschaft von keiner dentschen Stadt
ttberbietpn lassen. Möge auch hier das Schtllrt scIie W ort /nr Wahrheit wer-
den, dass die Weser selbst zu dem kleinsten Epigi-amm kernen Stoff darbiete.
^^Beifäll.) Hierauf nahm, vou allen Seiten lebhaft begrüßt, Consnl und Reichs-
tagsabgeordneter, H. H. Heier, das Wort, die Gfste namens der Bremer
Bürgerschaft willkommen zn heißen und diesem Willkomm einige Bemericongen
beiznfügen. Der kleine Freist-mt Bremen beschäftige s\ph in Beziehung auf
die Schule weniger mit AusfüJiruQg großer PlSne und schwieriger Probleme,
als mit Erzieluug praktischer Resultate. In einem Gemeinwesen, wie dem
Bremer, das seine Thätigkeit vowogswelae dun Hiandel widme, dessen 6e-
schäftsbenieiimigen Aber den gansen Erdball Torbnltrt seien, das aUjährlicb
hunderte von jungen Leuten hinan.ssende übers Meer zur Anknüpfung und Be-
festif^nng von Handelsbeziehungen — in einem solchen Gemeinwesen ekelte es,
neben der Aneignung von Kenntnissen die Schüler vor allem zu treuer Pdieht-
erlttUnng zu erstehen. Die Weeknng und Pflege strengen Pflichtgefühls ent-
wickle aadi den Cliarakter, welcher fOr alle menschlichen Beziehungen tod
größter Wichtigkeit sei. Redner habe perBf5nlich die Erfahrung gewonnen,
dass in diesem Pnnkto andere Nationen den pputschen weit voraus seien, wie
auch in der Gestaltung des praktischen Lebens. Werde dies erkannt, so sei
za Tertranen, dass deutscher Fleiß und dentache Ansdaaer ancli nach diesen
Biehtongen daa Ziel einholen werdra: im ftledUcJien Wettkampfe der VUlker
in allen Besielinngen an der Spltse sn atehen. Die dentsehoi Lehrer seien
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nach Bromt'n gekommen, in wichtigen Frajrpii zu IxTuti'n und zü boÄchließen.
Möge die 25. AUgem. Deutsche Lehrerven. dazu beitiagen, dam die deutsdie
Sdrale rieh so imawr Mhtawer BIflte eatwidde snm Wole de« YaterUadet
und der Nation! (Allgemeines Bravo.) Eine ebenso große als freudige Über*
raschung bereitete der folgende Redner dei Versammlung. Pastr)r Dr. Portig-
Bremen. Wo die Schule tagt, sagte er. da darf die Kirche nicht fMrhwpigen.
Als Diener der Kirclie rote ich Ihnen ein herzliches Willkommen zn. Ich
bin nmi awar nkht ia der Lage, hier im Nhmb md Auftrage der geetmutia
Ktrebe BreaieiiB m epteeiMB; ich tkae ee auf meine pereSnUehe Veraatwoftoeg
hin und aus dem Geist« der liberalen Kirche Bremens heraus. In Bremen ist
die freie Kirche im freien Staate verwirklicht, aufgebaut auf den Grund des
Gemeindeprindps. Jeder kann hier seines Glaubens leben und selig werden,
der Orthodeie wie der Liberale. Die oberste Staatebehftrde gestattet in beiden
BJehtaiigen gleidiee Bedil md glelclie Luft. Jeder »ag aagen« me er Yvr
Gott and leinem wissenschaftlichen Gewissen verantworten kann. Wir be-
trachten ans als die Diener der Gemeinde, nicht ;»ls die Herren ihr»'-; <Tbiil>ens.
(Bravo! Bravo!) Danim ist auch das \'erh;lltni8 zwischen Sdhuie und Kirche
hier das beste; beide betrieb teu 6ich als zwei gleichberechtigte, gleichnoth-
wendig» CaltomlohCe» die in Freuideehaft and Harmonie gemeiaaam atbeitca
an der Einen großen Erziehungsschule de» Menschengeschlechtes. Jede läirt
die andere auf ilu-eni Gebiete gelten, ohne Henschsucht auf der ein«?), ohne
Bitterkeit aui der andern S»'ite. Die bchule friheilt den ersten iieiigi'^ns-
unterricht, aber sie gibt ihn ohne Katechismus, ohne confessionelle Färbung,
aondem frei ani der Bibel beraas. Dana erst kommt der Prediger mi fUvt
das Kind derjenigen Gonfession zu, welche die Eltern wünschen. Bei adeiier
Arbeitstheilung müssen Schnle und Kirche sich gU-ich gut stehen. MRge der
I^ÜTiirstiri i<t als ein Gei.st der Begeistentng und Freudigkeit, d*"r Li»^)**» und
Kmirocht ihre \'er8auuulttng leiten und zn jenem gesegneten Zu^aumeuwirkea
von Schule and Kirche fahren, an» dem wir die Wiedergebart des dentechea
Volkee an veligUlMr and littUeher Mfaelt erwarten! (AUeelllges Biavt.)
Nach dem üblidien Hoch auf den Kaiser wurde eine Hnldigungsdepesche an
denselben abgesendet. Ebenso erhielten die Jfitbegrnnder der Allgeni. D.
Lehrervers., die Schuliäte Th. Hoffmann-Üamburg und Berthelt- Dresden,
Begrüßuugstelegramme. Ein vierter Graß worde der Vewammlang dmrdi
IWeewi' Specht-Oarianihe fibert»raoht, der Im Namen der Catimher Lahier,
des AUgem. Badischen Lehrervereine aad des GroAheraegliehen Obenebal-
raths sprach.
Die lieilic dfv \ urtrJige eröffnete nun Dr. Wichard Lauge- Hamburg,
der unter stilrmischem Applaus die Tribüne bestieg. Er behandelte die Frage:
Wae haben wir Lehrer ans in «llen Zeitiftaften an bewahren?
Dr. Lange gab aanSehst einen karami Abrin Aber seine bisherige Thätig-
keit in den Allgem. Deutschen Lehrerver^ammlungen. Mit den Worten: Sollte
ich heute etwa zu zahm sein, so kann ja mein Freund Dittes das Fehlende
nachholen, ging er aaf sein eigentliches Thema übei-. Die Weltgeschichte be-
wegt sieh nicht in gerader Linie, sondern in einer Spirale. Aaf SEelten dm
Anftchwanges folgen regelmSBig Zelten dee Rückganges. Im Ganzen aber
geht die Welt doch vorwärts. Heute heißt es wieder einmal: ..Rückw.^rt.-».
rückwärts, Don Kodrigo; rttckwiUts, rückwärts, edler Cid!'' JXiese Öpiraligkeit
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berührt auch die Schale. Hat sie zwei Schritte vorwärts gemacht, g«iit ile
•wieder einen zurück , Nnch den großen deutschen kriegerischen Erfolj^en wnrde
die Schule vielfach überschätet. Nach 18ö6 sollte der preußische Öchulmeister
den MeiTeidiiMbeii, uch 1871 der dentache den französischen geschlagen
liabeD, Ja adtal Bbntrek berief ti<A noch im Jahre 1874 anf den
deutschen Setaolmeister als seinen Kampfgenossen. Zehn Jahre spftter schlag
der Wind nm nti-l beute wird dfe f^olml»^ fWv nUc Zeit verbrechen verantwort-
lich gemacht, heute soll sie alle inöj?liclieii ( bei verschnldet haben. Sowol
jene Überschätzungen der Bedeutung der Schule, als die^ \'erurtheiluug ihres
Wirkens mass entaehieden muMsewieeen werden. Niehl die Schule hat Jene
SoBeren €fegner Deutschlaads besiegt, sondeni die Caseme, nnd nicht daa
Wirken der Schule ist fir wirkliche oder angebliclie sittliche SchiUlm niiserer
Zeit verantwortlich zu macheu, sondern eine ganze Keihe anderer i-actoren,
die anf die ethische Gestaitong unseres V'ollcslebens mächtigeren Einfluss haben
als der geeammte dentaehe Lehtentaad. Begrahen wir daher nhig den Schul-
meister von Sadowa nnd Sedan — er ist eine Phrase, der Ansdmck wol«
ni<^iri< iif!. i «Ti'sinnnn^ und lebhafter Phantasie. Angesichts der wrrhse Inden
Stiiiuiiiingen nnd Strömungen habfii wi!- Lehrer aber die Aufgabe, uns auf ein
Oesetz zu besinnen, anf ein Zuatäudiiches, woran wir anter allen Scbwankangen
der Zeit feataiihalten haben. In allen Zemiafteu hat aich der dentaohe Lehrer
an bewahren 1) ein aolidea BelbatgelUil, eatapnugen ana dem Bewnaataein von
der hohen Bedentang seines Berufes. Es ist das ein etwas heikler Punkt
Vielfach wird gesagt, wir Lehrer seien eitel, pedantisch, breit, redselig, dünkel-
haft. Ich bin ein altes Haas nnd darf schon etwas frei sprechen. Es ist
«twaa an diaaeii ttblen Nachreden. Wir Soholmeiater sind etwaa eitel, onaer
Bemf bat etwaa Veniehendee} aoweit onaere Peiton in Betncht kommt. Unter
dämmen Jungen aind wir eben immer die Klügsten. Oleichwol gibt es eüien
Stolz, der sich recht c-nt mit fVr »Mnfachsten Bescheidenlieit verti^ägt- Und
diesen Stolz meine ich, an dem der Lehrer festzuhalten hat. Der Lehrer hat
sich 2) zu bewahren die Liehe za seinem Bernfe und zur Jagend. Seit den
aiebeasiger Jahren g«ht ein materieller Zngr dnrch daaBeieh. Boll nnd Haben tiilt
mehr als die Idee, der Gedanke. Das deutsche Gemttth, sonst wegen seines
Idealismus berühmt und berfichtißrt zugleich, ist liente angekränkelt. Auch
der deutsche Lehrei-stand scheint nicht mehr die frühf^re Begeisterung' zn be-
sitzen. Zum Glück ist es nur Schein. Gelien wir uui- iiineia in die Schulen
nnd LehraUe» wir weiden nna ttbemengen, daaa die Liebe snm Kinde noch nicht
au^estorben ist. Wer mOdite auch Lehrer sein olne diese Liehe? Unser
Beruf ist einer der anstreng-rnd^ten. Wer aber T.ust zn ihm hat, hei dem
gellt t s schon. Die Liebe zum Kinde ist der Panzer, der gegen alle Un-
anuelimiiclikeiten des Amtes schützt. Wer kann sich anch Herrlicheres denlcen,
als In ein etrahlendea kindliefaea Auge an aehanen? Parin liegt ein erbebendes
Element, das uns frisch und freudig eritftlt Der Lehrer hat sich 3) zu be-
wahren die wissenschaftliche und pädagoffisclie Strebsamkeit. Von zwei pUda-
goprisch gleich tüchtigen und «rlt^i'^h ß:ewissenliaften Lehrern wird immer der
am meisten leisten, der aach wisse nsciiaftlich gebildet ist. Eine groi^e Zahl
dentadier Lehrer hat nnn xwar eine anareli^ende pidagogische Blidang er-
katten, aber eine nngenflgend wiatfuiaehaftliche; ein anderer Theil wieder iat
wfaaenaebaftUeh hoch gebildet, nieht aber pftdagogiach. Daa iat ein Miaarer-
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hältnis, das die Erziehimj?8thätigkeit erschweren mnss. Demi die Erziel mug;-
ist eine isLonst und zwar eine Kunst, welche in der Pflege der Individuaiiuc
ihrem Anadnck findet. Erst wineiuchaftUehe sod pädagogische Büdm^ zOr
■ammeD stempeln den Lehrer t&r semoi Berat Der Lelurer hat 4) immer
dahin zn streben, daas seine "Wirksamkeit eine erziehliche sei and bleibe. Er-
ziehen kann nur. wer selbst f rzoiri n i^t. Wii- lirer wirken viel melir 'Imch
das, was wir sind, als dorcli da«, was wii' reden und lehren. Hier gilt das Wort .
des größten Erziehen an seine Jünger: ,Ieh heilige nieh llir auh." Sein Lelmr
luum Flelfi, PftnktlicJiltiiit o. s. w. Yerlangen, wenn er sieht sellMt fleiftig md pünktp
lieh ist. Korz, der Lehrer hat seinen Schülern als ein Charakter gegenübennh
st^hr^?!, ä.h. mit Jei' Fähigkeit nach Gnmdsätzen zn handeln. Die Schnle soll ja
Charaktere eraieheu. Die Charakterlosigkeit in den Schuiiäumen uiachi alle
Erziebong iUosorisch. Sie zerstört nicht nor die äaßorlidie Disciplin, sondern
tSdtet auch die innere dttliehe Bildung. Der Lehrer hat sich 5) den Oe-
danken zn bewahren, dass er Ar das Leben erziehen soll. Das Leben veiv
lang-t (iemeinsinn, Aufopfemng, Hingabe. Um zn diesen Tnerf^nden zu erziehen,
haben wir Lehrer sie selbst zn bethUtigen. Zu dem Zwrcke ist nothwendig,
dass wii' eiueu bestimmten Standpunkt eiiiueliMien in religiösei*, politischer oud
sodaler Besiehnng. Ein schwankender Hensoh vermehrt nvr das Übel. Ein
entschiedener Lehrer, der eine bestimmte Meinung hat, wird aach politische
Parteien nirbt als blindes Werkzeug dienen. Er wird von seinem .Standpunkte
ans die Gruiidsät?:i' fb^r l^artej prüten und darnach verfahren. Der Lehrer
mnss sich 0) den uiaubeu au den stetigen Fortschritt der Menschheit be-
wahren. Die peesimistisehen Stimmigen der Zeit sollen ans nicht stOren in
dieser Überzengnng. Die hödiste Macht Ist der Geist, er regiert die Welt;
Ein gesnnder Gedanke, einmal auf den Plan gebracht, behauptet den Plan.
T.)ie allgemeine Entwicklung ist des Lebens Kern und Stern, und tür diese
sich zn begeistern eine Aufgabe des Lehrers. Der Lehrer muss sich 1) be-
wahren das OeAU Ar Standesangehürigkeit nnd den ^nn Ar Collegialittt.
Die Allgoneinen Dratsehen Lehrerrersammlnngen haben diesen Sinn nnd dieses
Gefühl m&chtig gefördert, ünd hätten sie nnr dies Eine geth&n, so verdienten
sie schon danim nicht, von ihren Gegnern versp'.ttft oder gar verleumdet zu
werden. Möge die Jubel Versammlung der deutschen Lehrer, würdig ihren
Vorgängerinnen, aach in dieser Richtung dem LehrerataadiS Oliek nnd Segen
Ivingen! (Langandanender Beiftdl.)
Dr. Bartels-Gera ersuchte die Versammlung, von jeder Debatte abzu-
sehen, da sonst der Eindruck der Bede verwischt werden möchte. Dengemli
wurde auf eine Debatte verachtet.
Nach einer einslüudigen Pause ^rach Senünardirector Dr. Credner-
Branen ftbor die Überbllrdnngsfrage. Ans allen Kreisen ertBnen hente
Klagen ttber ÜberbOrdnng der Schuljugend. Es klagen nicht nur weichherzige
Mütter, nicht nur versTimmtc Väter, auch Männer der Wissenschaft erheben
in Hede und Schrift die Frage, ob es nicht gerathen sei. Sflmle und Schüler
zu enüasten. Dieser Frage gegenüber kann die LehienichaU mdit schwdgen;
kein VonirtheÜ darf sie abhalten, sie zn prüfen nnd bestimmte Gnndsltie
aulknsteUen, Die Überbfirdungsfi^e ist eine hoohwiehtige praktische Er
ziehnngsfrage. Richtig und gründlich kann sie nur von der Erziehungswissen-
schaft, der Pädagogik also, gdöst und beantwortet werden. Sie hat ein Nomtai*
üiyiiizeü by GoOgle
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maB fesUnstellen, wieviel dem Schüler zngemathet werden kann nnd dai f. Die
Padagtigik nun liat ihre festen Fundamente vorzn^fsweise in der Ethik und in
den beiden Theilen der Anthi-o)H)logie, der Somatoiogie and Psychologie. Da-
her sind bei Beantwortung der Überbiirdangsfrage aadi diese Wiflaenachaften
und denn Vertreter, Ar die Senwtdegle namentUoli die Änste mit n BaUw
sn liehen. Die Ethik stellt das Erziehungsziel fest; sie verlangt die Heran-
bildnner fl» s Z;>srling-8 nacli allen Ciilturideen der G-egenwart in dem Maße, dass
derselbe befähigt wird, »eine Stellung in der menschlichen Geaellächaft richtig
za wählen und auszufällen. Die Anthropologie weist nach, dass zur Erreichung
dieeei Ziele« Leib und Seele dee ZS^Ung gleieii tllchtiir anasebOdet «erden
nttaeen, und dass alle Ebiseitigkett idüldlich int. Nun sind unzweifelhaft
wesentliche Fortschritte zu verzeichnen, sowol hinsichtlich der Lehrmethoden
als der Lehrerfolge. Ob aber dabei in unterrichtlicher Rezielmng immer das
richtige Maß eingehalten worden oder Überbüidung eingetreten t>ei, das wird
▼OD der Beutwertiuig folgender' Fragen abhlngen: 1) Wurde dem normal an«
gelegen Zi'^gling nach Anibrtigang seiner Schularbeiten das nSthlge Quantum
Schlaf gesichert, oder musste er, um den Schulpflichten zu ^nftgen, die Nacht
mm Tage machen und in der Regel langer über der Arbeit sitzen, als es eine
vemuiiitige Diätetik gestattet? 2) Ward dem Schüler, wenn er nach melir-
•tfindigem Sdiulnnterriohte nadh Hanse kam, möglich, sieh sa erbolen, oder
ward er genSthigt, die in der Schule abgebrochene geistige Arbeit toftnt wieder
anfznnehmen? H"! "^^';\r^'n f!ie hiUislichen Arbeiten dem Schüler so sparsam
zugemessen, dasü ihm nach Arbeit und Spiel noch Zeit iibris: hlieh, im Hause
sich nützlich zu machen und Jene Gewandtheit zu erlangen, die dos praktische
Leben wttudwnswert md notliwendlg maebt?
Ln allgemeinen darf nnn gesagt werdmi, dass viele Klagen Aber Über-
bftrdung nnhegrflndet sind, oder wo eine solche besteht, sie veranlasst ist durch
die Klagenden ßelbst. Nar gar zu oft sind es die Eltern, welche ihre Kinder
überbürden. Es ist ihnen ein BedfirMs, neben dem ausreichenden Schulunter-
riebt dem Kinde andi neehFrivatantenidit ertiheiien m laaMn, oder de fflbren
dasselbe einer Schule zu , Ar welche die gelitigen Ki^lfte desselb«! nicht gfr*
eignet sind, oder endlich, sie gewähren ihm Freuden und Genüsse, die sich mit
den Schulpflichten nicht vereinigen lassen. Damit soll indes nicht gesagt sein,
dass nicht auch Schule nnd Lehrer ihre Schüler zuweilen überbürdeten. Die
UnteRldilMraise lit nicht immer die richtige, und es ist dagewesen, dass die
Kinder mit nnnSChigen Antraben geplagt werden. Doch berechtigen dergleichen
vereinzelte Erscheinungen nicht zu einer allgemeinen ZeltUage.
Die Generaldebatte, welche sich an den ^'oitrag knüpfte, wurde ziemlich
lebhaft geführt. Dr. Bartels- Gera fand, dass Dr. Credner sich zu viel in
der Negation bewegt, aber vergessen habe, positive Vorschläge zu machen.
SSr für aelnB Penon glaubt an eine Oberbtirdnng der Jagend dnreh die Sehnle.
Auch Dr. Eeferslein-Hamburg nimmt die Überbürdnng als vorhanden an,
da die Frage ja sflbst von fl^n Rehr>rden (in Pr**nßpTi, S'ixchsen, H( sscn. Elssiss-
Lothringen) bejaht worden sei. Die Gründe der Überbürdong glaubt er suchen
zn sollen 1) in dem Mangel einer Wechselwirkung bezüglich der Lehrgegen-
stlnde nach einem wdgeordneten Lehrplan; 2) in dem Umstand, dass mit dem
Fortsehritte der WhHmschaften die Disciplinen des Schnlnntefriehts zu sehr
vennehrt würden. Gymnasiallehrer Noack>Herford stellte sich nnter Zn-
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Ziehung' persönlicher Erfahroni? auf den Standpunkt des Vorredners: eine (""ber-
bfirdanf? ist wirklich vorhanden, wenn nicht in allen, .so doch in vielen Schulen.
Dr. Zimm ermann- Mamburg machte den ätaat für die Überbürdnng verant-
wmtlich: der StMt ftrd«re lie durch die Tidm aid lehwierigen W!»"»*—
SdnilTvntelMr Kippe nberff-Breaen betontet deas bei der Frage der tihet-
bflrdung die Volksschiile nicht in Betracht kommen könne: sie beziehe sich
nur auf die mittleren nnd höheren Schnlen. Realsclmllelirer Kutsch-ElMng
hält von der Überbürdung nicht \iel: die Frage ist durch die politische Fresse
aufgebauscht worden.
Zum SehfaM nabm die Verwamwlnwy mit Hi^oritStsbeBQhlue die ?in
Dr. Credner MljBieeteUteii Sitie ml
Bm F«ttlMlllCSt
WUiraid des Credner'schen Vortrages und der Bich Dun antchUefleadea
Debatte waren die StondeB weit Aber HUttair hiaaittgerttekt. Der noa folgeade
Gegenstand der Tagesordnung, das Feeteasen fan Casino, fknd eine rei^e Be-
theilignngf, Honderte von ITnnerig:en waren nach dem festlich geschmückten
Saal geeilt, am dort statt des \Vort«ä Lüfi'el, Gabel und Messer zu ergreifen.
Za Ehren der Beaction im lieben Vaterlande wurde zaerst eine Krebssuppe
gegesseo. Daan bradite Goneal Heier-AienieB den ersten Toast aaf den
Kaiser ans. Der Präsident der hremischen Bürgerseliaft. Claussen, toastete
anf die deutsche Lehrerschaft, Halben -Hninbure; auf die Stadt Bremen.
Damit waren die ofhciellen Triukspruche beendet. Aber es wurde noch viei
gehocht und manches gegessen, und in heiterster Laune wandelte mau abends
deai Bfirgerparic za, am dort anter den KUngen der Hnaik Jene lierrliehe, im
Henoneatalstil abgefasste Proclamation : „Seid umschlangen Millionen, diesen
Kns-: der g-anren Welt!" in gebundener nnd nagebnndener Begeisteraag weiter
zu preisen bis tief in die Nacht hinein.
Zweiter Tig*
Die iweite HaaptTenamndanip wurde Hlttwoeh ▼omittaga 11 Dhr ant
etawai Yoitrage des Direeteia des Breaier KraakenhaaseBt Dr. med. Sehoii,
tber „die Gesnndheitslehre in der Volksschule" eröffnet
Zweihundert. Jahre sind verfif^^sPTi . seit der bertihmte Vorläufer Kant's,
der englische Arzt John Locke, iu seinem Erziehnngsbuche zuerst den Sa^
aolMeUte: aaf die körperliche Erziehung sei ebeaao viel Gewicht la l^n als
anf die geistige. So eialhch, selbetTersttedHch, ja hanabatfken dieaea W<it
ans IkMte klingt — damals bedeaiste ee nichts Geringeres, als eine unerhörte
Neaerung, ein Wa^etück, eine nen ^t?fd!lmmemde Wahrheit. Denn noch hatte
sich die menschliche Cultur, namentlich aber die Pädagogik nicht befreit
von dem Banne jener mittelalterlich ascetischen Anschauung, welche nur in
Geiste das allein berechtigte Eniehangsobjeet erbiidcte, im KSrper dagegen
nnr ein unwürdiges Gefäß sah, ein der Seele und ihrem Heile feindliches
Friaoip. Uad an«h das Loeke'ache Wort tbeiite das Schioksai aller grstea
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Wahrheiten — es blieb mnAchst eine Pradigt in der Wäate. BSnt fast drei
Menschenalter später war es (i^m ^pnialen Tacqnes Ronsseau vorhphaltpn.
darch seinen „Emile'' in dieser Richtung eine e:« radezu explosive Wirkung zu
erzielen. ,»£mile" wurde typisch für eine ganze Cultnrepoche — er ist nur
«tu anderes Wert Ar das pttdagofisehe Eva&felinai de« 18. Jahrfannderta,
f^atnr! N^nr!'' hieß fortan die Losnng. „Fort von den entnervenden
Stetten einer überfeinerten Cultnr: f at nns den Händen der Menschen"* Tn
Deutschland waren bekanntlich die Fhilantiiropisten die Verkündiger und zu-
gleich Praktiker des neuen Evangeliums. Was und wie dieselbe gewirkt: ein
BMednw in .seiner gieWmigen, ein Cunpe in aeiiwr tmken pldUilrtsen, ein
ailtmaiin in seiner gem&Bigten, mild harmoniMhm Weile — das braucht
einer Versammlung von Pädagogen nicht erst gesagt zu werden. AUein
Wahrheiten werden niemals fertig geboren, wie Pallas aus dem Haupte des
Zeus; nur unter zahlreichen üemmniseen, Bäckachlägen und Verdankelongen
vemSgen. lie toU nnd tiegni^ nn du Lldit m tnlOL So lit et andh
der Lodce-ItoiiBaeen'iöhen Leiore von der Oleiehbereohtigmir der kOrperUehen
Erziehung mit der geistigen ergangen. Selbst heute noch ist sie nicht ganz
unbestritten, selbst heute noch «'teht sie mitten in der PropasraTif^a. Aber
immer tiefer nnd mächtiger gewinnt sie die Schichten der Gebildeten, immer
umfangreichere Gebiete macht sie sich zu eigen, exfeeniiv wie intensiv. Ja, in
Ihrer erweiterten Bedentnng als allgeneine Hygieine hat sie sldi zn einer
hochbedentenden Wissenschaft entwickelt nnd hin und wieder hat man unser
Zeitalter als das der Hvineine >>f»zeichnet. Wie verhält sich nnn aber die
Volksschule zu diesen Bestrebungen? Da ist nun zunächst zu unteräckeiden
zwischen praktischer nnd theoretischer Hygieine oder, genauer ausgedrückt,
ifMiea Oeasndheitspfleffe nnd Oesnndkeltslehre. Ja enierer Bestehnnir
ist in den letzten Jahren Jn unleugbar viel Anerkennenswertes geschehen.
Behttrrt(^n , Comniunal verbände und IVivate wetteifern, die sanitären Verhält-
nisse der Schulgebäude so günstig und zweckmäUig als möglich zn gestalten:
die Sckolzimmer sind luitig, hell, gut ventilirt, geräumig, die Schulbänke
swecÜKnts^reelwnd n. s. w. Aber enf dem OeMete der GesnndlMltilelire ist
nicht viel weniger als sUei nsehzuholen. Professor v. Liebig hat bekanntlich
den Satz ausgesprochen, dr^ss sicli die Höhe dee jeweili^ren Culturzustandes
eirif o \'olkes an dessen Verbrauche von Seife erkennen lasse. T*m Wort ist
wahr, geistreich; aber es ist nicht weitgdiend genug. Wir mds^eu sagen:
der Cnltmaostiad einee Volkes Usst sieb erkennen an dem Stande seiner by-
gieinischen Bestrebungen nnd soiner bygieinischen Einsicht. Für diese Einsicht
aber schon die Jngend zn gewinnen, das sollte eine der schönsten Aufgaben
der Schule sein. Die i>esandheit«lehre müssta darum einen obligatorischen
Lehrgegenstand der Volkndinle bilden. Ein neuer Gegenstand also? Sind
denn nnsere SefaiUer nieht bereits tbertirdet? Meine Herten! dass in unsem
Volksschulen m viel gelehrt werde^ das darf auch nur mit einem Anscheine v<m
Berechtigung gewiss nicht behauptet werden. Dergleichen Klagrn krnninrn r\iis
einer Sichtung, wo man der Schule überhaupt nicht wol will, wo man ihr die
große Kolle, welche sie sich im Cultnrleben unseres Volkes erobert hat, mise-
gönnt. Eher iieeii kOnnte man tob. einer Ühetbftrdnng der Lehrer spreehen.
Wo MdleB sie die Zeit becndimsn, ob smIi noch Gesandheitslehre zu treiben?
Nnn, ioli meine, man Usst nnwoseatlMte Dinge lUlen nnd reiht den neneä
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Gegenstand einer Pisciplin an, zn »h-r rr durch innere Verwandtschaft gehört:
dem rnterrichte in der Naturkunde. Eine sehr wichtige Frag:»" iet : Wie and
was soll gelehrt werd^'/ Da ist nun vor allem featznhalten, da^s die Qe8imd>
lidtdehte itets mir im engsten AnscUws an nSdisIliegende praktüselie Zwecke
gelehrt werde. Für Obeatdatten wäre in den Lelirrtoff etwa anfzanehnen:
die Lehre vom Bau nnd von f^^n VerrichtnnEren des menschlichen Kürfiers:
die Lehi^ von den Xahrungrsmittelu und einer gesundheitsmJlßig-en FiTi;lhruii?;
die Lehre von der reinen und von der verdorbenen Luft. Hieran kumiten sieh
BDBcUJeßenrBeleliniii^ ftber die Vemeidiuig von KnaUieileii, Aber die Nelli>
wendigkeit einer nfichtemen und geordneten Lebeneweiee, sowie der Beinliek*
keit überhaupt; endlich über die UnschAdlicliniachnng ansteckender Krankheit»-
stnffe, über Ventilation. Schntzpockenimpfung: n derel. Selbstverständlich kann
dabei die \ oiksschiüe nur grundlegend ond anlegend wiiken. Wie aber wäre
nun dieser Stoff Temtngen? So, da» dabei immer der praktische G«iiehta>
ponkt nur Geituig komnit leb will daa an daem Beis|dei aeigen. Elna der
wichtigsten Organe für den Lebensnnteriialt aind die Lungen; die Kenntnis
derselben ist unentbehrlich. Eine eing-ehend anatftniischc Beschreibung der-
selben würde aber wenig nutzbringend sein; selbst die Angaben des Zweckes
der Lungen, sowie ihrer einzelnen Theile würde nicht viel helfen. Die Haupt-
sache ist, daas der Vorgang der Atbrnmig selbst klar aaaeinaadeifeaeist ud
begrifTen werde, und dass die wichtige Bolle, welche das Athmen im Lebens-
hanshalte spielt, zum Bewnsstsein des Schüln-^ konime. Dabei verachte der
Lehrer nor ja auf eineMittheilnng der chemistlien und physiologischen Finessen
des Gasaustausches — je popnlärer sein Vortrag ist, desto fruclitbringender
wird er sloh gestalten. Für den Lehrer dagegen erwiehst die Angabe, daas
er sieh den Gegenstand, den er lehren soll, voll und gins zu eigen mache.
Pamin soll auch in dem Lectionsplan der Seminarien die (T^sundheit.*lehre
einen obligatorischen Lehrgegenstand bilden. Hier aber mnss der Unterricht
in dieser Disciplin ein systematisclt-wissenschaftUcher sein.
Ich weise zum Schluts noch hin auf den nngeJiever wichtigen ^nflisB,
doi eine richtig geübte Hygielne anf daa Wolergehen und die Moralittt dei
Volkes aasiiVit. E- ist einlrrthnm, wenn man glaubt, die Hygieine sei nnr eine
"Wissenschaft liiv dir T? eichen. Gerade tui- die niedeie Bevölkerung müsste sie
sich als segenbnugeud erweisen. Han soll allerdings von der Schale nicht
alles verlangen; aber wir Änrte hoffen doch, daas wir die Pftdagogen noch ge-
winnen als trene VerMbidete zur hygieinischen AufkUUting des Volkes. (Bravo,)
Die ppbattr. an <\vr sirli Backliaus-Osnabriick, Dr. Meier-Lnbeok,
Weber -Leipzig. Freier-Leipzig, Kippenberg-Bremen und Dr. Credner
Bremen betheiligten, sprach sich durciiweg in zustimmendem Sinne aus, woram
die Ton Dr. Scholl proponirten Theeen aar Annahme gelangten.
Ben zweiten Punkt der Tagesordaang bildete der Vortrag dea 8eniiaar>
lehrers J. Halben-Hambnrg ftber die öffentliche Sorge fftr die Ter-
wahrloste Jugend.
Kedner gab zunächst einen Rückblick aut die bisherigen Besti-ebongen
einaeiner hananer Kianer nnd ganier Oorporationea, um die ge^a^ und
köiperlieh Terwahrioate Jngend ava üueni Blend sn retten. Er nannte die
bekannten Namen Pestalozzi, Fellenberg, Zeller, Falck nnd Wiehern, und zeigte
an der Hand eines reichen statistischen Materials, ein wie großer Prooentiata
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der Kinder onaerea Volkra dem Elende der Verwahrlosang anlieimgefAUeii
nnd wie ^liVs»»!" Pr'<rpntsatz im Laufe der letzten Decennieii ■'ioli progressiv
vermehrt hat. Im Jahre 1871 mussteii trotz der §§ 55 und 56 des Straf-
gesetz-Bucheä 666 Personen unter 18 Jahren als Verbrecher vernrtheilt
ynndm, Nach dner Tcm dam ymiburbtsm. Dr. Wiehern aufgesteUten Statistik
wviden im Jahre 1878 in Sddeewig^HoUtein 7553 Bettler anlisegrilfeii. Ton
denen 1049 mit Korrektionshaft bestraft wurden. Wenn man nnn erw!l<»t.
dass Schleswig-Holstein nur den 40. Theil von Deutscliland ausmacht, dass
dort im allgemeinen Wolstand vorwaltet, dass dort seit Ifenschengedenken
gnte Seimleii ▼attoden aind: eo mtg man sieh ein Bfld machen von den Ver^
Utttniesen in den anderen Theilen Dentsdilanda. Dieser Znstand ist ein se>
cialer Krebsschaden, dem zu steuern schon die Pflicht bürgerlicher Selbst-
erhaltung zwingt. Vor einiger Zeit zählte man in Deutschland etwa 400
Anstalten fiir verwahrloste Kinder mit ungefähr 12000 Zöglingen. Diese Zahl
Ton Besserungsanstalten Ist nm so weniger anwelehend, als leider die Anf*
nähme in dieselhen in der Begel ven confiMsioneilen oder peeuniftren Bedenken
abhängig gemacht wird. Die Errichtung von Besserungsanstalten soll darum
weder relisifisen Genos'^'^nsfliaften noch privaten ünteniehnmn^en flberlassen
bleiben. Am Ende fasste der Redner den reichen Inhalt seiner Auseinander^
aetiungen in sieben Thesen zusammen, mit deren Verlesung er seinen sehr bei-
ftlUg aufgenommenen Vortrag beschloes.
Zum Schlüsse sprach noch Professor Dr. Hertzer- Berlin vor liedentend
feliehtf*T«ni Rt-ihen über dn? Z<'ichnen in der Volksscli nie.
Seine Austührungen beschiilnkten sich auf die Verlesung der von ihm
aufgesteUten Thesen und einige Bemerkungen, welche er an dieselben knüpfte.
Letsteren nach soll der Zeiehennnterridit nidit hles Fertlglnit, sondern wie
jeder andere Unterricht allgemeine Bildung erzielen. Auch darf er nicht nur
für die ftlhigsten Schüler, sondern er mnss für alle berechnet sein nn 1 d -m-
gemäli als Massennnterricht behandelt werden. Die von der Vei*damuilung
gutgeUeil^ueu Thesen lauten:
1) Das Llniennets nnd das Pnnirtaeiduien ist sowol vom pBdagogisehen
als vom hygieinischen Standpunkte aus verwerflich.
2) Als Vorbereitung- für den Zeiebenontetricht ist ein speeieller An*
schauungsuuterricht zu empfehlen.
3^ Der Grebrauch von technischen Hilfsmitteln ist zu verwerfen.
4) Die Oenanigkdt einer Handseiohnung ist nieht vom mathematisehen
Standpunkte ans za benrtheUen.
5) Das Z' iehnen nach kttrperUchen Oehüden ist als höehite Stnfe in der
Volksschnie zu lehren.
6) Der Unterricht muss unbedingt als Massennnterricht behandelt werden.
Dritter Tag.
Auf wiederholtes eindringliclies Bitten seiner nfllieien Freunde ließ Dr.
Dittes-Wien sich bestimmen, am dritten Uaaptversammluugstag über den
hentigen Stnnd der dentschen P&dagogik na referiren. StArmiseher
Applana hegrUto den Redner, nrimtenlanger BeifUl dankte ihm für seinen
Vortrag. Naeh einer charalEteristisehen Orientining ftber seinen snbjectiven
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Standpunkt, den er di^'spm Thema g-f erenüber festzuhalten habe, coustatirte
Dr. Dittes, dass man derzeit nicht mit sehr heiterer Stimmong au die Be*
qurechiing dieset 0«gei»taiide6 geben ItSta». Die Zdt sa frendi^n Ges&ngcn
ist MgeBbliddidi sidit Toiliaiidcn. Die segoiwlrtig» I>ldjmüt >^ ta der
Theorie wie in der Praxis eine gewisse Unsicherheit, ünstetigkeit und Unbe-
stimmtheit, einen Kampf zwischen zwei Oes'eTiRätZHn . A\p sich niitcinamVr so
wenig vertragen, wie einst das piolemäische und kopemikanisclie Weltsystem.
Gegenwärtig liegt eine antonome, selbststAndige Pädagogik im Kampfe mit eioir
abUogigeo, gelrandeiieD PidAgogflu Jene kenn uaii eli de Übcneuguag»>
diese als die Aatofitttspädagogik bezeichnen; jene ist die classische, wahre,
di*^sp die verdorbene, unechte, man kann si»^ mit Recht eine Afterpftdagogik
nennen ; jene wird durch den Namen Diesterweg charakterisirt, diese durch den
Namen ätiehi. Die Vertreter der Überzeugungspädagogik, unter sich sehr ver*
sehiedeii, waren und sind doch darin einig, da» nv das als wahr undgotasf-
zustellen sei, was der persönlichen Übenengang entspricht. Absolute Wahrheit
freilich ist (Inniit nicht unbedingt gegeben , w^l ^{hcr ist fler Wp:r bszeichnet,
zur Übereiiistiiiimung, zu testen Normen zu gelangen, l'i» rWij5euj?unkrsp.'lda-
gogik chaiakteh&irt sich durch die treue Hingabe au die Ideale der MeQ2>ch-
lieit Bin« Wissenadiaft oder Kimsti weklM sidi dieeee gOttUeboi ürspnmgt
entäußert, die zeitlichen EinflüsBen folgt» sieh von theologische» Satnmgen oder
bureankratisclien Ordonanzen bestlmmfü und lenken Ü^ss»^; eine solche Wis^f^^n-
schaft oder Kunst verliert ihre Würde: sie wird zur Ma^d, die jedem dient,
der ihr augenblickliche Vortheile zu bieten vermag oder zufällig über die Ge-
walt veilfigt. Das Jahr 1848 hat allerdings den Onmdsatz prodamirt: JH»
Wissensehaft nnd ihre Lehre ist frei" — and noch heute findet sich dieser
Grundsatz in tV-v StaatsverfaRSung: verschiedener LUnder, auch in der <>i.ter-
reiclis. Auf die i^ildagogik angewendet, würde dieser Satz lauten: ..Die F'äda-
gogik uud ihre Praxis ist frei!" llan findet es aber gerade hente ttir uoth-
wendig, die Fidagogik unter die Botmifiigrkeit der Theologie an steUen. Des
entspricht sowol den Traditionen der orthodoxen Theologie, wie auch d«Miidss
Staates, soweit Staat eben nur ein anderes Wort für Beamtenherrschaft ist.
Es steht t>Rt. dass es neuerdintrs im größten Staate Deutschlands Maxime ist,
za Semiiiardirectoren und Schuiiäthen einzig und allein conservativ-ortbodoxe
Theologen an erwählen. Wer diese Qnalifleation nieht hat, ist Tsn der BelQr-
denmgsiiste eo ipso ansgeschlossen. In hohen Kreisen besteht einaud die Mei-
nung, dass die Theologen an dcfa selbst geeigfnet seien, in die „Mysterien des
VolksKrhnlunterrichts einzudringen." Damit ist aopdriicklich anerkannt, dass die
Pädagogik ein Anhängsel, ein iutegiirender Bestaudtbeil, eine Domäne der
Theologie sei, weder eine specielle Bildung noch eine besondere Befthigurg
voroOBsetae, Nun gibt es allerdings kein Ifysterinm der Fftdagogik. Wenn
man an hoher Stelle gleich wol von einem solchen spridit» so kann dies natür-
lif'h nur .«af irisch L'^'ir.cint sein, falls mnn nicht annehmen will, dass es aller-
dings eine Geiste8\ - 1 tVisBung gibt, bei weiclier wirklich die Pädagogik, beson-
ders die Volksschuipudugogik ein Mysterium ist.
Li der Verhfaidmig swlschen Boreankratle nnd Theologie, swlsdieii w«lt>
lichem und geistlichem Absolutismus liegt derzeit das große Ül»el. welches die
normale Entwicklung der Pildagogik hemmt. Zur Charakteristik will ich eini^
Belege anfuhren. Unter den pädagogischen Schriften vorigen Jahres befindet
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sich auch ein in seiner Weise recht gutes Buch nnt^r <!> m Titel: „AnleiTnng^
znr Vorbereitune' anf das zwdte Examen." Da kommt mifi u a. die sehr ein-
dringliche \S aiirnug vor, daes man sich ja vor Änikruugüu hüten solle, die
im WidenfHudie mit dw hemcheodeii Avthmaag Bttind«L Die Wannmgluit
ihre verl)ürgt« Vorgeachichte: Ein Pr&fangs-CaadidAt hatte für die schriftliciie
Arbeit das Tliema erhalten: „Die ideelle Volksschule'*. Er arbeitete das Thema
nach bestem Wist^en und (.bewiesen aus, belum aber darauf den Beseheid, dass
er infolge dieser Arbeit wegen „anreifer Gedanken" von der vereiteren Prüfling
augeschloesen werden rattste. Worin bestanden aber diese mmilen Gedanken?
Der Examinand hatte^ nicht für die Gegenwart, aondeni ftr die Zuknoft» Ar
die ideelle Volksschnle, den Wegfall des confessionellen Religionsonterrichte
verlangt. Wenn man nun bedenkt, das<s MJlnner, \velc1i<' der Sache ganz objek-
tiv gegenüberstehen , wie z. B. UniversitüU»profe8£ureD , dass femer ganze
Nation«!, wie s. B. die Encoder, die Belgier, die Nord-Amerikaner, den con-
fteiioDenea BeüigloosnnteRiebt in der VeUnschiile flr wimnlmiiiif erUSren, so
stellen sich dergleichen Vorgänge doch nor als Uafliegeln dar, ein decadlig
ptivilegirtes StaatsJ^ysteni conseqnent durchzuführen.
In dem genannten Bache findet sieh eio weiterer Kath: „Erkundige dich
wlhrend der Vorbereitong auf deine Präfang genau nach den Lehrbüchern, die
der Examinator xn Grande legt'* Dieser Anweisung nadi legt also der Herr
Examinator ein Bach za Grande, dem er seine Prüftingsfragen entnimmt, and
der ExHminand soll aas diesem Bache seine Antworteti geben. Darin zei^ sich
doch eine recht niedrige Anffassan^ des ^nnzen BiiduiigHproc^ sses, eine hand-
werksmäßige Abrichtang liii* den Exameutisch. Auf perüuuiiche Einsicht und
Überseiguuff kommt es dabei nicht an, entscheidend Ist die InSere Antoritftt
Je htther Einer aofderStnlbnleiter des Mandarinenthums .stellt, desto mehr Gel-
tang können seine Meinungen in Anspruch nehmen, und die höchf^te Walirheit
liegt einfach in der höchsten Instanz. Damit ist aber jede ireic l)i.scu!>sion
abgeschnitten. Vor etwa 5 Monaten schrieb eine deutsche Schulzeitung in einem
Frognunmartikel: ,J>as Natt wfthlt sieh »i Leitsternen zwei allerhSeliste Bot«
Schäften: eine von nnserm lieben Vater im Himmel, gegeben vor 1B82 Jahren,
und eine von nnscrni erhabem-n Kaiser, peg-e^en vor einem Jahre." ist
nun g-t'wisR ehrenwert, dass man dem Oberhanpte eines Staates Hochaciitung
und Eiirfurcht zollt; aber damit kann doch nicht das erste Gebot des Katechis-
nins aufgehoben werden. Dies wird aber anfjgehoben, wenn, wie hier, eine
Gleichsetzung des irdischen Herrn mit Gott stattiindet. Eine unparteiische
Discussion ist da nicht mehr möglich. Man geht aber nicht blos bezüglich der
Autorität der Person ühn- die statthatT*' <Trenze hinaus, sondern auch li -züglich
d« Stoffes, den man der i'üdagogik einverleiben, und desGeiBte«, den man ihr
geben wilL Wie sehr dies der Fall ist, beweist eine Abhandlang In einer der
angesehensten pftdagogischen Zeitschriften Deutschlands über die „allgemeine
Volksschule". Es wird da gesagt: Theoretisch möge eine Schule, in welche die
Kinder aller Stftude vom 6. bis 10. Lebensjalire gebildet werden sollen, selir
empfehlenswert erscheinen, praktisch aber sei sie unaustuiirbar, da es nicht
angehe^ dass TaglOhner, Landräthe oderBegierungsrätbe anf ein anddersdben
Sehnlhank dtien. Nnn, Kinder Us nm 10. Jahre, and aneh etwas Ültere sind
keine Taglöhner, Land- oder Regierungsräthe. Aber das Blatt geht in seiner
CarUuning der Idee der einheitlichen Volksschnle noch weiter. Es sagt, dam
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die allgemeine Volksschiilo den Grundsatz: Xon s(:h(»l;ip. J^f^l virael mit Fiil5en
trote: das» d»»r TasrliiLaenssohn, der vielleicht den Sohn des Land- oder Retrie-
ruiigurathes in vieler Beziehung iibertroflen habe, sich später nicht leicht darein
finden werde, dats dieser pro Tag 15 — W Mark yei^ene» wUitend er vdt
1 — 2 Mark mfHeden sein müsse: dass dies ein System sor Erziehnng der
Socialdemokratie sei. Sehen Sie. ni. H.. das sind auch Argumente, bei denen
man sicli nur wundem mus«. wie ein anptsehener Schriftsteller unter seinfin
Namen dergleichen Unsinn drucken lassen kana. Bekanntlich ist die Social-
demokratitf aebon da, die allgenwine Volkaiehide soll aller erat werden. Man
bea^lmet alao das Znkfinftige ab dieUraache dea Gegenwärtigen. Detgleicbea
widersinnige, mit Gewalt herbeigezogene Deductionen können doch wol nur
darauf bt nrhnet sein, die Gunst höherer Kreise zu finden. — Wenn gesasrt
wird, die allgemeine Schule bilde nicht für das Leben, so kauu man dagegen
fragen: w«a heiftt denn Leben? HdEt Leben etwa, daaa alle Kinder bei Ein-
tritt in die Sehnte aofiprC etikettift nnd abgeatempelt werdton mlaaen naeb deia,
was sie später werden sollen? Wer kann denn das wissen? Es kann ja fe*
schelten, dass der Sohn eines Tagflöhnt^rn ein Landrath wird, und nmg-ekehrt.
Was m& den Kindern später wird, das geht den Volksschullehrer zunächst gar
nichts an. Wir haben keine Taglöhner, keine Landrftthe, keine Regierungs-
rithe in der Schule, aondem nnr Kinder. Die daaaiacbe FSdagogik apridit
auch in dieser Beziehung anders als die Afterpftdagogik. IHe Volkaachule soll
allerdinprs fih-^ T,'»>ifii >'i)'lpii nifli» iKtr tnr momentane Verhältnisse abrichten.
Nicht in der I'llege des (»»-.stern und Heute lieirt die Aufgrabe der Erziehung.
Es gibt ein Wort von Kant, wonach die Erziehung erfolgen soll nicht tlir den
gegenwftrtigen, aendem für den mkUnftigen, mOgUefast beaaeren Zoatand der
Gesellschaft. Die ofßcielle Pädagogik, wdche aich auf theologische Satzungen
stützt, nennt als ihr Princip ..die Erzielumg zur Ebenbil HiVlikeit Gottes.'- Ja,
wenn man nur von Seiten derei-. dit^ es bt-kennen, allen Lrustes daran sringe.
es zu verwirklichen. Ist denn aber das da» Ebenbild Gottes, was uiau iu der
Praxis ihrea Systems aoa den Kindern maeht? Ba war einmal eine Zeit —
sie hat ungefiilir ICKX) Jahre gewährt — wo die Geistlichkeit allein die gaaae
BiMune: de.s Volkes beherrschte. Da kam t^in Mann, der .selbst diesem Stand-'
ani?ehdrte, ijUther, und besah sich das, was aus den Mensehen jareworden war
unter dieser Erziehung zum Ebenbilde Gottes. Er fand, da;» „das Volk auf-
wncfaa wie das liebe Vieh vnd die nnvetnflnftigen Säne.**
Nun noeh ein paar Beispiele, die «na zeigen, dass sich die AntoritltB*
pSdatro^ik nicht blos in die Erzieh nncr. sondern anch in die rnterriehtsnietli'-dp
einzusclileichen beginnt. Vor nicht lauger Zeit stand in riner be.sseren deutschen
Schulzeitung folgender Passus: „Wir können constutiren, dass die gegen die
NonnalwSrlennethode geriebtete ^riimung an maßgebender SteDe beaditet
wird, nnd ao iat an hoffen, daaa die NennalwOrtennethode amtlich snr Dis-
position gestellt wird." Das ist denn doch ein Appell an die Gewalt. Maß-
gebende Stelle — was heißt denn das? Heißt das die Stelle der pMdafi-nansch- n
Wissenschaft .' oder heißt das nicht vielmehr die Stelle, die gerade jetzt die
Regierungsgewalt in Hftnden bat? Ja, wenn einmal diese Stelle ftber Fragea,
welchen Jahriiiinderte lang die aotgftltigaten ünteraoebangen mdBemfibangen
der Fachmänner gewidmet waren, dnndi Reglements entscheiden zu ktenea
meint, dann kennen wir die ganze Pttdagogik einfach peoaionireii nnd die
üiyiiizeü by GoOgle
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Lehrerbildangsangtalten schließen. Wie sich tibrig"pn8 sonst frcisinnig'c MSnner
zu solchem Princip bokeniuMi können, das ist mir unbegreiflich, ilan ver-
minst hier geradezu da« Staudesehrgemiii. Hat mau je gehört, da£s sich ein
HfidioiiMr, ein Naftuftneher, ein Mathematiker oder Hiatoriker in Streltfraireii
an die wXUkBgebende" Instanz um Entscheidung gewendet hätte? Das sind
aber Symptome des gegen w-irtigen Standr ? dnr deutachen Püfbgogik. In einer
riPTTprpn Schrill verlangt in;m sogar. Kegieruug, Geset^t^ehung und Staatsver-
waltung sollen staatliche Aultiichtsorgane schaffen, die fdr iautrichtiges Lesen
nd Singen sorgen. Aniterdem wird gefbrdert, daaa eine OentralgeBangeehnle
nnter staatlicher Leitung errichtet werde. Nimmt denn diese Sehnsiuilt
nach Verstaatlichung gar kt'in Ende? Und da wundert man sich, da.ss hcnte
groie, origiuelle. bahnbrechende Pädagogen nicht mehr auttreten. Männer wie
Comeoina, Aug. Herrn. Fraucke, Bochow, Pestalozzi etc. wären heute einfach
gar nickt möglich, weil ele Yen dem etantUehen Zwangsappant erdiflckt wer-
den würden.
Leider wird es noch eine Zeit dauern, bis der gegenwärtige Streit zwl-
«•'^fif'n autonomer und autoritativer Flldagogik entschieden sein wird. Im Augen-
blick steht er so, dasa die zweite, die auf Ordonnanzen beruhende Pädagogik,
das Übergewicht gewinnen wfli ün Intereese wirklicher If enscbenbildiuig mow
man wtUtscheOt da» bald eine Wendung nun Beawren eintrete. Trübe ist die
Zeit; verzagen aber wollen wir nicht. Der augenblickliche Niedergang d^
^efsti-j-en T.ebens erklärt sich sehr finfuch. Die deutsche Nation hat in den
letzten zelvu Jahren ttülitärii»ch, politisch, legislativ, tinanziell so Aul^erordent-
licheä zu leisten gehabt, dass naturgemäß eine gewisse Erm&dnng eintreten
mnmte. Dbt Menseh ist eben k^ Gott, nnd anek ein ganaee Tolk kann nicht
über seine Kraft hinaus. Eine Nation aber, die in kurzer Zeit so Großes ge>
leistet, darf man nicht misstranisch ansehen, wenn sie anch '^iiiio-p Jahre die
Flügel hängen lässt. Das deutsche Reich wird sich wieder erholen, wir sind
dessen gewiss. Wir klagen über die jetzigen »chlechten Zeiten, wir haben
eehleehtere gehabt Denken Sie t. B. an den Niedergang der dentaehen Nation
im späten lOttelalter : denken Sie an die Sehmach dea dentsohen Reiches zur
Zeit des SOjährijren Ivri g:^; oder denken Sie, was Ihnen näher liegt, an die
Helden ivnsei-es Btirufes, au Comenins, Pestalozzi, Diesterweg. Ihr Lebensabend
war trübe, aber sie verloren nicht die Hoffnung auf den Sieg ihrer Ideen. £a
ist meine Überzeugung, m5ge sie anch die Ihrige sein: Die Znknnft der den^
sehen Päda^sroßrik liegt nicht in der Eneehtachaft, sondern in der Freiheit. Ob
wir diese Zukunft erj. VfPii. ob nicht — w ir werden an sie glauben und in treuer
Päiditertüllung uus mit ieni Worte trösteu: „Wer den Besten seiner Zeit genug
gethan, der hat gelebt für alle Zeiten.'* (Demonstrativer Beifall, Erheben von
den SitspUtastt.)
Ala sweittr Punkt war der Vortrag des Lehren H. Winter- Nürnberg
auf die Tagesordnung geseM: Dar Lehrer Im Kampf gegen das Vor-
Brtheil.
Der Vortragende entwickelte zunäclist eine Definition des Begriffe »Vor-
irMl''. Darnach ist Vomrtheil jede Meinung, die ge&sat wird, ohne dass
amn den Gegenstand derselben der Kritik der Vemnnft nntentellt» oder auf
der man trotz bessei'er Erkenntnis b^rrt. Während also der vorurthcilsfreie
Mensch seiner Vemnnft als einzigen nnd höchsten Instanz das Bichtamt über
üiyiiizeü by GoOgle
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Beine Thaten zuweist, ignoiirt der vorui thiüsvolli diese höcbstp Kichteriu seines
Verhaltens and Terf&Ut dadurch natarnoihweudig dem — Imham. Dennveiui
m efaieni 2äele aw ein Weg Alirti to begflit dch jeder, dw dieaen Vftg fvt'
KhmMht, nottiwendiflr einen Irrweg. Heranageboren «u imiirekhenderEr*
kenntnis, aus Denk- und Unheilsunfilhigkeit, oder aber g^ezeitijßrt durch den
niedrigen treist der Selbsteuclit, der das menschliclie Wollen unter keiner Be-
dingung geleitet und beherrscht wissen vtiil von vernttnltiger Erkenntnis, vom
Uaren Geiiakeii, enehetait das Vemtfaefl Ib sdaeB imiihWmTm fioMMiiBg»
formen stets als mit der Verleagning der Yemiuift identisch, also als Unvw-
nnnft. So gewiss aber klares Denken nnd vernünftiges WoUeo nie als dea
Menschen angebome Attribute g^acht werden kennen. *:o gewiss vielmehr der
edelste Schmuck des Menschen, die sittlich freie I'erbönlichkeit, nur aal' dem
mfihsamen Wege emstMter Selbstarbeit errangen werden kann, so gewiss i^
anch jeder Mensdi einerseits verpflichtet, imermfldet darnach n streben, das
das eigene Thun und Lassen den Stempel der Vernunft trage (Kampf g^en
das eigene Vorurtheil), und andi rfrspits herechtiift, jede Art von Unvernunft,
also auch jede An von Vorurtlieilen, die von außen an ihn herantreten, als
tmbereehtigt zurückznweisen (Kampf gegen das fremde Vormtheil^. Diese
Doppelfordenmg erscheint geradem als ein Peetniat des tegiMhen Hechtes,
ünd von dem Augenblick an, wo es uns gelingt, den Satz ails richtig zu er-
weisen, dass jedes Vorurtheil den Fortschritt schädige, kann sieh kein ehrlicher
Mensch mehr der Theilnahme am Kampfe geg'en das Vornrtlieil auf dem Boden
des logischen Bechtes eutzieheu. — Fortschritt in ehilicliem Sinne ii»t die Ver-
edelnng des Zweckes und der Formen des menschUehen Daseins. Sein Ziel heilt
also Henschenglflck. Welche Mittel stehen dem Mfimh^w sn Gebote, um an
der Ver*'<^e1nng seines Daseinszweckes und seiner Daseinsformen mitzuarbeiten?
Ich kenne nur eines: e« heißt Vernunft. Cultur der Vernunft — so heißt der
Weg zum Glfick. So gewiss dahei* jeder Mensch berechtigt ist, nach G^lüek-
Seligkeit m streben, so gewiss ferner einzig und allein der W^ der Yenimft
dieeem Ziele idüier ffihren kann: so gewiss auch ist jeder Mensch Terpdi^tet»
jede Art von Unvernunft zu bekämpfen. Walirheit und Eeoht fordern von jedem
Menschen die Theilnahme am Kampfe gegen das Vorurtheil. nnd vor dem Altar
der Wahrheit and des fiechtes ist jeder Mensch zam Priesterdieust berufen.
Auf dem Boden der Wahrheit und des Rechtes haben anch Schule und
Lehrer ihren Kampf gegen das Vorarthefl in llihren. Nach nrei BkbtnnKtB
hin enveist sich der niedrige Geist des Vorurtheils, der Geist der Lüge und
der Selbstsucht, als Schädigung^ der Volksschulsachc: eiim^a], indem man dem
Lehrerstand das Sti-ehen nach geistiger Mündigkeit zum ungerechten Vorwarf
der Sdhatilberliebuii^ maeht £a ist ja wahr: Im Lehrerstande genaa so wie
in jedem anderen Stande gibt es solche Elemente, die das Schlehaal mit dem
Papiergeld der — Einbildung- entschädigt. Allein im Dienste einer guten
Sache stellen, sich dabei stets unter voller sittlicher Verantwortlichkeit sein^
Verhaltens wissen und eben deswegen auch als sittlich freie Persönlichkeit
respektirt sein wollen: das ist nicht Selbstuberschatzong, das istSelbstsehätzung.
'„SÜbataehfttnmg aber, hoher Ldienaherr, ist lange nicht ao aohnUe Sünd* ab
Selbsterniedrigung Dann : genau dieselben vcnrtheilsfreundliclien Elemente, die
dem Lehrerstand das Streben nach geistiger Mündigkeit zum nnjf »^rechten Vor-
worte der Selttötüberhebong machen, wollen es auch der modernen Schule nicht vcx*'
üiyiiizeü by GoOgle
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zeihen, dass sie sich die geistige Mündigmachnng des Volkes, die DnrchbildunjE:
der Massen als Arbeiteziel klar und bestimmt ^•orp'ezeichnet hat. Alle licht-
scheuen Elemente, welche sich allerwttrts mit auääiliger Beflissenheit zosammen-
flBduii, iliid befangen von jenem ]iiedrig«ii Wahn, dar hante iM»eh die uithelldoM
Heng« glauben machen mOchte, dal» der Meniehlielt das Glttck zugemessen
and zügt'zllUt sei, dass also Millionen Menschen so viele Freuden des Lebens
entbehren müssten, weil die Hunderte, die sie genießen, sie nur daun genießen,
wenn Millionen sie entbehren. In dieser niedrigen Sinnesart wurzelt das ab-
lehnende Veriialten gewieeer Kreise gegen die Denkachnle deel9. Jalnlinnderls.
Es ist jn richtig, mit der Vemllgemdnerang klaren Denken» nnd Temfinftigen
Wollens werden sich manche Zust&nde, Verhältnisse und Einrichtungen als
unhaltbar erweisen: allein daraus kann doch der Vernunft keine Rchnld er-
waciiseii. Alle Zustände, Verhältnisse nnd Einrichtungen , die vor klarer,
■acligemftSer Einsicht nicht bestehen klinnen, sind überhaupt nieht wert, dass
rie betteken; nnd selbst des MsUnlScfae Beeht kann seine Beweiskralt nnr be-
halten in Verbrttdemng mit dem logischen.
Tn dem Sinne weiß sich die Volksschule der GegpTiwart im Dienste des
Fortschrittes, dass sie klares Denken und vemttnftiges ^Voileu hineintrage in
die breiten Schichten des Volkes, auf dass auch der Niedrigste und Geringste
befthig:t werde, an der Veredelung seiner Daseinssweeke nnd Daseinsftwnien
mitzuarbeiten. Und auf dem Sinn müssen wir nm so fester beharren, je mehr
die rückwärtstreibenden Elemente unser Programm verdächtigen und unser
AnfsTreben erschweren. Wir dürfen es uns nicht verhehlen: unsere Situation
i&t zur Stunde eine außer urdeutlich ernste; allein wir mOgeu auch nicht zagen.
Wir dürfen sogar heltoi, dass man ans von der Seite, ven der wir in sehftneren
Tagen als treue Kampfgenossen begrüßt wurden, und die uns augenblicUlclL
ablehnend in die Ecke weist, in nicht allzuferner Zukunft wieder auf den Plnti
rufe. Nun, wir werden auf dem Plane erscheinen, gerufen oder ungerulen,
wenn die Prophezeiung sich eriullen sollte, das« die bitterste Seite des Kultur-
kampfes, der Kampf nm die Sdinle, erst noch bevorstehe. Wir haben zwar
nur ein Strattmittel: das anfUftrende Wort. Dieses Wort aber, entquollen den
überzeugungstreuen Herzen von 80000 deutschen Lehrern, die alle ohne Aus-
nahme wissen, dass sie tür eine gute Sache kämpfen, es wii'd seine Wunder
wirken. Darum vorwärts: wir haben die Hände voll zu thun, und der Erfolg
wird trage, sobald wir rastenl (BeilUL)
Den letzten Vortrag hielt Dr. Brenning''RrenMn ftber die lyriselie
Dichtung in der Volksschule.
Auss-eliend von der Eutwickluiip des Wesens der Lyrik, schilderte der
Vortragende das Wesen und die Bedeutung des Gefühles. Der menschliche
Geist bat doe dreülube Form seines Seins: nach außen verhalt er sich em-
pAogand, in oidnet nnd verarbeitet er die aallrenommenen Eindrücke,
endlich entschließt er sich auf die umgebende Welt einzuwirken. Bas Empfan-
gen stellt das Gefühl dar, da? Ordnen und Verarbeiten den denkenden Verstand,
das Einwirken auf die Auiieuweit den Willen. Ist die Bildung des Uenaohen
eliK wirklich humane, dann nimmt daran auch das GeÜilil Thal. Nnn ist bis
jetst nnsere Bildung im allgemeinen eine m sehr inteÜaktaeUe gewesen, die
auf das Gefühl nicht immer genftgoid Bllclcsicht genommen hat. Die Bedeut-
samkeit desselben aber ergibt sich, wenn man bedenkt, dass die Gesinnung
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eines Menschen auf «lessoti iTefühl beruht und die üesinnung, auf die Gesammt-
beit einer Generation bezog:en, die öffentliche Meinong bedentet. Ans diesem
Gtrichtsponkte enehdnt denn die Lyrik ein TOisBi^iebai Xitld nr Pflege
des Qefthla. Sie sollte in keiner Schule fehlen ond si Omsten derselben sei
es erlaubt, folgende Thesen Ihrer Zustimmung- zu empfehlen:
1) Die LvT-ik ;)!s die aus dem Gefühl stammende und an das Gef&hl
sich vorzugsweise wendende Dichtungsart hat darin ihre besondere Bedeutung.
2) Die Bildung des Menschen als eine harmonische mnss anch eine Bfl*
dnng des Geftthles sein.
3) Indem die Bildung des Gef&hles den Menschen emp^glich und zu-
gänglich zu mnchen bestrebt ist, dient sie sogleich in bedeutendem MaBe der
siltlichen Charakt«rentwicklnng.
4) In dem Gefühl wurzelt vorzüglich die Gesinnung des Menschen.
5) Beligioii nnd Patriotiamiu sind dem Heosdien Ten der Seite des Oe-
fllhles ans znnftdiet sugftnglich.
() i Die Auswahl der ftir die Sclmle zn verwfTi l- ri l- ii lyrischen Stücke
iniiss eine beschrSnkte sein. r)ie Behaudiung driseiben mms sich streng
inuerlialb der Grenzen des Weäeuü dieser Kunstgattung halten.
Die Versammlnng billigte die vwge tragen« Thesen.
Zum SchloBM nahm der erst« Vorsitzende das Wort:
Meine Damen und Herren! Wir haben das Glück, zurttckschauen m
können, auf drei setrenfsreiche Tagre. Wir haben schätzenswerte Anhahs-
puukie eriialieii zu weiterem Nachdenken und energischem Thun. Es ist ans
ans Herz gelegt, dass wir aveh flr dae lelbliolie Wol anierer Zöglinge Sorge
in tragen haben« Was unser Dittes onageeagt^ hat iSndend eingeschlagen in
unsere Herfen. Pr T^rf^nnint' hat uns ermahnt, unsere Kinder satt trinken
zu lassen am Bora der Diciitniig. Herzlichen Dank den lieben Bremeni. dem
Senat, der Bürgerschaft; Dank aU' den Lieb^ den Einzelnen und den Ver>
einen, die eifrig geholfen, miaer Fest so sehOn in gestalten! Mit dem ScUmS'
gesang: „Nun haben wir vollbracht" und mit dem Wunsche ei&ea frohen
Wiedersehens in DarmsUdt nach zwei Jahren wurde die 25. allgemeine denttthe
Lehreryersammlnng geschlossen.
VaohleM.
(Das Bremer Schulwesen. — SeetionsTersanunlttngea. Telegramme. — Lehnnittd*
attasteUmig. — Allerlei FestUchkeitea.)
Das geeammte Sehnlwesen des Bremer Freistaates stdit unter der Ober*
asfsicht nnd Leitung des Scholarchats, einer Commission des Senats. Die
Verwaltung: der st.ldtiRchen Sclinb'n Hremena führt die Schnldeputation, die
aus den 4 Mitgliedern des Scholarchats, lU Mitgliedern der Bürgerschaft und
4 Lehrern besteht. Die noch vorhandenen 6 kirchlichen Gremeindeschnlen
stehen unter der spedeUen Verwaltung Ihrer Eirehenbehdrden. Gemeinsame
Angelegenheiten werden durch den Schulrath, welcher aus den 4 Mitgliedern
des Schoiarchata und je einem Mitf!:liede der 6 Gemeindel>ehörden <el>ildet
wird, geordnet. Die Schulen der Hafenstädte Bremerhaven nnd Vegesack; sowie
üiyiiizeü by GoOgle
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diejenigen dps Landp-' bieTs stehen unter iliren Kirchen- und Schul commiasionen.
Eine fachmännische Beaufßichtignnj^ der bremischen Schulen findet nicht statt.
Za den höhereu Scholen gehört 1) die Haaptschnle, welche aas 3 Abtheilnngen
besteht: dem GymnadiuD, der Haodebadnde und der auf beide Torberettendfin
Vorschule, in welche die Knaben mit dem 3. Schi4jahre eintret«a. 2) Die
Realschulen, deren Bremen drei besitzt: zwei städtische und eine Privatanstalt.
Die höheren Mädchenschulen, sieben an der Zahl, sind sänimtlicli Privatanstalten.
Zwei davon stehen unter männlicher, die übrigen unter weiblicher Leitung.
Zu den TelknehtaleD in der Stadt Bnmtsk gehören 6 kirchliche Gemeinde-
•ehileo, 6 illitlsohe QeUiebnlen, 5 atldtieehe Freieehnlen, 2 vom Staate snb-
ventionirte Privatanstalten, 2 Wabenhansschnlen, 1 Frauen vereinsschnle.
Brf>nierhaven besitzt zwei 8t<1dtische Volksschulen, Vegesack hat eine spchs-
Btunge Volksschule. Im Landgebiet befinden sich 25 Schulen mit 93 Lehrern,
> 4 Lehrerinnen und 25 Handarbeitalehrerinnen. Die Schulpflichtigkeit dauert
ftr die ToUDMehnlen Tom 0. bis 14. Lebenqfahre. Die VelkaMhoIen haben in
der Regel 8 aufeinander folgende Classen. Die Zahl von 60 Schülern gilt
als die durclisrhnittliche Normalzalil einfv Clufsse Pio Lehrgegenstftnde der
Volksschule sind: Biblische Geschiclite (ein- confeßsiuneller Katechismns-Unter-
richt wird nicht ertheilt), Deutsche Sprache, Lei>en, Schreiben, Rechnen, Geo-
graphie, OeiehlGbte^ Natinseiehlehte, Phjnlk, Chemie nnd Qeeaog. Die Knaben
werden aneh in Geometrie und Algebra und im Turnen unterrichtet; in den
Mädchenclassen wird Unterricht in den weililiclien Handarbeiten ertheilt. Das
Gehalt an sÄmmtlichen stÄdtischen Schulen beträgt für die Voi-steher 2100 bis
30Ü0 il. nebst freier Wohnung, für die ordentliclien Lehrer löüO— 2700
IL, Ar die HiUUehrer 1000—1300 M. In Bezug auf Pendonirang aind die
Lehrer den Staatsdienem gleichgestellt. *An der Hauptschnle beziehen die
Directoren ein Gehalt von fUW) — 7CKX) M., an den Realschulen ein solches
von b'SOO — (KKX) M. Lehrer mit akadem. Bildung sind an der Hauptschale
mit 3000—5000 M., au den Realschulen mit 2700—5000 M. besoldet. Leh-
rer mit eenlnar. fiOdong haben an der Havirtaehide ein Gtehalt von 2500 bis
4000 H., an den Realschulen ein soldies von 2500— 3700 M. Für die Lehrer
an den Sclmlrn des Landgebietefs betrilgt das Gehalt 1500 — 2400 M. Sind
die Lehrer zugleich \'orsteher, 6» haben sie noch freie Wohnung und melir
oder weniger Guten- und Ackerland. Ein eigentliches Seminar mit dre^hrigem
Cnraoa hat Bremen ere seit dem Jahre 1858. Die dotreteadm Seminaristen
mfissen das 16. Lebensjahr voUendet haben. Im Jahre 1877 wurden den
3 Seminarclassen noch zwei Prilparandenclasscu hinziigefRgt, in welche die Schü-
ler nach vnllendeteni 14. Lebensjahre eintreten können. Das Seminar gewährt
seinen Zöglingen weder Wotmung noch Unterhalt, Die Lehrgegenstände des
Seminars rind die gewöhnlichen', Fkemdspraehen hemmen nidit ▼er. Die 5
Classen des st&dtlBcheii Seminars werden vim ca. 100 ZSgUngen besncht Sie
kosten dem Staate jährlich 36000 M. Für Lehrerinn«! bestehen in Bremen
jEwei Privatseminare mit zwf^ij;4hrigem Cursus. —
Sectionsversammiungeu sind bei Gelegenheit der 25. Allg. Deutschen
Lehrenrersammlnng Ifinf abgehalten worden. Es qpraehen Prsfessor Bopp-
Stttttgait ttber Flalbadlaiif nnd atmesphSrisehe PressoniTf Iiehrer Sehier-
ICarlsbad über die Nothwendigkeit und Möglichkeit der Errichtung von Knr-
hftnsem in Karlsbad» £ms nnd lippepringe ond Director Heinrieh-Pra^ über
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^Volksschule und Landwirtschaft**. Außerdeai iiielten der Veiiiii fur ver-
einfachte fiechtachreibung und der Redacteur- Verband deutech -pädagogischer
BMtt«r je eine Sltnuig ah.
BegrSflangstelegramme waren eingatroffen von der achlesischea Provinzial*
lehrerrersaminlung zu Ratibor. dem freien Lehrerverein in Straßbnri^. der
hessischen Landeslelirerversammlung zu Worms, den in Corbach versammelten
Lehrern Waidecks, dem KreMehrerverband Wongrowitz, wie von den ächul-
rSthen Th. Hoftauum tmd A. Berthelt and von Lehrer Bmvn in CeaaeL
Die mit der Versammlttlig verbundene Lehrmittel -Augstellnn^ war auf
12 Zimmer des G>Tnnasiums nnd der Handelsschule vertheilt. Sie war rpirti
und inter< «*«ant, ohne i>doch gerade Neaes zu bieten. Man wandelte anter
lauter Bekanuteu: literarischen UiUsuütteln tur den Unterricht, Sanunlungim
TOB XodeUen, Waadtafeln und BUderwerkes, CHobeo, PlanetaikB, TeUniea,
Sehttlerietehmiiigep» Zeichenleliniiitteln u. s. w. o. a. w. — ieb dealDe^ et ntn
kein Verdienst, den umfangreichen Katalog? abzuschreiben.
Des Glanzpnnktes der Festlichkeiten, des Banketts im Casino, habe ich
bereits gedacht. Schön war auch die Festvorsteilung im Ötadtth^ter, von den
Keinii^^ «i Ehnn der 26. AUge«. Deolidien LekovrannBliing gegebeo.
Nach ScUma der Theatervontellug find programmgeaAB das ProMiadn-
concert in der Börse statt. Börse, Harkt nnd Passage waren festlich er*
leuchtet und von dichtgedrtngten Menscheoma&sen p^f^'l!^ Auch die inn«-ren
BAume der iklrse waren gedrängt voll. In die Auatülirung des Programnis,
das in 5 Abtheilnngen etwa 20 Numem nmfasste, theilt^ sich die Brener
JOUtUeipeUe und der Breiaer mnaargwiagvewitn . fie kaaea nur Stieke
fOB augetnchter Schönheit und Beliebtheit zur Ausführung; im lostnunental-
Programm figurirt<*n dit^ Namen Bffthovpn, Waener, \V(^ber, Schubert, .Strauß,
Bizet. Große und gerechte Bewunderung erregten die Wandgemälde Arthur
Fitger's, deren Effect bei der künstlichen Belenchtung ein ebenso eigener als
gielarllger war. Erat aaek der VittenackMuide Uditela sich daa bwle
Treiben in den weiten Hallen der Börse. Donnerstag oackMlttaga 2 Uhr
schiffte man sich ein zur Festfahrt nnrh d^m rmzend gelegenen BlumenthaL
Vier Dampfer waren in F'ahrt gesteüi und je<ier Dampfer war von Men.schen
dicht besetzt, f reitags früh 7 Uhr gingen zwei Dampler nach Helgoland db.
Leider fühlte dch Ihr Beriehtentatter' nicht eaeticbtig geang, die fHBilHhe
Fahrt mitm wagen: der Qett des Meeres hat ihm niemals daa adrald^oa
Tribitt erlaeeen.
Wie schön eine Allgemeine Deutsche Lehrerveraanimlung sein kann "
BreBMn hat es anih neae gezeigt, nad wean Jemala die OeeeUoble der deat-
sohea Lehrertage im Zoeammenhange geschriebea werdeaieUte^ die freie Hanse-
stadt darf sich heute schon eines Ehrenplatzes in derselben fär versichert halten.
Alles vereinigte sich dort, die Bremer Tage mit einem Kranze zu 'j'-hmücken,
der die Erinnerung zu einem unveigesslichen machen wird: liebeuäwüo^ige
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Bürgpr, prachti^r Himniol. schnne Natur und — freier Pfin^stgeist. Sünimt-
Uche Themata wnrdea mit einer Würde behandelt, die aacä den Gegnern im-
poniren muss.
Düren elgeDtlidMn Charakter eiliielt dfo 25. ÄUgemeineDentidie Lehrer-
Versammlung diurah Dr. Lftni^e imd Dr. Dittes, durch Dittes mehr noch
als duTcb Lang:e. Lange liebt es, sich als „altes Haus" anfzuspielen.
Das ist er nicht. Alles ist au ihm jung geblieben, Kopf and Kons. Er trägt
seine Jahre wie ein Junger. Noch immer .ist er der Schrecken aller Steno-
graphen, noch immer weift «r die bittettten Dinge mit dem fteandlicbafeeii
Monde so «igen, noch immer sprodetai seine Beden Ton Witi ond Geist. Mein
Referat über seinen Vortrag gibt nur eine schwache Vorstellung von dem be-
wegten Leben einer L an fje 'sehen Rede. Ein Eimer Wasser ist eben keine
Welle mehr, und den Schmetterling muss man betrachten, wenn er um die
Blomen gaokelt; Ist er einmal angel^ftet, dann liat er anfgehürt, eiu Solmiet-
terling zu sein. Leider ist tmserm Freunde das Kalhsor «iderfUirent wegen
seines letzten Vortrages von der „Kreuzzeitung" — belobt zu werden. Lange
von dem Organe der Kleist-Retzow, der Senflft-i^ilsach, der Waldow*SteinhöTel
belobt, das ist wirklich hart, lieber Doctor — ich condolirei
Dittes war nicht mit besonderer Neigung nach Bremen gekommen, dort
einen Vertrag n halten. Nor aof eindringliches Bitten seiner nlh«renFreonde
ließ er sich bewegen, von der Tribüne herab m der Vtfsammlung zu sprechen.
Ks mr>£^ ihm eine peinliche Situation sein, sich schwarz auf weiß gerühmt zu
sehen m einer Zeitschrift, die er selbst mit seinem Namen zeichnet. Indes ich
kann ihm nicht helfen. Nachdem er einmal gesprochen, gehört er zur Jubelfeier
vh» die Sonne snra Tag. So einfach, so schlicht, so ohne jeden oratorischen
Schmuck seine Rede auch war — zwischen den Sätzen derselben wogte der
Strom tipf^■t^'r Knipfindung. die sich den Hörem mittheiltr wU- Fl^ ktricität. Es
war eine erKrt itViid ' Rede voll hoher Vredanken, welche die SclilRirigkeit auf-
rüttelte. }tlaa eriiub sich von den Sitzen, man brachte die Hände an die Ohren,
um sidi ja Itein Wort entgehmi so lassen, ond Brave! Bravo! branste es immer
wieder durch den Saal. Stürmischer Applaus hatte den Redner empfangen,
nünutenlanger Beifall dankte ihm für seinen Vortrag. Nach dieser Rede hofft
man wieder. Mögen auch Deutschland und (Österreich wieder einmal etwas
Beaction treiben; mag das Gestern, das Heute, das Morgen ein noch so trübes
AntHtn selgai; mSgen insond«rh^ wir Ldirer ersehreeht sdn von den herein*
atftrzenden Wssiem eines Zuriickbildungsprocesses, der aof heftige Vergeltungs-
acte sinnt: unsere Hoftnnng soll stärker sein als unsere Furcht. .,"\'or'.vRrts
schauen!" das soll nicht uns^rt^ Philosophie sein, sondtnn unsere Nntur. In
einer Zeit, die ausreichend Aniuss bietet, Uber gewisse Tageserscheinungen Ept-
bMm obseorerom virorom des 19. Jahrhunderts no schreiben, ist es verdienst-
lich, zu unseren Idealen aufzuschauen. Schon einmal sind die letzten Ziele der
schul lind bildungsfeindliclien Hochflut crrschoitf^rt nn dem idealen Sehnen
und .Streben ; schon einmal haben wir erfahren, dass ein reactionäres Niemals
kein ewiges Nein ist — wir werden es wieder erleben. Als die Kleist-Retzow,
die SenUt^Pilsach, die Abel gegen den modemeo ,^QfklSrieht" wetterten ond
das gellfigelte Wort von der Umkehr dm* WftKenschafterAmdenward, da war«!
es die Lehrer, allen voran Diesterweg, iVif^ iIhr Banner der PJldagogrik hoch
hielten i aach heute wird die ideale Bewegung auf dem Gebiete der Erziehung
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— Ö86 —
und Bildang nicht einzuBchläfern sein, weim wir Lehrer auä uus die Kruft
d«8 WlUeBB gewinnen, nicht einer Str5miing die Waffen zu stellen und als
WfgkMtng ka dienen, die bloe sehoettchtig der Zeiten harrt, wo sie wieder den
Schulmeister mit anherrschen und Ihn nun Wanderüieh von Bnoer sn
Baner verdammen oder 7M Naturalliefenmpren heg^adisren kann.
Hätt« ich die Rede Dittes' mit einem Motto zu schmücken, ich würde
das HoraziMhe Non omnis moriu- wftblen : ich werde nicht ganz sterben.
▼««■«woctiiehirnadaativ: Dr. rri«4rich DitUn.— BsckdnMknd Jsliit Kliiikkftrd(,
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Über deu gegenwärtigen Stand der dentschen Pidagogik.
Vortrag,*) gebalten m BremCB am 17. Ifai 1883w
Von Dt Fi ietli'irh Ditten. X*
Oeehrte Yersnnimlung! Das 'J'lipran, über wpIcIihs ich zn sprechen
lialie. steht in iiinerein Ziisammenhaug mit der schlichten, aber erheben-
den Gedächtnisfeier. weh'he soeben begangen worden ist. Eis wird
\n>len von ihnen bekannt sein, dass mir die Anfgabf* zugefallen ist,
>^\\i Werk der vielverdienten Sclinlmänner Lüben und (Tt-nfe fnrtzu-
seUeu, nämlich den „Pädagogischen .lahresbericlit", welcher wesentlich
dazu bestimmt ist, von dem jeweiligen Stand der deutschen Pä-
dagogik ein Tuöglichüt treues Bild zu entwerfen. Als nun von
mehreren Seiten die Aufforderung an mich erging, etwas beizutragen
zur Belebung der 20. Deutschen Lehrerversamnihiiig, war ich eben mit
den Arbeiten fiu- deu 3."). Band des „Pädagogischen Jaliresberichtes"
zu Ende, und ich glaubte, dass es gerade in Bremen, dem letzten
Wirkimgsfelde der genannten Mftnner, am Platze sei, einen Blick auf
den gegenwärtigen £(tand der dentsdien Pftdagogik zd werfen. Ja,
ich dachte, es würde dieses Thema geeignet sein, auch fttr alle künf-
tigen allgemeinen deutschen Lehreryersammlimgen einen Gegenstand
der Besprechnng zn bilden.
Nim freilich, mit heiterer Stimmong kann man Jetst nicht an die
ErOrtening dieses Themas gehen: es ist» wie Sie wissen, zur Zeit nicht
viel Stoff vorhanden zu „freudigen Gesängen** über die deutsche Pft-
dagogik; allein es aiemt dem Manne» der im Strome der Zat steht,
*) Obwol bereit.s die vorige Xummcr des „Pädago^ums" eine Skizze des ym-
liegeudeu Vortratrr-* gebracht hat in, df-ii Bericht xm Dr. V. S'ehramni\ möge der-
selbe, vielseitigen Wüuschen eutsprecheml, hier votli«taudig nach <len •jicuagraphischen
AQfitdchnuugen folgen. Die zaIüreieheD Puenthesen Über BeifUUibezeigniigeu mögen
hier «ntfidlen.
**) BekriUttnng der Gribor Lüben*» und GrKfe'e nvf dem Friedhofe in Bremen.
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— 588 —
in üun Stdlung nehmen nnd arbeiten mnss, sich zn orientireii, welche
Stande die Uhr der Zeit xägt, nm darnach sein Verhalten euzorichten.
Das Thema hat ttberdies noch die große Schwierigkeit, dass ea ein
sehr veitschichtiges, viel nmfiissendes ist, und ich muss daher gleich
im voraus bekennen, dass es mir nicht möglich sein wii-d, es einiger-
maßen ei-scliopfend zu behandeln. Auch hat es seine Domen: es ist
nicht möglich, dasselbe ganz harmlos, ja es ist nicht einmal möglich,
es unparteiisch zu erörtern. Denn wer selbst an der Pädagogik zu
arbeiten berufen ist und sich bemüht, dieser Pflicht gewissenhaft nach-
zukomnien, der muss Partei nehmen für ein bestimmtes Princip, fTu-
eine bestimmte Rielituiig; er nuiss! eintreten fnr das, was er für i-echt
nnd gut und wahr hält, und somit anderen Auffassungen entgegen-
treten. Dabei bleibt aber die i^'reilieit des ürtheils für Jedermann
g-ewahrt, weil ja niemand durch Anhören eines Kef.'rats sirli sp|Vi>t
schon für die eine oder andere Richtung entscheidet, ^ imIi l u zaiiacli>t
nur eine Orientirung über die verschiedenartigen Ansichien bezweckt
wird. Wenn nun in meiiM H AusfÜhningeu Lücken bleiben werden,
vielleicht gar l'ehler vorkoimnen sollten, so betrachten sie die Be-
handlung des aufgestellten Themas als einen Versuch, der aui dti
nächsten Versammlung wiederholt, ergänzt und, wo nöthig, berichtigt
werden kann.
Ich möchte vor allem den Gmndzng der heutigen Pädagogik her-
vorheben, nnd ich glanbe denselben damit besdehnoi zn sollen, dass
die gegenwärtige Pädagogik, sowol in der Theorie als in der Praxis,
eme gewisse Unsicherheit, Tinste tigkeit, Unbestimmtheit zeigt
Es fehlt ihr das stabile Gleichgewicht, es ist m ihr ein tiefer Zwie-
spalt unverkennbar, der deutlich aus der ganzen neueren Literatur
unseres Faches ersichtlich ist, ein Kampf zwischen zwei entgegen-
gesetzten Richtungen, von denen selhstverstlndlich jede nach der Ober-
herrschaft strebt und mit der Zeit die eine oder die andere vouchwinden
muss. Nebeneinander bestehen können sie auf die Dauer so wenig,
wie das Eopemikamsche und PtolemÜsche Weitestem aof die Dauer
nebeneinander bestehen konnten. Diese beiden Weltanschaumigen
haben zwar auch eine Zeitlang miteinander gekämpft, so lange es
nämlich zweifelhaft erschien, welche die riclitige sei; aber mit der Zeit
musste auch hier, wie äbeniU, die Wahrheit den Sieg fiber ihr Gegen-
theil davontragen.
Der Gegensatz, der in der deutschen Pädagogik jetzt immer
schärfer hervortiitt, wird natürlieli von verschiedenen Parteistand-
punkten ans verschieden defioirt und bezeichnet Wenn ich also von
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Standpunkte ans diesen Gegensatz diarakterisire, so bleibt
68 natürlich den G^ern anbenommen, audi ihrerseits Stellang zu
nehmen. Ich meineBtheils sage, dass gegenwärtig die auto-
nome, selbstständige Pädagogik im Kampfe liegt mit
einer abhängigen, gebundenen Pädagogik. Ich könnte
diesen Gegensatz auch mit den Ausdrücken Überzeu^ungs> und
Autoritätspädagogik bezeichnen. Die ei-stere, die Überzeugungs-
pädagogik, ist die classische, diejenige Pädagogik, der alle nam-
haften Männer der G^hichte unseres Faches, von Plato und Aristo-
teles an bis auf die neuere Zeit, gehuldiget und gedient haben. Die
andere Art von Pädagojnk sehe ich meinerseits als eine unclassische, als
eine Aftcr-Pädag-ogik an, die erst in neuester Zeit mit Schrofflieit jener
ersten entgegengestellt wird. Wollten wir uns den Sachverhalt durch
Bfispiele, durch einzelne Vertreter der Pädagogik anschaulicli ver-
gegenwärtiö^en. so kr»nnte man nicht weiter zurückgreifen, als bis in
die vierziLt r lalu'e unserem .lahrlnindorts. Wfis ifh meine, lässt sich
am kiii'zesten durch die Nennung einig-er Nanu ii deiiflii'h machen. Die
erstere Richtung, der ich selbst auch angeh(jre, kann bezeichnet werden
diuch den Namen Diesterweg, die andere durch die Namen seiner
directesten Gegner Stiehl, ßaumer n. s. w. Weiter zurück kann
man diese namentliche Entgegenstellung in ganz gleichem Siuue nicht
verfolge Ii, weil, wie gesagt, alle namhaften Vertreter der Pädagogik
Älterer Zeit derjenigen Richtung angehörten, die ich als die autonome,
als die selbstständige, als die Überzeugungspädagogik bezeichnet habe.
Denn wenn audi schon zwischen Flato nnd Aristoteles^ oder, um ein
Beispiel aus neuerer Zeit anzufAhren, zwischen A. H. Francke und
J. J. Rousseau ziemlich starke Gegensätze statt&ndeii, so sind diese
IfSnner doch alle darin ttbereingekommen, dass ein jeder von ihnen
nur das als wahr nnd recht und heilsam aufstellte, was seiner persGn-
lieben Überzengong entsprach; und darum eben handelt es sich vor
allem, dass der Mensch, besonders der Pädagog, seiner Überzeu-
gung getreu spricht, wirkt und 'lebt Dass damit sogleich die
absolute Wahrheit gegeben sei, wird ja selbBtyerständlich nicht be-
hauptet Es ist in der Pädagogik wie in allen anderen Gebieten
men»:hlicher Geistesthätigkeit. Wenn etwa in der Naturforschung
oder in der medicinischen Wissenschaft ein Streit stattfindet zwischen
Lehrmeinungen der Speculation oder Tradition und den bishcdgen Er-
gebnissen der inductiven Forschung, so ist, falls man der letzteren
huldigt, damit noch nicht gesagt, dass man durch diese Methode des
Forschens sogleich alle Wahrheit finde, dass bei ihr sofort jeder
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Irrthum ausgesclilosseu sei : aber die Mögücbkeit, zur Überdostimmim^
in unbestreitbaren Wahrheiten zn ^langen, ist damit gegeben. So
auch auf dem Gebiete iler Pädagogik: die Satzungen der Aatorit&t
sind wandelbar, Sicherheit gibt nur die l'berzeugung.
Um diesen Gegensatz wenigstens andeutungsweise etwas tiefer zu
begründen, erlaube ich mir darauf liinzuweiseu, dass alle gesunde
CultiU', alles normale Geistesleben, alsu auch alle echtf Wissenschaft
und alle echte Kunst, folglich auch alle walire Pä(l:i:^a»gik in Theone
und Praxis hervorgehen muss und zn allei) iu ii hervorgegangen ist
aus dem der Menschheit eingebornen Sinne für das Ideale, tiir da«
Wahre, Schöne und Gute und aus der treuen Hingebung au die>e
Ideale der Menschheit. Da^ ist der wahrhaft göttliche Ursprung alles
höheren Culturlebens und aller Humanität. Wenn sich die Wisjiea-
schaft oder die Kunst dieses göttlichen Ursprunges entäußert und
entfremdet, wenn sie Einflüssen folgt, die au Ü er halb dieser eigen-
thUmlichen, ursprünglichen Triebfedern liegen, wenn sie sich von
wechselnden Zdtströmnngen, von dem momentanen Piuteitreibenf von
Bücknehten der Nfltzliclikeit) der Klugheit» oder tou sfeuren tiieolo-
gisclien Satsongen, oder von bmeaokratisclien Ordonnanzen bestimmen
und lenken iSsst, so entkleidet sie sich ihrer Würde» so steigt sie
hinunter in das Gebiet des Handwerks, der BonÜne, des Geschifts.
Die P&dagogik wird dann eine Hagd, die jedem m dienen bereit ist,
der Brot, Ehre, Fortkommen u. s. v. in Aussicht stellt, oder wenigstens
Uber die Gewidt verfögt
Hiermit, meine Herren, glaube ich in KOrze den Gegensatz be-
zeichnet zn haben, «der in der neueren Pftdagogik hervortritt Es gab
allerdings eine Zeit, und ich scheue mich nicht, diese Zeit genauer zn
bezeichnen — es war das Jahr 1848, dessen sich die filteren unter
uns noch erinnern, ich meinestheils, wie ich unumwunden gestehe, mit
hoher Freude — es gab eine Zeit, wo man hoffen konnte, das Princip
der selbstständigen Forschung, der inneren Ent^ickelung alles Geistes-
lebens und damit auch der Pädagogik werde durchdringen. Es kam
damals sogar — wenigstens theilweise — ein bestimmter Ausdruck
für diese T?ichtung zu Stande in dem bekannten Satze: ^Die Wissen-
schaft und ihre T^ehre ist frei!" Dieser Satz ist sogai- in Staatjäver-
tassungeu eingedrungen, die noch heute gelten, z. B. in die österrei-
chische. Auf die Pädagogik angewendet würde dieser Satz lauten:
Die Pädagogik und ihre Praxis ist frei, d. Ii. antnnom. sie irestaltet
sich lediglich ans den ihr eigenen Idealen mal «rfst tzen heraus. Ich
brauche dies nicht näher zu erläutern, weil limeii gestern von dem
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— &91 —
ersten Herrn S[)recher'*^^) ein Stück solcher Pädagogik vorgeführt
worden ist, nämlich dasjenige Stück Piidajrooik, welches sich auf die
physische Entwickelunir und Bildung- des iMeuschen bezieht. Da ist
lediglich die Natur und zwar die Natur des Leibes mit iliren Krätien
und Bediu-fnisisen als Norm hincestellt worden, in ausdrücklichem Gegen-
ivatze zu einer engherzigen, beschniukeudeii Auffassunsr dieses Theils
der Erziehung. Analog liegt nun das Verhältniii l)ezüglieh aller anderen
C'apitel der Pädagogik. Auch da sollen lediglich die anthropologischen
Wissenschaften im weitesten Sinne des Wortes die Basis, die Norm,
die Ausgangs- und Zielpunkte bezeichnen, also die Psychologie, die
Xiogik, die Ethik u. s. w. Wenn andere Maximen geltend werden,
80 ist die Pädagogik von ihrem geraden, richtigen und berechtigten
W^e abgelenkt» und dies vird leider gegenwftrtig meder vielfoeh
versacht Denn erstens ist es ja allbekannt, dass die alte Gegnerin
der freien, selbststindigen Pädagogik nenerdings wieder za hervorragen-
der Bedeutnng, zn einer gewissen Herrschaft Uber das Bildongswesen
gelangt ist Es ist das die orthodoxe Theologie mit ihren confessio-
ndlen Satanngen, die man von dem Standpnnkte ihrer Vertreter ans
als „onantastbare Heilswahrheiten** betrachtet Dem entspricht es,
dass man den Vertretern dieser Heilswahiiimten ein Obergewicht üi
der Gestaltung des Erziehunga- nnd Schnllebens anweist Ganz
natOrUch: wenn der sogenannte Staat, d. h. leider in unserer Zeit
meistens nur die jeweilige Beamtenschaft, wenn also der sogenannte
Staat wirklich der Überzeugung ist, diese theologischen Lehren seien
zum Heile der Menschheit, zum Heile des Volkers unentbehrlich, sie
seien die wahren Fundamente des Glückes der Welt und der Staaten,
dann ist die Beamtenschaft — oder sagen wir: der Staat — freilich
ganz berechtigt, ja im Interesse der Fürsorge für die Bevolkemng
sogar verpflichtet, diesen Elementen das T'T)ergewicht einzuräumen.
Hieraus erklärt sich, dass ^-ef^enwärti},^ gerade im frr'isstcn deutschen
Staate diese theolosrisehe Eichtung wieder zurMaciit gelangt ist. Dass
dem so sei, ist wol außer Zweifel; ich werde keine ausführlichen Dar-
leguii^'^fn liii l über zu geben brauchen, vdW nur, weil ich doch meine
Skizze wenigstens mit einigen Belegen ausstatten muss, eine kurze
Stelle miltheilen aus einem Briefe, welrlien ich erst vor wenigen
l'agen von einem der angesehensten deutschen Schulmänner erhalten
habe. Da heißt es: „Seit vielen Jahren ist es Maxime, zu Seminar'
*) Dir.Dr.S(^Mls*BTemen, welcher über ,,die OeBimdkeiUlehre la derVoIlcMditile"
leferirte (s. den Bericht in der vorigen Nwnmer)»
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direcioreu \\n<\ Scliuln'ithen nur \uv\ allein conservativt und orthodoxe
Tlieuloq^en zu enirniit n. Wer (lie>e (^ualirication nicht hat. ist e«» ipso
von der Bewei-huiigs- und Bet tnlerun^^liste ausgeschlossen. Die Keaftion
ist in voller RlUte,** — Idi bemerke, das.s diese Mittheilnngen wort-
getreu eiitüüiüDien sind dem Briefe einer Autorität, in deren Zuver-
lässiierkeit ich meinerseits durchaus keinen Zweitel setzen kann. Sollte
dessenungeachtet diese Schilderung nicht vollständig zutreffend sjein —
ich glaube aber, sie iüt es — so würde auch hieraus folgen, das> ziu
Zeit die Pädagogik sich in einer großen Unsicherheit, in einer bedenk-
lichen Schwankung, Unbestimmtheit, Dunkelheit befindet; denn wenn
selbst solche Minner, die anf den höchsten Posten stehen, die die
allermeiste Gelegenheit haben, sieb ToUstSndig zn infofmjren, fiber die
heatige Biehtnng sich irrten, ivie soliten dann die vielen anderen eine
bestimmte Aoffossmig der heutigen Biehtnng erUingen kennen?*) —
Kars, im wesentlichen wird die Behauptung nicht anfechtbar sein,
dass die Pidagogih heute nicht unabhängig ist von confessiondlen
Satanngen. Dies ist Ja auch anderweit genOgend bekannt Tor nicht
langer Zeit hat ein Müiister des deutschen üntemehtswesens öffentlich
die confessionelle Richtung als die seinige bekannt, hat auch ans-
drBddich gesagt, dass die Theologen von sdbst qnalifidrt seien, in
„die Mysterien des Volksscholnnterriehtes^ einzudringen, ohne einer
besonderen pädagogiflchen Befilhigung zu bedürfen; er hat also ans-
dinicklich anerkannt, dass man die Pädagogik als ein Anhängsel, als
eine Zugabe, oder als einen integrirenden Bestandtheil der Theologie
anfiGsssen könne, und dass eine eigene fachmännische Befähigung, ein
eigenes Vorstudium für sie nicht nothwendig sei.
Was übrigens den Ausdruck betrifft „Mysterien des Vcdksschul-
unterrichtes", so weiß jeder, der eine fachmännische Bildung besitzt,
dass niemals ein Vertreter der freien, autonomen Pädagogik die
Meinung geäußert und vertreten iiat, die Pädagogik, specieil die Volks-
*) In der That ist obige Angabe Tollst&ndig sntreffend. Wer dafir ein»
gMUs nnftnftehtlMdte, Sffentliehe, officieDe imd doevmeiitaiiselie Antoiitlt Tskagt,
den verweiseu wu" anf das „Centrai-Blatt fiir das tce^aiiiinte l«e»li»che rntemchl»-
wesen*'. Ans demselben ht ersicLtlidi. dass in fr übereil Zeiten, selbst nnt^r
Ranmer mul Stiehl, den Vätcni der Kegtilative, auch Nicht- Tbeolc^n tu i?e-
minardireciureu und äcbulräibea ernannt wurden (z. B. Fbc hl Soest, Bichtor ia
Teudeni, Kettner üi Trier, Prange in Oppeln), was in ehinhiea Fitten eneh iioch
nnter Falk geschah; dagegen dnd, laut der angefthrten Quelle, nnter den beiden
. neuesten Ministem, Ptfttkamer und Gossler, ausnahiiislno nur Tlienl ,gen
und zwar solchf den n Rechtglänbigkeit und consenrative Gesinnung anUer Zweifel
stand, auf die erwuliuten Posten berufen worden. D.
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— 593 —
sdinlpädagogik, sei em Hysterinm, Bei ein System von geheimen Lehren
und geheimen Gebränchai; dies kann also nnr eine satiiisdie Bemer-
kung sein, die übrigens für den Urheber in so fem richtig sein mag, als
es allerdings eine OelstesrerfuBimg gibt, bei weld^er «iifclidi die Pä-
dagogik nnd auch der Volksschnlnnterricht ein Mysterinm ist. Meine
Herren, worin liegt das? — Es ist bekanntlich seit langer Zeit viel ge-
sprochen worden von der „ Vermälilung des christlichen und germanischen
Geistes'*. Ich und wol Sie alle werden gegen eine solche Vermählung
nicht« einzuwenden haben, wenn sie tren nnd ehrlich stattfindet:
wenn sich das wirkliche Christenthom, wie es nach evangelisch-pro-
testantischer Auffassung in den Originalquellen desselben zu suchen
ist, und der deutsche Geist, wie er in den besten Männern der Nation,
in Schiller, Goethe, Kant, Fichte, Lesj^ing^, Herder ii. w. vtrtreten
ist. miteinander vermählen, so werden wir alle uns dessen nur lieuen
können. .-Ulein daran fehlt es eben; denn wenn die Verkündiger
dieser Vermählung es autriciitig meinten, so wiifflen sie ja anch ent-
weder im Ohristenthuni oder in der deutschen littiauir den Schlüssel
für das besagte ,,Mysteriunr' finden. Der Chiist hat ihn iu dem
Worte: „Kehret um und werdet wie die Kinderl'* d. Ii. legt eueren
Hochmuth ab, entspringe er nun aus juiikcrhafter Blasirtheit, oder
aus theologischen Quellen, oder aus der Selbstüberhebung der Bureau-
kratie! Legt eueren Hochmuth ab und gebt ench mit pietätvoller
Verehi uiig an die Ideale der Menschheit Inn. so habt ihr den Schlüssel
der Pädagogik. Oder wenn etwa diese Hälfte der neueren Cultur
(die christliche Anschauung) nicht genügend entwickelt ist, so kann
man in der anderen Ersatz finden; da wird man hei einem Dichter
lesen: „Was der Verstand der Verslftndigen nicht sieht, das ftbet in
£infUt 6hl kindlich Gemflth"; oder man wird lesen: »Das Qeisterxeich
ist nicht verschlossen, dein Sinn ist zu, debi Herz ist todt." Thnt enre
Sinne anf, belebt ener Wahrheitsgefllhl ftr das, was m den BUchem
der Ifenschheitageflchiehte oflfon vorliegt, und erwünnt eure Herzen
für alles Wahre, Schöne nnd Gnte; nnterw^ ench dem, was ihr als
gOttUchen ün^mngs erkennen mtlsst: dann gibt es keine Mysterien
des Volksschnlnntemchtes. Biesen Sinn, diese offene Hingebang an
das Wahre, Schöne und Gnte hatten die größten Führer des mensch-
lichen Geisteslebens, Pinto nnd Aristoteles so gnt wie Kant nnd
Fichte; und diese Hänner haben es nicht unter ihrem Range, noch
weniger unter ihrer Würde gefunden, sich der Erforschong der Päda-
gogik hinzugeben, sie haben einen Theil ihrer großen Oeisteskräfte
gerade unserer Wissenschaft gewidmet. Im Hinblicke auf diese That-
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— 594 —
Sache, meine Herren, iriid Sie hoffentlieh jenes yerletxende satirische
Wort Ober Due BernfMssenschaft nnd Bem&konflt nkfat nieder-
schlagen; denn was die grOftten Geister der Mensehhdt f&r ein
vflrdiges Ziel des Strebens erachtet habeE, das kann tSar niemanden
ein Gegenstand der GeringBch&tssong sein. Es liegt aber eben leider
in jener Geringschätzung ein gewisses System; es liegt in der Ver-
bindung der bureaukratiscben Beyormnndung mit der theologii>cben
Satzung ein Hauptmerkmal der gegenwärtigen Situation aui' päda-
gogi-schem Gebiete. Es kommt darin die Verbindung des geistigen
und weltlichen Absolutismus zum Ausdrucke, welche hemmend auf die
freie Gestaltung der Pädagogik einwirkt. Dass dem so sei, das ist
für den Kenner (\^r neuesten Literatur der Pädagogik aufter allem
Zweifel. Hinrzii nur noch einige Belege.
Unter den pädagog-isclien Schiiften, welche im letzten Jahre
erschienen sind. l>etindet sich u. a. ein in seiner Art recht Bxh h
iintpr (l^m Tite!- Anleitung zur Vorbereitnn? anf das zweite ExjnnHn.-
Dieses iiuch i>l voll einem geachteten und ^^ediegenen preuliischeii
Schuimanne verfasst, der sich vemnlasst jresehen liat, seinen jüngeren
Collegen behilflich zu sein, dass sie nui gutem Erfolge die Staats-
prüfung ablegen, um, wie er sagt, den „Panisbrief" zu erlangen. Xehen
den nöthie:en Instructionen zur \'orbereituiig kommt da u. a. eine
sehr eindringliche Warnung des Inhaltes vor, dass man sich ja vor
Äußerungen hüten solle, „die im Widerspruche mit der herr-
schenden Auffassung stehen**. Zur näheren £rläuternng, wie
das gemeint ist, wird folgmdes I^ctnm erzählt: Ein Prfifimgscandidat
hatte f&r die schriftliche Arbeit das Thema erhalten: «Die ideelle
Volksschnle;" er arbeitete dieses Thema ans nach bestem Wissen nnd
Gewissen, nach seiner persönlichen Überzeugung, bekam aber daranf
den Bescheid, dass er infolge dieser Arbeit „wegen anreifer Ge-
danken** nicht zur mündlichen PrOfhng zngehissen werden kOnne
und zwar deshalb, weil er sich in dieser Arbeit fttr den Wegfall
des „confessionellen** Beligionsnnterrichtes ansgesprochea
hatte allerdings nnr in der »ideellen** Yolksschnie der Znkonft,
also doch nur akademisch. Der Hann hatte sich ja nicht losgesagt
von der Verpflichtung, die ihm derzeit obliegt; er hatte aber gememtt
in der „ideellen^ Volksschule sei der „confessionelle** Religionsunter-
richt nicht zulässig. Dafür wmde er nun »wegen anreifer Gedanken*"
von der mündlichen Prtifimg zurückgewiesen. Dass dieses Factum
richtig ist« halte ich für zweifellos; denn es wird bericlrtet von einem
durchaus zaverlftssigen Manne und zwar in einer öffentlichen Druck-
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Schrift, welche bisher von keiner Seite in dieser Beziehung rectificirt
worden ist Warn nnn also eine solche Wamong nöthig ist, und
wenn derselben noch ansdrUcklich beigefügt wird, wie es in dem
erwAhnten Buche geschieht: »eine solche Wamiing sollte freilich nicht
nöthig sein* — so beweist, dies doch, wie durchgrdfead der vorhin
charakterisirte Gteist sieh bereits des Scbnlweseiis bemftchtiget hat.
Was Übrigens die „unreifen Gedanken** betrifft, so ist es bekannt,
dass sehr reife Geister — ich will nicht einmal von Diesterweg reden,
der Ja als Bevolntionär ansgeschrieen ist — z. B, Universit&ts-
Professoren', ganz objectiv denkende, der Praxis fianistehende Männer
von gediegener Einsicht, ja, dass gansse YOlker den confessionellen
ReUgionsunterricht aus der Schule ausgeschlossen haben, wie z. B.
England, Belgien, die nordamerikanischen Staaten: man wird doch
die nicht alle miteinander für nnreif erklären? Hat denn so ein
Examinator, der ja oft selber kein Examen gemacht hat, allein die
Geistesreife gepachtet?
Das sind aber oüenbar nur Vorwände zur Durchsetzun«:^ eines
Systems, das man nun einmal für das derzeitig privilegirte Staats*
System ansehen muss und wklich ansieht. Es beruft sicli da immer
eine Autorität auf die andere, und aiif einer je hfiheren Stute ein
Beamter steht, um so liüher ist anclt sein Greist und um so reifer und
dictatorisclier der niederen Stufe gegenüber.
I)as wäre nnn mt. wenn nur n)it der äußeren ('uuipetenz auch
die iunere verbunden wäre. Im Militär z. B. mag so etwas gerecht-
fertigt erscheinen, denn da ist factisch mit der äußeren Autorität
durchschnittlich auch die innere verbunden. Der Corporal versteht
vom Militäi'wesen mehr als der j^enieine Soldat, der Feldwebel wol in
der Regel auch mehr als der Corporal, der fluni) Lmann ■^^'i^der mehr
U. s. w. Da ist es ja gerechtfertigt, dass der Obere auch in Sachen
' der Einsicht Subordination verlangt. Aber weil einer im Schul-
Wesen ein höheres Amt bekommen hat, als der andere, wobei nicht
selt^ Eigenschaften den Aasschlag geben, die gar nicht mit der
inneren Berdbbildung zasammenhängen, deswegen sich zun Bichter
anfisnwerfen Aber die Meinnng der Untergebenen, das halte ich nicht
ffir gerechtfertigi Man geht dabei aber immer weiter, man sacht
efaie immer höhere Aatorität, von einer Stnfe zur anderen steigt man
aof und gibt dem Untergebenen Anweisang, dass er sich ja genau
informiren solle, woher der Wind weht In dem angeführten Buche
koDunt n. a. noch folgender Rat vor: „Erkundige dich während der
Vorbereitung genau nach den Lehrbfleheni, die der Examinator zu
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Gnmde legt.** Das ist ein wirklich collegialiflcher, wolgemeiBter Batk
Denn wenn nnn einmal das liesagte Snbordinations^ystem besteht,
warom soll dann der Brave, Tflcbtige, Eifrige wegen einer in dies^
Bedebimg begangenen UnYorsicfatigkeit znrückstehen hinter dem, der
vieUeicht minder tüchtig, abor Uflger ist? — Allein welches I^cht
wirft jener Bath anf die Verhältnisse? Also der Hen* Examinator
legt ein Bach za Gnmde, aus dem nimmt er seine Pr&fongsfragen,
und der Examinand soll natürlich auch aas diesem Bache die Ant-
worten entneiunen. Das ist doch eitles Scheinwerk, ein bloßes Hand-
werk, ein Auswendiglernen nnd -Wissen. Der Examinator sollte doch
ati!^ sich heraus die Fragen holen und der Examinand aus sich heraas
die Antwoi-ten. Sonst haben wir ja bloße Einpankerei för den Examen-
tisch und keine Vorbereitnng filr den Dienst, für die Praxis. AV>er
es scheint biilpr norliw-rnKlif^f zu sein, dass sieh viele Examinatort-n
nach einem Leiiladen riciiten. Denn wenn sie keiner eigenen Beruls-
hilduHL^ bpflürfen, wenn ein anderes Siudiiim schon zur Einnahme
eines pädagogischen Amtes (jualilicirt. nun. dann müssen sie freilich,
am den guten Schein zu wahren, wciüc-steiis eine Krücke benutzen,
um alleufalLs mit fortzuliinken. Ahvr das Kp^^lite ist das doch ge wiss
nicht, das kann uninfiglich ein billig denktuder Mensch behaupten.
AV'ürde es demi Beifall finden, wenn maji sagte; als Bauaufseher oder
als Ingenieur kann ein Foi-stmann angestellt wei*den; wenn er sieh
ein Buch anschafl't, wiid er schon in (iie Mysterien der Baukunst
eindringen und wird auch ein Examen abhalten können? Warum soll
denn etwas, das alle Welt für unvernünftig halten mass, gerade in
der Pftdagogik gelten?
Aber, wie gesagt, das bnreankratische Beüeben, die Antotitlt,
der BMI, die Raogordnong, die Handarinenstaffd, das sind die ent-
scheidenden Factoren. Da appellirt man immer hoher nnd hoher, je
nach Bedarf, zdetset appellirt man an die „allerhöchsten* Tng»^pfff«,
man geht dann a Jove ans. Ein Beispiel. Es mOge als Probe Tieler
ähnlicher dienen, nm za aeigen, wie man an die Antoiitftten appdUrt
nnd damit jede freie Discnssion abschneidet Ich halte ein solches
Yorgdten geradem ittr nnetarllch; denn wenn man in einer Discnssion
an Instanzen appdlirt, die einer Kritik gar nicht nntenogen werden
dflrfen, und damit den Gegner mondtodt macht, so hört selbstTer^
ständlich jede nnparteüsche Untersachnng anf. Nnn, ein solches
Beispiel lieferte vor nicht langer Zeit — es ist etwa Anf M<'nate
her — eine deutsche Schnlzeitung, die in einem Frograounartikel, den
man sich doch genan überlegt und den man also einst nehmen dari^
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— 597 —
unter anderem sajj^te: Das Blatt „wählt sich zu Leitsternen zwei
allerhöchste Bots>chaften, die eine von unserem lieben Vater im
Himmel, gegeben vor 1882 Jahren, die andere gegeben von unserem
erhabeuüu Kaiser, gegeben vor einem Jahre.** — ^\'ürtlich. Nun,
meine Herren, es ist gewiss anerkeuuenswert, und Sie alle werden
es billigen, wenn man dem Staatsoberhaupte Hochachtung und Ehr-
furcht erweist, um so mehr, -wenn es sich um ein Staatsoberhaupt
von so rfUunlieheii persönlidieii Eigenschaften handelt, wie in diesem
Falle. Allein damit kann doeh nicht das erste Gebot des Eatechis^
mos aufgehoben werden, das da heifit: „Dn sollst keinen andern Gott
haben außer mir.** Hier haboi wir aber nach aller Logik eine Gleich-
steUnng des Kaisers mit dem Herrn der Welt Non, zu ehker der-
artigen Begründung der Pädagogik kann man nur schweigen.
Man geht aber nicht blos bezüglich der Autoritäten bis an die
infiersten Grenzen, sondern auch bezüglich' des Stoffes, den man der
Pädagogik einverleibt, und des Geistes, den man ihr einflöflen will,
nämlich an die äußersten Grenzen der RQcksicht auf das, was eben
zur Zeit als maßgebend gilt Wie sehr dies der Fall ist, beweist eine
Stelle aus einer der angesehensten und größten pädago^psclien Zeit-
schriften Deutschlands, herausgegeben von einem namhaften und ge-
schätzten deutschen Schulmanne. Da las ich vor nicht langer Zeit
eine Abhandlung über die „allgemeine V(<lk^schule", welche de-
finirt wild als diejenige Schule, in der die Kinder aller Stände big
zum zehnten Jahre vereinigt sein sollen. Dass es auch eine allfremeine
Volks<r]inle ^reben könne fiir Kinder über zehn Jahren, ihwon ist
gleich irar nicht die Rede; es wird schon als höchst gefährlich V>e-
trachtet, dass man daran denke, eine allgemeine Volksschule für die
Kinder aller Stände auch nur bis zum zehnten Jahre herzustellen.
Es wird nämlich gesagt: „Theoretisdi mög:en sie (nämlich diese all-
geuieiuen Volksschulen) emptehlenswert erscheinen." Das ist ungefähr
dieselbe l^hraüe. die man oft hört: „Im Princip ist das ausgezeichnet,
aber in der Prasds, m. H., da kann ich nicht zusiianut u." Also: sie
mögen theoretisch empfehlenswert erscheinen, „aber diese Schulen
bilden nicht fiu die Verhältnisse des Lebens. Der Tagelöhner", heißt
es wörtlich weiter, „der mit dem Landrath und Regierungsrath bis
zum zehnten Jahre auf einer Schulbank gesessen^, — nun, Land-
rftthe nnd Regiemngsrftthe und Tagelöhner sitzen nicht auf der Schul*
bank, das ist ja schon ein eompleter Unsinn; ich begreife nicht, wie
ein namhafter Pädagog unter seinem Namen einen solchen Nonsens
kann dracken lassen, — „anf emer Schulbank gesessen, vielleicht
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(len>;elben ^^len Tiandrath oder Ret^ierungf.srath) in vielen Bezithungen
iibeitrofteii iiai. wird s^icli nicht leicht darein finden, dass dieser jetzt"
— jetzt — ^pro Tag 15 — 20 Mark verdient, während er mit 1 — 2 Mark
zufrieden sein muss." — Das sind auch Ai'gumente! — ^Diese Art
von Schalen*', heißt es weiter, „kt eine Ei-ziehungsanstalt för die
Socialdraiokratie. Die aJlgmeine Vc^kssehnle tritt den Gnmdsatz:
Non Schotee sed yitae — mit Füßen.** So wörtlich. — Ich muas ge-
stehen: mir vergeht bei einer solchen Beweisführung für Augenblicke
Hören nnd Beben. £in solches Anfdenkopfstellen der Chronologie,
eine solche Verkehnmg der Verhältnisse sollte doch wahrhaftig um
der Ehre der P&dagogik willen in einem anständigen Blatte nicht
vorkommen. Unter anderem wird anch gesagt: Diese Schnle fährt
znr Socialdemokratie. Nnn wissen Sie aber aUe, dass in Deutschland
die Sodaldemokiatie schon da ist; diese einheitliche, gmneinsame Yolks-
schnle soll aber in Deutschland effst werden: das Zukünftige wird also
als die Ursache des Gegenwärtigen hingestellt Ich mnss o£fen ge>
stehen, dass ich mich bei derartigen Deductionen, die so -^der>:innig
nnd so mit Gewalt herbeigezogen sind, der mir schmerzlichen Ver-
muthung nicht entschlagen kann, dass es doch eigentlich nor daraof
abgesehen sei, die Gunst der „maßgebenden Ki'eLstr' zu gewinnen.
Ich finde überhaupt in der neueren pädagogischen Literatur, auch
in Büchern, so gar oft eine willkürlich herbeigezogene Excursion über
die Socialdemokratie. Möge man nun von dieser denken, was man
wolle: aber wo die Disfussion derselben nicht am Platze ist. soll man
sie meiden, sonst sieht das Ding so aus. als sei es bloße Liebetlieuerei,
bloßer Servilismiis, oder sonst etwas flfi-jlrifliPii. Dabei wird die
„allgenieme \ olksschule** mit den ^rliwersteu Aukhiüeii heleg:t. Ich
muss mich wundern, und es gereicht dies der ijegenwärtif^en Piidaiiogik
Deutschlands nicht zur Ehre, dass Männer, die zu den einrtussreichsten
Schriftstellern q-ehören, eine außerordentliche Xaivetiit, richtiger gesagt
Ignoranz, in i)adagogischeu Dingen an den Tag legen. Es wird da
die allgemeine Volksschule mit den dunkelsten Farben j^emalt. Man
hätte aber doch ganz gute i ielegeuheit, sich vum Gegen theil zu über-
zeugen. Gerade so, wie sehr viele Schulen, tausende und aber tansende
von Schulen ganzer Staaten, z. B. auch die östeiTeichischen Scholz
derzeit keinen confessionellen Cbarakter haben, und zwar seit geraumer
Zeit, ohne dass die angeblichen Schattenseiten solcher Schulen hervoiv
getreten sind, ebenso haben wir Ja anch die allgemeine Yolksschnle
in verschiedenen Ländern, whr haben sie z. B. in ganz Östeneich.
Wenn man also von der Sache reden will, so soll man sich doch eist
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durch eigene Anschauung tibei-zeugen, -wie die Scliulcn in Wirklichkeit
beschafPoo. sind. Ein Schalmaan, der gegen die „allgemeine Volks-
schule* schraihen will, könnte ja einmal eine kleine pädagogische
Beise nach Wien oder nach Österreich flberhanpt machen; dort sitzen
seit Iftnger als einem Jahrzehnt anf denselben Schalbänken die Kinder
aller Volksschichten yom 6. bis 14. Jahre, die Kinder von Beamten,
Kaiifleaten n. s. w, and die Kinder von Straßenkehrern, Bedienten
n. 8. tmd da zeigt sich gar nichts von den angeblichen Übebr
sondern das Gegentheü davon zeigt sidi. Und da redet man von der
Sache noch, als 'sei sie ganz dunkel, als sei sie ein „Mysterium*, Ober
das man sich in allerlei Fabeleien ergehen kann!
Da wird auch gesagt, diese Schale bilde nicht für das Leben.
Sie seilen, wie es mit der Auffassung pädagogischer Grundsätze geht,
wir alle stimmen dem S at/i bei, dass die Schale für das Leben bilden
soll, namentlich die Volksschule. Aber was heißt denn ^^Leben'^?
Und was heißt ,,fUrs Leben bilden''? Etwa das, dass man alle Kinder,
die in die Sclmle kommen, sogleich classificii'e und abstemple, ihnen
■ eine Etikette gebe nach dem, was sie einst werden sollen? Woher weiß
man denn das? Kann man denn sag:en: Du kleiner Sieben- oder Acht-
jähriger, du bist ein Schneider, ein Schuster, ein Landratli. ein Re-
gieninpfsratli, ein Tagelöhner, ein Ministei? Das ist ja irnnz unmög-
lich. Sehen 8ie, das ist Afterpadao:oo-ik. Hier sage ich dt lu Lehrer:
Thue. was deines Amtes ist, und lass deinen Vorwitz I Was eiimial
im Leben aus den Kindern werden mag, das weiüt du nicht. Maße
dir uiclit an, Dinge zu wiesen, die kein Menseh wissen kann! Wie
kann ich denn mit Bestimmtheit sagen, dass der Sohn eines Land-
rathes einmal gewiss kein Tagelöhner werden wird? Es sind ja in
der Welt ähnliche Fälle schon voigekommen. Oder wie kitunte ich
denn wissen, dass das Kiud eines Tagelöhners uiclit eiiuiiai ein Land-
rath werden kann? Wenigstens ist das gesetzlich nicht ausgeschlossen,
soviel ich weiß, im Staate der Gleichberechtigung der Bürger. Mit
einem Worte: Standesverhiltnisse gehen den Lehrer als solchen nichts
an, sie sind nicht seines Amtes. In unserer Schale hahea wir keine
Tagelöhner oder Kauflente oder Beamte, wir haben da nur Kinder
Zöglinge; das ist der pädagogische Standpunkt, und sich auf diesen
Standpunkt zn stellen, ist die Pflicht des gewissenhaften Lehrers.
Nimm die Kinder, wie sie sind, behandle sie alle mit gleicher Ge-
rechtigkeit, gleicher Sorgfgdt, gleicher Treue und gleicher lasHäB; siehe,
was du aus ihnen machen kannst, und wenn die Zeit deiner Wirk-
samkeit abgelaufen ist, so überlasse getrost Gott und dem Leben das
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— 600 —
Weitere! — Die diuasische Pädagogik spricht in dieser Besiehiuig
anders als die Afterpädagogik: Die Bildtmg fOr das Leben besteht
nieht in der Abrichtnng l&r momentane Verhältnisse, nicht in der
Pflege dessen, was gestern gegolten hat, -was hente gilt and morgoi
gelten soll Kant sagt: Die Erzielum^ mnss erfolgen nicht für den
gegenwärtigen Zustand der Gesellschaft, sondern für einen künftigen,
möglichst besseren, also im fortsehrittlielien Sinne. BildoQg fürs Leben
ist ihm die Vorbereitung- zu allmählicher Verbessening aller bestehen-
den Verhältnisse nach dem Ideale und der ganzen Bestimmung der
Menschheit. So sagt Kant, und seinem Princip ist selbst dasjenig-e ver-
wandt, mit wekliem die Gegenpartei ihre Pädagogik schmückt.
Diese Pädagogik, flie sich nnf theologische Satzungen und poli-
tisiehe ^Liximen stützt, bekennt bekanntlich als ihr Princip, als ihi-en
leitenden (Grundsatz: ..die Er/ielinnii zum Ebenbilde Gottlos". Das ist
g-ewiss ein erhabenes, eiu l)egei^<lerniles, wenn auch nnerri icbbares und
für den schwachen Menschenverstand ein weniir ilunkles, ai)er immerhin
edles Ideal. Wenn mau nur allen Ernstes daran ginge, es auch zu
verwirklichen, von selten derer nämlich, die es aufstellenl Ist denn
das das l'Jtenbild Gottes, was man nach der Praxis dieses Systems
aus den Kindern machen will? Jch finde das nicht. Ks war eine
Zeit, — sie hat ungefdr 1000 Jahre gedauert — wo die Pai-tei, welche
dieses Ideal aufstellt, ganz allein über die Bildung des Volkes verfügt
hat, und da kam schließlich ein Mamit der selber ihrem Stande an-
gehörte^ D&nMch Luther, ond besah sich, was aus den Menschen ge-
worden war unter der vorgeblichen „Erziehung znm Ebenbilde Gottes^
Die Kritik, welche Luther aber das Bildnngswesen, wie er es T0^
fiind, ausgesprochen hat, ist bekanntlich eine sdir drastische, aber
auch eine wahrheitsgetreue. Er sagt: JhA Volk lebte dahin, wie
das liebe Vieh und unvemfinftige Säue.** Das war doch offenbar nicht
das Torgezeichnete Ziel gewesen. Nun ist es zwar etwas besser ge-
worden, man acoommodirt sich denn doch einigermaBen dem Zeitgeist;
aber eine solche Zwecksetznng, wie sie in der Praxis« der Theorie
wenig entsprechend, gehandhabt wird, ist nicht das, was idi als Eben-
bild Gottes betrachten kann. Denn wenn man fordert» die Kinder
sollen sogleich erzogen werden zu der oder jener Leboisstdlung. za
der oder jener Erwerbs- und Bemfsth&tigkeit, wenn man namentUeb
verlangt, die Kinder sollen erzogen werden zu durchaus folgsamen
Unterthanen, zu willigen und emsigen Steuerzahlern u. & w., so sind
das allerdings praktische und zum Theil in gewissen Grenzen aner-
kennenswerte Zwecke; aber mit dem „Ebenbilde Gottes"" haben sie
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— 601 —
nichts ZQ schaffen, nnd doch sollte man nicht vergessen, dass das
Kind auch ein menschliches Antlita tr>, dass es aach zur Menschen-
würde enogen irerden soll nnd nicht blos zu spedellen, einseitigen
und veigftngliehen Zwecken. Man mnss dem Ideale, das man an&tellt,
anch in der Praxis naehznkommen suchen« Das geschieht aber von
selten der modernen Afterpftdagogik leider sehr wenig.
Nun nur noch ein paar Bdspide, wie diese falsche Richtung sich
nicht blos mit der Pädagogik im engeren Sinne des Wortes befasst,
sondern wie sie auch in die Methodik, in die eigentliche Unterrichts-
praxis einzugreifen versucht. Vor nicht langer Zeit stand in einem
»onst zu den besseren deutschen Schulzeitungen gehörenden Blatte
folgende Äußerung;:: ,.Wir können constHtiivn. dass die gegen die
^Normal wörtermethode" gerichtete Strömung an maßgebende?" Stelle
beachtet wiid, und so ist zu hotten, dass die Normalwürteniiethod«'
amtlieh zur Disposition cestellt wird"; das steht wüiDicli in einem
suiiit wirklich guten deutschen Schulblatte neuester it. Nun, m. H.,
ich lasse mich hier nicht aul den Wert oder aut die Miiiigel der
Normal wörtennethüde eiu, auch nicht auf die Lautiiraethode oder aui
die Schreiblesemethode. Ich hebe nm das Verlangen hervor, dass
über die Existenz einer solchen Methode von „niatigebender Stelle"
entschieden werden solle, dass von „maiigebender Stelle" dem Lelu-er
dictirt werde: Du darfst nicht mehr nach der Nurnial Wörtermethode
onterrichten. Ja, das ist doch, offen gesagt, ein Appell an die bloße
<3lewalt — anders kann ich das nidit bezeichnen. Was heißt denn
«mafige1)ende Stelle"? Heißt das die gewiegteste und competeateste
Autorität in Sachen des Gedankens, in Sachen des Wissens, in Sachen
' der Lehrkunst? Oder heißt es die Steile, die gerade jetzt die Be-
gienmgsgewalt in der Hand hat? Die kann ich in Sadhen der Me-
thodik nicht fftr maßg^nd halten. Dagegen mOssen wir im Namen
der Pädagogik nnd der Schnlwissenschaft entschieden protestiren, dass
Aber Angelegenheiten,, ttber die jahrhundertelang die eifrigsten und
gewissenhaftesten SchnlmSnner gedacht und Versuche angestellt haben,
auf einmal durch ein Reglement entschieden werde. Wohin kämen
wir denn da? Da pensioniren wir einfädi die ganze Pädagogik nnd
Methodik. Flunkeiii wir doch nicht mehr mit Pädagogik auf den
Lehrplänen der X^hreneminare, schalfen wir sie ab und sagen wir:
Nun also, was ihr thun sollt, mögen die gewaitbabenden Mandarinen
befehlen. Ich ließe mir das noch gefallen, wenn die sogenannten
maßgebenden Stellen wirklich aus Fachmänneni bestünden, wie im
eigentlichen Mandarinenlande, wenn es Coliegien wirklicher Sachver-
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— 602 —
1
stüiuliger wären. Das ist aber meistens nicht der Fall. Wie sich
also Schuimänner und selbst freisinnig-e zn solch unbefugter Bevor-
mundung bekennen können, ist mir f^anz nnbpcneiflich. Icli Termisse
da g-eradezu das Standesehrßrefülil. Haben Sie je erlebt, m. H., dass
etwa Mediciner oder .Turisteti oder Naturt'orseher nder Grammatiker
oder Historiker wegen t im i '.\ i^senschaftlichen t>treitfrajc:e die ..maß-
gebende Stelle'* zur Eut^cheiduiijLif anjrerulen hätten? Hat jemals dn
Arzt, ein Naturforscher u. s. w. gesagt: Warte, lieber ( ollege. ilie
Ansicht, die ich habe, muss gelten, und die meine] <Tegner mus>.s amtr
lieh ziu- Dispusition gestellt werden; ich werde an die hohe Re-
gierung appelliren, die niuss meiueu Geguei'n das Handwerk leeren? —
Da hörte dot^li <,^eradezu die ganze Wissenschaft auf, die ja aui dein
Princip der freien Jr'ursehung ui;d Prüfung beruht. Und was soll
man denn von einem Lehrer denken, der eine lange Beihe von Jahren
IiindiirdL hat Sebideii besuchen mflssen, der aicli hat hinsetzen mausen
auf die Sehullkaiik bis zum zwanzigsteil Jabre, der hemach mefaiere
FrOjAmgen bestanden und quasi das Meisterdiiilom erhalten hat, nun
aber die amtliche Anweisung bekommen soll, nach welcher Methode
er den Kindern das Abc beizubringen habe? Wird denn auch nor
der ein&cfaste Handwerker, nachdem er Meister geworden ist, sieh
auf solche Weise behandebi lassen? — So behandelt man Lehrbubes,
nicht Meister.
Abel' die BeTormundungssucht wichst zusehends. In einer Schrift
aus dem yorigen Jsbie verlangt sogar einer recht nachdrücklich, die
Regierung und die Gesetzgebang and die Staatsverwaltung und die
staatlichen AuMchtsorgane sollten für ein im ganzen Reiche gleiches
lautrichtiges Lesen und Singen sorgen. Dazu wird noch verlangt»
dass eine Centralgesangschule unter staatlicher Aufsicht und Leitnng
hergestellt werda Ja, hat denn diese Sehnsucht nach Bevonnundongt
nach Gängelang and Leitung gar kein Ende? Was soll denn all«
noch regiert und normirt werden? Ich wüsste fast nichts mehr, was
übrig bleibt. Es crassirt jetzt eine wahre Sudir, eine wahre Epidemie
der ..Veixtaatlichnng"; alles soll ..verstaatlicht' werden, nicht blos
das, was naturgemäß am besten im Interesse und nach den Gesichts-
punkten der Gesammtheit g:eleitet wird, snndeni alles ins l>eiail.
Damit wird radezu der Absolutismus frenifen. T*nd wenn er dann
kommt, so ist er ja nur die Ergänzung und Belriedig^ung des Knedits-
sinues, der sich überall aus.siiriehr. Wenn man es .,von unten" duri h-
aus haben will, so wird man sich „von oben" dazu herbeiiasjsen. alles
Mögliche zu dirigiren und zu bestimmen. Alles soll „verstaatlicht"
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weiden, nicht blos der Tabak imd die Eisenbahnen, sondern anch die
Gedankenwelt, das ganze geistige Lehen, die WisBenachaft, die Kunst,
die Gewissen, das PflicbtgeflUil nnd vor allem die PSdagogik; es soll
eigentlich nor noch das für recht und verbindlich gelten, was vor-
geschrieben ist, nicht mehr, was die innere Stimme spricht
Es ist offenbar, dass diese Richtung ans ganz and gar abführen
würde vom deutschen Geiste. Da mflsste doch alles höhere Cultur-
leben sinken und mit der Zeit ganz untergehen; namentlich würde jede
wahrhaft fruchtbare Bewegung auf pädagogischem Gebiete onm^Jglich
werden. Es ist schon heute des Regierens viel zu viel, weil es dar-
über hinausgeht, die nothwendigen Grenzen und Wirkungskreise für
die freie pädaf^onrische Thatigkeit zn bestimmen, und auch auf das
Innere ein^^reifen wiW. Und da %s'undert man sich, dass jetzt keine
grulien originalen, bahnbreclieuden Pädagogen mehr autti'»'ten! Ja,
m. Ii., las ist doch sehr begreiflich. Denken Sie denn, dass lieute
ein Comenius, ein A. H. Krancke, ein Rnchow. ein Pestalozzi möglich
wäre? Nein, sie könnten nicht existirrii, mi um ein oriLniiMll sehaf-
fpndf-r, ein productiver Pädagog zu sein, dazu gehören ja nicht V)lus
Gedanken, .sondern auch eine Wirkuiigssphftre, ein Bereich der prakti-
jschen Thätigkeit. Aber das ist ja bei «lern lieutigen Scliablonenthum
für freies Schaffen gar niclit mehr vuiliauden; die Zwangsjacke des
Bureaukratismus macht es uumüglich, und wenn wir so fortnchreiten,
so weiß ich nicht, wo die deutsche Pädagogik noch Kaum findeu soll.
Indessen, ich eile zum Sclilusse. Ich habe mich auf wenige Mo-
mente beschränkt, ich habe besonders hervorgehoben, dass gegenwärtig
die Pftdagogik in einer sehr ansicheren, schwankenden Sitnation ist,
insofern, als man nicht weiB: 'was soO Anin eigentlich gelten? was
soll die Norm der Pftdagogik sein? wovon soll man aosgehen and
worauf soll man hinstreben? sollen die Nonnen aas der Sache selbst»
ans den eigenen Idealen nnd Gesetsan der Menschenbildnng entnommen
werden, oder sollen sie ehifiudi auf Dictaten, auf Uachtsprttchen be-
mhen? — Das ist heatigestags die Frage. Es wird noch eine Zeit
danern, bis dieser Strdt entschieden sein wird; momentan steht er
nicht gftnstig, momentan scheint es ihst, als ob das Bevormondnngs-
^ystem die Oberhand gewinnen nnd die freie PIdagogik veniiehtet
werden sollte. Das wäre der Niedergang alles geistigen Lebens nnd
der Tod aller Berufsfreudigkeit des Lehrerstandes. Woher soll denn
die Erqaickang und die Kraft für die täglichen Mühen des Benife
kommen, wenn nicht aus den Idealen der Pädagogik? A\ eder aus
starren Ordonnanzen nnd Vorschriften^ noch aas jenen Büchlein, die
F»da(a(iiim. fl. Jahiguf. Z. Btft. 39
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— 604 —
man jetzt zusammenarbeitet nach officiellen Schablonen, schöpfen unsere
jungen Lehrer Lebenski-aft. Wenn man diese Leitfarlen des pädago-
o'i-rlif^n Studiums einer genaueren Prüfung unterzieht, >o tiiidet man
in vielen nichts Belebendes, nichts, was erhebt und begeistert, sondern
nur todtes Papier, dürre Worte, Systemwfsen. Km •"beiiwerk, ein
Sammelsnriuni für den Examentisch. Da gilt dann des Dichters Wort:
,.Kr(|uickuug liast <lu niclit crewoTiTif-n. wenn sie dir nicht aus eigner
iSeeie quillt/' Aber wie kann .»le dkiuu lirraus(iiu'llen, wenn man nur
das Todte, das Unlruchtbaie, das Abg^estorl)eue, das ^Reite • wie
man es nennt — hineinlegt? Reif ist auch dürres Stroh. Das ist
so die ofticiös zubejeitete „Milch der frommen Denkungsart~. Wie
das aber nachher wiikt, ob ah abgestandenes Wasser, oder *3:ar als
„gährend Drachengift", darum scheint man sich nicht zu kunnneru.
Ich weiß genau, dass viele junge Lehrer diese Geiötesnahiuug ma so
lange zu sich nehmen und bei sich behalten, als sie müssen, später
aber die dürren Scharteken auf die Seite weifen und nun erst an-
fangen, etwas Lebendiges und Fruchtbares zt lesen und zn stndlim
Aber es ist doch nicht das Bechte, dass man ihnen in den besten
Jahren die freie Pidagogik der Altmeister mit der Schere theologi-
scher BescbrSnktheit und boreankratischer Be?ormandnng zoschneidet,
and eine Wendung zam Besseni wflre dringend geboten.
M. R, die Zeit ist trübe, aber ?erzagen wir nicht! Ich spreche
keine blofie Phrase ans, wenn ich sage: Verzagen wir nicht I Ich
meinestheils lasse den Math nicht sinken. Es hat sdne guten (Erfinde,
wanun jetzt ein Niedergang des Geisteslebens stattfindet» warom die
Beaction obenauf kommt Die deutsche Nation hat neuerdings in
kurzem so außerordentlich viel zu leisten gehabt und wirklich geleistet,
wie keine Nation in der Weltgeschichte in so kurzer Zeit geleistet
hat — in miütftrischer, in politischer, in finaozieUer, in wirtscliaft*
lieber Beziehung sind die höchsten Anforderungen an die deutsche
Nation gestellt worden, und sie hat diese Anforderungen mit wahrem
Heldenmuthe aut sich genommen. Die Folge ist nun eine gewi^
Ermüdung, eine gewisse Erschlaffung des Geisteslebens, die wir ver-
zeihlich finden müssen. Denn der Mensch ist kein Gott: seine Kraft
ist beschränkt, und eine Natiun. die auf einer großen Keihe von Gt^-
bieten so Großes in so kurzer Zeit ge leistet, muss man nichi ini»-
trauisch an- Ii- ii, wenn sie einige Zeit die Flügel hängen lässt. »Ultra
posse n t >biigatur", mehr als des Menschen Kraft zu leisten ver-
mag, muss man von niemand verlangen, auch nicht von der deutx-lieii
Nation. Sie muss zunächst ihre äußere Existenz, ihre allgemeiuen
üiyiiizeü by GoOgle
— 605 —
Yerbflltnisse sichern; denn das ist in der Welt Überall so, dass erst
die materiellen Existensbeding^nngen gesichert sein müssen, ehe der
edlere Gebalt des Daseins, das Ideale, zor BlUte kommen kann. Lassen
wir also getrost die deutsche Nation eine Weile schlummern und ans-
mhen, sie wird sich wieder erheben, seien Sie dessen gewiss! Wir
haben ja viel schlechtere Zeiten hinter uns, als die jetzigen sind.
Denken Sie etwa an den geistigen Niedergang der deutschen Nation
im späteren Mittelalter, odei- an die Schmach derselben in der Zeit
des 30jährigen Krieges; oder denken Sie auch daran — was uns ja
viel näher liegt — wie tr&be vielen Helden unseres Bernfes ihre
Lebenssonne untergegangen ist, denken Sie an Comenius, an Pesta>
lozzi, an Diesterweg. Icli weiß aus eigener Erinnerung, dass die
Sympathien fui* Diesterweg mit jedom Jahre mehr zurücktraten, und
dass ihn dies tief kränkte. Aber wenn solche Männer trotzdem stand-
haft ))liehen, so m'öixi^ uns das ein Vorbild sein, das« aucli wir ?uis-
harren in schliinmer Zeit, in rlfr H ittimn"' auf eine besseiHi Zukunft.
Diese Zukunft, die Zukunft uTi^eivr bchule und unserer Nation, liegt
nii'ht in der Knechtschaft, sie lieg-t in der Freiheit! Und wenn man
lieut€ tausendmal alle Ideale verhöhnt nnd sie als bloße Phrasen Ite-
zeichnet, sie werden gelten für alle Zeiten, sie werden sich iimuer als
das Siegel unserer göttlichen Abstammung bewähren und einst den
Sieg davon tragen über alle Hemmnisse des freien Menschengeistes.
Harren wir also aus, wenn wir auch diesen Sieg nicht erleben sollten.
Bleiben wir treu unseren Idealen, geirosteu wii* uns der Gewissheit,
dass wenige, aber gewichtige Zeitgenossen unser bescheidenes Wirken
anerkennen. Dann mag kommen« was da will, und wenn die letzte
Stande schlägt, so ethebe m» der (Mauke: „Wer den Besten seiner
Zeit genug gethan, der hat gelebt för alle Zeiten!"
9B*
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über die Pflege des Wahrlieltssinnes in der Selmle, besoidero
in der höheren Schule.
Von OyrnnaBuMiredor Dr, UronkB'-THer,
Eine schwere Krankheit, an der unsere Zeit leider und die,
selbst freilich vielfach durch andere Ersclieinungen des g:e>ell<cliaft-
lichen Lebens verui-sacht, doch schweren naclitlieilitren Einlluss auf
unser (ganzes nationales Leben auszuüben droht, das ist der Mangel
an Wahrhaftijrkeit. Tm häuslichen Leben, bt^ini KaiUinanne, in der
Politik, überall btubachten wir. dass die Wahrheit, die Ottenheit viel
zu <»ft zurückgedrängt wird durch die verschiedenartigsten Interessen.
Die Mutter lehrt ihr Kind, es solle nie duixh eine Lüge seinen Mund
beschmutzen, sie bestraft es, weil es eine Unwahjheit gesagt, und in
demselben Momente gibt sie vielleicht der Magd, welche BeSDch
anmeldet, in Gegenwait des SiBdes iten Auftrag, sie (die Matter) „n
verleagnen**. Die sogen. G^esellschaft ist hieran gewöhnt; ein offenfis
Eingestehen, dass man zwar sn Hanse, aber dnrcb bAusUche Arbeit
verhindert sei, Besnch zn empfangen, würde eine sdiwere Bdeidignng
sein; jeder weiB, was die Bedensart «die Herrschaft ist nicht zn Hanse"
bedeutet, nnd ist mit dieser „unwahren** Form der Abweisung znfrie*
den. — Der Kanfimann bethenert, dass die vorgelegte Ware echt sei,
er fbhre flberbanpt keine nnechte Ware, nnd doch weiß er genau,
dass er dem Consnmenten unechte Ware anpreist; die Seide ist mit
andern Stoffen yermiaeht, die Colonialwaren sind viel&ch gefiUscht
n. s..f. Diese Unreellitftt hat der deutschen Industrie namentlich in
ihrem Wettbewerbe mit dem Auslande auf dem allgemeinen Weltmarkt
bereits viel geschadet Unrichtige Bezeichnungen haben sich schon
voUständig eingebürgert; so — um nur ein Beispiel anzuführen —
wissen VerkÄufer wie Käufer genau, dass der Name ..Holzkohleni-oh-
eisen" durchaus nicht der Sache entspricht. — In der Diplomatie wie
im hohen Gesellschaftsleben scheint überhaupt die Sprache nur noch
ausnahmsweise da zu sein, um die wirklichen Gedanken auszudrücken,
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in (k'ii meisten Fällen soll sie nui* zur Verberguug des waliien
Denkens dienen, um den Hörer direct auf eine falsche Spur der
Gedankenentwicklun^ zu brin^^en. Es ist klar, dass diese Missachtung
der Wahrheit — um kein schliramere.«i Wort zu gel)rauchen — auf
die Jugend nicht ohne Riickwii'kuug bleiben kann, dass vielmehr dieser
giftige Hauch allmählich auch die weichen Gremtither der Jugend
inficirt-, vielfach habe ich gefunden, dass diese bereits das Gefühl von
der Hässlidikeit der Lüge verloren hat, und ich betnebte es daher
als eine weeentiiche Aufgabe aller Sdmlen, der niederen ^e der
höheren, das zom Theil verloren gegangene klare Bewnsstaein von der
Verderblichkeit der Lüge wieder zn wecken and zom Gemeingnt der
dentschen Jngend zu machen.
• Um die richtigen, whrksamen Mittel gegen eine Krankheit —
und der Hang znr LQge ist sicher eine Krankheit des Gdstes —
anwenden zu können, muss man den Ursprung dersdben, dieSymptoime,
in denen sie sich zeigt, die UmstSnde, welche sie verursachen und
fördern und der vollen Wirkung der Heihnittel entgegen stehen, genan
kennen lemen. Was den Anfiuig der Unwahrheit bei Kindern betrifft,
so gehen die Meinungen der PAdagogen weit auseinander; während
die einen den Hang znr Lfige als angeboren ansehen, finden die
andern, dass das Kind von Nator aus nur Liebe zur Wahrheit habe,
und dass die natm*widrige Lüge ilim erst anerzogen werde. Soweit
meine Erfahmngen reichen, kommen beide Fälle, sowol der angeborene
als auch der anerzogene Hang zur Unwalirheit vor. Schwer ist es,
ja in einzelnen Fällen unmöglich, zu untei-scheiden , ob ein Kind die
Unart — um diesen Ipichten Ausdiuck zu g'ebrauclien — von Natuj- aus
oder durch Erziehung hat. Wenn in einer zalilreichen Kinderschar einer
Familie alle stets ehrlich und gferade aus die Wahrheit sagen, und
eines ist unter ihnen, das sich in dieser Beziehunj» umgekehrt verhält,
das, wenn auch nicht direct lügt, so doch die wirkliche Sachlage zu
verschleiern sucht, i^t man wol berechtigt anzunehmen, dass hier ein
V'Ui der Natur ^2^egel»ener Hang zur Unwalirheit vorhanden ist; bei
suUhen Kindern habe ich immer aucli gefunden, dass sie koii)erlich
nicht gesund sind, dass sie vielmehr meist an Scropheln oder an ii-gend
einer andern inneren Ivrankheit leiden, so dass der physische Fehlei*
vielleicht als die Ursache des geistigen Gebrechens erscheint. Bei
den meisten Jvindern ist aber der Geist der Unwahrheit im Hause
auerz<jgen, und die Schule nimmt ihre Zöglinge auf mit der ausge-
prägten Liebe zur Wahrheit oder dem Hang zur Lüge; namentiich
sind in dieser Hinsieht die höheren Schulen ungünstig gestellt, welche
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ihre J^chilltir :stcts nur in lein Alter anlnelimen, wo dt-r kindliche Geist
nicht mehr so leicht aiiberen F'indriiokeu zugaiiglich ist, wo er durcli
da^ mahnende Wort des Lehrers um noch schwer in eine neue Rich-
tung gelenkt, einem etwaigen verderblichen Einflüsse des Huusbs
gegenüber mit Erfolg zur strengen Wahrheit angeleitet werden kann.
Dass in erster Linie das BUternhaos für die Weckung des Gefühls fiii
Wahrheit zu sorgen hat, und dass die Schule nie allein — ohne die
häusliche Unterstfltzang — den Kampf gegen die Unwahrheit erfolg-
reich fahren kann, ist Idar. Wir wollen hier aber nicht ttber das
Verb<niB von Schnle and Hans, ohne deren Übereinstimmnng eine
gedeihliche Erziehung der Jugend überhaupt rein nnmdglich ist,
sprechen, sondern nur einige Hauptpunkte herrorheben, wdche die
Schule und der Lehrer zu beachten haben, sofern die Jugend sur
Wahrheitsliebe erzogen werden soll
Fragen wir uns zunAchst, ob nicht vielleicht in den Einrichtungen
der Schalen (namentlich der higheren) Uissstände Torhanden sind, die
geradezu die natürliche Entwicklung des Wahrheitssinnes hindern und
zurückhalten, llii r müssen vdr gestehen, dass sowol in der herrschen-
den Didaxis wie in der üblichen Pädagogik mandie Punkte vorhanden
sind, welche bei den Schülern die Hochachtung vor der absoluten
Wahrheit ven*ingem müssen. In dieser Beziehung erinnere ich zu*
nächst an das Erlassen von Verboten und Geboten, deren Innehaltung
nie erreicht werden wiid (auch nicht bei guten folgsamen Schülern),
und deren Niclitbefnl<^ng auch seitens der Schule nie mit Ernst be-
straft werden wird. Wenn auch ^regenwarti^ die Schulordnnniren
wesentlich besser als die fiiiheren geworden sind, und wenn auch die
Handhabung der Schul L-^esHtzf' eine rationellere i^e worden ist (ich
erinnere an den frühf r-n 1 iirug der <THhlsamni]uii-en für Geschenke
an Leiirer trotz der Verbute u. s. f.j, so entJiaiten duch di»- meisten
der mir zu Gesicht gekommenen Schulordnungen noch Bestiuuuungeu,
von deren stricte!" Inuehaltung duich die Schüler ich nicht überzeugt
bin (z. B. das absolute Verbot der Leetüre von Büchern aus Leih-
bibliotheken an Anstalten, die selbst gar keine oder doch keine hin-
reichende Schülerbibliothek besitzen). Die Schule darf nie ein Gebot
oder Verbot geben, deren stricte Beachtung sie nicht auch mit alleu
ihren Zuchtmitteln durchfuhren kann und will. Ein zweiter Fehler
ist die häufig ungenügende Berücksichtigung eines gewissen bei der
Jugend erwachenden Ehrgefühles, das durch taetlose Fragen und
Bemerkungen leicht verletzt wird, wodurch der Knabe scheu sich vor
dem Lehrer zurückzieht, in ihm keinen yäterlichen Freund, sondern
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vielleicht sogar einen hämisclien Feind sieht, vor dem er x iii Inneres
zu verbergen bestrebt ist. Diese Thatsache hat oft namentlich darin
iliren (irnnd fwenn aneh nicht ihre Entschul<li<,ning-;. dass die Lehrer
zu LTi'lu' ('lassen vor si'-h halten, in denen sie — bisweilen nur mit
einigen wöchentlichen JStuuden beschäftigt — die Individualität dei-
einzelnen Schüler überhaupt nicht kennen lernen und daher dieselben
Vülliir vei kehrt behandeln. Hierzu kommt noch et't die Neigung, jede.s
Verpeheu des Schülers, selbst das unbedeutendste nnd kleinste, mit
drakonischer Strafe zu ahnden; jede zu harte Strafe führt aber nur
(laiiin, dass die Schüler ein etwaii^es Verselien. einen kleinen Fehler,
den sie gemacht haben, zu verheimlichen und zu verdecken suchen;
sie kommen dadurch allmählicli auf den Weg der l'nwalirheit und der
Lüge, von dem sie eine milde Hand, ein väterliches, zum Herzen
gehendes Wort abgehalten haben würde. In didaktischer Beziehung
ist vor allem der Missgriü zu erwähnen, dass vielfach die erzieherische
Aufgabe von dem eigentlichen Unterrichten zurückgedrängt, dass dem
letzteren fast die einzige Berechtigung anf der Sehnle znerkannt
wird; daher tritt bei der Auswahl des zd erlernenden Stofies nnd der
LeetQre, sowie bei der Behandhing derselben das etiiisclie Moment
h&nfig zn sehr zorflck. Dabei stehen die Lehrer der einzelnen Fächer
an den höheren Schulen einander*za fremd und zn gleichgültig in
Bezug auf die von ihnen gelehrten ünterrichtsgegeDstfinde gegenttber,
sie sind durch die jetzigen Einrichtungen vielftch zu Fachlehrern hu
engsten Shme des Wortes herabgesunken* Dadurch gerathen dieselben
sehr leicht, da ja jeder Unterrichtsgegenstand mit den ftbrigen in
Berührung steht, in Widerspruch mit den Worten und Lehren eines
GoUegen, wodurch dann bei den Scbälem die Überzeugung entstehen
mnss, dass den Worten des Lehrers nicht absolut Vertrauen zn schenken
seL Hierzu kommt dann die Geringschätzung, mit welcher in der
einen Lehrstunde von der wissenschaftlichen Bedeutung und der Wahr-
heit der in andern Stunden gelehrten O^enstände abgenrtheilt wird.
(Man denke nur an die Behandlung der naturwissenschaftlichen Fragen
in andere Stunden!) Wie soll aber in solchem Falle der Schüler
volle:^ Vertrauen m den Worten des Lehrers haben? wie soll sein
Wahrheitssinn fjeweckt werden, wenn er sielit, dass seine Lehrer selbst
vielleicht die W ahrheit so wenig hoch schätzen?
Schwer ist es auch, die nchtige Grenze in der deutschen Lectiii*e
zu treffen, wo man mit den Märchen, deren bildenden Wert für die
Jugend man nicht unterschätzen darf, aufhören muss. Es sind mir
schon Zöglinge vorgekommen, die sich so in die Märchenwelt durch
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iilteimäljiofe Leetüre eingelebt hatten, dass sie alles in übertriebener
riiuutaijie als Märchen erfassten, selbst j^anze Krzahluuiren ert'anden
und schlielUicli von dem phantastischen Krtassen des gaiiztu äuilereii
Lebens nicht niehi zu lassen v litcu, so dasü sie kaum noch ein
grades wahres Wort vorbringen kunuten. Kinder mit zu lebhafter
Pliantasie darf man nicht durch viele Märchen noch veiter aufregen,
und es mnss daher bei der Wahl der Lectfii« in den betreffendeii
ClasBen gebOreode BflcksiGht auf die IndividaaliUt der SchiÜer ge-
nommen werden.
Viol&di ist femer der An&ng der Unwahrbaftigkeit, der Wahr-
heitsverBchlelerang bei Schülern veranlasst in dem Mangel an gater
Oontrole der Leistnngen, vodnrch Unterschleife bei der Anfertigimg
der schriftlichen Arbeiten, in der Vorbereitnng zn den üntextidite-
stunden gefördert werden; die unrichtige Bemessong der hAnslicbea
An^ben, welche die physischen nnd psychischen Kräfte der Schaler
nicht voll berficksichtigt, die ungleiche Yertheilnng des an leistendea
Pensmns, die nnrichtige Auswahl der Themata m deutschen AnMtsai,
• worin noch ganz Unglaubliches bisweilen geleiatet wird, Anweisung
zu ausgedehnter (sogenannter freiwilliger) PrivatlectOre, das sind aUes
Punkte, welche die strenge WahrheitsUeibe so leicht zu serstOren ge-
eignet sind.
Neben diesen allgemeinen Missständen wirken aber besondere in
der Individualität einzelner Lehrer beiuhende noch zerstörender aof
die Entwicklung des Wahrheitssinnes bei den Schülern. Da kommt
nicht blos Beschützung der Schüler dui-ch Lehi*er, Beschönigung und
Verschleierung von Unwahrheit und Lüge, sondern leider selbst die
Anleitiuit^ der Schüler znr Unwahrheit, zur Verstellung gegenüber dem
Director, den Behörden u. s. f. vor. Wenn Lehrer, um ihre eigene
Narhlässiofkeit zu decken, die Schüler beauftrag:eu, bei den sr))nftH>'hen
Arbeiten ein falsches I )atum der AhliefVrinig anzugeben, und wenn der
Lehrer selbst ein falsches Datum Ijei dem Correctun'ermerke J^etzt.
oder wPTin < r ilie Si Imier anweist, beim Eintritte des Ordinarius oder
des i>irectors (iie sonst ge^ittn» i^ n I >ii* ]ier zu scldieiksn etc., dann walu'-
lich kann man sich nicht wundern, wenn in j^anzen Classen das Be-
wusstsein von der Hässlickkeit der Lüge und die Liebe zur oflfenen
ehrlichen Wahrlteit unterdrückt wird und verschwindet.
Diese accidentellen Missfetäade sind nur durch strengste Anfsicht
des Directors und stete Überwachunsr der Ordinarien über die Ordnuug
ihrer Classen zu bekämpfen und zu i seitigeii. Leider aber ist das
Sti-eben, die Dii'ectoreu und auch die Lehrer immer starker und stärker
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zu belasten, nicht geeignet, diese Aufgabe zu erleichtern. Wenn
beispielsweise der Director, nicht vorübergehend, sondern ständig,
selbst 14—16 Stunden ünten-icht i iint Correr turen i in g^i-olien Classen
zu ertheilen gezwnnor^n ist, neben der <4i 'lun und stets \vaclisenden
Zahl von Schreibereien (uaiuentlicli den statistischen NachNs ei>eu), so
kann er nicht überall mit der nothwendigen Sorgfalt revidiien; oder
wenn ein Lehrer 24 Stunden wöchentlich geben mnss, bei 6 Correc-
luien (darunter 3 Aufsätze), in g:i*oßen Classen, da kann er als
dinarius den Director gar ni(!ht mehr unterstützen. W enn überhaupt
eine allgemeine Überbürdung stattfindet, so ist es sicher eine solche
der Lehrer und Directoreu.
Durch die Hervorhebung der allgemeinen und der accident eilen
Missst&Dde, welche der erzieherischen Aufgabe der Schule, die Liebe
ZOT Wahrheit zu pflegen, entgegenwirken, ist auch gleichaseitig der
Hinw^ auf deren Beseitigung gegeben; sobald man das HenunitiBs
riehtig erkannt hat, vermag man es anch fortzuräumen. Es wflrde
also namentlich m achten sein anf richtige Schnlordnnng, volle Be«
rOcksichtignng der Individniüitat des Schülers, richtiges Strafinaß bei
Vergehen, iänheitlichkett des gesammten Lefarpensiuns, gute und ver-
ständige Bean&iditigang der Schale. Aber diese prophylaktische
Tfa&tigkeit allein genfigt nicht, vielmehr mnss die Schale anch direct
einwirken anf die Entwicklung des Wahrheitsinnes und swar durch
directe ESrweckong nnd Fördenmg desselben und durch Bekfimpfnng
der ihm entgegenstehenden Laster der Lflge, Täuschung u. 's. f. In
beiden Beziehungen stehen der Schule reiche {Adagogische und didak-
tische Mittel zu Gebote, durch deren Anwendung sie auf die Jugend,
wenn das Haus mit eingreift, überwältigend einwirken kann. Um
dies zu erreichen, müssen zunächst jederzeit die Eltern von dem
Ordinarius oder m d ssen Auftrag von dem betreffenden Lehrer von
jedem Verstoße ihres Kindes ^egen die strenge Wahrheit in Kenntnis
gesetzt werden, damit das Haus und vor allem der Schüler von dem
heiligen Ernste überzeugt wird, mit dem die Schule selbst den Feld-
zug gegen die Unwahrheit tiihrt. Die speeielle Aufgabe, inmifr und
immer Nvieder den Schülern die Hässliehkeit, das Widernatiirliche der
Lüge und deren Folgen Idnr vor Auo-pti zu führen, talit freilich in
erster Linie dem Religioii?.iuiierrichre anlieim. clcr leider so nelfach
nnr die dürre, trorkeuf Doß-matik h»'rvf>rli(4*t. walneml er x-m ganzes
Gewitdit auf eine der iutt lli rruplli ii K'i ati der Schüler der einzelnen
Anstalten entsprechende Km wickUuii^ der Moral in voller bewusster
Klarheit zu WOTfen hätte. Aber auch der Ordinarius wie der Director
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haben, auknüi'fend au manche Vorkommnisse in der Schule. iTelegeu-
heit, diesen Gegenstand vnr den Zöjrlingfcu zu behandeln und dieselben
vor der Versclilt^iei ung der W ahrheif. der hieraus entspringenden Un-
wahrheit und vor der bewussten Lüg^e zu warueu und sie zu der steten
unerlfisslichen Hociiiiuituug der Wahrheit unter allen Umständen m
erniaiinen.
Speciell möchte ich hier uuch folgende Punkte iier vorheben:
1) In zweifelhaften Fällen, in denen der Lehrer wol Yoraossetzen
mnss, dass der Schaler stark in Versuchong gefOlirt wird, bei der
Antwort die Wahrheit za umgehen, soll man den SchQler gar nichts
oder doch nur in den allerdringendsten Verhältniaaen dnrch Fragen
in TersQchnng bringen. Dies gilt nam^tlich in Besag anf das Ans-
fragen eines SchQIers ttber Mitsehiaer (leider selbst fiber Lehrer! nnd
über Unterricht ist es schon geschehen) nnd über Thatsachen, die
anHerhalb der Anstalt vor sich gehen» und von denen der Befragte
eventnell selbst nur durch yertraiüiche liittheüimg yon Kameraden Kennt*
nis erlangt hat Geradesn Terderblich wirkten in dieser Beriehnng
die früher an vielen Anstalten von Lehrern selbst {Mtroniairten Vei^
dne, welche aar Spionage gegen Lehrer nnd Direetoren» die im
Gemche der Freisiunigkeit standen, nnd gegen Mitschfller verwendet
Würden.
2) Ist der Lehrer nicht ganz klar darüber, ob ein sonst wahr-
heitsliebender Schüler die volle, ungeschminkte Wahrheit gesagt hat»
so darf er diesen Zweifel nicht direct und in verletzender Form
äußern, selbst nicht einmal wahrnehmbar machen. Der Schüler mnss
vielmehr das feste \ eitranen auf den Lehrer haben, dass von letzterem
das, was von iliin als Wahrheit gegeben wird, auch als Wahrheit
aufgenommen wird. Nur das Vertrauen des Lehrers zu dem Wahr-
heitssinii^ der Schüler weckt auch das Vertrauen der letzteren zu
ihm und nur in diesem Vertrauen kann die absolute \\'alirlial"tij?keit
wurzeln. Es würde ungemein verkehrt sein, stets, auch wenn kein
hinreichender Grund zum Zweifel vorhanden ist, bei dem Schiller die
Unwahrheit vorauszusetzen; denn (lai aus miisste ein Verhältnis zwischen
Lehrt-r und Schüler entstehen, das eher an das des Häschers zu dein
Verbrecher, als an das di^s väterlichen Erziehers und wirklichen
Freundes zu dem Kinde erinnert. Wenn aber der Lelirer aufmerk-
sam die geistige Entwicklung eines jeden Schülers vertolgrt. stets
darauf achtet, dass das Wort auch den Sinn völlig deckt, ilass al*o
nie eine Verschleierung des wirklichen Sinnes durch den Ausdruck
eintritt, wenn er schon die Verdeckung der Wahi'heit, als den Anfang
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zur Unwahrheit und Lü^e, als etwas Unedles, etwas de?; ^rensehen
ünwürdig'es behandelt, das man bei seinen Sehiileni gar nicht voraus-
setze, so wird dies Vertrauen das Ehi ;- f fühl und damit das Streben
nach wirklichf^r "Würdigkeit d. h. auch iiacii steter Wahrhaftigkeit bei
all deuen erwecken, die noch nicht gänzlich entartet, sondern dem
Ehrgefühle noch zugängflich sind.
S) Zeigt sich, dass ein Zögling direct die Unwahrheit gesagt, so
muss er disciplinarisch bestraft werden; mit pädagogiscliem Tacte
muss hierbei verfahren, namentlich ein scharlei- Unterschied zwischen
Vei-schleiei-nng der ^^ alirlieit, Unwahrheit und Lüge gemacht werden.
Nicht die Grüße der Strafe wird den Lügner bessern und zur Wahr-
heit antreiben; er wii-d vielmehr durch zu strenge Strafe nur dazu
verleitet werden, das nächste Mal — seiner Meinung nach - schlauer
n Werke zu gehn. Dagegen muss der Ton der Stimme, der Blick
dw Auges, womit der Jjdtrer die Strafe dem Lügner zuerkennt, in
dem letzteren das GefBhl erwecken, dass er der gütigen Behandlung
ond der Achtung verlustig gegangen; er muss seinen Mitschllleni
gegenüber moraüscli gedrflckt erscheinen. Gleichzeitig darf aber auch
der L«hrer nicht vergessen, den gefidlenen Schiller zu heben und ihn
zur Besserung anzutreiben, namentlick ihn nicht durch nene^ vielleicht
ungegrandete Verdächtigong zurü<^uschrecken. Die StrafiB muss als
Sfihne und Warnung, nicht aber als drakonisches Abschieekungsniittel
erscheinen; die Belehrung, Ermunterung des Lehrers muss den SehUler
auf den richtigen Weg zur Wahrheit zurftckfthren.
4) Unigekelirt muss die unter besonders schwierigen Verhfiltnissen
bewiesene Wahrheitsli« 1 • gelobt und dureli das Lob belohnt werden.
£ine freiwillige Selbstanklage auf die Frage, wer der Thäter sei,
verdient jedenfalls eine Anerkennung, die dadurch am besten ihren
Ausdruck findet, dass der betreffende SchiUer, wenn überhaupt, so
doch mindestens weniger hart bestraft wird, als deijenige, dess^
Schuld erst durch eine Untersuchung klar gestellt wird.
5) Das beste aller pädagoi'i^rben Mittel zur Erweckung des
Walirheitssinnes ist und bleibt aber unter allen l mständen das leben-
dige Beispiel des Lehrers. Von ihm muss jeder Zögling die unum-
stößliche Überzeugung in sich tragen, dass kein unwahres Wort über
seine Lipjien kommt. Vor allem muss sich der Krzielier liütcn. irgend
etwas zu sagen, was unwalir ist, eine Strafe anzudrohen, die er
nöthigenfalls nicht auferlegen kauu uder will, in der Behandlung der
Schiller ungleichförmig, bald lax bald streng, oder gar ungerecht zu
seinj dies würde die Jugend direct zur Unwahrheit fuliren. Einem
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von den Scliiilern geiiebieu oder wenigstens hocli t^-eacliteleu Leiu-er
gegenüber, von dessen strenger (rererlitigkeit . Wahrheitsliebe und
Fflrsorq^e jeder überzeugt ist, wird ein Zögling überhaupt nicht die
Unwahrlieit zu sagen wagen.
Neben diesen rein pädagogischen Mitteln, welche die Schule zur
Weckunisr und Kriiftiguug des Walirheit:ssiiiiies ihrer Z(»glinge hat.
nm»i aber auch der Unterricht auf die Pflege dieses Fundamentes des
menschlichen \'erkehrs stets die nüthige Rücksicht nehmen. Der
Unterricht in der Muttersprache und in der Geschichte haben in erster
Linie neben dem Beligionsunterrichte die Aufgabe, das erziehlidie
Moment herrorankelveD, und beide Fieber lOmim gerade nir Wecking
und Kriltignng des Wehrbeitssinnes viel beitragen durch Herrerbebimg
und Lob, wenn der Untenicfatsstoff die Bewiüurung der Wahrheitaliebe
(z. R bei Friedrich von Österreich) zeigt» und umgekehrt auch durch
Hmweis «nf die Schlechtigkeit dee Wortbmches und der Unwahrheit»
selbst wo diese scheinber Natsen gebracht haben (& E bei den Bdrasm
nach der Schlacht in den Oandinischen Pissen). In den Übrigen F2chem
wird sich, wenn auch nicht häufig, so doch biswtilen dne naheUegeidB
Gelegenheit bieten, von dem Werte des Wahrheitsamnes zu spreehei;
eine solche Grelegenheit soll man kfinstlich nicht suchen, wo! aber efaie
sich Ton selbst darbietende benutzen.
Wenn alle Lehrer einer Anstalt in gleichem Sinne mit Strenge,
aber auch mit Wol wollen und Wärme, an der Bek&mpfiuig der Lüge,
der Scheinheiligkeit und an der KräfUgimg der geraden Offenheit
arbeiten, dann wird sich bald eine Besserung zeigen, und später wer^
den die so erzogenen Schüler der Anstalt Dank l&r die Fftlmag siu
Wahrheit wissen.
üiyiiizeü by GoOgl^
Die emehliclie ßedeatuBg der Klöster.
(fiSne eiiltnrhiitoriidhpadagogiBche Betnchtimg.)
Vom I*, MÜie»»wevLeipz^»
aö preußische Geselz vom 81. Mai 1875, welclies die Auf-
hebung so vieler Orden und Klöster in Deutschland austfprach, ist
auf kii'chlicliem , nationalem und pädagogischem fTebiete unstreitig
eine der bedeutendsten Thaten des letzten Jahrzehnts. Tief ein-
schneiden musöte ein solches Gesetz: denn weit über lÜOOÜ Ordens-
mitglieder wurden davon betroflen. Darum ist auch keine That so
angefeindet worden, und keine Veroidnunj^ hat so gewaltige Opposi-
tion erfaliren, wie diese Herkulesarbeit. Es ist daher gewiss nicht
ohne Interesse — auch für Lehrer und Erzieher — die Bedeutung
der Kloster, ^»eflenders in emehlicher Hinsicht, einmal näher ins Auge
zu fteaen, zozDal die Gegenwart auf die klaaterlieben Institatloiieii
wieder mit milderen Blicken schant, als es mter der i,Ära Falk'*
geschab; denn die Aufhebung so mancher SSmoltanscholen, die mildere
Controle bei der Aoatlbang der sogenannten Klostergesetae and noch
80 manche andere anfiOQlige Erscheinung dieser Art — wir werden
nnimi darauf znri&ekkommen — erwecken ernste Bedenken.
Das Elosterwesen ist kein dem Chiistenthnme dgenthttmliches
Gewächs; mönchische Genossenschaften flndm wir schon vor dem
Christenthome. Wenn Plinins von den Essenern schreibt: „Ein wun-
derbares Geschlecht, ohne Weib, ohne Cteld, im Schatten der Palmen
werden sie alltäglich wiedergeboren durch die Schar doer, welche
die Woge des Geschickes müde des Lebens zu ihren Sitten hintreibt" —
so haben wir das Bild des Klosterwesens. Auch der Iskirn. noch mehr
der Bnddhaismus hat ein zahlreiches Mönchsheer hervorgebracht; und
die Selbstpdnigungeii indischer Büßer können sich getrost messen mit
allen Entsagungen des christlichen Mönchthums. Doch ist dieses auch
naturwüchsig auf kirchlichem Boden entstanden, aus der Moral der
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Weltentsagung und aus der hohen SpamuiBg der Märt}Terzeit im
dritten Jahrhundert, wo die Einsi^ler unter den Schrecknissen der
ägyptisclien Wüste alle Versuchungen des weltliehen Lebens in ihrer
Pliantasie erlebten. Durch die Jünger, welche sich in ilirer Nachfolge
um sie sammelten, wurde die Einsamkeit zur (Teiueinsamkeit, und da<
nächste Jahrhinid* rt sah die ersten Klosterg-emeinden. in denen der
ausschweifende Enthusiasmus wie sein träges Ermatten durcli eiu<-
feste Reqrel und Aufsicht j^emäßigt werden konnte. Im Altendhind»-
ist dieses Mr.nchthum ei-st aug-estaunt, dann nachgeahmt und zu reiclier
Mannig-faltigkeit entwickelt worden. Anfangs haben sich die Münchr
nach ihieni voiksthüralichen Ursprünge dem Clerus entzoo^en. ( asia-
nus schreibt: „Der Mönch muss Weiber und Bischöfe durchaus fliehen,
deim sie lassen keinen, der sich einmal in ihre Vertraulichkeit ver-
flochten hat, länger friedlich in der Zelle ruhen, oder mit reinen
Augen der Anschauung göttlicher Dinge nachhängen," Doch bald
ist eine Vermischung mit der Hierarcliie eingetreten. Viele lausende
von Klöstern sind entstanden und haben sich bevölkeit infolge der
Memang, doreh ElostergelftMe ein besonderes Verdienst vor Gott xn
erwerben, oder eiae Sehnld za sQlmeii, oder doeli durch £3ostastif-
tnng oder Vermfiditaisse an den Verdiensten der Weltverftchter thefl-
zunehmen.'*') Das gewöhnliche Geschick emes Ordens im Mittelalter
war, dass er von einer enthnsdastischen, geistesmächtigen Person ge-
gitndet, die demselben ihr Bildnis nnd Gtepr&ge anidrficktet dnrdi
den Bnhm seiner strengen Sitte nnd Frömmigkeit eine moralische
Macht im Volke wurde, dadurch Rdehthftmer erlangte und aich hi
den Besitz derselben in Unbedeutendheit gem&chlich znrttckzog. Im
13. Jahrhundert kamen dann die Bettelmönche, die mitten in die Wdt
traten und doch nichts von ihrer Gonvenienz, noch von ihrem Beieh-
thnme annehmen wollten, sondern aus der Armut eine Tugend
maditen und predigend und bettelnd dur( Ii die Welt zogen. —
Der Geist der Kirche sank und mit ihm der Geist der Klöster;
der Schmerzensschrei im 15. Jahrhundert über die kirchlichen Zu-
stände nnd das tiefe Gefühl von der Nothwendigkeit einer Beformation
♦i So tni?: B. Lu'hviir der Salier, genannt fler SprincrfT. 'lif^ M<)ii' Ti>kntte
immer bei sich, uni sie vorkomnien'leu KrankheitsliiUtn schnell iiuioL'eii
köonea. weil nach «lauiuligeui Glaubeu deuijeui|$eu, der al.H Muucb stirbt, die ewige
Sdigkeit nicht fehlen kann. Als gicli das OewiseNi regte ob der Blntsebiild, indöi
Ludwig den ersten Gemahl seiner ''.min — Pfalzgraf Friedrich III. — mit deren
Einverständnis mencblinirs hatte umbringen lassen, baute er das Kloster Beinhtrds-
brunuen und seine Gemahlin Adelheid das Kloster AdeUieidi-(01dis-)leben.
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galt auch den Klöstern. Sie wareu zu tief gesunken, nnd es war
sprichwörtlich: „Was ein Teufel zu thun sich scheut, vollbrinprt ohne
Scheu ein Mönch*', und Clemangis wehklagte: „Wenn ein Mädchen
den Schleier nimmt, das ist fast ebensoviel, als wenn sie zur Prostitu-
tion ausgestellt würde." Der Gehoi*sam wai* zur Regel- und Zügel-
losigkeit geworden, das Gelübde der Keuschheit, wenn es gehalten
wurde, suchte Ersatz in der Völlerei, und das Gelübde der Armut
behalt sieh mit dem Reichthura der Corporation und seinen Genüssen.*)
Durch die Refomation wurden die Grundfesten aller Klöster
erschüttert. Vinln Kl<»>^rpr wurden plötzlicli anfö-elöst; so weit Prote-
stant isclie Händtj iinciiUiL ist damals «^^egen einzelne, die ungewohnt
nnd nnwillig in die enttremdete Welt gestoßen wurden, viel Hartes
ges» liehen, wie eine Zeit es mit sich bringt, wo das von den Vur-
tahren nnd noch inuuer von einem Bruchtheile des ^'olkes heilig Ge-
haltene i)l()tzlich in den Winkel geworfen wird. Auch der überflüssige
Reiclitliiim dti Kloster lockte die Begierde, und Luther meint, im
Klöstereinziehen ^eiell tiie papistischen Füraten nnd Junker lutheri-
scher geworden als seine eigenen Glaubensgunosseu. - Die Synode
von Trient sachte aach in diesem Punkte verbessernd nnd wieder-
herstellend zu wirken, indem eine strengere Beobachtung von Sitte
und Zncht anempfohlen wurde. Die Hauptsttttze des gesäumten
Elostervesens wurde von nun an die Gesellschaft Jesu, welche dem
ICOnchthnm eine neue Gestalt gab; ihr Plan war, zur großem Ehre
Gottes die katholische Kirche zu beherrschen, den Protestantismus
znr&ckzadrftngen nnd das Jesuitische Cfaristentiium durch Jedes Mittel
Uber die Erde aoszuhreiten; nnd nachdem sie einen guten TheO ihres
Werkes, welches zwar nidit durch gro6e Thaten nnd Charaktere,
aber dnrch unermüdliche, einheitlich klug geleitete Mühewaltung sich
auszeichnete, vollbracht hatte^ war es ihr vor allem darum zu thun,
alle Gewissen zu regieren, neben der ernsten kirchlichen auch eine
bequeme Weltmoral auszubilden. Treffend sagt Karl Rosenkranz
in seiner Charakteristik der jesuitischen Erziehung: „Der Jesuitismus
verband mit dem Schein der größten Frömmigkeit ein Maximum
weltlicher Freiheit. Von diesem Standpunkte aus wandte er sich in
*) Man erzählt von iler Rede eines «leutsclien i^emüthUchen Ahte*«. .,f^a<i'^ f r sich
aber (Ue drei Möachsgeittbde uicbt eben beklagen könne, da« der Anuut bringe ihm
jUirifeh lOOOQO Ducat«! eiii, du dei QtHamm liab« iba nebea die FQfsten de»
Belebes gesetst, und wes das dritte betrifft, der Heir hebe ihn mit einet liebene-
wVfdigen Familie gesegnet.'' Dr. H.ise'^ Hmdbaeh der proteeteatbchen Polemik
gegen die r6m.-](eth. Kirche, Ükp. II, S. 295.
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der Erziehung auf Eleganz und Scheinwissen, auf Diplomatie und
moralische Bequemlichkeit. Um die Zukunft in ihre Gewalt zu brin-
gen, richteten sich die Jesuiten nicht nur auf die Juirend überhaupt,
sondern vorzüglich auf <lie li<»lieren Stände. Diesen zu genügen, hiel-
ten sie bei ihren Zöglin«,'en auf einen feinen Anstand. Tanzen und
Ir'echtf'n wurde in ihren Oolleden gut gelehrt. Sie wussten, wie sehr
sie hirrdurcli den Adel befiiedigteu, der scliou für diese Ter-bnik dt^r
fornuilen Ausarbeitung der Persönlichkeit den Namen der Erziehung
vorzugsweise usurpirte." So mancher Staatsmann moderner Bildung
wurde eifei*süclitig auf die weltliche Macht des Jesiutenordens und
forderte die Auflösung desselben. Frankreich war es zuerst, welches
diese Gesinnung äußerte und die Kl-.ster nur als Spitäler vou Geistes-
kranken dulden wollte. „Ein Mönch, was ist das für eine Profession?
Es ist die, gar keine zu haben, sich durch unverbrüchiicheu Eid-
schwur verpliichten, vernunftwidrig und ein Sclave zu sein und auf
anderer Leute Kosten zu leben^, so sprach damals Voltaire; and
ganz Frankreich gab ihm Beifall. Joseph n. war der erste, wilcher
ndt Besdiiinkimg und Aufhebimg von Elösteni begann; er hob 276
Kloster f&r mftnnliche nnd 88 ftr weibUdie Orden anf, so dasa noch
etwa 380 der ersteren und 50 der letaleren übrig blieben (vergL
Wolf, Die Aufhebung 4er KlOster in Inner-Österreicb, Wien 1871>
doch Beiner Wirkaankeit wurde bald ein Ende gemacht Die fran-
zösische Revolution und Napoleon I. warfen sie nieder in Masse.
Bei dieser Gelegenheit worde in der firanzdsisehen NationalTersamm-
long einst ein grofies Wort von Barnaye gesprochen: „Ihr habt eine
feierliche Erklürong des liensehenrechta sanctionirt, aber es gibt
keinen Orden, der nidit durch sein Gelllbde und durch seine Begel
dieses Recht yemichtete. Ihr wollt freie BOrger haben, aber aUe
Mdnche sind Sclaven. Ihr wollt Bürger haben, die nur der Nation^
nur dem Gesetz und dem KOnig unterworfen sind; aber die MOncbe
stehen unter auswärtigen Oberen, deroi Interesse meist dem unsngen
entgegengesetzt ist. Man will uns rathen, sie um der (ifientlichai
Erziehung willen beizubehalten, aber kann es weise sein, die Bildung
unserer künftigen Bürger Menschen zu überlassen, die aus allen häus-
liehen, bürgerlichen und politischen Verhältnissen herausgetreten sind?
Oder i.st es nicht vielmehr unnatürlich, die Lehrer der Wabrheit für
unsere .Tugeud ans; einer Menschen blasse zu nehmen, welche auf den
Gebrauch der Vernunft, wenigstens auf ihren unbeschränkten «Gebrauch
Verzicht getlian hat? Wahrliaftig, wenn uns aucli die Aufhebung dt-r
Klöster noch Geld kosten soll, anstatt was welches emzutragen, dürtiea
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wir ims docli nicht darüber bedenken, denn es w&re dieser Versanini-
Inng unwftrd%, de blos als eine Finanzoperation zu betraditen, da
Politik nnd Moral noch mehr dabei interassirt sind." Gewiss ein
wahres Wort Anch in Dentschland wurde nach AnflOsong des Beichs-
yerbandes ihst alles Klostergnt eingesogen, sowol von katiiolischen,
als von protestantischen Fürsten.
Die Reactionsperiode von 1815 hat mit der weltlichen ^faclit des
Papstes nnd des Jesuitenordens auch die Wiederaofrichtiuig des Kloster-
iebens ins Keaa geschlossen, welche Vergünstigung wah beste aus-
genutzt wurde. Alle Welt dem heiligen Herzen Jesu unter Ver-
tretung des Papstes zu weihen und znr Rückkehr in den Schoß der
alleinseligmachenden Kirche mit einem unfehlbaren Obei'haupte zu be-
weö-pTi. das wai* waluend dieser Zeit ein Hanptbestreben. Diese
Richtung hatte sich auch besonders nach dem Jahre IS-lS wieder leb-
haft «/ezeij^.; die verödeten Klostermaupiii bevölkerten sich wi»-df^r
und iieiif Klöster waiden in Ma^se gestiliei ; so existirteu in *i' r
ganzen Erzdiöcese Köln im Jahre 1850 nur 272 Mönche und Nonnen,
ün Jahre 1872 dagegen 3131. Während femer in den Diitcesen
Breslau, Kulm und Posen-Gnesen 1850 nur 236 Mitglieder von Con-
gresrationen existirten, war ilire Zahl 1871 — 1872 auf 1986 gestiegen.
Die ?]rziehungsHU>talten der Jesuiten füllten sich mit den Söhnen der
Aiistokiatie, und die künftigen Mitglieder des preußischen Herreu-
hauses wui'den zum großen Theüe da erzogen. In Frankreich sind
die Nonnenkloster wieder die bettebtesten Pensionsanstalten für die
weibüdie Jugend geworden, md Fapst Pins IX. in seiner IkfUttbiUtät
erklärte jeden getaoflen Christen als snm EatfaoUzismns gehörig nnd
weihte die gaase Menschheit dem geheiligten Herzen Jesn. Von ohen
wnrde diesem reaclaoniren Treiben theUnahmlos oder theüweise wol gar
begfinstigeiid zogesehen, wahrscheinlich weil man glanbte, dass ein nn*
wissendes Volk sich besser gSngeln nnd leiten lasse als ein gebfldetes.
Dodi als nach dem Siege der protestantischen Forsten nnd Völker in
den Kriegen 1866 nnd 1870/71 die bisher mehr im Geheimen gehegte
Feindschaft der ültramontan^ gegen den ProtestanUsmis oifen her-
vortrat nnd man ungenirt die Absicht durchblicken liefi, den Katholids*
mns — eigentlich intramontanismus — der ganzen Weltsn octroyiren
nnd man ungeschent den staatlichen Gesetzen Hohn sprach, wen man
nur die Vorgesetzten in Bon anerkannt«, sah sich dei- Staat genöthigt
— da seine Autorität angezweifelt wurde — , diesem Treiben auf ener-
gische Weise zn begegnen, imd so kamen die Klostergesetze zu Stande.
T^nd was wirrl das Ende des Kampfes sein? Wird Born zum
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drittenmale Weltbeherrscherin werden? Fast möchte es so scheinen;
doch wir haben einen Trost. Es ist noch nie gelungen, die geistige
Entwicklung der Mensclien auf die Dauer rückläufig zu machen; man
hat sie zeit\\eise an einzelnen Orten gewaltsam ersticken können, aber
nie im groüen und allfromfinpn. Trotz der Zähigkeit des Pfati'enthums
kann der Erlolg- des Culturkampfes kanm zweifelhaft snin; füi* die
Klöster wenigs^tens ist die Blütezeit vorilber. Sip li;ibeü sich über-
lebt. Die Schutzredner deist-lbeu haben >ir rti vertlieidigt als Frt-i-
stätten für traurige, mit ihrem Lose unzulriedene. weltmüde. gebri^'']j«-iie
Seelen. Chateaubriand schreibt : „Gibt es Orte für die Genesung
des Leibes, ach, so vergönnt der Religion auch eine Statte zu haben
für die Genesung der Seele, deren Kiiiukheiten schmerzlicher .sind,
langwieriger und schwieriger zu heilen." Nun, es wird zugegeben. da.«*s
viele Beispiele vorliegen von Bußfertigen und Schiftbrüchigen aas dem
Sturme des Weltlebens, die im Kloster Frieden suchen. Aber wir
wissen auch von enthusiastischen Jünglingen, die dorch blinden Wahn
zur Ablegung der Ordensgeiabde l)ewegt wnrden; nicht sdten ▼arden
aneh EoAben durch eine beqaeme Frömmigkeit der Eltern, dardi deren
Sorge für das Erbe der Siteren Sölme, in das Kloster gebracht und
daselbst heimisdi, bevor sie von dieser Weit eine Konde hatten. Und
Montalembert spricht über das obige Citat Ghatesiibriands: „Diese
VorsteUnng ist poetisch and rtthrend, aber sie ist nicht wahr. Die
Kloster waren keineswegs bestimmt, die Invaliden der Welt anCm-
nehmen. Es waren nicht die kranken Seelen, im O^genthcsl, es waren
die gesündestem nnd kräftigsten, welche das menschlicbe GteBchieeht
je hervorgebracht hat, die in Menge an die Klosteipforten pochten.
Das Klosterleben, fem davon, die Znflncht der Schwachen zu sein,
war der Kamp^latz der Stsrken." Wire es ferner mOgUch, alle die
in Klostenellen gebrochenen nnd noch mehr die zu kleinlichen Kloster-
interessen zusammengeschrumpften Henen, alle die Mstemen Träume
and Phantaaien, alle die Verbrechen gegen die Natnr, die hinter
Elostermauem geschehen oder von da ausgegangen sind, in ein Bild
zasammenzufasscn, es würde eine Entsetzliche Tragödie geben.
Ungeachtet dessen kann die religiöse vrie rulturhistorisehe
Bedeutung rles Klosterlebens in vergangener Zeit nicht geleugnet
werden. Die Mönche haben wüste Landstrecken urbar geuiaclit. die
Schätze des Alterthums. des christlichen wie des heidnischen. <luicli
ihre Abschriften gerettet, Kirchen mit eigener Hand kunstr»-!<'h t-r*
Imut, Volker belehrt und zum ( Inistenthum bekehrt. Die »Tei)iideteii
fanden hier angemessene Unterhaltung, der Wanderer ein gast^eund-
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liches Obdach, die Kmder Unterricht, ilie Jugend Rath, die Armen
milde Cniben u. s. w. Wer wollte nicht auch in Anerkennung der
fi luiuen Liebeswerke gedenken, wie sie namentlich von den barm-
herzigen Schwestern mit Unverdrosseuheit und Heldenmuth geübt
worden sind? Und dennoch kann man getrost behaupten, dass das
Xlosterleben ein überwundener Standpunkt ist; denn die ganze ilorai
der W'elttiucht, als der Kegel eines aufrichtigen, emsthaften Kloster-
lebens, die einen unversßlinbaren Zwiespalt setzt zwisclien Geist und
Fleisch, zwischen Gott und Welt , zwischen Himmel und Erde, statt
die isiuuliche ^atur geistdui'chdruugeu zur Schönheit zu verklären, ist
nur eine niedere Stufe der Sittlichkeit. Es ist anei'kannt, dass blos
die fromme Gesinnung vor Gott einen Wert hat, aas der je nacli
Kraft und Gelegenheit das ihr angemeasene pfüchtmftffig« Thon hei^
Torgeht, dass man also mitten in der Welt ebenso fromm leben kann
wie im Kloster; und der Mann in der icameelhaarenen Kutte, desseo
Speise Heuscbrecken und wilder Honig war, stand nicht höher als
der, welcher nach ihm kam und der ohne irgend ein Gelfibde mit den
Fröhlichen afi nnd trank, and selbst die Terschwendnng gewähren
ließ, in der ein treues Hers sieh ihm oiFenbarte. (Job. 12.)
Herder sagt hiersu: „Wahrlieh, das göttliche, das edelste
Werk, wodurch der Mensch Mensch wird, ohne welches er ein Thier
oder Srger als ein Thier sein mflsste, kann keüie Zuchthaosschole,
kein Laboratorium sein, in welchem er ohne Wissen und Willen
destillirt wii*d. Eine evangelische, d. i. liberale Erziehung nennt die
Schrift dies dem Menschen angelegenste Geschäft, das sie einer be-
lehrenden Hühl Gottes, einem väterlichen Rufe und Zuge, einem mit
kindlicher Munterkeit belebenden Geist zueignet. Licht, Liebe, Leben
sind in diesem Geschäfte eins; fortgehend aufs ganze Leben.''
Doch auch die culturhistorische Bedeutung der Klöster ist der
Yergangenheit anheimgefallen. Das Urbarmachen des Landes ist nicht
mehr Öache der Mönche. Die Damptdruckerpresse steht au der Stelle
des Abschreibers. Die Herausgabe gi'oßer t^uellenwerke geht vf>ii
Akademien und freien Gelehrtenvereinen aus. Die Gastfreundschalt
der Klöster wird nur in halbbarbarischen Ländern nnc!i V'>ii dem
Wander^T aii^t -iaochen; und zu LMlnHrn und Erzieliern lj('(i;ut man
der Mönche nicht mehr. Die mönchische Päihij^ogik und khisiei-hche
Erziehungsweise, welche vor allem auf eine üulierliche Abschließung
ihrei' Zöglinge Bedacht nimmt, um das Werk dei* Weltentfi'emdung
*) Herder* 8&mtL Werke. Bd. XI, S. 74*
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leichter und entsihiedener duichziiäetzeii. welche durch möglicliste
Schweigsamkeit und IdiiuVii Gehorsam in eine geistige Unbeweo-lich-
keit. ja in vülliL'e Apathie und Antipathie gegen alle iniellri lu- lk'
Cultur vei-setzt, welciie. .-tatt Ii» Natur und Welt positiv z i ü\-^v-
winden und sich von ilir jiiitlicb zu befreien, nui* negativ ab.siiaiiirt
und durch Misshandlung^en und Kasteiungen die Macht des Fleisches
zu brechen sucht und das Lebensgeflihl bis zum Ekel am Dasein er-
lüdt^t, kann iii»^ und nimmermehr Anspruch auf Beifall und Unter-
stützung erheben — sie muss vielmehr als verfehlt und absolut ver-
wei'flich gelten.
Die Elostergelübde enthalten überhaupt das Gegentheü dessen,
was nattugem&ft dem freigebomen Menschen ziemt Der Mensch soll,
ei^s mit Ehren kann, so viel erwerhen^ um, nieoMUidem sar Last
fiillend, die Mittel zu seiner Existenz nnd der seiner Fähigkeit ge-
mftfien Wirksamkeit zn besitzen; das EloBtergelflbde befiehlt, sieh alter
irdischen Güter zn ent&nitem. Der Mensch soll, wenn kein nnTer*
schnldetes Geschick dem entgegensteht, sich dnrch die Ehe zn er^
gänzen suchen nnd fortleben in seinem Geschlechte; das Eloster-
gelübde befiehlt: jedem Geschleehtsverhfiltnisse zn entsagen. Der Mensch
soll nur Gh»tt in seinem Gewissen nnd dem Staatsgesetze nnterthan,
auch in pfiichtm&fiigem ;DienBte frei nnd mündig weiden (sni juris);
das Elostergelübde wUmgt unbedingten Gehorsam gegen die Ordens-
obem, es verlangt, willenlos zu sein wie ein Leichnam. Eine Christ^
liehe, vor allem auch sittliche Genossensehaft kann daher solche Ge-
lübde gar nicht mit gutem Gewissen annehmen, noch weniger darf
ein Staat, der frei und gerecht sein will, seine Gewalt dazu her-
geben, um ilu-e Durchsetzung zn erzwingen; vielmehr bat er diese
Macht gegen jede geistliche Genossenschaft zu brauchen, sobald sie
sich anderer als geisti^^er Mittel bedient, um die durch ein Kloster-
gelttbde Gefangenen gegen ihre veränderte t'berzeugung in den Banden
festzuhalten. Und dass sich die I berzeugung bei den Kloster-
b(»\vo|m»'rn oft ändern mnss, ist ganz natürlich, weil schon na«-]) voll-
endetem Jß. Lebensjahre, von Mädchen schon nach dem 12. Jahre nach
vorhergegangenem Noviziat das Gelübde abgelegt weiden kann. W<>
aber in aller Welt ist in .solchem Alter die Sicherheit eines reileu Ent-
schlusses fiu' ein ganzes Leben gegen die Natur?
Nie soll der Mensch einer vorübergehenden hochgespannten «>der
getrübten Stimmung halber dem ganzen kunltigen Leben Fesseln an-
legen, und niemand ist berechtigt, auf die Freiheit, die Gott ihm ver-
liehen hat, verzichtend und den Führungen Gottes vorgreifend, seine
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ihm noch nnbekaiuito Zukunft zu verpfänden. Mit dem Gelübde hat
68 immer seine eigene Bewandtnis: als ein Mittel der Selbstzucht mag
es wol gelten, wenn jemand gleichsam durch das bessere Selbst < iner
gehobenen Stunde sich zwingen wiU, gegen die eigene Schwachheit
das zu thon, was überhaupt für ihn zu thun recht und gut ist; doch
verräth es immer viel Sinnlichkeit, und es ist ein Zeichen von Egois-
mus, Gntt durch Versprechungen zur Gewährung unserer Wünsche
bewegen zu wollen. Das weniprste für sich m5diten äiv Gelübde
auf fremde Kosten haben, deren im Leben so manciie vorgekonnnen
sind nnd noch vorkonunen, von Jephta an bis zu denen, die ihi'e
Kinder ilem Kloster gel'iben.
E.s mag Personen geben, die. von Menfcheu und vom Schick.-5ale
Yieiliiltig fret;iu>rhi, allen weltlichen (Teschäl'ten fern, nur im T^m<^angr
mit Gott und in ler Sehnsucht nach <leui Jenseits leben wollen, ob-
gleich diese .Stimmung ohne klu.-,iei iiche Erziehung sich iim h'ichst
selten einfinden wird. Mögen solche sich zurückziehen und, wenn sie
wollen, auch mit (ileiclioresinnten eine Gemeinschatl bilden; doch muss
ihnen die persönliche Freiheit gewahrt bleil»en nnd nicht durch bin-
dende Gelübde verkümmert werden. Hast du in deiner Jugend, oder
sonstwie unbedacht, sei's auch im schönsten Enthusiasmus, dich dem
Klosteileben gelobt, und ist deine Überzeugung eine andere geworden:
80 soll allerdings diese Umwandlung einer ernsten PrOAing vor Gottes
Angesicht miterliegen; dann aber magst du getrost als dein eigener
Papst dir Dispensation ertheilen, nnd der Wipfel deines aufwachsenden
Lebensbaumes durchbreche das niedere Elosterdaeh, daran er sich hart
nnd zum Verktlmmeni gestoßen hat
Seine welthistorische Bestimmong hatte der Kerker ewiger Go*
labde schon damals erfUlt, als ihn der kühne Wittenberger Hdnch
zerbrach, welcher in strengster Elosterzncht das Unsoreiehende aller
ftufteren Werke an sich er&hren nnd in ihrer Knechtschaft das Evan>
gelinm Yon der christlichen Freiheit TemoDmien hatte.
Und trotzdem müssen wir heute noch warnen, warnen vor dem
geheimen Wirken und Schaffen der clericalen Armee. Kein Jahr-
hundert hat eine solche Menge Klöster, Orden und Congi-egationen
geschaffen wie das unsere, das in seinem Beginn die Klöster säcu-
larisiren sah. Und diese Ordenseinrichtungen, so verschieden sie
äußerlich sind, haben stets den gleichen Zweck: Schule, Kanzel, Beiciit-
stuhl, Krankenbett zu belageni und sich des Menschen von seiner
zartesten Jugend an bis an das (rrab zn bemächtisren, stets zum
Triumphe der rümisck-kii'chUchen Allmacht Ubei' Vernunft und Selbst-
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ständigkeit. Zwar sind in Preußen alle geistlichen Orden und ordens-
&Imlichen Congiegationen mit Ansnahme derjenigen, welche sich aus-
schließlich der Kraiikeni)floprf' widmen, durch das eingangs genannte
Gesetz aufgehoheii ; aucli hatte, um die Austuhning des KlostergT'setzes
zu sichern, J^r. Falk die Landrätbc Hiie'f'Anesen, halbjährlich Nach-
weisungen über den Personenstand in den kiristerlichen Niederlassunnren
anfzustelkn und bei der Regierung einzureichen; es sollte <l: -liirch
jede lieiuiliclie Aufnahme verhindert werden. Später ir^t al^er auf
höhere Weisung aus Berlin von der Regierung in Minden den Laud-
räthen eroitnet worden, da*« diese halbjährigen Nachvveisiuigeu femer
nicht mehr einzLüeii:hen seien, das heißt doch mit andern rten. es
\vii(i auf die genaue Befolgnng des Gesetzes über die geistlichen
Orden kein Wert mehr gelegt und diesen iiherlasscu, künftig das
Gesetz nach ihiLiu Belieben zu befolgen oder nicht zu befolgen. Gibt
das nicht zu denken? — Auch die Aufhebung verschiedener confessioneD
gemischter Schulen lässt das Motiv unschwer errathen. Femer war
im vorigen Jahre in der Zeltsdirift: „Aus «Hea Wdttheflen" folgende
Notiz za lesen: „Staanenswert ist die Begsamkeit und ümaicht, mit
welcher die rOmiscbe Kirehei insbesondere der Jesoitenorden, bemfllit
istfdie Proteetanten in ihren alleinseligmaGhenden Schoß znr&ckzDflIhren.
Vornehmlich ist ihr Augenmerk anf Deutschland gerichtet» flbr welches
man drei apostolische Yicariate m diesem Zwecke errichtet hat, bk
OsnaMck, im Anhaltischen und in Dresden, yon welchen ein weites
Fangnetz ausgespannt wird. Die Erfolge dieser an Mitteln jeder Art
reichen Propaganda Ar Born sind ungemein grot. So ttbertrült s. K
in Sachsen das Wachstbnm der katholischen BerOIkemng weit das
Zunehmen der sächsischen Bevölkerung tberhaupf
Doch noch eines andern höchst wiclitigen Umstandes haben wir
zu gedenken. Papst Leo Xm. hat nämlich durch die Encyclica vom
4. Angust 1879 die Philosophie des Thomas von Arjuino als die
maßgebende Norm für die Vertreter der katholischen Welt hingestellt
and geboten, ihr beim philosophischen .Unterrichte anf den katholi*
sehen Lehranstalten den Vorrang einzuräumen.*) Er hat mit dieser
Aufstellung seines Ideals orthodox-katholischer Weltweisheit zurück-
gegriffen über einen Zeitraum von sechs Jahrhunderten und die geistige
Entwickelung von Cartesins über Spinoza und Locke bis anf
Kant einfach brisf-ite geschoben. Er ist zurückgegangen in eine
Zeit, da die Welt zu den Füßen der i^irche lag, und da die ^Welt-
*) YergL ^sedagogium'^ II. Jahrg. S. 69 f.
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Weisheit naturgemäß der Weltmacht folgte"; nacli ihm sind alle
Wissenschaften der Theologie unterzuordnen, und die niitürliche Ver-
nunft hat nothwendigerweise dem Glauben zu dienen (ut naturalis
i'atio subserviat fidei). Mnss uns diese VerurdmiuL' nicht recht sehr
zu denken gebeu r' Ist da nicht jede freie und unbeiangene Forschung
ausgeschlossen? Lieirt nicht darin *'in Holm auf den Protestantismus,
auf dessen gesammte geistige Entwickeliing? TTber nnsere Geistes-
heroen, über einen Lessing, einen Kant liinweg blickt man in das
graue Mittelalter, um sich von dort den leitenden Geist zu holen.
Das heißt mit andern Worten: „Es wird fortgekauipti!" Und ist die
Haltung der Centrumspartei im deutschen Reichstage und im preußi-
schen Abgeordnetenhause nicht der sprexihendst-e Beweis dalar? „Zwar
möchte man glauben*' - - sagte Voltaire — „die Zeiten schändlicher
Verbrechen, wie sie Aberglaube und Fanatismus verübt haben, seien
vorüber; allein wer so denkt, erzeigt der menschlichen Natur zuviel
fihre. Der Giftstoff ist noch da, wenn das Gift ancb nicht gerade
Die Zeit kann ihn entwickeln nnd wieder anf eine lange Zeit
als Terheerende Seaxii» Uber die Erde senden.** Hat doch Fins TSL
(t 1823) erklftrt» es sei immer nur eine zeitweilige Accommodati<»i
an die Verhältnisse der Nenzdt, wenn die rOmisehe Cnrie die Ketzer
nicht ihrer Filrstenthflmer entsetze oder ihrer Güter veilnstig erUftre.
Die Kloster aber sind Stationen, von welchen ans man dnrch
die verschiedenen Orden als gefügige Fangarme der römi-
schen Cnrie die Völker des Erdkreises anschlingen nnd
geistig ersticken will Es war allerdings Toransznsehen, dass,
wenn die Jesuiten und ihr Anhang auch vorlAofig der Gewalt wichen,
sie und ihr Einflnss doch in tausend und aber tausend Canälen in die
Gesellschaft dringen würden, begünstigt durch den katholischen und con-
seiTativen Adel, dem die Religion auf allen Rednertribünen entströmt«
gestützt ferner durch Bischöfe und Geistliche mit ihren vornehmen
Beichtkindern, gefördert endlich durch die fast zahllosen Congregationen
und frommen Vereine, durch die Brüder- und Schwesterschaften mit
den süßesten Namen: vom „armen Kinde Jesu", vom „heiligen Herzen
Jesu"', vom „heiligen Giabe", vom „heiligen Rosenkranz-*, vom „guten
Hirten", ,,zur A'erbrtiumg des Glaubens" etc. Hierzu gehören auch
die „Pius-, Bonifacius- und Vincentiusvereine", sowie die „katholischen
Casinos". Also Vorsicht und Wachsamkeit! Vor allem ein otfenes
Auge den Klöstern, deren ursprüngliche Mission erlusclien ist, und die
heute nur noch als Stationen der römischen Propaganda gelten
können!
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Wii schließen unsere Betrachtimg mit einem Worte von Herder*):
„Das Menschengeschlecht ist zur ljesellig:keit geschaffen; zum Handeln
und Leben sind wir da. Alles Isoliren und Brüten über eigenen Ge-
fühlen macht furchtsam oder anmaßend, lässig oder leer und stolz.
Wenn daher das Christenthum auf ein Mitwirken in der Gemeinschaft
anderer drang, so that es, was es tliim soUte. Absonderungen und
Mönchereiea, sellist ohne KUtoter und Xlostergeiabde, sind Abwege
des Antichrists, Wege eines skhem Verderbens. Die Geschiclite de»
Ghristenthums selbst, sobald es diesem ersten Gesetze seiner Stiftung
nicht folgte, hat dies genngsam erprobt
*i Herders sämmtL Weike Bd. XL „Zur Religion tmd TheolcgifS & 72.
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Franenbilder aus Pestalozzis Lebenskreis.
Vw M, Marf'WinUi'thur,
(Foftsetarang.)
r
ir wuudem uiis nicht, dass die Gesaadheit der alteniden Lisabeth
«nter den vlelliuiheii KrKnkntigen, denen sie von Seite Sehmide nnd «einer
Sehwestern aasgesetzt war, zn leiden anfing. Anfangs Juli 1819 ging sie zu
ihrer Erholnng ins Bad Sclünznach. Tin Knabe blieb unterdessen in Iferten.
Die Briefe*), die Pestalozzi ihr nach Schinznach scluieb, sind ein wol-
thaendes Zeugnis dafür, dass er der bewährten Freundin iu alter Liebe zu*
gethui und bemfiht war^ die entotandineii Weitenrngen Aungldclien. loh
lasse diesenieii folgen nnd der Leser wird mir dankhar sein, dass ieh ihm Ge-
legenheit gebe, wieder einen tiefen BUdt iu das Herz des cdeln und großen
Mannos zn thnn. Ob^lHch di> Antworten Lisab^^ths iijr'lif mehr vorliaiiden sind,
so hat man doch in dem, was geboten werden kann, einen fortlaufenden Com-
ttentar der gegenseitigen Stimmnngen.
1.
Liebe Lisabeth!
Ich hoffe, Du seiest glftcfclich im Bad Scliinznach anirelangt iiml die Reise
habe Doiiu-r Gesundheit nichts; grscbailet. RfHclitc iiiidi. «h Du ein ordcntlidies
Zimmer im Bad gefunden und was Herr Dr. Koller in Rücksicht auf das Bad
und Deine Gesundheit mit Dir geordnet und wie Dich das W asser im Trinken
und Baden annehme. Kacht das Tropfbad Schmersen? Ich kenne es nicht
Gott gebe, dass es Deine Gesondheit ganz wieder herstdle nnd Dein Übel in
seiner Wurzfl heile und Du kraftvoll und j^osnnd wieder zn uns zTiriiekkommen
künnest. T>t'irt lieber Jaeqneli befindet sich wol und wir alle auch. Ich thne
was ich kann, um das Ziel meiner Bestrebungen zn eireichen, und meine Uoff-
nonguk werden immer giSßer. Die Personen, die allein im Stande sind, mir
fiüfthand zn bieten, arbeiten mit Erfolg nnd es gdit vorwttrts. Ich träne anf
Gott, der mir so oft geholfen nnd in diesen letzten Tagen meine Hoffhungen
hat jffT(?ßer werden lassen, als sie je waren Die Wege, die ich zu meiner
Eettung einschlagen musste, standen nicht iu meiner Gewalt^ es war ein ein*
ziger, nnd bis jetzt ist der Ertoig meiner Maßregeln gesegnet nnd meine Hoff-
nungen werden tlglich grSßer. Aber es sind freilich nnr noch Hoflirangen nnd
swar Hoffirangen eines Hannes, der am ftnßenten Band des Abgrundes stand
*) Von ihrem Neffen, Herrn Dr. Krüsi, zur Benutzung iu meine Hand gelegt.
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— 628 —
und iKif Ii zu fV nii m nicht ganz sicht'i n Boden vorgerückt ist. al>o auch nicht
handeln kann, wie wenn er sein Ziel erreicht hätte. Ich horte zu Gott, dieses
Ziel sei nieht mehr fem, und aiMte Tag und Naeht, das Ifeinige zu tbao,
dieses Ziel mir immer nilher zu bringen. Die Leute, di« mir Iiiefür helfiea
kennen, streng-en ihre Kräfte liietür auf alle Weise an. nml dio Z» it wird mein
Vtrtraucii auf sie rpchtfertli^en nml das I»eine auch wieder herstellen.
Rosette, die gestern bei nns war, iässt Dich grUl>en; auch Gottlieb (der Enkel
Pestalonds, nmuiielir 22 Jahre all) llsst Dich griUen. Da ich dem Jaoqneü
sagte, ich schreihe Dir, nickte er mit dem Kopfe imd sagte llehehid: Ja, ja.
Lebe wol, werde eresund, Gott wird alles zam Besten lenken.
Das hoffet nnd bittet Dein Dich mit Dankbarkeit liebender
(Von Lisabeths Hand: Pestalozzi
den 4. Juli 1819 empfangen.)
Liebe Lisabeth!
Toll stdine mich >.ehr nach einem Brief von Dir. darin Du mir bestimmt
sagest, was tlir eine Wirkung dm Bad auf Deine Beschwerden habe. Ich hoffCi
Du erhaltest meine Briefe. Von dem ersten weiß ich es.
Hier geht es thttig nnd nach meiner Ansieht hcArnngsrolL Ich arbeite
mit Mnth nnd, wie es mich dOnkt, mit Erfolg. Das Hans ist von Fremde. Es
ißt mir, ich lebe in einer neaen VC'elt. Ich bin in den Thurm hinauf gezogen,
eine Treppe höher als mein Zimmer. 5'c hmid arbeitet mit dem rastlosen Eifer
und mit offenbar gesegnetem Erfolg. Die Kinder von Clindy ( Armenanstalt,
gegründet 1818) sind mit Jnngfran Schmid alle ins Sohloss gezogen vtä
halt«! sich vortrefflich. Im Land steht es, man kann es nicht besser wünschen.
Bohnen, wie sie jetzt stehen, hab ich noch nie gesehen. Kurz, alle meine
Wiinsciie scheinen sich am Ende noch m erfüllen, obgleicli mein Alter mich
ihie Erfdllung nicht — nicht in dem Maße zu erleben liutien iässt, als ich
gerne wönschte. — Gottlieb ist recht wol and hoffhongsvoll und hoffend wie
ich. Dein Jacqneli ist anch wol und heiter.
Glanbe an mich, liebe Lisabeth. Der Weg meiner äußern Verhältnisse
ma? eine Tvichtunj? nehmen, wie er will, so werde ieh die Liebe nnd Hilfe
nie vergessou, die ich von Dir ^'eno.ssen, und auch hinter meiueni
Grabe zeigen, das» ich die alten guten Verhältnisse, in denen ich
lebte, nm der Ii einigen willen, nicht hinten setze nnd vergesse.
Lebe wol, liebe Lisabeth.
Ich bin auf immer Dein aufrichtiger nnd dankl)arer Freund
Yverdon, den 20. Joli 1819. Pestalozzi
3.
Liebe Lisabethl
Dein Brief hat mich herdich gefrent Oott Lob, dass wir hoffen dHrfin, Defae
Beschwerden heilen sich von Ornnd ans. Ich freue mich aufrichtig Deines Wolseioa
nnd anch der guten Stimmung, in der Dein Brief freschrieben ist. Ich frene mich
aufrif liticr, Dir lieb zu bleiben bis an mein und Dein Grab. Dein Vertrauen auf
mich thut mii- in der Seele wol, nnd ich will es gewiss beim Leben und Sterben zu
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Tcrdienen suchen. Anch Gottlieb hei&t Dich seine gnte Gotte von gtaaem Henen
— nnd Dein Jari|neli darf darauf ziOilen, dass wir seiner um Ik'liietwillon, 80
lang jemand von tms; 1f>if, gedenken und mit Sorgfalt rni ilim handeln werden.
Die Hoffnung, es immer mehr nnd besser thuii 2U können, ist beständig im
Steigen, aber dieHaltregeln, die wir m luimi Zwecken eigniftn nflnen, lind
fOr den AngeiiUlek noeh ediwer, aber ihr Erfolg admliit voUkominra Bieber.
Es kommen immer mehr Engländer an. Es wird jetzt wirklich im Hans englisch
g-epr^igt. Herr ^tanh ist tV»rt. nnd das ganze Haus sieht sich nicht mehr
gleich; aber unsere Feinde sind sich immer gleich. Ich habe von ihnen immer
Verdnias. Schmid gewinnt immer mehr Freunde. Er treibt jetzt seine mathe-
natiachen Weite zan Vorthefl der Anstalt. Seine nnd seiner Sidiweatem
Tfaätigkeit ist unbegreiflich, imd all%, was sie vornehmen, gerÜh. Ich bitte
Dich, nm Gottes Willen, fasse wieder einiges Zutrauen zu ihm. >'V «uclit
es nnd ist im Innersten, trotz gewisser äußerer Augenblickserscheiuungen, ge-
wiss edeL Er achtet Dich auch gewiss und weiß, dass wir Dir Dank schuldig
stal Er wird es ewig nicht an sich kommen lassen, dass er gegen
Bich oder gegen den Sohn unreobit handle. Sein Weg wird ihn weit
führen, aber ich imiss ilin niit Vertrauen sich selbst und seiner eigenen Kraft
überlassen. Tcli thiie es mit Vertrauen, leh darf auf seine Liebe zählen, und
er geht immer weiter in öffentlicher Verpflichtung für mein Werk.
Knn, Uebe I<isabeth, die Hoffanngen für das Ziel meines Lebens nnd für
den Erfolg nach meinem Tod sind nodi nie so gegründet gewesen, als sie dieses
gegenw ilrtig sind. — Gott Lob, dass Deine Gesnndlieit gut geht und ich huften
darf, Du erlebest die Folgen meines Thuns, die erst hintei' meinem Grab wichtig
und groß werden können.
Adiea, Uebe Idsabeth, sdireib mir bald wieder.
Ich bin mit Danki arkeit ond Liebe aaf immer Dein treuer Freund
(Von Lisabeths Hand: Pestalozzi,
den 4. Augost 1819 erhalten.)
4
Liebe Lisabethl
Ununterbrochene Zerstreuungen sind die Ursachen, dass zwei Posttage, an
denen ich mir vwnahm, Dir an sdireiben, Twbeigegangen sind, ohne dait es
geschah. Das Hans ist immer voll von Fremden, nnd ich bin noch der Narr
imd meine, ich müsse einem jeden, der kommt, nachlaufen! Indessen waren
einige sehr wichtige da, unter andern der Kronprinz von Preußen, bei dem ich
Nachts fast bis nach eilf Uhr im „Rothen Haus" war. Auch sehr wichtige
Russen waren da, und alle Fremden haben mit mir die größten Erwartungen
Ton der Armenschnle. — Ich wiederhole, Lisabetb, Gott scheint mir am
Ende meines Lebens die Hoffhungen meiner Jugend erfüllen zu wollen. Wer
im Hans ist. hilft zu diesemZiel, undGottlieb wird i in m pr t Ii iger. Dass
seine Gesundiieit sieh solid bessert, tri^stet mieh selir. Mit Deiner Gesundheit
wird auch Deine Beruliigung siclier kouimeu. Ich wiederhole Dir: Was
immer von den alten Deinigen noch lebt, das liebt Dich nnd freut
sich mit mir» in eine Lage zn kommen, in der wir Dir unsere Liebe
mit der That zn Deiner Befriedigung zeigen kftnnen.
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— 680 —
Wann kommst Da wivdi r 7h uns? Es £,nbt einen vortrefflichen IlerVist.
Eine Träubelkur (Träubel, Prüvm/,ialismii8= Traubeu ) würde Dir sehr woi ihun.
Der Wein wird vortrefflich und gewiss wolfeil. Mache die Wasserprobe mit
Ddnem Hagen nieht m stark und nicht n flrSh. Do hiBt*jetEt noch in d«r
Cur, und 80 laii^e man in der Cor ist, muss man keine Heldenstreiche mit
sein.'U kranken Theilen machen. Ich freue niicli, liebe Lisabeth, baM wieder
Niu lirichten von Dir zu erhalten. Mein« Gesun<llieit ist vortretllich und lueiue
Arbeiten gehen zur Zufriedenheit vorwärts. Liebe Freundin, Gott hat ge-
holfen» er wird ferner helfen. Ich wiederhole: Heine Bemhifon^ ist groß, nnd
meine Hoflhiugen scheinen iliiei- Erfüllung mit Sicherheit entgeiren zu gehen.
Gottlieb grüfjt Dich her/lich, and ich bin mit aoMchtigfim Heraen Dein
Dich li.'bt'nder iiml dankbarer Freand
Von Lisabetlis Hand: Peätaluzzi.
Im Bad erhalten 1819.
Lisabeth blieb bis gegen Ende Angost in Schinmeh. Am SchloMO der
Cor reiate sie nach Zürich, nm Ton Ihrem GOnner, Bathsherrn Vo^el, dm,
Tertranenamann Peatalosuds und seiner Gattin, sieh Iber Ihr ftneEea Vertialten
rathen zn lassen.
I i je Folge davon war, das« sie um das Weitere abzuwarten, nach Neuhof
ging und ihren Knaben später gegen Ende des Jahi'es dahin kommen UeB.
Pestalozzi, der einsah, dass flIrLisabeth inlferteneinatwdlaikeinPlats
nnd keine Wirksamkeit sei, war damit ganz elnventanden, und T.isabeth wid-
mete sich wieder in altgewohnter Weise den vorkommenden Gesrhiiften. wie in
frühem Zeiten. I'estalnzzis Briefe suchten sie auch im Neuhot auf; sieatiuueteu
immer dieselbe dankbare Auliauglichkeit. Wir lassen sie, soweit sie noch vor-
handen sind, hier folgen.
5.
Liebe Lisabeth!
ich habtj Deinetwillen sehi freundliche Briefe von Herrn Vogel erhalten
nnd will Dir ganz gewiss thatsftchlich zeigen, dass wir Immer nnd bis ans
Grab in den Gesinnunp^en der Dankbarkeit ▼erharren, die wDir schuldig sind.
Dass anch Schmid in gUuli. ii ciesinnungen lebt, wirst Du gewiss erfahren,
und ich weiß. Du wirst ihn einst wieder lieben, wie Dn ihn lansre
geliebt hast, und Du wirst ihm einst wieder vertrauen, wie Du ihm
lange vertrant liast. Er ist in den BSdem von Aiz, den Bnchholzer wieder
zurückzubringen. Ich wollte seine Zurttckkunft abwarten, ehe ichDir
schrieb. Wir erwarten ihn .schon 3 Tage; <la er aber heute auch n<>ch nicht
gekommen ist, so wulltf^ if h Dich doch nicht läng:er ohne einen Brief von mir
warten lassen. Die Eiicickimft Deiner Schmerzen von Deiner Znrichreise macht
mir sehr viel Ufih. Gott gebe, dass es jetzt wieder bessere. Sehreibe miram«
stttadlieh darttber. ~ Es widist ek herrlicher Wein dies Jahr and wird sehr
wolfeil. Du sollst auch ein FRsschen vom recht i^nten haben und ihn. will-
Gott alt bei uns trinken. Dein Jarqneli ist g-esund und so ruhig, als er nur
sein kann. Ich bin vollkommen gesund and will nicht vergessen, diesmal meinen
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— 631
Namen unter meinen Brief zu setzen, ob ich gleich lioffe. Du glaubest, dass
ich ihn das letzte Mal in «Her UnschnM verfressen darunter zu »et^en.
lu uieiuem uäclisteu Briefe hutie ich Dir etwafi Wichtiges Oüd Neues sagen
xa kSnneii. Jetst nnr das: Es geht alles vorwärts. Aber die Henschen bleiben
lieh baima gleiclL Wenn man nicht ein halber Teufel ist, wird man immer
vnn ihnen betrog-en. Aber Schmiil liat noch keiner betrogen, obgleich man es
auch Jeizi. wieder prubirl hat. Uottlieb gellt auf in Wissen undKönneo, wie
es iieiu Mensch von ihm erwartet hätte.
Sobald Schmid kommt» schreibe ich Dir nrnstandlicher. Adieu, liebe
Lisabeth.
Ich bin mit dankbarer Liebe auf immer Dein Freund
(Von Lisabeths Hand, zu Neuhof: Pestalozzi,
von Herrn Pe^italozzi im Herbstmonat
erhalten den 21. 1819.)
6.
Liebe Lisabeth!
"Was mich innig frent, ist die Wiederherstellung Deiner Ge.sundheit. Mir
lietrt alles daran, da?« Du lebest. Die Zeit wird alle Zweifel lösen und Dir
zeigen, was wir fiir uns bedurften, und wie wir für Dich und die Deinicren
denken. Wir wünschen die Rückkehr Deines Herzens und Deines
Vertranens. Die ZtAt wird uns diese schenken.
Ich wünsche Dir nnd Deinem Jacqueli von Herzen ein gutes Jahr. Mir
thnr web, dass sein Führer, den ich cfefragt, wie viel Geld er brauche, nni ihn
ordentlich und mit den niithigen Erleichterungen herab (d. h. nach Neuhof) zu
bringen, und dem iclj gegeben, was er hiezu gefordert, keine Erleichterungs-
fdegenhdt gcencht, nnd nm fttr sich ein paar Thaler ta. ersparen, Um gezwungen,
die ganze Heise zu FuC zu machen. Wenn es auch ein paar Thaler mehr ge-
kostet, so hJlttp it'h .sie ihm f^ewiss gern zurückerstattet. Schreibf niii-, \sie
Jae^iueli sich jetzt befindet nnd sair ihm, das^ er uns lieb sei und dass es mich
freuen würde, üm dieses Frühjahr wieder zu sehen.
Nimm fttr einmal 4 — 6 L.d'or vom Lehemann, der mm sehnidig ist Deine
Bemhigung Hegt mir am Heraen, aber ich wttnsehe sie natflrlieh andi anf dem
We?^ Deines zurilckpekommenen Vertrauens.
Schmid geht nach meinem (ieburtstag (12. Jänner) nachZihicli und wird
Deinethalben auch mit Vogel reden. W^enu ich etwas von Gott erbitte, so ist
eSi da» Da anch ihm wieder Yertrane» neigeat. Ich wdA, was ich sage, nnd
CS ist gewiss, dass innige Liebe an Dir mich dieses Wort aussprechen machte.
Eines der zuerst angekommenen Kinder von Clyndi, Sabine Stelielhi von '
St. Gallon, liegt todt im Hau* Ks ist das erste der Kinder, die in meinem
Hause gestorben. Seine Krankheii und sein Tod machten uns viel Unruh'.
Lebe wol, liebe Lisabeth. Ich bin mit altem Herzen anf immer Dein
treuer Freund
(Von Lisabeths Hand: Pestalozxi
den 7. Jiinner ]H'20 von Herrn
ir'estalozzi erhalten.)
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7.
Liebe Lisabeth!
Ich vernehme durch Custer, dass Da sehr krank bist, ich wnsate bis
gestern nichts dftTOB. Es thftt ndr weh, wie vielM. Ich wUniche geaaa tn
winen, wie es Dir geh«. Lets oür durch den Atst K«cfatiehte& von Dir sn-
kommen. Die Maßregel Schmids znr Wiederherstellimg meines Haoees \
txHglich sicherer, nnJ er übertrifft alle meine Envartnng:en nnd ^vird roii L iiikI
Gottüeb in Stand stellen, für jetzt nnd in Zukunft auch an Dir und Deiueui
Jacqneli zn thon, was wir ewig ohne seine fortdanetnd^ Bemühnngen nicht
wtirden kOnaen. Mein Hera bleibt in dieser Rfiduieht immer daa «nn»n<*A,
nnd ieb wünsche nur, dass Dn bald wieder gesund werdest nnd im Laufe Tider
Jahre erlebest, dass ich bei Leben ^^tpr^^^n rille« Gntf erkenne, was Dn
uns gt thaii hast, und dass Du Dein Ücrz auch ssiedt-r g-egen den Alaun lün-
kehrst, dessen Liebe zn ans und dessen Kraft, uns allen zu helfen, Du sm lange
in der Wahrheit erlcaiint, MSge Gott ea geben, dan Dein Vertrauen n naa
rieh m Deiner nnd zn nnaerer Rahe bald wieder einstelle.
Lebe wol, (rott bessere Deine Gesnndheit.
Ich bin anf immer Dein wahrhaft ergebener Freand
(Von Lisabeths Harni: Pestaluz^L
den 4. Juli 1820 erhalten.)
Xadi Lisabeths Genesung fand, offenbar durch Verwendnnar nnd Ver-
mittlung Vogels in Zürich, eine Verständigang zwischen ibr nnd Sclmiid statt.
Wie sehr Pestalozzi sich dadurch erleichtert fohlte, beweist der nach»
atehende Briefl
8.
Liebe Llaabeth!
leh kann Dir nioht genug engen, wie aehr nieh zwei Dinge jetzt frenen:
1. Dass Deine Gesiudheit sich mit jedem Tag wieder bess< rt. und dass
Da, will's Gott, noch lange hinter meinem Grabe eifahren wirst rl is - i Ii uieiue
Hoffnnngen nicht auf Sand, sondern auf Felsen gebaut. Tcli wer.it* Deinem
Arzt nächstens selber schreiben and ihm für die glückliche Cur danken, die er
an Dir gemacht
Die zweite Sach, die mich ebenso sehr freut, ist, dass Da, liebe Liaabetfit
die Du einst in n< f'sttMi Nöthen mir meine einzige Hilfe und
Bettnng- wärest. Dein Herz und Dein Vertrauen dem Manne wieder •ä'hfnkst,
der jetzt in Nöthen, die grülier waren, als die iu Deiner Zeit, mein kr aftvoller
Better und meine riehere Stfitse iat.
Liebe Lisabeth! Auch «freut .sieli des Rfickkommens Deines Vertrauena,
nnd sein Wetr ist srroß. Ich sage noch einmal: Gott Lob, da.^.s Du wieder ge-
sund bist. Du wirst in dieser Rücksicht mehr erleben, als Du jetzt noch ahnen
magst. — Auch der gute Neuhof wird dtirch ihn erleben, was ich nicht hoffte,
daaa er noch «leben werde. Ich hoffe noch viele angenehme Stnndmi nnd
hoffe mit Euch meine letzten Standen da ?:uznl »ringen.
Adien, .^dieu. liel»- Li<^abeth, Ki\^f^ mir Jaoqneli ond glanbe midi immer
Deinen autrichtigen und dankbaien Freund
Yverdon, den 22. August 1Ö20. PestalozzL
üiyiiizüü by GoOgl
— 6S3 —
Auch die edle Frau von Hall weil, schon vor Jahizelmten die iutimste
und tlieünehmendste Fivuiuiiu Pestalozzis und seiner (Tattiu, bezeugt der
von ihr so liocligeäcMuteu Li belli ihre Freude iiher deu Wiedel* gefundeneu
Friedtin. Sie aehieiU Ihr:
Zürich, deu 20. September 1820,
Liebe, gute Lisabeth!
tichou seit dem 17. Heumonat l)in ich in Zürich, und keine gröiiere Freude
liSltte mir wol werden künnen ak der letzte Brief von Ihnen mir gewUhite.
leh Woeste von Herrn Batfaeheir Vogel, daes Sie geennd seien, aber ich wuwte
auch, dass Ihre Angelegenheit noch gar nicht in Ordnung war. Manches machte
mir bange für Sie und Pestalozzi. Ich redete offen und wie mir unis Herz
war mit Herrn Vogel und letzte Post kommt Ihr Briet, (iott Lob und Dank,
Sie sind zufrieden, sind wieder ausgesöhnt und glucklich. Gott sei ewig Dank
gesagt Von ganner Seele vtlnacbe ieii Ihnen Glftelt ond Segen und frene mich
ndt Ihnen.
Gerne redete icli auch mit Ihnen. Ende Octobers kehre ich wieder nach
Aaiau. Könnten Sie nicht nach Baden kommen den Tag, wo ich dort durch-
reisen wüi-de und dort mit mir zu Hittag ^sen? Können Sie kommen, so will
ksh Dmen dann den Ttng beethnm^; denn loh weiB ihn Jetat nndi aeniit nidht.
— Da Ueher Gott, es ist nur hier so wol unter meinen Freunden ond Bekannten.
Man ist so gut mit mir nnd macht mir so viel Freude, dass ich nicht gern an
da.s "Wt'itei^ehen denke. Denn in Aarau hlüht wenig- Glück für micli. Mein
Schicksal hat nicht geändert. Das Ihrige aber lehrt mich auts neue, deu Muth
nicht zu verlieren und Gott zu vertrauen, der ja alles zum Besten macht.
Haben Sie tausendmal Dank, dass Sie mir geschrieben. Es sind wol
wenige Uensdien, die so auMchtlg und ehrlich mit Ihnen sich freuen wie
Ihre Halhveil.
Treue bis in den Tod.
LisVieth kehrte mit ihrem Knaben im Herbst 1820 wieder nach Iferten
zurück, im Jahre 1823 heii-atete GottUeb Pestalozzi die jüngere Schwester
SefamidB. Die jungen Eheteote Uefien sieh auf dem Neohirf nieder nnd wttnachtcai,
dass Uaabeth mit ihrem Knaben au ihnen komm& , J^esthlozzi", eratthlt diese,
„sah es nicht so gern, doch sagteer, es sei besser, Ich gehe jetzt, es könnte
nach seinem Tode Schwicriickeiten geben. Man versprach mir alle
Güte, mich zu überreden." So fulgt« sie der Einladung nnd hatte es einstweilen
auch nicht zu bereuen. „Es ging ein ganzes Jahr so ziemlich gut.*' Aber als
Joseph Schmid am 17. Jnli 1824 nach dem Nenhof kam, begannen Miss-
helligkeiten und Zerwürfnisse, an denen nach den vorliegenden antlientischen
Actcnstücken Lisabeth keine Schuld tmg, die aber zu ihrer Entfeninng vom
Neuhof führten.'^)
*) Lisabeth berichtet an ihren Schwager Erttsi:
„Herr Schmid wollte mir nicht einmal das Halbe, wa.s man mir versprochen,
geben; und mein kleines Eigenthmu und der Frau Pestalozzi selg. Testament
sollte dadurch getilgt werden und nach des alten Herrn Tod nur noch das Halbe
von dem. Jetzt giui: er luiil nuulite eine Schrift und brachte sie mir zu lesen, es
war aber »o untereinander, dass ich es weder lesen noch verstehen komute. £r las
üiyiiizeü by GoOgle
— 634 —
Als Vater P<»staloz7i vnm Rath^hfrm Vopel über allf«. wa« vors^graniErpn.
gründlich auigeklärt war, ruhte er nicht, bis loigender Vertrag vereinban war:
Zwjaeheoi Hemi Heinrieli Pestalozzi, Herrn Oottlleb Peitalösti
nnd Herrn Joseph Sehinid einerseits — md Fran KrftsI, geborene Nif
anderseits ist folgende Übereinkunft, zu deren Erfüllung nnd Handbieton^ die
Erstgenannten sieh solidar verbindlich niachfii. abgeschlos^n worden.
1. Su lange Herr Heinrich Pestalozzi lebt, erhält Frau Krüsi — bei
ihrer Trennung von ihm, von Herni Gottlieb Pestalozzi und von Herrn Schmid —
sowol für die Mhere von Fraa Pestaloud sel^. berriilireiide Verseiireibaa;
▼<» S I^uisd'or als auch Ar die ibr durch Herrn Heinrich Pestalozzi aas-
gestellte ^rlmM', .-rschreibung von 500 Gulden {— lirui Frnuken' fin^ jähr-
liche Li'ibii iit»' von zwölf Louisd'or (= 280 Franken!, weh he letztgenannte
der Frau KiUisi, wo sie sich immer befinden mag, in inuuntlichea Teruüjieu
ausz&hlen lassen werden.
2. Nach dem Hintritt Herrn Heinrich Pestaloati's wird ihr sein Enkel,
Heir Gottlieb Pestalozzi, die oben bemerkten füni Inuxlort Gulden sogleich ent-
richten. Ferner wird er alsdann die oben bemerkte Leibrente von Seite seiner
Großmama von drei Louisd'or ueb»t einer zweiten Leibrente von eben dbser
Snnime Ar seinen Grofipapa Ar aicb and seine NaehkonunMischaft auf sieb
nebmen nnd ihr den Betrsf dttselben mit einem halben Looisd'or monatlich,
wo sie sich immer befinden raajr. zuste-llen lassen.
3. Die der Frau Kriisi wälirend Heinrieli Pestalozzis Leben zuerkannte
Leibrente fängt mit dem 20. Juli 1H24 als am Tage ihres Anstritte« auf dem
Neohof an.
4. Zar Vermeidung gegenseitiger anangeaebmer Beiülirnng nnd Rftck-
erinnernngren ^vird Frau Krüsi einige Stunden vom Neuliof entfernt wohnen,
bis Herr Schniid »ich da-^elbst niPderlRsst oder die friihfrn freuudseljaftlicben
Verhältnisse gegenseitig sich auf irgend üiu*3 Weise hergestellt tinden.
5. La Falle Fraa Aüsi gegenwärtiger Vorsorge der Erstgttianntea an-
geacfatet, in Noth nnd Elend g«rfttb, so soll dieselben dieses Instrument keines-
wegs hindern, sich zn erinnern, was Frau Kiilsi der Familie Pestalozzi iu
schwierigen Au^pnWicken war. Sie werden ihren diesfülligen Znstand nm so
mehr zu verbessern sich bemühen, als ihr Benehmen gegen ein Haus, das
dnrch seine imnerwllbrende Haadlangsw^ ancb voa ibrer Seite aaf Anhäng-
Udikelt nnd Zaneigang Ansprneb macboi an dBrüen glaabt, sieh ihrai frOben
mir die Sc hrift vor und die sollte ich untersolireilien al^ annehmend. T.di wollte ea
nicht thun» weil dies mein Eigeathuiif und alle vorigen Versprechungen und Testament
tilgen wttfde. Br kam 4 Ms 5 vuA^ nnd wollte mieh mitDrlnen ewiefen zu iuter>
schreiben. Ich .sagte, ich thue es nicht. Er solle mir da.8 Papif r ir^ben. h h w. lle
Herrn Rathsherm Vugel oder sonst einen vemiint^igen Mann um liath tragen. Da
ssgte er: uein« er gebe die Sebrift nicht aus der Hand ohne von mir anaehmeBd
unters iirieben. Bs werde mieh geranen« dnss ich sie nicht untoncbrieben bebe, nnd
ging tort.
Diese Handlungsweise erinnert unwillkürlich an das Urtheil. da.4 der milde
Ir. Vulüemin in .seinen So uveniris nacontia ä ses petita eut'ants fi^ iu^ .'52 iU^-r >■ Iiiniil
geiUlit hüt: ,,J ai vnSchmid la dcruicre fois en 1821. Keutre chez luui j ecdvi.-, lUi^-
mon Journal: „Tuut est chez Ini math^matiques; pour lui ni bieu ni mal; U
n'estime que ce qui lui dispute et proonre Ja victoire. Avec quelle joie iitoct
Je Tai vu rire au ricit d'un trait de sc616ratesse!'^
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— 635 —
Gesinnangeu gegen dasselbe nftlirt. Indeasen macht man sicli hiefttrbOrgerUch
auf keinr Art verbindlich.
6. Zum ZeicUeu, dass diese eiiigfgaugeuea Artikel Frau Krübi angenehm
und sie befriedigend aelen, wird gegenw&rtigea Instnuneiit doppelt ausgefertigt
und gegenaeitig onteizeielinet.
Iferten, am 15. September 1824. H. Pestalozzi.
Jos. Schmid.
G. Pestalozzi.
Lisabetli ftmd nmi mit ihrem Knabea zunftchst ünterkmift bei ihrem
Bmder» GemdAdeammaim Näf in Kappel. Aber auf die Daner konnte sie
aus der jährlichen Einnahme von 12 Lonisd'or (280 Fi-s.) die noth wen-
digen Lebensbedürfnisse für sich und den besonderer Pflesre bedürfenden Sohn
nicht beschafien. Ihre eigene Arbeitskraft aber war bei ihrer Kränklichkeit
nnd ilmen 63 Jahren nicht mehr weit reichend. Nach Peetalozzi's Absterben
mnaste ihre Lage noeh aehwierigw werien, da aladann eine Rednetlon ihrer
Jfthrlicben Blinnahme mit Einschlnss des Zinses von den 500 Gulden, die ihr
Pestalozzi von früher her schuldete, auf 8 Louisd'or (1H7 Frs.) in Aussiclit ^itarul.
Durch ihren Schwager Krüsi, der damals VursteliL-r der Cautuusj^chule
in Trogen war, ließ sie in Gais um Luterstützuitg uder um Aofoahme ins dor*
tige Walsen- nnd Armenhans naehsneboi. Letstere wnrde ihr gewfthrt Am
3. September 1825 bezog sie diese Uiie letzte Lebensstatl<Hl.
^^ie that diesen Schritt ohiit' Groll und Verstimmung. Dirc Anhltne'lich-
keii, Liebe und Verehrung für Vater Pestalozzi waren über die Zeit der
Zerwürfnisse immer dieselben geblieben, gelioben und genährt diucli dixa Be-
wnsstaein, dass auch Er die gleiche Geshmnng, wie in früherer schönerer Zeit,
fkt bis ans Grab howahrt hatte und an dem hftssliohen Streit vSlUg luischuldig
war. Wie sehr -if* im Geist mit Pestalozzi lebte, davon zeugt eine eigen-
händige Aufzeichnung bei Aniass vom Tode desselben, die sich unter ihren
Papieren fand:
„Heinrich Pestalozzis Tod.**
( An*! df^m ..Schweizerliyien''.)
...Toh. Heinrich i-'estalozzi, der WohlthUter der Menschheit, hat seine
irdische Laufbahn geendet. In Brugg entschlief er ruhig nnd still am Morgen
des 17. HomnngB 1S27| nm anf 8 Uhr. In Zfirioh erblickte er das Lieht
dieser Welt am 12. JÜnner 1745 (nach damaliger Annahme) und durchlebte
folglich einen Zeitraum von 82 Jahren, 1 Jl mat und 5 Tagen. Das warme
Menschenlif^rz. das nie durch Eigenliebe, aber ntt. Ja fast ohne Anfliören durch
die allerwärmste Menschenliebe in Bewegung gesetzt wurde, hat zu
schlagen anflsebVrt. Der nie mttde Geist, der sksh noch in den letsten Tsgen
Hut annachlieSIidi nnd ohne dnrdi das klb*paliche Leiden irre gemacht zu
werden, mit seinen höheren Lebenszwecken beschäftigte, hat seine müde Hülle
verlassen, nm jenseits des Grabas \\'ioder jugendliche Werkzeuge zu suchen,
zu vollenden, was er begann, was wol aber nur der ewige Geist, auf dessen
Wink wir alle werden nnd vergehen wie die Blumen des FeldeSt in den end'
losmi Rftomen der Zeit dnrch nnd ffir kommende Geschlechter an rbUnulen
vermag und — vollenden wird trotz der dfirren Hand, die der Geist der
Finsternis vor das Licht hält.*'
•
•
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— 636 —
„Er hattp cToft^ Schmerzen gelitten, aber nie seinen Mnth nnd seinf Ruhe
vprloren. Als er sich von der Tödlirhkeit seiner Krankheit übersseogi hatte,
bescljättigte ihn nur noch sei» Werk über die Elemente der Sprache. Von
«ich teltet flp«eh er wenig and veriangte nicht viel Wie er leUe, ea sUrb
er. Seinem Willen genAS wurd est noch am nämliclien Tage nach seinem
lieben Neahof abgeführt, von wo er Montags <leii 10. d. um Mittag sein^-n
letzten Weg zur stillen Grnft antrat — Wenn Einer — so wird Er za einer
frohen Auferstehung erwachen.'*
Elisabeth lebte von da an noch eine fieihe v<« Jahren etillglieklicb in
ihrem Asyl, konnte ihren bedauernswerten Sohn nach ihres Herzens Bedürf-
nis pflegen, wofOr sie, wie Krftsi berichtetf oft mit Inbnmst Oott and Jien-
sehen dankte.
In dem Gesuch um Aufnahme in das Armenhaus Oais sofailderl sie den
Zustand ihres armen „Schaggi" also: „Er ist jetst in der That viel weniger
als vor zwei Jahren, kann sich nicht selbf^t helfen, nicht redeai, hat Mangel
an Verstand, ein krankes Bein, so d^iss er oft 4 bis 5 Tage im Bett bleiben
ninss, ist nicht einmal im Stand, uidi «las Hein zu verbinden. Er hat ein
gutes Herz, wenn er mit Liebe und Emst behandelt wird, wird Komig, wenn
er misshandelt wird. Er hanget mit Leib imd Seele an seiner Mutter. Er
hat Mntterpflege nöthig. wie ein Kind, und wie gerne tbt die eine gute
Matter; wie weh xhl'itf es mir, ilm von mir zu lassen.''
Bis zu Pttngitt'ii IX'M). bis in ihr 74. Lebenqahr, war bie ziemlich rüstiff.
Von dem genannten Zeitpunkte an kam bie nicht mehr in die geiDeiut<ame
Wohnstabe des Hanses, konnte abw nodi in ihrer Kammer arbeiten. Mit 1^
tritt des Winters worde sie so schwacii, dass sie «las Bett nicht mehr ver-
lassen konnte. Gegen Ende df^s Jalires starb sie. Der Blick auf ihren Sohn
nud der (iedankf, dass ei- nun fremder I'Heg-e anheimfalle und kein Mutter-
auge ihn mehr bewachen und keine linde Mutt«;rliaud beine Wunden mehr ver-
binden werde, mochte wo! ihr Sterbebett za einem schweren gemacht haben.
Eine reine, edle, aufopferungsföhige Seele, die nicht das Ihre gesucht, war mit
ilir ans d» in Leben fri seliiedeii. Ihr Andenken wird in Segen bleiben.
Anrh nach ihrem Tode ward Jnkob Krüsi liebevoll gepflegt. Er starb
im November 1854. Aus den „Personalien", die Herr Pfarrer Heim nach
Landeasitte von der Kanzel verlas, vornehmen wir: „Bd seiner Ankonit in
onserw Gemeinde war er und blieb er seither blödsinnig, zu jeder Artidt an»
tauglich. Ob er von Geburt an in diesem Grade in so beklagenswerfen Um-
ständen war, kann nicht mit Bestimmtheit )^e.s;ifrt werden, nur .so viel ist be-
kannt, dass ihm infolge seiner geihtigeu und körperlichen Verkümmerang kein
Schal- and BeUgionsoateirlcht gegeben werden konnte. An guter nnd Ueb-
reidier Pflege in seinen traarigen Umstibiden hat es ihm nie geMilt. Seine
Mutter theilte mit ihm und nur um seinetwillen mehrere Jahre (elf) d^n
Aufenthalt im hiesigen Annenhause und soll ihn d i«» Ibst mit seltener .Aul-
opferung und Liebe geptiegt liaben. Nach dem Tode derselbeji stand er völlig
allein da; fremde Leute warteten seiner im Armenhaose. Nodi 18 Jahre
mnsste er sein nnsSgUch bedaaerliches, weil freadeo', arbeitsp nnd geistloses
Leben filhren.*
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— 637 —
IIL Ahm Magdalena Pestaloui, geb. FrOJiUeh.
1767—1814. •
Hit Anna Magdalena Frdhlicb, die Jakob Peitaloni 1791 als Gattin
heimführte, war dne edle, au Geist and Gemlidi reich, b^abte Seele in das
viclg^eitrüff Hr^im anf dein Xt uhof eing:ezogen. Sie war ihrem Manne eine
treue, liebende (Tcfahrtiii. d»'ii Klt(>ni Pestalozzi pine hingebende, opferwillige
Tochter. Tapfer und mit Eiuäiclit griü sie in dan Hauswesen ein und bestrebte
Bieii, In gemeinsamer Thfttigkeit mit limbeth den Haoshalt anf gotem FnB jni
erhalten. Ihre Ehe brachte ihr Tiel Schweres, aber aie tru;^ die Prüfungen
mir ( reduld und nie ^t Tn oi-Iienom Mnth. Eine getreuer^ liebevollere Pflegerin
hätte ihr stets leidender (Tatte nicht finden können.
Wie opferfi'endig sie sonst war, entnehmen wii* einer Aufzeichnung im
Tagebneh der Mutter Peetalond: ,»Im Weinmonate 1800 etarb der Onkel Fladi
(in Brugg). Seine Hinterlassenschaft war klein, aber gesegnet Unsere liebe
Sohnsfniu half mit ihrem Antheil den Pediirfnissen des Hanses. die
damals groß waren, mit aller nar ersiunlichen Liebe und Gene-
rosität«
In den oben erwähnten Abecfaiedsworten Tom Jabre 1803 (a. Seite 557)
wendet sich Mntter Pestaloisi also an ibre Sohnefran: „Liebe, liebe treue
Seele^! Frau meines einzig geliebten Sohnes! Deine Treue und Deine Liebe ver-
gelte Dir Gott. Da hast an unserm Haus redlich g^elmndelt. Die vielen Lei-
den, die Dir darin auferlegt waren, hast Du alle nmthvoll getragen, ohne
fiSckeicbt anf Dieb aelbet an nehmen. Ach, nochmals äbgne Dich und Dein
Kind Gott, Oott, sn dem Da Deine Znfloeht immer gehabt. Er eehenke Dir
jene Zufriedenheit und Stärke, die Dir >o nothwendijj. Verlass den guten
Papa nicht auf allen seinen Weg:»n wenn es Dir anch schwer ist: seine Ab-
sichten sind immer gut und Gott ist mit ihm. Er rettete ihn immer wieder,
wenn er auch straucheln wollte.
Wie die jnnge Witwe den Hanebalt in Burgdorf leitete, vernehmen wir
TOD von Tärk, der in seinen Briefen von Hflnchenbacbsee ihr folgendes Zeug-
nis ausstellt: «Ohne den Beistan l flif>«r.r seltenen Fran würde Pestalozzi das
Institut in Burgdorf nicht hab» ii t rhalten küimen. Sie war allen Zöglingen
zärtliche Matter; sie pflegte die Kranken und sorgte für die Gesunden. Dabei
beeorgte sie die ganse grolle WirtsehafI mit POiiktUehkeit, mit strenger Spar*
sanikeit und doch dabei mit einer so liebenden Gutmüthigkeit, daso Lehrer and
ZöglinL^> -i ' innig liehten und aehteten und ihre Anordnungen gerne befolgten.
Auch in den frühen Stunden, wenn Pestalozzi zuweilen nicht wnsste. woher
Brot nehmen für seine zahlreiche Familie auf den kommenden lug, die kom-
mende Woche, amdi dann verlor lie den Hntii nleht*, aie bot vielmehr alles
anf. es zu verhindern, daw Jene Verlegenheit nicht sichtbar oder eigentlich
ffitübar werde."
^[it der l'her^^abe der Anstalt an Felleuberg im Juli 1804 kehrte sie
aui den Neuliof zurück.
bnAognst 1804 verheiratete sie sich mit Lorenz Cnster von Altstätten
im l^h^iiithftl. Cnster ist ein wolhabender, braver, stiller Mann; sie leben
nun auf unserm Gut im Xeuhof" ( Tagebuch iler Mutter Pestalozzi). PieHocli-
aeitsreise fährte die jungen Eheleute ins RheinthaL Sie benutzten die Ge-
41*
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— 638 —
leffouheit. die Mntter Niederers in Brenden am Lntzenhpra- zu begrüli«?Q, bei
welcher sie der SoUu durcii einen Brief einfiiliite, in dem er n. a. sich äußert:
^Ich darf Endt, \Mbe Hattert aidit «rat wmdMn, der Frad Caster b» fld
Angendimes zn varschaflim, als Eadi mSglidi ist Diese vortreffliclie Fran
verdient alles. Sie hat an der Saclie ihres Papas mit einer Anstrongnner nnrl
Aufopfening Antheil genommen, dio oline Beispiel fiind. Auch an nur hat
gie besonders in meinen kränklichen Umständen wie die gütigste Mutter ge-
handelt«
Avch in der nenen Verbandniig Uleb sie der Familie Pestaloczi mit der
alten Liebe und Treue dienstbereit. „Am 25. März 1805, berichtet Mntter
ppütalozzi. starb unser lieber Bruder Leonhard im Nenhof, wo ihm niein
Toclitciiuaim und Frau alle Liebe bis an sein Ende bewiesen." Freilich ent-
hält ein späterer Brief von Fran Pestalond an ihren Gatten, d.d. 3. Apill 18(3,
worin «le Ihm den Tod des Brnders Leonhard aoseigt, folgende Bemerkung:
^Custer betrug sich ausnehmend aoigsam und liebreich gegen ihn (Leonhard ) :
er hat ^pwiss sein Gutes, obschon er ein so wunderlleher Heiliger ist. Af^h.
wer ist nicht eigen? Wer schaut nicht aut sein eigenes Interesse? Niemand
als Du, Guter! Wenn man es Dir nur auch danltte!''
1807 siedelte das Ehepaar Cnater naeh Iferteo ttber nnd fibemahm
die ökonomische Leitung der 1806 von Hopf nnd KrUsi gegründeten,
dann an Pestalozzi abgetretenen >f:i 1'liener7t*^hnne^nnstalt. Mit November
18 IH ging diese Anstalt in das Eigeuihum der R«>6eite Kasthofer über und
Güsters zogen sich, mit dem Zeugnis treuestei* und gewissenhaftester Pflicht"
erfUlnnir naeh Bnrgdtorf sorttclc, wo FTaa Caster schon im Jahr 1814 ihrer
Familie durch den Tod entrissen wurde. Sie hinterließ ihrem Gatten 3 minder^
jährige Kinder: Anna Francisca Theresia, geb. 1805 (Fran Kraft in Bursr-
dorf i; Maria Elisabetlia. geb. 1806 (Fnin Dr. Dürr in Burgdorf >: Susauna
Maria, geb. 1808 {b'rm Jäger in Brugg). Die edle Mutter lebte in mehr als
einem Sinn in diesen ihren Kindern fort
(Sehlttis folgt.)
. k) i^ . j i. y Google
Eine französische Stimme über das höhere Unterrichtswesen
Hentsehlaads.
Bfnpröchen von Ii. Jt.
Ochoii oft ist gesagt wnrtkii, «lass cino ropublikanischo Kpiriernnfr inelir
als jede audere für Uebuug imd \ erbesseruug de« üuteiTicUts zu 8or|^eu liabe.
Dieser Meiminflr scheint die frsuOsitdie Bepublik beizaetimmen. Bb ist nieiit
za leugnen, dan dieselbe aeit einer Beibe von Jabren »nf keinem Qebiete eine
euerg-ischere und andauerndere Thätigkeit entwickelt als im f^diulweHen. Na^
m» iitlicli fanste man zunächst das niedere Unterrlrlitswesen und die üniversi-
täten iua Auge; doch auch die höiieren Schulen ziehen bei'eits die Aufmerk-
auikeit der fmusüsischeu Pädagogen auf sich.
In erster Linie sind es die ünterriehteminister der letzten Jahre, welche
den Anstoß zu der großen piidagogiscbea Bewegung gt ^rf beii haben, deren
Zenq-en wir jetzt in Fi ankicich sind. Ihnen verdankt Fraiiki cidi die Rcfornu^n
aller Art, die sich iu neuerer Zeit vollzog«'n haben und noch vollziehen. Neben
den UnteiTichtsministem, zum Theil in Verbindung mit ihnen, wirken Gesell*
schalten — wir erinnern nur an die »Sod^tö pomr l'^tnde des qnestions d'en*
iteignement snperieur"* — und Zeitschriften, z. B. die „Revue intemaTioiiale
de IVnsciffnoment-*. besomU i s aber einzelne hervorragende Gelehrte und PiUla-
gogeii. Wie unermüdlich diese letzteren und die Gesellschaften schaffen, be-
weist die nicht unbedeutende Zahl von Schriften, die seit einigen Jahren
erschienen sind.
Im Laufe der Zeit haben sich in Frankreich auf jeder Unterrichtsstnfe
MüTitr* 1 niid ( beistände herausgestellt, deren BeseititruüL' nidit llln{rer liinatis-
gesthubeu werden konnte. An Stellf^ des Schlechten und Maiifcelhaften innsste
etwas Besseres und Vollkommneres, dem Zeitgeiste Entsprechenderes gesetzt
werden. Beim Suchen danach haben die Befermatorai iliie Ängen nach allen
Kichtnngen hm gewaiidt. Zu den im ünterriehtswesen am wdtesten fortge-
schrittenen Nationen sind Emissäre gegangen, um die vei-sdiiedenen M< tboden
und Orgranisationen an Ort und Stelle zn i-tndiren; das von diesen ercsanimelte
Material ist gesichtet und veröffentlicht worden. Diese comparative Methwie der
pftdagogisehen Beform ist Jetst die vorherrschende in Frankreich. Znnicbst
sind die daraus hervorgegangenen Verbesserungen nm- dem enaeignem^t pri-
maire und dem enseignement superieur iden Facnlläten) ziignte crckommen:
neuerdings sueht man jedoch auch das ejaseiirnenient secondaire, das lii>h"re
ünterriehtswesen, die lycees und Colleges, einer gründlichen Umgestaltung zu
— 640 -
unterziehen. Mit dieser in Frankreich augenblicJdich wol wichtigsten pädago-
giaehen Frage besehAftigt steh die tot knnem verOffnitiichte Schrift dnes der
bedeatendsten ft'anzi>8ischeii Gt lclurteii, des l^rofessors der vergleichenden Sprach»
Wissenschaft aiu College de France zn Paris, Herrn Michel Breal. Von dem-
selben Verfasser pn?nhien bereits früher: Qn»^lfjnos mitts snr rhistniction pu-
blique eu France. Paris, Hachette; ein Werk, welches mehrere Autlagen erlebt
hat und auf viele Mftngiel Im ftvDzOelscheii Schnlweaen hinweiBt» die aeitd^b
im Verschwinden begriffen sind. Schon in dieser Arbeit stellt Herr BrM Ver-
gleiche mit den deutschen Verhältnissen an. Fast ausschließlich mit den deut-
schen Unterrichtganstalten beaclkäftigt sich seine neueste Schrift: Excoraions
pedagugiques. i'aris 1882.
Diese Arbeit üust die Beobachtungen «nsammen, welche der Verteer vor
einigen Jahren anf ebun Rte gemadit bat, die er nntmahm, mn das h9here
ünterrichtswesen Deutsehlands kennen zu lernen. Herr Breal lobt nicht alles,
was er gesehen xmA irehöit. er omptit hlt An\ französischen Lehrkreisen nicht
alles Gute zui' Nachahmung in Frankreich, aber durchweg uitheilt er mit Frei-
mfltUgkeit and OiTanheit, ohne nationales Vorortbeil nnd mit voUstindiger
Sachkenntnis.
Am « in behendsten bespricht Herr Br^al die deutschen Gymnasien. Zu-
n'lclifit wird der Leser unterrichtet über die Daut r der Gymnasialstnilieii nn«i
die Aufnahmebedingungen. Verfasser hebt sodann lobend hervor, da^s die deut-
schen Gymnasien nicht so ftberfullt sind wie die französischen, namentlich die
in Paris. Dort ist die Zahl der. lyofies seit 1820 dieselbe geblidien (es gibt
deren 5), wälirend man in den Großstädten Deutschlands von Zeit zn Zeit, je
nach Bedürfnis, neue Lehranstalten errirlitet. damit die besteliemlen nielit zu
große Dimensionen annehmen. Femer unterecheideu sich unsere Gyiiuiasieu von
den lyc^es darin, dass sie, abgesehen von wenigen Ausnahmen, wie die sächsi-
schen Fürstenschnlen, nicht mit Alomnaten verbanden und; Ijotes aber ebne
solche gibt es wol kaum. Im ersten Capitel erwälmt Herr Br^al eadllfih noeh
die \vt it .selb^tiütUndigere SteUuitrr 5 v tlt utschen Gymnasialdirectoren. die Lehrer-
cuuferenzeu, die Schulbibliotlickt ii, die Ot»terprogramme mit ^issenschaftlielien
Arbeiten, die Besoldung der Lehi-er, welche höher ist als in Frankreich, u. a. m.
Was das Faehwesen anbebdUEt, so theilen wir nidit ganz die Ansteht des
Herrn Breal Wenn wir eineiseiti zogebeo, dass man in Frankreich mit d^
Bpecialisirung zu weit geht, so wagren wir andererseits zu hehatipten. da*?; in
Deutschland die Anforderungen an den LeJirer in Betreff der L*-lirg^E-en«!täiiiie
wol etwas redocirt resp. mehr speciaÜsii-t werden könnten. Gewiss leidet die
Schale selbst am meistm, w«m dem Lehrer ein zn mannigfaltiges Lehrpeasvm
zngemathet wird.
Im zweiten Abschnitt iles Weik<'S werden wir i-in^efiilnt in da-s Gym-
nasium znra grauen iviosier in Berlin, und zwai* wird uns zunächst da^ Bild
einer griechischen Stunde in i^uiut;i entworfen. Hier ist dei* Verfasser beson-
ders von d^ Oenanigkeit angenehm berflhrt worden, mit der die dentsehen
Schfiler den «rrirc liist lien Wortaccent herrorzabeben wissen. Jedem, der je Fran-
zosen Griechisch oder Latt inisch hat lespn li5ren, ist bekannt, wie willkiirli Ii
dieselben in der Betonung der Wörter verfahren, nn dass z. B. amäbat d» u
Ton auf dex letzten Silbe (amabät) ei'hält. — Mit besonderem Interesse hat
HerrBr6al einem Extemporale beigewohnt, eineObnng, die inFfonkteieh nicht
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existirt. Aber aiu h über die liäuslichea schriftlichen Arbeiten berichtet dör
Verfasser. So werden uns z. B. verschiedene Themata lateinischer Aufsätze
mitgeUidlt: 1) Comparratiir inter m trat Cteeroult omtionM pro Ibveello, pro
Ugario, pn» Bejotaro habitae. 2) Qaibns caoais tuetma Sit» nt Pyrrhus R(»-
manoe hello vincere non potuerit, 3) De Agricolae virtatibns imperatoriis etc.
Weiter werden die cnrsorisclio Loctiiif dif dontschon Anfsfttze be-
sprochen. Bei letzteren hat Herr Br^al betiouders Mangel an ^Värme getllhlt;
er bat dm Audmck in den van Ihm gelea^ieii Arbeiten matt und dem Zeitongs-
Stil ihnlicli gefimdeiL
Im Geschichtsunterricht wird der deutschen Methode der^'orziig gegeben;
sie ei*sptzt die in Fiankieidi noch üblichen Ansarbeitnngen durch sogcn-umte
Geschichtsextemporaiia und gibt denScbülem einen kurzgefassten Grundiiss in
die Hand, wttlirend der franzIWseheGeschicbtslehrer kurze Pari^-aphen dictirt.
Die Behanptnngi dass der Geechidita» sowie der Siwaehiinteniebt nicht
Ton besonderen Lehrern ertheilt wird, mag in einzelnen FUlen oodi sntrelfen,
ist aber im allgemeinfn g^ewiss nicht mehr rieht iL',
Beiläufig bemerkt auch Herr Breal, dann die Aussprache in den fremden
Sprachen viel zu wünschen fibrig lasse, und dass man mehr zu bezwecken
•dieine, den Schüler mit der Sprache als mit der Literatur bekannt zn machen.
Anderseits wird angegeben, dass man in Fnuikreich die Lektüre gar zu selir
nach ihrem literargeschichtlichrii Werte beinesse und dementsprechend betreibe.
lui folgenden Capitel ist die Kede von den Repetitiouen und von der Ge-
schicklichkeit des deutschen Lehrers im Befragen der Schüler. Bd dieser Ge-
legenheit erfkhren wir, daea der Verfaeger «ber Sitning des von ProfBSSor
Edcstein geleiteten pSdagoglHdien Seminars an dmr Univerritftt an Lelpclg bei-
gewohnt liabe.
An den gegebenen Abriss des heutigen Zustandes des höheren Unterrichts
in Deutschland schlieJit sicli ein Überblick über die Entwicklung desselben, mit
Darlegung der TlAtigfceit Geaners, EmeatiB, Heynes und Wolilii, nnd darauf
fol^t ein Hinweis auf das trieimiom resp. quadrienninm academicum sowie auf
die Prüf uneben. Hier lässt sich HerrBr6al also vernehmen: .Tc ne pretends pas
qne ce systenie soit saus d6fant. Je ne fais point diffienlte de dire que depuis
une Serie d anu^es T^udition h trop pris leä dessuä, et que cei taines qualites
litttodrea, indiapenaables A de bona maltres de la jevneese, me paraiaaent en
lottffiance. Haia, ponr le d^veloppement des sp^cialit^s, ])niir Teveil de Te^prit
aeientifique, ces quatre ann^es d'nniversite Bont d'uu prix inestimable.
Sehr ansfrihrlich besprochen ist «Im ^raturitätsexamen. Das hat steine volle
Berechtigung vom französischen biandpuukte. Bekanntlich entspricht dieser
Prttfling in Flrankreich das Baccalanreat, welches vor einer ans UniversitSts*
Professoren zusammengesetzten Commission abgelegt wird nnd in zwei Prüfungen
7fTf:(llt : der ersteren unterwirft sieli der G^'mnasiast gewt'Shnlirli heim t)ber-
gani^e aus Unterprima (rh^toriiiue i nach Oberprima fphilosophiei, der zweiten
beim Abgang aus Oberprima. Das Maturitätszeugnis ist vor allem ein Berech-
tigungsschein für die akademischen Stadien, mit der Eriangnng des dipldme de
bachdier schließt der franaOalBche Gymnasiast eigentlich nnr seine Gymnaaial-
Itndien ab.
HerrBreal gibt dem deutschen Systeme ganz entschieden den Vorzug und
befürwortet sogar die fiinfühi'uug demselben in Frankreich. Diese würde zu-
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nacltst in einicron wenigen Gymnasien geschehen und alliu&hUch auf alle am*
gedelint werdeu müssen.
Was Herr Breal im folgenden über die deutsche Erziehong sagt, lassen
wir dahingestellt; er ftnOert hier Ansichten nnd Gedanicen, die absnartbcikn
wir niclit vemehen wollen. Wir Ta*weiBen unsere Leser auf das Cai^td aelhst
(a 9H W}:
Je wt niiTt i- sich ein deutscher Patriot dureii <lit'>en Absclinitt angenehm
berührt fülilen mag, um so schmeichelhafter dürfte liir ihn der folgende sein,
welcher von den Leibesttbnngen handelt Auch bierftber hat sieh derVerfiuser
auf seiner ReUv ilurch Deutschland genan nnterrichtet: er erzählt uns $elb<-t
von dem Besuche einer Torlesoug Wi Herrn l^ofessor Masius in T,- i'iizisr über
Gymnastik. Tnrnlehrerbi]dnnsr«?iTi.stalt(n, Tnmhalkn. Geschichte des Tum-
wesen^ nichts wird unerwäiint gelatistiü, ja selbst der i uruiahrten Mird gedacht.
So viel über die Gymnasien. Weniger ansAhrlieh verbreitet sich Herr
Br^ fiber die Beabchnle. Nach einer kurzen Geeehichte dieser Anstalt folgen
Facta, die so bekannt sind, ilass wir sie nicht zu wiedfilinlen brauchen.
Der übrige Theil <!• s vurlie?enden Werkes enthalt Beobachtungen, die der
Verfasser in Belgien und Frankreich über das Unterricbtswesen gemacht hat
Es würde m weit ffllir«i, darfther ebenso eingehend an qwedien wie Aber den
ersten Theil; auch werden in diesem Absdmitte Institutionen besprochm, die
zu Auseinandersetzunerpn Rber das gesammte frnnz?"i.si.sclje Fnteinchtswesen
Veranlassung geben würden. Behandelt werden hauptsächlich di»- französi^rhen
Univei-siiäten, speciell die philosophischen Facultäten, die Reformen des Jahres
1880 und die Statistik des Unteirlchtsweaens.
Durch Teröffentlichnng dieser Arbeit hat Herr Brtel do^jenigen seiner
LandslentP. welche niclit mit eehilpsioren Blicken nach Deutschland herüh'T-
schauen oder sich ganz davon abwenden. s<.ndeni seine Einrichtungen kennen
2a lernen bestrebt sind, einen großen Dienst erwiesen. £r hat mit nnermnd*
liebem Eifer nnd in höchst klarer, ansprechender Form das Wisseaswirdigste
zusammengestellt, so dass selbst der noch gar nicht damit Vertrante eines
sicheren Einblick in deutsche Unterrichtsverhältnisse erhält.
Mf^chto Herrn Brt'Mls Werk in allen gebildeten Kreisen Frankr»^ifh« anf-
raerksam und vorurtheiisfrei, wie ee geschrieben ist, gelejjeii werden, und möchte
es anch recht viele Arbeiter für das Gebiet der Pädagogik erweckm, danü
l diese endlich in Frankreich su dorselben Geltung kflme, wie in Deutschland,
nnd die Vorschlage des gelehrten Professors in AusAbriinir gebracht wiite
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Koelimalä die Ressort- Verhältnisse" der höheren MädeheH-
schulen in Preaßen.
Von Beciat Th* l4imämann>'&^ipetg.
Ein fataler Umstand luit e» gewollt, dass ich erst am 13, Juni d. J. iu
den Besitz des Sept.-Ueftes v. J. kam. Zanäclist war ich eifreut, dass der
Wmuch, den Ich am Ende meines klelneii Änftatses im ÄprO-Heft v. J. ans-
gesprochen hatte, „dass sich gemegtere Kräfte veranlasst fBhlen möchten, die
Kp'ssort-Frage, sei es in zTtstimmendem. sei os in widorlfe-ondeni F^iiine zu be-
loiiclitoir' fso vollstatiflig iu Erfiilhmpr tregangen war. Und diese Freude wurde
beim Durchletk^u dta Artikels in keiner Weise herabgemindei't, da der in demselben
gemachte und gut modiflelrte Vorsehlai^, «tSmiKchst die dlrecte Unterstellnng
der höheren Miidchenschule unt*'i die Kgl. Regierungen anzustreben" durchans
meinen sppciellen Ansichten und Wüi: .Ii fn pntspricht. Indfs habe irli dorh
alle \ t ranlassung-. noch auf einzelne Tunkte des Aufsatzes einzugehen, zamal
Vert'asHcr einige von mir aufgestellte Behauptmigea nicht billigt.
Was zaerst die niiteraten-Frage betrilft, so gebe ich von Hersen gern
m, dass nnter Umständen ein Illiterat. d. h. ein Mann, der nicht das Abitn-
rieiiten-Examr-n an r-int r höhcrfii J^dnilc aligelogt und iiiclit T'niversitÄtsstudien
gemacht, — mehr gediegenes Wissen und mehr pädagogisdif r.fistungsfÄhic-
keit besitzen kann als ein Literat, gebe aach gern zu, dass es recht und
VilUg ist, einem solchen Mann ein Amt ananvertranen, ^reiches in der Regel
v<m Literaten bekleidet ^rd. Ja, ieh gdie noch weiter und würde wünschen,
dass das Amt eines Kreisschul inspectors recht oft solchen t ücliti^'^pn Elemen-
taTlt lireni in die HSnde gegeben würde, da diese sich in den meisten Hillen
besser dazu eignen werden als Literaten, denen bis zu ihrer Anstellung das
VoncHdnilweeen mehr oder wenigw tun gelegen hat, nnd die dann erst bei
Übernahme des Amtes sidi, m^ mm Schaden der Schalen, erst „Anarbeiten"
müssen. Dagegen kann ich nicht zugeben, dass ein solch tüchtiger Illiterat
sich auch in gleicher Weise zur Direction einer höheren Mädchenschule eigne,
da zu diesem Amte doch ein AVissen erforderlich ist, welches durch die Vor-
bildoDg im Lehrerseminar gemeinhin nicht ««rmlttelt wird, wobei selbst^
verständlich Ausnahmen nicht ansgeschloMen sind. ~ Wenn es also aar Eegel
wird, dass die Kreisschnlinapectoren Illiteraten, die Mädchenschul-Dirigenten
aber Literaten sein sollen, so mnss ich meine fiühere Behauptung anft^cbt
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erhalten, dass die Unterstellung der höheren Ma l« lunschulen unter <li'' Krei»-
schulinspectlun ein gewisses MissveryHtnis involvirt und im ganzen depi imirend
auf die betrefitaden Dirigenten einwiiken matt, ünd anf dieses MinrerldltniB
•lege ich insofern Gewi« ht. als die benachtheiligte Stellung des Dirigenten
ciii. r Sdnile doch schließlich imiii. r eine Schädigung derSchnlo seDirii involvirt.
Denn ich meinerseits g.'lir.r«' am allerwenigsten zu dr'iirn. die „hochmüthig auf
diö durch Gymnasiiun und Universität erlangte Bildung pochen'', noch auch
2n denen, die ,M der regelmäßigen Weise Stodent geworden sind**, da idi
erst sp&t, nachdem idi Landwirt und Kaufmann gewesen, das AUtmtoiten^
Examen als Extranens j^emar-ht habp. Aber auch nicht vi^l grünst i2"fr gestaltet
sich das Verhältnis, wenn der Kifi^-i' hnliiispwtor ein jüngerer Literat ist. der
im Mädcbenschulwesen keine Eriahruug hat, und nun als Vorgesetzter eines
erfalufeiiai, yielleiclit in seinem Amte ergrauten Dirigenten ftmgirt Kon, nach
int'inem OefBhl muss ich dabei bleiben, dass die SteUling eines Kädchensdivl-
Dirigenten ancli in dieser Hinsicht eine „unuiirdip^" genannt werden muss.
Mindestens ist doch das Institut ilt-r Kreisscliulinsi»ection in Betreff der Madchen-
schulen als ,,überflä8sig * zu bezeichnen, da in den seltessten Fällen von dort
her eine Anregung des LehrerooUegianw oder eine Forderung der Schule s«
erwarten steht Aber — ieh will es zugeben — allgemeineii Iftist ücfa's
ertragen''.
F. rncr s|»richt College X (so will ich den mir noch unbekannten Verfasser
des bezogenen Ai-tikels der Küi'ze wegen nennen) seine Ven^ underung daröber
ans, dass leh ee IBr einen ÜbeJatand ansehe, wenn den MitgUedem der Seiini-
depntation das Beeht ansteht, ,Jederzeit und nnangemeldet dem Unterricht in
den Clasfien beizuwohnen'*. Er würde sich frcnen, wenn die Herren recht oft
kämen, und ist der Ansicht, dass die Eltern auch l ine gewisse Oaranti^ haben
müssteu, dass wir ihre Kinder in der rechten Weise onterriditen und ei-zielien.
Letalerer Aasidit pÜdite ich anefa bia an einem gewimen Grade bei nad meine,
daaa aoeh den Eltern ein entaprechender Einblick in das Leben und Tndboi
der Schule gegönnt werden müsse. Nur kann ich nicht finden, dass das un-
b*»schränktf' b'o* ht des Classenbesuchs der richtige Weg ist. Gesetzt. - was
nun zum Gluck meistens nicht der Fall ist — die Mitglieder der Schuidepu-
tation oder aneh die ABgehlffigen der Kinder machten von diesem Beeht in der
an«giebigsten Weise Oebraneii, wflrde dadnrdi nicht dne gaai etliebliciie St8nmg
des regelmäßigen Unterrichts herbeigeführt werden? Sobald ein Fremder in
die Classe tritt, entsteht durch die vom Anstand gebotene Begrüßung u. s u
schon eine Störung. Die Aofmerkaamkeit der Kinder wird natorgemäii vou
dem Unterrichte abgelenkt, und bleibt mehr oder weniger dem nhSraiiden
Fremden angewendet Aber anch der Lehrer wird in den aUermdsten FUlen
•eine geistige Thätigkeit nicht ganz und voll auf den Unterricht und die FSrde-
mng' der Kinder richten, sondern wird unwillkürlich durch die Rücksicht auf
den Zuliörer den Weg des Unterrichts gewiss nicht zum Vortheil der Kinder
mehr oder weniger modificiren. Tritt non eine häufige Wiederholtuig solcher
Beanche ein, beispielsweise in einer Stunde, in der man Extemporale aehreibeii
lassen will, so liegt wol auf der Hand, dass damit eine bedenkliche Stöning
des Unterrichts verbunden f?pin würde. Nein — ich meine — diese Jen Eltern
zustehende Controle und ^Fühlung" mit der Schule kann auf anderem Weg»*
leicht gewährt werden. Am einfachsten und leiclitebten dürften die Eltern
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einen Einblick in die Sei ml Verhältnisse nnd die Leistnnirpn der Lehrer ge-
winnen, wenn sie .^ich um die Schnlarbeiten der Kindel' ktimniern imd sich Vfm
letzterem etwas aus dem Schuiieben erzählen lassen wollten. Im allgemeinen
haben Kinder ein siemlieb richtiges Gefflhl ftr den pftdagogischen Wert ^baet
Lehrers und werden durch ihre Mittheilongen selten eine ftlsdie Vorttellong
1 >t i den Eltern hervorbringen, die Lebenfierfahrung und Menschenkenntnis genug
haben, die Worte der Kinder richtig zu deuten. Sodann ist es ja den An-
gehörigen derselben onbenonunen, was namentlich in kleineren Städten leicht
angeht nnd was schon die localen VerUiltnIaBe fast bedingen, mit den Lehrern
aoßerhalb der Schule in Verkehr zn treten imd ihnen gelegenflicb anefa in
pltdaK-osrischer Hinhiclit .,auf den Zahn zu fühlen". Es stellt den Eltern ferner
der besuch der in letzter Zeit so sehr angefochtenen und auch schon mehrfach
abgeschafften sogenannten „öffentlichen Prüfungen'' am Schluss des Schuljahres
frei. Nach mnnen Erlhbrongen wfirde Ich onbedlngt Ar Beibehaltung dieser
öffentlichen Sdnlaete plaldfam Dass die« PrfiftmgMi im eigentlichen Sinne
nicht sind, ist klar, insofern das Maß des Wiasens der Schfiler dabei in keiner
Weise auch nur annähenid ermittelt \vf»rd«»n kann; aber !?iMii»'rh;n Is'tlfe ich
diese Institution für ein sehr schätzenswertes Commuiiicaiiunsnuttei zwischen
Schale nnd Haas. Statt PrOIhng würde ich geneigt sein, diesen Act als „eine
dramatiseheYorfahntng eines Sttickchen SehnUebens" an bezeichnen; nnd wenn
auch diese YorfOhrang das Schnlleben im ..Sonntagsgewande* zeigt, so dürften
die AüL^bnrinfpn doch im Stande sein, daran« einen im ganzen zutreffenden
Rückbchlubä» aul das alltägliche Leben der Schule zu ziehen. Wenijrstens kann
ich ans meiner Erfahrung in Wahrheit sagen, dass ich jodei»uml, »eit ich als
Dirigent die öffentliche PrfiAing geleitet, hinterher das angenehme GefOhl
gehabt habe, dass daa so wichtige Band zwischen Schule und Haus fester
geknni'ft worden ist. Endlich haben noch die Eltern bei dem iiMicben jähr-
lichen Schulfeste Gelegenheit, von dem gemüthlichen Verkehr zwischen Lehrern
und Schfilem Kenntnis zn nelunen. — Kurz — es scheint darnach der doch
immer störend wirkende Besneh des Unterrichts in den Classen seitens der
lUt^Ueder der Schuldeputation und der Angehörigen in der That ttberfifissig.
Es bleibt mir ein dritter und 1- f 'tei- Punkt zur Besprechung. — College
X wünscht am Schlüsse stiiier Abhandlung, dass auch andere Collegen ihre
Erfahrungen bezüglich ihres Verhältnisses zui* Schuldeputation veröffentlichen
möchten. Nun, da würde idi mit einem reichlialtigen Kat^rial dienm Icönnen,
will mich aber auf einige allgemein gehaltene Äußerungen beschränken. Bis»
lang bin ich der Ansicht gewesen, das.«? sich das VerhiUtnis zur Schuldeputation
in größeren Städten günstiger gestalten müsse als in kleineren, da dort doch
meist mehrere Fachmänner in der Deputation verü-eten sind; dass diese Ansicht
leider eine irrige ist, dafOr lieünrt der Anteta des Collegen X einen eodatanten
Beweis. Aber zu meinem Leidwesen muss ich. anch die Behauptung des Collegen,
da>js .in kleinen Städten dit sp Kinri litung weniger naehtbeilip zn werden
pflegf als eine nicht zutrelleude bezeichnen. Nach den v^n mii- geniacliten
Erfahrungen muss ich schlechterdings die Behauptung autätelleii, Juhs im ganzen,
namentlich bei den Laien->Ui^liedem, die Neigung znr Ablehnung der im
Interesse der Schule gestellten Anträge vorherrseht : di- sc X. iii ung hat einerseits
ihren Grund in einer gewissen Eifersucht auf das bes.sere ^^'is.spn und W<dlen
des Dirigenten, anderseits in dem Umstände, dass meistens nicht das Wol der"
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Schule, iiersönliche Rücksichten ins Aiife^t ir.fasst werden. Man
will, obgleicii uiiiQ nichts von paedagogiciä versteht, docii alitg be&sei* verstehen
als der Dirigent; man will diesem gegenüber e^e MachtroUlcommenheit mr
Geltung l>riM<:eQ ond ihm seine untergeordnete Stellang zun Bewnsstsein biingan.
>rnn schi ut sich uii ht. die Plän»^ des Dirit^enton aus Bequomlichkeit od« r aiidem
egoistischen (rründen zu diiichkicuzcn. scHjM wenn die Schale dadurch em-
ptiudlich geschädigt wird, in einigen Fällen habe ich die Annahme meiner
Antrage erst nach wiederholter und eingeh^iderM' Hotivimng dnrehfetetst;
li^ vier Fällen, die mir wichtiger sc hienen, habe ich an die Entgcheidnng der
Kgi. R- eiornng: appelliren müssen und — • jedesmal i t iissirt. — Kui-z — nach
allem »-rsclu int ahn die Unterstellong der höheren ^[;idi heuschnien anter die
Schttideputation als eine Einrichtnng, die dem Dirigenten sein Amt er-
seKwerty wenn nieht verleidet, and die nachtheilig anf die ge-
deihliche Entwickelnng der Schale einwirkt.
Demnach stimuie ich von ganzrm Herzen dem dankensweiien Vorschlage
des poehrten Collpe-en X bei, dass w ir alle j^emeiusam di«^ directe Unterstellung
der höheren Mädchenscholen anter die Kgl. Regierungen mit allen ans ge«
setilieh snttehendeii tOtteln anrtrdien, sei es, dass jeder eJudne für lidk toiv
gdijt, sei es in gemeinsamem Vorgehen im Wege einer Petition.
VmntwortlicliirKedacuur: Dr. Friedrich Ditt««^ — Bachdrnckcrei Jnlin« Kliakhatdt. Lftfott«
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Schule und Leben in ihren gegenseitigen Anfordemngen.
Von Dr. H. K^mtMnrHtmämrg,
Oa?s (He Schule eine Macht — nnd zwar eine viel umstrittene
Macht — f,^ewor(k'ii ist, dafür bedarl' es kaum bosomlerer Beweise.
Wie weit lieL^en doch die Zeiten hinter uns zurück, in «h/nen Schul-
bildung nur \venic"pn Ständen zui^äiif^licli w-av und nur wenigen Benifs-
kreiseii nothwendig erschien: Je tiefer min aber die Sclmle in alle
Kreise und Verlulltnisse eiugreitt, je mannigfaltiger sie sich mit allen
wesentlichen Interessen der Gegenw^art berülirt, desto mehr geboten
ist auch die immer erneute Frage nach den höchsten und letzten Zielen
und Aufgaben derselben.
Wollten tmr dne Umsehan halten unter den am meisten geltend
gemachten Zielpunkten, die man von verschiedenen Seiten der Schale
gesteckt hat oder stecke zn müssen meint, so dürften sich etwa fol-
gende ergeben.
Da mfen die Einen: Die Schnle soll zum Ergreifen eines prakti-
schen Berufes geschickt nnd tftchtig machen; sie soll
"was am schnellsten zu diesem Ziele nnd nota bene znm Broterwerb
führt Auf diesem Standpunkte des reinen Nützlichkeitspnncips möchte
man selbst die Elementarschnle schon znr Fachschule sterapefai nnd
von ihrer Arbeit wo möglich alles ausschließen, was nicht in nächster
ond engster Beziehung znm praktisch bemflichen Ziele zn stehen
scheint.
Andere vemdnen — in Betreff der Ziele der Schnle — zwar
keineswegs diesen positiv-praktischen Hintergrund, wie er zunächst in
der Vorbereitung auf einen bestimmten Beruf zu suchen sein dürfte,
aber sie betonen daneben nicht blos die Berechtigung, sondern selbst
die imabweisliare allfremeine Nnthwendig-keit weiterer und Iiolierer
menschlicher Büdungsziele. Sie fordern, dass das zu erziehende Kind
PM(laC«Cinm, «. Jahiy. Heft XI. 42
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— 648 —
in der Schule nicht nur zu einem brauchbaren Arbeiter in einem be-
stimmten Lebensberuf, snnf^f^rn auch zu einem glücklichen Vertreter
höhei"er sittlicher Lebensa ii traben herangebildet werde. Als dergleichen
Lebensaufgaben treten die Pflichten innerhalb der mannigfachen sitt-
lichen Lebensgemeinficliaften, wie der Familie, des Staates n. & w.
hervor.
Wiederum andere lefi^en den Schwerpunkt der Aufgabe der Schule
in die Herausbildung eines bpstimmten r(di>iös-kirchli*r1u'n Charakters
und Geistes, wie dies -bekauntlich von ^^elte relic^i' ^ r Ord^-u, aber
auch bestiiiunter kirrhlieh-thenlo^sclier Richtungen gescheheu ist
Manche wollen mindebteus der ^cliule — im allgemeinen — also
abgesehen von der einzelnen i^'achsthule, keinen bestinimteu ein-
zelnen praktischen Zweck, wie oben die Bernfsbilduncr als solcher
bezeichnet wurde, sondern lediglich eine allij:en.riii menschliche, die
Elemente zu aller weiteren in sieh fassende Bildung als Ziel zuweisen.
Dieser gegenüber stoßen wii* auf die Forderung nach standes-
mäßiger Sdhnlerziehung — oder nach einer solchen, die auf die Be-
friedigung der AnsprOdie an die ModebUdimg gewisser Stände hin-
arbeitet Dabei spielt die Bficksicht auf das Ton der jeweiligen Zdt-
und Moderichtung Gebotene die Hauptrolle. Jedes in sich ruhende,
von allgemeinen und höheren Bttcksichten eingegebene BildongsmotiT
fiült wegi und es sind die Ziele hier ebenso einseitig wie die zuerst
angegebenen.
Neben dem religiOs-ldrchlichenPrindp ddrflte das politisch-nationale
als ein ftkr unsere Frage besonders zu beachtendes erscheineoi ^ 3lan
richtet sein Hauptaugenmerk auf die herrschendoi Ziele des Staates
und foder) der Nation. Man will vielleicht die Jugend be^ionders
kriegerisch tüchtig- maclien und legt daher ein großes Gewicht auf
gymnastisch-militärische Übungen, sowie andei-seits auf einen Unterricht,
der auf national-patriotische Gesinnung insbesondere hinarl>Liteii soll.
So viele und vemhiedene Gesichtspunkte man nun aber auch für
die Arbeit der Schule aufstellen mag: man wird die meisten derselben
in die zwei eri'oRen Kategorien der äußerlich-praktisch-nfttzlichen und
der idealen bi in^ren können. Indem wir einen Einigungspunkt tur zum
Theil so weit auseinanderfrehende Ziele der Schule suchen. wiis«ten
wir kaum fiiie i)asseudere, als den in dem Satze ausgediückten; „Die
Schule bilde Itir das Leben — " ausfindig zu uuK'lien.
Indem wir sagen, die Scliule bilde iTir das Le1»en, sprechen wir
zugleicli das Bekenntnis au>, dass wir derselben eine reale Rasi> und
ein pot^itives Arbeitsziel zuweiiseu wollen. Alle andei*en der J>chule
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€twa gestellten Aufgalien und fj^esteckten Ziele würtlen mindestens in
-der Luft schweben, wenn sie — so zu sag-en — mit den mannij^taeiieu
Aufgaben des Lebens keine oder ein«' nur g-anz entfernte Fühlung
liätten. Oder könnten wir überliaupL ul>er die Lösung der Aufgaben
4es Lebens Uinauskomiuen und daneben noch gleichsam etwas Beson-
•deres treiben? Das Leben ist eine so seliwere Kunst, dass wii* alle
unsere Kräfte — sowohl die preistig-intellectuellen, wie diejenigen un-
serer Geuiüthsseite und des Leibes daran setzen müssen, um derselben
4iuch nui' halbwegs zu genügen.
Freilich sehr verschieden mag sich das Leben ananehmen in den
Angai dar T^ehied^mi IndiTidnen; man kann es angemein niedrig
taxiren und in Anfierst geringfügigen Dingen — wie in der Befriedi-
gung blofier sinnlicher BedQrfoisse oder doch ontergeordneterer Be-
atrebangen nnd WoUnngen anchen und anfgehen lassen; aber man
kann auch nngemein hoch and groß denken von diesem Leben, seiner
Kunst, seinen Angaben. Welcher Kontrast zwischen einem lediglich
Aof ein flppiges Gennssleben losstenemden Naturalisten nnd einem
JQrtyier seiner Wissenschaft oder seiner Übenwngnngen, sei es im
politisch-eocialen oder im religiösen Gebiete! ^ Wenn wir nun yon
der Schule fordern, dass sie Ars Leben arbeite, so werden wir dieses
naturgemäß nur in seinem ToUen und ganzen Umfange auffassen dürfen.
Das heißt aber nichts anderes als: wir werden mit Hilfe der Tor-
bereitnnf? durch die Schule sowol die realen positiv-praktischen, wie
die idealen Aufgaben des Lebens zu lösen suchen. Wie wir mit der
einen Seite unseres Wesens auf diese Erde angewiesen sind und ewig
bleiben werden und daher, sofern vnr uns nicht von einem falscli ver-
standenen Idealismus leiten lassen, eben auch einer Reihe iniischer
Aufgaben genügen müssen, so drängt sich uns aiü di r andern öeite
immer aufs neue die Noth wendigkeit auf, jene reale Basis unseres
Daseins p^eistig zu befruchten nnd mit allerlei idealen Ti ; l !i und
Bestrebun^^en zu vertiefen und zu vervollkommnen. Ja, es i>i mj reclit
eigentlich die Aufj^abe des Lebens, die beiden Seiten unseres ^^'esens
mit einander in schönem Gleichgewichte und EbeumaLk' zu erlialtcn —
und also weder einem grubsinnlichen Materialismus und Kpikuräismus,
noch auch einem asketischen Cynismus oder weltflüchtiger religiöser
Schwärmerei zu verfallen.
Damit ist nun auch schon ausgesprochen, dass unsere Schulaibeit
ffir das Leben keineswegs auf eine bloße sogenannte Utilitfttspäda-
gogik hinanslaufe and hinsteuie, sondern dass dieselbe neben der Er-
ziehung für die mannigfaltigen Bedflrfliisse des irdischen Daseins —
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— 650 —
zu denen wir auch selbst diejenigen des äußeren Luxus r^'«'hneu —
auch diejenisre für die theoretiseli-idealen Grundlag-en anstii b ' und
pflege. f*^o selbstveratändlicli dies nun auch zunächst ersclieinen iv«'nute,
so wenig wird sich leugnen las^eu, dass vielfach ganz eiuseitige Vor-
stellungen und unvülistäüdige Begriffe von den Aufgaben der Schule
sogar sehr zalilreiche Vertreter finden. Hier stoßen Avir, wie sich
aus dem bereits Kmgangs Getilgten erg-ibt, auf eine befremdliche
Herabwürdigung der Arbeitsziele der Schule — indem mau sie gleich-
sam nur als die Magd rein materiellez' Interessen betrachtet — , und
dort auf eine in ihrer Art nicht minder hedenkliche, ja gefthrlicbe
Ablenkung dar Arbeitsziele der Schule yon den nnerlfissUchen Be-
dürihissen des Lebens. Einerseits also abstracter Idealismus, ander-
seits roher Uaterialisnnis.
Wie treffepd hat o. a. unser Lnthor in seinem „Sendschreiben
an die Obrigkeiten der Städte etc.** auf ein allseitiges gleichmifiigea
Ergreifen der verschiedenen nnd zwar scheinbar avseinandergehenden,
aber doch auch wieder sich gegenseitig durchdringenden und mannig-
fach berOhrenden Lebensan%aben hingewiesen nnd wie nugenfigend
erscheint dem gegenttber nicht blos die banausisch-realistische, sondern
auch jene in gewissen Kreisen gepredigte Auffassung von den Zielen
der Schule, wonach dieselbe eine specifisch religiös -kirchliche In-
stitution sein und gewissen kirchlichen Pnncipieti ausschließlich
dienen soll.
Der von uns aus der Schule zu entlassende Zögling soll ein
Mensch werden, der, an Leib und Seele gleich tüchtig gebildet, sowol
von seinem K'"ri>er einen vielseitigen praktischen Gebrauch zu machen
versteht, als aucli nach Seite der Geistes- und Gemüthsbildung ein
schätzbares Glied der Gesellschaft in iliren mannigfachen <Tliederuni:on
zu werden vermag. Wir bekämpfen somit jede Ki?isritigkeit in der
Aufstellung di r Schulziele und fordern für dieselben einen „universellen**
Charakter. l>ies aber wahrlich nicht in dem mii^sverstandeneu Sinn,
als ob wii" etwa aus unseren Zöglingen oberllächliche Vielwisser machen
wollten, sondem in dem allein wahren, da^js sie Mensihen werden,
die hellen Geistes und edlen Herzens, daneben aber ihres Leibes Herr
und Meister sind.
Diese SU gefasste Aufgabe dur Schule glauben wir aber nameut- -
lieh durum auch heute besonders betonen zu müssen, weil es uns
scheinen will, als ob die Schule im großen und ganzen einige im
Interesse des vollen Lebens emsig anzubauende Qelnete doch noch gar
zu wenig berücksichtige und cultivire — oder aber, was ja auch in
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— 651 —
Betracht gezogen sein will, — dass sie innerlialb des einen von ihr
jetat zweifellos am meisten gepflegten Gebietes, nämlich des intellec-
tuellen. oferarle die wesentlichsten und fniehtbarsten 2Üelpailkte viel-
fach hinter minder bedeutende allzusehr zurückstelle.
Was uns im gegenwärtigen Schulleben in der mannigfachen Schul-
arbeit unbilligerweise — wir wollen nicht ^airen g-finzlich vemach-
Jüssigt, aber doch immer noch zu stietmiiturlii h In handelt erscheint, ist:
erstlich die Pflege des Gemüths- und (iesinnungslebens mit ihrer
h)]im Auf<^abe dei- Herausbildnns- eines sittlichen Charakters und
eines für alles Schöne, Gute und Wahre begeisterten Sinnes;
zweitens die Pflege des Körpers im allgemeinen und der
körperlichen Geschicklichkeiten und damit der Fertigkeiten ins-
besondere;
drittens — und dies gehört, streng genommen, in das Gelüet
4cr intellectaellen Bildung — die Anbahnung eines tiefereu uud
reiferen yentandiusses ftr die Tenumftgemäße und daoüt nornuile
Ausgestaltung des sodal-politisch-iiatloiialeii Lebens.
Wir bera&ngeln zuerst die Pflege des Oemttths- und Gesinntings-
lebens. Wir glauben nftmlicb, dass dieselbe noch nicht im rechten
Gleichgewicht namentlich zu der Pflege des Verstandes — des Viel-
idssens — stehe, oder dass die specielle Caltur des Intellects noch
nicht genOgend in den Dienst der Gemflthsbildung gezogen werde.
Freilich haben wir mit dieser Behauptung uns auf ein ebenso vor-
schnelles wie obeiflfichliches verdächtigendes bon mot oder geflügeltes
Wort von dem „Gernftthsdusel" als einen venneintlich berechtigten
Einwand ge&sst zu machen. Bleiben doch die besten, oder doch best
gemeinten und meist berechtigten Urt heile nach wie vor beim ge-
dankenlosen, von Modeansichten und Kraftansdrücken leicht fortzu-
reißenden Haufen schiefer und seichtt r Auffassung ai|8gesetzt, und
kann es daher doch leicht geschehen, dass an sich wol begründete
Meinungen der Gegenstand frivoler Spottreden werden. Aber das
darf nns nicht bestimmen, nnsere tiefsten Überzeuj^mgen immer wieder
geltend /u nuichen — wv\ womöglich ihnen zum Sie^fe zu verhelfen.
Je länger wir als autmerksame Beobachter den mannigtachen
Erscheinungen dieses Lebens zugeschaut haben, desto ff>ster di'ängt
«ich uns die Überzeugung auf. dass eine Menge gerade iler höchsten
und wichtigsten Lebensaufgaben wenn nicht ausschließlich, so docli zu
sehr wesentlichem Thtüe von Seite unsei-es Gemütlis- uud Gesinnungs-
lebens gelöst sein wollen. Mit gleich gutem Rechte, wie der fromme
Sänger sagt: „mit unsrer Macht ist nichts gethau", könnten wir auch
. k) . j l y Google
sagen: mit unserm noch so scharfen, klagen VeistMide oder mit un-
serer Fülle von Kenntnissen ist nichts gethan — wenn es gilt, dn
«ddstea Aufgaben des Lebens und namentlich des gesdlschaftlichen
Lebens in seinen mannigfachen Gestaltungen gerecht zu werden. Es
ist doch unser Willen sieben mit aUem, was mit ihm in engerem
oder weiterem Zusammenhange steht — also namentlich das Grebiet
unserer Neigunj^^en, Begelirnngen, AftVrte. Leidenschaften. Triebe-
u. s. w. ein so unendlii h wichtiger Factor in der gesammten
Leistungsfähigkeit nrnl SH!hstdarstenun£r unserer Persnnliclikeit. und
es hängt also von diesem uii.M'i eii Wilienslelu ii w ie u!i.->t;i- eigeues Ge-
deihen und Schicksal, so das unserer Mitmen-i li^u in so eminenter
Weise ab, dass wir allen Grund haben, demscll>t-ii die sorgtaltigste
Pflege zu widmen. Ist's nicht wirklich so, dass unendlich häufig eineuj
scharfen Venstande und reicliera Wissen ein aiiiieist verkümmertes
Willens- und überhaupt ein vernachlässigtes Gemiiths- und Gesinuungs-
leben gegenübersteht? Gibt es nicht Gelehrte von den verschrobensten
Ansichten und dem rohesten Cynismus der Sitten? Mindestens haben
-wir dnrchans kein SicherheitSTeatil In dem Beicbthnm an Kenntoiaseik
oder an einem noch so scharfen Ynstande gegen ein völliges Ver-
kommen des GemQths- und GMuinngsleheiis, so dass also eine noch
so reiche — wenigstens extenslT reiche — GeistesbOdong dorehans
keine Garantie für die rechte Gemftthsart za bieten vennag. Damit
wollen wir natürlich kdneswegs behaupten, dass übeihanjpt kein po->
sitiy befruchtender Einflnss von der Geisteslnldnng herttber auf die
Qemfltlispflege gettbt werden kOnne. So gewiss indessen namentlicli
die Art nnd der Umfang des Vorstellnngs- nnd Gedankenkreises auf
die Art unserer Neigungen und Begehningen einwirken wird, so sicher
kommen doch auch anderweitige Momente in Frage, wenn es gilt, die
rechten Fundamente der Gemüthsbildung zu legen. Es kommt aber
hier nicht sowol darauf an, die innere WechselbeziehuDg zwischei>
intellectueller und sittlicher Bildung nachzuweisen, als Tiebnehr die
Bedeutung dieser letzteren für die Bedürfnisse des Lebens zu betonen.
Es ist die Stellung jedes einzelnen zn den vorlKnvIf'uen Lebens-
gemeinschaften, wie Familie, bürgerliche Gesellschaft. Staat u. s. w.,
die es auf dem Wege auch der Schulerzieliung anzubauen gilt, und
die eine mehr oder weniger schiefe werden kann, wenn sie in der
Gesammterziehung vernachlässigt worden ist. Nur zu richtig hat man
gesagt, es haiiire unser Lebeusglück, sowie ancli unser Einfluss auf das
Leben zumeist von dem ab, was wir sind, und nicht von dem. was
wii- wissen. Jedenfalls nähert sich derjenige am meisten den»
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böchi^ten Lebensidoal. der zn allen Gemeinschaftskreisen, in die
er theils tuiplau^eiMi, iheils mittheilend einzu^'eifen berufen ist, in
das rechte, von Vei-nunft und CTesetz freboteue Verhältnis zu treten
vermal!:. Nicht Sclaven der bestehenden Verhältnisse düifeu wir werden,
da ja dieselben auch unbei-^htigte, weil unvernünftige, sein können,
sondeni wir müssen in eine sittliche Beziehung: /:u denselben treten.
Ziu' Erklärung des Urastandes, wie ziuii Beweise der Behauptung,
dass wir in unserer Schularbeit noch zu wenig für die öemüthspflege
thiin, kann o. a. Folgendes dienen:
1. Wir legen noch ein zn groBes Gewicht anf das Viderld nnd
auf ein wwiegend mit dem Gedftehtnis anraeignendes Wissen.
Saven flberaengt man sieh sofint beim Hinblick sowol anf die Mannig-
&I1agkeit der Lehrstoffe, wie auch auf die großen Gebiete derselben,
die man in Terbältnism&Big knrzer Zeit dnrdiarbeiten sn können
meint Dies steigt sich n. a. aneh in der Geschichte nnd Geograj^hie^
wo man es bisweQen mehr auf ein rein ftofterliches Abarbeiten der —
oft ginz nnpädagogiflch anfgestellten — Lehrprogramme, als anf ein
wirUidies inneres Aneignen des wahrhaft wertvollen Materials ab-
gesehen zu haben scheint. Ein bloßes Herplappem von Thatsachen
ist doch wahrlich nicht jenes geschichtliche Wissen, ans dem anch
für die GemUthsiiflege ein Gewinn gezogen werden kann. Und muss
nicht jeder Lehrgegenstand seine „bildende" Kraft in dem Grade
verlieren^ als man im Dienste großer Lehrpensa auf ein liebevolles Ein-
gehen auf Details oder auf ein entwickelndes, auf Causalitätsverhalt-
nisse eingehendes Verfahren verzichtet und verzichten muss ? Daran
scheitert jeder gemüthbildeade Einfluss des Unterrichts,
dass man die .Meng:e des gewussten, einzelnen und noch dazu
disparat nebten- und durcheinander liegenden Stoffes als
Maßstab für die Erfolge des Unterrichts gplteii lässt. Wenn
wii- in der Geschichte „keine Zeit dazu-* haben wollen, die Details
der für jede Alters- imd Classenstufe wol gewälilten ^laterien durch-
zunehmen, wenn vdr in der G(!oj,Maitliie wiederum „keine Zeit
finden** — ,.im Interesse des vorereschriebenen Pensums" z. B. auf
landschaltlichc oder auf Städteschilderunfjen oder auf Beschreibungen
des eigenthümlichen Ciiltuidebens jetzt lebender Völker oder auf die
den verschiedenen Clasaenstnfen verständlichen geographisch-physi*
kalisehen Erscheinungen des Näheren einzugehen, — wenn wir im
Deutschen Aber dem spedfischen abstract getriebenen grammatischen
Üntemcht oder wiedemm ttber den die schönsten Lesestf&cke yer*
Wissemden nnd die Kinder Isngweilenden Erklärungen, Dispositionen
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u. s. w. die Zeit zu einer einigermaßen leiclu'ii Lectiire einbußf-n: dann
betrügen wir unsere Schüler um deu vollen Gewinn, den bie aus dein
Unterricht flir ihre Gemütksbildung ziehen könnten.
Ähnliches aber mofls sich ergeben, wenn wir dem Schalleben die
mamüg&ehen sich darbietenden GelegenheiteE sor GttDQtbspflege des
Schfilers, d. L hier zur Belebung and BichtigsteUung seines sittlichen
Bewoflatseins und Ürtheils entweder vGUig entziehen oder auf ein yer-
schwindendes Matt rednciren. Damit deuten wir auf die entsetzliche
Nftchtemheit und dttrre'Prosay die leider in manchen Schulen herrscht,
indem dieselben sich lediglich auf ihre Lectionen beschranken, dagegen
ihren Gemeinden kaum noch eine Handhabe bieten, um etwa die er-
hebenden Momente eines Schulfestes, wie des Ged^iktages einer großen
PersOnlichkdt oder Begebenheit gemeinschaftlich in und an sich zu
erleben. Ohne Zweifel kann die Schule auch selbst schon in ihrem
gesammtcn äußeren Ei-scheinen, in der Ai't ihi-es Schmuckes, in der
Beschaffenheit ihrer Classenräume einen wolthnend-bildenden Einfluss
auf den inneiTi Sinn der Schuler, auf deren ästhetischen Geschmack
and damit zugleich auf die Hervorbringimg edlerer Gefühle aasüben.
Eine Schule, in der weder eigentliche Schulfeste begangen werden,
noch irfrend welche Notiz von den großen nationalen Thaten und Er-
eignissen in Form von Gedenktagen g-enommen wh-d, — belriis^t ihre
Zöglinge um ein wesentliches Moment der Gemüthsbildung. Das Gleiche
behaupten wir von Scluiltu, die weder das Spiel ihrer Zösrlincre f z. B.
während der Unterriclitspausen") irg'endwie uKiglich machen und be-
günstigen. UDch auch f^emeinsame Exemtionen unternehmen, aul denen
ebensowül eine ^lenge heiiuatkuudlicher Kenntnisse <rewunnen, wie
der jeder sittliclien Erziehung in die Hände arbeitende Gemeinsiuu,
außerdem aber die Freude an der Natur, sowie die Kräftigung des
Willens, die Gewöhnung an körperliche Anstrengung gefördert werden
können.
Süll es um das Gemeinleben in Familie, Gesellschaft, Staat und
sonstigen Kreisen, in denen Menschen sich zu gleichen Zwecken yer>
binden, wol bestellt seint dann mftesen :die Herzen unserer Jugend
angebaut, weit gemacht, veredelt werden. Dass das keineswegs nur
im eigentlichen Unterricht, dass es Yiehnehr wesentlich durch Ter«
mittelong von Schuleinrichtnngen, durch eine weise Pflege erhebender
Momente des Schnllebens (wie namentlich in Gestalt von bedeutsamen
Erinnerungstagen, bei denen Lehrer und Schaler ihre besten wissen-
schaftlich-kOnstlerisehen Leistungen zur Gkiltung bringen — denn na-
tfirlich erkennen wir nur solche Schulfeste an, bei denen ähnlich, wie
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bei den hellenischen Nationalfesten, die Offenbarung schöner li*eier
ICräfte die Hauptsache bildet — ) geschehen müsse, sollte jedem den-
kenden Schuhnanne als selbstverstHndlirh trelten.
Aber das gehört freilidi leider zui* Signatur unserer pädag-ogischen
Praxis, dass — sei es aus Bequemlichkeit oder aus Sparsamkeit, oder
infolge persönliclier Unföhigkeit zu ^ iin iii tu i- n Verkehr mit der
Jug"end, oder aus absoluter Beschränkt'iieit des pädagog^ischen ürthcils —
das Sdiulleben fast ausschließlicli im Unterricht aufgeht, und dass
mau vom Katheder alles Heil erwaitct, wälireud doch gerade die
reiche unmittelbare Anschauung eines verschönten, durch-
geistigten, veredelten Daseins, eines inhaltreichen, auf hohe
Dinge gerichteten .Strebens bei weitem die grütiicii und erfreulichsten
Wii'kungen im Gebiete des Gemüthslcbeus hervorbringen wird.
Dass die Sünde in ihren mannigfachsten Gestaltungen wesentlich
auf Egoismus und zwar auf jede Art und Form desselben zurück-
zuführen sei, ist ein anerkanntes ethisches ^rincip. Nun, wie ▼erden
wir sokhem starren Egoismus am sichersten die Lebenssftite entdehen
und seine ftnfierste Entwickelung zurückhalten? — Doch vol Tomehm-
lieh dadurch, dass wir einmal den Oem^insinn überhaupt beleben, dass
wir ihn aber angleich auf die edelsten Ziele hinlenken and ihm die
sittlich freiesten, schönsten Antriebe verleihen. Denn freilich: es gibt
aach erneu Gemeinsinn unter berufsmüDigen Verbrechem, und es kann
auch die engherzigste Interessenpolitik den einzelnen in die oder jene
selbst einflussreidie Gemefaischaft hineindri&ngen, indem er unter ihrem
Zeichen und Schutze und mit ihr und durcli sie doch nur seine eigensten
personlichen Anliegen und Belieben durchzusetzen hofft und trachtet
Die sogenannten geselligen liebenswürdigen Allerweltsfreunde lieben
auch die Gemeinschaft; die Geselligkeit ist ihnen auch darum ein so
nothwendiges Bedürfnis, weil sie sich selbst nichts sind, sich füi* sich
allein nicht beschäftigen können und die dem reiferen Menschen doch
so nöthic^e Einsamkeit f()rmlich fliehen. Sie bedürfen fortwälireud der
Genossen bei ihren ^,80genaimten" Freuden und Erliebuno:en; sie wissen
ohne iiußere Aufregungen und ohne einen jrewissen geselligen Ai)parat
dem (iefühl innerer Leere und der Langeweile nimmer zu eutgehen.
Hire Erholungen — und diese bilden eigentlich den HauptbesiHiidtheil
ihrer Eebfnsr.'i'je — traLit n demgemäi) natiirlicli auch den Stempel des
bluiieii llucinigeu äuliereii (n iiießens an sich. Aber das ist nicht der
auf sittlichen Gefühlen beruhende und hie aus sich erzeugende Gemein-
sinu: das ist nur eine andere Form des Egoismus. Der au* Ii y^m der
Schulerziehung zu püegende und auzubahnende wahre Gcmeinsiun ist
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— 656 —
»agleich die lebendige, freie, schöne Theünahme für alles wahrhaft
Menschliche, für jedes braven Mannes Streben und Schicksal — anch
wenn derselbe zn unserem Parteistan<l]innkte nicht neiL'-t*^, im?: viel-
leicht sogar in mannigfacher A\'eise im Wege stände. Kurz, mit dem
wahren Gemeinsinn ist volle Gerechtigkeit, ist das „suum cuiiiue"
aufs innigste verbunden; und wer diesen besitzt, der vergönnt mit
Freude jeder anderen in ^icli selbst ruhenden selbstständi^ denkenden
sittlichen Pei^ünliclikeit ihren Raum, der lässt sich nicht durch die
Krfoljre und ihm selbst abgehenden Talente des an<lern beunruhigen
Bild etwa dazu verleiten, ihn um jeden Preis in den Schatten zu
stellen, um nur ja nichts an eigener Geltung, am eigenen Ruhme ein-
zubüßen. Die freudige und in Handlungen sich ausdrückende An-
erkennung jedes sich in unserer Nahe, etwa in unserem eigenen
Berufskreise sich ankündigenden Talents ist ein Hauptkennzeichen
jedes echten wahren Gemeinsinns, jeder wirklichen menschlichen Theil-
nahme. Und eben diese grofimzIeheD, mnas als eine der wesentlicligten
Anfgaibem der für das Leben erziehenden Schnle angeeehen verden.
Oder bedflifte es in diesem Leben nicht eben gerade dieser Cardinal-
tagenden der Qerechtigkeit, des Wolwollens nnd des nnabltesigen
Strebens, das Gemetnwol za. fördern, diesem aUe sieh kondgebenden
besseren Xrftfte soznfthren nnd sie ihm möglichst dienstbar zn machen?
In diesem Sinne haben w anch an anderer Stelle den wahren, edlen
libenUismns, der doch die öffentliche Wol&hrt als sein eigentUebes
Programm prodamirt oder wenigstens im Stillen ftr sieh in Ansprach
nimmt, ledigUcb dem großgdstigen, von jedem kleinlichen Parteistand-
punkte freien Manne zuschreiben können. (Siehe : Pädagogische Stadien,
8. Sammlung, in dem Capitel: „Der wahre und falsche Liberalismus.")
Worauf lässt sich jede Tugend, die innerhalb der Familie, der
QeseUschaft, des Staates geübt wird, zurückführen? — Doch auf Hin-
gabe und Theünahme für fremdes Wol und auf ein freudiges Ver-
zichten auf die eigene Bequemlichkeit und Annehmlichkeit. Also ist
es der Etroisraus, der auch in der Schule nach Kräften zu brechen
ist, also gilt es die Übunj,' im lebendigen Interesse und in der thätigen
Fürsorge lür andere, also die reiche Gelegenheit, anderen zu dienen,
für ändert' zu sorgen, sich sremeinsanieu Bestrebungen anzuschließen,
allerlei Ptliehteu im Dienste einer Gemeinschaft zu erfüllen. So wenig
wir durch Worte und Ermahnungen im Bereiclie der sittlichi-n Eigen-
schaften, des Tugendlebeus erreichen werden, so viel durch umnittelbar
praktische Übungen, d. h. durch Gewöhnung, die aber natürlich
nur m Gemeinschaft mit bereits in solchen Tugenden Erstarkten, d. h.
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an ihrem Beispiel gewennen werden kdnnen. Es ist ein Oardinal-
{j^er in nnsem erziehlichen Bestrelnmgen, dass idr durch Lehren,
Unterricht, Ermahnungen erreichen vollen, was sich fast nnr
durch Yorlehen nnd Eingewöhnung (d. h. Obnng) erreichen Ifissi
Wie im rein intellectnellen Oebiete gewisse nothwendige Erfolge nnr
anf dem Wege stetig fortgesetzter fiepetitionen nnd zahlreicher
Übungen zu erreichen stehen, genau so ist es im Qebiete der Cha-
rakter-, Willens- und gesammten Qemtlthsbildung. Gilt es doch hier,
die yerkehrten bereits Torhandenen und zu einer gewissen Stärke
herangewachsenen Neigungen und Begehrungen gleichsam aus ihrer
Position zu verdrängen, sie mit ihren sich mannigfach mit dem
übrigen Seelenleben vei-zwei senden Wui-zeln auszurotten, um anderen,
wünschenswerten Kaum zu schaffen. Eine solche Änderung macht
sich aber mir von innen lieraiis und nur auf dem We^e von f^Jungen,
Gewöhüiiügen oder wiederlioltei- j^leichartiger YorsteUttugen, aas denen
schließlich auch gleiche Wolluugen liervor^ehen.
Doch müssen wir hier von tieieieiii Emg» imi in das ,,Wie?'' der
Willtii>- und Charakterbildung absehen, da es uns ja in der gegen-
wärtigen Betrachtung nur um die Ziele zu thun ist, nach denen hin
die Schule den Forderungen des Lebens hauptsächlich gerecht werden
muss. Und da lautet nun eben unsere erste Hauptforderung:
Die Schule suche mit allem FleiÜ eine Gemüths- und (iesinnungs-
bildung zu begründen, vermöge deren insbesondere alle auf das Gemein*
leben — und zwai* das einfachste in der Familie wie das reichste im
Staate — bezüglichen Au^ben und Ffliditen am nadidrflckUchsten
und besten gdOst und erfttllt werden können. Sie suche diee zu er-
reidiem einmal durch die weise Auswahl des ünterrichtsstolTes und
durch die die grGfite bildende Kraft enthaltende Methode, sodann
durdi Heranziehung aller die GemflthsbÜdung wesentlich unterstttzenden
pftdagogischen Einrichtungen, Gebräuche u. s. w., TomehmUch auch
durdi den sie durchwehenden, sie bis ins Kleinste bestimmenden Qeist
Damit rerbinde sich die Pflege des SchOnheitsshmes und Ästhetischen
Geschmacks, wie er sich zunächst in dem lebhi^en Sinn für änftere
Wolanstftndigkeit, Beinlichkeit, geschmackvolle Formen und Farben,
sprachliche Correctiieit und Wolredenheit , ferner in dem Sinn fUr
edle Umgangsformen nnd Geselligkeit, för eine inhaltreiche begeistigte
Unterhaltung, bildende Lectiü'e, Genuss von Kunstwerken aller Art
u. s. w. offenbaren kann und ohne Zweifel bedeutende Ansätze zur
sittlichen Erziehung bietet. Geschmackvolle, wenn auch nicht luxuriös
eingerichtete Schnlr&nme, deren BebütoDg vor aller rohen Beschädigung,
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flrren Ausschmückung" mit mancherlei auch im Unterricht zu ver-
wertenden Illustrationen, die volle Beachtung und reiche Ver-
wendung der künstlerischen Fertigkeiten des Gesangs, Zeichnens —
vielleicht auch Malens und 3Iodellirens — , der Kalligraphie, dt-s
Sprechen^ und Lesens: die-^ und Ähnliclies wird tretfiiche Beiträge
zur Gemuths- und Gesiunuügsbüdung' liefern.
Und die auch liierher zu ziehende religiöse Bildung soll die
Schule wiederum keineswegs ausschließlich oder auch nur vor-
wiegend durch besonderen Unterricht zu erreichen suchen, sondern
weseuilich zugleich durch entsprechende Eini ichtungen, wie gemein^same,
namentlich mit religiösem Gesang verbundene — doch keinesfalls zu
häufige und zu lange (!) Schulandachten, — durch die Rficksichtnahme
des Unterrichte auf bedeutsame Erefgnisae in Ekktvickdungsgange
der Beligions- und Kirchengeschicbte und durch dea Geist ernster
Gewissenhaftigkeit, der sich im gesanuntcn Schnlleben viederspiegelt.
In welchem Sinne und in welcher Wdse wir die religiöse Seite
der Erziehnng in der Schule gepflegt sehen wollen, darfiber haben
w nns zuletzt aiisfthrlicher th^ in den Schriften: „Die Tojkaschnle
als Erziehnngsschnle", „TM PAdagogUc der Kirche**, „Die Verant-
vortlichkeit der Schule'* etc. (sämmtlich in den „Zeit- und Streitfragen'*
von F. y. Holtsendoiff erschienen) sowie in der Abhandlung: „Die
Confessionsschule in ihren Conseqnenzen" geäußert Um
keinen Preis möchten wir die religiöse Büdong als ein bloßes opus
oporatnm angesehen wissen, sondern wollen sie als ein lebendiges,
frommes, alles sittlich Hohe aus sich gebärendes und allem Seienden
das Gepräge eines höheren göttlichen Ursprungs und Zwecks auf-
drückendes Gefühl gelten lassen. Zu einem bloßen Lückenbüßer, oder
zu einer Art Sicherheitsventil gegen gemeine Verbrechen und allerlei
rohe Ausschreitungen des Volkes soll uns die religiöse Bildung zwar
um keinen Preis herabsinken, aber ebensowenig darf sie ein todter
i^allast, etwa ein bloßer Gegenstand des Wissens oder eines äußeren
mechanischen Bekenntnisses werden.
Xacli Seite der intelh ■ r lu-Ilen Bildunsr fordert das ],>-)H-n von
der Schule vor allem die Weckung und Belebung des gei>tigeii Intt-r-
etsöti aL< der (Grundvoraussetzung jedes freudigen und von nachhaltigen
Erfolgen begleiteten Tiernens. Wo dieses geistige Interesse nicht ge-
weckt wiixl, da hleil)t der Unterricht eine drückende Bürde der Jugend,
die je eher desto lieber abgeschüttelt wird; da kommt es zu keinem
nachhaltigen Wissen, am wenigsten zur l'reude an eigner Fortbildung.
Das Leben braucht aber nicht Leute, die nur für einen bestimmten
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Termin — des Examens — eine Summe von Kenntnissen in ihrem
Kopfe anfgesi)eichert haben; auch ist ihm nicht mit solchen gedient,
die nur vielerlei Kenntnisse haben, ohne das geistige Band zwischen
denselben hei-stellen, ohne sie als Basis für Einsichten, Erkenntnisse,
I'bei-zeug^nngen ausbeuten zu können. Dem Leben soll die Bildung
des Geistes, soll Wissen und Erkenntnis gleichsam ab der es stets
von neuem befruchtende deus ex niacbina. als ein zwar unsichtbarer»
aber gleichwol allenthalben maßgebender, anrcirender Führer und Re-
^Miljitnr innewnliiien und zur Seite stehen. Ein dem Leben, seinen
Zvvc'kcn. Autgaiuii und Interessen al)gewan(ltes todtes, abstractes,
crleichsaifi sich isolirendes Wissen muss daher die Schule von sich
fernlialten. .^ie feiert ihre schönsten Triumphe im Dienste des Leln ns,
wenn ihre Zrtglinge sowol allen nothwendigen oder doch berechtigten
praktischen Aufgaben, als auch den idealen, wahrhaft humanen, sitt-
lich-theoretischen Interessen desselben als Bui^er ihres Staates, als
Vertreter ihres Volkes, als Häupter der Familie, als Glieder mannig-
facher anderer Gemeinschaftski-eise zu entsprechen vermögen. Hier
gilt es also keine blofie Geistesbildung ad hoc, aber auch keine etwa
specifisch kirchlichen Bfldungsziele, sondern eine mit einem vielseitigen
Interesse verbundene formale und eine solide materiale Bfldong, die
ohne Klarheit nnd Beherrschung des Wissens nicht denkbar ist Die
dem Leben dienende intellectnelle Schnlbildnngr entbindet die geistigen
Kräfte, regt sie mannigfach an, flbt sie an vei-schiedenartigen Steifen,
wirkt geistige Vertiefung, erfOUt mit Bindigkeit an and begabt mit
dem Vermögen zn geistiger, selbst strenger Thfttigkeit Da gibt es
also kein bloiSes Arbeiten auf glftnsende Prllfimgen hin, kein flüchtig
zusammengerafftes Wissen in fhtnram oblivionem, da gilt ein nach>
haltiges geistiges Besitzthnm, mit dem hundertfältig gewuchert wer-
den kann, als letztes nnd höchstes Ziel des wissenschaftlichen Unter-
richts, da steuert derselbe auf ein mit dem Wissen verbundenes Kön-
nen hin; denn da tritt keine Überbördung weder mit Lehistoffen nnd
Lectionen, noch mit Schulaufgaben ein, da herrscht von vornherein
die volle Diätetik der s-eistigen Ernährung.
Aber auch hinsichtlirli 'l^r leiblichen Pflege stellt das T.rben
seine sehr bestimmten Forderungen an die erziehliche Arbeit der i^chule.
Da unser gesammtes Wirken und Schäften mehr oder weniger an unsere
leiblichen Functionen und dHitMi Organe gebunden erscheint und jede
grobe Vernaclilässigung dieses körperlichen Instruments sich unaus-
bleiblich früher oder später scliwer rächen nuiss, ja die Leistungs-
fdhigkeii und Brauchbarkeit und somit auch das gesammte Wolergehen
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und GefI»M*lien einzeln^ r wia o^anzer Stäiuie und Völker wesentlich an
ein Iciclite^ und sirii. res Verfügen z. B. über uii.-.t-ii' .siunesthätijjkeit
und selbst über körperliche Kräfte iirebunden i^^t. so ergibt sich die
Pflicht der Schule von selber, au ihrem Theil alles zu veriaeiden. was
des Leibes Gresundheit, Kraft, Schönheit und Bmuchbarkeit irgend-
wie empfindlich schädigen und somit dieses unentbehrliche Organ eines
vollen menschlichen Schattens, ja dieses das menschliche Glück mit-
bedingende Werkzeug aus einem fordernden zu einem übei'all hemmen-
den stempeln könnte.
Eine ziemlich müßige Frage lilnsichtlieh der Überbfirdimg der
Jugend, die man — wiE man nicht absichtlich sdn Auge den lie-
stehenden übenn&ftigen Ansprüchen an die geistige Bildung der Jngend
verschUeAen, — unmöglich wird leugnen kOnnen, ist die nach dem
eigentüeb schuldigen Tfaeüe bei dieser ÜberbOrdong. Man hat Hans,
Sehlde, Staat und Kirche als die Hauptschuldigen wol mit Becht be>
seichnet; wie viel aber auf das Conto des einen und anderen dieser
Factoren zu setzen sei, darüber wird man einen schwer zu entschei-
denden Streit führen. Man hat n. a. dem Hianse voigeworfien, dass
es durch allerlei Privatunterricht die Arbeitslast der Kinder zu groA
mache, und dem Staate, dass er mit seinen Ezamenansprachen zur
Überbürdung hindränge. Aber wie, wenn nun die Schule wesentliche
Bildungsiacher von sich ausschlösse; — soll und dai-f dann das Haus
nicht ergänzend einspringen, und ist nicht die Schule es dem Hause
schuldig, dass sie ihm eine solche £rgänzang überhaupt möglich mache?
Darf sie alle Zeit und Kraft der Kinder allein in Beschlag nehmen
und dieselben in einer Weise in Anspruch nehmen, dass dem Hause
nur eine kiinnnerliclie Nachlese übrig bleibt? Sollte al)er wirklich
das Hans unvei-nünftig-f Anfordeninpren an die Leist ungslahigkeit des
Kindes stellen, so wäre es Aufgabe der Pädagogen von Fach, auf d^m
AV'ege dei- Presse oder von regelniäijigeu Correspoudenzeu resp. Con-
ferenzen mit den Eltern üirer Kinder, oder von öffentlichen pädago-
gischen \ orlesungen die Laien über die Ciudiualpunkte der Hau>pada-
gogik aufzuklären. Und was die Prüfungsanspi-üche des Staates an-
belangt, so meinen wir denn docli, dass, was in dieser Hiiisiclit vom
grünen Tische aus beliebt wii'd, in letzter Instanz von einlliiSÄreicheii
Schulmännern oder Universitätsprofessoren wenigstens gut geheißen
worden oder aus gewissen ZeitstrGmungen in Betreff der Bildungs-
ausprüche heitHisgewachsen sei Mindestens dfiiften wir wol anneh-
men, dass unTemfinitige Priifungsprogramme schließlich der Macht der
pädagogischen Kritik weichen mftssten. — Auf den in den meisten
üiyiiizeü by GoOgle
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Qiuierer Schulen eingebürgerten kirchlichen Lehrstoff einzugehen,
wwden wir weiter unten Geleg^enheit finden.
Worauf es zuletzt bei der „sogenannten" Überbürdung heraus-
kommt, das ist einmal das zum Thei! nur aus ganz willkürlicher
Zerreißung innerlich zusatFinrii^ehörioer T/ehrstotfe hervorc^eheiide Vieler-
lei gleiclizeitig zu beti'eibender (iegen>tMiiile, sudanu der unglückliche
Wahn, dass' man innerhalb der verscluedenen i'äcUer ein mächtig
großes Gebiet — wie z. B. die ganze Weltgeschichte, die genaue ,
Betrachtung aller Erdtheile — in den Sprachen eine Menge gram-
matischer Regeln und Vocabeln, die weit über den «Schul gebrauch
hinauisliegen — durchlaufen müsse und ja nichts vom eiiiiual beliebten
Programm abstreichen düife. Wer fi-eilich die Schule als die einzige
Bildungsstätte und die Schulzeit als die einzige Lemzeit betrachtet
— wie das trotz der darin liegenden Unvernunft von nieht wenigen
angenommen, m werden achelnt — , der glaobt nim der Schnle eine
Uaflse Stoff zuweisen zn mflssen, ohne zn erwägen, da» das i,Tiel hilft
viel** nirgends schlimmer angebraeht sei, als gerade im Unterrichte.
Wer vom grttnen Tische ans ins Blaue hinein Lehrpensa decretirt,
der kann weder eine Idee haben von den Bedingungen eines erfolg«
reichen Lernens (wozu doch namentlich Heutiges Einttben gehOrt), noch
Ton dem einem Kinde nach diätetischen Regeln Zuzumuthenden,
noch von dem hOchst zweifiBlhaften Werte im Kopfe angehäufter dis-
parat liegender EinzelkenntnisBe, und müssen wir einem solchen jede
pädagogische Urtheilsfähigkeit absprechen» — ^vie freilich nicht min-
der denjenigen Lehrer, der auch gegen noch so wol begründete Einwürfe
gegen gewisse von ihm beliebte Lehrstoffe oder gegen ein zu beachleur
nigtes Tempo seines Untenichts nichts anderes und besseres zu sagen
weiß, als: „ich muss mich ans vorgeschriebene Pensum halten" (wobei
ja noch immer sehr zweifelhaft bleibt, ob er das Lehi*programm mit
genügend freiem Blicke angesehen und es den augenblicklich bestehen-
den Verhältnissen angopasst habel
Doch nirht blos durch maßvolle Lehrpensa soll die S( Imle nach
der hie)- m irage stehenden Seite hin den Ansprüchen des Lebens
genügen, sondern auch durc)! mancherlei die Gesundheit der Schüler
unmittelbar fordernde Einiichiungen ^gesund gelegene, hinsichtlich der
Luit und des Liclites tadellose Räume, Vorhandensein von »Spielplätzen,
Turnhalle, gehörige Pausen, euti»i)rechende Subsellien, — häufigere Ex-
cursiunen, reiche Gelegenheit zu gymnastischen tTl)ungen und i iiru-
spielen. Führung zu Bädern im Interesse der wirklich wolthätigen
Wirkung dereelben etc.). Ob in dei* Sehlde auch noch eine specifische
. kjui^.o l y Google
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Gesundheitslehre — etwa im naturjrf^liiditlichen Unterricht oder,
was ja auch sehr nalie lairc in Vt^rbindung- mit dem Turn- und Gesan^-
uiiterricht (wo ii. a. die Ökonomie dt^s Atlimens in Betracht kommt> —
zu brinjjen sfi, damit auch die Tlir.n in ,las Iliri^r*^ zur alliremHintr-u
Vei'hreitung' hygieinischt^r Bestrt.'bunireii lifitraer. darüber ließe sich
nocli htreitt-n. Daj^egen erklären wir- uns unter allen Umständen da-
fiir, dass daü Kind — , gleichwie es die Äußerunpren des frommen
Sinnes um sich her wahrnehmen nuiss, nm selbst üomm £r«'stinmit zu
werden — so auch eine Reihe diätetisch -hygienischer Vorkelii imgt n
und Einrichtungen in concreter Gestalt vor sich haben müsse, nm
durch sie erstlich selbst gesundheitlich gefördert zu werden, und nun
ans ihnen gewisse hygieinische Einsichten daTonzntragen. Sieht das
Kind, wie man tftgUch nnd ständlich anf sanbere, gut gelflftete Bänrne
oder anf reinliche Kleidnng nnd häufige Reinigung des Kdrpers streng
bedacht ist, so werden ihm dergleichen Dinge znm Bedfiifiiis und zor
andern Gewohnheit werden; schwerlich wird diese anmittelbarste nnd
concreteste Art der Belehmng ihres Zwecks Terfehlen. Natürlich
mflssen auch die SchnlbehCrden dazu die Hand bieten, dass die Ge-
sundheitslehre weniger auf dem Papier, als dnrch die Praxis gepre-
digt nnd verbreitet werde. Sie dfirfen nicht ängstlich markten, wenn
es gilt, den öffentlichen Schulen gehörigen Raum — auch zur frei^
Bewegung des Körpers — zu schaffen; sie miissen die Theorie der
.Jlygieine'* nach Kräften durch die und in der Praxis erhärten, dann
werden sie die Hauptsätze der Gesundheitslehre lauter und nachdrnck*
lieber verkluidigen, als wenn sie einen Gesnndlieitskateclusmus aus-
wendig lernen ließen. „Gnui, Freund ist alle Theorie etc." — heißt
es hier. Und so gewinnen wir fast ungesucht den Übergang zum
anderen Haupttheil unserer Darlegung, dem wir die Antschrift
geben könnten:
„Lehret durch das Leli^Ti'" d. h. durch concrete unmittelbare An-
scliannn*:. die ja nach einem Fundamentalsatze nicht erst motienier
PMda£rngik das A und 0 in allem wii'ksamen Unterrichte ist und blei-
ben wird.
Die Schule liat nicht blos dem Leben, sondei-n auch dieses hat
der Schule zu dienen. Das ergibt sich schon aus der .Aiaciit de-s Bei-
spiels, des Umgangs, aus der unwillkürlich liervorbreclienden Xeigtmg
zur Nachahmung, aber auch ans der gebieterischen Nothwendigkeit,
nach und mit der jjicli das menschliche Leben in bestimmter Weise
und in gewissen Formen, nach unübersteiglichen Gesetzen bewegt und
die also wol oder fibd jeden einzelnen in ihren Zauberkreis hinein'
. kiui^ .-. l y Google
^ 663 —
zieht. Aucli ohne bestinimtis Bewusstsein, erzielien zn woUen oder
zu sollen, zwingen uns die Menschen, auf die wir im Leben angewie-
sen sind, in ihre Art zu denken un^l zu liniulrln hinein, und oft und
unvermerkt, aber stetisr vollzieht sich an uns und wiederum durch
uns eine erzieherische ThätiL'^keit. liesonders aber werden f^s nchen
dt-r Art des Familienlpbens «jewisst^ Äiißernnjren und ( Jttenbarungeu
des ulk'Utliclien Lübens sein, unter deren erzielien'srben resp. verbil-
denden Einflusijj wir i^estellt werden. Wir erinnern nur an das
Theater, wie jede andere Art Miientiiclier V^olLsbelustig-nnf^^en , au
Xatiouali'este, femer an die ge&ellschattiiclien Umgangsformen, au die
Kirche, an die Presse, an die zu Tage tretenden Uifenbaningen vom
Rechts- und Gericlitswesen, iiberhaupt des politischen Lebens, an die
mancherlei dem öffentlichen Gebrauche dienenden Institutiuueu des
Verkehrs, der Kunst, des Gewerbes nnd Handels, der Wissenschaft,
der aUgemeinen Wolfiihrt und Sicherheit und hundert andere Dinge,
von denen sich anch die zn erziehende Jagend täglich umgeben sieht,
nnd anf die sie bloa zn achten hrancht, um irgendiirie von ihnen be-
einflnsst zn werden. Es wSre demnach ein nnr zn bedenklicher Lrr«
thnm, wenn EndehnngBaii^aben nnr der Schule nnd dem Lehrer, höch-
stens noch den Eltem nnd deren nnmittelbaTen SteUvertretem zuge-
wiesen, und wenn lüsserfolge der Erziehung nnr diesen Factoren zur
Last gelegt werden sollten. Und wir Lehrer haben alle Ursache,
diese reiche Theiinng in der Erziehungsarbeit alles Ernstes zn beachten,
sei es nun um uns in unseren Arbeitszielen nnd in der HoflQiung auf
Arbeitserfolge zu bescheiden, sei es um gesunde pädagogische Einsicht
unablässig auch über weitere Kreise zu verbreiten, sei es um gegen
unberechtigte Anklagen wegen vermeintlicher Verschuldung für Miss-
erfolge eine unwiderlegliche Einsprachö erheben zu können.
Nicht blos für das Lel)en und dessen berechtigte Bediiifnisse gilt
es zu ei-ziehen, Fnndern das Leben selbst ist auch wieder ein erzieh-
licher Factor und zwar nach den verscliiedensten Seiten und durch
die mannigfaltigsten Mittel. Darum ist es eben geboten, dass, wenn
die Schule mit Perfol i( wirken soll, sich diese amlerweitifren (-rzieh-
lichen Mächte mit ihr in Einklang setzen. Leun nur bei einer ein-
heitlichen Beeinflussung der Jugend ist auf gute Erziehungseifolgu
zn lechnen. Liese Linlieitlichkeit ist besonders aucii darum unent-
behrlich, weil nach dem Obigen sowol die Ziele des Unterrichts wie
der sittliclien Erziehung eine reiche LT)nng und vielseitige Unter-
stützung zu ihrer Erreichung bedürfen und weil hier das Gleichnis
vom „Unkraut unter dem Weizen" eine nur zu bequeme Anwendung
Piediigoginm. S. Jalnf. Heft XI. . 43
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find«^t. Wii* iii«"2'i'ii noch so tiichtiü in dt-v Schule arbeileu^ noch so
trert'lich im Hause ei/iilitii : e;; weiden unsere hr»chsten vinr[ besten
Erfolge dennoch zukizi wesentlich von (hr anderweitigen Unter-
stützung resp. Ergänzung unserer Bemühungen und Anstrengungen
abhängen. Das lässt sich außerordentlich leicht au einer Keihe von
Beispielen nachweisen.
Es handle sich z. B. um die religiöse Bildung der Jugend- Glau-
ben wir denn wirklich mit unserni Religionsunterricht, sei er noch 8o
stark im Lehi-plan verüeten, trage er eine noch so ernste dogmadsche
BichtoDg an sich, bei der Mehrzahl nnaerer Schttter etwas Beelles
za erreidieii, wenn die religiösen Endehnngsmomente nicht auch vor
der Schalzeit und außerhalb der Schule geboten werden? Wenn das
Kind nur im Beligionsnnterrichte und somit nur auf dem Wege fheo-
retiscfaer Belehnmg mit religiasen Wahrheiten yertrant gemacht, mit
religi^n Gefühlen und Übetzeugongen eifUlt werden soll: dann fehlt
gerade eine Hauptbedingung des Eifolgs» nämlich die concrete An-
schauung des zur Wahrheit gewordenen religiösen Lebens* Findet
TieUdcht gar ehi schreiender Widerspruch statt zwischen unserer
Eeligionslehre und dem Leben der Gebildeten wie des gesammten
Volkes: dann gehört mindestens ein hoher Grad von geistiger Selbst-
ständigkeit und leicher Gemflthsbeanlagung dazu, um trotz des im
Stiche lassenden Lebens von der Lehre nachhaltig ergriffen zu wer-
den. Wir lehren und la,ssen die Gebote des Katechismus sogar auf-
wendig lernen, fügen auch diesem Hauptstücke eine Fülle von Aus-
tulirungen, Erklärungen hinzu und meinen damit die Kinder reichlich
gegen die Übertretung dieser Gebote j^ewappnet. kurz unsere Pflicht
nach dieser „ethi^clien" Seite gethan zu luiben. Abei- da sieht da^
Kind im Leben, man Zunächst schon das erste Gebot sowol
iliin r'iisch als praktisrli lifiTulertfach übertritt. Da stößt das reifere
Kmd sciiar bei L'^auzen groiien Parteien auf principiell ausgespi-« »ebe-
nen Atheismus, ja soL-'ar aul" sciiamlose Gotteslästerunsr, wie sie in >«»
manchen modernen iiiran(lre<len sich in frivoler Weise bi^ii niarliT.
Und wie zaldi'eich sind doch die Altäre, die neben dem de» Einen
wählen Gottes allerlei Götzen errichtet sind: besonders dem Götzen
der Gewinn-, Genuss-, Ehr-, I^aiteisucht u. s. w. ^\'ie viel liäutiger
sieht das Kind um die Gunst der Menschen buhlen und vor Menschen
sich beugen, als Gott die Ehre geben! Alle die Leidenschaften und
Bestrebungen eines vollendeten Weltmannesr aUe die Thorheiten der
Weltdamen sind ebensoviele Eingriffe in die Bechte des höchsten
Gottes aller Welten. Wie massenhaft findet das Kind den Feiertag
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zum Werk- uder Genuss- und Siiiidentag umgewandelt und lierab-
gewilrdigt. Wie klein mag wol die Zahl der Eltern stdu, die eine
Heiligung des Sonntags auch nur in der dürftigsten Vorm sich an-
gelegen sein lusseu. Also elendes ^^'ortgeklingel schöne Phrasen und
Oefuhlsschwelgerei, indem man das dritte Gebot zwar regelrecht durch-
katechisirt, aber seiner tieferen £mprägung und lebendigen Auliuüinie
jede reale Basis Tor^fhSIt Und wenn -wir mit Engelzungen redeten
und 1}ekrätti^4en unsere Worte nicht durch Thaten, durch nnser Le-
ben, so vftren vir elende Ztingendrescher mid Heuchler.
Gegen das sechste Gebot bäumt sich das Leben mit ganz be*
sonderer Gewalt; ihm schlägt es ganz besonders gern ins Gesicht.
Daför zeugt die gestattete gewerblidie Unzucht oder doch die cjnische
Ausgekssenhett, mit der sie sich breit und yemehmbar machen darf;
dafür die Unmasse zweideutiger Annoncen selbst hi angesehenen
FamiHenbUtteni, daftlr die Öffentliche Anpreisung von Fabrikaten,
die auf Ei regung oder bequeme Befriedigung viehischer Lust berech-
net sind; dafttr das Qew&brenlassen von großartigen (!) öffentlichen
Schaustellung^'Ti, liei denen es wiederum an keinen noch so raffinirten
und obscönen Mitteln fehlt, um die Sinne berauschende Effecte her-
vorzubringen (vrli* erinnern an die jetzt allgemein üblich gewordenen
Pantomimen des Circns und der Vorstadttheater, bei denen massen-
hafte, fast der letzten Hülle entkleidete Tänzerinnen den Hauptmagnet
bilden und zu deren Ausfuhrunfr namentlich aucli zahlreiche Schul-
kinder (!) Wochen- und monatelang herangezogen werden dürfen!!
Dafür sogar die hohe Mn^;e des Dramas, die sich nur zu häuhg zu
dem niedern Dienst emes verdorbenen Geschmackeä herabwürdigt;
dafür die Winkelliteratnr mit ihi'em Stlinnd an Novellen und Roma-
neu — und lippigen Illustrationen: dafür so maüche herausfordernde
Unverschämtheit der Mode; dafür auch selbst vielfache Krzeuguibf^e
der bildenden Künste, die offenbar den höchsten Zweck der Erregung
ästhetischen Wolgefallems gegen den anderen des sinnlichen Effects
vertauschen. Aber auch nui- für Kinder sind Gottes Gebote er-
lassen (?); die Mündigen dürfen sich starkgeistig darüber erheben.
Wie weit wir mit den Geboten des Dekalogs im Leben ge-
diehen sind, davon zeugt die Verbrech er Statistik unserer Tage.
Wol möchten wir fragen, ob es bei ^sogenannten" civilisirten Na*
tionen und in Culturstaaten Zeiten gegeben, in denen namentUch der
aus social-poUtischer Leidenschaftlichkeit begangene Kassenmord (wir
erinnern an die Dynamitverschwömngen in europäischen GroBstftdten!)
die Hohe von heute erreicht habe. Freilich wurden bei BOmem und
43*
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Griechen au« h luichtbare Mt-nsi*li(.'U:>chlächteieien verübt, wenn es
ffalt, die eigenen persönlichi n oder die Parteiintei*esseii bis aufs
iinnerste zu vertheidigeu und zum Siege zu lühreii. Aber bilden wir
uii> uicht ein, auf der Höhe der Cultur zu stehen, und reden wir nicht
gern von den Segnungen der diristlichen Kirche? Freilich ist iL
die Geschichte der meisten BevolitioiieiD des ausgehenden 18. und des
19. Jahrhnndorts mit massenhaften blutigen Scenen erftUlt: aber imr
niesen es in der Gegenwart erleben,. dass dem Holoch: sei es des
Parteifanatisinas, sei es einer vahrfaaft teuflischen Habgier in aus-
gedehntestem Maße nnd in rafflnirtester Weise (mit hOchst bedanems'
wertem Hissbraach namentlich natorwissenschaftlicher Kenntnisse) auf
das gransamste geopfert wird. ^ Qanze Stadttheile und mit ihnen
Hunderte, ja Tausende von Menschenleben gibt man kaltblütig daran,
nm am Gegner Bache m nehmen, um ihn völlig zu vernichten. Schon
mussten wir es erleben, dass Bichter kaum gewagt haben, der Ge-
rechtigkeit und dem Gesetze gegen notorisclie Verbrecher freien Lauf
zu lassen, weil sie vor den Dolchen oder der Mordbrennerei der Ter-
brechergenossen gewarnt worden waren und zitterten.
Und wollten wir die Diagnose ftir diese erschreckenden socialen
Verhältnisse suchen, so brauchten wir nicht allzulange zu suchen. Wo
viel und gi-oßes sittliches Elend vorhanden ist, da muss auch viel ver-
schuldet worden sein. Solche Vei-schuldung kann in der Stumpflieit
und Untüchtiirkf it dt-r zur Führung des Volkes Berufenen ..wenn
das Salz dnmin wir<l. M'iiuit soll mau salzen?**), oder in der unzweck-
maLtjfren Einrichtung der ]>ildnntrsanstalten, oder in dem in-tziL^eD
H'irliniutli dur privilecirten Stande, oder iu dt-r Völlerei und <leri>
übertriebt'Ut'U r*'iien Luxus auf der einen, in dein Pauperismus mit
seinen sehlimmt n P.ei^lritt-rn auf der andern Seite, oder in der \ö\Vl-
gen \'i'rnarhlas>aijLruiig dt^r idealeren LebensautVabfii a. s. w. iki-en
Grund haben. Und wo es irilt. das Leben wieder einmal emstlich in
Einklang mit den Aufeal)en der Schule zn bringen, da muss» jeder aa
seinem Theile sich darauf besinnen, ob er etwa die auch ihm ge-
steckten Erziehungsziele vernachlässige. Ehrliche Geistliche haben e»
gern bekanmt» dass u. a. der Verfall kirchlichen Sinnes keineswegs
den Laien allein, sondern wesentlich auch ihnen selbst zur Last ge-
legt weiMien mfisse.
Aber wir müssen noch weitere Beweise führ die Kluft zwischen
Schule und Leben, d. h. zwischen den erziehlichen Bestrebungen jener
und der Physiognomie dieses liefern, nm die dringliche Nothwendigkeit
eines besseren Einklangs zwischen beiden klar zn legen. Wir glau-
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9
— 667 —
hen besonders darin eiu außerurdeutliches Hemmnis der sittlichen Er-
siehung in der und durch die Schule erblicken zu müssen, dass sich
eine gewisse Laxheit in der Beortheiluug von allerlei sittlichen Aus-
schreitungen in allen Schichten der BevOlkenmg breit machen darf.
Zwar werden gewaltsame Angriffe anf Eigentum und Leben des N&ch-
sten nach wie . vor auch gerichtlich abgenrtheilt, ^ aber schon die
Sünde der Ehrabschneiderei sowie alle ans Neid, Missgunst und bos-
hafter Schadenfrende erwachsenden Vergebungen und Znngensfinden
werden viel zu milde behandelt oder sind sogar Gegenstand des Bei-
&Ufl und der Bewimdemng. Was sich manche Pressorgane in bos-
haften Ausftllen wider „unliebsame" Persönlichkeiten erlauben dürfen,
was da ans dem Versteck heraos Ton gemeinen Gegnern sehr ehren-
werter Personen In die Öffentlichkeit hinaus verleumdet, herabgezogen
nnd geradezu geschändet werden kann, ist einei-seits ein betrübender .
Beweis für die allgemein erkaltete Liebe und bietet anderei-seits die
bedenklichsten Antriebe zur Nachahmung von Seiten der Jugend.
Dahin gehört auch die rücksichtslose und oft geradezu ungeschlachte
Art, mit der man sich in parlamentarischen Verhandlungen gegen-
seitig bekämpft, dahin der frivole Ton, in dem man allerlei Persönlich-
keits :\n den Pranger stellt, wenn es gilt, den eigenen Standpunkt
2U verherrlichen.
Wäre man sich des heidnischen Ausspruchs: maxima del)etiir pueris
reveifutia bewusst^ so würde man. wie im geselligen Kreise etwa bei
f est Ii« liein Mahle, auch in der i'resse und im Parlament sich der
besonnenen Mäßigung und würdigen Haltung befleißigen — , man
würde bemüht sein, der Jugend keinerlei Ärgernis zu geben.
Diiss (hih; Herz eines Kindes leicht befleckt werden kann dureh
die Kindrücke, die es eniptJiugt, und dass es oft für imm«" dureli üble
KinÜüsöe verdorben winl ist sogar im Sprichwort zum Aiissdruck ge-
bracht. Wie wenig wir dies im allgemeinen zu beachten scheinen,
-ergibt sich aus der anfßülig weit verbreiteten Gewohnheit, dass wir
unsere Ehider zu gutem Theile Personen zur AuMcht und Ftthmng
«nvertrauen, die wir gesellsdiaftlich ungemein niedrig taziren, und
■deren Bildung in nnsem Augen eine Töllig untergeordnete ist Wäh-
rend wir aus der Geschichte der P&dagogik erfahren, dass Griechen
ond Römer Knaben und Jünglinge an ihren geselligen Freuden, etwa
•an ihren Mahlen theilnehmen liefien, und zwar dies ausdrücklich aus
pidagogischen Motiven, £at sidi bei uns die Sitte oder Unsitte ein-
geSährt, dass wir vielfach ohne unsere Kinder der Geselligkeit nach-
ten — und falls wir ein sehr reges geselliges Leben führen, eben
üiyiiizeü by GoOgle
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flehr liänlig unsere Kinder ihrem Schicksal resp. den Dienstboten Qber-
Ussen, während wir halbe nnd ganze Tage anSer dem Hanse unseren
Vergnügungen nachgehen. Es konnte nicht schwer fallen, gerade diese
so weit verbreitete und eingewurzelte Unsitte, die den viel gepriese-
nen S^en der Familienerziehung olfenbar vöÜig in Frage stellt, als
einen der gröbsten Mfingel der Endehnng im Leben an B erhalb der
Schule and als ein schweres Unrecht gegenftber den gerechtesten
Ansprüchen dieser letzteren zu kennzeichnen nnd nachzuweisen. Ist
es doch eine fast allerwfiits wahrgenommene Thatsache^ dass die Schule
in seltenen Fällen mit den Kindern sehr vergnügungssüchtiger und
viel anfier dem Hanse weileiidei Eltern, also mit den halb verwahr-
losten und veinachlässigten Kindern zu erfreulichen Resultaten ge-
langt Da zeig^t sich uns also ein sehi* M e>^<'ntlicher Punkt, in wd-
« chem die Schule ans Leben, d. h. hier an das Familienleben nnd die
Familienerziehung, bestimmte — und leider noch vielfach unerfüllte
Forderungen stellt imd stellen muss. Nach dieser selben Richtniig
müsste die Schule aiier überhaupt ein sehr ernstes Wort mit dem Hause
reden und dasselbe auf seine unerlässlicheu erziehlirhen Ptliohteii wie
andererseits auf die von ihm oft ausgelienden tcrübliokcn Sehiidii:un<reii
ihrer eigenen Bestrebungen aufmerksam maelien. So oft und eindrinir-
lieh auch auf das notliwendiire Haiid-in-Haml-Gehen von Schule uii<l
Haus hinge T^iesen worden sein mag (dies Zusammengehen nmss
sich nach unseren früheren Auseinandersetzungen auch auf alle ande-
ren Erziehungsmächle des Lebens, wie Staat, Kiiche, Presse, gesauimtes
üöentliches Leben etc. erstrecken), so siinlde sehen wir nach wie vor
selbst diese beiden Erziehungsmächte nebeneinander hergehen. Und
zwar tragen beide Theile die Schuld an einer solchen gegenseitigen
Gleichgiltigkeit; aber freilich möchten wir von der Schule die Haupt-
initiative hier ergriffen sehen und sie ftr das Zustandekommen eines
lebhaften Wechselverkehrs nnd haimonischen Znsammenwirkens mit
dem Hanse besonders verantwortlich machen. Einzelne hervorragende
Schttlmftnner haben sich das angelegen sein lassen und haben es za
erreichen gesucht, u. a. durch periodische an das Elternhaus gerich-
tete Correspondenzen oder durch Eltem-Conferenzen, durch hftuige
Heranziehung der Eltemg«ndnde zu Schulfeierlichkeiten n. s. w. Es
gilt ja auf diesem Wege besonders auch pädagogische Einsichten in
dem Eltern- und Laienpublicum zu verbreiten, pftdagogiBche IrrthQmer
zu zerstören nnd ein lebhaftes Interesse für pädagogische Diseossionen
zn ei'wecken.
Wir glauben alle Ursache zn haben, eine solche Einheitlichkeit
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des pädagogischen Wükens im Interesse gesicherter ei'zieheriscber
Erfolge za betonen. Und eben darnm mnss die Schule durch alle
neben, vor und nacli ihr wirksamen erziehlichen Mächte in ihrer Thätig-
keit unterstützt werden.
Die Anforderungen der Schule an das Leben müssten besonders
anch darauf gerichtet sein, dass nicht blos im Gebiete m n-ili^cher
Grundsätze, .sondern auch religiös dogmatischer Lehren beide mitein-
ander Hand in Hand gehen. Es muss als tliTo-irlit und vöUijr un-
pädagofiisch bezpi(dinet werden, wenn wir an die iviudlieit und Juj^end
mit Glaube 11 sleiiren herautreteu, von deueu nur eiu verliälinismäßig
kleiner Bruch theil der Mündigen Notiz nimmt, die also im groüen
Ganzen als ein überwundener Standpunkt des moderneu Zeitbewusst-
seins und speciell der modernen Wissenschaft gelten. Ist überhaupt
der confessionelle Staud|)iuikt an sich weit mehr eine Sache der Mün-
digen, als der Kinder, wie viel unbegreiflich(;r erscheint es da, z. B.
GlaubenjHiriikel mit deren Erklärungen und andere religiöse Lehr-
stücke dem Gedächtnis einprägen zu lassen, obgleich dieselben Ton
einem verschwindend kleinen Bnichtheil der zeitgenössischen Gebildeten
gläubig angenommen werden! Man könnte doeh nnr Ehies anstreben,
die kindlichen Herzen in die Überzeugungen und die Bekenntnisse der
Mflndigen allmählich hineinwa^shaen zn lassisn, nm so eine Brilcke zwi-
schen dem jongen Geschlechte nnd der Welt der Erwachsenen herzn-
stellen. YOlUg sinnlos aber ist das Unternehmen, Kinder nnd jnnge
Lente mit Stoffen m behelligen, die dem allgemeinen Zeitbewosstsein
widersprechen nnd demnach in den seltensten Fällen irgend welchen
reellen Erfolg fär die religiöse Überzengnng darbieten.
Und auch das kann nnd mnss die Schule von dem Leben for-
dern, dass moralische Gebote, wie Übei-^enfrungstreue, Liebe zur Wahr-
heit und Freiheit, Begeisterung für alles >l(i]ie und Ideelle eben niclit
blos im Schnlnnterricht verkündigt, sondern anch in der Wirklichkeit
des Lebens gewürdigt und anerkannt werden. Wenn ^länner, die
ihre innerste und beste Überaeugung laut und offen verkündigen, als
eitle Schwärmer und Idealisten geschmäht und nelleicht selbst ver-
folgt werden, wenn sie im Dienste der Wahrheit g-emaLirejrelt, vielleicht
ilirer Amter beraubt werden — ; wenn man reformatorische Geister
als nnbrauchbare Streber eharakterisii i und von wichtigeren Ämtern
im Staate uiog-liclist fern hält, weun man mit ^ OrHebe nur solche mit
eiuflussreichen Äiiiiein nnd Würden betraut, die im altgewohnten Ge-
leise des Berufs eiuhergehen und nur darum alles beim Alten lassen,
weil es eben alt ist, die niemals aus träger Huhe heraustreten, weil
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sie dabei für ihre persönlirhon liiieivs.v» n lürchten zu müssen meinen:
— dann stellt sich das Leben tiii- die heran warli sende Jugend in einero
Lichte dar, das nichts mehr mit dt-u t^ittli* h< n Anfsraben weder de?
Reli^ions- noch des Gc-^cliichts- noch des LiteratuiiuiTt.'rrichts — 'wir
erinnern n. n. an Sciiiilerjsche Ideen!; zu schaffen hat. Wir werilrn
nicht müde, von der Nothwendigkeit der HeranbiliUmg UklitiLit-r Cha-
raktere, patriotisch gesinnter Büi'ger, für all»^s Hohe und Edle begei-
sterter Männer namentlich auch an der Hand des Geschichtsuntemchts
und der Leetüre unserer besten Dichter zu reden und dahin gehende
Fordemngen zu stellen, wir schwärmen uriu von dem ^gesinnungbil-
denden" Unterricht; wenn aber dergleichen keine bloße leere Schön-
thnerei bleiben, wean es der Jugend in Fleisch und Blnt, ins innerste
Gemiitfasleben eindringen soll, dann rnoss sie anch im wirkUchen Leihen
sich davon ftberzengen kernen, dass man wahrhaft unbefangen den-
kende, selbstst&ndig und frei ortheilende und anf das Gemeinwol ohne
jedes Sondeigelflste und Privatinteresse hinstrebende Uftnner wenn
auch nur zn ertragen, zn hSren und zu beachten geneigt sei Ge-
wöhnen wir dagegen nns^ Jugend an ein leichtfertiges Spiel mit
schönen Idealen, GefQhlen und edlen Gesinnungen, an ein bloßes sich
ErwUrmen an Empfindungen, denen keine reale That entsprechen
darf (!), dann mnss unsere gesammte sittliche Bildung als eitle Wind-
beutelei gebrandmarkt werden. Das so völlig Überzeugende Wort vom
„Lehren durchs Leben scheint aber eben inuner nodi mit Vorliebe
gegen das „Leinen durch bloße Worte" vertauscht zu werden. Selbst
die gern mit den- beliebten Schlagwörtern von Freiheit nn l «Gleichheit
umgehenden sogenannten Liberalen lassen sich nicht selten in den
Bahnen reiner Interessenpolitik betreffen nnd umchen sich gar häufi?
dergleichen rücksichtsloser Verleugnung ihrer innei*sten besseren Über-
zeugungen scholdig, wie die von ilmen auf das heftigste bekämpften
Gegner-
Aber auch das ist eine geieclile Forderung der Schule an das
Leben, das* sie und ihre Vertreter, die Lehrer, eut.siireclienil gvuiir-
digt und geachtet werden. Wii* haben bereits an anderer Stelle in
einem Aufsatze über die Fortbildung des Lehrei-s auf den wahrnehm-
baren Widerspruch zwischen den Anibrdcrungen an die Schule und
der durchschnittlichen gesellschaftlichen Stellung de.s Lelu-ers hinge-
wiesen; aber wir nüLssen es hier alles Enistes wiederholen, dass der
Schule so lange und überall da ein gut Teil ihres Erfolges in Frage
gestellt sein werde, als und wo der Beruf und Stand wenigstens
des Yolksschullelum ein mehr oder weniger gering geschützter bleibe.
üiyiiizeü by GoOgle
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Wie die Eltein und überhaupt die Gresammtheit der sogenaunten höher
gebildeten Stände über den Lehrei-stand denken und urtheilen, sich za
ihm verlialten, wie man seine Aofgabe und Leistung taxirt, ^\ie man ihn
materiell stellt: dav^on wird und muss auch der Respeet der Jugend vor
Schule und Lehrei* wesentlich abhängen, danach wird sich demgemäß auch
namentlich die Fühi-ung der Schuldisciplin sowie der Erfolg des Unter-
richts richten und gestalten. Je mehr die Wissensansprüche an den Volks-
schullehrer sich steif>-era, je schwieriger die ihm zugemuthete Aufgabe
zu lösen \<t. je eintlussreicher seine Berufsthätigkeit für flas (-Jcdeilien
eines Siaaies und Volkes jedem unbefangen Urtheilenden erschtinen
wild, mii desto mehr "Recht darf dit.^ t'ordenmg erlujben werden, dass
die iiuUerielle wie g"esellschaft]i('h-&uciale Stellung eine entspreclieud
würdige sei. Die l)loL)e Vertrri^^tung des Lehrers auf da^ für inanclier-
lei Entbehrungen im Leben entschädigende und erhebende Bewusstsein,
einer großen Sache, „der Volksbildung, ' zu dienen, können wir duck uui-
als eine fast Myole Abschlagszahlung namentlich denjenigen gegenüber
anffiueeD, die für sich selber ein mdglicbst gesättigtes Dasein begebien
nnd ihrerseits auf vorwiegend ideelle G&ter venig oder kein Gewicht
legen. Je späHicher wir den Lehrer fßr seine Leistung ablobnen,
desto sicherer drängen wir ihn in lohndienerische Vidgeschfiftigkeit
hinein, desto mehr bringen wir seine nnterrichtlich-eRiehliclie Thätig-
keit wie seine so nöfhige Fortbildung in Gefahr, desto mehr schädi-
gen wir seine gesellsehaftiliche Stellnng und betragen damit schließlich
die Schule nnd unsere Kinder um Frttchte, die wir doch im Grunde
unseres Herzens so sehnlieh herbeiwünschen.
Wie wir nun aber im Interesse der Einheitlichkeit und somit
der Wirksamkeit der Erziehung ein Zusammenwirken von Schule und
Haus als eine wesentliche Seite der Anforderungen der Schule an das
Leben herbeiwünschen mfissen, so nicht minder das Ineinandergreifen
der Bestiebungen nnd Ziele der Schulerziehuug und der sonstigen
Einflüsse, die sich im Leben in Betreff der Jugendbildung geltend
machen. Es haben sich also, streng genommen, alle Mündigen, es
hat sich der Staat, die Kirch«', ^oAne jede den ötfentlichen Geist eines
Volkes und Staates mitbestimmende Institution ihres wenigsten?; in-
directen jWidagügischen Einflusses bewiisst -/u zeigen, damit eben nicht
eine jähe Kluft zwischen Schule nnd Leben weder vnn jener nocli von
diesem verschuldet werde. Denn so wie einerseits die Schule die tief-
sten, wahrsten und höchsten Bedürfnisse des Tieltens — als eines
nicht stagnireuden und sich ewig in gleichem Kreise bewegenden,
sondern fortschreiteudeu uud sich unablässig vervollkommnenden —
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80 viel an ihr ist — befriedigen helfen soll, so bedarf auch die Schule
der allseitigen Ergänzung ihrer erzieherischen Arbeit von Seiten der
Lebensniächte, wenn sie nicht vor eine unmöglich zu lösende Aiif;,'abp
gestellt sein soll. Gilt e?< doch uicht blos zn «säen und zu püanze-n.
sondern auch zu beirieiJen und in > il^r Wi ise zu pttegen, wenn ein
gedeihliches Wachsthum zu erwaiieu stehen soli
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Frauenbilder ans Pestalocilg Lebeiskreis.
Vm H. :ilot'f-Winterthur.
(Schluss.)
IV.
Rosette Niederer, geb. Kasthofer*).
1779—1857.
nter den Persönlichkeiten, die, durch Pestalezsi fttr die Sache der Er-
ziehung gewoTHif-)! nnrl begeistert, einen en<!:pren Kreis um ihn bildeten, nimmt
Rosette Xiech r * tre]>. K ast lioffsr, durch Cieist, (ieraüth und reine, selbst-
lose Hingebung au die hulien Zwecke des Meistei-s eine hervon-agende Stelle
elo. SdiickMl, Begabung und inneres Bedfirfitis lieEen sie von früh an die
edleren Gfiter des liObens schätzen und als das allein würdige Ziel alles mensch-
lichen Eingens erkennen. Die Keime des Wahren, Guten und Scliönen. \v( lclie
Pestalozzi und dessen Gehilfen Muralt und Niederer in die nach einer edelu
Lebensaufgabe suchende Seele der Jiuigfrau legten, gingen iu einem reichen,
langen Leben in 8ch9n8ter Fülle auf und spendeten Labsal, Trost und Er-
quickung den vielen Hunderten, die sieh ihn i Führung anvertrauten. Nach
irdischen Gütern Iiat sie nie gestrebt: ilir Reich war nicht von dieser Welt;
ihr Thun war ihr Zweck, nicht Mittel. Mühsal. Arbeit, Sorge, auch oft Miss-
kennung war ihr ilußeres Los. Aber bei all dem Schweren, welclies das Le-
ben ihr bot» verlor sie nie den frohen Hnth nnd die tapfere Freudigkeit, weldie
das Bewnsrtadn Terleiht, für die höheren Zwecke der Menschheit zu wirken,
nni Ewiores. Fn vergängliches zu scliaffen. Die Wurfe, die sie auf ihren 67.
(Tt burt8tag, drei Jahre, nachdem sie ihren Gatten ins (irab tr«'l<*gt, gegen das
Ende ihrer segensreichen erziel ierischeu Thätigkeit iu ihr Tagbuch schrieb,
sengen von dem hohen Geistesgang der edlen Fran und von dem nngeheugten
Hnth und '1er Frische, die sie dnrdb alle Lebenistttmie hindnreh für ihre Auf-
gabe sich bewahrt hatte.
Tm Hinblick auf ihre praktische wie sciirifti>t»'llerisfhe Wirk??amkeit als
Ensieheriu äußert sie sich an besagter Stelle unterm 1. November 1840 also:
„Bald, Qbennorgen, wird mein 67. Gebartstag sein, nnd mit Gefühlen des
Dankes und der inneren Erhebung blicke ich auf meine Geirenwart. Vergangen-
heit und Zukunft. Mein neu begründetes Haus besteht mit Einen. Gottes
Hilfe war mir nalif. Ein 8chöne>r Gf^iat itelebt da?? Ganze, mir ist wieder wol
unter meinen Kindern. Sie hangen mir an mit Dank, Liebe und YertraueiL
*) Verul. üie Lebens.^kizze Rosette Niederere von H. M<'rf in HttnsOters Ge»
schichte Schweizerischen Volksschule. Zürich, Schultheis, 1882.
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— 674 —
Meine Gfsiiiullit it und Kraft sind so fest, mein Mutli nii.l nipin T'ertrauen in
den Beistand Uotte- if^t so erroß, dass alles Drückende ujeiuer Tage da-
durch erleichtert wird, lu meiner Vergangenheit erblicke ich Schwächen und
Irrtbiim«r, doch nie radite ich eii^ennfttzig mich selber in meinem Thon;
ich lebte mit meinem theiuen Verewigten treu meiner Aufgabe. Ich wollte
und «nrhte das Gute; die Wahrheit war mir liciliL'-: in ••in Strehlen war
uniri tln ilt meiner Aufgabe als Erzieherin zugewendet; irh tnlilre
mich ein \Verk2eug in der Hand Gottes, aufbewahrt zu höhei^n Zwecken.
Darnm beugte mieh Iceine PrUfung. und jedes Leiden erschien mir
als Schale der Prüfnng. Es kommt nun die Zeit der Erfttllnng dessen,
was in meiner Stele h ht und um dessenwillen ich geläntert wer'len sollte. 0
Gott, mein Gott, iass mich wtirdi? sein, in deinem Dienst zu wirken
und nach deinem Willen zu vollenden.'*
Wol mag der Leser ans diesen Vorbemerkungen die Überseagung ge-
schöpft ha1)en, Rosette Niederer, geb. Kast hofer verdiene es. dass ihr
Gedächtnis bei der Nachwelt wieb r aufir>>fii%ht nnd ihr ein EIirenplftUEeiiea
in der Geschichte Pestalozzis « inirci äiiint werde.
Der Stammvat«!" des schweizerischen Geschlechtes Kasthofer oder Gasten«
hofer, Leonhard, veriieß im 16. Jahrfanndert, den Verfolgungen om seines
Olanbens willen zu entgdien, seine Heimat Baiern nnd ließ sich in Aaran
nieder. Sein F.nkel, Johann Friedrich, siedelte im Jahre 1631 nach Bern
über und erwarb sicli da«<'lbst das Riirjrt it* cht der Stadt: dessen Enkel Gott-
lieb, geb. 1725, gest. ibUü, hatte die Hechte studirt, um als Fürsprech sei-
nen Mitmenschen nützlich sein n kennen. Er verehelichte sich im Jahre 1766,
also im 41. Lebensjahre mit Bosin» Susann a Chaillet von Hnrten nnd
Neuenburg. Die Ehe war mit acht Kindern gesegnet. Eines derselben
ptnrb in frühester Jugend; die übrieen vipr Söhne und drei T"»<'hter erreichten
alle ein höheres Altei". Das jUugsie dieser Geschwister ist unsere Marie Ku-
sette, gebweo dm 3. November 1779.
Bosette stammte ans ehier mit hohen Oebtesgaben nnsgestatteten Fa>
müie; auch ihr war ein reiches Maß davon zu Theil geworden. Sie stand in
dieser Hinsicht wol ilirrm jünprstt n. am /.wol Jahrr Sltcrrn Bruder, drin .«i ;!*^-
ren Forstmeister, am nächsten, mit dem sie auch stets in innigstem ^'erkehr
blieb. Nicht minder intim war ihr VeihUtnis m dem Blteatoi Bmder Bndoll
Bosette war nach ihrem eigenen Zeagnis als Kind Soßeist schwftchlich,
blass und hager. „Bald war ich ungemein fröhlich, wieder angemein tranrig und
in Thränen ausbrechend, ohne das«; ich mir bestimmte Rechenschaft geben knnntp.
warum. \'om 14. bis 16. Jahre, da meine körpei liche Entwickelung sich rascl» tor-
derte» litt ich nnendlieli viel; oft war ich der Ohnmacht nahe. Sprachlos, bewe-
gnngsloslag ich oft anf demBoden, von nnnennbarenLeiden ttberwültigt. DiegrSBte
Wolthat war es dann für mich, wenn man mich ruhig ließ, die filrcliterlichste Qnal,
wenn man mich berührte oder aufhebt n wollte.'' Ab. r \ mi da an b- tVstiirtf sich ihre
Gesundheit in dem Grade, dass alle Mühen, Sorgen und Anstrengungen eines langen
thätigen Lebens dieselbe nicht emstlich zu erschüttern vermochten.
Das Leben in der Familie Kasthofer bot, da die Eltern aiefa nicht ver^
standen, manche Schattenseiten. Von einer absichtlichen, conseqnenten Er«
zichnnirwar iiirht die Rede. Die unbpabsichtigten, gewöhnlich entsc!ii idt nib>!vn
Kiuv^irkuugeu waren dui-cU die X'erhältnisse gegeben. Man ließ die Kinder im
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— 675 —
Hanse demlicb fiwi; sfe konnten than und lawen, was de mocliten. Aber
waren belastet mit den Anforderungen und dem Missbehageu, welche das Un-
jceordnete eines Hansps nnd das willkürlicho nnd tniptctp Thnn mit sich ftihren.
Sie liebten und verehrten die Eltern, namentlich den Vater, waren nber oft
Zeugen dea Zwietpaltea awfedieii Vater und Ifnttorv nnd ?eii den heftigen Auf-
tritten zwiedien densellieii manchmal tief enchnttert — „Udn Vater*', be-
richtet Rosette, „war einer der besten, krttftigsten Menschen, voll der herr-
lichsten Aiilatron. die unter günstigen Umstunden zu seinem und der Seinen
Lebensglück herangereift wären. Als einziger Sohn im Wolstande erzogen,
kennte er beetimmten Widerspruch nicht ertragen. Voll Fener und Lebens-
kraft, war tt ftirehtbar in den AofwaUongen sefaiee so leicht gereizten Ge>
müthes; dabtn .ila r i rfiillt von hoher Engelsgäte, för Liebe so rein empfäng-
lich und so lenksam durch ihre Worte; aboi- diese waren ihra so karg- znv:^-
tbeilt. Es fehlte die Hand der Lielie. ilic alles aus ihm hätte bilden können,
was nur die Liebe zu bilden vermag. Der Mutter fehlte jeder vernünftige
Begriff einer richtigen Haushaltungsftthrung. Fflr* sich lebte sie einfiuih nnd
eingexogoi, wachte treu über die physische Erziehung der Kinder; am Willen,
mehr zTi rlmn. fohlte es nicht, aber am Verständnis. Sie hatt»; schöne Anlagen:
trfrtliultu Alutterwitz, Kraft, Thätigkeit, aber sie blieben nnausgebildet, miss«
leitet, verkrüppelt, Ihre Führer handelten nach dem Gi-imdsatze: Mädchen
mHssen anBer Spbnen und Kochen nichts, gar nichts wissen. So war sie im
Streit und Widerspruch groß geworden mit aller Leidensciiaftllchkeit einer
kraftvollen Natiu'. erfüllt mit Bittcrk- it pejren ihre Umgebung, ohne Erkennt-
nis, entbioiit von iimeren Hiitsiiuellen, ohne Ergebung in ihr Schicksal, ewig
onzufriedcn, voll Vorwürfe fiir ilue Umgebung, die sie nur als Quäler und als
Urheher ihrer Sorgen und Beschwerden ansaii."
Die Geschwister standen im besten Verhältnis untereinander. Die Ute-
ren erwiesen «ich voll anfopfernder TJebc gegen die jiiiisreren; und ans der
That.«at:he, dass aus jedem d» r si. ben Kinder etwas Rechtes geworden, jedes
seine Lebensaufgabe ehrenhaft erfüllt hat, folgt der unabweisbai'e Rückscliluss,
dass das innerste Wesen der Eltern tttchtig, echt und gut war.
Rosette war nahem zehn Jahre alt, als der Vater zum Spitalverwalter
ernannt wurde. „Wir bezogen", erzählt sie, eine der seliHnsten Wohnungen.
T'ie lierrliche Aussieht, für deren Schönheit i( Ii schon erapfiinglich war, ge-
dehnte IVrrassen und UUrten — und muntere Crespieliunen waren nun meines
Lebens Freode. Zwar wich das Drückende im häuslichen Kreise nicht, aber
der Erfolg von anfien war groß nnd das Gleichgewicht zwischen Schmerz und
Gennss hergestellt. Der Wirkimgskreis, d« r meim rn Au(^e sicli aufschloss,
war groß: Stebenzig- Kranke, nnd die Waehsaiiikrit und Sr.rß-falt so vieler
Menschen um ihr Woi, ihre Nahrung und Pflege, dieser grobe Schauplatz
menschlichen Elends und lielliger Verpflichtung zur Milderung desselben. Hei-
ner Mutter rastlose, wenn schon nicht zweckmäßige Thätigkeit, die menschen-
freundliche Sorgfalt und überall weise und kraftvnll < iir-reif. iide Tliiitigkeit
meiner älteren Schwester, welche die eigentliche Verwaltung der Ökonomie tTihrte
und ihrer großen Aufgabe ganz gewachsen war*), und meines Vaters über
*) Katharina Margaritha Susanna, geh. 1769. SSe heinthete qpAter
FAuncr Daniel Hunsiker in Kifdidozf, Kant. Bern, und starb hoehbetagt 1853.
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allmi Begriff gewissenhafte Verwaltung seines Amtes, der Verkehr init Mea-
sehen am allen St.lndpn. die gTf*^''<'^n Erf.ilirnn^en. tlie «ich fast t;l^Hch v^r
jueineu Augen entwickelten, turderten ungemein imd enveiierten den geistigen
Horizont*'
„Bald, sehr bald, flnges fBr mich die Schidqnalen ao. Ton den hftallgea
Schreckensscenen im Hause ward ich nun für sieben Stunden des Tages ent^
fernt und in ein enges Schulzimmer mit etwa 80 Kind*»m cre^perrt. nnd zwar,
um nnch oniixirt'ndpren Scenen beizuwohnen. Zwei Fiuieu walteteu fürchter-
lich mit den Kindern, und um eines Gedächtnisfehlers willen wurde oft das
Haar der Kinder om die wttthende Hand dar Ldirerin gewielcdt and der Kopf
an den WJblden blutig geschlagen.'*
Waren dif^ Fifuhte ihres Schulunten ichtos nur gerins: ^'^ war der tüg-
liclie Umgang mit ibreu strebsamen und i-eit Ii begabten Hindern um so tor-
demder. Dieser brachte dem an Geist und Gemüth so tiedlich ausg^tatteteu
Uädchen großen Gewinn an Anregungen, Einsieht in nuadierlei Yerhlltniflae,
wie an Koinüiiflsen.
Pass die heranwaclisende Jimgfrau so früh selum nach einer großen, wür-
digen Lebensautifabe sich sehnte und umsah, ist wol wesentlich durch das
Vorbild, das die erwälinte ältere Schwester ihr darbot, mit veriuüasst.
Durch Vermittlnng Reng gers werde ihr ältester Bruder Bndolf schon
1800 mit Pestalozzi bekannt, der dann ab und na die Famüie Kasthofer
besuchte und 5=0 auch Rosette kennen lernte.
Als Vater KastUofer 18U3 starb, bestand die Familie nur noch ans der
erblindeten ^lütter, dem ältesten Sühne und Hosette. Die andei'en Uriider
waren in Bemfistndien abwesend, dieSehwestemTerheirathet, die swdt jüngste,
Juliane Margaritha, an Ffiurer H. WyS in Mnnchenbuchsee. Rudolf blieb
mit ^Mutter nnd Schwester nodi ein Jahr in Bern, dann siedelte er mit den
S( inen naeh Aarau über, wo man ihm die Stelle eines Staatswhreibers über-
trug. Im Jahre 1804 besuchte Bosette ihre Schwestern in Kirchdorf tmd
Uünebenbachsee. . Am letrteren Orte liatte sie Cklegenhrat nnd benntite die-
selbe eifrig, die pestalozzische Anstalt, die Im Schlosse nahe am P£urtiaiis
untergebracht war, nflher kennen zu lernen.
Sie begeisterte sieli für das große Werk der Jugend- und Armenerziehung.
Pestalozzi selbst traf sie hier nicht, er war sciion nach Iferten gegangen,
aber Hnralt ertheilte ihr im Pfarrhans auf ihrem Zimmer Privatunterricht
in der Hethode, die ilir ganz neue Gesichtspunkte eröffnete und sie mitchtig
anretjte. Auch entwickelte ^kh zwischen ihr und Muralt » in wannes Freund-
schattsverliiiltni«!. dessen Innigkeit im Laufe der Jahre und Erfahraug Bkh
stets gleich blieb.
Aber sofbrt ihrer Neigung xa fblgen und der JugendenidHing aidi an
widmen, gestatteten die VerhBltnlsse nicht Die kindliche Pftieht rief sie naeh
Aaran znr Pflege ihrer Mutter zurück. Im Jahre 1806 verheirathete sich ilir
Bruder Rudolf mit Luise Strauß ron Lenzbuie. deren Vater in St. Germaiu
bei Paris als Kaufinann etablirt war. Die häuslichen Ftiichten wurden da-
durch getheilt, Bosette war tnkit. Hire HnAe benntite sie zu weiterer gei-
stiger Ausbiidung, sie Iss yiel, doch nicht» um sn sehen, „ob der Hann die
Gretfae bekomme," sondern um den C^ist zu bereichem und sich zu veredeln.
Zu dieser Zeit bot ihr ein reicher Hann seine Hand zum eheiidien Bande.
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Aber sie kann sich nicht entschließen, dieselbe anzunehmen, Sie will und
sncht ein Höheies als glänzende Lebensatellung nnd Reichthnm. „Nahe vor
mir*', schreibt sie, „Ue^ep große Scheidewege; ernst und wichtig ist dei- Scliritt,
der hierhin oder doitliiii mich Iflükth Sdum ipricht'i mich an» mit aller Kraft
hierhin und nidit dnrthhi za Stenern. Meine Wahl tet nidk auKwprocheBt
aher stUl in mir ist sie entschieden .... Kann, soll ich mich hingeben einem
Manne, der mir gibt, was mir fehlt: GiAd'f >h-v mich hinabziehen wUrde \n
den unbezwingbaren Strom des — GefUlü und Kräfte zerstörenden — Lebens-
Schlendrians nnd mir kein hSheies Glück bieten könnte als das, was in diesem
niedrigen Stroms an eijagsn ist? — O ndn, ich kann nnd soll es nicht. —
Ach, nidit verloren im Weltall mag ich ein zweckloses Leben verleben. Ein
anderer Weer öflFnet sich mir. Er fiihrt zn höherer SelbstltiMnn<r, dann znr
^litwirkong an der Menschenbildong — und wankellos werde ich dahin meine
Schritte leiten.'*
, Jch irül II ntt«r sehi fremden Elndenif nnd rastlos ivül idi arbeiten', nm
fremdes Wol zu be\v'irken, damit einst eigenes Wol midi lohne nnd jeden Ge-
danken verfehlter Bestimmnng' zernichte, l'nd wenn mir graut vor meiner
Entscheidung, die mich lünaus wiitt in die fremde Welt, in den Strudel gröl)erer
^Virksamkeit, wenn mir's sdiwinddt, da zu stehen allein, ohne sichtbaren Schutz,
dann will ich rttckwirts hlioken avf alle vergangenen Tage, damit ich ver-
tränen lerne dem, der mir am jeder Prüfung auch Kraft gegeben.''
Das sind nicht Plirasen, das sind feste Entschlüsse, ^fasst in ernster
Stunde. Mit Bewunderung und Verelirunf? schauen wir auf die Jungfrau,
die einem angenelunen, bequemen Leben im dchoße des Eeichthums die MUlie
nnd Sorge der Arbeit im Dienste der Menschheit vorzieht, und erheben nns
sdber an dem Adel einer solchen Seele.
Bald sollte sich ihr anch ein ihr ansagender Wirknngskreis er^ifueo.
Die Sache kam so:
Im Jahre 1804 zog Pestalozzi mit drei seiner Lehiei- und einigen Zög-
lingen nadk Iferten in das nnnmehr der Stadt angehörende Sehloss, wohhi ihm
im Jalire 1805 die ganze Anstalt von Münchenbuchsee nachfolgte.
Neben dem Institut für Knaben stand unter Pestalozzis Leitung auch eine
ErziehnnCTanstalt für MSdchen, wclciie PSOü von zweien seiner Lehrer, Krüsi
und Hupf, eröduet und dann jenem übergeben wuide. Es war dieselbe in
einem besonderen Oebände in dm- Stadt nntergebracht. Hit dem Knaben«
Institut war sie in der Weise verbunden, dass der Mud« lienontOTricht von den
Lehrern desselben ertheilt und die Gesammtkosten dos liauslialts ans der Casse
im Schlosse bestritten wurden, in welche dagegen die Pt iisionsgelder tiir T<5cli-
ter flössen. Den äußeren Hausiiait leitete und überwachte Frau Custer,
Pestaloziis Sohnsfran, Hntter seines Enkels Gottlieb, die, von ihrem Manne
nnterstützt, ebenso treu fiir die leibliche Pflege derMSdcheufamllie sorgte, wie sie es
eintet in P>nrgdorf für die frroße Anstalt g-ethan hatte. Für die ]»ädagogische
Lt'itnn^ war eine besondere Erzielieriu angestellt. r)ie l'erson jedoch, auf
welche die erste Wahl gefallen war, stand nicht auf der Höhe ihrer Aufgabe,
weder an Kenntnissen nnd Einsieht, noch an Charakter nnd Gesinnung. Es
rnnsste, soUte nicht großer sittlicher Schaden entstehen, für bessere Fttlirnng
gesorgt werden. Pestalozzi war nicht lange im Zweifel, wo dieselbe zu
finden seL Seit seiner ersten Bekanntschaft mit Kosette Kasthofer stand
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er mit derselTien in 1)iioflichein Verkehr. Rosettr-ns Verhältnis tth ilitn
staltptf» sich immer mehr als das des kindlichen Vertmnens zn ein» m Fivunde,
dein c^ie alle Ang^'legenheiteu ihres Lebens mittheilte und Ilm dai Ub«r um Rath
fragte; dem sie ihre Oedankoi und Oefllhle offenbarte und eich toq ihm Auf*
schliue darfiber erbat. Ihr innerer Beruf snr Erzieherin entschied sich dnrA
diese gppfcnseitigen Mittheiluiitjen ininipr mehr, worfllior Pestalozzi sehr er-
freut war. „Frenndin," schrieb er ihr u. a. nacJi Aarau. ..icli danke Gott fnr
Ihre Anhänglichkeit an meine Methode, wie ich ihm tiir weniges» das ich aui'
Erden genielte, danke. Ste werd«i die lCethode Ihrem Geeddeehte geben;
Ihre Ansichten sind mit dem, was in derselben wirklich geleistet wird, so über-
einstinimeiKl und ticifen sn vollkommfn mit den Bedürfnissen der Vorscliritt?'
derselben selbst ein. dass ich Ihnen den Grad meiner Hoffnung und meiner
Frende. Sie auf dieser Laufbahn zu sehen, nicht ausdräckeu kauu.''
„Liebe, Edtel Sie machen mich glttcklieh. Der Traum der Eindrficke
Ihres Thuns and die Erinnerang der Hoflhnng, die Sie in mir rege gemaeht,
hnben sich mit allem meinem Sein, Tlinn und Streben ganz verwoben. Ich
kann mein Thun und meine Zwecke nicht mehr außer Verbindung mit Ilui'ii
und Ihrem Thon denken und fühlen. Gute, Edle! Ich genieße in meinem
Alter ein benddenewotes Glack; das Wesen dieses Glückes ist von allem
ÄnSerlichen nnabhüngend; dennoch senden Sie mir xn Zeiten einige
Zeilen. Wenn unser Glück auch noch 80 groB: das lAcheln seiner Neben-
menschen ist dennoch er<inirkend."
Im Jahre 180Ö siedelte die blinde Mutter zu ihrer Tochter ins Ffarrhaos
Kirchdorf Uber. Von dieser S^ war nun Bosette ganz frei
Da erhielt sie im Hai dieses Jahres von Jnngflran Bny hi Orandson, mit
der sie seit 1801 innig befreundet war, eine Einladung, zu ihr zu kommen,
um einige Kinder von beidseitigen Freunden und Verwandten remeinsnm mit
ihr zu erziehen. Aber so sehr Rosette sich freuen würde, mit ihrer Freundin
nnter ein^ Dache zn leben und an einer so schOncn An^be sich an be-
theiligen: rie lehnt dennoch ab, vorsSglieh ans dem Onmde, weil sie sieh fir
eine solche Aufgabe noch nicht ffir befthigt hält. „Was würden Jungfer Raj
und ich gemt inschaftlich beginnen?"* schreibt sie am 3. Juli an Pestnlnzri.
„Kinder unterrichten! Und wie? In Rirer Metbode, sagt sie. Gut, in Ihrer
Methode, die wir selbst nicht kenneu. Unter Anleitung — freilich. Aber
ach, wenn ich dem sdiwschen, hilftibedflrftigen Kinde nur eine Hand bieten
kann, um mit der andern* mir selbst mrihsini durchznhelfen — dann ist meine
Führung ohne Sirlierln it, mein ( J.nip: srliwankend und langsam. Wahr ist's,
der Lehrer lernt, iudem er lehrt. Allein, wer mit Ehren als solcher auftreten
will, muss gleichwol auf einer Stufe von Kenntnissen stehen, die noch un-
erreicht, weit ob mir steht Das Wenige, so idi (an VermSgeo) besitxe. will
icli branchen, nm ein Jahr oder mehr noch mich frei und unabhängig dem
Krli-rnen Ihrer "Methode zu widmen, um dann als brauolibarcr Mfuseii mir
selbst iortzuhellea unter Ihrer Leitung und die Stelle meines Wirkens da zu
suchen, wo Sie glauben, dass es recht ist."
Znr Erweitemng ihrer Kenntnisse nnd liebensansdiannngen Ibigte sie
noch im Juli einer Einladung der Familie Strauß nach St. Germain zn einem
kurzem Aufenthalt. Paiis befriedigte sie wenig, dagegen fOlilte sie sich bei
den Verwandten sehr woL
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Efai Briif Pestalozsis rief ale in die Heimat xaxVmäL
„Freundin, ich bedarf Ihrer Hilfe, mein Mädcheninstitnt ^eht
nicht ohne eine Person von höhern Ansichten, nnd Ihr Wille. dieM«»-
t Ii Olle vollendet kennen zu lernen, stimmt mit den jetzigen Bedürfnissen meiner
Lage vollkommen überein. Ich will Ihn^ dnrdi eine Verbindung mit meiner
Anstalt keine Woltliat ttran^ aber idi will Ihnen aneh die Wolthaten, die Sie
mir dnndi diese Verbindung thnn werden, nicht nnvergolten lassen. Wir
wollen gfeg-enseiti? mit ffleicliou Gesirmnnisren handeln. Sip kennen meine
Zwecke und ich will die Ilirigen fördern." Und: „Deine Theiluahme, Freundin,
ist jetzt ffir Dich ein sicheres Los. Du findest, was Deiner wert ist, nnd
wenn Dn das» was Dn schon hast, zn dem, was Dir die H efhode gewiss geben
wird, hinzusetzest — so bist Du eine der vollendetsten Personen, auf die ich
meiner Methode halber meine Hoffnung: baue. Du wirst mehr im Ganzen
finden, als Du eiwartest. , Im Einzelnen erhebst Du Dich über die Schwächen
den ^{omeutes, über die sich mein Werk noch nicht erheben konnte. Die Art,
wie wir neböi einander wohnen werden, wfliilest Dn dann selbst, wenn Da
die Umstände und Umgebungen alle selber gesehen.
Ende September reiste Rosette in Begleitung des Knaben Albert
Strauii, den sie der pestalozzischea Anstalt in Iferten znzafdliren hatte, von
St. Germain ab.
Pestaloszi war sehr erfrevt, sie bei sidi an sehen. Es n^nickte sein
Herz, dass sie ihn als Vater begrüßte. Sie blieb jedodi nur wenige Tage nnd
beg-ab sich, um sich von den Strapazen der langen und niilhsameii Eeise zu
erholen, fnr einige Zeit zu ihrer geliebten Ray nach Grandson. Bald folgte
ihr ein Brief Pet>taloz;{is nach.
^Dn sagtest mir Vater; Da gabst mir das Beeht; ich sage Dir Tochter^
der Name, den Du mir gabst, macht mich glücklich, wenn Gtott oder Da mir
Gt-lepfnheit geben, ein Scherflein zum Omck Deines Herzens bciztitraieren.
Wiirt' \fh in die Grenzen meiner »dentiige beschränkt, ich würde zweifeln
und turdiLeu, diese« Glück sei mii- nicht beschieden. Aber das Auge Deiner
Hofflinng wirift sich gegen midi hin, wdl Da mich nicht Innert diesen Grennen
denkst. Nein, ich lebe in den Ifeinlgai nnd in meinem Werk, nnd dessen bin
ich wie meines Lebens gewiss: mein Werk wird das r)einig:e sf^in, und die
Meinigen, sie wissen e.s nicht, sie ahnen es uiciit, aber sie werden die Deinigen
sein, und dann — dann, wenn ich schluinmre nnd in den Armen des Todes
der Welt entrissen bin, dann, dann wirst Dn Dich immer noch
frenen und Segen finden in der Ausführung eines Werkes, dessen
erste Alnuinp^'en Dein Herz also erlit-ben, dass sie Dich den Vatcr-
uamen gegen mich aussprechen machen. Dank, ewifj:er Dank, für das
mich so beseligende Wort, und nimm so froh, so innig mein Gegeuwort an.
Heine Tochter, der Einflass, den Da anf mein Thnn haben kannst nnd haben
wirst nnd dessen Kraft Gott so rein und so hehr in Dich gelegt hat, ist ein
Trost meines Todbettes, der dem Tröste gleicht, den der Einfluss df-r edclstt-n.
besten meiner Sfthne diesem Todbett gewähren wird. Macli mir nt't Freuden,
wie die ist, dass Dn jetzt einige Zeilen von mir forderst nnd so veranlassest.
Dir «n sagen, was mein gehMnrater Ifnnd nicht frei nnd leicht also ansge-
sproehen hätte,"
Die Antwort Rosette Kasthofers anf diesen Brief, d. d. 22.NoYember
Padafocivai. i. Jahq|U(. Heft XL 44
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180S. ist < in tirner. klarer Spiegel ihres innern Leiwens und Strebf'ns und zeiirt,
in weichem isinne sie die Aufarabe erfasst. der sie entgegen gelit. Dieser boln n
AofifassoDg ist sie ihr ganzes Leben hindm-ch ohne Wanken treu geblieben, nnd
nie hfttte jraiand Unaehe gelbäbt, sie n fhigen: Wo ift deine «rtle liebe bin?
„Wo eind die GefBUe", lehnlbt lie, „die dae liebende Kind nicht gerne
dem geliebten Vater mittheilen möchte? Ich kenne sie nicht! Guter Vater,
und nun gan^ mein Vater, da Sit- m\c\i nh Ihre Tochter erkannt. Mein Ver-
trauen zu Ihnen ist das des liebenden Kinde^i, das gehoben durch Ihre Gegen-
liebe begl&ckt, beseligt sich fOhlt in diesem VerCnnen.''
„Gtekttflpft dnrdi VeriUÜtninet die Sie kennen, nn WeltTerUndnngeD, die
nur eitel glänzende, keine befriedigenden Seiten mir bieten — . ehemals thätig
in großem ^''irkungskreis, aber gedrückt durch Umstände, nnter denen meine
Kittfte erlagen; heute beschäftigt mit dem Tand jener Verbindui^en^ der mieh
leer läset in der FMle meiner Wünsche, und mit ErflQliuig der Fftlditen im
bftuUdien Erelie, die mieh lange nieht gaonag eifUit nnd ftber deren Grenien
mich die Kraft voller Gesundheit, vereint mit warmer Thätigkeitsliebe, weit,
vfir 1iinau8tra?en; bedroht in der Zukunft durch Gründe von t^-^n T*m>;tlliiden
erzeugt, mit fetsieni Banden an diese Welt, die nie meine Weit sein kann,
gekettet zu werden, suchte ich Rettung bei meiner Vernunft, die mir gebot,
einen böbern Zweck meinem Daeein an aaeben, damit ieb tliätfg nnd
wirksam diesem hohem Zwecke entgegen arbeitend, statt mich fester zn
knüpfen an diese Welt, in der nichts mich erbebt, mich loewindea kOnne,
um diese Verbindungen gegen wüidigere zu tauscheu."
„Ich kannte Sie, mein Vater, zwar damals wenig peraSnUdi; allein der
Eindrocfc, dm Sie, Ibr Werk, seine Anacbannng nnd die ÄnAernngen der
Wirkungra desselben auf mich gemacht, hallte tief wieder, so wie es
durchs ganze Leben ballen wird, in meiner Seele. Unter Ihrer Lfi-
tnn^ wirken zu können, war mein Wunsch. Doch seiner Erfüllung sah ich
nui' iu schwachem Licht entg^en. Ich sah nicht, dass weibliche Hilfe mit
Kraft in Ansprach genommen wurde, nnd glaubte sie entbehrlich. Doch der
Kuh bedürftig nach StOnnen, aab idi in Ruh audi der Zukunft entgegen, die
mich belehren sollte. Sie kamen nach Aarau, sprachen offen mit mir von
Ihren Planen, und wie sehr mich die Mittheilnn? derselben, sowie die Ansicht
ihier t'ui- die Meusehlieit unausbleiblichen wolthätigen Folgen ergriffen, wissen
Sie eelbet"
„Doch nicht diese Ansicht allein: der feurige Wunsch, hier mit-
wirken r.n können, die Gewis.<.heit. hier den Zweck gefunden zu haben,
den die Vernunft mir zu nuciien ^ebot, — das alles wirkte so sehr auf
mich, dass, hätten nicht duich die Natur geheiligte PÜichteu mich gebunden,
ieb «dum damals gesagt hfttte: O, Vater, nimm bin Dein Kind mit seinen
KrUften, Wünschen und Hoffhungen und leite es n Deinem Zweck! . . . Jene
I*flichten sind nicht aufgelöst, allein Mi fanpe an zu plauben. da.<s si*^ nicht
das gänzliche Opfer meiner selbst furdern. dass ihr«' Krtüllung nicht meine
Bestimmung allein sein sollte. Und weil ich das fühlte, so sag ick heute zu
Ihnen: Nehmen Sie Ibr Kind in Anspmeh, o mein Vater! Unter Ibnr Leitung
\\h\l ihm wol werden! ... Sie kennen meine Verhältnisse, mein Hein, meine
Kj'üt'te! AVas ich kann und niclit 1;nnn. bestimmen Ihre Einsichten weit bes<>"r
als die meinigeu, und meine gänzliche Ruhe hierüber gründet sich auf mein
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0UizUcbe8 Vertrauen! . . . Wahrlich, wer sein Sddekflal der Leitung: eines
solchen Vaters vertrauen kann. »Ir^rf ruhig träumen im Tranm seines Lebens;
sein Erwachen umss Glück äeiu ... 0, dass Ihre Hoäjinugeu einst in Er-
füllung gehen möchten an Ihrem Kinde.
Bosette Kastliofer."
Im December 1808 bezog Rosette Kasthofer eine Privatwohnnnir in
Ifeiteu und saß nun im Mittelpunkt des pädae-opischen Lebens und Treibens,
nach dessen Anblick üie sich so lange gei>ekut, wm in täglichem unmittelbarem
Yerkelir mit ihrem Tftterlieiiea Freunde nnd lieea ddi doreh die Ten ihm aus-
strömende Licht- und Liebeskraft erleuchten und durchwärmen. Mit klarem
Blick durchschaute sie die Verhältnisse im Schlosse wie in der Mädchen-
«rzieliung^sanstalt. Den ganzen Winter hindurch blieb sie mit Pestalozzis
Zuäiimmuug in dieser beobachtenden, nubefaugeueu Stellung, besuchte jedoch
ildAigr die Unterriditsstaiid«!, nameniUch die ihres Freundes Haralt Am
1. April 1809 wurde die bisherige Hauptlehrerin der Mädchenanstalt entlasBen
und Kost'tte übernahm anf den Wuns*:!: T'-^stalozzis und mit Zustimmung
ihres Bruders, des Staat8schr«^iber8 Iva^thofer in Aarau, die pädagogische
Leitung des Instituts. Da Frau üuster auch fernerhin den Haushalt besorgte,
"blieb Rosette Kasthofer vorderhand in ihrer bisherigen Wohnung, bektetigte
sich selber, blieb nnr den Tag über in der Anstalt. Pestalozzi sagte ihr
«ine jährliche Remnii'^rntion von 24 Louisd'or (= Frcs. 560 n. W.) zu. Die
Last, die sie übernahm, war sehr groß. Es galt, nicht nur den Unterricht
besser zu organisiren, sondern den Öeist des Hauses umzuschaffen.
Die eretere An%abe war die schwerere. Den Leltrem, welche von der
Knabenanstalt herübeihamea, mangelten nicht selten die nOthigoi Kenntnisse,
sie fuhren planlos m den ihnen fibertragenen Filclicm hemm, s<» dass von einem
geordneten Gang des Unterrichts wenig die Rede wnr inul di>' ^Ifldchen iliie
Zeit fruchtl(^ verloren. Im Kampfe gegen diese Unordnung stand bie allein.
Hnralt, an dem sie noch am ehesten eine Stiitse gehabt hfttte, verließ schon
1810 Iferten. Pestalozzi und Niederer aber kamen ihr wenig oder gar
nicht zu Hilfe. Sie klagt Muralt. mit dem sie fortwährend in lebhaftem
brieflvrhpn Verkelir blieb, am 29 JVtobpr 1H11: ..Die Last eines schwer durch-
lebten Jahres ruht auf mir. ich war sehr thätig in meinem Wirkungskreis,
aber anch sehr einsam nnd veriassim. Pestalozxi and Niederer betraten
unsere Anstalt nie, als um sich darin zu zerstrenen nnd von iliren G^esehÜteik
mid Mühen ansznruhen. Noch nie hat finer von beiden eine einzige Unterrichts-
stunde besucht, nt^li nie .sich bekümmert, was bei uns betrieben und nicht be-
trieben wird; ob der Unterricht nach Pestalozzis Ideen oder auf welche Art
gegeben werde. Was ich thne nnd nicht tfane» das scheint ihnen gleichviel,
üttd wenn ich aUer Hemmung- nnd aller Ifissbrftnche müde, allein mich ihnen
entgegensetze und endlich nothgedningcn ihnen erkläre : So und so ist'.s, wollt
ihr mir helfen? Daun sagt Pestalozzi: Ja, es muss anders werden, diesen
Abend wollen wir nns versammeln nnd darüber sprechen. Aber dabei bieibt'a
MdL Seit Jahren könnt' ich sn keiner andern Hilfe komnan, ab die in diesen
lewen Worten li^ Niederer sagt dann da glelchglltiges: so! — oder
4inen Instigen Einfall, nnd lenkt das Gespräch auf etwas anderes."
Wir verwundern nns nicht, dass sie in diesem nngleichen Kampfe etwas
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mnthlos wird. .»Tcli sclireibe (1. Sfptombt-r 1812 i ni^lit niit vollem
Muth . . . an ilußerer Aufmunterung; gebricht's mir. und die innere mdg nicht
immer das Crleichgewicht halten gegeu den üaßem Ihrang. Oft bin ich wie
geUUimt; was ieh aunpreche, mius schleppend and ermftdeiid sebi. Idi liiii
80 beftuigeD) m fwtgeniukt in dem Dradc d«r Gegenwart, so eint9nig, das»
ich Erbarmen haben mSchte, wenn icb*a konnte^ mit m^er eigenen Elendig-
keit."
Hit aller OÖenheit und Entechiedenheit spricht sie znPestalozzi oud
Niederer ihr Miaaftdlen ans Uber deren Verhalten gegenäber der MSdehen-
anstatt, obgleich es keine Kleinigkeit ist, von Wahrtielt nnd Pflieht gedrmgen
zn sein, den liebsten Menschen den Spiegel ihrer Schwächen vorli alten zn
müssen." Sie setzte auseinander, wie sie seit der Zeit ihres Hierseins dastehe,
geworfen in den Schlamm erstickender Unordnung, wie keiner sie angewiesen
liabe, was ale thnn oder lassen soUe» wie Jede erb^eneHandbietnng mit leeren
Worten abgespeist irorden, wie man nie eine ÜnterriehtasUmde besncht nnd
die Lehrer in jedem Fache habe schwadroniren lassen; wie ihre eigene Arbeit
der dos Verdammten gleich»^, der den fallerulon Stein immer wieder bfrg-an
wälzen mässe. „Niederer wnrde böse und hitzig, Pestalozzi nahm die
Darlegungen schSn auf, gerfihrt dankte er mir, und wir genossen eine Stande
des sdiSttsten Yotravens.*'
Die gedrückte Stimmung hielt jedoch bei Kosette nicht an; sie fUiIte
üire Kraft und brauchte sie: ..Ans meinem innern W^sen mms mein Snßerpr
Wirkuugükreiä sich gestalten, ist jenes rein, so muss diese Reinheit sich über
all mein Thnn und Wirken verbreiten. Ist es nicht rein, warum das Jammern?
Dann muss ich reinigen statt klagen." Das Alleinskehen regte erst recht ihre
Kraft an, nnd ihre energische Thätigkeit blieb nicht unbelohnt. „Hier stdie
ich nun", schreibt sie am 19. December 1812 an irrr:ilt wie ich nie
standen, in Gesundheit nnd Kraft, Die Führung unseres Instituts ist mir
keine Last laelir, sie ist zur Last mir geworden ; ich bin unabhängig von
PestaloBsis nnd Niedern« HÜH», nicht yon ihrem Sein nnd Wirken. Wie wire
das möglich in meinem nahen Verhältnis zu ihnen ; aber unabhftngig von ihrer
unmittelbaren Handbietung, deren Nichtvorhandensein mich so oft grundlos
empörte. Ich sne-e grundlos. Denn eben ihr sorg-en- und hilfloses mich J 'reis-
geben und Schwiiumenlasseu im Strom meines Wirkens führte mich schneller
mr Ennst des Sehwimmena, nnd ieh hstte too jeher, statt mich dartber n
kränken, mich freuen sollen als über eines der wirksamsten Bildungsnüttel*
Allein diese Freude k"Tin*p mir ei-st hlnlnm in entv ii k Iter Erkenntnis und
Kraft. . . . Mit welchem Frieden leb' icii nrm der Ue^emvart. mit welchem
Frieden bück' ich in die Zukunft; wie unabhängig 8t«h' ich neben den Menschen
imd dem Sehicltaal, wie frei bew^ ksh mich, wie nngehemmt quillt der Dank
nun Ewigen ans de: Fülle meines Herzens, und wie beglückt mich die Hofr
nnng eines ewigen Fortschreitens." Fnd am 20. Mürz IRIB: ..Unser Unter-
riohtsgang geht jetzt g-ut, obschon noch mehrerer W'rbesserunpen bediirtiis-,
anderer, als solche, die durch mich geschehen können. Aber weichem Verdnii»s
nnd welchen drängenden Unannehmlichkeiten faabe ich bis znr Eneiehnncr
meines Zldes mich aussetzen müssen! Ancfa jetst hei unserer emmgenen
inneren Ordnung (denn mit der äußeren — die von Custei-s abhing — da»
Üott erbaim) ist meine Arbeit immer noch schwer, da der ewige Wechsel der
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Lehrer und die dnnemde Abhängigkeit nnseies Instituts von dem gr5ß«ren
onaaflialtsam störend wirken."
Leichter und schneller erreicht, als die Reorganisation des Unterrichts,
war die Enengimg eines beeeem Hamgefstee. Lielie eneagt liebe. Bald
wetteiferten die Mädchen, ihrer Vorsteherin dnrcli gntes Betragen Freude zu
machen. Sie licbtfTi nnd rerflirten ihre Fiihrerin wie eine Mutter. Sie war
fröhlichen, heiteren \\ eseus, fem war von ilir jeder finstere Pedantismns. Sie
.kannte das Kinderherz und dessen Bedürfnis nach Fi'ende und Heiterkeit.
Ale Reaette Im Herbat 1812 einige Wachen in Uontmix an ihrer Erholimg
sich anfhielt, gingen ihr Briefe zu von ihren Z^liogen, die davan seogeBt
welch inniges Band Lehrerin und Scliülerijmen umschlang. „Immer, immer".
Icsi'ii wir in fiiK'iii derselben, „soll mir Ilire Liehe eine Anfmnnternng' sein und
nacii lu meinem Vurt»atz, ein braves Kind meiner Eltern zu weitleu und meine
Pflichten ao tren ala ml^eh an erfiOlen, stftrken. Ja, wenn es mir einfallen
will, etwas fiOsea m thnn, ao will ich an Sie denken, wie liebreich Sie es mir
abrathen würden und — es nnterla.ssen." Ende Oct^ilier kelirte sie in die
Anstalt znrüi k und konnte an Mni-alt schreiben: .,Mii* ist wol im Kreis dt-r
Kinder, und ich bin froh, da*» ich wieder bei meinen lieben Mädchen bin.
Keine Abwe«enheit hatte keine nnai^enehmen Folgen wie gewSiinlleh, ohechon
niemand meine Stelle versah: alle hatten sich daa Wort gegeben, zu sein und
zu Id^en. \\ l\re icli in ihrer Mitte. Und so gesebah's. Ist daa nicht 8ch9n
nnd mu.s.s es mir nicht im Innereten wolthunV"
Ihr Verhältnis zu Pestaluz/^i war ein gar traoUches nnd inniges. Als
dieser im Herhat 1812 In Lanaanne sich anfhielt, während Boaette in Hon-
trenx verweilte, ließ er diese zu sich kommen. „Pestalozzi war so liebend
nnd froh, lebendig, wie ein .Tiinfrling. "Wie groß ist seine Liebe zu ttiit- wie
unwandelbar! könnt' ich zu thener sie erkaufen? Nein, o nein! Alle Aneen-
blicke sah er mich an, um ja redit auszuforschen, wie viel ich gewonnen an
OeanndMt nnd Kraft Er aah mein Ange heiter und war znlkieden." Und
am 13. Febmar 1813 sclireibt de an Hnralt: „Das Band, daa mich an
Pestalozzi soliließt . wird immer cng:er nnd ensrcr. Er sng-te an seinem
letzten Geburtstag, als Niederer und ich mit ihm allein waren: Ich glanbe
es nicht möglich, dass drei Menschen schöner nebeneinander stehen können,
«la wir. Sein Vertraaen an mir wird hnmer nnbedlngter. Oft» wenn er, dem
Weaen semes Geistes sich fiheiiassend, mir sein Inneres offenbart, endet er
mit den Worten: Sieh, das alles sind Gedanken, die ich mir nicht frülier er-
lauben würde zu denken, als ich sie Dir ausspreche. Daraus magst Dn auf
die liuügkeit uusers Umgangs schlieiien."
int Liehe nnd hoher Ymhmng hängt aie an dem Yon aeiner idtehaten
ümgebang oft miaakannten Hanne: „Sem moraltachea Weam enflillt Tdne,
welche die ganze Welt durchtönen und die darch die Ewigkeit der
Zeiten nachhallen werden, ohne je zu verhallen. Wenn das Grab
\nrd aufgenommen haben, was die Harmonie störte, dann werden wir froh und
aelig nns fählenr daaa whr den iidiachen Dmck nm des himmliacfaen WolUanga
willen werden getragen haben, nnd dieae T9ne, die göttlidien Ursimmga aind,
müssen eins werden mit unserer Seele. Seine Größe zeigt sich in den Aogen-
bliekt n. in denen der ganze Liebreiz seiner Tagend und die Macht seiner per-
sönlichen Gröüe uns unwiderstehlich an ihn fesselt und nns fühlen lässt,
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da<!s wir der Wahrheit gehören nur insoweit wir seiner Sache
leben."
All die Lage de« Inititats im Sehlone (1813) immer lehwierigor wwd»
und diejenigen rath- imd thatlos dastanden, die hätten helfen sollen, rief sie
ans: ,,WHr' loh eiri Mwui, ich wfirdf mrv]\ hmn^eUcn nnd f>rf1ntTi; s^lV-^t in
meinem weiblichen Kupfe liegt's klar, wie and wo geholfen werden musste.**
Und einige Monate später, als der ökonomische Zusammensturz uuvei-uieidlich
eehien: t^P^italosEi, alt Herr der Hanaee, iat nidit im Standet Ortamg Imt*
znsteUen nnd Uaßreg^ an ergieifen. die Eettnng' bringen. Ich sehe iha
leiden und miif«s, gt?dmne'en vom( T i fT;l]1 meiner Pflicht, seine Leiden oft mehren^
nru die ewigen Tiluschuns^en, iu denen er sich fortwährend wie^. m stnren.
Was wird aus dem Institut, was aus Ihm werden? Das ist Gott bekannt.
Oenngr, ich lasse Ihn nicht, nnd sollt' ieh mit meiner HInde Arbeit
Ihn nähren.'*
Die Stellnng: Eosettens war in ("konomiseher Hinsicht keine günstig'e.
Die Lage Pestalozzis und des Ilauptinstituts brachte es mit sich, dass ihr
Salair sehr unregelmaojtg und nur theil weise ausbezahlt werden konnte. Aber
das fiel bei ihr nicht schwer ins Gewicht Ihr Reich war wlrUich nidit von
dieser Welt. Als ihr im November 1810 vom Aarganischen Scholrath die
Stelle einer Stiftsdamc nnd küiiftigfen Oberin in Olsberg (Erzichnnsrsanütalt fiir
Mädchen) mit freier Uekiistiffnng-, der schönen Wohnung der Äbtissin nnd
möglichst hoher, and zwa,r lebenslänglicher Pension, also mit völlig ge-
eicfaerter Lehenastellnng and Znknnft, angeboten wnrde, lehnte sie ab, nm bä
Pestalozzi bleiben zu können.
Sohahl im October 1813 die Gefahr des Zusammenstnrzef: für das Institut
im Schloss beseitigrt war, kam Pestalozzi aufs neue und mit aller Ent-
schiedenheit auf den Gedanken zuriick, die Mädchenanstalt an Rosette Kasthufer
ahmtreten. Er s^e, dass bei der gegenwärtigen dkonomiiKhen FShmng (nnter
Cnsters) gewisse Lücken nnd Fehler immer bleiben nnd das allgemeine Ver-
tranen beeintrilchti^-t-n. Zudem sei es seinem Herzen Bedurftiis, sieh endlich
in einer Lage zu sehen, wo er frei und mit ruhigem Gewissen Koset te an-
blicken dtlrfe. „Welcher Vortheil für Dich daraus erwächst", fährt er zu ihr
fort, „Dn kannst dann mit Wahrheit Mgen; Ich habe ihn Üiener erkauft» ti^
theneTt wie nicht bald ein Mensch auf Erden ihn hätte erkaufen mögen nocb
können. Denn glaube nnr. ich kenne Deine Laire bis in ihre Tiefe, schweig
ich gleich davon. Ich weiü, was Dn gelitten und leidest von andern nnd mir
aus. Ich weiß, was Du mir warst und bist, aber ich weiß nicht, was ans mir
geworden wSre ohne Dich. Dein AnsehUeSen an meine Penon gehffrt mit sn
den hShemFfignngen meines Schicksals, f&r die ich nicht genug danken kann.
Namenlosen Verirrnngen und Schmerzen wJlre ich preisgegeben worden, wSrest
Du nicht in allen nnsem bedrilngten Lagen aller Einflüsse ungeachtet selbet-
stUndig geblieben. Dn hast mir vertraut, wie vielleicht nie ein Mensch in Deiner
Lage mir yertrant ldUt& Gott sei's gedankt, dass es so ist nnd dass ich Dir
sagen kann, wie ich darüber empfinde.*^ „Uoralt", schreibt Rosette, „es ist
der schönste Lohn meines reinen Willens, so neben Ihm, dem Einaigenf an
stehen. Ja. Dir verhehl' ich nicht, ich habe viel Leid ertragen. Gott s<>i
Dank, der mir frühe den Weg schwerer Überwindungen gezeigt! Aber sollte
ich schwerer, weit schwerer noch sdch Vertranen, selche liebe erkaafen, nie,
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nie wäre der Preis mir zu hoch. Seine Liebe ist eründerisch, meinen Wen
zn erhöhen. InDemutli fühle ich, dass er ihn m hoch anschlägt, aber mit Stolz
Ukk* ich auf die Liebe, die alao redmet mid tMaL**
Rosette Kasthofer verdiente dae Vertranen, das ilir ward. Ihr innerstes
Wesen sprach sie ans, als sie von sich sagte: ..Ks steigt meine Gesundheit
nnd Kraft, ich lebe mit ongetheiltem Eifer ganz meinem Beruf; vieles von
dem, was znr Erde mich zog, ist geschwunden, nnd was mich erhob, erhebt
midi auch hente nnd jeden Tag nelir, mein Gewieien iit mein ffiinmel nnd
Beditdinn meine Seligkeit, mein iat jeder Angenblick, VergangmUieit, Gegen-
wart nnd Zukunft; alle^ ist eins gewnrrlrn tür mich, nnd ich gehöre dem
Einen, indem ich in jedem gegenwärtigen Augeublick tüue, was ich soll. Nene
Kämpfe haben mich auf eine neue Stufe gehoben; ich bin ufi unaogsprechlich
glUddidi, alles Ist so eins in meiner Seele, nnd kein lUaddang stftrt ihren
Frieden. Wenn ich einschlafe, wenn ich erwache, SO danke ich Oott fttr mein
(iltick und bete mit Inbnmst nm Kraft nnd Segrai mm rastdosen, ewigenFort-
schreiten im Guten.''
Mitte November 1813 fand die Übergabe der MädchenanäUUt auHosette
Kasthof er anf Gmnd eines detaiUirten schrütlichen Vertrages statt „Utin
Hiersein nnd die Art, wie ich hier ökonomisch gestanden, hat micli gelehrt,
Verträge ohne itrHire zu fürchten. Denn so süß mir das Gefülil ist. rein
von Eigennutz hier gewirkt zu haben, so schwer würde es mir, noch lange
anf gleiche Art mich jeder Mühe, jeder Entbehmng zu unterwerfen ohne
andere Sicherheit flir mein Alter als ein gntes Gewissen nnd einen ahgeatheitetea
Körper. Nein, nein, der Mensdi ehre auch hierin seine Pflicht, aber er ehre
sich sdhst, indem er dieselbe allen holiem Feichten nnterordnet. -
Die Familie Cnster verlieiJ Iferten und zog anf ihr Gut in Ü ii i: turf.
So lag nun die Sorge für das leibliche und geistige Wol einer Familie von
30 Personen anf Besette allein. Bure Frenndin Bay kam für einige Zeit» nm
ihr bd der äußern Einrichtung mit Rath nnd That an die Hand zu gehen.
Mit welrhen Vorsiltzen sie nun in ihre neue verantwortiniErsvnlle Stelle eintrat,
eiitneiimen wir einem Briefe an Mural t; „Ich dai'f ruliiir in die Zukunft blicken.
Indem ich meine ökonomische Unabhängigkeit gründe, kann ich mich der frohen
Hoffiinng tberlassen, dnst gehen, wolthnn nnd helünt zn kSnnen Deneo, die
mir nahe sind od« nahe sein werden. 0 Gott, kann ich das einst, wie will
Ich mein Dasein segnen und dem Vater aller Güte danken! Für mich bedarf
ich wenijf. aber lieben kann ich mit der Fülle einer unversiegbaren Liebe
alles, was sich mir nähert; ich kann mit Kindesliebe, mit Schwesterliebe, mit
HtttterUebe sie nmfiwsen, die sich mir Tertran«! nnd die der Schwester-, d^
Kindes- und derlCnttertreue bedürfen. In jeder Stunde stiller Znrttckgezogenheit
nnd Erhebung gelob' ich mir, mich zu erheben mit alUr Kraft, die Gott mir
gegeben, den ^lenschen zu sein, was ich ilmen nur immer sein und werden
kann! Ja, es soll geschehen!'*
ImlMiHk der Jahre hatte xwisdien ihr nnd Niederer ein immer innigeres
Verhältnis sich entwickelt, und sie reichten dch im Hai 1814 die Hände zum
ehelichen Bunde. Wie freute sich Pestalozzi dieser Verbindung. ,,0 Freund,"
schrieb Frau Niederer an Muralt, ..sähest Du ihn. wie er uns in seine Arme
sdüießt als die Kinder seines Herzens, die der Trost seines Alters sein sollen
nnd sein weiden; wie er sich frent, das Werk seines Löbens In uu ibrtleben
. kjui^.o l y Google
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za sehen, Tlu-^en der Kübrong wurden Deinem Auge eutialleo, Da würdet
nunr OUksk fliasen. Niederer und ich, nit sind Omi nh neue geschenkt
dnrdi nnsere VerMndmi^, und er M fll^ üb Vater dem Oeitte md dem
Kerzen nach; \'ater in dos Wortes heiligster Bedeutung. Ich möchte Deine
Seele ganz init der Kemitin« dieses \'erhältuisses ansfüUen, damit Dt>in
Glaube an das Höchste der Meuäclilieit selbst darin Nahrung fände. 0, Morall,
mir hal Oottvid gegeben! Wenn ich anf denBelolithnni ndnes Leben» blieke:
PeetnlDBd, Niedrer, Dn, meine Ray, Geschwister nnd Freunde, meine Piege«
kinder, die mir anhangen, da vei-scbwindet jedes Schwere, and ich fühle nur
Dank nnd ein heißes Xfrlang-en. dnrch die Würde meines Ltb^n«
eine reiche Schuld der ewigen (iüte, die mich erschatten, abzu-
tragen."
Das hast Da tren g^thaa, edle Seele, ein ganaea langes Ijeben laa^!
Niederer nnd seine Gattin fShrten die Mädchenaostalt Im Sinne nnd (.hmt
Pestalozzis fort, verdienten nnd fanden reichlich Anerkennung:. Die Ehe
blieb kinderlos; aber den ihnen Ubergebenen Pfleglingen waren sie treue, be-
sorgte, liebende, aber auch beglückte Eltern. Der Streit, der, durch fremde
Einflfisteningen geweckt, zwischen den beiden Instituten ausbrach, dorch Ui»-
verstÄndisse und schlinniii Einflüsse genährt v i 1 und das Verhältnis a
Pestalozzi trübte, hat w<»l schwere Ptnnden fft^hiacht. aber das innere Leben
der Anstalt nnd dessen segensvollen Uang nicht zu stören vermocht.
Im Jahre 1837 verlegten Vater und Mnttei* Niederer ihre Anstalt, um
ansgiebigeren nnd reiehlieherm Büdnnganitteln, als Herten sie bieten konnte,
nUier zu sein, nach Genf. Die Behörden von Iferten, die ohne Erfolg sie von
diesem ^'orhah. ii abzubringen suchten, ließen ihnen durch eine besondere Ab-
ordnung den Dank der Sradt anssprechen für „die Freischule, die sie für
arme Kinder gehalten, und für andere Wolthaten, deren die Armeu
dorch sie gmoesen."
Im December 1843 yaiw Fran Niederer den von ihr stets so hochver>
ehrten nnd innig sreliebten Oattpn. den sie in allen Lasj-en nnd bei allen
Schwächen nn»! Eii^« nihiunlickkeiteii • rkannt hatte ..als ein Licht aut dem We<r
der Wahrheit, ab einen Fels überall, wo es um J ugeud und Gerethtigkeit zu
tbQD war nnd we »ein WolwoUen, seine Vaterlandsliebe nnd sein erlenditeter
Glaube und sein Gottvertrauen angesprochen wurden."
Obgleich ()4 Jahr*' alt, fand sie doch in sich Mnth, Kraft. Ltist und
Fl « udigkeit, ihre Anstalt fortzusetzen. Welchen Mnth sie sich bis ins h<>h«*
Alter gerettet hatte, ersehen wii* aus der schon eingangs erwähnten Stelle aus
ihrem Tagebuch vom Jahre 1846. Erst im Jahr 1850, 71 Jahre alty zog
sie sidi ins Pri^atileben anr&ek nnd g(3nnte sieh die wolverdient« Paih* . Sie
ging zuerst nach Thun, lüerauf nach Bern nnd nahm dann ihien bleibenden
Aufenthalt in Zürich, wo ssje am 14. Antrnst ISöT starb. Innige Verehrung
und Liebe von Seite ihrer zahlreichen Zöglinge aus alleu Ständen erfreutea
sie ihr Lebenlangr nnd folgten ihr Ubers Grab hinana.
Irdische Sch&tze hat sie nidit gesammelt. Geben war ihr immer seliger
als nehmen. Sie dachte mehr an andere als an sich. Am Ii ihi- Gatte ver-
stand die Kunst dos Sehützpsammelns nicht. ..Sein Leben", sag^t einer seiner
Verwandten, der mit ihm in iebhaflem Verkehi- stand, „war von Nebenrück-
siehten nnd Eigennutz frei; sein Sinn war rein nnd edeL Auch Im Privatleben
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"bewips er dies, zeigte sich g^ntherzig and freigebig bis zur Verschwen-
dung and tadelnswerten Schwäche."
Manch anii«s mdchen, das in der Notb des Lebens nntergegangea irftre,
fmd in ihrer Anstalt Anfnahme» Endehnng, Elternliebe nnd Soi^e nnd Ver*
sot^njf för seine Zukunft. So verwendeten sie das, was sit* mit Sorge nnd
Arbeit gewannen, für anderer Wol, nnd darum bleibt ihr Andenken im Segen.
über ihre pädagogischeu Grundsätze, Mittel und Ziele gibt Frau Niederer
eingehenden Anftchlan in ihrer Schrift: Bliclce in das Wesen der weib>
liehen Erziehung. 1828. VI und 406 S. Dire Befählgnng für systematische
DarlegriiTijs: ihrer Gedanken charakterisirt sie trefflich also: .LSsBt das .Schicksal
mich bleiben, wo ich bin (in Iferten), werde ich nicht ans meinem Kreise ge-
rissen und kann ich einutal ungehemmt und frei daiin walten, so will ich
zeigen, dass ich reif bin zn geben. Viel G^ammeltes ist in mein«* Seele —
alles orass einst in That ubergehen, nach den großen Gesetzen der Entwicke-
Inng wirrl eines ans dem andern sich entfalten und alles zn seinerzeit nnd an
seinem Ort. Das ist^aber auch alles, was ich weiß. Grundsätze darlegen.
Systeme bauen und erklären, das ist meinem weiblicheu Kopfe was
Fremdes, ünmSgliehes. Ich kann den Znsammenhang meines Den-
kens und Handelns nicht Ubersehen, noch in Worte bringen; ich
kann ihn nur ahnen, fülilen.'" Dir Buch hosteht nun ans eeistreichen,
packenden, erwiirmenden Ergüssen über Erziehung. I^ildung, Aufgabe des
Weibes, nacli den vier Gesichtspunkten zusammengestellt: Bedüi*6ii88e und
Gewohnheiten, Oemfithsbildung, Geistesbildung, geseUsebafUiche Kldvng.
Dieaterweir nennt die Schrift neben den Gemälden von Earoline Bndolphi das
Torziiglichste, was wir über weibliche Erziehung: besitzen. Auszüge lassen
sich niclit leicht geben; aber das Sttnlinm des Buches lohnt sich reichlich.
1838 gab Frau Niederer zwei Bände dramatischer Jugendspiele für das
weibliehe Geschlecht heravs. Sie verfolgte dabei einen rein pädagogisi^en
Zweck. sollen die Folgen guter nnd schlimmer Worte nnd Handlungen nur
Anschauung gebracht, der Eifer für jene, der Abscheu vor diesen geweckt und
grenührt werden, ^^>n diesem Standponkt ans angesehen, verdienen diejngend*
spiele alle Anerkennung.
V.
Im Souuuer 1809 besuchte der edle Freiherr vou Wessenberg
Pestalotai nnd sehw Anstaitm in Iferten. Damals war das Hans Posta*
lossis noch in sieh eüis. Um den verehrtoi Meister scharten sich in sch4(nem
Kranae Krüsi, Niederer, v. Muralt, Schmid, Rarasauer, Frau Custer.
Rosette Kasthofer, Frau Krüsi. In diesen Kreis einzutreten, in ihm zu
verkehren, war hoher Geuoss, war Seelenerquicknng für Jeden, dessen Herz flu*
4ie Mensciiheit sehlag, der» Yeredlong der seltene, die lijIchst«i^H(^nngen
erweekrade Bund galt.
Wer die Wonne des Umgangs mit diesen für die höchsten Ziele Begeisterten
einige Zeit genossen, fühlte, an den heimiselien Herd Eorückgekehrt. tiefe Selm-
sucht nach Denen, die ihn so mächtig angeregt und in ihren Zauberkreis mit
eingesponnen hatten.
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So ging es aach Wessenberg. Seiner Stimmung gab er Ausdruck üi
«kB wuiMB Worten:
Jm mäm WrtmU Ji Ifurtok
Kennst du den Ort, vno reges Leben wohnt,
Wo tnh» Wirkaankdt des Gtiites thnmt?
Den guter Kiuder zarte Blute schmückt,
Wo dkh ihr heitrer Anblick hock entxttekt?
Kennst du ihn wolV
Daliiu! Dahin!
Zn eaeh nSeht' ieh dem WeltiewiOil entfliehn!
Kennst du den Mann — für Brüder glüht sein Herz —
Theilst du mit ilim der Mt^nsclilieit Wo\ und Schmers?
Hebt dich sein Geist zu hüheiiu Sciiwung empor?
Lauscht seinem Wort dein wonnetrunken Ohr ?
KcBMt du Um wol?
Dahin! Dahin!
Zu jQun, dem Edleni wird dich Sehnsncbt zieha.
Kennst du deu l^und, den treue Freundschaft schließt?
Wo Geist und Herz in Liebe übei-fließt,
Der Ubmer Bond, dem Guten nnr geweiht»
Für «ndrer Wol zu opfern stets bereit?
Kennst du ihn wol?
Dahin! Dahin!
In euem Kreis, Geliebte, möcht' ich ziehnl
Kennst du den Pfad, den tiefe Stille weiht?
In heiliger Nacht, wenn Luna ScUommer streut?
Wo Almnng' bess'rer Zukunft uns umspielt
Und ganz der Fround dem Freunde sich enthüllt ?
Kennst du ihn wol?
Dahin! Dahin!
Zu dir, 0 mein Geliebto*, mikibt' ich zidm!
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Vorschläge zur Volksbildung.
Von Franz SdUinkert-Wien.
WShmid man bestrebt ist» von oben herab dvreh geaetsliehe lHaBregdn
die geistige Ansbildong und damit die gesammte Eutwickelnof des Volkes zu
hemmen, geht durch die Volkskieise selbst eine lebhafte Kewesrnng, welche die
Vertiefung der Bildung zum Zielpunkte hat. Bei den gegenwärtigen Zustin-
deu ist es dringend geboten, auf diese Thatsache mit besonderem Nachdrucke
za verweisen und derartige Blldnngsbestrebiuigai mit allen Mitteln zn unter-
stützen. Versammlungen von Gewerbetnibenden und Arbeitern spraAen sich
aber die Bildnng-sfrage in irünsti^em Sinne aus, und auch in Bnneni Versamm-
lungen wurde die Nothwendigkeit einer zweckmäßigen Lösung derselben betont,
trotzdem die Baaernschaft in ihrer erdrückenden Mehrheit zu iluem eigenen
bitteren Sehaden eine grOsdliche Abneigung gegen alle nSchalsachea" hegt
und dieselben am liebsten ganz ans der Welt schaffen möchte.
Namentlich in Ober5*>t(»rreich hat sich auf dem Gebiete der allgremeinen
Volksbildung ganz im ^Stillen eine Thätigkeit entfaltet, die alle Anerkennung
verdient, und wenn wir in eine niUiere Besprechung derselben eingehen, müssen
wir m wiederholte Haie dnes Hannes EnriUurang thvn> ttber dessen Be-
strebungen wir bereits im IV. Jahrgange, 7. Heft („Eine Bauemstimme über
die Schule**) gesprochen haben. Herr Hermann Hoppiehler, Wirtschafte-
besitzpr in der Küngerau bei Eedl-Zipf in Oberosterreich , nntemahm nämlich
in Verfolgung seines schönen Zieles weitere Schritte, um einen Kreis von
HSnnan znsanunoa za bringen, die sidi mit voller Hingebung der Anfi^be
widmen, „Mittel und Wege aafzasuchen, um der im Argen liegenden
Geistesbildung der Landbevölkerung aufzuhelfen". Zu diesem Zwecke
erließ er mehrere Rnndschreiben. In denselben bozoe: er sich anf unsere beiden
Aufsätze: „Volkbbildungsmittel'' (IV. Jahigung, Ü. lieft) und „Ekae Baueru-
stinune ilber die Schale'^ (IV. Jahrgang, 7. Heft), wdehe er in Separatab-
driicken beilegte; er erklärte es als eine patriotische Pflicht, das Landvolk aus
dt ii Banden der T'nwissenheit zu befreien, ein richtiges Verständnis der Men-
schenwürde zu erwecken, ein edleres Selbstbewusstsein groß zu ziehen nnd die
gute Willenskraft zu stärken. „Die Einrichtungen der Gemeinde, de» Landes
und des Staates**, schreibt Herr Hoppichler nnter anderem, „haben wir alle
gemeinsam, aar Mitwirkung sind wir alle berofen; wer aber Land und Leute
kennt, mns.s eingehen, da-?« ■^■s nicht gut aussieht mit unseren Verhält ni.^scn,
weil der firoßtheil der Lamle.shevftlkemng' nicht das Begriffsverniiifreu besitzt
— mangels genügender Erziehung — um sich gemeinnützlich machen zu
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künnen. Diesen Übelstand tiudeu wir W^onders an onseren Landlenten, im
Baaernstand, nod der Nachtheil trifft die Gebildeten wie die Ungebildeten —
ee fehlt nnt am Anftehwong mm BeaMni.** Ans den hierfibw eingelaagten
Gntacliten nnd Ziutlmmnngen ergab sich ein äußerst intei-e!>santes Material,
welches nns frep-enwärtier vorliesrt. Es finden sidi Janintor Mcin^ng^^,l^D^•-
rungen von Abgeurdiieten, Scholmäunem und Landleuten ; wir wollen nur einige
charakteristische herausheben.
Ein Landwirt ans Talekirehen findet den Inhalt der beiden oben»^
wähnten Aufsätze ganz richtig. »Seine Standesgenossen s>'ien leider durch ihre
bishcriirt' Führerschaft ..gei&tiir verkrüppelt" worden; dieseil'o luibr du- ^Gvhh'<-
kriifle verhungern, foltorn iind tyrannisirpn lassen, nur um ihre W'uliust tuid
Hen-schsucht zu befriedigen." Aber trotzdem dürfe man den Bauern nicht
na Tie! von „Freiheit nnd Anftlimng* reden; „mit der Schule nad BÜdimg
mnae man sic^ nnrttckhalten. viele Bauern glauben, sie aind se geaeheit, andere
fajren. der Bauer soll niclit so viel wissen — nur fleiüig arbf'it<»n: die srelelirten
Bauern kommen vom Hans ( wirtscharten ab. A. d. \'.), haben keine Religion
u. 8. f., sie brauchen die Kiuder zur Arbeit.** — Diese Auäfiihrui^en eot-
spreehen vollkonunen der Wahrheit; aüein es fragt eich nnr, wie weit naa
dieser beschränkten, bäuerlichen Weltweisheit Rechnung tragen dürfe. Wenn
der Arzt den Sitz eines Übels erkennt und dennoch keinen operativen Fiiiirrii!
zu machen wagt, weil der liebe Patient wehleidifr i>*t. bleitit halt dies. r xn
seinem eigenen Schaden mit der Heilung immer auf einem Fleck sitzen. Die
alten FQfarer wüsten die Banem namentlich dadurch an dcfa an fess^, da«
lie denselben in der Mher beselchneten Riehtong die weitesten und gchlimmstsa
Concessionen machten. Nnn masf es aus Gründen der pxliti-eh. n Taktik sehr
wol zu rechtfertigen sein, dass man den Bauern nicht im eutferntpjäten die
Aussicht auf neue Bildungslasten eröffnen dürfe ^die 8chulkosten wären noch
an ertragen, aber die Last des Sichbildens mag der Bauer ^unm5gUdi
nicht'* auf seine Schaltern nehmen); jedoch wäre es <ranz g^ewiss anehrlich,
wenn diejeniEren, welche den Krebs>chaden riehtig erkannt haben and die
Bauemschatt zum Bessern führen wollen, nnr immer von ..Erleichternn^en"
sprechen nnd sich jeder zweckmäßigen Neuerang gegenüber ablehnend verhalt^a
wftfdeo. Was sie einerseits an yermeiden wähnen, würden sie auf der anden
Sdte thnn: sie würden ,.den Schwarzen in die Hände arbeiten".
In einsichtsvoller Weise äußert sieh Herr Otto Graf Salburg zu Leon-
stein im Ti-aunkreis über die Fortbildung der Landleut«». ..Menschenglück
durch Menschenbildong schaffen" sollte die Aufgabe des Jahrhunderts sein.
„Die VolkasdnQe reicht entsehledoi für diewn Zwed( nicht ana.** Graf $al>
bnrg erldän es als besonders wünschenswert» dass die Leute endlich snm jJSelhet-
lesen" nnd Nachdenken angeregt werden. Die Indolenz habe hanptsächlich
ihren Grund in der isolirten nnd htichst serstrenten Lage der Wohnorte der
Landbevölkening.
Sehr zntreffiBnd sehreflit Heir Alfens Berger, Sdinlleita' in l^raalnn-
bnrg: „Ist der Schüler der Schnle entwachsen, so Idlft die ganae Familie sa*
sammen, damit Schulbuch, Tafel, Heft, selbst der Federhalter verkauft werden,
und vom Erlüse wird schlennic-st eine Taluikspteife annesihafft. Das mühsam
in dei' äckule Erlernte verÜUchtigt sicii, du weder Lesen noch Schreiben geübt
wird. Die tranrigsten Wahmdimnngen macht man, wenn von ehemals gntea
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Schüleru Briefe ans der Fremde kommen." AUerdin-is trol.e os liilniiliclii' An«?-
nahmen. „Damit ErwacLstnü zu Hausp aneh sclireiben und rcchoen, gebe ich
den Schülern zu passenden Tagen Hausaufgaben, die 8ie zu Papier bringen
rnttawiL Die Tinte erhalten sie auf Ersneheii von 4er Sehnte. Wie oft erlebe *
ieh nun die Frmde, dass die Schüler mit ihrer Arbeit auch die der Erwach-
senen mitbringen und freundliche Grüße ausrichten. Sache des Lelirers ist es,
da>s er einfache, dem Leben entnommene Aufgaben stellt, ,die znm Denken
anregen."
Herr Alezander Hochwlmmer, Lehrer in Schftrfling, legt in seinem
Schreiben einen groflen PfliehteÜbr an dta Tag, weichen er anch dnrch Ein'
richtnner eines Forthildung-scursus bethStig^e.
Herr Eduard Kesch, app. Gymnasial- und Volksschiillelirer in Pregarten,
hulL mit vuilem Rechte die Fortbildungscurse für ungenügend, nm den Bauer
mit der n5thigen BUdnng anssttstatten, und lindere noch weitere Kittel, om
den Bauer zu erziehen. Die Volk^ft eunde sollen denselben noch anf andere
Weise in seiner Wohnung durcli Belelirnng von Fall ZU Fall, and an öffent-
lichen Orten durch \'ortriiß:e zu bilden suchen.
Diese wenigen Meinungsäoßerongen, welche wir des Näheren angeführt
haben, sollen nnswen geschlltsten Lesern nur als Belege fOr die Benrtheilong'
des angesammelten Materials dienen, nnd wir werden uns wdter nuten anf
dieselhe beziehen, wenn wir eine be.sondere Aufforderung anfügen. Keinesfalls
aber daif ans die.^ei- Auswahl gesclilossen werden, da.s.s wir den übrigen Zu-
schriften , die aus Linz nnd Ried, Schärding und Mondsee nnd a. 0. eingelaufen
sind, eine geringere Bedentang beimessen.
Nachdem Herrn Hoppichler aaf diese Weise Yon den versddedensten
Seiten Zn.««tinnnnng8erklllrnngen zugegangen waren, kam er mit einigen engeren
Gesinnungsfreunden nii 2. August 1882 in Kedl zusammen, um über ein '
weiteres Vorgehen Rücksprache zu pflegen. Es wurde b^chlossen, den einge-
schlagenen za verfolgen, um Gesinnongsgenossen aniaw«rben ndt
denselbeB sefaimeit in einer grOBoren Vmammlnng tber foniere Schritte nur
Erreichung des gesteckten Zieles zu berathen.
Herrn Aj)|M<iii,'r stehen besonders die Herren M. Lindenthaler,
Lehrer in \ocklabruck, nnd Alb. Fischer, Lehrer in Frankenmarkt, mit
lobenswertem Etfiar ztsr Seite.
• Anf Antrag des Herrn IL Lindenthaier wnrde von der Generalver*
Sammlung des „OberKsterr. Lehrervereins" am 9. September 1882 in
Linz f^lirende "Resolution gefasst: ..Die lieutige Lehrerversammlung spricht
sich für das Princip der weiteren Fortbildung der der Schale entwachsenen
^OAben Yom ToUendeten 14. bis 18. Leben^ahre aus."
Im Deeembw 1882 wnrde hleranf an tibomtUche Zweig-Lehrerrweine
OberÖsterreicbs ein Oirenlanohreiben abgeschickt, das unterzeichnet war von
den Herren: Pollharonier. Prttfejtsor, Lindenthaler, Rojtjjichler,
Fischer, Aich berger. Durch dasselbe wurden die Zweig-Lehrer vereine aul-
gefordert, ihr Gutachten über jene Vorschläge zur Hebung der Volksbildung
mitmtheOent die sich ans dem obenerwähnten Hateriale von Zinehiiften und
Kundgebungen ans verschiedenen Bemftkreisen ergaben. Dieselben Wurden im
Cireular in fdgender Eeihenfelce angeführt: ,.1. Anstnl uiie- riiifs »-Tilipa-
torischen Eortbilduugsuntenichtes für die der ächule entwachsenen Knaben,
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die sich dei' LandNvimchaft oder dem (iewerbe widmen. 2. N'erlircitiiii)^ von
populär«!! FluipickrifleiL 3. Öffentliche Vorträge. 4. Heraus^be eiues ent-
•preehenden TnlIntiliMilnril 5. Fostgemtste Grflndiiii^ rem ToUnblbUotlMkeD.
ß. Gründling von BaaenMMifeiM. 7. Heraasgabe einer Zeitschrift, die in offener.
»'hrlicher Weise die Interr*^en der Landbevölkerung- bespre<")uni würde. 8.
Öftere ^elegrentliohe £eiehrtui^ dM- i4»ad Volkes von äeite hierzu geei^eter
Persönlichkeiten.
DiMer Avttofäieenaig konnten bMier iMk ildit aUe Zwdg^Ldirarveteiiie
nachkommen« da der gr^tCte Theil dei-selben seine Venammlnngen nnr in den
Sommermonaten abhlUt. Diejenig-en Zweigvereiiie. welche bereits ihr Vntnm
abgegeben haben, erklären sich alle mit den \'orschIüxeQ einvei-standeu, and
beatatigen namentlich die Noth wendigkeit eines Fortbüdan^Huiterrichtes;
einige dnyon erkeb» aber gegen die Einffihrnng deswlben maMfe«lei Be-
denken. Dieselbe soll der Znknnft fiberlassen bleiben, sei onzeitgenAß, werde
auf Kindernisse stoßen; besonders sei zu befBttdltonr dass dadurch dw achit*'
jährigen Schulpriiclit Abbruch gethaii werde.
Was die Einwendungen ersterer Art betriftt, so verdienen sie keine nähere
BeacSitang; aber aaek da« letatare Bedenken mliert bald jeden positiven Halt,
da OB nnr auf fibertriebener Ängstlichkeit benikt Den Feinden der Sehak
kann es gewiss nicht beifallen, den Antrag Hoppieliler's als Argnmeut für
ihre Sache anzuführen, da Ja dersell)e auf der af^litjiUuigen Schulpflicht aafi?e-
baut ist und Hoppichler fortwährend zugleich mit seinen Vorschlägen die
NoHnvendigkeit einet achtjährigen Sehnlbean^ea betont; wHuehenawerte Er»
leicbtenmgen, welche dem Zwecke nnd Lemilele nkkt abtrlgUch aindt soUea
dabei allerdings nicht ausgeschlossen werden. Warum eine volksfreundliche
Regierung, die das Maß der BildnniEr vermehren will, dem Fortbiblnücrsunter-
riebt zu Liebe die achtjährige Schulpflicht — die ohnedies auf dem Lande
niemali V«**»*^ kaftte — Torkllraea fonte, daa iat wakriialUg niekt efBaih
eehen; nnd von dner TolkafUndliehen Begienm^ itt in dieoer An^elegeakeit
ohnehin gar nicht« Gutes zu eI•^v,'^rten. Die Widersacher wollen freilich die
Schulzeit ;\>'kiir/Mn mul diese ihre Absicht durch den Antrag auf Einftlhmn?
eines „Fortbüdungsouterrichts" beschönigen; durch einen solchen ,.Fort-Uater-
rlcht" („Büdong^' brancht nicht dabei za stehen) könnten wol ausgezdchB«!«
Measner nnd lAehtige Vorbetor kwangeaofen werdmif aber dem Landvolke
wäre damit schlecht gedient — von einer Et^gftnzung der verkürzten Volks-
schule grar nicht zn reden. Doch wie jetzt die Sache im Argen liesrt. da dit»
Novelle die achtjährige Schulpflicht in der Praxis authebt und also das luheü
edion geschehoi ist, muss die erwähnte V<n«iokt, welehe einige Lehrervereine
empUBhlen, ohneliin leider als gegonstanddos benichnet werden; nun ist di«
Nothwendigkeit eines gltOi obligatorischen Fortbildungsunterrichtes
um so drinfrender worden, und wir müssen alle Mittel aufwenden, dami:
derselbe in zweckuiüi^igster W eise eingerichtet werde. Eine Partei, die schon
viel Unheil ausgebrütet liat, möchte gern ein Enckucksei ins Nest legea!
Ans all diesen Gründen eikellt, dass der Antrag Hoppichlers besSglieb d«i
obligatorischen Fortbildungsunterrichtes keinesw egs als unzeitgemäß oder ge-
fährlich betrachtet werden darf, sondern dass es Ptliclit aller Volksfrennde ist.
die Aufgabe, welche damit gestellt erscheint, einer untadelhaften Lösaog zo-
führen zu helfen.
i^iyui^cd by Googl
Nachdem wir nnn auf einige wolg-emeint^» BoiiKrlcnn^^en seitens der
Lehrerschaft geantwortet haben, mag es uns auch gestattet sein, unsere eicrene
ileiuong Uber das aufgestellte Programm zum Aosdrnck zu bringen. \'örHus-
Müiickeii mltaaeB ivir» dus wir jedeneit an folgendem GnmdntBe festhalteit:
Kein Kittel, welehes von ehrlichen YoUaflrennden znr Kebnng dei ^'olk^bü-
dnng vorgeschlaj^en vvinl, soll ganz nnd gar nnversncht bleiben • — das Eine
thun, das Andere nicht lassen. Aber wenn wir die in dem vorliej^enden Pro-
gramme aufgezählten Volksbildungsnüttel prhfen, so müssen wix- bemerken,
daes nicht allen eine grundlegende Bedentnng ankomiat, weshalb aach nicht
alle unserem Zwecke in gleicher Weise entspfechen. Dem gesprochenen
Worte gebärt auf jeden Fall der Vorzng, und daher ist auf Fortbilduns'S-
cnrse und öffentliche Vortriig-e das meiste Gewicht zu legen, d»^nn diese
beiden Bildungsmittel besitzen einen grundlegenden Wert, und es dürfen
keinesweges die letzteren neben den ersteren als minderwertig ge
schätzt werden. Durch die öfifentlichen Vorträge wird der erzieherische
Einfluss bis in ein hdheres Alter enuögliclit; und dies ist eine unbedingte Noth-
wendigkeit. Denn erst in einem reiferen Alter können aus den in der Volks-
und Furbüdungsschule erworbenen Kenutiüi»äen hÖhei*e Consequenzen gezogen,
nnd dieae Kamtnine in wlrkeame Beslehnngen zs einander gebnu^t werden.
Ent in TOsrgeechrittener Reife wird durch wiederiiolte erzieherische Einfluss«
nähme ans naturwissenschaftlichen, f^escUiclitlichen, geographischen Kenntnissen
ein richtiges Verständnis der Menschenwürde, ein edleres Selbste'ptn hl ersprießen;
erst bei reiferer Entwickelung kann aus denselben die Bedeutung des Mensclien
im Weltgebftnde nnd dee einseinen Uannes im Staatsgebttnde Idar gemalt
werden, und daraus wird dann eine freiere BethUlgang der guten Willens-
kraft, ein lebhafteres Aufraffen zum Besseren erfolgen. Auch kann nur in
öffentlichen \'orträgen vor reiferen Leuten jene gemüthliche Anregung gegt ljen
werden, welche zui- Ajuerziehnng obenvähnter Eigenschaften gleichfalls unum-
gängli^ nüthig ist Zndem mnss anch von den Alten anf die Jungen, welche
den Fortbildnngscors frequentiren, im günstigen Sinne eingewirkt werden,
wenn dieser Unterricht wirklich gute Früchte bringen soll; \nrd von den Alten
über das Lernen fortwährend gescliimpft und gespöttelt und wei'dcn die Jungen
mit niederträchtigem Eifer stets zum Vergessen des Erlernten angehalten (wie .
ee thatsadilieh geschieht), dann kann ans dem besten Fortbildungsuntenicht
nichts Gntes eriilAhen. Ihüier mOssen anch die Erwadisenmi selbst in Scha-
lung genommen und ihnen allmählich eine bessere Einsicht von dem Weile des
Lemens beigebracht werden. Werden die Jungen sowol im Fortbildungscurse.
als auch zu Hause lichtig und verständig angeleitet, dann wird aus diesem
günstigen Stemmenwirken ein gflnsdger Erfolg resnltirnt. Anf den bildenden
ElallaBS der sUtten Umgebang mnss ilberfaaapt mehr Bttckdcht genommen wer«
den; demselben ist es auch zuzuschreiben, dass die Kinder der Städter und
M«rkf1*^r >»essere Fortsebritto machen und mehr lernen als die Banemkinder,
welche die nämliche bchuibüdung geniei>en. — Schließlich kann auch noch die
Erwägung, dass regelmäßige OffentUdie YcrtrSge leichter ins Leben genifen
weiden können als der obligatorische FortbUdnngsnnterricht» jenen Argumenten
beigeAgt werden, welche für die besondere Berücksichtigung der öffentlichen
Vortrage neben den Fortbildungskursen sprechen. Also das Eine thnn, dns
Andere nicht lassen. W^as die nach Punkt 2 des Progammee in Aussicht
— 694 —
gestellte Verbreitung' V'Jii {M>puliireu Flugschrift » n ^belangt, so wird
dorch dieselbe bei anserem Latidvulke wenig Erfolg erzielt werden k&anen.
D«r Bauer liest niebt; er will hören, wenn er sich schon m etwas herbeillist.
Wie viele „FlagschiiAen'' sind schon in den Wind geflogen! Aber den lefind*
lieh abgehaltenen Vortrag im Drucke vertlicilen lassen, damit die Lentp das
Gehörte auch les^n . I>es8er merken und überdenken können — das \v;in » ine
sehr vernünftige MaiiregeL Dadurch würde auch das „Selbstleseo" angenegt.
Der im Punkte 4 gesteUten Fordeniiiflr nadi efaieni entsprechenden Volks*
kalender suchten wir bereits heuer durch Herausgabe dnee „Gtio6en Bauern*
kalenders mit Bildern" fnr d.is Jalir 1884- gerecht zn werden. Da ein der-
ai-tiges Unternehmen nicht als (Teschäftssache betrachtet werden darf, entliel
jede Honorirung, und dem Verlier (KatI Fruuime, Wien IL, Glockeagasse)
w«r et so ermöglicht, den Stfnnder n den billigen Preiae Ten 36 kr. nebet
GewBhmng eines bedentendm Habattes «n Wi^erverkftufer herzastellen. Die im
5. Punkt erwähnten Volksbibliotheken sind « in unschÄtzbares Rildnnff>mittel
und die Anfstellung von guten Volksbibliotheken ist selbstverstilndiidi in jeder
Weise zu fürdem. Aber leider wei-üen sie (wie wir schon in unserem Auisatze
„ VelkeHldnDgnnitIttl' IV. Jahrgang, 6. Heft benerkl«) Eameiit nur von Jenem
geringen Bmchtheil der LaadbevMkenmg benntct, der bereits so weit Torg»>
schritten ist, um aus eigenem Antriebe nach Weiterbildung zu streben. Der
Vf'rfflRser h:it mit vieler Mühe und großer Sor^alt ein Bücherverzeichnis für
\ oikübibliotheken (dasselbe ist unentgeltlich zu beziehen durch die Buchhand-
long Wilhelm Frick, Wien, Graben) znwaromengestellt, nneh weiehem UelMr
sehn Bibliotheken elngeriditet worden. I^^Cndem nsn bei dleeer Zannunen-
stellung dem bäuerlichen Bedirfiiisee gewtoenhafte Rechnung getragen wofden
ist, stehen die Entlehner ans der Banemschaft doch noch immer gegen jene
ans dem ätaude der Gewerbetreibeudeu etc. bedeutend zurück. Dieselbe Be-
obachtung kann man bei allen Volksbibliotheken machen. Im 6. Punkte wird
die Orllndnng von Bauern caeinos gefordert Die bestehenden nnd neck
SU gründenden Bauerneasinos kennen natürlich vortrefflich benfitzt werden, um
mit der Banernscliaft in V»^rk»'!ir m ti-eten. Allein die Banerncasinos haben
nicht so sehr die Erziehung, als vielmehr die Intere^eovertrelung des Bauern*
. Standes zum Zwecke, und recht gedeihlidi entwickeln werden sich dieselben
erst nach TorfaeigegaDgener Bildvngtarbeit, wenn dadsrch der Genuiasinn ge-
weckt worden ist nnd ddi auch die Hasse dee Bauemstandes — nieht nir die
sogenannten „ Herren banem", wie es jetzt zumeist der Fall ist — zur rege^
thätigen Theünahme bewe^y^en lasssen wird. Daher möchten wir die GrSndn^
von BauerQcaäinus weniger als Ausgangspunkte, sondern vielmehr als Folge
einer erzieherischen Thfttigkeit betrachtet wissen. BexflgUch der im 7. Ponkte
angeregten Heran^be einer Zeitschrift, die in offianer, eblüeher Weise die
Interessen der Laodbevrilkernnp besprechen vsürdt«. mnss wol vorerst die Frag^
gestellt werden, ob es sich um eine Zeitschrift handelt, die der Inrellitrenz
gegenüber die Interessen der Landbevölkerung vertritt, oder um eine Zeitung,
die flir das Landvolk selbst bestimmt ist Die Anlage tmd Eärhaltnng einer
Zeitschrift ersterer Art würde ans materiellen Gründen, solange nicht ein
reicher Fonds zur Verfiiprnni? stellt, schwer zn bewerks(ellie:eu sein: aach liegt
eine derartige Zeitung nicht eigentlicli in der Uiehtung einer volkshildenden
Thätigkeit. Anders verhielte es sich allerdings mit einer Zeituu^ lur die
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— 695 —
Landbevölkerang, welche die Interessen derselben von einem richtigen. Geaichts-
pankte ans in verständlicher, volksthümlicher Form besprechen «U ri Leser
belehren würde. Gerade in Oberösterreich gibt es vorti'efiliciio ^»ugenannte
Banenudtnngeu , wie den ,^aTtfinivereiiis-BoUfli*' und das „Liiuer Sonntag»-
blatt**, Aber eine kleine Zeuäng belegter Art eilBtIrt nieht, und die Henuia-
gäbe einer solchen wäre sehr zn wünschen. Wir haben über diesen Gegen-
stand in nnserem kurzen Anfsatze ,,Clericale Volksschriften" (V. Jahrg-aiier,
'6. Heft) gehandelt; durch Herausgabe einer solchen Zeitung wäre auch die im
Punkte 2 erhobene Forderung von populärm Flugschriften in zweckmäßigster
Weise wiedigt. Die Beapreehnng der im Punkte 8 gegebenen Anregong be-
züglich einer gelegentlichen Belehrung des Landvolkes mnss wol mit
der Beaprecliuiijr des 2. Punkt«'« ( offfTitliflif Vortrüge") zusammenfallen; die
gelegentliche Belehrung einzelner Landleute iu Haus und Hof. oder die Vt r-
anstaltung kleiner, privater Zirkel zur Belehrung und Unterstützung ist nur
eine speciellere Foorm der Lteong jener im Punkte 2 gestellten AvitgtA». —
Nunmehr hätten wit nftch bestem Ermesse unser ürtheil über die in dem
mehren^ähnten Arl pi*s]irorrr;iiiinie g-egebenen Anregungen gefällt und kommen
wieder anf die Besprechung der von UermHoppichler unternommenen weiteren
Schritte ziu utk.
Herr Hoppichler richtete imVoijahre eine Petition sn denoberOeterr.Lnnd'
tag, in welcher er um EinlHhrnng des obligatorischen Fortbfldnngsunterrichts
ersucht. In der 12. Sitzuno: am 13. October 1S8- kam fip :''nr Verhandlung,
und wir lassen den Bericht hierüber nach dem ,.Linzer Soniitagsblatt** folgen.
„Nächster Gegenstand der Tagesordnung: Bericht des Schulans-
sehnsses ftber die Petition des Hermann Hoppichler, Landmann in
Redl, betreffend die Einffllirung eines obligatorischen Fortbil-
d nn^snnter ri eilte s für die m&nnliohe Jngend der LandbevSlkerong
an Öonn- und Jj'eiertagen.
„Berichterstatter Abg. Kiinkosch hebt betrefife der Petition des Her-
mann Hoppichler In eingehender nnd aosAhrlldier Weise die dringende
Notbwendigkeit größerer Büdnng der Landbevölkerung hervor, mn diese sowol
für ihren Beruf als Landbantreibende, als für die Erfüllung ihrer staatsbnrper-
licheii Pfliehten nnd tur die Ausübung ihrer politischen Rechte befäliigter zu
macheu luid sie der Bevormundung zu entreißen, welche von anderen — und
awar nidit in ihrm Nnteen — über sie ansgettbt wird. Obwol diese Petition
nur von einem einMinen aasgeht, so ^flrfe de doch als der Ansdrnok der
Wunsche vieler betrachtet werden, und es muss das in derselben zu Tage
tretende Streben, die Jüngling:*' J^u praktischen, türlitigren, nach jeder Richtung
selbstständigen Staatsbürgern heranzubilden, als ein sehr ehrenwertes, löbliches
nnd patriotisches anerkannt werden. Dieses Streben eines Hannes ans der
LandbevOlkemng ist nm so eri^nlicher, als es eine Achtung signalisirt, die
in lobeuBW^tem Gegensätze steht zu der uns bekannten unennüdliohen Agi-
tation, welche dahin arbeitet, die achtjühiig'e Schnlpflicht herabznniinrlt'ni, TM'c
Petition ist jedenfalls gruüer Beachtung wert, kann aber gewiss aiciit kurzweg
erledigt werden. Der Schulausschoss stellt didier den Autrag: „„Der hohe Land-
tag" wolle beaehlieiien : Diese Petitieii sei dem Landesansscfansee zur eingehen-
den Prttfling und Berichteratattang in der nftchsten Session des hohen Land-
taget musnweisen."*' (Angenommen.)'^
Fsdiffociiua« ^ Jüofuaf. TL Heft. 45
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— 096 —
Es stpht non zu erwarten, das« der oberÖ8t*»rr<^ichi-«oh.' Lanik';:iii'*«ichn!ss
diese wictitige Aulgabe mit eroBter Hiogabe einer ersprießlichen I/i>:»aug zu-
führen Mterde.
Ferner richtete Heir Hoppiehler VonteUuigen in der Seche der Volks-
bildtomr an hohe LaadesirteUeD und Körperschaften. So ea den oherSsterreichischen
Lan (loshaiiptmann: an den IlHrm Statthalter; an die Handel«- nrid
(m-w erbt' kani nie r fiir das Erzherzog-thnm ab der Enns: an die k. k. o. d. e.
Land wirtüchulittgesellschaft; an den uberüsterrrickiädieu Baueruverein;
an den oberOeterreichiBchen Lehrerverein; an den llberalpolitisehenTerein
für Oberöstexreich. Die Kopie jener Vorstellung, welclie an den Herrn Statt-
halter geleitet Würde, nnd welche mit den übrigen im Inhalte übereinsnnnnt.
liecrt uns vitv, und wir wollen einige markante Stellen aus derselben mittheileo,
weil aui solche Äulieningeu des gesunden Volksverstandes immer und immer
irieder hingewiesen werden mnes, namentlich jetzt, da man mit aller TBeke
nur das GegentheU hervomkeiuren bestrebt ist. Herr Hoppiehler beginnt
Seine Schrift mit dem Hinweise darauf, dass das Landvolk von ObeWisterreich
nicht als nnznsrftnärlicb in Betreff der Bilduni,^ betrachtet werden dürfe : das
Land Oberosten-eich sei nicht das schlechteste im Staate und müsse auch genug
an Stenein leisten. Der grttfite Theil der Landlente beeehließt sein Leben in
der Sorge nm Aafbringnng der LefbesbedIrfliiHe nnd kann nichts aus Eigenem
xur Vermehrung der Bildung thun. Die Volksschule werd 1 ni Landvolke
^von gewisser Seite in einem arcen, sddinntien Lichte eezeisri", und leider
nur „der einsichtige, aus £rfahrung klug gewordene, aber leider nicht aua-
scU^ggebende llieQ der Landlente weiß, wo der Hnnd begraben liegt; er yer-
ateht den Wert der Volkasehnie in aeinem eigenen Interesse m würdigen
Mit 14 Jahren verlaseen unsere Bnben die Volkasehnie, die aus Kindern nicht
Männer raachen kann, weleh.' in« praktische und staatsbürgerliche Leben ge-
nügendes Wissen mitbnn;jen. \ om 14. bis zum 20. Lebensjahre besteht eine
Lttcke." Mit den freiwilligen Fortbildungscursen kann kein Analangeu ge-
fluiden werden; trotzdem hat sieh leider bis jetzt noch niemand mit der Frage,
wie ein «ibl is^atorischer Fortblldongannterricht einzuführen wäre, ernstlich
beschäftigt. „Früher wollte man überhaupt nichts für Volksrechte thun", und
als dann spater plötzlich Freiheiten «rewHhrt wurden, konnten sie vom un-
wissenden Volke nicht richtig und versläudig ausgenützt werden. „Wir kamen
anf eine gute Weide, aber das Wasser der BUdnng des Geistes Üehlte."
..Im Landvolk findet man nebst der guten geistigen Anlage häufig MiBStianen,
Aberglauben nnd Scheinheiligkeit: — ^vr^hrllafte Relif;iosit.1t , die in Thaten
und Werken, in wahrer Gottes- nicht Menschenfiircht besteht, ist recht dünn
gebaut. Die Geistlichkeit auf dem Lande besitzt leider sehr häufig nicht die ge-
nfigende Bildong, um fOr die wahre Veredelung der Geister sn sorgen nnd
nach den Grundsätzen der Ldire unseres Religionsstifters Herz und Geist zu
erheben.'* In den I>mngsalen des Lebens hat sich Muth- nnd Hilflosigkeit
des Landvolkes bemiif htigl. ..Alles wird als Strafe Gottes dem armselijr*'Ti
Laudmann zuletzt voigestellt, seine Seelenangst noch aU Dreiugabe Mmh-
gerufen, wird er im tiefeten Elende smn Vatemnserbeten nndHesseidesenlaBsen
angewiesen'' „Wenn- nnn dieses Alles der Mensch unter den Menschen,
der redliche StaatBbiirL'er inmitten seiner Land.^leute auf dem Lande niiterleMi
I mnse — ist es ein Wunder dann, daes er Abhilfe in der tranngea Lage des
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VnUnUIcliiiigswesent wflaMht und sucht?" Da niin die Werktagneliiile für
die EdrImb nicht genSgit, um sie mit der genügenden Verstandes- nndGemüths*
V-ildnng- auszustatten, „wäre ein oblig-atorischer, gesetzlich gut greregelter
Fortbihlnngsunterricht an Sonu- und Feiertagen für die der Schule ent-
wachseuen Buben einzoföhren" und „mändliche, 6eist| Herz und Gemüth
▼ereddnde Vottrtige für die erwaehBenen LuidleDte'* ni yanuutalten. Hop-
pich 1er bittet schlieOUch die Pi opagii-nng der anf die Heining der VolkibUdniig
abzielenden Bestrebungen wolwollend zn unterstützen.
Von der holien St attli alterei kam bislang keine Erwidening.
Herr Landeshauptuiann Dr. M. Eigner verwies auf die Nothweadigkeit,
daes dem Landvelke die Einsicht von dem Werte der Bfidnoiif werde, damit
es durch Pflege des Volksschulunterrichtes jene Grundlag^eu schaffen helfe, „ans
welchen sich auch die Weiterbildung nach ffthigkeit nnd Talent mit geringer
Nachhilfe zu entwickeln vermag."
Die Handels- und Gewerbekammer zog Hoppichlers Anregungen
betreffend die Einfflhrung des obligatorfsdien gewerhUcben Fartbttdvngsnnter'
lichtes auf dem Lande in der Sitzung vom 23. Fehmar 1. J. in Berathung,
nnd wurde folgender Antrnn- rlfs romites einstimmi^s: aufrenommen: ..Die Kam-
mer anerkennt die Wichtigkeit und Dringlichkeit der F^intührung eines ent-
sprechenden obligatorischen gewerblichen Fortbildnngs-üntenichtes auf dem
Lande» und spreche die Erwartang ans, dass die Haren Abgeordneten der
Kammer im oberOstexTeichlschen Landtage hielllr dann ihre Stimme erheben
werden, wenn dieser Gegenstand dort znr Behandlung kommen wird.'* —
Jedenfalls ein schfJnes Resultat.
Dagegen sticht das armselige Votum, welches die k. k. o. d. e. Land-
wirtsehafta-Oesellschaft ftber diesen Gegenstand ftllte, in wenig erflren-
lieber Weise ab. Nnmmer 25 der „Landwirtschaftlichen SSeitsehrift nnd
fBr Ober-Österreich" vom 15. Jänner 1. J. enthalt den Bericht Ober die Sitzung
ip% rpntral-Ausschusses genannter Gesellschaft, in welcher über Hoppichlers
Anträge fiath gehalten wurde. Es heißt dort: „3. Erstattung eines Gut-
achtens an den h. Landesaasscbnss wegen Einführung eines obli-
gatorischen Fortbildnngsnnterrichtes. Der Berlehterstattor, Central-
Ansschuss Mainser, llftlt die von dem Antragsteller, Herrn Hoppichler, an-
geführte Beschwerde, es sei dem Bedürfbisse der Volksbildung auf dem Lande
gegenüber den Städten nicht genügend Rechnnng getragen, für nicht gerecht-
fertigt; es sei freilich eine Unmöglichkeit, selbst mit einer ach^ährigen Schul-
Iiflicht die gewflnschte geistige Entwickelnng eines Kindes m erreichen, aber
fiher die bestehenden Volksschulgesetze hinaus könne der Staat keinen Lern-
zwang mehr ausüben. Nach der Volk««rhule ist es .Aufgabe der Eltern, für die
weitere peistige Ausbildung ihrer Knuier zu sorgen, und hiezu fehlt es nicht
au Gelegenheit. £r weist auf die bestehenden landwirtschaftliclien Fortbildungs-
cnrse nnd auf die Landes-Ackerbansehnle hin, deren Besnch anch sdchen
Banemsöhnen, die nicht als Stiftzöglinge eintreten können, nicht unerschwing-
lich ist. Er beantragt : Der Central-Ansschuss wolle die Petition des Herrn
H. Hoppichler um Einführung eines obligatorischen Fortbildungs-Unterrichtes
für die männliche Jugend in den Landgemeinden nicht befürworten.
ffiei der hieranf fdgoiden Debatte^ die sidi im Sinne des gestellten An-
trages des Beferenten bewegt, bemerkt Central-Ansschnss Foltn, dass sich der
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— 098 —
frf'iwillijro landwirtschaftliche Fortbildungs-Unten icht olmelün gftnBtisr ent-
wickele. »So wurden im letzten Schuljahre an 80 Schulen derartig:e Curse
gehalten, an welchen gegen lOüO der Schale entwachseue Leute im Alter von
15 Iiis fiber 30 JahrtD in laadwirtaelialtliclieii LelurgegensttBäten urtarwieMii
wurden. Das war ohne Zwang sa emichen, mit ZMraog wäre man kaam so
weit gekommen. Wo sollte man auch die große Zahl von Lehrern hernehmen,
die befähigt witren. landwirt«chaftUchen Unterricht zu ertheih n. und wie die
Geldmittel aulbruigen« um die Koeten solchen Unterricht« zu U-ätreiteii? —
Bei der «chliefilich folgenden AlwUmmimg wurde der Antrag Mainzer einatim-
mig angenommen."
Einstimmig'! Die Hen'en liahen sicli also offenbar recht jarat verstanden.
Jedenfalls ist die Sache zu einseitig landwirtschaftlich anfgefasst und beweist
die Argamentation eine mangelhafte Kenntnis der thatsächüchen Verhältnisse.
Hetr Maincer kann aeii» Behanptang, daaa der Yolktlrildiiiig anf den Lande
gegenüber den Städten genigead Beohnnng getragoi sei, onrnSglidi selber glau-
ben, wenn anders er die Verhältnisse auf dem Lande nicht blos vom H5ren-
sa^en kennt; er widerspricht sich tibrigrens ReH>er. indem er zugibt, dass mit
einer achtjährigen bchalpflicht nicht der erfuiderliche Eäect erzielt yriri. Und
wie kann der, wekdiein ea Ernst mit der Volksbildung ist, die „weitere geistige
AosMldong" der Kinder den Ettem UberlasBen, die selbst Boek einer Endekon^
bedürfen? Der Satz aber, dass ftber die YolkBBchale hinaus ein staatlicher
Lemzwang nnmog-lich ausg^eübt werden kRnne, wird f^chwer zu halten sein,
wenn man dem Staate das Recht zugesteht, Aussprüche an die geistigen Fähig-
keiten des Volkes zn stellen, welche dasselbe in der Volksschale nicht ge«
nftgend ansbilden kann! Eine Parallele zwischen dem Forkbildnngssckiil*
Wesen in (Österreich und dem in fremden Lindem, beispielsweise jenem in
Deutschland, Kisst sieli sc hwer ziehen; und warum sollten wir hierin nicht dem
Nachbarstaate nachstreben V Aber in OberJ^sterreich die 80 landwirtsciiaft-
lichen Fortbildangscui-be mit lüOO Schülern vou 15 biü 30 Jahren (!) in Ver-
glfiieh zn stellen mit den ea. 800 Landgeraeindesdinlen, ans denen «mihitick
mehr als 6000 Knaben ohne jede Weiterbildung entlassen werden, — das
geht schon ganz nnd gar nicht an. — So jväre no* Ii mnnches dem Votum der
kaiserlich-königlichen ob der Ennsischeu Landwirtsclialls-Gesellschaft ent?ef[«i.
zu halieu, aber leider legen uns Kaumrücksichten eine Beschräukuug aui.
Der liberaUpoIitisebe Verein für OberOsteiTäch benfitzte die Zn-
Schrift des Herrn Iloppichler als Anftats in dem von diesem Yerefai kerans-
gegebenen Volkskaleuder.
l)er (tberosterreichi.sche Lehrervereiu machte die von Herrn Hoppich-
1er augeregte Frage zum Gegenstände eingehender Berathongen in seinem
Ansschnsse, Aber deren Besnltat die Zeitsdulft dieses Vereins sdneneit be-
richten wird.
Der Aussclms.s des oberösterreichischen Banernvereins ließ seine Ant-
wort durch das Mitglied Hoiin M. .lungreitmayr ertheiieu. Da dieselbe
eine besondere Beachtung verdient, wollen yvir einige Stellen daraus autühren.
Der bedanerliohe Umstand, dais Siek die Banmrn tds kente noch nicht ganz
von ihren alten Fflkran emandpirt kfttten, findet, wie daa benannte AnasehnaS'
mitglied in dem Schreiben an Hoppichler meint, seine Ursache darin, dass
die Kftrze der Zeit noch nicht zn einer gründlichen £mancipation liingereicht
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«
— 609 —
\\i\hi\ „Eine Emancipation, eine Lostrennanf von allen di- > ri Vormündern im
politischen Leben verraag nur nach und nach, \m\ nrxch Auweudung der Mittel,
welche da Schule und Erfahrung heißen, eiu/.utieten." Das Volk ist aiiss-
tranifleh geworden, „und pfleget in seiner gutmüihigeu Blindheit dieses Miss-
trauen andi dann an den Tag an legen, venu ihm Ootea eatgegengebmht
werden will. Lieber Freand, wird einmal die Zeit herangerückt sein, daas
das Landvolk eiru^ sresicherte und f»^ute Erzielmnc:f5anstalt, eine Schule hat, und
dass ihm in derselben die Weltgeschichte in nnentstellter Weise, in nackter Wahr-
heit, vorgeti'agen werden wird, dann wird auch der Augenblick gekommen
sein, da« das Volk klar sehan wird, daes es avch auf dar poIitiMhen Wandel-
bahn keine Fehltritte mehr machen und zielbewnsst einher schreiten wird.
Damit dieser Anf^enblif^l^ m'^srlichst bald eintrete, mlissen wir mit allem Eiter
und mit aller Kraft zusannnenstehen und zusammenwirken, wir, die wir doch
halbwegs glauben, dass wir mündig sind, und die Vorzüge und Fehler des
Volkes 80 ziemlich im Grande erkennen. Mögen wir nnaUassig mit vereinter
Kraft wirken, hiebei nichts überstürzen, sondern mit Besonnenheit und lOLiK-
gong vorgehen, und wir werden und milssen dann zum gewünscliten Ziele
langen, zumal nni?ere Sache eine j^ercclite ist." Oi»' Antwort auf alle Fragen:
wuher kommt das — and was ist die Schuld daran? mnss folgendermaßen
lauten: „Das alles kommt von der alten Ersiebnngamethode, von der alten
Schule, in der man nicht der Jagend die reine nnd lantere Wahrheit vor-
tmjr. wo man im Vortrage Licht mit Finsternis vermengt hat, wo man neben
der reinen Gottealelup din Satzungen der eg-oistischon Priesterschaft hinstellte,
wo man statt der wirklichen Weltgeschichte eine verfälschte and entstellte
nnterbreitete. Alles dieses falsche Eraiehen, alles dieses in der tln-
wissenheit Lassen, trftgt die Schuld, dass das Volk anf jener be«
dauernswerten Stufe in seinem Grofitheile steht, wie wir es heute
noch sehen können Darnm, mein theurer Freund trarhten wir da-
hin, dass wir mit aller Kraft aufklärend anf unsere Nachkommenschaft wirken
und hiebei den wahren Grund des Urchristenthums nicht aus dem Auge lassen."
Auch werde Hoppichlers Antrag, schreibt Herr Jungreitmayr mm Schlüsse,
gewiss noch zur Geltung kommen, „wenn die Zeit der Mögli<Äkeit der Durch-
führung eingetreteti ^'in wird". Es könnten nur Differenzen „über die
jeweilige Durchfülirnng des Antrages obwalten und obgewaltet haben'^
Diese Änßeruug eines Ausschassmitgliedes des Baaemvereines lässt er-
warten, dass endlldi auch In den IftudUchen Krdsen eine bessere Ehisicht von
dem Werte und der Bedeutung des Schulwesens sich Bahn bricht. Herr Hof-
rath Lienbacher meinte in der Schulgesetz-Debatte, man solle sich doch nur
die Bauemrereine ansehen, das J?eien g^r keine liberalen Vereine. Nun, die
Bauernvereine werden wol mit vollem Rechte dem wirtschaftlichen „Manchester"-
Liberalismns keine ünterst&tanng leihen, de werden sich aber auch dagegen
verwahren, dass JBrndeischaftler" in die Landschulen ab Lehrer hineingesteckt
werden!
Die von Fnrn Kipp ichler und geinen Gesinnnngseenossen in Ober-
Österreich unermüdlich betriebene schriftliche und mundliciie Agitation hat
auch schon in der That wirkliche, greifbare Frttchte getragen. Von Herm
SehuUsiter Alfons Berger und dem Herm Lehrer .T. Nep. Biichsner wur-
den nftmUeh im heuerigen Winter im Schnlbezirke Frankenbnrg mehrere
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öffentliche Vorträge versncluweise venuiBtalteti filwr welche wir »nf S. 700
eftte kleine taliellarische Übersicht geben.
Bezüprlicli des Erfolpfes dio«»er Veranstaltung-fn berielitet Herr Schnlleiter
Berg er, dass das Interesse der Znhi5rer ein ungeuieiu re^s war. dass da-
durch der Schule viele Freunde geworben wurden, und sich seither der Schul-
beendi recht eifrig gestaltete. Herr Ldirer Bflchsner meint, daae wiche
Vennstaltungen für jene Gegend die zweckmftfligste Art der Volksbe!« Iirung
seien. Da wir an den VortrJlpfen nicht theilgenonimen haben, können wir kein
Urtheil darilber abg-eben, ob in denselben der rlchtig-e volksthämliche Ton ^re-
troffen worden ist. E» wäre wol zu wiinacheu, dm> auch dem unter halten-
den Etemente einige Beaditnng gesdienlit werde; dnrdi dasselbe soll Ja das
Volk whoben wwdoi äber die Alltäglichkeit mit ihren materiellen Sorgen, die
es immer und immor wieder in fli« e:eistige Elend zurückbannen. Jedenfalls
ist aber dieser versuchsweise Antang in der von uns bezeichneten Richtung
aufs freudigste zu begrüßen, und dem so gegebenen guten Beispiele die eif-
rigste Nachahmung von Seite dar Lebrerschaft sn wfiDschen.
Zu besonderem Vognfigen gereicht es dem Verfasser, anch aus Nieder-
Jistcrreich und zwar gerade ans jener Gegend, in welcher er zu Hause ist,
darüber berichten zn kr»nnen, wie sich einsichtsvolle Männer aas dem Volke
au der Losung der Bildungsfrage zu betheiligen suchen.
Herr Leopold Wimmer, Hammerschmied nnd Bürgermeister zn Per-
wart bei Banden in Niederitoterreich, beschiftjgt sich gleldifUls sdion seit
längerer Zeit mit der Frage, wie dem Bildungsbedürfnisse der Landleute Rech-
nung zu tragen sei und ajritirt namentlich sehr eifrig für die Schaffung eines
sonntüglicben Fortbildungsunterrichtes. Seine diesbezüglichen Ideen
legte er in einer Broschüre nieder, die im November 1882 im Selbstverläge
erschienen ist Dieselbe enthttt Zotr^Tendes, das in korzangebandener, volks-
mäßiger Weise zum Ausdrucke gebracht ist, und Jeder der gmhStzten Leser,
der sich einen näheren Einblick in dieselbe zn verschaffen wünscht, möge sich
nnter der angegebenen Adresse direc t au den Verfasser oder auch an uns
wenden. An dieser Stelle können wir uns nicht anders, als nni* ganz karz
Über den Inhalt des Sehriftchens aasspreehen. Herr Leopol d Wimmer wünscht
die Errichtung von Fortbildungsschulen und vm Schalen für die Kinder
von Bettlern. Vagabimden und Lriiiflstreichern, also von Armenschulen: da-
her betitelt er anch seine Broschüre „Zwei Schulen". Herr Wininier be-
zieht sich auf den ^. ö de« Gewerbegesetzes, wonach jeder Gewerbsiuhaber
Terpfiichtet ist, dem HUibarbeiter bis zam 18. LebemiJahre den Besnch der
Torhandenm Abend- und Foi n l lungssdrolen zn ermSglichen. Dieser Para-
graph nehme sieh am frrini ii Tische p^anz schon ans, meint Wimmer, aber es
sei undenkbar, dass in allen Orten, besonders auf «lein Lande solche Schulen
benutzt werden können, da es nicht möglich sei, djn-n der Heister seine Lehn*
haben nadi der Arbeit 2, 3, 4 Kflometn* weit In die Scbnle sende. Weü abw
für die ländliche Bevölkerung trotzdem eine Weiterbildung der Scha](]ngend
wünschenswert sei. indem trcrade in jenem Alter, da die Kinder aus der Schule
entlassen werden, sr^hlechte Gewohnheiten und schlechte Gesellsdiaft arges
Unheil stiften, deshalb vväi*e es erforderlich, dass in den Landschulen sonntäg»
lidie Fottbüdnngscnrse eüigeriditet werden. Was den Ldirplan soldier Gaise
anbelangt, gibt Wimm er nnr einige leitende Qesichtspankte an:
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t^iing des Lesens.
Ii. Aufgabelt far freie Zeit im Schreiben und Eecbnen, womöglicli den
einzelnen Gewerben angepas^
nL Dm richtige EinachreibeD in die did nothwendigen G«ecliKftsliiehert
als Cassabiichel, Tagebaeh md CoatobOclL
IV. Das richtige An-^t. II n von KechniiDg«!!, ScUaMbriefen, Kosten-
anscblägen, Bericliien. iTiitacbten etc.
T. Zasammeu8i«lluiig vuu einfaclieu Gewerbestatistikeu, uiu danach die
Oestehniig einer Waare odt dem YericanlbpreiM veifirleieheB zm
können.
VI. J»' nach dem SchiUei itPiiale popiilltre Vorträge tflfihliiTfhw Begebt
nnd deren Anwendung? auf A'w fiiiz^-lnen Stünde.
Vn. Vorträge auf sittlicher Grundiagt- aufgebauter VerUaltungäregeki im
bttigerlichen Zmaniineiileben, Angabe der gi^ucn Gienie, wm der
Arbeiter, der Gewerbetreibende von der GeteUtdnIl begehren dnrf
nnd Wflihe PHicliten er zn erfüllen hat.
Vm. Klare Darlegung über den, hohen Wert der Arbeit für den einzelnen
Ueoschen wie fiir den ganzen Staat; Hin Weisung auf die veredelnde
Gewalt des zlelbeiniist^ Sehnffens IBr jeden in seinem Stand —
und so mehr.**
Gegen die hier g-fgebenen praktischen Finger-zt ig-e kann im Ganzen nichts
eingewendet werden; aber der in den Punkten und "MIT gedachte Zweck
kann wol nicht dadurch erreicht werden, dass man den Burschen einfach ^ Vei*-
lialtungsregeln* vorträgt, sondern es mfissen seiche BUdDogs&ctorai ang^
wendet werden, ans deirai sieh jme gew&nschte Eimieht als natfirliehe Con-
aeqnenz ergibt (Xatur- nnd "Weltgeschichte, Geographie etc.).
Pas. was "VV immer mr Begrün(iiin«r «*'ines Antrages auf Errichtong von
Armenschnlen anführt, ist so bezeicluieud tür unsere ländlichen Verhältnisse,
dass wir es nicht nnteriassen kSnnen, Wimmers AasTährongen nasevem
Leserkreise mitmitheilen.
„Ein noch böserer Nachwuchs, als es verdorbene Lehrbuben sind", sagt
Wimmer. _wird durch die vielen herumziehenden bettelnden Familien erzeugt
und gi'oü gezogen, unsere Nachwelt wird cü uns als eine i»clireckliche Nach-
lässigkeit zur Last legen, dass wir so viele junge Menschen, die so onglficklich
aindf Terlraaimene Eltwn an haben, schnnigrad dem Znchthaos eotgegeogeiien
liisnfiw
,.Unter der Vorweismirr ir^ nd eines Gewerbscheines treiben sich Banden
von 1() — 20 K^ifjfeu (Haderasauiialer. Scherenschleifer. Kesselflicker. Geschirr-
hiiiidler u. s. f. A. d. V.) am Laude herum, zum 8chj*eckeu und zur Schande
der abrigen tfenschen. Ich frage in der Bege! diese Levte, wenn de betteln
kommen, um ihr Nationale nnd Anfweisiuiff; erst vor Wochen stfdlte ich an
einen Tf u^^rnsammler, der nebst fsein'-Tii ^veiblichen Harem 11 Kinder n>it sich
trieb, die i rage. ob ihm denn an den Kindern ^slv nichts geleeren sei? ,. Behält's
die Fratzen**, wai- die Auiwoit. Ich wai* erbost darüber und drohte, ihn auzu-
zeigefl, dodi er zog eine Licttia ans der Tasche nnd sagte: „Idi nable Qteaety
nnd niemand kann noch anlialten." Das ist tranrig, sehr traurig, ich habe
den Gewerbestand immer als einen Khrcnstand betrachtet, aber mit solchen
Leuten Gemeinschaft zu haben, das ist beschämend. £s ist eine Qhar«kt«riaük
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unserer Zeit, dass der stabfle Bürger in vi» ! ein V)e vormundet wird, wovon
der Hademsammler frei ist. Wf-nn der Haiisliiiiid eines Banpm 100 Meter
vom Hause rennt nnd er wird g-osehen, konniit die StratV. wenn abei- herum-
ziehendes Gesindel Hundehaudel treibt, und diese Tlüere uicUt nur die
Sieherfaeit dee Wfldee» aonden auch die nnaerer Schidkliider geOhrdet, wie
lieht es denn da ans mit der Strafe? Wenn ein noch so armer Kleinliftlialer
sein Kind wegen dringend nothwendiger Arbeiten 1 bis 2 Tage von der
Schule zu Hanse iSsst, so kommt die Strafe, aber wenn Hademsammler (oder
auch besser gesagt: „Crewerbälente") ihre Kinder statt Religion, statt Le^n
und Schreiben — Fanlenxen, Lügen nnd SteUen lernen, wie sieht's denn
da ans mit der Strafe? Man schiebt höchstens die ganze Sippschaft anf
Landeskosten nach Hause, damit sie von dort ans anfs neue das edle Hand-
werk wieder 1)etreibeii können; oder wns auch schon vorgekommen ist,
wenn solche Familien dem Gerichte iibcriiefert werden, lassen die Hei'reu
das Gesindel wieder laufen. Die Kinder aber werden von Tag sn Tag
schlechter, kennen mit 8 bis 10 Jahren genau jede Gegend, wo gut zu
betteln ist, und wo sie ungesehen stelilen kßnnen. "Wo bleibt da der liberale
Grundsatz, dass die geistigen Güter möglichst gleichmäßig unter die Mensclien
vertheilt werden sollen, wenn es gesetzlich g^tattet ist, dass solche „Gewerbe-
treibende" ihre doppelt armen Kinder lur Sddechtigkeit enleheii diirfen? —
Fflrchterlich, sehreekUeh wird sieh dies r&ehen, heute schon sehen wir, wie
Selbstnuirde, Todtschlag und Verbrechen aller Art sich anhäufen, wie dann
er?t, wenn diese Generation ans Kuiler kommt, Zuchthäuser und Gendarmen
werden dann zehnmal mehr kost^t^u, als das Erziehenlassen dieser armen
Kinder jetzt kosten würde Wir tragen Cultnr und Geld nach
Bosnioif dabei schancsi wir gemftthlich au, wie Hunderte Ton Kindern in
unserer Mitte Terwildem."
'\Viinmer meint nun, diesen desolaten Verhältnissen könne durch
Arm en schulen, etwa nach dem Mnster des Knabenrettnngrshanses zu
Uuter-St. Veit bei Wien, abgeholfen werden; in diesen ArmenÄthulen
wflren die Kinder des henmudehendeD Gesindels xwangsweise unterzubringen.
Auch krmnten in dieselben die Kinder von andnen armen Leuten, die nicht
einmal f"ür da.s Xothwendigste sorgen können, aufgenommen werden. Die
Kosten der Eriiclitung^ solcher Schulen wären pt rlti»? iui Verlüiltnisse zur
Summe, die an Bettler und Lumpe hinausgegebeu wiid, welche sich nicht
abweisen lassen und den einsamen Bauer nnd KleinUlusler mit Kaub und
Brand bedrohen. Wimmer berechnet: „Jeder Hausbesitzer ist (auf dem
Lande) tagtäj^lich von zehn Bettlern sekirt. von diesen zelm Kind vielleicht
zwei ordentliche Handwerksburschen «nier wirklich Arme, die übrigen acht
sind Professionsfechter, für welche wir hier am flachen Land, am sie nur los-
snwerden, beinahe in jedem Haus per Tag 4 kr. (dieGemdnde zu 40 Häusern,
macht per Tag 1 fl. 60 kr.; der Bezirk Scheibbs hat 76 Gemeinden, macht
per Tag tur den Bezirk Scheibbs 106 fl. 40 kr., per Jahr also 38.309 fl.)
herßreben müssen.'- \'on der Hälfte oder einem Drittel könnte eine Arm^-
schule errichtet werden.
Herr Wimmer beweist durdi seine Darstellnng neneidings die Nofh-
wendigkflit und Dringlichkeit der Enriehtnng Ton Anstalten nach dem Muster
jener landwirtsehaliUehen AiQrlhlnser, Genreetlonsanstalteii u. a. die schon
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seit Innigem in derSdiweiE, imEJnaSf in der jEUieinprovinz und aadem Ländern
bestehen.
Herr Wimmer llMt in ttinem Sduiftdmi andi einige harte Wert»
fiber jene Lehrer auf dem Lande fhUen, die deh so wenig nm die BildnngB'
bedürfidaae dea Volkes kUmmem, and nicht leicht zn einer Thätigkeit, die
über die SclmlstnV'e liinausreicht, bewegen Wir wollen diese Worte
nicht näher auf ilue Kichtigkeit prüfen — umsoweniger, sd& sie ja gewiss
ganz gut nnd anMchtig gemeint sind; in diesen unseren Zeilen glauben wir
jedoch geaeigl sa haben, daaa der I«ehrerachaft die Inteteaaeo dea Volke»
wann am Herzen Uegen, und dass dieselbe bereitwilligst ihre Arbeitskraft leiht^
wenn gute Anregungen in der richtigen Weise gegeben werden. Jedenfalls
aber w!tre es sehr zu bedanern, wenn jemand durch jene wolgemeinten
Worte verauliu>Bt werden könnte, über den übrigen Inhalt der Schrift ab>
ainredMud an nxtheflen.
Wir haben nun versucht, unter Aiiiulu uug von Belegen von jener Bewe-
gung, die eich in Volkala^laen am Onnaten der l^dnng lebhaft benerUiar
macht, ein knappes Bild zu entwerfen. Damit dieselbe die richtige Bedeutung
nnd die nothwendig-e Kraft erlange. it.t es nnbedincrt erforderlich, dass alle
jene, welche mit dieser Bewegung sympathisiren . sicli überall ooriK>fativ
Zusammenthun. Wir empfehlen daher folgenden Vorschlag der allgemeinen
Berlickaichtigung:
Jene Volkafrennde aller BemftotSnde, welche mit Bath nnd That die
glückliche T/tsting der Erziehungsf^-age zu fördern bereit sind, niogen t.ich in
jedem Kn^nlande in einem eigenen Vereine .sammeln, der etwa den Titel
füiiren konnte: „Verein der Bilduugäfreandc in Dieser
Verein hätte aieh atatatenmaiiigr die Aniig:abe an atellen, „die wahren
Bildnngabedltrfniaae nnd die geiattge Aaffaaannflraweiie des
Volkes zu erforschen, um auf Grundlage der so gesammelten
Erfahrungen eine entsprechende Volksschul- nnd Fortbildung-
zn erstreben.'' Der Aufruf zur Bildung eines solchen Vereines könnte
eich anf folgende Oedanken anfbanen: „IMe liberalen Prindpkn hatten die
Form an achalSsn, welche die gedeihliche E&twidEeliing der ataatlichen Ge-
sellschaft ermöglichte; die Aufgabe unserer Zeit i.^t es, dafür Sorg© zu traireiu
dass innerhalb dieser Form die geistig-e nnd matenVlle Ent\nckelung de«
Volkes in der That einen richtigen Fortgang nehme. Der zu gründende
Verein stellt sich nun im Besonderen die Aufgabe, daas dieses Ziel in
geiatiger Beeiehnng enreicfat werde, nnd dnrch Verbrettnog von Bfldnng
immer mächtigere Volksschichten sor Theilnahme am staatlichen Leben be-
fähigt werden." Die Thlltig:keit dieser Vereine könnte sich ganz in j- ner
Richtung entfalten, welche dnrch die von nns gresehilderte Action in oher-
österreich bezeichnet worden ist. Es wäreu Besprechungen zu verau-
atalt^; Petitionen m^Voratellnngen an maSgebende KQrpenefaaften zn
richten; Ontachten einznholen, die nach Art der eingangs erwähnten abge-
fjÄSSt sein könnten: belehrende und unterhaltende Vorträge abzuhalten
n. 8. f. Damit endlich einmal alle gebildeteren Elemente der Landbevölke-
. k) i^ .o uy Google
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rang angeregt werden, sich mit der Bildungsfrage ernstlich zn beschUftigen
und ihnen die Gelegenheit gegeben werd«'. sich auszusprechen, wäre es
natürlich erforderlich, dass sich diese beregten \'ereine namentlich auf dem
Lande, in den ProviiUEen bilden. Wir müssen alle znsammenslehtti, in Stadt
und Dorf, der Bürger neben dem Bafteramann. Die BUdnngafrase berührt
uuer aller Intereese in grleicber Weise — reichen vrtr nna daher die Hände
n gemeinntttaigem Thun!
lleinriGh Schanmberger.
Zu den sehOnsten Tröstungen in trüber Zeit gehBit die imbestreitbare That-
sache, daas der deutsche VolksschuUehrerstaud eine pmße Anzahl vortrefflicher 3lSuner
2U den Seinen zählcu kann, ja dass nicht wenige Mitglieder desselben ihrer j^^anzeu
Katfon zur Zierde gereichen, und, was beutigen Tai:^^ uoch besonderer ErwiUiunng
wert ist. dass diesen hervorragenden Zeugen deutschen Lclirt r-;iinies von ihren eigenen
Standesgenossen die gebürende Ebre erwiesen wird, all jeue i Ii iiuischen Anscbwärzeni
■sam lYotz, welche den deut!«cben Volksscbullehrer ddn li ^un PSvia stempeln
wollen und ibr Liebt dadurch leuchten lassen, dass sie sdi mähen, was sie nicht be-
greifen. Mit diesen Gedanken beendeten wir die Leetüre eines Buches, welches von
einem dentschen Lehrer iKiinlelt und von einem deutschen Lehrer verfasst ist und
so dem deutschen Lebierstande doppelt zur Ebre gereicht. Eß fttlurt den Titel:
Heinrieh Schaunberger. Sein Lehen and seine Werke. Nach anthen"
tischen Quellen dar:r<'stellt von Hugo Möbius. Mit Schanmbeigezi Bildnis. Wolfini-
bQttel, JuUtts Zwißlei, 1883. 424 S. 3 M.
Eine tiefbetrtthende Leidensgeschichte^ nnd zugleich ein erhebendes GemSide
menschlieher Seelen^rnfle ist dieses Bueh. Nur mit der sehrnerzliehsten Theilnahme
ond zugleich mit der grötiteu Bewunderung fUr seinen Helden kann man es lesen.
Eine einrückende Summe von Web und Pem, von Kummer nnd Soi^ dxingte sich
in dem kuryen Lehen Heinrich SchauTiiheri^er'«» z;i<;ammen; und dennoch rang sich in
dieser kärglich bemessenen und dornenvollen Laufbahn ein meist uiit sich selbst ge-
stellter Geist an die Qrenze irdiseher Vollendung empor, dank seiner idealen Anlage,
seinem rastlosen Bildmii^sdrancre, seiner nnUberwiudlicben fJednld, seiner reinen und
unerschöpflichen Liehe. Einer der besten deutschen Lehrer und deutschen Volks-
»cbriftsteller war Heinrich Schaumberger, und seine Berufsgenossen und Geistes-
verwandten werden es als Ehrensache und ;;n£>:Ieicb als hohen Gewinn Ar sich selbst
erachten, das Andenken nnd die Scb&2)tiuvi,'en dieses Mannes in lebendiger Wirk-
samkeit zn erlialten. Das ant^tzeigte Buch wird hierzu weithin nachhaltis^e Anre-
gung ^eben. £s ist mit aller nur wttnscbbaren Gründlichkeit und Treue verfasst
nnd gibt sowo! Uber den BnSoen Lebensgang, ab Uber die innere Entwidtelung
und nher den Geist der TMfhtungen Schaumbergers erschöpfenden Atifsehluss. Das
Buch zeugt durchaus von innigstem Verständnis und tie&ter Sympathie fhr das
eigenartige Wesen Sehaumbeigen und gehört vnbedingt an den besten sdner Oattung.
M">irc ihm die Beachtung des gesammten dentschen voUtts und besonders des deut-
schen Lehrerstandes zu Theil werden.
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— 706 —
Christian Liebermann.
J\m ö. Jnni flie^e.^ Jahre? starb ^ii Kassel der pen>ii'Tiirte Volk?:.«r!)ullehrw
Christian Lieberuiami, hochvertUent um seine Beruisgenosiien in der Jhwvinz Hessea
tind im glänzen deutschen Bcieh. Geboren 1821 zu Lenderscheid im Kreise Zie^n»
hain, zum Lehrer gebiidcT von I83ß— 1H41 in Homberg, wirkte er zuerst in lif-Lof.
dann in Eschwege und vnii IHöH— löbO in Kassel, jederzeit ein «^ftandbafti r Kiiiiipier
für Wahrheit, Recht un'l Freib« it, ein uiencliiockener Gegn. r iler Kiii-;t< rluig.' und
Eeaciionäre. Getreu seiner Abstammnn:!: — sein Vater uml t ine lauge Reihe seiner
Vorfahren waren Volksschullehrer gew< st<n — trat LiLbf rinann bei jeder Gelegenheit
mit aller Hingebong und Kraft flir die Ebre und das Wol seines Standes eiiu Ven
dem Grundgedanken geleitet, dass das Gedeihen d* rSi bule wesentlich von den Eigen-
schaften und der Stellunir des Lehrerstandes abhäu<;t, wirkte er unermüdlich für die
geistige, moralische, sdciali! und wirtschaftliche Hebung desselben; und da er wol
wusste, wie wenk von fremder Hilfe zu erwarten aei, so spomte er seine Berui»-
genossen duch Wort und That xnr Selbsthilfe «n. Im Jure 1866 gründete er
dlA „Hessische S^ lnilzeitung"', durcli welche t-r die Lebrersrliaft seiueji Heimatlandes
nm sich scharte und derselben ein Organ zur Vertheidigusg der geistigen Uiiab>
hängigkeit und aar Verbessenin; der ftnBeren Verhiltniase oerrilet«. Bdd danivf
rief er den .,Rrandvpr«ichenni£rsver(iji ho-:.<ischer Volksschullehrer'". dann der J'r^er-
stützungsvereiu für Lehrerwiiwcu und -Waisen" iu8 Leben; femer verdaakeu der
„VolksschttUehferTereUi" und der „Sterbekasseverein" ihre Entstehung zum gntea
Theile seiner anrocrenden und treibenden Kraft. Alle di.se Verbände der Lelirfr
Hessens wirken uucb hente höchst segensreich und haben in anderen deuiecbeu
Uadeni vielfach als Muster gedient. Immer snm Ganzen strebend hatte Liebermann
schon ^it 1848 auch an der Einiirunij der crpsammten deutsehen Lehrers^hafT leb-
haften AnthKÜ geuuuimeu, und er blieb fortwährend ein warmer Furdprecbt-r und.
dann eine hervorragende Stütze des „Allgemeinen deutschen Lehrervereins'% wodurch
er sich bei seinen Berufsgenossen im ganzen Vaterlande ein ehrenvolle Andenken
..zur BetVirderuiig erziehlii hen Zusaniuienwirkeas von Schule und Haus- die ..Pestah.^zi-
blätter." Dass Liebermann audi außerhalb seiner Bemfiigenossenschaft Verat&adnis
ftuid und in hohem Ansehen stand, beweist die Thatsa^e, dass er sweimal (1874
nn<l ISSOi VMU den Bür-^ern Kassels in die städtischen Vertretungskörper irewshlr
wurde. Leider versagte die Regierung diesen W^ahiacten die Bestä^ung; auch
durfte Ijeberauuin seine Sebnbeitung nicht als Tenuitwortlicher Redaeteor aeidnes,
>'0 lancre er sein Schnlanit bekleidete. Überdies hatte er die bittersten Anfeindungen
von Seiten geiatliclier und weltlicher Duukeliiiäuuer /u erdulden. Dafür rühmt ihm
die ,.KasäeIer Zeitunu; ' nach: „Die Lehrer Hessens haben nie atnett treueio P^feund
gehabt und werden nie einen hfsseren finden, als ihr Vereinsvater Liebermann war.
Die Stadt Kasstl verliert in ihm einen edleu Bürger, dem es leider nicht vererifnnt
war, seine reiche Erfahrang mm Besten derselben in den städtischen Kür; i : -ten
zu verwerten." Und zu seiner Ruhestätte L'aben ihm nicht nnr alle Lehrer der
Stadt Kassel, viele CoUegen aus der Nahe und Ferne, sondern auch zalUreiche Biirger
das Ehrengeleite; nicht allein die verschiedenen Lehrervereine Hessens, sondern auch
der deutsche, der preaiiscbe, der schleswig-holsteinische Lehrerverein schmückten
seinen 9axg mit ErSnzen. Die Kasseler Lehrersdiaft hat bereits Sorge getragen,
dass die durch den Tod Liehermann.s in dem Vt'reinswe.sen und in <ler Re<lactiou der
von ihm gegründeten Zeitschriften entstandenen Lucken in einer dem Geiste des
Verewij^tett wQrdifen Weise ansgefttUt werden, und bat llberdies beseldonen, ihrem
vielverdienten iVdh'cen ein H rahm al zu erriehtt n. Ehre den Männt-ra. weh he in d-;i
Tagen herzloser Reaction den Huth haben, den GefUhlen reiner Fietät für einen
edlen yorkftmpfer Ausdmck an geben!
VAmntwartlieberltadjietev: Dr. Friedrieli Dittea->BMhdntekeral Jelia« KllBkhar4t,Liifa^
schaffen, gründete er 1879
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Die moderne Katuransehauuii^' und der biblische Religions-
unterrickt.
VoH Beetor S, Tiemann-Berkburff,
Jedes Jahr, ja faj«t möchte man versnfht sein zu sngfen: ir-dir
Tag bnnfrt uns die Xacliricht von n»Mieii Fortschritten auf dem Gebiete
der Nuturwisseüscliat'teii. Ding*-, unsere Väter und Großvfiter
für unmöjsrlich und unauüliilirbar gehalten liaben würden, sehen wir
vulkndet vor unsem Augen; mit Blitzesschnelle Üi^^^t der elektrische
Funke von Land zu Land, und selbst die wilden Gewässer des Oceans
vermögen demselben kein liiiidernis entgegenzustellen; aus meilenweiter
Entfernung übermittelt das Teleplion das gesprochene Wort, und selbst
die hendichen Opemmelodien kauu mau, lern von der Bühue, anhören;
schon vrird. das helle Licht« ivelches das Leuchtgas den Häusern und
den StraAen der Städte sp^det, Ubertroffen Ton dem elektrfechen Lichte;
in die weitesten Fm^ ist das Teledcop der Astronomen vorgedrungen,
nns Nachricht gebend von bislang anbekannten Welten und ihre Bahn
erforschend. So ist alles in einem raschen, nnanfhaltsamen Fortschritt
begriffen, und dieser Fortschritt wird sich, kann sich nicht aufhalten
lassen; wer sich ihm widersetzt, über den wird sein Bad fortrollen,
ihn vemichtend. Es ist nnlengbar, wir leben in einer großen Zeit! .
Und doch widersetzt man sich dem Fortschreiten der Wissen-
schalt von einer gewissen Seite, doch ist seit Jahren em Kampf ent*
hrannt, welcher in nnsera Tagen seinen Höhepunkt erreicht zu haben
scheint; demi mit einer Rflcksichtslosigkeit wird derselbe jetzt geführt,
welche früher unerhört war. Auf der einen Seite sehen wir in diesem
Kampfe die Anhänger der crassesten Oithodoxie, welche, im starren
Buchstabenglauben befangen, jedem Fortsclirilt und jeder, auch noch
so lieilsamen Ändemng anf religiösem, politischem oder jedem andern
Gebiete feindselig gegenüberstehen und die Kesultate aller neueren
Forschungen, mögen sie noch so klar und wissenschaftlich noch so
gut begründet sein, wol gar für Werke des Satans erklären, wenn sie
nicht völlig mit den Worten der Bibel ttbereinsUiumen. Auf der
P»d«sogiDm. 6. Jtbrgms. XIL Heft. 46
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708 —
andem St-iii- sttlu-n LniTi'. \vel«''lie mit dt-in BibflirUiubeii gänzlicli zt-r-
fallfii sind, weil ihr XaclidtMikcn si»- zu Ke&ultaUiU getiilirt hat, wt lche,
wt'uig.^teiiü scheinbar, mit tlei oiienbaniug in Widerspruch stehen.
Kommt ein emster, gewissenhatter Fui.scher durch sein Nachdenken
zu sok'hen Resultaten, so wiirde es T'nrerht sein, ilin zu Vfik^tzeni;
es ist unsere laicht, seine Überzeugung zu ehren. Etwas anders ist
es aber, wenn wir die Menge ansehen, welche glaubt, es gehöre zum
guten Ton, alles zu uegüen, imd welche zu träge ist, selbst zu denken
und zu urtheilen, yorAnsgesetzt, dass de flberbanpt dazn Im Stande ist;
welche gedankenlos das naclispricht, was von ernsten Gelehrten in
jahrelanger Arbeit mOhsam erforscht worden ist, leichthin aber Sachen
nrtbeilt, welche ihre Fassungskraft weit flbersteigen. Mit wider-
wärtigem Spotte vorfolgen solche Halbgebildete alles t was einem
großen Theile ihrer Mitmenschen als heilig ond .unantastbar gilt;, sie
suchen dem Volke den Glauben an seinen idten QoU zu nehmen, ohne
im Stande zu sein, aus der Leere ihres Geistes und Gemfithes einen
Ei'satz für das, was sie zu nehmen sich bemtlhen, bieten zu kdnnen.
Far uns, die wir in diesem Kampfe weder auf der einen, noch
auf der andern Seite stehen, sondern eine abwartende Stellung ein-
nehmen wollen, die wir uns über jeden Fortschritt der Wissenschaft
freuen, deshalb aber unserm ^'olke seinen guten alten Glauben, den
wir als ein küstliches Krl^tlit il unserer Väter ansehen, nicht nehmen
lassen wollen, ist es schwierig, liier die goldene Mittelstraße zu finden,
auf welcher ^nr gehen können, ohne ii-gendwie und ii-gendwo anza-
Stofien. Und doch muss eine solche Mittelstraße gefunden werden;
gerade für uns, für die Lehier an höhern und niedern Schulen, ist sie
unentbehrlich. 1>*t I.fdtrer kann sich keiner der streitenden Parteien
anschließen. Er kann iiiclit mit der einen Partei im Relisrionsunter-
richte sagen, dass die Erde erst seit t-twa bOüO Jahren V)esteiie. dass
Sonne, Mond und Sterne um der Erde willen und .»päter als diese
geschaffen st ien und diese der Mittelpunkt des Weltalls sei, und dass
alles, was diesem Dogma widersiieiie, als falsch, als Irrlehre an-
gesehen werden Hiiis>e: er kann sn nirht sagen, denn die W i>>enschaft
beweist das Geofi^itlieil. EbeiisMWenii;- kann er aber mit der andern
Partei behaupten, dass durch die Naturwissenschaften die IMhA
ihren Wert verloren habe. Würde er so sprechen, s*» würde er die
zarteste Blüte des Kinderlebens mit rauher Hand zerstören und einen
nie wieder gut zu machenden Felder begehen.
liäs ist wol einem jeden klar und wird weder auf der einen noch
auf der andern Seite bestritten werden, dass der Widerstreit der
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Meinniigeti, auf welclieni Gebiete es auch sei, nicht in die Schale
übertragen werden darf. Die Schule ist ein neutrales Gebiet. Die-
selbe soll eine St&tte stillen und friedlichen ^^'irkens sein, und es ist
nicht ilire Aaijgabe, schwierige Fragen zu erOi^tern, sondern sie hat
sich einfach an das zu halten, was ihr bereits voi^arbeitet ist, nnd
ttber den Bereich desselben kann sie nicht hinausgehen; von den sog.
^ Tagesfragen" muss sie sich fem halten. Aber trotzdem oder Wel-
leicht gerade deshalb ist die Stelhinpr des Lehrers eine schwierige.
Es wird ihm nicht immer yelinj^en, die Eigebnisse der wissenschaft-
lichen Forschunfren in Einkhni'j mit den Lehrsätzen der KiT-fltf und
den Worten der Bibel zu bi iiiLi u. iiiid so wird er oft von einer Ver-
legenheit in die andere tredrängt. Wenn er sich im lieligionsuntpr-
richte strenge an den W'ortlant der Bibel lialteu will, .so niuss er
z. B. aucli leliren. dass die Sintflut die jjanz»^ Erde bedeckte, und dass
das \\'a:>ser derselben 15 Ellen hoch über die höchsten Berge hinweg-
btrömte; dass die Sonne sich um die Erde dreht, weil sie auf des
Josua Geheiß still stand, und was derofleiclien Snclien mehr .sind;
kommt er dann aber zur Naturlehie oder gar zur mathenia tischen
Geographie, welche er doch auch lehren muss, so kann es nicht
anders sein, er muss oft genug das Gegentbeü von dem lehren, was
er Im BeligitMisDiiterrklite gelehrt hat, und was sollen dann die
Kinder glauben? Mnss ein denkender Schiller nicht sofort einsehen,
dass hier ein Widerspruch obwaltet? Yielleicht werden einige in
einem solchen Falle dem Lehrer Ihre Bedenken änßem nnd ihn da-
dorch in peinliche Verlegenheit setzen; diejenigen SchiUer aber, welche
schweigen, aber der Sache weiter nachdenken, nnd das sind gewiss
nicht die schlechtesten, werden schon in der Schule anfangen, an der
göttlichen Offenbamng zu zweifeln. Wie soll der Lehrer es nun an-
fiingen, sich yor solchen Verlegenheiten zu bewahren?
Zn allererst ist nothwendig, dass der Lehrer sich selbst Klarheit
über diese schwierigen Fragen Terscbalfe; denn wie wird er andere
lehren können, was er selbst nicht weiß? Er wird bei einem auf-
merksamen Studium finden, dass einige Widersprüche in der Bibel
nur scheinbar sind und sich in Einkhing mit der modemen Natur-
ansdiannng biingen i&ssen; andere lehnen sich an die Anschauungs-
weise ihrer Zeit an und geben uns Kunde von dem damaligen Stande
der Naturanschauung, enthalten demnacli ein sehr lehrreiches Zeit-
gemälde; einige (Tescliichten aber sind ganz und gar in das Gebiet
der Dicht un-; zu verweisen. Das Ergebnis eines solchen Studiums ist
die nachfolgende Arbeit.
46*
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— 710 —
Die Bibel i>T im \vf ^entliehen eine Beligionsui'kunde, und ihre
Würde beruht nit iit aul ilu < m naturwissenschaftlichen Gehalte, sondern
auf ihren Lehi»n von dem \H alten und den Geboten Gottes. Mit
(lies»-n <Truüdl»]ir>'n der Bibel winl die Naturwissenschaft aluT anch
ni<-ht in WidfT>pi tn-li gerathen, denn si*- lietren außerhalb des Gebiett^?
d^-i -t lben. Ei?<Mitli<-hen Widei*spri'it'lien wi-iden wir nur aid ' iiacli ni»_-ineiii
I »atliiljalten I ni«-hr ntb^Misarblichen (Trliicteii 1 »eireLMieu , weldte (bis
Gt liii t (lt'< ( liri&leülhunj& weuig oder gar nicht berühren nnd \\ eiche zu
glauben oder nicht zu glauben weder zur Seligkeil beiträgt nweh der-
selben vt-rlnstig macht. Kinem solchen unleugbaren Widersprut^h mit
der heutigen, wissenschaftlich begründeten Xaturan&cliauung be-
gegnen wir schon aut dem ersten Blalle und im ei*sten Capitei der
Bibel, in der Schöpfmigsgeschichte. Mit derselben werde ich mich vor-
zugsweise beschäftigen, wenn ich versache, Glauben and Wissenschaft
in Einklang zn bringen, soweit es das BedQiltaiss der Schule eriidsdit.
E3ie der Lehrer in der Oberclasse zor Bdumdlon)^ der Schöpfongs-
geschichte schreitet, d. h. also, ehe er flberhaupt den historischen
Beligioosonterricht mit seinen SchSlem beginnt, ivird er ihnen etwas
aber die Entstehung der Bibel, so yid den Eindem davon za wissen
noth ist, mittheilen, mag er dazn nnn eine besondere Stande, Bibelkonde,
in seinem Stondenplan verzeichnet haben oder nicht Ich halte einen
solchen piopftdeatischen TJntetricht for onerlftsslich, denn nor dadnreh
kann ein richtiges Verstindnis der Bibel herbeigefthrt werden. Aach
über den Zweck der Bibel wird er sich bei dieser Gelegenheit aus-
lassen müssen; dieser ist aber in der Bibel selbst deutlich ang^eben;
sie ist geschrieben der Menschheit zur Lehre (veigL 2. Tim. 3i, 16.
Röm. 15, 4. Psalm 93, 5. u. s. f.). Es wird nnn aber ein vernünf-
tiger Lehrer seinen Schülern; ein gewissenhafter Vater seinen Kindern
keine Lehren geben, welche sie nicht verstehen können; und wenn
Menschen dieses nicht einmal tliun, sollte dann Gott es thnn? Xub
befand sich aber doch zu der Zeit, als die Bibel, und zwar besonders
der älteste Theil derselben, der Pentatench, geschrieben wurde, flie
iresammte Menschheit nocli in dem Stadium der Kindheit, auch das
Volk Israel, auf welches es in diesem Falle ankonuut. Den kindlichen
Ans(;hauungen des Volkes hat sich die Bibel aber hier bei dem
Schüpfnn^bericht, wie auch später überall, anbeqnenn. und wir müssen
dieses für einen Beweis von der großen W ei>heit ijottes halten,
welche der ^renscbheit keiue ispeise bot, welche sie nicht zu ver-
tiageu im Staude war.
Aas der Anschauung waien dem Volke Israel auch damals bt;i\'its
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— 711 —
die einfachsten Torg&nge in der Natur bekannt; sie sahen am Morgen
die Sonne aufgeben nnd bemerkten, dass sie die Trägerin des Lichts,
die Spenderin der Wärme, die Ursache dftr Fruchtbarkeit sei; sie
stihea des Nachts den Mond nnd die Sterne am Himmel einber-
vandeln und konnten nidit anders, als diese für Lichter halten, welche
den Zweck hatten, die Dunkelheit der Nacht zn erleuchten. Im
e\\njren Kreislauf drehten sich Sonne, Mond nnd Sterne tun die Krde,
Welche Menschen daher als der Mittelpunkt des gesammten Weltalls
erscheinen mnsste; „Himmel" und ,.Erde" schienen ihnen Gegensätze
zn sein. Selbst die Ägypter, denen Israel Innials imterthan war, und
welche sich doch schon mit der Sternkunde beschäftigten, theilten diese
kindlichen Anschauungen, folglich konnte auch Moses, obgleich er „in
aller Weisheit der Agj-pter" unterrichtet war, davon wenig mehr
wi.^sen als seine ungebildeten Stamincsgenossen. Von der Entstehung
der Erde wussten sie gar nichts zu sapreu; war dieselbe durch Zufall
entstanden oder hatten sie; sich aus dem Chaos allmählich heraus-
«rebildet? Das waren Frajren. auf weldn« man keine Antwort zu
gt'lien wuNSte. Es ist daher ein o-roßartiyer b'ortscliritt, wenn Moses
dt-in Volke verkündete: „Am Anfang schuf (-Jott Hnnmel und Erde."
Niehl durcli Zufall, nicht aus dfm rhaos sind sie entstanden, .sondern
durch den Willen eine?» allmächtigen, allweiseu, allgiUigen Gottes.
Freilich stellt auch dieser biblische Schopfungrsbericht gleich am
Anfang Himmel und Erde als Gegensätze hin. den Anschauungen der
Zeit sich anbequemend. Heute weiJ3 jedes Schulkind, dass Himmel
und Erde nicht Gegensätze sind, -me es aus den Woi-ten der Bibel
hervorzugehen scheint; es weiß, dass ein „Himmel*', welcher sich ab
ein grosses Idanea Dach Uber der Erde wölbt, nicht exlstirt, scmdern
dass es die Atmosphäre ist, welche die Erde ftberall umgibt; es weiß
auch, dass die Erde nichts weniger ist als der Mittelpunkt des
Weltalls« sondern dass sie wie ein Stänbchen im großen Weltenraume
schwimmt Sollte Gott nun wirklich diese kleine, gegen die andern
Weltkdrper unscheinbare Erde am Anfiing allein geschaflen haben?
Unser Verstand und die Natnrforschung sagen uns, dass dieses nicht
der Fall sein konnte, dass z. B. eine Erde ohne eine Sonne ganz
nndenkbar ist; und doch soll nach der Bibel die Sonne erst am vier-
ten Sehöpfimgstage erschaffen sein. Wir sehen also, diese sieben
ersten Worte der Bibel sind eine Mythe, welche aber in der Welt-
anschauung damaliger Zeit einen entschiedenen Fortschritt bezoiehnet;
denn sie enthalten die tiefe Wahrheit gegenüber den damaligen
AnschanuDgen des Heidenthums, dass die gesammte Welt ihren Ursprung
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— 712 —
von Gott hat. Wenn Moses den noch im halben Naturznstande leben-
den Israeliten hätte verkünden wollen: „Im Anfang schuf Gott das
Sonnensystem'*, so würden sie ihn nicht verstanden haben : jedenfalls
war es daher besser, ihnen statt der tiir sie unverständlichen Wahr-
heit eine ihnen verständliche Mvthe zu geben, \\el< he den Kern der
Wahrheit, worauf es in der lieligion doch ankoiuiiit, eiithiüt. Was
\vn<st^' iibHi-hiiupt selbst Moses trotz aller Weisheit der ÄL''V])ter von
t iiMiij >uuueiis}\steinV Auch ihm war die Erde eine Srln ibe, vom
Hurizunt bejj:renzt, um welche sich das Himmelsgewölbe mir Sonne.
Mond und Sternen in 24 Stunden wälzte. Wenn wir dieses alles k-
denken und hiermit alsdann die sieben ersten Worte der Bibel ver-
gleichen, so werden sie -uns nicht mehr uls ein offenbarer Widerspruch
mit der modernen Naturanschauung erscheinen, sondern sie werden
uns mit Bewunderung erfüllen; denn von allen Schüpfungsberichten
des Alterthums ist der der mosaischen Urkunde der würdigste und der
der Walirlieit am nächsten stehende.
CbrlstUche nnd jüdische Theologen haben auf Grand des mesai-
sehen SchOpfongsberichtes ausgerechnet, dass die Schüpfung der Erde
vor etwa 6000 Jahren stattgefonden habe; die Natniforschiing beweist
jedoch, dass die Erde bereits viele MQHonen Jahre bestanden hat,
wenn anch nicht in ihrer gegenwärtigen Gestalt Nnn Iflsst sich
aber ans den Worten der Bibel durchaus nicht schÜefte&t dass die
Erde erst vor ca. 6000 Jahren geschaffen worden sei; diese Annahme
ist eine rein willkfiiliche nnd nicht in der Bibel begründet Wenn
dieselbe berichtet: „Am Anfong schuf Gott Himmel und £^de^ so
werden wir vOUig im Dnnkel dar&ber gdassen, wann dieser „Anfiing'
war ; diese Worte stehen also mit der Naturforschnng dorchaos nieht
im Widersprach, denn wir können den biblischen „Anfang**, ohne der
Bibel Gewalt anznthnn, \iele Millionen Jahre zurückverlegen. Am
Ende ist auch mit den biblischen Worten die Annahme nicht ansge-
schlossen, dass aufier der Erde au eh noch andere Weltkörper gesdiaiBii
worden seien; es wird in der Bibel z. B. der Ausdruck „Hinmiel" ja
Ttfter für die Sternenwelt gebraucht, z. B. in dem Psalmworte: „Die
Himmel erzählen tlie Ehre Gottes"; hier ist offenbar unter „Himmel''
der Sternenhiiinnel zu verstehen. Wenn niur der \ierte 8ch?^pfun<:>tair
nicht nachti'äglich den Bericht von der Erschaffung von Sonne, Mond
und .Sternen brächte, so würde also aller Widerspruch leicht zu
ijeititren sein; lüenn lieo^t aber n<>cli eine ibichwierigkeit, welche mi
nachher noch einmal beschiiftiiren wird.
^'ach diesem Bericht von der Schüpfung der Erde wenden wir
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— 71S —
uns dem sog. „Sechstagewerk'' zu» von welchem uns die Bibel berichtet
Die Erde vir jetzt freSlieh da, aber sie war „wflste und leer**; doch
dorch das Allmachtawort Gottes nahm sie in 6 Tagen ihre jetzige
Gestalt an. Hier sagt nun viedenun die Naturforschunix, dass dieses
nicht der Fall sein konnte; die Erde habe verschiedene Entwickelungs-
perioden durchmachen müssen, ehe sie ihre jetzige Gestalt angenom«
men habe, Entwickelungsperioden, welche Jahrtausende gewährt haben»
und die Erdschichten beweisen uns, dass die Xatiirforschung mit dieser
Behauptung recht hat. Nun wäre es aber doch Thorheit, sich gegen
das aufzulehnen, was der Augenschein bezeugt, und wir können daher
gar nicht anders, als die Schöi)fiingsta2rc für Perioden von Jahrtiiusen-
den zu halten. Fs ist loiclit, hier /n -niren, die Natnrforschung be-
finde sich auf falsclicr Bahn, wie > liiL'-ije diese>< in seinem (übrigens
vortrefflichen) Lehrbuche der biMischen Gescliichte thut, wenn er vom
„Set listai^pwerk" spricht. Er sagt in demselben S. 2 u. 3: „Es ist eine
Streitlrage, ob unter den Schöpfungstagen 24stündige Tage, oder
Zeiträume von längerer Dauer zu verstehen seien. Maiidie bestehen
auf der letzten Annahme und meinen den Beweis dafür aus der Be-
schaffenheit der Erdrinde, insbesondere aus der Lagerung und den .
Bestandtlieileu ihrer Schichten führen zu können. Aber wir sind mit
unsenn Glauben nicht an die aut diesem Gebiete einander vielfach
widei-sprechenden Angaben der Naturforschung, sondern an das Wort
vom Glauben gewiesen Röm. 10, 6—8. Das Wort Gottes kann duich
die Natnrforschimg weder an Glanbwttrdigkeit gewinnen noch ver-
lieren, und wo die aagebliehen Ergebnisse derselben ihm wider-
siirechen, da sind sie ftlsch und daher' abzuweisen; äsm Gottes
Werke und sein Wort können einander nicht widerspredien. FOr
den Christen kann es sich in diesem Streite nur dämm handebi, was
fOr Tage die Schrift unter den Schöpfimgstagen versteht Zur Beant-
wortung dieser Frage ist aunAchst festzuhalten, dass wir 1. Mos. 1.
nicht etwa heilige Dichtung, sondetn Geschichte vor uns haben, und
dass in einem geschichtlichen Berichte die AusdrAcke nicht bildlich
zu &8sen sind, sondern so, wie sie lauten. Sodann: vom 4. Tage an
geben die Steine Zeiten, Tage und Jahre, daher mtissen die letzten
drei Tage noth wendig als 24 stündige, duich den infolge der Achsen-
drehung der Erde geschehenden Auf- und Untergang der Sonne ent-
standene Tage gefasst werd^; damit fällt aber auch alle Berechtigung
hin, die ei-sten drei Tage, deren Anfang und Knlr auf gleiche Weise
bezeichnet ist, wesentlich anders, nämlich als Perioden von Jahren
oder Jahrtausenden zu verstehen, wenngleich die Achsendrehungen
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— 714 —
(Kr Erde bis zur Bildung unsers Sonnensystems — am \if'rten
JSchuptungstage — etwa*: langsamer geschehen sein mügi'ii als in
24 Stunden. Nnr dadurch unterscheiden sich die erst«Mi drei vuii den
letzten drei Tagf^n, iliis> bei ilmen Mor<ren und Al>eüd nicht durch
den Auf- und Untergang der Sonne entstand, denn die Sonne ^val■
noch uichi da il?). '\^'cl! aber konnte aucli wiilirt iul dieser Tag»; der
Wechsel von Licht und Finstenüs durch die Achsendreliung der Erde
bewirkt \s erden, wenn Gott da^s Licht räumlich von dem Erdk^rper
geschieden und an einen Ort im Welträume zusammen gezogen liatlt^,
von wo aus sein Schein auf die Erde fiel."
Diese Auffassung kann uns unmöglich befriedigen; denn einer
effenbaien Thatsache sich verschließen und gegen die Ergebnisse der
Natnrforschoog Protest erheben, ist auf die Dauer unmöglich. JedflB*
falls ist es besser zu versuchen, ob sich nicht aiinftbenid eine Über-
einstimmung mit dem biblischen Bericht von dem „Sechstagewerk'^
herbeiführen Iftsst Die Bibel verbietet uns nicht, grolle Schöpfnngs-
perioden anzunehmen» selbst wenn bei jedem einzelnen Tagewerke von
* Abend und Morgen gesprochen vird (vergl auch FiBalm 90, 4). Ist
hier nicht auch ein dem FassungsTermOgen des Volkes entsprechendes
Anbequemen anzunehmen? Und ist wirklich der Bericht ganz und
gar Geschichte und keine Dichtung? Die neueren Forschungen auf
dem Gebiete der morgenländiscben Sprachen haben klar bewiesen, dass
wir viehnehr einen Kythus vor uns haben, welcher mit andern morgen-
ländischen Volkssagen von der SehÖpAing, z. B. mit der ass3rri8ehenf
große Ähnlichkeit hat. Da könnte man freilich einwenden, der assy-
rische B( rieht sei dem jüdischen nachgebildet ; jedoch ist dieses nicht
möglich, da im Gegentheil der assyrische Bericht, wie die Forschungen
ergeben haben, älter ist als der mosaische. Dieser gleiche Charakter
mit andern Sagen der Vorzeit spricht für eine m}*tlüsche Auffassung,
und die ^lehrzahl der Supematuialisten unter den neueren Dogma-
tikeni reduciren den Kcm der Schöpfungsgeschichte auf den Satz.
„d&ss die zeitlich-räumliche Welt ihren zeitlosen (Trund in Gott habe~.
Am ersten Tage, so lierichtet tlie Bibel, schuf (iott das IJcht.
Woher das Licht kam. sagt uns der Bericht nicht; wir wissen aber,
da.ss allein die Sonne die Quelle des irdiselien TJc]itt > ist. Es ireht
also aus diesem ersien Tagewerke liereits Ii- i \ n . il (-> die Sonne tla
war. l>a.ss Aoiher tiefe Eiiiiternis die Erde deckte, kann uns nicht
wundern ; der dichte Dunstkreis, welcher die Erde (leckte, wehrte den
8uunen>trahlen, bis zu dem Kerne durclizudiiugen. Es ist nach
meinem Dafürhalten des Schöpfers unwürdig, anzunehmen, dass er das
. kiui^ .-. l y Google
— 715 —
Liebt auf irgend einen Punkt „znsainfflengezogen'' habe, irie Flügge
mänt; er h&tte dann ja am Tieften Tage, als er dem biblischen Be-
richt smfolge die Sonne schuf, eine Verbeesenmg seines ersten Tage-
werkes vorgenommen, dasselbe wftre also nicht unbedingt „gut'' ge-
wesen. War also das Licht da, so musst« nothwendig die Sonne, die
Quelle des Lichtes, auch da sein. - Tiicht ist Leben und ^iU Leben;
nun es vorhanden war, konnte die Erde auch Pflanzen- und Thiei lelten
herrorbringen. £he jedoch die Bibel uns davon bericlitet, ei-zälilt sie
uns, als am zweiten Tage, von der Erschaffung der Feste des Him-
mels, des „Firmaments". Hier sehen wir deutlicli, dass vfir eine
Mythe vor uns hahen. Die Feste des Himmels, das FiiTnament, der
sichtbare, über uns ausg-espannte l)laue Himmel, ist nichts weniger
als fest odei- ..tirrn"; jedes Scliulkind weiß, dass er weiter nichts ist
als die die Erde nmf^ebende Atmosphäre, also nichts Festes, sondern
ein Klnidum. so zart und deliubar, als wii- es uns nur deuken können.
Der Ansdrurk: ,.(^ott schied das Wasser unter der Feste von den
Wasseru über der Feste'* ist ein selir dunkler. Man lindet diese
Worte bisweilen so ausgelegt, als wvnn iiiei- von der Wolkenbildnng
die Rede wäre. Dieser Auffassun.ir schließe ich mich am liebsten an.
Durch das Licht wurde allmählich der die Erde umgebende Dunst-
schleier zerrissen, der blaue Himmel kam zum Voi*scheiu. FlUgge's
Auffassung, dass Gott ,,das Wasser über der Feste" emporgewii-belt
und daraus die JSterue ^^emacht habe, ist doch gar zu willkürlich und
— heidnisch, steht auch mit aller Naturforschung in völligem Wider-
spruch. Mit dem Sichtbarwerden des blaum HimmdB wurden auch
Sonne, Mond und Sterne sichtbar; wir brauchen also nur das vierte
Tagewerk Tor das dritte an stellen, so ist auch dieser Widerspruch
beseitigt, welcher obwaltet, wenn das Sonnensystem erst als am yier-
ten Tage entstanden gedacht wird. Sonne, Mond und Sterne waren
vorhanden, kamen aber jetzt erst zur Erscheinung, nachdem der blaue
Himmel sichtbar geworden war. Auf die Reihenfolge kann es aber
nm so weniger ankommen, als wir ja weniger G^hichte, sondern
vielmehr heilige Dichtung vor uns haben.
Die noch folgende Tagewerke od^ Schfipfnngaperioden sind klar
und stehen ndt keiner Naturforschnng in Widerspruch. Es wurde
auf der Erde allmählich trocken, indem sich das Land von dem
Wasser schied, und das Land brachte Pflanzen hervor, so dass also
das grilne Kleid die Erde deckte. Dann begann das Thierleben, zu-
erst das Leben der niederen Thiere, der Wasserbewohner, dann auch
das der höheren Geschöpfe, und der Abschlnss des ganzen Schöpfungs-
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— 716 —
Werkes ist die Ei-schafung des Mensclien. Ob der biblische Beiidit
von der Erschaftniisi des Menschen auch als ^lytlms anzusehen ist, wer
kann es sagen? Jedenfalls ist es aolTallend, dass auch an diese sich
mannigfache Anklänge in der Mytholof^ip anderer nnd älterer Cultnr-
völker finden. Dies zu untersuchen ist aber nicht der Zweck dieser
Zeilen, welche hlos dazu dienen sollen, dem Lehrer Fingerzeige zu
geben, wie er sich eventuell aus Verlegenheiten herausziehen kann,
wenn NatnrtV»is( hiing und Bibelglaube, soweit es das Gebiet der Schule
beti'ilit, in Widersprnch gerathen.
Soviel Ober den NehOyliingsbericlit. Alles zusaiumeuL^eta--T nai^sHi
wir jresitehen. dass in demselben sehr viel Mythe enthalten i-t; wir
küuiieu unmöglich denselben ganz als Geschichte ansehen. l)ie Wider-
sprüche aber, die in demselben gegenüber der modernen Naturanscbaunn?
obwalten, lassen sich theilweise beseitigen, wenn man zwischen den Zeilen
zu lesen versteht.
Bei der Erzählung von der .Sintflut oder Sündflut begegnen wir aber-
mals derartigen Verlegenheiten. Die Bibel erzählt uns, dass das Wasser
derselben die ganze Erde bedeckte nnd dass es 15 EUen hoch ttber die
höchsten Berge hlnwegstrOmte. Ein Natorereigiiis von sokher Furchtbar-
keit gehört zu den Unmöglichkeiten; denn wir mfissen uns fragen: „Wo-
ber kam das Wasser, nnd wo bHeb es?" Denn wenn die ganze Erde da-
mit bedeckt war, so konnte es doch nicht ablaufen. Als höchster Berg
der Erde gilt der Ganrisankar im Himalaya-Gebirge, dessen Höhe man
anf ca. 8800 m sebAtzt; nnn stelle man sich die nnendliche Wasser-
menge vor, welche sogar den Ganrisankar noch um 15 EHlen llber-
ragte! nnd diese Wassermenge soll in 40 Tagen nnd 40 Nächten ent-
standen sein! Wi» ist ans diesem Dilemma ein Answeg zu finden?
Es ist zweifellos, dass wir auch hier eine Kythe yor nns haben. Zu
dieser Annahme sind wir um so mehr berechtigt, als anch bei andern
Völkern die Sage von einer großen Flut sich findet, z. B. bei den
Chinesen, Indem, As8jTei*n, Griechen, ja sogar bei den Indianern in
Südamerika. In neuerer Zeit ist es dem berühmten Assyriologen George
Smith gelungen, aus assyrischen Keilschriften des Britischen Museums,
welche muthmaßlich älter sind als die Bücher Mosis, einen Bericht
über die Sintflut zu entziffeni, welcher mit dem jüdischen M>^hus viel
Älmlichkeit Xisnthrn^. der assyrische Xoah. baut ebenfalls auf
Gottes Befehl ein Schilf und rüstet es aus; selbst die Anssendung der
Tanbe und das Niederlassen des Schiflfes aut einem Berjre tiiidet sich
in diesem Berichte. Ks ist wahrscheinlich, dass M('<h>- diese Mythe
kannte nnd seinen Bericht derselben nachbildete. Möglich ist es ja
— 717 —
auch, dass der Sage eme historische Tliatsache zu Grunde liegt. Nehmen
wii' die Tiefebene von Mesopotamien, wie es ja gewöhnlich geschieht,
als die Wiege de& Menschengeschlechts an, so ist ja die Möglichkeit
niclit ausgeschlossen, dass einst diese Ebene durch eine Überschwem-
mung heimffpsncht wurde, in welcher Wele ^renscheu, wenn auch nicht
alle, bis auf acht, ihren Tod fanden. Wenn hier also die Kefle ist von
einer Überschwemmung, welche die ^^anze Erde de<'kt*\ so ist darunter
nur die ganze damals bekannte Ei de zu verstehen. Der Berg Aiurat,
oder, fj:enauer g-enommen, „die l^erg:e von Ararat". wie der liebräisehe
Urtext lautet, waren von den damals bekannten Ki Ii- lnuiLtn libcr die
Erdoberfläche wol die bedeutendsten, also war ps n-inulich, dass sie
als der Zufluchtsort der geretteten Eamilie angesehen wuidm. — Bei-
lÄnfipr bemerkt, erzählt die chinesische Sintflutsage, dass Niu-Wa, der
chinesische Xoah, die Schleusen des Himmels mit einem wunderbaren
siebenfarbigen -Stein geschlossen habe ; wir erkennen in diesem sieben-
farbigeu Stein unschwer den liegenbogen, den Gott zufolge dem
biblischen Berichte zimi Bundeszeichen machte. Wenn nun aber auch
der historiselie der Sintflutgeschichte gering ist, so ist der ethische
Wert; dertdboii ma ao gidBer. Säe zeigt uns Gott als den BMushet des
Unrechts und als den Beachfltzer der Frommen, and so hatte die Ge-
schichte besonders für die danialigen Zeiten ihre hohe sittliehe Be-
dentsng. Sie bewahrheitet wiedemm den Spruch: „Was geschrieben
ist» das ist ans ZOT Lehre geschrieben.*'
Wo es sieh in der biblischen Geschichte um ein sogenanntes Wand«
handeltt d. h. am ein Ereignis, welches dem gewöhnlichen Laof der
Dinge and der Wirksamkeit der natürlichen Ursachen widerspricht»
and welches daher auf das aolterordentliche Eingreifen der Über der '
Nator stehenden Gottheit zorückgeführt werden mass, hat der Lehrer
nicht nöthig zu versachen, dasselbe mit den Naturgesetzen in Über-
einstimmung zu bringen; denn es handelt sich hier nicht um eine
bleibende oder einen lAngem Zeitraom in Anspruch nehmende, folglich
den Naturgesetzen dauernd entgegenstehende, sondern um eine vorüber-
gehende That. Es wird dem Lehrer auch nur in den allerwenigst ( n
Fällen gelingen, eine solche Übereinstimmimg herbeizuführen; nnd selbst
wenn es ihm bei einzelnen Wundern gelänge, so ist es doch nicht ratU-
sam, sclion den Kindeni den Wunderglauben zu nehmen; sie verHeren
ilin gemeiniglich ohnehin früh genug. Bei einzelnen A\'un(lern, z. B. bei
den Plagen Agyittens, Hegt freilich eine natürliche Erklärung so nahe,
dass der Lehrer versucht wird, dieselbe den Sehülei-n zn geben; doch
halte ich auch dieses fiir bedenklich, denn rüttelt man an dem einen
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— 718 —
Wunder, so kann man mit (lemselben Rechte auch an allen rütteln, und
das ist nicht voljrethan. Selbst wenn der Lehrer mit dem Wnnder-
^rlauben zerfallen sein s<dlte, soll er sich doch hüten, dieses vor den
Kindern zn zeigen; seine erziehlu-lie Tliatigkeit würde darunter leiden.
Bei der 8ch(ipfunars- und Sintfliitj^eschichte liegt, wie wii- gesehen haben,
die Sache wesentlich anders; da nuiss er im naturkundlichen Unter-
richt üft das (Te<rentheil von dem lehren, was die Idldische Geschichte
lelirt, und er ist hier alsio genöthifrt, wenn er sich nicht selbst wider-
sprechen will, beide Fiicher in Kiiiklau;; m bringen.
Es unterliegt zwar keinem Zweilei, dass sowol der Pentatench,
als auch das Buch Josua und mehr oder weniger alle übrigen B&cher
des alten Testaments mythischen Ursprungs sind« Durch die nenere
Bibdforscliung ist es festgestellt, dass die Namen d«r Bfldier nicbt
mit denen ihrer wahren Verfasser flbereinstimmen; so ist es nach-
gewiesen, dass z. B. der Pentatench in Terachiedenen ZeitrSnmen yer-
fasst worden ist, frfihestens jedoch znr Zeit der KCnige; das letzte
Bach soll ans der Zeit des Königs Hiskias stammen; dasselbe ist mit
dem Bache Josna der Fall Bis dahin war die Geschichte des israeli-
tischen Volkes im Zusammenhange nicht aofgezeichnet worden, sondern
durch mfindliche Überlieferungen Ton Geschlecht zn Geschlecht hatte
sidk dieselbe fortgepflanzt Dass sich da manche Mythe neben der
wirklichen Geschichte in einer Weise einschlich, dass schliefilich Mythe
und Geschichte nicht mehr zn unterscheiden waren, kann uns daher
nicht überra Fachen. So ist es unzweifelhaft, dass die Geschichte, oder
vielmehr die Tradition des Durchzuges durch das Rothe Meer und den
Jordan, der Eroberung von Jericho, des wunderbaren Sieges Josuas
über die Cananiter, der .Thaten Simsons n. s. w. Mjihen mit histo-
rischem Hintergrunde sind. Über den Sietr Josiias über die Kananiter.
wo er der Sonne und dem Monde befiehlt stillzustehen, und welcher
schon Anlass zii so unendlich vielen S;treitip:keiten gegeben liat, be-
merke ich nur, was ilttsrg'e in seinem bereits angeführten Buche sairi:
..Es wäre Missverstand, zu meinen, die heilige Scluift lelire hier eine
Bewegung der Sonne um die Erde. Sie berichtet einfach die Worte
Josuas, welche nach dem Augenschein geredet sind, wie wir noch
hentigesta2:s von einem Auf- und Untergang der Sonne sprechen.**
Diesen A\'(n'ten schließe icli nin h gern an und weiß ilenselben nichts
hinzuzufügen. Übrigens sind die Untersuchungen darübei'. was in den
alttestamentlichen Büchern Mythe und was Geschichte ist. sehr inter-
essant und eignen sich besonders zu einem Privatstudium tiü' den streb-
samen Lehier; in die Schule gehören sie aber selbstverständlich nicht.
kj, i^i,-. l y Google
— 719 —
Die Bibel hat, ganz abgesehen davon, dass sie die (irimdlage
unserer Religion bildet, allein schon ihres Alters wegen Ansprach
darauf, mit Ehrfurcht behandelt zu werden. Mir sind von jeher solche
Leute, welche dieselbe lächerlich zu machen versuchen oder offenbar
verhöhnen, zuwider prewesen. Und selbst wenn sich in derselben Irr-
thüraer und Widersprüche finden, \va< ja nicht zu leugnen ist, wenn
auch manclie Sf? llr un^ dunkel. j;i x ll st anstößig erscheint, so dürfen
wir nie vergessen, in ns sicher Zeil, unter welchem Volke und von was
fiir Personen sie gescliriebeii wurde. Es waren nicht lauter Gelehrte,
welche die Bibel schrieben; wir wissen es ja von den Aposteln, dass
sie meist geringe Leute, Handwerker und Fischer waren. Das alte
Testament müssen wir ansehen als ein trroßai Tiges Zeitgemälde, welches
in iiäarki^» II 'Aü^m Sitten, AnschauuagLii, Charakter u. s. w. des von
Gott zum Trager der Gottesidee ausgewählten Volkes vor Auj^en
führt. Li der Schule ist es nun die Aufgabe des Lehrers, den Schüleni
Ehrfurcht einzupflanzen vor der Bibel« welche in so schöner, kräftiger
Sprache zu imt redet; dieses eneieht er, indem er die Kinder recht
in das Verständnis derselben einführt Wenn es nnn vorkommt» dass
Bibelwort nnd Naturwissenschaft sich entgegen stehen, so mnss er ver-
suchen» in TmtSndlicher Weise eine ÜbOTdnstimmnng herbeiznfllhren,
waSf wie wir gesehen haben, nicht immer schwierig ist; ist dieses
aber nicht mdglieh, so darf er meines Erachtens den Eindem nniun-
wanden sagen, dass die Bibel manche Mythe enthält, dass sie aber
dadurch durchaus nicht an ihrem Werte verliert. Es ist besser, das
Kind erfUirt dieses durch den Mund des Lehrers, als durch den Hund
Unberufener, welche vielleieht ndt unzarten, schnOden Worten ihm die
Augen dl&ien und dadurch schwere Verwüstungen in dem G^ftthe
desselben anrichten. Dadurch aber, dass der Lehrer ihm mit ver-
ständigen Wollen die ndthige Aufklärung gibt, wird die Bibel nicht
an Ansehen verlieren, sondern viel eher gewinnen.
Vorstehende Erörterung ist die Frucht eines langen, ernsten Nach-
denkens über den beregten Gegenstand; ho£fentlich hat dieselbe den
Beifall meiner Leser gefunden. Mag auch mancher anderer Meinung
sein; ich stelle ja auch die Art und Weise, wie ich diese Frage be-
handele, nicht als die allein richtige hin. Vielleicht wird der eine
oder der andere hierdurch anj^erei^t, ebenfalls über den Gegenstand
nachzudenken und seine Ansichten ims mitzntheilen. Das wird aber aus
meinen Ansfiihruniren ersichtlich sein, dass ich überall das Ansehen und
die Wihile der 1 iM i lieii I 'Iterlieterung gewahrt wissen will, auch da,
wo man gezwungen ist, dieselbe ins Gebiet der Mythe zu verweisen.
L/iyiii^ü<j by Google
Sireiiückter. .
Von Beäw Fr, IiHe9Mte»FreKHicatäe a 0,
„Fflz «ttMT Volk ein H<!xz.
er nicht geradezu ein Neoling in der pädagogischen Literatur
ist and seine Augen den Erscheinungen auf diesem Gebiete nicht ge-
flissentlidi verschließt» dem wird sich mit uns gdegeutlich wol einmal
die Wahmehmitttg aul^BfedrSngt haben» dass zn gewissen Perioden m
den pädagogischen Zeitsehiiften ganz besonders die Fragen des Unter-
richts und der spedellen Methodik desselben sich dominirend in den
Vordergnind gedrängt haben, während zu anderen Zeiten das all*
geraeine Interesse in besonders lebhafter Weise der Erziehmig im
oigem Sinne sich zuwandte. Wir glauben nicht zu irren, wenn wir
annehmen, dass anch die Gegenwart mit besonderer Lebhaftigkeit die
Erziehung der heranwaclisenden Jugend zur Discussion gestellt habe.
£in Blick in die verschiedensten pädagogischen Journale wird die aus-
gesprochene Behauptung bestätigen. Desgleichen sind in den letzte
Jahren aul" den Lelu-erversammlungen und Lehrertagen meist Fragen
erörtert worden, die sich eingehend mit dem angezogenen Gegenstande
beacliäftiqtpn.
Sollten diese Erscheinungen blos zutäliige sein? oder liegen den-
selben liestimmtc Vorkommnisse in der Entwickelung unseres Volkes
zu (Truiide? Icli halte datür. dass diese lebhafte KnirtenmG: der Er-
zieh an gstVa'j-e in ursäi'hlirheui Zu&animMnhange stehe mit den jeweiligen
Sitten- und r Iii t Urzuständen im Volkcritiben. Die Voikomninisse des
letzten Jahrzehnts haben auf unsere ciiltiireHen und sitllicUeu Zu-
stände oft grelle Blitze ?ewoi-fen und uns unser \'olk in einer Be-
leuchtung gezeigt, die wenig dazu augethau war. uns ein angeneUuies
Bild erkennen zu lassen. \\'ohin der Blick sich auch iwenden mag,
überall treten uns schwarze Punkte und hässliche Flecken entgegen«
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— 721 —
bei deren rTusichgreileu um um die Zakuiift lULseres Volkes bauge
werdtiu kuuute.
Wer es gut mit seinem Volke uieiiii iiml nicht will, dass auch
ibm das Schicksal der alten Culturvcdker liest liieden sei, wird mit uns
wünschen luüsäen, dass je eher je liebei die abschüssige Bahn ver-
\i\^&tü. und ein Weg eingeschlagen werde, der zu einer wahren Er-
neuerung und sichern Gesuiidung zu führen vermag. Die Erkenntnis,
duijs es in der Viisliengeu Weise nicht weiter gehen kami iind ikiit,
bricht sich in immer weiteren Kreisen lialiu. Was Wunder also, wenn
wir in solcher Zeit des sittlichen Niedergangs allerorten die warnende
und mahnende Stimme der Besten und Edelsten der Kation vernehmen?
Was Wunder, wenn man der Endehangsfrage wieder eine erhöhte Auf-
merksamkeit und Theilnahme zuwendet? Besserung und Sicherung der
Zukunft unserer Nation ist nur von einem besser erzogenen Gesddecht
zu erwarten. Darum gilt es vor allen Dingen, die heranwachsenden
Generationen zu gewinnen, sie auf den rechten Püstd zu bringen. Und
darum wird das Heil in erster Linie von der eingreifenden Thätigkeit
der Schule und ihrer Lehrer erwartet; von der Schule, der viel ge-
schmfthten und — auch viel&ch Übersch&tzten. — WShrend auf der
einen Seite dieselbe f&r alle Misastfinde und Übel der Gegenwart ver-
antwortlich gemacht wird, erhebt man sie auf der andern Seite tkber
Gebüi- und erwartet von ihr aliein Abhilfe aller Noth und alles
£lendes dieser Zeit.
Von beiden Seiten wird sie verkannt. Sie hat weder so schwer
gesfindigt, als man ihr schuld gibt, noch kann sie so Großes leisten,
als man von ilir fordert Bedenke man doch nur das Eine: Die
Schule ist ein Kind ihrer Zeit, die mithin melir oder weniger an den
Kraiiklieitserscheinungen der Zeit selbst leidet und aufs eniptindlichste
von der Zeitstrt)inun<^ beeinflnsst wird. Gleicht sie nicht dem Manne
in «ler Rückert^ichen Parabel, der von allen Seittu „umstellt, umlagert und
unulruht" ist? Wie soll sie da frei und nngeliindert ihren We^ i^flien,
wie soll sie das ilu' gesteckte Ziel uatei" solchen Verhäituisseu er-
reichen k( innen?
Pass die Schule und ihre Lehrer nicht blind und taub sind gegen
das Elend, gegen die mangelhat le Erziehung, gegen die l'berhand-
uahme der Sittenlosi;;keit, gegen die aullere Noth, die aui' uuserm
Volke lastet, geht zur (Jlenüge daraus hervor, dass Pädagogen aller
öchattii-ungen sicii eilrig bemüht zeigen, in Wort und Schrift Vor-
schläge zm: Besserung und Abhilfe zu machen. Soll aber wklich
Wajidel in diesen Wimiisseu geschafft werden, so scheint es vor allem
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— 722 —
geboten, clic vorliandeneii Übel klar zu eikeniien uiul dieselben ins
rechte Lieht zu stellen, daniach aber JVIittel und Wege zu suchen,
wie ilinen begegnet werden möchte.
1.
Wir lebeu orteiibar iu einer sturmbewegteu Zeit. Auf allen G-e-
bieten des öfFentlichen und sittlichen Lebens zeigen sich imheimliclie
Erscheinungen. Unsere politischen und socialen Verhältms5>e sind au-
klar and verworr»!; man h&rt allerorten nur Klagen über die traui i^ e
Lage und die Nothstftode anserea Volkes. Und wahrlieh, wenn mau
unhe&ngenen Blickes die gegenwäi-tigen Verhältnisse beolMuditet^ sich
nkht geflissentlich den Tageserscheinnngen verachlieAt, sondern fheü-
nimmt an dem Leben seiner Nation, so wird man, ohne gerade als
Pessimist verschrieen zu werden, angestehen müssen, daas in der That
viel Elend, vid Jammer and Noth in den verschiedensten GeseUschaita-
kreisen unseres Volkes herrscht, dass anch die materielle Lage des-
selben durchaus keine befriedigende genannt werden datt
Wie groß die Noth, die leibliche Noth der niederen Stftnde ist,
kann nur der ennessen, der Gelegenheit hat, dieselbe ans eigener An-
schauung kennen zu leinen, der sich die Mtthe nimmt, selbst in die
häuslichen Verhältnisse Einblicke zu thun und die Hfltten der Amot
und des Elendes aufzusuchen. Da wird sich denn bald genug heraus-
stellen, dass die physische Lage vieler, unf^erer Mitmenschen eine tief
beklagensweite ist, die weit unter dem physischen Wolbehagen des
Thieres steht. Das sociale Elend hat Zustände geschaffen, die nun
und nimmer andauern dürfen, wenn die ^lenschbeit sich nicht selbst
aufg:eben will. Mit der Geburt solion beginnt auch die Noth, Kiit-
behrung, ja mau möchte fast sagen, die Entmenschlichung. Während
in den höheren >>f finden durch Verweichlichung und Genusssucht die
kiinftig-en Gesclileeliter schon im Keime entnervt und nur durch Srzt-
li<']iH Kunst ein Theil sidclier .'>ehwächlinfre am Leben erlialten werden,
iht t V in den unteren Bev<»lkerüug-sscdiirliteii die Armut und die roheste
UuwLsseniieit der Eltern, die den zarten Xeugeburenen zum Venlerljen
wird. Siehe doch einmal jenen Öäugling an! Kaiun ist er zur Welt
geboren, so wird er in Fesseln geschlagen. Die zarten (xlieder. aiü
das naturwidr irrste eingeschnürt, können sich nicht frei bewegen. Erst
wenige Tage alt, muss er die sorgende, behütende und pflegende Liebe
der Mutter entbehren, weil diese im Kampfe ums Dasein das tägliche
Brot erringen muss. Stundenlang, ja halbe und ganie Tage bleibt das
zarte Leben sich selbst oder aUenfiills einem wenige Jahre älteroi
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— 723 —
Geschvvi&ter überlassen, das Waitiiiifr und Pflegre übernehmen, ihm
eine mangelhafte, im^aniügende Nahiiing darreicheu mnss. Ist es da
noch zu verwundeni, wenn so viele zarte Leben zu Grunde gehen,
Venn Krankheiten und Epidemien Tauseude in den ersten Wochen
and Monaten ihres Daseins hinwegraffen? Uit furchtbarem Ernste
predigen die wöchentlichen Sterbelisten das vorhandene Elend! Und
wo sneht man Hilfe, wenn infolge mangelhafter Emähntng und tuen-
der Beinliehkeit Krankheiten aller Art auftreten? Etwa bei einem er^
&hrenen» tttchtigen Aizte? 0 nicht doch! Der Aberglaube dieser Be-
Tdlkerongssehichten wendet sich an „kluge Frauen", ,»weise Matter** nnd
„Wonderdoctoren**, die mit ihren „Besprechungen** und i^Wnndertrink-
lein** das verglimmende Lebenslicht wieder an&chen sollen. Bd solchen
Verhältnissen ist es Cut zu verwundern, dass trotz der lOsshandlnng
der zarten Kinder, i^otz der VemachlilMigung in der nothwendigsten
Pflege, trotz der mangelnden Beinliehkeit und d^ oft geradezu nn«
gesunden Nahining, dass trotz alledem noch immer ein so zahlreicher
Nacliwuchs und ein verhaitnism&fiig so gesundes Geschlecht aus diesen
Volksclassen hervorgeht.
Sind die ersten Lebensjahre überschritten, und kommt die Zeit
der allgemeinen Schulpflicht heran, so wird es für die heranwachsende
.Ingend keineswepfs besser. Neben der Schule, die die Kinder tilgUch
vier bis fünf Stunden ffir sich beansprucht, werden die in der Ent-
wickelung begritieneu Knaben und Mädchen vom Elteinhanse zum Er-
werbe und zui* Mitarbeit herangezogen. Bittere Noth und äußei^te
Armnt zwingt häufig dazu; nicht selten aber auch widern atnrliche
Härte, Roheit und Unverstand. Arbeiten werden den Kimh in zu-
jzeuMithet. die das Maß ihrer Kräfte weit überschreiten. Dabei knmnit
es denn auch, dciss so viele Tausende verkununern und verkrüppeln,
einen elenden, siechen Kt i per ihr Lebenlang mit sich schleppen müssen
und einem frühzeitigen Tode prei8<i:egeben sind. Ks ist ein großer,
weit verbreiteter Irrthiim, wenn man meint, uutei unserer Arbeiter-
bevölkerung die festeste Gesundheit zu linden. Das ist nicht und
kann nicht sein, weil dafür eben alle Bedingungen fehlen. Ich habe
in meinen früheren Jahren sowol als auch in meiner jetzigen Stellung
oft G^elegenheit gehabt, mit dea verschiedensten Kreisen der Bevölkerung
in enge Ber&hnmg zu kommen, habe auch viel&ch Einblicke gethan
in die Zustände nnd Verhältnisse der Armnt. Da ist mir denn die
physische Noth nnr allzu deutlich gepredigt worden! Was diesen
Kreisen noch immer ein gewisses Übergewicht gegen andere Stände in
Bezug anf körperliche Rüstigkeit gibt, finden wir darin begrikndet»
Pttdacofinm. $» Jalirf . Heft XII. 47
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— 724 —
das» dieselben dnreh anatreogende Arbeit, dnrdi viele Bewegung in
friaeher, gesunder Luft und durch mäBige Kost dem Stechtlinm vor-
zubeugen gezwungen sind. Und dies gilt auch nur im allgemeinen
von <Iem Arbeiterstande auf dem Lände. Ganz anders sieht es mit
den Fabrik- und Bergwerksarbeitem aus. Bei aclimaier Kost sitzen
die jugendlichen Arbeiter und Arbeiterinnen in engen, niedrigen, oft
verpesteten Arbeitsräumen. Eine frische, gesunde Oesichtsfurbe sacht
man vergeblich an diesen jugendlichen Gestalten.
Und was harte Arbeit in ungesunden Räumen und mangelhafte
Ernähi'ung nicht Tpraingen, das thut dann noch eine unverständige
Lebensweise. Hat man während der Woche Entbehrungen sich auf-
erlegen müssen, so will man am T.olm- und Sonntag-e wenigstens
dafür sich schadlos halten: Unmäßigkeit im K.^seu und Trinken sind an
der Tagesordnung-. In den Branntwein- und Biei*stuben, im Tabaks-
qualm und aul^ den staubertiillien Tanzböden werden ft>'i» fi Munden
zugebracht, das sauer erworbene Geld veri)ra.S8t, ansuii m der freien
Natur und in der frischeu Lull Erhohmg vou des Tages Last und
Hitze zu SU 1 dien. Im eigenen Hausstande ist es auch meist L'^ai- übel
bestellt. Wie ein Pesthauch strömt uns aus den \\'(dnistütt»'n der
Armut die verdorbene Stubenhilt entgegen. Die Notliweudigkeit des
täglichen Ötfhens der J-'enster wiid nicht begriffen. Ängstlich ist man
beilisseu — besonders zur Winterszeit — nur ja nicht frische Luft
den Wohn- und Schl&Mumen znznf&hren; es könnte ja sonst das
Zimmer kalt werden. In der entsetzlichsten Weise wird aof die G«-
sondlieit losgeetitnnt; sich nach den einfachsten Gesimdbeitsregefai za
richten, fiült niemandem ein, weil sie niemand kennt Treten Erank-
heiten ein, so ist gnter Bath theaer; da eilt man dann za den Wander-
doctoren nad bezahlt ihnen ein Nichts oder ein Gift mit theaerem
Gelde. So wfichst das Elend mehr and mehr; die Noth wird immer
fttger, der EQrper immer weniger widerstandsfähig, bis er endlich er-
schöpft dahinsiecht
Der Grtmd dieses Elendes ist nicht selten in der dOrlljgea Ökono-
mischen Lage za suchen. Die Armut, die in den unteren Schichten
onserer Bevölkerang herrscht, erreicht wirklich oft die äufieiste Grenze.
Wie viele Existenzen gibt es, die nicht bk>s Mangel am t&glichen
Brot, sondern auch Mangel an der einfachsten Lagei-stätte haben
(Obdachlose). In Lumpen gehüllt dnrchwandeln sie die Straßen und
suchen durch Betteln ihr Leben zu fristen. Wir kennen Familien,
die soweit heruntergekommen sind, iliie Tage in einem Stalle zu-
bringen zu mfissen, weil sie eine diui'Uge W ohnong zu bezahlen nicht
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— 725 —
mehr im »Stande sind, \ebeu solchen Familien, die durch eigenes Ver-
schulden so tief ö:esunken sind, kennen wii* auch ^iele andere, dtnen
es trnt;^ aller Bemiiiuüigen nicht ^eling'en will, für sich und die ihrigen
herbeiziiüchatlVii. was zu des Leibes Xalu'ung und Nothdurft erforder-
lich ist. Viele andere wiederum halten sich zwai- küninKM-lich über
Wasser, schlagen Bu-h von einem Taj^e zuut aiuiern nnter Einsciii ankiiug
und Entbehrung nothdiü-ftig durch; aber sobald nur der geringste Un-
fall sie trifft, fallen auch sie der öffentlichen Wolthätigkeit zur Last.
Schleppen unter dem Druck solchen Elendes Hunderttausende ein
kummeiTolles Leben mühsam dahin, so sind es in den oberen, besser
sitnirten Volksschichten andere socmle Übel, die nicht minder be-
klagenswert ersdieineD. Ist es unten die Noth, welche die Leibes-
krftfke frOhzeitig untergräbt und aufinhrt» so M es oben die Scliwel-
£^erei, die nicht weniger yerderbenbiingend sich änBert Sieche, kraft-
lese Gestalten, die im Jünglings^ und besten Mannesalter schon lebens-
matt dem Grabe zu wanken, gehören in nnsem Tagen nicht m den
Seltenheiten.
Wollte nns jemand entgeg^ihalten, dsss wir die Farben zu stark
anfgetragen, dass wir zu schwarz gesehen hätten, dem mfkssen wir
bemerken, dass wir einfach uns an die zn Tage getretenen Erschei-
Hungen gehalten haben nnd nur die nackten Thatsaehen haben sprechen
lassen. Man muss eben lange unter dem Volke gelebt, an seinen
Leiden lebendigen Antheil genommen haben, man mnss in die Hütten
der Armut eingedimgen sein, das Elend der Wolinstätten mit eigenen
Augen geschaut haben, man muss die Dürftigkeit ihrer Kost, die
lastenden Nahrnngssoigen, die Noth um Kleidung und den Jammer in
Kiankheitställen kennen, womit das arme Volk zu ringen hat, man
muss aus dem Munde der hunprernden Kinder vernommen haben, dass
sie zur Schule kommen, ohne die geringste Nahrung empfangen zu
haben, das>- ihnen die Eltern nichts bieten können, weil sie selbst
nichts hal i ii. um sich von dem herrschenden Elende eine klare Vor-
stelluntr machen zu krmnen, — Das ist die ph^'sische Noth, 'in dei- unser
Volk ge;^enw;irtiy steckt. Sie ist viel verhrcitctei-, als mancher, der mit
dem Volke nicht in nähere Berüluuug kommt, es sich träumen lässt-
n.
Nun krmute man vielleicht sagen: das bringen die jetzigen traurigen
Zeitverlialiuisse so mit sich; es steht diese Erscheinung in entern Zu-
sammenhange mit der allgemeinen Noth, dem Darniederliegen \ ou Handel
und Wandel. Sobald hier ein neuer Aufschwung eintritt, werden alle
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— 726 —
jene Missstiinde mit t-iiu ni Schlage vei-schwinden. Inzwbcbeu mo;,n n
wir uns damit trö>t» n. dass \vk es in geistiger Beziehung so „herr-
lich weit gebracht" und der Armut durch die vor/ii^dichen Leistungen
unserer Bildungsanstalten abgeholtVu liabeu. Die leiblich Aimen können
sich doch wahi-lich nicht beklagen, da^s sie auch in geistiger Hinsicht
vernachlässigt seien! Hat nicht auch das entlegenste Durl seine Schule?
wird die Bildung und Anfkl&ning nicht auch in die verborgenste Hütte
des einsamen Waldbevobners getragen?
Gewiss erkennen aneli wir es dankbar an, dass man überall Schuld
eingerichtet nnd für die Bedflrftaisse des Geisteslebens Sorge getragen
hat; nur geht l&r nns daraus noch lange nicht henror» dass es nnn
am die Cnltnr nnd Ansbildung des Geistes, dass es mit der viel-
gerfkhmten Anfklilmng gar so weit her sei, wie man nns gerne glauben
machen mOchte. Unser Volk wird gepriesen als das Volk der Denker
nnd Dichter, nnd wir lassen es nns gerne ge&llen, wenn man ms
also bezeichnet; vir spi^n nns so gerne in einem Glänze, den unsere
Geistesheroen über nns verbreitet haben. Aber fragen wir nns doch
einmal, wie es aussieht mit der vielgepriesenen Denkkraft? Wie es
steht nm die Begriffe von der Würde nnd Bestimmung des Menschen, von
Gott, Tagend und Unsterblichkeit, tun die Kenntnis der nns timgeb^-
den Natur und seiner selbst? Fragen wii-, wie es st^ht um dne ge-
schickte nnd glückliche Betreibung des gewählten Berufes, um das
Verhalten zu den Mitmensclien. fragen wir nach der Ausübung der
erlernten Fertigkeiten und der Anwendung der erworbenen Kennt«
nisse, wie wird da die Antwort lauten? Es dürften nur wenige, die
eine rechte Kenntnis von den wirkliehen Verhältnissen besitzen, geneigt
sein, der gegen wärtipren Volksaufkläi'ttng in allen Punkten eine be-
geisterte Lobrede zu halten.
Wir gehen wieder von Thalsachen ans nnd lassen diese reden.
Um das Volk anfznklSren und zu belehren, sind namentlicli in den
Städten mancherlei Veranstaltungen getroöen. Man hat Vereme ge-
frrüiulet. in 'denen die versdiiedensten Tagesfragen eiurtert, in denen
auch Vorträge belehrenden Inhaltes gehalten werden. Wenn man nach
der Betheiligung an solchen Versammlungen .schließen wuilie, nmsste
man eine hohe Meinung von den Zuhörern bekommen. Regelniäijig
rind meist auch recht zahlrtich werden die Vorträge besucht. Fragt
iiiun aber nach der Wirkung, nach dem Erfolge, so ist das Ergebnis
bei der großen ^lehrzahl gleich Null. Es ist fast unglaublich, wie
wenig der gioße Hanfe yon dem Mitgetheilten anffasst, wie wenig er
davon behält. Mit trauriger Verwnndmng mnis man bekennen, dass
. kjui^ . j uy Google
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— 727 —
die Stompfheit der großen Menge allen Glauben übersteigt, dass bei
der grOfiten Zahl der Znhdrerschaft das Erste, was den Mensehen
zum Menscbea macht» die Denkkraft nftmlicb, nichts weniger als ge-
weckt ist ünd doch sind die Lente durch unsere vielgerOhmten
Schulen gegangen.
Unsere Gelstiichen würden uns ebenfalls betrübende Erfahrungen
mittheUen können. Wie viele ihrer Zuhörer sind denn im Stande, ihrem
haibstflndigen Vortrage mit Aofhierksamkeit zu folgen, das Gehörte
m recapituliren oder sich von demselben sp&ter Bechenschaft zu geben?
Wie viele der regelmäßigen Kirchengänger sind fähig, selbst zu prüfen,
oder das Gdiörte in rechter Weise auf sich zu 1h zi- lien und auf ihr
Leben anzuwenden? Aber sie singen uud beten ja doch mit, also
werden sie es doch auch verstanden haben I Allein frage nur jemand,
wie einst Philippus den Kämmerer: „Verstehest du auch, was du
liesest?" ich bin gewiss, dass die gioße Mehrzahl mit einem ,.Nein''
zu antworten gezwungen wäre. Gedankenlos wird das Gebet nach-
gesprochen, gedankenlos das Lied mit j^esimo^en. Es ist ein Sehall,
der an das Ohr schlägt, nichts weiter; leere Formeln ohne belebenden
Inhalt. Ohren haben sie wol, aber sie verstehen das Gehörte nicht.
Hier lieiBt e.s iu der That auch: „Sie aber vernahmen der keines,
und wiisijten nicht, was das iresa^t war, und die l^cde war ihnen ver-
borgen.** Ein „He})hata" Tim>- liiei- ersehallen, wt-nu die JJenkkralt
geweckt und das \'erst<tndnis erschlossen werden soll.
Als Krone der J^dniptimg ist der Mensch berufen, zu herrschen
über die Erde, sie sich uuterthan zu machen; empfangen hat er vom
Schöpfer den Geist, der ihn au.^zeichnet \oi allen anderen Geschöpfen.
Und doch, wie viele 'lausende uud abei lausende j^iltt es, die sich
dieser Stellung nicht einmal bewusst werden, die keine Ahnung von
ihrer wahren Bestimmung haben und sich durch niclits von der uu-
Temflnftigen Greatur unterscheiden. In ihrem Stumpfsinn gehen sie
dahin; sie wissen keine Antwort zu geben, wenn man sie nach ihrer
Bestimmung ffir dieses und Ar jenes Leben fragt Noch niemals haben
sie darüber nachgedacht Wozu auch? Sie leben in den Tag hmein
und damit ist es gut Sich Rechensehaft von ihrem Thun und Treiben
zu geben, flUlt ihnen nicht ein. Fragt man sie aber nach ihrer Menschen-
wfirde» nach dem, was sie Uber das Thier erhebt, sie wissen es nicht
und süid höchst erstaunt darüber, wie man nach solchen Dingen fragen
kGnne. Dass sie dazu berufen sind, ihre Kräfte zu gebrauchen, durch
Arbeit an sidi selbst sich emporznringen, di6 Trftgheit zu bekilmpfen
und m emster Thätigkeit sich aufisuraffen, um sich Je länger je mehr
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zu Tervollkommiieii, die Sinnlichkeit dnrch SelbfitfOterwindimsp za be-
kftmpfen, um nr Sittliclikeit und reinen O&te dcb durchzuailieiteii,
das ihnen begreiflich za machen wird bei dem groBen Haufen sicih als
TergebUche Mfihe beransstellen.
Ebenso ^^T■^v^rren sind ihre Begriffe von Gott, Seele und Un-
sterblichkeit Unwissenheit ond Finsternis umgibt sie anch hier. In
iliren Vörstellnngen herrscht noch immer der zommäthige, strafende
Gott vom Sinai, dem es eine Lust ist, die armen Henschenkinder zn
ängstigen und zu schrecken, der das Jammern der niedergeschmetterten
t'reatur mit Wolgefallen hört, und der nur durch das Wehegeschrei
der Elenden sich erweichen lässt. Dass er der fiott der Liebe, der
Vater seiner Menschenkinder ist, der Theil nimmt an ihren Freuden
und Leiden, der die Noth gerne stillt und dem die Freude und das
Wolergehen seiner Geschöpfe selbsf Freude bereitet, das vermr»o^en sie
noch immer niclit zu fassen. In ihrer Unklarheit Ifl.t ilnvin dem ent-
sjirecliend aucli der Teufel, mit Hörnern ang^ethan und dem Pferdefuß
als Krkennungszeicheu. Sie können sieli niclit losmachen von den
Wahnvorstellungen, dass Satan ein k'»ri)erliihei5 Ungeheuer sei, das
jede Gelegenheit wahniehme, um durch steine tibergroße List und
Scklaulieii die gequälte Seele in seine Gewalt zu bekommen. Dieser
Teufelsglaube steckt noch mit gai zu tiefen Wurzeln in dem Herzen
unseres Volkes.
Auf dem bisher berührten Gebiete steht es also noch recht übel
mit der vielgerühmten Anfklärong. Und wie weit sind die breiten
Schichten des Volkes in der Erkenntnis der natfirlichen Dinge ge.
langt? Zwar umgibt sie die „lebendige Natnr, da Gott die Menschen
schnf hinein"; Tag für Tag pflegen sie mit ihr Umgang, st&ndHck
sind sie yon derselben abhängig, und dennodi können sie sich Ton
den dnfachsten Vorgingen in derselben nicht Bechenschaft geben.
Ihnen ist die Natur noch immer ein yerschlossenes Bnch. Nicht die
einikchsten Vorkommnisse wissen sie zu erU&ren; stumpfsinnig gehen
sie an den herrlichen Gebilden der Schöpfüng vorüber, ohne sich der^
selben zu erft-enen, dem Gmnde ihres Seins und Werdens nachzDfl|illren.
Man achte einmal auf die GesprSdie, die bei außerordentlichen Natur-
erscheinungen geführt werden, und man wird erstaunen über den
Unsinn, der sich kundjü^ibt. Das dem Polarbewohncr so angenehme
und wolth&tige Noi dliclit wird als Zeichen nahe bevorstehenden Krieges
und großen Blutvergießens gedeutet. In dem Kometen erblickt der
Aberglaube des Volks das gezückte Schwert des racheschnaubenden
Gottes, der es drohend aushängt, um die sündige Henschheit auf-
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zuscliret keil nnd sie vorzubereiten auf das liereiubi echende \'t:rderben.
Ist tjs nicht, als hörten wir den Kapuziner in Schülei'S Wallenstein?
..Am Himmel geschehen 7* i< Ken und Wauder,
Uud aus den Wolken, bluti^oth,
Hängt der Hengott den Kriegsmantel 'runter.
Den Kometeii steckt «r wie eine Anthe
Drohend «m Hiiiiiiielitot^ ms.**
Sonnen- uud Mondfinsternisse müssen es sich immer wieder gefallen
lassen, als Vorboten des Weltunterganges angesehen zu werden. Und
der tief im Volke wurzelnde Abeiglaabe wird von Betrügern in ans-
gedebntestw Welae benutzt, un das arme^ dnmiiie VoHc xa hintergehen,
es nach Herzenslust auszubeuten. Spuken mcht auch in nnserer Zeit
noch die TeufetebeschwQrungen und Schatzgrftbereien? Haben nicht
die alten Klatschbasen, Kartenlegerinnen nnd Wunderdoctoren ihren
zahlreichen Anhang, nnd finden sie nicht stets ihr gläubiges PubUcnm?
WeiB man in den unteren Volksschichten auch nur die allereinfachsten
nnd natOrlichsten Gesundheitsregeln und ventebt man darnach zu
leben? Und wie steht es femer mit einer rationellen Anpflanzung*
und Ausnutzung des Ackers? wie mit der Nutzbannaclinng der sich
darbietenden Naturkräfte im gemeinen Leben? Uit Betrübnis mfissen
wir gestehen, es sieht damit noch immer recht traarig aus.
Alljährlich werden bei Einstellung der Heerespflichtigen die Resul-
tate der Schulbildung veröffentlicht. Die Zahl der Analphabeten wird
gewissenhaft gebucht, und mit Stolz weist man darauf hin, wie die-
selbe von Jahr zu Jahr im Abnehmen begrüfen sei. Ja, bald werdra
wir dahin gekommen sein, dass im deutschen Heere keiner mehr zu
finden ist, der des Lesens und Schreibens nicht kundig wäre. Nun,
wenn dn das selbst anerkennst, was willst du dann noch mehr? wird
man mir entgegen rufen! Ist das noch nicht Beweis genug, wie vor-
trefflich unsere Schulbildung, wie allgemein und durchgreifend sie
ist? — Gemach, lieber Freund' Wenn du freilich das ..Lesen" nennst,
dass jemand im Stande ist, lu htneinaiider stehende Buchstaben zu Silben,
Wörtern und Siitzen zu verbinden, so muss ich dii* Recht geben. Ich
kann al)er ein solches Zusammeustoppeln als ein Thesen nicht gelten
lassen. Nach meiner Auffassung kann der erst im wahren Sinne d^s
Wortes lesen, der auch versteht, was er liest oder was andere ihm
vorlesen, der den Inhalt des Geleseneu in sich aufzuuehnieu vermasr
und auch das Gelesene wiedergeben kann. Ist diese meine Auffas-
sung die richii^^e, wie steht es dann mit der Lesefertigkeit unseres
Volkes?
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Und weitei*! Schreiben lernt heutzutage jeder, das ist nicht > 1^.-
sonderes mehr. Gewiss, und dennoch könneif s so wenisre. Ich will
gar nickt an die oiiiin():jen drei Kreuze unter mauclicn .^<-ln-iit>tücken
erinnem; ich rede hier nur von dem, was man im gemeinen Leben
als „Schreiben'* bezeiebnet Wenn man jedem die Schreibekunst \'indi-
ciren will, dem es gelingt, nothdOrftig' seinen Namen in Bachstaben
zu malen, dann bin ich geswungen, die Segel zn streichen. Ist man
aber mit mir der Meinung, dass nur der in Wahrheit die Kunst des
Schreibens besitzt, der anch yermagt seine Gedanken in wolgeordneter
Weise durch die Schriftzeichen znr Darstellong zu bringen, dann wird
die Zahl der Schreibkondigen gar gewaltig znsammenschnunpflBn.
Von den ersten Scholwochen an bis zum letzten Schnltage hin
wird die edle Bechenkunst in nnsem Schulen in wöchentlich drei bis
vier, ja anch wol in noch mehr Stunden gelehrt und gefkbt Dabei
moss doch gewiss etwas Ordentliches heranskonuien! Fast sollte man
versucht sein zu glauben, dass jeder Schüler bei so \iel Übung ein
kleiner „Adam Riese" werden mösste. Was lelirt aber die Erfahrung
und das tägliche Leben? Hunderttausende, die durch die Schule ge-
gangen sind, wissen sich bei der einfachsten an sie herantretenden Auf-
p-abe' des praktischen Lebens nicht zu helfen; entweder lassen sie sich
von gnten Freunden die Losung geben, oder sie vertrauen der Elirlich-
keit ihrer Nächsten und nehmen fiir richtig hin, was man ihnen sagt.
In nicht seltenen Fällen aber wt icleii sie von unredlichen Geschäfts-
lenten übervortheilt und anfs schmälilichste betroOTi. Ich weiß aii*i
meiner Jugend nuch Fälle üenuü:, ilass Arbeiter zu mir kamen uiii
der Bitte, ihnen den W'iKhenluhn zu berechnen, oder, wenn sie eine
gemeiuscliattliche Arbeit VHiiichtft hatten, ihnen zu sagen, wi -
jeder von ihnen zu bean^pruehen habe. Die (Tpo-^^nwart kann mit
almlichen Hei>pielen aufwarten. Solleu wir noch weiter iiber die Ke-
sultate auf andern Unterrichtsgeliieteu sprechen?
Das sind die that&ächliehen lUMungszustÄnde unseres Volkes; so
sieht es in der Wirklichkeit noch aus. Bei allen anzuerkennenden
Anstrengungen, die bisher gemacht sind, befinden wir uiiü dueh uuch
recht weit von dem vorgezeichneteu Ziel. Können und düi'fen wir
nun noch die neue Zeit als die Zeit der Aofklänuig preisen? — Und
bei alledem merkt man wenig, dass das Volk bestrebt sd, sich aus
dem Geistesschlummer au&uraffen, dass es den Druck, unter dem es
schmachtet, f&hle. Den Menschenfreund aber mnss es mit Sehnen
erfüllen, wenn er Uber den wahren Zustand seines Volkes nadi-
denkt.
i^iyuu-cd by Google
— 731 —
IIL
Mit den socialen Verhältnissen wie mit unserer YielgerQhmten
Aufklärung sieht es somit noch traurig genug aus. Vielleicht aber
steht es günstiger um die Sittlichkeit unseres Volkes, vielleicht haben
wir hier ein solches Pins, dass jenes Minus melu* als aufgewogen
wird? „Sittlichkeit rauss vor allen Dingen als das Höchste in unserer
Natur, füi' das edelste Kleinod in der Krone der menschlichen Würde
angesehen werden. Wo das nicht der Fall ist, da steht es noch gar
übel um sie." Daraufhin werden wir die Znstande in unserm Volks-
leben zu prüfen haben. Leider müssen wir, wenn wir der Wahrheit
die Ehi^e gch^n wdl^Ti, liekeiinen, das.s unser Volk auch hier noch
fem vom Ziele ist. i>eiiti in weiten Kreisen gilt Reiclisein noch immer
mehr ',\h Gutseiu, ein vornehnifr Ntand mehr als 'riigrend. Nicht die
C-ilürk-t liukeit sncht man. dii viw nothwendigfe und natürliche Fol^e
der Nittliciikeit iat; sondern mit einem A\'ulsein begnüu:t man sicli. das
mit der Sittlichkeit oft auch nicht im entferntesten Zu.sammenhan^^e
stellt. Tm allgemeinen lässt nuiu mcIi mehr von der Sinnlichkeit als
von Moralgesetzen leiten. Die tägliche Erfahrung bezeugt dies, und
auch die Criminalstatistik stellt unserem Zeitalter keineswegs ein
günstiges Zeugnis aus.
Doch dies alles ist schon so oft nachgewiesen und beklagt worden,
dass wir uns einer weiteren Ausführung entschlagen können. Ist es
ja doch ein peinliches Gteschäft, die Nachtseiten unseres Volkes auf-
zndedten, deren Anblick dem Menschenfreund nur Schmerz und Trauer
bereitet! —
IV.
Der edh' Freiherr von Kochnw auf Kekahne hatte zu seiner Zeit
unser Volk mit einem T^öwen verglichen, der, in den Netzen verwickelt,
seine ihm lili ti zuiremesseneu Kräfte niclit zu nutzen vermöchte.
Unwissenheit, Aberglaube, Trägheit und Denkfaulheit waren die ]■ i >:m hi.
die die Vernunft, den Geist des s*» wol beanlagten Volke:s gelangen
liielteu. Aus diesen Banden das \ ulk zu erlösen, war sein unablässiges
Bemühen. Die Maus wollte er sein, jene Netze zu zernagen und Frei-
heit dem eingeschnürten Geiste zu bringen. - - Dieses Bild des edlen
Menschenfreundes stand niii- vor Augen, als ich meine Beobachtungen
und Erfahrungen niederzuschreiben unternahm. Auch jetzt wieder,
oder vielmehr auch jetzt noch, gleicht unser armes Volk jenem ge-
fangenen Löwen, und es ergeht darum an alle, die es können und
mögen, die ernste Mahnung, mitzuhelfen, das® die Maschen des fest-
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-- 7S2 —
gearbeiteten Netzes zenutg^l und dem königlichen Thiere die Freiheit
gegeben werde. !Mc>clite doch ein jeder mit Eberhard von Rochow
den Entschhiss fassen: „Ich yäW die Maus sein, ich will da«; Netz
zernagen helfen und meinpin Volke die Erlösung aus den Bauden
bringen, in denen e^ nuii ^chon so lautre schmachtet." — Ehe ^v'ir
au die lieantwurtuug der Frage gehen, auf welchem Wege und duixh
welche Mittel solches geschehen könne, wollen wir uns fragen, wo-
durch denn die jetzigen trüben Zustände auf dem dttliclien, iut^lleC'
tneUen imd soeiiJeii Gebiete herbeigeführt worden shid.
DentscMand hat innerhalb eines Jahrzehnts drei große und glück-
liche Kiiege gefuhrt; seine Kachtentvickelimg nach anfien hin war
gewaltig nnd seine großen Erfolge anf militSrisdiem Gebiete haben es
ah die Spitze der Nationen berufen. Nnn lehrt aber die Gteachichte
aller Zeiten nnd Völker, dass anmittelbar nach gießen, welterschüttem-
den Ereignissen ein entschiedener Niedergang in der Sittlichkeit, eine
Verrohung namentlich der niederen Volkskreise eingetreten ist Es
ist ja nur zu leicht erkUrlich, wom in solchen Zeiten der glAnaend-
sten Kriege nnd Siege, der großartigsten Waffenerfolge, der Erfolg
znm Gotte gemacht nnd angebetet wird. Nor dieses eine Moment
wird in den Vorda:grand gedrängt, alles andere wird wenig beachtet
Unter dem äußeren Glänze konnten sich denn auch die Übel, an denen
wir jetzt noch leiden, mehr und mehr ent\^ickeln, ohne dass sie in
ihrem wahren Wesen erkannt word^ wären. Das Glück macht bald
flbermfithig und blind. Es fehlte nnsenn Volke in dieser Zeit an der
nothwendigsten St ll>stbeherrschung, es fehlte ihm die charakteiTolle
Tüchtigkeit, die im Glücke vor Überhebung bewahrt. Schon seit
längerer Zeit waren rnterlassnunfssnudeu auf dem Gebi''tf^ der Schnl-
erzieliung' mid insonderheit anf dem der ( liarakterbildung aufgehäuft
worden. Man hatte nicht dafür gesorgt, das.s die Kraft und innere
Tüchtigkeit in irdem einzelnen ge.«:trihlt und fnr die Ivorntiit lulen großen
Zeiten V(»rl»ereitet würde. Die Ixegulativerzieliung hatte zwai" eine
Menge EeligionsstofF in die' K(»pfe gebraclit, aber es war ihr mit
diesem Ibermaß des Memorirsiulles nicht gelangen, sittlich tüchtige,
charakterfeste Mensclieu /u bilden, und dies eVien darum nicht, weil
es zu einer rechten Vertiefung und Durchdringung nicht gekommen
war. Auch in anderer Beziehung liat die Regnlatirschnle nicht ge-
leistet, was mau m furdern und zu erwarten berecliiigi war.
Doch ist es die Schule nicht allein, die gesündigt hat. Die
Familie ist ebenso wenig frei zu sprechen; desgleichen lastet Schuld
anf den Gemeinden, anf der Kirche nnd anf dem Staat Endlieh hat
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^ 733 —
aacli die Presse, die gnte wie die sciüechte, Theil an der Schuld.
Während jene sich mancher Unterlassungssünden zeihen muss, hat
diese viel Übles getban und nnsenn dentscheii Volke viel Gift ein-
geflößt.
Die Kiankheitskeime waren somit in unserm Volke schon lang'e
vorlianden. Der Aiisbmch der Krankheit war nur noch eiiip Frage
der Zeit. Und diese Zeit erschien, als nacli dem 2-1'>rreichen Kriege
von 1870 71 Dentscliland in nie geahnter Krafr umi Herrlichkeit als
ein eiiiij^» ^ iieicii erstand und der Milliarde im gen Frankreichs auf
nnser armes Volk niederftel, es lu allen .Schichten durdidriiiL'-end und
zersetzend. Jetzt zeigte es sich, wie wenig wir für i>olche Zeilen mit
SelbstbeherrbchniiL'' und Charakterstärke gewappnet waren. Der augen-
blickliche Erlolg wurde der angebetete GTitze aller Stände. Der Tanz
um das goldene Kalb begann. Die ^.rundei jähre kauien; der Schwindtl
sl^iud in üppigster Blüte. Geld war das höchste, erstrebenswerteste
Gnt Nach ihm drängten alle. Reich werden ohne Mühe und Arbeit
war die Losung; erwerben und immer nur erwerben, um nachher zu
genießen, wnrde die Signatar der Zeit Sinneugenuss und Sinnenkitsel
suchte jeder nach seiner Art zu tiefriedigen. Arbeiten war nicht mehr
eine Lust und WOrde» sondern eine Last und Btlrde, sie galt als ent«
ehrend.
ffio Umnl* ick T«n Beg^erile xn OenvBS,
Uttd im Gennsa Tenelimadbt' ich nrneh Begierde."
Diese Worte nnsers Altmeisters Goethe schienen eigens fBar unsere
Zeit gedichtet zu sein. Die Großen gingen voran, die Kleinen folgten
nach, nnd so kam es denn, dass die Krankheit alle Schichten der Be-
Tölkemng durchdrang. Man lebte nach dem Wahlspruch: „Lasset uns
essen und fröhlich sein; denn morgen sind vir todt.**
Doch es ist dafüi* gesorgt, „dass die Bäume nicht in den Himmel
wachsen". Nach dem riesenhaften „Aufschwünge", dem blühenden
Schwindel, kam ein jäher Sturz, ein tiefer, tiefer Fall, den der Volks-
mund so treffend als den „großen Krach*" bezeichnet hat. Wie ein
Blitz ans heiterui Himmel kam er Über die im Sinnengennss und
Sinnentanmel dahinlebende Menschheit und fegte erbarmungslos die
Spren hinweg, die sich bisher so breit gemacht hatte. Bald kam die
bittere Noth, und vorbei war es mit der erlogenen Herrliclikeit Die
bitterste Almut brach nun bei vielen herein; andere vermochten sich
mit dem Gedanken, dass sie wieder arbeiten nnd im Schweiße \hvf<
Angesichts ihr Brot essen sollten, nicht zu befreunden und nahuieu
sich das Leben. Die Zahl der Selbstmorde stieg m diesen Jahren zu
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— 734 —
ersclifitternder Höhe. Das Leben hatte keinen Wert mehr; der Glaube
an ein Jenseits war längst veraltet. Dass der Mensch für seine Hand-
lungen verantwortlich sei, das war dem Bewusstsein jenpr Tag-e ent-
srhwimflen. Eine völlige sittliche Venvildenmfr war eingetreten, der
Glaube an eine sittliche Welt Ordnung" untergraben. Die Getan inüsse
fullt. n sich mit Verbrechern albn- Altersstufen und aller Stände. In
(Ii' -I 1 Zeit der allgemeinen Kaului.< iiih! Zersetzung fanden auch die auf
einen gewaltsamen Umstui'z aller VerliaItni^.se gerichteit n H»'<Trebiin2'en
einen fruchtbaren Boden, und die «regen wärtigeu Zustände der «.leseiischatr
sind mit Nothwendigkeit aus der jüngsten Vergangenheit entstanden-
V.
Leicht könnte mau bei Betrachtung unserer Lage zu dem Schlüsse
gelangen, dieselbe sei so zerfahren und verrottet, da.ss eine Besserung
kaum noch zu erwarten stehe. Aber fassen wii- Muth. Mag augen-
blicklich die Erisis auch eine sehr ernste und gefährliche sein, s<>
lelmi wir doch der Hoffanng, du» viser Volk dieselbe schließlich
ttberwinden werde. UnerULsslich ist freilich, daas yon allen bethelligt^^a
Kreisen mit Einsicht nnd Energie an der Nengestaltiing und Nea-
belebnng der GeseUschaflt gearbeitet werde. Zu jener HolEhnng aber
berechtigt uns die Geschichte unseres Volkes. Schon mehrmals war
dasselbe tief gesunken; am tiefeten wol in nnd nach dem dreiftig-
jährigen Kriege, tief anch in den Jahren der Knechtschaft^ die Napo-
leon L über uns verhängte. Und doch hat sich der deutsche Oemns,
hat sich deutsche Art und deutsches Wesen noch immer wie ein ver-
jüngter Phönix aus der Asche zn neuem Leboi empoigeschwnngen.
Warum also sollten wir diesmal daran verzweifeln? „Verloren ist
nur, wer sich selbst anfgibt.** Wir leben offenbar in einer Zeit des
Übergangs; dass dieser Übergang aus den bekannten Missständen zu
nenen, bessern Zuständen ein mögliclist baldiger und glücklicher werde,
mnss die vornehmste Soige jedes Volksfreundes sein. Darum ergeht
denn auch an alle, die es angeht, der ernste Mahnruf, mit voller Kraft
mitzuarbeiten an der Wiedergeburt unseres Volkes.
Eine überaus große und wichtige Rolle wird der Schule in diesem
Verjüngungsprocess zufallen. Sie in erster Linie wii-d sich dai'ura auf
ihre schwierige Autgalie zu besiimen und recht vorzubereiten haben.
Dass sie bisher nicht allenthalben geleistet, was sie hiitte leisten kennen
und Süllen, das liegt jedem, der mit den Verhält nis^^tni vertiaut ist,
klar vor Augen. Aber nnverkniiib;iv ist auch, dass sie oft mit un-
ubei*windlichea Schwierigkeiten zu kämpfen hat.
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— 735 —
Jtfanliat der Sehlde, insonderheit der Volksschule, nicht gegeben, was
ihr gebikrt; sie ist von oben herab zu stieflaütterlich behandelt worden
und hat ihre volle Ausgestaltung bisher noch nicht gefunden. Wir
gedenken nicht der nnbereclit igten und unerfüllbaren Ansprüche, die
man an sie gestellt hat Aber hervorheben müssen wir doch die TTbel-
stände, unter denen sie vieler Orten noch bis auf deo heutigen Tag
seufzt; denn erst wenn diesen abgeholfen sein wu*d, kann die Schule
ihre Aufgabe lösen. Zu diesen Älissständen müssen wir in erstev Reihe
zälilen die übei-fiillteii Classen. Es ist rein imniPfrlich, dass ein ein-
zelner Lelu'er cinp Kinderschaar von 100 und darüber in erziehlicher
wie in unterrichtüchei'Hinßiclit so leiten kann, dass die vorgeschriebenen
Ziele eneiolit werden. Von einer Berücksichtigung der Individualitäten
kann dabei kaum die liede sein. Möditen sich th\s die Herren doch
einmal recht klar niaclK ii, die so bahl mit einem abfälligen Urtheil
über die genngen Erziehungsi esullate bei der Hand sind. Ich wünschte
ihnen nur vier Wochen die Arbeit ia einer solchen Classe. — Hier
muss der Staat und die Gemeinde eingreifen und Abhilfe schaffen,
i ber 50 — 60 Schüler sollte in Zukunft keine Classe mehr zählen; dann
würden ihre Leistungen bessere werden. Der Massen unterrieht bietet
ohnehin der Schwierigkeiten noch genug. Da sind die verschiedenen
Altersstufen, unregelmäßiger Schulbesuch, mangelhafte Begabung und
nicht zuletzt die Widerspenstigkeit der Mtern gegen die Fordeningeti
der Schnle zu berflekilditigeiL Anch die große Mannigfiiltigkeit und
Ffille der Unterrichtsstoffe Usst es zu befriedigenden Besultaten nicht
kommen. Der Kof nach Sichtung der Lehrstoffe, wie ihn Dr. Dittes
wiederholt im PAdagogiom erhoben hat, ist ein sehr wol berechtigter.
„Non mnlta, sed moltom^ sollte überall als Parole aasgegeben werden.
Wie die Sachen gegenwärtig liegen, erfolgt meist nur ein Durch-
peitschen der mannigfaltigen Disciplinen; zu eingehender Betrachtung
und ernster Vertiefung kann es nicht kommen; zu dm flberans noth-
wendigen BepetitionoL bleibi selten Zeit. Daher schreiben sich denn
die ungenflgenden Resultate, daher die Schein- und Halbbildung.
Dabei dürfen wir nie vei'gessen, dass die Erziehung zur Sittlichkeit
die vornehmste Aufgabe der Schule werden mu.«?. Wahre Sittlichkeit
aber wird mit rechter Religiosität stets Hand in Hand gehen. Nicht
das £inlemen von religiösen Memorirstoflfen thut es; unser Christen-
thum muss wieder ein Herzens- und Thatchristenthum werden; das
bloße Bekenntnis mit den Lippen ist vom Übel. Das Wort des alt^n
Moscherosch gilt auch uns: ,.Der große Richter über den Sternen
wird dich einst nicht fragen; Was hast du gelesen? wieviel hast du
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— 736 —
stadirt? wieviel dpracheu kannst du i*eden? wie «reschickt kannst du
predigen? ~ sondern: Henscbenkind, wie hAst da gelebt?, was hast
du gethan?"
Haben Staat und Oenieinden alle Äußeren Bedingnngeu für eine
jTcsnnfle Weiterentvvickt'lung unserer Schalen erfüllt, sind entsprechende
Käume «^eschatFen, du- iiluTtülltou ("lassen beseitigt, genügende Lehr-
mittel geboten, eisip nusreichende Hotation den Lehiera gewährt, und
wird letzteren von allen Seileu lördenicie Mitwirkung und willij^^
Unterstützung zu Theil, dann ist es an ihnen, ihre ganze Kiiitr t-in-
zusetzen und in der duLrond das Fundament zu einem soliden Neubau
der Gt'sellschatt zu legen. Es wird nun daiauf ankommen, dass der
Leluw stets wisse, was er soll und will. Wenn er nicht selbst das
zu erstrebende Ziel fest und unverrückbar iui Auge hat, wie soll er
andere dazu hinführen? In sich selbst hineingreifen nniss er. sich
selbst ernstlich prüfen, an sirU selbst die bessernde iiand legen, iudem
er sich l'urtzubilden und tüchtiger für seineu Beruf zu raachen strebt.
Er wird sich auf jede einzelne Stunde sorgfältig vorbereiten mflsaen.
Immer habe er sich sa Hame planmftfiig sürecht gelegt, was er in
den Unterrichtntiind«& bduniddn will Bechtzeitig hat er in da-
Classe za erscheinen, pünktlich die Lehrstonden zu beginnen nnd zu
scAKeten. Baas er wihrend des ünterrichta nnr diesem gana gehört,
seine Erfllte ganz in den Dienst der Schfiler zn stellen, seine Auf*
merksamkeit ihnen allein znznwenden hat, ist eigentlich selbstr^rstSnd-
lieh. Aber leider gibt es nnter den Ldurem noch immer Mietlinge,
die ihre Standen abarbeiten, wie der Tagelöhner, oder wahrend der *
Untenichtstunden noch allerlei Nebenheschfifkjgnngen treiben. Das ist
nicht rühmlich, aber nm der Wahrheit willen nmsste es gesagt werden.
Möchten doch diese Mietlinge — je eher je lieber — aus nnsenn
Stande scheiden!
Ein lebendiges Beispiel soll der Lehrer den Schülern sein; denn
Beispiele ziehen mehr ak Lehre nnd Unterweisung und: „die Menschen
glauben nnn einmal den Äugen mehr als den Ohren^, bemerkt schon
der weise Seneca. Darum habe der Lehrer acht anf sich selbst, nehme
sich selbst in strenge Zucht. Seine Worte und seinen Ausdruck wähle
er so, dass sie nichts Verletzendes haben; auch seine Körperhaltung
mnss edel und ohne Ani^tnß sein. Mehr unwesentlich ist femer «iie
Sorgfalt, die er anf seine Kleiduufj verwendet. Wir wollen dui-cliau.>
nicht, dass er sieh nach der neuesten Mode kleide und stutzerhaft auf-
trete. \\ iA aber niuss er auch in seinem Anzuije eiu Muster vo!> Kein-
lichkeit und Ordnung sein. — In Schuihaus uud Schulstube herrsche
üigiiizeü by Google
— 737 —
musterhafte Ordnung; alles habe seinen bestimmten Pktz; alles werde
saaber and reinlich gehalten.
Die Zeit rauss füj- uns Lehi*er ein unschätzbares Kleinod sein.
"Wir müssen mit den Minuten geizen, jedeu Ang-enblick auskaufen.
Daraus folgt deim, dass alles aus den Stuiideii zu verbannen . was
nicht zur Sache gehört; so alle weitsclnveiügeu Redewendungen, unnütze
Fragen, leeres Gesrbwjit/. ungehörige Spälie u. w.
Mit innerer 8anmiiun<2:, nicht aber zerstreuten JSiuues soll der
Lehrer vor die Classe treten; frisch und l'rohlich soll er sein Tag^e-
■werk treiben, damit er auch in den Zöglingen Frische und Fröhlich-
keit errege. Diese Stimmung ist tui die gedeihliche Arbeit in der
Classe von eminenter Wichtigkeit. Jean Paul hat i-echt, wenn er sagt:
^Heiterkeit ist der Himmel, unter dem alles gedeiht, Gift ausgeuom-
men." Das sauertöpfische Gesicht des Lehrers erzeugt auch Unlust
und ein uiüiiisches Wesen bei den Schülera. Es muss dem Lehrer
heiliger Ernst sein mit seinem Beruf; anch auf das Kleinste und Un-
bedeutendste hat er seine Sorgfalt zu richten; er muss mit ganzem
Hetzen bei der Sache sein. ,^Nur was yon Herxen kommt, das geht
zu Herzen.'* Und Gbetbe sagt:
„Weau ihrs nicht lühlt, ihr werdet » nicht erjageu,
Wenn es nidit aus der Seele diingt
Und mit uxbftftigem Belügen
Die Helsen aller HOref iwingt."
*
Unter einer munteren Einderschar niiiss auch der Lehrer munter
sein; ihm darf der Eindessinn nicht abhanden kommen; mit der Jugend
muss anch er jugendlich ifühlen und empfinden.
„Gute Gewohnheiten sind halbe Tugenden''; darum denice der
Lehrer nicht zu gering von solchen guten Gewohnheiten, sondern
pflege sie. su \iel er kann; sie erweisen sich im spätem Leben oft als
eine Macht. Besonders strebe der Lehrer darnach, dass die SchiUer
von ihm die unerschütterliche Überzengung gewinnen, dass er mit
Lust und Liebe in seinem Berufe stehe, dass er die Arbeit mit Freuden
treibe, und dass er sich keine Jlühe noch Anstrengung verdrießen
lasse, wenn es gilt, die Zöglinge zu fördeni. Darlnrch allein wird er
es en-eichen, dass auch die Schüler gern und mit Freuden arbeiten
lernen, dass sie die Arbeit nicht mehr als eine t^uai, sondern als einen
Segen em^ttinden. Ist aV)er dies Gifuhl erst geweckt und allmalilif!! er-
starkt, so ist aucli tTir alle spätere Zeit die Lust zur Arbeit gewuuuen.
Mit den kleinen Schnlsiinden muss es sehr ei nst ;?enommen werden.
Lügen und Betrügen ist empündlich zu strafen, wenn es hervortreten
. kj i^ . j i. y Google
— 738 —
sollte. Das Vorsagen, Abschreiben und Benutzen verbotener Hüfs-
mittel darf niemals geduldet werden. N\*o et? vorkonimr. wird in den
meijäten Fällen der Lehrer selbst die !^rhnld dafür aut sicli nehmen
müssen. Sei er nnr selbst imni*'r wahr in Worten und Werken, das
wird auch auf die Kinder heüswun wirken. Wenn er sich aber bei
seinem Unterrichte vom Leitfaden nicht losmaelien kann, wenn er den
Vortrag nicht frei hält, sondern das aufgeschla^renc T.<'hibuch vor sich
liegen hat und daraus dotirt, wie will er von den Schülern verlangen,
dass sie mit jres])anntei- Antmerksamkeit ihm folgen und nachher ihm
über das Gehörte Rede und Antwort geben? Wie will er unter solchen
Verhältnissen eine straffe Disciplin, die erste Bedingung liir einen er-
folgreichen Unterricht, aufrecht halten?
Nur wenn wir in ernster FÜichtti'eue uusern Beruf erfüllen, unsem
Schulen! in Wort und That ein lebendiges Beispiel geben, uns selbst
tagtäglich in rechte Zucht nehmen, dann erst dfiifen wir erwmrten,
dass xaaen Arbeit in der Schule keine vergebliche sein werde; dann
anch werden wir erfolgreich an der Wiedergebort unseres Volkes
arbeiten nnd es einer bessern Zukunft entgegeDfhhren.
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Zur F^Fdemn^ des flniwlsiflelieii Unterrielits, insliesirndere
auf Real^ mnaden.
Nack der unter diesem Titel ersdiuneacH üchnft von Dr. \S \lh. Münch. Beilbronn, 1883.
Von JB» Btm^tH^Leipzig.
as Stndimn der neneren Sprachen ist inuner in Deutschland viel gepflegt
worden. AViUiiend aber früher hanptsRclilirh r>i)>^ttanten überlassen h]\ch,
haben demselben in der Neiuseit anch die wissenschaftlichen Kreise ihre Auf-
merkBamkeit zugewandt Die daraus erwachsende Thätigkeit der letzteren auf
dem Gebiete der neueren Sprachen ist nun freilich mnlehst mir jenen Kreisen
selbst zu Gute gekommen, hat dann aber anch anderweitig Blüten getragen.
!Me n^'iif'n Gfsichtspnnkte, welche die wissenschaftliche Be.oh.'lftignng mit den
jieuereu SprucliBn eröffnete, wirkten aUmilliiicli zurück auf die nichtwisBün-
schaftliche, auf den praktischen Unterricht, and dieser Biickwirknng verdanken
wir die ersten BefomiTonclillge «tf dem Gebiete des nensprocUicIien Unter-
riehtt. Man erkennt jetzt, dass es, um das Studium der neueien Sprachen
überhaupt und i)is>>e'iondere das wissenschaftlir Im- /m fördern, nöthig sei, der
Gnnulla^e desselben, dem Schulunterricht, eine feäte and zum Theü von der
bisiicngeu verschiedene Gestaltung zu geben.
Das AoHeben dea akademiacben SCadinms der neneren Sprachen bat einen
bedeutenden, jetrt SOgar gerechte Besorgnis err^nden Zuwachs von Lehr-
kräften für jene Fäclier herbeigeführt, damit aber anch Streiter und Denker
für die Sache desfiffentbchen neusprachlichen Unterrichts. Infolge dessen mehren
sich erfreulicher Weise die Aufsätze und Schriften über jenen Gegenstand. Die
anageaprochenen Anrichten nnd VorscUSge fDbren gana natttrliefa eine lebhafte
Ddiatte Iierbei, und ans dieso' wird allmählich eine neue Norm für den fremd-
^prnrlilichen Unterricht hervoi^Erehen. Bis dahin müssen wir jede Publlcation
willkommen heißen, die beitrag-f^n will tvt T.nsntiir der schwebenden Fragen,
zomal wenn sie von einem bewäiirteu i>euker aui diesem Gebiete kommt. —
Dr. UlBch, wie er uns in a^er oben angefOhrten Schiift aelhat ndttheilti hat
aieh bereits vor einigen Jahren ttber die franzgsische and engUaehe Leetflre in
den oberen Realcla^^i^n nn^jn-esprochen.
Die neue Selirift Dr. MUnrlis beliandelt den gesaromten franziisisehen Unter-
richt und z>*ar jeden Theil desselben für sich in einem besonderen Abschnitt,
waa nicht wenig snr Klarheit nnd Dorchaiehtigheit dea Oauceii beltrlgt In
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den ▼wsdiiedeiiNi Abtlieiliiiigen der Sehrill werden folgende Punkte erSrleft:
I. Allg^emeine Principienfragen, II. der Lelii'gang, III. die Aassprache. IT. das
Sprechen, V. das Sclireiben, VI. die Answahl der Lectfire, VIL die Bebandlnng
der Leetüre, Vin. Hüfsdisciplinen und Hilfsbücher.
Der Verfassei' ckarakterisirt zunächst die Eeformbestrebongeu auf dem von
Uun gewählten Gebiete und bekennt eich hneitwUlig m den dttgelegten Grand*
Sätzen der Kefonn. Das frühere ünterrichtsveifaliren war ein auf unmittelbare
AneigTinnsr der Spruflirn treriflitftcs. das jotzf ht'iTsdu'nde i--t das ref!»'Ctir«'nde.
Nach AulgeWü der erstereti Methude g:elaiigte man alluiählich zu dem andern
Extrem, und jetzt ist man darauf bedacht, in die ältere, lange verachtete Ten-
denz wieder einsnlenken eder wenigsten! ihre VortheUe wieder an» licht m
ziehen. Es kommt nnn darauf an, die neuen Beatrebtmgen xn prSfeii und
Grenzlinit n zu ziehen,
^^'as den Lehrgang- bctriftl, so sucht Dr. Münch ♦ in Compromiss und
HchUigt vor, dass das erste französische Jahr zu einem propädeutlächen gemacht
werde; die Aoiepfaebe soll hier das praktische Lern- und Übnngsgebiet sdn.
Überhaupt bewege sich der ganze Unterricht in concentrischen Kreisen, von
denen das prnprideutische Jahr d*»n ersten bihle. Der idaiiinäfiigp ismmraatische
Unterricht {2. lü-eis) soll in Qnartu bcs-innen und durch Fi)rmlthr>' und Syntax
hindurch iu dem Zeitraum von H Jahren zu einem vorläutigen Abschluss kom-
men. Hier ist allerdings amldist BeschrSnkung nSthig nnd die Einrichtung
gewiss empfehlenswertt den Stoff sn demselben grammatischen Thema in 3 — 1
( .niiipt n zu vertheilen. So wären z. B. beim Capitel vom Gebrauch der Hilfe-
^elben avoir und etre tinter A die wichtigeren der vom Dentsrhen abweichen-
den Intransitiva mit avuir (courir etc.) zu geben. Unter B kämen hinzu:
a) einige minder hAnfige, b) die dem Deutschen entsprechend mit #tre zu ver*
bindenden, c) die schwuikenden (disparai^ ete.). Unter C wfirde der Ver-
fasser „a) behufs Frklttmn^ und besserer Aneignung des Hauptunterschieds
darlegen, das? Zettwöi tt r wie aller, devenir, entrer, tomber. naitre, mourir etc.
entweder einen zuständiicheu Übei'gang oder einen örtlichen L bei^aug ohne den
Begriff der elgen«i eneigisdien Bethatigung beanchneu, wogegen dieses Uomant
der energischen Beüifttigang bd conrir, marcher, pänitrer, Tojager, ftair, voler,
saater, nager augenscheinlich mit vorbanden ist;** unter b) „wird der Gresichts-
punkt für die Doppelronstruction von di'-piuaitre und ähnlichen gegeben'*. —
in Uutersecunda m«>olite der Verfasser ciueu Übergangscursus sehen, der der
Befestigung und Ergänzung des Bisherigen bestimmt sein wfirde. — Die Ober-
stufe oder der dritte conc^trische Kreis endlich bitte IIa, Ib und la an
umfassen.
Das im 3. Ahschnitte behandelte Thema der Anssprachc ist luneits seit
geraumer Zeit an der Tagesordnung. Die Aussprache isi überhaupt da^eoigt^
Element des fremdsprachlichen Unterrichts, auf welches die £jitik zuerst ihr
Angramerk gerichtet hat Die Angriflii auf die Aussprache, wie sie bisher vor»
banden gewesen ist, sind vielleicht am heftigsten, sie sind aber auch vollständig
prerochtft rtii,'t. wenn man denjenigen beipflichtet, die in eim-r tniten Aussprache
die lit'ste und sichcrstf (rrundhiL'^c eines gedeihliehen rutenichts sehen.
kann nun aber nicht genügen, auf die bestehenden Mängel liinzuweisfu und auf
deren Beseitigung bedacht an sein; es handelt tkk wol aoch darum, den Ur-
sachen der Mangel nachzuforschen. Hierin hat nnn der Verfinser, waaertt
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Ansicht nach, den Nagel auf den Kopf getroffen, wenn er sagt: ,,Mir siln int^
dass ein großer und mit p^ndlps-^ndfr t^^bflstand gar nicht iniu rlmlb des
französischen Unterrichts selbst liegt, sondern in dem Zustand der deutschen
Avnprache and in der Selbsttiinschung und Gleichgiltigkeit der Gebildeten auf
diesem Gebiete." — Es gefaSrt nicht wenig Math dazn^ seinen Landelenten
eine so liarte Walirheit zu sagen; wer es aber thut, verdient gewiss den Dank
aller sfutt u l'atrioten. Und diese lotztercn werden nhno Zweifel mit ganzer
Seele dem beistimmen, was Dr. Münch auf S. 35 u. 36 ausführt. — Die Aus-
sprache wird in Deutschland stets ein Unding sein, so lange sie im Untenicht
dem ZnfsUe flberlassen bleibt Von einer Nonn, wie man sie in IVankreich
nnd England kennt, ist bei uns noch keine Spar Torhanden; es wird langer
und fleißiger nationaler Arbeit bedürfen, um sie zu schaffen. Dazu aber kann
die Selinle beitrajren. indem sie vor allem der Aussprache mehr Aufmerksam-
keit schenkt, die Lernenden zu gutem Lesen und schönem Sprechen anhält,
viel mehr als de bisher gethan hat. Wie soll nnn aber fremdsprachlicher
Unterricht gedeihen, v,ie soll die fi-anzösisi bc nnd engtische Anesprache der
Schübr t'iiir ri'btiL^> werden, wenn dieselben mit g*anz nd^r pe!ir ungenügend
ansgebilileteu Spruchorganen an jenen Unterrielit lurantreten? — Nach Ein-
übung der einzelnen fremden Laute muss zu Sillien, von Silben zu Wörtern
vorgeschritten worden, wie der Verfhsser nllher ansführt, nnd daran schließt
sieh das Zusammensprechen der Slit/e. Gerade dieses wird WOl noch am meisten
vemarhlrissij^t, denn das mit selaviscli-T Durchführung der s^opfonannten Bindung
angestrebte ,,Herrusselu'* der Sätze (wie wir es nennen mikliten), wie es manche
Lehrer von Seiten der Schüler verlangen, hat nicht die geringste Ähnlichkeit
mit dem bei Franzosm hörbaren Aneinanderreihen der WQrter nnd Satz*
glieder. Möchte doch jeder Lehrer des Französischen die Worte des Verfassers
(S. 38 — 40) bpherziiren und danach handelnl Xi< lit minder schätzliar sind die
Bemerkungen über das Zerb'^-eii der Satzreihe in W'ortirnippen. sowie der Vor-
schlag, das laute Lesen nicht der Übersetzung voriiergehen, sondern ihr nach»
folgen SR lassen. Beides, dos Zerlegen in Wortgruppen nnd das Lesen nach
der ObersetEong, haben wir sdbst im franzSsischen sowol als im mglischen
Unterricht mehrere Jahre erprobt, nnd wir sehen nun mit Vergnügen, dass wir
darin in Übereinstimmung mit einem hervon agenden Pädagogen gehandelt haben.
Wir gehen zum IV. Capitel über, welches vom Sprechen handelt. Hier
haben wir ea mit denuenigenllieile des lk«mdsimMdilich«iithtt«rridits sn than,
ftber den die Hdnnngen am meisten auseinandergehen. Gans treffend charak«
terisirt auch hier der Verfasser die augenblirküebi' Sarlibige, wenn er sagt,
dasR das Sprechenknnnen zwar al? pin Ziel des Unterriehtsbetriebs betrachtet,
aber meist dem Zufall überlassen wird. Es bestehen hierüber wol ministerielle
Verfügungen, aber es wird im allgemeinen wenig danach gehandelt, und andi er-
seüs sind diese Bestimmungen dnrchans nicht allgemein nnd gleidi in ganx
Deutschland. Man glaubt vielfach, dass „das Sprechenkönnen Eligebnis des
gesummten in der Si)racbe ertheilten Unterrichts sein müsse." Es mnss aber
das Sprechen von der untersten Classe an energisch und constquenl geübt wer-
den j die von Dr. Münch dafür vorgeschlagene SIethode ausführlich darzulegen,
wBrde m weit ffihren, wir mfissen auf seine eigmen Worte (S. 50—^55) vär<
weisen. Hervorheben aber möchten wir besonders die befürwortete Unterdrückung
bez. Beschränkung der Inhaltsangaben nnd Vorträge in fremder Sprache von
48*
L/iyiii^ü<j by Google
— 742 —
Seiten der Schüler. Uuter No. V ly%eu Erürt^ruugeu Uber das Schreiben. Zu-
nächst sei hier constatirt, dass Verfasser nicht denen beipflichtet, welche in
neaester Zdt die BebriftUdmi Übung«! ganz wu der Schule TerdrSagt eelieii
möchten; er hält an denselben fest, meint aber, Aa^s in den oberen Chusen die
Übt'i trfifnin?. solange es sich ilberhaopt nur nm diese handelt, besser an Stoffen,
die aus dem Französischen lu rübcrg^onommt^n sind. o:(»s€liieht als an deutschem
Originaltext Neben den häuslichen Exerciiien gehen Classenübuugen her; di(^
sollen aber a terapo^Eztemporalien aefai. An diese Übuigen eehliefit sich die
flchriftliche KacherzAhlung oiiies unmittelbar zuvor in franxBeiBcheni Original
vorgelesenen, kürzeren, aber abgeschlossenen Stoffes. Diese letzte Übung hat
Verfasser bisher weder theoi'etisch noch jTaktisch vertreten gefunden: dem
gegen &ber müssen wir jedoch bezeugen, das^ sie doch hier und da existiit, wie
wir ans eigner Erfkhrongr «iaflen« — Was endlich die AnfUltae betrüR, so
sollen die ersten vom Lehrer TergMoacht, vorpt lt sen, erläutert und dann vom
Schüler nachyreahmt werden. Nur miifsspn die TlienuUa dem Standpunkte der
Schüler entsprechen, was gerade bei den meisten in Schulproe-innnn^ rt \v.v\ an-
derswo gegebeneu nicht der Fall ist. Im Gegensatz dazu weracu 1 ücmaLa vur-
gcflchlagen wie die folgenden: La dtomTerfee de TAm^rique, Les hiros de la
premi^ gnerre punique, La grandeur d'Annibal; R^gulus au s&nat de Borne
fdisennn! flotifi: I/union fait la force. Welthistorische Erzählunp-n . fing^irte
histori-srlie Situationsreden und Briefe i^alhn vorwieerend cnltivirt werden.
Die Auswahl der Leetüre {M) wird auf einigen Seiten abgetiian, w^ä
sich der YerCssser darSber früher in einen Programm (Bemerkugm ftbcr die
franaSsische nnd englisdie Lectilre in den oberen Bealdassen. Snhrort, 1879)
verbreitet hat und weil ihm die Fi atje ..in gutem Flusse und ihre Losung auf
rutem Wen-p" scheint. Tn der Tliat ist diese Frage in n^nefterZcit niehrfaHi.
wenn auch vielleicht noch nicht nach allen Gesichtspunkten besprochen \^ordcu.
Vieles, so meinen wir, was dem bisherigen Canon der SchoUectüre einverleibt
gewesen ist, kami gewiss wegfiülen oder wenigstens in besehrialtterem Hafie
gelesen werden. Es scheint uns ^rtiailezu Zeitveischwenduug, wenn jalirelang
nur Werke wie Voltaires Charles XII und Michands Krenzzüge gelesen wer-
den. Die Menge der dort sich häufenden Eigennamen und der dazu nothigen
Anmerkungen oder Erlftutenmgen verwirrt die Mehrzahl der Schuler; infolge
dessen entgeht ihnen die Anlage sowie der Stil des Oanien. Es gibt doch wol
noch andere Werke, die sich an Stelle jener lesen lieBen, z. B. einzelnes von
Sonvestre und leichtere Lustspiele, denn znnrichst muss verlangt werden, dass
der Lesestoff sachlich leicht zu fassen sei; nui- unter dieser Bedinpung kann er
sprachlich fördern. Anderseits achtet man bei der Auswaiü der Lectüre noch
ZQ sehr, gana wie in Frankreich, anf die literarhistorische Bedenton; der m
leeenden Autoren. Eine Auswahl unter solchen Geeichtspiinkten gehSrt in die
letzten Schuljahie, sie bildet den Übergang aar Ltteratargeschiehte, wo solche
getrennt getrieben wird.
Es bleibt uns noch übrig, von der Behandlung der Leetüre (VLl) zu sprechen,
wie sie Dr. Hflneh wünscht. Er betont dabei namentlidi dieÜbersetcang, der
größere Swgfalt als bisher zugewendet werden mnss. Es ist bei ümgestaltang
der franznsi?dien Perioden in deutsche genau zu achten auf die Wortstellung, auf
zahlreiche Verbindnnpen fla bataille ^f'Ivry = die Schlacht bei Ivry; des le
lendemain = schon am folgenden Morgen etc.) nnd anderes mehr. — Sehr
üiyiiizeü by GoOgle
— 743 —
zutreffend sind ferner die Bemerkongren des Verfassers über die Commentare
der Sdiidaiitoreii. Dieae dfirfen dem Lehrer nicht alles Yor>^ eguehnMm und zn
weit crehen, dem Schüler aber nicht allea znrecht madien, dass er Mlbrt nichts
mehr finden kann.
Den Abschlasfl der um vorliegenden Schrift bildet ein kurzes Cnpitt^l über
Hiü'üiüäcipUnen und Hilfsbücher. Es ist da die Bede von Synuuyiuik, von
Sprach- ond Literaturgeschichte und von der Verslehre. Znletst findet sich
eine knne Ansführimg über ein Leaebochy weldiee n^Nm die Antoren nnd die
Grammatik treten soll. Dieses Hil&mittel denkt sich Verfiuaerin zwei Theflen:
es enthalt*^ <\U' preini«'res lectnres, Materialien zn 8prechübnn<r»Mi für die ver-
schiedeueu iStufen, Aufsätze zur französischen Geschichte, Geugraphie, Volks-
kunde, Coltni'- nnd Literatoi'geschichte nebst literarhistorischen Proben; daran
(whiießen sich Iddnere Poesien nnd Soenengmppen ans Lnstspieloi; endlich einige
ICnsteranfsätze nnd ein Wörterbuch mit phonetischer Ausspradiebezeichnung.
Die hf'iprorhene Schrift bietet, wie wir selien, eine Fülle von schätzbaren
Ainieutune-en und Oedanken über den franz()si.schen T'nterricht. Wir selbst
huden uns fast in allen Tunkten in Übereinstimmiuig mit dem Verfasser; des-
halb konnte unsere Bespiechnng im Wesentlichen nnr Betont sein. Gerade
dieses aber, li oiTeu wir, wird bei denLesen das Verlangen rege gemacht haben»
die betreffenden AnfsUtze iiu Detail kennen SU lernen nnd das Gebotene zu
pröfni bez. in der Praxis anzuwenden.
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Pädagogiiiciie Bondscliai.
Schul Verhältnisse in Süd-Ru8slaud. Herr A. Richter, CeDtrallehrer
in Onmaa, KreiB llai iup>>l, Gonveniement Jekateiinoslaw, sendet m» ebmi
anBfthrlichen Bericht, den wir unverkürzt zum Abdruck bringen, 'weil er, ofien-
bar mit objeotiver Treue abgefasst, in vieler Iliusidit intpressant tiud lehrreich
ist. Es freut uns. <len meist sehr uupriiiisti^^eu Xachrii hten über das ru^i^isrhp
Schulwesen hier ein t'reundlicheres Bild gegenüber stellen zu können, um ^
mehr, da dasedbe Ten einem cempetenten Augenzeugen entwoiüm ist, dem wr
hiermit fttr seine MQhwaltnng herzlich danken. Fortsetxanff nnd ErgSnamgen
aus anderen Gebieten des russischen Reiches werden nns and oneerai I^eeern
willkommen sein. Der Bericht des Herrn Richter lautet:
Ich darf wol als bekannt voraussetzen, dass im Jahre 1867 auch in Kusü-
land deh daa Ihtnene Ar die Volkaiehnle zn regoi begann. lÄe erste Folge
davon war, dass bin nnd wieder in einigen reicheren griecUsdien DMism
Volksschulen errichtet wurden. (In den deutschen Colonien bestanden sie schon
lange! Da man seminaristisch gebildete Lehrei- nicht hatte, so wurde die
Schule gewöhnlich einer Person übertragen, die etwas russisch leiten and schrei-
ben konnte. Der Schulplan war damals sehr einfach: vormittags Lesen, nach-
mittags Sehreiben. Als im Jahre 1872 eine nene Krets-Ordnniig von der Be>
gierung verfögt wurde, durch welche die Kreise eine ähnliche Selbetverwaltnng
mit Kreisansschnss nnd Kreistasr erhielten, wie 1874 die östUchen Provinzen
der preußischen Monarchie, nahm auch die t^ache der Volksbildung einen grö-
ßeren Aufschwung. Es wurden vor allem Lehrer-Senünare gegründet nnd die
Semstwo (Kreit-Verwaltang) liefi, zun Theil anf ihre Kosten, jnnge Leute su
Volksschullehrern ausbilden. DemnSchst ging man auch mit der Gründung von
Volksschnlen energisch vor.
Die naehstehende Tabelle mag die Tliätigkeit der Semstwo in dieser
Richtung mit Zalüen belegen, und ich verbinde mit derselben eine Angabe der
Nationalitftten, welche die ackerbauende Bevölkerung des Kreises bilden;
Bussen 79119 Seelen, 67 Dörfer 27 Schulen,
Griechen .52 147 „ 25 „ 22 „
Deutsche li»7o<< , 89 „ 2 „
Juden 2 720 „ 29 „ — „
Der Kreis Harinpol wendet jährlich Ar Volksbfldung 36000 Rubel aat
nnd zwar wird dieser Betrag fast gans durch Lehrergehalter nnd Iiefarmaterial
absorbirt
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— 746 —
Jedes Don", welches eine Semstwo-Scliule w iuiseht, muss lur ein geeiguetts
Scbnllocali ftOltB&dJIgB Lebrerwohoiuig, Beheizung nnd einen Sehnldiener sorgen;
WM BOosfe Bothwendig ist, das besnrgt die Semstwo. Unteniditet irird in
diesen Semstwo^holen, deren Zahl, wie oben angegeben. 51 beti^t, in Reli-
gion, Lesen, Schreiben nnd l?ochn('n. Der Eintritt in die .Schule erfolgt mit
dem 7. LebeuBjakie, oft auch später, und der Austritt gc\vühnlich im 15. Lebens-
jahre, aber auch früher. Die Schule besteht aus 3 Abtheüungen, welche bis
za 50 Schfllem von einem Lehrer nnterriditet werden. An manchen Schulen
nnterrichten je nach der Schülerzahl bis 5 Lehrer o<1 r Lehrerinnen. Der
rntcrricht beginnt mit dem l.October und schließt am 1. Aliirz. weil dann die
Arbeiten der Landbevölkerung alle Ki*Jtfte, selbst die' der Schuikiinler, in Anspruch
nehmen. Ein Zeugnis der VoHüsbciiuie Uber bestandenes Schlussexaiuen erwirkt
eine EnnUigiiiig der IfUitardienstseit um nwei Jahre.*)
Nachdem wir uns mit den russischen Semstwo -Sdmlen bekannt g«atacht
haben, dürfte es nicht nnintereswuit sein, zwischen ihnen und den deutschen
Volkswhnlen eine Parallele zu ziehen, woran sicli eine Vei^eichnng des russi-
schen mit dem deutscheu VoilLüBchullehrer schlieijeu mag.
Die dentachen Oolonien liaben schon seit vielen Jahrsehnten ilire beson-
deren Schulen, in denen bis vor etwa 8 Jahren auch nur Beligion, Lesen
Schie?)>f>n und etwas Rechnen gelehrt wurde, ebenfalls nach dem Lehrplane:
vormittags Lesen, nachmittags Schreiben. Seit 8 Jahren ist auch liier die
rassische Sprache obligatorischer Unterrichtsgegeustand, und seit dieser Zeit
brechen sich auch aUmahlich aUerhaad Yerbesseningen in den dentsdien Qe-
ijuindeschulen Bahn. So ist es z. B. den Beniühuiigen der Pastoren, welche
hier die natürliche Sclinlaufsichtsbeliiirde sind, g-elungen, Lesebiu lier einzutuhrcTi;
früher lernten nfiuilich die Kinder das Lesen im „Neuen Testament'*, und es
gibt auch noch heute solche Schalen, wo dies üblich ist. Weiter wird jetzt
schon in den meisten Schulen anch Geographie, Gesang und etwas Natur*
geschichte gelehrt.
Der Schulbesuch in den deutschen Schulen ist reo:elmäßiger als in den
russischen. Der Grund liegt darin, dass die deutschen Gemeindeu sich frei-
willig, durch Gemeindebeschluss, einen Schalzwang auferlegt haben; die Eltern,
welehe ihre Kinder nicht regehnä% in die Schule schicken, werden nun Besten
der Sdinlcasse in Geldstrafe graonunen. Der Unterricht dauert aber anch hier,
wie in den russischen Dörfern, leider nur vom l.October bis I.März. Dagegen
ist in den deutschen Dörfern für die Sommermonate eine Sonntagsschule eingfefiihrt.
Wenden wir uns nun zn den Lehrern, so finden wir in dem beiderseitigen
Leben nnd in der pecnniaren Lage bedeutende Untersdiiede.
Der deutsche Lehrer erhalt anOer einem haaren Gehalte^ welcher «wischen
225 bis 32.5 Rubel varürt, 6 ha Ackerland, Getreide, freie Viehweide, Woh-
nung, Stallung und Beheizung, sodass; m^n annilhemd seine jflhrliche Einnahme
auf 600 Rubel schätzen kann. Der ru&siiiciie Lehrer bezieht von der Semstwo
nur 320 Rubel jfthrlicb und von seiner Gemeinde auBer freier Wohnung und
Behdznng nichts. Dies Toraosgesdhiekt, wird es nidit mdur sonderbar eradidnen,
dass nnter den deutschen Lehrern Heiraten rar Begd, unter den russischen
Lehrern aber zur Ausnahme gehören.
*) Die gesetichcbe Dieusitzdt beträgi iu Busalaud 6 Jahre.
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— 746 —
Der dentselie Lehrer wird m dar ganm Geneinde auf eine bestimmte
Zeit eogagirt« bekommt vtm der Gemeinde eebieii Geiialt aeliet EnoliUMatea
und bat gewöhnlich noch das Amt eines Dorfschreibers za veraeheiL Außerdem
gehört zu seinen Dienstpflichten noch die Abhaltung det GetteedieuBtee an
Sono- und Feiertagen, sowie die Beerdigiingeu.
S» ist wol gBttt BAtfiriieh, daß der deutsche Lehrer durch seine Obliegen-
heiten mit allen Oemei&demitgUedmi in BerBhrang k<nnmt nnd ndt ilinen einen
mdir oder minder lebhaften Verkehr unterhält.
Der musische Lehrer hat keinerlei Neht-nämter und dah«^r anch kfiin*
zwingende Veranlassung, mit den Hiem der ihm anvertranteu Kinder zu
verkehren.
Der deotach» Lehrer findet in dem GeietlidieD eeinee (evangeUschea) Be>
kenntnisses das Vorbild, nacli welchem er sich in seinem Wandel richtcmkaiuit
und anßenlem einen th"ülr'£:iscli "-ebildeten Torg:eset7ten und Berather.
Der russische Lehrer steht mit seinem Geistlichen auf ein^n anderen i- uöe.
Die Thatsache, dass der niedere russische Geistliche ohne Bildung ist und sein
Amt in vielen FUIen einer Ungeren Dienstseit als GlQckner nnd Kfister ver-
dankt, vermag ihn nicht besonders in der Achtung des Lehr^ zn heben. Es
gibt viel*' D'irtVr. wo der russische Geistliche mit dem Lehrer tagelang sieh
nur mit Karteüsi ielon. Schnapstrinken und Rauchen beschäftigt.
Um das Bild der Volksschule zu vervoUständigen» wird es notliwendig
sein, «aA von dar Sehnlaaftfefat an reden.
Über alle Schulen des Kreises führt die Oberanfldcht der Sehniratht wd«
eher eine aus einem Presidenten und 4 Mitgliedern — worunter der als Pä-
dagog rühniliclist bekannte Baron Kort*) — bestehende Nebenabt heilung der
KreisverNNii Illing bildet Diesem Schulrath, welchem auch der ^chnlin^ecior
angehSrt, gebärt beaonden die Yoriiereitung aller anf das Schalweaen be-
züglichen Vorsohilge, Emennong der Ldirer, Abordnung von D^ntirten an
den Schulprüfung^en etc. Dem Schnlinspector liegt die specielle Aufeicht über
die Volksschulen ob. nnd es gehürt zu seinen Verpflichtungen, jede S<liule
wenigstens einmal im Jahre zu besuchen. Um dieser Filicht zu genügen, muss
er gerade die scbleehteste Jahresisit aa seinmi Dlenstreiaen bcnntaen, weil nor
wBhrmkd der WintennonateSehnlegelmlten wird. Der Skihnliniyeeter des Kreises
Mariupol ist auch zugleich Schulinspector des Kreises BoetOT, hat seinen Wohn^
sitz in Rostov a Don und wohnt also von der Kreisstadt Marinpol 190 Kilo-
meter entfernt. Lm den Kreis Marinpol zu bereisen, muss er üm nach allen
Bichtungen mit einem loimitivenBaaeniAihrwerk ohne Federn, einer sogenann-
te Telega, bei oft grundlosen Wogen, nach allen Bichtungen durdunesseo.
Hierbei will ich noch, um diese Leistungen zur rieh tig-en Würdigung zn bringen,
bemerken, dass die Länge sowol als die Breite des Kreises p•e\^iss in grad-^i-
Linie 150 Kilometer beträgt. Von einer eigeutlichen •Schulaiüsichi , im Sinnt
der im Auslande geübten, kann hiemach selbstverständlich gar nicht die Bede
sein. Der Inspector Ahrt bei einer Schule vor, springt heraus, eilt in das
Classenzimmer, tviüX. da er vieUeieht gerade in der Mittagsstunde gekoaUMü
ist, niemanden außer dem Lehrer an nnd reist nach einigen mit diesem ge-
*) Xu der That ein bocbveidienter und ausgeseichneter Mann, welcher jedem
SdnilcoUegittm snr Serde gereidisa wOrde. D. H.
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— 747 —
wechselten Warten, in dem Gofühlp «pfnt^ Pflicht erMlt za haben^ wdter, um
— eine andere Schale ebenso zu revidiren.
Selbst diese Schalaufsicht ei'streckt sich aber nicht einmal aaf alle Schulen.
Nach einer Not», die ich kllnlleh' in einem amtiichen ^tle fknd, ist der Li-
Spector im Verlauf von 3 Jahren bei 11 besonders bezeichneten Schalen in
einer dreimal, in einer sweimal, in fänf einmal nnd in vier keinmal an-
wesend gewesen.
Die Semstwo will diesem Ubelstande jetzt dadurch abheilen, dass sie eines
ihrer Ißterlieder dnreh eine JBhriiehe Semvneration von 800 Babel ebenflüle
zur Bmknag der Schalen verpflichtet.
In neuerer Zeit ist die Sonntagfsschal-Fragre, dank d»T Anre^nn? des T' irou
Korf, hier ebenfalls in den Vordergrund eetreteu. und es ;>i.dlen in diesem Jalire
in 10 russischen Dörfern Sonutagsschuleu ma Leben treten. Der Unterricht
wird in den Wintermonaten an 20 Sonntagen ertheOt, nnd der betreffende
Lehrer erhfilt dafBr eine besondere Remuneration von 50 Rubeln. Bei diesen
.*^onntag88chnlen werden anf£oBten des Kreises anchSchnihibliolhefcen angelegt
werden.
Es bleibt mir nur noch übrig, von der russischen Aiinisterial-Schnle und
von der mssisehen Centralsehole an sprechen.
Entere ist von dem Uinisterinm der Volksaafklärnn^^ m:* ^ri üudet, bezw.
wird \ oTi flemsclben unterhalten und ist eine höhere Volksschule, deren Pro-
^'raniui durch rassische Geschfclite, Geog:raphie, Naturgeschichte und Gesang
erweitt-rt ist. Sie gibt denen, welche dm Kxamen nach Absolvirung eines
4 jiüu-igen CnrsDS bestehen, das Becht aof Ermäßigung der lOUt&rdienstadt am
3 Jahre. Die römische Centralsehole ist eigentlich eine deutsch-russische Schale.
Ursprünglich specifisoli deutsch, fdngt seit einigen Jahren in ihr das Rassische
an. das Überge\vicht zu erhalten. Unterhalten wird diese Schale aus den Zinsen
eines Capitais, welches von den deutschen Gemeinden zn di^m Zwecke auf-
gebracht worden ist. Das Programm ^eser Sehnte ist a) in deutscher Sprache:
Beligion, Grammatik, Lesen, Aaftats, Natnigeschidite and SchSnscIireiben,
b) in rassischer Sprache: Grammatik, Lesen, Aufsatz. "Weltgeschichte, rassische
Geschichte. Arithmetik, Geometrie, Schönschreiben und Zeichnen. Der Gesang-
nntenicht wird in beiden Sprachen ertheiit Der Cursus ist 4 jfthrig. Die Schule
hat auch den Zweck, Lehrer für die devtachen Colonien aannbÜdeB. Die Gen-
tralschnle hat eine Bibliothek flir ihre Schüler, in welcher sich jedoch znm
gnrtttten Theil russische Werke voi-ftnden. Der deutÄche Lehrer an der Central-
sehole ist zugleich Biltli »tlipkar dei- im vorigen Jalire xm den Lelireni des
Gronauer Kirchspiels begründeten Lehrer-Bibliothek, welche der beschränkten
Mittel wegen erst 52 Bände zfthlt Von Fach •Zeitschriften wird nur das
,»Pftdagogiam" gehalten, da die Mittel sehr beochrttnkt sind. (Hier kSnnten
fieU^cht anslandlBche CoUegen durch Schenkung von Büchern helfba.)
Zum ^^elilusse eilend will ich noch der Lehrer -ConftTon/en Erwähnung
thun. Die (leutschen Lehrer kommen alle Jahre ein- oder zweimal zur Bera-
thuug über Schulfragea zusammen; das Amt des Vorsitzenden bei diesen
Sitanng«! geblirt dem Pastor. Diese Conferenaen entbehren jedoch jedes amt-
lichen Charakters.
Für die Kreise Mariapol und Alexandrowsk wui'de im vorigen Jahre eine
allgemeine Lehrer-Conferens geplant, dieselbe scheiterte jedoch an dem Wider«
Digitizeü by Google
— 748 —
Stande des» Maiiu|*oler Solmliiisiiiectois, welcher von den 9ü Lehiern und LeLie-
riunen seines Bezirks nur ol für reif hielt, an dieser Conferenz mit Nutzen
theilnmelinieiL Anflerdem konnte er steh such mit dem fOr diese onsCe Coor
Harens von dem Cnrator des Lebrbesirkes Odeas» «nf^estellten Pngnmme
nicht rin verstanden erklären.
Ich hoffe, dass diese Zeilen dazu l»eitra?pn werden . den schlechten Rnf,
welchen Bassland iu Sachen des Volk^chulwe»euä im Auslande hat, eiuig^r-
maßen m entkräften, wobei ich noch sn bedenken gebe, dsss das, wm geleistet
worden ist, fUr die kurze Zeit von 10 Jahren bei den geringen Lehrkräften,
die hier za liaben sind, einigen Anqiraeh auf Aneikennnng erheiben dul
Ein Si'liiBerzeaüraf der italienisehei Lebrerwelt. Unter diesem Titel erhalten
wir aus Itahen von einem daselbst lebenden deutjehen Schalmamie folj^enden Artikel:
Ich glaube, da>s ieli niciirs l)erfln>.<i'r€8 thue, wenn ich der deutschen Lehrer-
welt von ihren itüiicuis' heu tulk^^tu einen Stoßseu&er mittheile, der so recht ein
Stimmungsbild genannt werden kann nnd in wenigen Worten wideigibt, wss die
Lehrerwelt Italiens denkt, fUhlt und leidet.
Da es 7!udem gut ist, sich auch auf fremdem Gebiete zu orientiren, um besser
sein eigenes zu verstehen, M) Isme ich dieMn Sebmeisensnif mOg^idiat nstugetren
ertönen. Hier ist er:
„Von dem ministeridlen Entwnrfe, der bestimmt ist, die La^e der itaUenischen
Lehrer zu verbessern, hü man ein Lang-t s und Breites i;es|>r()oliru und df>ch w- nii:^
enwtüch discutirt; ja mau schadet deu Lehrern, indem man alles mit persönlichen
und politiflchen Bttehmchten irenniBcht.
Immer ist es fla>>f'lhe: auf viele Jahre hinaus versprirlit maTi. nnd die telircr-
welt, mit unvergleichbarer Geduld, hofft und huät, und wenn ein gütiger Souiieu-
strahl sich bemerkbar nmdit, um die Hoffnung, diese adiwindsUchtige Pflanze der
armen Parias, m erwärmen, siehf". ria kommt ein gans neuer PoUtUmr, oder der
Sturm ijerstiuUthfcr Antipathie und iiurteiischen Hasses.
Es gibt eine gewisse Presse, welche, um einem Princip dtu Kjiei; zu erkl iren,
mit knabenhaften Anrnmenten tind mit rhetorischer Sophw'tik käuiplt. innl ind'rn
sie für das Wohl der Ltkrt-r eiazuireten vorgibt, möchte sie die mögUchen Keionncu
ersticken und. vernichten.
Deu Lehrern und ihren wahren Freunden liegt wahrhaftig nicht daran, ob der
Eine oder der Andere Hinister ist, wol aber, dass man vom weiten Felde sehOnw
Verspret liui'":» n zu dem der Vi-rbesstruugen üliertrtlie, und jeder, der nicht seine
geistige Schärfe verloren, mms sehen, dass man nicht über mehr oder weniger lange
nnd breite Verspreehungen und pompöse Reden, sondern Uber Handlvngen nwl Werk«
lichten und urtheilen muss.
In den 23 Jahren der italienischen Einigkeit sind Minister auf Minister ge-
folgt, und alle, sieb ergebend in langen Versprechungeo, babm sieht aaes einzigen
Schritt gethan, um nur ein wenitr vrn den Tertipfpenmeen zn erwirken, dio da-!
Gesetz von Copiiim. erstrebte. <der etwas von den Verl'ügungen Bonghis. Hat man
daher nicht rr>ai l)e, in dem genwiitigen Minister Baccelli einen wahren Lehrer^
freund zu erlilickeu, da er ein Gesetz proiumirt, um „dieLclirer jtartii ipiren zu Ia«en
an jener ütsauuenstabiiität. die so wertvoll ist, um das Bew usst^^eii^ der persönlichen
Würde zu entwiekeln and sn ftidetn, ihre Gegenwart su ^arantiren, sie ihrer Zu-
kunft zu vergewissem und eine flnanadeUe Anfbeseening in fluss zu bringen, die
ihnen nicht fehlen kann?"
In diesem i'rojecte treten zwei Hauptininkte hervor: die Rtzahhinc: der Gehalte
und die Ernennung der definitiven Lehrer, zwei Dinge, welche für den italienischen
Lehrer die ehizig möglichen Anfbenemngen in den gegenwartigen trüben Yeriiilt-
nimen sind.
Wenn die Verbesserung der Gehalte, wekhe nichts als ein Act der Gerech ti^>
keit ist, nieht erfolgen kann, mflssen wir Tersiehtai anf dne awtindige Stellung m
d«^r bürgerlichen Gesellschaft. Da.* iirojinnirte Gesetz wttrd? nicht weiiic die Laee
der Iiehrer verbessern. Die gro£e Mehrzahl der Communen bezahlt nur mit Wider-
t
Digiiized by Google
— 749 —
wiUen die Gehalte der Lebrt r: nicht allein, weil dies eine Ausgabe Teronacbt, son-
dern mehr noch, weit die allgemein donüniraidni Ideen und Aniiohten dem Volke
abhold sind. Es -ti lit fest. <Li-- • nll> faciiltativen Au^Si^l^eu /u Gunsfon der
wolhabenden Bürger gemacht werdeu ^Theater, illmninationen. verschiedene Feste etc.),
nichts oder wenig aber spendet man für dos Volk, flkr die AUgemeinheit, ans welcher
mau doch gewöhnlich das commuuale Vermiipen schöpft. Die Volksschule ist in
Wahrheit eine Yolksinstitution , und sie berührt in er.ster Linie die Interessen und
das Wol der geringeren C'lassen, nütat liingegen wenig oder nicht« den hohen socialen
('las--5tMi, welche ihre Kinder privatim enciehen lassen. Daher tritt man dieser Insti-
tution mit Widerwillen entgegen, und man bat nicht viel gefehlt, wenn mau sagt,
dass die gegenwärtigen Schulen gar nicht Mittiica wfliden, wdm aie nicht Tarn
Staate befohlen würden.
Daher kommt denn auch dieses Verlachen und Verhöhnen der Lehrer, daher
das Schreien von all dem verlorenen (ielde, das dem Volksschuhvesen t'eopfort wird,
daher auch der fiuf, da^ <Ue Lehrer die Blutegel der conununaleu Bilanz seien,
daher endlich auch me Rfidtstinde der Oehalte ym Monaten nnd Jahren. Und die
Ohnmacht, die Ver/agimg nnd Betrilhnis, Emiedrignng und Mutlilii<i^'ki ir, mit welcher
mau Mitleid haben und die mau achten sollte, betrachtet mau gleichgiltig, spricht
aber mit jmthetiMhen Phiaam von der hohen Mission der Kation, von dfirEihebmig
der Plebs und von der Wttidft d68 Volkes. Ks ist bekannt, dass es viele Tommunen
fibt, von denen die Lehrer Ton Semester zu Jahr mit VerwUnscLuugeu uud halben
IfldiMi beitahlt werden.
An wem aber ist es denn, hei der Behörde zu reclamireu? Am Lehrer.
Allein die Lehrer wissen, dass sie mit iiiren Keclauiatiouen ihren Bruthenu vor den
Kcff tto6en, nnd in ihrer misslichen Lage filrchten sie, abgeeetzt zu werden, nnd
milssen sie darauf verzichten, sich an das Gesetz zn wenden, um ihr Recht geltend
zu machen, sondern sie müssen fein ütili schweigeu und sich durch persönliche Bücke
be/ahleu lassen, oder .sie mUssen durch Bücklinge und unterwürfiges Wesen, dnich
Bitten im Qewande christlicher Demoth etwas zu erlangen sacheo.
ünd sdbat wenn man an^ monatlich zahlte, wie das Ossbts es gebietet
(s. Regul. vom 16. Sept 18G0, Art. 121>, es wlien wenige Tropfen auf die Znnge
des Durstigen....
Am Ende des Monats prisentirt sich der Lehrer, ndt dem Hute in der Hand,
dem Secretär der Commune und: Ergebener Ih"- r.* r ... wenn man würde .... wenn
man könnte .... geben Sie mir das Mandatu (Anweisung)." — „Geheu Sie zum Herrn
Sindaoo. Von ihm muss ich erst den Befehl dazu haben." — Und der Lehrer pfft>
sentirt sich dem Herrn Sindaco nnd : .Ergebener Diener Wenn man würde
, . . . könnten Sie ... . mir den Auttrag geben für mein Mandato?' — „Haben Sie Ihren
IHenstschein V — ,.Nein, mein Herr, aber . . . ., mir scheint .... wenn ich nicht
ine, sagten Ew. Wuhlgehuren. dass die Certifieate vnn der Beliiirde gegeben wurden" ....
„Ich habe andere Saclien zu thuu. Gehen Sie zum Supraiuteudeute."*
Und der Lehrer geht zum Sopraintendente und: „Ergebener Diener Könnten
Sie ... . Würden Sie .... mir das Certificat einhändigen, das ich dem Herrn Sindaco
prBsentiren soll?*'
l'nd siehe, der Herr Sopriiiutendeute in seiner großen geutilez/a erspart dem
Lehrer die Mühe, noch weiter hin- und bersulanfen, und bescheinigt ihm dasCerti-
iicat. Nnn geht der Lehrer von neuem znm Herrn Sindaoo, und Ton ihm svm Herrn
Sccretario; dieser macht ein unverstäudliehes Zeichen neben ein anderes ebenso unver-
ständliches des Sindaco, und nun kehrt der Lehrer wieder zum Kagioniere znrUck.
Aliein die Via crocis Ittt aneh jetzt noch kdn Ende. Der Bagioniere macht ihn
darauf aufmerksam, dass er den Stenijiel registriren lassen müsse. Und nnn geht
der Lehrer zum Herrn Kicevitdre, der die Öaciie in Ordnung bringt, nnd nun end-
lich hat der Lehrer dm Man dato.
Allein, eine ,,Anwei.suug' ist Papier und dieses muss in Geld umgewandelt
werden; dazu aber bedarf es ia diesem Falle einer ganzen Serie von neuen Unter-
würfigkeiten, eines Auf- nnd Ablanfens anderer Treppen nnd abermaliger Vertraut-
heit und Übnng im ServUismns. Den Herrn Tesoriere (Cassirer, Schatzmeister) trifft
man nicht immer zu Hause, oder er findet wieder etwas auszusetzen, anch hat er
immer Ober die Administration zu jammern, die so oft Anweisungen austertiirt. ohne
dass doch Geld in der Cassa ist, und die Lehrer, beständig von heute zu moi^n
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gefuhrt, hören endlich auf und geben sich mit armseligen ZugedULndniaaen zuäi^len,
um endlieli de» Best in Knp^r ra erimlten.
Nun aber wiril man sagen, das^ .sulche Lehrer doch nur eine Schöpfung Jer
Phantasie Ae'm künneu und zwar nur einer BungfilMwwB^n Phftnt'^fif'; denn ist es m«^-
Uch, mehr Geduld zu haben ata ein Hieb ond m in leiden nnd so in krieehen um
sich fl» rartitr zu dt^j^Tii'nn'n . ohne bei erster bester (Jrleg'etihoit endlich einmal das
Blut sich in den Kupf ischieiieu zu lassen und der S&chf iriremhne ein Ende zu
msehen?
lUis ist leicht gesagt. Aber was wdllf Ihr denn, «las derjtniire thmi ^oll, der
sich i^aiu und gar dem Schnldienste gewidmet hat? Was wir besitzen und was un^
zu bleiben acheint, ist das Sri Aventhum. Wer aber ein Solare ist, hat die Hälfte
der Seele verloren, ja vielleicht noch mehr .... also, fululich: „o mangiar questa
ndnestra o saltar questa finestra" (wörtlich: entweder dit.st Suppe hinunterschlucken,
oder durch di»',ses Fenster .spriiii^tMi).
Und wenn man den I^ebrer bei einer seiner naabhingigen Handlungen hinter
4er Raiisthflr sieht. 1>ei der Bfletsmation eines Imligen Bedites, bd einer Klage,
welche seine hall» verzweifelte .*^eele ausstößt — man kanu .-icher sein, alle seine
Proteste, seine kleinen Wünsche und sein Yeriangen nach bescheidener Freiheit
werdflii sieli nur iranier irieder nm dasselbe drehen t ,.o mangiar questa ninestia e
saltar questa finestra."
Aber die Lehrer sind ja verpflichtet und engagirt fOr sechs Jahre, nnd ftlr diese
Periode sind sie ja im Sehern nnd kOnnen redamiren, protestiran, leagiK» nd
Zahlung fordern!
Was beiiit das alles? Die Ernennung auf st;< Iis Jahre int nichts als eine pure
ninsion, niebts als Stanb fUr die Angen. Freilich sieht nicht jeder die Gefahr oder
er wirft sie hinter sich, und dnrh, wie viele, fast unzähliire Mittel besitzen Magistrat
und Behörden, um solche \'erpüichiuiigeu zu brechen und den Lehrer gesetzwidrig
in verabschieden?
Was ist das Gesetz? Eine Quelle von Zank, Streitigkeiten, Processen. Was
Gesetz, was Processi Der Lehrer, der sein Beeht geltend zu machen sucht, mnss
von dem Seinii^'en nehmen, die Commune aber -opfert rduie Schmerzen die Gelder
Anderer und zwar selbst fttr die ung^echtesten Processe. Zudem kann ja die
Oeninrane die Angelegenheit dem TVibanale flberweisen nnd dieses wieder dem Äppdi-
latinnsireriehtshuf*' und die-er wied< r dem raäsationshüfe , und unter !- -'^f-n wIMCB
Monate und Jahre vergehen und der Lehrer mOsste vor Hunger sterben.
Alles ist nichts, und sdbst w^enn dieBmennnng zu seclw Jahren wirklich ver^
jifli -hti nd ivSrr. und wenn man den Lehrrr so tn «asen sicher stellte -— Mairi?trat
und iiehürde können die Lehrer dennoch aller drei .Tahre inttjairen, denn sie haben
das Backt, neue zu ernennen und dieses Spiel furtznset. < u Nun aber: selbst an-
genommen, dass sie die Sehani hesäßen, solche ruijereclitigkeit und Immoralität
einzugestehen, so bietet doc h dau jetzige Gesetz selbst diejenii^en Mittel, solchen
Dingen geschickt aassnwetchen. Oder ist denn nicht ausdrücklich im Gesetz ver-
merkt, das.s Commune und Lehrer eine Convention abschließen kOnnen anf weniger
als sechs Jahre? (Gesetz r. 9. Juli 1876, Art. 8.)
Dueh mehr noch, man zwiui^t die Lehrer förmlich, um die Emennuu^ anf ein
Jahr nachzusuchen, und man ist sicherp dass das ScJinlcollegioni (ConsigUo scolafltioo)
dies gesohehen lassen vrird, ttattlitidi bei geseblossenea Augen. Oder haben wir
SOleher Beispiele nicht schon zu Hunderten gehabt?
Nun, der Lehrer l&sat eben alles laufen wie und wohin es will, die Welt mag
ihren Gang gehen. Wer aber darunter am meisten leidet, ist die Sehnle. das Volk,
das Laad.
Mit nichts soll sich der Lehrer befassen; seine politische und religiü»e Meintiag
soll er geheim halten oder aber, je nachdem der Wind geht, rier von oben oder seit-
wärts kommt, soll er ein Clericaler sein, oder ein Atheist, ein Materialist, ein Mon-
archist, ein Kepublikauer , Anarchist, iiocialist oder Nihilist aber meistens soll
er nichts sein, gar nichts.
Er soll auf die Rechte eines Bürcrers verziehten: er soll ablassen von seiner
hohen ci^nlisiatoriscben MLs.sion; er soll sich beschränken auf den liechenkasten und
die L(>sema.schine und die .\nderen reden und thun lassen, selbst wenn sie ihn auch
an die Vergangenheit fesseln wollten nnd selbst wenn sie kJUnen, nm die Basis
— 751 —
anfierer Verfassung zu zerst^rta, «Ue» du, w»b ongeheaefe Opfer mid das Leben «»
vieler Märtyrer prekostet hat.
Der vereinte BiiccLlli Jetziger Miiiifier d. öff. U,) kommt nun, um ein solides
Oebäade aofziurichteji, und da muss man mit der Basis beginnen^ und er ist herab-
gestiegen sn dem Blementarldirar imd nir Sclmle des Volkes, denn er hat gesehen,
wie der Krebs läuft.
Alles Übel liegt in der eip:enartigen Eustenz der Lehrerwelt, die eine Axt
HeontHwacia per tntta la Tita" ist, wie auch ia dem Umstände, daas sie tob
Commune bezahlt wird, und dahor \M (in<; wertvollste Gegenmittel nur aUdtt dieses:
„der Cassirer der Provinz bat den Auftrag den Elementarlehrem ilv Oehalt
„auszuzahlen ;
,,(l'r K! •ninitarlehrer wird definitiv emaimt und kann nicht entlassen werden^
„Wenn lur ihn nicht der Art. BiU vom 13. Nuv. 1«ÜÜ Geltung hat."
Und Am ist es, was der Minister in seinem Vorschlage zur Geltung zu bringen
sucht und was die Freunde der Volkserziehung und die Volksschullehrer hoffen und
erdeheu, deren Stimme jetzt also lautet: „Vereinigen wir uns, um gemein-^am gegen
eine gewisse, leideii»<cliäftlicbe und gehässige Presse zu Felde zu ziehen, (Üe nidits
anderes sucht, als tms auf die ächJiaclitbaak aa fiklinii, am denen einen Herzens-
wunsch zu befriedigen, in deren OedanlwD es niemals lag, unsere elende Lage zu
TOrbessem!"
£mp£Migen wir dieses Project nnd begrOüen wir den verehrten BacceUi als
nnscm wahren Wolthiter, wenn er es Terstehen wird, diese ersehnte Ver>
boSSfrnn^' v ii; l'rojeet zur Realität, znni Hf-^cT/ -/n erheben.
Lasüt uns wariuu Bitten bringen allen denjeuigeu Deputirten, welche die freunde
der Ldirerwelt und die Bahnbrecher und Vorkämpfer derCivillsation simlf und woleho
die ko<9tbare Zeit nicht in oberflächlichen Discussionttn lUid nnntttniB AnfKUebeii
verbringen, sondern handeln, ehe der Vorhang Mit.
Und wenn unsere hoiAesten Wttnsehe erhört .sein werden, wollen wir alle
diejeuiyen pccrnen, wHche pf< verstanden, uns ans Eniiedriirnntr. Srhl.inim und Koth
hemu^u^iehen und emporzuliebeu zur Meuscheo würde, und nicht mit Worten, nein,
durch Thaten werden wir ilm«i sagen, dam wir mner Wolthat watirlmltig nicht
unwürdig waren."
Schließen wir uns diesen WQnsch»i und gereehten Bitten unserer italienlächeu
CVdkgen. au.» deren S< lie ße wir soeben diesen ergreifenden Schmer/ensrnt vernahmen,
mit ganzem Herzen au: denn Missmuth, Versagtheit, Notb und Verzweiflung kämpfen
unter ihnen, und zahllose Irrlichter fthrten sie von Jahr eu Jahr immer weiter ab
von dem WeL'f /n li ltir n T! Ii n, und immer wieder wollte kein milder, beleben-
der Strahl des Lichten und der Freiheit durch die hnstem, tief schwarzen Wolken
dringen, die trotjs des lachenden, blauen Himmds Aber Ituiens Oeltlde sieh lagern.
Nicht die „Neujahrfnacht eines rny;lrir klichen" träumt dir itaü. t.i.sche Lehrer-
welt in ihrem Schmerze, somleru iu nackter, schrecklicher Wirkijclikeit scheint sie
erliegen,.zu mttssen dem furchtbaren, heimtückischen, schwarzen Ungethttme, dnman
fein.ste Äderchen selbst auch in der tii fsten Tiefe des Volkes saugen, um dieMUn die
höchfiteu Guter zu rauben: Bildung, Men»cheuwtlrde, Fortschritt, Freiheit!
Vom deutschen Ostseestrande, -dt — Unter dieser Überschrift gedenke ich «len
freundlichen Lesern des „Pädagogium" von Zeit zu Zeit kuraeu Bericht Uber Leid
und Freud* im Schul- und LehrerK hen aus unsem Gauen zu erstatten. Es soll sich
hier bei nicht um bloßen Unterhaltungsstoff handeln, sondern um wolgemeinte An-
regungen mm weitem Nachdenken ttber diese oder jene Frage, nber innere ttnd
intere Interessen uascrer modernen Schulanstalten.
Zunächst sei erwähnt, da-ss die Regierung zu Danzig einen tilr die Lehrer in
-vielen preoBisehen Stldten wiehtigen principielTen Streit mm Austrage gelmdit hat,
indem sie auf di" -■•liwerde der i'lasseiilehrer zu E. entschied, das.s es keine
gesetzliche Be.stimmuug gebe, uach welcher ein Lehrer zur Einsamm-
lung des Schulgeldes durch die städtiseho BehOrdf gezwungen werden
kann. iVi^^ jetzt liegt die Sache in den meisten preuBischen Städten t^u. das^ jeder
Ordinarius iu seiner Classe das festgesetzte Schulgeld pro Monat oder (^uaruU saiuuielt
und an den Dirigenten der Anstalt abführt, wekmer dann sämmtliche Schulgelder an
den Cassirer abläfert» von dem wieder das gaoaaCoUegium die 0«hftlt«r xa erheben
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— 752
hat. — Xu Woi^tpreaßou uud darüber hmaaü Kind seit zwei WiDtenenMttND die Er-
folge des Unterrichts in den höheren Lehran-ntalten und in den VolksKliöleB durch
da« Auftreten der Iiiiihtlii ritis »ehr jfeschmälert worden. Diese Krankheit nahm in
mehreren ländlichen und st&dtiwben Gemeinden einen m epidoniechen Chnnkter »n,
dnn der üntenieht larans «uifeeetst werden numte. In Tiefen Sehnten fielen
in 10 -1.") Jiilirt n nichf so viele Schüler dem Tmle zum Opf- r. als ilie^fs
Kinder. Hiemns ericlirt mch siir O^fli^ die froSe Beeorgpaie der Mittor, die nnn
auch häufitr SehiilTers!iuinni?>e fintreton lir f.en. ^vcim i1 er gefürchtet c Frind noch crar
nicht in Sicht war. — -Nath der neuen deutst hen Gerichtsordnuns i^t den Lehrern
das Strafrecht völlig belassen; jedoch daif der Lehrer nicht fremde Kinder, aoch nicht
auf iiflViirr Straße züchtigen, und ebenso darf das Strafm;i6 das I.'e. iir der Tftter^
Iahen Ziiclitiguug nicht Uberschreiten. Da^h diese Grenze vuu jüngeren Lehrern nicht
selten ttberschritten wird. lä«st sich nicht bestreiten. Dans aber dem Lehrer in
solch betrül^endt'in Falle Vorsatz und Überlegung zugemuthet wird, könnte zweifel-
haft erscijeiueu, Jlit diesem Maße ist der Hilfslehrer F. in dem Grenzdorfe G. ge-
messen worden, denn er wurde zu 3 Monaten Getäiiirnis verurtheilt, wobei
allerdings ein erschwercaidee Moment das ist, da« TOn ftrztlicher Seite constatirt
wurde, dem gezüchtigten Knahen seien durch den Act dauernde Nach th eile für
sf ine Gl'>ii iidlieir !■ r wa ( Ii scn. Darum Vorsicht, Vorsicht. Vorsicht! — Wie • >
bei uns noch immer nicht zu einem einheitlichen Untenrichtsgeaei« bat kommen
lUtnnen, so fehlt auch jede Übereinstimmunf in der Ferienerdnan?. Gans
verschirdt-n fallen in Jedem .Talire die Sommer- oder Himdstacr^ferien. Während in
diesem Jahre Königsberg am äO. Juni sclüo&i, tbat dies Berlin erst am ^. Jnli, viele
kleine Stfldte in Ostprenten am 23. Juli vnd Midlich das platte Land je nach Be-
ginn der Hetreide-, Tabak- oder Kartofifelemte. In südlicheren Landstrichen i>t be-
kanntlich die Weinernte atia^ohlnsrgebend. Es ist leicht erklärlich, dass aus solcher
YMschiedenheit f ir vi< le Kirern uud Lehrer, welche entfernt wohnende Verwiadte
hesvehen wollen, erhebliche Unbeqaenüichkeiteii erwaebfleo.
.\n8 Preisten. — m— . Die Reaction befestigt sich immer ni«4ir und madtt
bedeutsame — Fortschritte. Im größten und wichtigsten Theil der Bevölkening
findet sie zwar wenitr Beifall, aber sie verfügt derseit über die Macht, und so kann
es ihr an ErtVdi^en ni< ht fehlen. Sie hat deren im laufenden Jahre bereits recht
ansehnliche zu verzeichnen. Mit den Simnltanschulen wird sie bald völlig anf-
gerftumt bähen. Die su Krefeld sind auf Befehl der kSnigl. Regierung zu Dtmel-
dorf seit Ostern wieder in confes^ i r ■ 1 1 ' \n>tal(eii verwand. Ir. Alle njipcsiti'.n
und Einsprache der Stadtverordneten hiergegen half nichts. Umsonst beriefen sich
diese dannf, das« die Kreffslder SimnItanMhnl«! nioht nur vom IQmator Falk, son-
dern auch von seinen bpiden Xa« hfolgem anerkannt waren und also zu R^rhr h<--
standen. Eine :n>khe Berufuutr ^vil) l)<>i \mn nicht viel bedeuten. Wir haben ja
kein Schulgesetz. Der jeweilige i ulntsininister. nebenbei aneh Unterrichtsminister,
ist in Schulsachen Gesetz^reVier und kann die Bt stimmungf-n seiner VorcrSniror orler
auch seine eigenen mit anderen vertauaoht^u, je nach seinen eigenen persönlichen
Oesiunungen ^er nach „politi^ichcn Rücksichten". Gegenwärtig nun legt man an eilt*
scheidender Stelle auf das confessionelle Element großen Wert^ nnd da miisste es
natürlich auch in Kreteld wieder zur Geltung gebracht werden.
An anderen Orten nicht minder. Am 28. Juni hat zu Colmar der Bezirks-Unter-
richtsrath für Ober-£lsass mit ^ßer Majorität „die Wiederberstellung der confe^
sionellen Schnlen"* be^mhlossen. Damit hat diese .,groBe Hajoritit'* ihre SdiuMigkeit
gethau, und der Herr Minister wird mit ihr zufrieden sem.
Da dessen Intentionen kein Geheimnis sind, so tühlen sich selbst in Berlin
die Rechtgläubigen beider Oattnngen «nr Opposition gegen die freisinnige stidtisdie
Si liiilvervvaltung emuithiirf. Der durti^e ..evangelische Schulrerein'' jRtirt hei dtm
Herrn Cnltus- und Unterrichtsminister, er möge dafür Sorge tragen, dass eine ent-
sprechende AnnU „wirklieb eTangelischer'* Gemeindescbnlen wiederhergestellt
werde. I'nd die ..Germania", da?» HaupTnnrsm der U Itra montanen i püdirt ihreneite
iUr „Venuohruug der katholi.**! heu <t«fmeinde.ichuleu".
Das Alles entsprieht den jetzt in unseren Regiernngskreisen herrschenden An*
sehanungan, und nun ist es aller Welt klar, wanun wir „nicht nach Oaaossa gehen**.
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— 753 —
Das wäre filrwahr ilbt^rflils>i>^ ; wir nmrhen'ri uns bequemer und kriechen /ii Kreuze
im eitfenen Hause, wiis üoch deu Vortheil hat, dajiH wir da beiden Contessionen
unsere Reverenz machen und also eigi-ntlii h ein Doppelcanossa zu Stande bringen.
Der „Staat" will mit der „Kirche" in PYieden leben, mit der exotisclitn ^vie mit
der eiülieimischen; er glaubt, daas sie seine beste Stütze sei, und sie iiia<bt sich
diei^n Glauben zu Xutzi innl verlangt für ihre Dienste die Schule zum Lohn. Und
80 ist denn unser lieb«8 Schulr^imeint wieder recht geistlich geworden. Alle Fach-
steltea deswlbon werden amRchuelUieh mit Theologen beeetst, und der bnreaukra-
tische Apparat arbeitet nach den InspiiationMi dieser nFMdunlnner'*. Was Wnuder,
wenn die Xiosong „rückwärts'* heiät?
Auch in der interessanten ProTins Posen wurde nnlingst ein Conunentar tiienm
jreliefert. Die ii>rric:c k^nifrl. Rrfi^ieriiiiy: Ii itt u i 7, April angeordnet, das« den
Kindern polnischer Nationalität der Keligiousuiuerricht in deutscher Sprache
zn ert heilen sd. Am 12. Juni aber hat sie „im Auftrage des Herrn Hinisters der
geistliehen etc. Angelegt'iiheitea" jene Anordnung widerrufen uiiil die polnische
Sprache wie«ler hergestellt. Die Verfügung vom 7. April uiir ohne Zweifel eine
in mehrfacher Hinsicht Behr heilsame und entsprach zudem einer bereits vor zehn
Jahren erlassenen Anordnung des Oberjjri'ir-iiliums, laut welcher am Ii im Beligion.4-
uuterrichte die dent.si ho Sprache anznweudeu sei, sobald die Kin<h r genügendes Ver-
.ständnis <iersellieii hesäßen, eine Bedingung, welche in tler That vieler Orten schon
längst erfüllt war. Aber die pulnisch-katholische Geistlichkeit betrieb gegen die Ver-
ordnung vom 7. April eine heftige Agitation, als ob e.s auf eine Vergewaltigung der
katholisch-polnischen Gewissen abgesehen sei, und nunmehr jubelt sie, dass der Herr
Minister die ihr erwünschte JEtestaaration verfilgt hat. Sie hat auch aüe Ursache,
deh ihres Erfolges zn frenen. Deutseb und evangeUseh gilt ihr als SSns vnd ist
ilir tief ferbasst : polnisch und katholisch ist ihr e^enf iHs itlentisrh und der Gegen-
stand ihrer heißen Liebe. Da nun diese polniach-kathoUsche Sache triuinphirt, so
lassen sich Tide kathidtolie Deutsche folonisiren und viele polnieohe Protwtaaten
werden katholisch; sie wollen eben gani bei der gewinnend«! Partei sein, Ancb
ein Erfolg ohne Cano.ssa!
Weni^'er Ursache zum Jubel als die geistlichen Herren haben die Lehrer. In
Eniiantjclung eines Schulgesetzes wissen sie in vielen Fällen nif^ht. wn«! Rpchtens
i»t, und wenn es sie gelüstet, das Hecht zu suchen uud an/nruien. .su erhalten sie
leichtlich eine Zurechtweisung in Gestalt einer Zurückweisimt^. Wes Ranges ist
eigenilii'l» ein preußischer Volksschullehrer? Die Frage ist unter Umständen für
die Stellung und Existenz eines solchen Fnnctionärs entscheidend, bedarf also der
L'''snii;,'. .N un wunle infolge eines besonderen Vnrkoinmnisses schon am 27. Juli 1.S74
durch Ministenalrescript entschieden, dass die preußischen Schullehrer „weder zu
den dem Landrnthe selbst untergebenen Beamten, noch nt den Beamten einer diesem
nntergebcueit Ii >«le ijehürcn."' Nach einer neulich, i-benfalls auf besonderen An-
läse erfolgten Eutscbeidoug des köni^chen Staatsministeriums hingegen ist der
Oemeindeforsteher (Dorfrchuhse) der Vorgesetste des Lehrers, der Lemvr also der
rnterfjeliene eine« dem Landrathe unterf?eiirdneten Beamten. AI- ni'kwiirti^. rQek-
wärt<t! Nun wird doch endlich tüe verwünschte ,.Selb8tni»erhel)Uug • der Lehrer
aufhören!
Sie müssen sich in da« Sprilchlein tilcren: ..Wes Brot ich esse, de^ Lied ii h
singe". Und sie sollen ledisjrlich da."* Brot der (iemeinden essen, also aueh dem
Gemeindevorsteher unterthänig sein. Der Staat braucht sein Geld zn andern
Sachen. Wem kommt die Unterhaltung der Schulen zu? Schon Falk hatte diese
Frage aufs neue ungertgt uud dabei entschiedene Bedenken gegen das ausschließliche
Gemeindeprincip geäußert. Vor kurzem sind aber gleich drei Ministerien i^des
Innern, des Cultus und der Finanzen) gemeinschatlüich f ftr dieses Princip eingatreten
(der Regierung zn Minden gegeuflberl Das ist ohne Zweifel für den Staat das
billigste System und iriht Jeiiem da."* Seine. iK-r .'^taat reiriert \inil die Ceiueindeu
bezahlen — so gut sie können und wollen. Aber ultra posse nemo teuetur, uud so
sieht es denn mit yielen Vblksscbulen noch recht kläglich ans, sowel bezüglich
deren gesammter Einrirlitung, als auch bezn<,'Iieh dos Einkommens der Lehrer. Jetzt
geben sogar manche Gt^uieinden daran, die ohnehin kärglichen Lelirerbesoldungen
noch herabzusetzen.
Die allgemeine Situation ist dieser Intention günstig. IMe geflissentlich ver-
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764 —
breitete Gerinfechfttsiing des Lehrentande« bamouirt mit einer aiediigen Tue fOr
adiie BervftKraeit und ttberdies
So oft eine kidlich k-r^oldete Stelle vacant wird, melden sich ftlnfzifj und iti - hr TV-
Werber. Der Lehrermangel ist (oBt ganz behoben — infolge der angewendeten Kiuut-
mittel; — w\h$t BIsa»>Iiotliiiii9eii deekt den Bedarf edioii •» aiemlleh mtt hri-
miücben Kräften.
E» muss aber doch mit der Beschulung unserem Staates noch nicht Uberall gut
bestellt seia. Denn laut officiellen Aaawei^en waren nnter des <n die Armee eiii'
^[«stellten Uannscbaften des leusten .Tahres in dtr Provinz Pri?cn noch 11 Procent,
m Westpreußen 8.47, in Ostpreußen (i.57 l'rocent uhue ikhulbildun^, und wenn die
DinjBre den gegenwirtigoi Gang beibehalten, wird es nicht besser werden. Das 8ind
dunkle Flecken in unserem Cultursystem ! — Es wäre also doch sehr nSthig, für
nnsere Volksschulen und besonders fUr den Lehrerstand etwas mehr zu tbun. als die
Gemeinden thun können und wollen. Neben Tielem Anderen ist für den Lehrtr>raud
ein klares und humanea Dotationa- and Pensionageaeta dnngendes Bedftxäiia,
wenn sohreiende Nothstlnde beseitigt werden Mllen.
Kurz, tmd dns erfx'xht Ach ans ill< :ii Obigen; wir brauchen ein Schultreset z,
wir yemiwen es an allen Orten und lijiden. Und dennoch wttnschen viele Lehrer,
vielleidit die meisten, daas wir keim» «rhalten. WnndoH Sie rieb nieiit ftlier dieeeni
Wider?imf li : er ist leicht zu lösen, ntolich durch das Wrirtchen jetzt. Wol alle
Lehrer wüuwhen eine dehniti?e Kegeiung des Schulwesens, aber eine gute. Wur-
den jedoch die gegenwärtig herrschenden Maximen codificirt . s<> niilsste das preu-
ßiscbe Schnlwesen anf lange Zeit hinaus Schaden leiden. Jetzt haben wir wenig-
stens den Trost, dass ieder neue Minister die Grundsätze nnd Vertiigungen seines
Vorgängen* aufheben kann. Alle freisinnigen Elemente wollen vorläufig nnr den
..Kampf gegen die dunklen Miichte, die leider wieder so stark überhand nehmen'^
Erst wenn dieser Kampi j;lücklich beendet sein wird, ist die iieit zur Schaffung
( ines guten Schulgesetzes gekommen. Noch fliegen die Raben in dichten Scharen
um den KjrffliitaMr. M9ge bald derHefkalee entehen, der nns Ton ihnen tät immer
befrdtt
Ans dem Königreich Sachsen. Ton den in. .t il re 18.*^2 8.'^ /iirAnu. e pe-tellten
Becruten hatten nor 0.74 pro Mille eine ungenügende Schulbildoi^, während noch
im vorigen Jahm 2.45, im Jalii« 1877/78 alier 6.4S. ferner 1873/74 6.78 nnd 186869
n.SO pru Mille der militärpflichtigen Mann'sehaft ohne i:enf\gende Schnllienntni>'f;
waren. Diese Ziffern bezeugen unzweifelhali einen sietigeu Fortachritt und flir die
G^^wart einen sehr günstigen Stand der Volksbildung, soweit sich dieselbe mit
den elementaren Schulkenntnissen deckt. Man schreibt diesen Erfolg nicht ana-
schließlich den Volksschulen, sondern zu einem gnten Theile auch den Fort»
bildnngsschaleii sn, welch« infolge de« Oeactaes tob 1878 ins Leben genfea
worden sind.
Aus der Schweis. Von Herrn C. Grob, Secret&r des zttrcheriscben Erdehungs-
wesens. ist kürzlich eine sechs Bände umfassende Statistik des sc hwL-izerisehen Unter-
nchtawesens erschienen, ein aaBerordentlichen Flei£ee nnd rühmlichem Ciewiwen-
baAigkdt. Herr Prof. Dr. 0. Hnnsiker brnigctm „SchweiBerifleben SckidafehiT** niu
dem {genannten Werke einitre Hauptdaten, die z\\m Theil auch außerhalb der S( hweiz
Interesse und Nachdenken zu erwecken geeignet sind und in so weit hier vorgeführt
werden sollen.
Ära 31. März 1882 betrue: die Ge.sammt7:ahl der Primarschiilrr nämli- h
218 191 Knaben und 210889 Müdcheu. Die Muttersprache dieser Kmder war deutsch
bei 311 271, französisch bei 97 113, italienisch bei 19 864, romanisch bei 5832. Printtr>
schulen frab es 43S6, davon mit einem Lehrer i'uneretheilte) 2426, mit zwei Lehrern
llifil. mit drei Lehrern 332, mit vier Lehrern 17'.', mit ftlnf oder in<?hrLehnim 187.
Schukbtheilnugen (die nngetheüten Schulen eingerechnet! zählte man Ki(\2. davon 6462
fUr beide Geschlechter «remeinsam. 93.0 für Knaben. 905 iVir Madehen. Die Cantone
Glarus und Thurgau habeu nur gemeinsame Schulen, mehrere andere nur sehr
wcniiT sejjarirte, dagegen Basektadt nnr 8 gemeinsame neben 41 Knaben- \md 41 Mäd-
chen-Schulen, Genf neben 72 gemeinsamen 61 J£nnben*8ehnlen nnd 64 Midcben-Sebnleo.
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— 755 —
Die Ge^^iini rzahl der Lehrkrfifrt Ix tniir 8365, darunter w» il>liehe 2525. Von
den letzteren wirktt-n in cremeinaameu Skhulfa 1541, in KnAi>eu-Scbulen 94, in Mädchen-
fldralen 863. Gar keine Lehrerin hat der Kanton Olarus, nur je eine haben Ba.selland
und Außerrhoden; in Tliurgaii sind nur 2.7"\j, in St. Callen nur 3.4% aUer Lehr-
Inifte weiblich, dagegen iu Gent' 56.3, in Neuenbürg Gq.4. in Nidwaiden 72.2, in
Olnrälden 73.7** Geistlichen Standes nnd ron allen Lehrkräften 4%; diese finden
8ich in den T'r-Cantönen, ferner in Luzem, Zag, Freiburg, Solothurn. St. Gall»»n,
iirattbUndeu, Te.^siu uud Wallis; in den übrigen Cantonen sind alle Lehrkräfte welt-
liehen Standes.
In der Dauer der ActiviUU aeigt üicb swiachen Lehrern und Lehrerinnen eine groBe
Differenz: jene erreichen dvrelisohDittlicfc ein Dienstidtet yoo 16, diese nur von 10 Jahren.
Das ^-osainmte Kiiik< iHinf>n aller Lehrkräfte hetrSi^t jiihrlich 10 üö^> ;<f)3 Francs,
darunter 866 045 an Naturalbezügen. Im Durchschnitt beträgt das Einkommen eine»
Lehren 1419 IV., euer Ldnerin 601 Fr. Die hOehste BenMdvn^ mUt BaeeUtadt,
wo der Prinmrlehrer durtlisohuittlioh 321;?, die Priniarlehrerin 1535 Fr. erh<, am
nächsten steht Zürich; die geringst« Bt^uldung bietet der Canton WalliSi dnroU-
eehniUHeh .%7 Fr., Uub nnächst stehen Nidwaiden und Uri.
Das SchulrermJVcen die Schulfonds) der ganzen Schweiz belauft sich auf
137 534 .^97 Fr. E.s beträgt i>ro Kopf derGesammtbevölkenuit: ilurchschiiittliib 48 Fr.,
ist aber auf die Cantone höchst ungleichmftBig vertheilt , am besten ist Ttmigav
gestellt mir 85 Fr. Schul vermögen \iro Kopf, dann folgt Schaffhausen mit 76; am
ungüUdtigäten Tei^sin mit 9, demnaehst Uri mit 17. Die jährliche Gesammtausgabe
für die Primarschulen betr> {iro Kopf der Einwohnerschaft im Dnselwduiitt 5.19 Fr.,
in Schaffhansen (Maximum) 8.2, inZllrich 7.89, in Genf (Minimum, wegen der Dichte
der Bevölkerung) 1.60, in Schwyz 1.87. Zu diesem Gesammtaufwand tragen bei
a) der Staat, d.h. in der Schweiz der Canton: in Schwyz 3.6*/o, in Waadt 10.9**',,.
in Genf Ö9.8' 0, in Baaelatadt 71.1%, in Wallis nichts: b) die Gemeinden: in
Sehw78 92.6» 0, in Waadt 7S.3%, tai Genf 28, in WalHfl 67, in Baselstadt 0.3.
Vertheilt man die jährliehe Gesammtausgabe auf die Schill er der Primarschulen, so
ergibt sich als Durchadmittssats 34.1 Fr. pro Scholkind; am höchsten steht dieser
Sats in Baaelstadt mit 76.8 Fr., dann in Genf mit 69, am niedijgatWB In Appensell
mir lO.n, dann in Innerrhoden mit 12.7 Fr. pro Schulkind. — Auf nimusolinlbailteik
hat die Schweiz im letzten .lalir/ehnt 24ir>(i9l5 Fr. verwendet.
Die Fortbildungsschule, das ist die einfachste Ergänzung der Primarscbnle,
war von 13 868 Kindern, nämlich 12 75S Knaben nnd 1110 Mädchen besucht. St.lrker
fr^uentirt waren die Anstalten für eine weitergehende Ergänzung der Primarschulen,
nftmÜch die
Secundarschnlen. Es piht deren 413 uud zwar 77 tTir Knaben, hH für Mäd-
chen und 283 gemeinsame, riie wurden besucht von 1115üKuabeu und 8976 Mädchen,
hatten also eine Gesammtfireqnenz von 20131. An diesen Secundarschnlen wirkten
1448 Lehrkräfte, worunter 246 wmbliche. Ihre gesammte Jahresbesoldung betmg
2 370180 Francs. Zn dem Anfirand flir diese Scholen, welcher pro Schaler durch-
•M'hnitrlieh 106 Fr. jährlich her raut, steuerte der Staat, d.h. dieCantone, 1 (KXi H2S Fr.
beL (Bemerkt mnss wurden, dass die Statistik der Secnndarschulen der vollen Klar-
Iwit entbehrt, da niebt nnr, wie andi bei aadenn Sebalgnttongen, die eiuelnea
Ontone große V r> 1 i> lr nheiten aufweiten, aeiidera die Secnndnnclralen Tieler Orten
dnreb Mittelschulen ersetzt werden.)
Als Mittelschulen sind 108 LefaiMutatten aufgefUhrt mit 9499 mlnnlidiett
nnd 20f>3 ■sveihliclien Sdinlern. Darunter hatten die Gymnasien 53R2 (mSnnliche)
Schüler, die ludusitrieschulen (Kealschoien) 3144 männliche und 117 weibliche Schüler,
die Ltduerseminare 946 mtniiUebe nnd 310 weiUiche SehlUer, die bSlieren Hldehen-
sdinlett 1706 Schülerinnen.
An den Hoch- und Fachschulen befanden sich im Ganzen 1808 schweizerische
Studenten (ans den Cantonen Uri und Innerrhoden nnr je einer); von diesen besuchten
da^ Polytechnikum in Zürich 354, die Universität daselbst 297, die Unirenitftt zu
Bern .352, die zn Basel 228, die z« Genf 342.
Die Lehrerbildungsanstalt zu Münciienbncbsee, in deren Räumen vor fast
80 Jabien fie IMdinngiaastoUPeatalossis ilmn Sits hatte, faierte nm 13. Septmnber
d. J. ihr fiOJHhrigeaJvbillnm. länen besonders wertToUen Beitrag au dieser sehOnen
P«da(0(iaia. 5. Jihfsaag; Hälfe ZU. 49
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— 756 —
(.ie<letfkt<?ifr lieferte uiwer H. 3Iorf mit lieiner Festschrift: ^Erziehojigs- und ünter-
rii'}jt!<]iläu üer erat«u I^bran^talt im Schlosse zu Mttnchenbuchtiee." Morf i^t aU be-
gei^^terter Verehrer und aU der vorzlUrüthÄte Kenner Pe^talozm der pädago
gi»elten Welt ULogät bekMttt, imd den Leäem dm Fidagogitunji insbesoiidefe h*i er
^hon manche icbi^oe Fnielit teioer uennftiUklieii Fonchuo^n geboten. In 4er er»
wähnten FeHtHchrift nun erhalten wir abermaU neue und bt^l iiiLTgiche Aa£scblä^
Uber eüieji LebeiiMk»cbmtt Pefltaloszi«, Anfitrhlftawe, wie aie uur an« der iaumsteit
Vertntttbett nrit der ffcsanniiten geiiiUgqi HinteilMwa«e1wft dieies ebizigen Manaes
j^ewonnen werden ki.niiLii. Si.lia<l»f, ila-;» der hier veröffentlichte Plan der IVstul'jz/ischen
£nuebaog vorläu% dem größeren Publicum nicht zug&n^^iicii mU Uerr Moif hMi
ftttittUeh TO« Miller Peetechrift ntir 100 EiMoplare fanf dgae Korten) elNdelieii teeieft
und Ai- df-n bcmi«chon f^hulbehörden «nd Lfhrfni fllicrseuder. Zur (li.ir.ikt<"rii.irunjf
dftä hier vwrliegenden üocumentes woliea wir .ms dtr t'e.-«t»chriu *tlbat tiac Vorbe-
merkung anführen: „Die<:<e Arbeit, deren Hcda<ri<.n iu ^mein«amer Berat hun^: indem
Räumen de« Schlosses Wüni hcnlmrh^ee endgihig^ festgestellt worden, i?t t in -.'ar
wichtigem ActeuDtück zur Eatwii;kUangsgeäcbicbte des PestalozzianiäUiU:;, }a drr
einzige L^r^ und Unterricbtäplan, der in t>oleIi Qbenicbtlieher, zusammenhängender
Dar«t<:Ilan:r aus der Pestalozzichen Schule bervorgeganir^^n wnd veröffentlicht worden
iHt; eme l^rucht der Verständigung zwLwhen den erstt:u uud bedeutendsten ächülem
ond Jüngern Pestalozzis unter steter Berathiing des Heisteie, «Bd iUiUBt an»
einer Zei( reiner Begeisterung fttr deasen Sache."'
Tu Österreich dauert der dnn h die Schulu'ivi He hervorgerufene Hader f^rt. und
da« Kndc deiiselbeu iat nicht abzusehen, ^'achdem die gesetcgebenden f aetoren ihren
langen Kampf beendet hatten nnd der Novelle an t. VUd die kaiseriidbe Saaeckm
errli* ilt war 's. P.'ul.iL'"i:iuni V. 521 f.), begannen die Schnit-rzcn und Verhandlun^rtu
Uber diu Durchfuhrung der neuen Bestimmungen. Die Keactiouftre wollen die-
iielbe bis zur äulleraten Grenze zu ihren Zwecken ausbeuten lod seUeuaigst finetl-
liciren. die Libenil- n ^rii fien die Wirkung dcrst-Hjen tlinnlich^t abzuschwächen und zu
verzögern; der Herr Uiiurrichtsminister Courad von Eybuteld möchte est wo ui'X'lick
mit keiner Partei ganz verderben, wird aber schUeSlich wol swiachoi swei Stühlen
biederfallen. Am 8. Jnni luit er eine r»iin-lin"ihmnc:>«vernrdnujig erlasen. wtd< he 1"^-
«üglich der famosen „.Schull)Lsni h>erleiciittruiigeu" deu Ueactionären nicht geuim.
indem das siebente und acbre S 1ml jähr keinesfalls beseitigt werden soll; dafir aber
sichert sie, im Einklänge mit der Novelle selbst, dem Clerus eine so imposante
Stellung im .Schulwesen, dass den^elbe im Stande sein wird, sich einen entscheidenden
Einfluss zu erzwingen. Da nämlich von jetzt an nur solrlic Lelirjtersonen als Schul-
leiter (und Schulleiter sind auch alle Lehrer einclassiger Schulen) bestdit werden
können, welche auch die Beftbigung zur Brtheilung des Keligionsnnterriehtes der
herrschenden Confes-inn d. i. mit geringen Ansn;ilinien der röinisoheu) nachweisen,
und da Uber diese Belähi^og ausschUefiÜch die von den Bischöfen bestellten Prüfuitts»
commissire entseheMeo: se nat die „Kiidie^ das Sdiidcsal der Lehrer« Ja den Be>
stand der Schule in der Hand. Nicht nur kilnnen die bischöflichen Commiss&re jeden
Lehramtscandidateu, der ihnen nicht convenirt, durchfallenlassen: sondern die Bischöfe
kSnnen nach, wenn sie die Ernennung der Prüfungscommissäre verweigein, die Be-
setzung der grollen Mehrzulil di r Lehrstellen verhindem und somit die «.iinze Schul-
organisation vereiteln, d,i olme ihre Kitwirkung und Genehmigung die < rtonU rlichen
Zeugnisse nicht zu Stande kommen kSnnen. Die Zeitungen der UltnnnontuDen, an
ihrer Sidt/.e das „Linzer VulksbLTTt", Organ de.'j kämpf Inst i;;i-H Bischofs Rudiffier.
haben denn .uich bereits den Minister Conrad wtiren seiner Durehlubrungsverorduuii^'
heftig arigtirritteu und ihm mit starken Maüregeln gedroht, wenn er dieselbe nicht
inodilicireu wolle. Seit einiger Zeit ist es aber im clericalen Lager wieder rohigtf
geworden, was, wie uiehrwe Blätter behaupten, daher rubren soll, dass der „Kirche**
die verlangten weiteren CVtncessionen, namentlich die definitive Herabsetzung der
Schttlpfliobt aul' sechs Jahre, in Aussicht gestellt worden .seien, — Inzwischen
tritt in verschiedenen Provhizen die Lebrersdiaft zusammen, nn die Conseqnemcn
der Sehulnovelle in Berathung zu ziehen; in Oberöst- rr >i 1; , wn Herr Rudigier den
Bischofsstab t^ilhrt, sind die Lehrer iu besonderer Verleguuheit, da achthundert toa
Ihnen das nunmehr so wichtige EeUgionszengnis entb^mn, indem seine InsdUtflielie
(inaden das Schnlgeseu von 1869 Diemals «uerkannt und demgeait audi kein*
— 757 —
Prül'uugäconuuissiire irt-^tellt hatte. Bisher war dies ohne praktische Bedeutung, weil
die Ansttilliiu«: dt-r Lelirer uitlit von der kirchlichen Äppro});ition abhing. Aber jetzt
kanu ühue sie keiu Lehrer Carricre machen. Was «oll uuu werden? — Kurz: die
&)terreichi«die Lehrerschaft und die österreichi-sche Schule geht dm bedenklichsten
Wandlungen und Verwickelungen entgegen. Dahoi wird viel, .sehr viel Zeit, Kraft
und Gemilthsruhe mit Reorganisationsverhandhiiiijeu. Exj)€rimenten und Kämpfen ver-
geudet werden, tlie einer ruhigtn und gedeihlichen Fortentwickelung des Schulwesenti
gedient haben wttrden, wenn nicht die fatale Novelle gekommen wftre! An ihre
Fersen wird tieh der hSm Geiat der ZerstOnmir heften, nnd «oft neue rieh das
alte Sprichwurr beNviÜnen: „Wenn mau dem Tenfel einen Finger reicht, so nimmt
er die ganze Uaud." JedeuMla ist die Novelle sammt Ausführungsverordnung bei
weitem nicht das letste Wort im Streite, und dnslAviren Ton Seiten derBegiemnir
kanu nicht !an<re daueni. Es ist nnr Eiuea müglich: entweder ein noch weiterer
BUckächritt, uder tödlich emmal ein i,'anzer. voller Furtächritt, das heiiit die voU-
stlndige Befreiung der Schule von jeder elericalen Eiamischnng! —
Eines Fortschrittes bedürfeu die österreichischen Lehrer aueli in materieller
Hinsicht recht dringend. Die infolge des Schulgesetzes von ibüd geregelten Be-
soldungen waren knapp bemessen und sind seitdem nicht anijgebeMert. worden, wäh-
rend doch die Theucrung aller Lebensbediirfhisfie fortwährend zugenommen hat. Selbst
in Xiederösterreich, wo die Lehrer rerhältnlsmäßig leidlich gestellt sind, uiitimt die
Verarmung und Noth unter iiiULU dtriiiaiSeu zu, dass der Landeslehrerverein dem-
nächst daäber in Berathung treten wird, „wie dem im Wachsen begriffenen Elende
in Lehrericreisen m begegnen Mi"*. — Die Lehrer der Beieluhauptstadt Wien speeiell
haben sich an den Gemeind i itI; um Verbesserung ihres Einkommen.-^ tre wendet. Sie
hatten daxu leider recht driugeude Veraulawong, da sie weit schlechter gestellt sind
als ihre Coflegm in vielen mittleren vnd kleineren StBdten Deatschlands und der
hwiiz. ire^ liu ciire denn in Berlin und anderen ITauptstädteu. Möge der große .\n-
drang von Lehrkräften nach Wien den Gemeinderath nicht täuschen über die be-
stehende nnleugbare Noth; möge der Wiener Qemdndeiath vidmehr durch dne
kritftige That nachholen, was er bisher ventnmt hat.
N^rdaiierika. Das Juliheft der „Erziehungs -Blatt er (Organ des dcutsch-
amcrikani'^rhrn Lelirerbundes) reprodncirt aus dem Werk»^ von Friedrieli v. II eil -
wa.ld: „Amerika, iu Wort und Bild" einige Stellen über das uurdamerikauische Schul-
wesen und bemerkt dazu: „In dieser Darstellung liegt un.streitig viel Wahrheit.
Doch enthält sie auch eine Menge von himmelschreienden Entstellungen, £alscben
Auffassungen, die jener europäischen Einseitigkeit und aristokratischen Dünkelhaftig-
keit entspringen, die sich in der Benrtheilung amerikanischer Zustände oft un-
liebsam bemerkiich macht". Die „Erziehungsblätter' dthren dann eine Abfertigung,
welche HeUwald bereits in ehier anderen ameriltanischen Zeitseähiift erhalten hat,
und welche sich insbesondere gegen zwei ?fi!I u ia htet. Die erste lautet bei Hell-
wald: ist ein unbarmherziger ^cheuiatisiiius, der durch das amerikanische Schul-
wesen ipreht, die starre Fonn der Satzung, des mediaoiscIieB Comnandos, der Booh-
stabenireist . aber kein erlösender Geist, der dattiir aussöhnt. Die Individualität des
Schülers wird nicht beriukaichtigt. Alles wird mit dem gleiclien .MalSe gemessen,
kein Entwickeln dt r l't r.-< nlichkeit wird erlaubt, jeder Keiai dazu erstickt. Es ist
die Tend< nz des Mv. Ilirens ohne Ende, der Gleicbli- it^idee in höcbstt r Potenz, die
sich im Extrem zur Fratze verzerrt." Dazu wird bemerkt, „dass dies die alte aus
^g'nr^ tmportirte Lehrmethode ist, mit weicher die entwickelnde Methode nun
schon von allem Anbeginn an den entschiedensten Kampf geführt hat. — 3Ian ist
glücklicher Weise jetzt schon so weit, dass in vielen Staaten und Städten der alte
Schematismus in den öffentlichen Schulen der richtigen Methode l'hitz m u hen nnuss.*" —
Ferner hat Hellwald vom amerikanischen Scholqrstem behauptet: „Das BeaUstische
verdräugt das Hnmanistisehe, der Ventand IXsst das Geffthl nnberUckilchtigt. Die
amerikanische Jugend wird nicht erzogen, sie wird nur unterrichtet." Darauf wird
entgegnet: „Uechnet vielleicht Herr üellwald die humanistischen Spender von
1'/« liiUionen Hark fUr die überschwemmten in Dentsehland nieht zv den Ameri-
kauern? . , . Wenn dir Amerikaner alljährlich viele Millionen filr ideale Cultur- und
humanistische Zwecke hergeben und selbst dem Auslände davon Millionen zu Gute
kommen lassen (folgt eine B«ihe von Bei^ielen), so wird Herr Hellwald woltbnn,
49*
— 758 —
(ch\ rrtheil gehÖri|r berichtigen. Statt dessen mfiyre er srhreilien: ,^merikA tknt
mehr fUr bauuuiUtiscbe Zwecke, aU alle Länder Enropu zttaAmmeBg^mmen."
Der letite Sati dürfte d«ai doch co weit geben; aUeiB die leliwin und nii>
gerechten AuMteUangen Hellwalds forderten eine eneiigiRclie AJ»wehr lienuis.
Sckliisswort iüm fimftea Jahrgänge.
Mit dieter Niinim«r endl^ d«r fDnfle J»hxf«aff des PSdagogioms, imd
die Verlagshandlang ladet zom Abonnement auf die Fortsetzung ein.
T>i«' g^eriHigtt'n Leser wollen aus dieser Einladong entnehmen, dass d^r
Begtaiul unsf-rer Zeitschrift vorlünfig- noch auf ein Jahr e^esichert ist. olw..!
die bcideatcndeu Opfer, welche dieselbe bisher erl'ordert hat. die \'erlag^8hanti-
Inng entwlmldieen worden, wenn lie sieh von dem Unternehmen xnrtlclDRitreten
entschlSsee.
Ins Leben gemfen, nm dfv freien Pildagogik Wehr und Schutz 7.n bieten
gegen die reactionäre Strömung der Zeit, liatte unser B!att vuu Anfan^^ an
einen schweren Stand. AVir waren dessen gewärtig geweseu. und da wir uns
nicht sanguinischen Illusionen hingegeben hatten, so konnten wir recht wol
zofiiieden sdn mit den headi^denen Erfolgen, welche das Pftdagoginm in den
ersten Jahren errang-. Um nnn fiir die uns ent^e^eng^fbrachten Svmpatliien
erkenntlich zu sein, fii^-tt ii wir unse-rer Zeitschrift, ohne deren Preis zu erhöhen,
vom zweiten Jahrgänge au das „Literaturblatt" bei, setzten wir femer vom
vierten Jahi^ange an den Prda denelben um 35 Frooent hoab, ohne ihrem
Gehalte, ihrem Umfimge, Ihrer Änsstattung den geringsten Abbiieh sn thna.
Leider gelang es nns seitdem niclit. dt-n Kreis unserer Abonnenten in dem
Maße zn erweitem, dass das Pädagogium ancli finanziell auf eigenen FtlSen
Stehen könnte. Dazu kamen mehrtache Conliscationen, welche, abgesehen von
andoen Fatalititen, neae Kosten Teranediten*
Ich hielt es ftr meine Pltldit, den geehrten Lesem diese Umstiade offitn
darzulegen, weil ich nicht die Verantwortung auf mich nehmen will, dass ein
meiner Obhut anvertraute.>3 Organ der freien PSdagogik zusaiiunenbreche. ohne
dass ich rechtzeitig den mir obliegenden Appell an das Pubiicum erlassen hätte.
Noc3i hat die famere Lebenskraft naserer Zrftsdirift In keiner Weise ge-
litten: noch ist anch ihr SnBerer Bestand anf Jaüresftist gesichert Aber ohne
regere Unterstützung durch das Publicum kann sie weder ihre Bestimmnng in
befriedigend'Mi! l'rafange erfüllen, noch auf die Daner bestehen. Wir glauben
jedoch, da«s hieran etwap gelegen sei und werden nicht leichten Sinnes die
Hände zurückziehen von einem Werke, dem wir nnn fttnf Jalire redlich ge-
dient haben. Wir werden nns nicht beeilen, der Beaetion einen Trinmidi
wn bereiten. Wir werden derselben keinerlei Concessionen machen, sondern
unsere volle Unabhängigkeit Tie wahren. Wir werden das Pfidagogium in
keiner Weise beschneiden, verkiii^en, reduciren, und an innerem Sieclitluim
soll es nie zu Gttmde gehen. Es sei und bleibe, wie es war und it>t, oder es
sei nicht! Wir werden nnsere Pflicht thnn, so lange wir noch dnen nennens-
werten Erfolg unserer Anstrengungeu erhoffen können.
Das Weitere steht nicht hei uns. Welchen Entschlnss wir in Jahresfrist
fassen werden, das wird von der Haltung des Publiooms abhängen.
J>ittes.
r
▼«ul«inni«lMra«|Ml«nr: Dr. Pr!»4lti«h Ditt««.~BachdfliekMri Jmliaa KliBkhtr4c,L«i|iif.
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October.
Literatnrblatt
1888,
zum Paedagogium, V, L
Sammluiis: seIt<Mi ir<MV(HMlcner pädsiüroiflseluT Sehrifteu des 16.
und 17. JahrhiiiHlerts. H<'rnns«roj^»b«'ii \»n Auu'iist Israel, Seniinar-
director zu Zsciiopau. Daselbst, F. A. Kuschke. 8. und 9. Stück 4 32 S.,
Wir haben diese verdienstliche Collect ion selten gewordener ]>ä4lagogisoher
Schriften schon wiederholt den Fachkreisen empfohlen, indem wir die früheren
Lieferungen des Sammelwerkes anzeigten. Auch die beiden neuen Hefte bieten
allen denen, welche sich fiir den Entwickelungsgang des deutschen Schul- und
Eir.iehungswesens interessiren . höchst lehrreiche Au&chlQsse, und da diese nen
herausgegebenen Quellenschriften allenthalben den Originaltext getreulich re-
prodnrireii, so können sie zugleicli als treffliche Belege zur (ieschii hrf der
deutschen Sprache dienen. V*m den beiden neuen Heften bringt üi. 8 die
Schidordnung des Hcncogs Angnst von Braiiiuehweig (Ktöl). Nr. 9 dne Schrift
Melanchtboiis an dm itarli zu Snpst ttber Errichtung einer lateinischen S< inde
(IÖ43); die erstere bietet eine anschauliche Schilderung der kläglichen Scbul-
«nstfinde nach dem BOjäbrigen Kriege, die andere dient zur nfthovn Belenehtunir
dt-r sclmlmännisrhen RcstrebuugiJi 3rel;nifhthons- und i<f in formeller Hinsicht
besuuders dadurch iut^res.'sant , dsws .sie gleich ursprünglich in zwei Lesarten
erschien, welche denn auch in (>riginalg«traier Wiedergabe bier neben einander
zur Vergleichung abgedruckt sind. H.
^Der Ciiltnrstaat, die Volksschule und der Lehrstand. Ein wol-
nieinendes und zeitgemäßes Wort von Heinrich Na tss er. 24 S. Wien 1882,
Selbstverlag.
In diesem Schriftchen spricht ein Wiener Volksschullehrer in Kürze seine
Gedanken ans über die Ile(lit.-?k\.sis der Vi^Iksscliule, über die Stellnntr des
Schulwesens in den Cultnrstaaten, über Erziehung and Unterricht und ttber
den LehvBtaad, nunenttieh Uber ^e Bildung nnd SteUosg desselben. Verftuwr
steht fttif freiheitlichem, fortschrittlichem Standpunkte und bekämpft die neuer-
dings wieder stärker auftretenden reactionären und schulfeindlichen Ten-
^Dzen; seUieBlieh hsät er seine Darlegungen in einer Beihe von Thesen zu-
sammen. Referent stimmt dem Verfasser in den allt rnieisten I*nnkten bei.
Wenn nun auch in der vorliegenden Üioschüre nicht viel Neues vorkommt —
sie handelt ja von Dingen, die bereits tau.nendfach erOrtert sind — so verdient
sie doch als zeitgemäß und lesenswert bezeichnet zu werden, weil n' Miig ist,
den Anfechtungen der Neuschale gegenüber die eigentlichen Pr»graiiimpunkte
dfö modemeB BildiiiigtweMnf inuner wieder in Erümening m bringen und s«
varümd^en. H.
Iber Erziehuns; hllnder Kinder In den ersten Lehen^ahren.
Von Josef Lihansky, Lehrer an der iii ederoy terreictuBchen LandeS'Blinden-
schale zu l'urkemlorf. 78 S. Wien 1882, iuaeser.
Die beklagenswerte Verwahrlosung, welcher die meisten bliiideu Kinder im
Eltemhauseuiit« rlii i^eu. hat den Verfa.s.ser des angezeigten Büchleins veranlasst,
die Pflege und Er/.ieh»ug dieser Unglllcklichen in ihren ersten Leben.sjahreu
zum Gegenstände einer gemeinfas.slichen und prakti.«ehen Belehrung zu raachen.
Nachdem Herr Liban.«ky eijiige Rathschläge zur Verhütung der Erblindung
gegeben, bespricht er mit apecieller Beadehung aaf blinde Kinder die ei^te
physi8(die Pflege, die Anleitung zu den natttrlichen Körperbewegungen, zn
Spielen und praktischen Verrichtungen, die Verhtitung übler tJewohnheiten, die
Ausbildung der Sinne und den ersten Schulunterricht. Alle Auseinandersetzungen •
ft 75 Pf.
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— 2 —
und B«^!> lirtmsTen des VorfasseiN «int! ztitreflfeud und beheraißfenswrrt und lassen
erkennen, dattö die von einem duithgebildeten und für aeiuen men^cbeofreund-
lichen Bentf erwirmten Fachmann herrilhren. weshalb wir dlS UgeKeigte
Bttclüdia den weiteften Kceisea bastans empfehlen. D.
Tnrsot als physlokiitiseher Htaatsnuum. Voitn« von Dr> Wilhelm
Neurath, Docent der Nati naldkonomie nn der techniachen Hochschule in
Wie«. 3() s. Sriv-f%vilag. 1882.
Da» Leben und Wirktsn eines so bedeuCeuden Manuai wie Toigot ist nidit
nur Ar den Historiker nnd den NsHonainkonomen . sondern aneh flir den
Pädagogen interessant, und lehmi«.li, 'i< i Icrs w-mi i.s vcn einem trcist-
reiclien oud spracbgiiwandten Beducr und 6cbrü't«teUer beleuchtet wird, wie
Dr. Neurath. Wir glauben daher mAw^tem unserar Leser ein» IMcnat an m-
weiaen . wenn wir auf die aageseigte knrae. aber gelialtvoUe Monographie auf«
merksani machen. . H.
^G. Stliuriir, Lehrbach der Umschichte in Umrissen und Aus-
filhrnng:en. (I. Alterthum 228 s.. Tl. ATittelalter 402 S., HL Nenaeit
511 S.) Leipzig 1877—1882, Hirt. Prciü 11 M.
Das vorliegende Werk, besonders den zweiten nnd dritten Theil desselben
wird man weniger 2utreiFend als ein Lehr- und Lerubuch fttr den Stndirenden,
mit um so größerem fieoht aber als ein Torzf^liches Hilfgbnch fftr den
Lehrer beseiehnen können. Der Yerlkmer ist mit den ge.'<chicht1idten Strdt-
fragen wol vertraut; er besitz.t eine iiitifasst ml!- Lirej-arurkenntnis uiiil eine
ausgedehnte Beleeenheit iu uniem großen Ui^^türikern. £r «childert in ge-
hobener, oft schwungvoller Sprache plastischer Darstdlung die Thatsadien.
tmd zwar nie, ohne 'i Ii ,uif rrs.ichen und Folgen dersflbon hinzuwei^n
und den pragmatischen Ziiäamuienhang anrV:udeckeu. Dabei beschränkt er sich
nicht blos auf die FUrstengeschichte, sondern entwirft auch abgerundete, bis
ins Detail ausgeführte niMer aus dem Cnltiirleben der Völker. Sein Stand-
punkt ist ^im dritten Tlieiltj seines Werkes leicht bemerkbar^ der protestan-
tisch-preußische. Derselbe ofTenhurt sich in gewissen Wendungen un l Aus-
drücken, dann auch iu der tür eine ..Weltgeschichte" zu eingehend behandelten
preußischen Landesgeschirhte, nie je<toi h in unnützen t>der gelmssigen Ansfölleu
gegen Andersdenkende. Was dem Werke Si luirig« in den Aui;' n des Referenten
einen besonders hohen Wert verleiht, ist die geschickte Einflecbtuug histo-
rischer Anekdoten und zahlreicher wenig bekannter Einzelheiten, die blitz-
artig d;is I »Unkel Granzer /eitiiinme, ilen Cliarakter einzelner rersonen und «lie
Bew^gründe der Thaten aufbellen und, weil conareter und anschaulicher Ait.
sich dem Oedlchtiuase tief nnd nadihaltig einprigen. In diesnr Rinsidir ist
das Werk eine kostbare Fundgrube. — Wemi nun der Referent sieh erlaubt,
auch einiges henronuheben, was ihm bei aufmerksamer wiederholter LectUre
ab ▼eri»emeninfsfthig au%efUlea, so sehwitchen sdne Bemerkungen nicht das
libcerrehene l'rtheil. Referent würde einmal die AncraVien: ..naeli ! i i md
jenem Autur^ nicht in den Text aufnehmen. Es niachr immer einen verbiüö'en-
den Eindruck, nach einer begeisternden, an das GcmUth sich wendende» SehU»
derung. auf einmal zu lesen: „Nach Treit,sehke". naeli ..Müller" ftc. — Er
würde lerner Ueiu Verlajiser empfehlen, duss er recht >»lir »lanarh strebe, eine
■ gewisse Fülle im Ausdrucke zu vermeiden. An g?ir manchen Stellen (z. B. in
der frÄnki.schen Kaiserzeit, der Rofommtion und Revidntion ließe sich viel s
kürzer und auch prägnanter wiedei^eben. Endlich, und das scheint dem Tiete-
renten das Wichtigste, sollte der Verfasser die außerdeutschen rulturzn»
stände, Verfassunjefsverhältnisse und wichtigeren Ereignisse eingehender beban-
deln. Das Buch ist ja doch eine Weltgeschichte und da lässt sich z. B. der
Kamiif der rotlien und weißen K<ise nieht mit blos einer oder zwei Zeilen ab-
thun. Wie dürftig ist, um eineü anderen sn gedenken, die Entstehung und
AinbOdniiff des englischen FulaiiiMits behanddtf Venedig im Mitteblter mnss
mit tiaer nalben Seite Torlieb ndimra. Erforderte nidit der Bof Lorauto des
üiyiiizeü by GoOgle
— 3 —
Mediceers ebenso gut ein eigenes Cultnrbild wie die Landj*knecht«* ? Gehört
Savonarola nicht viel besser in den Rahmen dieses Bildes, denn al» bloßes
Piedettal ftir Luther? Die Entde kunjifsfHhrten der Portugiesen, sind sie nicht
einer eingehenden Schilderung wert? Die große Zeit des Rafael verliert, wenn
«e nicht ffir sich, snndeni wie es hier geschielit erst in Verbindung mit der
Malert'i ilt^r siäten-n .lahrlninderte jjeschildert wird. So wenig wie es in der
deutächeu G&icliichte von David Müller Beifall finden kann, dass bei der Dar-
»tellnngr Sehhichten des deutscb-franxBsischen Krieges alle einzelnen Armee-
corps mit ihren Conimandanten vorgefiilirt werden, so wenig, ja noch weniger,
kann es hier, in einer Weltgescbicbte ansprechen. SchlieäUcb lenken wir die
Auftnerinamkeit des Verfassers auch auf einige Errata, die sidi s. B. in der
Geschichte des HussitenkrifirM finden 'Tnx nuw, Talnir . Wir können unser
Referat nicht beenden, ohne nochmals die Leser des „Pädagogiums" auf die
groften Voncllge der Weltgeschiehte von Sehurig s« Terweisen. W.
Sevin, dresclilifhts-Lcsebueh &us den Ori|^iualberii*liteii zusiiiii*
mengestcllt. Vierter Theil: Das 3Iittelalt€r. (8", 040 S.) Mannheim
1881, Bentheimer.
Jahrgang II, Beiblatt 9 haben wir über da.s Geschichts-Lesebuch von Seviu,
«oweit es das Altertbum behandelt, referirt. Heute liegt uns die Fortsetsnnff
desWerkwt vor, umfassend die Zeit de$< Hittelalter«. Die ersten 168 Seiten
schililern Rcrrtheiüififen Iiis auf Karl iiartcli. S. ITiH •248 ilif Herrschaft
der Karolinger, S. 24ü~ 472 die der Ottonen und fränldscben Kaiser, & 473 — 543
die HohenstaufeiUEeit und S. 644—610 die letzten swei Jahrhunderte des deut*
sehen Mittelalters. Imn aus diesen Zaliloii ist t r^ichtlich, dass das „Geschicht^i-
Leaebuch" den 8tutt sehr ungleich behandelt; aber auch von der Darstellung
vieler Partien wird sich nianchor enttfiuscht flUiIen. Wir wissen, dass beides
in den (Quellen selbst begründet ist. Vwl ileniiocli raiii«f man <lfin Verbuche
Sevins. tiu Lesebuch so zusammenzustelleu, das» auch nicht ein Satz vuii ihm
selbst hinzugethan, sondern alles und jedes aus denChroniken entlehnt und im
Zusammenhang auftreten! ersclioiut. volle Anerkonnuni^ zollen. Wenn dasselbe
auch an un"sem Lehranstaiteu kaum Kiiii,'an}r als Lehrbuch tiiuleu wird, so ver-
niair es doch in dem Sinne anrocrend /u wirken, dass der Lehrer, in dessen
Handbibliothek es nicht fehlen sollte, Bruchstöcke daraus vorliest. An präeh->
tigen, anschaulich geschriebenen Einxelbitdem.ist das Buch sehr reich. — r
— Alltremoilio Weltireselitehte ron Goorir Weber. Zweite Aaflafre.
Ullier Mitwirkung von Fachgelehrten revidirt und überarbeitet. Leipzig
1882, Eugelmann.
Durch die lieferungsweise Ausgabe der «weiten Auflage der Weltgeschichte
von Wehor i^t ffficy'pnhpit iregeben, pich ohne pcro6r pecuniäre Opfer in den
Besitz einer ebenso umfangreichen als wi.<isenschaftlich objectiven Dar-iellung
der Weltgeschichte su setaen. Die Verlagsbandlung lässt nämlieh das W«rk
in 100 Lieferungen erscheinen, deren jede 1 Mark kostet und die in Zwischen-
räumen von 14 Tagen veröffentlicht werden. 6—7 Lieferungen bilden iiuiuer
einen Band, der auch einzeln käufUch ist. Bis jetxt liegen 6 Lieferangeu vor.
Sie behandeln die Geschichte der roorgenlSndischen Völker. Geirentlber den
Ulli Versalhistorien von Be<:ker und Sehlosser sind die Vorzüge der VVeberschen
Weltgeschichte die bedeut*>nd größere Reichhaltigkeit in den Thatsachen, die
entschiedenere Hervorhebung der Cultui^eschichte, eine mehr gleichnifttig;e
Behandlung aller Gebiet« nnd der Umstand, dass sieh Web«r nicht damit
bep^niiirt. die Sagen und lüstnriselien Anekdoten in aller Breite und Anschaulichkeit
mitzutheilen, sondern auch ihrer kritischen Betrachtung größeren Raum gewährt.
Dabei hat sein Werk, schon weil es die jilngste Bearbeitung ist, die neuesten
Forschungen aufircni-nuiieu, wiMliirili es z.B. sjleich in der (Jes/liichte der orien-
talischen Völker des AU«;rtl»ums vielfach von älteren Bearbeitungen abweicht.
Auch die Form der Darstellung schlieSt TorzQge in sich: Weber lässt die
QueUeuBchriften aumeiat selbst erzählen, im voriiegenden Bnnle Herodot, Ktesias,
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Dindor. »lie nilit l, iHe Veda-i. das Zenilave^ta, Keilinschriften iinil Hieroglyphen,
uiul verleiht diuiurcli seinem Buche den lluiz der Unraittellaikeii. Anderseits
jjruppirt er den Stoff so, dasM er die ins Deteil gehende Schilderunfi^ von der
tortittufenden zosammenhäugenden Erzählung aus^hließt und <iie erst^re in
besonderen (dnrch kleineren Ihnck kenntlich gemachten) Excursen anfiigt. Da-
durch hat er seine Darstellung von Unebenheiten befreit und dem Leser die
Müglichkeit geboten, nach Bedürfnis ins Detail etiusogehen oder nicht. Ganz
Ton pmcrmati^tiein 6«ut erAlltt sind endlich die vnter dem Titel „tre^chiclit«
liehe Erir' 'trii-se"* und ^Rikkblirku ' vurk-imnitMul^n Pharaktenätikru vnn ri ii.- l.'D,
hiittoriticlieQ Eracheiuuugeu, PersüuUclikeiteu and V'ölkern. äeiueu äiaudpuokt
bei der Benrtheilimg der einzelnen Thatsachen nnd Pvnmnen fknt er Reibst in
die W'irr-^ zusammen i Einlei (unir. St-ite .'5': ..T)ic W'^ l-L't-;.:lii< lif.- tWict jcnle
namhattu Kiitmgenschaft des eiu/ehieii m ihr Grundbuch ein, aber ihren Klick
auf da8(irol}e und Allgemeine gerichtet, fasst ne mit ordnendem and sichtendem
(Jei^'ff iliis Kinzelnc und (re? 'inlort« wieder unter einem höherpn n- irriff-' /n-
.H.iinineii tiinl f<chreibt das getrt:uutö Eigenthum einer idealen (n'^iiniintü'iit zu.
die alicr ihrcrseit'* gleichfalls wieder nur als (»lied der Menscliheit ihre Stelle
eiunintnit. Die W« ItLr<'si liirliti- Ist ««irnit die ru iii' Vem-altorin ,\lier idealen
(tüter, die /u irgemi ciaei Zeit, in irgend einen» Laude uüd vuii irgend einem
Volke erzeugt worden sind; sie bewahrt jedem Volke und in diesem jedem
Einzelnen sein Eii:enthum und seinen Antheil, nnd verleibt ihm alü Lohn filr
seine Anstrengungen Ehre und Ruhm, oder als Strafe filr die schlechte Be-
nnt/uniT <einer Kräfte S, luiniir nnd Verachtung; die Errungenschaften aller
aber viadicirt sie der ganzen Meiucbbeit als wakrea Beütztham nnd sor|;t,
dass Itein eclites Gnt verloren gehe, keine dem Himmel entstammte Idee von
der Erde wie<ler verschwinde."
Haben wir im Vorstehenden diejenigen KigenthUmlicbkeiten henrorgehoben.
di« das Werk Webers im Gänsen chsnrakterinren, so erftbrigt n» neSh, mit
ein paar Worten auf den Inhalt dfs cr'JTen iii>li<'r erschienenen Banilp* einzu-
«rehen. Der eigentlichen Geschieht-erzaihlung ist eine „Eiuleituug" voran-
geschickt, in der die Aufgabe der Weltgeschichte nnd der Entwtckelungsgang
der Menschheit in Beziehung auf .Staatenbildung und Lt benecrestaltuns? ski//irt Ut.
Die Erzählunsr__bt^ginnt iS. H(>— 71) mit der (ieschichle »kr Chinesen, daran -rhli.-*ßt
sich die der Ägypter i72— 2()2 . dann die der Inder (21)3— 3ö()i und dt r^fe ier
und Perser bis auf Kyrt»s 1—470*. Die zweite Hälfte des er^^tf-n Banden?
umfasst die (Jeschichte der. st-uiitiscben Viilker, die der Assyrer und Dabylonier,
der Pluinicier und Israeliten. Der Charakter fast all dieser Vrdkergeschichten
bat etwas Stagnirendes an «ich; damit und auch mit der Art der Quellen hängt's
zusammen, dass die sogenannte politische Geschichte viel mehr in den Hinter-
grund tritt il-j in spüt< i. n Zeiten. I>ie Bedeutnntr d« r int-i-r> ii « rientalis« h- n
Völker liegt ja auch gar nicht in ihren Kriegen und üerrschem, sondern in
dem, wasdeauf dem G^iete der Religionen, der Wissensdiaften and Klliwte, ins«
beso^idere der D'clit- nnd Bnukun-^t. Eigenartige» geschaffi ii. iVniirtmiiij ninmit
auch in Webern« Ge.schichte den weitaus gr&&ten Kaum die ^hü<leruug der
Culturznsttnde ein. in der ägyptischen nnd aasyrisch'babyloniiKben Geschichte
die Schilderung th r Hantrn und wissen^rhaftlinhen Krrnniron-^eh.ifti ii . in i^r
chinesischen, indischen und irani84;lieu die dor Religiuu.'*.-y.->t«iiu: . in d- r i^lmni-
cischen ilie Darstellung der großartigen Industrie, der weithiu sieh t isii ,M-ken-
den Coloni^ationen und der auch auf amlere Viilker nachlialti:^^ einwirkenden
religiösen Vorstellungen. Dass natürlich Gestalten wie ein lUinses II., ein
David und Sakmo, ein Nebnkadnezar. die den Hfthepankt in der Entwicke«
lung eines ganzen Volkes petaonificirt zeigen, einer ausftlhrlichen Behamllnng
sich erfreuen, ist selbstverständlich. Nur die untergeordneten Königsreihen
treten gegenüber der Culturgeschichte mehr zurück.
Wenn wir auch noch öfter, jedesmal nach Erscheinen eines aenen Bande«,
anf die Weltgeschichte von Web« xnrttdikomBeB w«tden, mOohteB wir dedi
schon jetzt die Attfin«rksamkeit unserer Leeer auf das bedeutsame Wetk ge-
lenkt haben. W.
VmamvttiislNr Redmttar: IL 8t« in. Bsehdniaktni Jallat Kllakbardtt MpsiC^
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Literatnrblatt
Beilage zum Paedagogium, V, 2.
(beschichte der Schalen Im alten Herzogthum i^elderu und in
den benaohhartoft Landesthellen. Ein Beitrag znr G«wldehte des
UnterriditsweBeiis Deatschlandg und der Niederlande. Ans den Quellen be*
arbeitet von Friedrich Nettesheim. ICLieferang (Schlnss). Dttsseldorf
1882, A. Bogel.
Wir haben dieses mit genauer Sachkenntnis und großer Sorgfalt bearbeitete
Werte hereitfl wiederholt mit verdienter Anerkemrang angesstdi^ und jetet, da
e> vollendet vorÜPitt. können wir nur constatiren. das-? o«; einni beftiedigenden,
dem Äiitaiiir und Fortgang entsprechenden Abschluss trolunden hat. Leider ist
inzwisclicn der Ver&sser ans dem Leben geschieden. Miige er denn dnndi edn
Werk, mit dem er sein Hcimrirlnnd geehrt, dem Bildungswesen gedient und
sich selbst ein schönes Denkmal gesetzt hat, furtleben im Qedtlchtms seiner
Firennde und fortwirken ab F^toderer des SehnlweiMia. D.
Bas Kind in Brauch und Sitte der YOlker. Anthropoiogiscbe Stadien.
Von Dr. H. Pio8. Zweite, bedeutend vemehrte Anflage. Erster Halbbaad,
208 S. Berlin 1882» A. B. Auerbach.
Über den Ursprung der Kinder, \\hcr besondere Vorkommnisse bei deren
Geburt, über deren Los, Schicksal un*l Behandlung in der ersten Lebenszeit.,
Aber die Stellung nnd das Verhalten der Eltern u. s. w. n. s. w. haben sich bei
den verschiedenen Völkern charakteristische, vielfach übereinstimmende Mei-
nuu^^en ausgebildet und fortgeerbt, aus denen eigenthümliche Bräuohe und
Sitten hervorgegangen sind. Dies alles darzustellen und, soweit möglich, zu
erklären, ist der Vorwurf des angeieigten Buches. Der reiche Inhalt dess^ben
ist fireOich nieht sllenthatben arfwnüdi und erhebend, da er uns neben den
zartesten Regungen des inens(hlichen Herzens m Ii eine Fiille t,Tausen Aber-
glaubens und unsinniger Manipulationen vorführt, und es kostet einige Selbst-
flberwindun^, deh dureh all die haroeken Einzelheiten der hier yorgefthrten
Volksmeimincpn und VolksbriüK he liindurclizulesen. Allein der Ern<r die
OrOndlichkeit, der weite, tk-ii alle Völker des Aiterthums wie der Neuzeit um-
fusende Blick, der klare Stil, kurz die ganze Art und Weise, wie Verfower
seine Arbeit durchgeführt hat, macht die Leetüre seines Buches anziehend und
lehrreich. Es ist ein wertvoller Beitrag zur Ethnographie, Völkerpsycholo^e
nnd Culturge.«!chic}ite und gibt viele erwünschte Anschlüsse über räthselhiuke
Sitten und Gebriiuilie. selbst Uber dnnkle Stellen nnd Anspielungen in den ver-
schiedenen Literaturen der alten und ueuereu Nationen. Wir werden wol auf
das Werk nochmals zu apreehen kommen, wann nns der AhseUnsB desselben
zugegangen sein wird. H.
yolksschriftenthiiin und Päda|e:os:iI^. Rerthold Auerbach als FUda-
ij;o^. Von A. Kohn. (Separatabdruck ans der pädagogisch-literarischen
Wochenschrift „Die Volksschule".) 26 a Wien 1882, Graeser.
Der in diesem Jahre ans dem Leben feschiedaie Berthold Anerbadi hat in
seinen zahlreichen Schriften nicht nur beliarrlich filr Fnrtsi lirirt und Humanität
im aUgemeineu gewirkt. s«)ndem auch in sahhcicht-u leiucu Beuierknngen und
geistvollen Au.^prüchen .speciclle Plrziehungs- und Unterricht.'<fmgen berührt und
erörtert. Dies hat eiöen mit der ireistitron Tlinterlassen-cbafr des Dichters
wol vertrauten Schulmann veranlagst, in Bt^rthuld Auerbaclt den Pädni.c<*!>'^eu zu
zeichnoi und dadurch zugleich darzulegen, wie echtes Volksschriftent)iuin mit
Erziehung nnd Unterricht Hand in Hand stehen kann. Die kleine Schrift ist
offenbar mit großer Liebe zur Sache und warmer Pictiit iur den entschlafenen
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_ 2 —
Dichter aaRgeführt nnd nioht nur als biographi»ich-liteFari8e1i« Monographie,
sondern auch und vonrncsweiM als pAdagogiflche Blumenlefle »vt sftnuaUidien
Werken Auerbachs wertvoll. H.
Ocrolamo Bag:atta. Gnida per l'insp«2mnTnpnto df^ir Aritmetica nelle classi
elementari quäle sluipaite nella scuoia e^eniplare alia normale femuiiaile di
Genova.
Diese kleine, soeben erschienene Schrift, 74 Seiten umfiuaead, Pk«» 1 L..
Ut du erfreulicher lleweis von 'Icr f )rt.schrf i^mion Vf^rhreitung einer ratio-
nellen und geistbildonden Methode de» Elouit- uiaruuterrichteä. Der Verfasser
des Büchleins. Herr Dr. G. Bigatto, Director des Lehrerinnen-Seminars zu
Gemin, führt uns den Lehrgang vor. nach welchem er in der Elementarclass^
beiiier Übungsschule den ersten Rechenunterricht ertheilt. Die Einführung der
Kinder in das deciniale Zahlensystem und die Anleitung zum Verständnis und
tnr Aiufttbruag der vier Onuidrechniiii«arten erfolgt duichMis Miscbanlicb,
entwickelnd, in dialogischer Form, dem Fassungsvermügen der deinen gemäft
und deren Selbstthätigkeit anro^onil. j«o dass «lie Kin'ier ebfn^owol zu klanr
Einncht in das Zahleusyatem, wie zu praktawUier Fertigkeit im Rechnen getlUurt
werden. Bs ist nntllrlich, diue tmf diesem viel benrbäteten Oehiete d» Ele-
mentarimtprrirhtCH etwas principiell Neues kaum nricli Ljf^Ici-itct werden
kann; aber man freut sich zu sehen, dass die Idee der Elementarbildung und
die ifttioiidleUnteiiiehtanetilode mehr nad mehr ein internationales Oemeingnt
wM, and lo mflge denn das aageaogte Bikdildn ftevadliche Aufnahme fiaden.
F.
.^Französisches Lesebuch für Volks- und ßUrgersehulen. Mit m\mi
Wdrterbuche. Im Anschlüsse an den grammatischen Unterricht und an dea
Lehrplan Ar des fhuizOdschen Unterricht in BOrgeraebnleii methodlsdi be>
arbeitet m A. Becbtel. 149 S. Wien 1888, Jnlisa KlinkfaaxdL 60 kr.
Das Buch beginnt mit ein» r Reihe von Vorübuncren. die nach grammatischen
itesichtspunkten gewählt und mit Präparationen vei^ehen sind. Hierauf folgeu
Fabeln, Märchen. Legendoi nnd Parabeln, dann Erzählungen und Cliaraktef>
Züge, ferner Beschreibungen, reflectirende Stück«>. Briffe, Dialoge, Gedichte. —
Welchem Zwecke dieses Buch gewidmet und nach welchen Grundsätzen es be-
arbeitet ist, wird auf dem Titel angedeutet nnd im Vonvorte ausgeführt,
welch' letzteres zugleich eine Reihe praktischer Rathschläge tilr den Lehrer
eutliält. Wir müssen nach eingehender Prüfung des Werkchens dasselbe als
ein sehr gelungenes SchuHnuh bezeichnen, welche^i bei fleißiger und gesclii< kTer
Benutsung dem finuusödschen Unterrichte ireudiges Leben and gnte Erfolge
aichem wird. Die Leeeatttdce iind durchaus gehaltvoll, dem betreffenden Jugend-
alter angemessen und sowol •Jimichlicli in.stnutiv aU i^cUtis: und mora'i- "
bildend. Allerdings stellen aie einerseits vermöge ihres aller Tändelei toit-
sagenden Chanlcters, imdeneite vermlSge ihres reichlidien AnsmaBes vobsltni»-
mäßig streiii,^' Anfufderuncfen au die Schüler; aber dem Lehrer bleibt j.»
überla.ssen, den Lesestoff zu beleben, respective nach den Verhältnissen einzu-
Rchrftnken, imd danu, was uns die Haupteaclie seheint, wird man gut tlra».
den Srbwerpnnkt des rnterrirhtps rrerade im Le-ebuche zu suchen, dafür aber
anl die abstractc Grammatik nicht iibcruiäßig ^iel Zeit zu verwenden. Und s<>
mSse dieses sehOne Leluinittel, welches sich noch durch vorzügliche Ansrtattoi^
und «am sehr miSigen Preis auweiohnet, bestens eaiflbUea sein. F.
.«Taloittlii Ickelsamers „teutsche ttraininatlea% heranagegeben
von Dr. Kohl er. (XII, 48 S.) Freibnrg and Tübingen. Mohr.
Ein diplomatisch genauer Abdruck des in der Münchner Universitätsbibliothek
aufbewahrten Exemplar» der deutschen Grammatik von V. Ickelsamer. die
wahrscheinlich in den zwanziger Jahren <lt's in. .lahrhunderts /u Aug-bun:
gedruckt wurde und weniger eine Grammatik iu unserem Sinne, als eine An-
Itttnng zum deutschen Lewa ist. Sie Teilblgte nehea dem „EnchiridiOTi*' tou
üiyiiizüü by Google
Kolross den Zweck, die Werke Luthers, vor allem die deutüche Bibel, dem
Volke ZQgttngUch zu luacbeu. So verbreitet Ickelmmers Grammatik zu ihrer
Zeit ww, 80 selten trifft man heutzutai^re auf ein vollständiges Exemplar. In
dieser Thatsache und der historischrn Biileutsiunkcit der Ickelsamerschen
Grammatik Überhaupt liegt die Berechtigung des Neudruckes. Zur Bequem-
lichkeit des Lesers hat der Heransgfeber in der Torrede eine Icoixe Ibihalts-
angäbe des Wrrkos mitcretlieilt, dio Vt Hseiiiueyor 'in »einen ^kleinen BeitrSgen
zu der deutschen Sprache", Ulm 17!»« uud 18LI2; ausgearbeitet hat. — r.
Kuilibwldt, Monatsschrift für die gesammten Naturwissenscliafteii, heraus-
gegeben von Dr. Q. Krebs, Januar bis Juni 1882. Stuttgait, Verlag von
Ferd. Bnk«.
Wir halnn schun seinerzeit, al-? uns das Januarheft dieser Zoitx hrift vorlag,
dieselbe auf das freundlichste begrübt nnd »ehen uns nun, nach dem Absohlasse
des ersten HaHdahres, nicht ntnr veranlasst, das damals ausgesprochene Vrtheil
zu bestaticren . sorulem da^^selbe im beifrillipen Siinu- ixx li zu erweitem. Die
Zeitschrift bietet eine Flilli* «kr iuttire:i:iHutt:iten Aufsätze aus allen Gebieten
derNfttarwissenschaften, Tlieorie nnd Praxis sind gleich in Qualität und Quan-
tität vortreten: Artikel ülicr physikalische Erscheinungen wechseln mit soldipn
Uber rHauzeukrankht'iteu und astronomische Erscheinungen; be-sonders lohnend
wird für den Leser die Ausbeute, welche er in dem Abschnitte: „Fortschritte
in den Naturwissenschaften" niiu lien kann, da er da«o11>st .nif die neuesten Er-
findungen, Vervollkommnnngeu und Entdeckungen in aikii Zweigen dpr Nutur-
wissieuschaften aufmerksam gemacht wird. Die „Literarische Kundscliau ' ent-
hält genaue Referate Uber neue Eracheinungen der Fachliteratur, die ,.BibIiu-
graphie" fllhrt die Titel der neu erschienenen Werke kurz an. Eine Witterung«-
übersicbt für Central-Europa und ein a>itronümis(lier Kiilen'ler vcrvitllständigen
in jeder Lieferung den Inhalt für den 2ieteorologen und Astronomen. — Wir
empfehlen daher nenerdings diese Zeitschrift anfr angelegentlichste allen Fach«
ireiiMsseii und dem wissbegierigul Pnblicnm um so mehrt ^ a<ich die Aus-
staituuj^ eint- vurzilgliche ist. C. R. R.
Über die Dauer des Lebeus. Ein Vortrag von Dr. August Weis«
mann , Professor In Fr«lbnrg i. 6r. IV. nnd 94 S. Jena 1882, Gnatar Flseher.
Dieser in der NaturAtrscherversammlum,'' zu SalzLiirg am 21. September 18S1
gehaltene Vortrag ist in der Tiiat so hochinteressant, dass er verdiente auch
separat verBÜfennicht eh werden. Nach einer einleitenden Besprechung der
Grenzen des Lebens, geht der Vortratjenile über zur Erläuterung der Ursachen
derselben, fUr welche er nach älteren Ansichten die Körpeinüfe, das Tempo
des StolKreehsda und LeVensproceeses, die Complioation des Baues anftthrt,
aber d«reii rnhaltbarkeit beweiset; er mmnt vielmehr, dnss die Lebensdauer
wesentlich auf Anpassung an die äußeren lyebensverhältuisse beruht, und dass
hierbei lediglich das Interesse der Art. nieht des Individuums in Betracht
kommt. Die Natur strebe danach, die Fortpflanzuugs- und die Leben$<lauer
80 kurz wie möglich zu nonniren; daflir fllhrt der Vortragende eine llenge Bei-
spiele au-t allen Thierclassen vor. Hieranf bespricht er die Ursache des natür-
lichen Todes, welche er in der Begrenzung der Verniehrungsfahigkeit der Zellen
findet; aus seineu Betraebtuiiiren folgt sudanu die Zweckmäßigkeit des Todes,
doch bemerkt er, der Tod sei nielit ein natürliches 3Ierkmal aller Organismen,
sondern bei den einzelligen Pflanzen und Thieren fallen FortpflauEung und
Tod in eins zusammen, so dass diese eine ewige Fortdauer besitzen. Ißt
einer ViTtlieidiiriing der IVzcuijnng scliließt die interessante Abhandlung, indem
der V. zwar die Ewigkeit der unoiganischen Materie zugibt, sie aber fUr die
organische Natur nicht aneilcennt. — Einen wiübren Sebata von gesammelten
eigenen imd nMfli mehr fremden Beobaclituni^en sehen wir .nodatm in dem fast
die Hälfte der Bruschttre einnehmenden Anhange, welcher Zusätze und Nach*
weise enthAlt, die sehr gut am Schlnsse angefflgt rind, da sie sonst den Zn-
sammenhang .stHren \vf\rden. Wir empfehlen die Hberdics auch sehr sehön
gestattete Abhandlung allen Freunden der speculativen Naturgeschichte.
C. B. B.
— 4 —
Der Naturhistoriker. lUiisCrirte Monaiwchrift, hwaingegelieii von Dr.
Friedrich Knanf^r.
Diese iUustrirr» .Mwnaträ*ichrift, von welcher uns «las 5. Heft vorliegt, hat sich
s»eit seiner L'mgcsjakiuig in die tregeuwärtige Fümi einen stets wachsenden
Leserkreis erworben und ver'li-'iit denselben durili r<»'inen mannitri.iltiij^n
Iiüialti aowol der popul&r-wissenschaftliche Theil enthält beachteiuwertd Xu£-
litce, ftl« ftnch das „Schulpraktifldke" nnd nFttdiwiMenflchafUidie'' fdarnnter
ein Aufsatz v- ii T\. niaßmann, über die eigenthümlidi«' Wesenheit dt r ZelU-
bietet Interessantes. Die «LehierbibUothek" erh< den Leser im Laufenden
ttbtt die neaen EnKheinaiigeB siif iiAtnrwinoiiieliaftlidMm Gebiete. IMe im
Hdfte entlialtenai Abbildttogoi liiid fut imcl eileichtem eehr des Verständnis.
(.'. R. R.
Leitfaden der Zooloarfc, fiir die oberen Llassen der Gymnasien etc. von
Dr. Gustav v. Hayek, k. k. Prolessor. Zweite, verbesserte Auflage mit
324 Abbildmifeii. Wien 1882, FtcUen Witwe und Sohn.
Obgleich dieses Buch nach dem Schenu der Sohiilnaturgescliichteft Mgflfgt
ist und auch angelegt sein musd. soll es in den ofliciellen Lehrplau passen, und
dala-r natürlich ein Hauptgewicht auf die Systematik legt, S4> hat es doch
mancherlei abweichende Vorallge vor den gewöhnlichen Schulbüchern. Zunächst
sind jeder ThierabtheUung analytische Tabellen flür die fieatimmung der
Familien Torangeatetlt, weldie recht praktimh lind, nnd sodann tind alle
Aremden Namen in Fußnoten erklärt. Die Charakteristiken sind kurz nnd
präcise, die beigefügten Abbüdungea recht instructiv. Was wir aU» vermisBen
nnd doch, wenn auch noch so knrs, angeflttirt tind aadi In der Sdivle be-
sprochen wissen möchten, i-^t eine Thipr?e«>J2T;iphie und Pa!S 'nrol' i2rit-. doun
wenigea eingestreuten Notizen geben kein Bild der Entnickelung nnd deü
gegeawiftigen Zmtendee der Thierwelt. C. B. B.
Jh» Thlemleh. Leitfaden fttr die unteren Ciaseen der Bealechnlen und
Gymnasien Ton Ür. Carl Rothe, k. k. Profeaor. Mit 448 iu den Text
elngedrackten Abbildungen. Zweite, verbeaaerte Anflage. Wioi 1882,
Pidilcrs AVitwf nnd Sohn.
Die Zahl der LtihrLücher für Naturj^esUiichte an Unterschulen mehrt sich von
Jahr xn Jahr, und doch, glauben wir. ist hier noch nicht das richtige Mal»
die ricliTit^ Methode gefunden, die fttr eine ."nlcho Lelirstnfe iM.-^sf^n würde.
Zunächst wird gewöhnlich zu viel gegeben, und die Eut^huldigiuig, die man
hSrt, es branche nicht alles durchgeuommen zu werden, was im Lehrbnche ent-
halten ist, erwoi-t s'wh in \nn\l >» In häufig als nicht durchgeführt, da es eben
viele Lehrer gibt, die mit der ersteu ieite beginnen und mit der letzte» des
approbirten Buches scldießen zu müssen glauben: selbst der Unter»«^ liied im
Drucke hilft hierbei wenig. Der zweite Fehler, der vorkommt, ist. daas alh?
diese Bücher zu systematisch abgefasst sind; denn dass erst am Schlüsse einer
(iruppe die llerknialc liiT-^fiben /usammengefasst werden, ist nur ein .Schein-
behelf. Dr. lUtthe verfällt aaoh in den ersten Fehler, das Buch entiiilt zn
viel, obgleich der Stoff gegenflber anderen Lehrbttchera restringirt ut. Audi
die Systi matik ist no<-h zu <ohr hi-tont . obwol hier ein Schritt /um TV*-eren
gethau ist tind den einzelnen Classeu ein sehr bekanntes Thier, wie Pferd,
etc., in einer Detailheschreibiinff ▼oranfpesteDt nnd damit der Ttpos da
Glasse t'iklärt winl. Etwas sehr (Jutes nin>9en wir in den Wiederholungs-
ftagen erblicken, dcuu durch sie lernt der ^chUler sehr gut zusammenfassen,
Tergleicben und gruppiren. Die reiddichen Abbildungen sind snmeiat gelangen
und verdienen in>lHS'>mIf)v Jone nnscrc BerücksichtiVnnfj. wHi^he nirht scha-
blonenhafte Thicrg^<:->taltou darstelleu, sundeni das Leben des Thieres iu s^^iuem
Baue, Neste, Aufentlialte, seiner Umgebung u. s. w. zeigen. INe Ausstattung
des Baches ist lOr den Preis (90 Kreuaer) eine sehr gate aa nennen. C B. B.
▼ctantwottliah« BsOMtew. IL 8t«ia. EMhdnMlMni JatUt KUakht^ai, Ulpiir
i^iyuu-cd by Google
DeoembeiF<
1882.
Beilage zum Paedagogiiuu, V, 3.
Naturgeschichte ffir Yolks- und Bfirgersehnlen. In drei Stnfen.
Von Dr. Alois Pokorny, k. k. Regienuigsrath nnd Director der Leopold-
etSdter C. R. nnd dee Obergymnasiuiii» in Wien. Dritte Stnfe: Allg-emeines
über diV Thiore. F'f^nnzen, Mineralien and den Heiudien. Dritte Auflage.
• Pm8 (iO kr. = 1 M. 20 Ff.
Xaturg:esch!chtc für seehsclassif^c* Volksschulen. Von demsrUipn
Vt-rfasstr. Prag 1881, beide im \ erlag von F. Teinpsky. Preis 90 kr.
Der bekaniite Autor auf dem Felde natnrhistorincher Lehrbücher bat in
diesen beiden Bütluni tut-jii e< Ldiil dem concentri-stlipu Lehrgaii^o; <lic Xatur-
gewhichte bebandelt. Die Bescbreibnugen sind präcise und klar und werden
dureh «ablreiche, sehrn^te Abbildune^n onterstottt, und sind auch beide Lehr*
bttchervom k. k. l'nti rrichtsniinisu rium als /uin Unterrichte zulässig erklärt. Ob
nicht dae gebutcue Material zu reich ist, oh nicht viele Lehrer im allgemeinen
Torsiehen werden, den Sehvlkindem keinen Ldtfaden in die Rand m
iifhan. (Ins sind allerdings an eitu« andere Stelle gehörige Fragen. Fiir die
htkhüte Stuic der Bürgerschulen bietet da-i erste Lehrbuch sehr viel schätzens-
wertes und zugleich praktisches Materini, wir wollen hier z. B. den Absehnitt
über da.s Copuliren, Omliren und Piinirf i! erwähnen, ebensr) den Abschnitt
über den Meu»chcu. In dem zweiten Lehrbuche billigen wir besonders die .sehr
praJttiwbe Eintheilung der Natnrohjecte. — Die Amstattang ist sehr aner-
JjCitfadcn der Mllie.ral0:irie fQr die unTcrcn Clasj^en der Mitt. Isdiiilrn von
Franz Dörfler, k. k. Prolesgor. Mit 71 Texibildeni. Wien lb82, Pichlers
Witwe und Sohn.
Da.s Bestreben, den mineralogischen Unterricht im Untergynina-sium in Über-
rin^rimmung zu bringen mit dem jetzt so allgemein in Österreich eingffiihrten
l^ehrhucdie der .Mineralogie für das Obergjmnasinm von I'r. Hoch.stetter und
Uiscbing, ist ein recht lobenswertes, aber, wie das vorliegende ßUchletn xei^
wird dadurch für die Untercla<<sen zu viel Systematik geschatfen, d. h. es wird
eine Be-'^jirechung der Einzelobjecte vorgenommen, welche den Schüler nicht
vom Bekannten zum Fenierliegenden fuhrt, .sondern demseUn ii in» bunten
Uemiache, allerdings systematisch geordnet, die Objecto zur Kenutniti bringt.
Der Verraeh, die Besdireibone mit den Fundorten zn beginnen, oder die
ehern isrln'ii Vfiliiiltnisx- vi'n»i)zu>ti-Ilen und die Eigenscliafttn nur cinuf^trout
zu erwähnen, wie cü z.B. heim Golde der Fall ist, kommt uns nicht glücklich
yor; der Sehttler erkllt dadurch kein Bild de« Naturobjeetes; von einem in
s< ifif^n Händen befindlichen Objerte (und so soll doch der t'nft rtidit V"r<rohen)
wird er in ganz anderer Weise die Jk.schreibuug «ich bilden. i*as Verlangen,
die iiineralogie auch zum Vorstudium der Chemie zu benOtzen, flihrte den
Veria--tr du/n. auch hierin zu weitläufig zu werden, z. B. i>t die Aufzählung
der Leicht uiciuUe S. Ii) hödiSt überflüssig. Die gelegentliche, in Fußnoten
angefBgte Erklärung <ler tormini techni« i ist recht gut, ebenso die spätere
T^usammenfasäung derselben; es freut uns. (h\« auf Krystallographie wenig
H Ucksicht genommen ist. Die Erklärung niiiucher physikalischer Vorgänge,
die dem .'^chttler auf dieser .Stufe n<<ch unbekannt sind', ist etwas zu knapp
gehalten, wie x. B. die Bestimmung der Dichte. Der Verfasser kann sich auch
(wir sehen den Zwang dazn vollkommen ein i nicht vollkommen mit den Objeeten
l»eü:iii!i;f'n . wt lclie ein chemisches MineraLsysteni, wie z. B. jenes in BischiuLTs
Lehrbuch, bietet; am sehen wir ihn die Steinkotden und die Atmosphärilien
behandeln nnd, woin ancb nur in einem Anhange, dem Systeme bmlHgea. —
kennenswert.
C. K. K.
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^ Den Verbuch, in dicker F'^»nn da.-- niineralosrUf he Studium im l'ntertryiunaMtim
7M betreiben, hulteu wir für keinen crlüfkli< lien, wenn auch manche^ T'.* ril<^k-
sie htii^ings werte im Leit.fiiden entlialrcn i^f. C. IL iL
Ücschickte der deutschen Literatur des 1^. 4alirliuudert.s von
J. W. Schftfer. 2. vermehrte and vo1t«tlliHH|Br nmgrearbeitete Aulla^r^.
beraiiBgei:ebeii von Fr. Munclier. LdjaiiT issl. Woi|,^eL
Tater arnn silr-nr ^lusae fini Kri»-ffslänn schweigen die Musen). Niemals Ut
die* mclir /lu ti iuriirea Walirhfit ereworden, als in jenem Jahrhunderte, wo
Detitscliland in nn.Heliireui Bruderkricf^p sieh J!eTflei!*chte. Angesichts der Leiden
und blutiffen Cfreuel eines .■^()jähr. Krieges zotr sich die Muse trauernd zurück
und schwietf. Man versuchte <lie Stumme künstlich reden zn machen, eine
Flut von Poetik' II erschien, von Biichern. die lehrten, wie man diehten solle
und kfinne, darunter auch der ^Nttruberger Tnchter" d&s Philipp UanKtörfer.
Ailein die Kunst ist Natur, Naturgabe, und erst mit den gottbeguadeten Pich-
te ru des fVd;,'enden .fahrhundcrts fing dor Qut ll il« r P !■ -ie und damit ein
fruchtbarem Geistesleben bei uuä wieder xu sprudeln an, und eben darum blicken
wir heute als dankbare Eidcel fremde auf das 18. Jahrhundert dessen 8amai
heuff Frnrlit tr^iht.
Im Hinblick auf diese im Innern dei Sache selbst be;^ündete Aufuerk-saui-
keit, die man heute dem 18. Jahrhundert ^tawendet, kann die Umarbeitung Ton
Srliäfi IN TJTprntiinj'^sfhichte des IH. .Tahibiniflrrt^ nur al^ :rlticklicher (iedanke
bc/.eiclmet werden und al«; ein eben-*c> glücklicher Gedanke die Wahl der tim-
arbeitenden Hand. AI lt- le h v u anderen Piiblieationea hat ja Dr. .Muncker
durch seine von der Kritik so beitallig a\ifgenommcne gekrönte PreisÄchrift
über das literarische und personliche Verhältnis Klopstocks und Leasing- sieh
ftlr eine gediegene Hoarbeitung oder Umarbeitung gerade d%t literarischen Ent-
wickclung im IS. .Jahrhundert hinreichend leiriiimirt und seine vielleicht gerade
durch eine Umarbeitung doppelt erschwerte Aufgabe treflflich gclint. IIaud*'lt
es sich vor allem daram, das reiche Material, das seit 2.") .Jahren in Brieten
und ächri^ten neu erwachsen i»t, einzubauen, InrUiiUner zu berichtigen und
ünwahres auszuscheiden, so hat Muncker in seiner Ümarbeitung diese Pflicht
mit einer Sorirfalt und (iewissenhafliifkeit erfitllt. die wir a»i -Ii 'Ii ii ]f -r ius-
j^ebem (Maitzahn u. Buxberger; der 2. berichtigten und Tennehrteu Auflage
▼on Ihinzels Lessing; „Sehl Leben und Heine Werke". 1880. gewilnseht hStten:
liier i*r manches -teli' ii Lr. l.Iii l.r'u wn^ li'-iire iiii bt iiiflir wnhr ift. Muncker
hat die Resultate der Uichtigstellung dcü Textesi verwertet. Autoren, die 2um
erstenmale pnblicirt worden, in gerechter WArdifnAng beiffexogen, einen Stnrr,
Mfiser u. a. nicht leer aufgehen lassen: ander:<>it< fiuden wir einen ('ramer.
liabeuer u. a. nicht über (Jebühr erhoben. Damit sind Fehler venniedeUt die
▼on Literatnrgeschichtsxchreiliem nur an hftufig beirany:en werden. In Roquettes
Literaturgeschichte ('^. Anflacre) fallen von den 8<J> .Seiten auf die Darstellung
von Kloji^rock. Lessing. Wieland, Herder. Winckelmann kaum KX) .Seiten: eine
einirehende Orientiriing Uber die literarische Entwickolung des deiit.schen Gei-
stes na'-h Tiefe und Breite winl ein solches Cojnpendium oder Lehrbuch der
gesamniten deutx-hen Literatur nicht ermöslichen. daher .Monogra])hien fdr die
einzelnen .lahrhunderte, trerade tllr das IK. Jahrhundert, nnumgantrlich noth-
wendig .sind, zumal der tiefer suchende uud mehr begehrende noch heute nach
einer MonoRrraphie selbst Klopstocin oder 'VHelands vergebens fragt: nnter den
Monographien selbst eines (ioethe gilt bei den meisten noch heute jene de's
Ausliinders Lewes ab die beste. Das 18. Jahrhundert hat nun allerding« nclion
monographische Bearbeitungen erfahren; Hettner hat unstreitig das yeidiem*t.
aufler oder neben der poetisebr-n St itc muh die hi-turi^, lip, philologi^jche, phil«)-
syphi^che. also die allgenteine literarische Knt Wickelung zum ersteumale würdi-
gend beigezoßren zn haben, allein dadurdi ergab sich Ar dieses Werk ebie,
die t*''l)er<i. liili'-likeit oder die Fnlilana: des Ztisammenbinires erschwerende «re-
wiHse Zer.spUtterung. nnd so aufklar» u*l uud anregend die häutigen und länge-
ren Citate aus den Schriftstellern selbst sind, SO entschidigt der Verfasser
hierdurch ärlcidiwol uicht ganz ftir den Wert zu>iammenfrtssender Rirhtptmkt»'.
präciser Urtheile. Auch nach dieser Rieht unj,' hat .Huncker »o treffhcli nach
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- n —
jcfler Seite hin zu jfeben und ausziif^leichen verstanden; es ist üim die Gc-
schicbte der r.»e-«e zu einer Iiistorischeu Darstellung,' <les {feist Lebens
lieworden. und i^wade hierdurch hat sich Muncker auf den Standpunkt der
modernen Forschnntr gestellt, die eine tjrößere Ikriicksichti^MiD- ih .-j Sarlili. ]!on
»tatt des l't^rsönliohen ^eflisseiitlirh festliält. die Pflanr.e trau/, uu l a.ir auf dtm
IJoden betniehtet, auf dem sie {orewachsen ist. die zeitlichen Vorbedinyunsren
fl\r das Wachsthuni derselben eben**«, wie den Frur-btsamen, den sie für die
Znkunft abfreworfen hat, und endlich die alli,'emeiiie He-<chaff»'nheit des Bodens,
den Zusammenhang mit den Zeitideen (t'nitursescbichte; ins Auije fa.s<st. Hclli^r
die sprachliche >S«ite der Schriftsteller würdi^rt. Kiirz: ^[uncker hat «tatt der
Mheren, mehr bioffraphisch-Ästhetisphen. di» heutige philoloiri.^ch-hiatoriflcbe
MrtliiKlf 1iriu'c/<i:|rn (iii'l i>r d.uiiit wrsi-iitliili nin.nln it.Mnl — über Schäfer
binauäjjegaugeu, der in aller Kiuseitigkeit deu Nachdruck auf das biographische
3foiDent le^ mit abstehtficlier Hmtai)««tziiii? des sachlichen Moments, der
WiinliiriiiiLr ib-r W^rki'. Aiirli fnrnir-ll hat Mnneker dir* üliwi i-nuiii:'' Sprache
und sproilt- A»i?idrutks«eisc Schäfers durch eine j,'et^llia;e Stilistik ersetzt, und
wir stimmen der com])eteoten Stimme bei. «lie in der\.Allcr. Ztg." 1882, Bei-
]iUfi- B4, bereits Uber Munckers Uid.hIm itniiüf laiit \miiir: L. (Irii^^cr hat die-
selbe Iiis ein äußerst „brauchbares JLuidbuch und ;iiit;iudma.s Lesebuch" be-
zeichnet und erklftrt, ^dasselbe eisjrne sich hauptsächlich für Lehrer und filr
solche, die sich etw!\<< eingehender Uber unsere classischc Literaturepoche
unterrichten wollen . Auch keine Bibliothek wird dieselbe entbehren könueu.
K.
^Neuhoehdentselie ttrannuatik von Dr. Lvdwiir Fraaer. Heidelberg:
1881. Winter, fgr. S". :\:V2 S i
Die Torliegende Grammatik dürfte sich mit ig^roBem Mutzen au Lehrer-
bildnn^sanstalten verwende» lassen. Sie ht keine Elementanrrammatik.
M) vielf.u-h aiicli einzelne Aufgaben il;ir;ni eriinirni müLferi. ib n-ii L"siiiiir filr
oiueu Caudidaten sicher keine MUhe und ohne greifbaren V'urthcil wäre, die
ihm aber j^i^en können, wie er spKter einmal seinen Schfllem den gramma-
ti-^i;beri Stoff vorlegen muss. Fr;\iit r>- Gninimatik s 't7t vi.''lm"br ' inen gram-
matischen Cnn voraus, denn s->nst könnte sie wol keine Fraisen stellen, wie
die, aus vorgelegten Beispielen Definitionen der grammntiseheu Termini an fln»
deu. Definitionen '>fi 'b r i^fhwicriir-tr'Ti Art. Aiii h würde sie es sdn^t nicht
verschmähen. Fara-liiriaat v .ml/uüL'inn ii. uuil u urde aueh nicht gerade aul die
mehr rb« iretisL-ben Tiieile der Grammatik, wie die Wortbildungslehre. die Art
der Kiiitlieiliing der Substantive, Wortarten und Nebensätze z. B., so großes
<Te\vit:bt b-f;eU.
Von diesem Standpunkte betrachtet verdient dies Jtueh volle Anerkennung.
Es basirt in seinen historischen Theilen auf Grimm und zieht — dadurch eine
mai^nto Fligenart verrathend — auch den Dialect (den nord- nnd snddent-
sehen) in umfaiiirrcicben Spra< bin oben znr Veran^chHulicbunir b- -nnd-T^ «ler
Lautlehre heran. Was es aber für den Lehramtscandidaten so sehr empfehleus-
wert macht, sind neben den Fragen nnd Anfgaben die Saromlanfirsn von
Srb iil er feil! ei 11 . die Frauer \m S. 2Hf; :\:V2 V'iri^tfVibn , nbrr-irlinirb ire-
orduet, hier und da auch mit der leichtesten und kürzesten \ erl)essenmg ver-
seben bat, und die nicht Fehler sind, wie sie durch eine verderbte Umgangs-
spnirbe in die Schiilerelab iintc kommen, sondern Pnliler zumeist |fii:i-;i'ln=r nnd
ästiicMscber Art, dalier nn lit <*> bciuen» und eiabieb zu verbe*s* iu nnil nur
schwer dera Schüler verstSmllii l: zu machen. Wegen der JJedeutsaiiik' it dieses
Abschnittes nennen «ir liiri ilic Titel der ein/i ln- n Tbeilc. um auf diese Weise
den Lesern einen Einbli* k in das reicho Mat< ri.il /» verscliaft'eu : Frauer han-
delt zumt von der richtigen Zusiimmeni>rdnung. 2. von der passeutlen Fi»rra,
.3. von der passenden Stelluu;: der Glieder und von rier unprts<endeu Kinschie-
bung und Einschacbtelung derselben. Er erläutert an Schülerfehlern, wie Härte
und Kintiinigkeit des Stils am leichtesten /.u vennei b ii ist und in die Perioden
Abrundong nnd Wolbewegnng gebracht werden kann. Im letzten, höchst inter-
essanten Capitd spricht er von dw Uervorhebiing des GednnkenB dnrdi
die Fonn nnd die Stelinnit der Satxtheile und Bfttse, besonders der Nebenatttze,
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— 4 —
Dnd achlieBt mit Mitte ln > in. i witk-amen Hen ..ili.^iiiiic. « ic -u- im rich-
tigen Gebrauch der rbetoru^ciieu Fi^imn liegeo. Überall haben auch StilblUtai
ans lionromgendeii Zettwigen dem TerfiMU» Beispiele geboten, wie gegen die
Fandatnentalgeeetze eines guteu Stils gefeUt werden lunn.1 W.
Schlessingr. Deutscher Wortschatz oder der pMsende Ausdrnek.
Stnttjrart 1881. Vaul X. ff. 433 S.)
Nach dem Vurbüde des euglüichea -Thesaurus vuu Rüget hat Scbles&ing in
«einem ^Wortachatz^ Synonyme fresammelt und dieselben nicht, wie die andern
Wörterbücher thun. alphabeti'^rh irffrdnrr, «nrlrm 711 l'WX' Bi-^TifF-tnirilien
2Ui>ajuU]eDgeätellt. Diese eiirt-nthüuilicbe Anordnung lag im Zwei k dt> Buches
begründet, das Bentttzer vor ji< h »liehr. die für einen bestimmten Beirriff den
pas^W'iiden Aufdruck «iirhfn ni.d d« neu der BedentTincr^wert nn<\ der f' in. Unter-
srhiod, den jedes * in/« In«' W<»rt unter den zah!r»:ieh aiigtrlahiteu aurwei^t. nicht
^e.'iigt /AI werden (»nuirlit. Wir besitzen bereit« ein nach ähnliciien PrincipieB
bearbeitetes Work v lU rs in rirr «tarken Bänden, dem getrenüber daa
Schle>sin^p«che die haudlulie lt'4tit lue F<»iiit und den billiiren Preis voraus hat;
an innerem Wert ist es ihm ebenbttrtig. l>er Nutzen, 'I- n -olche Sammlungen
tllr den S< hritt»t«ller >u (rut wie fttr den currigir«aden Lehrer haben, iat un-
streitbar groß und liegt nach allen Richtungen klar am Tage. In einem Punkte
ließe sieli. was die D 11 n lit ührung ilt-i Mri' Ii» trifft, mit dem Verfasser rech-
ten: Er hat za vielen Fremd Wörtern Eiogaog in sein Boch gestattet, stellt
also im offenen Geg<aisatz zu allen jenen ehrenwerten A'ersnehen d» G^n-
wurt, eine Säulierung un?-< rer Mutt» i -pracho von den z.ililli-cn, znmeist durch
da« Zeituugäduutjich eingedrungeuen i-'remdUugeu dorchzuiiihreu. Ja, wenn die
Fremdworter, denen ScbTessinir Einlas« gestattet, wenigstens nocb alle eangbar
wiirf n lind im allgemeinen (loVraufh stüudcnl Virl« dHrtti n wirkli' !i nur in
irgi nd eitieni abseits gelegtn»;u lilukisoplmchen Buche ein kuuuin-rli« he.s Daiiein
Msten. Der Beniltzer des Schh .ssingsehen Wortschatzes wird sich also ver
ihnen zu hüten haben; er wird die^ um fio leichter k<'>nnen, als immer not.h
eine irroße Anzahl gut deuts^cher .Synonyma in jedem Artikel zur Auswahl übrig
bleiben. I )i( si lidue, ^radezn elegante Ausstattung Teidient es. dass auf sie
hier besonders Iiiui,'ettie3en wird. W.
('oüi<ie>. Kleiiios Lehrbuch der l4iiid karten- Projeetiou. Mit 60
Holzschnitt. il. K i-. I 1 MKl>. Kessler. Pr. l,ö() Mk.
Derselbe, (ieoiinipiiisehe (irosseubilder. 1. (zwangloses) Heft. Kassel
1882. Emst Kleimenhagen.
Der Verfas.«er .'«ucbt durch .■»ein Lehrbuch einem vorhandenen Bediirfni> :'b/ ",i hel-
len ;freilicb bli ibt es nur beim Wtdien. Die .\usfnhrung ist d< rart. -la-< kaum
einer aus dtiii Büchlein die Landkartenprojection wirtl verstt ht ii 1< riien. Es
liegt dies vor allem in den beiffcirebenen Figuren begründet, übrigem» scheint
der Verfasser auf dem vorgetragenen Gebiete selbst nieht genug Fachmann zn
sein. In Figur 4, 6, 8. 10, 11 wj^rden die Ellipsen durch swei Erei.sbr*gen
wiedergegeben; in Fig. 12 sind die Meridiane fehlerhaft eingetragen, ebenso in
Fig. 13; Fig. 31b ist nicht erklärt. Fig 15 xeigt in der Äquatoneicbnung
(reebts) Mingel. In Fig. 23 (S. 19) ist das Weeentlicbe der betreffenden Pro»
jection wcl erklärt, die volUtändig au.s£:eführten Proje« fi ineii irelit-n aber be-
reits voraus; die ittereugrapbische Prujection ist nicht m den Central^mjeetioaen
Serevhner. im § 8 ist niebt angegeben, wie projicirt wird, ünnchtigkeiten
Ddfii S. }•_'. 7. S 11, «> V. ... und S. 44. Z. 1 u. 2 v. o.
KiiH n tichfigen metii.«li.«>chen Gedanken in guter Au.«<tllhrung enthalten da-
iltäselben Verf;i.sser3 „GröBenblM» r-. 47 Tafdn in Quart, die in der
Wei.se. wie es zuerst .Steinhauser in seinen Lehrbüchern versucht hat. Zahlen
und (in>t5enverhältni!*se graihisch und vergleichend dan»tellen. Dieses Bnch
kann jedem w egen der Einfachheit der Zeichnungen, die suli teiclit und schnell
auf die Wandtalel übertragen lassen, nnd wegen des za Qninde liegenden Prin-
. ipes empfohlen werden. W.
VvräntworUicber Kedacteur: iL Stein. bochdruckerei Jultui Klinkbardi, Leipxig.
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Beilage zum Paedagogium, V, 4.
Methodisches Lehrbuch der allgemeinen Botanik für hOherc Lehr-
anstalten. Naeh dem aenesten Standpunkte der Wissensehaft.
Von Dr. Jnl. Behrens. Mit 4 aoalytiachen Tabellen und zahlreichen
Originrtlabbildungen in 408 Fi]?iirpn. vom Vf-rfasspr nac Ii dt r Xatnr auf
Holz gezeichnet. Zweite, durchirt aibt itetc Auflaufe. MS Seiten. Brauu-
scbweig 1882. C. A. Schwetschke und Sohn i^M. Urahn).
All guten Lebrbncbern ftlr den botanii^t-lien Unterricht an höheren Lehr-
anstalten ((Trmnasien, RealorlnilciA ist in Deutschland ebensowenig^ wie in
Österreich ein Cberflus«. Schuu ua« diesem Grunde kann jedes Lehrbuch dieser
Art des Interesses von seifen der Lchrerwelt sicher sein. Nach Ansicht des
Bei. bat man bei JBeurtheilung eines Schuibudies zunftcbat nach seiner didao-
tiieben Yerwendbarkeit zu tragen, gegen welche daii Streben nach wimm-
schiiftlicht r VdllstäniUukeit durchaus in <len Hintergi und treten muss. Lpu:en
wir diesen Mafistab an Behrens Botanik an, ao werden wir zonächst mit Be-
dAmeni die Beidirdbvng einaetaier Pflanzenarten ginzlich Temuseen. Ab Lelir-
burh der »llgemeinf-n Botanik setzt es iliese Kenntnis«, wolche «lio (Grund-
lage jedea botanischen Unterrichtes bildet, bereits voraus. Dem Kef. erscheint
dieser Unstuid als ein fflblborer Mangel Sehen w aber hieven gänzlich ab,
so müssen wir vor allem zugestehen, das.-* in dem Buche alle Zweige der all-
^'cmcinen Botanik mit SachkenntniM nud in einer, vom methodi.sclien Stand-
punkte YoUkommen zu 1tillii:en<len Anordnung behandelt sind. Der anf
H37 S.iten vertheilte Stoß /..stallt in die 5 Hauptabsohnitff; nestalrlrhre —
Systematik — Biologie - Anatomie und siologie — die uieciereii l'tlanzen.
In der Gestaltlehrc werden die Wurzelt;ebilde. die Stengelgebüde, die Blatt-
gebilde (die eigentlichen Blätter und die Blüten), endlich die Haargebilde be-
sprochen; die Systematik umta^it die Diagrammutik, die Sy.stemkuude, die
!<y8tematische Eintheilung der höheren Pflanzen j Monokotylen und Dikotylen);
die Biologie behandelt die Befruchtung, die Übertragung des Bltttenstaubes
dwvb Wind und Thiere (Windblfltler, Tnwctenbltitler. Vogelbltttler), die Ver-
breitunirsnuttel der Früchte und Sanun. Die Anatomie und Physiologie
bei«pricht zuuäch&t in einer Einleitung die Aufgabe und Umgrenzung der
Botanik, hieranf die Zelle (Thdle, Form, Wuät, Entotehmur). die ZellgeWebe,
im Capitel Pbynologie Zn>amnii-nsetxnni; . Kni!tlimtiir nnd Waeli-thiim der
Pflanze. Von den niederen Pflanzen sind die Kryptogameu eiii;^etheilt in
Zelleupflanzen (Urpflanzen [Bacterien, OäbmngspilzeJ , Pilze, A)<::eu>, Moose
(Leber-. Laubmoose), (lefäBführende Si>nreniiflanzeTi fPanie, Wurzelfame,
IiHan/en (Cycadeen und C^oniferen). Diese Übersicht genügt, nm au t/tigea,
dass der LelirstofT in ilem vorlietrenden Buche ein reichlich bemessener, genauere
Durchsicht aber zeij^t, dasw er mit Rücksicht auf *lje für den botanischen
Unterricht entfallende Stundenzabi ein an keiner der höheren Lehranütalten
Deutschlands zu bewältigender iät. Man kann hier einwenden, da.ss es dem
Tacte des Lehrers vorbehalten sein müsse, aus dem reirlüichen Stoffe die
jiasxende Auswabl zu treffen. Referent ist aber der Ansicht, dass man auch in
dieser Hinsicht über eine gewisse Grenze nicht hinansgeben dürfe: durch
Kttrmingen, wozu Jeder Abscmdtt reieMich Gelegenheit bietet, wftide aas Buch
an didactischer Bruiclibarkeit nnr |?cwinnen. Freilirh niiis>ti' der Verfasser auf
den Wunsch verzichten, dass sein Buch den Bedürfnissen der Mittebchule wie
der Hocfascbttlen fldehseitiir dieom solle.
Ziel und Methode (hs botanischen Unterriclites gehen nattirgemäß an diesen
Unterrichtsanstalten so weit auseinander, dass es geradezu luunögUch ist, den
TenduedeneD Aufotderaiigen in einem Lebrlmehe getexAit m weiden. Dass
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der Verfa.sser dieser Versochung nicht aus dein Wetfe ging, scheint um die
Ursar hf- iler Miinffel zusein, welche dem seiner Anlaffe nach vortrefnichen Boche
auhatteu. lu der (.retstaltlehre wird der Verf.. welcher iui allg<ämeinen eine
dntchaus verständliche Sprache spfiflkt, Tielfach zu breit ; wozu — um nur einzelnM
hervomuheljeu - das Aufsuchen geometrischer Ausdrücke flir ilie Grundf jmi'n
der Blätter, die langathmigen Erklärungen der Blattftiniieii iiuau vgl. die
l'nterücheidung von .,lanz€ttlich" und ..eilanzettlich", S. 19)? — Gerade in
der Erkünmg der tennüti darf sich der Lebier kons hmen, das Aaftmcheo
der passenden dem Sdilller dieier Stufe TieUheh Mltart ftberlaiflen. und so das
Verstiiinhiis d.ifiir vnrliTeiten, das« dit Wissenschaft kein starre* GebiM-,
souderu ein Ichcudiger, sich fortratwickeiuder Ürgauisuns ist. In der SjstoiuaQk
yerdient das 1. Capitel. die IHajtitanniatik. als TcnrOglieb bearlmtet herrar-
gehuben zu werdrn. Mf Svsreriikiuiile lirini^t oine silir klare Entwickelung des
Artbegrifles; bei der :^ystematik der höheren Ftlanzen bedauern wir aber, das«
sie von der den gebrftnchlicheren Floren (Garcke, Wthuwhe, Frank etc.) m GmvAe
•rcleirtfii Kintheilung sehr abweicht. Kinen der Hatii>rvnr/n>:e des Werkes
bildet die Bearbeitung der Bioloirie für diese l'uterriclit.-s tute; iii>c h hiitie sich
der Verfasser gerade hier viel kürzer fassen können; so waren von 'U n iiui^eftlhrten
Beispielen der Bestäubung dnn ti Insw ten t iniirt' df-r iinftlillitr-^tLii (>--t\va Wiesen-
gttllMii. Orchis, Osterluzei) vollkuuaucu «iNsreicheud gewtjaen. um dem Schüler
das Verständnis dieser höch.st iuteressantMl biologiiH:hen Erscheinung su Ter*
mittein. Im Capitel Physiologie liegegnen wir mit Befriedigung einer aus-
giebigen Verwertung des Experimeutes (Diffusion durch eine Membran — Sauer-
8t<)ffHusscheiduug durch Assimilation — Kohleusäureausscheidung bei der
Atbmung — Demonstration des Wurzeldmokes o. e. w.^ Im Abschnin
..niedere Pflanzen** hätten wir die AnfisiUnn^ vieler Arten lieber wieder dareh
,i M -tiihrlirlir iJc^piPclmnu' rh.inikti-ristischer Beispiele ersetzt ijesehen. Ihirch
Erw ähuung dieses Umstaudes streifen wir die uns zau&chst besdi&ftigeiide Frage,
ob der Verfamer die Aiwlcbt, ein nethodtsebe« Lehrbneb ta. achreiben,
conse'iiieut dun liy-efllhrt halie. Mit dem Citafe. welelie^ er im Vorworte lirin^^r:
„Das Kind soll soviel wie möglich seine zu erwerbenden Kenntnisae »elb^t
erfahrend bekennt er aidi als Anhlnger der Inductionsmetbode. Beweist aber
manches Capitel, wie die Diagramraatik oder die in formaler Beziehung sehr
bildende AnHeinanderhaltuug von Organographie. Auaiomie uud vergleichender
Morphologie in iler Einleitung zum Ab.schnittc: Anatomie und Physiologie, das
Verständnis des Verfassers fl\r seine .\nfcrnbe, so la^en «nderf rseits manehe
Stellen die consequente iMin htühruiig den aufgestellten Grundsatzes venui^^n.
So ist es ni< lit methodisch, die Unterscheidung von obor- und unterirdiacben
Stengeln der Erklärung derselben vorauszoselücken , von T(Mmherein zu sagen:
,,Der onteriTdische Stengel ist leicht von derWur/el zu unterscheiden, er trägt
Blätter, Blattschuppen oder Knospen": es mUsste vielmehr — nach der ver-
gleichenden Betrachtung des betreffenden Gebildes heüen: „Weil dieses unter-
irdiscbe Gebilde BlStter, Blattsdinppen oder Knospen trlgt, darum ist es keine
Wurzel, sondern ein (unterirdischer; Stengel." So mlisste der — nebeubei
bemerkt, durch die betreffende Abbildung sehr gut erläuterte ■ Übergang
der Blimenblitter in Stanlwi^te Tor d» EtUirnng stehen: „Di» sie (die
Blute) bildenden On^'ntie sind den Laubblättem liätitig sehr nnähnliclu troTzdeni
sind alle von blattartiger Natur." Sit ist es nicht methodisch, die Blutenstände
ohne Beciebung anf bestimmte charakteristische Beispiele einfach aufzusiMen:
welches Atisc-ehen vom conerfteii Fall wir ilherhnnpt in der tle>tiiltlehre ver-
missen, wogegen uiLs die AutKählnng /aiilrtiiciktr Bei»piele ala überflüssig er-
scheint. Denn — entweder kennt der Schüler (wie ja das Buch voranesetst^
die betreffenden Pflanzen, dann hraneht man sie nicht aufinizählen — er nni^*
das passende Beispiel selbst finden — oder er keuut sie uicht. daim
nützt ihre Aufzählung nichts oder seliadet iitdun h, dass sie einen nicht genug
methodisch gebildeten Lehrer sur Überlastung der Schüler mit Gedächtoi'carbeit
verleitet. Zum Schlüsse sei die Anführung einiger Stellen gestattet, die
eignet .scheinen, die Begriffe des Schüler> zu verwirren wler ihm unri< hiiee
Voistellangen beizubringen. So sind die Wuizelgebilde kurzweg als „unter-
irdisch** bOM^chnet, spftter aber gleichwol die nieht vnteiirdisclieit Lnft-, SKog-
— 3 —
und Klammerwurzeln angeftUirt. Vom oberirdischen Stengel heißt es: „Die
Form (?) dessplln'ii wird bestimmt durch die (fu^t.ilf >ein> > Quersehuittes." —
„Er ist langjfea treckt, liaien- oder walzentorraig uud verzweigt. ' (Wo bleiben
d» die flächen- uud kugelförmigen Stengel der Cacteen. die Qbrigen!^ aucli
unter den li- s nidereu St«ngelfonuen nicht angefdhrt sind ?) Warum sind parallel-
uu'l lifciieruervij^e Blätter zu einander in Gegensatz gebracht, die handuervigen
dabei nicht erwähnt — liegt es nicht näher, zunächst parallel- und nctznerrige
Blätter 2a untecsoheideni' Ließen sich die gelappten und die getheilten Blätter
nicht besser ztiBammen besprechen, statt letstere den besonderen Blattfomien
zuzuzälilL'ii? In der Anatomie finden wir die, in anderen Lehrbüchern der
Botanik l&agit iia^seRebene Definition der ZeÜQ als Bl&schen, welcher Auadrnck
dem Begrim der Zene als eine« mit PHlseigkeit erflUltett HoUnrames wider«
spricht: iiberdit's wird bei dtr ^.♦^^^J)re(•llnng der Z«-'!lli;iiit die Möglichkeit des
gänzlichen Fehlens der letzteren hervurguhoben. Bei Besprechung der Inter-
odliünnttnme ist es nicht klar genug gemacht, dass dieeelboi durch Spaltung
der gcmi'insamen Wnmi und niclif dnrch uilvoUstiildjgea Zosunneiltretea
polyedriscber oder runder 2i«Uen enunteheu.
Zur Verrollständignug unseres Berichtes nei noch erwähnt, dass die den
Text erläuternden AbbiM Ulliren zumeist vollkommen ihrem Zw^ rko ent-^itrecUen;
sie sind sehr sauber uud deutlich, doch scheint uns in einij^tu Fullen der
künstlerische Effect auf Kosten der Naturwahrheit erreicht worden zu sein
(Vixl. Ti^. 7b, 80, 87, 3l7i. Dem Buche .sind 4 analytische Übersichtstabellen
der i'huuerogamen beigegeben, welche — besonders durch ihre Xebeneinander-
stellung der BlUtendiagramme — manchem Lehrer willkommen sein dürften:
didactiachen Wert kann ihnen Bet'arent nicht merkennen. Um nnn ein zu-
sammenfassendM ITrtbeil Uber Behrens Botanik ausznspret^en, mnss betont
werden, dass d>'r \>rta.sser mit ernstem Wullen, mit Fleiß und Sachkenntnis
an seine Aufgabe gegangen ist und alle zu Gebote stehenden literarischen
HUftmittel gewissenliaft benutzt hat. Wenn er seine Angabe unserer Ansieht
nach noch niclir in VidlknnimPii bf^^ ir li -fMidcr Weise i,'( Iöst Ii.if . erscheint
uns. wie schon erwähnt, .sein bchwankeii in Bezug aui das durch seine Arbeit
anamstrebende Ziel als Ursache davon. Da jedoch die von uus ausge«pTochenen
Wünsche bei Bearbeituui?^ einer neuen Auflage nnscliwer berfn k-;irhtitrt u erden
können^ «u zweifeln wir nicht, da*« das Buch in der Folge eine emphudliche
Lücke unserer Schnlbttcherliteratnr auszufüllen geeignet sein wird. Aoer auch
in seiner gegenwärtigen Gestalt sei es der aufmerksamen Beachtung von weiten
der Lehrervveit empfohlen. K. F.
Dr. F. TranmUUer und Dr. B. Krieger, Lehrer der Natnrwiaseiisehalten
am Nikolaigynmasiuin zu Leipzig. Gruudriss der Botanik fUr hOhere
Lolirnnstaltoii. insbesondere für Gymnasien. Mit 92 Abbiidnogen in
Holzschnitt Leipzig, F. A. Ürockhaus, 1882. — 77 S.
Das Torliei?end« Werkchen will ein Repetitionsbueh für den Schüler kein
Leitfaden beim Unterricht sein, desliall) wnnlen nidit die Beschriibnn^'en
einzelner Filauzeu, sondern nur die a%emeinen Tbat^achen darin auf-
genommen, die durch Indvetion aus der Betrachtung des einsehien ge-
wonn«'!! sind. .Hag man auch, wii- der Referent, in der fVage.' <>h I>eiffaibn.
ub Kepetitiousbuch, einer anderen Ansicht sein als die V'erfas.'^er dieses
Buches, so ranss man bei Beurtheilum; desselben doch jenen Gesiebts-
punkt einnehineji. von welchem die Verfa-ser s. 11,>r ausgingen. Da mus.« mnn
denn zuge-stehe«. da.ss sie die Aufgabe in lietriedigender Weise gelöst haben.
Das Büchlein gibt in engem Kähmen eine TolbtBndige Übersicht übor das
Gesammtgebiet der Pflanzenkunde; l-mfang und Auswahl des Stoffes ent-
sprechen der Luttirrichtsstufe, für welche das Buch l>estimmt ist. Der erste
,\bschnitt bespricht zunächst die äußere Gestalt der Pflanze f Wurzel.
Stamm, Blatt, Haar), uud der Besprechung derBiatentheile ist. die der Schutz-
Torrichtungen zur Vermeidung der SdMtbefruehtnng. die (fbertragung des
Blütenstaubes dun Ii Wim!. iii-.< . teu. Vögel angereiht — ein Klement der
Biologie, dessen Aufnahme wir mit Rücksicht auf das eingehaltene Ma6 höchst
lobend anerkennen müssen. Die Lehre rom inneren Bau der Pflanse
^ 4 —
b»'hainl*U <li' Z'l!-', (tt iaßf ninl i v,- h,- von 'l-ii Lebeusers« h '--iinin^en
der l'flanze werdeu uuti ijniaiiruii;^ oud Waclisthum. die Athmong, die Be-
we^n)>: «1er SSfte und der Laft in d«r PUtnee, die. Bewegungen der Pflaitte
vorgeführt. l>»r /wrire Abjichnirt hnns^t eine Übersicht des Linn^^hen
tJexaabysten«, hierauf die nach einem natürlichen Systeme gruppirten phauero-
flnunen und In7)>toganien PfbuuM» nnd swar mit den getreuntUSttrigen Dieo-
tvl< <l"ii' n beginnend. An dif^p «chließen .sicli die v->rwn(>h*rnblättric«'n, die
üouocotyledonen , die .Nackt^aiiiigeu . Qef&fikryptogamen. iloose und L;u:er-
plüuisen. Zum Schlüsse !»ei auf einzelne« aumerlnun gemacht, dessen An<l' -
rung uii^i ri r Ansicht nach wünschenswert wSre. So scheint es uns das
Studium <ler Blattfonnen z« erleichtem, wenn mau div größeren Einschnitte
(bei gelapptm, getheilten, zerschnittenen BUtteni) in Beziehung setzt znr
Xer\atur: hei ,.SpaitöfFnungen" erscheint es wünschenswert, die Function der
Schlietzelltu etwas eingehender zu besprechen. Die Entstehung der Jahres-
ringe beruht eigentlich nicht auf der Unterbrechung der Zelhieubildung während
des Winters, - 'ndeni an^ der Verschiedenheit des Uerhiiüiolaes («ns kleineren,
dickwandig:« ) ( II und des Frtthjahnholzes (aus grüfleren. dtlnn^randigerra Zellen
bestehend I. Bei der ..Säft. Leweirtmir" vcniU"«! n w iv '}>■<]>■ Angabe ub»'r ihre
Ursachen. — Noch st* i der dem Texte beigegebeueu, sehr deutliclusn und inj>truo-
tiTen Abbildungen lobend gedacht* K. P.
Atlas der Osterreleh-unearisehen Monarchie für Xittelschnl»
und verwandt«' L<»hranHtalten. Von Trampler. Axug, in älBlitten.
Wien 18d2, Mof- and Staatsdruckeiei. br. 1 fl. 50 kr.
An den österreichischen Slittelwhnlen wird dem rnterrichte in der "Vater^
landskunde zweimal, in der IV. und in der VII.. beziehungsweise VIII. ( la^st-,
je ein halbes Jabr gewidmet. Diesem intensiveren Studium der pbysikaliscben und
topographiseben Vo'blltnisse des Kaiserstaates will der Torfiegende Atlas dienen.
In methofli>-i lit r Hinsicht venlit-nf er vieifarh Lol>. Th v V« ifa>ser trt-mit <!ie
<Tebirgs- und Flutakarten^ von den topo^phischen und stellt sie eiiumder
gegenüber, brinift fevner eine Am^ahl statistischer Karten (Spracbenverthdlnng,
nfMli^K'-tiUnr. Pf völkeriinusdifliti». P'i^enbahnen), durch deren EinfÜgnng in eixtn
Specialiitlas Üsterieit hs ei einem langst und vielfach zU Tage srerteti-aen Be-
dürfnis entgegenkommt. Er wählt für die Terraindarstellung dr. i Farbentöne
(für H'di' ii bis 15<J ni. bis 200 ni und von mehr als 2(J0 m) und i-<r aiii h ini
(ienenilisireu. sowi<> in der Auswahl der Orte glücklich. Doch stößt luuu hie uaJ
da auf Dinge, die eine zweite Autlace wird verl>essern mO."?.seu. So ist die Gebirg;*-
darstellung auf Karte I nicht fehleifrei. Die Tatra z. B. entspricht nicht dem rich-
tigen Höhen Verhältnis, wenn man sie mit der Zeichnung der Alpen auf demselben
Blatte vergleicht. Auf der sou.st musterhaft ausgeführten Eisenbahnkarte
vermisst man die Fortsetzung der Eisenbahn Czemowit^Jassy Ober die Beichs-
grenze. Der Dmckfebler Kfiunstadt (Siebenbürgen) ist n beseitigen. Auf der
Bed« iKJultiirkarte fehlen einitr-- • 'rtc die -.i< Ii durch Bergbau und bodeusti'indii:e
Industrie auszeichnen. Während auf cinigeu Kronlandskarten die Bezeicimong
der Sehlachtorte angegeben, fehlt dieselbe auf Karten (z. B Böhmen), wo diese
Bezeiclinung von hervorraii' ndi iu Werte i-t. Pie r» < hübsch ausgetilhrte
Sprachenkarte leidtit nur au dem einen Fehler, dass sie, bei Licht gebraucht,
dÜe F^rbennnterschiede nicht scharf genüge hervortreten iSsst. Die Wahl der
Färbt Tir;-!!*' ist überhaupt nicht gelnugen. Der braune Tnn der nt birge, dir
grelkotiieii dicken Kronlaudsgreuzen, die häutig durchschlagt n und daii>-lv n
wieder aut rinii^^eu Karten (cB. Tlnds) hsi Licht kaum vom Wi /u nntti-
scheidt iiile F'liu he in "Ii rirung gefallen nicht. Dazu kommt, dass die Töne auf
den ein^lneu BluUeni ungleich sind. Auf dem Blatte ..Niederösterreich" sijid
die letzteren schwarze, auf den anderen Karten blaue Linien. Da Bosnien und
die Herzegowina ein eigenes Blatt erhalten haben und auch auf anderen Karten
des Atlasses zur Monarchie gerechnet werden, so ist das Fehlen der Grenz-
linien der genannten Lftnder auf der ^politischen Übeniehtskarte" wol andi «in
Versehen. r.
VsnaMmrlliaktr BsdiclaiiT: IL Stein. BacMmkini Julias Kliaklardtt Uittäf,
i^iyuu-cd by Google
Februar.
1883.
Beilage zum Paedagogiiim, V, 5.
^ „Cornelia^*, ZeitscUnit für bftnsliche Erziehimir* Herftmg^eg:. vcm Dr. Carl
Pilas. Leipzig, Kempe.
Dit'.'^e pflflairncri'^clie Familien-Zoitpclirifr. -.V' ^ lif ilirm r?8. n.ii;.! voll- nilot har,
ist t'inc Hau.slr« imdiii, welche in jedt-in mit K-iiHlmi ifesefjjructen Kn i-f wiil-
konimeu geheißen wird. Bringt sie doch alles, \v;n Eltern und Erzi«'}ieru za
Rath und Beistand dien»n kann. Hi i Kimli tkrankhdten ist sie ' iiii' lltjferiu,
die Mittel und Wt-ye zeiijt. ehe dtr Aiv.i kuiumt; l>ei der körpeiliclieu Pfle^re
steht sie den Eltern zur Seite mit vortrefflichen Artikeln au« der Feder be-
währter Ärzte, und hinsichtlich der CharakterausbUdtinj^ bei der Ju^^end lägst
sie es an eingehenden Belehrnngtin nicht fehlen. Das bi-wcist klar d»T Inhalt
des letzten Bande», welcher u. a. Aufsätze und Artikel über das .Scharlach-
fieber, Ober das Velocipedfahreu, Uber Feriencolouien, Aber die Lang-
weile der Kinder, fiber den Oeborsam, Olterdss „Wamm?" der Kinder, Uber
die Spiolsach • II, üb»r das Strafen der Kiml-r vi r fniiiddi L< iiren, über
das £.iud im frühem und gegenwärtigen Jßtchtülebeu etc. bietet.
Daneben trftf^ die „Cornelia*' aueh der Untettaltunf;- Beehnung mit kunsen
Novellen, wir z. ß. Hans« S'tnlieiii/n.liiwhen, Waldwärterhaus"' ''tc. sowie
durch heitere: und ernste Berichte ans den Familien und durch Biographien
(Victoria, Kronprinzessin <les deutsehen Reiches). Die Bücher- und Spielwaren«
< hau, welche sie im Ft iiill- tnii ^iVit. ist wol jedem Han^^o äußerst willkommen.
\\ if sie ein Band um Schule und iiaus zu schlingen sucht, zeigt deutlich der
Artikel: Wünsche der Schule an da.s Elternhaus von Schulrath Dr. Hempel.
Und so iiii.i^L' flicsf» Hnnsfreuudin, wie sie es schon in Tausenden von Familien
gethan hat, auch tenier zum wahren Segen der 3Ieu3chheit wirken und schaffen!
Ble Tropen und Figuren. Von Dr. F. GroA. gr. 8. 282 Seiten. EOls,
Btfnke Cie. Preis 3^ H.
Groß setzt sirh liiiheic Ziele, als di.' herkömmlichen ..Lehren von den Tr'>]M')i
und Figuren", die neben ein paar Beitipielen nur noch eine aus den alten lihe-
torea entldmte, fttr den Schulgebnneh umgemodelte Definition geben. Das«
solche Leitfäden für den Unterricht eigentlich ;.'aii/ übt rtlüssig, ja schädlich
sind, ist sattsam bekannt. Aber auch der Lehrer vermag sich aus ihnen nicht
Kath zu holen. Anders ist es mit dem Buche von Groß, das den kün.stlerischen
Zweck uinl die Bedeutung je<les einzelnen bildlichen Ausdrucks für den
Stil nachzuweiöcn sucht und eine Geschichte dejj Auftretens jeder einzelnen
Trope und Figur, ja das Vorkommen bei den bedeutendsten Classikeru der Alten
und Ilentschen mittheilt und auf diese Wei.se ganz üben aschende Einblicke in
den iliuhterischen (ieist erschließt. Diese geschichtliche und psychologische Be-
trachtung springt im Vergleiche mit andern wisscnx liaitlichen Behandlungen
der Tropenlehre (z. B. von Wackemagei, von Werner Hahn) besonders bei der
Darstellung der Metapher (S. 65—118) in die Augen.
Ein anderer Vorzug des Werkes von GroB iit die nach allen in Betmcbt
k..iiiiiien'l-'n (;••>!( ht-]iuiikfeu geordnete reiche Beispiel.sammlnng. In uns» r< r
Sprache sind Tropen und Figuren so zahlreich geworden, dass wir ihren Wert^
ja ibr Dasein IHst nicht mdir erkennen und bemerken. Beides wird nur in der
tVeiiKleii Siiriirlie -^i harf erkannt, r.'rnl'i hat nntürlicli aiidi noch andere Gründe,
neben Musterl)eisitielen aus unseni deut-sohen Cla-^^sikern solche ans lateinischen
und griechischen Schulantoren heranzuziehen.. Alle Tropen- und Figurenbei-
spiele ans dem GriechiMhen sind augleich in Übenetsnngen wiederholt. £nd-
X.
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lieh — und ilaa wt ein wesentlicher Vorzug — ist der theoretische Theil dieses
Abschnittes der alten Bhetorik moht in dogmatischer, sondern in kritischer
Form dargelegt: es sind alle Oeäeht'qitinkte festgestellt, tmter denen sich die
Tropen und Fii^un'ii betrachten la--eii. ilie Vor- nnd Xarhtheiie, die mit
der einen and andern ZiUMunnenatelluug Terbonilea und, »u^edeckt and ge-
»lägt, da» eine gansse Reihe dieser kllnstleiisckeBDantdliingiDiittiel gleiehwiB
ein neutrales Gebiet innc haben, M daai aie Im coocreteit FnUe Md dmeTt bidd
jener Gruppe sich anreihen.
Wm uns an dem Boche von Groß fale nnd da verbesseninfsflUii)^ enwhebt,
iftt tlip Stilisirung. Groß dr&ngt oft zu viel in einem Satze sensammen. die I>e-
finition (siebe & S. 134 Z. 3 v. o.) erhält dann eine Form, in der sie sicli
mat scikwer dem Gediehtnis einpilgt, noeli sehwerer darin haften Ueibt.
Grammatik der eiisUsehen Sprache mit rieten Belegstellen nnd
Übungsstfieken Ulr die oberen Classen höherer Lehranstal ton.
Von Dr. J. W. Zimmermann. Elfte, nach fl(»r neuen Rechtschreibung
gedruckte Auflage. 279 Halle a S. 18S2, U. ScUwetschke.
Smmermann'd Grammatik der englischen Sprache ist in Fachkreisen schon
längst al-. ein auf erfindlicher S.ichkcnnfnis rulitnides. daher in ui«5?ens( liaft-
licher Iliu^^iiht zuverluäsiges. ferner ah mit grüner Sorgfalt, durchgängig Idar
und leicht verständlich abgefasstes, formell tadelloses, endlidi ab ein
methodisch wol ;j:e»inhictr->, überall mit musterfriltiq-en Beleihen versebene«,
allen didaktischen Furdeiimgeu entsprechendes Buch anerkannt. Wir köuneu
dieses zutreffende Urtheil nur bestätigen, und es erübrigt nns lediglich, auf
die angezeigte Grammatik auch jene ICreise aufinerkMun zu machen . in denen
ne bisher noch nicht bekannt war, wo aber das Bed&rfttis einer gediegenen
Gmamatik der en^jachen Sjuache gefBhlt wird. 9,
Oallerie historischer Porti-äts mit biographiscliem Texte v. Dr. F. Krone &
Nach . gleichzeitigen Stichen oder OenriUdm mitldst PhotograTnre
reproducirt nnd herausgegeben T<m der k. k. Hof- nnd Staatadmckerei in
Wien. 1. Heft. Preis 2 fl.
Welche Bedeutung das Porträt für den Ges< hii litsunterricht hat. L1>-t
sich nicht so leichthin bestimmen. Nur ein an zahlreichen fetiiheu 8*iter
Heister geschulter Blick und Verstftndnis fllr die eij^enartige Darstelloag
p?:yolii.s<:lier Ziist.'inde enuüirlichen es. ein Portriit inicli .•.einen charakteristischen
Zugeu zu t;rl'a.s,st;u und uuji «lein Purträt das zum Ausdruck gebrachte geistige
Wesen des Porträtirteu zu eut/iftern. Das Porträt beschfiftiirt ferner, weil aa
zu wenig Neues und Ungewohntes bietet, die jugendliche Phanta-nie nicht
j^euug lebhaft und wirkt dämm auch keine.4wegs in der Weise anregend auf
das geschichtli'lie Studium der Jutr^nd wie eine bildliche Darstellung einer
geschichtlichen Handlung. Daher mag es rtthren., daaa sich bisbär noch
kone PortitttgaUerie in ewr Schale hat einbiivgeni kOnnen. Aaderwito wird
man freilich zugestehen nTn.s.ieu. da.ss gewisse markante Ge.-<talt€n der Ge>-< hii hte
nach ihrer geistigen Ekreuart erst recht verstanden werden, wenn man ihr
Portrit gesehen hat ftm denke an die Statne des Avgtnstna, dee Claar, an
dn"? so riiarakteristische Bild Ludwigs XIV. von Rigand etc. — Wir werden
darum dem vorliegenden Werke, dan nur markante Typen nach authen-
tischen und wegen ihrer Natnrwahrheit einst gefeierten Stichen Torftthrt, am
dieser Vorzüge willen eine größere VerbreitDiu- und auch Eingang in die
höheren Schulen vorhersageu dürfen. Die eigeuilmniliehe Art der Reproduction,
die Heii .gravure, bewirkt, dass die Abdrücke selbst bis aui das vergilbte.
Aussehen dem Originalstiche täuschend ähnlicli .sind. Die im ersten bisher
erschienenen Hefte daigestellten Persönlichkeiten sind: Graf Mathias Thon,
Prinz Eugen, Landen, Kavnits, Maria Thaicaia und deren Tochter Maria
Christine.
L.iyui<-cd by Googl
AUifeiut'iue Woltgesehichte von Georg Weber. Zweite Auflage. Zwei*
tw Band (Lief. 8 — 15). Leipsig» Wngfilniftiiii. Prek der IMtenmg 1 IL
Da inraiteBand führt die Oesdiicbte des grieebiscben Volkes bis auf Alexan-
der yi.. zu <1(Mii Zeitpunkt also, „wo es seiner politiMliBa Selbstständigkeit
beraubt uut«r dem Schilde eines hellenisch gebildeten tind für den Sieg des
Hellenisnius begeisterten Heldenjttnglings seine Sprache, seine Weisheit und
^PH,*' L" i-fiL'<^ii innl kfliistleri.s<h>'n Enuiigtiischaften der veraltettu Welt des
^iorgenlaiiilcs iiiittlicüte nnd den BodLU zu ueaou Schöpfungen uiul Staatea-
bildnagen bestellte". Ein jagendlich frischer Zug durchweht die Darstellung
dieser schönen Zeit. Weber bat da vollständig erreicht, was er srlltst einmal
(in seinem Buche Uber Schlosser) als Ziel der Gencldchtschreibung liitige^tellt :
„Die Gesrhiclitsrliroibunt; is^t zugleich Kunst und Wissenschaft; si»' muss das
wirUicbe Leben treu und waluhaft daisteUen, dasselbe aber zugleich mit
Kttnstlerhand und liebevoller Tertiefbug fn dieieidieHeiiselieiiweltaeliOpferiacb
neugestalten." Sein» Werk liest «ii h woijf n der schwangvollea, melodiösen
Sprache and der plastiacben Gestaltiug des Stoffe« wie ein bistorischer Bomaa.
So lebenswahr treten die Gestalten der grieelnselien Qesehiebte, so gleMihsam
selbstorlebt die Erpiirnisse vor unser goistit'cs Aivs'-. Mit besonderer Liebe
liält er uns bei markanfeti Gestalten fest, bei Perikli s oder Kpaminondas, „dem
begabtesten Feldberm. dem edelsten Bürger, dem reinsten Charakter der hei»
lenlscben Welt", bei Soiihoklrs nnd Plato. Seine Geschichte ist nidit Mos
eine Darstellnug der politii»cben Entwicktlung Athens, Spartas und Thebens,
sondern ebensosehr auch eine Gesddelite der griechiBchen Kunst und Wissen-
schaft. Und dabei vereinitjt dieser zweite Band alle Vurziiue, die wir (IVda-
goginm V. 1) bei Besprechuug des ersieii Theiles hervurgehobtsn: eiuc kauut in
einer andern Weltgeschichte erreichte Vollständigkeit des Stoffes, kritische
Sicbtoug des Materials and der Ansichten alter nnd moderner Historiker,
kOnstlerische nnd übertricbtlicbe Gruppirung der That^chen und endlich sorg-
fältige Verwertuu!^ aller neueren Forschunireu finwie der Resultate der jüng-
üten Aosgrabungeu. So ist auch dieser zweite Band so recht danach, als ein
eehter Hansfrennd m gelten nnd gdiebt zn werden. W.
Das WiSfiCU der Ocgeiiwart. Deutsche üniversal-BibUotiiek liir Gebildete.
IL Band. Allgemeine Witternngsknnde nach dem gegenwärtigen
Standpunkte der meterologlBdiai Wissenschaft bearbeitet von Dr. Hermann
Klein. Leipcig 1882, Verlag von 6. Freitag.
Das Bestreben, die WiRsensclinfr , u popularisiren. ist zwar nicht immer ein
lobenswertes zu nennen, doch drängt der Fortschritt der Zeit, auch jenen Zeit-
genoesen, weldw mdit in der Lage waren, sieh eine wissentchaftUeke BUdvi^
anzneigrien, nnd dennoch in ihrem Wi^isen krinr ^vpsentlicbe LUcke fühlen v- !
len, die hauptsächlichsten Wahrheiten der Wis^eui^chaft mundgerecht zu macheu.
Diesem Bestreben verdanken mancherlei „Bibliotheken" ihr Entstehen. Auch
da"? uns Vfirliecrende Ri'ielilein \ '2i)() .s', . i^i-hilrt einer solchen ..Yolks-Bibliothek"
an. und wir mü^-seu gtstekeu, das.s wcim diu Kortset^nng 8n gut ist wie der
Beginn, das Unternehmen seinen Weg machen wird. — Der Verfasser bespricht
zuerst die Lnfthtille, scidann die Temparaturverbäituisse der Luft, der Erde und
des Meeres, den Luftdruck, die Winde, die Lutll'euchtij^keit und Hydrometeore.
die elektrischen Erscheinungen der Atmosphäre, das Wetter und die Votanac
bestimmang desselben. Gründlich erläutert er die physikalischen Vorbedingungen
der Erscbemimgen nnd ftlbrt zahlreiche Bespiele an. Holzschnitte (32^ nnd
Karten helfen ilem Vcrstiindisse eindrin;;li<b nach; die Sprache i.^t eine leicht
verstäudlicbei die Aus8tattanc[ des Büchleins (Leinwandband und deutlicher
Druck) bei emem mitigen Preise (00 Icr.) ist lobenswert n nennen.
C' B. R.
Ijehrbneli der meebaniselLen Teelmologle, mit beeondnrar Berttckaieb-
tignng der (^ewlnnvng nnd Yerailieitnng der verscldedenen Ketalle und
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H6]2er. Für den Unterricht an Gewerbe-, Handwerker* und Fcrtbildsags»
schulen nnd zum Selbstnnterricbt heartieitet tob Otto Schmidt, Architekt
und Lehrer au der Banachnle zu EckerufTirde. VI! und ld6 S. Witten-
berg 1883, Verlag von B. HemM^ Ladenpreis 2 M.
Ein praktischen Buch der angewandten Naturgeschichte für uiechauisoli-T . h-
nisclie Zwecke, welches, zumeist nach der bekannten Technologie \<>u Kar-
marüch gearbeitet, nicht nnr iMt die im Titel luij^efilhrten Lehranstälten \ ti
Nutzen sein wird, sondern auch dem Lehrer der Natui^eschichte an iiittel-,
dpeciell Real!<chnlen manchen Wink ertheil^, wenn er eben nicht bei der trocke-
nen Beschreibung der Naturobjecte bleiben, sondern auch Prakti>ches lehren
wiJl. Dfts Buch behandelt die 'Verarbeitong der Metalle, deren Gewinnung und
CSgenscliaften. die QieSerei, dan Schmieden nnd Walzen, die ZertbeOnng nnd
ZttsammeiitTiirun;; vipii Metall-trirlxt-u, femer die Vcr.irbeitnng des Holzes, nach-
dem Vorarbeiten, Krankheiten und Conserviruug^metboden angeführt :!ind, eine
Aufzfthlnng in- nnd ansiindischer HobEarten nnd ihrer Verwendung folgte nnd
die zur Verarlit'itunir noflii^^tn Iiistninient»? und Vorrichtungen be«;hrient:n -iu'L
Abbildungen würden freilich den i'reis erhobt, aber auch das Buch noch viel
braaehbarer gemacht hab«i. C. B. R.
Leitluüeu der Clu'iaie, Miueralogie und (ifei»uuiUit-itslehrc lur
Bürger- nnd Realachnlen, Seminarien, hShere TSehterschnlen and verwandte
Anstalten, sowie zum Selbstunterricht, unter vorwieirenil. r R'-rücksichtigung
des practischen Lei IIIS, methodisch bearbeitet \"n Ailolf Mang. Lehrer tnr
Naturwipscnschaftfii an der höheren Mad<'hfn^■(•hul^• zu Baden-Baden. Mit
84 in den Text gediuckteii Abbildungen. Vill und '6<)S S. Weinlieim
1883, Verlag von Fr. AckermaiiB.
Die etwaii «onderbare Znsammeiwtellung, Chemie, llmeralogie nnd Oesond-
heit-.liflii\' fTklait uii-^ iler Verfasser in soiiiem VMrwnrto ila'lurrli. (la-s -.»wol
zum Verständnis der Mineralogie ak der Iiebensproce^se dea mens^chlichen Kör-
pers gnns wesentlich ehemische Vorkeantttisee nothwoidig eeien. Die Chemie
ist wol nur in ihren Haui>tgnmdzügen behandelt, verfolgt jed<x'h t ine üino
Methode, indem sie von Versuchen ausgeheutl die chemi>iehen G^tze entwickelt-
Die ^lineralogie theilt sich in Oryktognoaie oder Mineralogie im engeraiKnn«
imd in Geii::nc.>ie nelist Geologie. Der vorbereitende Theil ist etwa-« knrz ire-
fasst und cutlitilt manches Unrichtige; so ist der Pentagondoiiekaedtr keia
VoUHichner ; im lie\ai^rialen Systeme sind die Hemie<lnen trar nicht ge-
trennt; die T'nn sj;eiraäßigkeiten und ünvoUkommenheiten der Kr\ stalle -ind
nicht erwähnt. Üass in der Systematik unter den Elementen die 3Ietaüe mit
einer Note abgethan werden, ist wol zu wenig Berücksichtigung dieser wich-
tigen ^lineralieu an dieser Stelle; die organischen Verbindungen wären besser
in die Geognoeie verwiesen. Die Geologie bietet da.s Wichtigste, was auf die-
ser Unterrichtsstufe besprochen werden kann, doch hfitten wir < tuas iiiehrvon
den interessanten Feuer- und Wasserwiikuugen gewünscht. — Der beste Tlieii
des Büches ist die Gesnndheitslehre, in welcher anSer einer ansreichenden Be-
sprechung der anatoniis' hi n und physiuloiriselieii V. jli5ltiii<>e des ni- n-' hliiL' u
Körpers viele beher/igungs werte Winke t\lr das Verhalten im gesunden und
Icranken Zustande angegeben sind, welche insbesondere Ar MSdehen Tidfreh
belehrr'nd -ifin werden. Dabei sind die Tllnstratiimen denflirh nnd •rloi^httTii
das Verständnis des (iesagten. Schon wt-gen dieses Theües des Buches möch-
ten wir dasselbe Lehrern empfehlen, weil sie darin viel Praktisdtos Ar die
Schule und das Leben finden werden. Die Aasstattong ist anerkennenswert.
f. B. R.
▼•»ntfraiaMltMr BwlMteiurs tf. Sttin. nochdiuelKmi Jaliaa Kliakhkrdt, Lefpsig.
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MJktz.
im.
Beilage zum Faedagogium, V, 6.
Ble Rettnngsaaslftlteii für slttUcli Terwalirlost« Kinder. Ein Bei-
trag zu den Erziehungsfrag^en der Gejerenwart von Dr. Richard Rottcr,
k. k. Seminartlirwtor. 80 S. Wien, 1882. Karl Graeser. 1,20 M.
Eine »lem Inhalte nach sehr bedeutsaiiu-, »Ut Austiiliruug nach vorzügliche
Selnift, wt'l( Iii» von dem gegenwartigen Stande der Pädagogik, besonder» von
deren praktischer LeistungsflUiigkeit, ein ehrenvolles Zeugnis ablegt. Sie he*
handelt (1a.s fllr unsere Zeit so wichtige Thema der Bettungsanstalten,
tinil /war allseitig, mit iniindlich«f Sttcbkentitni«, nia.6ToUer Bube, edler WXnae
und musterhafter Präcision.
Nach ehilsren Yorerinnerungen und Anleitenden Betrachtungen erOrtert sie
ei>it('ii- (Ii»' pädagogis. lu-. zweitens die administrati ve Seite der Ret-
tuugsanstalten. Auagehend vun der .socialen Nothlage unserer Zeit, von dem
wirtmbaftlichen und mflraliscb^ Nieden^nge großer Geseltecbaftfiebuflen.woraiu
die Verwahrlosung vmv-t nicht geringen Theiles der Jugend fTit^priiigt. < li.irak-
teriairt der Verfrt.s.«er znnJich.Ht das Wesen der Rettuugüans^tuit« n, worauf er
die ftagrliche Venvahrlosnng selbst in ihren Ebuiptfonnen schildert, um /u
zeiecn. wa«: Olr Kiinlt r in die Rettuner^anntnlten aiif/nnehnien seien: iluiin winl
der in die.stiu /n ertheileude Unteriicltr. die in iiineu zu betreiU.'U<lti Arbeit
und 7M nljende Gesundheitspflege uinschrieboi, swar ohne Weit.schweiiig-
keit, aber keine.swegs in schwankt-tiden Phrasen, sondern in bestimmten und
treffenden Sät^^en. Bis hierher diutie der Verfasser kaum irgend einem AVider-
spruche begegnen; Referent wenigstens hält die Behandlung der bezeichneten
t'apitel fUr vollkommen gelungen. Nun folgen swei höchst empfindliche The-
mata, die leider gerade In der Oesfenwart Tiel Streit, erzeugen und auch die
Entstehung, evtiitiiell den liest. inil der Rettungsanstalten ersdiueren kitnuen:
das confeaaionellc und das nationale Moment. Obwol nun Referent glaubt,
ilass der Herr Verfasser dem ersteren xn viel 6ereehtign)ig xnerkenn^ d. b.
mehr al« znni irrdeildiilun Wirken dn IN tt'ni:,'sanstalten nöthig und znl.l^.^ig
ist, und ubwol Referent tUr dringend geUa^u hält, diese Institute von vorn-
herein gegen die drohende Evasion eines rancttorisehen od%r jesnitisdiett Gei-
Ktes zu stiilttzen: !<o muss doch auch hier dir> em^fe. «rcdip^ene nnd begonnene
Haltung der ganzen Erörtening anerkannt werdeu. Weiter kumuit noch zur
Sprache: die Zahl der in eine Anstalt aufzunehmenden Zöglinge, das (ie-
schlccht dcrselbcti. die in der Anstalt wirkenden Hanjit- und Mitevzieher
und die lleranbildwn^ derselben, endlich die Forterziehnnir nnd rntersintznng
der entla-Hscncn Zl'ii:\ui'j.>'. Der nun bcginnenile »weite Theil id.is Administra-
tive betreffend) behandelt die Art der Gründung und die Jlittel zur Erhaltung
der Rettungsanstaltei!. ferner die Anmeldung und Aufnahme der Zöglinge
(auch deren etwa nöthisre zwangsweise Unterbringung), femer die Verwen-
dung des durch die ZOglioge erworbenen Verdienstes, endlieh die J«eitnng der
Anstalt. Schliellich werden die Resultat« der ganzen Untersnchung' in dem
KiiTwnrfe zu einem i^tatut fi'ir Rettungsanstalti n erselinpfend und präcis zu-
samuiengefasst. Animugsweise erscheineu noch einige Nachträge. Wenn der
Verfasser an denjenigen Stellen seiner Schrift wo es sidi um statistlsebe Eritu-
terungen band' It . sich auf die < oni reten ^''crhfiltnisse von österr. .*»chlesien
bezieht, so thut dies dem Werte seiner Ausführungeu keinen Eintrag, erhöht
vielmehr die Anschaulichkeit denselben.
Die v<irsteheiiden Anführungen dürften frkennen lassen, mir welc Ii ali-eitiger
l.'msicht in der angezeigten Schrift eines iler gewichtigsten Socialprubleme un-
serer Zeit behandelt ist, und Referent kann nur wünschen, dass dieser treff-
lichen Abhandlung die wolvenliente Würdigung zu Theil werden möge. Ist
«ie doch einer Sache gewidmet, welche, wie der Verfa-saer su schön .sagt.
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- 2 —
, jeden, ieMfm Hen Ar den rieliTestaltigen MeMchenjanuner imil deMcn tnn-
ric:^ Folj^rii iii<1it uneiu|)fiudli('li int. «lurcli dir ilir innewohnende Bedentnog
t"ur Mit- MuA Naclivvflt zu ernstem Nnrli(l'iik>'ii ii'itLiirt ! — D.
Loitiadril für den metbodisf h«'n llutcrricht iu d(>r auor^aiii^t lien
Chemie vou Dr. V. Wilbrand. Vierte verUßsserte Auflage. Mit 58 in
den Text sr«dnickten Oi-iginal'Abbildnn^n. IV nnd 331 Selten. Hildestieini
1882. Druc k nnd A'erlag von August Lax. Preis 3,60 M.
Wir haben s('iii('r;^eit (IVdasrop^um lY. .Tahi^, 3. Heft» desselben Verfassers
„Ziel und Metlu»de de^» chemischen Unterrichtes" eingebend hespnichen unddjf
Vor/Uüre der daselbst aiMgvsprochenen Ideen herroigdioben. Nun st heu wir das
nach diesen Grundsätzen ausf^earboitete Lehrbuch vor uns. Von bekannten Tkat-
Hachen ausgebend, deren L'nt«'rsiichun<,' auch dem Schüler leicht ist, werden die
Eigeuscliafteu der Stoflfe und die chemischen Gesetze in klarer Weise entTÄ-ickelt.
Gitte geordnete Übenicht dea «jstematischea Tbeiles bringt idle«, was ein
äehttler, selbst höherer Kite^orie, notbwendifir hat. Der grnßr« Vonni^ de» Bnebe«
liegt jedenfalls darin, dass frtr » in -stetes Exercitiuni de* (i<i>t. > i:'-"in-rt i-r
iudeiu viele Aufgaben da» äelbstdeukeu deaSchiÜe» aoapomea und gleickzeitig
^e bestftndige Rettetttion des bearbeiteten Stoffes bilden. Die Hobaelmitte
sind, siiwie die ganze Aurtfrtattun:; di - Bin Ii. s si tu Lr''liiiiir< ii. und wir erfüllen
daher eine angenehme iHicht, wenn wir diesen LeiUa«ieu aUen Facbgeaoadea
auf das wSmste cupfddett. C B. R.
Der geographtflche ünterrieht In der Yolkssehvie erlftntert durch
Vortrag nnd Lectionen von Georg Richter. Director in Freiberg. Erstes
Heft H". UH 8. Döbeln 1882, Schmidt. Dreis 1.20 M.
„Die analysireudeu Fragen des Lehrers sollen den Zügliog veranlasiM'n.
auf Grnnd des Toriie^den Karten bilde» die horisontale irad vertieale Glie-
derung eines Krdnuiiii' ^. ■>« ine Bewässerung und seine topnrrr.ipliischen Verlmit-
nisse selhstthätig zu ermitteln. Dureb .Vnwendung einer entwickelnden Fns*-
wewe muss aber weiter der Lehrer seine .Sehfiler auch nöthigen, durch Schlfiv-»
das Klima e'mo< Krdraumes. seine I*roducti<'ii, ilif Stärkt-. Br>. liäff it:iiiia^. leib-
liche und gei^tiirt' P^igeutbttmlii-hkeit. Cultm dti Hfwuliuer de-iseiben etc. auf
Grnnd der Natui vi-rbältnisse des Landes — wie sie sich aus der Karte er-
geben — 7M besfiuimen." Mit die^t ii Woit. n Olii^rländers (P^^r arfogr. Unter-
richt. 2. Aull., iS. 114j läsHt sich diis l'riucii», aui welchem Kiclit«rs Schrift
beruht, am kürzesten nnd schärfsten aussprechen; der Schwerpunkt und da>
Verdienst derselben liegt aber darin, da.-ss endlich auch einmal eine praktische
Lösung an einem concreten Beispiele (Australien, die Kreishauptjiiauu.schaft
Bautzen tind Sachsen) bis ins klt iii.-to rut.ul )iinein gegeben ist. Richter^
Buch ist dämm nicht blos eine Heimatkunde von Sachsen, sondern mgleicb
ein methodologisoher Beitrag nur Behandlung der Geographie in der Tolks-
x linle Uberhaupt. Der letztere Umstand vi rli ilit dem Werke iilltri nit inr Be-
deutung. Wir sind an theoretischen Auseinandersetsvngea Uber Methoden
nicht arm: an Schriften aber, die den Gang augebra, wie solche Methoden in
die I'r.i\is nm^rf setzt wenlen, an sun/. besrimmton Lehi^nizen n.irbirewie-eu
und equubr in einer bestimmten Ciasse und in Gegenwart vou Schuiniaunem
haben wir Mangel
Richter hat sämnitüt li»> Fnicrii aiifs-ezeichnet. die er in meinem Untenichte
stellt, um <lie Schüler zu veranlassen, auf Grund der Karte sich ein l>il«l des
betreffenden Etdraumes selbstthfttig zu entwi rten. Bei einer Beurtheiinng des
Buches werden wir dämm 7mr*t und ;;umeist diese Fragen berilcksichtigeu
müssen. Sowol die Fomiulirung als der Gang derselben zeigen den erfahrenen
Schulmann. Nur in einigen Fällen (z. B. S. 30, Frage 10 v. o. S. 31, Fr 8
T. o.; 11 V. u.; 7 v. u. S. 33, Fr. 10 u. 11 v. u.) vermisst man die son-st so
scharfe Präcision oder populäre Fasstmg: in einigen anderen Fillen (z.B. S. 30i
dürften sich die Fragen inelir zur Repetition ei^non. Wünschenswert ers«;beint
es, einzelne derselben zn Gruppen zusanuueuzustellen und statt am ächhuse
des üa&zen gleich nach Absolnrnng jeder einzelnen Gruppe das OefiudeBe m
i^iyiii^üd by Google
I
— 3 —
einem Bilde zumnmen xu fräsen. Aneh kO'imto der Terfuser die Dispoiitioiu-
fomi anwenden.
In einer Einleitung hftt Richter einen Vorti-ag abgedruckt, der i<ich Uber den
rationellen rutcrricliT in der (irngraiihir ausspricht. Referent wUrdf nuch
2wei Seiten hin ergänzen. Das eine betrifft das, was fiichter H. 21 über das
Kartenxeiclmen sat^. Di« Zeit derdnrebgepansten Karten darf idJerdings nicht
wicdt'ik'hren; aber dtswegen das fn iliiindigre Enfurrfr-n von Skizzen (Lage
zweier oder dreier Städte zu einander, die Streichung des Gebirgeü, dar Lauf
eines FtoMea rnriegt in iefiie**i%eile eCe.) ans YolkMdnile TwiManen, i^ht
nicht an. Es wäre gcwis« eine ebenso dankfiisw* rtc Gabe als die Fragonsanmilumr.
wenn der Verfasser mit .neinem u^eUbten Büc ke anf Nothwendige auch die
Otgeete, die einer yeranaebanllenung dnrch Skizzen bedürfeii, in den Bereich
seiner Besprechung gezoi^en hätti«. fSieln- ril)> r dii <e Fritire die Berichte des
Oeographentages zu Halle, insbesondt if «i. n Vortrjtg von Wagner, und vergl.
wogen der praktischen Durchfdhninu^ <lii ser Idee die Faust/eichnungen von
Kaufmann und Maser, rädagogimn II. Beiblatt (>.) — Die irraphische .Slethodc
ließe sich femer auch, vielleicht mit yriißereni Nutzen als das von Richter ein-
geschlagene Verfahren (siehe S. 25) zur Veranschanlichung der geographischen
(irößen in die Volksschule einfuhren (vgl. z. B. die ürößenbilder von Coorde».
Pädiigoerinm V, Beiblatt 3, oder die Kartenskizzen von 3Ieinzer. II. Heft).
Hierin iit irr «k-r ikmicsIl' Fiiir^rhrit t in d'-r Mi tliodik des geographischen t'ntor-
richta, den «ich Eichter in den folgenden Heften nicht sollte entgehen lassen.
— Aneh in den Literatnrnachweisen wttrde Referent das Bneh Richters er^
gänzen. Lehmann'^ Cliarakterbilder sind ji t/.r von Tlr.lzl'schen tiberholt:
Uirts Bildertafeln isieiie Pädagogium IV, Beiblatt 8) dUrfeu in keiner Schule
ignorirt werden unri hätt<en sieh beim Vortrage ttber Australien sehr gut heran»
ziehen In rt;. In dem S. ö oitirten Verzeichni-isr fVhlt die Schulgeographie
von Kir< hli'iti, die nebenbei erwähnt ein prächtige» tapitel Uber Australien ent-
hält; auch die zeichnende Ertlkumle von Matzat. eine Fundgrube methodiseher
Winke, i.st nicht Itpaohfet Druckfehler: (.teisterbeck).
Da»s aus dem Buche von Richter vieles zu lernen ist, müssen wir am Schlus.>«e
nunrer Besinechung dankend anerkennen. Im Interesse der Sache wünschen
wir dem eigenartigen Buche zahlreiche Leser. Die darin mit so viel Talent
au.seinandergesetzte Methmle wird dann sicher auch den BeiMl derer finden,
die ihr bisher nur theoretischen Wert oder nur Bedeutung Ar den Unterricht
an höheren Schulen zugestanden haben. W.
Ferdinand Hirt s s^eoeraphtsehe Bildirtafeln. Zweiter TheiL
Bi-eslau lö82, Hirt. Preis steif broscU. 4,50 M.
Im Jahrgang IV, Beiblatt 8 haben wir auf den ersten TheO des genannten
Werkt'S anlinerksiuu trernaclit und die charakteri.sti.schen Eigenschaften des-
selben Howie seinen Wert fUr deu geographischen Unterricht hervoigehubeu.
Der zweite Theil hat denselben efiibdtlichen Charakter, und wenn man im
AnfTf behält, diiss <lif» vorgeführten ,.typi<5rhfn Land-^rhaften'' in stark redu-
cirteui Maüstabe und ohne Herunzieliuni? >]v< Cnlnrits darge.stellt werden mussteUf
so wird man auch dem zweiten Theilc <Iio Ant tkeunnng als eines vortrefflichen
L^hnnittels nicht versagen dürfen. — sind j!8 Tafeln (Bogen) mit 172 sau-
ber ausgeführten Holzschnitten, znmeLst in der Griiße eines Octavblattes.
14 Tafeln enthalten ty]tisi he Landschaften Europas, 4 Teranschaulichen die
Kttstenbildnng, das Relief und die Vegetation Asiens. 3 dieselben Formen für
Afrika, 4 die für Amerika, je ein Blatt die für Australien, Polynesien und das
Nordpolargebiet. Dass der .\n blick eines Vcgetationsbildes z.B. eine klarere,
der Wiridichkeit entsprechendere Vorstellung verschafft, als das gesinxichene
Wort selbst des besten SeUlderers, der seine Eindrucke an Ort imd Stelle
fesammelt hat, weifi jeder aus Erfahrung. Damit ist zu;;!('i(-h die Nötbigung
fltar Jeden Lehrer der Geograptiie ausgesprochen, keins der vorhandenen An-
sehaunngsmittel sieb entgehen zu lassen. Hirts BiMertafl^ln geben aber iuo-
fern nnrh mehr, als sie die t'osainmoltcn rundsolif^ftstyiion aurli /u einnuder
in Beziehung setzen, und so die Typen durch Aufdeckung der Älmlichkeiten
' und Contraste leclit scharf ab solche henrortreten lassen.
üiyiiizeü by GoOgle
Wir wiWsten kein lehrreiLheres Ge-idieTik als Wm< Bildertafeln fRr c-'mm
Scbttler, der Interesse an Geographie bat — und vvd> h>'r Schüler iiätie uichc
AH Landscbaften. die sein Fal nodi nidit betreten, xim denen ihm aber schon
M> viel Märchenhaftes nnd Fremdes erzählt wordtti! Don, w^i die Mittel es
nieltt gestatten, A&sa etwa die f^Ben prächtigen Wandbilder von ü<Uzl für
die Sefaule angekaait werden, i^Ilte wenigatenji der Lehrer im Berits der ge-
unnntf^n Tafeln sein, um «ich Ar «eine Schüderungen die nothwendige Unter-
lage zu verschaffen. W.
IVOrterbnch der Verdeutseiiuiigeii entbehrlicher Fremdwörter
von Dt, Hermann Dnnger. gr. 8*. 1Ö4 8. Leipzig 1882, Tenbner.
Das Buch zerflttlt in zwei ITieile: der erste (S. 1— V) i>t «in« kritische Ge-
schichte der Bestrebnngeu, die deutsche Sprache von entbehrlichen fVcmd-
wörtem zu reinigen, und eine Darlegtinir de« Begriffes „Fremdwort imd Lehn-
wort", worauf es hei <l<r Fraire iiaih der Verdeutschung, wie jedennanii weiS.
hauptsächlich ankoaunt, will der Purist nicht die Schellenkappe tragen. Die
Sammlung veribhlter VerdenlwhQngett nnd anderseits die Bebptele von Spnch-
nuntT' rei mis den letzten Jahrhunderten und der Gegenwart machen die Lec-
tfire diet^eä Theües nicht blos lehrreich, sondern auch rmterhaltend. — Wich-
tiger, weil xnglejch ins praktische Leben eingreifend, ist der eweite Thdl, ein
Versiifh, für das (entk'hrliche) Fremdwort ein deutsches Wort aufzustellen, wel-
ches den durchs Fremdwort ausgedrilckten Begriff mit all seinen Schattirungen
wiedergibt. Das ist nun in vielen Fällen nicht so leicht, oft ist e;^ si hoa
schwer, als Ersatz für da'« Fremdwort Überhaupt ein eiiiziijes deursi li.^< Wort
asu finden. Wenn l>un^^er z. B. statt ,4iritiker" da^Wort ..Kniistnchter- <>iier
jfBenrtheiler" gebraucht, so wird er ans den augetlihrrea Gründen vnA
kaum auf allgemeine Zustimmung rechnen ddrfen. Natürlich ixt aiiderseif«
wegen dieser Umstände nicht gesagt, dass sein ehrenwerter Versuch etwa nicht
Beachtung und Nachahmung verdiente. An sehr vielen Stellen bat Dunger
daa Richtige getroffen, nnd es wäre Gewinn genug, wenn sich die Leser öit*
acblBssen, wenigstens diese mni ToHstSndig enniehrlielien Ft«ndw(Srter xu
meiden, ja wenn die Schrift nxinirers nV)erhanpt nur jeden üh« r2eiiufe, wir-
lächerlich^ abgeschmackt and albern die Sucht ist, mit Fremdwörtern zu „pronkeu".
— om—
Eberhard'» synonymisches Handwörterbuch der deutschen Sprache.
13. Anfl. dnrehgSagig nrogearbeitet, vermehrt nnd verbessert von Otto Lyon
nnd F. Wilbrandt. kl. 8*. 935 S. Leipzitr. arieben. Preis 11 M.
An synoigrmischen WOrterbttctaem ist kein Mangel. Was dem vorUtt^enden
eigenthflniUchen Wert verieibt, ist £e Unre nnd nicht pbilosophiseh ans*
geklUgelte Entwicklung dt-r feinen Nuancen in der Bedeutuni? j^lrs Syno-
nyms. Man siebt es allen Artikeln an. dass Jahrzehnte (die erste Aoflage
encfaien 1803) an der formdien Seite gearbeitet Imben. dass jeder dersdben
inehnnals und von deii verschiedensten Seiten auch in ^prarhlicher Hin^^icht
durchgearbeitet wurden i^t. — Eberhard gibt zuerst die den Sjnonjmtn ge-
meinsame Bedeutung au und entwickelt dann die VerschiedenlieiteBt wobei er
als Beleg für den d> tinirten Begriffsunterschied ein oder zwei Beispiel'' aus
den Clasaikern bringe, ilie sammt und sonders glücklich gewählt sind und die
Bedontnngsnuancen scharf darlegen. Als Grundlage einer noch nicht vorhan«
denen venrleidundeii Synonymik ist die von D. Äsher und Aug. Boltz beige-
gebene Überäsetzung der Synonyma ins Englische, Französische, Italienische
und Russische anzusehen, die außerdem das Buch von Eberhard Kennern dieser
Sprachen und Ausländem doppelt nützlich macht. Ein sorgfUltiir irearbeitetes
Register in alphabetischer Reihenfolge für die Synonyma aller iTinf ?^prachen
erleichtert das rasohe Auitind>'ii: ein (freilich nicht überall wissenschaftlich ge-
schriebenes) Vorwort von Boltz sucht ttber die fiedeutongsunterschiede auäa-
kMren, die Vor- nnd Naclisilben der Znsammensetsvng und Ableitung verleihen.
— om—
VttiatWMCtliohär BidMlnrt iL Bfin. BiidkdnMkvri J>Hbi KtlakhaxAC, Lt^Hig.
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literaturblatL
Beilage zum Paedagogium, V, 7.
Unsere Kinder. Kin Beitrag zur Fordemng einträchtigen Wirkens von
Schale and Elteiiihaus. Von Leopold Schmers. 318 S. Wien 1882,
Pichler. Preis: 4 M.
Eine lange Reib« anmuthigcr Au&fttie pi<Iago^i>ic-ben Inhalte, welche zuerst
einzeln in,,e!nem J^Llnilblatte erschienen siml iiiul iinu iiLs ansehnlicher Run«!
Tor die Öffentlichkeit treten. .,Sie behandeln alltAgiicli vorkuuuuenck- Fragt u
der Endehnng diT Kinderwelt in emfacher, allgemein verständlicher Sprache.
Daduch, und dam «e im äadüiehen, wie ich glaube, stets de^ Lebens Wirk-
UdtlKtt trafen, fanden selb« bi xahTr«fehen Familien willigen Einla.«*. Nicht
wenig, so scheint es mir, tru^r flic an kein J^ysteni gehnnilem- Aufeinanderfolge
de« iMbMidelten titoffea, wie nicht minder die dialogische DarsteUangsweiM za
ihrer Verbreitnng b^." Wt diesen Worten l»t Vertuaer nur in bradi^dener
Weise die Vnr/ii^e ■meiner sinnigen Darstellungen aus dem r-i lx n \nii Ähnle
und Hans ange<leutet. Wer ni(ht ganz dem wirklichen Sein und Gesehehen
abgestorben ist. wer in i)ädagogi:<ichen Schriften etwas anderes sncht and nn
MchSt/> ii wei!). al-- f^in pMlantis« hes \ind atnrile-s Ri'i^'fhvrrlc, ein «aft- und krafl-
lose.s Skelett tili drii E.\aiiieuti«.li, wer uocli fühlt, Ja.ss uielit der tinlttfeh.irene
Kram lederner .S< hu|flkhHe und geistloser ronipilatoren. sondern nur nvwiirlmige
nud ki-inikräftiije (iedanken wahres Leben inEr/.iehnni: ujuH'nterricht bringen,
der wird an dem vorliegenden Buche eine wahre Freude liaben und in ihm
einen reichen Schatz l)eraihender und stärkender Betrachtungen finden. Zwar
i»t nicht der u^nn/e Inhalt <le.s Buches strenge, nllchtenie Wissenschaft; es
enthält manchen (»oetiachen Zn-sat^. ist ein Stück „Dichtung und Wahrheit".
Aber e-s erfreut allenthalben durch seine L'rsprllnglichkeit , Frische und innige
Beziehung xar Wirklichkeit. Referent hatte die Ah.oicht, etliche Abschnitte
des Baebes. r. B. ..Der Kindergarten". ..Mimikri „Was soll mein Jttnge
werden?" hesi-nder-i liervnr/uht ben und zn besprechen, i^t aber schließlich
davon abgestanden, weil er befürchtete, hierdurch anderes an verdunkeln.
Das gftiit« Bneb, wenn andi, wie natflriieh, einieiaea Seliwlelieve mit: nnter-
Iftttft, rädient gelesen am wetden, in erater Linie vom den Lelureni. D.
Brosailieil. Eiinneningen aus dem Leben einet« Schalmannes von
Friedrib Polack. I.Band. Jogendleben. 421 H, WittenbeiK 1883,
üerrose. Preis: 2 M.
Ein vortreffNches ITnteriialtnngsbttcli fttr die Eriiolongsstunden der Lehrer,
dabei zugleich belehrriiil tmd ann ocml im hi sten Sinne des Wortes. Was es
enthlUt, sagt, der obige Titel /.m Onnge; nnch ist es i^chon dadurch bekannt
und in die «HTentUehkeit einseflUirt, da^ die allermeisten Absehnirte desselben
vom .Tah)'- lS7:i nii allmählieh in der ...Allgemeinen denrsrhen I.tlirerzeif ung"
'•rscliien» n >ind. Der :rro6e Beifall, den sie mit Recht faudtu, gab eben Auiass
/.ü vorliejreuder tjesammtausgalx'. lhi< Lehrerleben, welches« hier geschildert
winl, ist im ersten Bande bis /um Rintiitt ins Ann 'j-' t'iihrt. Veii^asser zeigt
eine aasgezeichiiete (iewandtheit »ud Aumuth iui Kr/aiilen, weiil aber seine
OeacWehteu aneh mir einer Fflllc von Lebens- und Lehrweisheit zu würzen.
Der außerordentlicli billige Preis dos Buches -- der .stattliche Band kostet nur
2 Jlark -- wird die n-flnschenswerte Verbreitnnff desselben erleichtem. H.
€N)84;bic'htc der »ehwcizerlsclieu Volkm'hule in gedrängter Dut^tel-
Ittng mit Lebenaabrinen der bedentendere» SätnlmaiiDer etc. bia snr
Gegenwart. Unter Mitwirkung zalUreicher Mitarbeiter, herausgegeben von
I)r. 0. Hanxiker. Ziirich 1882, Schnltbem. 3 Bünde. 4, 6 n. Frca.
Wir h.i1»eii unf diese,- b» (lenteude Wt rk tM-reitsuach dem Kr-cli- ineii der ersten
Liefemog de:>selben unsere Leser animerkaam geauwbt, s. „LiternturbUtt" Iii, d.
Es lieg:t Dim ToOendet tot und reebtfertisrt dttidwiis^ glliiätigen Erwutmi^en.
well hf wir bei uuserer ersten Anzei?*' an^spmcht ii. Die Aulfti,'e de«: W«»rke»
ist der Art, dasc» jede l'eriode der bchwcizerischen ächulgeächiclite zuerst üb^r-
mebtlleh sldszirt, dann dnteh die Biographien der wieht]i«ren Schulmänner und
andfTpr nm das Srlmlwpgon verdienter Personen ülo-ftrirt M ini, l^ie Darstellung
iK'giuuf mit dtu Aatiuigeu des M^hweizeriscben Volkttscbiilwc.teu», iat bi& uui
die (regeuwart durchgerubrt und schließt mit einer allwitigen KlarleiR:nng de;«
jetrif^i n Zustandes des schweizerischen VoIksM Imlwesens in seiner nelgpftn!-
tigeu ilauui^ffftltigkeit. Ein Personenre^^istcr ziuu i^zen Werke bildet «in»-
willkoiuineue Zugabe. Und su besitzen vrir nunmehr eine rolkttändige und in
vielen Beziehungen lehrreiche G^chichte der Volksschnle des pädagogi^b m
wichtigen Sohweizerlaudes); Referent ist der Meinung, dan dieses Werk in jede
pidaf^pKhe Sibliotkek vtifgmmmn m weidm T«rdi«iit. P.
lll^emelne Chronik des YolksfleliiilwcHciis. in VerbiDdong mit
mehreren SclmlmÄnnem herausgegeben von L. "W. Seyffartb. Pastor prim.
zu Li*^^riiitz. 1881. Neue Folge. Vierter Jahrgang. 484 S. Breslan 1882,
E. Morgeiiätüru.
Enthält Mittbeilungen Uber die /eitgescbicht liehen Torgftnge anf dem Gebiete
der Volksschule in Deutschland und den übriircn Staaten Europas, .lanii inioh
Schnkachricbten aus Ainka, Amerika, Aüieu uud Aiutralieu; düzu kuiumt die
Anseige uiul liesprechangder im Berichtsjahre erschienenen deutschen Schriftai
über das Volksschulwesen. Hieraus ergibt sich, dass der Inhalt diesem« Tahr-
buches fiir jeden deutschen Volksschulienrer von Interesse ist; die Ausführung
des Werkes zeugt von Fleiß und Soi|rfidt, nnd so kamt ea besonden flir Ijefarer-
bibliothekeii t-inpf'iM'-!! w»t«1ph H.
Die gewerblicheil Foribildune.s.'üehuk'ii und verwandten Anstalten
in Dentachland, Belgien und der Schweiz. Von Karl (jück, Maschineu-
Ingenienr, Omtw- Assistent a. d. k, k. teehn. HodiaekQle, Lehrsr fBr
Maschinfiiizeichnen and Maflchinenlehre etc. in AVien. Dasellmt 1882.
Aiftred Hflld. r. UH S. Text und 29 Tafeln Abbildnnjsren. Pn-i.s: M.
Verlasser hat im Jalire 1881 die im 'litel genannten Länder bereist, um die
dort flir praktische Bildung bestehenden ünterriditituistaltai, Sammlungen nad
Museen, iti.sb^^sondcre nber die gewerblichen Fortln'ldnnijs.^rhiilon mit ilm n
lageu, Einrichtungen und Erfolgen einem eingebenden Studium zu nnteruelten.
nad im TOillegaiden Werke bat er die Resultate seiner BeobaditiiBgen und
rnfersiH'hnncTpn iiipdfrirrlect. Wir haben da eine Arbeit vor uns, von der
iaau mit Im cht ^ageu kann, dass sie in bohcui Grade zeitgemäß und aus dem
Leben fUr dan LeSea fSSeiuJiHl »t. Jeder Fachnmaa «ad ^ed« dm gewerb>
lieben Fortbildungswesen zngethane Coriioration kann ans diesem verständni;«-
vollen, überdies auch in der Ausstattung nicht nur sehr schönen, sondern h<>cksf
instrnctivea Buehe die fhiehtbarstia AaftchlllBie, Wiake aad BathseUlge
schöpfen. H.
(jicschlelite des Arbeitsuntcrriehtes in Deutsclüand. Von Hobert
Rißmann. 91 S. Gotha 1882, Thienemann. Preis: 1,20 M.
Die Mädchenschulen haben schon längst ihren Arbeitsuuterricht . und die
neueren Sthulgeset/«e haben denselben auch formell in den Lehrplan aufge-
nommen. Ob uud in welcher Form auch fdr die Knabenschulen ^inArbeits-
»interricbt zu «rgauisiren sei, darnber sind zwar seit langer Zeit Verbau-l-
inngen gefuhrt und Versuche gemacUt worden : aber zu einer festen ^'orm und
sicmren Pnuds ist man hier noeb nldit gelangt. Seit etlicben Jidirea ist dieoe
.\n<xf^legenheit zu einer Zeit- nnd Streitfrage geworden, über wel< Iio iVu Mei
uungen noch immer sehr getheüt sind. Da kommt denn die augeztiigtc öchrifi
sehr gelegen und erwftttscht. Sie gibt eine recht iastmatiTe DaisteUaag der
biahengen. im wesentlichen von CSoraenins ausgebenden und bis auf die Oevea'
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wart lortlautenden Bestrebungen zur Eintlihruiii; 1' r praktix In n Ari^eit iii
die Ei7jehuug^- und Untcrriohtsanstalten und verdient ebensowol ron den
Freunden wie von den G^em des scbulmäßigen Ailidtoinitnnditefl geleeen su
werden, damit der flchwebieiide Stieit dne UnteBM» geninne und ni sicheren
Ifpsnltntrn fnhrr. H.
Die UUckgraUrerkriliumuugiui. Von Hans B5hme. 27 S. Wien
1883. SelbstverlB^ (Wien, IV., KaraUnengiMM 3). Preis .SO kr.
Dl 7 ^■^^^■a--^r einer der vor/ii?;^lich8ten und nnc^sehensteii Turnlehrer
VVieui», besrhreilit die verschiedenen im Jugendalter auftretenden Ahnonnitjlten
der Wirbelsfinlp und zeigt, welche Haltung ihnen gegenüber die Erziehung
flberiüiupt einnehmeu mlbtse, insbesondere aber weMu' turiurisdie Bclunfniinjr
jede einzehie dersen>en erfordere; es werdeu dalier jene gyninastischen Übungen
vorgefHhrt, welche zur Verhütung, oder zur Besserung und Heilnng, wer
' wenigstens zur Beschränktui^ tkr inannis^faltigen RUckgrat«verkrllmumngen
dienlich .sind. In erster Linie tU u I urukLrtrn. dann aber allen Lehrern über-
baapt nnd anch den Eltern sehr zu empfehlen. Z.
Der geoSTraphische Unterricht auf Giuiul von liypsometrischen Karten.
(Hei matskiiude von Niederösterreieh.) \ ou Kiidolf Walsch.
Lehrer a. d. i'buugsschule des W. PUdagogiums. Mit 8 Original-AbbiU
dnngreiL 38 S. Wien 1883, HSIder. Preis 40 kr.
Ein origineller und anregender Beitrag zu einer fruchtban n Gestaltung de»
geographischen Elementarunterrichtes^. Er hat. wie der Verfas.-ier bemerkt,
„dto Bestimmung, nene Ideen anzuregen, die hypsometrischen DarsteUunfjen
zu popularisiren nnd überhaupt die Heimat^kinulc sachlich und fachlicli ans-
zubancn". Die Darstellung ist zwar knapp und ülttisi« litlidi, kt iue^weg» aber
vag und dttrftig, sondern allenthalben «oncret und plastisch, aus schulmäunischer
Erfahrung geschöpft und unniittelltar für die schulniäuni-srlie Praxis be.stimmt.
indem sie einen aubgeführtca Lehrgang der Heimatäkuude vun NicdcrüHterreich
bietet. Die dem Texte eingefügten Abbildungen erhüben noch die Anschau-
lichkeit des ganzen Lehren twurfes. Wir haben hier in der That eine h&cbst
beachtenswerte Leistung der praktischen 31ethodik vor uns, auf welche wir
die Lehrerwelt aufmerksam machen wollen. 0.
^Das Wissen der (le-f^nwart. Dent«clie l'niversal-Bililiothok für Ge-
bildete. 1., 3., 4.. 5. u. 6. Band, ^ 1 Mark. Verlag von Terapsky iu Prag
und Freitag in Leipzig, 1882.
Der zweite Band die-ser Bibliothek. Allgemeine Witterungskunde von Her ui.
Klein, ist im „Literaturblatt" (V. 5) bereits angezeigt und empfohlen. \'on
den übrigen vns bisher vorliegenden Bänden liehandelu der 1„ 3. und i>., von
Prof. A. Gindely verfa,sst, die Ge.schichte des ^Djährigon Krieges, der 4., von
Prof. Dr. Taechenberg, die Insecten nach ihrem Schädea und Nutzen, der 6.,
von Dr. E. .Tnng. den Weltthdl Anstralfen (erste Abtheilung). IMe Verfimer
Ml. 1 anerkannt tüchtige Fa'bniänner. «Ii»' DarstelliniL]: ist populär und an-
ziehend, die Aibistattung solid und elegant, der Preis (jeder Biand kostet schön
velranden nnr 1 Mark) auBerordentlieh njedrifr* dem Untimdiinen
eine n<xn Theilnalimc de« PnMirUTn'^ rn wi^nsrhfn. VorlSnfig crf^'tattet uns
der liaum nicht, auf die eiii/.elnen Theile des Werkes näher einzugehen, wir
werden aber dem Fortgang desselben unsere Anitaierkninikeit suwenden. M.
-Französische »Seliulgrammatik. Von Albert Benecke, Diivctnr der
Sophienschule zn Berlin. Zweiter TlieiL 4.% 8. Potsdam 1882, Aug.
Stein. Preis 3 M.
Dieser Band ist ttberwiegend der .Sjntax gewidmet, welche gründlich er-
klärt, durch zahlreiche Musterbei^pirlo vpran.=f;haulirht und durch viele deutsche
Sätjse und zusammenhängende Stücke zum Ubersetzen in das Französische ein-
geübt wird. Da jeiloch Verfasser mit Recht eine scharfe Scheidung der For-
menlehre von der Syntax im Selm] unterrichte für unpnikfisch hält. s.. ii it er
im ersten Theile seiner Gi am matik an die erstere bereits Elemente der let^rt t reu
angeschl<wsen, und erglnst er im mliegenden «weiten Theile seines Worh<w
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die mtere. i. ber die V^rzUge von Beneokr' s firauzösitfiber Gramuiutik, die üuf
einen au9g:edfhnten L«hrcursuä berechnet nnd ]m jeder neuen Auflage mit
aatferordentlicher .Sorgfalt revidirt und verbessert worden itt. haben Fach-
mfiunor sehon längst ein gUnj^tige-s I^rtheil gefallt; «ie ist ebenso urilndlich
wie pmkti!<cb, und ihr .«iehr l)illiger I'reis erleichtert dereu Kiufilbruug in die
Schulen. F.
Französische Sehnlgraiumatik. Dritte Abtheilnng. Von Albert Benecke,
Director der Sopbienschule zu Berlin. '2M S. l'ottidam 18H2. Anglist Stein.
Preis: 2 M.
Mit die-ieni Buche bringt Verfasser steinen Lehrgang für den Unterrichi in
der franzü^ischen i^praehe zum Absehliiss. E:« enthält alles Wei?entliche Aber die
Aussprache, femer eine genaue und klare Übersicht der Wort- und Formen-
lehre, endlich, und das ist die austilhrlichäte Partie, eine alle HanptjtMnkte
er-ehOpfende .Syntax. alf?i> eine vollständige Grammatik der fr.mzüsischen Spruche,
kann deran;K'h ebensowol als Leitfaden einer umfassenden Repetition nnd als
Nachschlagebuch, wie als praktisches Lehr- und Handbuch benutzt wenleu,
.,da es in einfacher I)arst» llungswei*e nnd verhaitm'sniiißig geringem Umfange
mn der Laut-, Formen- und Satzlehre alles ErforUerLiche bietet, außerdem aber,
haupt-sächlich zum genauen Verständnis der Schriftsteller, neben dem unbedingt
N'othwendigen manches enthält, was auch dem tiefer in <lie Sache Eindrehenden
Aufschluss gewährt." — Ein alphabetisch geonlnetes Veiv.eichnls aller im Bnehe
v<irkonnnenden V«<cabeln, ferner ein vollständiger, alle grammatischen Materien
nmlasseuder Index, endlich ein ausfi\hrHches Inhaltsverzeichnis erhöhen die
Brauchbarkeit des Buches. Bei genauer Durchsicht desselben gewahrt man
allenthalben die größte .Sorgfalt der .\u?arbeitnng. und kann man der vorlir-
geuden Grammatik nur Lob und Anerkennung zollen. So wcni? daher einer
so gediegenen Leistung gegenüber kleinliche."« Mäkeln an Einzelheiten statthaft
t-rscheinl. so müssen wir doch auf eine auffallende Stelle hinweisen. S. LI
heiüt es: ..Im Deutschen endigen zwar Wörter auf die weichen Consonanten
b, d. g und s. aber diese Buchstaben werden hart ausgesprochen, z. B. Stab
wie Stap, Rad wie Ratt. lag wie lach. Hang wie Rank" etc. Es ist
bedauerlich, dass die deutsche .\nssprache weit weniger gereg-elt ist .iU die
französische: aber um so sorgsamer muss man sein, damit man nicht als Regel
aufstelle, was entweder geradezu fehlerhaft, oder doch nur proTinzieüer f?r.iiich
ist. Der obige .Satz muss entweder nmgestaltet wenlen oder ganz wigtalien.
was wol das Beste wäre, da er ja in vorliegendem Buche ohnehin nur eine
nebensächliche Bedeutung hat. F.
Elcitlfntnrbuch der t'ranzifeischen Sprache tür Mittelschulen (Real- und
Bürgerschulen). Von Heinrich Breitinger, Prof. an der Universität
ZUrich. Daselbst 1882. Schulthess. Krste» Heft 102 S.. L2D M. Zweit<*s
Heft m S., I M.
Dieses Elenieutarbuch ist für solche Schulen, besonders in DeutschLtud Ihs-
stimmt. welche zwar das Lehrziel der eiuiacheu Volks-schule ftber»chreiteu,
nicht aber «las der hJiheren Schulen i Gymnasien, DberreaLschulen u. s. w.) an-
streben und der tranzösischen Sprache nur einen dreijährigen Unterricbtscursus
widmen können. Djis erste Heft, tÜr zwei Schu^jalm^ bestimmt, bringt die
Formenlehre iuiit Einscbluss der unregeluiftßigen Verben) nebst dem Unent-
Iwhrlielisten aus der .*^yutax. mit einem angemessenen Wortschata und reichem
l'jbungsstoflf : das /weite Heft, filr ein (das letzte) Schuljahr bestimmt, gibteuie
svsteiiiasische. in französischer Sprache abgefnsste .*^yntax mit ausreichendem
ÜbungHsrotle und schließlieh zusannnenhängende Über.setznngsstUcke: beigegeben
ist ein dem Inhalte des Buches entsprechendes Vocabular. — Dieses Eementar-
buch muss als eine »ehr praktische und gelnninno Arbeit he/.eiohiiet werden.
Pnter den zahli-eicben LeittUileu tVir den frajuösi.schen Unterricht dürfte kaum
ein zweiter den Bedürfni-ssen der oben bezeichneten Categorie von Schulen so
vollkommen ent«prechen und so {jiite Erfolge eines auf drei Schuljahre Ik^
schränkten Lehrganges ermügliehen, wie lireitingers Elementarbuch. F.
Biu-hdruckcrci Julias Klinkhardt, L.vipii{;.
Kai
1888
'r
Beilage zum Paedagogium, V, 8.
über die phlleflopUsehe PrepSdentlk als eignete Disdpllii für die
CoDcentraiioii des gymnasialen Untt iridits. Von Dr. K i vad Jai z, k. k.
GymnaBial-Profpssnr. Wien 1882, Pitliler. Preis: 0,80 -M.
Terfiftsser will der Zersplitterung des Gymua^ialauterrichte^i entgeg^enwirken
und tiner natürlichen (,'oncentration desselben den We|^ bahnen, indem er naidw
weist, wie die philosophisch r« PrripSilf iitik zur Zusammenfassung der übrigen
Discipllnen dienen könne. Er führt zu ditscm Behnfe zuerst seine Ausicliteu
über dte didaktische Behandlung' der Logik aus, indem er die formalistische
AnfTassung nnd den docirenden Vortrag derselben bekSmpft, das emteiniiti<(li-
entwickelnde Verfahren empfiehlt, besonders aber au zahlreichen Ikispielen
nachweist, wie die einzelnen Capitel der Denklehre durch Materien an» dem
gewunten üymnasialunterricbt« erläutert und belebt und zugleich dieser selbst
concentrirt und nnfentfitzt werden könne. In gleichem Sinne unterzieht sodann
der Verfasser ilie Psychologie t iu' t methodischen Erörtern iiir. Aus diesen
träeiitnngen abgeleitet; den Scblnn bildet der Naehwds, das« der propädentisehe
Unterricht l»i -ii-li'-h ilt-r ihm gewidnu f« n '/.vit nocb uü'lif 'lie ilmi irebün-iule
Stellung gewonmn liaW, lui«! da.ss insbesondtre für geeignete Lthrkrüfte mehr
als bisher gesorgt werden müsse. — Die ganze Abhandlung zeugt ebensowol
vnn der gründlichen Einsicht wie von den ersprießlichen Intentionen des Ver-
fassers und verdient wegen ihrer reichen FtUle von praktischen Gedanken und
Vondülgen das volle Kiterease d«r FMhmKnner und der SchvlbelillfdeD. O.
WlBsensehaflliehe Propildeatik. Zur Ergänzung und Vertiefang allge-
mein-hnmaner Bildung bearbeitet von Beiühold Biese. Leipzig 1882,
Fueb (Reialand). 112 S. Preis: 2 M.
Ke philosophische Propädentik hat, bemerkt der Verfasser, infolge uurich-
t\u;cr Reliandluag ihre Auiirnl«' nielit erfilllt mid füliit an den Srhulen nur
noch eine Scheinexisteoz. Es soll nun etwas Besseres, eine allgemeinere
Propidentik an ihre Stelle treten, „ünsere wisseniehafttiche mpidentlic,
heißt es in derVoirede des angezeiL t i; I'jiu hi will über di< i iiL - n Sohrftiikeu
des schulmftfligen Wissens hiiuiustuhreu und die SelbstthKtigkeit des jugend-
lichen Geistes dadnrch entsOnden, deas sie ihn mitten hineinfahrt in die gro0en
Zus.immenhänge des äußeren und inneren Lehen.«, in den Entwickelnngs- and
Deiikproeess der Menschheit .... Wir wollen dem wissenschaftlich strebsamen
jungen Manne ein Buch in die Hand geben, welches ihn in kürzester Form
fth»r flie höchsten Fr;ureii de-s Lebens und der Wissenschaft orientirt, welches
diir< ii /usammenstelluug der von der Wissenschaft gewonnenen Resultate ihm
einen geistigen 3Iittelpunkt gibt, von wo er durch BenatT'.unt: der an<rei,^e1>eatti
Quellen die Kreide seiner Studien concentrisch weiter und weiter zieiien kann.
Durch Verfoli^'iuij,' dieses Zweckes glauben wir zugleich das geistige Interesse
aller iTt bildeten Stande zu berühren. Denn wir meinen, dass unser Hiieh allen
willkommen sein muss, denen ein wissenschaftlicher Sinn innewohnt» und weiche
neben ihrer Beroftthitigkeit das Bedfirfids flHilen. in sieh den ZnsewunenhaBg
mit der Vemunftentwickeluntr der 5ren>ichheit lehendiir zn erlialten, die aber
zu eingehenderen Studien nicht die Zeit haben. Somit will unser Buch dasu
beitragen, das Vetetindnis für die b0ebrten Fragen der Xensciiheit in den
weitesten Kreis'^n zu erwerken nnd die Einheit h<"herer allgemeiner Bildnnir
zu festigen und zn sichern.' iias sind sehr anerkennenswerte Bestrebungen,
die besonders in unserer Zeit der ZerspUttennf alles httheven Oeistestoben»
entschieden unterstützt werden sollten.
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Die Themata nuu, welche das Bach seiuem Plaue eat»prtK:hend behandolt.
Bind folgende: „Die 15ntw!ckeluii|f!*8tufen der Menschheit." „Der Urspt uu,- ler
Sprache." „Spni In- ini<l Denken. I'io Kiif-«teliuiiLc der Sprachlante." ..I'ie
Eatwickelong der Schrift." „Die Kutwickelung der religite-ethiflcheu Ideea
Im dfln Orieehen." „Die Knust ,,Die WiasenBcluft.'* Die AtufUmmg
difstT Themata i fi> 'luiirt'ii. ila> t'i^iize Buch gleich lobon!<W( rt wweil
i^eineA äcbüueu Zwecke», tmiue» gedi^eneu Inhalt« und — was noch be^oiifos
herrorgeholMD m werden Terdient, wegen m&im edlen and idnen Stiles. H.
Das Kind In Braiicli und Sitte der \ üik«*r. Autln opolo^isohr .Studien
von Dr. H. Ploss. Zweite, bedeutend vermehrte Auflage. 2., i-i. u. 4.
Halbband. Berlin 1882, A. B. Anerliadt.
Wir hnbon rlipsps eigenartige und bedeutende Werk bereits au:,'e/».'i^, be-
«prochen und emptohleu („Literaturblatt" V, 2). Nunmehr liegt die nene, ac«g-
ftltig aberarbeitete und .sehr erweiterte Aitlkge in zwei stattlichen Binden
vollständig vor. Das am St^^hli^se beigefügte ausftthrlii be Regi.ster zencrt nicht
nur von der außerordentlichen Fülle des verarbeiteten Stüfie*. sondern erleichtert
auch weaentlich die Beim ti^um,^ des Oberall lehrreichen und interessanten Werkes.
Indem wir liier tio( h be^iouders hervorheben, dass dasselbe fwwol »cin-^r j^mz^n
Anlage nach, ul-> auch in si>eciellen Abschnitten iwir verweisen z. B. imt ilaa
Capitel. „Die Erziehung der Kinder" Bd. II S. 322 ff.} namentlich för Pi da-
gegen von Bedeutung ist, verweisen wir im übrigen auf unsere frühere An-
zeige, indem wir die dort hervorgehobenen Vorzüge des Werkes nur auf:» neue
constntiren kOnnen. H.
Briefe über Teruüiiftige Erzieliung. Ein Weg^^eiser füi i-j-zieher von
F.Sebmid-Sehwarzenberflr. 3.AiilL Wim 1862, Pldiler. 1968. 1,20 IL
..Zur Vf-rnflnffißren Fr7iilnHi^ gehOren vor allem verutinftiiri' Krzieli'.T:
dieüe talleu a'ier nicht vuuj lluiimel, sondern muiisen erzogen werden, und dazu
soll mein Büchlein einen Beitrag liefern. Was ich dnreh viele Erfahrungen
als Erzieher, dunli Lesen und Nachdenken in mir angecaminelt hübe, das
ich als Öl in dieae Biiefe ciusithüeßen. Jeder Briefe soll ein ölreicher Frucht-
kern sein, den ich als Samenkorn in die Sedm der Erzielier lQ|;en wiD, damit
sie auf vernünftige Weiao als Arzte das sociale Leiden verroindem können.'*
Mit diesen Worten kemizeiclmet der Verfasser Zweck und üeiat äseinos Buches,
und die*ies entspricht in erfreulicher Weise den Erwartungen, welche es im
Eittgaoge erweckt. Es iat nicht ein mühseliges Erzeugnis dUirer Sdiulwe^üieitT
sondern eine lebenifKiche Darlegung spontaner und frnditbarer Oedanken über
a'l. !!aii]>ti)unkti' der Erziidiuntr. alleuthalben von di-ui Geiste wahrer Humanität
ond vernünftiger Idealit&t durchdrungen. Die po^ulire, allem gelehrten Wust
entMffende, natlkiliehe und gilt dentscae Sprache, die twaoglon ond Mnpreehende
Brieffonii des Buches erweisen sich als wirksame Mittel, den schönen fJehalt
desselben dem \'erständuls und dem Renm numittelbar nahe au bringen, indem
sie, alles Ode Formelwesen and FhiMentiinm üBrn kältend, immer gwadenwegs
ta die Sache selbst einfObnii. D.
Bas Lelirerseminar des Cantons Zürich in Kttsna^t. Zw Feier
de.*; ."jO jäliri^en .Tubiläuni-s der Anstalt in dankbarer Erinnerang gemdmet
von ihrem ehemaligfen Scliiilei- C. Grob. z. Z. Secretär des zürcheiischen
Erziebiingsweöeus. Zürich 1883, Grell Füßli & Co. 92 S. Preia: 1,50 M,
Nach einem geschichtlichen il)erblick der Lehrerbildung in der Scbweia,
besonders im Canton Zürich, gibt diese Schrift eine au8f!\hrliche Dampllnuxr
der Eutiitehung und bisherigen Eutwickelung tlca uuiuuehr äO Jahre alten
Lehrerseminars in Küsnacht, welches eine Reihe interessanter Phasen erlebt
nnd viele Schwiericrkeiten überwimden hat. Die Schrift i.st sehr geschickt, klar
und ül)«r8ichtlich abgefasst, offenbar allseit.s quelleumäüig und objectiv gehalten,
gibt iibei iliren Gegenstand in allen Richtungen erschöpfende Auskunft and
muas als eine lehrreiche Monographie sur Specialgeschichte und Statiätiit dea
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.scliweizeri^< lieii Si hulwcstm^ 1>czeichnet wcnleu. vcrdieut aberuorh in-^bcsonderr'
ftlii eiu wertvoller Beitrag zur Lüsung der Lehrerbildun^Frage dieBeacUtuug
der Fnelilcreise. D.
Irztlicbes (xuUchteii Uber iim kOhere SchulweHeu Elsaas-Lothi-iugeus.
In Anftrafe des kairari. Stottbaltera erstattet von einer medicinischen Sadi-
verständigen-Commission. Straßburg L IL 1882, B. Seholti & Co.
Mit vollem Rechte hat der Statthalter von Elsass- Lothringen , Freiherr v.
Mauteiilfel. in einem Erlass vom 11. 'April 1882 den Satz aufj^estellt : ..Die
kOriH-rliche (tpsundlieit niid geistige Frische der die Schulen besuchenden Jugend
darf nicht gefährdet werden." £s handle aichnun um Beancwortaug der Frage:
„WelebesuaS der Ansdaver nadArbdt von denSdilUcani aaf den TeiacliiedeDen
(.'Iati8en8tufen gefordert und muuentlich wie hoch die Zahl der Unterrichts- nnd
häuslichen Arbeit^tunden angesetzt werden soll", und speciell sei zu uater-
metien: „inwieweit die gegenwärtige BSinriehtung des höheren Schidweaens
in ELsfa-is-Liitlirin^'^cu den (Irinidsätzen entsjirirht. welche die medicinische Wissen-
jjcliai'r im iiuere-sse der physischen nnd })sy< liis( heu Entwickelung unserer Jugend
auf/ ii^t dien hat. und wckhe Mininialtordenm^eii auf dem geuannten Gebiete
zur Erhaltuni; un<l Förderung der Wehrbarkeit und der geistigen Frische der
Nation von der ärztlichen \Vi>«f<enschaft erhoben werden." — Diese präcis ge-
atellten Fragen tinden in dem vorliegendeo Cttttachten eine gründliche unA
exacte Beantwortung. Nicht weniger als neun anerkannt tUchtige Fachmänner
haben sich iiuter dem Beirath von Schulmännern der genauen Untersnchung
aller einscliliuiendcn \"erhiUtni.sse unterzogen und sind einhellig zu praktischen
Schloastblgerungen gelangt, welche, obwol im Hinblick auf die coucreten Zustinde
einea beetuiDteii Landes gefasst, doch als allgemein giltig anaaeitomieii aind
nud ven der gesamten Säiiilwelt heaohtet b« weiden Terdienen. D.
Anatomische Wandtafeln für den Sehulnnterriebt Auf Venui-
laasDDg des königl. sSchs. MiuisteriiUDS des Cnltus nnd öffentl. Unterrichtes
hfaransgegebeu vom Landes-Mcdicinal-CoUegium durch Dr. A. Fiedler, Geh.
Hedicinalrath , Leibarzt Sr. Maj. d. Königs v. Sachsen und Oberarzt am
Stadtkraukenbaase zu Dresden. Nack der Natur gezeichnet von M. Kiautz
und F. FIfdIech. 6. verb. Auflage. Dreaden 1882, Heinhold Sdhne.
4 Tafeln nebst erklärendem Text. Preis: 9 Mark.
Dieses Werk bringt in großem 3Iaßstabe. wie es fUr im Schulgebrauch er-
forderlich ist, das menschliche Knochengerüste, die Musknlatnr, die Eingeweide
di r Brust und des Unterleibes. (leliim, Rückenmark nnd die Organe dernölieren
Siuue zur Darstellung. Der beigegebene Text enthält die volbtändige Nomeu*
clatur der dargestellten Objecte, dentsch nnd lateuuseh. Das Werk bat b^eits
eine :>it weife Vcrbreituntr und auf ziililreichen Ausstellungen 1 l liafte Aner-
kennung gefuudeu, das^ eine weitere Empleldung desselben überdUs^ig sein
wBrde. Wir wollen es nur detgenigen Schulen bekannt machen, die ea noch
nif ht besitzen, aber doch fUt den anthropologischsii ünteiricht em Vennschan-
litlmng-'niittel bedUrten. M.
Das Turnen in der > olkssehulc mit Berücksichtigumr de.s Tinnens in
den hdlieren .Schulen. Ein uiich dem neuesten Standpunkte der Torukunde
bearbeitetes Lehrbuch. Von Karl F. Haatmann, Seminarlebrer in Weimar.
4. verb. n. verm. Aall. Mit 107 den Texte eingefQgten Abbttdnngea. XV
IL 27f) S. Weimar 1882. Rölilan. Irrels: 2.00 M.
Diese Schrift ist aus einem bescheidenen Handbüchlein. als welches sie vor
awanrig Jahren an die Ollentlichkeit trat, dureh sorgfältige yerbeseenii^r und
stetige Erweiteruntr der neuen Auflagen nunmehr zu einem in di\s Gesannut-
gebiet des Schultuniens gründlich eii^Uhrenden Ijehrboche ausgestaltet, deiü»eu
Gediegenheit und praktische YerwendbariMit von den Facluatonem anerkannt
wild. Nach ebier theotetischen BiOrtenuig ttber Widitigkeit, Zweck ond
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Wesen des Tnnieuä (die eiugeäocbtene Skizze aus der Psychologie köuute und
•MiUte gestrichen werden) und einem Abri88 der Geschichte de« Turnens gibt
das Bnch eine übersichtliche Darstellung der Turnübungen, der Tumräinue nnd
Toxogeiäthe, ä»nn wird das Ziel, die Methode, der Plan imd die Praxis de«
TQnntntMTiehts vorgeftthit. Faehgenomen, welche das Büch Itmits Iteanen.
wrnlen in di r uemu Auflaut? si hiitzt-iiswerte Verbesserungen und ErweittTunirt-n
finden} die übrigen werden mit Beifall und Befriedigang Einsicht in dasselbe
n«hm«n. Z.
Tnnsplele, netot Anlettnn; zn W«ttkftmpfeii imd Tarnfahrteii für
Lt'lirer, Vorturner nnd Schuler höherer Lehranstalten heraosgiQgebM von
Gymnasiallehrer Hr. X oh Ira tisch nnd Seminarlehrer Martpn. Mit zeha
Figuren. Hannover Karl Meyer (G. Prior). 96 S. cart öU Ft
Eine trelTlietie Anleitmig ni den im Titel Weichocten gjmnastuetieii Br<
hoInnir''n Tin ! rSunijon. Das auf die>*tiii Oebiptt in dar Literatur und In dt-r
l^raxiä bereitij zur Ausbildung Gelaugte i^t mit Verständnis gesichtet und ver-
wertet, anschaulich und instmctiv zusammengestellt und mit schitsbaren Batb-
schl[i£r''n liee:leit( t. Din^eü prakti-ifho Bndilein wird >ich überall, wo man nach
erheiternden und starkenden Tum- und Bewegungsspielen sucht, &h nützlicher
Battgttber bewihren. ' Z,
Ftthrt^r dnreh die Jugendliteratur. Gnmdsätze zur Bearthtaimf der
deutschi'n .Tn^pndlitrratnr. Winke für Grtindnng, Einriclitnn? tind Fort-
führung t'ingchliifi-ierer Bibliotheken nnd^'er7.eichni^^ empfehlenswert t rSchriiit'n-
Flir Eltern, Krzieher und Bibliothekare von Dietricii Theden. Hambui-^
188S, 6. S. Berendflohn. 78 S.
Verfi\sser i.st un?^eren Lesern l)ereil.>^ liekannt durch ^eine Abhandlung: „Grund-
sätze zur Beuitheilung der deutschen Jugendliteratur" (P»dag. IV. S. 261 ff.).
Za dendben gH>t er nvii m Toriimnoer BroMbtfye tSm xnatb^Sfim „Ver^
zeichnis empfehlen-'v^ rt er Schriften" rar dir Altf rHstnfen v n C 9. von 10^14
und von 1» — 18 Jahren, welches alle Gattungen der Jugendliteratur umi'at^t
«Bd mit den nötigen Erlftutemngen versehen ist. Bass diese Schrift sich mit
einer belangreichen Angeletfi^'i^'f l)e?^cliäftigt, steht auSer Frage; ihre prak-
tifldie Nütz&chkeitbwird jeder erkennen, welker sie in Betreff der Jugendlectöre
ZQ Bathe aiebt. H.
Der Kindei^arten. Theoretisch-praktisches Handbnch von A. S. Fischer.
2. Anfl. Wien IHSS. Hölder. 193 S, T«zt mit 2 HobEadmitteii, dan
25 lithographirte Tafeln. Preis: 4M.
Schon in erster Auflage war dies ein recht irntes Buch, und nun liegt w ia
einer mit großer Soi^falt überarbeiteten, vielfach verbi s^erteu und h< deutend
veimehrten Auflage vor, in welcher es mit erhöhtem BeiüAli angenommen zu
wetd«! mdient Man kann dieses Wetk (Aae Bedenkea ab emea der aUer*
be-^ten seiner Art bezeichnen, als ein in jeder Hiniddkt beMedigeadee Lehr-
uud Handbuch des Kindergartenwesens. H,
Lehrbuch der franzOsisehen Sprache. Mittelstufe, erste Hälfte. Von
Fr. d'Hargnes, Schnlraepeetor in Berlin. 168 S. Dawlbet 1882. L.
Öhmigke (R. Appelius). Preis: 1 ^I.
Im Anschlnss an den für die Untersti:t i stimmten Leitfaden desselben
Verfassers behandelt das vorliegende Bnch Ue schwierigeren Fille der ersten
regelmäBigen Conjugatien» dua die unreL'elmSBigen Verben, wozu noch Er-
gänzungen zur Lehre vom Pronomen, Adjectiv und Adverb kommen. Das
grammatische Material ist in schulmäBige Pensen vertheilt, denen je eine Gruppe
passender Voeabeln uml französische und deutsche Übun^rsstiicke ancrereilit
sind; dieser Lehigaog ist zwar nicht neu, hier aber recht gut durchgeführt,
nad eelbetvetetXndUich wird dieMs Badi in sotcben Scbnlca gans am FlatR
sein, wo bereits die erste AbtheUnag desselben absolvirt ist. F.
i IL Stsia. aasMfMftsni JalTaa EllakharA«.
i^iyuu-L.d by Google
Literatnrblatt.
Beilage zum Paedagogium, V, 9.
l iiser iisterroicliiseiies Volks-, 31iltcl- und liochschulwescii; dann
die Special-LehraMtalteii und FachschiiieiL Streiflichtar eines SchtümaimeB
auf den hentfipen Üntenrichtunutand In Ötterreicfa. Pilsen 18B2, J. Seliiebl.
55 S.
Dies ist der wesentliche Tbeil de« sehr langen Titels einer Broschüre Uber
den derzeititifen Zustand des ffesammten Q^terrächischen Schnlweaens. Indem
Verfasser die Män-^cl drs-t llit-n lirrvorlp lt. sucht er m ziAi^ou. wo mu\ wie
Verbesserungen einzufahren seien. Da es sich hier um die Organisation,
resp. Reform des ganzen ünterrichts^stems eines i^ßen Bdohes, also nm
t'ino sehr weitschichticro Materie hamlelt. ht es nicht zu verwundem, dass
die vorliegende ßroHchür«; uur apliuiiätifich und mosaikartig ausgefallen istj
nebenbei bemerkt scheint auch der Verfasser nicht i^erade ein Ifeilter des
Stüf ^ 7.n sein. Was den Inhalt seiner Schrift betriftt. so kommen 7:war ein-
zeluo thatsfichlicbe Irrtbümer, unklare Urtheiie und l'rojecte vor, dabei aber
auch eine große Summe schitrimer Materialien und Anregungen betreffs dw
so wichtigen Oi^anisationsfrage; und wer sich ftlr letztere interessin, wird in
dem angezeigten Schriftchen manches Brauchbare finden. Obwol yerf^^sser sich
fast aa»8cblie Blich mit dem Mittel-, Hoch- und Fachschulwesen beschilft i<,'t, ist
ihm doch die hohe Bedeutung des Volkuchnlwesens völlig klar, und indem er
die Hebung und Pfli^ deemlben mit Nachdruck fordert, maefat er die troff-
Helle Btiucrkuni^: „Dies dllrfte die Tiitertsscn des Staates sowio de.-- Einzelnen
mehr und besser itirdem, als die moderne Überflutung des staatlichen Orgauis-
mns mit gebildeten Proletariern und halbgebildeten Bettlern.'* H.
FnazSslHchc Clirostoiiiatliie. Enter Theil. Herausgegeben von Conrad
von Orelli, nach der 5. Auflage neu bearbeitet von A. Rank, Prof. am
Gynmaaiiim in Zäricli. Daselbst 1882, Scbolthess. 292 B. Preis: 2,40 H.
Dieses altbduninte. Ton dem verdienten Schttlmamie C. ▼. OraUi berrlUirende
franz. Lesebuch lit trt hier in ein» r zeitgemäßen Umarbeitung vor. Was alt
veraltet oder minder wertvoll erschien, ist ausg^chieden und durch neuere imd
gediegenere Stndte ersetst worden, wddie Tonugsweise den besten Autoren des
IH. niul in. JahrhtiTulerts entlehnt sind. So entspricht denn da* Budi den .An-
forderungen, die mau heute au eine Chrestomathie zu stellen Utrecht igt ist.
Dass der Herausgeber von der Anfügung eines dem Inhalte des Buches ent-
sprechenden Wörterbuches abgestanden ist, kann Referent nicht «rntheißen, da
er aut möglichste Vereinfachung des Unterrichtsapparates eiueu höheren Wert
li gt als auf alle ArgnmMit«, welche man fUr Weglassung eines adäquaten
Vocabulars antVilirpn niasr. Referent stimmt also fllr Nachtrag de'^o"nii"i. F.
FraDzOsischeH Lesebuch für höhere Lehranstalten. Mit erklärenden An-
merkungen, Präpamtion ond WSrtca-bnch. Von Dr. F. J. Wershoven.
Köthen 1882, Otto Schake. 262 8. Preis: 2 M.
Herausgeber eharakterisirt sein Biieh mit foljjenden Worten: „Das fremd-
sprachliche Le-^t buch soll in die Sprache und Literatur einfuhren, zugleich aber auch
mit dem Lande, der Anschauungsweise und den eigenthümlichen Verbältnissen
des fremden Volkes cinitiennaßcn bekannt machen, ohne stofflich ganz außer
Zusammenhang mit den übrigen Unterrichts^^egenständen zu .stehen. Daher sind
in dem vorliegenden Lesebuche besonders solche Darstellungen g< ireben worden,
welche sich auf Frankreich and seine Bewohner besiehen, während andere
Sttteke an Sage und Geschichte des Alterthums, an dentsoltt Gcsdiiehte, an
Naturwis.sensdiaften anknüpfen. Zugleich ist darauf Bedacht genommen worden,
geeigneten Stoff zu Sprech- und Uemorirlibungen zu bieten und gehaltvolle
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Lese-stUcke zu wählen, wf l. diir- ii ihren Inhalt und Art der Darstelliinix
du jugendliche GemQtb aaziebeu uud die L» rulust w. ckf n. Bei Durcimicht
des Baches findet man, daas dasselbe diesen Intentionef} Tollkommen enUipridit
und in jeder Hinsicht aU ein sehr gut»^» f '^hrmirtrl für den Imnstösischen
Unt«rncht bezeichnet zn werden verdient. Auch der Druck i«t deutlich und
geflclmiftekvnlL F.
La France. Historische und geof^phiscbe Charakterbilder für die fraii-
zf5sischo Lpctürp an hßhftrf n Lphranstaltpn. AnsgewShlt nnd mit Anmerkangeii
versehen von Dr. F. J. Wershoven. Kothen 18S2, Otto Schulze. 89 S.
Preis: 0,75 M.
Ist ein Abdruck dar auf Frankreich md wäan Bewoliaer terilgMclMa Ab-
schnitte d(»s goeb/'n angezeii,'ten Lesebuches. F.
AuRwalil französischer (iediehte in stufeumaßij? aufsteigender ¥<<]i-;c.
Mit dtnitschen Übertragungen. Ge.sainnu'lt und peordnPt von Dr. Franz
Hummel, Oberlehrer a. d. Ober-ReaL»chule zu Potsdam. Gotha 1882,
SeUoeBnaoB. 119 8. Pmüi: 1,80 H.
Mit Recht legt Verfas-*»>r Wert darauf, dass im fremdaprarhlichen ÜDterriclire
neben der Prosa auch die Poesie zur ireltuDg komme; und da er in den tür
die Sehvl« btttimmteh fraasCsischen Lesebttchem eine methoduch geofdaete
Sammlung von Gedichten, welche sich fflr die deutsfhe Jujjen l iixntn,
vermisste, so wollte er, unter Vermeidung alles ttberflOssigea Beiwerkes, dithje
Ltoke ausfüllen. Die getnuffBae AoswaU fran/ösis< her Gedichte muss als ge-
lungen, den Schubtwecken angemessen und tvirderlich bezeichnet werden. In
den beigegebeneu deutschen f^h<»rtragungen i^st nicht eine pedauti^h wort-
getreue, auf Kosten der scbönei F rm und des poetischen Gedankens dureh-
gefUhrte Wiedergabe der Originaltexte angestrebt, vielmehr enn^heinen sie ati^h
fw sich selbst als wirkliche Gedichte von edlem Gehalte und in anmuthiKer,
tad«UoMr Spiache. F.
FranzÖsisehoM Lesebuch f&r die obersa Classen höherer TOchterwhiileii«
mit einem \'<irabiilaire. Ileniusj^regeben von .\dolfine T<"ppf-. Zweiter
Cursus. 3. Aull., durchgesehen nnd verbessert von Dr. U. Kobolsky,
Oberlehrer. Potsdam 1882, Aug. Stein. 415 S.
Eine reiche nnd gediegene Sammlung französischer LescstUcke für die Ober-
elassen höherer Mädchensehulen, bereits wmt verbreitet und vr.rtheühaft be-
kannt. Die ideale, aul Herzeus- und GemQthsbildung ausi^^ekeude Richtung
dieses Leseiniohes, welche von der VerSuaerin gleich ursprünglich einge.«chlageii
war, ist von dem Herausgeber der neuen Auflaire fr- halten worden, wie
denn Uberhaupt die ganze Anlai^e dieses bewälirten Lenriuittels die ui^räag-
liche geblieben ist: doch hat die neue Auflage eine aoigliiÄtt Bennoa und
eine Reihe schätzbarer Verbesserungen erfahren. F.
La Lettre fmn^*aiso. Französische Briefe zum besondeipn neliranche für
'rikhterschuien und Erzieherinnen von Adolfine Töppe, heiau^jr- jrehf^n
von Dr. H. Robolsky, Oberlehrer. Leipzig 188^ Rengersche BucLhauu-
laag (OeUiaidt WUiech). 175 S. Pteie: 1,50 M.
„Die hier der Schiilwelt und der Familie trehntene Sanitnlnncr von franzn^i-
scheu Briefen solidem weiblichen Gesdileehte ala Uilt<;buch dienen, um im Brief-
stile die nothwendige Fertigkeit zu erlangen. Es führt Muster fllr die rendüeden«
artigsten Verbältnis-se des Leb'ns in der Familie ninl in der Sehnle vor." Die
Briefe .sind nicht ein steriles, > hahlnnenartiges Machwerk über allerlei fingirte
Situationen, soadem Ieb^.slri.iichc tmd originale AnsKprarben Ober wirkliche
Vorliältiiis-«e. anregend nnd unterli ilt' nd durch ihren Inhalt, mu.sterhaft durch
ihn- F.iini. Ein f!''hön(^*<, praktisoht-, .sehr empfehlenswertes HQchlein. ■ F.
Lehr- und Lesebuch der franzOäbcheu Sprache nach der Ans« liau-
nngemethode nad nach einem ganx neuen Plane, mit Bildern» nnter Benatzang
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— 3 —
d«r oenestMi und testen ftumdWuchen Jnfendscbriften bearbeitet von Dr.
J. Lehmann, weiUndlnititatoVorsteiiW, und Ernst Lehmann. Kd Real-
lehrer. IIL Stnfe. 3. verm. n. verb. Aalt Mannheim 1883« Benaheimer.
167 S. Preis: 1.75 M.
Der Lebniami jiche Lehrgang für den Uuterricht im Französischen, dessen
dritte Stufe hier in neuer Auflage vorliegt, ist zwar nicht ohne .\uerkennnng
geblieben, bat aber doch nicht S^enige Verbreitcutg gefunden, welche er luuch
Ansicht Um Beferenten rerdfent. fir leichnet sieh Ton den aUermeittett Btt-
ehern ähnlicher Bestimmunu' Inr li methodische Eigenthflmlichkcif ' :i 1ureh
Selbstständigkeit nnd Originalität der ganzen Anlage aus. Die Herren Leh>
mann «oUen von Anfang an und m iveit nnr Inner möglich ansehanlfeh
tJTirrrriohteu. d. h. da.-* frauzusisf-he Wort nicht =:nwr! nn r in dentschps Wort,
sondern an das bezeichnete öhjeet. also an die Suche seihst, au die lebendige
Ventdlimg kiril|ifen; nie wollen zweitens den ünterricht leicht und angenehm
machen nnd legren drittens den Hauptwert auf praktische Erfolge, atrf wirk-
liuhen Erwerb der iremden Sprache. Wenn nnn auch in vollen Schulclassen
der Methode Lehmann gewiss viel gröSere Schwierigkeiten entgegen treten,
als im Privat- und Institut.<!nnt€rricht. also in kleineren Schlilerkreisen. m
verdient sie doch gewiä^ die Beachtung all er Lehrer der französischeu Sprache,
nnd wir sind ttbenengt, dase aie kein UnbeCMigener ohne toterem nnd Gewinn
Studiren wird. F.
Etudes SUr in eonversation frau^^aise. Mauael de convei^atlon et de
voyage par George Storme. Hanorre. Chariet Heyer (Gnatave Prior).
Von dem Grundsätze geleitet, dass die ^^ic}lti£r^^te Fuucfion, gleichsam die
ftthnmde RoUei in der Sprache dem Zeitworte zoCalle, hat Verfasser dieses
nun Oentmm alter Gonrersationstthnngen gemacht. Er hat nimHch diejenigen
Verben, welche als GrundliLT' des sprachlichen Verkehrs der Gehildcten he-
trachtet werden können, in alphabetischer Ordnung zusammeug^tellt und in
dieaen Bahmen den f&r den Umgang nöthigen Sprachsfoff eingeigt. Die Zahl
der vorgefttbrten Verben ist 1494. die Zahl der an sie anjrefichlossenen Conver-
sationssfttze 6736. Es liegt da ein tttchtiges StUck Arheit vor, in hohem Maße
geeignet, das Studiun» der französischen Sprache nnd deren praktische Beherr-
schung zu fördern. Das dem Handbuche angefilgte, ebenfalls alpbabeti-sch ge-
ordnete, deutsche Wörterverzeichnis erleichtert die zusammenfassende Be-
schäftigung mit den cinaelnen Materien, welche in dem Werke lentrent vor*
kommen. F.
Die üsterreichiscIl-uiiiLcurische Slouarekie. Geographlsck-statistieches
Handbneh von Dr. Friedr. Umlanft. Wien n. Pest, Harüehen. 2» Aoll.
gr. 8". 967 S. Preis: 6 fl. ö.W.
Umlauft's Handbuch hat einen doppelten Charakter; es ist ein Nachschlage-
buch und in vielen Partien ein Lesebuch. Nach )>eiden Seiten entspricht es
strengen Antorleniiiijen. .Soweit Verlässlichkeit auch im I>etuil hei einem so
umfangreichen geographischen Werke erreicht werden kann, wenn dasselbe
ächt in allen Theflen nach Autopsie geschrieben wird, ist sie erreicht Es
wird wol in Neben^.'ichlichein herichtiet werden (siehe z. B. Busaltherir hei
,^teinschönau" in Böhmen, Lief. 7}, im großen und ganzen bleibt es doch das
beste gegenwirtig Aber die Honarchie geschriebene Handboch. Sehmiedel ist
längst schon veraltet. Anch die erste Auflacre (187()1 ist von dieser zweiten
in jeder Hinsicht überholt; ist fast ein anderes Buch ge wurden. Streht das
Werk in seinem statistischen Theil nach größtmöglicher Genauigkeit und bringt
es die Ergebnisse der jüngsten Volkszählung, so sucht e.n in den eingeschalte-
ten ..Charakterbildern" den trockenen Lehrbuchton abzustreifen; Umlauft
Uberlässt hier beredten Sebüderetn und gewiegten Kennern von Land und
Leuten das Wort. So erhalten vrir farbenprächtige Skizzen. Wer d.i weiß,
ivie schwierig es ist. für viele österreichische Lande, die trotz Schönlieit uud
Großartigkeit der Natur norh iunuer abseits von der Heerstraße unserer schrift-
steUemden Touristen liegen, anschauliche and lebensvolle Schildereien aufzu-
finden, wird mit d«n Lobe über diesen Theil des Umlanft'schen Buches nicht
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zurttckhaiteu. 51 VollbiMer uud ca. 120 in den Text eingedruckte kleiitf^ie
Holzschuitte, zumeist nach l'Lotographii-n oder Naumnfnabmeii, beleben ülirr-.
flies den durch da?« Wort emi»fi\i)e:eii»;n Eindruck. — Wir wteschen dem BticL*'
recht viele Leser auch auUerhalb Österreichs, wo rtber die Monai' h:-: i.
heute viele unhcbtige, ja die douderbarsten ürtiieüe und Asscbauungea im
Schwange titui, W.
Les>iiiirs llamburgischc Dramaturgie fürdcn ScUoJgebraucheiniferichtet
und mit Erlftnteningeii vendien von Dr. J. BasckmaDn. Trier. Lintz 1882.
ßufflimanii L'f lii'rt zu jenen S' JuiliriSnnera, die mit Glück auf allen (Tebieten
df-* dt KtM In 11 l uifiii« ht-i iiteraiisch thätig sind. Er hat eine Grammatik, ein
L*-'.lHich für alle Clausen des Gymnasiums, eine StiiUlin-, einen Abriss der
Metrik und Poetik i^c«^« lirieben und • iii^' lifüobtt- h'i l.ulau-i.'^ab*- de-* L>\ k'- n
veranstaltet, der sich uuu die vorlitictuik- Au-yak; der liauiburgjMUtrn
t^urgie anreiht. -\uch sie lä.sst den praktischen Schulmann erkennen, ^»owul iii
der .\a?swahl der Cnpitel als in der Art. wie diese erläutert werden. Es im\
nur stdche Theile aufgenommen, die sich auf den Schillern znträngliche Theater-
stllckt; stützen und Fnu^en der Dramaturgie behandeln, welche innerhalb dt-s
{geistigen Uorizontei der Schttler liegen imd aof die« bildend einwirkea. In
etxumr Hnwicht ist durch Ihbaltsan^raben, Hervurhebnng der IH«|iQ8ition.
zusammenfas.'jende Fragen, ihirch sachlichf' und »pra« lilit.h<- Eiuz'-lerklSrnuiren
dem Verständnis des schwierigen Werkes euttfegeugekommen. Busdunaau hat
bei seiner Arbdt avch die wiseenachnftMcben ErlInterongeH eines CoMdi, eines
Tiii'T- 1 iniil TLieh- -flu benfttzt. Es wäre im Interesse der Sache zu wfui-
*( heu, lia;-?! sviuf ^ciiriit auch in dt*u Lehrerbildungsanstalten studirt werde.
Gervinus sagt von der llambiirgischen Dramatxugie: ,.Ich kenne kein Back,
bei ii>.ni 'in detifschcs Gemüth liber den Widerschein olit d-nt-cher Nati.r.
Ticii; (l>r Erkenntnis. Gesundheit des Kopfes, Energie des Charakters» KeiD)<ir
des Gc<ohma< k^ inntgt^rc Freude un4 gerechtfertigteren Stolx empfinden diirt:^,
als Lf'>MnL- Hambmgisohe Dramaturgie." W.
Die Projeetionsknnst fiir Schnlen. Familien nnd nfTentliehe Vr.rst.^llnngen
nebst einer .\nlf ituii<r zum Mnlen auf Glas. 8. nmgearb. n. verm. Auflage.
1Ü5 S. Düsselduii lhiS2. VA. Liesegangs Verlag. Preis: 5 M.
Das hübsch aasgestatt* tc im-l mit IKS Illii<ti;\iionen versehene Buch enthält
nebst der Darlegung des Wesens der Projectionskuust die Beschreibung des
optischen Systems des Prqjections-.^pparates und der verschiedenen Utensilien
snir Eneugung von Nebelbildem sowie die Beschreibung verschiedener optischer,
magneti-scher, chemischer und elektrischer Versuche. Wir empfehlen es insbe-
sondere jenen Vätern, die ihren Kindern interessante und belehrende Unter-
haltungen <u beieiten wQnschen. J. JB.
Bsekdruekmi Jalias KHnkliardt, Lcivxie-
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Literatnrblatt.
Beilage zum Paedagogium, V, 10.
Eli'uu'iitares Lohrbiich der alarcbraisflien Analysis tlir den Untei-
ricbt an technischen Anstalten von Hans .Staudacher, Protessor tiir
UAthematik und Pliyalk am Kgl. Bealgyinttariiuii zu Speier. Hfincben 1882,
R, Oldenboiir. 169 Seiten. Prab: 2^ H.
„Vurlie^ondt < Lflirliii' li." s.iirt der Verfa^NPr. „ist allmählich aus di n Voitriii^m
Über algebraische Analysis entstanden, welche der Verfasser seit mehr als zehn
Jahren an den beiden oberen Classen des K^l. Realgymnasiums hält." Er lei>
tet $eiii l^uch mit iler (>»mbination«:lplirp ein, \vt'l< lier «Ipr hinoiiii>< he Lehrsatz
i\\r gau/.e, |)usitivc Exponenten, die arithmetischen lieihen erster und höherer
Ordnung, die geometriadiett Rdben und die Rechnnngsarten mit vom^ilexen
Zahlen t"<ilir. ii. Die Lehre von den Pfterminantcn knüpft an die Cumbinations-
lehre an und schließt mit dti Auwendung zur Autlnsun^^ von Gleichungen
ersten nnd zweiten (.rraden mit mehreren L'ubekaunten. Es folgen die Auf-
Ißäungen von Gleichungen dritten, vierten nnd höheren Grades, die Kennzeichen
der ('«»nvergenz der Reihen, die binomische Reihe, die trigonometrischen, loga-
rithmischen, cyklomctrisclieu ini<l rt-nirrenten Reihen. I»ic Vi irtrags weise des
Vei&Mers ist ausgezeichnet durch Einfachheit und Fasslichkeit. Besonders zu
lohen (hiden wir die Ansehauliehkeit in der Behmdlung der Rechnungsart«n
mit lafi-ralcn Z.ilili n und die graphische Darstrllnnir derselben, fenit r, <hi<s der
Nutzen der Determinanten alsbald an der Lösum; von quadratischen Glei-
ehnngen mit zweien Unbekannten klar gemacht wirC dann die Erlftnterunir der
Stnnn'schen Reihe nnd endlich ilen rbfr^-anir vom irrednrihlen Fall drr Cai"-
danischen Fonncl zur trii^unumetrischeu Aullösuu^ir- Mi' diesem Ab^chuittt; hat
unsere Zustiiiinnuiir und unser Lob sein Ende erreicht, denn was nun folgt,
n&mlich dieThiorie der Reihen, übersteigt im altgemeinen das Gebiet der höhe-
ren Sthule, uuil wenn schon unter besonderen Verhftltnisjseu dieser Stoff zum
Vortrage (^'* langen soll, so h&\^ii wir im Tergangenen Jahre durch das Lehi^
buch von Worpitzky eine an Durchsichtigkeit mustergiltige, an Durchgeistiguug
uuilbertrefniche Dantellung dafür erlialten. Nur nebenbei wollen wir bemer-
ken, dam die Binfthmng des Qymbols: anstatt . (^) weder nothwendig,
noch zwerkniäßiir ist. Im Ganzen aher geiiiirt dieses Buch zu jenen Erschei-
nungen, welche der ITachmann, der die Literatur seines Gegenstandes kennen
will, nicht nnbeaehtet lassen diof. F. E.
J. (i. Jlaier, Oberlehrer am k. ^jchuilehrer-Seminar Künzelsau. Lein lau h
der Elementar-Ariflimetik nun Glebmnche in Scholen, Lelirerhfldungs-
anstalten und beim Selbstunterrichte. Stattgart 1882, D. Gundert.
I. Theil: Pr\s ■Rechnen ntit :ihsolnten Zalilengif.ßen. 256 Preis 3,60 M.
Tl. Theil: Das Rechnen mit algebraischen Zahlengrüßen. 330 S. Preis:
4,50 M.
Der Verfasser stellt sich seihst die Frage, ob ein Bedürfnis nach seinem
Buche vorhanden sei, nnd heantworttt dieselbe mit Folgendem: ..Ks tehlt an
einem tieferen, ich möchte sagen wissenschaftlichen Verständnisse der gewöhn-
liehen, nnserem bttrgerltehen Leben entnommenen Aufgaben in formier nnd
sachlicher Beziehuni,'' und an der Bekannt srhaft mit ilen verschiedenen Lö^nngs-
arten." Diese Worte enthalten den Plan des BuchcH. Wir finden im ersten
TheOe die Becbnungsarten mit ganzen nnd gebroehenen deloHliBeheit Zahlen in
einer Hchtigai nnd fuilioben Daiatellang, der grBBte Theil des lUumes nnd
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dio üorcrfSlri P>i.ii,(ii<lltniy i-r aTir-r <\p\) Aiifarih^n zugewendet, welche zltr
Kegeldetri geuoiiu uiWr uut deiöelUeu verwandt »ind. Der zweite Tlieil ent-
hftlt die Reclinuiufsarteu mit allgemeiDen Zahlen in »achgemäßer Ausführung,
wieder aber uiuunt deu meisiteu Rntiiii die Anweudnug der Tlieorie, da» ist die
Lehre von deu Gleichungen ersten und zweiten tmidea mit einer und mehreren
UnMEMmten, in AnApmcb.
Wir müssen e-^ wahrheitsgemäß au**]trorhpn. dn^-^ es dem Verfa--fr creltingen
ist. in das (.t liiet der Regcldetri nml der verwandten Aufgaben miwoi in Bezug
aut ihn 11 Miulilichen Inhalt, al> am Ii hinsichtlich ihrer teclmischen BeliandliUiig
eine Übersiclit und datnit zugleich Yertiefiuig der Einsicht zu bringen, welche
bisher noch nicht erreiihi war. Dieses Ziel hat der Verfasser dadurch erreicht,
daas er die sogenannten verkehrten I*roport innen als solche von der Betmch-
tnng ausschlov«; und die bezüglichen Aufgaben auf directe Pn^portionen xuiftck*
zufuhren verstand, wobei der Gedankengang etwa folgender ist: Eine Wirtrenuar
kann von einer oder vmh mehreren Ursachen abhängig gedacht werden, dem
I(emä6 nuterscheideu wir einfucbe und jnuanunengesetzte Glieder in einer PrtH
portion. Z. B. Der Zins ist diu Ergebnis ron (»pital und Zeit, der Fracht-
lohn hängt \ i'n r,.i>t und Wog ab. Sonach I.i>Ht .'ich eine \ «•rk.-lu t'- lug- !-
detri als eine diiecte mit zweien zusammeugesetzten und mit zweien
g-leiehen Gliedern betrachten. Dam diese Betraehtangsweise dne sadigemftAe
.«t'i, (-rlu llt auch der T- xriniiiij der Aufg-aben dr-r verkehrten Reirr-Mern.
bei wcklier die Wortt; „gerade so viel"', „eben ^ viel"', „deu gleichen Ziu»"',
„einen ebenso großen Lohn", „bei gleichem Fläche"' tt. 9. w. nicht vermieden
wenlen können. Diese Auffassung gestattet deu Zii<«anini« rili.ing d. r vi r-chie-
denen gebräuchlichen Lösimgsarten , deren der Vertajiser uichl utui^er ab
zehn aufzählt, als einen einheitlichen zu erkennen. Namentlich fugt sich ancll
die Reesische Regel Kettensatz) der Behandlung verkehrter Projwrtionen,
wovon sie bislaug ausgeschlcssen war. — Auch die Darstellung der Gleichung*-
lehre, bei wi Icher bis zu den höheren Gleichungen, die sich auf «luadratisehe
surttdtfüluren lassen, und den £xponential>GleichuDgen gegangen wird, rerdient
m Bezug anf Sorgfalt and OrQndlicbkeit alles Lob. wenn sdion letztere inaneb-
mal an Breite streift. Alle übrigen Abthi ilunirrn des Bnches sind, w- im -> h>-fx
keine hervoiragendeu LeidCungen, doch eine richtige und üassiiche Wiedergabe
des Bekannten. Dieses unser Lob soll keinen Bintn^ erleiden, wemi wir nun
den Verfas,«. r auf tini:,'*' I'nErenanigkciteu aufmerksam machen, welche sich
eingeschlichLü haben. So lesen wir bei der Multiplicatiun uud Division eineä
Bruches durch eine ganze Zahl, sie geschehe, indem man entweder den ZUüer
oder den Nenner, oder beide mnlfipli irf .dir dividirt. Es darf aber eine
brauchbare Regel keine so unbestiniinte Fafi.sung haben. — Die abgekürzte
Hnltiplication erfährt eine wesentliche f>lrichtemng. wenn der Mnitiplicator
in umgekehrter Ordnimg unter den Multiiilicand geschrieben wird. w;i> d-'r
Verfasser unterla.ssen hat. — Bei den Keclinungsarten udt allgemeiuen Z.iUku
wäre es angezeigt, den Gehrauch des Vorzeichens besser zu begründen. — Im
zweiten Theile wäre auf Seite 24 die Note 6 ganz wegzulassen, denn sie be-
ruht auf einem Hissyerstftndmfwe. — Auch sollte der Verfasser etwas Tor»
sichtiger -ein in der i^ciiiiffunir von Kunstausdriiekeu; es ist nicht erlaubt.
KunstauAdrUcken, welche mit einer bestimmten Bedeutung schon in Verwen«
dung stehen, einen neuen Sinn nnterzuschieboi. So muss es Seite 161 genaver
heißen: Gleii ]i na iniir. wenn P'ttt n^iande und Expouente gl-^ich mxd: s-leich-
gradig. Wenn mir die Exponente gleich sind u. s. w. Wortbildungen wie
„Miuusgröße" siud nicht von gutem Geschmadte, denn es wird damit eine rer»
Sndertielie Eigenschaft zur Hauptsache gemacht: man sagt doeli lucli nicht;
„liothgröiie"'. ..Hartgröße" etc. — Bei der Zinsesziusrtcluiuug erjk Leint der
Ausdruck fiir d Endcapital in einer sdur nn|;esebickten Gestalt. — Bei der
Annuitäten-Rechnung i^t nicht das Anfangscapital, sondern das Endcapital iu
die Gleichung eiuzustelleu. — Der Staffeldivision lässt sich eine viel ge-
drungenere Form geben als auf Seite 306 zu sehen ist
Wir wünschen, dnf;< der Verfasser in einer zweiten Anfbüre seiue> Buches
bald Gelegenheit findet, vorstehende Mängel nebst eiuigeu Druckfehlern zu
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vpr^<>^fni: aut'enlem milchten wir ilmi rathen. -l-n trsten Thcil eben-u mit
eigeueu Aulgabeu zu vergeben, wie deu zweiteu Tlieil. Es wird die.^ der
hücLst wflnflcheuäwerteii Terbreitung seines Bachei viel zntrKgticher sein , als
die Berufung auf eine, wenn auch sehr hekannte Av^abraiiainnilansr. H. S.
Otto T» Letxner, Illiutrirte Litenitiurg«8chidito der vornehmsten Cultnr-
Tlttker. I. und II. Band: CTCschichte des deutschen Schriftthllins. Prei:»: geh.
14 31.. »l'ü. geb. 18 M. III. und TV. Band: Geschichte der fremden
Literaturen. Preis: geb. 13,50 M., eleg. geb. 17,00 M. Leipzig, Otto
Spamer.
Ldxner^s Litenitnnrmehichte kommt es nicht danvf aa, den Entwielcliinfl:«-
gang je<ler eiii/>Iii*n Lit«iarur etwa blos z« skizziren, di«- Vrifret.r rler
Uauptricbtuugeu einfach zu neimen and durch ein paar fertig überlieferte
Urtheile eu charaktetMren. flondem »ie nieht viefanehT dnreh mnAhriiche
Iuhalti*aiiiraHpn der voniphniston Dichtungen, durch Mittln ilniie: länLr»'rt r Pielu n
au9 ihnen und daran i<ich schhetiende Comnientare und ü»tiieti»che Äualvncu die
Dichter selbst unserem VerständnLwe und Herzen näher zv bringen. DaWi
schildert sie in vulti-r Erkrnnttii« der Kiircu-M-iiaften einer popni.iieii I^ar-
ötellung) die i'ulturverhältnisse, aus denen sich die Literatureu eut\vi< kol-
teft Qua die jede Eigenart derselben niitbedingten. dort aiistVi lirlicher, w«* sie
unserem modernen Wesen fremdarti!? gegen Ubertreten (z. B. bei Hellas, Indien
etc.). dort aber wieder nur durcli einige leichte Striche, wo diese geuilgtn.
l'ek.^nnte Erscheinungen oder verblasste Kenntnisse in lebendige Erinnerung
zu bringen. Du» Ganze hebt — und das ist nicht etwa nur etwas Neheusäch-
liches, was sie tot andern iwpnlären Geschichten der Weltliteratur, z. B. der
von Scherr voraus hat — ein i t ielier Schmuck von sorgfältig ausir' wählten
Illustrationen. Sie kommen dem Verständnis des Wortes hilfreich ent-
gegen. dfCngen sich nicht lUs Hauptsache in den Vordergrimd nnd werden,
Aveil /nineist IUH-«-trat<'ren entnoniiiieti. dii- den Dielifern in ireni.ilfr Wci-ic mrh-
ziiiühlen vermochten, eine vielen wüikommeue ätUtze der Phantasie und wol
auch des Oedftehtnisses sein. Besonders sahlreich sind die nach anthentischen
Stichen jrcaHieireTen Porträts.
Den -Mittelpunkt des Werke.*? bildet die Geschichte der deutx hi ii
Litt iatur. Sie umfasst deu größten Raum (2 Bände); auf sie wird bei De-
8)irechung der freniden Literaturen ununterbrochen Bezug genommen, sei es,
dass ihr Einfluss auf ein Dichterwerk der fremden Literatur betont oder, was
ja häufittrer der Fall ist, die Art der Einwirkung des fremden Werkes auf das
deut-elir ht'rvorgehobeu wird oder dass der Parallelismus in der Entwicklung
beider Literataren aufgedeckt enn^heint. Leisner ist ein zu besonnener Histo-
riker and ein Tiel zu gediegener Ästhetiker, nm hier den richtigen Standi>unkt
bei der Wertschätzung' der heiinis.lien Dichtung zn verlieren. (Chauvinismus
liegt ihm fem. „Gerecht allerwege" ist sein Wahlspruch. Und da er auch
den Stand der Fonehniur nnd seine VortrSnirer genau kennt, den Stoff allseitig
beherrscht, zugleich ein Meister <\i--~ '^r^Is in dem Abwftir™ der Wort»^ i«t. ■^o
dass sein Urtheil nicht minder klar als scharf jede Zweideutigkeit aus.schließt,
ist es eigentlich nach dem Gesagten seHwtversiändlit h , d.tss seine Literatoz^
geschichte ein gutes Buch, ein^ Air Hausbuch geworden ist.
Eines möchte ich noch hervorheben, da es eben*.ill> dem Buche Freunde
gewinnen kann. Leixner widmet der Literatur der uuuiittelbaren Gegen-
wart eine eingehendere Betrachtung, als sie yielleicht nach ihrem wahren
poetischen Wert venliente. Ich halte di<>s hei einem popnlären Werke für einen
Vorzug. Die neueste Literatur (mau denke nur an me fViinzöswehen Romane
uud Dramen der Gegenwart^ nimmt nach unserer ganzen iet/i:;on Richtung
einen so umfangreichen £inflas8 anf unser Denken nnd Fühlen, über sie sind
eine* Heng« scMdigeuder Hodeurtheile im Umlauf, dass es wahrlieh noth thut,
dieselbe auf ihren Wert oder Unwert auch in einem Buche, wie das vorliegende,
zu prüfen. W.
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— 4 —
ErlSut^ruiisr inid IVUrdleun^ deutscher Biehtiiiigpen von Nadler.
B«rnbnrK Bacnieistor. gi-. 8. 434 S.
In ^ohlicher und methodischer Hinsicht ii*t das vorlieg^ende Werk eine rein-
liche Arbeit. Die EiuleitHn«, in welcher sich der Verfaisser über ä.«theti!»che
BildoQg auMpricht and darüber, wie diese darcb Zeichnen, Musik und Poesie
in <l«r VolksMlrale gepfle«^ werden liuiii, «ithXlt t«> gesunde Ansebanimgen,
das!< II . III si, h auch mit Int^'resse dem Haupttli» il»' des Buches zuwi-ndet: d» r
Erläuterung uud ästhetischen Würdigung vou liemuuui und Dorothea, Miuua
von Barnhelm, Wilhelm Teil und meh'r nls bnndert epischen nnd lynschen
CJhÜ' lit« II. l'i'u Referenten >^iinMit «Ii- r Tlieil (lamm an. weil „die Erläu-
terungen" zum Verständnis der Gediclitt- , be»ujider» die SacherkJärungen. stramm
gi^^eben sind, weil sich bd der . Betrachtung des poetischen Wertes * (sei e«
nnr der i>nf.ti?cheu Momente dtis Stoffes. .,<!.r d-^r Sli<"iiht'iteii iler Fenn)
ein »icherer und fester Oang «»ftenliart uutl alles einen philosophisch durch-
gebildeten Geist venitlL Dass ihr «iedichte nicht zur Grundlag« einer bloten
Denkoperation genommen sind, würde Referent .srhi<»ßlich j^ar nicht als Vorzug
erwälmeu, wenn alle Conuueutare diese, mau sollte glauben, selbstverständliche
Eigensdiaft besftBeo. — r.
leitfaden zu elBem methodlselien Untenriehte In den wMMlehen
Handarbeiten. Mit 23 Wandtafeln. Von Martin Godai. weil. Direc-
tor der MttdclieniibnnerJ^schnlp am stfldtischen Pildagoginni. Pn-i-« des L^»it-
fadeos nnd der Wandtafeln 4,bU Ii. Wien und Leipzig, Jnlias Künkliardt.
Ein ganz eigenartige« Werte, welehes wol verdient, eingehend hesproehen m
werfl'ii, littet dn vor nn^'. Der ..Lfitfadcn" . zwar äußerst knapp, aber doch
allgeiiiem verständii^ h aliL'i tassT. zeiirt da^s in jeder i lasse zu erreichende Lehr-
ziel nnd deutet die b. im .Mas-,oii unterrichte anzuwendenden Handgriffe in
militärisch kurzen Befehlen an. Die Wandtafeln, in der Größe vou 47 P4 cm,
sind selb.st am äußersten Ende eines Lehrzimmers noch deutlich zu erkennen,
schmiegen sich genan dem Texte an und veigi^ien wärt igen das von der
Lehrerin ein- oder mehreremale Gesagte und Vorgezeigte dauern 1 d»!m Auge
des Kindes. Von mehreren Seiten wunle uns schon die Vorzü^rli» likeit diese«
Lehrmittels gerühmt, und auch wir sind überzeugt, dass bei richtiger Auwen-
dnng beim ^ktassenonternchte recht erireoliche Eesnltate mit Hilfe desselbea
erriek verden mflssen.
Nfii Ii wiill'-n wir der rt. iisilien . wekhi.' doii n. braiub dir^t-^ LehrmitteU
wesentlich fürdem, itnd die durch die Vexlagshaudlung um den Preis von
3 II. SV haben rind, ErwKbnang thnn. Diesdben bestehen in einem groftes
polirten Holzrahmen mit rorgezogenen S. hiiilreii, 2 «Toßen hr'Izerii'Mi Stri< k-
nadeln, einer großen Häkelnadel, einer ebensolchm Xt tznadei und Wake.
fiahmeu ist mit einer groteii Ansahl gelber Nig« l v. r-:ehen, «dcbe es ermög-
lichen, die Schnüre enir oder weit Tin ziehen, je nachdem es augen>rli. kli-h
beiiöthigt wird. Au dienern liahuieu l4u>.sen sich nun die verschiedensten
Arbeiten vorzeigen, als: alle Arten Nähstiche, Ausnähon des Netzes. Schliug«-
stich, die den Kindern so schwer beizubringende Strickstoppe etr. Wir k?^nnen
daher Leitfaden uud Wandtafeln, sowie die zugehörigen Iteusilieu jeder
Madebeiischnle mt Anscbatfuiig bestens empfehlen. — e.
Bnehdruokeni Jilint KliBkk«rdt, Let|Nrif.
üiyiiizeü by GoOgle
Au^t [jteraturblatt
Beilage zum Faedagogium, V, IL
Anleitung zu dem freien perspeetiri^eheu Zeieliiieu nach der
Katar, mit Iwwmderer Bücksicht auf den Sdhnlnntanielit und zugleich fiir
den Selbstnntenicht Von 0. G-ennerich, Geschicbtnnaler nnd Ojmnaaial«
Zeichenlehrer in Berlin. 116 Seiten Text und 7 Tafeln mit 97 Figuren.
Berlin 1882, Winckelmann Ä Söhne.
In klarer und sutrefiender Weise bespricht der Verfasser die verschiedenen
Beetnbangen mf dem Oebiete dieies wichtigen md iehwier^;en Lehrfrecren-
standes uiul liCirründet seine auf einer vieljühritjeii futerrii-litspraxis b min 1. 1-
Lehrmethode. E» int ein Vei^Ugen, seinen geUiegeutia und überzeugeuilcu
AmAhningen zu folgen. Da« Werk flerftUt in 2 Abtheilungeu, von denen
die frstc die Dralitmodello, die zweite die vollen Körper Lehandclt. Die vor-
fj-rfUlirtcii Mudelliiut'stelluii^in bieten eine Reihe charakicmtischer, auSchwierig-
ktit alliniihlich waclisemicr, durchaus lehrreicher Beispiele. In den atwgtnvählten
Aufgalien erscheinen 10 Modelle der t-rsten und Ifi der zweiten Abtheilung
verwendet, und zwar werden gleichztitig Ausichteii einer und derselben Modell-
aufstellnng von verschiedenen Orten aus vorgeführt. Die Art und Weise der
Erörterung der Beispiele i.st in den ersten nnd in einigen der späteren Auf-
gaben mit gröBerer Ausführlichkeit, zumTheil jererftdeani in Gestalt des Vortrags,
wie derselbe in der Schulclas.-^e zu halten ist, gezfi£;t. Eine Reihe vun Erfahrungen
hinsichtlich der Praxis im Massenonterrichte, welche sonst nur nach vielfachen,
oft verfehlten Versaeben gewonnen werden, treffliche Winke llbw die Tertbef-
lung des Lehrstoflfes, über die Beschaffenheit der M^dtlle und ihren rationellen
Gebraach, Uber Zeichenmaterialien u. s. w. erhühen noch den Wert des Werkes.
Die Hgnren aind mit grioBerSoigMt, correct und sauber ansgefOhrt, vnd nach
die Ansstftttnner ist zu loben. — Das Werk gebort unstreitig zu den besten
seiner Art und ist ties. uders geeignet, zur Einigung über die Lehnnetbode des
beimndt Iten Oegeiistanrles weeentueh beisntragen. TS» na daher aUen Zt iriien-
lehrem bestens enijitVihlen. J. E.
Tasehenbueli für da.s farbige Oruameut zum Schal- und Privat-
gebranch. Von J. Häuselmaon und B. Bingger. Zflrich 1882| Orell
FMi dt Co. Preis: 7 M.
Das Werkchen ist für die höhere Stufe des Elementar -Zeichenunterrichtes
bestimttit nnd bietet auf 51 Blättern kleinen Formates (11:16 cm) 80 durch-
wegs schöne Üachumamentale Motive aller wichtigen Stilarten in den bewähr-
testen Farbendiaden und Triaden. Die Beiwoduetion der Muster ist durch
knappe, doch genllgende Bemerktmgen und — soweit nöthig — durch
Einzeichnung von Theilpnnkten oder Hilfslinien erleichtert; überdies ist der
Sammlung eine kurze Anleitung zum Coloriren vorangestellt. Die Ausstattung
iSast nichts, die Ausführung der Figuren — mit goingen Ausnahmen — wcoig
m wünschen übrig. Der I^is ist im Verhältnis zu dem Gebotenen ein anter^
ordentli< h niedrig^er. — Da.s Werkchen verdient .sowol hinsichtlich seiner durch-
aus löblichen Tendenz als auch hinsichtlich seiner Anlage und Durchfahrung
mit Ehren genannt nnd der frenndüdien ficnchtung der Ldireiiehnft wlmstens
emjpf<diUii sn wecden. J. £.
Bilder aus der VölllCPkunde. Von Dr. Michael Geistbeck. Mit
96 erläuternden Illnstrationen. 160 S. Breslau 1883. Ford. Hirt.
Eine Völkerkunde, wie die vorliegende, wird dem SchiUer stets ein gutes
Hilfiibneh sein, aber aiemals da Lemndi, nnd ab wd^et wili dieselbe, wie
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uns dilnkt, gar uicbt augtä«hen werden. Als Privatlectßre zur Vcrvüllst&n-
digimg dies geographUcheu, ^^ell völkerknndiichen Unterriolite.s birgt das
Buch manches recht Gutt-, das an? den vielen Quellwerken, die der Verlasser
ffewisBeuhaft angibt, mit weiser Auswahl zusammengestellt iät. Die eiuzeluea
Ci^itel : Geistesleben, Gefühlsleben. Sprache nnd Schrift, Nahmngs- nnd Genuss-
mittol. Kleidung und Schmuck, Wohnungen, Handel und Verkehr, geselliges
Leben, Ehe- und Familienleben, Trauer und Todtencult, Sechtsverh<nis^e.
staatliche und gesellschaftliche Verhältnisse, Moralit&t und die Religionen der
Völker und nicht gleidun&fiig Tollstftudig behandelt; «o bAttea wir gerade in
Beeng Elf letitere ehe wdtem AiMfUirnnj?, sei ee auf Kbateii Mherer
Abschnitte, gewünscht. Die Angabe r (^aellen in Fnfinoten i«t eine sehr
wiUkommeiie Beigabe, da hierdurch dem Leser Gel^^enbeit geboten wird, Uber
Partien, in denen eir ddi genauer faifiinnfrai wiB, in betreffenden Weirke Wei^
läufigeres zu lesen. Die Ai:--rattuiig. insbesondere die zahlreichen, wol vitl-
tacb anderen Werken entnommenen Holzschnitte, verdienen alles L<jb und i^t
daher wegen Inhalt nnd Form dM Weikelien Ldnm nnd ?iQ«g«8chrittenerett
Schalem heitens «amenpMdfln. C. B. B.
Tnmipler*8 Xlttelschnl -Atlas. GraBe Ausgabe. Wiai 1883, «Hof* und
StaatsdruckereL Preis: 3 fl. ö. W.
Den gegenwärtig an den öeterreichischen Mittelschulen im Gebranch stehen-
den Atlanten von Kozenn und von Stieler tritt der vorliecr^de Atlas als Con-
current gegenüber. Kr ist in zwei Ausgaben er«:hienen; die ..große Auscab» -
enthält auch die Specialkarten von Östmeich-Ungaro, die der Verüaver früher
als „pbysikaHidien Atlas dar Honarefaie" fdbetcändig herausgegeben hat und
die iui Literaturblatt des Pädagogiums (Band V, Nr. 4) bereits angezeigt wor-
den sind. Tnunnler sucht in seinem Atlas die W&nsche und Anifordenuigen
an ehran Sdralatus an verwerten, die ror ein paar Jahren tar Wiener Yer^
„Realschule" in einer Reihe von Sitznngf n t'<stellt hat. Er hat für in i
Atlas grOfieres Format gewählt, die iibysiJvalischen Verbältnisse in deu \ urder-
gmnd gestellt, dem entsprechend nur dort das Flächencolorit angewendet, wo
eine blo3 einff^nnige Umrandung, wie sie auf den meisten Karten genügt, nicht
mehr auäreicht {z. B. Karte Deutsches Reich >. feruer dm Tiefland und Bei^-
land in älmlicher Weise, wie auf den Sydow'.schen oder Hölzerscben Schulwand-
karten, bezeichnet, auch die Meerestiefe durch verschiedene Färhuug aut'edeutet.
Die gleiche Jüücksichtuahme auf die im obeu geiiauuteu Vereine gestellten For-
derungen bemerkt mau weiter auf den Karten, die der £ozenn'scbe Atlas in
einem Supplement bringen wird nnd bisher in Schulatlanten fehlten, also den
Sprachen-, Cultur-, Dichtigkeitekarten etc., besonders aber auf den drei ersten
Blättern, von denen das zweite die Termincdogie, soweit "ie die Oro- nnd
Hjrdrogiäfhie nnd die horizontale Gliederung betrifft, in wirklich lehrreicher
Weise tu einem eonereten der Natur entDommenen Bdsidde darstellt. Diese«
Blatt gefällt dem Referenten als eine gut durchdachte Neuerung bes.indf'rs.
weniger die auf Blatt 2 eiugereihteu „Charakterbilder", die auf kleinem Baume
gezeichnet und noch dazu ungenfigend colorirt waig Wert liaben; d»enM bitten
auch die verschiedenen Planieren der Schraffining an denselben Ohjecten dar-
gestellt sein sollen, um in ihrer Eigenart und ihrer Wirkung auf« Anire erkannt
SU werden. Solcher Aus^teUungen gäbe es noch einige, auch was U I > rrain-
darstellung aof einzelnen lüättprn betrifft; -nir mli.>sen uns bei dem beJächr&nk-
ten Raum bescheiden, daraul hingewiesen zu haben, und berücksichtigen, dass
das Werk in erster Auflage voiiiegt. Ähnlich wie der Kozenn'sche Atlas ist
der Trampler's sehr deutlich in der Schrift; auch beschi^nkt er sich darauf^
nur ein Schulatlas nnd nicht wie etwa Stieler's Atlas zugleich ein Atlas fttr
Zeitungsles<er zu sein. Weniger Lob verdient die Farbengebung. Bei Tageslicht
betrachtet treten die Farbenunterschiede auseinander, nkht so bei lAmpenlicht;
und doch wird der Atlas bei dieser B^enehtnng wubtt in der Schule häufig
gebraucht. Die Karte 42 er.scheint von diesem Standpunkte besunders mangel-
haft. Dem Nationalitätsprincipe, das jetzt die Welt beherrscht, ist — »o
meinen wir — ein an groier Spielranm emgeiKnut Eb ist das nnso anlfiUliger,
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\
als der Atlas Tnmpter's filr östmeichiadie Schoten bestimmt und in einer
Österreichischen StMtMustftlt Terle&t ist. Auf Kutte 8 z.B. racht der Schäler
Gesammtösterreich verjjehpn!». Ztiaem kann eine in so kleinem MaBstabe ge-
zeichnete Sproeheukaxte £aropas ja doch aa£ Oenawigkeit keinen An^urnch
eilielmL w*
Dr. Hermann Kluge, Themata zu deatschen AnA&tsen und VortiSgeiL
Tflr hShera LebnuMtaltea. Dritte Auflage. Attenbiucr 1882, Beade.
Seitdem Liias und in jUnijijter Zeit in beredter Weir^c auch Paul Klauoke
daigethan, dass bei der Wahl deutscher AuMtae iür obere Claasen höherer
Sebolen der encyklopftd^Mshe Oealehtspiuikt keineswegs mafgebend sein, ge-
scliweige denn vorherrschend zur Geltuni,'- gel ra Iii werden dürfe, sind die
Lehrer bestrebt, den deutschen Aufsata Toniehmiich in den Dienst einer tie-
ftren nttouitiiit nnseiiN' drei ^tm. Ctaariker Lessing, Schiller and CkMthe
zn stellen. Klnge kann von semem Buche satren, dass es diesen neiim An-
schaunngen Bahn gebrochen hat, ohne dm Gute uud Berechtigte der früheren
Ifdnnng Uber Bord geworfen zu haben. Denn es bleibt doch auch heute noch
wahr, dass die sogenftnnten „all^^eineinen" Themen fUr die Aneignung der
rhetorischen Seite des Aui':»atzes in mancher Hinsicht mehr Gelegenheit bie-
ten ab die nin Uterarischen. — Die literarisehen Themen stellt Kluge zu
Gruppen zusammen, deren Mittelpunkt das eine oder andere Werk oder der
literari-sche Charakter eiues hervorrageudeu Schriftstellers ist. So umfaßt die
„Nibelungengmppe" 27, die „Teilgruppe" und die „Gustav Freytaggrujjpe" Je
12 Themen. Lessing, Goethe und Schiller sind in nicht wenige); als 102 Auf-
sStcen Gegenstand intensiver Betrachtung, die steh nicht bloe auf den Inhalt
und den Cliarakter ihrer Werke, sondern auch auf ihre Biographien und ihr»
Stellung zu einander besieht. Diese Vielseitigkeit in der Aoffaseung kenn-
seidaiet aiicli die Tbemen ..alfgemeinet'* Art Bs sind tlidls Besdireilmngvn
und S<jhildentngen, In denen Ii- s.ni lors der irrmllrtn- .llr> Antheil des Mni-chru
an der Natur betont ist, theils Vergleiche, theUü philudophische Betrachtungen
«nd Abhandlungen. Auch hier ist die dritte Auflage gegenüber der iwenen
um eine ansehnlidie Zahl Themen vermehrt worden. Die Themen aus der
griechischen und rüuiiächea Geschichte und dem Zeitalter der Kt^tormation sind
dagegen unverändert beibehalten.
Was die Art der BehundUmg betrifft, so pnhlägt Kluge, der ia dnrch
seine vortreffliche Literaturgeschichte schon alü criahreuer Sthulmaun bewahrt
hat, einen 3Iittelweg ein, der fUr ein Buch, das SchOlern in die Hand
gegeben werden soll , unstreitig der rechte Weg ist. Klage gibt nfimlich weder
vollständig ausgearbeitete Dispositionen, noch stellt er den Stoff vollst&udig'
zusammen. Er streut Fragen ein. die den Schiller damuf fllhreu. das be-
treffende Sto%ebiet nach bestimmten Bichtungen, die l&r das Thema eisiebige
Ausbeute Terspreehen, durehzadenken; er lainmelt Citate, die cv Oedaalmi
atirpn-eTi können uud dasTli- n. i ^ « n v. r-r-hir lmen Seiten beleuchten. Wie die
einzelnen Schüler aof Grund der Audeutuugen des Kluge'schen Buches die
DiqHMitleii ansarlidtea nnd das Gegebene verwerten « wird nach ihrer IndiTi'
dualitAt ganz verschieden sein: Sie haben an Kln^^e eine Hilfe und Stütze
gefunden und ihre äelbdtthätigkeit und SelbststAndigkeit ist doch gewahrt.
Ich glaube, dass ein Tbemenbuch, daa ftr die Hand der Sdininr keatmmt ist»
keine andere Aofgatae USsen darf. W.
Ärieehiselie Heldonsaffon. Für die Jngend bearbeitet voa J, C. Andrft.
Zweite Auflage. 44;i S. Kreuznarh, ^'nis-tl.lnder.
hieben den Bearbeitungen der grieehischcu Heideusageu filr die Jugend von
Oustav Schwab, K. F. Becker und Xiebuhr wird in Zukunft auch die von
Andrä gern gelesen werden. Sie besitzt einen Schmuck, der auf die stndirende
Jugeud eine bes^juders wirksame Anziehung auszuüben vermag: Sieben Farben-
druckbilder und 2\ in den Text tredrnckte Holzschnitte nach antiken Wand-
gemäldeu, Reüets und Vasenbildem. Ahger»eheu von dem Werte, den jed»
Veranschaulichung deü Wortes au uud für sich hat, beiiit^eu diente Bilder einen
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groDcu Keiz dadurch, ikvi« sie, uach antikeu ürigiualen gearbeitet, die Jugend
ganz unmittelbar in die antike Au{fa.Hsung der Sage liiueinfTihren und üie
außerdem au die Formeaspimche der antikeu Kunst gewöhnen. — Der Ver-
fasser, bekannt durch seine weit yerhreiteten geschichtlichen LehrhBcher (Orund-
ris» der WeUirt si hichte, 15. Aufl. etc.). hat so ziemlich den gerammten Sa^r' n-
stoff aotigeuunutteu, der die Jugend iuteressirt oder sich durch ethiachea Gehalt
auaseielinet. Henklet. Thmnu, der Argonantenzug, ödipw und der Tropner
Krit'tr. sowie der LifMiuir 'Irr .Tugfiid, Odysseus, sind natürlich am aii>fl\hr-
Uchsten behandelt. Die Erzählung hält sich ana Wesentliche, ist auiuuthig.
«pannend, Unflg schalkhaft und nie den Humor, der häufig schon im Stoffe
liecrt. verwischrnd. Wie soine Vnr^Jtnirpr hJit nnch AudrJi es fürs Beste er-
achtet, den naiven Darstellungen der Alten zu folgen. Ich glaube, da« Buch
verdient, da es auch sehr nett an^wtattet ist, in die empHAleiiBwerte Weih-
nachtsUterator aufgenommm 7.» werden. W.
Jonas, ilusterstücke dentscher I'rosa. 225 S. Berlin, Gärtner (Herzfelder).
Der Referent hat dem Buche gegenüber nur ein Bedenken: ob diese Samm-
lung wirklich einem Bedürfnisse entgegenkommt. Die im Gebrauch stehenden
Leaebüi bt r enthalten sammt und sonders neben einer Auswahl von Gedichten
auch Uiuterstücke deutscher Prosa. Das vorliegende Buch enthält solche
eigentlich doch nur ittr die oberste dasee. SBmmtliehe Stttcke — das Übst
sich iiirlit leuirni u — sind ..CabinetssTlV ke'-, t lassiache Pru^a. al»« r freni'-li iu< h
so tief und zmueist philosophiwher Natur, da&i selbst wieder nur die besten
Schüler der obei»ten dasse sie mit Versttndnis und Interesse lesen werden.
Als Sfhnlhndi würden sich n:irh all doni die ..Musterstrit/k»-" schwer. >elir
schwer einbürgern. Das ächiießt natürlich nicht ans, da.-^ das Studium des
Buches gereift eren Schülern dringend empfohlen werden sollte, weil sie daraus
für die Art der Gedankenenlwickelong nnd DanteUang wirklieb Mostefgütigea
schürfen können. ' — e-
Brock, Gescliichtstabellen. Übersiclit der Staat«- und Cultorgeschichte sowie
der historiBdieii Geographie. Berlin» Gftrtner. Denelbe: Gnmdiiu der
Geschichte in pragmatischer Darstellung für die obet^n ClasBen hSherer
Lehranstalten. (1. Theil: Das Alterthiim.) Ebend.i.
Dip tier-t liirlit>tal>ell('U Brocks leidtu au eiuem großen Fehler: sie sind anr
an hiiiitii,' iiielit veila><lich. Der Abriss der historischen Geographie hat noch
außerdem den Friller, da.s8 der Stil hier und da jranz aKstnn i-t. Selbst die
Setzuui,' der luttjrpuuctiouszeichen (Beistriche häutig statt Strichpunkten) trägt
ihren Theil bei. ebenso die Manie des VedSuaen» dnich Binsdialtnngeii ge*
drängt zu schreiben.
Bedeutend mehr Wert hat desselben Verfassers „alte Geschichte". Hier hat
sich Brock an den herkömmlichen coucisen Lehrbuchstil gehalten, auch ist da-»
Buch in sachlicher Einsicht genau dorc^^hen. EVue eine besonders enrfthnens*
werte Qgentbllraliehkeit hüte ich das Erasehalten cbanktoisi^dherCitate ans
den Werken der alttn SLlirift«teller und Ileduer und, wie die.-< auch im Titel
zum Ausdruck gebracht ist, das scharfe Hervorheben des inneren Zusanunen-
banges der Begebenhelten. Hier venftth das Buch tBchtiges Studium. — ^r.
Hoflhaanil, Geachicfateaiuziig fflr die mittlereii Claasen hiSherer Lehniutnlten.
Berlin 1883, Schnitze.
Wo sich Schüler Auszüge aus ihrem Lehrbuche zu Wiederholungsawecken
nicht selbst anfertigen, mag man das Torliegende Heft gebrauchen. Gar manche
Zahl und mancher Name wird freili>li ziivör n^eh gestriih'n werden nül«-ieii.
Was nicht dem Gedächtnis eingeprägt werden musa, gehürt eben nicht iu einen
Ausiug. FQr ScbflTer in den mittleren Chusen dtlrfte aueb mandies Brei^nis
zu eingehend erzählt -^ein i Samniterkriecre', andere.-^, wie die Bririrerkriege zur
Zeit der sächsischen Kaiser und die großen KeTolutionskriege ließen sich über-
sichtlicher ordnen. -^r.
Bnebdrwoknd J«lia» Kliakhardt,
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Literaturblatt.
Beilage zum Faedagogium, V, 12.
PSdaffoijIschos Jahrlmeh lss*3. (Der Pildagogischen Jahrbücher fünfter
Band.) Herausgegeben von tler Wirnfr P!Hncrogischen Gesellschaft.
209 Seiten. Wien n. Leipzig Julius Kliukhardt. Preis: 3 M.
Die Wiener Pädagogische Gesellschaft hat bereits in ihren ersten vier Jahr-
büchern rnlimliche Bcwrise ihrer Tliätiffkeit, Einsicht und mannliaften Üe-
sinnong gegeben, und ihre neneste VerOffentüchung steht den friUieren ehren-
roll £ur Seit«, ja sie fiberragt dieselben, dn den Henrasgebetn dmmftl ein so
irroßrr Voi tatli von Arbeiten zur Verfügung staiiil. dass sie eine besonders strenge
Auswahl vorzunehmen genüthigt waren. Über die erste Abhandlung de» vor«
liegenden Bandes: Biographie vnd Chankteristik Ton Dr. Friedrich Dittes —
kann rif'fercnt nifhls wcitor sagt-n, :x\s. dns der that-ii 'lil-i-!!!" Inhalt derselben
ubjectiv richtig; iai; du» Unheil über seine Person uiuss er andtrt'ii atiheiui-
stellen. Es folgt eine Rede zur Pestalozzifeier von dem allzfit wackcr.n nnd
Sediegenen Dr. A. J. I'ick. in wckluT die IV'r-öiilii-liktir nnd die RcdcutiniLr
es großen Pädagogen uiil kurzen, knittvollcn Snichen geschildert, dann alnr
nachgewiesen wir»!, wie fern wir noch sind vm «ler Verwirklichimg seiner Ideale.
Der dritte Artikel: Friedridi Firltel und dii IMdogogik dt s XIX. Jahrhundert!*
von Philipi) Brunuer ist tine pnicise und gelungene Klailijguug (kr in Fröbels
Gedankenkreis enthaltenen Beiträge zur Anagestaltung des Bildung« wesens.
Der folgende Auf^tz: Die österreichischen Lehrertage und ihre Erfolg ron
Fran« Tomberger bietet einen sehr zeitgemäßen und schätzbaren RfIckWick anf
die Hfsfrtdiuniren der "'.■iterreiclnsrlien Lehrerwelt seit IRHT und ein StUck
Schuk^eschichte von bleibendem Werte. Direct mit der Schulpraxis befaüsen
sieh die weiteren drei aehttnen Abhandlnnfen: Wie ist die Jugend fttr das poli-
Ti-<che Leben vorznhereiten? von A. Binhns, Unser J^tilunten-iclit von M. Neu-
mann, Über Stoff und 3Iethode des heimatkundlichen Unterrichtes von V, Pilerka.
pie erster« von ihnen verdient wegen der groBen Schwierigkeit des Themas
und der sehr griindliehon BehandluniX dc^sielhen norh hesondeis hervi)rn:ehohen
zu werden; doch sind auch die beiden audereu recht wackere. Tdr den juak-
tischen Schalmann instmctive Arbeiten. Nun folgen vier Referate über neue
Werke znr speciellen Methodik des Unterrichtes. Referate, welche vermöge
ihres grilndlichen Eingehens in die betreflendeu Fächer (Mineralogie, Physik,
Zeichnen) selbst wie<ler zu lelirreicben methodischen Abhandlungen werden.
Im dritten (letzten) Theile des Werke.^ werden die deutsch geschriebenen päda*
gogischen Zeitschriften Österreichs, ferner die pädagogischen Vereine in östCTreich-
Ungam, endlich eine lange und ;;uf ireordnete I\ei!ie vnn Thesen /n })ädagogi-
sehen Themen vorgeführt, wie sie neuerdings in Lehrerkreiaen aufgestellt wor-
den sind: auch anf diese Partien des Jahrbndiee ist offenbar großer Fielt
verweiiilet worden, nnd sie bieten eine Fülle lehrreichen I^toffes. Das ganze
Buch ist ein beredtes Zeugnis von dem ernsten ätreben und der tiicbtigeu Be-
rufsbildung der Yerfiwaer. Wenn ei nnn mit der Sehnle nidit vorwtrts, viel-
leicht gar rflekwSrUi geht« so wird die Terantwortuig anderen Factoren
zufallen. D.
Englische Seliüler-BlbUothek. Herausgegeben von Dr. A. \Viemanu,
Bector za Efflenburg. 13. l^dchen: Colnmbiu byE.Cooper; 14.6todcbeD:
Storiea tot my Childien hy Knatchbull-Hugessen. Mit VendduÜMen der
Redensarten. Gotha 1882, Schloeßmann. Preis ä 60 Vf.
Der Coinmbus von Cooper mnss als ein in jeder Beziehung, sowol wegen
seines interessanten, lehrreichen und leicht fSuslichen Inhaltes, aU wegen seines
mnsterltaften Stiles nnd seiner einfiuhen Syntax likr die engUsch Isinende
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(lentsche Jufr»^iii1 vorzüglich crceignetes Lei^ebach bezeichnet weitlen. Da>-^1!)^
gilt im gaiutii von den „iitorie« for my Children". Doch dürften Erzählun^eu
wie „The Rook-King" als KindolectUre .«ich minder «ignen, da der hier ange-
schlagene satirische Ton unserer ohnehin zur Blasirtbeit neigenden Jugend
kaum znträirlich sein möchte. Übrigens wünschten wir, daas den einzelnen
Biiiidt lu'ii du scr hin h?it empfehlenswerten „Eiiglisclieti St.hiili r-Bibliothek'* außer
den Verzeichnissen der Bedeosarten auch Wörter Verzeichnisse beig^gebea
«Kren, damit der Zweek dieser BibÜothek, don Sehfller ohne unmittdlwi« Hlife
doü Lehrers eine nutzbringende LeetOn n Uetco, nodi leiditcr und voUstln-
diger errei^'ht wflrde. F. v. S.
Enirlisclies Lesebuell tür höhere Lt-lu-an.'-talton. Mit erUlntenulen Anmer-
kungen, PräparaUon, Wörterbnch, Anssprachebezeiclmimir' ^ ^u Dr. F. J.
Wershoven und Bev. A. L. Becker. Zweite Auflage. 258 Seiten,
Kinhen 1881, Otjto Schalle.
Ein im criinzon recht iruter» Ruch. wel(h»^s tmter Anhituni: eine-. truhtiiT-n
Lehrers den Schülern sehr förderlich werden kann. Anmerkungen und (,(ae3tiuaü
wiren bei «iner noch grßßeran AbbsIiI TOB IiceostQeken w AnMlmu w er t. In
der hi-^tori-rhrn Abtheihiiiij Ut Tust nur die priechischo und <lie ent:li>cho Ge-
schichte btrfücköicht^; etwas mehr Vielseitigkeit würde da von Nuueu ««ein.
Den unter den IMcbtem LongfeUow im VerMUtnis sn allen anderen stark be-
vorzugt ist. durfte weder aus alljk'eineinpn (gründen, noch dnrcli den besonderen
Plan des Werkes zu rechtfertigtn sein. lh>ch, wie gesagt, das Ganze ist ein
recht btMdihtam Werk und auch im Sat7.e sehr sorgfältig controlirt , so det»
aich nur wenige nnd noeli den leicht ettombere Druckfehler Toründen.
F. T. S.
Ttie english letter. £ugli&cheBriefesiim!i<cend»eiiOetoniidiefBrTBditc^
sehnlen «d Enieherimien ▼«! Adolphine TSppe. Herrnngegeben von
Dr. H. RoboUky. 156 Seiten. Ldpsig, Bengenche Bachhandliuiff (Geb-
hardt & Wilisch).
Dieses Werkeben ist nadi demselben Plane gearbeitet wie La lettre fran^aise
Ton deisdibett TevCusoin (e. Litentinlylatt V, 9) nnd TOdient im «Ugememea
krleiehen Beifall: dooli ist in etliohen TN Iru ludangen nnd gruunati&alischai
Kiiizelheiten die deutsche Vertas^erin * i iii' rkbar. F. v. S.
Bie l iit^'rrichtssrnndsatze des Vereines dentscher Zeiehenlelirer.
der Btrtiprechung unterworfen durch Kiiuard Zeppenfeld, Zeicheuleürer
der Senkchnle I. 0. n Elberfeld. 170 Seiten. Brealaa 1882, E. Moisen-
etem. Ms: 2 H.
Ber Zeicbcnvnterricbt In den prenssisehen Lehrer- SemlBaren
und Yolkssehulen. Ein offene« Wort zur Abwehr. Von F. Menard.
köni^i. Si iiiuiarlehrer in Neuwied. 63 Seiten. Neuwied n. Leipzig 1802,
L. Heuser. Preis: 80 PfL
la neoester Zeit gibt rieh aHerwftrte ein lebhirftes Interene fttr den Voll»-
schnl-Zeichenunterricht kund. Insheiiondere sind es die LehrerveTviiv ,11 1 die
^dagogischeu Zeitschriften, welche, angeregt durch die fortwährend steigende
Flut auf d«n Gebiete der Zddbenlltentar, über Frai^ der Methodik den
Zeichenunterrichte«, flher Beginn und Betrieb sowie über die Bereehtiirung ge-
wisser Zweijre dieses üegenstandes u. 8. w, viel häutiger uud intensiver ver-
liandelu ab je zuvor. Dms sich üljer manche Frage ein mitunter heftiger Streit
entwiujit. ist nicht zu verwundem, und es wird wol n iSngere Zeit währen,
bis in den iuteressirten Kreisen die wünschenswerte Kiariieit uud Eiuigkeic
bezüglich der wichtigsten L'nterrichtsgrundsätze dieser Jungen IHieiplin er-
zielt sein werfen. Mitten in diesen Streit Hlhrcn uns die vorliegenden
zwei Schriften. Die erstere ist angreifender Natur; letztere hat vorwiegend
den Zweck, vngereehtfiercigte Angri0% welche Heir Badenaeher ane SoUngen
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— 3 —
in eiuein »lurch die Zeitschrift des Vereins deutscher Zt ii lieiilebrer verbreiteten
Vortrage Uber den Stand des Zeicbeannt«mcht» in den preoBisdien Lehrer-
Seminaren ansgesproch«n hatte, alnaweiBen. Herr Zeppenfeld belenchtet
allseitig und ausfllhrlicb die vom Vereine <1ent><i'lier Zi icbcnlthipr liprausgege-
beneu „Unterricbt|g;nind8tttze". Die Verfasser Üben eine scharfe, grttncUiche
und KVt begrttiidete Kritik, Termeiden auch hie und da die Kmofe nielit, tlber-
schreiten je<l«ch uircemls die Gronzfu des An.-*tandpg. Sachliches und Persön-
licheii erscheint aols engste vermengt, was gerade keinen erhebenden Eindruck
hervorbringt: Wenn man von den persönlichen Ansf%Uen, die ihre Spitze haupt-
sächlich gcLjeu den Vorstand des deut«chon Zeielieuk-hrervcreins richten, absieht,
80 moss uiau anerkeunen, dass die Verta.'is« r den Gegenstand in nicht gewöhn-
Behem Grade beherrschen, anch viel Positives bieten und ungemein anregend
wirken. Beide gestehen zu, dass der Zeiehenunterriclit piner -a-Miuernttfien Re-
form nach ]iädagogischen Gmndsätzeu bedarf, warnen vur unklaren und ein-
seitigen Bestrebungen und liefern in klar entwickelten Sätzen schätzbares
llaterial xtun Ausbaue dieser Diadplin. Letzteres gilt namentlich von dem
erstgenannten Buche, — Da beide Schriften vorznglich geeignet sind, vor Irre-
führungen zu bewahren und der Orientining und sacblichen Klarstellung auf
dem Gebiete des Zeichenanterrichts zu dienen, so kann man ihnen nur die
weiteste yerbreitvnif «tliMcheiL JT. E.
Assmann- Meyer, Äbriss der Geschichte des Alterthnms. Ein Leitfaden
für OymnMien nur ersten EinlfUimiig in die Qnellen. Brannsdiweifrf
Tieweg & Sohn.
Der f T' iit vf-rmag tinmöglich so saagninisch zu denken wie der Heraus-
gebtT des A.-^ftinannschen Leitfadens, der nicht« Geringeres bezweckt, als die
Schüler /u veranlassen, sich nicht bUis den geschichtii* he n Stoff oinzuprSgen,
sondern sich jedesmal über denselben durcb Leetüre der betreffenden Stellen
im Originale weitere Aufklärung zu bulen. Ein Schüler suU also z. B. nicht
hlos den letzten Krieg der Römer gegen Macedonien nach der im Buche ge-
gebcDen Darstellung stndiren, sondern auch noch Li v ins 39. Buch, Capitel
23—28; 41, Buch, Capitel 22—24 ; 42. Buch, Capitel H— 13; 43. Bach, Ca-
pitel 7, 8; 44. Buch, Capitel 20, 21. 22. M7, 38, 40, 41. 42; 45. Buch,
Capitel 3ö — 41 im Urtext als Präpaiation fUr diesen einen Theil des Geschichte*
pensnms einer Stunde leeenl Jetzt ent die IYa])aratiea nach den griechtsehen
Autoren! Tbukydide.^, Plntarch gehören übrigens gar nicht in die herk' nnnli' he
Schülerlectttre. Wäre nicht voUauf genug erreicht, wenn die llehr/iahl der
Lehrer an den höheren Scholen, nnd wenn seihst nur einmal im Lehen, so
sich ivftparirt hätte? W.
0rundrIss der österreichischen Geschichte mit besonderer Rücksicht
auf Qttellen- and Literatarknnde von Dr. F. Krones B. v. liarchland.
Wien. Hiddrr. Lief. 2-^4.*)
Was tli» „Deutsche Literaturgeächichtc'* vuu Gödeke für den Literarhisto-
riker, das ist der „Grundriss" von Krones fllr jeden, der sich eingehender mit
Ssterreicliischer Geschichte besdiäftigt: ein geradezu unentbehrliches Compendinm,
in welchem er die genaueste nnd reichste Information ttber alles, was bis zum
Jahre 1882 Ober österr, Geschichte, und sei es auch in dem entlegensten Scbul-
protfanun oder in einer Zeitschrift geschrieben worden, auf knappem Baume
nnd fihasichtüich snsannnengestellt findet Ein solches Buch ist lueht rar fort-
laufenden Leefüre (jestbaffen, darum ist auch die formelle Seite hier Nebensache,
Oft, und zwar je mehr sich die Darstellung der Gegenwart nähert, um so häu-
figer fthndt es einem Excerpte oder Notizen, wie sie beim freien Vortrage als
rnterstütznng filr das Geditcbtnis zu Grunde gelegt werdm An manchen
Stellen genüfren Schlagwörter isiehe z, B. IV, S. 840). Man niuss e.s Krones, der
Uber eine Kenntnis der österr. Geschichtsliteratur verfDgt, wie gegenwärtig kaum
ein anderer UniveiBttAtslehrer Deutschlands nnd österreicbs, Dank wissen, dass
•) Siehe Pftdagoginm Jahig. IT, Beibl. 1.
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tir Aich d«r mfllnainen Ariteit «nteneofren hat. Um. was er im L»vfe eine* langen
< M'1»'lirteulel)eiis gesamuelt. zu Mchteu, um andern Fotvchera die WfigV zu ebnen
und ibnen T-eit raubendes Nachsuchen zu ersparen. W.
Kartonski/zni tVn die Schnlpraxia, entworfen vou Di\ Friedr. L'mlaaft.
Wien 1882, Holzel.
Seit den letaten Oeosraulttutaijeu zu Berlin und Halle wird das freihändige
Kartenentwerfen zum Zwecke dauernder Einprilgung der Topographie und wich-
tisptea Elemente der phjBischen Geographie mit besonderem Eifer gepflegt,
luut buldigt hiebei entweder der Methode roit Kaufmann nnd^Vaier (geogr.
Fau'srzt:'i( hiinni,'''n. Str.iillnirtr. Si linU/. »S; Tie. i oilor. wie bfinflg in < Mterreich. der
Tou Tramplcr, Kuau^t und Jarz empfuhleueu Manier. In den oben genannten
»Kartenskisseii" legt »neb Umlanft eine Hetlrode Tor, deren Ghnndgeoaiike rieb
dabin angeben lässt, daj*« ein Mcridinn und ein raralld irezogen wird. r<ni
deren Durcbkreuzungspunkt an8 tuic Hilfe eines Ceu t iuieterlineales die für
die Conliguration des behandelten (i(>})i. tes charakteristischen Fünkte bestimmt
wenlen. Auf dit-e W«-i<ie ist die Fe.stsrclliiti«; rier Distau7f»n - für
jugendlichen Zeiclmer ein schwieriges Stütk Arbeit — nicht melir jiU:k!M,ixlieL!-
lieh dem Augenmaße ttberlas.sen und anderseits kein complicirtes Netz von
Hilf>liiii»ii eingefllhrt. wie z. B. in den Dronke'schen .^kizzm dtr Fall L*t.
Imiueiliii.i wird die Herstellung einer leidlichen Zeichnung uocb gcuuj^ ijchwierig-
keiten bereiten, .so lange nämlich in solchen Skizzen nicht auch die Flusslinien.
die Umrauduttgeu der Kilsteu u. s. w. in scharf von einander gesonderte 'Dieik
zerlegt sind. Jedenfalls ist aber das Princip der Umlanft^acben EartenskiBen
eine Vervollkommnung der Method*' von Kaufnuum nnd Matnr und ao nAX^,
(l;i>s CS heim 'Mchnf'n beachtet werden sollte. — r.
Lelirbueh d<»r (iox-hlclito für <lie oberen Classou liillierer I.ehran^stalteii
von Dr. Friedr. Motmann, Director des Beriinisciien tryranasiuius zum
graaen Kloster. 1, Heft: Orieehische Oeichicbte; 2. Heft: Bfimische Ge-
schichte. Berlin 1882, Springer.
I 'itv-es Lesebuch enthält vielfach weniger Jlemorirstoff als die in t >>T» n i i' "i
an Bilr^erscbulen gebraucbten Leitfäden nnd verweist zugleich die orientalische
Oerchiehte gans ans dem GetMshichta-Uaterridite. Han kann in diesem Vor-
g.iiiiri'. siiviel auch von m:incher Seife dagegen iro-jprnchcn wird, nur ein g'~-
snndes Princip sur Geltung kommen sehen. Auch den Ballast von Zahlen
wirft es Aber Bord, verlangt aber, dass der Ton nnuQtzem, ja gebftdlichem 6e*
dächtni^kmni prloirhterte Lernstoff eingi^pnisft Moibe, so dass die S. hi\!er am
Schlüsse di'H S rhulcursus den gesaramten Inhalt des Lehrbuches in ihrem Geiste
ge^nwärtig haben nnd bei einigem Interesse flkr die Ocseliiebte das Gelernte
auch uiii h ilcni Abgang von der Schule nicht wieder vergessen. Das von Hof-
niann vcrtrettiie Princip verdient gerade gegenwärtig Förderung und Betonung,
ila einerseits mit Kecbt Uber die L'berbiirdung der Schülor gädagt wird und
anderseitJi im Geschichtsunterricht eine Strömung sich emporzuarbeiten sucht,
die vou den Schülern sogar Quellenlectllre im Urtexte verlangt. Wir denken,
man könnt« aofkieden sein, wenn alie Lehrer dieser Fordening entqwichen.
Buckdiuekent Jttliut Klinkkftcdt, Leipsi^.
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Paedagogium.
Monatsschrift
für
Erziehung und Unterricht.
Herausgegeben
unter Mitwirkung hervorragender Paedagogen
Yon
r>r. Friedr-icli I>itte».
V. Jalrgaiig.
U. Heft, Augnst 1883.
Verlag von Jnlius Klinkhardt.
Inhalt des 11. Heftes.
^öoliulc uuil Lebeu in ihren l' ii' n-tuti^eu Ahiuniciuugcu. \\>u Dr. U. ix.eler-
Ii t e i u -Homburg
/ Franenbilder aus Pestalozzis Lebenskreis. Von H. ^kliu^L-Wiaterthnr. fF 673
VuwcWäge ziir Volk-HbUdnu)?. Von Franz Schliukert-Wieii 689
^Heiurich 8fhauml)erq'er
Christiau Liebennauu 7uu
Literi' ^i ■ ift : U. (teunerich, Auleitau,' /.i . t:, ;- v .. 7..: i . . .
11 . I Natur. — J. Uäu^Inuum und R. . 1 .
Ornament. — Dr. Hicliael Geistbeck, Bilder aus der Vülkorkunde. — Trau.
Mittilschul-Atlos. — 1)t. Hermann Kluge, Themata zn deutschen An£sfttzen and
Vurtriigcu. — J, C. Andrä, f; ' 'leusa^en. — Jonas, Mu-' ke
deutscher Prosa, — Bruck, b lu — Hofimann, GeBcliichi-.iw-zug
tTir <!io luitTliTcii (Mns.«Pii Tiolifr- ' n.
Abonnements -Preis pro Quartal M. 2.25.
Alle Buchhandlungen und Postanstalten nehmen Bestellungen an.
Verlag von Julitis Klinkhaxdt in Wien.
Leitfaden
SU
einem metliodisclien Unterriclit
in den
V..11
M.'U'tin (.'o<!<'i.
wtiL Dir^tor »n der Mädchen 1") tiichtm Ff datcugiamt in Wim.
Mit 23 Wandtafeln.
In Papp-Cortoa. I*rcis de» Leitiadeu« sammt Wandtafeln M.
SS Lnut Erhiss des h. k. k. Ministerinnis förCultOB und Unterricht vom 18. April
11^ i>34, können ,.< litf iu den n
U.U.'. III V'iU:-- M" ... SS
biK „lit-icu paUagugiacbcu Üiaiter" scUreibcu uutcrm Uctober lbÖ2 üii
folgendes :
..THp als Lehnnittel beigecfbeiiPii Wan<ltrtfeln sind prarhtvoH nnfjrpftthrt. Pn..
Ci neu wird «ich mit
auj^' .üniien (ini" '- i' ■ ■ ■
Autor verficht dv
arl la .si iului
pr.i . . ii - r. Wir k , . . . •
den, sowie di 1 umteu Lehrerinnen weit nnr eii
FUr dit hie ful- Z
Spiele für die Volksscliuie. | : U
Vrrliiir voll B. F. Voltrt In M'j'hnar.
l)er deiii-^ ii.
II«,'rHiist(t*i,'olji?ii
Villi
•lohanneü Stange nberger.
Vierte, verbesserte Anflaee.
Preis 60 IM
Dieses Werkcbou enthält Uber
1(X) verschiedene Spiele, darunter die
ersten 24 mit Versehen und Kinder-
luelodieu, darauf U<hj-.\ IV " Iiuh-
liisunufen. Vexier- od- : -'cu.
Versehen aus Volkskunde, Turn-
unterricht mit Lehrplan (Übungen
"hne u. mit A] • r
i. Mildchen (ff' . . i.,ua;. i i-
iibuu^'eu). Aiileiiung zum Anlegen
von Hauümuseen. Gartenfreuden der
Jugend.
Leipzig. Julius Klinkliai'df .
i
landfertigkeits
Unterricht
in Theorie und Praxis.
Ein HMiidbucb
nher diese L ;dln f. ünterriclit-
,„r ....].■,:. ^
Ii.
und alle l'i- -
I i . luteresä« au der,
Von
I Hugo Elm. ,
äsrff, Direktin»!'^: i'n^una. Ijind?.;-
.... :u.
jlss;L gr. 8. Geh. 4 Mrk. 50 Pfir» .
I VorrMtig in allen Buchhandlungen.
] PßDDfirslorfer's „LeWücli ier Gescliclitß" 2. Aofl. approbirt!
Mit hoht'in A.A. Minisieviul-Erlas» vom 12. April 18H3 Z, <i:i'i4
Lehrbuch der Geschichte
rm- Vollisü- iiiicl 13 ui'g* Ol- so Ii Iii eil
Tunaz Poniier.storfer.
L— in. Theil.
SS «^te vet*elnA&<*ltto A.iirin;f«>. ~
Preis A 80 Pf.
I', tiiw r^r. rf- r\ T. lü'i'i li bei seinem Erscheinen von der Fach i ' -- 'ih l
der I. -t. hat flcirli «ach der erfolgten mi i' :i J
.\\ .r hiiii'. !en. dass die 1. Aim' ,. lUt u ^
.Tu 1. i^u.i ir. Die i,i . . ^. Auflage wurde siniiii h i •• ^
und konnte daher der l'reia von 1 M. auf 80 Pf. Theil enuiis'igt w»-; W
V 1 ' , 'U den Harcu
L>ireci i .
_ Armenbttcher gewähre in liberalster Wci.st
" Julius Klinkhardt
Verlar
Zur fi:«»n ii Heachtuii:;.
Von dem vom hohen k. k. ' um filr Cultun nnd Unterricht approbierten
Gindely 'sehen Leurbuch der Geschichte
Volks- und Bürgerschulen
erschienen soeben loIj?eu<le Auiifiraben in neuen vt-rbeÄserteu Auflagen:
a) Ausgabe ftir Knabeiibiirgerschulen
1. Heft mit 7 Karten in Farbendruck
2
h) Ausgabe fiiiMädcheiibürgerschwleii
. 1. Heft mit 7 Karten in Farbendruck
2. 7
3-
Den verehrlichen r>irectionen von
Knabenbürgerschulen.
Mädchenbürgerschulen.
6—8 classigen Volksschulen,
sowie den Herren Fachlehrern nnd den
Herren Mitgliedern der ständigen Ausschüsse
, n . ri;i„iron Kx.:-m|.lare die^n- \ Hir:ilK'u heliuf« Prüfunir nml even-
ing ;;rutis und franco . n.
Verlagsbuchhandlung.
VaABgjvon^ JXJUöBja^mKHAajyT in Leipsig u. Wien.
Soeben erschien in zweiter Auflage:
Mallxematisclie Kvu'zweil.
300 Aufgaben, geistanregende Spiele, Kiuivt.fn -ke, t^ben-asclmn-eu
vei-fiingliche Schlüsse. Scherze ii. dgl, ans ^ n- nnrl Forriu-nl.
Für jung und alt lur Unterhaliung und Belehrung
Louis Mitteiizwey.
— 8. kartoniert. Preis 1 M. SO Pf. t »w-
Diese mit über 150 Fiiyuren ausürestattete Anfgabensammlung. welche fa«t dur.-h
S^t" ' 1°'^ ''•^^ meistens in bei-
Ki^inen benutzt wer.!.,.. ^ ' ^""«^ Anregung m geseJü«Gn
PianinOS \ Woldonslaufer ~
so Mark monatlich J »«r»";- ^>'>'-»»' -
Bn- . : I Jat-ne ^'•■ilt'i rV r...«.-
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I
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UNIVI
1 lllllll
II
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ER8ITY
1 IUI ■
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OF MICHIQAr
IUI ■■IUI 1
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