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Full text of "Die Aussprache des griechischen. Vortrag gehalten im Wissenschaftlichen Verein zu Breslau"

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Die 



Aussprache 
des 





griechischen 




Konrad Zacher 





5?arbarü College Htbraro 

FROM TUE 

CONSTANTIUS FUND 



Established by Professor E. A. Sophocles of Harvard 
University for "the purchase of Greek and Latin 
books, (the ancient classics) or of Arabic 
books, or of books illustraring or ex. 
plnining such Greek, Latin, or 
Arabic books." Will, 
dated 1SS0.) 



Received 



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DIE ALTS SPRACHE 



DES 



GRIECHISCHEN. 



VORTRAG 



GEHALTEN IM 



WISSENSCHAFTLICHEN VEREIN ZU BRESLAU 



VON 



Dr. KONRAD ZACHER 

— 

A. O. PBOFS88OII DBll KLABS. liliLOLOOIX AN 1IEH UNI VKHBITÄT BKKSLAl'. 




LEIPZIG, 

DRUCK UND VERLAG VON B. G. TEUBNRK. 

1888. 



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OCT 16 1 9ÜU , 



HERRN GEHEIMEN REGIERUNGSRAT 

PROFESSOR DR. M. HERTZ 

ZU SEINEM 70. GEBURTSTAGE 

DEN 7. APRIL 1888 
IN VEREHRUNG UND DANKBARKEIT DARGEBRACHT 

VOM 

VERPASSER. 



Hochgeehrte Versammlung! 

Wenn ich für den heutigen Ahend einen Vortrag über 
die Aussprache des Griechischen angekündigt habe, so bitte ich 
Sie, von mir nicht eine eigentliche gelehrte Abhandlung zu 
erwarten. Ich will Ihnen weder neue Resultate eigener For- 
schung vorlegen, noch eine vollständige Übersicht über den 
Stand unseres Wissens von dem Gegenstände geben. Wie 
könnte dafür auch die kurze mir zum Sprechen verstattete Zeit 
hinreichen? Würde doch eine erschöpfende Darlegung dessen, 
was wir über die Aussprache des Griechischen wissen, fast 
gleichbedeutend sein mit einer Vorführung der gesamten grie- 
chischen Lautlehre. Denn die Lautlehre ist ja eben die Lehre 
von den Lauten, also von den Klängen oder Schällen, aus 
welchen sich die Sprache zusammensetzt: ihr Bestreben ist, zu 
erkennen, welchen Laut die Zeichen, in denen uns eine Sprache 
überliefert ist, gehabt haben, daraus festzustellen, welche Laute 
die Sprache überhaupt gehabt hat und wie dieselben sich im 
Lauf der Zeit geändert haben: — das ist doch nichts anderes 
als Geschichte der Aussprache. 

Somit konnten Sie schon aus der Fassung des Themas 
ersehen, dafs mein Vortrag nicht eine wissenschaftliche Tendenz 
hat (sonst hätte das Thema etwa lauten müssen: „Über die 
Lautwandelungen im Verlauf der griechischen Sprachentwicke- 
lung", oder „Über den Lautwert der griechischen Schriftzeichen 
in der klassischen Zeit"), sondern eine praktische. Es fragt 
sich, wie sollen wir das Griechische sprechen, wie soll es auf 
den Gymnasien gelehrt werden? Ist die jetzt bei uns übliche 
Aussprache richtig, und, falls sie das nicht ist, empfiehlt es 
sich, sie durch eine andere zu ersetzen und durch welche? 

Die Frage, wie das Griechische gesprochen worden und 
wie es zu sprechen sei, ist ja bekanntlich gar nicht neu, sou- 



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dern schon seit Jahrhunderten Gegenstand der Erörterung, ja 
der leidenschaftlichen Polemik gewesen. Die Kenntnis des 
Griechischen war dem Abendlande übermittelt worden durch 
byzantinische Gelehrte, und von diesen hatte man auch die 
neugriechische Aussprache adoptiert, deren hauptsächlichste 
Eigentümlichkeiten sind, dafs die Zeichen 1 rj u ei 01 ui wie /, 
e und ai wie ä, au und eu wie aio ew resp. af ef, 6 und b 
wie scharfes und weiches englisches th, ß wie w, T wie säch- 
sisches g in Tage und Segen, l wie weiches s gesprochen 
wird. 1 ) Allmählich wurde man gegen die Richtigkeit dieser 
Aussprache, namentlich derjenigen der Vokale und Diphthonge, 
mifstrauisch und suchte die ursprüngliche Aussprache wieder- 
herzustellen, wobei man sich teils durch allgemeine theoretische 
Erwägungen, teils durch bestimmte Anhaltspunkte in der klas- 
sischen Litteratur leiten liefs: die neue Theorie der griechischen 
Aussprache, welche dadurch eine mächtige Unterstützung er- 
hielt, dafs Erasmus sie, wenngleich in oberflächlicher scherz- 
hafter Weise, empfahl 2 ) (woher dann diese Art der Aussprache 
dieErasmianische genannt wurde), gewann trotz heftigen Wider- 
standes der Verteidiger der überlieferten Aussprache allmählich 
das Feld und herrscht jetzt fast überall aufser in Griechenland 
selber. Freilich in einer durch die Bequemlichkeit depravierten 
Form. Die Grundidee war: jedes Zeichen mufs einen beson- 
deren Laut ausdrücken, Doppelzeichen einen Doppellaut. Da 
nun r\ die Länge von € darstellt, so hat es nicht den Laut i 
sondern e; die Diphthonge ei cti 01 in sind als Kombinationen 
von e + h « + h o + h V + ' auszusprechen, die Diphthonge 
au ou eu als Kombinationen von a -j- w, o + e + «• An 
Stelle dessen ist, wenigstens in Deutschland, die Praxis getreten, 
den griechischen Zeichen einfach den Lautwert unserer Zeichen 
unterzuschieben; wir sprechen ei wie unser ei, d. h. faktisch 
wie ai, eu und oi wie unser eu, d. h. wie aü, während wir für 
ou, da uns diese Zeichen Verbindung fehlt, die neugriechische 
Aussprache u adoptiert haben. Dafs diese bei uns übliche 
Aussprache unrichtig sei, ist allgemein anerkannt: es handelt 
sich nur darum, ob es sich verlohnt sie zu ändern und was 
eventuell dafür einzusetzen sei, und darüber ist auch in unserem 
Jahrhundert verschiedentlich debattiert worden. Diese Frage 



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von neuem aufzuwerfen, erscheint aber gerade jetzt zeitgemäfs, 
wo man korrekte Aussprache der n euereu Sprachen durch deu 
Schulunterricht zu erzielen eifrig bemüht ist und zu diesem 
Zweck sogar die Lautphysiologie heranzieht 3 ), und wo man 
auch an eine Reform der lateinischen Aussprache ernstlich zu 
denken scheint. 4 ) Den unmittelbaren Anstofs zur Behandlung 
dieser Frage hat mir das Erscheinen eines Buches von Eduard 
Engel 5 ) gegeben, in welchem die neugriechische Aussprache 
wieder einmal einen leidenschaftlichen Verteidiger gefunden hat. 

Nicht etwa, dafs ich Ihnen dieses Buch zu anderer als 
erheiternder Lektüre empfehlen möchte. Dem Verfasser fehlt 
es zu sehr sowohl an Kenntnissen als an methodischer Schulung, 
um in dieser schwierigen Frage überhaupt mitsprechen zu 
können 6 ), und wenn er sich trotzdem auf das hohe Pferd setzt 
und den Philologen Unwissenschaftlichkeit, Borniertheit und der- 
gleichen mehr in den kernigsten Kraftausdrücken vorzuwerfen 
nicht müde wird, so kann das eben nur erheiternd wirken. Aber 
er unterscheidet sich von seinen Vorgängern dadurch, dafs er sich 
nicht an die Philologen wendet um sie zu überzeugen, sondern 
an das grofse wissenschaftlich gebildete und an der Schule 
Anteil nehmende Publikum um es zu überreden. Das reizte 
mich, den Versuch zu machen, ob es mir gelingen würde, den- 
selben Stoff vor einem gleichen Publikum kurz, anschaulich 
und objektiv so zu behandeln, dafs auch der Nichtphilologe 
eine klare Einsicht gewinne, um was es sich handelt und auf 
was es ankommt. Eine solche Orientierung wird aber, glaube 
ich, auch manchem Philologen erwünscht sein; denn bei der 
heutigen Arbeitsteilung in der Wissenschaft ist nicht jeder 
Philologe in der Lage, dem Fortschritt derselben auf allen Ge- 
bieten zu folgen, und das treffliche Buch von Blafs über die 
griechische Aussprache 7 ), auf welches ich zu genauerer Infor- 
mierung verweise, ist so streng esoterisch gehalten, dafs es 
nur für engere Fachgenossen bequem zu benutzen ist. 

Übrigens handelt es sich hier keineswegs ausschliefslich 
um die Wissenschaft. Es ist eine praktische Frage, die wir 
behandeln, und es ist gerade ein Hauptfehler Engels, dafs er 
fortwährend Wissenschaft und Praxis verwechselt. Aber freilich 
darf die Praxis von der Wissenschaft nicht getrennt werden: 



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um die Frage zu beantworten, welche Aussprache wir auf der 
Schule lehren sollen, müssen wir uns erst darüber klar werden, 
was die Wissenschaft von der Aussprache weifs. 

Und hier hat mir Herr Engel wiederum eine Anregung ■ 
gegeben. Er fragt unaufhörlich: „Woher wissen die Erasmianer 
das?" Er sagt: „Welche Mittel besitzen wir, um auch nur eine 
Ahnung von der Aussprache einer Sprache, lebenden wie toten, 
zu kriegen? — Die Schrift?! Was sagt mir ein stummes 
Schriftzeichen?" Eine kindliche Frage, zu deren Beantwortung 
nur Kenntnisse gehören! Aber die Fragen der Kinder sind 
für den Erwachsenen, so lästig sie ihm auch häufig fallen, doch 
auch mitunter recht nützlich. Er wird dadurch gezwungen, 
sich über manche Dinge Rechenschaft zu geben, die er sonst 
als selbstverständlich ansieht, und das ist immer gut, denn 
dadurch wird der geistige Besitz zu einem bewufsten. So ist 
es auch für den Gelehrten ganz gut, wenn er mitunter durch 
die verblüftende Frage eines Laien: „Woher weifst du denn das?" 
dazu veranlafst wird, sich einmal wieder zu vergegenwärtigen, 
auf welchen Grundlagen sein Wissen beruht, das Wissen, welches 
für ihn meist schon zum Handwerkszeug geworden ist, mit 
dem er weiteres Wissen erobert. Und daher wird es auch 
Ihnen vielleicht nicht unangenehm sein, wenn ich hiervon aus- 
gehe, wenn ich Ihnen zuerst die Hilfsmittel aufweise, welche 
die Philologie hat, um die Aussprache des alten Griechisch zu 
erkennen, wenn ich Ihnen dann an einem einzelnen Beispiele 
in grofsen Zügen die Methode zeige, welche die Wissenschaft 
anwendet, um mit jenen Hilfsmitteln sichere Resultate zu er- 
zielen, und dann nach einem kurzen Überblick über das, was 
wir von der Aussprache der einzelnen Laute wissen, zu der 
praktischen Frage nach der Aussprache in unseren Schulen 
übergehe. 

Ich will ganz ohne jede Voraussetzung beginnen. Woher 
wissen wir, welche Laute die alten Griechen mit den Buch- 
staben ihres Alphabetes bezeichneten? Die Schrift zeichen selbst 
sind stumm. Das geben wir Herrn Engel vorläufig zu. Müssen 
wir aber nun mit ihm und anderen Verfechtern der neugrie- 
chischen Aussprache weiter folgern, nur die mündliche Über- 



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lieferung lehre uns den Lautwert jener Zeichen, mithin sei diese 
der höchste Richter in Fragen der Aussprache? Das wäre doch 
wohl eine zu rasche Folgerung. Dafs unser Wissen vom Alter- 
tum überhaupt in erster Linie auf der Tradition beruht, ist ja 
selbstverständlich. Wenn die lateinische Sprache nicht das 
ganze Mittelalter hindurch in Gebrauch geblieben wäre, so 
sollte es uns schwer werden, sie aus den Buchstaben allein 
herauszulernen. Und ebenso steht es mit dem Griechischen. 
Aber schon wenn wir dio Überlieferung für die eine der beiden 
Sprachen hätten, so würden wir, natürlich mit Aufwendung 
grofser Mühe, in der Lage sein, die andere zu entziffern, da 
Entlehnungen und Übersetzungen aller Art uns genügende 
Hilfsmittel an die Hand geben würden. Die Tradition hat uns 
aber auch nur die erste Grundlage zu unserer Kenntnis des 
Altertums gegeben, auf der wir dann mit eigner Forschung 
weitergebaut haben. Wenn unsere Kenntnis der griechischen 
Sprache und des griechischen Altertums auf das beschränkt 
geblieben wäre, was die griechischen Gelehrten des 15. Jahr- 
hunderts nach dem Abendlande brachten, so würde es damit 
recht traurig aussehen. Und ähnlich steht es mit der Tradition 
der Aussprache, ja noch schlimmer. Denn diese Tradition 
widerspricht sich häufig selbst Wir haben ja nicht nur eine 
Tradition, sondern mehrere, nämlich aufser 4er überlieferten 
Aussprache der Neugriechen die überlieferte Aussprache der 
griechischen Lehnworte des Lateinischen. Für die Tradition 
der lateinischen Aussprache dürfen wir doch wohl dasselbe 
Kecht in Anspruch nehmen, wie für die des Griechischen; das 
Lateinische ist das ganze Mittelalter hindurch eine lebende 
Sprache gewesen — denn anders kann ich ihre Bedeutung als 
internationale Sprache der Geistlichkeit, der Juristen und Staats- 
männer nicht auffassen — und so ist seine Aussprache mündlich 
zu den Humanisten, und dann bis zu uns Überlieferl Aber — 
da sieht man recht deutlich, was man auf die mündliche Über- 
lieferung geben darf — nicht einmal die Aussprache des Latei- 
nischen ist in allen Ländern gleich, sondern national gefärbt. 
Wem soll man nun glauben? Das altgriechische KOiunTripiov 
sprechen die Neugriechen kjimiürion, das daraus entnommene 
lateinische coemeterium sprechen wir (swmv(erium t die Italiener 



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Ischemeter iummc. Welche Überlieferung ist die getreue? Oder 
einige andere beliebig herausgegriffene Beispiele: uTroidvouca 
neugriechisch ausgesprochen ipolinusa, lateinisch hypotenusa; 
UTro0r|Kn. neugriechisch ausgesprochen ipothiki mit dem Laut 
des englischen harten th, lateinisch hypotheca mit der Tenuis; 
Anunjpioc neugriechisch Dimitrios mit dem Laut des weichen 
englischen th, lateinisch Demetrius u. s. w. 

Dergleichen mufs doch schon gegen die Überlieferung 
inifstrauisch machen. Nun kommt hinzu, dafs die Zeichen 
keineswegs so stumm sind, wie sie scheinen. Auch für einen 
ganz voraussetzungslosen Betrachter sprechen sie ganz laut 
und vernehmlich zunächst das aus, dafs die neugriechische 
Aussprache wenigstens zu jener Zeit noch nicht herrschend war, 
als die Griechen mit Buchstaben zu schreiben anfingen. Das 
Neugriechische hat für den Laut / sechs Zeichen, nämlich 
i i] u ei 01 ui, für den Laut e zwei, € und cu, für den Laut o 
zwei, o und w, dabei sind € und cu, o und in nicht etwa durch 
die Quantität unterschieden, denn Quantitätsunterschiede der 
Vokale kennt das Neugriechische überhaupt nicht, oder viel- 
mehr alle Vokale sind kurz, aufser wenn sie den Accent tragen, 
durch den sie lang werden. Sollten die alten Griechen wirk- 
lich damals, als sie ihr Alphabet von den Phönikiern ent- 
nahmen, für einen und denselben /-Laut sechs verschiedene 
Zeichen gesetzt haben? Und was sollte sie veranlafst haben, 
einen einfachen Laut, für den sie aufserdem ein einfaches Zeichen 
oder gar .mehrere hatten, auch noch mit einem doppelten zu 
bezeichnen, das aus zwei einfachen zusammengesetzt ist, also 
den e-haut mit cu neben e, den /-Laut mit ei oi ui neben i r\ u? 
In der That ist diese Annahme so durchaus unwahrscheinlich, 
dafs selbst ein so eifriger Verteidiger der neugriechischen 
Aussprache wie Ran gäbe' 4 ) zugesteht: „Dafs r\ in der ältesten 
Periode der Sprache sich nicht von i unterschieden habe, wird 
niemand behaupten" oder: „Es mufs richtig sein, dafs dort wo 
die phönikischen Buchstaben von den Griechen zuerst auf- 
genommen wurden, jedes Zeichen seine Aussprache, also jeder 
Diphthong die Verschmelzung zweier Laute vernehmen liefs"; 
und eben derselbe schliefst aus dem Vorkommen des Zeichens 
H für den Spiritus asper in den ältesten Inschriften,- „dafs es 



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t * 

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Zeiten und Gegenden in Griechenland gegeben hat, in welchen 
dieses Zeichen wirklich ausgesprochen war," wahrend es be- 
kanntlich im Neugriechischen uicht ausgesprochen wird. Es 
darf also als zugestanden und ausgemacht gelten — ich ziehe 
den Schlufs in der vorsichtigsten Form — , dafs zu der Zeit, 
als die Griechen das phönikische Alphabet einführten, also 
etwa im neunten Jahrhundert 9 ) vor Chr., eine Anzahl von 
Zeichen nicht den Laut ausdrückten, den sie jetzt im Neu- 
griechischen bezeichnen; und dies Ergebnis ist, so bescheiden 
es scheint, doch principiell wichtig, weil dadurch die Tradition 
einen zweiten Stöfs erhält und mit Sicherheit festgestellt wird, 
dafs die bis heute durch mündliche Tradition überlieferte Aus- 
sprache nicht von jeher geherrscht hat, dafs die Aussprache 
des Griechischen sich im Laufe der Zeiten geändert hat; ein 
Ergebnis, welches niemanden überraschen kann, der sich über- 
haupt mit wissenschaftlicher Sprachforschung beschäftigt und 
aus ihr gelernt hat, dafs die Laute in fortwährendem, bald 
rascheren, bald langsameren Flufs sind. 

„Ja/' sagen nun die Verteidiger der Tradition, „wir geben 
zwar zu, dafs in grauen Zeiten einmal Unterschiede in dem 
Lautwert von n. i u, von e und ai vorhanden gewesen sind: 
welches aber diese Laute waren, das zu sagen wird jetzt 
niemand mehr im stände sein; wir geben zu, dafs die Aussprache 
in jener Zeit nicht dieselbe war als die heutige, aber wie sie 
in der That war, wissen wir nicht." Es liegt mir nun ob 
Ihnen zu zeigen, dafs wir das in der That wissen können und 
mit welchen Mitteln wir zu diesem Wissen gelangen. 

Um jedoch jedes Mifs Verständnis zu vermeiden, schicke 
ich voraus, dafs dieses Wissen natürlich nur ein approximatives 
sein kann. Bei der unendlichen Mannigfaltigkeit der mensch- 
lichen Sprachlaute, der unendlichen Menge feiner Nuancierungen, 
welche möglich sind und faktisch vorkommen, wäre es ver- 
messen zu behaupten, dafs man die Aussprache einer toten 
Sprache mit derselben Genauigkeit wiedergeben könnte wie 
die eineHebenden. Doch werden Sie sehen, dafs wir zum Teil 
eine sehr grofse "Genauigkeit in der Bestimmung des Lautes 
erreichen können; wenn dies nicht überall in gleichem Grade 
möglich ist, und unser Wissen manchmal ein etwas unsicheres 



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bleibt, so ist das die- Folge der Mangelhaftigkeit oder Lücken- 
haftigkeit der gerade in diesem Falle uns zu Gebote stehenden 
Quellen oder Hilfsmittel. 

Unter den Hilfsmitteln zur Erkenntnis der griechischen 
Aussprache hat man von jeher als ein besonders gewichtiges an- 
gesehen das Zeugnis des Lateinischen, d.h. den Schlufs den 
man aus der Schreibung griechischer Worte im Lateinischen 
und umgekehrt lateinischer im Griechischen ziehen kann. Aber 
dieses Mittel hat doch nur sehr bedingten Wert: ja, wenu wir 
uns auf den Standpunkt völliger Voraussetzungslosigkeit stellen, 
so gut wie gar keinen. Denn was wissen wir denn von der 
Aussprache des Lateinischen? gerade so viel wie von der des 
Griechischen. Solange also, als wir nicht nachgewiesen haben, 
dafs und mit welchen Mitteln man die Aussprache dieser 
Sprachen nachweisen kann, so lange bleibt die Aussprache des 
Lateinischen für uns eine ebenso unbekannte Gröfse als die 
des Griechischen; wir würden nur eine unbekannte Gröfse durch 
eine andere ersetzen. 10 ) Aufserdem ist dabei die schwierige 
Frage in Betracht zu ziehen, welche Wörter des Lateinischen 
wirklich aus dem Griechischen stammen oder etwa gemeinsames 
Erbgut sind 11 ), und in welcher Zeit die Wörter aus dem 
Griechischen entlehnt sind; und in der grofsen Mehrzahl der 
Fülle würde das Lateinische ohnedies nur für die Aussprache 
des Griechischen in der Zeit des Verfalls beweisend sein. 

Ähnlichen Beschränkungen unterliegt der Wert eines 
/.weiten Mittels für Erkenntnis der griechischen Aussprache, 
nämlich der ausdrücklichen Angaben der Grammatiker. Die 
Bedeutung der geistigen Arbeit dieser Männer und ihr eminenter 
Wert für unsere Kenntnis des Altertums wird von den Laien 
gewöhnlich weit unterschätzt, ja man hört sogar sehr oft in weg- 
werfendem Tone von den alexandrin ischen Grammatikern reden, 
während die Philologie unserer Zeit emsig bestrebt ist, die 
Werke dieser Gelehrten zu rekonstruieren und dabei einen 
immer gröfseren Respekt vor ihnen gewinnt. Aber das Schlimme 
ist eben, dafs wir uns diese Werke erst rekonstruieren müssen 
und dafs das doch nur in sehr fragmentarischer und häufig 
nicht zweifelloser Weise gelingt. Von Originalwerken grie- 



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chischer Grammatiker aus der Blütezeit dieser Disciplin ist 
uns fast nichts erhalten, unsere Kenntnis schöpfen wir meist 
aus Scholien, Lexicis und dürftigen grammatischen Traktaten 
der Byzantinerzeit, in denen, durch lange und nicht immer 
saubere Kanäle abgeleitet, Brocken der alten Gelehrsamkeit 
zusammengeflossen sind, von sehr verschiedenem Wert, von 
sehr verschiedener Güte der Erhaltung, und meist namenlos. 
Da ist es denn ein sehr mühsames Werk, diese Fragmente 
ihren Urhebern zuzuweisen: einen sicheren Anhalt geben nur 
diejenigen, die mit ausdrücklicher Angabe des Namens über- 
liefert sind; aus deren Charakter und Eigenart schliefst man 
auf die übrigen, und vieles bleibt unsicher. Und dabei führen 
uns diese Fragmente doch nur auf die Zeit der Blüte der 
Grammatik zurück, also die Zeit etwa von 250 vor Chr. bis 
200 nach Chr. Sie beweisen uns nichts für die Sprache der 
eigentlich klassischen Zeit der griechischen Litteratur. 
Die griechischen Grammatiker konnten von der Aussprache 
früherer Zeiten nichts wissen, für sie waren die Zeichen in 
der That stumm, da ihnen die Mittel abgingen, sie zum Reden 
zu bringen. Aber sie hatten auch kein sonderliches Interesse 
daran: die Lautlehre spielte bei ihnen eine sehr untergeordnete 
Holle,, wurde sehr oberflächlich behandelt, und daher sind Be- 
merkungen der Art, dafs sie für uns Wert haben, meist nur 
beiläufig und bedürfen erst unserer Interpretation. Solche Be- 
merkungen bieten uns übrigens nicht nur die eigentlichen 
Grammatiker, sondern auch andere Schriftsteller. Die Kenntnis 
der Grammatik war in späterer Zeit selbstverständliche Voraus- 
setzung höherer Bildung, aber auch schon vor der Ausbildung 
der eigentlichen Grammatik haben sich Philosophen und Lehrer 
der Beredsamkeit mit grammatischen Fragen beschäftigt. Bei 
der Wertschätzung solcher Notizen werden wir nun immer die 
Zeit, die Heimat, die Bildung und die Tendenz des betreffenden 
Schriftstellers in Betracht ziehen müssen und daraus die mög- 
lichst vorsichtigen Schlüsse ziehen. Wenn z. B. der skeptische 
Arzt und Philosoph Sextus Empiricus in seiner Schrift ad- 
versus grammaticos '*), in der er sich bestrebt, die Theorieen 
der Grammatiker ad absurdum zu führen, ausdrücklich ai €i ou 
als (peöifYOi uovoeibeic und ctoixeia bezeichnet, so ist das natür- 



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lieh ein Beweis, dafs er sie nicht diphthongisch sprach, sondern 
wie ä i u. Aber wann lebte er, wo war er her? das wissen 
wir nur ungefähr dahin zu beantworten, dafs er in der ersten 
Hälfte des 3. Jahrhunderts nach Christus als Schriftsteller 
thätig war und vielleicht aus Afrika stammte. Das beweist 
also herzlich wenig für die Aussprache des Griechischen über- 
haupt; im besten Fall für die Aussprache im 3. Jahrhundert 
nach Christus in gebildeten Kreisen, vorausgesetzt, dafs der 
Mann nicht seine afrikanischen Idiotismen mitbrachte. Wich- 
tiger wäre das Zeugnis byzantinischer Grammatiker, welche 
Wörter mit e und ai, also z. B. Trctibec traben, kcvöc kcuvöc 
so unterscheiden, dafs sie sagen, die einen würden biä toö 
e uuXoö, die anderen bid Trjc ai bupSÖYfOu geschrieben 18 ), 
für den Gleichklang von e und cu im 2. Jahrhundert nach 
Christus in den Kreisen der fein und gelehrt gebildeten 
Griechen in Alexandria und Rom, wenn dieselben in der 
That aus den Schriften des berühmten und hochbedeutenden 
Grammatikers Herodian entnommen wären, was von einem 
hervorragenden Kenner der griechischen grammatischen Litte- 
ratur und des Herodian speciell behauptet, von anderen ge- 
leugnet wird. 14 ) Dagegen schliefst jeden Zweifel aus, was 
Dionysios von Halikarnafs, der eifrige Bewunderer und För- 
derer rein attischer Sprache zur Zeit des August, also in 
der zweiten Hälfte des 1. Jahrhunderts vor Christus, sagt, die 
Zusammenstellung der Worte Kai 'A6r|vaiiuv bei Thukydides 
sei hart, weil die Laute des i und des a sich nicht mischen 
könnten. 15 ) Daraus geht hervor — ich bin wieder so vor- 
sichtig und voraussetzungslos wie möglich bei der Schlufs- 
folgerung — , dafs man damals in der guten Gesellschaft der 
fein gebildeten Griechen, welche sich bestrebten, an Stelle des 
aus dem attischen Dialekt abgeleiteten, aber im Laufe der 
Jahrhunderte arg depra vierten Gemeingriechisch (der sog. KOivr|) 
das echte alte Attische zu setzen, das ai noch diphthongisch 
sprach. 

Solche direkte Zeugnisse, welche einfache Thatsachen mit- 
teilen, sind äufserst schätzenswert; dagegen sind gänzlich 
wertlos die so sehr beliebten und massenhaft erhaltenen 
Etymologieen. Von Lautgesetzen hatte mau keine Ahnung, 



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und so beruhen die Etymologieen auf einer Kombination von 
zufälligem äufseren Anklang und einer gewissen Ähnlichkeit 
der Bedeutung, wobei uns aber zum Teil ganz Unglaubliches 
zugemutet wird. Alle möglichen Laute können in einander 
übergehen, Laute willkürlich eingefügt werden, und die Be- 
deutungsübergänge werden bei den Haaren herbeigezogen. 
Diesen Charakter tragen — der Natur der Sache nach — in 
noch höherem Grade die Etymologieen Piatos im Kratylos, 
welche daher für die Aussprache der Zeit gar keine Beweis- 
kraft haben. Als Beleg dafür, dafs Plato r\ wie i ausgesprochen 
habe, hat man sich z. B. berufen auf eine Stelle des Kratylos 16 ), 
die ich in Übersetzung hier mitteile: 

Sokr. . . . Du weifst, dafs unsere Vorfahren das i und 
das b gern brauchten, namentlich die Weiber, welche die alte 
Aussprache am zähesten festhalten. Jetzt aber setzen sie an 
Stelle des i entweder e oder n., an Stelle des b ein l, als ob 
das vornehmer wäre. 

Herrn. Wie so? 

Sokr. Wie sie zum Beispiel in der ältesten Zeit den 
Tag iu£pa nannten, später £u^pct, und jetzt n.u^pa. 
Herrn. So ist es. 

Sokr. Weifst du nun, dafs nur jene alte Benennung den Ge- 
danken des Namengebers kund giebt? weil nämlich den Menschen 
das Licht nach dem Dunkel zur Freude und Erfüllung ihrer 
Sehnsucht (lueipouciv) erschien, deshalb nannten sie es lulpa. 

Herrn. Das ist klar. 

Sokr. Jetzt aber, wo die n.U€*pa hochtönend aufgeputzt 
ist, versteht man kaum, was sie bedeutet. 

Hier kann nur einer, der Plato und seine spielenden 
Etymologieen im Kratylos nicht kennt, die Behauptung, dafs 
flippet früher ijue'pa gelautet habe, überhaupt ernst nehmen. 
Fügt Plato doch gleich hinzu: Jedoch meinen einige, der Tag 
sei so genannt, weil f\ nuepa n>€pa ttoici", womit er nur eine 
andere eigene Etymologie giebt. Die flüchtigsten Anklänge 
genügen ihm für seine Etymologieen; solche positive Behaup- 
tungen aber, wie die, dafs die Alten iuepa gesagt hätten, sind 
nur plastische Einkleidungen seiner etymologischen Phantasieen 
wie die Mythen seiner theosophischen. 



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Beweisender als solche Etymologieen, aber auch manch* 
mal beweisender als ausdrückliche oder.beiläufige Angaben sind 
mitunter Spielereien, absichtliche Zweideutigkeiten, reimende 
Lautanklänge und dergl. Doch auch hier mufs man in seinen 
Schlüssen sehr vorsichtig sein. Viel ausgenutzt sind von den 
Freunden der neugriechischen Aussprache namentlich zwei 
Beispiele der Art Das erste findet sich bei Thukydides im 
zweiten Buch. 17 ) Hier erzählt er bei Gelegenheit der Be- 
schreibung der Pest, man habe sich damals eines alten Orakel- 
spruchs erinnert: r\Zei Awpiaicdc 7TÖXeuoc Kai Xoiuöc äu' auiuj, 
und sich gestritten, ob Xoiuöc oder Xiuöc gemeint sei: infolge 
der gerade obwaltenden Umstände habe die Auffassung, es sei 
Xoiuöc gemeint, den Sieg behalten, „sollte aber," setzt er hinzu, 
„später wieder einmal ein dorischer Krieg ausbrechen und 
Hungersnot eintreten, so würde man wahrscheinlich die Weis- 
sagung darnach umdeuten". Daraus geht allerdings meines 
Erachtens das hervor, dafs der Diphthong 01 damals in Athen 
nicht so gesprochen worden sein kann, wie wir ihn sprechen, 
sondern dafs er dem i näher lag (und dafs das in der That 
der Fall war, werden wir weiterhin sehen), es folgt aber nicht 
völlige Gleichheit in der Aussprache von 01 und i. 

Ein anderes viel besprochenes Wortspiel findet sich in 
einem Epigramm, welches dem Kallimachos zugeschrieben 
wird. 18 ) Hier lauten die beiden letzten Verse: 

Aucctvui, cu bk vmxi kcxXöc xaXöc — äXXä TTplv emeiv 
toöto cacpüjc, 'Hxuj <pnd Tic* „"AXXoc £x*i" 

Hier ist es unzweifelhaft, dafs die Worte dXXoc £x ei das Echo 
von vcuxi KaXöc sein sollen, dafs also der Verfasser cu wie e, 
€i wie i sprach. Aber wer war der Verfasser? Das Distichon 
hat mit den vorhergehenden Versen, mit denen zusammen es 
überliefert ist, gar keinen Zusammenhang und pafst gar nicht 
zu ihnen. Da überdies ein so albernes Echo, welches die 
Worte umdreht, einem feinen Dichter wie Kallimachos kaum 
zuzutrauen ist 19 ), und da wir aus anderen unzweifelhaften 
Indicien mit Sicherheit schliefsen können, dafs zur Zeit des 
Kallimachos in Alexandria in guter Gesellschaft zwar vielleicht 
schon ei wie i, aber keinesfalls ai wie € gesprochen worden 



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ist, 20 ) so ist die Annahme einiger Gelehrten 21 ) höchst wahr- 
scheinlich, dafs diese beiden Verse gar nicht von Kallimachos 
stammen. Dann aber sind sie herrenlos und beweisen nichts. 
Aber auch wenn sie von Kallimachos wären, so würden sie 
im besten Falle nur beweisen, dafs in Alexandria um die Mitte 
des 3. Jahrhunderts v. Chr. ai wie e, ei wie i gesprochen wurde 
(und auch in diesem Falle könnte man noch an einen von Kalli- 
machos aus seiner Vaterstadt mitgebrachten Provinzialismus 
denken) : es wäre damit noch nichts bewiesen für andre Centren 
der Bildung wie Athen und etwas später Pergamon. 

Das Echo führt uns auf die Nachahmung von Natur- 
lauten durch die menschliche Stimme, und die Wiedergabe 
solcher Nachahmungen durch die Schrift. Solche Nachahmungen 
können für die Bestimmung der Aussprache einen grofsen 
Wert haben, aber doch nur in seltenen Fällen. Denn wenn 
der Naturlaut nicht einem klaren und reinen menschlichen Laut 
genau oder fast genau entspricht, so wird er von verschiedenen 
verschieden gehört und wiedergegeben werden. Daher sind als 
gänzlich wertlos auszuscheiden Nachahmungen rein elementarer 
Schälle ebensowohl als des Klanges von Musikinstrumenten. 
Das Rollen des Donners, das Brausen oder Heulen des Windes, 
das Plätschern des Wassers läfst sich in artikulierten mensch- 
lichen Lauten (und nur diese sind durch die Schrift fixierbar) 
ebensowenig genau nachahmen, als das GpeTTCtveXö des 
Philoxenos, das Tr|V€X\a des Archilochos und das uuuö des 
Aristophanes 22 ) uns den Klang der Kithar und Flöte auch 
nur einigermafsen zu vergegenwärtigen im stände sind. In 
Betracht kommen können für uns nur Laute, welche in ähnlicher 
Weise wie die menschlichen Laute, durch ungefähr dieselben 
Schall Werkzeuge hervorgebracht werden, d. h. die Stimmen 
der Tiere. 23 ) Und auch hier wird man sehr unterscheiden 
müssen. Nicht alle Tierstimmen sind der Art, dafs sie von allen 
in gleicher Weise gehört werden müssen. Das Mautzen der 
Katze, das Gebell des Hundes, das Brüllen des Ochsen sind in den 
Lauten so unbestimmt, und aufserdem individuell zum Teil so 
verschieden, dafs der einen groben Fehler begehen würde, der 
etwa aus unserem muh schliefsen wollte, die Griechen hätten 
in uuKäouai das u wie u gesprochen, oder aus unserem wau 

ZAcnr.n, Die Ausspräche» des Griechischen 2 



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18 - 



wau, das au des Hundes in Aristophanes' Wespen habe hau 
gelautet. Aber es giebt auch Laute in den Tiersfcimnien, die 
unverkennbar sind, und in der That überall in der Wieder- 
gabe derselben wiederkehren: so das kar oder kra der Krähe 
(KÖpaH Kopiuvri corvus cornix kra), das kucku des Kuckucks (wobei 
der Vokal allerdings etwas unklar bleibt, aber zwischen o u ü 
schwankt), das gr beim Schwein (ypuZeiv, grunnire, grunzen); 
und die Griechen waren feine Beobachter. Das ßp€KK€Ke£ Koä£ 
KodH des Aristophanes giebt das Geschrei des gewöhnlichen grünen 
Wasserfrosches (rana esculenta) unvergleichlich viel getreuer 
und charakteristischer wieder als unser quak quak* 4 ), und ebenso 
kopiert sein tiö tiö tiö tiö tiE, sein iuj idi Ituj ituj ituj das 
Flöten der Nachtigall viel getreuer als das zikftth ziküth unseres 
Märchens. Daher dürfen wir wohl ein Gewicht darauf legen, 
dafs der Koniödiendichter Kratinos die Schafe ßfj ßfj sagen 
läfst. Natürlich mufs man dabei das Unwesentliche abziehen; 
bei dem Froschgesang des Aristophanes ist dem griechischen 
Auslautgesetz zu liebe das eigentlich schliefsende k zu £ ge- 
wandelt, und auch das ßp ist willkürlich; und das ßr) ßfj des 
Kratinos könnte ebensowohl ufj urj lauten (wie denn das Verbum 
un.K(xouai heifst); das Wesentliche ist dort die Zusammen- 
stellung der Vokale und des A-Lautes, hier nur der Vokal. 

Solche Kriterien, welche äufserst vorsichtig zu behandeln 
sind, nur in seltenen Fällen positiv etwas beweisen, durch 
scharfsinnige Korabination allerdings schon zum Teil recht 
hübsche Resultate, aber doch immer nur sporadisch, ergeben 
konnten, waren es, worauf in der Hauptsache die Wissenschaft 
bis vor etwa 50 Jahren angewiesen war. Es kamen noch 
hinzu grammatische Erwägungen und Schlüsse aus Schreib- 
fehlern der Handschriften und Inschriften; aber die Beweis- 
kräftigkeit dieser letzten beiden Kriterien wurde wesentlich 
beeinträchtigt durch die Mangelhaftigkeit der Kenntnis, Einsicht 
und Methode auf beiden Gebieten. 

Gerade hier liegt nun das Verdienst und die epoche- 
machende Bedeutung der neueren philologischen Richtung, die 
in der Hauptsache ein Erzeugnis deutschen Geistes ist und 
Deutschland auch auf diesem Gebiete zur führenden Nation 



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— 19 - 

gemacht hat. Unsere Kenntnis des Altertums überhaupt, und 
vor allem auch seiner Sprache ist seitdem eine ganz andere 
tiefere und umfassendere geworden, und so sind wir auch in 
der Lage, die Frage nach der Aussprache der alten Griechen 
mit ganz anderer Genauigkeit beantworten zu können, als es 
früher möglich war. 

Drei Faktoren sind es, welche den gewaltigen Fortschritt 
der Philologie in unserem Jahrhundert veranlafst haben. Erstens 
die strenge kritische Methode der Forschung, welche zu einer 
bewufsten nach Regeln ausgeübten lern- und lehrbaren Kunst 
geworden ist und von jedem erlernt und gehandhabt werden 
mufs, der selbständig wissenschaftlich arbeiten will. Diese 
Methode der Kritik wurde zuerst ausgebildet an den Texten 
der Schriftsteller, und namentlich Karl Lachmann war es, der 
sie hier zu höchster Vollendung brachte und ein fruchtbarer 
Lehrer derselben wurde; dann aber ward sie übertragen auf 
jede Art der Forschung und ist jetzt Gemeingut der Wissen- 
schaft. Zweitens die historische Auffassung, welche jede Er- 
scheinung in ihrem ursächlichen Zusammenhang zu erfassen, 
welche das Werden und die Entwicklung zu erkennen sucht, 
Diese Richtung, welche ja auch die Naturwissenschaften unserer 
Zeit beherrscht, wurde in der Philologie zur Geltung gebracht 
auf dem Gebiet der Altertumswissenschaft im engeren Sinne, 
d. h. der Erkenntnis des staatlichen und gesellschaftlichen 
Lebens des Altertums, hauptsächlich durch Boeckh: auf dem 
Gebiet der Sprachwissenschaft gab den Anstofs vor allem 
Jakob Grimm, dann Franz Bopp, und es entwickelte sich die 
historische Grammatik, welche man, wenn sie durch Ver- 
gleichung verwandter Sprachen frühere Sprachzustände zu er- 
kennen sucht, Sprachvergleichung nennt. Der dritte Faktor 
endlich ist die Aufschliefsung der klassischen Erde, namentlich 
Griechenlands. Unermüdlich wurde der griechische Boden 
durchwühlt, immer systematischer wurden die Ausgrabungen 
unternommen, und wie reich diese Mühe belohnt wurde, das 
ist ja heute jedermann bekannt. Kunstwerke und Urkunden 
entstiegen in Menge der Erde, unschätzbar für uns als zeit- 
genössische und daher zuverlässige Zeugen einer Zeit, die uns 

sonst nur durch die Berichte der Litteratur, also durch die 

2* 



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— 20 - 



(stets mehr oder weniger unzuverlässige oder lückenhafte) 
Tradition, bekannt war. Für die Kenntnis der Sprache handelt 
es sich natürlich speciell um die Inschriften, und die reiche 
Fülle von Inschriften, die allmählich aufgedeckt wurden, ist 
in der That für unser Wissen von der griechischen Sprache 
von gröfster und einschneidendster Bedeutung geworden, nament- 
lich nachdem man gelernt hatte, die Inschriften kritisch zu 
sichten und zu vergleichen und daraus die richtigen Schlüsse 
zu ziehen. Die frühere Zeit hatte zwar auch Inschriften ge- 
kannt, aber ihr fehlte eben noch die kritische Methode und 
der historische Gesichtspunkt: — jetzt entwickelte sich eine 
besondere Wissenschaft, die Epigraphik. Man lernte aus den 
verschiedenen Formen der Buchstaben das Alter der Inschriften 
zu erkennen, man verfolgte die Veränderungen in der Form 
der Schriftzeichen von der jüngsten bis in die älteste Zeit, aus 
der uns Inschriften erhalten sind, man sah, dafs in dieser 
ältesten Zeit verschiedene Buchstabenformen in verschiedenen 
Gegenden üblich sind, die doch auf eine Grundform zurück- 
gehen, man sah, dafs dieselben Zeichen in verschiedenen Zeiten 
und Gegenden anders verwendet werden, man sah, dafs die 
Schreibung mitunter willkürlich gewechselt wird — kurz es 
entstand die Geschichte der Schrift. 26 ) Aber die Schrift läfst 
sich nicht vom Laut trennen. Das Schriftzeichen bezeichnet 
einen Laut, und so wurde man dadurch mit Notwendigkeit auf 
die griechischen Laute hingeführt, man schlofs aus der ver- 
schiedenen Verwendung derselben Zeichen, aus der Aufnahme 
neuer u. s. w. auf den Lautwert derselben. Dabei wurde man 
wesentlich unterstützt durch die Entwickeluug der historischen 
griechischen Grammatik, und diese ihrerseits stützt sich wieder 
wesentlich auf die Inschriften. Die Inschriften geben nicht 
nur ein treues Bild von den allmählichen Lautwandelungen 
im attischen Dialekt und der daraus abgeleiteten allgemeinen 
Schrift- und Umgangssprache: sie zeigen uns auch die mund- 
artlichen Einflüsse in verschiedenen Gegenden: sie lehren uns 
vor allem die Mundarten in ihrem ursprünglichen reinen Be- 
stände kennen. Die Inschriften haben uns griechische Mund- 
arten erschlossen, von denen litterarische Denkmäler nie vor- 
handen gewesen sind und von deren Existenz wir vorher kaum 



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- 21 - 

etwas wufsten, wie von der thessalischen, der arkadischen, der 
kyprischeu, der elischeu, sie haben uns von den Mundarten, 
die wir durch die Grammatiker oder durch erhaltene Texte 
schon einigermafsen kannten, wie der ionischen, der lesbischen, 
der böotischen, eine genauere und zuverlässige Vorstellung 
gegeben. Durch die Vergleichung dieser Mundarten mit der 
gleichfalls durch die Inschriften genauer erkannten attischen 
sowie mit der älteren Sprachform, in der die homerischen 
Gedichte überliefert sind, und dann weiter mit den verwandten 
Sprachen, indem zugleich die Resultate der allgemeinen Sprach- 
wissenschaft über die Gesetze des Lautwandels überhaupt be- 
rücksichtigt wurden, ergab sich nun ein Bild von der Ent- 
wickelung der griechischen Sprache, speciell des griechischen 
Lautsystems, welches allmählich immer klarer und deutlicher, 
immer mehr bis in alle Einzelheiten hinein erkennbar wurde. 
Wir sind infolge dessen jetzt im stände, die Laute der griechischen 
Sprache einerseits chronologisch von der Zeit der Trennung von 
den verwandten Völkern ab bis in die späte römische Kaiser- 
zeit, ja die byzantinische Zeit hinein, andererseits räumlich in 
ihre Verästelungen in Dialekte und Dialektnuancen hinein zu. 
verfolgen. Natürlich ist uns noch immer vieles verborgen 
und anderes kontrovers: aber das liegt in der Natur der Sache 
und im Begriü* der Wissenschaft: wo nichts Neues mehr zu 
finden, kein Problem mehr übrig ist, da hört die Wissen- 
schaft auf; aber es ist durch die Beschränktheit menschlichen 
Wissens und Könnens dafür gesorgt, dafs es nicht dazu kommt. 
Einen sehr erklecklichen Schatz festen Wissens haben wir 
immerhin schon geborgen. Und nun erst ordnen sich jene 
mehr sporadischen Ergebnisse, die aus den vorher betrachteten 
Kriterien zu gewinnen sind, dem Ganzen ein und finden jetzt 
erst Halt und Zusammenhang. 

In welcher Weise nun die Wissenschaft all diese Mittel 
anwendet, um ihre Resultate zu erzielen, davon will ich Ihnen . 
jetzt ein Beispiel vorführen, und ich wähle dazu eben die 
Laute, welche vor allem ein Zankapfel gewesen sind und noch 
sind, nämlich die Vokale und Diphthonge, weil wir gerade 
hier zum Teil zu ganz zweifellosen Resultaten kommen können. 



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- 22 - 

Wir gehen aus von dem ßr| ßf) der Schöpse bei Kratinos. 
Aber da wir ganz voraussetzungslos zu Werke gehen wollen, 
so müssen wir zunächst fragen: was wissen wir darüber und 
woher wissen wir das. 

Kratinos, der grofse Vorläufer des Aristophanes und eigent- 
liche Schöpfer der alten attischen Komödie, war Zeitgenosse 
des Perikles, den er jedoch überlebte. Von seinen Komödien 
ist nichts auf uns gekommen, als dürftige Fragmente, die von 
Grammatikern citiert werden. So wird auch von verschiedenen 
Grammatikern aus seinem Dionysalexandros folgender Vers 
angeführt: 

6 b* nXiGioc uJCTTep TrpößctTOV ßfi. ßn. Xerwv ßabttei 

als Beleg dafür, dafs dies das uiunriKÖv Tf)c tüjv TTpoßonuv 
qpujvnc bei den Attikern sei. 26 ) Die grammatischen Werke, in 
denen sich dies Citat findet, stammen alle aus byzantinischer 
Zeit, und von ihren Verfassern hat keiner ein Exemplar des 
Kratinos zu Gesicht bekommen, sondern sie haben das Citat 
aus älteren grammatischen Werken abgeschrieben. Und einer 
von ihnen, Eustathios, nennt auch seine Quelle, nämlich Aelios 
Dionysios. 27 ) Das war ein gelehrter Grammatiker zur Zeit 
Hadrians, der aus der Sprache der alten attischen Klassiker 
ein besonderes Studium machte und ein Lexikon attischer 
Worte und Redensarten schrieb, das von den Späteren viel be- 
nutzt worden ist. Dieser also las entweder selbst in einem 
Exemplar des Kratinos das BH BH, oder entnahm das Citat 
seinerseits wieder einem älteren Werke, vielleicht der KwuiKf) XeHic 
des Didymos, einem sehr reichhaltigen Lexikon zu den attischen 
Komikern, das für eine grofse Anzahl uns erhaltener Notizen 
Quelle gewesen ist. Jedenfalls las man in römischer Kaiserzeit 
in den Handschriften des Kratinos BH BH. Aber hat er selbst 
so geschrieben? Das ionische Alphabet, in welchem das Zeichen 
H einen 6'- Laut bezeichnete, wurde in Athen erst 403, geraume 
Zeit nach dem Tode des Kratinos, officiell eingeführt; das bis 
dahin in den öffentlichen Urkunden gebrauchte altattische 
Alphabet verwendet das Zeichen H für den Hauchlaut (Spiritus 
asper) und hat für den kurzen wie langen e-Laut nur das eine 
Zeichen E. Also schrieb Kratinos selbst BE BE? Das folgt 



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- 23 — 



daraus nicht. Denn in Athen war es nicht wie bei uns, wo 
eine neue Orthographie von oben herab dekretiert und nun 
erst ins Leben eingeführt wird, sondern das Leben ging voran, 
der Staat folgte nach: der demokratische Staat war in seiner 
Praxis äufserst konservativ. Hat Athen doch auch die alter- 
tümlich unbeholfenen Münztypen noch bis in eine Zeit hinein 
befoeh alten, wo die Kunst sich schon längst zu voller Freiheit 
und Schönheit durchgerungen hatte. So ist das ionische Alphabet, 
das als das entwickeltste und vollkommenste der verschiedenen 
in verschiedenen Gegenden gebräuchlichen Alphabete schon 
früh eine gewisse internationale Geltung bekommen zu haben 
scheint 28 ), in Athen im Privatgebrauch längst eingebürgert ge- 
wesen, bevor der Staat sich entschlofs, es auch officiell ein- 
zuführen. 29 ) Schon vor 432 benutzte Kallias in seiner wunder- 
lichen ABC -Tragödie, in der er die einzelnen Buchstaben 
auftreten und sich selbst buchstabieren und syllabieren liefs, 
das ionische Alphabet: ßfjTot aXqpa ßa, ßn/ra ei ße, ßnja nja ßn, 
ßrVra iilna ßi, ßn/ra ou ßo, ßn/ra u ßu, ßn/ra w ßw u. s. w. 30 ), 
und Euripides liefs in seinem uns verlorenen Theseus, der 
früher zur Aufführung gekommen sein mufs als die 423 auf- 
geführten Wespen des Aristophanes , da in diesen eine Stelle 
aus ihm persifliert wird, einen des Schreibens Unkundigen die 
Schriftzüge des Namens ©nceuc so beschreiben, dafs das zweite 
Zeichen ein Eta ist; nämlich als zwei Linien, die von einer 
dritten auseinandergehalten werden. 81 ) Auch in Inschriften, 
sowohl öffentlichen als privaten, finden sich seit 450, anfangs 
vereinzelt, später immer häufiger, ionische Schriftzeichen. 82 ) Es 
ist daher durchaus nicht unwahrscheinlich, dafs Kratinos, dessen 
litterarische Thätigkeit ungefähr in die Jahre 460—424 fällt, 
sich in dem Manuskript seines AiovucaXcSiavbpoc des ionischen 
Alphabets bedient und BH BH geschrieben habe: aber auch 
wenn er noch das alte Alphabet brauchte und BE BE schrieb, 

* 

so wurde das Ganze doch sicher in den für den Buch- 
handel bestimmten Exemplaren sehr bald in das ionische 
Alphabet umgeschrieben, und dabei für jenes BE ein BH ge- 
setzt. Es ist somit unzweifelhaft erwiesen, dafs gegen Ende 
des 5. Jahrhunderts das Zeichen des ionischen Alphabets H 
in Athen den langen offenen e-Laut bezeichnete, also unser 



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— 24 - 



langes ä (in phonetischer Schreibung c oder ä?) oder fran- 
zösisches <?. 

Die Verwendung des Zeichens H für den Laut w haben 
die Athener, wie gesagt, von den loniern übernommen. Nicht 
das Zeichen selbst. Dieses ist allen griechischen Alphabeten 
gemein, und aus dem phönikischen Alphabet entnommen. Aber 
wie es dort einen Hauchlaut ausdrückt (das Chet), so bezeichnet 
es auch in den meisten griechischen Alphabeten den Hauch, 
den wir Spiritus asper nennen. Auch im ionischen Alphabet 
hat es ursprünglich diese Funktion gehabt; aber da im ionischen 
Dialekt das h sich schon sehr früh verhaucht hatte, so erschien 
ein Zeichen dafür überflüssig, und man verwendete dasselbe 
nun zur Bezeichnung einer Nuance des ß-Lauts, der bis dahin 
unterschiedslos mit E bezeichnet worden war. Schon die 
ältesten uns erhaltenen Inschriften in ionischem Alphabet, die 
Söldnerinschriften von Abu Simbl aus dem 7. Jahrhundert 33 ) 
zeigen diese Übertragung fast vollendet: das B (denn dies ist 
die älteste Form des Zeichens) wird teilweise noch für den 
Spiritus gebraucht, teilweise bleibt derselbe unbezeichnet, da- 
neben aber wird B stets gebraucht, wo wir jetzt x\ schreiben. 
Wodurch unterschied sich nun das E und das H (B) in der 
Aussprache? Sicher nicht nur durch die Quantität, so dafs mit 
E alle kurzen, mit H alle langen e- Laute bezeichnet wären. 
Denn für eine bestimmte Klasse langer e-Laute blieb das E 
konstant im Gebrauch. Es sind diejenigen, welche wir, der 
jüngeren attischen Orthographie folgend, mit ei bezeichnen, 
d. h. die durch Kontraktion aus e -j- e entstandenen, wie z. 13. 
eixo v aus e-exov, eure aus d-(F)€Tre, eiroiei aus eiroi€-€, und die . 
Dehnungen aus kurzem e, welche auf griechischem Boden, 
nach der Trennung in Dialekte, durch Schwund von Konso- 
nanten (sog. Ersatzdehnung) veraulafst sind, wie in eiul aus 
kui. Dafs diese E einen langen Vokal bezeichnen, geht aus 
ihrer Natur und ihrer metrischen Verwendung hervor, dafs sie 
uicht einen Diphthong, sondern einen einfachen f-Laut aus- 
drücken sollen, ist erstens schon aus der Art ihrer Entstehung 
zu schliefsen, folgt aber zweitens mit Sicherheit daraus, dafs 
sie von den El sorgfältig unterschieden werden, da die Schrei- 
bung El beschränkt ist auf diejenigen Laute, welche entweder 



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— 25 — 

durch sogenannte Steigerung aus i entstanden sind, wie in 
eibwc, oder aus e + i kontrahiert sind, wie buvduei aus buvaue-t, 
oYreXeia aus dTe\€(c)-ia. Das E bezeichnete also aufser dem 
kurzen auch einen langen t'-Laut. Wie klang dieser und wie 
unterschied er sich von dem durch H bezeichneten? Die Athener 
übernahmen, wie wir sahen, das ionische Alphabet mit dem 
Werte as für H. Nun sehen wir, dals in den Inschriften des 
ionischen Alphabets mit H bezeichnet werden erstens diejenigen 
langen <?, die allen Dialekten gemeinsam sind, also aus der 
Zeit vor der Trennung in Dialekte stammen, dann aber die- 
jenigen specifisch ionischen e, welche durch Eontraktion aus 
ea entstanden sind, wie fjv aus £dv, oder welche infolge einer 
eigentümlich ionischen Lautaffektion aus langem a entstanden 
sind (infolge eines ähnlichen Lautübergangs, wie der, welcher 
aus germanischem a im Englischen einen <?-Laut gemacht hat) 
und somit einem ä der anderen Dialekte entsprechen, wie bnuoc 
Yever) TpinKÖuoi, entsprechend einem bäuoc yeveä TpiaKÖaoi in 
den anderen Dialekten. Die durch E bezeichneten langen 
6'-Laute dagegen sind zwar auch erst auf ionischem Boden 
entstanden, aber aus reinem e. Nun hatte aber das €, wie wir 
aus vielen Anzeichen entnehmen können, nicht den Laut unseres 
kurzen e f d. h. einen offenen, sondern vielmehr einen geschlos- 
senen, nach i zu klingenden, wie das heutige italienische kurze e. 
In vielen Dialekten geht das so weit, dafs e vor Vokalen 
in i überzugehen pflegt, wie im böotischen, kretischen, lako- 
nischen, kyprischen 0töc für Geöc. 34 ) Somit werden wir zu dem 
Schlüsse hingedrängt, dafs mit H das lange offene e (c oder «?), 
mit E das kurze und lange geschlossene e bezeichnet wurde (in 
phonetischer Schreibung e und <f). Mit diesem Resultat stimmt 
die Thatsache überein, dafs mitunter E für El oder El für E 
sich geschrieben findet. Das wäre nicht möglich, wenn nicht 
die Laute ähnlich gewesen wären; aber sie waren auch nicht 
gleich, da in der Regel die Schreibung sie trennt. Also war 
der durch E bezeichnete Laut ein langes e> das nach i hin klang, 
der durch* El wiedergegebene ein Diphthong, dessen erster Be- 
standteil ein geschlossenes e, der zweite ein i war (wie im 
ostpreufsischen nein). 

Dafs man mit der Unterscheidung von H und E nicht 



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- 26 - 



die Quantität sondern die Qualität der Laute bezeichnen wollte, 
geht auch aus den Modifikationen hervor, welche die Anwen- 
dung dieser Zeichen auf einigen Inseln des Ägäischen Meeres, 
namentlich Naxos und Keos erlitt. Hier werden nämlich mit H nur 
diejenigen rj bezeichnet, welche einem dorischen a entsprechen, 
wie in MHTEPA, OIKIHN, oder aus ea kontrahiert sind wie in 
EPHN = Ineäv, wo dagegen auch das Dorische einen e-Laut 
zeigt, derselbe also gemeingriechisch und aus der Zeit vor der 
Dialekttrennung herübergenommen ist, wird E gebraucht: ME 
für urj, ANEOEKEN dveOnKev. Ja eine alte naxische Inschrift 
bezeichnet sogar das kurze e (die Kürze ist durch den Vers 
* gesichert), wenn es aus ä entstanden ist, mit B, in Aeivobhceuj 
und dXXewv, „in welchen das e der specifisch ionische Stell- 
vertreter eines a der übrigen Dialekte (Aeivobfcao [-a], dXXdiuv 
|-ävj) ist". 3 *) 

Nachdem man die Nuancen des 6'-Lautes durch verschiedene 
Buchstaben zu bezeichnen sich gewöhnt hatte, fühlte man das- 
selbe Bedürfnis auch für den ©-Laut. Hier freilich stand kein 
freigewordenes Zeichen zur Verfügung, man niufste ein neues 
schaffen. Das. that man etwa gegen Ende des 7. und Anfang 
des 6. Jahrhunderts 30 ), indem man das bis dahin allein übliche 
Zeichen 0 modificierte, und zwar machte man das au ver- 
schiedenen Orten in verschiedener Weise; man unterschied von 
dem alten 0 ein C oder ein O oder ein Q. Die letzte Unter- 
scheidung ist später allgemein geworden, weil sie in dem 
Alphabet der kleinasiatischen Ionier durchgeführt war. Gleich- 
viel aber, wie das Zeichen modificiert wurde, der Unterschied 
des Lautes, der durch die verschiedenen Zeichen ausgedrückt 
werden sollte, war überall derselbe, nämlich, dafs das eine 
Zeichen für den Laut steht, den wir jetzt mit ui bezeichnen, 
das andere nicht nur für das kurze o, sondern auch für die 
durch Kontraktion aus o -j- 0 und» o 4- e, oder durch Ersatz- 
dehuung aus kurzem o entstandene Länge, die wir ou schreiben, 
z. B. TO = toö (aus TO-[j]o), KAPTEPO£ KCtpTepouc (aus Kap- 
Tepovc). Dagegen wird in den Formen des Pronömen outoc 
stets OY geschrieben. Wir schliefsen daraus, dafs jene durch 0 
bezeichnete Länge nicht mit ou gleichklang, und kein Diphthong, 
sondern ein einfacher Vokal war. Wie derselbe sich von der 



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27 - 



durch Q bezeichneten Länge unterschied, darauf weist zunächst 
die Analogie der Unterscheidung von E und H hin; wie dort 
• das eine Zeichen den offnen Laut, das andere den geschlossenen 
wiedergiebt, so wird es wohl auch hier sein. Nun ist die 
durch 0 bezeichnete Länge die Verlängerung von o, oder aus 
Kontraktion zweier o, resp. eines o und e entstanden. Das o 
hatte aber den Laut eines kurzen geschlossenen o und klang 
sehr nach u hin. Das geht mit Sicherheit daraus hervor, dafs 
€0 im ionischen Dialekt öfter zu eu wird (z. B. TTOieövTa aus 
TroieovTa, 'ImroKpdTeuc aus 'iTnroKpaieoc) 37 ), wie sich umgekehrt 
in ionischen Inschriften eo ao für eu au geschrieben findet 88 ) 
wie <peÖY€iv, XeoKOic, äoTÖc. Solcher Lautübergang und solche 
Verschreibungen wären nicht möglich, wenn nicht einerseits 
das Y der Diphthonge eu au den Wert von u gehabt hätte, 
andererseits das durch 0 ausgedrückte kurze o einen ge- 
schlossenen, dem u sich nähernden Klang gehabt hätte. So 
wird auch die Dehnung dieses o einen geschlossenen Klang 
gehabt haben, und darin der Unterschied von dem in beruhen. 
Mit 0 wurde also der kurze und lange geschlossene o-L'aut, mit 
Q der offene bezeichnet. 39 ) Das OY aber wurde, da es mit zwei 
Zeichen geschrieben, und von der Dehnung 0 sorgfältig unter- 
schieden ist, als Diphthong gesprochen, und da wir sahen, 
dafs in EY AY das Zeichen Y den Lautwert u hatte, so wird 
es denselben auch in OY gehabt haben, das also wie o -\- u 
klang. 

Hier sei mir eine kleine Digression gestattet, die uns zwar 
von dem sicheren Boden, auf dem wir uns bis jetzt bewegt 
haben, auf weniger bekanntes und zuverlässiges Terrain führt, 
uns aber einen Blick eröffnet auf Zeiten, welche weit hinter • 
der durch äufsere Zeugnisse bekannten Geschichte des griechi- 
schen Volkes zurückliegen. 

Wenn wir von den specifisch ionischen Lauten (also 
namentlich dem aus a entstandenen n.) absehen, so zeigen die 
durch E und 0 einerseits, durch H undvQ andererseits be- 
zeichneten langen Laute, abgesehen von ihrem qualitativen 
Unterschiede, noch einen anderen sozusagen chronologischen: 
sie sind verschieden alt. Die mit E und 0 bezeichneten Längen 
sind erst auf griechischem Boden entstanden, nachdem die 



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- 28 - 



Dialekte sich von einander geschieden hatten, und in jedem 
Dialekt selbständig. Denn wir finden in manchen Dialekten 
noch die Grundformen, oder eine andere Umbildung derselben. 
Die Inschriften des kretischen Dialekts zeigen uns noch die 
Akkusative auf -ovc, die Partizipien auf -evc, die im ionischen 
auf -0£ -E£ (-ouc -€ic, z. B. touc ittttouc TiGeic aus tovc 
unrovc ti0€v(t)c) auslauten; für das ionische EMI (eiui) finden 
wir im lesbischen Dialekt £uui, das ebenso wie jenes aus dcjut 
entstanden ist; und von dem Genitiv TO (tou) liegt die ältere 
Form im homerischen toio vor. Diejenigen Längen dagegen, 
welche mit H Q bezeichnet werden, sind (mit Ausnahme eben 
der specitisch ionischen) allen Dialekten gemeinsam, sind also 
aus einer Zeit herübergenommen, bevor das griechische Volk 
sich in scharf getrennte Stämme, die griechische Sprache sich 
in scharf getrennte Dialekte gespalten hatte. Das sind z. B. 
Längen wie in Ttarrip TTOiur|V prjTUjp troiricai rjcOiov yvwtöc 
TTeiTUJKa, in denen gleichfalls eine Dehnung des kurzen Lautes 
(der in anderen Formen derselben Wörter hervortritt, wie in 
TTdTepec Ttoiuevec pnropec iroteouev ecOiw tvövtcc ttotöc) vor- 
liegt, aber eine viel früher eingetretene als jene, welche durch 
E und O bezeichnet wird. Da nun diese älteren Längen in 
der Zeit, in welcher jene Schreibungsunterschiede gemacht 
wurden, einen offenen Laut hatten, so schliefst man, dafs in 
der Zeit, in der sie aus den kurzen Lauten entstanden, auch 
diese, also e und o, einen offenen Klang hatten, also etwa wie 
ä in Äcker und o in Wort (phonet. e od. w und o) klangen. 40 ) 
Indes weifs ich nicht, ob der Schlufs völlig richtig ist. Es 
besteht bekanntlich im Griechischen ein eigentümliches Ver- 
hältnis zwischen e und o, welches man Ablaut nennen kann, 
uud welches unzweifelhaft durch frühere Accentverhältnisse 
bedingt ist. So wechseln z. B. cpepo-uev cpepe-xe, cp^pw cpopd 
bopu-cpöpoc, kXctttuj xe'KXocpa, Xe'YW Xöfoc, ftvoc fovri, (ppe'vec 
(ppovew u. 8. w. Dieser eigentümliche Wechsel zwischen einem 
e- und einem o-Laut ist nicht aufs Griechische allein beschränkt, 
er findet sich, wenngleich nicht mit gleicher Konsequenz und 
häufig durch individuelle Lautentwickelung getrübt, auch in den 
anderen verwandten Sprachen, geht also auf die Ursprache 
zurück. 41 ) Nun läfst sich dieser Lautwandel meiner Meinung 



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- 29 - 



nach nicht anders erklären, als so, dafs das €, um das es sich 
handelt, ein ziemlich unreiner und dumpfer Laut war, der 
etwa zwischen 6 und w (e) lag 42 ), und daher, wenn er in den 
Tiefton kam, sich ganz gut in einen zwischen ö und o liegen- 
den Laut verschieben konnte. Dafs die reinen Vokale das 
Älteste seien, ist ja eine längst als unhaltbar erkannte Theorie. 
Wenn nun jene ursprachlichen e und o solchen unreinen Laut 
hatten, so mochte sich dieser im Griechischen erhalten in ihren 
Dehnungen, also den gemeingriechischen n. und uu 7 während 
die Kürze sich zu einem klareren Laut, d. h. geschlossenem e 
und 6 entwickelte, dessen spätere, auf griechischem Boden ent- 
standene Dehnung (die im ionischen Alphabet mit E und O 
bezeichnet wird) also auch den Laut c und ö hatte. Als ein 
dritter Laut wird dann hinzugekommen sein die specifisch 
ionische Umwandlung eines gemeingriechischen a in ein scharfes 
offnes tf, etwa der hannoverischen Aussprache des a in offner 
Silbe entsprechend, so dafs wir also zwei lange offne <?-Laute 
zu scheiden hätten, einen klaren scharfen speciell ionischen, 
und einen unreineren dumpfen gemeingriechischen 43 ); und so 
liefse sich auch die Eigentümlichkeit in der Schreibung der 
Inschriften von Keos und Naxos erklären. Ein ähnlicher 
Unterschied wird auch zwischen dem gemeingriechischen € 
und dem specifisch ionischen aus a entwickelten e bestanden 
haben: den asiatischen loniern erschienen die e der letzteren 
Art aber vielleicht an Zahl zu unbedeutend, um sie durch be- 
sondere Schreibung auszuzeichnen, oder ihr Klang assimilierte 
sich bald der Mehrzahl der €. 

Wie dem aber auch sei, in der Hauptsache ist es klar fest- 
gestellt, dafs das ionische € o einen geschlossenen Klang hatte, 
die Dehnung desselben, die von den loniern selbst ebenso wie 
die Kürze mit E O, von uns mit ei ou geschrieben wird, eben- 
falls einen geschlossenen Laut darstellte, wie e o, endlich mit 
H Q ein offnfer langer Laut bezeichnet wurde, dessen Klang- 
farbe verschiedene Nuancen haben mochte. Und weiter haben 
wir konstatiert, dafs mit El ein dem langen geschlossenen e 
ähnlich klingender Diphthong (also ei) bezeichnet wurde, dafs 
in €u au der zweite Teil wie u lautete, und haben dasselbe 
für ou als wahrscheinlich erkannt. 



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- 30 



Kehren wir nun nach Athen zurück. 

Die älteren attischen Inschriften sind in einem Alphabet 
geschrieben, welches dem Ionischen nahe verwandt ist, aber 
teils in der Forin, teils in der Verwendung der Zeichen seine 
Eigentümlichkeiten hat. Uns geht hier nur die Bezeichnung 
der e- und o-Laute und der entsprechenden Diphthonge an. 
In dieser Beziehung steht das altattische Alphabet noch auf 
der primitiven Stufe wie das ionische vor Einführung des H 
als /'-Laut und des Q; auf derselben Stufe wie alle nicht- 
ionischen Alphabete: d. h. sämtliche ^-Laute werden durch E, 
sämtliche o-Laute durch 0 bezeichnet. H steht noch für den 
Hauchlaut. El und OY dienen nur zur Bezeichnung der aus 
i und u durch sog. Steigerung und der aus e + i und o -f- u 
durch Kontraktion entstandenen Diphthonge. Nach der offi- 
ciellen Einführung des ionischen Alphabetes tritt auch die 
ionische Orthographie ein: der Hauchlaut bleibt unbezeichnet, 
E H El, O 12 OY werden in derselben Weise verwendet wie 
im Ionischen. Dafs H in dieser Zeit den langen offenen tf-Laut 
bezeichuete, haben wir schon gesehen; wir werden auch im 
übrigen annehmen müssen, dafs die Zeichen denselben Laut aus- 
drücken sollten, wie im Ionischen, dafs also die durch E und O 
bezeichneten Dehnungen aus e und o einen langen geschlossenen 
Laut hatten, und sich noch von den Diphthongen El und OY 
in der Aussprache unterscheiden liefsen. Doch mufs der Unter- 
schied schon ziemlich gering gewesen sein, denn immer häufiger 
findet sich statt eines langen E ein El, statt eines langen O 
ein OY gesetzt, und seit der Mitte des 4. Jahrhunderts ist diese 
Schreibung durchgedrungen 41 ), die von da an bis auf unsere 
Zeit herrschend geblieben ist: die auf griechischem Boden durch 
Dehnung oder Kontraktion aus kurzem e und o entstandenen 
langen geschlossenen c und ö werden El und OY geschrieben. 
Da nun die ganze griechische Lauteutwickeluug auf Mono- 
phthougisierung der Diphthonge hindrängt, so* ist es ganz 
unwahrscheinlich, dafs aus jenen einfachen e und ö jetzt 
Diphthonge ei und ou geworden wären 45 ), sondern es ist ganz 
offenbar, dafs die ursprünglichen Diphthonge ei und ou zu 
einfachen Längen geworden und in ihrem Klang mit jenen e ö 
zusammengefallen waren. Das benutzte man, um die langen 



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- 31 — 



geschlossenen e und o einerseits von den kurzen geschlossenen 
€ und o, andererseits von den langen offenen rj und uj zu unter- 
scheiden, indem man die Schreibung der ursprunglichen Di- 
phthonge auf die einfachen Längen übertrug, mit denen sie jetzt 
ja im Klang identisch waren: und so kommt es, dafs wir noch 
heute jene Laute, welche nie diphthongisch geklungen haben, 
doch mit zwei Zeichen schreiben. 

Verlassen wir jetzt wieder auf kurze Zeit Attika und 
machen eine Exkursion über die Grenzen nach dem Nachbar- 
land Böotien. Auch diese Landschaft hatte sich das phönikische 
Alphabet in ihrer Weise zurecht gemacht und bediente sich 
dieses heimischen Alphabetes bis ins 4. Jahrhundert. Dasselbe 
hatte, wie das altattische, für den <?-Laut nur das eine Zeichen 
E, für den o-Laut nur das eine Zeichen 0. Von der Länge 
E unterschied es den Diphthong El, wo dieser aus i durch 
Steigerung, oder aus e -j- i durch Kontraktion entstanden war. 
Aber an Stelle dieses Diphthongen El wurde schon damals 
ebenso oft ein einfaches I geschrieben 46 ); ein Beweis, dafs aus 
dem ursprünglichen Diphthongen damals schon in Böotien ein 
einfacher Laut geworden war, der beinahe oder ganz wie i klang. 
Um die Mitte des 4. Jahrhunderts tritt in den böotischen In- 
schriften an Stelle des alteinheiinischen Alphabetes das ionische. 
Das war eine einfache Folge der geistigen Hegemonie, die Athen 
behielt, auch als seine politische Hegemonie aufgehört hatte. 
Nachdem Athen, der Brennpunkt und das Centrum aller höheren 
Bildung in dieser Zeit, das ionische Alphabet angenommen hatte, 
mufsten alle anderen Staaten, die nicht zurückbleiben und ver- 
bauern wollten, folgen. Aus Athen entnahmen sie die Schrift- 
zeichen, und an den Schriftzeichen haftete der athenische Laut. 
Und da ist es nun sehr interessant und lehrreich, zu sehen, wie 
ein Dialekt, dessen Lautsystem von dem attischen so erheblich 
abweicht, wie der böotische, die aus Athen übernommenen Zeichen 
des ionischen Alphabetes verwendet; daraus lassen sich für die 
Aussprache in beiden Dialekten sehr wichtige Schlüsse ziehen. 
Es sind hauptsächlich die Buchstaben I H Q und die Buch- 
stabenverbindungen El und OY, welche anders verwendet wer- 
den als in Athen. Die Schreibung I für den ursprünglichen 
Diphthongen €i breitet sich aus und wird fast allgemein. Mit 



— 82 - 



El wird nunmehr nicht nur das durch Dehnung aus € oder 
Kontraktion aus €€ entstandene lange geschlossene e bezeichnet, 
welches auch im nacheuklidischen attischen Alphabet El ge- 
schrieben wird, wie in öqpeiXiu, Trapueivavxa, eTuev, <t>äeivoc, 
tto0€i\€to, TTpocrcnreTuev, sondern auch die urgriechische Länge, 
die im Attischen mit H bezeichnet wird, .wie in EuueiXoc, 
eTioeicavGo, xP €iu( *twv, *Apictok\€ic , TTcrmp (= att. EüunXoc, 
^TtoiricavTO, xptm aTUJV i 'ApiCTOKXrjc, Trcrrrip) u. a., woneben aller- 
dings mitunter die Schreibung mit H sich findet. 47 ) In der 
Regel aber wird H vielmehr an die Stelle eines AI des alten 
Alphabetes, welches attischem AI entspricht, gesetzt, also 
TToXn-nc statt ttoXitcuc, Oeißnoc statt Onßaioc, ku. für Kai u. dgl. m. 
Das Zeichen Q wird nicht nur für die urgriechische Länge 
verwendet, die auch im Attischen mit Q bezeichnet wird, wie 
in BoiWToi, <J>iXwv, büjpov, tüjv ttoXitiküjv etc., sondern auch 
für die Ersatzdehnung und Kontraktionslänge, die wir in Be- 
folgung der nacheuklidischen attischen Praxis ou schreiben, 
also ßuuXd, attisch ßouXrj, Mujcai, attisch Moucai, tu) bäuiu, 
attisch toö bn.uou, tujc TroXeudpxux, attisch touc TroXcudpxouc etc. 
Die Buchstabenverbindung OY wird gebraucht für den eigent- 
lichen Diphthong, z. B. in den Formen von ßoöc und outoc: 
ßouujv, ßouecci, outo, und an Stelle des früheren Y, dem 
attisches Y entspricht: TTooöwv statt rTu6uJV, ourrep statt im^p, 
Toüxa statt Tuxrij dpYOÜpiov, Aiwvoucioc, TToXouEevoc u. s. w. 
Gegen Mitte des 3. Jahrhunderts v. Chr. tritt noch eine weitere 
Veränderung der Schreibung ein: von da ab wird vor Konso- 
nanten und in Endsilben das bis dahin bräuchliche Ol durch 
Y ersetzt: Ximöc = Xonröc, Fulda = okia, tuc irpo^vuc = toic 
TrpoHe'voic, tu couvebpu = toi (ot) cuvebpoi u. s. w. 

Was können wir aus diesen orthographischen Änderungen 
lernen ? 

Wir sahen vorhin, dafs um die Mitte des 4. Jahrhunderts 
in Athen mit El der lange geschlossene ^-Laut, mit H der 
lange offene bezeichnet wurde. Denselben Laut werden auch 
die Böoter mit diesen Zeichen haben ausdrücken wollen. Der 
ursprüngliche Diphthong ai hatte sich bei ihnen also schon 
zu einem einfachen offenen langen e («•) zusammengezogen; 
die früher offen gesprochenen e hatten einen geschlossenen 



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— 33 - 



Laut angenommen und waren somit im Klange mit dem ur- 
sprünglichen geschlossenen langen c zusammengeflossen; aus 
dem ursprünglichen Diphthong ei endlich war ein einfacher 
Laut i geworden. Alle diese Erscheinungen haben eine ge- 
meinsame Ursache, nämlich eine Neigung des Dialektes, die 
, Diphthonge zu monophthougisieren und die zwischen a und / 
liegenden Laute zuzuspitzen. Diese Neigung, die im Böotischen 
zuerst mit Macht auftritt, hat ja die griechische Sprache über- 
haupt: sie hat schliefslich zur neugriechischen Aussprache ge- 
führt. Zugleich wird uns durch diese Schreibung im Böotischen 
zum Überflufs bewiesen, dafs in Athen damals ei und rj noch 
nicht wie / gesprochen wurden und AI noch seinen diphthongi- 
schen Klang hatte, sonst würden die Böoter eben nicht 
I El H sorgfältig geschieden haben, und keinen Grand gehabt 
haben, ihr altes AI durch H zu ersetzen. 

Etwas schwieriger liegt die Sache hinsichtlich der o- und 
w-Laute. Zwar, wenn alle langen o-Laute mit dem Buchstaben 
Q bezeichnet werden, so haben wir einfach zu schliefseu, dafs 
die Böoter eben nur einen langen o-Laut hatten, und zwar 
einen offenen. Aber wie haben wir uns die Ersetzung von Y 
durch OY zu erklären? Das Zeichen Y hat, wie uns die Ver- 
gleichung der verwandten Sprachen zeigt, ursprünglich den 
Laut u wiedergegeben. Für den ionischen Dialekt haben wir 
oben nachgewiesen, dafs es diesen Wert u behalten hat in den 
Diphthongen EY und AY. Aus denselben Kriterien geht ein 
Gleiches aber auch für die anderen Dialekte und speciell den 
böotischen hervor. So wird im Böotischen aus CaöunXoc 
CauueiXoc, aus TTpaöxa TTpauxa. Nun findet sich im Böotischen 
aber auch einfaches u öfter mit o verwechselt: 'Auoviac, 'AuövTac, 
öodnc für Suciaic u. a. in., und umgekehrt TrapYivuuevuuc statt 
Trapcrrivou£"vouc, 'Ovüucictoc statt 'Ovöuacioc. Das läfst doch 
darauf schliefsen, dafs auch das einfache u noch nicht wie ü 
sondern wie u gesprochen wurde. Und dieser Laut u soll 
offenbar durch die Schreibung OY bezeichnet werden. Im 
Gegensatz zu den ^-Lauten hat also das Böotische bei den 
o-Lauten die Neigung zur Verdumpfung des Lautes. Für die 
Aussprache des Attischen aber folgt daraus, dafs damals, also 
Mitte des 4. Jahrhunderts, als iu den athenischen officielleu 

Zacher, Die Aussprache ik'S Grk'i'liisclu'ii. 3 



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- 34 - 

Inschriften das die Länge bezeichnende 0 allgemein durch OY 
ersetzt wurde, diese Länge, welche ursprünglich ein geschlossener 
o-Laut gewesen war, mit dem ursprünglichen Diphthongen 
ou in dem langen w-Laut zusammengeflossen war. Die Athener 
sprachen zu dieser Zeit sowohl das aus o durch Kontraktion 
oder Dehnung entstandene als das ursprünglich diphthongische • 
ou wie ü, das u aber (aufser in den Verbindungen au eu) nicht 
mehr wie u sondern wahrscheinlich wie ü. Dies letztere wird 
bewiesen durch die letzte Schreibungsänderung, die im Böo- 
tischen vorgenommen wurde, die des 01 in u. Das 01 hat im 
Griechischen niemals so geklungen, wie wir es aussprechen, 
als eine Verbindung von offenem o und iL Denn wir haben 
gesehen, dafs der kurze o-Laut ein geschlossener war (auch 
im Böotischen, wie die Verwechselung mit u beweist): diesen 
Klang mufs er auch in dem Diphthongen ou einmal gehabt 
haben, sonst hätte dieser sich nicht zu u verengt: diesen Klang 
wird er auch in dem Diphthongen 01 gehabt haben. Und 
ebenso war das i der Diphthongen cu 01 nicht wie bei uns 
ein offenes, sondern ein geschlossenes, spitzes. 48 ) Nur so er- 
klärt es sich, dafs die mit i auslautenden Diphthonge so 
häufig, und in den verschiedensten Dialekten, vor Vokalen ihr 
i verlieren, wie KXdui aus kXcuw, e\da aus eXctia, ttoeiv aus 
7T0ieTv, XPO° aus XP 0l ° u « s - w * 49 )> was De ' unserer Aussprache 
nicht möglich wäre. So klang denn das griechische 01 un- 
gefähr wie unser ui in pfui. Wenn sich das monophthongi- 
sierte, mufste daraus der Laut ü werden. Wenn also die 
Böoter ihr altes Ol durch Y ersetzen, so schliefsen wir daraus, 
dafs bei ihnen das 01 schon zu ü geworden war, in Athen 
aber und der attisch -hellenischen Schriftsprache noch nicht, 
und dafs das Zeichen Y im Attischen den Laut ü ausdrückte. 
Das letztere wird aufserdem bewiesen durch die auf den In- 
schriften des 4. Jahrhunderts in bestimmten Wörtern vor- 
kommende Verwechselung von Y und I. 50 ) 

Es war eine etwas mühsame Wanderung, auf der Sie 
mich begleitet haben, aber wir haben doch einen recht hübschen 
Ertrag von derselben mitgebracht. Sie haben gesehen, wo wir 
uns die Mittel herholen, die wir anwenden, um die stummen 



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- 35 — 

Buchstaben zum Reden zu bringen, und Sie haben gesehen, 
wie wir sie anwenden. Und dabei habe ich Sie im schnellsten 
Teinpo auf den breitesten und betretensten Wegen geführt: 
nur hin und wieder pflückten wir etwas seitab vom Wege, 
und so manches, was von Interesse und Wichtigkeit ist, haue 
ich Ihnen nicht gezeigt, weil es uns aufgehalten hätte. Das 
Wesentlichste haben Sie gesehen, und nun lassen Sie uns zum 
Schlüsse eilen. 

Zuerst vergegenwärtigen wir uns noch einmal ganz kurz 
das Ergebnis unserer Untersuchung. Es hatte sich heraus- 
gestellt, dafs im attischen Dialekt des 4. Jahrhunderts (denn 
auf diesen lief alles hinaus) folgende Zeichen folgenden Laut- 
wert hatten: 

E bezeichnete den kurzen geschlossenen e-L&ut = e 
El „ „ langen geschlossenen <?-Laut = e 

H „ „ langen offenen e-Laut = e (w) 

0 „ „ kurzen geschlossenen o-Laut = o 
Q „ „ langen offenen o-Laut = ö 
OY „ „ langen «-Laut = ü 
AI =* al 

01 = pi oder ui 

Wenn ich mich nun anschicke, das Bild des attischen 
Lautstandes und seiner Weiterentwickelung in der griechischen 
Schriftsprache zu vervollständigen, so beschränke ich mich auf 
eine skizzenhafte kurze Vorführung der Hauptresultate der 
Wissenschaft und verweise für weitere Belehrung auf die 
Specialschriften. 

Ausgelassen waren in der vorhin geführten Untersuchung 
die Diphthonge au eu und die mit langem Vokal. Was die 
ersten beiden betrifft, so sind sie sicher nicht, wie im Neu- 
griechischen, aw ew resp. af ef gesprochen worden, da sie 
metrisch lang gebraucht werden, aber das u klang in ihnen 
auch nicht w, wie in selbständiger Stellung, sondern hatte wie 
im Ionischen und Böotischen seinen alten w-Laut erhalten, sonst 
hätte eben die neugriechische Aussprache sich nicht entwickeln 
können. Von den mit langem Vokal beginnenden Diphthongen 
können wir wu als unattisch aus dem Spiel lassen: nu klang 
wie et* oder cm, fiel aber später mit cu, d. h. eü, zusammen. Die 

3* 



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Diphthonge, in denen ein langer Vokal mit i verbunden ist, 
und die wir jetzt mit dem sog. Iota subscriptum schreiben 
a rj uj, klangen ursprünglich wie der lange Vokal mit nach- 
klingendem /; diesen /-Nachklang haben sie später gänzlich 
verloren, aber bis im 3. Jahrhundert v. Chr. wurde er in Athen 
noch gehört: erst seit etwa 200 v. Chr. tritt auf den Inschriften 
die Schreibung A H Q statt der alten AI Hl Ql ein. 

Die Weiterentwickelung des Vokalismus ist zwar an sich 
sehr interessant, aber für uns von untergeordneter Bedeutung 
und auch nicht so klar zu erkennen und darzulegen wie für 
die ältere Zeit. Denn in der älteren Zeit haben wir es immer 
nur mit einem Dialekte zu thun, welcher von allen Bürgern 
der Stadt gesprochen wird: jetzt aber bildet sich aus dem 
attischen Dialekt eine Schriftsprache heraus, die überall ge- 
sprochen wird, wo hellenische Zunge klingt, aber eben deshalb 
einerseits verschiedentlich mundartlich afficiert wird, anderer- 
seits sich in Gegensatz zu der Mundart setzt. Die Sprech- 
weise des Gebildeten wird eine andere als die des gemeinen 
Mannes, die Sprachforscher fangen an, Normen für korrekten 
Sprachgebrauch aufzustellen, es zeigen sich Reaktionen gegen 
die zunehmende Verwilderung der Sprache. Daher wird die 
Weiterentwickelung der Laute eine vielfach unregelmäfsige, ge- 
hemmte, beeinflufste. Das Wesentliche aber ist das Folgende/' 1 ) 

Im grofsen und ganzen folgt die griechische Sprache in 
ihrer lautlichen Entwicklung dem vorhin schon erwähnten Zuge, 
welcher zuerst mit Energie im Böotischen sich geltend macht, 
aber auch im attischen Dialekt schon im 5. Jahrhundert zu 
bemerken ist, die Vokale und Diphthonge zu vereinfachen, 
indem diese monophthongisiert werden, jene sich zum gröfsern 
Teil mehr und mehr verengen, während einige umgekehrt sich 
verbreitern. 

Der erste Laut, welcher der Tendenz zur Verengerung zum 
Opfer fällt, ist das ei, d. h. das lange geschlossene e, in dem 
das alte lange E und der alte Diphthong El zusammengeflossen 
waren. Der Laut desselben spitzte sich immer mehr zu, und • 
ging endlich in / über. Dieser Prozefs ist schon um 100 v. Chr. 
zum Abschlufs gekommen, und die Grammatiker hatten ihre 
Not, in jedem einzelnen Falle festzustellen, ob historisch richtig 



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— 37 — 



ei oder i zu schreiben sei. Wie das lange geschlossene e zu i 
wurde, so spitzte sich auch der ursprünglich offene Laut des r| 
zu einem geschlossenen zu. während umgekehrt das e einen 
offenen Laut bekam. Das ersehen wir aus der Verwechslung 
beider in den Inschriften mit cu. Seit etwa 100 nach Chr. 
wird cu mit n, und e verwechselt, mit rj aber nur bis etwa 
150 v. Chr., mit e von dieser Zeit an besonders häufig. Daraus 
folgt, dafs ai in Athen (denn nur auf die Inschriften Athens 
beziehen sich diese Angaben) um etwa 100 nach Chr. zu einem 
^-Laut geworden war, und zwar zu einem offenen, dafs r| um 
diese Zeit noch den offenen Laut hatte, aber im Laufe des 
Jahrhunderts sich verengte und zu e wurde, sodafs man nachher 
vielmehr in e, das zu einem offenen e (cb) geworden war, den- 
selben Laut zu hören glaubte wie in cu. Die Verengerung des r\ 
ging weiter, und schon gegen Ende des 2., Anfang des 3. Jahr- 
hunderts hat es den Laut / angenommen. Im 3. Jahrhundert 
nach Chr. wurde auch die Aussprache des ot wie ü allgemein; 
am spätesten, erst in byzantinischer Zeit, folgte u dem ita- 
cistischen Drange und wurde zu /. Dem entgegengesetzten 
Triebe folgte, wie das €, so auch das o, das aus einem ge- 
schlossenen o-Laut ein offener wurde, wie es auch jetzt im 
Neugriechischen noch ist. 

Das sind, wie gesagt, nur die grofsen Grundzüge der Ent- 
wicklung: im einzelnen haben vielfache Nuancen und Schwan- 
kungen stattgefunden, auf die einzugehen hier nicht der Ort ist. 52 ) 
Wir wenden uns jetzt zur Betrachtung der Konsonanten. 
Hier ist die Bestimmung der Laute schwieriger und gelingt 
nicht immer mit Sicherheit. 

Uber die Nasalen v und u ist weiter nichts zu sagen, 
als dafs nicht nur im Inlaut, sondern auch im Auslaut v 
sich einem folgenden Konsonanten assimilierte, also vor 
Labialen zu u wurde (Tn.u ttöAiv), vor Gutturalen zu dem 
gutturalen Nasal (phonetisch geschrieben *j), den wir in 
unserem enge Onkel haben, was an der Schreibung T zu er- 
kennen ist (z. B. tot TpapM<*T€a). Die Buchstabenverbindungen 
TT T* wurden ausgesprochen wie unser ng und nk. — Das p 
war ein Zungen -r, was daraus hervorgeht, dafs p mitunter 
mit X wechselt (Kpißavoc und xXißavoc, n>öov aber epxopat) 



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- 38 — 



und in einigen Dialekten aus c entsteht (sog. Rhotacisinus, 
namentlich im elischen, lakonischen und eretrischen Dialekt: 
elisch Toip Tip = toic Tic, lakonisch rcaXeöp = iraXaiöc, eretrisch 
ÖTröpai st. ÖTiöcai u. v. a.)/ )3 ) — Das c war ein scharfer Laut, 
weswegen es nicht für schön galt (Pindar nannte es tö cctv 
KißbnXov) M ), eine Häufung desselben vermieden wurde, ja mit- 
unter eine Virtuosität darin gesucht wurde, ganze Gedichte 
ohne ein Sigma herzustellen. Übrigens war der Laut des c 
wahrscheinlich in verschiedenen Gegenden, zu verschiedenen 
Zeiten und an verschiedenen Wortstellen verschieden; darauf 
läfst schliefsen die Verwendung zweier verschiedener Zeichen 
AA und £ in den älteren Inschriften (allerdings nie neben- 
einander), ferner die Schreibung cc statt c vor Konsonanten 
im Inlaut ('ÄccKXn.Triöc äpiccra u. a.), Z vor Medien und Liquiden 
im Anlaut (Zuupvot, Eßevvuui), die sich nicht selten findet, 
endlich die verschiedenen Schicksale, welche c vor Vokal im 
Anlaut und im Inlaut gehabt hat. Doch ist das noch nicht 
genügend klar gestellt. Auch das cc, welches in den meisten 
Dialekten aus kj xj tj Qj entstanden ist (wie in Tipdccuj) und 
einem tt in anderen (dem Bootischen und Attischen) ent- 
spricht, dürfte kaum ein richtiges ss gewesen sein. In einer 
alten Urkunde aus Halikarnafs 55 ) findet sich mit ZX. wechselnd 
für diesen Laut ein besonderes Zeichen T (unterschieden von 
T = t), das sich auch sonst mitunter wiederfindet, und als 
Zahlzeichen Sampi erhalten blieb. 50 ) Vielleicht war der Laut 
dieses ss ein unserem sch ähnlicher, aber schärferer (phone- 
tisch ausgedrückt, dorsales s). bT ) — Der Hauchlaut h ist in ver- 
schiedenen Dialekten zu verschiedener Zeit geschwunden, am 
frühsten im ionischen und lesbischen (sog. äolischen); im 
attischen war er gegen Ende des 5. Jahrhunderts schon so 
schwach, dafs die Steinmetzen zweifelhaft waren, wann sie 
das Zeichen H zu setzen hätten, und es daher fälschlich setzten 
oder wegliefsen, und dafs er nach Einführung des ionischen 
Alphabetes ganz unbezeichnet gelassen werden konnte. Wann 
er ganz geschwunden ist, läfst sich mit Sicherheit nicht feststellen. 

Was die Mutae betrifft, so ist zuerst daran zu erinnern, 
dafs wir in Norddeutschland eigentlich gar keine richtige 
Tenuis kennen, sondern das, was wir in der Grammatik Tenues 



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- 39 - 



nennen, in der That als eigentliche Aspiraten sprechen, d. h. 
mit mehr oder weniger scharfem, dem OfFnungsgeräusch fol- 
genden Exspirationsstofs. Solche eigentliche Aspiraten sind 
auch die griechischen cp x 9 ursprünglich gewesen. Das be- 
weist die älteste Schreibung PH KH, das beweist der Übergang 
von tt und t in q> und x vor Spiritus asper (d(p' ou, U€0' ou), 
das beweist die Verwandlung einer Aspirata in die Tenuis, 
wenn die folgende Silbe mit Aspirata anhebt (eT&)nv). Das 
alles wäre nicht möglich gewesen, wenn die Aspiraten schon 
damals Spiranten gewesen wären und den Laut gehabt hätten, 
den sie jetzt in der neugriechischen Aussprache haben, nämlich 
9 wie f } 8 wie englisches hartes th (phonet. geschr. $), x vor 
a o u oder einem Konsonanten wie im deutschen ach, vor c i 
wie im deutschen ich. Immerhin müssen sie sich dieser spi- 
rantischen Aussprache schon früh genähert haben, sonst hätte 
man nicht für sie eigne Zeichen geschaffen. Am frühsten hat 
diesen Weg betreten das 0, für das sich nie TH findet, sondern 
schon in den ältesten Alphabeten das Zeichen © (daneben 
vereinzelt ©H). Aber der Klang dieser Laute kann sich zu- 
nächst von dem der Tenues noch nicht sehr weit entfernt haben, 
und für einen Fremden waren sie jedenfalls von den Tenues 
schwer zu unterscheiden. So setzt der Skythe bei Aristophanes 
in den Thesmophoriazusen an Stelle jeder Aspirata eine Tenuis: 
ireuYei st. qpeurei, EiTTOuaKaipa st. Hupouäxaipa, emxuueTc st. 
emeuueTc, und ebenso gaben die Römer in älterer Zeit das 
griechische qp x © durch p c t wieder (tesaurus Pilemo calxj. 58 ) 
Noch in späterer Zeit konnte man zweifeln, ob Lysias an einer 
Stelle "AvSeia oder "AvTeia geschrieben habe. 5 ") Dafs q> nicht 
wie f gesprochen wurde, geht sicher aus dem Umstand hervor, 
dafs die Römer dafür nicht ihr f setzten, sondern <p durch ph 
wiedergaben, und noch gegen Ende des 1. Jahrhunderts nach 
Christus hebt Quintilian ausdrücklich den Unterschied im Laut 
des q>, der dulcksime spirans littera, und des f hervor, das da- 
gegen triste et horridum sei. 60 ) Erst seit dem 3. Jahrhundert 
nach Chr. ist die heutige Aussprache durchgedrungen. Das 
heifst natürlich in der Schriftsprache; in den Dialekten hat 
sich der Lautwandel zum Teil viel früher vollzogen, wie denn 
das G des spartanischen Dialekts schon von Aristophanes mit 



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- 40 - 



c wiedergegeben wird (vai Tib ciw = vai tuj Geai, uucibb€ = 
uuGiEe etc.); ein Beweis, dafs die Lakedäinonier schon damals 
das 6 als Spirans aussprachen. 

Schwieriger ist es, die Aussprache der Mediae festzustellen. 
Schon das ist nicht ganz klar, was die alten Grammatiker mit 
dem Namen uecai haben bezeichnen wollen. Ursprünglich 
scheinen sie den Laut gehabt zu haben, den wir in korrekter 
Aussprache mit den Buchstaben g b d verbinden, dann aber 
sind sie allmählich zu den Spiranten geworden, welche sie jetzt 
in der neugriechischen Aussprache sind. Die Neugriechen 
sprechen ß wie w, «f vor a o u und Konsonant wie sächsisches 
ff in Tage (phonetisch geschrieben 3), vor € und 1 wie j, end- 
lich b wie weiches englisches th (phonetisch geschrieben rf). 
Dafs für das f die spirantische Aussprache wie j schon früh 
üblich wurde, beweist der Spott der Komiker zur Zeit des 
peloponnesischen Krieges über Hyperbolos, weil er öXioc ge- 
sprochen habe statt 6XifOC. 61 ) Das setzt als normale Sprech- 
weise olijos voraus. Dann findet sich in den ägyptischen Pa- 
pyrosfragmenten häufig f fälschlich zugesetzt oder weggelassen 
in Nachbarschaft von i- und ^-Lauten. Dagegen ß kann die 
Aussprache wie w erst gegen Christi Geburt angenommen 
haben, denn bis dahin wird römisches v im Griechischen kon- 
stant durch ou wiedergegeben (OuctXe'pioc etc.), und erst in der 
Kaiserzeit dringt allmählich die Schreibung mit ß ein. Was 
endlich das b betrifft, so fehlt es uns an bestimmten Anhalts- 
punkten: ich glaube aber doch, dafs es schon in klassischer 
Zeit den Laut des weichen englischen th (pnonetisch (?) hatte, 
und zwar schliefse ich das aus der Natur und Geschichte des t. 

Der Laut des Z ist zwar ganz besonders kontrovers, aber 
doch läfst es sich, wie ich glaube, gerade für ihn zu einem 
ganz sicheren Ergebnis kommen. Das griechische l ist meistens 
aus by entstanden. Von bj zu der heutigen Aussprache wie 
weiches s (phonetisch z) bildet den natürlichen Übergang der 
Laut, mit dem die Italiener ihr z aussprechen, nämlich eine 
Verbindung von d und weichem s, phonetisch ausgedrückt dz. 
Wir werden annehmen dürfen, dafs das griechische l diesen 
Laut einmal gehabt hat. Nun geben aber Grammatiker des 
1. Jahrhunderts vor Chr. 62 ) an, dafs l wie cb gesprochen 



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- 41 — 



werde: in den Texten der äolischen Dichter Alkaeos und Sappho, 
sowie in denen des Alkman und der Korinna war cb statt Z ge- 
schrieben (in Inschriften aus guter Zeit findet sich diese Schrei- 
bung nicht): und im attischen Dialekt (wie auch in anderen) 
sehen wir in der That in einigen Wörtern Z aus cb entstehen, 
wie in 'AGnvaCe aus 'AGnvacbe, 0€Ö£otoc aus GeöcboToc u. a. Wie 
stimmt das nun zusammen? Ich glaube folgendermafsen. Aus 
dem Laut dz war allmählich ein Laut zz (wie ein gedoppeltes 
oder lang ausgehaltenes weiches s) geworden: zuerst im äolischen, 
vielleicht auch lakonischen Dialekt. Um diesen Laut von dem 
attischen Z, das noch dz klang, zu unterscheiden, suchte man 
nach einer anderen Schreibung und fand sie im attischen cb 
= s(t. Diese Zusammensetzung eines scharfen s mit eiuem 
weichen Spiranten d war wenigstens ein annähernd ähnlicher 
Laut. Allmählich ging aber auch im Attischen sowohl das cb 
= sd, als das Z = dz in diesen selben Laut zz über, sodafs 
man nun hier an Stelle von cb ein Z setzen konnte. Schliefslich 
vereinfachte sich der Laut zz zu dem z des Neugriechischen. 
Diese ganze Entwickelung beruht allerdings auf der Annahme, 
dafs b spirantisch gesprochen wurde. Dafs das aber wenig- 
stens in Dialekten geschah, beweist uns die Ersetzung des b 
durch Z in elischen Inschriften schon des 6. Jahrhunderts 
vor Chr. 63 ): Zi Ekciia 2äuoc statt be bkaict bäuoc. 

Dies ist der Thatbestand. Nun haben wir daraus die 
praktische Folgerung zu ziehen. Sie sehen bestätigt, was ich zu 
Anfang meines Vortrages sagte, dafs unsere übliche Aussprache 
des Griechischen falsch ist. In keiner Zeit und iu keiner 
Gegend haben die alten Griechen jemals so gesprochen. Dasselbe 
aber gilt von der neugriechischen Aussprache, ja wir können 
sagen, dafs die Aussprache des Griechischen in der eigentlich 
klassischen Zeit von der neugriechischen noch weit mehr ver- 
schieden war als von unserer: ganz allmählich, nach und nach 
haben dann, wie ich Ihnen gezeigt habe, die Laute sich ver- 
ändert, und erst na<* mehreren Jahrhunderten, am Ausgange 
des Altertums und beim Beginn der byzantinischen Zeit, finden 
wir die Aussprache voll entwickelt, die noch jetzt das Neu- 
griechische zeigt. Dafs sich in der langen Zeit seitdem die 



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— 42 - 



Aussprache nicht geändert hat, liegt in dem Umstände be- 
gründet, dafs jenes nachklassische Griechisch des ausgehenden 
Altertums im byzantinischen Reiche ebenso eine Gelehrten- 
sprache wurde, wie im Abendlande das Lateinische*, wie hier 
neben dem Lateinischen sich die romanischen Volkssprachen 
entwickelten, so dort die Vulgärdialekte: und wie sehr diese 
in jeder Beziehung, auch in den Lauten, von der heutigen 
Schriftsprache, die doch viel Vulgäres aufgenommen hat, ab- 
weichen, zeigt ein Blick in Foys Buch über das Lautsystem 
der griechischen Vulgärsprache. 64 ) 

Mit welchem Rechtstitel beansprucht nun die neugriechische 
Aussprache, an Stelle unserer bis jetzt üblichen gesetzt zu 
werden? Dafs die Behauptung ihrer Verteidiger, sie gebe uns 
das zuverlässige Bild von der im Altertum selbst üblichen 
Aussprache, falsch sei, haben wir nachgewiesen. Es bleiben 
zwei Gründe. Erstens, dafs wir die Aussprache des Alt- 
griechischen doch nur annähernd feststellen können, während 
wir von dem Neugriechischen ganz genau wissen, wie es ge- 
sprochen wird. Ich verspare mir die Beantwortung dieses 
Grundes auf nachher. Der zweite Grund ist rein praktischer 
Natur. Unsere Schüler sollen das Griechische in neugriechischer 
Aussprache lernen — damit sie es im Verkehr praktisch ver- 
werten können. Rangabe träumt davon, dafs „eine Sprache, 
die in allen civilisierten Ländern einen notwendigen Bestand- 
teil des öffentlichen Erziehungsplanes bildet, wofern sie überall 
auf gleiche Weise ausgesprochen wird, als allgemeines Umgangs- 
mittel der Gebildeten aller Völker dienen kann" — eine fromme 
Schwärmerei, die man dem für seine Nation und Sprache be- 
geisterten Hellenen verzeihen wird; und Engel weist darauf 
hin, dafs die Zahl der zu Zwecken des Studiums oder zum 
Abschlufs ihrer höheren Bildung nach Griechenland reisenden 
Deutschen immer zunehme. Nun, wegen deren braucht er 
unbesorgt zu sein: so gut wie sie in Italien Italienisch lernen, 
werden sie in Griechenland die neugriechische Aussprache 
lernen: müssen sie doch noch allerhand anderes lernen, was 
ihnen das Gymnasium nicht hat lehren können. Aber wer nur ein 
wenig Sprachsinn und Sprachtalent hat, dem wird das nicht 
sonderliche Mühe machen. Wenn Engel aber auf den wachsen- 



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den Levautehandel hinweist, so werden es doch wohl in der Haupt- 
sache ehemalige Schüler von Realgymnasien sein, die davon 
profitieren. Aber auch angenommen, es wendeten sich gerade 
frühere Schüler des Gymnasiums dieser Thätigkeit zu, so heifst es 
die Grundidee des ganzen Gymnasialunterrichts völlig verkennen, 
wenn man als eigentlich selbstverständliche Forderung aufstellt, 
das Griechische müsse gelehrt werden, um nachher praktisch 
verwendet zu werden. Wenn es nur darauf ankäme, so müfste 
das Latein, die Religion und anderes aus dem Lehrplan heraus- 
geworfen werden, dafür könnten einziehen Englisch, Italienisch, 
Russisch, Chemie, Hygiene, Anfange der Nationalökonomie etc. 
- Aber das ist doch wohl Zukunftsmusik. Unsere heranwachsende 
Jugend, die dereinst die Blüte der Nation darstellen, die die 
höchsten geistigen Interessen derselben in sich hegen, pflegen 
und fördern soll, die führen wir deswegen in das Studium des 
Griechischen ein, damit sie sich an dem ewig frischen Born un- 
vergänglicher Schönheit, der in den Werken der griechischen 
Dichter quillt, einen unauslöschlichen Durst nach Schönheit 
trinke, damit sie aus der Lektüre der grofsen Philosophen, Redner, 
Historiker einen Schatz von Begeisterung für Edles und Grofses 
gewinne, der für das ganze Leben vorhalte; und zu diesem Zwecke 
mufs sie die Sprache lernen, denn Übersetzungen thun es 
nicht: — nicht aber um die Kenntnis der Sprache später einmal 
praktisch verwerten zu können. Und da sollen wir die armen 
Jungen noch plagen mit Erlernung einer für den Deutschen ziem- 
lich mühsamen Aussprache, die noch dazu nicht einmal die rich- 
tige Aussprache der Autoren ist, die sie lesen?! Nimmermehr! 

Es wäre eine reine Zeitvergeudung. Die Aussprache des 
0, des b, die doppelte Aussprache des f und x sind für einen 
Deutschen allerdings gar nicht leicht (eine wahre Pein zum 
Beispiel xQic nach neugriechischer Weise auszusprechen): ihre 
Einübung würde viel Zeit erfordern, und schliefslich würde es 
doch nicht einmal zu korrekter Aussprache kommen. Und hier 
komme ich auf den vorhin vorläufig beiseite gelassenen Ein- 
wand zurück: wenn auch die Aussprache des Neugriechischen 
nur approximativ zu erreichen ist, so verschlägt es nicht viel, 
wenn wir die richtige Aussprache des Altgriechischeu nur 
approximativ bestimmen können. 



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Noch einen anderen Übelstand würde die Einführung der 
neugriechischen Aussprache haben. Infolge der vielen gleich- 
lautenden Zeichen würden sehr viel mehr Fehler im schrift- 
lichen* Gebrauch der Sprache gemacht werden. Engels Be- 
rechnung leidet an einem sehr elementaren Rechenfehler. Er 
rechnet sieben neue Fehlerquellen heraus: „Verwechslung von 
ai mit e, von o mit u>, von i, rj, €i, 01, u", während daraus 
zwölf hervorgehen, da von den fünf letzten jedes mit vier anderen 
verwechselt werden kann. 65 ) Übrigens würde dies Bedenken 
wegfallen, wenn das griechische Skriptum wegfällt, was ja 
wohl nur eine Frage der Zeit ist. 

Nun können Sie wohl sagen: Wenn es beim griechischen 
Unterricht nur auf den Inhalt ankommt, wenn die Grammatik 
eben nur gelernt wird, um in den Sinn der Autoren einzudringen, 
nicht aber um die Sprache selbständig zu beherrschen, und 
wenn infolgedessen die Aussprache, die bei der Erlernung einer 
modernen Sprache so wichtig ist, für den Unterricht im Grie- 
chischen auf dem Gymnasium ziemlich gleichgültig erscheint, 
so ist es doch eigentlich müfsig, die Frage nach der Aussprache 
des Griechischen überhaupt aufzuwerfen. Wenn auf die Aus- 
sprache so wenig ankommt, weshalb bleiben wir nicht einfach 
bei unserer traditionellen Aussprache? 

Und Sie dürften damit vielleicht recht haben. Über 
Rechtschreibung und Aussprache, d. h. recht äufserliche Dinge, 
zu klügeln, ist Sache der Pedanten. Aber unsere Zeit ist nun 
einmal pedantisch. Sie will die geheimsten Geheimnisse aus 
Goethes Leben wissen, sie will ein historisches Theaterstück 
nur in ganz historisch getreuem Kostüm sehen, sie will auch 
eine möglichst echte Aussprache gestorbener Sprachen haben. 

Doch im Ernst, es ist ein in seiner Weise wohl berechtigter 
Wunsch, die Schriftwerke aus längst vergangenen Jahrhunderten, 
die wir lesen, uns auch in jeder Beziehung so vergegenwärtigen 
zu können, wie sie damals auf die Zeitgenossen wirkten. Und 
wie die Meisterwerke nicht nur der Dichtkunst, sondern auch 
der Prosa auf die lebendige Mitteilung von Mund zu Mund 
berechnet waren, so möchten auch wir uns gern den Ton 
wiederherstellen, in dem sie einst erklangen. Wenn wir nun 
auch nicht alle Nuancen uns wieder reproducieren können, so 



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sind wir doch im stände, uns im grofsen und ganzen ein Bild 
von der Klangwirkung zu machen. Warum sollen wir unseren 
Schülern das vorenthalten? 

Freilich müssen wir auch hier wieder mit der Prosa des 
Lebens rechnen. Nicht alles ist uns selbst klar, nicht alles 
ist geeignet, den Schülern gelehrt zu werden. Die Bedenken, 
welche wir vorhin gegen Einführung der neugriechischen Aus- 
sprache vorbrachten, dafs die Schüler mit Erlernung ihnen 
fremdartiger Laute zu viel Zeit verlieren, bleiben auch jetzt 
bestehen. Es gilt also, einen Mittelweg zu finden, auf dem 
man der altgriechischen Aussprache einer bestimmten Zeit und 
eines bestimmten Dialektes möglichst nahekommt, ohne doch 
den Schülern zu viel Aufwand an Zeit und Kraft zuzumuten. 

Welcher Dialekt für die mustergültige Aussprache auszu- 
wählen ist, kann keinem Zweifel unterliegen. Es mufs der 
attische sein, als derjenige, in dem die meisten Prosaiker, 
welche die Schüler lesen, in dem die Tragiker geschrieben 
haben, der die Grundlage der gemeingriechischen Schrift- 
sprache geworden ist. Innerhalb des attischen Dialekts aber 
ist es die erste Hälfte des 4. Jahrhunderts, deren Lautstand aus 
inneren und äufseren Gründen am geeignetsten ist, unserer 
Schulaussprache des Griechischen ^u Grunde gelegt zu werden. 

Was den Vokalismus betrifft, so mufs vor allem aus- 
gemerzt werden die wahrhaft abscheuliche Aussprache des ei 
und €u. Das letztere müssen die Schüler lernen wie e-u aus- 
zusprechen, mit geschlossenem Laut des e\ für das erstere 
würde sich empfehlen, allgemein den Wert des französischen e 
einzuführen, wogegen n. wie französisches e zu sprechen wäre. 
Der Unterschied beider Laute ist den Schülern ja schon vom 
Französischen her geläufig. Für die Erlernung der Grammatik 
bietet diese Aussprache einen wesentlichen Vorteil : eixov eTToiei 
erklärt sich von selbst; das Verhältnis von Indikativ und Kon- 
junktiv tritt klar hervor u. dgl. m. Ob für diejenigen ei, 
welche richtige Diphthonge sind und von Haus aus i als 
zweiten Bestandteil haben wie iröXei £x ei > die Aussprache wie 
geschlossenes e mit /-Nachklang (e-i) sich empfehlen würde, 
möchte* ich bezweifeln. Auch die geschlossene Aussprache 
von o und e, die offne von w wird sich schwer erreichen lassen, 



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falls nicht ein guter Lehrer die Schöler anregt, desgleichen 
die spitze Aussprache des i in cu und 01: für das letztere 
würde sich aber ohne Mühe die Aussprache ui einführen lassen. 
Die Diphthonge mit langem Vokal und Iota subscriptum qt rj tu 
richtig so aussprechen zu lassen, dafs das i dem langen Vokal 
nachklingt, äi cei öi, wird keine Schwierigkeiten haben. 

Der einzige Laut, der den Schülern zu Anfang etwas 
schwer werden würde, den sie aber bald lernen würden, ist 
das eu. Im übrigen wird auf diese Weise eine annähernd 
richtige Aussprache der Vokale erzielt. Schwieriger ist das 
bei den Konsonanten. 

Da wir über die Aussprache der Aspiraten in jener Zeit 
nichts Genaueres wissen, so wird es sich empfehlen, für diese 
die später durchgedrungene spirantische Aussprache der jetzigen 
Griechen durchzuführen (wobei jedoch die Schüler über das 
eigentliche Sach Verhältnis aufgeklärt werden müfsten), also 
nicht nur wie bis jetzt, q> = f } \ = cä, sondern auch konse- 
quenterweise 8 wie englisches th> neugriechisch 0. Dieser 
Laut, aber auch nur dieser einzige, würde den Schülern wirk- 
liche Schwierigkeiten machen; wenn jedoch, was wohl nicht 
lange ausbleiben kann, das Englische in den Lehrplan unserer 
Gymnasien eingeführt wird, so würde sich das gegenseitig 
unterstützen. Die Mediae ß y b behalten am besten den Laut, 
den sie jetzt haben, höchstens könnte man für y den Laut 5 
und j einführen, den es in norddeutscher Aussprache wohl 
schon hat. Den Spiritus asper nicht auszusprechen, erscheint 
zwecklos; c müfste immer scharf gesprochen werden, l wie dz 
oder zz (worüber zu entscheiden Sache der Praxis ist, die 
wahrscheinlich das erstere vorziehen wird). Tm übrigen wäre 
an der jetzt üblichen Aussprache nichts zu ändern. 

W enn wir also von den ausgesprochenen frommen Wünschen 
absehen, so verlange ich eine Abänderung der gangbaren Aus- 
sprache nur für ei eu (q. rj in) 0 c £, wovon nur die Aussprache 
des 0 eine schwierige sein würde. Mit dieser Modifikation 
unserer hergebrachten Aussprache aber würden wir der wirk- 
lichen Aussprache des Attischen zur Zeit des Plato ziemlich 
nahe kommen, jedenfalls aber unvergleichlich viel näher als 
die Neugriechen mit der ihrigen. 



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Anmerkungen. 



Vorweg bemerke ich, dafB ich mich im Interesse der Leser, für 
welche ich diese Schrift bestimmt habe, des lautphysiologischen Jargons 
möglichst enthalten zu sollen geglaubt habe. Phonetische Transakription 
der einzelnen Laute, um die es sich handelt, war jedoch, der Kürze 
halber, nicht zu umgehen. Doch habe ich dieselbe möglichst einfach 
einzurichten gesucht. Für die Vokale ist das Princip durchgeführt, dafs 
der geschlossene Laut durch einen Punkt, der offene durch einen Strich 
unter dem Buchstaben bezeichnet ist: dazu kommt über dem Buchstaben 
die herkömmliche Qnantitätsbezeichnung. So bezeichnet also z. B. e 
den langen geschlossenen e-Laut, wie in Schnee, Ehre, e den langen 
offenen in Bär, Bede (der offene e-Laut ist aufserdem auch durch ee 
bezeichnet); o das offene kurze o wie in Wort, ö das lange geschlossene 
wie in Ofen. Auf die Bezeichnung feinerer Nuancen habe ich verzichtet. 
Was die Bezeichnung der Konsonanten betrifft, so genügt es zu be- 
merken, dafs mit z das weiche s, mit jü das englische harte th, mit d 
das englische weiche th Dezeichnet ist, mit 3 der Laut des g in sächs. 
Tage, mit ij der gutturale Nasal in Enge, Anker. 

1) Damit will ich natürlich die Aussprache des Neugriechischen nur 
im grofsen und ganzen charakterisieren. Wer sich genauer unterrichten 
will, sei verwiesen auf die Schrift von Karl Foy, Lautsystem der griechi- 
schen VulgUrsprache. Leipzig 1879. 

2) In dem Dialogus de recta Latini Graecique sertnonis pronun- 
ciatione, zuerst erschienen Basel 1528 und dann oft wiederholt. Dafs er 
dazu durch eine Mystifikation veranlafst worden ist und selbst nicht auf- 
gehört hat, die neugriechische Aussprache zu gebrauchen (Ger. Vossius, 
Aristarch I, c. 28) ändert an der historischen Bedeutung jenes Dialogs 
nichts. 

3) Vgl. den interessanten Aufsatz von H. Klinghardt „Die Laut- 
physiologie in der Schule" in Kölbings Englischen Studien VIII, S. 287 ff. 

4) Was daraus zn entnehmen sein dürfte, dafs das preufsische Kultus- 
ministerium für die nächsten Direktorenkonferenzen die Frage der Aus- 
sprache des Lateinischen als Thema aufgestellt hat. 

6) Eduard Engel, Die Aussprache des Griechischen. Ein Schnitt in 
einen Schulzopf. Jena, Costenoble 1887. 



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6) Was ich eingehender nachgewiesen habe in der Berliner philo- 
logischen Wochenschrift 1888, Nr. 17. 

7) Friedrich Blafs, Über die Aussprache des Griechischen. Zweite 
Auflage. Berlin, Weidmann 1882. Die erste Auflage ist völlig veraltet. 

8) A. R. Baogabe', Die Aussprache des Griechischen. Zweite venu. 
Aufl. Leipzig 1882. 

9) Ich übernehme natürlich für diesen Ansatz keine Gewähr. In 
neuerer Zeit ist die älteste Geschichte des griechischen Alphabets Gegen- 
stand verschiedener Forschungen und Hypothesen gewesen und mftnche 
Gelehrte sind geneigt, den Gebrauch der Schrift in noch früherer Zeit 
als dem 9. Jahrh. den Griechen zuzuschreiben. Zur allgemeinen Orien- 
tierung verweise ich auf Hinrichs, Griechische Epigraphik, im I. Bande 
des Handbuchs der klass. Altertumswissensch., herausg. von Iw. Müller, 
S. 379 ff. 

10) In der That sind wir auch über die Aussprache des Lateinischen 
ziemlich gut informiert. Der Gegenstand ist neuerdings im Zusammen- 
hang gründlich behandelt worden von E. Seelmann, Die Aussprache 
des Latein nach physiologisch-historischen Grundsätzen. Heilbronn 1885. 

11) Viel zu weit geht meiner Meinung nach in der Annahme von 
Entlehnungen 0. Weise in seinem übrigens äufserst gründlichen Buche: 
Die griechischen Wörter im Latein. Leipzig 1882. 

12) Cap. 6, p. 625 Bekk. 

13) Vgl. K. E. A. Schmidt, Beiträge zur Geschichte der Grammatik 
des Griechischen und des Lateinischen. Halle 1869, S. 71 f. 

14) Lentz, Herodiani technici reliquiae. praefat. p. CI. Dagegen 
Blafs a. a. 0. Anm. 243. Vgl. auch Kühner, Ausführl. Gramm, d. gr. 
Spr. I, S. 60 f. S. unten Anm. 26. 

15) Dionys, de comp. verb. p. 167: dnepacToi tc top ai <pu>val toO t€ i 
Kai toö a, Kai äTTOKÖirroucai töv ffaov. 

16) p. 418 Bff. 

17) Thuc. II, 64. 

18) Anth. Pal. XII, 43. Callim. epigr. XXVIII. 

19) Den Anstofs hat Petersen versucht wegzuschaffen, indem er den 
zweiten Vers liest: dX\a irplv eiiretv toöto cacpüic 'Hxü>, q>nd Tic äXXoc 
exeiv, und Blafs stimmt ihm bei. Aber wo bleibt da die Pointe? Ich 
glaube nicht, dafs etwas geändert werden darf. 

20) Blafs S. 53. 55 f. 

21) Haupt und Dilthey (de Callim. Cydippa p. 6). 

22) Vgl. Aristoph. Plut. 290. 296. Ach. 1228. Equ. 10. 276, nebst 
den Scholien zu diesen Stellen und Schol. Pind. Ol. IX, 1. Archil. fr. 
119 Bgk. Philox. fr. 11 Bgk. 

23) Über die Nachahmungen der Tierstimmen in den klassischen 
Sprachen und dem Deutschen handelt eingehend W. Wackeruagel, Voces 
variae animantium. Basel 1869. 

24) Oken sagt in seiner Naturgeschichte VI, 473: „Ihr Ton heifst 



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quaken, weil sie einigemal hintereinander quoak quoak schreyen, worauf 
sodann ein schnelles gäckgäckgäck folgt.* 4 

25) Von den neueren Schriften über diesen Gegenstand ist weitaus 
die bedeutendste und wichtigste, ein Muster zugleich von strenger metho- 
discher Forschung und lichtvoller Darstellung, die Schrift von A. Kirch - 
hoff, Studien zur Geschichte des griechischen Alphabets. Vierte um- 
gearb. Aufl. Gütersloh 1887. 

26) Hanptstelle Eustath. 1721, 27 (zu Od. u 265): "Oxi KupioXeKxwv 
Mfei uuKn0uöv dKoöcai ßowv aüXi£ou€vdujv oUIiv x€ ßXnxnv. uuKÜüvxai fäp 
ai ßöec, ßXnxäTai bi öic. ei b£ ttou £v 'IXidbt ^irl irpoßdxou Kai aixujv 

KfclTül KOIVÜJC ÖUOÖ XÖ UrjKäCÖai, CuXXr)1TTIKÖC ö TpÖTTOC 4K€t. alxec ydp 

Kupiuic |urjKUJVTat, irpoßdxiuv bk oük Icxi toöto, dXX' /| ßXnxr|. 'Icx^ov bk 
öti udXicxa tö ßu. qjujvnc irpoßdTuuv £cxl cnuavxiKÖv. Kai <p€pexai rrapä 
AtXiui Aiovudw Kai xpn c,c Kpaxivou xoiauxrj- ö b' nX(8ioc uteirep irpößaxov 
ß»i ßn, X^fwv ßabteei. Dann Eust. 768, 14 ol b' aöxot (paav öjaoiujc ix\\ir\- 
tikujc Kai ß^ ou utiv ßa(, ui'm1 civ irpoßdxwv <ptuvP|c. KpaXtvoo 6 b' nX(8. 
ktX. Hierzu sind zu vergleichen Et. M. 196, 7: Bfj, tö uiuuxiköv tx\c 
xüjv Trpoßdxujv (piuvflc, ooxl ßal Xdxexai 'Attiküjc. Kpaxivoc AiovucaXcSdv- 
bpur ö b' nXie. ktX. önxopuo 1 ! bi kxiv t\ Mtic. Suid.: Bfi- xö niurj- 
xiköv xr}c xüjv irpoßdxujv <pujvr|c. oüxl ßal X€y ouc i v 'Axxiko(. Kpaxivoc 
AiovucaXeEdvbpur ö b 1 f\\iO. kxX. Die letzten drei Stellen gehen, wie 
man sieht, auf eine Quelle zurück, doch wohl auch Aelius Dionysius; 
somit wörde die Bemerkung oöxl ßa{ einen Beweis liefern, dafs schon zu 
Anfang des 2. Jahrh. n. Chr. auch die Gelehrten ai wie e sprachen. 
Vgl. oben Anm. 14. 

27) Andere Erwähnungen des ßfi. gehen auf Herodian zurück, so 
Theognost 166, 18 = Herodian Lentz 492, 17, und E. M. 78, 40, wo das 
ßn. in einer auf den Accent bezüglichen Regel steht, in der ausdrucklich 
der xexviKÖc erwähnt wird. 

28) Daher die Söldner, die mit Psammetich im 7. Jahrh. v. Chr. 
nach Nubien zogen, obwohl zum Teil Dorier, doch zu den Inschriften, 
mit denen sie sich in Abu Simbl verowigt haben, alle ionisches Alphabet 
benutzt haben. 

29) Vgl. A. v. Schütz, historia alphabeti Attici. Berlin 1875, S. 58 ff. 

30) tfber diese ABC-Tragödie ist zu vergleichen G. Hermann, Opusc. I, 
p. 137 ff. Welcker „Das ABC-Buch des Kallias in Form einer Tragödie" 
Kl. Sehr. I, S. 371 ff. Ü. Hense „Die ABC-Tragödie des Kallias und die 
Medea des Enripides", Rhein. Mus. XXXI, S. 682 ff. Unsere Kenntnis 
von diesem wunderlichen Werk beruht ausschliefblich auf Athenaeua X, 
453 C ff. ; noch ist nicht alles klar gelegt. Die im Text gegebene Da- 
tierung beruht auf der Angabe des Klearchos bei Athenaens (die sich 
VII, 276 A wiederholt), dafs Enripides in den Chorliedern seiner Medea jene 
Tragödie des Kallias nachgeahmt habe, woran doch wohl nicht zu rütteln 
sein dürfte. Dafs das Buch eine Art Reimfibel zur Erlernung der Buch- 
staben gewesen sei, ist eine nicht unwahrscheinliche Vermutung Welckers. 

Zachkr, Die Aussprache des Gri«chiBcheu. 4 



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31) TheBeus frgin. 385 Dind. Athcnae. X, p. 454 B. Die Worte 
lauten: tö öeuTcpov bi npürra p£v -fpaupui büo, Taüxac bieiprsi b' iv 
p£coic äXAn. pia. Die Stelle des Aristophaues ist Vesp. 312 f., wozu das 
Sehol. zu vergleichen. Theseus frgm. 389. 390 Dind. 

32) Vgl. K. Meisterhans, Grammatik der attischen Inschriften. Berlin 
1885, S. 2 Anm. 12. Kirchhoff, Stud. z. Gesch. d. gr. Alph. Vierte Aufl., 
S. 93. 96. 

33) Die Inschriften der älteren Zeit eitiere ich nach dem Werke: 
Inscr iptiones graccae autiquissiniae praeter Atticas iu Attica 
repertas consil. et auct. academiae lit. reg. Bor. ed. Hcrmannus Roehl. 
Berol. 1882 (Abkürzung: IG A). Die im Text erwähnten Söldneriuschriften 
stehen dort uüter n. 482. 

34) Reichliche Belege giebt G. Meyer, Griech. Grammatik, 2. Aufl. 
§ 60 (1. Aufl. § 34). 

35) Dies hat zuerst erkannt und klargelegt W. Dittenberger in dem 
Aufsatz „Zum Vokalismua des ionischen Dialekts" Hermes XV, S. 223 ff. 
Vgl. Blafs S. 23. 

36) Kirchh. a. a. 0. S. 26. 27. 64. 80. 83. 

37) Vgl. Renner, De dial. antiquioris Graecor. poesis elegiacae et 
iambicae. Curt Stud. 1, 1, S. 17yff. 

38) Belege bei G. Meyer, Gr. Gr. 2. Aufl. § 119 f. (1. Aufl. § 117 f.) 

39) In dem Alphabet der asiatischen Ionier, das später allgemein 
wurde; in Paros brauchte man beide Zeichen gerade umgekehrt. 

40) So Blafs S. 25. 

41) Vgl. Brugmann, Vergl. Gr. § 311 ff. 

42) Auf die Existenz eines solchen dunklen unreinen kurzen e-Lauts 
noch im klassischen Griechisch weist das Schwanken zwischen e und o 
auf attischen Inschriften in manchen Worten: '€pxopevöc 'Opxopevöc, 
Köpiojpa K^pKupa, ö߀\6c ößoXöc, TTuaveipuüv TTuavoMnuüv u. a. Vgl. 
K. Meisterhans, Grammatik der attischen Inschriften, § 6, lb. G. Meyer, 
Gr. Gramm. 2. Aufl. § 25. 26 (1. Aufl. § 23. 24). 

43) Eine Verschiedenheit im Klang dieser beiden ihrem Ursprung 
nach verschiedenen n. nimmt aus anderen Gründen und in andrer Weise 
au Merzdorf', Curt. Stud. IX, 226. 

44) Vgl. Meisterhans a. a. 0. § 2, 3. 

45) Was von Dietrich in Kuhns Zeitschr. XIV, p. 67 behauptet, von 
Blafs S. 28 und Meisterhans § 10, 1 aufgenommen, und für eine gewisse 
Klasse von Bildungen ausführlich zu beweisen versucht worden i*Bt von 
Ködiger, Griech. Sigma und Iota in Wechselbeziehung, Berlin 1884, wo- 
gegen zu vergleichen meine Recension in d. Wochenschr. f. klass. Phil. 
1884 Nr. 42 u. 43. 

46) So ist die Darstellung von Meister „Die griech. Dialekte" I, 
S. 224 f. 227 ff. , die sehr unklar und ungenau ist, zu berichtigen. In 
Inschriften des epichorischen Alphabets findet sich i nur für solches €i, 
welches entweder Steigerung von i ist (TTiÖapxoc IGA. lf>7 TTiabwpföac 



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212) oder aus e -f- 1 kontrahiert ('AOavoYmc 137. Quo^ha 261. KoXX»yitujv 
259. GiOTdXia 142. EevökXio 164. GüT^Xia 223. Iimdpxia 260. XapÖKXio 302. 
EuxXibac 157) oder durch Epenthese des l entstanden ('ApivoKX£r)c 157. 
<PiXaiYipa 298). Ebenso oft aber findet sich ei: Teicauevöc 143. CiKabujuv 
236. TT€ietOvöac 282. *ApiCTOKpdT€i 145. 'AvcpdXicei 220. TTpoicXeT 256. TTa- 
ciKXeia 242. AuTOKpdreia 246. 'AueivoJtXefae 155. Die Dehnung aus e, 
welche im ionisch- attischen Alphabet mit El bezeichnet wird, ist in den 
epichorischen böot. Inschriften immer durch E wiedergegeben: EMI häufig, 
<DANES = tpaveic 167. «^SEIMON mit metrisch bezeugter Länge 167. 

47) An Stelle der aus ö entstandenen ionischen Länge r\ hat der 
böotische Dialekt natürlich wie alle nichtionischen das alte ö: öäuoc, 
uväua, Aapdrpioc etc. 

48) Wenigstens in der Hegel, doch mögen dialektische Abweichungen 
vorgekommen sein. So ist aus der Schreibung AE OE für cu ot auf 
tanagräischen Inschriften (z. B. Aecxpovbac XocpiXoc) wohl zu schliefsen, 
dafs in der Lokalmundart von Tanugra ai und ot mit offenem i gesprochen 
wurden, wie wir es thun. 

49) Belege bei Gust. Meyer, Griech. Gr.* § 155 (erste Aufl. § 161 f.). 

50) Z. B. 'ApcptKxiovec 'AuqwcTUovcc, fjuicuc r)uucuc u. a. m. Vgl. 
Meisterhans § 8. 

51) Die Angaben des Folgenden über den Vokalismus Bind in der 
Hauptsache aus Meisterhans, Grammatik der att. Inschr. entnommen. 

. r )'J) Ebensowenig habe ich auf die Fälle eingehen können, in welchen 
8p o radisch schon in klassischer Zeit solche Lautübergänge vorkommen, 
wie Bie später allgemein werden, z. B. TToTeioecVrcu neben TToTeföaia, 
£ujpa neben atiüpa, ff[ neben youo (hierüber vgl. meine Sehr, de nominib. 
graec. in aioc S. 112), TToTeibdv und TToTiöäv, x^» 01 x e ^ 101 u « Die 
Verteidiger der neugriech. Aussprache haben dergleichen Einzelheiten 
begierig aufgegriffen, während doch nur die gesetzniäfsige und gleich- 
mäßige Lautbewegung im grofsen und ganzen für unsere Frage mafs- 
gebeud sein kann. 

53] Vgl. G. Meyer, Gr. Gr. 2, Aufl. § 228 {1. Aufl. § 229). 

54) fragin. dith. 79 (47J. 

65) IGA. il 600. 

56) Vgl. Hinrichs, Griech. Epigraphik (Handb. d. klasa. Altertums- 
wissensch., hsg. von Iw. Müller I), S. 397. G. Meyer, Gr. Gr. 2. Aufl. § 282. 

57) Vgl. die hübsche lautphysiologische Auseinandersetzung von 
Theod. Siebs, Die Assibilierung des k und g. Tübingen 1886, S. 68 f. 

58) Ritsehl, Monumenta epigraphica tria p. 2iL Curtius Grdz.* S. 417. 
69) Athen. XIU, 586 E. 

60) Quintil. inst. Qr. XII, 10j 2L 

61) Plato com. fr. 168 K. 

62) Dion. Thrax in Bekk. an. p. 632 und Dionys. Hai. p. 78. Die 
Autorität des Aristoteles, die Blafs S. 95 anruft, beweist nur für die 
Natur des Z als Doppellaut, nicht für die in ihm verbundenen Laute. 



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68) IGA. 111. 112. 
64) S. oben Anni. 1. 

66) Engel S. 159. Die richtige Berechnung stellt sich so: 
Verwechslung von i mit r\ 

€i 

„ Ol 

» » 1 » €i 

»t oi 

n „ « „ Ol 

.1 u 

» n 01 m u 

Summa 10 

Verwechslung von ai mit € 

» >i O v 

Summa 12 



I 



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HU NMED Z